75 7 * er 37 ION u, 1 150 — 193 * in ihrer deere 22 8 3 * = 1 0 d 5 Aan 2 PB. = . a sr: 3 eu ee - von En Bank. u. Sch * 7 d 2 in Beaunjdweig,,. war Pr * organiſche Chemie in Die ihrer Anwendung auf Agricultur und Phyſiologie. Juſtus Liebig, 2 Dr. der Medizin und Philoſophie, Profeſſor der Chemie an der Ludwigs-Univerſität zu Gießen, Ritter des Großherzoglich Heſſiſchen Ludwigsordens und des Kaiſerlich Ruſſiſchen St. Annenordens dritter Klaſſe, Ehrenbürger der Stadt Gießen, auswärtiges Mitglied der Königlichen Akademie der Wiſſenſchaften zu Stockholm, der Royal Society zu London, Ehrenmitglied der British association for the advancement of Science, Ehrenmit- glied der Königlichen Akademie zu Dublin, correſpondirendes Mitglied der Königlichen Akademieen der Wiſſenſchaften zu Berlin, München und St. Petersburg, des Königlichen Inſtitutes zu Amſterdam der Königlichen Societät der Wiſſenſchaften zu Göttingen, der naturforſchenden Geſellſchaft zu Heidelberg dc. ꝛc. ıc. Dritter unveränderter Abdruck. Braunſchweig, Verlag von Friedrich Vieweg eee 1841. N em unn 3703 er ar LES >} LER PR ' 2 7 %% e e u ar 5 * > . ri Fr * Wan 14 M Arenen, nern ese N * i 5 e en N AT e „ene e eee e in h. bes en de a - 7 ea a TE a ee 70 ie h ng ee Zur! rung re nr ande en e A EU Ze aa we, cen du ee unn Went ar eee e ee, , an N . ** Dune S ann ec ee e 3 h 2 115 Aae . are n e a 7 1 — e sn): Fam aer 1E a U ar et eee 4 * e eue eee eee ehe 7 2. — = ———ñ ̃ —Ü—2— —— — . N Meuse N nr En 1 bıraılıd AR 1 9 14 * 1 16 1 A An Alexander von Humboldt. Während meines Aufenthaltes in Paris gelang es mir, im Winter 182%, eine analytiſche Unterſuchung über Howard's fulminirende Silber- und Queckſilber-Verbindungen, meine erſte Arbeit, zum Vortrag in der Königlichen Akademie zu bringen. Zu Ende der Sitzung vom 22. März 1824, mit dem Zu⸗ ſammenpacken meiner Präparate beſchäftigt, näherte ſich mir, aus der Reihe der Mitglieder der Akademie, ein Mann und knüpfte mit mir eine Unterhaltung an; mit der gewinnendſten Freundlichkeit wußte er den Gegenſtand meiner Studien und alle meine Beſchäftigungen und Pläne von mir zu erfahren; wir trennten uns, ohne daß ich, aus Unerfahrenheit und Scheu, zu fragen wagte, weſſen Güte an mir Theil genommen habe. Dieſe Unterhaltung iſt der Grundſtein meiner Zukunft ge— weſen, ich hatte den für meine wiſſenſchaftlichen Zwecke mäch— tigſten und liebevollſten Gönner und Freund gewonnen. Sie waren Tags zuvor von einer Reiſe aus Italien zu— rückgekommen; Niemand war von Ihrer Anweſenheit unterrichtet. Unbekannt, ohne Empfehlungen, in einer Stadt, wo der Zuſammenfluß ſo vieler Menſchen aus allen Theilen der Erde das größte Hinderniß iſt, was einer näheren perſönlichen Be— rührung mit den dortigen ausgezeichneten und berühmten Na— turforſchern und Gelehrten ſich entgegenſtellt, wäre ich, wie ſo viele Andere, in dem großen Haufen unbemerkt geblieben “nr, . * 0 und vielleicht untergegangen; dieſe Gefahr war völlig abge— wendet. Von dieſem Tage an waren mir alle Thüren, alle Inſti⸗ tute und Laboratorien geöffnet; das lebhafte Intereſſe, welches Sie mir zu Theil werden ließen, gewann mir die Liebe und innige Freundſchaft meiner mir ewig theueren Lehrer Gay— Luſſac, Dulong und Thénard. Ihr Vertrauen bahnte mir den Weg zu einem Wirkungskreiſe, den ſeit 16 Jahren ich unabläſſig bemüht war, würdig auszufüllen. Wie Viele kenne ich, welche gleich mir die Erreichung ihrer wiſſenſchaftlichen Zwecke Ihrem Schutze und Wohlwollen verdanken! Der Chemiker, Botaniker, Phyſiker, der Drienta- liſt, der Reiſende nach Perſien und Indien, der Künſtler, Alle erfreuten ſich gleicher Rechte, gleichen Schutzes; vor Ihnen war kein Unterſchied der Nationen, der Länder. Was die Wiſ— ſenſchaften in dieſer beſondern Beziehung Ihnen ſchuldig ſind, iſt nicht zur Kunde der Welt gekommen, allein es iſt in un— ſerer Aller Herzen zu leſen. N Möchten ſie es mir geſtatten, die Gefühle der innigſten Verehrung und der reinſten, aufrichtigſten Dankbarkeit öffent— lich auszuſprechen. Das kleine Werk, welches ich mir die Freiheit nehme, Ihnen zu widmen, ich weiß kaum, ob ein Theil davon mir als Ei— genthum angehört; wenn ich die Einleitung leſe, die Sie vor 42 Jahren zu J. Ingenhouß Schrift »über die Ernäh— rung der Pflanzen« gegeben haben, fo ſcheint es mir im— mer, als ob ich eigentlich nur die Anſichten weiter ausgeführt und zu beweiſen geſucht hätte, welche der warme, immer treue Freund von Allem, was wahr, ſchön und erhaben iſt, welche der Alles belebende, thätigſte Naturforſcher dieſes Jahrhunderts darinn ausgeſprochen und begründet hat. Von der British association for the advancement of science habe ich 1837 in einer ihrer Sitzungen in Liver- pool den ehrenvollen Auftrag erhalten, einen Bericht über den Zuſtand unſerer Kenntniſſe in der organiſchen Chemie abzu— ſtatten. Auf meinen Antrag hat die Geſellſchaft beſchloſſen, den Herrn Dumas in Paris, Mitglied der Akademie, zu er— ſuchen, mit mir gemeinſchaftlich die Abſtattung dieſes Berichtes übernehmen zu wollen. Dieß iſt die Veranlaſſung zur Heraus— gabe des vorliegenden Werkes geweſen, worinn ich die organi— ſche Chemie in ihren Beziehungen zur Pflanzenphyſiologie und Agricultur, ſo wie die Veränderungen, welche organiſche Stoffe in den Proceſſen der Gährung, Fäulniß und Verweſung erlei— den, darzuſtellen verſucht habe. In einer Zeit, wo das raſtloſe Streben nach Neuem, oft jo Werthloſem der jüngeren Generation kaum einen Blick auf die Grundpfeiler geftattet, welche das ſchönſte und mächtigſte Gebäude tragen, wo dieſe Grundpfeiler, des äußeren Zierraths und der Tünche wegen, dem oberflächlichen Beobachter kaum mehr erkennbar ſind, wenn in dieſer Zeit ein Eindringling in fremde Fächer es wagt, die Aufmerkſamkeit und Kräfte der Naturforſcher auf Gegenſtände des Wiſſens zu lenken, die vor allen anderen längſt ſchon verdienten, zum Ziel und Zweck ihrer Anſtrengung und Bemühung gewählt zu werden, ſo kann man des Erfolges nicht gewiß ſein; denn wenn auch des Men— ſchen Wille, Gutes zu bewirken, keine Grenzen kennt, ſo ſind doch ſeine Mittel und ſein Können in engere Schranken einge— ſchloſſen. Ganz abgeſehen von den beſonderen Beobachtungen, die ich darinn zuſammengeſtellt habe, würde es für mich die größte Befriedigung ſein, wenn die Principien der Naturforſchung, welche ich in dieſem kleinen Werke auf die Entwickelung und Er⸗ nährung der Pflanzen anzuwenden Gelegenheit bekam, ſich Ihres Beifalls zu erfreuen das Glück hätten. Gießen, den Iſten Auguſt 1840. Dr. Justus Liebig. et. Erſter Theil. 4 Der Proceß der Ernährung der Vegetabilien. e ß SEHRER AESEERSLARRE AERRGEE SSERSERENEHE Die allgemeinen Beſtandtheile der Vegetabilien. .. ee n . Urſprung und Verhalten des Humus —————.H—..—.—.— Die Aſſimilatton des Waſſerſtoffs . e . . . .. 6. r. te . . . Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs .. e. Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien. eee. VVVVVVTCVVTVVVVſTVTTVTAVTAVJTT Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger... . . . . ..... Anhang zur Seite 57. Beobachtungen über eine Pflanze Ficus Australis), welche 8 Mo— nate hinter einander in dem Gewächshauſe des botaniſchen Gar— tens in Edinburg in der Luft hangend, ohne mit der Erde ſich in Berührung zu befinden, gelebt hat, von William Magnab, Director des Pflanzengartens in Edinburg. eee. Verſuche und Beobachtungen über die Wirkung der vegetabiliſchen Kohle auf die Vegetation, von Eduard Lucas. eie Ueber Ernährung der Pflanzen, vom Forſtrathe Dr. Th. Hartig....... VTV / ⅛˙w. ]³]ð?ĩ 1 Gründüngung in Weinbergen. (Aus einem Schreiben des Herrn Ver— —.. ] ˙ .. . themen %/%//// ĩ ĩͤ ÿ0rwww UAA.’ ’ 0 XII Zweiter Theil. = Der chemiſche Proceß der Gährung, Fäulniß und Verweſung Seite r . kennen Der 205 Die Urſache, wodurch Gährung, Fäulniß und Verweſung bewirkt wird 208 Gärung und Föulnn n 3 ER 217 Metamorphoſen ſtickſtofffreier Körper ... . . .. . .es eser. 224 Metamorphoſen ſtickſtoffhaltiger Körper....uncesesseesessssesessenennnnannnennnnn 226 Gihrung des Zur e eee 233 fe, men, . 236 Verweſunn ng (ntansanenensnnssanändraenannennneeh 244 Verweſung ſtickſtoffhaltiger Körper. — Eſſigbildung. . ieee 253 Verweſung ſtickſtoffhaltiger Materien. — Salpeterbildung. 259 Wein und tf! benNEekuns per neh eneehebnneh unse nn heran 264 Die Verweſung det 285 Dammerde. ER Bl MS FR NE 293 Vermoderung. — Papier, Braunkohle und Steinkohle. 295 Gift, Boninglen, ,,, “ 305 Erſter Theil. Der chemiſche Proceß der Ernährung der Vegetabilien. 22 8 4 1 5 7 8 u l eee . N Er : > F ele Gegenftand. Die organiſche Chemie hat zur Aufgabe die Erforſchung der chemiſchen Bedingungen des Lebens und der vollendeten Ent— wickelung aller Organismen. Das Beſtehen aller lebendigen Weſen iſt an die Aufnahme gewiſſer Materien geknüpft, die man Nahrungsmittel nennt; ſie werden in dem Organismus zu ſeiner eigenen Ausbildung und Reproduction verwendet. Die Kenntniß der Bedingung ihres Lebens und Wachs— thums umfaßt demnach die Ausmittlung der Stoffe, welche zur Nahrung dienen, die Erforſchung der Quellen, woraus dieſe Nahrung entſpringt, und die Unterſuchung der Verände— rungen, die ſie bei ihrer Aſſimilation erleiden. Den Menſchen und Thieren bietet der vegetabiliſche Orga— nismus die erſten Mittel zu ſeiner Entwickelung und Erhal⸗ tung dar. Die erſten Quellen der Nahrung der Pflanzen liefert aus⸗ ſchließlich die anorganiſche Natur. Der Gegenſtand dieſes Werkes iſt die Entwickelung des chemiſchen Proceſſes, der Ernährung der Vegetabilien. Der erſte Theil iſt der Aufſuchung der Nahrungsmittel, ſo wie den Veränderungen gewidmet, die ſie in dem lebenden Organismus erleiden; es ſollen darinn die chemiſchen Verbin⸗ dungen betrachtet werden, welche den Pflanzen ihre Haupt⸗ beſtandtheile, den Kohlenſtoff und Stickſtoff, liefern, ſo wie die Beziehungen, in welchen die Lebensfunctionen der Vege—⸗ 1% 4 Gegenftand. tabilien zu dem thieriſchen Organismus und zu anderen Natur⸗ erſcheinungen ſtehen. Der zweite Theil handelt von den chemiſchen Proeeſſen, welche nach dem Tode aller Organismen ihre völlige Vernich— tung bewirken; es find dies die eigenthümlichen Zerſetzungs— weiſen, die man mit Gährung, Fäulniß und Verwe— ſung bezeichnet; es ſollen darinn die Veränderungen der Be⸗ ſtandtheile der Organismen bei ihrem Uebergang in anorga⸗ niſche Verbindungen, ſowie die Urſachen betrachtet werden, von denen ſie abhängig ſind. Die allgemeinen Beſtandtheile der Vegetabilien. Der Kohlenſtoff iſt der Beſtandtheil aller Pflanzen und zwar eines jeden ihrer Organe. Die Hauptmaſſe aller Vegetabilien beſteht aus Verbindun⸗ gen, welche Kohlenſtoff und die Elemente des Waſſers, und zwar in dem nemlichen Verhältniß wie im Waſſer, enthalten; hieher gehören die Holzfaſer, das Stärkemehl, Zucker und Gummi. Eine andere Klaſſe von Kohlenſtoffverbindungen enthält die Elemente des Waſſers, plus einer gewiſſen Menge Sauerſtoff, ſie umfaßt mit wenigen Ausnahmen die zahlreichen in den Pflanzen vorkommenden organiſchen Säuren. Eine dritte beſteht aus Verbindungen des Kohlenſtoffs mit Waſſerſtoff, welche entweder keinen Sauerſtoff enthalten, oder wenn Sauerſtoff einen Beſtandtheil davon ausmacht, ſo iſt ſeine Quantität ſtets kleiner, als dem Gewicht⸗Verhältniß ent⸗ ſpricht, in dem er ſich mit Waſſerſtoff zu Waſſer verbindet. Von den allgemeinen Beſtandtheilen der Vegetabilien. 5 Sie können demnach betrachtet werden als Verbindungen des Kohlenſtoffs mit den Elementen des Waſſers, plus einer ge— wiſſen Menge Waſſerſtoff. Die flüchtigen und fetten Oele, das Wachs, die Harze gehören dieſer Klaſſe an. Manche davon ſpielen die Rolle von Säuren. Die organiſchen Säuren find Beſtandtheile aller Pflanzen- ſäfte und, mit wenigen Ausnahmen, an anorganiſche Baſen, an Metalloxide, gebunden; die letzteren fehlen in keiner Pflanze, ſie bleiben nach der Einäſcherung derſelben in der Aſche zurück. Der Stickſtoff iſt ein Beſtandtheil des vegetabiliſchen Eiweißes, des Klebers; er iſt in den Pflanzen in der Form von Säuren, von indifferenten Stoffen und von eigenthümlichen Verbindungen enthalten, welche alle Ei— genſchaften von Metalloxiden beſitzen; die letzteren heißen or ga— niſche Baſen. Seinem Gewichtsverhältniß nach macht der Stickſtoff den kleinſten Theil der Maſſe der Pflanzen aus, er fehlt aber in keinem Vegetabil, oder Organ eines Vegetabils; wenn er kei— nen Beſtandtheil eines Organs ausmacht, ſo findet er ſich den⸗ noch unter allen Umſtänden in dem Saft, der die Organe durchdringt. Die Entwickelung einer Pflanze iſt nach dieſer Auseinanber⸗ ſetzung abhängig von der Gegenwart einer Kohlenſtoffverbin— dung, welche ihr den Kohlenſtoff, einer Stickſtoffverbindung, welche ihr den Stickſtoff liefert; ſie bedarf noch außerdem des Waſſers und ſeiner Elemente, ſo wie eines Bodens, welcher die anorganiſchen Materien darbietet, BER die fie nicht be⸗ ſtehen kann. 6 Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. Die Pflanzenphyſiologie betrachtet einen Gemengtheil der Acker— und Dammerde, dem man den Namen Humus gegeben hat, als das Hauptnahrungsmittel, was die Pflanzen aus dem Boden aufnehmen, und ſeine Gegenwart als die wichtigſte Bedingung ſeiner Fruchtbarkeit. Dieſer Humus iſt das Product der Faulniß und Verwe⸗ ſung von Pflanzen und Pflanzentheilen. Die Chemie bezeichnet mit Humus eine braune, in Waſſer in geringer Menge, in Alkalien leichter lösliche Materie, welche, als Product der Zerſetzung vegetabiliſcher Stoffe, durch die Einwirkung von Säuren oder Alkalien erhalten wird. Dieſer Humus hat von der Verſchiedenheit in ſeiner äußeren Beſchaf— fenheit und ſeinem Verhalten verſchiedene Namen erhalten; Ulmin, Humus ſäure, Humuskohle. Humin heißen dieſe verſchiedenen Modificationen des Humus der Chemiker; ſie werden erhalten durch Behandlung des Torfs, der Holz⸗ faſer, des Ofenrußes, der Braunkohlen mit Alkalien, oder durch Zerſetzung des Zuckers, der Stärke, des Milchzuckers ver⸗ mittelſt Säuren, oder durch Berührung alkaliſcher Löſungen der Gerbe- und Gallusſäure mit der Luft. Humusſäure heißt die in Alkalien lösliche, Hum in und Humuskohle die unlösliche Modification des Humus. Den Namen nach, die man dieſen Materien gegeben hat, iſt man leicht verführt, ſie für identiſch in ihrer Zuſammen⸗ ſetzung zu halten. Dieß wäre aber der größte Irrthum, den man begehen kann, denn merkwürdiger Weiſe ſtehen Zucker, Eſſigſäure und Colophonium in dem Gewichts-Verhältniß ihrer Beſtandtheile nicht weiter auseinander. Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. 7 Die Humusſäure aus Sägeſpänen mit Kalihydrat erhalten, enthält nach Peligot's genauer Analyſe 72 p. c. Kohlenſtoff, die Humusſäure aus Torf und Braunkohle nach Spren— gel 58 p. c., die aus Zucker mit verdünnter Schwefelſäure nach Malaguti 57 p. e, die aus demſelben Körper und aus Stärke mit Salzſäure gewonnene nach Stein 64 p. c. Koh⸗ lenſtoff. Alle dieſe Analyſen ſind mit Sorgfalt und Umſicht wiederholt, und der Kohlenſtoffgehalt einer jeden der analyſirten Materien beſtätigt worden, ſo daß jeder Grund hinwegfällt, die Urſache der Verſchiedenheit in der Methode der Analyſe oder der Geſchicklichkeit der Analytiker zu ſuchen. Nach Malaguti enthält die Humusſäure Waſſerſtoff und Sauerſtoff zu gleichen Aequivalenten, in dem Verhältniß alſo wie im Waſſer; nach Sprengels Analyſe iſt darinn weniger Waſſerſtoff enthalten, und nach Peligot enthält die Humusſäure ſogar auf 14 Aeq. Waſſerſtoff nur 6 Aeg. Sauerſtoff, alſo 8 Aeg. Waſſerſtoff mehr, als dieſem Verhältniß entſpricht. Man ſieht leicht, daß die Chemiker bis jetzt gewohnt waren, alle Zerſetzungsproducte organiſcher Verbindungen von brauner oder braunſchwarzer Farbe mit Humus ſäure oder Humin zu bezeichnen, je nachdem ſie in Alkalien löslich waren oder nicht, daß aber dieſe Producte in ihrer Zuſammenſetzung und Entſtehungsweiſe nicht das Geringſte mit einander gemein haben. Man hat nun nicht den entfernteſten Grund, zu glauben, daß das eine oder das andere dieſer Zerſetzungsproducte, in der Form und mit den Eigenſchaften begabt, die man den vegeta— biliſchen Beſtandtheilen der Dammerde zuſchreibt, in der Natur vorkommt, man hat nicht einmal den Schatten eines Beweiſes für die Meinung, daß eins von ihnen als Nahrungsftoff oder ſonſt irgend einen Einfluß auf die Entwickelung einer Pflanze ausübt. 8 Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. Die Eigenſchaften des Humus und der Humusſäure der Chemiker find von den Pflanzenphyſiologen unbegreiflicher Weiſe übertragen worden auf den Körper in der Dammerde, den man mit dem nemlichen Namen belegt; an dieſe Eigen— ſchaften knüpfen ſich die Vorſtellungen über die Rolle, die man ihm in der Vegetation zuſchreibt. 5 Die Meinung, daß der Humus als Beſtandtheil der Dammerde von den Wurzeln der Pflanzen aufgenommen, daß ſein Kohlenſtoff in irgend einer Form von der Pflanze zur Nahrung verwendet wird, iſt ſo verbreitet und hat in dem Grade Wurzel gefaßt, daß bis jetzt jede Beweisführung für dieſe ſeine Wirkungsweiſe für überflüſſig erachtet wurde; denn die in die Augen fallende Verſchiedenheit des Gedeihens von Pflanzen in Bodenarten, die man als ungleich reich an Hu— mus kennt, erſchien auch dem Befangenſten als eine genügende Begründung dieſer Meinung. Wenn man dieſe Vorausſetzung einer ſtrengen Prüfung unterwirft, ſo ergiebt ſich daraus der ſchärfſte Beweis, daß der Humus in der Form, wie er im Boden enthalten iſt, zur Ernährung der Pflanzen nicht das Geringſte beiträgt. Durch das Feſthalten an der bisherigen Anſicht hat man von Vorn herein jede Erkenntniß des Ernährungsprozeſſes der Pflanzen unmöglich gemacht, und damit den ſicherſten und treueſten Führer zu einem rationellen Verfahren in der Land— und Feldwirthſchaft verbannt. Ohne eine tiefe und gründliche Kenntniß der Nahrungs- mittel der Gewächſe und der Quellen, aus denen ſie entſprin— gen, iſt eine Vervollkommnung des wichtigſten aller Gewerbe, des Ackerbaues, nicht denkbar. Man kann keine andere Urſache des bisherigen fo ſchwankenden und ungewiſſen Zuſtandes un- ſeres Wiſſens auffinden, als daß die Phyſiologie der neuern Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. 9 Zeit mit den unermeßlichen Fortſchritten der Chemie nicht Schritt gehalten hat. Wir wollen in dem Folgenden den Humus der Pflanzen— phyſiologen mit den Eigenſchaften begabt uns denken, welche die Chemiker an den braunſchwarzen Niederſchlägen beobachtet haben, die man durch Fällung einer alkaliſchen Abkochung von Dammerde oder Torf vermittelſt Säuren erhält, und die ſie Humusſäure nennen. Die Humusſäure beſitzt, friſch niedergeſchlagen, eine flockige Beſchaffenheit; ein Theil davon löſ't ſich in 2500 Th. Waſſer, ſie verbindet ſich mit Alkalien, Kalk und Bittererde, und bildet damit Verbindungen von gleicher Löslichkeit. (Sprengel.) Die Pflanzenphyſiologen kommen darinn überein, daß der Humus durch Vermittlung des Waſſers die Fähigkeit erlangt, von den Wurzeln aufgenommen zu werden. Die Chemiker haben nun gefunden, daß die Humusſäure nur in friſch nieder— geſchlagenem Zuſtande löslich iſt, daß ſie dieſe Löslichkeit voll— ſtändig verliert, wenn ſie an der Luft trocken geworden iſt; ſie wird ferner völlig unlöslich, wenn das Waſſer, was ſie enthält, gefriert. (Sprengel.) Die Winterkälte und Sommerhitze rauben mithin der reinen Humusſäure ihre Auflöslichkeit und damit ihre Aſſimilirbarkeit, ſie kann als ſolche nicht in die Pflanzen gelangen. Von der Richtigkeit dieſer Beobachtung kann man ſich leicht durch Behandlung guter Acker- und Dammerde mit kal— tem Waſſer überzeugen; das letztere entzieht nemlich derſelben nicht "Aooooo an löslichen organiſchen Materien, die Flüſſigkeit iſt farblos und enthält nur die Salze, die ſich im Regen— waſſer finden. Berzelius fand ebenfalls, daß vermodertes Eichenholz, was dem Hauptbeſtandtheil nach aus Humusſäure beſteht, an 10 Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. kaltes Waſſer nur Spuren von löslichen Materien abgiebt, eine Beobachtung, die ich an verfaultem Buchen- und Tan⸗ nenholz beſtätigt fand. Die Unfähigkeit der Humusſäure, den Pflanzen als Hu- musſäure zur Nahrung zu dienen, iſt den Pflanzenphyſiologen nicht unbemerkt geblieben; ſie haben deshalb angenommen, daß der Kalk oder die Alkalien überhaupt, die man in der Pflan- zenaſche findet, die Löslichkeit und damit die Aſſimilirbarkeit vermitteln. In den Bodenarten finden ſich Alkalien und alkaliſche Erden in hinreichender Menge vor, um Verbindungen dieſer Art zu bilden. Wir wollen nun annehmen, daß die Humusſäure in der Form des humusreichſten Salzes, als humusſaurer Kalk, von den Pflanzen aufgenommen wird, und aus dem bekannten Ge— halte an alkaliſchen Baſen in der Aſche der Pflanzen die Menge berechnen, welche in dieſer Form in die Pflanze gelangen kann; wir wollen ferner vorausſetzen, daß Kali, Natron, die Oxide des Eiſens und Mangans eine mit dem Kalke gleiche Sätti— gungscapacität beſitzen, ſo wiſſen wir aus Berthier's Be— ſtimmungen, daß 1000 Pfd. lufttrocknes Tannenholz 4 Pfd. reine kohlenfreie Aſche liefern, und daß 100 Pfd. dieſer Aſche im Ganzen nach Abzug des Chlorkaliums und ſchwefelſauren Kali's, 53 Pfd. baſiſche Metalloxide, Kali, Natron, Kalk, Bit⸗ tererde, Eiſen⸗ u. Mangan-Dridul zuſammengenommen, enthalten. 2500 Quadratmeter Wald (40,000 Quadratfuß heſſ. 1 Morgen) liefern nun jährlich mittleren Ertrag 2650 Pfd. Tan⸗ nenholz ), welche im Ganzen 5,6 Pfd. baſiſche Metalloride enthalten. Nach den Beſtimmungen von Malaguti und Sprengel ver— ) Nach der Angabe des hieſigen verdienſtvollen Profeſſors der Forſt⸗ wiſſenſchaft, Herrn Forſtmeiſter Dr. Heyer. Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. 11 bindet ſich 1 Pfd. Kalk mit 10,9 Pfd. Humusſäure; es ſind mithin durch dieſe Baſen 61 Pfd. Humusſäure in die Bäume übergegan⸗ gen, und dieſe entſprechen — ihr Gehalt an Kohlenſtoff zu 58 p. c. angenommen — der Bildung von 91 Pfd. lufttrocknem Holz. Es ſind aber auf dieſem Lande 2650 Pfd. lufttrocknes Holz produeirt worden. Wenn man aus der bekannten Zuſammenſetzung der Aſche des Weizenſtrohes die Menge Humusſäure berechnet, welche durch die darinn enthaltenen baſiſchen Metalloxide (die Chlor— metalle und ſchwefelſauren Salze abgerechnet) der Pflanze zu— geführt werden können, ſo erhält man für 2500 Quadratmeter Land 57½ Pfd. Humusſäure, entſprechend 85 Pfd. Holzfaſer. Es werden aber auf dieſer Fläche, Wurzeln und Körner nicht gerech— net, 1780 Pfd. Stroh producirt, was die Zuſammenſetzung der Holzfaſer beſitzt. Bei dieſen Berechnungen iſt angenommen worden, daß die baſiſchen Metalloxide, welche Humusſäure zugeführt haben, nicht mehr in den Boden zurückkehren, weil ſie während des Wachsthums der Pflanze in den neu entwickelten Theilen der— ſelben zurückbleiben. Wir wollen jetzt die Menge Humusſäure berechnen, welche unter den günſtigſten Verhältniſſen, nemlich durch das Waſſer, in die Pflanzen gelangen kann. In Erfurt, in einer der fruchtbarſten Gegenden Deutſch— lands, fallen nach Schübler auf 1 Quadratfuß Fläche in den Monaten April, Mai, Juni und Juli 17% Pfd. (2 Pfd. heſſ. S 1 Kilogr.) Regen. Ein Morgen Land (2500 Me⸗ ter) empfängt mithin 700,000 Pfd. Regenwaſſer. Nehmen wir nun an, daß dieſe ganze Quantität Waſſer von den Wurzeln einer Sommerfrucht aufgenommen werde, die in 4 Monaten gepflanzt wird und reift, in der Art alſo, 12 Die Affimilation des Kohlenſtoffs. daß kein Pfund von dieſem Waſſer anders als durch die Blätter verdunſte. Nehmen wir ferner an, daß dieſes Regenwaſſer mit hu⸗ musſaurem Kalk (dem löslichſten und an Humusſäure reichſten ihrer Salze) geſättigt von den Wurzeln aufgenommen werde, ſo nimmt die Pflanze durch dieſes Waſſer, da ein Theil hu— musſaurer Kalk 2500 Theile Waſſer zu ſeiner Auflöſung be— darf, 300 Pfd. Humusſäure auf. Es wachſen aber auf dieſem Felde 2580 Pfd. Getreide (Stroh und Korn, die Wurzeln nicht gerechnet) oder 20,000 Pfd. Run⸗ kelrüben (ohne die Blätter und kleinen Wurzeln). Man ſieht leicht ein, daß dieſe 300 Pfd. Humusſäure noch nicht genügen, um Rechenſchaft über den Kohlenſtoffgehalt der Blätter und Wurzeln zu geben, und da man weiß, daß von dem Regen— waſſer, was auf die Oberfläche der Erde fällt, verhältnißmä— ßig nur ein ſehr kleiner Theil durch die Pflanze verdunſtet, ſo verringert ſich die Kohlenſtoffmenge, welche durch die Humus— ſäure denkbarer Weiſe produeirt, wenn man fie mit der wirf- lich producirten vergleicht, auf eine beinahe verſchwindende Menge. Betrachtungen anderer und höherer Art widerlegen die ge— wöhnliche Anſicht über die Wirkungsweiſe der Humusſäure auf eine ſo entſchiedene und zweifelloſe Weiſe, daß man im Grunde nicht begreift, wie man überhaupt dazu gelangen konnte. Die Felder produciren Kohlenſtoff in der Form von Holz, von Heu, von Getreide und anderen Culturgewächſen, deren Maſſen außerordentlich ungleich ſind. Auf 2500 Quadratmeter Wald von mittlerem Boden wachſen 2650 Pfd. lufttrocknes Tannen⸗, Fichten⸗, Birken ꝛc. Holz. Auf derſelben Fläche Wieſen erhält man im Durchſchnitt 2500 Pfd. Heu. Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. 13 Die nemliche Fläche Getreideland liefert 18000 — 20000 Pfd. Runkelrüben. Auf derſelben Fläche gewinnt man 800 Pfd Roggen und 1780 Pfd. Stroh, im Ganzen alſo 2580 Pfd. 100 Theile lufttrocknes Tannenholz enthalten 38 Theile Kohlen— ſtoff, obige 2650 Pfd. Holz enthalten demnach 1007 Pfd. Kohlenſtoff. 100 Theile lufttrocknes Heub) enthalten 44,31 Th. Kohlenſtoff, obige 2500 Pfd. Heu enthalten demnach 1008 Pfd. Kohlenſtoff. Die Runkelrüben enthalten 89 bis 89,5 Th. Waſſer und 10,5 bis 11 Th. feſte Subſtanz, welche aus 8 — 9 p. e Zucker und 2 bis 2½ p. c. Zellgewebe beſteht. Der Zucker enthält 42,4 p. c., das Zellgewebe 47 p. e Kohlenſtoff. 20,000 Pfd. Runkelrüben enthalten hiernach (Zucker zu 9 p. c. und Zellgewebe zu 2 p. c. gerechnet) im Zucker 756 Pfd., im Zellgewebe 180 Pfd., im Ganzen 936 Pfd. Kohlenſtoff, den Kohlenſtoff der Blätter nicht berechnet. 100 Pfd. Stroh) enthalten lufttrocken 38 p. c. Kohlenſtoff. 1780 Pfd. Stroh enthalten demnach 676 Pfd. Kohlenſtoff. In 100 Th. Korn ſind 43 Th. Kohlenſtoff enthalten; in 800 Pfd. mit⸗ hin 344 Pfd. Beide zuſammen geben 1020 Pfd. Kohlenſtoff. 2500 Quadratmeter Wieſe, Wald bringen mithin hervor an Kohlenſtoff 1007 Pfd. „ » Culturland, Runfelrüben ohne Blätter... 936 Pfd. » „ » Getreide 1020 Pfd. ) 100 Theile Heu, bei 1000 getrocknet, mit Kupferoxid in einen Strom Sauerſtoffgas verbrannt, lieferten 51,93 Waſſer, 156,8 Kohlenſäure und 6,82 Aſche. Dieß giebt 45,87 Kohlenſtoff, 5,76 Waſſerſtoff, 31,55 Sauerſtoff, 6,82 Aſche. Das lufttrockne Heu verliert bei 100° erhitzt 11,2 p. c. Waſſer. (Dr. Will.) ) Die Analyſe des Strohes, auf dieſelbe Weiſe ausgeführt, gab für 100 Theile, bei 1000 getrocknet, 46,37 Kohlenſtoff, 5,68 Waſſerſtoff, 14 Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. Aus dieſen unverwerflichen Thatſachen muß geſchloſſen werden, daß gleiche Flächen culturfähiges Land eine gleiche Quantität Kohlenſtoff produciren; aber wie unendlich verſchie— den ſind die Bedingungen des Wachsthums der Pflanzen ge— weſen, die man darauf gezogen hat. Wo nimmt, muß man fragen, das Gras auf den Wieſen, das Holz in dem Walde ſeinen Kohlenſtoff her, da man ihm keinen Dünger, keinen Kohlenſtoff als Nahrung zugeführt hat, und woher kommt es, daß der Boden, weit entfernt, an Koh⸗ lenſtoff ärmer zu werden, ſich jährlich noch verbeſſert? Jedes Jahr nehmen wir dem Wald, der Wieſe eine ge— wiſſe Quantität von Kohlenſtoff in der Form an Heu und Holz, und demungeachtet finden wir, daß der Kohlenſtoffgehalt des Bodens zunimmt, daß er an Humus reicher wird. Wir erſetzen, ſo ſagt man, dem Getreide und Fruchtland durch den Dünger, den als Kraut, Stroh, als Saamen oder Frucht hinweggenommenen Kohlenſtoff wieder, und dennoch bringt dieſer Boden nicht mehr Kohlenſtoff hervor, als der Wald und die Wieſe, denen er nie erſetzt wird. Iſt es denk⸗ bar, daß die Geſetze der Ernährung der Pflanzen durch die Cultur geändert werden können, daß für das Getreide und die Futtergewächſe andere Quellen des Kohlenſtoffs exiſtiren als für das Gras und die Bäume in den Wieſen und Wäldern? Niemandem wird es in den Sinn kommen, den Einfluß des Düngers auf die Entwickelung der Culturgewächſe zu läugnen, allein mit poſitiver Gewißheit kann man behaupten, daß er zur Hervorbringung des Kohlenſtoffs in den Pflanzen nicht gedient, daß er keinen directen Einfluß darauf gehabt hat, denn wir finden ja, daß der Kohlenſtoff, vom gedüngten 43,93 Sauerſtoff, 4,02 Aſche, das lufttrockene Stroh verliert bei der Siedhitze 18 p. e. Waſſer. (Dr. Will.) “ Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. 15 Lande hervorgebracht, nicht mehr beträgt, als der Kohlenſtoff des ungedüngten. Die Frage nach der Wirkungsweiſe des Düngers hat mit der nach dem Urſprung des Kohlenſtoffs nicht das Geringſte zu thun. Der Kohlenſtoff der Vegetabi— lien muß nothwendigerweiſe aus einer andern Quelle ſtammen, und da es der Boden nicht iſt, der ihn liefert, ſo kann dieſe nur die Atmoſphäre ſein. Bei der Löſung des Problems über den Urſprung des Koh— lenſtoffs in den Pflanzen hat man durchaus unberückſichtigt gelaſ— ſen, daß dieſe Frage gleichzeitig den Urſprung des Humus umfaßt. Der Humus entſteht nach Aller Anſicht durch Fäulniß und Verweſung von Pflanzen und Pflanzentheilen; eine Urdamm⸗ erde, einen Urhumus kann es alſo nicht geben, denn es waren von dem Humus Pflanzen vorhanden. Wo nahmen nun dieſe ihren Kohlenſtoff her, und in welcher Form iſt der Kohlenſtoff in der Atmoſphäre enthalten? Dieſe beiden Fragen umfaſſen zwei der merkwürdigſten Naturerſcheinungen, welche, gegenſeitig ununterbrochen in Thä— tigkeit, das Leben und Fortbeſtehen der Thiere und Vegetabilien auf unendliche Zeiten hinaus auf die bewunderungswürdigſte Weiſe bedingen und vermitteln. Die eine dieſer Fragen bezieht ſich auf den unveränderlichen Gehalt der Luft an Sauerſtoff: zu jeder Jahreszeit und in allen Klimaten hat man darinn in 100 Volum⸗Theilen 21 Volum Sauerſtoff mit ſo geringen Abweichungen gefunden, daß ſie als Beobachtungsfehler angeſehen werden müſſen. So außerordentlich groß nun auch der Sauerſtoffgehalt der Luft bei einer Berechnung ſich darſtellt, fo iſt feine Menge dennoch nicht unbegrenzt, ſie iſt im Gegentheil eine erſchöpfbare Größe. Wenn man nun erwägt, daß jeder Menſch in 24 Stun⸗ den 45 Cubicfuß (heſſiſche) Sauerſtoff in dem Athmungsproceß ” 16 Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. verzehrt, daß 10 Ctr. Kohlenſtoff bei ihrem Verbrennen 58112 Cubicfuß Sauerſtoff verzehren, daß eine einzige Eiſenhütte Hunderte von Millionen Cubicfuß, daß eine kleine Stadt, wie Gießen, in dem zum Heizen dienenden Holz allein über 1000 Millionen Cubicfuß Sauerſtoff der Atmoſphäre entziehen, fo bleibt es völlig unbegreiflich, wenn keine Urſache eriftirt, durch welche der hinweggenommene Sauerſtoff wieder erſetzt wird, wie es möglich ſein kann, daß nach Zeiträumen, die man in Zahlen nicht auszudrücken weiß ), der Sauerſtoffgehalt der Luft nicht kleiner geworden iſt, daß die Luft in den Thränen⸗ krügen, die vor 1800 Jahren in Pompeji verſchüttet wurden, nicht mehr davon, als wie heute enthält. Woher kommt es alſo, daß dieſer Sauerſtoffgehalt eine Größe iſt, die ſich nie ändert? ) Wenn die Atmoſphäre überall dieſelbe Dichte wie an der Meersfläche hätte, ſo wäre ſie 24555 par. Fuß hoch. Da hierin der Waſſerdampf mit eingeſchloſſen iſt, jo kann man ihre Höhe zu 1 geogr. Meile = 22843 par. Fuß annehmen. Der Radius der Erde = 860 folder Meilen geſetzt, ſo ergiebt ſich das Volum der Atmoſphäre = 9307500 Cubiemeilen, das Volum des Sauerſtoffs = 195457 » das Volum der Kohlenfüure = 3862,7 » Ein Mann verbraucht täglich = 45000 par. Cubiczoll Sauerftofl, im Jahre mithin 9505,2 Cubiefuß. Tauſend Millionen Menſchen ver⸗ brauchen mithin 9 Billionen fünfhundert fünftauſend zweihundert Mil⸗ lionen Cubiefuß. Man kann ohne Uebertreibung annehmen, daß die Thiere und Verweſungs- und Verbrennungsproceſſe doppelt ſoviel verbrauchen. Hieraus geht hervor, daß jährlich 2,392355 Cubiemeilen Sauerſtoff, in runder Summe 2,4 Cubiemeilen, verzehrt werden, in Smal hunderttauſend Jahren würde die Atmoſphäre keine Spur Sauer⸗ ſtoff mehr enthalten, allein in weit früherer Zeit würde ſie für Re⸗ ſpirations⸗ und für Verbrennungsproceffe gänzlich untauglich fein, da fie ſchon bei einer Verminderung ihres Sauerſtoffgehaltes auf 8 p. c. (die durch Lungen ausgeathmete Luft enthält 12,5 bis 13 Sauerſtoff⸗ gas und 8,5 bis 8 kohlenſaures Gas) für das Leben der Thiere tödt- lich wirkt und brennende Körper darin nicht mehr fortbrennen. Em. Die Afjimilation des Kohlenſtoffs. 17 Die Beantwortung dieſer Frage hängt mit einer andern auf's engſte zuſammen, wo die Kohlenſäure nemlich hinkommt, die durch das Athmen der Thiere, durch Verbrennungsproeeſſe gebildet wird. Ein Cubiefuß Sauerſtoff, der ſich mit Kohlen— ſtoff zu Kohlenſäure vereinigt, ändert ſein Volumen nicht; aus den Billionen Cubicfuß verzehrten Sauerſtoffgaſes find eben ſo viel Billionen Cubicfuß Kohlenſäure entftanden und in die Atmoſphäre geſendet worden. Durch die genaueſten und zuverläſſigſten Verſuche iſt von de Sauſſure ausgemittelt worden, daß die Luft, dem Volu— men nach, im Mittel aller Jahreszeiten nach dreijährigen Beob— achtungen 0,0000415 Volumentheile Kohlenſäure enthält. Die Beobachtungsfehler, welche dieſen Gehalt verkleinern mußten, in Anſchlag gebracht, kann man annehmen, daß das Gewicht der Kohlenſäure nahe /s des Gewichts der Luft beträgt. Dieſer Gehalt wechſelt nach den Jahreszeiten, er ändert ſich aber nicht in verſchiedenen Jahren. Wir kennen keine Thatſache, welche zur Vermuthung be— rechtigt, daß dieſer Gehalt vor Jahrhunderten oder Jahrtau— ſenden ein anderer war, und dennoch müßten ihn die unge— heuren Maſſen Kohlenſäure, welche jährlich in der Atmoſphäre der vorhandenen ſich hinzufügen, von Jahr zu Jahr bemerk— bar vergrößern, allein bei allen früheren Beobachtern findet man ihn um die Hälfte bis zum zehnfachen Volumen höher an— gegeben, woraus man höchſtens ſchließen kann, daß er ſich vermindert hat. Man bemerkt leicht, daß die im Verlauf der Zeit ſtets unveränderlichen Mengen von Kohlenſäure und Sauerſtoffgas in der Atmoſphäre zu einander in einer beſtimmten Beziehung ſtehen müſſen; es muß eine Urſache vorhanden ſein, welche die 2 — 18 Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. Anhäufung der Kohlenſäure hindert, und die ſich bildende un— aufhörlich wieder entfernt; es muß eine Urſache geben, durch welche der Luft der Sauerſtoff wieder erſetzt wird, den ſie durch Verbrennungsproceſſe, durch Verweſung und durch die Reſpiration der Menſchen und Thiere verliert. Beide Urſachen vereinigen ſich zu einer einzigen in dem Lebensproceſſe der Vegetabilien. . In den vorhergehenden Beobachtungen iſt der Beweis niedergelegt worden, daß der Kohlenſtoff der Vegetabilien aus⸗ ſchließlich aus der Atmoſphäre ſtammt. In der Atmoſphäre exiſtirt nun der Kohlenſtoff nur in der Form von Kohlenſäure, alſo in der Form einer Sauer⸗ ſtoffverbindung. Die Hauptbeſtandtheile der Vegetabilien, gegen deren Maſſe die Maſſe der übrigen verſchwindend klein iſt, enthalten, wie oben erwähnt wurde, Kohlenſtoff und die Elemente des Waſſers; alle zuſammen enthalten weniger Sauerſtoff als die Kohlenſäure. Es iſt demnach gewiß, daß die Pflanzen, indem ſie den Kohlenſtoff der Kohlenſäure ſich aneignen, die Fähigkeit beſitzen müſſen, die Kohlenſäure zu zerlegen; die Bildung ihrer Haupt⸗ beſtandtheile ſetzt eine Trennung des Kohlenſtoffs von dem Sauerſtoff voraus; der letztere muß, während dem Lebensproceß der Pflanze, während ſich der Kohlenſtoff mit dem Waſſer oder ſeinen Elementen verbindet, an die Atmoſphäre wieder zurückgegeben werden. Für jedes Volumen Kohlenſäure, deren Kohlenſtoff Beſtandtheil der Pflanze wird, muß die Atmoſphäre ein gleiches Volumen Sauerſtoff empfangen. Dieſe merkwürdige Fähigkeit der Pflanzen iſt durch zahlloſe Beobachtungen auf das unzweifelhafteſte bewieſen worden; ein Jeder kann ſich mit den einfachſten Mitteln von ihrer Wahr⸗ heit überzeugen. > Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. 19 Die Blätter und grünen Theile aller Pflanzen ſaugen nemlich kohlenſaures Gas ein und hauchen ein ihm gleiches Volumen Sauerſtoffgas aus. Die Blätter und grünen Theile beſitzen dieſes Vermögen ſelbſt dann noch, wenn ſie von der Pflanze getrennt ſind; bringt man fie in dieſem Zuſtande in Waſſer, welches Kohlen ſäure enthält, und ſetzt fie dem Sonnenlichte aus, fo ver⸗ ſchwindet nach einiger Zeit die Kohlenſäure gänzlich, und ſtellt man dieſen Verſuch unter einer mit Waſſer gefüllten Glasglocke an, ſo kann man das entwickelte Sauerſtoffgas ſammeln und prüfen; wenn die Entwicklung von Sauerſtoffgas aufhört, iſt auch die gelöſtte Kohlenſäure verſchwunden; ſetzt man aufs Neue Kohlenſäure hinzu, ſo ſtellt ſie ſich von Neuem ein. In einem Waſſer, welches frei von Kohlenſäure iſt, oder ein Alkali enthält, was ſie vor der Aſſimilation ſchützt, ent— wickeln die Pflanzen kein Gas. Dieſe Beobachtungen find zuerſt von Prieſtley und Senne— bier gemacht, und von de Sauſſure iſt in einer Reihe vor— trefflich ausgeführter Verſuche bewieſen worden, daß mit der Abſcheidung des Sauerſtoffs, mit der Zerſetzung der Kohlen— ſäure die Pflanze an Gewicht zunimmt. Dieſe Gewichtsver⸗ mehrung beträgt mehr, als der Quantität des aufgenommenen Kohlenſtoffs entſpricht, was vollkommen der Vorſtellung gemäß iſt, daß mit dem Kohlenſtoff gleichzeitig die Elemente des Waſſers von der Pflanze aſſimilirt werden. Ein eben ſo erhabener als weiſer Zweck hat das Leben der Pflanzen und Thiere auf eine wunderbar einfache Weiſe aufs engſte aneinander geknüpft. Ein Beſtehen einer reichen üppigen Vegetation kann ges dacht werden ohne Mitwirkung des thieriſchen Lebens, aber die 2* 20 Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. Exiſtenz der Thiere iſt ausſchließlich an die Gegenwart, an die Entwicklung der Pflanzen gebunden. Die Pflanze liefert nicht allein dem thieriſchen Organis— mus in ihren Organen die Mittel zur Nahrung, zur Erneue— rung und Vermehrung ſeiner Maſſe, ſie entfernt nicht nur aus der Atmoſphäre die ſchädlichen Stoffe, die ſeine Exiſtenz gefährden, ſondern ſie iſt es auch allein, welche den höheren organiſchen Lebensproceß, die Reſpiration, mit der ihr unent⸗ behrlichen Nahrung verſieht; ſie iſt eine unverſiegbare Quelle des reinſten und friſcheſten Sauerſtoffgaſes, ſie erſetzt der Atmo— ſphäre in jedem Momente was ſie verlor. Alle übrigen Verhältniſſe gleich geſetzt, athmen die Thiere Kohlenſtoff aus, die Pflanzen athmen ihn ein, das Medium, in dem es geſchieht, die Luft, kann in ihrer Zuſammenſetzung nicht geändert werden. Iſt nun, kann man fragen, der dem Anſchein nach ſo ge— ringe Kohlenſäuregehalt der Luft ein Gehalt, der dem Ge- wicht nach nur 110 p. c. beträgt, überhaupt nur genügend, um den Bedarf der ganzen Vegetation auf der Oberfläche der Erde zu befriedigen, iſt es möglich, daß dieſer Kohlenſtoff aus der Luft ſtammt? Dieſe Frage iſt unter allen am leichteſten zu beantworten. Man weiß, daß auf jedem Quadratfuß der Oberfläche der Erde eine Luftſäule ruht, welche 2216,66 Pfd. wiegt; man kennt den Durchmeſſer und damit die Oberfläche der Erde; man kann mit der größten Genauigkeit das Gewicht der Atmoſphäre berechnen; der tauſendſte Theil dieſes Gewichts iſt Kohlenſäure, welche etwas über 27 p. c. Kohlenſtoff enthält. Aus dieſer Berechnung ergiebt ſich nun, daß die Atmoſphäre 3000 Bilfio- nen Pfd. Kohlenſtoff enthält, eine Quantität, welche mehr beträgt, als das Gewicht aller Pflanzen, der Stein- und Braunkohlenlager Die Affimilation des Kohlenſtoffs. 21 auf dem ganzen Erdkörper zuſammengenommen. Dieſer Koh— lenſtoff iſt alſo mehr als hinreichend, um dem Bedarf zu ge— nügen. Der Kohlenſtoffgehalt des Meerwaſſers iſt verhältniß— mäßig noch größer. Nehmen wir an, daß die Oberfläche der Blätter und grü— nen Pflanzentheile, durch welche die Abſorbtion der Kohlen— ſäure geſchieht, doppelt ſo viel beträgt, als die Oberfläche des Bodens, auf dem die Pflanze wächſt, was beim Wald, bei den Wieſen und Getreidefeldern, die den meiſten Kohlenſtoff pro— duciren, weit unter der wirklich thätigen Oberfläche iſt; neh— men wir ferner an, daß von einem Morgen, von 80,000 Qua- dratfuß alſo, in jeder Zeitſecunde, 8 Stunden täglich, der Luft 0, 00067 ihres Volumens oder s ihres Gewichtes an Koh— lenſäure entzogen wird, ſo nehmen dieſe Blätter in 200 Tagen 1000 Pfd. Kohlenſtoff auf ). *) Wie viel Kohlenſäure der Luft in einer gegebenen Zeit entzogen wer— den kann, giebt folgende Rechnung zu erkennen: Bei dem Weißen eines kleinen Zimmers von 105 Meter Fläche (Wände und Decke zu— ſammengenommen) erhält es in 4 Tagen 6 Anſtriche mit Kalkmilch, es wird ein Ueberzug von kohlenſaurem Kalk gebildet, zu welchem die Luft die Kohlenſäure liefert. Nach einer genauen Beſtimmung er⸗ hält ein Quadratdecimeter Fläche einen Ueberzug von kohlenſaurem Kalk, welcher 0,732 Grm. wiegt. Obige 105 Meter ſind mithin be— deckt mit 7686 Grm. kohlenſaurem Kalk, welche 4325,56 Grm. Koh— lenſäure enthalten. Das Gewicht eines Cubiedecimeters Kohlenſäure zu 2 Grm. angenommen (er wiegt 1,97978 Grm.), abſorbirt mithin obige Fläche 2,163 Cubiemeter Kohlenſäure in 4 Tagen. Ein Morgen Land = 2500 Quadratmeter würde bei einer gleichen Behandlung in 4 Tagen 51½ Cubiemeter Kohlenſäure = 3296 Cu- biefuß Kohlenſäure abſorbiren, in zweihundert Tagen würde dieß 2575 Cubiemeter 164,800 Cubicfuß 10,300 Pfd. Kohlenſäure = 2997 Pfd. Kohlenſtoff, alſo etwa dreimal mehr betragen, als die Blätter und Wurzeln der Pflanzen, die auf dieſem Boden wachſen, wirklich aſſi— miliren. 22 Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. In keinem Zeitmomente iſt aber in dem Leben einer Pflanze, in den Functionen ihrer Organe, ein Stillſtand denkbar. Die Wurzeln und alle Theile derſelben, welche die nemliche Fähig— keit beſitzen, ſaugen beſtändig Waſſer, ſie athmen Kohlenſäure ein; dieſe Fähigkeit iſt unabhängig von dem Sonnenlichte; ſie häuft ſich während des Tages im Schatten und bei Nacht in allen Theilen der Pflanze an, und erſt von dem Augenblicke an, wo die Sonnenſtrahlen ſie treffen, geht die Aſſimilation des Kohlenſtoffs, die Aushauchung von Sauerſtoffgas vor ſich; erſt in dem Momente, wo der Keim die Erde durchbricht, färbt er ſich von der äußerſten Spitze abwärts, die eigentliche Holz— bildung nimmt damit ihren Anfang. Die Tropen, der Aequator, die heißen Klimate, wo ein ſelten bewölkter Himmel der Sonne geftattet, ihre glühenden Strahlen einer unendlich reichen Vegetation zuzuſenden, ſind die eigentlichen ewig unverſiegbaren Quellen des Sauerſtoffgaſes; in den gemäßigten und kalten Zonen, wo künſtliche Wärme die fehlende Sonne erſetzen muß, wird die Kohlenſäure, welche die tropiſchen Pflanzen ernährt, im Ueberfluß erzeugt; derſelbe Luftſtrom, welcher, veranlaßt durch die Umdrehung der Erde, feinen Weg von dem Aequator zu den Polen zurückgelegt hat, bringt uns, zu dem Aequator zurückkehrend, den dort erzeugten Sauerſtoff und führt ihm die Kohlenſäure unſerer Winter zu. Die Verſuche von de Sauſſure haben dargethan, daß die oberen Schichten der Luft mehr Kohlenſäure als die unteren enthalten, die mit den Pflanzen ſich in Berührung befinden, daß der Kohlenſäuregehalt der Luft größer iſt bei Nacht, als bei Tag, wo das eingeſaugte kohlenſaure Gas zerſetzt wird. Die Pflanzen verbeſſern die Luft, indem ſie die Kohlenſäure entfernen, indem fie den Sauerſtoff erneuern; dieſer Sauer⸗ ſtoff kommt Menſchen und Thieren zuerſt und unmittelbar zu Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. 23 Gut. Die Bewegung der Luft in horizontaler Richtung bringt uns ſo viel zu, als ſie hinwegführt; der Luftwechſel von Un⸗ ten nach Oben, in Folge der Ausgleichung der Temperaturen, er iſt, verglichen mit dem Wechſel durch Winde, verſchwin— dend klein. Die Cultur erhöht den Geſundheitszuſtand der Gegenden; mit dem Aufhören aller Cultur werden fonft geſunde Gegen- den unbewohnbar. Wir erkennen in dem Leben der Pflanze, in der Affimi- lation des Kohlenſtoffs, als der wichtigſten ihrer Functionen, eine Sauerſtoffausſcheidung, man kann ſagen, eine Sauerſtoff— erzeugung. Keine Materie kann als Nahrung, als Bedingung ihrer Entwickelung angeſehen werden, deren Zuſammenſetzung ihrer eigenen gleich oder ähnlich iſt, deren Aſſimilation alſo erfolgen könnte, ohne dieſer Function zu genügen. In dem zweiten Theile ſind die Beweiſe niedergelegt, daß die in Verweſung begriffene Holzfaſer, der Humus, Kohlenſtoff und die Elemente des Waſſers ohne überfchüfft- gen Sauerſtoff enthält; ihre Zuſammenſetzung weicht nur inſofern von der des Holzes ab, daß ſie reicher an Kohlen— ſtoff iſt. N Die Pflanzenphyſiologen haben die Bildung der Holzfaſer aus Humus für ſehr begreiflich erklärt, denn, ſagen ſie (Meyen Pflanzenphyſiologie II. S. 141), der Humus darf nur Waſſer chemiſch binden, um die Bildung von Holzfaſer, Stärke oder Zucker zu bewirken. Die nemlichen Naturforſcher haben aber die Erfahrung ge— macht, daß Zucker, Amylon und Gummi in ihren wäſſrigen Auflöſungen von den Wurzeln der Pflanzen eingeſaugt und in alle Theile der Pflanze geführt werden, allein ſie werden von 24 Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. der Pflanze nicht aſſimilirt, ſie können zu ihrer Ernährung und Entwickelung nicht angewendet werden. Es läßt ſich nun kaum eine Form denken, bequemer für Aſſimilation, als die Form von Zucker, Gummi oder Stärke, denn dieſe Körper enthalten ja alle Elemente der Holzfafer und ſtehen zu ihr in dem nemlichen Verhältniß wie der Hu- mus; allein ſie ernähren die Pflanze nicht. Eine durchaus falſche Vorſtellung, ein Verkennen der wich— tigſten Lebensfunctionen der Pflanze, liegt der Anſicht von der Wirkungsweiſe des Humus zum Grunde. Die Analogie hat die unglückliche Vergleichung der Le— bensfunctionen der Pflanzen mit denen der Thiere in dem Bett des Procruſtes erzeugt, ſie iſt die Mutter, die Gebärerin aller Irrthümer. Materien, wie Zucker, Amylon ꝛc., welche Kohlenſtoff und die Elemente des Waſſers enthalten, find Producte des Lebens proceſſes der Pflanzen, ſie leben nur, inſofern ſie ſich erzeugen. Daſſelbe muß von dem Humus gelten, denn er kann eben ſo wie dieſe, in Pflanzen gebildet werden. Smithſon, Jameſon und Thomſon fanden, daß die ſchwarzen Ausſchwitzungen von kranken Ulmen, Eichen und Roßkaſtanien aus Humus⸗ ſäure in Verbindung mit Alkalien beſtehen. Berzelius fand ähnliche Materien in den meiſten Baum⸗ rinden. Kann man nun in der That vorausſetzen, daß die kranken Organe einer Pflanze diejenige Materie zu erzeugen vermögen, der man die Fähigkeit zuſchreibt, das Leben dieſer Pflanze, ihr Gedeihen zu unterhalten! Woher kommt es nun, kann man fragen, daß in den Schriften aller Botaniker und Pflanzenphyſiologen die Affimi- lation des Kohlenſtoffs aus der Atmoſphäre in Zweifel ge— Die Afjimilation des Kohlenſtoffs. 25 ſtellt, daß von den Meiſten die Verbeſſerung der Luft durch die Pflanzen geläugnet wird? Dieſe Zweifel ſind hervorgegangen aus dem Verhalten der Pflanzen bei Abweſenheit des Lichtes, nemlich in der Nacht. An die Verſuche von Ingenhouß knüpfen ſich zum gro— ßen Theil die Zweifel, welche der Anſicht entgegengeſtellt wer— den, daß die Pflanzen die Luft verbeſſern. Seine Beobachtung, daß die grünen Pflanzen im Dunklen Kohlenſäure aushauchen, haben de Sauſſure und Grischow zu Verſuchen geführt, aus denen ſich herausgeſtellt hat, daß ſie in der That Sauerſtoff im Dunkeln einſaugen und dafür Kohlenſäure aushauchen, und daß ſich die Luft, in welcher die Pflanzen im Dunkeln vege— tiren, im Volumen vermindert; es iſt hieraus klar, daß die Menge des abſorbirten Sauerſtoffgaſes größer iſt, als das Volumen der abgeſchiedenen Kohlenſäure — es hätte ſonſt keine Luftver— minderung ſtattfinden können. Dieſe Thatſache kann nicht in Zweifel gezogen werden, allein die Interpretationen, die man ihr untergelegt hat, ſind ſo vollkommen falſch, daß nur die gänzliche Nichtbeachtung und Unkenntniß der chemiſchen Be— ziehungen einer Pflanze zu der Atmoſphäre, die ſie umgiebt, erklärt, wie man zu dieſen Anſichten gelangen konnte. Es iſt bekannt, daß der indifferente Stickſtoff, das Waſſer— ftoffgas, daß eine Menge anderer Gaſe eine eigenthümliche, meiſt ſchädliche Wirkung auf die lebenden Pflanzen ausüben. Iſt es nun denkbar, daß eins der kräftigſten Agentien, der Sauerſtoff, wirkungslos auf eine Pflanze bliebe, ſobald ſie ſich in dem Zuſtande des Lebens befindet, wo einer ihrer eigen— thümlichen Aſſimilationsproceſſe aufgehört hat? Man weiß, daß mit der Abweſenheit des Lichtes die Zer— ſetzung der Kohlenſäure ihre Grenze findet. Mit der Nacht beginnt ein rein chemiſcher Proceß, in Folge der Wechſelwir— 26 Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. kung des Sauerſtoffs der Luft auf die Beſtandtheile der Blät- ter, Blüthen und Früchte. Dieſer Proceß hat mit dem Leben der Pflanze nicht das Geringſte gemein, denn er tritt in der todten Pflanze ganz in derſelben Form auf, wie in der lebenden. Es läßt ſich mit der größten Leichtigkeit und Sicherheit aus den bekannten Beſtandtheilen der Blätter verſchiedener Pflanzen vorausbeſtimmen, welche davon den meiſten Sauerſtoff im le⸗ benden Zuſtande während der Abweſenheit des Lichtes abforbi- ren werden. Die Blätter und grünen Theile aller Pflanzen, welche flüchtige Oele, überhaupt aromatiſche flüchtige Beftand- theile enthalten, die ſich durch Aufnahme des Sauerſtoffs in Harz verwandeln, werden mehr Sauerſtoff einſaugen als an⸗ dere, welche frei davon ſind. Andere wieder, in deren Safte ſich die Beſtandtheile der Galläpfel befinden oder ſtickſtoffreiche Materien enthalten, werden mehr Sauerſtoff aufnehmen, als die, worin dieſe Beſtandtheile fehlen. Die Beobachtungen de Sauſſure's ſind entſcheidende Beweiſe für dieſes Ver— halten; während die Agave americana mit ihren fleiſchigen geruch= und geſchmackloſen Blättern nur 0,3 ihres Volumens Sauerſtoff in 24 Stunden im Dunkeln abſorbirt, nehmen die mit flüchtigem, verharzbarem Oel durchdrungenen Blätter der Pinus abies die 10fache, die gerberſäurehaltigen der Quercus robur die 14fache, die balſamiſchen Blätter der Populus alba die 21fache Menge an Sauerſtoff auf. Wie zweifellos und augenſcheinlich zeigt ſich dieſe chemiſche Action in den Blättern der Cotyledon Caly- cina, der Cacalia ficoides und anderen, fie find des Morgens fauer wie Sauerampfer, gegen Mittag geſchmacklos, am Abend bitter. In der Nacht findet alſo ein reiner Säurebildungs⸗, Oxidationsproceß Statt, am Tage und gegen Abend ſtellt ſich der Proceß der Sauerſtoffausſcheidung ein, die Säure geht in Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. 27 Subſtanzen über, welche Waſſerſtoff und Sauerſtoff im Ber: hältniß wie im Waſſer, oder noch weniger Sauerſtoff enthal- ten, wie in allen geſchmackloſen und bittern Materien. Ja man könnte aus den verſchiedenen Zeiten, welche die grünen Blätter der Pflanzen bedürfen, um durch den Einfluß der atmoſphäriſchen Luft ihre Farbe zu ändern, die abſorbirten Sauerſtoffmengen annähernd beſtimmen. Diejenigen, welche ſich am längſten grün erhalten, werden in gleichen Zeiten we— niger Sauerſtoff aufnehmen als andere, deren Beſtandtheile eine raſche Veränderung erfahren. Man findet in der That, daß die Blätter von Ilex aquifolium , ausgezeichnet durch die Beſtändigkeit, mit welcher ſie ihre Farbe bewahren, 0,86 ihres Volumens Sauerſtoff in derſelben Zeit aufnehmen, in welcher die ſo leicht und ſchnell ihre Farbe verändernden Blätter der Pappel und Buche, die eine das Ffache, die andere das 9% fache ihres Volumens abſorbiren. Das Verhalten der grünen Blätter der Eiche, Buche und Stechpalme, welche unter der Luftpumpe bei Abſchluß des Lich— tes getrocknet und nach Befeuchtung mit Waſſer unter eine graduirte Glocke mit Sauerſtoffgas gebracht werden, entfernt jeden Zweifel über dieſen chemiſchen Proceß. Alle vermindern das Volumen des eingeſchloſſenen Sauerſtoffgaſes, und zwar in dem nemlichen Verhältniß, als ſie ihre Farbe ändern. Dieſe Luftverminderung kann nur auf der Bildung von höheren Driden, oder einer Oxidation des Waſſerſtoffs der an dieſem Elemente reichen Beſtandtheile der Pflanzen beruhen. Die Eigenſchaft der grünen Blätter, Sauerſtoff aufzuneh— men, gehört aber auch dem friſchen Holze an, gleichgültig ob es von Zweigen oder dem Innern eines Stammes genommen worden iſt. Bringt man es in dem feuchten Zuſtande, wie es vom Baume genommen wird, in feinen Spänen unter eine 28 Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. Glocke mit Sauerſtoffgas, ſo findet man ſtets im Anfange das Volumen des Sauerſtoffs verringert; während das trockene be— feuchtete Holz, welches eine Zeitlang der Atmoſphäre ausgeſetzt geweſen iſt, den umgebenden Sauerſtoff in Kohlenſäure ohne Aenderung des Volumens verwandelt, nimmt alſo das friſche Holz mehr Sauerſtoff auf. Die Herren Peterſen und Schödler haben durch ſorg— fältige Elementaranalyſe von 24 verſchiedenen Holzarten bewie— ſen, daß ſie Kohlenſtoff, die Elemente des Waſſers und noch außerdem eine gewiſſe Menge Waſſerſtoff im Ueberſchuß ent- halten; das Eichenholz friſch vom Baume genommen und bei 1000 getrocknet, enthielt 49,432 Kohlenſtoff, 6,069 Wafferftoff und 44,499 Sauerſtoff. Die Quantität Waſſerſtoff, welche nöthig iſt, um mit 44,498 Sauerſtoff Waſſer zu bilden, iſt 4 dieſer Quantität, nemlich 5,56, es iſt klar, daß das Eichenholz ½e mehr Waffer- ſtoff enthält, als dieſem Verhältniß entſpricht, Pinus larix, Abies und Picea enthalten , die Linde (Tilia europaea) ſogar % mehr Waſſerſtoff; man ſieht leicht, daß der Waſſerſtoffgehalt in einiger Beziehung ſteht zu dem ſpecifiſchen Gewichte; die leichten Holzarten enthalten mehr davon als die ſchweren; das Ebenholz (Diospyros Ebenum) enthält genau die Elemente des Waſſers. Der Unterſchied in der Zuſammenſetzung der Holzarten von der der reinen Holzfaſer beruht unläugbar auf der Gegenwart von waſſerſtoffreichen und ſauerſtoffarmen, zum Theil löslichen Beſtandtheilen, in Harz und anderen Stoffen, deren Waſſer— ſtoff ſich in der Analyſe zu dem der Holzfaſer addirt. Wenn nun, wie erwähnt worden iſt, das in Verweſung begriffene Eichenholz Kohle und die Elemente des Waſſers ohne Ueberſchuß an Waſſerſtoff enthält, wenn es während ſei⸗ Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. 29 ner Verweſung das Volumen der Luft nicht ändert, ſo muß nothwendig dieſes Verhältniß im Beginn der Verweſung ein anderes geweſen ſein, denn in den waſſerſtoffreichen Beſtand— theilen des Holzes iſt der Waſſerſtoff vermindert worden, und dieſe Verminderung kann nur durch eine Abſorbtion des Sauer— ſtoffs bewirkt worden ſein. Die meiſten Pflanzenphyſiologen haben die Aushauchung der Kohlenſäure während der Nacht mit der Aufnahme von Sauerſtoffgas aus der Atmoſphäre in Verbindung gebracht, ſie betrachten dieſe Thätigkeit als den wahren Athmungsproceß der Pflanzen, welcher, wie bei den Thieren, eine Entkohlung zur Folge hat. Es giebt kaum eine Meinung, deren Baſis ſchwan— kender, man kann ſagen, unrichtiger iſt. Die von den Blättern, von den Wurzeln mit dem Waſſer aufgenommene Kohlenſäure wird mit der Abnahme des Lichtes nicht mehr zerſetzt, fie bleibt in dem Safte gelöft, der alle Theile der Pflanze durchdringt; in jedem Zeitmomente verdun— ſtet mit dem Waſſer aus den Blättern eine ihrem Gehalt ent- ſprechende Menge Kohlenſäure. Ein Boden, in welchem die Pflanzen kräftig vegetiren, enthält als eine nie fehlende Bedingung ihres Lebens unter allen Umſtänden eine gewiſſe Quantität Feuchtigkeit, nie fehlt in dieſem Boden kohlenſaures Gas; gleichgültig, ob es von demſelben aus der Luft aufgenommen oder durch die Verwe— ſung von Vegetabilien erzeugt wird; kein Brunnen- oder Quellwaſſer, nie iſt das Regenwaſſer frei von Kohlenſäure; in keinerlei Perioden des Lebens einer Pflanze hört das Ver— mögen der Wurzel auf, Feuchtigkeit und mit derſelben Luft und Kohlenſäure einzuſaugen. Kann es nun auffallend ſein, daß dieſe Kohlenſäure mit dem verdunſtenden Waſſer von der Pflanze an die Atmoſphäre 30 Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. unverändert wieder zurückgegeben wird, wenn die Urſache der Firirung des Kohlenſtoffs, wenn das Licht fehlt? Dieſe Aushauchung von Kohlenſäure hat mit dem Aſſimi⸗ lationsproceß, mit dem Leben der Pflanze eben ſo wenig zu thun, als wie die Einſaugung des Sauerſtoffs. Beide ſtehen mit einander nicht in der geringſten Beziehung, der eine iſt ein rein mechaniſcher, der andere ein rein chemiſcher Proceß. Ein Docht von Baumwolle, den man in eine Lampe verſchließt, welche eine mit Kohlenſäure geſättigte Flüſſigkeit enthält, wird ſich gerade ſo verhalten, wie eine lebende Pflanze in der Nacht, Waſſer und Kohlenſäure werden durch Capillarität aufgeſaugt, beide verdunſten außerhalb an dem Dochte wieder. Pflanzen, welche in einem feuchten, an Humus reichen Bo— den leben, werden in der Nacht mehr Kohlenſäure aushauchen, als andere an trockenen Standörtern, nach dem Regen mehr als bei trockener Witterung; alle dieſe Einflüſſe erklären die Menge von Widerſprüchen in den Beobachtungen, die man in Beziehung auf die Veränderung der Luft durch lebende Pflan— zen oder durch abgeſchnittene Zweige davon, bei Abſchluß des Lichtes oder im gewöhnlichen Tageslichte gemacht hat. Wider⸗ ſprüche, welche keiner Beachtung werth ſind, da ſie nur That— ſachen feſtſtellen, ohne die Frage zu löſen. Es giebt aber noch andere entſcheidende Beweiſe, daß die Pflanzen mehr Sauerſtoff an die Luft abgeben, als fie über⸗ haupt derſelben entziehen, Beweiſe, die ſich freilich nur an den Pflanzen, welche unter Waſſer leben, mit Sicherheit führen laſſen. Wenn die Oberfläche von Teichen und Gräben, deren Boden mit grünen Pflanzen bedeckt iſt, im Winter gefriert, ſo daß das Waſſer von der Atmoſphäre völlig durch eine Schicht klaren Eiſes abgeſchloſſen iſt, ſo ſieht man während des Ta⸗ Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. 31 ges und ganz vorzüglich während die Sonne auf das Eis fällt, unaufhörlich kleine Luftbläschen von den Spitzen der Blätter und kleineren Zweige ſich löſen, die ſich unter dem Eiſe zu großen Blaſen ſammeln; dieſe Luftblafen find reines Sauer— ſtoffgas, was ſich beſtändig vermehrt; weder bei Tage, wenn die Sonne nicht ſcheint, noch bei Nacht, läßt ſich eine Vermin— derung beobachten. Dieſer Sauerſtoff rührt von der Kohlen— ſäure her, die ſich in dem Waſſer befindet, und in dem Grade wieder erſetzt wird, als ſie die Pflanzen hinwegnehmen; ſie wird erſetzt durch fortſchreitende Fäulnißproceſſe in abgeſtorbe— nen Pflanzenüberreſten. Wenn demnach dieſe Pflanzen Sauer— ſtoffgas während der Nacht einſaugen, ſo kann ſeine Menge nicht mehr betragen, als das umgebende Waſſer aufgelöſt ent— hält, denn der in Gasform abgeſchiedene wird nicht wieder aufgenommen. Das Verhalten der Waſſerpflanzen kann nicht als Aus— nahme eines großen Naturgeſetzes gelten, um ſo weniger, da die Abweichungen der in der Luft lebenden Gewächſe in ih— rem Verhalten gegen die Atmoſphäre ihre natürliche Erklärung finden. Die Meinnng, daß die Kohlenſäure ein Nahrungsmittel für die Pflanzen ſei, daß ſie den Kohlenſtoff derſelben in ihre eigene Maſſe aufnehmen, iſt nicht neu; fie iſt von den ein- ſichtsvollſten und gediegenſten Naturforſchern, von Prieſtley, Sennebier, Ingenhouß, de Sauſſure und anderen aufgeſtellt, bewieſen und vertheidigt worden. Es giebt in der Naturwiſſenſchaft kaum eine Anſicht, für welche man entſchiedenere und ſchärfere Beweiſe hat; woraus läßt ſich nun erklären, daß fie von den meiſten Pflanzenphyſio— logen in ihrer Ausdehnung nicht anerkannt, daß ſie von vielen beſtritten, daß ſie von einzelnen als widerlegt betrachtet wird? 32 Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. Allem dieſem zuſammengenommen unterliegen zwei Urſa— chen, die wir jetzt beleuchten wollen. Die eine dieſer Urſachen iſt, daß ſich in der Botanik alle Talente und Kräfte in der Erforſchung des Baues und der Structur, in der Kenntniß der äußeren Form verſplittert ha— ben, daß man die Chemie und Phyſik bei der Erklärung der einfachſten Proceſſe nicht mit im Rathe ſitzen läßt, daß man ihre Erfahrungen und Geſetze als die mächtigſten Hülfsmittel zur Erkenntniß nicht anwendet; man wendet ſie nicht an, weil man verſäumt, ſie kennen zu lernen. Alle Entdeckungen der Phyſik und Chemie, alle Auseinan— derſetzungen des Chemikers, fie müſſen für fie erfolg- und wirkungslos bleiben, denn ſelbſt für ihre Koryphäen ſind Koh— lenſäure, Ammoniak, Säuren und Baſen bedeutungsloſe Laute, es ſind Worte ohne Sinn, Worte einer unbekannten Sprache, die keine Beziehungen, keine Gedanken erwecken. Sie verfah— ren wie Ungebildete, welche den Werth und Nutzen der Kennt— niß einer fremden Literatur um ſo tiefer herabſetzen und um ſo geringſchätzender beurtheilen, je weniger ſie davon verſtehen, denn ſelbſt diejenigen unter ihnen, die ſie verſtanden, ſie ſind nicht begriffen worden *). ) Das Wachſen einer Pflanze. Wie das Entſtehen einer Pflanze durch irdiſche allgemeine Thätigkeit bedingt iſt, ſo auch ihr Wachſen und Beſtehen. Das Wachſen der Pflanzen geſchieht allſeitig und nur vorherrſchend ſtärker nach gewiſſen Richtungen unter beſtimmten Umſtänden. Um die Geſetze, nach wel— chen das Wachſen und das Geſtalten der Pflanzen ſtattfindet, nur einigermaßen begreiflich finden zu können, muß man die folgenden naturwiſſenſchaftlichen Anſichten ſich deutlich gemacht haben. „Jeder ſtoffige Körper iſt feinem Weſen nach der Schwere unter— worfen, und auch der Pflanzenkörper folgt ihr, und die Pflanze über— windet nur theilweiſe durch eigene Selbſtthätigkeit dieſe Kraft. — Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. 33 Die Phyſiologen verwerfen in der Erforſchung der Geheim— niſſe des Lebens die Chemie, und dennoch kann ſie es allein nur ſein, welche den richtigen Weg zum Ziele führt, ſie ver— werfen die Chemie, weil ſie zerſtört, indem ſie Erkenntniß ſucht, weil ſie nicht wiſſen, daß ſie dem Meſſer des Anatomen gleicht, welcher den Körper, das Organ, als ſolche vernichten muß, wenn er Rechenſchaft über Bau, Structur und über 2. Das Licht offenbart ſich in der Natur als das unendlich Schaffende, Is fo daß es (nach Steffens) das für die Natur ift, was das Be— wußtſein für das geiſtige Leben. Durch Licht iſt daher neues Leben erſt möglich und jede Pflanze verlangt ihrem Weſen nach eine be— ſtimmte Einwirkung des Lichtes, ſo daß bei zu viel Licht die Pflanze an Ueberreiz, und bei zu wenig Licht aus Mangel an Ueberreiz ſtirbt. Kälte und Wärme find begleitende Erſcheinungen der Dinge beim Uebergange zum formloſen, theils zum beſonderen mit innerem Ge— genſatze, und ſie zeigen überhaupt nur Zuſtände der Dinge au. D nun im Zuſtande der Kälte Alles erſtarrt und nur in dem der Wärme etwas thätig oder flüſſig ſein kann, ſo können auch Pflanzen nur im Zuſtande der Wärme thätig fein, alſo entſtehen und wachſen, und jede beſondere Pflanze wird einen beſonderen Zuſtand der Wärme verlangen- Das Erdige, zuſammengeſetzt aus Kohleuſtoff, Sauerſtoff und Waſſer— ſtoff, iſt ein Hauptbeſtandtheil der Pflanze. Weil jedoch der Koh— lenſtoff als die Grundlage der Erde, als Element erſcheint, fo iſt dieſer die unentbehrliche Nahrung für die Pflanzen; darum ſind auch alle Pflanzen verbrennlich und verwandeln ſich durch das Verbren— nen in Kohle. Im luftförmigen Zuſtande (als Gas) iſt der Kohlen— ſtoff nicht rein, ſondern mit dem Sauerſtoffgas als kohlenſaures Gas Gohlenſäure, Urſäure, wie Schwere die Urkraft iſt) verbun— den, und dieſe Kohlenſäure iſt ja fo ungemein günſtig zum Gedeihen der Pflanzen. Das Waſſer iſt der ſichtbarſte Beſtandtheil (oft 24) der Pfiauzen, fo daß ohne daſſelbe ebenfalls keine Pflanze möglich iſt. Da mithin das Waſſer hauptſächlich aus Sauerſtoff, etwas vom ſogenannten Waſſerſtoff und einem Minimum des Kohlenſtoffs beſteht, ſo ſtellt der Sauerſtoff die Grundlage des Waſſerelements dar. Ohne den Sauer— ſtoff keimt nicht einmal ein Saamen, geſchweige daß eine Pflanze ohne ihn wachſen könnte. 3 34 Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. feine Verrichtungen geben ſoll ?); ſie huldigen dem Ausſpruche Hallers und ſchreiben der Lebenskraft zu, was fie nicht begrei- fen, was ſie nicht erklären können, gerade ſo, wie man vor 30 Jahren Alles durch Galvanismus verdeutlicht fand, zu einer Zeit, wo man am allerwenigſten die Natur der Elektricität er⸗ kannt hatte. Darf man ſich wundern, wenn man ſtatt Er⸗ klärungen und Einfiht nur Bilder, nur Hypotheſen findet, kann man von ihnen etwas Anderes als Täuſchungen und Trugſchlüſſe erwarten? Es iſt die deutſche Naturphiloſophie, die ihren Namen mit ſo großem Unrecht trägt, welche die Kunſt verbreitet hat, 6. Durch die Luft, als Element, wird beim Einathmen jedes Leben der Pflanzen (und Thiere) erhalten, und wenn durch ihre Einwirkung, wegen ihrer großen Leichtigkeit, auch die Pflanzenmaſſe nicht ſehr ver— größert wird, ſo müſſen, zum Belebtſein, doch alle Theile von ihr ſtetig durchdrungen und umgeben ſein. Die Grundlage der Luft iſt das Stickgas, da dieſes aber nicht einfach, ſondern mit dem Sauer⸗ ſtoff gemengt erſcheint, welche luftförmige Verbindung dann Waſſer⸗ ſtoff genannt wird (weil ſie beim Zerſetzen des Waſſers in einer glühenden eiſernen Röhre entſteht!), ſo kann man ſagen, die Luft beſtehe aus Sauerſtoff, Waſſerſtoff (Stickſtoff) und Kohlenſtoff, und der Waſſerſtoff macht einen weſentlichen Beſtandtheil der Pflanzen aus. Das Vorſtehende wird hier als Beiſpiel der Behandlung der Pflanzen— phyſiologie und der Anſichten mancher Botaniker über die Ernährung der Gewächſe gegeben; es iſt aus J. A. Reum's, Profeſſor in Tharand (Mitglied mehrerer wiſſenſchaftlicher Vereine ꝛc.), Forſtbotanik. ste Auflage, Leipzig, Arnold'ſche Buchhandlung, 1837. ) Das Axiom unſerer Theorie iſt alſo: Die Natur iſt die Erſcheinung des Unendlichen im Endlichen, da nun das Unendliche das Abſolute, Alleinige, das Endliche aber das Relative, Mannichfaltige iſt, ſo giebt es auch nur zwei weſentliche Urformen der Naturthätigkeit. »In der pflanzlichen und thieriſch bewußtloſen Zeugung iſt die Be⸗ fruchtung eine eleetriſche Wirkung bei offener Kette.« »Bei der innerlichen Begattung wirkt er (der Saame) auf das weibliche Leben ſelbſt, ſteigert ſein Daſein zu einer magnetiſchen Entfaltung, welche in einer Zerſetzung des Fruchtſtoffs ſich ausſpricht, und darin beſteht das Weſen der Befruchtung.« Burdach's Phyſtologie als Erfahrungswiſſenſchaft. Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. 35 ohne gründliche Forſchungen und Beobachtungen ſich Rechen— ſchaft von den Erſcheinungen zu geben, eine Kunſt, der es an Jüngern nicht fehlen wird, ſo lange Arbeiten ohne Mühe und Anſtrengung, Aufmunterung und Anerkennung finden; ſie zeugte die taubſtummen und blinden Kinder der Unwiſſenheit und des Mangels aller Beobachtungsgabe, ſie iſt es, die in den vor— hergegangenen Jahren alle Fortſchritte in ihrem Keime erſtickte. Sobald den Phyſiologen die geheimnißvolle Lebenskraft in einer Erſcheinung entgegentritt, verzichten ſie auf ihre Sinne und Fähigkeiten, das Auge, der Verſtand, das Urtheil und Nachdenken, alles wird gelähmt, ſo wie man eine Erſcheinung für unbegreiflich erklärt. Vor dieſer allerletzten Urſache befinden ſich noch eine Menge letzte. Von dem Ringe aus, wo die Kette anfängt, bis zu uns ſind noch eine Menge unbekannte Glieder. Sollen dieſe Glieder dem menſchlichen Geiſte unantaſtbar bleiben, welcher die Geſetze der Bewegung der Weltkörper erforſcht hat, von deren Exiſtenz ihn nur ein einzelnes Organ unterrichtet, ihm, dem auf unſern Erdkörper noch ſo viele andere Hülfsmittel zu Gebote ſtehen? Wenn reine Kartoffelſtärke in Salpeterſäure gelöß't einen Ring des reinſten Wachſes hinterläßt, was kann dem Schluſſe des Chemikers entgegengeſetzt werden, daß jedes Stärkekörnchen aus concentriſchen Schichten Wachs und Amylon beſteht, von denen die eine und die andere ſich gegenſeitig ſowohl vor dem Angriff des Waſſers als des Aethers ſchützen? Kann man zu Schlüſſen dieſer Art, welche die Natur und das Verhalten aufs Vollkommenſte erläutern, durch Mikroskope gelangen? Iſt es möglich, auf rein mechaniſchem Wege in einem Stück Brod den Kleber dem Auge ſichtbar zu machen, die kleinſten Theilchen des Klebers in ihrem Zuſammenhange und allen 3 * 36 Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. ihren Verzweigungen? Dies ift durch kein Werkzeug möglich, und dennoch dürfen wir das Stück Brod nur in eine lau— warme Abkochung von gekeimter Gerſte legen, um alle Stärke, alles ſogenannte Dertrin ſich wie Zucker im Waſſer auflöſen zu ſehen. Man behält zuletzt nichts übrig, als den Kleber in der Form des feinſten Schwammes, deſſen kleinſte Poren durch Mikroskope nur ſichtbar ſind. Unzählige Hülfsmittel dieſer Art bietet die Chemie zur Er— forfhung der Beſchaffenheit der Organe dar; fie werden nicht benutzt, weil ſie Niemand bedarf. Man kennt mit Zuverläſſigkeit die wichtigſten Organe und Functionen von Thieren, die dem bloßen Auge nicht ſichtbar find, aber in der Pflanzenphyſiologie iſt ein Blatt ſtets ein Blatt. Aber ein Blatt, was Terpentinöl, Citronöl erzeugt, muß eine andere Beſchaffenheit beſitzen, als ein Blatt, in dem Sauerkleeſäure gebildet wird. Die Lebenskraft bedient ſich in ihren eigenthümlichen Aeußerungen ſtets beſonderer Werkzeuge, für jede Verrichtung eines beſondern Organs. Der auf einen Citronenbaum gepflanzte Roſenzweig bringt keine Citronen, er bringt Roſen hervor. Man hat unendlich vieles geſehen, aber das Sehenswürdigſte iſt zu ſehen nicht verſucht worden. Die zweite Urſache iſt, daß man in der Phyſiologie die Kunſt nicht kennt, Verſuche zu machen, eine Kunſt, die man freilich nur in chemiſchen Laboratorien lernen kann. Die Natur redet mit uns in einer eigenthümlichen Sprache, in der Sprache der Erſcheinungen, auf Fragen giebt ſie jeder— zeit Antwort, die Fragen ſind die Verſuche. Ein Verſuch iſt der Ausdruck eines Gedankens, entſpricht die hervorgerufene Erſcheinung dem Gedachten, ſo ſind wir einer Wahrheit nahe; das Gegentheil davon beweiſ't, daß die Frage falſch geſtellt, daß die Vorſtellung unrichtig war. Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. 37 Eine Prüfung der Verſuche eines Andern iſt eine Prüfung ſeiner Anſichten, für die er Beweiſe gegeben hat; wenn die Prüfung nur negirt, wenn ſie keine richtigeren Vorſtellungen an die Stelle derjenigen ſetzt, die man zu widerlegen ſucht, ſo verdient eine ſolche Wiederholung von Verſuchen nicht beachtet zu werden, denn je ſchlechter der wiederholende Frageſteller Experimentator iſt, deſto ſchärfer, deſto größer im Widerſpruch fällt ſein Beweis aus. Man vergißt in der Phyſiologie zu ſehr, daß es ſich nicht darum handelt, die Verſuche eines Andern zu widerlegen oder unrichtig zu finden, ſondern daß das Ziel, nach dem wir Alle ſtreben, die Wahrheit und nur die Wahrheit iſt. Daher denn dieſer Ballaſt von nichtsbedeutenden, aufs Geradewohl gemach— ten Verſuchen; man erſtaunt, wenn man ſich überzeugt, wie der ganze Aufwand von Zeit und Kraft einer Menge Perſo— nen von Geiſt, Talent und Kenntniſſen darauf hinausläuft, ſich gegenſeitig zu ſagen, daß ſie vollkommen Unrecht haben. Auch ſie haben mit dem beſten Willen, mit aller Gewiſſen— haftigkeit Verſuche angeſtellt, und die Meinung, ob die Koh— lenſäure wirklich nähre, einer Prüfung unterworfen, allein die Antwort entſprach dieſer Anſicht nicht, ſie fiel gänzlich vernei— nend aus. Wie waren aber die Fragen geſtellt? Sie ſäeten den Saamen von Balſaminen, Vietsbohnen, Kreſſe, Kürbis in reinen carrariſchen Marmor und begoſſen ihn mit kohlenſäurehaltigem Waſſer, die Saamen gingen auf, allein die Pflanzen waren nicht bis zur Entwickelung des drit— ten Blättchens zu bringen. Sie ließen in anderen Fällen das Waſſer von unten hinauf in den Marmor dringen, aber vergebens, alle ſtarben; merk— würdiger Weiſe brachten es Andere in reinem, deſtillirtem Waſſer weiter als in der Kohlenſäure, aber ſie gingen dennoch zu Grunde. 38 Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. Andere ſäeten Saamen von Pflanzen in Schwefelblumen, in Schwerſpath, und ſuchten ſie mit Kohlenſäure zu nähren, allein ohne Erfolg; dieſe Klaſſen von Verſuchen ſind es im Allgemeinen, welche als poſitive Beweiſe betrachtet werden, daß die Kohlen— ſäure nicht nähre, allein ſie ſind gegen alle Regeln einer ratio— nellen Naturforſchung, gegen alle Regeln der Chemie angeſtellt. Zum Leben einer Pflanze gehören mehrere, für beſondere Pflanzengattungen befondere Bedingungen; giebt man der Pflanze ſonſt alles, und ſchließt nur eine einzige Bedingung aus, ſo wird ſie nicht zur Entwickelung gelangen. Die Organe einer Pflanze, wie die eines Thieres, enthal— ten Materien von der verſchiedenſten Zuſammenſetzung, ſtick— ſtoffhaltige und ſtickſtofffreie, ſie enthalten Metalloxide in der Form von Salzen. Die Nahrungsmittel, welche zur Reproduction aller Organe dienen ſollen, müſſen nothwendig alle ihre Elemente enthalten. Dieſe unerläßlichſten aller Bedingungen hinſichtlich der chemiſchen Beſchaffenheit eines Nahrungsmittels können in einem einzelnen Stoffe ſich vereinigt vorfinden, oder es können mehrere ſein, in welchem Falle denn der eine enthält, was dem andern fehlt. Man hat mit einer ſtickſtoffhaltigen Subſtanz allein, mit Gallerte, Hunde zu Tode gefüttert; ſie ſtarben an Weißbrod, an Zucker und Stärke, wenn ſie ausſchließlich ſtatt aller andern als Nahrung gegeben wurden. Kann man hieraus ſchließen, daß dieſe Materien kein aſſimilirbares Element enthalten? Gewiß nicht. Die Lebensart iſt die einem jeden einzelnen Organe inn- wohnende Fähigkeit, ſich ſelbſt in jedem Zeitmomente neu wie- der zu erzeugen: hierzu gehören Stoffe, welche ſeine Elemente enthalten, und dieſe Stoffe müſſen ſich zu Metamorphoſen eignen. Alle Organe zuſammengenommen können kein einzelnes Element, keinen Stickſtoff, Kohlenſtoff oder ein Metalloxid erzeugen. Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. 39 Iſt die Maſſe der dargebotenen Stoffe zu groß, oder ſind ſie keiner Metamorphoſe fähig, oder üben ſie eine chemiſche Wirkung irgend einer Art auf das Organ aus, ſo unterliegt das Organ ſelbſt einer Metamorphoſe. Alle ſogenannten Gifte gehören der letzteren Klaſſe an. Die beſten Nahrungsmittel können den Tod bewirken. Alle dieſe Bedingungen der Ernährung müſſen bei Verſu— chen der Art in Rechnung genommen werden. Außer den Elementen, welche Beſtandtheile von Organen ausmachen, bedürfen Thiere und Pflanzen noch anderer Stoffe, deren eigentliche Function unbekannt iſt. Es ſind dies anor— ganiſche Materien, das Kochſalz z. B., bei deſſen gänzlicher Abweſenheit der Tod bei den Thieren unausbleiblich erfolgt. Wenn wir mit Beſtimmtheit wiſſen, daß es einen Körper giebt, den Humus z. B., welcher fähig iſt, eine Pflanze bis zur vollendeten Entwickelung mit Nahrung zu verſehen, ſo führt uns die Kenntniß ſeines Verhaltens und ſeiner Zuſam— menſetzung auf die Bedingungen des Lebens einer Pflanze. Es muß ſich alsdann mit dem Humus gerade ſo verhal— ten, wie mit einem einzigen Nahrungsmittel, was die Natur für den animaliſchen Organismus producirt, nemlich mit der Milch. Wir finden in der Milch einen an Stickſtoff reichen Kör— per, den Käſe, eine Subſtanz, welche reich an Waſſerſtoff iſt, die Butter, einen dritten, welcher eine große Menge Sauerſtoff und Waſſerſtoff in dem Verhältniß wie im Waſſer enthält, den Milchzucker; in der Butter befindet ſich eine der aromatiſchen Subſtanzen, die Butterſäure; ſie enthält in Auflöſung milchſaures Natron, phosphorſauern Kalk und Kochſalz. Mit der Kenntniß von der Zuſammenſetzung der Milch ken— nen wir die Bedingungen des Aſſimilationsproceſſes aller Thiere. 40 Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. In Allem, was Menſchen und Thieren zur Nahrung dient, finden wir dieſe Bedingungen vereinigt, bei vielen in einer andern Form und Beſchaffenheit, aber keine davon darf auf eine gewiſſe Zeitdauer hinaus fehlen, ohne daß die Folgen davon an dem Befinden des Thieres bemerkbar find *). Die Kenntniß der Fähigkeit eines Körpers, als Nahrungs⸗ mittel zu dienen, ſetzt in ihrer Anwendung die Ausmittlung der Bedingungen voraus, unter welchen er aſſimilirbar iſt. Ein fleiſchfreſſendes Thier ſtirbt bei allem Ueberfluß an Speiſe unter der Luftpumpe, in der Luft ſtirbt es, wenn die Anforderungen ſeines Magens nicht befriedigt werden, es ſtirbt in reinem Sauerſtoffgas bei einem Ueberfluß von Speiſe. Kann man hieraus ſchließen, daß weder Fleiſch, noch Luft, noch Sauerſtoff geeignet ſind, das Leben zu erhalten? Gewiß nicht. Aus dem Piedeſtal der Trajansſäule in Rom kann man jedes einzelne Steinſtück herausmeißeln, wenn bei dem Heraus— ) Die unklaren Vorſtellungen über die Materien, welche als Nahrungs— mittel für Menſchen und Thiere betrachtet werden müſſen, führen täglich zu einer Menge der widerſinnigſten Anwendungen. Man giebt Säug— lingen das Stärkemehl aus Pfeilwurzeln (Arrowroot), Salep ıc., und glaubt fie damit zu ernähren, während dieſe Subſtanzen nur zur Fettbildung (ſtickſtofffrelen Subſtanz) ſich eignen und keinen Beſtand— theil enthalten, der ihren Knochen die kleinſte Quantität phosphor— ſauren Kalks zuzuſetzen vermöchte, keinen Beſtandtheil, aus dem ſich das feinſte Muskelfäſerchen zu bilden vermöchte. In Folge dieſer Nahrung bedecken ſich ihre Glieder mit Fett, ſie bekommen Grübchen in den. Wangen und Armen, allein keinem Theile des Körpers wächſt die mindeſte Kraft zu. Für die Geſundheit des Kindes iſt es völlig gleich— gültig, ob es in der Milch dieſe Nahrung genießt oder nicht. Linſen und Erbſen ſind reich an ſtickſtoffhaltiger Materie, fie ma— chen ſatt, ohne aber ein Aequivalent von Kraft zu geben, denn in ih— nen fehlt der Hauptbeſtandtheil der Knochen (phosphorſaurer Kalk), der in dem Brod und Fleiſch niemals mangelt. Man ſehe über den Begriff von Nahrungsmitteln das Kapitel Gift — Gontagien — Miasmen. Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. 41 nehmen des zweiten und dritten ꝛc. die erſten wieder eingeſetzt werden. Kann man hieraus ſchließen, daß dieſe Säule in der Luft ſchwebt, daß kein einzelnes Stück der Unterlage trägt? Sicherlich nicht. Und dennoch hat man den ſtrengſten Beweis geführt, daß jedes bezeichnete Stück hinweggenommen werden kann, ohne daß die Säule umfällt. Die Pflanzen- und Thierphyſiologen verfahren aber in Be— ziehung auf den Aſſimilationsproceß nicht anders. Ohne die Bedingung des Lebens, die Beſchaffenheit und Nahrungsmittel, die Natur und Beſtandtheile der Organe zu kennen, ſtellen ſie Verſuche an, Verſuche, denen man Beweiskraft zuſchreibt, wäh— rend ſie Mitleid und Bedauern erwecken. Iſt es möglich, eine Pflanze zur Entwickelung zu bringen, wenn man ihr nicht neben Waſſer und Kohlenſäure eine ſtick— ſtoffhaltige Materie giebt, die ſie zur Erzeugung der ſtickſtoff— haltigen Beſtandtheile im Safte bedarf? Muß ſie nicht bei allem Ueberfluß an Kohlenſäure ſterben, wenn die wenigen Blätter, die ſich gebildet haben, den Stick— ſtoffgehalt des Saamens verzehrt haben? Kann eine Pflanze überhaupt in carrariſchem Marmor wach— ſen, ſelbſt wenn ihr eine ſtickſtoffhaltige Materie dargeboten wird, wenn man den Marmor mit kohlenſäurehaltigem Waſſer begießt, was den Kalk auflöſ't und ein ſaures kohlenſaures Kalkſalz bildet? Eine Pflanze aus der Familie der Plumba— gineen, bei denen die Blattoberfläche aus feinen hornartigen oder ſchuppigen Auswüchſen von kriſtalliſirtem kohlenſaurem Kalk beſteht, würde vielleicht unter dieſen Umſtänden zur Entwicke— lung kommen; daß aber die Kreſſe, der Kürbis, die Balſami— nen bei Abweſenheit des Stickſtoffs durch ſauren kohlenſauren Kalk nicht ernährt werden können, daß letzterer als Gift wirkt, dieß kann man als eine völlig durch dieſe Verſuche bewieſene 42 Die Affimilation des Kohlenſtoffs. Thatſache annehmen, denn in reinem Waſſer, ohne Kalk und Kohlenſäure, bringen es dieſe Pflanzen noch weiter. Die Schwefelblumen ziehen im feuchten Zuſtande aus der Luft Sauerſtoff an und werden ſauer. Läßt ſich erwarten, daß bei Gegenwart von freier Schwefelſäure eine Pflanze in Schwefelblumen durch Kohlenſäure allein ernährt werden kann? So wenig ſich auch in Stunden oder Tagen an Schwefelſäure bilden mag, die Fähigkeit der Schwefeltheile, Sauerſtoff anzu—⸗ ziehen und zurückzuhalten, iſt in jedem Zeitmomente da. Wenn man weiß, daß die Wurzeln Feuchtigkeit, Kohlen⸗ ſäure und Luft bedürfen, darf man ſchwefelſauren Baryt, deſſen Beſchaffenheit und Schwere den Zutritt der Luft ganz und gar ab» ſchließt, als Mittel wählen, um Pflanzen darin wachſen zu laſſen? Alle dieſe Verſuche ſind für die Entſcheidung irgend einer Frage völlig bedeutungslos. Wenn man noch überdieß unge— wiß über die Rolle iſt, welche die verſchiedenen fremden an⸗ organiſchen Materien in den Pflanzen ſpielen, ſo lange darf man aufs Geradewohl keinen Boden wählen. Es iſt völlig unmöglich, eine Pflanze aus der Familie der Gramineen oder Equiſetaceen, welche in ihrem feſten Gerippe kieſelſaures Kali enthalten, ohne Kieſelerde und Kali, eine Dralisart ohne Kali, eine Salzpflanze ohne Kochſalz oder ein Salz von gleicher Wirkungsweiſe zur Entwickelung zu brin⸗ gen; alle Saamen der Cerealien enthalten phosphorſaure Bit⸗ tererde, der feſte Theil der Althäwurzeln enthält mehr phos⸗ phorſauren Kalk als Holzfaſer. Sind dieß denn lauter durch⸗ aus entbehrliche Materien? Darf man eine Pflanze zu einem Verſuche wählen, wenn man nicht entfernt weiß, was ſie zu ihrer Aſſimilation bedarf? Welchen Werth kann man nun vernünftiger Weiſe Verſuchen beilegen, wo man mit der größten Sorgfalt Alles ausgeſchloſſen Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. 43 hat, was die Pflanze neben ihrer Nahrung überhaupt noch bedarf, um ſie, um dieſe Nahrung nemlich, aſſimilirbar zu machen? Kann man die Geſetze des Lebens erforſchen an einem Or— ganismus, der ſich in einem dauernden Zuſtande des Krank— ſeins und beſtändigen Sterbens befindet? Diebloße Beobachtung einer Wieſe, eines Waldes iſt unendlich mehr geeignet, über ſo einfache Fragen zu entſcheiden, als alle dieſe kleinlichen Verſuche unter Glasglocken; anſtatt einer Pflanze haben wir Tauſende von Pflanzen, dieß iſt der einzige Unterſchied; wenn wir die Beſchaffenheit eines einzigen Cubiczolls ihres Bo— dens, wenn wir die der Luft und des Regenwaſſers kennen, ſo haben wir damit alle Bedingungen ihres Lebens in der Hand. Wenn wir die Formen kennen, in welchen die Pflanze ihre Nahrung aufnimmt, wenn wir die Zuſammenſetzung der Nahrung mit den Beſtandtheilen der Pflanze vergleichen, ſo kann uns ohne Zweifel der Urſprung aller ihrer Elemente nicht entgehen. Dieſe Fragen ſollen in dem Folgenden einer Unterſuchung, einer Discuſſion unterworfen werden. In dem Vorhergehenden iſt der Beweis niedergelegt, daß der Kohlenſtoff der Pflanzen aus der Atmoſphäre ſtammt; es ſind nun die Wirkungen des Humus und der anorganiſchen Be— ſtandtheile der Pflanzen, ſo wie der Antheil, den beide an der Entwickelung der Vegetation nehmen, und die Quellen des Stickſtoffs zu beleuchten. Urſprung und Verhalten des Humus. Es iſt in dem zweiten Theile auseinandergeſetzt, daß alle Pflanzen und Pflanzentheile mit dem Aufhören des Lebens zwei Zerſetzungsproceſſe erleiden, von denen man den einen 44 Urſprung und Verhalten des Humus. Gährung oder Fäulniß, den andern Verweſung nennt. Es iſt gezeigt worden, daß die Verweſung einen langſamen Verbrennungsproceß bezeichnet, den Vorgang alſo, wo die ver- brennlichen Beſtandtheile des verweſenden Körpers ſich mit dem Sauerſtoff der Luft verbinden. Die Verweſung des Hauptbeſtandtheiles aller Vegetabilien, der Holzfaſer zeigt eine Erſcheinung eigenthümlicher Art. Mit Sauerſtoff in Berührung, mit Luft umgeben, verwan⸗ delt ſie nemlich den Sauerſtoff in ein ihm gleiches Volumen kohlenſaures Gas; mit dem Verſchwinden des Sauerſtoffs hört die Verweſung auf. Wird dieſes kohlenſaure Gas hinweggenommen und durch Sauerſtoff erſetzt, ſo fängt die Verweſung von Neuem an, d. h. der Sauerſtoff wird wieder in Kohlenſäure verwandelt. Die Holzfaſer beſteht nun aus Kohlenſtoff und den Elemen- ten des Waſſers; von allem Andern abgeſehen, geht ihre Ver— brennung vor, wie wenn man reine Kohle bei ſehr hohen Tem— peraturen verbrennt, gerade ſo, als ob kein Waſſerſtoff und Sauerſtoff mit ihr in der Holzfaſer verbunden wäre. Die Vollendung dieſes Verbrennungsproceſſes erfordert eine ſehr lange Zeit; eine unerläßliche Bedingung zu ſeiner Unterhal— tung iſt die Gegenwart von Waſſer; Alkalien befördern ihn, Säu— ren verhindern ihn, alle antiſeptiſchen Materien, ſchweflige Säure, Queckſilberſalze und brenzliche Oele heben ihn gänzlich auf. Die in Verweſung begriffene Holzfaſer iſt der Körper, den wir Humus nennen. In demſelben Grade, als die Verweſung der Holzfaſer vor— angeſchritten iſt, vermindert ſich ihre Fähigkeit, zu verweſen, d. h. das umgebende Sauerſtoffgas in Kohlenſäure zu ver- wandeln, zuletzt bleibt eine gewiſſe Menge einer braunen oder kohlenartigen Subſtanz zurück, der ſie gänzlich fehlt, man nennt Urſprung und Verhalten des Humus. 45 ſie Moder; ſie iſt das Product der vollendeten Verweſung der Holzfaſer. Der Moder macht den Hauptbeſtandtheil aller Braunkohlenlager und des Torfes aus. In einem Boden, welcher der Luft zugänglich iſt, verhält ſich der Humus genau wie an der Luft ſelbſt; er iſt eine lang— ſame äußerſt andauernde Quelle von Kohlenſäure. Um jedes kleinſte Theilchen des verweſenden Humus ent— ſteht, auf Koſten des Sauerſtoffs der Luft, eine Atmoſphäre von Kohlenſäure. In der Cultur wird durch Bearbeitung und Auflockerung der Erde der Luft ein möglichſt ungehinderter und freier Zu— tritt verſchafft. Ein ſo vorbereiteter und feuchter Boden enthält alſo eine Atmoſphäre von Kohlenſäure, und damit die erſte und wich— tigſte Nahrung für die junge Pflanze, welche ſich darauf ent— wickeln ſoll. Im Frühlinge, wo die Organe fehlen, welche die Natur beſtimmt hat, die Nahrung aus der Atmoſphäre aufzunehmen, wo dieſe Organe erſt gebildet werden, find es die Beſtand— theile des Saamens, welche zuerſt und ausſchließlich zur Bil— dung der Wurzeln verwendet werden; mit jeder Wurzelfaſer erhält die Pflanze einen Mund, eine Lunge, einen Magen. Von dem Augenblicke an, wo ſich die erſten Wurzelfaſern gebildet haben, ſind ſie es, welche die Functionen der Blätter übernehmen, ſie führen aus der Atmoſphäre, in der ſie ſich befinden, aus dem Boden nemlich, Nahrung zu; von dem Humus ſtammt die Kohlenſäure her. Durch Auflockerung des Bodens um die junge Pflanze er— neuern und vervielfältigen wir den Zutritt der Luft, wir be— günſtigen damit die Bildung der Kohlenſäure; die Quantität der erzeugten Nahrung würde ſich vermindern mit jeder Schwie—⸗ 46 Urſprung und Verhalten des Humus. rigkeit, die ſich im Boden dieſer Lufterneuerung entgegenſtellt; bei einem gewiſſen Grade der Entwickelung der Pflanze iſt ſie es ſelbſt, welche dieſen Luftwechſel bewirkt. Die Atmoſphäre von Kohlenſäure, welche den unverweſ'ten Theil des Humus vor weiterer Veränderung ſchützt, wird von den feinen Wur- zelhaaren, den Wurzeln ſelbſt, aufgeſaugt und hinweggenommen, fie wird erſetzt durch atmoſphäriſche Luft, die ihren Platz ein- nimmt; die Verweſung ſchreitet fort, es wird eine neue Quan⸗ tität Kohlenſäure gebildet. In dieſer Zeit empfängt die Pflanze von den Wurzeln und äußeren Organen gleichzeitig Nahrung, ſie ſchreitet raſch ihrer Vollendung entgegen. Iſt die Pflanze völlig entwickelt, ſind ihre Organe der Ernährung völlig ausgebildet, fo bedarf fie der Kohlenſäure des Bodens nicht mehr. Mangel an Feuchtigkeit, völlige Trockenheit des Bodens hemmen die Vollendung ihrer Entwickelung nicht mehr, wenn ſie vom Thau und der Luft ſo viel Feuchtigkeit empfängt, als ſie zur Vermittelung der Aſſimilation bedarf; im heißen Sommer ſchöpft ſie den Kohlenſtoff ausſchließlich aus der Luft. Wir wiſſen bei den Pflanzen nicht, welche Höhe und Stärke ihnen die Natur angewieſen hat, wir kennen nur das gewöhn⸗ liche Maaß ihrer Größe. Als große werthvolle Seltenheiten ſieht man in London und Amſterdam Eichbäume, von chineſiſchen Gärtnern gezogen, von anderthalb Fuß Höhe, deren Stamm, Rinde, Zweige und ganzer Habitus ein ehrwürdiges Alter erkennen laſſen, und die kleine Teltower-Rübe wird in einem Boden, wo ihr frei ſteht, ſo viel Nahrung aufzunehmen, als ſie kann, zu einem e Pfunde ſchweren Dickwanſt. Die Maſſe einer Pflanze ſteht im Verhältniß zu der Oberfläche der Organe, welche beſtimmt find, Urſprung und Verhalten des Humus. 47 Nahrung zuzuführen. Mit jeder Wurzelfaſer, jedem Blatt gewinnt die Pflanze einen Mund und Magen mehr. Der Thätigkeit der Wurzeln, Nahrung aufzunehmen, wird nur durch Mangel eine Grenze geſetzt; iſt ſie im Ueberfluß vorhanden, und wird ſie zur Ausbildung der vorhandenen Or— gane nicht völlig verzehrt, ſo kehrt dieſer Ueberſchuß nicht in den Boden zurück, ſondern er wird in der Pflanze zur Her— vorbringung von neuen Organen verwendet. Neben der vorhandenen Zelle entſteht eine neue, neben dem entſtandenen Zweig und Blatt entwickelt ſich ein neuer Zweig, ein neues Blatt; ohne Ueberſchuß an Nahrung wären dieſe nicht zur Entwickelung gekommen. Der in dem Saamen ent— wickelte Zucker und Schleim verſchwindet mit der Ausbildung der Wurzelfaſern, der in dem Holzkörper, in den Wurzeln entſtehende Zucker und Schleim verſchwindet mit der Entwicke— lung der Knospen, grünen Triebe und Blätter. Mit der Ausbildung, mit der Anzahl der Organe, der Zweige und Blätter, denen die Atmoſphäre Nahrung liefert, wächſt in dem nemlichen Verhältniß ihre Fähigkeit, Nahrung aufzunehmen und an Maſſe zuzunehmen, denn dieſe Fähigkeit nimmt im Verhältniß wie ihre Oberfläche zu. Die ausgebildeten Blätter, Triebe und Zweige bedür— fen zu ihrer eigenen Erhaltung der Nahrung nicht mehr, ſie nehmen an Umfang nicht mehr zu; um als Organe fortzube— ſtehen, haben ſie ausſchließlich nur die Mittel nöthig, die Function zu unterhalten, zu der ſie die Natur beſtimmt hat, ſie ſind nicht ihrer ſelbſt wegen vorhanden. Wir wiſſen, daß dieſe Function in ihrer Fähigkeit beſteht, die Kohlenſäure der Luft einzuſaugen und unter dem Einfluß des Lichts, bei Gegenwart von Feuchtigkeit, ihren Kohlenſtoff ſich anzueignen. ö 48 Urſprung und Verhalten des Humus. Dieſe Function iſt unausgeſetzt, von der erſten Entwickelung an in Thätigkeit, fie hört nicht auf mit ihrer völligen Aus- bildung. Aber die neuen, aus dieſer unausgeſetzt fortdauernden Aſſi— milation hervorgehenden Producte, ſie werden nicht mehr für ihre eigene Entwickelung verbraucht, ſie dienen jetzt zur weiteren Ausbildung des Holzkörpers und aller ihr ähnlich zuſammen— geſetzten feſten Stoffe, es ſind die Blätter, welche jetzt die Bil— dung des Zuckers, des Amylons, der Säuren vermitteln. So lange ſie fehlten, hatten die Wurzeln dieſe Verrichtung in Beziehung auf diejenigen Materien übernommen, welche der Halm, die Knospe, das Blatt und die Zweige zu ihrer Aus— bildung bedurften. In dieſer Periode des Lebens nehmen die Organe der Aſſimilation aus der Atmoſphäre mehr Nahrungsſtoffe auf, als ſie ſelbſt verzehren, und mit der fortſchreitenden Entwickelung des Holzkörpers, wo der Zufluß an Nahrung immer der nem— liche bleibt, ändert ſich die Richtung, in der ſie verwendet wird, es beginnt die Entwickelung der Blüthe, und mit der Ausbildung der Frucht iſt bei den meiſten Pflanzen der Func— tion der Blätter eine Grenze geſetzt, denn die Producte ihrer Thätigkeit finden keine Verwendung mehr. Sie unterliegen der Einwirkung des Sauerſtoffs, wechſeln in Folge derſelben gewöhnlich ihre Farbe und fallen ab. Zwiſchen der Periode der Blüthe und Fruchtbildung ent— ſtehen in allen Pflanzen in Folge einer Metamorphoſe der vorhandenen Stoffe eine Reihe von neuen Verbindungen, welche vorher fehlten, von Materien, welche Beſtandtheile der ſich bildenden Blüthe, Frucht oder des Saamens ausmachen. Eine organiſch-chemiſche Metamorphoſe iſt nun der Act der Umſetzung der Elemente einer oder mehrerer Verbindungen Urſprung und Verhalten des Sumus. 49 in zwei oder mehrere neuen, welche dieſe Elemente in einer andern Weiſe gruppirt, oder in andern Verhältniſſen enthalten. Von zwei Verbindungen, die in Folge dieſer Umſetzungen gebildet werden, bleibt die eine als Beſtandtheil in der Blüthe oder Frucht zurück, die andere wird in der Form von Exere— menten von der Wurzel abgeſchieden. Die Ernährung des thieriſchen ſo wie des vegetabiliſchen Organismus ift ohne Ausſcheidung von Ererementen nicht denkbar. Wir wiſſen ja, daß der Organismus nichts erzeugt, ſondern nur verwandelt, daß feine Erhaltung und Reproduc— tion in Folge der Metamorphoſe der Nahrungsſtoffe geſchieht, die ſeine Elemente enthalten. Nennen wir die Urſache der Metamorphoſe Lebenskraft, höhere Temperatur, Licht, Galvanis mus oder wie wir ſonſt wollen, der Act der Metamorphoſe iſt ein rein chemi— ſcher Proceß; Verbindung und Zerlegung kann nur dann vor ſich gehen, wenn die Elemente die Fähigkeit dazu haben. Was der Chemiker Verwandtſchaft nennt, bezeichnet weiter nichts als den Grad dieſer Fähigkeit. In der Betrachtung der Gährung und Fäulniß iſt weitläuftig auseinandergeſetzt worden, daß jede Störung in der Anziehung der Elemente einer Verbindung eine Metamorphoſe hervorruft, die Elemente ordnen ſich unter einander zu neuen Verbindungen nach den Graden ihrer Anziehung, und dieſe neuen Verbindungen ſind unter den gegebenen Bedingungen keiner weiteren Metamorphoſe mehr fähig. Die Producte dieſer Metamorphoſe ändern ſich mit den Urſachen, mit dem Wechſel der Bedingungen, durch die ſie hervorgebracht werden, ſie ſind zahllos wie dieſe. Der Character einer Säure z. B. iſt ein unaufhörliches, bei verſchiedenen Säuren ungleich ſtarkes, Streben nach Aus- 4 50 Urſprung und Verhalten des Humus. gleichung durch eine Baſe, er verſchwindet gänzlich, ſo wie dieſem Streben genügt wird. Der Charakter einer Baſis iſt der umgekehrte; beide, obwohl in ihren Eigenſchaften jo ver- ſchiedenartig, bewirken durch dieſe Eigenthümlichkeiten in den meiſten Fällen einerlei Metamorphoſe. Blauſäure und Waſſer enthalten die Elemente von Koh— lenſäure, Ammoniak, Harnſtoff, Cyanurſäure, Cyamelid, Oxalſäure, Ameiſenſäure, Melam, Am- melid, Melamin, Ammelin, Azulm in, Mellon, Mellonwaſſerſtoff, Allantoin ꝛc. Wir Alle wiſſen, daß die genannten in ihrer Zuſammenſetzung unendlich verſchiedenen Stoffe aus Blauſäure und Waſſer in chemiſchen Metamorphoſen der mannichfaltigſten Art wirklich gebildet werden können. Der ganze Proceß der Ernährung der Organismen läßt ſich durch die Betrachtung einer einzigen dieſer Metamorphoſen zur Anſchauung bringen. Blauſäure und Waſſer z. B. in Berührung mit Salzſäure zerlegen ſich augenblicklich in Ameiſenſäure und Ammoniak; in beiden ſind die Elemente der Blauſäure und des Waſſers, obwohl in einer andern Form, in anderer Weiſe geordnet, enthalten. Es iſt das Streben der Salzſäure nach Ausgleichung, wo— durch dieſe Metamorphoſe bedingt worden iſt. In Folge dieſes Strebens erleiden Blauſäure und Waſſer gleichzeitig eine Zerſetzung; der Stickſtoff der Blauſäure und der Waſſerſtoff in dem Waſſer treten zu einer Baſis, zu Am⸗ moniak zuſammen, womit ſich die Säure verband. Ihrem Stre⸗ ben war, wenn man ſolche Ausdrücke brauchen darf, Befrie— digung geworden, ihr Character verſchwand. Ammoniak war nur ſeinen Elementen nach vorhanden, aber die Fähigkeit, Am⸗ moniak zu bilden, war da. Urſprung und Verhalten des Humus. 51 Die gleichzeitige Zerſetzung der Blauſäure und des Waſſers geſchah hier nicht in Folge einer chemiſchen Verwandtſchaft der Salzſäure zu Ammoniak, denn Blauſäure und Waſſer enthal- ten kein Ammoniak. Eine Verwandtſchaft eines Körpers zu einem zweiten, der gar nicht vorhanden, der erſt gebildet wird, iſt völlig undenkbar, und leicht wird man hieraus entnehmen, wie ſehr dieſe Zerſetzungsweiſen (es ſind dieß gerade die, welche man Metamorphoſen nennt) von den gewöhnlichen chemiſchen Zerſetzungen abweichen. In Folge der Bildung von Ammoniak ſind Kohlenſtoff und Waſſerſtoff, die andern Elemente der Blauſäure, mit dem Sauerſtoff des zerſetzten Waſſers zu Ameiſenſäure zuſammen— getreten; die Elemente und die Fähigkeit, ſich zu verbinden, ſind vorhanden. Die Ameiſenſäure iſt alſo hier das Exerement; das Ammo⸗ niak repräſentirt den durch das Organ aſſimilirten Stoff. Das Organ nimmt von den dargebotenen Nahrungsmit- teln, was es zu ſeiner eigenen Erhaltung, was es zu ſeiner Reproduction bedarf. Die übrigen Elemente, welche nicht aſſimilirt werden, treten zu neuen Verbindungen, zu Excre—⸗ menten zuſammen. Während ihres Weges durch den Organismus kommen die Excremente des einen Organs in Berührung mit einem an- dern, durch deſſen Einwirkung ſie eine neue Metamorphoſe erfahren; die Exeremente des einen Organs enthalten die Ele— mente der Nahrungsmittel für ein zweites und folgendes; zu— letzt werden die, keiner Metamorphoſe mehr fähigen, Stoffe durch die dazu beſtimmten Organe aus dem Organismus ent⸗ fernt. Jedes Organ iſt für feine ihm eigenthümlichen Func— tionen eingerichtet. Ein Cubiczoll Schwefelwaſſerſtoff in die Lunge gebracht, würde augenblicklichen Tod bewirken, in dem 4 ES 52 Ursprung und Verhalten des Humus. Darmkanal wird es unter manchen Umſtänden ohne Nachtheil gebildet. Durch die Nieren werden die in Folge von Metamorpho— ſen entſtandenen ſtickſtoffhaltigen, durch die Leber die an Koh— lenſtoff reichen und durch die Lunge alle waſſerſtoff- und ſauerſtoffreichen Excremente aus dem Körper entfernt. Der Weingeiſt, die keiner Aſſimilation fähigen ätheriſchen Oele ver— dunſten nicht durch die Haut, ſondern durch die Lunge. Die Reſpiration ſelbſt iſt eine langſame Verbrennung, d. h. eine ſich ſtets erneuernde Verweſung. Wendet man auf dieſen Proceß die Regeln an, die ſich aus der Betrachtung der ver— weſenden Materien im Allgemeinen entwickeln laſſen, ſo iſt klar, daß in der Lunge ſelbſt der Sauerſtoff der Luft mit dem Kohlenſtoff einer Kohlenſtoffverbindung direct keine Kohlen— ſäure bilden kann; es kann nur eine Oxidation von Waſſer— ſtoff, oder die Bildung eines höhern Oxides ſtattfinden. Es wird Sauerſtoff aufgenommen, der keine Kohlenſäure bildet; es wird Kohlenſäure abgeſchieden, deren Kohlenſtoff und Sauer⸗ ſtoff von einer Materie aus dem Blute ſtammen ). ) Eine Unterſuchung der Luft, die von Lungenſüchtigen ausgeathmet wird, ſo wie ihres Blutes, würde über dieſe Krankheit großes Licht verbreiten. Verweſung und Fäulniß bedingen ſich gegenſeitig, wie in dem zweiten Theile auseinander geſetzt iſt. Die Zerſetzung, welche das Blut in der Lunge erfährt, iſt in der Lungenſucht eine wahre Fäulniß. Der ganze Körper verwandelt ſich in Blut, um das meta⸗ morphoſirte zu erſetzen. Gewiß verdient es Beachtung, daß alle Mit- tel, welche dieſe ſchreckliche Krankheit mildern und ihren Ausgang ver— zögern, lauter ſolche ſind, welche der Fäulniß entgegenwirken und ſie unter Umſtänden aufzuheben vermögen. In Gasfabriken, in Salmiak⸗ hütten, in Holzeſſigfabriken, Theerſchweelereien, in Gerbereien iſt dieſe Krankheit ganz unbekannt, aber alle Subſtanzen, mit denen die Ar— beiter in dieſen Anſtalten umgehen, ſind Materien, die keine Art von Fäulniß aufkommen laſſen. Das Einathmen von Chlor, yon Eſſigſäure und aromatiſchen Subſtanzen ſind als Linderungsmittel längſt erprobt. Urſprung und Verhalten des Humus. ; 53 Durch die Harnwege wird der überflüſſige Stickſtoff als flüſſiges Exerement, durch den Darmkanal alle, keiner Meta— morphoſe mehr fähigen feſten Stoffe, und durch die Lunge alle gasförmigen aus dem Körper entfernt. Man darf ſich durch den Popanz der Lebenskraft nicht ab⸗ halten laſſen, den Proceß der Metamorphoſe der Nahrungs— mittel und in ihrem Zuſammenhang die Aſſimilation der Orga— nismen in dem chemiſchen Geſichtspunkte zu betrachten, um ſo mehr, da man weiß, wie erfolglos, wie aller Anwendung unfähig die bis jetzt gewählten blieben. Iſt es denn wirklich die Lebenskraft, welche den Zucker, die erſte Nahrung der jungen Pflanzen, im Keime erzeugt, welche dem Magen die Fähigkeit giebt, alle Stoffe, die ihm zugeführt werden, zur Aſſimilation vorzubereiten, ihre Auflöſung zu bewirken? Eine Abkochung von gekeimter Gerſte beſitzt ſo wenig wie ein todter Kalbsmagen die Eigenſchaft, ſich ſelbſt zu reprodu— ciren, von Leben kann in beiden keine Rede ſein. Aber wenn man in die Abkochung der Gerſte Amylon bringt, ſo verwan— delt es ſich zuerſt in einen gummiähnlichen Stoff, zuletzt in Zucker. In der Abkochung des Kalbmagens, der man einige Tropfen Salzſäure zufügt, löst ſich hartgekochtes Eiweiß und Muskelfaſer gerade fo auf, wie in dem Magen ſelbſt ). (Schwann, Schulz.) Die Fähigkeit, Metamorphoſen zu bewirken, gehört alſo nicht der Lebenskraft an, ſie gehen vor ſich in Folge von Stö⸗ rungen in der Anziehung der Elemente, in Folge alſo von chemiſchen Proeeſſen. ) Das letztere merkwürdige Verhalten iſt in dem hieſigen Laboratorium durch einen höchſt ausgezeichneten jungen Phyſiologen, Dr. Vogel, auf's Vollſtändigſte beſtätigt worden. 54 Ursprung und Verhalten des Humus. Dieſe Proceſſe ſtellen ſich in einer andern Form dar, als wie die Zerſetzung von Salzen oder von Oxiden und Schwe— felungsſtufen. Dieß iſt keine Frage. Welche Schuld trägt aber die Chemie, wenn die Phyſiologie von dieſen neuen Formen der chemiſchen Actionen keine Notiz nimmt! Wenn wir wiſſen, daß die Baſen aller alkaliſchen Salze, welche durch organiſche Säuren gebildet ſind, durch die Harn— wege in der Form von kohlenſauren Alkalien abgeführt wer⸗ den (Wöhler); iſt es rationell, daß der Arzt in der Stein- krankheit ſeine Patienten Borax unzenweiſe zu ſich nehmen läßt. Kommt denn die Transformation der Harnſteine, die aus Harnſäure beſtehen, in die ſogenannten Maulbeerſteine, welche Oxalſäure enthalten, nicht täglich vor, wenn die in der Stadt lebenden Patienten das Land beziehen, wo fie mehr Vegetabi— lien genießen. An dem Rhein, wo das weinſaure Kali in ſo großer Menge genoſſen wird, haben ſich aus den von den Phyſikatsärzten geführten Liſten nur eingewanderte Steinkranke herausgeſtellt. Sind alle dieſe Erſcheinungen keiner Erklärung fähig? Aus dem in der Gährung gebildeten Fuſelöl der Kartoffeln erzeugen wir das flüchtige Oel der Baldrianwurzel mit allen ſeinen Eigenſchaften (Dumas), aus einem kryſtalliniſchen Stoff, aus der Weidenrinde bekommen wir das Oel der Spiraea ul- maria (Piria) Wir find im Stande, Ameiſenſäure, Oxal⸗ ſäure, Harnſtoff, den kryſtalliniſchen Körper in der allantoiſchen Flüſſigkeit der Kuh, lauter Producte der Lebenskraft, in unſe⸗ ren Laboratorien zu erzeugen. Wie man ſieht, hat dieſe myſte⸗ riöſe Lebenskraft viele Beziehungen mit den chemiſchen Kräften gemein, denn die letzteren können ſogar ihre Rolle übernehmen. Dieſe Beziehungen ſind es nun, welche ausgemittelt werden Urſprung und Verhalten des Humus. 55 müſſen. Wahrlich, es würde ſonderbar erſcheinen, wenn die Lebenskraft, die Alles zu ihren Zwecken braucht, wenn ſie den chemiſchen Kräften keinen Antheil geſtattete, die ihr zur freie- ſten Verfügung ſtehen. Sondern wir die Actionen, welche den chemiſchen Kräften angehören, von denen, die einem andern Impuls untergeordnet ſind, und wir werden erlangen, was einer vernünftigen Naturforſchung erreichbar iſt. Den Ausdruck »Lebenskraft« muß man vorläufig für gleichbedeutend mit dem halten, was die Medizin »ſpeeifiſch« oder »Dynamifch« nennt; Alles iſt ſpecifiſch, was man nicht erklären kann, und dyna— miſch iſt die Erklärung von Allem, was man nicht weiß. Metamorphoſen vorhandener Verbindungen gehen in dem ganzen Lebensacte der Pflanzen vor ſich, und in Folge der— ſelben gasförmige Secretionen durch die Blätter und Blüthen, feſter Exeremente in den Rinden und flüſſiger löslicher Stoffe durch die Wurzeln. Dieſe Seeretionen finden ſtatt unmittel- bar vor dem Beginn und während der Dauer der Blüthe, ſie vermindern ſich nach der Ausbildung der Frucht; durch die Wurzeln werden kohlenſtoffreiche Subſtanzen abgeſchieden und von dem Boden aufgenommen. In dieſen Stoffen, welche unfähig ſind, eine Pflanze zu ernähren, empfängt der Boden den größten Theil des Kohlen— ſtoffs wieder, den er den Pflanzen im Anfange ihrer Entwicke⸗ lung in der Form von Kohlenſäure gegeben hatte. Die von dem Boden aufgenommenen löslichen Excremente gehen durch den Einfluß der Luft und Feuchtigkeit einer fort⸗ ſchreitenden Veränderung entgegen; indem ſie der Fäulniß und Verweſung unterliegen, erzeugt ſich aus ihnen wieder der Nah— rungsſtoff einer neuen Generation, ſie gehen in Humus über. Die im Herbſte fallenden Blätter im Walde, die alten Wur- zeln der Graspflanzen auf den Wieſen verwandeln ſich durch 56 Urſprung und Verhalten des Humus. dieſe Einflüſſe ebenfalls in Humus. In dieſer Form empfängt der Boden im Ganzen an Kohlenſtoff mehr wieder, als der verweſende Humus als Kohlenſäure abgab. Im Allgemeinen erſchöpft keine Pflanze in ihrem Zuſtande der normalen Entwickelung den Boden in Beziehung auf fei- nen Gehalt an Kohlenſtoff; ſie macht ihn im Gegentheil reicher daran. Wenn aber die Pflanzen dem Boden den empfange- nen Kohlenſtoff wiedergeben, wenn fie ihn daran reicher ma— chen, ſo iſt klar, daß diejenige Menge, die wir in irgend einer Form bei der Ernte dem Boden nehmen, daß dieſe ihren Ur— ſprung der Atmoſphäre verdankt. Die Wirkung des Humus geht auf eine klare und unzweideutige Weiſe aus dem Borher- gehenden hervor. Der Humus ernährt die Pflanze nicht, weil er im lösli— chen Zuſtande von derſelben aufgenommen und als ſolcher aſſi— milirt wird, ſondern weil er eine langſame und andauernde Quelle von Kohlenſäure darſtellt, welche als das Hauptnah⸗ rungsmittel die Wurzeln der jungen Pflanze zu einer Zeit mit Nahrung verſieht, wo die äußeren Organe der atmoſphäriſchen Ernährung fehlen. Die Oberfläche der Erde war vor der gegenwärtigen Pe— riode mit Pflanzen bedeckt, deren Trümmer und Ueberreſte die Braun⸗ und Steinkohlenlager bilden. Alle dieſe rieſenhaften Palmen, Gräſer, Farrenkräuter ꝛc. gehören zu Pflanzenarten, denen die Natur durch eine unge— heure Ausdehnung der Blätter die Fähigkeit gegeben hat, den Boden für ihre Nahrung ganz zu entbehren. Sie find in dieſer Beziehung ähnlich den Wurzel- und Zwiebelgewächſen, deren atmoſphäriſche Organe im Anfange ihres Lebens auf Koſten ihrer eigenen Maſſe ernährt und ent⸗ wickelt werden. Urſprung und Verhalten des Humus. 57 Noch jetzt rechnet man dieſe Klaſſe von Gewächſen zu de— nen, welche den Boden nicht erſchöpfen. Alle Pflanzen der früheren Generationen unterſcheiden ſich von den gegenwärtig lebenden durch die unbedeutende und ſchwache Entwickelung der Wurzel. Man findet in den Braun— kohlenlagern Früchte, Blätter, Saamen, beinahe alle Theile der vorweltlichen Pflanzen, allein die Wurzeln findet man nicht darin. Die Gefäßbündel, woraus ſie beſtanden, die leicht ver— änderlichen ſchwammigen Zellen, ſie waren es zuerſt, welche der Zerſetzung unterlagen, aber an Eichen und anderen Bäu— men, die in ſpäteren Perioden durch ähnliche Revolutionen dieſelben Veränderungen, wie die urweltlichen Gewächſe erlit— ten haben, fehlen die Wurzeln niemals. In den heißen Climaten find die grünenden Gewächſe mehrentheils ſolche, die nur einer Befeſtigung in dem Boden bedürfen, um ohne ſeine Mitwirkung ſich zu entwickeln. Wie verſchwindend iſt bei den Cactus-Sedum- und Sempervi- vum-Arten die Wurzel gegen die Maſſe, gegen die Oberfläche der Blätter, und in dem dürreſten, trockenſten Sande, wo von einer Zuführung von Nahrung durch die Wurzel gar nicht die Rede ſein kann, ſehen wir die milchſaftführenden Gewächſe zur volleſten Entwickelung gelangen; die aus der Luft aufgenom— mene, zu ihrer Exiſtenz unentbehrliche Feuchtigkeit, wird durch die Beſchaffenheit des Saftes ſelbſt vor der Verdunſtung ge— ſchützt; Kautſchuck, Wachs umgeben, wie in den öligen Emul— ſionen, das Waſſer mit einer Art undurchdringlicher Hülle, ſie ſtrotzen von Saft. Wie in der Milch die ſich bildende Haut der Verdunſtung eine Grenze ſetzt, ſo in dieſen Pflanzen der Milchſaft. Es würde nach den vorhergegangenen Betrachtungen völlig zwecklos und überflüſſig erſcheinen, wenn man durch einzelne Beiſpiele von Pflanzen, die in Verſuchen im Kleinen ohne 58 Ursprung und Verhalten des Humus. Beihülfe von Dammerde zur völligen Ausbildung gebracht worden ſind, zu den Beweiſen, die man über den Urſprung des Kohlenſtoffs hat, noch neue hinzufügen wollte, die fie unter keinerlei Umſtänden ſchlagender und überzeugender machen kön⸗ nen. Es kann aber hier nicht unerwähnt gelaſſen werden, daß die gewöhnliche Holzkohle in ihrer eigenthümlichen Beſchaffen— heit und durch die Eigenſchaften, die man an ihr kennt, die Dammerde, den Humus aufs Vollſtändigſte vertreten kann. Die Verſuche und Erfahrungen von Lukas, welche dieſem Werke beigegeben ſind, überheben mich einer jeden weiteren Auseinanderſetzung ihrer Wirkſamkeit. Man kann in ausgeglühtem (etwas ausgewaſchenen) Koh- lenpulver Pflanzen zur üppigſten Entwickelung, zum Blühen und zur Fruchtbildung bringen, wenn ſie mit Regenwaſſer feucht erhalten werden. Die Holzkohle iſt aber der unveränderlichſte, indifferenteſte Körper, den man kennt, das Einzige, was ſie der Pflanze von ihrer eigenen Maſſe abgeben kann, iſt Kali oder Kieſelerde; man weiß, daß ſie ſich Jahrhunderte lang zu erhalten vermag, daß ſie alſo der Verweſung nicht unterworfen iſt. Wir erkennen nun in der Holzkohle das Vermögen, Luft und kohlenſaures Gas in ihren Poren zu verdichten; ſie iſt es, welche die ſich bildende Wurzel, gerade ſo wie beim Humus, mit einer Atmoſphäre von Kohlenſäure und Luft verſieht, eine Atmoſphäre, die ſich eben ſo ſchnell wieder erneuert, als ſie hinweggenommen wird. In Kohlenpulver, welches in den Verſuchen von Lukas mehrere Jahre zu dieſen Zwecken gedient hatte, fand Buchner über 2 Procent einer braunen in Alkalien löslichen Materie; ſie ſtammt von den Secretionen der Wurzeln her, die in dem Kohlenpulver vegetirten. Die Aſſimilation des Waſſerſtoffs. 59 Läßt man eine Pflanze in einem eingeſchloſſenem Gefäße wachſen, ſo daß die Luft und mit der Luft die Kohlenſäure ſich nicht erneuern können, ſo ſtirbt die Pflanze, gerade ſo wie ſie im luftleeren Raume der Luftpumpe, in Stickgas, in koh— lenſaurem Gas ſterben würde, ſelbſt wenn ſie in die frucht— barſte Dammerde gepflanzt wäre. Sie kommt aber im Kohlenpulver unter den gewöhnlichen Verhältniſſen, wenn fie, anſtatt mit Regen- oder Flußwaſſer, mit reinem deſtillirten Waſſer begoſſen wird, nicht zur Frucht— bildung. Das Regenwaſſer muß deshalb noch eine Bedingung des Lebens der Pflanzen in ſich ſchließen, und wir werden ſehen, daß dieſe in einer Stickſtoffverbindung beſteht, bei deren Ausſchluß der Humus und die Kohle ihren Einfluß auf die Vegetation gänzlich verlieren. Die Aſſimilation des Waſſerſtoffs. Die Luft enthält den Kohlenſtoff der Gewächſe in der Form von Kohlenſäure, in der Form alſo einer Sauerſtoffverbindung. Der feſte Theil der Pflanzen, die Holzfaſer, enthält Kohlen— ſtoff und die Beſtandtheile des Waſſers, oder die Elemente der Kohlenſäure plus einer gewiſſen Menge Waſſerſtoff. Wir können uns das Holz entſtanden denken aus dem Kohlenſtoff der Kohlenſäure, der ſich unter Mitwirkung des Sonnenlichts mit den Elementen des vorhandenen Waſſers verbindet; in dieſem Falle müſſen für je 27,65 Gewichtstheile Kohlenſtoff, welcher von der Pflanze aſſimilirt wird, 72,35 Gewichtstheile 60 Die Aſſimilation des Waſſerſtoffs. Sauerſtoff als Gas abgeſchieden werden, oder was weit wahr⸗ ſcheinlicher iſt: Die Pflanze zerlegt unter denſelben Bedin⸗ gungen bei Gegenwart von Kohlenſäure das Waſſer, ſein Waſ— ſerſtoff wird mit der Kohlenſäure aſſimilirt, während ſein Sauerſtoff abgeſchieden wird; zu 100 Theilen Kohlenſäure müſſen demnach 8,04 Theile Waſſerſtoff treten, um die Holz- faſer zu bilden, und es werden 72,35 Gewichtstheile, eine dem Gehalt der Kohlenſäure genau gleiche Quantität Sauer⸗ ſtoff, die mit dieſem Waſſerſtoff verbunden waren, in der Form von Gas abgeſchieden. Ein jeder Morgen Land, welcher 10 Ctr. Kohle producirt, wird mithin jährlich an die Atmoſphäre 2600 Pfd. reines Sauerſtoffgas zurückgeben; da nun das ſpecifiſche Gewicht des Sauerſtoffs durch die Zahl 1,1026 ausgedrückt wird, ſo wiegt 1 Cubicmeter Sauerſtoff 1432 Grm. oder 2,864 Pfd. heſſ. Gewicht, und dieſe 2600 Pfd. Sauerſtoff entſprechen 908 Cu⸗ biemetern oder 58112 Cubicfuß (heſſ.) Sauerſtoffgas. Ein Morgen Wieſe, Wald oder überhaupt cultivirtes Land erſetzt alſo den Sauerſtoff der Atmoſphäre wieder, welcher durch 10 Ctr. Koblenftoff bei feiner Verbrennung in der Luft oder durch den Reſpirationsproceß der Thiere verzehrt wird. Es iſt erwähnt worden, daß die Holzfaſer Kohle und die Beſtandtheile des Waſſers enthält, daß aber in dem Holz mehr Waſſerſtoff enthalten iſt, als dieſem Verhältniß entſpricht; die⸗ ſer Waſſerſtoff befindet ſich darin in der Form von Blattgrün, Wachs, Oel, Harz oder überhaupt in der Form von ſehr waſſerſtoffreichen Materien, er kann dieſen Subſtanzen nur von dem Waſſer geliefert worden ſein; für jedes Aequivalent YBaf- ſerſtoff, was in einer dieſer Formen von der Pflanze affimi- lirt wird, muß 1 Aeg. Sauerſtoff an die Atmoſphäre zurück⸗ gegeben werden. Die Aſſimilation des Waſſerſtoffs. 61 Man wird die Menge des hierdurch freiwerdenden Sauer— ſtoffs uſcht für verſchwindend halten können, wenn man in Erwägung zieht, daß für jedes Pfund aſſimilirten Waſſerſtoff die Atmoſphäre 1792 Cubicfuß Chef.) Sauerſtoff empfängt. Wie erwähnt, giebt die Pflanze in dem Aſſimilationsproceß der Holzfaſer eine Quantität Sauerſtoff an die Atmoſphäre, welche unter allen Umſtänden die nemliche iſt, gleichgültig, ob ſeine Abſcheidung in einer Zerſetzung des Waſſers oder der Kohlenſäure ihre Urſache hat. — Das Letztere iſt oben für wahrſcheinlicher erklärt worden. Wir wiſſen aus der Bildung des Wachſes, der flüchtigen und fetten Oele, des Kautſchucks in den Pflanzen, daß ſie im lebenden Zuſtande die Fähigkeit beſitzen, Waſſer zu zerlegen, denn der Waſſerſtoff dieſer Materien kann nur von dem Waſ— ſer geliefert werden. Ja aus den Beobachtungen des A. v. Hum— boldt über die Pilze, ergiebt ſich, daß eine Zerſetzung des Waſſers erfolgen kann ohne Aſſimilation des Waſſerſtoffs. Wir kennen in dem Waſſer die merkwürdige Verbindung zweier Elemente, die ſich in zahlloſen Proceſſen von einander zu tren— nen vermögen, ohne daß wir im Stande ſind, dieſe Trennung durch unſere Sinne wahrzunehmen, während die Kohlenſäure nur unter den gewaltſamſten Einwirkungen zerſetzbar iſt. Die meiſten Pflanzengebilde enthalten Waſſerſtoff in der Form von Waſſer, welches ſich als ſolches abſcheiden, erſetzen läßt durch andere Körper; derjenige Waſſerſtoff aber, welcher zu ihrer Conſtitution weſentlich iſt, kann unmöglich in der Form von Waſſer darin enthalten ſein. Aller zum Beſtehen einer organiſchen Verbindung unent- behrliche Waſſerſtoff wird durch Zerſetzung von Waſſer der Pflanze geliefert. Der Aſſimilationsproceß der Pflanze in ſeiner einfachſten 62 Die Aſſimilation des Waſſerſtoffs. Form ſtellt ſich mithin dar als eine Aufnahme von Waſſerſtoff aus dem Waſſer und von Kohlenſtoff aus der Kopie, in Folge welcher aller Sauerſtoff des Waſſers und aller Sauer— ſtoff der Kohlenſäure, wie bei den flüchtigen ſauerſtofffreien Oelen, dem Kautſchuck ꝛc., oder nur ein Theil dieſes Sauer— ſtoffs abgeſchieden wird. Die bekannte Zuſammenſetzung der verbreitetſten organi— ſchen Verbindungen geſtattet uns, die Quantität des ausge ſchiedenen Sauerſtoffs in beſtimmten Verhältniſſen auszudrücken. 36 Aeg. Kohlenſäure und 22 Aeg. Waſſerſtoff aus 22 Aeg. Waſſer. — Holzfaſer mit Ausſcheidung von 72 Aeg. Sauerſtoff. 36 Aeg. Kohlenſäure und 36 Aeg. Waſſerſtoff aus 36 Aeg. Waſſer. — Zucker, mit Ausſcheidung von 72 Aeg. Sauerſtoff. 36 Aeg. Kohlenſäure und 30 Aeg. Waſſerſtoff aus 30 Aeg. Waſſer. — Stärke, mit Ausſcheidung von 72 Aeg. Sauerſtoff. 36 Aeg. Kohlenſäure und 16 Aeg. Waſſerſtoff aus 16 Aeg. Waſſer. — Gerbeſäure, mit Ausſcheidung von 64 Aeg. Sauerftoff, 36 Aeg. Kohlenſäure und 18 Aeg. Waſſerſtoff aus 18 Aeg. Waſſer. — Weinſäure, mit Ausſcheidung von 45 Aeg. Sauerſtoff. 36 Aeg. Kohlenſäure und 18 Aeg. Waſſerſtoff aus 18 Aeg. Waſſer. — Aepfelſäure, mit Ausſcheidung von 54 Aeg. Sauerſtoff. 30 Aeg. Kohlenſäure und 24 Aeg. Waſſerſtoff aus 24 Aeg. Waſſer. —Terpentinöl, mit Ausſcheidung von 84 Aeq. Sauerſtoff. Man beobachtet leicht, daß die Bildung der Säuren be— gleitet iſt von der ſchwächſten Sauerſtoffausſcheidung, fie nimmt. zu bei den ſogenannten neutralen Stoffen der Holzfaſer, Zucker, Stärke und erreicht ihr Maximum bei den Oelen. Die Wir⸗ kung des Sonnenlichtes, der Einfluß der Wärme bei dem Reifen der Früchte wird gewiſſermaßen durch dieſe Zahlen repräſentirt. Beim Reifen der Früchte im Dunkeln vermindert ſich un⸗ Die Aſſimilation des Waſſerſtoffs. 63 ten Abſorbtion von Sauerſtoff das harzige waſſerſtoffreiche Blatt— grün zues bilden ſich rothe und gelbe Farbeſtoffe; Weinſäure, Citronenſäure, Gerbeſäure verſchwinden, an ihrer Stelle findet ſich Zucker, Amylon oder Gummi. 6 Aeq. Weinſäure, beim Hinzutreten von 6 Aeg. Sauerſtoff, geben Traubenzucker unter Abſcheidung von 12 Aeg. Kohlenſäure. 1 Aeg. Gerbeſtoff, beim Hinzutreten von 8 Aeg. Sauerſtoff und 4 Aeg. Waſſer, geben unter Ausſcheidung von 6 Aeq. Koh— lenſäure 1 Aeq. Amylum. Auf dieſe und ähnliche Weiſe läßt ſich die Bildung von allen ſtickſtofffreien Beſtandtheilen aus Kohlenſäure und Waſſer— ſtoff mit Ausſcheidung von Sauerſtoff und die Umwandlung des einen in den andern durch Ausſcheidung von Kohlenſäure unter Aſſimilation von Sauerſtoff erklären. Wir wiſſen nicht, in welcher Form die Bildung der Be— ſtandtheile organiſcher Weſen vor ſich geht; in dieſer Bezie— hung muß man dieſe Entwickelung als ein Bild betrachten, geeignet, uns die Entſtehung zu verſinnlichen, allein man muß dabei nicht vergeſſen, daß, wenn die Verwandlung der Wein- ſäure in Zucker, in den Weintrauben z. B., als Thatſache an— geſehen wird, ſo kann ſie in keinerlei Umſtänden in anderen Verhältniſſen vor ſich gehen. Der Lebensproceß in der Pflanze ſtellt ſich unter dem be— zeichneten Geſichtspunkt dar als der Gegenſatz des chemiſchen Proceſſes in der Salzbildung. Kohlenſäure, Waſſer und Zink, mit einander in Berührung, üben eine beſtimmte Wirkung auf einander aus, unter Abſcheidung von Waſſerſtoff ent— ſteht eine weiße pulverförmige Verbindung, welche Kohlenſäure, Zink und den Sauerſtoff des Waſſers enthält. Die lebende Pflanze vertritt in dieſem Proceß das Zink; es entſtehen in ihrem Aſſimilationsproceſſe unter Ausſchei— 64 Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs. dung von Sauerſtoff, Verbindungen, welche die Elemente der Kohlenſäure und den Waſſerſtoff des Waſſers enth aten. Die Verweſung iſt im Eingange als der große Naturpro⸗ ceß bezeichnet worden, in welchem die Pflanze den Sauerſtoff an die Luft wieder abgiebt, den ſie im lebenden Zuſtande von derſelben nahm. In der Entwickelung begriffen, hat fie Koh⸗ lenſtoff in der Form von Kohlenſäure und Waſſerſtoff aufge- nommen, unter Abſcheidung des Sauerſtoffs des Waſſers und einem Theil oder allem Sauerſtoff der Kohlenſäure. In dem Verweſungsproceß wird genau die dem Waſſerſtoff entſpre⸗ chende Menge von Waſſer durch Oxidation auf Koſten der Luft wieder gebildet; aller Sauerſtoff der organiſchen Materie kehrt in der Form der Kohlenſäure zur Atmoſphäre zurück. Nur in dem Verhältniß alſo, in welchem die verweſenden Ma⸗ terien Sauerſtoff enthalten, können fie in dem Act der Verwe— ſung Kohlenſäure entwickeln, die Säuren mehr als die neu— tralen Verbindungen; die fetten Säuren, Harz und Wachs, verweſen nicht mehr, fie erhalten ſich in dem Boden ohne be— merkbare Veränderung. Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs. In dem humusreichſten Boden kann die Entwickelung der Vegetabilien nicht gedacht werden ohne das Hinzutreten von Stickſtoff, oder einer ſtickſtoffhaltigen Materie. In welcher Form und wie liefert die Natur dem vegetabi⸗ Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs. 65 liſchen Eiweiß, dem Kleber, den Früchten und Saamen dieſen für ihre Exiſtenz durchaus unentbehrlichen Beſtandtheil? Auch dieſe Frage iſt einer einfachen Löſung fähig, wenn man ſich erinnert, daß Pflanzen zum Wachſen, zur Entwicke— lung gebracht werden können in reinem Kohlenpulver beim Begießen mit Regenwaſſer. * Das Regenwaſſer kann den Stickſtoff nur in zweierlei Form enthalten, in der Form von aufgelöſ'ter atmoſphäriſcher Luft, oder in der Form von Ammoniak. Der Stickſtoff in der Luft kann durch die gewaltſamſten chemiſchen Proceſſe nicht befähigt werden, eine Verbindung mit irgend einem Elemente außer dem Sauerſtoff einzugehen; wir haben nicht den entfernteſten Grund, zu glauben, daß der Stick— ſtoff der Atmoſphäre Antheil an dem Aſſimilationsproceß der Thiere oder Pflanzen nimmt, im Gegentheil wiſſen wir, daß viele Pflanzen Stickſtoff aushauchen, was die Wurzeln in der Form von Luft oder aufgelöſ't im Waſſer aufgenommen hatten. Wir haben auf der andern Seite zahlloſe Erfahrungen, daß die Entwickelung von ſtickſtoffreichem Kleber in den Ce— realien in einer gewiſſen Beziehung ſteht zu der Menge des aufgenommenen Stickſtoffs, der ihren Wurzeln in der Form von Ammoniak durch verweſende thieriſche Körper zugeführt wird. Das Ammoniak ſteht in der Mannigfaltigkeit der Meta- morphoſen, die es bei Berührung mit anderen Körpern einzu— gehen vermag, dem Waſſer, was ſie in einem ſo eminenten Grade darbietet, in keiner Beziehung nach. In reinem Zu— ſtande im Waſſer im hohen Grade löslich, fähig, mit allen Säuren lösliche Verbindungen zu bilden, fähig, in Berührung mit anderen Körpern, ſeine Natur als Alkali gänzlich aufzu— geben, und die verſchiedenartigſten direct einander gegenüberſte— 5 66 Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs. henden Formen anzunehmen: dieſe Eigenſchaften finden wir in keinem andern ſtickſtoffhaltigen Körper wieder. Ameiſenſaures Ammoniak verwandelt ſich durch den Einfluß einer höheren Temperatur in Blauſäure und Waſſer, ohne Ab— ſcheidung eines Elements; mit Cyanſäure bildet das Ammoniak Harnſtoff; mit ätheriſchem Senföl, Bittermandelöl, eine Reihe kryſtalliniſcher Körper; mit dem kryſtalliſirbaren bittern Beſtand— theil, der Wurzelrinde des Apfelbaums, dem Phloridzin, mit dem ſüßen des Lichen dealbatus, dem Orein, mit dem ge— ſchmackloſen der Roccella tinctoria, dem Erythrin verwandelt es ſich bei Gegenwart von Waſſer und Luft in prachtvoll blaue oder rothe Farbeſtoſſe; ſie ſind es, welche als Lackmus, Or— ſeille, künſtlich erzeugt werden. In allen dieſen Verbindungen hat das Ammoniak aufgehört, in der Form von Ammoniak zu exiſtiren, in der Form eines Alkalis. Alle blauen Farbenſtoffe, welche durch Säuren roth, alle rothen, welche durch Alkalien, wie das Lackmus, blau werden, enthalten Stickſtoff, aber den Stickſtoff nicht in der Form einer Baſis. Dieſes Verhalten reicht nicht allein hin, um die Meinung zu rechtfertigen, daß das Ammoniak es iſt, was allen Vege— tabilien ohne Ausnahme, den Stickſtoff in ihren ſtickſtoffhalti⸗ gen Beſtandtheilen liefert. Betrachtungen anderer Art geben nichtsdeſtoweniger dieſer Meinung einen Grad der Gewißheit, der jede andere Form der Aſſimilation des Stickſtoffs gänzlich ausſchließt. Faſſen wir in der That den Zuſtand eines wohlbewirth— ſchafteten Gutes in's Auge von der Ausdehnung, daß es ſich ſelbſt zu erhalten vermag, ſo haben wir darauf eine gewiſſe Summe von Stickſtoff, was wir in der Form von Thieren, Menſchen, Getreide, Früchten, in der Form von Thier- und Menfchenererementen in ein Inventarium gebracht uns vor— Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs. 67 ſtellen wollen. Das Gut wird bewirthſchaftet ohne Zufuhr von Stickſtoff in irgend einer Form von Außen. Jedes Jahr nun werden die Producte dieſer Oekonomie ausgetauſcht gegen Geld und andere Bedürfniſſe des Lebens, gegen Materialien, die keinen Stickſtoff enthalten. Mit dem Getreide, mit dem Vieh führen wir aber ein beſtimmtes Quan⸗ tum Stickſtoff aus, und dieſe Ausfuhr erneuert ſich jedes Jahr ohne den geringſten Erſatz; in einer gewiſſen Anzahl von Jah— ren nimmt das Inventarium an Stickſtoff noch überdieß zu. Wo kommt, kann man fragen, der jährlich ausgeführte Stick— ſtoff her? (Bouſſingault). Der Stickſtoff in den Excrementen kann ſich nicht reprodu— ciren, die Erde kann keinen Stickſtoff liefern, es kann nur die Atmoſphäre ſein, aus welcher die Pflanzen und in Folge davon die Thiere ihren Stickſtoff ſchöpfen. (Bouſſingault). Es wird in dem zweiten Theil entwickelt werden, daß die letzten Producte der Fäulniß und Verweſung ſtickſtoffhaltiger thieriſcher Körper in zwei Formen auftreten, in den gemäßig— ten und kalten Climaten in der Form der Waſſerſtoffverbindung des Stickſtoffs, als Ammoniak, unter den Tropen in der Form ſeiner Sauerſtoffverbindung, der Salpeterſäure, daß aber der Bildung der letzteren ſtets die Erzeugung der erſteren vorangeht. Ammoniak iſt das letzte Product der Fäulniß animaliſcher Kör— per, Salpeterſäure iſt das Product der Verweſung des Am— moniaks. Eine Generation von einer Milliarde Menſchen er— neuert ſich alle dreißig Jahre; Milliarden von Thieren gehen unter und reproduciren ſich in noch kürzeren Perioden. Wo iſt der Stickſtoff hingekommen, den ſie im lebenden Zuſtande enthielten? Keine Frage läßt ſich mit größerer Sicherheit und Gewiß— heit beantworten. Die Leiber aller Thiere und Menſchen ge— 5 * 68 Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs. ben nach dem Tode durch ihre Fäulniß allen Stickſtoff, den ſie enthalten, in der Form von Ammoniak an die Atmoſphäre zu— rück. Selbſt in den Leichen auf dem Kirchhofe des Innocens in Paris, 60 Fuß unter der Oberfläche der Erde, war aller Stickſtoff, den ſie in dem Adipocire zurückbehielten, in der Form von Ammoniak enthalten; es iſt die einfachſte, die letzte unter al— len Stickſtoffverbindungen, und es iſt der Waſſerſtoff, zu dem der Stickſtoff die entſchiedenſte, die überwiegendſte Verwandtſchaft zeigt. Der Stickſtoff der Thiere und Menſchen iſt in der Atmo⸗ ſphäre als Ammoniak enthalten, in der Form eines Gaſes, was ſich mit Kohlenſäure zu einem flüchtigen Salze verbindet, ein Gas, was ſich im Waſſer mit außerordentlicher Leichtigkeit löſ't, deſſen flüchtige Verbindungen ohne Ausnahmen dieſe nem— liche Löslichkeit beſitzen. Als Ammoniak kann ſich der Stickſtoff in der Atmoſphäre nicht behaupten, denn mit jeder Condenſation des Waſſerdam— pfes zu tropfbarem Waſſer muß ſich alles Ammoniak verdich— ten, jeder Regenguß muß die Atmoſphäre in gewiſſen Strecken von allem Ammoniak auf's Vollkommenſte befreien. Das Re— genwaſſer muß zu allen Zeiten Ammoniak enthalten, im Som- mer, wo die Regentage weiter von einander entfernt ſtehen, mehr als im Winter oder Frühling; der Regen des erſten Regentages muß davon mehr enthalten, als der des zweiten, nach anhaltender Trockenheit müſſen Gewitterregen die größte Quantität Ammoniak der Erde wieder zuführen. Die Analy— ſen der Luft haben aber bis jetzt dieſen, in derſelben nie feh— lenden, Ammoniakgehalt nicht angezeigt; iſt es denkbar, daß er unſern feinſten und genaueſten Inſtrumenten entgehen konnte? Gewiß iſt dieſe Quantität für einen Cubiefuß Luft verſchwin⸗ dend, deſſenungeachtet iſt ſie die Summe des Stickſtoffgehaltes von Tauſenden von Milliarden Thieren und Menſchen, mehr Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs. 69 als hinreichend, um die einzelnen Milliarden der lebenden Ge— ſchöpfe mit Stickſtoff zu verſehen. Aus der Tenſion des Waſſerdampfes bei 15° (6,98 Par. Linien) und aus dem bekannten ſpecifiſchen Gewichte deſſelben bei 0° ergiebt ſich, daß ſich bei 15° und 28“ Barometerſtand 1 Cubicmeter = 64 Cubicfuß (heſſ.) Waſſerdampf von 15° ent⸗ halten find in 487 Cubiemeter S 31,168 Cubiefuß Luft. Dieſe 64 Cubicfuß Waſſerdampf wiegen 767 Grammen oder 1 Pfd. 16,8 Loth. Wenn wir nun annehmen, daß die bei 150 völlig mit Feuchtigkeit geſättigte Luft alles Waſſer, was ſie in Gas— geſtalt enthält, tropfbarflüſſig in der Form von Regen fallen läßt, fo bekommen wir 1 Pfd. Regenwaſſer aus 20800 Eubic- fuß Luft. Mit dieſem einen Pfunde Regenwaſſer muß die ganze Quan— tität des in der Form von Gas, in 20800 Cubiefuß Luft enthaltenen Ammoniaks der Erde wieder zugeführt werden. Nehmen wir nun an, daß dieſe 20800 Cubicfuß Luft nur ei- nen einzigen Gran Ammoniak enthalten, ſo enthalten 10 Cu— biczoll Luft, die wir der Analyſe unterwerfen, 0, 00000048 Gran Ammoniak; dieſe außerordentlich geringe Quantität iſt abſolut unbeſtimmbar in der Luft durch die feinſten und beſten Eudiometer, ihre Beſtimmung fiele in die Beobachtungsfehler ſelbſt dann noch, wenn ſie zehntauſendmal mehr betrüge. Aber in dem Pfunde Regenwaſſer, was den ganzen Am— moniafgehalt von 20800 Cubicfuß Luft enthält, muß fie be— ſtimmbar ſein; es iſt klar, daß, wenn dieſes eine Pfund nur ½ Gran Ammoniak enthält, daß jährlich in den 2,500,000 Pfd.“ Regenwaſſer, die durchſchnittlich auf 2500 [Meter Land fallen, nahe an 80 Pfd. Ammoniak und damit 65 Pfd. reiner Stick— ſtoff zugeführt werden. Dieß iſt bei weitem mehr als 2650 Pfd. 70 Der Ursprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs. Holz oder 2800 Pfd. Heu oder 200 Ctr. Runkelrüben, die Erträge von 1 Morgen Wald, Wieſe und eultivirtem Land in der Form von vegetabiliſchem Eiweiß oder Kleber — es iſt weniger als Stroh, Korn und Wurzeln auf einem Morgen Getreidefeld enthalten. Die genaueſten und mit aller Sorgfalt in dem hieſigen Laboratorium angeſtellten Verſuche haben den Ammonickgehalt des Regenwaſſers außer allen Zweifel geſtellt; er iſt bis jetzt nur deßhalb aller Beachtung entgangen, weil Niemand daran gedacht hat, in Beziehung auf ſeine Gegenwart eine Frage zu ſtellen. Alles Regenwaſſer, was zu dieſen Verſuchen genommen wurde, war etwa 600 Schritte ſüdweſtlich von der Stadt Gießen in einer Lage aufgefangen, wo die Richtung des Re— genwindes nach der Stadt zugekehrt war. Wenn man mehrere hundert Pfunde Regenwaſſer in ei— ner reinen kupfernen Blaſe der Deſtillation unterwarf und die zuerſt übergehenden Pfunde mit Zuſatz von Salzſäure ver— dampfen ließ, ſo bekam man nach gehöriger Concentration beim Erkalten eine netzförmige ſehr erkennbare Kryſtalliſation von Salmiak; ſtets waren die Kryſtalle braun oder gelb ge— färbt. Das Ammoniak fehlt eben ſo wenig im Schneewaſſer. Der Schnee enthält beim Beginn des Schneefalles ein Maximum von Ammoniak, und ſelbſt in dem, welcher 9 Stunden nach dem Anfang des Schneiens gefallen war, ließ ſich das Am— moniak auf's Deutlichſte nachweiſen. Bemerkenwerth iſt, daß das im Schnee und Regenwaſſer vorhandene Ammoniak, wenn es durch Kalk entwickelt wird, von einem auffallenden Geruch nach Schweiß und fauligen Stoffen begleitet iſt, was über ſeinen Urſprung keinen Zweifel läßt. Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs. 71 Hünefeld hat dargethan, daß alle Brunnen in Greifs— walde, Wiek, Eldena, Koſtenhagen kohlenſaures und ſalpeterſaures Ammoniak enthalten; man hat Ammoniakſalze in vielen Mineralquellen z. B. in Kiſſingen und anderswo ent— deckt; der Gehalt der letzteren kann allein nur aus der Atmo— ſphäre kommen. Jedermann kann ſich auf die einfachſte Weiſe von ſeinem Vorhandenſein im Regenwaſſer überzeugen, wenn man friſch aufgefangenes Regenwaſſer in reinen Porcellanſchalen, mit Zu— ſatz von etwas Schwefelſäure oder Salzſäure, bis nahe zur Trockniß verdampfen läßt. Dieſe Säuren nehmen dem Am— moniak, indem ſie ſich damit verbinden, ſeine Flüchtigkeit; der Rückſtand enthält Salmiak oder ſchwefelſaures Ammoniak, das man mit Platinchlorid und noch viel leichter an dem durch— dringend urinöſen Geruch erkennt, welcher ſich beim Zuſatz von pulverigem Kalkhydrat entwickelt. Von dieſem Ammoniakgehalt rührt die von dem reinen deſtillirten Waſſer jo verſchiedene Beſchaffenheit, in der Benetzung der Haut, ſogenannte Weichheit des Regenwaſſers, her; es iſt darinn enthalten als kohlenſaures Ammoniak. Das Vorhandenſein des Ammoniaks in der Atmoſphäre, als unbeſtreitbare Thatſache feſtgeſtellt, wiſſen wir, daß ſich ſeine Gegenwart in jedem Zeitmomente durch die ununterbro— chene fortſchreitende Fäulniß und Verweſung thieriſcher und vegetabiliſcher Stoffe in der Luft wieder erneuert; ein Theil des mit dem Regenwaſſer niedergefallenen Ammoniaks ver— dampft wieder mit dem Waſſer, ein anderer Theil wird, wir wollen es annehmen, von den Wurzeln der Pflanzen aufge— nommen, und indem er neue Verbindungen eingeht, entſtehen daraus, je nach den verſchiedenen Organen der Aſſimilation, Eiweißſtoff, Kleber, Chinin, Morphium, Cyam und die große 72 Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs. Zahl der anderen Stickſtoffverbindungen. Das bekannte che⸗ miſche Verhalten des Ammoniaks entfernt jeden, auch den lei— ſeſten, Zweifel in Beziehung auf ſeine Fähigkeit, Verbindungen dieſer Art einzugehen, ſich alſo zu den mannigfaltigſten Me— tamorphoſen zu eignen; die jetzt zu löſende Frage beſchränkt ſich lediglich darauf, ob das Ammoniak in der Form von Am— moniak von den Wurzeln der Pflanzen aufgenommen, ob es von den Organen der Pflanzen zur Hervorbringung der darinn enthaltenen ſtickſtoffhaltigen Stoffe verwendet wird. Dieſe Frage iſt leicht und mit den befannteften und entſcheidendſten That⸗ ſachen zu löſen. Im Jahr 1834 beſchäftigte ich mich gemeinſchaftlich mit Herrn Geh. Medieinalrath Wilbrand, Profeſſor der Bota— nik an der hieſigen Univerſität, mit der Beſtimmung des Zucker⸗ gehaltes verſchiedener Ahornarten, welche auf ungedüngtem Boden ſtanden. Wir bekamen aus allen durch bloße Ab— dampfung ohne weitern Zuſatz kryſtalliſirten Zucker und mach— ten bei dieſer Gelegenheit die unerwartete Beobachtung, daß dieſer Saft bei Zuſatz an Kalk, wie der Rohrzucker bei der Raffination behandelt, eine große Menge Ammoniak entwickelte. In der Vorausſetzung, daß durch die Bosheit eines Menſchen, Urin in die an den Bäumen aufgeſtellten Gefäße zum Auf ſammeln des Saftes gekommen wäre, wurden ſie mit großer Aufmerkſamkeit überwacht, allein auch in dieſem Safte fand ſich wieder eine reichliche Menge Ammoniak in der Form eines neutralen Salzes vor, denn der Saft war vollkommen farblos und beſaß keine Wirkung auf Pflanzenfarben. Dieſelbe Beobachtung wurde am Birkenſaft gemacht, wel— cher, zwei Stunden von jeder menſchlichen Wohnung entfernt, von Bäumen aus dem Walde gewonnen war; der mit Kalk geklärte Saft abgedampft, entwickelte reichlich Ammoniak. Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs. 73 Das Thränenwaſſer der Weinrebe hinterläßt, mit einigen Tropfen Salzſäure abgedampft, eine farbloſe gummiähnliche zerfließliche Maſſe, welche durch Zuſatz von Kalk reichlich Am— moniak entwickelt. In den Rübenzuckerfabriken werden Tauſende von Cubiec— fußen Saft täglich mit Kalk geklärt, von allem Kleber und vegetabiliſchem Eiweiß befreit, zur Kryſtalliſation abgedampft. Jedermann, welcher in eine ſolche Fabrik eintritt, wird von der außerordentlich großen Menge Ammoniak überraſcht, was ſich mit den Waſſerdämpfen verflüchtigt und in der Luft verbrei— tet. Auch dieſes Ammoniak iſt darinn in der Form eines Am— moniakſalzes zugegen, denn der neutrale Saft verhält ſich wie ihre Auflöſungen im Waſſer; er nimmt wie dieſe beim Verdam— pfen eine ſaure Reaction an, indem ſich das neutrale Salz durch Ammoniakverluſt in ſaures verwandelt. Die freie Säure, die hierbei entſteht, iſt, wie man weiß, eine Quelle von Verluſt an Rohrzucker für die Rübenzuckerfabrikanten, da durch ſie ein Theil des Rohrzuckers in nicht kryſtalliſirbaren Traubenzucker und Sy— rup übergeht. Die in den Apotheken durch Deſtillation über Blüthen, Kräutern und Wurzeln erhaltenen Waſſer, alle Ex— tracte von Pflanzen enthalten Ammoniak. Der unreife, einer durchſichtigen Gallerte ähnliche Kern der Mandeln und Pfir— ſiche entwickelt beim Zuſatz von Alkalien reichlich Ammoniak. (Robiquet.) Der Saft friſcher Tabacksblätter enthält Ammoniak— ſalze. Wurzeln (Runkelrüben), Stämme (Ahorn), alle Blüthen, die Früchte im unreifen Zuſtande, überall findet ſich Ammoniak. In dem Ahornſafte, dem Birkenſafte iſt neben Zucker der ſtickſtoffreichſte unter allen Körpern das Ammoniak, es find darinn alle Bedingungen der Bildung der ſtickſtoffhaltigen und ſtickſtofffreien Beſtandtheile der Triebe, Sproſſen und Blätter enthalten. Mit ihrer Entwickelung vermindert ſich die Menge 74 Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs. des Saftes, mit ihrer Ausbildung giebt der Baum keinen Saft mehr. Den entſcheidendſten Beweis, daß es das Ammoniak iſt, was den Vegetabilien den Stickſtoff liefert, giebt die animaliſche Düngung in der Cultur der Futtergewächſe und Cerealien. Der Gehalt an Kleber iſt in dem Weizen, in dem Roggen, der Gerſte äußerſt verſchieden, ihre Körner, auch in dem aus⸗ gebildetſten Zuſtande, find ungleich reich an dieſem ſtickſtoffhal⸗ tigen Beſtandtheil. In Frankreich fand Prouſt 12,5 p. e, in Baiern Vogel 24, nach Davy enthält der Winterweizen 19, der Sommerweizen 24 p. c., der Sicilianiſche 21, der aus der Berberei 19 p. c., das Mehl aus Elſaſſer Weizen enthält nach Bouſſingault 17,3, aus Weizen, der im Jar- din des plantes gezogen ward, 26,7, der Winterweizen ent— hält 33,3 p. e. (Bouſſingault) Kleber. Dieſen ſo großen Abweichungen muß eine Urſache unterliegen, und wir finden dieſe Urſache in der Cultur. Eine Vermehrung des animali— ſchen Düngers hat nicht allein eine Vermehrung der Anzahl der Saamen zur Folge, ſie übt auch einen nicht minder bemer⸗ kenswerthen Einfluß auf die Vergrößerung des Glutengehaltes. Der animaliſche Dünger wirkt nun, wie ſpäter gezeigt wer— den ſoll, nur durch Ammoniakbildung; während 100 Weizen, mit dem am Ammoniak ärmſten Kuhmiſt gedüngt, nur 11,95 p. c. Kleber und 62,34 Amylon enthielten, gab der mit Menfchen- harn gedüngte Boden das Maximum an Kleber, nemlich 35,1 p. c. in 100 Th. Weizen, alſo nahe die dreifache Menge (Hermbſtädt). In gefaultem Menſchenharn iſt aber der Stid- ſtoff als kohlenſaures, phosphorſaures, milchſaures Ammoniak, und in keiner andern Form, als in der Form eines Ammoniaf- ſalzes enthalten. »In Flandern wird der gefaulte Urin mit dem größten Er- folg als Dünger verwendet. In der Fäulniß des Urins er— Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs. 75 zeugen ſich im Ueberfluß, man kann ſagen, ausſchließlich nur Ammoniakſalze, denn unter dem Einfluß der Wärme und Feuch— tigkeit verwandelt ſich der Harnſtoff, welcher in dem Urin vor— waltet in kohlenſaures Ammoniak. An der Peruaniſchen Küſte wird der Boden, der an und für ſich im höchſten Grade un— fruchtbar iſt, vermittelſt eines Düngers, des Guano ), frucht— bar gemacht, den man auf mehreren Inſelchen des Südmeeres ſammelt. In einem Boden, der einzig und allein nur aus Sand und Thon beſteht, genügt es, dem Boden nur eine kleine Quantität Guano beizumiſchen um darauf die reichſten Ernten von Mais zu erhalten. Der Boden enthält außer Guano nicht das geringſte einer andern organiſchen Materie, und dieſer Dünger enthält weiter nichts, wie harnſaures, phosphor— ſaures, oxalſaures, kohlenſaures Ammoniak und einige Erdſalze.« (Boussingault, Ann. de chim. et de phys. LXV. p. 319.) Das Ammoniak in feinen Salzen hat alſo dieſen Pflanzen, den Stickſtoff geliefert. Was man in dem Getreide aber Kle— ber nennt, heißt in dem Traubenſafte vegetabiliſches Ei— weiß, in den Pflanzenſäften Pflanzenleim; obwohl dem Namen nach verſchieden, ſind doch dieſe drei Körper in ihrem Verhalten, in ihrer Zuſammenſetzung identiſch. Das Ammoniak iſt es, was dem Hauptbeſtandtheil der Pflanzen, dem vegetabiliſchen Eiweiß, den Stickſtoff liefert, nur das Ammoniak kann es ſein, aus dem ſich die blauen und ro— then Farbeſtoffe in den Blumen bilden. In keiner andern Form als in der Form von Ammoniak bietet ſich den wild— ) Der Guano ſtammt auf dieſen Inſeln von zahllofen Waſſervögeln, welche ſie zur Zeit der Brut bewohnen, es ſind die verfaulten Exere— mente derſelben, welche den Boden mit einer mehre Fuß hohen Schicht bedecken. 76 Der Urſprung und die Affimilation des Stickſtoffs. wachſenden Pflanzen aſſimilirbarer Stickſtoff dar, es iſt das Ammoniak, was ſich im Taback, der Sonnenblume, dem Che- nopodium, dem Borago officinalis in Salpeterſäure verwan— delt, wenn ſie auf völlig ſalpeterloſem Boden wachſen; ſalpe— terſaure Salze ſind in ihnen Bedingungen ihrer Exiſtenz, ſie entwickeln nur dann die üppigſte Vegetation, wenn ihnen Son— nenlicht und Ammoniak im Ueberfluß dargeboten wird; Son— nenlicht, was in ihren Blättern und Stengeln die Ausſchei— dung von freiem Sauerſtoff bewirkt, Ammoniak, durch deſſen Verbindung mit dem Sauerſtoff unter allen Umſtänden Sal- peterſäure gebildet wird. Der Urin des Menſchen und der fleiſchfreſſenden Thiere enthält die größte Menge Stickſtoff; theils in der Form von phosphorſauren Salzen, theils in der Form von Harnſtoff; der letztere verwandelt ſich durch Fäulniß in doppelt kohlenſau⸗ res Ammoniak, d. h. er nimmt die Form des Salzes an, was wir im Regenwaſſer finden. Der Urin des Menſchen iſt das kräftigſte Düngmittel für alle an Stickſtoff reichen Vegetabilien, der Urin des Hornviehs, der Schafe, des Pferdes iſt minder reich an Stickſtoff, aber immer noch unendlich reicher als die Exeremente dieſer Thiere. Der Urin der grasfreſſenden Thiere enthält neben Harn— ſtoff Hippurſäure, die ſich durch die Fäulniß in Ammoniak und Benzoeſäure zerſetzt, wir finden das Ammoniak derſelben als Kleber, und die Benzoeſäure in dem Anthoxanthum odo- ratum als Benzoeſäure wieder. Vergleichen wir den Stickſtoffgehalt der Ereremente von Thieren und Menſchen mit einander, ſo verſchwindet der Stick— ſtoffgehalt der feſten, wenn wir ihn mit dem Gehalt an Stick— ſtoff in den flüſſigen vergleichen, dieß kann der Natur der Sache nach nicht anders ſein. Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs. 77 Die Nahrungsmittel, welche Thiere und Menſchen zu ſich nehmen, unterhalten nur inſofern das Leben, die Aſſimilation, als ſie dem Organismus die Elemente darbieten, die er zu ſeiner eigenen Reproduction bedarf; das Getreide, die friſchen und trocknen Gräſer und Pflanzen enthalten ohne Ausnahme ſtickſtoffreiche Beſtandtheile. Das Gewicht des Futters und der Speiſe, welche das Thier zu ſeiner Ernährung zu ſich nimmt, vermindert ſich in dem nemlichen Verhältniß, als dieſes Futter, die Speiſe, reich, ſie nimmt in dem Verhältniß zu, als das Futter arm iſt an die— ſen ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheilen. Man kann durch Fütte— rung mit Kartoffeln allein ein Pferd am Leben erhalten, aber dieſes Leben iſt ein langſames Verhungern, es wächſt ihm we— der Maſſe noch Kraft zu, es unterliegt einer jeden Anſtren— gung. Die Quantitäten von Reis, welche der Indier bei ſei— ner Mahlzeit zu ſich nimmt, ſetzen den Europäer in Erſtau— nen, aber der Reis iſt die an Stickſtoff ärmſte unter allen Getreidearten. a Es iſt klar, daß der Stickſtoff der Pflanzen und Saamen, welche Thieren zur Nahrung dienen, zur Aſſimilation verwen— det wird, die Ereremente dieſer Thiere müſſen, wenn fie ver— daut find, ihres Stickſtoffs beraubt fein, fie können nur in— ſofern Stickſtoff noch enthalten, als ihnen Seeretionen der Galle und Eingeweide beigemiſcht ſind. Sie müſſen unter al⸗ len Umſtänden weniger Stickſtoff enthalten, als die Speiſen, als das Futter. Die Exeremente der Menſchen ſind unter allen die ſtickſtoffreichſten, denn das Eſſen iſt bei ihnen nicht nur die Befriedigung eines Bedürfniſſes, ſondern zugleich eine Quelle von Genuß, ſie genießen mehr Stickſtoff, als ſie bedürfen, und dieſer Ueberſchuß geht in die Ereremente über. Wir bringen demnach in der Bewirthſchaftung der Felder, 78 Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs. die wir mit thieriſchen Exerementen fruchtbarer machen, un— ter allen Umſtänden weniger ſtickſtoffhaltige Materie zurück, als wir davon als Futter, Kraut oder Saamen denſelben genom— men haben, wir fügen durch den Dünger dem Nahrungsſtoff, den die Atmoſphäre liefert, eine gewiſſe Quantität deſſelben hinzu, und die eigentlich wiſſenſchaftliche Aufgabe für den Oekonomen beſchränkt ſich mithin darauf, dasjenige ſtickſtoff— haltige Nahrungsmittel der Pflanzen, welches die Exeremente der Thiere und Menſchen durch ihre Fäulniß erzeugen, dieſes Nahrungsmittel für ſeine Pflanzen zu verwenden. Wenn er es nicht in der geeigneten Form auf ſeine Aecker bringen würde, wäre es für ihn zum großen Theil verloren. Ein unbenutzter Haufen Dünger würde ihm nicht mehr als ſeinen Nachbarn zu Gute kommen, nach einigen Jahren würde er an ſeinem Platze die kohlehaltigen Ueberreſte der verweſenden Pflanzen— theile, aber in ihnen keinen Stickſtoff mehr wiederfinden. Aller Stickſtoff würde daraus in Form von kohlenſaurem Ammoniak entwichen ſein. Jedes thieriſche Exerement iſt eine Quelle von Ammoniak und Kohlenſäure, welche ſo lange dauert, als noch Stickſtoff darinn vorhanden iſt, in jedem Stadium ſeiner Verweſung oder Fäulniß entwickelt es, mit Kalilauge befeuchtet, Ammoniak, was an dem Geruche und durch die dicken weißen Dämpfe bemerk— bar wird, wenn man einen mit Säure benetzten feſten Gegen⸗ ſtand in ihre Nähe bringt; dieſes Ammoniak wird von dem Boden theils in Waſſer gelöſ't, theils in Form von Gas auf genommen und eingeſaugt, und mit ihm findet die Pflanze eine größere Menge des ihr unentbehrlichen Stickſtoffs vor, als die Atmoſphäre ihr liefert. Aber es iſt weit weniger die Menge von Ammoniak, was thieriſche Exeremente den Pflanzen zuführen, als die Form, in Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs. 79 welcher es geſchieht, welche ihren ſo auffallenden Einfluß auf die Fruchtbarkeit des Bodens bedingt. Die wildwachſenden Pflanzen erhalten durch die Atmoſphäre in den meiſten Fällen mehr Stickſtoff in der Form von Am— moniak, als ſie zu ihrer Entwickelung bedürfen, denn das Waſ— ſer, was durch die Blüthen und Blätter verdunſtet, geht in ſtinkende Fäulniß über, eine Eigenſchaft, welche nur ſtickſtoff— haltigen Materien zukommt. Die Culturpflanzen empfangen von der Atmoſphäre die nem— liche Quantität Stickſtoff, wie die wildwachſenden, wie die Bäume und Sträucher; allein er iſt nicht hinreichend für die Zwecke der Feldwirthſchaſt; ſie unterſcheidet ſich dadurch weſent— lich von der Forſtwirthſchaft, als ihre Hauptaufgabe, ihr wich— tigſter Zweck in der Production von aſſimilirbarem Stickſtoff in irgend einer Form beſteht, während der Zweck der Forſt— wirthſchaft ſich hauptſächlich nur auf die Production von Koh— lenſtoff beſchränkt. Dieſen beiden Zwecken find alle Mittel der Cultur unter- geordnet. Von dem kohlenſauren Ammoniak, was das Regen— waſſer dem Boden zuführt, geht nur ein Theil in die Pflanze über, denn mit dem verdampfenden Waſſer verflüchtigt ſich, jeder Zeit, eine gewiſſe Menge davon. Nur was der Boden in größerer Tiefe empfängt, was mit dem Thau unmittelbar den Blättern zugeführt wird, was ſie aus der Luft mit der Kohlenſaüre einſaugen, nur dieß Ammoniak wird für die Aſſi— milation gewonnen werden können. Die flüſſigen thieriſchen Ereremente, der Urin der Menſchen und Thiere, mit welchem die erſten durchdrungen ſind, ent— halten den größten Theil des Ammoniaks in der Form von Salzen, in einer Form, wo es ſeine Fähigkeit ſich zu verflüch— tigen gänzlich verloren hat. 80 Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs. In dieſem Zuſtande dargeboten, geht auch nicht die kleinſte Menge davon der Pflanze verloren, es wird im Waſſer gelöft von den Wurzelfaſern eingeſaugt. Die fo in die Augen fallende Wirkung des Gypſes auf die Entwickelung der Grasarten, die geſteigerte Fruchtbarkeit und Ueppigkeit einer Wieſe, die mit Gyps beſtreut iſt, ſie beruht auf weiter nichts, als auf der Fixirung des Ammoniaks der Atmo— ſphäre, auf der Gewinnung von derjenigen Quantität, die auf nicht gegypſ'ttem Boden mit dem Waſſer wieder verdunſtet wäre. Das in dem Regenwaſſer gelöſ'te kohlenſaure Ammoniak zerlegt ſich mit dem Gyps auf die nemliche Weiſe wie in den Salmiakfabriken, es entſteht lösliches, nicht flüchtiges ſchwefel— ſaures Ammoniak und kohlenſaurer Kalk. Nach und nad) ver: ſchwindet aller Gyps, aber ſeine Wirkung hält an, ſo lange noch eine Spur davon vorhanden iſt. Man hat die Wirkung des Gyypſes und vieler Salze mit der von Gewürzen verglichen, welche die Thätigkeit des Ma— gens, der Eingeweide ſteigern und den Organismus befähigen, mehr und kräftiger zu verdauen. Eine Pflanze enthält keine Nerven, es iſt keine Subſtanz denkbar, durch die ſie in Rauſch, in Schlaf, in Wahnſinn ver— ſetzt werden kann; es kann keine Stoffe geben, durch welche ein Blatt gereizt wird, eine größere Menge Kohlenſtoff aus der Luft ſich anzueignen, wenn die anderen Beſtandtheile fehlen, welche die Pflanze, der Saamen, die Wurzel, das Blatt neben dem Kohlenſtoff zu ihrer Entwickelung bedürfen. Die günſtigen Wirkungen von kleinen Quantitäten, den Speiſen der Menſchen beigemiſchten Gewürzen ſind unleugbar, aber man giebt ja den Pflanzen das Gewürz allein, ohne die Speiſe hinzuzufügen, die ſie verdauen ſollen, und dennoch ge— deihen ſie mit weit größerer Ueppigkeit. Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs. 81 Man ſieht leicht, daß die gewöhnliche Anſicht über den Einfluß gewiſſer Salze auf die Entwickelung der Pflanzen weiter nichts bethätigt, als daß man die Urſache nicht kannte. Die Wirkung des Gypſes, des Chlorcalciums iſt eine Fixi— rung des Stickſtoffs, ein Feſthalten in dem Boden von Am— moniak, was die Pflanzen nicht entbehren können. Um ſich eine beſtimmte Vorſtellung von der Wirkſamkeit des Gypſes zu machen, wird die Bemerkung genügen, daß 100 Pf. gebrannter Gyps fo viel Ammoniak in dem Boden firiren, als 6250 Pfd. reiner Pferdeharn *) demſelben in der Vorausſetzung zuführen können, daß der Stickſtoff der Hippur⸗ ſäure und der des Harnſtoffs in der Form von kohlenſaurem Ammoniak ohne den geringſten Verluſt von der Pflanze auf— genommen wurden. | Nehmen wir nun nach Bouſſingault (Ann. de chim. et de phys. T. LXIII. pag. 243) an, daß das Gras = eines Gewichts Stickſtoff enthält, fo ſteigert ein Pfd. Stickſtoff, welches wir mehr zuführen, den Ertrag der Wieſe um 100 Pfd. Futter, und dieſe 100 Pfd. Mehrertrag ſind der Erfolg der Wirkung von 4 Pfd. Gyps. Zur Aſſimilation des gebildeten ſchwefelſauren Ammoniaks und zur Zerſetzung des Gypſes iſt, feiner Schwerlöslichkeit (1 Theil bedarf 400 Theile Waſſer) wegen, Waſſer die un entbehrlichſte Bedingung; auf trockenen Feldern und Wieſen iſt deshalb fein Einfluß nicht bemerkbar, während auf dieſen thie— ) Der Pferdeharn enthält nach Foureroy und Vauquelin in 1000 Theilen: eee 7 Theile, hippurſaures Natron 24 * Salze und Waſſer .. . 979 « 1000 Theile. 6 82 Der Urſprung und die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. riſcher Dünger, durch die Aſſimilation des gasförmigen koh⸗ lenſauren Ammoniaks, was ſich daraus in Folge feiner Ver⸗ weſung entwickelt, ſeine Wirkung nicht verſagt. Die Zerſetzung des Gypſes durch das kohlenſaure Ammo- niak geht nicht auf einmal, ſondern ſehr allmählig vor ſich, woraus ſich erklärt, warum ſeine Wirkung mehrere Jahre anhält. Nicht minder einfach erklärt ſich jetzt die Düngung der Fel⸗ der mit gebranntem Thon, die Fruchtbarkeit der eifenoribrei- chen Bodenarten; man hat angenommen, daß ihre bis dahin ſo unbegreifliche Wirkung auf einer Anziehung von Waſſer beruhe, aber die gewöhnliche trockene Ackererde beſitzt dieſe Eigenſchaft in nicht geringerem Grade, und welchen Einfluß kann man zuletzt einigen hundert Pfunden Waſſer zuſchreiben, welche in einem Zuſtande auf einem Acker vertheilt ſind, wo weder die Wurzel noch die Blätter Nutzen davon ziehen können. Eifensrid und Thonerde zeichnen ſich vor allen anderen Metalloriden durch die Fähigkeit aus, ſich mit Ammoniak zu feſten Verbindungen vereinigen zu können. Die Niederſchläge, die wir durch Ammoniak in Thonerde⸗ nnd Eiſenoxidſalzen her⸗ vorbringen, ſind wahre Salze, worin das Ammoniak die Rolle einer Baſe ſpielt. Dieſe ausgezeichnete Verwandtſchaft zeigt ſich noch in der merkwürdigen Fähigkeit, welche alle eiſenorid⸗ oder thonerde⸗ reichen Mineralien beſitzen, Ammoniak aus der Luft anzuziehen und zurückzuhalten. Ein Criminalfall gab bekanntlich Vauquelin die Ver⸗ anlaſſung zur Entdeckung, daß alles Eifenorid eine gewiſſe Quantität Ammoniak enthält; ſpäter fand Chevallier, daß das Ammoniak einen Beſtandtheil aller eiſenhaltigen Mineralien ausmacht, daß ſogar der nicht poröſe Blutſtein nahe ein p. c. Ammoniak enthält, und Bouis entdeckte, daß der Geruch, den Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs. 83 man beim Befeuchten aller thonreichen Mineralien bemerkt, zum Theil vom ausgehauchtem Ammoniak herrührt; eine Menge Gyps⸗ und Thonarten, die Pfeifenerde und andere entwickelten ſelbſt noch nach zwei Tagen, wenn ſie mit kauſtiſchem Kali be— feuchtet wurden, ſo viel Ammoniak, daß darüber gehaltenes geröthetes Lackmuspapier davon blau wurde. Eiſenoridhaltiger Boden und gebrannter Thon, deſſen po— röſer Zuſtand das Einſaugen von Gas noch mehr begünſtigt, ſind alſo wahre Ammoniakſauger, welches ſich durch ihre chemiſche Anziehung vor der Verflüchtigung ſchützen; ſie verhalten ſich gerade jo, wie wenn eine Säure auf der Oberfläche des Bo- dens ausgebreitet wäre. Mineral- und andere Säuren würden aber in den Boden dringen, ſie würden durch ihre Verbindung mit Kalk, Thonerde und anderen Baſen ihre Fähigkeit, Am— moniak aus der Luft aufzunehmen, ſchon nach einigen Stunden verlieren. Mit jedem Regenguß tritt das eingeſaugte Ammo— niak an das Waſſer, und wird in Auflöſung dem Boden zu— geführt. Eine nicht minder energiſche Wirkung zeigt in dieſer Be⸗ ziehung das Kohlenpulver; es übertrifft ſogar im friſch geglüh— ten Zuſtande alle bekannten Körper in der Fähigkeit, Ammoniakgas in feinen Poren zu verdichten, da 1 Volumen davon 90 Vo— lumina Ammoniakgas in feinen Poren aufnimmt, was ſich durch bloßes Befeuchten daraus wieder entwickelt (Sauſſure). In dieſer Fähigkeit kommt der Kohle das verweſende (Eichen— holz) Holz ſehr nahe, da es unter der Luftpumpe, von allem Waſſer befreit, 72 mal fein eigenes Volumen davon verſchluckt. Wie leicht und befriedigend erklären ſich nach dieſen That— ſachen die Eigenſchaften des Humus (der verweſenden Holz— faſer). Er iſt nicht allein eine lange andauernde Quelle von Kohlenſäure, ſondern er verſieht auch die Pflanzen mit dem 84 Der Urſprung und die Aſſimilation des Stickſtoffs. zu ihrer Entwickelung unentbehrlichen Stickſtoff. Wir finden Stickſtoff in allen Flechten, welche auf Baſalten, auf Felſen wachſen; wir finden, daß unſere Felder mehr Stickſtoff produs ciren, als wir ihnen als Nahrung zuführen; wir finden Stid- ſtoff in allen Bodenarten, in Mineralien, die ſich nie in Be— rührung mit organiſchen Subſtanzen befanden. Es kann nur die Atmoſphäre ſein, aus welcher ſie dieſen Stickſtoff ſchöpfen. Wir finden in der Atmoſphäre, in dem Regenwaſſer, im Quellwaſſer, in allen Bodenarten dieſen Stickſtoff in der Form von Ammoniak, als Product der Verweſung und Fäulniß der ganzen, der gegenwärtigen Generation vorangegangenen, Thier— und Pflanzenwelt; wir finden, daß die Production der ſtickſtoff— reichen Beſtandtheile der Pflanzen mit der Quantität Ammoniak zunimmt, die wir in dem thieriſchen Dünger zuführen; und kein Schluß kann wohl beſſer begründet ſein als der, daß das Ammoniak der Atmoſphäre es iſt, welches den Pflanzen ihren Stickſtoff liefert. Kohlenſäure, Ammoniak und Waſſer enthalten in ihren Elementen, wie ſich aus dem Vorhergehenden ergiebt, die Be⸗ dingungen zur Erzeugung aller Thier- und Pflanzenſtoffe während ihres Lebens. Kohlenſäure, Ammoniak und Waſſer ſind die letzten Producte des chemiſchen Proceſſes ihrer Fäulniß und Verwe— ſung. Alle die zahlloſen, in ihren Eigenſchaften ſo unendlich verſchiedenen, Producte der Lebenskraft nehmen nach dem Tode die urſprünglichen Formen wieder an, aus denen fie gebildet worden ſind. Der Tod, die völlige Auflöſung einer untergegangenen Generation, it die Duelle des Lebens für eine neue, Sind die genannten Verbindungen, kann man nun fragen, die einzigen Bedingungen des Lebens aller Vegetabilien? Dieſe Frage muß entſchieden verneint werden. Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien. 8⁵ Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien. Kohlenſäure, Ammoniak und Waſſer können von keiner Pflanze entbehrt werden, eben weil ſie die Elemente enthalten, woraus ihre Organe beſtehen; aber zur Ausbildung gewiſſer Organe zu beſonderen Verrichtungen, eigenthümlich für jede Pflanzenfamilie, gehören noch andere Materien, welche der Pflanze durch die anorganiſche Natur dargeboten werden. Wir finden dieſe Materien, wiewohl in verändertem Zu— ſtande, in der Aſche der Pflanzen wieder. Von dieſen anorganiſchen Beſtandtheilen ſind viele verän— derlich, je nach dem Boden, auf dem die Pflanzen wachſen; allein eine gewiſſe Anzahl davon iſt für ihre Entwickelung un- entbehrlich. Die Wurzel einer Pflanze in der Erde verhält ſich zu al— len gelößten Stoffen wie ein Schwamm, der das Flüſſige und Alles, was darinn iſt, ohne Auswahl einſaugt. Die der Pflanze in dieſer Weiſe zugeführten Stoffe werden in größerer oder geringerer Menge zurückbehalten oder wieder ausgeſchieden, je nachdem ſie zur Aſſimilation verwendet werden oder ſich nicht dafür eignen. In den Saamen aller Grasarten fehlt aber z. B. nie mals phosphorſaure Bittererde in Verbindung mit Ammoniak; es iſt in der äußeren hornartigen Hülle enthalten und geht durch das Mehl in das Brot und ebenfalls in das Bier über. Die Kleie des Mehls enthält die größte Menge davon, und es iſt dieſes Salz, aus dem im kryſtalliſirten Zuſtande die oft 86 Die anorganifchen Beſtandtheile der Vegetabilien. mehrere Pfund ſchweren Steine in dem Blindarm der Mül⸗ lerpferde gebildet werden, welches ſich aus dem Bier in Geſtalt eines weißen Niederſchlags abſetzt, wenn man es mit Ammo⸗ niak vermiſcht. Die meiſten, man kann ſagen, alle Pflanzen enthalten or⸗ ganiſche Säuren von der mannigfaltigſten Zuſammenſetzung und Eigenſchaften; alle dieſe Säuren ſind an Baſen gebunden, an Kali, Natron, Kalk oder Bittererde, nur wenige Pflanzen enthalten freie organiſche Säuren; dieſe Baſen ſind es offen⸗ bar, welche durch ihr Vorhandenſein die Entſtehung dieſer Säu⸗ ren vermitteln; mit dem Verſchwinden der Säure bei dem Reifen der Früchte, der Weintrauben z. B., nimmt der Kali⸗ gehalt des Saftes ab. Ju denjenigen Theilen der Pflanzen, in denen die Aſſimilation am ſtärkſten iſt, wie in dem Holzkörper, finden ſich dieſe Beftand- theile in der geringſten Menge, ihr Gehalt iſt am größten in den Organen, welche die Aſſimilation vermitteln; in den Blättern findet ſich mehr Kali, mehr Aſche, als in den Zweigen, dieſe ſind reicher daran, als der Stamm (Sauſſure). Vor der Blüthe enthält das Kartoffelkraut mehr Kali, als nach der⸗ ſelben (Mollerat). In den verſchiedenen Pflanzenfamilien finden wir die ver⸗ ſchiedenſten Säuren; Niemand kann nur entfernt die Anſicht hegen, daß ihre Gegenwart, daß ihre Eigenthümlichkeit ein Spiel des Zufalls ſei. Die Fumarſäure, die Dralfäure in den Flechten, die Chinaſäure in den Rubiaceen, die Roccell— ſäure in der Roccella tinctoria, die Weinſäure in den Wein- trauben, und die zahlreichen anderen organiſchen Säuren, ſie müſſen in dem Leben der Pflanze zu gewiſſen Zwecken dienen. Das Beſtehen einer Pflanze kann ohne ihre Gegenwart nicht gedacht werden. Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien. 87 In dieſer Vorausſetzung aber, welche für unbeftreitbar ge— halten werden darf, iſt irgend eine alkaliſche Baſis ebenfalls eine Bedingung ihres Lebens, denn alle dieſe Säuren kommen in der Pflanze als neutrale oder ſaure Salze vor. Es giebt keine Pflanze, welche nicht nach dem Einäſchern eine Kohlen— ſäure haltige Aſche hinterläßt, keine alſo, in welcher pflanzen— ſaure Salze fehlen. Von dieſem Geſichtspunkte aus betrachtet, gewinnen dieſe Baſen eine für die Phyſiologie und Agricultur hochwichtige Bedeutung, denn es iſt klar, daß die Ouantitäten dieſer Baſen, wenn das Leben der Pflanzen in der That an ihre Gegenwart gebunden iſt, unter allen Umſtänden ebenſo unveränderlich ſein muß, als es, wie man weiß, die Sättigungscapaeität der Säu⸗ ren iſt. Es iſt kein Grund vorhanden zu glauben, daß die Pflanze im Zuſtande der freien ungehinderten Entwickelung mehr von der ihr eigenthümlichen Säure producire, als fie gerade zu ih— rem Beſtehen bedarf; in dieſem Falle aber wird eine Pflanze, auf welchem Boden ſie auch wachſen mag, ſtets eine nie wech— ſelnde Menge alkaliſcher Baſis enthalten. Nur die Cultur wird in dieſer Hinſicht eine Abweichung bewirken können. Um dieſen Gegenſtand zum klaren Verſtändniß zu bringen, wird es kaum nöthig ſein, daran zu erinnern, daß ſich alle dieſe alkaliſchen Baſen in ihrer Wirkungsweiſe vertreten kön⸗ nen, daß mithin der Schluß, zu dem wir nothwendig gelan— gen müſſen, in keiner Beziehung gefährdet wird, wenn eine dieſer Baſen in einer Pflanze vorkommt, während ſie in einer andern Pflanze derſelben Art fehlt. Wenn der Schluß wahr iſt, ſo muß die fehlende Baſis erſetzt und vertreten ſein, durch eine andere von gleichem Wir— kungswerth, ſie muß erſetzt ſich vorfinden durch ein Aequivalent 88 Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien. von einer der andern Baſen. Die Anzahl der Aequivalente dieſer Baſen wären hiernach eine unveränderliche Größe, und hier— aus würde von ſelbſt die Regel gefolgert werden müſſen, daß die Sauerſtoffmenge aller alkaliſchen Baſen zuſammengenommen un⸗ ter allen Umſtänden unveränderlich iſt, — auf welchem Boden die Pflanze auch wachſen, welchen Boden ſie auch erhalten mag. Dieſer Schluß bezieht ſich, wie ſich von ſelbſt verſteht, nur auf diejenigen alkaliſchen Baſen, welche als pflanzenſaure Salze Beſtandtheile der Pflanzen ausmachen; wir finden nun gerade dieſe in der Aſche derſelben als kohlenſaure Salze wieder, de— ren Quantität leicht beſtimmbar iſt. Es ſind von Sauſſure und Berthier eine Reihe von Analyſen von Pflanzenaſchen angeſtellt worden, aus denen ſich als unmittelbares Reſultat ergab, daß der Boden einen ent— ſchiedenen Einfluß auf den Gehalt der Pflanzen an dieſen Metalloriden hat, daß Fichtenholzaſche vom Mont Breven z. B. Bittererde enthielt, welche in der Aſche deſſelben Baumes vom Gebirge La Salle fehlte, daß die Mengen des Kalis und Kalks in den Bäumen der beiden Standorte ebenfalls ſehr verſchieden waren. Man hat, wie ich glaube, mit Unrecht hieraus geſchloſſen, daß die Gegenwart dieſer Baſen in den Pflanzen in keiner beſonderen Beziehung zu ihrer Entwickelung ſtehe, denn wenn dieß wirklich wäre, ſo müßte man es für das ſonderbarſte Spiel des Zufalls halten, daß gerade durch dieſe Analyſen der Beweis vom Gegentheil geführt werden kann. Dieſe beiden Fichtenaſchen von einer ſo ungleichen Hufen! menſetzung enthalten nemlich nach de Sauſſure's Analyſe eine gleiche Anzahl von Aequivalenten von dieſen Metalloxiden, oder, was das nemliche iſt, der Sauerſtoffgehalt von allen zu⸗ ſammengenommen, iſt in beiden gleich. Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien. 89 100 Theile Fichtenaſche vom Mont Breven enthalten „): Kohlenfaures Kali .. 3,60 Sauerſtoffgehalt des Kalis .. 0,41 Kohlenſauren Kalk .. 46,34 » » des Kalks . . 1,27 Kohlenſaure Bittererde 6,77 » » der Bittererde 1,27 Summe der kohlenſau⸗ in Summe Sauerſtoff 9,01 e 56,71 100 Theile Fichtenaſche vom Mont La Salle enthalten *): Kohlenſaures Kali 7,36 Sauerſtoffgehalt des Kalis 0,85 Kohlenſauren Kalk 51,19 » » des Kalks 8,10 Bittererde . . 00,00 Summe der koh—⸗ in Summe Sauerſtoff 8,95 lenſauren Salze 58,55 Die Zahlen 9,01 und 8,95, welche den Sauerſtoffgehalt aller Baſen in beiden Fichtenaſchen zuſammengenommen aus— drücken, ſind einander ſo nahe, wie nur in Analyſen erwartet werden kann, wo die Ausmittelung deſſelben die ganze Auf— merkſamkeit in Anſpruch nimmt. Vergleicht man Berthier's Analyſen von zwei Tannen— aſchen mit einander, von der die eine in Norwegen, die an— dere in Allevard (Dep. de IIsère) vorkommt, fo findet man in der einen 50 p. c., in der andern nur 25 p. c. lösliche Salze; es giebt kaum in zwei ganz verſchiedenen Pflanzengattungen eine größere Verſchiedenheit in dem Gewichtsverhältniß der darinn vorkommenden alkaliſchen Baſen, und dennoch ſind die Sauerſtoffmengen der Baſen zuſammengenommen einander gleich. 100 Theile Tannenholzaſche von Allevard nach Berthier (Ann. de chim. et de phys. T. XXXII. p. 248), a *) 1000 Theile Fichtenholz von Mont Breven gaben 11,87 Aſche. ) 1000 Theile Fichtenholz von Mont La Salle gaben 11,28 Aſche. 90 Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien. Kali und Natron 16,8 Sauerſtoffgehalt ) 3,42 Kal » „» 8,20 Magneſia 32 » » 1,20 49,5 12,82 Das Kali und Natron iſt in dieſer Aſche nur zum Theil mit Pflanzenſäure verbunden, ein anderer Theil iſt als ſchwe— felſaures und phosphorſaures Salz und Chlormetall zugegen, in 100 Theilen ſind davon 3,1 Schwefelſäure, 4,2 Phosphor⸗ ſäure und 0,3 Chlorwaſſerſtoffſäure, welche zuſammen eine Quantität Baſis neutraliſiren, die 1,20 Sauerſtoff enthält. Dieſe Zahl muß von 12,82 abgezogen werden. Man hat demnach 11,82 für die Sauerſtoffmenge der an Pflanzenſäuren in dem Tannenholz von Allevard gebundenen alkaliſchen Baſen. Das Tannenholz von Norwegen enthält in 100 Theilen: Kali. . 14,1 Sauerſtoffgehalt 2,4 Naon 207 » » 5,3 Kalk. 123 „ » 345 Magneſia . 4,35 » » 1,69 51,45 12,84 Zieht man von 12,84 die Sauerftoffmengen der Baſen ab, die in dieſer Aſche mit Schwefelſäure und Phosphorſäure ver— einigt ſind, nemlich 1,37, ſo bleiben für Sauerſtoff in den Ba⸗ fen der pflanzenſauren Salze 11,7. Dieſe ſo merkwürdige Uebereinſtimmung kann nicht zufällig fein, und wenn weitere Unterſuchungen fie bei anderen Pflan- zengattungen beſtätigen, ſo läßt ſich ihr keine andere Erklärung unterlegen. Wir wiſſen nicht, in welcher Form die Kieſelerde, Für gleiche Atomgewichte angenommen. Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien. 91 das Mangan- und Eifenorid in der Pflanze enthalten iſt, nur darüber ſind wir gewiß, daß Kali, Natron und Bittererde durch bloßes Waſſer in der Form von pflanzenſauren Salzen aus allen Pflanzentheilen ausgezogen werden können; daſſelbe iſt der Fall mit dem Kalk, wenn er nicht als unlöslicher klee— ſaurer Kalk zugegen iſt. Man muß ſich daran erinnern, daß in den Oxalis arten Kleeſäure und Kali vorkommt, und zwar nie als neutrales oder als vierfachſaures, ſondern ſtets als doppeltſaures Salz, auf welchem Boden die Pflanze auch wach— ſen mag; wir finden in den Weintrauben das Kali immer als Weinſtein, als ſaures Salz, nie in der Form von neutralem. Für die Entwickelung der Früchte und Saamen, man kann ſagen, für eine Menge von Zwecken, die wir nicht kennen, muß die Gegenwart dieſer Säuren und Baſen eine gewiſſe Bedeutung haben, eben weil ſie niemals fehlen und weil die Form ihres Vorkommens keinem Wechſel unterliegt. Die Quantität der in einer Pflanze vorkommenden alkaliſchen Ba⸗ ſen hängt aber lediglich von dieſer Form ab, denn die Sät— tigungscapacität einer Säure iſt eine unveränderliche Größe, und wenn wir ſehen, daß der kleeſaure Kalk in den Flechten den fehlenden Holzkörper, die Holzfaſer, vertritt und erſetzt, ſo müſſen den löslichen pflanzenſauren Salzen eben ſo beſtimmte, wenn auch abweichende, Functionen zugeſchrieben werden. Genaue und zuverläſſige Unterſuchungen der Aſche von Pflanzen derſelben Art, welche auf verſchiedenen Bodenarten gewachſen ſind, erſcheinen hiernach als eine für die Phyſiologie der Gewächſe höchſt folgenreiche Aufgabe; ſie werden entſcheiden, ob ſich dieſe merkwürdige Thatſache zu einem beſtimmten Geſetze für eine jede Pflanzenfamilie geſtaltet, ob alſo eine jede noch außerdem durch eine gewiſſe unveränderliche Zahl characteriſirt werden kann, welche der Ausdruck des Sauerſtoffgehalts der 92 Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien. Baſen iſt, die in der Form von pflanzenſauren Salzen ihrem Organismus angehören. Man kann mit einiger Wahrſcheinlichkeit vorausſetzen, daß dieſe Forſchungen zu einem wichtigen Reſultate führen werden, denn es iſt klar, wenn die Erzeugung von beſtimmten unver— änderlichen Mengen von pflanzenſauren Salzen durch die Ei— genthümlichkeit ihrer Organe geboten, wenn ſie zu gewiſſen Zwecken für ihr Beſtehen unentbehrlich ſind, ſo wird die Pflanze Kali oder Kalk aufnehmen müſſen, und wenn ſie nicht ſo viel vorfindet, als ſie bedarf, ſo wird das Fehlende durch andere alkaliſche Baſen von gleichem Wirkungswerthe erſetzt werden; wenn ihr keine von allen ſich darbietet, ſo wird ſie nicht zur Entwickelung gelangen. Der Saame von Salsola Kali giebt, in gewöhnliche Gar— tenerde geſäet, eine Pflanze, welche Kali und Natron enthält; der Saame der letztern liefert eine Pflanze, worin ſich bloß Kaliſalze mit Spuren von Kochſalz vorfinden (Cadet). Das Vorkommen von organiſchen Baſen in der Form von pflanzenſauren Salzen giebt der Meinung, daß alkaliſche Ba— fen überhaupt zur Entwickelung der Pflanzen gehören, ein gro- ßes Gewicht. Wir ſehen z. B., wenn wir Kartoffeln unter Umſtänden wachſen laſſen, wo ihnen die Erde, als das Magazin anorga— niſcher Baſen fehlt, wenn ſie z. B. in unſeren Kellern wach— ſen, daß ſich in ihren Trieben, in ihren langen, dem Lichte ſich zuwendenden Keimen, ein wahres Alkali von großer Giftigkeit, das Solanin erzeugt, von dem wir nicht die kleinſte Spur in den Wurzeln, dem Kraut, den Blüthen oder Früchten derjenigen Kartoffeln entdecken, die im Felde gewachſen ſind (Otto). In allen Chinaſorten findet ſich Chinaſäure, aber die ver änderlichſten Mengen von Chinin, Cinchonin und Kalk, man Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien. 93 kann den Gehalt an den eigentlichen organiſchen Baſen ziem— lich genau nach der Menge von fixen Baſen beurtheilen, die nach der Einäſcherung zurückbleiben. Einem Maximum der erſteren entſpricht ein Minimum der andern, gerade ſo wie es in der That ſtattfinden muß, wenn ſie ſich gegenſeitig nach ihren Aequivalenten vertreten. Wir wiſſen, daß die meiſten Opiumſorten Meconſäure, ge bunden an die veränderlichſten Mengen von Narcotin, Morphin, Codein ꝛc. enthalten, ſtets vermindert ſich die Quantität der einen mit dem Zunehmen der andern. Die kleinſte Menge Morphin finden wir ſtets begleitet von einem Maximum von Narcotin. In manchen Opiumſorten läßt ſich keine Spur Meconſäure entdecken n), aber die Säure fehlt deshalb nicht, fie iſt in die— ſem Fall durch eine anorganiſche Säure, durch Schwefelſäure vertreten, und auch hier zeigt ſich in den Sorten, wo beide vorhanden ſind, daß ſie zu einander ren in einem gewiſſen Verhältniſſe ſtehen. Wenn aber, wie in dem Saſte des Mohns ſich herauszus ſtellen ſcheint, eine organiſche Säure in einer Pflanze vertreten ſein kann durch eine anorganiſche, ohne daß die Entwickelung der Pflanze darunter leidet, ſo muß dies in um ſo höherem Grade bei den anorganiſchen Baſen ſtattfinden können. Finden die Wurzeln der Pflanze die eine Baſe in hinrei— chender Menge vor, ſo wird ſie um ſo weniger von der an— dern nehmen. Im Zuſtande der Cultur, wo von außen her auf die Hervor⸗ bringung und Erzeugung einzelner Beſtandtheile und beſonderer ) Robiquet bekam in einer Behandlung von 300 @ Opium keine Spur meconſauren Kalk, während andere Sorten ihm ſehr beträcht— liche Quantitäten davon gaben. (Ann. de chim. LIII. p. 425). 94 Die anorganischen Beſtandtheile der Vegetabilien. Organe eingewirkt wird, werden dieſe Verhältniſſe minder be— ſtändig ſich zeigen. Wenn wir die Erde, in welcher eine weiße blühende Hya— zinthe ſteht, mit dem Safte von Phytolacca decandra begießen, ſo ſehen wir nach einer oder zwei Stunden die weißen Blüthen eine rothe Farbe annehmen; ſie färben ſich vor unſeren Augen, aber im Sonnenlichte verſchwindet in zwei bis drei Tagen die Farbe wieder, ſie werden weiß und farblos, wie ſie im An— fange waren). Offenbar iſt hier der Saft ohne die geringſte Aenderung in ſeiner chemiſchen Beſchaffenheit in alle Theile der Pflanze übergegangen, ohne durch ſeine Gegenwart der Pflanze zu ſchaden, ohne daß man behaupten kann, er ſei für die Exiſtenz der Pflanze nothwendig geweſen. Aber dieſer Zuſtand war nicht dauernd, und wenn die Blüthe wieder farb— los geworden iſt, ſo wird keiner der Beſtandtheile des rothen Farbeſtoffes mehr vorhanden ſein; nur in dem Fall, daß einer davon den Zwecken ihres Lebens dienen konnte, wird ſie die— ſen allein zurückbehalten, die übrigen werden durch die Wurzel in veränderter Form abgeſchieden werden. Ganz derſelbe Fall muß eintreten, wenn wir eine Pflanze mit Auflöſungen von Chlorkalium, Salpeter oder ſalpeterſaurem Strontian begießen; ſie werden wie der erwähnte Pflanzenſaft in die Pflanze übergehen, und wenn wir ſie zu dieſer Zeit verbrennen, ſo werden wir die Baſen in der Aſche finden, ihre Gegenwart iſt rein zufällig, es kann hieraus kein Schluß ge— gen die Nothwendigkeit des Vorhandenſeins der anderen Baſen gezogen werden. Wir wiſſen aus den ſchönen Verſuchen von Macair-Princep, daß Pflanzen, die man mit ihren Wur⸗ ) Siehe Biot in den Comptus rendus de Séances de l’academie des Sciences à Paris Ire Semestre 1837. p. 12. Die anorganischen Beſtandtheile der Vegetabilien. 95 zeln in Schwachen Auflöſungen von eſſiſaurem Bleioxid und ſodann in Regenwaſſer vegetiren ließ, daß das letztere von derſelben eſſigſaures Bleioxid wieder empfing, daß fie alſo dasjenige wieder dem Boden zurückgeben, was zu ihrer Exi— ſtenz nicht nothwendig iſt. Begießen wir eine Pflanze, die im Freien dem Sonnen— lichte, dem Regen und der Atmoſphäre ausgeſetzt iſt, mit einer Auflöſung von ſalpeterſaurem Strontian, ſo wird das anfangs aufgenommene, aber durch die Wurzeln wieder abgeführte Salz bei jeder Benetzung des Bodens durch den Regen von den Wurzeln weiter entfernt; nach einiger Zeit wird ſie keine Spur mehr davon enthalten. Faſſen wir nun den Zuſtand der beiden Tannen ins Auge, deren Aſche von einem der ſchärfſten und genaueſten Analytiker unterſucht worden iſt. Die eine wächſt in Norwegen auf einem Boden, deſſen Beſtandtheile ſich nie ändern, dem aber durch Regenwaſſer lösliche Salze und darunter Kochſalz in überwie— gender Menge zugeführt werden; woher kommt es nun, kann man fragen, daß feine Aſche keine entdeckbare Spur Kochſalz enthält, während wir gewiß ſind, daß ſeine Wurzeln nach jedem Regen Kochſalz aufgenommen haben. Wir erklären uns die Abweſenheit des Kochſalzes durch directe und poſitive Beobachtungen, die man an andern Pflan- zen gemacht hat, indem wir fie der Fähigkeit ihres Organis— mus zuſchreiben, Alles dem Boden wieder zurückzugeben, was nicht zu ſeinem Beſtehen gehört. Dieſe Thatſache ihrem wahren Werthe nach anerkannt, müſſen die alkaliſchen Baſen, die wir in den Aſchen finden, zum Beſtehen der Pflanze unentbehrlich ſein; den wären ſie es nicht, ſo wären ſie nicht da. Von dieſem Geſichtspunkte aufgefaßt, iſt die völlige Ent- 96 Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien. wickelung einer Pflanze abhängig von der Gegenwart von Al— kalien oder alkaliſchen Erden. Mit ihrer gänzlichen Abweſen⸗ heit muß ihrer Ausbildung eine beſtimmte Grenze geſetzt ſein; beim Mangel an dieſen Baſen wird ihre Ausbildung gehemmt ſein. Vergleichen wir, um zu beſtimmten Anwendungen zu kom— men, zwei Holzarten mit einander, welche ungleiche Mengen alkaliſcher Baſen enthalten, ſo ergiebt ſich von ſelbſt, daß die eine auf manchen Bodenarten kräftig ſich entwickeln kann, auf welchen die andere nur kümmerlich vegetirt. 10,000 Theile Eichenholz geben 250 Theile Aſche, 10,000 Theile Tannen— holz nur 83, dieſelbe Quantität Lindenholz giebt 500, Rocken 440 und Kartoffelkraut 1500 Theile ). Auf Granit, auf kahlem Sandboden und Haiden wird die Tanne und Fichte noch hinreichende Mengen alkaliſcher Baſen finden, auf welchen Eichen nicht fortkommen, und Weizen wird auf einem Boden, wo Linden gedeihen, diejenigen Baſen in hinreichender Menge vorfinden, die er zu feiner völligen Ent- wickelung bedarf. Dieſe für die Forſt- und Feldwirthſchaft im hohen Grade wichtigen Folgerungen laſſen ſich mit den evidenteſten That— ſachen beweiſen. £ Alle Grasarten, die Equiſetaceen z. B. enthalten eine große Menge Kieſelſäure und Kali, abgelagert in dem äußern Saum der Blätter und in dem Halm als ſaures kohlenſaures Kali; auf einem Getreidefeld ändert ſich der Gehalt an dieſem Salze nicht merklich, denn es wird ihm in der Form von Dünger, als verweſ'tes Stroh, wieder zugeführt. Ganz anders ſtellt ſich dieſes Verhältniß auf einer Wieſe; ) Berthier in den Ann. d. chimie et de physique T. XXX. 248. Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien. 97 nie findet ſich auf einem kaliarmen Sand- oder reinem Kalk— boden ein üppiger Graswuchs “); denn es fehlt ihm ein für die Pflanze durchaus unentbehrlicher Beſtandtheil. Baſalte, Grau— wacke, Porphyr geben unter gleichem Verhältniſſe den beſten Boden zu Wieſen ab, eben weil ſie reich an Kali ſind. Das hinweggenommene Kali erſetzt ſich wieder bei dem jährlichen Wäſſern; der Boden ſelbſt iſt verhältnißmäßig für den Bedarf der Pflanze unerſchöpflich an dieſem Körper. Wenn wir aber bei dem Gypſen einer Wieſe den Gras— wuchs ſteigern, ſo nehmen wir mit dem Heu eine größere Menge Kali hinweg, was unter gleichen Bedingungen nicht erſetzt wird. Hiervon kommt es, daß nach Verlauf von eini— gen Jahren der Graswuchs auf vielen gegypſ'ten Wieſen ab— nimmt; er nimmt ab, weil es an Kali fehlt. Werden die Wieſen dagegen von Zeit zu Zeit mit Aſche, ſelbſt mit ausgelaugter Seifenſiederaſche überfahren, ſo kehrt der üppige Graswuchs zurück. Mit dieſer Aſche haben wir aber der Wieſe nichts weiter als das fehlende Kali zugeführt. In der Lüneburger Haide gewinnt man dem Boden von je dreißig zu dreißig oder vierzig Jahren eine Ernte an Getreide ab, indem man die darauf wachſenden Haiden (Erica vulgaris) verbrennt, und ihre Aſche in dem Boden vertheilt. Dieſe Pflanze ſammelte in dieſer langen Zeit das durch den Regen zugeführte Kali oder Natron; beide ſind es, welche in der Aſche dem Hafer, der Gerſte oder dem Rocken, die ſie nicht entbehren können, die Entwickelung geſtatteten. ) Es wäre von Wichtigkeit, die Aſche von Strandgewächſen, welche in den muldenförmigen feuchten Vertiefungen der Dünen wachſen, nament— lich die der Sandgräſer, auf einen Alkaligehalt zu prüfen (Hartig). Wenn das Kali darin fehlt, ſo iſt es ſicher durch Natron wie bei den Salſolaarten, oder durch Kalk wie bei den Plumbagineen erſetzt. 7 98 Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien. In der Nähe von Heidelberg haben die Holzſchläger die Vergünſtigung, nach dem Schlagen von Lohholz den Boden zu ihrem Nutzen bebauen zu dürfen. Dem Einſäen des Lan⸗ des geht unter allen Umſtänden das Verbrennen der Zweige, Wurzeln und Blätter voran, deren Aſche dem darauf gepflanz— ten Getreide zu Gute kommt. Der Boden ſelbſt, auf welchem die Eichen wachſen, iſt in dieſer Gegend Sandſtein, und wenn auch der Baum hinreichende Mengen von Alkalien und alkali— ſchen Erden für ſein eigenes Beſtehen in dem Boden vorfindet, ſo iſt er dennoch unfruchtbar für Getreide in ſeinem gewöhn— lichen Zuſtande. Man hat in Bingen den entſchiedenſten Erfolg in Bezie— hung auf Entwickelung und Fruchtbarkeit des Weinſtocks bei Anwendung des kräftigſten Düngers, von Hornſpänen z. B., geſehen, aber der Ertrag, die Holz- und Blattbildung nahm nach einigen Jahren zum großen Nachtheil des Beſitzers in einem ſo hohen Grade ab, daß er ſtets zu bereuen Urſache hatte, von der dort gebräuchlichen und als die beſte anerkannten Düngungsmethode abgegangen zu ſein. Der Weinſtock wurde bei ſeiner Art zu düngen in ſeiner Entwickelung übertrieben, in zwei oder drei Jahren wurde alles Kali, was den künftigen Ertrag geſichert hatte, zur Bildung der Frucht, der Blätter, des Holzes verwendet, die ohne Erſatz den Weinbergen ge— nommen wurden, denn ſein Dünger enthält kein Kali. Man hat am Rhein Weinberge, deren Stöcke über ein Jahrhundert alt ſind, und dieſes Alter erreichen ſie nur bei Anwendung des ſtickſtoffärmſten, aber kal ireichſten Kuh dün— gers. Alles Kali, was die Nahrung der Kuh enthält, geht, wie man weiß, in die Exeremente über. Eins der merkwürdigſten Beiſpiele von der Unfähigkeit eines Bodens, Weizen und überhaupt Grasarten zu erzeugen, wenn Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien. 99 in ihm eine der Bedingungen ihres Wachsthums fehlt, bietet das Verfahren eines Gutsbeſitzers in der Nähe von Göttingen dar. Er bepflanzte ſein ganzes Land zum Behufe der Pottaſch— erzeugung mit Wermuth, deſſen Aſche bekanntlich ſehr reich an kohlenſaurem Kali iſt. Eine Folge davon war die gänzliche Unfruchtbarkeit ſeiner Felder für Getreidebau; ſie waren auf Jahrzehnde hinaus völlig ihres Kalis beraubt. Die Blätter und kleinen Zweige der Bäume enthalten die meiſte Aſche und das meiſte Alkali; was durch ſie bei dem Laub- und Streuſammeln den Wäldern genommen wird, iſt bei weitem mehr, als was das Holz enthält, welches jährlich geſchlagen wird. Die Eichenrinde, das Eichenlaub enthält z. B. 6 p. c. bis 9 p. e., die Tannen- und Fichtennadeln über 8 p. e. Mit 2650 Pfd. Tannenholz, die wir einem Morgen Wald jährlich nehmen, wird im Ganzen dem Boden, bei 0,83 p. c. Aſche, nur 0,114 bis 0,53 Pfd. an Alkalien entzogen, aber das Moos, was den Boden bedeckt, deſſen Aſche reich an Alkali iſt, hält in ununterbrochen fortdauernder Entwickelung das Kali an der Oberfläche des ſo leicht von dem Waſſer durchdringbaren Sandbodens zurück, und bietet in ſeiner Ver— weſung den aufgeſpeicherten Vorrath den Wurzeln dar, die das Alkali aufnehmen, ohne es wieder zurückzugeben. Von einer Erzeugung von Alkalien, Metalloxiden und an⸗ organiſchen Stoffen überhaupt kann nach dieſen fo wohl bekann⸗ ten Thatſachen keine Rede ſein. Man findet es bewundernswürdig, daß die Grasarten, deren Saamen zur Nahrung dienen, dem Menſchen wie ein Hausthier folgen. Sie folgen dem Menſchen, durch ähnliche Urſachen gezwungen, wie die Salzpflanzen dem Meeresſtrande und Salinen, die Chenopodien den Schutthaufen 2c.; fo wie die Miſtkäfer auf die Exeremente der Thiere angewieſen find, 7 * 100 Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien. fo bedürfen die Salzpflanzen des Kochſalzes, die Schuttpflan- zen des Ammoniaks und ſalpeterſaurer Salze. Keine von un— ſeren Getreidepflanzen kann aber ausgebildete Saamen tragen, Saamen, welche Mehl geben, ohne eine reichliche Menge von phosphorſaurer Bittererde, ohne Ammoniak zu ihrer Ausbil- dung vorzufinden. Dieſe Saamen entwickeln ſich nur in einem Boden, wo dieſe drei Beſtandtheile ſich vereinigt befinden, und kein Boden iſt reicher daran als Orte, wo Menſchen und Thiere familienartig zuſammenwohnen; fie folgen dem Urin, den Ex— crementen derſelben, weil ſie ohne deren Beſtandtheile nicht zum Saamentragen kommen. Wenn wir Salzpflanzen mehrere hundert Meilen von dem Strande des Meere entfernt in der Nähe unſerer Salinen finden, ſo wiſſen wir, daß ſie auf dem natürlichſten Wege dahin gelangen; Saamen von Pflanzen werden durch Winde und Vögel über die ganze Oberfläche der Erde verbreitet, aber ſie entwickeln ſich nur da, wo ſich die Bedingungen ihres Le— bens vorfinden. In den Soolenkaſten der Gradirgebäude auf der Saline Salzhauſen bei Nidda finden ſich zahlreiche Schaaren kleiner nicht über zwei Zoll langer Stachelfiſche. (Gasterosteus acu- lealus.) In den Soolenkaſten der 6 Stunden davon entfern— ten Saline Nauheim trifft man kein lebendes Weſen an, aber die letztere iſt überreich an Kohlenſäure und Kalk, ihre Gra— dirwände ſind bedeckt mit Stalaktiten, in dem einen Waſſer ſind die durch Vögel hingebrachten Eier zur Entwickelung gekom— men, in dem andern nicht ). ') »Die Krätzmilben werden von Burdach als Erzeugniſſe eines krank— haften Zuſtandes angeſehen, ebenſo die Läuſe bei Kindern, die Erzeu— gung von Miesmuſcheln in einem Fiſchteiche, von Salzpflanzen in der Nähe von Salinen, von Neſſeln und Gräſern, von Fiſchen in den Re— Die anorganischen Beſtandtheile der Vegetabllien. 101 Wieviel wunderbarer und unerklärlicher erſcheint die Ei— genſchaft feuerbeſtändiger Körper, unter gewiſſen Bedingungen ſich zu verflüchtigen, bei gewöhnlicher Temperatur in einen Zuſtand überzugehen, von dem wir nicht zu ſagen vermögen, ob ſie zu Gas geworden oder durch ein Gas in Auflöſung übergegangen ſind. Der Waſſerdampf, die Vergaſung über— haupt iſt bei dieſen Körpern die ſonderbarſte Urſache der Ver— flüchtigung, ein in Gas übergehender, ein verdampfender flüſ— ſiger Körper ertheilt allen Materien, welche darinn gelößt ſind, in höherem oder geringerem Grade die Fähigkeit, den nemli— chen Zuſtand anzunehmen, eine Eigenſchaft, die ſie für ſich nicht beſitzen. Die Borſäure gehört zu den feuerbeſtändigſten Materien, auch in der ſtärkſten Weißglühhitze erleidet ſie keine durch die feinſten Wagen bemerkbare Gewichtsveränderung, ſie iſt nicht flüchtig, aber ihre Auflöſungen im Waſſer können auch bei der gelindeſten Erwärmung nicht verdampft werden, ohne daß den Waſſerdämpfen nicht eine bemerkbare Menge Borſäure folgt. Dieſe Eigenſchaft iſt der Grund, warum wir bei allen Ana— genwaſſertümpeln, Forellen in Gebirgswäſſern sc. iſt nach demſelben Naturforſcher nicht unmöglich.« Man bedenke, daß einem Boden, der aus verwitterten Felsarten, faulenden Vegetabilien, Regenwaſſer, Salz: waſſer se. beſteht, die Fähigkeit zugeſchrieben wird, Muſcheln, Forellen, Salicornien ꝛc. zu erzeugen. Wie alle Forſchungen vernichtend find Meinungen dieſer Art, von einem Lehrer ausgehend, der ſich eines verdienten Beifalls erfreut, der ſich durch gediegene Arbeiten Zutrauen und Anerkennung verſchafft hat. Alles dieß ſind doch zuletzt nur Ge— genſtände der oberflächlichſten Beobachtung geweſen, die ſich zum Ge— genſtand gründlicher Unterſuchung wohl eignen, allein das Geheimniß— volle, Dunkle, Myſtiſche, das Räthſelhafte, es iſt zu verführeriſch für den jugendlichen, für den philoſophiſchen Geiſt, welcher die tiefſten Tiefen der Natur durchdringt, ohne wie der Bergmann eines Schach— tes und Leitern zu bedürfen. Dieß iſt Poeſie, aber keine nüchterne Naturforſchung. 102 Die anorganischen Beſtandtheile der Vegetabilien. lyſen Borſäule haltiger Mineralien, wo Flüſſigkeiten, welche Borſäure enthalten, verdampft werden müſſen, einen Verluſt erleiden; die Quantität Borſäure, welche einem Cubiefuß ſiedend heißen Waſſerdampfes folgt, iſt durch die feinſten Reagentien nicht entdeckbar, und dennoch, ſo außerordentlich klein ſie auch erſcheinen mag, ſtammen die vielen tauſend Centner Borſäure, welche von Italien aus in den Handel gebracht werden, von der ununterbrochenen Anhäufung dieſer dem Anſchein nach ver— ſchwindenden Menge her. Man läßt in den Lagunen von Caſtel nuovo, Cherchiago ꝛc. die aus dem Innern der Erde ſtrömenden ſiedend heißen Dämpfe durch Waſſer ſtreichen, was nach und nach daran immer reicher wird, ſo daß man zuletzt durch Verdunſten kryſtalliſirbare Borſäure daraus erhält. Der Temperatur dieſer Waſſerdämpfe nach kommen ſie aus Tiefen, wo menſchliche Weſen, wo Thiere nie gelebt haben können; wie bemerkenswerth und bedeutungsvoll erſcheint in dieſer Be— ziehung der nie fehlende Ammoniakgehalt dieſer Dämpfe. In den großen Fabriken zu Liverpool, wo die natürliche Borſäure zu Borax verarbeitet wird, gewinnt man daraus als Neben- product viele hundert Pfunde ſchwefelſaures Ammoniak. Dieſes Ammoniak ſtammt nicht von thieriſchen Organismen, es war vorhanden vor allen leben— den Generationen, es iſt ein Theil, ein Beſtand— theil des Erdkörpers. Die von der Direction des poudre et salpetres unter Lavoiſier angeftellten Verſuche haben bewieſen, daß bei dem Verdampfen von Salpeterlaugen, die darinn gelöſ'ten Salze ſich mit dem Waſſer verflüchtigen und einen Verluſt herbeifüh— ren, über den man ſich vorher keine Rechenſchaft geben konnte. Eben ſo bekannt iſt, daß bei Stürmen von dem Meere nach dem Binnenlande hin, in der Richtung des Sturmes, ſich die Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien. 103 Blätter der Pflanzen mit Salzkryſtallen ſelbſt auf 20 — 30 engl. Meilen hin bedecken, aber es bedarf der Stürme nicht, um dieſe Salze zum Verflüchtigen zu bringen, die über dem Meere ſchwebende Luft trübt jederzeit die ſalpeterſaure Silberlöſung, jeder, auch der ſchwächſte Luftzug entführt mit den Milliarden Centnern Seewaſſer, welche jährlich verdampfen, eine entſpre— chende Menge der darinn gelöſ'ten Salze und führt Kochſalz, Chlorkalium, Bitterede und die übrigen Beſtandtheile dem fe- ſten Lande zu. Dieſe Verflüchtigung iſt die Quelle eines beträchtlichen Ver— luſtes in der Salzgewinnung aus ſchwachen Soolen. Auf der Saline Nauheim iſt dieſe Erſcheinung durch den dortigen Di— rector, Herrn Wilhelmi, einen ſehr unterrichteten und fennt- nißreichen Mann, zur Evidenz nachgewieſen worden; eine Glas— platte auf einer hohen Stange zwiſchen zwei Gradirgebäuden befeſtigt, die von einander etwa 1200 Schritte entfernt ftan- den, fand ſich des Morgens nach dem Auftrocknen des Thau's auf der einen oder andern Seite nach der Richtung des Win- des ſtets mit Salzkryſtallen bedeckt. Das in ſteter Verdampfung begriffene Meer *) verbreitet über die ganze Oberfläche der Erde hin, in dem Regenwaſſer, alle zum Beſtehen einer Vegetation unentbehrlichen Salze, wir finden ſie ſelbſt da in ihrer Aſche wieder, wo der Boden keine Beſtandtheile liefern konnte. *) Das Seewaſſer enthält nach Marcet in 1000 Theilen: 26,660 Kochſalz, 4,660 ſchwefelſaures Natron, 1,232 Chlorkalium, 5,152 Chlormagueſium, 1,5 ſchwefelſauren Kalk. 39,204. 104 Die anorganischen Beſtandtheile der Vegetabilien. In der Betrachtung umfaſſender Naturerſcheinungen haben wir keinen Maßſtab mehr für das, was wir gewohnt ſind, klein oder groß zu nennen, alle unſere Begriffe beziehen ſich auf unſere Umgebungen, aber wie verſchwindend ſind dieſe ge— gen die Maſſe des Erdkörpers; was in einem begrenzten Raume kaum bemerkbar iſt, erſcheint in einem unbegrenzten unfaßbar groß. Die Luft enthält nur ein Tauſendtheil ihres Gewichts an Kohlenſäure; ſo klein dieſer Gehalt auch ſcheint, ſo iſt er doch mehr als hinreichend, um Jahrtauſende hinaus die lebenden Generationen mit Kohlenſtoff zu verſehen, ſelbſt wenn er derſelben nicht erſetzt werden würde. Das Seewaſſer enthält /e feines Gewichts an kohlenſaurem Kalk, und dieſe in einem Pfunde kaum beſtimmbare Menge iſt die Quelle, welche Myriaden von Schaalthieren, Korallen ꝛc. mit dem Ma⸗ terial zu ihrem Gehäuſe verſieht. Während die Luft nur 4 bis 6 Zehntauſendtheile ihres Vo⸗ lumens an Kohlenſäure enthält, beträgt der Kohlenſäuregehalt des Meerwaſſers über hundertmal mehr (10,000 Volumen Meerwaſſer enthalten 620 Vol. Kohlenſäure, Laurent, Bouil- lon-Lagrange), und in dieſem Medium, worinn eine ganze Welt von anderen Pflanzen und Thieren lebt, finden ſich in der Kohlenſäure und dem Ammoniak *) die nemlichen Bedingungen ihres Lebens vereinigt, welche das Beſtehen lebender Weſen auf der Oberfläche des feſten Landes möglich machen. Die Wurzeln der Pflanzen ſind die ewig thätigen Samm— ler der Alkalien, der Beſtandtheile des Seewaſſers, die der Re— gen zuführt, des Quellwaſſers, was den Boden durchdringt, ohne Alkalien und alkaliſche Baſen würden die meiſten Pflan— ) Wird der trockene Salzrückſtand von der Verdampfung von Meer waſſer in eine Retorte bis zum Glühen erhitzt, ſo erhält man ein Sublimat von ſalzſaurem Ammoniak (Marcet.). Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien. 105 zen nicht beſtehen, ohne die Pflanzen würden die Alkalien all- mählig von der Oberfläche der Erde verſchwinden. Wenn man erwägt, daß das Meerwaſſer weniger als ein Milliontheil ſeines Gewichts an Jod enthält, daß alle Ver— bindungen des Jods mit Alkalimetallen im hohen Grade lös— lich im Waſſer ſind, ſo muß man nothwendig in dem Orga— nismus der Seetangen, der Fucusarten, eine Urſache voraus— ſetzen, welche dieſe Pflanzen beſtimmt, während ihres Lebens das Jod in der Form eines löslichen Salzes dem Meerwaſſer zu entziehen und in der Weiſe zu aſſimiliren, daß es in das umgebende Medium nicht wieder zurückkehren kann; dieſe Pflan— zen ſind für das Jod ähnliche Sammler, wie die Landpflanzen für die Alkalien, ſie ſind es, welche uns Quantitäten von Jod liefern, deren Gewinnung aus dem Seewaſſer die Verdam— pfung ganzer Seen vorausgehen mußte. Wir ſetzen voraus, daß dieſe Seepflanzen Jodmetalle zu ihrer Entwickelung bedürfen, und daß ihr Beſtehen an deren Vorhandenſein geknüpft iſt. Mit demſelben Rechte ſchließen wir von der nie fehlenden Gegenwart der Alkalien und alka— liſchen Erden in der Aſche der Landpflanzen auf ihre Noth— wendigkeit für die Entwickelung dieſer Pflanzen während ihres Lebens. 106 Die Cultur. Die Cultur. In dem Vorhergehenden ſind die Bedingungen des Lebens aller Vegetabilien betrachtet worden. Kohlenſäure, Ammoniak und Waſſer liefern die Elemente aller Organe: Salze, Metall⸗ oxide, gewiſſe anorganiſche Materien, dienen zu beſonderen Vers richtungen in dem Organismus der Pflanze, manche davon müſſen als Beſtandtheile einzelner Pflanzentheile angeſehen werden. Die atmoſphäriſche Luft und der Boden bieten den Blät— tern und Wurzeln einerlei Nahrungsmittel dar. Die erſtere enthält eine verhältnißmäßig unerſchöpfliche Menge Kohlenſäure und Ammoniak, in dem Boden haben wir in dem Humus eine ſich ſtets erneuernde Ouelle von Kohlen— ſäure, den Winter hindurch häuft ſich in dem Regen- und Schneewaſſer, womit er durchdrungen wird, eine für die Ent- wickelung der Blüthen und Blätter ausreichende Menge Am⸗ moniak. Die völlige, ja man kann ſagen, die abſolute Unlöslichkeit in kaltem Waſſer der in Verweſung begriffenen Pflanzentheile erſcheint bei näherer Betrachtung als eine nicht minder weiſe Natureinrichtung. Wenn der Humus auch noch einen geringeren Grad von Lös— lichkeit beſäße, als man der ſogenannten Humusſäure zuſchreibt, ſo würde er der auflöſenden Kraft des Regenwaſſers nicht wi— derſtehen können. Bei mehrwöchentlichem Wäſſern der Wieſen müßte ein großer Theil davon aus dem Boden entführt wer— Die Cultur. 107 den, heftige und anhaltende Regen müßten den Boden daran ärmer machen. Er löſ't ſich aber nur auf inſofern er ſich mit dem Sauerſtoff verbindet, nur in der Form von Kohlenſäure wird er vom Waſſer aufgenommen. Bei Abweſenheit aller Feuchtigkeit erhält ſich der Humus Jahrhunderte lang, mit Waſſer benetzt, verwandelt er den ums gebenden Sauerſtoff in Kohlenſäure; von dieſem Augenblicke an verändert er ſich ebenfalls nicht mehr, denn die Wirkung der Luft hört auf, ſobald ſie ihres Sauerſtoffs beraubt iſt. Nur wenn Pflanzen in dieſem Boden wachſen, deren Wurzeln die gebildete Kohlenſäure hinwegnehmen, ſchreitet die Verweſung fort, aber durch lebende Pflanzen empfängt der Boden wieder, was er verloren hat, er wird nicht ärmer an Humus. Die Tropfſteinhöhlen in Franken, in der Umgebung von Baireuth, Streitberg ſind mit fruchtbarer Ackererde bedeckt; der Boden über dieſen Höhlen iſt mit verweſenden Vegetabilien, mit Humus angefüllt, der bei Gegenwart von Feuchtigkeit und Luft unausgeſetzt Kohlenſäure entwickelt, die ſich im Regen— waſſer löſet. Das mit Kohlenſäure angeſchwängerte Regenwaſſer ſickert durch den poröſen Kalkſtein hindurch, der die Seitenwände und Decke der Höhlen bildet, und löst bei dieſem Durchgang eine der Kohlenſäure entſprechende Menge von kohlenſaurem Kalk auf. In dem Innern der Höhle angekommen, dunſtet von dieſer Auflöſung das Waſſer und die überſchüſſige Kohlenſäure ab, und der Kalkſtein, indem er ſich abſcheidet, überzieht Wände und Decke mit Kryſtallkruſten von den mannichfaltigſten Formen. An wenigen Orten der Erde vereinigen ſich aber in glei— chem Grade wie an dieſen alle Bedingungen zur Erzeugung von humusſaurem Kalk, wenn der Humus in dem Boden in 108 Die Cultur. der That in der Form von Humusſäure vorhanden wäre. Verweſende Vegetabilien, Waſſer und Kalk in Auflöſung ſind vorhanden, allein die gebildeten Stalaktiten enthalten keine Spur einer vegetabiliſchen Materie, ſie enthalten keine Hu— mus⸗Säure, ſie ſind glänzend weiß, oder gelblich, zum Theil durchſichtig wie Kalkſpath und laſſen ſich zum Glühen erhitzen ohne Schwärzung. In den alten Burgen in der Nähe des Rheins, der Berg— ſtraße und der Wetterau bieten unterirdiſche Gewölbe, aus Sandſtein, Granit und Baſalt aufgeführt, eine ähnliche Er— ſcheinung wie die Kalkhöhlen dar. Dieſe Gewölbe oder Keller ſind bedeckt mit einer mehrere Fuß dicken Lage von Dammerde, in der ſich verweſende Vege— tabilien befinden. Das Regenwaſſer, was auf dieſe Gewölbe fällt, nimmt die gebildete Kohlenſäure auf, ſickert durch die Erde hindurch, Loft durch feinen Kohlenſäuregehalt den Kalk— mörtel auf; dieſe Auflöſung verdunſtet auf der Innenſeite der Gewölbe wieder und überzieht ſie mit kleinen und dünnen hu— musſäurefreien Stalaktiten. Es ſind dieß aber durch die Natur gebaute Filtrirapparate, in denen wir das Reſultat eines, Jahrhunderte oder Jahr⸗ tauſende fortgeſetzten, Verſuches vor Augen haben. i Wenn das Waſſer die Fähigkeit beſäße, auch nur ein Hun⸗ derttauſendtheil feines Gewichtes an Humusſäure oder humus⸗ ſaurem Kalk aufzulöſen, ſo würden wir beim Vorhandenſein von Humusſäure die Decke dieſer Gewölbe und Höhlen damit überzogen finden, allein man iſt nicht im Stande, auch nur die kleinſte Spur davon wahrzunehmen. Es giebt kaum ſchärfere und überzeugendere Beweiſe für die Abweſenheit der Humus— ſäure der Chemiker in der Ackererde und Dammerde. Die gewöhnliche Vorſtellung, welche man ſich über die Die Cultur. 109 Wirkungsweiſe der Humusſäure geſchaffen hatte, gab Veran— laſſung zu einer durchaus unerklärbaren Erſcheinung. Eine ſehr kleine Quantität davon im Waſſer gelöſt, färbt daſſelbe gelb oder braun. Man ſollte nun denken, daß ein Boden um ſo fruchtbarer ſein müſſe, je mehr Fähigkeit er be— ſitzt, Waſſer braun zu färben, d. h. Humusſäure an daſſelbe abzugeben. Sonderbarerweiſe gedeiht aber in einem ſolchen Boden keine Pflanze, und aller Dünger muß, wenn er einen wohlthä⸗ tigen Einfluß auf die Vegetation äußern ſoll, dieſe Eigenſchaft verloren haben. Das Waſſer auf unfruchtbarem Torfboden, auf ſumpfigen Wieſen, auf denen nur wenige Vegetabilien ge— deihen, iſt reich an dieſer Humusſäure, und alle Landwirthe und Gärtner kommen darinn überein, daß ſie nur den ſogenann— ten humificirten Dünger für nützlich und gedeihlich für die Pflanzen halten. Dieß iſt nun gerade derjenige, der die Eigen— ſchaft, das Waſſer zu färben, gänzlich verloren hat. Dieſe im Waſſer mit brauner Farbe lösliche Materie iſt ein Produkt der Fäulniß aller Thier- und Pflanzenſtoffe, ihr Vorhandenſein iſt ein Zeichen, daß es an Sauerſtoff fehlt, um die Verweſung zu beginnen oder zu vollenden. An der Luft entfärben ſich dieſe braunen Auflöſungen, unter Aufnahme von Sauerſtoff ſchlägt ſich ein ſchwarzer, kohlenähnlicher Körper, die ſogenannte Humuskohle, nieder. Denken wir uns einen Boden, durchdrungen von dieſer Subſtanz, ſo muß er auf die Wurzeln einer Pflanze gerade ſo wirken, als wenn er gänzlich alles Sauerſtoffs unaufhörlich beraubt würde; eine Pflanze wird eben ſo wenig darinn wach— ſen können, als in einer Erde, die man mit Eiſenoridulhydrat miſcht. In einem Boden, in einem Waſſer, welches keinen Sauer— 110 Die Cultur. ſtoff enthält, ſterben alle Pflanzen, Mangel an Luft wirkt ganz ähnlich wie ein Uebermaß an Kohlenſäure. Auf ſumpfigem Boden ſchließt das Waſſer, was nicht wech— ſelt, die Luft aus, eine Erneuerung des Waſſers wirkt ähnlich, wie ein Hinzuführen von Luft, denn das Waſſer enthält Luft in Auflöſung; geben wir dem Waſſer in dem Sumpfe Abzug, ſo geſtatten wir der Luft freien Zutritt, der Sumpf verwandelt ſich in die fruchtbarſte Wieſe. Ueberreſte von Vegetabilien und Thieren, die ſich in einem Boden befinden, in den die Luft keinen oder nur geringen Zu— tritt hat, gehen nicht in Verweſung über, eben weil es an Sauerſtoff fehlt, fie gehen in Fäulniß über, zu deren Einlei— tung Luft genug ſich vorfindet. Die Fäulniß kennen wir nun als einen der mächtigſten Des— oridationsproceffe, deſſen Einfluß ſich auf alles in der Nähe Befindliche, auf Wurzelfaſern und die Pflanzen ſelbſt erſtreckt. Alle Materien, denen Sauerſtoff entzogen werden kann, geben Sauerſtoff an den faulenden Körper ab, gelbes Eiſenoxid geht in ſchwarzes Eifenoridulorid, ſchwefelſaures Eiſenoxid in Schwe— feleiſen ꝛc. über. Die öftere Lufterneuerung, die gehörige Bearbeitung des Bo— dens, namentlich die Berührung mit alkaliſchen Metalloxiden, mit Braunkohlenaſche, gebranntem oder kohlenſaurem Kalk, ändert die vorgehende Fäulniß in einen reinen Oxidationsproceß um; von dem Augenblick an, wo alle vorhandenen organiſchen Materien in den Zuſtand der Verweſung übergehen, erhöht ſich die Frucht— barkeit des Bodens. Der Sauerſtoff wird nicht mehr zur Ver— wandlung der braunen löslichen Materie in unlösliche Humus— kohle verwandt, ſondern er dient zur Bildung von Kohlenſäure. Dieſe Veränderung geht äußerſt langſam von Statten, nur in ſeltenen Fällen findet ſich dadurch der Sauerſtoff völlig ab— Die Cultur. 111 geſchloſſen. Unter allen Umſtänden aber, wo es geſchieht, ver— liert der Boden ſeine Fruchtbarkeit. In der Nähe von Salzhauſen auf den ſogenannten Grün— ſchwalheimer Wieſen bemerkt man ſtellenweiſe unfruchtbare Fle— cken, die mit einem gelblichen Graſe bedeckt ſind. Wird in einen derſelben ein Loch von 20 — 25 Fuß Tiefe gebohrt, ſo entwickelt ſich daraus ein Strom kohlenſaures Gas mit einer ſo großen Heftigkeit, daß man das Geräuſch beim Ausſtrömen mehrere Schritte davon entfernt deutlich hört. Das von unten in die Höhe ſteigende kohlenſaure Gas verdrängt aus dem Boden alle Luft, und mit derſelben allen Sauerſtoff, aber ohne Sauerſtoff kann ſich kein Saame, keine Wurzelfaſer ent— wickeln, in Stickgas, in kohlenſaurem Gas allein vegetirt keine Pflanze. Inſofern der Humus die junge Pflanze zu einer Zeit mit Nahrung durch die Wurzeln verſieht, wo die äußeren Organe der Ernährung, die Blätter, erſt gebildet werden, inſofern die Nahrung, welche er liefert, dazu beiträgt, die Anzahl der Or— gane der atmoſphäriſchen Ernährung zu vervielfältigen, erhöht ſein Vorhandenſein die Fruchtbarkeit des Bodens. Für manche Pflanzengattungen, namentlich für diejenigen, welche ihre erſte Nahrung von der Subſtanz der Saamen ſelbſt empfangen, Wurzeln und Zwiebelgewächſe, iſt der Humus völlig entbehrlich, ſeine Gegenwart iſt nützlich, inſofern ihre Entwickelung beſchleunigt und geſteigert wird, ſie iſt aber nicht nothwendig, in einer gewiſſen Beziehung iſt ein Uebermaaß in dem Anfang der Entwickelung einer Pflanze ſchädlich. Die Nahrung, welche die junge Pflanze aus der Luft in der Form von Kohlenſäure und Ammoniak aufnehmen kann, iſt in gewiſſe Grenzen eingeſchloſſen, ſie kann nicht mehr aſſi— miliren, als die Luft enthält. 112 Die Cultur. Wenn nun im Anfange ihrer Entwickelung die Anzahl der Triebe, Halme, Zweige und Blätter durch ein Uebermaaß von Nahrungsſtoff aus dem Boden dieſe Grenze überſchritten hat, wo ſie alſo zur Vollendung ihrer Entwickelung, zur Blüthe und Frucht, mehr Nahrungsſtoff aus der Luft bedarf, als dieſe bie— ten kann, ſo wird ſie nicht zur Blüthe, zur Fruchtbildung ge— langen. In vielen Fällen reicht dieſe Nahrung nur hin, um die Blätter, Halme und Zweige völlig auszubilden. Es tritt alsdann der nemliche Fall ein, wie bei den Zier— pflanzen, wenn man beim Verſetzen in größere Töpfe den Wurzeln geſtattet, ſich zu vergrößern und zu vervielfältigen. Alle Nahrung wird zur Vermehrung der Wurzeln und Blätter verwendet; ſie treiben, wie man ſagt, ins Kraut und kommen nicht zur Blüthe. Bei dem Zwergobſt nehmen wir gerade umgekehrt den Bäumen einen Theil ihrer Zweige und damit ihrer Blätter; wir hindern die Entwickelung neuer Zweige, es wird künſtlich ein Ueberſchuß von Nahrung geſchaffen, die dann zur Vermeh— rung der Blüthe und Vergrößerung der Frucht von der Pflanze verwendet wird. Das Beſchneiden des Weinſtocks hat einen ganz ähnlichen Zweck. | Bei allen perennirenden Gewächſen, bei den Sträuchern, Frucht⸗ und Waldbäumen geht nach der völligen Ausbildung der Frucht ein neuer eigenthümlicher Vegetationsproceß an; wäh⸗ rend bei den einjährigen Pflanzen, von dieſer Periode an, die Stengel ſich verholzen, die Blätter ihre Farbe wechſeln und gelb werden, bleiben die Blätter der Bäume und Sträucher bis zum Anfang des Winters in Thätigkeit. Die Bildung der Holzringe ſchreitet fort, das Holz wird feſter und härter, und vom Auguſt an erzeugen ihre Blätter kein Holz mehr; alle Kohlenſäure, die ſie aufnehmen und aſſimiliren, wird zur Die Cultur. 113 Erzeugung von Nahrungsſtoffen für das künftige Jahr ver⸗ wendet; anſtatt Holzfaſer wird jetzt Amylon gebildet und durch den Auguſtſaft (Seve d’Aout) in allen Theilen der Pflanze verbreitet (Hartig, in Erdmann und Schweigger-Seidels Journal V. 217. 1835). Man kann durch gute Mikroskope die ab⸗ gelagerte Stärke, nach den Beobachtungen des Herrn Forſtmeiſters Heyer, in ihrer bekannten Form in dem Holzkörper ſehr leicht erkennen. Die Rinde mancher Espen und Fichten ) iſt fo reich daran, daß ſie durch Zerreiben und Waſchen mit Waf- fer, wie Kartoffelſtärke, daraus gewonnen werden kann; ſie findet ſich ferner in den Wurzeln und Wurzelſtöcken perenni⸗ render Pflanzen. Sehr früher Winter oder raſcher Temperaturwechſel hin⸗ dern die Erzeugung dieſer Vorräthe von Nahrung für das künftige Jahr, das Holz wird, wie beim Weinſtock z. B., nicht reif, ſeine Entwickelung iſt das folgende Jahr in engere Gren⸗ zen eingeſchloſſen. Aus dieſem Amylon entſteht im nächſten Frühjahr der Zucker und das Gummi, und aus dieſem wieder die ſtickſtofffreien Beſtandtheile der Blätter und jungen Triebe. Mit der Ent⸗ wickelung der jungen Kartoffelpflanze, mit der Bildung der Keime nimmt der Amylongehalt der Wurzel ab; der Ahorn⸗ ſaft hört auf, füß zu fein, fein Zuckergehalt verliert ſich mit der Ausbildung der Knospen, der Blüthe und der Blätter. Ein Weidenzweig, der durch ſeinen ganzen Holzkörper eine große Menge Amylonkörnchen in ſich ſchließt, treibt in reinem deſtillirten oder Regenwaſſer Wurzeln oder Blätter, aber in dem Grade, als ſie ſich vergrößern, nimmt der Amylongehalt ab; ) Aus Fichtenrinde wird zu Zeiten der Noth in Schweden bekanntlich Brod gebacken. 8 114 Die Cultur. es iſt evident, das Amylon iſt zur Ausbildung der Wurzeln und Blätter verzehrt worden. In dieſen Verſuchen hat Herr Forſtmeiſter Heyer die intereſſante Beobachtung gemacht, daß dieſe Zweige in (ammoniakhaltigem) Schneewaſſer vegetirend, drei- bis viermal längere Wurzeln treiben als in reinem de— ſtillirten Waſſer, das Regenwaſſer wird nach und nach trübe und nimmt eine gelbbräunliche Farbe an, das deſtillirte Waſſer bleibt klar. Bei dem Blühen des Zuckerrohrs verſchwindet ebenfalls ein Theil des gebildeten Zuckers; und bei den Runkelrüben hat man die beſtimmte Erfahrung gemacht, daß er ſich in der Wur— zel erſt mit Vollendung der Blattbildung anhäuft. Dieſe ſo wohlbegründeten Beobachtungen entfernen jeden Zweifel über den Antheil, den Zucker, Stärke und Gummi an dem Entwickelungsproceſſe der Pflanzen nehmen; es hört auf, räthſelhaft zu ſein, woher es kommt, daß dieſe drei Materien der entwickelten Pflanze zugeführt, keinen Antheil an ihrem Wachsthum, an ihrem Ernährungsproceſſe nehmen. Man hat — aber gewiß mit Unrecht — die gegen den Herbſt hin ſich in den Pflanzen anhäufenden Vorräthe von Stärke mit dem Fett der dem Winterſchlaf unterworfenen Thiere verglichen; allein bei dieſen ſind alle Lebensfunctionen bis auf den Reſpirationsproceß in einem Zuſtande der Ruhe; ſie be— dürfen, wie eine ſehr langſam brennende Oellampe, nur einer kohlen⸗ und waſſerſtoffreichen Materie, um den Berbrennungs- proceß in der Lunge zu unterhalten. Mit dem Erwachen aus dem Winterſchlaf iſt alles Fett verſchwunden, es hat nicht zur Ernährung gedient, kein Theil ihres Körpers hat durch das Fett an Maſſe zugenommen, die Qualität von keinem davon hat eine bemerkbare Veränderung erlitten. Das Fett hatte mit der eigentlichen Ernährung nicht das Geringſte zu thun. Die Cultur. 115 Die einjährige Pflanze erzeugt und ſammelt die Nahrung der künſtigen, auf gleiche Weiſe wie die perennirende; ſie ſpei— chert ſie im Saamen in der Form von vegetabiliſchem Eiweiß von Stärkemehl und Gummi auf, ſie wird beim Keimen zur Ausbildung der erſten Wurzelfaſern und Blätter verwendet, mit dem Vorhandenſein dieſer Organe fängt die Zunahme an Maſſe, die eigentliche Ernährung erſt an. Jeder Keim, jede Knospe einer perennirenden Pflanze if der aufgepfropfte Embryo eines neuen Individuums, die im Stamme, in der Wurzel aufgeſpeicherte Nahrung; ſie entſpricht dem Albumen des Saamens. Nahrungsſtoffe in ihrer eigentlichen Bedeutung ſind offen— bar nur ſolche Materien, welche von außen zugeführt, das Le— ben und alle Lebensfunctionen eines Organismus zu erhalten vermögen, inſofern ſie von den Organen zur Hervorbringung der ihnen eigenthümlichen Beſtandtheile verwendet werden können. Bei den Thieren entſpringt aus dem Blute die Subſtanz ihrer Muskeln und Nerven, es unterhält durch einen ſeiner Beſtandtheile den Athmungsproceß, durch andere wieder beſon— dere Lebensproceſſe, ein jeder Theil des Körpers empfängt Nahrung durch das Blut, allein die Bluterzeugung iſt eine Lebensfunction für ſich, ohne welche das Leben nicht gedacht werden kann; ſetzen wir die Organe der Bluterzeugung außer Thätigkeit, führen wir in die Adern eines Thieres Blut von Außen zu, ſo erfolgt der Tod, wenn ſeine Quantität eine gewiſſe Grenze überſchreitet. Wenn wir einem Baume Holzfaſer im aufgelösten Zu— ſtande zuführen könnten, ſo würde der nemliche Fall eintreten, wie wenn wir eine Kartoffelpflanze in Stärkekleiſter vegetiren ließen. Die Blätter ſind vorhanden, um Stärke, Holzfaſer und 8 = 116 Die Cultur. Zucker zu erzeugen; führen wir Stärke, Holzfaſer und Zucker durch die Wurzeln zu, ſo wird offenbar die Lebensfunction der Blätter geſtört; kann der Aſſimilationsproceß nicht eine andere Form annehmen, ſo muß die Pflanze ſterben. Neben der Stärke, dem Zucker und Gummi müſſen in einer Pflanze aber noch andere Materien vorhanden ſein, wenn ſie überhaupt an der Entwickelung des Keims der erſten Wur⸗ zelfaſern und Blätter Antheil nehmen ſollen. Ein Weizenkorn enthält in ſeiner eigenen Maſſe unzwei⸗ felhaft die Beſtandtheile des Keims und der erſten Wurzelfaſern, und — wir müſſen vorausſetzen — genau in dem Verhältniß als zu ihrer Entwickelung nöthig iſt. Wenn wir dieſe Beſtandtheile mit Stärke und Kleber be⸗ zeichnen, ſo iſt klar, daß keiner davon allein, ſondern beide zugleich an der Keim- und Wurzelbildung Antheil nehmen, denn bei Gegenwart von Luft, Feuchtigkeit und einer ange⸗ meſſenen Temperatur erleiden ſie beide eine Metamorphoſe. Die Stärke verwandelt ſich in Zucker, der Kleber nimmt ebenfalls eine neue Form an, beide erhalten die Fähigkeit, ſich zu löſen, d. h. einer jeden Bewegung zu folgen. 5 Beide werden zur Bildung der Wurzelfaſern und erſten Blätter völlig aufgezehrt, ein Ueberſchuß von dem einen würde ohne die Gegenwart einer entſprechenden Menge von dem an— dern zur Blattbildung, oder überhaupt nicht verwendet werden können. Man ſchreibt bekanntlich die Verwandlung der Stärke in Zucker bei dem Keimen der Getreidekörner einer eigenthümli⸗ chen Materie, der Diaſtaſe, zu, die ſich durch den Act der beginnenden Vegetation erzeugt; aber durch Kleber allein kann ihre Wirkungsweiſe, obwohl erſt in längerer Zeit, erſetzt wer⸗ den; jedenfalls enthält der gekeimte Saamen bei weitem mehr Die Cultur. 2 117 davon, als zur Umwandlung der Stärke in Zucker nöthig war, denn man kann mit einem Theile gekeimter Gerſte ein Small größeres Gewicht Stärke noch in Zucker überführen. Gewiß wird man dieſen Ueberſchuß von Diaſtaſe nicht für zufällig anſehen können, eben weil ſie ſelbſt neben der Stärke Antheil an der Bildung der erſten Organe nimmt, ſie ver— ſchwindet mit dem Zucker. Kohlenſäure, Ammoniak und Waſſer find die Nahrungs- ſtoffe der Pflanzen; Stärke, Zucker oder Gummi dienen, wenn fie begleitet find von einer ſtickſtoffhaltigen Subſtanz, dem Em- bryo zur erſten Entfaltung feiner Ernährungsorgane. Die Ernährung des Fötus, die Entwickelung des Eies ge— ſchieht in anderer Weiſe, als die des Thieres, was ſeine Mut— ter verlaſſen hat, der Abſchluß der Luft, der das Leben des Fötus nicht gefährdet, würde den Tod des Thieres bewirken, ſo iſt denn auch reines Waſſer für das Gedeihen der jungen Pflanze zuträglicher, als wie ein an Kohlenſäure reiches; aber nach einem Monat iſt das Verhältniß umgekehrt (Sauſſure). Die Bildung des Zuckers in den Ahornarten geht nicht in den Wurzeln, ſondern in dem Holzkörper vor ſich. Der Zu— ckergehalt des Saftes nimmt zu, wenn er bis zu einer gewiſſen Höhe in dem Stamme ſteigt, über dieſen Punkt hinaus bleibt er unverändert. a Aehnlich wie in der keimenden Gerſte eine Materie gebil— det wird, durch deren Berührung mit Amylon das letztere ſeine Unauflöslichkeit verliert und in Zucker übergeht, ſo muß in den Wurzeln des Ahorns mit dem Beginn einer neuen Vegetation eine Subſtanz erzeugt werden, die im Waſſer gelöft, in ihrem Wege durch den Holzkörper die Verwandlung der dort abge— lagerten Stärke, oder was es ſonſt noch ſein mag, in Zucker bewirkt; es iſt ſicher, daß wenn ein Loch oberhalb der Wurzeln 118 Die Cultur. in den Stamm gebohrt, mit Zucker gefüllt und wieder ver— ſchloſſen wird, daß derſelbe in dem aufſteigenden Safte ſich lö— ſen wird; es iſt ferner möglich, daß dieſer Zucker auf eine ähnliche Weiſe wie der im Stamm gebildete verwendet werden wird, jedenfalls bleibt es gewiß, das Hinzuführen dieſes Zu— ckers wird die Wirkung des Saftes auf das Amylon nicht hin- dern, und da ein größeres Verhältniß davon vorhanden iſt, als das Blatt oder die Knospe verzehrt, ſo wird er auf der Oberfläche der Blätter oder durch die Rinde wieder abgeſchie— den werden. Gewiſſe Krankheiten von Bäumen, der ſogenannte Honigthau, rühren offenbar von einem Mißverhältniß in der Menge der zugeführten ſtickſtofffreien und ſtickſtoffhaltigen Nah⸗ rungsſtoffe her. In welcher Form man ſich, wie man ſieht, die Zuführung von Stoffen auch denken mag, die durch die Pflanzen ſelbſt erzeugt werden, ſo erſcheint ſie in keinem einzigen Fall geeig— net, der Pflanze zu erſetzen, was ſie verloren hat, oder ihre Maſſe zu vergrößern. Zucker, Gummi und Stärke ſind kein Nahrungsmittel für Pflanzen, und eben ſo wenig kann die Humusſäure dafür angeſehen werden, die in ihrer Zuſammen⸗ ſetzung dieſen Stoffen am nächſten ſteht. Bei der Betrachtung der einzelnen Organe einer Pflanze finden wir jede Faſer, jedes Holztheilchen umgeben mit einem Safte, welcher eine ſtickſtoffhaltige Materie enthält, die Stärke⸗ körnchen, der Zucker findet ſich in Zellen eingeſchloſſen, gebildet von einer ſtickſtoffhaltigen Subſtanz, überall in allen Säften in den Früchten und Blüthen finden wir eine ſtickſtofffreie Ma⸗ terie, begleitet von einer ſtickſtoffhaltigen. In den Blättern kann das Holz des Stammes als Holz nicht gebildet werden, ſie müſſen die Fähigkeit haben, eine Materie zu erzeugen, die geeignet iſt, in Holz überzugehen, und dieſe muß in Die Cultur. 119 gelöſ'tem Zuſtande ſtets begleitet fein von einer ſtickſtoffhaltigen Verbindung; es iſt höchſt wahrſcheinlich, daß ſich Holz und Pflanzenleim, Amylon und Zelle gleichzeitig und zwar neben— einander bilden, und in dieſem Falle iſt ein beſtimmtes Ver— hältniß von beiden eine Bedingung ihrer Entſtehung. Alles Uebrige gleichgeſetzt, wird hiernach nur eine dem Stickſtoffgehalt entſprechende Quantität der von den Blättern erzeugten Subſtanzen aſſimilirbar ſein; fehlt es an Stickſtoff, fo wird eine gewiſſe Menge ſtickſtofffreier Subſtanz in irgend einer Form nicht verwendet und als Excremente der Blätter Zweige, Rinden und Wurzeln abgeſchieden werden. Die Ausſchwitzungen geſunder, kräftiger Pflanzen von Man— nit, von Gummi und Zucker können keiner andern Urſache zu— geſchrieben werden *). Es tritt hier ein ähnlicher Fall ein, wie bei der Ver— dauung im menſchlichen Organismus; wenn jedem Theil des Körpers erſetzt werden ſoll, was er durch Reſpiration und Ex— halationsproceſſe verliert, ſo muß den Organen der Ver⸗ dauung ein beſtimmtes Verhältniß von ſtickſtofffreien und ſtick— ſtoffhaltigen Nahrungsmitteln dargeboten werden. Iſt die Ouantität der zugeführten ſtickſtofffreien Subſtanzen überwie— gend, ſo werden ſie entweder zur Fettbildung verwendet oder ſie gehen unverändert durch den Organismus hindurch. Man beobachtet dieß namentlich bei Menſchen, die ſich beinahe aus— ſchließlich von Kartoffeln nähren; ihre Ereremente enthalten eine große Menge ganz unveränderter Stärkemehlkörnchen; bei ) Herr Advocat Trapp in Gießen beſitzt eine wohlriechende Volkamerie (Clerodendron fragrans), in deren Blattdrüſen im September, wo ſie im Zimmer vegetirte, große farbloſe Tropfen ausſchwitzten, die zu den regelmäßigften Kryſtallen von Kandis-Zucker eintrockneten; es iſt mir nicht bekannt, ob der Saft dieſer Pflanze Zucker enthält. 120 Die Cultur. einem gehörigen Verhältniß Kleber oder Fleiſch läßt ſich keine Spur davon entdecken, ſie find in dieſem Falle aſſimilirbar ge- worden. Kartoffeln, welche neben Heufütterung die Kräfte eines Pferdes kaum zu erhalten vermögen, geben neben Brod und Hafer ein kräftiges und geſundes Futter. Unter dieſem Geſichtspunkte wird es einleuchtend, wie ſehr ſich die in einer Pflanze erzeugten Producte, je nach dem Ber- hältniß der zugeführten Nahrungsſtoffe, ändern können. Ein Ueberfluß an Kohlenſtoff, in der Form von Kohlenſäure durch die Wurzeln zugeführt, wird bei Mangel an Stickſtoff weder in Kleber noch in Eiweiß, noch in Holz, noch in ſonſt irgend einen Beſtandtheil eines Organs übergehen; er wird als Zucker, Amy- lon, Oel, Wachs, Harz, Mannit, Gummi, in der Form alſo eines Excrements, abgeſchieden werden, oder mehr oder weniger weite Zellen und Gefäße füllen. Bei einem Ueberſchuß ſtickſtoffhaltiger Nahrung wird ſich der Kleber, der Gehalt von vegetabiliſchem Eiweiß und Pflan- zenleim vermehren, es werden Ammoniakſalze in den Säften bleiben, wenn, wie beim Anbau der Runkelrüben, ein ſehr ſtick⸗ ſtoffreicher Dünger dem Boden gegeben, oder die Function der Blätter unterdrückt wird, indem man die Pflanze ihrer Blätter beraubt. Wir wiſſen in der That, daß die Ananas im wilden Zu— ſtande kaum genießbar iſt, daß ſie bei reichlichem thieriſchen Dünger eine Maſſe von Blättern treibt, ohne daß die Frucht deshalb an Zucker zunimmt; daß der Stärkegehalt der Kar— toffeln in einem humusreichen Boden wächſt, daß bei kräftigem animaliſchen Dünger die Anzahl der Zellen zunimmt, während ſich der Amylongehalt vermindert; in dem erſteren Falle be— ſitzen ſie eine mehlige, in dem andern eine ſeifige Beſchaffen— heit. Die Runkelrüben, auf magerm Sandboden gezogen, ent— Die Cultur. 121 halten ein Maximum von Zucker und kein Ammoniakſalz, und in gedüngtem Lande verliert die Teltower Rübe ihre meh- lige Beſchaffenheit, denn in dieſem vereinigen ſich alle Bedin— gungen für Zellenbildung. Eine abnorme Production von gewiſſen Beſtandtheilen der Pflanzen ſetzt in den Blättern eine Kraft und Fähigkeit der Aſſimilation voraus, die wir mit einer gewöhnlichen, ſelbſt der mächtigſten chemiſchen Action nicht vergleichen können. Man kann ſich in der That keine geringe Vorſtellung davon machen, denn ſie übertrifft an Stärke die mächtigſte galvaniſche Batte— rie, mit der wir nicht im Stande ſind, den Sauerſtoff aus der Kohlenſäure auszuſcheiden. Die Verwandtſchaft des Chlors zum Waſſerſtoff, ſeine Fähigkeit, das Waſſer im Sonnenlichte zu zerlegen und Sauerſtoff daraus zu entwickeln, iſt für nichts zu achten gegen die Kraft und Energie, mit welcher ein von der Pflanze getrenntes Blatt das aufgeſaugte kohlenſaure Gas zu zerlegen vermag. Die gewöhnliche Meinung, daß nur das direct einfallende Sonnenlicht die Zerlegung der Kohlenſäure in den Blättern der Pflanzen zu bewirken vermöge, daß das reflectirte oder Tageslicht dieſe Fähigkeit nicht beſitzt, iſt ein ſehr verbreiteter Irrthum, denn in einer Menge Pflanzen erzeugen ſich abſolut die nemlichen Beſtandtheile, gleichgültig, ob ſie vom Sonnen— lichte getroffen werden, oder ob ſie im Schatten wachſen, ſie bedürfen des Lichtes und zwar des Sonnenlichtes, aber es iſt für ihre Functionen durchaus gleichgültig, ob ſie die Strahlen der Sonne direct erhalten oder nicht. Ihre Functionen gehen nur mit weit größerer Energie und Schnelligkeit im Sonnen— lichte als wie im Tageslichte oder im Schatten vor ſich; es kann keine andere Verſchiedenheit hier gedacht werden, als wie bei ähnlichen Wirkungen, welche das Licht auf chemiſche Ver— 122 Die Cultur. bindungen zeigt, und dieſe Verſchiedenheit wird bemerkbar durch einen höhern oder geringern Grad der Beſchleunigung der Action. Chlor und Waſſerſtoff vereinigen ſich beide zu Salzſäure, im gewöhnlichen Tageslichte geht die Verbindung in einigen Stunden, im Sonnenlichte augenblicklich mit einer gewaltſamen Exploſion vor ſich, in völliger Dunkelheit beobachtet man nicht die geringſte Veränderung. Das Oel des ölbildenden Gaſes liefert mit Chlor in Be— rührung im Sonnenlichte augenblicklich Chlorkohlenſtoff, im ge— wöhnlichen Tageslichte kann der letztere ebenfalls mit derſelben Leichtigkeit erhalten werden, es gehört dazu nur eine längere Zeit. Während man bei dieſem Verſuche, wenn er im Son— nenlichte angeſtellt wird, nur zwei Producte bemerkt (Salz— ſäure und Chlorkohlenſtoff), beobachtet man bei der Einwirkung im Tageslichte eine Reihe von Zwiſchenſtufen, von Verbindun— gen nemlich, deren Chlorgehalt beſtändig zunimmt, bis zuletzt das ganze Oel in zwei Producte übergeht, die mit denen im Sonnenlichte erhaltenen abſolut identiſch ſind. Im Dunkeln beobachtet man auch hier nicht die geringſte Zerſetzung. Sal— peterſäure zerlegt ſich im gewöhnlichen Tageslichte in Sauer— ſtoffgas und ſalpetrige Säure, Chlorſilber ſchwärzt ſich im Ta— geslichte ſo gut wie im Sonnenlichte, kurz alle Actionen ganz ähnlicher Art nehmen im Tageslichte dieſelbe Form an wie im Sonnenlichte, nur in der Zeit, in der es geſchieht, bemerkt man einen Unterſchied. Bei den Pflanzen kann es nicht an— ders ſein, die Art ihrer Ernährung iſt bei allen dieſelbe, und ihre Beſtandtheile beweiſen es, daß die Nahrungsſtoffe abſolut dieſelbe Veränderung erlitten haben. Was wir alſo an Kohlenſäure einer Pflanze auch zuführen mögen, wenn ihre Quantität nicht mehr beträgt, als was von Die Cultur. 123 den Blättern zerſetzbar iſt, jo wird fie eine Metamorphoſe erlei— den. Wir wiſſen, daß ein Uebermaaß an Kohlenſäure die Pflanze tödtet, wir wiſſem aber auch, daß der Stickſtoff bis zu einem ge— wiſſen Grade unweſentlich für die Zerſetzung der Kohlenſäure iſt. Alle bis jetzt angeſtellten Verſuche beweiſen, daß friſche Blätter, von der Pflanze getrennt, in einem Waſſer, welches Kohlenſäure enthalt, Sauerſtoffgas im Sonnenlichte entwickeln, während die Kohlenſäure verſchwindet. In dieſen Verſuchen iſt alſo mit der Kohlenſäure kein Stick— ſtoff gleichzeitig zugeführt worden, und man kann hieraus kei— nen andern Schluß ziehen, als den, daß zur Zerſetzung der Kohlenſäure, alſo zur Ausübung von einer ihrer Functionen, kein Stickſtoff erforderlich iſt, wenn auch für die Aſſimilation der durch die Zerſetzung der Kohlenſäure neugebildeten Pro— ducte, um Beſtandtheile gewiſſer Organe der Pflanzen zu wer— den, die Gegenwart einer ſtickſtoffhaltigen Subſtanz unentbehr— lich zu ſein ſcheint. Der aus der Kohlenſäure aufgenommene Kohlenſtoff hat in den Blättern eine neue Form angenommen, in der er lös— lich und überführbar in alle Theile der Pflanze iſt. Wir be— zeichnen dieſe Form mit Zucker, wenn die Producte ſüß ſchme— cken, und mit Gummi oder Schleim, wenn ſie geſchmacklos find, fie heißen Exeremente, wenn fie durch die Wurzeln (Haare und Drüſen der Blätter ꝛc.) abgeführt werden. Es iſt hieraus klar, daß, je nach den Verhältniſſen der gleichzeitig zugeführten Nahrungsſtoffe, die Menge und Quali— täten der durch den Lebensproceß der Pflanzen erzeugten Stoffe wechſeln werden. Im freien wilden Zuſtande entwickeln ſich alle Theile einer Pflanze je nach dem Verhältniſſe der Nahrungsſtoffe, die ihr vom Standorte dargeboten werden, ſie bildet ſich auf dem ma— 124 Die Cultur. gerſten, unfruchtbarſten Boden eben ſo gut aus, wie auf dem fetteſten und fruchtbarſten, nur in ihrer Größe und Maſſe, in der Anzahl der Halme, Zweige, Blätter, Blüthen oder Früchte beobachtet man einen Unterſchied. Während auf einem fruchtbaren Boden alle ihre einzelnen Organe ſich vergrößern, vermindern ſie ſich auf einem andern, wo ihr die Materien minder reichlich zufließen, die ſie zu ihrer Bildung bedarf, ihr Gehalt an ſtickſtoffhaltigen oder ſtickſtoff— freien Beſtandtheilen ändert ſich mit der überwiegenden Menge ſtickſtoffhaltiger und ſtickſtofffreier Nahrungsmittel. Die Entwickelung der Halme und Blätter, der Blüthen und Früchte iſt an beſtimmte Bedingungen geknüpft, deren Kennt- niß uns geſtattet, einen gewiſſen Einfluß auf ihren Gehalt in ihren Beſtandtheilen auf die Hervorbringung eines Maximums an Maſſe auszuüben. Die Ausmittelung dieſer Bedingungen iſt die Aufgabe des Naturforſchers; aus ihrer Kenntniß müſſen die Grundſätze der Land⸗ und Feldwirthſchaft entſpringen. Es giebt kein Gewerbe, was ſich an Wichtigkeit dem Acker— bau, der Hervorbringung von Nahrungsmitteln für Menſchen und Thiere vergleichen läßt, in ihm liegt die Grundlage des Wohlſeins, die Entwickelung des Menſchengeſchlechts, die Grundlage des Reichthums der Staaten, er iſt die Grundlage aller Induſtrie. In keinem andern Gewerbe iſt die Anwendung richtiger Principien von wohlthätigeren Folgen, von größerem und be— merkbarerem Einfluß, und es muß um ſo räthſelhafter und unbegreiflicher erſcheinen, wenn man in den Schriften der Agronomen und Phyſiologen vergebens nach einem leitenden Grundſatz ſich umſieht. An allen Orten, in allen Gegenden wechſeln die Methoden Die Cultur. 125 des Feldbaues, und wenn man nach den Urſachen dieſer Ab— weichung fragt, ſo erhält man die Antwort, ſie hängen von Umſtänden ab (Les circonstances sont les assolemens), es giebt keine Antwort, in der ſich die Unwiſſenheit offenbarer ausſpricht, denn Niemand hat ſich bis jetzt damit abgegeben, dieſe Umſtände zu erforſchen. Fragt man nach der Wirkungsweiſe des Düngers, ſo er— hält man von den geiſtreichſten Männern die Antwort, fie fei durch den Schleier der Iſis verhüllt ?). Man erwäge nur, was dieß eigentlich heißt; es will nichts anders ſagen, als daß die Ereremente von Thieren und Menſchen ein unbegreif— liches Etwas enthalten, was den Pflanzen zur Nahrung, zur Vermehrung ihrer Maſſe dient, und dieſe Meinung wird ge— faßt, ohne daß man je verſucht hat, die erforſchbaren Beſtand— theile des Düngers aufzuſuchen, oder ſich überhaupt damit bekannt zu machen. Neben gleichen allgemeinen Bedingungen des Wachsthums aller Vegetabilien, der Feuchtigkeit, des Lichtes, der Wärme und der Beſtandtheile der Atmoſphäre, giebt es beſondere, welche auf die Entwickelung einzelner Familien einen ausge— zeichneten Einfluß ausüben. Dieſe beſonderen Bedingungen lie— gen im Boden, oder ſie werden ihnen gegeben in der Form von Stoffen, die man mit dem allgemeinen Namen Dünger bezeichnet. ') Von Schwerz, in ſeiner practiſchen Anleitung zum Ackerbau. 1828. Stuttgart bei Cotta, ſagt vom Dünger: »O des verwickelten gordi— ſchen Knotens, den die ſcharfſinnigſten algebraiſchen Formeln wohl nimmer löſen, ſelbſt die pfropfenzieherförmigen Atome des Carteſius nicht zu Tage fördern werden! Es iſt nicht gut, ſagt Plato, die Auf- ſuchung der Dinge zu weit zu treiben. Die Naturwiſſenſchaften finden ihre Grenzen, über die hinaus Iſis Schleier das Geheimniß deckt, oder kann Jemand uns das Weſen von Kraft, Leben und Bewegung enthüllen?« (Dritter Theil. S. 33.) 126 Die Cultur. Was enthält aber der Boden, was enthalten die Stoffe, die man Dünger nennt? Vor der Ausmittelung dieſer Fra— gen kann an eine rationelle Land- und Feldwirthſchaft nicht gedacht werden. | Zur vollſtändigen Löſung dieſer Fragen werden die Kräfte und Kenntniſſe des Pflanzenphyſiologen, des Agronomen und Chemikers in Anſpruch genommen, es muß dazu ein Anfang gemacht werden. Die Aufgabe der Cultur iſt im Allgemeinen die vortheil— hafteſte Hervorbringung gewiſſer Qualitäten, oder eines Mari- mums an Maſſe von gewiſſen Theilen oder Organen verſchie— denartiger Pflanzen, fie wird gelößt durch die Anwendung der Kenntniß derjenigen Stoffe, die zur Ausbildung dieſer Theile oder Organe unentbehrlich ſind, oder der zur Hervorbringung dieſer Qualitäten erforderlichen Bedingungen. Die Geſetze einer rationellen Cultur müſſen uns in den Stand ſetzen, einer jeden Pflanze dasjenige zu geben, was ſie zur Erreichung ihrer Zwecke vorzusweiſe bedarf. Die Cultur beabſichtigt im Beſonderen eine abnorme Ent- wickelung und Erzeugung von gewiſſen Pflanzentheilen oder Pflanzenſtoffen, die zur Ernährung der Thiere und Menſchen, oder für die Zwecke der Induſtrie verwendet werden. Je nach dieſen Zwecken ändern ſich die Mittel, welche zu ihrer Ernährung dienen. Die Mittel, welche die Cultur anwendet, um feines, weiches, biegſames Stroh für Florentiner-Hüte zu erzeugen, ſind denen völlig entgegengeſetzt, die man wählen muß, um ein Maximum von Saamen durch die nemliche Pflanze hervorzubringen. Ein Maximum von Stickſtoff in dieſen Saamen bedarf wieder der Erfüllung anderer Bedingungen, man hat wieder andere zu berückſichtigen, wenn man dem Halme die Stärke und Feſtig— Die Cultur. 127 keit geben will, der er bedarf, um das Gewicht der Aehre zu tragen. Man verfährt in der Cultur der Gewächſe auf eine ganz ähnliche Weiſe wie bei den Thieren, die man mäſten will, das Fleiſch der Hirſche, Rehe, überhaupt der wilden Thiere, iſt gewöhnlich wie das Muskelfleiſch der Araber vollkommen fett— los, ſie enthalten nur geringe Menge davon. Die Production von Fett und Fleiſch kann geſteigert werden, alle Hausthiere ſind reich an Fett. Wir geben den Thieren Nahrungsmittel, welche die Thätigkeit gewiſſer Organe erhöhen, welche einer Metamorphoſe in Fett fähig ſind. Wir ſteigern die Quantität der Nahrungsſtoffe, oder wir vermindern durch Mangel an Be— wegung den Reſpirationsproceß und die Exhalationsproceſſe. Das Geflügel bedarf hierzu anderer Bedingungen als die vier— füßigen Thiere, und von den Gänſen weiß man ganz beſtimmt, daß Kohlenpulver eine abnorme Wucherung der Leber bewirkt, die zuletzt den Tod des Thieres herbeiführt. Eine Erhöhung oder Verminderung der Lebensthätigkeit iſt bei den Vegetabilien allein abhängig von Wärme und Sonnen— licht, über die wir nicht willkürlich verfügen können; es bleibt uns nur die Zuführung von Stoffen geſtattet, welche geeignet ſind, durch die vorhandene Thätigkeit von den Organen der Pflanzen aſſimilirt zu werden. Welche ſind nun zuletzt dieſe Stoffe? Sie ſind leicht durch eine Unterſuchung eines Bodens zu ermitteln, welcher unter den gegebenen cosmiſchen und atmo— ſphäriſchen Bedingungen unter allen Umſtänden fruchtbar iſt; es iſt klar, daß die Kenntniß ſeiner Beſchaffenheit und Zuſam⸗ menſetzung uns in den Stand ſetzen muß, die Bedingungen zu ermitteln, unter welchen ein ſtarker Boden fruchtbar wird. Die Ausmittelung der Bedingungen, die in ſeiner Beſchaf— 128 Die Cultur. fenheit liegen, gehört dem Agronomen an, die ſeiner Zuſam— menſetzung hat der Chemiker zu löſen. Von der letzteren kann allein nur die Rede ſein. Die Ackererde iſt durch die Verwitterung von Felsarten entſtanden, von den vorwaltenden Beſtandtheilen dieſer Felsart ſind ihre Eigenſchaften abhängig. Mit Sand, Kalk und Thon bezeichnen wir dieſe vorwaltenden Beſtandtheile der Bodenarten. Reiner Sand, reiner Kalkſtein, in denen außer Kieſelſäure oder kohlenſaurem oder kieſelſaurem Kalk andere anorganiſche Beſtandtheile fehlen, ſind abſolut unfruchtbar. Von fruchtbarem Boden macht aber unter allen Umſtänden der Thon einen nie fehlenden Beſtandtheil aus. Wo ſtammt nun der Thon der Ackererde her? welches ſind die Beſtandtheile deſſelben, welche Antheil an der Vegetation nehmen? Der Thon ſtammt von der Verwitterung thonerdehaltiger Mineralien, unter denen die verſchiedenen Feldſpathe (der ge— wöhnliche) Kalifeldſpath, der Natronfeldſpath (Albit), der Kalf- feldſpath (Labrador), Glimmer und Zeolithe die verbreitetſten unter denen ſind, welche verwittern. Die Mineralien ſind Gemengtheile des Granits, Gneußes, Glimmerſchiefers, Porphyrs, des Thonſchiefers, der Grauwacke, der vulkaniſchen Gebirgsarten, des Baſalts, Klingſteins, der Lava. Als die äußerſten Glieder der Grauwacke haben wir reinen Quarz, Thonſchiefer und Kalk, bei den Sandſteinen Quarz und Letten. In dem Uebergangskalk, in den Dolomiten haben wir Einmengungen von Thon, von Feldſpath, Feldſteinporphyr, Thonſchiefer; der Zechſtein iſt ausgezeichnet durch feinen Thon⸗ gehalt. Der Jurakalk enthält 3 — 20, in der würtembergiſchen Alp 45 — 50 p. c. Thon. Der Mufchel- und Grobkalk iſt mehr oder weniger reich an Thon. Die Cultur. 129 Man beobachtet leicht, daß die thonerdehaltigen Foſſilien die verbreitetſten an der Erdoberfläche ſind; wie ſchon erwähnt, fehlt der Thon niemals im fruchtbaren, und nur dann im eul— turfähigen Lande, wenn ein Beſtandtheil deſſelben durch andere Quellen erſetzt wird. In dem Thon muß an und für ſich eine Urſache vorhanden ſein, welche Einfluß auf das Leben der Pflanzen ausübt, welche directen Antheil an ihrer Entwi- ckelung nimmt. Dieſe Urſache iſt fein nie fehlender Kali- und Natron⸗ gehalt. Die Thonerde nimmt an der Vegetation nur indirect, durch. ihre Fähigkeit, Waſſer und Ammoniak anzuziehen und zurück⸗— zuhalten, Antheil; nur in höchſt ſeltenen Fällen findet ſich Thonerde in den Pflanzenaſchen, in allen findet ſich aber Kie— ſelerde, welche in den meiſten Fällen nur durch Vermittlung von Alkalien in die Pflanze gelangt. Um ſich einen beſtimmten Begriff von dem Gehalt des Thons an Alkalien zu machen, muß man ſich erinnern, daß der Feldſpath 173% p. c. Kali, der Albit 11,43 Natron, der Glimmer 3 — 5 p. c., die Zeolithe zuſammen 13 — 16 p. c. an Alkalien enthalten. Aus den zuverläſſigen Analyfen von Ch. Gmelin, Löwe, Fricke, Meyer, Redtenbacher weiß man, daß die Kling— ſteine, Baſalte zwiſchen / bis 3 p. c. Kali und 5 — 7 p. c. Natron, der Thonſchiefer 2,75 — 3,31 Kali, daß der Letten 1½ —4 p. c. Kali enthält. Berechnet man bei Zugrundelegung des ſpeeifiſchen Gewich— tes, wie viel Kali eine Bodenſchicht enthält, welche aus der Verwitterung eines Morgens (2500 Meter) einer 20 Zoll dicken Lage einer dieſer Felsarten entſtanden iſt, ſo ergiebt ſich, daß dieſe Bodenſchicht an Kali enthält: 130 Die Cultur. aus Feldſpath entſtanden. 1,152000 Pfd. aus Klingſtein . n: - erde 200000 400000 » ans Baſalt.. e e bete si 7500 — 75000 „ aus Thonſchiefeõerr r 100000 200000 „ nne Leiten : u e 87000 - 300000 » Das Kali fehlt in keinem Thon, es iſt ſelbſt im Mergel (Fuchs) enthalten; in allen Thonarten, die man auf Kali un⸗ terſucht hat, iſt dieſer Beſtandtheil gefunden worden, in dem Thon der Uebergangsgebirge des Flötzgebirges, ſo wie in den jüngſten Bildungen der Umgebungen von Berlin kann man durch bloßes Eintrocknen mit Schwefelſäure, durch die Bil— dung von Alaun (nach Mitſcherlich) den Kaligehalt nach— weiſen, und allen Alaun⸗Fabrikanten ift es wohl bekannt, daß alle ihre Laugen eine gewiſſe Quantität Alaun fertig gebildet enthalten, deſſen Kali aus der thonreichen Aſche der Braun— und Steinkohlen herrührt. Iſt nach dieſer außerordentlichen Verbreitung des Kalis fein Vorkommen in den Gewächſen nicht vollkommen begreif— lich, iſt es zu rechtfertigen, daß man, um ſein Vorhandenſein in den Pflanzen zu erklären, zu einer Erzeugung von einem Metalloxid durch den organiſchen Proceß, aus den Beſtandthei— ler der Atmoſphäre alſo, ſeine Zuflucht nahm? Dieſe Mei⸗ nung fand zu einer Zeit noch Anhänger, wo die Methoden, das Kali in dem Boden nachzuweiſen, längſt bekannt waren. Noch heutigen Tages ſind Vorausſetzungen dieſer Art in den Schriften vieler Phyſiologen zu finden; man ſieht ſich in die Zeit zurückverſetzt, wo man den Feuerſtein aus Kreide entſte— hen ließ, wo man ſich vollkommen beruhigte, Alles, was aus Mangel an Unterſuchungen unbegreiflich erſchien, mit einer noch bei weitem unbegreiflichern Erſcheinung zu erklären. Ein Tauſendtheil Letten, dem Quarz in buntem Sand— Die Cultur. 131 ſtein oder dem Kalk in den verſchiedenen Kalkformationen bei— gemengt, giebt einem Boden von nur 20 Zoll Tiefe ſo viel Kali, daß ein Fichtenwald auf dieſem Boden ein ganzes Jahr— hundert lang damit verſehen werden kann. Ein einziger Cubiefuß Feldſpath kann eine Waldfläche mit Laubholz von 2500 Meter Fläche 5 Jahre lang mit Kali verſehen. Ein Boden, welcher ein Maximum von Fruchtbarkeit be- ſitzt, enthält den Thon gemengt mit anderen verwitterten Ge— ſteinen, mit Kalk und Sand in einem ſolchen Verhältniß, daß er der Luft und Feuchtigkeit bis zu einem gewiſſen Grade leich— ten Eingang verſtattet. | Der Boden in der Nähe und Umgebung des Veſuys läßt ſich als der Typus der fruchtbarſten Bodenarten betrachten; je nach dem Verhältniß, als der Thon oder Sand darinn zu— oder abnimmt, verringert ſich der Grad ſeiner Fruchtbarkeit. Dieſer aus verwitterter Lava entſtandene Boden kann ſei— nem Urſprung nach nicht die kleinſte Spur einer vegetabiliſchen Materie enthalten; Jedermann weiß, daß wenn die vulkaniſche Aſche eine Zeitlang der Luft und dem Einfluß der Feuchtigkeit ausgeſetzt geweſen iſt, daß alle Vegetabilien darinn in der größ— ten Ueppigkeit und Fülle gedeihen. Die Bedingungen dieſer Fruchtbarkeit ſind nun die darinn enthaltenen Alkalien, welche nach und nach durch die Verwit⸗ terung die Fähigkeit erlangen, von der Pflanze aufgenommen zu werden. Bei allen Geſteinen und Gebirgsarten find Jahr- tauſende erforderlich geweſen, um fie in den Zuſtand der Acker— erde überzuführen, die Grenze der Verwitterung des Thons, d. h. die völlige Entziehung alles Alkalis, wird noch eben ſo viele Jahrtauſende erfordern. Wie wenig das Regenwetter aus dem Boden in Jahres— 9 * 132 Die Cultur. friſt aufzulöſen vermag, ſehen wir an der Zuſammenſetzung des Flußwaſſers, des Waſſers der Bäche und Quellen; es ſind dieß gewöhnlich weiche Waſſer, und der nie fehlende Kochſalz— gehalt auch der weichſten Waſſer beweiſ't, daß dasjenige an alkaliſchen Salzen, was durch Flüſſe und Ströme dem Meere zufließt, durch Seewinde und Regen dem Lande wieder zurück— gebracht wird. Die Natur ſelbſt zeigt uns, was die Pflanze, ihr Keim, die erſte Wurzelfaſer, im Anfang ihrer Entwickelung bedarf. Bequerel hat nachgewieſen, daß die Saamen der Gra— mineen, Leguminoſen, Crueiferen, Cichoraceen, Umbelliferen, Coniferen, Cucurbitaceen beim Kei— men Eſſigſäure ausſcheiden. Eine Pflanze, welche aus der Erde, ein Blatt, was aus der Knospe hervorbricht, enthält zu dieſer Zeit eine Aſche, welche eben ſo ſtark und gewöhnlich mehr mit alkaliſchen Salzen beladen iſt, als in einer andern Periode der Vegetation (Sauſſure). Wir wiſſen nun aus Beque— rels Verſuchen, wie und auf welche Weiſe dieſe alkaliſchen Salze in die junge Pflanze gelangen, die gebildete Eſſigſäure verbreitet ſich in dem naſſen und feuchten Boden, ſie ſättigt ſich mit Alkalien, Kalk, Bittererde, und wird von den Wur— zelfaſern in der Form von neutralen Salzen wieder aufge: nommen. Nach dem Aufhören des Lebens, wo die Beſtandtheile der Pflanze den Zerſtörungsproceſſen der Fäulniß und Verweſung unterliegen, erhält der Boden wieder, was ihm entzogen wurde. Denken wir uns einen Boden, der aus den Beſtandtheilen des Granits, der Grauwacke, des Zechſteins, Porphyrs ꝛc. durch Verwitterung entſtanden iſt und auf dem ſeit Zahrtau- ſenden die Vegetation nicht gewechſelt hat, er wird ein Maga-⸗ Die Cultur. 133 zin von Alkalien in einem von den Wurzeln der Pflanzen aſ— ſimilirbaren Zuſtande enthalten. Die ſchönen Verſuche von Struve haben dargethan, daß ein kohlenſäurehaltiges Waſſer die Gebirgsarten, welche Alka— lien enthalten, zerlegt, daß es einen Gehalt von kohlenſaurem Alkali empfängt. Es iſt klar, daß die Pflanzen ſelbſt, inſofern ihre Ueberreſte durch Verweſung Kohlenſäure erzeugen, inſofern ihre Wurzeln im lebenden Zuſtande Säuren ausſchwitzen, nicht minder kräftig dem Zuſammenhang der Gebirgsarten entgegen— wirken. Neben der Einwirkung der Luft, des Waſſers und Tempe— raturwechſels ſind die Pflanzen ſelbſt die mächtigſten Urſachen der Verwitterung. Luft, Waſſer, Temperaturwechſel bewirken die Vorbereitung der Felsarten zu ihrer Aufſchließung, d. h. zur Auflöſung der darinn enthaltenen Alkalien durch die Pflanzen. Auf einem Boden, welcher Jahrhunderte lang allen Urſa— chen der Verwitterung ausgeſetzt geweſen iſt, von dem aber die aufgeſchloſſenen Alkalien nicht fortgeführt wurden, werden alle Vegetabilien, die zu ihrer Entwickelung beträchtliche Mengen Alkalien bedürfen, eine lange Reihe von Jahren hindurch hin— reichende Nahrung finden, allein nach und nach muß er er— ſchöpft werden, wenn das Alkali, was ihm entzogen wurde, nicht wieder erſetzt wird; es muß ein Punkt eintreten, wo er von Zeit zu Zeit der Verwitterung wieder ausgeſetzt werden muß, um einer neuen Ernte Vorrath von auflösbaren Alkalien zu geben. So wenig Alkali es auch im Ganzen betragen mag, was die Pflanzen bedürfen, ſie kommen ohne dieſes Alkali nicht zur Entwickelung; ſie können es nicht entbehren. Nach einem Zeitraume von einem oder mehreren Jahren, 134 Die Cultur. während welcher Zeit das Alkali dem Boden nicht entzogen wird, kann man wieder auf eine neue Ernte rechnen. Die erſten Coloniſten fanden in Virginien einen Boden von der obenerwähnten Beſchaffenheit vor; ohne Dünger ern- tete man auf einem und demſelben Felde ein ganzes Jahrhun— dert lang Weizen oder Taback, und jetzt ſieht man ganze Ge- genden verlaſſen und in unfruchtbares Weideland verwandelt, was kein Getreide, keinen Taback mehr ohne Dünger hervor— bringt. Einem Morgen von dieſem Lande wurden aber in 100 Jahren in den Blättern, dem Korn und Stroh über 1200 Pfd Alkali entzogen; er wurde unfruchtbar, weil der auf- geſchloſſene Boden gänzlich ſeines Alkalis beraubt war und weil dasjenige, was im Zeitraum von einem Jahre durch den Einfluß der Witterung zur Aufſchießung gelangte, nicht hin— reichte, um die Bedürfniſſe der Pflanze zu befriedigen. In dieſem Zuſtande befindet ſich im Allgemeinen alles Cul— turland in Europa. Die Brache iſt die Zeit der Verwit⸗ terung. Man giebt ſich einer unbegreiflichen Täuſchung hin, indem man dem Verſchwinden des Humusgehaltes in dieſem Boden zuſchreibt, was eine bloße Folge der Entziehung von Alka— lien iſt. Man verſetze ſich in die Umgebungen Neapels, welche be— kannt ſind als fruchtbares Getreideland; die Ortſchaften und Dörfer liegen 6 — 8 Stunden entfernt von einander, von We⸗ gen iſt in dieſen Gegenden keine Rede, noch viel weniger von Dünger; ſeit Jahrtauſenden wird auf dieſen Feldern Getreide gezogen, ohne daß dem Boden wiedergegeben wird, was man ihm jährlich nimmt. Wie kann man unter ſolchen Verhält⸗ niſſen dem Humus eine Wirkung zuſchreiben, die nach tau— ſend Jahren noch bemerkbar iſt, dem Humus, von dem man Die Cultur. 135 nicht einmal weiß, ob er je ein Beſtandtheil dieſes Bodens war. Die Methode der Cultur, die man in dieſen Gegenden anwendet, erklärt dieſe Verhältniſſe vollkommen; es iſt in den Augen unſerer Landwirthe die ſchlechteſte von allen, für dieſe Gegenden hingegen die vortheilhafteſte, die man wählen kann. Man bebauet nemlich das Feld nur von drei zu drei Jahren, und läßt es in der Zwiſchenzeit Viehheerden zu einer ſpärlichen Weide dienen. Während der zweijährigen Brache hat das Feld keine andere Aenderung erlitten, als daß der Boden den Einflüſſen der Witterung ausgeſetzt geweſen iſt, eine gewiſſe Menge der darinn enthaltenen Alkalien iſt wieder in den Zu— ſtand der Aufſchließbarkeit übergegangen. Man muß erwägen, daß die Thiere, welche auf dieſen Feldern ſich ernährt haben, dem Boden nichts gaben, was er nicht vorher beſaß. Die Unkrautpflanzen, von denen ſie lebten, ſtammten von dieſem Boden, was ſie ihm in den Ererementen zurückgaben, mußte jedenfalls weniger betragen, als was ſie von ihm empfingen. Durch das Beweiden hat das Feld nichts gewonnen, es hat im Gegentheil von ſeinen Beſtandtheilen verloren. . N Als Princip des Feldbaues betrachtet man die Erfahrung, daß ſich Weizen nicht mit Weizen verträgt; der Weizen gehört wie der Tabak zu den Pflanzen, welche den Boden erſchöpfen. Wenn aber der Humus dem Boden die Fähigkeit geben kann, Getreide zu erzeugen, woher kommt es denn, daß der humusreiche Boden in vielen Gegenden Braſiliens, daß auch in unſerm Klima der Weizen in reiner Holzerde nicht gedeiht, daß der Halm keine Stärke erhält und ſich frühzeitig umlegt? Es kommt daher, weil die Feſtigkeit des Halmes von kieſel— ſaurem Kali herrührt, weil das Korn phosphorſaure Bittererde 136 Die Cultur. bedarf, die ihm der Humusboden nicht liefern kann, indem er keins von beiden enthält, man erhält Kraut aber keine Frucht. Woher kommt es denn, daß Weizen nicht auf Sandboden gedeiht, daß der Kalkboden, wenn er nicht eine beträchtliche Menge Thon beigemiſcht enthält, unfruchtbar für dieſe Pflanze iſt? Es kommt daher, weil dieſe Bodenarten für dieſes Ge— wächs nicht hinreichend Alkali enthalten, es bleibt ſelbſt davon in feiner Entwickelung zurück, wenn ihm alles andere im Ueber⸗ fluß dargeboten wird. Iſt es denn nur Zufall, daß in den Karpathen, im Jura auf Sandſtein und Kalk nur Nadelholz gedeiht, daß wir auf Gneuß, Glimmerſchiefer, auf Granitboden in Baiern, daß wir auf Klingſtein in der Rhön, auf Baſalt im Vogelsberge, auf Thonſchiefer am Rhein und in der Eifel die ſchönſten Laub— holzwaldungen finden, die auf Sandſtein und Kalk, worauf Fichten noch gedeihen, nicht mehr fortkommen? Es kommt daher, weil die Blätter des Laubholzes, welche jährlich ſich erneuern, zu ihrer Entwickelung die 6 bis 10fache Menge Al— kali erfordern. Sie finden auf kaliarmem Boden das Alkali nicht vor, ohne welches fie nicht zur Ausbildung gelangen ). Wenn auf Sandſtein und Kalkboden Laubholz vorkommt, wenn wir die Rothbuche, den Vogelbeerbaum, die wilde Süß— kirſche auf Kalk üppig gedeihen ſehen, ſo kann man mit Ge— wißheit darauf rechnen, daß in dem Boden eine Bedingung ihres Lebens, nemlich die Alkalien nicht fehlen. Kann es auffallend fein, daß nach dem Abbrennen von Na⸗ delholzwaldungen in Amerika, durch welche der Boden das in *) 1000 Theile trockener Eichenblätter geben 55 Theile Aſche, worinn ſich 24 Theile lösliche Alkalien befinden; dieſelbe Quantität Fichtenblätter giebt nur 29 Theile Aſche, welche 4, 6 Theile lösliche Salze ent— hält (Sauſſure). Die Cultur. 137 Jahrhunderten geſammelte Alkali empfängt, Laubholz gedeiht, daß Spartium scoparium, Erysimum latifolium, Blitum ca- pitatum, Senecio viscosus, lauter Pflanzen, welche eine an Alkali höchſt reiche Aſche geben, auf Brandſtätten in üppiger Fülle emporſproſſen? Nach Wermuth gedeiht kein Weizen, und umgekehrt auf Weizen kein Wehrmuth, ſie ſchaden ſich gegenſeitig, inſofern ſie ſich des Alkalis im Boden bemächtigen. Hundert Theile Weizenſtengel geben 15,5 Aſche (H. Davy), 100 Theile trockner Gerſtenſtengel 8,54 Theile Aſche (Schra— der), 100 Theile Haferſtengel nur 4,42 Aſche; dieſe Aſche iſt bei allen dieſen Pflanzen von einerlei Zuſammenſetzung. Sieht man hier nicht genau, was die Pflanze bedarf? Auf einem und demſelben Felde, das nur eine Ernte Weizen liefert, läßt ſich zweimal Gerſte und dreimal Hafer bauen. Alle Grasarten bedürfen des kieſelſauren Kalis; es iſt kie— ſelſaures Kali, was beim Wäſſern der Wieſen dem Boden zu— geführt, was in dem Boden aufgeſchloſſen wird; in Gräben und in kleinen Bächen, an Stellen, wo durch den Wechſel des Waſſers die aufgelöſ'te Kieſelerde ſich unaufhörlich erneuert, auf kalireichem Letten- und Thonboden, in Sümpfen gedeihen die Equiſetaceen, die Schilf- und Rohrarten, welche ſo große Mengen Kieſelerde oder kieſelſaures Kali enthalten, in der größten Ueppigkeit. Die Menge von kieſelſaurem Kali, welches in der Form von Heu den Wieſen jährlich genommen wird, iſt ſehr beträcht- lich. Man darf ſich nur an die zuſammengeſchmolzene glas— artige Maſſe erinnern, die man nach einem Gewitter zwiſchen Mannheim und Heidelberg auf einer Wieſe fand, und für einen Meteorſtein hielt; es war, wie die Unterſuchung ergab, kieſelſaures Kali; der Blitz hatte in einen Heuhaufen einge— 138 Die Cultur. ſchlagen, an deſſen Stelle man nichts weiter als die zuſam— mengefloſſene Aſche des Heues fand. Das Kali iſt aber für die meiſten Gewächſe nicht die ein— zige Bedingung ihrer Exiſtenz; es iſt darauf hingewieſen wor— den, daß es in vielen erſetzbar iſt durch Kalk, Bittererde und Natron, aber die Alkalien reichen allein nicht hin, um das Leben der Pflanzen zu unterhalten. In einer jeden bis jetzt unterſuchten Pflanzenaſche fand man Phosphorſäure, gebunden an Alkalien und alkaliſche Er⸗ den; die meiſten Saamen enthalten gewiſſe Mengen davon, die Saamen der Getreidearten ſind reich an Phosphorſäure, ſie findet ſich darinn vereinigt mit Bittererde. Die Phosphorſäure wird aus dem Boden von der Pflanze aufgenommen, alles culturfähige Land, ſelbſt die Lüneburger Haide, enthält beſtimmbare Mengen davon. In allen auf Phosphorſäure unterſuchten Mineralgewäſſern hat man gewiſſe Quantitäten davon entdeckt, wo ſie nicht gefunden worden iſt, hat man ſie nicht aufgeſucht. Die der Oberfläche der Erde am nächſten liegenden Schichten von Schwefelbleilagern ent— halten kryſtalliſirtes phosphorſaures Bleioxid (Grünbleierz); der Kieſelſchiefer, welcher große Lager bildet, findet ſich an vielen Orten bedeckt mit Kryſtallen von phosphorſaurer Thonerde (Wawellit); alle Bruchflächen find damit überzogen. Phos⸗ phorſaurer Kalk (Apatit) findet ſich ſelbſt in den vulkaniſchen Bomben des Laacher See's. Aus dem Boden gelangt die Phosphorſäure in die Saa— men, Blätter und Wurzeln der Pflanzen, aus dieſen in den Organismus der Thiere, indem ſie zur Bildung der Knochen, der phosphorhaltigen Beſtandtheile des Gehirns verwendet wird. Durch Fleiſchſpeiſen, Brod, Hülſenfrüchte gelangt bei weitem mehr Phosphor in den Körper, als er bedarf; durch Die Cultur. 139 den Urin und die feſten Excremente wird aller Ueberſchuß wie— der abgeführt. Man kann ſich eine Vorſtellung von dem Gehalt von phos— phorſaurer Bittererde in dem Getreide machen, wenn man ſich erinnert, daß die Steine in dem Blinddarm von Pferden, die ſich von Heu und Hafer nähren, aus phosphorſaurer Bitter— ‚erde und Ammoniak beſtehen. Aus dem Maſtdarm eines Mül— lerpferdes in Eberſtadt wurden nach ſeinem Tode 29 Steine genommen, die zuſammen über 3 Pfd. wogen, und Dr. Fr. Si⸗ mon beſchrieb vor Kurzem einen Stein von einem Fuhrmanns— pferde, deſſen Gewicht 47% Loth (über 700 Grammen) betrug. Es iſt klar, ohne phosphorſaure Bittererde, welche einen nie fehlenden Beſtandtheil der Saamen der Getreidearten aus— macht, wird ſich dieſer Saame nicht bilden können; er wird nicht zur Reife gelangen. Außer Kieſelſäure, Kali und Phosphorſäure, die unter kei⸗ nerlei Umſtänden in den Culturpflanzen fehlen, nehmen die Vegetabilien aus dem Boden noch fremde Stoffe, Salze auf, von denen man vorausſetzen darf, daß ſie die ebengenannten zum Theil wenigſtens in ihren Wirkungen erſetzen; in dieſer Form kann man bei manchen Pflanzen Kochſalz, ſchwefelſau— res Kali, Salpeter, Chlorkalium und andere als nothwendige Beſtandtheile betrachten. Der Thonſchiefer enthält meiſtens Einmiſchungen von Ku⸗ pferorid, der Glimmerboden enthält Fluormetalle. Von dieſen Beſtandtheilen gehen geringe Mengen in den Organismus der Pflanze über, ohne daß ſich behaupten läßt, fie ſeien ihr noth⸗ wendig. In gewiſſen Fällen ſcheint das Fluorcalcium den phosphor⸗ ſauren Kalk in den Knochen und Zähnen vertreten zu können, es läßt ſich ſonſt wenigſtens nicht erklären, woher es kommt, 140 Die Cultur. daß die nie fehlende Gegenwart derſelben in den Knochen der antediluvianiſchen Thiere als Mittel dienen kann, um ſie von Knochen aus ſpäteren Perioden zu unterſcheiden; die Schädel— knochen von Menſchen aus Pompeji ſind eben ſo reich an Flußſäure, wie die der vorweltlichen Thiere. Werden fie ge— pulvert in einem verſchließbaren Glasgefäß mit Schwefelſäure übergoſſen, ſo findet ſich dieſes auf der Innenſeite nach 24 Stunden auf's Heftigſte corrodirt (J. L.), während die Kno— chen und Zähne der jetzt lebenden Thiere nur Spuren davon enthalten (Berzelius). Beachtenswerth für das Wachsthum der Pflanzen iſt die Erfahrung von de Sauſſure, daß in den verſchiedenen Stadien ihrer Entwickelung die Vegetabilien ungleiche Men⸗ gen von den Beſtandtheilen des Bodens bedürfen. Weizen⸗ pflanzen lieferten ihm einen Monat vor der Blüthe , in der Blüthe , und mit reifem Saamen nur Joo Aſche. Man ſieht offenbar, daß ſie dem Boden, von der Blüthe an einen Theil feiner anorganiſchen Beſtandtheile wieder zurück— geben, aber die phosphorſaure Bittererde iſt im Saamen zus rückgeblieben. Die Brache iſt, wie ſich aus dem Vorhergehenden ergiebt, die Periode der Cultur, wo man das Land einer fortſchreiten- den Verwitterung vermittelſt des Einfluſſes der Atmoſphäre überläßt, in der Weiſe, daß eine gewiſſe Quantität Alkali wieder fähig gemacht wird, von einer Pflanze aufgenommen zu werden. Es iſt klar, daß die ſorgfältige Bearbeitung des Brach— landes ſeine Verwitterung beſchleunigt und vergrößert; für den Zweck der Cultur iſt es völlig gleichgültig, ob man das Land mit Unkraut ſich bedecken läßt, oder ob man eine Pflanze darauf baut, welche dem Boden das aufgeſchloſſene Kali nicht entzieht. Die Cultur. 141 Unter der Familie der Leguminoſen ſind viele Arten aus— gezeichnet durch ihren geringen Gehalt von Alkalien und Sal— zen überhaupt; die Bohne der Vicia faba enthält z. B. kein freies Alkali, und an phosphorſaurem Kalk und Bittererde noch kein ganzes Procent (Einhof); die grünen Blätter und Scho— ten von Pisum sativum enthalten nur oo phosphorſaure Salze, die reifen Erbſen geben im Ganzen nur 1,93 Aſche, darinn 0,29 phosphorſauren Kalk (Einhof). Die Bohne von Phaseolus vulgaris enthält nur Spuren von Salzen (Braconnot). Der Stamm von Medicago Sativa enthält nur 0,83 p. c., Ervum lens nur 0,57 p. e. phosphorſauren Kalk mit Eiweiß (Crome). Der Buchweizen an der Sonne getrocknet, liefert im Ganzen nur 0,681 p. c. Aſche und darinn nur 0,09 Theile löslicher Salze (Zen neck). Die obenerwähnten Pflanzen gehören zu den ſogenannten Brachfrüchten, in ihrer Zuſammenſetzung liegt der Grund, warum ſie dem Getreide, was nach ihnen gepflanzt wird, nicht ſchaden; ſie entziehen dem Boden keine Alkalien, ſondern nur eine verſchwindende Menge von phosphorſauren Salzen. Es iſt klar, daß zwei Pflanzen neben einander wachſend ſich gegenſeitig ſchaden, wenn ſie dem Boden einerlei Nah— rungsſtoffe entziehen, und es kann nicht auffallend fein, daß Matricaria Chamomilla, Spartium scoparium das Aufkommen des Getreides hindern, wenn man berückſichtigt, daß beide 7 bis 7,43 p. c. Aſche geben, die 10 kohlenſaures Kali enthält. Der Lolch (Trespe), das Freiſamkraut (Erigeron acre), kommen gleichzeitig mit dem Getreide zur Blüthe und Frucht— bildung; in dem Getreide wachſend, werden ſich beide Pflanzen in die Beſtandtheile des Bodens theilen, mit der Stärke der Entwickelung der einen wird die der andern abnehmen müſſen, was die eine aufnimmt, entgeht der andern. 142 Die Cultur. Zwei Pflanzen werden neben einander oder hinter einander gedeihen, wenn ſie aus dem Boden verſchiedenartige Materien zu ihrer Ausbildung nöthig haben, oder wenn die Stadien ihres Wachsthums, die Blüthe und 2 weit aus⸗ einander liegen. Auf einem an Kali reichen Boden kann man mit Vortheil Weizen nach Taback bauen, denn der Taback bedarf keiner phos⸗ phorſauren Salze, die dem Weizen nicht fehlen dürfen; dieſe Pflanze hat nur Alkalien und ſtickſtoffreiche Nahrungsmitel nöthig. Nach der Analyſe von Poſſelt und Reimann enthalten 10,000 Theile Tabacksblätter 16 Theile phosphorſauren Kalk, 8,8 Kieſelerde und keine Bittererde, während die gleiche Menge Weizenſtroh 47,3 Theile, und die nemliche Quantität Weizenkör⸗ ner 99,45 Theile phosphorſaure Salze enthalten (Sauſſure). Nehmen wir an, daß die Weizenkörner halb ſo viel wie— gen als das Stroh, ſo verhalten ſich die phosphorſauren Salze, welche vom Weizen und Taback von gleichen Gewichten der— ſelben entzogen werden, wie 97,7: 16. Dieß iſt ein höchſt be— deutender Unterſchied. Die Wurzeln des Tabacks nehmen ſo gut wie die des Weizens die in dem Boden enthaltenen phos— phorſauren Salze auf, allein der erſtere giebt ſie ihm wieder zurück, weil ſie zu ſeiner Ausbildung nicht weſentlich noth— wendig ſind. Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. 143 Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. Man hat ſeit Langem ſchon die Erfahrung gemacht, daß einjährige Culturgewächſe, auf einem und demſelben Boden hin⸗ ter einander folgend, in ihrem Wachsthum zurückbleiben, daß ihr Ertrag an Frucht oder Kraut abnimmt, daß trotz des Verluſtes an Zeit eine größere Menge Getreide geerntet wird, wenn man das Feld ein Jahr lang unbebaut liegen läßt. Nach dieſer Zeit ſogenannter Ruhe erhält der Boden zum großen Theil ſeine urſprüngliche Fruchtbarkeit wieder. Man hat ferner beobachtet, daß gewiſſe Pflanzen, wie Erb— ſen, Klee, Lein, auf einem und demſelben Felde erſt nach einer Reihe von Jahren wieder gedeihen, daß andere, wie Hanf, Taback, Topinambur, Roggen, Hafer, bei gehöriger Düngung hintereinander gebaut werden können; man hat gefunden, daß manche den Boden verbeſſern, andere ihn ſchonen, und die letzte und häufigſte Klaſſe den Boden angreifen oder erſchöpfen. Zu dieſen gehören die Brachrüben, Kopfkohl, Runkelrüben, Dinckel, Sommer- und Wintergerſte, Roggen und Hafer; man rechnet fie zu den angreifenden; Weizen, Hopfen, Krapp, Stop: pelrüben, Raps, Hanf, Mohn, Karden, Lein, Paſtel, Wau, Süßholz betrachtet man als erſchöpfende. Die Excremente von Thieren und Menſchen ſind ſeit den älteſten Zeiten als Mittel angeſehen worden, um die Frucht— barkeit des Bodens zu ſteigern. Es iſt eine durch zahlloſe Er— fahrungen feſtgeſtellte Wahrheit, daß ſie dem Boden gewiſſe 144 Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. Beſtandtheile wiedergeben, welche ihm in der Form von Wur⸗ zeln, von Kraut oder Frucht genommen wurden. Aber auch bei der reichlichſten Düngung mit dieſen Mate⸗ rien hat man die Erfahrung gemacht, daß die Ernte nicht im— mer mit der Düngung im Verhältniß ſteht, daß der Ertrag vieler Pflanzen, trotz dem ſcheinbaren Erſatz durch Dünger, abnimmt, wenn ſie mehrere Jahre hintereinander auf dem nemlichen Felde gebaut wird. | Auf der anderen Seite machte man die Beobachtung, daß ein Feld, was unfruchtbar für eine gewiſſe Pflanzengattung war, deshalb nicht aufgehört hatte, fruchtbar für eine andere zu ſein, und hieraus hat ſich denn in einer Reihe von Jahren ein Syſtem der Feldwirthſchaft entwickelt, deſſen Hauptaufgabe es iſt, einen möglichſt hohen Ertrag mit dem kleinſten Aufwand von Dünger zu erzielen. Es ging aus dieſen Erfahrungen zuſammengenommen herz vor, daß die Pflanzen verſchiedenartige Beſtandtheile des Bo⸗ dens zu ihrem Wachsthum bedürfen, und ſehr bald ſah man ein, daß die Mannigfaltigkeit der Cultur ſo gut wie die Ruhe (Brache) die Fruchtbarkeit des Bodens erhalte. Es war offen- bar, daß alle Pflanzen dem Boden in verſchiedenen Verhält— niſſen gewiſſe Materien zurückgeben mußten, die zur Nahrung einer folgenden Generation verwendet werden konnten. Von chemiſchen Principien, geſtützt auf die Kenntniß der Materien, welche die Pflanzen dem Boden entziehen, und was ihm in dem Dünger zurückgegeben wird, iſt bis jetzt in der Agricultur keine Rede geweſen. Ihre Ausmittelung iſt die Aufgabe einer künftigen Generation, denn was kann von der gegenwärtigen erwartet werden, welche mit einer Art von Scheu und Mißtrauen alle Hülfsmittel zurückweiſ't, die ihr von der Chemie dargeboten werden, welche die Kunſt nicht Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. 145 kennt, die Entdeckungen der Chemie auf eine rationelle Weiſe zur Anwendung zu bringen. Eine kommende Generation wird aus dieſen Hülfsmitteln unberechenbare Vortheile ziehen. Unter allen Vorſtellungen, die man ſich über die Urſache der Vortheilhaftigkeit des Fruchtwechſels geſchaffen hat, verdient die Theorie des Herrn de Candolle als die einzige genannt zu werden, welche eine feſte Grundlage beſitzt. De Candolle nimmt an, daß die Wurzeln der Pflan— zen, indem ſie jede Art von löslichen Materien aufſaugen, unter dieſen eine Menge Subſtanzen in ihre Maſſe aufnehmen, welche unfähig zu ihrer Nahrung ſind. Dieſe Materien wer— den durch die Wurzeln wieder abgeſchieden, und kehren als Excremente in den Boden zurück. Als Exeremente können ſie von derſelben Pflanze zu ihrer Aſſimilation nicht verwendet werden, und je mehr der Boden von dieſen Stoffen enthält, deſto unfruchtbarer muß er für die nemliche Pflanze werden. Dieſe Materien können aber, nach de Candolle, von einer zweiten Pflanzengattung aſſimilirbar ſein; indem ſie einer andern Pflanze zur Nahrung dienen, wird dieſe den Boden von dieſen Exerementen befreien und damit ihn wie— der für die erſte Pflanze fruchtbar machen, wenn ſie ſelbſt durch ihre Wurzeln Stoffe abſondert, die der erſteren zur Nah— rung dienen, ſo wird der Boden dadurch auf doppelte Weiſe gewinnen. Eine Menge Erfahrungen ſcheinen von vorn herein dieſer Anſicht einen hohen Grad von Wahrſcheinlichkeit zu geben. ‘es der Gärtner weiß, daß man an der Stelle eines Fruchtbaums keinen zweiten derſelben Art zum Wachſen bringt, oder erſt nach einer gewiſſen Reihe von Jahren. Bei dem Ausrotten von Weinbergen geht einer neuen Bepflanzung mit Wein- 10 146 Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. ſtöcken ſtets die mehrjährige Bebauung des Bodens mit anderen Culturgewächſen voraus. Man hat damit die Erfahrung in Verbindung gebracht, daß manche Pflanzen aufs beſte neben einander gedeihen, daß ſich hingegen andere gegenſeitig in ihrer Entwickelung hindern. Man folgerte daraus, daß die Begünſtigung in einer Art von gegenſeitiger Ernährung, und umgekehrt die Hinderung des Wachsthums auf einer Art von Vergiftung durch die Exere— mente beruhe. Eine Reihe directer Verſuche von Macaire-Princep, durch welche die Fähigkeit vieler Pflanzen, durch ihre Wurzeln extractartige Materien abzuſondern, auf eine evidente Weiſe bewieſen und außer allen Zweifel geſtellt wurde, gaben dieſer Theorie ein großes Gewicht; er fand, daß die Exeretionen reichlicher waren bei Nacht als am Tage (?), daß das Waſſer, worinn er Pflanzen aus der Familie der Leguminoſen hatte vegetiren laſſen, ſich braun färbte; Pflanzen derſelben Art, die er in dieſem mit Excrementen angeſchwängerten Waſſer pege- tiren ließ, blieben in ihrem Wachsthum zurück und welkten ziemlich ſchnell; Getreidepflanzen hingegen wuchſen darinn fort, und es war eine bemerkbare Abnahme der Farbe der Flüſſigkeit damit wahrnehmbar, ſo daß es ſchien, als ob in der That eine gewiſſe Menge der Exeremente der Leguminoſen in die Getreidepflanzen übergegangen ſei. Als Reſultat dieſer Verſuche ſtellte ſich heraus, daß die Beſchaffenheit und die Eigenſchaften der Exeremente verſchie— denartiger Pflanzengattungen von einander abweichen; die einen ſondern ſcharfe und harzartige, die anderen milde (douce) und gummiähnliche Stoffe aus, die erſteren können nach Macaire— Princep als Gifte, die andern als Nahrungsmittel ange— ſehen werden. Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. 147 Dieſe Verſuche ſind poſitive Beweiſe, daß die Wurzeln, man kann ſagen, aller Pflanzen, Materien abſondern, die in ihrem Organismus weder in Holzfaſer, noch in Stärke, vege— tabiliſches Eiweiß, Kleber ꝛc. verwandelt werden konnten, denn ihre Ausſcheidung ſetzt voraus, daß ſie hierzu völlig unfähig ſind; aber ſie können nicht als Beſtätigungen der Theorie des Herrn de Candolle angeſehen werden, denn ſie laſſen völlig unentſchieden, ob die Stoffe aus dem Boden ſtammen, oder ob ſie durch den Lebensproceß der Pflanze gebildet worden ſind. Es iſt ſicher, daß die gummigen (gommeux) und harzigen Excremente, welche Macaire-Princep beobachtete, nicht in dem Boden enthalten waren, und da der Boden an Kohlen— ftoff durch die Cultur nicht ärmer wird, ſondern im Gegen— theile ſich noch verbeſſert, ſo muß man hieraus ſchließen, daß alle Excremente, welche Kohlenſtoff enthalten, von den Nah— rungsmitteln herrühren, welche die Pflanze aus der Luft auf— nimmt. Es find dieß Verbindungen, die in Folge der Meta- morphoſe der Nahrungsmittel, in Folge der neuen Formen gebildet werden, die ſie annehmen, wenn ſie zu Beſtandtheilen des Organismus werden. Die Anſicht des Herrn de Candolle iſt eigentlich eine Art von Erläuterung einer frühern Theorie der Wechſelwirth— ſchaft, welche vorausſetzt, daß die Wurzeln verſchiedener Pflan— zen verſchiedene Nahrungsmittel dem Boden entziehen, jede Pflanze eine Materie von beſonderer Beſchaffenheit, die ſich gerade zu ihrer Aſſimilation eignet. Die ältere Anſicht ſetzt voraus, daß die nicht aſſimilirbaren Stoffe dem Boden nicht entzogen, die Anſicht des Herrn de Candolle, daß ſie ihm in der Form von Exerementen wieder zurückgegeben werden. Nach beiden erklärt ſich, woher es kommt, daß man nach Getreide kein Getreide, nach Erbſen keine Erbſen ꝛc. mit Vor⸗ 10 * 148 Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. theil ziehen kann, ſie erklärt aber nicht, wie und auf welche Weiſe die Brache das Feld, und zwar um ſo mehr verbeſſert, je ſorgfältiger es bearbeitet wird, woher es kommt, daß beim Anbau gewiſſer Pflanzen, von Lucerne, Eſparſette, der Boden an kohlenſtoffreichen Materien gewinnt. Nach den theoretiſchen Betrachtungen über den Ernährungs⸗ proceß, ſo wie den Erfahrungen aller Landwirthe, welche eine ſo ſchöne Erläuterung durch die Verſuche von Macaire-Princep gefunden haben, unterliegt es keinem Zweifel, daß die Wurzeln der Pflanzen Materien ausſchwitzen, durch die ſie dem Boden den Kohlenſtoff wiedergeben, den ſie von ſeinem Humus in ihrer früheſten Periode der Entwickelung empfangen haben. Können aber, kann man fragen, dieſe Exeremente in der Form, in welcher ſie abgeſchieden werden, zur Ernährung irgend einer andern Pflanze dienen? Die Excremente eines Fleiſchfreſſers enthalten keinen Be⸗ ſtandtheil mehr, der zur Ernährung eines andern fleiſchfreſſen⸗ den Thieres ſich eignet; es iſt aber möglich, daß ein gras— oder körnerfreſſendes Thier, ein Fiſch oder Vogel, darinn noch unverdaute Materien vorfindet, die durch ihren Organismus verdaubar ſind, eben weil ihre Verdauungswerkzeuge eine an— dere Einrichtung haben. Nur in dieſem Sinne iſt es denkbar, daß die Excremente eines Thieres Nahrungsſtoffe für ein an⸗ deres abgeben können. In den Nahrungsmitteln, die ein Thier genießt, kommt in den Organismus eine Menge von Stoffen, welche durch die Organe der Ernährung keine Veränderung erfahren, fie wer— den von ihm wieder ausgeſtoßen, es ſind dieß Exeremente, aber keine Excretionen; dieſe Art von Ererementen kann von einem Thiere mit anderen Verdauungswerkzeugen aufſchließbar, ein Theil davon kann von dieſem aſſimilirbar ſein. In Folge Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. 149 der Veränderungen, durch welche die aſſimilirbaren Stoffe zu Chymus und Chylus werden, in Folge von neuen Metamor⸗ phoſen, die dieſe wieder erleiden, inſofern ſie zu Beſtandtheilen des Organismus werden, ſcheiden die Organe der Seeretion Verbindungen aus, die in den Nahrungsmitteln nur ihren Ele⸗ menten nach enthalten waren. Dieſe letzteren ſtößt der Organismus als Exeremente eben— falls aus, und es iſt hieraus klar, daß die Excremente aus zweierlei Stoffen beſtehen müſſen, von denen die einen unver- daubare Gemeng- oder Beſtandtheile der Nahrungsmittel, die anderen aber durch den Lebensproceß neugebildete Verbindungen ſind; ſie ſind entſtanden in Folge der Bildung von Fett, von Muskelfaſer, Hirn- und Nervenſubſtanz, und find durchaus uns fähig, in irgend einem andern thieriſchen Organismus zu Fett, Eiweiß, Muskelfaſer, Gehirn- und Nervenſubſtanz metamorpho⸗ ſirt zu werden. In dem Lebensproceß der Pflanzen muß ein ganz ähnliches Verhältniß ſtattfinden. Wenn unter den Stoffen, welche von den Wurzeln einer Pflanze aus dem Boden aufgenommen werden, ſich ſolche befin— den, die ſie zu ihrer Ernährung nicht verwendet, ſo müſſen ſie dem Boden wieder zurückgegeben werden; Exeremente dieſer Art können einer zweiten und dritten Pflanze zu ihrer Nahrung dienlich, zu ihrem Beſtehen ſelbſt unentbehrlich ſein, allein die in dem Organismus der Vegetabilien durch den Ernährungs— proceß neugebildeten Materien, die alſo in Folge der Er— zeugung von Holzfaſer, Amylon, Eiweiß, Kleber, Gummi, Säuren ꝛc. entſtanden find, fie können in keiner andern Pflan- zengattung zur Bildung von Holzfaſer, Amylon, Eiweiß, Kleber ꝛc. verwendet werden. Man wird aus dieſen Betrachtungen die Verſchiedenheit 150 Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. in den Anſichten de Candolle's und Macaire Princep's entnehmen können. Die Stoffe, welche der erſtere mit Exere- menten bezeichnet, gehörten dem Boden an, es ſind unverdaute Nahrungsmittel, welche die eine Pflanze verwenden kann, während fie einer andern entbehrlich find, Die Materien hin— gegen, welche Macaire-Princ ep mit Exerementen bezeichnet, ſie können nur in einer einzigen Form zur Nahrung der Ve— getabilien dienen. Es iſt wohl kaum nöthig, daran zu erinnern, daß dieſe Exrere- mente im zweiten Jahre ihre Beſchaffenheit geändert haben müſſen; in dem erſten iſt der Boden damit angeſchwängert worden, während des Herbſtes und Winters gehen ſie durch die Ein— wirkung des Waſſers und der Luft einer Veränderung ent— gegen, ſie werden in Fäulniß und durch häufige Berührung mit der Luft, durch Umackern in Verweſung übergeführt. Mit dem Beginn des Frühlings ſind ſie ganz oder zum Theil in eine Materie übergegangen, welche den Humus erſetzt, in eine Subſtanz, die ſich in einem fortdauernden Zuſtande der Koh⸗ lenſäure⸗Entwickelung befindet. Die Schnelligkeit dieſer Verweſung hängt von den Beftand- theilen des Bodens, von ſeiner mehr oder weniger poröſen Beſchaffenheit ab. In einem an Kalk reichen Boden erhöht die Berührung mit dieſem alkaliſchen Beſtandtheile die Fähig— keit der organiſchen Exeremente, Sauerſtoff anzuziehen und zu verweſen, ſie wird durch die meiſtens poröſere Beſchaffenheit dieſer Bodenart, welche der Luft freien Zutritt geſtattet, aus⸗ nehmend beſchleunigt. In ſchwererem Thon- oder Lehmboden erfordert ſie längere Zeit. In dem einen Boden wird man die nemliche Pflanze nach dem 2ten Jahre, in anderen Bodenarten nach dem Sten oder Ien Jahre mit Vortheil wieder bauen können, weil die Ver⸗ Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. 151 wandlung und Zerſtörung der auf ihre Entwickelung ſchädlich einwirkenden Erxcremente in dem einen Fall ſchon in dem 2ten, und im andern erſt im 9ten Jahre vollendet iſt. In der einen Gegend geräth der Klee auf dem nemlichen Felde erſt im 6ten, in andern erſt im 12ten, der Lein im Zten und 2ten Jahre wieder. Alles dieſes hängt von der chemiſchen Beſchaffenheit des Bodens ab, denn in den Gegenden, wo die Zeit der Cultur einer und der nemlichen Pflanze weit ausein— ander gelegt werden muß, wenn ſie mit Vortheil gebaut wer— den ſollen, hat man die Erfahrung gemacht, daß ſelbſt bei Anwendung von reichlichem Dünger dieſe Zeit nicht verkürzt werden kann, eben weil die Zerſtörung ihrer eigenen Exere— mente einer neuen Cultur vorangehen muß. Lein, Erbſen, Klee, ſelbſt Kartoffeln gehören zu denjenigen Pflanzen, deren Excremente auf Thonboden die längſte Zeit zu ihrer Humifizirung bedürfen, aber es iſt klar, daß die An— wendung von Alkalien, von ſelbſt kleinen Mengen unausge⸗ laugter Aſche, gebranntem Kalke das Feld in bei weitem kür⸗ zerer Zeit wieder in den Stand ſetzen muß, den Anbau der nämlichen Pflanze wieder zu geſtatten. Der Boden erlangt in der Brache einen Theil ſeiner frü— heren Fruchtbarkeit ſchon dadurch wieder, weil in der Zeit der Brache, neben der fortſchreitenden Verwitterung die Zerſtörung oder Humiſizirung der darinn enthaltenen Exeremente erfolgt. Eine Ueberſchwemmung erſetzt die Brache in kalireichem Boden in der Nähe des Rheins, des Nils, wo man ohne Nachtheil auf denſelben Aeckern hintereinander Getreide baut. Eben ſo vertritt das Wäſſern der Wieſen die Wirkung der Brache; das an Sauerſtoff ſo reiche Waſſer der Bäche und Flüſſe bewirkt, indem es ſich unaufhörlich erneuert und alle Theile des Bodens durchdringt, die ſchnellſte und vollſtändigſte 152 Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. Verweſung der angehäuften Excremente. Wäre es das Waſſer allein, was der Boden aufnimmt, ſo würden ſumpfige Wieſen die fruchtbarſten ſein. Es ergiebt ſich aus dem Vorhergehenden, daß die Bortheil- haftigkeit des Fruchtwechſels auf zwei Urſachen beruht. In einem fruchtbaren Boden muß eine Pflanze alle zu ihrer Entwickelung unentbehrlichen anorganiſchen Beſtandtheile in hinreichender Menge und in einem Zuſtande vorfinden, welcher der Pflanze ihre Aufnahme geſtattet. Alle Pflanzen bedürfen der Alkalien, die eine Pflanze, wie die Gramineen, in der Form von kieſelſauren, die andere in der Form von weinſauren, citronenſauren, eſſigſauren, kleeſau⸗ ren ꝛc. Salzen. Enthalten ſie das Alkali an Kieſelſäure gebunden, ſo geben fie beim Verbrennen eine Aſche, welche mit Säuren keine Koh—⸗ lenſäure entwickelt; ſind die Alkalien mit organiſchen Säuren vereinigt geweſen, ſo brauſ't ihre Aſche mit Säuren auf. Eine dritte Pflanzengattung bedarf des phosphorſauren Kalks, eine andere der phosphorſauren Bittererde, manche kön⸗ nen ohne kohlenſauren Kalk nicht gedeihen. Die Kieſelſäure iſt die erſte feſte Subſtanz, welche in die Pflanze gelangt; ſie ſcheint die Materie zu ſein, von der aus die Holzbildung ihren Anfang nimmt, und ähnlich zu wirken wie ein Stäubchen, an das ſich in einer kryſtalliſirenden Salz⸗ löſung die erſten Kryſtalle bilden. Aehnlich wie die Holzfaſer bei vielen Lichenen durch ein kryſtalliſirbares Salz, durch klee— ſauren Kalk ſich vertreten findet, nimmt die Kieſelerde bei den Equiſetaceen und dem Bambus die Form und Function des Holzkörpers an. Bepflanzen wir nun einen Boden mehrere Jahre hinter- einander mit verſchiedenen Gewächſen, von welchen das erſte Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. 153 in dem Boden die anorganiſchen Beſtandtheile zurückläßt, welche das zweite, dieſes wieder, was das dritte bedarf, ſo wird er für dieſe drei Pflanzengattungen fruchtbar ſein. Wenn nun die erſte Pflanze z. B. Weizen iſt, welcher die größte Menge kieſelſaures Kali conſumirt, während die auf ihn folgenden Pflanzen nur eine geringe Menge Kali dem Boden entziehen, wie Leguminoſen, Hackfrüchte ꝛc., ſo wird man nach dem vierten Jahre wieder Weizen mit Vortheil bauen können, denn während dreier Jahre iſt der Boden durch die Verwitte— rung wieder fähig geworden, kieſelſaures Kali in hinreichender Menge an die jungen Pflanzen abzugeben. Für die anderen organiſchen Beſtandtheile muß für ver— ſchiedene Pflanzen, wenn ſie hinter einander gedeihen ſollen, ein ähnliches Verhältniß berückſichtigt werden. Eine Aufeinanderfolge von Gewächſen, welche dem Bo— den einerlei Beſtandtheile entziehen, muß im Allgemeinen ihn nach und nach völlig unfruchtbar für dieſe Pflanzen machen. Eine jede dieſer Pflanzen hat während ihres Wachsthums eine gewiſſe Menge kohlenſtoffreicher Materien an den Boden zurückgegeben, welche nach und nach in Humus übergingen, die meiſten ſo viel Kohlenſtoff, als ſie in der Form von Koh— lenſäure von dem Boden empfingen; allein wenn auch dieſer Gehalt in der Periode des Wachsthums für manche Pflanzen ausreicht, um ſie zur vollendeten Entwickelung zu bringen, ſo iſt er dennoch nicht hinreichend, um gewiſſe Theile ihrer Or— gane derſelben, Saamen und Wurzeln, mit einem Maximum von Nahrung zu verſehen. Die Pflanze dient in der Agricul— tur als Mittel, um Gegenſtände des Handels oder Nahrungs— mittel für Thiere und Menſchen zu produciren, aber ein Ma— rimum am Ertrag, ſteht genau im Verhältniß zu der Menge 154 Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. der Nahrungsſtoffe, die ihr in der erſten Zeit ihrer Entwicke⸗ lung dargeboten werden. Dieſe Nahrungsmittel ſind Kohlenſäure, welche der Boden in der Form von Humus, es iſt Stickſtoff, den er in der Form von Ammoniak erhalten muß, wenn dieſer Zweck erreicht wer⸗ den ſoll. Die Bildung von Ammoniak kann auf dem Culturlande nicht bewirkt werden, wohl aber eine künſtliche Humuserzeu⸗ gung. Dieſe muß als eine Hauptaufgabe der Wechſelwirth⸗ ſchaft und als zweite Urſache ihrer Vortheilhaftigkeit angeſehen werden. Das Anſäen eines Feldes mit einer Brachfrucht, mit Klee, Roggen, Lupinen, Buchweizen ꝛc., und die Einverleibung der ihrer Blüthe nahen Pflanzen in den Boden, durch Umackern, löſ't dieſe Aufgabe inſofern, als bei einer neuen Einſaat die ſich entwickelnde junge Pflanze in einer gewiſſen Periode ihres Lebens ein Maximum von Nahrung, d. h. eine verweſende Materie vorfindet. Den gleichen Zweck erreicht man, und noch vollſtändiger und ſicherer, durch Bepflanzung des Feldes mit Esparſette oder Lucerne. Dieſe durch eine ſtarke Wurzelverzweigung und eben ſo ſtarken Blätterwuchs ausgezeichneten Pflanzen bedürfen aus dem Boden nur einer geringen Menge von anorganiſchen Stoffen. Bis zu einem gewiſſen Grade der Entwickelung ge⸗ kommen, bleibt ihnen alle Kohlenſäure, alles Ammoniak, was die Luft und der Regen zuführen; was der Boden nicht auf— nimmt, ſaugen die Blätter ein; ſie ſind es, durch welche die aſſimilirende Oberfläche vervier- oder verſechsfacht wird, welche die Verdunſtung des Ammoniaks auf der Bodenfläche hindern, indem ſie ſie wie eine Haube bedecken. Eine unmittelbare Folge der Erzeugung von Blattgrün und Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. 155 der übrigen Beſtandtheile der Blätter und Stengel iſt die eben ſo reichliche Ausſcheidung von organiſchen Stoffen, die der Bo— den als Excremente der Wurzeln erhält. Dieſe Bereicherung des Bodens mit Stoffen, welche fähig ſind, in Humus überzugehen, dauert mehrere Jahre hinterein— ander, aber nach einer gewiſſen Zeit entſtehen darauf kahle Stellen. Es iſt klar, daß nach 5 — 7 Jahren die Erde in dem Grade mit dieſen Excrementen ſich aufſchwängert, daß jede Wurzelfaſer damit umgeben iſt; in dem auflöslichen Zuſtande, den ſie eine Zeitlang bewahren, wird ein Theil davon wieder von der Pflanze aufgenommen, auf welche ſie nachtheilig wir— ken, indem ſie nicht aſſimilirbar ſind. Beobachtet man nun ein ſolches Feld eine gewiſſe Reihe von Jahren hindurch, ſo ſieht man deutlich, daß die kahlen Flecke ſich wieder mit Vegetation (immer derſelben Pflanze) bedecken, während andere kahl und anſcheinend unfruchtbar für die nemliche Pflanze werden. Dieß geht denn abwechſelnd ſo fort. Die Urſachen dieſes Kahl- und abwechſelnd Fruchtbarwer— dens ſind einleuchtend. Die Exeremente auf den kahlen Plä— tzen erhalten keinen neuen Zuwachs; dem Einfluß der Luft und Feuchtigkeit preisgegeben, gehen ſie in Verweſung über, ihr ſchädlicher Einfluß hört auf; die Pflanze findet von dieſen Stellen die Materien entfernt, die ihr Wachsthum hinderten, ſie trifft im Gegentheile wieder Humus (verweſende Pflanzen— ſtoffe) an. Eine beſſere und zweckmäßigere Humuserzeugung, als wie die durch eine Pflanze, deren Blätter Thieren zur Nahrung dienen, iſt wohl kaum denkbar; als Vorfrucht find dieſe Pflan- zen einer jeden andern Gattung nützlich, namentlich aber denen, 156 Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. welche wie Raps und Lein vorzugsweiſe des Humus bedürfen, von unſchätzbarem Werthe. Die Urſachen der Vortheilhaftigkeit des Fruchtwechſels, die eigentlichen Principien der Wechſelwirthſchaft, beruhen hiernach auf einer künſtlichen Humuserzeugung und auf der Bebauung des Feldes mit verſchiedenartigen Pflanzen, die in einer ſolchen Ordnung auf einander folgen, daß eine jede nur gewiſſe Be⸗ ſtandtheile entzieht, während ſie andere zurückläßt oder wieder⸗ giebt, die eine zweite und dritte Pflanzengattung zu ihrer Aus⸗ bildung und Entwickelung bedürfen. Wenn nun auch der Humusgehalt eines Bodens durch zweckmäßige Cultur in einem gewiſſen Grade beſtändig geftei- gert werden kann, fo erleidet es demumgeachtet nicht den klein— ſten Zweifel, daß der Boden an den beſonderen Beſtandthei— len immer ärmer werden muß, die in den Saamen, Wurzeln und Blättern, welche wir hinweggenommen haben, enthalten waren. Nur in dem Fall wird die Fruchtbarkeit des Bodens ſich unverändert erhalten, wenn wir ihnen alle dieſe Subſtanzen wieder zuführen und erſetzen. Dieß geſchieht durch den Dünger. Wenn man erwägt, daß ein jeder Beſtandtheil des Kör⸗ pers der Thiere und Menſchen von den Pflanzen ſtammt, daß kein Element davon durch den Lebensproceß gebildet werden kann, ſo iſt klar, daß alle anorganiſchen Beſtandtheile der Thiere und Menſchen, in irgend einer Beziehung, als Dünger betrad)- tet werden müſſen. 0 Während ihres Lebens werden die anorganiſchen Beſtand⸗ theile der Pflanzen, welche der animaliſche Organismus nicht bedurfte, in der Form von Excrementen wieder ausgeſtoßen, nach ihrem Tode geht der Stickſtoff, der Kohlenſtoff in den Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. 157 Proceſſen der Fäulniß und Verweſung als Ammoniak und Kohlenſäure wieder in die Atmoſphäre über; es bleibt zuletzt nichts weiter als die anorganiſchen Materien, der phosphor— ſaure Kalk und andere Salze in den Knochen zurück. Eine rationelle Agricultur muß dieſen erdigen Rückſtand, ſo gut wie die Excremente, als kräftigen Dünger für gewiſſe Pflanzen betrachten, der dem Boden, von dem er in einer Reihe von Jahren entnommen worden iſt, wiedergegeben wer— den muß, wenn ſeine Fruchtbarkeit nicht abnehmen ſoll. Sind nun, kann man fragen, die Excremente der Thiere, welche als Dünger dienen, alle von einerlei Beſchaffenheit, beſitzen ſie einerlei Fähigkeit, das Wachsthum der Pflanzen zu befördern, iſt ihre Wirkungsweiſe in allen Fällen die näm— liche? Dieſe Fragen ſind durch die Betrachtung der Zuſammen— ſetzung der Exeremente, leicht zu löſen, denn durch die Kennt— niß derſelben erfahren wir, was denn eigentlich der Boden durch ſie wieder empfängt. Nach der gewöhnlichen Anſicht über die Wirkung der feſten thieriſchen Exeremente beruht ſie auf den verwesbaren organi— ſchen Subſtanzen, welche den Humus erſetzen, und auf ihrem Gehalte an ſtickſtoffreichen Stoffen, denen man die Fähigkeit zuſchreibt, von der Pflanze aſſimilirt und in Kleber und die anderen ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheile verwendet zu werden. Dieſe Anſicht entbehrt, in Beziehung auf den Stickſtoffge— halt des Kothes der Thiere, einer jeden Begründung. Dieſe Excremente enthalten nemlich ſo wenig Stickſtoff, daß ihr Gehalt davon nicht in Rechnung genommen werden kann; ſie können durch ihren Stickſtoffgehalt unmöglich eine Wirkung auf die Vegetation ausüben. Ohne weitere Unterſuchung wird man ſich eine klare Vor— 158 Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. ſtellung über ihre chemiſche Beſchaffenheit in Hinſicht auf ihren Stickſtoffgehalt machen können, wenn man die Excremente eines Hundes mit ſeiner Nahrung vergleicht. Wir geben dem Hunde Fleiſch und Knochen, beide ſind reich an organiſchen ſtickſtoffhaltigen Subſtanzen, und wir erhalten als das Reſultat ihrer Verdauung ein völlig weißes, mit Feuchtigkeit durch⸗ drungenes Excrement, was in der Luft zu einem trockenen Pulver zerfällt und was, außer dem phosphorſauren Kalk der Knochen, kaum so einer fremden organiſchen Subſtanz enthält. Der ganze Ernährungsproceß im Thiere iſt eine fortſchrei⸗ tende Entziehung des Stickſtoffs aller zugeführten Nahrungs⸗ mittel; was fie in irgend einer Form als Excremente von ſich geben, muß, in Summa, weniger Stickſtoff als das Futter oder die Speiſe enthalten. Einen directen Beleg hierzu liefern uns die Analyſen des Pferdemiſtes von Macaire und Marcet; er war friſch geſammelt und unter der Luftpumpe über Schwefelſäure aller Feuchtigkeit beraubt worden. 100 Theile davon (entſprechend im friſchen Zuſtande 350 —400 Theilen) enthielten 0,8 Stick— ſtoff. Jedermann, welcher eine Erfahrung in dieſer Art von Beſtimmungen hat, weiß, daß ein Gehalt, der unter einem Procent beträgt, nicht mehr mit Genauigkeit beſtimmbar iſt. Man nimmt immer noch ein Maximum an, wenn man ihn auf die Hälfte herabſetzt. Ganz frei an Stickſtoff find übri— gens die Ereremente des Pferdes nicht; denn fie ent⸗ wickeln, mit Kali geſchmolzen, geringe Quantitäten Am- moniak. Die Exeremente der Kuh geben beim Verbrennen mit Ku— pferorid ein Gas, was auf 30 bis 26 Volumen Kohlenſäure 1 Volumen Stickgas enthielt. Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. 159 100 Theile friſcher Exeremente enthielten: ZT ff.. 0: Rahel re a 0A Maſſerſtef .. 824 Salterſtof!!l!k 4818 Cb , 748 ren, 85,900 100,000 Wenn wir nun annehmen, daß das Heu, nach Bouſſin— gault's Analyſen, welche das meiſte Vertrauen verdienen, ein p. c. Stickſtoff enthält, ſo wird eine Kuh in 25 Pfd. Heu, was fie täglich zu ſich nimmt, “ Pfd. Stickſtoff zu ihrer Nahrung aſſimilirt haben. Dieſe Stickſtoffmenge würde, in Muskelfaſer verwandelt, 8,3 Pfd. Fleiſch in ſeinem e e Zuſtande gegeben haben ). Die Zunahme an Maſſe beträgt täglich bei weitem weniger als dieß Gewicht, und wir finden in der That im Harn und in der Milch den Stickſtoff, der hier zu fehlen ſcheint. Die milchgebende Kuh giebt weniger und einen an Stickſtoff ärme— ren Harn, als im gewöhnlichen Zuſtande; ſo lange ſie reichlich Milch giebt, kann ſie nicht gemäſtet werden. Es ſind mithin die flüſſigen Exeremente, in denen wir den nicht aſſimilirten Stickſtoff zu ſuchen haben; wenn die feſten auf die Vegetabilien überhaupt von Einfluß ſind, ſo beruht er nicht auf ihrem Stickſtoffgehalt; ein dem trocknen Koth gleiches Gewicht Heu müßte ſonſt dieſelbe Wirkung äußern, d. h. 20 — 25 Pfd. Heu müßten, in das Feld gebracht, ſoviel wirken, 100 Pfd. friſches Fleiſch enthalten durchſchnittlich 15,86 Muskelfaſer; in 100 Theilen der letzteren ſind 18 Theile Stickſtoff. 160 Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. als 100 Pfd. friſcher Kuhdünger. Dieß iſt aber aller Erfah⸗ rung gänzlich entgegen. Welches ſind nun dieſe ſtickſtofffreien Materien in den Excrementen des Pferdes und der Kuh, denen man Wirkung auf die Vegetation zuſchreiben kann? Wenn wir den Pferdekoth mit Waſſer ausziehen, fo lößt dieſes, indem es ſich gelblich färbt, 3 — 3% p. c. auf. Dieſe Flüſſigkeit enthält außer geringen Mengen organiſcher Sub⸗ ſtanzen vorzüglich phosphorſaure Bittererde und Natronſalze. Das im Waſſer Unlösliche giebt an Weingeiſt eine braune harzähnliche Subſtanz ab, die alle Eigenſchaften von verän⸗ derter Galle zeigt, der Rückſtand beſitzt die Eigenſchaften von ausgekochten Sägeſpänen; er verbrennt ohne Geruch. 100 Theile friſcher Pferde-Ereremente hinterlaſſen, nach dem Trocknen bei 100°, 25, 30 bis 31 Theile feſter Subſtanz, fie enthalten demnach 69 bis 75 Theile Waſſer. Die trockenen Excremente hinterlaſſen nach dem Einäſchern nach Macaire und Marcet 2 p. c., nach meinen Ver⸗ ſuchen von einem Pferde, was mit geſchnittenem Stroh, Ha⸗ fer und Heu gefüttert war, 10 p. c. Salze und erdige Sub⸗ ſtanzen. Mit 3600 bis 4000 Pfd. friſchem Pferdekoth, entſprechend 1000 Pfd. trocknem Pferdekoth, bringen wir alſo auf den Acker 2484 bis 3000 Pfd. Waſſer, ſodann: 730 bis 900 Pfd. vegetabiliſcher Materie und veränderter Galle, zuletzt geben wir dem Acker 100 bis 270 Pfd. Salze und anorganiſche Subſtanzen. Dieſe ſind es offenbar, die wir vorzugsweiſe in Betrachtung zu ziehen haben; es ſind dieß nämlich lauter Subſtanzen, die Beſtandtheile des Heus, Strohes und Hafers waren, womit das Pferd gefüttert wurde. Der Hauptbeſtandtheil davon iſt phosphorſaurer Kalk und Bittererde, kohlenſaurer Kalk und Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. 161 kieſelſaures Kali, das letztere iſt in dem Heu, die erſteren in den Körnern in überwiegender Menge zugegen geweſen. In 10 Ctrn. Pferde-Ererementen bringen wir im Maximo die anorganiſchen Subſtanzen von 60 Ctr. Heu oder von 83 Etr. Hafer (der Hafer hinterläßt nach de Sauſſure 3,1 p. c. Aſche) auf den Acker; dieß iſt hinreichend, um 1½ Ernten Weizen mit Kali und phosphorſauren Salzen vollkommen zu verſehen. Der Koth der Kühe, des Rindviehes und der Schafe ent— hält, außer den vegetabiliſchen Materien, phosphorſauren Kalk, Kochſalz und kieſelſaures Kali; das Gewicht derſelben wechſelt je nach der Fütterung von 9 bis 28 p. c., der Kuhkoth ent- hält im friſchen Zuſtande 86 bis 90 p. o. Waſſer. Die feſten menſchlichen Exeremente ſind von Berzelius einer genauen Analyſe unterworfen worden, ſie enthalten friſch ihres Gewichts Waſſer, ferner Stickſtoff in ſehr abwechſeln— den Verhältniſſen, im Minimum 1½, im Maximum 5 p. c., ſie ſind unter allen die ſtickſtoffreichſten. Berzelius erhielt von 100 Theilen trocknen Exeremen— ten, nach dem Einäſchern, 15 Theile Aſche, deren Haupt— beſtandtheile 10 Theile phosphorſauren Kalks und Bittererde waren. Gewiß können die vegetabiliſchen Materien, die wir in den Excrementen der Thiere und Menſchen auf die Felder bringen, nicht ohne einigen Einfluß auf die Vegetation bleiben; indem ſie verweſen, werden ſie den jungen Pflanzen Kohlenſäure zur Nahrung liefern, allein wenn man erwägt, daß ein gutbeſchaf⸗ fener Boden nur von 6 bis 7 Jahren, beim Umlauf mit Es⸗ parſette und Lucerne nur von 12 zu 12 Jahren einmal ge— düngt wird, daß die Quantität des Kohlenſtoffs, den man als Dünger dem Acker zuführt, nur 5 bis 8 p. e. von dem 11 162 Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. beträgt, was man als Kraut, Stroh und Frucht hinwegnimmt, daß das Regenwaſſer in einem Zeitraume von 6 bis 12 Jah⸗ ren in der Kohlenſäure bei weitem mehr Kohlenſtoff zuführt, als dieſer Dünger, ſo wird man ſeinen Einfluß nicht ſehr hoch anſchlagen können. Es bleibt demnach die eigentliche Wirkung der feſten Er- cremente auf die anorganiſchen Materien beſchränkt, welche dem Boden wiedergegeben werden, nachdem ſie ihm in der Form von Getreide, von Wurzelgewächſen, von grünem und trock— nem Futter genommen worden waren. In dem Kuhdünger, den Excrementen der Schafe geben wir dem Getreideland kieſelſaures Kali und phosphorſaure Salze, in den menſchlichen Excrementen phosphorſauren Kalk und Bittererde, in den Ererementen der Pferde phosphorſaure Bittererde und kieſelſaures Kali. In dem Stroh, was als Streu gedient hat, bringen wir eine neue Quantität von kieſelſaurem Kali und phosphorſaure Salze hinzu; wenn es verweſ't iſt, bleiben dieſe genau in dem von der Pflanze aſſimilirbaren Zuſtande im Boden. Wie man leicht bemerkt, ändert ſich bei ſorgfältiger Ver⸗ theilung und Sammlung des Düngers die Beſchaffenheit des Feldes nur wenig; ein Verluſt einer gewiſſen Menge phos⸗ phorſaurer Salze iſt demungeachtet unvermeidlich, denn wir führen jedes Jahr in dem Getreide und gemäſtetem Vieh ein bemerkbares Quantum aus, was den Umgebungen großer Städte zufließt. In einer wohleingerichteten Wirthſchaft muß dieſer Verluſt erſetzt werden. Zum Theil geſchieht dieß durch die Wieſen. Zu hundert Morgen Getreideland rechnet man in Deutſch— land als nothwendiges Erforderniß einer zweckmäßigen Cultur 20 Morgen Wieſen, welche durchſchnittlich 500 Ctr. Heu pro⸗ Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. 163 duciren; bei einem Gehalt von 6,82 p. c. Aſche erhält man jährlich in den Ererementen der Thiere, denen es zur Nahrung gegeben wird, 341 Pfd. kieſelſaures Kali und phosphorſauren Kalk und Bittererde, welche den Getreidefeldern zu Gute kom— men und den Verluſt bis zu einem gewiſſen Grade decken. Der wirkliche Verluſt an phosphorſauren Salzen, die nicht wieder in Anwendung kommen, vertheilt ſich auf eine ſo große Fläche, daß er kaum verdient, in Anſchlag gebracht zu werden. In der Aſche des Holzes, was in den Haushaltungen ver— braucht wird, erſetzen wir den Wieſen wieder, was ſie an phosphorſauren Salzen verloren haben. Wir können die Fruchtbarkeit unſerer Felder in einem ſtets gleichbleibenden Zuſtande erhalten, wenn wir ihren Verluſt jährlich wieder erſetzen; eine Steigerung der Fruchtbarkeit, eine Erhöhung ihres Extrages iſt aber nur dann möglich, wenn wir mehr wiedergeben, als wir ihnen nehmen. Unter gleichen Bedingungen wird von zwei Aeckern der eine um ſo fruchtbarer werden, je leichter und in je größerer Menge die Pflanzen, die wir darauf cultiviren, die beſonderen Beſtandtheile ſich darauf aneignen können, die ſie zu ihrem Wachsthum und zu ihrer Entwickelung bedürfen. Man wird aus dem Vorhergehenden entnehmen können, daß die Wirkung der thieriſchen Excremente erſetzbar iſt durch Materien, die ihre Beſtandtheile enthalten. In Flandern wird der jährliche Ausfall vollſtändig erſetzt durch das Ueberfahren der Felder mit ausgelaugter oder un— ausgelaugter Holzaſche, durch Knochen, die zum großen Theil aus phosphorſaurem Kalk und Bittererde beſtehen. Die ausnehmende Wichtigkeit der Aſchendüngung iſt von ſehr vielen Landwirthen durch die Erfahrung ſchon anerkannt; in der Umgegend von Marburg und der Wetterau legt man 115 164 Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. einen ſo hohen Werth auf dieſes koſtbare Material, daß man einen Transport von 6, 8 Stunden Weges nicht ſcheut, um es für die Düngung zu erhalten. Dieſe Wichtigkeit fällt in die Augen, wenn man in Erwä⸗ gung zieht, daß die mit kaltem Waſſer ausgelaugte Holzaſche kieſelſaures Kali gerade in dem Verhältniß wie im Stroh ent hält (10 Si 0, + K 0), daß fie außer dieſem Salze nur phosphorſaure Salze enthält. Die verſchiedenen Holzaſchen beſitzen übrigens einen höchſt ungleichen, die Eichenholzaſche den geringſten, die Buchenholz aſche den höchſten Werth. Die Eichenholzaſche enthält nur Spuren von phosphorſau⸗ ren Salzen, die Buchenholzaſche enthält den fünften Theil ihres Gewichts, der Gehalt der Fichten- und Tannenholzaſche beträgt 9 bis 15 p. c. Die Fichtenholzaſche aus Norwegen enthält das Minimum von phosphorſauren Salzen, nemlich nur 1,8 p. c. Phosphorſäure. Berthier). Mit je hundert Pfund ausgelaugter Buchenholzaſche brin⸗ gen wir mithin auf das Feld eine Quantität phosphorſaurer Salze, welche gleich iſt dem Gehalt von 460 Pfd. friſcher Menſchenercremente. Nach de Sauſſure's Analyſe enthalten 100 Th. Aſche von Weizenkörnern 32 Th. lösliche und 44,5 unlösliche, im Ganzen 76,5 phosphorſaure Salze. Die Aſche von Weizen- ſtroh enthält im Ganzen 11,5 p. phosphorſaure Salze. Mit 100 Pfd. Buchenholzaſche bringen wir mithin auf das Feld eine Quantität Phosphorſäure, welche hinreicht für die Erzeu— gung von 3820 Pfd. Stroh (zu 4,3 p. c. Aſche, de Sauſ— ſure), oder zu 15 bis 18000 Pfd. Weizenkörner (die Aſche zu 1,3 p. c. angenommen, de Sauffure). Eine noch größere Wichtigkeit in dieſer Beziehung beſitzen Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. 165 die Knochen. Die letzte Quelle der Beſtandtheile der Knochen iſt das Heu und Stroh, überhaupt das Futter, was die Thiere ge— nießen. Wenn man nun in Anſchlag bringt, daß die Knochen 55 p. c. phosphorſauren Kalk und Bittererde enthalten (Ber— zelius), und annimmt, daß das Heu ſo viel davon als das Weizenſtroh enthält, ſo ergiebt ſich, daß 8 Pfd. Knochen ſo viel phosphorſauren Kalk, als wie 1000 Pfd. Heu oder Wei— zenſtroh enthalten, oder 2 Pfd. davon ſo viel, als in 1000 Pfund Weizen- oder Haferkörnern ſich vorfindet. In dieſen Zahlen hat man kein genaues, aber ein ſehr annährendes Maaß in Beziehung auf die Ouantität phos— phorſaurer Salze, die der Boden dieſen Pflanzen jährlich ab— giebt. Die Düngung eines Morgen Landes mit 40 Pfd. friſchen Knochen reicht hin, um drei Ernten (Weizen, Klee und Hack— früchte) mit phosphorſauren Salzen zu verſehen. Die Form, in welcher die phosphorſauren Salze dem Boden wiedergege— ben werden, ſcheint hierbei aber nicht gleichgültig zu ſein. Je feiner die Knochen zertheilt, und je inniger ſie mit dem Boden gemiſcht ſind, deſto leichter wird die Aſſimilirbarkeit ſein; das beſte und zweckmäßigſte Mittel wäre unſtreitig „ die Knochen fein gepulvert, mit ihrem halben Gewichte Schwefelſäure und 3—4 Th. Waſſer eine Zeitlang in Digeſtion zu ſtellen, den Brei mit etwa 100 Th. Waſſer zu verdünnen und mit dieſer ſauren Flüſſigkeit (phosphorſaurem Kalk und Bittererde) den Acker vor dem Pflügen zu beſprengen. In wenigen Secunden würde ſich die freie Säure mit dem baſiſchen Beſtandtheilen des Bodens verbinden, es würde ein höchſt fein zertheiltes, neutrales Salz entſtehen. Verſuche, die in dieſer Beziehung auf Grauwacke— boden angeſtellt wurden, haben das poſitive Reſultat gegeben, daß Getreide und Gemüſepflanzen durch dieſe Düngungsweiſe 166 Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. nicht leiden, daß fie ſich im Gegentheile aufs Kräftigſte ent- wickeln. In der Nähe von Knochenleim-Fabriken werden jährlich viele tauſend Centner einer Auflöſung von phosphorſauren Salzen in Salzſäure unbenutzt verloren; es wäre wichtig, zu unterſuchen, in wie weit dieſe Auflöſung die Knochen erſetzen kann. Die freie Salzſäure würde ſich mit den Alkalien, mit dem Kalk auf dem Acker verbinden, es würde ein lösliches Kalkſalz entſtehen, deſſen Wirkung als wohlthätig auf die Ve- getation an und für ſich ſchon anerkannt iſt; der ſalzſaure Kalk (Chlorcalcium) iſt eins der Salze, die Waſſer mit großer Be— gierde aus der Luft anziehen und zurückhalten, was den Gyps beim Gypſen vollkommen zu erſetzen vermag, indem es mit kohlenſaurem Ammoniak ſich zu Salmiak und kohlenſaurem Kalk umſetzt. Eine Auflöſung der Knochen in Salzſäure im Herbſte oder Winter auf den Acker gebracht, würde nicht allein dem Boden einen nothwendigen Beſtandtheil wiedergeben, ſondern demſel— ben die Fähigkeit geben, alles Ammoniak, was in dem Re— genwaſſer in Zeit von 6 Monaten auf den Acker fällt, darauf zurückzuhalten. Die Aſche von Braunkohlen und Torf enthält mehrentheils kieſelſaures Kali; es iſt klar, daß dieſe Aſche einen Hauptbeftand- theil des Kuh- und Pferdedüngers vollſtändig erſetzt, ſie ent— halten ebenfalls Beimiſchungen von phosphorſauren Salzen. Es iſt von ganz beſonderer Wichtigkeit für den Oekonomen, ſich über die Urſache der Wirkſamkeit der ſo eben beſprochenen Materien nicht zu täuſchen. Man weiß, daß ſie einen höchſt günſtigen Einfluß auf die Vegetation haben, und ebenſo gewiß iſt es, daß die Urſache in einem Stoffe liegt, der, abgeſehen von ihrer Wirkungsweiſe, durch ihre Form, Poroſität, Fähigkeit Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. 167 Waſſer anzuziehen und zurückzuhalten, Antheil an dem Pflan— zenleben nimmt. Man muß auf Rechenſchaft über dieſen Einfluß verzichten, wenn man den Schleier der Iſis darüber deckt. Die Medizin hat Jahrhunderte lang auf der Stufe geſtan— den, wo man die Wirkungen der Arzneien durch den Schleier der Iſis verhüllte, aber alle Geheimniſſe haben ſich auf eine ſehr einfache Weiſe gelöft. Eine ganz unpoetiſche Hand erklärte die anſcheinend unbegreifliche Wunderkraft der Quellen in Savoyen, wo ſich die Walliſer ihre Kröpfe vertreiben, durch einen Ge— halt an Jod; in den gebrannten Schwämmen, die man zu demſelben Zweck benutzte, fand man ebenfalls Jod; man fand, daß die Wunderkraft der China in einem darinn in ſehr ge— ringer Menge vorhandenen kryſtalliniſchen Stoff, dem Chinin, daß die mannigfaltige Wirkungsweiſe des Opiums in einer eben ſo großen Mannigfaltigkeit von Materien liegt, die ſich daraus darſtellen laſſen. Einer jeden Wirkung entſpricht eine Urſache; ſuchen wir die Urſachen uns deutlich zu machen, ſo werden wir die Wir— kungen beherrſchen. Als Princip des Ackerbaues muß angeſehen werden, daß der Boden in vollem Maaße wieder erhalten muß, was ihm genommen wird; in welcher Form dieß Wiedergeben geſchieht, ob in der Form von Excrementen, oder von Aſche oder Knochen, dieß iſt wohl ziemlich gleichgültig. Es wird eine Zeit kommen, wo man den Acker mit einer Auflöſung von Waſſergas (Fiefel- ſaurem Kali), mit der Aſche von verbranntem Stroh, wo man ihn mit phosphorſauren Salzen düngen wird, die man in che— miſchen Fabriken bereitet, gerade ſo, wie man jetzt zur Heilung des Fiebers und der Kröpfe chemiſche Präparate giebt. Es giebt Pflanzen, welche Humus bedürfen, ohne bemerk— 168 Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. lich zu erzeugen; es giebt andere, die ihn entbehren können, die einen humusarmen Boden daran bereichern; eine rationelle Cultur wird allen Humus für die erſten, und keinen für die anderen verwenden, ſie wird die letzteren benutzen, um die er— ſteren damit zu verſehen. Wir haben in dem Vorhergehenden dem Boden Alles ge— geben, was die Pflanzen für die Bildung der Holzfaſer, des Korns, der Wurzel, des Stengels aus dem Boden ziehen, und gelangen nun jetzt zum wichtigſten Zweck des Feldbaues, nemlich zur Production von aſſimilirbarem Stickſtoff, alſo von Materien, welche Stickſtoff enthalten. Das Blatt, was den Holzkörper nährt, die Wurzel, aus der ſich die Blätter ent— wickeln, was den Früchten ihre Beſtandtheile zubereitet, alle Theile des Organismus der Pflanze enthalten ſtickſtoffhaltige Materien in ſehr wechſelnden Verhältniſſen; die Wurzeln und Saamen ſind beſonders reich daran. Unterſuchen wir nun, in welcher Weiſe eine möglichſt ge— ſteigerte Erzeugung von ſtickſtoffhaltigen Subſtanzen in irgend einer Form erreichbar iſt. Die Natur, die Atmoſphäre liefert den Stickſtoff in hinreichender Menge zur normalen Entwicke⸗ lung einer Pflanze, und ihre Entwickelung muß ſchon als normal betrachtet werden, wenn ſie nur ein einziges Saamen— korn wieder erzeugt, was fähig iſt, in einem darauf folgenden Jahre die Pflanze wiederkehrend zu machen. Ein ſolcher nor— maler Zuſtand würde die Pflanzen auf der Erde erhalten, allein ſie ſind nicht ihrer ſelbſt wegen da; die größere Anzahl von Thieren ſind in Beziehung auf ihre Nahrung auf die ve— getabiliſche Welt angewieſen, und eine weiſe Einrichtung giebt der Pflanze die merkwürdige Fähigkeit, bis zu einem gewiſſen Grade allen Stickſtoff, der ihr dargeboten wird, in Nahrungs- ſtoff für das Thier zu verwandeln. Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. 169 Geben wir der Pflanze Kohlenſäure und alle Materien, die ſie bedarf, geben wir ihr Humus in der reichlichſten Quantität, ſo wird ſie nur bis zu einem gewiſſen Grade zur Ausbildung gelangen; wenn es an Stickſtoff fehlt, wird ſie Kraut, aber keine Körner, fie wird vielleicht Zucker und Amylon, aber fei- nen Kleber erzeugen. Geben wir der Pflanze aber Stickſtoff in reichlicher Quan— tität, ſo wird ſie den Kohlenſtoff, den ſie zu ſeiner Aſſimilation bedarf, aus der Luft, wenn er im Boden fehlt, mit der kräf— tigſten Energie ſchöpfen; wir geben ihr in dem Stickſtoff die Mittel, um den Kohlenſtoff aus der Atmoſphäre in ihrem Or— ganismus zu fixiren. Als Dünger, der durch ſeinen Stickſtoffgehalt wirkt, können die feſten Excremente des Rindviehes, der Schafe und des Pferdes gar nicht in Betrachtung gezogen werden, eben weil ihr Gehalt an dieſem Beſtandtheil verſchwindend klein iſt; die menſchlichen Excremente hingegen find verhältnißmäßig reich an Stickſtoff, ihr Gehalt iſt aber außerordentlich variirend; die Excremente der Menſchen, welche in Städten wohnen, wo die animaliſche Koſt vorherrſcht, ſie ſind reicher daran, als die von Bauern und überhaupt vom Lande her genommenen; Brod und Kartoffeln geben beim Menſchen Excremente von einer ähnlichen Beſchaffenheit und Zuſammenſetzung, wie bei den Thieren. Die Exeremente überhaupt haben in dieſer Beziehung einen höchſt ungleichen Werth; für Sand- und Kalkboden, dem es an kieſelſaurem Kali und phosphorſauren Salzen fehlt, haben die Exeremente der Pferde und des Rindviehes einen ganz be— ſonderen Nutzen, der ſich für kalireichen Thonboden, für Baſalt, Granit, Porphyr, Klingſtein, ſelbſt für Zechſteinboden außer— ordentlich vermindert; für dieſe letzteren iſt der Dünger von 170 Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. menſchlichen Ererementen das Hauptmittel, um feine Frucht barkeit auf eine außerordentliche Weiſe zu ſteigern; denſelben Nutzen hat er natürlich für alle Bodenarten überhaupt, aber zur Düngung der erſteren können die Excremente von Thieren nicht entbehrt werden. Von dem Stickſtoffgehalt der feſten Exeremente abgeſehen, haben wir nur eine einzige Quelle von ſtickſtoffhaltigem Dün⸗ ger, und dieſe Quelle iſt der Harn der Thiere und Menſchen. Wir bringen den Harn entweder als Miſtjauche oder in der Form der Excremente ſelbſt, die davon durchdrungen ſind, auf die Felder; es iſt der Harn, der den letzteren die Fähig— keit giebt, Ammoniak zu entwickeln, eine Fähigkeit, die er an und für ſich nur in einem geringen Grade beſitzt. Wenn wir unterſuchen, was wir in dem Harn den Feldern eigentlich geben, ſo kommen wir als einziges und mittelbares Reſultat auf Ammoniakſalze, welche Beſtandtheile des Harns find, auf Harnſäure, welche ausnehmend reich an Stickſtoff iſt, und auf phosphorſaure Salze, die im Harne ſich re be- finden. Nach der Analyſe von Berzelius enthalten 1000 Theile Menſchenharn: Hatuſtoff r. H r nr‘ Freie Milchſäure ö 3 Ammoniak a 17,14 Fleiſch⸗Ertraet Ertractivftoffe Harnfaͤnre e Fend une 4700 Harnblaſenſchlei nu . 0,32 Schwefelſaures Kali... 3,71 Schwefelſaures Natron 3,16 e N Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. 171 Transport 55,43 Phosphorſaures Natron . 294 Zweifach⸗phosphorſaures Ammoniak. 1,65 Kochſal ß % „ e e eee, SR n ee eee en. eb‘ Phosphorſaure Btttererde und Kalk 1,00 Kieſelerde . i. nun. NS „% O N. 07,0, NORD 1000,00 Nehmen wir aus dem Harn den Harnſtoff, das milchſaure Ammoniak, die freie Milchſäure, Harnſäure, phosphorſaures Ammoniak und Salmiak hinweg, fo bleiben 1 p. e. feſter Stoffe, die aus anorganiſchen Salzen beſtehen, die natürlicher— weiſe auf den vegetabiliſchen Organismus ganz gleich wirken müſſen, ob wir ſie im Harn oder im Waſſer gelöſ't aufs Feld bringen. Es bleibt, wie man ſieht, nichts übrig, als die kräftige Wirkungsweiſe des Urins dem Harnſtoff oder den andern Am— moniakſalzen zuzuſchreiben. Der Harnſtoff iſt in dem Urin des Menſchen zum Theil in der Form von milchſaurem Harnſtoff (Henry), eine andere Portion davon iſt frei vorhanden. Unterſuchen wir nun, was geſchehen wird, wenn wir den Harn ſich ſelbſt überlaſſen, faulen laſſen, wenn er alſo in den Zuſtand übergeht, in welchem er als Dünger dient; aller an Milchſäure gebundene Harnſtoff verwandelt ſich in milchſaures Ammoniak, aller frei vorhandene geht in äußerſt flüchtiges kohlenſaures Ammoniak über. In wohlbeſchaffenen, vor der Verdunſtung geſchützten Dünger— behältern wird das kohlenſaure Ammoniak gelöß't bleiben; bringen wir den gefaulten Harn auf unſere Felder, ſo wird ein Theil des 172 Die Wehfelwwirthfchaft und der Dünger. kohlenſauren Ammoniaks mit dem Waſſer verdunſten, eine andere Portion davon wird von thon- und eifenoridhaltigem Boden eingeſaugt werden, im Allgemeinen wird aber nur das milch—⸗ ſaure, phosphorſaure und ſalzſaure Ammoniak in der Erde bleiben; der Gehalt an dieſem allein macht den Boden fähig, im Verlauf der Vegetation auf die Pflanzen eine directe Wir- kung zu äußern, keine Spur davon wird den Wurzeln der Pflanzen entgehen. Das kohlenſaure Ammoniak macht bei ſeiner Bildung den Harn alkaliſch, in normalem Zuſtande iſt er, wie man weiß, ſauer; wenn es, was in den meiſten Fällen eintritt, ſich ver— flüchtigt und in der Luft verliert, ſo iſt der Verluſt, den wir erleiden, beinahe gleich dem Verluſte an dem halben Gewichte Urin; wenn wir es fixiren, d. h. ihm ſeine Flüchtigkeit nehmen, ſo haben wir ſeine Wirkſamkeit aufs Doppelte erhöht. Das Vorhandenſein von freiem kohlenſaurem Ammoniak in gefaultem Urin hat ſelbſt in früheren Zeiten zu dem Vorſchlage Veranlaſſung gegeben, die Miſtjauche auf Salmiak zu benutzen. Von manchem Oekonomen iſt dieſer Vorſchlag in Ausführung gebracht worden, zu einer Zeit, wo der Salmiak einen hohen Handelswerth beſaß. Die Miſtjauche wurde in Gefäßen von Eiſen der Deſtillation unterworfen und das Deſtillat auf ge— wöhnliche Weiſe in Salmiak verwandelt (Dem ach y). Es verſteht ſich von ſelbſt, daß die Agricultur eine ſolche widerſinnige Anwendung verwerfen muß, da der Stickſtoff von 100 Pfd. Salmiak (welche 26 Theile Stickſtoff enthalten) gleich iſt dem Stickſtoffgehalte von 1200 Pfd. Weizenkörnern, 1480 Pfd. Gerſtenkörnern oder 2500 Pfd. Heu (Bouſſingault). Das durch Fäulniß des Urins erzeugte kohlenſaure Ammo- niak kann auf mannigfaltige Weiſe firirt, d. h. feiner Fähigkeit ſich zu verflüchtigen beraubt werden. Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. 173 Denken wir uns einen Acker mit Gyps beſtreut, den wir mit gefaultem Urin, mit Miſtjauche überfahren, ſo wird alles kohlenſaure Ammoniak ſich in ſchwefelſaures verwandeln, was in dem Boden bleibt. Wir haben aber noch einfachere Mittel, um alles kohlen— ſaure Ammoniak den Pflanzen zu erhalten, ein Zuſatz von Gyps, Chlorcalcium, von Schwefelſäure oder Salzſäure, oder am beſten von ſaurem phosphorſaurem Kalk, lauter Subſtan— zen, deren Preis ausnehmend niedrig iſt; bis zum Verſchwin— den der Alkalinität des Harns wird das Ammoniak in ein Salz verwandeln, was ſeine Fähigkeit, ſich zu verflüchtigen, gänzlich verloren hat. Stellen wir eine Schale mit concentrirter Salzſäure in einen gewöhnlichen Abtritt hinein, in welchem die obere Oeff— nung mit dem Düngbehälter in offener Verbindung ſteht, fo findet man ſie nach einigen Tagen mit Kryſtallen von Sal— miak angefüllt. Das Ammoniak, deſſen Gegenwart die Ge— ruchsnerven ſchon anzeigen, verbindet ſich mit der Salzſäure und verliert ſeine Flüchtigkeit; über der Schale bemerkt man ſtets dicke weiße Wolken oder Nebel von neuentſtandenem Salmiak. In einem Pferdeſtall zeigt ſich die nemliche Er— ſcheinung. Dieſes Ammoniak geht nicht allein der Vegetation gänzlich verloren, ſondern es verurſacht noch überdieß eine langſam aber ſicher erfolgende Zerſtörung der Mauer. In Berührung mit dem Kalk des Mörtels verwandelt es ſich in Salpeterſäure, welche den Kalk nach und nach auflöst, der ſogenannte Salpeterfraß (Entſtehung von löslichem ſalpeterſau⸗ rem Kalk) iſt die Folge ſeiner Verweſung. Das Ammoniak, was ſich in Ställen und aus Abtritten entwickelt, iſt unter allen Umſtänden mit Kohlenſäure verbun⸗ den. Kohlenſaures Ammoniak und ſchwefelſaurer Kalk (Gyps) 174 Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. können bei gewöhnlicher Temperatur nicht mit einander in Be— rührung gebracht werden, ohne ſich gegenſeitig zu zerſetzen. Das Ammoniak vereinigt ſich mit der Schwefelſäure, die Koh— lenſäure mit dem Kalk zu Verbindungen, welche nicht flüchtig, d. h. geruchlos ſind. Beſtreuen wir den Boden unſerer Ställe von Zeit zu Zeit mit gepulvertem Gyps, ſo wird der Stall ſeinen Geruch verlieren, und wir werden nicht die kleinſte Quantität Ammoniak, was ſich gebildet hat, für unſere Felder verlieren. Die Harnſäure, nach dem Harnftoff das ſtickſtoffreichſte unter den Produkten des lebenden Organismus, iſt im Waſſer lös⸗ lich, ſie kann durch die Wurzeln der Pflanzen aufgenommen und ihr Stickſtoff in der Form von Ammoniak, von kleeſaurem, blauſaurem oder kohlenſaurem Ammoniak aſſimilirt werden. Es wäre von außerordentlichem Intereſſe, die Metamor⸗ phoſen zu ſtudiren, welche die Harnſäure in einer lebenden Pflanze erfährt; als Düngmittel in reinem Zuſtande unter ausgeglühtes Kohlenpulver gemiſcht, in welchem man Pflanzen vegetiren läßt, würde die Unterſuchung des Saftes der Pflanze oder der Beſtandtheile des Saamens oder der Frucht leicht die Verſchiedenheit erkennen laſſen. In Beziehung auf den Stickſtoffgehalt ſind 100 Theile Menſchenharn ein Aequivalent für 1300 Theile friſcher Pferde— excremente nach Macaire's und Marcet's Analyſen und 600 Theile friſcher Exeremente der Kuh. Man wird hieraus leicht entnehmen, von welcher Wichtigkeit es für den Ackerbau iſt, auch nicht den kleinſten Theil davon zu verlieren. Die kräf— tige Wirkung des Harns im Allgemeinen iſt in Flandern vor⸗ züglich anerkannt, allein nichts läßt ſich mit dem Werthe ver— gleichen, den das älteſte aller Ackerbau treibenden Völker, das chineſiſche, den menſchlichen Exerementen zuſchreibt, die Geſetze Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. 175 des Staates verbieten das Hinwegſchütten derſelben, in jedem Hauſe ſind mit der größten Sorgfalt Reſervoirs angelegt, in denen ſie geſammelt werden, nie wird dort für Getreidefelder ein andrer Dünger verwendet. China iſt die Heimath der Experimentirkunſt, das unab— läſſige Beſtreben, Verſuche zu machen, hat das chineſiſche Volk ſeit Jahrtauſenden zu Entdeckungen geführt, welche die Euro— päer Jahrhunderte lang, in Beziehung auf Färberei, Malerei, Porzellan- und Seidebereitung, Lack- und Malerfarben, bewun- derten, ohne fie nachahmen zu können; man iſt dort dazu ge- langt, ohne durch wiſſenſchaftliche Principien geleitet zu wer— den, denn man findet in allen ihren Büchern Recepte und Vorſchriften, aber niemals Erklärungen. Ein halbes Jahrhundert genügte den Europäern, die Chi— neſen in den Künſten und in den Gewerben nicht allein zu erreichen, ſondern fie zu übertreffen, und dieß geſchah aus— ſchließlich nur durch die Anwendung richtiger Grundſätze, die aus dem Studium der Chemie hervorgingen, aber wie unendlich weit iſt der europäiſche Ackerbau hinter dem chineſiſchen zurück. Die Chineſen ſind die bewundernswürdigſten Gärtner und Er— zieher von Gewächſen, für jedes wiſſen ſie eigends zubereiteten Dünger anzuwenden. Der Ackerbau der Chineſen iſt der voll— kommenſte in der Welt, und man legt in dieſem Lande, deſſen Klima in den fruchtbarſten Bezirken ſich von dem europäiſchen nur wenig entfernt, den Excrementen der Thiere nur einen höchſt geringen Werth bei. Bei uns ſchreibt man dicke Bücher, aber man ſtellt keine Verſuche an, man drückt in Procenten aus, was die eine und die andere Pflanze an Dünger verzehrt, und weiß nicht, was Dünger iſt! Wenn wir annehmen, daß die flüſſigen und feſten Exere— mente eines Menſchen täglich nur 1½ Pfd. betragen ( Pfd. 176 Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. Urin und ¼ Pfd. feſter Excremente), daß beide zuſammenge⸗ nommen 3 p. c. Stickſtoff enthalten, ſo haben wir in einem Jahre 547 Pfd. Excremente, welche 16,41 Pfd. Stickſtoff ent⸗ halten, eine Quantität, welche hinreicht, um 800 Pfd. Weizen-, Roggen⸗, Hafer- und 900 Pfd. Gerſtenkörnern (Bouffin- gault) den Stickſtoff zu liefern. Dieß iſt bei weitem mehr, als man einem Morgen Land hinzuzuſetzen braucht, um mit dem Stickſtoff, den die Pflanzen aus der Atmoſphäre aufſaugen, ein jedes Jahr die reichlichſten Ernten zu erzielen. Eine jede Ortſchaft, eine jede Stadt könnte bei Anwendung von Fruchtwechſel alle ihre Felder mit dem ſtickſtoffreichſten Dünger verſehen, der noch überdieß der reichſte an phosphorſauren Salzen iſt. Bei Mitbenutzung der Knochen und der ausgelaugten Holzaſche würden alle Excremente von Thieren völlig entbehrlich ſein. Die Excremente der Menſchen laſſen ſich, wenn durch ein zweckmäßiges Verfahren die Feuchtigkeit entfernt und das freie Ammoniak gebunden wird, in eine Form bringen, welche die Verſendung, auch auf weite Strecken hin, erlaubt. Dieß geſchieht ſchon jetzt in manchen Städten und die Zu⸗ bereitung der Menfchenereremente in eine verſendbare Form macht einen nicht ganz unwichtigen Zweig der Induſtrie aus. Aber die Grundſätze, die man befolgt, um dieſen Zweck zu er— reichen, ſind die verkehrteſten und widerſinnigſten, die man ſich denken kann. Die in den Häuſern in Paris in Fäſſern gefam- melten Ereremente werden in Montfaucon in tiefen Gruben geſammelt und ſind zum Verkaufe geeignet, wenn ſie einen gewiſſen Grad der Trockenheit durch Verdampfung an der Luft gewonnen haben; durch die Fäulniß derſelben in den Behäl⸗ tern in den Häuſern verwandelt ſich aller Harnſtoff zum größ— ten Theil in kohlenſaures Ammoniak; es entſteht milch- und Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. 177 phosphorſaures Ammoniak, die vegetabiliſchen Theile, welche darinn enthalten ſind, gehen ebenfalls in Fäulniß über, alle ſchwefelſauren Salze werden zerſetzt, der Schwefel bildet Schwe— felwaſſerſtoff und flüchtiges Schwefelammonium. Die an der Luft trocken gewordene Maſſe hat mehr wie die Hälfte ihres Stickſtoffgehalts mit dem verdampfenden Waſſer verloren, der Rückſtand beſteht neben phosphorſaurem und milchſaurem Am— moniak zum größten Theil aus phosphorſaurem Kalk, etwas harnſaurer Bittererde und fettigen Subſtanzen; er iſt nichts deſto weniger noch ein ſehr kräftiger Dünger, aber ſeine Fä— higkeit zu düngen wäre verdoppelt und verdreifacht worden, wenn man die Ereremente von dieſem Eintrocknen durch eine wohlfeile Mineralſäure neutraliſirt hätte. In anderen Fabriken mengt man die weichen Ereremente mit Holzaſche oder mit Erde, die eine reichliche Quantität von ätzendem Kalk enthält, und bewirkt damit eine völlige Austrei— bung alles Ammoniaks, wobei ſie ihren Geruch aufs Vollſtän— digſte verlieren. Wenn dieſer Rückſtand düngt, ſo geſchieht dieß lediglich nur durch die phosphorſauren Salze, die er noch enthält, denn alle Ammoniakverbindungen ſind zerſetzt und das Ammoniak iſt ausgetrieben worden. In dem ſterilen Boden der Küſten Südamerika's düngt man mit Guano, mit hornſauren und anderen Ammoniakſalzen, und erhält damit eine üppige Vegetation und die reichſten Ernten. In China giebt man den Getreidefeldern keinen andern Dün— ger als Menſchenereremente; bei uns überfährt man die Fel- der jährlich mit dem Saamen von allen Unkrautpflanzen, die in der Beſchaffenheit und Form, welche ſie beſitzen, unverdaut mit ihrer ganzen Keimkraft in die Excremente der Thiere wie— der übergehen, und man wundert ſich, daß das Unkraut trotz aller Anſtrengung, auf den Aeckern, wo er ſich einmal einge— 12 178 Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. niſtet hat, nicht vertrieben werden kann; man begreift es nicht, und ſäet es jedes Jahr von Neuem an. Ein berühmter Bo— taniker, der in den neunziger Jahren mit der holländiſchen Geſandtſchaft nach China reiste, konnte auf den chineſiſchen Getreidefeldern kaum irgend eine andere Pflanze finden, als das Korn ſelbſt. (Ingenhouß, die Ernährung der Pflanzen S. 1280 Der Harn der Pferde iſt weit weniger reich an Stickſtoff und phosphorſauren Salzen. Nach Foueroy und Vauque— lin enthält er nur 5 p. c. feſte Subſtanz, und darinn nur 0,7 Harnſtoff. 100 Theile Menſchenharn enthalten mehr wie viermal ſo viel. 5 Der Kuhharn iſt vorzüglich reich an Kaliſalzen; nach Rouelle und Brande enthält er ſogar keine Natronſalze. Der Harn der Schweine iſt vorzüglich reich an phosphorſau— rem Bittererde-Ammoniak, welches die fo häufig vorkommenden Steine in den Harnblaſen dieſer Thiere bildet. Es iſt klar, daß wenn wir die feſten und flüſſigen Excre— mente der Menſchen und die flüſſigen der Thiere in dem Ver— hältniſſe zu dem Stickſtoff auf unſere Aecker bringen, den wir in der Form von Gewächſen darauf geerntet haben, ſo wird die Summe des Stickſtoffs auf dem Gute jährlich wachſen müſſen. Denn zu dem, welchen wir in dem Dünger zufüh— ren, iſt aus der Atmoſphäre eine gewiſſe Quantität hinzuge— kommen. Was wir in der Form von Getreide und Vieh an Stickſtoff ausführen, was ſich davon in großen Städten an— häuft, kommt anderen Feldern zu gut, wenn wir ihn nicht erſetzen. Ein Gut, was keine Wieſen hat und nicht Felder genug für den Anbau von Futtergewächſen beſitzt, muß ſtick— ſtoffhaltigen Dünger von Außen einführen, wenn man auf ihm ein Maximum von Ertrag erzielen will. Auf größeren Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. 179 Gütern erſetzen die Wieſen den jährlichen Ausfall an Stick— ſtoff auf's Vollſtändigſte wieder. Der einzige wirkliche Verluſt an Sticſtoff beſchränkt ſich demnach auf diejenige Quantität, welche die Menſchen mit in ihre Gräber nehmen, aber dieſe kann im Maximo nicht über 3 Pfd. für jedes Individuum betragen, welche ſich auf ein gan⸗ zes Menſchenalter vertheilen; ſie bleibt, wie man weiß, den Ge— wächſen unverloren, denn durch Fäulniß und Verweſung kehrt dieſelbe in der Form von Ammoniak in die Atmoſphäre zurück. Eine geſteigerte Cultur erfordert eine geſteigerte Düngung, mit derſelben wird die Ausfuhr an Getreide und Vieh wach— ſen, ſie wird gehemmt durch den Mangel an Dünger. Der höchſte Werth als ſtickſtoffhaltigen Dünger muß nach dem Vorhergehenden vor Allem den flüſſigen Exerementen der Thiere und Menſchen beigelegt werden. Der größte Theil des Mehrertrages, des Zuwachſes alſo, deſſen Steigerung wir in der Hand haben, geht von ihnen ausſchließlich aus. Wenn man erwägt, daß jedes Pfund Ammoniak, welches unbenutzt verdampft, einem Verluſt von 60 Pfd. Getreide gleich⸗ kommt, daß mit jedem Pfunde Urin ein Pfund Weizen gewonnen werden kann, ſo iſt die Leichtfertigkeit unbegreiflich, mit welcher gerade die flüſſigen Excremente betrachtet werden; man benutzt an den meiſten Orten nur die, von welchen die feſten durch— drungen und befeuchtet ſind; man ſchützt die Düngerſtätten we— der vor dem Regen, noch vor der Verdunſtung. Die feſten Excremente enthalten die unlöslichen, die flüſſigen alle lösli— chen phosphorſauren Salze, und die letzteren enthalten alles Kali, was die verzehrten Pflanzen in der Form von organiſch⸗ ſauren Salzen enthalten. Die friſchen Knochen, Wolle, Lumpen, Haare, Klauen und Horn ſind ſtickſtoffhaltige Dünger, welche gleichzeitig durch ihren 12* 180 Die Wechſelwirthſchaft und der Dünger. Gehalt an phosphorſauren Salzen Antheil an dem vegetabili— ſchen Lebensproceſſe nehmen. 100 Th. trockne Knochen enthalten 32 bis 33 p. c. trockne Gallerte, nehmen wir darinn denſelben Gehalt an Stickſtoff wie im thieriſchen Leim an, fo enthalten fie 5,28 p. c. Stick— ſtoff, ſie ſind mithin als Aequivalent für 250 Th. Menſchen⸗ Urin zu betrachten. Die Knochen halten ſich in trocknem oder ſelbſt feuchtem Boden (z. B. die in Lehm oder Gyps ſich findenden Knochen urweltlicher Thiere) bei Luftabſchluß Jahrtauſende unverändert, indem der innere Theil durch den äußern vor dem Angriff des Waſſers geſchützt wird. Im feingepulverten feuchten Zuſtande erhitzen fie ſich, es tritt Fäulniß und Verweſung ein, die Gal⸗ lerte, die ſie enthalten, zerſetzen ſich; ihr Stickſtoff verwandelt ſich in kohlenſaures Ammoniak und in andere Ammoniakſalze, welche zum größten Theil von dem Pulver zurückgehalten wer⸗ den (1 Vol. wohl ausgeglühte weißgebrannte Knochen abſor⸗ biren 7,5 Vol. reines Ammoniakgas). Als ein kräftiges Hülfsmittel zur Beförderung des Pflan⸗ zenwuchſes auf ſchwerem und namentlich auf Thonboden muß ſchließlich noch das Kohlenpulver betrachtet werden. Schon In genhouß hat die verdünnte Schwefelſäure als Mittel vorgeſchlagen, um die Fruchtbarkeit des Bodens zu ſtei⸗ gern, auf Kalkboden erzeugt ſich beim Beſprengen mit verdünn⸗ ter Schwefelſäure augenblicklich Gyps, den fie alſo aufs Voll⸗ ſtändigſte erſetzen kann. 100 Th. concentrirte Schwefelſäure, mit 800 bis 1000 Th. Waſſer verdünnt, ſind ein Aequivalent für 176 Th. Gyps. Anhang zur Seite 57. Beobachtungen über eine Pflanze (Ficus Australis), welche 8 Monate hintereinander in dem Gewächshauſe des botaniſchen Gartens in Edinburg in der Luft hangend, ohne mit der Erde ſich in Berührung zu befinden, gelebt hat, von William Magnab, ) Director des Pflanzengartens in Edinburg. Die Ficus Australis ſtammen aus dem ſüdlichen Theile Neu⸗ hollands und ſind durch Sir Joſeph Banks 1789 in unſere Gärten eingeführt worden; ſie ſind jetzt ziemlich verbreitet in England, wo man ſie wie die Pflanzen in den mäßig warmen Treibhäuſern (green house) behandelt. In einem ſolchen guten ) Nach einer Angabe in Turner's Elements of Chemistry, London 1834. S. 932, lebte dieſe Pflanze noch 16 Jahre nach dem in der Abhandlung angeführten Datum. 182 Anhang. Treibhauſe gedeihen fie wirklich, obgleich fie im Allgemeinen empfindlicher gegen die Wirkungen der nn als andere Pflan⸗ zen der nemlichen Gegend ſind. Bei meiner Ernennung zum Director des Gartens von Edinburg im Jahre 1810 fand ich dieſe Pflanze ein wenig kränkelnd im Green-Houſe; nachdem ich ſie aber 1811 in das heiße Treibhaus verpflanzt hatte, fing ſie ſogleich mit großer Ueppigkeit zu gedeihen an. Der Stengel der Pflanze, von dem Boden an gerechnet bis an den Anfang der Zweige, hatte ungefähr einen Fuß Höhe. Auf einem der Zweige ſah ich eine Wurzel hervorkommen, zwei Fuß entfernt von ſeiner Vereinigung mit dem Stiele. Als ſie einen Fuß Länge erreicht hatte, ſtellte ich einen irdnen Topf mit Unterſatz darunter; ſobald dieſer Topf mit Wurzelfaſern angefüllt war, beſchloß ich, zu unterſuchen, ob er bei häufigem Begießen zur Ernährung der ganzen Pflanze hinreichen würde. Im Auguſt 1816 hörte ich deshalb auf, das erſte Gefäß zu begießen, während die Erde des zweiten im Gegentheil oft befeuchtet wurde; das Ganze blieb ſo acht Monate lang. Nun gab augenſcheinlich die völlig ausgetrocknete Erde des erſten Topfes der Pflanze keine Nahrung mehr; demungeachtet aber war ſie ſo üppig, als werde ihr noch von den urſprünglichen Wurzeln Leben zugeführt. Um alle Zweifel zu heben, wurde das Gefäß, worinn ſich dieſe erſten Wurzeln befanden, im Frühling 1817 weggethan; die ſie umgebende, von der Sonne ausgetrocknete Erde fiel durch ein langes Rütteln ab; die Pflanze aber ſchien nicht im Geringſten darunter zu leiden; nur die Wurzeln zeigten ſich an ihren verſchiedenen Theilen in größerer Anzahl, als es bisher der Fall war. Eine dieſer neuen Wurzeln — von einem Zweige, 3 Fuß von dem Stiele aus in der entgegengeſetzten Richtung von der— Anhang. 183 jenigen, welche feit einiger Zeit die Pflanze ernährte — wurde zu Ende des Sommers 1817 in einen neuen Topf gepflanzt; fobald eine gewiſſe Anzahl Wurzelfaſern ſich gebildet hatten, wurde ſie oft begoſſen, während man, das nemliche Verfahren befolgend, aufhörte, den zweiten Topf zu begießen; die Pflanze litt nicht im Mindeſten. Im Frühling 1818 nahm ich das durchaus trockene zweite Gefäß hinweg und ſchüttelte, wie es bei den erſten Wurzeln geſchehen, die daran hängende Erde wieder los. ö Dieſer dritte Topf, von welchem nun die Pflanze alle Nah— rung empfing, war 4 Fuß von dem äußerſten Ende des Stie— les — und ſehr wenig von der Spitze eines der Zweige ent— fernt. Die urſprünglichen Wurzeln ſowohl, als die in den zweiten Topf verpflanzten, ſchwebten in der Luft. Bei einem dritten Verſuche — den vorhergehenden in Allem gleich — der im Mai 1819 angeſtellt wurde, nahm die Pflanze ihre Nahrung von einem einzigen ſehr kleinen Gefäße (von nur 2 Zoll im Durchmeſſer), welches man am äußerſten Ende eines der Zweige unter der Wurzel angebracht hatte. Endlich im Juli 1819 dachte ich zu verſuchen, ob die Pflanze — wenn ſchwebend in der Luft, und ohne daß einer ihrer Theile die Erde berühre — leben könne. Ich nahm den oben erwähnten kleinen Topf hinweg, ließ die Erde an den Wurzeln fallen und begnügte mich, zweimal des Tages die Blätter mit Waſſer zu beſprengen; nun aber — obgleich die— ſer Verſuch ſeit 8 Monaten dauert — iſt die an einem Spa— lier hängende Pflanze eben ſo üppig, als andere in Erde ge— zogene Individuen derſelben Art. Bemerkenswerth iſt noch, daß dieſe Pflanze, welche, nach der gewöhnlichen Weiſe behandelt, ſelten Früchte trägt, an dem Spalier aufgezogen, mit ſolchen beladen war; 2 Feigen 184 Anhang. find an dem Blattwinkel faft eines jeden Blattes entſtanden, und ich habe deren kaum dickere in den Treibhäuſern von Kew geſehen. Von dem äußerſten Ende der Wurzel bis an das der Blät— ter hat die Pflanze jetzt (Februar 1819) 7% Fuß. Der Sten⸗ gel, da wo er am ſtärkſten iſt, hat 5%, Zoll im Umfang. Sie fährt fort zu wachſen und ſich auszubreiten, obgleich ſeit 8 Mo⸗ naten fie ſchwebend hängt, ohne daß einer ihrer Theile in Be— rührung mit Erde ſteht. (Ausgezogen mit einigen Abkürzungen aus den Annales de Chimie et de Physique. T. XV. 13. Edinbourg philosophical Journal Nr. 5). Verſuche und Beobachtungen über die Wirkung der vegetabiliſchen Kohle auf die Vegetation, von Edu ard Lucas. In einer Abtheilung eines niederen Warmhauſes des bo— taniſchen Gartens zu München wurde ein Beet für junge tro— piſche Pflanzen, ſtatt der ſonſt gebräuchlichen Lohe, mit Kohlen⸗ ſtaub, der überall ſehr leicht zu erhalten war, nachdem durch ein Sieb die größeren Kohlenſtücke entfernt worden, ausgefüllt. Die Heizung lief mittelſt einer 6 Zoll weiten Röhre von Eiſen— blech durch dieſes Beet in einen hohlen Raum und theilte ihm ſo eine gelinde Wärme mit, was bei der Lohe durch den Anhang. 185 Proceß ihrer Gährung bezweckt wurde. Die in dieſes Kohlen— beet eingeſenkten Pflanzen zeichneten ſich gar bald durch eine lebhafte Vegetation und ihr friſches, geſundes Anſehen aus. Wie es in dergleichen Beeten immer der Fall iſt, daß nemlich die Wurzeln vieler Pflanzen durch die Abzugslöcher der Töpfe hindurchdringen und ſich dann ausbreiten, ſo auch hier, nur zeigte ſich das Auffallende, daß dieſe in Kohle durchgewurzel— ten Pflanzen ſich durch Trieb und Ueppigkeit vor allen anderen, z. B. in Lohe durchgewurzelten, ſehr auszeichneten. Einige, unter denen ich nur die ſchöne Thunbergia alata und die Gat- tung Peireskia nenne, wucherten zum Erſtaunen; erſtere blü— hete ſo reichlich, daß Jeder, der ſie ſah, beſtätigte, noch nie ſolche Exemplare gefunden zu haben. Auch ſetzte ſie, was ſonſt meiſt nur nach künſtlicher Beſtäubung geſchieht, ohne Zuthun eine Menge Saamen an. Die Peiriskien kamen ſo ſtark in Trieb, daß die Aculeata Loten von mehreren Ellen trieb und P. grandiſolia Blätter von einem Fuß Länge machte. Solche Erſcheinungen, wozu noch viele ſcheinbare geringere, wie das raſche Aufkeimen von Saamen, die ſich ſelbſt ausgeſtreut hat— ten, das häufige Erſcheinen junger Filices kommen, mußten natürlich meine Aufmerkſamkeit rege machen, und ich wurde ſo nach und nach zu einer Reihe von Verſuchen geführt, deren Reſultate in doppelter Beziehung nicht unintereſſant ſein dürf— ten, denn außer dem techniſchen Nutzen für die Cultur der mei— ſten Pflanzen bieten ſie auch in phyſiologiſcher Beziehung Man— ches dar. Das Nächſte, was die Natur der Sache mit ſich brachte, war, daß ich zu verſchiedenen Pflanzen einen Theil vegetabili— ſcher Kohle der Erde beimiſchte und in dem Quantum ſteigerte, je mehr ich die Vortheile der Methode einſah. Ganz vor— züglich zeigt ſich z. B. ein Beiſatz von „/ Kohle unter Laub— 186 Anhang. erde bei Gesneria und Gloxrinia, fo wie bei den tropischen Aroideen mit knolligen Wurzeln. Die beiden erſteren Gattun- gen erregten bald durch die größte Ueppigkeit aller ihrer Theile die Bewunderung der Kenner. Die Stengel übertrafen an Dicke, ſo wie die Blätter an dunkler Färbung und Straffheit die auf gewöhnliche Weiſe cultivirten Exemplare; die Blüthe ließ nichts zu wünſchen übrig, und ihre Vegetation dauerte ausnehmend lange, ſo daß jetzt, in Mitte des Novembers, wo die meiſten der anderen Exemplare bis auf die Knolle abgeſtor— ben ſind, dieſe noch in üppiger Friſche daſtehen und theilweiſe blühen. Die Aroideen zeigten ein ſehr raſches Wurzelvermögen, und ihre Blätter übertreffen an Größe die nicht ſo behandel— ten um Vieles; die Arten, welche wir ihrer ſchönen Färbung der Blätter wegen als Zierpflanzen ziehen (man denke nur an Caladium bicolor, pictum, paecile ꝛc.), machten ſich durch das lebhafteſte Colorit noch bemerkbarer; auch trat hier der Fall wieder ein, daß ihre Vegetationsperiode ungewöhnlich lang fortdauerte. Cactus, die in einer Miſchung von gleichen Thei— len Kohle und Erde gepflanzt wurden, wucherten förmlich und überwuchſen ihre vorherige Größe in einigen Wochen um die Hälfte. Bei einigen Bromeliaceen und Liliaceen leiſtete die Anwendung der Kohle weſentliche Vortheile, ebenſo bei Citrus, Begonia und ſelbſt bei Palmen. In geringeren Quantitäten bei faſt allen Pflanzenarten, bei denen man Sand zur Locker— erhaltung der Erde anwendet; nach dem Verhältniß des Sand- zuſatzes, anſtatt dieſen beigemiſcht, verfehlte die Kohle ihre Wirkung nicht und erzielte immer eine kräftige Vegetation. Zugleich mit obigen Verſuchen der Untermiſchung der Kohle unter Erdarten wurde ſie auch rein ohne Zuſatz zur Vermeh— rung der Pflanzen angewendet, und auch hierbei erhielt ich die erfreulichſten Reſultate. Stöcklinge von den verſchiedenſten Anhang. 187 Gattungen bewurzelten ſich darinn ſehr ſchnell und gut; ich er— wähne nur Euphorbia fastuosa und fulgens in 10 Tagen, Pandanus utilis in 3 Monaten, P. amaryllifolius, Chamae- dorea elatior in 4 Wochen, Piper-nigrum, Begonia, Ficus, Cecropia, Chiococca, Buddleja, Hakea, Phyllanthus, Cappa- ris, Laurus, Stifftia, Jacquinia, Mimosa, Cactus in 8 bis 10 Tagen einige 40 Species, Ilex und viele andere. Doch auch Blätter und Blattſtücke, ſelbſt Pedunculi, wurden zum Wurzeln und theilweiſe zur Augenbildung in reine Kohle ge— bracht. So gelang es unter andern, die Foliola mehrerer Cycadeen zum Wurzeln zu bringen, eben ſo einzelne Theile des gefiederten Blattes von Bignonia Telsairiae und Jaca- randa brasiliensis, Blätter von Euphorbia fastuosa, Oxa— lis Barrelieri, Ficus, Cyclamen, Polyanthes, Mesembrianthe- mum, auch zartlaubige Pflanzen, wie Lophospermum und Martynia, Stücke eines Blattes der Agave americana, Na- delbündel von Pinus ꝛc., alle ohne einen Anſatz eines vorbe— reiteten Auges. Als Kurmittel für kranke Pflanzen hat ſich auch die reine Kohle ſehr vortrefflich bewieſen. So wurde z. B. eine Do— rianthes excelsa, die ſeit drei Jahren immer nur zurüdgegan- gen war, in kurzer Zeit völlig geſund hergeſtellt. Einem Pom— meranzenbäumchen, welches die leider ſehr häufige Krankheit, das Gelbwerden der Blätter, hatte, wurde dadurch, daß die obere Erdſchicht hinweggenommen und 1 Zoll dick ein Ring von Kohle in die Peripherie des Topfes geſtreut wurde, bin— nen 4 Wochen ſeine geſunde grüne Farbe wieder gegeben. Der— ſelbe Fall war bei Gardenia. Es würde zu weit führen, alle Verſuche mit ihren Reſul— taten, die mit der Kohle angeſtellt wurden, hier aufzuzählen; es gehört auch nicht mehr in das Bereich dieſer Blätter, in— 188 Anhang. dem nur im Allgemeinen gezeigt werden follte, wie die Kohle ihre Wirkungen auf die Vegetation äußerte. Ausführlichere Mittheilungen mögen die verehrlichen Leſer, die beſonderes Intereſſe an dieſem Gegenſtande finden, in der Allgemeinen deutſchen Gartenzeitung von Otto und Dietrich in Berlin in der Folge nachſehen. Die Kohle, die zu obigen Verſuchen angewendet wurde, war nur der ſtaubige Abfall von Föhren- oder Fichtenkohle, wie derſelbe bei Schmieden, Schloſſern ꝛc. in Menge umſonſt zu haben iſt. Dieſes Kohlenpulver zeigte ſich am wirkſamſten, nachdem es einen Winter hindurch der Luft erponirt geweſen war. Für die Folge werden aber auch Verſuche mit Kohle von harten Holzarten, ſo wie mit Torfkohle und mit thieriſcher Kohle angeſtellt werden, obgleich wohl mit Wahrſcheinlichkeit vorauszuſehen, daß keine derſelben ſo entſprechen wird, als die Fichtenkohle, ihrer Poroſität und leichtern Zerſetzbarkeit wegen. Zu bemerken iſt übrigens, daß alle auf erwähnte Art zu behandelnden Pflanzen reichliches Begießen bedürfen, indem es leicht begreiflich iſt, daß ohne dieſes, da die Luft bei weitem leichter die Wurzelballen durchdringen und austrocknen kann, ein Mißlingen jedes Verſuchs faſt unvermeidlich iſt. Dieſer Wirkſamkeit der Kohle liegt wohl zuerſt zu Grunde, die Theile der Pflanzen, die mit ihr in Berührung gebracht werden, ſeien es Wurzeln, Zweige, Blätter oder Blattſtücke, eine geraume Zeit unverändert in ihrer Lebensthätigkeit zu er halten, ſo daß das Individuum Zeit gewinnt, aus ſich ſelbſt die Organe zu entwickeln, die zu ſeiner weitern Erhaltung und Fortpflanzung nothwendig ſind. Es leidet auch wohl faſt keinen Zweifel, daß die Kohle bei ihrer Zerſetzung — nach meh— reren, vielleicht 5 bis 6 Jahren iſt dieſelbe, wenn ſie beſtändig in Thätigkeit bleibt, zu Kohlenerde geworden — Kohlenſtoff Anhang. 189 oder Kohlenorid der Pflanze in reichlicher Menge zuführt und durch dieſe Mittheilung des Hauptbeſtandtheils der pflanzlichen Nahrung Wirkungen hervorzubringen vermag; wie wäre denn ſonſt das tiefere Grün und die Ueppigkeit der Blätter, ja des ganzen Wachsthums zu erklären, die bei der beſten Cultur in irgend einer Erdart nach dem Urtheil erfahrener Männer nicht erzielt werden konnte. Sie wirkt auch inſofern äußerſt gün- ſtig, als ſie die von den Wurzeln abſorbirten Theile zerſetzt und aufſaugt und dadurch die Erde immer rein von faulenden Subſtanzen, die oft Urſache des Abſterbens der Spongiolen ſind, erhält. Ihre Poroſität, ſo wie das Vermögen, das Waſſer raſch aufzuſaugen und nach geſchehener Sättigung alles übrige durchſickern zu laſſen, ſind gewiß nicht minder Urſache der gün— ſtigen Ergebniſſe. Welche nahe Verwandtſchaft übrigens die Beſtandtheile der Kohle zu allen Pflanzen haben müſſen, geht daraus hervor, daß alle angeſtellten Verſuche die Bemühungen krönten, und zwar bei der großen Verſchiedenheit der Pflan— zenfamilien, die denſelben unterworfen wurden. (Buchner's Repertorium, II. Reihe XIX. Bd. S. 38). ’ Ueber Ernährung der Pflanzen vom Forſt⸗Rathe Dr. Th. Hartig. Wenn heute eine Sandſcholle, deren Boden kaum erkenn— bare Spuren von Humus enthält, mit Kiefern angeſäet und ſorgfältig bewirthſchaftet wird, ſo liefert nach einer Reihe von Jahren der aus der Saat hervorgegangene Holzbeſtand nicht allein eine beträchtliche Kohlenſtoffmaſſe in der Holzernte, ſon— dern auch die Fruchtbarkeit des Bodens zeigt ſich durch einen erhöhten Humusgehalt geſteigert. Wo kann dieſe Kohlenftoff- maſſe herſtammen, wenn nicht aus der Luft? Kann in dieſem Falle ein Holzbeſtand auf ſchlechtem Boden ſeinen und ſeines Bodens Kohlenſtoff aus der Luft beziehen, fo wird er dieſe Fähigkeit auf einem in feinen anpr- ganiſchen Beſtandtheilen beſſern Boden in nicht geringerm Grade beſitzen. Wenn es eine nicht in Abrede zu ſtellende Thatſache iſt, daß der jährliche Laubabfall geſchloſſener Waldbeſtände hinreicht, und auf fruchtbarem Boden mehr als hinreichend iſt, denſelben in ſeinem Humusgehalte zu erhalten, ſo iſt es mathematiſch ge— wiß, daß die geſammte Holz-Production der Wälder ihrer Maſſe nach aus der Atmoſphäre ſtamme. Eben ſo beſtimmt erkennen wir in unſeren Wäldern, daß Anhang. 191 der atmoſphäriſche Kohlenſtoff durch die Blätter in die Pflanze aufgenommen wird, denn in geſchloſſenen Beſtänden iſt der . Blattſchirm ſo dicht, daß nur die gröbſten Niederſchläge, und dieſe erſt dann, wenn ſie wenig Kohlenſtoff enthalten, den Bo— den erreichen; alle feineren atmoſphäriſchen Niederſchläge und die mit Kohlenſäure reichlich geſchwängerten erſten Tropfen gröberer Niederſchläge werden von den Blättern gierig einge— ſogen und erreichen den Boden nicht. Trotz dem erkennen wir eine weit größere Abhängigkeit des Pflanzenwuchſes von der Bodenbeſchaffenheit als vom Klima. Guter Boden vermag in weit höherem Grade die Ungunſt des Klima, als eine günſtige Atmoſphäre die ſchlechte Beſchaffenheit des Bodens zu heben; den Erfahrungen über Abhängigkeit des Pflanzenwuchſes vom Boden, über den günſtigen Einfluß, wel— chen beſonders der Humus äußert, müſſen ſich alle Reſultate wiſſenſchaftlicher Unterſuchungen, alle Erkenntniß der Nahrung und Ernährung des Pflanzenkörpers unterordnen. Es iſt die Frage: worinn die Abhängigkeit des Pflanzen— wuchſes von der Beſchaffenheit des Standorts begründet ſei, eine der wichtigſten für den Acker- und Forſtwirth. Meine Erfahrungen und Anſichten hierüber ſind enthalten im erſten Bande der achten Auflage des Lehrbuchs für Förſter (Luft-, Boden- und Pflanzenkunde, in ihrer Anwendung auf Forſt— wirthſchaft. Stuttgart, bei Cotta 1840). Neuere Verſuche haben mir einige für die Lehre von der Ernährung der Pflanzen nicht unwichtige Reſultate geliefert. Dem Wunſche des verehrten Herrn Verfaſſers vorliegenden Werkes entſprechend, theile ich dieſelben in Folgendem mit: 192 Anhang. 1) Die Pflanzen nehmen keine ſogenannten Ertractiv- ſtoffe, keine Humusanflöſung aus dem Boden auf. Vier größere Glascylinder wurden gefüllt mit einer Auf— löſung ſogenannter Humusſäure aus Dammerde in Kali, und zwar in der Art, daß dem erſten Glaſe die Auflöſung ſehr concentrirt und dunkel-ſchwarzbraun, jedem der folgenden Glä— ſer mit der Hälfte Waſſer verdünnt gegeben wurde, ſo daß das zweite Glas nur ½, das dritte nur ½, das vierte nur % der Humusauflöſung enthielt. In dieſen Gläſern wurden junge Bohnenpflanzen gezogen, und es zeigte ſich ein verhält— nißmäßig kräſtigeres und raſcheres Wachſen der Pflänzchen, je mehr Humus die Auflöſung enthielt. Nachdem ich mich auf dieſe Weiſe von der günſtigen Wirkung des aufgelößten hu— musſauren Kali im Allgemeinen überzeugt hatte, kam ich dar— auf, zu erforſchen, ob und wieviel dieſes Stoffes von den Wur— zeln der Pflanze aufgeſogen werde. Zu dieſem Zwecke wurden ſehr kleine Glascylinder von 3 Zoll Länge, 4 Linien innerem Durchmeſſer und 0,35 Loth Waſſergehalt mit einer Löſung von humusſaurem Kali gefüllt, in welcher 0,057 p. c. des Waſſer⸗ gewichtes oder in 0,35 Loth Waſſer 0,0002 Loth trocknes humusſaures Kali aufgelöft waren. In die gefüllten Cylinder wurden kleine Bohnenpflänzchen gebracht, welche freudig wuchſen und bald eine Menge Wur⸗ zeln entwickelten. In den erſten 14 Tagen wurde täglich die Hälfte der ſtets durch deſtillirtes Waſſer ergänzten Flüſſigkeit, in den folgenden 14 Tagen, von Morgens 5% Uhr bis Abends 7 Uhr ½, in der Nacht Y, derſelben, binnen 24 Stunden daher durchſchnittlich die ganze Waſſermaſſe des Gefäßes, das Doppelte des Gewichts der Pflanze betragend, von den Wurzeln derſelben eingeſogen. Die Gewichtzunahme der einzelnen Anhang. 193 Pflanze während der einmonatlichen Verſuchszeit betrug 0,1076 Loth. Die Pflanzen hatten eine Höhe von 5 Zoll und eine Stammdicke von 1% Par. Linien erreicht. Während der Ver— ſuchszeit konnte das Auge eine Verminderung des Humus in der Löſung nicht entdecken. War am Abende heißer und ſon— niger Tage die Flüſſigkeit bis auf „/, aufgefogen, fo zeigte ſich der Rückſtand verhältnißmäßig dunkler gefärbt und erhielt nach dem Auffüllen mit deſtillirtem Waſſer und Mengung deſſelben mit dem Rückſtande wieder die urſprüngliche Färbung. Die Wurzeln nahmen alſo das Waſſer mit Zurücklaſ— ſung der Humuslöſung auf. Nach Verlauf eines Mo— nats wurde die Flüſſigkeit, in welcher die Pflanzen gewachſen, unterſucht, und es ergab ſich eine Verminderung der Humus— menge von 0,0001 Loth. Dieſe höchſt unbedeutende Vermin— derung rührt theils daher, daß ſich etwas Humusſäure an den Wurzeln der Pflanze flockig niedergeſchlagen hatte. Wollte man annehmen, daß die Hälfte der Verminderung S 0,00005 Loth von den Wurzeln wirklich aufgeſogen, nicht durch Bildung von Kohlenſäure verſchwunden ſei, ſo iſt dennoch die Menge im Verhältniß zu Gewicht- und Volumvermehrung der Pflanzen ſo gering, daß man ſie füglich als unweſentlich beim Ernäh— rungsproceſſe außer Acht laſſen kann. Dieſelben Gläſer mit denſelben Pflanzen wurden nun nach dieſer erſten Unterſuchung mit einer filtrirten Abkochung reiner Dammerde von dunkelbrauner Färbung angefüllt. Nach Ver— lauf von drei Wochen konnte auch hier das Auge keine Lich— tung der Flüſſigkeit entdecken. Dieſelben Verſuche wurden mit humusſaurem Ammoniak und mit humusſaurem Natron wiederholt; aber nirgend ließ ſich eine Verminderung der aufgelöſ'ten Stoffe und Entfärbung der Flüſſigkeit entdecken, obgleich die Pflanzen täglich faſt die ganze 13 “ 194 Anhang. Flüſſigkeit der Gefäße abſorbirten. Ich glaube daher zu dem Schluſſe berechtigt zu ſein, daß die Pflanzenwurzeln keine Hu— muslöſung aus dem Boden aufnehmen. 2) Die Pflanzen nehmen Kohlenſäure durch die Wurzeln ans dem Boden auf. Zwei Glasröhren von 8 Zoll Länge und 4 Linien innerem Durchmeſſer wurden am untern Ende durch eine ſehr enge gebogene Glasröhre in Verbindung geſetzt, ſo daß die beiden Schenkel parallel neben einander ſtanden. Nachdem der Ap— parat mit kohlenſaurem Waſſer gefüllt worden, wurde in die obere Oeffnung des einen Schenkels eine reich bewurzelte junge Bohnenpflanze, deren Wurzeln 2 Zoll tief in die Flüſſigkeit hinab reichten, eingeſenkt, und die Oeffnung mit Kautſchuck luftdicht verſchloſſen, der Luftzutritt zum kohlenſauren Waſſer im zweiten Schenkel des Apparats durch eine Oelſchicht verhin— dert. Die Pflanze abſorbirte täglich ihr eigenes Gewicht an Feuchtigkeit, welche alle Abende in dem mit Oel abgeſperrten Schenkel durch deſtillirtes Waſſer ergänzt wurde. Die Menge des kohlenſauren Waſſers im Apparate lieferte urſprünglich mit Kalkwaſſer einen Niederſchlag von 0,0035 Loth kohlenſaurem Kalke; nachdem die Pflanze acht Tage in der Flüſſigkeit vegetirt hatte, wog der Niederſchlag nur noch 0,0012 Loth. Bei der Unterſuchung wurde die obere Oeffnung des Schenkels ohne Pflanze luftdicht verſchloſſen, aus dem andern Schenkel die Pflanze herausgenommen und die Flüſſigkeit ſchich— tenweiſe von 2% zu 2½ Zoll unterſucht. In der oberen Schicht, welche die Pflanzenwurzeln umgeben hatte, fanden ſich kaum Spuren von Kohlenſäure; die darauf folgenden Schichten zeig— ten kaum eine Verringerung derſelben gegen den urſprünglichen Säuregehalt. Der Schenkel ohne Pflanze enthielt natürlich Anhang. 195 nur wenig Kohlenſäure, da fein kohlenſaures Waſſer in den Pflanzenſchenkel größtentheils eingeſogen und durch deſtillirtes Waſſer erſetzt worden war. Wenn ſich hieraus ergiebt, daß die Pflanzen kohlenſaures Waſſer aus dem Boden durch die Wurzeln aufnehmen, ſo muß auch, da das Endreſultat der Zerſetzung des Humus Kohlen— ſäure iſt, dem Kohlenſtoff der Dammerde Ernährungsfähigkeit zugeſtanden werden. Es ergiebt ſich ferner aus dem Verſuche, daß, da die Wur— zeln das kohlenſaure Waſſer in ihrer nächſten Umgebung ent— ſäuert hatten, die Kohlenſäure mit Auswahl und Abſcheidung von den Wurzeln aufgenommen wird. Der Verſuch wurde mehrere Male wiederholt und ziemlich übereinſtimmende Reſultate erlangt. 3) Die Kohlenſänre im Boden iſt nicht unbedingt nöthig zum Wachsthume der Pflanzen ſelbſt nicht zur Blüthe und Fruchtbildung. Bohnenpflanzen, gezogen in geglühtem, pulveriſirtem und geſchlemmtem Quarz, wie ſolcher zur Porcellanfabrication ver— wendet wird, begoſſen mit deſtillirtem Waſſer, lieferten mir Blüthen und Früchte. Ich habe eine ſolche Pflanze mit vier kräftigen Schoten vor mir ſtehen, von denen die älteſte bereits 2 Zoll 9 Linien lang und 5, Linien breit if, Organiſche Stoffe waren hier gänzlich ausgeſchloſſen. Leider zeigte ſich bei einer nachträglichen Unterſuchung des Quarzes derſelbe nicht ſo frei von Kalk, Talk und Eiſen, daß ſich aus dem Aſchen— rückſtande Schlüſſe auf das Bedürfniß der Pflanze an anorga— niſchen Stoffen ziehen ließen; bei wiederholtem Verſuche werde ich dieſen Fehler beſeitigen. Auffallend iſt der ungemein große Gehalt der im Quarz gezogenen Pflanzen an Kieſelerde. 13 * 196 Anhang. Zuſatz zur Seite 114. »»Was den Einfluß des Abpflückens der Blüthen auf höheren Kartoffelertrag betrifft, fo hat ein auf dem landwirth— ſchaftlichen Verſuchsfelde im Jahr 1839 angeſtellter Verſuch die Sache vollkommen beſtätigt, indem ihr Ertrag bei ſonſt ganz gleichen Verhältniſſen betragen hat beim Abpflücken 47 Malter, beim Nichtabpflücken 37 Malter pr. Morgen (2600 Qua⸗ dratmeter).«« (Oekonomierath Zeller in der Zeitſchrift des landwirthſchaftlichen Vereins im Großherzogthume Heſſen vom 8. Juni 1840). Zuſatz zur S. 154. Der Fruchtwechſel mit Eſparſette und Luzerne iſt in einer der fruchtbarften Gegenden vom Rhein, bei Bingen und in der Umgegend, ſo wie in der Pfalz allgemein eingeführt; die Aecker erhalten dort nur nach 9 Jahren wieder Dünger. In dem erſten Jahre werden weiße Rüben, in dem darauf fol— genden Gerſte mit Klee angeſäet, in dem ſiebenten Jahre fol— gen Kartoffeln, in dem achten Weizen, im neunten Gerſte, im zehnten wird gedüngt, und es beginnt ein neuer Umlauf mit Rüben. Als einige der merkwürdigſten Beweiſe für die aufgeſtellten Principien des Feldbaues, namentlich für die Wirkungsweiſe des Düngers und für den Urſprung des Kohlenſtoffs und Stickſtoffs, verdienen die folgenden Beobachtungen in einem größeren Kreiſe bekannt zu werden, da ſie beweiſen, daß ein Weinberg ſeine Fruchtbarkeit unter gewiſſen Umſtänden ohne Zufuhr von animaliſchem Dünger, oder überhaupt ohne Zu⸗ Anhang. 197 fuhr von Außen behält, wenn die Blätter und das abgeſchnit— tene Rebholz von dem Weinberg nicht entfernt, ſondern unter— gehackt und als Dünger benutzt werden. Nach der erſteren Angabe war dieſe Düngungsweiſe ſeit acht, nach der anderen, welche gleiche Glaubwürdigkeit verdient, ſeit zehn Jahren mit dem beſten Erfolge fortgeſetzt worden; es laſſen dieſe Erfahrungen über den Urſprung des Kohlen- und Stickſtoffs nicht den Flein- ſten Zweifel zu. Mit dem Holze, welches man den Weinber— gen nimmt, entführen wir ihm höchſt bedeutende Mengen von Alkali, die in dem thieriſchen Dünger wieder erſetzt werden; dasjenige, was in dem Weine ausgeführt wird, beträgt, wie dieſe Beiſpiele belegen, nicht mehr als diejenige Quantität, die jährlich in dem Boden zur Verwitterung gelangt und auf— ſchließbar wird. Man rechnet am Rheine im Durchſchnitt einen jährlichen Ertrag von einem Litre Wein auf einen Quadrat- meter Weinberg; wenn wir nun annehmen, daß der Wein zu ¼ geſättigt iſt mit Weinſtein (ſaurem weinſaurem Kali) ſo nehmen wir in dieſer Flüſſigkeit dem Boden 1,8 Grm. reines Kali im Maximo. Dieſe Schätzung iſt, den Kaligehalt der Hefe mit inbegriffen, jedenfalls das Höchſte, was man anneh— men darf; da 100 Th. Champagner-Wein nur 1,54 und 1000 Th. Wachenheimer nur 1,72 Th. trockenen, geglühten Rück— ſtand hinterlaſſen. Auf jeden Quadratmeter Weinberg kann man aber einen Weinſtock rechnen, deſſen abgeſchittenes Holz nach dem Einäſchern in 1000 Th. 56 — 60 Th. kohlenſaures Kali = 38—40 Th. reinem Kali zurückläßt. Man ſieht hier⸗ nach leicht, daß 45 Grm., —= 1½ Unze, Rebholz fo viel Kali enthalten als 1 Litre Wein; es wird aber dem Rebſtock jähr— lich die 8—10fache Quantität an Holz genommen. Die An— lage neuer Weinberge in der Umgegend von Johannesberg, Rüdesheim und Büdesheim beginnt mit der Ausrottung der 198 Anhang. alten Stöcke, mit dem Anſäen von Gerfte und Luzerne oder Eſparſette, welche fünf Jahre auf dem Felde ſtehen bleibt; in dem ſechsten Jahre wird der junge Weinberg angepflanzt, und in dem neunten Jahre wird er zum erſten Male gedüngt. Gründüngung in Weinbergen. (Aus einem Schreiben des Herrn Verwalters Krebs zu Seeheim.) In Bezug auf den Artikel in der landwirthſchaftlichen Zei- tung Nr. 7. 1838, meine Weinbergsanlage betreffend, ſo wie auf den Artikel: »Gründüngung in den Weinbergen,« in der⸗ ſelben Zeitſchrift Nr. 29. 1839, kann ich nicht umhin, den Gegenſtand noch einmal aufzunehmen und Jedem, der noch zweifelt, daß man in den Weinbergen keine andere Düngung, als den der Weinſtock ſelbſt abwirft, nöthig hat, zuzurufen: Komm her und überzeuge Dich! Nun ſteht mein Weinberg im achten Jahr und hat noch keinen andern Dünger erhalten, demungeachtet möchte kaum Jemand einen ſchöneren, kräftigeren im Trieb, noch voller Frucht aufzuweiſen haben, und ſtände er in der Dünggrube. Ich hätte nach der hier gewöhnlichen Weiſe, die Weinberge zu düngen, jetzt ſchon dreimal düngen müſſen, wozu ich jedes Mal 25 Wagen voll Dünger gebraucht und die mich, bis ſie im Boden geweſen, 3 fl. pr. Wagen, alſo 75 fl. und für drei Mal 225 fl. gekoſtet hätten. Dieſe ſind erſpart und meine Aecker ſind in ſehr gutem Zuſtande. Wenn ich im Früh- und Spätjahr die mühevolle Arbeit anſehe, wie der Dünger mit 2 bis 3 und oft mit 4 Pferden Anhang. 199 an die Weinberge gefahren, dann durch viele Leute oft noch weit auf dem Kopfe getragen wird, während ihre Sandäcker ihn ſo nöthig haben, dann möchte ich ihnen zurufen: Kommt doch in meinen Weinberg und ſeht, wie der gütige Schöpfer ſchon dafür geſorgt hat, daß der Weinſtock ſo gut wie der Baum im Walde ſeinen Dünger ſelbſt abwirft, ja ich behaupte: noch reichlicher und beſſer. Das Laub im Walde fällt erſt im Herbſte, wenn es dürr iſt, ab und liegt jahrelang, bis es ver— weſet, und kann, weil die Luft alle Kraft ausgeſogen hat, dem Reblaub, welches in der letzten Hälfte Juli oder Anfangs Au— guſt ſammt den Reben ab- und kleingehauen und grün unter gehackt wird, keineswegs gleichgerechnet werden, indem dieſes, was mich die Erfahrung lehrte, binnen 4 Wochen ſo in Ver— weſung übergeht, daß auch nicht die entfernteſte Spur mehr zu finden iſt. Sodann ſtehen auf dem Raume, den ein Buch— und Eichbaum einnimmt, wenigſtens 10 Weinſtöcke, die weit mehr Dünger als der größte Baum abwerfen, wenn man be— denkt, wie viel manchmal dem Walde entzogen wird und er dennoch fortbeſteht. Anmerkung der Redaction. In Al. Henderſohn's Geſchichte der Weine der alten und neuen Zeit heißt es: »Das beſte Düngmittel für den Weinſtock ſind die beim Beſchneiden deſſelben erhaltenen friſch untergebrachten Reben. « An der Bergſtraße, badiſcher Seits, wird das Rebholz noch längſt da und dort als Düngmittel der Weinberge be— nutzt. So ſagt z. B. Peter Frauenfelder zu Großſachſen, Amts Weinheim ): »Ich erinnere mich, daß vor 20 Jahren dahier ein gewiſ— ſer Peter Müller obiges Düngmittel in hieſigen Weinbergen an— ) Badiſches landw. Wochenblatt 1834. S. 52 u. 79. 200 Anhang. gewendet und über 30 Jahre fortgeſetzt hat. Derſelbe zerſchnitt die abgeſchnittenen Rebhölzer in handlange Stücke und ließ ſie fallen, dann wurden ſie beim Hacken untergebracht. Seine Weinberge befanden ſich immer in einem kräftigen Zuſtande, und man ſpricht heutzutage noch davon, daß der alte Müller keinen Dung in feine Weinberge brachte und dieſe' doch ſo gut im Stande waren.« Ferner der Wingertsmann W. Ruf zu Schriesheim: »Seit 10 Jahren konnte ich keinen Dung in meinen Wein— berg thun, weil ich arm bin und keinen kaufen konnte. Zu Grunde wollte ich meinen Weinberg auch nicht gehen laſſen, da er meine einzige Nahrungsquelle in meinem Alter iſt; da ging ich oft betrübt in demſelben auf und ab und wußte mir nicht zu helfen. Endlich bemerkte ich, durch die größte Noth aufmerkſam gemacht, daß von einigen Nebenhaufen, die im Pfade liegen geblieben ſind, das Gras größer und maſter war als an den Orten, wo keine Reben lagen; ich dachte näher nach und ſagte endlich zu mir ſelbſt: Könnt ihr Reben mas chen, daß das Gras um euch herum größer, ſtärker und grü— ner wird, fo könnt ihr auch machen, daß die Stöcke und Ne- ben in meinem armen, magern Wingert beſſer wachſen, ſtär— ker und grüner werden. Ich zog meinen Weinberg ſo tief zu, als wenn ich Dung hineinthun wollte, fing an zu ſchneiden, ſchnitt die abgeworfe— nen Reben noch zwei- auch dreimal durch, legte fie in die ge— machten Furchen und bedeckte ſie mit Erde. Im Jahre darauf ſah ich mit der größten Freude, wie ſich mein magerer Wein— berg kräftig erholte. Ich ſetzte dieſes Mittel von Jahr zu Jahr fort und ſiehe, mein Weinberg wuchs herrlich, und blieb den ganzen Sommer grün, auch wenn die größte Hitze eintrat. Meine Nachbarn wundern ſich oft, daß mein Wingert ſo Anhang. 201 maſt iſt, ſo grün ausſieht, ſo ſtarke lange Reben treibt, da ſie doch wiſſen, daß ich ſeit 10 Jahren keinen Dung hineingethan.« Dieß dürften für die wohlgemeinten, wohl zu beherzigenden Worte des Herrn Verwalters Krebs hinlängliche Belege ſein. (Zeitſchrift für die landwirthſchaftlichen Vereine des Großherzogthums Heſſen. 1840. Nr. 28). Zuſatz zur Seite 167. Vor ganz kurzer Zeit war die Wirkungsweiſe des Kuh— koths in der Färberei eben ſo unbegreiflich, wie die des Dün— gers in der Landwirthſchaft. Bei den mit Alaunbeize oder eſſigſaurem Eiſen bedruckten Zeugen muß das Verdickungsmit— tel der Beize aufgelöſ't und hinweggenommen werden; die un— verbundene Beize muß entfernt, ſie muß verhindert werden, ſich im Bade aufzulöſen und in den weißen Grund zu ſchla— gen; die mit der Faſer verbundene Beize muß damit noch vollkommener vereinigt und auf dieſelbe befeſtigt werden. Alle dieſe, für die Färberei höchſt wichtigen Zwecke erreicht man durch das heiße Kuhmiſtbad; es ſchien früher ganz unerſetz— bar durch andere Materien zu ſein, eben weil der thieriſche Organismus dazu gehörte, um den Kuhmiſt hervorzubringen. Jetzt, ſeitdem man weiß, daß alle dieſe Wirkungen den phos— phorſauren Alkalien in dieſem Kothe angehören, wendet man in England und Frankreich keinen Kuhkoth mehr an; man be dient ſich ſtatt deſſelben einer Miſchung von Salzen, in wel— chen der Hauptbeſtandtheil phosphorſaures Natron iſt. ee Len e | rennt, rg Tine. ty. at ug ae ee nner rb ee fu, verlag god hrsg de ech gata Aud le ori At er ee baer dänn eurer fas, t . Hunde Min, eee, . dart bud dd dr Berl ee e e ee eee eee ae ringt Se. Pr. n Berta ao de lichen dt fur h. . n Kran, de tei aten Abel ares webe 0 np 3 u Ren reg ee er N düch we Vote eee ea, add, e n bie ge e, , ee eee eee r ef. > eee, sa e h Smeiter Theil. Der chemiſche Proceß der Gährung Fäulniß und Verweſung. Chemiſche Metamorphoſen. Die organischen Verbindungen, Holzfaſer, Zucker, Gummi und alle übrigen erleiden bei Berührung mit anderen Körpern gewiſſe Aenderungen in ihren Eigenſchaften, re erleiden eine Zerſetzung. Dieſe Zerſetzungsweiſen nehmen in der organiſchen Chemie zweierlei Formen an. Denken wir uns eine aus zwei zuſammengeſetzten Körpern beſtehende Verbindung, die kryſtalliſirte Oxalſäure z. B., die wir mit concentrirter Schwefelſäure in Berührung bringen, ſo erfolgt bei der gelindeſten Erwärmung eine vollkommne Zer— ſetzung. Die kryſtalliſirte Oralſäure iſt eine Verbindung von Waſſer mit Oxalſäure, die concentrirte Schwefelſäure beſitzt zu dem Waſſer eine bei weitem größere Anziehung als die Oralſäure, fie entzieht der kryſtalliſirten alles Waſſer. In Folge dieſer Waſſerentziehung wird waſſerfreie Oxalſäure abgeſchieden, aber dieſe Säure kann für ſich, ohne mit einem andern Körper verbunden zu ſein, nicht beſtehen; ihre Beſtandtheile theilen ſich in Kohlenſäure und Kohlenoxid, die ſich zu gleichen Raum— theilen gasförmig entwickeln. In dieſem Beiſpiel iſt Zerſetzung in Folge des Austretens zweierlei Beſtandtheile (der Elemente des Waſſers) vor ſich gegangen, die ſich mit der Schwefelſäure vereinigt haben. Die 205 Chemiſche Metamorphoſen. größere, die überwiegende Verwandtſchaft des einwirkenden Körpers (der Schwefelſäure) zu dieſem Waſſer war in dieſem Fall die Urſache der Zerſetzung. In Folge des Austretens der Beſtandtheile des Waſſers treten die übrigen Elemente in einer neuen Form zuſammen, wir hatten Oxalſäure und bekommen alle Elemente derſelben, als Kohlenſäure und Kohlenorid wieder. Dieſe Zerſetzungsweiſe, wo alſo die Veränderung durch einen einwirkenden Körper bewirkt wird, der ſich mit einem oder mehreren Beſtandtheilen eines zuſammengeſetzten Körpers verbindet, iſt vollkommen ähnlich den Zerſetzungen anorgani— ſcher Verbindungen. Denken wir uns ſalpeterſaures Kali, was wir mit Schwe— felſäure zuſammenbringen, ſo wird Salpeterſäure ausgeſchieden, in Folge der Verwandtſchaft der Schwefelſäure zum Kali, in Folge alſo der Bildung einer neuen Verbindung (des ſchwefel— ſauren Kalis). j Eine zweite Form nimmt dieſe Zerſetzungsweiſe an, wenn durch die chemiſche Verwandtſchaft des einwirkenden Körpers aus den Beſtandtheilen des Körpers, welcher zerſetzt wird, neue Verbindungen gebildet werden, von denen ſich beide, oder nur der eine, mit dem einwirkenden Körper vereinigen. Nehmen wir z. B. trockenes Holz und befeuchten es mit Schwefelſäure, fo erfolgt nach kurzer Zeit unter Wärmeent- wickelung eine wahre Verkohlung, wir finden die Schwefelſäure unverändert, aber mit mehr Waſſer verbunden wieder, als ſie vorher enthielt. Dieſes Waſſer war in dem Holze nur ſeinen Elementen nach (als Waſſerſtoff und Sauerſtoff) zugegen, beide ſind durch die chemiſche Anziehung der Schwefelſäure gewiſſerma— ßen gezwungen worden, ſich zu Waſſer zu vereinigen, in Folge deſſen iſt der Kohlenſtoff des Holzes als Kohle abgeſchieden worden. Chemiſche Metamorphoſen. 207 Blauſäure und Waſſer in Berührung mit Salzſäure zerlegen ſich beide. Aus dem Stickſtoff der Blauſäure und dem Waſſerſtoff einer gewiſſen Ouantität Waſſer entſteht Ammoniak, aus dem Koh— lenſtoff und Waſſerſtoff der Blauſäure und dem Sauerſtoff des Waſſers entſteht Ameiſenſäure. Das Ammoniak verbindet ſich mit der Salzſäure. Die Berührung der Salzſäure mit Waſſer und Blauſäure veranlaßte eine Störung in der Anziehung der Elemente von beiden, in Folge welcher ſie ſich zu zwei neuen Verbindungen ordneten, von denen die eine, das Ammoniak, die Fähigkeit beſaß, eine Verbindung mit dem ſtörenden Körper einzugehen. Auch für dieſe Zerſetzungsweiſen, welche nicht minder häufig ſind, bietet die anorganiſche Chemie Analoga dar, allein der or— ganiſchen Chemie gehören noch ganz andere Zerſetzungsweiſen an, die ſich von dem eben angeführten darinn unterſcheiden, daß der einwirkende Körper keine Verbindung eingeht mit einem Beſtandtheil der Materie, welche die Zerſetzung oder Verände— rung erfährt. Es erfolgt in dieſen Fällen eine Störung der Anziehungen unter den Elementen der Verbindung in der Art, daß ſie ſich zu einer oder mehreren neuen Verbindungen ordnen, welche unter gegebenen Bedingungen keiner weiteren Veränderung mehr unterliegen. Wenn eine organiſche Verbindung durch chemiſche Ver— wandtſchaft eines zweiten Körpers, oder durch den Einfluß der Wärme, oder durch irgend andere Urſachen ſich zerſetzt, und zwar ſo, daß ſich aus ihren Elementen zwei oder mehrere neue Verbindungen bilden, ſo heißt die Zerſetzung eine chemiſche Metamorphoſe. Die Bezeichnung einer chemiſchen Metamorphoſe ſchließt den 208 Urſache der Gährung, Fäulniß und Verweſung— ſtimmten Begriff in ſich ein, daß in der Zerſetzung einer orga— niſchen Verbindung keines ihrer Elemente einzeln in Freiheit geſetzt wird. Die Veränderungen, welche in der organiſchen Natur mit Gährung, Fäulniß und Verweſung bezeichnet werden, ſind chemiſche Metamorphoſen, welche bewirkt werden durch eine bis jetzt unbeachtet gebliebene Urſache, deren Exiſtenz in dem Folgenden dargelegt werden ſoll. Die Urſache, wodurch Gährung, Fäulniß und Verweſung bewirkt werden. Man iſt erſt in der letzten Zeit darauf aufmerkſam gewor— den, daß ein Körper, der ſich im Zuſtande der Verbindung oder Zerſetzung befindet, auf das Verhalten eines andern ihn berührenden Körpers nicht ohne Einfluß iſt. Platin z. B. zer⸗ legt nicht die Salpeterſäure; ſelbſt in dem Zuſtande der außer— ordentlichen Zertheilung, wo ſeine kleinſten Theile nicht mehr das Licht zurückwerfen, als Platinſchwarz, wird es, mit dieſer Säure gekocht, nicht oridirt. Eine Legirung von Platin mit Silber löſ't ſich hingegen leicht in Salpeterſäure. Die Drida- tion, welche das Silber erfährt, überträgt ſich mithin dem Platin, es erhält in Berührung damit die Fähigkeit, die Sal— peterſäure zu zerſetzen. Kupfer zerlegt das Waſſer nicht beim Sieden mit verdünn— ter Schwefelſäure, eine Legirung von Kupfer, Zink und Nickel lößt ſich leicht unter Waſſerſtoffgasentwickelung in waſſerhalti— ger Schwefelſäure. Urſache der Gährung, Fäulniß und Verweſung. 209 Zinn zerlegt die Salpeterſäure mit außerordentlicher Leich⸗ tigkeit, das Waſſer hingegen nur ſchwierig; bei der Auflöſung von Zinn in verdünnter Salpeterſäure geht mit der Zerſetzung der Salpeterſäure eine lebhafte Waſſerzerſetzung vor ſich, neben einem Oxide des Zinns bildet ſich Ammoniak. In den angeführten Beiſpielen läßt ſich die Verbindung oder Zerſetzung nur bei dem letztern durch chemiſche Verwandt— ſchaft erklären; allein bei den anderen ſollte gerade durch elec- triſche Action die Dridationsfähigfeit des Platins oder Kupfers bei Berührung mit Silber oder Zink verhindert oder aufgeho⸗ ben werden, die Erfahrung zeigt aber, daß hierbei der Einfluß von entgegengeſetzt electriſchen Zuſtänden bei weitem von der chemiſchen Action überwogen wird. In einer minder zweifelhaften Form tritt die Erſcheinung bei Materien ein, in welchen die Elemente nur mit einer ſchwa— chen Kraft zuſammengehalten ſind. Man weiß, daß es chemi— ſche Verbindungen ſo ſchwacher Art giebt, daß Aenderungen der Temperatur, des Electricitätszuſtandes, die bloße mechani⸗ ſche Reibung, oder die Berührung mit anſcheinend durchaus indifferenten Körpern, eine Störung der Anziehung zwiſchen den Beſtandtheilen dieſer Körper in der Art bewirken, daß ſie ſich zerlegen, daß dieſe Beſtandtheile nemlich ſich zu neuen Verbin— dungen ordnen, ohne eine Verbindung mit den einwirkenden Körpern einzugehen. Dieſe Körper ſtehen an der Grenze der chemiſchen Verbindungen, auf ihr Beſtehen üben Urſachen ei— nen aufhebenden Einfluß, welche auf Verbindungen von ſtär— kerer Verwandtſchaft durchaus wirkungslos ſind. Durch eine geringe Erhöhung der Temperatur trennen ſich die Elemente des Chlororids mit der heftigſten Licht- und Wärmeentwicke— lung, Chlorſtickſtoff erplodirt in Berührung mit einer Menge von Körpern, die ſich bei gewöhnlicher Temperatur weder mit 14 210 Urſache der Gährung, Fäulniß und Verweſung. Chlor noch mit Stickſtoff verbinden, und die Berührung ir— gend einer feſten Subſtanz reicht bei dem Jodſtickſtoff und dem Silberorid⸗-Ammoniak hin, um ein Zerfallen mit Exploſion zu Wege zu bringen. Niemand hat je daran gedacht, die Urſache der Zerlegung dieſer Körper einer beſondern von der chemiſchen Verwandt— ſchaft verſchiedenen Kraft zuzuſchreiben, welche thätig wird, z. B. durch Berührung mit dem Barte einer Feder, und die in Folge ihres Auftretens die Zerſetzung bedingt; man betrachtete von jeher dieſe Körper als chemiſche Verbindungen der ſchwächſten Art, in denen alſo die Beſtandtheile in einem Zuſtande der Spannung ſich befinden, die in jeder auch der geringſten Stö— rung die chemiſche Verwandtſchaft überwiegt. Dieſe Verbin⸗ dungen beſtehen nur durch die Kraft der Trägheit (vis inertiae), ein jedes in Bewegung Setzen, die Reibung, ein Stoß reichen hin, um das ſtatiſche Moment der Anziehung der Beſtandtheile, d. h. das Beſtehen in einer beſtimmten Form, aufzuheben. Das Waſſerſtoffhyperoxid gehört zu dieſer Klaſſe von Kör⸗ pern; es zerlegt ſich mit allen Subſtanzen, die ihm den Sauer⸗ ſtoff entziehen, es zerlegt ſich ſelbſt augenblicklich durch Berüh⸗ rung mit vielen Körpern, wie mit Platin und metalliſchem Silber, welche keine Verbindung hierbei eingehen, und in die: ſer Beziehung wird ſeine Zerſetzung offenbar durch die nem— liche Urſache bedingt, welche das Zerfallen des Jodſtickſtoffs und Knallſilbers veranlaßt. Bei dem Waſſerſtoffhyperoxide hat man, merkwürdiger Weiſe, die Urſache der plötzlichen Trennung feiner Beſtandtheile als eine von den gewöhn— lichen Urſachen verſchiedene angeſehen, und ſie einer neuen Kraft zugeſchrieben, der man den Namen katalpytiſche Kraft gegeben hat; man hat dabei aber nicht erwogen, daß die Wirkung des Platins und Silbers nur eine beſchleu— Urſache der Gährung, Fäulniß und Verweſung. 211 nigende iſt, denn auch ohne Berührung mit dieſen Metallen zerlegt es ſich unabwendbar von ſelbſt, obwohl erſt in länge— rer Zeit, beim bloßen Aufbewahren. Die plötzliche Trennung der Beſtandtheile des Waſſerſtoffhyperoxids unterſcheidet ſich von der des gasförmigen Chloroxids oder des feſten Jodſtick— ſtoffs nur inſofern, als ſeine Zerſetzung in einer Flüſſigkeit vor ſich geht. Die merkwürdigſte Erſcheinung in dem Verhalten des Waſſerſtoffhyperorids, und gerade diejenige, welche vor allem Andern die Aufmerkſamkeit feſſelt, inſofern ſie aus der Reihe der bekannten heraustritt, iſt die Reduction, welche gewiſſe Oxide bei Berührung mit Waſſerſtoffhyperorid erleiden, in dem Augenblicke, wo ſich ſein Sauerſtoff von dem Waſſer trennt; hierher gehören Silberorid, Bleihyperoxid und andere, in de— nen aller oder ein Theil des Sauerſtoffs nur mit einer ſchwa— chen Kraft gebunden iſt. Während andere Oxide, in denen die Beſtandtheile durch eine mächtige Verwandtſchaft zuſammengehalten werden, durch Berührung mit dem Waſſerſtoffhyperoxid feine Zerlegung be— wirken, ohne die geringſte Aenderung zu erleiden, trennt ſich bei Anwendung von Silberoxid, mit dem ſich entwickelnden Sauerſtoff des Waſſerſtoffhyperoxids aller Sauerſtoff des Sil— beroxids und es bleibt metalliſches Silber; von dem Bleihyper— oxid trennt ſich, unter denſelben Umſtänden, die Hälfte Sauer⸗ ſtoff und entweicht als Gas. Man iſt ſelbſt im Stande, auf dieſem Wege eine Zerlegung des Manganhyperorids in Sauer: ſtoffgas und Dridul zu bewerkſtelligen, wenn man gleichzeitig eine chemiſche Verwandtſchaft auf das Manganoridul in Thä— tigkeit treten läßt, eine Säure z. B., welche mit dem Oxidul ein lösliches Salz bildet. Verſetzt man Waſſerſtoffhyperorid mit Salzſäure und bringt ſodann gepulvertes Manganhyper⸗ 14 * 212 Urſache der Gährung, Fäulniß und Verwefung. oxid hinzu, fo erhält man bei weitem mehr Sauerſtoffgas, als das erſtere für ſich zu liefern im Stande iſt, man findet aber in der rückſtändigen Flüſſigkeit ein Manganoridulſalz, entſtan— den aus Manganhyperorid, deſſen Hälfte Sauerſtoff ſich als Gas entwickelt hat. Eine ganz ähnliche Erſcheinung bietet das kohlenſaure Sil— berorid dar, wenn es mit manchen organiſchen Säuren zu— ſammengebracht wird. Pyro-Traubenſäure z. B. verbindet ſich leicht mit reinem Silberorid zu einem weißen im Waſſer ſchwer löslichen Salze; mit kohlenſaurem Silberorid zuſammengebracht, trennt ſich mit der entweichenden Kohlenſäure der Sauerſtoff von einem Theile des Silberorids und es bleibt reguliniſches Silber als ſchwarzes Pulver zurück (Berzelius). Man kann den angeführten Erſcheinungen keine andere Er- klärung unterlegen, als daß hierbei Zerſetzung oder Verbindung in Folge der Berührung mit einem andern Körper herbeige— führt wird, der ſich ſelbſt im Zuſtande der Zerſetzung oder Verbindung befindet. Es iſt klar, daß die Action, in der ſich die Atome des einen Körpers befinden, auf die Atome des danebenliegenden zweiten Körpers von Einfluß iſt; ſind dieſe Atome fähig, die nemliche Veränderung zu erfahren, ſo erleiden fie dieſe Veränderung; fie gehen Verbindungen oder Zerfegun- gen ein; allein wenn ſie dieſe Fähigkeit für ſich nicht beſitzen, ſo hört ihre weitere Veränderung von dem Augenblick an auf, wo ſich die Atome des erſtern Körpers in Ruhe befinden, wo mithin die Veränderung oder die "Bebagabenibeie dieſes Körpers vollendet iſt. Der eine Körper übt auf den andern eine ähnliche Wir- kung aus, wie wenn ein brennender Körper mit einem ver— brennlichen zuſammengebracht wird, nur mit dem Unterſchiede, daß die Urſache der Mittheilung des Zuſtandes und der Fort Urſache der Gährung, Fäulniß und Verweſung— 213 dauer dieſes Zuſtandes eine andere iſt. Bei dem verbrennli— chen Körper iſt dieſe Urſache die Temperatur, welche ſich in jedem Zeitmomente wieder neu erzeugt; in den Zerſetzungs— und Verbindungserſcheinungen, die wir betrachten, iſt dieſe Ur— ſache ein in chemiſcher Action begriffener Körper, und nur ſo lange thätig, als dieſe Action dauert. Wir kennen aus zahlloſen Erfahrungen, welchen Einfluß das bloße in Bewegungſetzen auf die Aeußerung der chemi— ſchen Kräfte ausübt; in einer Menge von Salzlöſungen äußert ſich z. B. die Cohäſionskraft nicht, wenn ſie in der Wärme geſättigt, bei völliger Ruhe erkaltet; das aufgelöfte Salz ſchei— det ſich nicht kryſtalliniſch aus, aber ein Sandkorn in die Flüſſig⸗ keit geworfen, ſowie die kleinſte Erſchütterung, reicht hin, um die ganze Auflöſung plötzlich und unter Wärmeentwickelung zum Erſtarren zu bringen; wir ſehen die nemliche Erſcheinung bei Waſſer, was weit unter 00 bei völliger Ruhe erkaltet werden kann, ohne zu gefrieren, was aber in dem Momente feſt wird, wo ſeine Theile in Bewegung geſetzt werden. Um in einer beſtimmten Weiſe ſich anzuziehen und zu ordnen, muß die Trägheit zuerſt überwunden werden, die Atome müſſen in Bewegung geſetzt werden. Eine verdünnte Auflöſung eines Kaliſalzes mit Weinſäure gemiſcht, giebt in der Ruhe keinen Niederſchlag; ſetzt man die Flüſſigkeit durch heftiges Umſchütteln in Bewegung, ſo trübt ſie ſich augenblicklich und ſetzt Kryſtalle von Weinſtein ab. Eine Auflöſung von einem Bittererdeſalz, welche durch phosphorſaures Ammoniak nicht getrübt wird, ſetzt augenblick— lich phosphorſaures Bittererde-Ammoniak an den Gefäßwän— den ab, an den Stellen, wo ſie mit einem Glasſtabe in der Flüſſigkeit gerieben werden. Die Bewegung, mithin die Ueberwindung der Trägheit, 214 Urfache der Gährung, Fäulniß und Verweſung. des Beharrungsvermögens, verurſacht in den fo eben angeführ- ten Bildungs- und Zerſetzungsproceſſen eine augenblickliche an— dere Lagerung der Atome eines Körpers, d. h. die Entſtehung einer Verbindung, die vorher nicht vorhanden war. Wie ſich von ſelbſt verſteht, müſſen dieſe Atome die Fähig⸗ keit beſitzen, ſich auf dieſe beſtimmte Weiſe zu ordnen, denn ſonſt würde Reibung und Bewegung ohne den geringſten Ein- fluß darauf ſein. Das bloße Beharren in der Lage, wo ſich die Atome ei— nes Körpers befinden, macht, daß uns viele Körper in anderen Zuſtänden mit anderen Eigenfchaften begabt erſcheinen, als fie nach ihren natürlichen Anziehungen beſitzen. Geſchmolzener und raſch erkalteter Zucker und Glas ſind durchſichtig, von muſchlichem Bruch, beide bis zu einem gewiſſen Grade elaſtiſch und biegſam; der erſtere wird beim Aufbewahren matt und undurchſichtig und zeigt alsdann im Bruche regelmäßige Spal— tungsflächen, welche dem kryſtalliſirten Zucker angehören; das Glas nimmt dieſen Zuſtand an und wird weiß und undurch— ſcheinend, hart, ſo daß es am Stahle Funken giebt, wenn es lange Zeit hindurch bei einer hohen Temperatur im weichen Zuſtande erhalten wird. Offenbar beſaßen die Atome der bei— den Körper in dieſen verſchiedenen Zuſtänden verſchiedene La— gen, in dem erſtern war ihre Anziehung nicht in den Rich— tungen thätig, in denen ihre Cohäſionskraft am ſtärkſten war. Wir wiſſen, daß der geſchmolzene Schwefel beim raſchen Ab— kühlen in kaltem Waſſer weich, durchſichtig und elaſtiſch bleibt und ſich in lange Fäden ziehen läßt, und daß er erſt nach Stunden oder Tagen wieder hart und kryſtalliniſch wird. Das Bemerkenswertheſte iſt hierbei unſtreitig, daß der amorphe Zucker oder Schwefel, ohne Mitwirken einer äußern Urſache, in den kryſtalliniſchen Zuſtand wieder zurückkehrt, denn Urfache der Gährung, Fäulniß und Verweſung. 21⁵ dieß ſetzt voraus, daß ihre Atome eine andere Lage angenom— men haben, daß ſie mithin ſelbſt im feſten Zuſtande bis zu einem gewiſſen Grade Beweglichkeit beſitzen. Die raſcheſte Um— ſetzung oder Formänderung dieſer Art kennt man vom Arra— gonit; identiſch in ſeiner chemiſchen Zuſammenſetzung mit dem Kalkſpath, beweißt ſeine verſchiedene Kryſtallform und Härte, daß ſeine Atome auf eine andere Weiſe geordnet ſind, als wie beim Kalkſpath; beim Erwärmen eines Arragonitkryſtalls, bei dem Inbewegungſetzen ſeiner Atome durch die Ausdehnung he— ben wir ihr Beharrungsvermögen auf, und mit großer Kraft zerſpringt in Folge deſſen der Arragonitkryſtall zu einem Hauf— werk von Kryſtallen von Kalkſpath. Es iſt unmöglich, ſich über die Urſache dieſer Veränderun— gen zu täuſchen, ſie iſt eine Aufhebung des Zuſtandes der Ruhe, in Folge welcher die in Bewegung geſetzten Theilchen eines Körpers entweder anderen, oder ihren eigenen natürlichen Anziehungen folgen. Wenn aber, wie ſich aus dem Vorhergehenden ergiebt, die mechaniſche Bewegung ſchon hinreicht, um bei vielen Körpern eine Form- und Zuſtandsänderung zu bewirken, ſo kann es um ſo weniger zweifelhaft erſcheinen, daß ein im Zuſtand der Ver— bindung oder Zerſetzung begriffener Körper fähig iſt, gewiſſen anderen Körpern den nemlichen Zuſtand der Bewegung oder Thätigkeit zu ertheilen, in welchem ſich ſeine Atome befinden, durch ſeine Berührung alſo mit anderen Körpern dieſe zu befähi— gen, Verbindungen einzugehen oder Zerſetzungen zu erleiden. Dieſer Einfluß iſt durch die angeführten Thatſachen aus dem Verhalten anorganiſcher Körper hinreichend belegt worden, er zeigt ſich bei den organiſchen Materien bei weitem häufiger und nimmt die Form an von den umfaſſendſten und bewun— dernswürdigſten Naturerſcheinungen. 216 Urſache der Gährung, Fänlniß und Verweſung. Mit Gährung, Fäulniß und Verweſung bezeichnet man im Allgemeinen die Form- und Eigenſchaftsänderungen welche die complexen organiſchen Materien erleiden, wenn fie von den Organismen getrennt, bei Gegenwart von Waſſer und einer gewiſſen Temperatur ſich ſelbſt überlaſſen werden. Gäh⸗ rung und Fäulniß find Zerſetzungsproceſſe von der eigenthüm⸗ lichen Art, die wir mit Metamorphoſen bezeichnet haben; die Elemente der Körper, welche in Gährung oder Fäulniß über zugehen fähig ſind, ordnen ſich zu neuen Verbindungen, und in dieſer Ordnungsweiſe nehmen meiſtens die Beſtandtheile des Waſſers einen beſtimmten Antheil. Die Verweſung iſt verſchieden von der Gährung und Fäulniß, inſofern ſie ohne Zutritt der Luft nicht ſtatt— findet, deren Sauerſtoff hierbei von dem Körper aufgenommen wird, es iſt eine langſame Verbrennung, bei welcher unter allen Umſtänden Wärme und zuweilen anch Licht entwickelt wird; bei den Zerſetzungsproceſſen, die man Fäulniß und Gäh⸗ rung nennt, entwickeln ſich ſehr häufig luftförmige Producte, die entweder geruchlos ſind oder einen unangenehmen Geruch verbreiten. Man iſt gewiſſermaßen übereingekommen, mit dem Ausdruck Gährung die Metamorphoſe derjenigen Materien zu bezeich— nen, welche geruchloſe gasförmige Producte entwickeln, wäh— rend die Bezeichnung Fäulniß gewöhnlich für diejenigen von ſelbſt erfolgenden Zerſetzungen gebraucht wird, in denen übel- riechende Gasarten gebildet werden. Der Geruch kann aber, wie ſich von ſelbſt verſteht, keineswegs über die Natur der Zerſetzung als entſcheidender Character gelten, beide, Gährung und Fäulniß, ſind einerlei Zerſetzungsproceſſe, die erſtere von ſtickſtofffreien, die andere von ſtickſtoffhaltigen Subſtanzen. Man iſt ferner gewöhnt, eine gewiſſe Klaſſe von Metamor— Gährung und Fäulniß. 217 phofen von der Gährung und Fäulniß zu trennen, und zwar diejenige, wo Veränderungen und Umſetzungen erfolgen, ohne Enwickelung von gasförmigen Producten. Allein die Zuſtände, in denen die neuen Verbindungen ſich darſtellen, ſind, wie man weiß, rein zufällig, und deshalb nicht der entfernteſte Grund vorhanden, Zerſetzungen dieſer Art, wie man gethan hat, einer beſondern Urſache zuzuſchreiben. Gährung und Fäulniß. Manche Materien gehen dem Anſchein nach von ſelbſt in Gährung und Fäulniß über, und dieß ſind namentlich dieje— nigen, welche Stickſtoff oder ſtickſtoffhaltige Subſtanzen beige— mengt enthalten, und das Merkwürdigſte hierbei iſt, daß außer⸗ ordentlich kleine Quantitäten derjenigen Subſtanzen, die in den Zuſtand der Gährung und Fäulniß übergegangen ſind, die Fähigkeit beſitzen, in unbegrenzten Mengen der nemlichen Materien denſelben Act der Zerſetzung hervorzurufen. Eine kleine Quantität gährenden Traubenſaft zu nicht gäh— rendem zugeſetzt, bringt die ganze Quantität in Gährung. Die kleinſte Quantität im Zuſtande der Gährung begriffe— ner Milch, Mehlteig, Rübenſaft, faulenden Fleiſches, Blut ꝛc. mit friſcher Milch, Rübenſaft, Mehlteig, Fleiſch oder Blut in Berührung gebracht, macht, daß dieſe Materien in den nem— lichen Zerſetzungsproceß übergehen. Dieſe Erſcheinungen treten, wie man leicht bemerkt, aus 218 Gährung und Fäulniß. der Klaſſe der gewöhnlichen Zerſetzungen, die durch chemiſche Verwandtſchaften bewirkt werden, heraus; ihre Elemente ord— nen ſich in Folge einer Störung nach ihren Verwandtſchaften; es ſind Aeußerungen chemiſcher Thätigkeiten, Umwandlungen oder Zerſetzungen, die vor ſich gehen in Folge der Berührung mit Körpern, die ſich in dem nemlichen Zuſtande befinden. Um ſich ein klares Bild über dieſe Vorgänge zu verſchaffen, muß man analoge aber minder verwickelte Erſcheinungen in's Auge faſſen. Die Zuſammengeſetztheit der organiſchen Atome und ihr Verhalten gegen andere Materien im Allgemeinen führt von ſelbſt auf die wahre Urſache, durch welche dieſe Metamorphoſen herbeigeführt werden. Aus dem Verhalten der einfachen Körper weiß man, daß bei Bildung von Verbindungen die Kraft, mit welcher die Be— ſtandtheile zuſammenhängen, in demſelben Verhältniß abnimmt, in welchem die Anzahl der Atome in dem zuſammengeſetzten Atome zunimmt. Manganoxidul geht durch Aufnahme von Sauerſtoff in Oxid, in Hyperorid, in Mangan- und Uebermanganſäure über, wodurch die Anzahl der Sauerſtoffatome in dem erſte— ren um die Hälfte vermehrt, oder verdoppelt, verfünffacht wird, aber alle Sauerſtoffmengen über die hinaus, welche in dem Oridul enthalten iſt, find bei weitem ſchwächer ge— bunden, die bloße Glühhitze treibt Sauerſtoff aus dem Hyper— oxide aus, und die Manganſäuren können von den Baſen nicht getrennt werden, ohne augenblicklich eine Zerſetzung zu erfahren. Die umfaſſendſten Erfahrungen beweiſen, daß die am ein— fachſten zuſammengeſetzten anorganiſchen Verbindungen die be— ſtändigſten, die den Veränderungen am meiſten widerſtehenden Gährung und Fäulniß. 219 ſind, und daß mit ihrer Zuſammengeſetztheit ihre Veränder— lichkeit, ihre leichte Zerſetzbarkeit zunimmt, offenbar nur des— halb, weil mit der Anzahl der Atome, welche in Verbindung treten, die Richtungen ſich vervielfältigen, in denen ihre An— ziehung thätig iſt. Welche Art von Vorſtellung man auch über die Natur der Materie haben mag, die Exiſtenz der chemiſchen Proportionen weiſ't jeden Zweifel über das Vorhandenſein von gewiſſen be— grenzten Gruppen oder Maſſen von Materie zurück, über deren weitere Spaltung oder Theilung wir keine Erfahrungen beſitzen. Dieſe in der Chemie Aequivalente benannten Maſſen ſind nicht unendlich klein; denn ſie wiegen; indem ſie, je nach ihren Anziehungen, ſich auf die mannigfaltigſte Weiſe ordnen, gehen aus dieſer Verbindung die zahlloſen zuſammengeſetzten Atome hervor, deren Eigenſchaften in der organiſchen Natur nach der Form, ja man kann bei vielen ſagen, nach der Rich— tung, nach dem Platze wechſeln, den ſie in dem zuſammenge— ſetzten Atome einnehmen. Vergleicht man nun die Zuſammenſetzung der organiſchen mit den anorganiſchen Vrrbindungen, ſo wird man wahrhaft überraſcht durch die Eriſtenz von Verbindungen, in denen ſich 99 und mehrere hundert einzelne Atome oder Aequivalente ver- einigt finden zu einem einzigen zuſammengeſetzten Atom. Das Atom einer organiſchen Säure von einfacher Zuſammenſetzung, die Eſſigſäure z. B., enthält 12 Aequivalente, 1 Atom China⸗ ſäure enthält 33, 1 Atom Zucker 36, Amygdalin enthält 90, und 1 Atom Talgſäure 138 Aequivalente an Elementen, und die Beſtandtheile der thieriſchen Körper übertreffen die genann⸗ ten bei weitem noch an Zuſammengeſetztheit. In eben dem Grade, als die anorganiſchen Verbindungen die organiſchen an Einfachheit in ihrer Zuſammenſetzung über— 220 Gährung und Fäulniß. treffen, weichen fie von dieſen durch ihr Verhalten ab. Wäh— rend z. B. ein zuſammengeſetzter Atom, das ſchwefelſaure Kali, mit einer Menge von Materien in Berührung, nicht die ges ringſte Veränderung in ſeinen Eigenſchaften erleidet, während bei ſeiner Zerlegung mit anderen Subſtanzen die Cohäſions— kraft, die Fähigkeit von einem ſeiner Beſtandtheile, mit dem be— rührenden Körper eine unlösliche feſte, oder bei gewiſſer Tem— peratur flüchtige Verbindung zu bilden, während alſo andere Urſachen mitwirken, um feine Zerlegung zu bewerkſtelligen, fin- den wir bei complexen organiſchen Atomen nichts Aehnliches. Betrachten wir die Formel des ſchwefelſauren Kalis: SKO,, ſo haben wir darinn nur 1 Aeg. Schwefel und 1 Aeg. Kalium, wir können im höchſten Fall den Sauerſtoff uns ungleich in der Verbindung vertheilt denken und bei einer Zerſetzung einen Theil oder allen Sauerſtoff der Verbindung entziehen, oder einen der Beſtandtheile erſetzen, eine verſchiedene Lagerung der Atome können wir aber nicht hervorbringen, eben weil es die einfachſte Form iſt, in welcher die gegebenen Elemente zu den Verbindungen zuſammenzutreten die Fähigkeit beſitzen. Vergleichen wir damit die Zuſammenſetzung des Trauben⸗ zuckers, ſo haben wir darinn, auf 12 Aeg. Kohlenſtoff, 12 Aeg. Waſſerſtoff und 12 Aeg. Sauerſtoff; wir haben darinn eine An- zahl von Atomen, von denen wir wiſſen, daß ſie die mannig⸗ faltigſten Verbindungen mit einander einzugehen vermögen; die Formel des Zuckers kann ausdrücken ein Hydrat des Kohlen⸗ ſtoffs, oder ein Hydrat des Holzes, oder der Stärke, oder des Milchzuckers, oder eine Verbindung von Aether mit Alkohol, oder von Ameiſenſäure mit Sachulmin; wir können, mit einem Worte, wenn wir die Elemente von Waſſer hinzutreten laſſen oder einzelne Elemente in dem Zucker erſetzen, die meiſten be— kannten ſtickſtofffreien organiſchen Stoffe durch Rechnung dar— Gährung und Fäulniß. 22¹ aus entwickeln; die Elemente dazu ſind alſo in der Zuſammen— ſetzung des Zuckers enthalten, und man kann hinzufügen, die Fähigkeit, zahlloſe Verbindungen mit einander zu bilden, iſt in der Anziehung, welche dieſe Elemente zu einander gegenſeitig haben, ebenfalls vorhanden. Unterſuchen wir nun, wie ſich der Zucker bei Berührung mit Materien verhält, die eine bemerkbare Wirkung auf ihn haben, ſo finden wir, daß die Veränderungen, die er erfährt, nicht in die engen Grenzen eingeſchloſſen ſind, die wir bei den anorganiſchen Verbindungen bemerken; dieſe Veränderungen haben in der That keine Grenzen. Die Elemente des Zuckers folgen jeder Anziehung, und zwar einer jeden auf eine eigenthümliche Weiſe. Während bei den anorganiſchen Verbindungen eine Säure durch den Grad ihrer Verwandtſchaſt zu einem der Beſtandtheile der Verbindung, die davon zerſetzt wird, wirkt und ihren chemiſchen Charakter nie aufgiebt, in welcher Form ſie auch angewendet werden mag, zerſtört und verändert ſie den Zucker, nicht, indem ſie eine vorhandene Baſis vermöge ihrer größeren Verwandtſchaft in Beſchlag nimmt, ſondern indem ſie das Gleichgewicht in der Anziehung der Elemente des Zuckers aufhebt. Salzſäure und Schwefelſäure, in ihrer Wirkungsweiſe und Zuſammenſetzung ſo ſehr von einander verſchieden, wirken auf einerlei Weiſe auf den Zucker in verdünntem Zuſtande anders, als wie in concentrirtem, bei gelinder Wärme wieder anders, als beim Sieden. Während die concentrirte Schwefelſäure bei mäßiger Concentration den Zucker, unter Bildung von Ameiſenſäure und Eſſigſäure, in eine ſchwarze kohlige Materie verwandelt, zerlegt ſie ihn, bei Gegenwart von mehr Waſſer, in zwei braune Subſtanzen, die beide Kohlenſtoff und die Elemente des Waſſers enthalten. Durch die Einwirkung der Alkalien entſtehen aus 222 Gährung und Fäulniß. den Elementen des Zuckers eine Reihe von durchaus verſchie— denen neuen Producten, und durch oxidirende Materien, durch Salpeterſäure z. B., entwickeln ſich daraus Kohlenſäure, Amei- ſenſäure, Eſſigſäure, Zuckerſäure und noch viele andere Pro— ducte, die nicht unterſucht ſind. Wenn man ſich nach dieſen Erfahrungen eine Vorſtellung über die Kraft macht, mit welcher die Elemente des Zuckers zuſammenhängen, und die Größe dieſer Anziehung nach dem Widerſtande beurtheilt, welchen ſie einem darauf einwirkenden Körper entgegenſetzen, ſo ſcheint der Zuckeratom als ſolcher nur durch die Trägheit ſeiner Elemente zu beſtehen, durch das Beharren an dem Orte und in dem Zuftande alſo, in dem ſie ſich befinden, denn ein Behaupten dieſes Zuſtandes durch ihre eigene Anziehung, wie bei dem ſchwefelſauren Kali, beob— achten wir nicht. Gerade diejenigen organiſchen Verbindungen nun, die ſich dem Zucker ähnlich verhalten, ſehr zuſammengeſetzte organiſche Atome alſo, ſind allein fähig, die Zerſetzungen zu erleiden, welche wir Gährung und Fäulniß nennen. Wir haben geſehen, daß Metalle die Fähigkeit erhalten, Waſſer oder Salpeterſäure zu zerlegen, eine Fähigkeit, die ſie für ſich nicht beſaßen, durch die bloße Berührung mit anderen, die ſich in dem Zuſtande der Verbindung befinden; wir ſehen bei dem Waſſerſtoffhyperorxid und Waſſerſtoffhyperſulfid, daß in dem Act ihrer Zerſetzung Verbindungen ähnlicher Art, in denen die Elemente bei weitem ſtärker gebunden ſind, ohne daß eine chemiſche Verwandtſchaft hierbei mitwirkt, die nemliche Zerle— gung erfahren, und man wird in den Materien, welche Gäh— rung und Fäulniß bewirken, bei genauerer Beachtung die nem— liche Urſache erkennen, welche die obigen Erſcheinungen bedingt. Es iſt dieſe Urſache ein jeder Körper, der ſich im Zuſtande Gährung und Fäulniß. 223 der Zerſetzung befindet, ſie iſt eine Störung des ſtatiſchen Mo— ments der Anziehungen der Elemente, eines complexren organi— ſchen Atoms, in deren Folge ſich die Elemente nach ihren ſpe— ciellen Anziehungen aufs Neue gruppiren. Die Beweiſe für die Exiſtenz dieſer Urſache laſſen ſich leicht entwickeln; ſie gehen aus dem Verhalten der Körper hervor, welche Gährung und Fäulniß bewirken; ſie ergeben ſich aus der Regelmäßigkeit, man kann ſagen, Geſetzmäßigkeit, in wel- cher die Theilung der Elemente in den erfolgenden Metamor— phoſen vor ſich geht, und dieſe Regelmäßigkeit iſt ausſchließ— lich begründet in der ungleichen Verwandtſchaft, die ſie in iſo— lirtem Zuſtande zu einander beſitzen. Aus dem Verhalten der Holzkohle zum Waſſer, aus dem der einfachſten Stickſtoffver— bindung, des Cyans, zu demſelben Körper, laſſen ſich alle Metamorphoſen ſtickſtofffreier und ſtickſtoffhaltiger Körper ent- wickeln. 224 Metamorphoſen ſtickſtofffreier Körper. Metamorphoſen ſtickſtofffreier Körper. Bringen wir Sauerſtoff und Waſſerſtoff in der Form von Waſſerdämpfen, demnach in gleichen Wirkungswerthen mit Kohle, in einer Temperatur zuſammen, bei welcher ſie die Fähigkeit beſitzt, eine Verbindung mit einem dieſer Elemente einzugehen, ſo ſieht man, daß ſich unter allen Umſtänden ein Oxid des Kohlenſtoffs, Kohlenorid oder Kohlenſäure, bildet, während, je nach der Temperatur, Kohlenwaſſerſtoff oder Waſſerſtoff in Frei— heit geſetzt wird; es findet demnach eine Theilung des Kohlen— ſtoffs in die Elemente des Waſſers, in den Waſſerſtoff und Sauerſtoff ſtatt, und eine noch vollkommnere Theilung dieſer Art beobachten wir bei allen Metamorphoſen, durch welche Art von Urſachen ſie auch bewirkt werden mögen. Eſſigſäure und Meconſäure erleiden durch den Einfluß der Wärme eine wahre Metamorphoſe, d. h. eine Spaltung in neue Verbindungen ohne Ausſcheidung eines ihrer Elemente. Aus der Eſſigſäure entſteht Kohlenſäure und Aceton, aus der Meconſäure Kohlenſäure und Komenſäure, durch höhere Tem— peratur erleidet die letztere eine neue Metamorphoſe; ſie zer— legt ſich wieder in Kohlenſäure und Pyromeconſäure. Der Kohlenſtoff dieſer Materien theilt ſich in den Sauer— ſtoff und Waſſerſtoff; auf der einen Seite ſehen wir Kohlen— ſäure, auf der andern ein Oxid eines Kohlenwaſſerſtoffs auf— treten, in welchem aller Waſſerſtoff enthalten iſt. Bei der Metamorphoſe von Alkoholdämpfen in mäßiger Glühhitze theilt ſich der Kohlenſtoff auf ähnliche Weiſe und es. Metamorphoſen ſtickſtofffreier Körper. 225 entſteht ein Oxid einer Kohlenwaſſerſtoffverbindung, die allen Sauerſtoff enthält, und gasförmige Kohlenwaſſerſtoffverbin— dungen. Bei dieſen Metamorphoſen durch Wärme ſind, wie man ſieht, keine fremden Verwandtſchaften thäthig; es ſind die beſon— deren Anziehungen der Elemente allein im Spiel, die ſich, je nach dem Grade ihrer Verwandtſchaften, zu neuen Verbindun— gen ordnen, beſtändig und unveränderlich unter den Bedingun— gen, in welchen ſie gebildet werden, ſich auf's Neue umſetzend, wenn dieſe Bedingungen geändert werden. Vergleichen wir nun die Producte mit einander, zu denen zwei in ihrer Zuſammen— ſetzung ähnliche, aber in ihren Eigenſchaften verſchiedene Ma— terien in zwei durch verſchiedene Urſachen erfolgenden Metamor— phoſen Veranlaſſung geben, ſo finden wir, daß die Art der Umſetzung der Atome abſolut die nemliche iſt. In den Metamorphoſen des Holzes auf dem Boden von Sümpfen, die wir Fäulniß nennen, theilt ſich ſein Kohlenſtoff in den Waſſerſtoff und Sauerſtoff ſeiner eigenen Subſtanz und den des Waſſers, neben reiner Kohlenſäure entwickelt ſich ein Kohlenwaſſerſtoff, der eine der Kohlenſäure ähnliche Zuſam— menſetzung beſitzt. In der Metamorphoſe des Zuckers, die wir Gährung nen— nen, theilen ſich feine Elemente in Kohlenſäure, welche 4 von dem Sauerſtoff des Zuckers, und in Alkohol, der allen Waſ— ſerſtoff enthält. In der Metamorphoſe der Eſſigſäure durch Glühhitze ent— ſteht Kohlenſäure, welche /, von dem Sauerſtoff der Eſſigſäure, und Aceton, welches allen Waſſerſtoff enthält. Man ſieht leicht, daß die Elemente einer complexen Ver— bindung ihren ſpeciellen Anziehungen überlaſſen (und dieß ge— ſchieht bei jeder Störung in den Anziehungen der Elemente 15 226 Metamorphoſen ſtickſtoffhaltiger Körper. einer Verbindung, durch welche Urſache ſie auch erfolgen mag), daß die Theilung dieſer Elemente, ihre Umſetzung zu neuen Verbindungen ſtets nach einer und derſelben Weiſe vor ſich geht, mit dem einzigen Unterſchiede jedoch, daß die Natur der gebildeten Producte ſtets abhängig bleibt von der Anzahl der Atome der Elemente, die in Action treten, daß alſo die Pro— ducte je nach der Zuſammenſetzung der Subſtanz ins Unend- liche wechſeln. Metamorphoſen ſtickſtoffhaltiger Körper. Wenn wir die Materien in's Auge faſſen, welche die Ei— genſchaft, Metamorphoſen, Gährung und Fäulniß zu bewirken, im vorzüglichſten Grade beſitzen, ſo finden wir, daß es ohne Ausnahme ſolche ſind, in deren Zuſammenſetzung der Stickſtoff einen Beſtandtheil ausmacht. Wir finden, daß in vielen der- ſelben eine Umſetzung ihrer Elemente zu neuen Producten von ſelbſt erfolgt, von dem Augenblicke an, wo ſie aufhören, dem lebenden Organismus anzugehören, wo ſie alſo aus der Sphäre der Anziehung heraustreten, durch die allein ſie zu beſtehen vermögen. Wir kennen zwar ſtickſtofffreie Körper, die ebenfalls nur in Verbindung mit anderen einen gewiſſen Grad von Beftändig- keit beſitzen, die im iſolirten Zuſtande alſo unbekannt ſind, eben weil ihre Elemente, der Kraft entzogen, durch deren Wirkung ihre Elemente zuſammengehalten ſind, ſich nach ihren eigenen Metamorphoſen ſtickſtoffhaltiger Körper. 227 Anziehungen ordnen; Uebermanganſäure, Manganſäure, unter⸗ ſchweflige Säure ſind ſchon als Verbindungen dieſer Claſſe be— zeichnet worden, allein, wie bemerkt, dieſe Eigenſchaft kommt nur wenigen ſtickſtofffreien Verbindungen zu. Ganz anders verhält es ſich mit den ſtickſtoffhaltigen Kör— pern; man kann ſagen, daß in der eigenthümlichen Natur des Stickſtoffs die Urſache der außerordentlichen Leichtigkeit gegeben iſt, welche ihre eigene Zerſtörung herbeiführt. Als das indiffe— renteſte unter den bekannten Elementen zeigt er keine hervor— ſtechende Anziehung zu irgend einem andern einfachen Körper, und dieſen Charakter trägt der Stickſtoff in alle Verbindungen über, die er einzugehen fähig iſt, ein Charakter, der ſeine leichte Trennung von den Materien, mit denen er verbunden iſt, er⸗ klärlich macht. Nur wenn ſeine Quantität im Verhältniß zu den Elemen⸗ ten, mit denen er verbunden iſt, eine gewiſſe Grenze überſteigt, wie bei Melamin, Ammelin ꝛc., fangen die Stickſtoffverbin— dungen an, eine gewiſſe Beſtändigkeit zu erhalten; ſie verlieren ebenfalls bis zu einem gewiſſen Grade ihre Veränderlichkeit, wenn ſeine Quantität zu der Maſſe der Elemente, mit denen er verbunden iſt, zu der Summe ihrer Anziehungen alſo, ein Minimum beträgt, wie bei den organiſchen Baſen. Wir ſehen in den beiden Knallſilbern, dem Knallqueckſilber, dem Jod- und Chlorſtickſtoff in den ſogenannten fulminirenden Verbindungen dieſen Character der leichten Umſetzung am ent» ſchiedenſten hervortreten. Alle anderen erhalten die nemliche Fähigkeit, ſich zu zer— legen, wenn ihnen die Elemente des Waſſers dargeboten wer— den, ja die meiſten ſind keiner Metamorphoſe fähig, wenn dieſe Bedingung ihrer Umſetzung ausgeſchloſſen iſt. Die veränderlichſten ſtickſtoffhaltigen Subſtanzen, Theile 1 5 * 228 Metamorphoſen ſtickſtoffhaltiger Korper. von Organismen, gehen in trocknem Zuſtande nicht in Fäul- niß über. Aus den Reſultaten der bekannten Metamorphoſen ſtickſtoff⸗ haltiger Körper ergiebt ſich nun, daß hierbei das Waſſer nicht bloß als Medium dient, welches den ſich umſetzenden Elemen⸗ ten Bewegung geſtattet; es ſtellt ſich klar daraus hervor, daß ſie in Folge von chemiſcher Verwandtſchaft vor ſich gehen. Fragen wir nun nach den Veränderungen, welche die ſtick— ſtoffhaltigen Körper im Allgemeinen erleiden, wenn ihnen die Beſtandtheile des Waſſers unter Umſtänden dargeboten werden, wo ihre Zerſetzung, gleichgültig durch welche Urſache, herbei— geführt wird, ſo ergiebt ſich als eine Regel, die keine Aus— nahme kennt, daß unter dieſen Bedingungen der Stickſtoff die— ſer Subſtanzen ſtets bei vollendeter Zerſetzung als Ammoniak in Freiheit geſetzt wird. Alle ſtickſtoffhaltigen organiſchen Ma⸗ terien entwickeln durch die Einwirkung von Alkalien allen Stick— ſtoff in der Form von Ammoniak; Säuren und eine erhöhte Temperatur wirken auf die nemliche Weiſe; nur beim Mangel an Waſſer oder ſeinen Elementen bilden ſich Cyan und andere Stickſtoffverbindungen. Man kann hieraus entnehmen, daß das Ammoniak die ſtärkſte Stickſtoffverbindung iſt, daß Waſſerſtoff und Stickſtoff zu einander einen Grad von Verwandtſchaft beſitzen, der die Anziehung des Stickſtoffs zu allen übrigen übertrifft. Bei den ſtickſtofffreien Materien haben wir in der ausge— zeichneten Verwandtſchaft, welche der Kohlenſtoff zum Sauer- ſtoff beſitzt, eine Urſache kennen gelernt, welche die Spaltung der Elemente eines compleren organiſchen Atoms nach einer beſtimmten Weiſe herbeiführt; in den ſtickſtoffhaltigen macht nur der Kohlenſtoff einen nie fehlenden Beſtandtheil aus, und in dieſen kommt in der hervorſtechenden Verwandtſchaft des Metamorphoſen ſtickſtoffhaltiger Körper. 229 Stickſtoffs zum Waſſerſtoff eine neue höchſt kräftige Urſache einer leichteren Umſetzung der Beſtandtheile hinzu. Bei den ſtickſtofffreien Körpern haben wir ein Element, bei den ſtickſtoffhaltigen zwei Elemente, die ſich in die Elemente des Waſſers theilen, wir haben darinn zwei entgegengeſetzte Verwandtſchaften, die ihre Wirkung gegenſeitig verſtärken. Wir wiſſen nun, daß wir im Stande ſind, durch den Ein— fluß zweier Verwandtſchaften die ſtärkſten Anziehungen zu über— winden, wir bringen mit der größten Leichtigkeit eine Zerſetzung der Thonerde hervor, wenn wir die Verwandtſchaft der Kohle auf ihren Sauerſtoff und die des Chlors auf das Aluminium in Thätigkeit ſetzen, eine Zerſetzung, die mit jedem allein nicht bewirkt werden kann, und es iſt mithin in der Natur und der Conſtitution der Stickſtoffverbindungen ſelbſt eine Art von Spannung der Beſtandtheile, eine hervorſtechende Neigung zu Metamorphoſen gegeben, welche bei vielen eine von ſelbſt er— folgende Umſetzung von dem Augenblick an bewirkt, wo ſie mit Waſſer oder mit den Elementen des Waſſers in Berüh— rung gebracht werden. Das Verhalten der einfachſten aller Stickſtoffverbindungen, des Cyanſäurehydrats, iſt vielleicht am beſten im Stande, eine beſtimmte Vorſtellung über dieſe Theilungsweiſe zu geben. Dieſe Säure enthält Kohlenſtoff, Stickſtoff und Sauerſtoff genau in den Verhältniſſen, daß mit dem Hinzutreten einer gewiſſen Menge Waſſer die Elemente dieſes Waſſers gerade hinreichen, ſein Sauerſtoff einerſeits, um mit ihrem Kohlenſtoff und Sauerſtoff Kohlenſäure, und ſein Waſſerſtoff andererſeits, um mit ihrem Stickſtoff Ammoniak zu bilden. Bei dieſen Körpern vereinigen ſich alſo die günſtigſten Be dingungen, um die vollkommenſte Metamorphoſe zu erleiden, und es iſt wohl bekannt, daß dieſe Spaltung augenblicklich 230 Metamorphoſen ſtickſtoffhaltiger Körper. erfolgt, ſobald die Cyanſäure mit Waſſer zuſammengebracht wird; unter lebhaftem Aufbrauſen verwandelt ſie ſich in Koh— lenſäure und Ammoniak. Dieſe Zerſetzung läßt ſich als Typus aller Metamorphoſen ſtickſtoffhaltiger Körper betrachten, es iſt die Fäulniß in ihrer reinſten und vollendetſten Form, denn die neuen Producte, Kohlenſäure und Ammoniak, ſind keiner weiteren Metamorphoſe mehr fähig. Eine ganz andere und weit verwickeltere Form nimmt aber die Fäulniß an, wenn die erſten Producte, welche gebildet werden, einer fortſchreitenden Veränderung unterliegen; ſie zer⸗ fällt in dieſen Fällen in mehrere Perioden, bei denen es un— möglich iſt, die Grenze zu beſtimmen, wo die eine aufhört und die andere anfängt. Die Metamorphoſe einer aus Kohlenſtoff und Stickſtoff beſtehenden Verbindung, des Cyans, des einfachſten unter allen ſtickſtoffhaltigen Körpern, giebt eine klare Vorſtellung von der Mannigfaltigkeit der Producte, die hierbei auftreten, es iſt die einzige Fäulniß einer ſtickſtoffhaltigen Subſtanz, die einiger⸗ maßen unterſucht iſt. Eine Auflöſung von Cyan im Waſſer trübt ſie nach kur⸗ zer Zeit und fest eine ſchwarze oder braunſchwarze Ma- terie ab, welche die Ammoniakverbindung eines Körpers iſt, der durch eine einfache Vereinigung von Cyan mit Waſſer ent- ſteht. Dieſe Subſtanz iſt unlöslich im Waſſer und entzieht ſich durch ihren Zuſtand jeder weiteren Veränderung. Eine zweite Metamorphoſe wird bedingt durch die Theilung des Cyans in die Elemente des Waſſers; es entſteht Cyan— ſäure, indem ſich eine gewiſſe Menge Cyan mit Sauerſtoff verbindet, es bildet ſich Blauſäure, indem eine andere Por- tion Cyan ſich mit dem freiwerdenden Waſſerſtoff vereinigt. Metamorphoſen ſtickſtoffhaltiger Körper. 231 Eine dritte Metamorphoſe erfährt das Cyan, indem eine vollkommene Spaltung der Elemente des Cyans und eine Thei— lung dieſer Elemente in die Beſtandtheile des Waſſers ſtattfin— det. Oralſäure auf der einen Seite, Ammoniak auf der andern, ſind die Producte dieſer Spaltung. Cyanſäure, deren Bildung ſo eben erwähnt worden iſt, kann in Berührung mit Waſſer nicht beſtehen; ſie zerſetzt ſich im Moment ihrer Bildung, wie oben erwähnt, in Kohlen— ſäure und Ammoniak, die ſich neu bildende Cyanſäure ent— geht aber dieſer Zerſetzung; indem ſie mit dem freigewordenen Ammoniak in Verbindung tritt, entſteht Harnſtoff. Die Blauſäure zerſetzt ſich ebenfalls in eine braune Materie, welche Waſſerſtoff und Cyan, das letztere in einem größeren Verhältniß, als wie im gasförmigen, enthält; es wird bei ihrer Zerſetzung ebenfalls Oxalſäure, Harnſtoff und Kohlenſäure ge— bildet, und durch Spaltung ihres Radikals tritt Ameiſen— ſäure als neues Product auf. Eine Subſtanz mithin, welche nur Kohlenſtoff und Stick— ſtoff enthält, liefert im Ganzen acht von einander durchaus verſchiedene Producte. Einige dieſer Producte ſind durch die Metamorphoſe des urſprünglichen Körpers, durch die Theilung ſeiner Elemente in die Beſtandtheile des Waſſers, andere in Folge einer weitern Spaltung der erſteren entſtanden. Der Harnſtoff, das kohlenſaure Ammoniak ſind durch die Verbindung von zwei der gebildeten Producte entſtanden; an ihrer Bildung haben alle Elemente Antheil genommen. Wie aus den eben angeführten Beiſpielen entnommen wer⸗ den kann, umfaſſen die Zerſetzungen durch Gährung oder Fäul— niß in ihren Reſultaten verſchiedene Erſcheinungen. Es ſind entweder Umſetzungen der Elemente einer com— 232 Metamorphofen ftickftoffhaltiger Körper. plexen Verbindung zu neuen Verbindungen, welche mit oder ohne Hinzuziehung der Elemente des Waſſers vor ſich gehen. In den neuen auf dieſe Weiſe gebildeten Producten findet man entweder genau das Verhältniß der Beſtandtheile wieder, welche vor der Metamorphoſe in der Materie enthalten waren, oder man findet darinn einen Ueberſchuß, der in den Elemen— ten des Waſſers beſteht, welche Antheil an der Theilung der Elemente genommen haben. Oder es ſind Umſetzungen zweier und mehrerer complexer Verbindungen, aus welchen die Elemente beider ſich wechſels— weiſe mit oder ohne Hinzutreten der Elemente des Waſſers zu neuen Producten ordnen. Bei dieſer Art von Metamorphoſen enthalten alſo die neuen Producte die Summe der DBeftand- theile aller Verbindungen, welche an der Zerſetzung Antheil genommen haben. | Die erſtere Zerſetzungsweiſe charakteriſirt die eigentliche Gährung, die andere die ſogenannte Fäulniß. Wir werden in dem Folgenden dieſe Bezeichnungsweiſe ſtets nur für die beiden in ihren Erfolgen ſich weſentlich von einander unter— ſcheidenden Metamorphoſen beibehalten. Gährung des Zuckers. 233 Gährung des Zuckers. Die eigenthümliche Zerſetzung, welche der Zucker erfährt, läßt ſich als der Typus aller der Metamorphoſen betrachten, welche mit Gährung bezeichnet werden. Wenn in eine mit Queckſilber gefüllte graduirte Glocke 1 Cubiccentimeter mit Waſſer zu einem dünnen Brei angerührte Bierhefe und 10 Gramme einer Rohzuckerlöſung gebracht wird, die 1 Gramme reinen Zucker enthält, ſo findet man in der Glocke nach 24 Stunden, wenn das Ganze einer Tempe— ratur von 20— 250 ausgeſetzt geweſen ift, ein Volumen Koh- lenſäure, welches bei 0° und 0,76 Meter B. 245 — 250 CC. entſpricht. Rechnet man hierzu 11 CC. Kohlenſäure, womit die 11 Grm. Flüſſigkeit ſich geſättigt finden, fo hat man mit- hin im Ganzen 255—259 CC. Kohlenſäure erhalten; dieſes Vo— lumen Kohlenſäure entſpricht aber 0,503 bis 0,5127 Grm. dem Gewichte nach. Thénard erhielt ferner von 100 Grm. Rohr: zucker 0,5262 abſoluten Alkohol. 100 Th. Rohrzucker liefern alſo im Ganzen 103,89 Th. an Kohlenſäure und Alkohol zu— ſammengenommen. In dieſen beiden Producten ſind aber 42 Theile Kohlenſtoff enthalten, und dieß iſt genau die Menge, welche urſprünglich in dem Zucker enthalten war. Die Analyſe des Rohrzuckers hat auf eine unzweifelhafte Weiſe ergeben, daß er die Elemente von Kohlenſäure und Al— kohol, minus 1 Atom Waſſer, enthält. Aus den Producten ſeiner Gährung ergiebt ſich, daß der 234 Gährung des Zuckers. Alkohol und die Kohlenſäure zuſammen 1 Atom Sauerſtoff und 2 Atome Waſſerſtoff, die Elemente alſo von 1 Atom Waſſer mehr enthalten als der Zucker, und dieß erklärt auf die befrie- digendſte Weiſe, woher der Gewichtsüberſchuß an den erhaltenen Producten kommt, es haben die Elemente von 1 Atom Waſſer Antheil genommen an der Metamorphoſe des Zuckers. Dem Verhältniß nach, in welchem ſich der Rohrzucker mit Aequivalenten von Baſen verbindet, ſo wie aus der Zuſam— menſetzung feines Oxidationsproducts, der Zuckerſäure, weiß man, daß 1 Atom Zucker 12 Aequivalente oder Atome Kohlen⸗ ſtoff enthält. Keins von dieſen Kohlenſtoffatomen iſt darinn in der Form von Kohlenſäure enthalten, denn man erhält dieſe ganze Quan⸗ tität Kohlenſtoff als Oralſäure wieder, wenn man den Zucker wit übermanganſaurem Kali behandelt. Kleeſäure wird aber als eine niedere, die Kohlenſäure als die höchſte Oxidations— ſtufe des Kohlenſtoffs betrachtet, und es iſt unmöglich, durch einen der kräftigſten Oxidationsproceſſe, wie durch Behandlung mit übermanganſaurem Kali, ein niederes Oxid aus einem hö— heren entſtehen zu machen. Der Waſſerſtoff des Zuckers iſt in dieſem Körper nicht in der Form von Alkohol vorhanden, denn durch Behandlung mit Säuren, namentlich mit einer ſauerſtofffreien, der Salzſäure, wird der Zucker in Waſſer und eine moderartige Kohle zer— ſetzt, und man weiß, daß keine Alkoholverbindung eine ſolche Zerſetzung erfährt. Der Zucker enthält mithin weder fertig gebildete Kohlen— ſäure noch Alkohol; dieſe Körper find in Folge einer Spal- tung ſeines eigenen Atoms, mit Zuziehung der Elemente des Waſſers gebildet worden. Bei dieſer Metamorphoſe des Zuckers findet man alſo in Gährung des Zuckers. 235 den Producten keinen Beſtandtheil der Subſtanz, durch deren Berührung ſeine Zerſetzung herbeigeführt wurde, die Elemente der Bierhefe nehmen an der Umſetzung der Elemente des Zu— ckers keinen nachweisbaren Antheil. Nehmen wir jetzt nun einen Pflanzenſaft, welcher reich iſt an Zucker, und der neben dieſem Beſtandtheil noch andere Ma⸗ terien, vegetabiliſches Eiweiß, Kleber ꝛc. enthält, wie z. B. den Saft von gelben Möhren, Runkelrüben, Zwiebeln ꝛc., über: laſſen wir ihn mit Bierhefe der gewöhnlichen Temperatur, fo geräth er in Gährung, wie das Zuckerwaſſer; es entweicht unter Aufbrauſen Kohlenſäure, und in der rückſtändigen Flüſſigkeit findet man eine dem Zuckergehalt genau entſprechende Menge Alkohol; überlaſſen wir ihn ſich ſelbſt bei einer Temperatur von 35 — 400, ſo geräth er ebenfalls in Gährung, es entwickeln ſich Gaſe in beträchtlicher Menge, welche von einem unangenehmen Geruch begleitet find, und wenn die Flüſſigkeit nach vollendeter Zer- ſetzung unterſucht wird, ſo findet man darinn keinen Alkohol. Der Zucker iſt verſchwunden und mit dem Zucker alle vorher in dem Saft enthaltenen ſtickſtoffhaltigen Körper. Beide ha- ben ſich gleichzeitig mit und neben einander zerſetzt; der Stick— ſtoff der ſtickſtoffhaltigen Subſtanzen findet ſich in der Flüſſig⸗ keit als Ammoniak wieder und neben dem Ammoniak drei neue Producte, welche aus den Beſtandtheilen des Pflanzenſaftes er— zeugt worden ſind. Die eine iſt eine wenig flüchtige in dem thieriſchen Organismus vorkommende Säure, die Milchſäure, die andere iſt der kryſtalliniſche Körper, der den Hauptbeſtand— theil der Manna ausmacht, und die dritte iſt eine feſte dem arabiſchen Gummi ähnliche Maſſe, welche mit Waſſer einen dicken zähen Schleim bildet. Die drei Producte zuſammen wiegen, ohne das Gewicht der gasförmigen Producte zu rech— nen, mehr, als der im Saft enthaltene Zucker; ſie ſind alſo 236 Hefe, Ferment. nicht aus den Elementen des Zuckers allein entſtanden; keins von den dreien war vor dieſer Metamorphoſe in dem Safte zu entdecken, ſie ſind alſo durch eine Umſetzung der Beſtand— theile des Zuckers mit denen der fremden Subſtanzen gebildet worden, und dieſes Ineinandergreifen von zwei und mehreren Metamorphoſen iſt es, was wir die eigentliche Fäulniß nennen. Hefe, Ferment. Wendet man ſeine Aufmerkſamkeit den Materien zu, durch welche Gährung und Fäulniß in anderen Körpern erregt wird, ſo findet man bei genauem Beachten ihres Verhaltens und ihrer Verbindungsweiſe, daß ſie ohne Ausnahmen Subſtanzen ſind, deren eigene Elemente ſich im Zuſtand der Umſetzung be— finden. Betrachten wir zuvörderſt die merkwürdige Materie, die ſich aus gährendem Bier, Wein und Pflanzenſäften in unlös⸗ lichem Zuſtande abſetzt, und die den Namen Ferment, Gäh— rungsſtoff von ihrem ausgezeichneten Vermögen erhalten hat, Zucker und ſüße Pflanzenſäfte in Gährung zu verſetzen, ſo beobachten wir, daß das Ferment ſich in jeder Hinſicht wie ein in Fäulniß und Verweſung begriffener ſtickſtoffhaltiger Körper verhält. Das Ferment verwandelt den Sauerſtoff der umgebenden Luft in Kohlenſäure und entwickelt noch Kohlenſäure aus ſei— Hefe, Ferment. 237 ner eigenen Maſſe (Colin), unter Waſſer fährt es fort, Koh— lenſäure und übelriechende Gaſe zu entwickeln (Then ard), und iſt zuletzt in eine dem alten Käſe ähnliche Maſſe verwan— delt (Prouſt); ſeine Fähigkeit, Gährung zu erregen, iſt mit Vollendung dieſer Fäulniß verſchwunden. Zur Erhaltung der Eigenſchaften des Ferments iſt die Ge— genwart von Waſſer eine Bedingung; ſchon durch bloßes Aus— preſſen wird ſeine Fähigkeit, Gährung zu erregen, verringert, durch Austrocknen wird ſie vernichtet; ſie wird gänzlich aufge— hoben durch Siedhitze, Alkohol, Kochſalz, ein Ueber— maaß von Zucker, Queckſilberoxid, Sublimat, Holzeſſig, ſchweflige Säure, ſalpeterſaures Sil— berorid, ätheriſche Oele, durch lauter Subſtanzen alſo, welche der Fäulniß entgegenwirken. Der unlösliche Körper, den man Ferment nennt, bewirkt die Gäh rung nicht. Wird die Bier- oder Wein- hefe mit ausgekochtem kalten deſtillirten Waſſer ſorgfältig aus- gewaſchen mit der Vorſicht, daß die Subſtanz ſtets mit Waſſer bedeckt bleibt, fo bringt der Rückſtand die Gährung in Zucker⸗ waſſer nicht mehr hervor. Der lösliche Theil des Ferments bewirkt die Gährung ebenfalls nicht. Ein in der Wärme bereiteter klarer wäſſriger Aufguß von Ferment kann mit Zuckerwaſſer in einem verſchloſſenen Gefäße zuſammengebracht werden, ohne das mindeſte Zeichen von Zerſetzung hervorzubringen. Wo iſt nun, kann man fragen, der Stoff oder die Materie, wo iſt der Erreger der Gährung in dem Ferment, wenn die un— löslichen und löslichen Beſtandtheile des Ferments dieſe Zer— ſetzung nicht hervorzubringen vermögen? Dieß iſt von Colin auf die entſchiedenſte Weiſe beantwortet worden; ſie wird durch den aufgelöſ'ten Stoff bewirkt, wenn der 238 Hefe, Ferment. wäſſrige Aufguß an der Luft erkaltet und eine Zeitlang mit der Luft in Berührung gelaſſen war; in dieſem Zuſtande mit Zuckerwaſſer zuſammengebracht, bringt er eine lebhafte Gäh⸗ rung hervor; ohne zuvor der Luft ausgeſetzt geweſen zu ſein, tritt keine Gährung ein. Bei dem Contact mit der Luft erfolgt aber eine Abſorbtion des Sauerſtoffs, und man findet in dem Aufguß nach einiger Zeit freie Kohlenſäure. Die Hefe bringt mithin Gährung hervor in Folge einer fortſchreitenden Zerſetzung, die ſie bei Gegenwart von Luft in Berührung mit Waſſer erleidet. Unterſuchen wir ferner, ob und welche Veränderung mit der Hefe vor ſich geht, wenn ſie in Berührung war mit Zus ckerwaſſer, in welchem die Metamorphoſe des Zuckers vollen- det iſt, ſo zeigt ſich, daß mit der Verwandlung des Zuckers in Kohlenſäure und Alkohol ein Verſchwinden des Ferments verknüpft iſt. Von 20 Th. friſcher Bierhefe und 100 Th. Zucker erhielt Theénard nach vollendeter Gährung 13,7 unlöslichen Rück⸗ ſtand, der ſich mit neuem Zuckerwaſſer, auf dieſelbe Weiſe an— gewendet, auf 10 Theile verminderte; dieſe 10 Theile waren weiß, beſaßen die Eigenſchaften der Holzfaſer und verhielten ſich völlig wirkungslos gegen friſches Zuckerwaſſer. Es ergiebt fi) hieraus auf eine unzweifelhafte Weiſe, daß bei der Gährung des reinen Zuckers mit Ferment beide neben— einander eine Zerſetzung erleiden, in deren Folge ſie beide ver- ſchwinden. Wenn das Ferment nun ein Körper iſt, der ſich im Zuſtande der Fäulniß befindet, und Gährung in Folge ſei— ner eigenen Zerſetzung erregt, ſo müſſen alle Materien, die ſich in dem nemlichen Zuſtande befinden, auf den Zucker eine gleiche Wirkung haben. Hefe, Ferment. 239 Dieß iſt in der That der Fall. Faulendes Muskel— fleiſch, Urin, Hauſenblaſe, Osmazom, Eiweiß, Käſe, Gliadin, Kleber, Legumin, Blut bringen, in Zuckerwaſſer gebracht, die Fäulniß des Zuckers (Gährung) hervor, ja das Ferment ſelbſt, was durch anhaltendes Aus— waſchen ſeine Fähigkeit, Gährung zu erregen, gänzlich verloren hat, erhält ſie wieder, wenn es, an einem warmen Ort ſich ſelbſt überlaſſen, in Fäulniß übergegangen iſt. N Das Ferment, die faulenden thieriſchen und vegetabiliſchen Materien, indem ſie in anderen Körpern den Zuſtand der Zer— ſetzung herbeiführen, den ſie ſelbſt erleiden, wirken mithin wie das Waſſerſtoffhyperorid auf Silberoxid; die Störung in der Anziehung ſeiner Beſtandtheile, welche ſeine eigne Zerſetzung herbeiführt, der Act ſeiner Zerſetzung bewirkt eine Störung in der Anziehung der Beſtandtheile des Silberorids, indem das eine zerſetzt wird, erfolgt eine ähnliche Zerſetzung des andern Körpers. Beachten wir nun, um zu gewiſſen Anwendungen zu kom— men, den Verlauf der Gährung des reinen Zuckers mit Fer⸗ ment, ſo beobachten wir zwei Fälle, die ſtets wiederkehren. Iſt die Menge des Ferments im Verhältniß zu dem vorhandenen Zucker zu gering, ſo iſt ſeine Fäulniß früher beendigt, als die Metamorphoſe des Zuckers; es bleibt Zucker unzerſetzt, inſofern die Urſache ſeiner Metamorphoſe, nemlich die Berührung mit einem in Zerſetzung begriffenen Körper, fehlt. Iſt die Menge des Ferments vorwaltend, ſo bleibt, indem ſeine Unlöslichkeit im Waſſer an und für ſich eine langſamere Zerſetzung bedingt, eine gewiſſe Menge in Zerſetzung begriffen zurück. Dieſe in friſches Zuckerwaſſer gebracht, fährt fort, wieder Gährung zu erregen, bis ſie ſelbſt alle Perioden ihrer eigenen Metamorphoſe durchlaufen hat. 240 Hefe, Ferment. Eine gewiſſe Menge Hefe iſt alſo erforderlich, um eine be— ſtimmte Portion Zucker zur Vollendung ſeiner Metamorphoſe zu bringen, aber ihre Wirkung iſt keine Maſſenwirkung, ſon— dern ihr Einfluß beſchränkt ſich lediglich auf ihr Vorhandenſein bis zu dem Endpunkte hin, wo der letzte Atom Zucker ſich zerſetzt hat. Aus den dargelegten Thatſachen und Beobachtungen ergiebt ſich demnach für die Chemie die Eriftenz einer neuen Urſache, welche Verbindungen und Zerſetzungen bewirkt, und dieſe Urs ſache iſt die Thätigkeit, welche ein in Zerſetzung oder Verbin— dung begriffener Körper auf Materien ausübt, in denen die Beſtandtheile nur durch eine ſchwache Verwandtſchaft zuſam⸗ mengehalten ſind; dieſe Thätigkeit wirkt ähnlich einer eigen— thümlichen Kraft, deren Träger ein in Verbindung oder Zer— ſetzung begriffener Körper iſt, eine Kraft, die ſich über die Sphäre ſeiner Anziehungen hinaus erſtreckt. Ueber eine Menge bekannter Erſcheinungen kann man ſich jetzt genügende Rechenſchaft geben. Aus friſchem Pferdeharn erhält man beim Zuſatz von Salz— ſäure eine reichliche Menge Hippurſäure; läßt man den Harn in Fäulniß übergehen, ſo läßt ſich keine Spur mehr davon entdecken. Menſchenharn enthält eine beträchtliche Quantität Harnſtoff; in gefaultem Harn iſt aller Harnſtoff verſchwunden. Harnſtoff, den man einer gährenden Zuckerlöſung zugeſetzt hat, zerlegt ſich in Kohlenſäure und Ammoniak; in einem gegoh— renen Auszug von Spargeln, Althäwurzeln iſt kein Asparagin mehr vorhanden. Es iſt früher berührt worden, daß in der überwiegenden Verwandtſchaft des Stickſtoffs zu dem Waſſerſtoff, ſo wie in der ausgezeichneten Verwandtſchaft des Kohlenſtoffs zum Sauer⸗ ſtoff, in ihrem entgegengeſetzten Streben alſo, ſich der Elemente Hefe, Ferment. 241 des Waſſers zu bemächtigen, in allen Stickſtoffverbindungen eine vorzugsweiſe leichte Spaltung ihrer Elemente gegeben iſt, und wenn wir finden, daß kein ſtickſtofffreier Körper in reinem Zuſtande die Eigenſchaft beſitzt, ſich in Berührung mit Waſſer von ſelbſt zu zerlegen, ſo liegt es in der Natur der Stickſtoff— verbindungen, und weil ſie gewiſſermaßen höher organiſirte Atome darſtellen, daß ihnen vor allen dieſe Fähigkeit zukommt. Wir finden in der That, daß jeder ſtickſtoffhaltige Beftand- theil des thieriſchen oder vegetabiliſchen Organismus ſich ſelbſt bei Gegenwart von Waſſer und einer höhern Temperatur über- laſſen, in Fäulniß übergeht. Die ſtickſtoffhaltigen Materien ſind demnach ausſchließlich die Erreger von Gährung und Fäulniß bei vegetabiliſchen Subſtanzen. Die Fäulniß gehört in ihren Erfolgen, als eine in einan— der greifende Metamorphoſe verſchiedener Subſtanzen, zu den mächtigſten Desoridationsproceſſen, durch welche die ſtärkſten Verwandtſchaften überwunden werden. Eine Auflöſung von Gyps in Waſſer, die man mit einer Abkochung von Sägeſpänen oder irgend einer Fäulniß fähigen organiſchen Materie in einem verſchloſſenen Gefäße ſich ſelbſt überläßt, enthält nach einiger Zeit keine Schwefelſäure mehr, an ihrer Stelle findet man Kohlenſäure und freie Schmefel- waſſerſtoffſäure, die ſich in den vorhandenen Kalk theilen. In ſtehenden Waſſern, welche ſchwefelſaure Salze enthalten, beob— achtet man an den verfaulenden Wurzelfaſern die e von kryſtalliſirtem Schwefelkies. Man weiß nun, daß unter Waſſer, alſo beim Abschluß der Luft, faulendes Holz ſich in der Weiſe zerlegt, daß ſich ein Theil ſeines Kohlenſtoffs mit ſeinem eigenen und dem Sauer— ſtoff des Waſſers zu Kohlenſäure verbindet, während ſein Waſ— 16 242 Hefe, Ferment. ſerſtoff und der Waſſerſtoff des zerſetzten Waſſers als reines Waſſerſtoffgas oder als Sumpfgas in Freiheit geſetzt werd en die Producte dieſer Zerſetzung ſind mithin von derſelben Art, wie wenn Waſſerdämpfe über glühende Kohlen geleitet werden. Es iſt nun klar, daß wenn das Waſſer eine an Sauerſtoff reiche Materie enthält, wie Schwefelſäure z. B., ſo wird von der faulenden Materie dieſer Sauerſtoff mit dem des Waſſers zur Bildung von Kohlenſäure in Anſpruch genommen werden, und aus dem gleichzeitig frei gewordenen Schwefel und dem Waſſerſtoffgas, die ſich im Entſtehungsmomente verbinden, ent⸗ ſteht Schwefelwaſſerſtoffſäure, die ſich mit den vorhandenen Metalloriden zu Schwefelmetallen umſetzt. Die gefaulten Blätter der Waidpflanze, in Berührung mit blauem Indigo und Alkali, bei Gegenwart von Waſſer, gehen in eine weitere Zerſetzung über, deren Reſultat, eine Desorida⸗ tion des Indigo's, ſeine Auflöſung iſt. Vergleicht man die Zuſammenſetzung des Mannits, welcher durch Fäulniß von zuckerhaltigen Rüben- und anderen Pflan⸗ zenſäften gebildet wird, mit der des Traubenzuckers, ſo findet man, daß er die nemliche Anzahl von Atomen Kohlenſtoff und Waſ⸗ ſerſtoff, aber zwei Atome Sauerſtoff weniger enthält, als der Traubenzucker; es iſt außerordentlich wahrſcheinlich, daß ſeine Entſtehung auf eine ähnliche Weiſe aus dem Traubenzucker ge⸗ folgert werden muß, wie die Verwandlung des blauen Indigo in desoxidirten weißen Indigo. Bei der Fäulniß des Klebers entwickelt ſich kohlensaures Gas und reines Waſſerſtoffgas, es entſteht phosphorſaures eſſigſaures, käſeſaures, milchſaures Ammoniak in ſolcher Menge, daß die weitere Zerſetzung aufhört; wird das Waſſer erneuert, jo geht die Zerſetzung weiter, außer jenen Salzen entſteht koh⸗ lenſaures Ammoniak, eine weiße glimmerähnliche kryſtalliniſche; Hefe, Ferment. 243 Materie (Käſeorid), Schwefelammonium und eine durch Chlor gerinnende ſchleimige Subſtanz. Als ein ſelten fehlendes Pro— duct der Fäulniß organiſcher Körper tritt im Beſonderen die Milchſäure auf. Wenn man, von dieſen Erſcheinungen ausgehend, die Gäh— rung und Fäulniß mit der Zerſetzung vergleicht, welche die organiſchen Verbindungen durch den Einfluß höherer Tempe⸗ raturen erfahren, ſo erſcheint die trockne Deſtillation als ein Verbrennungsproceß in dem Innern einer Materie von einem Theile ihres Kohlenſtoffs, auf Koſten von allem oder einem Theile ihres eigenen Sauerſtoffs, in deren Folge waſſerſtoffreiche andere Verbindungen gebildet werden. Die Gährung ſtellt ſich dar als eine Verbrennung derſelben Art, die bei einer die gewöhnliche, nur wenig überſchreitenden, Temperatur im Sn- nern einer Flüſſigkeit zwiſchen den Elementen einer und der⸗ ſelben Materie vor ſich geht, und die Fäulniß als Oxidations⸗ proceß, an dem der Sauerſtoff aller vorhandenen Materien Antheil nimmt. 16 * 244 Verweſung. Verweſung. In der organiſchen Natur begegnen wir neben den Zer⸗ ſetzungsproceſſen, die mit Gährung und Fäulniß bezeichnet wer⸗ den, einer nicht minder umfaſſenden Klaſſe von Veränderungen, die ſie durch den Einfluß der Luft erfahren; es iſt dieß der Act der allmäligen Verbindung ihrer verbrennlichen Elemente mit dem Sauerſtoff der Luft, eine langſame Verbrennung, die den Namen Verweſung erhalten hat. Zu dieſer Klaſſe gehört die Verwandlung des Holzes in Humus, die Eſſigſäurebildung aus Akohol, die Salpeterbildung und zahlloſe andere Vorgänge. Pflanzenſäfte irgend einer Art, mit Waſſer durchdrungene Theile thieriſcher und vegetabiliſcher Subſtanzen, feuchte Säge⸗ ſpäne, Blut ꝛc. können mit der Luft nicht in Berührung ge⸗ bracht werden, ohne von dem Augenblick an eine fortſchreitende Veränderung der Farbe und Eigenſchaften zu erfahren, von welcher ſtets eine Aufnahme des Sauerſtoffs der Luft als die erſte Urſache ſich zu erkennen giebt. Dieſe Veränderung findet beim Abſchluß alles Waſſers und bei ſeinem Gefrierpunkte nicht ſtatt, und man beobachtet, daß bei verſchiedenen Körpern verſchiedene Wärmegrade erforderlich ſind, um die Sauerſtoffaufnahme und ihr zufolge Verweſung zu bewirken. In dem ausgezeichnetſten Grade gehört dieſe Fähigkeit den ſtickſtoffhaltigen Subſtanzen an. Verweſung. 245 Dampft man Pflanzenfäfte beim Zutritt der Luft in gelin- der Wärme ab, ſo ſchlägt ſich als Product der Einwirkung des Sauerſtoffs eine braune oder braunſchwarze Subſtanz nie— der, die bei allen Pflanzenſäften von ähnlicher Beſchaffenheit zu fein ſcheint; fie wird mit dem Namen Extractivpſtoff bezeichnet, ſie iſt im Waſſer ſchwer- oder unlöslich, und wird von Alkalien leicht aufgenommen. Durch die Einwirkung der Luft auf feſte thieriſche oder vegetabiliſche Gebilde entſteht eine ähnliche pulverige braun— ſchwarze Subſtanz, die man Humus (Terreau) nennt. Die Bedingungen zur Einleitung der Verweſung ſind von der mannigfaltigſten Art; viele und namentlich gemiſchte orga— niſche Materien oxidiren ſich an der Luft beim bloßen Befeuch— ten mit Waſſer, andere beim Zuſammenbringen von Alkalien, und die meiſten gehen in den Zuſtand der langſamen Verbren— nung über, wenn ſie mit anderen verweſenden Materien in Berührung gebracht werden. Die Verweſung einer organiſchen Materie kann durch alle Subſtanzen aufgehoben oder gehindert werden, welche der Fäul— niß oder Gährung entgegenwirken; Mineralſäuren, Queck— ſilberſalze, aromatiſche Subſtanzen, brenzliche Oele, Terpentinöl beſitzen in dieſer Beziehung einerlei Wirkung; die letzteren verhalten ſich gegen verweſende Körper wie gegen Phosphorwaſſerſtoffgas, deſſen Selbſtentzündlichkeit ſie vernichten. Viele Materien, welche für ſich oder mit Waſſer befeuchtet, nicht in den Zuſtand der Verweſung übergehen, gehen bei Berührung mit einem Alkali einer langſamen Verbrennung entgegen. Die Gallusſäure, das Hämatin und viele andere Stoffe laſſen ſich in ihrer wäſſerigen Löſung unverändert aufbewahren, die kleinſte Menge freies Alkali ertheilt aber dieſen Materien 246 Verweſung. die Fähigkeit, Sauerſtoff anzuziehen, und ſich, häufig unter Ent⸗ wickelung von Kohlenſäure, in braune humusähnliche Subſtan⸗ zen zu verwandeln (Chevreul). Die merkwürdigſte Art der Verweſung ſtellt ſich bei vielen vegetabiliſchen Subſtanzen ein, wenn ſie mit Ammoniak und Waſſer der Luft ausgeſetzt werden; ohne Entwickelung von Kohlenſäure ſtellt ſich eine raſche Sauerſtoffaufnahme ein, es entſtehen, wie beim Orein, Erythrin und anderen, prachtvoll violett oder roth gefärbte Flüſſigkeiten, welche jetzt eine ſtick— ſtoffhaltige Subſtanz enthalten, in welcher der Stickſtoff nicht in der Form von Ammoniak enthalten iſt. Bei allen dieſen Vorgängen hat ſich herausgeſtellt, daß die Einwirkung des Sauerſtoffs ſich nur ſelten auf den Kohlen— ſtoff der Materien erſtreckt, was der Verbrennung in höheren Temperaturen vollkommen entſpricht. N Man weiß z. B., daß, wenn zu einer verbrennenden Koh— lenwaſſerſtoff-Verbindung nicht mehr Sauerſtoff zugelaſſen wird, als gerade hinreicht, um den Waſſerſtoff zu oridiren, daß in die— ſem Fall kein Kohlenſtoff verbrennt, ſondern als Kienruß ab- geſchieden wird; iſt die hinzutretende Sauerſtoffmenge noch ge— ringer, fo werden die waſſerſtoffreichen Kohlenwaſſerſtoffver⸗ bindungen in waſſerſtoffarme, in Naphthalin und andere ähn- liche zurückgeführt. Wir haben kein Beiſpiel, daß ſich Kohlenſtoff direct bei gewöhnlicher Temperatur mit Sauerſtoff verbindet, aber zahl- loſe Erfahrungen, daß der Waſſerſtoff in gewiſſen Zuſtänden der Verdichtung dieſe Eigenſchaft beſitzt. Geglühter Kienruß bildet, im Sauerſtoffgas aufbewahrt, keine Kohlenſäure; mit waſſerſtoffreichen Oelen getränkter Kienruß erwärmt ſich in der Luft und entzündet ſich von ſelbſt, und mit Recht hat man die Selbſtentzündlichkeit der zur Pulverfabrication dienenden waſſer— Verweſung. 247 ſtoffreichen Kohle gerade dieſem Waſſerſtoffgehalte zugeſchrieben, denn während des Pulveriſirens dieſer Kohle findet man in der umgebenden Luft keine Spur Kohlenſäure; ſie tritt nicht eher auf, als bis die Temperatur der Maſſe die Glühhitze er— reicht hat. Die Wärme ſelbſt, welche die Entzündung bedingt, iſt mithin nicht durch die Oxidation des Kohlenſtoffs gebildet worden. Man kann die verweſenden Materien in zwei Klaſſen tren— nen; in Subſtanzen, welche ſich mit dem Sauerſtoff der Luft verbinden, ohne Kohlenſäure zu entwickeln, und in andere, bei denen die Abſorbtion des Sauerſtoffs begleitet iſt von einer Abſcheidung von Kohlenſäure. Bittermandelöl, der atmoſphäriſchen Luft ausgeſetzt, ver— wandelt ſich in Benzoeſäure durch Aufnahme von 2 At. Sauer: ſtoff; man weiß, daß die Hälfte davon an den Waſſerſtoff des Oels tritt und damit Waſſer bildet, was in Verbindung bleibt mit der entſtandenen waſſerfreien Benzoeſäure. Nach den Erfahrungen von Döbereiner abſorbiren 100 Th. Pyrogallusſäure bei Gegenwart von Ammoniak und Waſ— ſer 38,09 Th. Sauerſtoff; ſie wird in eine moderartige Sub— ſtanz verwandelt, die weniger Sauerſtoff wie vorher enthält. Es iſt klar, daß das entſtandene Product kein höheres Oxid iſt, und wenn man die Menge des aufgenommenen Sauer— ſtoffs mit ihrem Waſſerſtoffgehalt vergleicht, ſo ergiebt ſich, daß derſelbe genau hinreicht, um mit dieſem Waſſerſtoff Waſſer zu bilden. Bei der Bildung des bluthrothen Orceins aus farbloſem Drein, was man bei Gegenwart von Ammoniak in Berührung ließ mit Sauerſtoff, geht durch die Aufnahme von Sauerſtoff mit den Elementen beider Subſtanzen, dem Ammoniak und dem Orein, keine andere Veränderung vor ſich, als die Ab— 248 Verweſung. ſcheidung von Waſſer. 1 Aeg. Orein Cis Hz, Os und 1 Aeg. Ammoniak nehmen 5 Aeg. Sauerſtoff auf, und es trennen ſich 5 Aeg. Waſſer, indem Orcein Cris Ho Os Ns gebildet wird (Dumas). Hier iſt alſo offenbar der aufgenommene Sauer⸗ ſtoff ausſchließlich an den Waſſerſtoff getreten. So wahrſcheinlich es nun auch erſcheint, daß bei der Ver⸗ weſung organiſcher Materien die Wirkung des Sauerſtoffs ſich zuerſt und vorzugsweiſe auf das verbrennlichſte Element, den Waſſerſtoff, erſtreckt, ſo läßt ſich daraus nicht ſchließen, daß dem Kohlenſtoff abſolut die Fähigkeit mangele, ſich mit Sauer⸗ ſtoff zu verbinden, wenn jedes Theilchen davon in Berührung iſt mit Waſſerſtoff, der ſich leichter damit verbindet. Wir wiſſen im Gegentheil, daß der Stickſtoff, welcher direct mit Sauerſtoff nicht verbunden werden kann, ſich zu Salpeterſäure oridirt, wenn er mit einer großen Menge Waffer- ſtoffgas gemengt, im Sauerſtoffgas verbrannt wird. Hier wird offenbar durch den verbrennenden Waſſerſtoff ſeine Verwandt— ſchaft geſteigert, indem ſich die Verbrennung des Waſſerſtoffs auf den ihn berührenden Stickſtoff überträgt. Auf eine ähn- liche Weiſe ift es denkbar, daß in manchen Fällen ſich Kohlen— ſtoff direct mit Sauerſtoff zu Kohlenſäure oridirt, indem er durch den verweſenden Waſſerſtoff eine Fähigkeit erhält, die er bei gewöhnlicher Temperatur für ſich nicht beſitzt; aber für die meiſten Fälle muß die Kohlenſäurebildung bei der Verweſung waſſerſtoffreicher Materien einer andern Urſache zugeſchrieben werden. Sie erſcheint auf ähnliche Art gebildet zu werden wie die Eſſigſäure bei der Verweſung des falicyligfauren Kalb's. Dieſes Salz, der feuchten Luft ausgeſetzt, abſorbirt 3 Atome Sauerſtoff; es entſteht ein humusähnlicher Körper, die Me— lanſäure, in Folge deren Bildung ſich die Elemente von 1 At. Eſſigſäure von denen der ſalicyligen Säure trennen. Verweſung. 249 Bei der Berührung einer alkaliſchen Löſung von Hämatin mit Sauerſtoff abſorbiren 0,2 Grm. in zwei Stunden 28,6 Cubiccentimeter Sauerſtoffgas, wobei das Alkali einen Gehalt von 6 CC. Kohlenſäure enthält (Chevreul); da dieſe 6 CC. Kohlenſäure nur ein gleiches Volumen Sauerſtoff enthalten, fo geht aus dieſer Erfahrung mit Gewißheit hervor, daß % des aufgenommenen Sauerſtoffs nicht an Kohlenſtoff getreten ſind. Es iſt höchſt wahrſcheinlich, daß mit der Oxidation ihres Waſſerſtoffs ein Theil des Kohlenſtoffs der Subſtanz ſich mit ihrem eigenen Sauerſtoff in der Form von Kohlenſäure von den übrigen Elemente getrennt hat. Die Verſuche von Sauſſure über die Verweſung der Holzfaſer laſſen über eine ſolche Trennung kaum einen Zweifel zu. Feuchte Holzfaſer entwickelt nemlich für jedes Volumen Sauerſtoff, was davon aufgenommen wird, ein gleiches Volu— men Kohlenſäure, welche, wie man weiß, das nämliche Volu— men Sauerſtoff enthält. Da nun die Holzfaſer Kohlenſtoff und die Elemente des Waſſers enthält, ſo iſt der Erfolg der Einwirkung des Sauerſtoffs gerade ſo, als wenn reine Kohle ſich direct mit Sauerſtoff verbunden hätte. Das ganze Verhalten der Holzfaſer zeigt aber, daß die Elemente des Waſſers, welche Beſtandtheile davon ausmachen, nicht in der Form von Waſſer darinn wirklich enthalten ſind; denn in dieſem Falle müßte man Stärke, Zucker und Gummi ebenfalls als Hydrate der Kohle betrachten. Wenn aber der Waſſerſtoff nicht in der Form von Waſſer in der Holzfaſer vorhanden iſt, fo kann man die directe Oxi— dation des Kohlenftoffs neben dieſem Waſſerſtoff nicht anneh— men, ohne in Widerſpruch mit allen Erfahrungen zu gerathen, die man über Verbrennungsproceſſe in niederer Temperatur gemacht hat. 250 Verweſung. Betrachten wir den Erfolg der Einwirkung des Sauer— ſtoffs auf eine waſſerſtoffreiche Materie, den Akohol z. B., ſo ergiebt ſich mit unzweifelhafter Gewißheit, daß die directe Bildung der Kohlenſäure ſtets das letzte Stadium ihrer Oxi— dation iſt, und daß bis zu ihrem Auftreten die Materie eine gewiſſe Anzahl von Veränderungen durchlaufen hat, deren letzte eine völlige Verbrennung ihres Waſſerſtoffs iſt. In dem Aldehyd, der Eſſigſäure, Ameiſenſäure, Dralfäure und Kohlenſäure haben wir eine zuſammenhängende Reihe von Oridationsproducten des Alkohols, in welcher man die Ver— änderungen durch die Einwirkung des Sauerſtoffs mit Leich— tigkeit verfolgen kann. Der Aldehyd iſt Alkohol, minus Waſ— ſerſtoff; die Eſſigſäure entſteht aus dem Aldehyd, indem ſich dieſer direct mit Sauerſtoff verbindet. Durch weiteres Hinzu— treten von Sauerſtoff entſteht aus der Eſſigſäure Ameiſenſäure und Waſſer; wird aller Waſſerſtoff in der Ameiſenſäure hin- weggenommen, ſo hat man Oralſäure, und tritt zu dieſer eine neue Ouantität Sauerſtoff hinzu, ſo verwandelt ſie ſich in Kohlenſäure. Wenn nun auch bei der Einwirkung oridirender Materien auf Alkohol alle dieſe Producte gleichzeitig aufzutreten ſcheinen, ſo bleibt doch kaum ein Zweifel, daß die Bildung des letzten Products, der Kohlenſäure, eine vorhergehende Hinwegnahme alles Waſſerſtoffs vorausſetzt. In der Verweſung der trocknenden Oele iſt die Abſorbtion des Sauerſtoffs offenbar nicht bedingt durch die Oxidation ihres Kohlenſtoffs, denn bei dem rohen Nußöl z. B., welches nicht frei war von Schleim und anderen Stoffen, bildete ſich für 146 Volumen abſorbirten Sauerſtoff nur 21 Volumen kohlenſaures Gas. Man muß erwägen, daß eine Verbrennung in niederer Tem— Verweſung. 251 peratur in ihren Reſultaten ganz ähnlich iſt einer Verbrennung in höherer Temperatur bei beſchränktem Sauerſtoffzutritt. Das verbrennlichſte Element einer Verbindung, die man der Einwirkung des Sauerſtoffs ausſetzt, wird ſich zuerſt und vor— zugsweiſe mit Sauerſtoff verbinden, und dieſe Verbrennlichkeit wird bedingt durch die Fähigkeit, bei einer Temperatur eine Verbindung mit dem Sauerſtoff einzugehen, in welcher die an— deren Elemente ſich nicht damit verbinden. Dieſe Fähigkeit wirkt hier wie eine größere Verwandtſchaft. Die Verbrennlichkeit des Kaliums iſt für uns kein Maß— ſtab für ſeine Verwandtſchaft zum Sauerſtoff; wir haben Grund, zu glauben, daß Magneſium und Aluminium das Kalium in ihrer Anziehung zum Sauerſtoff übertreffen; aber beide ori- diren ſich nicht in der Luft und nicht im Waſſer bei ge— wöhnlicher Temperatur, während Kalium das Waſſer mit der größten Heftigkeit zerſetzt und ſich ſeines Sauerſtoffs be— mächtigt. Phosphor und Waſſerſtoff verbinden ſich bei gewöhnlicher Temperatur mit dem Sauerſtoff, der erſtere in feuchter Luft, der andere bei Berührung mit fein zertheiltem metalliſchem Pla— tin; die Kohle bedarf der Glühhitze, um eine Verbindung mit dem Sauerſtoff einzugehen. Es iſt evident, Phosphor und Waſſerſtoff find verbrennli— cher als Kohle, ihre Verwandtſchaft zum Sauerſtoff iſt bei ge— wöhnlicher Temperatur größer, und dieſer Schluß erleidet keine Aenderung durch die Erfahrung, daß die Kohle die Verwandt— ſchaft beider zum Sauerſtoff unter anderen Bedingungen bei weitem übertrifft. Bei der Fäulniß ſind die Bedingungen, in denen die grö— ßere Verwandtſchaft des Kohlenſtoffs zum Sauerſtoff ſich thätig zeigt, offenbar gegeben; Expanſion, Gaszuſtand oder Cohäſion 252 Verweſung. wirken ihrer Aeußerung nicht entgegen, in der Verweſung ſind alle dieſe Hinderniſſe zu überwinden. Das Auftreten der Kohlenſäure bei Verweſung vegetabili— ſcher und thieriſcher Subſtanzen, welche reich ſind an Waſſer— ſtoff, muß hiernach einer ähnlichen Umſetzung der Elemente oder Störung ihrer Anziehungen zugeſchrieben werden, als wie die Bildung derſelben bei der Gährung und Fäulniß. Indem der Waſſerſtoff der Subſtanz durch Verweſung hinweggenom⸗ men und oridirt wird, trennen ſich von ihren übrigen Ele⸗ menten Kohlenſtoff und Sauerſtoff in der Form von Kohlen⸗ ſäure. Bei dieſer Klaſſe von Materien iſt demnach die Verweſung eine Zerſetzung, ähnlich der Fäulniß ſtickſtoffhaltiger Materien. Wir haben bei dieſen zwei Verwandtſchaften, die des Stick— ſtoffs zum Waſſerſtoff und die des Kohlenſtoffs zum Sauerſtoff, durch welche unter geeigneten Umſtänden eine leichtere Spal⸗ tung der Elemente erfolgt; bei den Körpern, die unter Bil dung von Kohlenſäure verweſen, ſind ebenfalls zwei Verwandt⸗ ſchaften thätig, die des Sauerſtoffs der Luft zu dem Waſſer⸗ ſtoff der Subſtanz, welche die Anziehung des Stickſtoffs zu dem nemlichen Elemente hier vertritt, und andrerſeits die Verwandt⸗ ſchaft des Kohlenſtoffs zu dem Sauerſtoff der Subſtanz, die unter allen Umſtänden unverändert bleibt. Bei der Fäulniß des Holzes auf dem Boden von Süm⸗ pfen trennt ſich von ſeinen Elementen Kohlenſtoff und Sauer⸗ ſtoff in der Form von Kohlenſäure, ſein Waſſerſtoff in der Form von Kohlenwaſſerſtoff; in ſeiner Verweſung, in ſeiner Fäulniß beim Zutritt der Luft verbindet ſich ſein Waſſerſtoff nicht mit Kohlenſtoff, ſondern mit Sauerſtoff, zu dem er bei gewöhnlicher Temperatur eine weit größere Verwandtſchaft beſitzt. Verweſung ſtickſtofffreier Körper. Eſſigbildung. NE; Von dieſer vollkommen Gleichheit der Action rührt es un— ſtreitig her, daß verweſende und faulende Körper ſich in ihrer Wirkung auf einander gegenſeitig erſetzen können. Alle faulende Körper gehen bei ungehindertem Zutritt der Luft in Verweſung, alle verweſenden Materien in Fäulniß über, ſobald die Luft abgeſchloſſen wird. Eben ſo ſind alle verweſende Körper fähig, die Fäulniß in anderen Körpern einzuleiten und zu erregen, auf dieſelbe Weiſe, wie dieß von anderen faulenden geſchieht. Verweſung ſtickſtofffreier Körper. Eſſigbildung. Alle Materien, welche, wie man gewöhnlich annimmt, die Fähigkeit beſitzen, von ſelbſt in Gährung und Fäulniß überzu⸗ gehen, erleiden in der That bei näherer Betrachtung dieſe Zu— ſtände der Zerſetzung ohne eine vorangegangene Störung nicht. Es tritt zuerſt Verweſung ein, ehe ſie in Fäulniß oder Gäh⸗ rung übergehen, und erſt nach Abſorbtion einer gewiſſen Menge Sauerſtoff beginnen die Zeichen einer im Innern der Materien vorgehenden Metamorphoſe. Es giebt kaum einen Irrthum, welcher mehr verbreitet iſt, als die Meinung, daß organiſche Subſtanzen ſich ſelbſt über— laſſen, ohne äußere Urſache, ſich zu verändern vermögen. Wenn ſie nicht ſelbſt ſchon im Zuſtande der Veränderung be⸗ 254 Verweſung ſtickſtofffreier Körper. Eſſigbildung. griffen ſind, ſo bedarf es ſtets einer Störung in dem Zuſtande des Gleichgewichts, in dem ſich ihre Elemente befinden, und die allgemeinſte Veranlaſſung zu dergleichen Störungen, die verbreitetſte Urſache iſt unſtreitig die Atmoſphäre, welche alle Körper umgiebt. Der am leichteſten veränderliche Pflanzenſaft in der Frucht oder dem Pflanzentheil, vor der unmittelbaren Berührung mit dem Sauerſtoff der Luft geſchützt, behält fo lange feine Eigen- ſchaften unverändert bei, als die Materie der Zelle oder des Organs dieſer Einwirkung widerſteht; erſt nach erfolgter Be⸗ rührung mit der Luft, erſt nach Abſorbtion einer gewiſſen Menge Sauerſtoff zerlegen ſich die in der Flüſſigkeit gelöften Materien. Die ſchönen Verſuche Gay Luſſac's über die Gährung des Traubenſaftes, ſowie die überaus wichtigen Anwendungen, zu denen ſie geführt haben, ſind die beſten Belege für den Antheil, den die Atmoſphäre an den Veränderungen organi- ſcher Subſtanzen nimmt. Der Saft von Weintrauben, welcher durch Auspreſſen un⸗ ter einer mit Queckſilber gefüllten Glocke bei Abſchluß aller Luft erhalten worden war, kam nicht in Gährung. Die kleinſte Menge hinzutretender Luft brachte, unter Ab— ſorbtion einer gewiſſen Menge Sauerſtoffgas, augenblicklich die Gährung hervor. Wurde der Traubenſaft bei Zutritt der Luft ausgepreßt, durch die Berührung alſo mit Sauerſtoff die Bedingung gege— ben, in Gährung überzugehen, ſo trat dennoch keine Gährung ein, wenn der Saft in verſchloſſenen Gefäßen bis zum Siede⸗ punkte des Waſſers erhitzt worden war; er ließ ſich in dieſem Zuſtande vor der Luft geſchützt Jahre lang aufbewahren, ohne ſeine Fähigkeit, in Gährung überzugehen, verloren zu haben. Verweſung ſtickſtofffreier Körper. Eſſigbildung⸗ 255 Dieſe Fähigkeit erhielt er wieder bei erneuerter Berührung mit der Luft. J Fleiſchſpeiſen jeder Art, die am leichteſten veränderlichen Gemüſe gerathen nicht in Fäulniß, wenn ſie in luftdicht ver— ſchloſſenen Gefäßen der Siedhitze des Waſſers ausgeſetzt wer— den; man hat Speiſen dieſer Art nach 15 Jahren in demſel— ben Zuſtande der Friſche und des Wohlgeſchmacks bei dem Er— öffnen wiedergefunden, den ſie bei dem Einfüllen beſaßen. Man kann ſich über die Wirkungsweiſe des Sauerſtoffs in dieſen Zerſetzungsproceſſen nicht täuſchen; ſie beruht in der Veränderung, welche in dem Traubenſafte und den Pflanzen— ſäften die aufgelöften ſtickſtoffhaltigen Materien erfahren, in dem Zuſtande der Entmiſchung, in welchen ſie in Folge der Berührung mit dem Sauerſtoff übergehen. Der Sauerſtoff wirkt hierbei ähnlich, wie Reibung, Stoß, oder Bewegung, welche gegenſeitige Zerſetzung zweier Salze, welche das Kryſtalliſiren einer geſättigten Salzauflöſung, das Explodiren von Knallſilber bewirken, er veranlaßt die Aufhe— bung des Zuſtandes der Ruhe und vermittelt den Uebergang in den Zuſtand der Bewegung. Iſt dieſer Zuſtand einmal eingetreten, ſo bedarf es ſeiner Gegenwart nicht mehr. Das kleinſte Theilchen des ſich zer— ſetzenden, des ſich umſetzenden ſtickſtoffhaltigen Körpers wirkt an ſeiner Stelle, die Bewegung fortpflanzend, auf das neben ihm liegende. Die Luft kann abgeſchloſſen werden, und die Gährung oder Fäulniß geht ununterbrochen bis zu ihrer Vollen⸗ dung fort. Bei manchen Früchten hat man bemerkt, daß es nur des Contacts der Kohlenſäure bedarf, um die Gährung des Saftes hervorzubringen. Unter den Bedingungen zur Einleitung der Verweſung können als chemiſche die Berührung mit Ammoniak und mit 256 Verweſung ſtickſtofffreier Körper. Eſſigbildung. Alkalien im Allgemeinen bezeichnet werden, da ſie bei vielen Materien eine Abſorbtion des Sauerſtoffs bewirken, wodurch eine Zerſetzung herbeigeführt wird, die ſie für ſich, in Be— rührung mit dem Alkali oder dem Sauerſtoff allein, nicht er⸗ fahren. So verbindet ſich der Alkohol bei gewöhnlicher Temperatur nicht mit dem Sauerſtoff der Luft, eine Auflöſung von Kali— hydrat in Alkohol färbt ſich hingegen unter raſcher Sauerſtoff— aufnahme gelb und braun, man findet nach einiger Zeit Eſſig— ſäure, Ameiſenſäure und die Zerſetzungsproducte des Aldehyds durch Alkalien, zu denen der harzartige Körper gehört; welcher die Flüſſigkeit braun färbt. Die allgemeinſte Bedingung zur Einleitung der Verweſung in organiſchen Stoffen iſt Berührung mit einem in Verweſung oder Fäulniß begriffenen Körper; der Ausdruck einer wahren Anſteckung iſt hier um ſo bezeichnender, da in der That eine | Uebertragung des Zuſtandes der 8 das Reſultat der Berührung iſt. Es iſt das verweſende Holz, was das friſche in den nem— lichen Zuſtand verſetzt, es iſt die höchſt fein zertheilte verweſende Holzfaſer, welche in den befeuchteten Galläpfeln die darinn enthaltene Gerbſäure ſo raſch in Gallusſäure überführt. Das merkwürdigſte und entſcheidendſte Beiſpiel von der Uebertragung des Zuſtandes der Verbrennung iſt von Sauſ— ſure beobachtet worden. Es iſt erwähnt worden, daß ange— feuchtete, in Verweſung und Gährung übergegangene Holzfaſer, Baumwolle, Seide, Gartenerde das umgebende Sauerſtoffgas in kohlenſaures Gas ohne Aenderung des Volumens verwandeln. Sauſſure ſetzte dem Sauerſtoffgas eine gewiſſe Menge Waſ— ſerſtoffgas zu, und es zeigte ſich von dem Augenblick an eine Raumverminderung, von dem Waſſerſtoffgas war eine gewiſſe Verweſung ſtickſtofffreier Körper. Eſſigbildung. 257 Quantität verſchwunden und mit dieſem eine Portion Sauer⸗ ſtoffgas, und zwar ohne Bildung einer dieſem Sauerſtoffgas entſprechenden Menge Kohlenſäure. Waſſerſtoff und Sauerſtoff waren beide in dem Verhältniß verſchwunden, in welchem ſie ſich zu Waſſer verbinden, es erfolgte alſo eine wahre Verbren⸗ nung des Waſſerſtoffs durch die bloße Berührung mit ver— weſenden Materien. Ihre Wirkung war in ihrem Reſultate ganz ähnlich der des feinzertheilten Platins, aber die Verſchie⸗ denheit in der Urſache, durch die ſie bedingt wurde, zeigte ſich ſchon darinn, daß ein gewiſſes Volumen Kohlenorid, welches die Wirkung des Platins auf das Knallgas völlig vernichtet’ in keiner Beziehung die Verbrennung des Waſſerſtoffs in Be— rührung mit den verweſenden Materien verhinderte. Alle die Fäulniß aufhebenden Subſtanzen vernichteten in Sauſſure's Verſuchen die Eigenſchaft der gährenden Materien. Die nemlichen Subſtanzen beſaßen ſie für ſich ebenfalls nicht, bevor ſie in Gährung oder Verweſung übergegangen waren. Man denke ſich an die Stelle des Waſſerſtoffgaſes in Sauſ— ſure's Verſuchen in Berührung mit den verweſenden organi⸗ ſchen Stoffen den Dampf einer waſſerſtoffreichen flüchtigen Sub— ſtanz, ſo weiß man, daß der Waſſerſtoff derſelben in dem Zu— ſtande der Verdichtung, in welchem er in der Verbindung ſelbſt der Wirkung des Sauerſtoffs ſich darbietet, eine noch bei wei⸗ tem raſchere Oxidation erfährt; dieſer Waſſerſtoff wird eine noch raſchere Verbrennung erfahren. Wir finden in der That in der Schnelleſſigfabrication alle Bedingungen zur Verweſung des Alkohols und zu ſeiner Verwandlung in Eſſigſäure. Der Alkohol wird der Einwirkung des Sauerſtoffs bei einer erhöhten Temperatur und einer außerordentlich vergrößerten Oberfläche dargeboten, aber dieſe Bedingungen find nicht hin- reichend, um ſeine Oxidation zu bewirken. Der Alkohol muß 17 258 Verweſung ſtickſtofffreier Körper. Eſſigbildung. eine durch den Sauerſtoff der Luft leicht veränderliche Materie enthalten, welche entweder durch den bloßen Contact mit dem Sauerſtoff in Verweſung übergeht, oder die durch ihre Fäul— niß und Gährung Producte liefert, welche dieſe Eigenſchaft beſitzen. Eine kleine Quantität Bier, in Säurung begriffener Wein ein Malzabſud, Honig, zahlloſe Materien dieſer Art können ſich in ihrer Wirkung hier erſetzen. Die Verſchiedenheit der Subſtanzen bei derſelben Wirfungs- weiſe bemeift hier, daß keine von ihnen einen Stoff enthalten kann, welcher als Erreger der Verweſung wirkt, ſie ſind nur Träger einer Thätigkeit, die ſich über die Sphäre ihrer eig— nen Anziehungen hinaus erſtreckt, es iſt der Zuſtand ihrer eige— nen Zerſetzung und Verweſung, welcher den gleichen Zuſtand, die nemliche Thätigkeit den Atomen des Alkohols ertheilt, ge— rade ſo, wie in einer Legirung von Platin mit Silber, das erſtere die Fähigkeit, ſich mit Sauerſtoff zu vereinigen, durch das Silber erhält, und zwar durch den Act ſeiner eigenen Oxidation; der Waſſerſtoff des Alkohols oridirt ſich unter be— merkbarer Wärmeentwickelung auf Koſten des berührenden Sauerſtoffs, zu Waſſer, es entſteht Aldehyd, welcher mit der— ſelben Begierde, wie ſchweflige Säure, ſich direct mit Sauer— ſtoff zu Eſſigſäure verbindet. Verweſung ſtickſtoffhaltiger Materien. Salpeterbildung. 259 Verweſung ſtickſtoffhaltiger Materien. Salpeterbildung. Wenn man in Beziehung auf die Verweſung ſtickſtoffhalti⸗ ger Materien die Erfahrungen mit zu Hülfe nimmt, welche man bei Verbrennungen ſtickſtoffhaltiger Materien gemacht hat, ſo weiß man, daß in höheren Temperaturen der Stickſtoff nie direct eine Verbindung mit dem Sauerſtoff eingeht. Die ſtick— ſtoffhaltigen organiſchen Subſtanzen enthalten ohne Ausnahme Kohlen- und Waſſerſtoff, die beide zum Sauerſtoff eine über- wiegende Anziehung haben. Bei feiner ſchwachen Verwandtſchaft zum Sauerſtoff befin— det ſich der Stickſtoff neben dieſem in derſelben Lage, wie ein Uebermaß von Kohle bei Verbrennung ſehr waſſerſtoffreicher Subſtanzen, ſowie bei dieſen ſich hierbei Kohlenſtoff in Sub— ſtanz ausſcheidet, ſo iſt die Verbrennung ſtickſtoffhaltiger Ma— terien ſtets von einer Abſcheidung von reinem Stickſtoff begleitet. Ueberläßt man eine feuchte ſtickſtoffhaltige thieriſche Materie der Einwirkung der Luft, fo bemerkt man unter allen Umſtän⸗ den ein Freiwerden von Ammoniak, nie wird hierbei Salpeter— ſäure gebildet. Bei Gegenwart von Alkalien und alkaliſchen Baſen geht unter denſelben Umſtänden eine Verbrennung des Stickſtoffs vor ſich, unter anderen Oxidationsproducten bilden ſich ſalpe— terſaure Salze. re 260 Verweſung ſtickſtoffhaltiger Materien. Salpeterbildung. Obwohl wir in den großen Zerſetzungsproceſſen, welche in der Natur vor ſich gehen, ſtets die einfachſten Mittel und die directeſten Wege in Anwendung und Thätigkeit ſehen, ſo finden wir demungeachtet, daß das letzte Reſultat ſtets an eine Auf einanderfolge von Actionen geknüpft iſt, und daß dieſe Succeſ— ſion von Erſcheinungen weſentlich von der chemiſchen Natur der Körper abhängt. 5 Wenn wir beobachten, daß in einer Reihe von Erſcheinun— gen ſich der Charakter einer Subſtanz ſtets gleich bleibt, ſo ha— ben wir keinen Grund, einen neuen Charakter zu erfinden, um eine einzelne Erſcheinung zu erklären, deren Erklärung nach den bekannten Erfahrungen keine Schwierigkeiten darbietet. Die ausgezeichnetſten Naturforſcher nehmen an, daß der Stickſtoff einer thieriſchen Materie, bei Gegenwart von Waſſer, einer alkaliſchen Baſe und hinreichendem Zutritt von Sauer: ſtoff ſich direct und unmittelbar mit dem Sauerſtoff zu Sal⸗ peterſäure zu verbinden vermag, allein, wie ſchon oben erwähnt, wir haben keine einzige Erfahrung, wodurch ſich dieſe Meinung rechtfertigen ließe. Nur durch Vermittelung eines großen Ueber— maßes von brennendem Waſſerſtoff geht das Stickgas in ein Oxid des Stickſtoffs über. Verbrennen wir eine Kohlenſtickſtoff-, eine Cyanverbindung in reinem Sauerſtoffgas, fo oridirt ſich der Kohlenſtoff allein, leiten wir Cyangas über glühende Metalloxide, ſo wird nur in ſeltenen Fällen ein Oxid des Stickſtoffs gebildet, und nie— mals in dem Fall, wenn Kohlenſtoff im Uebermaß zugegen iſt. Nur wenn es mit einem Ueberſchuß von Sauerſtoffgas gemengt über glühenden Platinſchwamm geleitet wird, erzeugte ſich in Kuhlmanns Verſuchen Salpeterſäure. Die Fähigkeit, ſich mit Sauerſtoff direct zu verbinden, beob⸗ achten wir aber an dem reinen Stickgas nicht; ſelbſt unter den Verweſung ſtickſtoffhaltiger Materien. Salpeterbildung. 261 günſtigſten Bedingungen bei Anwendung von Platinſchwamm in graduell verſchiedenen Temperaturen war Kuhlmann nicht im Stande, ſeine Oxidation zu bewerkſtelligen. Der Kohlenſtoff in dem Cyangas war demnach der Ver— mittler der Verbrennung des Stickſtoffs. Wir beobachten auf der andern Seite, daß die Verbindung des Stickſtoffs mit Waſſerſtoff, das Ammoniak, einer Einwir⸗ kung des Sauerſtoffs nicht ausgeſetzt werden kann, ohne ein Oxid des Stickſtoffs und in Folge deſſen Salpeterſäure zu bilden. Gerade die Leichtigkeit, mit welcher der Stickſtoff in der Form von Ammoniak ſich in Salpeterſäure verwandelt, iſt die Urſache von der einzigen und großen Schwierigkeit, der wir in der Analyſe bei der Beſtimmung des Stickſtoffs in Stick— ftoffverbindungen begegnen, in denen dieſer Körper entweder in der Form von Ammoniak zugegen iſt, oder aus denen er ſich bei Erhöhung der Temperatur als Ammoniak entwickelt. Wir bekommen ihn ganz oder zum Theil in der Form von Stick⸗ oxid wieder, wenn dieſes Ammoniak von dem glühenden Kupfer— oxide verbrannt wird. Leiten wir Ammoniakgas über glühendes Manganhyper⸗ orid oder Eiſenorid, ſo erhalten wir bei Ueberſchuß von Am— moniak eine reichliche Menge von ſalpeterſaurem Ammoniak; daſſelbe geſchieht, wenn Ammoniak und Sauerſtoffgas über glühenden Platinſchwamm geleitet werden. Nur in ſeltenen Fällen vereinigt ſich alſo bei Verbrennun— gen der Stickſtoff in Kohlenſtickſtoffverbindungen mit dem Sauer- ſtoff; dieß geſchieht in allen, wo Ammoniak verbrennt; ſtets wird hierbei Salpeterſäure gebildet. Die Urſache, warum der Stickſtoff in der Form von Am— moniak eine ſo hervorſtechende Neigung zeigt, in Salpeterſäure 262 Verweſung ſtickſtoffhaltiger Materien. Salpeterbildung. überzugehen, liegt unſtreitig darinn, daß in der Oxidation der Beſtandtheile des Ammoniaks zwei Producte gebildet werden, die ſich mit einander zu verbinden vermögen. Dieß iſt nicht der Fall bei der Verbrennung von Kohlenſtickſtoffverbindungen; bei dieſen wird Kohlenſäure gebildet, und abgeſehen von der größeren Verwandtſchaft des Kohlenſtoffs zum Sauerſtoff, muß die Bildung der gasförmigen Kohlenſäure der Oxidation des Stickſtoffs ſchon dadurch entgegenwirken, daß fie feine Berüh— rung mit dem Sauerſtoff hindert. Bei der Verbrennung von Ammoniak, bei hinreichendem Sauerſtoffzutritt entſteht neben der Salpeterſäure Waſſer, mit dem ſie ſich verbindet; ein Körper, von dem man ſagen kann, daß er die Salpeterſäurebildung bedingt, inſofern die Salpe— terſäure ohne Waſſer nicht zu beſtehen vermag. Beachtet man nun, daß die Verweſung eine Fäulniß iſt, nur inſofern von der gewöhnlichen Fäulniß verſchieden, als der Sauerſtoff der Luft Antheil an den vorgehenden Meta— morphoſen nimmt; erwägt man, daß bei der Umſetzung der Elemente ſtickſtoffhaltiger Körper der Stickſtoff ſtets die Form von Ammoniak annimmt, daß unter allen Stickſtoffverbindun⸗ gen, die man kennt, das Ammoniak den Stickſtoff in einer Form enthält, in welcher feiner Neigung, ſich zu oridiren, ent- ſchieden größer iſt, als in allen anderen Stickſtoffverbindun⸗ gen, ſo läßt ſich wohl ſchwerlich dem Schluſſe etwas entgegen— ſetzen, daß das Ammoniak die Quelle iſt von der Salpeter— ſäurebildung auf der Oberfläche der Erde. Die ſtickſtoffhaltigen thieriſchen Materien ſind hiernach nicht die Bedinger, ſondern nur die Vermittler der Salpeterſäure— erzeugung, ſie wirken, indem ſie langſam andauernde Quellen von Ammoniak darſtellen. Durch das in der Amotſphäre vorhandene Ammoniak können Verweſung ſtickſtoffhaltiger Materien. Salpeterbildung. 236 ſich ſalpeterſaure Salze in Materien bilden, die keine ſtickſtoff— haltigen Subſtanzen enthalten; wir wiſſen, daß die meiſten poröſen Subſtanzen die Fähigkeit haben, Ammoniak in Menge zu verdichten, da es wenige Eiſenerze giebt, die beim Glü— hen nicht ammoniakaliſche Producte entwickeln, daß die Urſache des Geruches, den man beim Anhauchen der thonigen Mine— ralien bemerkt, in ihrem Ammoniakgehalt beruht; wir haben, wie man ſieht, in dem Ammoniak eine höchſt verbreitete Urſache der Salpeterbildung in der Atmoſphäre, die überall ſich thätig zeigt, wo die Bedingungen zur Oxidation des Ammoniaks ſich vereinigen. Es iſt wahrſcheinlich, daß in Verweſung begriffene andere organiſche Subſtanzen die Verbrennung des Ammoniaks vermitteln, wenigſtens ſind die Fälle ſelten, wo ſich Salpeter— ſäure aus Ammoniak erzeugt unter Umſtänden, wo alle der Verweſung fähigen Materien fehlen. Aus den vorhergegangenen Betrachtungen über die Urſachen der Gährung, Fäulniß und Verweſung ergeben ſich einige An— wendungen für die Berichtigung der gewöhnlichen Anſichten über Wein- und Biergährung und über mehrere in der Natur vorgehende umfaſſende Zerſetzungsproceſſe. 264 Wein⸗ und Biergährung. Wein: und Biergährung. Es iſt erwähnt worden, daß der Traubenſaft beim Zutritt der Luft in Gährung geräth, und daß die Zerſetzung des Zuckers in Alkohol und Kohlenſäure bis zu ſeinem Verſchwinden fort— ſchreitet, ohne daß die Luft weiteren Antheil an dieſer Meta- morphoſe nimmt. Neben dem Alkohol und der Kohlenſäure beobachtet man als ein anderes Produet der Gährung des Saftes eine gelb⸗ liche oder graue unauflösliche Subſtanz, welche reich iſt an Stickſtoff; es iſt dieß der Körper, welcher die Fähigkeit beſitzt, in friſchem Zuckerwaſſer wieder Gährung hervorzubringen, das ſogenannte Ferment. Wir wiſſen, daß der Alkohol und die Kohlenſäure den Elementen des Zuckers und das Ferment den ſtickſtoffhaltigen Beſtandtheilen des Saftes ſeinen Urſprung verdankt. Dieſe ſtiſtoffhaltigen Beſtandtheile haben den Namen Kleber oder ve— getabiliſches Eiweiß erhalten. Nach den Verſuchen von Sauſſure entwickelt friſcher un⸗ reiner Kleber nach 5 Wochen fein 28faches Volumen Gas, wel— ches zu / aus Kohlenſäure und zu *, Kaus reinem kohlenfreien Waſſerſtoffgaſe beſteht; es bilden ſich dabei Ammoniakſalze mehrerer organiſcher Säuren. Bei der Fäulniß des Klebers wird alſo Waſſer zerſetzt, deſſen Sauerſtoff in Verbindung tritt, während ſein Waſſerſtoff in Freiheit geſetzt wird; das letztere geſchieht nur in Zerſetzungsproceſſen der energiſchſten Art; Ferment oder eine ihm ähnliche Materie wird hierbei nicht De Wein- und Biergährung. 265 gebildet, eben fo wenig beobachtet man bei der Gährung von zuckerhaltigen Pflanzenſäften ein Auftreten von Waſſerſtoffgas. Man beobachtet leicht, daß die Veränderung des Klebers für ſich und ſeine Zerſetzung in den Pflanzenſäften, in welchen er gelöſt iſt, zwei verſchiedenen Metamorphoſen angehört. Man hat Gründe, zu glauben, daß ſein Uebergang in den un— löslichen Zuſtand von einer Sauerſtoffaufnahme herrührt; denn ſeine Abſcheidung kann unter gewiſſen Bedingungen durch un— gehinderten Luftzutritt ohne Gegenwart von gährendem Zucker bewirkt werden, und man weiß, daß die Berührung des Trau— ben⸗ oder Pflanzenſaftes mit der Luft, ehe die Gährung ein— tritt, eine Trübung, eine Bildung nemlich eines unlöslichen Niederſchlags, von der Beſchaffenheit des Ferments, zur Folge hat. Aus den Erſcheinungen, die wir bei der Gährung der Bierwürze beobachten, ergiebt ſich mit zweifelloſer Gewißheit, daß das Ferment aus dem Kleber während und in der Me— tamorphoſe des Zuckers gebildet wird; denn die Bierwürze enthält den ſtickſtoffhaltigen Körper des Getreides, den man Kleber nennt, in dem nemlichen Zuſtande, wie er im Trauben— ſaft vorhanden iſt; durch zugeſetztes Ferment wird die Bier— würze in Gährung verſetzt, allein nach vollendeter Zerſetzung hat ſich ſeine Quantität um das Dreißigfache vermehrt. Bier- und Weinhefe zeigen, mit geringen Verſchiedenheiten unter dem Mikroskope betrachtet, einerlei Form und Beſchaf— fenheit, ſie zeigen einerlei Verhalten gegen Alkalien und Säu— ren, ſie beſitzen einerlei Fähigkeit, Gährung in Zuckerwaſſer aufs Neue einzuleiten, man muß ſie als identiſch betrachten. Die Zerſetzung des Waſſers, bei der Fäulniß des Klebers, iſt eine völlig bewieſene Thatſache, und in welcher Form er ſich auch zerſetzen mag, ob im gelößten oder ungelöſ'ten Zu— 266 Wein- und Biergährung. * ftande, das Streben feiner kohlenſtoffhaltigen Beſtandtheile, ſich des Sauerſtoffs des Waſſers zu bemächtigen, dieſes Streben iſt ſtets vorhanden, und wenn, wie alle Erfahrungen zu be— weiſen ſcheinen, ſein Uebergang in den unlöslichen Zuſtand in Folge einer Oxidation geſchieht, ſo muß der Sauerſtoff, der hierzu verwendet wird, von den Elementen des Waſſers oder von dem Zucker genommen werden, welcher Sauerſtoff und Waſſerſtoff in dem nemlichen Verhältniß wie im Waſſer enthält. Dieſer Sauerſtoff wird in der Wein- und Biergährung feines- falls von der Atmoſphäre genommen. Die Gährung des reinen Zuckers in Berührung mit Wein- oder Bierhefe iſt, wie man ſieht, ſehr verſchieden von der Gährung des Traubenſaftes oder der Bierwürze. In der erſtern verſchwindet die Hefe mit der Zerſetzung des Zuckers, in der andern geht neben der Metamorphoſe des Zuckers eine Metamorphoſe des Klebers vor ſich, in Folge wel— cher, als erſtes Product, Ferment erzeugt wird. In dem einen Falle wird die Hefe alſo zerſtört, in dem andern wird ſie gebildet. Da nun unter den Producten der Bier- und Weingährung freies Waſſerſtoffgas nicht nachweisbar iſt, ſo iſt klar, daß die Oxidation des Klebers, ſein Uebergang in Ferment, nur auf N Koſten des Sauerſtoffs des Waſſers, oder auf Koſten des Sauerſtoffs des Zuckers geſchehen kann. Der freiwerdende Waſſerſtoff des Waſſers muß neue Verbindungen eingegangen fein, oder durch Desoridation des Zuckers müſſen wafferftoff- reiche oder ſauerſtoffarme Verbindungen entſtanden ſein, die den Kohlenſtoff des Zuckers enthalten. In der That iſt es eine wohlbekannte Erfahrung, daß der Wein, daß gegohrene Flüſſigkeiten überhaupt neben dem Alfo- hol noch andere Producte enthalten, Materien, welche vor Wein- und Biergährung. 267 der Gährung des Traubenſaftes oder der zuckerhaltenden Flüſſigkeiten darinn nicht nachweisbar waren und ſich auf eine ähnliche Art, wie der Mannit, während der Gährung gebildet haben müſſen. Der Geruch, der Geſchmack, welcher den Wein von allen gegohrenen Flüſſigkeiten unterſcheidet, wir wiſſen, daß er einem Aether einer flüchtigen, höchſt brennbaren Säure von ölartiger Beſchaffenheit, dem Oenanthſäureäther an— gehört, wir wiſſen, daß der Getreide- und Kartoffelbranntwein ihren Geruch und Geſchmack eigenthümlichen öligen Materien verdanken, die unter dem Namen Fuſelöle bekannt ſind, ja daß die letzteren dem Alkohol in ihren chemiſchen Eigenſchaf— ten näher ſtehen, als wie allen anderen organiſchen Sub— ſtanzen. Dieſe Körper find Producte von Desoxidationsproceſſen der in den gährenden Flüſſigkeiten gelößten Materien, ſie enthalten weniger Sauerſtoff, als der Zucker oder Kleber, ſie zeichnen ſich durch einen großen Gehalt an Waſſerſtoff aus. In der Oenanthſäure haben wir, bei einer großen Diffe— renz in dem Sauerſtoffgehalte, Kohlenſtoff und Waſſerſtoff in dem Verhältniß von gleichen Aequivalenten, alſo genau wie im Zucker; in dem Fuſelöl der Kartoffeln finden wir viel mehr Waſſerſtoff, als dieſem Verhältniß entſpricht. So wenig man auch zweifeln kann, daß dieſe flüchtigen Flüſſigkeiten, in Folge eines gegenſeitigen Aufeinanderwirkens der Elemente des Zuckers und Klebers, in Folge alſo einer wahren Fäulniß entſtanden ſind, ſo haben auf ihre Bildung und Eigenthümlichkeit nichts deſto weniger noch andere Urſachen Einfluß gehabt. Die riechenden und ſchmeckenden Beſtandtheile des Weins erzeugen ſich in der Gährung ſolcher Traubenſäfte, welche einen gewiſſen Gehalt beſitzen an Weinſäure; ſie fehlen in allen Wei— 268 Wein- und Biergährung. nen, welche frei ſind von Säuren, oder welche eine andere organiſche Säure, z. B. Eſſigſäure, enthalten. Die ſüdlichen Weine beſitzen keinen Weingeruch, in den franzöſiſchen Weinen tritt er entſchieden hervor, in den Rhein— weinen iſt er am ſtärkſten. Die Traubenſorten am Rhein, welche am ſpäteſten und nur in ſeltenen Fällen vollkommen reif werden, der Rießling und Orleans, beſitzen den ſtärkſten Weingeruch, das bervorftechendfte Bouquet, fie find verhältniß—⸗ mäßig reich an Weinſäure. Die früh reifenden Traubenſorten, der Ruländer und andere, ſind reicher an Alkohol, in ihrem Geſchmacke ähnlich den ſpaniſchen Weinen, allein ſie haben kein Bouquet. Die am Cap reifenden, von dem Rhein aus verpflanzten Rießlinge geben einen vortrefflichen Wein, allein er beſitzt das Aroma nicht, was den Rheinwein auszeichnet. Man ſieht leicht, daß Säure und Weingeruch zu einander in einer beſtimmten Beziehung ſtehen, beide ſind ſtets neben einander vorhanden, und es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Gegenwart der erſteren von beſtimmtem Einfluß war bei der Bildung des Bouquets. Am deutlichften zeigt ſich dieſer Einfluß bei der Gährung von Flüſſigkeiten, in welchen alle Weinſäure fehlt, namentlich in ſolchen, welche ſehr nahe neutral oder alkaliſch ſind, wie namentlich bei der Gährung von Kartoffeln- oder Getreide— meiſche. Der Kartoffel- und Getreidebranntwein enthalten eine den thieriſchen Oelen ähnliche Verbindung, die dieſen Flüſſigkeiten ihren eigenthümlichen Geſchmack ertheilt. Dieſe Materie erzeugt ſich in der Gährung der Meiſche, ſie iſt in der gegohrenen Flüſſigkeit fertig gebildet vorhanden, denn durch die bloße Er— höhung der Temperatur deſtillirt ſie mit den Alkoholdämpfen über. Wein⸗ und Biergährung. 209 Man hat die Beobachtung gemacht, daß mit der Neutralität der Meiſche, bei Zuſatz von Aſche, kohlenſaurem Kalk, die Quantität des gebildeten Alkohols bis zu einem gewiſſen Grade zunimmt, aber mit einer größeren Ausbeute an Branntwein wächſt ſein Gehalt an Fuſelöl. Man weiß überdieß, daß der Branntwein aus Kartoffel- ſtärke, nach vorangegangener Verwandlung in Zucker durch ver— dünnte Schwefelfäure, völlig frei von Fuſelöl ift, daß mithin dieſe Subſtanz in Folge einer Veränderung erzeugt wird, welche der Faſerſtoff der Kartoffeln während der Gährung erfährt. Unleugbare Erfahrungen beweiſen, daß die gleichzeitige Fäulniß oder Gährung dieſes Faſerſtoffs, in Folge welcher Fulelöl erzeugt wird, bei dem Getreidebranntwein vermieden werden kann ). Das nemliche Malz, welches in der Branntweinbereitung ein Fuſelöl haltiges Deſtillat giebt, liefert in der Bierbereitung eine ſpirituöſe Flüſſigkeit, welche keine Spur Fuſelöl enthält, der Hauptunterſchied bei der Gährung beider liegt darinn, daß in der Gährung der Bierwürze eine aromatiſche Subſtanz zu— geſetzt wird, der Hopfen, und es iſt gewiß, daß ſein Vorhan— denſein eine Aenderung in den vorhergehenden Metamorphoſen bedingt hat. Wir wiſſen, das das ätheriſche Oel des Senfs, ſowie brenzliche Oele, die Gährung des Zuckers, den Einfluß der ſich zerlegenden Hefe gänzlich zernichten. Das ätheriſche Oel des Hopfens beſitzt dieſe Eigenſchaft nicht, aber es vermindert in hohem Grade den Einfluß von ſich zerſetzen— den ſtickſtoffhaltigen Materien auf die Verwandlung des Wein— ) In der Fabrik des Herrn Dubrunfaut wurde unter gewiſſen Um— ſtänden eine ſo beträchtliche Menge Fuſelöl aus Kartoffelbranntwein erhalten, daß es zum Beleuchten des ganzen Fabriklocals benutzt wer— den konnte. 270 Wein- und Biergährung. geiſtes in Eſſig, und man hat mithin Grund zu glauben, daß es aromatiſche Subſtanzen giebt, durch deren Zuſatz zu Gähr- miſchungen die mannigfaltigſten Aenderungen in der Natur der ſich erzeugenden Producte hervorgebracht werden können. Welche Meinung man auch über die Entſtehung der flüch⸗ tigen riechenden Materien in der Weingährung haben mag, ſo viel iſt gewiß, der Weingeruch rührt von dem Aether einer organiſchen, den fetten Säuren ähnlichen, Säure her, die ſich während der Gährung bildet. Nur in Flüſſigkeiten, welche andere leicht lösliche Säuren enthalten, ſind die fetten Säuren, iſt die Oenanthſäure fähig, eine Verbindung mit dem Aether des Alkohols einzugehen, d. h. Geruch zu erzeugen. Wir finden dieſen Aether in allen Wei- nen, welche freie Säure enthalten, er fehlt in den Weinen, welche frei ſind von Säuren; dieſe Säure war mithin den Geruch vermittelnd, ohne ihr Vorhandenſein würde ſich kein Oenanthäther gebildet haben. Das Fuſelöl des Getreidebranntweins beſteht zum größten Theil aus einer nicht ätherificirten fetten Säure; es lößt Kupfer— oxid, überhaupt Metalloxide auf und kann durch Alkalien ge— bunden werden. Der Hauptbeſtandtheil dieſes Fuſelöls iſt eine der Oenanth⸗ ſäure in ihrer Zuſammenſetzung identiſche, in ihren Eigenſchaf— ten aber verſchiedene Säure (Mulder). Es wird in gähren⸗ den Flüſſigkeiten gebildet, welche, wenn ſie ſauer reagiren, nur Eſſigſäure enthalten, eine Säure, welche auf die Aetherbildung anderer Säuren ohne Einfluß iſt. Das Fuſelöl des Kartoffelbranntweins iſt das Hydrat einer organiſchen Baſe, ähnlich dem Aether, fähig alſo mit Säuren Verbindungen einzugehen; es wird in gährenden Flüſ— ſigkeiten in vorzüglicher Menge gebildet, welche neutral oder a Wein- und Biergährung. 271 ſchwach alkaliſch ſind, unter Umſtänden alſo, wo es an und für ſich unfähig iſt, eine Verbindung mit einer Säure einzu— gehen. | Unter den Producten der Gährung und Fäulniß neutraler. Pflanzenſäfte, Pflanzen- und Thierſtoffe bemerkt man ſtets die Gegenwart flüchtiger, meiſt übelriechender Materien, aber das evidenteſte und merkwürdigſte Beiſpiel von der Erzeugung eines wahren ätheriſchen Oels liefert die Gährung des vollkommen geruchloſen Krautes von centaurium minus. Mit Waſſer einer etwas erhöhten Temperatur ausgeſetzt, geht es in Gäh— rung über, die ſich durch einen durchdringenden angenehmen Geruch zu erkennen giebt. Di.urch Deſtillation erhält man aus dieſer Flüſſigkeit eine ätheriſch ölige Subſtanz von großer Flüchtigkeit, welche ſtechen— den Reiz und Thränen der Augen hervorbringt (Büchner). Die Blätter der Tabackspflanzen verhalten ſich ganz auf dieſelbe Weiſe; das friſche Kraut hat keinen oder einen ſehr wenig hervorſtechenden Geruch; mit Waſſer der Deſtillation unterworfen, erhält man eine ſchwach ammoniakaliſche Flüſſig— keit, auf welcher eine weiße, fettartige, kryſtalliſirbare, ſtickſtoff— freie, geruchloſe Materie ſchwimmt. Das nemliche Kraut im getrockneten Zuſtande mit Waſſer beſeuchtet und in kleinen Bün⸗ deln auf Haufen geſetzt, erleidet einen eigenthümlichen Zerſetzungs— proceß; es tritt eine Gährung unter Abſorbtion von Sauer— ſtoff ein, die Blätter erhitzen ſich und verbreiten von jetzt an den eigenthümlichen Geruch des Rauch- und Schnupftabacks; er kann durch ſorgfältige Leitung der Gährung, Vermeidung zu ſtarker Erhitzung verfeinert und erhöht werden, und nach dieſer Gährung findet ſich in dieſen Blättern eine ölartige ſtickſtoffreiche, flüchtige Materie, das Nicotin, von baſiſchen Eigenſchaften, welche vorher nicht vorhanden war. Die ver— 272 Wein- und S eng ſchiedenen Tabacksſorten unterſcheiden ſich von und wie die Weine, durch die abweichendſten Riechſtoffe, die neben die- ſem Nicotin mit erzeugt werden. ü Wir wiſſen, daß in den meiſten Blüthen und Pflanzen- ſtoffen, wenn ſie riechen, dieſer Geruch einem darinn vorhan— denen ätheriſchen Oel angehört, allein es iſt eine nicht minder poſitive Erfahrung, daß andere nur inſofern riechen, als ſie ſich verändern, oder als ſie ſich in Zerſetzung befinden. Das Arſen, die arſenige Säure ſind beide geruchlos, nur in dem Act feiner Oxidation verbreitet es den penetranteſten Knob— lauchsgeruch; ſo riechen Hollunderbeerenöl, viele Terpentinöl— ſorten, Citronenöl nur in dem Act ihrer Oxidation, ihrer Ver⸗ weſung; daſſelbe iſt der Fall bei vielen Blüthen, und beim Moſchus hat Geiger bewieſen, daß er ſeinen Geruch einer fortſchreitendenden Fäulniß und Verweſung verdankt. Daher mag es denn auch kommen, daß in der Gährung von zuckerhaltigen Pflanzenſäften das eigenthümliche Prineip vieler Pflanzenſtoffe, dem ihr Geruch angehört, erſt gebildet und entwickelt wird, wenigſtens riechen kleine Quantitäten von Veilchen⸗, Hollunder⸗, Linden- und Schlüſſelblumenblüthen, wenn ſie während der Gährung zugeſetzt werden, hin, der gegohrenen Flüſſigkeit den ſtärkſten Geruch und Geſchmack nach dieſen Ma- terien mitzutheilen, ein Reſultat, was man durch Zuſatz eines Deſtillats von hundertmal größeren Mengen nicht erzielt. In Baiern ganz beſonders, wo der verſchiedene Geſchmack der Biere ſie in zahlloſe Sorten trennt, läßt man bei manchen Bieren geringe Mengen Kräuter und Blüthen verſchiedener Pflanzen mit der Bierwürze gähren, und auch am Rhein wird betrüge- riſcher Weiſe in vielen Weinen ein künſtliches Bouquet durch Zuſatz von manchen Salbey- und Rautenarten erzeugt, inſo⸗ fern verſchieden von dem echten Aroma, als es bei weitem Wein- und Biergährung. 273 veränderlicher iſt, und ſich nach und nach bei der Aufbewah— rung des Weines wieder verliert. Die Verſchiedenheit der Traubenſäfte in verſchiedenen Kli⸗ maten beruht nun nicht allein auf dem Gehalt an freier Säure, ſondern in der ungleichen Menge von Zucker, den ſie gelößt enthalten; man kann annehmen, daß ihr Gehalt an ſtickſtoff— haltiger Materie überall gleich iſt, man hat wenigſtens im ſüd— lichen Frankreich und am Rhein, in Beziehung auf die ſich in der Gährung abſcheidende Hefe, keinen Unterſchied beobachtet. Die in heißen Ländern gereiften Trauben, ſowie die ge— kochten Traubenſäfte ſind verhältnißmäßig reich an Zucker; bei der Gährung dieſes Saftes iſt die völlige Zerſetzung der ſtick— ſtoffhaltigen Beſtandtheile, ihre völlige Abſcheidung im unlös— lichen Zuſtande früher beendigt, ehe aller Zucker ſeine eigene Metamorphoſe in Alkohol und Kohlenſäure erlitten hat; es bleibt eine gewiſſe Menge Zucker dem Weine unzerſetzt beige— miſcht, eben weil die Urſache einer weiteren Zerſetzung fehlt. In den Traubenſäften der gemäßigten Zone iſt mit der Metamorphoſe des Zuckers die völlige Abſcheidung der ſtick— ſtoffhaltigen Materien im ungelöften Zuſtande nicht bewirkt worden. Dieſe Weine enthalten keinen Zucker mehr, fie ent- halten aber wechſelnde Mengen von unzerſetztem Kleber in Auflöſung. Dieſer Klebergehalt ertheilt dieſen Weinen die Fähigkeit, von ſelbſt, bei ungehindertem Zutritt der Luft, in Eſſig über— zugehen; indem er den Sauerſtoff aufnimmt und unauflöslich wird, überträgt ſich dieſe Oxidation auf den Alkohol, er ver— wandelt ſich in Eſſig. Durch das Lagern der Weine in Fäſſern, bei ſehr gehin— dertem Luftzutritt und möglichſt niederer Temperatur, wird die Oxidation dieſer ſtickſtoffhaltigen Materien bewirkt, ohne daß 18 274 Wein- und Biergährung. der Alkohol, welcher dazu einer höheren Temperatur bedarf, Antheil daran nimmt; ſo lange der Wein in den Lagerfäſſern Unterhefe abſetzt, kann er durch Zuſatz von Zucker wieder in Gährung verſetzt werden, aber der alte wohl abgelagerte Wein hat die Fähigkeit, durch Zuckerzuſatz zu gähren und von ſelbſt in Effig überzugehen, verloren, eben weil in ihm die Bedin⸗ gung zur Gährung und Verweſung, nemlich eine in Zerſetzug oder Verweſung begriffene Materie, fehlt. Bei dem Abfüllen der jungen Weine, welche noch reich an Kleber ſind, hindern wir ihren Uebergang in Eſſig, ihre Ver— weſung durch Zuſatz von ſchwefliger Säure, durch eine Sub— ſtanz alſo, die den aufgenommenen Sauerſtoff der Luft in dem Faß und in dem Wein hindert, an die organiſche Materie zu treten, inſofern ſie ſich ſelbſt damit verbindet. Auf eine ähnliche Weiſe, wie in den Weinen, unterfeheiben ſich die Bierſorten von einander. Die engliſchen, franzöſiſchen und die meiſten deutſchen Biere gehen beim Zutritt der Luft in Eſſig über; dieſe Eigenſchaft fehlt den baierſchen Lagerbieren, ſie laſſen ſich, ohne ſauer zu werden, in vollen und halbgefüllten Fäſſern ohne Veränderung aufbewahren. Dieſe ſchätzbare Eigenſchaft haben dieſe Biere durch ein eigenthümliches Verfahren in der Gährung der Bier- würze, durch die ſogenannte Untergährung erhalten, und eine vollendete Experimentirkunſt hat damit eins der ſchönſten Probleme der Theorie gelößt. Die Bierwürze iſt verhältnißmäßig reicher an aufgelößtem Kleber als an Zucker, bei ihrer Gährung auf die gewöhnliche Weiſe ſcheidet ſich eine große Menge Hefe als dicker Schaum ab, die ſich entwickelnde Kohlenſäure hängt ſich in Bläschen | den Hefentheilchen an, macht ſie ſpecifiſch leichter und bebt ſie auf die Oberfläche der Flüſſigkeit empor. Wein- und Biergährung. 275 Neben den ſich zerlegenden Zuckertheilchen befinden ſich Theile des in Oxidation im Innern der Flüſſigkeit begriffenen Klebers. Kohlenſäure von dem Zucker, unauflösliches Ferment von dem Kleber ſcheiden ſich gleichzeitig neben einander ab, und der letzte Aet von Verbindung zeigt ſich in beiden durch Adhäſion. Nach der Vollendung der Metamorphoſe des Zuckers bleibt noch eine große Menge Kleber in der gegohrenen Flüſſigkeit in Auflöſung, und dieſer Kleber, durch ſeine ausgezeichnete Nei— gung, Sauerſtoff anzuziehen und zu verweſen, veranlaßt den Uebergang des Alkohols in Eſſig; mit ſeiner gänzlichen Ent— fernung und mit der Entfernung aller oridationsfähigen Ma⸗ terien würde das Bier ſeine Fähigkeit, ſauer zu werden, ver— loren haben. Dieſe Bedingungen werden nun vollkommen er— füllt durch das baierſche Gährverfahren. Die gehopfte Würze läßt man in ſehr weiten offenen Ku— fen in Gährung übergehen, in welchen die Flüſſigkeit der Luft eine große Oberfläche darbietet; man läßt ſie an kühlen Orten vor ſich gehen, deren Temperatur 6 — 8e R. nicht überfteigt. Die Gährung dauert 3 — 6 Wochen; die Kohlenſäure ent- wickelt ſich nicht in großen voluminöſen, auf der Oberfläche zerplatzenden Blaſen, ſondern in feinen Bläschen wie aus ei— nem Säuerling, wie aus einer Flüſſigkeit, die damit in höhe- rem Drucke überſättigt war. Die Oberfläche der Flüſſigkeit iſt kaum mit Schaum bedeckt, und alle Hefe ſetzt ſich auf den Boden der Kufe in Geſtalt eines feinen, zähen Schlammes als ſogenannte Unterhefe ab. Um ſich eine klare Vorſtellung von der großen Verſchieden⸗ heit der beiden Gährungsproceſſe, der Ober- und Unter— gährung, zu verſchaffen, genügt es vielleicht, darauf zurück⸗ zuweiſen, daß die Metamorphoſe des Klebers, oder der ſtick⸗ 18 * 276 Wein⸗ und Biergährung. ſtoffhaltigen Beſtandtheile überhaupt, in mehrere Perioden zer- fällt. r In der erſten Periode geht feine Verwandlung in unauf- lösliches Ferment in dem Innern der Flüſſigkeit vor ſich, Koh—⸗ lenſäure und Hefe ſcheiden ſich neben einander ab; wir wiſſen, daß dieſe Abſcheidung mit einer Sauerſtoffaufnahme verknüpft iſt, und ſind nur zweifelhaft darüber, ob dieſer Sauerſtoff von den Elementen des Zuckers, des Waſſers oder von ſeiner eige⸗ nen Maſſe genommen wird, ob dieſer Sauerſtoff geradezu ſich damit verbindet, oder ob er an den Waſſerſtoff des Klebers tritt, damit Waſſer bildend. Bezeichnen wir, um einen Begriff feſtzuhalten, dieſe erſtere Veränderung mit Oxidation, ſo ſind alſo die Oxidation des Klebers und die Umſetzung der Atome des Zuckers in Kohlenſäure und Alkohol die beiden Actionen, die ſich gegenſeitig bedingen; ſchließen wir die eine aus, ſo hört damit die andere auf. Oberhefe, d. h. Hefe, die ſich auf die Oberfläche der Flüſſigkeit begiebt, iſt aber nicht das Product einer vollendeten Zerſetzung, ſondern es iſt oridirter Kleber, welcher im feuch— ten Zuſtande einer Umſetzung ſeiner Beſtandtheile, einer neuen Metamorphoſe entgegen geht. Durch dieſen Zuſtand iſt er fä— hig, in Zuckerwaſſer wieder Gährung zu erregen, und wenn neben dieſem Zucker Kleber zugegen iſt, ſo veranlaßt der ſich zerſetzende Zucker die Metamorphoſe des aufgelößten Klebers in Hefe; in einem gewiſſen Sinne ſcheint ſich alſo die Hefe reproducirt zu haben. Die Oberhefe iſt faulender oridirter Kleber, deſſen Zu⸗ ſtand der Fäulniß in den Elementen des Zuckers eine ähnliche Metamorphoſe hervorruft. Die Unterhefe iſt Kleber im Zuſtande der Verweſung, es iſt verweſender oridirter Kleber. Der abweichende Zer- Wein- und Biergährung. 277 ſetzungsproceß, in dem ſich ſeine Elemente befinden, bringt in dem Zucker eine äußerſt verlangſamte Fäulniß (Gährung) her— vor. Die Intenſität der Action iſt in dem Grade gehemmt, daß kein Theilchen des aufgelöſ'ten Klebers Antheil daran nimmt. Aber der Contact des verweſenden Klebers (der Unterhefe) ver— anlaßt die Verweſung des in der Bierwürze gelöften Klebers, bei Zutritt der Luft wird Sauerſtoffgas aufgenommen, aller gelöfte Kleber ſcheidet ſich als Unterhefe vollſtändig ab. Man kann aus gährendem Bier den Abſatz, die Oberhefe, durch Filtration entfernen, ohne die Gährung aufzuheben; allein die Unterhefe kann nicht von der Flüſſigkeit getrennt werden, ohne alle Erſcheinungen der Untergährung zu unter— brechen; ſie hört auf oder geht bei höherer Temperatur in Obergährung über. Die Unterhefe bringt keine Obergährung hervor, ſie iſt zum Stellen des Backwerks gänzlich untauglich, aber die Oberhefe kann die Untergährung bewirken. Wenn man zur Würze bei einer Temperatur von 4-6 R. Oberhefe zuſetzt, ſo erfolgt eine langſame nicht ſtürmiſche Gäh— rung, welche, wenn man den Bodenſatz benutzt, um neue Würze wieder unter denſelben Umſtänden in Gährung zu bringen, nach mehrmaligem Wiederholen in wahre Untergährung übergeht; es wird zuletzt Unterhefe gebildet, die alle Eigenſchaft verloren hat, Obergährung hervorzubringen und ſelbſt bei 10° R. Un— tergährung bewirkt. In einer Bierwürze, welche in einer niedrigen Temperatur mit Unterhefe der Gährung unterworfen wird, haben wir alſo die Bedingung zur Metamorphoſe des Zuckers in der Gegen— wart der Unterhefe ſelbſt, allein die Bedingung zur Verwand— lung des Klebers in Ferment, in Folge einer im Innern der Flüſſigkeit vorgehenden Oxidation des Klebers, iſt nicht vorhanden. 278 Wein- und Biergährung. In feiner Fähigkeit und feinem Streben, Sauerſtoff auf zunehmen durch den Contact mit Unterhefe, die ſich im Zu— ſtande der Verweſung befindet, erhöht, und in dem freien un— gehinderten Zutritt der Luft haben wir aber alle Bedingungen zu feiner eigenen Verweſung, zu feinem Uebergang in den oxi— dirten Zuſtand. Gegenwart von freiem Sauerſtoff und auf— gelößtem Kleber haben wir als die Bedinger der Verweſung des Alkohols zu ſeinem Uebergang in Eſſig kennen gelernt, allein beide ſind ohne Einfluß auf den Alkohol bei niederen Temperaturen. Der Ausſchluß der Wärme wirkt hemmend auf die langſame Verbrennung des Alkohols; der Kleber verbindet ſich von ſelbſt, wie die im Waffer gelöfte ſchweflige Säure, mit dem Sauerſtoff der Luft; dieſe Eigenſchaft geht dem Alkohol ab, und während der Oxidation des Klebers in niedrigen Tem— peraturen befindet ſich der Akohol neben ihm in derſelben Lage, wie bei dem Schwefeln des Weins der Kleber neben der ſchwef— ligen Säure. Der Sauerſtoff, der bei ungeſchwefeltem Wein ſich mit dem Kleber und dem Alkohol verbunden haben würde, tritt an keinen von beiden, er verbindet ſich mit der ſchwefligen Säure. So tritt denn in der Untergährung der Sauerſtoff der Luft nicht an Alkohol und Kleber zugleich, ſondern an letztern allein, in höheren Temperaturen würde er an beide getreten fein, d. h. es würde ſich Eſſig gebildet haben. So iſt denn dieſer merkwürdige Prozeß der Untergährung eine gleichzeitig vorgehende Fäulniß und Verweſung. Zucker befindet ſich in der Metamorphoſe der Fäulniß, der aufgelöste Kleber im Zuſtande der Verweſung. Die Appert'ſche Aufbewahrungsmethode und die Unter⸗ gährung des Biers beruhen auf einerlei Princip. In der Untergährung des Biers wird durch ungehinderten Zutritt der Luft alle der Verweſung fähige Materie bei einer Wein- und Biergährung. 279 niedrigen Temperatur abgeſchieden, in welcher der Alkohol kei— nen Sauerſtoff aufzunehmen fähig iſt; mit ihrer Entfernung vermindert ſich die Neigung des Biers, in Eſſig überzugehen, d. h. eine weitere Metamorphoſe zu erleiden. In der Appert'ſchen Aufbewahrungsmethode von Spei— ſen läßt man den Sauerſtoff bei einer hohen Temperatur in Verbindung treten mit der Materie der Speiſen, in einem Wärmegrade, in welchem wohl Verweſung, aber keine Fäul— niß, keine Gährung ſtattfindet. Mit der Wegnahme des Sauerſtoffs und der Vollendung der Verweſung iſt jede Ur— ſache zur weiteren Störung entfernt. In der Untergährung wird die der Verweſung fähige Subſtanz, in der Appert’- ſchen Aufbewahrungsmethode der Verweſer, der Sauerſtoff, entfernt. Es iſt S. 270 berührt worden, daß es ungewiß iſt, ob der Kleber, wenn er in Oberhefe übergeht, wenn er alſo aus gährenden Flüſſigkeiten ſich in unlöslichem Zuſtande ausſcheidet, ſich geradezu mit dem Sauerſtoff verbindet, ob alſo das Fer— ment ſich von dem Kleber lediglich durch einen größern Sauer— ſtoffgehalt unterſcheidet. Dieß iſt in der That eine höchſt ſchwie— rig zu entſcheidende Frage, da ſie ſelbſt durch die Analyſe mög— licher Weiſe nicht lösbar iſt. Beachten wir z. B. das Verhal- ten des Alloxans und Allorantins, von Materien alſo, welche die nemlichen Elemente wie der Kleber, obwohl in ganz ande— ren Verhältniſſen enthalten, ſo weiß man, daß das eine aus dem andern durch eine bloße Sauerſtoffaufnahme entſtehen oder rückwärts der eine in das andere durch Reductionsmittel ver— wandelt werden kann. Beide ſind abſolut aus denſelben Ele— menten gebildet, bis auf 1 Aeg. Waſſerſioff was das Alloxan— tin mehr enthält. Behandeln wir das Axollantin mit Chlor und Salpeter— 280 Wein- und Biergährung. ſäure, fo wird es in Alloxan verwandelt, in einen Körper alſo, welcher Alloxantin iſt, minus 1 Aeg. Waſſerſtoff. Leiten wir durch eine Auflöſung von Alloxan Schwefelwaſ— ſerſtoff, fo wird Schwefel abgeſchieden und Allorantin gebildet. In dem erſten Falle, kann man ſagen, iſt der Waſſerſtoff ganz einfach hinweggenommen worden, in dem andern iſt er wieder hinzugetreten. Aber die Erklärung nimmt eine nicht minder einfache Form an, wenn man beide als verſchiedene Oxide eines und deſſelben Radikals betrachtet, das Alloran als eine Verbindung von 2 Aeg. Waſſer mit einem Körper Cs N. H, O, das Allorantin als eine Verbindung von 3 Atomen Waſſer, mit einem Körper Cs N. H, O-. Die Verwandlung des Alloxans in Allorantin würde hiernach erfolgen, indem die 8 At. Sauerſtoff, die es enthält, auf 7 At. reducirt werden, und umgekehrt würde ſich aus Alloxantin Alloran bilden durch die Aufnahme von 1 At. Sauerſtoff, den es der Salpeterſäure entzieht. i Man kennt nun Oride, die ſich mit Waſſer verbinden und ſich ähnlich wie Alloxan und Alloxantin verhalten; man kennt aber keine Waſſerſtoffverbindung, welche Hydrate bildet, und die Gewohnheit, welche das Unähnliche bis zur Entſcheidung der Eigenthümlichkeit zurückweiſ't, läßt uns eine Meinung vor— ziehen, für die man, genau betrachtet, keine Gründe hat, als die Analogie. In den Iſatis-, den Neriumarten, dem Waid, iſt nun, wie man weiß, eine ſtickſtoffhaltige Materie, ähnlich in mancher Beziehung dem Kleber, enthalten, eine Subſtanz, welcher ſich als blauer Indigo abſcheidet, wenn der wäſſerige Aufguß der getrockneten Blätter der Einwir— kung der Luft ausgeſetzt wird. Man iſt durchaus im Zweifel, ob der blaue unlösliche Indigo ein Oxid des farbloſen lösli— chen, oder der letztere die Waſſerſtoffverbindung des blauen iſt. Wein- und Biergährung. 281 Dumas hat nemlich in beiden dieſelben Elemente gefunden, bis auf 1 Aeq. Waſſerſtoff, was der lösliche Indigo mehr enthält, als der blaue. Wie man leicht bemerkt, kann man den löslichen Kleber als eine Waſſerſtoffverbindung betrachten, welche, der Luft un— ter geeigneten Bedingungen ausgeſetzt, durch die Einwirkung des Sauerſtoffs eine gewiſſe Quantität Waſſerſtoff verliert und dadurch zu unlöslichem Ferment wird; jedenfalls geht aus der Abſcheidung der Hefe in der Conſervation des Weins und der Untergährung bei dem Bier, welche in beiden Fällen nur bei Zutritt von Sauerſtoff erfolgt, bis zur Evidenz hervor, daß der Sauerſtoff den unlöslichen Zuſtand bedingt. In welcher Form nun auch der Sauerſtoff hinzutreten mag, gleichgültig, ob er ſich direct mit dem Kleber verbindet, oder ob er an eine Portion ſeines Waſſerſtoffs tritt und damit Waſſer bildet; die Producte, welche in Folge ſeiner Verwand— lung in Ferment im Innern der gährenden Flüſſigkeit gebildet werden, dieſe Producte müſſen einerlei Beſchaffenheit beſitzen. Denken wir uns den Kleber als eine Waſſerſtoffverbindung, ſo wird ſein Waſſerſtoff in der Gährung des Traubenſaftes und der Bierwürze hinweggenommen werden, indem er ſich mit Sauerſtoff verbindet, gerade ſo, wie bei der Verweſung des Alkohols zu Aldehyd. Die Atmoſphäre iſt abgeſchloſſen; dieſer Sauerſtoff wird alſo nicht aus der Luft, er kann nicht von den Elementen des Waſſers genommen werden, weil es unmöglich iſt, anzuneh— men, daß ſich der Sauerſtoff von dem Waſſerſtoff des Waſſers trenne, um mit dem Waſſerſtoff des Klebers wieder Waſſer zu bilden. Die Elemente des Zuckers müſſen demnach dieſen Sauerſtoff liefern, d. h. es muß in Folge der Bildung des Ferments eine Portion Zucker auf eine andere Weiſe zerſetzt 232 Wein: und Biergährung. werden, als dieß durch ſeine eigene Metamorphoſe geſchieht; eine gewiſſe Portion Zucker wird keinen Alkohol und keine Kohlenſäure liefern; es müſſen ſich aus ſeinen Elementen an⸗ dere, an Sauerſtoff ärmere, Producte bilden. Es iſt ſchon früher auf dieſe Producte hingewieſen wor— den, ſie ſind es, welche eine ſo große Verſchiedenheit in den Qualitäten der gegohrenen Flüſſigkeiten, und namentlich in ih⸗ rem Alkoholgehalt, bedingen. Der Traubenſaft, die Bierwürze liefern alſo in der Ober— gährung keineswegs eine dem Zuckergehalt entſprechende Menge von Alkohol, eben weil eine Portion Zucker zur Verwandlung des Klebers in Ferment, in Hefe, und nicht zur Alkoholbil— dung verwendet wird. Dieß muß aber vollſtändig in der Un— tergährung, dieß muß aufs Vollſtändigſte bei allen Gährun— gen ſtattfinden, wo die Metamorphoſe des Zuckers nicht beglei— tet iſt von Hefenbildung. Es iſt eine entſchiedene Thatſache, daß in der Branntwein— brennerei aus Kartoffeln, wobei ſich keine oder nur eine dem Malzzuſatz entſprechende Quantität Hefe bildet, daß bei der Gährung der Kartoffelmeiſche eine dem Kohlenſtoffgehalt der Stärke genau entſprechende Menge von Alkohol und Kohlen— ſäure gewonnen werden kann, und daß das Volum der Koh: lenſäure, die ſich durch Gährung aus den Runkelrüben ent wickelt, keine ſcharfe Beſtimmung ihres Zuckergehaltes zuläßt, weil man weniger an Kohlenſäure erhält, als dieſer Zucker für ſich in reinem Zuſtande liefern würde. Bei gleichen Quantitäten Malz enthält das durch Unter— gährung erhaltene Bier mehr Alkohol und iſt berauſchender als das obergährige. Man ſchreibt gewöhnlich den kräftigen Geſchmack des erſtern einem größern Gehalt von Kohlenſäure, einer feſtern Bindung derſelben zu, allein mit Unrecht. Beide Wein- und Biergährung- 283 Bierſorten ſind nach Vollendung der Gährung des einen wie des andern abſolut gleich mit Kohlenſäure geſättigt; wie alle Flüſſigkeiten, müſſen beide in der Gährung von der aus ihrem Innern entweichenden Kohlenſäure eine Quantität zurückbe— halten, die genau ihrem Auflöſungsvermögen, d. h. ihrem Vo— lumen entſpricht. Die Temperatur, in welcher die Gährung vor ſich geht, hat einen höchſt wichtigen Einfluß auf die Quantität des er— zeugten Alkohols; es iſt erwähnt worden, daß Runkelrübenſaft, den man bei 30° bis 35° in Gährung übergehen läßt, keinen Alkohol liefert, daß man an der Stelle des Zuckers eine der Gährung nicht fähige ſauerſtoffärmere Subſtanz, den Mannit, daß man Milchſäure und Schleim vorfindet. Mit der Abnahme der Temperatur vermindert ſich die Bildung dieſer Producte; allein es iſt in ſtickſtoffhaltigen Pflanzenſäften natürlich unmög— lich, die Grenze feſtzuſetzen, wo die Metamorphoſe des Zuckers allein erfolgt, wo ſie alſo unbegleitet iſt von einer eingreifenden ſtörenden Zerſetzungsweiſe. Aus der Untergährung des Biers weiß man, daß durch die Mitwirkung des Sauerſtoffs der Luft, neben der niedrigen Temperatur, durch zwei Bedingungen alſo, die vollkommene Metamorphoſe des Zuckers erfolgt, weil die Urſache der Stö— rung derſelben, weil dem Streben des Klebers, ſich in unlös— liches Ferment zu verwandeln, durch Hinzuführung von Sauer- ſtoff von außen her genügt wird. Bei dem Beginn der Gährung des Traubenſaftes und der Bierwürze iſt die Menge der in Metamorphoſe begriffenen Materien natürlich am größten, alle Erſcheinungen, welche ſie begleiten, Gasentwickelung und Erhöhung der Temperatur, tre— ten in dieſer Periode am ſtärkſten ein; mit der Zerſetzung der größeren Menge Zucker und Kleber vermindern ſich die Zei— 254 Wein⸗ und Biergährung. chen der im Innern vorgehenden Zerſetzung, ohne daß ſie aber eher als vollendet angeſehen werden kann, als bis ſie völlig verſchwinden. Die langſam fortdauernde Zerſetzung nach der ſchnell ein— tretenden ſtürmiſchen oder lebhaften Gasentwickelung nennt man Nachgährung; bei dem Weine wie bei dem Biere dauert ſie bis zur völligen Verſchwindung ihres Zuckergehaltes fort, das ſpecifiſche Gewicht der Flüſſigkeit nimmt viele Monate hindurch noch ab. Die Nachgährung iſt in den meiſten Fällen eine wahre Untergährung, in welcher zum Theil die Meta- morphoſe des noch aufgelöſ'ten Zuckers in Folge der fortſchrei— tenden Zerſetzung der Unterhefe bewirkt wird, ohne daß übri— gens damit bei Luftausſchluß eine vollkommene Ausſcheidung der gelösten ſtickſtoffhaltigen Materien bedingt wird. In mehreren deutſchen Staaten hat man den günftigen Einfluß eines rationellen Gährungsverfahrens auf die Quali tät der Biere ſehr wohl erkannt; man hat z. B. im Groß⸗ herzogthum Heſſen beträchtliche Preiſe auf die Darſtellung von Bier nach dem baierſchen Gährungsverfahren ausgeſetzt, und dieſe Preiſe werden Demjenigen zuerkannt, welcher nachweiſen kann, daß ſein Fabricat ſich 6 Monate lang in Lagerfäſſern aufbewahren ließ, ohne ſauer zu werden. Hundert von Fäſ—⸗ ſern Bier ſind an den meiſten Orten im Anfange zu Eſſig ge— worden, bis man zu einer empiriſchen Kenntniß der Bedingun⸗ gen gelangte, deren Einfluß durch die Theorie vorausgeſetzt und zum Bewußtſein gebracht wird. Weder der Alkoholgehalt, noch der Hopfen allein, noch beide zuſammen ſchützen das Bier vor dem Sauerwerden; in Eng⸗ land gelingt es mit einem Verluſt der Zinſen eines ungeheuern Kapitals, die beſſeren Sorten Ale und Porter vor dem Ueber— gange in Säure dadurch zu ſchützen, indem man ſie in damit Verweſung der Holzfaſer. 285 angefüllten ungeheuern faßartigen verſchloſſenen Gefäßen, deren Oberfläche mit Sand bedeckt iſt, mehrere Jahre liegen läßt, daß man ſie alſo ähnlich behandelt, wie die Weine in dem ſogenannten Ablagern. Durch die Poren des Holzes findet ein ſchwacher Luft— wechſel ſtatt; die Menge der ſtickſtoffhaltigen Materie im Ver— hältniß zu dem zutretenden Sauerſtoff iſt ſo groß, daß dieſer Sauerſtoff dadurch gehindert wird, an den Alkohol zu treten; aber auch das nach dieſem Verfahren behandelte Bier hält ſich bei Luftzutritt in kleineren Gefäßen nicht über zwei Mo⸗ nate lang. Die Verweſung der Holzfaſer. Die Verwandlung der Holzfaſer in die Materien, welche man Humus und Moder genannt hat, iſt durch ihren Einfluß auf die Vegetation einer der merkwürdigſten Zerſetzungsproceeſſe, welche in der Natur vor ſich gehen. Von einer andern Seite erſcheint die Verweſung nicht min— der wichtig, inſofern ſie der große Naturproceß iſt, in welchem die Vegetabilien den Sauerſtoff an die Atmoſphäre wieder zu— rückgeben, den ſie im lebenden Zuſtande derſelben entzogen haben. Wir haben bei der Holzfaſer drei in ihren Reſultaten ver- ſchiedene Zerſetzungsweiſen in Betrachtung zu ziehen. 286 Verweſung der Holzfafer- Die eine geht vor ſich im befeuchteten Zuſtande, bei freiem und ungehindertem Zutritt der Luft, die zweite bei Abſchluß der Luft, und die dritte, wenn die Holzfaſer, mit Waſſer be— deckt, ſich in Berührung befindet mit faulenden organiſchen Stoffen. In trockner Luft oder unter Waſſer erhält ſich die Holz— faſer, wie man weiß, Jahrtauſende ohne bedeutende Verände— rung, aber ſie kann im befeuchteten Zuſtande mit der Atmoſphäre nicht in Berührung gebracht werden, ohne von dem Augenblick an eine Veränderung zu erleiden, ſie verwandelt ohne Aende— rung des Volumens den umgebenden Sauerſtoff, wie ſchon er- wähnt, in Kohlenſäure, und geht nach und nach in eine gelb— braune, braune oder ſchwarze Materie von geringem Zuſam— menhang über. In den Verſuchen von de Sauſſure verwandelten 240 Th. trockne Eichenholzſpäne 10 Cubiczoll Sauerſtoff in eben ſo viel kohlenſaures Gas, welches 3 Gewichtstheile Kohlenſtoff enthält; das Gewicht der Späne fand ſich aber um 15 Th. vermindert. Es hatten ſich demnach hierbei noch 12 Gewichts— theile Waſſer von den Elementen des Holzes getrennt. Kohlenſäure, Waſſer und Moder oder Humus ſind mithin die Producte der Verweſung des Holzes. Wir haben angenommen, daß das Waſſer aus dem Waſ— ſerſtoff des Holzes entſteht, der ſich mit dem Sauerſtoff der Atmoſphäre verbindet, und daß in dem Acte dieſer Oxidation Kohlenſtoff und Sauerſtoff in der Form von Kohlenſäure ſich von den Elementen des Holzes trennen. Es iſt ſchon früher erwähnt worden, daß die reine Holz— faſer Kohlenſtoff und die Elemente des Waſſers enthält. Der Humus entſteht aber nicht durch Verweſung der Holzfaſer allein, ſondern durch die Verweſung des Holzes, was außer der rei— Verweſung der Holzfafer. 287 nen Holzfaſer noch fremde, lösliche und unlösliche organiſche Stoffe enthält. Bas relative Verhältniß der Elemente des Eichenholzes iſt deshalb ein anderes als beim Buchenholz, und beide ſind wie— der in ihrer Zuſammenſetzung verſchieden von der reinen Holz— faſer, die ſich in allen Vegetabilien gleichbleibt. Die Unterſchiede ſind nichts deſto weniger ſo unbedeutend, daß ſie in den Fra— gen, die wir einer Discuſſion unterwerfen, unbeachtet bleiben können, um ſo mehr, da der Gehalt an dieſen Materien je nach der Jahreszahl wechſelt. Nach den mit Sorgfalt von Gay-Luſſac und Thenard ausgeführten Analyſen des bei 1000 getrockneten und mit Waſſer und Weingeiſt von allen darinn löslichen Theilen befreiten Eichenholzes enthielt daſſelbe 52,53 Kohlenſtoff und 47,47 Waſſerſtoff und Sauerſtoff in dem Verhältniß wie im Waſſer. Es iſt nun früher erwähnt worden, daß ſich das feuchte Holz im Sauerſtoffgas gerade ſo verhält, wie wenn ſich ſein Kohlenſtoff direct mit dem Sauerſtoff verbunden hätte, es ent- ſteht nemlich gasförmige Kohlenſäure und Humus. Wenn die Wirkung des Sauerſtoffs ſich ausſchießlich auf den Kohlenſtoff des Holzes erſtreckt haben würde, wäre weiter nichts als Kohlenſtoff von den Beſtandtheilen des Holzes hin— weggenommen worden, ſo müßte man die übrigen Elemente unverändert, aber mit weniger Kohlenſtoff verbunden, in dem Humus wiederfinden. Das Endreſultat dieſer Einwirkung würde demnach ein gänzliches Verſchwinden des Kohlenſtoffs ſein, es würden zuletzt nur die Elemente des Waſſers übrig bleiben. Wenn wir aber das verweſende Holz in ſeinen verſchiede— denen Stadien feiner Verweſung einer Unterſuchung unterwer— fen, ſo gelangen wir zu dem merkwürdigen Reſultat, daß der 288 Verweſung der Holzfaſer. Kohlenſtoff des rückſtändigen feſten Products beſtändig zunimmt, daß alſo, abgeſehen von der Kohlenſäurebildung durch den Ein— fluß der Luft, die Veränderung des Holzes in Humus als eine Trennung der Beſtandtheile des Waſſers von dem Koh- lenſtoff ſich darſtellt. Die Analyſe lieferte nemlich von vermodertem Eichenholze, was aus dem Innern eines hohlen Eichſtammes genommen worden war, eine chokolatnebraune Farbe beſaß, und noch voll⸗ kommen die Structur des Holzes zeigte, in 100 Theilen 53,36 Kohlenſtoff und 46,44 Waſſerſtoff und Sauerſtoff, in dem Ver⸗ hältniß wie im Waſſer. Eine andere Probe von einer andern Eiche, von lichtbrauner Farbe, leicht zerreiblich zu feinem Pul⸗ ver, gab 56,212 Kohlenſtoff und 43,789 Waſſer. Aus dieſen unverwerflichen Thatſachen ergiebt ſich bis zur Evidenz die Gleichheit der Verweſung des Holzes mit allen anderen langſamen Verbrennungen waſſerſtoffreicher Materien. Wie ſonderbar würde in der That dieſe Verbrennung ſich dar— ſtellen, wenn der Kohlenſtoff des Holzes direct ſich mit dem Sauerſtoff verbände, eine Verbrennung, wo der Kohlegehalt des verbrennenden Körpers, anſtatt abzunehmen, ſich beſtändig vergrößert. Es iſt offenbar der Waſſerſtoff, der auf Koſten des Sauerſtoffs der Luft oridirt wird, die Kohlenſäure ſtammt von den Elementen des Holzes; nie, unter keinerlei Bedingun⸗ gen, vereinigt ſich bei gewöhnlicher Temperatur der Kohlenſtoff direct mit dem Sauerſtoff zu Kohlenſäure. In welchem Stadium der Verweſung das Holz ſich auch befinden mag, ſtets müſſen darinn die Elemente ausdrückbar ſein durch die Aequivalentenzahlen. Verweſung der Holzfafer. 289 Die folgenden Formeln drücken dieſe Verhältniſſe mit gro— ßer Schärfe aus: C5 H. Oe Eichenholz, nach Gay-Luſſac und Thénard)), Cs HI Oo Humus von Eichenholz (Meyer k)), C3 H58 018 2 ” * (Dr. Will **). Man beobachtet leicht, daß für je 2 Aequivalente Waſ— ſerſtoff, der ſich oridirt, 2 Atome Sauerſtoff und 1 Aequi⸗ valent Kohlenſtoff von den übrigen Elementen abgeſchieden werden. Unter den gewöhnlichen Bedingungen bedarf die Pflanzen— faſer zu ihrer Verweſung einer ſehr langen Zeit; ſie wird, wie ſich von ſelbſt verſteht, ausnehmend beſchleunigt durch erhöhte Temperatur und ungehinderten, freien Zutritt der Luft, ſie wird aufgehalten und verlangſamt durch Abweſenheit von Feuchtig— keit und durch Umgebung mit einer Atmoſphäre von Kohlen— ſäure, durch welche letztere der Zutritt des Sauerſtoffs zu der verweſenden Materie abgeſchloſſen wird. Schweflige Säure, alle antiſeptiſchen Materien halten die Verweſung der Pflanzenfaſer auf; man hat bekanntlich Duedfil- berſublimat, welcher die Fähigkeit zu faulen, gähren und verweſen aller, auch der am leichteſten veränderlichen vegetabiliſchen und thieriſchen Stoffe gänzlich vernichtet, als das kräftigſte Mittel in Anwendung gebracht, um das Holz, was zum Schiffbau dient und dem abwechſelnden Zutritt von Feuchtigkeit und Luft ausgeſetzt iſt, vollkommen vor der Verweſung zu ſchützen. Auf der andern Seite wird durch die Berührung mit Alka— lien und alkaliſchen Erden, welche die Abſorbtion des Sauer— ) Die Rechnung giebt 52,5 Kohlenſtoff und 47,5 Waſſer. ) Die Rechnung giebt 54 Kohlenſtoff und 46 Waſſer. ) Die Rechnung giebt 56 Kohlenſtoff und 44 Waſſer. 19 290 Verweſung der Holzfafer. ſtoffs ſelbſt in denjenigen Subſtanzen zu erwirken vermögen, denen an und für ſich dieſe Fähigkeit abgeht, wie beim Alkohol (S. 250), der Gallusſäure, dem Gerbeſtoff, den vegetabili— ſchen Farbeſtoffen (S. 239), die Verweſung der vegetabiliſchen Materien im Allgemeinen ausnehmend befördert. Durch die Gegenwart von Säuren wird ſie im Gegentheil aufgehalten und verlangſamt. In ſchwerem Lehmboden hält ſich die eine Bedingung zur Verweſung der darinn enthaltenen vegetabiliſchen Stoffe, die Feuchtigkeit nemlich, am längſten, allein ein feſter Zuſammen— hang hindert die häufige Berührung mit der Luft. In feuchtem Sandboden, und namentlich in einem aus kohlenſaurem Kalk und Sand gemengten Boden geht durch die Berührung mit dem ſchwach alkaliſchen Kalk die Verweſung am ſchnellſten von ſtatten. Betrachten wir nun die Verweſung der Holzfaſer in einer unendlich langen Zeit, indem wir die Bedingung ſeiner Ver— änderung, nemlich die fortſchreitende Hinwegnahme ſeines Waſ— ſerſtoffs in der Form von Waſſer, und die Trennung ſeines Sauerſtoffs in der Form von Kohlenſäure feſthalten, ſo iſt klar, daß, wenn wir von der Formel C, HA Oe die 22 Aeg. Sauerſtoff mit 11 Aeg. Kohlenſtoff abziehen und die 22 Aeg. Waſſerſtoff (A, — 1 Aeg.) uns durch den Sauerſtoff der Luft oxidirt und in der Form von Waſſer abgeſchieden denken, daß von 1 At. Eichenholz zuletzt 25 At. Kohlenſtoff in reinem Zuſtande übrig bleiben werden, d. h. von 100 Th. Eichenholz, welche 52,5 Kohlenſtoff enthalten, werden 37 Theile Kohle übrig bleiben, welche als reiner Kohlenſtoff, dem die Fähigkeit, bei gewöhnlicher Temperatur ſich zu oridiren, gänzlich abgeht, ſich unverändert erhalten werden. Zu dieſem Endreſultat gelangen wir bei der Verweſung des Verweſung der Holzfafer. 291 Holzes unter den gewöhnlichen Bedingungen nicht, und zwar deshalb nicht, weil mit der Zunahme des Kohlenſtoffs in dem rückſtändigen Humus, mit ſeiner Maſſe alſo, wie bei allen Zerſetzungen dieſer Art, die Größe ſeiner Anziehung zu dem Waſſerſtoff, der noch in Verbindung bleibt, wächſt, bis zuletzt die Verwandtſchaft des Sauerſtoffs zu dieſem Waſſerſtoff und die des Kohlenſtoffs zu demſelben Körper ſich gegenſeitig im Gleichgewicht halten. Wir finden aber in demſelben Grade, als ſeine Verweſung vorgeſchritten iſt, eine Abnahme einer Fähigkeit, mit Flamme zu verbrennen, d. h. bei feinem Erhitzen gasförmige Kohlen— waſſerſtoffverbindungen zu bilden; das verfaulte Holz verbrennt beim Anzünden ohne Flamme, es verglimmt nur, und hieraus kann kein anderer Schluß gezogen werden, als der, daß der Waſſerſtoff, den die Analyſe nachweiſt, nicht mehr in der Form darinn enthalten iſt, wie im Holz. In dem verfaulten Eichenholze finden wir mehr Kohlenſtoff; wir finden ferner Waſſerſtoff und Sauerſtoff in dem nemlichen Verhältniß wie im friſchen Holz. Der Natur der Sache nach ſollte es mit der Zunahme an Kohlenſtoff eine leuchtendere, kohlenreichere Flamme bilden, es verbrennt im Gegentheil, wie feinzertheilte Kohle, wie wenn kein Waſſerſtoff darinn vorhanden wäre. Im gewöhnlichen Leben, wo die Anwendung des Holzes als Brennmaterial auf ſeiner Fähigkeit beruht, mit Flamme zu brennen, hat deshalb das verfaulte oder kranke Holz einen weit geringern Handels— werth. Wir können uns dieſen Waſſerſtoff in keiner andern Form, als in der des Waſſers denken, weil ſie allein genügende Rechenſchaft über dieſes Verhalten giebt. Denken wir uns die Verweſung in einer Flüſſigkeit vor ſich gehen, welche reich iſt an Kohlenſtoff und Waſſerſtoff, ſo wird, 1 292 Verweſung der Holzfaſer. ähnlich wie bei der Erzeugung der kohlenreichſten, kryſtallini⸗ ſchen Subſtanz, des farbloſen Naphthalins aus gasförmigen Kohlenwaſſerſtoffverbindungen, eine an Kohlenſtoff ſtets reichere Verbindung gebildet werden, aus der ſich zuletzt als Endreſul⸗ tat ihrer Verweſung Kohlenſtoff in Subſtanz, und zwar kry⸗ ſtalliniſch abſcheiden muß. Die Wiſſenſchaft bietet in allen Erfahrungen, die man kennt, außer dem Proceſſe der Verweſung, keine Analogieen für die Bildung und Entſtehung des Diamants dar. Man weiß ge wiß, daß er ſeine Entſtehung nicht dem Feuer verdankt, denn hohe Temperatur und Gegenwart von Sauerſtoff find mit ſei— ner Verbrennlichkeit nicht vereinbar; man hat im Gegentheil überzeugende Gründe, daß er auf naſſem Wege, daß er in einer Flüſſigkeit ſich gebildet hat, und der Verweſungsproceß allein giebt eine bis zu einem gewiſſen Grade befriedigende Vorſtellung über ſeine Entſtehungsweiſe. So ſind der Bernſtein, die foſſilen Harze und die Säure in dem Honigſtein die Begleiter von Vegetabilien, welche den Verweſungsproceß erlitten haben, ſie finden ſich in Braunkoh⸗ len, und ſind offenbar durch einen ähnlichen Zerſetzungsproceß aus Subſtanzen entſtanden, die in einer ganz andern Form in den lebenden Pflanzen enthalten waren, ſie zeichnen ſich alle durch einen verhältnißmäßig geringen Waſſerſtoffgehalt aus, und von der Honigfäure weiß man, daß fie das nemliche Ver- hältniß im Kohlenſtoff und Sauerſtoffgehalt enthält, wie die Bernſteinſäure, und daß die letztere ſich nur durch ihren Waf- ſerſtoffgehalt davon unterſcheidet. Dammerde. 293 Da mmerde. Unter Dammerde (terreau) verſteht man ein Gemenge von verwitterten Mineralſubſtanzen mit Ueberreſten vegetabiliſcher und Thierſtoffe; ihrer ganzen Beſchaffenheit nach läßt fie ſich als Erde betrachten, in welcher ſich Humus im Zuſtande der Zerſetzung befindet. Ihre Wirkungsweiſe auf die Luft iſt durch die Verſuche von In genhouß und de Sauſſure aufs Klarſte ermittelt worden. In einem mit Luft erfüllten Gefäße, in befeuchtetem Zu— ſtande entzieht ſie derſelben, mit noch größerer Schnelligkeit als das faule Holz, allen Sauerſtoff und erſetzt ihn durch ein gleiches Volumen Kohlenſäure. Wird die Kohlenſäure hin— weggenommen und die Luft erneuert, ſo wiederholt ſich dieſe Umwandlung. Kaltes Waſſer Iöft aus der Dammerde nahe ooo ihres Gewichts auf; dieſe Auflöſung iſt farblos und klar, und giebt abgedampft einen Rückſtand, welcher Kochſalz, Spuren von ſchwefelſaurem Kalk und Kali enthält und ſich beim Glühen vorübergehend ſchwärzt. Kochendes Waſſer färbt ſich mit Damm— erde gelb oder gelbbraun; dieſe Auflöſung entfärbt ſich an der Luft unter Abſorbtion von Sauerſtoff, unter Bildung eines ſchwarzen leichten Bodenſatzes; im gefärbten Zuſtande abge— dampft giebt ſie einen Rückſtand, der ſich beim Glühen ſchwärzt und eine Maſſe hinterläßt, aus der durch Waſſer kohlenſaures Kali ausgezogen wird. 294 Dammerde. Behandelt man die Dammerde mit einer Auflöſung von Kali, fo erhält man eine ſchwarzgefärbte Flüſſigkeit, welche mit Eſſigſäure ohne Trübung vermiſcht werden kann. Verdünnte Schwefelſäure ſchlägt daraus leichte braunſchwarze Flocken nie— der, die ſich durch Waſchen mit Waſſer nur ſchwierig von aller freien Säure befreien laſſen. Wenn man den gewaſche— nen Niederſchlag feucht unter eine Glocke mit Sauerſtoffgas bringt, ſo wird daſſelbe raſch eingeſaugt; bei dem Trocknen an der Luft bei gewöhnlicher Temperatur geſchieht dieß ebenfalls; mit der Entfernung aller Feuchtigkeit verliert ſie die Fähigkeit, ſich im Waſſer zu löſen aufs Vollſtändigſte, ſelbſt Alkalien löſen daraus nur noch Spuren auf. Es iſt hiernach klar, daß das ſiedende Waſſer aus der Dammerde eine Materie auszieht, deren Löslichkeit durch die Gegenwart der in den Pflanzenüberreſten enthaltenen alkaliſchen Salze vermittelt wurde. Dieſe Subſtanz iſt ein Product der unvollkommenen Verweſung der Holzfaſer; es ſteht in ſeiner Zuſammenſetzung zwiſchen der Holzfaſer und dem eigentlichen Humus, und verwandelt ſich in den letztern durch Ka im feuchten Zuftande an die Luft. Vermoderung. Papier, Braun- und Steinkohle. 295 Vermo derung. Papier, Braunkohle und Steinkohle. Unter Vermoderung begreift man eine Zerſetzung des Hol— zes, der Holzfaſer und aller vegetabiliſchen Körper bei Gegen— wart von Waſſer und gehindertem Zutritt der Luft. Die Braunkohle und Steinkohle ſind Ueberreſte von Vege— tabilien der Vorwelt; ihre Beſchaffenheit zeigt, daß ſie Pro— ducte der Zerſetzungsproceſſe ſind, die man mit Fäulniß und Verweſung bezeichnet. Es iſt leicht, durch die Analyſe derſel— ben die Art und Weiſe feſtzuſtellen, in welcher ſich die Be— ſtandtheile geändert haben, in der Vorausſetzung, daß ihre Hauptmaſſe aus Holzfaſer entſtanden iſt. Um ſich eine beſtimmte Vorſtellung über die Entſtehung der Braunkohle und Steinkohle zu verſchaffen, iſt es nöthig, eine eigenthümliche Veränderung zu betrachten, welche die Holzfaſer bei Gegenwart von Feuchtigkeit und dem völligen Abſchluß, oder bei gehindertem Zutritt der Luft erfährt. Es iſt bekannt, daß reine Holzfaſer, Leinwand z. B., mit Waſſer zuſammengeſtellt, ſich unter beträchtlicher Wärmeent— wickelung zu einer weichen zerreiblichen Maſſe zerſetzt, welche ihren Zuſammenhang zum größten Theil verloren hat; es iſt dieß die Subſtanz, woraus man, vor der Anwendung des Chlors, Papier bereitete. Auf Haufen geſchichtet bemerkt man während der Erhitzung eine Gasentwickelung, und die Lumpen 296 Vermoderung. Papier, Braun- und Steinkohle. erleiden hierbei einen Gewichtsverluſt, welcher auf 18 — 25 p. e. ſteigt. Ueberläßt man befeuchtete Holzſpäne ſich ſelbſt in einem verſchloſſenen Gefäße, fo entwickeln fie, wie bei Luſtzutritt, koh⸗ lenſaures Gas; es tritt eine wahre Fäulniß ein; das Holz nimmt eine weiße Farbe an; es verliert ſeinen Zuſammenhang und wird zu einer morſchen zerreiblichen Materie. Das weiße faule Holz, was man in dem Innern von ab— geſtorbenen Holzſtämmen findet, die mit Waſſer in Berührung waren, verdankt der nemlichen Zerſetzung ſeine Entſtehung. Eine Probe eines weißen faulen Holzes aus dem Innern eines Eichſtammes gab durch die Analyſe bei 1000 getrocknet: Kohlenſtoff 47,111 48,14 Waſſerſtoff 6,33 6,06 Sauerſtoff 45,311 44,43 Aſche BAND Wr 100,00 . 100,00 Wenn man diefe Zahlen, in Proportionen ausgedrückt, mit der Zuſammenſetzung des Eichenholzes nach der Analyſe von Gay⸗Luſſac und Thenard vergleicht, fo ſieht man ſogleich, daß eine gewiſſe Quantität Kohlenſtoff ſich von den Beftand- theilen des Holzes getrennt, während der Waſſerſtoffgehalt ſich vergrößert hat. Dieſe Zahlen entſprechen ſehr nahe der For- mel C. He O2. (Sie giebt 47,9 Kohlenſtoff, 6,1 Waſſerſtoff und 46 Sauerſtoff). Mit einer gewiſſen Quantität Sauerſtoff aus der Luft ſind offenbar die Beſtandtheile des Waſſers in die Zuſammenſetzung des Holzes aufgenommen worden, während ſich davon die Ele— mente der Kohlenſäure getrennt haben. Fügt man der Zuſammenſetzung der Holzfaſer des Eichen. holzes die Elemente zu von 5 At. Waſſer und 2 At. Sauer⸗ Vermoderung. Papier, Braun- und Steinkohle. 297 ſtoff, und zieht davon 3 At. Kohlenſäure ab, ſo hat man ge— nau die Formel für das weiße vermoderte Holz. en eee ee H 025 Hierzu 5 At. Waſſer . H,00; 2 At. Sauerfloff;suniuren. Ihe 0, C56 Hs. O5 Hiervon ab 3 At. Kohlenſäure C, 05 bleibt C. Hz O4 Der Proceß der Vermoderung iſt demnach eine gleichzeitig eintretende Fäulniß und Verweſung, in welcher der Sauerſtoff der Luft und die Beſtandtheile des Waſſers Antheil nehmen. Je nachdem der Zutritt des Sauerſtoffs mehr oder weniger gehindert wird, muß ſich die Zuſammenſetzung des weißen Moders ändern. Weißes vermodertes Buchenholz gab in der Analyſe 47,67 Kohlenſtoff, 5,67 Waſſerſtoff und 46,68 Sauer⸗ ſtoff, entſprechend der Formel C, Igo O24. Die Zerſetzung des Holzes nimmt alſo zweierlei Formen an, je nachdem der Zutritt der Luft ungehindert oder gehemmt einwirkt, in beiden Fällen erzeugt ſich Kohlenſäure; in letzte— rem Falle tritt eine gewiſſe Menge Waſſer in chemiſche Ver— bindung. Es iſt höchſt wahrſcheinlich, daß bei dieſem Fäulnißproceß, wie bei allen anderen, der Sauerſtoff des Waſſers Antheil ge— nommen hat an der Bildung der Kohlenſäure. Die Braunkohle muß auf ähnliche Weiſe durch einen der Vermoderung ähnlichen Zerſetzungsproceß entſtanden ſein; es iſt aber nicht leicht, eine Braunkohle zu finden, die ſich zu einer Analyſe eignet; ſie ſind meiſtens mit reſinöſen oder erdigen Materien durchdrungen, durch welche die Zuſammenſetzung der Theile, die von der Holzfaſer ſtammen, weſentlich geändert wird. Unter allen Braunkohlenarten ſind die, welche in der 295 Vermoderung. Papier, Braun- und Steinkohle. Wetterau in zahlreich verbreiteten Lagern vorkommen, durch unveränderte Holzſtruetur und durch Mangel an Bitumen aus⸗ gezeichnet; zu der folgenden Analyſe wurde ein Stück gewählt, in dem man die Jahrringe noch zählen konnte; ſie wird in der Nähe von Laubach gewonnen; von dieſem Stück enthiel⸗ ten 100 Theile Kohlenſtoff 57,28 Waſſerſtoff 6,03 Sauerſtoff 36,10 Aſche 0,59 ee Von vorn herein fällt bei dieſer Braunkohle der größere Gehalt von Kohlenſtoff, bei dem bei weitem geringern an Sauerſtoff in die Augen; es iſt klar, daß von dem Holz, aus dem fie entſtanden iſt, eine gewiſſe Menge Sauerſtoff ſich ge trennt hat. In Verhältnißzahlen wird dieſe Analyſe genau durch die Formel C., H; O1, ausgedrückt. (Sie giebt 57,5 Kohlenſtoff und 5,98 Waſſerſtoff). Verglichen mit der Analyſe des Eichenholzes, iſt die Braun⸗ kohle aus Holzfaſer entſtanden, von der ſich 1 Aeg. Waſ— ſerſtoff und die Elemente von 3 Atomen Kohlenſäure getrennt haben. 1 At. Holz ne HD minus 1 Aeg. Waſſerſtoff und 3 At Kohlenſäure C, He 05 Braunkohle. . . C H OA Alle Braunkohlen, von welcher Lagerſtätte ſie aufgenommen werden mögen, enthalten mehr Waſſerſtoff als das Holz; ſie enthalten weniger Sauerſtoff als nöthig iſt, um mit dieſem Waſſerſtoff Waſſer zu bilden; alle ſind demnach durch einer⸗ lei Zerſetzungsproceß entſtanden. Der Waſſerſtoff des Holzes Vermoderung. Papier, Braun- und Steinkohle. 299 blieb entweder unverändert in demſelben oder es iſt Waſſerſtoff von Außen hinzugetreten. Die Analyſe einer Braunkohle, welche in der Nähe von Caſſel bei Ringkuhl vorkommt, und in der nur ſelten Stücke mit Holzſtructur ſich finden, gab bei 1000 getrocknet: Kohlenſtoff 62,60. . . . 63,83 Waſſerſtoff 5,02 4,80 Sauerſtoff 26,52 25,4 Aſche Sure , 5786 100,0 100,00 Die obigen Verhältniſſe an Kohlenſtoff, Waſſerſtoff und Sauerſtoff laſſen fich fehr nahe durch die Formel C. H;o Os ausdrücken, oder durch die Beſtandtheile des Holzes, von dem ſich die Elemente von Kohlenſäure, Waſſer und 2 Aeg. Waſſer— ſtoff getrennt haben. HH O22 = Holz. Hiervon ab C. Hy, O0, —=4 At. Kohlenſäure + 5 At. Waſſer + 4 At. Waſſerſtoff. C52 H;o Oo Braunkohle von Ringkuhl. Die Bildung beider Braunkohlen iſt, wie dieſe Formeln ergeben, unter Umſtänden vor ſich gegangen, wo die Einwir— kung der Luft, durch welche eine gewiſſe Menge Waſſerſtoff oridirt und hinweggenommen wurde, nicht ganz ausgeſchloſſen war; in der That findet ſich die Laubacher Kohle durch ein Baſaltlager, durch das ſie bedeckt wird, von der Luft ſo gut wie abgeſchloſſen; die Kohle von Ringkuhl war von der un- terſten Schicht des Kohlenlagers genommen, welches eine Mäch— tigkeit von 90—120 Fuß beſitzt. Bei der Entſtehung der Braunkohle haben ſich demnach entweder die Elemente der Kohlenſäure allein, oder gleichzeitig mit einer gewiſſen Menge Waſſer von den Beſtandtheilen des 300 Vermoderung. Papier, Braun- und Steinkohle. Holzes getrennt; es iſt möglich, daß die höhere Temperatur und der Druck, unter welchen die Zerſetzung vor ſich ging, die Verſchiedenheit der Zerſetzungsweiſe bedingten, wenigſtens gab ein Stück Holz, welches ganz die Beſchaffenheit und das Aus ſehen der Laubacher Braunkohle beſaß, und in dieſen Zuſtand durch mehrwöchentliches Verweilen in dem Keſſel einer Dampf— maſchine verſetzt worden war (in der Maſchinenfabrik des Herrn Oberbergraths Henſchel in Caſſel) eine ganz ähnliche Zus ſammenſetzung. Die Veränderung ging in Waſſer vor ſich, was eine Tem peratur von 150—160° beſaß, und einem entſprechenden Druck ausgeſetzt war, und dieſem Umſtande iſt unſtreitig auch die höchſt geringe Menge Aſche zuzuſchreiben, die dieſes Holz nach dem Verbrennen hinterließ; fie betrug 0,51 p. c., alſo noch etwas weniger als wie die der Laubacher Braunkohle. Die von Berthier unterſuchten Pflanzenaſchen hinterlaſſen ohne Ausnahme eine bei weitem größere Quantität. Die eigenthümliche Zerſetzungsweiſe der vorweltlichen Vege⸗ tabilien, d. h. eine fortſchreitende Trennung von Kohlenſäure, ſcheint noch jetzt in großen Tiefen in allen Braunkohlenlagern fortzudauern; es iſt zum wenigſten höchſt bemerkenswerth, daß vom Meißner in Kurheſſen an bis zur Eifel hin, wo dieſe Lager ſehr häufig ſind, an eben ſo vielen Orten Säuerlinge zu Tage kommen. Dieſe Mineralquellen bilden ſich auf dem Platze ſelbſt, wo ſie vorkommen, aus ſüßem Waſſer, was aus der Tiefe kommt, und aus Kohlenſäuregas, was gewöhnlich von der Seite zuſtrömt. In der Nähe der Braunkohlenlager von Salzhauſen be- fand ſich vor einigen Jahren ein vortrefflicher Säuerling, wel— cher von der ganzen Umgegend in Gebrauch genommen war; man beging den Fehler, dieſe Quelle in Sandſtein zu faſſen, Vermoderung. Papier, Braun- und Steinkohle. 301 mit dem die Seitenöffnungen, aus welchen das Gas ſtrömte, zugemauert wurden. Von dieſem Augenblicke an hatte man ſüßes Quellwaſſer. In einer geringen Entfernung von den Braunkohlenlagern von Dorheim entſpringt die an Kohlenſäure überaus reiche Schwalheimer Mineralquelle, bei welcher Herr Salinendirector Wilhelmi längſt beim Ausräumen die Beobachtung gemacht hat, daß ſie ſich auf dem Platze ſelbſt aus ſüßem Waſſer, was von unten, und kohlenſaurem Gas, was von der Seite kommt, bildet. Die nemliche Erfahrung wurde von Herrn Oberbergrath Schapper bei dem berühmten Fachinger Brun— nen gemacht. Das kohlenſaure Gas von den Kohlenſäurequellen in der Eifel iſt nach Biſchof nur ſelten gemengt mit Stickgas und Sauerſtoffgas; es iſt höchſt wahrſcheinlich, daß es ſeinen Ur— ſprung einer ähnlichen Urſache verdankt; die Luft ſcheint we— nigſtens nicht den geringſten Antheil an der Bildung derſelben in den eigentlichen Säuerungen zu nehmen; ſie kann in der That weder durch eine Verbrennung in niederer, noch in hö— herer Temperatur gebildet worden ſein; denn in dieſem Fall würde das kohlenſaure Gas auch bei der vollkommenſten Ver— brennung mit ; Stickgas gemengt fein, allein es enthält keine Spur Stickgas. Die Blaſen, welche unabſorbirt durch das Waſſer der Mineralquellen in die Höhe ſteigen, werden bis auf einen unmeßbaren Rückſtand von Kalilauge aufgenommen. Die Dornheimer und Salzhäuſer Braunkohlen ſind offenbar durch eine ähnliche Urſache entſtanden, wie die Laubacher, die in der Nähe vorkommen, und da dieſe genau die Elemente der Holzfaſer, minus einer gewiſſen Quantität Kohlenſäure enthalten, ſo ſcheint ſich aus dieſer Zuſammenſetzung von ſelbſt eine Erklärung zu ergeben. 302 Vermoderung. Papier, Braun- und Steinkohle. Daß übrigens die Luft in den oberen Lagen der Braun⸗ kohlenſchichten unaufhörlich eine fortſchreitende Veränderung, nemlich eine Verweſung bewirkt, durch welche ihr Waſſerſtoff wie beim Holze hinweggenommen wird, giebt das Verhalten derſelben beim Verbrennen und die fortſchreitende Bildung von Kohlenſäuren in den Gruben zu erkennen. Die Gaſe, welche die Arbeit in Braunkohlenwerken gefähr- lich machen, ſind nicht wie in anderen Gruben entzündlich und brennbar, ſondern ſie beſtehen gewöhnlich aus kohlenſaurem Gas, was nur ſelten eine Beimiſchung von brennbarem Gas enthält. Die Braunkohlen aus der mittleren Schicht des Lagers bei Ringkuhl geben in der Analyſe 65,40 — 64,01 Kohlenſtoff auf 4,75—4,76 ) Waſſerſtoff, alſo auf daſſelbe Verhältniß von Kohlenſtoff bei weitem weniger Waſſerſtoff, als die aus grö- ßerer Tiefe genommenen. Die Braunkohlen und Steinkohlen find begleitet von Schwe⸗ felkies oder Schwefelzink, die ſich aus ſchwefelſauren Salzen bei Gegenwart von Eiſen und Zink bei allen Fäulnißproceſſen vegetabiliſcher Stoffe noch heute bilden; es iſt denkbar, daß der Sauerſtoff der ſchwefelſauren Salze in dem Innern der Braunkohlenlager es iſt, durch welchen die Hinwegnahme des Waſſerſtoffs, den ſie weniger als das Holz enthalten, be— wirkt wird. Nach den Analyſen von Richardſon und Regnault wird die Zuſammenſetzung der brennbaren Materien der Splint⸗ kohle von Neweaſtle und der Cannelkohle von Lancaſhire durch ) Die angeführten Analyſen der Ringkuhler Braunkohle ſind vom Herrn Kühnert aus Caſſel, ſowie alle in dieſem Werke überhaupt erwähn⸗ ten in dem hieſigen Laboratorium ausgeführt werden. Vermoderung. Papier, Braun- und Steinkohle. 303 die Formel Ca Hs O ausgedrückt. Verglichen mit der Zuſam— menſetzung der Holzfaſer iſt ſie daraus entſtanden, indem ſich von ihren Elementen, in der Form von brennbaren Oelen, Sumpfgas und kohlenſaurem Gas, gewiſſe Quantitäten getrennt haben; nehmen wir von der Zuſammenſetzung der Holzfaſer 3 At. Sumpfgas, 3 At. Waſſer und 9 At. Kohlenſäure hin— weg, fo haben wir die Zuſammenſetzung der beiden Steinfoh- lenarten Css H. O22 Holz, hiervon abge⸗ zogen, 3 At. Sumpfgas C,H, 3 At. Waſſer H; O; 9 At. Kohlenſäure C. Os Ci His O21 Steinkohle C Hs O Das Sumpfgas iſt der gewöhnliche Begleiter aller Stein— kohlen, andere enthalten durch Deſtillation mit Waſſer abſcheid— bare flüchtige Oele (Reichenbach). Das Steinöl mag in den meiſten Fällen einem ähnlichen Zerſetzungsproeeſſe feinen Urſprung verdanken. Die Backkohle von Caresfield bei Neweaftle enthält die Elemente der Cannelkohle, von denen ſich die Beſtandtheile des ölbildenden Gaſes C,H; getrennt haben. Die brennbaren entzündlichen Gaſe, welche aus den Spal— ten in Steinkohlenlagern oder den Gebirgsarten ſtrömen, in denen Steinkohlen ſich vorfinden, enthalten nach einer zuver— läſſigen Unterſuchung von Biſchoff ohne Ausnahme kohlen— ſaures Gas, ferner Sumpfgas, ölbildendes Gas, was vor Biſchoff nicht beobachtet worden iſt, und Stickgas. Nach der Abſorbtion der Kohlenſäure durch Kali gab das Gru— bengas 304 Vermoderung. Papier, Braun- und Steinkohle. aus einem verlaſ- aus dem Ger- aus einer Grube fenen Stollen bei hardsſtollen bei im Schaumbur⸗ Walleswei⸗ Louiſens⸗ giſchen bei Liek⸗ er thal. wege. Bol. Vol. Vol. Leichtes Kohlenwaſſer⸗ ſtoffgass. . . 19,36 83,08 89,10 Oelbildendes Gas. 6,32 1,98 16,11 Signs... Ense 14,92 4,79 100,00 100,00 100,00 Die Entwickelung diefer Gaſe beweiſ't auf eine unzweideu— tige Weiſe, daß auch in den Steinkohlenlagern unaufhörlich fortſchreitende Veränderungen vor ſich gehen. In den Braunkohlenlagern beobachten wir eine fortſchrei— tende Trennung von Sauerſtoff in der Form von Kohlenſäure, in Folge welcher das Holz nach und nach der Zuſammenſetzung der Steinkohle ſich nähern muß, in den Steinkohlenlagern trennt ſich von den Beſtandtheilen der Kohle Waſſerſtoff in der Form von Kohlenwaſſerſtoffverbindungen; eine völlige Ab— ſcheidung von Waſſerſtoff würde die Kohle in Anthracit überführen. Die Formel C; H. Oz, welche für das Holz angegeben iſt, iſt als der empiriſche Ausdruck der Analyſe gewählt worden, um alle Metamorphoſen, welcher die Holzfaſer fähig iſt, unter einem gemeinſchaftlichen Geſichtspunkte betrachten zu können. Wenn nun auch die Richtigkeit der Formel als theoretiſcher Ausdruck bis zu dem Zeitpunkte in Zweifel geſtellt werden muß, wo wir die Conſtitution der Holzfaſer mit Sicherheit kennen, ſo kann dieß nicht den geringſten Einfluß auf die Be— trachtungen haben, zu denen wir in Beziehung auf die Ver— änderungen gelangt ſind, welche die Holzfaſer nothwendig Gift, Contagien, Miasmen. 305 erlitten haben muß, um in Braun- oder Steinkohle überzuge⸗ hen. Der theoretiſche Ausdruck bezieht ſich auf die Summe, der empiriſche auf das relative Verhältniß allein, in wel, chem die Elemente zu Holzfaſer zuſammengetreten ſind. Welche Form dem erſtern auch gegeben werden mag, der empiriſche Ausdruck bleibt damit ungeändert. Gift, Contagien, Miasmen. Eine große Anzahl chemiſcher Verbindungen, ſowohl anor, ganiſcher, als ſolcher, die in Thieren und Pflanzen gebildet wer— den, bringen in dem lebenden thieriſchen Organismus eigen- thümliche Veränderungen, Krankheitsproceſſe hervor; die Le— bensfunctionen einzelner Organe werden zerſtört, und bei einer gewiſſen Steigerung derſelben erfolgt der Tod. Die Wirkung anorganiſcher Verbindungen, von Säuren, Alkalien, Metalloriden und Salzen, iſt in den meiſten Fällen leicht erklärbar, ſie wirken entweder den Zuſammenhang einzel— ner Organe aufhebend, oder ſie gehen Verbindungen damit ein. Die Wirkung der Subſtanzen, welche den Organismus zer— ſtören, von concentrirter Schwefelſäure, Salzſäure, Oxalſäure, Kalihydrat ꝛc. läßt ſich mit der eines Stückes Eiſen vergleichen, mit welchem, wenn es in den Zuſtand des Glühens oder in den eines ſcharf geſchliffenen Meſſers verſetzt wird, durch Ver— 20 306 Gift, Contagien, Miasmen. letzung gewiſſer Organe der Tod herbeigeführt werden kann; ſie laſſen ſich im engern Sinne nicht als Gift betrachten, da ihre giftige Wirkung von ihrem Zuſtande abhängig iſt. Die Wirkung der eigentlichen anorganiſchen Gifte beruht in den meiſten Fällen auf der Bildung einer chemiſchen Ver⸗ bindung des Giftes mit den Beſtandtheilen der Organe, fie beruht auf einer chemiſchen Verwandtſchaftsäußerung, welche ſtärker iſt, wie die Lebensthätigkeit. Betrachten wir, um zu einer klaren Anſchauung zu gelan⸗ gen, die Wirkung von anorganiſchen Subſtanzen überhaupt, ſo finden wir, daß eine gewiſſe Klaſſe von löslichen Verbindun⸗ gen, verſchiedenen Theilen des Körpers dargeboten, in das Blut aufgenommen werden, aus welchem ſie wieder durch die Se— cretionsorgane verändert oder unverändert abgeſchieden werden. Jodkalium, Schwefelcyankalium, Blutlaugenſalz, Salpeter, chlorſaures Kali, kieſelſaures Kali und im Allgemeinen Salze mit alkaliſcher Baſis, welche Menſchen und Thieren in verdünnten Löſungen innerlich oder äußerlich gegeben werden, laſſen ſich im Blute, Schweiße, im Chylus, in der Galle, in den Milzvenen unverändert nachweiſen, ohne Ausnahme werden fie zuletzt durch die Harnwege aus dem Körper wieder entfernt. Dieſe Materien bringen, jedes für ſich, eine beſondere Art von Störung in dem Organismus hervor, fie üben eine me- diciniſche Wirkung aus, allein ſie haben in ihrem Wege durch den Organismus keine Zerſetzung erlitten, und wenn ſie die Fähigkeit hatten, eine Verbindung in irgend einem Theile des Körpers einzugehen, ſo war dieſe nicht feſter Art, denn ihr Wiedererſcheinen in dem Harne ſetzt voraus, daß dieſe Ver⸗ bindung durch die Lebensthätigkeit wieder aufgehoben werden konnte. Gift, Contagien, Miasmen— 307 Neutrale eitronenſaure, weinſaure und eſſigſaure Alkalien werden bei ihrem Wege durch den Organismus ver— ändert, ihre Baſen laſſen ſich zwar in dem Harne nachweiſen, allein die Säuren ſind völlig verſchwunden; an ihrer Stelle finden ſich die Baſen mit Kohlenſäure vereinigt (Gilbert, Blane, Wöhler). Die Verwandlung der genannten pflanzenſauren Alkalien in kohlenſaure Salze ſetzt voraus, daß zu ihren Elementen Sauerſtoff in bedeutender Menge hinzugetreten iſt, denn um z. B. 1 Aeg. eſſigſaures Kali in kohlenſaures zu verwandeln, müſſen 8 Aeg. Sauerſtoff hinzugeführt werden, von denen 2 oder 4 Aeg. (je nachdem ſich neutrales oder ſaures Salz ge— bildet hat) in der Verbindung mit dem Alkali bleiben, wäh— rend die anderen 6 oder 4 Aequivalente als freie Kohlenſäure austreten. Wir bemerken nun in dem lebenden Körper, dem man Salze dieſer Art mitgetheilt hat, kein Zeichen, daß einer ſei— ner Beſtandtheile eine ſo große Quantität Sauerſtoff, als zu ihrer Umwandlung nöthig iſt, abgegeben hat, und es bleibt nichts übrig, als dieſe Oxidation dem Sauerſtoff der Luft zu— zuſchreiben. Während ihres Weges durch die Lunge nehmen die Säuren dieſer Salze Antheil an dem eigenthümlichen Verweſungsproceß, welcher in dieſem Organe vor ſich geht, eine gewiſſe Portion des aufgeſaugten Sauerſtoffgaſes tritt an ihre Beſtandtheile und verwandelt den Waſſerſtoff in Waſſer, den Kohlenſtoff in Kohlenſäure. Von der letztern bleibt eine gewiſſe Quantität (1 oder 2 Aeg.) vereinigt mit dem Kali zu einem Salze, wel— ches durch Oridationsproceſſe keine weitere Veränderung mehr erfährt, es iſt dieſes Salz, was durch die Nieren oder die Leber wieder abgeſchieden wird. 20* 308 Gift, Contagien, Miasmen. Es iſt evident, daß das Vorhandenſein dieſer pflanzenſau— ren Salze im Blute eine Aenderung in dem Reſpirationspro⸗ ceſſe herbeiführen mußte; wären ſie nicht gegenwärtig geweſen, ſo würde der eingeathmete Sauerſtoff, wie gewöhnlich, an die Beſtandtheile des Blutes getreten ſein, ein Theil davon hat ſich aber mit den Beſtandtheilen des Salzes vereinigt und iſt nicht ins Blut übergegangen; die unmittelbare Folge davon muß eine verminderte Erzeugung von arteriellem Blute ſein, oder was das nemliche iſt, der Reſpirationsproceß iſt verlang⸗ ſamt worden. Neutrale citronenſaure, weinſaure, eſſigſaure Alkalien ver halten ſich in Berührung mit Luft und mit verweſenden thie— riſchen und vegetabiliſchen Körpern ganz auf die nemliche Weiſe wie in der Lunge, ſie nehmen Theil an der Verweſung und gehen auf dieſelbe Weiſe wie im lebenden Körper in kohlen⸗ ſaure Salze über; werden ihre wäſſerigen Löſungen im unrei⸗ nen Zuſtande ſich ſelbſt überlaſſen, ſo verſchwinden nach und nach ihre Säuren aufs Vollſtändigſte. Freie Mineral- oder nicht flüchtige Pflanzenſäuren, ſowie Salze von Mineralſäuren mit alkaliſchen Baſen heben in ge- wiſſen Mengen alle Verweſungsproceſſe auf, in kleineren Quan⸗ titäten wird durch ſie der Verweſungsproceß verlangſamt und gehemmt, fie bringen in dem lebenden Körper ähnliche Erſchei⸗ nungen hervor, wie neutrale pflanzenſaure Salze, allein ihre Wirkung hängt von einer andern Urſache ab. Einer Aufnahme großer Mengen von Mineralſalzen in das Blut, wodurch dem Verweſungsproceſſe in der Lunge eine Grenze geſetzt werden könnte, widerſetzt ſich eine ſehr merkwürdige Ei- genſchaft aller thieriſchen Membranen, Häute, Zellgewebe, Mus— kelfaſer ar. Dieſe Eigenſchaft beſteht darinn, daß ſie unfähig ſind, von Gift, Contagien, Miasmen. 309 ſtarken Salzauflöſungen durchdrungen zu werden, nur bei einem gewiſſen Grade der Verbindung mit Waſſer werden ſie davon aufgenommen. Eine trockne Baſe bleibt in geſättigten Löſungen von Koch— ſalz, Salpeter, Blutlaugenſalz, Schwefelcyankalium, Bitterſalz, Chlorkalium, Glauberſalz, mehr oder weniger trocken, dieſe Flüſſigkeiten fließen davon ab, wie Waſſer von einer mit Fett beſtrichenen Glasplatte. Beſtreuen wir friſches Fleiſch mit Kochſalz, ſo ſchwimmt nach 24 Stunden das Fleiſch in einer Salzlake, obwohl kein Tropfen Waſſer zugeſetzt wurde. Dieſes Waſſer ſtammt von der Muskelfaſer, dem Zellge— webe her; mit Kochſalz zuſammengebracht, bildet ſich an den Berührungsflächen eine mehr oder weniger concentrirte Salz— auflöſung, das Salz verbindet ſich mit dem eingeſchloſſenen Waſſer, und letzteres verliert hierdurch ſeine Fähigkeit, thieriſche Theile zu durchdringen, es trennt ſich von dem Fleiſche; es bleibt in dieſem nur Waſſer von einem beſtimmten, verhältniß— mäßig kleinen Salzgehalte zurück, in einem Grade der Ver— dünnung, in welchem es abſorbirbar iſt von thieriſchen Theilen. Im gewöhnlichen Leben benutzt man dieſe Eigenſchaft, um den Waſſergehalt von Theilen von Thieren, ähnlich wie durch Austrocknen, auf eine Quantität zurückzuführen, wo er aufhört, eine Bedingung zur Fäulniß abzugeben. Nur bei einem gewiſſen Waſſergehalte können ſie in Fäulniß übergehen. Der Alkohol verhält ſich in dieſer phyſikaliſchen Eigenſchaft ganz ähnlich den Mineralſalzen, er iſt unfähig, thieriſche Sub— ſtanzen zu befeuchten, d. h. zu durchdringen, und er entzieht deshalb den waſſerhaltigen das Waſſer, zu dem er Verwandt— ſchaft beſitzt. Bringen wir Salzlöſungen in den Magen, ſo werden ſie 310 Gift, Contagien, Miasmen. bei einem gewiſſen Grade der Verdünnung abſorbirt, im con— centrirten Zuſtande wirken ſie gerade umgekehrt, ſie entziehen dem Organe Waſſer, es entſteht heftiger Durſt, es entſteht in dem Magen ſelbſt ein Austauſch von Waſſer und Salz, der Magen giebt Waſſer ab, ein Theil der Salzlöſung wird in verdünntem Zuſtande von ihm aufgenommen, der größere Theil der concentrirten Salzlöſung bleibt unabſorbirt, ſie wird nicht durch die Harnwege entfernt, ſondern ſie gelangt in die Ein— geweide und den Darmcanal, und verurſachen dort eine Ver—⸗ dünnung der abgelagerten feſten Stoffe, ſie purgiren. Jedes von dieſen Salzen beſitzt neben der allgemeinen pur— girenden Wirkung, welche abhängig iſt von einer phyſikaliſchen Eigenſchaft, die fie gemein haben, noch beſondere mediciniſche Wirkungen, eben weil jeder Theil des Organismus, den ſie berühren, diejenige Quantität davon aufnimmt, die überhaupt davon abſorbirbar iſt. Mit der purgirenden Wirkung haben die Beſtandtheile die⸗ ſer Salze nicht das Geringſte zu thun, denn es iſt vollkommen gleichgültig für die Wirkung (nicht für die Stärke derſelben), ob die Baſis Kali oder Natron, in vielen Fällen Kali oder Bittererde, und die Säure Phosphorſäure, Schwefelſäure, Sal⸗ peterſäure, Chlorwaſſerſtoffſäure ꝛc. iſt. Außer dieſen Salzen, deren Wirkung auf den Organismus nicht abhängig iſt von ihrer Fähigkeit, Verbindungen einzugehen, giebt es eine große Klaſſe von anderen, welche, in den leben— den Körper gebracht, Aenderungen ganz anderer Art bewirken, welche in mehr oder weniger großen Gaben Krankheiten oder Tod zur Folge haben, ohne daß man eine eigentliche Zerſtö— rung von Organen wahrnimmt. Es ſind dieß die eigentlichen urhauiſchen Gifte, deren Wirkung auf ihrer Fähigkeit beruht, feſte Verbindungen mit Gift, Contagien, Miasmen. 311 der Subſtanz der Membranen, Häute, Muskelfaſer einzu- gehen. Hierher gehören Eiſenoxidſalze, Bleiſalze, Wismuthſalze, Kupfer — Queckſilberſalze ꝛc. Bringen wir Auflöſungen davon mit Eiweiß, mit Milch, Muskelfaſer, thieriſchen Membranen, in hinreichender Menge zuſammen, ſo gehen ſie damit eine Verbindung ein und verlie— ren ihre Löslichkeit. Das Waſſer, worinn ſie gelößt ſind, ver— liert ſeinen ganzen Gehalt an dieſen Salzen. Während die Salze mit alkaliſcher Baſis thieriſchen Thei— len das Waſſer entziehen, verbinden ſich gerade umgekehrt die Salze der ſchweren Metalloxide mit den thieriſchen Stoffen; die letzteren entziehen ſie dem Waſſer. Wenn wir die genannten Subſtanzen einem Thiere im le— benden Zuſtande beibringen, ſo werden ſie von den Häuten, Membranen, dem Zellgewebe, der Muskelfaſer aufgenommen, ſie verlieren ihre Löslichkeit, indem ſie damit in Verbindung treten; nur in ſeltenen Fällen können ſie demnach ins Blut gelangen. Nach allen damit angeſtellten Verſuchen ſind ſie im Harne nicht nachweisbar, eben weil ſie bei ihrem Wege durch den Organismus mit einer Menge von Stoffen in Berührung kommen, die ſie zurückhalten. Durch das Hinzutreten dieſer Körper zu gewiſſen Organen oder Beſtandtheilen von Organen müſſen ihre Functionen eine Störung erleiden; ſie müſſen eine anormale Richtung erhalten, die ſich in Krankheitserſcheinungen zu erkennen giebt. Die Wirkungsweiſe des Sublimats und der arſenigen Säure ſind in dieſer Beziehung beſonders merkwürdig. Man weiß, daß beide im höchſten Grade die Fähigkeit haben, Ver— bindungen mit allen Theilen von thieriſchen und vegetabiliſchen Körpern einzugehen, und daß dieſe dadurch den Charakter der 312 Gift, Contagien, Miasmen. Unverwesbarkeit oder der Unfähigkeit zu faulen erhalten; ſelbſt Holz und Gehirnſubſtanz, die ſich bei Gegenwart von Waſſer und Luft ſo leicht und ſchnell verändern, laſſen ſich, wenn ſie eine Zeitlang mit arſeniger Säure oder Sublimat in Berüh— rung waren, ohne Farbe und Anſehen zu ändern, allen Ein— flüſſen der Atmoſphäre preisgeben. Man weiß ferner, daß bei Vergiftungen mit dieſen Mate— rien diejenigen Theile, die damit in Berührung kamen und alſo eine Verbindung eingegangen waren, unverwesbar und der Fäulniß unfähig werden, und man kann hiernach über die Urſache der Giftigkeit dieſer Körper nicht im Zweifel ſein. Es iſt klar, daß wenn arſenige Säure und Sublimat durch die Lebensthätigkeit nicht gehindert werden, Verbindungen mit den Beſtandtheilen des Körpers einzugehen, wodurch ſie den Cha— rakter der Unverwesbarkeit und der Unfähigkeit zu faulen erhal— ten; ſo will dieß nichts anders ſagen, als daß die Organe ihren Zuſtand des Lebens, die Haupteigenſchaft verlieren, Metamorpho— ſen zu bewirken und Metamorphoſen zu erleiden, d. h. das organi⸗ ſche Leben wird vernichtet. Iſt die Vergiftung nur oberflächlich, iſt die Quantität des Giftes ſo gering, daß nur einzelne Theile des Körpers, welche fähig find, reproducirt zu werden, eine Verbindung dieſer Art eingegangen find, fo entſtehen Schorfe, Erſcheinungen ſecundärer Art; die Verbindung der geſtorbenen Theile wird von den geſunden Theilen abgeſtoßen. Man wird leicht hieraus entnehmen können, daß alle inneren Zeichen von Vergiftung ſchwankend und ungewiß werden, indem Fälle vor— kommen können, wo kein ſichtbares Merkmal von Veränderung dem Auge des Beobachters ſich darbietet, indem, wie bemerkt, der Tod ohne Zerſtörung von Organen erfolgen kann. Wenn Arſen in Auflöſung gegeben worden iſt, ſo kann es ins Blut, in die Leber ꝛc. gelangen; umgeben wir eine bloß— Gift, Contagien, Miasmen. 313 gelegte Ader mit einer Auflöſung davon, ſo wird zuletzt jedes Blutkügelchen in Verbindung treten, d. h. es wird vergiſtet. Arſenverbindungen, welche keine Verbindung mit Theilen von Organismen einzugehen vermögen, werden auch in großen Gaben ohne Einfluß auf das Leben ſein; es iſt bekannt, daß viele unlösliche baſiſche Salze der arſenigen Säure nicht giftig ſind, und eine der reichſten Arſenverbindungen, die in ihrer Zuſammenſetzung den organiſchen Verbindungen am nächſten ſteht, das von Bunſen entdeckte Alkargen, beſitzt nicht die ge⸗ ringſte nachtheilige Wirkung auf den Organismus. Aus dieſem Verhalten läßt ſich mit einiger Sicherheit die Grenze fixiren, in welcher dieſe Subſtanzen aufhören, als Gifte zu wirken; denn da die Verbindung nur nach chemiſchen Ge— ſetzen vor ſich gehen kann, ſo muß unausbleiblich der Tod er— folgen, wenn das mit dem Gifte in Berührung ſtehende Or— gan hinreichend davon vorfindet, um Atom für Atom eine Ver— bindung damit einzugehen; iſt weniger davon vorhanden, ſo wird ein Theil davon feine Lebensfunetionen beibehalten. Den Verhältniſſen nach, in welchen ſich der Faſerſtoff mit Salzſäure, Bleioxid und Kupferoxid verbindet, muß nach den Unterſuchungen von Mulder ſein Aequivalent durch die Zahl 6361 (Poggendorff's Annalen, Band 40, S. 259) ausge— drückt werden; annäherungsweiſe kann man annehmen, daß ſich eine Quantität von 6361 Faſerſtoff verbindet mit 1 Aeg. arſeniger Säure oder mit 1 Aeq. Sublimat. Wenn wir 6361 Faſerſtoff im waſſerfreien Zuſtande mit 30,000 Waſſer verbinden, ſo haben wir ihn in dem Zuſtande wie er im menſchlichen Körper, in der Muskelfaſer oder im Blute enthalten iſt. In dieſem Zuſtande werden 100 Gran Fa— ſerſtoff zu gleichen Atomgewichten eine geſättigte Verbindung ein— gehen mit 3710 Gran arſeniger Säure und 5 Gran Sublimat. 314 Gift, Contagien, Miasmen. Das Atomgewicht des Eiweißſtoffs im Ei und im Blut ergiebt ſich aus ſeinen Verbindungen mit Silberorid zu 7447, das der Leimſubſtanz (thieriſchen Gallerte) wird durch die Zahl 5652 ausgedrückt. Auf eine ähnliche Weiſe mit ihrem ganzen Waſſergehalte, den ſie im lebenden Körper haben, berechnet, gehen 100 Gran Eiweiß eine Verbindung ein mit 1¼ Gran arſeniger Säure. Dieſe Verhältniſſe, die man als Maxima betrachten kann, zeigen ſich in den außerordentlich hohen Atomgewichten der or— ganiſchen Subſtanzen von ſelbſt, in welch kleinen Doſen Kör— per, wie Sublimat und arſenige Säure, tödtliche Wirkungen haben können. Alle Materien, welche als Gegenmittel in Bergiftungsfällen gegeben werden, wirken ausſchließlich nur dadurch, daß ſie dem Arſenik und Sublimat den urſprünglichen Charakter nehmen, durch den ſie als Gift wirken, die Fähigkeit alſo, ſich mit thie⸗ riſchen Materien zu verbinden. Leider werden ſie in dieſer Fähigkeit von keinem andern Körper übertroffen; die Verbin⸗ dungen, die ſie eingegangen haben, können nur durch gewalt— ſame, auf den lebenden Körper nicht minder ſchädlich wirkende, Verwandtſchaften aufgehoben werden. Die Kunſt des Arztes muß ſich deshalb begnügen, denjenigen Theil dieſer Gifte, der noch unverbunden und frei vorhanden iſt, eine Verbindung mit einem andern Körper eingehen zu machen, welche unver— daubar, unzerſetzbar iſt unter gegebenen Bedingungen, und in dieſer Hinſicht iſt das Eiſenorxidhydrat von unſchätzbarem Werthe. Wenn ſich die Wirkung des Sublimats und Arſens nur auf die Oberfläche der Organe beſchränkt, fo ſtirbt nur derje⸗ nige Theil derſelben ab, welcher eine Verbindung damit einge— gangen iſt; es entſteht ein Schorf, der nach und nach abge— ſtoßen wird. Gift, Contagien, Miasmen. 315 Sicher würden die löslichen Silberſalze nicht minder tödt— lich wirken wie Sublimat, wenn im menſchlichen Körper nicht eine Urſache vorhanden wäre, welche bei nicht überwiegenden Mengen ihre Wirkung aufhebt. Die Urſache iſt der in allen Flüſſigkeiten vorwaltende Koch— ſalzgehalt. Man weiß, daß ſalpeterſaures Silberorid ſich wie Sublimat mit thieriſchen Theilen verbindet, und daß dieſe Ver— bindungen einen vollkommen gleichen Character haben: ſie werden unfähig, zu faulen und zu verweſen. Salpeterſaures Silberorid, auf die Haut mit Muskelfaſer ꝛc. zuſammengebracht, vereinigt ſich im aufgelöſ'ten Zuſtande au— genblicklich damit; thieriſche Materien in Flüſſigkeiten bilden damit unlösliche Verbindungen; ſie werden, wie man ſagt, coagulirt. Die entſtandenen Verbindungen ſind farblos, unzerſetzbar durch andere kräftige chemiſche Agentien; ſie werden an dem Lichte wie alle Silberverbindungen ſchwarz, indem durch den Einfluß des Lichtes ein Theil des Silbersrids zu Metal redu— cirt wird; die Materien im Körper, welche ſich mit dem Sil— berſalz vereinigt haben, gehören dem lebenden Körper nicht mehr an, ihrer Lebensfunction iſt durch ihre Verbindung mit Silberoxid eine Grenze geſetzt; wenn fie reproducirbar find, fo ſtößt ſie der lebende Theil in der Form eines Schorfs ab. Bringen wir ſalpeterſaures Silberorid in den Magen, fo wird es augenblicklich, wenn ſeine Menge nicht zu groß iſt, von dem Kochſalz oder der freien Salzſäure in Chlorſilber, in eine Materie verwandelt, die in reinem Waſſer abſolut unlös⸗ lich iſt. In Kochſalzlöſung oder Salzſäure löß't ſich das Chlorſil— ber, wiewohl in außerordentlich geringer Menge, auf; es iſt dieſer Theil, welcher die Wirkung ausübt; alles übrige Chlor- 316 Gift, Contagien, Miasmen. ſilber geht durch die gewöhnlichen Wege wieder aus dem Kör— per. Die Löslichkeit, die Fähigkeit alſo, einer jeden Bewegung zu folgen, iſt dem menſchlichen Körper eine Bedingung zu jeder Wirkſamkeit. Von den löslichen Bleiſalzen wiſſen wir, daß ſie alle Ei— genſchaften der Silber- und Queckſilberſalze theilen; allein alle Verbindungen des Bleioxids mit organiſchen Stoffen find zer— legbar durch verdünnte Schwefelſäure. Man weiß, daß die Bleikolik in allen Bleiweißfabriken unbekannt iſt, wo die Ar⸗ beiter gewöhnt ſind, täglich als Präſervativ und Gegenmittel ſogenannte Schwefelſäure-Limonade (Zuckerwaſſer mit Schwer felſäure angeſäuert) zu ſich zu nehmen. Die organiſchen Materien, welche ſich im lebenden Körper mit Metalloxiden oder Metallſalzen verbunden haben, verlieren ihre Fähigkeit, Waſſer aufzuſaugen und zurückzuhalten, ohne damit die Eigenſchaft einzubüßen, Flüſſigkeiten durch ihre Poren durchzulaſſen. Eine ſtarke Zuſammenziehung, Schwinden der Oberflächen, iſt die Folge der Berührung mit dieſen Körpern. Eine beſondere Eigenſchaft beſitzt noch überdieß der Subli— mat und manche Bleiſalze indem ſie bei vorherrſchenden Men— gen die zuerſt gebildeten unlöslichen Verbindungen aufzulöſen vermögen, wodurch das Gegentheil von Contraction, nemlich eine Verflüſſigung des vergifteten Organs, herbeigeführt wird. Kupferoridfalze werden ſelbſt in Verbindung mit den ſtärk— ſten Säuren durch viele vegetabiliſche Subſtanzen, namentlich durch Zucker und Honig, in Metall oder in Oxidul reducirt, in Materien, denen die Fähigkeit abgeht, ſich mit thieriſchen Stoffen zu verbinden; ſie find als die zweckmäßigſten Gegen- mittel ſeit Langem ſchon in Anwendung gekommen. Was die giftigen Wirkungen der Blauſäure, der organi⸗ ſchen Baſen, des Strychnins, Brueins ꝛc. betrifft, fo Gift, Contagien, Miasmen. 317 kennen wir keine Thatſachen, welche geeignet wären, zu einer beſtimmten Anſicht zu führen; allein es läßt ſich mit poſitiver Gewißheit vorausſehen, daß Verſuche über ihr chemiſches Ver— halten zu thieriſchen Subſtanzen ſehr bald die genügendſten Aufſchlüſſe über die Urſache ihrer Wirkſamkeit geben werden. Eine ganz beſondere Art von Stoffen, welche durch Zer— ſetzungsproceſſe eigenthümlicher Art erzeugbar find, wirken auf den lebenden Organismus als tödtliche Giſte, nicht durch ihre Fähigkeit, eine Verbindung einzugehen, eben ſo wenig weil ſie einen giftigen Stoff enthalten, ſondern durch den Zuſtand, in dem ſie ſich befinden. Um eine klare Vorſtellung über die Wirkungsweiſe dieſer Körper zu haben, iſt es nöthig, ſich an die Urſache zu erin— nern, welche die Erſcheinungen der Gährung, Fäulniß und Verweſung bedingt. In der einfachſten Form läßt ſich die Urſache durch fol— genden Grundſatz ausdrücken, welcher von La Place und Berthollet ſeit Langem aufgeſtellt, für chemiſche Erſcheinun— gen aber erſt in der neuern Zeit bewieſen wurde. »Ein durch irgend eine Kraft in Bewegung geſetztes Atom (Molécule) kann ſeine eigene Bewegung einem andern Atom mittheilen, welches ſich in Berührung damit befindet.«« Es iſt dieß ein Geſetz der Dynamik, beweisbar für alle Fälle, wo der Widerſtand (die Kraft, Verwandtſchaft, Cohäſion), der ſich der Bewegung entgegenſetzt, nicht hin— reicht, um ſie aufzuheben. Wir wiſſen, daß das Ferment, die Hefe, ein Körper iſt, der ſich im Zuſtande der Zerſetzung, deſſen Atome ſich im Zu— ſtande der Umſetzung, der Bewegung befinden; mit Zucker und Waſſer in Berührung überträgt ſich der Zuſtand, worinn ſich die 318 Gift, Contagien, Miasmen. Atome der Hefe befinden, den Elementen des Zuckers; die letzteren ordnen ſich zu zwei neuen einfacheren Verbindungen, zu Kohlenſäure und Alkohol. Es ſind dieß Verbindungen, in denen die Beſtandtheile mit einer weit größern Kraft zufam- mengehalten ſind, wie im Zucker, mit einer Kraft, die ſich einer weitern Formänderung durch die nemliche Urſache entgegenſetzt. Wir wiſſen ferner, daß der nemliche Zucker durch andere Materien, deren Zuſtand der Zerſetzung ein anderer iſt, wie z. B. der, worinn ſich die Theilchen der Hefe befinden, durch Lab oder durch die faulenden Beſtandtheile von Pflanzenſäften, durch Mittheilung alſo einer verſchiedenen Bewegung, daß ſeine Elemente ſich alsdann zu anderen Producten umſetzen; wir er— halten keinen Alkohol und keine Kohlenſäure, ſondern Milch— ſäure, Mannit und Gummi. Es iſt ferner auseinandergeſetzt worden, daß Hefe, zu reiner Zuckerlöſung geſetzt, nach und nach völlig verſchwindet, daß aber in einem Pflanzenſaft, worinn ſich Kleber befindet, der Kleber zerſetzt und in der Form von Hefe abgeſchieden wird. Die Hefe, womit man die Flüſſigkeit in Gährung verſetzte, ſie ſelbſt iſt urſprünglich Kleber geweſen. Die Umwandlung des Klebers in Hefe war in dieſem Falle abhängig von dem in Zerſetzung übergegangenen (gäh- renden) Zucker; denn wenn derſelbe vollſtändig verſchwunden iſt, und es iſt noch Kleber frei in der Flüſſigkeit vorhanden, ſo erleidet dieſer in Berührung mit der abgeſchiedenen Hefe keine weitere Veränderung, er behält ſeinen Charakter als Kleber. Die Hefe iſt ein Product der Zerſetzung des Klebers, welche bei Gegenwart von Waſſer in jedem Zeitmomente einem zwei⸗ ten Stadium der Zerſetzung entgegengeht. Durch dieſen letztern Zuſtand iſt fie fähig, friſches Zucker⸗ Gift, Contagien, Miasmen. 319 waſſer wieder in Gährung zu bringen, und wenn das Zucker— waſſer Kleber enthält (Bierwürze z. B. iſt), ſo erzeugt ſich in Folge der Umſetzung der Elemente des Zuckers wieder Hefe. Von einer Reproduction der Hefe, ähnlich wie Samen aus Samen, kann nach dieſer Auseinanderſetzung keine Rede ſein. Es geht aus dieſen Thatſachen hervor, daß ein in Zer— ſetzung begriffener Körper, wir wollen ihn Erreger nennen, in einer gemiſchten Flüſſigkeit, die feine Beſtandtheile enthält, ſich auf eine ähnliche Weiſe wiedererzeugen kann, wie Ferment in einem kleberartigen Pflanzenſafte. Dieß muß um ſo ſicherer ſtattfinden, wenn unter den Beſtandtheilen der gemiſchten Flüſ— ſigkeit ſich derjenige befindet, aus welchem der Erreger urfprüng- lich entſtanden iſt. Es iſt ferner klar, daß, wenn der Erreger nur einem ein— zigen Beſtandtheil der gemiſchten Flüſſigkeit ſeinen eigenen Zu— ſtand der Metamorphoſe zu übertragen vermag, ſo wird er in Folge der vorgehenden Zerſetzung dieſes einen Körpers wieder erzeugbar ſein. Wenden wir dieſe Grundſätze auf organiſche Materie, auf Theile von thieriſchen Organismen an, ſo wiſſen wir, daß alle ihre Beſtandtheile aus dem Blute ſtammen; wir erkennen in dem Blute ſeiner Beſchaffenheit und ſeinen Beſtandtheilen nach die zuſammengeſetzteſte aller eriſtirenden Materien. Die Natur hat das Blut zur Reproduction eines jeden einzelnen Theiles des Organismus eingerichtet; ſein Hauptcha— rakter iſt gerade der, daß ſich ſeine Beſtandtheile einer jeden Anziehung unterordnen; ſie ſind in einem beſtändigen Zuſtande des Stoffwechſels begriffen, von Metamorphoſen, die durch die Einwirkung verſchiedener Organe auf die mannigfaltigſte Weiſe bedingt werden. Während durch die einzelnen Organe, durch die Thätigkeit 320 Gift, Contagien, Miasmen. des Magens z. B., durch ſeine wunderbare Fähigkeit, alle einer Metamorphoſe fähigen, organiſchen Stoffe beſtimmt werden, neue Formen anzunehmen, während er ihre Elemente zwingt, zu einer und der nemlichen Subſtanz zuſammenzutreten, welche beſtimmt iſt zur Blutbildung, fehlt dem Blute alle Fähigkeit, Metamorphoſen zu bewirken; ſein Hauptcharakter iſt es gerade, ſich zu Metamorphoſen zu eignen. Keine andere Materie kann in dieſer Beziehung mit dem Blute verglichen werden. Wir wiſſen nun, daß in Fäulniß begriffenes Blut, Gehirn— ſubſtanz, Galle, faulender Eiter ꝛc. auf friſche Wunden gelegt, Erbrechen, Mattigkeit und nach längerer oder kürzerer Zeit den Tod bewirken. Es iſt eine nicht minder bekannte Erfahrung, daß Leichen auf anatomiſchen Theatern häufig in einen Zuſtand der Zer— ſetzung übergehen, der ſich dem Blute im lebenden Körper mit- theilt; die kleinſte Verwundung mit Meſſern, die zur Section gedient haben, bringt einen lebensgefährlichen Krankheitszuſtand hervor. Das Wurſtgift, eines der furchtbarſten Gifte, gehört zur Klaſſe dieſer in Zerſetzung begriffenen Körper. Man kennt bis jetzt mehrere hundert Fälle, wo der Tod durch den Genuß verdorbener Würſte verurſacht wurde. Vergiftungsfälle dieſer Art kommen namentlich in Würtem⸗ berg vor, wo man gewohnt iſt, die Würſte aus höchſt verſchie— denartigen Materien zu bereiten. Blut, Leber, Speck, Gehirn, Kuhmilch, Mehl und Brod werden mit Salz und Gewürzen zuſammengemengt, in Blaſen oder Gedärmen gefüllt, gekocht und geräuchert. Bei guter Zubereitung halten ſich dieſe Würſte Monate lang und geben ein geſundes, wohlſchmeckendes Nahrungsmittel ab, beim Mangel an Gewürzen und Salz, und namentlich bei Gift, Contagien, Miasmen. 321 verſpäteter und unvollkommener Räucherung gehen ſie in eine eigenthümliche Art von Fäulniß über, welche von dem Mittel— punkte der Wurſt ihren Anfang nimmt. Ohne bemerkbare Gasentwickelung färben ſie ſich inwendig heller, die in Zer⸗ ſetzung übergegangenen Theile ſind weicher und ſchwieriger, als die geſunden, ſie enthalten freie Milchſäure oder milchſaures Ammoniak, die unter den Producten faulender thieriſcher und vegetabiliſcher Materien niemals fehlen. Man hat die Urſache der Giftigkeit dieſer Würſte der Blau— ſäure, ſpäter der Fettſäure zugeſchrieben, ohne nur entfernt das Vorhandenſein dieſer Materien bewieſen zu haben; allein die Fettſäure iſt eben ſo wenig giftig, wie die Benzoeſäure, mit der ſie viele Eigenſchaften gemein hat, und die Vergiftungs⸗ ſymptome weiſen die Meinung, daß das Gift in den Würſten Blauſäure ſei, auf das Entſchiedenſte zurück. Der menſchliche Körper ſtirbt nemlich nach dem Genuß dieſer giftigen Würſte an einer allmäligen Verſchwindung der Muskelfaſer und aller ihr ähnlich zuſammengeſetzten Beſtand⸗ theile des Körpers; der Kranke trocknet völlig zu einer Mumie aus, die Leichen ſind ſteif, wie gefroren, und gehen nicht in Fäulniß über. Während der Krankheit iſt der Speichel zähe und ſtinkend. Man hat vergeblich in dieſen Würſten nach einem Stoffe geſucht, dem man die giftige Wirkung zuſchreiben könnte. Sie— dendes Waſſer und Behandlung mit Alkohol rauben denſelben völlig ihre Giftigkeit, ohne daß fie dieſe Flüſſigkeiten erhalten. Dieß iſt nun gerade der ausſchließliche Character aller Materien, welche durch ihren Zuſtand eine Wirkung ausüben, es iſt dieß der Character derjenigen Subſtanzen, deren Theile ſich in einem Act der Zerſetzung befinden, in einem Zuſtande der Umſetzung, welcher durch Siedhitze und Alkohol aufgehoben 21 322 Gift, Contagien, Miasmen. werden kann, ohne daß dieſe die Urſache der Wirkung aufneh⸗ men; denn eine Thätigkeit oder Kraft läßt ſich in einer Flüſ— ſigkeit nicht aufbewahren. Sie üben eine Wirkung auf den Organismus aus, inſofern dem Magen, demjenigen Theile, der damit in Berührung kam, die Fähigkeit abgeht, der Zerſetzung, in welcher ſich ihre Be— ſtandtheile befinden, eine Grenze zu ſetzen; gelangen ſie in irgend einer Weiſe mit ihrer ganzen Thätigkeit in das Blut, ſo überträgt ſich ihre eigene Action auf die Beſtandtheile des Blutes. Das Wurſtgift wird durch den Magen, nicht wie das Blat⸗ terngift und andere, zerſtört; alles der Fäulniß Fähige im Kör⸗ per geht in der Krankheit nach und nach in Zerſetzung über, und nach erfolgtem Tode bleibt nichts wie Fett, Sehnen und Knochen, Subſtanzen, die unter gegebenen Bedingungen keiner Fäulniß fähig ſind. Es iſt unmöglich, ſich über die Wirkungsweiſe dieſer Kör- per zu täuſchen, denn es iſt eine durch Colin völlig bewieſene Thatſache, daß faulendes Muskelfleiſch, faulender Urin, Käſe, Gehirnſubſtanzzꝛe., daß dieſe ihren Zuſtand der Zerſetzung einer weit weniger leicht zerſetzbaren Materie, als wie das Blut iſt, übertragen können, wir wiſſen, daß ſie, mit Zuckerwaſſer in Berührung, die Fäulniß des Zuckers, die Umſetzung ſeiner Beſtandtheile in Kohlenſäure und Alkohol zu bewirken vermögen. Wenn faulendes Muskelfleiſch, faulender Eiter ꝛc., auf friſche Wunden gelegt, Krankheit und Tod bewirken, ſo überträgt ſich offenbar der Zuſtand ihrer Fäulniß auf das geſunde Blut, aus welchem ſie ſtammen, gerade ſo wie in Fäulniß oder Ver⸗ weſung begriffener Kleber durch feinen Zuſtand in Zuckerwaſ— ſer eine ganz ähnliche Metamorphoſe hervorbringt. Gift, Contagien, Miasmen. 323 Auch in lebenden Körpern werden in beſonderen Krank— heiten Gifte dieſer Art erzeugt und gebildet. In der Blat— ternkrankheit, der Peſt, der Syphilis ıc, entſtehen aus den Beſtandtheilen des Blutes Stoffe eigenthümlicher Art, welche, dem Blute eines geſunden Menſchen mitgetheilt, eine ähnliche Zerſetzungsweiſe deſſelben bedingen, wie die iſt, in welcher ſie ſich ſelbſt befinden, es entſteht und entwickelt ſich in dem geſunden Menſchen die nemliche Krankheit; wie Samen aus Samen ſcheint ſich der Krankheitsſtoff reprodueirt zu haben. Dieſer eigenthümliche Proceß iſt der Wirkung der Hefe auf zucker⸗ und kleberhaltige Flüſſigkeiten ſo außerordentlich ähn— lich, daß man beide ſeit Langem ſchon, wenn auch nur bild— weiſe, mit einander verglichen hat. Bei genauerer Betrachtung ergiebt ſich aus allen Erſcheinungen, daß ihre Wirkung in der That einerlei Urſache angehört. In trockner Luft, bei Abweſenheit von Feuchtigkeit erhalten ſich alle dieſe Gifte lange Zeit unverändert, in feuchtem Zu— ſtande, bei Berührung mit der Luft, verlieren ſie ſehr bald ihre ganze Wirkſamkeit. In dem einen Fall find die Bedin— gungen vereinigt, welche der Zerſetzung, in der ſie ſich befinden, eine Grenze ſetzen, ohne ſie zu vernichten, in dem andern ſind die Bedingungen gegeben, unter denen ſich ihre Zerſetzung vollendet. Siedhitze, Berührung mit Alkohol heben ihre Wir— kung auf. Säuren, Queckſilberſalze, ſchweflige Säure, Chlor, Jod, Brom, gewürzhafte Stoffe, flüchtige Oele und namentlich brenzliche Oele, Rauch, ein Kaf— feeabſud, alle dieſe Subſtanzen vernichten völlig die Fähig— keit dieſer Stoffe, Anſteckung zu bewirken, theils indem ſie ſich damit verbinden, oder in anderer Weiſe zerſetzen. Die ſo eben genannten Materien ſind aber ohne Ausnahme 21° 324 Gift, Contagien, Miasmen. ſolche, welche der Gährung, Fäulniß und Verweſung überhaupt entgegen wirken, welche dieſen beſonderen Zerſetzungsweiſen überall eine Grenze ſetzen, wenn ſie in hinreichender Menge zugegen ſind. Eben ſo wenig als in den vergifteten Würſten iſt man im Stande geweſen, aus der Dlatternmaterie, dem Peſtgifte eine eigenthümliche Materie zu iſoliren, der man die Wirkung zu- ſchreiben könnte; eben weil ihre Wirkung nur in einer eigen- thümlichen Thätigkeit liegt, deren Exiſtenz für unſere Sinne nur durch Erſcheinungen erkennbar iſt. Man hat zur Erklärung der Fähigkeit der Contagien, An— ſteckung zu bewirken, dieſen Stoffen ein eigenthümliches Leben zugeſchrieben, ähnlich wie der Keim eines Samens es beſitzt; eine Fähigkeit alſo, ſich unter gewiſſen günſtigen Bedingungen zu entwickeln, fortzupflanzen und zu vervielfältigen. Es giebt gewiß kein richtigeres Bild für dieſe Erſcheinungen, eben ſo anwendbar auf Contagien als wie auf Ferment, auf thieriſche und vegetabiliſche Subſtanzen, die ſich im Zuſtande der Fäul— niß, Gährung und Verweſung befinden, auf ein Stück faules Holz, was durch ſeine bloße Berührung friſches Holz nach und nach gänzlich in Moder, faules Holz, verwandelt. Wenn man mit Leben die Fähigkeit einer Materie bezeichnet, in irgendeiner andern eine Veränderung hervorzurufen, in Folge welcher die erſtere mit al— len ihren Eigenſchaften wieder erzeugt wird, ſo ge— hören allerdings alle dieſe Erſcheinungen dem Leben an; aber nicht bloß dieſe müſſen wir alsdann lebendig nennen, ſondern dieſer Ausdruck umfaßt in dieſem Sinne den größten Theil aller Erſcheinungen der organiſchen Chemie; überall, wo che— miſche Kräfte walten, wird man Leben vorausſetzen müſſen. Ich nehme einen Körper A, er ſei Dramid (eine im Gift, Contagien, Miasmen. 325 Waſſer kaum lösliche, völlig geſchmackloſe Subſtanz), und bringe damit die Materie B zuſammen, welche ſich wieder er⸗ zeugen ſoll, es ſei aufgelöſ'te Oxalſäure, fo bemerken wir Folgendes: Unter den geeigneten Bedingungen, in welchen beide auf einander eine Wirkung äußern, wird das Dramid durch die Kleeſäure zerſetzt; zu den Beſtandtheilen des Oxamids treten die Beſtandtheile des Waſſers; es entſteht aus dem Oxa⸗ mid auf der einen Seite Ammoniak, und auf der andern wieder Dralfäure, beide genau in dem Verhältniß, in dem ſie ſich zu neutralem Salze vereinigen. Wir haben Oxamid und Oxalſäure zuſammengebracht; in Folge einer Metamorphoſe hat ſich das Oxamid in Dralfäure und Ammoniak zerſetzt; die urſprünglich zugeſetzte Oralſäure, ſowie die neuerzeugte theilen ſich in das Ammoniak, dieß will mit anderen Worten ſagen, es iſt nach vorgegangener Zerſetzung genau ſo viel freie Kleeſäure wie vorher, und mit ihrem gan⸗ zen Wirkungswerthe vorhanden. Gleichgültig, ob ſie anfänglich frei gebunden und die neu gebildete frei iſt, oder umgekehrt, ſo viel iſt gewiß, durch die Zerſetzung iſt ſie in gleicher Quan— tität reproducirt worden. Bringen wir nun nach der Zerſetzung eine der erſten gleiche Quantität Dramid zu der nemlichen Miſchung, und unterwerfen wir ſie derſelben Behandlung, fo wiederholt ſich in ganz gleicher Weiſe die nemliche Zerſetzung; die frei vor— handene Kleeſäure iſt in Verbindung getreten, es iſt eine ihr gleiche Menge wieder frei geworden. Man kann auf dieſe Weiſe mit einer außerordentlich kleinen Menge Oxalſäure Hun— derte von Pfunden Oxamid zur Zerſetzung bringen, man kann durch einen einzigen Gran unbegrenzte Mengen von Kleeſäure entſtehen machen. Durch den Contact des Blatterngiftes mit Blut entſteht 326 Gift, Contagien, Miasmen. eine Veränderung im Blute, in Folge welcher ſich aus feinen Beſtandtheilen wieder Blatterngift erzeugt. Dieſer Metamor⸗ phoſe wird erſt durch die gänzliche Verwandlung aller der Zerſetzung fähigen Bluttheilchen eine Grenze geſetzt. Durch den Contact der Orxalſäure mit Oxamid entſteht Oxalſäure, welche auf neues Oxamid die nemliche Wirkung ausübt. Nur die begrenzte Menge des Oxamids fest dieſer Metamorphoſe eine Grenze. Der Form nach gehören beide Metamorphoſen in einerlei Klaſſe; aber nur ein befangenes Auge wird dieſem Vorgang, obwohl er ein ſcharfer Ausdruck des gegebenen Be⸗ griffs vom Leben iſt, eine lebendige Thätigkeit unterlegen; es iſt ein chemiſcher Proceß, abhängig von den gewöhnlichen chemiſchen Kräften. Der Begriff von Leben ſchließt neben Reproduction noch einen andern ein, nemlich den Begriff von Thätigkeit durch eine beſtimmte Form, das Entſtehen und Erzeugen in einer beſtimmten Form. Man wird im Stande ſein, die Beſtandtheile der Muskelfaſer, der Haut, der Haare ꝛc. durch chemiſche Kräfte hervorzubringen; allein kein Haar, keine Mus⸗ kelfaſer, keine Zelle kann durch fie gebildet werden. Die Her— vorbringung von Organen, das Zuſammenwirken eines Appa⸗ rates von Organen, ihre Fähigkeit, aus den dargebotenen Nah⸗ rungsſtoffen nicht nur ihre eigenen Beſtandtheile, ſondern ſich ſelbſt der Form, Beſchaffenheit und mit allen ihren Eigen⸗ ſchaften wieder zu erzeugen, dieß iſt der Character des orga— niſchen Lebens, dieſe Form der Reproduction iſt unabhängig von den chemiſchen Kräften. Die chemiſchen Kräfte ſind der unanſchaubaren Urſache, durch welche dieſe Form bedingt wird, unterthan; ſie ſelbſt, dieſe Urſache, wir haben nur Kenntniß von ihrer Eriftenz durch die eigenthümlichen Erſcheinungen, die ſie hervorbringt; wir Gift, Contagien, Miasmen. 327 erforſchen ihre Geſetze wie die der anderen Urſachen, welche Bewegung und Veränderungen bewirken. Die chemiſchen Kräfte ſind die Diener dieſer Urſache, ſowie ſie Diener der Electricität, der Wärme, einer mechaniſchen Be— wegung, des Stoßes, der Reibung ſind; ſie erleiden durch dieſe letzteren eine Aenderung in der Richtung, eine Steigerung, eine Verminderung in ihrer Intenſität, eine völlige Aufhebung, eine vollkommene Umkehrung in der Wirkſamkeit. Es iſt dieſer Einfluß und kein anderer, den die Lebenskraft auf die chemiſchen Kräfte ausübt; aber überall, wo Verbindung und Trennung vor ſich geht, iſt chemiſche Verwandtſchaft und Cohäſion in Thätigkeit. Wir kennen die Lebenskraft nur durch die eigenthümliche Form ihrer Werkzeuge, durch Organe, die ihre Träger ſind; welche Art von Thätigkeit eine Materie auch zeigen mag, wenn ſie formlos iſt und wir keine Organe beobachten, von denen der Impuls der Bewegung oder Aenderung ausgeht, ſo lebt ſie nicht; ihre Thätigkeit iſt alsdann eine chemiſche Action, an welcher Licht, Wärme, Electrieität, oder was ſonſt darauf Einfluß hat, Antheil nehmen, die ſie ſteigern, vermindern oder eine Grenze ſetzen, allein ohne die Bedinger der Action zu ſein. In dieſer Art und Weiſe beherrſcht die Lebenskraft in dem lebendigen Körper die chemiſchen Kräfte; Alles, was wir Nah— rungsmittel nennen, alle Stoffe, die in dem Organismus dar— aus gebildet werden, ſind chemiſche Verbindungen, in denen alſo von der Lebenskraft, um zu Beſtandtheilen des Organismus zu werden, kein anderer Widerſtand als die chemiſchen Kräfte zu überwinden ſind, durch welche ihre Beſtandtheile zuſammen— gehalten werden; beſäßen ſie, die Nahrungsmittel, ein eigen— thümliches Leben, ſo würde dieſes mit den chemiſchen Kräften 328 Gift, Contagien, Miasmen. überwunden werden müſſen, es würde ihren Widerſtand ver⸗ ſtärken. Alle Materien, die zur Aſſimilation dienen, find höchſt zu— ſammengeſetzte Körper; es ſind complexe Atome, welche keine oder eine nur höchſt ſchwache chemiſche Action ausüben. Sie ſind durch das Zuſammentreten von zwei und mehre— ren einfacheren Verbindungen entſtanden und in dem nemlichen Grade, als die Anzahl der Atome ihrer Beſtandtheile ſich ver— größert (mit der höhern Ordnung), nimmt ihr Streben ab, weitere Verbindungen einzugehen; dieß heißt, ſie verlieren ihre Fähigkeit, eine Wirkung auf andere auszuüben. Mit ihrer Zuſammengeſetztheit nimmt aber ihr Vermögen zu, durch den Einfluß äußerer Urſachen verändert zu werden, eine Zerſetzung zu erleiden. Jede einwirkende Kraft, in manchen Fällen ſchon Stoß und mechaniſche Reibung, ſtört das Gleichgewicht in der Anziehung ihrer Beſtandtheile; ſie ordnen ſich entweder zu neuen, einfacheren, zu feſteren Verbin⸗ dungen, oder wenn eine fremde Anziehung auf ſie einwirkt, ſo ordnen ſie ſich dieſer Anziehung unter. Der beſondere Character eines Nahrungsmittels, einer Sub⸗ ſtanz, die zur Aſſimilation dient, iſt Mangel einer chemiſchen Action Guſammengeſetztheit) und Fähigkeit, Metamorphoſen zu erleiden. Durch die Lebenskraft wird das Gleichgewicht der chemi⸗ ſchen Anziehungen der Beſtandtheile der Nahrungsmittel geſtört, wie es durch zahlloſe andere Urſachen geſtört werden kann; allein das Zuſammentreten ihrer Elemente zu neuen Verbin⸗ dungen, zu neuen Formen, zeigt von einer eigentlichen Anzie- hungsweiſe, es beweiſ't die Exiſtenz einer beſonderen Kraft, verſchieden von allen anderen Naturkräften. Alle Körper von einfacher Zuſammenſetzung beſitzen ohne Gift, Contagien, Miasmen. 229 Ausnahme ein unaufhörliches mehr oder weniger ſtarkes Stre— ben, Verbindungen einzugehen (die Oxalſäure z. B. iſt die ein— fachſte, die Talgſäure eine der zuſammengeſetzteſten organiſchen Säuren; die erſte iſt die ſtärkſte, die andere eine der ſchwäch— ſten in Beziehung auf chemiſchen Charakter); durch dieſe Thä— thätigkeit üben ſie überall, wo ſich kein Widerſtand entgegen— ſetzt, eine Veränderung aus; ſie gehen Verbindungen ein und veranlaſſen Zerſetzung. Es iſt die Lebenskraft, welche der unaufhörlichen Einwir— kung der Atmoſphäre, der Feuchigkeit, der Temperatur auf den Organismus einen, bis zu einem gewiſſen Grade, unüberwind— lichen Widerſtand entgegengeſetzt; es iſt die unaufhörliche Aus— gleichung, es iſt die ſtete Erneuerung dieſer Thätigkeiten, welche Bewegung, welche Leben erhält. Das größte Wunder im lebenden Organismus iſt es ge— rade, daß eine unergründliche Weisheit in die Urſache einer unaufhörlichen Zerſtörung, in die Unterhaltung des Reſpira— tionsproceſſes, die Quelle der Erneuerung des Organismus, das Mittel gelegt hat, um allen übrigen atmoſphäriſchen Ein- flüſſen, dem Wechſel der Temperaturen, der Feuchtigkeit zu wi— ſtehen. Bringen wir in den Magen oder einen andern Theil des Organismus eine chemiſche Verbindung von einfacher Zuſam— menſetzung, die alſo das Vermögen und Streben beſitzt, neue Verbindungen einzugehen oder Veränderungen zu bewirken, ſo iſt klar, daß ſie auf alle Materien, die mit ihr in Berührung kommen, eine chemiſche Action ausüben muß; ſie wird eine Verbindung einzugehen oder zu verändern ſtreben. Die chemiſche Action der Subſtanz hat, wie ſich von ſelbſt verſteht, die Lebenskraft zu überwinden; die letztere ſetzt ihr einen Widerſtand entgegen, es entſteht je nach der Stärke der 330 Gift, Contagien, Miasmen. Einwirkung eine Ausgleichung zwiſchen beiden Kräften, eine Veränderung ohne Vernichtung der Lebenskraft, eine arznei⸗ liche Wirkung, oder der einwirkende Körper unterliegt, er wird verdaut, oder die chemiſche Action behält die Ober⸗ hand, er wirkt als Gift. Alle Materien ſind Nahrungsmittel, welche ihre Eigen⸗ thümlichkeit durch die Einwirkung der Lebenskraft verlieren, ohne eine chemiſche Action auf das einwirkende Organ aus⸗ zuüben. Eine andere Klaſſe ändert die Richtung, die Stärke, die Intenſität des Widerſtandes (der Lebenskraft), in Folge welcher ihre Träger, die Function ihrer Organe, verändert werden; ſie bringen eine Störung durch ihr Vorhandenſein oder dadurch hervor, daß ſie ſelbſt eine Veränderung erleiden, dieß ſind die Arzneimittel. Eine dritte Klaſſe heißen Gifte, wenn ſie ſich mit den Organen oder Beſtandtheilen der Organe zu verbinden ver mögen, und wenn dieſes Streben ſtärker iſt als der Wider⸗ ſtand durch die Lebenskraft. Maſſe und Zuſtand ändern, wie ſich von ſelbſt ergiebt, gänzlich die Art der chemiſchen Einwirkung. Ein Arzneimittel wird in größerer Maſſe, die überall ein Aequivalent für größere Verwandtſchaft iſt, als Gift, ein Gift in kleinen Gaben als Arzneimittel wirken können. Ein Nahrungsmittel wird Krankheit bewirken, es wird Gift werden, wenn es durch ſeine Maſſe eine chemiſche Action aus⸗ übt, oder wenn ſein Zuſtand, ſeine Gegenwart die Bewegung der Organe verlangſamt, hindert oder aufhebt. Ein Körper wirkt als Gift, wenn alle Theile des Organs, mit dem er in Berührung iſt, zu einer chemiſchen Verbin⸗ dung mit ihm zuſammengetreten ſind; er kann als Arzneimit⸗ Gift, Contagien, Miasmen. 331 tel wirken, wenn er nur eine partielle Aenderung hervorge— bracht hat. . Unter allen Beſtandtheilen des lebenden Organismus giebt es keinen, welcher in ſeiner Schwäche des Widerſtandes gegen äußere Thätigkeiten mit dem Blute verglichen werden kann; denn es iſt nicht ein entſtandenes, ſondern ein entſtehendes Dr- gan, es iſt die Summe der entſtehenden Organe; die chemiſche Kraft und Lebenskraft halten ſich einander in ſo vollkomme— nem Gleichgewichte, daß jede, auch die feinſte Störung, durch welche Urſache es auch ſei, eine Veränderung im Blute be— wirkt; es kann nicht von dem Körper getrennt werden, ohne eine augenblicklich erfolgende Umwandlung zu erfahren, es kann mit keinem Organ im Körper in Berührung treten, ohne ſeiner Anziehung zu unterliegen. Jede, auch die ſchwächſte Einwirkung einer chemiſchen Thä- tigkeit, fie übt, in das Blut gebracht, eine nachtheilige Verän⸗ derung aus, ſelbſt der durch Zellen und Häute vermittelte mo⸗ mentane Contact mit der Luft in der Lunge ändert Farbe und Beſchaffenheit; eine jede chemiſche Action pflanzt ſich im Blute fort, der Zuſtand einer in Zerſetzung, Fäulniß, Gährung und Verweſung begriffenen Materie, die chemiſche Action, in wel— cher die Beſtandtheile eines in Zerſetzung begriffenen Körpers ſich befinden, fie ſtören den Zuſtand des Gleichgewichts zwi— ſchen der chemiſchen Kraft und der Lebenskraft im Blut. Die erſtere erhält das Uebergewicht; zahlloſe Modificationen in der Zuſammenſetzung, dem Zuſtande, der aus den Elementen des Blutes gebildeten Verbindungen, ſie gehen aus dem Kampf der Lebenskraft mit der chemiſchen Action, die ſie unaufhörlich zu überwältigen ſtrebt, hervor. Dem ganzen Verhalten aller Erſcheinungen nach läßt ſich den Contagien kein eigenthümliches Leben zuſchreiben; ſie üben 332 Gift, Contagien, Miasmen. eine gewiſſe Wirkung aus, welche eine große Aehnlichkeit mit Vorgängen im lebenden Organismus hat; allein die Urſache dieſer Wirkung iſt chemiſche Action, welche aufgehoben werden kann durch andere chemiſche Actionen, durch entgegengeſetzte Thätigkeiten. Von dem im lebendigen Körper durch Krankheitsproceſſe erzeugbaren Gifte verlieren einige im Magen ihre ganze Wirk— ſamkeit, andere werden nicht zerſtört. Wie bedeutſam und entſcheidend für ihre chemiſche Natur und Wirkungsweiſe iſt hier der Umſtand, daß diejenigen von ihnen, welche neutral ſind oder eine alkaliſche Beſchaffenheit zeigen, wie das Milzbrandgift, das Blatterngift, daß dieſe im Magen ihre Anſteckungsfähigkeit verlieren, während das Wurſtgift, welches ſauer reagirt, feine ganze furchtbare Wir- kung behält. Es iſt die im Magen ſtets vorhandene freie Säure, welche die ihr entgegengeſetzte chemiſche Thätigkeit in dem einen Falle aufhebt, während ſie in dem andern die Wirkung N oder jedenfalls kein Hinderniß entgegenſetzt. Man hat bei mikroskopiſchen Unterſuchungen in bösartigem faulenden Eiter, in Kuhpockenlymphe ꝛc. eigenthümliche, den Blutkügelchen ähnliche Bildungen beobachtet; ihr Vorhanden— ſein gab der Meinung Gewicht, daß die Anſteckung von der Entwickelung eines krankhaften organiſchen Lebens ausgehe; man hat in dieſen Formen den lebendigen Samen der Krank— heit geſehen. Dieſe Anſicht iſt keiner Discuſſion fähig; ſie hat die Na— turforſcher, welche die Erklärungen von Erſcheinungen in For⸗ men zu ſuchen gewohnt ſind, dahin geführt, die Hefe, die ſich in Biergährung bildet, ebenfalls als belebt zu betrachten, für Pflanzen oder Thiere, die ſich von dem Zucker nähren Gift, Contagien, Miasmen. 333 und Alkohol und Kohlenſäure als Exeremente wieder von ſich geben. Wunderbar und auffallend würde es vielleicht erſcheinen, wenn in den Zerſetzungsproceſſen der Fäulniß und Gährung aus organiſchen Materien und Theilen von Organen ſich Stoffe bilden würden von kryſtalliniſcher Structur, Stoffe, die eine geometriſche Geſtalt beſitzen. Wir wiſſen im Gegentheil, daß der völligen Auflöſung in unorganiſche Verbindungen eine Reihe von Metamorphoſen vorhergeht, in welchen ſie erſt nach und nach ihre Form aufgeben. In Zerſetzung begriffenes Blut kann dem Auge in un— veränderter Form erſcheinen, und wenn wir in einem flüſſigen Contagium die Blutkügelchen wieder erkennen, ſo kann dieß höch⸗ ſtens beweiſen, daß ſie keinen Antheil an dem Zerſetzungsproceß genommen haben. Wir können aus Knochen allen phosphor⸗ ſauren Kalk entfernen, ſo daß ſie durchſichtig und biegſam wie Leder werden, ohne im Geringſten ihre Form zu verlieren. Wir brennen die Knochen weiß zu einem Skelet von phos⸗ phorſaurem Kalk, was ganz die Form des Knochens behält. So können in dem Blute Zerſetzungsproeeſſe vor ſich gehen, die ſich nur auf einzelne Beſtandtheile erſtrecken, auf Mate⸗ ien, welche zerſtört werden und verſchwinden, während durch andere die urſprüngliche Form behauptet wird. Unter den Contagien giebt es mehrere, die ſich durch die Luft fortpflanzen, wo man alſo gezwungen wäre, einem Gaſe, einem luftförmigen Körper Leben zuzuſchreiben. Alles, was man als Beweiſe für ein organiſches Leben in den Contagien betrachtet, ſind Vorſtellungen und Bilder, welche die Erſcheinungen verſinnlichen, ohne ſie zu erklären. Dieſe Bilder, mit denen man ſich in allen Wiſſenſchaſten fo gern und leicht befriedigt, ſie ſind die Feinde aller Naturforſchung, 334 Gift, Contagien, Miasmen. ſie ſind der kata morgana ähnlich, die uns die täuſchendſte Kunde von See'n, von fruchtbaren Gefilden und Früchten giebt, aber uns verſchmachten läßt, wenn wir wir ſie am nö— thigſten haben. Es iſt gewiß, daß die Wirkungsweiſe der Contagien auf einer eigenthümlichen Thätigkeit beruht, abhängig von chemiſchen Kräften, welche in keiner Beziehung ſteht zu der Lebenskraft, eine Thätigkeit, welche aufgehoben wird durch chemiſche Actio— nen, die ſich überall äußert, wo fie keinen Widerſtand zu über- winden hat; ſie giebt ſich der Beobachtung durch eine zuſam— menhängende Reihe von Veränderungen, von Metamorphoſen zu erkennen, die ſich auf alle Materien, welche fähig ſind, eine ähnliche Verwandlung zu erfahren, überträgt. Eine im Zuſtande der Zerſetzung begriffene thieriſche Sub— ſtanz, oder in Folge eines Krankheitsproceſſes im lebenden Kör— per aus ſeinen Beſtandtheilen erzeugte Materie überträgt ihren Zuſtand allen Theilen eines lebenden Individuums, welche fä— hig ſind, eine ähnliche Metamorphoſe einzugehen, wenn ſich ihrer Action in dieſen Theilen keine Urſache entgegenſetzt, die ſie aufhebt und vernichtet. Es entſteht Krankheit durch Anſteckung. Die in der entſtandenen Krankheit hervorgerufene Meta- morphoſe nimmt eine Reihe von Formen an. Betrachten wir, um zu einer klaren Anſchauung zu ge⸗ langen, die Veränderungen, welche ein bei weitem einfacherer Körper, der Zucker, durch die Einwirkung ähnlicher Urſachen zu erleiden fähig iſt, ſo wiſſen wir, daß faulendes Blut, in Metamorphoſe begriffene Hefe eine Umſetzung der Elemente des Zuckers in Alkohol und Kohlenſäure bewirken. Ein in Zerſetzung begriffenes Stück Lab veranlaßt eine andere Lagerung der Elemente des Zuckers; ohne daß ein 5 Gift, Contagien, Minsmen. 335 Element hinzutritt oder hinweggenommen wird, verwandelt er ſich in Milchſäure. (1 Atom Trauben-Zucker Ci H, Oi giebt 2 At. Milchſäure = 3 Cs Hi Oc). Laſſen wir ihn im Zwiebelſafte, Runkelrübenſafte bei höhe— ren Temperaturen gähren, ſo erhält man daraus Milchſäure, Mannit und Gummi. Nach der verſchiedenen Umſetzungsweiſe, in der ſich die Elemente der Erreger befanden, haben ſich alſo die Elemente des Zuckers in einer ebenſo verſchiedenen Form geordnet, es ſind verſchiedene Producte entſtanden. Es war der unmittelbare Contact der ſich zerlegenden Sub— ſtanz, welche die Form und Beſchaffenheitsänderung der Zu— ckertheilchen bedingte; entfernen wir ſie, jo hört damit die Zer— ſetzung des Zuckers auf; iſt ihre Metamorphoſe vollendet und ſind noch Zuckertheile übrig, ſo bleiben dieſe unzerſetzt. Bei keiner der erwähnten Zerlegungsweiſen hat ſich der Erreger reproducirt, es fehlten unter den Elementen des Zus ckers die Bedingungen ſeiner Wiedererzeugung. Aehnlich wie Hefe, faulendes Fleiſch, in Zerſetzung begrif— fener Kalbsmagen den Zucker in Zerlegung brachten, ohne ſich ſelbſt wiederzuerzeugen, bringen Miasmen und gewiſſe Anſte— ckungsſtoffe Krankheiten in dem menſchlichen Organismus her— vor, in denen ſich der Zuſtand der Zerſetzung, in welchem ſie ſich befinden, auf gewiſſe Theile des Organismus überträgt, ohne daß fie in dem Acte der Zerſetzung, in ihrer eigenthüm— lichen Form und Beſchaffenheit wieder gebildet werden. Die Krankheit ſelbſt iſt in dieſem Falle nicht anſteckend. Wenn wir aber Hefe nicht zu reinem Zuckerwaſſer, ſon— dern zu Bierwürze bringen, welche Zucker und Kleber enthält, ſo wiſſen wir, daß der Act der Zerſetzung des Zuckers eine Form und Beſchaffenheitsänderung des Klebers bedingt, der Kleber ſelbſt geht einer erſten Metamorphoſe entgegen; ſo lange 336 Gift, Contagien, Miasmen. ‘ noch gährender Zucker vorhanden ift, wird Kleber in verän— dertem Zuſtande, er wird als Hefe abgeſchieden, welche wieder fähig iſt, friſches Zuckerwaſſer oder Bierwürze in Gährung zu verſetzen. Iſt der Zucker verſchwunden und noch Kleber vor— handen, ſo bleibt dieſer Kleber, er geht nicht in Hefe über. Die Reproduction des Erregers iſt hier abhängig 1) von dem Vorhandenſein derjenigen Materie, aus der er urſprünglich entſtanden iſt, 2) von der Gegenwart einer zweiten Materie, welche fähig iſt, durch Berührung mit dem Erreger in Zerſetzung übergeführt zu werden. Wenn wir der Reproduction der Contagien in anſteckenden Krankheiten den nemlichen Ausdruck unterlegen, ſo iſt vollkom— men gewiß, daß ſie ohne Ausnahme aus dem Blute entſprin— gen, daß alſo in dem Blute eines geſunden Menſchen derjenige Beſtandtheil ſich vorfindet, durch deſſen Zerſetzung der Erreger gebildet werden kann. Es muß ferner, wenn Anſteckung erfolgt, vorausgeſetzt werden, daß das Blut einen zweiten Beſtandtheil enthält, wel— cher fähig iſt, durch den Erreger in Zerſetzung übergeführt zu werden. Erſt in Folge der Umwandlung dieſes zweiten Körpers kann der urſprüngliche Erreger wieder gebildet werden. Empfänglichkeit für Anſteckung ſetzt mithin die Gegenwart einer gewiſſen Quantität dieſes zweiten Körpers im Blute ei— nes geſunden Menſchen voraus; mit ſeiner Maſſe ſteigt die Empfänglichkeit, die Stärke der Krankheit, mit ſeiner Abnahme, mit ſeinem Verſchwinden ändert ſich ihr Verlauf. Bringen wir in das Blut eines geſunden Menſchen, wel— cher empfänglich iſt für Anſteckung, eine wenn auch nur ver— ſchwindend kleine Menge des Anſteckungsſtoffs, des Erregers, 14 Gift, Contagien, Miasmen. 337 ſo wird er ſich im Blute wiedererzeugen, ähnlich, wie ſich Hefe in Bierwürze reproducirt, fein Zuſtand der Metamor— phoſe wird ſich auf den einen Beſtandtheil des Blutes über- tragen, und in Folge der Metamorphoſe, die dieſer erleidet, wird aus einem andern Beſtandtheile des Blutes ein dem Erreger gleicher oder ähnlicher Körper gebildet werden können, deſſen Maſſe beſtändig zunehmen muß, wenn die weitere Me— tamorphoſe des neuerzeugten Erregers langſamer erfolgt, als die Verbindung im Blute, die er zur Zerſetzung bringt. Ginge z. B. die Metamorphoſe der wiedererzeugten Hefe in der Gährung der Bierwürze mit eben der Schnelligkeit vor ſich, wie die der Zuckertheilchen, ſo würden, nach Vollendung aller Gährung, beide mit und neben einander verſchwinden, die der Hefe bedarf aber einer weit längern Zeit, es bleibt davon, wenn aller Zucker verſchwunden iſt, eine weit größere Menge wie zuvor in unaufhörlich weiter fortſchreitender Metamorphoſe, d. h. mit ihrer ganzen Wirkungsweiſe, zurück. Die Zerſetzung, in der ſich ein Bluttheilchen befindet, theilt ſich einem zweiten und folgenden, zuletzt allen im ganzen Kör— per, ſie theilt ſich einem geſunden Bluttheilchen eines zweiten, dritten Individuums ꝛc. mit, d. h. ſie veranlaßt in dieſen die Entſtehung derſelben Krankheit. 1 Die Exiſtenz von einer großen Anzahl beſonderer Materien in dem Blute verſchiedener Menſchen, in dem Blute eines ein- zelnen Menſchen in den verſchiedenen Perioden ſeiner Entwicke⸗ lung, in den Thieren kann nicht geläugnet werden. In dem Kindesalter, in der Jugend enthält das Blut ei⸗ nes und deſſelben Individuums wechſelnde Mengen von Sub- ſtanzen, die in einem andern Stadium fehlen, die Empfänglich⸗ keit für Anſteckung durch eigenthümliche Erreger im Kindesalter ſetzt nothwendig eine Fortpflanzung, eine Wiedererzeugung die— 22 338 Gift, Contagien, Miasmen. 9 ſer Erreger in Folge der Metamorphoſe vorhandener Stoffe voraus; wenn ſie fehlen, kann keine Anſteckung erfolgen. Die Krankheitsform heißt gutartig, wenn die Metamorphoſen zweier für das Leben unweſentlicher Beſtandtheile des Körpers ſich neben einander vollenden, ohne daß andere an der Zer— ſetzung Antheil nehmen; ſie heißt bösartig, wenn ſie ſich auf Organe fortpflanzt, wenn dieſe daran Antheil nehmen. Ein Stoffwechſel im Blute, ein Uebergang ſeiner Beſtand— K theile zu Fett, Muskelfaſer, Nerven-, Gehirnſubſtanz, zu Kno⸗ chen, Haaren ꝛc., eine Metamorphoſe von Nahrungsſtoff in Blut, ohne gleichzeitige Bildung von neuen Verbindungen, welche durch die Organe der Secretion wieder aus dem Kör— per entfernt werden, iſt nicht denkbar. In einem erwachſenen Menſchen ſind dieſe Secretionen von wenig wechſelnder Beſchaffenheit und Quantität; alle ſeine Theile ſind völlig ausgebildet, was er aufnimmt, dient nicht zur Vermehrung feiner Maſſe, ſondern lediglich nur zum Er- ſatz des verbrauchten Stoffs, denn jede Bewegung, jede Kraft äußerung, jede organiſche Thätigkeit wird bedingt durch Stoff— wechſel, durch eine neue Form, welche feine Beſtandtheile an- nehmen ). In dem kindlichen Alter kommt zu dieſer normalen Thä⸗ tigkeit der Erhaltung eine abnorme Thätigkeit der Zunahme und Vermehrung der Maſſe des Körpers, eines jeden einzel— nen ſeiner Theile; es müſſen in dem jugendlichen Körper eine ) Die Verſuche von Barruel über die außerordentliche Verſchiedenheit von Gerüchen, die ſich aus Blut entwickeln, dem man etwas Schwe— felſäure zugeſetzt hat, beweiſen jedenfalls die Exiſtenz beſonderer Ma— terien in verſchiedenen Individuen; das Blut eines blonden Menſchen giebt einen andern Geruch, als das eines braunen, das Blut verſchie⸗ dener Thiere weicht in dieſer Beziehung ſehr bemerkbar von dem der Menſchen ab. Gift, Contagien, Miasmen. 339 weit größere Menge von fremden, dem Organismus nicht an— gehörigen Stoffen vorhanden ſein, welche durch das Blut in alle ſeine Theile verbreitet werden. Bei normaler Thätigkeit der Secretionsorgane werden ſie aus dem Körper entfernt, durch jede Störung der Functionen derſelben müſſen ſie im Blute, oder in einzelnen Theilen des Körpers ſich anhäufen. Die Haut, die Lunge oder andere Organe übernehmen die Function der kranken Secretionsappa⸗ rate, und ſind die abgeſchiedenen Stoffe in dem Zuſtande einer fortſchreitenden Metamorphoſe begriffen, ſo heißen ſie anſteckend, fie find alsdann fähig, in einem andern gefunden Organis- mus den nemlichen Krankheitszuſtand hervorzurufen; aber nur dann, wenn dieſer empfänglich dafür iſt, d. h., wenn er eine Materie enthält, welche den nemlichen Zerſetzungsproceß erlei— den kann. Die Erzeugung von Materien dieſer Art, welche den Kör— per empfänglich für Anſteckung machen, können durch die Lebens⸗ weiſe, durch Nahrung bedingt werden, ein Uebermaß von kräf— tigen und geſunden Speiſen wird eben ſo gut ſich dazu eignen, wie Mangel, Schmutz, Unreinlichkeit und der Genuß von ver— dorbenen Nahrungsmitteln. Alle dieſe Bedingungen zur Anſteckung müſſen als zufällig angeſehen werden, ihre Bildung, ihre Anhäufung im Körper kann verhütet, ſie können aus dem Körper entfernt werden, ohne ſeine Hauptfunctionen, ohne die Geſundheit zu ſtören, ihre Gegenwart iſt nicht nöthig zum Leben. Die Wirkung und Erzeugung von Contagien iſt nach die— ſer Anſicht ein chemiſcher Proceß, welcher vor ſich geht im lebendigen Körper, an welchem alle Materien im Körper, alle Beſtandtheile derjenigen Organe Antheil nehmen, in denen die Lebenskraft die einwirkende chemiſche Thätigkeit nicht über— 22 * 340 Gift, Contagien, Miasmen. wältigt, er verbreitet ſich demnach entweder durch alle Theile des Körpers, oder er beſchränkt ſich lediglich auf gewiſſe Or⸗ gane; die Krankheit ergreift, je nach der Schwäche oder der Intenſität des Widerſtandes, alle Organe, oder nur einzelne Organe. In der abſtract chemiſchen Bedeutung ſetzt die Wiedererzeu— gung eines Contagiums eine Materie voraus, welche gänzlich zerſetzt wird, und eine zweite, welche durch den Act der Me— tamorphoſe der erſten in Zerſetzung übergeht. Dieſe im Zu⸗ ſtande der Zerſetzung begriffene zweite Materie iſt das regene⸗ rirte Contagium. Die zweite Materie iſt unter allen Umſtänden urſprünglich ein Beſtandtheil des Blutes geweſen, die erſte kann ein zufäl⸗ liger oder ein zum Leben ebenfalls nothwendiger ſein. Sind beide Beſtandtheile zur Unterhaltung der Lebensfunc⸗ tionen gewiſſer Hauptorgane unentbehrlich, ſo endigt ſich die Metamorphoſe mit dem Tode. Wird hingegen durch die Abweſenheit des zerſtörten einen Beſtandtheiles des Blutes den Functionen der wichtigſten Dr- gane keine unmittelbare Grenze geſetzt, dauern ſie fort, wenn auch in anormalem Zuſtande, ſo erfolgt Reconvalescenz; die noch vorhandenen Producte der Metamorphoſe des Blutes werden in dieſem Falle zur Aſſimilation ſelbſt verwendet, es entſtehen in dieſem Zeitpunkte Secretionen von beſonderer Be— ſchaffenheit. Iſt der zerſtörte Beſtandtheil des Blutes ein Product einer anormalen Lebensweiſe, gehört feine Erzeugung nur einem ge- wiſſen Alter an, fo hört mit feinem Verſchwinden die Em- pfänglichkeit für Anſteckung auf. Die Wirkungsweiſe der Kuhpocken-Materie beweiſ't, daß ein zufälliger Beſtandtheil des Blutes in einem beſondern Zer⸗ Gift, Contagien, Miasmen. 341 ſetzungsproceß zerſtört wird, ſie bewirkt, dem Blute eingeimpft, eine Metamorphoſe deſſelben, an der die anderen Beſtandtheile keinen Antheil nehmen. Wenn man ſich an der Wirkungsweiſe der Unterhefe (ſ. S. 276) erinnert, fo kann man kaum über die der Kuhpockenlymphe zweifelhaft ſein. Die Unterhefe und Oberhefe ſtammen beide aus Kleber, ähnlich wie die Kuhpocken-Materie und das Blatterngift beide aus dem Blute entſpringen. Die Oberhefe und das Blatterngift bewirken beide eine ſtürmiſche tumultuariſche Metamorphoſe, die erſtere in Pflan— zenſäften, das andere im Blute, die ihre Beſtandtheile enthal— ten, fie erzeugen ſich beide mit allen ihren Eigenſchaften. wieder. Die Unterhefe wirkt lediglich nur auf den Zucker, ſie ver— anlaßt eine ausnehmend verlangſamte Zerſetzung deſſelben, eine Metamorphoſe, an welcher der Kleber keinen Antheil nimmt, nur inſofern die Luft dabei einwirkt, erleidet dieſer eine neue Form und Beſchaffenheitsänderung, in Folge welcher ſie eben— falls wieder mit allen ihren Eigenſchaften gebildet wird. Aehnlich wie die Wirkungsweiſe der Unterhefe muß die der Kuhpocken⸗Materie ſein; ein Beſtandtheil des Blutes geht durch ſie in Zerfetzung über, aus einem zweiten erzeugt ſie ſich wie— der, aber in einer durchaus geänderten Zerſetzungsweiſe; das Product beſitzt die milde Form, alle Eigenſchaften der Kuh— pockenlymphe. Die Empfänglichkeit für Anſteckung durch Blatterngift muß nach der Einimpfung der Kuhpocken aufhören, eben weil durch einen künſtlich erregten, beſondern Zerſetzungsproceß diejenige Materie zerſtört und entfernt worden iſt, deren Vorhandenſein die Empfänglichkeit bedingte. Sie kann ſich in dem nemlichen Individuum wieder erzeugen, es kann wieder empfänglich für 342 Gift, Contagien, Miasmen. Anſteckung werden, und eine zweite und dritte Impfung ver⸗ mag ihn wieder zu entfernen. In keinem Organe pflanzen ſich chemiſche Actionen leichter und ſchneller fort, als in der Lunge, keine Art von Krankhei— ten findet ſich häufiger und iſt gefährlicher, als die Lungen— krankheiten. Wenn man annimmt, daß im Blute die chemiſche Action und die Lebenskraft ſich gegenſeitig im Gleichgewichte halten, ſo iſt es als gewiß zu betrachten, daß in der Lunge ſelbſt, in welcher Luft und Blut ſich unmittelbar berühren, der chemiſche Proceß bis zu einem gewiſſen Grade das Uebergewicht behaup— tet, denn das Organ ſelbſt iſt von der Natur dazu eingerichtet, um ihn zu begünſtigen; es ſetzt der Veränderung, die das ve— nöſe Blut erleidet, keinen Widerſtand entgegen. Durch die Bewegung des Herzens wird der Contact der Luft mit dem venöſen Blut auf eine außerordentlich kurze Zeit beſchränkt, jeder fernern bis über einen beſtimmten Punkt hinaus ſich erſtreckenden Störung wird durch raſche Entfernung des arteriellen Blutes vorgebeugt. Eine jede Störung der Functionen des Herzens, eine jede, wenn auch ſchwache chemiſche Action von Außen veranlaßt eine Aenderung in dem Reſpirationsproceß, ſelbſt feſte Subſtanzen, Staub von vegetabiliſchen (Mehl), thieriſchen (Wollenfaſern) und anorganiſchen Materien, ſie wirken auf dieſelbe Weiſe, wie wenn ſie in eine geſättigte, im Kryſtalliſiren begriffene Flüſſig⸗ keit gebracht werden, ſie veranlaſſen eine Ablagerung von fe— ſten Stoffen aus dem Blute, durch welche die Einwirkung der Luft gehindert wird. Gelangen gasförmige, in Zerſetzung begriffene Subſtanzen, oder ſolche, welche eine chemiſche Action ausüben, wie Schwe— felwaſſerſtoffſäure, Kohlenſäure ꝛc. in die Lunge, ſo ſtellt ſich Gift, Coutagien, Miasmen. 343 ihnen in dieſem Organe weniger wie in irgend einem andern, ein Widerſtand entgegen. Der chemiſche Proceß der Verweſung, welcher in der Lunge vor ſich geht, wird geſteigert durch alle in Fäulniß und Verweſung begriffene Materien, durch Ammo— niak und Alkalien; er wird vermindert durch empyrheumatiſche flüchtige Subſtanzen, ätheriſche Oele, durch Säuren. Schwe— felwaſſerſtoffſäure zerlegt das Blut augenblicklich, ſchweflige Säure verbindet ſich mit der Subſtanz der Häute, Zellen und Membranen. Nimmt durch den Contact mit einer in Zerſetzung begrif— fenen Materie der Reſpirationsproceß eine andere Richtung an, überträgt ſich die Zerſetzung, die ſie erleidet, der Blutmaſſe ſelbſt, ſo erfolgt Krankheit. Iſt die in Zerſetzung begriffene Materie Product einer Krankheit, fo heißt fie ebenfalls Contagium, iſt fie das Pro— duct von Fäulniß und Verweſung thieriſcher und vegetabiliſcher Subſtanzen, wirkt ſie durch ihren chemiſchen Character (alſo nicht durch ihren Zuſtand), indem ſie eine Verbindung eingeht oder eine Zerſetzung veranlaßt, ſo heißt ſie Mias ma. Ein gasförmiges Contagium iſt ein Miasma, was aus dem lebenden Blute ſtammt, und fähig iſt, im lebenden Blut ſich wieder zu erzeugen. Eine Miasma bewirkt Krankheit, ohne ſich zu reproduciren. Alle Beobachtungen, die man über gasförmige Contagien gemacht hat, beweiſen, daß ſie ebenfalls Materien ſind, die ſich in einem Zuſtande der Zerſetzung befinden. Auf Gefäße, die mit Eis angefüllt ſind, ſchlägt ſich an der Außenſeite aus der Luft, welche gasförmige Contagien enthält, Waſſer nieder, wel— ches gewiſſe Mengen darinn gelöſ't enthält. Dieſes Waſſer ändert ſeinen Zuſtand in jedem Zeitmomente, er trübt ſich und geht, wie man gewöhnlich ſagt, in Fäulniß über, oder was 344 Gift, Contagien, Miasmen. ohne Zweifel richtiger iſt, der Zuſtand der Zerſetzung, in dem ſich der gelöſ'te Anſteckungsſtoff befindet, vollendet ſich in dem Waſſer. f Alle Gaſe, die ſich aus faulenden thieriſchen und vegetabi- liſchen Materien, die ſich in Krankheitsproceſſen entwickeln, be- ſitzen gewöhnlich einen eigenthümlich widrigen, unangenehmen oder ſtinkenden Geruch, der in den meiſten Fällen das Vor— handenſein einer Materie beweiſ't, die ſich im Zuſtande der Zerſetzung, d. h. einer chemiſchen Action, befindet. Das Riechen ſelbſt kann in vielen Fällen als die Reaction der Geruchs— nerven betrachtet werden, als der Widerſtand, den die Lebens⸗ thätigkeit der chemiſchen Action entgegenſetzt. Eine Menge von Metallen geben beim Reiben Geruch, aber keins von denen, die wir edle nennen, d. h. welche in Luft bei Gegenwart von Feuchtigkeit keine Veränderung erlei- den; Arſenik, Phosphor, Leinöl, Citronöl, Terpentinöl, Rau⸗ tenöl, Pfeffermünzöl, Moſchus ꝛc. riechen nur im Acte ihrer Verweſung. (Oxidation bei gewöhnlicher Temperatur.) So verhält es ſich denn mit allen gasförmigen Contagien; ſie ſind mehrentheils begleitet von Ammoniak, was man in vielen Fällen als den Vermittler der Gasform des Contagiums betrachten kann, ſo wie es der Vermittler iſt des Geruches von zalloſen Subſtanzen, die an und für ſich nur wenig flüch— tig, von vielen, die geruchlos ſind. (Robiquet in den Ann. de chim. et de phys. XV. 27). Das Ammoniak iſt der Begleiter der meiſten Krankheits⸗ zuſtände; es fehlt nie bei denen, in welchen ſich Contagien er- zeugen; es iſt ein nie fehlendes Product aller im Zuſtande der Zerſetzung ſich befindenden thieriſchen Stoffe. In allen Kran— kenzimmern, vorzüglich bei anſteckenden Krankheiten, läßt ſich die Gegenwart des Ammoniaks nachweiſen; die durch Eis Gift, Contagien, Miasmen. 345 verdichtete Feuchtigkeit der Luft, welche das flüchtige Contagium enthält, bringt in Sublimatlöſung einen weißen Niederſchlag hervor, gerade wie dieß durch Ammoniakauflöſung geſchieht. Das Ammoniakſalz, was man aus dem Regenwaſſer nach Zu— ſatz von Säuren und Verdampfen erhält, entwickelt, wenn man durch Kalk das gebundene Ammoniak wieder austreibt, den unverkennbarſten Leichengeruch oder den Geruch, der den Miſt— ſtätten eigenthümlich iſt. Durch Verdampfen von Säuren in einer Luft, welche gas⸗ förmige Contagien enthält, neutraliſiren wir das Ammoniak; wir hindern die weitere Zerſetzung und heben die Wirkung des Contagiums, ſeinen Zuſtand der Zerſetzung, gänzlich auf. Salz— ſäure und Eſſigſäure, in manchen Fällen Salpeterſäure, ſind allen anderen vorzuziehen. Chlor, was das Ammoniak und organiſche Materien ſo leicht zerſtört, hat auf die Lunge einen ſo nachtheiligen und ſchädlichen Einfluß, daß man es zu den giftigften Stoffen zu rechnen hat, welches nie an Orten, wo Menſchen athmen, in Anwendung kommen darf. Kohlenſäure und Schefelwaſſerſtoff, die ſich häufig aus der Erde, in Kloaken entwickeln, gehören zu den ſchädlichſten Miasmen. Die erſtere kann durch Alkalien, der Schwefelwaſſer⸗ ſtoff durch Verbrennen von Schwefel (ſchweflige Säure) oder durch Verdampfen von Salpeterſäure aufs Vollſtändigſte aus der Luft entfernt werden. Für die Phyſiologie und Pathologie, namentlich in Be— ziehung auf die Wirkungsweiſe von Arzneimitteln und Giften, iſt das Verhalten mancher organiſcher Verbindungen beachtens— werth und bedeutungsvoll. Man kennt mehrere, dem Anſcheine nach ganz indifferente Materien, die bei Gegenwart von Waſſer nicht mit einander 346 Gift, Contagien, Miasmen. zuſammengebracht werden können, ohne eine vollſtändige Me- tamorphoſe zu erfahren; alle Subſtanzen, die eine ſolche gegen— ſeitige Zerſetzung auf einander ausüben, gehören zu den zuſam⸗ mengeſetzteſten Atomen. Amygdalin z. B. iſt eine völlig neutrale, ſchwach bittere, im Waſſer ſehr leichtlösliche Subſtanz; es iſt ein Beſtandtheil der bitteren Mandeln; wenn es mit einem in Waſſer gelöften Beſtandtheil der ſüßen Mandeln, dem Synaptas, bei Gegen— wart von Waſſer zuſammengebracht wird, ſo verſchwindet es völlig ohne Gasentwickelung; in dem Waſſer findet ſich jetzt freie Blauſäure, Benzoylwaſſerſtoff (ſtickſtofffreies Bittermandel- öl), eine beſondere Säure und Zucker, lauter Subſtanzen, die nur ihren Beſtandtheilen nach im Amygdalin vorhanden wa— ren; daſſelbe geſchieht, wenn die bitteren Mandeln, welche den nemlichen weißen Stoff wie die ſüßen enthalten, zerrieben und mit Waſſer befeuchtet werden. Daher kommt es denn, daß die Kleie von bitteren Mandeln, nach vorangegangener Behandlung mit Weingeiſt, bei der Deſtillation mit Waſſer kein blauſäure⸗ haltiges Bittermandelöl mehr giebt; denn derjenige Körper, der zur Entſtehung dieſer flüchtigen Materien Veranlaſſung giebt, lößt ſich ohne Veränderung in Weingeiſt auf, er iſt aus der Kleie hinweggenommen worden. Die zerriebenen bitteren Man⸗ deln, einmal mit Waſſer befeuchtet, liefern kein Amygdalin mehr; es iſt gänzlich zerſetzt worden. In dem Samen von Sinapis alba und nigra giebt der Geruch keine flüchtigen Materien zu erkennen. Beim Auspreſſen erhält man daraus ein fettes Oel von mildem Geſchmack, in dem man keine Spur einer ſcharfen oder flüchtigen Subſtanz nachweiſen kann; wird der Samen zerrieben und mit Waſſer deſtillirt, ſo geht mit den Waſſerdämpfen ein flüchtiges Oel von großer Schärfe über; wenn er aber, vor der Berührung Gift, Contagien, Miasmen. 347 mit Waſſer, mit Alkohol behandelt wird, ſo erhält man aus dem Rückſtande kein flüchtiges Oel mehr; in dem Alkohol fin— det ſich eine kryſtalliniſche Materie, das Sinapin, und mehrere andere nicht ſcharfe Körper, durch deren Contact mit Waſſer und dem eiweißartigen Beſtandtheil des Samens das flüch— tige Oel gebildet wurde. Körper, welche die anorganiſche Chemie abſolut indifferent nennt, indem ſie keinen hervorſtechenden chemiſchen Character beſitzen, bringen, wie dieſe Beiſpiele ergeben, bei ihrem Con— tact mit einander eine gegenfeitige Zerſetzung hervor; ihre Be— ſtandtheile ordnen ſich auf eine eigenthümliche Weiſe zu neuen Verbindungen; ein complexes Atom zerfällt in zwei oder meh— rere minder complexe durch eine bloße Störung in der An— ziehung ſeiner Elemente. Ein gewiſſer Zuſtand in der Beſchaffenheit der weißen, dem geronnenen Eiweiß ähnlichen Beſtandtheile der Mandeln und des Senfs iſt eine Bedingung ihrer Wirkſamkeit auf Amygdalin und auf die Beſtandtheile des Senfs, woraus ſich das flüchtige ſcharfe Oel bildet. Werfen wir zerriebene und geſchälte ſüße Mandeln in ſiedendes Waſſer, behandeln wir ſie mit kochendem Weingeiſt oder mit Mineralſäuren, bringen wir ſie mit Queckſilberſalzen in Berührung, ſo wird ihr Vermögen, in dem Amygdalin eine Zerſetzung zu bewirken, völlig vernichtet. Das Synaptas iſt ein ſtickſtoffreicher Körper, welcher ſich, im Waſſer gelößt, nicht aufbewahren läßt; ſehr raſch trübt ſich die Auflöſung, ſetzt einen weißen Niederſchlag ab und nimmt einen Fäulnißge⸗ ruch an. Es iſt ausnehmend wahrſcheinlich, daß der eigenthümliche Zuſtand der Umſetzung der Beſtandtheile des im Waſſer ge— lößten Synaptas die Urſache der Zerſetzung des Amygdalins, 348 Gift, Contagien, Miasmen. der Bildung von neuen Producten iſt; ſeine Wirkung iſt der des Labs auf Zucker in dieſer Beziehung außerordentlich ähnlich. Das Gerſtenmalz, gekeimte Samen von Getreidearten überhaupt enthalten eine während des Keimungsproceſſes aus dem Kleber gebildete Subſtanz, die Diaſtaſe, welche mit Amylon und Waſſer bei einer gewiſſen Temperatur, ohne eine Aenderung in dem Amylon zu bewirken, nicht zuſammengebracht werden kann. Streuet man gemahlenes Gerſtenmalz auf warmen Stärke⸗ kleiſter, ſo wird er nach einigen Minuten flüſſig wie Waſſer; die Flüſſigkeit enthält jetzt eine dem Gummi in vielen Eigen- ſchaften ähnliche Subſtanz; bei etwas mehr Malz und länger dauernder Erhitzung nimmt die Flüſſigkeit einen ſüßen Ge⸗ ſchmack an, alle Stärke findet ſich in Traubenzucker verwandelt. Mit der Metamorphoſe der Stärke haben ſich aber die Beſtandtheile der Diaſtaſe ebenfalls zu neuen Verbindungen umgeſetzt. Die Verwandlung aller ſtärkemehlhaltigen Nahrungsmittel in Traubenzucker, welche in der zuckerigen Harnruhr (Diabetes mellitus) vor ſich geht, fett das Vorhandenſein einer Materie, eines Beſtandtheils oder der Beſtandtheile eines Organs vor— aus, die ſich im Zuſtande einer chemiſchen Action befinden, im Zuſtande einer Thätigkeit, der die Lebenskraft im kranken Organ keinen Widerſtand entgegenſetzt. Die Beſtandtheile des Organs müſſen gleichzeitig mit dem Stärkemehl eine fortdauernde Aenderung erleiden, je mehr wir von dem letztern zuführen, deſto ſtärker und intenſiver wird die Krankheit; füh- ren wir ausſchließlich nur ſolche Nahrungsſtoffe zu, welche durch die nemliche Urſache keine Metamorphoſe erleiden, ſtei— gern wir durch Reizmittel und kräftige Speiſen die Lebens— Gift, Contagien, Miasmen. 349 thätigkeit, ſo gelingt es zuletzt, die freie chemiſche Action zu überwältigen, d. h. die Krankheit zu heben. Die Verwandlung der Stärke in Zucker kann ebenfalls durch reinen Kleber, ſie kann bewirkt werden durch verdünnte Mineralſäuren. Ueberall ſieht man, daß in compleren organiſchen Atomen die mannigfaltigſten Umſetzungen, Zuſammenſetzungs- und Ei- genſchafts⸗-Aenderungen durch alle Urſachen, welche eine Stö— rung in der Anziehung ihrer Elemente veranlaſſen, bewirkt wer⸗ den können. Bringen wir feuchtes Kupfer in Luft, welche Kohlenſäure enthält, ſo wird durch den Contact mit dieſer Säure die Ver⸗ wandtſchaft des Metalls zu dem Sauerſtoff der Luft in dem Grade geſteigert, daß ſich beide mit einander verbinden, ſeine Oberfläche bedeckt ſich mit grünem kohlenſauren Kupferorid. Zwei Körper, welche die Fähigkeit haben, ſich zu verbinden, nehmen aber entgegengeſetzte Electricitäts-Zuſtände an, in dem Moment, wo ſie ſich berühren. Berühren wir das Kupfer mit Eifen, fo wird durch Er- regung eines beſondern Electricitäts - Zuftandes die Fähigkeit des Kupfers vernichtet, eine Verbindung mit dem Sauerſtoff einzugehen; es bleibt unter gleichen Bedingungen blank. Setzen wir ameiſenſaures Ammoniak einer Temperatur von 1800 aus, ſo wird die Stärke und Richtung der chemiſchen Anziehungen der Beſtandtheile dieſer Verbindung geändert, es werden die Bedingungen geändert, unter welchen Ameiſenſäure und Ammoniak die Fähigkeit erhielten, zu einem Körper mit den beſonderen Eigenſchaften zuſammen zu treten, welche das ameiſenſaure Ammoniak charakteriſiren; ſeine Elemente ordnen ſich bei 1800 in Folge der Störung durch die Wärme auf eine neue Weiſe, es entſteht Waſſer mit Blauſäure. 350 Gift, Contagien, Miasmen. Eine bloße mechaniſche Bewegung, Reibung und Stoß reichen hin, um die Beſtandtheile der fulminirenden Silber⸗ und Queckſilber-Verbindungen zu einer Umſetzung, zu einer neuen Ordnung zu bringen, um in einer Flüſſigkeit die Bil⸗ dung von neuen Verbindungen zu veranlaſſen. Aehnlich wie die Electricität und Wärme auf die Aeuße— rung der chemiſchen Verwandtſchaft einen beſtimmbaren Einfluß äußern, ähnlich wie ſich die Anziehungen, welche Materien zu einander haben, zahlloſen Urſachen unterordnen, die den Zu— ſtand dieſer Materien, die die Richtung ihrer Anziehungen än— dern, auf eine ähnliche Weiſe iſt die Aeußerung der chemiſchen Thätigkeiten in dem lebenden Organismus abhängig von der Lebenskraft. Die Fähigkeit der Elemente, zu den eigenthümlichen Ver⸗ bindungen zuſammenzutreten, welche in Pflanzen und Thieren erzeugt werden, dieſe Fähigkeit war chemiſche Verwandtſchaft, aber die Urſache, welche ſie hinderte, ſich nach dem Grade der Anziehung, die ſie unter anderen Bedingungen zu einander ha⸗ ben, mit einander ſich zu vereinigen; die Urſache alſo, die ihre eigenthümliche Ordnung und Form in dem Körper be⸗ dingte, dieß war die Lebenskraft. Nach der Hinwegnahme, mit dem Aufhören der Bedingung ihrer Entſtehung, der Urſache, die ihr Zuſammentreten beherrſchte, mit dem Verlöſchen der Lebensthätigkeit behaupten die meiſten organiſchen Atome ihren Zuſtand, ihre Form und Beſchaffen— heit nur in Folge des Beharrungsvermögens; ein großes um— faſſendes Naturgeſetz beweift, daß die Materie in ſich ſelbſt keine Selbſtthätigkeit beſitzt; ein in Bewegung geſetzter Körper verliert ſeine Bewegung nur durch einen Widerſtand; es muß auf jeden ruhenden Körper eine äußere Urſache einwirken, wenn er ſich bewegen, wenn er irgend eine Thätigkeit darbieten ſoll. Gift, Contagien, Miasmen. 351 In den compleren organiſchen Atomen, in Verbindungen fo zuſammengeſetzter Art, deren Bildung auf gewöhnliche Weiſe ſich zahlloſe Urſachen entgegenſetzen, bei dieſen veranlaſſen ge— rade dieſe zahlloſen Urſachen eine Veränderung und Zerſetzung, wenn ſich ihrer Wirkungsweiſe die Lebenskraft nicht mehr ent— gegenſetzt. Berührung mit der Luft, die ſchwächſte chemiſche Action bewirken eine Veränderung; ein jeder Körper, deſſen Theile ſich im Zuſtande der Bewegung, der Umſetzung befinden, die Berührung damit reicht in vielen Fällen ſchon hin, um den Zuſtand der Ruhe, das ſtatiſche Moment der Anziehung ihrer Beſtandtheile aufzuheben. Ein unmittelbare Folge davon iſt, daß ſie ſich nach dem verſchiedenen Grade ihrer Anziehung ordnen, d. h. es entſtehen neue Verbindungen, in welchen die chemiſche Kraft vorherrſcht, in welcher ſie ſich jeder weitern Störung durch die nemliche Urſache entgegenſetzt, neue Pro— ducte, in welchen die Beſtandtheile, in einer andern Ordnung vereinigt, der einwirkenden Thätigkeit eine Grenze, oder, unter gegebenen Bedingungen, einen unüberwindlichen Widerſtand entgegenſetzen. rap R a * A 2 Bu ir, 8 E72 BER abe IB IE aa: PL AR 4 t ne erg F ed e EZ ae)