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KUNST UNSERER ZEIT.

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KUNST UNSERER ZEIT.

EINE CHRONIK

DES

MODERNEN KUNSTLEBENS.

1893.

MÜNCHEN.

FRANZ HANFSTAENGL.

“ALLE RECHTE VORBEHALTEN.

MÜHLTHALER’s KGL. HOF BUCH- UNI) KUNSTUKUCKEREI MÜNCHEN,

INHALTS-ANGABE.

I. HALBBAND.

Aufsätze.

Seite

Bernstein, Max, Schlangenspiel . 79

Ebers, Georg, Der Abschiedskuss von Lorenz

Alma-Tadema . 1 1

Leopold Carl Müller . 57

Gur litt, Cornelius, Die amerikanische Malerei in

Europa . 21

Helfer ich, Hermann, Radirungen und Bilder des

ETeiherrn L. von Gleichen-Russwurm ... 82

Seite

Rosmer, Ernst, Medusa . 90

Spier, A., Hermann Kaulbach . i

Spiro, Dr. Eriedrich, Italienische Musikbriefe . . 13

Unsere Bilder . 18

Walther, Fred., Unkritische Künstlerportraits;

III. Thure Freiherr von Cederström .... lOi Zimmern, Helen, George F'rederick Watts . . 92

Vollbilder.

Seite

Alma-Tadema, L., Der Abschiedskuss .... 12

Bokelmann, Ch. L., Eine Testaments-Abfassung iio

Bracht, Eugen, Die Klause . 2Cr

Brütt, Ferd., Die Entscheidung . 86

Cederström, Th. von, Quartett . 102^

Chase, W. M., Meditation . 28 '

Dewing, Thomas W., Musik . 32

Galofre y Gimenez, B., Heimkehr vom Feste 102

Gaugengigl, J. M., Concert . 48

Gut herz, Carl, Der Grabesengel . 32-'

Seite

Hartwich, H., Märzschnee . 28

Hassam, Childe, Die 5. Avenue in New -York

im Schnee . 36

Hang, Rob., Spaziergang . iio

Henner, J. J., Mädchen aus dem Obereisass . . 98

Kaulbach, Hermann, Das Ende vom Lied . . 4

Knaus, Ludwig, Katzenfreundin . 18

Ko eh 1er, R., Portrait . 40

Lenbach, F. von, Schlangenspiel . 82

Malczewski, J., Letzte Etappe . 94

Seite ^

Marr, C., Somniernachmittag . 44

\j

Meyer -Mainz, P. Hubertustag . 106

Müller, Leop. Carl, Palmenzweigverkäuferin auf

einem arabischen Friedhofe zu Kairo ... 60'^

Mädchen aus Kairo. Trauernde Wittwe 64*^

Messe zu Tanta . . 68'*

.Markt in Desuk. Moschee des heiligen Ibrahim zu Desuk . 72^

Orangenverkäuferin . 74 \|

Mariettes Haus in Sakkara. Kameel-

markt. Damm im Delta zur Zeit der Ceberschwemmung . . 78

Seite

Oppler, E., Träumerei . 86 \j

Peck, Orrin, Stiefmütterchen . . . . '' 56V/

Pötzelberger, Robert, P'ränkische Landschaft 8 P r a d i 1 1 a , F. , Seebad an der adriatischen

j

Küste . . . 16

Rolshoven, J., Meditation . 54

Stuck, Franz, Medusa ... . 90

Ulrich, Charles J., Idyll in SottoMarina . . 24

Vonnoh, R. W., Klatschrosen . 52

Wenglein, J., Kinderfriedhof . 94

Whistler, J. M. N., Träumend 24

Textbilder.

Seite Seite

Pr i dg man. F. A., Das Xegerfest zu Blidah 41 Kengon Cox, Bildnis des Bildhauers Aug. H.

Bunker. Portrait der Mrs. Bunker . 29 ' Gaudens . 23

( ederstn^m, d'h. von, Studien und Skizzen lor Mac Ewen, Walter, Allerseelentag . 25

102 103 104 105 106 107 Mos 1er, Henry, Der Kesselflicker . 38

Cha.se, W'illiam Merrit, Eine Parkszene . . . 53 Müller, Leop. Carl, Studien und Skizzen 58 59

Dewing. W. Thomas, Bildnis der Mrs. Stanford 6r 62 63 64 65 67 68 69 7 1 73 74 75

White . 40 : 76 77 78

G leichen - R ussw urm . L, von. Studien und Partan, Ernest, Im Mai . . 49

.Skizzen 82 83 84 85 86 87 88 89 Portrait des Malers Leopold Carl Müller . 57

llitchcock. George. .Mutterglück . 47 Phayer, Abbot H., Männliches Bildnis ... 33

InnC'. George. Landschaft ... .... 45 l'ryon, Dvvight William, Tagesanbruch ... 31

Jones, l-'rancis C.. Ich spiele nicht mehr ... 51 Weeks, PMwin Lord, Die Elephanten des Maha-

Kau Ibach. Hermann, Studien und Skizzen 2 3 rajah in Jehore

4567S910131819 20 I

43

II. HALBBAND.

Aufsätze.

Seite

Gurlitt, Cornelius, Die Münchener Ausstellungen,

I. Im Glaspalaste . 83

Adolf Hildebrand . 67

Die Münchener Ausstellungen. II. Die

Secession . loi

Haushofer, Max, Die fünfundzwanzigjährige Jubelfeier der Münchener Künstler -Ge¬

nossenschaft . 77

Das Wasser in der Landschaftsmalerei . 21

Seite

Kirchbach, Wolfgang, «Echo», Eine Wald¬

geschichte . 41

Spier, A., Jakob Emil Schindler . i

Spiro, Dr. Eriedrich, Ein Blick auf die komische

Oper unserer Zeit . . 58

Walther, Ered., Unkritische Künstler-Portraits :

Theodor Rocholl . 30

Unkritische Künstler - Portraits : Albert

Rieger . 49

Vollbilder.

Seite

Alma-Tadema, L. , Portrait des Herrn A.

Waterlow . 88

Berger, Ernst, Wasserweihe in Venedig. . . . ^6

Brack, Emil, Die Taufe . 40'

Im Wonnemond . 64

Caprile, Vincenzo, Rast . ^4

Corrodi, H., Papst Leo XIII. in den Gärten des

Vatikans . 36

Dieffenbacher, August, Verstossen . loo

Diez, Wilhelm, Picknick im Walde . 52

Eberle, Adolf, Kurgäste . 56

Fröschl, C., Portrait . 32

Haug, Robert, Am Rhein . 104

Heupel, Ludw. Willi., Auxilium Christianorum . 72

Hirsch leid, E. B., Der fünfzigjährige Hoch¬ zeitstag .

Höcker, Paul, Die Wundmale . 109

Knüpfer, B., Meeresidylle . 24

Lautenschlager, Marie, Traumverloren ... 112

Lempools, J., Junge Sphinx . 116

Seite

M e d o V i c , Celestin , Bacchusfest zur Zeit der

Christenverfolgung unter Nero . 80

Michetti, P., Der Kirchgang . 38

Nono, Luigi, Ave Maria . 60

Papperitz, Georg, Am Waldquell . 44

Rieger, Albert, Am Wildbach . 48

Roth, August, Pausias . 68

Schindler, Jakob Emil, Garten im Pfarrhof von

Weissenkirchen . 12

Die Mühle Frühling . 16

Nach dem Frühlingssturm . 18''

- Pax . 20'^

Gemüsegarten in Plankenberg . 4'-''

Bei Rodaun März . 8

Schoyerer, Joseph, Madonna del Sasso bei Locarno 74 Suchodolski, Zdislaw von. Heilige Familie . . 96

Sund th aus en, C., Ein Dorfvirtuos . 92

Thoma, Hans, Taunuslandschaft . 118

Zick, Alexander, Die Eumeniden . 76

Z i m m e r m a n n , Ernst , Der ungläubige Thomas 1 8

Textbilder.

Seite

Achenbach, A., Ostende . 27

Andersen-Lundby, A., Winterlandschaft . . 28

Bartels, Hans von, Erwartung . 85

Becker, Carl, Lootsenboot . 86

I^ennewitz von Loefen, jun. Carl, Die Geigen¬ bauschule in Alittenwald . 87

Chierici, Gaetano, Das Festopfer . c . 89

Court ens, Franz, Küste im Winter . IT4

C o u r t o i s , Gustave, Portrait von K. ... 1 1 3

Dagnan-Bouveret, x-\uf der Wiese .... iii

Dahl. Hans, Frische Brise . 24

Dettmann, Ludwig, Rückkehr des verlorenen

Sohnes . 117

ICdelfelt, Albert, Im Bügelzimmer . 105

Farneti, Stefano, Die Sonate . 95

Fouace, Guillaume Romain, Stillleben ... 93

Hartmann, Carl, « Honny soit. qui mal y pense » 91

Helsted, Axel, Die Deputation . 99

Hildebrand, Adolf, Textillustrationen 59 61

64 69 70 74 75 76

H u b e r- 1' e 1 d ki r c h , jun., De profundis .... 86

K h n o p f f , Fernand, « I lock my door upon myself » 79

Koner, Max, h'inanzminister Dr. Miquel .... 90

Laurcnti, Cesare, Das Gewissen . 112

Maison. Rudolf, Neger auf einem Esel reitend,

Bronzegruppe . 118

Seite

Marr, Carl, Portrait meines Vaters . 98

Max, Gabriel, Schlecht gelaunt . 102

Pinell, B., Adagio . 100

Possart, F., Unbelauscht . 28

Rieger, Albert, Textillustrationen 47 50 51 52

53 54 55

Roch oll, Theodor, Studien und Skizzen 31 32

33 34 35 36 37 38 39 do

Sanctis, Giuseppe de. Zu Dreien . 88

Salgado, Jose Velloso, Portrait . 94

Sartorio, Aristide, Lektüre . 88

Schindler, Jakob Emil, Textillustrationen i 3

5 7 9 12 13 17 19

Sperre r, Philipp, Der Marterkasten . 84

Stauffer, Carl, Portrait des Bildhauers Max

Klein . 96

Steffan, J. G., Am Klönthalsee . 23

Stetten, Carl von. Am Fusse des Louvre ... 115

Stuck, Franz, Glühwürmchen . 103

Thaulow, Fritz, Die Seine im November . . . 106

Tito, Ettore, Die Toilette . 109

Toorop, Jan, Die drei Bräute . 67

Zanetti-Miti, Giuseppe, Abend am Kanal von

Korinth . 81

Zezzos, Alexander, Der Pflug . 107

Das Vestibül der Secessions- Ausstellung .... 10 1

So oft ich einem grösseren Publikum einen Maler, j einen wahren Künstler, mit Worten darstellen soll , kämpfe ich mit der Ueberwindung des Gefühls, dass ich einer halben Sache diene. Nur die Hoffnung, dass das gesprochene Wort, nun gar, wenn es von anziehenden und beweisführenden Illustrationen unterstützt wird, da und dort zur näheren Betrachtung der Gemälde des Künstlers und ihrer Reproduktionen veranlasst, belebt den Willen zu reden, wo man zeigen möchte. «Sehen Sie», sollte man sagen, nicht «hören Sie!»

Bei Hermann Kaulbach bleibt die Aufgabe der Vermittlung und Anregung nicht in dieser Einseitigkeit stecken. Das Anschauungsmaterial ist vorausgegangen. Viele kennen einen kleineren oder grösseren Theil seiner so verbreiteten und geschätzten Werke, aber doch nur

einen Theil! Da liegt der Vortheil und die Gefahr. Viele beurtheilen ihn eben nur nach dem populär Ge¬ wordenen und ahnen Nichts von dem sranzen Umfane seiner künstlerischen Individualität. Von ihm ist viel zu sehen und viel zu hören! Er malt aus dem V’'ollen eines reichen , durch glückliche Umstände mit den mannigfaltigsten und feinsten Eindrücken genährten Lebens!

Ist er doch der Sohn, der einzige Sohn von Wilhelm von Kaulbach, von jenem genialen Künstler, der mit seiner gemalten Geschichtsschreibung, mit seinen Goethe-Illustrationen , mit seiner Satire seine Zeit auf das Stärkste beeindruckte, ich dürfte wohl sagen, beherrschte! Heute in der merkwürdigen Phase des künstlerischen «jüngsten» Gerichts, aus nur allzu menschlichen Menschengruppen zusammengesetzt , ver-

1

2

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

kleinert man die Verdienste dieses bedeutenden Mannes und scheint gründlich zu vergessen, dass er in der organischen Entwicklungsgeschichte der deutschen Malerei ein Bahnbrecher war, ohne den der deutsche Maler von heute noch ein schönes Stück Weges vor sich hätte. Er, Wilhelm von Kaulbach, war eben auch der Sohn seiner Zeit. Das rhetorische Pathos seiner Kunst weckte die damaligen Geister zu einer begeisterten Betrachtungsweise und gab dem schulhaften, trockenen Bildungs¬ wesen eine schwungvollere An¬ schauung. Die Wilhelm Kaul- bach’schen Bilder waren es, die zu jener Zeit die leicht in den Wrnunft - Egoismus verfallende deutsche Eamilie wieder für das Grössere des Menschenlebens zu interessiren wussten. Wo heute noch Menschen , die auf dem ]-'.ntwicklungs - und Kunststand¬ punkt jener Jahre stehen, seine Bilder kennen lernen, wirken sie ebenso -tark wie damals. Ihne Kt:irse durch die Zimmer gebil¬ deter Provinzler beweist das.

Enter den akademischen k'alten der Whlhelm Kaulbach- « hen Gestalten pulsirt wohl auch ein gutgc.-.chcncs menschliches Leben, oft versteckt, oft fast erdrückt von der Komposition und der überreichen Absicht, aber es ist dal

Wilhelm von Kaulbachs re- fl'ktirendc und spirituali.stische l’-.ldcr tauschen über sein eigent-

\\s' an. An der Staffelei strebte sein vulkanischer

= » 1 r-' b. einer k'Uizentrirten \W-ltsi)rache. In seinem

1 ;cnl ben tr,t -ein warme-. Interesse an der Natur, W!‘ -'ti n Me;-. ;chen im Kleinen und im Grossen kräftig z' T.r - Man braucht nur wenige Briefe an seine h'rau und ‘-eine Kinder zu le.-en, um zu wissen, welch’ ein gefühlvoller M nsi h er war, wie gern er mit den Noth- leidcnden thcilte , wie lustig er mit den Kindern -clicrztc, und dass er mit den Philistern nichts ge¬ mein haben wollte.

Aus dieser Sphäre , die ein solcher Geist schuf und belebte , in der täglich hervorragende Menschen verkehrten und gute Gespräche geführt wurden, er¬ wuchs Hermann Kaulbach. Nicht in einer den Wissenskram in den Mittelpunkt stellenden Schulluft wurde sein Geist wach, nein, in einem Hause, in dem gefühlt, gedacht, geplaudert, gelacht wurde, in dem ein glücklicher Gatte seiner schönen Frau die Leiden seiner Kindheit und Jugend erzählte, und die Huldigungen der Liebe zu ihr bis in die Zeit der grauen Haare fortsetzte, in einem Garten, den der besitzfrohe Künstler seine «Kirche» nannte, an dessen Blumen und Vögeln er zärtlich hing , unter den Augen eines Vaters, der jedem Kinde an dessen Namenstag die unbeschränkteste Verfügfreiheit über Küchenzettel und Zeiteintheilung liess. So lenkte W. von Kaulbach , ein Gärtner von Neigung, auch die Entwicklung seiner Kinder mit gärtnerischer Weisheit.

Sie sollten ein freies Wachs¬ thum geniessen und auf den Ruf ihrer inneren Natur warten. Selbst die Wunderwerke Hermanns, die verschiedensten, merkwürdigsten Gedichte, die derselbe als sechs¬ jähriger Junge verfasste, veran- lassten ihn zu keiner Spezial¬ pflege.

Der Vater liess Alles, was Triebkraft hatte, unbeirrt gross werden und meinte zuversichtlich von seinem Sohne: «Der wird gut!»

Als der Anspruch einer schärferen Schuldisziplin laut wurde, schickte er ihn in ein Weinheimer Pensionat. Die welligen Hügelketten der Bergstrasse wirkten wohl stärker auf den Geist des Knaben, als die Aufgaben der Grammatik, aber, er lernte. Später kam er von dort auf das Gymnasium nach Nürnberg, in das Haus seines Schwagers Kreling, des verdienten Direktors der Kunstgewerbeschule. Nürnberg, das romantische Nürn¬ berg, mit seinen Gässchen, Thorbögen, Winkeln, Thürmen

Hermann Kaulbach. Studie,

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Hermann Kaulbach. Studie.

und Brunnen, das lockt Bilder in das Auge, hilft sinnen und dichten und stimmt die junge Seele zum Lieben! Dort entdeckte der Jüngling sein Herz und das rechte «andere» und Hermann Kaulbach ist einer der wenigen Glücklichen, die mit dem ersten Liebesglück ihr Lebensglück gründeten.

Im Kreise Krelings setzten sich die Kunsteindrücke seiner Kindheit fort und mit der entschiedenen Absicht IMediziner zu werden, zeichnete er doch da und dort was Auge und Geist beschäftigte. In München trat er als Student der Medizin ein und hörte Jolly, Liebig und andere Autoritäten. Diese Wissenschaft, welche der Humanität ein so breites, unmittelbares Gebiet, täglich Mittel und Wege zum Bethätigen der Menschenliebe gibt und in das Studium der Naturwissenschaft voll einführt , schien den Bedürfnissen seines Wesens zu entsprechen.

Aber, der geerbte, in der Tiefe 'eingesessene Künstlergeist rüstete sich zum Appell, die Kämpfe zwischen Malen und Mediziniren erwachten , beunruhigten , tobten. . . . Die Studien¬ köpfe, die Hermann Kaulbach zur selben Zeit in dem Atelier seines Vaters malte, gelangen, aber der väterliche Meister scheute vor dem entscheidenden Wort. Piloty, kein Geringerer, sprach es aus, als konfliktbefreiender, kategorischer Imperativ erklang sein Befehl :

« Du 111 u s s t Maler werden ! »

Piloty nahm ihn unter den freiesten Bedingungen als Schüler auf, verfolgte mit dem intensivsten Antheil die vielversprechende Entwicklung, welche mit jeder neuen Arbeit die Berechtigung der Piloty’schen Initiative bestätigte.

Der Vater selbst stellte dem Sohne die Aufgabe, sich sein Heiniathsrecht und sein Heimathsgut zu ernialen. Das erste in dieser Hoffnung ausgestellte Bild Hermann Kaulbachs , ein gut gezeichnetes, fein getöntes Stillleben, verkaufte sich sofort und zwar für ein hundert baare Gulden. Der Jubel des Anfängers war gross, und als er eben seinen Triumph dem Vater niittheilen wollte, findet er denselben vor dem von ihm erworbenen Gemälde sitzend, wie er sein Kaufobjekt lächelnd prüft . . .

Das erste grosse Bild, mit welchem Hermann Kaulbach vor die Oeffentlichkeit trat, war «Der sterbende Mozart».

Es bewies innerhalb der schulgerechten Komposition ein erstaunlich schnell erwachsenes Können, und noch viel mehr: ein Auftauchen feiner, individueller Details, ein Sich-nicht-genügenlassen an der historischen Scenerie, ein Streben nach wahrheitsgetreuer Darstellung , ein seelisches Eindringen in die seelischen Vorgänge.

Und in dieser Richtung sollte sich Hermann Kaulbachs ganze grosse Stärke entwickeln. Es entstand eine grosse Wechselwirkung zwischen der Bereicherung seines so schön angelegten Geisteslebens und seiner künstlerischen Ausdrucksweise. Er stellte an sich selbst

l*

4

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

die Ansprüche eines kritikbefähig¬ ten Elitemenschen, dem nicht das eine oder das andere Bruchtheil des Erstrebten genügte, der nicht für das Bravo des Marktes arbei¬ tete, sondern seinem hohen Ziele nah und näher kommen wollte.

Er sah neben dem Malerischen auch das Innerliche, das Bedeut¬ ungsvolle der Situation und zählt heute in gesteigerter und gereifter Kraft zu den Bekennen! der Drei¬ einigkeitslehre von der Farbe-,

Form - und Gedankenschönheit eines Gemäldes.

Sein Vorjahren in der Berliner Ausstellung mit grossem allgemei¬ nem Beifall aufgenommenes Bild:

«Die Krönung der heiligen Elisabeth durch Friedrich II. in derDeutsc h-0 r d e n s k i r c h e in Marburg» ist ein grosser Zeuge der Hermann Kaulbach’schen Kunst. Gerade dieses Bild, in seinem Stoft'uns scheinbar so fern stehend, zeigt in deutlicher Weise seine Kraft, das Historische menschlich näher zu rücken.

Im Mittelpunkte des grossen Bildes steht der Sarg, auf dem die heilige Elisabeth im Ordensgewande auf¬ gebahrt liegt. Vor dem Sarge knieen ihre Töchter, neben ihnen steht der Kaiser mit dem Sohne und hält eine kostbare Krone auf ihr todtes Haupt. Da ich Dich auf dieser Erde nicht als Kaiserin krönen konnte, so will ich I ’i' l! doch mit di .!T Krone als eine ewige Königin in Gottes Reich ehren . Ein Son nenstrahl fällt von den hohen Bogen¬ fenstern des Domes auf diese Gruppe, der ganze Kaum,

den eine bunte Menge füllt , ist weit und hell , Farben- und Stimmungsakkorde packen den Beschauer.

Nur dieses Bild, das Eigen¬ thum der Stadt Wiesbaden wurde, sei in dieser Ausführlichkeit be¬ schrieben ; es ist insofern typisch für alle historischen Bilder Her¬ mann Kaulbachs , weil es trotz seines Figurenreichthums jeden Einzelnen individualisirt und zu einem Bilde für sich gestaltet. Die Priester, die Nonnen, die sin¬ genden Klosterkinder, die Fürsten, Alle auf diesem Gemälde würden als Einzelbilder wirken. Ein inter¬ essantes Detail, das die Freunde des zu früh verstorbenen Dichters wehmüthig berühren wird, ist die Thatsache, dass Karl Stieler zu der Figur des Kaiser Friedrich Modell stand, er, eine typische Deutschengestalt.

Hermann Kaulbachs künstlerisches Produktions¬ vermögen ist ungemein ergiebig. Die jüngsten zwei Jahrzehnte hat er enorm und vielseitig gearbeitet. Zu den beliebtesten Opern und zu einem Theil der Gustav I'reytag’schen Werke lieferte er phantasiereiche, fein gestimmte Illustrationen; er betheiligte sich an der Konkurrenz für ein Friesgemälde des grossen Berliner

Rathhauses, und lieh in diesen Entwürfen der Geschichte von der Einigung Deutschlands als ein begeistert Mitfühlen¬ der pathetische, ju¬ belnde Gestalten in sinnreicher Zusam¬ menstellung ; er gab in den achtziger Jah¬ ren einen Cyclus Narrentypen heraus, eine lustige Reihe entzückender, humo¬ ristischer Gruppen ;

Ilermanti Kaulbach. Studie.

Hennanu Kaulbach. Studie.

D<‘is Ende vom Lied.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

die gesammten Blätter gingen sofort in Privatbesitz über, die Reproduktionen sind weit über Deutschland hinaus verbreitet.

Die deutsche Familie, diese grosse staatbildende Gemeinschaft, die zum guten Theil keine Originalge¬ mälde kaufen kann, sie kennt ihren Hermann Kaulbach.

Seine Bilder wenden sich an die natür¬ liche Schönheits¬ freude des Auges, an die natürlichen Gefühle des mensch¬ lichen Herzens. Die Anmuth und Poe''.ie, mit welcher er die

Ereignisse

glück¬

licher und unglück¬ licher Liebe darstellt, machen ihn zum oft herbeigeholten Illu¬ strator gefühlvoller Beziehungen. Zu jungen, gefahrlosen Liebesfreuden und Liebesschmerzen spricht das Bild Margarethen’s «Jetzt ist er hinaus in die weite Welt»; Ent¬ täuschte betrachten sich die schöne Kol¬ legin, welche dem weltflüchtigen Ein¬ siedler im Walde die warnende Lehre ab¬ nimmt: «Lass ab, lass ab von der

Lieb!» und oben bei den Thurmfalken im Zwinger, da wird ein holdseliges Beispiel gegeben, da singt frohe, einige Liebe ihr Nest- und Festduett !

Und nach den lieblichen Momenten aus dem Liebes- frühling die Bilder aus dem Liebessommer! Den Engel,

welcher das Kind aus der Höhe bringt und mit der Weisung «Von Gott» jungen Eltern an’s P'enster klopft, wer kennt ihn nicht Er ist das edle, ganz ebenso populär gewordene Pendant zu dem Wilhelm

von Kaulbach’schen «Zu Gott»! und hat geschmackvoller Weise den Storch auf das Gebiet des Scherzes gedrängt. Dieser Engel mit dem Kinde, der Schutzengel

und der Weih¬ nachtsengel von H. Kaulbach sind erlesene , herzliche Familienbilder, welche durch ihren sinnvollen Inhalt schon derart Eigen¬ thum der Allgemein¬ heit geworden sind, dass die verschieden¬ sten Besitzer den Maler nicht kennen, namenlos, wie ein gutes, allgemein ge¬ liebtes und gesun¬ genes Lied! Mit diesen Schöpfungen hat H. Kaulbach, unbewusst, wie alle echten Poeten , ei¬ gentlich einen Akt der Gerechtigkeit geübt Er hat seine feine Kunst in den Dienst einer grossen Zukunftsträgerin, der K i n d e r p h a n t a s i e , in mittelbarer Weise von den selbst so reich genossenen Schönheitseindrücken seiner glücklichen Kindheit wieder Schönheitssamen in die Kindersphäre g-esandt. Wie mancher unter den kleinen Leuten hat sich wohl schon bei diesen Engeln seine poetischen

Hermann Kaulbach. Studie.

CT estellt und

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6

DIE KUNS'r UNSERER ZEIT.

Träume und seinen stärkeren Drang zum Schönen geholt. Der wahre Künstler unter¬ schätzt solche Zu¬ kunfts-Sämannsarbeit nicht.

Neben seiner bil¬ derreichen Welt, der weltlichen und himmli¬ schen, mit ihrem Gros¬ sen und Kleinen schil¬ dert H. Kaulbach auch mit Vorliebe in leben¬ digen, pointirten Scenen und feinen Lichtern das Kloster¬ leben. Da lehrt eine Nonne in freigewäblter mütterlicher Pflicht die Kleinen, dort füttert ein Mönch ein herrenloses Findelkind, da öffnet ein in der Kutte Gefan- ■^cncr mitfühlend einem Vogel den Käfig, der Kollege flicht nicht, er will nicht befreit sein und sein Helfer .simulirt und seufzt «Verschmähte F reiheit» ! Und einanderes Pild zeigt eine Nonne in einsamer Zelle, die mit weh- müthigcr Sehnsucht in die FTrne schaut und sucht, was Andere fahren lassen, «O Freiheit!» Jedes H. Kaulbach'sche Platt schlägt einen dichterischen Text an, jedes bietet auch dem einfachsten, schönheitsfrohen Gefühlsmenschen, dessen Auge nicht für die Feinheiten der malerischen Qualitäten geschult ist, einen Reiz, eine Anregung zur Mitempfindung.

l'ür alle Freunde einer veredelten Darstellungsweise v.ar da.- II. Kaulbach’sche Pild, «Die Opferkerzen», ein .Anziehungspunkt der vorjährigen Ausstellung. Seine 1 armoni ;chc. einfache h'arbengebung, seine kräftige Pc- 1 n htuivg, sein rührender Inhalt fanden einstimmige Pewurderung. Der sofortige Verkauf versteckt cs nun im l'ri-. tb‘ ätz. die Reproduktionen erhalten cs im Ge- oachtni: ein« - weiten Kreises.

D.t diesjährige Ausstellungsgcmäldc 1 1. Kaulbachs, Das Fndc vom Liede», zeichnete sich durch dic- clben Vorzüge in Zeichnung, P'arbe und Pcleuchtung aus e - dringt wie die 'Pöne eines wchmüthig auf- eufzenden Ave Maria zu Herzen. Seine fromme Sängerin

steht schon nah an dem Himmel, an den sie glaubt, und nimmt ihr « inneres » Leiden mit hinüber.

Dieses Gemälde beweist aufs «.Neueste», dass die Schönheitsvorstellung Hermann Kaulbachs nicht vor der impressionistischen Helle der neuen Malart zerstiebt, sondern auch im «neuen» Lichte lebendig und lebe¬ fähig bleibt. Es wurde von dem kunstsinnigen Gross¬ herzog von Oldenburg erworben.

Ja, wer in der Kaulbachstrasse an die Atelierthüre Hermann Kaulbachs klopft und aufgemacht be¬ kommt , der findet kaum einen Bildervorrath , aber immer etwas auf der Staffelei , was den Maler selbst gefangen hält und gemalt werden muss!

Es ist unmöglich , die ganze Reihe seiner Werke aufzuzählen. Wohl über hundert sind schon Zeugen seiner mannigfaltigen, sicheren, bescheidenen Kunst. Der Bezeichnung « bescheiden » möchte ich den stärksten Nachdruck geben, Hermann Kaulbach füllt dieses viel gemissbrauchte Eigenschaftswort als Mensch und Künstler mit seinem vollen Goldwerthe aus ! Barrengold! Im Verkehre nicht gütig und nicht nützlich, aber Gold! Er bescheidet sich that- sächlich in selbst ungerechter Weise. Er kann viel mehr als er herausgiebt, steckt sich zum Theil selbst die Bescheiden¬ heitsgrenze, zum Theil steckt sie ihm die Zeit, die er so fleissig aus¬ braucht und die nie reicht. Er kann m o d e r n s t malen und in seinem ge¬ heimsten Atelier- Kämmerlein sind Bilder verborgen, die mancher Schot¬ tenkenner ruhig den Schotten und an¬ dere , die mancher Sezessionist Uhde zuschreiben würde.

Das hat er nach¬ gemacht und es ist ein Kunststück

seiner vielgewand- Hermann Kaulbach. Studie aus Capri.

DIE KUNST UNSERER ZEIl',

7

Hermann Kaulbach. Studie aus Capri.

ten Technik. Aber er hat eigene, kräftige Ideen, gewinnt die künstlerische Macht über sie und hoffent¬ lich erstehen sie bald in Freilichthelle. Er besitzt als moderner Mensch, der Herz hat, dessen Geistes¬ leben aus den günstigsten Faktoren der Vererbung, des Milieus und der Erziehung heraus gebildet wurde, ein grosses Interessegebiet, auf dem keine Phrase, keine Parteiphrase und keine Renommirphrase, wuchert. Un¬ kraut könnte nur der Botaniker entdecken, welcher die märchenhaft schöne, hoch aufstrebende Pflanze des Idealismus, die so viel Kraft aufbraucht und so selten Früchte bringt, zu jener Sorte rechnet.

Hermann Kaulbach kann auch Proletarier mit dem Heiligenschein des Märtyrerthums malen, er hat jetzt eine Skizze fertig: ein Junge sitzt in einer öden Kammer an einem Krankenbett, da ist das ganze Grau des Dach¬ stubenelends malerisch ausgedrückt. Er hat vermöge seiner Vielseitigkeit ein weites Feld vor sich und ist zu jung an Jahren und im Geiste, zu ernst denkend und zu ernst strebend, als dass er sein Malgebiet nicht erweitern sollte.

Seine feinen Portraite sind nur im engsten Kreise bekannt. Die w’eitere Welt kennt ihn bis jetzt haupt¬ sächlich nur als malenden Dichter ; lyrisch und legendär erzählte er ihr die liebenswürdigsten , harmonischsten Geschichten in klangvollen, süssen Reimen.

Die reizenden Skizzen in diesem Hefte, die aus einer der verborgenen Mappen des Künstlers hervor¬ geholt sind, erzählen, wie lieblich seine ersten Ent¬ stehungsideen in die Erscheinung treten. Die Fee in der Mondsichel, welche Sterne streut, die Nonne in der Waldeinsamkeit und in der Kirchenstille, die Gestalt, welche mit Lampe und Kranz in die Gruft steigt, welche liederhafte Lyrik, aber auf der Flöhe eines unserer ersten Liederdichters !

Aus dem Kreise dieser Phantasien führen die Por- traitskizzen , diese schwarzäugigen Köpfchen in die Capreser Sonne. Das sind Typen, typisch und charakte¬ ristisch wiedergegeben, wie sie um Soldi in allen Blick¬ arten betteln !

Die humoristischen Blätter, der Schornsteinfeger auf des Daches Zinne mit seiner neuesten Nachricht vom Schatz, «ich mag Dich nimmer», der Ständchensänger, dessen Guitarre mit dem hohen C seiner Kehle und seiner Seele zu wachsen scheint, der Fastnachts¬ clown, der ihrenFächer findet, der Amor, der den alten Kutscher ein¬ schläfert und die Lieben¬ den hübsch langsam fährt, die Kin¬ dergruppe hinter dem Briefcouvert- verschlag,das Amorl , das als modern¬ ster unter den

modernen Hermann Katdbach. Studie aus Capri,

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

S

Strebern sich an den Luftballon hängt , der Carneval- briefbogen, sind das nicht erlesene Zeugen eines geistvollen, liebenswürdigen Humors.?

Die beigegebenen Illustrationen stellen meine An¬ erkennung auf die Probe, und ich glaube, sie werden mir Zustimmungen in Menge einbringen , indem sie gefallen, nie ermüden, sondern anziehen, anregen und lieb gewonnen werden. Der sinnvolle Briefbogen «Dem Glücklichen schlägt keine Stunde», die Fee mit den sing¬ enden Kindern und der Engel, der eben als Weltkind auf dem Blitz¬ zug einer Sternschnuppe angereist kommt. das sind Boten eines reichen Künstler-Geistes !

Es giebt Parteileute, welche behaupten . Hermann Kaulbach gehöre einer «älteren, früheren»

Schule an.

Zum Glück ist es eine Un¬ möglichkeit, die Kunst durch Partei¬ gesetze zu tyrannisiren. Sie braucht viele und vielerlei Köpfe und wird vielseitig bleiben, wie laut auch die Einseitigen um die I lerrschaft schreien mögen. Sie ist der Spiegel des Lebens und so tausendfach verschiedenartig die Lebensgestaltungen sind, so tau¬ sendfach verschiedenartig dürfen auch ilire Nach-Schöpfer sein!

Warum will man gerade auf dem Gebiete der Malerei Barrikaden bauen und Die, welche dahinter bleiben möchten , nicht gelten lassen? Ein mü.ssiges Beginnen,

^ki . kein Gelingen krönen wird.

Wer mochte , weil er Tristan und Isolde mit Be- --i.-tcruni hört, die Schubert’schen Lieder entbehren? Ja. ' r mo( htc diese überhaupt an irgend etwas Neuestes ■p"rn? Niemand, der ihre ganze Anmuth und ihre •anz' ' > h iTif fr je empfunden hat!

r.twa von dem unvergänglichen Reiz der Schubert- •chen Lied- r li".gt in den Hermann Kaulbach’schen Bildern. Mm nnus ihn sehen und fühlenl

So klar Hermann Kaulbach in seiner Ideenführung ist. so wenig reizt ihn der Kampf- und Vertheidigungs-

standpunkt. Das Gerauf um eine Tagesansicht, um Mein¬ ungen, die ein meist unverkennbarer Egoismus treibt und peitscht, geht seiner vornehmen Natur entgegen. Seine Wesens-Einheit, die ihn immer wieder zum Malen zwingt und seinen Geist auf beständige, künstlerische Bethätig- ung und Klärung hindrängt, lässt ihn den Tages¬ kampf nur aus der Eerne betrachten. Die Arbeit selbst schliesst seine Erholung in sich und charakteristisch für ihn ist bei seinem grossen Talent zur Geselligkeit, bei all den ehrenden Sympathien, die er geniesst, seine zunehmende Vorliebe für einen engeren Kreis, charakteristisch insoferne , als es in seiner Art liegt, einer Erkennt- niss die logische That folgen zu lassen.

Vorjahren baute er sich auf einer Höhe am Schliersee ein wirk¬ lich liebliches, ländliches Haus, Luginsland genannt. Als ihm die schöne Lage und der Klang seines Namens zu viel Eremdes über seine Schwelle führte , malte er in neckischer Laune als Leit- und Leidmotiv über die Haus- thüre den nicht sehr einladenden Spruch :

«Wir wollen hier nicht gasten, nur rasten!»

Die liebe Welt nahm ihm diese Aufrichtigkeit übel, aber seine guten Ereunde wussten, auf wen der Spruch gemacht war. Nun steht indirekt dasselbe

dort :

Friede! Friede!

Diesen Schatz trägt er mit den Seinen selbst ins Haus. Alles, was den inneren Frieden stören könnte, Ruhmsucht und wie sonst die Feinde heissen, kennt dieser Künstler nicht ; mit dem gesunden Katzen¬ jammer, der zwischen glücklichen Schaffensperioden liegt, wird er tapfer fertig; was von Aussen kommt und ihn angreift, behandelt er mit Würde und Kraft, wo es sich wehren heisst, mit schmerzbekämpfender Philo¬ sophie, wo es sich ums Stillhalten handelt. Er hat unversiegbare Erfrischungsquellen in der Familie , in

Hermann Kaulbach. Studie aus Capri.

R. Poetzelberger pinx.

Phot. F. Hanfataengl. Mucichea

Fränkische Landschaft,

DIE KUNST UNSERER ZEH’.

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Hermajin Kanlbach. Studie.

der Natur, in seinem Empfindungsreichthum ! Das Leben hat es bisher so gut mit ihm gemeint: Ein Kaulbach- kind, dann selbst «Einer!»

Jedes liebe Mal, wenn ich solche Menschen schildere, komme ich in die Gefahr der Indiskretion, weil ich die Phrase verachte und die Beweise liebe. Ich möchte genau erzählen dürfen , mit wie lauten Thaten der besondere Mann in der Kaulbachstrasse die hier von ihm behaupteten Eigenschaften schon bewiesen hat, und welche schöne Menschlichkeit hinter, besser gesagt, i n diesem Künstlerthum steckt.

Aus diesen Beweggründen verrathe ich einen Brief¬ passus von ihm, der sich um die Rechtsfrage der neuesten Kunst d’'eht; er lautet:

«Wenn ich mitkämpfe, (und jeder Ueberzeugungs- treue thut das) so geschehe das von mir aus mit dem Pinsel, nicht mit der Feder. Das ist mein Handwerks¬ zeug, ein anderes giebts für mich nicht, und mit diesem will ich auch fürderhin mein Glaubensbekenntniss nieder¬ schreiben, in der stillen Hoffnung, dass auch Andere dasselbe mit mir beten werden. Das kann ich aber sagen, dass ich den für einen Blinden und Thörichten halte, der ohne rechts noch links zu sehen, seinen Weg des Schaffens verfolgt. Es ist thöricht, einen schmalen holperigen Fussweg, der nicht parallel mit dem unseren läuft, als falsch und verfehlt zu bezeichnen. Auch dieser kann Reize bieten , die uns bisher unbekannt waren. Ich glaube Der, der es ernst mit seiner Kunst meint, der nicht nur nach alten Rezepten arbeiten will , soll stets die Augen offen halten , denn er kann und wird überall lernen. Sei es Knaus, Stuck, Uhde, Thoma, Menzel , Jeder wendet in seiner Kunstsprache Worte, Wendungen und Systeme an, die nur ihm eigen sind, und die für Jeden von uns von Interesse und Werth sein können, wenn wir dieselben auch ganz, ganz anders verwerthen als sich diese Künstler denken mögen. »

Hermann Kaulbach steht in den Jahren voller Schaffenskraft und hat das grosse Vermögen, dem Neuen, das ihn anregt, kritisch und sichtend nachzugehen, ohne der Eigenartigkeit seiner Individualität Eintrag zu thun. Sein bewegtes, aufnahmfähiges Geistesleben erzeugt immer frische Kräfte, neue Pläne und in der Freilicht¬ helle der künstlerischen Wahrhaftigkeit giebts ein ge-

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Rathhause liegt das sogenannte goldene Buch. Als Hermann Kaulbach im Jahre 1890 aufgefordert wurde ein Blatt einzuzeichnen, stellte er die Mal- Kunst in einer symbolischen, lorbeerbekränzten Gestalt dar, Palette und Pinsel in der Hand. Auf dem naturalistischen Piedestal eines Bierfässchens streckt sich das Münchner Kindel, das goldene Buch unter dem Arm, zu ihr empor und reicht ihr mit den gelobenden Worten: In alle Ewigkeit! Amen! den Mund zum verbindenden Kusse, eine entzückende, innige Darstellung von Münchens Ver- hältniss zur Malerei.

Auch Hermann Kaulbachs Liebe zur Malkunst ist zärtlich, hingebend, einheitlich. So oft man ihn auch schon, auf seine hervorragende dichterische Begabung hinweisend, zurzeitweisen Schriftstellerei, also zurTheilung

der Kraft bereden wollte, nein, alle seine geistigen Elemente streben nur zu ihr, auch er betet und schwört: In alle Ewigkeit! Amen!

Und er hält Wort. Sein Schwur ist vielverheissend für die Zukunft !

So schlicsst dieser Versuch eines Bildes, welches den hoffentlich kleineren Theil eines Künstlerlebens schildern wollte, mit zwei Worten, aber diese Hesse ich gerne von Hermann Kaulbach illustriren, jeder Buch¬ stabe eine Amorette mit einem verhängten Bild, ernst, gemüthlich, tragisch, schelmisch keck, ja, auch satirisch, im Ausdruck den Inhalt der kommenden, verhüllten Bilder andeutend und die von indiskreten Engeln ge¬ tragene Botschaft hiesse :

Fortsetzung folgt!

Der Abschiedskuss von l. alma-Tadema.

Von

GEORG EBERS.

Wie viel Schönes doch ein so kleines Bild um¬ fassen kann! Nicht viel breiter ist es als meine Hand und nur um die Hälfte länger. *) Dennoch giebt es auf diesem beschränkten Raume gar Verschiedenes zu sehen : Figürliches, Architektonisches, Landschaftliches , und voll und ganz widerfährt jedem Motive sein Recht.

«Ein Abschiedskuss» nennt Alma Tadema selbst sein Bild, und es muss so heissen.

Der Maler ist kein Erzähler, doch die flüchtige Handlung, die er hier zum Stillstand zwang, führt den Dichter in Versuchung, sie neu in Bewegung zu setzen, ihr eine Vergangenheit zu schenken, sie in die Zukunft fortzuspinnen, kurz dies Gemälde zu einer Szene aus der Novelle zu machen, die es ihm bei jeder neuen Betrachtung eingehender erzählt.

Schön und interessant genug ist sicherlich Alles, was sich auf diesem kleinen Raume zusammendrängt, um es poetisch zu verwerthen. Doch der Leser dieser Zeitschrift will nicht wissen, was der Dichter an ein Gemälde knüpfte. Es genügt ihm , die Schönheit des Dargestellten zu geniessen und sich Rechenschaft über den Vorgang zu geben, zu dessen Zeugen das Bild ihn macht.

Dieser Vorgang bedarf eigentlich keiner Erklärung ; denn Tadema steht an der Spitze der Maler, die beim Denken nicht nur mit Farben, sondern auch mit klaren Vorstellungen arbeiten.

«Der Abschiedskuss» versetzt uns an eine der Buchten des Mittelmeeres , etwa an die des alten Neopolis. Der bärtige Mann, dessen Büste auf der Marmorherme links steht, besitzt eine stattliche Villa am Strande. Er ist reich mit Gütern gesegnet; denn

*) Es misst 26,5 ; 13,75 cm.

schon im Atrium seines Landhauses tritt der Fuss auf schön geglätteten Marmor, und ein feiner Mosaikrand umgibt das Bassin in Mitten des Estrichs. Ueber der Thür hängt ein schwerer syrischer Teppich, und es fehlt in der Villa auch nicht an Sklaven. Der köst¬ lichste Besitz des Hausherrn ist indess die holdselige Gattin mit dem röthlich schimmernden Goldhaar und das Töchterchen, das sie ihm schenkte.

Die Eltern der anmuthig in der Blüthe weiblicher Schönheit prangenden Mutter wohnen wohl an einer anderen Stelle der Bucht, vielleicht in Herculanum, und die junge Frau will sie besuchen. Der Sklave hat bereits den rechten Flügel der Thür zurückgeschlagen. Dadurch ist es dem Blicke vergönnt , ins Freie zu schauen. Auf der Strasse wartet der Wagen. Der junge Lenker hält das Ross fest am Zügel, und die Schaffnerin, die die Herrin begleiten soll, sitzt schon in dem leichten Fuhrwerk und schaut ungeduldig nach ihr aus. Sie wird bald erscheinen, und es gilt nur noch von dem Töchterchen, das sie zurücklässt, Abschied nehmen. Die beiden haben einander lieb ! Wie die Zwölfjährige mit dem schwarzen Haarschmuck zu der schönen blonden Mutter aufstrebt und sie umhalst, wie innig die junge Frau das Kind an sich zieht und ihm die Stirn über dem hellen Auge küsst, das so liebevoll und als wolle es sagen : « vergiss mich nicht 1 » das ihre sucht.

Die Tochter bleibt gewiss nicht freiwillig zurück; denn auch sie besucht die Grosseltern gern. Dazu lockt Alles ins Freie. Die Sonne scheint draussen so schön, und das Meer glänzt in so köstlichen Azurfarben wie der Himmel, der sich in seiner leicht gekräuselten Fläche spiegelt. Schon bevor der Sklave das Atrium geöffnet hatte, war sein wolkenlos lichtes Blau durch die breiten offenen Maschen des Gitterwerkes über dem Thore ge¬ drungen.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Dies Licht ist uns wohl vertraut. So wirkt es in Süd - Italien unter freiem Himmel , und es ist von dem sogenannten « Atelierlicht » so weit entfernt wie auf l'romentins gleichfalls älteren Motiven aus dem Orient. Für Alma Tadema scheint uns überhaupt das sogenannte I'reilicht » nichts Neues zu sein. Schon vor vier Lustren sah ich von ihm im hellsten Glanz der Mittag-s- sonne des südlichen Europa leuchtende Ufer und Gartenszenen. Sie wirkten damals überraschend, weil andere es noch nicht gewagt hatten, eine so starke Lichtwirkung mit gleich rücksichtsloser Treue wieder¬ zugeben.

«Treue» ist überhaupt die vornehmste Eigenschaft unseres Meisters. Ich kenne nichts von ihm, was gegen sie verstiesse. Lhid wenn sie ihn dennoch in keinem I'all über die Grenzen des Schönen hinausführt, die für ihn die der Kunst sind, so sichert ihn davor der angeborene Geschmack, den er in der vornehmsten der Schulen zur Ausbildung brachte. Bei dein griechischen Alterthum ging er in die Lehre, und er gehört zu den Sonntagskindern, denen es gestattet ist, in dem erhabenen 'I'empel der hellenischen Kunst ihren Genius von Ange¬ sicht zu Angesicht zu schauen. Darum wachsen ihm aus seinem I lerrschaft.sgebiete die meisten und schönsten Stoffe entgegen.

Die Forderung, dass wer solch ein Motiv aus ver¬ gangener Zeit behandeln will, nichts geben darf, was in ihr nicht zu den herrschenden Gedanken, Gefühlen und Gewohnheiten, zu den bekannten und gebrauchten Gegen- tanden gehörte, finden wir wie auf jedem Alma 'k ad ema’ sehen Gemälde, so auch auf dem « Abschieds- ku^ie erfüllt. Um dahin zu gelangen, genügt es frei¬ lich nicht Kostümwerke zu studiren, und eine Reise an d;. Mittelmccr zu machen; es erfordert vielmehr eine ti' fc Vertrautheit mit dem Lokal und ein liebevolles Mith ben mit der Gesellschaft der zu behandelnden Epoche.

J : <• hat \ 1 m a T ade m a sich durch rastlosen, von warmer ' ■■ licfliigeltcn Flciss erworben, zu diesem, dem

Mit k n. ■h; ngt ihn ein starker congenialer Zug mit der Aiv - . i,t denn das Alterthum glciclnsam seine künst- I T; ■■ he (j- =:nw,irt geworden, und von allen Zeitgenossen ir htc i‘ h keinen li'^bcr einen Griechen» nennen als ihn, fR-r -ich auch im Nebel der Themsestadt das

sonnige Gemüth, den Aufschwung der Seele, ein durstiges Schönheitsverlangen und den liebevollsten Zusammenhang mit der Natur, kurz die vornehmsten Eigenschaften des hellenischen Wesens bewahrte.

Deswegen stellen seine Bilder auch nicht nur Szenen aus dem heidnischen Griechenland oder Rom dar, sie sind vielmehr griechisch oder römisch. Das gilt auch von dem unseren. Wenn einer der verschütteten Be¬ wohner Pompejis aus der Asche zu neuem Leben er¬ stünde, er würde nichts darauf finden , was ihm nicht vertraut wäre, was er nicht als möglich in seiner Zeit anerkennen müsste.

Der tief unterrichtete Archäolog Alma Tadema begeht keine Irrthümer, sein Griechenthum bewahrt ihn aber auch vor dem Missgriff, die für die Zeit in die er sein Bild verlegte charakteristischen Dinge mit pedan¬ tischem Gelehrtenstolz zu weit in den Vordergrund zu rücken. Auf unserem Gemälde will das archäologische Beiwerk erst aufgesucht werden.

Man soll kein Buch zur Hand nehmen , das man nicht zweimal lesen könnte und keinem Bilde in seiner Nähe einen Platz einräumen, das man nicht oft mit dem gleichen Genuss betrachten möchte. Dies kleine Meister¬ werk, auf dem sich ein so freundliches Stück Menschen¬ leben mit dem Ausblick in eine der heitersten Stätten der Natur harmonisch verbindet, hat zwölf Jahre lang die Probe bestanden. Mit jedem Winter, in dem ich den Himmel Neapels mit sonniger Bläue durch die Oeff- nungen über der Thür des Atriums in der Villa bei Neopolis auch in mein Zimmer leuchten sah, hat es mir grössere Freude bereitet.

Mit der Bemerkung, wie viel Schönes solch ein kleines Bild umfassen kann, beginnen diese Zeilen. Ich schliesse sie mit der Wahrnehmung, wie viel Liebes es auf engem Raum zu vereinen vermag. Die junge Mutter trägt die Züge der reich begabten schönen Frau, die der Künstler sein eigen nennt; ihr Kind stellt des Meisters Tochter Ane dar, die Büste auf der Herme aber zeigt Lorenz Alma Tademas eigene Züge. Was ihm das Theuerste ist, führte er auf diesem Gemälde zusammen. Es steht auch meinem Herzen nahe, und darum liebe ich den Abschiedskuss so sehr, wie ich ihn bewundere.

L. Alma^Tailenui j)inx.

Phot. F. Uanfstaengl, München.

Der Absehiedskuss

ITALIENISCHE MUSIKERBRIEFE.

Von

DR- FRIEDRICH SPIRO.

Hermanji Kaulbach. Studie.

Die Publikationen von Musikerbriefen sind sich in den letzten Jahrzehnten schnell gefolgt. Wie in allen wissenschaftlichen Disziplinen hatte auch hier Deutschland den Anfang gemacht; bald schloss sich Frankreich an, und es ist begreiflich, dass Italien wieder einmal in der Reihe der führenden Mächte nicht fehlen will, sondern auf sein reiches Material loswirthschaftet. Aber der Zweck ist im Norden und Süden nicht der gleiche. Während dort die musikhistorischen Studien allmäh¬ lich zur Blüthe gedeihen und sich denen über die bildende Kunst an die Seite stellen, haben sie hier noch kaum begonnen. Italien hat der modernen Welt die

Formen und Mittel der Musik, ja so zu sagen die Musik selbst, so weit sie Kunst ist, gegeben, aber Italien be¬ sitzt weder ein Buch noch einen Lehrstuhl für Musik¬ geschichte. Wenn die Briefe der deutschen Meister er¬ scheinen, denkt der Herausgeber zunächst an das wichtige Hilfsmittel, das er damit der Wissenschaft an die Hand giebt; der Gelehrte weiss, wie viel neue Aufschlüsse ihm bevorstehen, wie viele Fragen im einzelnen ihrer Lösung' entgegen gehen. Der italienische Herausgeber will sein Publikum unterhalten, will die Neugier, mit der wir uns gewohnheitsmässig in das Privatleben der grossen Männer einmischen, annähernd befriedigen, mit einem Wort, eine Künstlerindividualität unmittelbar vorführen , dass sie als solche wirke. So haben denn die Briefe Donizettis, welche die Unione cooperaiiva editrice in Rom soeben zum ersten Male der Oeffentlichkeit übergiebt, einen A*n- spruch auf Beachtung überall da, wo man sich für italienische Musik interessirt; und das thut man ja aller Orten, selbst in Deutschland, dessen Prinzipat gerade in musikalischer Beziehung endlich von allen einsichtigen Bewohnern unseres Planeten anerkannt ist. Das vorlaute Geschrei derer, welche seit dem Durchdringen Wagners das Ende der Oper gekommen meinten, ist gegenüber den Thatsachen und Wagners eigenen Aeusserungen verstummt. Man gewöhnt sich allmählich daran, dass Wagner der Welt noch etwas zu schäften übrig gelassen hat; und so lange Derjenige sich nicht findet, der es leistet, muss man sich wohl oder übel mit den An¬ deutungen der Vorgänger begnügen. Eine stilistische Hauptsache mag das Verhältnis andeuten: Wagner ver- .half dem dramatischen Accent zur Alleinherrschaft, aber er unterdrückte die gesungene Cantilene; so lange wir also das deutsche Drama und den italienischen Canto nicht vereint geniessen können, suchen wir sie getrennt auf, ohne das eine über dem anderen zu vernachlässigen.

Es sind vier Italiener, welche für Deutschland so weit in Betracht kommen, dass man ihre Werke als zur Kultur unserer Zeit gehörig ansehen kann, Rossini, Bellini, Donizetti und Verdi. Die Briefe des letzteren entziehen sich einstweilen noch der Publikation, wie denn seine Charakte¬ ristik im ganzen erst dann versucht werden darf, wenn er

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

^cin letztes Wort gesprochen haben wird ; allerdings dürfte 'ich dann diese Biographie von der seiner Landsleute merklich unterscheiden, denn er ist der einzige, welcher sich energisch an das Ausland anschloss und daher mit den europäischen Strömungen des Jahrhunderts Schritt hielt. Dagegen tritt Bellini in völlige Indifferenz zurück ; der weichliche Sicilianer hatte nicht einmal das Feuer seines Himmelsstriches im Blute, und nachdem seine Persönlichkeit lange Zeit nur durch den Spott Heines bekannt gewesen war. gaben die wenigen, in die Zeitungen gekommenen Briefe nur e i n bemerkenswerthes Detail ; der Mann sprach von dem Eftekt seiner Instrumentation, was ungefähr so viel bedeutet, wie wenn einer unserer Nazarener sich seines Colorites rühmen wollte. Ganz anders schon Rossini. Dieser König der Faune, der raffinirte Lebemann, der sich mit der Kunst nur so lange abgab, wie er sie brauchte und selbst bei seinen glühendsten Verehrern mehr durch die Bonmots zündete als durch die Opern von ihm konnte man etwas er¬ warten. Wirklich sind aus seinem «Epistolario» wenigstens einige frappante Züge zu entnehmen. Zunächst unter¬ scheidet er sich von seinen meisten P'aehgenossen da- <lurch. dass er seine Muttersprache tadellos, ja sogar mit Gewandtheit schreibt. Sein Styl ist fliessend, seine .Xusdrucksweise natürlich und fehlerfrei. Man sieht auf den ersten Blick, dass man es mit einem vernünftigen .Menschen zu thun hat. Nicht minder unterscheidet ihn \f)n seinen Kollegen die l'ähigkeit, sich auch für andere Komponisten zu interessiren ; er gehört nicht zu denen, welche im Bewusstsein, selber Noten zu schreiben, jeden der dasselbe wagt wie ein v'erirrtes Schaf ansehen. Er nimmt .Stellung zu den Zeitgenossen und vermag es sogar sich mit einigen von ihnen anzufreunden. Er sucht .Mercadante und Donizetti gute Aemter zu ver- 'chaffen. freilich nicht ohne sich mit dem ersteren wegen ■-einer Unfolgsamkeit zu Überwerfen. Er berichtet theil- lu hmend über Bellinis Leichenbegängnis, freilich durch c;nc 1- ichtc lndi>position verhiiulert, bei dem schlechten Wetter per'onlich zu erscheinen. Er zeigt sich aufrichtig dankti.'ir gegen Pacini, der ihm so nachdrücklich bei der Iii'trumentation geholfen hatte. Er liebt von Herzen eien bei conto, und richtet noch 1866 an seinen auia- ttssimo I’io IX. ein Gesuch um Zulassung der Frauen zu gcmi-ichtcn Choren in der Kirche, ja, er hat sich einiger- ma.sscn mit den Klassikern beschäftigt und ist so weit gekommen, sich über die Musik und ihre neueste Ifnt-

wickelung eine Ansicht zu bilden. Diese Ansicht ist es eben, welche der W eit aufbewahrt zu werden verdient. Er schreibt am 1 2 , F ebruar 1817 an Eeopold Cicognara unter anderem :

« Hier, mein lieber Leopold, hast Du meine Ideen über die gegenwärtigen Musikzustände. Seitdem das Klavier um fünf Tasten bereichert worden ist, habe ich erklärt, dass sich in dieser Kunst, die damals auf ihren Höhepunkt ge¬ langt war, ein unheilvoller Umschwung vorbereite. Denn die Erfahrung hat gezeigt, wenn man das Beste übertreffen will, kommt man zum Schlimmsten. Schon Haydn hat die Reinheit des Geschmackes zu verderben begonnen, mit all den seltsamen Accorden, künstlichen Uebergängen und gewagten Neuerungen, die er in seine Kompositionen einführte ; aber immerhin bewahrte er so viel von der Grazie der Vorzeit, dass seine Verirrungen verzeihlich erscheinen können. Indes nach ihm kamen Gramer und schliesslich gar Beethoven, die mit ihren Musikstücken ohne jede Einheit und Natürlichkeit, ihrer Menge von Bizarrerie und Willkür den Geschmack vollends verdarben. Gleich¬ zeitig setzte Mayr im Theater an Stelle der einfachen und vornehmen Weisen eines Sarti, Paisiello und Cimarosa seine genialen, aber fehlerhaften Harmonien, indem die singende Oberstimme durch den Schwall der Begleitung erstickt wird, und an die neue deutsche Schule schlossen sich alle die jungen Operncomponisten an.» Es folgen einige Bemerkungen über die berühmtesten Sänger, unter denen die Catalani als Beweis dafür citirt wird, dass nichts jammervoll genug sei, um nicht noch die Möglichkeit einer Verschlimmerung zuzulassen. Dann heisst es weiter:

« Seitdem wurde der Takt, ein so wesentlicher Be- standtheil der Musik, ohne welchen die Melodie unver- .ständlich bleibt und die Harmonie in Unordnung verfällt, von den Sängern nachlässig und gewaltsam behandelt. Sie überraschen, statt zu rühren, und während in der guten Zeit die Orchesterspieler sich bemühten, mit ihren Instrumenten zu singen, suchen jetzt die Sänger mit ihren Stimmen zu spielen. Aber die Menge klatscht solchem ganz elenden Stile zu und macht aus der Musik, was die Jesuiten aus der Dicht- und Redekunst machten, als sic Lucan dem Vergil und Seneca dem Giccro vorzogen. Dies sind meine Anschauungen, und offen gestanden, scheint mir wenig Hoffnung vor¬ handen , dass die göttliche Kunst aus ihrem jetzigen Elend ohne gänzliche Umwälzung der socialen Verhält¬ nisse hcrau.skommc. Du siehst, das Heilmittel wäre schlimmer als das Leiden. Lebe wohl.»

DIE KUNST UNSERER. ZEH'.

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Das Dokument ist kostbar, der wichtigste Brief, den wir von Rossini besitzen, jeder Satz bezeichnend. Grundzug ist die Klage um die gute alte Zeit; der schüchternste aller deutschen Autoren wird bereits als verhängnisvoller Neuerer hingestellt, eine Erweiterung des technischen Könnens als Gefahr empfunden, Beet¬ hoven aber als der Gipfel aller Barbarei perhorrescirt. Die Vorwürfe sind Willkür, Eigenart und das gegen jeden Neuerer von den Reaktionären wiederholte Hervortreten des Orchesters gegen die Singstimmen. Das Ideal ist die alte Armuth und Regelmässigkeit; um angeerbte Regeln handelt es sich, «die Keiner soll verletzen», damit sich in der Kunst nur um Gottes willen nichts weiter entwickele, keine Gewalt das häusliche Behagen unterbreche. Das Philisterium, wie es im Buche steht, hat diesen Brief eingegeben; und sein Verfasser war nicht etwa in jenes würdige Alter eingetreten, dem man das Philisterium allenfalls verzeiht , sondern er stand im Beginne seiner Thätigkeit, an der Schwelle des eigentlichen Lebens, in jener Periode, wo der trägste Mensch, geschweige denn ein Künstler, den Kopf von Umsturzplänen voll hat. Dieser Mensch war als Philister geboren. Wohl meinte er es ernst mit seiner Sache, und am Schlüsse kommt er zu demselben Resultat, das so vielen ernsteren Männern aufgegangen ist, wenn sie die Sklavenstellung der Musik und die Unfähigkeit des Publi¬ kums sich ewig gleich bleiben sahen. Aber der schleunige Zusatz, das Heilmittel wäre schlimmer als das Uebel, zeigt am deutlichsten, welchen Rang die Kunst bei dem Philister einnimmt, dessen Hauptsorge die Erhaltung der häuslichen Bequemlichkeit bleibt. Man begreift, dass er sich von der Musik zurückzog, als sie ihm die nöthigen Mittel zu einer Pariser Existenz abgeworfen hatte, und dass in seinen späteren Briefen weniger von Theater und Gesang als von Salami und Gorgonzola die Rede ist. Die Zeitgenossen erhoben diesen Satyr zum Olympier, und selbst Richard Wagner, dem diese olympische Heiterkeit so lange geschadet hat , lieferte in seiner « Erinnerung an Rossini » wieder einmal ein Beispiel seiner vielverkannten kindlichen Gutmüthigkeit. Die Nachwelt ist etwas strenger gewesen; sie hat gefunden, dass Behagen und Regelmässigkeit, Taktstrenge und jene «Reinheit des Geschmacks, welche ausschliesslich in Italien wohnt » , mit der Hoheit der Kunst recht wenig zu thun haben. Sie hat nur einem Werke Rossinis das Leben gegönnt ; die harmlose Farce, zu welcher Beaumarchais’

unverwüstlicher und keineswegs harmloser «Barbier von Sevilla» zurechtgestutzt wurde, vertrug die ungetrübte Heiterkeit der altfränkischen Salonmusik. Hier hatte das Philisterium keine Gelegenheit üppig zu werden, und so zeigte es einen Augenblick seine gute Seite, die welt¬ männische Liebenswürdigkeit.

Völlig anders tritt uns Donizetti als Mensch wie als Künstler entgegen. Bei ihm ist alles einheitlich ; man mag diese Natur einseitig, ja beschränkt und schwächlich finden, sie ist konsequent, und weniger als je braucht man hier den Menschen vom Künstler zu trennen. Er lebte vom ersten Erwachen des Jünglingsgeistes bis zum letzten Athemzuge nur der Kunst und zwar, wenn man genauer zusieht, nur seiner Kunst im allerstrengsten Sinne. Bei Rossini sehen wir eine starke Negation, scheinbar den Kampf eines Stiles gegen den andern, in Wahrheit den Kampf der Ideenlosigkeit gegen die Idee; bei Donizetti stets nur ein Positives, ein Hindrängen auf einen Punkt, eine Betonung desselben Wesens. So kommt es , dass Rossini in allen seinen Lebensphasen durch eine Manifestation charakterisirt wird, deren Heraus¬ gabe seinen Biographien zur Ergänzung dient. Donizetti pflegte dagegen überhaupt keine Manifeste zu erlassen, seine Briefe gehören alle zusammen, keiner ist wichtiger als der andere, keiner für sich oder im Auszuge mittheil¬ bar ; dafür aber giebt dieses Ensemble seine volle Persön¬ lichkeit, so dass sie eine Biographie geradezu ersetzen. Was man über Donizetti wissen will und wissen muss, lernt man aus diesem Bändchen, und man lernt es schneller als aus irgend einer erzählenden Bearbeitung. Man sieht seine musikalische Ausbildung einseitig aber rapid sich voll¬ ziehen , man sieht seine Entwickelung durch allerlei Stellungen, die ihn mehr oder weniger kalt lassen, seinen Taumel von einem Siege und einem Triumph zum andern, sieht seine Art zu schaffen, zu empfinden und zu denken, sieht vor allem seine Reizbarkeit, welche genährt durch eine rückhaltlose Hingabe an den Strudel des gross¬ städtischen Treibens seinen tragischen Untergang zur Folge haben musste. Diese Lebendigkeit, mit der er sich tummelt, die Frische, mit der er jeden Eindruck empfängt, verhindert auch, dass die Lectüre dieser Briefe langweilig wird, obgleich ihr sachlicher Inhalt im Grunde ein recht bescheidener ist. Wieder und wieder handelt es sich um Bestellungen und Verträge, Proben und Aufführungen, Hofgesellschaft und Theaterklatsch; unzählige Male kehrt die Situation wieder, dass der

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Komponist durch die Unpünktlichkeit der Textlieferanten in peinliche Verlegenheit geräth, sein Wort dem Director dennoch um jeden Preis halten will und so in unglaublich kurzer Zeit Unsummen von Musik zu Tage fördert. Uns ist es ia schliesslich gleichgiltig, ob eine Oper Fiasco macht oder nicht, ob ihn der König von Neapel zum Konservatoriumsdirector, der Kaiser von Oesterreich zum Kapellmeister ernennt oder nicht, ob ihn das Institut de France auszeichnet, der Chauvinismus verfolgt oder \hctor Hugo aus Eifersucht über sein literarisches Eigen¬ thum geschäftlich schädigt. Ja selbst der Schmerz über den Tod der Gattin während der Cholera oder die Freude über einen türkischen Orden für neue Militärmärsche entlocken uns kaum mehr als ein flüchtiges Interesse. Die biederen Herausgeber der Sammlung allerdings preisen in ihren Einleitungs- und Eegleithymnen diese Züge als etwas göttliches und erschütterndes ; aber mit ihrer Rührung beweisen sie nur, dass die schmachtende .Sentimentalität allmählich den Weg über die Alpen gefunden hat wie das Biertrinken und das Spazieren¬ gehen. Solche Ergüsse könnte sich die Unione coopera- tiva editrice getrost ersparen ; die Briefe sprechen für sich selbst. Sie zeigen ganz im Gegensätze zu denen Rossinis eine kindliche Natur, die niemandem etwas thut und sich um niemanden recht kümmert. Wendet sie einmal den Blick bestimmt auf ein Objekt, so erkennt sie cs auch, und man kann einer treffenden Bemerkung .-.iclicr .sein. Aber das geschieht selten, z. B. bei Er¬ scheinungen wie Meyerbecr und Liszt, und dann halb aj)athisch, wie im Traume; unbewusst geht sie durch’s Leben, ohne klare Erkenntniss ihrer Umgebung wie ihres eigenen Innern. Daher auch die oft kindischen Redens¬ arten, die knabenhafte Ausgelassenheit, die man aus .Mozarts Briefen kennt; die Aehnlichkeit mit Mozart tritt auch sonst hervor, und die Unterschiede beider Er- cheinungen erklären sich vielmehr aus der Erziehung al: au-^ dem Cliarakter. Oft würde man nach der Sprache 1 nben, den ungebildetsten Musikanten vor sich zu 1. ik-'^n wenn nicht wieder andere Stellen eine ent- hi^ di nc S|>rachroutinc l)ewicsen. Die bösesten Knittel- rcimc w * h ein mit eleganten Gedichten, und man ver¬ steht. wie die-'-r Mensch die Icxte, die er französisch komponirt«- . italienisch übersetzen konnte oder um- .ckclirt. Seine .Stellung zu den rextdichtern ist aber am uberraschend.sten. Man erwartet bei einem Italiener •dieser Zeit, nocli dazu bei einem solchen Ihigros-

komponisten, eine absolute Gleichgiltigkeit gegen den Inhalt; denn darin liegt der Hauptunterschied zwischen den deutschen und italienischen Meistern, dass jene Dramen schaffen wollen, diese dagegen Arien und Finales, also Musiksätze, bei denen man vor lauter Canto vom Text so gut wie nichts vernimmt. Donizetti war gewiss ein echter Italiener, der von seinen Romanzen und Duetten nicht anders spricht, als ein Pianist von seinen Rondeaux und Variationen; er schreibt für Sänger und Freunde schönen Gesanges ; aber unbewusst arbeitet in ihm doch der Dramatiker. Häufig weist er einen Text zurück, und zwar stets aus inneren Gründen; ja er, der fortwährend berühmte Schauspiele zu Opernlibretti umgemodelt werden sah und selbst mit einer derartigen Herrichtung von V. Hugos Lucrezia Borgia ungeheueres Aufsehen erregte, lehnte so manches Drama, manchen Roman ab, der damals die Gemüther beherrschte. Unter den letzteren befand sich auch Bulwers Rienzi, derselbe den nachher Wagner mit so viel Begeisterung in Angriff nahm. Auch in diesen Intentionen Donizettis lag sichtlich etwas unbewusstes; im tiefsten Grunde seiner Seele, da wo ihm jene Melodien erstehen , die bis heute populär geblieben sind, wohnt auch ein Ringen nach Ausdruck, nach Poesie, nach Idee, alles das was die Handwerksmusiker nicht verstehen und so ausdauernd verfolgen. Die Behauptung ist berech¬ tigt, dass auf diesem Grundzuge zum grossen Theile der Erfolg und, was mehr ist, der bleibende Werth der Donizetti’schen Musik beruht. In Deutschland gehört heutzutage vielleicht etwas Muth dazu, überhaupt von einem bleibenden Werthe dieser Musik zu sprechen: dort herrscht nun einmal die Wagnerpartei zum Heile unserer Kultur und Politik hat sie die Gegner endlich überwunden und sie negirt in übertriebenem Eifer die italienische Musik, am meisten vielleicht diesen Donizetti, den Wagner selbst gern für breit und altmodisch erklärte. Ja es bedurfte nicht erst Wagners zu diesem Verdikt; ein ausser- deutscher und in jeder Hinsicht unparteiischer Beurtheiler, Gustave Flaubert, hat in einem Roman und zwar in seinem glänzendsten Werke gerade die Lucia gewählt, um durch Beschreibung eines Opernabends das schablonen¬ hafte und sinnlose unseres Musiktreibens zu persifliren. Aber weder dem einen noch dem anderen ist es ge¬ lungen, eben diese Lucia todt zu kriegen; sie hält sich nach wie vor, und diejenigen Freunde der Wagner’schen Kunst, welche aus ihrem Empfinden keine Parteisache gemacht haben, kann man mit derselben Begeisterung das

Praililla pini. ,, 1,^,1 iiaiil-l!u>iM:l. Miiii.-Iion

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berühmte, von Liszt arrangirte Des-dur-sextett geniessen sehen, wie etwa ein Ensemble aus dem Lohengrin. Damit nicht genug; eine Fähigkeit muss ihm die Geschichte lassen, welche ihn über alle italienischen und die meisten übrigen Theaterkomponisten erhebt und welche sich noch jetzt in ihrer ganzen Folgenschwere zeigt ; er hat es ver¬ mocht, den ernsten und den heitern Stil auf der Bühne gleichmässig walten zu lassen, während uns Rossini immer nur als Komiker und der um so viel tiefere Verdi immer nur als Tragiker gelten wird. Das Thema gewährt ja ungeheure Ausblicke; bedenkt man, dass Sokrates der erste Mensch war, welcher, unter allgemeinem Widerspruch selbst seiner ergebensten Schüler, die Schöpfung von Lustspielen und Trauer¬ spielen durch einen Dichter für möglich erklärte, und dass zwei Jahrtausende vergehen mussten, bis Shakespeare diese Prophezeiung erfüllte, dann wird man jeden Künstler mit Achtung nennen, der sie irgendwie von neuem wahr zu machen wusste. Richard Wagner gehört zu diesen wenigen ; sein Antipode, der Schöpfer des Don Pas- qiiaie und Elisire lV aviore nicht minder. Beiden gebührt ihr Platz im Kunstleben der Gegenwart, ohne dass sie in Parallele gesetzt werden sollen, und es ist sehr zu be¬ zweifeln, ob die Zukunft im Stande sein wird, den einen ohne den andern zu eliminiren.

Die blosse Thatsache, dass es anging, Donizetti bei Betrachtung seiner Briefe in einem Athem mit Wagner zu nennen, zeigt ihre eminente Bedeutung. Alles, was sie uns für die Natur ihres Verfassers lehren, alle jene Charakterzüge von der höchsten Inspiration bis zur nied¬ rigsten Spielerei, verrathen das eine: das Genie. Es ist ein Künstler, welcher schafft, ohne zu ahnen, wie und was er schafft. Eine Oper nach der andern entsteht, ihr Autor lebt nur für sie; dennoch ist dieses Interesse nur ein mattes, als ob eine durchsichtige aber unzerstör¬ bare Wand ihn von jenen trennte. Er komponirt, wie er lebt, eilig und doch halb im Schlafe. Seine Werke fesseln ihn halb, nichts fesselt ihn sonst; worin lebt dieser Mensch ganz? Nirgends; die Erscheinung ist ein Räthsel, jenes Räthsel, welches durch das Wort Genie stets von neuem gelöst und wieder gestellt wird. Auch hier darf an die Aehnlichkeit mit Mozart erinnert werden; doch sind Mozarts Briefe nicht die einzigen, welche eine Ana¬ logie bieten. Ist es denn mit Schumanns, Webers, ja selbst

mit Beethovens Briefen wesentlich anders? Finden wir nicht dieselbe Verlorenheit, dieselbe Unsicherheit gegen¬ über der äusseren Welt, denselben ungleichen Kampf von zwei inneren Mächten, die sich nie fassen können? Ja, vielfach stimmen selbst die Aeusserlichkeiten überein. Schumann schafft und schafft, aber im Momente der Voll¬ endung steht er seinem Werke fremder gegenüber als der phlegmatischeste Tagesmensch, als der erbittertste Geg¬ ner; denn der Gegner nimmt Stellung zu dem Werke, der Schöpfer kann es nicht, denn er weiss nicht was es ist. Und Beethoven, der gewaltigste unter ihnen allen, der Riese, vor dessen Erscheinung eine ganze Civilisation erbebt, dessen michelangeleske Faust zertrümmert wo sie nur anpackt , um aus den Trümmern Kolosse, und aus den Kolossen eine neue Welt zu fügen ach, mitten unter den hehrsten Emanationen seines Geistes, in Briefen, die wie seine Adagios rühren und erheben , verfällt er plötzlich in eine Art von Albernheiten, dass man die Selbstkarrikatur nicht als komisch, ja nicht einmal lächer¬ lich, sondern nur erbärmlich empfindet. Es ist das Kains¬ zeichen des Genies, das alle diese unheimlichen Gestalten an der Stirne tragen ; das Genie das in ihnen sitzt und Werke erzeugt, hat ihrer Menschlichkeit die Kraft aus¬ gesogen, so dass nur der leere Schemen eines Menschen übrig bleibt zu einem menschenunwürdigen Dasein. Aber Wagner? und Berlioz? Gewiss geht bei dem französi¬ schen Farbenmeister alles höchst klar und korrekt zu, selbst wenn er haufenweise Inkorrektheiten an einander reiht um desto sicherer Sensation zu machen. Ja, wer seine Schriften und Briefe liest, wird eher einen geist¬ reichen Abenteurer als einen echten Künstler vor sich zu haben glauben ; und sollten dem die Partituren wirk¬ lich Unrecht geben? Das Wagnerkapitel ist natürlich so leicht nicht zu erledigen ; aber die Zeit dürfte nicht allzu ferne mehr sein , wo die Analyse der Dramen bestätigt, was die Briefe sehr offen aussagen , nämlich dass er grosse weite Strecken seiner Werke ausarbeitete nicht wie ein Dichter, sondern wie sein Kommentator, nicht wie ein Künstler, sondern wie ein Philosoph. Er beobachtete sich zum Glück nicht immer, denn das Genie beobachtet überhaupt nicht. Dass aber der arme Donizetti, den so viele für einen Faiseur ausgeben, viel¬ mehr unter die wirklichen Genies gehört, das zeigen dem aufmerksamen Beobachter seine Briefe.

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UNSERE BILDER

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Jlcrmaitn K'aulbacli. Studie.

n einer Berliner Kunst¬ handlung war unlängst ein Bild von Francisco de Pradilla ausgestellt. V or dem Bilde stand lange Zeit ganz vertieft in alle Einzelheiten ein älterer Herr von sehr kurzem Kör¬ per mit schwerem Kopf und auf die Brust niederge¬ drücktem Kinn. Es war Adolf Menzel. Der Saaldiener erzählte, er sei schon öfter wieder-

L''ekommcn und habe immer lansfe vor diesem Bilde sinnend

verweilt. Ich trat auch an das Bild heran. Der deutsche Meister schüttelte den Kopf und brummte etwas vor sich hin :

Der hat Augen, der hat Augen!! Der sieht so scharf.» Menzel suchte sichtlich nach einem Ver¬ gleich der sieht so scharf, wie ich ! »

W'ir führen unseren Lesern eine Wiedergabe von Pradilla- kleinem Bilde «Seebad» vor. Der spanische, meist in Rom lebende Meister, welcher oft auf gewaltiger Leinwand in lebensgrossen Gestalten sich erging, liebt jetzt die kleinsten i'ormate. An der Behandlung des lockeren Strandkiescs auf unserem Bildchen sicht man, dass er mit br' item Pin ;el zu malen wei.ss. Das Ganze erweckt aber kcincsw'g, den Ihndruck des Spitzen, Mühseligen, Loup- nliaften. Doch ist bei aller Breite des Vortrages jede Kleinigkeit im Bilde sicher und klar gegeben. Man sehe zum Beispiel die drei Paar nach dem Klang der Ziehharmonika und der Guitarre tanzenden Schiffer¬ mädchen: Welcher Schwung in der Bewegung 1 Wie fest packt die Ihmd der Ifincn die Schulter der Andern!

Und das ganze zwischen den ächt italienisch sorglos erbauten Hütten, an den rasch aufgeschlagenen Tischen lachende, trinkende, schwatzende Badepublikum in seiner eleganten Ungenirtheit, der Blick auf’s tiefblaue Meer und auf die ihm eben Entsteigenden, dieses ganze keines¬ wegs an die langweiligen Modebäder Ostende, Trouville oder Brighton mahnende, sondern noch unbefangene lustige Treiben. AU’ dies ist mit einer erstaunlichen Schärfe erfasst und mit einer Kraft des Sonnentones durchgeführt, die schier einzig in ihrer Art sind.

Lustig flattert die italienische Fahne über den

belebten Strand hinaus, der endlosen See zu.

\s Knau? pinx.

Katzenfreundin

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Hermann Kanlbach. Studie.

Unser Lu dwig Knaus nennt eines seiner jüngsten Werke « Die Katzenfreundin ». Das Bildchen ist zweifel¬ los Portrait: Die weitstehenden, etwas geschlitzten Augen, das kecke Naschen, den kunstgerechten, lächelnden Mund und das keineswegs klassische aber herzige Rund des Lockenköpfchens erfindet man nicht, malt man nicht, ohne es in der Natur gesehen zu haben. Sie strickt, die anmuthige Kleine, und die gefleckte, auf ihrem Schooss Hegende Katze schnurrt dazu. Der Meister aber verglich beim Skizziren das Charakteristische der beiden Köpfe und er fand, wie bei dem einschmeichelnden Mädchen, bei der Katze weitstehende, etwas geschlitzte Augen, ein keckes Näschen, ein feines, reinliches Mäulchen und kugelrundes Köpfchen. Und er mag wohl gelächelt haben, indem er der Katzenfreundin im Bild die Katze in den Schooss legte.

Auf der letzten Münchener internationalen Aus¬ stellung erregte R. P ötzelbergers « Thallandschaft » grosses Aufsehen. Man war von dem Künstler fein ge¬ stimmte, tief empfundene figürliche Arbeiten gewöhnt, man wusste wohl, dass er seine Gestalten in eine landschaftliche Umgebung zu stellen wusste, die das ergänzende Wider¬ spiel der sie bewegenden Stimmungen bildete. Aber eine so farbentiefe , ernste und sinnige Landschaft war aus Pötzelbergers Werkstatt noch nicht hervorgegangen. Es scheint fast, als habe die Kunst des Hans Thoma, diese frische, einfache Naturauffassung auf ihn befruch¬ tend gewirkt. Denn so wenig sein Bild einem Thoma ähnelt, so sehr ist es von der sinnigen Tiefe der Natur¬ beobachtung beherrscht, welche den Frankfurter Künstler so eisrenartio- von anderen Meistern unterscheidet.

Es ist Abend und die Gegend liegt schon in dämmerndem Zwielicht. Pötzelberger schaut vom Hügel¬ rande zur Mühle in’s Thal hinab, auf die mit Wiesen, Feldern, Busch bestandenen Lehnen, auf die Auen am Bach, auf die Heuernte, in welcher man den letzten Wagen einzubringen sich müht, und die zum Stall heimziehenden Gänse. Es ist keine «romantische» Gegend, keine solche, welche der Tourist «malerisch», oder, wenn er sich

Hermann Kanlbach. Studie.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

IIcrDiajin Kaiilbach . Studie.

besonders kunstgebildet erweisen will, «pitoresk» nennt es ist nur ein Blick in deutsches Land, ein eindringlicher, liebe¬ voller Blick, dem ein echter Meister Dauer und Nachdruck zu geben verstand.

In einem seiner geistvollen Briefe sagt Karl Stauffer-Bern : «Es giebt nur eine Kunst, nämlich die, welche hervorgebracht wird durch die Freude an der Natur und die nichts weiter sucht, als diesem Gefühl Ausdruck zu geben» Pötzelberger hat diese eine Kunst . . .

Der Berliner Akademieprofessor Eugen Bracht ist im vorigen Jahre wieder einmal tief unten im Orient herumgeritten, um am todten Meere und in Baalbeck, in Syrien und Palästina nach jenen Gegenden zu suchen, welche ihn besonders maler¬ isch anregen: Wilde Berggruppen, gewaltige Steinmassen, eine ernste, feierliche Felseneinöde oder die unerfassbare Weite einer Wüste, der See das sind die Dinge, in welchen sein Pinsel schwelgt. Es ist noch ein Zug der Kunst des alten Schirmer oder Lessings in ihm.

Er wirkt durch Stimmungen auf das Gemüth, durch scharf hingestellte Gegen¬ sätze auf den Verstand. So in unserem Bilde «Die Klause».

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Die Wohnung des Eremiten ist prachtvoll gewählt. Ein schmaler Weg, den er sich selbst baute, führt zu einer Schlucht im gewaltigen Felsen. Der manns¬ hohe Steindamm , der über dem jähen Abhange aufgeführt wurde, schützt den Alten und seinen kleinen Vorhof vor dem wildesten Anprall des Sturmes. Durch eine .schlichte Mauer ist unter dem überhängenden P'clsen die Klause abgeschlossen. Ihn Kreuz ziert die Thüre. Dort, unter dem Schutz der überhangenden k'elsenmassen, sitzt der Alte trocken und sicher. Riesenhaft thürmt sich das I'elsendach über seine Lagerstätte. Von unten, vom Mccrcsufer herauf aber schlängelt die üppige Kleinwelt des Südens in Blumen und Sträuchern ihr buntes Netz empor , jeden \’’orsprung, jede handvoll fruchtbare Ifrde benützend, um den starren I'cls zu schmücken, an dessen P'uss die See sich in blauer Weite dehnt.

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Hermann Kaiilbach. Studie

riiot. F. HatifÄtiieiigl, München.

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Die Klause

DIE AMERIKANISCHE MALEREI IN EUROPA

(MIT BERÜCKSICHTIGUNG DER MÜNCHENER AUSSTELLUNG 1892.)

Von

COPxNELIUS GURLITT.

An einem Junitage des Jahres 1760 rollte ein feierlicher Zug von dreissig schweren Pracht- - wagen die Rampe zum Kapitol hinauf. Es waren die Mitglieder der berühmten und vornehmen Gesellschaft der Dilettanten, das ganze kunstgelehrte und kunstsinnige Rom , welches einem jungen Maler das Geleit gab, um ihm die damals vor Allen hoch ge¬ feierte Statue der alten Kunst, den Apoll von Belvedere, zu zeigen oder richtiger , um ihn selbst zu beobachten, welchen Eindruck wohl das kostbare Werk griechischer Meisterschaft auf den Jüngling ausübe!

Das schmale, schlanke Männchen von nun zweiund¬ zwanzig Jahren, welches, leicht in Verlegenheit gebracht, roth wurde wie ein Mädchen, machte keineswegs seiner selbst willen den Eindruck, als sei es von so besonderer Bedeutung. Das Einzige, was ihn von seinen Be¬ gleitern unterschied, war die Einfachheit seiner schwarzen Kleidung , die fremdartig hässliche E'orm seines Hutes, die Schlichtheit seiner Erscheinung. Der junge Mann war vor wenig Tagen in Livorno auf einem geraden Weges von Nordamerika kommenden Schiff gelandet. Er hatte wenig Empfehlungen mitgebracht, aber die Kunde von der Ankunft des Jünglings hatte sich merkwürdig schnell verbreitet. Benjamin West, der Sohn eines Quäkers und Penn’schen Kolonisten, war ja «drüben» schon eine bekannte Persönlichkeit. Er hatte vor vier Jahren in Philadelphia und New-York Bildnisse zu malen begonnen, nachdem er in der unmittelbaren Nähe der Indianer gemeinsam mit den von seinem Vater aus christlicher Liebe in Freiheit gesetzten Sklaven auf¬ gewachsen war. Es galt als ein Wunder , dass in solcher Umgebung künstlerische Begabung zu Tage ge¬

treten sei. Und wenn West gleich für fünfzig Mark ein Bildnis und für hundert ein solches in ganzer E'igur lieferte, so war er doch einer der ersten Künstler, den die neue Welt gebar. Diesen kennen zu lernen, reizte die römischen Kenner. Nicht seine malerischen Leistungen empfahlen ihn vor Anderen, sondern der Sagenkreis, der sich um ihn gebildet hatte

Man hörte von dem wilden Leben , welches seine Jugend umtobte, von Kämpfen mit den Indianern, von dem an den Zug des Germanicus in den Teutoburger Wald mahnenden Begraben der Reste des Braddock'schen Heeres, welche ihn zur bildlichen Darstellung angeregt hatte, von seinem Versuche , dort hinten in den fernen Wäldern des Westens ein Bild vom Tode des Sokrates zu entwerfen. Man erwäge wohl , welche Gedanken¬ verbindungen dies für die Römer bot : Der Kenner der grossen Stoiker des 'Westens, der Mohikaner und Delawaren, malt den Stoiker der Griechen! Es schien, als stelle dieser Mann aus dem schlicht frommen, streng sittlichen Kreise der Quäker den Anfang einer Kunst¬ verjüngung dar; als bringe dieser Jüngling das ersehnte Neue, er der Künstler wurde, obgleich ihm erst die Ge¬ meinde das Malen hatte gestatten müssen. Denn dies galt ihr als weltlicher Tand, der aber doch wohl nicht gottlos sein könne, wenn Gott einem der Ihren so \'iel Kraft dazu verliehen habe. Man muss eben bedenken, dass kurz vorher der junge Jean Jacques Rousseau sich im Sinne von Fox und Penn in seinem «Discours sur les arts et Sciences » dahin geäussert hatte, Kunst und Wissenschaft brächten keineswegs eine Verbesserung der Sitten mit sich ; dass das eben erschienene Buch « La nouvelle Heloise» damals die gebildete Welt tief erregte.

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in welchem Rousseau die Rückkehr zur Schlichtheit eines Naturzustandes, die Ueberlegenheit der Unver¬ bildeten über die Träger der alternden Kultur zu predigen begann gerade in diesem Augenblick trat den Männern, welche sich als Vertreter eines über zwei- tausendjahrigen Geisteslebens, als Herren auf dem alt¬ heiligen römischen Kunstboden lühlten, der Jüngling aus der neuen Welt entgegen : Die Zukunft meldete sich an den Thoren der Vergangenheit!

Deshalb war man so gespannt auf den jungen Amerikaner. Der blinde Cardinal Albani betastete ihn körperlich, nachdem er sich vorher neugierig erkundigt hatte, ob er schwarz oder weiss sei. Geistig betastete ihn ganz Rom. Wie wird er sein, wie wird auf ihn das Höchste wirken was die Kunst je geleistet hat.^ So frisch und durch Schulen unverdorben als dieser, kam nicht leicht ein Künstler an die Tiber!

Der Quäker war aber trotz seiner jungen Jahre und seines schüchternen Aussehens ein formgewandter Mann, der sich zu beherrschen wusste und mit der Be¬ dächtigkeit seiner Glaubensgenossen sich wohl hütete, als th'üricht zu erscheinen. Jedenfalls schlug er den ihn bevormundenden gelehrten Herren ein Wippchen, als er sein Examen zu bestehen hatte. Diese drängten sich rings um ihn. neugierig seine Mienen erforschend, als die Statue fiC'. Apoll ])lötzlich vor ihm enthüllt wurde. Mit freudigem Ur-taunen rief er aus: «Mein Gott, ein Mohikaner Krieger!» und hatte damit gerade Das getroffen, was viele von Jenen zu hören wünschten. Andere schüttelten freilich den Kopf zu diesem Vergleich, bis ihn West mildernd erklärte: er habe oft pfeilschiessende Indianer- heldcn in dieser Stellung gesehen. Nun war man aber auch allgemein befriedigt von dem Eindruck. Denn man lel)tc in der Zeit der beginnenden Sentimentalität, in der d.i l'erne an Zeit und Raum als das Bessere, Glücklichere zu preisen beliebt war: Der zweitausend Jahre alte Gott cr-a:hien dem fremden Jüngling wie ein zweitausend Müllen entfernter Wälder aus jenem Stamme, der doch bc ^cre Menschen zeitigte. IN war sein Ausspruch n \’-.-r"reifen der bald darauf durch Jean Jacques l'd ■; 'i. I'unilc verkündeten untl von aller Welt mit Bci ei.terung erfa.-sten Erkenntnis, dass allein die ■:infs=he N.'itur die wahre Schönheit und die schöne Wahrheit in sich berge. Der Ouiiker aus dem neu entd‘ kten . von europäischer Verbildung unbeleckten fern- n Wegen hatte es verkündet: Die wilden Moha\vks

gleichen dem Apoll von Belvedere! Dort wandelte also die göttliche Vollendung in klassischer Nacktheit auf Erden, dort im neu erschlossenen Lande der Einfachheit und Natürlichkeit !

So führte sich durch West Amerika in die euro¬ päische Kunst ein.

Freilich so ganz Neuland für die Kunst, wie man in Rom glaubte, war damals die westliche Küste des Oceans doch nicht. Was der englische Stich schon damals leistete, was von Holland ausgeführt wurde, führten schon die Schifte über das Meer. Schon hatte die schottische Einwanderung einige Künstler mitge¬ bracht. Das älteste, als « drüben » entstandene bekannte Kunstwerk dürfte die Zeichnung in Sepia sein, welche der seit 1715 in Perth Amboy N. J. wirkende Maler John Watson schuf: Es ist eine Venus mit dem Cupido, also wahrlich kein geistig auf amerikanischem Boden erblühtes Erzeugnis. Ein niederer Schotte, John Smybert, brachte die Kopie eines Van Dyck , die er in Italien gemacht hatte, 1728 mit über das Meer. Nicht seine eigenen Bildnisse, sondern dieses des Kardinal Bentivoglio kann man den Quell nennen, von welchem die Kunst der Vereinigten Staaten ausging. Zwei der bedeutendsten ihrer Künstler, John Trumbull und Washington Alls ton, leiten auf die Anregungen, welche von diesem farbenkräftigen Bilde ausgingen, zurück, dass sie selbst in der Malerei vorwärts kamen. Henry Bembridge hatte bei Mengs und Battoni studirt, ehe er in die neue Welt fuhr.

Freilich bot das Land drüben zunächst noch harten Boden für die Kunst. Robert Feke hatte um seiner sündigen Kunstliebe willen schwere Kämpfe mit seinen Glaubensgenossen, den Quäkern, zu bestehen, bis er abenteuernd in spanische Lande auswanderte. Aber er wusste seine Zeitgenossen im Bilde festzuhalten mit tüchtigem , nüchternem Ernst , und es war immerhin ein erfreulicher Zug, dass die Malerei auf das That- sächliche, auf den lebenden Menschen hingewiesen, und von den Kolonisten das Bildnis der «Venus mit dem Cupido » vorgezogen wurde. Denn das Bildniss bildet das Rückgrat aller echten Kunst 1

We.st wusste sich bald in Italien noch auf andere Weise als blos durch sein Amerikanerthum eine Stellung zu machen. Sein erstes in Rom gemaltes und ohne seinen Namen ausgestelltes Bild gefiel so, dass man es anfangs für einen Rafael Mengs hielt. Man muss wissen, was

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Kengon Cox. Bildnis des Bildhauers Aug. H. Gaudens.

das hiess; Mengs, der damals die Villa des Cardinal Albani ausmalte, galt, obgleich er selbst erst einige Dreissig zählte, für einen der ersten Meister aller Zeiten, um dessen Werke sich die Fürsten und Reichen stritten. Er war Direktor der Kunst- Akademie auf dem Kapitol. Als es bekannt wurde, der junge Amerikaner habe das Werk geschaffen , erfasste fast ganz Italien ein Rausch der Begeisterung. Die sonst so verzopften Akademien von Parma, Bologna, P'lorenz machten den Jüngling zu ihrem Mitglied; der König von England, damals noch Herr der Kolonien, bewilligte ihm durch seinen römi¬ schen Gesandten weitgehenden Kredit. Man begann auf sein Urtheil zu hören und er durfte es wagen, Michel Angeles Gestalten für unwahrscheinlich zu erklären, ja man freute sich mehr für Rafael als für West, als dieser erklärte, dass ihm jenes Werke täglich mehr als sehens- werth , natürlich und vornehm erschienen. Die neue Welt trat stolzen Schrittes in die Kunst ein !

Im Jahre 1763 ging West nach London. Es war damals dort zweifellos der heisseste Boden für Künstler

in Europa. Denn die englische Malerei hatte plötzlich ihren stolzen Lauf begonnen. Ereilich der erste An¬ sturm war vorüber. Hogarth war schon den Siebzigen nahe, er hatte eben sein Buch über die Schönheitslinie als den Auszug seines ganzen künstlerischen Denkens herausgegeben. Der Kritiker der Weltsitten, der Swift unter den Malern, hatte nun alle Hände voll zu thun, sich der Kritiker seiner Ansichten zu erwehren. In seinem letzten grossen Werke, der jetzt im Saone-Museum in London befindlichen Reihe von vier Bildern « Die Wahl», waren die Earben schon sehr grau, der so be¬ liebte «opake» Ton der Holländer schon sehr gläsern, der Aufbau, ja selbst die Perspektive nicht ohne Mängel. Schon lange empfand man in London das Sinken von Hogarths Stern. Reynolds stand zwar auf der Höhe seiner Kunst wohl als der grösste Maler der Zeit , aber er schuf nur Bildnisse und hatte es aufgegeben, Geschichts¬ bilder zu malen, obgleich diese für die höchste Leistung der Kunst gehalten wurden; Gainsborough lebte noch in Bath als ein in seinem Werth unerkannter

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Landschafter ; Wilson, sein Vorbild im Erfassen der leblosen Natur, der grosse Stilist im Sinne Claude Lorrains unter den Engländern, fand bei seinen Lands¬ leuten keinen Anklang, so dass er dem Elende nahe war es fehlte England augenblicklich an einer führen¬ den Kraft. Nachdem es mit dem überderben Realismus Hogarths begonnen hatte, mit einer Kunst, welche vor Allem im unerbittlich wahren, ja übertriebenen Aus¬ druck selbst des Hässlichsten ihr Ziel sah , die aber dieses unkünstlerischer Weise für sittliche Zwecke dienst¬ bar machen wollte, war es in Reynolds und Wilson einer reinen Schönheit zugefallen, einem starken Streben zu idealisiren, die Natur über sich selbst in Ton und Zeich¬ nung zu erheben. Der Reichthum und die geistige Höhe des Landes , das eben auch in der philosophischen Fortbildung des freiheitlichen Gedankens und in der dichterischen Durchgeistigung der Sittlichkeitsbestreb¬ ungen die Führung in Europa in die Hand genommen hatte, auf Frankreich vorzugsweise politisch, auf Deutsch¬ land dichterisch anregend zu wirken begann, bot den besten Boden für einen neuen künstlerischen Geist, Damals war der letzte Widerstand der Jacobiten gebrochen, hatte in Amerika, wo die Franzosen unterlegen waren, das Ringen noch nicht begonnen, weitete sich der ost¬ indische Besitz Grossbritanniens und mit diesem trotz der grossen Staatsschuld der Unternehmungsgeist und der Wohlstand des Landes. Die politischen Kämpfe unter Georg IIL, das Hereinziehen der Volksmassen in das öffentliche Leben, der tiefgehende nationale Schwung, all’ diese Zeichen einer starken wohlthätigen Erregung des Volksgeistcs führten die Hauptstadt Englands immer mehr an die Spitze der europäischen Kunststätten.

Auch in London schaffte sich West in raschem Anlauf einen vollen Sieg. Heute ist er freilich auch dort für die Menge fast verschollen und von den Kunst¬ gelehrten vernachlässigt. Während man jetzt auch in Baris und in Deutschland immer mehr die Grösse Rej'nolds und Gainsboroughs , Romneys und Raeburns und aller der englischen Bildnismaler aus der Zeit des Swift und Walter Scott , des Pitt und Wellington er¬ kennen lernt, fällt nur wenig Ruhm auf den Amerikaner. Aber -eine Zeitgenossen sparten mit diesem nicht. Und sic thaten sehr wohl daran, denn West brachte that- sachlich Neues und Eigenartiges nach London. Zwar seine I nrbe war so klassisch akademisch, wie man sie nur immer damals in Rom sich aneignen konnte. B>s

ist jene Farbe, welche Goethe in seinen späteren Jahren, als auch er ihrer fahlen Buntheit satt geworden war, « nebulistisch » nannte. Der englische Maler Haydon nannte sie Ziegelstaub, unerfreulich für Einbildung und Herz; der Rammbär im Hafen von Portsmouth, saete er, könne ebenso gut malen als West! Und ein neuerer englischer Kunsthistoriker nennt ihn den König der Mittelmässigkeit, einen durch und durch handwerks- mässigen, akademischen Mann , der den Rezepten der Rococokunst folge, und sie an wende, wie die Köchin die ihrigen am Herde.

Damals, als er in London auftrat, war man anderer Meinung. Die kalten, hellen, dünnen Töne, in welchen er malte, wirkten überraschend gegenüber der malerisch viel feineren aber tiefen, saucigen Farbe des Reynolds und der harten, gläsernen des Hogarth. Sein erstes in London gemaltes Bild « Pylades und Orestes als Geissein vor Iphigenia gebracht», jetzt in der Londoner National- gallerie wahrlich kein «amerikanischer» Vorwurf zeigt alle Eigenschaften jener Schule, welche wir als die des David zu bezeichnen uns gewöhnt haben. Es ist ein David vor David, sauber gezeichnet, mit einem dem klassischen Relief abgelauschten Schönheitsgefühl für die Linie, einer der Auffassung der Zeit entsprechenden, sinnig weichen Behandlung antiker Gegenstände, einem zwar seichten, aber in der Gesammtstimmung des be¬ ginnenden «Empire» höchst passenden hellen Ton der Färbung.

Und so ist denn West , wie mir scheint, einer der ersten Vertreter des abgeklärten Klassizismus, während gleichzeitig in Mengs und Battoni die Barockkunst, in Greuze und Reynolds das Rococo noch mitspricht. Er steht auf einer Stufe mit den englischen Architekten Adams, welche ja auch zuerst, früher als die B'ranzosen, den Stil schufen, den wir fälschlich «Empire» nennen, weil er erst dreissig Jahre später durch die Franzosen des Kaiserreichs bei uns zum herrschenden gemacht wurde.

Dieser Kla.ssizismus ist freilich so wenig echt antik, als es etwa der des Palladio oder Schinkel war. Er ent¬ wickelte sich aus Vorhandenem. Die Gesetze des Auf¬ baues in seinen Schöpfungen mahnen an die Meister der Renaissance, ihre mechanische Durchführung mehr noch an Lebrun. Aber von diesen Gesetzen haben auch die Deutschen der Folgezeit sich beherrschen lassen. Man lege einmal einen Stich nach Lebrun, nach West, nach Cornelius und nach Kaulbach neben einander.

J. M. N. Whistler pinx.

?hot. K. Hanfstaengi, Hünchea

Träumend,

Idyll in Sotto-Marina.

DIP: KUNST UNSERER ZEIT.

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Man wird bald erkennen , dass Cornelius zwar die stärkste Persönlichkeit, dass aber seine apokalyptischen Reiter aus denselben Anschauungen über künstlerischen Aufbau hervorgingen wie Wests «Tod auf dem weissen Ross», welches 1817 entstand; man wird ferner sehen, dass all’ die ungezählten Geschichts- und Heiligenbilder, welche der Amerikaner während seiner langen Thätigkeit in London schuf, mit den Werken Kaulbachs eine ausserordentliche geistige Verwandtschaft besitzen nur mit dem Unterschied, dass West früher da war als Kaulbach. x^uch das äussere Leben der vier Maler verlief ent¬ sprechend ihrem geist¬ igen Werthe. Corne¬ lius , der tiefste und grösste unter ihnen hatte sein Leben lang Kämpfe, die drei seich¬ teren und der Welt sich anbequemenden kann¬ ten den Kampf nur als den raschen Uebergang zum Siege. Sie waren die Lieblinge ihrer Zeit, ihnen huldigten die Grossen, jubelte die Menge zu. Bei Jenem überwog die Stärke und Eigenart des Mannes, er forderte Unterord¬ nung vom Geschmack der Beschauer. Diese wussten meisterhaft ihre Zeit idealistisch darzustellen , bis zu einem gewissen Grade realistisch wahr zu erscheinen und doch etwas darzu¬ bieten, was sich über die für platt gehaltene Wirk¬ lichkeit erhob. Indem sie ihre Gestalten systematisch ordneten, ihren Figuren eine mit dem antiken Kanon ab¬ gemessene Musterform gaben, die Farbe im Einzelnen leidlich richtig, im Ganzen aber nach dekorativen Gesetzen umgestimmt anordneten , erschienen sie den Zeitgenossen wahr und schön zugleich , als vollendeter

Ausdruck der nach Schönheit ringenden Welt. Nur leider erkannte regelmässig die nachfolgende Zeit, dass die Wahrheit nicht ganz wahr und die Schönheit nicht ganz aus der Zeit selbst geboren, sondern entlehnt war und feierte daher Lebrun wie West wie Kaulbach nicht mehr als Schöpfer einer neuen, sondern im besten Fall als Fortbildner der alten Renaissancekunst. Ja, zu¬ meist folgte bitterer Hohn dem über¬ schwänglichen Lobe !

Allen dreien war gemeinsam , dass sie vorzugsweise durch den Inhalt ihrer Bilder wirk¬ ten, nicht durch die rein künstlerischen Eigen¬ schaften. Sie verstan¬ den ihre Zeit und wuss¬ ten, was dieser behagte. Gerade in der Sicher¬ heit des Gefühles für das « Aktuelle » liegt ein gut Theil ihrer Be¬ liebtheit. Sie wussten in der Kunst wie im Leben sich in die Welt zu schicken, wie sie diese nun einmal vor¬ fanden. Wie Lebrun und Kaulbach wurde auch West Präsident der Akademie. Alle drei waren wie berufen zum Herrschen über die Kunst, da ihre Ge¬ dankenwelt eine durch¬ aus auf das Gegenständliche gerichtete war. i\uch WVst war eine kalte, verständige, betriebsame Natur. Schnell war er bei Hofe eingeführt und heimisch ge¬ worden. Je mehr er stieg, desto mehr erschien er bei vollendeten Hofsitten doch als der einfache Quäker. Lehrte ihn sein Bekenntnis äussere Bescheidenheit, so wuchs tief im Inneren sein Stolz. Die Geistlichkeit wendete sich dem frommen Manne zu, der Erzbischof von York warf sich zu seinem Beschützer auf. Es war damals die Zeit jener Kunstfreunde, die man in Paris «donneurs des

Walter Mac Erven. Allerseelentag.

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idces - nannte. Weil man den Inhalt im Kunstwerk über Alle.s schätzte, glaubte man mit einem guten Ge¬ danken dem Künstler ein grosses Geschenk zu machen, an seiner Arbeit den wichtigsten Antheil zu haben. Der König forderte von West den «Abschied des Regulus von Rom » : West überstürzte sich in Entzücken über diesen Gedanken.

Kr selbst aber ging doch seine eigenen Wege. Lange Zeit nach seinem Tode pries der Genremaler Leslie ein Bild, welches West in seiner Heimath gemalt hatte. Es stellte seine Familie dar. Der sauer¬ töpfische, langweilige aber ehrliche Vater, die klein¬ liche, beschränkte aber brave Schwägerin, der Bruder mit dem etwas pfäfhsch gekniffenen Gesicht, das hilflose Kind beider, der Maler selbst als feiner Mann, mit gepuderten Locken, Spitzenhemd, Palette, der mit vornehm gefälligem Lächeln auf die feierlich trocken zur Schau gestellte Gruppe schaut AU’ das hat einen Zug von unbefangener Wahrhaftigkeit, der den Hochton und die gespreizte Würdigkeit der grossen Geschichts¬ bilder weit überragt.

Diese Wahrhaftigkeit aber gelegentlich auch in’s Geschichtsbild hineingetragen zu haben, das ist das eigene X’erdienst W’csts. Das wäre vielleicht zu seiner Zeit einem Europiier in gleicher Weise nicht möglich ge- we.sen.

Bei besonders feierlicher Gelegenheit, bei Eröffnung der seither so bedeutungsvoll gewordenen königlichen Akademie der Künste zu London im Dezember 1768, stellte West sein berühmtestes Bild aus: «Der Tod des General Wolfe in der Schlacht bei Quebeck » (13. Sept. 1759). Schon während des Malens war ein Streit mit Rej nolds ausgebrochen, welcher forderte, bei einem so erhabenen Gegenstand müsse die erhabenste künstler¬ ische korm gcwidilt werden , müsse also Wolfe und seine Umgebung in antikem fiewande geschildert werden. Solche I''ragcn gaben, wenn einmal aufgeworfen, endloses W.i->cr auf die .Miihlen der Kunstfreunde. West blieb bei seinem Vorsätze, den sterbenden Helden und seine Soldaten >o zu malen wie sie waren, mit all’ den für ächte Schönheit damals als unwürdig geltenden, auf einem crliabenen Ihldc als lächerlich wirkend verschrieenen Ein¬ zelheiten ihrer Kleidung und Ausrüstung. Er moclite sich abermals bei Lebrun und dessen Schilderung der Schlacliten Ludwigs XIV. Muth geholt haben. Aber der amerikanische Ouäker überragte den in Rom ge¬

bildeten Franzosen ganz erheblich an Kraft des Real¬ ismus. Es entstand hier wirklich eines jener Bilder aus der Tagesgeschichte von wahrheitlicher Absicht, wie wir sie fälschlich als die Erfindung des Horace Vernet und der Maler der napoleonischen Zeit ansehen. Wieder er¬ weist sich in einem Gebiet des Kunstschaffens, welchem bisher Frankreich als die frühere Heimath galt, England als Führer oder vielleicht gar Amerika!

Noch kennt bei uns fast Jedermann das West’sche Bild in dem Stiche von Woollet, welches die Zeit¬ genossen mit Jubel als eines der grössten Werke aller Kunst aufnahmen. Zwar hat der Aufbau noch die Gebundenheit der klassisch-historischen Schule, aber der Ernst mit dem der Realismus durchgeführt wurde , ist erstaunlich. Das Bild hat sich in seiner Wirkung nun durch fast anderthalb Jahrhunderte erhalten es wird für alle Zeiten seinen Werth behaupten, wie es denn von Reynolds vom ersten Tage an als Vorbote einer Revolution in der Kunst bezeichnet wurde.

Noch einen Kampf focht West siegreich durch. Er hatte den Quäkern sein Recht abgerungen, Maler zu werden, seine Gottesgaben für die Kunst zu ver- werthen : er rang ferner der englischen Hochkirche das Recht ab , diese Gaben auch für sie zu ver- werthen, indem er somit den kunstfeindlichen Geist des Puritanismus besiegen half. Die Briten sollten ihm dauernd dankbar dafür sein. Er war es, der durch den König die Frage aufwerfen liess, ob das Aus¬ malen der Kirchen, wie man bisher zumeist behauptete, gegen deren Würde und gegen den Ernst der Religion sei ; und sein Einfluss bewirkte es, dass die Bischöfe diese Frage verneinten. So konnte er denn in achtund¬ zwanzig Bildern die heilige Geschichte für die Kirche darstellen und fast eine halbe Million Mark dafür einstreichen.

Dem Gange der geistigen Entwicklung Europas mit feinem Gefühl für deren Walten vorauszugreifen das verstand West ganz vortrefflich. Als die Romantik aus den düstern Bergen Schottlands nach London herab¬ stieg, als Spensers Ritterromane aufs Neue die Geister zu bewegen begannen, Maepherson den Ossian heraus¬ gab, Burns den Naturton der schottischen Berge zu Versen ausgestaltete, war er gleich dabei, der neuern Richtung bildliche Form zu geben. Die «Einführung eines Bischofs», «Den Ritter Bayard», «Die Höhle der Verzweiflung» (nach Spensers «Ritter vom rothen

DIE KUNS'r UNSERER ZEIT.

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Kreuz») sind romantische, rein auf die Gemüthsstimmung berechnete Schauerscenen , welche sich von den An¬ fängen deutscher Romantik nur durch das frühere Er¬ scheinen auszeichnen.

West ist nach all’ dem nicht etwa ein Künstler ersten Ranges. Er selbst freilich hielt sich dafür, er betrachtete sich als das Gefäss göttlicher Sendung, als ein geheiligtes Wesen, als den Gründer und Führer der englischen Kunst und einer neuen Kunst überhaupt. Nur in Napoleon sah er einen Mann , mit dem er sich zu messen habe. War doch auch sein Leben ununter¬ brochener Erfolg : Stellte es doch ihn, den Quäker und Republikaner, trotz aller kriegerischen Wirren zwischen alter und neuer Heimath, an einen glänzenden Hof, seit 1792 an die Spitze der Akademie und verschaffte es doch dem am ii. März 1820 Verstorbenen ein ehren¬ volles Grab in der Ruhmeshalle Grossbritaniens , im St. Paulsdome.

*

Als Jüngling hatte West seine alte Heimath ver¬ lassen, ein halbes Jahrhundert in seiner neuen gewirkt. Man würde die in ihm wirkende, von drüben stammende Anregung, das Amerikanische in seinem Wesen, nicht hoch einzuschätzen geneigt sein, hätte sich nicht neben ihm ein zweiter Künstler unter gleichen Verhältnissen ähnlich entwickelt: John Single ton Copley.

Copley ist in seiner Entwicklung amerikanischer als West. Er lebte als geschätzter Maler in Boston und gab im Jahre 1760, dem dreiundzwanzigsten seines Lebens, in welchem West nach Italien übersetzte, sein Jahreseinkommen schon auf 6,300 Mark unseren Geldes der Steuerbehörde an. Unterrichtet hatte ihn wohl sein Stiefvater, der sehr unbedeutende Schabkunst- Stecher Peter Pelham, denn schon mit sechs Jahren begann er in kalten, grauen Tönen mit unbeholfener Hand Bild¬ nisse zu malen. Das meiste von dem , was der junge Künstler konnte, war aus ihm selbst hervorgekommen. Es stellt also in einer gewissen Reinheit den Höhepunkt des eigenen Kunstschaffens der nordamerikanischen Kolonien dar. Bis zu seinem dreissigsten Jahre sendete Copley seine Werke nach London zur Ausstellung, bis deren Erfolg ihn endlich ermuthigte, selbst Europa zu besuchen und der Drang nach Fortbildung ihn veranlasste, 1774 England und Italien zu bereisen. Im Jahr 1775 liess er sich in London nieder und wurde hier bald ein gesuchter Maler der vornehmen Welt, der er selbst gesellschaftlich immer

näher trat. Sein Sohn ist sogar als Lord Kanzler Lynd- hurst zu den höchsten Ehren emporgestiegen.

In der Londoner Nationalgallerie befinden sich zwei der Hauptwerke des Künstlers: «Der Tod der Grafen von Chatham», d. h. jener Vorgang, als am 7. April 1778 William Pitt, Graf von Chatham, mitten in seiner Rede gegen die Besteuerung der amerikanischen Kolonisten tödtlich erkrankte; und «Der Tod des Major Pierson», der im Augenblick der siegreichen Entscheidung im Kampf von St. Heliers, Jersey, am 6. Jan. 1781 von den F'ranzosen erschossen wurde. Die Bilder wurden 1780 und 1783 vollendet. Ich nenne diese Daten, um zu zeigen, dass auch Copley «aktuell » zu sein bemüht war im Gegen¬ satz zu den von der damaligen europäischen Kunst mit Vorliebe betriebenen Versuchen die «Alten» immer wieder auf’s Neue zu beleben.

Auch David hat ja in ähnlicher Weise Tages¬ ereignisse darzustellen versucht freilich später, zu einer Zeit, in welcher die Stiche nach West und Copley schon in den Händen aller Welt, also wohl auch in seinen waren. Aber David hat sich nie von der klassischen Regel so weit frei machen können, als eben Copley in seinen ausgedehnten Werken, figurenreichen, lebhaft be¬ wegten Bildern von 2,5 zu 3,4 Meter Grösse that. Dazu hat dieser keineswegs die dünne, spitze Farbe des Empire, wie sie West nie ganz abzulegen vermochte. In seinem «Tod Chathams» ist auf die wohl sechszig, meist Perücken tragenden Köpfe der Lords ein kräftiges Licht ge¬ worfen, sind die tiefgefärbten Wände des Raumes, die Purpurmäntel mit starkem, von Titian und Reynolds beeinflusstem Ton gemalt. Man sieht die Absicht, den tagesgeschichtlichen Gegenstand mit der Farbe der besten Kunstzeiten zu versöhnen, die Errungenschaften des eng¬ lischen Bildnisses für das Massengemälde zu verwerthen. In dem anderen Bilde fällt die rein illustrative Absicht, das Fehlen alles beziehungsweisen Beiwerkes auf. Da ist weder falscher Pathos und theatermässiges Helden¬ thum, da fliegen keine Genien in der Luft herum und lagern keine Fhissgötter in den Ecken. Es ist das Ganze das, was man bei uns in den fünfziger Jahren noch mit einem Beigeschmack von Tadel als «historisches Genre» und damit als eine Neuerung bezeichnete.

Nun ist aber eins zu beachten : Ausser bei den beiden Amerikanern findet diese bildnisartige Auffassung der Zeitgeschichte in England weder bei den Einheimischen noch bei den zahlreich zuwandernden Meistern gleiche

DIE KUNST UNSERER ZEI'r.

l’rlcL^e. Der Schweizer Heinrich Füssli war wohl ein tiefer Romantiker, ein \’erehrer Shakespeares, in seinen niärchenartigen mehr als in seinen geschichtlichen Werken. Seine Zeit realistisch zu schildern lag ihm aber \ öllig fern, ja er wies den Gedanken als unedel, unkünst¬ lerisch von sich ab. Der Frankfurter Johann Zoffany und die Oesterreicherin Angelica Kauffmann, der Strassburger Philipp Johann von Lauterburg Loutherbourg). sie alle halten sich innerhalb der Grenzen einer stilvollen Xaturnachahmung und sobald es sich um Werke der Einbildungskraft han¬ delt innerhalb jener des klassischen Gedanken¬ kreises. Nicht minder James Barry, dessen Kunst -eiten von dem ihr heimischen Olymp auf englischen Boden herabsteigt. Die Kraft des brittischen Kunst- schaftens liegt im Bildnis; Von den kostbaren Werken Rey nolds . Gainsboroughs , Raeburns und Romneys ging eine tiefgreifende Anregung aus. Es ist kein Zu¬ fall, dass die Sybille der in England zur inneren Vollend¬ ung gelangten Angelica Kauffmann sich in der Dresdner Gallerie neben den höchsten Meisterwerken als rein malerische Leistung besser als das meiste Spätere zu be¬ haupten vermag 1 W’enn unsere Aesthetiker die Zeit, in welcher Houdons und Schadows Büsten entstanden, Graff, X'ogel und die Kauffmann Bildnisse malten , die Kunst in London zu so hoher Vollendung gelangte, die Vaugier- Lebrun in Paris mit Grenze wetteiferten, jetzt als die Zeit des tiefsten «Verfalles» der Kunst bezeichnen, so mag man nicht allzusehr erstaunen, wenn eine kommende, (.len Schwerpunkt der Malerei in das Malen verlegende .\e.-thetik. die Tage des Cornelius mit diesem viel miss¬ brauchten Worte belegen wird.

Dass die frische Auffassung der Bilder aus der Tages- gc.schichte gerade in Amerika ihren Boden hat, das be- wei.-’t am klarsten das Schaffen des J o h n T r u m bu 11 , der mit 19 Jahren in die Armee eintrat, jedoch fünf Jahre -pater, 1780, in London in We.sts Werkstätte eintrat und dann gemein>am mit J o h n B 1 a k e W h i t e bis 1817 das ■' apitol von Washington mit grossen, die Thatcn des Kriege verherrlichenden Bildern schmückte. Diese bc- unden :;.tnz die kräftige, realistische Zeichnung und :'en ge . unden Blick für die Wirkung der thatsächlichen X'organge, welche Wests bessere Arbeiten auszeichnen. Da.- ist meines Wissens selbst von amerikanischen Kunst¬ historikern nicht genügend hervorgehoben worden. Die 1 leldenthaten der französischen Könige vollführten diese

und ihre Nachahmer nicht selbst: Die Schlachtenbilder jener Zeit sind daher kalt, sobald sie aus der Dar¬ stellung Wouvermann’scher Plänkeleien zur Vorführung grosser geschichtlicher Ereignisse werden. In Amerika tritt das Volk in Krieg und Frieden in Mitthätigkeit. Die Menschen sind nicht mehr blos Staffage für einen « göttlichen » Helden , sie wirken wie im Leben so im Bilde selbstthätig mit. Wie bei den Holländern aus der Zeit ihrer Freiheitskriege entsteht aus der Wieder¬ gabe vieler zu gemeinsamen Handeln Verbundener eine ächtere tiefere Art des Geschichtsbildes. Und auch drüben , wie in Holland , waren es die Bildnismaler, waren es Gilbert Stuart, Charles Wilson Peale, Joseph Wright und Trumbull, welche dem in den Fernen klassischer Götterlehre herumschwankenden Europa einen starken Realismus entgegenhielten. Frei¬ lich ist ausser in Stichen wenig oder nichts von dem, was damals in New-York, Boston und Washington ge¬ malt wurde, nach Europa gelangt.

*

*

Die amerikanische Rückwanderung nach England hat mit West und Copley noch nicht abgeschlossen. West wurde nach Reynolds Tod Präsident der Akademie, zu deren Gründern er gehört hatte, Copley Akademiker und Mitglied der vornehmen Gesellschaft Londons, ob¬ gleich damals der Befreiungskrieg in Amerika wüthete und eine für die englische Macht bedenkliche Bot¬ schaft nach der andern über das Meer nach London drang. Die Politik schied damals selbst im, dem öffent¬ lichen Leben früh erschlossenen England die Menschen noch weniger als heute. Der Krieg unterbrach zwar die geistigen Verbindungen des Muttervolkes mit seinen in den Westen entsendeten , sich befreienden Kolo¬ nisten, aber er zerstörte sie nicht. Dafür waren in der Kunst zwei Männer lebendige Beispiele, welche gewisser- massen die Ueberlieferung der West’schen Anregungen darstellen, Newton und Leslie.

Gilbert Steward Newton kam als 26 Jähriger nach London, in jenem Jahre 1820, in welchem West starb. Er lebte nur i 5 Jahre in der britischen Hauptstadt, fand aber Zeit, in diesen ein für ihre Kunstauffassung höchst bezeichnender Künstler zu werden , nicht nur durch seine Bildnisse, sondern namentlich durch seine Sittenschilderungen. In diesen nahm er sich ein damals für sehr veraltet geltendes Vorbild; Dem Watteau suchte er nachzustreben. Man bedenke wohl: Der Mann der neuen

W. M. Chase pinx.

Phot. T. Hanfstaengt, München.

Meditation

Hartwich piiix. i'liot. b IMüncI

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Welt suchte rückwärts aiizuknüpfen an eine Zeit, welche man selbst in Paris und sonst überall als eine zopfige, jammervolle zu verhöhnen gewohnt war. Es bewährt sich hierbei die Erkenntnis, dass der Aussenstehende , dem Kampfplatze Entrückte besser Werth und Unwerth der Ringenden zu würdigen vermag, als die sich bekämpfen¬ den Gegner selbst. Newton blieb der freie Blick für die Schönheit des Rococo in einer Zeit, in der es die Maler des festländischen Europa fast für eine Beleidigung hielten , wenn man von ihnen Beifall für Watteau forderte. Nun erreichte zwar Newton sein’ Vorbild nur in bescheidenem Maass: Seine Farbe ist viel zu schwer, seine Anmuth hat viel zu viel vom Spiess- bürgerthum der Biedermännerzeit, zu viel von Reitstiefeln und Cylinderhüten. Aber Bilder wie der dem Dow nach¬ empfundene «Fensterflügel», « Capitain Macheath» das etwa einem Terbourgh entsprechen soll u. a. m. zeigen, dass in England und drüben in Amerika die Absicht bestand, die malerischen Errungenschaften des 17. und 18. Jahrhunderts nicht einfach in’s Wasser zu werfen, sondern sich die Kunstfähigkeiten zu erhalten, welche jene Zeiten so überreich besassen.

Und neben der Form ist der Inhalt der Bilder Newtons bemerkenswerth: «Cordelia pflegt den König Lear», eine Gruppe, als sei sie unmittelbar Nachbildung einer Aufführung auf der Bühne, alle Personen in schöner Stellung, schöner Kleidung, dem Beschauer angenehm sichtbar zugewendet; die Zeit rühmte das tiefe Gefühl, mit dem der Arzt den Puls des Königs fühlt. Oder «Der Vikar of Wakefield und seine Familie», ein Bild, gestellt wie eine Familienphotographie, durchsichtig bis zur Gläsernheit in der Komposition, mit einem hübschen Alten, hübscheren Töchtern und viel Beiwerk an Blumen, Bibeln, Lauten und Gethier, Oder der « Prinz von Spanien besucht Catalina» nach Gil Blas; «Jorrick und die Hand¬ schuhhändlerin » nach Sterne und dergleichen W^erke mehr , die zumeist der Literatur entnommen und nach dem Theater empfunden sind. Schon Reynolds malte gern Mrs. Sheridan als heil. Cecilia oder Miss Pott als Thais, Miss Hart als Bacchantin oder Mrs. Abington alsRoxalana; das heisst, er malte lieber Menschen in der Verkleidung, so dass sie etwas anderes darstellen als sie sind; oder richtiger, er liess sich gerne durch schauspiele¬ rische Leistung die Idealisirung scheinbar real vorführen, um im Darstellen des Idealen realistisch bleiben zu können. Daraus entwickelte sich eine wahre Lust für das kom-

Juinker. Fortraa der Mrs. Funker.

mende « aufgeklärte » Zeitalter, durch die Dichter sich die Räthsel des Lebens erläutern, durch den Schauspieler sie sich Vorleben und dann durch den Maler das Ergebniss verewigen zu lassen und zwar eines nach dem andern, so dass der Maler nicht Sohn der Natur wurde, sondern deren Urenkel. Die durchaus literarische Zeit schuf eine literarische Kunst.

Air diese Eigenschaften sind nicht besondere Merk¬ male Newtons, Er ist einer der Besten dieser Richtung, doch hebt er sich aus der gleichzeitigen englischen Kunst nicht allzu scharf hervor. Als ächter Amerikaner greift er nur fest zu und wirkt frisch im Vorderkampf der Meinungen, so dass ihm das Gefallen der Menge sein Bemühen reichlich belohnt.

Ungleich bedeutender war Newtons Landsmann Charles Robert Leslie, der neben David Wilkie lange Zeit als der gefeiertste Sittenmaler Englands galt, bis erst der jüngste Umschwung des britischen Ge¬ schmackes seine Werke entwerthete. Solche Wande¬ lungen drücken sich in London am beweiskräftigsten in Zahlen aus: Von Leslies Bilder, die bis an seinen Tod heran er starb 1859 mit etwa 8 10,000 Mark unseres Geldes gezahlt wurden, brachte «Die Erbin» 1863 26,500 Mark, 1886 aber blos 5800 Mark, «Sancho

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DIR KUNS'I' UNSKRRR ZEri'.

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l’ansa in den Zimmern der Herzogin» 1874 15)^00 Mark, 188S jedoch 3150 Mark. Trotzdem würde ich den Be¬ sitzern .=^einer Schöpfungen nicht rathen, die Arbeiten zu verschleudern. Die besseren Zeiten für Leslie werden vielleicht wieder kommen !

Denn er war ganz zweifellos eine kräftige Persönlich¬ keit. l'reilich steht es mit seinem Amerikanerthum nicht eben stark. Sein Vater war aus Amerika nach England heimgekehrt, so dass London Leslies Geburtsstadt wurde. In seinem fünften Jahr kam er nach Philadelphia, in seinem ipten begann er wieder an der Londoner Aka¬ demie, noch unter Wests Direktion, zu studiren ; im 39sten ! 1833 (folgte er einem Ruf an die Kunstschule zu Westpoint über den Ocean , aber nach Jahresfrist kehrte er von Amerika wieder nach England zurück, um die Vereinig¬ ten Staaten nie wieder zu sehen. In Lebensgewohn¬ heiten und Kunstanschauungen war er Engländer geworden, und sein Ringen vollzog sich innerhalb der London be¬ wegenden Gedanken.

An ihm iiusserte sich zum ersten Mal der Einfluss deutschen Geistes auf einen amerikanischen Künstler. Püssli war der Lehrer an der Londoner Akademie, (.lern er am meisten zu verdanken hatte. Vielleicht findet sich einmal Gelegenheit, von diesem höchst merkwürdigen Künstler eingehender zu sprechen, dessen N’amen man in allen britischen Kunstbüchern aus der ersten I iälfte des Jahrhunderts unzählige Male mit billigem Sjjott über seine schlechte Aussprache des Ifnglischen , aber doch mit einer herzlichen Bewun¬ derung seiner knorrigen Kernnatur genannt findet. Von ihm .stammt das weise \Wrt. welches die Erfolge seiner Schule erklärt: < Kunst müsse gelernt, nicht gelehrt werden . Er war einer von Jenen, die Individualitäten erkennen und zu pflegen wissen, üb er gleich sich selbst am liebsten in phantastischen Welten und romantischen Perneii bewegte, ist sein Unterricht doch der Ausgangs- jiiinkt des englischen Genre und der englischen Kolo- ristik geworden. Ausser Leslie nannten sich Wilkie und ,M ul ready seine Schüler, also jene Männer, welche d- n l’cbergang von den letzten Ausläufern der nieder- Vinriisrh. n zur deutschen Genremalerei bilden. Es ist •' < ’-.l r-in Zufall, das.s im Ifmpfangszimmer unseres Lufiwig Knaus die Stiche nach Wilkies besten Bildern liangcn! Jenen Künstlern, welche das deutsche Volk in dem Gf'i-.te schilderten, in welchem es Immermann, Auer¬ bach. Gustav l'reytag und h'ritz Reuter beschrieben.

gehen die Maler unmittelbar voraus, welche das englische Volk mit den Augen des Walter Scott und Dickens betrachteten.

Leslie folgte mehr dem Scott: Er malte englische Geschichte und Vorgänge aus der Weltliteratur mit leichtem Humor, oder malte den Don Quixote mit so eifrigem Bemühen nach Wahrheit, dass alle seine Spanier, ebenso wie die Franzosen aus seinen Scenen nach Moliere, zu Briten wurden. Man rühmte seinen Bildern grossen Verstand nach, ferner Leben und unübertreffliche Sicher¬ heit im Neubilden dichterischer Gestalten. Es ist sehr lehr¬ reich, dies Urtheil mit seinen Werken zu vergleichen. Seine Individualisirung hatte ihre Stärke darin, dass er die ge¬ schichtlichen Gestalten seinen Zeitgenossen geistig nahe führte. Er zeigte, dass das Leben früherer Jahrhunderte in seinem innersten Wesen dem heutigen verwandt sei. Das hat allen guten Leuten bisher immer aufs Neue Freude bereitet. Es ist doch zu interessant, aus Ebers zu lernen, dass schon die alten Aegypter die Liebe kannten ! Der fleissig herbeigetragene äussere Tand von Kleidungen und Geräth , Bildnisähnlichkeit und geschichtlichen An¬ knüpfungen, macht dem ersten Blick das Alter der Vor¬ führungen glaubhaft: sie erscheinen erstaunlich echt! Der innere Drang zur Unechtheit , die unwillkürlich in das geschichtliche Bild einschleichende Modernität ist es aber , die dem Kunstwerke den unmittelbaren Reiz giebt. Der Reiz verschwindet mit der Zeit mehr und mehr; die Bilder des Leslie missfallen jetzt, weil sie gestern modern waren, also heute unmodern sind. Erst wenn sie so unmodern sein werden, dass an den Kampf unserer Zeit gegen das Theatralische der Genremalerei kein Mensch mehr denkt, werden sie als höchst ergötz¬ liche Zeitbilder, freilich nicht aus den Tagen des Cervantes oder Moliere, sondern aus den des Leslie wieder Geltung erhalten. Eine Frau von Geschmack trägt alten, aber nicht veralteten Schmuck. Diesen lässt sie für ihre Tochter liegen, bis er alt wird. Einst werden Leslies Bilder für eben so echt als Werke von 1830 oder 1840 gelten , wie sie einst für echt im Geiste früherer Jahr¬ hunderte genommen wurden.

Es war eine idealistische Kunst, welche Leslie ver¬ trat und doch eine solche, die im Lande des Idealismus, in Deutschland, zu ihrer Zeit kein Ansehen genoss. Zwar sind Stiche nach seinen Arbeiten in gewaltiger Zahl bei uns verbreitet gewesen und in mancher klein¬ städtischen Wirthsstube und in vielen Bürgervvohnungen

DIE KUNST UNSERER ZEFl’.

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findet man sie noch heute , ohne dass Jemand danach frage, wer der Meister des «englischen Stiches» sei. Leslie suchte die Natur zu verschönen, obgleich er viel derbe Karrikatur schuf. Er ahnte etwas von jener Schön¬ heit, die in der Eigenart liegt. Hogarth hatte der eng¬ lischen Kunst hierfür den Blick geöffnet. Auch Leslies Eiguren galten für «rein der Natur abgelauscht, doch

sich Umsehen. Dort finden sie es geschickt gruppirt zum Kampf gegen eine neue Weltanschauung, dort können sie auch sehen, wie der Kampf endet, welcher jetzt die deutschen Geister bewegt. Denn neben dem etwa an unseren Carl Becker mahnenden Leslie stand Wilkie, der englische Knaus; neben Etty , dem englischen Makart, Eastlake, der englische Piloty ; neben Stanfield,

Divight William Tryo7i. Tagesanbruch.

mit aristokratischem Sinn». Er besass eine «reiche und harmonische Farbe», schuf «klare, nie überfüllte Kom¬ positionen » , wusste « Licht und Schatten meisterhaft zu vertheilen » und beherrschte vor Allem das « Clair obscur». Auf dies legte er das Schwergewicht. Als zu Ende der vierziger Jahre der Sturm losbrach, welcher England den Prärafaelitismus brachte , stand er, seit 1851 Lehrer an der Kunstakademie in London, im Vorderkampf gegen die neue «Sekte». Er hielt 1855 Vorträge und veröffentlichte sie darauf im Druck, um der Kunst jene Gesetze des Clair obscur zu erhalten, die ihm als ihr höchstes Besitzthum galten. Denn die verschwindend feinen Schwankungen im Tone seien schwerer zu finden, als richtige Linien des Zeichners. Ich empfehle das Buch «A Handbook for Young Painters» jenen Leuten, welche nach Rüstzeug gegen die moderne Kunst

dem englischen Achenbach , Landseer, der unvergleich¬ liche englische Thiermaler. Alle diese waren Meister von ernstem Streben , von hervorragendem Können, Männer, welche der Nation behagten und deren junge Gegner von dieser mit Abscheu als Frevler und Unfähige verworfen wurden. Und doch siegte der neue Realismus gegen alle Feinheiten des Clair obscur, das die jungen Streber kecklich als «braune Sauce» zu verhöhnen wagten! Und es ist nicht ohne Witz, dass es diesmal ein Amerikaner war, der das Veraltende mit aus alter

Kunst entlehnten Gründen und Beispielen vertheidigte. * *

Lange Jahre trennte der Ocean die Kunstbestreb¬ ungen der beiden Welttheile, ohne dass die immer zahl¬ reicher ihn kreuzenden Schiffe starke geistige Anregungen hinüber und herüber getragen hätten. Von dem was

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

z. E. Washington Allston, der «amerikanische Titian . ein Schüler Wests, Anfang dieses Jahrhunderts schuf, haben wir Europäer nur eine mittelbare Kennt¬ nis. Die Abbildungen lassen eine in sich begründete starke Kraft vermuthen. Die Zeichnung ist schön und gri 'ss. die dargestellten Gedanken sind einfach und tief. Eine fremdartige Derbheit liegt über den Gestalten. IN ist \-ielleicht in diesen Werken, wie in den zu Anfang des Jahrhunderts drüben entstehenden Bildnissen ein Zug zu origineller Entfaltung zu finden. Jedenfalls hat Allston die Seelen der Besten seiner Heimath mit grosser Kraft zu erfassen verstanden, so dass es sich wohl der .Muhe lohnte , den Wurzeln und den Blüthen seines Schaftens nachzugehen. Aber über das Meer herüber reichte seine Kraft nicht.

Ein zweiter Künstler von amerikanischer Eigenart, Bas> Otis, der sich vom Lithographen zum gefeierten Bildnismaler emporschwang, bildete drüben eine eigene .Schule aus der Peter P'rederick Rothermel als kraftvolle Erscheinung hervorragt. Neben ihm ver¬ trat Thomas Prichard Rossiter die romantische Richtung im Geschichts- und Heiligenbild; Thomas S u 1 1 y , dessen Schulung noch unmittelbar auf W est zurück¬ greift, zugleich das Bildnisfach. Loring Charles IHliot, 'rrumbulls Schüler, der Miniaturenmaler Edward William West haben sich jenseits des grossen Meeres einen Namen gemacht, ohne dass er sich für uns ITiropäer 'cinem W'crthe nach abschätzen Hesse.

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.Mit Allstons Tode (1843) scheint auch seine Richtung in den X'ereinigten Staaten auf die Geister zu wirken aufgehort zu haben. bis vollzog sich vielmehr eine Art Rückfall des amerikanischen Schaffens in gewohnte GeleDc. Die Kunstart Wests fand nämlich durch einen Deutschen erneute Anregung : durch ICmmanuel Eeutze. Wie der Ouäker die Malerei der Vereinigten Staaten mit der Londoner Akademie verknüpft hatte, fe>-elte sie Eeutze an die Düsseldorfer Schule. Die deut^fhen Maler der rheinischen Akademie haben es durch Jahrzehnte wohlthätig engjfunden, dass ihr Schaffen d:en ^’ankee-^ am meisten behagte. Düsseldorf wurde bl- in dac -ecliziger Jahre der beliebteste Markt für den uber-cci-' hen Kunsthandel.

Eeutze v.ar kein Pfadfinder in der Kunst, aber docli eine bedeutende Künstlererscheinung. Deutscher, Wurttemberger . von Geburt, früh nach Amerika ge¬

kommen , hatte er dort seine malerische Begabung ent¬ deckt, so dass er fast noch als Knabe eine um¬ fassende Thätigkeit auf der Leinwand entwickelte. «Ein Indianer, der in die untergehende Sonne blickt», war sein erstes grösseres Bild. Der beschaulich be¬ deutungsreiche Gegenstand: ein untergehender Volks¬ stamm und vor ihm das Abendroth ! das war Düssel¬ dorfer Geist ehe Eeutze nach Düsseldorf ging (1841). Dort am altheimischen Rheine, unter Lessi ngs Leitung, entwickelte er sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Er malte mit Vorliebe die Geschichte seiner neuen Heimat: Columbus , Washington, Scenen aus der Normannischen Besetzung und den Freiheitskriegen und malte sie mit dem vollen, tiefen Einzeltone, welcher der Schule des Schadow und Lessing, in der ganzen gedanken¬ schwangeren Zeit der Düsseldorfer Geschichtskunst üblich war. Und innerhalb der Schule haben ihn wenige übertroffen ; ja ihm ist es wohl gelungen, das Werk zu schaffen, welches aus ihr die weiteste Ver¬ breitung und die längste Dauer erlangte: «Washington über den Delaware setzend». Die sichere Ruhe des Helden inmitten des wilden Eisgangs, die psychologische Vertiefung in dessen Wesen, die malerische Kraft, die in der Steigerung der Einzelfarbe sich kundgiebt, die Geschlossenheit der Komposition , haben dem Werk einen ebenso ehrenvollen Platz erobert, wie es die männliche Lebensführung des Künstlers unter seinen Genossen im alten und neuen Vaterlande that. War er doch der Gründer des Düsseldorfer «Malkasten» und einer der Anreger für das Zusammentreten der «Deutschen Kunstgenossenschaft » . Er brachte somit etwas von dem frischen Geist der Selbsthilfe mit über das Meer nach dem aus der Bevormundung sich heraussehnenden Deutsch¬ land herüber, während er nach Amerika die hohe Schaffenslust trug, welche damals am Rhein blühte.

Vergleicht man seine Bilder mit jenen der Ameri¬ kaner , welche in England zu Ansehen gekommen waren, namentlich auf den Stichen , so zeigt sich eine tief gehende innere Verwandtschaft. Man würde manch¬ mal einen Pintwurf des Leutze mit einem solchen des Copley verwechseln können : Dieselbe Auffassung des Ge.schichtlichen ; dasselbe Bestreben , die Nebendinge richtig zu geben, aber ihre realistische Erscheinung durch klassische I"orm und eine über die Wirklichkeit hinaus gesteigerte, verschönte Farbe zu mildern; dieselbe Art nicht nur durch das Kunstwerk als solches, sondern

Carl Gutherz pinx.

Phot. F. Hanfstnengl, Müncbeu.

Der Grabesengel

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Musik.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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durch dessen Inhalt auf das Gemüth der Menschen wirken zu wollen; dieselbe Absicht, durch die Darstel- lung grosser Thaten das Vaterlandsgefühl zu stärken und die Begeisterung aller Edelgesinnten zu erwecken.

Der Deutsche ist der jüngere, aber er ist kein Nach¬ ahmer der Londoner, höchst wahrscheinlich kannte er West und Copley nur wenig und fühlte er sich von ihnen trotz aller in¬ neren Verwandtschaft nicht eben angezogen. Denn es ist die Eigenart aller Künstler, dass sie das un¬ mittelbar vor ihnen Ent¬ standene , aus dessen Ein¬ fluss sie sich erst mit Mühe lossreissen mussten, am bittersten hassen, gleichviel ob dieser Ein¬ fluss thatsächlich völlig überwunden ist oder nicht.

Wenigstens erinnere ich mich, selten die Lebens¬ schilderung eines bedeu¬ tenden Künstlers gelesen zu haben , welche nicht beginnt mit einer Verur- theilung jener Kunst, aus der er hervorging 1 Jene sentimental-naturalistische Naturanschauung kam auch keineswegs unmittelbar aus England nach Düsseldorf, sondern auf dem Umwege über Paris; sie stellt die erste Stufe des Sieges der französischen Romantik über die deutsche dar. Gerard , Gericault, Delacroix, Delaroche, Wappers, Gallait sprechen aus ihr. Deutsch ist an ihr nur die psychologische Vertiefung.

Leutzes Einflu,ss auf Amerika war ein sehr grosser. Eine ganze Schaar amerikanischer Kunstbeflissener folgte ihm nach Düsseldorf. Der schon genannte Rot- hermel gehört zu ihnen. Edwin White vervoll- kommnete, nachdem er in Paris und Elorenz studirt hatte, dort 1869 75 seine Studien, um später in seiner Heimath historische Bilder in der deutsch-sentimentalen Auffassung zu schaffen; Henry Peter Gray schuf in ähnlicher Richtung tüchtige akademische Werke;

einem heimischen Kritiker lockt freilich das Wort «Amerikanische Schule» auf dem Täfelchen ihrer Rahmen nur ein Lächeln ab, er hält sie kurzweg für deutsch ; William Henry P o w e 1 1 malte im gleichen Sinne die Rotunde des Kapitols in Washington aus; Thomas Bachanan Read verband die Farbe der

Düsseldorfer mit einer po¬ etisch weichen Empfindung ; und J. B. Irwing, ein un¬ mittelbarer Schüler Leutzes folgte mit Geschick , doch bescheidener Selbstständ¬ igkeit den Bahnen seines Lehrers. Auch bei ihm greift das Genre schon mächtig in die Geschichts¬ malerei hinein; ebenso wie bei Eastman Johnson und Richard C a t o n

Woodville; bei dem in England geborenen, in Paris bei Paul Meyerheim gebildeten Thomas Hill; bei Daniel Huntington; bei dem Elsässer Chri¬ stian Schüssele, der, obgleich Schüler Yvons und Delaroches , doch so¬ wenig wie sein Pariser Landsmann Brion seine Mutternation verleugnete. Manche der Arbeiten dieser Künstler ist im Stich zu uns herübergekommen , doch würde es schwer sein , in

Europa nur aus diesen Hilfsmitteln sich sein Bild ihres

Wesens zu machen.

In zwei ächt amerikanischen Genremalern, in William Morris Hunt, der bis 1846 in Düsseldorf die Bild¬ hauerei studirte , dann aber sich dem Couture in Paris und endlich dem Millet und der Schule von Barbison anschloss, sowie in dem, englische Anregungen verarbei¬ tenden William Sydney Mount offenbart sich dann die Befreiung der nordamerikanischen Kunst von deutscher Vormundschaft.

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Elm die Mitte des Jahrhunderts überragte Deutsch¬ land Frankreich ganz erheblich in der Landschaftsmalerei_

Abbot H. Thayer. Männliches Bildnis.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Während in Paris selbst bis in die fünfziger Jahre eine kalte formalistische , von Claude Lorrain abhängige Naturbehandlung an der Akademie gelehrt und von den hervorragenden Künstlern geübt wurde, begannen die feineren Beobachter der Luftwirkungen erst in der Folgezeit sich Boden unter den Künstlern zu schaffen. Der deutschen Landschaft aber, wie sie damals in stilistischer Form Rottmann und Preller, mit einem Hauch \ on Sentimentalität Schirmer und Lessing und in kräftig fortschreitendem Realismus, Dahl, Morgenstern, Gurlitt, Achenbach, Schleich u. A. pflegten, konnte nur die englische sich ebenbürtig gegenüber stellen. Aber jen¬ seits des Kanales waren die leitenden Meister bereits im Niedergehen: Turner starb 1851, Constable 1837, Callcott 1844, Collins 1847, Müller 1845, Bonington 1828. Nach grossartigen Leistungen war in London ein Still¬ stand eingetreten. Es ist daher nicht zu verwundern, dass auch in diesem Kunstgebiet die findigen , Europa von der Ferne mit prüfender Klugheit zu vorsichtiger Wahl überblickenden Amerikaner den Deutschen sich vorzugsweise anschlossen.

Die Ueberführung der Düsseldorfer Auffassung der Landschaftsmaler erfolgte hauptsächlich durch zwei deutsche Meister: Paul Weber und Albert Bier¬ stadt.

Weber hielt sich von seinem 25. Jahre an, 1848 bis 1858 in Amerika auf. Später kehrte er nach Europa zurück, ohne dass er, wie es scheint, sich als Ameri¬ kaner gefühlt hätte. Aber es war ihm doch sichtlich gelungen, die Augen der Kunstfreunde auf die deutsche Malerei zu lenken.

Bierstadt machte dagegen den umgekehrten Weg. In Düsseldorf geboren, als Kind mit seinen Eltern nach Amerika ausgewandert, bezog er 1853 bis 1857 Düsseldorfer Akademie, kehrte wiederholt nach Europa zuruck, blieb aber in Amerika sesshaft. Sein Arbeits¬ gebiet und der Schwerpunkt seines Lebens liegt also drüben in den Vereinigten Staaten.

Bierstadts Bilder haben seiner Zeit, namentlich auf der Pari:.cr Ausstellung von 1867, grosses Aufsehen :rre_ t. h,r hatte in Düsseldorf scharf und sicher zeichnen P'ü-rnt und besass ein klares Auge für das Eigenartige der N -turer- cheinung. Ifs ist daher kein Zufall, dass d. Iftlnv-graphische ihn in der Landschaft anzog. Er reiste in den Westen und brachte von dort die ge¬ wissenhafter ten Wiedergaben der gewaltigen Bergmassen

und riesigen Bäume, der endlosen Wiesenflächen mit ihren Büffelheerden , meisterhafte Darstellungen des Landes, die bei aller Genauigkeit in der Wiedergabe doch die ordnende Künstlerhand nicht verläugneten. Der Ton war etwas spitz, im Sonnenlicht etwas gelb, die Malweise manchmal glatt. Aber trotzdem errangen die Bilder in den sechziger Jahren sehr grosse Erfolge, die sich freilich nicht wiederholten, als Bierstadt 1891 wieder mit mehreren grossen Werken in Europa auftrat. Seine Kunst ist zwar die alte geblieben : In einem Museum würden sich seine Arbeiten neben Jugendwerken Andreas Achenbachs sehr wohl gehalten haben, aber die Zeit ist inzwischen fortgeschritten und die ruhige Beschau¬ lichkeit, die Vielseitigkeit, welche aus seinen Bildern spricht, einer nervösen Schärfe und Unmittelbarkeit des Beobachtens gewichen.

Die Amerikaner, welche selbst von der Düsseldorfer Landschaftsmalerei ausgingen, haben zumeist jenen Um¬ schwung früh mitgemacht. Maler wie John B, Bristol scheinen mir, nach den Nachbildungen ihrer Bilder, die ich sah, einer der deutschen verwandten Richtung zu huldigen. Nicht minder ist dies der Eah mit dem in Deutschland bekannter gewordenen, meist in Mexico lebenden Frederick Ed win Church, wenn ich mich gleich nicht erinnere , Bilder von ihm in europäischen Ausstellungen gesehen zu haben. Wohl aber sah man in der Nachbildung Landschaften mit starken Effekten, Ansichten des Chimborasso, des tropischen Mondlichtes in Mexiko, aus Palästina und der Havanna, stets mit der Absicht ausser durch die rein künstlerische Bildwirkung noch durch den Gegenstand anzuziehen. Weit verbreitet ist der Stich nach seinem, im Edinburgher-Museum häng¬ enden «Niagarafall », der seine Art auf’s Klarste versinn¬ bildlicht. John Frederick Kensett, obgleich in England gebildet und Sanford R. Gifford waren ihm verwandt, der Erstere stärker als Kolorist, der Letztere ein Maler von Lichterscheinungen und Ansichten aus aller Flerren Länder. Ein Flolländer Albert van Beest, der in den 40er Jahren nach New-York kam, war ihr Lehrer , ebenso wie des die arktischen Land¬ schaften bevorzugenden William Badfort.

James M. Hart ging 1851 nach Düsseldorf in Schirmers Schule und schuf seitdem fein empfundene Waldbilder mit Vieh, von denen ich in englischen Zeit¬ ungen manchmal Abbildungen sah. Aehnlich arbeitete sein älterer Bruder William Hart, der in England

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seine Schule gemacht hatte und wohl auch einigen An- theil an der auf malerische Verfeinerung mehr als auf weiche Stimmung gerichteten Bestrebungen seines Bruders gewann. Worthington Whittredge, seit 1850 Andreas Achenbachs Schüler, gehört derselben Richtung an , wusste jedoch bereits seine Heimat und deren Bewohner mit der anfangs fremdartig erscheinenden deutschen Auffassung zu versöhnen. Otto Grund man, Lehrer an der Kunstschule zu Boston, wirkte in gleicher Weise.

James Fairman, wie jene Brüder Hart, Schotte von Geburt, wenn gleich von schwedischen Eltern ab¬ stammend , unterstützte die Richtung , welche von den grossen englischen Aquarellisten De Wint und Cox ausging. Von England her kam auch die Neigung, die Radierung zum Ausdruck der Kunstempfindungen zu wählen. So findet man an deutschen Schaufenstern oft Radirungen nach Hamilton Hamilton, schöne, fein gefühlte Ausblicke über einen Waldweg auf ferne Hütten oder an einem Bache entlang auf die Wiesengründe. William Morgans Radirungen sind gern gesehene Gäste in unseren Sammlungen , Proben einer starken Empfindung für Lichtwirkung. Als bedeutende Kraft tritt Edward Moran uns entgegen, Engländer von Geburt, doch Schüler Paul Webers, später in London und Paris thätig, ebenso seine Brüder Peter und Thomas bei denen immer stärker die englische von Turner ausgehende Auffassung hervortritt.

Was ich sonst an Nachbildungen nach den Werken amerikanischer Landschafter aus den sechziger und sieb¬ ziger Jahren sah, zeigte zumeist als Hauptverdienst der dort blühenden Schule: Warmen sonnigen Ton, geschickte Gruppirung der Massen, reiche Gegenständlichkeit ent¬ weder in Fernblicken auf als schön und merkwürdig be¬ rühmte Gegenden oder in anmuthigen Einblicken in das Kleinleben der Hügel- und Uferlandschaften der Vereinigten Staaten: John W. Casilear, Albert F. Bellows, Alfred T. Brie her, Eugene Benson, Edward Gay, ein Schüler Schirmers aus dessen Karlsruher Zeit, John Adam Parker, George Loring Brown, eine Art amerikanischer Claude, William Stanley Haseltyne, Charles Temple Dix, Jervis Mc Entee, der Maler tiefgestimmter Naturausblicke, Asher Brown Durand fielen mir auf, ohne dass ich ohne genauere Sachkenntnis ihr Wesen durch das Wort auch nur annähernd zu umschreiben oder ohne dass ich sie

von den sonst auftauchenden Künstlererscheinungen ihrem Werthe nach abzuschätzen vermöchte. Denn gewiss giebt es drüben noch manchen tüchtigen Meister, der uns Europäern unbekannt blieb. Sehen wir doch hier wenig oder nichts selbst von jenem Manne, der als eigentlicher Anreger der Richtung gilt, von Thomas Cole, der von Claude Lorrain, Salvator Rosa und Pou.ssin ausgehend , selbständig zur Behandlung ameri¬ kanischer Landschaften gelangte, und in den White Mountains New Hamphires oder den Catskills am Hudson eine der neuen Welt eigenartige, idealer Auf¬ fassung zugängliche Natur entdeckte.

Die eigentlichen Seemaler, welche in Amerika zur Geltung kamen, knüpfen an Holland an : A. van Beest gilt als ihr Lehrer; die beiden Brüder de Haas aus Rotterdam setzten die Schule fort; Harry Chase, dessen Seestücke drüben sehr beliebt sind, studirte in den siebziger Jahren unter Mesdag und später in München unter Kau Ibach; Kruseman van Elten, der 1864 sich in New-York niederliess, brachte dahin die feinere Beobachtung der Stimmung , den breiteren Vortrag, die Neigung für düstere, in Halbtönen wirkende Beleuchtungen.

In dem Zusammenströmen verschiedener Richtungen dürften die Skandinavier nicht fehlen : John E. C. Petersen kam kurz nach Elten in New-York an und führte dorthin die kräftig vorwärts strebende Richtung seiner dänischen Heimath ein; Alexander H. Wyant, Amerikaner von Geburt, wurde in den sechziger Jahren Schüler von Hans Gude in Karlsruhe. Die Münchner Ausstellung von 1892 brachte ein feines Bild von ihm, einen Blick in grünes Gelände und über einen Streifen Wald ganz im Geist der grossen Gruppe von Malern, welche so lange Deutschland, England und Skandinavien mit ihrem auf zeichnerischer Vollendung und malerischer Gründlichkeit beruhenden Realismus entzückten.

Freilich ist dieser schon wesentlich anders geartet als jener der alten Düsseldorfer Landschaft: Die Stim- mungswerthe überwiegen bedeutend diejenigen der gegenständlichen Komposition. Es handelt sich viel weniger darum eine Gegend darzustellen, als einen Be¬ leuchtungston festzuhalten. Die jetzt in Amerika vor¬ herrschende Schule holte sich bei den Franzosen in Barbison die Anregung: Mit unverkennbarer Deut¬ lichkeit lehrt uns der Umschwung in Amerika , dass wir zu lange uns mit der in den vierziger Jahren er-

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

obcrten leitenden Stelle in der Kunst selbstzufrieden be¬ gnügten und dass es den französischen Landschaftern gelang, uns auf einige Jahrzehnte aus der Führerrolle herauszudrängen.

Ganz hat freilich der deutsche Einfluss bis heute in Amerika nie nachgelassen. Zum Beispiel zeigen die Landschaften eines Schülers von Diez in München, Charles Henry Miller, deutlich noch heute ihre geistige Herkunft. Auch seit er aufliörte Alpenmühlen und das Dachauer Moos zu malen , suchte er drüben im alten Sinne malerische Gegenstände: Die «alte Mühle bei Springfield , Long Island», welche er in den sieb¬ ziger Jahren darstellte, konnte ebenso gut auf dem alten Kontinent zwischen Buchen am Weiher klappern. Es deckt sich diese Richtung mit der vorzugsweise von England beeinflussten.

*

Den breitesten Boden in der amerikanischen Kunst gewann die Genremalerei, in der sich wieder englische mit deutschen Einflüssen kreuzten. Und zwar sind es hier die jüngeren Künstler, die mit Eifer an der deutschen Kunst hangen.

Da ist ein feiner Beobachter, Robert Köhler, der zwar in Hamburg geboren ist , doch von seinem vierten bis 2 3tcn Jahre in Milwaukee lebte, ein Schüler von Loefftz und Defregger. Obgleich er 1883 1888

die amerikanische Ausstellung in München leitete , hat er jetzt selbst seine Bilder der deutschen Abtheilung eingefügt, der er nach seiner ganzen Schaffensart an¬ gehört. .Selbst das feine Frauenbild, welches er zur Ausstellung brachte, scheint mehr in der Absicht ge¬ schaffen. genrehaft von einem edlen, anmuthigen Weibe zu erzählen, die sinnend vor sich hinschaut, und die intimen 'lone im Licht und Halbschatten zu studiren, als um das kräftige Profll portraitmässig festzuhalten.

Als ich, meiner Gewohnheit gemäss, ohne den Katalog nach Namen und Wohnort der Künstler zu befragen, meine Notizen über die Werke der Ameri¬ kaner in der Münchner Ausstellung machte, bemerkte i- h zu Hartnäckig!» von Louis Charles Möller:

N..' h der Tiefe des braunen Tones, der redlich charakte- r' rten Zeichnung, der Fülle von Nebendingen und der Art. wie der Vorgang, ein .Streit zwischen zwei Spiess- b; rgern am Ti - he der Wohnstube, geschildert ist, scheint da. Bild von einem lJusseldorfer , etwa von einem Ge¬ ne cn F.-;;- rlin zu sein?,. Ich hatte mich geirrt, der

junge, in New-York geborene und dort lebende Künstler ist ein Schüler des Münchener Meisters Feodor Dietz.

Nicht minder mahnen die zierlichen, sauber und feinfühlig durchgebildeten Kleinbilder des in München gebildeten, seit etwa 12 Jahren in Boston lebenden Ignaz Marcel Ga ugengigl an unseren Simm, Löwith oder Ehrentraut und über diese hinaus ein wenig an Meissonnier. «Die erste Aufführung» nennt er eines seiner Bildchen in München, «Das Duell» das zweite. Beide legen den Schwerpunkt in die feine psychologische Beobachtung; es sind Kabinetstücke für den Fein¬ schmecker, der sich nicht gern einen Zug in der Charakteristik des jungen begeisterten Musikers, seines eifrigen alten Begleiters, der Schaar kunstsinniger Hörer entgehen lässt.

Zwei Deutschamerikaner, beide noch jüngere Männer, sind jetzt im Begriff mit kräftiger Hand das sich lockernde Band zwischen dem alten Vaterland und dem neuen durch künstlerische Thaten aufs neue anzuziehen, Ulrich und Marr.

Charles Fred. Ulrich, New Yorker von Geburt, gehört im Wesentlichen noch zu uns, obgleich der junge Künstler, dessen Wirken diesmal das Zusammen¬ kommen der schönen amerikanischen Abtheilung der Münchener Ausstellung vorzugsweise zu danken ist, nachdem er bei Loefftz und Lindenschmit studirte, längere Zeit in Holland und Venedig lebte. Das

beweist sein feines , liebenswürdiges Bild « Idyll in Sotto Marino». Ist es italienisch in Haltung und Ton, dieses Bild, wie es italienisch im Gegenstände ist? Ge¬ wiss, man könnte es für ein Bruderwerk von Zezzos, Nono, Tito oder sonst einem der Meister Venedigs

halten. Aber man wird auch an die Oesterreicher

Cecil van Haanen, Franz Rüben und den allzu¬ stark in Schönheit arbeitenden Eugen Blaas erinnert. Und die Engländer William Logsdail, Henry

Woods, der Russe Roussoff, der Amerikaner Charles Gifford Dyer, der 1871 in München studierte, alle diese gehören auch in diesen Reigen. Der Ursprung der internationalen Schule liegt einestheils in der maler¬ ischen Kraft der Lagunenstadt selbst. Neben den Niederlanden ist sie zu allen Zeiten Heimath des Kolor- ismus gewesen: Hier herrscht die Farbe, oben an der Nordsee der Ton ! Aber die eigentlichen Entdecker der modernen venetianischen Farbe , jenes wohlausge¬ glichenen feinen Spieles zwischen dem Goldton Titians

Die 5. Avenue in New- York im Schnee.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

und dem Silberton des Canaletto sind, wenn ich recht sehe, Deutsche: Der Leipziger Karl Werner, der Vater deutscher Aquarelltechnik, und nach ihm der Wiener Ludwig Passin i.

Von diesen hängt Ulrich allem Anschein nach in seiner ganzen malerischen Art ab. Selbst bei seinem Oelbilde glaubt man an der Feinheit und Weichheit der Uebergänge, am milden Glanz der Farbe, an der vor¬ nehmen Gehaltenheit des Gesammttones die Herkunft vom Aquarell zu verspüren. Der junge Meister be¬ währt sich als ächter, schnell in die Sachlage einge¬ führter, umsichtiger Amerikaner, indem er mit sicherer Hand dort eingreift, wo der Weg nach Vorwärts weist. Er ist an nationale Eigenart noch weniger gebunden als die in Venedig lebenden Europäer, er bewegt sich völlig frei in dem selbstgewählten Elemente.

Anders ist es mit Karl Marr. Seit dieser feine Künstler in seinen «Flagellanten» jenes grosse Historien¬ bild geschaffen hatte, durch welches man lange Zeit in München glaubte , sich in die Kunstgeschichte ein¬ führen zu müssen, ein Bild, welches gewaltiges Können und ernsteste Studien verrieth, ist Marr in dem hastigen Vorwärts innerhalb der Münchener Schule stets als mit an der Spitze des Fortschrittes wandelnd erschienen. Seine Schilderung unserer nationalen Schmach in dem tiefen, ernsten Bilde «Deutschland 1806» hat ihn als einen der Unseren seinem ganzen Empfinden nach erkennen lassen , als einen Mann von deutscher Innigkeit des Gefühles. Es ist durchaus bezeichend , dass ein mit deutschem Kunstwesen so eng verflochtener Mann wie der Kritiker Pecht, gerade Marr für den bedeutendsten amerikanischen Maler erklärte : Er ist eben der dem deutschen Kunstgelehrten am nächsten stehende !

Dann kamen die Schilderungen aus der Bieder¬ meierzeit, aus dem Freiheitskriege und dieses Jahr in München «Ein Sommertag», ein deutsches Familien¬ leben: Mädchen, Mütter, Kinder, Hühner im Garten, unter der Laube. Aber die eigentliche Absicht all’ dieser Bilder ist es nicht , die weichen Saiten des Deutschthums anzuschlagen, die Thränendrüse in Pflicht zu nehmen. Marr ist’s münchnerisch und amerikanisch modern um die Farbe zu thun, um Ton und Licht¬ wirkung , um den Glanz der im Blättergrün spielenden Sonne , um das Spiel der Lichtflecke auf dem Boden, auf den menschlichen Gestalten. Und mit grosser Kraft setzt er seine Absicht durch: Es blitzert auf dem Bilde

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von durchbrechenden Glanzlichtern, die von grünen Reflexen eingehüllten anmuthigen Frauen und Mädchen schimmern in dieser bewegten Lichtmasse. Wer mit Maleraugen sehen gelernt hat, erkennt die Kühnheit der Leistung, neben die verhältnismässig geringen Schwank¬ ungen der Lokaltöne solche Blender zu setzen und doch die künstlerische Einheit des Ganzen festzuhalten !

Ihm nahe steht der wieder in München gebildete Orr in Peck, der durch sein vor drei Jahren au.sge- stelltes Bild «Von ihm so rasch die Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Denn sicher und frisch hatte er die Hellmalerei erfasst. Tüchtiges in ihr geleistet und da¬ bei eine hübsche Amerikanerin in das weissliche Grün des sonnendurchleuchteten Gartens gestellt. Nach dem System der Schule braucht ein Bild um schön zu sein, nicht etwas in der Natur Schönes darzustellen. Es kann ein hässlicher alter Mann den Gegenstand eines köstlichen Bildes abgeben. Dies zu beweisen, plagte man sich redlich. Dem Amerikaner kam’s weniger auf das System als auf die Wirkung seines Bildes an. Er malte seine anmuthige Landsmännin . die Parteien durch ihr niedliches , im hellsten Licht strahlendes Ge- sichtchen versöhnend. Und er malte jetzt wieder ein holländisches Kind mitten unter Blumen im Schatten einer Kastanie sitzend kein Kampfbild , doch eines welches sich Freunde wirbt!

Die Mitte zwischen Genre und Landschaft hält zu¬ nächst Hermann Hart wich inne. Bald schildert er ein Gespann Ochsen auf frischem Blachfeld, bald Bleicherinnen auf sonniger Wiese, bald Italien mit seinen warmen Stimmungen, bald wie in seinem letzten Bild eine beschneite Märzlandschaft, durch die ein Viehhändler mit seinem Hunde auf schlickeriger Strasse hingeht der schwere graue Wolkenhimmel la.stet über der stillen Ebene , der angeschwollene Fluss zieht gurgelnd dahin !

Es siedelte sich in neuerer Zeit wieder ein ganzes Malergeschlecht in München an: R. Gross hat sich den Genremalerneingereiht, William A. Leigh stellt sogar unter den Münchnern mit aus, denen er sich seit einiger Zeit ebenso wie der auch auf der Kupferplatte ge¬ fällige Sion Wenban, der Historienmaler Hermann Urban und A. V. Renouf Whelpley mit seinem sehr beachtenswerthen Frauenbildnis anschloss.

Es zeigt sich in diesen Vorgängen deutlich der Erfolg von Münchens entschiedenem Eintreten für den

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Iletiry Mosh'r. Der KesselHicker

1' >rt-- iiriU in «Icr Kunst: Die Amerikaner, welche in h-iur- n \ ir vier/,i;^f Jahren nacli Düsseldorf, vor zwanzig n h M :n‘ Imn kamen, tlann aber nach Paris abschwenkten, b ' imv-n wieder an der Isar sich heimisch zu machen. Di'- d- ut. ' he (ienremalerei , überhaupt die starke ' I I- 'irer .dteren Kunst, ragt weit in das ameri- h'- .-■:h.'>ri‘en hiimin. Die Miinchener Ausstellung < '• Peih- von Namen in dieser Richtung schaff-

I' ' ' r. 'lenen man die deutsche Abkunft an- M'i 1er. Diitherz, Phayer, Rols- ' > .snz '■hne W’eiteres diirfen wir diese

M. -|■ru^h nehmen, wie ja überhaupt ' - l^ 1 •; Pi- Irrgange ihrer Entwicklung

-'S sr'-n zu will scheinen, als in

: l.isii : Die stellt noch ein frisch

! I I S r ir welchem Samen aller

. ds 11 ii’dell.

Man kann deutlich bei den amerikanischen Figuren¬ malern , wie bei den Landschaftern ein langsames Ab¬ schwenken von Deutschland bemerken zu Gunsten einer Annäherung an Frankreich. Dieser Umschwung voll¬ zog .sich etwa in der Mitte der sechziger Jahre und wurde durch unsere Siege von 1870/71 nicht aufge¬ halten. Die Amerikaner kamen wahrlich nicht in das Gebiet des Deutschen Bundes aus besonderer Hoch¬ achtung für die Bewohner und Verhältnisse seiner sechs- unddreissig Staaten und wurden durch unsere Einigung nicht verdrängt; sondern sie kamen, weil sie, Europa von fern übersehend, den Werth der Kunstschulen am besten abzuwägen vermochten , unbeeinflusst von euro¬ päisch nationalen Anschauungen. Sie gingen eben ein¬ fach dorthin, wo sie am meisten zu lernen hofften. Kau Ibach und Biloty zogen sie lange Zeit an. Da¬ mals genoss Deutschland die Erüchte einer ruhmvollen

DIE KUNST UNSERER ZEI'l'.

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Kunstentwicklung'. Das hohe geistige Walten des Cor¬ nelius wirkte mächtig nach, vielfach zogen strebende Künstler damals München allen anderen Kunststädten vor. Deutschlands Kunstruhm überflügelte ganz jenen Englands und Italiens. Die auf höchste malerische Voll¬ endung dringende romantische Schule Frankreichs stand noch allein in Europa, abgesondert. Aber das jüngere Künstlergeschlecht empfand den Deutschen gegenüber bald überall , dass diese die zeichnerische Schule des Cornelius abzulösen bestimmt sei. An den Akademien, wo die Selbstgefälligkeit in veraltenden Systemen stets behäbig den Thron und die Köpfe einnimmt, begriff man dies zuletzt. Dort hielt man fest an der Ueber- lieferung, auch seitdem sie immer inhaltsärmer wurde. Man kann deutlich verfolgen , dass die amerikanischen Maler, welche vorzugsweise München als Studienort wählten, ihre letzte Ausbildung in Paris anstrebten, namentlich seit sie die Deutschen selbst in hellen Schaaren nach Paris wandern sahen. Piloty war als Lehrer auch in New-York und Boston hoch gefeiert, aber wenn man von ihm die Technik des Malens er¬ lernt hatte, suchte man in Paris die künstlerische Voll¬ endung. Da die Deutschen selbst zumeist so verfuhren, so kann man es den Ausländern nicht verargen. Diese gaben zunächst den Akademikern der Ecole des beaux arts, den Trägern der von David ausgehenden strengen Schulung den Vorzug. Sehr früh aber erkannten die Amerikaner den höheren Vv^crth der Stimmungsmalerei: Corot fand zunächst in New-York und Boston begeisterte Aufnahme, die Hellmalerei unter den Söhnen der Ver¬ einigten Staaten eifrige Verfechter.

Ein einflussreicher Führer schon in seiner Eigen¬ schaft als Lehrer an der New -Yorker Kunstschule scheint nach dieser Richtung Lemuel Everett Wil- warth gewesen zu sein, der 1859 t863 bei Kaulbach studirte und dann bis 1867 bei Geröme arbeitete. Ihm folgte eine grosse Reihe später berühmt gewordener Kün.stler gerade in die Werkstätte dieses Künstlers, denn dieser übertraf hinsichtlich des «Raffinements» in der Farbe selbst jene Pariser, welche von den Deutschen vorzugsweise als Lehrer aufgesucht wurden, den Couture oder Glayre.

Einen ähnlichen Weg schlug Henry Mosler ein , einer der in Deutschland am besten bekannten Amerikaner. Deutschen Kunstfreunden werden zu¬ nächst die Bilder; «Die letzten Momente» aus der

vorjährigen Berliner und «Der Kesselflicker» von der diesjährigen Münchener Ausstellung in bester Erinn¬ erung sein. Sein «Herbstfest», welches man in München 1888 sah und manches tüchtige WTrk. welches hier und dort erschien, lassen die Richtung des Künstlers deutlich erkennen. Prüft man Moslers Bilder darauf hin , was an ihnen amerikanisch, was deutsch und was französisch sei, so wird man zunächst nicht eben sehr viel mehr von der Nachwirkung seiner Jugcndbildung spüren. New -Yorker von Geburt, früli nach Cincinnati und Nashvillc verzogen, erwuchs er im kunstarmen Westen, angeregt nur durch die örtlichen Grössen. Nachdem er als Zeichner den Sece.ssionskrieg mitgemacht, und sich als Illustrator bethätigt hatte , kam er dreiundzwanzig- jährig nach Düsseldorf zu Mücke und Kindler. Das war ein etwas jäher Uebergang aus der rauhesten Wirk¬ lichkeit in eine sehr sanfte, abgeglättete Welt. Bald verwechselte daher auch Mosler seine Lehrstätte : Er ging nach Paris in das vielbesuchte Atelier von Hebert, in dem er namentlich mit den vorwärtsstrebenden jungen Engländern zusammentraf. Dann lebte er mehrere Jahre in seiner Heimath, bis er 1 874 abermals nach Deutschland uiid zwar nach München zu Piloty und dann 1877 wieder nach Paris ging, wo er seitdem sich heimisch machte.

In der psychologischen Auftassung des Menschen verräth Mosler die deutsche Anschauung. Ohne die Vorarbeit von Knaus, Vautier und der ganzen deutschen, auch für Frankreich bestimmenden Genreschule hätte der nun etwa fünfzigjährige Künstler nicht seine jetzige Richtung. Die liebenswürdige Versenkung in das Leben der verschiedenen Stände ist durchaus germanisches Erbtheil, welches wir mit den Engländern und Skan¬ dinaviern zu theilen haben: Wulkie. Collins dort, Mar- strand in Kopenhagen waren die Anreger für uns ebenso sehr , wie Chodowiecki und Ludwig Richter. So ist denn auch der « Kesselflicker » im Grunde nichts an¬ deres als ein gutes deutsches Genrebild , auch wenn es von einem Amerikaner in Paris gemalt ist. «Die letzten Momente» mahnten an die Düsseldorfer Schule, sie stehen etwa Brütt oder Bokelmann nahe. Nur in dem tief gewählten Ton und in der farbigen Behandlung erkennt man die Nachwirkung von Breton und anderen Franzosen, welehe in der keltischen Bretagne, in den vlämiseh germanischen Landen ein darstellenswerthes Volksthum suchten : Denn das romanische Frankreich bot ihnen ein solches nicht.

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DIE KUNS'r UNSERER ZEIT.

IV. J'Iiomas Dtwi>ig. Bildnis der Mrs. Slantord White.

Auch bei Carl Gutherz, einem Schweizer von Geburt, der aber .schon 1851 als Knabe nach Amerika kam . tauscht der Name. Iw schreibt sich drüben Guthers und wird daher wohl Gössers » ausge¬ sprochen. Kr studirte 1868 bei Cabasson und Pils in Paris, spater, wie es scheint mit besonderer Vorliebe, in Prü-'^el bei Stallaert und in Antwerpen bei Robert. 1873 nach yXmerika zurückgekehrt, machte er sich namentlich um das Museum zu St. Louis verdient, trat ab<-r 1884 wieder in Paris in Julians Werkstiitte ein und 1‘ bt jetzt dort seiner eigenartigen, koloristisch glänzen- 'k-n. mit spitzem Pinsel vorgetragenen Kunst. Wir ■nnen den Mann keineswegs national für uns in An- ^ nehmen. Im Gegcntheil : Its bekundet sich in

ihm wic-k:r die Bevorzugung der I'ranzosen selbst bei mmv- rwandten.

Wi- Leutzc und Bierstadt die Wegbahner für die dcut lu' K,.p .t waren so scheinen h'ranzosen diesen Um ' hwung zu Gunsten von Paris in Amerika selbst her¬ beigeführt zu haben: So ein Schüler des Ingres, Pierre

Chasserieau; ein aus Lyon stammender, von 1844 bis 1870 aber in New-York thätiger Schüler des Dela- roche, der Landschafter Frangois Regis Gignon; und der schon genannte, einer alten Hugenotten-Familie entstammende Asher Brown Durand, den man drüben als einen der Väter der heimischen Landschaftsmalerei feiert. Welche Wege diese Männer gewiesen haben, erkennt man aus den Werkstätten, welche von nun an die jungen, aus den Vereinigten Staaten herüber¬ kommenden Maler bevorzugen; Es sind jene der grossen Koloristen Gero me, Bonat und Carolus Duran.

Es war sehr lehrreich , in München die dort aus¬ gestellten Arbeiten der französischen Meister mit jenen ihrer amerikanischen Schüler zu vergleichen. Da war das farbenprächtige, tief gestimmte, mit vollendeter Sauber¬ keit bis ins letzte Ornament durchgeführte «Türkische Frauenbad» von Geröme. Die Schönheit in der Dar¬ stellung der Fliesen, des Marmors, des Beiwerkes, die Weichheit und Durchbildung der nackten Frauenkörper, der entschiedene Zug zum Sinnlichen, ein Zug, der durch ernstes Studium geregelt, wahrlich nichts Verwerfliches in sich hat; aber die trotz alles feinen, den Raum durch¬ ziehenden Duftes doch etwas harte , auf Betonung der Einzelwerthe begründete P'ärbung zeigen den Franzosen, den Meister aus Napoleonischer Zeit, jener Zeit einer überfeinerten Romantik , welche weniger die Gemüther bewegen, als die im Tagesgetriebe abgestumpften Nerven in den Tiefen aufpeitschen sollte. In den Jahren, in welchen amerikanische Künstler wie Bridgman, Moore, Weeks, CoxKenj'on, Pick n eil, Stewart und Andere bei Geröme studirten, war diese Richtung der französischen Kunst noch die in Paris fast allein herrschende. Die Landschafter der Schule von P'on- tainebleau und Barbizon, der gewaltig anregende, aber grosssprecherische und deshalb um so mehr verhöhnte Courbet, die vielverlachten ersten Versuche der Hell¬ malerei hatten noch keinen Boden bei den Künstlern gefunden. Es entzückte Paris vor Allem die technische Meisterschaft, die eigentliche Kunst des Malens, welche von den Romantikern den italienischen Grossmeistern abgelauscht und von Künstlern zweiten Ranges , wie Couture, Glayre, Lefebvre, Bouguereau zu einem sicheren Besitzstände der Pariser Schule gemacht worden war. Und dann lockte der prickelnde Geist, der vom Napo- leonischen Paris ausging, dies Leben auf dem Vulkan, dies frohe tolle Treiben im Angesicht des Untergangs,

Kiw'hlci' |nnx

HanfstÄeiiL’J, icn.

Porträt.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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welches sich in der Kunst in Darstellungen der Freuden des Lebens oder der diesen entgegentretenden schreck¬ lichen Ereignisse äusserte. Derselbe Gerome, welcher mit Vorliebe Sklavinnen auf dem Markt und Phryne vor den Richtern darstellte, malte den Marschall Ney, der im Festungsgraben zusammengebrochen liegen bleibt, während die Mannschaften, welche das Stand-

Hierin liegt schon eine Art Programm, äussert sich der in Paris mächtig werdende Zug nach engerer Ver¬ bindung mit dem eigentlichen Volksthum. Man war die grossen Schauervorstellungen und die prickelnde Sinnlichkeit müde, man ging hinaus aus Paris, auf das Land, wo die grossen Erneuerer der französischen Kunst eben damals ihre wunderbaren Entdeckungen im Reiche

F. A. Bridgnian. Das Negerfest zu Blidah.

recht an ihm vollzogen , theilnahmlos abziehen : Grau¬ samkeit war ja jederzeit das letzte Vergnügen der sinnlich Ermüdenden.

Ein so fein beanlagter Künstler wie Erederick Arthur Bridgman musste bald die Schwäche an der Kunst seines Meisters merken. Zwei Jahre nach¬ dem er 1866 in dessen Atelier eingetreten war, führte er, obgleich er erst die Zwanziger kaum überschritten hatte , Bilder aus , welche schon im Gegenstand eine Abschwenkung von seinem Lehrer darstellten. Er malte zunächst vorzugsweise die Bretagne und ihre Bewohner.

der Stimmung machten. Und als dann Vielen und so¬ mit auch Bridgman des Malens von Bauern aus der Normandie und aus den Pyrenäen zu viel wurde, als sie sahen , dass ihre verfeinerte Natur sich nicht für diese Aufgabe eigne da war es der Orient, der sie alle mächtig lockte , dort wo Pracht und Einfachheit, Schönheit und Grausamkeit, sanfte Stimmung und wilder Ernst, glänzende Farbe und blendendes Licht so eng beisammen stehen , wo das Volksthum wenigstens für uns europäisch Gebildete ein wunderbarer Flauch des Dichterischen umzieht; aus Schmutz und Elend der

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Reichthum an Ton. aus verkommenen Sitten der Glanz früherer Ta^^e. aus versinkenden Städten höchste künst¬ lerische Pracht hervorspricht.

L'nd dorthin wendeten sich auch die Amerikaner. Hridgman hat sich Aegypten und Nordafrika zur künstler¬ ischen Heimat gewählt. Seine Bilder sind in Deutsch¬ land \-erhältnissmässig oft ausgestellt worden. Auf der Berliner Ausstellung von 1891 waren deren allein fünf, in München ist er ein gern gesehener, regelmässig er¬ scheinender Gast, unsere illustrirten Zeitungen bedienen sich gern seiner Meisterschaft. Unter der Hand des Ameri¬ kaners hat sich Gerömes Schule gewandelt. Bridgman ist heller im Ton, klarer in der I'arbe, weisser im Licht. Die Entdeckungen der Jüngeren, der Hellmaler, haben ihn nicht ganz für sie bekehrt, aber er hat von ihnen viel aufgenommen. Ja in seinem Bilde «Das Fest des Propheten zu Blidah » liegt in dem Spiel mit dem W’ eiss der die Frauen umhüllenden Tücher, des Marmors und des Stuckes der Baulichkeiten als Gegensatz zum d'-n der Abendluft, der brennenden Lichter und der dunklen Hautfarbe der südlichen Frauen der eigentliche künstlerische X'orwurf. In dem «Negerfest zu Blidah» tritt neben dem Zug zum ethnographisch Genauen noch die im Ganzen nicht völlig zur Wirkung gelangende Buntheit hervor; und in dem nebenbei vorgeführten Opfer der Tugend», jener in drei Bildern dargestellten Frzahlung vom Ueberfall einer Harem.s-Schönen durch einen lüsternen M(.)rdcr, erkennt man, dass auch die alle Neigung zu Geröme'schen Vorwürfen doch noch nicht ganz überwunden ist.

Ebenso ist die Vorliebe für das Topographische, Bildnis.>artigc noch bei den Schülern Gerömes stark. W'enn uns Bridgman gewissenhaft die Orte nennt, die er dar-'tcllt Orte, deren Dasein ihm nur die ge¬ lehrten Geographen oder Orientreisende nachzuprüfen vermögen so ist auch dies wieder eine Art Programm. M Ml -ieht , da-^s er noch im Sinn der alten Schule den (]< ' ti -tand bevorzugt, dass es ihm nicht lediglich auf

iJ.ir -tcllung eines Natureindruckes, sondern auch \ ' rzu ei .e auf den sachlichen Inhalt ankommt.

In leicher Weise schafft der 1849 in Boston ge- 1; :p- lUdwin Lord Weeks, der, nachdem er bei ■• r'hr'’ und Bonnat .eine Studien gemacht hatte, Bridg- m.,n n - kl Nordafrika folgte, ihn aber bald, Indien zu- drebend. weg hinter -ich liess. Auch in seinen Bildern, deren in Berlin und München mehrere zu sehen waren,

tritt die sonnenhelle Oricntmalerci mächtig hervor. In vielen Arbeiten wird man an den Russen Wereschtschagin gemahnt, erscheint Weeks gewüssermassen als dessen Eideshelfer, indem er die glanzvolle Wirkung w'eissen Lichts in weissen Marmortempeln, wie in jenem von Walkeshwair bei Bombay, mit ähnlicher Kraft des Sonnen¬ tones schildert und dazu all das Flimmern der reichen Farben auf den Gew'ändern, auf der blanken braunen Haut der Menschen, auf den bunten Behängen und Gefiedern der Thiere. Ein echtes Sonnenbild dieser Art, so recht der Beweis, wie w-eit man es in der Darstellung tropischen Lichtes zu bringen vermag, sind die «Elefanten des Maharajah in Jehore».

Ein dritter Geröme-Schülcr , Harry Humphrey Moore, hat, ehe er zur selbständigen Künstlerschaft gelangte, eine zweite Lehrzeit durchgemacht, die starken Einfluss auf ihn ausübte Er w^ar in Spanien und später in Rom Schüler des Fortuny. Bei seinen kecken, farben¬ frohen, bei höchster Buntheit doch einheitlichen Bildern, mit Vorliebe Darstellungen aus Japan, kommt ihm die scharfe, geistreiche, zugespitzte Art des grossen Führers der modernen Spanier und Römer ausserordentlich zu statten : Ein so keckes Roth , ein so blitzendes Gelb hat eben nur die Schule Eortunys!

Den umgekehrten Weg, von den Spaniern zu Geröme wanderte Julius L. Stewart, der im ver¬ flossenen Jahre in Berlin trefflich vertreten war. In die Werkstätte des Zamagois und des Madrazo führte ihn die genaue Kenntniss der Malweise des Fortuny; Ist doch Stew^arts Vater der glückliche Besitzer einer Reihe der besten Werke des Spaniers. Die Farbenfreudigkeit der Bilder des jungen Meisters erklärt sich trefflich aus diesem Zusammentreffen; Die ausgeglichene Kraft des farbigen Tones dankt er der Schule Gerömes; die heitere Buntheit den spanischen Anregungen; und die innere Vornehmheit seiner Gestalten, der freie Anstand, w'elcher sie beseelt, ist sein eigenstes Gut oder das seiner amerikanischen Herkunft.

Auch Ken}-on Cox studirte bei Geröme, nach¬ dem er vorher Carolus Duran nahe gestanden hatte. Schon als 26jähriger kehrte er 1882 nach New York zurück. Das ist vielleicht der Grund, dass er sich von dem übermächtigen Einfluss der P'ranzosen frei machte, welcher in seinen ersten, venetianischen Studien noch vorherrschte. Jetzt erscheint er eher den Engländern verwandt. Sein «Abend», eine wundervoll gezeichnete

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und gemalte, eigenartig stilisirte I'rauengestalt vor einer titianisch tiefen Baumgruppe , darf sich vielleicht der geistigen Pathenschaft von Sir Frederick Leighton rühmen, während in dem prächtigen Bildniss des berühmten ameri¬ kanischen Bildhauers A. St. Gaudens die freie, selb¬ ständige Richtung kräftig sich äussert! Man sehe, wie prächtig der Kopf auf der grauen Wand steht, selbst in grauen Tönen schlicht hingemalt, und wie intim die modellirende Hand gezeichnet ist; In dieser Arbeit

ausserordentlich Bonnat als Maler starker Lichtwirkungen, kräftig geschlossener Tonkompositionen auf seine Zeit Einfluss nahm, der begreift auch, dass die Amerikaner, stets bereit, in den Vorderkampjf des Schaffens zu treten, ihn gerne zum Lehrer wählten. P'rank Hill Smith, Albert Po w e 1 1 R \' d e r . Charles G a r d 1 e y Turner, William Anderson C offin und gewiss noch viele andere ältere unter seinen Schülern leben und wirken jetzt in den Vereinigten .Staaten. George Innes,

Edii'in Lord U'eeks. Die Elephanten des Maharajah in Jehore.

steckt etwas Besonderes, Amerikanisches, dem zu be¬ gegnen dem aufmerksamen Beschauer eine Freude sein wird. Abbot Henderson Thayer, der ausser von Gerome noch von dem international gewordenen Hol¬ steiner Heinrich Lehmann angeregt, anfangs Genrebilder malte, aber bald von dem «Kind mit der Katze» zur « Leda mit dem Schwan » und endlich ganz von der Lyrik zur Realistik überging, hat in Amerika auch eine bemerkenswerthe Ruhe des Tones und Breite des Vor¬ trages sich angeeignet, die seine beiden in München ausgestellten Bildnisse als Werke von kräftiger Eigenart, als amerikanisch erscheinen liessen.

Wer sich des Aufsehens erinnert, welches zu Ende der sechziger Jahre und in der Folgezeit Bonnats Bild¬ nisse erregten, namentlich sein «Thiers», wer weiss, wie

des ausgezeichneten New- Yorker Landschafters 1854 in Paris geborener Sohn, ein tüchtiger Thiermaler, gehört auch in diesen Kreis. Andere verliessen Paris nicht auf die Dauer: So Walter Gay, welcher, seit er 1876 in Bonnats Werkstatt eintrat und Paris nur zu Studienzwecken verliess; Charles Sprague Pearce. welcher 1873, 22 Jahre alt, sich dem Meister anver¬ traute und seitdem als einer der feinsten Künstler der amerikanischen Kolonie an der Seine lebt. Beide, zu den fortgeschrittensten Hellmalern gehörig , waren wohl vortrefflich in Berlin , nicht aber in München vertreten. Nicht blos um den Vorwurf mangelnder Höflichkeit gegen Frauen von mir abzuwenden, nenne ich gleich hier drei in Paris lebende Malerinnen ; die an männlicher Breite des Vortrages mit der Polin

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El

Hielinska und der Holländerin Schwartze wetteifernde Anna Elizabeth Klumpke und Lucy Lee Robbins, welche durch ihr in Berlin ausgestelltes Selbstbildniss den Männern bewies , dass man ein vor¬ nehmes und anmuthiges Mädchen bleiben kann, selbst wenn man eine sehr ernst zu nehmende Malerin wurde; und den Frauen, dass man mit vollster Hingebung sich einem Berufe widmen und doch dabei in schönster Weiblichkeit sich erhalten kann ; und endlich E m m a Chadwick, die, so viel ich weiss , Schwedin von Geburt, schon zu Anfang der achtziger Jahre bei Robert-Eleury und Cazin studirte und seither Werke von sicherer Meisterschaft zur Schau brachte.

Alle diese, sowie die jüngeren Mitglieder der amerikanischen Malergesellschaft in Paris machten sich früh von Geröme und Bonnat frei, geführt von einem ihrer grössten Talente J oh n S inger S a rg ent. Sargent ist in h'lorenz 1856 geboren und Schüler des Carolus Duran in Paris. Seine Bedeutung liegt in der erstaun¬ lichen Thatkraft, mit der er die impressionistischen Bestrebungen der siebziger Jahre vertrat, hierin neben Ba.-ti cn- Le])age einer der glänzendsten Vertreter der 1 lellmalerei werdend.

Las Programm dieser Maler ist tausendfältig be- proclicn! Es heisst für sie, die Welt sei herrlich überall, der zu malende Gegenstand daher gleichgiltig, wenn nur die Natur in ihrer vollen Wahrheit getroffen werde. Her Kampf gegen veraltende Ideale führte sie bis zur grau.samsten Ifntschiedenheit im Realismus. Aber Eines verklärte ihre Bilder; das Licht, die strahlende Sonne. Ihe Wirkungskraft der I'arbe durch sie wurde erstaunlich gesteigert, die Emjjfindung für die zarten Halbtöne so Vf-rfeinert, dass man der schweren Schatten der alten Malerei nicht mehr bedurfte. In der geringen Tonver- Inedenheit zwischen höchstem Licht und tiefstem I 'unkel im Bilde offenbart sich die h'einheit des maler- I le n h-mpfindens, eine andere, künstlerischere Art jener IE- ' hrankung » , in weicher doch die Aesthetiker so '• die Vorbedingung der Schönheit erblickten. Man ■in Bild wie Pearces « Sch.äferin » , George Hit - h= ock Mutterglück.,, Walter Mc ICwcns .\ü r - ! ■■■nt ;■ .Sargent Kendalls «Milchhänd-

h rm m -.11 mu ferner die ])rächtigen Arbeiten iles

dl« .m. ' in lüm hen nicht vertretenen Gari Melchers auf ! e W erthe hin jirufen, um den Malern gerecht zu w - rden. 1. i.- t da eine .Ansjiannung des malerischen

Auges, eine Vorsicht in der Wahl des Tones, eine Zart¬ heit in der Empfindung für die koloristischen Werthe, wie sie vor der unserigen kaum eine andere Zeit besass. Und gerade in den Werken, welche die an alten aesthetischen Werthen Hängenden am stärksten ab- schrecken, tritt die ausserordentliche Steigerung des malerischen Könnens oft am deutlichsten hervor.

Zwei Bilder seien nach dieser Richtung hervor¬ gehoben , ausgedehnte Leinwandflächen , welche in München viel besprochen wurden ; _ Alexander

Harrisons «Badende» und William T. Dannats « Spanierinnen »,

Von Harrison soll später noch weiter die Rede sein. Hier gilt es die Werthe eines Bildes abzuwägen, welches einen grünlichgelben Abendhimmel, eine fast bewegungs¬ lose grüngelbe Meeresfläche und in dieser einige nackte, ganz von grüngelben Reflexen umspielte Frauen dar¬ bietet : Viele Quadratmeter Fläche, in welchen nur das Haar und die Augen der PTauen einen etwas tieferen Ton haben, sonst fast ein Einerlei oder doch so beschei¬ dene Schwankungen in der Farbe, dass der ungewohntere Blick ihrer kaum sich bewusst wird. Und trotzdem oder besser wegen dem: welche Tiefe der Perspektive, welche Klarheit in der Raumgestaltung, welche endlose P'ülle feiner sich durchdringender Reflexe , welche Wahrheit und welch’ tiefes aus dieser hervordringendes Gefühl der Ruhe und des Wohlseins!

Dannat hat es erreicht, dass seine Arbeit wohl die am häufigsten genannte der Münchener Ausstellung war. Aber neunundneunzig von hundert Besuchern be- zeichneten es einfach als das « scheusslichste » aller Bilder. Es ist ja eine Eigenthümlichkeit der meisten braven Leute , dass sie sich besonders freuen , etwas gefunden zu haben, worüber sie sich von Grund der Seele entrüsten können. So war es hier, vor Dannats Bild: Eine Anzahl aufgeregter, geschminkter Spanier¬ innen sitzt aut einer Bank an der Wand , von elek¬ trischem Licht beleuchtet. Alle Farben sind durch dieses Licht ebenso verzerrt, wie die Leiber der zweifel¬ haften Schönheiten , alle Glieder umspielt von wunder¬ lichen , immer in _ ein violettes, weissliches Roth über¬ gehenden P'arbenmischungen. Beobachtet ist das Bild aber mit ausserordentlicher Schärfe und gemalt, in leichtem Auftrag alla prima gemalt , dass einem ge¬ radezu die Haare zu Berge stehen, wie vor einem schreckhaften Wunder!

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Mit einer gewissen Sicherheit kann man annehmen, dass dieses Bild von der grössten Mehrzahl europäischer Aufnahme-Juroren würde abgelehnt werden. Wie man in Amerika darüber denkt, weiss ich nicht. Diesseits des Oceans ist es nur in München und Paris möglich. Dannat ist kein Anfänger mehr; Jetzt ein Mann nahe den Vierzigern , hat er einst an der Akademie in München seine Studien begonnen und lebt nun in Paris. Dort hat man ihn mit Ehren aufgenommen und eine Lehrstelle an der Kunstschule überwiesen : Es ist eben wunderbar, wie «dem ein sin Uhl is, wat dem annern sin Nachtigall is. » Ich erzählte einem deutschen Akademieprofessor vor dem Bilde, dass es von einem seiner Kollegen in Paris stamme ; Er sah mich lange an , ob ich scherze dann ging er schwei¬ gend und den Kopf schüttelnd weiter.

Schon vor einem anderen Bild hatte er mir nicht recht glauben wollen , dass meine Ereude eine unge- heuchelte sei , vor je¬ nem von Robert William V o n n o h :

Ein Blick über ein Feld blühenden Mohnes , in dem ein Kind herum¬ spielt , dahinter eine Wiese, etwas Wald, ein Hof; Alles im bläulichen Sonnenlicht spielend, eine grosse Bildfläche. Er wollte nicht einmal zugestehen, dass es meisterhaft gemalt sei [ Es lohnte sich aber das Mohnfeld genau anzu¬ sehen: Ein Mosaik in Oelfarbe; das völlig reine Roth steht in breiten Haufen unmittelbar aus der Tube auf die Leinwand aufgedrückt da, die blaugrünen Blätter stehen in breiten Flächen daneben. Zwischen beiden Farbenklumpen sieht man bis zu einem Centimeter breit die blanke weisse Leinwand. Diese Amerikaner scheuen sich wenigstens nicht, mit aller älteren Technik zu brechen und zu thun, was ihnen nöthig scheint, um die erstaunliche Lichtwirkung zu schaflen , welche sie anstreben. Ist dies Streben ein falsches nun dann ist selten auf Fehlwegen mit solcher Kühnheit gewandelt worden 1

Charles Edmond TarbcTl, gleich Vonnoh «drüben» lebend, nimmt eine ähnliche Richtung ein. Ihm ist’s darum zu thun, wechselnde Beleuchtuno-en im Antlitz des Menschen zu zeigen: Und da wird der Kopf ihm kurzweg zum Versuchsfeld für koloristische Kontraste selbst ein hübscher Mädchenkopf: «Ein Opal» und «Ein Amethyst» nennt er seine wuchtig durchgeführten Studien nach dem Ton des sie um¬ spielenden Lichtes.

Minder auffallend, malerisch aber von hohem W'erth, sind die Bilder des unlängst von Paris nach Xew-Vork übergesiedelten Childe Hassam: Die Arbeit «Das Blumenmädchen , eine Erinnerung an Paris » ist so viel mehr französisch als die ausgezeichnete Darstellung

der «5. Avenue im Schnee » , dass man sehr wohl erkennt, der kräftigere Ton sei das, was die neue Welt dem Künstler hinzu¬ brachte. In Emil Car Isens Stillleben sieht man die französ¬ ische Schulung deut¬ licher. Es könnte das Bild für einen Vollon gelten. G. D. F. Brush und Dennis M. B u n - ker neigen auch in ihrer Kunst Pariser An¬ regungen zu. Eugene Vail datirt seine fein em¬ pfundene Darstellung des Themselebens im Nebel so¬ gar französisch, mit «Londres».

Henry Muhr mann, zumeist in München gebildet, jetzt in London lebend, verzichtet mit seinen düsteren Klippen bei Hastings in noch höherem Grade auf das Zeichnerische der Naturdarstellung; und wenn er gleich sein Bild nach einem bestimmten Landschafts¬ ort benennt, ist’s ihm doch nicht um das Landschafts- bildniss, sondern lediglich um koloristische Werthe zu thun. In den beiden anderen Bildern, welche er nach München brachte, erinnert die dämmernde Tiefe, der schwermüthige Ernst zumeist an L’Hermittes pracht¬ volle Werke.

Eine grosse Hinneigung zu Mesdag zeigt das Bild von H. W. Ranger «Flusslandschaft», während sich in

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den Gebäuden im Madisonsquare-Garten» Rauch und Nebel, elektrisches und Gaslicht mit einem Schimmer von 'bag zu einer fein beobachteten Gesammtstimmung meisterhaft vereinen. Aehnlich neigt Alexander van Laer, wohl selbst Niederländer, obgleich seine Aus¬ bildung sich ganz in New- York vollzog, zu den graueren T'jiien der holländischen Malerei hinüber; mischen sich in W’i lliam Henry Howe, in Hugh Bolton Jones, von dem ich Bilder aus der Bretagne gesehen zu haben mich entsinne, der also wohl selbst in Paris geschult wurde; in H oratio Walker, in Francis C. Jones mit seinem prächtig gemalten an Tadema erinnernden Interieur, die amerikanische Feinheit der Naturempfindung mit den aus Europa und besonders aus Frankreich über das Meer hinübergreifenden Anregungen. Dieselben zeigen sich bei einem Künstler, dessen Ausbildung, so viel ich weiss, sich ganz in seinem Wohnort New-York vollzog, bei John Francis Murphy aus dessen reizendem Landschaftsbilde, einer Hütte am schilfigen See im tiefsten Walde, man ersehen kann, dass auch am Hudson Luft und Licht ihre wunderbaren Schleier um die dämmernde Erde breiten, genau so wie im Walde von Barbizon und an den Ufern der Seine.

In diesen Bildern macht sich bereits eine gewisse •Sonderung von der Kunst geltend, welche in Paris vor¬ herrscht. Sichtlich beruht diese nicht auf zufälligen Eigenschaften der amerikanischen Landschaft.

•Auf der Münchener Ausstellung machten die Werke von George innes in New-York eine sehr starke W'irkung. Sein 'Sonnenaufgang» wurde mit einer Medaille au.sgezcichnet. ]4as schon 1888 gemalte Bild, ein paar dürre Bäume über einer Haide, ein zerrissener tiefblauer Himmel, aus dem tiefroth die Sonne hervorbricht, ein paar rothe h'leckcn als Staffage : Dies einfache Werk machte den Eindruck einer farbengewaltigen Ton¬ dichtung. IN trat den europäischen Kün.stlern hier eine stark eigenartige lA-rsönlichkeit entgegen , und dies i-t s wohl, was sie zumeist an dem Werke anzog. Daneben hatte der Künstler einen «Wintermorgen» vorgefuhrt. eine Art Vorfrühling vor dem Ergrünen der .Natur, in rlem das Braun der Bäume und Sträucher sich mildert und durch die Reste des Schnees unter dem bereit^ wärmenden Himmel eine Ahnung künftigen Sprossens hervorlugt. Und dann einen «Stillen lag»^ ein Paar Baume am See, in der Dämmerung, mächtig vorgetragen, als galten dem Maler die Formen der

Natur nur als das Mittel um an ihnen das Spiel der fein abgewogenen Farben zu schildern. Es spricht aus diesen Bildern eine ganz veränderte Auffassung dessen, was malerisch sei. Die Menschen im Bilde sind ihrem Schöpfer nicht «Staffage» im Sinn der alten Land¬ schafterei, Personen, welche zur Erklärung des Gegen¬ ständlichen dienen sollen , sondern Mittel ein paar leb¬ hafter Töne auf der von prächtigen Lichtblicken durch¬ furchten Leinwand anzubringen, welche, mit einer rück¬ sichtslos breiten Weise gemalt, von Wirkung strotzt: Man sehe , wie die düsteren Bäume auf der warm grauen Wolke stehen!

Es giebt Künstler und es hat deren besonders in Deutschland sehr grosse gegeben welche in der Natur unter der Farbe , unter dem Ton zunächst die Form sehen. Sie führte die wachsende Erkenntniss ihrer Stellung zur Natur immer mehr dahin , von der Farbe ganz abzusehen und in der reinen, völlig des Tonspieles entzogenen Form den Höhepunkt der Kunst zu erblicken. Ein ganzes Volk, die Hellenen, wahrlich nicht das Kleinste in künstlerischen Dingen , baute auf diesem Empfinden seine stolze Kunst auf.

Bei einem Maler wie Innes , erscheint das volle Gegentheil. Er strebt der reinen Farbe, dem reinen Tone zu. Ihm wird das Landschaftsbild zur Toii- symphonie. Ob die einzelnen Gegenstände Form haben, ob sie für die Beschauer deutlich erkennbar sind das kümmert ihn wenig. Er ist zu einer philo¬ sophischen Abklärung in der Kunst gelangt , die jener an Entschiedenheit entspricht, welche die rein plastisch empfundene , weisse Statue für die vollendetste Form der Kunst hält. Und er ist in Amerika sichtlich nicht der einzige seiner Anschauung.

Der Umschwung im Geschmack der Amerikaner kam gegen Ende der siebziger Jahre scharf zum Aus¬ druck. Er stellt sich trefflich dar in dem Urtheil, welches zwei Landschafter über Corot fällten. Jervis M c. E n t e e , Mitglied der alten , wesentlich von Düsseldorf beeinflussten Schule, fand des französischen Meisters Bilder, deren es drüben sehr viele gibt, nach¬ lässig und unfertig, nicht Landschaften, sondern Ge¬ spenster von Landschaften , Werke der gehetzten französischen Schaffensweise, des Dranges, sich durch Sonderbarkeit auszuzeichnen. Innes aber fasste seine Stellung zur Kunst merkwürdig pantheistisch. Er will nicht seine Person in das Mittel der Kunst stellen.

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George Hitchcock. Mutterglück.

sondern betrachtet Gott als ihren Ausgangspunkt ; die ganze Kraft des ächten Künstlers sei darauf zu richten, dass er im Kunstwerk verschwinde, dass er die Natur allein und in dieser Gott darstelle. Ihm ist die Kunst Gebet; Wahrheit und Schönheit sind ihm Gottes- Darstellung. Beide aber gehen aus der Hingabe seiner selbst hervor. «Ich gebe keinen Pfifferling», sagt er, «für einen künstlerischen Gedanken, der nicht darstellt, was ich fühle. Ich will nur den Eindruck auf Andere übertragen, den ein Gegenstand auf mich machte. Ein Kunstwerk soll nicht belehren, erbauen, sittlich heben es soll das Gemüth erregen. Diese Erregung mag sein welcher Art sie will. Die wahre Schönheit be¬ ruht auf der Schönheit und Stärke dieser Gefühls¬ erregung. Wer sie erreicht, der hat das Höchste ge¬ leistet. Zu wenig kann ebenso stören, wie zu viel. Ein Bild mag noch so gut gemalt, noch so realistisch sein es braucht darum noch kein gutes Bild zu sein. Hierin überragt Corot z. B. den Meissonier. Dieser hat eine

wissenschaftliche, jener eine dichterische Wahrheit, dieser ist analytisch, jener aesthetisch ».

So zeigt Innes die amerikanische Kunst auf dem Wege der Schule von Barbizon. Erst als diese Bewegung die jüngeren Amerikaner erfasst hatte, konnte sie sich auf weitere Kreise erstrecken, ^\'yatt Eaton war es, der ihr nach aussen sichtbaren Ausdruck gab. Noch Schüler Leutze’s, doch zugleich des Amerikaners Edwin White und später des Bildnismalers J. O. Eaton, dann aber durch Turner angeregt und von Mi 11 et als Freund behandelt, kam er nach Amerika mit dem Kraftgefühl zurück , endlich den rechten Weg gefunden zu haben. Ein unbedeutender Vorgang gab die Veranlassung, dass die beiden Schulen kampflustig sich entgegentraten. Die National Academy of Arts sah schon lange die « nachlässigen und unfertigen » Bilder der aus Barbizon Heimkehrenden ungern in ihren anderen Idealen geweihten Hallen. Sie traf eine Bestimmung, um die Beschickung in ihre Ausstellung

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Jurch solche Werke zu beschränken, indem sie be¬ schloss, jedem ihrer Mitglieder zunächst acht laufende Fuss Wand der Ausstellungssäle zur Verfügung zu teilen. Am l. Juni 1877 gründete, durch diesen Schritt äusserlich veranlasst, Eaton mit dem in Deutschland gebildeten Genremaler Walter Shirlaw, mit der Malerin Helena de Kay Gilder und dem Bildhauer Augustus St. Gau de ns die «Society of American Artists». Sie erklärte sich und den neuen Kunstverein als streng modern. Die Form dieser Er¬ klärung ist sehr bezeichnend : Sie seien , sagten die .Mitglieder der schnell sich vergrössernden Genossen¬ schaft, zwar \’’erehrer der alten Meister, aber sie wollen Front machen gegen Jene , deren Bewunderung ein¬ seitig gerichtet sei auf Lambinet, Bouguereau, Cabanel, Delaroche und Meyer von Bremen.

hhne lehrreiche Zusammenstellung! Also die Jung- Amerikaner bekämpften den französischen Classicismus und das deutsche Genre, die Korrektheit und die Süss- lichkeit, die rein formale Schönheit und die Gemüths- \erzärtelung 1

Ausser auf Innes richtete sich in der Münchener .Ausstellung die Aufmerksamkeit Jener, die amerikanischer Kunst näher treten wollten, vorzugsweise auf das Bild von W' i n s 1 o w Homer, auf «Märzwinde»: Unter grauem Himmel eine wcisslich blaue Ferne und davor eine grau¬ braune Ackerhalde; darauf ein paar Sträuche das Ganze eigentlich in drei Tönen gehalten, einfach und doch eindringlich dargestellt. Homer vertritt in seiner ganzen Art so recht eigentlich das Amerikanerthum. Seine Ausbildung erlangte der den Sechzigern sich nähernde Bostoncr durch jenen John La Farge, der die grossartige figurale Kunst des Washington .Allsten fortsetzte und sie mit William Morris Hunt auf den W’cg der Selbständigkeit lenkte. Es i''t kein Zufall, dass La Farge als einer der ersten luf die japanische Kunst als auf eine auch für uns vor- l>ildliche hinwies. Als ein Maler sentimentaler Kriegs- biltler beginnciifl und als solcher sich den Beifall seiner I.andsleute erringend, trat Homer schon 1867 mit F>- l'jlg in Baris auf, ehe er selbst nach Ifuropa ging, mehr um flort die Alten , als um die Modernen zu studiren; denn in sich war er damals bereits fertig. «Sein -Stil ist frei, kühn und gross», .sagte ein englischer Kritiker schon in den siebziger Jahren, «realistisch und geht geraclc zu auf’s Ziel. .Seine Werke behalten etwas

von der in freier Natur gemachten Skizze, sind sie doch thatsächlich im Sonnenlicht, im Freien gemalt, in der unmittelbaren Anschauung der Natur». «Es steckt», erklärt jener weiter, «so viel vornehme Schlichtheit, Ruhe und Nüchternheit in ihnen, dass man den Reichthum an Gefühl und die Feinheit der Empfindung dankbar auch bei der Schwäche der Beziehung der Farbe zum Gedanken hinnehmen müsse»: Der alte Vorwurf gegen die Freilichtmalerei, als deren erster und eigenartigster Vertreter Homer in Amerika gelten muss.

Was ihn seinen Landsleuten aber besonders em¬ pfiehlt, ist, dass er Amerika und die Amerikaner malt. Seine Negerstudien, seine Darstellung von Land und Leuten, die Verschmelzung des Bodens mit dem auf ihm heimischen Menschenschläge lässt ihn den Patrioten der Vereinigten Staaten in besonderem Sinne als den Ihrigen erscheinen.

Tritt in Homer eine durch die Besuche in Paris verstärkte innere Verwandtschaft mit den modernen P'ranzosen deutlich zu Tage, so noch mehr bei Dwight William Tryon, dessen «Dezember» die Münchener Preisrichter die grosse goldene Medaille zuerkannten. Der im Anfang der Vierziger stehende Künstler, seit 1885 Direktor der Hartfort-Kunstschule, ist selbst that¬ sächlich in Paris bei Daubigny in die Lehre gegangen, nachdem Louis Jacquesson de la Chevreure und Guillemet ihn zu Anfang der siebziger Jahre vorgebildet hatten. Sein zartes Bildchen «Aufgehender Mond» hat denn auch alle Merkmale der Schule von Barbizon, den feinen blaugrünen Ton der Landschaft, den zarten Hauch des hinscheidenden Abendrothes , ja selbst den Heuschober wie ein Millet; während der «Tagesanbruch», ein Blick über den See auf eine noch in Nacht liegende Stadt, ganz in der derben, gesunden und doch tief empfundenen Malweise seines Lehrers gehalten ist. Die selbstständige Kraft des Amerikaners kommt im «Dezember» klar zum Durchbruch: Die Luft ist grau, durchzogen von gelblichen Lichtstreifen ; der dunkle Wald am Horizont, die grauen Brachfelder, das schilfige Moor im Vordergrund sind die Gegenstände, über die die malerisch feinen Werthe sich ausbreiten; das Ganze erscheint als ein Ausblick in eine kühle, ernste Natur, aber als der Ausblick eines auf’s Aeusserste für Stimmungwerthe geschärften Auges.

Mit besonderer Aufmerksamkeit habe ich Julian Alden Weir «Wachsende Schatten» betrachtet. Trägt

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der junge Künstler doch einen in Amerika weit bekannten Namen: Robert Walter Weir gilt drüben als einer der ersten Historienmaler im Sinne der Engländer. Es hat auf die beginnende Laufbahn des 1 824 in Florenz und Rom gebildeten Künstlers schon einen gewissen Glanz geworfen, dass er der Nachfolger Leslies an der Kunstschule zu Westpoint wurde, einen Glanz, den er

Ein Künstler wie J. Appleton Brown, dessen Arbeiten in den siebziger Jahren im Pariser Salon Aufsehen machten, beweist, dass Amerika mit am frühesten verstand, wo Daubigny, Millet, Dupre hinaus wollten. Peter Moran, der ausgezeichnete amerikanische Thiermaler, schwenkte früh von Landseer zu Rosa Bonheur und Troyon hinüber und von diesem zu der immer mehr auf Stimmung hin-

Ernest Fartati. Im Mai.

durch eigene Arbeiten und durch seinen Einfluss auf die amerikanische Kunst wesentlich erhöhte. Aber wie sein älterer Sohn John Ferguson Weir, der namentlich als Genremaler geschätzt ist, selbst mit derP'eder für Millets Kunst eintrat, ging Julian Alden nach Paris und wendete sich, wenn er gleich Geromes Schüler wurde, der Stimm¬ ungsmalerei zu. Sein Bild ein eine Anhöhe zwischen Wiesen hinaufführender Weg und ein paar gegen die Luft stehende Bäume sonst nichts sind an Stimm¬ ungswerth einem Cazin gleichzusetzen.

Wir haben es hier also mit einer in den Vereinigten Staaten längst heimisch gewordenen Kunstweise zu thun.

drängenden Art seiner Brüder Edward und Thomas; George Bernard Butler, einst Coutures Schüler, folgte dem Vorgänge seiner Landsleute in’s Gebiet der lyrischen Dichtung mit der Farbe. Es geht also durch die ganze moderne amerikanische Kunst jener Zug in der Natur weniger P'orm als P'arbe, weniger Gegenstände als Stimmung zu sehen. Aber den vollen Ton für diese Richtung fand erst ein in England lebender Amerikaner : James Abbott Mc Neil Whistler.

Es wird, ehe wir diesem ausserordentlichen Manne uns widmen, nöthig sein, die Vorbedingungen seines Schaffens kennen zu lernen. Whistler ist zwar in Amerika geboren

DIE KUNS r UNSERER ZEIT.

ÖU

a! 'icr Sohn cine.-^ hcn'orragenden , vielfach mit 13ahn- ac'.'-n in Russland beschäftigten Ingenieurs. Früh aber ! er nach Furopa . studirte in Paris unter Glayre,

d- ni ylatten Koloristen, und ging dann nach London, Heimstätte seiner eigentlichen Lebensarbeit.

.XL er dorthin kam, fand er nicht eben viel Ameri- aller unter den tüchigeren Künstlern vor. Seit Newtons und Leslies Tode hatte sich die Sachlage in England .,0 völlig geändert, dass dies nicht eigentlich zu ver¬ wundern war. Der deutsche Einfluss war hier mächtig geworden, der strenge historische Sinn, wie er aus C' -melius und Overbeck spricht, hatte hier Wurzel ge¬ schlagen. Die Monumentalkunst wenigstens war deutsch beeintlusst: Dyce, Eastlake, der Präsident der Aka¬ demie. Armitage kamen nach München und Berlin, um bei Kaulbach die P'reskotechnik zu erlernen. Der Prinzregent Albert lenkte mit Zielbewusstsein und Sach- kenntniss die Aufmerksamkeit auf das Kunstleben seiner deutschen Heimat, auf die Gegenständlichkeit, die Ge¬ dankentiefe der Cornelianischen Schule. Diese Art des künstlerischen Geistes war völlig dem entgegengesetzt, was die Amerikaner anstrebten. Es bildete sich zwar in den X'ereinigtcn Staaten eine kleine Gruppe der sogenannten Praeraphaeliten , von deren Kunst wir in München in Albert P. R\ ders «Pegasus» eine Probe sahen. Aber cs bot das Bildchen nicht genug, um zu erkennen, ob die Naivetät echt sei, welche bei unbe¬ holfener Komposition und stumpfer Farbe doch bc- achtenswerth aus ihm hervorsprach.

Unter den in England lebenden Amerikanern nehmen meine' Wässens neben Whistler nur der Historienmaler Gc'-rge Henr\' Boughton und die Landschafter I-rnc-t Partfiii und C. W. Wyllie eine hervor- rageriflc Stellung ein. Boughton ist zwar in England '•b->ren, doch er-it mit 19 Jahren aus Amerika dahin zurü' kgekehrt , war seit 1860 Schüler von P'rere in P-ri \\ ie Bridgman und mancher andere amerikanische K tler jener Zeit, begann er mit seiner dortigen Lauf- 1 hn mit Bildern aus dem Landleben aus der Bretagne. N i Ijigkmd zurückgekehrt, malte er mit Vorliebe Sz n- n au-, Shake peare in fein empfundenen Land- h ‘äen nrt eifrigem Bestreben, die Gestalten in weiten K im zu tclP-n, die Luftwirkung zu vergegenwärtigen. 1' ht--n "mniiv -t ab; Kolorist in London die höch.sten I'-hrcn, ic werrien ihm auch als feinem Beobachter der men: blichen I‘-ig'-nthumlichkeilen und einem dichterisch

empfindenden Manne mit Recht zuerkannt. Der leicht bläuliche Ton , der durch seine zarten Schöpfungen zieht , die zeichnerische Sicherheit und nicht zum ge¬ ringsten Grade die Wahl seiner Gegenstände machen ihn an beiden Ufern der grossen See beliebt. Aber das eigentlich Amerikanische tritt an ihm kaum er¬ kennbar hervor.

Ernest Partan , über welchen das «Art Journal» in letzter Nummer ausführlich berichtete, hat die feine, liebenswürdige Beobachtungsweise des über Englands Grenzen kaum bekannten , aber darum nicht zu unter¬ schätzenden Birk et Foster zu seiner Kunstreise angeregt. Er ist in Grossbritanien zu der festen, klaren Darstellungsweise gekommen, die ihn jetzt neben David Murray und V i c a t C o 1 e zu einem der beliebtesten Londoner Landschafter machte. Er strebt die Feinheit des Tones auch bei durchgeführter Darstellung inne zu halten und wenn er gleich ein paar Weiden am Bach und ein Birkenholz im Abenddämmern grossen Fern¬ blicken, ruhige Stimmung bew^egter Natur vorzieht, so ist er doch englisch genug, um immer sich fest an das Gegenständliche zu halten.

Mehr ist dies noch bei W yllie der Fall, dem gleich Boughton schon längst in London zu akademischen Ehren g-dangten Seemaler. Seine in hellem klarem Ton gehaltenen Bilder, so jene Darstellung der « Flottenschau zu Spithead » am 4. August 1 889 durch unseren Kaiser, ziehen immer auf die Schilderung thatsächlicher Vorgänge, oft sogar auf die bildnisartige Darstellung eines bestimmten Schiffes hinaus. Und wenn auch gelegentlich fantastische Gegenstände, allerhand Seemärchen, fliegende Holländer und Ausblicke aus der Taucherkammer auf den See¬ grund seine Werkstätte verlassen, so wird das immer ganz glaubwürdig erzählt, bleibt Wyllie doch immer der aufs Sachliche gestellte Künstler.

Anders mit Whistler, der, obgleich auch er schon seit Jahrzehnten mitten im britischen Kunst¬ leben steht, doch eine ganz scharf umgrenzte Einzel¬ gestalt darstellt.

Ivs war sehr lehrreich , dies Jahr in München neben Whi.stlers reifen Arbeiten das Bild «Träumend» zu sehen, welches unverkennbar einer früheren Zeit angehört und es zu vergleichen mit seinen besten Werken : Dem schon 1873 entstandenen Bildniss des Carlyle und dem Hauptwerk dieses Jahres, jenem seiner Mutter. Der Ton der älteren Arbeit ist sehr

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Francis C. Jones. Ich spiele nicht mehr.

eigenartig, namentlich zeigt das Weiss einen Stich in’s Röthlichgelbe, der mich darauf schliessen lässt, dass von allen Künstlern der grosse englische Farbendenker George Frederick Watts auf Whistler den grössten Einfluss hatte. Jedenfalls spürt man an dem Werke nichts von französischen Künsten , von der Art des Glayre. Watts wird zu den englischen Praeraphaeliten gerechnet. Aber diese sind ihrem Ursprünge nach vor¬ wiegend Realisten der Zeichnung, Männer, welche das Erschaute mit möglichster Genauigkeit, genau bis zur letzten Rippe des Blumenblattes , bis zu jedem Faden des Gewebes darstellen wollten. Das hat Watts nie beabsichtigt. Ihm ist das Bild eine symphonische Farbendichtung, er ist einer der frühesten unter den modernen Lyrikern des Kolorits. Wenige haben ihn anfangs verstanden, aber bei den Künstlern wächst sein Ansehen Zusehens. Als sein gewaltiges Bild

«Hoffnung» vor einigen Jahren in München ausgestellt wurde, musste das Wort seines Eigners, Sir Leighton, es sei dessen herrlichster Besitz , ihm erst die Achtung schaffen , welche es verdient , aber den deutschen Kritikern nicht abzugewinnen vermochte. Heute würde man es schon um seiner selbst willen zu schätzen wissen.

Whistler stand früh den Praeraphaeliten nahe. Er war es, der in dem kostbaren Wohnhause des Mr. Ley- land das berühmte « Pfauenaugenzimmer » ausmalte , in welchem die herrlichsten Werke der Schule und ihrer Vorgänger aus dem 15. Jahrhundert bis vor Kurzem vereinigt waren. Und doch ist er es wieder , der gegen den ästhetischen Vertreter jener Schule, gegen John Ruskin, den entscheidenden, dessen Einfluss nach so glänzenden Erfolgen brechenden Angriff machte, der zu¬ erst ein neues System in die englische Kunst brachte, ein neues Gefühl für das, was malerisch, was künstlerisch sei.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Whistler, der, je mehr ich die Entwicklungsgeschichte kr modernen Kunst kennen lerne, desto mehr mir als ncr der wichtigsten Merksteine einer neuen Zeit er- . ’neint. hat sich wiederholt als ein entschiedener Gegner .ies-cn ausgesprochen, was Ruskin Realismus nannte, •c.._en das rücksichtslose Wiedergeben der Gottesnatur so wie sie ist, ohne Auswahl, ohne Verschönerungs- \ersuche , in der Meinung, die Natur biete stets und allein das Gute. Schöne. Auch hierin folgte Whistler den Anschauungen Watts, welcher erklärt hatte, wahre Natur sei in unserer verfeinerten und verderbten Welt nicht zu finden, müsse daher vom Künstler erst neu gescharten werden.

Die Natur», sagte Whistler, «birgt in Farbe und Form den Inhalt aller möglichen Bilder in sich, wie der Schlüssel der Noten alle Musik.»

Aber des Künstlers Beruf ist es», fährt er fort, diesen Inhalt mit \'erstand aufzulesen, zu wählen, zu \ erbinden , damit er das Schöne schaffe wie der Musiker die Noten vereint und Accorde bildet, aus dem -Mi.ssklang ruhmreiche Harmonien hervorfordert. »

.Selbst dass die Natur immer ein richtiges Bild gebe, ^elb-t dies nennt er eine im künstlerischen Sinne völlig irrige Behauptung. «Die Natur ist so selten richtig, d.iss man meist sagen kann, Natur sei gewöhnlich falsch: das heisst, die Beschaffenheit der Dinge, welche den vollendeten, eines Bildes würdigen Einklang her- \'-rbringcn soll, begegnet uns sehr selten; sie ist keineswegs gemein. F2s gelingt der Natur selten, ein Bild zu ;schaffen. »

Nach alledem scheint es, als wenn Whistler zur alten idealistischen .Schule zurückzukehren gedenke. Seine .schild'-nmg eines unmalerischen Naturanblicks erscheint wie ein .\ngriff auf die englischen Landschafter des Pr.!- raphaelismus . wie zum Beispiel der treffliche John Brett einer i ä

I fie Sonne brennte, sagt er, «der W'ind weht vom

.1 ten, rh r Himmel ist wolkenlos und alle Dinge stehen

t e-nri ' n da. wie aus käsen. Die h'enster des Cristall-

'Tt -nnt man deutlich von allen Theilcn Londons . .'onnt.i , Spaziergänger freuen sich des herr-

■r I und der Maler geht abseits und schliesst

\\ i'' edten h-r Künstlerblick verstanden und wie ( elv-r‘ am d. Zu'.illit c in der Natur als das hirhabene cn'-n men wird, & mag man an der unbeschränkten.

täglich erneuten Bewunderung für den unbedeutendsten (a very foolish) Sonnenuntergang erkennen. Die Grösse eines schneebedeckten Gebirges verliert sich mit der Klarheit: Aber es ist der Spass des Bergfexes, wo¬ möglich von unten den Besteiger auf der Spitze zu erkennen : Den Wunsch zu sehen, blos um zu sehen, will die Menge befriedigt haben ; daher ihre Freude am Detail 1 »

«Doch wenn der Abendduft die Ufer dichterisch umschleiert und die kleinen Häuschen sich in einem weichen Nebel verlieren, die niederen Schornsteine wie Glockenthürme, die Speicher wie Paläste in die Nacht emporwachsen, die ganze Stadt mit dem Himmel ver¬ knüpft und Geisterland vor uns eröffnet wird dann eilen die Spaziergänger heim, der Arbeiter wie der Gebildete, der Reiche und der Vergnügungssüchtige hören auf zu verstehen, weil sie auf hören genau zu sehen. Die Natur aber, welche nun in Tönen zu uns redet, bringt ihr schönstes Lied dem Künstler allein dar, ihrem Sohn und Meister ihrem Sohn, weil sie ihn liebt, und ihrem Meister, weil er sie kennt. »

«Für ihn sind ihre Geheimnisse entwirrt, für ihn ist ihre Unterweisung nach und nach eine klare ge¬ worden. Er sieht auf ihre Blumen nicht durchs Ver- grösserungsglas, um botanische Beobachtungen zu machen , sondern mit dem Blicke eines , der in ihr die feine Auswahl glänzender Farben und leuchtender Töne erkennt, Anregungen künftiger Harmonien. »

«Er giebt sich nicht zwecklosem, gedankenlosem Nachahmen jedes Grashalmes hin, sondern er lernt aus der gestreckten Kurve eines kleinen Blattes, dem straffen kleinen Stiel, wie Anmuth und Würde sich eint. Stärke die Zartheit vermehrt, damit endlich ein wahrhaft ge¬ schmackvolles Kunstwerk entstehe. » *)

*) «That elegance shall be theresult», sagt Whistler. Was ist Elegance? Sicher nicht das, was das Wort ursprünglich in sentimen¬ talem Sinne bedeutet, die Fähigkeit, elegischen Stimmungen sich zu er- schliessen, elegische Dichterwerke zu schaffen oder zu verstehen. Sicher auch nicht, was wir unter Eleganz verstehen, und was nicht viel mehr ist, als das Geschick, sich gut anzuziehen und die gesellschaftliche Form gut zu wahren. Soll Eleganz das Ergebniss der Kunst sein, oder Nettigkeit, Zierlichkeit, Feinheit, Geschmack? Diese Worte alle übersetzen nicht, was Whistler will. Ich wüsste ein Wort, welches es thäte : Hübschheit. Freilich ist der Begriff hübsch bei uns heruntergekommen dahin, dass er soviel gilt wie «fast schon». Das Wort stammt von «höfisch» und bezeichnete einst Alles, was den Stätten höchster Bildung angemessen war. Unsere demokratisirende Zeit wird allerdmgs nicht zugeben wollen, dass alle Kunst, um echt zu sein, höfisch, aristokratisch werden müsse!

DIE KUXSr UNSERER ZEIT.

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«In dem gelben Flügel eines Schmetterlings mit seinen zarten (3range-Flecken sieht er vor sich stolze Hallen in reinem Gold mit ihren schlanken safranfarbigen Pfeilern. Er ist durch sie darüber belehrt, wie die zarte Zeichnung hoch oben an der Mauer in den feinen gelb¬ lichen Tönen und am Sockel in solchen von schwerer Färbung gehalten werden muss. »

«Hier findet er die Zartheit und findet liebliche Winke für seine eigenen Gestaltungen; und auf diese

stehen ihm bei und staunen und erkennen , wie viel weiter die Schönheit der Venus von Milo als jene ihrer eigenen Eva reicht!»

Das sagte Whistler vor einer ausgewählten eng¬ lischen Gesellschaft im Jahre 1885. Viel früher schon hatte er es malerisch empfunden und ausgedrückt. In der für die englische Kunst so bemerkenswerthen Gros- venor-Exhibition von 1877. jenem ersten Auftreten einer neuen Kunst neben dem der veraltenden Akademie, er-

U'illiaDi Merrit Chase. Eine Parkszene.

Art wird die Natur zu seiner Quelle und ist sie ihm stets zu Diensten. Alles Unwürdige weist er von sich. »

«In seinem Hirn klärt sich der verfeinerte Duft der Gedanken ab, welcher von den Göttern ausging und die sie ihm hinterliessen, damit er sie zu Ende führe (which they left him to carry out). »

«Lasst ihn ihr Werk vollenden! Er wird jenes wunderbare Ding erzeugen , welches man ein Meister¬ werk nennt. Dies übertrifft in seiner Vollendung alles das, was jene in der Natur ersannen. Und die Götter

schien der Meister schon in seinen wunderbaren Werken : «Nachtstück in Schwarz und Gold»; oder «Harmonie in Blau und Silber»; oder «Arrangement in Braun»;

Variation in Fleischton und Grün». Und das sind dann Bildnisse von Menschen oder Landschaften oder ein Stück Architektur irgend etwas Körperliches aus der Natur als Unterlage für die mit erstaunlicher Fein¬ heit empfundene Stimmung. In der Farbe, oder richtiger im Ton liegt die Kraft des Malers. Es ist kein Zufall, dass er ein Meister der Aetzkunst geworden ist. in der er mit einigen Linien und völliger Beherrschung des

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DIE KUNST UNSERER ZEH'.

r=.i'.cs in höchster Abklärung- eine Welt von Licht, von Stinmuin„. \on Poesie auszudrücken vermag.

Und da muss man denn sehen, welcher Ernst und welche Kraft in \\’histlers Malerei durch die vorwiegend s_\-mi'*honische Auffassung der Farbenwerthe kam. Das, was in den Arbeiten \-on Millet und Daubigny noch gebunden und vorbereitend auftritt, nämlich die rein dichterische, die Natur frei ausgestaltende Auffassung der Heleuchtungswerthe, das wird bei ihm beabsichtigtes, klar gewolltes Künstlerthum. Namentlich im Bildniss wird er zu einem der grössten Künstler. Als ich in (Easgow, aus den Werkstätten der jungen schottischen Maler kommend , in einer Ausstellung vor Whistlers wunderbar tiefes und mächtiges Bildnis des Carlyle trat da begriff ich die Begeisterung jener für den Amerikaner und erklärte sich mir mit einem Blicke, wie tiefgehend de.ssen Einfluss auf das moderne Schaffen ist. h> hat den Realismus gebrochen, das heisst, er hat die Maler davon abgebracht nur die Natur zu malen, die Wahrheit zum Selbstzweck zu erheben. Er ist dabei aber das vollendete Erzeugniss der realistischen Schule. Uhnc diese, ohne die kühnste, klarste, sicherste Lo.s- reissung von aller alten Kunst wären er und sein Schaffen nie und nimmer möglich gewesen. Aber er hat die gefundenen koloristischen Werthe frei zu ver¬ wenden gelernt. Seine Bilder sind losgelöst von aller zeichnerischen Auffassung, sind rein malerisch geworden. Hierin geht er weiter als Rembrandt, an dem er vor .Allem liebt, dass er «das Schöne in allen Lagen und Zeiten mchte und fand, da.ss er Grö.sse und vornehme Würde im Amsterdamer Judenviertel sah und nicht klagte, da.ss dort keine Griechen wohnen. » Die alten Schulen sahen den fiegenstand und gaben ihm ein koloristisches Kleid Whi''tler sicht die Farbe und legt ihr einen Gegen- tand unter. Die Menschen, von welchen er ein Bild gibt, erscheinen ihm als l'arbcngruppcn, nicht als Linienzu sanimenstellungen. Ifr malt die Tonwirkung, die ■ie in ihm erwecken und trifft sic dadurch .sicherer als m. 11' her brave Zeichner. Denn wir erkennen den '•h n h'M' von ferne nicht an den Einzelheiten seines Ge i' :ht '^mdern an den Massenverhältnissen in seinem Kripf. '-mem K'irper. Das wusste und sprach schon zu 1-n'L' Ic vr)rigen Jahrhunderts der deutsche Bildhauer .Tth. dow au: ..pater vergass man diese Wahrheit und

liat e- mit dem Niedergang der Bildnissplastik büssen müs 'Ul die im Kleinen genau, im Grossen unwahr wurde.

Es ist etwas Gewaltsames in Whistlers Auftreten. Mit Kopfschütteln sieht der altgläubige Kunstfreund dessen «Schmierereien»; da er den Faden der Umrisslinie nicht findet, vermisst er clie Zeichnung; er sieht nicht die Bewegung im Bild, und wenn ihm schon recht ist, dass bei einem bewegten Rad das Blitzen der Speichen ge¬ malt wird, nicht etwa die Erscheinungsform, welche die Momentphotographie hervorbringt, so muss der Mensch nach seiner Meinung im Bilde doch still stehen. Hat er’s doch in zahllosen langweiligen Sitzungen beim Portrait- malen an sich selbst schaudernd erfahren. Aber der koloristisch Gestimmte sieht gerade in der Bewegung den entscheidenden Fluss der Linien, die ächte Leben¬ digkeit der Erscheinung. Er will den Menschen, nicht seine Salz.säule. Der Mensch zeigt ja sein Leben durch Bewegung ! Und Bewegung äussert sich im Verschwimmen des Umrisses. Die Speichen eines Wagens müssen blitzen , soll er als fahrend erscheinen, der Mensch muss sich bewegend im Bilde erscheinen, soll er leben! das ist Whistlers malerische Logik. Im Ton hat Whistler längst die hellen Kampffarben aufgegeben. Er sucht Tiefe in der Farbe, Farbe in der Tiefe. Die Feinheit der koloristischen Abstufungen seiner Bilder ist ausserordentlich. Durch das ganze neueste Kunstschaffen geht, nachdem das Erstaunen über die Lichtentdeckungen der Franzosen überwunden ist, ein Streben koloristischer Art. Man blickt in das Halb¬ dunkel und sucht in ihm die gesteigerte Farbe. Man kämpft um neue für die Malerei zu erobernde Reiche in der Natur. Die Schatten sind nicht schwarz, sie sind nur voller im Ton; das Licht ist wohl in der Sonne weiss, aber es gibt im Waldesdunkel, im Mondschein, im dämmernden Raume auch ein Licht, welches leuch¬ tend farbig ist. Dies Licht entzückt den Amerikaner, dies lässt er um die leicht bewegten, in ihren Umriss- linien daher verfliessenden Gestalten spielen. Das ist neue Kunst, eine Kunst ohne geschichtliche Vorgänger. Mögen sie kommende Zeiten achten oder verwerfen, diese Kunst gehört rein der unsrigen an ; das was wir so lange in Europa ersehnten, ein Schaffen lediglich mit dem Blick nach vorwärts, ohne stilistische Hintergedanken, ohne Umsehen nach weit entlegenen Vorbildern hier haben wir es in starken männlichen Zügen vor uns. Die Zeit der Nachahmerei ist durch den Naturalismus überwunden, dieser beginnt kräftig zum Stil sich zu ent¬ wickeln : Es gibt einen Stil unserer Zeitl

DIK KUNST UNSERER ZEI T.

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Zur Theilnahme an dem Marsch in die neue Welt der Kunst haben die Amerikaner sich sofort muthig entschlossen. In ihm äussert sich geradezu der Kern ihrer Kraft. Es ist lehrreich, ihre Vorführungen auf den Weltausstellungen zu verfolgen. Im Jahre 1S55 waren sie noch unfähig zu selbständigem Auftreten, 1 867 füllten sie einen mässigen Raum nur zum Theil, 1878 begannen sie Aufsehen zu erregen, 1889 war ihr Saal einer der beliebtesten in Paris. Damals wog noch der Ton der Holländer in diesem vor, wie ihn Hitchcock vertrat. Dieser hatte kurz vorher mit einem Bilde grossen Erfolg gehabt, das ein junges Weib inmitten einer Tulpen¬ anpflanzung darstellte, in dem also die Ueberwältigung der grösstmöglichen Earbenbuntheit durch den Sonnenton aufs Programm geschrieben erschien. P> war eben mit G a r i Melchers in Holland gewesen und hatte Mesdag beim Malen fleissig über die Schulter gesehen. Dort hatten sie gelernt, was ihnen vorher weder in der Londoner Southkensington - Schule , noch im Atelier Julians in Paris gesagt worden war, dass Holland das harmonischste aller Länder der Welt sei, nie hart in Sonne oder Schatten, immer ein Bild hinsichtlich der köstlichen, alle Gegensätze mildernden Harmonie des Tones. Und sie malten Holland: Dünen und holländische P'rauen, das Land in seiner durchaus nicht «pittoresken» Natur, sie malten es anders wie Andreas Achenbach, nicht Seestürme, alte Hafenbauten und gewaltige Wolken¬ ballen, sondern mit dem Blick auf die Düne, auf die geradlinige, abwechslungsarme Ferne: denn nicht der Gegenstand beschäftigte ihre Phantasie , sondern das Licht, die Sonnennebel, der silberne Ton durchfeuchteter Meeresluft.

Und dann, als Melchers «Lootsen» 1890 in Berlin auftauchten, da zeigte sich mir, dass auch unter den in Holland angeregten Amerikanern die Erkenntniss durch¬ gebrochen sei, der weisse Sonnenton sei nicht der allein malenswerthe. Da war eine Feinheit der blaugrünen Reflexe in dem von ihm geschilderten, farbig ausge¬ statteten Raum, welche zeigte, dass hier ein mit feinsten Organen ausgestatteter Mann auf rechter Fährte sei.

Nicht minder tritt dies bei Sarg ent hervor. Der Rivale des Bastien-Lepage in der rücksichtslosen Wieder¬ gabe weissen Lichts, der Künstler, welcher einst als Hellmaler den Sturm der Entrüstungs-Eifrigen auf sich lenkte, dessen Bilder voll waren von kecker Kampf¬ stimmung, der dann in der Ueberwältigung der Farbe

durch den 'l'on schwelgte, er ist so still und ruhig geworden wie ein «Alter». Es wird vielleicht deutsche Ae.sthetiker lachen machen aber es ist aus dem Munde dieser Maler selbst wiederholt bekundet: Sie lieben vor Allem Sandro Botticelli! Auch sie halten sich, wie Overbeck und Rossetti, wie Hippolyt I-'landrin und Puvis de Chavanne für '< Praeraphaeliten » , das heisst für Leute, welche mit ihrer Kunst dort beginnen, wo Rafael begann, nicht dort, wo dieser endete. \^on der reinen Unbefangenheit aus ging der göttliche Urbinate seinen Weg wir folgen seinem Geiste, indem wir unserer Zeit und Natur gemäss ebenso selbständig einen anderen gehen! So etwa lautet ihr malerisches Glaubensbekenntniss. Vor einigen Jahren noch galt es, seine Berechtigung zu vertheidigen, jetzt gilt es schon, zu zeigen, welche Früchte es zu bringen vermag. Und seit der Goldton» der Alten glücklich überwunden und die « Schönheit der Zeichnung hinfällig geworden ist, beginnt die un¬ mittelbare Wahrheit in Farbe und .Ausdruck wieder sich zu einer stilistischen V^erfeinerung abzuklären, die in der Schönheit und Tiefe des Tones sich gipfelt.

In Alexander Harrisons ausgezeichnetem Bilde «Sumpf» spielt dieser neue Ton in hoher Feinheit und mächtiger Kraft um Wald und Bach. Schilf und gurgelnde Wasserwirbel. W. Thomas Dewing, einst ein Schüler Boulangers und Lefebvres, lässt m seinem schönen Bildniss einer jungen Dame die gleiche malerische Richtung erkennen. Mehr noch spielt sie um sein wunderbar feines Bild «Musik». Ich möchte glauben, dass Dewing der Schotten Orchardson und Sir Fettes Douglas Werke studirt habe , ehe er dies auf kleiner Fläche merkwürdig raumgrosse Gemälde schuf. Denn diese eigenthümliche Kunst sah ich kaum bei Anderen so hoch entwickelt. Aber zu deren koloristischer P'einheit brachte der New- Yorker Künstler noch eine berückende Kraft, einen Vollklang des Tones, der spezifisch ameri¬ kanisch zu sein scheint. In Berlin sah man ein Bildniss von Marr in entzückender Tontiefe es war noch fast das einzige Bild dieser Art in der letzten Ausstellung und wurde von Wenigen verstanden und gewürdigt. Mächtig wirkte auch des in Cincinati und 1879 in der Schule des Duvaneck in Florenz gebildeten Julius Rolshovens «xAve Maria»: Ein Mädchen hingesunken in dämmernder Anbetung , oder sein « Dogenpalast in Chioggia». Was doch Verschiedene im gleichen Land sehen? Ulrich die Sonne, die bunte Vielfarbigkeit, die

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

lilitzeriKlo Fröhlichkeit der Lichtspiele; Rolshoven den Ton. mächtige grüne, blaue Reflexströme, dunkelen, Ricrlichen Ernst! l"nd beide sind Realisten! Und beide sind voll Stil!

Als der stärkste Genosse des Whistler stellt sich aber auf der Münchener Ausstellung William Merrit Chase dar. Chase war 1872 bis 1878 Schüler Pilotys und hat eine Anzahl Bilder gemalt , denen man diese Eigenschaft sehr deutlich anmerkt. Was er jetzt schaftt, seitdem er in XewA'ork lebt , zeigt ihn völlig aus der alten Lehre herausgewachsen. Da ist eine Feinheit der Empfindung für Tonwerthe. eine Klarheit in dem fest erstrebten Ziel, eine Intimität für das lAfassen der Be¬ wegung, eine durchaus eigenartige Kraft der Farben¬ gebung. welche deutlich lehrt, dass es da drüben in .\merika doch Leute giebt , die ihre eigenen Wege wandern, unbekümmert um jene, welche in Europa eingeschlagen werden.

Wie bei den meisten dieser modernen Künstler ver¬ lieren sich hier ganz die alten Gattungsbegriffe, welche man sich einst abtheilte. Ist Chase Genremaler? Wohl -chuf er ein.-t ein Bild. :< der Hofnarr », welches ihn als solchen im deutschen Sinne erkennen lässt. Aber bald folgten Landschaften und Bildnisse, Darstellungen aus

allen malerischen Gebieten. Was der Maler sieht, muss er auch malen können, heisst eben die Losung! Und Chase sowohl als seine Freunde können es: Wer in München das kleine Bildniss «Meditation» .sah, wer in die bunte, sichere und doch so wohl abgewogene Dar¬ stellung sich gründlich vertiefte, wer dann die Parkscene daneben hielt, der sieht, dass hier die Kunst zu einer hohen Abrundung gelangte, dass sie eine vollendete ist, wenn anders Vollendung in der Kunst das Erreichen des vorgesteckten Zieles heisst.

* «

Mit Achtung folgen wir den Vorgängen in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. In der Kumst herrscht zwar ununterbrochener Kampf. Sie ist ein Ringen ohne Ende, ohne Hoffnung auf endgiltige Siege. Dafür gewährt sie aber die Freude , dass man sich in ihr an fremden Thaten neidlos zu erheben vermag.

Es wäre Thorheit, zu sagen, die Amerikaner seien im Begriff, Europa zu überflügeln. Sie sind aber im Begriff, neben Europa selbständig und eigenartig sich zu entwickeln. Das ist für sie und für uns das Wichtigere. Mögen sie das Bild der Weltkunst immer reicher ge¬ stalten helfen, indem sie mehr und mehr die Kraft zum P'ortschreiten in sich selbst suchen !

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Leopold Carl Müller.

EIN KÜNSTLERBILDNIS NACH ERINNEKUNCiEN UND BRIEEEN

VON

GEORG EBERS.

Leopold Carl Müller.

Die Kunst spricht eine eigene, der ganzen Mensch¬ heit verständliche Sprache. Sie wendet sich nicht an ein Volk, sondern an die ganze der Kultur erschlossene Welt. Die Würdigung des einzelnen Künstlers ist aber oft genug von gewissen äusseren Grenzen umhegt, wenn unsere Zeit des Verkehrs diese auch recht weit zu ziehen pflegt.

Als es vor wenigen Monaten hiess, Leopold Carl Müller sei todt, empfand in Wien und in Oesterreich, was nur ein offenes Auge und Herz für die Kunst be¬ sitzt, die Schwere dieses Verlustes. Auch noch in München, wo er mancherlei ausgestellt und ihm eines seiner Gemälde die goldene Medaille errungen hatte, beklagten ihn viele; in Norddeutschland war er dagegen

nur den Kunstgenossen und E'reunden bekannt gewesc.i. Das grössere Publikum, das von seinem zu frühen Lndc hörte, wusste mit seinem Namen nur selten eine feste Vorstellung zu verbinden; denn es hatte meistentheils nur Zeichnungen von ihm gesehen , die , mit anderen vermischt, in dem gleichen Werke erschienen waren, und es gibt ja da der «Müller» viele.

Aber auch in seiner Ileimath Wien waren die ausser¬ halb der Kreise der Maler stehenden Kunstfreunde nur selten dazu gekommen, sich an einer seiner Schöpfungen zu erfreuen. Wohl besitzt die k. k. Akademie in dem grossen «Markt in Kairo» eines der besonders in kolo¬ ristischer Hinsicht vollendesten Gemälde Müllers, und sein letztes, ein arabischer Gaukler, ward für den Baron Königsvvarter (gleichfalls in Wien) gemalt; in den Aus¬ stellungen pflegte man jedoch vergebens nach einem seiner Werke zu suchen. So kam es, dass er auch in der Heimath weniger allgemein bekannt wurde als irgend ein anderer Meister, dessen Gemälde auf den Welt¬ ausstellungen die höchsten Ehren und auf dem Markte die ansehnlichsten Preise errangen. Kr hat das auch selbst gefühlt und bedauert; da aber Oesterreich und Deutschland in der äusseren Werthschätzung seiner Gemälde weit hinter England zurückblieben, musste er ihm die meisten überlassen. Von der Zeit seiner vollen Reife an war es besonders der Kunsthändler Wallis, der schon auf die halbvollendeten Schöpfungen Müllers die Lland legte und sie dann nach London führte, wo sie meistentheils die Häuser reicher Privatleute dem Blicke der Kunstfreunde entziehen.

Die Mehrzahl der Bilder aus den Meisterjahren des Verstorbenen behandelt morgenländische Stoffe, und sie fanden unter den Engländern, die in näherer Fühlung mit dem Orient stehen als jede andere Nation, eine um so höhere Werthschätzung, je glücklicher Müller jede Regung des ihm tief vertrauten orientalischen Lebens

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

wiederzugeben verstand. Die Kuii'tkenner in Grossbritannien sahen in ihm vielleicht den vorzüg¬ lichsten Orientmaler unserer Zeit, und wer die Blätter studiert, die hier wiedergegeben werden sollen und sich dazu in das Wiener Ge¬ mälde des uns beschäftigenden Künstlers « Markt in Kairo » ver¬ senkt, der wird ihnen Recht geben müssen.

Doch es ging mit Müller nicht nur ein grosser Meister auf einem interessanten Gebiete der Malerei , sondern auch ein Mensch dahin, in dem sich die besten Eigenschaften des Mannes \ ereinten. Sie gewannen ihm Herz und Geist der Freunde und wurden geadelt von der seltenen Gabe, die die Unsterblichen nur den lElclsten unter ihren Lieblingen gewähren : jenes menschliche und doch göttliche, schwer zu ver¬ kennende und noch schwerer

definirbarc Etwas, das den genialen von dem talentvollen Menschen und Künstler unterscheidet.

Die Gemälde des Freundes einer kritischen Würdig¬ ung zu unterziehen, steht mir nicht zu. Ne sutor supra creihdam ! Andere, Berufenere, reichten ihm längst di-n Lorbeer, und eine spätere Zeit wird, denke ich, dem bescheidenen .Meister, dessen Gesamtthätigkeit zu überblicken so schwer ist, eine noch höhere Stellung unter den Malern seiner Epoche anweisen.

Den Bildern, für deren mustcrgiltige Reproduktion der I lerau.sgcbcr Sorge trug, überlasse ich es, für den Kl ns tl er Leopold Carl Müller das Wort zu führen. Wa den .Menschen angcht, bleibt cs mir erspart, mich Inr* h eine eingehende Würdigung seiner l'dgenscliaften ü m \’crdachte auszusetzen, dass es nur der h'reund 1 d'-r hier am Grabe des l''reunde.s Weihrauch ver- r'-i'iU; denn auch die mitzutheilenden Abschnitte aus den theil: an die .Seinen, theils an mich gerichteten I'riefen werden dem Leser gestatten, sich eine Vorstellung \ 'n dem inneren liein und Wesen ihres Schreibers zu bilden.

Ausgestopftes Krokodil über der Thüre eines Hauses in Kairo.

Die einzige Stelle, an der sich unseres Wissens viele (einige vierzig) ausgeführte Kompositionen Müllers zusammenfinden sie beziehen sich grösstentheils auf das Volksleben am Nil ist das bei Eduard Hallberger erschienene Prachtwerk « Aegypten in Bild und Wort» , wozu ich den Text schrieb.

Ihm danke ich die Bekannt¬ schaft mit dem Wiener Künstler, und auf dies Werk bezieht sich ein grosser Theil des Inhaltes der an mich gerichteten Briefe. Es ist darum nöthig, ihm und seiner Ent¬ stehung einige Worte zu widmen.

Die hervorragendsten Maler in Deutschland und Oesterreich ich nenne nur Gustav Richter, Gentz , von Lenbach , Makart sowie meine englischen Freunde L. Alma Tadema und Frank Dillon hatten mir Beiträge ver¬ sprochen oder gegeben.

Unter Tausenden von Skizzen und Bildern in jeder Ausführungsart hatte ich zu wählen, und doch fehlte eine lange Reihe von Darstellungen der wichtigsten Szenen aus dem morgenländischen Leben , ohne die das Werk, das nur Originale der berufensten Maler bringen sollte, unvoll¬ ständig geblieben wäre.

Da galt es Aus¬ hilfe schäften und einen Künstler an den Nil schicken, von dem wir erwarten durften, dass er das Bestellte in unserem Sinne , das hei.sst in künstlerischer Vollendung herstellen werde.

Ich wusste auch schon wen; denn im Winter 1875 76 waren Makart , v. Lenbach,

Phantasiegemälde eines arabischen Künstlers über der Thür eines Kaffee¬ hauses in Kairo.

IHK KUNS'r UNSERER ZEIT.

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Vater und Sohn.

Auffassung' und die ernsteste Sorgfalt in der Wieder¬ gabe aus. Seine Bilder aus dem Kairener Volksleben waren ausser mehreren Gentz’schen die ersten , die mir völlig genügten und die besonders auch die Hand eines vollendeten Zeichners verriethen. Ich hatte nur wenige gesehen, doch jedes bewies, dass ihr Schöpfer den Orient durch und durch verstehe und dass sein Können genüge, aus jedem ihm zusagenden Motiv ein Kunstwerk zu gestalten.

Ich verdankte die Kenntnis dieser Arbeiten dem Architekten Gnauth, der eben zum Direktor der Nürnberger Kunstgewerbeschule berufen worden war. Diesen ideenreichen, feinsinnigen Künstler hatte Eduard Hallberger gewonnen, um die Wiedergabe des Bildermaterials in Holz¬ schnitt zu leiten. Keiner durfte als vollendet in die Druckerei gehen , dem er nicht das «Placet» gegeben, und der Verleger hatte später oft genug den Kopf zu schütteln, wenn für das Laienauge recht wohl gelungene «Stöcke» durchstrichen oder mit der Be¬ merkung « Holzhackerei » nach Stuttgart zu¬ rückgesandt wurden. Trotzdem machte dieser wahrhaft grosse Geschäftsmann nicht einmal den Versuch, einen der Verurtheilten zu retten.

Gnauth bezeichnete die Idee, Müller zu gewinnen , als « die glücklichste unter allen denkbaren», und Ed. Hallberger ertheilte mir die Vollmacht mit ihm zu verhandeln. Er be-

Gnauth, Huber fand sich damals in Venedig, und obgleich er sich gegen- und Leop. Carl über einem der besten Kunsthändler verpflichtet hatte Müller zusam- das Bild, woran er malte, bis im Oktober fertig zu men in Kairo stellen, enthielt seine Antwort auf meine Anfrage doch gewesen, und die Erklärung, dass er bereit sei in unserm Auftrag was mir von nach Aegypten zu gehen.

Arbeiten des Er war mir noch nicht persönlich begegnet, doch

Letztgenann- sein Brief steigerte mein Verlangen nach seiner Bekannt- ten aus jener schaft. Ich gebrauchte eben die Quellen des Württem- Zeit zu Ge- berger Wildbad, und d.a es mir darum unmöglich war sicht gekom- Müller in Venedig aufzusuchen, schlug ich ihm vor, ent- men war, weder in dem grünen Schwarzwaldthale oder in Nürn-

zeichnete sich berg , das ich auf der Heimreise nach Leipzig ohnehin durch die berühren musste, mit mir zusammenzutreffen, höchste Treue Nachdem er mir auseinandergesetzt, wie es sich mit

in der überall dem begonnenen Bilde und dem Kunsthändler verhalte, schliesst er den ersten Brief:

«Während ich hier schreibe, bin ich an der schwierigen Arbeit des Sichentschliessens.

«Soll ich das Bild erst fertig machen, wenn ich aus Egypten wieder zurück bin.'

Schwarzer Hausknecht, der die europäische Herrin auf den Markt begleitet.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Soll irh einpacken, nach Wildbad oder Nürnberg anmen. uni dann gleich weiter nach Kairo zu reisen.^ ,'t. W'er mir da." ."agen könnte!

Da." Knöpfezählen ist auch nicht die beste Me¬ thode. um zu einem \'ernünftigen Entschlüsse zu kommen ern.sten Fragen.

Mein Verstand sagt mir: Bleibe so lange in X'enedig, bis du das Bild fertig gebracht hast, und sollte das auch bis Mitte Oktober dauern. Du bist ietzt im Zuge mit dieser Arbeit, und da es ein venetianisches Bild ist, so ist es Dir doch leichter dasselbe in Venedig zu x'ollendcn statt in Wien , wohin du ankommst, die hanbildung voll, übervoll von den ägyptischen Ein¬ drücken 1

Doch, haben Sie schon einen wirklich Verliebten kennen gelernt, der seinem Verstand folgen würde :

Mein Herz, das zieht mich nach Kairo!

Ich komme entweder nach Wildbad oder nach Nürnberg. Was ist Ihnen lieber:»

Ich wählte Niirnberg; denn der Schluss des Briefes enthielt den Satz, dass Müller auch den «lieben sym- ]-athischen Gnauth gern Wiedersehen möchte.

Leider wurde dieser durch etwas Unaufschiebbares a!> gehalten, zu uns zu stossen : seine Wrmählung. Aber .Müller kam. und wir \erlebten mit einander unvergess¬ liche l äge in der ehrwürdigen, mir schon früh so lieben I iurerstadt,

IN war im Anfang des September 1877. Müller '.and damals in der Blüthe der Manneskraft; denn er hltc dreiundvierzig Jahre ; bei der ihm eigenen Leb¬ haftigkeit und jugendlichen l'rische war man indes \ rsucht . ihn für einen mittleren Dreissiger zu halten, hoch gewachsenen, damals noch etwas knochigen rinl beweglichen l\or])er krönte ein Kopf, den man unter vielen bemerkt haben würde; nichts in seinem \<‘u- 'Tcn hatte aber genöthigt, den Künstler in ihm zu erkennen; denn er trug das Haar kurz geschnitten, d;i . ra"irte w ohlgebildele Antlitz zierte nur ein :1 ' Irer blonder .Schnurrbart. Und doch! Welchem ' r- -t.in 'e hatte die."er ,Mann mit den jeden Augen- b' I. l.ten Zügen, auf denen fröhlicher Humor I,:!:,tc 'O schnell wechselten, angehören '11 - 1 .-tirn, die sich wulstig über der Nasenwurzel

' ■■’.io 1. m -i.inn al glatte, faltcnlose h'läche aufzusteigen, 1 'tu i ■' ii f .niicf:, ihn für einen denkenden Ge- ' )irt»-’n 7: lirdt ' , für aber trieb an Mund und Nase

der Schelm zu fröhlich , ja bisweilen ausgelassen sein Spiel.

Und dem Aussehen entsprach das gesamte Wesen des neuen Freundes. Meine Frau begleitete mich, und während wir uns bei Tisch, im Wagen oder wenn die Verabredung über das von ihm zu Schaffende zum Stillstand gekommen war , daheim unterhielten , riss uns seine Heiterkeit so unwiderstehlich mit fort , dass uns oft genug die Thränen über die Wangen liefen. Beim Gespräch über ernste Gegenstände und die Aufgabe, der er sich zu unterziehen gedachte , zogen sich dagegen die Muskeln auf dem Stirnhügel über der Nase zusammen, und bald gelassen, bald schwungvoll bewies er dann, mit wie reifer Ueberlegung er durchdacht hatte, was ihm zu leisten oblag, wie ernst er es mit der Kunst nahm, wie strenge An¬ forderungen er an sich selbst stellte und über welche Fülle von Kenntnissen er gebot. Schon am zweiten Tage liess er uns auch in sein Inneres schauen, und ein wie tiefes Gemüthsleben offenbarte sich uns , wenn er von den trefflichen verstorbenen Ivltern und lieben Schwestern erzählte.

Diese gestatten mir nach seinem Tode Theil zu haben an ihrem Schmerz und ergänzten in zuvorkommender Weise, was ich von dem Freunde zu wissen begehrte, theils durch werthvolle Notizen , theils durch bezeich¬ nende Schreiben. Zu diesen Quellen gesellt sich die grosse Zahl der schon erwähnten an mich gerichteten Briefe.

Halte ich das Alles mit den persönlichen Erinner¬ ungen an Müller und seine Werke zusammen, so er¬ gibt sich daraus ein Künstler- und Menschenbild , wie es freundlicher und ernster, arbeitsvoller und fröhlicher, bewegter und gesammelter , unermüdlicher in dem Streben nach immer höherer Entfaltung der ihm ver¬ liehenen Kräfte, liebreicher und williger zu fördern und zu beglücken kaum gedacht werden kann.

Leopold Carl Müller war ein Oesterreicher, und doch darf auch Sachsen ihn den seinen nennen ; denn er wurde zu Dresden geboren. Freilich gab die Mutter ihm nur auf einer Reise, die sie 1834 unternahm, in dieser Stadt das Leben. Der Vater war in Wien heimisch, und dort verbrachte der Knabe denn auch die gesammte Kindheit und Lehrzeit. Schon aui der Realschule, die er dort absolvirte, machte sich sein Talent in über¬ raschender Weise geltend. Jede Mussestunde widmete er dem Zeichnen , und früh schon brachte er es zu

Loop. C;irl Müller.

\}w,, -Ml

Palmenzweigverkäuterin auf einem arabischen Friedh'. fe

zu Kairo.

Alles ist eitel!

Leuchtluirni auf Ras et-Tin am Eingänge des Hafens von Alexandria.

\ om Schiffe aus gezeichnet.

Aus dem Trümmergebiete des alten Alexandrien,

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Mcher Fertigkeit. da.ss ihm der Vater gestatten konnte, ihm bei der Arbeit in seinem lithographischen Atelier behilflich zu sein. Als er später auf dem Technikum siudirte. und dem \Ater die lithographische Ausführung des artistischen Theiles von Tschudis Werk über Peru übertragen vorden war, machte es dem Sohne Freude, daran mitzuhelfen. Dabei trat hohe seine Be^abune in so augenfälliger Weise zu Tage, dass ihm gestattet wurde, das Fechnikum zu verlassen und dem heissen -Scelendrange zu folgen, sich mit voller Kraft der Kunst zu widmen.

Blaas war damals nach Wien gekommen, zog in dasselbe Haus, das die Müllers bewohnten, und vom achtzehnten Jahre an ward Leopold Carl sein Schüler. .Mit dem zwanzigsten trat er dann in die Meisterklasse, die der iiltere Rüben leitete.

In einem seiner Briefe schreibt er, dass er bei seinem Fintritt in ^ die Akademie schon recht gut gezeichnet habe. IT bekennt, dass er den Lehrern vieles verdanke, dass aber : das eigene Ausschauen, das Leben, das Sichs- sauerwerdenlassen auf eigenen Füssen und die Erkennt¬ nis.'^ dessen, was Kunst sei», ihm doch das Beste gegeben.

\’or mir liegt ein Blatt mit tabellarisch geordneten .\i)tizcn, die er. schon im Angesicht des Todes, nieder- schrieb. und dessen Benutzung mir seine Schwestern gestatteten. Ivs kann von grosser Wichtigkeit für den Kunsthistoriker werden ; denn er führte darauf gleichsam das l•'acit seines Lebens zusammen. Es lehrt, was er in jedem Jahre schuf, wo er sich aufhielt, was das Leben ihm an bedeutsamen ITeignissen brachte. Leider ist es mir hier versagt, ihm Schritt für Schritt zu folgen, es geht aber aus jenen Aufzeichnungen hervor, wie mächtig ihn, (len auf Reisen geborenen, das Wanderblut anfänglich von einer Stadt der österreichischen Monarchie in die

Nur wer sich zwischen den Säulen hindurchdrängen kann, darf auf das Paradies hoffen.

andere zog , wie er bald in Ungarn , bald in Böhmen, bald in Steiermark und am liebsten und häufigsten in Venedig die Stafielei aufstellte. Sie gestatten uns seinen Reisen durch Oesterreich und Italien und seinen Fahrten über das Meer nach Aegypten zu folgen, und staunend ersehen wir daraus, wie zahlreiche und grundverschiedene Stoffe seine Kunst sich zur Ausführung wählte.

Als zweiundzwanzigjähriger, lehrt das Gedenkblatt, ergab er sich den ersten landschaftlichen Studien, und im nämlichen Jahre zog er über München und Dresden nach Venedig, um dort einen Stoff zu behandeln, der vom Landschaftlichen wahrlich weit genug abliegt ; denn er vollendete das Gemälde «Friedrich der Schöne im Kerker». 1857 copirt er in Venedig alte Meister. 1860 verliert er die geliebte Mutter , und in den folgenden beiden Jahren finden wir ihn in Ungarn und sehen ihn Genrebilder malen, wie: «Bettelnde Zigeuner», « Fi.schende Knaben», «Mädchen mit Enten».

1 862 ward ihm auch der treffliche Vater entrissen, ein hochgebildeter kunstverständiger Mann. Die an ihn

''tras'-'^nhunde.

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gerichteten Briefe athnien die wärmste Liebe und be¬ weisen, wie schön der Sohn auf sein Verständnis rechnen durfte. Der junge Künstler berichtet ihm alles, von den erstaunlich billigen Preisen, die er in den kleinen un¬ garischen Städten für Essen und Wohnung zahlt, bis zu den politischen Wahrnehmungen, die er mit Humor, aber auch mit scharf satirischer Missbilligung wiedergibt.

Schon vor dem Ende des durch die letzte schwere Krankheit an jeder eigenen Thätigkeit verhinderten Vaters lässt er sich fest in der Burggasse zu Wien nieder und nimmt die Sorge für die F'amilie auf sich. Er widmet sich dort einer Auf¬ gabe, die ihm nicht nur viel einbringt, sondern , wie er mir selbst mit¬ theilte, seiner zeich¬ nerischen Fertigkeit ausserordentlich zu gute kommt. Das Witzblatt Figaro hatte ihn zum Illus¬ trator gewonnen, und es ist mir von Wienern versichert worden, dass man, so lange Müller an diesem Blatte thätig war, von Nummer zu Nummer seine mit dem frischesten Humor erdachten und künst¬ lerisch ausgeführten Bilder begierig erwartet habe.

Doch so bequem diese Thätigkeit ihm auch zu leben gestattete, liess er sich doch keineswegs an ihr genügen. Er malte vielmehr fleissig, und ausser zahlreichen Portraits zu denen ihm auch hervorragende Persönlichkeiten sassen , schuf der Vielseitige auch Gemälde wie das einer Ueberschwemmung und einer Prozession. Dazu fand er Zeit zu allerlei Reisen. 1867 ging er nach Paris , und wie fruchtbringend ihm der Aufenthalt da¬ selbst wurde, weiss ich von ihm selbst. Er ergab sich dort von Neuem mit so ausschliesslichem Eifer dem

Studium, dass in diesem einzigen Jahre keine selbständige Arbeit von ihm entstand.

Nach der Heimkehr fühlte er, dass die Verpflich¬ tungen, die ihn an den Figaro banden, ihn doch zu viele Stunden kosteten, die der Malerei hätten gewidmet werden sollen, und so entsagte er denn dem reichen und sicheren Gewinn und begann das alte Wander¬ leben von Neuem. Besonders gern er¬ zählte er von den Wintern, die er von 1870 an mit dem treft'lichen Pet¬ tenhofen im Palazzo Rezonico zu Vene¬ dig verlebte. Ein schönes von Liebe und neidloser An¬ erkennung gewo¬ benes Band ver¬ einte die Freunde. Sie lernten von ein¬ ander, und Müller vollendete damals eine Reihe der verschiedenartigsten Gemälde. Von Ve¬ nedig aus bereiste er auch das übrige Italien. Im Whnter 1872 kam er bis nach Sicilien. Auf all diesen Wanderungen blieb er im engsten Zusammen¬ hang mit den Schwestern daheim , und es ist rührend zu sehen, wie eingehend er sie in den an sie gerichteten Briefen an allem theil nehmen lässt, was ihm begegnet und ihm die Seele bewegt , obgleich die schon damals empfindlichen Augen ihm \’iel zu schatten machen und das Schreiben sie angreift.

Ich kann mir nicht versagen wenigstens von einem dieser Briefe eine Stelle mitzutheilen. Sie gibt ein tref¬ fendes Bild des empfänglichen Künstlers, dem es ge¬ geben ist, was ihm begegnet, nicht nur mit Stift und Farben, sondern auch in Worten anschaulich zur Dar¬ stellung zu bringen. Dabei fühlt man heraus, dass er sich an ein junges geliebtes Wesen wendet, dem er,

Fellaclienfrau mit ihrem Kinde auf dem Trümmergebiete von Alexandria.

DIE KUNST UNSERER ZEl'r.

IN

Verkäufer von gepressten Datteln,

walireiul er cs an der eigenen Freude theilnehmen lässt, auch die \'’’or.stellung zu bereichern trachtet. Spätere Briefe werden zeigen, dass es nur das Gemüth ist, dem die> Schreiben den naiv freundlichen Ausdruck verdankt.

lJu wirst bereits aus meinem Briefe an Eduard vernommen haben», schreibt er am 17. Dec. 1872 der kingsten Schwester aus Palermo, «dass es mir ausge¬ zeichnet gut geht, dass ich überglücklich bin, hier zu >ein und dass ich auch bereits zu arbeiten begonnen habe. Ich möchte Dir gern all die schönen Gegenden und Ihnge schildern, die ich auf meiner Reise nach .Sicilien gesehen habe, müsste jedoch dazu einen Brief ^clireiben. der so dick wertlen möchte, dass man ihn auf der Po^t gar nicht mehr annchmen würde. . . .

h." wird Dich intcressiren, dass ich den Vesuv be- Ticg'-n habe, und da wenige Reisende diese anstrengende Tour unternehmen, so will ich hier h'inige.s zum Besten <'bei. ,

Du hn-t auf Gemiilden den Vesuv schon o(t abge- lö' t pc-' hen und weisst, dass er ein ziemlich bedcu- »‘iv'.fir Ber'; ist. von dessen .Spitze eine Rauchwolke

rd t,

i' t man ihn von Neapel aus, wenn man am ll.if'U 'ij, - r .st.idt -pazieren geht. In der lachenden \c e ' t< hl dieser Gottseibeiuns und sieht so

aus der Ferne von duftigem Aether umgeben, mit dem silberweissen Wölkchen an der Spitze gar nicht bö.s- artig aus.

«Kommt man diesem Berge jedoch näher, dann gewinnt er ein ganz anderes Aussehen. Ernst, schreck¬ lich, fürchterlich diabolisch ist der Eindruck, den er dann macht. »

Das Bergansteigen über die Lavaschichten hin über¬ gehe ich, obgleich seine Beschreibung den meisten, die ihr vorangingen, an lebendiger Anschaulichkeit nicht nachsteht.

«Endlich», fährt er fort, «ist die Spitze erreicht.

«Man steht athemlos , schweisstriefend , todtmüde am Kraterrande, und dort wird Jeder für den Augenblick auf all diese Beschwerden vergessen, vor dem Schau¬ spiele, das sich hier vor seinen Augen entrollt.

«Aus dem Kraterrande ragen weise Felsen herauf. Schwefelgeruch erfüllt die Luft. Dünne weisse Rauch¬ wolken entsteigen ohne Unterbrechung der Tiefe , und dort und da schlagen Flammen aus der Asche und zwischen den Felsspalten hervor .

« Und wendest Du diesem fürchterlich grossartigen Schauspiele den Rücken , so siehst Du hinaus auf den

Händler mit unljenennbaren Waaren.

Mädchen aus Kairo.

(nleistiftzeicliming.)

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Leo}'. Cavl Müller.

Pltot F. Hmifstaenirl, München.

Trauernde Witwe

DIE KUxNS'l’ UNSERER ZEIT.

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Golf von Neapel, so sichst Du das herrliche blaue Meer mit den schönen Inseln Capri, Ischia und Procida, das herrliche Sorrento in der Ferne. Ausgebreitet liegt hier vor Dir die herrlichste lieblichste Landschaft mit der üppigsten Vegetation.

«Es ist ein nicht zu schildernder Contrast für das Auge, von dem rauchenden, schwarzen, giftige Schwefel¬ dünste aushauchenden Krater hinweg in dieses Paradies hinab¬ zuschauen. »

Sicilien, der Aetna, besonders Syracus wurden in ähnlicher Weise beschrieben. Wie lieb muss er die gehabt haben, denen er mitten im Genüsse und der Arbeit einen so grossen Theil seiner Zeit widmet, um sie an dem Schönen mit Theil nehmen zu lassen, das ihm selbst die Seele bewegt!

Die an mich gerichteten Briefe sind in einem anderen Tone gehalten. Der Mann wendet sich in ihnen an den Mann, mit dem er ein wichtiges Interesse theilt, den er über seine Thätig- keit auf dem Laufenden zu er¬ halten hat und dem er zu zeigen wünscht, wie er sich zu gewissen Fragen stellt, die jener in seinen Schreiben berührte.

Während eines ganzen Win¬ ters wechselten wir allwöchentlich Briefe. Nachdem wir in Nürnberg- Rath gehalten hatten, machte er den Vorschlag, mit Hilfe dieser Correspondenz unseren inneren Zusammenhang lebendig zu er¬ halten. «Nur so», schreibt er am 28. September 1877 aus Venedig, «werde ich meine Pflicht gegen Sie recht erfüllen können, werden Sie von meiner Sendung das haben, was Sie erwarten. Ich melde Ihnen, was mir an Stoffen begegnet und was ich zu zeichnen gedenke. Sie sprechen sich darüber aus und geben mir beiläufig zu wissen, was Ihnen Neues in den Sinn kam. So wird die Gemeinsamkeit der Arbeit gewahrt. Mir wird es sein, als gingen oder ritten Sie mit mir durch die Stadt

oder ins freie. Sie werden sich an meine Seite denken und mich hier anfeuern , dort mir abwinken können. Darauf unterrichtet er mich über den Lauf der Schiffe, macht den vortrefflichen Vorschlag, unsere Briefe zu nummeriren, damit der Verlust des einen oder anderen festgestellt werden könne, und spricht endlich die frohe Erwartung aus, dass bei diesem geistigen Beisammensein des Schriftstellers und Illustrators etwas Rechtes zu Stande kommen werde. «\'on manchem, wovon mir drüben (in Aegypten) die ersten Noten ans Ohr klingen, pfeifen Sie mir die ganze Melodie herüber, ich weiss es. v

Das Alles sagte mir aufs Beste zu, und es hat sich be¬ währt.

Er war kein Neuling im Morgenlande; denn er hatte schon 1873 Smyrna und Konstantinopel und in den drei folgenden Wintern Aegypten bereist und sich dort längere Zeit aufgehalten. Als besonders fruchtbringend und genussreich bezeichnet er den von I 875 76, den ermitLenbach. Makart, Huber und Gnauth in Kairo verlebte. Der entthronte Chediw Ismael , dessen guter Wille, sich förderlich zu erweisen, nie \-ersagte. wo er von Männern in Anspruch genommen wurde, die man ihm als Koryphäen der europäischen Wissenschaft oder Kunst bezeichnet hatte, war gern bereit gewesen, ihnen einen arabi¬ schen Palast zu uberlassen und ihnen zu gestatten, darin Ateliers einzurichten. Es war das ehrwürdige Mamlukenschloss, worin der Vicekönig das Licht der Welt erblickt hatte. Was Künstler binnen Kurzem aus Nichts herx orzuzaubern vermögen, sollte sich hier erweisen ; denn in wenigen Tagen verwandelten Müller und Makart leere Säle in kleine Heimstätten der Kunst, die das Entzücken der Besucher erweckten. Was sie vor¬ fanden, kam freilich ihrer dekorativen Aufgabe aufs Beste entgegen; denn die Fussböden waren «in den

t

Saiigbninnen in Kairo.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

silv-nsun .Marniorniosaiken ausgeführt» und von dem Saale, den er sich zur Werkstätte wählte, konnte Müller -einer Schwester Mali am 1 8. Dec. 1875 schreiben:

Ich habe mir einen Raum ganz reizend dekorirt. Dii Wände und der Plafond sind mit Holzschnitzereien bedeckt, die 200 Jahre alt sind, und nun habe ich 9 Teppiche gekauft und einige Einrichtungsgegenstände, Ich habe \ iel ausgegeben, komme mir aber jetzt dafür wie ein Pascha \or.

« Makarts Atelier ist beinahe so gross , wie jenes, das er in Wien hat. Er richtete es prachtvoll her .

Niemand ausser uns wohnt jetzt in dem Palaste. W'ir haben uns eine Menge Diener aufgenommen, auch einen Portier (einen schönen braunen Abyssinier), denn wir haben auch eine grosse Verantwortung, dass an dem Hause nichts geschieht. Dieser Tage gehe ich zum Polizeidirektor del Xegro, den ich gut kenne, und werde einen Wachposten verlangen, der immer vor dem Thore zu stehen hat.

E- macht , wie Du Dir denken kannst, kein ge¬ ringes Aufheben unter den Arabern, dass vier Europäer Herren dieses Palastes sind. Das Wetter hier ist immer herrlich , immer Sonnenschein bei wolkenlosem llimmcl Hier gibt es, Gott sei Dank, keinen Schnee! lA übcrläuft mich gruselig, und ich fühle eine Gänsehaut über meinem Körper, wenn ich an Wien denke. Ich weiss nicht, was geschehen müsste, damit ich wieder einmal einen Winter in Wden zubrächte!»

.Müller hatte eben mehrere Jahre hintereinander den Durst mit jenem Xilwasser gelöscht, das Champollion den < ’hampagner unter den Wassern » nennt, und das in jedem, der es trinkt, unauslöschliche Sehnsucht nach Ae:;y|)ten wach erhalten soll. Seiner nervösen Natur that die Wiirme der Palmenzone wohl, sein Auge und fjcmüth hatten ich dem Zauber des Morgenlandes ge- ‘•Tnet, und er war tiefer als viele andere in das Ecben der mu .limi' '-hen He\ ölkerung Aegy]hcns eingedrungen, weil f.r uT- wenige verstand , auch den gemeinen Mann ö li /i) ziehen. Der ihm eigene .Sjmachsinn hatte 1' er;,:_:tni .m.'i -äg schnell dahin geführt, arabisch zu ' 'T. unfl mit denen zu reden, deren Thun und

Ir-.'.”, ieren I .aiifl undl'mgebung er zum Gegenstand n^'' .:u'' ::iT und zum Objekt seiner Kunstübung

en eilt 1 . Wa schön oder charakteristisch ist im

' ’H st , ' t in; ihm o wenig wie das Ivrgötzliche. So Iv' w hl I-eir. : r - or ihm die Schmiererei eines seiner

arabischen Collegen über der Thür eines Kaffeehauses, das ausgestopfte Krokodil, das der Aberglaube über den Eingang eines alten Gebäudes hängte oder ähnliches wiederzugeben für werth der Mühe gefunden. Und der Oelhändler mit seinem rachitischen Jungen, der schwarze Hausknecht der seiner Herrin, einer europäischen Dame folgt, und aufgeblasen ihre Haltung nachahmt !

Der erste Brief, den ich aus Alexandrien von ihm erhielt, ward am 12. Oktober 1877 geschrieben. Ihm folgten andere vom 20., 28., 31. Oktober, 9., 17., 22., 28. November etc. aus Kairo. So treu hielt er an unserer Verabredung fest, so ernst war es dem Illustrator darum zu thun, mit dem Schriftsteller in engem Zusammenhang zu bleiben.

Als er am 12. Oktober 1877 in Alexandrien ein¬ traf, fand er die lange Reihe von Stoffen noch nicht vor, die ich auf seinen Wunsch dorthin gesandt hatte und die ihm zwei Tage später zuging. Das beweist die folgende Stelle aus seinem ersten Briefe :

«Vor einer Stunde hier angekommen, machte ich mich gleich daran. Ihnen zu schreiben. Den heutigen und morgenden Tag werde ich vorerst benützen, um die kleinen Illustrationen für die erste Lieferung zu skizzieren. Den Leuchtthurm habe ich gleich vom Dampfer aus gezeichnet. Am Sonntag gehe ich nach Kairo und führe dort die mitgebrachten Skizzen aus. . . .

«Ich erwarte nun von Ihnen, v. Freund, dass Sie mich in Kairo baldigst mit Aufgaben überschütten. . . .

«Ich bitte Sie also, mir recht bald eine recht grosse Anzahl von jenen Bildermotiven, die Sie wünschen, be¬ kannt zu geben, damit ich in der Lage bin, jede Gelegen¬ heit, die sich mir darin bietet, gleich am Schopfe fassen zu können. Was mir an interessanten Dingen, die sich gut illustrieren lassen, auffällt, werde ich dann auch Ihnen mittheilen.

«Entschuldigen Sie dies konfuse Geschreibsel. Es tanzt mir der Boden unter den Füssen, als ob ich noch auf dem Schiffe wäre, und die bunten Eindrücke auf der Fahrt durch die Stadt in’s Hotel haben mich ganz betrunken gemacht vor Freude. »

Kairo, 20. Oktober 1877. «Ich bin nun in Ordnung, mein Atelier ist eingerichtet, und die Arbeit kann los¬ gehen. Zwei Zeichnungen habe ich bereits beendigt, und zwar den Leuchtthurm von Alexandrien und eine andere, die Sie gewiss werden brauchen können. Ich habe nämlich ein maleri-sches Stück der alten Ring-

DIK KUNST UNSERER ZED’.

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mauer des antiken Alexandrien gefunden und die an Ort und Stelle entworfene Skizze getreu hier ausgeführt. » Dies schöne Blatt machte mir grosse Freude, denn es stellte etwas Intere.ssantes dar, das noch keinen Maler zur Nachbildung gereizt hatte.

In seinem Schreiben vom 28. Oktober geht er auf meine Gedanken über die für das alte Alexan¬ drien herzustellenden Illu¬ strationen ein. Er hatte es abgelehnt, sie herzustellen und mir am 30. September von Venedig aus darüber geschrieben; «Die meisten Illustrationen für das alte Alexandrien werden Zeich¬ nungen sein, bei welchen es sich darum handelt, dass derjenige , welcher sie ausführt, das alt¬ griechische und zum 'Fheil das ägyptische Kostüm so¬ wie die Architektur jener Zeit genau kennt. Ich habe nie etwas in dieser Richtung gemacht habe es mit gutem Willen und guter Absicht ver¬ sucht , und gesehen dass ich es nicht treffe.

Ich habe mich in Aegypten nur um die jetzige dort hausende arabische Welt gekümmert, die ich durch und durch kenne, und da glaube ich, wäre es weit besser, wenn Sie die Zeichnungen für das alte

.

Ziehbrunnen in Kairo.

Alexandrien einem andern übertrügen , der dieser Auf¬ gabe besser gewachsen ist als ich. »

Diesem Wunsche war ich sogleich nachgekommen, indem ich mich an Ferdinand Keller in Karlsruhe ge¬ wandt hatte, von dem ich wusste, wie wohl er sich mit dem, Leben , dem Kostüm und der Architektur des

hellenischen Alterthums bekannt gemacht habe. lir sagte zu, und Müller, dem für un>er Werk nichts gut genug war. und der hhnwand gegen die Mitwirkung manches wohlberufenen Meisters erhoben hatte, schrieb

darüber: Dass Herr

Keller die Illustrationen zum antiken Alexandrien ausfuhren wird, freut mich ; es war dieses eine glückliche Wahl.

ln meinem folgenden Briefe hatte ich einer Verschlimmerung meines Befindens erwähnt. Da¬ rauf bezieht sich der An¬ fang des folgenden Briefes vom 31. Oktober:

«Wenn man, 1. h'reund, noch so viel Humor hat. wie Sie ihn in Ihrem letzten Schreiben an mich zeigten, dann kann das Uebel ja nicht tief stecken, und in dieser meiner Hofihung freue ich mich auf den Tag. an dem wir einmal zusammen herumlaufen werden. In Kairo . in Wien oder gar Leipzig es ist ja einerlei wo! Ueberall wird es schön, vorausgesetzt. das> wir etwas in uns mitbringen, das erheitern und beleben kann ....

Mein Hausherr fuhrt einen wohl versehenen Keller auf Ihre bal¬ dige und vollständige Ge¬ nesung trinke ich öfters mit Bircher. der Ihre Werke kennt etc. manch volles gutes Glas.

« Die Zeichnung « Rast der Meccapilgerkarawane auf der Abbasieh», die eine lange und reiche Erzählung ist, betrachte ich als die weitaus beste Arbeit, die ich für das Werk bis jetzt gemacht habe. Mit einer der

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

notirten Send¬ ungen schicke ich Ihnen dann die Fortsetz¬ ung dieser Er¬ zählung, näm¬ lich die Schil¬ derung jener Theile des aus¬ gedehnten La¬ gers, auf denen man die Zelte des Führers der Karawane sieht , ferner die Tragbahre, in welcher der Teppich einge¬ schlossen ist, die militärische Eskorte etc. Während des dreitägigen La¬

gers der Kara- Nilme^cr. wane auf dem

Abbasiech war

ich natürlicherweise immer unter den Pilgern. Auf frischer Anschauung beruhen auch der Dattelverkäufer, die Hrunnenbilder . das Pad (ein reizendes Motiv) und die Händler mit den Waaren , für welche ich keinen

Namen wei-is.

Ich sah in alle seine 'küpfe , doch ich blieb so klug wie vrjrher.

Sic werden an den Zeichnungen sehen , welch grosser Unterschied zwischen den Sachen ist, die man im Atelier aus der Erinnerung zeichnet, und ienen . zu denen man an Ort und Stelle die Studien machen kann.

Leider ist der zweite 'J heil des köstlichen Lager- biMc' nie vollendet worden; denn schon im niichsten l’.riefe ^ah ‘'ich Müller zu schreiben gezwungen:

,\rht läge musste ich aussetzen mit dem Zeichnen, weil teil wieder Augencntzundung hatte.

E> ist noi h der alte Katarrh aus X'enedig, an dem ich leiflc.

Um mich zu heilen, gin.g ich in die Wüste und

brachte sechs Tage 'in Helwan*) zu. Ich befinde danach mich besser. Von dort aus machte ich eines Tages einen Ausflug nach den Apisgräbern. Ich habe eine Skizze von denselben und von Mariettes Haus gemacht.

« Als ich nach Sakkara ritt von Helwan aus und auf dem Damme, der zur Wüste führt, mich dem Wege näherte, der zur Stufenpyramide führt, sah ich ein Bild, das ergreifend schön war.

« Mit gellendem Schreien lief ein Mädchen von etwa i6 Jahren mir entgegen, das die Hände hoch in die Luft hielt und in denselben ihren Schleier flattern liess. Die schmerzlichen Ausrufe des Mädchens gingen mir sehr zu Herzen, und ich ahnte gleich, dass der Aermsten etwas Trauriges begegnet sein müsse. Und so war es auch. Als das hübsche Kind mir näher und näher kam, da vernahm ich die Worte, die es ausrief: Mein Bruder ist tot , mein Bruder ist tot 1 Ohne mich zu beachten, flog die Arme an mir vorbei, immer den Schleier mit beiden Händen hoch in der Luft haltend.

« Bald darauf brachten zwei Männer den todten Bruder. Es war ein hübscher Knabe, der vor wenigen Momenten noch gelebt haben muss; es waren selbstseine Hände noch warm.

«Ich versichere Sie, dass mir dies Bild unvergess¬ lich bleiben ward, so schön w'ar es. Die schöne Silhouette des Mädchens, die ern.ste Gruppe mit dem Todten mit dem prächtigen Hintergründe, der starren, leuchtenden Wüste nämlich, w'ar aussergewöhnlich packend.

«Das Bild w^erde ich einmal malen, oder will es mindestens versuchen. »

Es ist leider, so viel ich w^eiss und aus seinen Aufzeich¬ nungen ersehe, nie zur Ausführung gekommen. In ähnlicher Weise ergreifend ist aber das Bild der trauernden Witwe, die mit einem hohen Palmenwedel im Arm, der, wie kummer¬ voll, die Spitze nach vorne neigt, auf dem Grabe des verstor¬ benen Gatten seiner gedenkt. Wer die arabischen Fried¬ höfe kennt, wird sich nicht wundern, dass ein w^armempfin- dender Künstler, ein Kolorist wäe Müller, sich gerne daran waigte, sie und ihre Besucher wiederzugeben. Vielleicht das schönste von allen Blättern, die wir dem Verstorbenen ver-

*) Das llelwan, wo Müller Heilung suchte, ist ein kräftiges Schwefel- l)a(l auf dem östlichen Nilufer, wenige Meilen südlich von Kairo. Es liegt in der zum Kuss des arabischen ( iebirges gehörenden Wüste und ist jetzt ein beciuem eingerichteter Ilade- und Luftkurort. Franz Pascha, ein Nassauer, der treffliche Architekt des Chediw, ist der Schöpfer der stattlichen dort entstandenen Hauten. 1S77 hatte der Sachse Dr, Reil und der Schlesier Dr. Sachs erst eben angefangen es in Aufnahme zu bringen. Ein kleines sauberes deutsches Gasthaus « zum Waldesel undPfifficus », das eine muntere Gesellschaft unserer Landsleute so benannt hatte, nahm die Europäer auf.

I.eop Carl Müller-

Phot. F. Hanfslaentrl. München

Messe zu Tanta.

(Delta.)

DIE KUNS'r UNSERER ZEIT.

1 sein, meine Schüler zu rastloser 'l'liätigkeit anzu¬ halten. Besonders in den bildenden Künsten ist I Viel machen von grosser Bedeutung. In den i bildenden Künsten spielt die I'ertigkeit in der Technik eine unglaublich grosse Rolle. Neben der Technik ist cs dann der Geschmack, der aus¬ schlaggebend ist. Nun frage ich .Sie aber, ob Sic glauben, dass die Menschen schon mit gutem Geschmack auf die Welt kommen.' Grössere oder geringere Anlage zur Ausbildung bringt man mit ; guter Geschmack wird aber zum grösseren Theile erworben durch Arbeit, rastlose Arbeit.

« Es ist eine Thatsache , dass der grössere Iheil aller schon an der Akademie bewunderten Talente gewöhnlich verschwindet von derW’eltschau- bühne, während sehr, sehr viele gegenwärtig als bedeutende Künstler auf derselben wirken, die während ihrer Schülerzeit als Ochsen ohne Talent verspottet und verlacht wurden. Der so berühmt gewordene Overbeck wurde von drei Akademieen fortgeschickt als gänzlich talentlos. DerPole Mateiko wurde weder in Wien noch in München beachtet.

«Eine ganze Reihe von Studenten an der Akademie in Wien , die ich seiner Zeit beneidete, mit deren Arbeiten die damaligen Professoren grosses Wesen trieben und von denen man erwartete, dass sie die alten Meister übertreffen würden, sind heute spurlos verschwunden.

«Ganz verschwindend klein ist die Zahl der alten und der modernen grossen Künstler, die von Mause aus reich gewesen wären. Alle waren sie arme Teufel, die durch uner¬ müdlichen Eleiss und Arbeit sich das Eeben fristen mussten. Der Zwang zur Arbeit ist die beste Schule für das Talent. Es plagt sich selten Einer,

der es nicht nöthig Gazelle.

Die Apisgräber in Sakkara.

danken, zeigt einen solchen und die Verkäuferin von Palmenzweigen, die sich mit einem Kunden unterhält. Die Handbewegung, die das arabische «Wer kann’s ändern» oder das salomonische «Alles ist eitel» begleitet, ist mit unvergleichlichem Feingefühl getroffen.

Am 9. Nov. 1877 schreibt Müller:

«Das, was Sie in Ihrem Schreiben VI von den so¬ genannten Genies sagen, stimmt ganz mit meinen An¬ schauungen überein. Ich habe z. B. noch keinen Maler kennen gelernt, der von Bedeutung gewesen wäre, und doch zu jener Gattung mit den «struppigen Haaren und ungewaschenen Hemden» gehört hätte. Die jetzt lebenden grossen Künstler Europas sind beinahe durchgehend fein¬ gebildete Menschen, die den äusseren P'ormen unserer Gesellschaft Rechnung tragen.

«Ich gehöre z. B. sogar zu denen, die eine Art Miss¬ trauen in die Befähigung aller jener setzen, die in ihrem Aeusseren sich absichtlich von den anderen Menschen¬ kindern unterscheiden wollen. PInd Ihre Anschauung über die Bedeutung des Eleisses theile ich ebenfalls. Wenn ich meinen Wirkungskreis an der k. k. Akademie antreten werde, wird es eine meiner Hauptbestrebungen

DIE KUNST UNSERER ZEri'.

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hat; daher kommt ein vom Hanse aus reicher Maler luir selten zu jener X’ollkommenheit in der Technik, \selche die Ausführung bedeutender künstlerischer Auf¬ gaben ermöglicht.

Es ist dies ein Thema, das mich sehr interessirt, und ich schwatze da fort, ohne zu bedenken.

Kairo, 17. Nov. 1877.

Gestern erhielt ich Ihren Brief und es freut mich zu \crnehmen, dass Ihnen die Arbeiten Alma Tademas so sehr gefallen. Es zeigt dies , dass Sie Geschmack haben. denn Tadema ist ein durch und durch origineller, echter und tüchtiger Künstler. »

In dem folgenden Briefe spricht sich Müller auch über die Reproduktion seiner Bilder aus. Er hatte schon mit Gnauth darüber verhandelt.

«Mir ist nämlich immer leid», fährt er von Kairo aus am 22. Nov. 1877 fort, «wenn ich gut Geschriebenes lese und verdammt werde auf jeder Seite schlechte Bilder anschauen zu müssen. Ich war einmal viel strenger in meinem Urtheile, als ich es heute bin (es kommt dies glaube ich daher, dass man je mehr man leistet, desto besser beurtheilen kann, wie schwierig es ist. Vor¬ treffliches zu machen) und ging so weit zu behaupten, dass wenn in einem Werke die Illustrationen schlecht waren, auch der Text nicht gut sein könne. Ich nahm an, dass ein guter Schriftsteller so viel Geschmack haben müsse, dass er schlechte Illustrationen nicht dulden könne und ich legte ein derartiges Buch immer weg ohne es zu lesen.

Ein gut geschriebenes aber schlecht illustrirtes Buch macht mir denselben widerlichen Eindruck wie /.. B. eine schlecht kolorirte Photographie eines Portraits.

Es gibt nicht leicht etwas Widerlicheres als so eine kohirirte Photographie, welche im Grunde die absolute Wahrheit in h'orm , Linie und Beleuchtung zeigt und obenauf mit der Luge in Barben jjrangt. An Ilallbergers helle hatte ich die Illustrationen mittels Ileliotypie her¬ zu teilen gesucht, wie im Journal l’Art.

: Ich bin ehr neugierig auf die nächsten Schnitt- ).■r(;ben. Am besten sind geschnitten der Wechsler und r Läufer, und darum scheue ich nun jetzt die Mühe i' - l't. .dl meine Zeichnungen nur mit der Eeder auszu= fahr. o wie e . jene beiden waren. Es kosten mich dl- I' d'Tzeichiningcn viel mehr Zeit, doch ich erwarte m r ein un äige Resultat, wenn man darauf dringt, dass dl' se Z'T linun; cn facsimile geschnitten werden. Bei

einer P'ederzeichnung hat der Xylograph gar keine Aus¬ rede, dass er dieses oder jenes nicht klar gesehen hätte. Hier gilt es eben jeden Strich wieder nachzuschneiden.

«Mit diesem Briefe sende ich auch des Beduinen Morgen ge bet, eine Zeichnung, die ich auch einmal malen werde, weil ich glaube, dass mir die andachtsvolle Stimmung in derselben gelungen ist. Selbst das Kameel ist andächtig. >

So verhält es sich in der That; ich sah aber aus dieser Zeichnung kein Gemälde entstehen. « DenWechsler », dessen Schnitt ihn befriedigte, führte er aber in Oel aus, und dieses herrliche Bild wurde im Glaspalaste zu München mit der goldenen Medaille gekrönt.

Wegen der Reproduktion seiner Arbeiten schreibt er auf einen besonderen Zettel : « Meiner Zeichnungen

brauche ich mich nicht zu schämen, Ihr Text» (es folgt das Lob desselben) . . . « und so müssen wir Schulter an Schulter durchsetzen, dass alles aufgeboten werde, damit der Schnitt nichts verderbe. Auch Gnauth wird helfen, Ed. Hallberger ist ein Verleger, der es ernster nimmt als andere und einen kleinen Schaden ertragen kann. Da muss verworfen und vernichtet werden , was nicht die Nummer i verdient. Die muss auch das ganze Werk noch erwerben. »

Kairo, 30. Nov. 1877. «Habe Schreiben VIII er¬ halten , und hoffentlich erhielten Sie auch inzwischen meinen wöchentlichen Schreibebrief. Sie können mit Sicherheit auf meine Briefe rechnen ; denn was ich ver¬ spreche , das halte ich . . Ich habe zur Abwechs¬ lung wieder ein bischen Augenleiden. So oft ich zu lange des Abends lese, ist der Teufel wieder los. Nun habe ich mir vorgenommen bei Lampenlicht gar nichts mehr zu lesen. . . .

« Dr. Reil und Sachs lassen Sie bestens grüssen . . . In Helwan lernte ich einen weiteren Doktor kennen, der kein uninteressanter Mensch ist.*) Er betreibt in Helwan etwas, was für Aegypten eigentlich neu ist. Er sucht und gräbt nämlich nach Geräthschaften aus der Steinzeit. Seine Sammlung ist sehr interessant und reich. Er hat an mindestens 1000 Stück Messer, Lanzenspitzen, Sägen u. .s. w. Die Sägen sind merkwürdig gut ge¬ macht, bewundernswerth. Aller Orten, wo er diese

*) !■> meint den Ür. Mook. Dr. Keil hatte schon früher eine schöne Saininhing dieser Art angelegt. Auch die Franzosen Hamy, Arcelin und Lenormant, wiesen lange bevor Müller am Nil war, auf eine Steinzeit in Aegypten.

DIE KUNS'l’ UNSERER ZEIT.

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Feuersteingeräthe findet, gibt es auch immer eine gute Ausbeute an Knochen aller möglichen Thiergatt¬ ungen .

« Dass Sie mich um meinen Aufenthalt be¬ neiden , begreife ich voll¬ kommen. Heute war es tüchtig heiss, und vor zwei Monaten hätten wir zu¬ sammen ohne Feuer im Ofen und ohne die Reibung der Geister erbärmlich in Nürnberg gefroren. Dass es Gnauth in dem kalten Norden so geduldig aus¬ hält, ist mir ein Räthsel. Ich werde ja vielleicht auch in Wien Schnee und Eis ertragen müssen, aber wie ungeduldig ich dabei sein werde , weiss ich schon im Voraus. Das ist auch gut ; denn wenn der bekannte Faden reisst, werde ich wieder frei.

ein W'ohlthätigkeits-

Gärtnerbursclie mit Bouquet am Turban.

Dann sage ich den Eisbären gute Nacht und den Krokodilen und meinen lieben Kameelen, zu denen ich gehöre, guten Morgen. Ich bin glaube ich aus Ver¬ sehen in dem Theile der gemässigten Zone geboren

worden . der eigentlich schon den Namen der kalten verdiente. Wo es warm ist. ist meine eigent¬ liche Heimat.

Kairo, 7. Dez. 1877. «Vor einigen Tagen wurde hier

Bazar zum Besten der verwundeten Türken im Esbekije-Garten abgehalten. Der Garten war schön dekorirt. Die schönsten Damen hatten verschiedene Buden, worin sie alles Mög- gliche und Unmögliche ver¬ kauften. Je schöner die Dame, desto gefährlicher war es begreiflicherweise bei ihr einzukaufen. Uns armen Männern wurde mit allen erdenklichen Schmeicheleien das Geld aus den Taschen geholt, und ich möchte wetten, dass manche Dame, um nur mit recht vielem Gelde vor dem Comite erscheinen zu können , ihren Kunden Dinge versprach , die sie dann ihres Mannes wegen nicht wird haben einhalten können. Der Vizekönig' war splendid, bezahlte jede Blume, die ihm gegeben

Beduinenzelt.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

\vurd>', mit i 3 Pfund Sterling, und bekam recht viele P' nnen. Die 1 laremsdamen coquettierten reizend aus ihren Kquipagen. Zu verkaufen hatten sie jedoch iii-. Ins. Die Armen würden sich gewiss auch gern so manchem der anwesenden Männer als W’ohlthäterinnen erwiesen haben.

Noch eine Bemerkung erlaube ich mir über das beiliegende Bild. Ich hörte es « Pyramidenbeduinen >■> nennen*). Da erlaube ich mir die Bemerkung, dass dieser 'Pitel nicht passend wäre. Die Beduinen bei den Pyramiden haben ein anderes Costüm, lagern nicht im l'reien und besitzen keine Kameele. Auch ist die Distanz, in welcher die Gruppe der I.agernden auf dem Bilde von den Pyramiden entfernt ist, sehr bedeutend. Das Original, das ich vor mehr als fünf Monaten in London \ erkaufte , dankt seine Entstehung einem Spaziergange bei den Pyramiden. Ich sah nämlich bei Gelegenheit dieses S]:)azierganges am Rande der Wüste eine Karawane lagern mit \'ielen Kameelen, Zelten u s. w. Die Leute waren meistens Zigeuner und Beduinen aus der Libyschen Wüste. Beim Malen des Bildes konvenirte es mir besser, auch im Vordergründe, wo in der Natur bereits bebauter Boden war, ebenfalls Wüstenterrain zu machen. In London war das Bild mit dem Titel : «Caravane en repos» am-ge^tellt. ■>

I Jcr folgende Brief bezieht sich auf meinen Roman I I-mio 'Um » den ich ihm gesandt hatte. Die ein¬ gehende kunsthistorische Betrachtung, die er enthält, wäre wohl werth, hier mitgetheilt zu werden, doch ver¬ bietet das der uns bewilligte Raum.

.All', unsere.'- Künstlers Brief vom 18. Jan. 1877 ent¬ nehme ich die folgenden Sätze: «Was das Kapitel Be¬ wunderung angeht, so \ertheidigen Sie Ihre Position mit Waffen der die meinigen nicht gewachsen sind. Mit Worten verstehe ich schlecht zu fechten, und ich . le also auf dem verlorenen Posten.

I- h habe von der Kunst einen so hohen Begrift, da i' h mi' h nicht einmal zu den Künstlern rechne, l'.ir < inf = h bürgerlicher .Maler bin ich, der sein tiiglich l’r*- mit dem .Malerhandwerk verdient. Es gibt in ganz 1 . n.ir I'- oder 12 Künstler mehr oder weniger

1- M d r aber einige Tausende. Aueh der von 11: cn b- wunderte . . . i t nur ein Handwerker. Alma I 1 . ir. z P.. viiT-r der hochbegnadeten, ein Künstler.

Ml tn ’-jtit^rart ■■ bezeichnet.

« Da steht vor mir ein grosses Bild. Ich möchte das Farbengaudium des Orients auf ihm nur einiger- massen treffen und zur Anschauung bringen. Glauben Sie, ich brächte es zu wege? Jeden Tag der letzten Zeit, den ich am Bilde arbeitete, entspricht es weniger den Anforderungen, die ich an dasselbe stelle, und so leide ich nun schon seit geraumer Zeit an einem un¬ erträglichen moralischen Katzenjammer. Ich bin in einem Zustande , in welchem man selbst das was man kann , zu können bezweifelt. Ich werde darum auch vielleicht eine Einladung zu einer kleinen Erholungs¬ reise, die mir der ältere (Heinrich) Brugsch gemacht hat, annehmen. »

Gerade dieses sich nie an der eigenen Leistung Genügenlassen , dies Verzweifeln an dem eigenen in Wirklichkeit erstaunlichen Können charakterisirt den bescheidenen Müller als den grossen Künstler , der er w-ar. Wer das Gemälde kennt, das ihn in eine so ver¬ zweifelte Stimmung versetzte es ist das der Wiener Akademie der wird meiner Meinung beipflichten, dass es wenigen gelang, das «Farbengaudium des Orients», das Müller zum Ausdruck zu bringen begehrte, auch nur halb so glücklich wdederzugeben.

Später am 7. Februar 1878 schreibt er in Bezug auf das nämliche Bild: «Die Politik und die Unzu¬ friedenheit über meine Malerei verstimmen mich sehr. Um so mehr bin ich verstimmt, als mir an meinem Bilde gerade das nicht gelingen wdll , wmrin eigentlich mein Können besteht. Sowohl aus eigener Erfahrung als durch meine kunstverständigen Freunde weiss ich, dass meine Stärke nicht in der Zeichnung und Composition (sic '), sondern in der P'arbe besteht. Gut gezeichnete und komponirte Bilder existiren viele von Geröme, doch gut gemalte, ich wdll sagen, koloristisch gute, gibt cs meines Wi.ssens gar keine. Eromentin hat die P'arbe des Orients getroffen, doch er gab eben nur kleine Landschaften mit Staffagen. Mein Ehrgeiz bestand aber darin, ein grosses figurenreiches Bild zu schaffen, das auch den P'arbenzauber des Orients wiedergeben sollte. Ach, um das schwache Fleisch!»

Am 15. P'ebruar (Kairo) sagt er unter anderm : «Einen guten Brief zu schreiben halte ich für schwderig. Ein Brief soll ja keine Abhandlung sein, sondern soll auf 3 oder 4 Seiten recht viel sagen. Von den vielen P'rcLinden und Bekannten, die mir schrieben, treffen es nur wenige, gute Briefe zu schreiben, obw'ohl sie sonst

Markt in Desuk.

(Delta.)

I.eo[». Carl Müller.

Phot F. llanf^taeugl, München.

Moschee des heiligen Ibrahim zu Desuk,

(Delta.)

Eine Strasse von Tanta während der Messe.

Wahrsagerei aus der Hand.

Per Fragende drückt die innere Handfläche auf Brodteig ab.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

ganz au>gezeichnet mit der Feder umzugehen wissen.» Dann gclit er wieder auf die Holzschnitte über :

Fs thut mir wohl - , sagt er, «dass ich Ihnen nun schon zweimal \ on guten Schnitten berichten kann, denn nur zu oft habe ich Ihnen etwas vorjammern müssen.

Bilder sind die Bücher der Ungelehrigen» hat der heilige Augustin gesagt, und er hatte sehr Recht. Mit welcher Leidenschaft studiren Kinder nicht Bilder¬ bücher !

L*nd wir Erwachsenen, sehen wir, sobald wir ein illustrirtes Werk in die Hand bekommen, nicht auch immer zuerst alle Bilder drinnen anr Und verderben wir uns nicht um etwas die Lust das Buch zu lesen, wenn uns die Illustrationen nicht gefallen haben Und darum habe ich von jeher die Anschauung gehabt, dass ein Buch sich immer besser repräsentirt, wenn es nicht, als wenn cs schlecht oder auch nur mittelmässig illustrirt w'ird. -So wie der Text zu dem Werke, so müssen auch die Bilder werden, müssen Sehnsucht nach dem Zauber¬ lande erwecken, . . . Bei einem Werke, das mich nicht interessirt, hatte ich überhaupt nicht mitgethan. Nun ich aber mitthue. erlaube ich mir immer offen und schonungslos die .Meinung zu sagen, und das verübeln Sie mir ja gewäss nicht. . . . Fahren Sie fort mein Sekundant und Mitkämpfer zu sein, und es wird schon so, dass man k rcudc daran haben kann. »

Ifinige \'ierzig Bilder hatte er für unser « Aegj'pten» vollendet, nun aber verhinderte ihn die Berufung an die W iener Akademie, als deren Direktor er starb, und ein Augenleiden einstweilen weiter für uns zu schaffen. Er empfahl das noch Fehlende von Huber hersteilen zu lassen. Zu unserer I'reude w'illigtc dieser ausgezeichnete Künstler ein, und auch die von ihm hergestellten Bilder sind Zierden des Werkes; denn es vereint sich in ihnen treffliche-. Können mit genauer Kenntnis des morgenlandischen Lebens.

Der Zustand der Sehkraft Müllers war ein wahrhaft bckl. gen -werther geworden, und dass er trotzdem .so X’n le und .Schönes auch noch spiiter vollenden konnte, ist den ihm am nächsten Sichenden kaum fasslich I r * l'ieivn

.Am ' l ebruar .chrcibt er darüber aus Kairo:

Wn gerne gäbe ich Ihnen einen Theil meiner S< hcnkel' silt, wenn Sic mir dafür etwas von der Kraft Ihrer .\- n .iblassen möchten. Der (kleinen) Schrift Ihrer Briefe acht inan die bcncidcnswerthen Augen an.

Kaffeehaus. (Federzeichnung.)

über die Sie verfügen. Während ich jetzt schreibe, sitzen doppelte Augengläser auf meiner Nase. Wie mich diese beiden Krüppel von Augen bei meinen Arbeiten hindern , davon machen Sie sich keinen Begriff. Bei kleinen Dingen, die ich male oder zeichne, ist’s mehr meine Hand, welche sieht, als meine Augen. Hätte ich nicht eine so empfindsame Faust, so wäre ich unmöglich als Maler. Und diese elend konstruirten Augen sind nun seit langer Zeit zum Ueberflusse noch krank.

«Geht es besser damit und bin ich in Wien, will ich gerne wieder die frühere Thätigkeit für das Pracht¬ werk entwickeln. Ausser meinem grossen Bilde habe ich hier noch einige Studien für zwei mir von Wallis in London bestellte Bilder zu machen.»

Diesen Kunsthändler erwähnt er oft in seinen spä¬ teren Briefen als eines verständnisvollen, ihm persönlich sympathischen und auch auf sein, des Künstlers Interesse bedachten Herrn.

Wie schwer er, mit solchen Aufgaben im Sinne, das Augenleiden trug, geht aus jedem der folgenden Schreiben

Leop. Carl Müller.

Phot. F. Hanfst.^engl, Mönchen.

Orangen Verkäuferin

DIE KUNS'r UNSERER ZEIT.

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Ein Kopte.

(Christlicher Nachkomme der alten Aegypter.)

hervor. Wer da hört, dass er in einem Winter etliche vierzig Zeichnungen, unter denen sich auch viele aufs Sorgfältigste ausgeführte Compositionen befinden und daneben noch mehrere grössere Gemälde vollendete, wird es kaum glauben, dass er langsam arbeitete.

Dies zu begreifen fällt doppelt schwer , wenn man bedenkt, dass er während jenes Winters keineswegs fort¬ während sesshaft in Kairo blieb, sondern ausser mancher F ahrt zu den Pyramiden und dem Aufenthalt in Hel wan auch einer Reise in das Delta mehrere Tage widmete. Wäh¬

rend derselben entwarf er zwei schöne Bilder, die den Markt und die Moschee des Ibrahim zu Desuk darstellen, eine figurenreiche Scene aus der Messe zu Tanta, das Beduinenzelt und den Damm zur Zeit der Ueber- schwemmung, eine seiner stimmungsvollsten und wahrsten x^rbeiten.

Auf meine Bitte hatte er sich nach Tanta, einer grossen Handels- und Wallfahrtstadt im Delta, begeben, wo sich auf den drei Messen, die zu Ehren des hoch¬ angesehenen arabischen Heiligen Sejjid el-Bedawi ab-

11*

DIE KUNS'l’ UNSER F:R ZEIT.

i^ehaltcn wurden, bis an eine halbe Million von Muslimen zusammen finden.

M’enigstens ein Theil des munteren Briefes, den er nach seiner Heimkehr von dort aus Kairo an mich richtete, mag hier mitgetheilt werden. «Viele Grüsse \on dem Apotheker Friedrich aus Tanta» schreibt er.

Er denkt Ihrer Anwesenheit in Tanta als eines Festes bei seinem einsamen Fasten. Fhn charmanter junger Mann. Dazu wie mancher Apotheker ein Xaturforscher. der mit den geübten Händen manches besser erkennt als der stolze Gelehrte vom Fach es mit den Augen fertig bringt. Sie hatten Recht , mich nach 'l'anta zu schicken.

Ich habe Brauer¬ und h'örster-, Philo¬ logen- und I'riseur- congressc gesehen, dass aber auch die Priesterinnen der Venus Kongresse abhalten, erfuhr ich er.st hier. Sie haben gewiss auch darin recht gesehen. Die alte l'estlust von Bubastis übertrug sich auf das nahe 'l'anta. Dank für die .Stelle aus dem Herodot. Und das ist ein 'Prciben. Man möchte sich loo Augen mehr, und hätte man sechs Paar Ohren, acht Aveniger wünschen. Aber die Augen haben so viel zu thun, dass die anderen Sinne ohnehin abgesetzt sind. Eine hübsche Zigeunerin merkte, dass ich sie zeichnete und schlug die I lande vor das Gesicht. Ich versprach ihr eine Menge Geld, wenn sie mir still stehen wolle, aber -.ie wies e.s unbändig zuruck. Für die I hälfte hätte sie mir mit dem besten Danke Alles gegeben, was sie sonst nur zu vergeben hat. So mächtig ist das V'orurtheil. Dder ist e- Aberglaube oder der Koran. ^ Aber was ist diesen Zi-‘;eunerinnen Religion r Ich hörte sagen, sie war' n nicht einmal rechte Anhänger des Propheten. I'.in Keisebeschreiber erzählt*), er habe arabische

1 ; ' Däne Niehuhr,

Mädchen im Bade überrascht. Die Mädchen hätten laut aufgekreischt und den Hinterkopf schamhaft in die Handmuscheln versteckt. Das müssen sie so machen, nachdem sie gewohnt sind diesen Theil des Kopfes ängstlich mit dem Schleier zu verbergen. Eine FAiropäerin hätte wäe die Venus von Medici zuerst den Busen versteckt. . . . Die Araberinnen sind doch kon¬ sequenter als unsere Balldamen . ■»

Das Bild nach Seite 68 zeigt eine Strasse von Tanta während der Messe. Die schönen und vornehmen Armbe¬ wegungen der ägyp¬ tischen PTauen , an denen Müller so grosse Freude hatte, finde ich auf diesem Bilde bei der Zucker¬ rohrverkäuferin, der Krugträgerin und Gauklerin wieder. Auch jede andere P'igur verdankt der lebendigen Anschau¬ ung die Entstehung, doch wurde das Bild ganz anders, als er anfänglich beabsichtigt hatte.

«Es ist mir nicht gegeben,» schreibt er am 15. Sept. 1878 aus Wien, «bei dem Vorwurfe zu einem Bilde, und sei es auch noch so wohl und sorgfältig erwogen, zu bleiben. Bei der endgültigen Ausführung meiner Skizzen verfalle ich immer ins Aendern, in ein Aendern ohne Ende. Meine Veränderungswuth geht dann so weit, dass es passieren kann, dass sich mir aus einem Mekka¬ pilgerzug eine Ansicht Venedigs oder eine Gletscherland¬ schaft entwickelt, und so möglicherweise auch umgekehrt. Ich habe jetzt für sechs Bilder Kompositionsskizzen fertig gebracht. Lauter Darstellungen aus dem ägypt¬ ischen Volksleben , Bestellungen für London. Wenn mir das Ministerium den Urlaub zu einem Ausflug nach Kairo nicht gewährt, um den ich es ersuchte , so male ich an den Bildern in P'olge Studienmangels für ver¬ schiedene Typen u. s. w. mindestens ein Jahr, während ich im günstigen Falle, das heisst nach einem Abstecher nach Kairo, in fünf Monaten fertig werden kann. . .

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

77

Andere Briefe lehren, wie gewissenhaft und eifrig er seine Schüler*) zu fördern bestrebt war. Es machte ihn glücklich, einige unter ihnen zu besitzen, deren Talent und Fleiss ihnen ein schnelles und erfolgreiches Fortschreiten gestattete. Mit den Kollegen stand er in angenehmer Beziehung. Einmal schreibt er :

« Makart ist nun auch Professor an der Akademie und übernimmt während der Zeit meiner Abwesenheit die Leitung meiner Schüler. Makart spricht nicht und kann auch nicht sprechen ; aber malen kann er wie

In einem dieser Schreiben (1878) gibt er seinem Verdruss über die Annäherung Deutschlands an Russland Ausdruck. Daran knüpft sich der folgende Satz des auf sein deutsches Blut stolzen Mannes, der auch in vielen Briefen ausspricht, wie herzlich er sein öster¬ reichisches Vaterland liebt.

«Kurz nach der Schlacht bei Königgrätz », schreibt er, «als die Preussen schon vor Wien standen, da unter¬ nahm ich und mehrere Freunde von mir das» Wagnis, in Wien einen deutschen Verein zu gründen. Es war

Ein Zigeunerzelt.

wenige. Er bringt seine Gedanken auf keine andere Weise gut zur Anschauung als mit dem Pinsel. Wer aus Makarts Reden auf die Bedeutung dieses Mannes schliessen wollte , der würde sich gröblich täuschen.»

Müller verstand es dagegen, seinen Gedanken auch in Worten Ausdruck zu geben. Das beweisen besonders die späteren Briefe, in denen er über sehr verschiedene Dinge redet; nicht selten auch über Politik.

Diejenigen, auf die er das meiste hielt, waren Bacher, Delug, Dragon, Hirschl, Jovanowitz, Krämmer, Novak, Ottenfeld, Rothaug, Pötzelberger, Swoboda, Tichy, Wilda, Wenzel, Zimmermann, die Prinzessin M. A. Reuss VII. und seine .Schwestern Marie und Bertha Müller.

ein rein politischer Verein, und die Tendenz desselben eine rein deutsche. Wir wurden damals viel von den Journalen und den spezifischen Wienern angefeindet, ja wir wurden geradezu des Hochverrathes denunzirt. Nichts konnte uns einschüchtern, und der Verein wuchs und wurde mächtiger und mächtiger. Eine grosse und mächtige Zeitung verdankte ihr Entstehen diesem Vereine. Es ist die «Deutsche Zeitung». Unser Jubel über die deutschen Siege in Frankreich war ein unermesslicher.» Was aber dann eintrat, will ihm nicht mehr gefallen. Er empfand eine starke Abneigung gegen Russland und hielt Oesterreich für den natürlichen Verbündeten Deutschlands. Diese beiden wünschte er Schulter an Schulter und Hand in Hand zu sehen und ist auch

12

- -

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

noch Zeuge des Deutsch-österreichischen Bündnisses ■eworden.

Aber seine Briefe enthielten keineswegs nur ernste Betrachtungen. Oft fordert der dem daseinsfrohen Künstler eigene Humor munter sein Recht, und zwar nicht nur in Worten, sondern auch mit der Zeichenfeder. Kinmal bemerkt er, dass Menschen, die lange mit bestimmten Gattungen von Thieren verkehrten , ihnen mit der Zeit ähnlich würden. So sei ihm ein wunder¬ licher Kauz begegnet, der sich daran ergötzt habe, ver¬ krüppelte Karpfen zu sammeln und endlich selbst mit einer Karpfenschnute & gesegnet » worden sei. Einer der Halbneger, die seine Dromedare bedienten, sehe jetzt selbst aus wie ein Kameel, und dazu zeichnete er mir den Kameelkopf und daneben den jenes Mannes. Dies heitere Bildchen war so charakteristisch, dass ich es in meinem « Aegypten » wiedergeben Hess. Ein anderes mal schildert er, wie er sich von Erkältungen kurire, indem er in die Burg» gehe und sich auf den billigsten Stehplatz in einem dicken Ueber- ziehcr unter die Menge mische. Da gerathe er in eine heilsame Tran¬ spiration und gewöhnlich verlasse er das Haus im Zustand der Genesung.

Sein Brief aus Tanta ward auch in heiterer Stimmung geschrieben. Ein zoologischer Freund hatte ihn ge¬ beten, ihm in Aegypten Affengehirnc zu schaffen. Nun schreibt er in einem Brief an die Schwestern (Kairo, den 30. April 1875), sie möchten dem Gelehrten sagen , es sei wohl mög¬

lich solche zu bekommen , « es sei mir aber zu um¬ ständlich , Affen zu kaufen , um sie umzubringen, ihrer Gehirne wegen. Aber ich will ihm ein Negergehirn senden. Mohren werden hier täglich hin etc. » . . . .

Es ist ein echter Künstler, ein denkender, pflicht¬ treuer, kenntnissreicher , heiterer, durch und durch sympathischer Mensch, der mir aus diesen Briefen entgegenschaut. Die an die Schwestern gewähren Einblick in sein tiefes liebevolles Gemüth. Sein Tod riss in ihr Leben eine unausfüllbare Lücke. Die Kunst beklagt in Leopold Carl Müller einen ihrer edelsten und berufensten Jünger. Wenn von seinen Werken dem Vaterlande nur wenige erhalten blieben, so trägt er daran, wie gesagt, keine Schuld.

Die diese Zeilen begleitenden Bilder sollen mehr derselben zusammenführen, als je auf einer deutschen oder österreichischen Ausstellung zu sehen waren.

Die Reproduktionsweise, die der Herausgeber wählte, ist diejenige, welche der Verstorbene selbst für die Wiedergabe seiner sorgfältig ausgeführten Blätter vorgeschlagen hatte.

Ich schulde Müller viele genuss¬ reiche Stunden und wünsche mich dankbar dafür zu erweisen, indem ich das Bild seiner in jeder Hin¬ sicht hervorragenden und liebens- werthen Persönlichkeit samt einem Theil derjenigen seiner Werke, die er im Dienste eines auch mir werthen Zweckes schuf, einem grossen Kreis von Kunstfreunden zeige.

Mariettes Haus in Sakkara.

K a m e e 1 m a r k t .

Damm im Delta zur

Zeit der Uebersehwemmung.

SCHLANGENSPIEL

SKIZZE

VON

MAX BERNSTEIN.

Eine Schlangenbändigeriii hatte in der Stadt ihre Künste gezeigt. Ein Meistermaler hielt das Bild fest: das Weib, nackt beinahe, das Haupt zurückgebeugt, ausgestreckt den vom Thiere umwundenen Arm, ihr Auge begegnend dem Auge der Schlange.

«Ja, so sind sie» sagte der Graf, als die Rede auf das Bild kam. «Sie können’s nicht lassen, mit den Schlangen zu spielen. Eva hat damit angefangen und noch das letzte Weib, eh’ die Erde einfriert, wird das alte Schlangenspiel treiben. »

Er sah dabei die Baronin an, die ihm den Thee reichte. Ihr Mann lächelte vergnügt, ohne besonderen Grund wie gewöhnlich, sein breites, gutmüthiges Lächeln. «Ja, so sind sie» sprach er nach.

Sie streifte mit einem flüchtigen Blick den Maler, der wortlos in seine Tasse starrte. « Was meinen Sie?» frug sie.

Er sah empor. Sein junges Gesicht röthete sich ein wenig. «Ja . . . ich weiss nicht viel von . . Er verstummte.

Jetzt lächelte die Baronin. « Sie müssen mehr in die Welt gehen, das Leben kennen lernen. Ein Künstler muss Alles kennen, nicht ? »

«Ja . . . ich weiss nicht ...» brachte er zögernd hervor. Aber seine Blicke glitten über ihre schwarzen Haare , ihre zierlich schlanke Figur und blieben haften in ihren Augen.

« Die Baronin ist eine gute Lehrerin » , sagte der Graf.

«Nicht für Jeden», entgegnete sie mit einem feind¬ seligen Blick auf den Grafen.

« Nous verrons » , sagte dieser.

Der gute Baron lächelte wieder ohne besonderen Grund.

■i:

«Und Marie?» frug er sich auf dem Heimwege. Vor ihm stand die holde Gestalt seiner Braut: das Mädchen , das seiner wartete , daheim in dem kleinen Städtchen, wo sie miteinander aufgewachsen waren als Nachbarskinder, bis er auszog, fort in die grössere Stadt. Da wollte er die Kunst lernen, für sich und die Geliebte eine Zukunft bauen. Deswegen hatten sie sich getrennt vorher aber, aus Herzenstiefen, Treue ein¬ ander gelobt. Und er wusste, dass eher ihr Leben brechen würde als ihr Schwur, dass er ihr Ein und Alles war. Mancherlei Frauen und Mädchen waren ihm begegnet, aber Mariens unschuldig schönes Bild hatte in seiner Seele gewohnt ; da war kein Raum für die Versuchung. Mit heisser Arbeit rang er um die Kunst und dabei klang es immer in ihm , in die Gegenwart herüber aus kommender Zeit, wie eine leise sommerliche Musik: «Marie! Marie!»

So brachte er sich rasch empor. Sein neuestes Bild machte Aufsehen, man sprach von ihm, suchte ihn, lud ihn ein. Er ging, fast w'iderwillig , denn ihm lag nichts an der Gesellschaft ; aber wohlmeinende Freunde erklärten ihm, dass er sich nicht selbst im Wege stehen dürfe, dass er Rücksichten nehmen müsse, die Leute nicht kränken solle So war er auch in das Haus der Baronin gekommen.

Es ruhte in ihm wie ein Vorgefühl der Welt, so dass nicht leicht irgend etwas ihn befremdete. Er be- sass eine schnell entscheidende Empfindung, womit er in Menschen und Dinge sich hineinfühlte. Er sah bald : der Baron war ein unbedeutender Mensch, der Graf ein feiner Egoist von klugen Formen. Und die Baronin? «Eine kokette Frau», hatte er sich gesagt, «weiter nichts ».

Doch hie und da ein Blick, eine Geberde, ein Wort fiel ihm auf, zog ihn an, schien etwas Tieferes zu ver-

13

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

r..:licn. IT begann, sie eigenthümlich zu finden, merk¬ würdig. rathselhaft. Er nahm sich vor aus rein ■...n'tlerischem Interesse, meinte er sie zu beobachten. L’nd so. leise, ganz leise, hatte ihr Bild sich in ihm fest¬ gewachsen und immer stärker, alles andere verdrängend, \on ihm Besitz genommen.

*

Als er an diesem Abende nach Hause kam, fand er einen Brief. .Mariens Handschrift. Sonst waren ihm diese Briefe eine ersehnte Freude, mit eiliger Hand hatte er sie geöfihet. langsam sie durchgekostet; aus jedem Wort hatte ihr gerader Sinn, ihr gutes Herz, ihre reine Neigung zu ihm gesprochen. Nun setzte er sich hin, den uneröfi'neten Brief in der Hand , um an Marie zu denken. Ja, er wollte sich einmal zwingen, an sie, nur an sie zu denken. Aber nicht mehr wie eine Freude, nur noch wie einen X’orwurf empfand er diesen Ge¬ danken und wie ein Hindernis. Das Bild erblasste bald und ein anderes, mit lebendigen Farben, trat an seine Stelle.

ln einem matthellen Gesichte seltsame Augen. Es liegt über ihnen wie schieiernder Dämmer, unbestimmt, verbergend. Doch manchmal plötzlich zieht es sich enthüllend hinweg und ein dämonischer Strahl trifft heraus, jenes Meisterbild kam ihm wieder in den Sinn: die Bändigerin , der haftende und haltende Blick des kühnen, starren Auges, in das alles Heben sich ge¬ flüchtet hat und das die Schlange bezwingt.

ln ihren Blicken aber schauernd dachte er daran erschien bisweilen nicht nur Herrschaft, sondern eine ^anfte. schmeichelnd werbende Gewalt. Als ob sie nun ja: als ob sic ihn liebe! Wenn es möglich wäre wenn sie jemals sein werden könnte, nur ein .Mal, nur ein einziges .Mal ! Ihn heisser Strcmi des Ver¬ langens überfluthete ihn. Fr glaubte zu ersticken.

h.r sprang auf, trat an's Fenster und sah in die kommende Nacht hinaus. Jetzt erst merkte er, da.ss er Marien Brief noch nicht geöffnet hatte. Als hätt’ es Jemand beobachtet , so erschrak er. Fs überkam ihn uic.-^eham, Fr schüttelte sich, dehnte sich stolz: «Noch i-'in i' h mein eigener Herr! Aber es war ihm, als sei

ein Netz über ihn geworfen, unentwirrbar, unentrinnbar.

*

*

-IC d.>- htc ach nicht'^ Böses dabei. Sic spielte, wie Kinder pich-n. ohne Zweck und Absicht, des Spielens wilh-n. .-^le nahm ihn. weil er ihr gefiel. Fs war so

etwas Unberührtes in ihm das lockte sie, es zu kennen zu besitzen und zu zerstören. Ihre kleinen Hände mussten immer ein Spielzeug haben. War das eine zerbrochen

ein anderes.

* =¥■

''fi

Im Atelier. Er hatte Pinsel und Palette weggelegt. Sie sass in dem grossen altprächtigen Fehnstuhl. Die unter¬ gehende Sonne strömte durch das hohe Fenster herein.

Er sprach nicht, denn er fühlte, dass er jetzt die Hippen nicht öffnen dürfe, wenn er sich nicht verrathen wollte. Sein Herz war übervoll, sein ganzes Wesen gespannt bis zum Aeussersten , die verhaltene Feiden- schaft raste in seinem Innern und rüttelte , wie eine gefangene Bestie an den Gittern des Käfigs.

« Nun . . . Sie sind heute nicht sehr unterhaltend“, sagte sie. Die Stimme kam zu ihm durch den Dämmer wie schmeichelnder Flötenton in der Nacht. Berauschende Musik durch die Stille.

Als er keine Antwort gab, fing sie an, leise zu singen. Er stand unbewegt, lauschend. Seine schweren Athemzüge waren fast hörbar. Plötzlich ging ihr leises Singen in ein stilles fröhliches Fachen über, das ihn zu verspotten, herauszufordern und zugleich zu liebkosen schien.

«Gnädige Frau» sagte er mit hebender Brust

dann brach er ab.

Mit zärtlichem Spott tönte es zurück : « Gnädiger

Herr ? »

Es war finster geworden. Er sah nur noch die Umrisse ihrer Gestalt, glaubte ihre Augen durch das Dunkel leuchten zu fühlen. Da stürzte er zu ihren P'üssen, sie hauchte «endlich», er zog sie an sich. Die

Sonne war untergegangen.

* ^

*

Zwei Monate. Heimliches Glück. Sie genoss er schwärmte. Weit von ihm lag Alles, was bis dahin der Besitz seiner Seele gewesen war. FT lachte über die Ideale, die er gehegt hatte. Ideale? Träume, thörichte Träume ! Hier war die heisse Wirklichkeit. War sie gut oder schlimm? Er frug nicht. Gab es eine Zukunft? Fr frug nicht. Gegenwart war alles. Glück, Leidenschaft, Rausch. Wenn ihr Blick auf ihm haftete, so forschte er nicht weiter. Er war in ihrem Bann.

Und dann kam der Tag, wo sie, harmlos wie ein Kind, das Spielzeug zerbrach.

DIE KUNST UNSERER ZEl'l'.

81

Sie suchte mit gleichgültiger Neugier im Atelier herum und fand im Winkel einer Schublade eine Photo¬ graphie. Früher einmal hatte er seiner Braut erwähnt. Sie errieth sogleich.

«Ah, sieh mal, das ist sie wohl.A)

«Wer?» frug er zurück, ohne hinzusehen.

« Deine Braut ^ »

«Ja, das ist sie», erwiderte er. Nur ein flüchtiges Erschüttern in seiner von der Leidenschaft hartgeglühten Seele. « Gieb » sagte er dann. Er nahm ihr das Bild aus der Hand und wollte es zerreissen.

Sie hielt seine Hand auf. « Aber warum denn ? »

« Es ist ja doch aus ! » sagte er.

«Aus.' Was?»

«Meine Verlobung ist längst aufgelöst, selbstver¬ ständlich »

« Aber warum denn ? »

Sie sprach die Frage ganz ruhig. Es traf ihn wie ein Schlag.

«Warum?» wiederholte er. «Du glaubst doch nicht, dass ich jetzt noch »

« Aber warum nicht ? »

« Du ! » schrie es aus ihm heraus.

«Ich sage ja nicht, dass du sie in vier Wochen heirathen sollst. Späterl In einem halben Jahr, in einem Jahr immer wird es zwischen uns doch nicht »

Er fasste ihre Hand mit einem verzweifelten Druck.

«Du thust mir weh», sagte sie. «Was fällt dir denn ein? Lass mich los!»

Er schleuderte ihre Hand von sich. « Geh 1 »

Sie wollte etwas erwidern, er wiederholte aber:

« Geh ! »

* *

Als sie nach Hause kam, fand sie den Baron und den Grafen Karten spielend.

« Sie sind rasch gegangen, Baronin ? » sagte der Graf. « Sie sehen ein wenig echauffirt aus. Oder eine Gemüthsbewegung ? »

« .Sie rathen vortrefflich » , erwiderte sie. « Mein Compliment 1 »

«Es ist das erste Mal, dass Sie mich anerkennen», sagte der Graf. « Aber ich habe es ja gewusst. »

Sie sah den Grafen freundlich an. «Ja, Sie sind ein kluger Mann. Sie können errathen und schweigen.»

«Gewiss», sagte er.

Der Baron lächelte ohne besonderen Grund. Und von Neuem begann das Spiel.

*

Unterdess sass der Maler in seinem Atelier, vor ihrem Bilde. Er starrte hinein: «Ist es möglich?» Es zog an ihm vorüber, wie alles geschehen w^ar und was er besessen und verloren. Er fühlte es: die Jugend seiner Seele war dahin. Der reine frohe Glaube war todt, der Frühlingsglaube an Liebe und Glück, Schön¬ heit und Kunst , das Weib, das Ideal. Eine verwelkte Blüthe das war alles.

Einen Augenblick dachte er daran, aus dem Leben zu gehen. Dann sagte er sich: «Wozu? Das wäre Unsinn. Alles ist Unsinn. »

Und aus seinem entgötterten Herzen kam ein bitteres Lachen, als seine Gedanken auf jenen ersten Abend zurückgingen, wo es begonnen hatte, und er des Wortes sich erinnerte : Schlangenspiel .

Radirungen und Bilder

DES

FREIHERRN L. VON GLEICHEN RUSSWURM.

VON

HERMANN HELFERICH.

Man gestatte, dass wir zur Eröffnung einige Gleichen'sche Scenen zu skizziren suchen. . . . Kissingen 1882. Ein Flüsschen mit Win¬ dungen. niedriges Buschwerk auf der einen Seite , ein Baum auf der andern Seite legt seine Aeste herüber, \orne ist eine Grasscholle mit etwas Schilf, hier ist ein Kalin im Abstossen begriffen, dessen Schiffer die Stange halt und uns anblickt, während sein Gesell das Netz mit den E'ischen aufzieht, barfuss , da er bereit ist, in die E'Iuth zu springen. Hinten schliessen eine Wiese mit niedrigem Buschwerk, danach niedrige Hügel die Scenerie ab: cs ist der Stoff in einer Radirung niedergelegt, aber man ahnt sehr kräftige, entschiedene, deutliche E'arben, eine durch Wucht und Natürlichkeit, wie sie die engli- -chen Landschafter ausgezeichnet hat, hervorstechende Individualität. . . .

Ivin Hirt, tlessen Schafe im Mittelgrund halten, vom Kücken gesehen , in einer Landschaft im Höhenformat, in die rechts die Ausläufer eines Busches hineinragen, vorne ein weisser belaubter Stamm sich erhebt, dem am Rand eines Wässerchens zwei starke und hohe Baume mit mehr Astwerk als Blatterschmuck folgen. Der Hirt steht in der Mitte. Ifr wirkt ganz einfach, voller lanpfindung. (Dies Thema hat der Künstler !■ h in einem ( )elbilde behandelt.) Die Empfindung = ;er . i;ne ist einfach, deutsch und eigenthümlich. Sie z= igt eine Anschauung der Landschaft in tlichterischcm . iiinc f.i t i>athetisch stark und docli händlich. Ifin kr-iftip-. Wehen der Luft dringt zu uns, Athem der i'- .indln it . es ist. wie wenn ein Gutsbesitzer (lichtet, der a ’f cn^ ni Grund und Boden Augen hat, den poetischen .itott zu .chen . ihn formt und ihm nur das unumgäng¬

lich Nöthige von Abänderung angedeihen lässt, welches die Kunstform verlangt. . . Dies ist ein Pastorale. . . .

Später als diese Arbeit enstandene Werke in Oel haben nun eine noch feinere Tönung aufzuweisen, noch mehr Helligkeit, dabei Weichheit, und Brio, mehr, man möchte sagen, Jugend und Frische der Mache. Sie entwickeln das Bild dieses Meisters auch nach der

Bei Kissingen

K von Lenl>,irh.

riiol. F Haiifsluciiu'l, Müncht-n

S c h 1 a n g e n s p i e l

DIE KUNS'r UNSERER ZEIT.

83

Richtung des für Maler interessanten Theiles hin, der Künstler hat sich technisch interessanter ausgebildet, und jetzt schreitet er auch darin an der Spitze unseres Vorwärtsgehens, wie er bezüglich des Inhaltes, bezüg¬ lich der Vollstän¬ digkeit des Gebo¬ tenen auf die innere Bedeutung hin, be¬ züglich der Zusam¬ menfassung eines Landschaftscharak¬ ters, in der Com- position und der Durchseelung und Einheitlichkeit im¬ mer weit vor den Dutzendmalern ge¬ standen hatte.

Und dann, wenn er den im Tech¬ nischen brillanten, aber in der lyr¬ ischen Veranlagung schwächeren meist¬ genannten Malern der « neueren Rich¬ tung» früher im Technischen unter¬ legen gewesen, aber sie, als er noch naiv war , durch seine Natürlichkeit und Persönlichkeit um Haupteslänge überragte , so ist er ihnen jetzt auch im Technischen, innerhalb des land¬ schaftlichen Ge¬ bietes, an die Seite gerückt.

Rein idyllisch muthete noch ein sehr liebenswürdiges Blatt von 1878 an. Ein Schäfer geht, von seiner Heerde gefolgt, zum Bachrand nieder; Steine sind über den Bach als Brückchen gelegt; Weiden und andere Bäume sprossen aus der Niederung. Ein Dorfhäuschen

hinter der Rasenhöhe schickt seinen Rauch in die

Luft. . . .

Um ein Jahr früher - und man bemerkt das auch ist ein Blatt, über ein Motiv aus Bonnland in Weimar

ausgeführt , ent¬ standen , welches eine Landstrasse zeigt, rechts einige Bäume und ein Haus , auf dem Weg zwei Kühe, links, die Höhe hinauf, den Schäfer¬ burschen, der sich von der Luft ab¬ setzt , mit seinen Schafen.

Im Hintergründe der Chaussee wer¬ den zwei Kühe weitergeführt.

Dies Blatt ist noch mehr zeich¬ nerisch , während das vorher be¬ sprochene schon recht radirungsge- mäss getönt war. Das Blatt von 1877 zeichnet , erzählt und erinnert an die deutsche Behand¬ lung voll zierlicher Details und erfreu¬ lich in seiner Eülle von Beobachtetem und Zusammenge¬ tragenem. Es ist noch ohne das Be¬ streben, die Natur in dem Verhältniss ihrer Töne nachzuahmen ; das fällt ganz fort wie auch bei Ludwig Richter. (Immerhin ist das Blatt schon ein guter Anfang und zeigte auch für eine Art, die Gleichen später gar nicht mehr pflegen mochte, viele natürliche Veranlagung.)

Der Schäfer.

■r='T

Motiv aus Bonnland von 1S77.

l-'iiie ICrziililung wie dieses Blatt, in der Behandlung auf 'l'on hin indessen bereits den Fortschritt von 1878 uler uns etwas französisches zu haben scheint) mit einer mehr der deutschen Anschauung gemässen Ihldabrundung combinirend, ist das Blatt von 1879: der Ausgang eines Walde^ . in Breitenformat, wo wir in die freiwerdende, vor un-' blauende Lichtung hinausblicken, von welcher •>if h die Silhouetten zweier Personen im Walde, die auf einem Wagen den Weg nach aussen mitten durch den W'ald fahren, absetzen.

Wie weit dann von solchen Blättern der wenn .iU< h bereit-- malerischen, doch frühen Fntwicklung die o : i rtcn, von genialem Schwung und J'lrfindung ersten I! ingc z-:ugenden Blätter verschieden sind, aus des K.in t’- r- •'•t/i':< n Blüthejahren. unter ihnen das zwischen d. ut li- n .\rbeitcn ganz unvergleichliche IMatt: «Auf d'-r W' ;>■ wo auf einer Wiese, die in W'enigem h. r; ;rt i t fiiv Kuh, fre.^send, von einer Mcnschen- ii‘ m.f'hti'.'r Aii'-trengung zurückgezerrt dar¬

gestellt, eine prächtige, monumentale Gruppe ergibt, bei aller im höchsten Grad unvorgesehenen, malerischen Wirkung, das im Einzelnen zu verfolgen, wird nur dem möglich, der diese Blätter der jetzigen Blüthejahre in Originalen vor sich liegen hat denn die Kühnheit ihrer Behandlung ermöglicht nicht, sie auf photomecha¬ nischem Wege für unsere Leser zu reproduciren.

Gleichfalls ausserordentlich, ein Vorgang in wunder¬ voll schillerndem Lichte mit höchster Feinheit ausgeführt, ist eine Frau im Korn, hinten Hügel; ein Blatt, für das wir gleichwerthige Mitbewerber vergeblich in deutschen Ateliers suchen würden. Es gibt keine radirten Land- schaftsbilder von deutschen Meistern unserer Zeit, die mit diesen Blättern in Vergleich kommen könnten. Sie sind an Schwung und echt malerischer Behandlung unter allen deutschen Landschaftsradirungen unserer Zeit unerreicht. (Unsere Abbildung hier gibt von der Original¬ radirung kaum so viel wie von einem glänzenden Orchesterstück ein matter Klavierauszug geben würde.)

J

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Prachtvoll in der Empfindung-, im Ensemble, in Kraft und Männlichkeit des Tones ist auch jenes Blatt aus gleicher Epoche, -wo das Licht, das über dem Hügel auflebt und sich rundet, die Luft und die drei Bäume ernst und gross sind, eine enorme, einfache Kraft liegt in dem Original dieser Radirung, auf welcher rechts ein Schäfer mit seinem Hunde Wache haltend ausblickt und von dessen Wiedergabe in unserm Heft

in den Bäumen über dem Wasser: die Vögel glauben wir zu hören in dem Baumschlag vor der hellen Luft (ohne dass ein Vogel gezeichnet istj , so wie wir das Wasser schwanken und fluthen sehen.

Das « Brücke bei Kissingen » bezeichnete Blatt zeigt sehr starkes Licht, und die Personen auf der Brücke bewegen sich, tummeln sich im Lichte : unter ihnen sehen wir unter dem Brückenbogen hindurch in

•'^fyp?r^Tilla.'53tafingv.

Aus dem Walde von Fontainebleau.

wir dasselbe wie vom zuvor besprochenen Blatte sagen müssen. Bei dem «Park von Charlottenburg» benannten ausgezeichneten Blatte des genialen Künstlers, ist ein eigenthümliches Fluthen und Wallen und Reflectiren in Laub und Wasser das Excellente, hinten sieht man Gras und Ferne, vorne zwei Männer an dem Rande des Wassers hingehend, unter den Bäumen, die in ihrem impressionistischen Ausdrucke Leben, Luft und Beweg¬ ung haben. Es ist dies Blatt eines der schönsten und kühnsten des Künstlers. Das Wasser wechselt Farben und Schatten vor unseren erstaunten Blicken, welche gewähnt hatten, dass solche Wechsel empfinden zu lassen, nur die lebendige Natur selbst, nicht aber die Kunst vermöchte; das Wasser lebt ganz merkwürdig fascinirend ; und dann ist noch ein Klingen und Singen

die helle Weite und kräftig hebt sich ringsum das Laub der Bäume von der starkgefärbten, mit leuchtenden Wolken durchsetzten Luft ab.

Eine andere Arbeit giebt die haarscharfe, klarkalte Wirkung einer Baumlandschaft mit viel Zweigen in der Luft.

Eine andere Landschaft hat weichen , « tonigen » Charakter und hat als Staffage Rinder, die mitten im Bilde , in glücklichster Composition , von zwei Männern in einer Hügelfurche dahingeführt werden , nach oben vom Hügel, nach unten von Baumschatten, Baumschlag eines Gesträuches und dazwischen einem in Absätzen niederfliessenden Wasserlauf umgeben.

Ein allerliebstes Blatt aus dem Jahre 1878, das uns schon ein so günstiges Ergebniss zeigte, bringt die

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

]; lincs Wasscrrandes mit zwei Kühen und

■■ r I'i' iir. das Wasser spiegelt sie und die 1 ’t rechts und links sind Weiden und niedriges

E '’-.-.w rk ; e- ist eine a' er' i-ü ue. jugendliche Arbt " . und eine mit aken I ht'ecten des Hell- ■-'unkels behandelte Landschaft aus Fon- tain-ljleau kisst da- geL.v-n die Frinnerung zu jenen grossen Mei¬ stern. die wir die Maler von iS^O nennen, zu¬ rückgehen. jenen Class- ik- rn der modernen Landschaft, zu denen auch Millet gehörte,

ü-r di-r ländlichen 1‘ i g u r insonderneit machtvollen und ro.- >en Ausdruck ver- li'-hen hat. Wie ein Mi'let , für die Radir¬ ung verändert, dem- iui= h in jenes W'eich- Mci;,ncholisch - I raiim- li.'ifte gezogen, das für Kadiruiig ein o j)ass- end'- Ih tte i -t und in d'-r ( )■ Imalerei he¬ il !-r- der neueren : huh- d< r I lollander iliren I^’eiz und Werth . . g-brn h.'.t. w irkt auf = ■■1 d. IMatt Llcirhens, k :m- 1- rau mit einem K k- zeigt, die einen W n r ange-

■k t ; : Lrrain, den

K ü -• E d.-ii gi-.enkt, dahingeht einen endlosen •k ..k !e , traumhaft al> technisches Stück be-

k.idirung v on viel « Sammt - im Ton, sehr

V. k: m .ili ! h tonschön. Fs ist das Traurige

'' ' i: u-'.hl -'ewahrt, doch in richtiger Fr-

' |T ‘-; f .. r I un- d ' ser .Stoff zu keinem anderen

Landschaft aus Itonnland

Endzw'ecke behandelt worden, als zur Ausbeutung eines rein malerischen Gedankens, zur Gewinnung eigenartiger Licht- und Schattenreize. . . .

Es zeigt sich auch hier die natürliche Grundlage aller Schöpf¬ ungen Gleichens; wohl ist er durch die « Meister » hindurchge¬ gangen, hat Corot wohl verstanden, hat Dupre gesehen , hat sich für Millet enthusiasmirt ; aber wie der Saft in den Stämmen steigt, auf ganz natürliche Weise ist die Poesie der Natur ihm sichtbar und freier und immer freier von ihm gestaltet worden, bis er jetzt so frei und selbständig dasteht, die zahm und mühselig schaffenden deutschen Landschafter der Schule, und mit ihrem Studienfleisse und ihrer gebundenen Hin¬ gabe an das Modell auch die nur feinen, « geschmackvollen » Meister seiner Richtung als ein souveräner, die Natur neugestaltender Künstler, überragend.

Jugendfrisch und grossartig ist jetzt das Schaffen dieses Meisters.

In seinen neuesten Arbeiten in Oel, in diesen Arbeiten, in denen meistens nichts das Motiv giebt , als ein Etw'as von Frische, welches durch ein Gelände geht , oder ein Grün , das entzückt, ist eine köstliche Unbefangenheit und wirk¬ liche Versenkung in die Naturschönheit in einfach ländlicher Gestalt und mit diesen Arbeiten, die

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Studie zum Schäfer.

unerhört neu, weil voll der natürlichsten Frische sind, erinnert uns, ohne dass wir das genauer erklären könnten, Herr von Gleichen an manches Gedicht von Detlev von Liliencron. Z. B. :

UeVjer das Knickthor mich lehnend.

Pendelt lässig mein Stock In den übereinander gelegten Händen So dicht steh’n mir die nächsten Aehren Des bald sensendurchsurrten Roggenfeldes,

Dass sie die Stirn mir kitzeln.

Schon bräunen sie sich ;

Hell doch sticht ihre P'arbe ab Gegen den grünen Heckenzaun,

Gegen den umgrenzenden Wall,

Den rother Mohn,

Blaue Kaiserblumen,

Gelber Löwenzahn,

Weisse Camillen In bunter Malerei

Prächtig überflochten haben.

(Wahrlich, ein reizender Kranz Für das grosse Kornviereck ;

Dankbar gewunden Dem künftigen Segen.)

Wie still es ist ;

Wie die Lerche jubelt.

Wie die scheue Wiesenralle schnarrt.

Friede, deine H i m m e 1 s f a h n e Hängt breit und ruhig Ueber meinem Haupte.

Man müsste das ganze Buch der Gedichte aber abschreiben. Es sind nicht im mindesten Aehnlichkeiten im einzelnen, aber die Naturstimmung, die so sehr viel näher der Natur als früher gekommene Naturfreude verbinden für uns diese Gedichte und diese Bilder; bei beiden lag für die Autoren das höchste Gefühl, die höchste Wonne in der Natur; in der Natur zwischen einer Hecke und einem Fliederbusche, bei blühenden Apfelbäumen, bei rothen und blauen Blumen; unter dem Sommerhimmel, in der morgenlichten Luft fühlen sie sich wohl :

Der Hahn kräht wieder und ich lausch' im Garten . . .

Auf Wiesen dampft und wogt und zieht der Xebel Und hüllt mich ein und lässt mich wieder los.

Und steigt und zischt sich von der Sonne frei.

Erathmend holt die Brust sich klare Ströme.

(Im stark bethauten Netze flickt die Spinne,)

Und hundert Lerchen, mit gespreizten Schwänzchen,

Entschütteln ihren Flügeln Nacht und Reif,

Der kecken Trillerkehlchen Tirili

Dem frischen Wandrer um die Mütze schmetternd.

Und die Poesien über das Getreide ! Dieses ganz neue Jauchzen über die Schönheit des Ackers! Des Feldes! Der starken Farben ! Es ist etwas ganz Neues.

Aber lassen wir den Vergleich mit einem Dichter der neuesten Zeit und wenden uns einer sehr schönen Recension eines der wenigen verständnissvollen Kunst¬ kritiker über Gleichen zu, welche folgendermassen lautet:

Nur der Maler kommt auf die Nachwelt mit seinen Werken, dessen Arbeit die Kraft innewohnt, ihn denen als einen Bekannten vorzustellen , die gar nichts von ihm wissen. Sie empfinden im Anblicke seiner Werke, das ist Blut von unserm Blute, Bein von unserem. Es g-enügt bei einem Kunstwerke nicht blos die ästhetische Befriedigung, unsere eigene Existenz muss eine gewisse Vermehrung aus ihm ziehen. Man muss sich sagen, es würde eine Lücke in uns entstehen, wenn dieses Werk fehlte. Ich kenne einen Maler (hier ist Herr von Gleichen

14

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Dingen Sprache. Er weiss sie in Radirungen und Aquarellen ebenso flüchtig niederzuschrei¬ ben , wie man selber flüchtig ihrer geniesst. Es wäre ein Verlust, wenn ich diese Blätter nicht unter den Augen gehabt hätte.

Sie enthalten nur das was ich nenne, aber ver¬ mehren meine Anschau¬ ungen. Sie machen mich reicher . . . Herman Grimm schreibt das ein weites schönes Ur- theil über einen Maler, dessen Schaffen ihm nur unter einem bestimmten Gesichtswinkel , unter diesem wundervoll aber, verständlich geworden.

So müssen wir nun Gleichen als einen historisch Gewordenen auffassen , der für die Aelteren Impressionen, nur Impressionen , und für Strebende einer jün¬ geren Generation viel¬ leicht auch nur Impres¬ sionen, doch dadurch für sie alles was in der Kunst nur erreicht werden kann, erreichte.

I r:iiikiscl>e I.andscliaft.

u;' !" 'l'T die G.'flxj besitzt, da^ festzuhalten , was l> ü '‘-t. \v- iin er über den gleichgiltigen Wechsel r und Senkungen hinfliegt, die den Charakter

'c. n :'i .m.i'-hcn. Ihc dort herrschende Mischung I ' "' 1 W ald -debt er wieder, im h'rühling, im

■' : Ilcrb-lc, in den letzten d'agen des Herbstes,

" ' ' t Ol le man da und genösse die l'rische

1 ' '■ ! d- r Gegend. I.r verleiht all diesen

bein bchatten stellt sich als ein durch und durch gesundes dar. So wird nicht in der Schule gearbeitet, auf den Academien so arbeitet der Liebhaber.

Die schönsten Sensationen der Natur aufnehmen, das kTischeste vom Erühling einfangen, mit aller Poesie im Geist in kräftigsten Accenten es ausdrücken , leiden¬ schaftlich skizzirend! Die Welt der Earben enthusiastisch umfassen I Nach Regeln nicht und nicht nach Conven¬ tionen gehen . . . Die Frische der Natur ... in Impro-

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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vorgegangen, ge¬ malt und dann den Morgennebel über ihren Vor¬ dergrund legte und einige Nym¬ phen in ihm aufta\jchen lässt ; selbst von den Lcmdschaftsstudie.

visationen, muss man sagen ... in freier Herrschaft über das Gebiet; ohne Kleinlichkeit, ohne Modelltreue doch grandios charakterisirend. Und stylvoll in seiner Weise, sogar mit « Componiren », mit «dichterischem» Zug aber ganz, ganz anders als früher. Eine freie, rurale Dichtung!

Von der blumigen Frische seines Colorites vermögen wir nun den Lesern keine An¬ schauung zu ge¬ ben ; wie er z. B. in neuester Zeit die Landschaft des Goethe-Gar¬ tenhauses üppig, satt , wie aus der Natur her-

Radirungen konnten wir einige, die wir gerne gebracht hätten, nicht wiedergeben, aus technischen Gründen, weil es für solchen Druck , wie den dieser Zeit¬ schrift, nicht möglich war. Genüge es, zu sagen, dass der Pinselstrich Gleichens von einer Breite und Freiheit ist, die beide nur hervorgegangen sein können aus der angespanntesten fleissigen Uebung in den

früheren Jahren, und dass der Rhythmus seiner Werke wohl von Anfang an in ihm geruht haben muss unbe¬ wusst früher, und erst allmählich seinem Besitzer zu Händen , der erst allmählich auf die Stimmen in seinem Innern zu hören ge¬ wagt . weil er zu bescheiden war, um an sein Genie zu glauben.

Frau im Korn.

Medusa.

(ZU DEM BILDE VON FRANZ STUCK.)

Oer E>de Könige Zielien aus

Mit schüttelnden Lanzen Zum letzten Kampf.

Kommen aus schwarz E’mmauerten Städten,

Aus grünen Thälern,

Aus grauen Wüsten,

Von zackigen E'elsen Und schaumweisser Meerfiuth. Alle gerüstet ln klirrendes Erzgold,

Alle gestirnet Mit finsterem Ahnen des Todes.

*

Morgcnruthlicher Rauch der Nebel, blasse schauernde Dammerwinde Matten, feuchten Die goldenen Helme,

Die silbernen Schilde,

Die stählernen Schwerter.

Und über Wolken,

Men sehen unsichtbar Schweiget ein fremder.

Ein weisser I'remdling .Mit I'riedensaug’

Und gekreuzigten Armen.

» *

Aber noch stehet I loch auf dem I^erge Gotterflammend ralk'i'. Athene,

Umpanzert die Brust,

^ xeschildct den Arm Mit schrecklichem Schild,

1 »er da Ihitsetzcn

Geschändeter Schönheit,

Das schlangenumlockte Entsetzte Entsetzen Mit steinernden Augen In Mitten trägt

Das Haupt der Medusa.

*■ *

*

Erdröhnend die Felsen

Von dumpfgleichem Schlachtschritt

Der Männergeschlechter,

Luftstille verscheuchend.

Anrasend in’s bläuliche Frühgold des Himmels,

Ein tausendgezeugrter Krachender Schrei,

Erstdonner des Kampfes. Blutfunkelnde Waffen Entstreben den Händen, Blutströmende Leiber Besäen die Erde,

Und Sterbende morden Den nebengefaU’nen Noch röchelnden Feind, Wuthtrunken vom ehernen Jauchzen der Pallas.

* ^

*

Naher durch sonnenlos Traurige Wolken Einsam wandert der Gott.

Nahe naht er Der goldenen Göttin,

P'estgeerzt

Die blutenden Hände Am Rumpfe des Kreuzes,

Das er dahinschleppt Auf leidengehagerten Schultern. Nimmer gesehen Ist ihr dies Antlitz,

Schwach und gewaltig,

Franz Stuck.

Phot, F. Hanfstaengl, München.

Medusa

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

91

Dornenbekront.

Ihr, die rückschauend Vergangnes durchleuchtet,

Ihr, der vorschauend Zukünftiges hellet,

Ist er ein Fremder.

^ *

*

Feindliche Furcht Erbebt ihr die Glieder,

Und weitschattenden Wurfes die Lanze Schwingt sie entgegen Der Avehrlosen Demuth.

Wehe! Sein Athem Verwehet den Erzschaft,

Wie Herbstwind zum Sande Ein dürrendes Blatt schwächt, Wehe! Sein Blick Reisst den Helm Ihr vom Haupte,

Wehe! Er löset Vom Kreuze die Hände, Wehe! Ein Tropfen Gekreuzigten Blutes Rinnt von den Händen, Todsegnend

Der zitternde Tropfen Er trifft und erschlägt Die helmnackte Stirne.

Und schwer in die trotzenden Kniee gebrochen.

Erblindend zum Xachttod Hebt sterbend die Göttin Hoch über den Scheitel

Das Antlitz der Gorgo.

* *

Hi

Da schweiget die Erdschlacht.

Gebannet zum Schauen Die reissenden Kämpfer.

Es steinern die Lippen,

Es steinern die Augen,

Es steinern die Schwerter In steinernen Händen. lA steinert das Blut In steinernen Wunden,

Es steinern die Todten In steinerner Stille.

Aber hinweg

Durch die sonnebeströmten Freudigen Wolken Leuchtet der Fremde.

Schreckenlos trägt er In heiligen Händen Gekehret zum eig'nen Erlösenden Herzen Das Haupt der Medusa.

Ernst Rosnier.

George Frederick Watts

VON

HELEN ZIMMERN.

In mancherlei Hinsicht ist die Stellung des englischen Malers George l'rederick Watts, des Altmeisters der - englischen Künstlerschaft, eine ganz eigenartige zu nennen, h'r hat keiner einzigen englischen Schule Etwas zu \erdanken, und er hat auch keine eigene Schule gegründet, obwohl er allerdings von bedeutendem Ein- tli; 'S für die zeitgenössische Kunst in Ivngland gewesen i>t. Dieser Ihnfluss war jedoch mehr ein indirecter und hat haunt-'achlich dazu gedient, den Glauben an die etilen Aufgaben der Kunst zu fördern und auf die erh.'ibenen Ziele derselben hinzuweisen. Das lange, von eifriger Arbeit ausgefüllte Heben dieses Künstlers ist ein b‘ tandige.'. unwandelbares E'esthalten an den hohen Idealen der Kunst; in seiner schönen und seltenen l eberzeugungstreue hat er sich nie durch die gerade herrschende Mode oder Geschmacksrichtung beirren 1.1 'Cn . wie er auch auf j)ecuniärcn Hohn und welt¬ liche Idiren nie den geringsten Werth gelegt hat. Und (iab<-i i .t 'cine Eaufbahn eine gkinzende zu nennen, denn kein anderer Künstler in England hat eine Stellung von o eminenter Redeutung unter gleich allgemeiner An¬ erkennung inne, trotz der immerhin getheilten Meinungen über seinen Stil und der Ungleichheit seiner Erfolge. Auch hat unter den lebenden englischen Künstlern kaum '•incr .ich auf so vielen fiebieten au.sgezeichnet. In der I r' und Wandmalerei, in Andachts- und lleiligen- ü-rn. alh-gorischen und historischen Gcmiilden, Eand- h •ften und 'riherdar-tellungen . im Portraitiren und in der Piildh-'iiicrkun: t hat Watts sich versucht und viel gs- r tet. und seine bc-ten Werke stehen so hoch, dass ■ir \..r-'iu; T htli' h für alle Zeit einen hohen Rang be¬ ll ‘;|»t=:n v-.er'kii.

Mr. W.üt i t ein Maler, der. obwohl in einem Zeit. •< r ö- Eu.\ . und der Ruhelosigkeit geboren, die

einsame Höhe einer strengen Richtung anstrebt. Er wünscht nichts Geringeres, als was Dante und Milton, Tizian und Phidias wollten. Alle Achtung vor seinem Ehrgeiz. « This high man, aiming at a million, misses a unit» sagt Browning; und dieses «Zielen nach einer Million, mag auch ein Einer verfehlt werden», dieses durch Nichts zu entmuthigende Streben nach dem Höchsten und Besten kennzeichnet die Stellungnahme Watts’ unter unseren lebenden Malern. Er ist Idealist durch und durch, das ganze Schaffen seines Lebens beruht auf Grundsätzen, die einen entschiedenen Gegen¬ satz zu den Theorien bilden , dass in der Kunst Nichts auf das Motiv , dagegen Adles auf die Behandlung ankomme; dass technische Vortrefflichkeit, naturgetreue Nachahmung der Effecte des Lichts , der Gewebe und sonstiger Stoffe an und für sich als künst¬ lerischer Zweck gelten könne oder doch als ge¬ nügende Berechtigung für die Wahl eines völlig un¬ würdigen oder unbedeutenden Gegenstandes zu erachten sei. Obwohl Watts die Vorzüge offen anerkennt, welche Werke dieser Richtung insofern bieten, als sie leichter bei dem Beschauer Verständniss finden, so flössen ihm derartige Geschicklichkeitsproben doch nur so wenig Bewunderung oder Respect ein, wie das Nachahmen von Naturlauten in einem Musikstück; glänzend ge¬ lungene Imitationen die Frucht, welche den Vogel anlockt, der den Sclaven täuschende Vorhang haben niemals Reiz für ihn gehabt. An seinen Kunstschöpfungen ist das Vorherrschende die Idee. Er hat seine Kunst mehr im Sinne des Dichters als des Malers aufgefasst. Seine Technik ist eine breite und einfache, bei grosser Kraft der Zeichnung und Composition nebst hohem Ver¬ ständniss für Wahl und Vertheilung der F'arben. Nach seiner ausgesprochenen Ansicht, von der er niemals ab-

DIE KUNS r UNSERER ZEIT.

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weicht, kann eine wirklich grosse und auf die Dauer 'erfolgreiche Kunst nur sein: «Die Darlegung irgend eines wichtigen Grundsatzes von geistiger oder materieller Bedeutung, die Illustration einer grossen Wahrheit, die Erläuterung dessen, was im Buche der Natur steht».

Gegen Mr. Watts’ Entwürfe ist oft der Einwand erhoben worden, dass sie mehr ein literarisches als ein künstlerisches Interesse erwecken. Der Maler würde diese Bemerkung vermuthlich nicht für unbegründet halten, aber keinen Tadel darin finden.

In der Verborgenheit seines grossen Ateliers im Little Holland House zieht Mr. Watts gleich einer Zauberspinne rings um sich her das glänzende Gewebe seiner emsig schaffenden Phantasie. Klatsch sowohl wie Schmeicheleien der «Kunstwelt» sind ihm völlig gleich- gütig. Eür Ausstellungen arbeitet er nicht; er malt bald an diesem, bald an jenem Bilde, und wenn die Zeit der Ausstellung da ist, holt man ihm ab . was er gerade fertig hat. Nichts was in Künstlerkreisen vor¬ geht, tritt an ihn heran, er weiss nicht, ob er verstanden wird oder nicht. Seine Werke sind da, für Jeden, der Augen hat und sehen will.

Mr. Watts, der 1820 in London geboren ist, be¬ suchte die Kunstschule der Royal Academy, worüber er indessen kurz und bündig sagt: «da ich dort keine Belehrung fand, ging ich bald nicht mehr hin». Zu jener Zeit lag die Kunst, mit Ausnahme der Bildniss¬ und Genremalerei, in England arg darnieder. In Folge seiner entschiedenen Neigung zur Plastik trat Watts in das Atelier des Bildhauers Behnes ein. Hier pflegte er dem Künstler zuzusehen , eine andere Art von Be¬ lehrung erhielt er nicht. Die Antiken der Elgin-Samm- lung haben ihn von Anfang an entzückt, und seinem Studium dieser vollkommenen Werke des Phidias sind die grössten Erzeugnisse Watts’ zuzuschreiben. Unter dem Einfluss dieser erhabenen Meisterwerke arbeitete der Jüngling bis 1847, welchem Jahre er zwei Porträts und ein Gemälde «Der verwundete Reiher» genannt, in der Kgl. Academie ausstellte; ein interessantes Erstlings¬ werk, welches nach mehr denn fünfzig Jahren seinen Weg in das Atelier des Künstlers zurückgefunden hat. Die Leiden, denen die Thiere ausgesetzt sind, die ent¬ weder in der Freiheit unseren Jagdflinten zum Ziel dienen oder zahm Sclavendienste für uns thun, haben auf Watts stets ergreifend gewirkt. Und von dieser Stimmung zeugt das kleine, dem jungen Kunstschüler vortrefflich gelungene

Bild der graziöse Vogel mit dem silbergrauen Ge¬ fieder, die Federn gesträubt und blutig, der zuckend am Boden liegt, während aus der Ferne der flotte Jäger zu Pferd herbeieilt, um seine Beute zu holen. Sein Mitleid mit der Thierwelt hat der Künstler als Greis vor zwei Jahren auch durch ein seiner sonstigen Manier nicht entsprechendes Bild zum Ausdruck gebracht, das freilich als Kunstwerk nicht sehr bedeutende « Das Ende eines Lebens voll harter ungelohnter Mühen». (A patient life of unrewarded toil). Hier soll durch die Gestalt eines erbärmlichen zusammengebrochenen Ar¬ beitsgaules das Elend der beklagenswerthen Thiere geschildert werden, die zur Sclaverei verdammt sind. Im Jahr 1842 ereignete es sich, dass die englische Regierung, um die Befähigung der einheimischen Künstler zur Erescomalerei im Hinblick auf die innere Ausschmückung der neu erbauten Parlamentshäuser zu prüfen, ein Preis¬ ausschreiben für Cartons erliess. Einen von den drei ersten Preisen im Betrage von 300 Pfund Sterling bekam Watts für seine Composition: « Caractacus, im Triumph durch die Strassen Roms geführt». Dieses Jugendwerk ist nicht mehr vorhanden, der Entwurf ist verkauft worden und später, in Stücke geschnitten, in den einzelnen Theilen zur Verwerthung gekommen.

Mit dem erhaltenen Geld ging Watts nach Italien, wo er sich mehrere Jahre aufhielt und in Rom, Florenz und Venedig die alten Meister studirte. Aus den Werken von Tizian, Tintoretto, Giorgione und Michel Angelo, wie aus den Kunstschätzen des griechischen Alterthums, gewann er die Belehrung , deren er bedurfte , und die er an den Lebenden vermisste. Diese Alten waren in der That für einen Künstler von so eigenthümlicher Begabung und Gemüthsanlage die einzig annehmbaren Lehrer.

Sein mit Entschiedenheit verfolgtes Streben galt stets der edelsten Formenschönheit mit seelischem Ge¬ halt und einer Wiedergabe des harmonischen Farben¬ reichthums, den die Natur besitzt. Zu den oben genannten Führern zog ihn eine Art seelischer Ver¬ wandtschaft, die ihn antrieb, ihren Spuren zu folgen, ihren Geist und ihre Methoden in sich aufzunehmen. Aber er ist ein Mann von einer zu stark ausgeprägten Individualität, um nur Nachahmer sein zu können ; daher sind seine Compositionen zv.^ar von ähnlicher Art wie seine Vorbilder, jedoch gänzlich original in Auffassung und Behandlung. Charakteristisch ist Mr. Watts eine

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

: vvi'-c, nordischen Geiste eigene Strenge, eine

I ':c;r, welciie seinen südlichen Meistern fehlt: so- -enes \'orherrschen der Idee, das man bei erfolg- r^-'-lun Künstlern so äusserst selten findet, und vor .\deni ienc tief traurige Anschauungsweise, welche die ^c-'lige Signatur unseres Jahrhunderts bildet. Erinnert er uns in mancher Hinsicht an Tintoretto, diesen, durch die dramatische Wirksamkeit seiner Kunstschöpfungen so mächtigen Sittenprediger, so ergibt andererseits eine ."Or- faltige Untersuchung seiner Kunst, dass dieselbe ebensowohl heidnische wie christliche Elemente aufweist und dabei etwas vom deutschen Mysticismus angehaucht i.'t. Er gleicht Kaulbach , neigt jedoch mehr zum M\ steriusen . als dieser.

Nach seiner Heimkehr aus Italien gewann Mr. Watts wiederum einen vom Staat ertheilten Preis, 500 Pfund .'Sterling, für ein Oelgemälde: «Alfred, die Sachsen anfeuernd, die Eandung der Dänen zu verhindern». Dieses Werk und noch ein anderes, xEcho», sind von der .Nation angekauft worden und hängen in den Vor- aleii de> ( )bcrhauses , wo sich auch ein später aus- gefuhries I'rescogcmälde von ihm befindet, dessen Motiv SiwMi'Cr’s l'airy Oucen » (P’eenkönigin; entnommen ist, Tlic Rod Cross Knight» (St. Georg, den Drachen be-iegcntb . eine durch Kühnheit der Zeichnung und gros-'C Reinheit der Earbenwirkung ausgezeichnete Com- p' '-ition.

.So weit hat es dem ehrgeizigen jungen Künstler nicht an iffentlicher Anerkennung gefehlt, und trotzdem w.ihrte er dann noch zwanzig Jahre, bis er zum ausser¬ ordentlichen Mitglied (Associatej der Kgl. Academie erwählt wurde. Ifie Ehre der Mitgliedschaft wurde n. nilich, gema--. den Vorschriften dieses Instituts früher nur olchen Künstlern gewahrt, welche sich vorher lur' h Namen'cintragung darum Ijeworben hatten; hierzu ■her war Mr. Watt-, <ler \deles an dem Regime der Ge-- 11: > liaft r>ffen mi:- billigte, durchaus nicht zu be- ••'"■n gewe-en ; und er stellte auch viele Jahre lang N;= ht in der .\cademie au -. Als endlicdi im Jahre l <S67 ä‘ <- Ijc .!ote \\)r--chrift beseitigt war. wurde Mr. Watts *' -rt zum aus erordentlichen und im darauf folgenden Jdr zum ordentli' hen .Mitglied ( Academician) erwählt.

Keinerlei u-xere Wechselfalle konnten seine Ifnergie rmind.-rn .fi.'T ihn im geringsten von seinen hohen Ziel n ■l>len);cn. die Nicht mit persönlichem Streber¬ thum emein halif n. ( )hne sich um jeweilige Zeit-

strömungen zu bekümmern, folgte er seinen eigenen künstlerischen Ideen. Die beiden Kunstgattungen, in denen er am meisten Beifall erntete, sind die Allegorie und die Portraitmalerei. Die Vorliebe für abstracte Begriffe ist bei ihm mit einer ausserordentlich regen Phantasie und einer stark ausgeprägten Individualität verbunden , und durch letztere Eigenschaft gelingt es ihm auch, die rein menschlichen Sympathien zu erwecken. Schon im Jahre 1847 er seine Bevorzugung alle¬

gorischer Darstellungen in seinem Academiegemälde « Die Illusionen des Lebens » zu erkennen, welches uns den menschlichen Lebensgang vorführt. Schöne Traum¬ gestalten schweben über einem Golf, der sich an der Grenze des Daseins aufthut. Zu ihren Eüssen liegen die zertrümmerten Embleme der Grösse und Macht, und auf einem schmalen Streifen Erde, der einen tiefen Ab¬ grund überragt, sind die noch nicht zerstörten Illusionen sichtbar der Ruhm in Ge.stalt eines geharnischten Ritters, welcher der Seifenblase eines glänzenden Namens nachjagt; die Liebe als ein sich umschlingendes Paar; die Gelehrsamkeit durch einen im Dämmerlicht über Handschriften gebückten Greis und die unschuldige Lebenskraft durch ein Kind verkörpert, das nach einem Schmetterling hascht.

Obwohl die allegorischen Entwürfe WAtts’ niemals Illustrationen zu irgend einer Erzählung sein sollen, sondern für sich bestehende malerische Schilderungen sind, welche die lichten und dunklen Seiten des mensch¬ lichen Lebens versinnbildlichen , so kommt es doch zuweilen vor, dass seine Motive für die dem Maler zu Gebote stehenden Darstellungsmittel zu complicirt erscheinen. Daraus erklärt sich zum Theil die schon erwähnte Lhigleichheit seiner Erfolge auf diesem Gebiet. Anziehend sind seine Werke jedoch stets insofern, als in ihnen die ernste Geistesrichtung des Künstlers zur Geltung kommt , der mehr nach Adel der Formen, als nach sinnlicher Schönheit strebt, der lieber das Harmo¬ nische als das nur Schöne wiedergibt. Um Mr. Watts’ Bilder richtig zu würdigen, muss man sich sagen , dass sie nicht allein zu dem Zweck gemalt sind, das Auge zu erfreuen, wenn sie auch durch schöne P'arben- gebung und Zeichnung diese Wirkung fast überall erzielen. Was sie jedoch von dem denkenden Beschauer verlangen, ist, dass derselbe in sein eigenes Herz blicken und so die moralische , intellectuelle und meta- phy.si.sche Idee des Künstlers erkennen soll , der bei

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Kin (Igj'’ I hof.

Letzte Etappe.

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seinen Schöpfungen eben auf die höhere Empfänglichkeit, das intellectuelle Verständniss beim Publicum rechnet. Und je nach dem Grade, in welchem der Beschauer der Werke Watts’ dieser Bedingung entspricht, wird er die¬ selben zu beurtheilen und zu würdigen wissen.

Man hat gegen seine allegorischen Bilder einge¬ wandt , dass ihr Sinn oft nicht unmittelbar und rasch genug zu erfassen sei, wie z. B. in «Dedicated to all the churches» (Allen Kirchen gewidmet). Allerdings ist dies wahr, aber ist es ein F'ehler." Nach Professor Ruskin’s Ausspruch wird es keinem Autor, der über eine grosse Sittenlehre schreiben will, darauf ankommen, dieselbe nur in platter Deutlichkeit aufzustellen, damit Jeder auf den ersten Blick, ohne Nachdenken, darüber im Klaren ist, um das Gelesene sofort wieder zu ver¬ gessen und sich dann mit etwas Anderem zu beschäftigen. Der Verfasser wird es vielmehr vorziehen, seine Ideen nicht so ganz unverhüllt hervortreten zu lassen, so dass dieselben sich Denen, welche sie gern ergründen wollen, durch die Bemühung des Denkens besser einprägen. Wenn dies bei Büchern zutrifft, warum nicht auch bei Gemälden? Unstreitig sollte ein Bild, das nur gemalt ist, um die Sinne zu erfreuen. Jeden sofort erkennen lassen, was sein Titel besagt. Vorausgesetzt, dass die Malerei überhaupt berechtigt ist, philosophische Belehrung oder geistige Bildung zu vermitteln, so kann bei einem Gemälde idealer Tendenz diejenige Behandlungsweise nicht tadelns- werth sein, welche der Maler für die beste hält.

In «Zeit und Vergessenheit: (Time and Oblivion) eine andere seiner Allegorien hat Mr. Watts die colossalen Idealgestalten über dem Erdball in den Lüften, zwischen den Himmelskörpern des Tages und der Nacht schwebend, dargestellt. Die «Zeit», durch den Typus unbesiegbarer Männlichkeit und Jugendkraft verkörpert, und die «Vergessenheit», mit gesenktem Haupt und niedergeschlagenen Augen, den Mantel weit aus¬ einander gebreitet, sieht man Beide auf dem Wege zum Grabe schnell dahin eilen. Die Figuren sind von monumen¬ taler Wirkung, ausdrucksvoll in Haltung und Form. Der Künstler hat für die « Zeit » eine originelle und edle Ge¬ stalt erfunden, er führt sie uns nicht als den abgezehrten, grimmigen Greis mit der spärlichen Stirnlocke vor.

Das Bild «Time, Death and Judgement» (die Zeit, der Tod und das jüngste Gericht), zeigt uns eine Gruppe colossaler Figuren , die im Aetherraum feierlich dahin¬ schreiten. Der «Tod», eine majestätische weibliche

Gestalt, in silberweisse Gewänder gehüllt, trägt eine Menge Blumen und Blätter; die «Zeit» ist, wie in dem vorerwähnten Bild, als Verkörperung unerschütterlicher Kraft dargestellt, und das «Gericht», eine schwebende Figur, fährt mit ausgestreckten Armen, ein feuriges Schwert schwingend, aus der Höhe niederwärts. Auch den Tod stellt Watts in anderer, als der allgemein üblichen Weise dar. Seine Gestalt des Todes ist ein grosses, in Weiss gekleidetes Weib mit hohlwangigem, fahlem Antlitz und eingesunkenen Augen. Alle diese alle¬ gorischen Figuren tragen einen monumentalen Charakter. Mr. Watts’ Göttergestalten fehlt es nie an Würde und Hoheit, sie scheinen die Vorstellung der Allmacht zu erwecken. Sein Sinn für die Plastik leitet ihn bei seinen symbolischen Darstellungen und äussert sich in dem einfach erhabenen Stil, in welchem er das Uebersinn- liche nur durch einen mehr als natürlichen Grad von Kraft und Ruhe zur Anschauung bringt. Dass seine Compositionen solcher Art nur dem Geschmack einer kleinen Minorität des Publicums Zusagen , ist selbst¬ verständlich. Für diesen Maler jedoch existirt die Er¬ wägung von Angebot und Nachfrage überhaupt nicht Er ist der Ansicht, dass es in des Künstlers Macht steht, sich selbst die Nachfrage zu schaffen, indem er seine feinere Beobachtungsgabe vorhandenen Begriffen zuwendet, diese dann in einer neuen Fassung, dem Ergebniss seiner persönlichen Studien , wiedergibt und so die Phantasie des Beschauers durch malerische Ge¬ staltung schöner poetischer Darstellungen bereichert. Der poetisch philosophische Hang, welcher Watts inne¬ wohnt, bekundet sich in allen seinen Werken, und er hat es aber- und abermals bewiesen, dass die allegorische Kunst noch lebensfähig ist. Freilich kann nicht be¬ stritten werden, dass ihre Motive ausser Fühlung mit unserer Zeit stehen. Ausgenommen des Malers « Love and Death» (Die Liebe und der Tod), das den Geist der letzten Dezennien des 19. Jahrhunderts athmet, besitzen seine Werke einen streng didactischen Charakter, der nicht mit der allgemein herrschenden Denkweise harmonirt. Mit «Liebe und Tod» hat Watts vielleicht die höchste Popularität errungen, die je einem seiner Gemälde zu Theil geworden ist. Das Motiv ist ebenso einfach, wie die Idee eine glückliche war, und wir finden in diesem Werke die besten Seiten seines Schöpfers aufs Höchste zur Geltung gebracht. Die Liebe, durch eine knaben¬ hafte Gestalt mit hellen Flügeln versinnbildlicht, trachtet

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dem Tode den Eintritt in ein Haus zu wehren. Der Entwurf wie die Behandlungsweise sind ausserordentlich wirksam. Der «Tod , eine imposante Eigur, deren verhülltes Haupt gesenkt und vom Beschauer abgewandt ist. wahrend sie mit emporgehaltenem Arm ruhig und keines Widerstandes achtend geradewegs vordringt, be¬ kundet in allen diesen Zügen eine durch Nichts zu besiegende und ohne Anstrengung geübte Macht und Stärke, wozu die Geberde der anmuthigen, in ihrer Zärtlichkeit nicht minder ausdrucksvollen «Liebe», des verzweifelt kämpfenden Knaben, einen ergreifenden Gegensatz bildet, wie er seine äusserste Kraft daran setzt, die feindliche Gewalt zum Zurückweichen zu bringen, die nur zu bald siegen wird, worauf schon die geknickten Ledern seiner Flügel deuten, wie die fallenden Blätter und welken Rosen vor dem von ihm beschirmten Portal. W'ahl und Anordnung der Farben sind gleich vorzüglich bei diesem Bilde, das auch den dargestellten \’or£rang in einer so ergreifenden Weise zum Ausdruck bringt, wie es selten bei Motiven dieser Art gelingt.

Den «Tod» als weibliche Person hat Watts uns noch in einem andern bedeutenden Kunstwerk vorgeführt, genannt «Der Todesengel», der hier als eine Herrscherin auf dem Throne gemalt ist. Das Gemälde ist gross¬ artig, von monumentaler Erhabenheit und poesievoller Auffassung. Sein « Liebe und Leben » , obwohl nicht ganz so packend in der Wirkung, ist eine Composition von hoher P'einheit, durchaus zart in Stimmung und Behandlung. Hier ist der Liebesgott nicht als ein Kind , sondern als der erwachsene Eros der Griechen dargcstellt; er erscheint als Schutzgeist des Lebens, einer halb erwachsenen , schüchtern und furchtsam auf- tretenden Mädchengcstalt , die im Begriffe ist, einen rauhen, felsigen J-lergpfad hinan zu steigen. Die sanfte und gedampfte Larbenstimmung ist in subtiler Weise dem Motiv angepasst und daher absichtlich in weichen 'fönen gehalten. 'f'ata Morgana», ein ebenfalls viel bewundertes GemiUde , dessen Motiv der Künstler Bojardo’s Orlando Innamorato» entnommen hat, stellt di-- fliegende nackte Gestalt der «Gelegenheit» dar, wie ii'' ach der Verfolgung des ihr nachjagenden Ritters entzieht. Die I'ce kann nur an der Stirnlocke erfasst wcr-len. und er greift vergebens nach ihrem luftig wei en Schleier, als sie an ihm vorüberschwebt. Mit dem linken erhobenen Arm verbirgt sic zur Hälfte ihr liebliche . spöttisches Antlitz, während der Wind ihre

leichten , blonden Locken emporstreift. Die lebhafte, schwingende Bewegung der jugendlichen Gestalt bringt den Begriff der Illusion in äusserst wirkungsvoller Art zur Anschauung. Die weissen, feingeformten Glieder heben sich schön von dem reich schattirten Laubwerk im Hintergründe ab, und dieses sowohl, wie der dunkle Harnisch und das wettergebräunte , geröthete Antlitz des mit nutzlosem Ungestüm durch das Dickicht dringenden Ritters erinnern in ihrer Farbenpracht an die alten venezianischen Meister. Wie ersichtlich , ist bei den besten der allegorischen Gemälde Watt’s eine Erläuterung überflüssig oder doch kaum erforderlich. Besonders in dem zuletzt erwähnten Bilde ist die Idee so lebendig erfasst und durch die Composition so klar zum Ausdruck gebracht, wie es besser bei keiner Dar¬ stellung irgend einer ganz alltäglichen Situation aus der Wirklichkeit gelingen kann.

Ein diesem Motiv verwandtes Sujet ist «Mischief» (Unheil), worin die verhängnissvolle Macht der irdischen Liebe symbolisirt ist. Ein, in der ersten Kraft stolzer Männlichkeit stehender Jüngling die Figur der «jungen Menschheit » , ist bethört von der Leidenschaft, die im Gewände der Liebe erscheint, und sieht sich nun, an¬ statt der Rosen, die er zu finden gehofft, von einem Dornengestrüpp umgeben. Ihm zu Füssen ist Amor’s Pfeil, der zu kurz gezielt war, im Boden stecken ge¬ blieben, Noch halb widerstrebend beugt er den Nacken unter das Joch seiner Besiegerin. Sich ihrer Führung überlassend, wird er ein Opfer des «Unheils», der be¬ rückenden Zauberin mit den flatternden Locken , dem falschen Lächeln und dem Blendwerk gaukelnden Scheins. Und immer tiefer in das Dornendickicht geräth der willenlose Gefangene , der sich blindlings in sein Ver¬ derben führen lässt. In der Behandlung des landschaft¬ lichen Hintergrundes , der Berge und Wälder verräth Watts den starken Einfluss der italienischen Meister, welche er in dieser , wie jeder anderen Gattung der Malerei für die besten Führer hält.

Auf dem Gebiet der religiösen Kunst bevorzugt er die erhabenen Motive aus der alten hebräischen Ueber- lieferung, und er hat gar manchen finsteren Gegenstand aus dem alten Testament mit Erfolg zur Darstellung gebracht. Seltsamer Weise zeigt er sich verhältniss- mässig schwach in den wenigen Fällen, wo er seine Inspirationen aus den christlichen Religionsquellen schöpfte. In seinem Ehrgeiz hat er sich nicht immer

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den Schranken gebeugt, die dem menschlichen Streben naturgemäss gezogen sind. Zu einer Zeit hegte er den Plan, in einem Cyclus von Fresken die Geschichte der Welt darzustellen, und diese Gemälde sollten die Wände eines eigens für den Zweck entworfenen Gebäudes schmücken. In dem ersten Bilde «Chaos» beabsichtigte der Künstler den Vorgang symbolisch zu veranschau¬ lichen, wie unser Planet aus dem chaotischen Zustand in den der Ordnung übergeht. Ueber die Unmöglichkeit, diesen Plan im Ganzen durchzuführen, werden wohl die meisten Urtheile übereinstimmen, und Mr. Watts selber ist dahin gelangt, ihn als einen Traum zu betrachten. Diesem Traume aber ist manches Gute zu danken , da einige der erfolgreichsten Entwürfe des Künstlers von ihm ursprünglich für den projectirten Cyclus bestimmt gewesen sind. Als bewundernswerth sind darunter die¬ jenigen zu nennen, welche die Geschichte der Eva dar¬ stellen, «Die Schöpfung», « Die Versuchung », und «Die Reue». « Der Tod Abel’s » ist unstreitig eine mächtige Composition von schwungvoller Zeichnung und breiter Darstellungsweise. Kain, über die leblose Gestalt seines Opfers gebeugt, fühlt schon die unerträgliche Wucht des ihn treffenden Strafgerichts , welches durch über¬ natürliche Wesen symbolisirt ist, die mit zur Rache aus¬ gestreckten Armen in der Höhe über ihm sichtbar sind. «Der Tod Kain’s», auf welchem Bilde Asrael zu dem gebeugten, ermatteten Riesen als Engel der Erlösung kommt, ist ein Werk von so finsterem Gepräge , dass zu seiner vollen Würdigung eine Seelenstimmung und ein geistiger Standpunkt gehören, wonach beim modernen Publicum auszuschauen fast ein hoffnungsloses Beginnen sein dürfte. «Esau» ist eine einfache, aber wirkungs¬ volle Darstellung der Gestalt des wilden israelitischen Waidmannes. Das Motiv der Sündfluth hat Watts wieder¬ holt und mit wechselndem Erfolg behandelt. Besondere Beachtung fanden « Die Rückkehr der Taube zur Arche Noah’s» und «Die Taube, die nicht wiederkam » und beide Bilder das eine war 1 869 , das andere 1882 ausgestellt sind höchst originelle Schöpfungen, die nicht leicht vergessen werden können. In der See¬ malerei sucht Mr. Watts die Wirkung stets nur durch die Wiedergabe des Eindrucks zu erzielen , den das weite grosse Element in seiner einfachen Erhabenheit gewährt. In den beiden genannten Werken ist es ihm gelungen, den an sich dürftigen Vorgang eigenartig an¬ ziehend und lebendig darzustellen.

Höher strebend, doch minder glücklich war er mit seinem Gemälde neueren Datums «Der Sündfluth 4ister Tag X , worin er den Anfang vom Ende der Fluth schildert und die gewaltige Kraft zur Anschauung bringen will, mit welcher Licht und Hitze, die Dunkelheit verscheuchend und die Wassermengen in Dunst und Nebel auflösend, der erstorbenen Natur neues Leben einflössen.

Watts, der die Ansicht hegt, dass die idealistische Malerei gleich der Musik eine Kunst ist, deren Publi¬ cum die Fähigkeit besitzen muss, den Intentionen des Künstlers zu folgen, beansprucht eine Erweiterung der Grenzen , innerhalb welcher die Malkunst ihre Motive zu suchen pflegt. Ein Bild, worin er diesen Anspruch geltend macht, führt den Titel : « Das Innerste in uns » (The Dweller in the innermost). Kraft und Bedeutsam¬ keit sind diesem Versuch, den inneren Protest der Seele gegen das Böse zu versinnbildlichen, nicht abzu¬ sprechen. Das seltsame Bild mit dem mystischen, be¬ flügelten Kopf, dem das Himmelslicht von der Stirn strahlt, dessen durchbohrende Augen die hinter falschem Schein verborgene Wahrheit erkennen, mit der den Ein¬ druck des Geheimnis.svollen, Ueberirdischen erhöhenden trüben Farbenstimmung unterscheidet sich zwar von den übrigen Werken Watts’ insofern es nur ein Phantasie¬ gebilde darstellt, ist aber trotzdem höchst charakteristisch für die Gemüthsrichtung dieses Malers.

Auch auf dem Gebiet der Romantik und der Mythologie hat er sich versucht. Sein schönstes Werk ist die ungemein dramatisch wirkende Composition «Orpheus und Eurydice». Der Künstler hat für sein Bild den Moment gewählt, da Orpheus, nachdem er sich umgeblickt hat, Eurydice gewahrt , wie sie erbleichend zu Boden sinkt , um wieder vom Hades verschlungen zu werden. Wir sehen die eine Gestalt, ganz Leiden Schaft und Energie, in den Farben des warmpulsirenden Lebens, die andere dahingegen in hülfloser Haltung und von der Blässe des Todes überhaucht. Voll poetischer Empfindung sind auch die Darstellungen von « Ariadne » und «Endymion». In der Scene, wie sich die entzückte Göttin im Mäanderthal über den schlafenden Hirten beugt, finden wir durch die Haltung ihres Körpers und den Silberschimmer ihrer Gewänder sowohl die Sichel¬ form des Mondes, wie das weisse Licht desselben an¬ gedeutet.

Manche seiner Lieblingsmotive liebt Watts wiederholt zu variiren. Sehr häufig sucht er düstere und traurige

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S- i. zur Darstellung zu bringen, und für solche besitzt ' treitic eine besonders hohe Gabe des Ausdrucks, f intfnsix'c Tragik seines «Paolo und Francesca von kindni ist nicht zu übertrefien. Ohne den idealen, ' ^>etischen Geist, von dem die Composition durchdrungen i't. würde dieselbe eine qualvolle Wirkung auf den Be¬ schauer üben. Die Gestalten des verlorenen Liebes- riUtires .schweben, in wallende Gewänder von bläulichem \\’eis.s gehüllt und kraftlos an einander geschmiegt, in mitten der fahlen Schatten der Hölle dahin , und die ewige Tragödie ihres durch sündige Liebe verwirkten Lebens prägt sich in ihren Zügen aus, deren Schönheit eine geisterhafte eine Schönheit des Todes ist. Die X’orstellung des Lebens im Tode, der ewigen Qual und Hoffnungslosigkeit, durchdringt dieses ganze in echt Dante'schem Geist empfundene und schön componirte Gemälde. In Watts «Paolo und I'rancesca » ist die malerische XTrwerthung eines dichterischen Motives in ■^o selten hohem Grade gelungen , dass die Vision des Poeten und die Auffassung des Malers sich vollständig ■decken. Die weinerliche Sentimentalität Ary Scheffer’s und die theatralischen Attitüden in den Dore’schen Illustrationen sind gleich weit entfernt von der strengen, -elbst im .-Vusdruck der Leidenschaft bewahrten Ruhe de-^ grossen Italieners. Auf diesem Bilde aber sehen wir. was Dante’s Geist erblickte.

Als Darsteller des schmutzigen Pdends, der gemeinen und hässlichen Seiten des modernen Lebens ist Watts nicht in seinem Llement. Er steht ihnen zu fern, daher fehlt ihm für die ergreifenden Momente, welche sie bieten, die rechte .Sympathie. Trotzdem hat er sich melirmals in dieser Richtung versucht.

Ist nun Watts auch halb und halb zu den träumerisch beanlagten .Naturen zu zählen, so lässt er sich doch keinesweg,^ gänzlich von der Phantasie beherrschen, was b'- ^mder-^ aus seinen Darstellungen lebender Mensclicn zu ersehen ist. Und so hat er denn auch in keinem k h o viele Erfolge zu verzeichnen, als in der Portrait- I.. ü-rG. Natürlich i -t sein Stil sämmtlichen neuen und est = :n Rif htungen auf dem Gebiet der Bildnissmalerei,

fpdf r den blecn der modernen französischen .Schule, ' t -ntr f. gengesetzt. Dies zeigt sich aucli in der

N htcrid f it füner k arbenstimmung , seiner Vorliebe t er c ■■ 1- ms ften l one. seiner Abneigung gegen Alles, w ' r; if b-srfchnet erscheint, in’s Auge zu fallen,

id nn wei; er die Kraft, welche in der Beschränkung

liegt, sehr wohl zu schätzen und mit feinem Verständniss anzuwenden. Grundsätzlich hält er sich als Portrait- maler nicht an den flüchtigen Moment oder das rein Aeusserliche. Ihm ist es nicht um die sogenannte realistische V/ahrheit, die auch der Photograph erzielt, und eben so wenig um coloristische Geschicklichkeits¬ proben in der Wiedergabe der Stoffe und Farbenreize zu thun. Er will vor Allem das Wesen der Persönlich¬ keit erkennen und festhalten. Durch seine künstlerische Divinationsgabe, verbunden mit seiner technischen Meister¬ schaft, gelingt ihm dies vortrefflich, und am besten, wenn er Menschen von hoher geistiger Bedeutung zu malen hat. Sind seine Modelle weniger charakteristisch, so zeigt er sich, wo ihnen selbst ein anziehendes Aeussere nicht abzusprechen ist, oft unvortheilhafter und lässt in Bezug auf die Aehnlichkeit zu wünschen. Aber glücklicherweise haben gerade diesem Künstler, dessen Specialität gleichsam die Wiedergabe der Seele ist, sehr viele geistig hervorragende Männer seiner Zeit gesessen. Eine Sammlung dieser interessanten Portraits, welche er in seinem Atelier aufbewahrt und der englischen Nation zum Vermächtniss bestimmt hat, wird nicht allein einen künstlerischen, sondern auch einen historischen Werth behalten. Zu den von ihm gemalten berühmten Engländern gehören um mit den Dichtern zu beginnen Tennyson , Browning , Swinburne , Rosetti , Morris Matthew Arnold, Henry Taylor; unter den Schriftstellern und Gelehrten befinden sich Carlyle, Stuart Mill, Lecky, Leslie Stephen; zu den Staatsmännern zählen Gladstone, Dilke, der Herzog von Argyle, die Lords Salisbury, Shaftsbury, Lyndhurst und Sherbrooke; die hohe Geist¬ lichkeit sehen wir durch Dean Stanley, Cardinal Manning, Dr. Martineau vertreten, und von den Malern sind Burne Jones und Watts selber zu erwähnen. Eürwahr eine stattliche Liste! Und bei jedem Einzelnen ist seine specielle Geistesgabe als Hauptmoment der Aehnlichkeit behandelt. Dieses Hervorheben der intellectuellen Eigenart, deren Ausdruck manchen auf der höchsten Stufe der Technik stehenden Malern entgeht, ist eben von wesentlicher Bedeutung für die Aehnlichkeit eines Bildni.sses, und zwar weit mehr, als naturge¬ treue Detailausführung ; denn diese betrifft häufig das Nebensächliche und Zufällige, schliesst aber eine falsche Auflassung des Wesentlichen nicht aus, ja, bedingt eine solche sogar, wo sie in unmotivirter Weise hervortritt.

J, J. llenner

Phot. F. Hiofstaengl. München.

Mädchen aus dem Obereisass.

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Watts’ technisclie Vorzüge in der Bildnissmalerei sind kräftige Pinselführung, meisterhafte Beherrschung der gedämpften Farben, vortreffliche Modellirung und in der Behandlung der P'ormen des Antlitzes eine sub¬ tile Verschmelzung der Licht- und Schattentöne. Macht sich auch zuweilen der Einfluss der alten venezianischen Portraitmaler bei ihm geltend, so hat er sich doch im Ganzen auf diesem, wie auf den übrigen Gebieten seiner Kunst einen frischen, ihm selbständig eigenen Stil be¬ wahrt, der in seltener Weise von Manier frei ist und stets charakteristisch wirkt. Sein vor 25 Jahren ge¬ maltes Bildniss Joachim’s, genannt «A lamplight study », berührt sogar fast verblüffend durch die Schärfe des geistigen Ausdrucks und die Lebenstreue der Züge. In den weiblichen Portraits erreicht Watts nicht immer den Höhepunkt seines Könnens, es sei denn, dass sein Modell im hohen Grade interessant ist, wie z. B. Miss Tennant, die jetzige Gattin des Afrikareisenden Stanley. Aber keines von seinen Portraits verleugnet den Meister in der Erkenntniss der Menschenseele, jedes einzelne bekundet nicht nur die Kunst eines grossen Malers, sondern auch die Kraft eines hervorragenden Denkers. Es sind ganz aussergewöhnliche Eähigkeiten des Ver¬ standes, wie des Gemüthes, welche diesem Manne mit so vielen ganz verschieden gearteten Geistern höehsten Ranges PMlilung geben. Unter allen diesen, die intellec- tuellen Kräfte im Leben der Nation vertretenden Zeit¬ genossen, die Watts gemalt hat, ist kein Einziger, bei dem es ihm nicht gelungen wäre, genau den Grundton zu treffen.

Den Landschaften Watts’ habe ich keine eingehende Besprechung gewidmet , wenngleich er auch manchen schönen Erfolg in dieser Kunstgattung erzielt hat. In¬ dessen ist er auf diesem Gebiet verhältnissmässig weniger thätig gewesen und hat sich mehr darauf be¬ schränkt, die Natur als Umgebung seiner menschlichen und übersinnlichen Gestalten zu verwerthen. Es giebt jedoch kein Fach der Malkunst, in welchem er sich nicht versucht und mehr oder minder ausgezeichnet hätte. Als ein grosser Verehrer der Frescomalerei hat er mehr als irgend ein Anderer gethan, um diese Kunst in England einzubürgern, obwohl die Ungunst des Climas für dieselbe ein grosses, wenn nicht gar verhängniss- volles Hinderniss bildet. Unter diesem schädlichen Ein¬ fluss haben die Fresken im Westminster-Palast bedeu¬ tend gelitten. Einmal erbot sich der Künstler, nur

gegen Erstattung des Herstellungs- Materials die grosse Halle des Euston - Bahnhofes mit Wandgemälden zu schmücken. Dieser Plan ist indessen nie zur Ausführung- gelangt, was kaum zu beklagen ist, in Anbetracht der ungeschützten Lage des Raumes und der daraus folgen¬ den Gefahr für die projectirte Malerei. Er folgt der Methode und Anleitung Cennini’s, und seine in Privat¬ häusern befindlichen PAesken, welche vor Gas und Feuchtigkeit geschützt sind , haben sich in gutem Zu¬ stande erhalten. Die grosse Speisehalle für die Juristen von Lincoln’s Inn weist eines der anerkannt besten Frescogemälde von Watts auf, sein <UPhe School of Legislature«. Das ausserordentlich schöne Werk, welches an der nördlichen Wand, deren ganze Fläche es ein¬ nimmt, vortrefflich zur Geltung kommt, erinnert etwas an Raphael’s «Schule von Athen» und führt uns die grössten Gesetzgeber der Welt von Moses bis Eduard I. vor. Die dreissig Colossal - Eiguren sind in höchst wirkungsvoller Gruppirung auf drei Stufenreihen ver¬ theilt. Des Künstlers glänzende Gabe für Zeichnung und Composition, seine edle und breite Darstellungs- weise finden wir hier in einer Kunstgattung bewährt, von welcher England bisher nur wenige und zwar nicht hervorragende Leistungen besitzt. Hoffentlich bleibt dieses Werk lange von dem verderblichen Einfluss der Zeit verschont.

Watts erachtet das Erlernen dieser Art Malerei von hoher Wichtigkeit für die Ausbildung eines Kunst¬ schülers, und er wird nicht müde, private und öffent¬ liche Corporationen auf die dringende Nothwendigkeit hinzuweisen , dass zum Studium nach dieser Richtung hin möglichst viel Gelegenheit geschafft werde. Der wolkenschwere Himmel Englands indessen und die zer¬ störenden Wirkungen der unbeständigen Temperatur daselbst sind nicht ermuthigend für eine Thätigkeit, deren Ergebniss nur selten bei genügendem Licht ge¬ sehen wird und bald nach der Vollendung der Zerstörung anheim fällt.

Dass Watts auch der Bildhauerkunst viel Studium gewidmet hat, davon zeugen nicht nur seine Leistungen als Maler, sondern auch die Proben seines Könnens in der Plastik selbst. Unter seinen Sculpturen zählt zu den bedeutendsten die grosse, in Bronce ausgeführte Reitergruppe für das dem Begründer der Eamilie des Herzogs von Westminster, Hugh Lupus, errichtete Denkmal in Chester. Auch die Cathedrale in Lichfield

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bir^t ein von Watts modellirtes Denkmal, und seine Biiste der sterbenden Clytia ist ein Bildwerk, das einen hohen Grad von Begabung und Feingefühl für die plastische Kunst \erräth.

In England sind die Künstler mehr als in anderen Ländern auf Erfolge beim Privatpublicum angewiesen. Dass hieraus in künstlerischer Hinsicht manche Nach- theile erwachsen, liegt auf der Hand, aber die Erfahrung lehrt auch anderentheils, dass die englische Regierung, wo sie Staatshilfe verfügt hat. nur in den seltensten Fällen so glücklich inspirirt gewesen ist, wie s. Z. bei dem jungen Watts. Sonst pflegt sie oft die bedenklichsten Fehler in dieser Beziehung zu machen. Die Kunst blüht in England nur als exotische Pflanze. Mr. Watts, der von dem Wunsche beseelt ist, sie als ein Gut von nationaler Bedeutung betrachtet zu wissen, hat ein schönes Beispiel von patriotischer Gesinnung gegeben, um dieses Ziel fördern zu helfen. Im Jahre 1886 machte er eine An¬ zahl seiner berühmtesten Gemälde der englischen Nation zum Geschenk, der er auch die Sammlung als Erbschaft be-timmt hat, welche sich in seinem Atelier befindet.

Nicht ohne Interesse dürfte ein Blick auf Watts’ 'I'cchnik sein, denn auch hierin zeigt er sich ebenso originell und zielbewusst, wie in seinen Entwürfen. .Seine Methode besteht darin , die Farben mosaikartig eine neben die andere, zu setzen, anstatt zu unterlegen und zu übermalen. An den Umrissen mischt er natür¬ lich , aber nie triigt er helle Farben über dunklere auf. ]•> vermeidet es thunlichst, Weiss mit transparenten Farben zu vermischen, und wählt lieber solche, deren Sub>tanz mehr durchsichtig als körperlich ist. Ivr glaubt, dass sein bis auf den Grund transparent ge¬ haltener Farbenauftrag mit der Zeit an Glanz gewinnen und dann gleich dem leuchtenden Colorit der Glasmalerei wirken wird. Bei den Farben selbst legt er auf .Schön¬ heit derselben grossen Werth, und er nimmt sie voll und trocken, mit nur sehr wenig Bindemittel. P'ür die Richtigkeit seiner Ansicht dürfte die 'Phatsache .sprechen, da einige seiner Bilder, die vor bald einem halben Jahrhundert gemalt sind, an Frische des Colorits, ohne da er .eitdem irgend etwas dazu gethan hat, die meisten ' iner neueren Gemälde weit übertreffen. Die l arben -dvinen ogar fimmlich von innen heraus zu leuchten, wa.. einen wunderbar schönen Effect ergibt.

Von Mr. Watts Privatleben ist wenig zu berichten, er lebt f-' -t nur in seiner Kunst und für dieselbe. Als

er schon im reiferen Alter stand , verheirathete er sich und beging den Fehler, ein ganz junges Mädchen, bei¬ nahe noch ein Kind, zu erwählen. Bedrückt von dem Ernst ihres Gatten , für dessen Streben es ihr an Ver- ständniss mangelte, und der seinen Malereien mehr Auf¬ merksamkeit zuwenden mochte als ihr, spielte sie ihm eine Menge toller, im Grunde freilich nur kindischer Streiche, die den ernsten Mann fast zur Verzweiflung trieben, bis sie selbst in Verzweiflung gerathen davon lief. Sie wurde eine berühmte Schauspielerin, die beste, welche die englische Bühne zur Zeit besitzt, Henry Irving’s Mitgenossin bei allen seinen dramatischen Unternehmungen die gefeierte Ellen Terry. Erst nach langen Jahren hat sich Mr. Watt entschlossen, ihren wiederholten Gesuchen um Scheidung nachzu¬ geben. Und vor zwei Jahren ist er, trotz seines Alters, eine neue Heirath eingegangen, ebenfalls mit einer Dame, die bei weitem jünger ist als er. Eine passendere Ehe scheint es dieses Mal indessen zu sein, wenigstens in Bezug auf das beiderseitige Temperament.

Sein Heim befindet sich noch heute, wo er es vor vielen Jahren aufgeschlagen hat im Little Holland House, einer Art P’iliale jenes berühmten, grossen Holland House des kunstliebenden Lord Holland, welcher einer der wärmsten Freunde Mr. Watts’ gewesen ist. Liier hat der Künstler eine grosse und schöne Gemälde¬ galerie für sich eingerichtet, wo die bedeutendsten seiner Bilder hängen. Diese Galerie hält er in dankenswerther Liebenswürdigkeit für die Sonnabend- und Sonntag¬ nachmittage dem Publicum geöffnet, er selbst aber ist dann niemals dort zu finden. Ueberhaupt zieht er sich mit fast peinlicher Beflissenheit in sein Privatleben zu¬ rück, er will von der Welt nur in den Werken gekannt sein, welche er für sie geschaffen hat.

Dass die Nachwelt stets die zeitgenössischen Kunst- urtheile umstösst, ist eine nachgerade sprichwörtlich gewordene Weisheit. Trotzdem dürfte Mr. Watts, nach seinen besten Schöpfungen und seinem künstlerischen Leben.sgang zu schliessen, als einer von Denen zu be¬ zeichnen sein, «welchen», wie ein treffender Ausspruch besagt, « ein bleibender Sieg gewährt ist ; die, ob Realisten oder Idealisten, .stets mit Sicherheit durchdringen, und deren Werke den Streit der Schulen überdauern werden». Dieser Maler ist in der That einer von den wenigen lebenden Künstlern, die während ihrer ganzen Laufbahn ihren erwählten Zielen treu geblieben sind.

UNKRITISCHE KUNSTLERPORTRAITS

VON

FRED. WALTHER.

in.

THURE FREIHERR VON CEDERSTRÖM.

Seit Ende der Siebzigerjahre sind bei allen j Münchener Ausstellungsgelegenheiten, iiT> «Glas¬ palast » und im Kunstverein, Thure von Ceder- ströms Genrebilder gerne und oft gesehen worden. Meist kleinen Formats, erfreuten sie schon von jeher durch die unendliche Sorgfalt und Liebe der Aus¬ führung, durch die Reinheit ihrer Zeichnung und die Gewissenhaftigkeit, mit der Stoffe und stilllebende Einzelheiten bis zum Eindruck greifbarer Plastik darauf durchgebildet waren. Meist waren es Kostümbildchen und Klosterszenen, die wir hier von Cederströms Hand gesehen haben ; vielfach einzelne Cavaliere in den reichen und malerischen Trachten des 1 7. Jahrhunderts, oder Gruppen zechender oder studirender Mönche in den faltigen Kutten verschiedener Orden. Der Gegen¬ stand stets einfach und für sich selbst redend , die Köpfe lebendig und charakteristisch und Alles merk¬ würdig scharf gesehen, mit offenen, ehrlichen Augen gesehen. Der Künstler hat nie versucht, die Dinge so aufzufassen, wie es eine herrschende Kunstrichtung opportun erscheinen liess , sondern er hat vollkommen seinen eigenen klaren Augen vertraut. Und die Ehr¬ lichsten in der Kunst sind doch die Besten nicht als ob alle Ehrlichen immer gut wären! Aber sie sind es sicherlich öfter als Die, die Konzessionen machen und die geschmeidigen Kammerherren der Fürstin Mode.

Thure von Cederström ist geboren am 25. Juni

o

1 843 auf dem Gute seiner Eltern Aryd in der Provinz Smäland in Schweden als der Jüngste von fünf Ge¬ schwistern. Seines Vaters , den er schon im fünften

Lebensjahre verlor, erinnert sich der Künstler, wie er erzählt, so gut wie gar nicht; jener war Cavallerieoberst und nur das bunte militärische Gepränge bei seinem Begräbnis blieb seinem Sohne im Gedächtnis und ist heute dessen erste und lebhafteste Erinnerung aus der Kinderzeit.

Von einem Hauslehrer aus geistlichem Stande er¬ hielt Cederström seine erste Erziehung, dabei sicherlich

Th. von Cederström. « Schach matt. »

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

- - her al.-i künstlerische Anleitung oder auch nur .'-•-■r! _ un., erhaltend. Früh bekommener Anregung hatte . r überhaupt seine späteren künstlerischen Neigungen iit 7u danken. Im Elternhause gab es weder Kunst- noch Bilderschmuck, noch irgend welch sonst-

' es Kunstwerk, wodurch ein latent vorhandener Maler- -inn geweckt werden konnte; nur die Mutter unseres Künstlers hatte früher, der zu Beginn des Jahrhunderts herrschenden Mode der Blumenmalerei folgend, die l'insel geführt und merkliches Talent dabei verrathen ; ein Moment, das doch vielleicht nicht zu unterschätzen ist. Moderne Bhx'siologen behaupten ja, dass bei den über¬ wiegend meisten Künstlern sich eine hereditäre Veran- lagung bei sorgfältiger Forschung nachweisen lassen müsse. Sonst war in Cederström’s Elternhaus von Kunst, wie gesagt, wenig die Rede. Seine Einrichtung war in dem hervorragend nüchternen Stil vom Anfang unseres Sakulums gehalten; von Geschwistern zeigte Niemand irgend welche Anlagen künstlerischer Art.

Und trotz der mangelnden Anregung zeigte sich des kleinen .Mannes künstlerische Ader früh genug. }■> war ein sehr lebhaftes Kind und nicht leicht zum Stillsitzcn zu bringen. Da pflegte ihm denn, wenn er gar zu lebendig wurde, seine Mutter einen Bleistift und ein .Stück Papier zuzuschieben , und man erzählte ihm spater, dass dieses Mittel die beabsichtigte Wirkung selten oder nie verfehlte.

Seltsamerweise entstand inmitten der nüchternen Umgebung in den;. Knaben eine unerklärliche aber leidcn.schaftliche Eiebhaberei für Alterthümer, während seine Altersgenossen hder und Schmetterlinge, Stahl¬ federn, Käfer f>der Siegelabdrücke .sammelten, trug er sich altcrthümliche Objekte aller Art zusammen. Das trug ilim der Sport war damals in Schweden noch nicht so verbreitet, wie er es heute allenthalben ist •Spott und Neckereien von allen Seiten ein und er musste >ich den .Spitznamen « Eumpensammler » gefallen lassen, l < b(T ^eine er->ten .Scliuljahre weiss Thure von Ceder- trom nieht viel Interessantes zu berichten und sic z- :gten gro-,c .\ehnlichkcit mit denen anderer Jungen. An dw Zukunft und das W'erden» dachte er nicht va l und he meisten Echrgcgcnstiinde erweckten in ihm niclu ni'dir. af . da- übliche Interesse. Nur die Zeichen¬ stunde l nd bitten seine damaligen Eelirer selbst was Bc'-'i ri ' gekannt, n. meinte er, wiirden sie ihm wohl au< h w.i- Be -ere- gelehrt haben, als geschmacklose

Th. von Cedersfröm. Aus dem Schlosse Tidö in Schweden.

Vorlagen in Strichmanier zu kopiren. Zum Klassen¬ ersten hat er es nie gebracht, das ist nacligewiesen. Auch kein Unglück! Unter den Menschen, die was Rechtes oder was Besonderes erreicht haben im Leben, ist selten Einer, den in der Schulzeit die Würde eines «Primus» schmückte.

Auch Künstlerträume haben damals den Knaben nicht begeistert. Und als die Jahre kamen, wo es galt, sich für einen bestimmten Beruf zu entscheiden , da meinte er, sonderbar genug, dass er nur als Marine¬ offizier sein Eebensglück finden könne. Er hatte, im Fände geboren und erzogen, nie das Meer gesehen, und ihm selbst war später räthselhaft, wie er zu der Idee kam, ein Seeheld werden zu wollen. In Wahrheit war’s kaum ein Räthsel. Auch bei uns Festländern träumt jeder wackere Junge von kühner Seefahrt und allerhand nautischen Abenteuern , und Thure Ceder- ström’s Grossvater war überdies Generaladmiral der schwedischen Marine gewesen , hatte tapfer für sein Vaterland gefochten und seine Enkelkinder hatten oft

B. Galofre y Gimene/ pinx.

Phot. F. Hanfstaeng!, München.

Heimkehr vom Feste

Quartett.

DIE KUNSr UNSERER ZEI'l'.

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genug im Elternhaus von seinen Thaten und Erlebnissen erzählen hören. Ja die Vererbung ! Zunächst kam der Jüngling, der noch nicht 15 Jahre zählte, in eine Stockholmer Erziehungsanstalt , um für das Cadetten- corps, wo jenes Alter als nächste Eintrittsbedingung galt, vorbereitet zu werden.

Nach ziemlich kurzer Zeit gab unser Seeheld den Gedanken, Marine¬ offizier zu werden, wieder auf ; die Kauffahrtei reizte ihn mehr und er wollte nun künftig als Kapitän eines flotten Handels¬ schiffes die Meere durchschweifen.

Dies Verlangen wurde ihm zu sei¬ nem Glücke je¬ doch rundweg ab¬ geschlagen. Das gab seinen nau¬ tischen Liebhabe¬ reien einen schwe¬ ren Stoss. Den Rest aber gab ihnen seine erste Seereise mit der dabei gekosteten Seekrankheit. Alle Marine und See¬ fahrerei der Erde war ihm nun auf immer verleidet.

Er trat in's Cadettencorps ohne sonderliche Lust für’s militärische Fach und verbrachte dort manches Jahr nutzlos, wie er selbt meint, aber, wer kann das sagen. Die Beschäftigung mit den Büchern, vor Allem das Auswendiglernen, war nicht seine Sache und mit dem Examen stand er stets auf gespanntem Fusse. So

schuf er sich selbst viel freie Zeit und die wandte er dann in seiner Weise an: zum Zeichnen von Album¬ blättern, Landkarten, zum linearen Zeichnen von Block¬ häusern, Brücken und anderen Architekturwerken, von

l'estungen ja in Ermanglung von et¬ was Besserem von Kanonen - Lafetten und dergleichen. Alles, was Zeich¬ nen hie.ss, war seine Lust und er hat sei¬ nen Kameraden oft damit ausgeholfen. Die Liebe zur Kunst war in der Brust des Jünglings wach geworden.

Es war damals seine grösste Freu¬ de, wenn er nun Sonntags irgend ein Maler- Atelier in Stockholm be¬ suchen durfte und die Leute vor ihren Staffeleien sah.

Selbst einmal ein Maler zu werden, daran dachte er noch nicht. Aber die Kunst freute ihn. Und so ging er einmal cha¬ rakteristisch genug zu einem Maler und bestellte sich ein Oelbild , wozu er das Thema an¬ gab : es sollte Ca- detten darstellen, die in kleinem Handschlitten fahren, und er selbst wollte mit einigen Freunden in einem solchen Schlitten abkonterfeit sein. Recht ernsthaft ist dieser Auftrag wohl nicht aufgefasst worden. Denn jener Maler hat das bestellte Bild nie fertig gestellt und wohl auch nie angefangen.

Th. von Cederström. Das sogenannte «Herrenhaus» Kloster Maulbronn.

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DIE EUNST UNSERER ZEIT.

'J'h. von Ccderströ/n. Die Sakristei in der Stadtkirche zu Rudolstadt.

Auch die Cadettenjahre gingen vorbei, ohne dass ' eder'trbni trotz aller Liebe zum Zeichnen und Malen eine ernsthafte und bestimmende künstlerische Anregung erhalten hatte und so trat er denn nach absolvirter Schule in da> Leibgarderegiment zu Pferd ein. 1869 bi' iS JO nahm er einjährigen Urlaub nach Paris und d'-rt '-rhielt er einen Linblick in das Leben und Treiben, d;:^ Kingf-n und Streben der Künstler, sah verschiedene XteliCT' lernte einen ILruf niiher kennen, zu dem er •i' h f ir Ivr~te noch nicht ganz heran wagte aber In.'-ttant wurde er in diesem Jahre bereits .Schüler

. ■’u- ,u

L' lu< klirhe Jahr verging und er wurde wieder f t k l .'te na> h Schweden zurück und erhielt ein Kn:- :P ' ; zuT ' tffi ZI fr -rei t xl) ule , wobei er mit den ' K rnn r: den rmf einem .Schlosse auf dem Lande i‘ 1 - rr f ; L: r - iiiouartirt wurde. Sie hatten dort Pf ’if z'.;z' o it' I'. 1 lufbt < hl.'ig zu studieren, zu fechten u. w. im L' brigeu \ifi freie Zeit. ].)iese benützte r fü-ni' ir .d' :r .stille, '-inem alten unbezwinglichen

Hange zu folgen, zu zeichnen und zu aquarelliren. Und dort erhielt der künftige Maler seinen ersten künst¬ lerischen Auftrag, auf den er nicht wenig stolz war. Der Chef der Equitation bat ihn eines Tages, für eine neuerbaute Stallung den Entwurf zu einer Wetterfahne zu machen. Sie erhielt die Eorm eines springenden Gaules: ob sie sich noch im Winde dreht.^

Auf dem Lande, im Verkehr mit der Natur, ent¬ stand im Herzen des jungen Mannes immer dringender die Sehnsucht nach anderer, nach künstlerischer Be¬ schäftigung. Als die Offiziere nun gar nach Stockholm zurückkehrten, wurde ihm der eintönige Garnisonsdienst \'ollends zum Ueberdruss. Er schrieb seiner Mutter, die über den abermaligen Berufswechsel nicht wenig erschrak, dass er Maler werden wolle. Die Mutter rief brieflich seinen friiheren Vormund, einen hohen Beamten, zu Hilfe, dem wankelmüthigen Sohne in’s Gewissen zu reden. Dieser that auch sein Bestes in diesem Sinne aber umsonst! Da ging denn der Vormund zu einem Maler E. Lundgren hiess er und war zu seiner

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Zeit als Aquarellist in England sehr geschätzt und trug diesem die Sache vor. Zuletzt fragte er ihn, ob der junge Renegat auch genügend Talent besässe. Das könne er noch nicht entscheiden, meinte er, da er von Cederström bisher keine selbständige Arbeit gesehen. Aber das könne er sagen: «Wenn er Maler werden will , so wird er Maler werden, dann nützt Ihnen alles nichts. »

Das gab nun den Ausschlag und alle Be¬ kehrungsversuche und Einwendun¬ gen von Mutter und Exvormund verstummten hin¬ fort. Thure von Cederström ver¬ langte und er¬ hielt seinen Ab¬ schied.

Leicht wurde es dem ange¬ henden Künstler von seiner übri¬ gen Eamilie ge¬ rade nicht ge¬ macht. Ein wah¬ rer Sturm brach los gegen seinen Entschluss, jetzt Künstler zu wer¬ den. Eine ältere

Th. von Cederslröm. Aus Überlingen

Dame der Eamilie ging in ihrer Entrüstung sogar so weit, dass sie sagte, unser Mann sei «ein Schand¬ fleck für die Eamilie, da er ein entehrendes Handwerk ergriffen hätte». Er hat ihre Worte noch frisch im Gedächtnisse und es möchte ihm wohl Spass machen, wenn die würdige Dame diese Zeilen zu Gesicht be¬ käme.

Cederström ging nun zu Lundgren , zunächst um ihm zu danken für den bestimmenden Einfluss, den er auf sein Leben gewonnen, dann aber auch , um an ihn die Frage zu richten, was jetzt zu thun .sei. Seine

Sehnsucht war Italien, das Land der Sehnsucht für alle jungen Künstler, wie überhaupt für Alle, deren Herzen in lebhafterem Tempo schlagen. «Da thun Sic recht!» meinte Jener, «Bleiben Sie aber auf der Durchreise ein paar Jahre in Deutschland». Und der Andere fuhr nach Düsseldorf, um dort Jemanden zu finden, bei dem

er sich im Aqua¬ rellmalen weiter ausbilden konnte. Man lachte ihn aus. Sic sagten; « Aquarellmalen in Deutschland das geben

Sie nur gleich a uf ! »

So ging er denn zu dem bekannten Histo¬ rienmaler xA.lbert Baur zu Aachen (geboren 13. Juli 1835) '-''‘‘tl fragte, ob er nicht des¬ sen Schüler wer¬ den könne,

« Zeigen Sie mir einmal Et¬ was, was Sie ge¬ macht haben .U> « Ich habe

noch nichts ge¬ macht» . musste der junge Mann antworten , w’o-

rüber der Andere sichtlich erschrak. Cederström stand damals in seinem 28. Lebensjahre. Er trat übrigens nichtsdestoweniger zu Albert Baur in die Schule, erst als Schüler und dann als Freund.

Im Jahre 1872 wurde Baur zum Professor an der grossherzoglichen Akademie in Weimar ernannt, und sein Schüler Cederström folgte ihm in die ehrwürdige Musen¬ stadt. Albert Baur war ein eminenter Lehrer und legte seine Befähigung zu seinem hohen Berufe namentlich durch Eines an den Tag; er Hess seine Schüler ihre eigenen Wege gehen. Wer deutsche Akademieverhält-

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

bischöflichen Palais in Bruchsal, Bald folgten dieser Reise andere, grössere, nach Italien, an die lieblichen Gestade des Bodensees , zurück in’s Vaterland nach Schweden u. s. w. Im Jahre 1876 trieb das Heimweh den Freund und Lehrer Professor Baur heim in’s Rheinland, er ging nach Düsseldorf zurück.

Thure von Cederström zog 1877 nach München, wo so viele nicht deutsche Künstler eine liebe und geliebte Heimath gefunden haben.

Als er im Herbst 1871 vom elterlichen Hause Abschied nahm , hatte er der Mutter versprechen müssen, nach fünf Jahren sein erstes Bild nach Hause schicken zu müssen. Es ward ihm die Freude, dieses Versprechen schon im dritten Jahre einlösen zu können. Er schickte 1874 ein Bild, von dem er selbst sehr bescheiden spricht, als Probe dessen, was er erreicht, in die Heimath und das Bild hatte dort schönen Er¬ folg. Der beste Erfolg aber mag für den Künstler darin bestanden haben, dass sich von jenem Tage an seine Mutter mit seinem Schicksale und seiner Berufs¬ wahl aussöhnte.

Seitdem hat sich sein Künstlerleben glatt abge¬ sponnen.

Er war stets der Fleissigsten Einer von dem

7 - n ' :do-sli":ii. Der ehemalige Ivaiserhrunnen in Ueberlingen.

Zeitpunkte an, da er seiner Neigung folgen und dem ni^sc kennt, wei.ss , was das sagen will. Viele, viele selbstgewählten Lebensziele näher treten durfte. So 'l'alcnte sind getödtet , sind erstickt worden durch das folgte Bild auf Bild es ist nachgerade eine stattliche

vorherr.schcndc Bestreben der Professoren, ihr*- .Schüler in den Bann der eigenen sub¬ jektiven .\nschauungsweisc zu zwingen; manchem d'alente ist dadurch die Kunst überhaupt verleidet worden und die waren noch fa->t am Besten daran ! Denn ein gr'-- ^-r Theil der .Anderen ist in blöder N.!' hahmung \ crfiachl oder liat erst nach hwTcn Kämpfen den .Staub der Aka- wieder von -.ich abgeschüttelt. Nur

B- ruf- i. ,ten wahrten ihre Persönlichkeit hatten äch genug darum zu

D -Hl da fuhrt weit ab !

. 'T. A ‘-imar au uiUernahm der junge M r ■lenn das war Ceder- '* = r . f i-c"’: . .ccfalircr lind einem

!•; a- n r.n -.i- li ^sorden -eine er.-^te ä da nr- i nd z'/ 'T na h den malerischen k' aerr' men V 'ii .M- .;l.r''l'n und dem er/.- 7//. von Cederstrum. (ICrste Studie.) Das Refektorium des Cistercienserklosters Maulbronn.

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P, Mey-r-Mninz pinx.

Phot. F. Han fst.\eng:l , iiu'hen.

Hubertustag

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Zahl geworden und sie haben sich alle der besten Auf¬ nahme erfreut.

«Und nun male ich halt so weiter», sagt Thure \mn Cederström, die schlichte Erzählung seiner Lebens¬ geschichte beschliessend.

Keine wilddramatische Künstlerbiographie, aber ein schönes, erfreuliches, gesundes Bild einer künstlerischen Entwicklung. Kein wolkenstürmendes Talent aber eine warmherzige, begeisterte, ehrliche Malernatur, die wohl nicht wie «Flammenwahnsinn den Beruf» spürte, aber doch wie einen heiligen, unwiderstehlichen Drang, dem sie folgte, was auch entgegenstand , sobald er er¬ kannt war.

Der vorstehenden Betrachtung sind Nachbildungen von Cederström’s Studien beigefügt, die erkennen lassen, mit wie durchdringendem Blick, mit wie eingehendem Fleiss und mit wie sicherer Hand er seine geliebte Arbeit that. Auch gegenständlich sind die ehrwürdigen, zum Theil hochoriginellen Architekturbilder reizvoll genug. Schildern sie doch Ergebnisse einer Kultur, die unserer heimischen unendlich nahe verwandt ist.

Am meisten bekannt ist Cederström , wie gesagt, wohl dem grossen Publikum durch seine liebenswürdigen und humorvollen Schilderungen aus dem Klosterleben.

Sein Stoffgebiet ist hiebei mit dem Eduard Grützner’s ziemlich identisch, wenn er auch durchaus nicht zu den Nachahmern dieses Künstlers gehört. Er schildert uns seine behäbigen Klosterherren beim Weinglase und in der Bibliothek, musizierend, beim Billardspiel, im Kreise lustiger gebetener oder ungebetener Gäste, am Schach¬ brett, am grossen Globus der Klosterbücherei studirend, oder über den weltlichen Scherzen der « Fliegenden Blätter» schmunzelnd kurz in allen möglichen Phasen klösterlichen Stilllebens. Neben den schon erwähnten Kostümfiguren hat der Künstler übrigens auch eine Anzahl gelungener bäuerlicher Typen aus seiner zweiten Heimath im Bayerlande gemalt. Durchdringender Fleiss, Reinheit der Zeichnung und Klarheit der Farbe sind immer die Signatur seiner Bilder gewesen.

Wiederholt und im letztvergangenen Sommer hatte die Münchener «Internationale» nicht zum Wenigsten seiner Mühewaltung das Zustandekommen einer hoch¬ interessanten «schwedischen Abtheilung» zu danken. Leute, die mit ihm zusammen dabei thätig waren, rühmen die vornehme, gerechte Art seines Urtheils, das nicht nach künstlerischen Konfessionen fragt, son¬ dern Alles schätzt und Allem wohl will, was gut was Kunst ist.

Th. von Cederslröm. Aus der Münsterkirche zu Ueberlingeii.

UNSERE BILDER

Wer am Inhalte den Werth eines Bildes misst, dem könnte man wohl aus der Reihe unserer Darbietungen einen ganz anmuthigen Roman erzählen, einen solchen, der durch mehrere Geschlechter hindurch reicht, aus dem verschiedene Maler ein Kapitel illustrirten. Einer ohne vom Anderen etwas zu wissen.

Er beginnt vor mehr als hundert Jahren, dieser Roman unserer Illustrationen. Der Sohn Kaiser Franz I., Erzherzog Ma.ximilian Franz Xaver von Oe.sterreich, sitzt auf dem alten Throne der Erzbischöfe und Kurfürsten \'on Köln. Ivr hat heute viel Gäste. Aus E'rankreich .and des armen gefangenen Königs Eudwig des XVI, Bruder herüber gekommen. Das ganze Rheinland ist \ oller Ehnigranten, vornehme Elerren mit sehr vornehmen und das heisst soviel wie sehr schlechten Sitten, die da,-, ihnen unersetzliche Paris, soweit es an ihnen ist,

- if deutsche Ifrdc zu versetzen streben E"est folgt auf Ec't und die deutschen Kirchenfürsten halten es für ihr^- Pflicht, den E'ranzosen zu zeigen, dass bei ihnen n >ch jene Zucht und Ordnung herrsche, welche in Paris iic schreckliche Revolution zerstörte, dass hier noch der Eur-t, der Herr als die von Gott eingesetzte Behörde da' Recht habe, durch reichliches Ausgeben, durch Prachtcntfaltung das in den Truhen seiner Bürger faulende ' jcld in’s Rollen zu bringen und diesem am Glanz des Aultr'-lcn'. Achtung vor der Majestät des E'ürsten zu lehren.

Drausseii im E'orst ist ein Hirsch gehetzt worden uiul hon meldete ein Bote im Schlosshof zu Brühl, d.i . .oeben dem niedergebrochenen Wild das Halali ^■bla .cn wi. EN gilt sich zu beeilen. Die Diener in ta; üs< her , ihnen selbst nicht ganz gewohnter (iala :r eil hasti;_- die eben fertig gewordenen Schaugerichte f iic I afcl den riesigen Aufsatz aus Konfekt, den ir*^' M- nn k ium bewältigen, die gro.sse E'ruchtschale, h .ein.ko])f auf leckerer Pastete, die Puten im

v . > i; I' ( -Tt hmuck . die kostbaren Geschirre aus H M h .t'T P .rzvllan. whwitzend, .ängstlich, ihre kost- b -re I... t zu E-f .> hadigtn , gehetzt durch den groben K- h zi< n de d-diin.

Erst vor Kurzem ist Schloss Brühl fertig geworden; eine der prunkvollsten Anlagen in Deutschland, zeitlich aber eine der letzten dieser Art. An anderen Orten be¬ gann man schon an Stelle dieses strotzenden Prunkes die Zierlichkeit, statt des Reichsthums die vornehme Ein¬ fachheit zu bevorzugen hier an den geistlichen Höfen hielt man aber mit Absicht am Alten, an den E'ormen jener besseren Zeit, in welcher noch nicht das freche « Menschenrecht » der Pariser an die E'üstenhöfe zu pochen wagte.

Und die niedlichen kleinen Frauen und Mädchen aus dem Städtchen Brühl , die sich neugierig in das Schloss einschlichen, staunen nicht mehr über die barocke Prachtentfaltung, sondern lachen und kichern über die schwitzende Schaar der sonst so faulen kur¬ fürstlichen Hofdiener, sehr respektlos, sichtlich ange¬ kränkelt von der bösen Luft, welche von Westen, die Seelen vergiftend, in’s Rheinland weht.

Aber bald kamen die höchsten Herrschaften, die jungen vornehmen geistlichen Elerren von höchstem Adel , die weltlichen Kavaliere , die ausgelassenen französischen Gäste : das Kichern verstummt und mit weit aufgerissenen Augen sehen die E'rauen dieser prunkenden Welt zu, die ihre lärmenden Feste feiert, uneingedenk des furchtbaren Mahnens seines Endes, der Heereszüge, deren Führer mit verächtlichem Lächeln "cgen den verhöhnten E'eind marschirten und die dann so klcinmuth, geschlagen von einer zusammengclaufenen Bande Undisciplinirter, zurückgekehrt waren. Der wilde Strudel der Lust erfasst auch sie und auf die Stunde der E'reude, des Stolzes über die Werbungen des vor¬ nehmen Kavaliers folgen Monate, Jahre der Trauer: O wär ich nie in’s Schloss gegangen!

Das Alles stellt uns P. Meyer -Mainz anschaulich in seinem Bilde «Hubertusessen» dar.

Der Kurfürst war verjagt, das Eirzbisthum säeu- larisirt, die Pracht des Hofes zerstoben. Der grosse Soldatenkaiscr und seine Heere waren über den Rhein

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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gezogen, Schlachtenlärm hatte die Welt erschüttert. Die als Befreier Begrüssten hatten mit harter Gewalt die Macht an sich gerissen , man erkannte wohl dank¬ bar an, was sie an Freiheit dem Rhein gebracht haben, aber es waren fremde Mächte, die auf deutschem Boden hausten. Und endlich war Friede geworden, die Heere waren aus dem besiegten Frankreich zu¬ rückgekehrt. Zwanzig Jahre sind seit der Kurfürsten- Zeit vergangen.

Das Töchterchen einer jener Städterinnen, die so keck und doch so scheu auf die so unendlich hoch erhabene vornehme Welt des Hofes schauten, wandelt an schönem Sommertage durch die gelben Kornfelder dem Buchen¬ walde zu. Die Lerchen schlagen, wohlige Wärme liegt über der goldigen Weite. Und wieder naht sich ein Kavalier dem jungen Mädchen, ein Mann im schlichten Kleid des Bürgers, das sie jetzt alle mit ein klein wenig affektirtem Gleichheitssinne tragen, er nimmt ihr zuerst höflich das Umschlagtuch ab , begleitet sie des Weges in ernstem, etwas geziert klingendem, blumenreichen Gespräch! Denn er hat «Werthers Leiden» gelesen und Schiller klingt in seinem Herzen wieder, die hohen Klänge des Liedes von Menschen¬ würde, von Gleichheit aller Edlen, von Beseitigung der Unterschiede zwischen hoch und niedrig durch die Liebe haben in ihm Widerhall gefunden.

Und er fasst ihre Hand, sie sagt zögernd, hoffend und fürchtend zugleich ihr lispelndes «Ja!»

Man sehe als Beleg: R. Flaug’s treffliches Bild « Spaziergang. »

^ 5]':

Die Frühlingsträume der Nation, das Hoffen auf eine Zeit des Friedens und Glückes, der ausgleichenden Liebe und Freiheit schwanden dahin. Der kühne Streich des Kavaliers, die Namenlose aus dem rheinischen Städtchen zu heirathen, zerbrach sein Verhältnis zur ganzen Familie. In Kampf und Sorge verzehrten sich die ersten Jahre ihrer Ehe, die Jahre, die dem Glücke mehr als andere geweiht sein sollten.

Nun liegt sie schon lang in geweihter Erde. Mächtige Bäume sind an ihrem Grabe emporge¬ wachsen, über dessen prunkendes Denkmal der Epheu wuchert, bis hinüber auf die Seite jenes Gottesackers, in welchem die Kinder ihre letzte Ruhe finden. Und wieder ist ein heller Sommertag, hell und leuchtend zieht ein Gewölk auf, das Grün hat eben seine volle

Kraft erhalten , es summen die Käfer um Grab und Kreuz, um die Kränze über den Tod hinaus sorgender Liebe.

Das ist J. Wenglein ’s «Kinderfriedhof.»

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Den Zwiespalt, welchen die Verhältnisse in diese im Auf lodern einer weichen allgemeinen Menschenliebe entstandene Ehe hineinbringen, endete auch der Tod nicht. Der junge Kavalier hatte sein Unrecht nach Wunsch der Seinen gut gemacht und als Alternder eine sehr junge Dame von Geburt an die Stelle der Ge¬ schiedenen gestellt. Wohl hatte diese vom Schloss der Väter Besitz ergriffen, aber das Herz hatte sie nicht einzunehmen verstanden. Kalt und fremd standen sich die beiden gegenüber. Mit Missgunst sieht die neue Herrin das Heranblühen der Tochter, des letzten Liebespfandes der Geschiedenen, der zu spät erblühten Sehnsucht ihrer Ehe. Doppelt feindlich war die neue Mutter ihr gesinnt, weil ihr selbst das Glück versagt ist, ein eigen Kind auf dem Schooss zu wiegen. In dem jungen Weibe aber herrschte der Geist der Jugendzeit ihres Vaters, der Geist des Auflehnens gegen das die Geister und die Thaten regelnde Herkommen, des Hingebens seiner selbst als Kaufpreis nicht nur für Vortheil und Gewinn, für Geld, Namen und Ehre sondern als Kaufpreis für einen ganzen Menschen, für sein Herz wie für sein Hirn! Und so sind sie sich entfremdet, der vornehme Vater und die heissblütige Tochter. Sie ist mit dem jungen, feurigen, für Freiheit erglühenden Polen in die Weite gezogen und sie hat ihm die Flinte in die Hand gegeben, als das nationale Verzweiflungs¬ ringen gegen russische Übermacht begann.

Ja, sie hatte in den harten Kampf mit Frauenlist ein- gegrififen. Sie hatte Briefschaften vermittelt, Waffen gekauft, heimliche Botschaft getragen. Oft w'aren in ihrer Wohnung ernst blickende Männer zusammengekommen zu heimlicher Tagung. Aber endlich hatte man die Verschwörung entdeckt. Sie sass auf der Anklagebank, sorgend um den heranwachsenden Sohn, die noch kind¬ liche Tochter. Der alte, brave Rechtsanwalt hatte wahrlich das Seine gethan , um die Richter für sie zu gewinnen. Nun naht die «Stunde der Entscheidung». Die Schuld liegt klar vor, ist auch nicht geleugnet, die «feindliche Handlung gegen befreundete Staaten» wird mit Eestungshaft bis zu vielen Jahren bestraft.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

W-rden die Richter Milderungsgründe zugestehen.? Der Pra.-ident blickt ernst und doch mitleidig auf die Ver- ur'.lieilte: Was bringt er für ein Geschick in seiner Aktenmappe .'

Man frage F. Brütt’s Bild selbst um die Antwort.

* =i=

*

Tief einschneidend wirkte der ürtheilsspruch. Im Schloss des alten Vaters war der Bruch ein vollständiger. Die junge Stiefmutter triumphirte innerlich, sie hatte in ihren Klagen über die Tochter aus unedlem Blut Recht behalten: nur Schande hatte sie dem Hause ge¬ bracht , eine verurtheilte Revolutionärin. Die unver- heirathete Schwester des alten Herrn, eine Jungfrau von untadeligen Grundsätzen , streng, hart, unliebensw-ürdig, aber formvoll und adelsstolz, w'ar ihre Verbündete ge¬ worden. Man hatte erreicht , dass die Entartete ent¬ erbt werde.

Und Jahre der Unbefriedigung und der kalten Vor¬ nehmheit waren über das Schloss hingezogen. Den alten Herrn fröstelte in seinem warmen Hauspelz. Die Zeit des Sterbens nahte.

W’em sollte das Erbe Zufällen? Der Gattin allein, der Schwester? Und nach diesen? Erschaute sorgen¬ voll vor sich hin. Ja dort draussen blühten ihm zwei lüikelkinder , weit in der Eerne, unter fremden Namen. Konnte er sie nur einmal sehen ! Er schluchzt leise. Schlimme Nachricht ist gekommen. Seine einzige Tochter todt, der Pinkel in seiner neuen Heimath in politische l'rocesse vercjuickt, voll Eifer den Vater, der auf dem l'eltle der Ehre fiel, und die beschimpfte Mutter zu rachen.

Der war schon draussen im fernen Sibirien. Er atzt auf der elenden harten Pritsche der «Hetzten k.tappe . ehe die neue furchtbare Heimath der «Ver¬ schickten 7 erreicht ist und denkt zurück in die P'erne. Der Grossmutter und Mutter Blondhaar ist noch so leidlich gepflegt , aber die Kleider nahen schon dem \’erfall. Neben ihm stirbt ein braver Junge, der ihnen b> i ihren Sitzungen Botendienste geleistet nichts mehrl und der nun seine Gefälligkeiten mit endlosen Strapazen und mit dem Tode zahlen miuss. P?in mit- Icidi; er Ecid^•n.-^genosse hält ihm das Kreuz, das er auf dor Bru t tragt, vor die brechenden Augen! Iflcnd ring um. der todesahnliche Schlaf der Übermüdung lä. t zwar die Mci ten augenblicklich nichts von ihm puren, aber in wenigen Stunden kommt der harte

Befehl zum Aufbruch, und in Lumpen, mit zerrissenen Schuhen geht es weiter ....

Mit furchtbarer Kraft des Ausdruckes schildert Malczewski diese «Letzte Etappe».

* *

*

Sicher im wohnlichen Heim, dämmernd sitzt die Schwester. Noch trauernd um die Mutter, beklagt sie auch des Bruders Geschick. Sie allein in äusserem Glück, eines wackeren Mannes sicher geborgene treue Gattin. Seit sie die Mutter hinausbegleitet hatte auf den Kirchhof, wo auch die Grossmutter lag, unter das einst prunkende, jetzt vom Epheu überwucherte Grab seit ihr die kurze Depesche eines Ereundes gemeldet, dass man den Bruder gefangen genommen, da fühlte auch sie sich so allein, trotz des Gatten, trotz der beiden Kinder. Und vor ihr liegt ein Brief von fremder Hand, ein geschäfts- mässiges Schreiben im Juristenstil, welches sie auf das Rheinische Schloss ladet, da der alte Ereiherr sein Testament in Gegenwart seiner Erben zu machen wünsche.

Und die Geschichte ihrer Mutter, ihrer Grossmutter geht im Dämmerlichte an ihren Augen vorüber. Zweier Frauen, denen das alte Schloss und sein stolzer Herr nur Sorge und Noth brachten, und die doch Beide so glühend geliebt hatten.

E. Oppler zeigt uns diese «Träumerei».

*

^

Sie aber hat entschlossen sich aufgemacht, ihre Kinder wohlverpackt mit auf den Weg genommen, be¬ gleitet von der Mahnung des Gatten , auf ihn zu ver¬ trauen und sich nichts zu vergeben. Aber so vornehm hatte sie sich das alte Haus doch nicht gedacht und so gütig blickend, so aus der eigenen Mutter freundlich grauen Augen schauend, hatte sie sich den Grossvater nicht vorgestellt. Ihr Trotz brach vor seinem Alter und seine Strenge vor ihrer warmherzigen Schönheit. Und die fremde Grossmama, wie die weisslockige Tante sassen sehr steif, sehr stumm dabei, der Herr Justizrath hatte sehr viel am Entwurf des Testamentes zu ändern und zu schreiben und den beiden scheuen Kleinen wurde zum Arger der Zeuginnen sehr viel vermacht. Der alte Herr nahm den Urenkel auf seinen Schooss und küsste ihn herzlich:

«Herr Justizrath, könnte ich diesem Knaben nicht auch unseren alten Namen vererben, damit mein Ge¬ schlecht nicht mit mir ende?»

Das lese ich aus L. Bockei man ns «Testament» heraus.

Eine Testaments-Abfassung.

Rob. Hau» pinx.

l’hot. F. Ilaiifstaengl, Müiuhen,

Spaziergang

Jakob Emil Schindler

VON

A. SPIER.

Es war im Sommer 1892 im Glaspalast in München. Jeden Vormittag erschien regelmässig der kunstbegeisterte Prinz- Regent zur Umschau in dem internationalen Bilder¬ reichthum. Eines Tages ging er am Arm eines Mannes durch die Säle, dessen lachende Lebhaftigkeit auffiel, dessen Sprech¬ weise selbst aus der Ferne Aufmerksamkeit erregte. In den Räumen der österreichischen Abtheilung machte er vor einer Reihe von Gemälden hörbare Opposition, er wollte offenbar nicht stehen bleiben, er wollte sie durchaus nicht genauer an¬ schauen. Viele behaupteten, gerade sie seien die anerkannten Glanzpunkte der österreichischen Abtheilung, gerade Schindler übe die grösste Anziehung aus ! Und Schindler selbst war es, der sich dagegen sträubte, seinem hohen Gönner seine Werke persönlich zu zeigen , der in lachender Bescheidenheit deren lobende Betrachtung abwehrte, lieber Andere hervorhob und wenn er von sich sprechen musste, lieber von seinen künftigen künstlerischen Plänen als von dem Geschehenen er¬ zählte. Frisch, lebendig, geistsprühend, interessirt von Allem, was an den Wänden des Glaspalastes um Beifall rang, interessirt um den Kampf um’s Vorrecht, der sich unter den Münchener Malern abspielte, interessirt von allem Künstlerischen, von allem Menschlichen, so verbrachte er damals einige Sonnentage in seinem so sehr geliebten München. Er plauderte viel aus der Vergangenheit, plante für die Zukunft und lobte trotz aller Irrungen und Wirrungen, die er um sich her sah, die Gegen¬ wart. Denn nach schwerer Erkrankung fühlte er sich wieder gestärkt, seine Arbeitskraft war zurückgekehrt, sein Geist auf¬ nahmelustig, alle Gespenster der Nervosität schienen verscheucht, sein künstlerischer Stern leuchtete endlich an weithin sichtbarer Stelle. Aus der kleinen Gemeinde, die ihn früh erkannte, war ein grösseres Publikum geworden, die Zeichen des kommenden Sieges trafen ein. Zur Zeit war er auf dem Wege nach Sylt, um dort mit Frau und Kindern und seinem Jünger und I'reunde Ruhe, Luft, Natur zu geniessen.

Ehe er, es war der 30. Juli, zum Antritt dieser Reise an den Bahnhof fuhr, standen wir vor seinen Bildern. Mein tieferes Eingehen auf «seine» Kunst hatte seine Bescheidenheit bezwungen; er plauderte von seinen schöpferischen Gedanken, vom Malen, vom Wollen und vom Werden von allen Schmerzen und Kämpfen seines so anspruchsvollen Künstlerthums, von seinen Enttäuschungen, von seinen Entwicklungen, und dann ging er auch über die Seufzerbrücke des «Muss!» zum Praktischen über. Er klagte, dass er keinen

Jakob Emil Schindler.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Geschäftssinn und in Folge dessen keine Preise habe, d, -s fast alle seine Bilder in die Hände von Kunst¬ händlern oder von Freunden gingen, dass er keine Reklame machen und nicht fordern könne , und dass durch diese Missstände das materielle Ergebnis seiner bisherigen Lebensarbeit sehr gering gewesen sei. Und er strebe doch nach Unabhängigkeit , nach diesem so her\'orragenden , von ihm bisher unterschätzten Faktor für die künstlerische Arbeitskraft, woher also Hilfe nehmen:

Er war mit mir der Ueberzeugung, dass eine wahre Begeisterung, die immer wieder ihre Stimme erhebt, die Menge zur Theilnahme anfachen kann dass jeder Kiinstler seine Apostel braucht und mir gab er ein Mandat.

An jenem Tage reiste er ab. Zwölf kurze Tage spater telegraphirte Moll aus Sylt an den Präsidenten der Künstlergenossenschaft in München:

Schindler plötzlich gestorben.» Eine Stunde vor der Schreckensbotschaft hatte eben die Jury der internationalen Ausstellung Schindler die goldene Medaille ertheilt. Man befestigte das Ruhmeszeichen an seinem grossen Gemälde «Pax» und fügte einen Lorbeerkranz mit einer Trauerschleife bei, auch ein Zweig blühender Rosen schmückte den Rahmen, ein Zeichen liebender Bewunderung über den Tod hin¬ aus.

sPax. » Welch ein Bild! In malerischer Grösse drückt es die ganze Empfindungskraft eines herzlichen, geprüften, weltenttäuschten und weltflüchtigen Menschen au .. die Reize einer romantischen Landschaft, den wehmüthigen Frieden eines in einer Schlucht einge- schlo >cnen I*'ricdhofes, das fromme Thun des Mönches, der, ein Strandgut des Lebens, in sanfter Ifntsagung hier den ewigen I“ rieden erwartet 1

k'ricde !

Nur wer ihn entbehrt, gesucht, auf Tage gefunden, ihn wieder \erloren und noch schwerer dann entbehrt hat, nur er wei-.s, welch eine ersehnte, milde Gnade in dem Worte liegt.

Und Schindler besass diese schmerzensreiche Er¬ fahrung I

Der au sere flang .seines Lebens sagt das Wenigste. Wh ein Mensch erlebt, das ist cs nicht, was die Summe und die Grösse der Kampfe und Schmerzen ausmacht, wie er c erlebt hat. das gibt den Au.sschlag.

Das W i e des Schindler’schen Erlebens gewährt allein eine Vorstellung von der Breite und der Fülle seiner Eindruckswelten und von der verfeinerten Art seines Denk- und Gefühlsvermögens. Wie sein Auge, so sensitiv war seine Seele. Wo für tausend Andere die Earbe aufhört, da entdeckte und bewunderte er noch Nüancen, wo Andere eine reizlose Oede sahen, fand er ein malerisches Bild. So war er ein Mensch , den wirklich alles Menschliche anging. Einer von Jenen, welche die Wanderung durch [Himmel, Hölle und Welt einige Male leisteten und erlitten. Den einzigen Ruhe¬ punkt im Sturm und Drang seines Lebens fand er in der Natur. Er war es dieser heiligen Schutzpatronin schuldig geworden , sie herzgewinnend und schön zu malen und ihren Ruhm zu verkünden. Ehrlich hat er diese Liebesschuld bezahlt und wenn die grausame unparteiische Grösse der Natur persönliche Interessen zuliesse , diesen ihren Liebling , der in ihre Seele schaute , hätte sie beim Leben und beim Malen lassen müssen, zu ihren Gunsten.

Vor mir liegen Tagebuchblätter, Selbstbeichten aus dem Märze des Jahres 1864. Eine Probe soll erzählen, wie Schindler die Natur sah:

« Schöner und poetischer als der Mensch bleibt Alles in der Natur. Was ich empfinde, wenn ich in der Natur lebe , das empfindet vielleicht kein Mensch, der auf keiner höheren geistigen Stufe steht, als ich, und wie bald verliere ich jedes Atom von Poesie, wenn ich unter Menschen komme. Das ist es, woraus ich sehe, dass ich älter werde und dieser Verlust an Poesie, der so allgemein gefunden wird, das ist es, was mich so traurig macht. Die Gleichgültigkeit, die ich allen Menschen gegenüber hege und die nur dann und wann durch einen Sonnenstrahl von Liebe unterbrochen wird, hat einen gewissen Egoismus, eine gewisse Eitelkeit in mir hervorgerufen , die , man mag sie nennen wie man will , der schönste Ausdruck ist Ehrgeiz, mich vielleicht zur höchsten erreichbaren Stufe bringen wird, die meine Begabung zu erreichen erlaubt. So wie ich faktisch zwei Menschen, was Gesinnungen anbelangt, in mir vereine, so lebe ich auch zwei Leben, die von ein¬ ander ganz verschieden sind. Ich liebe nichts, als den Wald und mich. Und dass es etwas gibt, was mich von meinen Ideen überleben wird und mich von meinem Schicksal abbringt, das macht mich glücklich. Wohl ist die Natur das Heiligste, das, was den Menschen

DIE KUNS'r UNSERER ZEEF.

y, Emil Schindler. Mühle bei Goisern.

unmittelbar zu einer gewissen Religion bringen muss. Doch glaube ich noch mehr zu empfinden als viele Andere, nur, wie gesagt, höher begabte Wesen mögen mehr fühlen, und dieses war der Grund, der mich bestimmte, Maler zu werden, und dass ich es geworden bin, ist jedenfalls das höchste Glück, das mir mein Leben¬ lang widerfahren konnte. Das ist es auch, was mich leicht darüber tröstet, dass ich vielleicht einer schwarzen Zukunft entgegen gehe. Wenn ich mein Leben am Lande betrachte , besonders in der Zeit, wo die Natur selbst ein Feiertagskleid anzieht und mich an den Morgen erinnere , wo der Thau auf den Halmen zitterte , der Himmel rein und blau, wo der luftige Nebel am See lag und ich durch die dunkelblauen schattigen Wälder ging, wo die Strahlen der Sonne noch nicht heiss und

ermüdend, sondern erquickend bis in’s Herz schienen, spielend über Moose und Gräser auf die Steine fielen und Alles nass und kühl war, die Schatten ein ächtes Walddunkel, wirkliche Ruheplätze bildeten, wo die hohen Eichen, kühl und angenehm, die eigentliche wahre Kirche bildeten, wo die lichten röthlichen Nebel, zerstoben vom Sonnenlichte, die Spitzen der Felsen küssten, um sich in den ewigen, undurchdringlichen Raum zu verlieren, wenn die Waldvögel, die einzig lebenden Wesen, in wirklicher Unschuld sich des Tages freuten und aus der kleinen Brust einen jubelnden Ton zum Himmel emporsenden, so zauberisch, wie ich ihn bei einem Menschen für den Ausdruck eines grossen wahren Herzens halten würde, wenn ich je so etwas gehört hätte, was an Wonne und Entzücken dem Vogelgezwitscher gleich gekommen wäre.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

S' luit sich mir die ganze wunderbare Schönheit im , 'Vililbar gemacht. Und wenn ich als Maler nur --:was erreichen werde, denn das Talent ist etwas \ der Liebe zur Natur, wenn auch theilweise ab- ha::gig. ganz verschiedenes, so w'erde ich doch oft Ge- 1= genheit haben, diese Wonnen, diesen Weihekuss der Natur zu empfinden. Wenn ich mich unter feinen, der a.'igemeinen Ueberzeugung zufolge tadellosen Leuten bewege und ich denke mich an den Platz am Kunder- weggraben. wo aus den starren, graubraunen Felsen¬ massen. auf denen der kirchenartige Wald sich über den kleinen Bach wölbt , wo das Licht der Sonne tausend¬ fach gebrochen am Boden spielt , wo die versengenden Strahlen der Mittagssonne ihre höchste Kraft einbüssen, um den lauschigen Plätzchen nicht das Ueberirdische zu nehmen , wo die grüne Erde und die tausend und aber tausend Pflänzchen den klaren blauen Aether in einer durchsichtigen Farbenspiegelung ahnen Hessen und nur hie und da ein Eichhörnchen oder ein Wiesel die ewige Ruhe störte, da drängen sich nur zwei Empfin¬ dungen auf, gleich stark und mächtig, die erste im Be¬ dauern . da.ss keiner von den Leuten die Poesie der Natur begreifen kann, das wirkliche Mitleid, welches ich mit diesen Geschöpfen lühle, und gleich darauf der Wunsch, unter diesen Leuten der Bedeutendste, der Gefeiertste in jeder Hinsicht zu sein.»

An dieses Selbstgespräch, das schon die grosse 'l'onleiter der Schindler'schen Empfindungsweise verräth, reiht sich noch eine eingehende Aussprache seiner frei¬ heitlichen Anschauungen über die Nichtigkeit äusser- licher Rangsteilungen und über den Werth der Persön- lidikeit. Es schliesst mit der Kundgebung des feurigen Entschlusses, häuslichem Glück und engem Frieden zu entsagen, um das Grösste als Künstler und als Mensch zu erreichen. die Jugendkraft schwärmt:

Ich will ungebunden hinaus in’s Leben, unaufhör- li'^h \ orwärt , dringen, bis ich am Gipfelpunkte angelangt •der v-n meinen eigenen Ideen getödtet oder wahnsinnig g<.worden bin. :

Zu J.2 Jahren loderte sein Seelenfeuer in solchen Mammen! Alle Grundideen der menschlichen Befreiung und h.rli'.hung , Gleichheit, Brüderlichkeit und die Gottalinliehkcit, I lerr-^cherehrgeiz und Ihnzelrecht, erglühten in ihm. rangen nach Klarheit und Bestiitigung, und beschwichtigten -ich nur in der Waldesstille, im Verh dtni.- zur Natur.

Die Entwicklungsgeschichte Schindlers bietet für die Vererbungsgesetze, wie für die Macht des Milieus logische Beweise. Der alte Satz « von dem Segen der Eltern , der den Kindern Häuser baut » , übersetzt sich in diesem Falle: «Die Gefühls- und Schwungkraft der Eltern segnet den Sohn mit Geist und mit geist¬ erweckenden Eindrücken. »

Der Vater Schindler’s war der Sohn eines öster¬ reichischen Industriellen und der Besitzer der Baum¬ wollspinnerei in Fischamend. Die grosse Anlage des Etablissements, in welchem die Arbeiter in einer Alters¬ versicherung ihre Versorgung, sowie deren Kinder ihre gute Schule fanden, spricht für die Eigenschaften seiner Voreltern, die aus Humanität selbstkräftig und selbstständig socialistisch handelten. Als Schindlers Vater in den besten Jahren an Lungenschwindsucht erkrankte, und das Unheilbare seines Uebels, das Unab¬ änderliche seines Schicksals vom Arzte erfuhr, unter¬ nahm er mit seiner Frau grosse Fahrten per Wagen ins Land, um die Schönheiten des Daseins zu geniessen, trank Champagner anstatt Morphium und suchte tröst¬ liches Vergessen in einer frohen Gegenwart. Nach seinem Tode heirathete die schöne Mutter Schindlers, deren Reize ein Amerli ng’sches Gemälde verewigt, einen österreichischen Offizier. Der Stiefvater bestimmte Schindler zur militärischen Laufbahn, nahm den 19 jährigen Jungen 1859 in den italienischen Feldzug mit, wo ihm die Schlacht von Solferino das Schreckensgesicht des Krieges zeigte. Das kurze Soldaten-Debut hatte ihn in das Land der Schönheit geführt, und dort, in Verona, feierte seine Liebe zur Natur und Kunst die Auferstehung ihres Vollbewusstseins.

In Mailand lernte er Albert Zimmermann, der damals als österreichischer Professor im Amte war, kennen. Dieser zog nach dem Verlust Oberitaliens an die Wiener Akademie und Schindler mit ihm. Er ent¬ schloss sich rasch. Albert Zimmermanns Schüler zu werden. Der Anschluss an diesen ausgezeichneten, von Schindler pietätvoll verehrten Meister, führte ihn als¬ bald in die Mitte eines .strebelustigen, angeregten Maler¬ kreises. Mit diesem ging er an den Mönchsberg nach Salzburg , an den Hintersee nach Berchtesgaden und lernte die herrlichste Natur, interessante Menschen kennen.

Um Albert Zimmermann versammelte sich eine Gruppe hervorragender Talente, die zum grösseren

Etiiil SihimlhM iiir»;

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Theil zu einer gewissen Bedeutung kamen, so Eugen Jettei und Ribarz, beide jetzt in Paris, und Robert Ru SS in Wien.

Die Waldstille des ersten zweckbewussten Sommer¬ aufenthalts erweckte in dem lyrisch gestimmten Künstler, gewiss auch im Zu¬ sammenhang mit dem Eindruck der Schwind sehen Werke, den Plan, das Zedlitz ’sch e « Wald - Fräulein » , dieses melodische Poem , zu illustri- ren. Der Auftrag eines Mäcens für die vollständige Ausführung in 1 2 Cartons liess ihn rasch und angeregt beginnen aber der glücklich ge¬ fundene, finder¬ glückliche Reiche war nun durch ein äusserliches Miss¬ geschick nicht im Stande , die Be¬ stellung aufrecht zu erhalten ,

Schindler hatte da¬ durch den Ruhe¬ punkt der mate¬ riellen Sicherheit plötzlich verloren,

der erste Messer¬ streich im Kampf um’s Dasein!

P'ünf Cartons wur¬ den fertig , einer als Bild gemalt , « Waldfräuleins Ge¬ burt » , hängt in der Gallerie der Akademie in Wien, vierzehn sind in Bleistiftzeichnungen vorhanden und zeigen, welch einen Verlust für die Kunst der äusser- liche Eingriff in deren Vollendung bedeutet. War doch gerade die Wahl dieser illustrativen Aufgabe ein An¬ fang, der für den feinen, instinktiven Takt des jungen

y. Emil Schindler. Waldinneres.

Malers spricht. Selbst Poet, vielleicht noch unentdeckt für sein eigenes Bewusstsein, gewi.ss noch unentwickelt, griff er nach dem fertigen Gedicht, das er mit seiner ganzen, eben erwachenden Jugendpoesie begeistert nach¬ empfand, stellenweise über seinen Werth hinaushob.

Die Bedingung des innerlichen Ge¬ packtseins zieht sich wie ein rother Faden durch die ganze Stoffwahl Schindlers. Wo er ihr durch be¬ rühmte oder unbe¬ rühmte Muster in den natürlichen Schwankungen, die ein so stürmisches Streben mit sich bringt, untreu wur¬ de, verlor er seine eigenartige Selbst¬ kraft. Nie durfte er sich von äusser- lichen Faktoren, vom Geschmack oder vom Sieg eines Anderen be¬ stechen lassen, auf seine Art allein war er angewiesen. Lieb musste ihm eine Vorstellung sein , und an das bewegliche Herz musste sie ihm gehen , den be¬ weglichen Geist musste sie fesseln

und sogar die Nerven erregen. Der ganze Mensch ward dann an der Schöpfung betheiligt , der kritische, der gelehrte , der poetische , aber der liebende war der grösste unter ihnen. Er zwang sich , die äusser- lichen Einzelheiten , die Pflanzen und den Baumschlag bis in’s Kleinste zu studiren, er botanisirte unermüdlich, er war der Kenner, der Arzt, der Freund seiner Bäume

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

und die Bauern, die ihm standen, sah er nicht als >t:itist.en, er sah sie im Zusammenhang mit ihrer Welt

in ihrem ganzen inneren Getriebe.

Nach dem Salzburger Aufenthalt kehrte Schindler r.ach Wien zurück und malte in seiner reizvollen Um¬ gebung Kaisermühlen, Fischamend, im Prater. Ein Bild, Holzschläger im Prater», das sich jetzt in der Salm’- schen Gallerie befindet, erregte damals, im Jahre 1873, grosses Aufsehen. Ausserordentliche Gemälde aus jener Zeit sind in Wiener und Londoner Besitz. Nach eifrigstem Malen in der Heimath führt den Künstler im Jahre 1873 ein Auftrag des Baron Leitenberger nach Dalmatien. Dort entstehen Bilder aus Lacroma und ein Reisebericht mit Illustrationen für die Wiener illustrirte Zeitung. Aus dem Land der Sonne geht sein Weg in das gegensätzliche Holland, das seinen Anschauungs- Schatz mit den Eindrücken alter Kunst und neuer Landschaften bereichert. In der darauf folgenden Zeit in Wien entwickelt sich ein intimes Verhältniss zum Larbenkönig Makart. Dieser tritt Schindler sein zweites kleineres Atelier in der Geisshausstrasse ab. In einzelnen romantischeren \"orwürfen gibt sich leise der Einfluss -Makarts kund, wie in der Sumpflandschaft mit Mond¬ aufgang. Aber dieses « Andere » greift nicht ein , er bewundert Makart, er schwelgt in dessen Farbenzauber, er vertieft sich in dessen Natur, er bringt ihn zum Reden und sogar zum Humor, aber dessen tieferer Einfluss auf seine Imtwicklung bleibt aus.

Als Schindler sein Atelier im Kunstpavillon des Praters inne hatte und sich dort in beglückender Bohemien¬ freiheit mit allem Erreichbaren umgab, was ihm Ereude maclite. zählte auch ein junger malerischer Widder zu -einen Hausthieren. Dieser genoss auch Makarts Gunst und als Makart eines Tages Schindler frug: «Du, wie heis-,t er denn eigentlich .' entgegnete Schindler : « Hans ». Makart schwieg und nach längerer Pause meinte er pl'itzlich ! Du, .Schindler, ich muss Dich um etwas bitten; wenn Du Dir wieder einmal ein Vieh anschaffst, so hei es Emil. /

I ->ie e Scherze würzten den Ernst der Arbeit, dem bci'l. Kün ,tler zeitweise auch ein vergnügliches Leben im gro.*^ ;en Stil entgegensetzten, in so grossem Stil, dass S- hindlcrs tolle Eu-tigkeit .satt und seine Taschen leer wurden. Er holte sich neue Werthe bei seiner getreuen X.itur. }•> wirft den Grossst.ädter ab und wandert an die D >nau. Wei: senkirchen bei Krems, die alte Wachau

zieht ihn an. Hier «erfindet» er die unbeschreiblich reizvollen, sonnigen, gemüthlichen Bauerngärten, die un¬ endliche Bewunderung bei Denjenigen finden, welche den Zauber dieser ländlichsten Herrlichkeit je empfunden haben. Sie wurden und werden von jenen Malern nach¬ geahmt, welche von den «Erfindern» leben. Keiner hat diese Schindler’sche Gartenkunst erreicht, keiner hat diese Reize so gemalt. Sein Scharfblick erlaubt keine Retouche, das Charakteristische gibt er mit der zärt¬ lichsten Vorliebe wieder und die natürliche, bezaubernde Schönheit leuchtet heraus. Alle Poesie des Länd¬ lichen, des Hütten- und Heimfriedens, die Volkspoesie steigt aus diesen Bildern. Diese Landleute lauschen noch am stillen Abend auf die Nachtigall, sitzen in lauschigen Dämmerstunden auf der Gartenbank und lassen den Sternen-, Mond- und Märchenzauber auf sich wirken. In dem Halbschlummer ihres Feier¬ stundenlebens sind sie unmittelbare Kinder der Natur, die noch etwas paradiesisches Glück erleben. In ihren Köpfen mischt sich’s , wie in ihrem Gärtchen , Mohn und Malven haben neben dem nützlichen Blaukraut ihr Lebensrecht, der Staat ist fern, die Kultur tritt in der Gestalt des Schulmeisters gutartig auf, der Kampfplatz ist klein, der Garten lauschig, da singt das Kind :

« Wenn ich in mein Gärtlein geh’ ...»

und das Mädel :

« Nachtigall, wo ist gut wohnen,

Auf den Linden, auf den Kronen,

Oder auf dem grünen Ast,

Wo du dein weich’ Bettlein hast?»

Und der so liederhaft malen konnte, er sang so schön. Er hatte das rechte Material in der Kehle und in der Seele. Ein frischer Tenor, ein eminent musikalischer Sinn und sein feines, künstlerisches Em¬ pfinden gaben ihm alle Mittel zu einem vollendeten Vortrag, und kein Geringerer als Schubert war sein Lieblingskomponist. Im Wiener Künstlerhause galt er als der unerreichte Schubertsänger, und als wir ihn im Sommer in München durch unsere Bitten veran- lassten , seine Kunst hören zu lassen, überzeugten wir uns von der Berechtigung dieses Ruhms. Wärmer, herz¬ licher, rührender habe ich diese Lieder, «Der Wanderer», «Das Wirthshaus», nie gehört.

Er sang in Wien in den seriösen Quartetten des Musikvereins mit, er war anerkannt der beste Humorist in der parodistischen Operette von Franz Mögele.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Sein Spiel und seine Stimme machten bei deren Auf¬ führung ein solches Aufsehen, dass ihm zu jener Zeit, u. A. von Tewele, Engagementsanträge gemacht wurden, und zeitweise steigerte sich ihm selbst die Frage , ob Sänger, ob Maler, zum Konflikt. Bei der Einstudirung der Operette «Leonardo und Blandine», begegnete ihm das Glück seines Lebens. Ungern , unregelmässig kam er zu den Proben, Hess sich bitten, quälen und wieder quälen. Das lustige Ensemble schwört ihm eine Ueber- raschung durch eine besondere Primadonna zu. Fräulein Anna Bergen, eine junge Hamburgerin, welche zu ihrer Ausbildung in Wien war, sollte die «Blandine» singen. Schindler kommt und schon die dritte Probe bringt seine glückliche Verlobung mit ihr, der Jahresschluss 1878 die Hochzeit.

Die Liebespoesie hielt Wort, zwei feinste Menschen genossen ihren Reiz und ihren Segen dann kam die Härte des reellen Lebens, störte, prüfte, kränkte sie Beide und ihn betrog sie um Jahre, kostbare Jahre der künstlerischen Leistungskraft. Er hatte den Umgang mit dem Gelde, die Vorsicht und Weisheit, die dieser Teufel verlangt, nie gelernt. Die junge Frau hatte auch die Werktagsmathematik der Pfennige noch nicht begriffen und brauchte lange , um sich über das Zwangsverhältnis von Einnahmen und Ausgaben klar zu werden. Welche tiefgreifenden, kraftzerstörenden Kämpfe, welche Noth der Seelen über die zwei Künstlernaturen hereinbrach , erzählen Schindlers Tage¬ buchblätter aus den Jahren 1879 1881.

« 14. März 1 879.

Gestern Leinwand zur Sturmlandschaft gekommen. Konnte sie nicht bezahlen !

Ich soll 40 Gulden schicken. Was sich die Menschen ein¬ bilden. Wenn ich 40 Gulden hätte!

15. März. Unord¬ nung. Drüben rau¬ chen alle Oefen.

Geld keines. Stim¬ mung trüb.

17. März. Wir kön¬ nen die Bedienerin

nicht zahlen. Die liebe Stimme meiner Anna klingt herüber. Ein Hoffnungsstrahl erleuchtet mich. Wenn ich nur gesund bleibe.

18. März. Die alte Noth. Ich male ruhig fort.

20. März. Abends Kündigung der Wohnung er¬ halten 1 Also fort! Zwei Gulden erübrigt. Es geht ja beinahe besser! Anna macht Einkäufe. Hat den Rest von den zwei Gulden verloren. Pech! Nein! Mehr! Unglück zum Grauen ! Dabei werde ich fürchterlich überlaufen. Ich zittere, so oft es läutet. Morgen wieder nichts, wenn B. nichts bringt! Anna sieht gut aus, sie hätte ein besseres Loos verdient! Grüble nicht. Un¬ glücklicher! ! Nicht denken! Ich muss unter Menschen, so sehr ich sie verachte. O, nur etwas zum Leben, damit ich Niemanden sehen. Niemanden sprechen muss; ich schreibe dann ein Buch: Der Mensch, das Ebenbild Gottes des Gottes, der diese Welt schuf . . .

21. März. Des Gottes, von dem die Liebe kommt.

Wie konnte ich das vergessen ? Die Liebe, welche mit dem Leben versöhnt. Ich bin nervös ! Höre fort¬ während läuten, bis es wirklich läutet. Dann Annas Stimme: «Kommen Sie ein anderes Mal, heute geht es wirklich nicht. » Ein Bettler kein Gläubiger. Ach. ich will ja Niemand schädigen. Es sind bittere Ver¬

hältnisse, die mich zwingen, ganz anders zu scheinen als ich in Wahrheit bin. Keine Stimmung zur Arbeit; wer kann Stimmung erzwingen?! In die Luft! Luft ! ! Luft ! !

2. April. Gestern im Künstlerhause. Aus Staats¬ mitteln nur unbe¬ deutende P'nterstütz- ungen. Die alte

Klage ! Man rieth

mir , ich soll klug sein. Also N. ist ein Künstler, voraus¬ gesetzt , dass er mir hilft , meine Bilder zu verkaufen. Ihr Klugen , ihr wisst

nicht, wie weh es thut , die Nieder¬ trächtigkeit auszu¬ beuten. Still. Ehr¬

lich Schulden zahlen, kein Christus sein !

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

l :--fessor und Hofrath werden. Mein Weib und mein 1.- - buch sollen mein Herz, die Welt nur meine Hand

1 April. Eine schwere Nacht. Ich träumte, ich sib auf der Bühne, wollte singen, konnte nicht! Schliess¬ lich verkaufte A’erner durch Clemens Hilfe Bilder um icxx) fl. Tausend Gulden! !

15. April. Kalte, blutlose Augen. Gestern im Künstlerhause, hielt eine lange Rede, diesmal noch als anständiger Mensch! Eben Anna hier, gleich darauf ein blinder Sänger. Arme, liebe Anna, Du sollst nicht betteln gehen. Ich bin tief schwermüthig, fromm möchte ich sein, der Mensch ist so jammervoll elend, dass er überirdische Hilfe bedarf, um in seinem Elend nicht zu ertrinken. Selig, die glauben! Ich glaube nun, dass in nicht zu ferner Zeit mein Herz still stehen werde. Die Natur muss sich selbst vernichten, um stets neu ge¬ baren zu können. WMzu r Vielleicht lächeln Geister über unser Elend, vielleicht spotten sie über diesen mi-'Srathenen Erdball, aus dem das Weh sich ewig er¬ neuert End doch, wie schön der Augenblick, wo mir Anna gegenüber ist; kihmte ich sie glücklich machen.

20. April. Nur ein Bild verkaufen! Wien fängt mir an fürchterlich zu werden. Ich will ja nicht reich

ein. nur vor Mangel geschützt und vor Hunger! Ist denn kein Mensch in dem Steinhaufen, kein fühlendes 11 rzr! Ich that doch etwas für die Gesellschaft. Ich oi'fcrtc ihr Ströme meines Herzblutes!

21. A]<ril. Ich möchte hinaus in die Natur. Es geht nicht. Ich habe kein Geld. Ich möchte ein neues Werk beginnen. Ich habe keine Earben , keine Lein- w.and ! Es geht nicht gut, nicht gut!

22. .April. Ein Kunsthändler versprach 30 Gulden. W arum i- 1 er kein .Millionär. Mein Bildchen ist gut geworden. Wenn ich cs nur nicht verkaufen müsste.

.April. Gestern bei Makart; die Kluft zwischen unsertn Können erweitert sich. Ich bildete mir ein, ihm eiinnal nahe zu kommen. Ich h.ätte am liebsten auf- elmult in einer Nahe. Die vAufgabe für den Eestzug . ‘r f-r, wie de au scr Rubens .Niemand gelöst hätte, '!it ' iii.dt wird.

5. April. \’on meinem Studienmarder 1 5 Gulden.

I h br;v.|i he I 5' Gulden.

.April. D> r Studienmarder war wieder da. Ich k il'.m eini- .Menge um 20 Gulden gegeben. Ich pv a. nc h fr'ih sein, dass er kam. Lni die Erker¬

stube und den Buben ist mir herzlich, herzlich weh. Ich spielte Komödie mit Dir, mein süsses Weib, und lächelte. Das Geld mussten wir haben !

28. April. Gräfin Clam-Gallas hier gewesen. Ausser ihr später noch ein Gast aus Hamburg, dem wir zeigen mussten, dass wir glücklich seien. Es war übermässig lästig.

29. April. Der Tod wünschenswerth. Und ich

habe so gerne gelebt! Man ermüdet im Kampfe. Mein Leben hat nur Deficite an Geld, Zufriedenheit und Ehre! Von Dr. K., dem Mediziner, eine Rechnung 2 Gulden, das wäre nicht zu viel. Aber die Exekution durch Dr. M. kostet 1 5 Gulden ! 1 5 Gulden für mich.

30. April. Sie rathen mir weniger als Künstler, mehr als Kaufmann zu denken ! Lieber selbst ersticken, als meine Künstlerehre verkaufen !

I. Mai. Frühlingsanfang, der herrlichste Tag des Jahres. Ich war dem Sprunge aus dem Fenster nahe, nur Weib und Kind machen mich ruhiger, ich fühle, dass ich die grässliche Verpflichtung zu leben habe, resignirt zu leben. Die Sehnsucht nach der kalten Erde, nach dem ewigen Schlafe, nach dem traumlosen Frieden schwindet. Die Erde, die Scheinwelt hat mich wieder, leider ich auch sie.

14. Januar 81. Ich habe nicht zu viel solche Bilder gemalt ! Eine Pappelallee an die Wand skizzirt. Sie macht mir viel Freude.

20. Januar. Also krank auch. Ich soll in ein Bad, aber ich habe nicht Geld genug ein Salicylpulver zu kaufen. Schlaflos. Chloralhydrat.

24. Januar. Sehr müde, ich kann nicht arbeiten. Ausstellung eröfthet, mein Bild missfällt mir sehr. Das wird schön werden.

26. Februar. Ich habe ihn, den Reichel-Preis. Walch meldet mir es soeben. Ich bin furchtbar erregt hier¬ durch , 1 500 Gulden , ich kann Schulden zahlen und gewinne einen Studiensommer.

28. Februar. Entsetzliches Gefühl. Ich sehe nicht! Das Gesicht empfängt keinen Eindruck. Es stellt sich nichts zum Bilde.

30. März. Ganz elend! Beinahe blöd! Erst nach Tisch Mensch geworden.

31. März. Man bot mir zwei Gulden. Und kein Blitz.strahl fährt in dies Babel ! !

1 . April. Erstickungsanfall in der Nacht. Mühsam schleppe ich meinen Leichnam fort. Werde ich dies Jahr überleben.?

Emil SchilKlIcr liilin. I'l'"' E. lEmf-lui-Tm-l, Miln.-

DIE KUNST UNSERER ZEIT,

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2. April. Nicht sprechen können, nicht sprechen hören können, furchtbare Schmerzen!

4. April. Beruhigte meine Nerven, indem ich beim Nachhausegehen jeden mir nahen Gegenstand beim Namen nannte. Anna gebeten, alle Messer aus meiner Nähe zu entfernen.

6. April. Die Praktiker kehren wieder. Ich soll meine Art opfern, malen wie die Andern! Wie gerne

Wohl Denen, die da geholfen haben! Wohl Denen, die für solche Hilfen die Schätze Schindler scher Kunst ernteten.

Selbst dieser äusserste Zwang der Noth, an dem so viele Künstler zu Grunde gehen , jagte ihn nicht aus seiner Individualität hinaus, so weh es ihm that, so sehr es an Herz und Nerven zerrte, nein, mit einem geklärten, künstlerischen Ideal ging er aus diesem

y. Emil Schindler. Haslau an der Donau.

gäbe ich die Malerei auf, wenn ich das könnte ! Ich soll arbeiten , wie die Mittelmässigkeit , nicht höher streben, als diese, das rathen Freunde!! Ich soll schwindeln I Nein!!»

So masslos litt dieser Mensch unter dem peinlichsten Elend, so zerrieb ihn die Tagessorge im Kampf um’s Dasein ! Die Kunsthändler gelangten zu ausserordentlich billigen Preisen zu seinen Bildern, und an Schindler ging die Gelegenheit der direkten Einnahme vorüber.

aufreibenden Krieg hervor, mit gestärkter Selbsttreue, aber mit zerstörten Nerven. Im Jahre 1880 erkrankte Schindler an Diphteritis und Blutvergiftung und brauchte 1I/2 Jahre zur Genesung, it/2 Jahre warten zu müssen,

für dieses Temperament - Ein warmfühlender

(vielleicht ein kunstsinniger oder ein scharfblickender.') Wiener Banquier, er wollte nie genannt sein in je¬ dem Falle sei er gelobt und beneidet, ermöglichte die Existenz der Schindler’schen Familie durch Vorausbe-

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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r-' T.'ung- kaum angefangener oder neu geplanter Bilder. Er hat sein Kapital gut angelegt , es trägt ihm Zins "A Zinseszins.

ln diesen Kampfesjahren wurden die zwei Töchter Schindlers die Träger seiner neu erwachenden Lebens¬ freude und Hollhung. Schindler liebte sie zärtlich und hingebend, begeistert sprach er von diesem Jugendglanz in Haus und Herz.

Nun tritt auch der feinfühligste der Wiener Kunst¬ händler auf den Plan, (vielleicht der einzige in Wien, dem die Kunst mehr ist als blos ein gutes Geschäfts¬ objekt), und verpflichtet sich Alles, was Schindler schafft, prompt zu übernehmen, ohne jeden Zwang für den Künstler selbst.

Mit der Genesung des Meisters, mit der zurück¬ kehrenden Arbeitskraft kommt die langentbehrte Har¬ monie. In seinem Zuhause wird gearbeitet, gelacht, gesungen. Der Abend versammelt die Freunde, sympa¬ thisches Wesen gibt Zutritt, die Persönlichkeit gilt Alles.

Schindler war zum Lehrer geschaffen. Er konnte dem künstlerischen Impuls Worte leihen, er fand die so schwer entdeckbaren Benennungen für die Spiele des Lichtes, für die Ifrscheinungen der Luft, für die tausend .Nuancen des Malerischen. Ein Kreis begeisterter Schüler schloss sich früh, schon in den siebziger Jahren an ihn an, unter ihnen die hochbegabte, frühverstorbene Marie Parmentier und die in München lebende Tina Blau.

Olga Wiesinger führte er, ihre Begabung er¬ kennend, in zielbewusster Leitung fabelhaft rasch aus dem Nichts zu einem künstlerischen Range. Marie Egner, welche für sein Schauen in der Natur besonders befäliigt war. dankt ihm die vornehme Erscheinung ihrer besten .Arbeiten. Und Carl Moll, de.ssen Gemälde (jetzt im Be-^itz des Kaisers von Oesterreich), «die römische Ruine in Schön brunn l S92 » in der vorjährigen Münchener Ausstellung grosses gerechtes Aufsehen er¬ regte, trat in den achtziger Jahren, in der Periode der .Srliindler'schen Wiedergeburt, als sein Schüler ein. In der l'.ntwicklung eines inhaltsreichen, tiefen Verhältni.sses ward Moll ^ein begeiiterter Jünger, sein intimer Ver¬ trauter, sein hingebender Freund. Mit wahrhaft rühr¬ endem Stolz zeigte Schindler Molls Bild und rühmte mit überzeugter Warme dessen Schönheiten. Und mit vollständiger .Selbstvergessenheit, mit dem Einsatz seiner Zeit und seiner Kraft vertritt heute Moll die Interessen de- Geschiedenen, die ihm heilig sind.

Molls künstlerische Leistungen geben dem Schind- ler’schen Lehrberuf ein glänzendes Zeugnis. Seine Methode, war von der seltenen Sorte, mancher Akademieprofessor soll von ihrer Existenz keine Ahnung haben, welche die Eigenart des Anderen nicht unterdrückt, nicht knebelt, sondern ganz her¬ auslockt, und sie in ihren Werdeprozessen mit gärt¬ nerischem Geschick beschneidet, bindet, pflegt, ohne die Wurzel zu verletzen.

Was aber der junge Künstler zu der mitgebrachten Begabung hinzu zu lernen hat, das verlangte Schindler streng und gründlich. Das Wesen der Erscheinung mussten seine Schüler in allen Details und in mühsamer Selbstthätigkeit erforschen, um dann der Freiheit der Kunstübung desto sicherer zu sein.

Schindler kehrte im Umgang mit seinen Schülern nie den Lehrer hervor, er docirte nie, war nie unnahbar, er nahm aber auch nur solche Schüler an , deren Wesen und Gesinnung ihm sympathisch war. Diesen wurde er alsbald ein fürsorglicher Vater, ein leitender Freund. Sie Alle wussten, was er ihnen gab, hingen verehrend , aufschauend , und innig liebend an ihm. Er hatte die seltene Fähigkeit, mit Anderen zu fühlen, ihnen durch Eingehen und Verständnis das Herz zu öffnen, eine Fähigkeit, welche nur Denen eigen ist, die weit über die Leiden des eigenen Ichs hinaus zu empfinden vermögen. Er verstand die Kämpfe einer jungen Künstlerseele, er verstand auch sie wieder über sich hinaus zu heben und der Kunst ihr religiöses Pathos, das «Himmelanstrebende» bei allem materiellen Studium zu lassen. Ewig bleibt es zu beklagen, dass Schindler an keiner Akademie wirkte, «Viele sind be¬ rufen, Wenige sind auserwählt.» Wenn er den einmal vorübergehend gehegten Plan, in München eine eigene Schule zu gründen , energisch ausgeführt hätte , welch einen Gewinn würde das heute bedeuten 1

In den folgenden Jahren 1882, 83, 84 lebte Schindler alljährlich zu Gunsten seiner zurückeroberten Gesundheit in Goisern im Salzkammergut, immer mit seinen Nächsten, zu denen er Carl Moll vollgiltig zählte. Der dort nicht allzu malerischen Natur gewann er Land¬ schaftsbilder erster Grösse ab, wie «Die Mühle im E c h e r n t h a 1 e bei H a 1 1 s t a d t » , «Nach dem Ge¬ witter», « S ä g e m ü h 1 e im Oktober».

Zu seinen Mühlenbildern hat er einen anziehenden Text geschrieben, der seine Begeisterungsfähigkeit für

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seine gewählten Lieblinge am besten übermittelt. So apostrophirt er, nach gedankenreichen Erörterungen über die Landschaftsmalerei, seine Mühlen :

« Mir kommt es unsäglich traurig , schwung- und glücklos vor, wenn der Mensch, der die heisse, sonnige Stadt fliehen kann, von der Natur Nichts verlangt, als ein paar Mal vier Wände und ein paar Pflanzen, die nur den Zweck haben, den auf staubigen Strassen vor¬ über Müssenden etwas zu ärgern, derselbe Mensch, der jedes Stückchen Ackerscholle unter Thränen küssen sollte. Für mich muss Alles in der Natur erzählen, und es erzählt auch Alles , nur die Villenreihe erzählt gar nichts mehr.

«Da nun diese Form der Architektur in allerkürzester Zeit die einzige Opposition sein wird , die wir noch finden werden, da das übersponnene Bauernhaus, die Mühle, die Schmiede in nicht allzu langer Zeit aufge¬ hört haben werden zu existiren, so ist es nicht nur eine sehr leichte und dankbare, sondern auch eine sehr wichtige Aufgabe, diese poetischen Reste, so weit sie uns noch zur Verfügung stehen, treu nachgestaltet der Nachwelt zu überliefern.

«Beginnen wir mit der Mühle. Diese ist ein geist¬ iges Rendezvous, wo Mensch und Künstler Zusammen¬ treffen müssen. Das volle Verständnis des Beschauers, sonst so traurig selten, hier ist es gewiss; denn selbst der von Sorgen gemarterte , in seinem Innern fast er¬ trunkene « Ich-Mensch, » der sonst wie augenlos in dem blühenden Garten «Eden» umhergeht, vor diesem sin¬ genden Hause bleibt er unbedingt stehen. So arm im Herzen ist Keiner , dass ihm dieses halb Gottes- und halb Menschengeschenk , diese sagenspendende , uner¬ müdliche Wohlthäterin, die Uferschwalbe, das Vergiss¬ meinnicht unter dem Menschenwerk gleichgültig sein könnte. Ich habe eine Unzahl Mühlen gesehen, die so übermoost, so grün umsponnen waren, dass es geradezu Schwierigkeiten machte nachzufühlen , was hier der Mensch und was die Natur geleistet hatte. Manchmal scheint sie wie eine Elfe am Bachesrand zu schlummern, manchmal nach Art der Libellen bachauf zu flattern. Sie kann aber auch überaus still werden und speziell Oesterreich birgt viele und mit die sympathisch-sten, wenn auch oft bis zur Fürstlichkeit gesteigerten Mühlen¬ werke; ob aber ein bischöfliches oder ein fürstliches Wappen über dem Thore prangt oder die Allmutter ihm einen Epheukranz um die Stirne geschlungen hat.

herzlich und liebenswürdig sind sie immer. Vielleicht findet man, ich habe mich etwas zu lange bei dem süssen Rauschen des Mühlrads aufgehalten , man ver¬ zeihe es mir, ich habe dort und da selige Stunden ver¬ träumt, verschlafen, dieser Musik gelauscht, leider aber nur wenig davon gemalt.»

So belebte er Alles mit Herz und Sinn. Unab¬ lässig sehnte er sich nach eigenem Grund und Boden und von dem Besitze seiner Wahl verlangte er nichts weniger als die Darbietung der Gegensätze, die seine Anschauung liebte, Ebene und Gebirg, und zwar beide in unmittelbarer Nähe. Im Jahre 1885 auf einer Recognoscirungsfahrt im Wiener Walde fand er zwischen Neulengbach und Tullu ein unbewohntes Schloss, einen massiven Steinbau mit Kupfer gedecktem Zwiebelthurme, dabei einen zwei Joch grossen malerisch verwilderten Garten. Das war zu pachten. Er erwarb sich das Recht, und die Zeit wahren Glücks für ihn begann. Die Malerei stand im Mittelpunkt. Die Bilder-Eindrücke strömten ihm nur so zu. Bald stand er mit den umwohnenden Bauern in gemüthlicher Beziehung, und auf sein Händeklatschen hielten sie in der Arbeit ein und standen willig Modell. Auf diese Weise sind sie auf den Gemälden Kartoffel¬ ernte, Pappelallee u. A. in die Unsterblichkeit gerettet. In seinen Ruhestunden beschäftigte sich Schindler eingehend mit der Gärtnerei; aus dem Atelier ging er mit Spaten und Baumscheere an seine gärtner¬ ischen Werke, legte sich einen Gemüsegarten an und wählte schon den Samen vom malerischen Gesichts¬ punkte aus. Mit jedem Jahre nahmen die Reize dieses Tuskulums zu , eine grosse Gastfreundschaft wurde ge¬ übt, der Sonntag galt allen Freunden als Besuchstag, und mit wahrhaft kindlicher Freude sah dieser Schloss¬ herr Wagen für Wagen Vorfahren. Heiterkeit und Herzlichkeit gaben dem Verkehr einen erquickenden Inhalt. Der Werktag gehörte dann wieder der Kunst, die Feierstunden dem Garten, der Familie, den heiteren Spielen, der Musik. Im jüngsten Plankenberger Sommer zählte das Vorspielen der Chopinschen Etüde (fis moll) zu seinem Abendsegen. In diesen stillen Wochen vollendete er Meisterbilder, « e i n e n Gemüs egar t en », «eine Mühle im Nebel» mit Tauben als Staffage. Das Jahr 1887 führte ihn mit seiner Familie nach dem Süden. Ein siebenmonatlicher Aufenthalt in Dal¬ matien bringt eine Revolution in ihm hervor. Er malt Einiges «für die Leute», wie er zu sagen pflegte

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für .-ich selbst dem jüngsten und stärksten Triebe folgend', dichtete und plante er an einer Cyklusidee:

Der verbannte Mönch.» In den Einzelbildern sollten alle geschauten Schönheiten der südlichen Natur, die Erandung. der glühende Sonnenuntergang, der weiche Mondschein , der tiefblaue Himmel , die Beleuchtungen im Siroccosturm geschildert werden und inmitten dieser Naturbilder die Gestalt des Mönches, der um der Liebe und des Friedens willen in den Tod gehen wollte. In München an einem Sonnentage setzte uns der Künstler seinen Plan auseinander. Seine Schilderung erinnerte in fast allen poetischen Momenten an zwei Dichtwerke Karl Stielers.

Eliland und Wern- h e r von T e g r i n - see. Beim Citat der \’erse : « Herr Wern- her. Euer Herz ist wach , Und Euer Herz muss schlafen», horchte Schindler mit gespannter Erregung.

Diese Probe reizte ihn und in der P'olge las ich ihm die zwei genannten Stücke vor.

Kr war entzückt , er¬ griffen , und meinte, so Vheles gleiche derart seiner dichter¬ ischen Vorstellung, dass er fürchte, das Gefühl der Originalität sei ihm verloren gegangen. Schon damals empfand ich nicht allein die Aehnlichkeit der dichter¬ ischen Tonart zwischen Schindler und Stieler, sondern auch eine grosse Zahl ähnlicher Züge in den beiden Individualitäten. Stieler ein Maler, der Dichter wurde, Schindler, ein Dichter, der Maler wurde. Beide leiden¬ schaftlich die Natur liebend, mit ihr eng verwandt, von ihr Begeisterung und Trost empfangend, beide wissen¬ schaftlich für die ganze Breite und Tiefe des Menschen¬ lebens intcressirt, beide von dem Verstand glänzend be¬ dient, aber nicht dirigirt, Gemüthsmenschen im höchsten Sinne, daher auch Eeidensträger , daher auch P.sycho- logen , durch schmerzhafte ICmpirik in dem Besitze er¬ rungener Seelcnkunde, beide mit dem Mönche em¬ pfindend. welchen die Kirche gefangen hält und straft.

Ihre Kirche war die Welt und die Zelle des Einzel¬ rechts war ihrem Lebensreichthum viel zu eng.

Von dem geplanten Cyklus Schindlers ist nur das eine grosse Bild, «Pax, » das in der Reproduktion dieses Heft schmückt, vollendet. Sein Schönheits- und Gefühls¬ inhalt bedarf keiner Interpretation , es steht für sich selber ein. Wenn sein Schöpfer wüsste, dass dieses Werk nach seiner ruhelosen Wanderung durch seine Seele und durch so viel Säle die Münchner goldene Medaille trägt, eine weitere Prämiirung aus der Hand des österreichischen Kaisers durch den Ankauf für die kaiserliche Gemäldegallerie erfuhr und nun im kunst¬ historischen Museum seiner Stadt Wien eine Offenbarung seines Pax-Traumes und ein unsterbliches Zeug¬ nis seines Ruhmes bildet ! !

Während er da¬ mals auf den Mäcen wartet (die Mäcene schreiten meist sehr langsam), der den Cyklus seines Mönch¬ gedichtes bestellen und ihm die so noth- wendige Ruhe zur Ausführung geben würde, kehrt er zu der Ausarbeitung älterer Ideen' zurück, denkt an die ge¬ plante Suite der zwölf Monate in den charakteristischen Stimmungen seiner österreichischen Heimath. Seine Schüler sollten in verbindenden Bildern die Flora dazu malen. Olga Wiesinger-Florian entwarf einst¬ weilen alle zwölf Skizzen für die Blumenbilder unter Schindler's direkter Leitung.

Dazwischen drängt es ihn , den Immerbewegten, zur schriftlichen Aussprache seiner überquellenden Ideen. Jedes Briefcouvert bedeckte er mit Notizen und in der Stille traulicher Winterabende diktirt er seine Gedanken über Natur und Kunst!

Welche Gedanken!

Ohne jeden Ballast akademischer Breite, abgeklärte runde Erkenntnisse, Perlen aus dem stürmischen Meere der Ivrfahrung. Er muss sich weit hinaus gewagt haben

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weit über die Grenzen des Durchschnittsterrains hinaus, um in die Tiefe zu tauchen, in jene Tiefe, in welcher die Gesetzchen und Mittelchen aus den Reflektirschulen verschwinden, und der Gedanke in seinem Urgehalt schlummert. Es ist schmerzlich zu beklagen, dass diese Hinterlassenschaft fragmentarisch geblieben ist.

Aus seinen ganz eigenartigen, wahrhaftigen Erkennt¬ nisbüchern seien nur einige Grundgedanken aus dem Kapitel Menschen werk, Plein-air und Gebirgs¬ landschaft citirt: «Die absolute Landschaft wird am schwersten gemalt wie verstanden und der .komische Bilderfreund , der auf der grösstbemalten Fläche nur das Staftägebäuerlein sieht, ist nur eine Karikatur der ganzen bildersehenden Menschheit, derem grössten Theile die absolute Natur gar nichts zu sagen hat, deren grösstes Interesse in dem riesigsten Vorgänge ein weisser Punkt erregt. Die grösste Gefahr für den ab¬ soluten Landschafter liegt darin , dass er den Massstab für das Menschenwerk verliert und sein Repertoir, das er für sich aus der Natur herausgesehen hat, nicht mehr verständlich machen kann.

«Bei mangelnder Redaktion des Gesehenen wird seine Welt endlich so reich, das Stimmungsmaterial wächst derart an, dass auch hundert Menschenleben nicht genügen werden , einen ganz kleinen Fleck Erde zu bewältigen.

«Es handelt sich um das Herausfühlen der weihe¬ vollen Momente. Jede Religion hat ihre Festtage und die Priester des Naturkultus müssen auch in einer Art von Ornat fungiren. Man muss in jedem Kunstwerke den Feiertag sehen , wie man ihn auch in der Natur erkennt. Die Feiertage sind nicht allzu häufig, aber die Natur hat sie und sie sind durch Illusionen , durch Ruhe, durch Wohlklang der P'arbentöne herauszu¬ fühlen. »

Plein-air.

«Ein Gutes wird sich aus dieser Bewegung resul- tiren. Wir werden lernen a la prima malen. Der Be¬ griff Luminist , man nennt an erster Stelle Rembrandt, hat mit der Sonnenmalerei Nichts gemein. Es liegt auch darin der hauptsächliche Unterschied zwischen der modernen und alten Kunst. Die grossen nieder¬ ländischen Meister des Lichtes schufen sich diesen Be¬ griff ganz selbständig und machten daraus eine Wissen¬ schaft, die einen Generalbass und einen Kontrapunkt hatte und ihre festbegründete Mathematik, die aber mit

der natürlichen Erscheinung wenig oder nichts zu thun hatte. Lediglich den Begriff Licht entnehmen sie der Natur, alles Andere thaten sie dazu. Der Grösste aller Plein-airisten (man wird ihm verzeihen , dass er schon war, ehe dieses Wort erfunden wurde), ich meine Meissonier, that und thut Nichts dergleichen. Plr lässt die Natur, so meint man, ganz und gar unberührt. »

In einem darauflblgenden Vergleich mit Waldmüller und Pettenhofen begründete Schindler diese Behauptung klar und anschaulich.

In der G ebirgslandschaft schildert er geist¬ voll und witzig die Schwierigkeiten , dieselbe in ihren malerischsten Momenten zu malen. Er meint;

«Das zu porträtirende Gebirg wäre mit einer zu porträtirenden schönen Frau zu vergleichen, die man nur malen darf, wenn sie nicht zu Hause ist. Dies be¬ trifft Alles die sogenannten schönen Tage. Wenn der Regen fällt und die silbertönigen Wolken über die nun tiefschwarzen Waldmassen hinziehen, wenn Felsen nass und glänzend werden , die Lokaltöne bis zur höchsten Kraft sich steigern , die Bergesriesen kaum mehr zu ahnen sind oder zu finsteren Giganten werden , wenn die Wasser sich trüben und wild und drohend ihr Bett

y. Emil Schindler. November. Aus dem Cykliis der 12 Monate.

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..L'cr.-chäumen , oder mit einem anderen Worte, wenn uL-r Gebirgsmaler im Wirthshaus sitzt, dann kann das Gebirge sogar klassisch werden. Das vornehme Ge- birgsbild hat weder ein Publikum noch hat es Künstler. Riiisdael. Everding, und in neuerer Zeit Andreas A c h e n b a c h haben derartige Stimmungen zu hoher Willendung gebracht. Lesen sie diese Namen, so finden 'ic nachträglich sogar diese Stimmungen sehr reizend. Im Leben haben die Betrefienden während des Regens gefiucht, geschlafen oder sind abgereist , je nach Mass- gabe ihrer vorhandenen Baarmittel.'/

Alle die im Nachlass Vorgefundenen Manuskripte führen in ein besonders geartetes Geistesleben ; nur ein kleines Zeugnis sind diese Proben, aus den Diktaten jenes Jahres.

Bald darauf, 1890, zieht Schindler mit den Seinen in das Salzkammergut an den Mondsee, nur zum Aus¬ ruhen. Er malt gar nicht , aber sein Geist arbeitet unter dem Plochdruck eines drängenden Ideenreich¬ thums. er schreibt desto mehr! Seine Seele beschäftigt das Menschliche weit über das Malbare hinaus. Die Unterdrückten, die Leidenden, die Gekränkten, die Ge¬ fallenen, das ewig Menschliche, das ewig Weibliche in -einer Unzulänglichkeit beschäftigt ihn, es entsteht sein Drama « A n na ».

Ibsen, der Agitator der gefühlsbelasteten Indivi¬ dualisten, Derer, die mit ihrer persönlichen Naturgewalt ■Stehen und fallen, ob sie Nora oder Solness heissen, war sein grosser Anreger. Aber selbst er vermochte Schindlers Individualität , die sich auch in seinen Schriften ganz ausprägt, nicht zu beengen oder gar zu erdrücken.

In .Sylt hoffte Schindler sein Drama endgiltig aus- zuarbeiten. his schien ihm noch zu unreif in der Durch¬ bildung, zu uberfüllt mit allgemeinen Ideen über den Lebenskrieg der Menschen untereinander. P2r hatte seinen Gedanken über die Lücken im Gesetz und im Recht, über die humane Pflichterweiterung für das Volk, über die Grenzen der Liebe, über die Grausamkeiten des Geschickes vollen Ausdruck gegeben. Diese Ideen¬ belastung drolite den dramatischen Gang der Handlung aufzulialten, er wollte streichen, klären, vollenden.

Aussprache, freie erschöpfende Aussprache war ein unbedingtes Bedürfnis seines Geistes; mit jedem Jahre wurde es lauter und dringender. Die Uebung schärfte

seine Waffen. Die tollen Parteikonflikte auf dem Gebiete der Malerei reizten ihn zum Schleuderwerfen gegen den Goliath « Publikum » .

In den Jahren 91 und 92 schreibt er Ausstellungs¬ berichte in ein vielgelesenes Wiener Blatt. Das Pseudonym, unter dessen Maske er eine kühne, vorurtheilsfreie Kritik übte, interessirte auf das Höchste und wurde zum Tagesgespräch in den betreffenden Kreisen.

Auch davon seien einige Citate zu seiner Charak¬ teristik aufgenommen.

« Im grossen Saale V finden wir das prächtigste, das süsseste , das plein-air-wahnsinnigste und das theuerste aller Bilder dieser Ausstellung. Das prächtigste ist Oswald Achenbach’s «Colosseum.» Der un- übertreff liehe Klangzauber, die jauchzende Farbenlust, gepaart mit kühner Noblesse stellen dieses Bild in die erste Reihe und hoch über die beiden anderen desselben Meisters. Da stehen sie die Weisen des Abendlandes und schütteln die Köpfe und fragen , ob denn auch Alles ganz so und wahr ist.? Wer frägt eine Symphonie darum? Ein Rausch, ein Sinnenwirken, ein hinreissendes Bild von Vergangenem, ohne Trauer um dieses. Was bekümmert es uns, im Angesicht dieses Bildes? Was soll es uns zu wissen, was im Innern des Hauses ge¬ schah; es wogt das neue Leben, es verglüht das gol¬ dene Abendlicht um die alten Mauern herum. Freuen wir uns mit. »

« Der grosse Rückschritt aber, den unsere Künstler in auffallendster Weise von Jahr zu Jahr machen, zeigt uns, dass es hoch an der Zeit wäre, das in der Kunst so wichtige, so einzig grosse : « Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir!» endlich wieder einmal sagen zu lernen. Lernen wir von Reid singen wie uns der Schnabel gewachsen ist und glauben wir an uns, dann wird man auch an uns glauben. Was imponirt uns an der Kunst des Britten ? Er sagt : « So mache

ich’s, so freut es mich, wir kümmern uns nicht um Euch Andern!» Wir aber in Oesterreich und Deutschland, verzerrt, vergiftet durch die Einschleppung von Krank¬ heitskeimen, wie sie die Masseneinquartirung immer mit sich bringt, wir sagen: «So hat’s Der oder Der gemacht, vielleicht bringen wir’s auch so zuwege. »

Hochinteressant und Sachkenner nennen sie klassisch , ist Schindlers Auseinandersetzung über den inzwischen zum Tages- und Parteienkampf ausgearteten Münchener Konflikt. Er schrieb am 28. März 1892:

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«Ausserhalb unserer Grenzen kämpften in den Sommermonaten des vergangenen Jahres Berlin und München einen Kampf auf Leben und Tod. Man wollte weiter Nichts als sich gegenseitig erschlagen. Es wurde auch beiderseits Alles aufgeboten , selbst die künstler¬ ischen Weiber, Kinder, Krüppel und Greise; ein Land¬ sturm der schlimmsten Art , der verderblichsten , weil der verblüffendsten, die Masse musste es machen. »

«Die Berliner Ausstellung war nach einer Richtung hin die würdigere, sie hielt sich von Ausschreitungen ferne und war, was die Resultate anbelangt, vornehm. Die Münchner dagegen war die interessantere, leider aber hauptsächlich vom kunstpathologischen Stand¬ punkte aus betrachtet. »

«Es hat sich an der Isar eine Komödie abgespielt, nicht unähnlich jener, die uns Jules Verne in seiner « G e hei m ni SS V o 1 1 e n Insel» schildert: ««Auf ein einsames, meerumrauschtes Stück Erde waren ein paar thatkräftige Menschen verschlagen worden und schufen sich in harter Arbeit ein Felsenhaus, welches sie eines Tages von Affen besetzt fanden. Weg und Steg waren abgebrochen und die Vernichtung war unaus¬ weichlich. Da erschien unerwartet ein mit schier über¬ irdischer Macht begabter Mann, rottete die Sippe aus und gab den Ansiedlern Haus und Ruhe wieder » So wenig artig es klingen mag, uns gemahnte die letzte Münchener Jahresausstellung mit Allem, was vorher und nachher geschah, an die Geschichte Jules Vernes.»

«Der Pleinairismus der Deutschen ist nicht zu ver¬ wechseln mit dem der Franzosen. Diese sind durch eine Art Ideenarmuth zu mächtiger Entfaltung ihres ange¬ borenen Geschmacks und durch diesen zu wechselnden Ausdrucksweisen gezwungen und zuletzt gelangten sie durch eine ganz gesunde, naturgemäse Reaktion gegen die übermässige und etwas kränkelnde Farbentiefe der Progonen zu einem Licht- und Wahrheitsfanatismus, der ein paar herrliche Blüthen trieb und von grösster Be¬ deutung für die Zukunft der Malerei werden wird. Das jedoch, was dem Wollen der neuen deutschen Schule zu Grunde liegt, ist nichts als fauler Nachahmungstrieb und ihre Priester thaten genau, wie die vierhändigen Helden Jules Vernes. Durch ein paar Abstimmungen erhielten sie das Recht zu schalten und zu walten, und die, die sich in der von Natur und Vergangenheit so stiefmütterlich bedachten Stadt ein Kunstemporium ge¬ schaffen, standen nun entsetzt vor den Trümmern ihres

Glückes, vor der geschlossenen Pforte. Drinnen aber begann die lächerliche, hoffentlich einaktig bleibende Komödie der vorjährigen grossen Au.sstellung. Es trat eine Aufnahmsjury zusammen, und verfuhr, ich will nicht sagen wie , das Wort ist zu abscheulich. Es trat die Preis-Jury zusammen, ihre Devise «Hoch der Wahnsinn!» wurde durch ihre Leistungen erhärtet, und fand sich eine Farce, die sie selbst nicht mehr ver¬ standen, so wurde dieser die höchste Ehrung. Alle .Schönheit, alle Religiosität, kurz, alles Herkömmliche wurde in den Koth getreten , aber sie hatten die Stirne , allen Opponenten zuzurufen : « « Achtet die

Ueberzeugung! » » Ja, wenn nur eine Spur davon vor¬ handen gewesen wäre! Auch der Irrthum ist achtbar. Aber hier war der Irrthum ein bewusster, und die Ab¬ sicht, die gar zu klare und durchsichtige Absicht, sich einfach, ohne Streben, ohne jegliches Verdienst auf den Rücken der Besten empor zu schwingen, konnten Blind¬ geborene mit Händen greifen, nur das Publikum merkte nichts davon.

«Um das Unglück voll zu machen, bethörten sie auch einen ganzen Menschen , einen grossen Künstler, sie opferten sich ihren Besten: Fritz Uhdes Name ist für immer mit dieser Sache verknüpft und nie wird es ihm vergessen werden. Der geheimnissvolle Fremde aber wo blieb er.^ Die Kunst Münchens hat einen sehr hohen Beschützer, der nicht will, dass sie an den Stufen seines Palastes eines Gnadenstrahles harrt. Er ist mit Leib und Seele Bewunderer der Göttin und Freund ihrer Priester. Auf ihn hoffte man, doch war er diesmal zur allgemeinen Ueberraschung nur « con- stitutionelle Spitze » und liess der Bewegung ihren Lauf. Das gab grossen Jubel. Aber schon begannen die Zweifel an den Herzen Derer zu nagen, die sich in ihrem Hause doch eingeschlossen fühlten. Sie wurden ängstlich und sagten sich, dass erstens : es vielleicht doch gewagt war zu zeigen, dass die deutsche Kunst ihrer Faktur in P" rankreich, England, Holland, Spanien, Italien, Dänemark, ja, Gott weiss wo noch, eine Menge von Rivalen habe, denen sie nicht gewachsen sei ; zweitens, dass es sich vielleicht doch strafen könnte, einem wenn auch sehr gutmüthigen Publikum gar zu unmögliche Dinge anzuhängen; drittens, dass die Kunststadt München und was noch viel schrecklicher wäre, sie selbst darüber zu Grunde gehen könnten und würden und viertens und letztens, dass man auch mit Hilfe des weitesten Ge-

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\vis<Ln^ mit Einem nie fertig werden könne, mit dem i.«jreclnigten Zweifel an sich selbst.

Diese Stimmung benützte plötzlich ein Mann, auf den Niemand rechnete Lenbach. Nun war sein Moment gekommen. Er rannte seine Lanze gegen den verführten Heiligen und Uhde war besiegt. Die Genos¬ senschaft der Vernünftigen , Beleidigten und Zurück- i/esetzen vereinigte sich mit einem Theil der zu sich gekommenen Selbstbetrüger.

' So steht es heute ; aber viele brave Menschen haben viele, viele böse Bilder davon getragen . »

So klar, scharf und von einem grossen Stand¬ punkt aus, das Parteigetriebe überblickend, beurtheilte Schindler eine Bewegung, die unendlich viel Lärm um Nichts machte und auf die Dauer Niemandens Interesse erregt, der überzeugt ist, dass die Kunst nie eine Partei¬ sache sein kann.

Bei diesem bewegten Geistesleben , bei diesem allseitigen und immer intensiven Betheiligtsein am Leben ist eine Erschütterung der körperlichen Wider¬ standskraft fast natürlich. Er leidet Jahre lang, mehr oder weniger, er zittert um seine Arbeitskraft, um seine Zukunft. Im Herbste 1891 geht er zu Pfarrer Kneipp Hilfe suchen und findet sie. Die Kur oder der Glaube oder die Kur und der Glaube sollten ihm seine Kräfte wiedergeben. Er kehrt in demselben Jahre, kurz vor Weihnachten, gesund, vergnügt, seelenvergnügt zu den Seinen zurück. Mit erneuter Frische nimmt er das .Malen wieder auf, und leistet in kurzen drei Monaten was Andere in drei Jahren nicht schaffen.

Und während er dazwischen immer wieder am Pax » korrigirt, entstehen in dieser Renaissancezeit meiner Kraft ein sonniges Bild für eine Breslauer Dame, ein Dorfeingang und die Landstrasse mit den Pappeln. Er stellt 28 Bilder, mei.st aus Privatbesitz für eine .Au .-•Stellung im Wiener Kiinstlerhause zusammen. Eng¬ herzigkeit, vielleicht auch Missgunst versagten dieser Kollektion den genügenden Raum, und fast die Hälfte musste Zurückbleiben. Aber die angenommene Zahl ge¬ nügte in vollem Masse, um seinen Ruhm bei der Minorität, die ihn verstand, zu erneuen und zu mehren! Die früheste und die lauteste Anerkennung fand er stets von Seiten der Maler und in manchen Zeiten war der Beifall seiner Collegen die einzige Aufmunterung, die ihm zu Theil wurde. Das grosse Publikum , welches ein Jahr vorher den Schöpfer des «Pax» zwar nicht

verstanden hatte, ihm aber als einem interessanten Son¬ derling neugierig, zum Theil scheu bewundernd näher trat, eroberte er sich nun durch seine Landstrasse mit einem Schlag. Sieg auf der ganzen Linie. Das «Schindler hoch!» griff um sich!

Er aber, es war im Mai 92 setzte sich in sein Kämmerlein, legte den Lorbeerkranz lächelnd ab, zog den Domino seines Pseudonyms an , fuhr sich seufzend über die feine Stirne, nahm die Feder und schrieb ;

«E. J. Schindler bringt in einer stattlichen Reihe von Bildern, 16 an der Zahl, eigentlich nur eines, und in diesem kein Vollbild. Er lässt uns einen Blick thun in die Mechanik eines geistigen Uhrwerks, wir sehen Räder in Räder greifen, aber nicht mit beruhigender Regelmässigkeit, sondern hastend, überspringend, wir sehen die Zeiger nicht und wissen nicht, wohin sie zeigen sollen. Wir sehen ein nervöses Ringen auf viel zu ausgedehntem Gebiet, einen verzehrenden Ehrgeiz, viel zu gross für Einen, ein Streben, das genügen würde eine grosse Schule zu gründen, wenn Schindler sich selbst verstünde. Er ist wohl stets dieselbe Einheit, aber von Fall zu Fall ein Anderer, eine Seele in vielen Körpern, Anfang und Ende, Wollen und Weg, alles verschleiert, ungeklärt, ein stetes Suchen. Kein Hand¬ werksgeschick, kein Typus, nicht einmal eine erkennbare Nationalität. Heute ist er Niederländer, morgen P'ran- zose, dann wieder fanatischer Oesterreicher, oder aber er hört ganz auf Maler zu sein und benützt den Apparat des Malers nur um zu dichten. Seine Sammlung von bemalten Leinwänden und Brettern sind kleine Er¬ gebnisse grosser innerer Kämpfe und Leidenschaften, unter bitteren Thränen entstandene Scherze und mit Lächeln geborene Elegien. Von der jauchzenden Lust über die eigene Meisterschaft, die in seinen Augen keine sein kann, bis zu dem Zusammenbrechen unter der tödtlichen Wucht des unheilbergenden Glücks; Die Natur, das schönste und grausamste aller Weiber lieben zu müssen, diese Welt von Glück und Elend, die ist’s, die uns in seine Kreise bannt. »

Diese eigenartige, schmerzliche, kräftige Selbst¬ beichte stimmt in dem einen Punkte nicht: seine Bilder wirkten klarer, einheitlicher, als er selbst, der einzige Kenner des kampfvollen Chaos, aus dem sie entstanden, fühlen konnte.

Emil SchindlL'i' |>inK

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Den Frühling dieses Jahres verbrachte er in seinem geliebten Plankenberg. Dort , wo er an der Quelle seiner Modelle war, malte er die zweite Landstrasse, dann das poetische, zauberhafte Bild: «Nach dem Ge¬ witter» und einen Bach mit einer Mühle im Mittelgrund.

Zu der internationalen Kunstausstellung in München entsandte er damals sieben Werke, vier davon waren in festen Händen, darunter die Pappelallee, welche beweist, was ein solcher Künstler in einer «unromantischen»

Landschaft sehen u n d wiedergeben kann.

Welche Farben sein vorgezogenes Grau ent¬ hält, welche Formen, welche Lichter , welche Stimmungen aus diesem nichtstilisirten werktäg¬ lichen Stück Ebene zu holen sind. Ohne jede Künstelei, deutlich, wahr und gross giebt dieses Bild in seiner mächtigen Einfachheit ein salomo¬ nisches Urtheil für die Parteien der Farben und der Farblosigkeit aus.

Wer so grau malen kann, der hat eben die Leuchtkraft , die auch dem Grau Leben, Licht,

Eindrucksfähigkeit giebt.

Ueber die mannigfaltigsten Reize der Landstrasse als malerischen Vorwurf hat Schindler eine Reihe von Aufzeichnungen voll merkwürdiger, ganz ursprüng¬ licher Beobachtungen hinterlassen.

Wie verschieden und ganz ebenso stark ist das Bild « N a c h d e m F r ü h 1 i n g s s t u r m » . W eiche warme, harmonische Färbung! Wie lau sind diese Lüfte! wie weich ist diese Stimmung! wie viel Wehmuth weckt dieser alte, ewig neue Zauber auf! wie eigenartig ver¬ binden sich die Gegensätze unter diesem Himmel, das Kruzifix mit dem Gekreuzigten , das grosse Zeichen des allgegenwärtigen Menschenleids, die junge liebliche Mädchengestalt, eine menschgewordene Frühlingsblüthe, die in dieser Ruhe nach dem Sturm das seiner Stütze

beraubte Bäumchen versorgt. Auge und Herz werden durch diese Darstellung auf einen Schlag gefangen ge¬ nommen. Das ist eines von jenen Gemälden, um deren Erschaffung man den Künstler beneidet, um derentwillen man ihn liebt.

Die Reproduktionen dieses Heftes geben typische Beiträge zur Charakteristik der Schindler’schen Künstler¬ schaft: Sein «Pfarrgarten,), seine «Mühle,, sein « W a 1 d i n n e r e s » , sein « K ü c h e n g a r t e n aus

P 1 a nk e n b e rg » , den er s. Z. als Dankeszeichen für eine warme Auf¬ nahme in der Münchner Künstler- Genossenschaft dem dortigen Kunstverein schenkte, jedes der Bilder zeigt reizvolle Seiten seiner Künstlerschaft.

Erschöpfend ist die Künstlerschaft Schindlers nicht darzustellen , auch dann nicht , wenn man alle Werke zu einer Ausstellung vereinte.

Ungehobene, unge¬ malte Schätze lagen noch in seinen Plänen.

In München reizte ihn die Biegung der Strasse vom botanischen Garten zum Glas - Palast zum Malen, überall sah er Schönheiten, überall un- entdeckte Bilder! Als er auf der verhängnissvollen Reise nach Sylt den Hamburger Hafen besichtigte, steigerte sich das Entzücken über all die gesehenen Schönheiten der Linien und Lichter bis zur hoch¬ gradigen Aufregung. Malen wollte er auch das , nur malen! Von seiner Gesundheit allein wusste er sich abhängig, für alles Uebrige wollte er selber sorgen. Er fühlte sich im Vollbesitz einer trag- und leistungsfähigen Geistes- und Schaffenskraft, er wollte nur zu viel!

Was wohl so häufig die grossen, vielversprechenden Talente in ihrer Produktionsfähigkeit unterbricht? Was ihnen einmal Besessenes plötzlich nimmt? und oft nie wiedergibt? Was sie in den Mannesjahren, die das Beste und Reifste bringen sollen, zu ihren eigenen Nachahmern

y. Emil Schindler. An der Fischa in Fischamend in Nieder-Oesterreich.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

\Tr-angene und gegenwärtige Maler in Menge •. .^„.'.'.a:-scn die^e Fragen. Wer sich die Mühe nimmt, den t'r'C.chen chronisch magerer Jahrzehnte, welche :_ jn fetten Jahren zu folgen pflegen, nachzuforschen, r J diese sehr oft in dem einseitig entwickelten Geistes- zn^iand der betreffenden Künstler finden. Sie trieben TUi i'tens Raubbau auf ihrem jungen Grund. Sie ver- ;_a-sen. dass der Wechsel der geistigen Saat eine Gesundheitsbedingung für den schöpferischen Boden ist. da^s eine wache Antheilnahme am grossen Leben, weit über die Grenzen dessen hinaus, was in’s Skizzen¬ buch geht, den INIaler nur stärkt, seine Eigenart nährt, hebt, gefühls-. gedanken- und bilderreich macht. Die allgemeine Sphäre des Geisteslebens übt einen unbe¬ rechenbaren Einfluss auf die künstlerische Produktion aus. Die ganze, so interessante, inhaltsüberreiche Ent¬ wickelung Schindlers beweist diese Behauptung.

Als junger Maler, als alle Lyrik seines Jüngling- herzens im Blühen war, fand sein dichterischer Geschmack an dem Waldfräulein Gefallen, da hörte er die Natur¬ schilderungen, die ihm zu Bildern wurden, so ging er auf lyrischen Pfaden in die Kompositionsschule. Er begann die Illustrationen, wodurch sein Lehrer, A. Zimmer¬ mann, wie er zu der festeren L^eberzeugung seines k--*mi)Ositorischen Talents kamen. Zeichnen musste er lernen . und mit mehr Phfer als Geduld suchte er über <liese Seite, diese wichtige Seite seiner Kunst Plerr zu werden.

Mit der I'arbe aber, dem Ungreifbaren, dem Un- me: -baren, mit diesem fatamorganahaften unendlichen Heer von Lichtern, das von Minute zu Minute wechselnd auftritt, mit der I'arbe kämpfte er, um in seiner Sprache zu reden, wie mit einem schönen, geliebten, proden Weib. Er wollte sich von ihr unterjochen la ,en, er wollte sie malen, wie sie sich gab, er fand im Zusammenhang an ihr Alles schön, aber freiwillig wollte er sich ergeben, und erst dann, wenn er sie ge¬ knechtet , beherrscht und den Beweis errungen hätte ;

wenn ich wollte, ich könnte Dein Herr sein und malen wie i - h wollte. Aber ich will Dir dienen, denn Du bi t in Deiner Natürlichkeit so schön !>

In diesem Sinne machte er seinen Ifroberungszug nacli der Farbe,» in stillen 'lagen im Wiener Walde, in tillen l agen und Niichten im l’rater, auf sonnigen lici: en Wegen in l.acroma, um treu zurückzukehren, freiwillig den Scliönheiten seiner Wahl ergeben: dem dunklen Waldgrund, dem eng umzäumten Pfarr- und

Dorfgarten mit seinen altmodischen Blumen, dem Acker¬ lande in Plankenberg. Auf w^elche Wege ihn auch andere Gegenden und andere Maler lockten, zu ihnen kehrte er «heim.» Aus allen seinen Bildern klingt der Rhythmus eines Liedes. Der Klang der Musik beschwich¬ tigte seinen Geist und wenn es um ihn her in Tönen rauschte, griff er oft zu Bleistift und Papier. Der Dichter und der Musiker in ihm waren seine vollgiltigen Mit- Maler. Diese Dreieinigkeit, sie sei gelobt! kommt in seinen echten Bildern immer wieder zum ^Ausdruck, diesem Vollklang verdanken sie den unwiderstehlichen Zauber. Sie sind dichterisch, rhythmisch, malerisch, sie lassen alles Handwerk vergessen, man muss sie em¬ pfinden, unmittelbar empfinden, wie die Naturschönheit selbst.

Wenn ich von Schindler spreche, verzweifle ich an dem Beginnen, ein ganz treffendes Bild von ihm zu geben. Er war Maler, Musiker, Dichter, Psycholog, ein Meisterschüler des Lebens, aus dem ein Lebens¬ künstler, folglich ein Philosoph geworden wäre , wenn ihm das Schicksal Zeit zur Entwicklung gelassen hätte, einer von den Seltenen, für die man mindestens um den Doppeltermin von 70 Jahren beten sollte, damit sie ihre Gaben zu Gunsten der Menschheit ausreifen lassen könnten, einer von den Märtyrern, die schon einen guten Theil ihrer jungen Zeit verbrauchen, um sich aus ihrer eigenen babylonischen Verwirrung auf den Weg in die Welt zu retten. Und auf diesem Weg begegnet ihnen eben, da sie thatenfroh ihr Lebenswerk beginnen wollen, der Lindwurm Mammon , für den der St. Georg noch nicht gekommen ist, quält, beherrscht, martert sie, zerrüttet ihre Nerven , bricht ihren Muth, zerstört ihre Poesie, und Schindler drohte er sogar zu verschlingen. Er lernte nicht rechnen. Als die Breslauer Kunst¬ freundin ein Bild bestellte und nach einem, wie sie hervorhebt , rührend bescheidenen Eingehen seiner¬ seits auf ihre Wünsche und Ansichten nach dem un¬ gefähren Preise frug, meldete er denselben endlich in «Pfennigen» ausgedrückt. Durch diesen Zug hatte er es nie auch nur annähernd zu den Preissteigerungen der heutigen Mode-Matadoren gebracht, die schon durch die fünfstelligen Zahlen dem Publikum einen Werth¬ begriff suggeriren. Sein Ruhm war längst über seine Preise hinausgewachsen , und er hatte die Nutzan¬ wendung nie verstanden !

Rulil Scliin'ller piiix.

DIE KUNST UNSERER ZEI'r.

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Seine Lebensansprüche waren die eines genuss¬ frohen Menschenfreundes und die eines nach allen Rich¬ tungen hin verfeinerten Aesthetikers. Gütiges, fürstliches Geben war ihm , wenn es sich auch um seine letzten Gulden handelte, Bedürfnis, auserlesene Genüsse zählten zu seinen Stimmungsfaktoren, und Johann Orth, mit dem ihn bis zu dessen freiwilliger Weltentsagung die allerherzlichste Freundschaft verband, nannte ihn nicht umsonst c<den Blaublütigsten » unter ihnen.

Bei aller Menschenliebe, die ihn tief in die sozial¬ istischen Ideen unserer Zeit führte, war Schindler in seinem persönlichen Umgang wählerisch. Aeusserliche Fak¬ toren, Stellung und Namen, imponirten ihm nicht, er durchfühlte den Menschen an sich. Er war kein Streber.

Als Mitarbeiter an dem kron- prinzlichen Werke «Oester¬ reich in Wort und Bild», verhielt er sich im Umgang mit dem hohen Redakteur sehr reservirt. Eine letzte direkte Einladung des Kron¬ prinzen Rudolf zu persön¬ licher Aussprache lautete auf ein Datum , das der dritte Tag nach dessen tragischem Ende wurde.

Von der österreichischen Kaiserin sprach Schindler mit enthusiastischer Wärme , erzählte Beweise ihrer grosszügigen, humanen Denkungsart und schätzte sie als eine der geistvollsten und bedeutendsten Erschein¬ ungen unserer Zeit.

Schindler hatte ein ausgeprägtes Gefühl für Per¬ sönlichkeiten. Wo er eine solche nach seinem Ge- schmacke fand, opferte er der entfremdenden Förm¬ lichkeit keine fünf Minuten, er verlangte und gab sofort Vertrauen. Und was gab er damit! Eine ganze neue Welt! In seinem ereignissvollen Leben hatte er Alles genau gesehen, Freund und Feind, genau. Er nannte mit lebenerweckender Wärme Alles , was ihn gefreut hatte, die Todten, die Lebenden, die Unsterblichen, Sophokles, Shakespeare, Dickens, Reuter, Ibsen, er kannte die Geistes-Grossen und wusste, was sie sagten !

Und wie sprach er von seinen Nächsten! von seinem Weib, seinen Kindern, seinen Schülern, seinen Lieblings- Kollegen. Er zählte zu den sehr Vereinzelten, die that- sächlich zu dem Ankauf eines Gemäldes eines anderen Künstlers auf Kosten der eigenen Verkaufsaussicht ent¬ schieden zuriethen und sogar die Besorgung des Auf¬ trags übernahmen.

Mit welcher spontanen Herzlichkeit nannte er immer wieder seinen Jünger, Carl Moll, und die grossen, frohen Hofthungen, die er auf dessen künstlerische Zukunft setzte. M o 1 1 war es , der mit uner¬ müdlicher begei-sterter Hin¬ gabe die Ausstellung des Schindler’schen Nachlasses in so umfassender und würdiger Weise ermöglichte. Er war es , der durch sie dem Pub¬ likum , unter dem Schindler gedarbt und gelitten hatte, in jedem Bilde wiederholte, was es an ihm besessen und nur theilweise und sehr lang¬ sam erkannt hatte.

Er ist es auch, der den inhaltsreichen Nachlass seines Meisters mit pietätvoller Hand ordnet. In diesen werthvollen Blättern findet sich bei der Besprechung der von Schindler laut bewunderten Fran¬ zosen, Corot, Daubigny, Dupre und Rousseau, ein Passus über Letzteren , der ausnehmend interessirt und ergreift. Gibt er doch Kenntnis von der feinen, ein¬ dringenden Art des Mitgefühls Schindlers, das seinen edelsten Theil aus eigenen Erfahrungsschmerzen ge¬ wonnen hat. Er sagt von seinem im tiefsten Sinne des W orts « Kollegen ! »

« Der ursprünglichen Anlage nach sowie auch nach seinem Wollen ist Th. Rousseau der Grösste. Und ihm blieb Elend, Sorge, ja der Hunger nicht erspart. Er unterlag; bei so herabgestimmten, zu Tode geschleiften Nerven vollzieht sich der Prozess unmerksam, dann aber mit Riesenschritten. Wir sehen klar, dass sich Rousseau dem boshaften Drucke, der von mehr oder weniger talentlosen Leuten auf ihn ausgeübt wurde, mit einer Kraft wiedersetzte, die viel weiter ging als es sich mit

y. Emil Schmäler. Vorfrühling.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

d.-r Uin,'teii aller künstlerischen Individualitäten vertrug. Wir wissen auch heute, dass es nicht reines Unverständnis war. sondern dass sich ein guter Theil unverfälschter A- 4st \or dieser höchst bedeutenden Individualität ihr Ciii 's-cnstemmte. Wie diese feindselige Haltung ent- tanden, können wir uns heute nur durch die besagte Angst erklären. Rousseau ist derjenige der modernen Maler, der alle guten Eigenschaften aller grossen Künstler aller Perioden in sich zusammenfasste. Der Mensch Rousseau aber war nach den Berichten aller Jener, die so glücklich waren mit ihm leben zu dürfen, in einem ungewöhnlichen Grade sympathisch.

Wenn wir uns die Frage aufwerfen wollen, ob es ihm heute besser gegangen wäre, so können wir sie nur dahin beantworten: Um vieles nicht. Er predigte eine neue Eehre, die auch in unseren Tagen zum grössten riieil nur missverstanden wird. Er konnte sie nicht mehr i n s Reine schreiben und ihn zu ver¬ stehen bleibt einer anderen Zeit überlassen.»

Kein Zweifel, dass der Tag kommen wird, aber er i't noch nicht da. Es muss viel gearbeitet werden, \ iel ehrlich gewollt, dann wird Rousseau wohl den An¬ fang zum Allerhöchsten in der Kunst bedeuten. Er umfasste das Naturreich, so weit es seine Armuth er¬ laubte cs zu sehen, wie Keiner vor ihm. Er schuf sich auf einem ganz kleinen Fleck Erde eine Welt so un- fa-.-bar gross, so reich, dass sich Gott selbst wundern würde. .\uch er steht unter den Achenbachs, aber so, wie ein gelahmter Gott unter ein paar kräftigen Menschen teilt.

Was an diesem l'alle menschlich schon ist und zugleich tröstlich für uns, ist das; Unglück, Schmach und Elend konnten einen wirklichen Götterfunken nicht vernichten, er leuchtet fort!»

Und dieser .Schlus.-^satz, mit dem Schindler lebend cinf-n I.eiden-.geno;. .en unsterblich» nannte, er gilt auch \'.M ihm .elb-t!

h.mo Reihe von schmerzerfüllten, bewunderungs- rci- hon Nekrologen und Besprechungen liegen vor mir. J.-.l, r b' klagt clen Verlu t des .Menschen für die Menschen, du- ihm nahe zu . leben da: Glück hatten, Jeder beklagt dl-“ W It um d‘:n Vc-rlust dieses individuellen grossen K on tler .

I ' r Verk.iuf i.-incr nachgelassenen Bilder war be- friediigaid und ;etzt wenigstens in verspäteter Gerech¬ tigkeit die .Menschen welche mit ihm im Kriege gelitten h ben. in bescheidene Sorglosigkeit. Jedem, der ein Blatt

von seiner Hand heimtrug, ist ein Schatz von Poesie zum Eigenthum geworden, wie ein Wiener Kritiker sagt: «eine schönheitstrunkene Blüthe der Wahrheit.» Viel zu wenige Schindler’sche Werke sind der Allgemeinheit zugänglich, um den Einfluss auszuüben, zu welchem ihnen die Kraft innewohnt. Sind sie doch im Stande in dem sinnlosen Kampf der Modernen um die rechte Kunst, die Macht der schönen Wahrheit zu beweisen. Schindler war ein Machthaber allerersten Ranges, ein Unsterblicher!

Ein Schindler-Museum hätte er verdient und es wäre dem Staat oder dem Mäcen, der es gegründet hätte, zum Denkmal geworden. Auf diesem Wege wäre Schindler durch seine Schöpfungen ein lebendig wirkender Lehrer geblieben. So aber verstecken sich seine feinsten Bilder in den Salons, meist unerreichbar für Die, welche im Sturm und Drang ihrer aufstrebenden Künstlerschaft nach Rath und Hilfe, nach reinen, grossen, klärenden Eindrücken suchen.

Ein solches Museum würde dem Schindler’schen Geiste die Auferstehung bedeuten.

Die Stadt Wien bietet ihrem Maler ein Ehrengrab, Edmund Helmer, dessen Büste des Meisters in der Nachlass-Ausstellung allgemeine Befriedigung hervorrief, soll es mit einem Denkmal schmücken, mit einem Denk¬ mal im poetischen Sinne des Geschiedenen. Auf einem Sarkophage soll er im träumerischen Halbschlummer liegen, um ihn her Blumen und Vögel und auf dem Kopfkissen, seinem Ohre nah, ein singendes Vögelchen, ein Bote aus seiner vielgeliebten Waldesstille, dessen Gesang er zu lauschen scheint. Es singe ihm Trostes¬ lieder, verkünde ihm seine Siege, das endliche Ver¬ standensein, und aus der Welt seiner Freunde trage es dem Unvergesslichen die Worte zu;

Nein, Du gehst nicht! und soll umfassen Dich auch die schwarze Erde dort,

Wir sind lebendig ! und wir lassen Dich nicht aus uns’rein Leben fort.

Schindler lachte zustimmend w'enn man ihn im Gefühl, welches Feuer aus seinem Wesen strömte, einen « brennenden » Menschen nannte. Sein eigenartiges be¬ geistertes Verhältnis zur Natur und Kunst entstand aus seiner Wärme und diese trug er in seine Werke über. Sie strahlen das Plmpfangene zurück und aus ihnen leuchtet seinem Andenken das ewige Licht. \

f. Emil Schindler }iinx

Das Wasser in der Landschaetsmalerei

Von

M. HAUSHOFER.

Zwei Dritttheile der Erdoberfläche sind Wasser. , Das umfluthet die Erdfeste, dass sie, obgleich " sie den Ocean trägt, auf ihm zu schwimmen scheint. Es umfluthet sie mit seinen gehobenen Wogen ; es steigt in schleierhaften Dünsten empor, umballt als Wolke den Berg, lässt sich im grünen Pflanzenkleide der Erdrinde nieder, rieselt durch unsichtbare Gebirgs- spalten, um als murmelnder Quell hervorzubrechen, als Bach schäumend in’s Thal zu stürzen und endlich als Strom grau und mächtig wieder zum Ocean sich hinunter¬ zuwälzen. Es umarmt die Welt mit Millionen Armen, umkleidet sie mit Schleiern und Nebeln, durchfliesst sie in Rinnsalen , die bald schmal sind wie die Adern im Menschenauge, bald breit wie Länder. Es singt in allen Tönen, die der Natur gegeben sind : bald leis klingend wie die einzelnen Tropfen in einer Felshöhle, die von Stalaktiten niederfallen; bald mit jenem grauenhaften Donner, den die Brandung ausstösst, wenn sie das Land verschlingen will.

Es arbeitet ununterbrochen am Verderb der Welt und an ihrer Erneuerung. O, das Wasser, das Wasser! Einst umgab es als siedender Dunst den gluthheissen Erd¬ ball; hernach legte es viele Jahrtausende lang um ihn seine Niederschläge, eine Rinde über die andere, bis es endlich jene Werke vollbringen konnte, an welchen es heute noch thätig ist. Und was wird es noch schaffen und noch zerstören im weiteren Verlauf der Zeiten Wird es ungestört vollbringen, was es begonnen hat } Wird es die Gebirge zernagen und die Länder zer- waschen, und Alles, was jetzt noch fest ist, hinunter¬ führen in sein grosses feuchtes Bett, bis die Erdober¬

fläche nichts mehr ist, als ein ungeheurer Sumpf mit Milliarden sandiger Inseln ?

Es ist ein Werk für Zeiträume, die so gross sind, dass unser Gedanke scheu wird vor ihnen. Diese Zeit¬ räume sind nicht die Ewigkeit ; aber sie grenzen nahe daran.

Und das Element , das dieses vollbringen soll wie stellt es uns sich dar? Zwischen den Fingern zer- rinnt’s, obgleich es Inseln verschlingt; in Tropfen ver¬ sprüht es, obgleich es Berge zerfasert; als funkelnder Punkt schaukelt es sich auf dem Grashalme und heult anderwärts um die Säume zitternder Länder!

Diese gewaltigen Kontraste und unzählige Verbin¬ dungsglieder zwischen ihnen sind’s, welche an die Natur¬ anschauung des Menschen heranfliessen und ihr Bilder von unendlicher Mannigfaltigkeit, von allen Abstufungen des Weichen und Milden bis zum Gigantischen und Grauenhaften, vorführen.

Seit es eine Landschaftsmalerei gibt, hat sie sich auch liebend mit den Erscheinungsformen des Wassers beschäftigt, mit den Wassern der See und des Fest¬ landes, der Ebene und des Hochgebirgs. Sie liess im Wasser nicht blos Himmel und Bäume und Häuser spiegeln , sondern auch die wechselnde künstlerische Anschauung des Menschen.

Indem die Landschaftsmalerei ein Ausdruck des Natursinns des Kulturmenschen ist, gibt sie uns gewisse Aufklärungen über das Verhältnis des Menschen zur Natur. Und wenn wir die Aenderungen im landschaft¬ lichen Verständnis und Geschmack verfolgen, werden wir gewahr, dass das Natur-Empfinden des Kultur-

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

.i- z'iien j^ewisse schwer erklärbare Wandlungen durch- Wandlungen , welche die verschiedenen Bestand- 'e der Landschaft ungleichmässig ergreifen.

Ls ist wohl der Mühe werth, zu verfolgen, wie ins- sondere das Wasser in der Landschaft unser künst- L-ri'i hes Empfinden berührt, wie unter den verschiedenen L.r-cheinungen , welche das Wasser uns darbietet, bald die eine bald die andere die Hauptrolle spielt und dem _;esammten Landschaftsbilde, in welchem sie auftritt, ein besonderes Gepräge verleiht.

Das Wasser ist neben der Luft der wichtigste Träger der landschaftlichen Stimmung; wichtiger in dieser Hin¬ sicht, als die Bildungen der festen Erdrinde und als die ganze Pfianzenwelt , welche diese Erdrinde überkleidet. Denn das Wasser ist vor Allem im Stande, die in der Luft liegende Stimmung zu verdoppeln, indem es die¬ selbe im Spiegelbilde nochmals zeigt. Es verdoppelt aus seiner Tiefe heraus die Wirkung des hellen Sommer- himmcls, die Melancholie des Abendämmers, das un¬ heimliche Dunkel brütender Wetterschwüle, den Elfen¬ zauber silberner Mondstrahlen, und all’ jene zahllosen Nuancen der Stimmung, die in der Landschaft liegen können.

Das W’asscr ist aber auch im Stande, die durch die Luft gegebene Landschaftsstimmung schwächer oder äarker zu modifiziren je nachdem dies in der Absicht des Künstlers liegt. Wo die Luft glühenden Sonnen¬ brand athmet, \ermag das Wasser uns, wenn es als metallncr Spiegel darunter liegt, diese Gluth stärker fühlen zu lassen; es vermag aljer auch uns mit einem kühlenden Windhauch zu erfrischen. Wo die Luft lichtlose d'rauer über die Landschaft senkt, vermag das Wasser wenigstens ein paar verlorene Lichtfunken in da^^ fjesammtbild zu bringen; es kann die Gesammt- timmiing nicht blos mildern oder steigern und ver- ^harfen; auch durch Cjegensiitze räthsclhaft machen und vertiefen.

Gr?-ifen wir, vom Zufall geführt, ein Landschaftsbild h-' rau.‘ , auf welchem der grösste l'heil der Bildfläche v'.m W'.i -er bedeckt ist. I'is ist ein L'iguren- und Land haft -bild von K. Rauj)p; ein Stück Chiemsee mit dem Klo der L rauenwörth. Im X'ordergrunde gleitet ein Br- tternachen durch die spiegelklare L'luth, von einer Nonne '•steuert, nut Schulkindern angcfüllt. Die fromme Steuermännin trachtet eben mit Hilfe ihrer kleinen Ruder- kncchtc das gastliche ITer zu erreichen, ehe das Unwetter,

das schon über den verschleierten Bergen seine Blitze zucken lässt, hereinbrechen kann.

Ein Blick auf dieses Bild gibt uns eine Reihe von Lehren bezüglich der Bedeutung des Wassers in der Landschaft. Das Wasser nimmt hier zwei Dritttheile der Bildfläche ein; und doch wirkt es nicht vordringlich. Das Auge haftet nicht auf ihm, sondern auf der gewitter¬ dunklen Luft, auf dem kleinen Stückchen Land und auf dem Schiff mit den Kindern. Der Künstler hat es also völlig in seiner Gewalt, was er aus dem Wasser in seiner Landschaft machen will: «Hauptsache oder Bei¬ werk, Mittelpunkt oder Rahmen». Er kann eine Tra¬ gödie oder eine Idylle daraus machen, ein Lied oder ein architektonisches Gebild, Hier ist das Wasser nur die glatte Fahrbahn , auf der selbst Kinderhände ein gebrechliches Fahrzeug zu bewältigen vermögen. Ein freundliches Element, das, wenn es gewaltthätig würde, diese Gewalt nicht von sich selbst hat, sondern nur von dem Sturme, der es aufpeitschen kann.

Trachten wir aber einmal, die verschiedenen Er¬ scheinungen, die das Wasser im Landschaftsbilde zeigt, in eine gewisse Ordnung zu bringen.

Eine Gruppe dieser Erscheinungen bietet das Ele¬ ment in seiner Ruhe.

Was wir am ruhigen Wasser beobachten und was die Landschaftsmalerei wiederzugeben hat, ist die Farbe, die Spiegelung und der Grund der Gewässer, soweit er dem Blicke zugänglich ist.

Farbe zeigen uns die Gewässer, die als landschaft¬ liche Elemente erscheinen, fast alle, mit Ausnahme der seichtesten Tümpel. Wir sind gewohnt, als Typus dieser Farbe das Blau des Meeres anzunehmen. Und wo sich die Farbe eines Gewässers von der Farbe des Meeres entfernt, fragen wir uns nach der Ursache. Aber das gilt blos für Augen, welche das Meer kennen. Der Binnenländer, welcher in seinem Leben nie ein anderes Gewässer gesehen hat, als einen braungrünen Weiher oder einen lehmfarbenen Fluss, wird natürlich diese l'arben für die typischen Farben der Gewässer halten, falls er nicht durch landschaftliche Darstellungen be¬ lehrt ist, dass diese Farben blos Trübung sind.

Wo der Landschaftmaler eine Portraitlandschaft geben will, verlangen wir natürlich von ihm auch, dass er uns die Lokalfarbc des Gewässers getreu wiedergibt. Die Stimmungslandschaft dagegen wählt sich jene Local¬ farbe des Wassers, deren sie für ihren Zweck bedarf.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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In die Fläche des ruhigen Wassers aber theilt sich die Lokalfarbe des Wassers mit den Farben jener Er¬ scheinungen, welche von der Fläche gespiegelt werden. Als drittes kommt bei seichten Gewässern auch noch die Farbe des unter der Fläche befindlichen Grundes hinzu. In der Geschichte der Landschaftsmalerei er¬ scheint das ruhige Wasser viel früher, als das bewegte.

Das erklärt sich leicht aus den un¬ gleich einfacheren Mitteln, welche zur Darstellung einer ruhigen Fläche ausreichen.

Man begnügte sich Anfangs, das Meer in einer re¬ spektablen Entfer¬ nung darzustellen, wozu ein einfacher blauer Strich aus¬ reichte. Die Ufer vermied man, weil es dafür an Natur¬ studien fehlte.

So sehen wir bei den ältesten Ita¬ lienern wie den Niederländern das Wasser zuerst als Objekt der land¬ schaftlichen Schil¬ derung auftreten; und es bedurfte damals auch keines grösseren Aufwandes , da ja die Landschaft nicht selbständig wirkte , sondern blos als bescheidener Hintergrund figürlicher Darstellung.

Die Spiegelung studierten die alten Niederländer zuerst; und wir finden sie schon in hoher Vollkommen¬ heit zum Ausdrucke gebracht zu einer Zeit, als man in der Darstellung des bewegten Wassers noch sehr un- behülflich war. So einfach die Spiegelung einer voll¬ kommen ruhigen Fläche als künstlerisches Problem er¬ scheint, so schwierig ist die Spiegelung eines bewegten

Gewässers, wegen der gekrümmten Flächen, durch welche sie geschaffen wird.

Das unbewegte Meer bietet wohl den Eindruck einer klassischen Ruhe. Aber noch ruhiger wirken die Hoch- gebirgssee’n, weil ihre krystallenen Spiegel zugleich einen Gegensatz bilden zum stürmischen Wogen der h eiswände,

die in wilder Zer¬ klüftung über dem Wasser sich auf- thürmen. Hier ist das Wasser der ruhende Theil des Landschaftbildes, wenn auch kleine Weilchen in ihm zittern.

Und in dieser so bescheidenen Ruhe ist es der anmuthige men¬ schenfreundliche Theil des Ganzen, welches ohne den Seespiegel einfach einen grausigen, unzugänglichen Felsenkessel zei¬ gen würde.

Darin liegt der Reiz, welchen jene, unzählige Male ge¬ malten Alpensee - landschaften im¬ mer wieder auf das grosse Publikum ausüben : der Kö¬ nigsee und der Obersee, der Gosau-'und Vierwaldstättersee und wie sie alle heissen mögen. In diesen Bergsee-Bildern erscheint das Wasser fast immer in der gleichen Eigen¬ schaft : die magische, geheimnissvolle, dunkle, träumende Tiefe gegenüber den lichtumflossenen , starren , ener¬ gischen Höhen. Der Künstler kann eine wesentlich ändernde Stimmung in solche Bilder nicht hineinzaubern, weil sie ihre gleiche Stimmung felsumschlossen in sich tragen seit jener Zeit, in welcher die Erdrevolutionen sie entstehen liessen.

y. G. Steffan. Am Klönthalersee.

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1:4

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Hans Dahl. Frische Brise.

\'om bewegten Wasser wurden Bäche und Wasser¬ falle viel früher und vollkommener bemeistert, als die \\>>gcn der See. Wir können schon auf Bildern Ruys- dael’.'. schäumende Bäche und Flüsse mit vollster Be¬ friedigung betrachten, während die Darstellung eines sturmbewegten Meeres in grandioser Naturwahrheit sich nicht eher findet, als bei den Künstlern des neunzehnten Jahrhunderts. Der bewegten See gegenüber blieb die Landschaftsmalerei der älteren Meister immer etwas hülf- lo. Die Wellen zeigen sich da mehr wie das Gebrodel '•incs kochenden Wassertopfes, als wie eine natürliche l',r- ^heinung ; sie sind sämmtlich zu kurz und zu steil, überstürzen sich mit unerhörtem I'dfer und wirken da- rhir- h mehr ])OSsirlich als gros.sartig. Man kann wohl !gon, flass die wilde W'oge eigentlich das letzte Problem w-T. rla , der Kunst des Landschafters sich völlig untorw; rf. Das begreift sich leicht, wenn man bedenkt, weh he mannigfachen physikalischen Erscheinungen dabei ni- ht bin aufgefasst, sondern verstanden und künst- Icri h erklärt werden müssen, obgleich sie in rastlosem Zu g’ vorub^-rrauschen. Jeder einzelne Wellenberg hat ja ein-- Lokalfarbe, welche an der Basis am tiefsten er- ■cheint und - cgfii den Kamm der Welle zu an krystal-

lener Durchsichtigkeit gewinnt ; diese Lokalfarbe wird überspielt vom Spiegelbilde des Himmels; sie wird um¬ rahmt von dem überstürzenden Schaumkamm und durch¬ kreuzt von kleineren Schaumbildungen an den Abhängen des Wellenbergs. Diese Schaumbildungen sind Kinder des Augenblicks; aber doch hat jede ihr physikalisches Gesetz, das sie entstehen Hess, ihren Weg, den sie nehmen muss, ihre malerische Wirkung, die erfasst werden soll.

Die Schwierigkeiten müssen sich natürlich steigern, wo die Welle als Brandung an’s Ufer schlägt. Denn da begegnet sie auch noch ihrer rücklaufenden Vor¬ gängerin ; da muss sie unter Umständen auch noch Uferfelsen spiegeln und den Ufergrund durchblicken lassen.

Die Lokalfarbe der Meereswelle ist eine andere, je nachdem wir sie auf hoher See, in der Nähe einer Klippenküste oder in der Nähe von Sanddünen sehen. Wer einen Blick auf das beigegebene Bild von Hans Dahl wirft, wird, auch ohne eine Farbe zu sehen, sofort auf den Gedanken kommen, dass hier ein farbensprühendes Meer vor uns liegt, von frischem nordischen Windhauch zum Wellentanz aufgerührt, glitzernd und krystallen. Es

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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liegt ein Sonnenglast darauf wie auf dem jugendlichen Gesichte des Fischermädchens, das sich am schaukelnden Gang des Bootes erfreut.

Betrachten wir dagegen die «Küstenlandschaft» von A. Achenbach. Auch hier eine nordische Küste; auch hier ein Meer, dessen Wogengang noch nicht so stürmisch ist, dass die kleinen Fischerboote darauf ernst-

scheinung eines Flusses oder Wasserfalles nicht wieder¬ geben können, wenn ihm diese Gesetze fremd wären. Aber sie sind einfacher, als jene der windbewegten Welle. Wasserstürze, so bewegt sie auch aussehen, gewinnen bei längerer Betrachtung eine gewisse plastische Ruhe, welche ihre Wiedergebung schliesslich recht einfach er¬ scheinen lässt. Die stürzende Wassermenge nämlich, so

y. G. Steffan. Gebirgswasserfall.

haft gefährdet wären. Aber es liegt doch schon ein ge¬ wisser dräuender Zug in diesen Wellen; sie sind nicht mehr so krystallen ; sie sagen uns, dass sie mehr könnten, als bloss spielen; man fühlt, wie die Bootwände zittern und ächzen, wenn eine dieser Wellen zerstäubend an sie prallt. Und doch ist hier wie auf dem Bilde von Dahl noch lange kein Sturm.

Auch das fliessende und stürzende Wasser gehorcht bestimmten Gesetzen ; und der Künstler würde die Er¬

lang sie im Fallen begriffen ist, folgt mit all’ ihren Tropfentheilchen so bestimmten Fallgesetzen, dass sie fast bewegungslos erscheint. Wo sie auf Widerstände trifft, auf Felsen oder aufstehendes Wasser, zerstäubt sie ; und wenn auch dieses Schaumgewölk in seinen Formen beständig wechselt, ist es dafür in seiner Farbe um so einfacher und gleichförmiger. Weit schwieriger ist eigentlich das Studium der fliessenden Welle, wo auch wieder Lokalfarbe, Spiegelung und jene leichten

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

haumbildungen, die durch die Begegnung und Durch- .-.i- uzung der Wellen entstehen, eine zusammengesetzte luid zugleich bewegliche Erscheinung darbieten.

Ein schöner Hochgebirgs -Wasserfall vonj. G. Steffan na ge zur \’eranschaulichung dienen. Was sich hier über

Trümmerwerk des Thaies herabwälzt, ist kein blosser Bach ; es ist eine jener mächtigen Achen, die das Schmelz¬ wasser \ ieler Gletscher in sich aufgenommen haben, um e- dum Inn, dem Rhein oder der Rhone zuzuführen. Wer diesen Wassersturz betrachtet, muss sich sagen, das> hier bei aller scheinbaren Regellosigkeit doch Gesetz und Regel herrscht. Diese Wassermassen haben ihre Eelsengassen, in die sie gewiesen sind, wo sie zwischen moosigen Blöcken sich hindurchzwängen müssen, zu Staub zcrsprüht. in Eäden zertheilt, dann wieder in grünlichen Massen sich ansammelnd und weiter sich wälzend, über unsichtbare und doch erkennbare Hindernisse hinweg, immer den Eallgesetzen gehorchend. Der beherrschende Eindruck, den das Wasser hier hervorbringt, ist der Eindruck des rastlosen, ewigen Drängens nach der Tiefe zu. Das Wasser erscheint hier als die unendliche Be¬ wegung der Natur; aber man denkt nicht daran, dass dieser Bewegung, die hier die Massen unaufhörlich nach abwärts reisst, andere gleich starke Kräfte gegenüber¬ stehen, die alle diese stürzenden Wasser wieder in die Höhe heben müssen, damit aus den Höhen ewiger Vor- ralh nach den Tiefen zu sich wälzen kann. Hier sieht man bloss das «Hinunter», nicht das «Hinauf».

Der künstlerische Blick beachtet neben dem leben¬ digen Wasser auch seine Thätigkeit: die Schöpfungen und Zerstörungen des Wassers. Es ist ja eine Eigen- .chaft der flicssenden d'ropfen, dass sie unablässig an der hirdveste hinspülen, reiben und nagen. Sie waschen den Belsen .glatt und glänzend; sie unterspülen ihre (Ter; sic la-.^cn die aufgelösten Theile der Erdrinde mit- uhwimmen in die Tiefe. Die Ufer sind immer ein Werk d" Wa '^sers und zeigen, welchen Charakter das Wa.sser h-it ; ob c- gütig und freundlich mit seinen Ufern spielt -der wild und verheerend. Jedem Steine, der am Ufer legt. ;ieht man es an, ob er hiiufiger oder seltener oder ni' in.d:. vom Wa wr ganz übersjiült wird. Die Ufer ‘di'-ren zum Wasser. Sie sind sein Werk und seine G. ncr znglei' h; ,eine Umrahmung und sein Widerspiel.

\n gr'- iCn .Strömen und an der .See ist das Ufer n-ühigt, mit dem Wasser einen beständigen Existenz- k. mpf zu fuhren. Dabei ist das Wasser der angreifende

Theil, das Land im Verthei digungszustande. Die völlige Niederlage der Erdveste in diesem Kampfe, die Sintflut, hat oft genug Künstlern von Gottes Gnaden zum Vor¬ wurfe gedient. Die Fortsetzung dieses vieltausend¬ jährigen Kampfes hat unter den deutschen Landschaft¬ malern vor Allen der Meisterblick A. Achenbach’s er¬ fasst. Es ist ein Grundzug seiner Seelandschaften, dass so häufig auf ihnen die wilde Woge als das gefrässige Ungeheuer erscheint, welches, wenn es nicht wirklich verschlingt, doch die Zähne so fletscht, dass man seine Gefrässigkeit ahnt und fürchtet. Er lässt uns sehen, wie die Dämme und Molen fluthüberschäumt in die brüllende See hinaus trotzen, wie die gierigen Wasserzungen mit ihren weissen Schaumspitzen in die Gassen der See¬ städte hereinlecken, und über die Dämme springen bis auf die Dächer zitternder und ächzender Hütten. Da¬ bei zeigt er eine besondere Vorliebe für die beweg¬ liche Kammlinie der Welle, für jene schlangenartigen Schwingungen, welche die stürzenden Schaumkronen beschreiben.

Wasser ohne alles Ufer sehen wir nicht gerne, weil nur das Ufer unseren erdwohnenden Gedanken Halt und Heimathgefühl verleiht, und weil das uferlose Wasser stets einen sintfluthlichen Eindruck macht. Trotzdem ist es einer Reihe von Marinemalern gelungen, auch das uferlose Meer zum Gegenstände vollendeter Meisterwerke zu machen. Dann ist es entweder der Gegensatz von Luft und Wasser, der uns fesselt, oder das meisterhafte Studium der Welle, oder das in der Wasserwüste kämpfende oder in ihr vergehende Menschenwerk: das Schiff. Das Schiff bei hoffnungsfroher Ausfahrt oder bei siegesfreudiger Heimkehr; das Schiff in der Ruhe und in der brüllenden Todesgefahr; liebkosend gewiegt von der rauschenden Welle oder zerschmettert und ver¬ schlungen von ihr.

Lang ehe es eine Landschaftmalerei gab, die es vermochte, die Schönheit und Schrecklichkeit der Wasser¬ welt wiederzugeben, konnte die Poesie uralter Völker¬ mythen schon die Eindrücke des Wassers auf das mensch¬ liche Gemüth und auf das Schönheitsgefühl des Menschen spiegeln, in jener Welt von wundersamen Lebewesen, mit welchen sie die Gewässer der Erde bevölkert. Diese Welt von Wassergeistern i.st nicht bloss der märchen¬ lustigen Menschenseele entsprungen, sondern wirklich den Wassern, aus deren Bildern und rauschenden klingen¬ den Tönen sie zuerst in die Volksseele sich hinüber-

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

2

i

A. Achenbach. Ostende.

stahl , um dann immer mehr zu anmuthvollem Kunst¬ werk sich auszugestalten.

Darum hat jedes Gewässer seine eigenartigen Lebe¬ wesen aus dem Reiche der Geister und Ungeheuer. Unübertroffen aber sind hierin jene Meerestheile, deren zephyrne Wellen an die Küsten und Inseln der helleni¬ schen Länder schlagen. Da tummelt sich jene sonnen¬ leuchtende tropfensprühende Welt von Najaden, Tritonen, Sirenen, Nymphen und Nereiden, jene Fischniensch- gebilde und Schaumgeister, die bald grimmig und schreck¬ haft, bald süss und bethörend, immer aber voll von Anmuth und rastlosem feuchtem Leben sind. Wie anders sind diesen lichtdurchtränkten Gestalten gegenüber jene düstren und grauenvollen Phantasien, die an den Ufern der nordischen Meere erwuchsen : die finstre Seegöttin Ran, die hinter öden Klippeninseln lauernden Kraken, das Todtenschiff Naglfar und die weltumringelnde Mid- gartschlange !

In unübertroffener Meisterschaft hat bekanntlich Böcklin die Mythengebilde der See benützt, um sie mit

dem Landschaftsbilde zu einem harmonischen Ganzen zu einen. Er darf seine Wellen mit solchen Erscheinungen beleben ; denn seine Auffassung des Wassers im Land¬ schaftsbilde gibt ja vor Allem das fremde, unendliche Meergeheimnis, die grenzenlose Oede, die unbezähmbare Freiheit der rollenden Woge. Nach ihm haben noch Andre mit Glück diese Mythen, die ewigjung sind seit der Odyssee, wieder körperlich gemacht. Wir führen auch eines dieser neueren Seemärchen vor : eine Strand¬ scene von Knüpfer. Das ist das Aegeische Meer mit seinen lichten Wogen, seinen balsamischen Lüften und seinem Sonnenglanz I Aus der sanft spielenden Brandung ist ein fischschwänziges Meermädchen getaucht, um mit einer Muschel voll Korallen ein paar junge Faune an sich zu locken, die noch eine berechtigte Scheu hegen, ob sie sich mit einer derartigen Gespielin einlassen dürfen. In den affenhaften Gebärden der Faunbübchen spricht sich das ganze Misstrauen der Landratte aus, gegenüber der feuchtschimmernden Lockung , welche die See hier in den knirschenden Sand gespielt hat.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

über das Gestein herab und bildet einen durchsich¬ tigen Tümpel.

Und in diesem so entzückenden Felsenbade steht eine weisse nackte Frauengestalt und freut sich hier der Weilchen, die um ihre Füsse gau¬ keln. Man weiss nicht, ist’s ein Ir¬ disches oder ist es die Nymphe die¬ ses waldverlore¬ nen Wassers, die hier der Wald¬ einsamkeit ihre reine Schönheit zeigt.

Märchenzauber und liebliche Naturwahrheit gehen hier völlig inein¬ ander über.

Das ist noch lange nicht Alles, war uns das Wasser im Landschafts¬ bilde bieten kann.

Aber wir wollen nur eines noch herausgreifen : Das im Winterfrost er¬ starrte Wasser , das Wasser als Baumaterial, aus welchem die Natur so hübsche krystallne Wunder schafft , Bau¬ werke, welche Felsen zermalmen und Brücken¬ pfeiler stürzen können und welche doch im Sonnenstrahl hinschmel¬ zen müssen.

Eis allein wirkt er¬ kältend, erstarrend nicht blos in der Natur, auch im Bilde. Weit interes-

> ? wi- ::n sehr : mit

'- ilteii Kin- . . r;- dc-r Flutli ' dauernde

; ■- und-i'haft sein

a':. d.a.ss dieses :■ braizende Ge- .''d sich selber inud den Gespie- ' :n mit einem .-'■'hlage des Fisch- -chweifs zurück¬ schnellen kann in die rollende klat¬ schende Fluth.

Aber nicht blos die Sec ist das I leim von Götter¬ und Geister - Gestalten ; auch in den kleineren Binm-n wassern wohnen dieselben. Man glaubt ::i langst nicht mehr an diese .M\-then; aber man deht sie nicht ungerne v<ai Zeit zu Zeit. Und W'. man .-.ic nicht sieht, liebt man ihr W'esen d'sch wenigstens zu ahnen; man liebt cs, wenn einem der Künst¬ ler zu verstehen gibt: .-spürt Ihr'-, da.^^ in den I lef. :ti meiner Wasser ' t ', .1- h-bt. cla ' in ihren Wirbf-ln und Strudeln ein Naturgeheimni - pl.ät- ' Imrt und rau > ht'

-o igt er uns f-inen heimliehen, wald- uiif n en<-n h elsenkc? -el.

1 nireli d,i Blattergrun ;.'bn dl« i-^onnenstrah- ■«'p. !.■ :< in . ' in kry-tall k' e W.iMb.i' h -prudelt

F. Possart. Unbelauscht.

A, Andersen-Lundhy . Winterlanclschaft

/

E Ziiumermann pinx.

Phol. F. EUnfsiaengl, München.

Der ungläubige Thomas.

DIE KUNST UNSERER ZEl'!’.

29

sanier wird es für den Blick und für den Gedanken, wenn es mit seiner krystallenen Starrheit in Gegensatz tritt zu einem andren Faktor landschaftlichen Ein¬ drucks; entweder zu lebendigem Wasser oder zur Pflanzenwelt.

Die Pracht eines zerklüfteten Gletschers wird doppelt schön, wenn im Vordergründe des Land¬ schaftsbildes, durch welches er herabsteigt, noch Krummholz und moosüberwachsene Felsblöcke mit ihren warmen Farben sichtbar sind; eine Schnee¬ landschaft des Flachlandes gewinnt durch dunkles Nadelholz, der gefrorne Strom oder Wasserfall durch dunkle fliessende Wasserwellen.

Einen sprechenden Beleg hiefür mag eine « Gebirgs¬ schlucht» von Andersen-Lundby bieten. Seine ganze Eispracht hat der tiefe Winter über dieses Bild ausge¬ streut; schwere Schneelast liegt auf den Alpenfichten und überkleidet die Kanten der I'elsen ; schimmernde gefrorne Kaskaden hangen vom Rande der Schlucht in deren dämmernde Tiefe.

Aber in dieser Tiefe drunten fluthet zwischen Schnee und Eis ein schmales Band von tiefgrünem Wasser, als käme es aus wärmeren Erdschlünden hervor , um mit leisem Murmeln und Gurgeln von einem Frühling zu raunen, zu welchem die Schöpfung aus ihrer Todesstarre wieder erwachen muss.

5

UNKRITISCHE

KÜNSTLERPORTRAITS

VON

FRED. WALTHER.

THEODOR ROCHOLL.

eltsam genug, dass einer unserer besten deutschen Soldaten¬ maler der Neuzeit, ja vielleicht der packendste Realist unter diesen, keinen Krieg aus eigener Erfahrung kennt, als den Krieg im Frieden, der alljährlich im Herbst unblutig und lustig über heimische Kartoffeläcker und Stoppelfelder braust. Wer Theodor Rocholl’s Kriegsbildcr aus den Jahren 1870/71 gesehen hat, wird nicht anders denken, als dass der Künstler die wilde, grosse Zeit selbst mit durchgemacht, den S.äbel an der Seite, oder als Schlachtenbummler, hin und wieder am Biwak¬ feuer oder in Marschpausen künstlerische Eindrücke notirend, wie etwa leinrich Lang j, Louis Braun, Franz Adam, Hünten , Bodenmüller, Werner u. A. Aber Rocholl war zur Zeit des letzten Krieges kaum den Knabenjahren entwachsen, freilich vielleicht gerade in diesem Alter doppelt anze stürmische Begeisterung in sich aufzunehmen, die damals Deutschlands Heere zum Siege führte. Ein starker Hang zur Romantik, der 'Eheodor Rocholl in den ersten Jahren seines künstlerischen Schaffens geleitete, hat wohl auch an dieser Begeisterung für Hcldenthum und Wafifenthaten sein Theil. Des Malers kriiftig breite Manier, die uns heute für seine Schlachtenbilder charakteristisch ist, hat sich übrigens erst im Laufe des letzten Jahrzehnts entwickelt. Etliche der beigegebenen

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

31

I

Zeichnungen aus älterer Zeit zeigen uns Rocholl als zartsinnigen, poesie¬ reichen Romantiker, der nicht umsonst mit Ludwig Richter verkehrt hat und dessen Lernzeit zum Theil in die Glanzperiode der neudeutschen Romantik überhaupt fiel , so weit diese auf die Malerei Ein¬ fluss gewonnen hat.

Als Schlachtenmaler geht Rocholl , wie schon gesagt, sehr kräftig in’s Zeug und er schildert die wildesten Gefechtsszenen

oder auch Szenen blutigen Schauders, wie sie der Krieg bringt mit so erschütternder Wahrheit, dass man die Thatsache, dass das Alles vom Künstler nur in der Phantasie erschaut und nicht Aug’ in Auge mit der Wirklichkeit kennen gelernt ist, kaum fassen mag.

Das Ergebnis unseres letzten Krieges für die deutsche Kunst war überhaupt nicht gross und nicht dauernd. Noch

Th. Rocholl. Der alte Jokey Gray.

Leibkürassiere.

Panoramamalerei

bar nach dem Kriege, im frischen Eindruck, den die Maler von den Schlacht¬ feldern nach Hause tru¬ gen, manche Blüthen ge¬ trieben, aber bald blieb der unerschöpfliche Stoft'- quell von den Malern un¬ genützt und erst in neu¬ erer Zeit wieder tauchen Künstler auf, die zu un¬ seres Heeres Ruhm den Pinsel führen, Rocholl, Putz, Röchling u. A.

Nur in der dekora¬ tiven Kunst neuesten Stils, namentlich in der Bestreben

Pflege gefunden

Braun.

hin fragwürdige Motiv :

hat dieses

so namentlich durch Professor Louis Seltsam ! Jenseits des Rheines wird das immer- « Gloria victis » alljährlich noch immer bis zum Ueberdruss abgeleiert auf Leinwand und in Marmor oder Gyps , herüben aber kann der Jubel¬ ruf : « Victoria ! » nur verhältnismässig wenige Künstler

zum Schaffen be-

heute pflegt in der Metropole un¬ seres besiegten Feindeslandes all¬ jährlich ein oder das andere Kriegs¬ bild von 1870/71 einer der « clous » des « alten Sa¬ lons » zu sein und Namen wie Neu¬ ville und Eduard Detaille werden in der Geschichte französischer Kunst einen un¬ sterblichen Klang bewahren.

Die deutsche Kriegsmalerei hat fast nur unmittel-

Th. Rocholl. Unteroffiziere und Mannschaften des Leibkürassier-Regiments.

Ist die Niederlage maler¬ ischer als der Sieg.'

Dann wollen wir in Gotte s- namen für immer in Deutschland auf eine beson¬ ders hoch ent¬ wickelte Schlach¬ tenmalerei ver¬ zichten !

Einzelne Gute haben wir ja doch in dieser Branche und zu ihnen gehört Th. Rocholl.

Er ist geboren am 1 1. Juni 1854

■'I uilii:.

DIE KUxXST UNSERER ZEIT.

C. Fröschl pinx.

l’liot. F. Hanfitaengl, München.

Portrait,

Diri KUNS'j' uxsp:rer zevi.

Th. Rocholl. Studie.

ZU Sachsenberg im Fürstenthum Waldeck als der Sohn des Pastors Rudolf Rocholl. Der Sohn erhielt seinen ersten Unterricht im Hause zusammen mit etlichen Pensionären des Pastors, welche dieser halten musste, um das Einkommen seiner ziemlich dürftigen Stelle zu verbessern. Künstlerträume haben unsern Helden in früher Jugend nicht heimgesucht, so kräftig der Drang zur Kunst sich später in ihm äusserte. Er wuchs auf dem Lande auf und hat lange überhaupt nicht recht gewusst, was ein Künstler sei. Sechs Jahre war der Junge alt, als sein Vater von Sachsenberg fortzog, um Prediger des Grafen Grote in Breese im Bruch zu

werden, einem kleinen Dorf im Han¬ növer sehen, an der Grenze der Lüne¬ burger Haide, nahe bei Dannenberg. Veranlagung, wenn auch noch nicht Beruf, hat sich allerdings schon frühe bei ihm gezeigt und namentlich ver¬ gnügte er sich gerne damit, Pferde und Kühe und anderes Gethier zu zeichnen, wo er immer nur Platz da¬ zu fand, im Xothfall auf die weissen Kalkwände der Bauernhäuser. .Als er weiter herangewachsen war. drei¬ zehn Jahre zählte er, wurde sein Vater Superintendent in Göttingen, Nicht eben ein Alusenheim diese Stadt, in dem Talente besonders fette Weide finden, aber doch be¬ rufen, des Knaben Neigung für seinen künftigen Stand hervorzurufen.

Und das geschah folgender- massen. Fünfzehn Jahre alt, sah Theodor Rocholl in Göttingen im Hause des Profe.ssor Gess das erste bessere Oelbild in seinem Leben. Es ist wohl kein unsterbliches Mei¬ sterwerk gewesen , aber es reichte hin, als « zündender Funke » die ver¬ borgene Gluth der Malerleidenschaft in dem Knaben zur hellen Flamme anzufachen.

Die alte Weise: «Anch'io son pittore!» Mit blitzenden, in Thränen schwimmenden Augen staunt er das Wunderwerk an und von nun ab liess er seinem Vater keine Ruhe mehr: er wollte Maler werden und auch solche Dinge auf die Leinwand bannen. Der Vater hatte des Sohnes Neigung der Zeit her längst beobachtet und verstanden, bevor das Kind sich ihrer bewusst war, aber er hielt es für klüger, sie eher ein¬ zudämmen als zu ermuthigen, und so kam des jungen Kunstbeflissenen Wunsch so bald nicht zur Erfüllung. Vorerst galt es die Bänke des Gymnasiums poliren und Grund legen für einen «soliden Lebensberuf» galt doch die Kunst damals nicht hiefür und soll auch heute noch nicht in allen Kreisen dafür gelten ! Neue Nahrung erhielt Rocholl’s junge, schon unablässig schaftende und

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

und verbindet noch jetzt Rocholl herzliche Freundschaft. Auch in des feinsinnigen Zeichners Ludwig Richter Haus kam er fleissig und eine Reihe seiner Zeichnungen be¬ kundet, dass er dort manche fruchtbare Anregung fand.

Dresden genügte ihm nicht lange. Schon im. nächsten Jahre siedelte er nach München über und gefiel Carl V. Piloty so wohl, dass dieser versprach , ihn seinerzeit in sein Meisteratelier aufzunehmen. Vorerst hiess es noch in der «Naturklasse» einen Grund zu positivem Können zu legen und zwar zunächst unter der Anleitung des nun verstorbenen liebenswürdigen Ferdinand Barth. Unter Anderm hatte Rocholl dort zu Kameraden: William Chase, den vornehmen amerikanischen Maler, der auf der letzten Münchener «Internationalen» durch eminent poetische und reizvolle Arbeiten vertreten war, und H. Sandreutter, den späteren talentvollen und phantasie¬ reichen Schüler Arnold Böcklin’s. Er kam viel mit Ludwig Herterich in Berührung, dessen prächtiger «St. Georg» eine Perle der 1891er Jahresausstellung in München war, mit Benedikt Knüpfer, der seine

In. h' riioll. WaclUmoister von den Leibkürassieren.

bildende l’hantasie durch die Bekanntschaft mit Gustav I ! - kci-^tlichcm Don Qui.xote». Von nun ab fing er an . fortwalirend selbst ähnliche phantastische Com- .■■-itioncii zu erfinden und zu entwerfen und auch sein 1’ :l--likum . ein dankbares sogar, fand er dafür. P> r.'dim die Blätter mit in s Gymnasium und da circulirten T- unter den Bänken. Mancher von Rocholl’s Schul- i.aiTieraden hatte eine ganze Sammlung solcher Ent- 'A rfe (»der hat sie wohl noch.

Immer miichtiger erwachte jetzt der Beruf in dem I m- ling, der allm.ählich dem Mannesalter näher rückte. .\; er U> Jahre alt geworden war, setzte auch sein V. t:-r ihm kein I linderniss mehr entgegen und legte ' kiv.-rr V'Hi Karoisfeld des begeisterten Kun.stadspiranten - -itiimte Arbeiten vor. Auf Schnorr’s Rat kam dann T ein Jahr pater auf die Dresdener Akademie und ac). f-in Handwerk von Grund aus und ernsthaft Z'i tr'’-iben. ua-nn auch diese 1 lochschule damals nicht r '' lii' h in Bluthe tand und wenig Anregung bot. Zu -in^-n Stu h'-ngeno- acn zahlte in jener Zeit Hugo M ' . ' in .^^ihn df dortigen Malers gleichen Namens

inlWi helm (Tudim au .Altona. Mit II. Mühlig, der ’ä'nf II na- h Düsseldorf uberaiedelte , verband

Th. Rocholl. Studie.

I tlT

DIE KUNST UNSEKEK ZETl'.

pikanten , glanzvollen Marinen gerne mit allerlei zier¬ lichem Nixenvolk belebt, mit A. v. Grundherr und Andern.

Nach gründlicher Schularbeit an dem lebenden Modell trat Rocholl denn 1875 zu Piloty ein, dem Meister, dem es vergönnt war, die stolzesten Namen der neueren deutschen Kunst zu seinen Schülern zu zählen. Er blieb zwei Jahre dort und malte da auch sein erstes Bild, «Till Eulenspiegel», dessen Schicksal ein bei den ersten Bildern deutscher Maler immerhin nicht ganz gewöhnliches war , es wurde nämlich .verkauft und zwar gar «über das Meer», nach Amerika.

Nun folgte eine Pause in der künstlerischen Ent¬ wicklung des jungen Malers : im Herbst 1 877 kam er als Einjährig-F'reiwilliger nach Göttingen, um dort im I. Bataillon des 82. Regiments einzutreten. Von jener Zeit mögen auch die soldatischen Neigungen des Künstlers datiren, der sich freilich als Militärmaler selten mit der «Infanterie», der er angehörte, be¬ schäftigt hat, sondern zumeist mit flotten Reitersleuten. Während des ersten Semesters von RbcholPs militär¬ ischer Laufbahn trat sein Vater aus der Landeskirche aus, um sich der evangelisch-lutherischen Kirche in Preussen anzuschliessen. Von da an war der Maler angewiesen, sich selbst zu erhalten, und das will nicht wenig sagen für einen Einjährig-Ereiwilligen. Aber es gelang! Der Verkauf des «Eulenspiegel» verhalf dazu und ausserdem machte Rocholl Zeichnungen

Th, RocJwll. Rittmeister von Plückow auf Stute Polzin.

Th. Rocholl. Studie.

ZU einem Märchenbuch, dass in Spamer’s Verlag erschien.

Auch das Jahr ging vorüber und der junge Künstler verzog nach der alten Malerstadt Düsseldorf, wo er Eduard von Gebhardt’s anregende Persönlichkeit kennen lernte und durch diesen W. Sohn. Bei Letzterem trat er als Schüler ein , doch auch mit Ersterem blieb er im regem Verkehr, dieser öffnete ihm sein Haus und Rocholl gesteht , von Gebhardt durch dessen Persönlichkeit und dessen Bilder, reichhaltige, ernste und tiefe, wenn auch meist erst später em¬ pfundene Eindrücke empfangen zu haben. Ueberhaupt rühmen das Alle, die mit dem ernsten, tiefgründigen Düsseldorfer Meister in Verbindung kamen, dass er so viel zu geben hat und gibt wie immer Jene, die etwas ganz sind und ganz aus sich selbst. So ganz anders Rocholl sich in seiner Art später entwickelt hat, er hat Gebhardt wie W. Sohn sein Leben lang die grösste Dankbarkeit bewahrt.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

L-r.^tcs Bild in Düsseidort waren .< Landsknechte ... . f .kr L’ncht vor Bauern". Eine ganze Anzahl kleinerer T ; . r T L,te, die in Sohn's Schule entstanden.

l.in „rösseres Werk aus dieser Epoche hiess «Ger- i::..’-,. r.wanderung und stellte eine Familie unserer Vor- .d.nvn auf dem Zuge durch ein Waldwasser dar.

Mi'ilarische Darstellungen kamen nun schon da¬ zwischen. so ein kleineres Bild «Schleichpatrouille», ein amlercs Examinirtrupp ». Das frische, schneidige Sol- datcnlebcn, das Rocholl auf dem besten und direktesten Wege. d. h. unter Watten stehend, kennen gelernt, hatte nun den jungen Maler schon für sich gew'onnen.

Endlich malte er, und das bedeutet ja in dem Leben der meisten Maler den Ausgangspunkt einer entscheidenden Lebensperiode , ein Bild für sich allein, ohne Anleitung und Dareinspruch des Meisters, sein Gesellenstück \ wie der Handw'erksausdruck lautet:

Abgesessen». Ein Trupp Husaren, die am Morgen auf einer Waldwiese abgesessen sind. Das Bild wurde bei Bi.ssme\'er und Kraus in Düsseldorf ausgestellt und der Beifall, den es fand, lohnte Mühe und Erwartung aufs Beste. Rocholl wusste nun, dass er reif genug sei. auf eigene Faust zu schaffen, und als er das Ver¬ trauen gewonnen, vcrliess er die Akademie.

Das Schick.sal nahm sich seiner an. Der Vater des Malers war inzwischen nach Breslau versetzt, und so richtete dieser 1883 seine Schritte zunächst nach dic.'.cr Stadt, wo er reichliche, lohnende Beschäftigung fand, llr malte zunächst eine ganze Anzahl von Porträts der weitverbreiteten Familien von Prittwitz und Gaffron,

Th. Rocholl. Studie.

von Lücken, von Beözy u. s. w. Verhängnisvoll im guten Sinne wurde dem Maler die Bekanntschaft des Rittmeisters Grafen Moltke bei den in Gandau bei Breslau liegenden Kürassieren; er fand dort unbeschränkte Ge¬ legenheit, Studien zu malen für ein Bild, das ihm schon längere Zeit im Kopfe spukte: «Der Todesritt bei Vionville». Zu diesem Bilde fand er unter Anderm ein Modell , wie er sich kaum ein besseres wünschen konnte und wie es wohl so leicht nicht wieder ein Maler zu einer historischen Schilderung gewinnen wird. Graf Schmettow, den er auf seinem Gute Brauchitsch- dorf aufsuchte, ritt ihm seine damals 23jährige Stute «Vionville», auf welcher er 14 Jahre zuvor jene Attake kommandirt , im Galopp vor und kam dabei so in’s Feuer, dass er aut den Maler lossprengend seinen

'Th AV- /.)//. Studie.

Pjipst, L,('() XIll. in (len (iaitc-n di'S Va1il<nn.'-

DIK KUNST UNSKRKR ZEIT.

Th. Rocholl. Aus der «Waldeinsamkeit».

Th. Rocholl. Aus der «Waldeinsamkeit».

6

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

an einem Wintermorgen auf die Leiche eines Kameraden, der das Gesicht nach unten, den Pallasch in der Faust, neben seinem todten Ross im Schnee liegt und ihre Pferde schaudern. Eins bäumt hoch auf. Und im Hinter¬ gründe zieht die geordnete Kolonne des Regiments über den Hügelkamm herauf. Im folgenden Jahre 1888 er¬ zielte Rocholl einen seiner grössten künstlerischen Erfolge durch ein prächtiges Bild auf der & Internationalen » im Münchener «Glaspalast»; es schilderte die «Episode aus der Schlacht von Vionville», wie Wachtmeister Kaiser (ein bärtiger Hüne, der heute noch in Halberstadt lebt), seinen schwer verwundet zu Pferd sitzenden Lieutenant Grafen Sierstorff aus der Schlacht führt. Ein ungewohnt energischer Realismus, eine beispiellose Kraft der Be¬ wegung verschafften diesem Bilde einen vollen Erfolg. Im Jahre darauf kaufte die städtische Gallerie in Magde¬ burg das Bild an. Im gleichen Jahre wie jenes Bild von Vionville kam ein Anderes heraus «Letzte Heerschau Kaiser Wilhelm’s I.»; der greise Heldenkaiser in seiner unermüdlichen Pflichttreue vom Wagen aus eine Parade abnehmend. Die Figur des Kaisers ist nicht theatralisch in den Vordergrund gerückt aber der Künstler hat

Th. Rocholl. Studie.

l'ai.i'ch schwang und sich bereit erklärte, dem Maler <icr 1-lchtheit halber noch einen veritablen preussischen Rciterhicb zu versetzen. Soweit ging übrigens in seinen .\n:-|iruchcn der Maler nicht, der übrigens noch einige Zeit auf dem Gut verbrachte und in Muse den Grafen in seinem alten durch die blutige Schlacht geweihten Kura." und dem kugeldurchbohrten Helm malte.

Die \'orliebc des jungen Schlachtenmalers für die K;.\allerie sollte bald weitere Nahrung finden. Ifr nahm auf einem Pferde des Ritimei.sters von Wu.strowsky an ein-m Kavalleriemanovcr theil, ritt Attaken im dritten Giiede mit. biv.uakirte mit der Tru])pe und ward so im H.iiidumdrehen ein Reitersmann, der jedenfalls die m.df-rix h'-n Seiten seines schnell erfassten Berufes rmdli' h kennen lernte. Die in jener Zeit gemachten

- ; y.y.< u vind .''tudien reichte '1 h. Rocholl nun der « Ver- bu’.d 'rg für hiüori'che Kunst» ein und erhielt richtig

- ;• li «i'Mi .Auftrag, jeivs Bild au^zuführen. 1887 lieferte

e* * - Zwi: ( liendurch malte er ein anderes Kriegs-

'■ ■! \or unheimlich miichtigem Eindruck. «\V)rbei!» n .nntc 'r D-e .Ajätze eines Kurassierregimentes stüsst

Th. Rocholl. Studie.

F P. Michetti pinx.

Dii't. K nanfstaenpl. Miim'hen.

Der Kirchgang.

DIE KUNST UNSERER ZEri’.

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Th. RochoU. Aus der « Waldeinsamkeit.

Th. RochoU. Aus der - Waldeinsamkeit -.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

,1 niaclien gewusst, dass der Blick des Be-

r- . .T't auf die fast im Hintergründe sichtbare r d ' rvihmgekrönten Monarchen fällt. Die Stettiner h 't Jas Werk gekauft.

K:;i jr Wilhelm s Ritt um Sedan», ein mehr com- . in seiner Anordnung vielleicht etwas aka- : hr, Bild, ist 1S90 ; eil I S92 auf der

1 '^heiler Ausstellung) ;

■m ’iamen Illustrationen f T das bei Bruckmann er- ^^'hienene W'erk . Kaiser W-’.helm und seine Zeit»,

2 o Feder - Zeichnungen ,

Waldeinsamkeit» in de¬ nen die alten Liebhaber¬ eien des < Dore-Schülers » wieder etwas lebendig wurden und eine ganze lecihe von Illustrationen tur :,lie verschiedensten \’v rlag.-anstalten Bilder lu.iürüch auch dazwischen.

.\n .Auszeichnungen '-■rächte diese Zeit dem Künstler in Berlin eine Ehrenvolle Erwähnung , m Dre.'flen (.Ac|uarellaus- -t< llungi ein Elirendiplom.

\’iel Aufsehen erregte ^■uf der Internationalen Kunstausstellung» in Ber¬ lin der durch tollkiihne Be- wc:.^ung flcr Bferde und Menschen a u .^geze i ch nete Kam[)f um die .Stand- Z/c Rochoii.

rt^- trotz aller gewagten

\’erkürzungcn und amlerer Ungewöhnlichkeiten der Zeich- : ing. '-.wie i8(/i in München ein grösseres Bild « Vor- ]“■ tcn;:efccht .

I ^ i2 erzielte ein durchaus modern gehaltenes Werk R holl und vielleicht das malerisch reifste, das wir von hm ' hen haben, in .München die II. goldene Medaille.

Es führt den Titel « Ein Husarenstreich » und schildert die Szene , wie Rittmeister von Heister , Vizewacht¬ meister Oechelhäuser und ein Trupp der 7. Kürassiere und 16. Ulanen in der «Ferme de Mogodor» unweit Gravelotte von Wandsbecker Husaren aus der Ge¬ fangenschaft befreit werden. Eines der allerletzten

Bilder Rocholl’s nennt sich; «Die Nürnberger hängen keinen, sie haben ihn denn», spielt aber

durchaus nicht in der

romantischen Zeit des

Eppelin von Geilingen, sondern ebenfalls im

letzten Krieg: ein preuss- ischer Husarenoffizier ent¬ kommt durch einen ge¬ wagten Sprung seines Braunen französischen Kü¬ rassieren.

Theodor Rocholl lebt immer noch in Düssel¬ dorf und gehört dort der «Freien Vereinigung Düsseldorfer Künstler» an , ausserdem einer en¬ geren Künstlergesellschaft « Orient » , zu deren Mit¬ gliedern u. A. H. Mühlig, A. Lins, Fritz v. Wille, Eug. Kampf, Carl Gehrts, Montan, Johannes Gehrts, Liesegang, Fr. Schnitzler, G. Wendling, E. Zimmer¬ mann und CI. Buscher ge- Federzeichnung. hören.

Im Herbst 1892 waren in München zahlreiche Concurrenzentwürfe für die Ver¬ bindung für historische Kunst ausgestellt. Th. Rocholl erhielt dabei abermals einen Auftrag von dieser Ge¬ sellschaft und malt nun für diesen Zweck das Bild: «Ein Hoch auf den König», eine Szene aus der Schlacht von Mars la Tour.

lluiifr-t.Aen;:]

Echo.

EINE WALDGESCHICHTE

VON

WOLFGANG KIRCHBACH.

An einem warmen Sommernachmittage war ich in unsren Stadtforst hinausgegangen, um zu landschaftern. Der Wald ist mehr als zwei Geviertmeilen gross und andre Waldbestände, nur durch zwischen liegende x^ecker von ihm getrennt, ziehen sich nach verschiedenen Richtungen noch viele Meilen in’s Land hinaus über Hügel, in kleinen Thälern hin, so dass man lange wandern kann, ehe man das Ende dieses Gebietes erreicht. Der Wald besitzt viele schöne alte Bestände; in stillen Gründen sind algenbedeckte Teiche und linsengrüne Sümpfe ; ein klarer Forellenbach schlängelt sich stundenweit in einem engen Thale hin, das bald von den dunklen Waldhügeln, bald von steilen, zerrissenen Porphyrfelsen eingeengt wird. Im ganzen Walde, da, wo die Landstrasse in der Mitte des Forst¬ gebietes vorüberführt, liegt nur ein einziges Gasthaus, sonst findet man kein Obdach ausser einigen Futter¬ häuschen für das Wild. Der P'orst ist an vielen Stellen sehr dicht; Moos und Heideibeerwäldchen ziehen sich überall auf dem Boden hin ; Menschen begegnet man fast gar nicht.

Ich hatte meine Malgeräthschaften an einer Stelle im dichtesten Haine ausgepackt, wo ich in eine sonnige Lichtung blicken konnte , die im Grunde durch einen Felsen abgeschlossen wurde. Schwarze Tannen stiegen hinter dem Felsen empor; der Bach quoll am Fusse des Gesteins langsam vorüber, wo eine zahlreiche An¬ siedelung von Farnkräutern den feuchten Boden be¬ deckte, ihre fächerförmigen Blattwedel gedrängt durch¬ einander neigend. Der Blick auf diese Felsecke mit

o

den umgebenden Baumgruppen und dem Bache erschien so voll heimlichen Reizes, war so lauschig-dunkel, während verlorene Sonnenstrahlen durch die Blätter in 's Wasser herabfielen und die spielenden Libellen durch¬ leuchteten, dass ich kein dankbareres Plätzchen für meine Malerei finden konnte. Meine eigentliche Thätigkeit war das Landschaftern zwar nicht so ganz; ich hatte zumeist I^iguren gemalt; aber wer könnte es lassen, zur Erholung auch einmal die Bilder der einsamen, ver¬ lassenen Natur aufzunehmen.'

Ich hatte meine Leinwand vor mich aufgestellt, sass auf meinem Feldstuhl im hohen Grase , dessen Zitterblüthen bis auf meine Leinwand hinaufsprossen und malte in einer weltabgeschiedenen Stimmung, durch keinen Laut gestört als durch das Gurren einer Holz¬ taube von den nächsten Wipfeln und den Flügelschlag eines Bussard, der gelegentlich schwer über die Lichtung herübergeschwebt kam. Mein stilles Waldbild war schnell in saftigen, dunklen Tönen auf der Leinwand herausge¬ wachsen und ich empfand im Laufe der Ausführung nur das Bedürfnis, durch irgend eine menschliche E'igur das Gemälde zu beleben. Es hätte nahe gelegen an den Bachesrand, in die P'arnkräuter eine kauernde Nymphe hineinzukomponiren , aber der Gedanke schien mir etwas verbraucht und die Erwägung gesellte ' sich dazu, dass in unserer zeitgenössischen Kunst diese Wesen der Einbildungskraft als eine überwundene Fabelwelt gelten , die weder der Freilichtmaler noch der ältere Techniker den zweifelsüchtigen Beschauern zumuthen mag.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

loh -.Hin d.-ilier nach, von einer unbestimmten Un- ' ob ich ein paar Rehe oder sonst einen

' '■•b:-nden Gegenstand hineinmalen könnte, als m-inem stillen Scharten durch laute, etwas - i :-.ie Rufe aufgestört wurde, die erst hinter mir, -' ■T'. aber drüben hörbar wurden, wo an der Lichtung ■- kieiiu-r Waldweg vorüberführte. Bei dem ersten 1. IC war ich leise zusammengeschreckt; ich hatte in tiefer .Stille gelebt, dass ich wie aus einem Schlafe -■'uachte. einem schäftenden Schlafe, in dem ich das l’.iid der Gegenstände vor mir auf meine Leinwand hin- eiraumt. Ich war aber sofort wieder beruhigt, als ich die Lr-ache der rufenden Laute gewahrte. Zwei junge .Mädchen , Waldblumensträusse in der Hand tragend, schleuderten drüben auf dem schmalen Pfade. Breite, gelbe .Strohhüte beschatteten ihre rosigen Gesichter zur Hälfte; sie blieben stehen und riefen, nach dem Felsen hingewendet, allerhand schalkhafte Worte. Ich bemerkte, dass sie auf einen sehr deutlichen Widerhall lauschten, der vom Felsen zurückkam; sie riefen den Namen Klärchen und es klang hell und lieblich wie « Lerchen » zuruck; sie riefen lustig «Anna!» und lachten, als es hinter dem I'elsen wie «Na, na!» zurückspottete.

Ich weidete mich an dem harmlosen Spiele und dachte eben darüber nach, wie die einfache Brechung der Schallwellen an dem Felsen und in den umgebenden Laubstämmen diesen reizenden Zauberspuk des Waldes hervorbrachte, als mein Blick von ungefähr auf die Fels¬ ecke fiel. Ifs war mir, als hätte ich dort irgend Etwas dch fluchtig bewegen sehen. Ich strengte mein Auge an . konnte aber nichts erkennen. Die Mädchen waren ein Stück weitergegangen, blieben stehn und riefen von .Neuem. Ich hörte , wie mit wunderbarer Deutlichkeit ihr Ruf hinter dem h'elsen zurückkam ; gleich darauf aber überlief mich ein sonderbarer Schauer, als ich ganz deutlich zu bemerken glaubte, wie auf der anderen Seite de- h'elsens ein neugieriges kTauengesicht sich scheu um die Ecke herumbog und rasch nach den rufenden Mädchen schielte. Diese selbst schienen nicht das Geringste zu bemerken ; sie lachten von Neuem und riefen d.c Namen ihrer Liebsten.

Im selben .Xugenblicke aber war das Gesicht hinter dem Pel cn wieder verschwunden; man hörte den Wider¬ hall ‘le .Namens der Liebsten, und erst als die Mädchen au d, r Lichtung in den Wald traten, um weiter zu ;-ehen . -ah ich von Neuem das weisse Frauengesicht

um die Felsecke hervorlugen und den davonschreitenden Bräuten nachblicken.

Ich werde dieses Antlitz nie vergessen. Die Aucren waren von einem wildfremden, menschenscheuen, selbst¬ verlorenen Ausdrucke , der starr geöffnete Mund des lauschenden Gesichtes erinnerte an den Ausdruck von Taubstummen, die nur unartikulirte Laute von sich geben können; etwas Weltentfremdetes, Menschenentrücktes und doch wieder auch etwas Weltbegieriges, ja, unheimlich Neugieriges sprach aus allen Zügen des Antlitzes. Lange, straff herabfallende Haare hingen über die Stirne des Waldgesichtes und über den Hals herab; den Leib konnte ich nicht sehen, er war hinter dem Felsen verborgen.

Im Anfang glaubte ich, ein Bauernmädchen habe sich hinter den Steinblock versteckt, um die davon¬ schreitenden Mädchen zu äffen und einen künstlichen Nachhall zu erzeugen an Stelle eines wirklichen. Aber es war merkwürdig , dass mich der Ausdruck dieses Antlitzes doch in eine andere Welt versetzte und mich das räthselhafte Gesicht mit einer ganz unsäglichen Spannung ansehen Hess.

Eine Weile schielte das Gesicht hinter dem Eelsen den Mädchen neugierig nach. Allmählig sah ich , wie der Hals sich weiter vorstreckte und eine weisse Schulter zum Vorschein kam. Sollte das Bauernmädchen hinter dem Felsen gebadet haben } In diesem Augenblicke hörte man aus der Tiefe des Waldes ganz entfernt einen Ruf ertönen von den beiden Kehlen der verschwundenen Mädchen. Da wie eine aus dem Erdloche heraus¬ schlüpfende Eeldmaus kam plötzlich hinter dem Felsen ein nacktes Weib hervorgeschlichen, huschte in die Farnkräuter, stellte sich dort, den Rücken mir zuge¬ kehrt, aufrecht hin, legte beide Hände als ein Schall¬ rohr an den Mund und rief einen verhallenden Wider¬ klang in die Waldtiefe hinein.

Ich kann nicht beschreiben , in welche Aufregung mich der Anblick dieses Frauengebildes stürzte. Nie hatte ich einen schöneren Körper gesehen ; nie drängte es mich mehr, eine Gestalt malerisch festzuhalten und niemals empfand ich zugleich unsäglichere Leidenschaft für ein Wesen. Gewiss, es war wohl nur ein Bauern¬ mädchen, das im Schatten des Felsens gebadet hatte und sich den Spass machte, das Echo des stillen Waldes zu spielen. Aber wie seltsam, dass ich meinte, niemals »ine wohlgebildetere Gestalt gesehen zu haben , die nirgends durch Fischbein und Schnürungen verkümmert

DIP: KUNST UNSERER ZEIT.

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war und dabei die volle Derbheit und Kraft einer unver- zärtelten körperlichen Natur besa.ss. hdnen Augenblick war ich von einer unsäglichen Liebesleidenschaft erfasst; ich wollte auf sie losstürzen, um ihr zu .sagen, wie mächtig meine Empfindung sei. Aber ein Gefühl, dass ich mir Alles damit verderben konnte, gab mir die künstlerische Besonnenheit wieder. Ich begann sofort in aller Eile die Erauengestalt, in der Stellung, wie sie mir den Rücken zukehrte und die fland an den Mund legte, in meine Landschaft hineinzuskizziren und das Charakteristische ihres Leibes festzuhalten. Hatte ich doch mit einem Male das fehlende Motiv für mein Bild; wer es mythologisch deuten wollte , konnte es ja als eine Nymphe Echo ansehen ; wer verstandesmässiger dachte, durfte glauben, es sei ein badendes Mädchen, das den Echoruf nachahmt.

Ich hatte eine Weile ungestört, in rasender Eile, gemalt, denn sie blieb lange unverwandt in ihrer Stellung stehen. Je weiter ich aber malte, desto mehr sah ich, dass ich dieses seltene Modell nur bei längerem, ruhigen Studium in seiner ganzen Schönheit werde wiedergeben können. Ich hatte eine tiefe, künstlerische Sehnsucht, diese Formen womöglich in Lebensgrösse zu malen, jedenfalls mich nicht mit einer flüchtigen Skizze zu begnügen, sondern das wildschöne Weib bis in’s Einzelne nachzubilden. Aber wie sollte ich dazu kommen? Wenn ich mich auch nur durch einen Laut verrieth, so würde sie erschrocken sich wegmachen, hinter dem Felsen verschwinden, ihre Kleider anziehen und mir jedenfalls das Nachsehen gönnen. Endlich fasste ich mir doch ein Herz; ich hoffte, sie durch einen Scherz zu gewinnen, indem ich auf ihren Scherz einging und, auf ihren Ruf anspielend, ihr leise zurief: «Fräulein Echo!)'

Der Ruf war kaum hinübergeklungen, als das Frauen¬ zimmer sich erschrocken umwandte. Aber sie schien sich schnell zu fassen ; sie warf mit einer Geberde, wie man einen Mantel vorn zusammenschlägt wenn man friert, ihre langen, dichten Haare auf dem Körper über¬ einander und stand so, ein wenig gebückt, da, indem sie mit ihren seltsam neugierigen Augen mich anblickte wie ein merkwürdiges Wunder. Ich machte mich, ermuthigt hiedurch, sofort auf und ging ihr ein paar Schritte entgegen; ich bemerkte zu meiner Verwunderung, dass sie mir ein Stück entgegenkam, dann stehen blieb und mich mit dem räthselhaften Ausdruck ihres fremden Auges frug: «Warum rufst du mich?»

Merkwürdig, dass der Ton ihrer Stimme mich eigent¬ lich erschreckte. Es klang nicht wie ein deutlich gesprochenes Wort, sondern wie der gebrochene Laut eines Stummen; es klang wie durch einen Schleier, cs klang wie ein entfernterer Widerhall, ein Nachhall, der den ursprünglichen Ruf dämpft und abschwächt.

Ich wollte ein paar Worte der hmtschuldigung stammeln, da ich noch immer glaubte, eine badende krau überrascht zu haben. Aber sie betrachtete mich nur mit erneuter Neugier wie irgend ein fremdes Thier; hierauf aber ging sie an mir vorüber und huschte nach meinen Malgeräthschaften hin, die sie lebhaft anzogen, sowie sie dieselben erblickt hatte. Sie hob die Pinsel aus dem Grase auf und betrachtete sie verwundert; sie nahm die Palette auf und bestaunte sie und frug endlich, als ich zu ihr herangetreten war:

«Was machst du denn da, du sterblicher Mensch?! »

Bei dieser Frage fühlte ich eine wunderbare, ver¬ klärte, weltentrückte Stimmung über mich kommen. Der eigenthümlich umflorte Laut ihrer Stimme, dieses ver¬ hallende Lallen ihrer Worte berührte mich ebenso zauberhaft wie der Umstand, dass sie mich einen sterb¬ lichen Menschen nannte. Ich frug sie selbst ganz ver¬ wundert:

«Bist du es denn, Echo?! Ich glaubte, schönstes Weib, du seist eine bäuerliche Magd, die hinter dem P'elsen gebadet hat, und nun bist du es?! Bist sie selbst, die Nymphe , an deren Dasein Niemand mehr glaubt und die ich doch leibhaftig vor mir sehe?»

Ein Lächeln, ein mildes, verzeihendes Lächeln ging über ihren Mund. «Sie glauben nicht, dass ich noch lebe ? ! » frug sie. « Und sie hören mich doch jeden Tag und necken mich und scheuchen mich aus meinen stillen Ver¬ stecken auf, wo ich heimlich lebe und Libellen hasche?! Ach, wie froh bin ich, dass sie mich dann auch nicht mehr suchen werden ! Dass sie mich für gestorben halten! Ich lebe nun um so heimlicher, ganz für mich, ganz verschollen.»

Sie blickte sich um ; sie schien wieder hinter ihren Felsen verschwinden zu wollen; es trat ein Ausdruck auf ihr Antlitz, als wolle sie nun erst recht sich in die undurchforschte Einsamkeit zurückziehen , aus der ein Zufall sie mir vor Augen geführt. Aber um so besorgter ward ich, dass ich ihr Bild nicht festhalten könnte; ich sann aufgeregt nach, wie ich sie an mich fesseln, ja, wie ich sie dazu bringen könnte, dass sie mir mit aller

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

J.;e Formen ihres Leibes nachzubilden, r A. frt^un- verfiel ich darauf, ein Zwangs- - .wenden: ich kehrte ihr rasch mein Bild zu, - - Si izze ihrer Figur stand und frug sie;

Nymphe, kennst du das.L»

: ' i'hcLien. neugierigen Augen huschte sie zu / . ’i. ran und betrachtete begierig die angedeuteten

k -n lu’.d l'arben. Sie blickte mich darauf beklommen N f..;h!;‘ sie sich ertappt. Und so sprach ich schnell: .■^^idi- >nes Mädchen, heimliches VValdweib, du siehst, li h.;be dich ertappt und dein Leib, dein heimliches ris n kann nun aller Welt verrathen werden, wenn ich dl sc- dein Bild mit unter die Menschen in die Stadt nehme. Sie werden dich begatten; sie werden über dich ki^'hen, sic werden über dich schreiben, dass es längst nicht mehr an der Zeit sei. solche erlogene Wesen zu malen, sie werden dich als veralteten Spuk bespötteln. »

Ich sah. wie ein Blick des stummen Entsetzens aus ihren Augen auf mich gerichtet war. Sie stand wie ang' wurzelt. kindlich hob sie leise flehend die Hände und blickte mich bittend an. Ich bereute schon fast meine Hrohung; aber ich setzte hinzu:

Ich. vcr-preche dir aber, gute Nymphe, dass ich dies Bild, bei dem ich dich ertappte. Niemandem zeigen will, wenn du mir das gestattest, was so viele Menschen¬ frauen den -Malern und Bildnern nicht verweigern: dass ich dich als ein -Modell für mein Werk halten darf; dass du -tille und willig mir zu diesem Bilde sitzest, tagelang, u 'ichenlang. bi.s ich dich in deiner ganzen geheimniss- v'.IIen -Schönheit in fleischgewordnen Farben gemalt habe. Wenn du mir diese Gunst erweisest, so will ich da Bild Keinem zeigen, sondern an einem einsamen < mte verbergen, bis cs einst spätere Jahrhunderte Anden, die frommer und gkiubiger geworden sein werden und mit kdirfurcht von dir als einer geheiligten Waldgöttin [»rechen, k'ur solche bessere Zeiten will ich dann dein Bild bewahren.

Sic blickte mich aufmerksam an, neigte das Haupt zur ' dtc und sann ein Weilchen nach; dann aber sprach ■; mit ihrer holden, verlorenen .Stimme:

k'iir sol' he bessere Zeiten will ich dir wohl gern -^akircn wa du ersehnst, sterbliches Menschenkind; wenn du in meine känsamkeit kommen willst, so will ich -dir ein Zeichen nennen , bei dem du mich rufen -.»Ik.t, Aber die iJammerung bricht herein und ich will in die L'.immerung hincingehen. um da zu schlafen, wo

Niemand mich findet. Wenn du wieder in diesen Wald kommst, so rufe nur dreimal meinen Namen ; ich höre dich aus weiter Ferne und werde kommen.»

Sie sprach’s und schritt in die Dämmerung hinein. Ich aber taumelte wie ein Träumender nach Hause in die Stadt, wo Alles mich anekelte und ich mich die Nacht über unruhig auf meinem Bette umherwarf.

Am Morgen trieb’s mich schon früh in den Wald. Es war wie ein stiller Wahnsinn über mich gekommen. Ich fühlte, ich war tief unglücklich, wenn ich am ver¬ gangenen Tage nur eine allzu lebhafte Einbildung ge¬ habt hätte.

Ich rief Echo. Bangend lauschte ich, ob sie ant¬ worten würde. Und siehe, als ich das dritte Mal gerufen hatte, raschelte es hinter mir im Gebüsch; das Wald¬ gesicht lugte zwischen den Zweigen heraus; sie bog die Büsche zur Seite, trat zu mir heraus und legte mir leise die Hand auf die Schulter.

Welche seligen, welche glücklichen Stunden tiefster Einsamkeit, weltvergessenen Daseinsfriedens habe ich mit ihr erlebt! Dass diese Stunden auf ewig ver¬ schwunden sind 1 Dass ich mit irrer Sehnsucht zurück¬ denke an die Tage des reinsten Glückes meiner Kunst und meines Lebens.

Sie folgte willig meinem Geheiss; sie setzte sich am Bachesrande auf einen Absatz des Felsens hin und ich ordnete ihr Haar, dass es über ihre linke Brust herabfiel, während sie die linke Hand als Schallrohr an den Mund legte. Die rechte Hand liess ich sie über die Stirn halten als Schutz der Blendung, gleichsam, als spähe sie nach Menschen aus. Und im Uebrigen überliess ich mich ganz der unsäglichen Wonne, die Formen ihres Nymphenleibes in ungeschminkter Lebens¬ fülle und waldhauchgesättigter Farbenschönheit auf die Leinwand zu bringen. Sie sass mit unermüdlicher Freude Modell; in den Pausen, wenn wir ruhten, kam sie durch die Farnkräuter zu mir geschlichen und be¬ trachtete den Fortschritt des Bildes.

Ich sah sie in allen Verklärungen und Formen¬ spielen des wechselnden Lichtes und versuchte sie in den verschiedensten Beleuchtungen darzustellen. Des Morgens, wenn die Morgensonne in den Thauperlen leuchtete, die des Nachts auf ihre Haare gefallen waren, wenn die Forellen im Weiher zu ihren P'üssen wie durchleuchtete Schatten einherhuschten! Ihr Antlitz war vom goldigen Schimmer verklärt ; Blätterschatten fielen

Georg PopperiU pinx PI'®' naofstHengl, München.

Am Waldquell

DIK KUNS'r UNSERER ZEIT.

wie durclibrochener Zierrath über ihre Brüste und auf ihre Knie. Ihre Lippen schienen vom Thau erfrischt. Die Linken und Waldsänger aber hüpften zu ihren Füssen und flatterten um sie her. Des Mittags, wenn die Hitze Alles ermüdet hatte, lehnte sie sich wohl am Felsen zurück, indem sie den Arm unter das zurückge¬ bogene Haupt legte; sie schloss die Augen und schien im Halbschlummer hinzudämmern; über den Gräsern zitterte die Luft in weissglühenden Wellen; nur ein Käfer summte über ihren Leib hin und her; rief aber aus der Ferne ein einsamer Spaziergänger das Echo auf, so antwortete sie nur mit verhüllter Stimme, wie Jemand, der aus dem Schlafe herausredet. Der Nach¬ mittag kam ; die Abendsonne malte den Himmel mit purpurnen und grüngoldnen Farbenstreifen; der Wald¬ pirol flötete wehmüthige Töne über die Wipfel; Rehe traten äsend aus den Waldtiefen heraus an den Rand der Lichtung ; Echo aber sass von rosigen Abendlichtern überdämmert an ihrer Felsecke; ihre Augen blickten, ohne geblendet zu werden, in die Gluthentiefen der untergehenden Sonne und ein Ausdruck des stillsten Lauschens und des heimlichsten Horchens ging über ihr geheimnissvolles Antlitz. Zu ihren Füssen aber kamen unhörbar, nur manchmal einen I>aut im Wasser erregend, dunkelgrüne Frösche herangehüpft, die mit aufgeregt bebenden Bauchwänden und heimlich leuchtenden Augen zu der im Dämmer purpurn verklärten Gestalt auf¬ schauten und oft, wann ein Vogel bei einbrechender Nacht noch einmal mit einem leisen Schlummerlied auf¬ zwitscherte, ahmte sie das Lied nach, regte ihre Lippen leise und verlorene Laute des Vogelliedchens kamen von ihrem Munde.

So habe ich sie gesehen, so habe ich sie gemalt an stillen, einsamen Tagen, an denen ich mehr und mehr meinen Zusammenhang mit der übrigen Welt ver- gass, vergass etwas Anderes zu schaffen, als nur diesen weissen Mädchenleib, vergass an mein Leben, an Freunde, an Alles zu denken.

Eines Tages habe ich sie durch ein Lied mir gewonnen. Unendliche Liebe, namenlose Sehnsucht hat mich in ihre Nähe getrieben, bis auch die beruhigende Wirkung künstlerischen Nachbildens versagte; bis eine dunkle Leidenschaft wie zu einem irdischen Weibe in mir erwachte, eine Leidenschaft, die nur im wirklichen Umfangen, im seligen Vereinen ihr Ziel, ihre Sehnsucht fand. Sie hat mir manchen verstohlen fragenden Blick

geschenkt; sie hat mich mit diesen Blicken ganz mir selbst entrissen.

Wir sasscn zusammen auf einem moosigen Steine am Rande des Waldquells; sie hatte sich leise an meine Schulter gelehnt; ich las ihr die Worte sterblicher Liebe vor, die sie mit ihren neugierigen, grossen Augen ansah, über meine Schulter blickend :

c Als ich jüngst im Walde weilte,

Rief ich einen lieben Namen,

Und vom Felsengrunde kamen Zauberrufe mir zurück.

< Echo > , rief ich, « Mädchen, Mädchen,

Einen Mann verwegen neckst du?!

Nymphe, sag mir an, wo steckst durl Nymphe, hüte dich vor mir. »

Aber heller klang ihr Spotten,

Wie ich ging, schien sie zu fliehen.

Mich in’s Irre mitzuziehen Durch den weiten Widerhall Und im Mondschein sah ich gleiten Einen weissen Leib, und schreiten Musst ich sehnend nach dem Ort.

Sehnsuchtsvoll rief ich von Neuem,

Doch sie neckte, meine Lieder Sang sie fern im Nachhall wieder.

Nimmermehr erreicht ich sie.

Endlich bin ich stumm geworden Und es schweigt im weiten Walde,

Stille schlich ich durch die Halde Lautlos über'm Moose hin.

Und am Weiher, wo der Mondschein Licht die leicht bewegte Welle L^eberspinnt, am Murmelquelle Sass ein weisses, stummes Weib.

Leise hin ich hingeschlichen

Wie ein Traum, wo Echo schweigend

Sass, von rückwärts rasch mich neigend

Hielt ich ihr die Augen zu

Und mit raschen, stummen Küssen,

Ob der eig'nen Kühnheit bangend,

Ihren Leib verwdrrt umfangend.

Schloss ich ihr den süssen Mund.

Ferne hört' ich eine Stimme Rufen aus den Waldestiefen,

Wo die Wand rer nächtlich riefen Echo bei dem Namen laut.

Und sie schwieg vor meinen Küssen,

Nicht ein Wörtchen rief sie wieder,

Ja, sie zog mich zu sich nieder Und sie küsste meinen Mund.

Heimlich liebten wir verborgen.

Bräutlich liebten wir umworben.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

l ’ri.i i! li Echo ^cllien ^'e:>torben, l'ii.i .Er Wald gab Nichts zurück.

1 rii die \\'aiurrer zogen weiter ln d;ie stumme, weite Ferne,

.'^cliweigend funkelten die Sterne,

Fcho schwieg, da schwieg die Welt.

Sasse N}iuphe, lebst du athmend?!

Fass mich heimlich zu dir schleichen,

L’nd im Dichtertraum, im reichen Immer schliessen dir den Mund.

Deine Fijipen seh ich zucken Schelmisch süss, der Liebe Beute,

Fiebste aller Malerbräute,

Küsse mich, dann schweigt die Welt. ...»

Diese Huldigung' meiner Phanta,sie hatte ich ihr, zuletzt leise flüsternd, vorgelesen. Sie schien eine Weile innerlich ganz Gehör zu sein; sie blickte vor sich hin, ;ils horche sie auf Etwas, was sie nie gehört und was d'jch eine hwinncrung in ihr erweckte an Etwas, was ih.rem Lauschen wohlthat.

Dann aber wendete sic mir ihr Antlitz zu; ich sah einen .Ausdruck von tiefster Sehnsucht nach dem Irdischen in ihr; .sic lächelte leise und legte ihren Arm um meinen I lal' . indem sie mich an sich zog. Unter unendlichen K.t'-cn. die wir selbstverge.ssen wechselten, verwirklichte . was ich in meinem Liede nur zu träumen gewagt liatte; wir lebten wie ein Brautpaar, das sich dem ersten Gluck':- gemeinsamen Besitzes beseligt überlässt. Und tammelnd gestand sic mir, dass meine Worte sie ganz bezaubert hatten; denn es sei ein Widerhall darin ge- w'-'-en. d.-r ihr verrathe, dass auch die Menschensprache eiii'-n Widerhall , einen Nachhall des Lebens enthalte, d r die Worte zu einem lieblichen Echo für den Sinn n; .ehe. Sie lebte in dem Glauben, auch meine Mutter m.i .e ein'- Echonym])he gewesen sein, und ich sei ge- wi ihrer \b rbindung mit einem Sterblichen entsprossen, d.i meine Worte, wenn Liebe sie begeistert, unwill- k irli- h den Widerklang annähmen, der auch aus ihrem Ilerz'-n auf jeden Ruf der .Menschen antworte. Als ich .-hier frug. warum :^ic in der Einsamkeit hausend a'.;f je<len I.aut zuruck-.prechen müsse, schloss sie mir ! lielnd mit der Hand den .Mund, schüttelte stumm das H iu]>t. al * wollte ie mir darauf niemals Antwort geben.

\’on den m - .e-Ten Stunden aber, die ich mit ihr ■vrlcbt, V’Tniag ich nichts mehr zu erzählen. Es war, w.'trc mein Gedachtni^s , all meine 1 '.rinnerung, .. 1 mein Bewu: t .ein entscliwunden nach ihren ersten

Küssen; und ich weiss nicht mehr, was geschah. Aber jeden Tag zog es mich zu ihr hinaus und immer fand ich sie zur heimlichen Liebe bereit. Ich weiss nur, dass wir manchmal im tiefsten Waldschatten versteckt gesessen haben ; dann hatte sie ihr Haar mit Bartmoos durchflochten und einen Kranz von Feldblumen; eine Ringelnatter lag in ihrem Schoosse, mit der sie spielte, und wenn Fremdlinge durch den Wald kamen, die das Echo herauslocken wollten, musste ich antworten, während sie leise lachend ihr Haupt an meiner Brust verbarg, glücklich einen Gespielen und Geliebten zu besitzen, der mit ihr die fremden Menschen neckte , und sich heimlich verborgen über sie lustig machte. Dann umfing sie mich wohl oft leidenschaftlich und flüsterte mir zu:

« O, du süsses Echo der Dinge, o, du mein Echo¬ mann , den ich mir in den Wald gelockt habe 1 Denn hast du nicht auch das Echo meiner selbst gemalt, als du mich in Formen und Farben auf deinem Bilde wieder¬ spiegeltest, und wenn du die lieben Bäume, meinen trauten Quell, meinen stillen Felsen malest, bist du nicht auch ein Widerhall des Lebens in Fleisch und Blut.^ So bin auch ich der Widerhall der Töne.» «Und bist es in Fleisch und Blut, lebst, athmest körper¬ lich, liebste aller Erdenfrauen », versetzte ich, indem ich sie umfasste, und mit ihrem langen Haare meinen Arm umwand, um ganz zu fühlen, wie warm sie in Fleisch und Blut an meiner Seite lebte.

Einst hatte ich ein wundersames Abenteuer; ich hatte gehört, dass eine Treibjagd im Walde veranstaltet werden sollte, ich bin in schwerer Sorge und Angst um das wunderbare Waldweib zu ihr hinausgeeilt; aber wir haben in geborgener Sicherheit in einer Höhle ihres Felsens zugebracht. Das Wunderbare aber, das wir gesehen, haben wir zusammen in ein Lied gebracht und Echo sprach mir die meisten Verse vor, zu denen ich schnell einen zweiten hinzudichtete. Wir haben uns glücklich angeschaut, wenn uns ein Vers des Zauber- gesanges gelang und mir ist, als hätte er folgender- massen gelautet:

Jäger hatten jüngst den Wald umstellet,

Wo ich wohne mit der süssen Fiebsten FcIk), meiner Frau, nicht standesamtlich Wurde sie mir angetraut, die Ehe Sie ist wild wie alle (lütterehen.

läger hatten mir den Wald umstellet;

Rüden hört ich kläffen in den Koppeln,

Hörte Flintenschüsse in der Ferne

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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A. Rieger. Im Gesäuse bei Statterbodeii.

Platzen, hörte rauhe Rufe tönen.

Denn die Treiber jagteu in der Runde.

Und sie kamen hetzend immer näher,

Hasen sah ich durch die Büsche springen, Relie kamen ängstlich vorgebrochen.

Das Geflügel schwirrte auf, die Füchse Schlüpften hastig in die sich’re Erde,

Und ein Hirsch vorüber galoppirte.

Wohl ein König oder Kaiser jagte Hier im Buchenwald der Felsenthale Und erschoss erbarmungslos die Thiere.

Und als nun die Treiber näher kamen Und verengert schon den Kreis gezogen.

Dass der Hunde Kläffen wüthend schallte: Welch’ ein Schauspiel kam vor meine Augen ! Eine Schaar von nackten, schönen Mädchen Kam voll Angst im Wald herangeschlichen. Hinter Stämmen, im Gebüsche bargen Schamhaft sie die waldentspross’nen Leiber, Ihre Haare hüllten sie wie Mäntel Um sich her und zitternd wie die Hirsche Drängten sie erschrocken sich zusammen. Aengstlich blickten sie zum nahen Weiher;

Ach, sie konnten nicht mehr ihn erreichen.

Um im Wasser tauchend zu verschwinden ! Durch die Treiber aufgescheucht, die wilden. Ach, wer rettet sie vor diesen Hunden,

\for den Pulverrohren, vor dem Tode!

Wie sie ängstlich sich zusammenducken.

Meine Wasserfrauen, meine Nymphen, Schwestern meiner süssen Nymphe Echo,

Meine armen Schwägerinnen Alle !

Und die Treibjagd kam. Ich sah Gewehre Glänzen in dem Blitzeslicht der Sonne, Mannlicher und neu’ste Stahlgewehre.

Rauchlos war das Pulver, ja, des Königs P'linte schoss und nicht ein Laut ertönte.

Ach, nun wollten wir vor Schmerz vergehen. Als wir uns re Schwestern schamverzweifelt Vor dem blut’gen Tode stumm verzagend Knie’n und in die Büsche hingeworfen Sich mit grünen Zweigen sah’n bedecken.

Welch ein Wunder ! Blindlings sind die Treiber Und die Jäger, selbst die rauchlos schossen. Selbst der König, dessen Schuss nicht knallte.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

- . i -Mien Frau n vorbeigezogen,

, vii ^ie ilie armen Masen,

I I', um!, ohne sie zu scliauen

. r X'. :;-;ilien bachentstieg'ne Schönheit,

" ^ie tliorengleich vorbeigebrochen.

'v' r; wer rauchlos schoss und ohne X'ebel ll.r. d..^^ \\'underbar^te nicht gesehen!

! wir haben freudig aufgeathmet,

Alle meine Xymjihen sind gerettet ’nl ^ie schlüpfen wieder in die Wellen,

Schlupfen heimlich wieder in die Höhlen Meiner uralt-heirgen Waldeseichen !

Mit welcher heimlichen Wonne versteckter Sicher¬ heit haben wir e.'^ gesehen, wie Niemand das schaute, wac nur wir erblickten, wie glücklich waren wir so mitten in der Welt 7.u sein und doch gänzlich ausserhalb der Welt zu leben , die uns und unsere Schwestern nicht g- schen hat I

Ich bin verarmt in diesem Thun. AU’ meine Gedanken lebten nur bei ihr. AU’ meine Sehnsucht gehörte nur ihr. Zu Hause träumte ich nur von ihr und ich war all’ diese Zeit über nicht fähig etwas zu schaffen und zu arbeiten, ■da ich das Allerschönste hatte schaffen dürfen.

Ich bin verarmt. Einst kam ich nach Haus und fand meimt Wohnung leer. Sie hatten Alles hinweg- geraiimt. denn meine Schulden an's Leben hatten mir Alb- genommen. Nur ihr Bild, das Bild, zu dem sie mir elbst gesessen, besass ich noch.

Ha nahmen sie mir auch dieses. Sie haben es verkauft: -ie haben Alles damit bezahlt und grosser

Reichthum ist aus seinem Erlös auch für mich noch übrig geblieben. Was frommt er mir?! Niemandem konnte, durfte ich verrathen, dass sie selbst mein Modell gewesen. Das Bild hängt offen vor allen Augen im grossen Museum. Jedermann beschaut es, Keiner ahnt, dass es die Wirklichkeit selbst ist, an die sie Alle nicht glaubten.

Acht Tage lang wagte ich nicht zu ihr hinauszugehen, als ich gehört, dass sie mir mein Herzensbild gepfändet hatten.

Dann wankte ich doch hinaus, voll Jammer, dass ich mein Wort nicht hatte halten können.

Ich sah sie nirgends. Ich rief Echo und gehe noch täglich hinaus, aber ich sehe sie nicht. Nur ihre Stimme antwortet mir manchmal hinter dem Felsen, aus der Tiefe des Buchenhains wie eine verschollene Klage ; aber wenn ich hinter den Felsen trete und sie suche, so kann ich sie nicht mehr sehen. Und die Sehnsucht nach ihr treibt mich doch stets von Neuem zu rufen, zu suchen und nicht zu finden.

Andere haben mir auch gesagt, sie fänden sie nicht, wenn sie dahin suchend schreiten , wo Echos Stimme widerhallt; es sei nur eine Täuschung.

Sie wissen nicht, dass ich sie gesehen, dass ich sie geliebt, dass sie mein war, dass meine Sehnsucht mir sagt, sie sei wirklich, wie ich sie gesehen, sie wissen nicht, dass sie mein war in Fleisch und Blut.

Und so suche ich sie , und ich finde sie niemals wieder.

Albert Rieder pinx.

Phot. F. Hanfstaengl. München.

Der W i 1 d b a e h,

Albert Rieger pinx

Phot. F. Hanfstaengl, Mönchen.

Im Gesäuse.

UNKRITISCHE KUNSTLERPORTRAITS

VON

FRED. WALTHER.

ALBERT RIEGER.

Die dekorative , die heroische Landschaft wird heute nur wenig mehr gepflegt und die Land¬ schaftspoeten suchen sich zumeist ihre Poesie in der Natur selbst und meinen, ein grösserer Poet als der Schöpfer könne ein sterblicher Künstler gewiss nicht sein und da komme ihm auch in dieser Spezialität doch immer wieder der am Nächsten, der am Treuesten die Eindrücke nachschaftt, die er im unmittelbaren Verkehr mit der Natur empfängt. Das hat gewiss seine volle Berechtigung. Aber Andere haben am Ende doch auch Recht, und es wird vielleicht auch einmal eine Zeit kommen, wo sie wieder in der Mehrzahl sind, näm¬ lich Die, welche es für erlaubt halten, die von der Natur überkommenen verschiedenartigen Eindrücke in freier Phantasie zu verwerthen, aus dem Schönsten, was sie gesehen haben, aus dem, was sie am Lebendigsten an¬ sprach, ein Neues zu gestalten, was nicht absolut Natur ist, aber dennoch absolut schön. In vergangenen grossen Kunstepochen hat es ihrer in Menge gegeben: Claude Lorrain und seine Nachfolger, Salvator Rosa, Ruisdael, Gainsborough , Karl Rottmann, sie Alle «dichteten Natur». Grotesk übereinander gestürzte Felsen, Wild¬ wasser, die dazwischen niederbrausen, gigantisch, unheil¬ drohend über einander gethürmte Wolken, zerfallene Gemäuerreste, imposante Ruinen aus antiker Zeit, welche die Landschaft mit einem so wunderbaren Zug von Grösse und Melancholie beleben , abenteuerlich ge¬ formte Stämme, spiegelnde Wasser, duftige, schönlinige Fernen, flammende Abendhimmel das sind die Ingre¬ dienzien, die immer wiederkehren und aus denen sich

doch ewig wieder Neues gestalten lässt. Dazu vielleicht noch irgend eine kleine Staffage, die den Grundgedanken für die ganze Stimmung wachruft oder umgekehrt der Stimmung noch das letzte Licht aufsetzt, ihr noch den letzten deutlichen Ausdruck leiht.

Diese heroische, ich möchte sagen pathetische Landschaft pflegen heute, wie gesagt, nicht mehr Viele, aber die es thun, haben immer noch ein dankbares und nicht kleines Publikum.

Und zu ihnen gehört Albert Riege r.

Er zählt nicht zur Künstlergeneration von heute, es drücken beinahe 6o Jahre seine Schultern, denn Rieger ist am 6. Mai 1834 zu Triest geboren. Als Künstler und Mensch ein Idealist von reinstem Wasser, reich an äusserer Anerkennung und innerer Befriedigung, glück¬ lich in seinen sonstigen Lebensverhältnissen, man möchte beinahe nachschlagen, ob nicht im Jahre 1834 der 6. Mai auf einen Sonntag fiel , denn es ist ent¬ schieden so eine Art von Sonntagskinderschicksal, was diesem Maler wurde.

Auch Riegers Vater war Künstler, ein sehr ge¬ schätzter Landschafter und Marinemaler , Giuseppe Rieger. Dieser Umstand, und das Aufwachsen des Knaben in der wunderschönen, wie Viele meinen, der schönsten Stadt an den Gestaden der Adria , liess den Beruf des Knaben früh zum Durchbruch kommen. Auch der Vater erkannte die Neigungen und Talente des heranwachsenden Sohnes bald und legte, wie es sich unter solchen Umständen wohl von selbst verstand, diesen Neigungen keine Hindernisse in den Weg, sondern

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

.-'i-rtc .-sie nach Kräften. Er selbst wurde dem ' : ein !iebe\ oller und sorgsamer Lehrer. Der junge

- er inzwischen in die nautische Akademie seiner \ r-t,i It eingetreten war, fand weitere fruchtbringende :n^ bei den zahlreichen Künstlern, welche in : -m X'aterhause aus- und eingingen. Nicht zuletzt ID-rnhard Fiedler, dessen Schöpfungen den K:: Aon begeisterten. Fiedler, geboren am 23. November i'i zu Ferlin. das auch eines seiner besten Werke, 1 ^-s Amphitheater in Pola » , in der Nationalgalerie besitzt, war namentlich als Orientmaler von Bedeutung, und seinen Werken wird neben grösster Naturwahrheit ein hoher poetischer Zauber nachgerühmt. Erzherzog ■Maximilian von Oesterreich, der später als Kaiser von ■Mexiko unter den Mauern von Queretaro auf so entsetz¬ liche Weise endete, hatte für Bernhard Fiedler be¬ sondere W'erthschätzung und hatte dessen Kunst viel¬ fache I'urderung angedeihen lassen. Fiedler wohnte im gleichen Hause mit der Familie Rieger und gewann da¬ bei entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des jungen Albert Rieger.

iJieser wandte sich wie Jener und wie sein Vater Giinejjpe Rieger bald vollständig der Landschaft und der Marinemalerei zu, ein besseres Feld für die Letztere al.s Triest kann man sich, namentlich bei einem Künstler, bei dem noch dazu bestimmte Anlage hiezu vorhanden ist ja auch kaum denken.

Schon im zweiten Jahrzehnt seines Lebens trat unser

junger Kunstadept mit eigenen Ar¬ beiten selbständig in die Oeffentlich- keit und erntete den ersten Erfolg.

Diese Arbeiten waren Lithogra¬ phien, malerische Ansichten der Stadt Triest und deren wundersa¬ men Umgebung.

Ihnen folgten dann bald , in gleicher Technik ausgeführt, wei- Rietet. Stuäie. tcre Werke ähn-

A. Rieger. Studie.

lieber Art. Eine davon ist bald in weiteren Kreisen ob ihrer Genauigkeit und künstlerischen Durcharbeitung bekannt geworden : eine Ansicht von des Künstlers Vaterstadt aus der Vogelperspektive. Diese eine Arbeit führte Rieger übrigens zunächst in Aquarell aus.

So reich die Natur Triest und seine Umgebung nun auch bedacht hat, nach und nach empfand der junge Maler doch das Bedürfnis nach stärkerer und ab¬ wechslungsreicherer künstlerischer Anregung und er siedelte, nunmehr zum Manne geworden, und auch in seinem Handwerk , namentlich in koloristischer Be¬ ziehung vervollkommnet und ausgereift, 1868 nach der Kaiserstadt an der schönen blauen Donau über, nach Wien, wo er noch heute lebt. Er hatte sich sowohl die Oel- als die Aquarelltechnik in perfekter Weise an¬ geeignet und sollte baldigst Gelegenheit finden, sich die ersten glänzenden Auszeichnungen zu verdienen.

Noch in demselben Jahre, in dem er nach Wien übergesiedelt war, vollendete er ein Album mit Aqua¬ rellansichten von Triest und dem «Littorale» und fand Gelegenheit, es der Kaiserin von Oesterreich zu

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überreichen , deren Kunstsinn bekannt ist und sich immer aufs Neue in geistvollen Schöpfungen, man denke nur an das in jüngster Zeit entstandene Achilleion auf Corfu, bethätigt. Die hohe Frau spendete der Leistung des jungen Malers in des Wortes buchstäb¬ lichstem Sinne brillante Anerkennung in Gestalt einer Busennadel in Brillanten und bald sollte auch ihr Gemahl, Kaiser Franz Josef, die idealen Be¬ strebungen A. Rieger’s in noch werthvollerer Weise lohnen: für eine ebenfalls noch im Jahre 1868 herausgegebene Ansicht von Wien aus der Vogelperspektive verlieh er dem Maler die goldene Medaille für Wissenschaft und Kunst.

In der nun folg¬ enden Zeit suchte Rieger für seine Phan¬ tasie neue Nahrung auf Reisen, während derer er fleissig nach der Natur arbeitete und seine allgemein künstlerischen Fähig¬ keiten , sowie seine

spezielle Veranlagung immer weiter ent¬

wickelte. Gerade der¬ jenige Künstler, der

das direkte Portraitiren der Natur verschmäht und in freier Phantasie schafft, muss ja in

seinem Gemerk eine möglichst grosse Summe möglichst verschiedenartiger Erinnerungsbilder aufsammeln, denn eine solche Summe von Erinnerungsbildern ist ja wohl zum grössten Theile das, was man Phantasie nennt. Man denke nur an die Schafifensweise des grössten Meisters der Phantasie auf dem Gebiete der Malerei, an Arnold Böcklin, der Alles aus dem Gemerk schafft und fast nie vor der Natur. Er hat eben die Gabe,

Eindrücke zu behalten , in ungewöhnlichem Grade , so dass er selbst seine Portraits aus dem Gedächtnisse macht. Sogar seine Selbstbilder sind nicht direkt aus dem Spiegel geholt. So Einer kommt freilich alle hundert Jahre einmal , wenn der Schöpfer ganz be¬ sonders gnädig ist.

Albert Rieger wandte sich nun allmählig fast aus¬ schliesslich dem Oel- bilde zu und errang sich als Landschafter und Marinemaler bald eine sehr angesehene Stellung unter seinen Berufsgenossen. Eine stattliche Reihe treff¬ licher, wirksamer Ge¬ mälde entstand nun in rascher Eolge unter des Malers Hand und machte seinen Namen bald in aller Herren Länder bekannt. Die Bilder , die in so lieb¬ enswürdiger Weise von den Schönheiten der Erde und von ge¬ träumten Eabelländern zu erzählen wussten, fanden überall die ver¬ diente Würdigung.

Alle Kunststädte der Österreich -ungar¬ ischen Monarchie sahen sie, nicht minder die¬ jenigen Deutschlands.

Namentlich feierte aber der Maler seine Triumphe in dem spe¬ ziell um österreichische Malerei hochverdienten «Oester- reichischen Kunstverein» in den Tuchlauben in Wien, der Rieger’s Werke zu seinen am liebsten gesehenen Kunstschöpfungen zählte.

Publikum , Kunstgenossen und Kritik der für alles Poetische und Phantasiereiche von jeher leicht zu begeisternden Wiener Bevölkerung einigten sich in ihrem Lob.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

A. Rieger. Studie «Königin Waldlieb».

A. Riege?-. Partie am 'l'raunsee.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Zu den erfolgreichsten grösseren Arbeiten Rieger’s gehört der Cyclus « Königin Waldlieb», worin der grosse Künstler in reizvoller Weise seine Gedanken hauptsäch¬ lich durch die eben so geist¬ reich als prächtig komponirte Landschaft ausdrückt.

Die Figuren sind meist kleineren Formates und viel¬ fach nur eine Art höherer Staffage.

Aber der Wald, den er malt, ist ein Märchenwald und jeder Stein in grotesken Felsenhöhlen, jeder Schloss¬ bau, wie jeder Mondnacht¬ schimmer athmet Märchen¬ zauber. Der Cyclus dürfte zu Rieger’s meist gekannten Schöpfungen zählen und ist auch in München wohl be¬ kannt. Eine andere Bilder¬ reihe ist rein landschaftlicher Natur und behandelt die pittoresken Reize der « Höhlen von St. Kanzian » , ein dritter Cyclus «Weihnachtsbilder», die Christnacht im Alpenlande. Von grossem, echt dichterischem Zauber

Ueberhaupt liebt der Maler das Mondlicht, dessen geheimnissvolle Schönheiten ihn, den Romantiker, natur- gemäss ganz besonders fesseln müssen , und oft lässt er auch bekannte Landschaften vom silbernen Scheine des Nachtgestirns verklärt erscheinen. So in einem seiner zweifellos besten Bilder, dem « Rhein¬ fall bei Schaffhausen».

Wer dies Wunder der Schöpfung einmal bei Voll¬ mond gesehen hat, vergisst es so leicht nicht wieder und wird doppelt dankbar für das schöne Werk des Malers sein. Der Katarakt schimmert als wäre er ein Strom flüssigen Silbers, aus dem tiefdunkle Felsen auf¬ steigen. Rechts hoch oben die malerische Silhouette von Schloss Laufen dunkel gegen den schimmernden Nachthimmel sich abhebend.

Eine andere Mondlandschaft Riegers schildert ein Stückchen bescheidenerer Natur, das aber dafür reich

A. Rieger. Admont Edelgraben (Gesäuse).

ist die Schilderung einer verschneiten Bergkapelle in ro¬ mantischster Umge¬ bung.

Die Fenster des Kirchleins , hinter dem hohe Fels¬ zacken emporragen, sind erleuchtet, und Landleute arbeiten sich durch den Schnee zur Mette. Himmelhohe Fels¬ zacken ragen im Dunst und Duft der Mondnacht auf.

ist an idyllischem Liebreiz, den Villen¬ ort Penzing bei Wien.

Eine klare , stille Nacht. Der Voll¬ mond steht über dem ruhig dahin- fliessenden Wasser und beleuchtet die Häuschen an dessen beiden Ufern. Ein andermal führt uns der Maler den Mond¬ nacht-Zauber über einem Waldwasser vor, durch dessen

A. Rieger. Studie.

A. Rieger. Partie am Gesäuse.

, IUI

DIE KUNST UNSERER ZEIT,

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glitzernde Fläche ein Hirsch schreitet, und wieder ein andermal lässt er uns den Effekt der Mondscheibe im wilden Gischt eines zwischen Bäumen und Sträuchern hernieder brausenden Wildbaches bewundern.

Nicht immer aus heimathlicher Nähe hat er seine Stoffe geholt. Eine «Polarnacht in Spitzbergen» in ihrer grossen, eisigen Schönheit, hat er wohl ganz aus den Tiefen seiner Phantasie heraufgebannt. Ein ander¬ mal hat er die Gedern des Libanon gemalt und dann wieder die «Ruinen von Carthago», auf deren Trümmern Marius sitzt. Leider ent¬ spricht die etwas unbedeu¬ tende Figur des alten Kriegs¬ mannes nicht der Grösse der ganzen Anlage dieser fabel¬ haften Ruinenstadt, die in magischer Beleuchtung vom stillen, spiegelnden Wasser überschwemmt, scheinbar in unabsehbare Ferne sich hin¬ zieht. So glänzend und glor¬ reich, wie dieser zerfallende Säulenwald andeutet , mag freilich die Metropole der tapferen Landsleute Hanni- bals in Wahrheit nicht aus¬ gesehen haben. Aber die dichterische Erfindungskraft des Malers durfte schon ein Uebriges dazuthun, um hier ein Wunder von gesunkener Grösse uns auszumalen.

Selbstverständlich hat auch die nähere Umgebung von Rieger’s Heimathstadt ihm Vorwürfe für Bilder ge¬ liefert. Z. B. für das Gebirgs- und Meerbild « An der Küste Dalmatiens». Wasser fehlt auf seinen Bildern noch seltener wie der Mondschein ; das geheimnissvolle Leben, die ewig wechselnde Gestalt dieses Elementes, das zauberhafte Spiel des Lichtes, das zu jeder Tages¬ stunde in jedem Beleuchtungsmoment wieder anders, wieder neu aus den klaren Fluthen wiederstrahlt, haben es dem Maler angethan. Er versteht in seinen Dar¬ stellungen das Wasser wirklich zu beseelen, mag nun dal das gewaltige Weltmeer in riesenhafter majestät¬

ischer Ruhe vor uns liegen oder wild toben in ver¬ derbendrohendem Aufruhr, mag ein freundlicher Wald¬ bach einherrauschen oder ein wilder Wasserfall zwischen Eelsblöcken niederjagen. Rieger ist ein begnadeter Stimmungsmaler, dabei fast ausschliesslich der Maler freudiger, klarer, erhebender, einschmeichelnder Stim¬ mungen. Düsteres und Trübes malt er selten, es liegt nicht in seinem Wesen, und wo er ernsthafter an die Seele rührt, da will er rühren, nicht schmerzen. Meister¬ lich ist ihm das gelungen im Schlussbild des Cyclus

« Königin Waldlieb », zu der ihn eine romantische Dich¬ tung Hugo von Blomberg’s begeisterte.

In diesem Bilde schil¬ dert er die im Mondlicht schimmernde, in Trümmern liegende Gruft mit dem Grabmal der Königin , zu welchem der Wald ge¬ kommen mit seinem Duft und seinem Elüstern und dem Chor gefiederter Sän¬ ger , der in seinen Zweigen wohnt.

Als 1884 der Cyclus « Die Höhlen von St. Kan- zian» im Kunstverein aus¬ gestellt war , schrieb die Kritik : « Es liegt etwas

eigenthümlich Duftiges in dem Wirken dieses Meisters und Keiner versteht es wie er, der Landschaft ihre poetischsten Seiten abzuge¬ winnen. Freilich hat Rieger auch in eifrigem Studium der Natur ihre poetischsten Reize abgelauscht; das Wasser und das Licht sind sein ureigenstes Gebiet.

Das Wasser ist bei ihm von einer Naturwahrheit, wir möchten sagen, von einer Durchsichtigkeit, die ihres Gleichen sucht; das Licht von einer Wärme und einem Glanze, die uns entzücken müssen.

So gehören auch jene drei Gemälde, «Einsturz der Reka in die Eelsenhöhle » , «Der Dom» und «Der Wasserfall » zu den schönsten Nummern der Ausstellung.

A. Rieger. Waldinneres.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

D.:-' Schönste in die.sem Cyclus aber ist das Bild D- r D>'m . weiches mit seinem wunderbaren Aus- ',örke ins Freie, seiner prächtigen Perspektive, seinen * ^cirendcn Lichtettekten einen geradezu märchenhaften Zauber ausübt.

Draussen an den Ufern der Wien, im Angesicht ■der- herrlichen kaiserlichen Lustschlosses Schönbrunn, hat sich Albert Rieger sein Heim gebaut, in dessen traulichen Räumen eine liebenswürdige Hausfrau schaltet. Diese Raume bilden sozusagen alle zusammen nur ein

grosses Atelier und hier sind des Malers meiste Bilder entstanden, die seinen Ruf über die Grenzen seines Vaterlandes hinausgetragen haben. Aber nicht die Kunst der Malerei ward dort allein gepflegt. Der Maler ist selbst ein tüchtiger Musiker und hat mehrere Stücke komponirt, die bei öffentlicher Aufführung reichen Bei¬ fall fanden. Auch in öffentlichen und privaten Konzerten ist Albert Rieger als Klavierspieler wiederholt aufge¬ treten. So gibt denn der Kultus des Schönen in jeder Form dem Künstlerheim am Wienufer seine Weihe.

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EIN BLICK AUF DIE KOMISCHE OPER

UNSERER ZEIT.

VON

DR- FRIEDRICH SPIRO.

Verdi’s EMlstaff hat bei seiner ersten Aufführung in Mailand einen glänzenden Erfolg erzielt. Es liegt nahe, zu vermuthen, dass diese Aufnahme und ihr selbstverständliches Echo in der Tagespresse zunächst dem greisen Meister persönlich , sodann viel¬ leicht der Vorstellung und erst in dritter Linie dem Werke galt; wer italienische Musikverhältnisse kennt, wer erfahren musste, wie dort noch mehr als im Norden Alles von äusserlichen und persönlichen Motiven ab¬ hängt, wird nicht bezweifeln, dass der Erfolg der gleiche gewesen wäre, auch wenn Verdi seinem Publikum nur leeren Tonschwall geboten hätte.

So können diese Zufälligkeiten mit dem stereotypen Gang der Dinge für den ernsten Kunstfreund den Ruhm des Falstaff eher verdunkeln als befördern; und das wäre schade , denn gerade bei unbefangenem Zusehen wird man in dieser» Oper eine so feinsinnige Anlage, einen so echt künstlerischen Charakter und einen solchen Reichthum an gediegenen wie reizvollen Details finden, dass man sie unter die Perlen der komischen Oper aller Zeiten rechnen wird. Die That ist staunenswerth ; allein sie darf nicht überraschen bei einem Manne, der mit üppiger Produktionskraft das feinste Verständniss für die zeitgenössische Entwickelung seiner Kunst vereinigt. Namentlich der letztere, allenthalben noch so wenig gewürdigte Zug ist es, der ihn zu einer der erquick¬ lichsten Erscheinungen in der neueren Musikgeschichte macht und ihn jedenfalls über alle seine italienischen Kollegen, Vorgänger und angeblichen Nachfolger weit hinaushebt. Wenn Anderen die Melodie ebenso reich¬

lich strömte wie ihm, so hat ihn doch Keiner an Tiefe und charakteristischem Ausdruck des gestalteten Melos erreicht, so dass er von selbst dazu berufen schien, das übliche Virtuosengeschmetter zu reinigen und in den Dienst des Dramas zu stellen ; aber es wäre ihm nimmer¬ mehr gelungen, hätte er nicht die eiserne Energie be¬ sessen, sich in fremde, ja ihm antipathische Individuali¬ täten und Stilarten zu vertiefen. Diese Studien haben ihn nie zu einer Nachahmung verleitet; mit ihrer Hilfe nahm er von Jenen in sich auf, was er verwerthen, d. h. mit seiner Natur verschmelzen konnte. So erklärt es sich auch, dass der Mann, der am Anfänge seiner Car- riere nach bewährtem Rezept Arien von abwechselnd schmelzendem und gurgelndem Getön, untermischt mit leeren Recitativen und zirkusartigen Masseneft'ekten, auf lächerliche Schablonentexte schrieb, allmählich dazu ge¬ langte, psychologische Gebilde wie die Traviata, Kon¬ flikte wie die im Maskenball musikalisch zu gestalten, den zerhackten Stil der Oper mit dem fliessenden des Dramas zu vertauschen und in der Orchesterbehandlung von primitiver Rohheit zu dem feinsten Kolorit zu ge¬ langen, das im Süden je geschaften worden ist. Er lernte eben nicht bloss von Rossini und Meyerbeer, sondern auch von Berlioz und sogar von Richard Wagner ; dabei hatte er das Glück, bei Zeiten Schubert zu ver¬ stehen, dessen idealem Gesangsstil er überall treu zu bleiben suchte. Daher bilden denn auch solche Riesen¬ schritte, wie vom Trovatore zum Ballo in Maschera, von da zur Aida und dann weiter zum Requiem, zum Othello eine kontinuirliche Reihe, und wenn in dem letzt-

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Werke, wenigstens in dessen ersten Akten, c I..in_;e der Dialoge und manche Konzession an den ~ r.i'clicn Klickt die künstlerische Einheit schädigt, so : e/- admet der Falstati' auclt insofern einen weiteren h" rt'ch.riit, als dieses Stück von einem Ende zum an¬ dern >ich fast auf gleicher Höhe erhält. Gegen den X' !as<t sich zwar einwenden, dass er nicht originell ^.rfmnien ist, sondern ein Shakespeare’sches Stück in die Zwang^iacke presst, ja dass er den Dichter doppelt ■. cr..:cwaltigt, indem er die Lustigen Weiber mit Szenen •tU' Heinrich I\’. contaminirt. Allein der Frevel ist hier lange nicht so arg wie gewöhnlich bei der barbarischen l’rozedur. einmal weil aus Heinrich IV. nur genommen ist. was sich muhelos in den Zusammenhang einfügen licss und dann, weil die Lustigen Weiber nicht eben zu den höchsten Schöpfungen Shakespeare’s gehören : wer den Dichter heilig hält, wird die Farce gern preisgeben, schon damit sie nicht mit seinen wahren Lustspielen in eine Reihe gestellt wird. Musste aber einmal Verar¬ beitung sein, so konnte sie Niemandem besser anvertraut werden als Arrigo Boito, diesem Virtuosen der Librettir- kunst. der die Bühneneffekte kennt und mit dieser zu allen Vers - Kunststücken so trefflich geeigneten italie¬ nischen Sprache manipulirt wie ein alter Fechtmeister mit seinem Degen. Die Handlung ist knapp in drei Akte zusammengedrängt, jeder nur von zwei Szenen, deren Breite man über dem Reichthum der schalkhaften Vorgänge vergisst; in geschickter Abwechselung sind der schwerfällige Held mit seinen beiden würdigen Kum- I)anen. die vier Frauen, das feurige Liebespaar einander gegenübergestellt. Alles aber mit solcher Diskretion be¬ handelt. wie sie einer die Musik erwartenden Folie zu¬ kommt. Diese Musik hat nun für jede Situation, ja für jeden Witz den treffenden Ausdruck gefunden; sie operirt nicht nur mit scharfer Deklamation, süssem Stimmklang und einer wahren hdligranarbeit des Orchesters: reiche melodische Erfindungskraft ist über sie ausgegossen, und wahrend Alles singt und klingt, nur zuweilen von der alltäglichen l'ührung des Dialoges unterbrochen, verfällt cs nie in s I'riviale, dagegen oft in’s feurig Leidenschaft¬ liche. Leber den Liebesszenen mit ihrem Schwelgen in Zärtlichkeit und Neckerei, über der hochgeschwun- genen Ls- dur- Melodie in der k'rauenszene des ersten Aktes (die Musiker werden sie, anders als Verdi, «Quar¬ tett » benennen), vollends über der grossen romantischen Sirenen- und Mondscheinszene des letzten Aktes liegt

die Gluth des südlichen Himmels ausgebreitet, und die Massen- Ensembles, zumal das abschliessende Fugato, durchtobt jener selbe «slancio», welcher schon denen im Rigoletto und Trovatore ihre zündende Kraft verlieh. Seinen harmonischen Stil hat der Meister über aller kontrapunktischen und szenischen Arbeit nie vergessen ; klar und natürlich lösen sich die Akkorde ab, während derjenige Musiker, den eine verbildete Masse als Verdi’s Nachfolger ausschreit, seine spärlichen Melodiensplitter regelmässig in einem Qualm verzerrter Disharmoniefolgen erstickt. Noch ist der Nachfolger Verdi’s nicht er¬ standen; er selbst hat sich als seinen berufenen Nach¬ folger gezeigt, indem er ein Meisterwerk auf einem von ihm bis dahin wohl berührten, aber noch nicht betretenen Gebiete schuf.

Wie steht es denn aber überhaupt mit diesem Ge¬ biet? Wenn wir eine solche Leistung wie den Falstaff vor uns sehen, dürfen wir weder bei der Bewunderung noch bei der Analyse stehen bleiben, sondern müssen uns weiter fragen, welche Stellung das Werk im grossen Zusammenhänge der Kultur einnimmt. Die komische Oper ist keines der geringsten Kulturelemente ; sie wird eines der ersten von dem Augenblicke an, wo man sie als gesungene Komödie auffasst, wne denn auch Verdi sein Werk Commedia lirica betitelt. Eine Zeit, welche sich berufen fühlt, in der Kunstproduktion eine Rolle zu spielen, darf auf diesem Gebiet so wenig wie auf einem anderen Zurückbleiben , und die vergangenen Perioden gesteigerter Geistesthätigkeit haben uns auch hierfür den rechten Weg gezeigt. Ja in derjenigen Epoche, wo die Musik vom Drama noch nicht getrennt war, wo ein Schauspiel ohne Musik fast unmöglich und eine Musik ohne gesungene oder pantomimisch dar¬ gestellte Handlung für unkünstlerisch galt, in dieser Epoche erreichte die Menschheit ihr höchstes Niveau, legte sie für immer die Grundlagen des künstlerischen l.ebens und schuf für hunderte von Generationen die unerreichten Beispiele. Diese Zeit, die Blüthe Athens, sah in der Komödie neben der Tragödie ihr Höchstes, die Inkarnation des sie belebenden Geistes, die Befrei¬ ung vom Erdendasein, die Erhebung zur Gottheit; die Aufführung war religiöse Feier, der Dichter Prophet, und es ist der weitestblickende unter den modernen Geistern, welcher den Aristophanes der gesammten An¬ tike nicht nur gegenüber, sondern als überlegen hinstellt. Athen fiel, und mit seiner Macht fiel sofort die

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aristophanische Komödie und die Vereinigung der Künste im Drama; wohl regierte Athen noch Jahrhunderte lang das internationale Geistesleben und erzeugte die genialen Köpfe in rapider Folge, allein das menandrische Lust¬ spiel, welches nun in die Erscheinung trat und die Welt eroberte, ist nichts als das der feinen Konversation, des eleganten Grossstadtlebens, der Familien- und Liebes- intriguen, kurz der kleinen Menschlichkeit. Es begleitete, vielfach übersetzt, nachgeahmt, um¬ gebildet, die Völ¬ ker so durch alle Phasen von Grösse und Verfall, aber es blieb beglei¬ tend. Nicht be¬ zeichnender lässt sich der Gegen¬ satz illustriren als durch den Hin¬ weis auf den gött¬ lichen Erben aller antiken Pracht und Herrlichkeit :

«Was ihr wollt» ist ein vollende¬ tes, die hellen¬ ischen Originale sogar überflüg¬ elndes Beispiel der menandrischen, dagegen aber der « Sommernachts- traum » , diese im neueren Lustspiel ganz unvergleich¬ lich dastehende Phantasie doch nur eine Art Nachklang der aristophanischen Poesie. Wer seine Nation liebt, wünscht ihr einen Aristophanes ; sehen wir zu, ob un¬ sere Zeit auf einen solchen wenigstens zu hoffen Ur¬ sache hat.

Unter den Wortdichtern wird man ein Genie jenes Schlages nicht finden; da sind wir froh, wenn die menandrischen Versuche einigermassen gelingen, und dem Aristophanes war ja eben die Mitwirkung der Musik Hauptsache. Also halten wir uns gleich an die Tondichter, suchen wir ohne lange Umschau die besten unter ihnen heraus. Als Robert Schumann sich einmal

die Frage vorgelegt hatte, welches wohl die vorzüg¬ lichsten komischen Opern wären, nannte er Die Hoch¬ zeit des Figaro, den Barbier von Sevilla und Johann von Paris, jeden als Vertreter seiner Nation. Heute wird diese Zusammenstellung schwerlich mehr An¬ hänger finden , wenigstens wird man die freundliche Spieloper Boieldieu’s nirgends mit jenen Meisterwerken des Witzes zusammenstellen, wie sie denn auch nur da

noch aufgeführt wird, wo sich ein geschickter Bari¬ ton auf die dank¬ bare Partie des Seneschall kapri- zirt. Die beiden auf Beaumarchais basirten Werke können wiederum nicht als Reprä¬ sentanten des na¬ tionalen Geistes gelten ; sie ge¬ hören eng zu¬ sammen und ver¬ treten beide den Italianismus und das XVIII. Jahr¬ hundert, wenn auch Mozart in Wien und Rossini im XIX. Jahrhun¬ dert schrieb. In beiden Opern be¬ ruht der Werth, neben der reizvollen, durchaus ita¬ lienisch stilisirten Musik, auch auf der ungemein geist¬ vollen Aktion ; zu Grunde liegt beiden das elegante, tief korrumpirte Treiben der sogenannten Aristokratie, welches symbolisch in Spanien lokalisirt ist, aber in allen damaligen Kulturstaaten , einschliesslich der deutschen , nach wälschem Muster eingerichteten Fürstenthümer , sich gleich blieb. In der Schilderung dieses Treibens steht Rossini hinter Mozart und Beau¬ marchais so weit zurück , wie der einseitig begabte, vergnügt komponirende Musiker hinter dem grossartig denkenden und universell empfindenden Künstler; er beschreibt nach Berichten aus zweiter Hand, jene

Adolf Hildebrand. Doppelbiiste.

DIK KUNST UNSKRER ZEIT.

- t!.; ' tc* Au^^onzeugen. Man \ ergesse auch nicht,

M-.zart seinen Don Giovanni, diese reichste Mani- V :;iti..n und zugleich schärfste Kritik jenes Treibens, 1. ' na iocoso genannt hat. Fern lag ihm die senti-

: Auffassung der Späteren, welche aus dem witz-

; ■'-.iheiul. -n Werk ein Ruhr- und Schauerstück machen, uvii der H.tsewicht zuletzt verschwindet denn aller p. Ö A-puk. der auf unseren Theatern dieses Verschwin¬ den er-etzt oder begleitet, rührt von Regisseuren her. Auch hier \erewigte Mozart, was er täglich mit ansah; und die grausigen Accente einzelner Szenen verhinderten ihn nicht, die Hauptfiguren komisch oder wenigstens realistisch zu skizziren. So war er im gewissen Sinne <ler .Xristophanes seines Kreises; freilich einer arg be- -chränkten und \erkommenen Zeit und einer Gesell¬ schaft. die in ihm alles eher vermuthete und vermuthen lie-^s als einen Aristophanes.

Seitdem ist nun wieder ein Jahrhundert vergangen und wieder steigt es in seiner Wellenbewegung von dem 'l'iefepunkt, zu dem es nach gewaltigem Eintritt gesunken war, zu neuer Höhe hinauf. Die komische ( »per begleitete es getreulich ; die lange Depression zeigt sich eben in jener Spieloper, welche, dem Geiste des .Siidens fremd, sich ziemlieh gleichzeitig in Frankreich und Deutschland entwickelte, ihren Sitz nicht mehr an glanzenden 1 lufen, sondern bei einer zahmen Bourgeoisie hatte und statt des treffenden Witzes nur mit dem ge- müthlichcn Scherz operirte. Heute ist sie im W^esent- lichen vergessen, überstrahlt von ihrer Vorgängerin, die trotz der veränderten Zeiten in voller Frische sich hält; wie ein Miirchen aus uralten Zeiten klingt noch ein verspäteter Postillon von Lonjumeau oder Jüngling im lockigen Haar bisweilen in unsere Tage hinein, ganz zu gcschwcigen von jener behaglich philiströsen Verarbeitung der Lustigen Weiber», welche an den Kleinbürgern aller deutschen Gaue ein so dankbares Publikum fand. In tlicser sekundären Gattung, die für die schläfrigen deutschen Vormarzler wie geschaffen schien und in Italien nur einen bemerkenswerthen Vertreter Doni- zetti fand, waren die l'ranzosen Meister ; es ist eine .Aufgabe, die ihre Kräfte nicht überstieg und ihre an¬ geborene Grazie vortheilhaft verwendete. Aber hier lag auch eine ernstliche Gefahr. Der I'ührer dieser Richtung (lie wie alle französische .Musik von einem französisirten .Ausländer inaugurirt worden war), der liebenswürdige .\uber verbummelte sich auf seine alten Tage in einer

Weise, deren verhängnissvolle Folgen nicht ausbleiben konnten. In einem geistvollen , der Erinnerung dieses Mannes gewidmeten Aufsatze hat Richard Wagner nach liebevoller Würdigung seiner Hauptwerke wie seiner Persönlichkeit auch seinen Verfall geschildert und dabei nachgewiesen, wie dieser Uebergang von der harmlosen Koquetterie zur «verdeckten Scheusslichkeit » allmählich die guten Elemente ertödtete und endlich einen Offen¬ bach vorbereitete. In der That hat die für Frankreich wie für das übrige Europa so tief beschämende Epoche des zweiten Kaiserreichs auch die ärgste Schmach ver¬ schuldet, welche jemals der Kunst angethan wurde, die Operette. Zwar muss' man die Franzosen von dem Vorwurfe freisprechen, die Operette erfunden zu haben, da deren Urheber vielmehr einer unreinlich gemischten Grenzrace angehört; allein in Paris fand sie ihre erste Heimstätte und ihren Hof, von dort aus überschwemmte sie das in seiner angeblichen Bildung verkommene übrige Europa. Jetzt liegt sie im Sterben; nur von Wien aus, wo sie eine zweite Heimstätte fand und die geniale ein¬ heimische Tanzmusik durch ihre Berührung verpestete, werden noch vereinzelte Rettungsversuche unternommen zu spät. Ihre Stunde hat geschlagen, zusammen mit der des ernstgemeinten Opernunsinns; und demselben Manne, der sie beide für immer zerstörte, verdanken wir die erste wahre gesungene Komödie, so zugleich das grösste nationale Lustspiel, die Meistersinger in Nürnberg.

Wem heute die Frage Schumanns vorgelegt wird, der nennt, falls ihn nicht blinde Parteilichkeit festhält, an erster Stelle hoffentlich die Meistersinger; ja es ist ein erfreuliches Zeichen, dass sich schon hie und da gewichtige Stimmen vernehmen lassen, welche diesem Werke den Preis unter allen Wagnerischen zuerkennen. Wie stark sein Talent für das Komische war, zeigen viele seiner Schriften und die Schriften in ihrer Ge- sammtheit geben ja überhaupt ein besseres Abbild seines Wesens, als die Summe der Dramen, weil er sich dort immer gab wie er war, hier dagegen nur allzu oft von künstlich gezimmerten Systemen beeinflussen liess; ferner die Spinnstube und überhaupt die Gruppen der Mädchen im P'liegenden Holländer. Hier wie dort, auf der Szene wie in den Aufsätzen, z. B. der Pilgerfahrt zu Beethoven und den Zensuren, zeigt Wagner die wahre Begabung zur Komödie auch dadurch, dass die scheinbare Leichtig¬ keit und der tiefe Ernst immer Hand in Hand gehen: alle grossen Komiker, und nicht zum wenigsten Moliere,

's.'»

Luigi Xono pmx.

fhot V. Hanfataengl, München. Copyright 1^93.

Ave Maria

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haben sich als die bittersten unter den strengen Erziehern der Menschheit gezeigt. Und diese ganze ungeheure Begabung, die er so lange zurückgedrängt hatte, um sich ausschliesslich dem tragischen Stile zu widmen, brach sich auf einmal Bahn, um sich, aufgesammelt in einem einzigen, früh geplanten Werke, zu entladen; hier hat nicht ein einziger Mann, sondern die ganze Nation sich zu begeisterter Kraftentfaltung aufgeschwungen: kein Wunder, wenn bei diesem Werke jeder Deutsche auf¬ jauchzt, jeder rein empfindende Mensch seine Erlösung findet.

Die Meistersinger stehen voll und ganz in unserem Leben, aber sie stehen allein.

Ihr Schöpfer ist da¬ hin, und ihre Nach¬ ahmer erheben hoff¬ entlich nicht den An¬ spruch, mit ihnen zu¬ sammen auch nur ge¬ nannt zu werden.

Jede Nachahmung ist für die Kunst ver¬ loren , schon weil sie nicht spontan produ- zirt; selbst im Falle des Gelingens ist sie überflüssig und höch¬ stens von vorüberge¬ hendem Werth, wie z. B. jene Nachahmungen der verflossenen Spieloper, welche zuweilen in Paris von talentvollen Musikei'ii ver¬ sucht werden. Entschieden noch tiefer stehen aber die Versuche der Wagnerianer, die nicht wissen, dass es in der Musik kein Schulemachen gibt; von jeher fehlte es den Kapellmeistern in dem Grade an Erfindung, dass ihre Musik sprichwörtlich wurde, und speziell an Wagner imitiren sie nicht das Grosse und Imposante, sondern das Kleinliche und Unnatürliche. Eine Durch¬ musterung dieser Meute wäre für den Historiker nicht ohne Interesse; aber gerade auf dem Gebiete der Meistersinger steht am wenigsten Erfolg zu hoffen.

Wer ein Lustspiel schreibt, muss Ideen haben, in ein bestimmtes Verhältniss zu seiner Zeit und Um¬ gebung treten; wer es heute versucht, wird also schon einen andern Standpunkt einnehmen als Wagner. Denn abgeschlossen hat Wagner auch hier nicht. Wohl richtet sich sein heissender Spott gegen die Krebs¬ schäden unseres Kunstlebens, die Akademien, das Kritikasterwesen, das Muckerthum, die Freiheitsbe¬ schränkung an allen Enden , den einseit¬ igen Kultus der Alten, die Herrschaft der Formel ; aber ist da¬ mit die Reihe der Missstände erschöpft? Der Künstler nimmt

hier Stellung zum Kunstleben, aber auch nur zu diesem; wie ganz anders stand der Grieche da, der alle Zweige des Lebens in sein Bereich zog , vor Allem Staat und Ge¬ sellschaft ; und ist nicht so Vieles auch

in der Kunstmisere allein durch den Zu¬ stand von Staat und Gesellschaft verschul¬ det ? Hier bleibt für

die Komödie ein un¬ ermessliches Feld, an das sich noch kein

Lebender gewagt hat, obgleich er im Falle des Er¬ folges unendlich reichere Lorberen verheisst, als selbst ein Fallstaff.

Nur ein Ansatz scheint bisher gemacht zu sein, in allerneuester Zeit und einstweilen unbeachtet; bei der Wichtigkeit des Gegenstandes wird eine genauere Be¬ trachtung um so eher angebracht sein, als auf die Dauer

eine tiefgreifende Allgemeinwirkung nicht ausbleiben

kann.

Es ist wiederholt, und in der letzten Zeit wieder gelegentlich verschiedener Bühnenaufführungen, von Paul Geisler die Rede gewesen, als von Demjenigen, welcher

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

-r al' eiiicineii imisikalischen Stagnation allein be- r .1 : Tsi'heiiu. eine grosse Bewegung zu veranlassen B .hnen zu erünhen die über Richard Wagner ; . lircn. Die Thatsache, dass er wiederholt vom

Ti r aus zu wirken \ ersuchte, legte die Frage nahe, 1 r -,i<'h denn zum gesungenen Lustspiel stellen 'd'" ; bisher aufgeführten W'erke geben darüber : cin.-n bestimmten Aufschluss. Wenn ihm aber von ' r. 1 ’enen. die an der Fülle seiner Jugendkompositionen .Ti ne Bedeutung erkannten, die dramatische Laufbahn \ (.•rau>gcsagt wurde, so hatte man Ursache, die letztere ni- ht einseitig zu nehmen. Gerade in jenen Werken der ersten Periode, welche seine Eigenart so ausgeprägt bekunden, den vielumstrittenen Monologen und Episoden, zeigt sich eine ganz spezifische Begabung für das X’ornehm Komische nicht für das Scherzo des Musikers, sondern für die witzige Laune des satirischen Dichters. Am bestimmtesten zeigt sie sich in vier Stücken, welche in die Auswahl der Episoden mit aufgenommen sind; angeregt durch bekannte deutsche Verse, bedürfen sie doch dieser Programme keineswegs, um den Hörer sofort in humoristische Stimmung zu versetzen. Bei derjenigen, welche sich Ileine’s «Ritter vom Geiste» zum Motto nimmt, zeigt sich der Humor nur als Witz, als glänzen¬ der Esprit, als schnelle, gewandte, feurige, sprühende Idecnfülle; das Ideal einer noblen Konversation. Da¬ gegen im 'Bremer Rathskeller», dem «Heidelberger h'ass j und vollends dem « Lied des Mephisto in Auer¬ bachs Keller » greift der Witz tiefer und wird zur aggressiven Ironie. Das launig auftretende Hauptthema stimmt nämlich in der Notenfolge, also gewissermassen den melodischen Gesichtszügen, genau mit bekannten Themen angeblich ernster Natur überein; so wird diesen in gewissem Sinne eine Schellenkappe aufgesetzt, die erst ihre wahre Natur offenbart. Der Scherz ist äusserst gefährlich, weil er leicht in Rohheit ausarten kann, so¬ bald er nämlich das Unrechte Objekt antastet und über- haujjt Absicht merken lässt; gelingt es aber, so ist seine Wirkung auch die jedes echten Geniestreichs. So hat Geisler in den drei genannten Episoden beliebte Motive von modernen Rej^ertoirkönigen in ihrer ganzen Phrasenhaftigkeit festgenagelt, offenbar ohne es zu be¬ absichtigen ; dies ist das auszeichnende an ihnen , dass sie an sich den Eindruck freier, selbständiger Erfindung machen, also durch sich wirken und den Humor als natürliche Heiterkeit spielen lassen , dagegen erst bei

näherem Zusehen die Verwandtschaft mit den pathe¬ tischen Mustern offenbaren , so dass die Parodie nicht wie ein gewollter Hohn, sondern wie eine göttliche Fügung erscheint Es gibt einen annähernden Präcedenz- fall: nicht etwa mit solchen Momenten hat es zu thun, wo ein Offenbach erhabenste Besitzthümer der Mensch¬ heit wie Orpheus’ Klage, das Maskenterzett, die Mar¬ seillaise durch plumpe Travestien in den Schmutz zieht, sondern mit dem genialen Einfall Beethovens, der einen durch Dutzende von Variationen gehetzten Diabelli’schen Walzer plötzlich und ganz ungezwungen die Gestalt der ersten Leporello-Melodie gibt (Alla. « Notte e giorno faticar» di Mozart in Op. I20) nur dass hier jenes Aetzende fehlt, welches die ganze Geisler’sche Kunst durchzieht und charakterisirt.

Wie nun die ganze Episodenpoesie dem Weiter¬ blickenden von vorn herein als unbewusste Vorbereitung des Dramas erschien, so war es klar, dass auch jenes komische Element seinen vollen Ausdruck erst auf der Bühne finden würde. In den «Rittern von Marienburg» bringt die Szene, da die Landsknechte das gefangene Mädchen hereinschleppen und mit den Bestialitäten mittelalterlicher Soldateska bedrohen, wieder eine jener unwillkürlichen Parodien, indem die Trossbande auf die Worte: «Am Baume wird gehangen der Späher und Spion » eine Melodie im Unisono schmettert, welche als sentimentales Schmachtlied mit dem Text «Für all’ mein’ Lust und P'reud’ gewonnen hab’ ich Leid» in unseren Konzertsälen eine zweideutige Beliebtheit er¬ halten hat. Diese Szene ist indessen zu grauenhaft, um noch an Komik zu erinnern. Da erschien neuerdings das Drama «Schiffbrüchig», und dieses thut wohl den grössten Schritt, der einstweilen in der bezeichneten Richtung geschehen konnte ; es ist zwar Tragödie be¬ titelt und schliesst jeden seiner drei Akte mit einer gewaltig ernsten Situation ab , aber es weicht dennoch so entschieden von Allem ab was man bisher unter den Begrift' der Tragödie zusammenfassen konnte, wie es den Gedanken an Aristophanes und die ideale Komödie wachruft. Dass es der letzteren wenigstens vorarbeitet, wird eine kurze Inhaltsangabe der betreffenden Szenen am besten zeigen ; allerdings wird dabei vorausgesetzt, was nicht zu erklären, sondern nur durch Aufführungen praktisch zu erweisen ist, dass die Musik, unerschöpflich in der Erfindung, vollendet in Form und Stil , den geistigen Gehalt des Dramas überzeugend veranschaulicht.

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Die Handlung spielt in der Gegenwart, in einem Stranddorfe an der Ostsee. Es ist Sonntag Vormittag ; man sieht den Kirchgang der Landleute, hört von der einen Seite Choralgesang und Glockengeläute, von der andern die Volksmelodie eines Landmädchens; Berndt, vom Hafen kommend, lauscht den Tönen des letzteren und entzündet an ihren Klängen und Worten seine Phantasie: sind es doch die ersten Klänge, die ihn in der Heimath nach zehnjähriger Abwesenheit begrüssen. Er ist im Zustande eines physisch und moralisch Schiff¬ brüchigen, Einst blühten ihm hier bessere Tage: der gewandte Husarenlieutenant, unwiderstehlich in seiner Liebenswürdigkeit, leidenschaftlich und übermüthig, im Grunde seelensgut, aber gestempelt durch jene cerebrale Abnormität, die ihn aufbrausen lässt und zum Sklaven seiner zügellosen Laune erniedrigt, sah ein Leben voller Sonne vor sich; als er die Streiche etwas zu toll trieb, schien er sich auch moralisch durch die Verlobung mit einem vornehmen und geistvollen Mädchen zu retten, da wurde eine allzu böse Skandalgeschichte, deren Heldin die rothe Hanne war, bekannt und zerstörte mit der Verlobung auch seine Stellung. Er zog in’s Ausland, arbeitete sich in allen Welttheilen wieder herauf und kehrte nun nach zehnjähriger Selbstverbannung heim ; da ereilte ihn der physische Schiffbruch, aus dem er nur das nackte Leben rettete, und so sieht er sich ge¬ nau da angelangt, wo er vordem stand. Aber sein wildes Temperament lässt ihn nicht lange den trüben Gedanken nachhängen ; zum ersten Male bricht hier der verderbliche Funke wieder aus, der ihn jedesmal im kritischen Moment vom rechten Wege trieb und jagt ihn von ernstem Sinnen zu übermüthigem Vertrauen auf sein nie versagendes Spielerglück. Da tritt die rothe Hanne auf ; in ihr siegt die Unversöhnlichkeit ob der erlittenen Schmach über das Staunen des Wiedersehens. Ihren Vorwürfen antwortet Berndt bald schmerzlich re- signirt, bald innig flehend, mit sichtbaren Zeichen der Reue; als sie nur um so härter wird, fährt er auf und reizt sie zur äussersten Drohung: sie prophezeit den ungeheuren Tag, da die Gedrückten sich einmüthig er¬ heben, von den Bedrückern Rechenschaft zu fordern. In diesem Augenblicke ertönen wieder die Glocken ; die vornehmen Damen kommen zuerst aus der Kirche und überlassen sich während drinnen der Choral « Ach bleib mit deinem Schutze» gesungen wird und der Or¬ ganist nachspielt die ältere Schwester der Ausübung

ihrer Barmherzigkeit, die jüngere der Freude am schönen Wetter: Käthchen steht ja eben erst im Begriff, in’s eigentliche Leben hineinzutreten ; Elise dagegen, einst mit Berndt verlobt, konnte die Katastrophe nie ver¬ schmerzen und sucht nun, durch eine Konventionsehe an den Amtsrath Treskow gefesselt, ihren Trost nach Standessitte in ausgedehnter Armenpflege. Die Menge verläuft sich, da spricht Berndt die Damen an. Elise ist überrascht, verlegen, Käthe, die ihn aus den Kinder¬ tagen in Erinnerung hat, ganz unbefangen, Berndt führt zum ersten Male all’ sein überlegenes Konversationstalent in’s Feuer; dabei berührt er die peinlichen Momente der Vergangenheit nur ganz diskret und behandelt Käth¬ chen mit einer Artigkeit, an welcher langjährige Uebung im Courmachen und aufrichtige Freude an der frischen Jugendblüthe ungefähr gleichen Antheil zu haben scheinen. Er erfährt Elisens Verheirathung mit Treskow; nach einem schmerzlichen Augenblick und dem Ausruf «barer Hohn», fällt ihm ein, dass er gerade in diesem Verkehr eine erste Rolle spielen, eine wüste Geselligkeit neu be¬ ginnen könne; und da das naive Käthchen ihn vorlauter Weise zum Mittagessen eingeladen hatte, bietet er den Damen artig den Arm, sie nach Hause zu geleiten. Währenddem ist die rothe Hanne aufgetreten, diesmal aber begleitet von ihrem Knechte Hans Revolt, dem Vertreter der dienenden Klasse, bei dem sich die primi¬ tiven Gerechtigkeitsideen seiner Herrin in wilden un¬ klaren Sozialismus umgesetzt haben. Er kennt ihr Schick¬ sal und ist ihr blind ergeben ; der Auftritt, den er eben mit angesehen, reizt ihn auf’s Aeusserste, und der Akt schliesst mit einer frenetischen Szene der Empörung, die schliesslich in verklärtes Sehnen übergeht und von dem hinter der Szene wieder einsetzenden Frühlingsliede ge¬ krönt wird.

Schon dieser erste Akt zeigt deutlich^ mit was für einem Kunstwerke wir es zu thun haben. Es werden Charaktere aus dem Leben genommen, aber nicht be¬ liebig herausgegriffen , sondern bei aller individuellen Färbung sind sie typisch, sind Repräsentanten der unsere Zeit beherrschenden oder bewegenden Kräfte. Das Leben dieser Zeit im Ganzen wird zu Grunde gelegt und anschaulich geschildert; die Schilderung ist weder glatte Kopie, noch bequeme Apotheose der Wirklichkeit, sondern künstlerische Darstellung mit einer starken Würze von Ironie. Damit ist das wesentliche Material der Ko¬ mödie gekennzeichnet. Nur aus der Erfahrung lassen

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’.i ; D;chtunL,s^attunycn definiren. und wo wir zu

diab. r.stun .Muslern liinblicken, finden wir uns in ; r.;nkte bestätigt. Bei den Griechen war Tra- kcine>\veL,s niit dem identisch, was wir Trauer- r' /nnen: uns selbst sind aus dem fünften Jahrhundert mit fröhlichem .Vbschluss erhalten. Aber zur 1 r .. -.ke i.,eh' >rte die auch ausserliche Trennung von '^r ia^li<'h uns umgebenden Menschheit, ihrer Sitte und -r* 'h weise, eehörte der Eintritt in die Welt der Götter und Ik rocn. wie später in die der Grossen die- ■;r Erde; man ver¬ achte es wohl öfter mit dem «bürgerlichen Trauerspiel . aber im¬ mer wieder scheiterte es schnell und kläglich, k'eineswegs an der Un¬ fähigkeit der Dichter, sondern an seiner eige¬ nen Unfruchtbarkeit.

Die Komödie da¬ gegen legte die Ver¬ hältnisse des täglichen Lebens zu Grunde, griff sie an und führte in ihrem l'tahmen die Ber'^önlichkeiten vor, durch deren Schilder¬ ung sie der Welt die¬ selben grossen Wahr- heiten sagte, wie die Tragödie mit ihren so verscliiedenen Mitteln.

iJer ernste Zweck w.ar also derselbe; man vermag daher so wenig Komödie mit Lustspiel wiederzugeben wie 'I'ragödie mit Trauers])iel. Unwillkürlich treften hier Antike und Renaissance zusammen. Dante nannte das unsterbliche I lauptwerk seines Lebens Commedia, obgleich cs wahrlich mit der Lustigkeit wenig zu thun hatte, vielmehr nur deshalb, weil cs im Gewände des täglichen Lebens im Gegensätze zum Kothurn einher¬ geht, nämlich die gesprochene italienische .Sprache an¬ statt der bis dahin in der Literatur einzig geltenden lateinischen verwendet. Wohl wird der echte Komö¬ diendichter die Heiterkeit stets als ein Ilauptmittel in’s

Adolf Hildebrand. Leda,

Leid führen, aber eben auch nur als ein Mittel; es kann überall helfen, oft aber wird es, wie gerade in den Hauptwerken Moliere’s, auf einzelne Punkte be¬ schränkt werden. Darin liegt der Hauptunterschied zwischen der Komödie und dem Lustspiel , dass das eine zur Posse , das andere zum Drama sich stellt ; jenes sagt Heiteres in heiterem Gewände, dieser ist das Gewand nur Maske, aus welcher das Ernste hervortönt.

Alle die genannten Kennzeichen passen auf den

ersten Akt von Schiff¬ brüchig. Die Komik, die mehr oder weniger verdeckte Satire durch¬ zieht ihn vom Anfänge an und zeigt sich be¬ sonders in der gesell¬ schaftlichen Unterhal¬ tung der Damen mit Berndt die Episode der Ritter vom Geiste war dafür eine unbe¬ wusste Vorstudie , aber auch in dem Genrebild « Nach dem Gottesdienst», wie in der Wahl und Behand¬ lung der Choräle selbst. Ihren Höhepunkt er¬ reicht sie aber erst im zweiten Akte. Er spielt wenige Stunden nach dem ersten, Nach¬ mittags im Park des Herrenhauses. Berndt und Treskow sitzen mit den Damen auf der Veranda beim Kaffee und sehen dem Vergnügen der Dörfler zu: es ist das Maifest, welches die Herrschaft alljährlich für die Bauern veranstaltet. Schon die einleitende Tanz¬ musik ist ein Meisterwerk im Stile von Teniers oder Jan Steen. Der von wenigen Instrumenten auf der Bühne gespielte Walzer, in denen Melodie, Rhythmus und Bass hart und unvermittelt neben einander hergehen, gibt ein Bild von all’ dem Schwünge, aber auch all’ der Derbheit dieser Vergnügungen; zu Hilfe kommt ihm die Organi¬ sation unserer Dorfmusikkorps: der Trompeter kann nur ein paar bestimmte Töne auf seinem Instrumente blasen.

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die mit peinlicher Regelmässigkeit immer an derselben Stelle wiederkehren ; der Pauker macht zuerst Alles todt mit seinen Gewaltschlägen auf Becken und grosse Trommel, vollends mit dem Klarinettisten ist gar nichts anzufangen. Erst bläst er falsch und verwandelt den schönen Einklang mit der ersten Geige in einen grellen Misston, dann vergisst er gar die Noten und wiederholt, um hineinzukommen, während die Andern richtig fort¬ spielen, immer von Neuem den letzten Takt, bis der Trompeter ihm mit einiger Brutalität aushilft. Endlich setzt auch der Chor, vom vollen Orchester unterstützt, mit einem neuen Walzer ein, dessen Text keinen Zweifel darüber lässt, worauf es der Bauernjugend beim Tanz¬ vergnügen ganz eigentlich ankommt. Da erhebt sich der Dorfälteste, heisst gebieterisch die Musik schweigen und hält eine Ansprache an den gnädigen Herrn Amts¬ rath; er ist ganz Ergebenheit, er geräth in Verwirrung und rettet sich mit einem Eloch, in das die Menge dreimal begeistert einstimmt. Da ertönen im Hinter¬ gründe die leeren Quinten einer frisch gestimmten Geige; der Schulmeister erscheint mit den Kleinen, die ein von ihm eigenhändig verfasstes Lied zu Ehren der gnädigen Frau vortragen. Er zählt ihnen den Takt vor und spielt die Melodie, welche wieder parodirt und doch zugleich wie ein Volkslied klingt, auf seiner Violine mit, so dass am Schlüsse, wo er zur nachdrücklicheren Betonung einer ohnehin nicht misszuverstehenden Anspielung ehr¬ erbietig den Hut zieht, der Gesang etwas unrein wird und zögert. Berndt nimmt diese Gelegenheit zu einem auf Käthe besonders wirksamen Scherze wahr ; doch es ist Zeit, dass der Amtsrath antwortet. Die Beredtsamkeit ist ihm zwar, wie den meisten Landjunkern, versagt; er muss sich bei jedem Satze besinnen; aber er riskirt’s und stürzt sich etwas unvorsichtig von der Danksagung an die Gesinnungstüchtigen zu wuchtiger Invektive gegen die weniger Gesinnungstüchtigen, so dass ihm die Stimme umschlägt, als er Revolt auftreten sieht. Dieser hat es leichter mit seiner Agitationsrede und in ihr erhält auch die Handlung ihren Wendepunkt. Bis hieher hatten wir Schilderung, ein bewegtes Bild,^aber nur die Vor¬ bereitung für die ernstere Entwickelung der Dinge ; nun setzt die Handlung selbst ein, und damit verschwindet die Komik von selbst. Nur einmal kehrt sie noch wieder, wenn nach dem furchtbaren Auftritt, den Revolt indirekt und Berndt direkt verschuldet, dieser den Tanz wieder aufnehmen lässt und nach kurzen Intermezzi, bei denen

er Käthe mit Hilfe des diesmal zarten Walzers noch enger umgarnt, dem Amtsrath ein Zeichen gibt, dass der Pöbel ihn zu ennuyiren anfange. Es ist Abend geworden, und gehorsam schlägt der Freund den Bauern vor, sie persönlich zu einem Trunk in den «Krug» hinabzuführen ; dieselben Musikanten , die vorher zum Tanz und Tusch aufgespielt hatten, eröffnen nun den Zug mit einem Marsch, dessen Erfindung und Instrumentation dem bitteren Humor der Szene die Krone aufsetzt, das inhaltreiche Zeitbild abschliesst. Was inzwischen vor¬ gegangen ist, was nachher geschieht, soll hier nicht erzählt werden ; es hat mit dem Gegenstände unserer Betrachtung nichts zu thun , in dem furchtbaren Gang der Ereignisse findet sich für die Komik kein Platz mehr.

Ein Lustspiel aber kann Schiffbrüchig nicht genannt werden, eine Opera buffa auch nicht, wohl aber eine Komödie in dem Sinne des Wortes der oben angedeutet wurde, den Alterthum und Renaissance empfanden. Man werfe dem Stücke nicht vor , dass es aus zwei hetero¬ genen Bestandtheilen zusammengesetzt sei; ein einziger Ueberblick wird Jedem sofort zeigen, dass gerade seine Einheitlichkeit so fest dasteht wie seine Knappheit Ernst und Humor arbeiten jeder in seiner Weise, aber gemeinsam nach dem Winke des Schöpfers, um uns dem einen Ziele zuzuführen. Man braucht ja auch gar nicht bis zum Misanthrope oder den Fröschen zurück¬ zugehen, um für diese wunderbare Verschmelzung die Analogie zu finden; einem viel jüngeren Dichter, der als Kind seiner Zeit sie persifhrte, und dabei seinem Naturell, dem Scherz, weit eher als dem Grimm zugäng¬ lich war, Beaumarchais, ist sie gelungen, im Figaro wie in dessen Nachspiel, der Mere coupable. Dieses Ver¬ schmelzen liegt eben im aristophanischen Geist; und der wohnte in Beaumarchais wie er in Paul Geisler wohnt. Dort ist er nur im Keime vorhanden und durch manches Neben werk, das die Zeit mit sich brachte, überwuchert ; hier hat er sich wieder Bahn gebrochen und Triumphe errungen, ohne doch eine Alleinherrschaft zu beanspruchen.. Denn Schift'brüchig ist nicht nur von dem Ernste des Komöden, sondern auch von der Heiter¬ keit des Tragöden durchdrungen; es repräsentirt ein Genre für sich, eine neue Kunstform, nicht ein neues Beispiel in vorhandener Form, wie selbst die beste komische Oper. So kann man es in keiner Weise selbst mit Falstaff vergleichen. Verdi hat sich noch einmal in

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; Glanze und aller Feinheit gezeigt, ja in mancher IL:. - ht >ich selbst übertrotten, und dennoch bleibt er !. treu; seine Kunst will das Publikum anregen, das I, tr'.-iel und die komische Oper will es amusiren, die Kur. Wagner s und Geisler's will es erziehen. Erziehen iii .ücm -Sinne, wie die Kunst erziehen kann, nämlich w-.'it ausholend und tief eingreifend; nicht von heute a.;f morgen , nicht durch Belehrungen oder Moral- prcd.ijten. sondern durch die unbewusste konstante Ein¬ wirkung auf das Gemüth und die allmähliche Trainir- uiig lies ganzen Empfindens : sie schafft und läutert dem -Menschen die Weltanschauung. Mit dieser erzieh¬ lichen Kraft greift sie. und das ist ihr höchstes Ver¬ dien: t, über die engen Grenzen der Zeit und des Raumes hinaus. Nicht eine bestimmte Gesellschaft, nicht eine einzelne Nation schildert sie in Wahrheit, sondern durch

deren Symbol alle Nationen und eine ganze Kultur¬ periode ; sie zeigt uns von ferne ein Ideal, welches nicht einer Zeit, sondern allen Zeiten vorschweben muss. So spielt sie eine Rolle in der Weltgeschichte und trägt ihren Theil bei zu dem grossen Werke dass «Europa eins wird » das sind freilich Bestrebungen, von denen die komische Oper sich nichts träumen lassen konnte. Die Komödie dagegen, die zu allen Zeiten von ihnen erfüllt war, schien seit dem Verfall der französischen Litteratur im 19. Jahrhundert vom Erdboden verschwun¬ den zu sein; wenn sie jetzt wieder ersteht, neu ge¬ staltet und die intensive musikalische Sprache redend, welche allein dem intensiven Empfinden der neuen Zeit dienen kann , so verdanken wir auch dieses kostbare Geschenk, wie die Rettung so manches uralten Gutes, der allmächtigen, allbefreienden deutschen Musik.

Adolf Hildebrand

Von

CORNELIUS GURLITT.

Neunzehn Jahre war der junge Bildhauer Adolf Ffildebrand alt, als er 1S67 nach Rom kam. Er begleitete dorthin seinen Meister, Kaspar Zumbusch, trat aber bald in den Geisteskreis eines Anderen, des Malers Hans von Marees. Ein Werdender trat einem Manne gegenüber, der in schweren Kämpfen zur Selbständigkeit seines Wesens durchgedrungen war. Marees hatte mit einem schmerzvollen aber thatkräftig durchgeführten Schnitt sich vom Kunstgetriebe seiner Tage losgelöst und mit Absicht sich in die Einsamkeit zurückgezogen, um dort sich selbst werden zu sehen, und lockte nun Andere aus der Welt und ihrem Beifall in die Enge und zum Streben nach Selbstgenügen.

Als ich Hildebrand kennen lernte, das einzige Mal, dass ich ihm nahe getreten bin, war er bereits ein reifer, fertiger Mann. Es war 1884, als mein nun verstorbener Bruder Fritz Gurlitt, dem in Deutschland kaum bekannten Künstler eine Sonderausstellung seiner Werke in Berlin veranstaltete. Auf der Wiener Weltausstellung von 1873 war Hildebrand’s Name zwar in Ehren genannt worden, seitdem aber hatte man ihn wieder aus dem Gedächtniss verloren. Unter den Künstlern wusste man wohl , dass in der stillen Werkstätte in Florenz ein emsiger, besonderer Geist walte, aber man schätzt bei uns diese heimliche Kunst wenig; man meint, das Gute müsste wagen an die Oeffentlichkeit zu treten, vor dem grausam strengen Urtheilsspruch der Ausstellungen zu bestehen. Hildebrand scheute sich vor diesen. Wie Marees, sein älterer Freund, hütete er sich, dem Kunstpöbel sein Gefühl, sein Schauen zu offenbaren. Es war eine der Thaten meines Bruders,

die meiner Ansicht weit über das hinausgehen, was der Kunsthandel sonst gewöhnlich thut, dass er Hildebrand wie auch Marees und manchem Anderen durch sein feines Gefühl für echte Kunst und seine ehrliche Begeisterung für ihr Streben den Muth machte, vor die Oeffentlichkeit zu treten, und dass er es auf sich nahm, all’ den einfältigen Fragen des p. p. hohen Adels und geehrten Publikums sowie den meist noch einfältigeren Anzapfungen der Kritik mit gutem Humor Rede zu stehen, seine Nerven zu Markte tragend, damit Jene in grösserer Ruhe schaffen können.

Seit 1873 hatten die deutschen Kunstfreunde ein Werk Hildebrand’s nicht gesehen, in Berlin war vorher noch nie eines ausgestellt worden. Man durfte einiger- massen gespannt darauf sein, wie die Arbeiten in der Stadt des Hellenismus , in Spreeathen wirken würden, wo Reinhold Begas eben anfing, die Rauch’sche Schule aus zopfiger Nachtreterei herauszureissen. Es war schon ein Erfolg, dass die Akademie der Künste den Raum für die Ausstellung darbot, der in dem ungünstigen Lokal der Kunsthandlung Fritz Gurlitt nicht zu finden war. Ich half damals Hildebrand in dem für Plastik nicht eben günstig beleuchteten Uhrsaale des Akademiegebäudes beim Aufstellen namentlich jener männlichen Figur in Marmor, welche die Nationalgallerie aus jener Ausstellung erwarb.

In allen Ecken des Raumes wurde ein günstiger Standplatz gesucht und wenn mich selbst gleich die schlichte Grösse der Arbeit aus jedem Winkel heraus ergriff, fand Hildebrand selbst nirgends das ihm geeignet

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. ir-.e:- '.:-: Licht. Verzweifelnd Hess er sie stehen, hen zuletzt g^erückt worden war.

Und nun warf Hildebnind selbst die Frage auf, wie i !’ ' . l';_^.ur hei.-^scn solle ; Ein junger Mann stand vor Wie nach starker Anstrengung, mit ruhig herabhän- kec'hten. eingesteinmter Linken ; doch ohne jeden I. tur . ohne jedes Attribut», ohne jeden Anknüpf- -^punkt für geistreiche Beziehungen. Nur an einem I ■■nkt schien er mir fassbar. Es lag eine eigenthümliche .---■hwcrmuth auf dem beschatteten Auge, ein ruhiges .-'innen, der Jhick schien nicht zusammengefasst, sondern ’d’:'-; in die l'erne gerichtet. Er stand so ganz in sich ;•'= eschlossen da, er suchte nicht nach einer Nachbarschaft, ni-'ht nach einer geistigen und nicht nach einer körper- i-'hen. Keine Bewegung der Glieder oder des Hauptes ^iiiy an ihm über das Bild ruhigen Seins hinaus nur ner ."-^chatten auf dem Auge !

Ich frug Hildebrand, ob man das Bildwerk etwa Allein! taufen könne. Mir schien «Allein!» einsehr •reffender Name. Denn erstens sagte er nichts; und zweitens konnte er die Kritik, die doch eine Plandhabe braucht, anregen etwas zu sagen. Einen Augenblick war ich sehr stolz auf meine Erfindung, ich fand sie sog.'tr geistreich und dachte mir : Jenen, zu welchen das Bildwerk als solches nicht spricht, wird er doch eine Beziehung bieten, durch die sie dem herben Dinge bei¬ kommen können !

Aber Hildebrand lehnte meinen Vorschlag ruhig ab. Im Kataloge hiess dann das Werk sehr einfach Männliche h'igur» und der Direktor der Nationalgallerie, .Ma.\ Jordan, hat den guten Geschmack gehabt, auch nicht einen geistreichen Titel für das Werk zu erfinden. Jugendlicher Mann» lieisst es dort. Aber der Zug von Schwermuth ist, seit er an anderem Orte steht, von ihm gewichen, seit er aus dem Oberlichtsaale herausgebracht i .t. in welchen er nicht gehörte. Mit dem Schatten auf dem Auge ist wohl der «stille Gesichtsausdruck» den ilim der Katalog der Nationalgallerie nachrühmt, nicht gewichen, wohl aber die Trauer, die mich glauben maclite, er fühle sich allein, der im Marmor Lebendige.

Neunzelin Jahre war Hildebrand alt, als er in Rom ankam, Vorlicr hatte er bei Kreling in Nürnberg seine Lehrzeit durcligemacht und man weiss, was das in der Mitte der sechziger Jalire hiess. Noch war die deutsche Plastik ganz im Banne des Klassizismus und der Ro¬ mantik , Kaulbach stand auf der Höhe und Kreling

folgte ihm getreulich als Zeichner wie als Maler. Schöne Linie und tiefer Inhalt waren die Stichworte. Seine Kartons waren im Stil des Reliefs plastisch aufgebaut und seine Statuen malerisch empfunden. Durch alles Schäften ging aber das Streben nach dem Typischen, und selbst dort, wo man Kreling als Realisten verwarf oder feierte, zeigte er sich als ein Künstler, der nicht einzelne Menschen, sondern Gattungen von solchen in einer Gestalt zur Darstellung bringen wollte. Und nicht viel anders erging es Hildebrand bei ^umbusch, welcher damals an seinem Max-Denkmal für München arbeitete, einem Werke, das wohl gross an Form ist, aber doch nicht gross gedacht ; dessen Figuren an Riesenmass der Leiber weit über Menschliches hinausgehen, aber eine zu sehr verallgemeinerte Bildung haben, als dass die mächtigen Flächen ihrer Glieder Eigenleben erfüllen könnte.

Hildebrand blieb etwa ein Jahr in Rom und wurde dort mit Hans von Marees befreundet, dem um zehn Jahre älteren Maler. Dies Jahr war, wie er mir schreibt, « für ihn mit und durch Marees von grosser Anregung ». Hildebrand wurde nicht Marees Schüler, ihre Schaftens- art führte sie verschiedene Wege, aber doch ist das Zusammenleben mit jenem merkwürdigen Manne von vielleicht tiefer einschneidender Bedeutung für den jungen Bildhauer gewesen , als dieser selbst empfindet. Hildebrand, der schon 1869 wieder nach Deutschland zurückgekehrt, studirte dann in Berlin unter Siemering, arbeitete später dort und in Dresden selbständig, bis er 1872 nach Florenz übersiedelte, wo er bis vor kurzer Zeit dauernd sich aufhielt. Ein Auftrag rief ihn endlich aus seiner italienischen Einsiedelei nach München.

Eine Einsiedelei war der florentiner Aufenthalt in künstlerischer Beziehung gewesen. Wenigstens wagte ich bei einer Anwesenheit in Florenz zu Ende der sieb¬ ziger Jahre nicht. Hildebrand in seiner dortigen Werk¬ stätte zu besuchen. Meine florentiner Freunde riethen mir davon ab , da er sich selbst abschliesse. Aber er war doch nicht allein: Neben ihm schuf Böcklin und um ihn standen die Werke der Alten. Er war also dauernd in allerbester Gesellschaft! Und in der Stille dieses Kreises reifte die Kunstart Hildebrand’s eine eigene Weise, zu der nicht Jeder gleich den rechten Schlüssel findet.

Es muss natürlich Jedem in der Welt unbenommen bleiben, sich einen eigenen Massstab dafür zu schaffen.

August Rolli pinx. p|,„, p Hau tat opukI , München,

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wie echte Kunst auszusehen habe, und dann mit diesem Masse jedes Werk zu bemessen, jenes aber, welches zu leicht befunden wurde, zu verwerfen. Wählt er seinen Massstab recht «hoch», so kann er sich die Freude machen, keine Kunst für genügend zu finden, und zu erklären, seiner Vorstellung grösster Schönheit entspräche überhaupt nichts in der Welt, er finde überall Mängel. Und das Angenehmste dabei ist, dass einen

Und daher freut es mich, wenn ich eine Handhabe zum Verständniss einer Kunst finde, wenn ich mir gleich gestehe, dass das erklärende Wort immer nur ein Nothbehelf ist : denn das Kunstwerk sollte mir selbst Antwort auf meine Fragen geben können oder richtiger, ich sollte so viel sehen gelernt haben, dass ich die Antwort allein, ohne erklärenden Text aus dem Werke zu lesen vermag.

Adolf Hildebrand. Mutter mit Kindern.

solchen « hohen » Massstab zu finden das Allerleichteste auf der Welt ist. Man braucht nur seine eigene kleine Natur für den rechten Massstab der Dinge zu erklären und von vornherein zu sagen, die Kunst muss so sein, dass sie mir gefällt. Sofort steht man damit hoch über aller Kunst; man ist sofort aller Sorge darum enthoben, ob man sie recht versteht.

Leider ist mir dieser « höhere » Standpunkt ver¬ sagt. Ich muss mich vor jedem Werke plagen, indem ich mich frage : Was will das Werk ? ist es berechtigt, das Gewollte anzustreben hat es das Gewollte erreicht ?

Es war vielleicht eine Vermessenheit von mir, diesen Aufsatz über Hildebrand in dem Augenblicke zu schreiben, in welchem er mir ankündigte, dass in kurzer Zeit eine Schrift von ihm erscheinen werde, die am besten über seine künstlerischen Ansichten Aufschluss geben könne. Ich würde dieser Konkurrenz sicher aus dem Wege gegangen sein, hätten nicht neben mir die Bücher von Conrad Fiedler und Carl von Pidoll über Hans von Marees gelegen, hätte ich nicht die Niederschriften von Stauffer- Bern und das -Buch Max Klinger’s « Malerei und Zeich¬ nung » zur Hand , und schiene mir nicht diese Reihe

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ri^t't^tc'lerischcn Arbeiten über manche gemein- h nschaft der neurömischen Schule Aufschluss ' - Und Sei schrieb ich denn diese Zeilen,

h nae'h l'rscheinen jenes Huches nur die dessen - ri.i-iiernden Hemerkungen beizufügen hatte.

M.'.rt - s hielt es für die höchste künstlerische Auf-

,-U . eine einzelne Figur zu schaffen. Dabei bestand

/v.ist'hen Plastik und Malerei nur ein Unterschied in Jen .Mitteln. \’or Allem sah er bei der Anlage seines W erkes auf gewisse normale l^eziehungen des bild- neri-^chen Ausdrucks , so z. Ih dass eine aufrecht .--ii hende männliche Figur zunächst auch in überzeugender und unzweifelhafter Weise steht, dass das Gleichgewicht bi: ’ncrisch entwickelt, dass die stützende Kraft des Knochengerüstes, die Verschiebungen der Weichtheile, da' freie Spiel der unbelasteten Glieder auch wirklich zum Ausdruck komme. Dabei ging er immer aus von bihJmerischen Vorstellungen der einzelnen F'igur; so dass oft in Komjiositionen jede Gestalt für sich, getrennt er- xheint. Fr wählte seine Stellungen dem Alter, dem Gf'chlccht. der Entwicklung des Dargestellten gemäss

. einfach als möglich, seinem Modell folgend, nicht es zu .\ttitüdcn> zwingend.

Die Natur suchte er nicht ihrem augenblicklichen Frscheinungswerthe , sondern ihrem Wesen nach zu erfassen; das heisst er zeichnete das Modell oft, von allen Seiten . in verschiedenen ihm eigenthümlichen Stc!Iun;:en, doch nicht in allen seinen Einzelheiten, sondern in kühnen Umrisslinien, breiten P'lächen. Er lernte das Individuum auswendig, so dass es in seiner Besonderheit in ihm lebte, und er schuf cs dann aus dem Gedächtniss, in geschlossenem, raschen Darstellen. Er verlangte, dass die Gestalt in ihren Hewegungsmotiven, also namentlich in den Gelenken ' verstanden », oder doch als Ganzes gr-i -v gesehen sei und dass diesem « Grosssehen » eine selbständige, von aller Zufälligkeit freie Gestaltungs¬ kraft folge, das heisst, da.ss das Gesehene sich zum ■slbstcmpfundencn Typus erhebe. Er wollte also etwas ganz Andere, als die Klassizistcn , die einem Kanon zustrebten, einer allgemein gütigen schönhcitlichen form, der man sich in jedem P'alle thunlichst zu nähern habe; er suchte vielmehr eine für den besonderen Fall gütige I'orm , die nicht einer universalen Darstellung dcr .Srhonen. sondern der besonderen und zugleich das Ganze einheitlich zusammenfassenden 1 Jar.stellung des betreffenden Gegenstandes entspräche. Er wollte aber zu¬

gleich etwas ganz Anderes, als die modernen Naturalisten, die er gründlich hasste , weil er nicht das wahre Bild einer Augenblickserscheinung, nicht den Eindruck einer Gestalt auf den raschen Blick nachzubilden strebte, sondern sich mühte, dem unter den verschiedensten Er¬ scheinungsformen, wechselnder Beleuchtung, wechselnder Stellung und wechselndem Standort Beobachteten das innere Wesen, die Summe der Formenwerthe abzulauschen und in ein Bild zusammen zu bringen.

Aehnliches erstrebte Stauffer-Bern. Seine Arbeiten wurden seit seinem römischen Aufenthalt immer ein¬ facher, sein Vorwurf wurde immer mehr die ge¬ schlossene Darstellung eines Menschen. Er ging ganz darauf aus , das Bildniss zur typischen Gesammt- erscheinung des Dargestellten nicht etwa zur ge¬ treuen Wiedergabe der Erscheinung zu machen, in welcher der Gemalte einen Augenblick verharrt hatte. « Das Erfassen der jeweiligen Figur als Organismus, als lebendiges abgerundetes Ganze», wurde sein Ziel. Und Klinger geht dieselben Wege. Auch ihn führt das Streben, den Menschen nicht einseitig, sondern mit plastischem Empfinden darzustellen dahin , in seinen Kompositionen die Gestalten von einander zu trennen, ja endlich zur Bildnerei selbst überzugehen. Er sucht, wie er in seinem Buche sagt, das Talent des Malers in der Kraft und Vollendung, mit der er die Form charakteristisch beherrscht, in dem Umfassen und Sehen, in dem Nach¬ gehen und Nachfühlen dem Geschauten gegenüber, in der Intensivität des Erfassens. Es bedarf für ihn keinerlei geistiger Zuthat , keiner Kombination , wenn nur das Bild voller individuellen Lebens, ein Stück geschauter und vollendet wiedergegebener Welt ist. « Wir sind vor der Natur, bei dem was wir sehen, immer Mit¬ wirkende» sagt er. «In ihre Stimmungen und Ein¬ drücke mischen sich stets unsere Wünsche, mischt sich unsere Unruhe: Vor dem Bilde werden diese aufgelöst!» Das Bildwerk ist also, oder soll doch sein, die durch die Künstlerhand zur Einheit gebrachte Vielheit der auf’s schärfste zu erfassenden Natureindrücke.

Es ist gewiss kein Zufall, dass allen diesen Künstlern der Drang, sich verständlich zu machen, die Feder in die Hand drückte. Sie stehen hierin in vollem Gegen¬ satz zu den Realisten und zur Pilotyschule. Wenn Marees selbst seine Ansichten nicht niederschrieb, so war doch zweifellos sein Vortrag, den uns Pidoll über¬ mittelte, eine in sokratischer P'orm vorgetragene Lehre,

DIE KUNS'r UNSERER ZEIT.

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welche ebensosehr durch das Wort wie durch Stift und Pinsel wirkten. Es leugnet nun, sobald man sie direkt fragt, jeder dieser Künstler für sich, des Anderen Schüler gewesen zu sein. Auch war sichtlich ihr gesellschaftlicher Zusammenhang viel geringer als man zumeist annimmt. Theilweise haben sie sich unter einander nie gesehen. Aber die gleiche geistige Strömung geht durch Alle: Sie sind die eigentlichen Bekämpfer des modernen Realismus , in ihnen liegt der Anfang zu einer neuen typischen Ausdrucksform. Der gänzlich unbefangene Böcklin war der grosse Anreger. Zwischen Hildebrand und Marees besteht nicht blos der Unterschied, dass der Eine Bildhauer und der Andere Maler sei, sondern der viel wichtigere, dass Hildebrand das vom älteren Künstler in den Umrissen aufgestellte Programm mit stärkerer, sinnlich - künstlerischer Kraft durchzuführen verstand. Mein Titel für seine «Männliche Eigur», die ich «Allein» nennen wollte, scheint mir jetzt, nachdem ich Hilde- brand’s Buch las, so verkehrt nicht. Ich hatte damals das rechte, wenn auch noch unklare Empfinden, dass hier ein Künstler absichtlich sich den Menschen als ein Gesondertes, in sich Abgeschlossenes darstellte, als ein Werk ohne Zusammenhang mit der Welt draussen, ohne die Absicht dieser etwas zu sagen, sondern vor Allem mit dem scharfen Willen künstlerisch zu sein, zu leben, ein volles Dasein zu führen.

Gleich den alten Meistern will Hildebrand vor Allem lebendiges Dasein schildern, nicht Gedanken verkörpern. Er hat sich endgiltig von der seine einstigen Lehrer in Deutschland noch beherrschenden Hegel-Schelling’schen Aesthetik frei gemacht, ihm ist nicht die Schönheit die Verwirklichung einer Vorstellung, die Verkörperung eines Gedankens. Er wird Klinger voll zustimmen, wenn dieser sagt, es sei für das ächte Bild wesentlich, dass es Zuthaten überphantastischer, allegorischer oder novellistischer Art vermeide. Er sucht jene sich selbst genügende Ruhe, welche jener vom Bilde verlangt, auch im plastischem Werke. Wie es der Inhalt von Marees’ Leben war, dass er eine unmittelbare Eorm für sein Verhältniss zur Natur suchte, so ist es auch dies für Hildebrand’s Ziel und Treiben der Kraft Er sucht in der Kunst die Fähigkeit , ein Erschautes zu verinner¬ lichen und als ein Verinnerlichtes Anderen darzustellen. Und er fand es, indem er die einfachsten Gegenstände behandelte, sie von der sie zufällig umgebenden Welt sonderte, sich ganz mit ihnen erfüllte und nun ein

Neues aus ihnen gestaltete. Er ahmte den lebendigen Menschen seinem Wesen, nicht seiner Augenblicks¬ erscheinung gemäss nach, Hess ihn durch das Medium des Künstlers als Kunstwerk wieder aufleben. Hilde¬ brand ist Realist, weil ihm nur die Natur Vorbild ist und weil er nicht ein über der Natur stehendes Ideal dieser anerkennt; er ist Idealist, weil er nicht die Natur nachahmt, sondern seine Vorstellung von der Natur zum Ausdruck bringt; er ist nie stilgerecht, weil er keiner Zeit, auch keinem Zeitgenossen sich in der Form zu nähern sucht; und er ist voll Stil, weil seine Persön¬ lichkeit stark genug ist, um jeder Form, welche aus seiner Hand hervorgeht, ein eigenthümliches Gepräge zu geben. Freilich heisst sein Stil nicht « Louis qua- torze » und nicht « Lionardo » sondern « Adolf Hilde¬ brand ».

Es sind nicht erst die reifen Jahre, welche Hilde¬ brand selbständig machten, früh begann die eigenartige Kunstauffassung in ihm zu wirken. Man sehe die beiden kleinen Arbeiten , w'elche schon auf der Aus¬ stellung von 1873 erschienen, den «Hirtenknaben» und den «Trinkenden». Die ruhige Haltung des Erstem,

Adolf Hildebrand. Frau Clara Schumann.

DIE KUXSl' UNSERER ZEIT.

1'= ’.aiKilun^; namentlich der Weichtheile im zu dem sich von akademischer Form los- :-Z ,1 derberen Knochengerüst hat noch etwas :: \\ .-'wn des deutschen Klassizismus. Im « Trin-

k ; .'.-■m i't llildebrand schon ganz er selbst, ist das

I -'.T ncuromischen Schule klar verwirklicht Vor A f:i: teilt d;er junge Bursch, steht er fest im Gleichge- e und dann trinkt er. trinkt mit völliger Hingabe, so : - der rper sich überbeugt, der Kinn sich vorstreckt, k r Leif= sich einzieht, der herabhängende Arm in der Kr anmung fest gehalten wird. Wer nun von der Figur .Xiitwt'rt d.arauf wili. was der Knabe trinkt, warum er t'inkt. oder was er durch sein Trinken andeuten tvill r..l diese Antwort nicht erhält der findet sie mit Recht geistlos ; wer aber von der Plastik Darstellung eines ganzen Menschen fordert, der wird sie für ein Werk erlösender Kraft aus den Fesseln falscher Geistreich- thuerei betrachten.

1 'ie Besprechungen über die Berliner Ausstellung von Hildebrand's Arbeiten warfen Hildebrand vor. dass bei ihm das geistige Element mehr als nöthig zurück¬ trete . Hatte er seine Statue nach meinem Vorschläge .Mleinl getauft, wer weiss ob die klugen Berliner

sie nicht fabelhaft geistreich genannt hätten, ob sie nicht eine ganz knift'liche «Idee» aus dem Werk heraus gelesen hatten, wie es ihnen bei Böcklin’s so einfach gedachten und so philosophisch erklärten « Gefilden der Seligen gelang. Freilich hätte dann nicht Hilde¬ brand. sondern hätte ich das Kunstwerk «geistreich» gemacht und hätten wir uns wohl Beide nachträglich über unseren mit dem Unverstände getriebenen Witz geärgert.

Ich weiss nicht ob jenem Berliner Kritiker, nach dem Durchlcsen von Hildebrand's soeben erschienenen lUichlcin . Das Problem der Form in der bildenden Kunst (.Strassburg, J. H. Kd. Hertz), nicht doch etwas bänglich zu Muthe wird, wenn er dem Bildhauer jenen Vorwurf hinsichtlich des «Geistigen» machte. Unter flen schreibenden Künstlern bietet er die schwerste Ko.t. Jedenfalls erweist er sich den ästhetisirenden Kritikern in der Kunst des Denkens mehr als ge- wa* hsen.

Ks i't ein Zeichen der Zeit, dass während die Kunsthistoriker und Kritiker sicli von der Aesthetik, als von einer Wissenscliaft. bei der nichts herauskomme» abwenden, die Künstler in ihr das Wort ergreifen. Und

Hildebrand thut dies in einer ausserordentlich nach¬ drücklichen Weise.

Seine Aesthetik stützt sich nicht auf die Metaphysik, sondern auf die Physiologie. Er baut auf Helmholz und Wundt und auf Georg Hirth’s trefflichen Vorarbeiten auf. Die Technik des Sehens gibt ihm die Grundlage für die Entwicklung des künstlerischen Gesetzes der Form. Er will lehren, wie ein klares Bild unserer Formvor¬ stellung entstehe.

Und deshalb stellt er für das Bild einen klaren, räum¬ lichen Eindruck als Haupterforderniss hin, indem er ver¬ langt, dass in einem solchen alle Mittel vorhanden seien, durch welche der Beschauer ohne Anrufung des Wissens eine räumliche Vorstellung sich aufzubauen vermöge. Er kommt dadurch, wie er selbst sagt, in die Lage, zu demjenigen, welchem künstlerische Anschauung geläufig ist, in einer ungewohnteren Sprache zu reden, und dem¬ jenigen, dem die Sprache geläufig ist, von einem unge¬ wohnten geistigen Vorgänge zu sprechen.

Es ist fraglich, ob ich gut thate, Hildebrand’s Buch hier zu « popularisiren. » So knapp wie der Verfasser im künstlerischen Ausdruck ist, so ist er auch im Wort. Es kann nicht die Aufgabe dieses Blattes sein, den Gedankengang des philosophirenden Künstlers zu umschreiben, es wäre auch im engeren Rahmen, als es sein Buch bildet, nicht gut möglich. Es handelt sich hier nur darum, kurz sein Verhältniss zur Kunst unserer Zeit festzustellen.

Er spricht eingehend über den Vorgang des Sehens mit beiden Augen, deren Blick solange er in die Ferne gerichtet ist, paralell läuft, das Bild mithin als Fläche erscheinen läs.st. in der Nähe aber, bei sich kreuzenden Sehlinien auch die dritte Dimension, die Tiefe, wahrnimmt. Durch Bewegung der Augen erfassen wir den von nahe gesehenen Gegenstand in seinen plastischen Einzelheiten, wir « tasten ihn ab » mit den Augen und schaffen uns somit ein Gedächtnissbild seines ganzen Wesens, welches ein anderes ist, als das für den Fernblick wahrnehmbare. Es kann also die Daseinsform eines betrachteten Ge¬ genstandes, seine messbare, räumliche Gestalt für’s Auge nur durch eine geistige Arbeit wieder geschaffen werden, es bedarf eines starken Auffassens der nach einander durch das abtastende Auge gewonnenen Form¬ empfindungen , um jenes künstlerische Sehen zu er¬ zeugen. welches, über die blose Kenntniss des Natur¬ eindrucks hinausgehend, in einem Zusammenfassen aller

L'i'.Uvi5: Wilhelm Heuiiol pinx.

Phot. F. HAnfslaen^l, Müncl.en,

Auxilium C hristianorum.

V

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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möglichen solcher Eindrucksweisen zu einer geschloss¬ enen Form besteht.

Hildebrand stellt sich mithin in vollen Gegensatz zur « positivistischen » Kunstauffassung, welche « die Wahr¬ heit in der Wahrnehmung des Gegenstandes selber sucht, nicht in der Vorstellung, die sich von ihm in uns bildet; » welche also die Aufgabe der Kunst in der genauen Wiedergabe des direkt Wahrgenommenen erblickt und den Einfluss der Vor¬ stellung für Fälschung der Naturwahrheit hält.

Ihm ist das Sehen kein mechanischer Akt, son¬ dern er will die durch das vielseitige Sehen, das Abtasten, gesam¬ melten Erfahrungen zur Vorstellung des Gegen¬ standes vereinigen, um somit das mechanische Augenbild zu einem Bilde der räumlichen Natur umgestalten zu können. « Malerei ist das , was man nicht photographiren kann » , sagt in eindringlicher Form Staufifer- Bern,

«und Plastik das, was man nicht abgiessen kann. »

Natur und Kunst¬ werk sollen nicht in der faktischen Erscheinung sich gleichen, sondern darin, dass ihnen beiden

die gleiche zur Erweckung der Raumvorstellung dien¬ liche Fähigkeit innewohnt.

Auf die Deutlichkeit der Raumwirkung legt daher Hildebrand den höchsten Werth. Wenn die Anhänger der älteren Aesthetik die allgemeine Vorstellung eines Gegenstandes für das Ziel der Darstellung erklärten, das heisst, wenn sie forderten , dass man eine Summe von verwandten Dingen in sich aufnehmen , das ihnen Gemeinsame, ihr Wesen Bedingende an ihnen festhalten und das Zufällige absondern solle, wenn sie hieraus die

Forderung des Idealismus stellten, dass nämlich im Bilde ein geistig Abgeklärtes, ein Gedanke über den Gegenstand in die Erscheinung zu treten habe, so weist Hildebrand’s Kunst auf das vertiefte Vorstellen des einzelnen Gegenstandes selbst, auf seine Besonderheit und die sein Wesen bildenden Eigenschaften hin. Er behandelt denn auch « die Form als Funktionsausdruck» in gesondertem Kapitel. Das Erste und Nothwendigste

erscheint ihm im Kunst¬ werk die Vorstellung von Raum und Form, nicht des Stoffes und der Idee. Die Vor¬

stellungen aber, die sich auf die Form selbst beziehen, sind ihm für die bildende Kunst solche zweiter Ordnung.

Er bezeichnet also ausdrücklich die Vor¬ stellungen des Stoftes, welcher die Form be¬ dingt, und der Hand¬ lung oder des Vor¬

ganges , welche die V eränderung oder Be¬ wegung der Form her- vorrufen.

Dem Wunsche nach Deutlichkeit der Raum¬ wirkung stellt Hilde¬ brand jenen nach Deut¬ lichkeit des typischen Ausdrucks zur Seite. Er sagt; Wir pressen die Kinnbacken zusammen, wenn wir eine Kraftanstrengung machen; dadurch setzt sich in uns die Erfahrung fest, dass starke Kinnbacken ein Zeichen der Kraft sind.

Wir gelangen durch die Wahrnehmungen somit zu einer

Sprache des Ausdrucks in der Natur, zu einer unwill¬ kürlich wirkenden Vorstellung typischer, die Sprache der Kunst bereichernder Begrififseinheiten. Und nun wünscht er der Kunst einen ohne alle Nebenabsichten ungestört sich entwickelnden Trieb, Vorstellungen Aus¬ druck zu geben. Es soll bei echtem Schaffen, wie bei

Adol^ Hildchrand. Herzog Karl Theodor in Bayern.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

K ■' «-lic \\ ahrnchiming' unmittelbar zur Vor- w-nicn. C' i't die höclistc Aufgabe der r. t M _c-.unden und gesetzmässigen Zusammen- , wi i'hen unsi rer XAr.-^tellung und unserer Sinnes- - it ln. rzu>tc-Ilen und fühlbar zu machen.

lu denn Ilildebrand darauf aus, einfachen ' -• : n d.ad.urch Ausdruck zu geben, dass er sie

. r .''cluirfe erfasst und in ihrer t\'pischen Art zur

" li.i :-.:n_, bringt. Der 'rrinkendc trinkt das ist

ir.ig. I> hat die Bewegung und die bezeichnenden I ; --n-diaften eines Trinkenden. Er ist völlig klar im .\-.;-.;ruck der X'orstellung, welche der Künstler von il;n; hatte und die wir alle von ihm besitzen.

I )i<-'e Kunstauffassung befähigt ihn ganz besonders für da^ Portrait. Sein ganzes Streben muss darauf Lvhen , das Bildniss ähnlicher zu machen als es das

>r; inal ist. Ich las da unlängst, was Diderot im .''alon über sein Portrait sagte: « Mes enfants, je vous prcvicii'. 'lue cc n est pas moi. J'avais en une journee Cent ph>'''iognomies di\erses, sclon la chose dont j’etais atfe« !^ . J etais serein, triste, reveur, tendre, \'iolent,

p.i'uonc, enthousiaste . » Hildebrand wäre ihm

ab'T trotzdem beigekommen

E-^ gilt .als eines echten Künstlers unwürdig, dem ihm .sitzenden im Bildniss zu schmeicheln. Und doch thut dies 1 lildebraiul in ausgesprochener Weise, gerade durch seine Behandlungsart. Er gibt seinen Bildnissen eine innere Konzentration, wie sie der Mensch nur selten hat. er erhebt den lünzelncn zum Typus seiner selbst. Man ‘^ehe zum Beispiel die höchst merkwürdige Büste des llcrzoe;-' K.arl 'Pheodor von Bayern, oder jene der Frau Klar.a Schum.ann, man sehe namentlich die I^chand- lung der Stirnen , als der entscheidenden Masse am menschlichen Kopfe: da ist hier bei dem berühmten fürst¬ lichen Augenärzte eine .Summe von Denken, Beobachten, Druppiren indem hochgewölbten Bau hineingeschlossen, id jene Ucistesarbeit , die sich im Gehirn nachein- .•■nder vollzieht, gleichzeitig zum Ausdruck gebracht.

1 )r,rt bei der Klavierspielerin eine niedere breite Stirn, ein starker Aufdruck sinnlicher l'.m]Tindung, ein Zug um den Nacken, als müsste der Kopf mühsam gehoben werden.

I - sind nicht nur die persönlichen Bildungen, welche uns an Hildebr.and’s Köpfen anziehen, sondern e^ wird b< i ihm die 1 laltung zum stärksten Ausdrucks¬ mittel. der Knochenbau, nicht die Haut m.icht die

Adolf Hildebrand. Clothilde Brewster.

Aehnlichkeit, die Halswirbel sind von gleichem Werth zur Individualibirung als die Nase oder die Augen. Ja durch den militärisch steifen Kragen an der Büste des Gross¬ herzogs von Weimar hindurch erkennt man den Träger des prächtigen Kopfes, den fest gebauten Hals, als einen bestimmenden Faktor. Und wenn man wieder den leisen, etwas nervösen Eindruck in den Schläfen und das da¬ durch bewirkte willensmächtige Vorbauen der Unter¬ stirn beobachtet, so begreift man jene echt landes¬ väterliche Regierung dieses au.sgezeichneten Fürsten, die geradezu erstaunlichen Leistungen jener in glücklichster Weise auf das Lande.swohl gerichteten Willensmacht, deren Wirken ich unlängst bei einem kurzen Besuch in Weimar mit aufrichtiger Bewunderung sah.

Geschmeichelt sind diese Bildnisse also insofern, als Hildebrand stets den ganzen Menschen gibt, so wie er selbst im Leben nur selten sich zu geben vermag. Auch seine h' rauen, seine Mädchen lächeln nicht, auch sie haben keine Attitüde, stehen auch nicht da, wie durch den

Mtidonnu del Sasso bei Loearno,

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Momentphotographeil festgehalten , obgleich in voller Ruhe, doch in dem ihnen angemessenen , in dem ihr Wesen bezeichnenden Ruhen ; ich scheue den Ausdruck nicht dies Ruhen ein bewegtes zu nennen! Es ist schwer, diese statuarische Haltung der Portraits mit Worten zu umschreiben, aber es ist ein Genuss, sie an den Werken in ihrer Unmittelbarkeit und scheinbaren Absichtslosigkeit zu empfinden.

Mir will bedünken, als liege in ihnen ein starkes Zeichen des Gesundens unserer Kunst, die wieder wahr und typisch zugleich zu sein lernt, ja was mehr ist, die durch den Typus wahr wirkt. Ohne die klärende Arbeit eines starken Gefühls für die Wirklichkeit im Gegensatz zum befangenen Idealismus wäre dies Ge¬ sunden unmöglich gewesen.

Mir will aber zugleich bedünken , als unterschätze Hildebrand in seinem Buche den Einfluss , welchen die von ihm bekämpften « Positivisten » auch auf ihn haben. Jetzt, seit er ihnen in München räumlich näher steht, wird er wohl merken, dass es mit der photographischen Treue, mit der Absicht, im Bilde die Wahrnehmungsform der Natur noch einmal Anderen wahrnehmbar zu machen, nicht so ernst gemeint ist. Dass vielmehr auch beim Impressionisten eine Summe von Natureindrücken sich zum typischen Bilde der Naturwirkung zusammengefasst. Und dies ist ganz einfach deshalb so, weil sich von

Adolf Hildebrand. Weibliche Portraitlniste

der Natur im Bilde nicht eine Momentphotographie machen lässt; denn auch das realistische Bild ist das Ergebniss einer langen Reihe von unter Umständen ge¬ machten Wahrnehmungen, welche mit der Zeit, der Be¬ leuchtung naturgemäss wechselnde waren. Es ist nur hier an Stelle des plastischen Empfindens der neu¬ römischen Schule ein vorwiegend malerisches getreten. Jenen Künstlern ist aber nicht die Farbe nur das Kleid des Körpers, wie Hildebrand will, sondern sie ist ihnen im höchsten Grade als raumbildend, als Vorstellungen erweckend von Werth, auch ohne den Körper. Wenn Hildebrand diejenigen Beleuchtungen der Natur, welche durch die Fülle der Reflexe jeden Formeindruck auf- lösen als unkünstlcrisch erscheinen, weil sie die Mög¬ lichkeit nehmen einen klaren räumlichen Eindruck zu gewinnen, so dürfen ihm die «Positivsten» entgegen¬ halten, dass es einen Blick in die Tiefe auch im Nebel gibt und dass gerade die Farbe durch die unkörperliche Luftperspektive das Sehen der dritten Dimension im Bild erst recht erleichtert, dass sie stärker raumbildend wirken kaum als eben die Form.

Mir hat daher Hildebrand’s Buch, dessen Lesen ich aufs Dringendste namentlich den Aesthetikern von Fach empfehle, vor Allem den Mann erklärt und seine Kunst. Ich glaube nicht, dass er ein Gesetz fand, nach welchem fremde Kunst verurtheilt werden kann. Er fand das Gesetz und entwickelte es mit glänzendem Geist, nach welchem die von seinen Werken nicht Ueberzeugten zu deren Erkenntniss gebracht werden. Das untrügliche für alles Schaffen gütige Gesetz der Kunst aber ist für alle Ewigkeit unfindbar. Und das ist ein Glück , weil sonst die Kunst endlich, auf der Höhe zum Stillstand verurtheilt wäre. Das menschlich Höchste wird schon erreicht durch die Uebereinstimmung des Schaffens mit der ästhetischen Absicht, durch das künstlerische Ausgestalten der eigenen Wahrnehmungen, seien diese nun unter sich noch so verschiedenartig.

Vielleicht fangen die Künstler des zwanzigsten Jahr¬ hunderts an, wieder sich völlig zwanglos selbst auszu¬ gestalten und alle Vorgänger zu vergessen , soweit sie nicht Mittel zur Fortbildung der eigenen Individualität sind. Gelingt es uns, dass wir unsern Stil finden, so wird Hildebrand in erster Linie als Bringer der Freiheit in der Plastik begrüsst werden müssen und zwar sowohl der Freiheit vom Vorbild als jener vom Modell. Man sehe Werke, wie den «Wasserträger», den «Sautreiber»

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

I';.'tcn>piclcr genau an. wie sehr jeder für Die \>'!lige Erfüllung der Absicht ist er-

!. ■en.-'O erstaunlich ist die unbedingte Zuverlässigkeit ,a'i ' 'rack der Bewegung, im Aufbau des Körpers, -i.e . Sicherheit, welche der Meister in uns erweckt,

n.e Leute so ihr Dasein führen können, wie er -,e -chüdert. Da ist keine Spur von einer Jagd

Motiven, nichts Erklügeltes, jene Einfachheit in .'.er Emj'fmdiing wie in der Eorm, nach welcher die N.-.> hahmer der stillen Einfalt» Griechenlands sich so- l.v:'..e vergeblich gesehnt haben. Da ist ein sicheres \'. rau.'greifen der im Buch als Ziel hingestellten Lösung. .Mir '•cheint eben, dass Hildebrand's Buch mehr zu seiner K'.ai't P'asst , als dass seine Kunst dem Buche ent¬ spräche. Der Werth seines ästhetischen Denkens liegt darin . tlass es das Kind der künstlerischen That ist. L'mi die That, nicht das Wort war es, welche Schule machte und noch \ iel tiefer auf die deutsche Kunst ein¬

wirken wird. Sie ist Schuld daran , dass eine ganze Reihe unserer Maler zur Plastik übergehen.

Man lese Stauffer’s Leben, um zu erkennen, wie dieser, in die Kreise der jungen deutsch -römischen Schule tretend, plötzlich plastisch zu empfinden begann. Aehnliche Wandlungen vollzogen sich deutlich an Max Klinger. Sie wenden sich von der malerischen Stimmune- ab, obgleich Beide sie genug beherrschten, um aus echt realistischem Streben heraus typisch werden zu können. Voll Hass gegen jede Verallgemeinerung nach Rezepten, suchen sie nach einer freien Umbildung der Formen auf ihre typischen Werthe.

Neben den Altidealisten könnte man sie Neuidealisten nennen. Oder, wenn man nach Lagarde, Idealismus Streben nach dem bestehenden Ideal, Idealität aber die Stimmung nennt, aus der neue Ziele für den Idealismus geschaffen werden, könnte man sie als echte Vertreter der Idealität und daher als die stärksten Feinde eines fremden, schon erledigten Zielen zustrebenden Idealismus bezeichnen.

Adolf Hildebrand. Hirtenknabe.

Die Eu me nid eil.

DIE FONFUNDZWANZIGJÄHRIGE JUBELFEIER DER MÜNCHENER

KÜNSTLERGENOSSENSCHAFT.

Von

M. HAUSHOFER.

Unter glänzenden Festen feierte die Münchener Künstlergenossenschaft in den ersten Juli-Tagen dieses Jahres die Erinnerung ihrer Gründung. Wenn wir in diesen Blättern, mehrere Wochen nach jenen Festen, derselben gedenken, kann uns selbst¬ verständlich nicht der Gedanke leiten , einen blossen Festbericht zu geben, wie er damals durch alle Tages¬ blätter ging. Unser Ziel muss vielmehr sein , aus der anmuthigen Fülle jener Feste dasjenige hervorzuheben, was einerseits durch seine Vollendung dauernde Er¬ innerungen und Anregungen zu schaffen geeignet war und anderseits mit den Schicksalen, mit den erreichten und künftigen Zielen der Genossenschaft in innerem Zusammenhänge steht. Jene Feste waren duftige, schim¬ mernde Früchte, die an ein paar Sommertagen gepflückt wurden ; wir dürfen hier auch der treibenden Kräfte nicht vergessen, welche solche Früchte reifen Hessen.

Fünfundzwanzig Jahre sind im Leben des Einzel¬ menschen eine sehr lange Zeit; im Leben eines Volkes eine verschwindend kurze Spanne. Im Leben einer Ge¬ nossenschaft, eines Vereines bedeuten sie weniger, als im Leben des Einzelnen; aber doch viel mehr, als im Leben eines Volkes. Denn ein Vierteljahrhundert genügt, um eine Generation durch eine neue zu er¬ setzen, um veränderte künstlerische Anschauungen in weiten Kreisen zu schaffen.

Als die Münchener Künstlergenossenschaft vor fünf¬ undzwanzig Jahren die Stellung und die Rechte eines anerkannten Vereines erwarb, wurde sie damit nichts Neues; sie krönte blos eine vorher gegangene jahr¬

zehntelange Entwickelung dadurch, dass sie ihrem schon lang vorhandenen geistigen Inhalt eine politische Form verlieh.

, Gemeinsame Unternehmungen der Münchner Künstler waren ja schon die in das Jahr 1845 zurück reichende Gründung eines Künstler- Unterstützungsvereins , ferner die in den fünfziger Jahren beginnenden grossen Aus¬ stellungen gewesen, auch die in noch weitere Ver¬ gangenheit zurück reichenden Feste. Seit der Gründung der Genossenschaft aber ward dieselbe der geschäft¬ liche Zusammenhalt der Münchener Künstler; die Aus¬ stellungen wurden immer mehr zu der wichtigsten Auf¬ gabe, welche alle anderen gemeinsamen Interessen über¬ flügelte. Die Feste konnten auch von geselligen Ver¬ einigungen veranstaltet werden, welche sich, unabhängig yon dem stärkeren Bande der Genossenschaft, bilden konnten. Solche freie Vereine waren die alte Gesell¬ schaft Stubenvoll, der Künstler-Sängerverein, Jung- München, die Fidelia, die gesellige Vereinigung, die Allotria. Im Nebeneinander und Nacheinander dieser Vereine zeigt sich eine gewisse Regel. Die jüngeren unter denselben entstanden stets, wenn die älteren Er¬ schöpfung und Altersmüdigkeit zeigten. Dann schlossen sich die jüngeren lebenskräftigeren Elemente selbständig zusammen, um in sprühendem Thatendrange Unternehm¬ ungen zu planen, für welche ihre älteren Vorgänger nicht mehr zu haben waren. Je lebhafter aber jeder neugebildete Verein mit grossartigen Kostümbällen, mas- kirten Kneipen, Mai- und Sommerfesten seine Leistungs¬ fähigkeit zu erweisen strebte, um so rascher wurden

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

’>. . r-t'lK'pü, weil die Arbeiten für diese Feste t- :'.;;r auf einem kleinen Kreise lasteten. So f, ' manche die.^er \'ereine nach kurzer glän- r T lii. ht;‘ wieder schlafen gingen, weil sie vor- ' ihr-.-n Kräften und ihrem Opfermuthe nicht haus- h einig gewesen waren.

.\n r-- tiie Genossenschaft. Ihre Aufgabe w'ar ja X'-iTtrftung und Förderung der wichtigsten Lebens- •.■r', iu Licr Kunst, in einer festen geschlossenen api-ati'->n. Sie begann diese Aufgabe mit der .ani^ation der Münchener Lokalausstellung, und ';erl'' im Jahre 1871 ihren patriotischen Sinn durch .iic \’eranstaltung einer XArloosung von Kunstwerken z.;m Festen des deutschen Invalidenfonds. Im Jahre 1'73 sorgte sie für eine würdige Vertretung Münchens bei der Wiener Weltausstellung. Damals erfolgte eine -1 ater wieder beglichene Secession.

Fine wichtige Epoche in der Geschichte der Ge¬ nossenschaft bezeichnet das Jahr 1879, in welchem die in vierjähriger Wiederkehr folgenden internationalen Aus- 'icHungen begannen, die erste mit besonders glänzendem künstlerischem und finanziellem Erfolge. Wie sechs Jahre früher bei Gelegenheit der Wiener Ausstellung gab sich freilich auch diesmal von mancher Seite her Unzu¬ friedenheit kund, eine Unzufriedenheit, deren Keim naturnothwendig in allem Ausstellungswesen liegt. Denn jede Ausstellung bedingt ja eine gewisse Würdigung der au:-zu>tellenden Werke und eine Anordnung der- ■' ;bcn ; also immerhin eine Verfügung irgend einer .Xutorität über Produkte menschlichen Geistes und Fleisses. .Niemals wird diese Würdigung und An- '•rdnung von allen Seiten her als gerecht und weise anerkannt werden.

Ilie .Aus.stelhingen führten auch im Jahre 1884 zu einer, glücklicherweise wieder beglichenen Spannung zwir.rhcn der deutschen Kunstgenossenschaft und der Münchener Lokalgenossenschaft ; sie führten endlich zu der letzten Krisis, welche das ganze Münchener Kunst- h-ben in seinen Tiefen erregte und deren Ausgang noch nicht abzusehen ist.

Neben den Ausstellungen bethätigte sich die künst- leriwhe Kraft der Genossenschaft durch freudigen und ■•■pfcrwilligcn Antheil. so oft es galt, einem Vorgänge des öffentlichen Lebens in München die Weihe künst¬ lerischen Schmuckes zu crthcilen. Wir dürfen hier wohl an die Centenarfeier für König Ludwig I. im Jahre

1888 erinnern, sowie an die grossartige Todtenfeier für Kaiser Wilhelm I.

Die äusseren Plrfolge blieben nicht aus. Prinzregent Luitpold übernahm das Protektorat über die Genossen¬ schaft (1886), welche an Mitgliederzahl wie an finanzieller Kraft von Jahr zu Jahr erstarkte , von Jahr zu Jahr an Erfahrungen gewann. Es schienen alle Bedingungen zu einer fortwährend aufsteigenden Entwickelung gegeben, als im Jahre 1891 die Ausstellungsfrage zu jenem Zwie¬ spalt im Schoosse der Genossenschaft führte, welcher schliesslich die Secession eines Theiles ihrer Mitglieder veranlasst hat. So blieben ihr auch die herberen Schick¬ sale, welche das Leben einer Vereinigung treffen können, nicht erspart. Ein Urtheil über diese jüngsten Schicksale und über die veranlassenden Mächte derselben muss der Zukunft überlassen bleiben. Jedenfalls war es ein be¬ rechtigter Herzenszug , der die Genossenschaft veran- lasste, in gährender Zeit, in der hastigen Arbeit nach umkämpften Zielen , im Ausblick nach einer Zukunft, welche Schwierigkeiten genug zu bieten scheint, dem ersten Vierteljahrhundert ihres Bestehens solche Feste zu weihen.

Die Feste begannen, nachdem schon einige Tage vorher dem erlauchten Protektor der Genossenschaft eine Adresse überreicht worden war, mit der Grundsteinlegung zum Künstlerhause am 3. Juli. Als eine sehr glückliche Fügung erscheint es, dass diese Grundsteinlegung, eine wirkliche That mit weit in die Zukunft reichenden Folgen, mit dem Erinnerungsfeste verbunden werden konnte. Und auch bei der Grundsteinlegung selbst wirkten mannigfache Umstände zusammen , um die feierlichen und erfreuenden Empfindungen der Betheiligten zu steigern. Zunächst schon die ganze Umgebung des Festplatzes. Denn die Stelle, wo der Grundstein auf einem Bogen aus Mauerwerk, rings umgeben von frischem Grün, sich zeigte, ist an sich schon umrahmt von einem höchst anmuthigen und abwechslungsreichen Städtebild. Es sind alte und neue Züge, die das Stadtgesicht hier zeigt; eine liebenswürdige regellose Kreuzung von Strassen und Plätzen mit stellenweise weitem Horizont. Prachtreiche und interessante Neu¬ bauten, wie sie unter den Händen von Albert Schmidt und P'riedrich Thiersch entstanden, und theils noch im Wachsen sind, werden eine stolze Umgebung bilden und doch wieder zwischen sich dem reichen Grün Raum la.ssen, das die Anlagen des Maximiliansplatzes, jene

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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des Karlsplatzes und den botanischen Garten schmückt. Und wenn erst in der Nachbarschaft Hildebrand’s Monumentalbrunnen rauscht, dessen mächtiges Quader¬ werk jetzt noch hinter Bretterwänden sich birgt, wenn mit ihm auch noch das belebende Element sprudelnder Gewässer sich in die mannigfaltigen Züge dieses Platzes einschmiegt; dann hat das künftige Künstlerhaus eine Umrahmung, wie sie edler kaum gedacht werden kann. Auch entbehrt sie nicht den historischen Zug; denn über diese Zusammenstellung von kunstbeseeltem Stein und sprossendem Grün schauen doch immer dunkel und

recht unkünstlerische Haus an der Luitpoldstrasse , in welchem sie zur Zeit noch ihren Sitz hat, erworben hatte , das kameradschaftliche Leben der Münchener Künstler in zwei Hälften auseinanderging, in die «ge¬ sellige Vereinigung» und in die «Allotria», war wohl mit die Folge davon, dass es an einem Heimwesen fehlte, welches geeignet gewesen wäre, Heimatliebe und mit ihr stärkeren Zusammenhang des Ganzen erwachsen zu lassen.

Nun ist der Grundstein zu einem solchen Heim¬ wesen gelegt, gelegt unter den Klängen rauschender

Khnopff Fernand. « I lock my door upon myself ».

ernst die alten Frauenthürme herein, während auch der modernste Mensch die unübertreffliche Verkehrslage des Platzes als solche anerkennen muss.

So ist die Stätte beschaffen, wo am 3. Juli unter blauem Himmel und wehenden Wolken die Grundstein¬ legung sich vollzog und mit ihr ein Gedanke zum Ab¬ schluss kam , der auch eine wechselreiche Geschichte hat. Die Schöpfung eines Künstlerheims in München ist ja ein alter Wunsch, so alt als die ganze Vor¬ geschichte der Genossenschaft. Die engen Trinkstuben beim «Stubenvoll» und beim «Schafroth» waren schon die Vorläufer eines solchen Heimwesens; und mancher zündende Gedanke sprang aus jenen räucherigen Stuben hervor. Dass späterhin, als die Genossenschaft das

Musik, unter der erhebenden Antheilnahme des bayer¬ ischen Herrscherhauses und der Münchener Bevölkerung.

Die Münchener Damen hatten dazu ein prächtiges Banner an die Genossenschaft geschenkt, eine bayer¬ ische Prinzessin heftete mit eigener Hand ein kunst¬ voll gesticktes Band an dasselbe, als es unmittelbar vor der Grundsteinlegung der Künstler-Genossenschaft über¬ geben ward.

Wirkungsvoller aber als die Klänge der Musik waren die Worte, mit welchen der Vorsitzende der Künstlerhaus-Baukommission. F. v. Miller, den Künstlern aller Parteirichtungen den Dank für ihre Mithilfe aus¬ sprach und den Wunsch, dass das künftige Künstler¬ haus ein Tempel des Friedens sein möge, ein Heim für

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

k tlcr. welche auf seinem neutralen Boden sich \ . r tthen lernen sollen.

1 der Wunsch von ganz München, der ver-

= •• . h >us diesen Worten klang.

Idr ahniieher Gedanke spricht auch aus den Worten r r;;;nnidir im Grundstein eingemauerten Urkunde:

L 1 laus soll allen Künstlern Münchens , wie immer •V: j, ■- i^-;en \'erkehr oder zu künstlerischem Schaffen ihr?/ eigenen Wege sonst gehen mögen, ein Sammel- ; .:nkt >ein . ein Mittelpunkt für Frohsinn, Rath und -tc That ....

Qu‘>d deus bene vertat!

Nach der Grundsteinlegung verfügte sich eine De- {■utation der Genossenschaft nach dem Rathhause, um den leitenden Behörden Münchens eine Adresse zu über¬ reichen . bei welcher Gelegenheit das Stadtoberhaupt dankend die Verdienste der Genossenschaft um die Stadt hervorhob.

Der .\bend vereinte sodann die Genossenschaft und ihre I'reunde in den prächtig geschmückten Räumen des .Salvatorkellers. Kellerfeste sind seit Jahrzehnten eine Spezialität Münchens ; das Fest der Genossenschaft vom .Abend des 3. Juli aber zeichnete sich vor früheren Keller¬ festen durch eine künstlerische Verfeinerung aus, w'elche wohl nicht ohne Einfluss auf künftige derartige Feste bleiben wird. Es war der Genossenschaft offenbar da¬ rum zu thun, zu zeigen, wie durch ein Zusammenwirken aller Künste auch ein Raum , in welchem oft genug ungezügeltes Volksthum breitspurig sich regte, zu einem heiteren Tempel des Schönen und Edlen umgeschaffen werden kann. Der Keller als solcher war wohl ge¬ blieben; aber er war zum Märchenkeller geworden, zu einem uralten zertrümmerten Felsengewölbe, von Wald¬ fichten umrauscht, in welchem Waldkobolde, Keller- gespenster und Kunstmusen ein allegorisches Festspiel aufführten. Das Eindringen der Künste in das lichtlose Kellerdunkel des Menschendaseins war der Sinn dieses .Spiels, an dessen Schluss als lieber Festga.st das Münchener Kindl erschien, als Ausdruck der innigen ,\nthcilnahme der .Stadt München am Feste. Im weiteren Verlauf des Abends kam noch eine launige musikalische Szene zur Ausführung, welche darstellte, wie in eine durch die Drangsale der Zeit beängstigte Rathsver- ^ammlung der Humor als Schalksnarr einfällt. Er lehrt, da.ss Alles, was den Menschen ärgert, in einen grossen Wurstkessel geworfen werden muss und lä.sst schliesslich

das etwa 50 Meter lange Ergebnis dieser Gleichmuths- philosophie auf den Schultern ritterlicher Männer durch den Saal tragen. In diesem befand sich übrigens , um noch nach andrer Seite hin an den Ernst der Zeiten zu erinnern, auch eine kleine zur Verloosung bereit ge¬ stellte und sehr hübsch arrangirte Bilderausstellung ohne Jury und ohne Diflerenzen, während in einer Bude Krüge und andere kleine Andenken, von vornehmsten Künstler¬ händen mit malerischem Schmuck versehen, zum Ver¬ kaufe bereit standen. Gesangs- und andere Vorträge wechselten , während über dem Keller ein rasches Ge¬ witter sich entlud , das aber bald wieder einer zauber¬ schönen Mondnacht wich, durch welche spät nach Mitter¬ nacht die Gäste zur Stadt heimkehren konnten.

Eine selbständige , aber doch in den Rahmen der ganzen Festtage passende Feier bildete am nächsten Morgen die Enthüllung des Denkmals für Moritz von Schwind. Auf stiller Insel, umrauscht von den beiden hier sich vereinenden Armen der Isar, überwölbt vom Laubdach alter Ulmen und Pappeln steht das eherne Denkmal des Meisters, der wie kein Zweiter mehr die Seele des Märchens und der Sage verstand. Es mag bedeutungsvoll erscheinen, dass gerade sein Gedächtnis in diesen Tagen so lebendig ward; das Gedächtnis eines Künstlers, der keiner künstlerischen Strömung oder Partei angehörte, der nur, getragen vom Fittich seines Genius, für sich seine Wege ging, die ihn dennoch zu den höch.sten Zielen der Kunst führten.

Einfaeh und würdevoll war die Feier, eingeleitet durch Dr. Naue, den treuen Freund und Schüler des Unvergesslichen; warm und verständnisvoll die Worte, mit welchen Bürgermeister Brunner Namens der Stadt das Denkmal entgegennahm, indem er betonte, wie ge¬ rade für einen Künstler von Schwind’s Eigenart München als Heimatboden sich eignen musste.

Am 4. Juli Nachmittags folgte dann als Krönung der Feste die Sommerfeier am Starnberger See: eines der idealsten Feste wohl von allen, die jemals gefeiert wurden ; in München kaum jemals übertroffen, erreicht vielleicht nur von dem unvergessenen Fest auf der Rottmannshöhe, welches noch heute, nach fünfund- dreissig Jahren, als lichte Erinnerung in seinen Theil- nehmern lebt. Welch’ eine Fülle von künstlerischer Ent¬ wickelung liegt zwischen diesen beiden Festen; welche glänzende Gestalten steigen vor uns auf, wenn wir jenes ersten gedenken ! Die damals gross und bedeutend

ßaechusfest zur Zeit der Christenvertolgung unter Neru.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Giuseppe Zanetti-Miti. Abend am Kanal von Burano.

waren, sind zu den Todten gegangen; ihre Nachfolger aber rangen und kämpften um das geistige und künst¬ lerische Erbe, und werden fortringen. Um wie viel hastiger, um wie viel ferner von harmlosem Lebens¬ genuss ist heute die Zeit! Und dennoch verträgt das Fest vom Juli des Jahres 1893 den Vergleich mit dem Tage auf der Rottmannshöhe.

Liegt es in der lichten Sonnenpracht, die dem Tage von Feldafing denselben Zauber lieh, wie dem Tag der Rottmannshöhe? Vielleicht. War es auf der Rottmanns¬ höhe vor fünfunddreissig Jahren der weite Ausblick auf den Kranz des Hochgebirgs und der Harzduft des Berg¬ waldes, was von vornherein berauschend wirkte, so war’s diesmal das Wellengeplätscher am Strande und das ent¬ zückende Landschaftsbild, welches der See in seiner Umrahmung durch prächtigen Buchenwald, mit der duft- umschleierten Benediktenwand im Hintergründe bot.

Da, wo einst König Max II. seinen Sommerpalast zu erbauen gedachte , dessen Grundmauern noch unter dem Rasen liegen, war der Festplatz: auf dem Grabe eines Königsgedankens. Architekt Seidl hatte eine luftige grünende Festhalle hingezaubert, einen thurm¬

gleich aufragenden Mittelbau mit Seitenflügeln und Eckpavillons. Vergoldete Obelisken mit Hirschköpfen standen davor; eine kurze freitreppenartige Strasse, von guirlandengeschmückten Bronzepfeilern gesäumt, führte hinab zum Landungsplätze. Lhid ringsumher das üppigste, reichste Sommergrün. Gegen fünftausend Festgäste, darunter die Elite der Münchener Bevölkerung, waren hier versammelt, als um vier Uhr Nachmittags die Galeere heranschoss, welche den Prinzregenten und sein Gefolge trug.

Dann begann das Fest. In athemloser Stille standen die Tausende, als unter den Klängen hallender Fanfaren, einem lebendig gewordenen Märchen gleich, ein Felseneiland heranschwamm, eine luftige Grotte, gezogen von einem gigantischen glotzäugigen See- Ungethüm, belebt von den Gestalten Böcklin’scher Wassergeister, umrankt von Korallen. Auf der Höhe dieses Eilandes stand der Seegeist mit wallendem Weissbart und rief der Versammlung seinen poetischen Gruss herüber, während unter ihm Frösche, Pfahlbauern, mähnige Tritonen und schuppenbedeckte Nereiden fröh¬ lich im Wasser plätscherten.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

! ^ schlos.-^ mit einem Hoch aut Kunst

! K n '’cr: vlann wandte das Seeungeheuer, das die ' / . -Tli lang.^am wieder seewärts und schwamm

' --n-;! und prustend mit seinem seltsamen Fahr-

d. .-'11. \’on der Roseninsel aber, die im vollen gerade gegenüber dem Festplatze liegt

r man eine weisse . goldgeschmückte Galeere mit .-r. Tficni Purpursegel daher. Auf dem Hinterdecke

mit goldenem Szepter den Lauf des Fahrzeuges '■ ‘- nd. die Rosenkönigin , ihr zu P'üssen aber sassen 11 -lemselben ein halbes flundert Gespielinnen, in luftigen bunten Sommergewändern, mit Fächern und Flumen. Entzückend klang, von rauschenden Harfen- tonen begleitet, ihr Chorgesang über den See her, wahrend Schift'knechte in altvenetianischer Tracht die gewaltigen Ruder schwangen. Das Fahrzeug landete

und die Rosenmädchen zogen, Blumen unter die Zu¬ schauer werfend, nach dem Festplatze hinauf, um den Prinzessinnen einen Korb mit Blumen zu bringen.

Das Pintzücken der Versammlung fand kein Ende mehr, als später noch vom nahen Walde her Wald- mei-'ter gezogen kam , auf einem von zwei Einhörnern gezogenen Wagen, begleitet von einem bunten Gefolge von Kindern, die als Schmetterlinge, Käfer, Schnecken und sonstiges Waldgethier erschienen. Diese elfenhaften Gestalten auf grüner Waldwiese spielen zu sehen, war ein geradezu berückend schöner Anblick. Der feier¬

lichste Augenblick aber war’s wohl , als das Schiff mit den Rosenmädchen im letzten Glanz der Abendsonne wieder in den See hinauszog, singend und verklingend. Da wehten tausend Tücher grüssend in der Luft war’s doch jedem der Zurückbleibenden, als zögen jene hinaus, hinüber nach dem Lande ewiger Jugend und ewiger Schönheit.

Endlich, als es Nacht ward, strahlte der See von sprühenden, zischenden Lichtern ; noch einmal erschien flammenumlodert das Felseneiland des Seegeistes und unter rauschender Musik zog man hinauf zu den wartenden Bahnzügen.

So verging der Tag von Feldafing. Ist auch heute der Festjubel schon lange verbraust; Dauerndes ist doch geblieben. Dieses Dauernde ist nicht allein die holde Erinnerung im Herzen aller Theilnehmer; es ist auch die dankbare Stimmung der Münchener für ihre Künstler, die ihnen solche Feste bieten; es ist endlich eine sittliche und ästhetische Hebung des Genusslebens. Eine Ge¬ sellschaft, die an solch’ reinen Genüssen sich so erfreut und begeistert, wie es hier geschah: sie steht hoch über allem Tingeltangelspass und Jahrmarktsklimbim. Und dass diese Gesellschaft nicht blos ein kleines Häuflein geistiger Aristokratie war, sondern aus Tausenden be¬ stand: das zeigt, in welchem Grade die Münchener Künstlerschaft das Leben ihrer Stadt zu adeln Ver¬ standen hat.

Die Münchener Ausstellungen

VON

CORNELIUS GURLITT.

i.

IM GLASPALAST.

Es gehört zu meinen berufsmässigen Vergnügungen, in alten Ausstellungsberichten herumzustöbern. Man lernt da sehr viel ; nämlich vor Allem Bescheidenheit im Urtheil ; und das ist wohl die Eigen¬ schaft, die den Kritiker am meisten ziert. Bescheidenheit im Urtheil, weil man mit einiger Sicherheit aus den Berichten tüchtiger älterer Kenner und deren Hin¬ fälligkeit neueren Anschauungen gegenüber herauslesen kann , das eigene Urtheil werde doch wohl auch in zehn, zwanzig Jahren von der Zeit umgestossen werden. Und dann geht beim Lesen solcher alter Berichte eine Flucht von Namen einst Gefeierter an unserem Gedächtniss vorbei: Mein Gott, ja ich erinnere mich noch . . . . der, der .... Seine Werke machten damals grosses Aufsehen . . . Lebt er noch 1 ^

Ja, er lebt, er malt Bilder, die ganz oder doch fast ganz so gut sind, wie die seiner «Blüthezeit», aber das Urtheil hat sich geändert; die Welt hat sich verrückt; nur er blieb stehen; will oder kann nicht mit im Wandel der Dinge!

Und warum stellt er nicht aus ?

Seine Bilder werden seit Jahren regelmässig ab¬ gewiesen; sie gefallen nicht mehr; sie sind altmodisch, oder wie es jetzt heisst, überholt. Es geht ihm schlecht, dem armen Hascher! Wäre er nicht Zeichenlehrer geworden , hielte er nicht eine « Akademie » , er hätte nichts zu leben. Denn, wer in Deutschland kein Brod

in seinem Gewerbe findet, hält es für seine heiligste Pflicht, in dies uneinträgliche Gewerbe möglichst viele Andere einzuführen. Anderen zu lehren, was er nicht kann.

Wohl dem , der noch den guten Muth früher Jugend hat; der freut sich sorglos des grossen Fort¬ schrittes der Kunst! Die Sache scheint so einfach! Früher galt das oder jenes Kunstwerk noch für etwas Besonderes, jetzt ist es längst vom Neuen in den Schatten gestellt. Man belächelt es höchstens als eine «Vorstufe» unseres Könnens. Also sind wir doch unzweifelhaft jetzt viel, viel weiter, als man früher war!

Im Glaspalast hängen zwei Bilder, die mich zum Vergleich besonders anregten, obgleich sie kaum ver¬ gleichbar sind. Das eine ist vielleicht die grossartigste Schöpfung unter allen in München ausgestellten , das andere, ein braves Bild, welches sich jedoch mancherlei Missachtung wird gefallen lassen müssen. Ich meine Arnold Böcklin’s «Pieta» und Cölestin Medovic’s « Bacchusfest zur Zeit der Christenverfolgung unter Nero ». Ich versetze mich etwa zehn , fünfzehn Jahre zurück und denke nur, wie da wohl über diese Bilder geurtheilt worden wäre. Von Böcklin’s Werk ist das leicht festzu¬ stellen : Es hing in Wien auf einer der internationalen Ausstellungen über einer Thüre, nachdem es dicht daran gewesen war, zurückgewiesen zu werden. Und warum auch nicht! Grobe Verzeichnungen, unschöne Kom¬ position, gänzlich planlose Farbengebung: Es gab unter

DIE KUNST UNSERER ZEI'!'.

ri! w icv.nlcr den Kunstfreunden sehr wenige, r. M ern--i zu nelinien vermochten; es waren - c i; ,-Lii Kritiker und die neidischen Aka- , ; ' c - .in'ach für >x\-errückt» erklärten; sondern \ . d e ein Kunsturtheil besassen , waren sich

. r' ■-lass wohl ein gewisser Reiz im Ton liege, - -- rs .-'.ber mit einem Mann zu thun habe, der

1 :'.'.\:- l. r über die Welt lustig machen will oder

. :u;t si('h selbst nicht im Klaren ist, um die ' ' n-'M auszudrücken!

bdd. welches wir t.t >" hoch stellen,

- iiien j-. uer Zeit unter !< r t-iieiche des allgemei- n- n K.^nnens zu stehen.

W arc also das Steigen oder .Sinken der Kunst so eiiüach festzustellen, so er:-,ab'-- sich hieraus der .'•krhiuss. dass wir uns g -waltig im Rückgänge befinden : Was vor zehn Jahren kaum werth war, in die Ausstellung aufge- ii'immen zu werden, ist jetzt deren Stolz. Diese Eolgcrung ist unanfecht¬ bar. wenn man nicht ein- fa< h erklärt, damals ver- -■tand man eben nichts V'-.n Kunst, wenn man die Ri> liter von damals nicht für be-^tochen erklärt, be- st'K hen durch falsche An- ''chauung. Aber welcher Mann , der über seine Na.^enspitze hinweg zu sehen gelernt hat, glaubt wohl, <.la'> wir mehr verstellen; dass wir minder bestochen ■■ind; (Ia-.s bei unseren Anscliauungen die Welt ein für allemal stehen bleiben werde; dass unsere Söhne gläubig der \’afcr Weisheit als eine unantastbare hinnehmen und nicht iibcr uns lachen werden, wie es junge W'eisheit ^tets über alte thutlr

Und .Mcdovicl Man erzählt sich in der Ausstellung ^elir jaikante Dinge über ihn: IT ist Mönch, er geht vr*n der Clausur aus in die Münchner Akademie und

kehrt von dort in die Clausur zurück , er liest täglich seine Messe und dies ist sein erstes Bild: Eine helle, klassische Architektur, ein Kreis alter Römer, ein Bacchanal von grausamer Sinnlichkeit: Welch eine Gelegenheit zu geistreichen Bemerkungen, welch reicher Anlass an den eigenen geschichtlichen Kenntnissen die des Malers zu prüfen, ihm Fehler oder Richtigkeiten nachzuweisen , welcher Prüfstein des Geistes der Zeit : Der Mönch vor weiblichen Modellen , der asketische

Christ gegenüber dem verfallenden Heidenthum : Wenn Fr. v. Vischer vom Kunstwerk forderte , dass es nicht nur ein Stück Welt sei, sondern sich auf grossem geschicht¬ lichen Hintergrund auf¬ baue ; und wenn er weiter verlangte, dass das Werk ein Zeugniss des geistigen Ringens des Schöpfers, ein Stück seines Lebens sei ; Wie ausserordentlich musste da das Bild die ältere Kritik fesseln, - zu¬ mal es so brav gemalt und so tüchtig gezeichnet ist, dass es vor Jahrzehnten als realistisch entschieden Aufsehen gemacht hätte.

Und heute! Ich habe lange vor dem Bilde ge¬ standen, nicht so sehr des Bildes wegen, als um mich des Eindruckes klar zu werden , den es auf die Ausstellungsbesucher macht. Sie sehen in den Katalog, hier wie bei vielen anderen Bildern , lesen den Namen, schauen auf die Leinwand, fast mehr in der Absicht zu prüfen, ob die Angaben des Kataloges auch stimmen; ein rascher Blick und sie gehen vorbei. Da werden umsonst nackte Christenmädchen an den Haaren ge¬ zerrt und Märtyrern Köpfe abgeschlagen, so dass das Blut über die Marmorstufen hinabrinnt: Es schaudert keinem mehr. Die Welt hat das Gruseln verlernt. Lasst auf Euren Bildern den Nero Rom niederbrennen.

Yinceii7.o C^piilc [)irix.

Copyri^lit 1303 by Frauz Haut'staengl.

Phot. F. Hanfstaenjl, Münche»

Rast

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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lasst ihn Fackeln aus Christen¬ leibern bilden, wir regen uns darob nicht auf! Lasst, wie auf Roy bet ’s Riesen- bilde, Karl den Kühnen mit seinen Schaaren in den Dom vonNesles mordend einreiten :

Man bewundert die Grösse der Leinwand, man ärgert sich über die Schwärze des Gesammttones, man wundert sich darüber, dass in Paris ein solches Werk des Fleisses mehr als des Geistes die höchste Auszeichnung erhal¬ ten konnte, und man geht vorbei. Kein Mensch denkt mehr daran, dass durch Dar¬ stellungen des Huss oder Luther, des Calvin oder Zwingli eine protestantische Kunst geschaffen werden können, oder dass eine liberale Kunst entstehe, wenn Kaulbach die Katholiken mit ihrem Peter von Arbues ärgert ; kein Mensch wenigstens keiner, der die Kunst nicht vom Standpunkt der kirch¬ lichen Partei betrachtet, hofft noch von der Nach¬ ahmung des Fiesoie oder Martin Schongauer einen Sieg des Glaubens auf der Leinwand zu erfechten vor¬ bei! vorbei!

Das Blut rinnt auf Medovic’s Bilde in starkem Strom über die Marmorstufen. Wie lang ist es her , dass Regnauld bei seiner « Hinrichtung zu Granada » zuerst dies Motiv benützte.? Vor zwanzig Jahren stritt man bitter über seine Berechtigung, ob so weit gehender Realismus «dieser coloristische Excess ungeheuerlicher Art» erlaubt sei. Jetzt macht dieser Strom niemand mehr erzittern! Sind wir etwa roher geworden ? Hat die Lust, mit den Schmerzen unserer Mitmenschen theilnahmslos zu spielen, zugenommen? Gewiss nicht. Die grausame Freude am Zerstören des Schönen, der in die Kunst übertragene Cäsaren-Wahnsinn, er gehört einer vergangenen Zeit an, er ist das Ende der Romantik. Die Schauerdramen sind von der Bühne gestossen und die Schauerbilder sind ihnen in den Abgrund gefolgt. Man wälzt nicht mehr die Geschichtsbücher, um ein recht erschrecklich packendes Unglück zu finden , man ist im weiten Ge¬

biete der Kunst sparsamer mit Dolch und Gift gewor¬ den. Man sucht das Verbrechen in der eigenen Zeit, wenn es einmal gilt , durch die Kunst zu erschüttern ; es ist nicht mehr zeitgemäss, sentimental einem in fremden, besseren Zeiten und Welten erträumten Glück nachzu¬ streben, sondern man sucht für das Kommen des Heiles in dieser Welt einzutreten, wenigstens eines möglichst grossen Glückes für möglichst Viele.

In der Mehrzahl der Kritiken , welche über die Ausstellungen geschrieben werden , finde ich Hohn auf jene geschüttet, welche vor zehn, zwanzig Jahren noch nicht dachten , wie wir es heute thun , denen Medovic näher steht als Böcklin. So « modern » zu sein wird mir schwer. Ich bin nun doch schon alt genug, um ein ziemlich schweres kritisches Gepäck mit mir herumzu¬ tragen , wenn ich gleich des Unbrauchbaren mich so schnell als möglich zu erledigen suche. Ich muss immer fürchten, dass ein Bösewicht auch meinen Kritiken nach¬ geht und mir zuruft: «Jetzt habe ich dich, Bürschchen? Anno so und so viel hast du Defregger für einen grossen Künstler erklärt! Und du bildest dir ein, modern zu sein ? »

Reumüthiges Bekenntnis mildert die Strafe: Ich fand da in der grossen Ausstellung ein ganz kleines Bild. Es war nicht mit einem Namen gezeichnet, son¬ dern mit einem Monogramm, einem Sporn: Mein Wort

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

CotI Becker. Lootsenboot.

! rauf cs giebt noch einen Maler, der, wie die Leute um I ;oo, mit einem Monogramm zeichnet! Das Bild war V-- '1 blauer Düfte», ganz altmodisch im Ton, ganz alt¬ modisch im Gegenstände; ja sogar altmodisch in den Kleidern der Dargestellten, im ganzen malerischen Ge¬ danken. Und als ich das Bild im Kreise jüngerer Maler lobte, wurde mir gründlich der Kopf zurecht gesetzt; Da- ist im besten Falle ein Spitzweg zweiter Auflage- Aber ich hatte nun einmal meine Freude an Philipp Sporrcr s Bildern und ich kann’s nicht ändern, dass cs so ist!

Die jüngeren Kampfgenossen, welche gleich mir mit der I'cdcr für das Lebensrecht der modernen Kunst cintreten, mögen mir meine Schwäche und den Mangel an Zunftgeist verzeihen. Ich habe mit dem Alten nicht gebrochen, ich kann mich noch an Franz von De- fregger namentlich an seinen kleineren Genrebildern redlich begeistern. Zwar nicht mehr ganz so, wie vor Jahren. Immer dasselbe Gericht ermüdet. Aber darum braucht das Gericht nicht schlecht zu sein. Es ist mein persönliches Mi.s.sgeschick , wenn ich so viel davon in mich aufnahm , dass ich die alte P'reude an der trotz alledem gesunden Kost nicht mehr habe. Ich weiss es wohl, dass diese Bilder einen bestimmten einseitigen Ton haben, dass sich in ihnen nur ein Theil des Volkslebens der Alpen abspielt, dass sie keineswegs so sehr aus dem Vollen geschöpft sind, wie wir Alle einst glaubten. Aber ich bin sicher, dass Defregger seinen Platz in der Kunst¬ geschichte behält, ja, dass er nach Jahren wieder au.s- gegraben werden müsste, wenn es dahin kommen sollte.

dass man ihn vergessen könnte. Nicht die grosse Menge seiner Nachahmer und nur wenige seiner Mitstrebenden werden sich neben ihm halten ; man wird den besonderen Geist unserer Zeit in den lachenden Diernd'ln erkennen, wie etwa jenen einer hundert Jahre jüngeren Zeit in Greuze’s Gestalten ; man wird Defregger nicht mehr als malenden Tyroler Bauern, sondern als vornehmen Mann erkennen, der nun einmal seine Freude an wohlerzogenen Pusterthalern hat; man wird aus den Köpfen seiner Burschen nicht das Tyrol, sondern das München von 1870 oder 1890 studiren ; man wird in seinen Werken nicht das Streben nach Veredelung in Tyrol erkennen, sondern das Streben nach Vereinfachung in der Gegend zwischen Maximilianeum und neuer Pinakothek ; aber sie wird ihren Werth behalten, diese Kunst.

Wer der Besten seiner Zeit genügt, der hat genug gethan für alle Zeiten. Trifft auf Defregger, trifft auf seine Kunstgenossen dieser Spruch zu.^ Für den, der sich selbst ohne Weiteres für den Besten hält, und daher den Ruhm, für alle Zeiten genügt zu haben, von dem Erwecken persönlichen Behagens abhängig macht, wird die P'rage nicht so leicht lösbar sein. Für manchen Anderen und auch für mich nicht so schnell. Ich sehe

J. Huber- Feldkirch. De profundis.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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da viel Bilder, welche Defregger nahe stehen; Adolf Eberle bringt ein «beneidetes Mittagessen». Viel Maler giebt’s in München, welche gleich den von ihm gemalten Hunden auf den wohlbestellten Tisch des Künstlers schauen. Und sehr viele mehr Gute giebt’s im deutschen Volk, welchen er völlig genügt.

Edmund Har bürg er ist durch die «Fliegenden Blätter» der grossen Menge des Volkes ein Freund ge¬ worden : Sein Bildchen, die beiden Rüpel am Biertische, fein beobachtet koloristisch abgestimmt bilden in sich ein ruhig geschlossenes Ganze. August Dieffen- bacher mit seinem koloristisch wohlstudirten und kraft¬ vollen Bilde «Verstossen » wirkt auf uns wie ein Roman von Berthold Auerbach oder H. Th. von Schmid ja sogar männlicher und entschiedener als diese. Und haben sie nicht den Besten ihrer Zeit genügt? K. Raupp hat in seinem Bilde « In Gottes Hand » einen Ton an¬ geschlagen, der viele Herzen mitschwingen macht. Und zahlreiche andere Künstler, an deren Werken jetzt die Kritik stumm oder ablehnend vorbeigeht, liefern der Menge des Volkes die mit dem grössten Danke an¬ genommene Kunstkost.

Fragt die Kunsthändler, nicht jene, welche theuere Kunstwerke ausstellen, sondern die, w'elche mit billigen Reproduktionen handeln, was auf dem Markte « gehe » ! So ein Bursch, wie der, welchen Ernst Schmitz vor uns auf den Tisch setzt; der fröhliche Becherklang beim Anstossen mit des «Bergwirths Töcherlein» wie es

Emil Rau schildert, leicht verständliche, um ihres Gegenstandes willen «ansprechende » Vorgänge aus dem Familienleben, wie jene von Theodor Schmidt, von Marie Simm- Mayer oder von A. Blunck, von L. von Flesch-Brunni ngen oder E. Brack, von J. Altheimer oder A. Egger-Lienz das und vieles Andere ist es, was der Photograph aufsucht, was die illustrirten Zeitungen mit Vorliebe wiedergeben, weil es die Menge von ihnen fordert: Freilich nur jene Zeitungen , welchen das Schmeicheln der Menge das höchste Ziel und Aufgabe der Redaktion ist, nicht das Blatt zu leiten , sondern sich vom Besteller leiten zu lassen. Das was den modernen Künstler an solchen Bildern interessirt, dass z. B. Egger-Lienz in der Frische der farbigen Beobachtung die neben ihm Genannten alle übertrifft das sehen Jene nicht, das ist ihnen auch ziemlich gleichgültig. Sie haben auch nicht wie wir armen Kritiker schon tausende von fröhlichen und trau¬ rigen «Bub’n» und «Dirndln» gesehen, wohl hundert mal so viele im Bild als im Leben, uns schmeckt daher die Kost früher ab als den Andern : Sind wir darum jene «Besten», denen zunächst die' Kunst genug zu thun hat?

Freilich: Der rechte Prüfstein ist das Aufsteigen, nicht das Verharren in der Gunst der fliehenden Zeiten. Böcklin ist ein Beweis hierfür. Es ist so viel über ihn geschrieben in letzter Zeit! Und doch ist die Menge lange noch nicht von seiner Grösse überzeugt. Ich bin

Carl Bennnvitz von Loefen jtin. Die Geigenbauschule in Mittenwald.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

^ Laien ,

-Ln .Malern darauf- ; r, worden, das.-^

_ .r’tla^d habe an der f: \‘ r - hw.irung der Lit- -■ r Welt das Verrückte . .;Lcln\ atzen zu wollen.

■t l'.r !)ra\ e und kunst- ! - Ute. welche Höcklin s ii'.erklarlichen Ruhm als ii I einer riesigen Re-

1. iV: ansehen. Eines Tages w rrden sie mit Hinterlassung - ' argen Geruches zusammen-

'•rech.en. L’nd, von jenen fest¬ genagelt. habe ich ihnen auch rceht geben müssen. Was hat 'i-'h denn geändert, dass die .M linciiener Kunstgenossenschaft •letzt JLjcklin so ehrt; warum lud -.ie einen Maler, wie den I'mglander Watts, ein, dessen Bilder noch vor zwei Jahren auf der internationalen Ausstellung zu Berlin mit mitleidigem Lächeln betrachtet wurden und von denen heute noch ein her\orragender älterer Kritiker sagt, sie seien zuweilen genial und öfter barock Wie kommt es, dass Andere jetzt in ihm einen der grössten Künstler unseres Jahrhunderts erkennen.'

Zureden hilft! sagt das alte Sprichwort. Die \\ clt wurde nicht weiser und die Menschen sind im Grunde dieselben ge¬ blieben. Aber es hat -ich etwas vollzogen, was die Mystiker und freiehrten Suggestion nennen. Man lese Max Xordau’s Buch « Ent¬ artung >. Es ist sehr lehrreich , weil es so ziemlich das geistes- hwäch-te Werk ist. das mir seit langer Zeit unter die Hand kam.

Herr Xordau versteht der Welt Lauf nicht.

Das kommt ia bei

mancherlei Leuten vor. Er hält ihn daher, wie das eben ältere Damen beiderlei Geschlechts thun, für falsch, oder, weil er Mediziner ist, für krankhaft; wäre er Theologe , so würde er ihn für gottlos halten; wäre er Philosoph, für unlogisch. Er sieht da einen Menschen, welcher einen neuen, ihm unbegreiflichen Ton im Geistesleben anschlägt. Er wühlt, als fleissiger Gelehrter, mit Eifer in den Verzeichnissen aller guten Töne nach und findet dort diesen neuen nicht. Also passt er nicht in die Welt¬ ordnung , besteht er für ihn nicht zu Recht. Und nun belfert er nach Kräften gegen ihn und hat dazu in der weiten Welt unendlich viele Genossen. Aber so sehr er klagt und schreit, der Ton sei ordnungs¬ widrig, unlogisch, verwerflich der Ton klingt in die Welt ; er geht eben von einer starken Menschenbrust aus. Und jubelnd hören Viele die Kraft des Tones und werden geneigt, ihn in seiner Stärke für schön zu halten. Endlich ein Löwe zwischen den Schakalen , sagt ihnen ihr Gefühl. Und was die Kleinen auch bellen und zirpen , der Herrenton siegt. Äs brauchen gar nicht junge Löwen zu sein , um ihn zu verstehen, es können

ebenso dumme Kerls sein, wie die Anderen, welche sich auf den vorhergehenden, weit klingenden Ton einge¬ schworen hatten. Aber sie sind Andere , sie sind suggerirt, sie stehen unter dem Einfluss der neuen Kraft, sie ver¬ stehen die Alten nicht mehr, die sie nun überwunden zu haben glauben, indem sie dem neuen Herrn dienstbar wurden. Und nun stehen

'ndern

»--TS

Aristide Sarlorio Lektüre.

Giuseppe de Sauctis. Zu Dreien,

L. Alnia-T:ideina pinx.

Portrait des Herrn E.

A. Waterlow

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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die Nordau’s und Consorten weinend am Weg und jammern, dass die Welt von falschen Propheten ver¬ rückt worden sei ! Und die «junge Schule » begreift die Thorheit ihrer Altvordern nicht mehr, welche nicht auch schön fand, was sie begeistert.

Böcklin gehört zu den grossen Tonangebern! Seine Pieta ist heute nicht schöner wie vor zehn Jahren, die Menschen sind inzwischen nicht stärker an Kunst¬ sinn geworden, sie sind nur anders geworden, sie sind nur dem Herren¬ ton , der königlichen Sicherheit eines völlig selbständigen Meisters erlegen. Und darum ist Böcklin so gross, weil er die Menschen zwingt , ihn für gross zu halten; selbst die, welche die Schranken seiner Kunst deutlich erkennen. Es wirkt nicht das System , nicht die Logik, nicht die Schön¬ heit auf das Urtheil der von ihm Suggerirten ein, nein, er bildet sich nach seinem Willen eine neue Schönheit, ein neues System und eine neue Wahrheit, welche die ihr bestimmte Zeit hin¬ durch herrscht , dann mit dem älteren System verschmilzt und endlich von einer neuen Kraft begrenzt wird. Schön ist eben , was ein starker Mensch uns schön zu finden zwang; und wahr ist, was ein starker Mensch uns für wahr zu halten zwang. Die Kirche nennt solche Wahrheit Offenbarung. Es gibt auch künstlerische Offenbarungen !

Auch der Kritik ist in diesem unendlichen Um¬ gestalten des Schönheitsempfindens ihre Aufgabe zu¬ gewiesen. Solange man ein Kind ist, glaubt man der Mutter, wenn sie sagt, das und jenes Essen schmeckt gut. Man isst es mit Behagen, suggerirt von der Stärkeren.

Wenn man älter wird, lässt man sich leichter ein Gericht verekeln. Man ist kritisch, misstrauisch geworden. Es ist daher auch unendlich viel leichter, einem Menschen klar zu machen , dass das Bild , welches ihm bisher gefiel, nicht viel werth sei, als ihn dahin zu bringen, dass ihm bisher für hässlich Gehaltenes schön er¬ scheine. Er fürchtet hierbei vielmehr, seine Selbständig¬ keit zu opfern. Ich meine aber, ein braver Mann soll dort seine Arbeit suchen, wo hart Holz zu bohren ist. So theilte sich denn die Kritik in die Arbeit des Anpreisens und des Ver- ekelns. Und so kommt es, dass man mit einiger Sicherheit an der Lust zum Verreissen beim Kritiker, wie im ge¬ sprochenen Wort beim Künstler, die Kraft des Urtheils abwägen kann: Wer ernst an sich und seinem Verhältniss zur Gesammtkunst arbeitet, kommt zur vollen An¬ erkennung aller ernsten Bestrebungen ; wer ein Kind ist und bleibt, dem redet man leicht vor, eine Sache wäre besonders gut und er glaubt es in voller, schöner, wenigstens ihn beglückender Einseitigkeit I Und wer ein Greis ist oder vor der Zeit werden will, dem ist schnell alle Kunst abschmeckend, so dass er, sich selbst zum Ärger, keifend hinter der Göttin herläuft, die es ihm nie recht macht: Das sind die Leute, welche zumeist die Feder in der Hand haben, jene, welche das Getriebe der Welt und die Ermüdung bei der Ueberfülle des zu betrachtenden vor der Zeit alt machte 1

Jetzt ist ein neuer Zug in die Kunst gekommen, der der Mystik. Ich für meine Person gehöre nicht in ihren Kreis. Ich habe noch nie, nicht einmal auf einer

Gaetano Chierici. Das Festopfer.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

n 1- hne einen I lypnotisirten gesehen, ge- Seance beigewohnt. Es geschah dies Absiheii, sondern, um redlich Antwort zu I'iiu'heit und der unklaren Anschauung, dass . me’:: ubcrrill dabei zu sein brauche. Ich erinnere

; .i' er Sehr deutlich, als der Hypnotiseur Hansen

A ’i durchzog, der vielfachen Auseinandersetzungen . . -r ;T!ehrten und Ungelehrten: Man nannte damals : e. Kreft Schwindel : heute hat man ihr einen wissen-

-'h. hd.'lm-n Namen gegeben. Damals war ein Schwach- ::g: ucr an Hansens Kraft glaubte; heute ist ein .'U:wa<'hkopf , wer nicht an Hypnose glaubt. Man hat die Kraft wissenschaftlich erklärt, also ist sie da; und ist nach der Ansicht der Wissenschaft nicht mehr etwas Wunderbares. Begriffen hat sie meines Wissens n ich Niemand ; aber weil man sie beschrieb, glaubt man, ihrer Mx'Stik Herr geworden zu sein.

Die M>'stik in der Kunst regt zur Zeit noch Viele auf. Man lese z. R., was Nordau hierüber sagt, weil m Ul d- irt mit viel Wissen und in guter l'orm jene Ansichten \orgetragen findet . welche man aus jeduni braven, aber ;auf- yeklartcni .Spiessbürger bei einem Glase Wein, wenn auch mit wenig Wirsen und in schlcch- tcr>-r h'orm, herausholen kmiii : Also .Majoritäts- Weisheit. Da wird der gro^ ;c I lauptübelthätcr, der die .Mystik in unsere Zeit und namentlich in die bildende Kunst l'raclite , der englische Acsthetiker John Ruskin, angeklagt. Von ihm suggerirt waren die Brae- raffaeliten.

George Fred er.

Watt ., von dem eine ganze Reihe älterer und neuerer Bilder in der Ausstellung vereint sind, gelidrtc zwar jenem

Freundeskreise nicht unmittelbar an, der sich den Namen der Praeraffaeliten-Bruderschaft beilegte; aber er gehört dem Geiste nach zu ihm. Sein treffliches Bildniss des Hauptes der Bruderschaft, des Halb- Italieners Dante Gabriele Rossetti hängt ja jetzt als ein Beweis persönlicher Annäherung zwischen beiden Künstlern in München. Watts ist durchaus mystisch veranlagt 1 Man sehe aber dabei seine Büste, dieses Prachtwerk gesunden, wuchtigen Formgefühles. Man vergegenwärtige sich , dass der Greis jetzt an einer riesigen Reiterstatue arbeitet ; man mache sich also klar, dass er die reale Form in hohem Grade beherrscht. Es genügt ja hierzu, seine männlichen Portraits anzu¬ sehen, die an Kraft des Ausdrucks und einfacher Sicherheit des Wollens dem Grössten sich anreihen, was je geleistet wurde. Ein malerischer Athlet, der in Frauenbildnissen so zart zu sein vermag. Und nun vergleiche man seine allegorischen Bilder: Im Ton ge¬ halten, absichtlich auf Farbe verzichtend; im Umriss

weich , absichtlich ver¬ schwimmend; im Inhalt unklar, absichtlich däm¬ mernd. Da ist ein der nüchternen Aufklärerei und dem flachen Wissen¬ schaftlichkeits-Wahne unserer Zeit bewusst widersprechender Geist. Da ist ein Mensch, der sich gibt, wie er em¬ pfindet und von der Welt fordert, sie solle seinen Gedankenwegen folgen. Eine solche For¬ derung ist eine Frechheit oder eine Heldenthat, je nach dem Erfolg! Es fragt sich nun, sind Watts Bilder frech oder sind sie gross }

Eine I.andschaft nennt er Corsica : Eine graue Fläche mit ganz ge¬ ringen Schwankungen des Tones, die ver- muthen lassen, dass ein

A/ax Koner. Finanzminister Dr. Miquel.

DIE KUNST UNSERER ZEUr.

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Karl Hartmann. « Honny soit, qui mal y pense ».

Nebel und ein fernes Land jenseits der See dargestellt sein soll. Solche Bilder, die nur Stimmung sind, hat Watts seit Jahren viele geschaffen. Sie sind der Anfang zur Kunst Whistler’s. Und wer weiss, welchen Einfluss Whistler auf die moderne Gesammtkunst hatte, dem wird alsbald klar, dass hier ein mit eigenartiger Sehkraft und Sehensart ausgestatteter Mann die Welt in seine Bahnen zwang; dass hier an die That ein Erfolg sich knüpfte, wie er nur selten sich vollzieht. Da ist ächteste Suggestion, eine Zauberkraft, die sich von Einem zum Anderen fortpflanzt. Wäre nur Whistler mit einer Reihe seiner Bilder in München zur Stelle, damit ich den Beweis zu Ende führen könnte : So ein paar Tonflecke, welche er Symphonien nennt, so ein paar Bildnisse, die

so ganz einfach in der Farbe und so gross in der Haltung sind. Er würde das Mittelglied zu den Schotten darstellen, er ist es, der die von Watts ausgehende Kraft auf die Menge übertrug, vielleicht unbewusst, vielleicht gegen den eigenen Willen.

Von Whistler aber stammen die Schotten ab. Mit Staunen sieht man ihre Bilder auch wieder auf dieser Ausstellung durch: Da ist ein ganzer Saal voll trefflicher Arbeiten, die den hellsten Jubel bei Künstlern und Kritik erwecken. Und doch ist kaum Einer unter all den Malern , der in England wirklich einen Namen hat, ja nicht einmal in Schottland selbst haben sie sich geltend zu machen gewusst. Die¬ jenigen unter den Jüngeren in Glasgow und Edin¬ burgh, welche dort zu Ehren gelangten, fehlen fast ausnahmslos: Melville, Lavery, Walton, Austin Brown, Guthery, Henry Georges. Soll man nun wirklich an¬ nehmen, dass jenseits des Piktenwalles plötzlich die grossen Meister in hellen Haufen geboren werden ? Öder ist’s die Kraft des Sehens, des Empfindens, der Klärung der Sinne durch die Gewalt eines grossen Mannes, der ihnen allen die Hand löst und die Auf¬ merksamkeit schärft. Immer mischt sich da Fremdes in die überkommene Auffassung. In den 70 er und 80 er Jahren waren die Schotten viel in Paris gewesen, um die Stimmung erfassen zu lernen; noch heute sind Artz, Israels, Mesdag in jeder besseren Gemälde- Sammlung reichlich vertreten, die Tonvirtuosen aus der Schule des Scott Lander , der eigenartige Edin- burger Malerkreis, aus dem in Deutschland nur die nach London verzogenen Orchardson und Pettie be¬ kannt wurden AU’ diese bereiteten dort eine Kunst- blüthe vor. Ein Land, welches jetzt ohne eigene Ge¬ schichte ist, eine Stadt wie Glasgow, die im Kohlenruss und im Hämmern auf den Schiffwerften zu ersticken droht sie geben der Kunst Europas plötzlich einen Anstoss, nach einer bestimmten Richtung hinzuschwenken , sie machen, dass wir Whistler und Watts, die Anreger, verstehen und daher für schön zu halten lernen 1

Watts ist unter den Lebenden wohl die stärkste Künstlerkraft. Kein Franzose kommt ihm gleich: Mag der oder jener Bilder malen, welche mehr gefallen keiner wirkt so in die Tiefe und Breite. Nur Böcklin und Menzel stehen als Gleiche neben ihm. Alle drei sind, und das ist ihre Stärke, so sonderbar gestaltet, dass sie unnachahmlich sind. Sie hinterlassen keine

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

- in I ..-,r SchükT. Aber die Welt lernte

•: ’= rs selie-n. Was bisher schön war, wurde

u dur. ii sie bedingten Grade werthlos; was ' wurd;- zum .Maassstab der Schönheit. Einst,

" t und mehr Jahren, fand man an Rafael

u-etz- n; dann kam die Zeit, in der jener ' Ir* i'f -alt. der ein Wort des Zweifels dem

'■.[ r’ t-j c e^enüber auszusprechen wagte. Die Welt - .rirt durch die Antike und die Renaissance.

* s innt neuen Heiligen zuzuschwören. Und schon 't ui.an hier und da von ernsten Leuten Worte des / r"-' darüber, dass man Rafael zu sehr gehuldigt ' Beweise der bewussten Befreiung von seinem Ein- Und da soll es nicht ein kräftiges Wirken der .M\'-tik. des Unerklärlichen, in der Kunst geben, die so p' inlos, so ganz unter dem Einfluss geheimer Kräfte ihri-n \\’eg wandelt:

Worin liegt Böcklin's Grösse, der sich Alle Künstler h.-ugen .' Wenn ich die Reihe seiner Bilder durchsehe, so i-rinncre ich mich aller jeiier Witze, welche die verstän¬ digen Ikrlincr über sie machten und die alle berechtigt waren Warum macht das Böcklin so, warum hat nur die ld--ra die komische Stellung, warum trägt sie rothe huhe : Da, ist doch nicht nöthig, das ist doch eine \’crrucktheit, wenn es nicht die Sucht ist, aufzufallen. Icli weiss mich eines Beispieles zu erinnern, wo gerade di*^- \’or-.tcllung solcher rother Schuhe der Gegenstand dt.- G'.-spräches mit dem Künstler wurden. Der Besteller de- Bilde- bat sie zu andern, er drang in Böcklin, den witzigen Ecuten diesen Halt zu nehmen, an den sich ihr*- .'scherze festklammern würden. Böcklin blieb aber fe -t : Ich habe einmal I'räulein Grctchen H. mit solchen .'chulu-n auf der Wiese liegen gesehen. E)a ist gar nn ht- zu lachen dabei, das muss so sein!»

.Man kann nicht besser den Mann des k'indrucks -■ hildern. jene ächte Malerart, die nur mit den Sinnen denkt und nicht Bedenken versinnlicht. Watts erzählte cinm:d etwas Aehnliches: k'r malte einen kranken in cn .Mann und sah mit dem scharfen Blick des Por- (r *1' n. da dieser täglich kränker wurde. Und daraus wurde ,ein Ihld idebe und Tod / : Den schützenden l.n r' v,'-i.st die unerbittlich grosse Gestalt des Todes vtim rhr)rc des Lebens zurück. Und dem schloss sich m Liebe und Leben . der Engel der Liebe, der das .rme - liwai he. liilfcsuchende Leben über die I'elsen- hppc führt: oder die Hoffnung die, in blauen Duft

gebadet, verbundenen Auges auf der Weltkugel sitzt und in tiefster beglückter Hingabe dem leise ange¬ schlagenen Laut der letzten Saite ihrer Harfe horcht. Air diese Bilder sind voller Sinn, voller Gedanken, die wir aber so schwer verstehen, wohl weil wir in ihnen zunächst Gelehrsamkeit suchen. Ihr Inhalt ist im hohen Grade ein allegorischer : Er ist aber vor Allem die Darstellung einer inneren Vision, eines mystischen Eindruckes auf die Sinne. Dieselben Sachen hätten sich ja leicht für unsere Gebildeten viel verständlicher darstellen lassen : Der Tod als Knochenmann oder mit der umgedrehten F'ackel, die Liebe als Eros, die Hoff¬ nung als Spes. Aber es war ja nicht Watts Aufgabe, Mythologie zu malen. Er gab ein innerlich Erlebtes in körperlich sichtbarer Gestalt 1

Böcklin’s Grösse liegt auch darin, dass er innerlich Erlebtes uns vorführt und uns zwingt, sein Geistesleben mitzumachen. Ob das Geschaffene nun wahr oder er¬ dichtet ist, bleibt für ihn und auch für uns gleich. Der Eine lebt in der Beobachtung und sucht Realist zu werden, der Andere lebt der Phantasie und wird Phantast; der Dritte lebt gar nicht in einem eigenen Geiste: Er bleibt für alle Zeit Schüler, Nachahmer, Nachempflnder und nennt sich Idealist, weil er das zu erstrebende Ideal schon als ein Fertiges vor sich sieht. Die selbstständigen Künstler haben sich stets für Realisten gehalten und sind es auch stets gewesen.

Wunderbar verwandt zeigt sich durch alle Länder der mystisch angehauchte Jung- Idealismus. Auf Watts baut sich Burne-Jones auf, den in München nur ein paar Zeichnungen vertreten. Beweisen, dass dieser grosse Meister sehr eifrig die Natur studirt, so unnatürlich der Menge seine Bilder erscheinen mögen. Burne-Jones trug aber die engliche Kunst auf anderem Wege in die Weite: Ich möchte auf einige Künstler als auf seine Nachfolger hinweisen, die drei verschiedenen Nationen angehören: Auf den Brüsseler P'ernand Khnopff, auf den Pariser Carlos Schwabe und auf den Italiener Aristide S a r t o r i o.

Schwabe, von Haus aus wohl Deutscher, gehört in Paris der Künstlergesellschaft der « Rose croix » an, den Parteigängern des Sar Pelladin Merodack, des aller- verdrehtesten mystischen Schwärmers , von welchen Nordau nicht recht weiss, ob sie wirklich so geistes¬ schwach sind, als sie thun ; oder ob sie Schlauberger sind, welche sich heimlich über die Welt lustig machen,

Suiidtliansi-n juiix Cuiiy i'ijilit Is;}

DIE KUNST UNSERER ZEEl'.

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Gnillaume Romain Fouace. Stillleben.

wenn diese sie für ernst nimmt. Ich habe mit redlichem Bemühen des Sar’s Schriften gelesen, um mir ein Bild von ihm zu machen. Ich habe einen Mann in ihm ge¬ funden, der eine wühlende, ausschweifende Phantasie hat ; die Phantasie einer Dampfschraube , welche die Tiefen aufwirft und in spritzendem Gischt an das Tages¬ licht schleudert. Ich selbst besitze in mir keine Ader, gleiches zu leisten, keine Lust gleiches zu wollen, Ich würde auch auf die Dauer diesen Pathos nicht vertragen können. Aber ich habe den Muth , miir zu gestehen , dass die Welt auch anders sein darf, als ich es bin, dass auch das mich Befremdende Daseins¬ berechtigung hat. Und so kann ich mir sehr wohl denken, dass es eine grosse Ergötzung des Geistes ist, in den Räthseln der Welt herumzuwühlen und mit ihnen in geistreichen Worten Fangball zu spielen. Herr Hegel that dies in seiner transcendentalen Philo¬ sophie ohne dass etwas Greifbares dabei herauskam unter dem Beifall aller sich weise Dünkenden - Herr Pelladan , der kleiner ist als Hegel, thut es mit kühnen Bildern. Ich nehme ihn sehr ernst , wenn ich gleich nicht seinem Rosenkreuzler-Orden beitreten werde, wie ich jede selbstständige Geisteserzeugung ernst nehme: den Glauben der Wahehe oder eines anderen Nigger¬ stammes ebenso sehr wie meinen eigenen.

Und so soll man sich es denn nicht verdriessen lassen , einen Carlos Schwabe zu studieren. Freilich ist nur ein Blatt in Aquarell von ihm in München (in der Secession) aber es kann ein Bild von dem Künstler geben, der mir als ein kommender Mann erscheint. Da ist eine Vertiefung in die Seelen, eine Innigkeit, die wohl an Praeraffaelitenthum mahnt, aber mir ausser¬ ordentliche selbstständige Kraft zu haben scheint. Ebenso hat Khnopff mir einen tiefen Eindruck gemacht: Ein Mädchen, das träumend den Kopf auf den Tisch ge¬ stützt, in die Welt schaut. Ein Freund frug mich vor dem Bilde , was es denn eigentlich darstelle. Wir schlugen im Katalog nach . « I lock my door upon myself ! » heisst es dort. Ehrlich gestanden ich bin dadurch nicht klüger geworden. Ich verstehe die Ab¬ sicht des Künstlers nicht. Aber verstehe ich denn die Absicht des Künstlers, welcher die Venus von Milo schuf.^ Alle Jahre kommt eine neue Erklärung darüber heraus was sie soll und will und keine hat mir die Figur schöner erscheinen lassen, als sie nun einmal in ihrer das Verständnis hindernden BeziehuiiCTslosiskeit ist! Verstehe ich denn, was Tizian mit dem Bilde sagen wollte, welches man «Himmlische und Irdische Liebe» zu nennen sich gewöhnt hat! Und Hand auf’s Herz , ihr Idealisten : Würdet ihr die übermächtige

14

niE KUNST UNSERER ZEIT.

r. srn Air^eii und dem ganz über- K - \ jrst,-h--n. die auf W’ollcenballen wie ■; ’: i und die gctUigclte Kinderköpfe,

- . (^'en. umschwirren : würdet Ihr den

' \ , r c iiclaen .Mantel verstehen der seine

Ihi'.ken im Himmel absetzte, wenn - ; /. i '■.rRlcinhum. also den Gedankengang des

;; kL-nntcl, wenn das Wort, das freilich '• { -'esa-l zu werden braucht, euch das

r :■ ' tina nicht erklärte, dieses so ausserordentlich ; h: IHd:

\ auf der Ausstellung noch ein IMystiker ver-

Hin 'Eiiorop. Auch ihn verstehe ich nicht,

- habe ich die Erklärungen, Avelche den Bildern im 1 w' <'i. !.--h_cfügt sind, nicht gelesen. Weil ich so dem <'i..nzen nichts abzugewinnen weiss , urtheile ich nicht ^i.bi-r. \hellcicht sind sie sinnvoll, vielleicht Unsinn '• ii wei-- cs nicht! Das sechszehnjährige Fräulein,

welches neben mir in der Ausstellung stand, wusste es viel besser. Sie wird wohl klüger sein als ich, weil sie mehr auf ihre Klugheit vertraut. Sie Aveiss aber auch ganz genau, dass eine Krinoline zu tragen geschmacklos ist, Avährend sie A'ielleicht in fünf Jahren, Avenn sie die Krinoline erst trägt, ebenso genau Aveiss, dass es geschmacklos sei, ohne Krinoline einher zu gehen. Während ich leider schon zu oft erlebte, dass sich Sinn in Unsinn und Unsinn in Sinn A'erkehrte! Es ist alte Volksweisheit, dass vieles Denken dumm mache 1

Mit Atollen! Entzücken verAveile ich stets vor Sartorio’s harmlos erscheinenden und doch so tief durchdachten und empfundenen Arbeiten, obgleich sie sich auf allen deutschen Ausstellungen des allerschlechtcsten Platzes erfreuen. Da ist eine bescheidene Eeinheit, eine An- muth der Linie, eine sinnende Tiefe, die sich nicht nach aussen geltend zu machen sucht, da sind so verborgene Tugenden, dass es Avohl noch einer guten Weile be¬ dürfen wird , ehe der Italiener in Aveiteren Kreisen gCAVürdigt Avird.

Das sind kommende Leute. Mir ist’s eine Freude, sie zu begrüssen, eine Freude, Avelche mir aber die Lust an den Männern nicht nimmt, die schon da sind und die Avaren.

Vict. Müller gehört zu den Ausgegrabenen. Es scheint, als Avenn der unglückselige Familien¬ name auch auf ihm hemmend gelastet habe. Erst unlängst erzählte in diesen Blättern Georg Ebers von einem Müller, der bei Lebzeiten nicht zu rechter Anerkennung kam. Ein englischer Kunsthändler entdeckte den Orientmaler. Er mag des früh ver¬ storbenen und bei Lebzeiten nur halb erkannten William Müller gedacht haben, eines von deutschen Eltern in England Geborenen, dessen orientalische Bilder jetzt in London auf’s Höchste geschätzt Averden. Victor Müller Avar ein freier Künstler, der lang in Paris gelebt und dort vielerlei gelernt hat. Damals verstanden ihn Wenige und Avusste er selbst kaum , ob er die rechten Wege Avandelt. Er ging Gourbet nach und Avollte den Velasquez nicht ganz verlassen. Es steckt viel ehrlicher Kampf in seinen Bildern. Er hätte neben Feuerbach stehen können und von diesem zu Lenbach den Mittehveg zu finden vermocht , Avenn er mehr aus sich heraus¬ gegangen wäre. Aber er zog sich allem Anschein nach in sich zurück. Ihm scheint die Natur das

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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schlimmste Geschenk auf den Lebensweg gegeben zu haben, nämlich den Reichthum des Verständnisses fremder Kunst, den Mangel an Einseitigkeit, aus der heraus man allein ein grosser Künstler wird. Nur wer sich selbst mit sicherer Entschiedenheit in die Wag¬ schale wirft, bringt sie zum Sinken.

Einer der Eeute, deren Kunst sich erhielt, ist ferner Karl Stauffer-Bern. Ich zweifelte daran, als ich vor einem Jahre in Berlin die Sonderausstellung seiner Werke sah. Sie erschienen mir herb, fast unwirsch. In München zeigt sich der Werth der trockenen Sachlichkeit seiner Bildnisse. Sie stehen sicher auf ihrerii Platz selbst neben Lenbach und das ist um so ehrenvoller, weil Lenbach dieses Jahr keinen Bismarck oder Moltke, kein Bild aus¬ stellte , aus welchem ein Stück Weltge¬ schichte spricht, son¬ dern solche, die meist nur durch rein künst¬ lerische Eigenschaften zu uns sprechen. Und wenn man als Neuling durch die ganze Aus¬ stellung ginge, ja wenn man als Fanatiker der Neuheit sie durchwanderte, so würde man doch vor Lenbach’s Bildern Halt machen müssen. Alle Achtung vor der heiteren Frische, mit welcher der Belgier H. J. J. Richir seine Figur uns gegenüber stellt; volle Bewunderung den Londonern Charles W. Furse, der uns einen englischen Richter mit einer erstaunlich farbiger und individualisirender Kraft vorführt, und für Monat Loudan mit seinen im Herausarbeiten der Tonfülle sich fast überschlagenden Mädchenportrait an eigentlich künstlerischem Weith scheint mir aber nur ein Bildniss dem Lenbach’schen «Baron Tücher» und den Watts’schen Bildern gleich. Nämlich: Carl Marr’s Portrait seines Vaters, welches mir schon im Vorjahre in Berlin in seiner schlichten Sachlichkeit den tiefsten Eindruck machte. Ich stelle es weit über die Werke der bestgezahlten Portraitisten unserer Gress¬ städte, über den wohl Mangels geeigneter Konkurrenz von der Oesterreichischen Gesellschaft verzogenen K.

Pochwalski, über Leopold Horowitz, über Max Koner, obgleich dieser manchmal eine überraschende, in ihrer Keckheit wohlthuende Frische des Erfassens hat; und ich stelle ihm nur noch A. Delug zur Seite, welcher in einigen seiner Arbeiten eine prächtige Ton¬ tiefe erlangte , in der Frieden und Kraft vereint sind, während bei den Engländern die einst an ihnen ge¬ rühmte Sachlichkeit mehr und mehr unter der Kampf¬ stimmung schwindet. Man vergleiche jene Arbeit der «Jünger» mit Alma Tadema’s neben ihren fast schüchtern erscheinenden Bildnis des Malers Waterlow.

Die Zeiten kommen und gehen , die Kunstwerke

bleiben. Ich hoffe, so lange ich lebe, an einem Werk von Lud. Knaus den vollsten Genuss zu behalten. Man ist mit seiner Art vertraut , man kennt sie, er sagt uns nichts Neues. Er wirbt nicht um uns, wie man um eine Braut wirbt , er geht ruhig seines Weges und vertraut auf die alte Freundschaft.

Und er wird sich nicht irren in der Welt. Sein «Genügsamer Weltbürger», ein Kind, das mit einem alten Stiefel spielt, ist ein Genrebild, wie deren viel zu viele und viel zu schlechte gemalt worden sind. Aber Knaus ist nicht Schuld daran, dass Andere im Gehetze der Konkurrenz die Waare herunterbrachten und die Welt mit Misstrauen gegen sie erfüllten. Er hat sie in Deutschland eingeführt und ein ehrenreiches Künstlerleben hindurch hoch gehalten. Man muss ihn aber an der Konkurrenz, nicht an ganz anders gearteter Waare messen. Dazu bietet München eine treffliche Gelegenheit. Da ist eine ganze Bilderreihe von Werken von „Michael de Munkacsy“, wie der Katalog sagt. Auch Knaus war in Paris, lange Jahre, auch er lernte vom Ausland, von den Engländern. Aber er hat nie wie Munkacsy, der einst Deutscher war, dann Magyar wurde, und jetzt, wie es scheint, Franzose ist, den nationalen Boden unter seinen Füssen fortgestossen, um sich höher zu schwingen.

Stefano Farneti. Die Sonate.

14*

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Karl Staufß\r. Portrait des Bildhauers Max Klein.

(’n<l nun .sielit man die.se Munkac.sy’sche Herrlichkeit -or ‘ticli. Ms ist unglaublich, dass so viel koloristische Rohheit lange Zeit für Schick; dass so viel innere Ver¬ logenheit lange Zeit für Realismus; dass so viel äusser- lichc M.achc für grosse Kunst gehalten wurde. Ich würde es auch nicht glauben , hätte es nicht eine Zeit

■•geben, in der ich selbst von dem Feuerwerk geblendet

'■wc.Nen war!

Vorftci, \T,rbci! Man gesteht seine Sünden, man lia!! ich aber nicht bei ihnen auf!

Wenn an der Kunst der nationale Werth gemessen ’A'Ttlen .-,oll , so stehen die Polen zweifellos weit über den Magyaren. Hier blos der äussere Schein, ein Hascher nach tjlanz und Wirkung, hier eine wirkliche Kraft, ein ent.'-' hiedener zielbewusster Frnst. l'ls bildet sich aus den I’olcn unverkennbar etwas künstlerisch Kigenartiges.

Wenn man gleich sieht, dass sie Anregungen bei dni'Mi au'- I’aris und München bekommen, so .«ind sie

doch nicht Franzosen oder Deutsche zweiter Auflage, wie die Magyaren. Joseph v. Brandt, der in seinem «Gebet» abendliches Halblicht als Gegensatz zu Kerzen und Feuerschein in ge¬ schickter Weise verwandte, stellt die gründliche zeichnerische und malerische Technik dar : Es ist der Piloty der Polen ich weiss nicht , ob unmittelbar als Lehrer, so doch als Anreger. Neben ihm, immer form- und farbensicher, steht schulebildend Alfred v. Wierusz Kowalski. Nennen wir noch Wl. v. Czachörski mit seiner zierlichen Feinmalerei - so haben wir die Münchener Polenschule in ihren Spitzen zu¬ sammengestellt. Neben diesen aber blüht reiches Leben. Es wäre der Mühe werth, dass uns ein Pole einmal genauer darüber berichte. Eine leidenschaftliche Frömmigkeit und eine noch heftigere Liebe zum Volksthum bricht sich durch. Die Kunst, welche aufgehört hat in die Ferne zu schweifen, die national und individuell wurde, hat bei den Polen die Farbe religiöser und politischer Partei angenommen : In der hei¬ ligen Familie von Z. v. Suchodolski, in der riesigen Darstellung des Elendes der Bergwerken des Ural von Wl. Schereschewski, einer malerischen Prachtleistung, und in zahlreichen anderen Bildern wirkt ein starker lebhaft erregter Nerv, ein entschiedener Freund, ein Drang nach Selbständigkeit, ernsteres nationales Leben als bei den glücklicheren, südlichen Nachbarn unserer Ostgrenze.

Ja, die Polen kommen rascher aus der einseitigen Genremalerei heraus als selbst alte Kunstnationen. So kann ich mich nur schwer der Uebersättigung der Darbietungen der Italiener und Spanier gegenüber erwehren. Es sind ja unter ihnen grosse Meister: Er. Pradilla-Ortiz lässt auf seinem «Markttag» die südliche Sonne die Kleider der Menschen zu leuch¬ tender Buntheit wecken! Aber er bändigt sie im Ton, er weiss sie zusammen zu halten. Man vergleiche sein Bild etwa mit dem des Jose Benlliure y Gill, «Ein¬ zug der Stierfechter in die Arena» und dann weiter mit dessen « Heiligen Franziskus ». Wie ist es möglich, dass ein Mann, der ein so ernstes Bild schuf, der die Askese auch auf die Farbe zu erstrecken vermochte, wie bei dem unter Rosen gebetteten Todten, zugleich solche Kommödianten-Bilder fabriziren kann, wie das aus der

lyriflil IR93 l.y Fnul/ Hanfslaeng!, Phot. F. Hanhlnengl, Mlinchen.

DIE KUNS'r UNSERER ZEIT.

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Arena? Und um ihn viel Genossen; P. Salinas, Mariano Barbasan, Pio Joris, Gaetano Chierici, Cesare Tiratelli, Roberto Fon- tana, Augusto Correlli, J. J. Ara n da, Alles Leute, die so sehr selbst viel können, die ihre figurenreichen Darstellungen mühelos und unermüdlich hinmalen, die ihnen eine gewisse Lustigkeit zu geben wissen, so dass sie der Menge behagen, sie alle bringen nichts Neues , sie kommen über das nicht hin¬ aus, was sie in der Jugend er¬ reichten. Es sind sehr fein abge¬ stimmte Bilder, welche uns der Veronese A n g. dall’ Occa Bi¬ anca über die Alpen zusendete, aber wir sind ungerecht genug, sie als Bekanntes hinzunehmen, zu erwarten , dass das von fernher Eintreffende uns neu und über¬ raschend sei.

Einzelnes, wie das schöne grosse Bild des Vicen.

Caprile, das vom Tragen eines Reisigbündels ruhende Mädchen, zeigen, dass man drüben nicht immer lacht und des Farbenschillers sich freut, sondern den ge¬ haltenen Ton zu schützen wei.ss; ähnlich die Bilder des in Paris lebenden Tito Lessi in ihrer Farbenklarheit und Helligkeit, in ihrer eindringlichen Zeichnung. Aber es scheint, als wenn der merkantile Sinn, der über dem viel bereisten Italien ruht, seinen malerischen Söhnen die Müsse zu eigentlicher Selbstvertiefung raube: Wenn man gute Bilder von Aranda sah , wenn man sich Corellis «Povera Maria» erinnert, so erschrickt man über die Wunden, welche die geschäftseifrige Viel¬ malerei der italienischen Kunst schlägt.

In der Landschaft ist's ebenso, wenn gleich dort etwas weniger nach dem Dollar und dem Pfund unserer

englisch redenden Mitmenschen hingeschielt wird. Ich werde eine Landschaft von G. Ciardi, von V. Caprile, von D. Sabioglio, A. Milesi, Zanetti- Miti und vielen der anderen tüchtigen Künstler Italiens stets zu würdigen wissen. Wenn ich in den italienischen Saal trete, finde ich den gleichen, sicheren, kräftigen Grundton ihrer Stimmungen seit Jahren wieder. Man befindet sich in einem vornehmen, wohnlichen Raum, ebenso, wie wenn man zu den Holländern zu Gaste ist.

Dort sind’s die grauen Töne Is¬ rael s, Mesdags und ihrer Ge¬ nossen , hier ist das Licht far¬ biger, die Sonne goldiger. Unter den Landschaften möchte ich Za- netti’s «Abend am Kanal von Burano» den Vor¬ zug geben: Da ist tiefes Dunkel, grosse Tonruhe in den ernsten Schatten und doch eine ganz köst¬ liche Leuchtkraft im Mondschein. Man sehe dies Nachtbild weithin durch die Säle leuchten; es schlägt die Wiedergabe der Sonnenhelle bei Anderen!

Man kann zweifellos bei den Deutschen eine grössere Regsamkeit spüren. Da ist auch im Glas¬ palast eine Reihe junger Münchener Künstler, die aus der Tiefe farbig schaffen und zwar in allen Gebieten der Darstellung. In Egger-Lienz nannte ich bereits einen. Unter den Landschaftern fielen mir Charles Palmie, Paul Hey, G. A. van Hees, H Stock¬ mann auf. Palmie’s Versuch, denselben Gegenstand in viererlei Beleuchtnng zu malen, verdient eine hervor¬ ragende Würdigung. Fiel seine farbige Kraft schon in der vorjährigen Ausstellung auf, so zeigt sie sich diesmal befestigt und erweitert; Es steckt eine gesunde Kraft in dem jungen Künstler, dem es nicht auf den

yan Toorop. Die drei Bräute.

DIP: KUNST UNSERER ZEIT.

, den Richtweg zu finden, auf

- r r\-.; rts I^oinmt. der es sich aber nicht - Irrwald der Kunst sich wacker

^ * "T::. v:n auf die rechte Spur zu gelangen.

vT; S< nni'ern ist 1 1 an s P ete r se n als Illustrator . ' :t. ln seinen Jhldern erhebt er sich be¬

liebe» Farbenzusammenstellungen im fernen Süden von Reisenden berichten hört, . . . Weltumsegler mögen die Bilder auf ihre Wahrheit prüfen, während ich es nur auf das vage Gefühl der Glaubwürdigkeit hin thun kann. Aber auch nach anderer Seite ist dem Zug nach Wiedereroberung der Farbe weitere Folge geleistet:

Q/rl Älarr. Portrait meines Vaters.

tra! htii' h über da.s Mittclmass. über die Mehrzahl der Und'- -'‘ hiiler: Ga i:->t ein schlichter ICrnst, eine nordische - ' hin F' vit. eine starke, für Stimmungsempfinden, die d' ii Weit' rrei-.ten vor die Aufgaben, welche die fernsten Rande und da. fremdartigste Licht ihm stellen, nicht zurüc kwcichcn lassen: Man glaubt ihm seine Tropen, "-■t w nn man -ac selbst nicht sah! Vielleicht ist - ein X’orwurf, nach dem, was man über «unglaub-

War Walter P'irle einst einer der eifrigsten Ver¬ fechter der Lehre vom weissen Licht, so hat er jetzt d'on erlangt; ein so beweglicher Künstler, wie Ch. L. Bokelmann, griff alsbald, namentlich in seinem schönen Werke «Allein» in diese Richtung ein, eine h'ülle von jungen Kräften folgte ihm. Man kann sie aus allen deutschen Kunststädten finden, die Werke dieser Art: Max E. Giese in Dresden erweist sich

DIK KUNST UNSERER ZEEI'.

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Axel Helsted. Die Deputation.

als ein frisches, vielversprechendes Talent, Jacques Schenker, der unter englischem Einfluss stehende tonfeine K. Heffner, H. v. Volkmann und andere tüchtige Künstler der Karlsruher Schule, A. Fink in München,

Alle diese und viele Andere zusammen bil¬ den eine Ge- sammterschein- ung deutscher Kunst, die sich mit den Dar¬ bietungen an¬ derer Nationen im Glaspalaste mit schönem Erfolg verglei¬ chen lässt.

Es ist dies freilich nicht Kunst grösster Art , freilich nicht das Neue, das Ueberra-

schende , es sind die Werke nicht Ecksteine der Ent¬ wicklung des Schönheitsgefühles. Es sind Bilder, welche aus unserer Zeit für unsere Zeit gemalt wurden, tüchtige Werke, die zum Schmuck eines Zimmers trefflich

geeignet er¬ scheinen.

Nur einige Arbeiten seien noch heraus- gegriften, wel¬ che aus dieser mittleren Stel¬ lung in ganz verschiedener Weise sich ab¬ trennen , Ge¬ genüberstellun¬ gen , die die grosse Viel¬ seitigkeit un¬ serer Zeit be¬ kunden mögen.

Zwei Genre¬ bilder; Des Dänen xTxel

B. Pinell. Adagio.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

r.- -f Deputation», eines jener Bilder, Ti ein eigener Aufsatz schreiben liesse und X’ielen als besonders geistreich erscheinen M , h-si nur in den Köpfen der sieben be- : : ron.

l i i'i eine eindringliche Nüchternheit der psycho- : ii iRhandlung. die sich mit der Nüchternheit ; :;es. der Sacliverständigkcit der ganzen Be- ' leckt. Ständen die Vorderen nur richtiger

' :r. 1’.. den, in dem sich ihre Absätze einzu- r k. n scheinen. Als Gegensatz des Wieners B. I n c : ' Adagio ; ganz Ton , ganz umspielt vom H. 'Vif'ht des dämmernden Zimmers.

Zwei künstlerische Versuche ; Des in Prag lebenden, dur' h sein kräftig realistisches Bild «Mord im Hause»

1 ;:kannt gewordene J. Schikaneder «Contemplation», eine Kom|josition aus im rechten Winkel sich durch¬

schneidenden Graden, aus den Wagrechten, welche Strand, Welle und Horizont darstellen, und der schlicht lothrechten Mönchsgestalt. Und als Gegensatz ein farbiger Versuch des Dänen W. Oie Bracen, der die Abendsonne über dem Dorfe niedergehen lässt , so dass der volle alle Form auflösende Lichtblick gerade noch über dem Firste eines Hauses in gelben Massen im Bilde steht.

Zwei Frauenbilder: Vom Franzosen L. Doucet ein lebensgrosser Akt, prächtiges Fleisch in voller Nakt- heit, aber gemalt ohne Lüsternheit, mit redlichem Streben und trefflichen Gelingen den Feinheiten der Haut nach¬ spähend ; und vom Belgier Hermann Richir eine völlig bekleidete rothhaarige Gestalt, hingeworfen in raschen Strichen, ein verführerisches Weib, ein solches, das zu verführen gewohnt ist und das der Maler selbst «Verdorbenheit» nennt.

Verstossen.

Das Vestibül der Secessions-Ausstellung

II.

DIE SECESSION.

Im Kuppelsaale des neuen Ausstellungsgebäudes der Secession hängen nur vier Bilder, die an Grösse sich - fast gleich sind, an künstlerischem Inhalt aber so sehr widersprechen, dass man sie geradezu als Merkmale der Vielseitigkeit unserer Zeit und zugleich des Strebens der Secession betrachten kann, nicht eine Kunstpartei, sondern ein Sammelpunkt für Strebende aller Richtungen zu werden.

Da sind zunächst zwei Bilder von Jose Villegas, dem in Rom lebenden Spanier, «Triumph der Dogin Foscari» und «Der Meister stirbt»; dann ein Werk des in England wirkenden halbdeutschen Hubert Her- komer, «Eine Magistratssitzung in Landsberg»; und ein Bild des in München ausgebildeten Polen Waclaw Szymanowski, «Das Gebet». Sie sind alle vier so umfangreich an Eläche, dass man an ihnen nicht wohl Vorbeigehen kann, ohne sie zu betrachten und sie unter sich zu vergleichen.

Hätte ich Censuren zu vertheilen, hielte ich mich kraft ästhetischer Bildung für einen Lehrmeister oder gar

für einen Richter in der Kunst, bei dem das «Kunst¬ gesetz» das Urtheil bedingt, und zwar meine ich hier das Gesetz der jetzt noch vorwiegend gültigen romantischen Aesthetik, so würde ich erklären: Im Können bekommt Censur i Villegas, Censur 2 Herkomer, Censur 3 Szyma¬ nowski. Und wenn ich mich als Kunsthistoriker befrage, der der Welt Lauf in ihren Bildschöpfungen studierte, und dem den Preis zuerkenne, welcher die «Schönheit» am höchsten schätzt und am eifrigsten bildet, so würde ich die gleiche Censur austheilen müssen. Fragt mich aber einer, welchem Bilde ich nach meinem künstlerischen Empfinden die erste Stelle zuweise , so verändert sich die Reihenfolge sofort : Nummer eins dem Polen, Nummer zwei, ja sogar um den Abstand anzudeuten, Nummer drei dem Engländer und Nummer vier oder fünf dem Spanier.

Das Empfinden ist ein Ding, das sich nicht leicht mit Gründen und Worten vertheidigen lässt. Ich ver¬ suche es, obgleich ich weiss, dass es nutzlos ist, über¬ zeugen zu wollen, wo es nur darauf ankommt, seine

15

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Jen Kunstwerken zu kennzeichnen, An achten zu vertheidigen.

- nf X’illegas' venetianischem Bilde ein .'hcs Können in der Zeichnung und ' J. Kinzelhcit wurde von ihm kunstvoll, ' . e. ’t. Wer hätte vor ihm je gewagt,

- . J'oihen Teppich von solcher Ausdehnung ^ iunzustreichen ; wer hätte je das Füttern ; T. . rn der kostbaren Gewandungen lebhafter i.T'li bei allem Glanz der Gesammtwirkung und sachlicher vorgeführt.; wer kann tiefere ’ä-ii ninacht haben 1 ' h; blos hinsichtlich r : -t’ chkeit und der Kic; . sondern auch ■.•nt:T den edlen Frauen u:- i Männern X'enedigs. um oin Werk mit einer 1- ulle von Schönheit aus- zmaaitcn: und dazu sind die erii: ten Leute ernst, würdi;., , die 1 harmlosen liarmlos . heiter ; die lelangweilten langweilig; und die l'reudigen kriif- tig erregt geschildert. eiiv endlose Stufenleiter der künstlerischen Ton¬ mittel. und wie schon f'c .a;:- 1 . ein schier end- lo,C‘ Können.

Und docli; Ich glaube \'illcgas das ganze Bild nicht! Ich bin nicht über- zcii; ;t , da ^ es anno dazumal in Venedig ja ich glaube nicht einmal, dass Villegas meint, es sei o zugegangen ; ich sehe nur Marionetten sich bewegen, nicht Menschen. Liegt s an meinen Augen oder am Bilder Ihe Leute stehen für mich nicht im Raume, le haben keine körperliche Tiefe. Sie scheinen auf Papier gemalt und auf den Hintergrund aufgeklebt. Sic brauchen keinen Platz hintereinander, sondern nur neben- und übcreinamler. Solcher Leute gehen auf einen Quadratmeter einige 'Pausende, da ihnen die Ellenbogen und die Hüften fehlen. Sie stossen sich nicht, sondern schieben sich wie Spielkarten hintereinander!

Ich sehe im Bilde eine Brücke. Hintereinander kommen auf ihr sechs Jungfrauen daher. Es mag also wohl von der Ersten bis zur Letzten zehn Schritte weit sein, bis zu jener, welche noch drüben auf der Treppe steht, etwa fünfzehn Schritt Gut ! Aber daneben sehe ich in’s Meer hinab, sehe zwei breite Kähne hintereinander, sehe tief unten immer noch ein gutes Stück des Wasser¬ spiegels; und hier ist’s mindestens dreissig Schritt weit bis zu jener Treppe und den darauf stehenden Figuren. Da liegt zweifellos ein perspektivischer Fehler vor. Aber das wäre ja ziemlich gleichgiltig, die Bilder werden ja

nicht als Examenaufgaben in der Wissenschaft der Perspektive gemalt.

Schlimmer ist’s, dass man den Dingen selbst, den Schiffen und dem Wasserspiegel, den Men¬ schen und der Oertlichkeit ansieht, dass sie so nicht vorhanden sein können, dass nicht der perspek¬ tivische Fehler stört, son¬ dern dass man ihn ge¬ radezu mit dem Auge sucht, um sich das Bild zu erklären, welches eben räumlich nicht zusammen geht.

Schlimmer noch ist’s, dass man zu erkennen glaubt, den Maler haben im Grunde genommen seine Menschen gar nicht sehr tief in Anspruch genommen. Es kam ihm auf ein paar mehr oder weniger nicht an, er konnte seine An¬ ordnungen so oder anders machen , es trieb ihn kein innerer Drang gerade zu dieser Gestaltung. Virtuose heisst ursprünglich ein Mensch von Tugenden. Das Können ist eine der grössten Tugenden des Künstlers. Wehe ihm aber, wenn das Können allein entscheidet, wenn er Virtuose wird. Die Kunst will gekonnt, aber vor allem empfunden sein. Es ist nicht abgethan mit der Kunst der Wiedergabe, es muss selbst gefühltes Leben in die Gestalten. Und das eben gibt das Modell und die Technik allein nicht her, das stammt vielmehr

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

103

Franz Stuck. Glühwürmchen.

vom Maler selbst. Ich sehe zwar hier Bilder von Villegas, ich lerne seine grossartige Meisterschaft im Malen kennen, aber ich sehe nichts vom Künstler : Meisterwerke mehr als Menschenwerke ! Und mir behagt nun einmal das Kunstwerk nicht recht, welches wie ein Erzeugniss un¬ persönlicher, ja göttlicher Vollendung vor mir erscheint; sondern jenes, in dem ich als Mensch den schaffenden Menschen erkenne.

Den vollen Gegensatz zum römischen Spanier bietet der münchner Pole. Er malt eine Menge Volkes, das vor einem Altar kniet, unter den Streifen eines Sonnen¬ lichtes , welches die vom aufgewirbelten Staub erfüllte Kirche schräg durchschneidet. Auch ihm kommt’s auf ein paar Leute mehr oder weniger im Bilde nicht an. Er malt eben eine Menge, so Viele als möglich, ohne Rücksicht auf den Einzelnen ; und malt sie in riesigen Verhältnissen : Der vorn knieende Bauer hat etwa

doppelte Lebensgrösse. Hinter ihm steht eine ungezählte Schaar, eine absichtlich unzählbare.

Warum so Viele, warum so gross.?' Weil er es so wollte, ist die gerechte Antwort. Eine Menge Menschen hat eine bestimmte Wirkung auf das Gemüth, nament¬ lich wenn sie eines Gedankens ist: Der Pulsschlag Vieler kommt in Takt, er durchdröhnt jeden Einzelnen in hellerem Schlage und erschüttert ihn tiefer. Der Maassstab spricht ja auch seine Sprache ; und Grösse heisst nicht mit Unrecht sowohl räumliches als geistiges Hervorragen vor Anderem. Der Pole that recht, sein Bild so umfangreich zu machen , dass es gross wirkt. Der Inhalt freilich ist einfach, gewiss Vielen zu einfach für eine so ausgedehnte Leinwand. Die Farben schlagen im Licht in’s Grelle über, verschwinden fast gänzlich im Ton des Schattens. Da ist freilich nicht Alles reit und fertig. Aber da ist im Ganzen ein grosser Schwung,

15*

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

i , in <.:• II Gc.stalten yenieinsanies Leben, .'kt Krall der l-nnpfindung, die das reale - , ii IkiiidiL^t und dem naturwahren Ein-

:: kr ’i ’nünsticrisclier Geschlossenheit giebt.

' , . . lu l-runst in dem Bilde, man muss

R: ';_i. nseikr kennen, um ihm gerecht zu ■■ . ndo W'ilk bei sich zu Hause gesehen - ii-' za - rkcnncn, dass hier der Maler nicht als r 1- ’-icl'.ter \'or dem Thore des Bildes steht, ; =ki: er im Bild lebt; dass er nicht blos

K .m'- r. sondern auch ein geistig Ergriffener ist.

!'■ ■; n nennen sie sich wohl beide, diese Maler

i.-r katholischer Welten. Auch Villegas malte in :u r.n'io des Meisters , nämlich dem Tode eines k-r Arena in eine Kapelle getragenen Stierfechters, G< bet. Der \'erwundete liegt auf der Bahre, •je.- tj -'i“bte beugt sich auf ihn nieder, seine Kampf- •i'; -en umstehen ihn, der Priester waltet seines ; alle gleichfalls in Lebensgrösse: Aber trotz '■ vor« Heilenden Blutes erscheint auch hier der Maler n' ht innerlich erregt, sondern wie ein Unbetheiligter, r ruhig zuschaut, wie die Scene sich abspielte, er t .ich immer wieder, noch ein hübsches Detail

izuf.igcn , durch ein Stück Kopf oben und nöthigen- ' ik noch ein Paar Beine unten die Zahl der Trauernden im Ilmtcrgrund zu vermehren ; er verliert die Stimmung,

ni in meisterhaftes Bild zu malen. Der Pole aber fr- ht mit leidenschaftlichem Armschwenken sein Bild

a- d-''m Rohen zusammen: Er will sich der Welt im P>il:D ■-■ffenljarcn. nicht blos ein schönes Bild malen. Und

- Gingt ihm, wenigstens mir gegenüber. Ifr erweckt

- in- n I on in mir, der stiirker ist als die kritische Regung,

Il -rkomcr ist mehr und mehr ein vornehmer Mann ^ow-'-rden. Unter die «Verrücktheiten» der Engländer gch'-rt bekanntlich die, dass sie ihre angesehenen Künstler ehr ^ut bezahlen. Und so kann er sich denn seine \k.rwürfe ohne Riicksicht auf den Geldbeutel wählen. Wi'- Watt die besten Bilder, die er schuf, für sich b' Iv- It. um sie der britischen Nation zu schenken, so br u T' auch 1 lerkomer nicht mit seinen Werken ha;. .i> r-n zu gehen. Passirtc in jenem «spleenigen» I.ande öf.rli neulich das Unerhörte, dass nämlich die Run tlcr elb t das Piild eines Genossen, des Madox Brown, kauften, um cs der Nationalgaleric zu schenken und ^o da:, ihnen falsch erscheinende Urtheil der ge¬ lehrten Leiter dieser Anstalt zu verbessern.

Herkomer’s Bild ist ohne Zwang, aber doch streng nach architektonischen Linien geordnet, je eine Bank mit Rathsherren links und rechts, in der Mitte der Bürger- mei.ster und sein Beisitzer vor dem dunkeln Fensterpfeiler. Zu den zwischen den Gruppen liegenden Fenstern hin¬ aus gleitet der Blick auf den Markt von Landsberg. Das ist trefflich gedacht, so ohne alles Brimborium, wie bei einem guten alten Bild der Renaissance, dem es in der Anordnung ähnelt. Wenn das Ganze nur leuchten und sich im Licht von einander trennen wollte. In der Stube ist’s fast so hell wie auf dem Markt, überall ein sanftes, goldiges Braun, ein Ton, der an das Aquarell mahnt und nicht recht in die Tiefe geht. Wir haben uns in jüngster Zeit eine so schöne Farbigkeit im Tiefton vor¬ führen lassen, dass sie uns hier besonders fehlt. So auch in Herkomer’s zweitem Bilde, einer grossen Land¬ schaft «Frühlingsabend». Ich wüsste in aller Welt kaum Einen, der das Bild feiner, vornehmer, ruhiger zu malen vermöchte; ich wüsste mir auch kaum einen besseren Zimmerschmuck und bin sicher, dass, wenn das Bild für sich allein hängt , die besonnte Wiese Leuchtkraft genug und das Ganze hinreichende Tiefe erhält, um den angenehmsten, fast hätte ich geschrieben wohnlichsten Eindruck zu erwecken. Aber neben dem, was die neuere Kunst jetzt an Ton leistet, hält diese koloristische Feinfühligkeit nicht Stich, flacht das Bild sich ab. So wenig ich nun zu den Leuten gehöre, welche die Bilder danach beurtheilen , ob sie sie be¬ sitzen möchten, die also glauben, dass die Kunst, welche in ihre barbarischen «Salons» in der Thiergartenstrasse oder am Opernring oder in der Maximilianstrasse nicht passe, eigentlich keine Kunst sei so wenig kann ich mich entschliessen , wegen ihrer «Wohnlichkeit» Her¬ komer’s Bilder für Andere überragend zu halten. Er ist eben selbst «elegant» geworden und malt die Dinge mit ein wenig zu gut gepflegten Händen. Plinst hat er derber zugegriffen und mir, dem noch nicht ganz von Europa’s Höflichkeit Uebertünchten , war’s wohler dabei! Anderen, eleganteren Leuten, mag er freilich jetzt immer be.sser behagen.

So also sieht’s beim Eintritt zur Secession aus. Keineswegs ist es so erschrecklich, wie Viele fürchteten und Andere hofften. Auch hier zeigt sich die Kunst nicht einheitlich, nicht als von einer einzigen Schule, der «modernen», geschaffen, sondern in der Entwicklung, als ein Nacheinander, nebeneinander an die Wände ver-

Copyiifilit ISna Vv.Tii/. Hanfätacngl.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

105

theilt: Villegas belehrt uns, dass nach seiner Uebcr- zeugung das Schöne und Grosse in der Geschichte zu suchen sei er ist iin Grunde noch ein echter Romantiker; Herkomcr zeigt uns, dass die Menschen von heute, im geschichtlichen Sinne erfasst, ebenso gut malenswerth seien als die alten, er sieht in Lands¬ berg noch die Stadt der Renaissance und bildet somit

Führer der Secession, schritt, überkam mich vor Allem der Eindruck des Wohlgefühles darüber, dass die Aus¬ stellung trotz dieser Vielseitigkeit doch ein geschlossenes Ganze bilde. Ich habe wohl nicht leicht eine aus aller Herren Länder zusammengetragene Sammlung moderner Bilder gesehen, die als Ganzes so den Eindruck be¬ sonnener Wahl macht, die so als künstlerisch ge-

Albert Edel feit. Im Bügelzimmer.

in der Entwicklungsreihe den Uebergang ; und Szyma- nowski fragt nicht mehr nach den Alten, er malt künst¬ lerisch selbst Erlebtes : Aus der Nachempfindung von «Unserer Väter Werk» zur Schaffung eigener Werthe. So stellt auch in der ganzen Ausstellung der Seces- sionisten sich ein Werdeprozess dar. Und es ist gut so denn fertige Kunst ist der Tod des Schaffens!

Als ich zum ersten Male durch die schönen Räume des neuen Baues, freundlich geleitet von einem der

schlossene Gallerie auftritt, wie man es sonst wohl bei lokalen Ausstellungen gelegentlich beobachten kann. Und durch diese entzückende Einheit wurde wohl auch das Urtheil befangen. Jeder Maler weiss , dass sein Bild auch für ihn unter anderer Beleuchtung anders wirkt, dass die Halbtöne, welche sich durch die Ab¬ deckung mit Stoff und die hohe Lage des schon alters¬ blind w'erdenden Glasdaches im Glaspalast über die Bilder versöhnend breitet, andere Wirkungen hervor-

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

entschiedene, kriti- I ' ’'t des Xcubaiies der < Und Jeder, der Aiis-

. besichtigen gelernt

,d ' eiter. dass seine Stini- *. in s 'l'rtheil einlhesst. dass - . eiüdhaftcs h'rkennen abgibt,

: . T ein Werk, eine Sammlung , r : inmal sah, dass den Müden ' wf-ilt, was den Frischen viel- entzückt, dass bei ernster

.'•'mmung beleidigt, was durch ein <>i.. in guter Gesellschaft getrun¬ kenen Weines betrachtet, auf's an- enchmste erwärmt.

Wer hierher kommt, sagte ich mir beim ersten Durchwandern der .■\u --tellung. um sich vor Lachen auszuschütten, oder in bitterem Weh auszuweinen , wer die Absicht hat, her den .Sieg der Modernen zu jubeln oder über den XVrfd.l achter-! Kunst zu hadern, w'er nach Stoff -ucl'.t . 'die alte Kunst zu verhöhnen oder über die = un 'c üch zu entrüsten sie alle finden nicht ganz ihr-- Rechnung. (Jder sehe ich falsch, erkenne ich den Umschwung nicht mehr ganz, sehen Andere, welche wf-nigcr im Getriebe der Kunst stehen, das Fremdartige dic.scr modernsten Ausstellung so sehr viel deutlicher wie icli, dass sic doch sich gezwungen fühlen, Stellung zu ihr zu nehmen?

Die beste Prüfung ist, in Gesellschaft solcher Leute einmal die Ausstellung zu durchwandern, die anerkannter Weise von Kunst nichts verstehen». Leider sind ja solche allenvegen schnell gefunden. Und da spielte mir denn der Zufall einen verständigen P'reund dieser Art und zugleich dessen Notizen in die Hand, auf welchen er die Bilder in seiner Weise geordnet hatte, und zwar ni' ht in der Absicht, eine Kritik zu schreiben, sondern D.ligli' h für seinen Privatgebrauch.

h.ine Beobachtung hatte mich .schon beim ersten I »urchwandern stutzig gemacht. Fs ist da eine kleine Anzahl von Arbeiten, die, ohne eigentlich auffällig zu sein, doch aus dem Rahmen der Ausstellung herausfällt. Auch mein Gewährsmann hatte sic, und zwar beifällig, ani cmerkt. Am merkwürdigsten er.scheint mir nach dieser Richtung des Berliners Carl Saltzmann See¬ stück < Das alte Serail in Konstantinopcl », welches in

Fritz Thatdoiu. Die Seine im November.

seinem orientalisch weissen Sonnenlicht im vorigen Jahr in Berlin klar, ruhig, einheitlich, bildmässig wirkte. Saltzmann that bitter Unrecht, das tüchtige, wenn auch nicht hervorragende Bild an die Secession zu senden. Hier wirkt es kalt und bunt, es hat etwas vom Aus¬ sehen des Farbendruckes angenommen. Aehnlich er¬ geht es mit Max Koner’s Kaiserbildniss. In Berlin war es mir schon etwas zu farbenfreudig erschienen, in München schreit es gellend auf! Viel besser hält sich desselben als Portraitist trefflichen Künstlers Bildnis eines Seeoffiziers. Paul Kiessling in Dresden hat drei sehr sorgfältig gemalte Akte in einem Rundbilde ver¬ eint. Aber obgleich sie hell leuchten , wollen sie sich nicht in diese Ausstellung schicken, haben sie nicht jene Toneinheit , welche alle besseren Maler neuer Schule auszeichnet, nämlich die durch die jeweilige Lichtquelle bedingte. Auch Gabriel Max gehört in diese Künstler¬ reihe. Er wird sich nicht zwingen können, modern zu werden. Sein Affenbild ist eine vortreffliche Leistung, aber sie gehört einer anderen Kunstwelt an, als jener, welcher die Jungen zustreben. Gewiss ist’s schön von den älteren Meistern, wenn sie fortstrebend die Leistungen Anderer würdigen. Aber selten werden sie selbst sich ändern. Wahre Kunst kommt aus tiefstem Innern, man lernt sie nicht im Handumdrehen !

P'reilich die Kunst schreitet jetzt rasch. Viel¬ leicht nur einmal ging die Hast nach dem Neuen gleich nervösen Schritt: Nämlich im i 5. Jahrhundert, als man die Gesetze der Perspektive, der zeichnerischen wie der

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

107

malerischen fand ; als man den Reliefstil der älteren ung und diese Schwierigkeit ?darzustellen reizte die Kunst zu verlassen und im Bild einen Vorgang im Raum Maler, seit ihre Absicht darauf ausging, den realen Ein-

darzustellen lernte. Auch damals war das Spielen mit druck zeichnerisch zu gestalten. Erst nachdem sie dies

den eben Ergründeten, mit den übertrieben angewendeten gelernt hatten, suchten sie die mathematischen Gesetze Verkürzungen, das erste Ziel der Kunst. Selbst ein für ihr neues Können, so besonnener Meister wne Mantegna malte einen über dem Beschauer stehenden Jüngling in einem Deck¬ gemälde perspektivisch so «real», dass man nur seine vor den ihn trag¬ enden Balken vorragenden Fusszehen, ein Stück des Leibes und die Nasen¬ löcher von unten sieht !

Es will junges Können sich eben zunächst bethätigen.

Das 19. Jahrhundert machte die Entdeckung des Frei¬ lichtes, eine kaum minder grosse, als die der Per¬ spektive, und sie begann alsbald in Freilicht zu schwelgen. Alles, das Un¬ möglichste musste gewagt, das System bis zum letzten Ende geführt werden, selbst wenn man nur Nasenlöcher von unten zu sehen bekam !

Die Hauptsache war: Be¬ herrschung der neuen Auf¬ fassungsweise, Freiheit der Bewegung innerhalb dieser.

Perspektive ist ja zu¬ nächst keine Wissenschaft es ist eine durchaus einfache, naturgemässe Be¬ obachtungsweise.

Giotto zeichnete die Figuren an die Wand, wie sie sind, das 1 5. Jahrhundert zeichnete sie so, wie es sie sah: Das ist der Unterschied. Der Arm des Men¬ schen hat seine durch das Verhältniss bestimmte Länge :

Diese Länge erhielt der Arm im alten Bilde. Man sieht aber den auf das Auge zu weisenden Arm ohne jede Längenausdehnung in reiner perspektivischer Verkürz-

Die Alten unter den damals Lebenden werden gewiss auch die Neuheit der Per¬ spektive geläugnet und auf ihre Werke hingewiesen haben, die ja schon bis zu einem gewissen Grade per¬ spektivisch gehalten waren. Neu war aber doch das Durchdringen des Sehens mit der Absicht auf Raum¬ darstellung , welche den idealen Goldgrund ver¬ schwinden machte und die bisher verachtete Ferne, Feld und Wald, Meer und Berg nun auch als sehr malerisch erscheinen liessen. Erst die Perspek¬ tive schuf die Möglichkeit einer Landschaftsmalerei !

Es gab auch in der Kunst unserer Zeit schon längst ein Zusammenfassen der Einzelfarben der Ge¬ genstände zum Ton, schon

längst

Alessandro Zezzos. Der Pflug.

Stimmungsmalerei, ehe das Freilicht aufkam. Ganz neu ist nie etwas in der Welt. Neu ist aber das völlige Durchdringen mit der Absicht, nicht die Farbe des Gegenstandes im Bilde wiederzugeben, sondern den Ton, den er unter bestimmten Lichtwirkungen hat. Zeichneten die Maler mittelst der Perspektive die Dinge, wie sie sie sahen , nicht mehr wie sie sind , so malen auch die Freilichtmaler die Dinge nicht, wie sie jedes Ding für sich sehen, sondern wie es ihnen im vollen Zusammen¬ hang der augenblicklichen Umstände erscheint: Also

den rothen Mantel im Tageslicht fast weiss, in der

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

L'iid das. was die Welt er- Kuhnl'.eit . mit der die Maler von

. •' 4 --. um das neu erschlossene Ge-

T'cl-.c n, an dessen Grenzen stürmen,

d- rl i insetzen, wo der Zwiespalt am 0!_t, wo die Darstellbarkeit des Ein- "der doch besonders erschwert ist.

■V’ n lin \'errückten Bilder zu Stande,

d . \\k:lt ablehnend den Kopf schüttelt,

. •-!- d:.r.-ir.;.nn in einer Reihe zusammengestellt

' K pf das Wort & scheusslich » trug: Warum K..:: ticr das.' Was hat er für einen Zweck,

W 't vnd. ihr Schdnheitsgcfühl durch die Kunst zu

n Et ein solches Bild nicht einfach unverant-

.\’ entrüsteten sich die Leute doch über diese \ t) ’’ -'irr, war ich doch schon viel zu sehr einge- ' .s n in -lie moderne Kunst, um zu erkennen, wie

k d.-r Umschwung sich bei den Bildern der Secession

■■ '■ rt wie ruhig das schon auf mich wirkt, der ich -r ; n Kun>t und iltrcn Stürmen öfter im Leben

i;-‘V . \va:' Andern. Unbefangenen geradezu in

/ 'T!' L-rin t.

1 nn -chlie^■'lich könnte man doch diesen Ent-

n Zurufen: Lasst die Leutchen doch! Es h dir ja nichts, dass hier ein paar Bilder hängen,

dir mi - fallen ; sieh nicht hin, wenn sie dich ärgern, ijf-'. f , der Mann hätte ja auch das «Kätzchen am M l-.t- .jif , .Schon Suschen » oder den « Ersten Rauch- r h malen können, ]3ilder, bei welchen du dir

li etwas denken kannst und die er sicher leichter , '-rf -uft !

I- h moclite ein paar solcher den Zorn weckender Bü-'.Ut aus der Auf teilung hcrausgreifen , «Anti-Pifke- ' wie ie .Ma.x Liebermann einmal mir gegenüber i' nntf'. ucil er als echter Berliner unter «Pifkc» den ‘..t'^-n Phili ter ver.steht : Da ist z. B. Ludwig von II (mann mit seinen .Urmenschen», Julius I''xter m,t '■iivm Mutter und Kind /, Benno Becker mit 111 Brand .Graf Leopold von Kaickreuth mit eiti'^'ni .Abend -, (dito Lekmann mit seinem «Malerei UP '. Mu ik . Die Secession hat die «wildesten» .Sachen er Küivtler wie es scheint, einstweilen zurück- ■’h. ■‘cn. Oder tausche ich mich wieder, ist es aber- ma. d,i" verwandte Umgebung, welche das Ausge- •tcllte mir o vi'-l zahmer erscheinen lässt.'

Was wollen diese Leute? Sie malen einen Ein¬ druck und sie thuen recht daran, ihn ohne Rücksicht darauf zu malen, ob ihr Bild der Welt behagt. Wenn sie nicht mit bunten Läppchen und Lichtschirmen im Atelier sich eine farbige Natur zusammenstoppeln wie es wohl manchmal geschehen mag sind sie sicher in ihrem vollen Rechte. Sie legten dabei anfangs ge¬ ringen Werth auf den Gegenstand. Ein wahr dar¬ gestellter Kohlkopf ist ihnen mehr, als eine verlogene Schilderung des Heiligsten. Lrüher stellte man «das Ding an sich» dar, jetzt war die Sachlichkeit überwun¬ den, die rein künstlerische Seite des Schaffens auf den Schild erhoben. Weg mit allen Systemen! hiess das neue System!

Der Mensch hat nun aber einmal die dumme Eigen¬ schaft, sich etwas denken zu wollen. So sehr man sie bekämpft, sie kommt immer wieder. Lragt mich da mein Lreund vor einem Bilde, was er sich bei diesem zu denken habe ?

«Denken!» rief ich ärgerlich: «Müssen Sie denn immer denken. Bilder sind zum Anschauen da, sind nicht Rebusse! Was denken Sie sich denn, wenn die Sonne in Ihren Garten scheint? Oder, wenn Sie von der Höhe zum Rhein hinunter blicken ? Da freuen Sie sich mittelst der Sinne, ohne dass dabei Nüsse ge¬ knackt werden müssen ! »

Aber ich sehe es immer deutlicher ein: Es geht nicht ohne etwas Grübelei, es geht nicht mit der reinen Sinnesfreude allein ab. Nachdem die Maler lange genug die Kohlköpfe malten , zuerst in weisser Tagessonne, dann in kaltem Blaulicht, dann völlig aufgelöst in abend¬ lichem Roth oder in der gelbgrünen Stimmung des von Reflexen durchzogenen Waldes, nachdem sie das ganze Gebiet der Stimmungen beherrschen gelernt hatten und die Register der Töne auf der grossen Orgel der Natur sicher zu ziehen wussten, tauchen ihnen wieder unwill¬ kürlich Gedanken auf. Der weisse Nebel der Nacht ballt sich wieder zum Erlkönig zusammen. Mystik, zauberhafte Welten, zauberhafte Larben dringen in die Kunst, aus dem Suchen nach wahrheitlicher Darstellung des Erschauten quillt der Drang nach überzeugender Darstellung des Ifrdichteten hervor.

Bisher sagte Jeder, ein Bild müsste vor Allem «valeurs» haben. Dass das richtig sei, war Allen eben so klar wie unklar war, was «valeurs» eigentlich sind. Jetzt aber drang der Märchenton in die Bilder, Gefühls-

Paul Höcker pinx.

Copyright 1803 by Franz Hanfstaengl.

Die Wundmale

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

109,

Ettore Tito. Die Toilette.

werthe wurden in ihnen mächtig'. Die Bilder sind aber andere geworden, als die der Romantik, die fortschreitende Kunst geht ja nie auf frühere Zeiten zurück, sie bleibt immer modern. Die Romantiker suchten den Goethe’schen Erlkönig im Nebel, sie trugen Erdichtetes in die Natur. Die Modernen sehen im Nebel sie selbst überraschende Gestalten, sie dichten aus der Natur heraus. Und sie mögen dabei meinetwegen die Anregung suchen, wo sie wollen. Es hat die erstrebte Wahrheit uns eine neue Selbstständigkeit gegeben. Die Malerei ist durch sie dichterisch frei geworden. Sie hat das Recht diese Frei¬ heit zu benutzen, wie sie will. Graf Kalckreuth nennt sein Bild: «Der Abend». Auf dem Feld ein Pflügender, im Hintergrund ein Dorf, Abendbeleuchtung. Dieser Gegenstand hätte ebenso gut mit allerhand romantischem Beiwerk 1840 als Illustration zu irgend einem Gedicht gemalt werden können. Aber dass die Werthe des Bildes einzig im Gegenüberstellen des glatten grau¬

braunen Ackers zum gelbrothen Himmel bestehen und in dem hinter dem Pfluge aufwirbelnden, durchgoldeten Staub, dass also die Naturbeobachtung dem Bild den Inhalt gibt, nicht die « Accidenzien », das macht es zur Dichtung, zum selbstständigen Kunstwerk. Nicht jeder fühlt die Poesie dieses Abends, mein Freund reihte das Bild einfach unter die scheusslichen. Und ich liess ihn dabei. Denn ich habe Erfahrung in Sachen der dichte¬ rischen Empfindung: Wollte ich doch einmal dummer Weise in England einer Gesellschaft von Herren und Damen die Schönheit von Goethe’s Balladen klar machen. Ich begann mit dem «Fischer». Aber schon als ich zum «feuchten Weib» kam, platzte die Gesellschaft los. « Sie müssen doch zugeben , sagte eine « gebildete » , ältere Frau von musterhaften Sitten, dass der Gedanke an ein feuchtes Weib unanständig, ja widerwärtig ist» ! Ich klappte mein Buch zu und sagte : « Sie haben

Recht » 1 Innerlich dcklamirte es aber in mir grimmig

16

DIK KUNST UNSERER ZEFl'.

r fühlt, Ihr werdet's nicht

r,,’ litc Ludwiq- v. Hofmann

' .lachti;;; !! l'rcund. h'r fand den cra-.h zu skandalös >^ , ja die « Fhan- r.ntW'. 'tliche Schmiererei». Und ich n t /,=^en u;estehen. dass ich gerade den i n . d.i-n ich früher schon in Berlin sah, als f halte, das ich gern vor meinen h !> cn möchte, zum beruhigenden Hinein- ii in i-n Er'cden. h's hangt nicht sehr gut im •: I '..i - .\usstellungssaales, aber es schlummert

hier ireftlich auf dem vom Nebel gebläuten \\‘ während das Abendroth in Busch und

''i-> 1 rümpfe seiner Koloristik ausspielt. Und die 1’! m n : Ach du mein Gott, Ihr lest doch auch \ unm-'v liehe naturgeschichtliche Erzählungen

1 erzählt Kindern und Grossen Eure Märchen: Lasst M, I- r d'>ch in Roth und Blau träumen und freut I- ■' h. Venn s Euch gefällt; geht aber friedlich vorüber, ‘•nn Ihr zum Träumen nicht gestimmt seid!

.\m -chlimmsten erging es LesserUry, hier hatte l'.ntru. tung meines Gewährsmannes keine passenden W <r'‘- mehr gefunden, sie war sprachlos geworden. 11 -fmann i>t ein Aristokrat und Ury ist ein Proletarier <ü-r Kunst. Da der letztere Stand zur Zeit der ge- a- hteti-re ist. so hat Ury besonders begeisterte Verehrer '"fun den. Ich kann mich zu seiner Höhe nicht ganz -rheb-n , zu jenem Gefühl xölliger Wurschtigkeit dem H -tail gegenüber. Zweifellos ist er ein sehr begabter ■Mann mit sehr scharfem Auge, ein sehr ernst zu ivhmender Künstler, der dadurch nicht geringer wir<I , dass Wenige ihn würdigen und Viele ihn ver¬ höhnen,

.Aber er i.st. vielleicht unbeabsichtigter Weise, ein M-’nn d'- reinen Systems, ein Theoretiker, stark im Ivr- fa en, schwach im Verarbeiten der Thatsachen, abhängig von einf-m ihm in T’leisch und Blut sitzenden Prinzip, ein -oz.iali: t der Farbe. Er sieht das hundertfältig Abge¬ tonte , einen ganzen Baum, ein ganzes P'eld als eine 1' arbenflache, braut mit geschickter Hand eine Einheit, la, .t die koloristischen Werthe unter sich abstimmen, und W‘ nn die Majorität goldig gelb oder roth schreit, wird auf die grüne oder graue Minoritiit keine Rück- icht mehr genommen: Port mit jedem, der sich dem M.i senwillen entgegenstemmt !

Wie es einem immer ergeht, dass die löbliche Ab¬ sicht, den Anderen seines Weges ziehen zu lassen nicht Stich hält vor der unseligen Lust, den Mitmenschen zu seinen Anschauungen herüber zu ködern, so that es mir doch weh, meinen Freund vor einzelnen Bildern nicht umstimmen zu können, obgleich er die beste Lust hatte, sich zu fördern, keineswegs zu den absichtlich Bockbeinigen gehörte.

Mit Julius Exter ging es schwer: «Die Mutter mit dem Kind » , in ihrer Tonfeinheit zu würdigen, dazu gehört etwas vom besonderen Malerverstand. Warum muss das Kind einen « Zulp » oder «Lutscher» im Mund haben? Vergeblich, dass ich beteuerte, es seien schon viele Genrebilder mit Zulp gemalt worden, welehe den Beifall aller gebildeten Mütter gefunden hätten und das Unheil sei nur, dass dies Bild so viel ernster ge¬ meint und gemacht sei als Andere das Behagen wollte nicht einziehen.

Alle jene starken koloristischen Versuehe, deren robuste Kraft meine besondere Freude sind, verfielen der Ungnade. Die sonnenumleuchteten Landschaften von C. J. B e c k e r - G u n d ah 1 , die Bildnisse von Fritz Alexander, die Kampfbilder von Hubert v. Heyden, die wie Fehdebriefe an die Akademie aussehen, die Eichen von A. Hänisch, die herbstlichen Felder von Paul Baum, die Abendstimmungen AdolfHölzel’s, die tieffarbigen Interieurs Hans Borchard’s und vieles Anderes. Es war unmöglich dem Freunde klar zu machen, dass das vor der Natur beobachtet sei, dass die Welt wirklich so aussehen könne, so aussehe. Wir hätten erst eine Rundreise in’s Freie machen müssen, um selbst zu sehen, wir hätten mit Fritz Strobentz oder M. A. Stremei in die Farbentiefe holländischer feuchter Luft uns versenken, jenen ganzen Kursus im Sehen durchmachen müssen, in welchem die Kunst seit einem halben Jahrhundert sich wandelnd fortbildete.

Eines hatte ich aber an meinem Genossen gelernt: Dass mir der rechte Massstab gefehlt habe, wie weit diese P'ortbildung schon bei der Menge der Künstler gediehen sei. Ich glaubte, man thue Unrecht in der Annahme, der Zug nach «Modernität» wäre der allein massgebende der Secessionisten-Ausstellung, er beherrsche jene Männer au.sschliesslich, welche im Kampfe des letzten Jahres die P'ührer der Secession waren. Diese sind thatsächlich die Gemässigten, Besonnenen; sie halten die Mitte zwischen den Ungestümen und den Langsamen, sie

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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y. Dagnan-Bouverct. Auf der Wiese.

werden daher auch bald die Führer de.s grossen Haufens sein. Freilich sind sie nach den Werken dieses Jahres allein nicht zu beurtheilen. Man kann im Allgemeinen sagen; Die so wohl gelungene Ausstellung selbst ist jedes Einzelnen diesjähriges Hauptwerk. Die gewaltige Anstrengung, welche für diesen Zweck gemacht wurde, musste natürlich auf die Schaffenskunst einwirken. Und

ich kann die Kunst nicht für einen Sport halten, in welchem die «Meisterschaft» alle Jahre auf’s Neue er- rudert oder erradelt werden muss ; und bei dem jener, welcher sie bisher hatte, sie beim nächsten Preisboxen verliert, sobald ein Anderer wuchtigere Schläge auszu- theilen vermag. Es ist sogar nicht zu verkennen, dass eine Reihe gerade der Vorstands-Mitglieder der Secession

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

- !:t ^iucklich waren. Bruno Pig'l-

•• \’ 'f-t: i, fehlt ganz. Ludwig Dill,

iw K ; f regsamen Künstlerkreises,

ü. i <-m kleines Aquarell ausgestellt, •.ri;'li'' koloristisch sehr bemerkens- rr'nzregcnten ist wohl mehr für . r Hauptachse des Baues einen würdigen - . : .bell, wie als eigentliche Probe des ;; - ln tlichen Künstlers von der Staffelei ge-

1- r..nz .Stuck hat für jene L'nglücklichen, die, r dun Recht öftentlicher Meinungsäusserung : ' r 1 il ein gestraft sind, alljährlich etwa zehntausend

: T .;u 1) '■ichtigen. nichts Neues beigebracht, als

•w ne X’ariation zu seiner «Sünde» und ein paar t b /eichnungen. Die Berliner Ausstellung zeigt , ' bil.icrreichen Künstler zweifellos besser vertreten. 1 -it, \ ’ii L'hde hatte keine glückliche Hand. Seine .Xb'ci"':- dr' jungen Tobias» gibt seinen Gegnern m uT luTÜ-i Handhabe zu berechtigtem Angriff. Ihm n der T- ■bi.;-' ein junger Mann aus der Biedermeierzeit, X'.ttcr und Mutter, brave, alte Leute, umstehen ihn, •. i er im Plur des altmodischen Hauses Abschied nimmt. Der Vorgang ist ganz im Stil der Genrebilder eschildert. nur ein auf der Treppe stehender Engel soll ihm eine grossere Tiefe des Gedankeninhalts n. .\ber ich empfinde in der grauen, unent- chieden durchgefassten Arbeit nicht die zwingende Kr.-ift der Innerlichkeit, die Uhde’s Arbeiten sonst aus- /ri. hnct. Er hat hier selbst einmal bewiesen, dass nicht 'Cin S\ 'tem seine Bilder hoch über die der malenden Mange erhebt, sondern die in ihm wirkende Kraft, dem '>y^tcm Leben zu entlocken. Der Mann macht das l'.ild, nicht das Kunstgesetz.

W'.'i-' l’hde kann, das beweist seine «Lachende .\Ito . cin ireflliches Gegenstück zu k'ranz Hals’ « Hille- b'ü^bf im Berliner Museum. Da waltet eine Kraft und Klarheit de.-' Vortrages, eine Meisterschaft der Ghamk- tcristik. wie sie eben nur Wenigen beschieden ist.

Mit Kopfschuttein sah wohl Mancher in dieser Aus- 'tcllung flie Bilder Hugo von Habcrmann’s, die so geir nicht in da-> Programm gehören, welches man der Secession anzudichten geneigt war. Hcllmalcr ist er sicher nicht. .Seine Bilder sind dunkel , trotz Ribera oder Lcnbach. Die ernste, empfundene «Pieta» erscheint schwarz in schwarz, das ])rächtige Selbstbildniss und der feine Madchenkopf braun in braun gemalt. Also

der Emschwung, die Einkehr zum guten Alten, froh¬ locken schon Viele !

Die Sache stimmt aber so doch wohl nicht ganz ! Die Hellmalerei, wie sie einst war, ist ja überhaupt sehr eingeschränkt worden. Einst hätte ein Bild wie das von Hans Herrmann «Vor der Schule» die Welt sehr erregt, weil es das hellste, weissblaue Sonnenlicht dar¬ stellt. Und wirklich, wer die Entdeckung machte, dass das Sonnenlicht so aussehen kann und nicht immer einen ockergelben «warmen» Ton hat, der hat etwas sehr Grosses geleistet. Aber seit der That des Ko¬ lumbus ist es keine überraschende Leistung mehr, die Eier zum Stehen zu bringen. Das Bild ist wacker, aber der Gedanke packt nicht mehr durch seine Neuheit. Andere haben schon mehr gethan. Wenn der Finne Albert Edelfelt in seinem «Bügelzimmer» mit einer erstaunlichen Feinheit des malerischen Nervs mit dem Weiss Versuche angestellt, den geringsten Tonschwank¬ ungen schlagende Wirkung zu geben weiss, so zeigt er sich als ein Mehrer des Reiches der Kunst, der aus eigener Kraft an dessen Grenzen ficht. Wenn der Franzose

Ct'sa7'e l.auyenti. Das Gewissen.

Traumverlo r en.

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Raffael Coli in im «Schlaf» einen nackten Mädchen¬ körper malt, der den vollen Ton der Natur und doch einen Schleier durchsonnter Luft um sich hat, so zeigt er die Hellmalerei auf neuem Wege. Es wird die Feinheit der real¬ istischen Beobachtung geradezu zum Schleier für die mit sorgfält¬ igster Genauigkeit dar¬ gestellte, enthüllte Ge¬ stalt; sie bringt uns den räumlichen Ab¬ stand von dem süssen Fleische unmittelbar zum Bewusstsein.

Auch Max Lieber¬ mann s « Mädchen mit Kühen» kann man zur Noth noch der Hell¬ malerei zurechnen , da er in diesem Bilde das weisse Sonnenlicht auf grüner Wiese darzu¬ stellen sucht. Aber im Allgemeinen ist die

o

Welt undankbar ge¬ nug, Jenen, welche in Bastien-Lepage’s Fuss- tapfen stehen , nicht mehr die rechte Auf¬ merksamkeit schenken zu wollen. Es ist ja eine der leidigen Eigen¬ schaften des mensch¬ lichen Auges, dass es bewegte Dinge mehr beobachtet, als still¬ stehende, selbst wenn diese sogar die bedeutend werthvolleren sein sollten.

Wem das Weiss allzumächtig aus der Tube quillt, so dass er sich hell zu malen gezwungen sieht, der sucht jetzt schon nach einem dringlichen Vorwurf Wenn der Amerikaner Childe Hassam oder die Deutschen Hans Olde und Hugo König wiederholt den Schnee malen, so sind es zwei Dinge, die ihr Augenmerk fesselt: Wie weit man gehen kann, um das reine

Weiss noch blendender erscheinen zu lassen, wie weit es möglich ist, durch feine Nebentöne die Farbe noch weisser wirken zu machen; und dann, wie tief man in den Ton eindringen kann, wie farbig man werden

darf, ohne dass der Schnee seinen weissen Schein verliert.

Gerade die Bilder der beiden Deutschen würden , nebeneinan- dergehängt, lehrreiche Vergleichspunkte ab¬ geben , wie sehr ver¬ schieden weisser Schnee aussehen kann bei ver¬ schiedener Belichtung.

So war denn die Weissmalerei ein An¬ fang und ist nun die Schwarzmalerei, wie sie Habermann betreibt, in gewisser Beziehung ein Fortschritt.

Das sehr schöne Bild \'on Ernst Oppler « Dame am Klavier » mag als Beweis hiefur gelten. Es ist fast schwarz , ohne aufzu¬ hören farbig zu sein, fast lichtlos, ohne dass man nicht noch die Luft zwischen Be¬ schauer und Beschauter empfindet. Zwischen den beiden äussersten Schattirungen des Ko¬ lorits liegt die endlose Reihe farbiger Stimmungen, ist Platz für die Malerei von Jahrhunderten.

Was bei der neuen Kunst herauskommt, das zeigt am besten das vielleicht einwurffreieste Bild, welches in diesem Jahre in München zur Schau kam, des Dänen Peter Severin Kroyer Frauenbildniss. Die Gestalt in einfachem , weissem Kleide , in einfachster Haltung vor der abendlichen röthlichblauen Fläche der wellen-

Gustave Cojirtois. Portrait von Mme. K.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

: if k- :T x'- des W’ r. d ein -I 't sitzender \ r . ;'!;t - nichts ,

; ' U-Miecntration

K.e- t' risehi-. auf die : Kr.' ft J,(S I'arbcn-

1 - ■..■- li! Kraft ini Halb- , d. \',.rzüi;i‘, die zu er- /f dl unni''';_;lich gewesen ■' ;> rarbeit der Hell- : --h-«:' da-s einmal erst alle

' mehr sattii^enden Schau- . -m lT<'h der Kunst her- •- r u. rf=ii worden waren, um ; d t'crischen Hrode der rück- '• ! -11 Xaturwahrheit Platz zu machen! Das feine,

halt nefarbten, aber fast ganz gleichmässigen I .T-rl.irh<-n aufgebautc kleine Werk von Otto Eck- !■: nn Winterabend» bietet Aehnliches, gleiche Ruhe cr -t '. '-r Kurzem mit Sturm eroberten Tone. Wenn n =in liildchen wie das von Karl von Stetten .\:-i I'u e de' Louvre » mit älteren Genrebildern ver- !- Tlit. iO wirtl man als das Neue zunächst die Ver- leir'-rung d^s .-Xuges hinsichtlich der P'arbenwerthe be- z- i'dinf n k'-nnen, die P'ähigkeit, mit ebenso wenig Kontra t im Ion, als sie die Natur hat, doch auf der 1' h-- der Leinwand die räumliche und körperliche

Wirkung zu erzielen. Und dann weiter ist neu die intimere» Peobachtung des Menschen; mit anderen W' rten der Umstand, dass der ohne idealisirende .\k. ;■ ht dargestelltc Mensch von heute als schön er- Iicint. wf-nigstens Jenen, welche modern zu sehen '•lernt haben.

I-h nannte Kroj'er's Pild das einwurffreieste , also -L-jenige. welches von Betrachtern der verschieden- . rti' t'-n Entwickelungsstufen des Schönheitsgefühles in die-fin Jalire am einstimmigsten als schön em¬ pfunden w'-rdc. I'L wetteifert hierin mit ihm das W-rk ein* Deutschen, Kob. Ilaug’s « y\m Rhein»:

I ruppen au- der Zeit der I'reiheitskricge sehen zum er ten Mal v<>n bewaldeter Hohe den vielbesungenen ”r-*m. Es i-ä »ine treffliche klare, eindrucksvolle .\rkwit, vielleicht nicht ganz so eindringlich in der ■‘immune , wie sein Morgenroth » , aber von jener je IvTlcnheit in der h'arbe , welche die jungen

Meister stets auszeichnet, und dabei meisterhaft ge¬ zeichnet.

So entscheidet denn der Grundton im Bilde allein nicht darüber, ob es «modern» sei oder nicht. Mag der Gesammteindruck wieder ein « goldiger » , wenn die Malerei nur nicht « saucig » , wenn nur nicht die nach¬ träglich aufgeduftete Stimmung wie ein äusserliches Beiwerk erscheint, das nicht nach dem Ozon der Luft, sondern nach verschiedenen Eirnissarten riecht. Das Abendlicht ist gelb, das braucht man nicht erst zu be¬ weisen, die Dämmerung vergoldet die Dinge, das haben alle Zeiten gesehen : Also kann ein moderner Maler das lange Zeit so gefürchtete Braun gern wieder aufnehmen, ohne sich selbst untreu zu werden.

Man sehe in des prächtigen Naturburschen Gustaf A nk a rc r o n a « Sommerabend », in Wilhelm Keller- Reutlingen « Kornfeld » : Wie gelb , goldig die Abendsonne auf ihren ganz modernen Bildern scheint. Man schaue auf Hugo König ’s köstlich fein empfun¬ denes «Interieur», um zu sehen, dass der alte Teniers immer noch lebt oder doch ein neuer Teniers auch unter uns zu leben vermöchte ; oder man sehe des Belgiers Albert Baertson prächtiges Abendbild, in welchem die Häuser einer vlämischen Stadt sich in einer leuchtend gelben P'luth spiegeln ; oder man vertiefe sich in das braune Laub von Paul Müller’s herbstlichem «Buchen¬ wald»; in O. Reinigcr’s wie mit der Keule gemalten Dämmerungsbildern; in AdolfHölzel’s fein gestimmte Werke: Bei allen diesen ist eine Eülle des Braun, ein Reichthum trotz des verwandten Tones, eine Erweiterung

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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des Bestandes an malerischen Werthen, eine Unmittel¬ barkeit des Anschauens, die sich auf eine immer grössere Zahl von Malern erstreckt und von der befreienden Kraft des Realismus die willkommenste Kunde giebt.

Zweier Künstler braungestimmte Bilder möchte icli hervorheben. Das erste ist des Mailänders Giovanni Segantini «Zwei Mütter», nämlich eine über ihrem Kinde im Stall eingeschlafene Frau neben der Kuh und dem Kalbe. Segantini ist einer der eigenartigsten unter den Lebenden.

Von seinen aus dünnen , dürren Strichen wie aus Mosaikstäben zu¬ sammengebauten Bildern , deren Technik so müh¬ selig und trocken, schwunglos und handwerksmässig erscheint , bricht stets ein Strahl echt künstlerischer Auffassung her¬ vor, frischen Lich¬ tes, klaren Tones.

Unter den Vie¬ len , welche aus einem Nebenein¬ ander der Farben, deren eindringlichere Mischung für die Wirkung von Ferne erwarten, als sie auf der Palette erzielt werden kann, ist er einer der Zielbewusstesten und einer von Jenen, die ihre Absicht wirklich erreichen, ohne von dem Beschauer allzuviel Abstand oder Kurzsichtigkeit zu fordern. Sein jüngstes Bild zeigt den Maler, der sonst in grellen Sonnenwirkungen schwelgt, im braunen Halbton ebenso sachlich, ebenso sicher, ebenso kühn, ebenso selbständig.

Und der zweite ist der Frankfurter Hans Thoma und zwar in seinen Landschaften. Ich weiss es wohl, dass es Vielen, namentlich auch Künstlern, hart angeht, sie für voll hinzunehmen. Man vergisst bei ihrem An¬ blick den Farbentopf nicht, sagte mir ein kunstsinniger, Thoma sonst mit Liebe würdigender Freund, dem ich glauben muss , dass er seine Empfindung unbeeinflusst

wiedergab, obgleich ich sie nicht theile. Ich sehe in diesen Bildern eine primäre Kraft der Naturbeobachtung: So sieht die Welt aus, so finde ich sie im Hochsommer zwischen Schwarzwald und Harz, so braun sind die Wiesen gebrannt, so grau ist der Ton unter ziehenden Regenwolken, so gelb scheint die Sonne dazwischen. Da herrscht wohl nicht die Feinheit moderner Be¬ obachtung; die Mittel sind derber; die Absicht tritt stärker, deutlicher hervor. Aber es ist in den Bildern

eine Frische und Weite , die mich ganz und gar für sie einnimmt.

Einst galten sie für zu grau, jetzt sind sie Vielen zu braun, Thoma blieb eben der Alte im Sturme der Zeit ; Und er hat recht ! Seine ausgemalten Li¬ thographien sind von einem zauber¬ haften Reiz , ob¬ gleich die Earbe nicht eigentlich wahr und auch die Zeichnung oft recht eigentlich falsch ist , so dass nicht viel « Kunstsinn » dazu gehört, die Fehler zu entdecken. 'Aber da ist eben ein ganzer Mensch in einigen menschlich fehlerhaften Werken zum Ausdruck gekommen, nicht eine Schule. Wer hat ein Naturkind nicht lieber, als ein solches, welches sich ganz formgerecht nach Gouvernanten-Weisheit benimmt!

Der eigentliche koloristische Kampfzweck für die Maler liegt zur Zeit noch nach der Ausstellung der Se¬ cession zu urtheilen, in der Rückeroberung der lebhaften Farbe, im tiefgehaltenen Ton. Und zwar erscheinen hier die Skandinavier als die eigentlichen Führer; Anders Zorn, der Schwede, malt das Bildnis seiner Frau in leuchtend rothem Kleid, meisterhaft, frei, tonsicher; Fritz Th au low, der Norweger, blickt in eine Tiefe des Wassers von wunderbarer Unergründlichkeit. Und unter den Deutschen kann sich kecklich in gleiche

DIK IvUXST UNSERER ZEIT.

\ .

T, stellen der .Münchener Seces-

-iru E u 1 1 r a c k mit seinem Hoch- e di r l>is<'h-‘<tcn Arbeiten in der ganzen .M.- rh: n. r Kun-stüber.-^chwemmung.

' b ti-n l'rcund. welcher an mich den r - hwer zu berricdigenden Wunsch richtete, -■ wie man das Schöne in der modernen

■' ;.-:>land ich zu, ich \ermöchte das mit

. auch nicht, aber ich könne ihm doch

= ' ii, uT. man .Andern glauben mache, dass man es Man ,;eht. so rieth ich ihm, schnurstracks auf ' . Ts b.ld zu. .schlägt mit dem Finger in der Luft K‘= ; um die glänzend gemalte Stelle, an der f 'fanne vor der wei.ssen Giebelwand eines IT t. ht . r’chtet die Augen ’gen Himmel und

1 -’as ist gemalt! . . .

l'.'-'-en Sie nur einmal auf; Ein Maler kommt i -n dalli r und weist mit der anempfohlenen Bewegung .! die. Stelle. Dort auf dieser Handbreit Leinwand ' also ein gutes Stück von dem, was heuer das " rd'.rc Kuu -tversländnis ausmacht ! »

Mein Wandergenosse sah mich kopfschüttelnd an und 1-ilicb lange vor der Stelle stehen. Ich hatte in- : h- n Zeit, mich mit einer höflichen Verbeugung in ' nen anderen Saal zu flüchten.

Hie Lehren, welche der Rechtsanwalt Detmold vor '•*wa fünfzig Jahren gab. um in zehn Minuten einen K'^mncr hcranzubilden, würden heute nichts mehr nützen.

le zielen darauf hin, ihm in höchst ergötzlicher Weise a thetisirende Schlagworte beizubringen. Jetzt liegt das Zi- 1 ganz anders und ist mit der Gelehrsamkeit der Kunst 1 '’g'-n.ib^T nicht viel anzufangen. Und daher verstehen W enige den W'’eg, den die Künstler wandern ; wie sie g.tnz ohne « bedeutenden » Gegenstand au.skommen und doch ein weites Gebiet zur Belh.ätigung ihres Geistes find'-n.

h.- ist erstaunlich, wie rasch immer wieder ein K- innen das andere übertrumpft, wie es fast als ein Zufall er' 1 heint. ob die Kraft für den Ausdruck solcher Glanz- timmuivjcn. wie sie Buttersack bietet, im entscheiden¬ den Au: enblick ausreichte. Wie oft sahen wir von \ i. tor \\’eisshaupt idinlich leuchtende Bilder. .\1 'T doch ist ihm diesmal Buttersack uiti ein gutes -’t vorgekommen. Der Norweger J. Grimclund ctzt in einem sehr frischen Lofodenbild mit in diesen W ttlauf ein. In seiner Klarheit und Sonnigkeit lässt

er die heitere Farbigkeit eines Normann oder Sinding weit hinter sich.

Umgekehrt sehnen sich die regsameren unter den Italienern sichtlich nach Abtönung, nach einem Ende der Pracht raketenartig aufsteigender Farbengarben, nach koloristischer Ruhe und Sammlung. In der fröhlichen Naturwüchsigkeit der Liebe zur Buntheit ragt unter den Neapolitanern diesmal C. Tiratelli hervor. Ettore Tito weiss den schönen Töchtern seiner Heimath ma¬ lerisch immer neue Seiten abzugewinnen und thut dies mit wohlthuender Feinheit. Aber die eigentlich kraft¬ vollen unter den Italienern haben auch seine Art Bunt¬ malerei aufgegeben: Al. Zezzos erkennt man an seinem pflügenden Bauern, einer Gestalt von sehr entschiedener Bewegung, zunächst gar nicht wieder. Pietro Fragia- c o m o und B. B e z z i suchen auf’s neue nach einheitlichen Tonwerthen. Sie nähern sich den einstigen Pfadweisern in diesem Gebiete, den Holländern, welche endlich zu einer gewissen Uebereinstimmung, und in dieser, wie es scheint, dem Stillstände nahe gekommen sind. « Die um Israels» haben sich nun einmal in die Dunkelseherei verliebt, und «die um Mesdag» in das Silbergrau. Wenn auch einmal ein starker P'arbenton hier und da hervorschaut, so thut er es doch nur wie verschämt. PA J. du Chattel, Franz Courtens, Adrien Le Mayeur, die beiden Maris, P. J. Clays, der auf der letzten Ausstellung viel bewunderte W. B. Th ölen, und wie sie sonst heissen , die pinselfertigen Kämpen im Haag und in Amsterdam und in Brüssel, sie mar- schiren alle eine gebundene Marschroute. Hinter dem geschlossenen Trupp sieht man aber die berittenen Hauptleute hervorlugen, die ihnen den Richtweg weisen. I'ein , vornehm, schlicht, ruhig wirkt so ein nieder¬ ländischer Saal, aber, wie’s nun einmal uns armen, gehetzten , auf Neuheiten ausspähenden Kritikern er¬ geht; Er ist dem vom vorigen Jahre etwas zu ähnlich und dem von drüben im Glaspalaste auch. Mit den Schotten hatte die Secession sogar weniger Glück als die Geno.sscnschaft im Glaspalast: J. W. Hamilton dürften sic die Mehrzahl seiner Bilder ruhig mit dem Bemerken zurückschicken, dass auch wir in Deutschland zwischen frischen flott gemalten Skizzen und Dutzend- waare zu unterscheiden wissen, selbst wenn sie aus Schottland kommt.

Man hat der jungen Malerschule so oft einen Vor¬ wurf daraus gemacht, dass sic undeutsch, aus Erankreich

L

HirEChfeld i.lnj, P- TInnfst.u-ngl, München.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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entlehnt sei. Und gerade dies Fremdartige sei es, was sie der Nation so schwer verständlich mache.

Es sei mir verziehen , wenn ich mich im Hinblick auf diesen Einwurf wieder auf meinen Gewährsmann berufe. Mit einem wahren Ingrimm setzte der patrio¬ tische Mann die Bilder der Franzosen zumeist in die Reihe der «guten» Arbeiten. Es war ihm ein ehrlicher Schmerz, dass er so oft dort, wo sein Gefallen geweckt wurde, Paris als den Herkunftsort im Kataloge fand, und bei dem, was ihn abstiess, deutsche Städte. Ereilich hatten die Nord¬ amerikaner einen starken Antheil an diesem «Paris».

Charles Spra- gue Pearce,

Alexand. Har¬ ri s o n , W e e k s ,

J. W. Alexander sind keine I'ran- zosen , sie ver- läugnen so wenig D a n n a t , V o n - n o h und an¬ dere mehr kampf- muthig gestimmte oder der mit einem feinen Bild¬ chen vertretene Münchener Maler Charl. Ulrich ihre Heimath. Aber im Allgemeinen unterscheiden sich die in der Secession vertretenen I'ranzoscn durch eine sorgfältigere Durchführung und friedlichere Haltung ihrer Bilder. Es ist für eine gewisse Malart das unmittelbare, etwas nüchterne Licht der neuen Ausstellungshalle nicht eben günstig, besonders nicht für jene, welche in nebelige Dämmerung hinabsteigen und das Ver¬ schwimmen der Massen darstellen. Wie viel sehöner waren die feinen , geistvollen Oelbilder und Pastelle von P'ranz Skarbina, als man sie bei Schulte in Berlin in schlechterem Lichte sah. Manche seiner Arbeiten sind mit dem Halbton ihres besten Reizes beraubt.

Die Eranzosen scheinen von vorn herein für anderes Licht gemalt zu haben. Die im grünlichen Licht gebadete

Waldlandschaft von Dagnan-Bouveret hält sich tapfer, die «Träumerei» von H. Fournier wirkt sogar besonders fein. Achille Cesbron mit seiner « Stille der Nacht », Jean -Adolfe Chudant mit seiner algierischen Strasse im Mondlicht, Montenard Hellen, Souza-Pinto sind der Anerkennung bei uns sicher und den Vogel unter den in unbestimmten Tönen schwimmenden Bildern schiesst Alphonse Dinct mit seinen im Mondschein badenden Mädchen ab. Wie oft ist der Mondschein gemalt! Und wie kam es, dass Keiner vorher diese

blaue Umrisslos- igkeit, dieses Zer- fliessen der Form im Halbschein sah und Andere wie¬ der sehen liess!

Das Zeitalter der malerischen Entdeckungen ist noch lange nicht vorüber.

Ich habe bereits früher über die eigentlichen My¬ stikergesprochen, von denen nur Carlos Schwab unter die Seces¬ sion gegangen ist.

Man thut Un¬ recht, C. Strath- mann nach seinen Aquarellen dazu zu rechnen, Unrecht, sich über diese geschmackvollen Blätter zu ereifern. Ist denn der Welt so aller Humor abhanden gekommen, dass sie nicht mit frohem Lachen diese tollen , halb ironischen, halb ernsthaften Malergedanken zu würdigen weiss Sind wir denn ganz in den Sauertopf der Aest- hetik hineingerathen , dass wir den Ernst der Kunst nur bei herabgezogenen Mundwinkeln verstehen; so ganz «aufgeklärt», dass Alles, was nicht klar ist wie Brunn¬ wasser, uns bedenklich erscheint.?“ In einem Künstler¬ kreis, der so ganz vom Geist der Zeit durchdrungen ist, wie die Secession Münchens, kann es daher nicht an Spuren der Mystik unserer Zeit fehlen. Paul Höcker und Albert Keller, beide Vorstände des Vereins, vertreten sie am ausgeprägtesten. «DieWund-

17

1)1 K KUNS']' UNSERER ZEIT.

'...T - in grosses Bild einer Nonne, die

- -i,- n ycschiniickte Wand einer däm- ; - arli in der Stellung des Gekreuzigten \ ■' Ti ni I k uer ergliihen die Wunden. Das

loristischen Geschick dargestellt, ein I :r;it’t und l'einheit. Auf Keller’s Bild - .. .\ ; :’.Mi ihre \ erstorbene Schw ester bei Kerzen- : 1 -iniire-rlicht auf: han \erwandter Effekt, hier •' .'^trirhen hingemalt, bei grosser Feinheit der rtk= . der Lichtunsicherheit zwischen Tages- und k '■ . eiu in . doch nicht ganz fertig im Abw'ägen der 'd ' und di.T Relle.xe. Das Bild, das mit Recht nicht V h in Detail durchgeführt wurde, hat etw'as

Nervöses, Hastiges. Es findet sich in einem anderen Saal ein kleineres Bild desselben Meisters, ein Bacchanal, rasch hingeworfen, geistreich erdacht, farbig gesehen, frisch empfunden, ein erfreuliches Zeichen der Viel¬ seitigkeit des besonders fein organisirten Künstlers, dem in diesem Jahre die schwere Last oblag, die Berliner Ausstellung der Secession zu organisiren.

Dieses Schaffen und Wirken für die Allgemeinheit ist nothw^endig und höchst dankenswerth. Fast möchte man aber wünschen, dass minderen Geistern die Ver¬ waltungsarbeiten zugewiesen werden könnten , damit Hände, wie die Keller’s, an der Stafifelei in Ruhe zu wirken vermögen

Riitlolf A/iiisun. Neger auf einem Esel reitend.

Taunus- Landschaft.

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