QH 351 84 * * Die mathematisch-mechanische Betrachtung morphologischer Probleme der Biologie. Eine kritische Studie von Hans Driesch, Dr. phil. ■ »=jV- Jena, Verlag von Gustav Fischer. 1891. iQ i^ -\ 4i\ Vorwort. Ich habe diese Untersuchung nicht unternommen, um gerade etwas zu untersuchen, sondern sie hat sich mir aufgedrängt. Sie ist dem Bedürfnis entsprungen, über ganz prinzipielle Fragen der organischen Naturwissen- schaft selbst Klarheit zu gewinnen; sie ist das Ergebnis eines Orientierungsversuches, der für mich selbst in Hin- sicht auf künftige wissenschaftliche Arbeiten nötig wurde. Ich veröffentliche sie in dem Gedanken, daß eine scharfe Prüfung der hier behandelten, bisher zu wenig zusammengefaßten, so zerstreuten und doch so überaus wichtigen Dinge vielleicht auch Anderen Interesse bieten mag. Der Unvollkommenheit der philosophischen Teile, na- mentlich des Kapitel II, bin ich mir wohl bewußt; möge man sie einem Fremdling auf diesem Gebiete nicht zu hoch anrechnen. Uebrigens habe ich absichtlich diesen Teil der Arbeit auf das Notwendigste beschränkt. Freunde solcher Betrachtungen möchte ich auch an dieser Stelle ganz besonders auf die im Literaturverzeichnis angeführ- ten Kapitel in Liebmann 's »Analysis der Wirklichkeit« hinweisen. Der Schluß ist für das ungeheure darin angedeutete Material vielleicht zu kurz ; ich glaubte trotzdem, den dort — IV — festgehaltenen Gedankengang nicht vereinfachen zu sol- len, da er uns gerade so, wie er ist, mit Notwendigkeit wieder auf »mathematisch-mechanische Betrachtungsweise« zurückführt. Für die Berechtigung der dort vertretenen Anschauung glaube ich in allen Punkten einstehen zu können. Die Arbeit ist trotz der Kapiteleinteilung ein Gan- zes, die Ueberschriften sollen nur das Wesentliche des jeweiligen Inhalts andeuten, ohne ihn scharf zu umgrenzen. Zürich, am 17. Januar 1891. Hans Drieseh. Inhalt. Seite Vorwort in Einleitung 1 I. Vorläufige Uebersicht über den Gebrauch des Wortes „mechanisch" 2 IL Ueber den Unterschied zwischen mathematischer und mechanischer Betrachtungsweise und ihr gegenseitiges Verhältnis 6 III. Morphologisches in der Physik . 15 IV. Spezielle Betrachtung der wichtigsten Gebiete der mathe- matisch-mechanischen Morphologie 17 A. Promorphologie . . , 17 B. Die Gelenkmechanik 19 C. Die Zellnetze 20 D. Goette's Formgesetz 26 E. Die Massenkorrelation — His 31 V. Die mechanische Zweckmäßigkeit . . 36 VI. Zusammenfassung 38 Schlussbetrachtungen 39 Literaturverzeichnis 58 ^7~?£ 3 Die vorliegende Untersuchung stellt sich die Aufgabe, die in der morphologischen Litteratur niedergelegten Be- strebungen, welche sich den Namen »mechanisch« geben, kritisch zu vergleichen und ihren Erklärungswert zu be- stimmen. Bevor wir das hierzu Notwendigste, nämlich eine Analyse des Begriffs »mechanisch« , zu geben versuchen, wird es von Vorteil sein, uns über das zu verständigen, was wir unter »Morphologie« verstehen wollen. Es ist klar, daß die organischen Körper, sofern über- haupt auf ihre gestaltliche Natur Rücksicht genommen wird, eigentlich als Ganzes, d. h. in jedem ihrer Vorgänge, der sich als Gestaltung äußert, das Objekt der »Morpho- logie« bilden, also auch die Struktur der einzelnen Zelle, die Phänomene der Kernteilung u. s. w. ihr zugehören. Wir wollen aber die Thatsachen dieser mit der Physio- logie in enger Beziehung stehenden Cytologie und Histo- logie willkürlich von unserer Betrachtung ausschließen, oder wenigstens nur so weit in Betracht ziehen, als es zum Verständnis unserer Morphologieim engeren Sinne, welche, die Zelle als gegeben setzend, die verschie- denen Arten der Z e 11 tekto nik und aller an sie geknüpften Erscheinungen zum Objekte hat, un- bedingt notwendig ist. Die verschiedenen » mechanischen « Bestrebungen, welche die aus Zellen gebildeten organischen Körper hin- sichtlich dieses ihres charakteristischen Wesens zum An- griffspunkt haben, sind also unser Untersuchungsobjekt. Wenden wir uns nun gleich dem Begriff »mecha- nisch« zu. 1 I. Vorläufige Uebersicht über den Gebrauch des Wortes „mechanisch". Das Wort »mechanisch« ist ein Lieblingsausdruck der heutigen Morphologie. Die Gestaltung eines ausgebildeten Organismus ist die »mechanische« Folge des Keimwachsens nach His; die Phylogenie ist die »mechanische« Begrün- dung der Ontogenie nach H a e c k e 1. Was haben aber diese beiden Dinge, die Phylogenie und das Keimwachstum , Gemeinsames , als daß sie eben beide als Ursachen eines anderen Vorganges aufgefaßt werden ? Eine momentane Kraft, ein Stoß, wird als mechanische Ursache einer gleichförmigen Bewegung in derjenigen Wissenschaft angesehen , die sich von dem Begriff, von welchem wir hier reden , den Namen giebt ; an das , was sie über den Begriff sagt , an das , womit sie sich selbst definiert, werden wir uns wohl am besten halten. Fragen wir also hier um Auskunft: die in der Natur vorkommenden Bewegungen vollständig und auf die ein- fachste Weise zu beschreiben, ist die Aufgabe der Mechanik nach einem Ausspruche Kirchhoff's. — Wenn es and- rerseits das Bestreben der physikalischen Disziplinen ist, ihre Objekte als »mechanische« Vorgänge darzustellen, so heißt das also: die Physik bestrebt sich, die Prinzipien oder Ergebnisse der Mechanik (Dynamik) auf dieselben anzuwenden , oder anders gesagt : sie als Bewegungsvor- gänge nachzuweisen und diese auf die einfachste Art — nämlich durch mathematische Formulierung — darzustellen. Die kinetische Gastheorie mag als Beispiel einer ausge- prägt mechanischen Disziplin der Ph}7sik gelten. Was haben nun die Phylogenie, das Wachstum des Keimes und die mittlere Geschwindigkeit der Moleküle, die in der Gastheorie eine Rolle spielt, als »mechanische« Erklärungsprinzipien Gemeinsames, oder vielmehr, welches von beiden erstgenannten kann überhaupt »mechanisch« genannt werden? Es ist wohl nicht nötig, Vergleiche und Erörterungen __ 3 - weiter auszuspinnen ; es liegt nach dem Vorhergehenden zu klar auf der Hand, daß das »Mechanisch« der Darwi- nisten lediglich als Gegensatz zu metaphysischen Erklä- rungsprinzipien, zu Eingriffen einer schöpferischen Gewalt u. s. w. gemeint, aber durchaus kein streng formulierter Begriff ist. Nur das prinzipiell » Nichtmechanische « soll eliminiert werden , wenn wir einen Ausdruck B ä r ' s ge- brauchen wollen. Angesichts der Bedeutung dieses Be- strebens können wir einige Unklarheiten des Ausdrucks schon mit in Kauf nehmen. Haeckel meint also, die Phylogenie erkläre die On- togenie , insofern beide überhaupt naturgesetzlich zusammenhängen. Daß sich auch hierüber streiten läßt, insofern nämlich der Begriff des » Erklärens « nicht ge- nügend präzisiert ist , worauf u. a. schon N ä g e 1 i , Bütschli, Bär u. a. hingewiesen haben, geht uns zu- nächst nichts an. Das Gesagte berechtigt uns aber, den Begriff des » Mechanischen « in der landläufigen unbe- stimmten Fassung der Darwinisten im Folgenden nicht weiter zu berücksichtigen. Ich bin hier über den genannten Begriff gleich etwas ausführlicher gewesen, obwohl uns dieses Kapitel nur eine vorläufige Orientierung bieten soll, damit er uns in jener unbestimmten Fassung nachher nicht mehr störe. Be- trachten wir nunmehr kurz die verschiedenen Anlässe, in denen Forscher in bestimmterer Weise von mechanischer Auffassung morphologischer Vorgänge geredet haben. H i s hat uns schon oben dazu gedient , eine Seite mechanischer Betrachtung beispielsweise hervorzuheben. Welcher Art ist nun das mechanische Prinzip, welches er für die Erklärung der organischen Formbildung verwertet Mathematisch durchgeführte Darlegung spezieller Organi- sationsgesetze treffen wir nicht bei ihm an. Daß er die Formwandlung einer ungleich sich vergrößernden elasti- schen Platte in mathematischer Sprache darstellen ließ, sollte nur als Beispiel zeigen, daß dieses eine Prinzip eine große Mannigfaltigkeit von Formen bedingen kann und exakter Fassung überhaupt fähig ist. Wir finden dagegen bei ihm das Bestreben , »das Wachstum jedes Teiles des Keims als Funktion von Ort 1* t> und Zeit darzustellen«, das Bestreben, empirisch die kompli- zierten Formbildungsvorgänge in eine Folge von solchen Vorgängen aufzulösen, die einer exakten Behandlung fähig werden könnten. His giebt in Mechanik aufgelöste Erklärung nur zum kleinsten Teil, nämlich hinsichtlich der Wirkungen gegenseitigen Druckes sich entwickelnder Teile ; er will das Fundament einer solchen schaffen, ausgehend von dem Gesichtspunkt, daß vor allem anderen mathematisch formulier bare Grunderschei- nungen aus allen Vorgängen zu eruieren sind , diese letzteren umgekehrt in solche aufzulösen. Nachdem durch mathematische Formulierung das Vorliegende überhaupt erst auf eine wissenschaftliche Form im Sinne K a n t 's gebracht wurde , kann an mechanische Er- klärung gedacht werden. Wenn auch nicht unter so besonderer Betonung der Notwendigkeit mathematischer Formulierung, sind ähnliche Gesichtspunkte geltend gemacht worden in den allgemeinen Erörterungen über Entwickelungsmechanik von Roux. Das Ziel seiner Wissenschaft ist die Ermittelung der Bewegung jedes Teilchens vom Ei bis zum ausge- wachsenen Tier. — Vorläufig mögen diese wenigen Worte über Roux genügen; auch auf die in Goette's »Unke« niedergelegten Ansichten , die einen ähnlichen Gesichts- punkt mit gleichzeitig versuchter konkreter Durchführung desselben darbieten, kann in dieser Orientierung nicht eingegangen werden. Wenden wir uns nun spezielleren Bestrebungen zu- Meyer, Wolff, Schwendener, Roux und wohl noch andere haben uns mit morphologischen Erscheinungen bekannt gemacht, welche mit den Erzeugnissen eines In- genieurs oder Mechanikers große Aehnlichkeit darbieten. Es sind mechanische Zweckmäßigkeiten; mit einem gegebenen Quantum von Material wird ein Maximum mechanischer Wirkung erzielt. Diese Gruppe von For- schungsergebnissen ist so wohl gekennzeichnet, daß man mir hier ein näheres Eingehen auf ihren Charakter er- lassen und mich ohne dieses zu ihrer Zusammenfassung ermächtigen wird. Dasselbe gilt von der folgenden Gruppe mechanischer - 5 - Auffassungsweisen : Sachs, Rauber und vorzüglich Berthold haben bekanntlich die Richtung der Wände in Zellkomplexen einem allgemeinen Gesichtspunkt unter- stellt. Während dieser bei den erstgenannten wesentlich ein mathematischer ist, sofern sie die Mannigfaltigkeit der Zellnetzbilder als geometrische Folge eines Prinzips darzustellen sich bemühen, wird er bei Berthold zum mechanischen. Berthold zeigt, daß ein großer Teil morphologischen Geschehens sich innerhalb eines Rahmens abspielt, der aus der Mechanik der Flüssigkeiten bekannt, mithin nicht »spezifisch biologisch« ist. — Es schließt sich dieser Gruppe an die Arbeit Schwendener's über »die Verschiebung kleinster Teilchen in trajektorischen Kurven«, in ihr ist eine geometrische Notwendigkeit abgehandelt, gewissermaßen eine Aufgabe aus der analytischen Mechanik gelöst. Endlich möge uns noch die von Seh wendener in seiner Blattstellungs-Arbeit geltend gemachte Auffassung hier kurz beschäftigen. Seine Prinzipien berühren sich in einigen Punkten mit den letztgenannten: insofern die lebenden Körper eben zugleich physikalische Körper sind, unterliegen sie den allgemein-mechanischen Gesetzen, hier Druckwirkungen. Als mathematisch-formeller Ge- sichtspunkt kommt die spezielle Darlegung der Entstehungs- weise der einzelnen Spiralen zum allgemein gültigen mechanischen Prinzip hinzu. — WasRoux »mechanische Massenkorrelation« genannt hat, schließt sich dem mecha- nischen Prinzip Schwendener's eng an; den Nachweis dieser Behauptung behalten wir uns fürs erste vor. Ueber die »Mechanik der Gelenke« will ich mich in dieser Uebersicht nicht äußern, da, abgesehen von seiner geringen prinzipiellen Bedeutung, dieses Gebiet der schar- fen Analyse einige Schwierigkeiten bereitet, die besser erst nach Voraussendung einiger theoretischer Erwägungen gehoben werden. Mit der Erwähnung von Haeckel's Promorphologie beschließen wir diese vorläufige Ueber- sicht. Soll ich die in Kürze aufgestellten Kategorien »exakter« Betrachtungsweise, die wir hier absichtlich unsystematisch? wie sie sich uns gerade darboten, zusammenstellten, noch- — 6 — mals nennen , so wird dies am besten durch Aufzählung derjenigen Arbeiten geschehen , welche als Paradigmata für jede gelten können. Es wären dieses: i ) H i s : Unsere Körperform ; 2) Goette: Entwickelungsgeschichte der Unke; 3) R o u x : Beiträge zur Morphologie der funktionellen Anpassung, I (Delphinflosse) ; 4) Berthold: Protoplasmamechanik ; 5) Schwendener: Theorie der Blattstellungen; 6) Haeckel: Generelle Morphologie, I, Buch 4. Wie sich zeigen wird, betrifft diese Klassifizierung nur je einen Teil des Inhalts der Arbeiten ; H i s giebt auch Belege zu 5) und R o u x in anderen Arbeiten solche zu 5) und 1), Schwendener endlich anderen Orts Bei- spiele zu 3). — Dies, um Mißverständnisse zu verhüten. Nach so gewonnenem Ueberblick über unseren Stoff könnte ich nun daran gehen, die aufgestellten Gruppen im einzelnen durchzugehen und auf ihren begrifflichen Wert zu prüfen. Dem Leser wird es jedoch nicht ent- gangen sein, daß schon unsere flüchtige Orientierung von einer gewissen Unklarheit nicht ganz frei war: wir waren, ohne genügende Erläuterung dafür zu geben, genötigt, die erörterten exakten Betrachtungsweisen bald als me- chanisch, bald als mathematisch zu bezeichnen; instinktiv fühlten wir hier zwei verschiedene Begriffe sich durchdringen und leider auch sich vermengen. Hier Klar- heit zu schaffen, muß unsere Aufgabe sein, bevor wir ein- zelne Diskussionen durchzuführen imstande sind. II. Ueber den Unterschied zwischen mathematischer und mechanischer Betrachtungsweise und ihr gegenseitiges Verhältnis. A. Mit Widerstreben nur begebe ich mich auf ein Ge- biet, welches der kritische Philosoph mit Recht sein eigen nennt, mir wohl bewußt, einen wie aphoristischen Cha- rakter das Folgende naturgemäß tragen wird. Wie wir - 7 — aber sahen, ist die folgende Erörterung zur Klärung unserer Aufgabe unvermeidlich. Erkenntnistheoretische Auslassungen will ich nach Möglichkeit zu vermeiden suchen; wer tiefere Einsicht in diese wichtigen Fragen wünscht, wird sie unter anderem in O. Lieb mann 's vortrefflicher »Analysis der Wirklichkeit« und zwar vor- wiegend in dem Abschnitt: »Ueber den philosophischen Wert der mathematischen Naturwissenschaft« finden. Wir o-ehen aus von K a n t ' s Lehre vom Raum als reiner Anschauungsform. Unser erster Schluß ist sehr einfach: wir können die »Außenwelt« nicht anders als räumlich anschauen, die als Wissenschaft ausgebildete Kunde des reinen Anschauens ist die Geometrie, also muß auch die als Wissenschaft ausgebildete Kunde der »an- geschauten Außenwelt« geometrisch sein. Oder anders: wto immer wir einen Erscheinungskomplex der räumlich angeschauten » Außenwelt « wissenschaftlich formulieren, analysieren, kommt eine geometrische Aufgabe heraus. Analoges ergiebt sich aus folgendem : der Größen- begriff ist reine Denkform, die Größenlehre ist die mathe- matische Analysis im weitesten Sinne, jedes wissenschaft- lich formulierte Denkproblem über die »Außenwelt«, also überhaupt jedes wissenschaftlich formulierte, d. h. end- gültig analysierte Problem, das sie darbietet, ist ein Pro- blem der mathematischen Analysis. Raumgrößen sind Größen; die Geometrie fällt mit der Analysis zusammen unter den Gattungsbegriff Mathe- matik. Also: wegen der Art unseres Erkenntnisver- mögens muß jedes Problem, das die Außenwelt uns stellt, sobald es wissenschaftlich formuliert, d. h. endgültig ana- Ivsiert werden soll , zu einem mathematischen Problem führen ; sobald im speziellen räumlich Angeschautes a 1 s solches zu wissenschaftlicher Verarbeitung gelangt, resul- tiert ein geometrisches Problem. Sofern die Morphologie Wissenschaft von Formen ist, gilt hier der eben deshalb besonders hervorgehobene Spezialfall ; wir kommen darauf später noch zurück. Ein Formenproblem ist also erst dann wissenschaftlich formuliert, wenn es geometrisch formuliert ist, d. h. in räumliche Gesetzmäßigkeit aufgelöst. — 8 — Diese auf eine geometrische Aufgabe hinauslaufende Formulierung haben wir oben provisorisch als mathe- matische Betrachtungsweise bezeichnet. Es ist ohne weiteres klar, daß Formulierung und Lösung eines Problems zwei verschiedene Dinge sind. Ein mathe- matisch formuliertes Problem ist dadurch noch nicht gelöst, aber es ist dadurch zur Lö- sung vorbereitet, und umgekehrt an eine Lösung kann ohne diese Formulierung nicht gedacht werden. Bevor ich mich nun zur Betrachtung des Begriffes der Lösung und damit zum Begriff des Mechanischen wende, konstatiere ich eine Uebereinstimmung des obigen Resultates mit Erörterungen Lieb mann 's: »Erst durch mathematisch eindeutige Fassung werden die Naturgesetze für die exakte Wissenschaft brauchbar« lesen wir in dem citierten Kapitel. Auerbach ferner hat in Winkel- mann's „Handbuch der Physik" die mathematische For- mulierung, die mathematische Behandlung und die Deu- tung und Verwertung der mathematischen Ergebnisse, als die drei Aufgaben bezeichnet, in die jedes physikalische Problem zerfällt. Riemann *) gar will die Existenz einer »wissenschaftlichen« Physik erst seit Erfindung der Diffe- rentialrechnung zugeben. In unserer Untersuchung fortschreitend, beschränken wir uns im Folgenden auf die geometrische Betrach- tung. Um es nochmals zu betonen : sie ist keine Lösung. Durch geometrische Analyse einer Erscheinung überschauen wir wohl sie selbst, wir bemerken auch, daß etwas Gesetzmäßiges vorliegt, wir überschauen aber noch nicht ihr Verhältnis zum gesetzlichen Naturganzen ; ich will sagen : wir wissen über ihr Wesen nichts, wobei unter »Wesen« eben das Gesagte verstanden sein soll. Aus unserem Gedankengang ergiebt sich nebenbei aufs un- zweideutigste der Kant' sehe Satz, daß wir, vermöge der Art unserer Erkenntnis, nicht Gesetze der Natur auffinden, sondern sie ihr vorschreiben. Wir müssen geome- trisch formulieren, wenn wir streng formulieren wollen. 1) Partielle Differentialgleichung.-) i. Braunschweig 1882. — Daß aus eben dieser Subjektivität Schwierigkeiten für unsere speziellen Intentionen sich ergeben , werden wir an späterer Stelle erörtern. Wie gelangen wir nun zur Kenntnis des Wesens natur- wissenschaftlicher Erscheinungen, wie lösen wir sie. Die Wissenschaft nar efo/^V, die Physik, ist imstande/ gewesen, gewisse Fundamentalsätze des NaturgeschehenA ~ aufzustellen, auf die sich eine große Zahl aller Geschef nisse bereits hat zurückführen, und umgekehrt aus denen sie sich hat ableiten lassen , während diese Sätze selbst elementar sind. Sie entsprechen in gewisser Hinsicht den geometrischen Axiomen1). — Naturgemäß haben sie ein mathematisches Gewand. Man bezeichnet bekanntlich die Summe dieser Grund- sätze nebst dem unmittelbar aus ihnen Deduzierbaren mit dem Worte »Mechanik«. Man nennt ein wissenschaft- liches Problem gelöst, wenn es, nachdem mathematische Analyse vorhergegangen, bei gewissen Voraussetzungen auf mechanische Sätze zurückgeführt, als Folge von ihnen dargestellt ist. Es ist dann mechanisch erklärt2). Für die Eigenschaften der Gase z. B. leistet dies die kine- tische Gastheorie, die wir schon oben erwähnten. Wir wären damit bei dem zweiten der Begriffe, welche hier das Objekt der Untersuchung bilden, angelangt, und wollen vor allem anderen nochmals als Definition wieder- holen: ein Problem ist mechanisch erklärt, wenn es, mathematisch formuliert, auf die Sätze der Mechanik zurückgeführt ist, sich als Folge derselben darstellen läßt. Einige Erweiterungen mögen erst später sich anschließen. In der Gestalt, wie uns der Begriff des »Mechani- schen« als mechanische Erklärung irgend welchen Natur- geschehens jetzt vorliegt, können wir ihn jedoch für un- seren Zweck noch nicht verwerten aus dem einfachen 1) Ueber ihre erkenntnistheoretische Bedeutung soll damit gar nichts gesagt sein. 2) Aehnliches sagt E. du Bois-ßeymoud in seiner be- kannten Rede über die »Grenzen der Naturerkenntnis,« wenn er das »Naturerkennen« als »Auflösen der Naturvorgänge in — ma- thematisch darstellbare Mechanik der Atome« definiert. — io — Grunde, weil in diesem erschöpfenden Sinne noch niemand morphologische Probleme ^mechanisch betrachtet« hat. Das Leben als Ganzes mechanisch zu erklären hat be- greiflicherweise fast keiner versucht, geschweige durch- geführt. Wohl aber hat es nicht an Forschern gefehlt, die ge- wisse Seiten des morphologischen Geschehens mechani- schen Gesichtspunkten unterstellt haben. Wie definieren wir kurz die hier geübte Betrachtungsweise? Wir wollen eine längere Diskussion der unschwer zu fassenden Begriffe unterlassen und in Zukunft unter mechanischer Be- trachtungsweise im engeren Sinne verstehen : den Nachweis, daß irgend eine Erscheinungs- gruppe innerhalb eines Problems nichts ihm spezifisch eigentümliches ist, vielmehr bei gewissen Voraussetzungen als Ausdruck phy- sikalisch bekannter Ursachen sich darstellt. Das heißt weniger abstrakt ausgedrückt und etwas für unseren Zweck spezialisiert : wenn am Substrat eines im übrigen mechanisch völlig unerklärten Processes sich Er- scheinungen zeigen, die etwa aus der Hydrostatik bekannt sind, und der Annahme, hydrostatische Kräfte zuzulassen, nichts im Wege steht, so sind die genannten Erscheinungen mit Erfolg mechanisch betrachtet, das Problem aber nicht gelöst, sondern nur vereinfacht. Diese mechanische Betrachtungsweise zeigt also gewisse Seiten eines Problems als bereits gelöst auf, als diesem Problem nicht spezifisch eigentümlich, wie ich oben sagte; es ist wohl nicht überflüssig, hier noch- mals zu betonen, daß der soeben definierten mechanischen Betrachtungsweise die mathematisch formulierte Analyse vorhergehen muß. Um nun alles noch einmal zu rekapitulieren und gleich- zeitig die beiden Abschnitte unserer letzten Betrachtungen auf einen ähnlichen Ausdruck zu bringen, wollen wir sagen Die mathematische Betrachtung zeigt uns den mathematischen — (geometrischen) — ■ Rah- men dar, innerhalb d essen ein Naturgeschehen verläuft, während die mechanische Be'trach- — II — tung uns nach einer oder mehreren Seiten hin mechanische Rahmen kennen lehrt, innerhalb deren es sich abspielt. Mechanisches Erklä- ren dagegen ist völliges Zurückführen auf Mechanik, mathematisches Erklären giebt es nicht. Ich werde mich im Folgenden auf diese Definitionen ohne Weiteres beziehen. B. Wir haben im vorhergehenden Abschnitt zugleich mit unseren Definitionen die Einsicht gewonnen , daß alles wissenschaftliche Naturerkennen in zwei Etappen vor sich geht : zuerst ordnen wir die als Problem gestellte Er- scheinung ausschließlich auf Grund der Elemente unserer Erkenntniskraft, sodann wird dieselbe dem in der »Außen- welt« als elementar Geltenden zugeordnet : mathematische Formulierung — mechanische Erklärung. 1) Die erste Etappe dieses Erkenntnisprozesses bringt ein subjektives Element in das Ganze hinein und birgt somit bezüglich des zu erreichenden Resultates eine Ge- fahr. Hierüber müssen wir noch in Kürze allgemein reden. Wir können, wie oben erläutert, alles geometrisch anschauen, wir können sogar wissenschaftlich nur geo- metrisch anschauen. Jede räumliche Eigenschaft einer Erscheinung kann also geometrisch betrachtet, analysiert, formuliert werden. Diese Arbeit kann aber doch für wahre Naturerkenntnis im definierten Sinne völlig — wertlos sein. Sie kann schädlich sein, sofern sieden Anschein einer besonderen Einsicht fälschlich er- weckt. Hören wir hierüber zunächst Lotze, auf dessen vorzügliche Erörterungen über die »Mechanik der Gestalt- bildung« nachdrücklich hingewiesen zu haben, ich für ein nicht zu unterschätzendes Verdienst Rauber's halte. Wir lesen auf Seite 325 der „Allgemeinen Physiologie" Folgendes : „Leider lösen ihre (sc. der Bestrebungen, Pro- 1) Vergleiche den Begriff der Oekonomie des Denkens als Definition der Wissenschaft bei Mach. — 12 — bleme der Rechnung zu unterwerfen) scheinbar mathe- matischen und scheinbar neuen Resultate sich .... zu oft in Sätze auf, deren Unbestimmtheit sie kaum für mehr gelten läßt , als für unbehilfliche Formelausdrücke noch gar nicht hinlänglich überschauter Thatsachen. Es ist nicht schwer, dergleichen zu beginnen, denn die Hilfs- mittel, den geringfügigsten Beobachtungen einen mathe- matischen Ausdruck zu geben , sind weder schwer zu finden, noch selten ; aber viel notwendiger ist es , in der Natur der Sache, die man untersucht , den Möglichkeiten nachzuforschen, welche sie einer bestimmten Anwendung der Mathematik gestattet, und die physischen Zusammen- hänge zuerst in ihrer Lage, Richtung und Bedeutung zu studieren, um zu wissen , welche Konstruktionen . . . der Mathematik an jedem Orte passend und durch das Wesen des Gegenstandes gefordert sind.« Ferner Seite 330: »In der reinen Mathematik führt es zu demselben Ziele, ob man ein System rechtwinkliger oder schiefwinkliger oder polarer Coordinaten zur Messung anwendet . . . etc. . . . ; wo aber die Mathematik auf Reales angewandt wird, und man von ihr nicht bloß rein mathematische Ergebnisse sondern Aufklärung über die Natur dieses Realen ver- langt, ist die Wahl jener Berechnungsmittel nicht mehr frei.« Er führt weiter aus, wie zwecklos z. B. die Ermitt- lung einer Gleichung für die Erdoberfläche mit Berück- sichtigung aller Gebirge etc. sei , und dgl. mehr. Gehen wir auf diese Warnung etwas näher zunächst an der Hand eines Beispiels ein : Ein Tauber kommt in ein Konzert, wo man eine Symphonie spielt. Er möge von Physik nichts wissen, jedoch sich klar darüber sein, daß das, was hier vor- sich geht, auf seine Mitmenschen eine gewisse Wirkung ausübt, ferner mag er mathematisch talentvoll sein. Worin mag diese Wirkung begründet sein , fragt er sich ; da bemerkt er , wie die Violinspieler bald den ganzen , bald nur einen Teil des Bogens ab- streichen, er findet hierin ferner einen gewissen zeitlichen Rhythmus ; ja es gelingt ihm, eine einfache Beziehung auf- zufinden zwischen dem Sitze der Musiker und der Bogen- länge, die ein jeder abstreicht. — Die abgestrichene Bo- - 13 — genlänge ist also Funktion des Raumes und der Zeit ; eine Gleichung ist fertig. Wer vermöchte gegen die begriffliche Folgerichtigkeit des Gesagten etwas einzuwenden und wem andererseits entginge der Unsinn nicht, der darin dargestellt ist? Das ist aber auch eine »mathematische Betrachtung«. Weshalb sehen wir in ihr keine Vorbereitung mecha- nischer Erkenntnis? Weil wir besser wissen , was das physikalische Wesen des Tones ausmacht. Darin liegt nun meines Erachtens gerade die große Schwierigkeit des Urteils über den Wert einer mathema- tischen Betrachtung: daß man das Betrachtete erst wenig- stens annähernd überschauen muß, daß man kennen muß, was wesentlich, was unwesentlich daran ist, nicht streng zwar, aber doch beschreibend. Es ist also falsch, mathematische Betrach- tung zu verdammen, weil sie oft zu nichts führt, wie es falsch ist, sie zu rühmen, bloß ihrer strengen Form wegen. Ihr WTert ist in jedem Falle besonders abzuschätzen. Möglich, daß bei einer abstrakten Betrachtung sich Re- sultate ergeben würden, die uns erlaubten, diese Wertbe- urteilung zu generalisieren. Wir würden dadurch aber gar zu tief in das dornige Gebiet erkenntnistheoretischer Be- grififsbildung geführt, als daß ich auf diese Dinge eingehen könnte und wollte. Wir stellen keine erkenntnistheore- tische und logische, sondern — mag es auch bis jetzt noch kaum so scheinen — eine kritisch-biologische Unter- suchung an. Ehe ich dieses Kapitel schließe, seien mir im An- schluß an das unmittelbar Vorhergehende noch einige speziellere Worte gestattet : Die Spiralen verschiedener Ordnung, wie sie hinsichtlich der Blattstellung bei ein und derselben Spezies auftreten, sind eine gute Illustration für das Subjektive mathematischer Betrachtung, für die Mannigfaltigkeit des Ausgangspunktes derselben. Anderer- seits hat aber gerade auf diesem Gebiete die Erkenntnis den von uns dargelegten Gang genommen : Schwen- dener bot für die mathematisch formulierten - 14 - Verhältnisse der Blattstelluno- die mechanische Er- klärung dar. Wir kommen ja hierauf noch zurück, es soll jetzt nur durch dieses Beispiel gezeigt werden, wie mannigfach man dieselbe Sache geometrisch auffassen und formulieren kann , worüber Näheres in dem historischen Abschnitt bei de Candolle nachzulesen ist. Auch die geometrische Auffassung von Furchungs- stadien dürfte ein ganz verschiedenes Bild darbieten , je nachdem die Zellreihen der Meridiane oder die der Breiten- kreise zum Ausgang der Betrachtung gewählt sind. Leicht ließe sich die Zahl der Beispiele aus allen Gebieten, in denen die Form eine Rolle spielt — (wir haben die für Mathematik allgemein gültigen Sätze ja zu unserem Zwecke auf Geometrie spezialisiert) — ver- mehren. Durch die Erläuterung und Gegenüberstellung mathe- matischer und mechanischer Betrachtungsweise, sowie durch das besondere Hervorheben der Subjektivität der ersteren , welches sich daran anschloß, haben wir zwar zum größten Teil den Weg für unsere späteren Betrach- tungen geebnet. Gleichwohl scheint es mir, daß wir mit noch besserer Vorbereitung an unsere Aufgabe heran- treten könnten , nachdem wir uns Rechenschaft gegeben haben einerseits über den Formbegriff in der Physik und sein Verhältnis zur übrigen Physik, andererseits über die Beziehung dieses Formbegriffs zur Morphologie. Daraus wird zugleich einiges über die Beziehungen der Morphologie zur übrigen Biologie (Biochemie und Biophysik = Physiologie im gewöhnlichen Sinne) , sowie über dasjenige der gesamten Biologie zur Summe der exakten Forschung, also der Physik im weitesten Sinne hervorgehen. Auch hier werden wir uns möglichster Kürze in der Darstellung befleißigen; sollen doch alle diese Darle- gungen nur unserem speziellen Zwecke dienen. 15 III. Morphologisches in der Physik. Daß wir räumlich anschauen , ferner Räumliches bei wissenschaftlicher Analyse geometrisch formulieren müs- sen, ist oben weitläufig auseinandergesetzt. Es soll in diesem Kapitel zunächst die Frage aufge- w orfen werden , in welchen Teilen der physikalischen Wissenschaft als wesentliches Prinzip die Form auftritt , also abgesehen z. B. von der geometrischen Me- chanik, in welcher das Formale auf Rechnung des Stand- punktes, und durch eine Aenderung desselben (z. B. durch Einführung der analytischen Methode) in Wegfall kommt. Zunächst dürfte klar sein, daß wir uns vor allem in der Statik im weitesten Sinne nach dem Gesuchten umsehen müssen , und zwar wollen wir uns auf sie beschränken. Da uns ferner lediglich das direkt geometrisch An- geschaute beschäftigen soll , können wir Elektrostatik (Aequipotentialflächen etc. etc.) u. s. w. außer Acht lassen, und es würden uns somit nur die Gebiete der Statik starrer und flüssiger Körper zur Diskussion übrig bleiben. Die Gleichgewichtsbedingungen starrer Körper (also nochmals betont: der physikalischen Körper, soweit sie starr sind, nicht der physikalischen Körper als Objekte der allgemeinen Mechanik) finden ihren Ausdruck in der Kri- stallographie; diejenigen flüssigen Körper finden ihn in der Lehre von der Oberflächenspannung. Diese beiden Gebiete physikalischer Forschung sind es, die man vielleicht mit Recht als anorganische Morphologie bezeichnen könnte. Was die Krystalle anlangt, so führt ihre theoretisch - physikalische Analyse trotz ihrer hohen Vollendung eigent- lich über eine geometrische Formulierung nicht weit hinaus ; wenn auch gezeigt wurde, daß sie als Gesamtheit der Ausdruck der möglichen regelmäßigen Punktsysteme sein mögen, so ist doch die Erkenntnis der Notwendigkeit ir- gend eines dieser Systeme für einen bestimmten Stoff nach dem Begründer genannter Theorie, S o h n c k e , zur Zeit _ 16 — ein »Problem höherer Ordnung« ; hinsichtlich der Gesetze der Oberflächenspannung und der durch sie bedingten Ge- stalten (Plateau) hat man bezüglich der Zurückführung ihrer Ursächlichkeit auf allgemeine Mechanik wohl einen genügenden Einblick erlangt. Auf die grundsätzliche lo- gische Verschiedenheit beider Probleme, die schon darin ihren Ausdruck findet, daß die Krystallisation eigentlich ein Elementarproblem ist, im Gegensatz zu den durch Oberflächenspannung erzeugten Formen, einzugehen, ist hier nicht der Ort. Uns interessieren sie hier nur wegen ihres Gemeinsamen : der Form. Wir halten uns also für berechtigt, gerade diese bei- den Zweige der Physik als spezifisch morphologische zu bezeichnen. Man hat die Biologie in Morphologie und Physio- logie gegliedert, und in ersterer wieder die Lehre vom Stoffwechsel (Biochemie) derjenigen vom Kraft- wechsel (Biophysik) gegenübergestellt. Um auf glei- chen Ausdruck zu kommen, können wir ja provisorisch die Biomorphologie als Lehre von aufeinanderfolgenden formal angeschauten Gleichgewichtszuständen (sich in der Ontogenie abspielend) ansehen und somit als Lehre vom Formwechsel bezeichnen. Auf anorganischer Seite haben wir also die Physik, Chemie und Morphologie, letztere sich an erstere eng anschließend und nur auf Grund des subjektiven Momen- tes unserer Erkenntnisart von ihr getrennt, während die Chemie hinsichtlich ihrer Beziehung zur Physik wohl auch ein »Problem höherer Ordnung« darbietet. Ueber allem thront die »theoretische Mechanik«, deren Ergebnisse jede der drei, aber die Physik mit weitaus größtem Erfolg, zu entlehnen sich bestrebt. Wenn Erklären in unserer Definition hieß: »nach mathematischer Formulierung auf ein mechanisches Pro- blem zurückführen«, so würde somit auf organischer Seite die erklärende Stoffwechsellehre sich zunächst bemühen müssen, ihre Probleme auf chemische, die Kraftwechsel- lehre, die ihrigen auf physikalische Erscheinungen zu- rückzuleiten. Und schließen wir folgerichtig weiter, so muß es das 17 — Streben der Formwechsellehre sein, in der anorganischen Morphologie, die wir oben definierten, Anknüpfungspunkte zur Erklärung ihrer Probleme aufzufinden. Ob diese Anknüpfung nach krystallographischer Seite hin liegen , was hier aber nur heißen soll , daß die mor- phologischen Probleme etwa im selben Sinne »Probleme höherer Ordnung« sind, wie die genannten, oder ob sie Ana- logien mit der Lehre von der Flüssigkeitsstatik ergeben wird, oder vielleicht beides, das geht uns in diesem be- grifflichen Abschnitt zunächst nichts an. Um kurz zu rekapitulieren, so war es in diesem Ka- pitel unser Bestreben , darzuthun , wo in der Physik der Begriff des Morphologischen eine Rolle spielt, um da- durch eine Kenntnis der Beziehungen zu gewinnen , in welchen dieser Begriff sowohl zum übrigen Ganzen der Physik als auch zur Biomorphologie steht. — Wir sahen, daß die eine Seite physikalischer Morphologie der direkte Ausdruck bekannten physikalischen Geschehens war, be- züglich der anderen Seite stand die Forschung vor einem »Problem höherer Ordnung«, ähnlich dem, das jede spe- zifische Eigenschaft eines Stoffes (als Funktion seiner Qualität) darbietet. — Wir warfen endlich die Frage auf, ob das Problem der Biomorphologie Anklänge nach dieser oder nach jener, oder nach beiden Seiten physikalisch Gestaltenlehre darbieten möchte. /%// fPVo IV. Spezielle Betrachtung der wichtigsten Gebiete der mathematisch - mechanischen Morphologie. Wir dürften nun für eine eingehendere Darlegung der Gebiete, auf denen in der Morphologie exakte Be- trachtungsweise Platz griff, hinreichend vorbereitet sein. Beginnen wir diese näheren Darlegungen mit den ein- fachsten der uns interessierenden Verhältnisse. A. Die Promorphologie. H a e c k e 1 hat bekanntlich im ersten Bande seiner generellen Morphologie den Versuch gemacht, die Formen aller Lebewesen, und zwar nicht nur ihre äußere Körper- 2 form, sondern den ganzen Ausdruck ihrer Organisation, nach stereometrischen Gesichtspunkten, nach Symmetrie- prinzipien zu ordnen , oder vielmehr , dieselben stereo- metrischen Gebilden zuzuordnen. Waren ihm hierin auch bereits andere vorangegangen , so gab doch er zuerst ein ausgebildetes, durchgearbeitetes System. Die Hae ekel 'sehe Promorphologie ist ein ausge- zeichnetes Beispiel für unsere mathematische Art der Betrachtung, wie auch gleichzeitig für ihre Kon- sequenzen. Haeckel bringt diejenigen Eigenschaften der organischen Körper in ein System, welche sie eben, weil wir sie als Körper anschauen , oder anders ausge- drückt, wegen der Art unseres Anschauungsvermögens, in dem einen oder anderen Sinne haben müssen; er giebt also eine geometrische Analyse; seine Thesen sind daher — Einzelheiten sind uns hier gleichgültig — unzweifelhaft richtig. Eine andere Frage ist freilich die, ob Haeckel's mathematische Formulierung die Vorbereitung einer mecha- nischen Betrachtungsweise ist. Wie wir von Lotze ge- hört haben, ist hierfür der Ausgangspunkt der mathema- tischen Betrachtung allein von Wichtigkeit ; dieser ergiebt sich durch induktive, zunächst rein beschreibende For- schung; sie findet das Wesentliche einer Erscheinung. Da nun die lebenden Körper die Eigenschaften, welche den Stoff der Promorphologie bilden, mit jedem Ange- schauten teilen, da sie Bedingungen der Anschauung sind, da ferner die Thatsachen der Morphologie uns lehren, welch' unendliche Mannigfaltigkeit sich bei Pflanzen und Tieren in diesem notwendigen äußeren Rahmen abspielt (im Gegensatz zu den Krystallen), so folgt ohne weiteres, daß H a e c k e 1 's Promorphologie , obwohl , wie gesagt, unanfechtbar richtig, für mechanische Erkenntnis, da sie das Wesen der organischen Formen nicht trifft, un- brauchbar ist. Sie fällt hierin zusammen mit jenen älteren, wenn auch weit tiefer stehenden Bestrebungen, Gleichungen für die Körperoberflächen der Tiere aufzustellen, welchen nach Lotze kein höherer Wert zukommen kann, als ihn eine mühsam ermittelte Gleichung für irgend einen Zu- stand der Erdoberfläche besitzen würde. — 19 — ■ Mathematische Formulierung allein macht eben noch nicht den erklärenden Wert einer Betrachtung aus. Wir können nach dem Gesagten die Promorphologie verlassen. B. Die Gelenkmechanik. Es möge zunächst die Besprechung der sogenannten »Gelenkmechanik« folgen, da sie den rein formalen Cha- rakter des Gesichtspunktes in gewissem Grade mit der Promorphologie teilt. Wir können auch hier sehr kurz sein, zumal dieses Gebiet nicht der reinen Morphologie, unserem eigentlichen Objekte, angehört und ferner zwei Seiten desselben, nämlich erstens die mechanisch-zweck- mäßige Verteilung der Muskeln und Bänder und zweitens die Möglichkeiten der Bildungs weise der Gelenkflächen, später von uns kurz gewürdigt werden sollen. Die Aufgabe, aus gegebener Gestalt der Gelenkflächen und der Art und Weise ihrer Verknüpfung den Bewe- gungsbereich beider Skelettstücke zu bestimmen — und diese Aufgabe allein bleibt nach Abzug der genannten noch übrig — ist nun durchaus mathematischer Natur. Letzterer ist mit ersteren Faktoren zugleich schon gegeben ; beide sind eigentlich ein verschiedener Ausdruck für die- selbe Sache. Die geometrische Darlegung der Gelenkflächenver- hältnisse und diejenige des Streichungsbereiches der in ihnen sich berührenden Skeletteile sind also identisch hinsichtlich ihres begrifflichen Wertes, die eine, wie gesagt, eine bloße Umrechnung der anderen. Beide sind ma- thematische Formulierungen, zielen aber nicht auf eine mechanische Erklärung in unserem Sinne ab — was sollte auch auf diesem Wege erklärt werden? — kön- nen dagegen, wie angedeutet, als Ganzes betrachtet, der Kategorie der mechanischen Anpassungen zugeordnet werden, über die wir erst weiter unten reden werden. Auch die Gelenkmechanik, die der Vollständigkeit halber hier nicht fehlen durfte, wäre sonach erledigt, und wir können uns jetzt solchen Bestrebungen zuwenden, durch die eine, wenn auch beschränkte, mechanische Er- kenntnis morphologischer Verhältnisse bereits erreicht ist. 2* 20 — C. Die Zellnetze. Es liegt in der Natur der Sache begründet, daß wir die nun folgenden Erörterungen nicht in der Form eines systematischen Gebäudes vorführen können. Wenn wir auch den Wert der wahrhaft mechanischen Bestrebungen in der Morphologie, die uns nun beschäftigen sollen, kei- neswegs verkennen, so müssen wir uns doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es Bruchstücke sind, die uns vorliegen ; Bruchstücke vielleicht, die noch gar nicht ein- mal das eigentlich Wesentliche der lebendigen Formen berühren. Sachs, Schwendener, Rauber, Errera und B e r t h o 1 d mögen uns nun zunächst beschäftigen. Sachs hat bekanntlich als »Prinzip« für den Aufbau pflanzlicher Zellgebilde die rechtwinklige Schnei- dung der Zellwände aufgestellt. Indem jede Zellwand sich rechtwinklig an die benachbarten ansetzt und ebenso zur Oberfläche des Organs gestellt ist, resultieren nun durch die Gestalt letzterer bedingte Kurvensysteme (auf dem Schnitt) , und zwar ist man imstande , aus diesem Prinzip bei gegebener Oberfläche eines Organs vorherzu- sagen , wie seine Zellwände, wofern sie überhaupt vor- handen sind, oder wenigstens soweit sie vorhanden sind, verlaufen müssen. — Es ist das Verdienst Rauber 's, auf tierische Formen, und zwar auf frühe Stadien der On- togenie, dieses Prinzip übertragen zu haben. Prüfen wir nach kurzer Skizzierung der Sachs' sehen Ausführungen ihren erklärenden Wert. Sachs' Prinzip sagt ungefähr Folgendes : Wenn wir annehmen, rechtwinklige Schneidung der Zell wände sei eine Notwendigkeit , so wären alle beob- achteten Zellnetze, die vorher jedes für sich ein Problem darstellten, nach einer Richtung hin wenigstens auf ein Problem zurückge- führt. Hierin ist gleichzeitig gesagt, welche zwei Aufgaben das Sachs' sehe Prinzip zunächst stellt: Warum ist die rechtwinklige Schneidung notwendig ? und ferner : Warum sind in Gebilden gleicher Oberfläche doch die thatsächlich — 21 — vorhandenen Zellwände das eine Mal diese, das andere Mal jene? Die erste Frage behandeln Seh wendener und Berthold, beide von verschiedenen Gesichtspunkten aus. Wir müssen , um ein richtiges Verständnis dieser Be- strebungen zu gewinnen, uns dessen erinnern, was im all- gemeinen über mathematische und mechanische Betrach- tungsweise gesagt wurde. Es geht daraus ohne weiteres hervor, daß das »Prinzip« von Sachs unter den Begriff »mathematische Formulierung« fällt, und die Frage ist nun die , ob diese Formulierung wirklich als Vorbereitung einer mechanischen Erklärung anzu- sehen ist oder wenigstens die mechanische Betrach- tung gewisser Erscheinungen gestattet. Bekanntlich bietet das Sachs' sehe Prinzip, von Druckergebnissen, die uns später beschäftigen sollen, ab- gesehen, so zahlreiche Abweichungen dar, vor allem die Erscheinungen bei simultanem Zellenzerfall (Pollenmutter- zellen etc.) , ferner das Auftreten des » Zwischenstücks « an Orten , wo vier Zellwände in einer Kante zusammen- stoßen sollten1), die Umlagerungen beim sogenannten »gleitenden Wachstum« (Krabbe) u. s. w., daß unzwei- felhaft keine »gesetzliche« Erscheinung, vielmehr nur eine »Regel« in der rechtwinkligen Schneidung vorliegt. Das Verdienst, die Regel und die Ausnahmen unter denselben Gesichtspunkt gebracht zu haben, indem sie das Prinzip der kleinsten Flächen als die Bildung der Zellnetze leitend nachwiesen, gebührt Berthold und Errera. Indem diese Forscher aber ferner die Er- gebnisse der Plateau' sehen Forschungen; an Flüssig- keitslamellen, deren Anordnung in den sogenannten Schaumgeweben von demselben Gestaltungsgesetze be- herrscht wird , zum Vergleiche heranzogen , sind sie von bloßer Formulierung zur Anbahnung mechanischen Verständnisses fortgeschritten. Halten wir uns im Folgenden nur an Berthold. 1) Häufig bei pflanzlichen Objekten, vgl. Berthold. In der Ontogenie vieler Tiere, z. B. Rana (Raub er), Sagitta (0. Hertwig\ Planorbis (Rabl) etc. etc. 22 Sachs' rechtwinklige Schneidung ist ein Spezialfall des Prinzips der Flächen minimae areae;1) sie wird »nur dann verlangt, wenn sich die auftretenden Lamellen festen Wänden ansetzen müssen , wie das allgemein bei der Zweiteilung pflanzlicher Zellen der Fall ist«. Wie Um- lagerungen in Schaumgeweben vor sich gehen, ist jedem geläufig. Endlich hat L a m a r 1 e die Notwendigkeit des Zusammenstoßens von stets 3 Lamellen in einer Kante abgeleitet, womit der simultane mehrzellige Zerfall und damit einige der wichtigeren Ausnahmen des Prinzips von Sachs erledigt sind. Auf eine ausführliche Darlegung der Anwendungen unseres Prinzips, die dieser durchweg abstrakten Betrach- tung ferner liegt, kann ich um so mehr verzichten, als sich bei Berthold alle Seiten derselben eingehend dar- gestellt finden. Die neueren Untersuchungen B ü t s c h 1 i 's über die Strukturen des Protoplasmas sind den Leistungen Berthold's natürlich gleichwertig. Näher auf sie ein- zugehen, verbietet uns die willkürlich gewählte enge Um- grenzung unseres Themas. Ich möchte nochmals hervorheben , daß , wie schon gesagt, Berthold doch nicht viel mehr als die Anbah- nung mechanischer Erklärung gegeben hat; er selbst ist sich darüber vollkommen klar, daß »der Einfluß unseres Prinzips auf die Ausgestaltung des Zellnetzes aus man- cherlei Gründen wesentlich eingeschränkt« wird. Hier ist meines Erachtens die Entstehungsweise der pflanz- lichen Zellwände — im Gegensatz zu den tierischen — in erster Linie zu nennen, die doch wohl in keiner Weise mit Oberflächenspannung in Beziehung steht; ferner die auch von B e r t h o 1 d hervorgehobene große Festigkeit einigermaßen alter Zellwände, die den Begriff der dünnen 1) Die Bedeutung dieses Prinzips dürfte bekannt sein: die Lamellen eines betrachteten Systems ordnen und krümmen sich so, daß ,'die Summe der Oberflächen aller unter den gegebenen Umständen ein Minimum wird. — Soll z. B. von einem gege- benen Parallelepiped ein Stück vorgeschriebenen Inhalts abge- grenzt werden, so wird eben die abgrenzende Fläche ein Mi- nimum. 23 Lamelle illusorisch macht und damit die dem Prinzip nach im Verlauf weiterer Zellbildung (d. h. im Verlauf des Hinzukommens weiterer Blasen) nötigen Verschie- bungen nicht ermöglicht, sodann die von Berthold er- wähnten thatsächlichen Abweichungen ohne ersichtlichen Grund, und endlich die Thatsache, daß wir in den tie- rischen und zumal in den pflanzlichen Zellnetzen doch überhaupt gar kein System flüssiger Lamel- len vor uns haben, das direkt mit Seifen- blasen verglichen werden kann. In letzterer Thatsache liegt vorwiegend der Grund dafür, daß ich Berthold's Theorie nicht als endgültige mechanische Partialerklärung , als wirklichen Nachweis eines mechanischen Rahmens, innerhalb dessen sich aller morphologische Aufbau vollzieht, ansprechen kann. — Zimmermann macht darauf aufmerksam, daß »ja auch die Turgorkräfte ... im allgemeinen bestrebt sein werden, die Membranen auf ein möglichst geringes Maß zu redu- zieren«. Somit könnten die Flächen minimae areae der geometrische Ausdruck zweier verschiedener mechanischer Agenden, im einen Falle der Oberflächenspannung, im zweiten einfachen Druckes sein ; woraus denn weiter folgt, daß auch Berthold's Theorie so sehr weit sich über bloße geometrische Formulierung nicht erhebt, wenn auch insofern, als sie gewisse mechanische Auffassungen als möglich erscheinen läßt. Uns vorbehaltend, auf Berthold's Gesichtspunkte alsbald zurückzukommen, schieben wir zunächst die Prü- fung der Seh wenden er' sehen Ausführungen ein , um damit die Frage der Zellwandschneidung zu erledigen. Sachs zeigte , daß an einem Gebilde , welches bei- spielsweise im Anfang durch drei Systeme ebener, zu einander senkrechter Flächen gefächert war, im Verlaufe ungleich verteilten Wachstums die Rechtwinkligkeit des Schneidens erhalten bleibt, wenngleich die ebenen Flächen, oder vielmehr auf dem Schnitt die geraden Linien , in Systeme orthogonaler Trajektorien übergingen, deren Form der definitive Umriß des Organs bestimmt (vgl. die Abbildungen S. 78 und 79 seiner Abhandlung über die Anordnung der Zellen in jüngsten Pflanzenteilen) ; auch — 24 — später gebildete Zellwände sollen dann, damit die Recht- winkligkeit gewahrt bleibe, die Form der betreffenden Anti- oder Periklinen annehmen. Den ersten Teil dieser These nun unternimmt Schwendener als notwendig nachzuweisen , als folgend aus der analytischen Unter- suchung des ungleich verteilten radialen Wachstums im allgemeinen. Indem im Verlaufe dieses jeder Raumteil trajektorische Kurven beschreibt, ist die Verschiebung der Zellwände in solchen nur ein besonderer Fall. Für das Weitere zwar, daß nach dem Wachstum gebildete Zell- wände dasselbe Lageprinzip befolgen, hat er keinen Grund. Die Schwendener' sehe Leistung ist der Lösung einer Aufgabe aus der analytischen Mechanik zu ver- gleichen. Die Trajektorien sind der geometrische Aus- druck des Wachsens, letzteres involviert erstere ; ein ähn- liches Verhältnis, wie wir es bei der Gelenkmechanik erörterten, folglich eine begrifflich wesen tlich anders wertige Leistung als diejenige Bert- hold' s. Schwendener hat eine mathematische Formulierung für das Wachstum im allgemei- nen gegeben; die Zellwandfrage wird durch seine Ausführungen nur insofern berührt, als eben diese Wände auch wachsende Raumteile sind. Daß die Zellwände ur- sprünglich rechtwinklig zu einander stehen, sowie auch, daß die nach dem Wachsen gebildeten sich so ordnen, ist für die Schwendener' sehe Auffassung gleichgültig ; nur daß, wenn ersteres einmal der Fall, die trajektorischen Kurven eine notwendige Folge, nichts neu Hinzukommen- des sind, zeigt seine Auseinandersetzung. Hatte ich der Einfachheit wegen, wie |es auch zu- gleich den historischen Verhältnissen entsprach, die Er- örterung über Schwendener unter Voraussetzung der Gültigkeit des Prinzips von Sachs geführt, so wende ich mich nunmehr wieder Betrachtungen über die Bert- hold'schen Forschungen zu. Wir sahen, daß Berthold nicht nur eine mathe- matische Formulierung der Zellwandfrage gegeben hat, sondern daß seine Ausführungen zugleich den Hinweis auf bestimmte mechanische Agentien enthalten, die zur Erklärung dieses Problems herangezogen werden könnten. — 25 — Es ist wohl nicht überflüssig, schon an dieser Stelle/ostf? auf hinzuweisen, daß im günstigsten Falle hierdun die Frage der Zellverbindungsart als allgemeine nung zur Lösung gebracht werden würde, keines^ doch gleichzeitig diejenige nach der Herkunft der speziel- len beobachteten Fälle von Zelltektonik : warum sich \ das Ei von P 1 a n o r b i s anders furcht, als dasjenige von A rri - phioxus, mit diesem Problem hat Berthol d's Theorie überhaupt nichts zu thun; hierfür giebt sie nicht einmal eine mathematische Formulie- runo- und kann sie ihrem Wesen nach nicht geben. Es schien mir passend, das schon an diesem Orte o;anz besonders zu betonen , obschon es uns am Schlüsse des Ganzen nochmals beschäftigen wird, da häufig den exakten Bestrebungen der Morphologen (beson- ders H i s , was uns erst später angeht) der Vorwurf gemacht wird, ihre Thesen seien als »Erklärung« nicht ausreichend und darum falsch, wobei man eben zu übersehen pflegt, daß diese Forschungen nur ein wirkendes mecha- nisches Prinzip aufzeigen oder gar nur eine mathe- matische Formulierung geben wollen; sie schaffen durch dieses Zusammenfassen anscheinend dif- ferenter Probleme in eines zum mindesten Verein- fachung. Speziell Bert hold zeigt also, in welchem me- chanischen Gewände die Bildungsgesetze der Formen, mögen diese zunächst sein, welche sie wollen, sich wahrschein- ' lieh Realität verschaffen. »Die Gleichung der Parabel bedingt doch noch nicht ihre Existenz«, um mit Lotze und R a u b e r zu reden ; der Zeichner , ja der Bleistift muß dazukommen. His wird uns später zu einer zweiten speziellen Aus- führung dieses Gedankenganges Veranlassung geben, der, wie gesagt, am Schlüsse allgemein erörtert werden soll. Der höchst unsichere Begriff des »Erklärens« scheint mir an vielen Mißverständnissen in diesen Sachen Schuld zu sein. Ueber diesen Begriff dem schon im Kapitel II Ge- sagten etwas hinzuzufügen, wird später unsere Aufgabe sein. Das Zellennetz stellt eine gegebene Formerscheinung dar, gleichsam einen Gleichgewichtszustand. Das Wesen der lebenden Form ist aber das Werden, der Pro- - 26 - zeß, gleichsam eine Folge von Gleichgewichtszuständen, wie namentlich Goette so oft in trefflichster Weise dar- that. Dies mag es rechtfertigen, daß wir an die Erörte- rung der exakten Erklärungsversuche der fertigen Zellver- bände die Darlegung derjenigen Bestrebungen an- schließen, welche das Werden derselben als Objekt me- chanischer Betrachtung behandeln. Wir haben es hier, da wir von den Versuchen Bütschli's etc. wenigstens im speziellen wohl absehen können, vorwiegend mit Goet- te zu thun und wollen nun gleich versuchen, ein Ge- samtbild seines »Form gesetzes« zu geben, welches, mag es im einzelnen mit seiner Richtigkeit stehen, wie es wolle, jedenfalls der durchgebildetste Versuch einer mechanischen Auffassung lebender Formen ist. Diese etwas allgemeinere Erörterung wird uns gleichzeitig den Schlußabschnitt unserer speziellen Betrachtungen (H i s etc.) wesentlich vereinfachen und erleichtern. D. Goette's Formgesetz. Zumal Spitzer das im Original (Unke) an ganz ver- schiedenen Stellen und daher nicht sehr abgerundet aus- einandergesetzte »Formgesetz« des Straßburger Forschers in knapperer Darstellung wiedergegeben hat, kann ich mich vorwiegend auf die Erörterung seines Wertes be- schränken und will seinen Inhalt nur kurz, womöglich mit Goette's eigenen Worten darstellen. Zunächst aber muß ich einiges Speziellere voraus- schicken: Die Zerklüftung des »toten« Eies soll nach Goette durch den Einfluß von Diffusionsströmen, die zwischen der umgebenden Flüssigkeit und den gelösten Eiweißsubstanzen des Dotters stattfinden und durch den exzentrischen Aufbau des Eies symmetrisch geregelt wer- den, bewirkt sein. Die Einkerbung ist das Zeichen einer durch eben diese Ströme bedingten Modifikation in der Verteilung der Oberflächenspannung (vgl. in diesem Punkt Bütschli). Bleiben wir hier zunächst einen Moment stehen. Ueber das »tote« Ei wollen wir nicht reden ; nur zwei Punkte seien betont: einmal waren zur Verfassungszeit der »Unke« — 27 — die komplizierten Erscheinungen der Karyokinese noch unbekannt, und zweitens : wie steht es mit den Diffusions- strömen bei Eiern, die sich an der Luft entwickeln? Dieser Hinweis genüge, einige Schwierigkeiten zu be- leuchten ; eine Kritik thatsächlicher Behauptungen ist unsere Sache hier nicht. — Hervorheben möchte ich da- gegen den Berührungspunkt , den das Entstehen mehrzelliger Gebilde, wofern Oberflächen- spannungskräfte dabei wirken mit den fer- tigen Zellnetzen, die vielleicht durch eben- solche Kräfte (Berthold — Plate au) im Gleich- gewichtszustand erhalten werden, darbietet. Die Gleichgewichtsfiguren wären, die Richtigkeit der Goette- schen Ansicht vorausgesetzt, der geometrische Ausdruck des durch geregelte Diffusionen Bewirkten. Diese logische Beziehung müssen wir betonen, mag auch obige Richtig- keit zweifelhaft sein. Nun weiter: der ganze Verlauf der Furchung führt sich ebenfalls auf Diffusionsströme in geregelter Weise zurück, er steht immer noch in, wenn auch weiterer, Ab- hängigkeit von dem anfänglichen exzentrischen Aufbau des Eies. Diese Abhängigkeit jedes Stadiums von allen vorhergehenden, damit, wenigstens in gewissem Grade, vom Ganzen, zieht sich nun durch den ganzen Prozeß der Ontogenese, die nach beendeter Furchung ja ein Wachsen ist, hindurch, oft (Gastrula) noch direkt erkennbar, sich immer mehr und mehr spezialisierend und komplizierend. Die Ursache der »Entwickelung«, zu der die Wech- selwirkung mit dem Medium veranlassend hinzukam, war, wie gesagt, der exzentrische Eiaufbau, also ein formales Prinzip ; formal sind also auch die Ursachen aller weiteren Entwickelung, sie sind keine Folge der Natur des Stoffes. Nach diesen Ausführungen können wir die Goette- schen Definitionen verstehen x). »Die Summe der Bedingungen, die weder den Stoff, noch seine Wechselwirkung mit der Außenwelt verändern, dagegen das Maß und die Anordnung derselben modifi- 1) Ich eitlere nicht ganz wörtlich. - 28 — zieren und dadurch eben die Leistung, ruft Entwickelung hervor.« Diese Bedingungen heißen : »Formbeding- ungen«; ihr Inbegriff »Formgesetz1).« »Das Formgesetz ist nie inhärente Eigen- schaft des Stoffes.« »Obwohl später ausschließlich an die Entwickelungs- erscheinungen und deren Substrat gebunden, ist das Formgesetz doch nach seinem Ursprung als ein außer- halb desselben (Medium) verursachtes und vorbereitetes Motiv der Entwickelung anzusehen.« Daß Haeckel sich irrte, wenn er in dem »Form- gesetz« etwas der »Lebenskraft« Ähnliches vermutete, ist nach allem Gesagten wohl klar, übrigens auch von Spit- zer dar^ethan. Um nun etwas ins Detail zu gehen, so würde z. B. das » Formgesetz « die unmittelbare mechanische Ursache für die ungleiche Verteilung des Wachstums anzugeben vermögen und dieselbe bis auf das Ei als Ausgangspunkt zurückverfolgen können. Des weiteren scheinen mir 2 Gebiete seines Bereiches der Erwähnung wert, deren eines geometrischer Natur ist, während das andere mechanischen Charakter trägt. Da der wachsende Keim ein Ganzes bildet, in welchem jeder Teil in jedem Moment eine bestimmte Lage hat, so wird, mögen auch zwei beliebige Bezirke im Verlaufe des Wachsens voneinander direkt unabhängig, nur von einer fernen Ursache gemeinsam abhängig sein, doch diese anfängliche Lagebeziehung , etwa an bestimmten Orten der Blastula, nie völlig schwinden, sondern stets ihren Einfluß sichtbar machen , indem auch später die direkt nicht voneinander abhängigen Organe eine ge- wisse Lagebeziehung besitzen , die nun aber nichts Xeues, sondern eine geometrische Folge jener 1) Eine vortreffliche Illustrierung des Begriffs der Formbe- dingung giebt Goette in seiner Schrift über den „Ursprung des Todes", allerdings mit anderer Tendenz: das Schlagen einer Wimper bleibt immer dasselbe; ob eine fortschreitende, eine rotierende oder eine sonstige Bewegung des Ganzen daraus resul- tiert, hängt von seiner Gestalt, d. h. eben von den „Formbe- dingungen", unter denen das Wimperschlagen sich äußert, ab. 29 - alten Korrelation ist, dadurch bedingt, daß, so zu sagen, in einem gegebenen Moment jeder der betrachteten Bezirke durch bestimmte Koordinaten in einem geschlossenen System charakterisiert war. Als Gegenstück zu dieser »geometrischen Korre- lation,« wie man sie nennen könnte, macht nun auch die »Massenkorrelation« Roux's, welche sich vorwiegend in Druckwirkungen etc. äußert, eine Erscheinungsart des Formgesetzes aus ; von dieser werden wir im nächsten Abschnitte handeln. Das Wesentlichste an dem » Formgesetz « ist jedoch die Darlegung der kausalen Kontinuität der ganzen Ent- wickelung vom Ei an und der Versuch, ihre bekannte physikalische Natur nachzuweisen, ihre Ableitbarkeit aus bekannten Kräften. In dem verschiedenen Form- aufbau der Eier würde die Verschiedenheit der Organismen begründet sein; nicht, wie wohl die herrschende Ansicht ist, in ihrer differenten stofflichen Natur, wonach sich der Entwickelungsprozeß gleichsam als Ausdruck eines chemischen Vorganges darstellen würde. Ob jene Ableitung aus bekannten Kräften freilich haltbar ist, das ist eine andere Frage, die uns hier fern liegt ; jedenfalls können wir mit Liebmann Goette das Verdienst nicht absprechen: »das Problem, die Ent- stehung und den Lebensprozeß zunächst nur eines Indi- viduums als notwendige Folge aus Grundkräften ... ab- zuleiten, als solches erkannt zu haben«. Was jene Ableitung aus bekannten Agentien betrifft, so ist sie bei Goette, im Gegensatz zu den Berthold - sehen Forschungen, ganz allgemein gehalten. »Indem er sich aus naheliegenden Gründen zur Erkenntnis nur der allgemeinsten Gründe bescheidet, wird zugleich die Exi- stenz unbekannter, aber notwendiger besonderer Beding- ungen zugestanden, unter denen allein aus jenem all- gemeinen Grunde die konkrete Erscheinung hervorgeht« (Würmer II). Ich will endlich noch anführen, wie Goette die beiden gegenwärtig für fundamental gehaltenen Thatsachen der Vererbuno; und Variabilität mit seinem Prinzip in Einklang bringt, um damit die Berührung mit der — 30 - Descendenztheorie zu gewinnen, vorwiegend um zu zeigen, daß er in der That ein vollendetes System gegeben hat, dann auch, weil wir seine Definitionen später gebrauchen werden. Das Vererbungsproblem läuft auf die Frage hinaus, »warum ein Teil eines Eiproduktes sich stets in einige dem Ausgangspunkt relativ gleiche Gebilde verwandele«. Da ferner »die Vererbung keine Kontinuität, sondern eine wiederholte Neubildung ist, so sind bei der stets erneuten Zusammenstellung gleicher Bildungsursachen kleine Ab- änderungen unvermeidlich« ; das ist Variabilität. Daß Goette letztere nicht das Endprodukt der Entwickelung, sondern den Entwickelungsprozeß beeinflussen läßt, wie er auch sonst häufig ausgeführt hat, ist damit zugleich ausgesprochen. Gleichzeitig erhellt aus vorigem , daß bei G o e 1 1 e ' s »Entstehung der Arten«1) der »Zufall« eine ähnliche große Rolle spielt oder eigentlich dieselbe , die ihm der reine Darwinismus zuschreibt ; nur daß er sich allerdings von der Art dieses » Zufalls « größere Rechenschaft giebt als dieser. Diese Dinge werden uns am Schluß wieder be- schäftigen. Goette' s Leistung ist schwer mit den vorher be- sprochenen zu vergleichen. Hat er in geringerem Grade als Sachs, Berthold und Schwendener unseren direkten Einblick in die mechanischen Prinzipien der Formbildung gefördert, so hat er dafür gleichsam in großen Zügen den Weg vorgezeichnet, den eine konse- quente mechanische Erklärung der lebenden Formen viel- leicht einst gehen könnte. Ob die näheren Angaben über diesen Weg dem Sachverhalt entsprechen oder nicht, muß die Spezialforschung lehren. Goette 's Leistung geht nicht den strengen Weg physikalischer Forschung und Hypothesenbildung, sie ist vor allem eine allgemein- philosophische, methodologische Direktive. Die Schlußbetrachtungen werden uns, wie gesagt, Veranlassung geben, noch einmal auf den Goette 'sehen Ideengang zurückzukommen. 1) besser der „Formen", vgl. unten. 3i E. Die Massenkorrelation. — His. Nach den letzten Erörterungen , die uns notwendiger- weise auf ein etwas weiteres Gebiet der Naturbetrachtung gelenkt haben, wenden wir uns nun zum Schlüsse wieder spezielleren Forschungen zu, die einen exakten Weg einschlugen. Namentlich da wir bei Erörterung des G o e 1 1 e ' sehen Formgesetzes der » Massenkorrelation « schon Erwähnung thaten , sofern sie einen Bestandteil desselben ausmacht, können wir in unseren thatsächlichen Darlegungen hier kurz sein, um für einen abermaligen etwas allgemeineren Exkurs, zu dem uns H i s Veranlassung geben wird, Raum zu gewinnen. Es handelt sich hier, kurz gesagt, um Wirkungen mechanischen Druckes oder Zuges im Verlauf der {Ent- wicklung eines Organismus, um Agenden, welche zur Erscheinung kommen, da die lebenden Körper zugleich physikalische Körper sind, und da sie, ein geschlossenes System bilden. Denken wir uns, um ein ganz einfaches Beispiel dieser Art herauszugreifen, eine Blastula, und an entgegengesetzten Orten derselben eine Einstülpung nach dem Centrum zu wuchern ; sobald beide Einstülpungen sich berühren, werden sie, weiteres Wachstum vorausge- setzt, sich gegenseitig einen Widerstand entgegensetzen und einer Bildung (plattenartig) den Ursprung geben, die in jeder für sich ( Selbstdifferenzierung — R o u x ) nicht bestimmt war. Jedes Gebilde ist für das andere ein äußeres Agens, obwohl oder eben weil sie dem- selben (geschlossenen) System angehören. Zwei Gummi- bälle, von verschiedenen Seiten eingedrückt, würden das- selbe Verhalten zeigen ; beide Erscheinungen sind in der That direkt vergleichbar. Es wird klar sein, daß wir mit Recht diese Erschein- ungen dem » Formgesetz « subsumiert hatten ; sie sind eine mechanisch geäußerte Folge der »Formbedingungen« des Systems. Eingehendes Nachdenken allerdings wird dazu führen, genannte Korrelation und das Formgesetz vielleicht nicht als subordiniert, sondern letzteres selbst als eine Art Massenkorrelation im Ganzen zu bezeichnen. _ 32 — Wir müssen, um dieses klar einzusehen, bei einem Fun- damentalunterschied der Ansichten G o e 1 1 e ' s und R o u x ' s einen Augenblick verweilen. Die Blastomeren, um ein Beispiel zu nehmen, sind nach letzterem Forscher völlig von einander unabhängig ; gelänge ihre Isolierung etwa auf dem Sechzehnzellen-Stadium , so würden wir nach ihm , Weiterentwickelung vorausgesetzt , sechzehn Teile eines Organismus erhalten , aus denen er sich ideell zu- sammensetzen ließe ; jede Elastomere ist im strengsten Wortsinne für die anderen Außenwelt 1). Ganz anders G o e 1 1 e : Nur der formale Bau des Eis , zusammen mit der eingeleiteten Diffusion, bedingt die folgende Onto- genese und zwar im Grunde genommen jedes Stadium A als Ganzes das nächstfolgende Ganze B. Zumal nun G o e 1 1 e die Vorstellung eines unbekannten stofflichen Prozesses als Grundlage der Formbildung prinzipiell ver- wirft, könnte man wohl mit Recht sagen , das ganze Formgesetz sei eine große komplizierte Massenkorrelation. Dies, um Mißverständnisse zu verhüten. Ich kann nicht leugnen, daß mir die, freilich noch nicht mit aller wünschenswerten Klarheit gelungenen Versuche R o u x ' s über Hervorbringen halber Frosch- embryonen gegen Goette in's Gewicht zu fallen scheinen. Nun zurück zur speziellen Erörterung der Massen- korrelation. Falls die Gelenkbildung thatsächlich durch Reibung und Abschleifung und nicht vielmehr durch funktionelle Anpassung definitiv würde (Roux), so hätten wir sie hier aufzuführen , womit zugleich unsere Schuld aus dem Kapitel »Gelenkmechanik« eingelöst ist. Eine wichtige und lehrreiche Illustration der Massen- korrelationen wird uns durch Schwendener's Blatt- stellungstheorie gegeben. Wird der Ursprung der Blatt- anlagen am Vegetationspunkt als nach Zahl und Größe be- stimmt gegeben vorausgesetzt, so zeigt uns Seh wen den er, daß die in den bekannten Spiralen ihren geometrischen Ausdruck findende Anordnung derselben die Folge gegen- seitigen Druckes ist, der durch das Geschlossensein des vorliegenden Formsystems bedingt ist. Die Spiralen 1) „Mosaikarbeit" — Roux. - 33 — sind nichts Neues, nichts Spezifisches, sondern etwas durch die Natur des Systems aus einem andren Spezifischen mechanisch Folgendes. Daß die mechanische Folge hier in klarem geometrischen Gewand auftritt, ist wohl wieder eine Folge der Natur des Systems. Es sind hier gewisser- maßen mechanische und geometrische Korrelation ver- eint. — Daß die Leistungen der Vorgänger Schwen- de n e r ' s in der Blattstellungsfrage samt und sonders mathematische Formulierungen waren, sei hier nur erwähnt sie sind im Einzelnen durch ihn illusorisch gemacht, wenn sie ihm auch eben durch die Formulierung den Weg bahnten. Viele spezielle Darlegungen endlich über die Wirkung gegenseitigen Druckes u. s. w. hat H i s in seinen Schriften gegeben. Da aber Ausführungen der einzelnen Verhält- nisse wenig allgemein Wichtiges bieten würden, außerdem im einzelnen Falle die Feststellung, was auf Rechnung mechanischer Wirkung zu setzen, und was trotz anderen Anscheines Selbstdifferenzierung ist, noch sehr schwierig ist ( Rautengrube — R o u x ) , so wollen wir von der Er- örterung derselben vielmehr absehen und dafür eine kurze Skizze der Gesamtanschauung des Leipziger Forschers mit Hinblick auf die allgemeinen von uns entwickelten Gesichtspunkte zu geben versuchen. H i s geht in seinen Betrachtungen aus von dem ge- setzmäßig verteilten Wachstum des als gleichartige Fläche gedachten Keimes. Dieses nach Verteilung und jeweiliger Intensität geregelte, an verschiedenen Stellen ungleiche Wachstum soll vermöge der Natur des geschlossenen Systems, das der Keim darstellt, durch die erwähnte Massenkorrelation mit Notwendigkeit den Organismus in Erscheinung treten lassen. »Hat die Entwickelungsge- schichte für eine gegebene Form die Aufgabe physiolo- gischer Ableitung durchgreifend erfüllt, dann darf sie mit Recht von sich sagen, daß sie diese Form als Einzelform erklärt habe.« Die Körperform wird also nach His durch das Keim Wachstum erklärt ; sie ist eine »unmittel- bare Folge« desselben. Sein »Bestreben geht also i) auf empirische Feststellung des Wachstumsgesetzes und 2) auf die Ableitung der sich folgenden Formen des ent- — 34 — stehenden Körpers aus jenem Gesetz«, eben durch Massen- korrelation. Bekanntlich teilt His mit Goette das Schicksal, auf Grund seiner Anschauungen von fast allen Seiten ange- feindet, wenn nicht unbeachtet gelassen zu sein. Man wirft ihm namentlich vor, daß er hier von dem »Erklären« einer Form spräche aus Ursachen , die doch selber der »Erklärung« höchst bedürftig seien, nämlich den geregelten Wachstumsvorgängen, die er ohne weiteres als vorhanden annehmen soll. Ich will nun an dieser Stelle ein erweiterndes Ein- gehen auf den höchst schwankenden Begriff des Erklärens noch vermeiden und nur hervorheben, daß H i s selbst ihn an einem trefflich gewählten Beispiel (der Kurzsichtigkeit) in für seine nächsten Zwecke genügender, sonst freilich wohl nicht erschöpfender Weise illustriert, und will dafür an der Hand einiger His' scher Aeußerungen zu zeigen versuchen , daß genannte Anfeindungen ihr Ziel ver- f e hlen. Wohl nimmt His zunächst für die Ableitung der fertigen Form (eigentlich dann eine geometrische Aufgabe) die spezifische Wachstumsanordnung als gegeben an, wie in entsprechender Weise auch Schwendener; seine vorhergehenden Ausführungen, die das genannte Gleichnis enthalten, zeigen aber aufs deutlichste, daß er hierin nur die zunächst liegende »unmittelbare« Erklärung sieht. Wenn nach seiner Ansicht »in endloser Ferne die Mög- lichkeit steht , die Wachstumsgesetze organischer Wesen in Formeln niederzuschreiben« , so scheint mir doch dar- aus evident zu sein, daß diese mathematische For- mulierung nach seiner Ansicht eine Erklärung des Wachsens selbst vorbereiten soll. Um alle Zweifel zu zerstreuen , setze ich noch einen größeren Passus (Körperform 212 und 213) wörtlich hin: »Besäßen wir die ideale Klarheit jenes von La place ge- dachten Geistes, dem der Weltprozeß in einer mathema- tischen Formel vorliegt, dann würden uns auch die Wachs- tumsformeln organischer Wesen nach ihrem letzten Aus- druck bekannt sein, und wir vermöchten sie nach ihrer Form und innerhalb jeder Form nach dem Wert ihrer — 35 — konstanten Glieder zu ordnen. . . . Würden wir alsdann die Formeln nach ihrer phylogenetischen Succession zu- sammenstellen, dann würden auch diese Reihen fortlau- fende Aenderungen der Koeffizienten neben steigender Komplikation der Formeln aufweisen, und aus den dabei zu Tage tretenden Gesetzen müßte wohl ohne weiteres erkennbar sein, ob die im Lauf der Generationen erfolgten Umbildungen ihren Grund im Wesen der Entwicklung selbst gehabt haben, oder ob sie ausschließlich aus Anpassungen an ä uß ere L ebens Verhältnisse hervorgegan- gen sind.« Abgesehen davon, daß »phylogenetische Succession« wohl erst aus der Anordnung der Formeln nach ihrer Aehnlichkeit eventuell zu folgern wäre, sehen wir in diesen Worten deutlich den Gedanken der einstigen mechanischen Erklärung nach vorausgegangener mathe- matischer Formulierung, wenn auch nicht nach allen Seiten hin mit genügender Schärfe ' ausgesprochen. Wir müssen daher, obschon jener Gedanke nur prinzipiell an- gedeutet, nicht, wie bei G o e 1 1 e , wirklich durchzuführen versucht wurde , in H i s nicht nur den Begründer einer Art der mechanischen Betrachtung, der Lehre von den Massenkorrelationen , sondern zugleich auch den Denker eines skizzierten Ideengebäudes der mechanischen Mor- phologie erblicken. Nach dieser Seite hin ist auch das Verdienst von H i s ein allgemein philosophisches und methodologisches. Wir sind mit der Darlegung der verschiedenen Ge- biete der mathematisch-mechanischen Forschungsrichtung in der Morphologie nunmehr am Ende. Der Leser wird wohl über diesen Satz verwundert sein und die Betrachtung einer der in der vorläufigen Uebersicht aufgezählten Ka- tegorien von Forschungsergebnissen vermissen : nämlich der mechanischen Zweckmäßigkeiten. Daß die Betrachtung dieser nicht in den Rahmen unserer Studien gehört, soll der folgende kleine Abschnitt darzuthun versuchen. 3* - 36 V. Die mechanische Zweckniäfsigkeit. Wir nennen eine Organisationseinrichtung zweckmä- ßig, wenn sie die ihr obliegende Funktion in auffällig guter Weise vollzieht; die genannte Einrichtung pflegt sodann als der Funktion »angepaßt« bezeichnet zu werden, mit welchem Worte zunächst noch nichts über ihre Her- kunft gesagt zu werden braucht. Uns sollen hier also Anpassungen an mechanische Funktionen, Druck , Zug etc., dem zu widerstehen ist, beschäftigen. Die Mechanik lehrt den Ingenieur gewisse Gesetze kennen, die er bei seiner Thätigkeit in Anwendung zu bringen hat, wenn er mit möglichst geringem Materia] eine möglichst große oder aber bei gegebenem Material die größte mögliche Wirkung (Festigkeit etc) erzielen will. Wenn wir also morphologische Gebilde, die mechanische Funktion erfüllen, derart organisiert antreffen, daß sie wie der Ingenieur die genannte Minimum-Maximum-Aufgabe lösen, daß sie wie von einer Intelligenz ausgeführt er- scheinen, nennen wir sie mechanisch angepaßt, mechanisch zweckmäßig. Es ist klar, daß der Erkenntnis dieser mechanischer Zweckmäßigkeit eine mathematisch formulierte Analyse des Objektes vorangehen muß ; der Vergleich der erhal- tenen Formulierung mit der Formulierung der Ingenieur- probleme ergiebt dann eben das gleiche mechanische Prinzip beider; er zeigt, daß beide denselben me- chanischen Zweck erfüllen, nicht etwa weisl er auf die Identität der Ursachen beider hin. Das heißt aber, wir gelangen hier nicht zu einer me- chanischen Erklärung; wir erkennen ein »für Mecha- nik«, aber kein »durch Mechanik«, kein »nach be- kannten mechanischen Gesetzen«. Dieser fundamentale Unterschied, den ich nur be: Spitzer genügend hervorgehoben finde, und der gerade durch die unglückliche botanische Nomenklatur auf die sem Gebiete besonders verdunkelt wird, wird dadurch noch weit bedeutsamer, daß die Erkenntnis des mechani- schen Zweckes im Gegensatz zu derjenigen der mechani- — 37 — sehen Ursache nicht nur nichts »erklärt«, sondern im Gegenteil ein neues ungeheures Rätsel aufgiebt, dessen Lösung immerhin durch die Theorie der funktio- nellen Anpassung und den Kampf der Teile im Organis- mus von R o u x nicht ohne Erfolg versucht ist (im Gegen- satz, wie ich denke, zu vielen der von Pflüger als »teleologische Mechanik« aufgeführten Fälle, die zunächst jeder Annäherung spotten). Hermann Meyer, J. Wolff und vor allem Roux auf zoologischem, Schwendener auf botanischem Gebiete sind wohl in erster Linie als Förderer unserer Kenntnisse der mechanischen Zweckmäßigkeiten zu nennen ; auf Ein- zelheiten ihrer Ausführungen kann ich hier nicht eingehen. Bezüglich der genannten Ro ux' sehen Erklärung, die uns im Einzelnen hier auch fern liegt, möchte ich nur das Eine hervorheben, daß sie der Selektion mit voran- gegangener nach Größe und Richtung unbestimmter Varia- bilität nur die Ausbildung von Quantitäten, wenn ich so sagen soll, an bereits vorhandenem Material, nicht auch die Bildung von Qualitäten *) zuschreibt, wie sie der Dar- winistischen Selektion unter gleichen Voraussetzungen zugemutet wird. Deshalb, und namentlich auch wegen Mangels rein formaler Gesetzmäßigkeiten auf ihrem Ge- biete, wird, scheint mir, die Roux 'sehe Theorie auch dann noch ihren Wert als erklärendes oder vielmehr auf den Erklärungsweg hinweisendes Prinzip behalten können, wenn diejenige Darwin 's2) als nicht ausreichend oder gar bedeutungslos erkannt wird, ein Gedankengang, der erst kürzlich von G. Wolff3) trefflich durchgeführt wor- den ist. Dieses uns hier eigentlich fremde Gebiet verlassend, 1) Die Worte „Quantität" und „Qualität" geben den Sinn meiner Ansicht schlecht wieder ; in etwas anderer Bedeutung ließen sie sich wohl gar vertauschen. Ich muß es dem Leser überlassen, den evidenten Unterschied klar zu denken. 2) Wohl verstanden, die Selektion mit vorausgehender durch- aus unbestimmter Variabilität, von zufälligem Charakter. Wird letzterer gesetzlich angenommen, so kommt natürlich die Selek- tion ohne weiteres zu ganz untergeordnetem Wert. 3) Biolog. Centralblatt, Bd. X. - 38 - konstatieren wir nur nochmals den fundamentalen Unter- schied der mechanischen Zweckmäßigkeiten von den vor- her betrachteten mechanischen Erklärungs- und Betrach- tungsversuchen und wollen zum Schlüsse unserer spezi- ellen Darlegung zur Uebersicht das Wichtigste, was wir aus ihr lernten, zusammenstellen. VI. Zusammenfassung. Wenn wir von ganz unwesentlichen Dingen absehen, so bleiben drei Punkte positiver Leistungen der mathe- matisch-mechanischen Betrachtungsweise in der Morpho- logie : i) Haeckel's Promorphologie hat die geometrische Formulierung der äußeren Organisationsformen der Lebe- wesen in systematischer Weise durchgeführt: ihre Lei- stung ist eine analytisch-mathematische , ordnende , ohne daß sie darum, wie gleiche Bestrebungen in der Krystallo- graphie, die Vorläuferin mechanischer Erkenntnis ge- worden wäre. 2) Berthold hat gezeigt, daß die Art und Weise der Aneinanderfügung der Zellen verständlich ist, sobald wir in ihr die Kräfte der Oberflächenspannung uns wirk- sam denken. Als Ganzes ist diese Zellenordnung dann ebenso verständlich, wie die Konfiguration der Blasen in einer Bierflasche, denn es hat Berthold auf Grund einer von Sachs und ihm selbst gegebenen geometrischen Formulierung die Identität dieser mit der Geometrie ge- wisser morphologischen Erscheinungen der Physik erkannt und daraus auf Identität der Ursachen geschlossen. Seine Leistung ist eine partielle mechanische Erklärung, freilich wohl noch nicht von genügender Sicherheit. 3) His, Schwendener in seiner Blattstellungslehre und Roux haben in der Massenkorrelation ein rein mechanisches formbildendes Prinzip nachgewiesen, das in der Natur des Keimes als eines geschlossenen Systems bedingt ist. Die Erkenntnis letzterer Thatsache ist in diesem Falle gewissermaßen die hier sehr einfache, nämlich sehr allgemeine geometrische Formulierung. — Soll spezielle — 39 — Erkenntnis dieser Verhältnisse für einen gegebenen Fall erreicht werden, so muß ihr natürlich auch eine spezielle Formulierung vorangehen. Außer diesen positiven Leistungen einer exakten Be- trachtungsweise haben wir ferner in Goette's Formgesetz den idealen Versuch eines ganzen Systems der mechanischen Morphologie kennen gelernt, und von His gewisse, wenn auch fragmentarische, Andeutungen über den Weg, den das mechanische Erkenntnisbestreben zu gehen hat, gehört, welche, wofern wir seine Worte richtig ausgelegt und nicht etwa unsere eignen Ideen in dieselben hineingelegt haben, Anklänge an dasjenige zeigen, was wir allgemein im Kapitel II ausgeführt haben. Diese letzten methodologischen Darlegungen, nament- lich diejenigen Goette's, werden wir nochmals zu streifen haben, wenn wir nunmehr daran gehen, unsere Studien mit einigen weiteren Ausblicken und der An- deutung gewisser eigener Gesichtspunkte zum Abschluß zu bringen. Schlussbetrachtungen. Um zu zeigen, welchen Weg eine Wissenschaft ein- schlagen könne, um sich zum Range einer exakten Disziplin zu erheben , muß die Untersuchung vorangehen , ob ihr dies ihrem inneren Wesen nach überhaupt möglich sei. Wir wollen daher vor allem anderen die Morphologie der Organismen auf dieses ihr Wesen hin untersuchen, indem wir die beiden fundamentalen Ansichten miteinander vergleichen, die über das Wesen der lebenden Formen a priori möglich, und die auch beide in irgend einem Gewände geäußert sind. Daß diese beiden Anschauungen die Prädikate zufällig und gesetzlich verdienen, schicken wir zunächst ohne Begründung und Erläuterung voraus. Es wurde schon oben hervorgehoben, daß dem reinen Darwinismus , dem einen der von uns zu betrachtenden Extreme, die Variabilität als nach Größe und Richtung unbestimmt gilt. Wie mit Rücksicht auf die Totalität des einzelnen Individuallebens die Variabilität aufzufassen sei, — 40 — namentlich bezüglich der Thatsache, daß dieses Individual- leben sich dem wissenschaftlichen Auge doch als ein Prozeß darstellt, als eine gestaltliche Folge, darüber geht die genannte Anschauung ohne viel Bedenken hin- weg. Die ausgebildeten morphologischen Stadien sind individuell unbestimmt verschieden, aber auch nicht zwei Individuen leben unter ganz denselben Bedingungen; hierdurch ist für jene unbestimmte Variabilität ein zu- reichender Grund gegeben. H a e c k e 1 bezeichnet in diesem Sinne geradezu die Variabilität (seine »Anpas- sung») als abhängig von der Funktion der Ernährung, wobei dieser Begriff wohl einen sehr weiten Umfang haben soll. Da also das veränderliche Substrat bezüglich der künftigen Veränderung als gänzlich indifferent gedacht ist, der Grund letzterer vielmehr lediglich in das gerade wirkende Agens gelegt wird, die darwinistische Anschauung andererseits aber in dieser »spontanen Variabilität« den ersten Anlaß neuer Formbildung 1 ) sieht , so können wir mit Rücksicht auf unseren Zweck genannte Meinung als Theorie der zufälligen Formbildung bezeichnen. Natürlich hat auch nach dieser Ansicht die Formbildimg einen Grund, also eine gewisse Gesetzlichkeit jedenfalls, aber es ist dies die Gesetzlichkeit der Wahrscheinlichkeits- rechnung, kurz gesagt keine »physikalische«, sondern eine »historische« ; Begriffe, auf die wir noch zurückkommen. Eben deswegen heißt sie uns, vielen Protesten (z. B. Huxley) entgegen, zufällig. So leichten Kaufs sind wir aber doch wohl noch nicht mit genannter Ansicht fertig geworden. Sowohl der Be- griff des verändernden Grundes, welcher ganz und gar im wirkenden Agens liegen soll, als auch der des Zufalls erheischen eine etwas eingehendere Erörterung. Ich werde dieselbe lediglich an der Hand von Bei- spielen und Gleichnissen anstellen und sehe in ihr nicht mehr als den Versuch einer Erläuterung. In ähn- lichem Sinne ist der Begriff des Zufalls von Bär und 1) Daß Selektion nie Formen schaffen, sondern nur Arten umgrenzen kann , ist klar und schon häufig gesagt. Darwin schrieb ja eine „Entstehung der Arten", keine Ent- stehung der Formen. Die formbildende Kraft setzte er als gegeben voraus. - 41 — Nägel i behandelt worden, auf welche Autoren hiermit hingewiesen sei. Schon oben sagte ich: natürlich habe die Variabilität der Darwinisten bei ihnen überhaupt einen Grund. Dieser ist ja die notwendige Zuthat von seiten unserer Erkenntnis ; eine »causa« hat jede Thatsache unserer Erscheinungs- welt. Da das Wort »Zufall« nun aber existiert und, wie wir ohne Analyse überzeugt sind, etwas Besonderes be- deutet, so folgt, daß bloße Behauptung von Naturgesetz- lichkeit Zufall nicht ausschließt. — Findet vielleicht »Zufall« allemal dann statt, wenn zwei, dem Wesen nach unab- hängige Folgereihen zu einander in Beziehung treten? Prüfen wir hierzu die Begriffe »Ursache« und »Veranlas- sung«, aber, nochmals sei es betont, nicht erschöpfend, sondern erläuternd. Wir wollen unsere Beispiele so zu wählen suchen, daß sie alle drei fraglichen Begriffe zugleich und nach verschiedenen Seiten hin beleuchten, das letzte wird uns dann wieder zu unserem Thema hinüberleiten. Schließen wir uns zu diesem Zwecke zunächst einem auch von Bär benutzten Exempel an. Von einem Hause fällt ein Stein hinab auf die Straße ; befindet sich ein Mensch in seiner Bahn , so wird er ge- troffen, oder fährt ein Waagen mit Dynamit vorbei, so wird er getroffen, oder eine Glocke, sie wird ge- troffen, auch die Peitsche eines Kutschers wird ge- troffen. Wir sagen populär, das' »Treffen« sei durch den Stein verursacht; ist es aber nicht in gewisser Hinsicht veranlaßt, sofern die Massennatur das Ge- troffene erst »treffbar« macht? Diese besitzt allerdings jedes Ding der Erscheinungswelt, darum pflegen wir von ihr abzusehen und machen, etwas inkorrekt, für den ganzen Effekt das Treffende, den Stein, verantwortlich. Bis jetzt haben wir eigentlich nur eine Schwierigkeit aufgedeckt ; nun weiter: der getroffene Mensch stirbt, der Wagen explodiert, die Glocke tönt, die Peitsche wird ver- bogen; nun liegt deutlich Veranlassung vor; das Wesen der Reaktion liegt allein im Getroffenen. Mechanisch gesprochen : das (getroffene) System kann nur gewisse Bewegungen ausführen, die ihm durch Bedingungs- — 42 — gleichungen vorgeschrieben sind. Da es andrerseits nicht im Wesen des Menschen lag, gerade jetzt zu sterben, nicht in dem der Peitsche, gerade jetzt verbogen zu werden, und nicht in dem der Glocke, gerade jetzt zu tönen, so reden wir beim Eintritt der von uns geschilderten Ereignisse von Zufall. Ein Gegenstück aus der Chemie: in einem Glase be- findet sich das gelöste Salz einer schwachen Säure ; über ihm ist ein horizontales Rad derart angebracht, daß seine Peripherie über des Glases Mitte streicht. Rund um diese Peripherie sind 20 Fläschchen, mit verschiedenen Säuren gefüllt , befindlich und mit einem Mechanismus versehen, der jede Minute aus jeder einen Tropfen herabfallen läßt. Ein Kind mag das Rad ungleichmäßig, nach seiner Laune, drehen ; zuerst fällt dann etwa ein Tropfen Schwefelsäure in die Salzlösung , es entsteht Sulphat , dann , nachdem die Lösung ersetzt, Salpetersäure, es entsteht ein Nitrat u. s. f. Da haben wir Veranlassung und zugleich Zufall deutlich vor uns. Zufällig ist es, daß gerade nun das Sulphat, dann das Nitrat entsteht , oder gleich zusammenfassend : die Veranlassung (das »vorbereitet Gewesene«, »Her- vorgerufene« des Effektes) wird dadurch angezeigt, daß, sagen wir Kalisulphat entsteht, das Zufäll ige dadurch, daß Kalisulphat entsteht; daß Kalisulphat gebildet wird, ist also eine veranlaßte Zufälligkeit oder eine zufällige Veranlassung. Setzen wir nun an Stelle unserer 20 Säuren unbe- stimmt viele » Agentien«, so haben wir die formbildende Kraft, die Variabilität, der Darwinisten. Freilich kommt bei ihr das Wesen des durch Ernährung modifizierten Körpers in Rechnung, schon weil er ein chemischer Kör- per ist, wie unser Kalisalz, Veranlassung ist das Umbil- dungsereignis also stets ; aber der Körper soll , um einen anderswo1) benützten Ausdruck zu setzen, die Fähigkeit haben, seine potentielle Energie in unbestimmter Mannigfaltigkeit in aktuelle umzusetzen; daß er sie gerade 1) Die Tektonik der Hydro'idpolypen etc., Biol. Centr. XI. — 43 — nun in diese, dann in jene umsetzt, wird damit durch- aus zufällig. Wir müssen also , wenn wir streng sein wollen , die Ursache der Formbildung auch bei der Variabilität der Darwinisten in den Organismus verlegen und werden vielleicht von »Ursache« überhaupt nur bei Vorgängen in einem geschlossenen System reden können ; sonst haben wir stets »Wechselwirkung«, gegenseitige »Veranlassung«. Zufällig ist uns also die Variabilität des Darwinismus, weil der veranlassungsfähigen Agentien unbestimmt viele, unbestimmt auftretende sind. Wenn, wie ich es für die Stöcke der Hydroiden wahrscheinlich machte, Veranlassungen nötig sind, um von 2 oder 3 Knospungs- möglichkeiten an einem Polypen eine zu realisieren, so reden wir gleichwohl von Gesetzlichkeit. Hier ist eben die Möglichkeit mehrfacher Art des Baues Bestandteil des Wachstums- »Gesetzes«. Wollten wir aber bei Möglich- keiten, zu deren Wesen gerade die Unbestimmtheit ge- hört, von »gesetzlich« reden, so höben wir diesen Begriff damit auf. So viel zur Klärung des Begriffs der darwinistischen Variabilität, welcher meist ebenso unbestimmt gefaßt wird, wie sie selbst sein soll. Die Vererbung, um endlich zu dem zweiten Grundbegriff der zufälligen Formbildungstheorie überzu- gehen, wird als Thatsache von ihr zunächst hingenommen ; die verschiedenen Hypothesen , die sie erläutern sollen, von ihr selbst als höchst provisorisch und zunächst un- fruchtbar anerkannt. Sie kommt aber mit diesem Begriff etwas ins Gedränge, da hier nicht, wie bei der Varia- bilität, nur das erwachsene Wesen zunächst in die Augen fällt, sondern der Prozeß als das Fundamentale der organischen Form gar deutlich sich kenntlich macht, so deutlich, daß man ihn nicht übersehen kann. Man versteht also unter Vererbung die Erscheinung, daß ein Individuum den Formenprozeß seiner Eltern wie- derum vom Ei aus durchläuft, und läßt dieses als erwei- terte Definition des populären Begriffes gelten; da die zufällige Variabilität (Formbildung) nun der erwachsenen Wesen Formgestaltung erweitert haben soll , so führt der — 44 — Begriff der Vererbung, wie ich ihn faßte, ohne weiteres zum sogenannten biogenetischen Grundgesetz. Dieses »Gesetz« paßt nun aber anerkanntermaßen zur vorausgesetzten allgemeinen Descendenztheorie nicht ohne weiteres, und damit erweisen sich zugleich die gege- benen Definitionen entweder als falsch oder als unzu- reichend. Nehmen wir zunächst letzteres an: man hat den Begriff »Cenogenie« geschaffen , gewissermaßen als Ergänzung des Vererbungsbegriffs, indem man, sich eine genaue Klarlegung desselben ersparend, kurz gesagt einen bestimmenden Einfluß der erwachsenen Vor- fahrenform auf das Resultat der Nachkom- menentwickelung annahm, einen Einfluß, der, da er a uf ver schi ed en en Weg en Gleiches schafft, zum mindesten ein Bedenken wachrufen sollte; dieses wird dadurch nicht gemildert, daß man einige Stadien des Formbildungsprozesses — die Larven selbständig variieren läßt u. a. m. , Dinge , welche des Rätselhaften nur noch mehr schaffen. Um kurz zu rekapitulieren, so operiert der reine Dar- winismus mit der zufälligen Variabilität, durch Ernährung bedingt, mit der dem Wesen nach unbekannten Vererbung, die in erweiterter Defini- tion die » Palingenie « einschließt , und mit der »Ceno- genie«, als einer noch unbekannteren, völlig unvorstell- baren Art der Beeinflussung der individuellen Formbildung. Von letzterer abgesehen, wird also vermöge des definierten erweiterten Vererbungsbegriffs der phylogenetische Form- bildungsgrund direkter Anlaß zum ontogenetischen. Die Selektion brauchten wir nicht zu nennen, da, wie schon erwähnt, auch nach Ansicht des reinen Darwinismus diese die Formen nicht schaffen, sondern sie nur mittelbar stei- gern und umgrenzen kann. Ohne daß er von der Grundidee der vorstehenden, wegen ihrer Unklarheit zunächst unbrauchbaren An- schauung abgewichen wäre , ist der Versuch , dieselbe durch scharfe Analyse einiger Schwierigkeiten zu ent- kleiden, unternommen worden von Goette, dessen Defi- nition von Variabilität und Vererbung oben auf Seite 30 gegeben wurde. Um diese Ansicht, die im Hinblick auf — 45 — das von verschiedenen anderen Seiten über Goette Ge- sagte zunächst vielleicht paradox erscheinen mag, zu be- gründen, müssen wir genannte Definitionen etwas näher betrachten. Die Vererbung soll die Wiederbildung einer dem Ausgangspunkt relativ gleichartigen Masse im Wege des Formgesetzes sein ; damit ist dieselbe natürlich um nichts weniger unbegreiflich gemacht, als es der reine Darwinismus that ; das ist auch gar kein Vorwurf, sie ist uns jetzt wirklich noch ein Buch mit sieben Siegeln. In- dem aber Goette die freilich auch nach seiner Ansicht zufällige Variabilität (s. o.) auf das Ei verlegt, ver- schmilzt er den »Cenogenie« -Begriff mit dem der Vererbung (in unserer erweiterten Definition als Wiederbildung eines Prozesses) derart, daß an Stelle der Wieder- b i 1 d u n g die Aehnlichkeitsbildung tritt. Ferner hat Goette diese seine Vererbung, wie oben ausführlich dargethan, in strenger Weise als notwendigen mechanischen Prozeß darzuthun versucht, sobald einmal der ähnliche Ausgangspunkt da ist. Der reine Darwinismus nun wie auch Goette fußen auf der Descendenztheorie. Das Ei eines höheren Orga- nismus im Goette'schen Sinne, mag es auch stofflich noch so einfach sein, soll doch im Sinne des Straßburger Forschers seinen formalen Bau , der Ausgang des Form- gesetzes wird, auf sogenanntem historischen Wege derart erhalten haben , daß jede Generation ihn zufällig etwas verändert wiederbildete1) (sein Vererbungsbegriff) , so daß also dieser formale Bau schließlich ein sehr ver- wickeltes Ding geworden ist , welches die Ei - Tektonik aller vorherigen Generationen voraussetzt. Die Ansicht Spitzer's, Goette's Theorie mache eigentlich die »Phylogenie« entbehrlich, man müsse sich wundern, daß nicht überall, wo Sputa im Wasser sich befänden, durch Diffusionsströme organische Formen entstünden, ist dem- nach falsch , falsch eben deswegen , weil die Vererbung als nicht mechanisch aufgelöstes Prinzip auch nach dieses Forschers Ansicht bestehen bleibt. 1) Die „Natur" macht also gleichsam bei jeder Eibildung einen kleinen Fehler. - 46 - Der echte Darwinismus wie G o e 1 1 e ' s Ansicht sieht, um kurz zusammenzufassen, in der Formbildung im We- sentlichen ein historisches Ereignis, das natürlich, wie entsprechende Probleme der Geologie , physikalisch- chemisch vermittelt ward. Es folgt dies aus der Zufällig- keit der Formbildung. Ist man angesichts der Thatsache der Vererbung, selbst bei Voraussetzung der Descendenz- theorie, wohl so unbedingt berechtigt, das geologische und morphologische Problem direkt zu vergleichen? Die Erläuterung des Begriffs der »Erklärung«, welche vielleicht gerade hier am Platze wäre , da sie uns von neuem mit Goette und Spitzer zusammenführen würde , einstweilen übergehend , wende ich mich zur Be- trachtung der genannten anderen Auffassungsweise, welche man vom Wesen der organischen Formbildung haben kann. Fußten, wie wir sahen, die verschiedenen Formen der Theorie der zufälligen Formbildung auf der Descendenz- theorie in allgemeinster Gestalt, so nehmen die jetzt zu erörternden Ansichten der gesetzlichen Formentstehung von ihr zunächst nur insoweit Notiz, als ihre Wahrschein- lichkeit unabweisbar ist, nämlich innerhalb derjenigen Formgruppen, in denen die Erscheinung der Verkettung von Mutter und Frucht oder ähnliches derartige auftritt. Nächst vorzüglichen Ausführungen hierüber von Bär hat auch Spitzer zwischen den Zeilen zugegeben, daß genannte Erscheinungsreihe der einzige wirklich zwingende Grund für die Annahme einer Descendenz der For- men ist. Wenn diese Ansicht von der Gesetzlichkeit der Form- entstehung nun entweder die sämtlichen »Typen« der Form- prozesse durch noch unbekannte Gesetze, sprungweise auseinander hervorgehen läßt, oder verschiedene vonein- ander unabhängige Reihen solcher Entwickelung , eben die »Typen«, annimmt, die etwa aus der großen Gruppe einzelliger Wesen hervorgegangen sein sollen, oder wenn sie sich endlich, solches nicht zu benötigen glaubend, Urbilder der »Typen« nach Art der Krystallbildung (nur daß es sich hier um einen Prozeß handelt) als wenn auch mannigfach vermittelter (p. 17) Ausdruck der betreffenden — 47 — Stoftkombination in Erscheinung getreten denkt, so ist doch diesen Verschiedenheiten der Auffassung gemeinsam die Vorstellung der inneren im Substrat selbst lie- genden Notwendigkeit, mit der die Formen ihren Ausdruck fanden,- und das völlige Zu- rücktreten eventueller Veranlassung: durch Aeußres; der Descendenzgedanke, wenn auch angenommen, wird hier unwesentlich. Das Form- gesetz wird hier inhärente Eigenschaft des Stoffes, um mit Goette zu reden, es ist sein Ausdruck, mechanisch zu- nächst völlig unerklärt, wie es der Ausdruck der Kiesel- säure ist, im hexagonalen System zu krystallisieren. Auf die speziellen Formen, in denen der charakte- risierte Meinungskomplex auftrat , einzugehen , wird man uns erlassen. Dieselben tragen den Charakter der aprio- ristischen Konstruktion gar zu deutlich an sich. Das gilt auch von der hier vielleicht vermißten »mechanischen« Abstammungslehre N ä g e 1 i ' s. Eine Erscheinungsreihe, auf die sich die Gegner der zufälligen Formbildungstheorie besonders berufen — z. B. Lange — ist diejenige der ontogenetischen Entwickelung. An ihrer Hand unter anderem hat auch W o 1 f f in dem erwähnten Aufsatze das Unzureichende der Zufallstheorie mit nachfolgender Zweckmäßigkeitswahl dargethan. — Die Thatsache, daß doch jetzt jedenfalls Stoffkombinatio- nen — die Eier — existieren, die Formbildung ganz aus sich selbst erzeugen, macht außerdem für die Annahme gesetzlicher Formbildung, bei unserer völligen Unkennt- nis ihrer speziellen Art, die Annahme einer allgemeinen Descendenz sicherlich nicht zwingend. Nunmehr sind wir an dem Punkte angelangt, wo wir wieder auf den Erklärungsbegriff mit einigen Worten ein- gehen müssen, denn die beiden skizzierten Grundansichten werfen immer und immer wieder einander vor, daß sie »nichts« erklärten. Wir wollen diese Erörterung nicht abstrakt, vielmehr in enger Anlehnung an das Gesagte führen. Bezüglich der Descendenztheorie sind zwei Fragen möglich ; einmal : ist sie berechtigt ? und zweitens : was leistet sie, wenn sie es ist? Hören wir über letztere Frage die trefflichen Ausführungen Liebmann's: - 48 - »Angenommen, die Descendenztheorie . . . wäre fertig, der große Stammbaum der organischen Naturwesen läge offen vor uns aufgerollt ; und zwar nicht als Hypothese, sondern als historisch-konstatiertes Faktum , was hätten wir dann ? Eine Ahnengallerie, wie man sie auf fürstlichen Schlössern auch findet; nur nicht als Fragment, sondern in abgeschlossener Totalität.« Mit diesen Worten wird der »erklärende Wert« der bezeichneten Theorie von unserm Philosophen charakterisiert. Und warum, weil »zum mindesten« Fortpflanzung und Vererbung unerklärt blieben, aber auch im übrigen die darwinistische Ab- stammungslehre nur «causae occasionales« , wie etwa Wärme, Feuchtigkeit etc., darbietet und von ihrem unbe- stimmt reaktionsfähigen Substrat gar nichts weiß. Mit diesen Worten ist zweierlei gesagt ; einmal , daß bloßer Nachweis von Aufeinanderfolge nicht gleichbe- deutend mit Erklärung ist , ein auch von H i s besonders betonter Satz , und zweitens , daß der Darwinismus , wie auch G o e 1 1 e , trotz der von ihm in gewisser Hinsicht geschaffenen Klarheit, da er über Fortpflanzung, Vererbung und Variabilität nichts aussagt, eine »Erklärung« seiner Fundamente gar nicht in Angriff nimmt. Da nun weiter von W o 1 f f und anderen gezeigt ist, daß die darwinistische »Variabilität«, könnte sie auch näher bestimmt werden, zur Erklärung gewisser morpho- logischer Phänomene nichts leisten kann, so sind mit unseren bisherigen Erörterungen im ganzen zwei Dinge erledigt, die sich in folgenden Sätzen aussprechen lassen. Descendenz an und für sich kann nur eine Ahnengallerie liefern, und ferner: die Theorie der zufälligen Formbildung, der eigentliche Darwinismus, ist jedenfalls unzureichend. Prüfen wir nunmehr den möglichen erklärenden Wert der gesetzlichen Formbildungsansicht. Da ihr kontradik- torisches Gegenteil unzureichend ist, so folgt ihre prinzipielle Richtigkeit. Nehmen wir nun beispielsweise an, der Form- bildungsprozeß wäre als der Krystallisation im Wesen ver- wandt in irgend einer Weise erkannt worden, ein Stadium der Ontogenese lehrte uns zugleich mit mathematischer Sicherheit alle vorhergehenden und alle folgenden kennen, — 49 Wäre das eine »Erklärung« der Formen? Ich glaube nicht und muß hier sowohl Spitzer wie Roux ent- gegentreten. Auch wenn wir »die aufgefundenen kon- stanten gestaltbildenden Wirkungsweisen des lebenden Substrates selbst wieder von noch allgemeineren Wirkungs- weisen abzuleiten und diese selber schließlich gleich den mechanischen Massenwirkungen auf im Bereiche des An- organischen erkannte Wirkungsarten, resp. auf die ihnen supponierten Kraftformen zurückzuführen« vermocht hätten, auch dann, wenn also etwa eine der Goette' sehen ähn- liche, aber umfassendere Leistung mit Sicherheit durch- geführt wäre, fehlte die Beantwortung der einen Frage : weshalb gerade diese Erscheinungen, meinet- wegen Formbildungssysteme, warum nicht mehr, warum nicht weniger, warum nicht andere? Die Krystallographie hat die analoge Frage gelöst, indem verschiedene Forscher und namentlich Sohncke eine Theorie plausibel zu machen wußten (regelmäßige Punktsysteme), welche gerade diese und nur diese Krystallformen erklärte. Erst nach Lösung dieser Frage kommen wir an die »Probleme höherer Ordnung«, deren eines die Funktion der Qualität ist, während ein weiteres die Frage anregt: warum nun diese und keine andere Naturnotwendigkeit. Hier aber grenzt die Naturwissenschaft an die Metaphysik. Wie weit die Theorien der gesetzlichen Formbildung von diesen gegebenen Grenzen des Erkennens noch entfernt sind, ja daß sie positiv noch gar nichts, auch nur im ersten Stadium erklärt haben, brauche ich wohl nicht besonders zu betonen. Dem Unwert der Descendenztheorie, der Falsch- heit der Theorie der zufälligen Formbildung reiht sich als drittes das Nichtwissen von gesetzlicher Gestaltung an ; ein nicht sehr erfreuliches Resultat. Unsere bisherige Untersuchung hat uns gezeigt, daß das Problem der Morphologie weder durch die im Dar- winismus ihren Ausdruck findende historische Auffas- 4 — SO — sungsart gelöst wird,- weil besonders der erweitert gefaßte Vererbungsbegriff zeigt, daß sie eben kein historisches Problem ist *), daß aber auch andererseits die thatsächlich geäußerten Auffassungen einer Gesetzlichkeit der morpho- logischen Prozesse nicht mehr zu sein beanspruchen dürfen als Hypothesen allgemeinsten Charakters oder vielmehr als Direktiven ; daß sie zumal den Theorien der theore- tischen Physik deshalb bedeutend nachstehen, weil sie selbst im günstigsten Fall nie eine quantitative Erklärung zu leisten vermöchten. Nachdem so die Thatsache unserer völligen Un- kenntnis in Sachen der Morphologie kritisch aufgedeckt ist, wird es angebracht erscheinen, eine kurze Untersuchung über die Wege anzuknüpfen , welche die Vernichtung dieser betrübenden Thatsache wenigstens vorbereiten, wenn nicht beginnen könnten. Die Ergebnisse der Erkenntnis- theorie und das Beispiel der theoretischen Physik werden uns bei dieser Skizze leiten ; was wir im Kapitel II aus- führten, wird uns hier nochmals von Nutzen sein. Ich will der systematischen Darlegung der zu ent- wickelnden Idee einen kurzen Abriß bezüglicher Ansichten von Wilhelm Roux vorausschicken, zumal wir dieses Forschers klare Aeußerungen über »Entwickelungs- mechanik« im speziellen Teil übergingen, da sie eben keine realen Förderungen unseres Wissens, sondern Direk- tiven sind. Unmöglich kann ich hier , wo diese Betrachtungen anhangsweise gepflogen werden , die Gesamtheit der Ge- sichtspunkte wiedergeben, mit denen Roux in geistreicher Weise das erste Heft seiner »Beiträge zur Entwickelungs- mechanik des Embryo« einleitet. Ich will versuchen, die Hauptpunkte hervorzuheben. Nach Ampere 's Vorgang2) bezeichnet man den einen Hauptteil der Mechanik als Kinematik oder 1) Man vergleiche hierzu u. a. Preyer, in dessen „Natur- wissenschaftliche Thatsachen und Probleme". Das Charakte- ristische des historischen Faktums dürfte seine Abhängigkeit von einem bestimmten Zeitpunkt und einem bestimmten Ort sein, im Gegensatz zu naturgesetzlichen Fakten. 2) Vgl. z. B. den ..Grundriß der Mechanik" von Lühroth, an den ich mich hier eng anlehne. — 5i - Phoronomie, derselbe lehrt die näheren Umstände kennen , welche eine Bewegung charakterisieren , er ist eine rein mathematische Wissenschaft — sagen wir: er ist mathematische Formulierung. Die Kinetik dagegen untersucht einerseits die Ursachen der Bewegungen, die Kräfte und löst ferner die Aufgabe , bei gegebenen Kräften die Bewegungen zu bestimmen. Sie ist eine phy- sikalische Wissenschaft und zwar — fügen wir hinzu die fundamentalste, da das Endziel aller anderen physika- lischen Disziplinen die Rückführung auf Kinetik ist. Wir sehen somit unser aus der Erkenntnistheorie geschöpftes Postulat des Ganges wissenschaftlicher Erkenntnis hier realisiert. Nachdem nun R o u x diese Begriffe erläutert, wendet er sie auf das Problem der morphologischen Entwickelung an. Kinematik der Entwickelung ist also: »die vollkommene Beschreibung aller . . . Entwickelungsvorgänge als Substanzbewegungen der Teile des Eies ... bis zur vollen Entwickelung des Individuums, gestützt auf die vollkommene Kenntnis der Anordnung und äußeren Be- schaffenheit jedes kleinsten . Teilchens des befruchteten Eies«, während unter Kinetik der Ent wickel ung die Ableitung der künftigen Entwickelungsbewegungen aller Teilchen aus den »gegenseitigen Lagerungsbeziehungen aller Teile des Eies im Moment des Entwickelungsbe- ginnes, nebst den Beschleunigungen, die jedem derselben dabei erteilt worden sind und den den Teilchen immanenten Kräften selbst« verstanden wird, mit welcher Ableitung zu- gleich »alle inneren Ursachen der Entwickelung eines ein- zigen Momentes der Entwickelung und weiterhin noch alle von außen hinzukommenden Komponenten während des ganzen Verlaufs derselben bekannt wären.« Kinematik und Kinetik zusammmen ergeben die Me- chanik der Entwicklung, als die »Wissenschaft von der Beschaffenheit und den Wirkungen derjenigen Kombina- tionen von Energie, welche Entwickelung hervorbringen.« Es gereicht dieser Auseinandersetzung von Roux zum ganz besonderen Vorteil, daß sie zunächst nur eine Direktive, keine Theorie sein will. Sie erstreckt sich auf den täglich von uns zu beobachtenden morphologischen 4:i: Prozeß der »Ontogenie« die Methode muß anwendbar sein kraft der Natur unseres kausalen und zwar speziell mathematisch-kausalen Erkenntnisvermögens. Es ist für sie völlig einerlei, ob die Descendenztheorie richtig, oder teilweise berechtigt, oder ganz falsch ist ; sie will die Mor- phologie der Organismen auf gleiche Stufe des Wertes zu stellen versuchen, wie die Fürstin aller Wissenschaften, die Physik, sie einnimmt. Daß der Weg, den diese Methode zur Erreichung ihres Zieles gehen kann, vorwiegend der des Experi- mentes und ferner die analytische Verwertung des von Experiment und reiner Beobachtung Dargebotenen ist, aber kein Entwerfen unkontrollierbarer Hypothesen , hat R o u x an anderer Stelle trefflich erörtert. Wir werden darauf nochmals rekurrieren, nachdem wir zunächst den Weg , den morphologische Forschung sich zu gehen be- mühen müssen wird, wenn anders sie des stolzen Namens wert sein will, etwas näher dargelegt haben werden. Machen wir in unseren Gedanken hinsichtlich aller speziellen Hypothesen , Theorien und Glaubenssachen, die über Morphologisches aufgestellt sind, völlig tabula rasa; denken wir uns, wir kennten lediglich beschreibend eine große Zahl erwachsener meinetwegen Tierformen1) und eine beschränkte Zahl Ontogenien. Bei dieser vor- urteilslosen Betrachtungsweise wird es sich dann bald herausstellen, daß an der Kenntnis bloß erwachsener Formen etwas fehlt ; nur die beschreibende Kenntnis des ganzen Bildungsprozesses wird als erschöpfend angesehen werden können. Greifen wir uns einen solchen Bildungsprozeß heraus. Unschwer erkennen wir zwei Etappen an ihm : die erste schafft in allmählichem Werden die Grundzüge der Gestaltung, die zweite verziert gleich- sam mehr und mehr die Stadien dieses Prozesses, das Material wird ungleichartig an Aussehen und Funktion. Schon Bär hat bekanntlich etwas diesem Fundamental- unterschied Aehnliches ausgesprochen. Seine Begriffe etwas modifizierend, wollen wir, uns an Goette anleh- nend, die erste Etappe als die den Typus darstel- 1) Wir beschränken uns überhaupt liier auf zoologische Morphologie. Manches dürfte ja zugleich auf Botanik passen. - 53 — lende bezeichnen, die zweite als die der D iff erenzie- rung des Materials, wobei Typus zunächst nur ein Wort für den gerade vorliegenden Prozeß sein soll. Roux hat in seinem dritten Beitrag zurEntwickelungs- mechanik die erste Etappe als die Periode der organ- bildenden, die zweite als die der funktionellen Entwicklung bezeichnet , Ausdrücke , die wir auch ge- legentlich verwenden werden. Der Morphologie, wie sie uns hier angehen soll, werden wir vornehmlich die erste Etappe zuzurechnen haben , auf die wir uns hier beschränken wollen ; zwar ist sie ja nicht ganz von der anderen zu trennen, vielmehr greift das Wirken dieser immer mehr und mehr in jene hinein. In jedem beliebigen Stadium nun sehen wir den wer- denden Körper aus Zellen gebildet1)', wir können daher zunächst einmal jedes Stadium des Formbildungsprozesses ansehen als charakterisiert durch die Lagebe- ziehungen der Konstituenten zu einander und ihre je nach Lage bestimmte Natur (histo- logischer und chemischer Art), den Prozeß als Ganzes aber durch die Folgeart dieser Stadien. Finden wir die Ontoge- nien zweier Nachkommen derselben Eltern verschieden in irgend einem Punkte, so wird sich auch diese Ver- schiedenheit in den Lagebeziehungen der Konstituenten zu einander oder in ihrer je nach Lage bestimmten Natur äußern müssen ; wir haben also gleichzeitig einen Ausdruck für die Varia- bilität gewonnen. Es kann also die Variabilität von zweierlei Art sein, wie das » oder « unseres Satzes aussagt. Ich will dieselben als die morphologische und die histologische Variabilität bezeichnen, Begriffe, deren praktische Verwertbarkeit uns zunächst weniger als ihre logische Berechtigung interessiert. Unsere Etappe der Typenbildung2) zeigt nun zwei 1) Da gesagt ist , was wir unter Morphologie verstehen wollen, so können wir die Zelle als vorhanden annehmen : wir untersuchen jetzt nur das Wesen unserer Morphologie. 2) Wie gesagt, ist uns „Typus" zunächst nichts mehr als ein Wort, das das Charakteristische der Formbildung etwa einer Schnecke gegenüber einer Muschel bezeichnen soll. — 54 — Stufen. Die erste reicht bis zur Vollendung der Furch ung und ist durch Mangel des Wachstums ') des Gesamtkeims charakteri- siert, die zweite beginnt mit dem ersten Wachstumsprozeß und leitet die Folge der Wachstumsprozesse ein, die sich wegen ihrer ungleichen Verteilung und Intensität als F altungen darstellen , welche von gekrümm- ten Flächen ausgehen. Fassen wir nun die erste Stufe des Formbildungsprozes- ses , die Zerlegung des Eies in Teile2) in's Auge. Wie wir im speziellen Teil ausgeführt haben, ist man durch exakte Betrachtung der Zellwandrichtungen dahin gelangt, für das Zellenkomplexe beherrschende Prinzip die Kräfte der Oberflächenspannung zu supponieren. Jedes Stadium der Ontogenese der Tiere würde danach einen Gleichgewichtszustand dünner Lamellen repräsentieren. Es ergiebt sich nun für die exakte Morphologie als Ver- such einer mathematischen Analyse die Aufgabe, für die den Furchungsprozeß darstellende Folge von Gleichgewichtszuständen einen möglichst einfachen d. h. eben geometrischen Ausdruck zu finden. Lotze hat uns gelehrt, nicht in mathema- tischer Formulierung als solcher etwas Verdienstliches zu sehen, vielmehr, sobald diese auf Konkretes angewandt wird, den aus dem Wesentlichen des Objekts gewonnenen Standpunkt, auf den die geometrische Betrachtung sich stellt, ganz besonders scharf zu prüfen. Dieses Wesent- liche kann zunächst nur durch inexakte , beschreibende 1) Nach E-oux soll die Furchung ohne Sauerstoffzufuhr ab- laufen können. Daß sie nicht vom Wachstum begleitet ist, zeigen alle Mitogenetischen Spezialarbeitern Nebenbei bemerkt, verliert die Sachs' sehe Auffassung der Zellteilung als Folge von Wachs- tum hierdurch ihre allgemeine Gültigkeit. 2) Räuber hat diesen Abschnitt der Entwicklung als nu- merisches Wachstum bezeichnet, wie er überhaupt die Stufen der Formbildung scharf auseinander hielt; ich halte den Namen für unpassend ; wozu soll durchaus jeder dieser Abschnitte als „Wachstum" bezeichnet werden , zumal es das Charakteristische des hier Betrachteten eben ist, daß ihm Wachstum fehlt. — Raub er braucht bei jeder seiner Unterarten des ..Wachstums" dieses Wort in anderem Sinn, Erfahrung gewonnen werden. — Ich glaube nun, sobald der geometrische Betrachtungsversuch auf die Aufeinanderfolge der Teilungsrichtun- gen , w i e sie etwa die Kernspindeln darbieten, sein Augenmerk richtet, wird er nicht so sehr gee:en die Lotze'sche Mahnung verstoßen. Doch soll dies nur ein Vorschlag sein , für dessen nähere Begründung hier nicht der Ort ist. Der Aufsuchung geometrischer Gesetzlichkeit wird nun einerseits die Vergleichung der an verschiedenen Objekten gewonnenen Resultate, eventuell ihre Ordnung in Reihen, nach ihrer Aehnlichkeit, wie H i s sie sich für die Wachstumsformeln dachte, zur Seite gehen müssen, ferner wird aber der Versuch in das Wesen der wirken- den Kräfte einzudringen sich bemühen, um der Kinematik die Kinetik hinzuzufügen; das Experiment, das unter den Händen von Roux, O. und R. Hertwig und anderen ja schon manches von Bedeutung zu Tage förderte, wird weit mehr zu pflegen sein als bisher. Endlich wird die mehr und mehr vertiefte Lehre von der Zelle wertvolle Beiträge liefern. Bezüglich der zweiten Formbildungsphase , des ge- setzlichen WTachstums, gilt natürlich im allgemeinen auch das eben Gesagte mit selbstverständlicher Modifikation. Wir sahen, daß hier H i s das Programm einer Kinematik entworfen hat. Die typenbildende Etappe ist erörtert; wir zeigten, wie sie behandelt werden kann, ja muß. Skizzieren wir noch flüchtig, was sie uns wird lehren können. Ihre ma- thematische Behandlung, vereint mit experimenteller For- schung, wird mechanische Gesichtspunkte, mechanische Erklärung erzielen; denken wir uns diese erreicht, dann werden wir wissen — das Vererbungsproblem nehmen wir auch als gelöst an, seine Lösung als folgend aus der all- gemeinen mechanischen Erkenntnis — ob die Formbildung durchaus dem Krystallisationsprozeß gleicht oder nicht, ob die »Funktion der Qualität« bei ihr eine Rolle spielt, ob es isolierte Typen im Sinne der älteren Forscher giebt, oder ob äußere Agentien den Vererbungsweg wesentlich zu modifizieren imstande sind; dann werden wir wissen, ob die Gesetzlichkeit der Formbildung als allgemeine Ab- - 56 - stammung auch des für »Typen« Gehaltenen ihren Aus- druck fand, kurz, ob die allgemeine Descendenz- theorie berechtigt ist oder nicht. Gegenwär- tig können jwir über diesen Punkt gar nichts sagen, wenn auch, wie gesagt, die Theorie beschränkter Abstammung innerhalb einer ähnlichen Gruppe große Wahrscheinlichkeit zeigt. Aber auch in solchen Fällen, wie sie Bär und neuerdings Mars hall in einer Rede zusammenstellte, muß jeder Fall einzeln geprüft werden. Für die vorurteilsfreie Auffassung sind »Ty- pen« wohl noch ebenso gut da, wie sie es für den alten Bär waren. Von einer wirklichen Erkennt- nis der Möglichkeit des Hervorgehens einer Reihe aus der anderen oder zweier aus einer dritten etc. ist gar keine Rede. Es ist ja möglich, daß das von unserer »Phylogenie« Behauptete, richtig ist, wir wissen es aber nicht; wir wissen nicht einmal, ob es richtig sein kann. Um es nochmals zu sagen, so kann Descendenz bis jetzt nur innerhalb kleiner Gruppen, wo wirklich im Ent- wicklungslauf ein Stadium ans andere gefügt wird (Scholle) und in einigen anderen Fällen wahrscheinlich gemacht werden; nicht ganz unwahrscheinlich ist hier wohl auch die steigernde Wirkung der Selektion, jedoch nach er- folgter bestimmter, mehr einer deutlichen Auslösung, als einem unbestimmten Hervorrufen ihr Dasein verdankender Variabilität x). Wären wir aber auch über all' diese Dinge im Rei- nen, so wären wir doch noch nicht fertig. Die letzten Etappen der Formbildung bauen das als mechanisch er- kannt vorausgesetzte Gebäude aus, sie prägen den ent- standenen Teilen seinen spezifischen Charakter auf, sie schaffen seine Physiologie, seine Zweckmäßigkeit. Wie schon erwähnt, hat wohl R o u x einen Teil derselben plausibel gemacht, ein anderer, äußerlich hervortretend, mag immerhin der Darwin' sehen Selektion sein Zu- standekommen verdanken, ein großer dritter Teil, Er- scheinungen wie sie von Pflüg er und Nägeli zusam- mengezählt und von letzterem vergeblich d. h. nur durch Einführung anderer Unbekannten zu deuten versucht sind, 1) Vgl. z. B. Eimer. — 57 - bleiben uns zur Zeit ein Rätsel, zu dem uns jeder Schlüs- sel fehlt. Sollte sich einst die allgemeine Descendenztheorie als berechtigt erwiesen haben, so wird es nicht ohne Interesse sein, den Stammbaum aller Formen zu erforschen ; auch jetzt ist die Ergründung der kleinen paläontologischen Reihen, deren Descendenz wahrscheinlichist, gewiß berech- tigt. Aber auf anorganischem Gebiet geht die historische Wissenschaft, die Geologie, in zweiter Linie neben der nicht historischen Physik (im weiteren Sinne) einher, sie wendet die Lehren an, welche ihr die Schwester, die an philoso- phischem Wert so unendlich viel höher steht, darreicht. So wird auch einst das Verhältnis der dann vielleicht begründeten historischen Biologie zu ihrer exakten Schwester sein, beide gleichsam Abkömmlinge ihrer anor- ganischen Repräsentanten. Bis dahin aber ist das Festhalten an den Prinzipien der strengen Wissenschaft für die Morphologie vor allem wichtig; mag es auch nicht so scheinen, sie wird doch rascher vorwärtskommen als durch Hypothesen proble- matischen, unexakten Charakters. Notwendig ist vor allem, stets eingedenk zu bleiben daß die trockene Beobachtung, Beschreibung und Kritik, die denkende Analyse und das zeitraubende Experiment, obwohl sie in weniger glänzendem Gewände einhergehen als alles umfassende Hypothesen, doch nicht zu verachten, sondern hochzuhalten sind ; daß ihre Vertreter das Ziel der philosophischen Naturwissenschaft vor Augen haben, welches nicht Historie ist, sondern die Erforschung der von bestimmter Zeit und bestimmtem Ort unabhängigen universellen Naturgesetzlichkeit, wie sie so herrlich ge- schildert ist in den Worten : Aber im stillen Gemach entwirft bedeutende Zirkel Sinnend der Weise, beschleicht forschend den schaffenden Geist, Prüft der Stoffe Gewalt, der Magnete Hassen und Lieben, Folgt durch die Lüfte dem Klang, folgt durch den Aether dem Strahl, Sucht das vertraute Gesetz in des Zufalls grausonden Wundern, Sucht den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht. ' y Litteraturverzeichnis. 1. Berthold: Studien über Protoplasmamechanik, Leipzig 1886, Kapitel VII: Teilungsrichtungen und Teilungsfolge. 2. de Candolle: Considerations sur 1' e'tude de la phyllotaxie, Geneve, Bale, Lyon 1881. 3. Bütschli: Studien über die ersten Entwickelungserschei- nungen der Eizelle etc. Abhandlungen der Senkenberg'schen Ge- sellschaft, X, Frankfurt a./M. 1876, p. 203 ff. 4. Errera: Zellformen und Seifenblasen, Tageblatt der 60. Ver- sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Wiesbaden 1887. . 5. Pick: Spezielle Bewegungslehre in Hermann's Handbuch der Physiologie, Leipzig 1879. 6. G-oette: Entwickelungsgeschichte der Unke, Leipzig 1875, 7. Haeckel: Generelle Morphologie der Organismen I, Berlin 1866, Buch IV: Generelle Promorphologie. 8. H i s : Die erste Entwickelung des Hühnchens im Ei, Leipzig 1868. 9. His: Unsere Körperform und das physiologische Problem ihrer Entstehung, Leipzig 1874. 10. Lieb mann: Zur Analysis der Wirklichkeit, Strasburg 1880. Abschnitt II, p. 273 : Ueber den philosophischen Wert der mathe- matischen Naturwissenschaft, p. 313: Piatonismus und Darwinismus, p. 358 : Das Problem des Lebens. 11. Lotze: Allgemeine Physiologie des körperlichen Lebens, Leipzig 1851, Buch II, Kapitel 3: Von der Mechanik der Gestalt- bildung. 12. Bauber: Formbildung und Formstörung in der Entwicke- lung von Wirbeltieren, Morph. Jahrb. VI. 13. Raub er: Tier und Pflanze, Leipzig 1881. 14. Raub er: Neue Grundlegungen zur Kenntnis der Zelle, Morph. Jahrb. VIII. 15. Roux: Die Verzweigungen der Blutgefäße, Jen.j Zeitschr. XII. 16. Roux: Die Bedeutung der Ablenkung des Arterienstammes bei der Astabgabe, Jen. Zeitschr. XIII. 17. Roux: Der Kampf der Teile im Organismus, Leipzig 1881. - 59 - 18. Roux: Reiträge zur Morphologie und Physiologie der funktionellen Anpassung. I. Struktur eines hoch differenzierten binde- gewebigen Organs, Archiv f. Anat. u. Phys., anat. Abt. 1883. 19. Roux: Beiträge zur Eotwickelungsmechanik des Embryo, I, Zeitschr. für Biologie XXI. 20. Roux: Dsgl. III, Breslauer ärztliche Zeitschrift, 1885. 21. Roux: Die Entwickelungsmechanik der Organismen, eine anatomische Wissenschaft der Zukunft, Wien 1890. 22. Sachs: Die Anordnnng der Zellen in jüngsten Pflanzen- teilen, Arb. a. d. bot. Inst. Würzburg, Bd. IL 23. Sachs: Zellenanordnung und Wachstum, ebenda. 24. Schwendener: Das mechanische Prinzip im Bau der Monocotyledonen, Leipzig 1874. 25. Schwendener: Mechanische Theorie der Blattstellungen, Leipzig 1878. 26. Schwendener: Ueber die durch Wachstum bedingte Verschiebung kleinster Teilchen in trajektorischen Kurven, Sitz.-Ber. der Berl. Akad. d. Wiss. 1880. 27. Spitzer: Beiträge zur Descendenztheorie, Leipzig 1886, Kapitel I, 5 : Die embryologische Beweisgruppe. 28. Zimmermann: Die Morphologie und Physiologie der Pilanzenzelle, Breslau 1887. Abschnitt II, Kapitel VI: Mechanik der Zelle und Abschnitt, I, Kapitel XIX: Zellwachstum. ■ Verlag von Gustav Fischer in Jena. 0. und R. Hertwig. 1885. Preis: 1 Mark 60 Pf. — Heft 5. Ueber den Befruchtungs- und Teilungsvorgang des tierischen Eies unter dem Einflufs äufserer Agentien. Von O. und R. Hertwig. Mit 7 litho- graphischen Tafeln. 1887. Preis: 8 Mark. — Heft 6. Experimentelle Studien am tierischen Ei vor, während und nach der Befruchtung I. Von O. Hertwig. Mit 3 lithograph. Tafeln. Preis: 3 Mark. T"TpiH"WlQ* ^r' Oscar, o. ö. Professor der Anatomie und Direktor des II. c3? anatomischen Institutes an der Universität Berlin, Lehr- buch der Entwicklungsgeschichte des Menschen und der Wil'belthicre. Dritte theilweise umgearbeitete Auflage. Mit 339 Abbil- dungen im Texte und 2 lithographischen Tafeln. 1890. Preis: broschirt 11 Mark, in Callico gebunden 12 Mark. TT£HrTT7l7'l CP Dr. Oscar, Professor der Anatomie und Direktor des II Anatomi- Xlt^I tWlö) sehen Instituts an der Universität Berlin, Die SymMOSe Oder das Genossenschaftsleben im Tierreich. Vortrag in der ersten öffentlichen Sitzung der 5. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Freiburg i. B. am 18. September 1883 gehalten. Mit 1 Tafel in Farben- druck. Preis : 1 Mark 80 Pf. TT£H*tY\n fV ^r' ^*' Pr°fessor an der Universität Berlin, und Hertwig, Dr. R., XltJlLVY lö? Professor an der Universität München, Studien ZUl'Blätter- tlieorie. Heft l. Die Actinien anatomisch und histologisch mit beson- derer Berücksichtigung des Nervensystems untersucht. Mit 10 Tafeln. Preis: 12 Mark. — Heft 2. Die Chaetognathen, ihre Anatomie, Syste- matik und Entwicklungsgeschichte. Eine Monographie von Dr. O. Hert- wig. Mit 6 Tafeln. Preis: 6 Mark. — Heft 3. Ueber den Bau der Ctenophoren. Von Dr. R. Hertwig. Mit 7 Tafeln. Preis: 6 Mark. — Heft 4. Die Coelomtheorie, Versuch einer Erklärung des mittleren Keim- blattes. Von Dr. 0. Hertwig und Dr. R. Hertwig. Mit 3 Tafeln. Preis: 4 Mark 50 Pf. — Heft 5. Die Entwickelung des mittleren Keim- blattes der Wirbeltiere. Von Dr. Oscar He r twig. Mit 9 Tafeln. Preis : 8 M. KÖllikor A von' Geheimrat> Professor, Per jetzige Stand der morphologischen Diseiplinen mit Bezug auf aiigem. Fragen. Rede, gehalten bei Eröffnung der 1. Versammlung der Anatom. Gesellschaft zu Leipzig am 14. April 1887. Preis: 60 Pf. T^rkTa/^llAlt Dr E Und Heider' Dr. K , Privatdocent.'ii an der Universität JYOIfeOIieiL, Berlin. Lehrbuch der vergleichenden Ent- wicklungsgeschichte der wirbellosen Thiere. Erste Liefe- rung. Mit 225 Abbildungen im Text. Preis: 7 .Mark. Die zweite Abtheilimy ist in Vorbereitung, Dr. Arnold , Professor der Zoologie an der Universität Zürich, Ueber den Einflufs der festsitzenden LebenS- WeiSC ailf die Thiere und über den Ursprung der ungeschlechtlichen Fortpflanzung durch Teilung und Knospung. Preis: 3 Mark. — Mittel und Wege phylogenetischer Erkenntnis. Erste öffentliche Rede, gehalten am 27. Mai 1887 in der Aula der Universität zu Jena, entsprechend den Bestimmungen der Paul von Ritter'schen Stiftung für phylogenetische Zoologie. Preis : 1 Mark 50 Pf. Lang, Verlag von fiustav Fischer in Jena. .Lang, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie, zum Gebrauche vergleichend anatomischen und zoologischen Vorlesungen. Neunte gänzlich umgearbeitete Auflage von Eduard Oscar Schmidt's Handbuch der verglei- chenden Anatomie. 1. Abtheilung mit 191 Abbildungen. — 2. Abtheilung mit 193 Abbildungen. Beide Abtheilungen zusammen .10 Mark 50 Pf. Die dritte Abtheilung ist in Vorbereitung. Zur Charakteristik der Forschungswege vonLamarck und Darwin. Gemeinverständlicher Vortrag. Preis : 80 Pf. Tllko D Hack' MD' FRCP' LL- D-i fleist und Körper. Studien über' die Wirkung der Einbildungskratt. Autorisirte Ueber- setzung der 2. Auflage des englischen Originals von Dr. H. Kornfeld. 1888. Mit 2 Tafeln. Preis: 7 Mk. ^TviCkQ **u£° de, ord- Professor der Botanik an der Universität Amsterdam, V llt?ö? intracellulare Pangcnesis. 1889 Preis: 4 Mark. Die Pflanzen und Thiere in den dunkeln Räumen der Ilotterdamer Wasserleitung. Bericht über die biologischen Untersuchungen der Crenothrix-Commission zu Rotterdam vom Jahre 1887. Preis: 1 Mark 80 Pf. VorWOm Dr Max> Psycho-physiologische Protistenstudien. " Mit 6 lithographischen Tafeln und 27 Abbildungen im Text. Preis : 10 Mark. WpimnR-Tin **r' August, Professor in Freiburg i. B., Ueher die Hypothese einer Vererbung von Ver- letzungen» Vortrag gehalten am 20. Sept. 1888 auf der Naturforscher- versammlung zu Köln. Preis : 1 Mark 20 Pf. lieber Leben IHK! Tod. Eine biologische Untersuchung. 1884. Mit 2 Holzsciiiiitten. Preis: 2 Mark. Uebcr diC Vererbung. Ein Vortrag. 1883. Preis: 1 Mk. 50 Pf. ÜCber die Dauer des Lebens. Vortrag gehalten in der zweiten allgemeinen Sitzung der 54. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Salzburg am 21. Sept. 1881. 1882 Preis: 1 Mark 50 Pf. Die Entstehung der Scxualzelleii bei den Hydro- nied USen. Zugleich ein Beitrag zur Kenntniss des Baues und der Leuenserscheinungen dieser Gruppe. Mit einem Atlas von 24 Tafeln und 21 Figuren in Holzschnitt. Preis: 66 Mark. Die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage einer Theorie der Vererbung. 1885 Preis. 2 Mark 50 Pf. — Die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung für die SelektiOllStheOrie. 1886. Preis: 2 Mark 50 Pf. ZiollGn Dr> Tht' Docent in Jena Leitfaden der physiologischen 1 Psychologie in 14 Vorlesungen. Mit 21 Abbildungen im Text. Preis: 4 M. Froininaimsche Buchdruckerei (Hermann JfoMej in Jena. — 858 "* * •■