m AVer eck . VJ ili i eim Die Lanciwirtscnaft unter dem Einflüsse von Bergbau und Indus- trie im Pheini sehen Puhrkohlen- gobiete. ASS^ökx Volkswirtschaftliche und wirtschaftsgeschichtliche Abhandlungen herausgegeben von Wilhelm Stieda o. S. Professor der Nationalökonomie in Leipzig III. Folge Heft 1 Die Landwirtschaft unter dem Einflüsse von Bergbau und Industrie im Rheinischen Ruhrkohlengebiete Von Dr. W. Avereck Leipzig Verlag von Veit & Comp 1913 ^Späs'^i Volkswirtschaftliche und wirtschaflsgeschichtliche Abhandlungen herausgegeben von Wilhelm Stieda 0. ö. Professor der Nationalökonomie in Leipzig. Heft t: Der Hausbalt der Stadt Hildesheim am Ende des 14. und in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Von Dr. Paul Huber. 1901. 3 J, Heft 2: Die Hollandsgränger in Hannover und Oldenburg. Ein Beitrao- zur l:Tescluchte der Arbeiterwanderung. Von Dr. Joh. Tack. 1902. 6.^ Heft 3: Ein deutsches ßeichs-Arbeitsamt. Geschichte und Organisation der Arbexterstatxstilc im In- und Ausland. Von Dr. Ru^dolf Dreydorff! Heft A: Samuel Selfisch, ein deutscher Buchhändler am Ausgange des 16. Jahrhunderts. Mit dem Bildnis 8elfischs und 10 Faksimile-Bei- lagen. Von Dr. Hans Leonhard. 1902. 4 jt. ^'^' '^ ^umaTn'^TooP^T^^^ Königreich Sachsen. Von Dr. Walther Heft 6: Der Teilbau in Theorie und Praxis. Ein Beitrag zur Lösung der landlichen Arbeiterfrage. Von Dr. Theodor Spickermann. 1902. 2 .^^ ^'^*^'?9ö3.'^?!rf5o"^'^'*^'"''*''^'''*^''^*'- ^"'^ °'-- «'«"ard .Soudek Heft 8: Die Organisation und Bedeutung der freien öffentlichen Arbeits- Sr'tSd'S'w ^" ^.^-X7'i-gten Staaten von Nordamerika Von Dr. Brainard H. Warner jr. 1904. 2 .^ 50 ^. Heft 9 : Die Verlegung der Büchermesse von Frankfurt a. M. nach Leinzis Von Dr. Felix von Schroeder. 1904. 2 ^ 50 .^. -i-eipzig. Verlag von Jäh & ScKunke in Leipzig. Neue Kolge. Heft 1: fj»^«J«f^l^^«^^^verbe Leipzigs. Von Dr. jur. et phil. Wilhelm Sternberg. ^'^*^'Ew.?',^^*^? «»d die Ursachen unserer heutigen Wirt- schaftskrisis. Von Dr. Bernhard Rost. 1905. 1^. ^^^* ^' J^c ^'^^^'•''"^^L'"' ^*^*«*« ^«^ "a"se i«i Mittelalter. Von Hans Hartmeyer. 1905. 2 ./^ 50 ^. ^'^* ^'' wi ^t^^r'^'^VX /vi «"»?»•«"• Von Dr. Demeter Busuiocescu. Mit 2 Karten und 8 lithographischen Darstellungen. 1905 5 ji ""'" "■ rphifsrs'%^"„k''cr"'"' «--■'■ "t-""^- Von Heft 6: I>|.s_BanWm„^sJerMedlci u„d seine VorWafer. Von Otto Mellzing. Heft 7: Dto Fajrencefabrlk ^^y MosSacl, in Baden. Von Johannes März. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Ec.H f\35Z2>ky ,- Volkswirtschaftliche und wirtschaftsgeschichtliche Rhhandlungen herausgegeben von Wilhelm Stieda 0. ö . Professor der Nationalökonomie ir 1 Leipzig III. Folge Heft 1 ^ V Ol Die Landwirtschaft unter dem Einflüsse von Bergbau und Industrie im Rlieinischen Ruhrkohlengebiete Von -. W."^^' Dn Wi Ävereck fi 523084 Leipzig Verlag von Veit & Comp. 1913 >)y.. Druck von Metzger & Wittig in Leipzis. SEINEM LIEBEN FREUNDE HERRN HEINRICH MÜLDERS IN MÜLHEIM A.D.RUHR IN AUFRICHTIGER FREUNDSCHAFT GEWIDMET VOM VERFASSER. Vorwort. Landwirtschaft und Industrie sind zwei gleichberechtigte und gleich bedeutungsvolle Faktoren im wirtschaftlichen Leben. Auf dem einmütigen Zusammenarbeiten dieser beiden Zwillingsschwestern be- ruht in erster Linie das Wohlergehen eines Landes. Nur dort, wo beiden ein lohnendes Feld für ihre Betätigung und ihren Schaffens- drang geboten ist, können sie gedeihen. Die heimische Landwirt- schaft ist die sicherste Abnehmerin industrieller Erzeugnisse, und die Industrie mit ihrer stetig wachsenden Bevölkerungszahl hin- wiederum der beste Absatzmarkt für landwirtschaftliche Produkte. Beide Berufsstände sind darum aufeinander angewiesen, beide können und müssen friedlich nebeneinander bestehen. Der Verfall des einen wird leicht den Kuin des anderen nach sich ziehen. Das hier Gesagte gilt natürlich nur für ein größeres Gebiet, für ein ganzes Land. In einem kleineren, eng begrenzten Gebiete, kann recht wohl der eine der beiden Berufsstände den anderen stark in den Hintergrund drängen, ohne daß dadurch das volkswirtschaftliche Wohlergehen des Landes beeinträchtigt wird. Wer mit der Eisenbahn den rheinisch-westfälischen Industrie- bezirk durchquert, wird beim Anblick der immer wiederkehrenden Bilder, wie Fabriken mit vielen rauchenden Schloten, Kohlenschächte mit mächtigen Berghalden und langgestreckte Arbeiterkolonien, zu- nächst den Bindruck gewinnen, als ob hier die Landwirtschaft von ihrer jüngeren Schwester, der Industrie, fast gänzlich verdrängt sei. Und doch wäre es falsch, der Landwirtschaft in diesem Gebiete zur- zeit jede Bedeutung abzusprechen. Die mächtigen Steinkohlenlager, deren Ausbeutung seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts in riesigem Umfange erfolgt, haben allerdings den Schwerpunkt der wirtschaft- lichen Ent Wickelung in die Industrie verlegt. Es ist deshalb leicht erklärhch, daß Industrie und Bergbau hier im Vordergrund des Interesses stehen und daß die Landwirtschaft dieses Gebietes im allgemeinen weniger beachtet wird. Gleichwohl dürfte es von be- sonderem Interesse sein, die landwirtschaftHchen Verhältnisse in einer Gegend zu untersuchen, in der der gewaltige Aufschwung der In- dustrie auf diese nicht ohne Einfluß geblieben ist. Die nachstehende Untersuchung soll sich demnach nicht nur darauf beschränken, eine objektive Schilderung von der heutigen Lage der Landwirtschaft im rheinischen Euhrkohlengebiet zu geben, sondern nachzuweisen versuchen, inwieweit die wirtschafthchen und sozialen Verhältnisse , VI der Landwirtschaft durch Bergbau und Industrie beeinflußt worden sind und inwiefern sich die Landwirtschaft hinsichtlich ihrer Pro- duktionsrichtung den gegebenen Verhältnissen angepaßt hat. Zur Lösung dieser Aufgabe standen mir außer einigen sehr ver- streuten Notizen in der Literatur hauptsächhch nur zwei Hilfsmittel zu Gebote, nämlich die amtliche Statistik und persönhch vorzu- nehmende Erhebungen. Von der Literatur, die in einzelnen Fällen zu Kate gezogen werden konnte, wären besonders zu nennen zunächst die Werke, welche die landwirtschaftlichen Verhältnisse in der älteren Zeit behandeln, wie Beschreibung der Landwirtschaft von West- falen und Eheinland von Schwerz (1816), Statistik und Topographie des Keg.-Bez. Düsseldorf von Dr. Georg v. Viebahn (1836), topo- graphisch-statistische Beschreibung des Kreises Duisburg (1845), Statistik des Keg.-Bez. Düsseldorf von Dr. Otto v. Mülmann (1867). Ferner die Abhandlungen, die sich auf einzelne Teile beziehen, wie die Festschrift zum VIII. allgemeinen Deutschen Bergmannstag (1900), die Vererbung des ländlichen Grundbesitzes von Sering in den Landwirtschaftlichen Jahrbüchern (1900), ,,Die Lage der ländhchen Arbeiter" von Auhagen in den Schriften de? Vereins für Sozial- politik (1892), ,,Die Entwickelung der Landwirtschaft" von Hansen in der Landwirtschaftlichen Zeitschrift für die Kheinprovinz (1900). Endlich zwei Abhandlungen, die sich auf die landwirtschaftlichen Verhältnisse im benachbarten westfälischen Industriegebiete beziehen, nämlich ,,Die Landwirtschaft der Kreise Kecklinghausen und Gelsen- kirchen" von Dr. Joh. Altkemper, Bonn (1905), und ,, Die Land- wirtschaft in den Kreisen Dortmund und Horde" von Dr. Gisbert Linneweber, Stuttgart (1909). Das statistische Material wurde sowohl der amtlichen Statistik des Deutschen Kelches als auch der amtlichen preußischen Statistik und dem bekannten Werke von Meitzen: „Der Boden und die landwirtschafthchen Verhältnisse des Preußischen Staates"^ entnommen. Durch das freundliche Entgegenkommen und die tätige Mit- arbeit verschiedener Landwirte des rheinischen Kuhrkohlengebietes wurde es mir möglich, von der heutigen Lage der dortigen landwirt- schaftlichen Verhältnisse ein ziemlich getreues Bild zu entwerfen. Allen denen, die mich durch Überlassung ihres Materials oder durch .Angaben in bereitwilligster Weise unterstützt haben, spreche ich auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank aus. Ferner ist es mir eine hebe und angenehme Pflicht, an dieser Stelle dem Dank Ausdruck zu verleihen, den ich dem Herrn Geh. Hof rat Prof. Dr. Stieda in Leipzig schulde für die Anregung und wohlwollende Förderung, die er dieser Arbeit hat angedeihen lassen. 1 Berlin 1888—1908. Inhalt Seite I. Die Grundlagen der Landwirtschaft 1 A. Die natürlichen Grundlagen. 1. Die örtlichen Verhältnisse 1 2. Die geologischen Verhältnisse 2 3. Die hydrographischen Verhältnisse 5 4. Die klimatischen Verhältnisse 8 B. Die wirtschaftlichen Grundlagen. 1. Die Bevölkerungsverhältnisse 11 2. Die Verkehrsverhältnisse 19 3. Die Preisverhältnisse 22 II. Die landwirtschaftlichen Verhältnisse 27 A. Allgemeine Zustände. 1. Die Entwickelung der Landwirtschaft 27 2. Die Arten und Verteilung des Grundbesitzes 31 3. Die Vererbung und Verschuldung des ländhchen Grundbesitzes 37 4. Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen 40 B. Die landwirtschaftlichen Betriebsverhältnisse. 1. Typische landwirtschaftliche Betriebe des rheinischen Ruhr- kohlengebietes 44 2. Statistik der landAvirtschaftlichen Bodennutzung 56 3. Der Ackerbau 60 4. Die Viehhaltung 64 5. Die Arbeit in der landwirtschaftlichen Unternehmung 74 6. Rentabilität der landwirtschaftlichen Betriebe 79 7. Schädigungen des landwirtschaftlichen Betriebes durch Bergbau und Industrie 82 Schlußwort 85 Erster Teil. Die Grundlagen der Landwirtschaft. A. Die natürlichen Grundlagen. 1. Die örtlichen Verhältnisse. Das von uns ins Auge gefaßte Gebiet erstreckt sich über die heutigen Stadtkreise Duisburg, Mülheim a. d. Euhr, Oberhausen und Essen, sowie über die beiden Landkreise Essen und Dinslaken; es ist also derjenige Teil des rheinisch- westfäHschen Euhr-Kohlen- gebietes, welcher politisch zum Eeg.-Bez. Düsseldorf gehört und im Osten gegen die westfähsche Grenze und im Westen durch den Eheinstrom abgegrenzt ist. Die oben genannten sechs Kreise bildeten bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts den alten Kreis Duisburg, der im Jahre 1823 durch Zusammenlegung der Kreise Essen und Dinslaken entstanden war. Der Hauptort dieses Kreises wurde die ehemahge reichsunmittel- bare Universitäts- und Hansastadt Duisburg. Der vormahge Kreis Essen zählte zur Zeit jener Vereinigung 40970 Einwohner und be- stand aus den ehemaHgen Stiftsgebieten Essen und Werden, sowie der früheren bergischen Unterherrschaft Broich mit Mülheim a. d. Euhr. Der Kreis Dinslaken umfaßte die dem ehemaHgen Herzogtum Cleve zugehörigen Bürgermeistereien Duisburg, Euhrort, Holten, Dinslaken, Götterswickerhamm und Gahlen und hatte im Jahre 1823 23559 Ein- wohner. Die Gesamtgröße des neu gebildeten Kreises betrug rund 670 qkm. Die gewaltsamen Änderungen, welche das ganze Wirt- schaftsleben durch den großartigen Aufschwung der Industrie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte, machten die Forde- rungen der poHtischen Umgestaltung des bisherigen Kreises Duis- burg zu einer zwingenden Notwendigkeit. Iimerhalb weniger Jahr- zehnte erscheint daher eine so mannigfaltige Umgestaltung und Ge- bietsverschiebung durch Kreisteilungen und Eingemeindungen, wie sie wohl kein zweiter Kreis der preußischen Monarchie zu verzeichnen hat. Im Jahre 1857 wurde der Kreis Duisburg geteilt in die Kreise Essen und Duisburg. 16 Jahre später wurden beide Kreise nochmals geteilt, und zwar der Kreis Essen in einen Stadt- und einen Land- kreis Essen und der Kreis Duisburg ebenfalls in einen Stadt- und Avereck, Landwirtschaft. 1 ihrer Bildung ausgedrückt werden soll. In volkswirtschaftlicher Be- ziehung verdienen gerade diese Diluvialablagerungen besondere Be- achtung. Da sie den größten Teil der Oberfläche einnehmen, üben sie einen bestimmenden Einfluß auf den Boden und besonders auf die für die Landwirtschaft so wichtige Dammerde oder Ackerkrume aus und sind deshalb im wesentHchen für die Beschaffenheit und die Fruchtbarkeit des Landes maßgebend. Dort wo der Lehm die oberste Lage des Diluviums über dem Sand und Gerolle bildet, haben wir die fruchtbarsten Bodenarten. Fehlt diese Lehmdecke und bilden Sand und Gerolle die oberste Bodenschicht, so haben wir es mit jenen mehr oder minder unfruchtbaren Böden zu tun, die oft die Kultur nicht mehr lohnen. In unserem Gebiete finden sich die durchweg sehr fruchtbaren Diluvialablagerungen besonders auf den flachen nördHchen Abhängen der Kreideformation gegen das breite Tal der Emscher hin. Die untersten Lagen von Gerolle (Kies oder Grant) sind durchweg von 3 — 4 m Mächtigkeit. Darüber lagert sich meistens ein kalkiger, fein- sandiger Lehm von oft großer Mächtigkeit, der in seinen unteren Schichten dort, wo er in flachen Gegenden reichlich mit Wasser ge- tränkt ist, den oft mit Kecht so gefürchteten FHeßboden bildet. Die obere Lehmschicht bildet den meist sehr fruchtbaren Ackerboden und wird auch vielfach als Ziegelerde benutzt. Der an vielen Stellen vorkommende Löß mit seinem hohen Kalkgehalt übt naturgemäß einen sehr günstigen Einfluß auf die Fruchtbarkeit des Bodens aus. In einem Teile des nördHchen Bezirkes, sowie auf der Mnken Euhr- seite, finden sich größere Ablagerungen von Sand und Geröllelagen. Diluvial- und Alluvialablagerungen haben im großen und ganzen die gleiche petrographische Zusammensetzung und somit auch, da diese in den Flußniederungen, jene auf den Landhöhen die Bodendecke^ bilden, im allgemeinen die gleiche volkswirtschafthche Bedeutung. In unserem Bezirk kommen die verbundenen AUuvionen der Euhr und Emscher hauptsächlich nördlich von diesen Flußtälern in Betracht. Ebenso mannigfaltig und verschiedenartig wie die geologischen Verhältnisse unseres Bezirkes ist die QuaUtät des Kulturbodens» Es sind die verschiedensten Abstufungen des Ackerbodens vertreten; Tonböden, Lehmböden, sandige und kiesige Lehmböden, lehmige Sandböden und reine Sandböden sind hier vorhanden. Lehmboden und vorzugsweise ausgezeichneter milder Lehmboden findet sich hauptsächlich im Essener Kreise, sowie in dem anstoßenden, auf der rechten Euhrseite belegenen Teile des Kreises Mülheim a. d. Euhr, während der übrige Teil unseres Gebietes größtenteils mehr sandigen Boden aufweist. Bietet somit das erstgenannte Gebiet eine vorzüg- liche Grundlage für einen intensiven Betrieb der Landwirtschaft,, so gewährt der andere Teil die Möglichkeit der gerade für das Industrie- gebiet so notwendigen Erhaltung eines größeren Waldbestandes. Nimmt man hinzu, daß die erwähnten Gebirgsformationen fast un- erschöpfUche Eeichtümer an Steinkohlen vorzügHchster Quahtät bergen, welche der weitverbreiteten mannigfachen Industrie die noth 5 — - wendigste und sicherste Grundlage darbieten, so darf man wohl mit Eecht behaupten, daß die geologischen Verhältnisse für einen wirt- schaftlichen Aufschwung die denkbar günstigsten sind. 3. Die hydrographischen Verhältnisse. Von fUeßenden Gewässern kommen in unserem Bezirk haupt- sächHch der Ehein, die Euhr und die Emscher in Betracht. Der Ehein schließt unser Gebiet nach Westen hin ab. Abgesehen von einzelnen Krümmungen fließt er von Wanheim bis zur Grenze des Kreises Eees in mehr nördlicher Eichtung. Die Wassermenge des Eheines ist im Verhältnis zu den übrigen deutschen Strömen am wenigsten schwankend, da auch während des ganzen Sommers die alpinen Zuflüsse wegen der Schneeschmelze selten versiegen. Da dementsprechend die Unterschiede zwischen dem höchsten und niedrigsten Wasserstande verhältnismäßig gering sind, so ist fast während des ganzen Jahres ein geregelter Schiffsverkehr mögUch, Und dieser Umstand sichert dem Ehein seine besondere Bedeutung als Verkehrsstraße^. In unserem Gebiete finden sich die bedeutendsten Hafenanlagen am Niederrhein, nämHch die rechts und links unmittel- bar an der Euhrmündung gelegenen Häfen zu Duisburg, Euhrort und Hochfeld. Sie bilden den Hauptumschlagplatz der aus dem rheinisch-westfähschen Industriegebiet kommenden Kohlen und ver- mitteln den Verkehr des bergischen Landes mit dem ganzen Ehein- stromgebiete und seinem Hinterlande. Über die weitere Bedeutung des Eheines als Verkehrsstraße, insbesondere auch für die Landwirt- schaft des Euhrreviers, wird an anderer Stelle zu berichten sein. Die Euhr, die oberhalb Steele in unseren Bezirk eintritt, fließt mit einigen Bogen bis Kettwig in südwestHcher, von hier bis Alstaden in nordwestlicher und dann bis zur Einmündung in den Ehein in westHcher Eichtung. Das Euhrtal ist in seinem ersten Teile bis Kett- wig im produktiven Steinkohlengebirge und von hier ab bis Mülheim im Flözleeren eingeschnitten. Die Abhänge des Elußtales sind teil- weise ziemHch steil. Ihre Höhe nimmt von Werden an abwärts immer mehr und mehr ab, bis bei Mülheim der rechte Uferrand ganz ver- schwindet und der linke bei rasch abnehmender Höhe sich zurück- zieht und sich gegen Duisburg verläuft. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts war auf der Euhr ein reger Schiffahrtsverkehr, und noch im Jahre 1860 wurden auf der Euhr nach dem Ehein und vom Ehein her zu Berg zusammen an 900000 t Güter befördert. Durch die Eröffnung verschiedener Eisen- bahnHnien im Euhrgebiet wurde der Verkehr immer mehr auf diese übergeleitet und anfangs der 70 er Jahre wurde die Euhrschif fahrt fast ganz eingestellt. So passierten im Jahre 1902 die unterste Euhr- schleuse bei Mülheim im ganzen nur noch 9 Schiffe mit 909 t Gütern. Im Sommer ist die Euhrschiffahrt ungefähr drei Monate lang wegen 1 W. Nasse, Der Rhein als Wasserstraße, in „Schriften des Vereins für Sozialpohtik" (1905) 102, S. 17. 6 zu niedrigen Wasserstandes und im Winter fast ebenso lange wegen Eis oder Hochwasser gesperrt^. Neuerdings sind Bestrebungen im Gange, die darauf hinzielen, eine Schiffahrtsverbindung zwischen Mülheim a. d. Euhr und dem Ehein wieder herzustellen. Die Euhr führt verhältnismäßig klares Wasser, obwohl ihr die Abwässer von Städten und Fabriken in ziemlich großer Menge zugeführt werden. Da die meisten dieser Abwässer zuvor einem Klärverfahren unterliegen und die noch etwa in den Fluß gelangten Unreinigkeiten von der starken Strömung der Euhr schnell hinweggespült oder an den Uferrändern abgesetzt werden, so läßt sich diese für das Industrie- gebiet ziemlich seltene Erscheinung wohl erklären. Der früher sehr bedeutende Fischreichtum der Euhr ist allerdings stark zurück- gegangen. Ganz anders Hegen oder lagen bis jetzt die Verhältnisse bei der Emscher. Durch ihre Lage in der Mitte des Industriegebietes schien sie von Natur aus dazu bestimmt zu sein, der Hauptvorfluter für die ihr durch zahlreiche Bäche und sonstige Zuleitungen zugeführten Abwässer des größten Teiles dieses Gebietes zu werden. Dabei machten sich zwei höchst unliebsame Nebenerscheinungen bemerkbar, nämhch erstens die enorme Verschmutzung des Emscherwassers, hervor- gerufen durch die vielfach gar nicht oder höchst mangelhaft geklärten Abwässer der Städte und Ortschaften sowie der Fabriken und Berg- werke, und zweitens die Störungen der Vorflutverhältnisse, verursacht durch die infolge des Bergbaues eingetretenen Bodensenkungen und die Ansammlung von Schlammassen. So konnte es nicht ausbleiben,, daß die aus den städtischen Kanälen oder direkt von den Zechen oder sonstigen Fabrikbetrieben zugeführten Abwässer in dem durch Boden- senkungen oft stark beeinflußten Emscherbett sich anstauten, die dann besonders in der wärmeren Jahreszeit gesundheitsschädhche Gase entwickelten und somit für die ganze Gegend eine direkte Gefahr bildeten^. Aber auch in wirtschaftlicher Beziehung entstand hier eine große Kalamität. Das durch seine schädhchen Beimengungen für Beriese- lungszwecke gänzlich untaugHche Emscherwasser überschwemmte nach anhaltendem Eegen die anliegenden Wiesen und Äcker, überall die für die Kulturpflanzen schädhchen Stoffe zurücklassend, mit dem Erfolge, daß die Wiesen in ihrer Produktion sowohl der Quahtät wie der Quantität nach beeinträchtigt und die betroffenen Äcker verunkrautet wurden. Daß die Emscher, die nach Aussage von älteren Leuten in früheren Zeiten sehr fischreich gewesen sein soll, unter den obwaltenden Umständen für Fische keine Existenzmöglichkeit mehr bot, bedarf kaum der Erwähnung. Daß das höchst trübe Bild dieser „schwarzen und stinkenden^ sich durch die blühenden Gefilde träge talabwärts wälzenden Ab- 1 W. Nasse, Der Rhein als Wasserstraße, a. a. O. 102, S. 57. ^ B. Schulz-Briesen, Die Genossenschaft zur ReguUerung der Vorflut und der Abwässerreinigung im Emschergebiet. Kattowitz 1907. S, Iff. Wässer" 1 schlecht zu den glänzenden wirtschaftlichen Verhältnissen des Industriegebietes stimmen wollte, wurde jedem Einsichtigen von Tag zu Tag klarer. So wurden denn alsbald Notrufe aus allen beteiligten Kreisen laut. Die Behörden der öffenthchen Gesundheitspflege ver^ langten hier dringende Abhilfe, um nach MögHchkeit eine Wieder- holung von hier öfters auftretenden Epidemien zu vermeiden, die Kommunalverbände wurden sich ihrer Pflicht bewußt gegenüber diesen auf die Dauer unhaltbaren Zuständen, besonders in Eücksicht auf die vielfachen Schädigungen, die ein Teil ihrer Eingesessenen hierdurch erlitt, und endlich ersehnten auch viele Fabriken und Berg- werke eine gründliche Besserung dieses nichts weniger als idealen Zustandes herbei. Als nun schheßlich von der Staatsregierung das Verlangen gestellt wurde, alle Städte und größeren Ortschaften sollten mit ordnungsmäßigen Kanahsationen versehen werden, da wurde endhch die Frage spruchreif. Zunächst mußte man sich darüber klar werden, in welchem Um- fange das Projekt zur Abhilfe aufgestellt werden sollte, um allen billigen Anforderungen gerecht zu werden. Man kam allgemein zu der Erkenntnis, daß die bisher üblichen stückweisen Verbesserungen der Vorfluter bei aller Anerkennung ihrer lokalen teilweisen vor- züglichen Erfolge im großen und ganzen nur unzulängliches Stück- werk seien. Dazu kam, daß Projekte für einzelne Kanahsationen wegen der mißlichen Vorflutverhältnisse sich als unausführbar er- wiesen, während bei anderen wiederum die Gefahr bestand, daß sie bei weiter eintretenden Senkungen auf die Dauer ihren Zweck nicht erfüllen würden. So kam man denn zu der Überzeugung, daß nur eine großzügige und einheithche Aktion Abhilfe schaffen könne, die das ganze in Frage kommende Interessengebiet umfaßte. Im Jahre 1900 trat eine Kommission zur Aufstellung eines generellen Ent- wässerungsprojektes für das Emschertal zusammen, welche die Not- wendigkeit der Schaffung durchgreifenden Wandels in den Vorflut- verhältnissen des gesamten Gebietes allseitig anerkannte. Infolge- dessen wurde die Emscher- Genossenschaft ins Leben gerufen, die unter Aufsicht des Staates die geplanten Verbesserungen und Anlagen ausführen sollte. Zunächst wurde die Begradigung des Flußlaufes und der Tieferlegung des Emscherbettes um etwa 3 m, sowie die Klärung der der Emscher zugeführten Abwässer vorgesehen. Die Polderwirtschaft und die damit in Verbindung stehenden Stauwerke sollten nach Möglichkeit beseitigt werden. Ein gleichmäßig günstiges Gefälle sollte auf möghchst große Längenerstreckung ausgedehnt werden, um eine lebhafte Wasserbewegung und die damit verbundene bessere Durchlüftung und Desinfizierung des Wassers zu erzielen. Die profilarische Ausgestaltung des Emscherbettes wurde so angeordnet, daß es in Eücksicht auf weitere Bodensenkungen möglich ist, die Sohle des Flußbettes ohne weiteren Bodenerwerb noch um etwa 4 m zu vertiefen. Die Klärung der städtischen und industriellen Abwässer 1 B. Schulz- Briesen, a. a. O., S. 3. 8 - — ■ Erfolgt sehr wirksam nach einer Erfindung von Dr. Ing. Imhoff in großen und tiefen Klärbrunnen. Die Kosten des Projektes wurden zunächst auf 38 Millionen Mark veranschlagt, eine Summe, die jedoch bei der späteren Ausführung erhebhch überschritten wurde. Ein bedeutender Teil des ganzen Projektes ist bereits fertig gestellt und der Eest wird in nächster Zeit seiner Vollendung entgegengehen. 4. Die klimatischen Verhältnisse. Zwei Dinge sind es vornehmHch, die bestimmend auf die Ver- hältnisse des landwirtschaftlichen Betriebes einwirken: der Boden, auf dem die Kulturpflanzen gedeihen, und das Khma. Sie sind die natürlichen Produktionsfaktoren der Landwirtschaft. Buche nb erger hält den Einfluß des Klimas einer Gegend auf die Vegetation noch für einflußreicher als die jeweiHge Bodenbeschaffenheit, deren Einseitig- keit und Mängel sich gegebenenfalls durch entsprechende Düngungs- weisen abschwächen lassen^. Da jede Kulturpflanze zu ihrer Ent- wickelung einer bestimmten Menge an Feuchtigkeit und Wärme bedarf, so wird ihr Anbau nicht mehr lohnend sein, wo diese in nicht genügender Weise zur Verfügung stehen. Wohl kein anderer Beruf ist von der Witterung in dem Maße abhängig, wie der des praktischen Landwirtes. Kaum ist zur Zeit der Bestellung die Saat dem mit vieler Mühe und Kosten vorbereiteten Boden anvertraut, da beginnt für den Landwirt schon .die Sorge um ein günstiges Wachstum und Gedeihen der jungen Frucht; weiß er selbst doch nur zu genau, daß alle seine Sorgen und Mühen vergeb- Hch sind, wenn Eegen, Wind und Sonnenschein sein Tun nicht be- günstigen. Und ist die Zeit der Ernte gekommen, dann ist die Sorge um eine günstige Witterung bedeutend größer; wie oft schweift dann der Blick zum Himmelsgewölbe, um zu erspähen, ob nicht von droben gegen seine Dispositionen Einspruch erhoben wird^. Schon von alters her war das Bestreben des Landwirts darauf gerichtet, die Witterung im voraus zu beurteilen, um danach seine Anordnungen zur Erledigung der landwirtschaftlichen Arbeiten treffen zu können. Durch langjährige, aufmerksame Beobachtung glaubte man gewisse Gesetzmäßigkeiten in den Witterungsverhältnissen fest- gestellt zu haben ; dies spricht sich am deutlichsten in den oft drastischen Bauern- und Wetterregeln aus. Allerlei Anzeichen, denen der Stadt- bewohner meist kaum Beachtung schetikt, wie die Wolkenbildung am Himmelsgewölbe, besonders zur Zeit des Sonnenauf- und -Unter- ganges, und das Gebaren der Tierwelt bedeuten für den an diese Erscheinungen von Jugend auf gewohnten Landwirt Fingerzeige für die kommende Witterung. Wenn man bedenkt, daß kein zweiter Stand in seinem Erwerbsleben von der Witterung so abhängig ist, so ist es ja auch ganz natürlich, daß der Landwirt sich nach MögUch- ^ A. Buchenberger, Agrarwesen und Agrarpolitik, Bd. I, S. 13. ^ Dr. Paul Thiele: Deutschlands landwirtschaftliche KUmatographie, S. Iff. keit vor den Folgen zu schützen sucht, die er als Nächstbeteiligter immer am eigenen Leibe verspürt. In neuerer Zeit sucht man die Erfolge, die die meteorologische Wissenschaft in der Erforschung der Witterungsverhältnisse gezeitigt hat, der Landwirtschaft nutzbar zu machen. Zu diesem Zwecke sind, wie bekannt, in Deutschland eine Eeihe von Wetterdienststellen ein- gerichtet, die auf Grund der ihnen telegraphisch mitgeteilten Wetter- beobachtungen aus ganz Europa die voraussichtHche Witterung des betreffenden Bezirkes für den nächsten Tag feststellen. Diese Vorher- sagen werden sämtKchen Telegraphenanstalten des betreffenden Bezirkes übermittelt, und bei diesen öffentHch ausgehängt; auch sind sie gegen mäßige Gebühren durch die Post zu beziehen oder tele^ phonisch zu erfragen. Im allgemeinen darf man behaupten, daß die deutschen Landwirte ihr anfängHches Mißtrauen gegen diese Wetter- berichte aufgegeben haben und jetzt ihre Anordnungen schon viel- fach nach ihnen treffen. Das Khma eines Ortes ist einmal durch seine geographische Lage und zweitens durch seine Höhenlage bedingt. Im Verhältnis zur geographischen Lage wird man das Klima unseres Bezirkes als ein sehr günstiges bezeichnen können. Die geringe Erhebung über dem Meeresspiegel, sowie die nicht sehr große Entfernung von der Nord- see, die offene Lage des Landes und die durchschnitthch starke Be- wölkung des Himmels bewirken, daß die absoluten Extreme einer starken Kälte und einer übermäßigen Hitze hier durchweg geringer sind als in manchen anderen, selbst südHcher gelegenen Landes- teilen. Die Kulturpflanzen stellen während der verschiedenen Wachstums- perioden verschiedene Ansprüche an die Witterung, so daß zu be- stimmten Zeiten besonders die Wärme, zu anderen wieder die Nieder- schlagsmengen entscheidend für die Höhe der Erträge, sowie über- haupt für den Anbau der betreffenden Kulturpflanzen sind. Von großer Bedeutung für die Beurteilung der natürHchen Grundlagen der Land- wirtschaft sind deshalb die Eesultate der in längeren Zeiträumen durchgeführten meteorologischen Beobachtungen. In unserem Bezirke wurde in Essen im Jahre 1903 eine meteoro- logische Station zweiter Ordnung eingerichtet, die dem preußisch meteorologischen Institut zu BerHn untersteht^. Da die Beobachtungen dieser Station sich erst auf verhältnismäßig wenige Jahre beschränken und somit für eine allgemeine Beurteilung der klimatischen Verhält- nisse nicht gut herangezogen werden können, so greifen wir auf die Resultate der auf den Stationen Cleve und Cöln gemachten Beob- achtungen zurück. Die mittleren Temperaturen und die durchschnittUchen Nieder- schlagsmengen betrugen in 38 Beobachtungsjahren: Handschriftliche Mitteilung der Meteorologischen Station der Stadt Essen. 10 in C eve in C öln im Mittel Zeitbestimmung mittlere Temp. in durchschn. Nieder- schlag in mm mittlere Temp. in «C dnrchschn. Nieder- schlag in mm mittlere Temp. in »C durchschn. Nieder- schlag in mm Januar .... 1,6 66 1,8 44 1,7 55 Februar 2,8 58 3,6 41 3,2 50 März . 4,1 57 5,3 39 4,7 48 April . 8,3 50 9,7 44 9,0 47 Mai . . 12,1 64 13,7 52 12,9 58 Juni . 16,0 66 17,1 62 16,6 64 Juli . 17,4 84 18,7 67 18,0 76 August 16,8 82 18,1 64 17,4 73 September 13,5 60 15,3 46 14,4 53 Oktober . 9,5 69 10,6 48 10,0 58 November 4,5 68 5,5 52 5,0 60 Dezember 2,1 71 2,7 47 2,4 59 Jahresdu rc] isc hr litt 9,1 795 10,1 606 9,6 700 Wie aus obiger Tabelle ersichtlich, ist die mittlere Temperatur in Cöln um 1 Grad höher als in Cleve, während die Niederschläge in Cleve stärker sind. Da unser Gebiet ungefähr in der Mitte zwischen Cleve und Cöln liegt, so wird das arithmetische Mittel aus den oben genannten Zahlen die annähernden Durchschnittswerte für unser Gebiet darstellen und wir würden demnach in unserem Bezirke mit einer mittleren Jahrestemperatur von 9,6^ C und einer durchschnitt- lichen Niederschlagsmenge von 700 mm zu rechnen haben. Das Klima des Bezirkes ist im allgemeinen ein mittleres und feuchtes, ebenso weit entfernt von großer Hitze wie von übermäßiger Kälte. Von den einzelnen Monaten ist der Juli der heißeste und der Januar der kälteste. Das Frühjahr weist im allgemeinen eine ziemlich niedrige Tempe- ratur auf. Die Bestellung beginnt gewöhnHch Ende März oder Anfang April und der Viehaustrieb erfolgt gewöhnlich am 1. Mai. Leider treten auch in unserem Bezirke in einzelnen Jahren die von den Land- wirten mit Eecht so gefürchteten Spätfröste auf. Durch das oft schon im Februar einsetzende milde Frühhngswetter wird in den Pflanzen eine ungewöhnhch frühe Saftbewegung hervorgerufen, so daß in der Eegel die ganze Vegetation Ende April schon verhältnismäßig weit vorgeschritten ist. Dann tritt zur Zeit der „gestrengen Herren" (11. bis 13. Mai) gewöhnlich ein Umschlag in der Witterung ein. Die durch nördliche Luftströme hervorgerufene Depression der Temperatur verursacht in dem nach Norden ganz offenen Lande die empfind- lichsten Störungen und richtet bisweilen in einer einzigen Nacht die frohen Aussichten auf eine reichliche Ernte gänzlich zugrunde. Im Sommer sind Gewitter in unserem Bezirke ziemlich häufig; sie nehmen bis zum Juli gewöhnlich zu und dann rasch wieder ab. Die meisten kommen aus dem Westen; die aus dem Osten kommenden Gewitter sind von dem Landmanne als Hageibringer stets gefürchtet; — 11 ^ — doch sind Hagelschäden seit Jahrzehnten gar nicht oder doch nur in ganz geringem Umfange vorgekommen. Während die Sommer- monate durchweg sehr niederschlagsreich sind, ist der Herbst meist trocken und warm. Dadurch wird es ermöglicht, daß die Herbst- bestellung oft noch bis in den September hinein erfolgen kann. Der Winter ist in unserem Bezirke durchweg ziemHch milde. Gewöhnlich treten nur zwei oder drei kurze Frostperioden ein, um alsbald wieder einem meist plötzlich einsetzenden Tauwetter Platz zu machen. Die Unbeständigkeit des Wetters, besonders der schnelle Wechsel der Temperaturverhältnisse, bringt den Wintersaaten oft großen Schaden, da Eoggen und Weizen dann stark auswintern. B. Die wirtschaftlichen Grundlagen. 1. DieBevölkerungsverhältnisse. Eines der sichersten Merkmale für die Beurteilung der verhältnis- mäßigen Höhe der wirtschaftlichen Entwickelung einer bestimmten Gegend bieten die Bevölkerungsverhältnisse. Es wird deshalb bei einer Untersuchung der wirtschafthchen Zustände eines Landes in erster Linie festzustellen sein, ob und in welchem Maße eine Be- völkerungszunahme stattfindet, denn nur bei einer wachsenden Be- völkerung ist die MögHchkeit geboten, die vorhandenen Produktions- gelegenheiten voll auszunützen. Eine aufwärtssteigende Bevölkerungs- bewegung beeinflußt die Art und Größe der Gütererzeugung und Güterbewegung und ist deshalb der wirksamste Träger des Fort- schritts. Der gewaltige Aufschwung des Kohlenbergbaues und der Eisen- industrie im Euhrgebiet erforderte naturgemäß eine entsprechende Vermehrung der Arbeitskräfte, die, da das eigene Gebiet diese An- forderungen nicht befriedigen konnte, angelockt durch die hohen Löhne, in gewaltigen Massen von auswärts zuströmten. So sehen wir denn hier eine so gewaltige Zunahme der Bevölkerung innerhalb eines verhältnismäßig kurzen Zeitraumes, wie sie fast beispielslos dasteht. Nachstehende Tabelle zeigt uns die Einwohnerzahl der wichtigsten Orte unseres Bezirkes für verschiedene Jahre, wobei jedoch zu be- achten ist, daß in den angegebenen Zahlen der durch Eingemeindung erfolgte Bevölkerungszuwachs mitenthalten ist^. 1 Die Zahlen für 1816 sind aus der Statistik und Topographie des Reg. -Bez. Düsseldorf von Dr. I. G. von Viebahn, Düsseldorf 1836, S. 91, die Zahlen für 1845 aus der topographisch -statistischen Beschreibung und Verwaltungsübersicht des Kreises Duisburg vom Jahre 1845, S. 5—7, die Zahlen für 1875 aus Brunkow, Die Wohnplätze des Deutschen Reiches, und die Zahlen für 1905 und 1910 aus Königs Städte-Lejcikön entnommen. ' 12 Die Einwohnerzahl betrug; Ortschaft 1816 1845 1875 1905 1910 1. Essen 4661 7547 54790 231360 294629 , 2. Borbeck — 1175 3474 59553 71127 3. Altenessen — 926 12 658 33416 40682 4. Stoppenberg — 550 2694 8907 11923 ' 5. Steele . . — 2342 5920 12988 14490 6. Werden . . 1 2424 5149 6746 10029 12741 7. Kettwig 1 1620 2752 3214 6097 6742 8. Mülheim . 5210 10098 21402 93599 112362 9. Duisburg . 4508 8053 22958 l 192346 229463 10. Ruhrort . 1443 3483 9051 11. Dinslaken . 1042 1780 2453 6031 8324 12. Holten . . — 835 895 3200 5898 13. Hamborn . — — 968 67453 103372 14. Sterkrade . — 1734 5215 21205 34530 15. Oberhausen — 15476 52166 89897 Wie schon bemerkt, ist die Vergleichbarkeit vorstehender Zahlen für die größeren Stätte wie Essen, Mülheim a. d. Euhr und Duisburg durch die infolge der Eingemeindungen eingetretenen Gebietsver- schiebungen stark beeinträchtigt; naturgemäß ist jedoch, auch ab- gesehen hiervon, in diesen Brennpunkten des industriellen Verkehrs, die Bevölkerungszunahme am stärksten. Am meisten fällt der ge- waltige Zuwachs auf, den verschiedene Orte im nördüchen Teile unseres Bezirkes in den letzten Jahrzehnten erfahren haben, so ins- besondere Hamborn, das vor 35 Jahren eine Gemeinde von noch nicht 1000 Einwohnern war und heute bereits die Einwohnerzahl einer Großstadt besitzt. Eine ähnUche, wenn auch nicht ganz so rapide Entwickelung zeigen Borbeck, Altenessen, Sterkrade und Ober- liausen, während die südhchen Städte wie Werden und Kettwig, die an der Grenze des Kohlenvorkommens Hegen, eine mehr ruhige und stete Entwickelung durchgemacht haben. Den Löwenanteil am Bevölkerungszuwachs haben naturgemäß die Fabrikzentren aufzuweisen, und es würde dies noch stärker hervor- treten, wenn es gelänge, sie von den mehr landwirtschaftlichen Teilen der Ortschaften zu scheiden. Das ist indes in unserem Gebiete schon deshalb nicht gut angängig, weil die Industrie und insbesondere der Bergbau über das ganze Land zerstreut ist und sich nicht auf die Städte und Dörfer konzentriert. Aus nebenstehender Tabelle ergibt sich, daß der südöstliche Teil unseres Bezirkes, insbesondere der Stadtkreis Essen, am dichtesten be- völkert ist, während im nördüchen Teile, insbesondere im jetzigen Kreise Dinslaken, eine wesentHch schwächere Bevölkerung vorhanden ist. Es ist jedoch hierbei zu beachten, daß der südöstHche und mittlere Teil des Bezirkes schon einen älteren Kohlenbergbau besitzt, während der nördliche erst in der Entwicklung begriffen ist und deshalb 13 nur in jüngster Zeit eine rapide Zunahme der Bevölkerung zu ver- zeichnen hat. In den einzehien Kreisen unseres Bezirkes ergeben sich nach den Volkszählungen von 1871, 1895 und 1905 folgende Verhältnisse: Bezeichnung der Kreise Stadtkreis Duisburg . . . Mülheim a. d. Ruhr (Stadt u. Land Ruhrort (Dinslaken) . . . Stadtkreis Oberhausen . . Stadtkreis Essen . . . . Landkreis Essen . . . . Insgesamt 1871 1895 1905 1871 1895 1905 1871 1895 1905 19051) 1871 1895 1905 1871 1895 1905 1871 1895 1905 Flächeninhalt ^^^^' , 1 anwesende Bevölkerung 3753,3 3932,7 10175,8 8874,2. 32955,6 32775,6 1308,8 917,5 1928,2 18926,1 18229,1 66728,6 67048,6 30533 70272 192346 58427 114897 128287 48535 99141 129180 52166 51513 96128 231360 83523 197949 244486 272531 578387 977825 Bewohner pro qkm 813,5 1872,3 4890,5 5724, 1129,1 1445,6 147,3 300,8 394,1 3985,2 5614,5 10477,2 12000,0 441,3 1045,9 1341,2 408,4 866,7 1465,0 Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 betrug die Ein- wohnerzahl: Duisburg 228582 Mülheim a. d. Euhr 112285 Oberhausen 89910 Dinslaken 180522 Essen-Stadt 294629 Essen-Land . 276867 Insgesamt T~T . .1182795 Leider ist es nicht zulässig, die einzelnen Kreise hinsichtlich ihrer Bevölkerungszunahme in den letzten Jahrzehnten einander gegenüber zu stellen, da die Vergleichbarkeit der meisten Zahlen durch Ge- bietsverschiebungen verschwindet. Unter Zugrundelegung der von Viebahn und Mülmann gemachten Angaben in Verbindung mit 1 Die Zahlen für 1871 und 1895 sind in den Angaben für Mülheim a. d. Ruhr jnitenthalten. 14 der neueren Statistik ist es möglich, die Entwickelung des ganzen Be- zirkes seit dem Jahre 1792 zu verfolgen. Die Einwohnerzahl im Gebiete des alten Kreises Duisburg betrug demnach : Jahr Einwohnerzahl Bewohner ] 1792 49932 77 1816 59365 92 1835 79158 124 1845 102963 155 1861 175868 264 1871 272531 408 1895 578387 867 1905 977825 1465 1910 1182795 1765 Um einen Vergleich zu ermöglichen, wie sich unser Bezirk im Verhältnis zu den übrigen Kreisen des Bezirkes Düsseldorf entwickelt hat, möge hier eine Tabelle über die Volksdichte im 19. Jahrhundert Platz finden.^ Die Anzahl der Einwohner pro qkm betrug: Kreise !l816 1835 1849 1855 1871 1905 Duisburg 92 124 171 216 408 1465 Rees 72 89 105 111 111 130 Cleve ........ 81 88 98 98 94 110 Geldern 69 79 89 93 97 115 Kempen 114 133 157 179 211 227 Krefeld 140 193 282 335 459 860 Neuß 94 111 126 134 150 196 Düsseldorf 127 161 199 216 282 903 Gladbach 168 200 246 286 417 867 Grevenbroich 119 133 147 156 163 185 Lennep 142 188 220 235 271 473 Solingen 147 188 227 251 315 624 Elberfeld 234 325 423 462 658 1465 Der alte Kreis Duisburg, der zu Anfang des vorigen Jahrhunderts noch zu den am schwächsten bevölkerten Kreisen des Bezirkes ge- hörte, ist im Jahre 1905 mit an die erste Stelle gerückt, und nur der Kreis Elberfeld hat eine gleiche Volksdichte aufzuweisen. „Das wichtigste Ergebnis", so führt Ehrenberg aus, „ist das abnorm starke Aufrücken des alten Kreises Duisburg, der 1816 und 1835 noch mitten zwischen den agrarischen Kreisen seine Stelle hatte und 1849 nur an die Obergrenze heraufgerückt war, jetzt dagegen der am dichtesten bevölkerte des Bezirkes geworden ist. Eine solche Zunahme der Volksdichte von 171 (1849) auf 1465 (1905) in 56 Jahren ist selbst in unserer Zeit eine ganz seltene Erscheinung, zumal bei ^ R. Ehrenberg, Archiv für exakte Wirtschaftsforschung. Jena 1909. 3. S. 7. 15 Zugrundelegung einer so ansehnlichen Fläche von 670 qkm, welche über zehnmal so groß ist wie das Gebiet der Stadt Berlin."^ Vergleichen wir die mehr industriellen und in bezug auf Volks- dichte am schnellsten fortgeschrittenen Kreise des Bezirkes Düssel- dorf miteinander, so ergibt sich folgende jährHche Zunahme: Alte Kreise 1816—1835 0/ /o 1835—1849 7o 1849 1871 0/ /o 1871—1905 0/ /o Duisburg Elberfeld Krefeld Gladbach 1,79 1,94 1,91 0,92 2,72 2,16 3,27 1,67 4,30 1,52 3,17 2,69 7,62 3,27 2,56 3,18 Vorstehende Tabelle läßt so recht erkennen, daß das gewaltige An- wachsen der Bevölkerung unseres Kreises erst in den letzten Jahr- zehnten erfolgt ist, wo die jährliche Zunahme mehr als das Doppelte wie in den anderen Kreisen des Bezirkes beträgt. Ziehen wir zum Vergleich andere Teile des Eeiches heran, so finden wir, daß im Jahre 1905 die Volksdichte des Eeiches 112,1, die Preußens 106,9, die Bayerns 86,0, die Württembergs 118,0 und die Sachsens 300,7 pro qkm betrug. Es lebten demnach im Jahre 1905 in unserem Gebiete auf dem gleichen Flächenraum die 13 fache Anzahl Menschen wie durchschnittlich im Deutschen Keiche, dagegen die 17fache wie in Bayern und annähernd die 5 fache wie im industriellen Königreich Sachsen. Kann man schon aus der Bevölkerungsbewegung Schlüsse auf die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Gebietes ziehen, so würde doch ein Urteil, das sich einzig und allein hierauf gründen wollte, nicht unanfechtbar sein. Eine genauere und richtigere Be- urteilung ermöghcht erst die Berufsstatistik. Die Verteilung der Bevölkerung nach Berufskreisen, die Stellung im Beruf und die Ver- schiebungen, die sich im Laufe der Zeit hierin vollzogen haben, geben erst ein deutHches Bild von den jeweiligen wirtschaftlichen Zuständen. So springt sofort die Erscheinung in die Augen, daß in unserem Ge- biete die der Landwirtschaft zugehörige Bevölkerung im Laufe der Zeit an prozentualer Bedeutung ganz erhebHch eingebüßt hat. Überall dort, wo neue Zechen angelegt werden — und das ge- schieht meistens in den bisher überwiegend landwirtschaftlichen Teilen — entstehen Arbeiterkolonien. Die landwirtschaftHch tätige Bevölkerung wird aus ihrer Position verdrängt und die industrielle und gewerbetreibende tritt an ihre Stelle. So kommt es denn, daß die landwirtschaftliche Bevölkerung an dem enormen Zuwachs nicht nur keinen Anteil gehabt hat, sondern im Gegenteil ständig zurück- gegangen ist. Nachstehende Tabelle über die Berufsgliederung nach den Zäh- lungen von 1882, 1895 und 1907 führt das deuthch vor Augen. 1 R. Ehrenberg, Arohiv 3. S. 7. 16 Bezeichnung der Kreise Stadtkreis Duisburg . Mülheim a. d. Ruhr ( Stadt] und Land) 1 Ruhrort (Dinslaken) Stadtkreis Essen . . Landkreis Essen . . Oberhausen . . . . Insgesamt 1882 1895 1907 1882 1895 1907 1895 1907 1882 1895 1907 1882 1895 1907 1907' 1882 1895 1907 Ortsan- wesende Be- völkerung A Boden- nutzung und Tier- zucht 42238 69380 204283 135114 113448 134098 97182 145112 60087 93933 242167 121849 194123 262363 55962 359288 568066 1043985 Dem Hauptberuf nach gehören zu den Hauptberufsarten 1278 1133 2057 16187 4703 3561 12343 8813 281 384 1122 7158 7031 5999 217 24904 25594 21769 B Industrie und Gewerbe 26647 45924 135994 81918 75842 88858 61262 107342 42945 66641 167635 90688 146023 194609 39994 242198 395692 734432 C Handel und Verkehr D— F Häusl. Dienste und freie Berufe 7695 14870 42715 21936 19405 21606 14489 12502 9125 15072 35241 8581 17308 25037 9021 47337 81144 146122 6618 7453 23517 15073 13498 20073 9088 16455 7736 11836 38167 15422 23761 36618 6728 44849 65636 141558 Von je 100 der Berufsbevölkerung gehören zu den Hauptberufsarten : 1 Bezeichnung der Kreise Jahr A Boden- nutzung u. Tierzucht B Industrie und Gewerbe C Handel u. Verkehr D— F Häusliche Dienste u. freie Berufe Stadtkreis Duisburg . . 1882 1895 1907 3 2 1 63 66 67 18 21 21 16 11 11 Mülheim a. d. Ruhr (Stadt ) und Land) | 1882 1895 1907 12 4 3 61 67 66 16 17 16 11 12 15 Ruhrort (Dinslaken) . . 1895 1907 13 6 63 74 15 9 9 11 Stadtkreis Essen ..•..•{ 1882 1895 1907 1 1 1 71 71 69 15 16 15 13 12 15 Landkreis Essen ....•! 1882 1895 1907 6 4 2 74 75 74 7 9 10 13 12 14 Oberhausen 1907 1 71 16 12 Insgesamt • • | 1882 1895 1907 7 4 2 67 70 71 13 14 14 13 12 13 ^ Die Zahlen für 1882 sind in den Angaben für Mülheim a. d. Ruhr mit enthalten. 2 Die Zahlen für 1882 und 1895 sind in den Angaben für Mülheim a. d. Ruhr mitenthalten. 17 Aus der vorstehenden Tabelle ergibt sich, daß der Anteil der land- wirtschaftlichen Bevölkerung unseres Gebietes von 77o ii^ Jahre 1882 auf 47o iin Jahre 1895 und auf 27o iin Jahre 1907 zurückgegangen ist, während der Anteil der industriellen und gewerblichen Berufe in dem gleichen Zeitraum von 67 auf 70 und 71^0 gestiegen ist. Da die übrigen Berufsarten mit der Bevölkerungszunahme gleichen Schritt gehalten haben, so ist fast der ganze Verlust, den die land- wirtschaftliche Berufsbevölkerung erlitten hat, der industriellen und gewerblichen zugute gekommen. Auch ein Vergleich mit anderen deutschen Landesteilen zeigt das auffallende Mißverhältnis in der landwirtschaftlichen Berufs- bevölkerung zur Gesamtbevölkerung; denn nach der Berufszählung von 1907 betrug der Anteil der landwirtschaftHchen Bevölkerung am gesamten Volksbestande in Preußen 28,6^05 in Bayern 40,3 7o> in Württemberg 37,0^0 ^^^ iiii Königreich Sachsen 10,77o> während wir in unserem Gebiete nur etwa 2*^/o haben. Indes nicht nur pro- zentual, sondern auch absolut ist die landwirtschaftliche Bevölkerung seit dem Jahre 1895 zurückgegangen. In diesem Jahre wurden noch 25594 Personen gezählt, die dem Hauptberufe nach zur Landwirt- schaft gehören, während es im Jahre 1907 nur 21789 waren. Das bedeutet einen Verlust von 3825 Personen oder rund 177o der land- wirtschaftHchen Berufsbevölkerung in einem Zeitraum von 12 Jahren, während die beiden anderen großen Erwerbszweige Industrie und Handel in der gleichen Zeit eine Zunahme von 338731 und 64978 oder rund S5^Iq bzw. SO^ Jq ihrer Bevölkerung zu verzeichnen hatten. Etwas anders gestaltet sich das Bild, wenn man nicht nur die im Hauptberuf, sondern auch die im Nebenberuf in der Landwirt- schaft tätigen Personen ins Auge faßt. Nach der Berufszählung von 1895 gehörten zur Landwirtschaft: a) im Hauptberuf, b) im Nebenberuf: Kreise Personen überhaupt Erwerbs- tätige Dienende Angehörige Duisburg a) „ b) . Mülheim a. d. Ru » Ruhrort a) . . „ b) . . Essen- Stadt a) b) Essen-Land a) b) hr a b ) ) 1 710 2031 4392 9752 11869 8103 91 957 6444 26208 300 2031 1753 9752 4642 8103 55 957 3044 26208 32 199 375 2 402 873 2440 6852 34 2998 Insgesamt a) . b) . 23506 47051 9794 47051 1010 12702 Avereck, Landwirtschaft. 18 Von den Erwerbstätigen waren : ^ p i 'S Landw. Knechte und Mägde Landw. Tagelöhner Kreise Selb tändi 'erwa ngs- ifsich ersor mit 1 ohne eigenes oder ge- » ^^^ ^ ^ W) pachtetes Land Duisburg a) 99 2 51 64 14 70 b) 1887 2 130 13 8 — Mülheim a. d. Ruhr a) 479 12 238 512 202 310 b) 8031 — 1552 151 13 5 Rührort a) 1684 10 1364 989 261 334 „ b). . 6643 — 1157 263 25 15 Essen- Stadt a) 14 2 2 13 2 22 b) 876 — 73 5 — 3 Essen-Land a) 852 20 419 1434 117 202 b) 22813 1 3064 307 9 114 Insgesamt a) II 3128 46 2074 3012 596 938 b) II 40250 2 5976 739 47 37 Nach der Berufs- und Betriebszählung vom 12. JuH 1907 ge- hörten der Land- und Forstwirtschaft an: Kreise Hauptberuf Nebenberuf Angehörige m. w. m. w. Duisburg 669 151 573 709 1237 Oberhausen . 79 22 280 276 116 Mülheim- Stadt 559 343 4433 3794 902 Mülheim-Land 430 771 3010 2434 556 Dinslaken . . 1 2646 2329 2988 3403 3838 Essen- Stadt . ! 457 118 441 420 547 Essen-Land . li 2013 1323 12826 14941 2663 Insgesamt . . II 6853 5057 24551 25977 9859 Am auffallendsten erscheint in den vorstehenden Tabellen die große Zahl derjenigen, die im Nebenberuf in der Landwirtschaft tätig sind, und die der Zahl nach die hauptberufHch Tätigen um mehr als das Doppelte übertreffen. Dem Hauptberuf nach sind sie vorzugs- weise Industrie- oder Bergarbeiter. Besonders die letzteren finden bei der günstigen Arbeitszeit im Bergbaubetriebe reichlich Zeit, neben- her ein Stück Land zu bewirtschaften. In Gegenden mit älterem Bergbau, besonders in den Kreisen Mülheim a. d. Euhr und Essen, besitzen vielfach die Bergarbeiter ein Häuschen mit einigen Morgen Land; in anderen Gegenden, wo die Verhältnisse weniger günstig hegen, ist den Arbeitern immer noch Gelegenheit geboten, ein Stück Land zu pachten. Wie aus der Berufsstatistik (vgl. vorhergehende Seite) hervorgeht, hat die Zahl der nebenberuflich in der Landwirtschaft Erwerbstätigen in dem Zeiträume von 1895 bis 1907 um 3477 Personen zugenommen. Endhch mögen noch einige Angaben aus älteren Berufsstatistiken hier Platz finden. Im Jahre 1835 waren im Kreise Duisburg 14955, 19 im Jahre 1845 20368 ansässige Familien nachgewiesen. ^ Hiervon gehörten dem Berufe nach an: Im Jahre Landwirtschaft ^®'^" Arbeiter ^"" I «»/ ständige^l""'^'^ sammon! /o Handel und Industrie Selb- gtändifre Arbeiter Zu- /o Beamte, Ren- tiers, Arme Zu- sammen 1833 1845 2010 2613 2515 2968 4525 5581 30,0 27,5 4330 5720 4645 7126 8975 12846 60,0 63,0 1455 1941 10,0 9,5 Man ersieht hieraus, daß die landwirtschafthche Berufsbevölkerung in unserem Gebiete vor etwa 70 Jahren den gleichen Anteil am ge- samten Volksbestande hatte, wie ihn jetzt im Durchschnitt das König- reich Preußen aufweist, nämlich 28,6 ^/q. ÜberbHcken wir die Bevölkerungsbewegung im rheinischen Euhr- kohlengebiet, so drängt sich die Erkenntnis auf, daß die Industriali- sierung dieser Gegend bis hart an die äußerste Grenze vorgeschritten ist. Doch kann dieser Zustand vom volkswirtschaftlichen Stand- punkte nicht als eine bedenkliche Erscheinung angesehen werden; denn die Landwirtschaft vermag auf dem ihr zur Verfügung stehenden Eaume immer nur eine beschränkte Anzahl von Menschen aufzunehmen und zu ernähren, während die Industrie bei entsprechender Ver- mehrung der Betriebe eine immer wachsende Anzahl zu beschäftigen vermag. Andererseits kommt aber der durch die industrielle Be- völkerung geschaffene Markt der heimischen Landwirtschaft wieder zugute. 2. Die Verkehrsverhältnisse. Bei der Bewertung des ländlichen Besitzes ist die Verkehrslage von großer Wichtigkeit, da günstige Verkehrsverhältnisse sowohl den Absatz der eigenen Erzeugnisse zu den höchsten Preisen ermög- hchen, als auch den Bezug der für die Wirtschaft erforderlichen fremden Erzeugnisse erheblich verbilligen. Der gewaltige Aufschwung, den die Industrie im Euhrbezirk genommen hat, brachte es mit sich, daß immer neue Verkehrswege geschaffen wurden. Ein dichtes Netz von Eisenbahnhnien überspannt jetzt den ganzen Euhrkohlenbezirk. Im Jahre 1897 kamen auf 100 qkm Fläche in Deutschland 8,67 km Eisenbahnen, im Königreich Sachsen 16,09 km und im Euhrbezirk €6,95 km. 2 Die Dichtigkeit des Bahnnetzes im Euhrkohlengebiet ist demnach ungefähr achtmal größer als wie im ganzen Deutschen Eeiche und noch annähernd viermal größer als in dem industriell hochentwickelten Königreich Sachsen. Die überragende Bedeutung, 1 G. V. Viebahn, Statistik des Reg. -Bez. Düsseldorf. S. 194. — Topo- graphisch-statistische Beschreibung des Kreises Duisburg für das Jahr 1845. S. 24. 2 Köhne, „Produktion und Absatz" in der Festschrift zum VIII. allgemeinen Bergmannstag 1900. S. 167. 20 welche die Eisenbahnen gegenüber anderen Transportwegen in neuerer Zeit gewonnen haben, zeigt am besten nachstehende Tabelle. Von der Gesamtförderung an Kohlen im Ruhrbezirk wurden versandt : im Jahre zu Eisenbahn zu Wasser zu Lande 0/ 0/ 0/ /o /o /o 1851 24,9 29,6 45,5 1860 55,1 16,7 20,7 1870 75,9 2,4 10,7 1880 80,37 0,13 4,45 1890 75,61 0,16 3,68 Die Güterbewegung an landwirtschaftHchen Erzeugnissen betrugt im niederrheinischen Euhrrevier für das Jahr 1903 in Tonnen, beim Vieh in Stückzahl: Ausfuhr Einfuhr Weizen 9981 44576 Roggen 11659 47220 Hafer 8850 65416 Gerste 4111 30908 Kartoffeln 10035 186040 Mehl 28660 103482 Spiritus 1889 10342 Wolle 1568 2806 Zucker 59 1833 Pferde 3869 7806 Rindvieh 61693 230793 Schafe 3878 41746 Schweine 351337 845126 Geflügel 44672 71451 Düngemittel 212418 32637 Hieraus ergibt sich, daß die Einfuhr der landwirtschaftHchen Erzeug- nisse die Ausfuhr bedeutend übersteigt. Eine Ausnahme machen nur die Düngemittel, die aber, da es sich wohl in erster Linie um die bei der Stahlfabrikation gewonnenen phosphorsäurehaltigen Dünger handelt, eigenthch als industrielle Erzeugnisse anzusprechen sind. Auch landwirtschaftHche Produkte, die leichter dem Verderben ausgesetzt sind und deshalb einen lange dauernden Transport nicht gut vertragen, wie Gemüse, Butter und besonders Milch, werden aus den anstoßenden rein landwirtschaftHchen Gebieten des Nieder- rheines und des Münsterlandes tägHch mit der Bahn in großen Mengen eingeführt. Einen zweiten für unser Gebiet sehr wichtigen Verkehrsweg bildet der Rhein mit seinen bei Duisburg in großzügiger Weise an- gelegten Rheinhäfen. Der Hafenverkehr betrug in Tonnen^: 1 Dr. Steinbrück, Das Verkehrswesen in Meitzen: Der Boden und die landwirtschaftlichen Verhältnisse des preußischen Staates. VIII, S. 192 ff. 2 W. Nasse, Der Rhein als Verkehrsstraße a. a. O. 102, S. 255. 21 im Jahre in Duisburg in Ruhrort 1872 1291652 1575048 1882 1020005 2017878 1892 1921009 3854546 1903 6240409 8337189 Es ist somit der Gesamtverkehr der Duisburg-Euhrorter Häfen in einem Zeitraum von dreißig Jahren um mehr als das Fünffache gestiegen. Von den Gütern, die zum Versand gelangen, sind in erster Linie die Erzeugnisse des Kohlenbergbaues und der Eisenindustrie zu nennen, während hauptsächlich Eisenerze, Holz und Getreide zugeführt werden. Von landwirtschaftlichen Erzeugnissen wurden im Jahre 1903 zugeführt in Tonnen: Duisburg Ruhrort Weizen und Spelz 180963 3145 Eoggen 200089 • 13039 Hafer 133287 44938 Gerste 94105 16666 Anderes Getreide und Hülsenfrüchte 63099 2891 Infolge seiner vorzüghchen Hafenanlagen und seiner günstigen Bahnverbindungen mit dem rheinisch-westfäUschen Industriegebiete ist im Laufe der letzten Jahrzehnte in Duisburg ein bedeutender Getreidehandel entstanden. Das ankommende Getreide ist durchweg ausländisches und stammt vorzugsweise aus Amerika, Eußland und Eumänien. Duisburg deckt mit seinem eingeführten Getreide fast den ganzen gewaltigen Bedarf des Eührgebietes. Ein weiterer wichtiger Transportweg, der aber für unser Gebiet erst in nächster Zukunft in Betracht kommt, ist der im Bau befind- liche Kanal vom Eheine nach Dortmund und hiermit der Anschluß an den Dortmund-Emskanal und den Ems- Weserkanal. Während auf den natürhchen und künstHchen Wasserstraßen der Großverkehr vorherrscht, dienen in erster Linie die Landstraßen und Kleinbahnen dem Lokal- und Kleinverkehr. Infolge der dichten Bebauung unseres Gebietes sind zahlreiche und gut ausgebaute Straßen vorhanden und alljährUch kommen neue Straßenbauten zur Ausführung, die es ermöglichen, die Industriezentren auf kürzestem Wege zu erreichen. Infolge der räumlich nicht allzu großen Entfernungen der einzelnen Ortschaften von den Hauptverkehrspunkten, werden die Landstraßen von der landwirtschafthchen Bevölkerung für den Transport ihrer Produkte in erster Linie in Anspruch genommen. Die Straßenbahnen, die auch fast jede Ortschaft mit der nächsten Stadt und diese wieder unter sich verbinden, sind für einen größeren Transport landwirt- schaftHcher Produkte weniger geeignet und dienen hauptsächlich nur dem Personenverkehr. 22 — 3. Die Preisverhältnisse. Über die Preisbewegung der wichtigsten Getreidearten seit dem Jahre 1816 gibt nachstehende Tabelle Aufschluß. In Preußen kostete die Tonne ä 1000 kg in Mark^: Zeitraum Weizen Roggen Hafer Gerste 1816—1820 206,2 151,8 129,8 131,4 1821—1830 121,4 126,8 79,8 76,6 1831—1840 138,4 100,6 91,6 87,6 1841—1850 167,8 123,0 100,6 111,2 1851—1860 211,4 165,4 144,0 150,2 1861—1870 204,6 154,6 140,2 146,0 1871—1875 135,2 179,2 163,2 170,8 1876—1880 ...... 211,2 166,4 152,6 162,0 1881—1885 189,0 160,0 145,8 154,8 1886—1890 173,9 143,0 135,2 138,4 1891—1895 165,5 148,5 143,0 142,5 1896—1900 160,9 134,9 135,1 137,9 1901—1905 163,9 138,2 140,9 140,7 1906 173,4 154,0 159,0 149,9 1907 r. 200,3 185,0 178,5 189,2 1908 . 204,0 180,0 161,0 168,0 1909 226,0 171,0 176,0 184,0 1910 204,0 150,0 158,0 168,0 1911 199,0 163,0 174,0 188,0 Als die Getreidepreise um die Mitte der 20 er Jahre des vorigen Jahrhunderts sehr stark gefallen waren — der Weizen sank im Jahre 1815 auf 81,6, der Roggen auf 51,5 Mark pro Tonne herab — stiegen sie in der Folge bis zur Mitte der 70 er Jahre ziemlich ununterbrochen. Die Periode von 1850 — 1875 kann als die beste Zeit angesehen werden, welche die deutsche Landwirtschaft je erlebt hat. Infolge dieser für die Landwirtschaft günstigen Verhältnisse waren die Bodenpreise stark gestiegen. Man rechnete vielfach nüt einer immer weiter steigenden Prosperität und bezahlte die Grundstücke nicht nach ihrem augenbhckhchen Ertrags wert, sondern nach dem zukünftigen Wert. Eine Folge davon war, daß sehr viele Güter über das erlaubte Maß hinaus verschuldeten. Als dann Deutschland, gezwungen durch seine starke Bevölkerungszunahme und die fortschreitende Indu- striaUsierung, dazu überging, statt wie bisher Getreide auszuführen, solches einzuführen, brach für die deutsche Landwirtschaft eine Krisis herein. Die ungeahnte Entwickelung des Verkehrswesens erleichterte und verbilhgte die Einfuhr gewaltig, und da die beiden Hauptausfuhr- länder, Rußland und Amerika, Getreide weit bilhger zu produzieren vermochten als die heimische Landwirtschaft, war ein rapides Sinken der Getreidepreise die notwendige Folge. Auch die Einführung der Getreidezölle im Jahre 1879 hielt das Sinken der Getreidepreise nicht auf, und erst nach dem neuen Zolltarif vom Jahre 1902 erreichten sie allmähhch wieder die normale Höhe. ^ Conrad, Art. ,,Agrarkrisis" in Handwörterbuch der Staatswissenschaften. 3. Aufl. Bd. I. S. 215. 23 Ein Glück für einen großen Teil der deutschen Landwirtschaft war es, daß die Preise für die tierischen Produkte zu Ende des vorigen Jahrhunderts nicht von einem ähnhchen Schicksal betroffen wurden wie die Getreidepreise. Die Preise für Fleischwaren und sonstige tierische Erzeugnisse stiegen seit dem Anfange des vorigen Jahr- hunderts ununterbrochen weiter. Es betrug der Preis pro kg in Pfennigen^: Zeitraum Rindfleisch Butter 1821—1830 46 102 1841—1850 56 120 1871—1880 110 224 1891—1900 126 220 Die deutsche Landwirtschaft und besonders die des westlichen Deutschlands wurde durch den Umstand, daß die tierischen Erzeuge nisse bei sinkenden Getreidepreisen immer weiter stiegen, dahin ger drängt, daß sie mehr Gewicht auf die Viehhaltung und den Futter- bau legte. Zu einem Vergleich, wie sich die Preise der wichtigsten landit wirtschaftHchen Produkte im rheinischen Euhrkohlengebiet zu den Durchschnittspreisen der Provinz und des Staates verhalten, möge nachstehende Tabelle dienen. Die Durchschnittspreise für das Jahr 1909 betrugen pro Tonne in Mark:^ Gegenstand Essen Duisburg Rheinprovinz Preuß. Staat Weizen . 236 232 231 226 Roggen . 178 173 175 171 Braugerste 220 — 220 . 184 Futtergerste 134 139 143 155 Hafer 170 163 171 176 Kocherbsen ...... 294 302 298 287 Bohnen 276 295 293 297 Linsen 250 278 313 332 Kartoffeln 77 .85 78 64 ' Heu 86 108 92 77 Stroh 55 75 53 55 Rindfleisch 116 134 132 123 Die Durchschnittspreise im Kleinhandel für das Jahr 1909 be* trugen in Pfennigen pro kg:^ Gegenstand Essen Duisburg Rheinprovinz Preuß. Staat Rindfleisch 151 147 153 153 Kalbfleisch 182 179 175 170 Hammelfleisch .... 167 170 168 165 Schweinefleisch .... 171 178 181 160 ^ Landwirtschaftliche Zeitschrift für die Rheinprovinz. Jahrg. 1908, S. 681 und 682. 2 Preußische Statistik 1910, 222, S. 78 u. 79. 8 Preußische Statistik 1910, 222, S. 156 u. 157. 24 Gegenstand Essen Duisburg Rheinprovinz Preuß. Staat Roßfleisch 83 82 82 73 Schinken (geräuchert) . 220 246 252 262 Speck (geräuchert). . . 181 181 181 184 Eßkartoffeln 10 10 10 8 Eßbutter 266 275 262 260 Eier (pro Schock) ... 537 587 571 482 Vollmilch (pro Liter) . 20 20 20 19 Die Tabelle zeigt, daß diejenigen Erzeugnisse, welche die Land- wirtschaft dieses Bezirkes selbst zum Verkauf produziert, wie Weizen, Koggen, Kartoffeln, frisches Fleisch, Butter, Eier und Milch, hier zu einem höheren Preise verwertet werden können als in den meisten anderen Teilen des preußischen Staates, daß dagegen die vielfach aus fremden Ländern bezogenen Produkte, für die die hiesigen Land- wirte zum Teil selbst Abnehmer sind, wie Futtergerste, Hafer und geräucherte Fleischwaren, infolge der günstigen Verkehrsverhältnisse billiger bezogen werden können. Daß diese für die hiesige Landwirt- schaft vorteilhaften Preisverhältnisse auch die Steigerung der Erträge günstig beeinflußt haben, dürfte nicht von der Hand zu weisen sein. Es wäre aber völHg verfehlt, wollte man auf diese Ursachen auch die mächtige Aufwärtsbewegung des Bodenpreises im Industriegebiete zurückführen. Hierfür sind vielmehr ganz andere Momente ausschlag- gebend, die in letzter Linie auf das gewaltige Umsichgreifen der Indu- strie zurückzuführen sind. Die Kaufpreise für ländhche Besitzungen betrugen pro ha^: Zeitraum Rheinprovinz Westfalen Preuß. Staat 1871/81 1808 Mk. 1262 Mk. 766 Mk. 1884/93 1972 „ 1515 „ 933 „ Obschon nach dieser Aufstellung die Grundstückspreise in der Eheinprovinz um mehr als das Doppelte die des preußischen Staates übertreffen, so bleiben sie gegen die Bodenwerte des Industriebezirkes noch weit zurück. Für einen Durchschnittspreis von 2000 Mark pro ha wird man im rheinischen Euhrkohlengebiet kaum ein Gut kaufen können, auch selbst dann nicht, wenn es an der Peripherie des Kohlen- vorkommens oder an einem sonstigen toten Punkt gelegen ist, wo es nach menschhcher Voraussicht für industrielle Zwecke niemals in Frage kommt. Altkemper^ macht bei der Aufstellung der Güter- und Parzellen- preise in den Kreisen Gelsenkirchen und EeckHnghausen hinsichthch ihrer örtlichen Lage eine Dreiteilung. Zur ersten Kategorie rechnet er diejenigen Bezirke, die industriell gesättigt sind, die zweite Abteilung umfaßt dasjenige Gebiet, wo die Industrie schon seit längerer Zeit 1 Meitzen u. Grossmann, Der Boden und die landwirtschaftUchen Ver- hältnisse des Preußischen Staates. 1901, VI, S. 468 u. 469. 2 Dr. Joh. Altkemper, Die Landwirtschaft in den Kreisen Recklinghausen und Gelsenkkchen. Bonn 1905 S. 96—99. 25 ansässig, gleichwohl noch einer größeren Ausdehnung fähig ist, und die letzte Gruppe bilden diejenigen Gebietsteile, in denen die Industrie, jüngeren Ursprungs, stark in der Entwickelung begriffen ist. Nach dieser Einteilung hat Altkemper für eine Eeihe von Gütern und Einzelparzellen in den Kreisen Gelsenkirchen und EeckHnghausen die tatsächlich erzielten Verkaufspreise zusammengestellt und ge- langte dabei zu folgenden Ergebnissen. Es betrug der Durchschnitts- preis eines ha für Güter für Parzellen 17640 Mk. 27771 Mk. in der 1. Gruppe 9966 „ 12520 Mk. in der 2. Gruppe 5073 „ 5790 „ in der 3. Gruppe Hieraus ergibt sich zweierlei, nämUch erstens, daß die Grundstücks- preise in den industriell am stärksten entwickelten Gegenden am höchsten sind, und zweitens, daß die Preise für einzelne Parzellen im Verhältnisse weit höher sind als die Güterpreise. Irgendwelche Gesetzmäßigkeiten für die Höhe der Grundstückspreise einer be- stimmten Gegend aus obigen Zahlen ableiten zu wollen,] ist nicht angängig. Ebensowenig wie die Quahtät des Bodens ist die Lage des Grundstückes für die Preishöhe allein ausschlaggebend. So werden oft Grundstücke in demselben Teile einer Gemarkung zu ganz ver- schiedenen Preisen verkauft. Im Kreise Essen wurden in den letzten Jahren drei benachbarte Bauernhöfe angekauft, von denen der erste etwa 90 Morgen groß mit 400000 Mark, der zweite 45 Morgen groß mit 135000 Mark und der dritte 50 Morgen groß mit 150000 Mark bezahlt wurde. Für die Anlage von Bergwerken kann dieses Gelände nicht in Frage kommen, da sich hier keine abbauwürdigen Kohlen- flöze mehr vorfinden; wie man hört, soll es später für Parkanlagen Verwendung finden, wozu es sich sehr gut eignen würde, da es in einer hügeligen, romantischen Gegend liegt. Höhere Preise wie die hier gezahlten, also etwa 12000 bis 18000 Mark pro ha, werden aber auch für Güter, die inmitten zahlreicher Zechen liegen, selten aus- geworfen. Während die Fabrikbesitzer für die Anlage ihres Betriebes mit Vorhebe das Terrain vor den Toren der Städte wählen, geht der Bergbau aufs Land. Für den Bergwerksbesitzer sind für die Wahl des Platzes zu Neuanlagen von Zechen in erster Linie die unter- irdischen Verhältnisse, wie Flözlagerungen usw., maßgebend. In der Eegel kauft er einen günstig gelegenen Bauernhof an und errichtet darauf seinen bergbauhchen Betrieb sowie Beamten- und Arbeiter- wohnungen. Um jede solche bergbauliche Anlage entsteht bald ein kleines wirtschaftliches Zentrum für sich. Gewerbetreibende, wie Wirte, Bäcker, Metzger, Kolonialwarenhändler siedeln sich in der- selben Gegend an und die natürhche Folge davon ist, daß die Grund- stückspreise im ganzen Umkreise erhebhch steigen. Ist die Zechen- verwaltung dann nach einigen Jahren gezwungen, die benachbarten Bauernhöfe wegen Bergschäden ebenfalls aufkaufen zu müssen, so muß sie in der Eegel viel höhere Preise bezahlen, als es vor der An- ^26 läge der Zeche der Fall war. Infolge dieser Erfahrung gehen die größeren Bergwerksgesellschaften in neuerer Zeit mehr dazu über, vor Anlage des bergbaulichen Betriebes Ländereien in größerem Um- fange zu erwerben. Sie beugen damit Schadenersatzansprüchen vor, unterbinden die Privatspekulation und sichern sich die Wertsteigerung des Bodens, die sie selbst verursacht haben. Eine weitere hohe Wertsteigerung des Bodens wird durch seine Heranziehung als Baugelände verursacht. Sobald die Grundstücke Bauplatzqualität erlangt haben, steigen sie oft um das Vielfache ihres früheren Wertes. So sind dem Verfasser in den Kreisen Mül- heim a. d. Euhr und Essen verschiedene Fälle bekannt geworden, wo von Grundstückspekulanten größere Terrains zum Preise von ca. 30 Mark pro Quadratrute angekauft wurden. Nachdem dann ein Bebauungsplan über das Gelände entworfen und die Straßen danach zum Anbau fertiggestellt waren, wurden die Bauplätze zum Preise von 200 bis 300 Mark pro Quadratrute wieder verkauft, wobei die Kosten für den Straßenausbau noch besonders gerechnet wurden. Daß der hohe Bodenwert der landwirtschafthchen Grundstücke unseres Bezirkes zum Ertragswerte nicht mehr im richtigen Ver- hältnis steht, dürfte nach dem Vorhergehenden wohl einleuchten. Den zuverlässigsten Anhalt für die Ertragswerte der Grundstücke bieten die Pachtpreise. Unter Voraussetzung guter Bodenquahtat betragen die Pachtpreise in den Kreisen Essen und Mülheim a. d. Euhr durchschnitthch 100 bis 120 Mark pro ha. Nimmt man an, daß das Grundkapital mit ^^/s^lo zu verzinsen wäre, so würde sich der Er- tragswert auf 3000 bis 3600 Mark pro ha stellen. Der Verkaufspreis der landwirtschafthch benutzten Grundstücke wird hier mit min- destens 6000 bis 12000 Mark bewertet, so daß der Bodenwert den Ertragswert um das 2 — 4 fache übertrifft. Die Industrie braucht beim Ankauf auf den landwirtschafthchen Ertragswert im allgemeinen keine Eücksicht zu nehmen; für sie kommt in erster Linie nur die geeignete Beschaffenheit und die günstige Lage des Grundstückes in Frage. Für den Landwirt jedoch, der in dieser Gegend Grund-, stücke ankaufen will, hegen die Verhältnisse ganz anders. Ihm ist es bei diesen hohen Bodenpreisen selbst bei intensivster Bewirtschaftung wohl selten möghch, auch nur einen geringen Eeinertrag zu erzielen, und in den meisten Fällen wird er nicht einmal seine Kosten decken können. Außer zum Zwecke der Spekulation werden deshalb von Landwirten selten Grundstücke angekauft; dagegen würden viele Besitzer mit Freuden zugreifen, wenn ihnen eine entsprechend gute Bezahlung für ihre Besitzung geboten wird. Derjenige Landwirt aber, welcher abseits von den industriellen Konzentrationspunkten wohnt oder dessen Besitz gar außerhalb des eigenthchen Industrie- gebietes Hegt, hat absolut keinen Nutzen von den hohen Grund- stückspreisen. Er kann vielfach weder Land verpachten, noch einen Bauplatz verkaufen und steht mit seinem Betriebe genau so gut oder so schlecht, wie sein Kollege in rein ländhchen Bezirken. Zweiter Teil. Die landwirtschaftlichen Verhältnisse. A. Allgemeine Zustände. 1. Die Entwickelung der Landwirtschaft. Als im Jahre 1823 durch königHche Kabinettsorder der Kreis Dinslaken dem Essener Kreise zugelegt wurde, welche vereinigt den Namen Kreis Duisburg annahmen, wurden Gebietsteile zu einer Einheit verschmolzen, deren geschichthche und wirtschaftliche Ent- wickelung bisher eine ganz verschiedenartige gewesen war. Der Haupt- ort dieses etwa 670 qkm umfassenden Gebietes wurde die alte Hanse- stadt Duisburg, die schon im Jahre 1666 an Brandenburg gefallen war, nachdem sie bereits im Jahre 1290 ihre ehemalige Eeichs- unmittelbarkeit verloren hatte. Der südösthche Teil, der Essener Bezirk, hatte bis zum Jahre 1803 ständig unter dem Einflüsse von zwei reichsunmittelbaren Klöstern gestanden; nämlich der vom Bischof Ludgerus von Münster um das Jahr 800 gegründeten Abtei Werden und dem vom Bischof Altfried von Hildesheim um die Mitte des 9. Jahrhunderts gestifteten Benediktinerinnenkloster Essen. In dem ursprünghch sächsischen Stift Essen waren die bäuer- hchen Besitzer durchweg schwer gedrückt^. Die meisten Bauerngüter waren Hobs- und Behandigungsgüter^, die von gewissen Oberhöfen resortierten und mit Lasten, Veräußerungs- und Vererbungsbeschrän- kung in ganzer Strenge belastet waren. Die gewöhnhchste Belastung war eine dem Landbesitze entsprechende Abgabe von Getreide, Weizen, Gerste und Erbsen bei den besseren, Koggen, Hafer und Buchweizen bei den leichteren Bodenarten. Obst- und Holznutzung wurden in der Eegel zwischen dem zinspfhchtigen Bauern und dem Grundherrn geteilt. Weiterhin waren gefettete oder Faselschweine, Kälber, Schafe, Federvieh, Wolle, Öl, Honig, Wachs, Butter und Eier in angemessenen Quantitäten allgemein zu Hefern und außerdem von denjenigen Gütern, wo Gewässer zur Fischerei Veranlassung gaben, die dort vorhandenen Fische, wie Aale, Hechte und Karpfen. Zu diesen Naturallieferungen trat ziemhch regelmäßig eine mäßige Geldabgabe. 1 von Viebahn, Statistik des Reg.-Bez. Düsseldorf 1835, S. 130 u. 131. 2 Vgl. Anmerkung S. 31. .; 28 Nicht weniger mannigfaltig wie die Abgaben waren die den zinspflich- tigen Bauern obliegenden Dienste, die in Hand- und Spanndienste zerfielen. Von den ersteren waren die Mähtage die häufigsten; die Spanndienste dagegen wurden nicht bloß für die Besorgung der ge- wöhnlichen Wirtschaftsbedürfnisse auferlegt, sondern auch für die Eeisen der Grundherren verlangt. Außer den Hobs- und Behandigungsgütern gab es im Essener Bezirk noch in geringer Anzahl Erbgewinns- und Leibgewinnsgüter, ferner Bauernlehne, ohne besondere Eigentümlichkeiten und ein- fache Pachtgüter auf gewisse Jahre. War hiernach die Belastung der bäuerlichen Besitzer im Essener Bezirk eine ziemhch drückende, so begünstigten andererseits die geistlichen Stifter Ackerbau und Viehzucht, die ja ihre Haupteinnahmequelle bildeten, in jeder Weise. Es gelang ihnen denn auch, dem Bauernstand in der Essener Gegend zu einem besonderen Ansehen zu verhelfen und ihn trotz der ver- heerenden Kriege, durch die er zeitweise arg in Mitleidenschaft ge- zogen wurde, auf dieser Höhe zu erhalten. Der mittlere Teil des alten Kreises Duisburg, der jetzige Kreis Mülheim a. d. Euhr, war in früheren Jahrhunderten aufs engste mit dem Geschick der bergischen Unterherrschaft Broich verknüpft. Mülheim a. d. Euhr wird zuerst im Jahre 1093 als Gerichtsstätte und Sitz eines edlen Geschlechtes erwähnt. Doch schon im Jahre 1200 ist es mit Styrum zusammen im Besitze des Hauses Altena- Isenberg und dann wieder mit Broich zusammen abwechselnd im Besitze von Cleve und Berg. Im Jahre 1806 wurde das Herzogtum Berg und mit ihm die bergische Unterherrschaft Broich samt Mül- heim a. d. Euhr von Napoleon annektiert, der seinen Schwager Murat zum Herzoge von Berg machte. Nach den Freiheitskriegen wurde das von den verbündeten Heeren in Besitz genommene Herzogtum durch die Beschlüsse des Wiener Kongresses mit der Krone Preußen vereinigt. Die Lage der ländlichen Besitzer war in diesem Teile unseres Gebietes bei weitem nicht so drückend wie im Essener Bezirke. Das Grundeigentum war in der Eegel frei und wurde meist von dem bäuerhchen Besitzer selbst bewirtschaftet. Nächst der Selbstnutzung durch den Eigentümer war die Zeitpacht auf Jahre gegen einen Pacht- zins in Geld oder Naturalien am gebräuchUchsten. Außerdem gab es Erbpacht-, Erbzins-, Hobs- und Behandigungsgüter mit ver- schiedenen Eechten, jedoch nur in geringer Anzahl. Die Frondienste, welche die ländlichen Besitzer der Unterherrschaft leisten mußten, waren Landeslasten. Auf den erblichen und Pachtgütern waren die Gutsdienste mit Pferden und Wagen am häufigsten. Im Mülheimer Bezirk gab es 174 Höfe, die der Unterherrschaft Broich zu Hand- und Spanndiensten verpflichtet waren. Der nordwestliche Teil unseres Bezirkes, die jetzigen Kreise Duisburg und Dinslaken, gehörte ursprünglich zum Herzogtum Cleve. Bei Beendigung des JüUch-Cleve sehen Erbfolgestreites kam dieses Gebiet an Preußen. Nachdem es von 1806 — 1815 das Schicksal der 29 benachbarten rheinischen Landesteile geteilt hatte, fiel es nach der kurzen französischen Zwischenherrschaft an Preußen zurück. Auch hier war die Belastung des Grundbesitzes wohl nie so mannigfaltig und drückend wie im Essener Kreise und in den angrenzenden west- fähschen Landesteilen. Es gab Hobs-, Behandigungs- und Leib- gewinnsgüter, Bauernlehen^ sowie Erbleibgewinns-, Erbbehandigungs- und Erbpachtgüter; aber auch die Leibgewinnsgüter waren in der Eegel erblich. Wenn auch keine direkten Mitteilungen über die damalige land- wirtschaftliche Betriebsweise vorliegen, so ist es doch möghch, aus den Angaben über die Lieferungen, zu denen die Höfe verpfhchtet waren, gewisse Eückschlüsse auf die Art, Ausdehnung und Intensität der landwirtschafthchen Betriebe zu machen. Ackerbau und Vieh- zucht standen naturgemäß an erster Stelle. Eoggen, Weizen, Hafer und Gerste waren die Hauptanbaufrüchte. Von den landwirtschaft- hchen Haustieren wurde den Pferden eine besonders gute Pflege zuteil, weil sie für die landwirtschaftliche Arbeit unentbehrHch waren. Da die Schafhaltung, der als Weideflächen hauptsächhch Brach- und Stoppelfelder zur Verfügung standen, nur eine untergeordnete Bedeutung hatte, mußte notgedrungen die Rindviehhaltung eine dementsprechend größere sein, um den für den Acker erforderhchen Dünger zu beschaffen. Aus der Milch wurden Käse und Butter bereitet ; denn auch diese Produkte mußten von den zinspfhchtigen Bauern geliefert werden. Eine ganz hervorragende Eolle spielte die Schweine- haltung. Im Sommer fanden die Borstentiere in den ausgedehnten Eichen- und Buchenwaldungen eine gute Weide. Da in den west- fähschen Landen von jeher Schweinefleisch und die daraus her- gestellten Dauerwaren wie Schinken, Würste und Speck besonders behebte Speisen waren, lag meistens den Bauern die Verpfhchtung ob, zu Weihnachten der Grundherrschaft eine bestimmte Anzahl fetter Schweine abzuhefern. Unter dem Federvieh, das allgemein und oft in großer Menge gehalten wurde, nahmen die gewöhnhchen Haushühner die erste Stelle ein. Eine nicht zu unterschätzende Be- deutung hatten damals auch die landwirtschaftlichen Nebenbetriebe, wie Forst-, Bienen- und Teichwirtschaft. Die Fischerei erfreute sich deshalb besonderer Beachtung, weil Fische eine behebte und stets erlaubte Fastenspeise waren. Das Wachs war ein bei den geisthchen Körperschaften durch den Eitus begründetes Bedürfnis und deshalb war seine Lieferung dem zinspfhchtigen Bauern in den betreffenden Landesteilen auferlegt. War nun auch die Lage der ländhchen Bevölkerung in unserem Bezirke nicht so drückend, wie sie in den östhchen Provinzen der preußischen Monarchie gewesen sein mag, so gab es gleichwohl Hemm- nisse zu beseitigen, um den Weg für einen wirtschafthchen Aufschwung frei zu machen. Unter dem Einflüsse der französischen Fremdherr- schaft vollzog sich zu Anfang des 19. Jahrhunderts eine Umwälzung, ^ Siehe Anmerkung S. 31. 30 die für den gesamten volkswirtschaftlichen Verkehr und insbesondere für die Landwirtschaft von der größten Bedeutung war. Die Fesseln einer jahrhundertelangen Feudalverfassung fielen, die gutsherrlich- bäuerHchen Verhältnisse wurden gelöst, Frondienste und Natural- abgaben kamen in Wegfall, der Grundbesitz ging in volles erbUches Eigentum der Bauern über und die eigenthchen Bebauer des Grund und Bodens, die bisher in Form der Erbuntertänigkeit und Hörigkeit in Unfreiheit erhalten waren, wurden freie Männer auf freiem Grund und Boden. Der Flurzwang wurde beseitigt und die Hutungsrechte der Hauptsache nach aufgehoben. Durch die Gemeinheitsteilungen wurden die Grundstücke einer höheren Nutzung zugeführt. Die Drei- felderwirtschaft, die fast 1000 Jahre lang in der Landwirtschaft ge- herrscht hatte, wurde nach und nach aufgegeben. Der Futterbau wurde immer intensiver und die Viehhaltung dementsprechend ver- stärkt. Letztere betrachtete man nicht mehr als notwendiges Übel, das man nicht entbehren konnte, um den für den Acker notwendigen Dünger zu erzeugen, sondern sie wurde die Haupteinnahmequelle der Landwirte^. Wenn sich nun auch die Lage der Landwirtschaft nicht gleich in dem Maße besserte, als man hätte annehmen sollen, so lag das nicht an den agrarpolitischen Maßnahmen, als vielmehr an der Un- gunst der wirtschaftHchen Verhältnisse. Die Lage der Landwirte, insbesondere der kleinen Bauern, war in diesem Gebiete um das Jahr 1816 nicht mehr so glänzend wie vor 25 Jahren, aber doch immer noch ganz gut^. Über die Lage der Kleinbauern und Tagelöhner äußert sich Schwerz folgendermaßen: „Wenn der hiesige Kötter eine große Familie zu ernähren hat, so muß er kümmerücher leben als der Bauer. Hat er das nicht, so erwirbt er seinen Unterhalt leichter und mit Sicherheit; denn da er keinen Knecht halten kann, muß er Selbst zur Arbeit gehen und wird dadurch von Müßiggang und un- nützen Geldausgaben außer dem Hause abgehalten. Der Heuerhng oder Tagelöhner hat kein Vermögen, er bewohnt die Hütten der Bauern und dient ihnen. Wenn er gesund ist und arbeiten will, so ernährt ihn sein Hof mit seiner ganzen FamiHe." In dem nächsten Jahrzehnt kamen für die Landwirtschaft schlimme Zeiten. Die Getreidepreise fielen stark, die Bauern gingen in ihrem Wohlstande immer mehr und mehr zurück und vermochten kaum noch die öffentlichen Abgaben, die allerdings oft sehr beträcht- Hch waren, aufzubringen. Durch häufige Subhastationen kamen unzählige Bauerngüter zum Verkauf, und da viele derselben keinen Käufer fanden, wurde das bäuerliche Grundeigentum fast wertlos.^ Seit dem Jahre 1826 besserten sich diese Verhältnisse indes wieder. Dann bereitete sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts in wirtschaft- ^ Hansen, Die Entwickelung der Landwirtschaft. Landw. Zeitschrift für die Rheinprovinz. Jahrg. 1908 Nr. 48. 2 Schwerz, Beschreibung der Lage der Landwirtschaft in Westfalen und Eheinprovinz, I S. 243 u. 262ff. 3 R. Ehrenberg, Archiv III Heft 1, S. 7ff. 31 liehen Verhältnissen unseres Gebietes ein Umschwung vor, der für die dortige Landwirtschaft von der einschneidensten Bedeutung werden sollte. Durch das reichliche Vorkommen guter und für alle indu- striellen Zwecke brauchbarer Steinkohlen, nahm die Industrie zwischen Ruhr und Emscher innerhalb weniger Jahrzehnte einen so gewaltigen Aufschwung, wie ihn wohl keine andere Gegend aufzuweisen vermag. Das ganze Wirtschaftsleben wurde in andere Bahnen geleitet, der Charakter der Gegend völhg verändert und neue Zustände, Bedürf- nisse und Werte geschaffen. Auch die Landwirtschaft wurde hier- durch zunächst günstig beeinflußt. Gestützt auf die epochemachenden Arbeiten eines Albrecht Thaer und Justus von Liebig wurden die neuesten Errungenschaften der Landbauwissenschaft von den praktischen Landwirten zur Anwendung gebracht. Die extensive Wirtschaftsw^eise mußte einer intensiven weichen. Eine rationelle Bebauungsart, verbunden mit geregelter Fruchtfolge und intensiver Bodenbearbeitung, und nicht zuletzt die zunehmende Anwendung des Kunstdüngers und die Einführung landwirtschaftlicher Maschinen zeitigten Resultate, die die höchsten Ansprüche zu befriedigen ver- mögen^. 2. Die Arten und Verteilung des Grundbesitzes. Die amthche Statistik teilt die landwirtschaftlichen Betriebe in fünf Größenklassen ein: Zwergwirtschaften oder Parzellenbetriebe, die bis zu 2 ha landwirtschaftlich benutzbare Fläche besitzen, klein- bäuerhche Betriebe mit 2 — 5 ha, mittlere mit 5 — 20 ha und groß- bäuerliche mit 20 — 100 ha. Güter, die 100 und mehr ha landwirt- schafthches Areal umfassen, sind Großbetriebe. Diese Einteilung ist insofern nicht ganz einwandfrei, als sie eben nicht für jede Gegend paßt. Ob man einen landwirtschaftlichen Betrieb zu den Parzellen- oder zu den kleinbäuerlichen Betrieben zählen soll, oder wo die Grenze zwischen den klein-, mittel- und großbäuerlichen und Großbetrieben liegt, hängt nicht allein vOn der Flächengröße, sondern auch von der Güte und dem Geldwerte des Bodens und der Art der Bodenbenutzung ab. Ein Betrieb von 10 ha wird in der einen Gegend noch als Klein- betrieb angesprochen werden müssen, während er in einer anderen zu den mittelbäuerhchen Betrieben zählt; und wenn man Betriebe von 75 — 100 ha schon zu den Großbetrieben rechnet, würde man der An- schauung in der Rhein- und Ruhrgegend viel besser entsprechen, als wenn man sie mit der amtlichen Statistik als großbäuerliche bezeichnet. ^ Über die vorstehend gebrauchten Bezeichnungen von Grundstücken sei bemerkt: Leibgewinnsgüter waren solche Güter, deren Nutznießungsrecht gegen bestimmte jährliche Abgaben erworben wurde. Behandigungsgüter nannte man diejenigen Höfe, bei denen der Besitz oder Nießbrauch des Gewinn- trägers von der gehörig erfolgten Behandigung abhängig gemacht wurde. In der Regel wurden zwei Hände in das Behandigungsbuch eingetragen, nach deren Ab- sterben neue Beleihung oder Behandigung nachzusuchen war. Hobsgüter waren solche Gewinngüter, die von einem Oberhof abhängig waren und auch bei diesem gewonnen werden mußten. Bauernlehen waren Pachtgüter, die nach dem Tode des Lehnsmannes an den Lehnsherrn zurückfielen. 32 Nach den Betriebszählungen von 1882, 1895 und 1907 betrug die Zahl der Betriebe: Kreise im Jahre über- haupt unter 2 ha 2—6 ha 5—20 ha 20—100 ha über 100 ha Duisburg . . . .< 1882 1895 1907 2250 2106 1653 2124 2002 1510 57 50 62 61 43 62 8 11 18 1 Mülheim a. d.Ruhr 1 (Stadt u. Land)] 1882 1895 1907 13166 9508 10000 11139 9119 9712 943 147 85 829 186 158 254 56 45 1 Ruhrort (jetzt f Dinslaken) , . \ Essen (Stadtkreis)-} 1895 19071 1882 1895 1907 8690 5651 1467 965 2151 7120 4383 1460 954 2107 735 625 5 4 21 671 554 2 4 17 163 88 3 6 1 1 Essen (Landkreis)] 1882 1895 1907 17280 24434 24002 16471 23650 23464 271 246 160 367 352 242 169 184 134 2 2 2 Oberhausen . . . 19072 764 749 7 6 2 Insgesamt • • ■{ 1882 1895 1907 34163 45703 44221 31194 42895 41925 1276 1182 960 1259 1256 1039 431 417 293 3 3 4 Von je 100 Betrieben entfallen auf die Betriebe in den Größen- klassen von: Kreise im Jahre unter 2 ha 2— 5 ha 5— 20 ha 20—100 ha über 100 ha Duisburg < Mülheim a. d. Ruhr J (Stadt u. Land) .1 Ruhrort (jetzt Dins-f laken) \ Essen ( Stadtkreis) . . l Essen (Landkreis) .< Oberhausen .... 1882 1895 1907 1882 1895 1907 1895 19071 1882 1895 1907 1882 1895 1907 19072 94,40 95,06 91,35 84,61 95,91 97,12 81,93 77,57 99,52 98,86 97,95 95,32 96,79 97,75 98,04 2,53 2,38 3,76 7,16 1,55 0,85 8,46 11,05 0,34 0,41 0,98 1,57 1,01 0,67 0,92 2,71 2,04 3,75 6,30 1,95 1,58 7,72 9,80 0,14 0.41 0,79 2,12 1,44 1,01 0,78 0,36 0,52 1,09 1,92 0,59 0,45 1,88 1,56 0,32 0,28 0,98 0,76 0,66 0,26 0,06 0,01 0,01 0,02 0,01 0,01 0,01 Insgesamt < 1882 1895 1907 91,24 93,75 94,81 3,75 2,59 2,17 3,70 2,75 2,35 1,30 0,90 0,66 0,01 0,01 0,01 1 Die Angaben für 1882 sind in den Angaben über den Kr. Mülheim a. R. mitenthalten. 2 Die Angaben für 1882 und 1896 sind in den Angaben über den Kr. Mül- heim a. R. mitenthalten. 33 Die landwirtschaftlich benutzte Fläche der Betriebe betrug: Kreise im Jahre über- haupt unter 2 ha 2— 5 ha 5—20 ha 20—100 ha über 100 ha Duisburg . . . .| 1882 1895 1907 1370 1218 1751 355 300 217 182 149 190 530 419 511 303 350 608 225 Mülheim a. d. Ruhr] (Stadt u. Land)| 1882 1895 1907 22848 5956 4617 3754 1663 1271 2745 430 264 8628 2072 1699 7541 1791 1383 180 Ruhrort (jetzt | Dinslaken) . . . | 18951 1907 16707 11914 2569 1814 2288 1977 6789 5363 4843 2653 218 107 Essen (Stadtkreis) 1882 1895 1907 190 227 627 163 99 201 14 11 66 13 22 175 95 185 — Essen (Landkreis) ■{ 1882 1895 1907 13459 14580 9737 2979 3318 2269 825 741 484 4061 3835 2782 5358 6020 3982 246 666 220 Oberhausen . . . 19072 199 80 21 46 52 — Insgesamt ....•{ 1882 1895 1907 37877 38688 28845 7251 7949 5852 3766 3619 3002 13232 13137 10576 13202 13099 8863 426 •884 552 Von je 100 ha der landwirtschaftlich benutzten Fläche entfallen auf die Betriebe in den Größenklassen von : Kreise im Jahre unter 2 ha 2— 5 ha 5— 20 ha 20—100 ha über 100 ha Duisburg •! 1882 1895 1907 25,91 24,63 12,40 13,28 12,23 10,84 38,69 34,40 29,20 22,12 28,74 34,72 12,84 Mülheim a. d. Ruhrj (Stadt u. Land) J 1882 1895 1907 16,43 27,92 27,53 12,01 7,22 5,72 37,76 34,79 36,80 33,01 30,07 29,95 0,79 Ruhrort (jetzt Dins-| laken) \ 18951 1907 15,38 15,22 13,69 16,59 40,64 45,03 28,99 22,27 1,30 0,89 Essen (Stadtkreis) 1882 1895 1907 85,79 43,61 32,06 7,37 4,85 10,53 6,84 9,69 27,91 41,85 29,50 — Essen (Landkreis) .\ 1882 1895 1907 22,12 22,76 23,30 6,12 5,08 4,97 30,16 26,30 28,57 39,78 41,29 40,90 1,82 4,57 2,26 Oberhausen .... 19072 40,20 10,55 23,12 26,13 — Insgesamt < 1882 1895 1907 19,14 20,55 20,29 9,94 9,35 10,41 34,93 33,96 36,66 34,86 33,86 30,73 1,13 2,28 1,91 1 Die Angaben für 1882 sind in den Angaben über den Kr. Mülheim a. R. mitenthalten. 2 Die Angaben für 1882 und 1895 sind in den Angaben über den Kr. Mül- heim a, R. mitenthalten. a Avereck, Landwirtschaft. " 34 Die Gesamtzahl der Betriebe in unserem Bezirke stieg vom Jahre 1882—1895 um 11540 oder 33,6 »/o, von 1895—1907 ging die Zahl dagegen wieder etwas zurück, nämlich von 45703 auf 44221. An der Steigerung waren fast nur die Parzellenbetriebe beteihgt, während die bäuerHchen Betriebe stark abnehmen. Unter den im Jahre 1907 gezählten 41925 Parzellenbetrieben gab es 39198 Betriebe, die noch nicht die Größe von 0,50 ha erreichten. Diese außerordenthch große Anzahl kleinster Betriebe läßt deutlich den Einfluß der Industrie erkennen. Zur Ernährung einer Familie reichen diese Zwergwirtschaften nicht aus. Sie sind deshalb meist Eigen- tum eines Zechen- oder Fabrikarbeiters, dem sie als Wohnsitz und zur Erzeugung der einfachsten Lebensmittel dienen. Von einer land- wirtschaftHchen Tätigkeit im eigentlichen Sinne kann bei ihnen nicht gesprochen werden. Die Bewirtschaftung dieser kleinsten Betriebe erfolgt entweder durch die Industriearbeiter selbst in ihrer freien Zeit oder durch ihre Frauen. Von der Gesamtwirtschaftsfläche nahmen die ParzeUenbetriebe unter 2 ha im Jahre 1907 5852 ha oder 20,29 °/o ein und hieran waren wieder die Betriebe unter 0,50 ha mit 3121 ha beteüigt. Die durchschnitthche Größe der Parzellenbetriebe unter 2 ha ist von 0,23 ha im Jahre 1882 auf 0,19 ha im Jahre 1895 und auf 0,14 ha im Jahre 1907 zurückgegangen. Die kleinbäuerlichen Betriebe haben sowohl der Zahl wie der Fläche nach seit dem Jahre 1882 abgenommen. Sie verminderten sich um 316 Betriebe und 764 ha landwirtschaftHch benutzter Fläche oder durchschnittlich 2,37 ha für jeden Betrieb. Die klein- bäuerlichen Betriebe bleiben der Zahl nach mit 2,17*^/0 der Gesamt- zahl der Betriebe gegen 94,81 ®/o der Parzellenbetriebe weit hinter diesen zurück, dagegen ist die Gesamtfläche der kleinbäuerlichen Betriebe nur um die Hälfte geringer als die der Zwergwirtschaften. Die Durchschnittsgröße eines kleinbäuerlichen Betriebes betrug 1882 2,95 ha, 1895 3,06 ha und 1907 3,13 ha. Die kleinbäuer- lichen Betriebe haben demnach, im Gegensatz zu den Parzellen- betrieben durchschnitthch an Flächengröße ständig zugenommen. Wenn auch viele Besitzer dieser kleinbäuerlichen Wirtschaften einen Nebenberuf ausüben, so bietet doch der Besitz von 2 — 5 ha Acker- land allein im Industriegebiete eine auskömmhche Existenz. Gerade der Kleinbauer, der an seinen Familienmitgliedern die zuverlässigsten Arbeitskräfte hat, ist imstande, bei intensivster Bewirtschaftung und unter Bevorzugung von Spezialkulturen wie Gemüsebau, für dessen Produkte im Industriegebiete immer eine gute Absatzmöglich- keit besteht, die relativ höchsten Eoh- und Eeinerträge zu erzielen. Die dritte Gruppe bilden die mittelbäuerhchen Betriebe von 5 — 20 ha. Sie sind der Zahl nach von 1882 — 1895 nur wenig, da- gegen von 1895 — 1907 stark zurückgegangen. Ihre Beteiligung an der Gesamtzahl der Betriebe betrug 1882 3,707«, 1895 2,75 «/o und 1907 2,35 7o- Dagegen war der Anteil dieser Gruppe an der Gesamt- anbaufläche von allen Betriebsklassen am größten; er betrug nämUch im Jahre 1882 34,937o, 1895 33,96«/o und 1907 36,667o- Die Durch- 35 Schnittsgröße der mittelbäuerlichen Betriebe ist von 15,10 ha im Jahre 1882 auf 14,59 ha im Jahre 1895 und auf 10,18 ha im Jahre 1907 zurückgegangen. Die mittelbäuerHchen Betriebe bilden mit der nächsten Gruppe, den großbäuerlichen Betrieben, den eigenthchen Bauernstand. Beide Gruppen hatten von 1882 — -1895 ungefähr den gleichen Anteil an der Gesamtwirtschaftsfläche, seitdem hat sich aber dieses Verhältnis etwas zugunsten der mittelbäuerlichen Betriebe verschoben. Nach wie vor nehmen beide Gruppen zusammen etwas über 2/3 der Gesamt- wirtschaftsfläche ein. Die Zahl der großbäuerlichen Betriebe ist stark zurückgegangen, nämlich von 431 im Jahre 1882 auf 293 im Jahre 1907. Die durchschnittliche Größe des Einzelbetriebes stellte sich hier im Jahre 1882 auf 36,31 ha, 1895 auf 31,41 ha und 1907 auf 30,25 ha. Die Großbetriebe haben sowohl der Zahl als Fläche nach in unserem Bezirke nur geringe Bedeutung, da nach den Betriebs- zählungen nur 3 bzw. 4 im ganzen vorhanden waren. Im Jahre 1907 betrug nach der Statistik die durchschnittliche Größe eines Groß- betriebes 138 ha. Der fideikommissarisch gebundene Besitz ist in unserem Bezirke nur spärhch vertreten. Nach der Betriebsstatistik vom Jahre 1895 entfielen von dem gesamten Flächeninhalte auf Fideikom misse: im Kreise Mülheim a. d. Kuhr 165,6 ha „ „ Euhrort 487,6 „ Essen 997,6 „ Insgesamt 1650,8 ha. Der Anteil des fideikommissarisch gebundenen Besitzes an der Gesamtfläche beträgt demnach 2,66 °/o iind hiervon sind 228 ha oder 0,38 7o der Gesamtfläche Waldbestand. Stellen wir die einzelnen Kreise unseres Bezirkes hinsichtlich der Verteilung des Grundbesitzes einander gegenüber, so ist folgendes zu bemerken. Nach der Betriebsstatistik von 1907 nahmen die Par- zellenbetriebe in den Stadtkreisen Essen und Oberhausen, die mittel- bäuerHchen Betriebe in den Kreisen Mülheim a. d. Kuhr und Dins- laken und die großbäuerlichen Betriebe in dem Landkreise Essen und im Stadtkreise Duisburg der Fläche nach die erste Stelle ein. Der kleinbäuerliche Besitz ist in keinem Kreise sehr bedeutend, relativ am geringsten ist er im Landkreise Essen und im Kreise Mül- heim a. d. Euhr, am höchsten im Kreise Dinslaken vertreten. Der Zahl nach nehmen in sämthchen Kreisen die Parzellenbetriebe die erste Stelle ein, besonders zahlreich sind sie in den Stadt- und Land- kreisen Essen, Mülheim a. d. Euhr und Oberhausen vertreten, während sich in dem Kreise Dinslaken noch eine relativ hohe Zahl von kleinen und mittelbäuerHchen Betrieben findet. Die starken Schwankungen, welche sich in den Ergebnissen der einzelnen Zählungsjahre für ver- schiedene Kreise finden, beruhen zum größten Teil auf den durch Kreisteilungen und Eingemeindungen hervorgerufenen Gebietsver- 36 Schiebungen. Das ist ein Übelstand, der die Vergleichbarkeit der Zahlen für die betreffenden Kreise stark beeinträchtigt. Die Zahl der in den landwirtschaftlichen Betrieben berufstätigen Personen betrug im Jahre 1907 in den Größenklassen: unter 2 ha 39596 Personen 2—5 „ 2834 5—20 „ 4944 20—100 „ 2581 über 100 „ 106 Es kamen demnach auf die Parzellenbetriebe durchschnittlich eine landwirtschaftlich berufstätige Person, auf die kleinbäuerhchen Betriebe entfielen im Durchschnitt 3, auf die mittelbäuerhchen an- nähernd 5 und auf die großbäuerlichen rund 8 Personen, während sich die Zahl der im Großbetriebe tätigen Personen auf rund 26 stellt. Hieraus geht hervor, daß die Inhaber der Parzellenbetriebe im all- gemeinen noch überschüssige Arbeitskraft für andere Berufsarbeit zur Verfügung haben, während der Kleinbauer mit seinen helfenden Familienangehörigen ohne fremde Arbeitskräfte zu wirtschaften ver- mag. Die drei anderen Größenklassen, die mittelbäuerlichen, groß- bäuerlichen und Großbetriebe dagegen können ohne fremde Arbeits- kräfte nicht auskommen. Überblickt man die Bewegung des Grundeigentums, so wird man zunächst die hier vorherrschende Besitzverteilung für recht günstig halten müssen. Der Schwerpunkt der Landwirtschaft liegt zurzeit noch in den groß- und mittelbäuerlichen Betrieben, die zusammen 2/3 der Gesamtwirtschaftsfläche einnehmen. Unleugbar aber machen sich schon zwei Eichtungstendenzen entgegengesetzter Art bemerk- bar: einmal nimmt die Zahl und die Durchschnittsgröße der bäuer- lichen Betriebe ab, d. h. der Bauernstand geht zurück, und ein anderes Mal nehmen die kleinsten Betriebe der Zahl nach stark zu, d. h. die Arbeiterklasse steigt hinauf. Der Bauer vermag auf die Dauer der Konkurrenz der Industrie und des Großkapitals um den Besitz von Grund und Boden keinen Widerstand zu leisten. Er gibt sein von den Vätern ererbtes Gut ganz oder zum Teile ab und wird Pächter, wenn er es nicht vorzieht, seinen bisherigen Beruf ganz aufzugeben. Das Streben des Industriearbeiters geht dahin, möghchst bald ein Grundstück zu erwerben, auf dem er ein eigenes Heim errichten kann, und das noch Kaum genug bietet, um Kartoffeln und Gemüse anzubauen. In den Gegenden mit älterem Bergbau besitzen die alten Bergarbeiter vielfach Besitzungen von recht ansehnhcher Größe. Wenn ihre Kinder erwachsen sind, überlassen ihnen die Eltern dann davon Bauplätze mit einem entsprechenden Stück Garten- oder Acker- land. Neu zugezogene Arbeiter haben es in der Eegel schwieriger, Grundstücke für einen billigen Preis zu erlangen. Sie sind meist ge- zwungen, den Landwirten oder Grundstücksspekulanten für ein Stückchen Land einen Preis zu bezahlen, der den eigenthchen Erträgs- wert bei weitem übersteigt. Der grundbesitzende Industriearbeiter 37 führt ein doppeltes Leben: er geht seiner Tätigkeit als Fabrik- oder Zechenarbeiter nach, und befaßt sich außerdem in seiner freien Zeit mit landwirtschaftlichen Arbeiten. Dafür ist seine Position viel gesicherter als die des besitzlosen Arbeiters in der Großstadt. Stellt einmal die Fabrik oder Zeche eine Zeitlang den Betrieb ein, oder wird er aus einem anderen Grunde arbeitslos, so vermag er sich viel eher eine Zeitlang über Wasser zu halten als der besitzlose Arbeiter. Da er keine Wohnungsmiete zu zahlen hat und die Ziege und die selbst gebauten Kartoffeln und Gemüse einen annehmbaren Zuschuß zum Haushalt bieten, so ist er zunächst vor der dringendsten Not geschützt. Indes dieses Bild hat eine Kehrseite. Der edle Ehrgeiz, auf eigenem Grund und Boden zu wohnen und sein eigenes Stück Land zu beackern, kostet dem Arbeiter einen guten Teil seiner Freiheit. Er kann nicht mehr wie der besitzlose Arbeiter von Ort zu Ort ziehen und die Arbeit suchen, wie sie ihm gefällt; er ist durch das Gebunden- sein an die Scholle darauf angewiesen, die Arbeitsgelegenheit wahr- zunehmen, wie sie sich ihm in der Nähe seines Wohnortes bietet; und wenn dann der Fall eintritt, daß durch Stillegung von Zechen ihm jede dauernde Arbeitsgelegenheit an Ort und Stelle genommen ist und er Arbeit an entfernten Orten suchen muß, so wird für ihn der eigene Besitz leicht zur Last. 3. Die Vererbung und Verschuldung des ländlichen , Grundbesitzes^ Am 2. Juli 1898 wurde ein Gesetz erlassen, welches das An- erbenrecht bei Landgütern in der Provinz Westfalen und in den rheinischen Kreisen Kees, Essen-Land, Essen- Stadt, Duisburg, Euhr- ort und Mülheim a. d. Euhr regelte. In diesen rheinischen Kreisen hatte ebenso wie in der Provinz Westfalen von alters her die Sitte bestanden, um den Bauernhof als geschlossenes Ganzes der Familie zu erhalten, ihn einem bevorzugten Erben geschlossen zu übertragen. Infolge dieser Erbfolge ist in diesen Kreisen ein kräftiger Bauern- stand erhalten geblieben und eine Zersphtterung des bäuerhchen Besitzes nicht eingetreten. Um nun zu verhüten, daß diese Gewohn- heit, welche ein gesunder FamiUensinn geschaffen hatte, im Falle der Intestaterbfolge nicht durchbrochen würde, wurde am 2. Juli 1898 das Gesetz betreffend das Anerberecht erlassen, das am 1. Januar 1900 in Kraft trat. Allerdings hatte man schon im Jahre 1882 einen Versuch gemacht, durch die der Hannoverschen Höferolle nach- gebildete Landgüterordnung für die Provinz Westfalen die freie Ver- fügbarkeit über den Grund und Boden einzuschränken. Es wurde hierin bestimmt, daß die in der Landgüterrolle eingetragenen Höfe von den Anerben gegen den 20 fachen Betrag des Eeinertrages über- nommen werden konnten. Die an diese Verordnung geknüpften Er- wartungen wurden indes nicht erfüllt, da nur verhältnismäßig wenige Hofbesitzer ihre Güter eintragen ließen, und für die nicht eingetragenen ^ Sering, Vererbung des ländlichen Grundbesitzes. 1900, 3, S. 139ff. 38 — - Besitzungen hatten sie keine Geltung. So entschloß man sich denn ein Gesetz zu schaffen, das auf möghchst viele bäuerhche Besitzungen ausgedehnt werden sollte. Es wurde bestimmt, daß als Anerbengut im Sinne des Gesetzes jede ländliche Besitzung gelten sollte, die eine selbständige Nahrungsstelle bietet und mit einem wenn auch örthch getrennten Wohnhause versehen ist und wo der Grundsteuerrein- ertrag mindestens 60 Mark beträgt. Der Anerbe erhält nach dem Gesetz 1/3 des Gutswertes nach Abzug aller Schulden als Voraus und geht dann mit den weichenden Miterben bei der Eestsumme nochmals in Teilung. Als Gutswert wird nicht der augenbhckliche Verkehrswert angesehen, sondern der Ertragswert, der ermittelt wird, indem man den 25 fachen Betrag des nachhaltigen Eeinertrages zu- grunde legt. Eine Ausnahme ist nur für den Fall vorgesehen, daß der Hof innerhalb eines Bebauungsplanes liegt. Wird der Besitz innerhalb 15 Jahren nach der Übernahme vom Anerben veräußert, so ist er verpfhchtet, das im voraus erhaltene Drittel wieder in Teilung zu geben. Durch die Bestimmung des Anerbengesetzes werden natür- lich die freien Verfügungsrechte des jeweiHgen Besitzers nicht be- berührt; ihm steht es frei, den Hof geschlossen oder geteilt zu ver- erben oder in irgendeiner anderen Weise seinen Anschauungen durch eine letztwillige Verfügung Ausdruck zu geben. Im allgemeinen ist jedoch die Anhänglichkeit des westfälischen Bauern an die Familien- besitzung so groß, daß er ängsthch darauf bedacht ist, den Hof als unteilbares Ganzes zu erhalten und den Anerben durch Schulden nicht zu sehr zu belasten. Die Abfindungen der übrigen Kinder werden deshalb in der Eegel nicht nach dem Verkaufswert, sondern nach der Leistungsfähigkeit des Hofes bemessen. Das Gesetz unterscheidet zwischen dem mittelbaren und dem unmittelbaren Anerbenrechte. In den Gebieten, wo das unmittelbare Anerbenrecht gilt, werden alle Güter, die den oben erwähnten gesetz- lichen Bestimmungen entsprechen, auf Antrag des Spezialkommissars als Anerbengüter in das Grundbuch eingetragen. Auch wenn Teile von diesen Gütern verkauft werden, bleiben sie als Anerbengüter bestehen, sofern der Grundsteuerreinertrag des Eestgutes noch 60 Mark beträgt. Eine Löschung im Grundbuch erfolgt bloß dann, wenn die Besitzung den gesetzlichen Bestimmungen als Anerbengut nicht mehr entspricht. Das mittelbare Anerbenrecht sollte in denjenigen Gebieten Geltung haben, wo das unmittelbare den wirtschaftlichen Verhältnissen der Gegend nicht entsprochen haben würde. Und das traf auch für die industriellen rheinischen Kreise zu. Nach dem mittelbaren Anerbenrechte bleibt es dem jeweihgen Besitzer über- lassen, ob er sein Gut eintragen lassen will oder nicht. Will er es eintragen lassen, so muß er sich eine Bescheinigung des Spezialkom- missars beschaffen, die dahin lautet, daß das betreffende Landgut den gesetzlich an das Anerbengut gestellten Anforderungen entspricht. Das mittelbare Anerbenrecht ist für das Industriegebiet von geringer Bedeutung und gelangt nur in den seltensten Fällen zur Anwendung. Einmal lassen die wenigsten Besitzer ihr Eigentum 39 als Anerbengut eintragen, und wo es etwa geschehen ist, sorgen sie zum anderen meist durch rechtzeitige Verfügung dafür, ihrem Willen Ausdruck zu geben. Da im allgemeinen der Verkehrswert des Gutes den Ertragswert übersteigt, würde es eine große Un- gerechtigkeit sein, wenn die weichenden Erben nach den Bestim- mungen des Anerbengesetzes abgefunden würden. Verkauft der Anerbe das Gut kurz nach der Übernahme zu einem hohen Preise, so gelangt er gegenüber seinen Geschwistern in eine verhältnismäßig sehr glänzende Stellung, auch wenn er das im voraus erhaltene Drittel wieder teilen muß. Zieht er es aber vor, die Frist von 15 Jahren ab- zuwarten, bevor er verkauft, so wird er außer dem geretteten Drittel noch einen durch Wertsteigerung des Grund und Bodens bedeutend erhöhten Verkaufpreis erwarten können und hat dann seinen Ge- schwistern gegenüber einen noch größeren Vorteil. Um dem vorzu- beugen, wird vielfach von den bäuerMchen Besitzern die Bestimmung getroffen, daß der Anerbe, wenn er vor Ablauf einer bestimmten Frist das von den Eltern ererbte Gut verkauft, verpflichtet ist, den Erlös nachträglich mit seinen Geschwistern zu teilen, wobei ihm in der Eegel eine geringe Bevorzugung zugestanden wird. Es wird aber von den bäuerhchen Besitzern des rheinischen Industriegebietes noch im allgemeinen daran festgehalten, den Hof einem Erben zu über- tragen; jedoch kommt es häufiger vor, daß den Miterben neben der Ab- findungssumme einzelne hochwertige Stücke Land überlassen werden, wenn es unbeschadet der Leistungsfähigkeit des Hofes geschehen kann. So sehr es auch zu wünschen ist, daß der bäuerhche Besitz in den westfälischen Landen in seiner jetzigen Form erhalten bleibt, so würde man es vom volkswirtschaftHchen und sozialpoHtischen Standpunkte aus nur begrüßen können, wenn im Industriegebiete die größeren bäuerlichen Besitzungen noch mehr geteilt würden. Hier genügen wenige Hektar Ackerland zur Ernährung einer FamiHe, und bei intensiver Bewirtschaftung und beim Anbau hochwertiger Kultur- pflanzen, für die hier stets ein günstiges Absatzgebiet vorhanden ist, können auf dem Kleinbesitz viel höhere Reinerträge erzielt werden, als es in den Großbetrieben möghch ist. Andererseits würden dann die Industriearbeiter weit besser in der Lage sein, sich ein Stück Land zu kaufen. Jetzt ist ihnen das vielfach unmögHch gemacht, und zwar nicht deshalb, weil es ihnen an Kapital mangelt, sondern weil oft gar kein Land zu einem Preise zu haben ist, den man noch als an- gemessen bezeichnen kann. Die Verschuldungsstatistik des Grundbesitzes vom Jahre 1902, die den ganzen preußischen Staat umfaßte, erstreckte sich auf alle Eigentümer von Grundstücken mit mindestens 60 Mark Reinertrag, deren Haupterwerb aus Land- und Forstwirtschaft bestand. Nach dieser Statistik hatten in unserem Bezirke von den Eigentümern Schulden im Betrage von 100 Teilen des Gesamt Vermögens^: ^ Die ländliche Verschuldung in Preußen. Preußische Statistik, Bd. 191, 1 II, S. 1063—1075. 40 Kreis Anzahl der Eigen- tümer > 2290 Akkord- und Tagelöhne * . . . „ 700 Instandhaltung der Ackergeräte ...... „ 800 Versicherungsgebühren ,, 250 Verschiedene Haushaltungsbedürfnisse ... ,, 1000 Abschreibung ,, 1200 . ' ^ Summa Mk. 17093 ^ Es ergibt sich somit die Bilanz: Einnahmen ". Mk. 24253 Ausgaben . . „ 17093 Wirtschaftsreinertrag ......... .■ . Mk, 7160^ V. Beschreibung eines 13,5 ha großen Betriebes. Auf dem betreffenden Hofe wirtschaftet der Besitzer mit seiner •Erau. An Ackerland sind 12,5 ha, an Garten 0,5 ha und an Wiesen und Weiden ebenfalls 0,5 ha vorhanden. Die Ackerkrume besteht teils aus mildem, teils aus schwerem Lehmboden erster und zweiter Klasse. 1 S. auch S. 80ff. 54 Es wird auf dem Gute nach folgender Fruchtfolge gewirtschaftet: 1. Weizen gedüngt mit Stalldünger; 2. Roggen gedüngt mit Stall- oder Kunstdünger; 3. Klee nicht gedüngt; 4. Hafer nicht gedüngt; 5. 2/3 Hackfrüchte, ^/g Weizen stark gedüngt mit Stall- und Kunstdünger. Durchschnittlich werden jährhch angebaut: 11 Morgen mit Eoggen, 10 — 11 Morgen mit Weizen, 9 Morgen mit Klee, 4 Morgen mit Kar- toffeln und 4 Morgen mit Eüben. Das Kartoffelland wird zur Hälfte verpachtet zum Preise von 144 Mk. pro Morgen. Die Ernteerträge waren in den letzten Jahren folgende: Roggen 2300 kg pro ha Weizen 2600 „ Hafer 2600 „ Kleeheu 6000 „ Kartoffeln 19000 „ An Vieh werden gehalten: 2 volljährige schwere Ackerpferde, 6 Milchkühe, 4 Mastschweine und 55 Hühner. Der Besitzer betreibt reine Abmelkwirtschaft. Die in der Wirtschaft gewonnene Milch (781täghch) wird zum Preise von 15 Pfg. pro Liter an den Milchhändler abgegeben, der sie in der benachbarten Stadt für 20 Pfg. wieder ver- kauft. Die tägHche Fütterung des Rindviehes besteht aus: 2,5 kg Malzkeimen, 1 kg Kleie, 1,5 kg Baumwollsaatmehl, 1,5 kg Leinmehl, 35 kg Runkelrüben, 5 kg Hafer, Stroh und Spreu und etwa 2 kg Heu. Im Sommer wird viel Klee gefüttert. Der Preis der für den Betrieb gekauften tragenden Milchkühe beträgt durchschnittHch 400 — 450 Mk., für die fetten Tiere werden gewöhnlich 350 — 450 Mk. gelöst. Die im Betriebe gemästeten Schweine werden für den eigenen Bedarf gebraucht; Aufzucht findet hier nicht statt, sondern es werden etwa 6 Monate alte Tiere im Preise von 60 — 70 Mk. angekauft. Außer der Arbeitskraft des Besitzers und seiner Frau sind im Betriebe dauernd tätig: 1 Großknecht, 1 Pferdejunge und 2 Dienst- mädchen. Es erhalten dieselben an Lohn: 1 Großknecht Mk. 480 1 Pferdejunge „ 420 1 Dienstmädchen ,, 240 1 Dienstmädchen ,, 180 Außerdem wird vorübergehend 1 Tagelöhner beschäftigt, der außer der Kost 3 Mk. pro Tag erhält. Die Kost für das Gesinde im Haus- halt des Besitzers wird mit 400 Mk. für die Knechte und mit 300 Mk. für die Mägde veranschlagt. Die Erntearbeiten werden zum Teil an. holländische Schnitter im Akkord vergeben, und zwar wird für das Mähen des Wintergetreides durchschnittHch 14 Mk. pro ha und bei Lagerfrucht entsprechend mehr (etwa 20 Mk.) nebst freier Kost bezahlt Der durchschnittliche Wert des Bodens wird unter Zugrunde- legung der in der nächsten Umgebung bezahlten Preise vom Besitzer 55 mit 12000 Mk. pro ha bewertet. Die Wirtschaftsgebäude sind mit 27700 Mk. versichert. Es betragen die Einnahmen und Ausgaben der Wirtschaft: a) Einnahmen: NaturalHeferung für die nicht im Betriebe beschäftigten Familienmitgheder . . Mk. 750, — Eoggen (4800 kg) „ 800 — Weizen (500 kg) „ 1200 — Hafer (1000 kg) „ 150,— Kartoffeln „ 300,— Steckrüben „ 100, — Stroh „ 500,— Kleeheu : . . „ 100,— 6 fette Kühe , 2200,— 6 Kälber „ 300,— Milch „ 4270,50 Eier. „ 100,— Obst und Gemüse „ 150, — Verschiedenes „ 100, — Summa Mk. 11020,50 b) Ausgaben: Arbeitseinkommen des selbst wirtschaften- den Besitzers und seiner Frau . . . Mk. 750, — Gesindelöhne „ 1020, — Tag- und Akkordlöhne ,, 150, — Zukauf von Milchvieh '. . „ 2700,— Pferde. „ 100,— Schweine ,, 200, — Futtermittel „ 1 800,— Künstliche Düngemittel ,, 200, — Sämereien ,, 100, — Instandhaltung der Ackergeräte .... ,, 300, — - Instandhaltung und Abschreibung der Gebäude „ 600, — Versicherungen „ 140, — Verschiedene Wirtschaftsbedürfnisse . . ,, 500, — Summa Mk. 8560 Es ergibt sich somit die Bilanz: Einnahmen Mk. 11020,50 Ausgaben „ 8560, — Wirtschaftsreinertrag . . Mk. 2460,50^ 1 S. auch S. 80ff. — 56 2. Statistik der landwirtschaftlichen Bodenbenutzung. Seit dem Jahre 1878 besitzen wir im Deutschen Eeiche eine Eeihe von amtlichen Erhebungen über die landwirtschafthche Boden- nutzung, die gegenüber den früheren approximativen Angaben einen bedeutend höheren Anspruch auf Eichtigkeit erheben können. Diese Erhebungen erfolgen unter Zugrundelegung des in den Kataster- dokumenten niedergelegten Urkundenmaterials in Verbindung mit der sachverständigen Schätzung ortskundiger Personen. Um zu- nächst ein Bild davon zu geben, welchen Anteil die landwirtschaft- Hch benutzten Flächen an der Gesamtfläche unseres Bezirkes haben, mögen die betreffenden statistischen Angaben hier Platz finden. Es betrugen im Gebiete des alten Kreises Duisburg: Jahr Gesamtfläche Landwirtschaftlich benutzte Fläche im ganzen 7o der Gesamtfläche 1835 64655,2 39321,2 62,4 1878 66713,0 45753,0 68,6 1900 67026,3 39074,5 58,3 1907 67048,6 28845,0 43,1 Die landwirtschaftHch benutzte Fläche wuchs somit infolge der Urbarmachung von Ödländereien sowie der Umwandlung von Wald- beständen in landwirtschaftliche Kulturen in dem Zeiträume von 1835—1878 um 6431,8 ha. Seit dem Jahre 1878 sind in einem Zeit- räume von 29 Jahren nicht weniger als 16908 ha, d. h. rund 25 7o der Gesamtfläche oder 37^0 der bisher landwirtschaftHch benutzten Fläche der Industrie zum Opfer gefallen. Von der landwirtschaftlich benutzten Fläche nahmen ein: Jahr Acker und Gartenland Wiesen imd Weiden ha ha 1835 29248,4 10073,8 1878 29571,1 16181,9 1900 28093,3 10981,2 1907 19956,1 8888,9 Aus obigen Zahlen ergibt sich, daß die Steigerung der land- wirtschaftHch nutzbaren Fläche in dem Zeiträume von 1835 — 1878 fast ausschließlich den Wiesen und Weiden zugute gekommen ist, während von 1878 — 1900 sich ein starker Eückgang im Umfange der Wiesen und Weiden zeigt. Bei der steigenden Inanspruchnahme des Ackerlandes durch die Industrie sind offenbar von 1878 ab viele für den Ackerbau taugHche Weideflächen wieder in Ackerland um- gewandelt worden, um die für die Aufrechterhaltung des Betriebes nötigen Anbauflächen zu gewinnen. Es konnte dies um so unbedenk- licher geschehen, da die Landwirtschaft bei der zunehmenden Ab- melkwirtschaft und der damit verbundenen größeren Verwendung von Kraftfuttermitteln immer mehr zur Stallfütterung überging. Vom Jahre 1900 an zeigt das Ackerland eine autarkere Abnahme als die Wiesen und Weiden. 57 Über den Anteil der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche an der Gesamtfläche in den einzelnen Teilen unseres Gebietes gibt nach- folgende Tabelle Aufschluß: Kreise Jahr ha Acker ^ u. Garten- land ^ s i (0 ha ® 2 1 ha i 2 :cä ^ s Duisburg . . . . 1 Mülheim a. d. R.| Ruhrort .... Essen- Stadt . . | Essen-Land • • ■ { 1878 1900 1878 1900 1900 1878 1900 1878 1900 3752,9 3753,3 43122,4 10177,2 32953,8 880,9 966,9 18956,8 19176,1 1113,6 804,0 16710,8 5296,0 11227,0 397,6 353,6 11349,1 10412,7 29,7 21,4 38,8 52,0 34,1 45,1 36,6 59,9 54,3 32,3 32,0 848,4 303,9 728,8 20,6 13,0 944,2 1003,5 0,9 0,9 2,0 3,0 2,2 2,3 1,3 5,0 5,2 925,0 661,0 11833,0 813,9 5910,2 3,2 1575,2 1464,9 24,6 17,6 27,4 8,0 18,1 0.4 8,3 7,6 Insgesamt • • • | 1878 1900 66713,0 67026,3 29571,1 28093,3 44,3 41,9 1845,5 2081,2 2,8 3,1 14336,4 8900,0 21,5 13,3 Den größten Anteil an der landwirtschaftHch nutzbaren Fläche besitzen naturgemäß die Landkreise Essen, Mülheim a. d. Euhr und Euhrort; indes zeigt sich in ihnen ebenso wie in den Stadtkreisen eine Abnahme der Fläche des Ackerlandes. Wenn auch nach Möglich- keit versucht wird, jedes Fleckchen Land nutzbar zu machen, so ist doch auf der anderen Seite das Vordringen der Industrie in die länd- hchen Gebiete ein so rapides, daß die damit verbundene Inanspruch- nahme des Ackerbodens selbst durch Heranziehen des Öd- und Un- landes für landwirtschaftliche Zwecke nicht ausgeglichen werden kann. Der sehr hohe Anteil der Weideflächen, besonders im Kreise Euhrort, ist durch die natürlichen Verhältnisse bedingt. In den Flußtälern des Eheines, der Euhr und der Emscher befinden sich große natürliche Wiesen und Weidegründe, die den meist viehstarken Wirtschaften dieser Bezirke die sicherste Grundlage bieten. Diese Grasböden Hefern darum in ihrer Benutzung als Weide wirtschaft- hch den höchsten Ertrag, und es würde ein ebenso großer Fehler sein, wollte man diese graswüchsigen Flächen in Ackerland umwandeln, als wenn man minderwertige Boden zur Weidenutzung heranzieht; denn letztere erfordern zu ihrer Anlage zunächst ein hohes Kapital und für die Instandhaltung weitere hohe Aufwendungen. Weide- wirtschaften sind deshalb im allgemeinen nur dort angebracht, wo gute graswüchsige Böden und ein ziemhch feuchtes Klima von Natur aus gegeben sind, und das trifft für einen großen Teil der Flußtäler unseres Gebietes zu. Über die Benutzung des Ackerlandes und den Anbau der wich- tigsten Feldfrüchte in deri einzelnen Kreisen unseres Bezirkes gibt die amtliche Abbaustatistik Aufschluß. 58 Die Größe der Anbauflächen betrug: Kreise Jahr Weizen Roggen Gerste Hafer Kar- toffeln Futter- pflanzen ha ha ha ha ha ha Duisburg . . .< 1878 1900 1907 58,3 10,0 85,0 286,3 200,0 195,0 4,6 8,0 163,0 110,0 167,0 266,0 240,0 150,0 77,0 25,0 65,0 Mülheim a. d. rJ 1878 1900 1907 1615,7 562,0 448,0 5679,7 1399,9 1070,0 140,2 9,4 4,0 2458,2 884,1 720,0 2518,5 1 128,5 641,0 1942,7 617,8 479,0 Ruhrort . . . . | 19001 1907 1016,5 666,0 4135,3 3882,0 90,6 21,0 1842,6 1621,0 1554,7 1420,0 736,7 501,0 Oberhausen . . . 19072 — 45,0 — 10,0 150,0 — Essen- Stadt . ..| 1878 1 1900 1907 12,9 5,5 80,0 48,9 13,5 100,0 E 12,3 7,0 24,0 206,3 74,0 215,0 7,9 10,3 54,0 Essen-Land • • • { 1 1878 1900 1907 1346,4 1400,6 2783,1 2165,9 123,7 30,4 17,0 1813,4 1887,6 1 744,0 1478,5 1761,1 1596,0 1668,5 1487,3 l 1 224,0 1 995,0 1 155,0 Insgesamt • • •{ 1878 [ 1900 1 1907 3033,3 2994,1 2503,0 8798,0 7914,6 7287,0 268,5 130,4 50,0 4446,9 4731,8 4286,0 4269,3 4758,3 4172,0 3696,1 2877,1 2254,0 Der Anteil, den die einzelnen Fruchtarten an der Gesamtfläche haben, betrug in °/q umgerechnet: Kreise I Jahr Weizen Roggen Gerste Hafer Kar- toffeln Futter- pflanzen Duisburg • • •] 1878 1900 1907 1,6 0,3 2,2 7,6 5,3 5,0 0,1 0,2 4,3 2,9 4,3 7,1 6,4 3,8 2,1 0,7 1,6 Mülheim a. d. R. 1878 1900 1907 3,7 5,5 5,0 13,2 13,8 12,0 0,3 0,1 0.1 5,7 8,7 8,1 5,8 11,1 7,2 4,5 6,1 5,4 Ruhrort . . .1 19001 1907 3,1 2,0 12,5 11,8 0,3 0,1 5,6 4,7 4,7 4,3 2,2 1,5 Oberhausen . . . 19072 — 3,5 — 0,8 11,5 — Essen- Stadt . .< 1878 1900 1907 1,5 0,6 4,2 5,6 1,4 5,3 — 1,4 0,7 1,3 23,4 7,7 11,3 0,9 1,1 2,8 Essen-Land • • l 1878 1900 1907 7,1 7,3 6,8 14,7 11,3 11,1 0,7 0,2 0,1 9,6 9,8 9,7 7,8 9,2 8,9 8,8 7,8 6,4 Insgesamt • • •■! 1878 1900 1907 4,5 4,5 3,7 13,2 11,8 10,9 0,4 0,2 0,1 6,7 7,1 6,4 6,4 7,1 6,2 5,5 4,3 3,4 1 Die Zahlen für 1878 sind in den Zahlen für den Kreis Mülheim a. d. Ruhr jnitenthalten. 2 Im Jahre 1901 wurde Oberhausen selbständiger Kreis; die Zahlen für 1878 und 1900 sind in denen des Kreises Mülheim a. d. Ruhr mitenthalten. ; - — 59 Die in unserem Bezirke am meisten angebaute Getreideart ist der Eoggen. Seine Anbaufläche ist beinahe dreimal so groß wie die des Weizens, und im nordwesthchen Teile ist das Verhältnis gar wie 6 zu 1 . Es hängt dies in erster Linie damit zusammen, daß der Norden und der Westen unseres Bezirkes vielfach sandige Bodenarten auf- weisen, die bei Weizenbau keine sicheren Erträge mehr versprechen, jedoch beim Anbau des anspruchsloseren Eoggens unter Zuhilfenahme von Grün- und Kunstdünger sehr befriedigende Resultate hefern. Den stärksten Anbau des Weizens finden wir im südöstlichen Teile, besonders im Essener Bezirk, wo er fast 2/3 der Roggenfläche ein- nimmt. Für den Anbau von Gerste ist der Boden weniger geeignet, so daß ihre Produktion den Landwirten nicht sehr lohnend erscheint. Daher hat der Gerstenanbau fast jede Bedeutung verloren. Der Haferbau wird dagegen verhältnismäßig sehr stark betrieben, und es übertrifft die angebaute Fläche ganz bedeutend die des Weizens. Auf den besseren Bodenarten des südlichen Teiles ist sein Anteil an der Anbaufläche am größten. Fast die gleiche Bodenfläche wie der Hafer nehmen die Kar- toffeln ein. Sie werden dort am stärksten angebaut, wo durch die Nähe von Ortschaften und Arbeiterkolonien dem Landwirt die Möglich- keit geboten ist, dieselben parzellenweise auf dem Lande zu verkaufen. Die Anbaufläche der Futterpflanzen stimmt sowohl der Fläche nach wie auch in der Verteilung auf die einzelnen Kreise ziemlich genau mit derjenigen des Weizens überein. Besonders bemerkenswert ist, daß in einer so stark bevölkerten Gegend der Getreidebau fast 2/3 der Acker- und Gartenfläche ein- nimmt. Als Ideal wird man dieses Verhältnis jedenfalls nicht an- sprechen können. Unseres Erachtens würde eine Einschränkung des Getreidebaues und eine dementsprechende stärkere Ausdehnung des Hackfrucht- und Gemüsebaues für die Rentabilität der landwirt- schafthchen Betriebe nur von Vorteil seiii. Das schon jetzt von vielen Landwirten geübte Verfahren, den in der Nähe wohnenden Arbeiterfamilien die Kartoffeln vor der Ernte parzellenweise zu ver- kaufen oder ihnen gedüngtes und bearbeitetes Ackerland zum Kar- toffelpflanzen anzuweisen, könnte zweifellos noch viel weiter aus- gedehnt werden. Wie dem Verfasser aus persönlicher Erfahrung be- kannt ist, ist die Nachfrage hierin immer sehr groß und kann in vielen Fällen nicht befriedigt werden. Wenn die Landwirte dazu übergehen, regelmäßig größere Flächen für den Verkauf anzupflanzen, würde die Nachfrage sicher steigen. Werden doch jetzt alljährlich durch Vermittelung der Zechen und sonstigen industriellen Werke die Kartoffeln waggonweise von auswärts bezogen und an die Arbeiter zu bilhgem Preise abgegeben. Besonders der Bergarbeiter hat bei den günstigen Arbeitsverhältnissen so viel freie Zeit, daß die Ernte der für seinen Haushalt erforderhchen Kartoffehi für ihn weniger eine Arbeit als vielmehr eine Erholung in der frischen Luft bedeuten würde. Der Landwirt würde andererseits bei diesem Verfahren keine 60 weiteren Arbeitskräfte nötig haben, als sie sein Betrieb auch sonst bedingt. Die für den Verkauf der Kartoffeln oder für die Über- lassung des betreffenden Ackerlandes gewöhnhch bezahlten Preise von 218 und 144 Mk. pro Morgen oder, was dasselbe ist, 854 und 564 Mk. pro ha, sind so hochS daß er einen derartigen Gewinn beim Getreide- bau wohl niemals erzielen wird. Auch dem Gemüsebau müßte größere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Bei der äußerst starken Bevölkerung dieses Bezirkes ist der Absatz frischen Gemüses stets sicher und lohnend. Bisher ist jedoch leider der Gemüsebau in der ganzen Gegend sehr gering. Der größte Teil des verbrauchten Gemüses muß von auswärts bezogen werden. Es ist allerdings richtig, daß es auf den in nächster Nähe der Fabriken gelegenen Flächen schwierig sein würde, ein reinhches Gemüse zu erzielen, wegen der großen Mengen von Niederschlägen an Euß und Kohlenstaub. Der Hauptgrund für die Vernachlässigung dieses Produktionszweiges dürfte aber doch darin liegen, daß die Landwirte und besonders die kleinen Besitzer, die für diese Betriebs- weise hauptsächhch in Betracht kämen, im Gemüsebau wenig Er- fahrung haben. 3. Der Ackerbau. Große Umwälzungen und Umgestaltungen im wirtschafthchen Leben haben in der Eegel die Wahl eines neuen Wirtschaftssystems zur Folge. Von der richtigen Wahl dieses Systems hängt besonders in den landwirtschafthchen Betrieben zu einem nicht geringen Teile der Erfolg der Unternehmung ab. Es soll damit natürhch nicht gesagt sein, daß der landwirtschaftliche Betriebsleiter irgendein Wirtschaftssystem behebig auswählen und seinen Betrieb danach einrichten kann, vielmehr sind hierfür einzig und allein die natürhchen und wirtschaftlichen Grundlagen der betreffenden Gegend ent- scheidend. Auch wird immer der Übergang von einem als veraltet -anerkannten zu einem den neuen Verhältnissen sich anpassenden System nur allmähhch vor sich gehen können. Als man in Deutschland zu Anfang des vorigen Jahrhunderts von der Dreifelderwirtschaft, welche der Landwirtschaft fast 1000 Jahre lang ihren Stempel aufgedrückt hatte, zu intensiveren Betriebsformen überging, vollzog sich dieser Wechsel bei den durch das Wesen der Landwirtschaft selbst und den konservativen Charakter der ländhchen Bevölkerung bedingten Verhältnissen naturgemäß nur ganz all- mähhch. Wie Schwerz in seiner aus dem Jahre 1816 stammenden „Beschreibung der Landwirtschaft in Eheinpreußen" mitteilt, be- wegte sich das Wirtschaftssystem schon damals nicht mehr im Eahmen der Dreifelderwirtschaft mit Vs Brache. In den besseren Gegenden nahm die Brache damals nur noch den sechsten Teil der Ackerfläche ein. Schwerz steht noch auf dem Standpunkt, daß die Brache nicht ganz entbehrlich sei, weil man sonst den nötigen ^ 1 Morgen = 25,53 ha = 180 Quadratruten. 61 Dünger nicht schaffen könne, und hatte damit für die damalige Zeit auch ganz recht. Ebenso finden wir in allen landwirtschafthchen Betrachtungen der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Be- fürchtung ausgesprochen, daß eine Fruchtfolge ohne Brache auf die Dauer sich nicht durchführen lasse und für den Boden zu • an- strengend sei. Nach V, Mülmann herrschte um 1860 in den damaligen Kreisen Essen und Duisburg auf den besseren Böden folgende Fruchtfolge vor: 1. Brache- oder Hackfrüchte; 2. Weizen; 3. Eoggen; 4. Klee; 5. Hafer. Es ist demnach anzunehmen, daß vor einem halben Jahrhundert die Brache aus einer ganzen Eeihe von Betrieben noch nicht vöDig verschwunden war. Heute dagegen ist sie in unserem Bezirke kaum dem Namen nach bekannt. Nach der Statistik gab es im Jahre 1900 nur noch 295,5 ha als Brache bezeichnete Flächen, d. h. etwa 0,4% der Gesamtfläche oder 1,1% der landwirtschaftlich benutzten Fläche. Daß in unserem Gebiete bei den verschiedenen wirtschaftlichen Verhältnissen, bedingt durch die Lage und Größe des Betriebes, Bodenqualität, Arbeiter- und Absatzverhältnisse und das zur Ver- fügung stehende Betriebskapital, das Wirtschaftssystem nicht ein einheithches sein kann, liegt auf der Hand. Der in der Nähe von Ortschaften oder Arbeiterkolonien ansässige Landwirt, welcher gün- stige Gelegenheit zum Verkauf von Gemüsen und Hackfrüchten findet, wird in der Regel ein anderes System wählen als der an der Peripherie wohnende Besitzer, dem sich diese Gelegenheit nicht in dem Maße bietet. Und wiederum der Kleinbesitzer, der ohne fremde Hilfe wirtschaftet, ein anderes als der Großbesitzer, der nur auf fremde Kräfte angewiesen ist. In dem einen Falle wird nach einem System gewirtschaftet, das, nicht an feste Normen gebunden, einen möglichst weiten Spielraum für die zeitweise Bevorzugung einzelner Produktionszweige gestattet, während in dem anderen Falle eine geregelte Fruchtfolge ein für allemal feststeht. Das erste System ist die sogenannte freie Wirtschaft, das zweite die Fruchtwechsel- wirtschaft. Zwei Beispiele einer Fruchtfolge, wie sie in unserem Be- zirke auf den besseren Bodenarten häufig vorkommen, sind in den Gutsbeschreibungen IV und V mitgeteilt. Seitdem die Brache in Wegfall gekommen ist, ist neben dem Futterbau der Hackfruchtbau stark in den Vordergrund getreten. Dieser stellte aber an die Düngung des Ackerbodens ganz erheb- liche Ansprüche. Da die bisherige Form der Düngerproduktion für die wesenthch erhöhten Bedürfnisse nicht mehr ausreicht, so mußten Mittel und Wege gefunden werden, die geeignet waren, Abhilfe zu schaffen. Daß dies erreicht wurde und die Kultur eine so wesent- lich intensivere werden konnte, verdanken wir in erster Linie der Einführung des künsthchen Düngers. Die ersten Anfänge einer Kunst- düngeranwendung in größerem Maßstabe fallen in die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Zuerst kam das Knochenmehl, dann gelangte besonders am Niederrhein der Peruguano allgemein in Aufnahme 62 und erzielte Aufsehen erregende Erfolge. In den 60 er Jahren verbreitete sich die Anwendung der KaHsalze und als Stickstoff- düngung ChiHsalpeter und schwefelsaures Ammoniak. Als es dann schheßhch gelang, die Phosphorsäure in den Superphosphaten m lös- hcher Form darzubieten und in dem bei der Stahlfabrikation als Nebenprodukt gewonnenen Thomasmehl der Landwirtschaft eine reiche Phosphorsäurequelle zu erschheßen, war es möghch, den Kulturpflanzen alle notwendigen Nährstoffe auch auf künsthchem Wege zuzuführen. Über den Verbrauch der künsthchen Düngemittel besitzen wir leider keine Statistik. Es ist deshalb nicht möghch, selbst nur annähernd anzugeben, wieviel Kunstdünger in unserem Bezirke zur Anwendung gelangt. Wenn es aber gestattet ist, aus den in den fünf Gutsbeschreibungen mitgeteilten Angaben Schlüsse auf die gesamten landwirtschaftKchen Betriebe der Gegend zu ziehen, so können wir behaupten, daß der Kunstdüngerverbrauch em sehr hoher ist. . Der beste organische Dünger, der Stallmist, hat m den letzten Jahrzehnten infolge der mit der Abmelkwirtschaft verbundenen stärkeren Eindviehhaltung und der überaus reichen Fütterung so- w^ohl an Quantität wie an QuaHtät gewonnen. BezügHch der Be- handlung des Stalldüngers bleibt freihch noch mancherlei zu wünschen übrig, wenn auch nicht verkannt werden soll, daß gerade m diesem Punkte in letzter Zeit vieles besser geworden ist. In den gut geleiteten größeren Betrieben trifft man denn heute wohl ausnahmslos rationell angelegte gedeckte Düngergruben an. , , • , i, *. Eine nicht ganz unerhebhche Bedeutung für die landwirtschatt- hchen Betriebe in der Nähe der industriellen Ortschaften hat der Latrinendünger. Inwieweit derselbe in den einzelnen Betrieben zur Verwendung gelangen kann, hängt in erster Linie von den Zufuhr- kosten ab. Für den Inhalt der Latrine selbst braucht nichts bezahlt zu werden, es wird im Gegenteil für die Entleerung der Grube noch eine kleine Vergütung gewährt. In der Kegel übernimmt ein Unter- nehmer das Abfahren und bringt auf Wunsch des Landwirtes die Dung- stoffe gleich auf die bestimmten Äcker, oder es wird der Inhalt mehrerer Latrinen in einer Sammelgrube vereinigt und später nach Bedarf ver- wertet. Da der Latrinendünger nur verhältnismäßig geringe Mengen an KaH und Phosphorsäure enthält, muß eine einseitige Verwendung nach Möghchkeit vermieden und gegebenenfalls durch Zugaben von kah- und phosphorsäurehaltigen Kunstdüngemitteln unterstützt werden. Durch das Auftreten von Schulz-Lupitz veranlaßt, kam in neuerer Zeit eine Düngung zur Anwendung, die auf den leichteren Bodenarten eine ganz hervorragende Rolle spielt, nämhch die Grün- düngung. Von den Gründüngungspflanzen kommen hauptsächhch die Lupine und die Seradella in Betracht. Jene wird gewöhnhch als Zwischenfrucht, diese als Unterfrucht angewandt. Die Wirkung der Gründüngung besteht hauptsächhch darin, daß eine Bereicherung des Bodens durch die Humus bildende organische Substanz in stärkerem Maße erfolgt, als dies durch die Ernterückstände möghch 63 ist, und daß die Papilionaceen in bestimmten Fällen die Fähigkeit haben, mit Hilfe der Wurzelknöllchen den ungebundenen Stickstoff der Luft zu sammeln. Der Boden wird durch die Beschattung der Gründüngungspflanzen gar und unkrautfrei, die Ackerkrume wird vertieft und die Absorptionsfähigkeit des Bodens erhöht. Die Grün- düngung wird jedoch auf die Dauer nur Erfolge zeitigen, wenn im Boden an mineraHschen Nährstoffen, besonders an KaU und Phosphor- säure, kein Mangel ist. Aber auch in anderer Beziehung ist man bemüht gewesen, die Bodenerträge zu steigern. Durch Einführung verbesserter Geräte ist die Bodenbearbeitung vollkommener und besser geworden. Die größeren Betriebe machen von der Anwendung landwirtschaftlicher Maschinen ausgiebigen Gebrauch. In den kleinbäuerhchen Wirt- schaften dagegen scheut man noch vielfach das dafür nötige hohe Anlagekapital, Da bei dem kleinen Besitze die Ausnutzung der Maschinen eine höchst unvollkommene sein würde und eine genossen- schaftHche Anschaffung immer mit Unannehmlichkeiten verbunden ist, so bleibt man lieber bei der alten Methode. Die Erntearbeiten werden dann in der Eegel von holländischen Schnittern im Akkord- oder Tagelohn übernommen. Was alles in gut geleiteten Betrieben an landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten vorhanden ist, davon geben die in den Guts- beschreibungen I und II gemachten Angaben ein gutes Bild. Das dort nachgewiesene Material repräsentiert ein nicht ganz kleines Kapital. Die Verzinsung und Amortisation dieses Kapitals wird aber in der Eegel durch gesteigerte Ernteerträge und durch Ersparung von Arbeitskräften reichHch wett gemacht. Die Frühjahrsbestellung pflegt ziemlich regelmäßig von Ende März bis Ende April zu erfolgen, die Herbstbestellung von Anfang September bis Ende November. Eine Steigerung der Ernteerträge wird weiterhin erzielt durch den Übergang zum Anbau von neueren ertragsreicheren Sorten der Feldgewächse. Auch der rückständigste Landwirt verschHeßt sich heute kaum mehr der Einsicht, daß ein großer Teil seiner wirtschaft- hchen Erfolge auf der richtigen Auswahl des Saatgutes beruht. Es mögen deshalb die zurzeit gebräuchlichsten Sorten der angebauten Feldgewächse angeführt werden. Von den Eoggenvarietäten wären zu nennen: Petkuser-, Schlanstädter-, Probsteier- und Zeeländer- Eoggen. Neben dem Landweizen finden wir Square-head- und Prob- steier-Weizen. Von den Hafersorten nehmen Beseler II, Lentewitzer- und Schlanstädter-Hafer die erste Stelle ein. Von den Kartoffelsorten werden hauptsächUch angebaut: gelbfleischige rote Eauschalen, Magnum bonum, Paulsens-Juh- und Industriekartoffeln. Daß die vorhin erwähnten Maßnahmen zu einer bedeutenden Steigerung der Erträge geführt haben müssen, ist zweifellos. "Leider besitzen wir über die Ernteerträge nur Angaben, die auf einer mehr oder minder genauen Schätzung beruhen und deshalb als ganz zu- verlässig nicht angesehen werden können. Da sie uns gleichwohl 64 ein einigermaßen zutreffendes Bild von der Entwickelung und dem heutigen Stande des Ackerbaues bieten, so mögen nachstehend die der amtlichen Erntestatistik entnommenen Angaben folgen. Es wurden geerntet pro ha in 100 kg: 1880 1899 1903 1907 Weizen . . 18,3 19,2 21,3 23,7 Eoggen . 13,9 19,2 19,6 22.2 Hafer . . 20,0 19,6 19,0 23,1 Kartoffeln . 92,1 129,3 144,2 170,1 Klee . . , 47,7 49,0 49,0 57,4 Wiesenheu . 37,0 35,0 41,2 49,1 Die vorstehenden Zahlen sind Durchschnittswerte für den ganzen Bezirk. Auf den besseren Böden sind die Erträge zum Teil erheblich höher, wie dies auch aus den in den Gutsbeschreibungen hierüber gemachten Angaben zu entnehmen ist. Im allgemeinen ist aber in den vorstehenden Zahlen eine Steigerung der Ernteerträge deutlich ausgesprochen. Am stärksten ist dies beim Eoggen und bei den Kar- toffeln der Fall. Ein Hauptgrund für die Ertragssteigerung gerade dieser Früchte, die in erster Linie auf den leichteren Bodenarten angebaut werden, liegt in der ausgiebigen Anwendung der Kunst- und Gründüngung sowie in dem Anbau ertragreicher Sorten, und es bestätigt sich damit das von uns im Vorhergehenden Gesagte. Nach der Statistik betrugen die Ernteerträge in den Jahren 1900 und 1909 pro ha in 100 kg: Anbauart Rheinland Westfalen Preußen Deutsches Reich Weizen . . 20,9 19,2 20,6 19,5 Eoggen . . 19,0 17,6 15,7 16,1 Hafer . . . 19,5 17,5 18,5 18,2 Kartoffeln . 127,0 136,0 136,6 134,5 Wiesenheu 39,7 40,3 37,4 41,8 Vergleicht man mit diesen Durchschnittszahlen die Erträge von 1903 und 1907 unseres Bezirkes, so ergibt sich, daß die letzteren beträchtlich höher sind als in anderen deutschen Landesteilen. Weitere Vergleiche und Schlüsse aus den mitgeteilten Zahlen zu ziehen, dürfte nicht angängig sein, weil, wie schon oben gesagt wurde, das statistische Material nicht ganz unanfechtbar ist. 4. Die Viehhaltung. Nachstehend soll die Viehhaltung und ihre Bedeutung für die Landwirtst-naft einer kurzen Würdigung unterzogen werden, ohne auf die Einzelheiten einzugehen, weil das den Eahmen dieser Be- trachtung überschreiten würde. Nach der Statistik betrug im Bereiche des ehemahgen Kreises Duisburg die Zahl der viehbesitzenden Haushaltungen: 65 im Jahre 1873 = 14954 1883 = 26493 1892 = 32223 1897 =43471 1904 = 43966 1906 = 40428 1908 = 37940 1909 = 36564 Es ergibt sich hieraus, daß die Zahl der viehbesitzenden Haas- haltungen unseres Bezirkes bis zum Jahre 1904 in einem ununter- brochenen Steigen begriffen war, um dann wieder in gleichem Maße abzunehmen. Auch aus diesen Zahlen kann man deutlich eine Ein- Wirkung der Industrie auf die landwirtschafthche Betriebsweise heraus- lesen, und noch klarer tritt das zutage, wenn man an Hand der amthchen Viehzählungen die einzelnen Viehgatkingen näher ins Auge faßt. Es waren vorhanden: im Jahre Pferde Rindvieh Schafe Schweine Ziegen 1835 4701 17109 8226 9267 2043 1861 4719 22196 9340 13411 10691 1878 6067 21145 9210 14920 17605 1883 6492 20578 8235 26219 20830 1893 9936 22166 8287 37226 23548 1897 12772 24293 6791 48043 26398 1902 15524 22182 6058 64354 — 1904 17275 22244 5420 67158 19533 1906 18930 21882 5128 80412 — 1908 18517 21366 4112 68842 — 1909 18418 19903 3826 66971 — Die Zahl der Pferde hat bis zum Jahre 1906 ständig stark zu- genommen, und zwar um mehr als 300^0 in dem Zeiträume von 1861 bis 1906. Diese starke Zunahme ist jedoch in erster Linie auf die sehr vermehrte Inanspruchnahme der tierischen Arbeitskräfte für industrielle und gewerbhche Zwecke zurückzuführen. Die Eindviehhaltung hat bis zum Jahre 1897 eine allmähhche Zunahme erfahren und ist von da ab in einem etwas schnelleren Tempo wieder zurückgegangen. Der Eückgang in der Viehhaltung seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts dürfte hauptsächhch auf zwei Ursachen zurückzuführen sein, nämlich erstens darauf, daß manche Landwirte infolge der von ihnen behaupteten Unrentabilität der Abmelkwirtschaft dieser den Eücken kehrten, um entweder einen nutzviehlosen landwirtschaftlichen Betrieb einzurichten oder wenigstens doch ihren Viehstand stark zu vermindern, und zweitens darauf, daß Ave reck, Landwirtschaft. 5 66 viele landwirtschaftliche Betriebe durch Übergang in industriellen oder gewerblichen Besitz der landwirtschaftlichen Nutzung ganz entzogen worden sind. Die Schafhaltung ist von Jahr zu Jahr immer mehr und mehr zurückgegangen und hat fast jede Bedeutung verloren. Dagegen ist die Zahl der Schweine bis zum Jahre 1906 beständig stark gestiegen, hat aber seitdem wieder etwas abgenommen. Die Zunahme von 1861 bis 1906 betrug fast 500 °/o- Auch die Ziegenhaltung hat stark zu- genommen und es war ihre Zahl im Jahre 1897 größer als die des im Bezirke gezählten Rindviehs. Um einen Vergleich mit anderen Landesteilen zu ermöglichen, sind die Viehzählungsergebnisse für einzelne Jahre einmal zu der Bevölkerungsziffer und ein anderes Mal zur Flächeneinheit in Be- ziehung gebracht. Es ergab sich dabei folgendes: Auf 1000 Einwohner kamen in unserem Bezirk: Jahr Pferde Rindvieh Schafe Schweine Ziegen 1873 22 77 34 55 64 1897 22 42 12 83 46 1904 23 18 6 69 20 1909 16 17 3 57 — Auf 1 qkm der Gesamtfläche kamen: Jahr Pferde Rindvieh Schafe Schweine Ziegen 1873 9,1 31,6 13,7 22,3 26,3 1897 19,1 36,3 10,1 71,7 39,4 1904 25,8 33,2 8,1 100,2 29,3 1909 27,5 29,5 5,7 100,0 — Auf 1 qkm der landwirtschaftUch benutzten Fläche entfiele Jahr Pferde Rindvieh Schafe Schweine Ziegen 1873 13,3 46,3 20,2 32,6 38,5 1897 31,9 60,7 17,0 120,1 66,0 1904 52,0 67,4 16,4 203,5 59,2 1909 63,9 69,1 13,3 232,5 — Nach der amtlichen Statistik kamen auf 1000 Einwohner: Pferde Rindvieh Schafe Schweine Ziegen 1900 1904 1907 1900 1904 1907 1900 1904 1907 1900 1904 1907 1900 1904 1907 Regierungsbezirk Düsseldorf — . 29 28 — 90 89 — 9 8 — 134 143 — 35 30 Rheinland . . . 33 32 30 210 184 184 30 19 16 155 155 167 50 53 54 Westfalen . . . 49 44 43 207 187 190 70 48 45 278 287 327 91 86 87 Preußen .... 85 81 79 316 304 312 203 154 140 318 342 392 60 58 58 Deutsches Reich 74 71 69 336 323 330 1172 132 123 298 316 354 58 56 57 67 Auf 1 qkm der landwirtschaftlich benutzten Fläche fielen: Pferde 1904 1907 Rindvieh 1904 1907 Schafe Schweine 1904 1907 1904 1907 Ziegen 1904 1907 Reg. - Bez. Düsseldorf Rheinland .... Westfalen Preußen Deutsches Reich. . 21,7 12,4 12,9 12,9 12,2 22,8 12,6 13,3 13,2 12,4 68,7 71,2 54,5 48,5 55,1 74,1 76,2 59,4 52,2 58,9 7,2 14,1 24,6 22,6 6,6 8,6 13,9 23,5 22,0 102,0 60,2 83,4 54,6 54,0 118,3 69,2 102,2 65,6 63,2 26,3 18,5 18,0 9,2 9,5 24,7 18,7 18,6 9,7 10,1 Aus den mitgeteilten Zahlen ergibt sich, daß der Viehstand der landwirtschaftlichen Nutztiere unseres Bezirkes im Vergleich zur Bevölkerungsziffer weit hinter der anderer Landesteile zurückbleibt und noch nicht einmal die sehr niedrige Zahl des Eeg.-Bez. Düssel- dorf erreicht. Anders wird jedoch das Bild, wenn man die Viehzahl auf die Flächeneinheit bezieht. Dann zeigt sich, daß die Zahl der auf 1 qkm der Gesamtfläche gezählten Pferde fast doppelt so groß ist, wie im Durchschnitt eines der oben genannten Landesteile, dagegen bleiben Eindvieh und Schafe zurück, während wieder Schweine und Ziegen bedeutend höhere Quoten aufweisen. Eine Ausnahme bildet hierin die Provinz Westfalen, die im Jahre 1907 eine stärkere Schweine- haltung aufweist. Ein Vergleich mit dem Eeg.-Bez. Düsseldorf ergibt, daß das rheinische Euhrkohlengebiet im Umfange der Pferde- und Ziegenhaltung über, bei den übrigen Tiergattungen unter dem Durch- schnitte steht. Legt man dem Vergleich nicht die Gesamtfläche, sondern nur die landwirtschaftlich benutzte Fläche unseres Bezirkes zugrunde, so erhält man ein wesentlich günstigeres Bild; auch dann ist die Zahl der Binder höher, als im Durchschnitt in Westfalen, Preußen und im Deutschen Eeich. Die Pferdehaltung. Bis zur Teilung der Marken, die in den Jahren 1825 — 1830 erfolgte, gab es im Emscher Bruche und im Duis- burger Walde zahlreiche wilde Gestüte, die einen großen Teil des erforderlichen Pferdematerials lieferten und weithin berühmt waren. Als diese nun in Wegfall kamen und die Pferdezucht den Landwirten überlassen bheb, ging sie stark zurück. Schon Vi e bahn klagt im Jahre 1835, daß die Pferdezucht nicht gerühmt werden könne. Da jeder Landwirt nach Belieben züchtete, konnte von einer einheit- lichen Zuchtrichtung keine Eede sein. Auf den Höfen, die wegen ihrer bergigen Lage schwer zu bewirtschaften waren, kamen Pferde belgischer Easse mit Vorliebe zur Verwendung. Auf den leichteren Bodenarten des nördlichen Teiles waren meist Pferde leichten Schlages im Gebrauch. Noch vor wenigen Jahrzehnten glaubten berufene Pferdekenner, der Eheinprovinz die Fähigkeit für Pferdezucht ab- sprechen zu müssen. Heute dagegen marschiert diese Provinz mit an der Spitze der Pferdezucht treibenden deutschen Landesteile. Das rheinische Kaltblut belgischer Abstammung ist längst über die 68 Grenzen der Provinz hinaus berühmt geworden und geht als Zucht- material überall dorthin, wo sich in deutschen Landen die Kaltblut- zucht entwickelt. Im Jahre 1892 wurde vom Zentralvorstand des Landwirtschaft- lichen Vereins für Kheinpreußen die Gründung des rheinischen Pferde- stammbuches beschlossen. Als Zuchtziel wird ein kräftiges, gut ge- bautes, tiefes Pferd kaltblütigen Schlages, mit starken Knochen und freien Bewegungen angestrebt^. Das Industriegebiet hat jedoch an der sehr ausgedehnten rheinischen Pferdezucht nur geringen Anteil. Verschiedene Umstände lassen in ihm eine rationelle Pferdezucht im großen nicht aufkommen. Infolge der natürlichen und wirt- schaftlichen Verhältnisse ist es für viele Betriebe nicht möglich, die für die naturgemäße Ernährung und Bewegung der jungen Tiere nur schwer entbehrlichen Weiden zu schaffen. Eine Stallfütterung der Fohlen stellt sich in der Eegel zu teuer, und die so aufgezogenen Tiere besitzen durchweg auch geringere Leistungsfähigkeit. Nur die größeren Besitzer, denen ausgedehnte Weideflächen zur Verfügung stehen, pflegen sich deshalb mit der Pferdezucht zu befassen. Die kleineren und mittleren Besitzer ziehen es in der Kegel vor, ihren Bedarf durch Ankauf zu decken. Zur Illustration des oben Gesagten möge eine Tabelle aus der amtlichen Statistik über die Verteilung und das Alter der Pferde n den einzelnen Kreisen Platz finden. Im Jahre 1909 waren vorhanden: Im Kreise unter 3 Jahren 3 — 4 Jahre über 4 Jahre überhaupt Duisburg 54 64 2679 2797 Oberhausen 15 12 9B4 961 Mülheim- Stadt 81 53 1526 1660 Mülheim-Land 41 64 795 900 Dinslaken . . 329 178 3232 3739 Essen- Stadt 21 27 3278 3326 Essen-Land 238 141 4656 5035 Insgesamt 779 539 17100 18418 Demnach sind nur 4,2^0 aller Pferde unter 3 Jahre alt und etwa 37o stehen im Alter von 3 — 4 Jahren, während 92,8^0 aller vorhandenen Pferde älter als 4 Jahre sind. Der in seinem nördlichen Teil noch mehr ländliche Kreis Dinslaken hat mit 329 Tieren unter 3 Jahren = 8,8 °/o den größten Anteil an der Pferdezucht. Die Eindviehhaltung. Nach der Viehzählung vom 1. Dezember 1909 waren vorhanden: ^ Werner, Viehzucht und Viehhaltung in „Der Boden und die landwirt- schafthchen Verhältnisse des Preußischen Staates". Bd. VII, S. 610. 69 Im Kreise Kälber Jungvieh 2 Jahre u. älteres Vieh Gesamtbestand bis 3 Mön. bis 2 Jahre männl. weibl. an Rindvieh Duisburg . . 82 211 24 917 1234 Oberhausen . 1 10 — 81 92 Mülheim- Stadt 46 189 24 1126 1385 Mülheim-Land 18 154 11 1208 1391 Dinslaken . . 614 3405 120 6638 10777 Essen- Stadt . 3 14 10 313 340 Essen-Land 98 524 63 3999 4684 Insgesamt 862 4507 252 14282 19903 Aus den obigen Zahlen läßt sich unschwer herauslesen, welche Betriebsform in den einzelnen Kreisen unseres Bezirkes die häufigste ist. Ein starkes Überwiegen der 2 Jahre und älteren Kühe läßt auf vorherrschende Abmelkwirtschaft schließen, wogegen beim Vor- handensein eines hohen Prozentsatzes an Jungvieh sich in erster Linie Aufzucht vorfinden muß. Das letztere finden wir nur im Kreise Dinslaken, der in seinen nördlichen, dem eigentlichen Industriegebiet vorgelagerten Teilen für diese Betriebsform noch eine günstige Grund- lage aufweist, während in allen übrigen Kreisen die Abmelkwirtschaft bei weitem vorherrscht. In Prozente umgerechnet, beträgt die Zahl des Jungviehes unter 2 Jahren im Kreise Dinslaken 31,5^0, in den übrigen Kreisen durchschnittlich 12,1 ^/o, während sich der Prozent- satz für die über 2 Jahre alten Kühe in dem einen Falle auf 61,5 und in dem anderen Falle auf 83,7 stellt. Im Jahre 1896 wurde für den damaligen Kreis Euhrort eine Stammzuchtgenossenschaft gegründet, deren Zuchtziel der schwarz- bunte, niederrheinische Schlag ist. Da sich jedoch die Zuchtwirtschaft in den nördlichen Teilen des Kreises Dinslaken nicht wesentlich von der der benachbarten ländlichen Kreise unterscheidet, so soll hier nicht weiter darauf eingegangen werden, und wir wollen uns im folgenden mit der für das rheinische Industriegebiet mehr charak- teristischen Abmelkwirtschaft näher befassen. Die erste und wichtigste Voraussetzung für den Betrieb einer Abmelkwirtschaft ist, daß günstige Absatzmöglichkeiten vorhanden sind. Sie sind deshalb in der Eegel vor den Toren der größeren Städte und in den Industriezentren anzutreffen. Im Vergleich zu manchen anderen Betriebsformen wickelt sich die Abmelkwirt- schaft verhältnismäßig sehr bequem ab. Die frische Milch wird täghch an die Privatkundschaft in der benachbarten Stadt ab- gegeben oder, was gewöhnhch der Fall ist, sie wird an einen Händler abgesetzt und von diesem meistens vom Hofe des Landwirts abgeholt. Der Landwirt muß nur stets darauf bedacht sein, daß täghch genau so viel Milch produziert wird, als er ab- setzen kann. Um dies unter allen Umständen durchführen zu können, ist ein starker Wechsel in den Viehbeständen nicht zu ver- meiden. Das ist eine große Schattenseite der Abmelkwirtschaft. 70 Seuchen und Krankheiten der Viehbestände sind deshalb in ihnen bei weitem häufiger als in Zuchtbetrieben. Ein weiterer wunder Punkt ist der, daß der Besitzer einer Abmelkwirtschaft niemals im voraus wissen kann, ob die von ihm gekauften Milchtiere sich für seinen Abmelkstall eignen werden, da nur sehr milchergiebiges Vieh rentabel ist. Jeder Züchter kennt die Leistungen seiner Tiere und wird deshalb stets bestrebt sein, die minderleistungsfähigen auszu- merzen; er wird sich selten dazu verstehen, seine besten und leistungs- fähigsten Tiere zu verkaufen, es sei denn zu enorm hohen Preisen. So wandern oft die minderleistungsfähigen Tiere in die Gegenden der Abmelkwirtschaften. Die Besitzer der Abmelkställe sind daher gezwungen, für gutes Milchvieh sehr hohe Preise anzulegen, da billige Kühe unter allen Umständen zu teuer sind. Es ist deshalb der kleine Landwirt selten in der Lage, die Chancen einer Abmelkwirtschaft so ausnutzen zu können wie der größere Besitzer. Sobald die Milchmenge auf etwa 6 — 8 1 pro Tag herunter- gegangen ist, wird die Kuh an den Metzger abgesetzt und muß also schlachtreif sein. Unter diesen Umständen wird hochwertiges Milchvieh im günstigsten Falle 2, im ungünstigsten Falle 6 und mehr Jahre eher zur Schlachtbank geführt als im Zuchtbetriebe. Hierin dürfen wir wohl den wundesten Punkt der Abmelkwirtschaft erbMcken, Der unsichere wirtschafthche Erfolg vieler Abmelkwirtschaften ist zum guten Teil in dem Mißverhältnisse zwischen dem Einkaufs- preise und dem Verkaufspreise der Abmelktiere begründet, indem der Ausfall bei ihrem Verkauf immer größer geworden ist. Während ältere Landwirte noch von einem Verdienst beim Verkauf zu er- zählen wissen, beträgt heute der Verlust bei jedem Tier durch- schnittlich 50 — 60 Mk. Entscheidend für den Erfolg der Abmelk- wirtschaften ist daher in erster Linie eine möglichst vorteilhafte Gestaltung des Ein- und Verkaufs. Je besser der Besitzer eines Abmelkstalles es versteht, den unvermeidlichen Unterschied zwischen beiden Preisen auf ein Minimum zu reduzieren, um so größer und sicherer wird sein Erfolg sein. Eine Aufhebung der Grenzsperre Hollands, die von vielen Landwirten der dortigen Gegend gewünscht wird, um billigeres Milchvieh zu erhalten, würde keine Abhilfe schaffen. Denn durch die Vieheinfuhr würde naturgemäß auch der Preis des Mastviehes gedrückt werden, und die Differenz zwischen dem Ein- und Verkaufspreise bliebe doch bestehen. Eine besondere Eigentümlichkeit aller Abmelkwirtschaften ist die außerordentlich reiche Fütterung und besonders die ausgiebige Verwendung von Kraftfuttermitteln. Kraftfuttergaben von 8 — 9 kg pro Tier sind durchaus nicht selten. Von den Kraftfuttermitteln kommen hauptsächlich Biertreber, Malzkeime, Kleie, Leinmehl, Erdnußmehl und Baumwollsaatmehl zur Verwendung. Biertreber werden in vielen Abmelkwirtschaften in außerordenthch großen Mengen verfüttert, und sie werden wegen - — 71 ihrer Schmackhaftigkeit und Bekömmlichkeit vom Vieh stets gern genommen. Sie bilden ein vorzügHches Futter für Milchtiere, da sie sowohl auf die Menge als auch auf die Güte der Milch einen günstigen Einfluß ausüben. Im frischen Zustande enthalten die Bier- treber etwa 70 7o Wasser und müssen deshalb möglichst frisch ver- abreicht werden, da sie bei längerem Liegen an der Luft stark saure Beschaffenheit annehmen, wodurch ihre BekömmHchkeit sehr ver- mindert wird. Die Malzkeime kommen ebenfalls als wertvolles Futter in der Abmelkwirtschaft zur Verwendung und äußern auf die Milch- produktion eine sehr günstige Wirkung sowohl quantitativ wie quali- tativ. Das Leinmehl wird besonders wegen seiner milden diätetischen Wirkung geschätzt, und es besitzt ebenso wie das Baumwoll- saatmehl einen günstigen Nähreffekt. Außerdem erhalten die Tiere die in der eigenen Wirtschaft erzeugten Futtermittel, wie Eüben, Heu und Stroh im Winter, Klee und Wickfutter im Sommer. Vom ökonomischen Standpunkt aus können derartig hohe Futter- gaben, wie sie in diesen Betrieben übHch sind^, nicht als rationell angesehen werden. Schon allein in der Verfütterung von 8 — 9 kg Kraftfutter werden dem Tiere mehr verdauhche Nährstoffe zugeführt, als es in der Eegel bedarf und verwerten kann. Es kommt aller- dings immer auf die Fähigkeit der einzelnen Tiere an, welche Mengen an Nährstoffen zu verwerten sie imstande sind; doch dürfte es wohl wenig Kühe geben, die die in dem genannten Futter- quantum enthaltenen Nährstoffmengen voll auszunutzen vermögen. Die vom Tiere nicht verwerteten Nährstoffe haben keinen anderen Nutzeffekt als die Bereicherung des Düngers, und für diesen Zweck dürften die Kraftfuttermittel doch wohl zu teuer sein. Die meisten Besitzer der Abmelkwirtschaften glauben jedoch eine derartig starke Verwendung von Kraftfuttermitteln nicht entbehren zu können und halten sie für eine unerläßliche Bedingung zur Erreichung der er- strebten Ziele, nämlich erstens eine möglichst hohe Milchleistung, und zweitens ein gemästetes Tier, sobald die Milchleistung bis auf etwa 6 — 8 1 heruntergegangen ist. Nach von verschiedenen Seiten sehr sorgfältig aufgestellten Berechnungen betragen die Produktionskosten für 1 1 Milch 13 — 14 Pf. Der Händler verlangt für den Vertrieb der Milch 5 Pf. pro Liter. Wenn nun für die Milch beim Verkauf in der Stadt ein Preis von 20 Pf. er- zielt wird, so bleibt für den landwirtschaftlichen Unternehmer nur ein ganz bescheidener Gewinn übrig. Wird dieser Preis nicht erreicht oder stellen sich die Produktionskosten aus irgendeinem Grunde höher wie oben angegeben, so kann leicht der Fall eintreten, daß die Abmelkwirtschaft nicht nur keinen Gewinn erzielt hat, sondern sogar mit Verlust gearbeitet worden ist. Es läßt sich darum die Frage, ob die Abmelkwirtschaft oder eine andere Betriebsform der Kind- viehhaltung vorzuziehen ist, nur von Fall zu Fall entscheiden. Die ^ Vgl. die hierüber gemachten Angaben in der Beschreibung typischer land- wirtschaftücher Betriebe. 72 Grenze der Eentabilität für eine Abmelkwirtschaft scheint bei einem Preise von 15 Pf. pro Liter beim Verkauf an den Händler zu liegen, sofern der Einkauf des Milchviehes und der Verkauf der fetten Tiere einigermaßen günstig erledigt werden kann. Kann unter besonderen Umständen ein höherer Milchpreis erzielt werden, so ist der Abmelk- wirtschaft ohne weiteres der Vorzug zu geben. Bei einem Milchpreis unter 13 Pf. ist sie aber überhaupt nicht mehr gerechtfertigt; dann muß der Besitzer unbedingt bei der Zuchtwirtschaft bleiben oder wieder zu solcher zurückkehren. Bei einem Preise von 13 — 15 Pf. dürfte sich vielleicht eine Art gemischten Systems empfehlen, indem man die besten Kühe decken und in der eigenen Wirtschaft abkalben läßt. Wenn das nur mit der Hälfte der Tiere durchgeführt werden kann, so wird sich für den betreffenden Besitzer unbedingt der Preis für die einzelnen Tiere biüiger stellen. Hierbei wird jedoch voraus- gesetzt, daß diesen Tieren nicht übermäßig hohe Futtergaben ver- abreicht werden. Wenn dann der Landwirt bei sparsamer Verwendung von Kraftfuttermitteln dieselben Erträge aus der Milchviehhaltung erzielen kann, so wird er sich fragen müssen, ob sich eine stärkere Fütterung durch einen entsprechenden Mehrertrag hinreichend be- zahlt macht. Die Schweinehaltung. Die Zahl der Schweine ist in unserem Bezirke nicht nur absolut, sondern auch im Verhältnis zur Bevöl- kerung ganz enorm gestiegen. Trotzdem kann von einer eigentlichen Schweinezucht im Industriegebiet keine Eede sein. Die Besitzer der Abmelkwirtschaften haben die für eine rationelle Schweinezucht erforderliche Milch nicht zur Verfügung. Sie beschränken sich des- halb darauf, nur die für ihren eigenen Bedarf nötigen. Schweine zu mästen und kaufen die jungen Tiere meistens im Alter von 6 — 12 Wochen an. Jedenfalls ist ein Betrieb mit Abmelkwirtschaft, wo Schweinezucht systematisch betrieben wird, eine ganz seltene Aus- nahme. Es kommen für einen wirklichen Zuchtbetrieb nur solche Wirtschaften in Frage, die sich zugleich mit der Eindviehzucht befassen. Das starke Anwachsen der Schweinehaltung erklärt sich durch die große Anzahl der Parzellenbetriebe. Jeder Bergarbeiter oder sonstige industrielle Arbeiter, der ein Stückchen Land bewirtschaftet, mästet das Jahr über ein oder meistens mehrere Schweine. Die Ferkel werden auf den nahen W^ochenmärkten im Alter von etwa 6 Wochen gekauft und stammen meistens aus westfälischen und hannoverschen Zuchten. Diese Easse ist ein Produkt aus der Kreuzung des Landschweines mit englischen Eassen, wobei jedoch der Bluts- anteil des ersteren überwiegt. Über die Zahl der Schweine in den einzelnen Kreisen und ihr Verhältnis zur Bevölkerungsziffer gibt nachstehende Tabelle, welche die Ergebnisse der Viehzählung aus dem Jahre 1906 enthält, Auf- schluß. 73 Kreise Anzahl der Schweine Auf je 1000 Einwohner kamen Duisburg , . 7226 37,6 Oberhausen 3142 41,2 Mülheim- Stadt 5883 62,6 Mülheim-Land 5101 145,7 Dinslaken 30797 238,7 Essen-Stadt 2776 12,0 Essen-Land 25487 104,5 Insgesamt 80412 824 Die stärkste Schweinehaltung findet sich demnach im Kreise Dinslaken. Die bedeutend höhere Zahl dieses Kreises erklärt sich durch seinen mehr ländlichen Charakter, während die Kreise mit mehr städtischer Bevölkerung, Essen-Stadt, Duisburg, Oberhausen und Mülheim- Stadt, eine verhältnismäßig geringe Schweinehaltung haben. Die Ziegen- und die Schafhaltung, Ganz besonderer Sorg- falt erfreut sich in unserem Bezirke die Ziegenzucht. Zu ihrer Hebung werden von den einzelnen Kreisen unter BeteiHgung des Staates und der Provinz erhebliche Aufwendungen gemacht. Fast in allen Ort- schaften mit starker Arbeiterbevölkerung bestehen Ziegenzucht- vereine, die es sich zur Aufgabe machen, durch Einführung von männ- lichen und weiblichen Tieren leistungsfähiger Eassen, namenthch aus dem Saaner Gebiete, die Zucht zu verbessern und die Milch- leistung zu fördern. Auf dem Zentralziegenmarkte zu Darmstadt werden alljährlich Ziegenlämmer der oben genannten Kasse angekauft und an die Mitglieder des Vereins abgegeben oder versteigert. Ferner stellen Kreisverbände und Ziegenzuchtvereine auserwählte Böcke für ein geringes Deckgeld zur Verfügung. Als weiteres Mittel zur Hebung der Ziegenzucht dienen die öfters veranstalteten Ziegen- ausstellungen, wobei für gute Zuchtleistungen Prämien gewährt werden. Die Bedeutung der Ziegenhaltung Hegt für den kleinen Mann darin, daß sie ihm für seinen Haushalt ohne erhebhche Kosten den Bedarf an Milch liefert. Die Ziege gibt durchschnittlich im Ver- hältnis zum Gebrauch an Futter mehr Milch als die Kuh; dabei ist die Milch noch gehaltreicher an Fett und Käsestoff und hat darum einen hohen Nährwert für Kinder und Kranke. Das für die Ziege nötige Futter kann zum Teil aus dem eigenen Haushalte beschafft werden. Im Industriegebiete nennt man deshalb die Ziege nicht mit Unrecht die ,,Kuh des Bergmanns". Die Zahl der Schafe ist im hiesigen Bezirke von 9340 im Jahre 1861 auf 3826 Stück im Jahre 1909 zurückgegangen. In einer so hoch entwickelten und stark bevölkerten Gegend, wo jedes Fleckchen Land zu einer möghchst intensiven Nutzung herangezogen wird, bleibt für Schafweiden wenig Gelegenheit übrig. Ferner mag das Sinken der Wollpreise dazu beigetragen haben, daß viele Landwirte sich 74 veranlaßt sahen, die Schafzucht wegen UnrentabiHtät aufzugeben. Irgendeine nennenswerte Bedeutung hat jedenfalls die Schafhaltung in dieser Gegend nicht mehr. 5. Die Arbeit in der landwirtschaftlichen Unternehmung. Das Kapital allein reicht zur Durchführung einer landwirt- schaftlichen Unternehmung nicht aus, es muß sich hierzu mit der geistigen und körperhchen Arbeit wirksam vereinigen. Die geistige Arbeit des Unternehmers muß darauf gerichtet sein, aus dem land- wirtschaftlichen Betriebe einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen. Es ist darum die Aufgabe des verantwortlichen Betriebsleiters, die nötigen Betriebsmittel in erforderlicher Menge und im richtigen Werte zu beschaffen, eine richtige Betriebsorganisation durchzuführen und den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmung durch eine sach- gemäße Buchführung zu kontrollieren. Die verantwortlichen Betriebsleiter sind in unserem Bezirke wohl ausnahmslos die landwirtschaftlichen Unternehmer selbst. Wenn auch die Inhaber größerer Betriebe sogenannte Verwalter in ihren Diensten haben, die meistens zur Mitberatung herangezogen werden, so liegt doch die eigentliche Leitung stets in der Hand des Unternehmers. Während in früheren Zeiten der Besitzer der großbäuerlichen Betriebe mit seiner ganzen Familie sich an der landwirtschaftlichen Arbeit beteihgte, ist das heute vielfach anders geworden. Durch Grundstücksverkäufe zu hohen Preisen und durch Spekulation in Industriewerten sind viele Landwirte zu großem Wohlstande gelangt und ihre Lebensführung ist eine dementsprechend andere geworden. Zwar wird sich der größere Besitzer auch heutzutage nicht scheuen, selbst mit Hand anzulegen, wenn es nottut, aber im allgemeinen widmet er sich nur der Leitung des Betriebes. Anders jedoch bei dem Klein- besitzer; er muß samt seiner ganzen Familie kräftig mit zugreifen, wenn er nicht seine Existenz gefährden will. Der Hauptanteil an der landwirtschaftlichen Arbeit bleibt natur- gemäß den ländlichen Arbeitern überlassen. Man scheidet die Land- arbeiter gewöhnlich in zwei große Klassen, in die kontrakthch ge- bundenen und in die freien Arbeiter. Zur ersten Klasse gehören das Gesinde und die für längere Zeit kontraktlich gebundenen Tagelöhner, die zweite Klasse bilden die freien Tagelöhner. Von den kontraktlich gebundenen Tagelöhnern kommen die Heuerleute hier fast gar nicht mehr vor, aber auch die grundbesitzenden Tagelöhner werden immer seltener. Gewöhnlich sind es dann noch Bergarbeiter, welche in der landwirtschaftlichen Arbeit einen Nebenverdienst suchen, was ihnen bei der kurzen Arbeitszeit im Bergbau, und besonders wenn sie Nacht- schicht haben, recht gut möglich ist, oder es sind Berginvaliden, die für die schweren Arbeiten im Bergbau nicht mehr tauglich sind, die leichteren landwirtschaftlichen Arbeiten jedoch noch ganz gut ver- richten können. Alle diese Bergarbeiter, die sich zeitweise oder dauernd wieder mit der landwirtschaftlichen Arbeit befassen, sind 75 durchgehends aus anderen Gegenden zugewanderte frühere länd- liche Arbeiter. Der einheimische, von Jugend auf im Bergbau be- schäftigte Arbeiter verschmäht es meistens, sich mit ländhchen Arbeiten abzugeben. Die meisten landwirtschafthchen Arbeiten müssen deshalb vom Gesinde und in der Erntezeit von den Wander- arbeitern verrichtet werden. BigentümHch an den ganzen Arbeiter- verhältnissen im Industriebezirke ist der Umstand, daß ein heimischer ländlicher Arbeiterstand fast gar nicht existiert, da die Kinder der Arbeiter sich nach der Schulentlassung fast ausnahmslos dem Berg- bau oder der Industriearbeit zuwenden. „In den Kreisen Euhrort, Mülheim a. d. Euhr und Essen beschäftigen sich die meisten Kinder höchstens zwei Jahre nach der Schulzeit in der Landwirtschaft, dann gehen sie mit dem Vater zur Arbeit in die Kohlenbergwerke und in die Eisenwerke, auch zur Textihndustrie. Der Mangel an einheimischen Arbeitern ist daher sehr groß. Der Landwirt sieht sich genötigt, da er auf freie Tagelöhner kaum rechnen kann, sehr viel Gesinde von auswärts zu beziehen. Oft genug geht dasselbe aber schon nach dem ersten Kontraktjahr zu der lohnenderen Industriearbeit über. Ältere Arbeiter lassen sich im Dienst nur halten, wenn man ihnen Famihen- wohnung mit Garten und Ackerland überläßt" i. Die Dienstboten stammen vorzugsweise aus Ost- und West- preußen, Hessen, Hannover, Waldeck und Holland. Länger wie 1—2 Jahre halten diese es meistens in der Landwirtschaft ebenfalls nicht aus. Sobald sie erfahren haben, daß sie im Bergbau mit leichterer Mühe einen höheren Verdienst erzielen können, kehren sie der land- wirtschafthchen Arbeit den Bücken. Als weitere Ursachen für das Abwandern in die Industrie wären zu nennen: die kürzere Arbeits- zeit, das freiere ungebundenere Leben in den Bergwerken und Fabriken, der Eeiz, den das Stadtleben besonders auf die jüngeren Arbeiter ausübt, die dort frei von jeglicher Aufsicht besser ihren Wünschen und Neigungen nachgehen können. Der landwirtschaftliche Besitzer ist daher meistens genötigt, immer wieder neue Kräfte von auswärts heranzuziehen. Von einer „Leutenot", wie sie die Landwirtschaft des Ostens kennt, kann man eigentlich nicht sprechen. Wohl aber herrscht ein Mangel an wirkhch guten landwirtschaftlichen Arbeitern. Der Arbeitsmarkt der ländhchen Arbeiter ist stark von der Kon- junktur in der Industrie beeinflußt. Beim Aufsteigen der Konjunktur herrscht gewöhnlich ein größerer Arbeitermangel, während bei sinken- der Konjunktur wieder industrielles Arbeitermaterial frei wird, das dann zum Teil in der Landwirtschaft unterzukommen sucht. Nur höchst ungern nimmt der landwirtschaftliche Besitzer entlassene Industriearbeiter in seine Dienste; weiß er doch nur zu genau, daß es sich hier in der Eegel um unqualifizierte Gelegenheitsarbeiter handelt, die auch im landwirtschafthchen Betriebe wenig brauch- bar sind. ^ Otto Auhagen, Die ländlichen Arbeiterverhältnisse in der Rheinprovinz. Schriften d. Ver. f. Sozialpol. 1892, Bd. 54, S. 666 u. 667. > 76 Als Wanderarbeiter kommen für die Landwirtschaft des rheinischen Industriebezirkes fast nur die holländischen Schnitter in Betracht, die zur Erntezeit unaufgefordert herüberkommen und den Land- wirten ihre Dienste anbieten. Wer nicht unbedingt dazu gezwungen ist, vermeidet es jedoch nach Möglichkeit, die Dienste dieser hoch- bezahlten Erntearbeiter in Anspruch zu nehmen. Dem großbäuer- lichen Besitzer, der in der Eegel über ein zahlreiches Gesinde- personal verfügt und von den landwirtschaftlichen Maschinen einen ausgiebigen Gebrauch macht, ist das meistens möglich, dagegen kann der kleinbäuerliche und mittlere Besitzer, der die erwähnten Hilfsmittel nicht in dem Maße zur Verfügung hat, ihre Mitwirkung nicht entbehren. Die Erntearbeiten werden meistens im Akkord aus- geführt, und zwar werden 14 — 18 Mk. bei freier Beköstigung und 20 — 24 Mk. ohne Kost pro ha bezahlt. Bei diesen hohen Akkord- sätzen erzielen die geübten holländischen Schnitter einen täglichen Verdienst von 4 — 5 Mk., wenn sie noch freie Kost erhalten, und etwa 5 — 6 Mk., wenn sie sich selbst beköstigen. Das Verdienst der Weiber beträgt entsprechend 2 — 3 und 3 — 4 Mk. Die Löhne der gewohnheitsmäßig oder vorübergehend beschäf- tigten freien Tagelöhner sind infolge der Einwirkung der im Bergbau und in der Industrie bezahlten Löhne ebenfalls sehr hoch. Nach glaubwürdigen Angaben mehrerer Besitzer betragen die Löhne für Tagelöhner im Sommer bei freier Beköstigung 2,50 — 3 Mk. und 3,50 — 4 Mk. ohne Kost. Im Winter gehen diese Löhne nur un- bedeutend unter oben genannte Summen herab. Weibliche Tage- löhner werden im allgemeinen nur selten beschäftigt; ist es der Fall, so werden sie im Verhältnis zum Lohne des Mannes auffallend niedrig bezahlt. Der Tagelohn für sie beträgt gewöhnlich nur 1,50 — 2 Mk. bei freier Beköstigung. Der Lohn des männlichen Tagearbeiters betrug im Essener Be- zirke um das Jahr 1830 8 Silbergroschen für leichte und 13 Silber- groschen für schwere Arbeit; eine Frau erhielt entsprechend 6 und 9 Silbergroschen^. Im Jahre 1861 belief sich der Tagelohn für länd- liche Arbeiter auf 10 Silbergroschen im Sommer und 7 — 8 Silber- groschen im Winter, während die Frauen 7 und 5 — 6 Silbergroschen erhielten^. Im Jahre 1880 war nach einer Statistik des Landkreises Essen der Tagelohnsatz 0,75—1,50 Mk. mit Kost und 2—3 Mk. ohne Kost. Im Jahre 1892 wurde vom Verein für Sozialpolitik folgendes ermittelt^: ,,Im Industriebezirk an der Euhr, wo ja ein ganz be- deutender Mangel an einheimischen ländlichen Arbeitern besteht, erreichen die Löhne eine außerordentliche Höhe; es erhalten dauernd beschäftigte Tagelöhner im Sommer 2,60 Mk. ohne und 1,40 — 1,80 Mk. mit Kost, im Winter 2 und 1 Mk., teilweise beschäftigte 3 — 3,50 Mk. ohne und 2 — 2,50 Mk. mit Kost im Sommer und 2 und 1 — l,50Mk. ^ von Viehbahn, Statistik des Reg.-Bez. Düsseldorf, S. 144 — 146. 2 von Mülmann, Statistik des Reg.-Bez. Düsseldorf, S. 356 — 358. ^ Schriften des Vereins für Sozialpolitik Bd. 54, S. 685 u. 695. 77 im Winter. Teilweise beschäftigte Frauen erhalten im Sommer 1—1,50 Mk. mit Kost, im Winter 1 Mk. „Der Akkordlohn für Gras- und Kleemähen beträgt 12—14 Mk. pro ha, für Getreidemähen 12 bis 16 Mk., es ergibt sich hierbei ein durchschnittHcher Verdienst von 3,50 — 4,50 Mk. pro Person." Wenn auch die Löhne für die einzelnen Jahre nicht ohne weiteres miteinander vergleichbar sind, weil zum Teil die näheren Bestim- mungen „mit" oder „ohne" Kost, „Winter" oder „Sommer" fehlen, so können wir doch so viel daraus entnehmen, daß die Löhne für die ländHchen Arbeiter vom Jahre 1830 — 1861 gar nicht und von 1861 bis 1880 in langsamem Tempo, dagegen von 1880 ab bis zur Gegen- wart sehr stark gestiegen sind. Auch die Industrielöhne zeigen seit dem Jahre 1890 eine starke Aufwärtsbewegung. Die Jahresdurchschnittslöhne im Oberberg- amtsbezirke Dortmund betrugen für: Jahr Hauer Qmbenausb'an Tagearbeiter jugendl. Arbeiter 1880 2,70 Mk. 2,09 Mk. 2,20 Mk. 1,02 Mk. 1892 3,87 „ 2,69 „ 2,70 „ 1,11 „ 1908 5,86 „ 4,08 „ 3,91 „ 1,38 „ Es stiegen demnach vom Jahre 1880 — 1908 die Löhne der Hauer um 1177o> der Arbeiter für Grubenausbau um 957oj der Tagearbeiter um 78 7o und der jugendhchen Arbeiter um 35 7q, während die Löhne für ländliche Arbeiter in der gleichen Zeit um etwa lOO^o zugenommen haben. Die Löhne der Landarbeiter haben daher mit den Löhnen der besser bezahlten Bergarbeiter in der Zunahme gleichen Schritt gehalten. Auch die Gesindelöhne sind in ähnhcher Weise gestiegen. Es erhielten an Barlohn in Mark^: Pferdejungen Jahr Knechte 1830 63—105 1861 120—225 1880 100—163 1892 240—400 1910 360—540 — 48—63 48—75 45—75 — 60—120 120—150 120—195 120—180 180—800 Nehmen wir aus diesen Löhnen das Mittel, so ergibt sich folgende Steigerung in ^/qI Zeitraum Es stiegen die Löhne in »/„bei Knechten Mägden 1830—1861 105 8 1861—1880 83 50 1880—1892 39 75 1892—1910 41 52 1830—1910 436 332 1 Die Löhnsätze für 1830, 1861, 1880 und 1892 entstammen den vorstehend genannten Quellen; die Löhne für 1910 sind nach Angaben verschiedener Land- wirte der dortigen Gregend zusammengestellt. 78 Die Löhne der Pferdejungen sind seit dem Jahre 1861 um 144°/o gestiegen. Da die Mägde im allgemeinen noch schwieriger zu beschaffen sind als die Knechte, und besonders solche Mägde, die sich noch mit der Wartung des Viehes beschäftigen, fast gar nicht zu haben sind, so sind die mittleren und größeren Besitzer fast ausnahmslos gezwungen, Viehwärter anzustellen. Der Lohn der Viehwärter beträgt durch- schnittlich 600 Mk. im Jahre. Daß derartig hohe Lohnsteigerungen, w^ie wir sie hier sehen, den landwirtschaftlichen Betrieb ganz erheblich verteuert haben, liegt klar zutage. Die Industrie der Gegend hat die Landwirte in die Notwendigkeit versetzt, den immer wieder erhöhten Lohn- ansprüchen der Arbeiter und des Gesindes nachzukommen. Diese oft bis zur Grenze der ökonomischen Möglichkeit gesteigerten An- forderungen, die starke Fluktuation der Arbeiter sowie der Mangel an wirklich guten Landarbeitern haben es bewirkt, daß vielen Land- wirten der Betrieb überhaupt verleidet ist. Daß unter diesen Um- ständen das Verhältnis zwischen Arbeitern und Arbeitgebern kein patriarchalisches mehr sein kann, liegt auf der Hand. Da es für den landwirtschaftlichen Besitzer oft recht schwierig ist, seine Arbeiter auch nur 1 — 2 Jahre im Dienst zu behalten, muß er ängstlich alles vermeiden, was dieselben veranlassen könnte, den Dienst vorzeitig aufzugeben. Trotz der nachsichtigen Behandlung, die dem Arbeiter hier in der Eegel zuteil wird, ist ein Kontraktbruch gar nicht selten. Sobald der Landarbeiter einmal die Absicht hat, seine bisherige mit der vermeintlich glänzenden Stellung eines Industrie- oder Berg- arbeiters zu vertauschen, wird ihm jede Gelegenheit willkommen sein, die Auflösung des Kontraktes herbeizuführen. Ein unbedachtes Wort seitens des Arbeitgebers genügt dann, um diese Folgen zu ver- anlassen. Viele suchen auch wohl durch ungehorsames und trotziges Benehmen oder durch liederliche Arbeit von ihrem Arbeitgeber die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu erzwingen. Andere endhch verlassen ohne jede Angabe des Grundes ihren Dienst, um sich dann sofort auf der nächsten Zeche oder in der Stadt als Bergmann oder Fabrikarbeiter zu verdingen. Dem Landwirte steht zwar im Falle eines solchen Kontraktbruches das Mittel der zwangsweisen Zurück- führung zu Gebote, doch wird er sich in der Eegel sehr überlegen, ob er davon Gebrauch machen soll. Von dem Ausreißer, der gezwungen in den Betrieb zurückgekehrt ist, steht nicht zu erwarten, daß er die ihm übertragenen Arbeiten zur Zufriedenheit seines Arbeitgebers ausführt, und er wird es bald dahin gebracht haben, daß dieser ihn gern wieder gehen läßt. Außer den menschlichen Arbeitskräften kommen für die Land- wirtschaft die tierischen und in neuerer Zeit die mechanischen Arbeits- kräfte in Betracht. Von den tierischen Arbeitskräften kommen fast nur die Pferde in Frage, da Kühe und Ochsen in den hiesigen land- wirtschaftlichen Betrieben als Zugtiere kaum Verwendung finden. Wie schon im Kapitel über die Viehhaltung erwähnt wurde, herrscht 79 in den landwirtschaftlichen Betrieben des Industriebezirkes von den Pferderassen der rheinische Kaltblutschlag belgischer Abstammung bei weitem vor. Die Pferde werden sowohl ein- wie zweispännig benutzt. Das höchste Ladegewicht beträgt für das Zweigespann auf Kunststraßen 45 dz und auf Landwegen 20 dz. Die Zahl der Arbeits- pferde in den landwirtschafthchen Betrieben des Industriebezirkes wird in der Eegel so bemessen, daß auf etwa 7 — 8 ha beackertes Land 1 volljähriges Gebrauchstier entfällt. In jüngster Zeit haben viele Landwirte die elektrische Kraft in ihre Dienste gestellt. Das rheinisch-westfähsche Elektrizitätswerk zu Essen hat über einen großen Teil des Industriegebietes ein Netz von Hochspannungsleitungen gelegt und gibt elektrischen Strom sowohl für Licht- als für Kraftzwecke ab. So finden wir denn heute eine Eeihe von landwirtschaftlichen Betrieben, die einen elektrischen Betrieb zum Dreschen, Mahlen und Häckselschneiden eingerichtet haben. Daneben haben sie die Annehmlichkeit der elektrischen Be- leuchtung im ganzen Hause, in den Ställen und zum Teil auch in den Scheunen. 6. Die Rentabilität der landwirtschaftlichen Betriebe. In der Beschreibung typischer landwirtschaftlicher Betriebe des rheinischen Euhrkohlengebietes haben wir für einzelne Wirtschaften teils auf Grund der Buchführung, teils nach den Angaben der Be- sitzer die Reinerträge feststellen können. Unter Reinertrag ist der- jenige Geld- oder Geldwertsertrag zu verstehen, der übrig bleibt, nachdem man die allgemeinen Wirtschaftskosten vom Geldrohertrage abgezogen hat. Im allgemeinen rechnet der buchführende Landwirt bei der Feststellung seines wirtschaftHchen Erfolges nur bis zu diesem Wirtschaftsreinertrag, und für seine hierfür in Frage kommenden Zwecke genügt das auch. Dennoch muß bei jedem landwirtschaft- lichen Unternehmen das Bestreben des Betriebsleiters darauf ge- richtet sein, nicht den höchsten Reinertrag, sondern die höchste Grundrente zu erzielen, d. h. jeder rationell wirtschaftende Landwirt muß alle Maßnahmen und Einrichtungen in seinem Betriebe so treffen, daß ein möglichst hoher Unkosten- und zinsfreier Ertrag erzielt wird. Außer dem Grund und Boden umfaßt der landwirtschaftliche Betrieb die in ihm wirksamen und unentbehrlichen sachlichen Pro- duktionsmittel, nämhch das Gebäudekapital, das Kapital des lebenden und toten Inventars und das umlaufende Betriebskapital. Während der Grund und Boden als ein unzerstörbares und unvermehrbares Geschenk der Natur anzusehen ist, sind alle anderen Bestandteile der Wirtschaft vergängHch, sie können beliebig vermehrt oder ver- mindert werden und sind also Produktivkapital. Der Reinertrag eines Betriebes besteht demnach aus der Grundrente nebst der Ver- zinsung aller in der Wirtschaft wirksamen Kapitalien. Will man also die Grundrente eines Gutes bestimmen, so hat man von dem Wirt- 80 schaftsreinertrage die Zinsen für alle im Betriebe tätigen Produktiv- kapitalien abzuziehen; der Eest stellt dann die Verzinsung des reinen Grund und Bodens dar. Fassen wir noch einmal die früher (S. 48, 50, 51, 53 und 55) berechneten Eeinerträge in den genannten fünf Wirtschaften zu- sammen, so ergibt sich folgendes: Wirtschaft Größe ,^^!l?^ ^tn"t^^ im ganzen pro na I 154,0 ha 9231,40 Mk. 59,94 Mk. II 67,5 „ ' 5229,79 „ 77,48 „ III 35,0 „ 7663,— „ 218,94 „ IV 34,0 „ 7160,— „ 210,59 „ V 13,5 „ 2460,50 „ 182,26 „ Obige Eeinerträge stellen die Verzinsung aller in den Wirt- schaften wirksamen Kapitalien, nämlich des Grund- und Gebäude- kapitals, des lebenden und toten Inventarkapitals und des um- laufenden Betriebskapitals dar. Die genaue Feststellung der Höhe der einzelnen Kapitalsformen bietet im allgemeinen erhebliche Schwierigkeiten. Für den Betrag des Bodenkapitals ist man in der Eegel auf mehr oder minder genaue Schätzungen unter Zugrundelegung der in der nächsten Nachbar- schaft erzielten Bodenpreise angewiesen. Für rein ländliche Bezirke, wo die Grundstückspreise voneinander wenig abweichen, werden die nach diesem Verfahren ermittelten Bodenwerte ziemlich zutreffend sein. Für das Industriegebiet aber, wo, wie wir in dem Kapitel über die Preisverhältnisse ausgeführt haben, für die Bodenpreise ganz andere Ursachen maßgebend sind als in den ländlichen Bezirken, und wo in derselben Gemarkung für die gleichen Bodenqualitäten ganz verschiedene Preise bezahlt werden, ist es fast unmöglich, für ein größeres Gut den augenblicklichen Grundstückswert genau zu ermitteln. Einfacher gestaltet sich die Sache bei der Feststellung des Ge- bäudekapitals. Hier kann man in der Eegel diejenige Summe zu- grunde legen, zu der die dem landwirtschafthchen Betriebe dienenden Gebäude versichert sind. Auch die Feststellung der Höhe des lebenden Inventarkapitals bereitet keine besonderen Schwierigkeiten, wenn man die Anzahl der Tiere und ihren Durchschnittswert kennt. Da- gegen ist die jeweihge Höhe des toten Inventarkapitals und des um- laufenden Betriebskapitals nicht so leicht zu bestimmen. Erfahrungs- gemäß beträgt das Gerätekapital 50^© des Viehkapitals. Geräte und umlaufendes Kapital zusammen entsprechen ungefähr dem einfachen Viehkapitale^. Wir können demnach die in den Wirtschaften I — V tätigen Produktivkapitalien in folgender Weise ansetzen: 1 Krafft, Lehrbuch der Landwirtschaft. Bd. IV, S. 67. 81 Gegenstand Gebäudekapital Lebendes Inventarkapital . Totes Inventarkapital . . . Umlaufendes Betriebskapital I Mk. II Mk. III Mk. IV Mk. 97000 29000 14500 14500 79395 21000 10500 10500 70000 13000 6500 6500 58500 9000 4500 4500 V Mk. 27700 5000 2500 2500 Da das Gebäudekapital vermöge der Feuerversicherung sehr gesichert ist, kann es sich mit einer Verzinsung von S^/q begnügen. Das stehende Betriebskapital (lebendes und totes Inventarkapital) ist unsicherer und verlangt deshalb eine höhere Verzinsung, die wir mit 57o ansetzen wollen. Bei dem umlaufenden Betriebskapitale ist das Kisiko am größten und es dürfte deshalb eine Verzinsung mit 7^0 als angemessen zu bezeichnen sein. Werden für die Verzinsung des Gebäude- und Betriebskapitals obige Sätze zugrunde gelegt, so sind folgende Zinsbeträge erforderhch: Gegenstand I Mk. II Mk. III Mk. IV Mk. V Mk. Gebäudekapital Stehendes Betriebskapital . Umlaufendes Betriebskapital 2910,— 2175,— 1015,— 2381,85 1575,— 735,— 2100,— 975,— 455,— 1755,— 675,— 315,— 831,— 375,— 175,— Insgesamt 6100,— 4691,85 3530,— 2745,- 1381,- Der Eeinertrag des reinen Grund und Bodens beträgt demnach : Wirtschaft Größe im ganzen pro ha I 154,0 ha 3131,40 Mk. 20,33 Mk. II 67,5 „ 537,94 „ 7,97 „ III 35,0 „ 4133,— „ 118,09 „ IV 34,0 „ 4415,— „ 129,85 „ V 13,5 „ 1079,50 „ 80,— „ Vergleichen wir mit diesen Reinerträgen die mit den Ertrags- werten korrespondierenden Pachtpreise, welche in der dortigen Gegend für guten Ackerboden bei parzellenweiser Verpachtung 100 — 120 Mk. pro ha betragen, so ergibt sich, daß nur die Betriebe III und IV eine dem Ertragswerte nach genügende Verzinsung bringen, während der Ertrag der Wirtschaften I und II vöUig ungenügend ist. Bedeutend ungünstiger hegen die Verhältnisse, wenn statt des Ertragswertes der Verkehrs wert zugrunde gelegt wird. Nehmen wir an, der durch- schnitthche Grundstückspreis der Betriebe I, II, III und V betrage 12000 Mk. pro ha, so ergibt sich eine Grundrente von 0,1 7 Vo» 0,07 7o» 0,98 7o und 0,67 o/^. Für den Betrieb IV, der etwas entfernter von den industriellen Konzentrationspunkten Hegt, können wir nach den Angaben des Besitzers einen Bodenwert von 6000 Mk. pro ha annehmen, und es würde sich dann hier der reine Grund und Boden mit 2,16^0 verzinsen. Ave reck, Landwirtschaft. '* . 82 Muß schon eine Verzinsung des Grundkapitales mit rund 2^0 als recht niedrig bezeichnet werden, so ist der Betrag der Grund- rente für die übrigen vier Betriebe, die noch nicht einmal l^o er- reicht, als gänzhch ungenügend anzusprechen. Am allerungünstigsten liegen die Verhältnisse bei den Betrieben I und II mit einer Ver- zinsung des Gutskapitals von 0,177o und 0,077o> so daß hier von einer Grundrente kaum noch gesprochen werden kann. Der Besitzer des Betriebes II führt den schlechten wirtschaftHchen Erfolg auf die Unrentabilität der Abmelkwirtschaft zurück und er beabsichtigt deshalb, die Viehhaltung ganz aufzugeben und für seinen Betrieb die viehlose Wirtschaft einzuführen. Ob ein so krasser Übergang von einer Betriebsform zu einer anderen das Eichtige oder ob nicht eine Milderung der reinen Abmelkwirtschaft in der Eichtung, wie wir das schon früher angedeutet haben, mehr am Platze ist, soll nicht untersucht werden. Sicher ist es außerordenthch schwierig, bei den hohen Bodenpreisen und den hohen Arbeitslöhnen aus der landwirtschaftlichen Unternehmung einen so hohen Eeinertrag heraus- zuwirtschaften, daß der heutige Gutswert entsprechend verzinst wird. Der Landwirt der dortigen Gegend rechnet im allgemeinen weniger mit einer guten Verzinsung seines Grundkapitals, als vielmehr mit einer hohen Wertsteigerung seines Besitzes. Da er in der Eegel das Gut ererbt oder in früherer Zeit zu einem billigeren Preise er- worben hat, so braucht er mit keinem hohen Anlagekapital zu rechnen und kann deshalb in Euhe abwarten, bis ihm ein vorteilhafter Preis für seine Besitzung geboten wird. Dagegen würde ein Landwirt, der bei den heutigen Grundstückspreisen ein Gut in dieser Gegend kauft, bei dem landwirtschaftUchen Betriebe nicht auf seine Eechnung kommen. Es ist daher in diesem Gebiete eine ganz seltene Erscheinung, daß eine landwirtschaftliche Besitzung in die Hand eines anderen Landwirtes übergeht. Wo ein Landgut zum Verkauf kommt, gelangt es in der Eegel in den Besitz der Industrie oder des Großkapitals, um hier als Fabrikterrain oder als Bauland einer höheren Nutzung zugeführt zu werden. 7. Schädigungen des landwirtschaftlichen Betriebes durch Bergbau und Industrie. Nachdem wir die Einwirkung, die Bergbau und Industrie auf die landwirtschaftliche Produktionsrichtung, auf die Preisbildung sowie auf die Arbeiter- und Lohnverhältnisse ausüben, nachzuweisen versucht haben, wollen wir in diesem Kapitel die direkten Schädigungen und Unannehmlichkeiten, welche der bergbauHche und industrielle Betrieb für die Landwirtschaft im Gefolge hat, einer näheren Be- trachtung unterziehen. Schon an einer anderen Stelle haben wir darauf hingewiesen, daß es auf dem in der Nähe von Fabriken oder Bergwerken gelegenen Acker- und Gartenland fast unmöghch ist, reinliches Gemüse zu erzielen. Aber auch alle anderen landwirtschaftlichen Produktions- 83 zweige werden mehr oder weniger durch Flugasche, Kohlenstaub und Kuß, wovon die Luft hier immer erfüllt ist, in Mitleidenschaft gezogen. Beim Getreide macht sich dieses besonders in nassen Sommern bemerkbar, indem die anhaftenden Schmutzpartikelchen beim Dreschen eine höchst unangenehme Staubentwickelung verursachen. Das Gras auf den in der Nähe der industriellen Werke liegenden Vieh- weiden ist ebenfalls einer ständigen Verunreinigung ausgesetzt. Wenn auch die Meinungen darüber auseinandergehen, ob durch Staub und Asche verunreinigtes Viehfutter im Tierkörper direkt Krank- heiten hervorrufen kann, so ist doch als sicher anzunehmen, daß reinliches Futter dem Tiere bekömmlicher ist und auch von ihm lieber genommen wird. Jedem, der längere Zeit in dem Industriegebiete zwischen Euhr und Emscher geweilt hat, wird es aufgefallen sein, daß hier im Gegen- satz zu anderen Kheingegenden die Obsternte im allgemeinen sehr gering ausfällt. Wenn dies auch zum Teil auf andere Ursachen, wie Spätfröste, zurückzuführen ist, so ist doch sicher die Ansicht der Obstbaumzüchter nicht ganz unbegründet, daß die industriellen Werke an dieser Kalamität mit schuldig sind. Besonders sind es die Hütten- werke, die durch Ausströmung des Schwefelwasserstoffgases sehr schädlich wirken. In den meisten Fällen werden die Landwirte für durch Eauch- und Staubentwickelung der industriellen Werke entstandenen Schäden keinen Ersatz erhalten, weil sich eben ein direkter Schaden nur in den seltensten Fällen nachweisen läßt. Ist aber eine Schädigung direkt nachweisbar, so treffen die Ersatzansprüche der umliegenden Grundbesitzer die industriellen Werke oft in einer sehr empfindKchen Weise. So mußte beispielsweise eine in Mülheim a". d. Euhr von einer belgischen Gesellschaft betriebene Zinkhütte alljährlich große Summen bezahlen, weil in der ganzen Nachbarschaft viele Obstbäume eingingen und durch die direkt kulturwidrige Zinkasche jegliche Kultur stark beeinträchtigt wurde. Als dann anfangs der 70 er Jahre ein größerer Gebäudeteil des Werkes durch Feuer zerstört wurde, stellte man den Betrieb ganz ein. Ein großer Übelstand, den die zunehmende Ausbreitung des Kohlenbergbaues für die Landwirtschaft im Gefolge hat, sind die Bodensenkungen. Während man in neuerer Zeit, um allzu starken Bodensenkungen vorzubeugen, die durch den Kohlenabbau ent- standenen Hohlräume nach Möghchkeit wieder auszufüllen sucht, heß man früher nach Entfernung der Zimmerung die ganze Strecke einfach „zu Bruch" gehen. Das der Kohle aufhegende Gestein oder bergmännisch ausgedrückt „das Hangende", bricht dann zusammen, füllt die Hohlräume aus und das ganze überhegende Deckgebirge gerät damit in eine Bewegung, die sich in der Eegel bis an die Erd- oberfläche fortpflanzte So entstehen Bodensenkungen, die sich auch ^ Stötzel, Die Bodenbewegungen im rheinisch-westfälischen Industrie- bezirke, S. 11 ff. 6« 84 vielfach äußerlich bemerkbar machen. Hat der Kohlenabbau in nicht allzu großer Tiefe stattgefunden, so bemerkt man an einzelnen Stellen plötzlich entstandene Vertiefungen, sogenannte ,, Tagebrüche". Ent- steht nun ein solcher Tagebruch inmitten eines Ackerstückes, so bildet derselbe für den landwirtschaftlichen Betrieb naturgemäß ein großes Hindernis. Aber auch Eisse und Spalten im Boden, die ebenfalls bis- weilen vorkommen, können für den landwirtschaftlichen Betrieb sehr unangenehm werden. Am schlimmsten jedoch sind die ungleich- mäßigen Senkungen des Bodens, durch welche die Vorflutverhält- nisse in den Bächen und Flüssen vielfach gestört werden. Wiesen und Äcker, die bislang nie unter Nässe zu leiden hatten, können dann ganz oder zum Teil nicht mehr entwässert werden. Sollen sie nicht ganz versumpfen, so müssen für die Eegulierung der Vorflut oft be- deutende Mittel aufgewandt werden. Wir haben schon in dem Kapitel über die hydrographischen Verhältnisse ausgeführt, daß es in unserem Gebiete besonders das Emschergebiet ist, welches bisher unter den durch Bodensenkungen hervorgerufenen schlechten Vorflut Verhält- nissen zu leiden hatte. Die ungleichmäßigen Senkungen bewirkten, daß sich die aus den Ortschaften, Fabriken und Zechen herrührenden Schmutzwässer an einzelnen Stellen der Emscher und ihrer Zuflüsse anstauten. Trat dann bei Hochwasser eine Überschwemmung der umliegenden Äcker und Wiesen ein, so setzte sich Schlamm und allerlei Unrat auf den hiervon betroffenen landwirtschaftUchen Grundstücken ab. Die Folge davon war, abgesehen von sonstigen Unannehmlich- keiten, daß die Wiesen entwertet und die Äcker verunkrautet wurden. War vielleicht gar das anliegende Gelände noch stärker gesunken als das Flußbett, so war eine Entwässerung oft überhaupt nicht mehr möglich, und das wertvollste Kulturland fiel damit einer voll- ständigen Unbrauchbarkeit anheim. Die inzwischen zum großen Teile ausgeführte Eegulierung der Emscher war somit auch für die dortige Landwirtschaft ein dringendes Bedürfnis. Als weitere Schädigungen, die die Bodensenkungen für die land- wirtschaftlichen Betriebe im Gefolge haben, sind folgende zu nennen. An den Gebäuden zeigen sich Eisse, die sich besonders an den am schwächsten konstruierten Stellen, wie an den Fensterbrüstungen und Türbögen bemerkbar machen. Man kann diese Eisse und Sprünge aber auch an allen anderen Stellen der Gebäude wahrnehmen, wie an den Außen- und Innenwänden, an den Decken und am Fußboden, so daß ein solches Haus oft den Eindruck großer Baufälligkeit macht. Selbst Beschädigungen der Kanalisationen sowie der Gas- und Wasser- leitung gehören nicht zu den Seltenheiten. Ein weiterer Übelstand, den der Bergbau verursacht, ist das häufige Vorkommen der Wasser- entziehung in den Brunnen. Durch die entstandenen Eisse im Erd- innern nehmen die Wasseradern ihren Lauf nach unten, und die Folge davon ist, daß die Brunnen versiegen. Alle diese Schäden führen oft zu recht langwierigen Prozessen, die der landwirtschaftliche Besitzer gegen die in Frage kommenden Zechenverwaltungen anzustrengen gezwungen ist. Als sich Ende 85 der 70 er Jahre des vorigen Jahrhunderts Bergschäden in größerem Umfange zeigten, wurden besonders auf Betreiben des westfäHschen Bauernkönigs, des Freiherrn von Schorlemer-Alst, für verschiedene Gemeinden des Kreises Essen ausgedehnte Flächennivellements aus- geführt. Durch von Zeit zu Zeit ausgeführte Kontrollnivellements läßt sich dann genau feststellen, ob und in welchem Umfange Boden- senkungen eingetreten sind. Auf Grund solchen Beweismaterials werden die Prozesse zugunsten der Geschädigten entschieden. Schwieriger gestaltet sich in der Eegel der Fall nur dort, wo der Schaden an der Grenze der Markscheide liegt, so daß oft nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, von welchem Bergbaubetrieb der Schaden herrührt. Liegt dagegen klar zutage, wer der schuldige Teil ist, so erklären sich die Bergwerksgesellschaften vielfach sofort bereit, den verursachten Schaden wieder gut zu machen. Uneben gewordene Fußböden werden neu gelegt, schadhafte Decken repariert, gerissene Mauerteile verankert, versiegte Brunnen durch Wasser- leitungen ersetzt, und bei versumpften Wiesen und nassen Äckern wird, soweit noch möglich, für Entwässerung gesorgt oder eine ent- sprechende Abfindungssumme bezahlt. So haben viele Zechen- verwaltungen jahraus jahrein große Entschädigungssummen zu zahlen. Es ist deshalb leicht erklärlich, wenn in neuerer Zeit die Inhaber der Grubenfelder so viel Terrain wie möglich vor Anlage des Bergwerkes anzukaufen suchen, um vor späteren Entschädigungs- ansprüchen sicher zu sein. Die Landwirte verkaufen in der Eegel ihren Besitz an Grund und Boden nicht ungern; gelangen sie doch damit in den Besitz eines baren Kapitals, das ihnen an Zinsen einen höheren Ertrag bringt, als sie ihn durch Bewirtschaftung des Bodens erzielen können. Schlußwort. Wenn wir rückbHckend die Verhältnisse der Landwirtschaft im Industriegebiete an der Euhr uns noch einmal vor Augen führen, so gewinnen wir den Eindruck, daß sich hier in den letzten Jahr- zehnten die Lage der Landwirtschaft unter der Einwirkung von Bergbau und Industrie gewaltig verändert hat. Noch vor einem halben Jahrhundert werden sich die wirtschaft- Hchen und sozialen Verhältnisse dieser Gegend nicht sehr von denen in anderen Teilen Westdeutschlands unterschieden haben. Seitdem ist das anders geworden. Dort, wo früher üppige Kornfelder und saftige grüne Wiesen das Auge erfreuten, erheben sich jetzt graue Steinhalden. Fabriken und industrielle EtabHssements jeghcher Art von oft riesigen Dimensionen mit hunderten von rauchenden Schloten, vereinzelt Hegende Bergwerksbetriebe und ausgedehnte Arbeiterkolonien geben heute der Gegend das charakteristische Ge- präge. Eine schnell aufblühende Industrie hat die ganze Lage ver- 86 — - ändert. Die Bevölkerung des Industriegebietes hat in einer beispiel- losen Weise zugenommen. Für den Landwirt bietet dieser Umstand zunächst den Vorteil, daß hierdurch ein bequemes und gutes Absatz- gebiet für landwirtschaftHche Produkte geschaffen wird. Anderer- seits wird durch das Vordringen der Industrie die Landwirtschaft zurückgedrängt, und an die Stelle der konservativen landwirtschaft- lichen tritt die internationale industrielle Bevölkerung, Die groß- artige Entwickelung der Verkehrsverhältnisse, insbesondere die Schaf- fung eines engmaschigen Eisenbahnnetzes, hat der Landwirtschaft große Vorteile gebracht. Nicht nur, daß die erzeugten landwirt- schaftHchen Produkte auf den Märkten der Industriezentren die höchsten Preise erzielen, sondern dem Landwirt ist infolge der vor- trefflichen Verkehrsverhältnisse auch der Vorteil geboten, die für seinen Betrieb zur Verwendung kommenden Waren bilHger beziehen zu können, als dies in rein ländHchen Gegenden durchweg möglich ist. Die gewaltige Ausdehnung von Bergbau und Industrie hat die Bodenpreise stark in die Höhe getrieben. Obschon der Ertragswert mit dem heutigen Verkehrswert gar nicht mehr in Einklang steht, kaufen Industrie und Großkapital immer mehr landwirtschaftHche Besitzungen auf und zahlen dafür die höchsten Preise. Der land- wirtschafthche Besitzer, der sich in der glücklichen Lage befindet, seinen Grund und Boden verkaufen zu können, steht sich dann in der Eegel sehr glänzend, weil er im Besitze des Zinsgenusses ein höheres und müheloseres Einkommen hat, als er es durch Bewirt- schaftung des Bodens zu erzielen vermag. Anders verhält es sich bei dem Landwirt, der mit seinem Besitz abseits von den industriellen Konzentrationspunkten liegt. Er hat augenblicklich absolut keinen Vorteil von den hohen Bodenpreisen der Gegend, da er weder ver- kaufen, noch sein Land zu einem guten Preise verpachten kann. Auch in der Verteilung des ländlichen Grundbesitzes hat sich eine Um- wandlung vollzogen. Die landwirtschaftlich benutzte Fläche nimmt von Jahr zu Jahr mehr ab und im Jahre 1907 betrug sie nur noch 43,1 7o der Gesamtfläche. Der mittel- und großbäuerliche Besitz nimmt zwar nach wie vor noch 2/3 der Gesamtwirtschaftsfläche ein, aber es ist doch recht bezeichnend, daß die kleinsten Betriebe bis zu 2 ha Größe im Jahre 1907 bereits 94,81 7o ^l^er landwirtschafthchen Betriebe ausmachten. Durch die starke Mobilisierung von Grund und Boden erklärt sich auch, daß das mittelbare Anerbenrecht Geltung hat. Die von den Vätern überkommene Sitte, den Hof "ge- schlossen auf einen Anerben zu übertragen, wird immer mehr durch- brochen, indem den weichenden Erben vielfach ein hochwertiges Stück Land als Erbteil überlassen wird. Auf die hohen Bodenpreise und die Möghchkeit, einzelne Grundstücke als Bauplätze oder für gewerbhche Zwecke verkaufen zu können, ist wohl die verhältnismäßig geringe Verschuldung des ländlichen Grundbesitzes zurückzuführen. Auch die landwirtschaftliche Betriebsweise hat sich hinsichthch der Produktionsrichtung den durch Industrie und Bergbau geschaf- fenen Verhältnissen angepaßt. Dies spricht sich am deuthchsten 87 in dem starken Vorherrschen der Abmelkwirtschaften aus. Doch ist der wirtschaftHche Erfolg dieser Betriebe keineswegs glänzend, wie man vielleicht vermuten sollte. Die hohen Kosten des überaus reichen Futters, die Differenz zwischen dem Ein- und Verkaufspreise der Milchtiere und die hohen Arbeiter- und Gesindelöhne sind die hauptsächlichsten Ursachen für diese Erscheinung. Wenn auch von einem absoluten Arbeitermangel hier nicht gesprochen werden kaim, so fehlt es doch vielfach sehr an wirklich guten landwirtschaftlichen Hilfskräften. Es ist deshalb nicht zu verwundern, daß vielen bäuer- lichen Besitzern der land wirtschaftHche Betrieb oft verleidet wird, besonders daim, wenn der wirtschaftliche Erfolg in gar keinem Ver- hältnisse zu dem Aufwände steht. Von einer wirklichen Grund- rente ist oft nichts mehr vorhanden. Der ländliche Kapitalgewinn und der Unternehmergewinn sind knapp genug, und oft bleibt nur ein kümmerlicher Arbeitslohn des Selbstwirtes. Dem Landwirte ist es deshalb nicht zu verdenken, wenn er sein von den Vätern er- erbtes Gut verkauft, sobald ihm ein Preis geboten wird, der den Ertragswert weit übersteigt. Vom volkswirtschaftlichen und sozial- politischen Standpunkte aus kann man es nur begrüßen, wenn hier der größere bäuerliche Besitz noch mehr parzelliert wird als bisher. Die intensivste Bodenkultur ist nur im Kleinbetrieb möglich, und die Pflege von Spezialkulturen, deren Produkte hier stets eine gute Absatzmöglichkeit finden, würde bedeutend höhere Erträge bringen, als es bei dem durch den größeren Besitzer bevorzugten Getreidebau der- Fall ist. Andererseits würde dann auch der Berg- und Industrie- arbeiter eher in der Lage sein, sich ein Grundstück zu erwerben und sich ein eigenes Heim zu schaffen. Wenn man die Verhältnisse im Industriegebiete längere Zeit genau verfolgt, und wenn man sieht, wie ein Bauernhof nach dem anderen vom Großkapital aufgesogen wird, so wird man sich sagen müssen, daß die Landwirtschaft hier auf einem verlorenen Posten steht. Schreitet die Industrie hier in dem Maße weiter fort, wie es in den letzten Jahrzehnten der Fall gewesen ist, so wird vielleicht die Zeit nicht mehr ganz ferne sein, wo man einen eigentlichen Bauern- stand des rheinischen Ruhrkohlengebietes nur noch vom Hören- sagen kennt. VERLAG VON VEIT & COMP. IN LEIPZIG Yolkswirtschaftiiche und wirtschaftsgeschichtiiche Abhandlungen. Wilhelm Stieda als Festgruß zur sechzigsten Wiederkehr seines Geburtstages dargebracht. Im Verein mit Schülern und Verehrern herausgegeben von Dr. Wilhelm Eduard Biermann, a. o. Professor für Nationalökouomie an der Universität Leipzig. Mit einem Bildnis von W. Stieda. Lex. 8. 1912. geh. 9 Jb. Inhalt: Siegfried Moltke, Bibliothekar der Handelskammer zu Leipzig, Zwei Kapitel aus Leipzigs Handels- und Verkehrsgeschichte. I. Die Bank des Quinta (1727). IL Ein Eiaenbahnprojekt Leipzig-Magdeburg (1829). — Dr. Bruno Moll, Privatdozent für Nationalökonomie a. d. U. Kiel, Untersuchungen zur Ge- schichte des Objektes direkter Steuern. — Dr. Wilhelm Wick, Greschäftsführer des Verbandes der öffentlichen gemeinnützigen Arbeitsnachweise des Königreichs Sachsen zu Leipzig, Zur Geschichte des öffentlichen gemeinnützigen Arbeits- nachweises in Leipzig. — Dr. Wilhelm Eduard Biermann, a. o. Prof. für Nationalökonomie a. d. U. Leipzig, Der Abbe Galiani als Nationalökonom, Poli- tiker und Philosoph nach seinem Briefwechsel. — Dr. Leon Zeitlin, Berlin, Ludwig Börne als Student der Kameralwissenschaften. — Dr. Karl Bräuer, Assistent des volkswirtschaftlichen S.eminars a. d. U. Leipzig, Kritische Studien zur Literatur und Quellenkunde der Wirtschaftsgeschichte. — Dr. Johannes März, stellvertretender Syndikus des Verbandes Sächsischer Industrieller zu Dresden, Die Bedeutung des Uuternehmerstandos für den industriellen Fort- schritt in Sachsen. Ein Beitrag zur Geschichte der sächs. Industrie. — Alexander Dominicus, Oberbürgermeister zu Berlin-Schöneberg, Das Stellenvermittlungs- gesetz und seine Bedeutung für die öffentl. Ai'beitsnachweise. — Dr. Jo banne s Tack, Senatssekretär zu Bremen, Einiges über die Stellung der fremden, in- sonderheit der niederländischen Schiffahrt in Bremen während des 16., 17. und 18. Jahrhunderts. — Otto Meißgeier, Vorsitzender des Verbandes deutscher Mietervereine zu Leipzig, Zur Frage der Untervermietung in Leipzig. Weltwirtschaftliche Studien. Vorträge und Aufsätze von Dr. Hermann Schumacher, o. ö. Profffsor an der Universität Bonn, gr. 8. 1011. ceh. \2 Jb, geb. in Ganzleinen \?>Jt,hQ^. Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung. Eine sozialphilosophische Untersuchung von Dr. Rudolf Stammler, o. ö. Professor an der Universität Halle a. S. Zweite, verbesserte Auflage, gr. 8. 1906. geh. 15^(5, geb. in Halbfranz 17^*5 50^. VERLAG VON VEIT & COIIP. IN LEIPZIG Der Eigentumsvorbehalt beim Kauf. (BGB. § 455) Von Dr. iur. Richard Jaffe. gr. 8. 1910. geh. 3 Ji. Die Anfechtung des Generalversammlungsbeschlusses einer Aktiengesellschaft durch den Aktionär. Von Dr. iur. Gottfried Weissbach. gr. 8. 1911. geh. 1 Ji 50 ^. Die Berechnung der Tantieme für Vorstand und Aufsichtsrat von Aktiengesellschaften. Ein Beitrag zur Erläuterung der §§ 237 und 245 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches, Von Dr. iur. Carl Scheuer. gr. 8. 1908. geh. 2 Ji, 50 3^. Der Wechselprotest. Von Dr. iur. Herbert Graunitz. gr. 8. 1911. geh. IJi AO ^. Die Haftung der Betriebsunternehmer und Betriebsbeamten nach § 135 des Gewerbe- Unfallversicherungsgesetzes. Von Dr. iur. Erich Klien. gr. 8.- 1907. geh. S.Ji 50^. Über die Grundlagen der Bilanzwerte. Von Dr. Rudolf Fischer, Kechtsanwalt in Leipzig, gr. 8. 1909. geh. 2 J6 50 ^. Die Haftung des Verkäufers wegen Mangels im Rechte. Von Dr. iur. Ernst Rabel, a. o. Professor an der Universität Kiel. Erster Teil: Geschichtliche Studien über den Haftungserfolg, gr. 8. 1902. geh. 10 Ji. Das Wesen des kaufmännischen Zurückbehaltungsrechts. Geschichtlich entwickelt von Dr. iur. Johannes Pianitz. gr. 8. 1906. geh. 2 Ji. Metzger & Wittig, Leipzig. Printed in GßrmaHjr o cv o W XJ o •H 5 0) XJ o > 0) CD -P ■P Ü -P CO (/5 -P 0) •H M to SC C\i ü o University of Toronto Library DO NOT REMOVE THE CARD FROM THIS POCKET Acxne Library Card Pocket LOWE-MARTIN CO. LIMITED iW i