0 m ee he Die naturwissenschaftlichen 1 GH Dr EN Nr nn Fin YoRTRAG gehalten zu Wismar den 27. Mai 187& auf der Versammlung des Vereins der Freunde der Naturgeschichte in Mecklenburg von Hermann Freiherrn von Maltzan, 2 a Br 7 Präsidenten des Vereins, Re : Sp, f — uf [3 G= . (E en er EN een Ye = 2 er SEEN. 9,9 (Separat-Abdruck aus dem Archiv des Vereins.) 1874. Die naturwissenschaftlichen Museen und ihre Bedeutung für die Wissenschaft. Vortrag, gehalten auf der General - Versammlung des Vereins zu Wismar von Hermann Freiherrn von Maltzan -Federow. *) mern Man pflegte ursprünglich mit dem Worte Museum einen Ort zu bezeichnen, welcher den Künsten und Wissenschaften gewidmet war. So allgemein der Begriff auch gehalten ist, wir haben uns daran gewöhnt, ihn in engeren Grenzen auf beschränkte Gebiete anzuwenden. Eine Menge ver- schiedenartiger Institute werden jetzt als Museen be- zeichnet. Es ist aber nicht immer der wahre Kunst- oder wissenschaftliche Werth, der einem Institute diese hoch- tönende Benennung verleiht, sondern oftmals nur die Masse des vorhandenen und zum grossen Theile werth- losen Materials. Leider gilt dies vorzugsweise von den naturwissenschaftlichen Museen, welche uns hier aus- schliesslich beschäftigen und als deren Repräsentanten wir die Universitätsmuseen betrachten. Jede Universität besitzt ein sogenanntes Museum, eine mehr oder weniger reichhaltige Suite von natur- wissenschaftlichen Sammlungen. Die Aufstellung des vorhandenen Materials ist in neuerer Zeit sehr ver- bessert und das Ganze macht beim oberflächlichen Be- *) Der Herr Verfasser hat dem Wunsche der Versammlung, dass der Vortrag gedruckt werde, auf mehrfache Bitten doch noch gewillfahrt. cf. p. 11. schauen einen recht befriedigenden Eindruck. Leider ist damit aber auch Alles erschöpft, was man zum Lobe der Universitätssammlungen sagen kann. Einen wirk- lichen Nutzen für die Wissenschaft haben sie bisher nicht gehabt. Wer zum Zwecke wissenschaftlicher Forschungen die Universitätsinuseen besucht, macht in dieser Bezie- hung die traurigsten Erfahrungen. Der hierin liegende Vorwurf trifft aber nur in geringstem Maasse die Verwaltungsbehörden, welche - meistens im besten Glauben handeln; der tiefere und’ wahre Grund ist vielmehr in den traditionellen Ein- richtungen zu suchen. Die Erbsünde der Unersättlichkeit klebt den natur- wissenschaftlichen Instituten in erhöhtem Maasse an und Göthe’s Ausspruch: ‚in der Beschränkung zeigt sich erst der Meister“ ist an ihnen spurlos vorübergegangen. | Eine nutz- und zwecklose Anhäufung von Material, gestellt unter die Aufsicht eines unwissenschaftlichen Custoden, aufgestellt mit einer gewissen Prätension, um die Bewunderung des schaulustigen Publicums zu er- regen, das ist mit wenigen Worten ein Universitätsmuseum! Dass ein solches Institut aber einer Hochschule durchaus unwürdig und der Wissenschaft verloren ist, bedarf keiner weiteren Erklärung. Freilich giebt es rühmliche Ausnahmen und wo wissenschaftlich gebildete Custoden sich mit Hingebung ihrem Berufe gewidmet haben, da ward durch sie die Ehre der Museen gerettet, aber ihre Zahl ist gering und der Museen giebt es viele! Der neueren Richtung jüngerer Gelehrten, welche alle systematischen Arbeiten im bisherigen Sinne ver- achten und den naturwissenschaftlichen Museen und Sammlungen mit Geringschätzung begegnen — dieser neueren Richtung muss ich hier vor Allem energisch entgegentreten. Den Vertretern eines neuen, die Syste- matik verachtenden, Dogmas wäre es am liebsten, man brächte alle Sammlungen unter den Hammer und rüstete für das erlöste Geld Expeditionen aus, um den angehen- den Forschern das Lehr- und Reisegeld zu ersparen. Mag nun aber jemand die Systematik verachten oder nicht, der Werth naturwissenschaftlicher Sammlungen ist und bleibt ein unbestreitbarer; es sprechen zu viele praktische Gründe dafür. Meine Vorschläge zur Verbesserung oder richtiger Umgestaltung der bestehenden Museen beginnen nicht mit dem Nothschrei um Geld, sondern sie zeigen, dass ein Staat mit den disponiblen Mitteln durch Umgestal- tung der Museen die Wissenschaft auch ohne besondere Zuschüsse erheblich fördern und das Studium der Natur- wissenschaften erleichtern kann. Bevor wir die bestehenden Museen und deren mög- liche Umgestaltung in Betracht ziehen, müssen wir uns über den Zweck naturwissenschaftlicher Sammlungen klar zu werden suchen. Die Erkenntniss derjenigen Anforderungen, welche die Wissenschaft an uns stellt, wird uns dann den rich- tigen Weg zeigen, den wir einzuschlagen haben. Der Zweck naturwissenschaftlicher Sammlungen ist ein doppelter. Zunächst soll ein Lehrmaterial geschaffen werden, gewissermassen zum Anschauungsunterricht und zur Heranbildung für das Studium der Naturwissen- schaften. Dann aber, und dies ist die höhere Aufgabe, soll ein wissenschaftliches Material angesammelt werden, welches die Resultate wissenschaftlicher Forschungen enthält. Bevor wir aber auf diese Ideen näher eingehen, müssen wir die Grenzen der als naturwissenschaftlich bezeichneten Sammlungen feststellen. Wir haben es hier lediglich mit Sammlungen auf zoologischem, botanischen, paläontologischen und geog- nostischem Gebiete zu thun. Alle andern, namentlich die anatomischen Sammlungen sind von den entsprechen- den Lehrstühlen der Universität untrennbar. Wir betrachten nun zuerst die Aufgabe, ein geeig- netes Lehrmaterial zu beschaffen. 4 Unsere Gymnasien und Schulen fordern von der Jugend eine angestrengte Thätigkeit. Das Freiwilligen- Examen schreibt einen Minimalsatz nothwendiger Schul- kenntnisse vor. Wie viel verschiedenartiges und daher leider oberflächliches Wissen wird verlangt! aber bei alle dem bleibt die Natur, in der wir leben und weben, unserer Jugend ein verschlossenes Buch. Mit tiefer Be- schämung habe ich es gesehen, wenn Städter bei Land- partieen nicht einmal die dem Namen nach jedem be- kannten Culturgewächse oder unsere einheimischen Waldbäume erkannten! Wozu dient die oberflächliche Kenntniss todter Sprachen, was nützen die einzelnen Daten der alten Geschichte, wenn man bei all der schein- baren Gelehrsamkeit nicht einmal das kennen lernt, was uns umgiebt und erhält? Das Studium der Natur- geschichte, das wichtigste aller Studien, das Fundamert wissenschaftlicher Bildung ist in unerhörter Weise vernachlässigt! Mit Einführung besseren naturwissenschaftlichen Unterrichts in Gymnasien und sonstigen Schulen müssen auch naturwissenschaftliche Sammlungen Hand in Hand gehen. Man hüte sich aber ebenfalls bei Anlage und Fortbildung von Schulsammlungen vor Unersättlichkeit. Es ist hier nicht der Ort auf eine Einrichtung von Schulsammlungen speciell einzugehen, allein es gilt, ein weises Maass inne zu halten und ein dem Lehrsystem angepasstes Material für den Schulunterricht zu be- schaffen. Wie dies ohne Kosten geschehen kann, werde ich weiterhin zeigen; dass es aber eine Pflicht des Staates ist, hierzu die helfende Hand zu reichen, glaube ich mit den wenigen Worten dargethan zu haben. Der Hauptzweck naturwissenschaftlicher Samm- lungen im streng wissenschaftlichen Sinne dagegen ist ein höherer. Dienten die Schulsammlungen lediglich zum Vorstudium und nur indirect der Wissenschaft, so sollen die Universitätssammlungen dagegen die Wissen- schaft direct fördern helfen. | Jeder, der eine naturwissenschaftliche Arbeit ge- liefert hat, weiss, wie unvollkommen die Beobachtung eines Einzelnen ist. Nur durch eine lange Reihe von Untersuchungen und verschiedenartigen Beobachtungen kann ein sicheres Resultat erzielt werden. Haben wir einen Platz, wo die Resultate der Specialforschungen niedergelegt und im wissenschaftlichen Sinne conservirt werden, dann wird der jüngere Forscher aus den Arbeiten der älteren auch einen reellen Nutzen ziehen können. Es wird viel Arbeit erspart werden und die Wissen- schaft, soweit dies überall möglich ist, weit eher zum Abschluss gelangen. Die Forschungen nach der hier angedeuteten Rich- tung sind entwedersystematischer oder localer Natur, dem- gemäss müssen auch die Sammlungen resp. Museen ent- weder einenspecialen oder einen localen Charakter tragen. Die SpecialsammInngen umfassen ein wissenschaftlich begrenztes Gebiet, beispielsweise eine Klasse des Thier- reiches, denen ein wissenschaftlich gebildeter Oonser- vator beigegeben ist. Die Localsammlungen müssen da- gegen bestehen aus den mit grösster Genauigkeit ge- sammelten Vorkommnissen eines geographisch begrenzten kleineren Gebietes. Der wissenschaftliche Vortheil liegt klar zu Tage. Die Vereinigung eines grossartigen Materials, unter Leitung eines Specialisten, in dem die Resultate wissenschaftlicher Specialforschungen eine bleibende Stätte finden, wird wohl von allen Seiten mit Freuden begrüsst werden. Der Nutzen provinzialer Sammlungen für die wissen- schaftliche Forschung ist aber ein so mannigfacher, dass es zu weit führen würde, alle Vortheile hier auseinander- zusetzen. Ich werde hernach Gelegenheit haben, noch einiges darüber zu sagen. Wenn wir das so eben Gesagte zusammenfassen, müssen wir, abgesehen von den Sammlungen für Unter- richtszwecke, eine Theilung der naturwissenschaftlichen Museen in vorgeschlagener Weise für durchaus wünschens- werth halten. Wir können nun, nachdem wir uns über den Zweck naturwissenschaftlicher Sammlungen klar geworden sind, die bestehenden Museen einer Prüfung auf ihren wissen- schaftlichen Werth unterziehen. Sollte die Prüfung nicht zu Gunsten der Museen ausfallen, so dürfen wir, wie bereits früher gesagt, die Schuld nicht auf die Ver- waltungsbehörden oder die Leiter der Anstalten schieben, wir müssen sie vielmehr in den bestehenden traditionellen Einrichtungen suchen. Die geschichtliche Entwickelung der Museen wird wohl so ziemlich bei allen dieselbe gewesen sein. In ‚älteren Zeiten wurden von den betreffenden Lehrkräften naturhistorische sogenannte Raritäten zu einem „Cabinet“ vereinigt; es erfolgten Schenkungen von Gönnern und Liebhabern, später wurden auch wohl gelegentlich An- käufe gemacht, aber das Ganze war und blieb ein Raritäten-Cabinet. Die rapiden Entdeckungen der jün- geren Zeit namentlich auf zoologischem Gebiet forderten alsdann eine allgemeinere Vertretung. Es wurden Ge- bäude hergerichtet, wahrhafte Museumspaläste, Samm- lungen in Menge erworben; aber der Inhalt blieb nach wie vor ein unwissenschaftlicher, das Museum blieb ein Raritäten-Cabinet. Da begann die dritte Epoche. Neuere Lehrkräfte fühlten das Bedürfniss nach wissenschaft- lichem Material und es gelang ihnen, unter der Masse todten Sandes manches Goldkörnchen aufzufinden. Sie wandten Zeit und Mühe an Sichtung und wissenschaft- liche Bestimmung. Es begannen die Nothschreie um Geld. Das goldene Zeitalter für die Naturalienhändler war gekommen. Man musste doch etwas aufweisen können; kein Museum durfte zurückstehen. Die Sammlungen be- kamen einen wissenschaftlichen Anstrich, weiter nichts. In allerneuester Zeit, wo man eingesehen hat, dass bei dem unendlichen Reichthum der productiven Natur der einzelne sich durchaus auf ein kleines Gebiet be- schränken muss, haben die leitenden Kräfte einzelnen Partieen besondere Aufmerksamkeit geschenkt und diese wissenschaftlich zu bearbeiten gesucht. Ich sage aus- drücklich: gesucht. Gelingen konnte dies nicht beim jetzigen Stande der Museen. Die Grundbedingung für eine naturwissenschaftliche Sammlung von wirklich wissenschaftlichem Werth ist die genaue und durchaus sichere Angabe des Fundortes aller vorhandenen Objecte. Nur in ganz vereinzelten Fällen, wo es sich beispielsweise um eine Original- bestimmung oder äusserst seltene Repräsentanten handelt, kann eine Ausnahme von dieser wichtigen Regel ge- stattet sein. Es muss der alte Sauerteig ausgefegt wer- den, sollen die Universitätsmuseen jemals für die Wissen- schaft eine Bedeutung erlangen. Schulsammlungen, welche zum Anschauungsunterricht dienen und bei denen man sein Augenmerk lediglich auf richtige Ulassificirung und sichere Bestimmung zu richten hat, würden eine ganz vorzügliche Abzugsquelle für diejenigen Objecte bilden, welche ohne sichere Fundortsangabe massenhaft als Ballast in den Museen umherliegen. Die Menge des bekannten und beschriebenen Materials ist so ungeheuer, dass zur Bearbeitung eines universellen Museums in den hier gedachten Grenzen mindestens 20 Specialisten thätig sein müssten. Es könnte daher nur das Berliner Museum allein im deut- schen Reiche einen universellen Character behalten. Alle übrigen Universitäten müssen sich je nach den vor- handenen Mitteln auf Ein Gebiet oder doch immer nur wenige Theile des Ganzen beschränken. Ein Austausch des übrigen Materials unter den verschiedenen Museen würde die Concentrirung eines grossen zusammenge- hörigen Materials von hoher wissenschaftlicher Bedeu- tung zur Folge haben. Während jetzt die Universitäten sich eine nicht zu bewältigende und unnützliche Arbeits- last in ihren Museen aufgebürdet haben, würden die Specialsammlungen unter Leitung eines wissenschaft- lichen Specialisten in einem beschränkten Gebiete Grosses leisten können. Zugleich aber wäre ein bedeu- tendes und nützliches Lehrmaterial für den bisher so vernachlässigten Schulunterricht gewonnen. Die Mittel, welche den Universitätsmuseen zu Ge- bote stehen, sind leider im Vergleich zu dem, was die Wissenschaft mit Recht von uns fordert, nur gering, aber immerhin noch viel zu erheblich, um sie wie bisher in zweckloser Weise zu verschwenden. Werden die kleineren Universitäten ihre Thätigkeit auf ein bestimmtes Gebiet beschränken, dann können sie mit denselben Mitteln, welche jetzt wie ein Tropfen ins Meer fliessen, noch Bedeutendes leisten. Wer ein specielles Fach studirt, weiss dann, wohin er sich zu wenden hat, und selbst die kleinsten Universitäten können dann auch in naturwissenschaftlicher Beziehung noch von Bedeutung werden. Einen vollkommenen Gegensatz hierzu bilden die zu einem Provinzial-Museum zu vereinigenden Local- sammlungen eines geographisch begrenzten Gebietes. Handelte es sich dort um möglichst reiches Material aus einem wissenschaftlich oder systematisch begrenzten Ge- biete, so liegt der Schwerpunkt eines Provinzialmuseums in der völligen Exploration eines geographisch begrenzten Landgebietes. Ist der Nutzen eines einzelnen Provinzial- museums auch zum grossen Theil ein rein praktischer, so sind die Vortheile, welche die Wissenschaft aus der gründlichen Erforschung eines bestimmtes Landgebietes ziehen wird, dennoch gar mannigfache. Von ganz eminenter Bedeutung aber werden diese Localmuseen für die Wissenschaft werden, wenn erst grössere Ländergebiete gleichmässig durchforscht und die Resultate dieser Forschungen in den betreffenden Provinzialmuseen niedergelegt worden sind. Erst dann werden wir über die Gesetze der geographischen Ver- breitung Aufschluss erhalten. Solche Provinzialmuseen können sehr gut mit den zunächst liegenden Universitäten verbunden werden. Es würde auch damit dem schau- lustigen Publicum, welches vielleicht zu vornehm ist, eine Schulsammlung zu besichtigen, ein hübscher und zur Beobachtung der einheimischen Natur anregender Ersatz geboten werden. Nothwendig ist die Vereinigung der Provinzial- sammlungen mit einer Universität indessen nicht. Zur Pflege eines solchen Museums ist die selbsständige An- stellung eines wissenschaftlichen Conservatoren auf jeden Fall erforderlich. Den Provinzialsammlungen würden die Resultate einheimischer Forschungen, den Specialsammlungen hin- gegen die Ergebnisse ausländischer Expeditionen, je nach ihren Specialitäten, zuertheilt werden. Es versteht sich von selbst, dass ein Provinzialmuseum, weil sein Gebiet ein örtliches ist, in dieser Beziehung auch stets den Vorrang vor andern Sammlungen und Museen be- halten muss. Fassen wir das vorhin Gesagte zusammen, so er- giebt sich ein grosser Vortheil zu Gunsten der von mir vorgeschlagenen Methode. Während die jetzigen Museen mit ganz wenig Ausnahmen genau genommen gar keine wissenschaftliche Bedeutung haben und bei den immerhin beschränkten Mitteln auch keine Aussicht haben, je eine solche zu erlangen, werden die Special- und Provinzial- museen, weil sie sich auf ein bestimmtes Gebiet be- schränken, gar bald eine -grosse Bedeutung erlangen. Das in den Universitätsmuseen als Ballast umher- liegende todte Kapital wird aber als Lehrmaterial für Gymnasien und andere Schulen noch hundertfältige Früchte tragen. Es kann nicht ‘der Zweck eines kurzen Vortrages sein, ein so umfassendes und wichtiges Thema erschö- pfend zu behandeln. Nur die Grundzüge meiner Ideen wünschte ich der geehrten Versammlung mitzutheilen. Möchten meine Vorschläge in maassgebenden Kreisen ein williges Ohr und eine helfende Hand finden. Y BI ni | | II] LI | | I 0082 | | SMITHSONIAN 3 —— nn —— — —