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Die Philoſophie Herakleitos des Dunklen

von Epheſos.

Nach einer neuen Sammlung ſeiner Bruchſtücke und der Zeugniſſe der Alten dargeſtellt

von

Ferdinand Laſſalle.

1 8 2 > C & » Bei Heraklit -K zuerſt die philoſophiſche Idee in ihrer j lativen Form anzutreffen. Hier ſehen wir dap; es iſt kein Satz des Heraklit, den 15 nicht in meine Logik aufgenommen. Hegel. Nichtsdeſtoweniger verdiente Herakleitos, wenn, wie den Dichtern, alſo den Weltweiſen einer beſtimmt wäre, den Preis des Lorbeers. Boeckh.

Erſter Band.

Berlin.

Verlag von Franz Duncker.

W. Beſſer's Verlagshandlung.

1858.

PS 18 .

Vorwort.

MT, dem Werke einem Reſultate vieljähriger Arbeit welches nachſtehend der Verfaſſer dem Publikum übergiebt, hat ſich das hora— ziſche nonum prematur in annum, wenn auch nicht durch die Abſicht und den Willen des Verfaſſers, überreichlich erfüllt. Es war daſſelbe bereits Anfang 1846 bis auf einen geringen Theil fertig ausgearbeitet, und eben wollte ich die Hand an die Beendigung deſſelben legen, als mich damals plötzlich ein Intereſſe anderer Art denn in jeder Hin— ſicht bleibt das Wort des Sophokles wahr:

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Howrov d,,mè;eονν Y in ein Meer praktiſcher Kämpfe ſtürzte und faſt zehn Jahre hin— durch hinderte, mich der Vollendung dieſes Werkes zu unterziehen. Kaum ſah ich mich jedoch der Möglichkeit theoretiſcher Muße wieder— gegeben, als ich nach kurzer Erholung im Winter 1855 an die Re— viſion und Beendigung deſſelben ging.

Soviel über die Entſtehungsgeſchichte des Buchs. Es ſei uns jetzt geſtattet, von dem Rechte Gebrauch machend, welches ſich Autoren ja in der Regel in dem Vorworte beizulegen pflegen und deſſen wir vielleicht bei der Natur unſeres Gegenftandes mehr als Andere bedürftig find, Etwas über Zweck und Standpunkt unſerer Arbeit zu ſagen, ſowie zuvörderſt auf einige mit derſelben verbundene Uebelſtände aufmerkſam zu machen, die, falls es nicht gelungen ſein ſollte, ſie befriedigend zu umgehen,

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vermöge ihrer in der Sache ſelbſt wurzelnden nothwendigen Natur ein gewiſſes Anrecht auf milde Beurtheilung haben dürften.

Wie ſehr eine neue, gründliche und eingehende Unterſuchung der Philoſophie des Herakleitos Noth that, darüber kann kein Streit ſein; dies iſt vielmehr in letzter Zeit von verſchiedenen Seiten her übereinſtim— mend anerkannt worden. Die Geſchichte der griechiſchen Philoſophie kennt keinen Denker, um deſſen Haupt ſpeculativer Tiefſinn und alter Ruf mit Recht einen größeren „Strahlenſchein“ gewoben hätten, und der den— noch eigentlich weniger unterſucht worden wäre, als Herakleitos. Wäh— rend die Philoſophie der Pythagoräer eine voluminöſe Literatur auf— zuweiſen hat, hat die, wie wir zu zeigen gedenken, eine ganz andere Gedanken-Ausbeute gewährende Philoſophie des Epheſiers nur ſehr wenige Bearbeiter gefunden. Es verhält ſich mit Herakleitos in der That ſo, daß er viel gelobt und wenig erforſcht worden iſt. Bei der letzten und trotz ihrer großen Verdienſte doch im Vergleich zu den Reſultaten, die fie zu gewinnen übrig ließ, nicht nur dürftigen, ſondern beſonders auch in ſo vielen und gerade den wichtigſten Punkten weſentlich irrigen Darſtellung der heraklitiſchen Philoſophie durch Schleiermacher ſchien man es bewenden laſſen zu wollen. Mit Recht ſagt Bernays im Rhein. Muſeum Jahrg. VII. 1850: „Aber auch dieſe Hochachtung für den alten Weiſen, welche ſich faſt bei jeder neuen Be— handlung altgriechiſcher Philoſophie ſteigerte, vermochte nicht zu friſcher, weiter fördernder Arbeit anzuregen“. (Und gerade der Punkt, den Bernays als den einzigen hervorhebt, in Bezug auf den man ſeit Schleiermacher über dieſen hinausgegangen die reale Erzbpwors dürfte ſich als ein gründlicher Irrthum ergeben.) Der Grund hiervon mochte einestheils darin liegen, daß für Heraklit, gerade wegen der ab— geſchloſſenen Conſequenz und Einheit ſeines Syſtems, ſchlechterdings nur auf dem Wege mühevoll-monographiſcher Unterſuchung und Darſtellung ſeines geſammten Syſtems Reſultate von einiger Erheblichkeit zu gewinnen waren, und zu einer ſolchen mehr Muße erforderlich, als anderen mit anderen Arbeiten Beſchäftigten gegönnt war; anderentheils darin, daß die ſo großen Schwierigkeiten der Sache vielleicht hin und wieder ſelbſt

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abſchreckend wirken mochten. Denn freilich liegen dieſe bei keinem der vorplatoniſchen Philoſophen auch nur entfernt in demſelben Grade vor, wie bei Herakleitos. Schon das Alterthum ſelbſt vindicirte ihm den Beinamen des „Dunklen“, und bekannt iſt die von Sokrates erzählte Anekdote, trefflich ſei, was er aus dem Werke des Epheſiers verſtanden, und ſo glaube er auch, daß gleich trefflich ſein werde, was er nicht verſtanden; aber es bedürfe eines deliſchen Schwimmers, um ſich durch das Buch hindurchzuarbeiten. Ja ſelbſt platoniſche Stellen ſind vor— handen, in welchen dieſer Meiſter der griechiſchen und genaue Kenner der heraklitiſchen Philoſophie auf die Räthſelhaftigkeit derſelben hinweiſt. War dieſe ſo groß in einer Zeit, wo die Schrift des Epheſiers noch in Aller Händen war, war ſie ſogar für einen Plato, der, wie erzählt wird, in ſeiner Jugend ſelbſt Heraklitiker war, bemerklich genug, um von ihm als eine charakteriſtiſche Eigenſchaft derſelben hervorgehoben zu werden wie ſollte man ſich heut, wo dieſe Schrift untergegangen und nur kurze Bruchſtücke derſelben auf uns gekommen ſind ſo leicht der Hoffnung hingeben, dieſe Dunkelheit in Helle zu verwandeln?

Trat man an dieſe Bruchſtücke ſelbſt heran, ſo fühlte man ſich ſofort mächtig ergriffen durch den ſeltſamen und tief gedankenvollen Ton, der faſt aus jedem derſelben dem Forſcher entgegenwehte, aber eben— ſoſehr durch die Schwierigkeit dieſer, wie es ſcheinen mußte, viel— deutigen ſpeculativen Sentenzen zu den Angaben der Berichterſtatter, als zu einem Leitfaden des Verſtändniſſes, zurückgeworfen. Hier aber mußte man faſt fürchten, in einem Meer des Irrthums ſich zu ver— lieren. Denn von welchen offenbaren Widerſprüchen und Unrichtigkeiten wimmelten nicht dieſe Angaben ſelbſt bei den beſſeren Quellen unter den Alten! Es konnte keinem Zweifel unterliegen, daß das Mißverſtändniß heraklitiſcher Philoſophie nicht viel jünger war, als ſie ſelbſt. Und ſtand dies ſo welche Gewähr, von den ſcheinbar mehr zuſagenden Berichten nicht vielleicht umſomehr irre geführt zu werden! Welche Gewähr, nicht den weſentlichſten Täuſchungen zu unterliegen, zumal die Einen von jenen Schriftſtellern, welche am meiſten ein tieferes Studium des Epheſiers ver— riethen die Neuplatoniker mit jeder Art von Unglauben zu belaſten

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Mode geworden war, während bei den Anderen, denen man eher geneigt ge— weſen wäre, Glauben zu ſchenken den Stoikern und den aus ihnen ſchö— pfenden Berichterſtattern offenbar mit den heraklitiſchen Begriffen und Lehren eine Alteration vorgegangen war, von welcher, wenn man auch viel— leicht weit entfernt war, ſie in ihrer wahren Natur und Beſchaffenheit zu erfaſſen, doch die allgemeine Thatſache ihres Eingetretenſeins nicht überſehen werden konnte. Und ſchon die abſtracte Terminologie, in welcher in Allem, was ſtoiſchen Quellen entfloſſen iſt, die heraklitiſchen Philoſopheme auf— treten, mußte daran verzweifeln laſſen, in ihnen einen ſichern Compaß zu gewinnen zur Erkenntniß einer Philoſophie, bei welcher in Folge ihrer inneren Eigenthümlichkeit mehr als bei jeder andern auf den Ausdruck ſelbſt und ſeine ſprachliche Wurzel zum Verſtändniß ihrer Begriffe ankömmt; einer Philoſophie, welche vielleicht in höherem Grade als die meiſten an der Erfüllung jenes allgemeinen Geſetzes der Sprach— Entwicklung mitgearbeitet hat, die urſprünglich ſinnliche Bedeutung der Wortwurzeln in begriffliche Beſtimmungen überzuführen; einer Philo— ſophie, welche aber eben deshalb bei ihren Begriffsbeſtimmungen die eigenthümliche Mittelſtellung einnimmt, daß ihr die urſprünglich ſinn— liche Bedeutung des Wortes noch ebenſo weſentlich iſt, als die von ihr ſelbſt mit ihm vorgenommene und nur mit Hülfe jener Primär— bedeutung wahrhaft erkennbare Verarbeitung deſſelben zum geiſtigen Begriff. Schienen endlich doch ſelbſt jene Gewährsmänner, welche mit Recht für alle ältere griechiſche Philoſophie als Muſterzeugen und gleichſam als kanoniſche Quellen gelten müſſen, ſchienen doch ſelbſt bis jetzt Plato und Ariſtoteles in Widerſtreit mit einander in Bezug auf einen ſo hauptſächlichen und das geſammte Syſtem der heraklitiſchen Naturlehre bedingenden Punkt, wie die Errdowors zu ſein. War dies aber der Fall, und Ariſtoteles mußte noch andere Vorwürfe hin— nehmen wo ſollte da noch Rath gehofft und erholt werden!

Es liegt auf der Hand, daß jo große Schwierigkeiten, wenn überhaupt, ſo nur dadurch überwunden werden konnten, daß mit der emſigſten monographiſchen Sorgfalt alles über Heraklit vorhandene Material und die Schleiermacher'ſche Darſtellung hatte noch eine

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ſehr reichliche Ausbeute deſſelben zu gewinnen übrig gelaſſen hervor- geſucht und jedem einzelnen Fragment und Bericht die reciproque Aufgabe geſtellt wurde, ſich an der Totalität des vorhandenen Stoffs zu bewähren oder zu erläutern.

So kam es denn, daß obwohl von den Größeſten unſerer Phi— lologen und Philoſophen, von Männern wie Wyttenbach, Boeckh und Creuzer, Hegel und Schelling mit ſichtlicher Vorliebe ausgezeichnet und hin und wieder auch mit einzelnen fruchtbaren Andeutungen be— ſprochen, Herakleitos dennoch im Ganzen bis auf den heutigen Tag, und zwar in einer Weiſe, für welche die Geſchichte weder der vor— noch der nachplatoniſchen Philoſophie irgend eine Parallele liefert ein Buch mit ſieben Siegeln für uns geblieben iſt! So kam es, daß man nicht nur die weſentlichſten Theile ſeiner Philoſophie ganz über— ſehen, die wahre Tiefe ſeines Logosbegriffes, die Bedeutung feiner - unſichtbaren Harmonie, ſein Verhältniß zum religiöſen Geiſte, die wirkliche Natur ſeines Elementarproceſſes und ſeiner principiellen Be— wegung, ſowie ſein genetiſches Verhältniß zu Plato verkannt und die Stellung, welche er in den platoniſchen Dialogen einnimmt (— welches Beides wir nach den im ontologiſchen und phyſiſchen Theile gegebenen Grundlagen zuletzt in der Lehre vom Erkennen zur Schlußentwickelung gebracht haben —) nebſt ſo vielem Anderen nicht richtig gewürdigt und daher in nothwendiger Folge von allem dieſen auch die wahre Be— deutung Heraklits und ſeine wirkliche Stellung und Einwirkung in der Geſchichte ds Gedankens nicht erfaßt hat, ſondern daß man ſelbſt in Bezug auf den eigentlich phyſiſchen Theil ſeiner Philoſophie, mit welchem man ſich bisher faſt ausſchließlich zu ſchaffen machte, gerade den weſentlichſten Inhalt derſelben, die Function ſeiner Sonne und ſeine wahre, mit ſo grandioſer Conſequenz von ihm durchgeführte ſyſtematiſche Kosmologie, nicht einmal geahnt hat.

Im Allgemeinen machte man auch, ſo ſchwer derartige Geſtänd— niſſe zu fallen pflegen, gerade Seitens der größten Gelehrten kein Hehl daraus, daß die Philoſophie des Epheſiers immer noch faſt eine terra incognita geblieben war, und mit der größten Unſicherheit bewegte

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man ſich gerade von competenteſter Seite, wenn es darauf an— kam, über heraklitiſche Sätze ein Urtheil zu fällen. „Kein Wunder ruft Boeckh bei dem Anlaß der Interpretation einer heraklitiſchen Stelle aus daß uns dieſer Satz beinahe unverſtändlich iſt; wer wollte es anders erwarten von dem, welchem ſchon das Alterthum den Beinamen des Dunklen gegeben hat und welcher mehr errathen, geahndet, als erklärt werden wollte?“ Und ebenſowenig wurde hierin durch das Erſcheinen des Schleiermacher'ſchen Werkes eine Aenderung hervorgerufen. Lange nach demſelben geſteht nicht nur Gottfried Herrmann bei Gelegenheit einer von ihm über ein anderes Bruchſtück aufgeſtellten Conjectur: .. Nisi fallor nam perdifficile est de Heracliteis certi quid pronuntiare etc.“, ſondern ſelbſt ein ſo großartiger und geiſtvoller Gelehrter, wie Creuzer, welcher dem Epheſier gerade ein ſo ſpecielles Studium gewidmet hatte, ihn ſo häufig gelegentlich beſpricht und ſogar einſt eine Herausgabe ſeiner Fragmente verſprochen hatte, ruft aus, als er in ſeiner Anzeige der „Schriften chriſtlicher Philoſophen über die Seele“ (Heidelberger Jahr— bücher der Literatur, 1838, Nr. 16. u. 17.) auf Herakleitos zu ſprechen kommt: „Bei dieſem tiefen Denker iſt man jedesmal in Ver— legenheit, ſeine wahre Meinung auszumitteln!“

Wir haben uns geſtattet, die großen Schwierigkeiten unſerer Auf— gabe deshalb hervorzuheben, weil ſich aus denſelben ein erſter und faſt nothwendiger Uebelſtand für die Form unſerer Darſtellung ergiebt, für welchen wir die Indulgenz des Leſers in Anſpruch zu nehmen wünſchen.

Es wird nämlich nach dem Geſagten von ſelbſt erhellen, daß ein Werk, welches nun dennoch darauf ausging, dem Epheſier den lange genug behaupteten Titel des „Dunklen“ zu entreißen, ſich nur zu häufig in der Gefahr befinden mußte, zwiſchen einem Zuwenig und Zu— viel im Erklären wie im Beweiſen die rechte Mitte zu verfehlen. Wir geſtehen, daß wir uns, wo uns ſolche Gefahr zum Bewußtſein kam und eine Wahl geboten ſchien, mindeſtens wenn es ſich um Fundamentalpunkte handelte, meiſt eher für das Zuviel als die

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levior eulpa entſchieden haben; hauptſächlich deswegen, weil hierdurch nur ein Tadel für den Darſteller veranlaßt werden kann, das ent— gegengeſetzte Verfahren aber Unklarheit und Ungewißheit und ſomit Nachtheil für die Sache nach ſich ziehen konnte.

Aus dem Grundſatz, für das Verſtändniß und die Beurtheilung jedes Einzelnen die Totalität des heraklitiſchen Stoffes als Prüfungs— Maaßſtab aufzuſtellen, mußte ſich, wenn die Rudera dieſes Verfahrens auch der Hauptſache nach im Laboratorium zurückzubleiben hatten, doch ſelbſt für das fertige Product noch eine Menge von Hin- und be— ſonders Rückverweiſungen auf früher Erörtertes ergeben, welche die Darſtellung hin und wieder vielleicht breit und ungefällig machen können, welche aber der Verfaſſer für ſo nothwendig erachtet, daß er trotz der großen Mühe, mit welcher dieſe Rückbeziehungen verbunden waren, ſie noch bedeutend hätte vermehren müſſen, wenn er ſich nicht ent— ſchloſſen hätte, ſie durch einen nicht ohne Sorgfalt gearbeiteten Index zu ergänzen.

Ein anderer für unſeren Philoſophen eigenthümlicher Umſtand trat noch hinzu, die Schwierigkeit der Darſtellungsform zu vergrößern. Es wird im Verlaufe des Werkes ſelbſt ſeinen Nachweis finden, wie die Philoſophie des Epheſiers zum erſtennal wahrhaft Syſtem iſt, inſofern nämlich ihr principieller Gedanke ebenſoſehr Grundlage der Ontologie und Theologie, der Ethik und des Erkennens, als der Phyſik iſt und von Herakleitos auch mehr oder weniger nach allen dieſen Gebieten hin ausgeführt worden iſt. Es wird aber daſelbſt zu— gleich ſeine Auseinanderſetzung empfangen, wie und vermöge welcher inneren Nothwendigkeit dieſe verſchiedenen Adern des Geiſtes bei Hera— klit zwar bereits alle vorhanden ſind, ihm aber noch ungeſondert in das Eine und göttliche Leben ſeines Begriffs durcheinanderfließen. Für uns entſtand hieraus die Pflicht, ſeine Philoſophie immer feſt— haltend, daß in ihr ſelbſt nicht einmal die begrifflichen Unterſchiede dieſer Gebiete zur ſyſtematiſchen Anerkennung gekommen waren in die vier Abſchnitte der Ontologie, der Phyſik, der Lehre vom Er— kennen und der Ethik zu zerlegen.

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Hieraus ergiebt ſich aber von ſelbſt, daß die Sonderung der Fragmente und Berichte nach dieſen Abtheilungen von einer nicht ge— ringen Mißlichkeit ſein mußte, und nicht immer zu vermeiden war, daß Bruchſtücke oder Zeugniſſe, welche ebenſoſehr für die ontologiſchen wie phyſiſchen, oder für die phyſiſchen wie ethiſchen Anſchauungen Heraklits von Wichtigkeit ſind, eben deshalb wiederholt aufgeführt werden mußten, um jedesmal nach der gerade in Rede ſtehenden Seite betrachtet und ausgebeutet zu werden.

Combinirt man den letzterwähnten Umſtand mit dem früher Her— vorgehobenen und erwägt, wie häufig der Fall eintreten konnte, daß einerſeits Bruchſtücke und Berichte, welche zum Behufe eines be— ſtimmten Beweiſes an einem gegebenen Ort zu allegiren waren, das tiefere und ganze Verſtändniß ihres Inhalts erſt ſucceſſive nach der Entwickelung weiterer heraklitiſcher Ideenreihen und durch die Zu— ſammenhaltung mit andern Bruchſtücken und Ergebniſſen finden konnten, wie mißlich aber und ſtrengerer Forſchung unangemeſſen es andrerſeits iſt, Reſultate, ſtatt ſie von ſelbſt entſtehen zu laſſen, aſſertoriſch vor— auszunehmen, ſo wird ſich hieraus die Nothwendigkeit einer andern Erſcheinung erklären. Es wird ſich nämlich erklären, warum Frag— mente und Zeugniſſe angeführt, ſcheinbar vollſtändig interpretirt und fallen gelaſſen, ſpäter aber, nachdem die erforderliche Grundlage ge— wonnen war, von Neuem wieder aufgenommen und nach ihrem con— creteren Inhalte entwickelt werden mußten, und ſo nur mählich die ganze Tiefe ihrer Bedeutung aufrollen konnten. Die Betrachtung einiger Fragmente, z. B. derjenigen von dem Einen Weiſen, dem Namen des Zeus, von der unſichtbaren Harmonie, die Entwickelung des Logosbegriffs ꝛc. ziehen ſich eigentlich durch die geſammte Dar— ſtellung hindurch und erlangen erſt in den SS 34 38. ihren Ab— ſchluß.

Endlich haben wir noch zu bemerken, daß wenn wir faſt immer Bruchſtücken wie Berichten unſere Ueberſetzung hinzufügten, dies nicht ſowohl deshalb geſchah, um hierdurch das Werk auch Solchen zu— gänglich zu machen, welche der Urſprache nicht hinreichend mächtig

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find, ſondern vielmehr hauptſächlich deshalb, weil uns die dadurch bedingte Schärfe und Klarheit der wiſſenſchaftlichen, gedankenmäßigen Auffaſſung von einem nicht geringen Vortheil für die Sache ſelbſt ſchien. Mindeſtens glauben wir im Stande zu ſein, gar manche Irr— thümer zu bezeichnen, welche ſchwerlich hätten entſtehen und Geltung gewinnen können, wenn man ſich immer dieſes Verfahren zum Grund— ſatz gemacht hätte.

Ein polemiſcheres Ausſehen vielleicht, als wir ſelbſt wünſchten, hat die Darſtellung hin und wieder dadurch erhalten, daß wir uns oft genöthigt ſahen, entgegenſtehende Anſichten und Auffaſſungen der bisherigen Bearbeiter des Epheſiers anzuführen und mehr oder weniger umſtändlich zu widerlegen. Denn gerade Männern von an— erkannter Autorität, wie Schleiermacher, Brandis, Ritter ꝛc. gegen— über, haben wir dies bei den wichtigeren Punkten für eine Pflicht der Beſcheidenheit gehalten. Wo dagegen Mißverſtändniſſe und irrige An— ſichten weder durch plauſible Gründe, noch das Gewicht eines ſolchen Namens unterſtützt waren, ſchien es uns geſtattet, ſie ſchweigend zu übergehen.

Dies war es, was wir uns für verpflichtet gehalten, als Rechen— ſchaftsablage über die Form unſerer Darſtellung zu ſagen.

Jetzt einige Worte über Zweck und Standpunkt des Werkes.

Schleiermacher äußert im Eingange feiner Darſtellung (p. 321): „Wer auf dieſe Weiſe aus bekden, Zeugniſſen und Bruchſtücken, einen Kranz geſchickt und bedeutſam zu flechten wüßte, ohne eine hinein— gehörige Blume liegen zu laſſen, von dem würden wir glauben müſſen, daß er uns Wahres lehre, und alles Wahre, was wir noch wiſſen können von der Weisheit des Epheſiers“. Wenn Schleiermacher in dieſen Worten an den Tag zu legen ſcheint, daß er ſelbſt ſich dieſes Ziel kaum geſteckt habe, ſo müſſen wir nicht nur geſtehen, daß wir demſelben allerdings nachgeſtrebt haben, ſondern daß ſelbſt dies Ziel uns doch nur als ein nebenſächliches, als überall nur Mittel zum Zweck gegolten hat. Unſere eigentliche Aufgabe wir müſſen es

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bekennen, auf die Gefahr hin, dadurch einen ſtrengen Maaßſtab der Beurtheilung hervorzurufen lag höher hinaus.

Die Geſchichte der Philoſophie hat aufgehört, für eine Sammlung von Curioſis, für eine Zuſammenſtellung von willkürlichen oder zu— fälligen Anſichten zu gelten. Auch der Gedanke iſt erſt ein hiſtori— ſches Product; die Geſchichte der Philoſophie die Darſtellung ſeiner in ſtetiger und nothwendiger Continuität ſich vollziehenden Selbſt— entwickelung.

Einen Beitrag zu dieſer Entwickelungsgeſchichte des welthiſtoriſchen Gedankens zu liefern, die eingreifende weltgeſchichtliche Stellung, welche Herakleitos in dieſem geſetzmäßigen Proceſſe einnimmt, ſeine Entſtehung wie ſeine Fortwirkung in demſelben, wenn auch ſelbſt nur in Umriſſen, klar zu legen das war der Hauptzweck, dem wir nacheiferten, die Meta, die wir uns wie ein immer nur von mäßiger Ferne aus zu erreichendes Ziel ſteckten, und der wir zuerſt in all— gemeinen, dann in immer genauer eingehenden, wenn auch oft kurzen Andeutungen uns zu nähern ſuchten; ein Zweck, der ſelbſt wieder die weiteren Theile der Aufgabe beſtimmte, die wir uns ſetzen mußten. „Offenbar ſagt ein geiſtvoller moderner Gelehrter geht die deutſche Wiſſenſchaft ſeit Winkelmann, Herder und Kant bewußt und unbewußt auf eine weltgeſchichtliche Betrachtung und Erkenntniß der göttlichen und menſchlichen Dinge hin, und ſucht dieſe durch die Vereinigung der Philologie, Hiſtorie und Philoſoßhie zu bewerkſtelligen, deren Trennung in den letzten zweihundert Jahren die Quelle endloſer Miß— verſtändniſſe und Verwirrungen geweſen iſt.“ Unſern beſcheidenen Antheil zu dieſer Vereinigung, zu dieſem 8s Yanos der modernen Wiſſenſchaft beizutragen, mußte alſo ein Zweck ſein, den wir uns zu ſtellen hatten.

In der That wird die Geſchichte des philoſophiſchen Gedankens nicht weniger wie jeder andere Abſchnitt des hiſtoriſchen Geiſtes an dieſer Vereinigung zu participiren haben. Und die Zeit wird kommen, wo die Geſchichte der Philoſophie ebenſowenig wie diejenige der Re— ligion, der Kunſt, des Staats oder der Lebensformen der bürgerlichen

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Geſellſchaft als eine iſolirte Disciplin für ſich geſchrieben, ſondern alle in ihrer concreten Wechſelwirkung in dem Pantheon des hiſto— riſchen Geiſtes und ſo erſt in ihrer lebendigen Entſtehung und Einheit werden aufgefaßt und dargeſtellt werden. Wenn aber die Geſchichte der Philoſophie wie alle geſchichtliche Entwickelung von innern und nothwendigen Geſetzen beherrſcht wird, ſo wird, wenn irgendwo, ſo gewiß in ihr, dieſer Geſchichte des Erkennens, das Ge— ſetz der Entwickelung des Erkennens mit dem Geſetze der Er— fenntniß ſelbſt zuſammenfallen müſſen.

In dem vorher Geſagten iſt aber bereits noch ein Anderes ent— halten. Dies nämlich, daß die Geſchichte der Philoſophie als des wiſſenſchaftlichen, ſich begreifenden Gedankens nicht nur eine Continuität für ſich iſt in dem aparten Himmel des ideologiſchen Bewußtſeins, ſondern dieſe Kontinuität ſelbſt ſich erſt vermittelt durch die gedoppelte Stellung, welche die Philoſophie zu dem populären, vorſtellenden Bewußtſein und den von ihm ausgefüllten Kreiſen der Wirklichkeit einnimmt. Dieſe Stellung iſt die gedoppelte, daß die Philoſophie in dieſem vorſtellenden Bewußtſein die Baſis hat, aus welcher ſie ſich ablöſt und entwickelt, und daß ſie ebenſo ihrerſeits ſelbſt wieder zum Inhalt des gewöhnlichen vorſtellenden Bewußtſeins und der ihm angehörigen Wirklichkeit niederſchlägt, ein Zuſammenhang, den wir nach beiden Seiten hin mindeſtens anzudeuten hatten. Die erſtere Seite dieſes Zuſammenhanges iſt es, welche vorzüglich ſchon lange die Nothwendigkeit fühlbar machte, die Philoſophie wenigſtens nicht von der Religionsgeſchichte in gänzlicher Trennung zu behandeln, eine Nothwendigkeit, welche ſich in letzter Zeit immer mehr und mehr Gel— tung verſchafft hat. Dieſe Seite nöthigte auch uns, auf die Unter— ſuchung des Verhältuiſſes Heraklits zu den orientaliſchen Religionen einzugehen. Mindeſteus was unſern Philoſophen betrifft, ganz ab— geneigt der Art dieſes Zuſammenhangs, welche man wieder neuerdings von verſchiedenen Seiten her hat annehmen wollen, hatte ſich uns vielmehr von jeher eine eigenthümliche Anficht über das Verhältniß Heraklits zu den verſchiedenen Religionskreiſen ergeben, eine Anſicht,

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welche wir in dem Werke näher entwickelt haben. Zwar läugnen wir nicht, wie begründet an ſich der warnende Ausruf iſt, den Bernays im Rhein. Muſ. VII. 93. in dieſer Hinſicht ergehen läßt: „Mag im— merhin wer Luſt und Kraft dazu fühlt, ſchon jetzt es unternehmen, die Frage, „„ob irgend perſiſche Weisheit einigen Einfluß auf die Bildung der Lehre des Epheſiers gehabt““ mit dieſen Worten giebt ſie Schleiermacher (S. 532) der Erledigung ſpäterer Bearbeiter an— heim bejahend zu entſcheiden durch deutliches Aufzeigen der innern Verwandtſchaft beider Lehren“. Und wenn dieſe Warnung auf unſere mangelhafte Kenntniß des Parſismus aufmerkſam machen ſoll, jo kann fie gewiß mindeſtens ebenſoſehr in Bezug auf ägyptiſche Religion gelten. Nichtsdeſtoweniger haben wir geglaubt, daß dasjenige Verhältniß Hera— klits zu den religiöſen Kreiſen, welches wir im Eingange der Dar— ſtellung vorläufig auseinandergeſetzt und in Bezug auf Perſiſches in dem § 16. (vgl. § 35.), in Bezug auf Orphiſches und Aegyptiſches aber fortlaufend in dem ganzen Werke zu belegen geſucht haben, ſchon bei unſerer gegenwärtigen Kenntniß jeuer Religionslehren zur Gewißheit zu bringen ſei. Wir hätten ſelbſt dieſe Parallelen bedeutend vermehren können, wir geben andrerſeits ebenſogern einzelne dieſer Parallelen Preis. Worauf es uns faſt allein dabei ankam und was wir in der That nachgewieſen zu haben hoffen, iſt jenes allgemeine Verhältniß ſelbſt, welches wir ſeines Orts entwickelt haben.

Ebenſo mußte andrerſeits der Zuſammenhang und das Fort— wirken Heraklits in der Geſchichte der Philoſophie, beſonders in Bezug auf Plato und die Stoiker auf Erörterungen führen, welche ohne eine neue und eingehende, wenn auch nur theilweiſe Unterſuchung dieſer ſelbſt nicht möglich waren.

In Bezug auf die Stoa mußte aber auch häufig umſomehr auf die Betrachtung von Einzelheiten eingegangen werden, als der oben be— rührte Niederſchlag des philoſophiſchen Gedankens zum Inhalt des gewöhnlichen vorſtellenden Bewußtſeins ſich häufig ſchon innerhalb der Philoſophie ſelbſt durch das Medium einer unſpeculativen und re— flectirenden und hierdurch dem populären Bewußtſein naheſtehenden

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Richtung zu vermitteln anfängt, und es nicht wird geläugnet werden können, wie häufig ſich die Stoiker in einem ſolchen Verhältniß zu den heraklitiſchen Begriffen befinden.

Die Wahrnehmung aller dieſer dargelegten Geſichtspunkte hat veranlaßt, daß wir trotz der uns aufgelegten möglichſten Beſchränkung, der Darſtellung Heraklits einen Raum widmen mußten, wie er bisher bei Behandlung der älteren Philoſophen ohne Vorgang iſt. Wer aber verdiente ihn mehr als Herakleitos, der, ſelbſt abgeſehen von ſeiner philoſophiſchen Bedeutung im engeren Sinne, durch die unvergleichliche Genialität feines Geiſtes anticipando Erkenntniſſe aus— ſprach, welche es der Phyſiologie im modernen Sinne des Wortes um ſo viel ſpäter erſt zu beſtätigen gegeben war!

Endlich iſt hier der Ort, meinen anerkennendſten Dank dem Cu—

ratorium der Kgl. Univerſitätsbibliothek zu Bonn und insbeſondere noch dem Oberbibliothekar derſelben, Herrn Prof. Dr. Ritſchl, aus— zuſprechen für die ſo liberale und hülfreiche Art, in welcher mir die— ſelben die Benutzung der dortigen Bibliothek nach Düſſeldorf, meinem Wohnorte hin, geſtattet haben. Und ſo ſchließen wir denn, zu der Darſtellung ſelbſt übergehend, dieſe Vorbemerkungen mit dem Ausrufe Boeckh's: „Wer hat in jener Zeit, entblößt von aller Erfahrung die mannigfaltige ſtets ſich wan— delnde Welt der Erſcheinungen mit tieferem, großherzigerem Geiſte aufgefaßt, wer in ſinnvolleren Sprüchen ausgelegt als Hera— kleitos!“

Ob es wirklich gelungen,

„Mißverſtandenes Wort, deutend nach älteſtem Sinn“ wiederzugeben, das werden Andere zu beurtheilen haben. Daß wir jedenfalls keine reelle Arbeit und Mühe zu dieſem Zwecke geſcheut haben, ſo viel wird ſich, glauben wir, jedem Sachkenner von ſelbſt aufdrängen.

Berlin, im Auguſt 1857.

Der Verkaſſer.

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Inhalt des erſten Bandes.

Allgemeiner Theil.

Einleitung.

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Erſtes Capitel. Literatur. Quellen. Blick auf Schleiermachers Werk und S N N N ee Zweites Capitel. Vorläufige Erörterung über den Zuſammenhang He— raklits mit orphiſchen und orientaliſchen Religionslehren. Seine Darſtellungsweiſe und Form. Sein philoſophiſcher Standpunkt und kurze Skizzirung des Verhältniſſes deſſelben zu ſeinen Vor— gängern. J ͤ 0 Eee Be I EN Ve Drittes Kapitel. Kurze begriffliche Entwicklung des heraklitiſchen Sy— ee e,, STE NN 12:17)

Hiſtoriſcher Theil. Fragmente und Zeugniſſe.

I. Ontologie.

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Seele und Leib. Leben und Sterben als Naturproceß. .

Der Seelen Auf- und Niederweg. . Feuchte und trockne Seele.

Theologie, Begriff und Subſtrat. Stellung Heraklits zum religiöſen

Kreiſe. er Theologie. Fortſetzung. Der Fluß.. LE Das repeeyov. Das Allgemeine. Der Logos.

Die vorn. Das Eine Weiſe. Das von allem Getrennte.

Die J. Das perſiſche Darſtellungsſubſtrat. Wort (Verbum). Unterſchied der 4% und Kipappevn: -

Der Logos als

Allgemeiner Theil.

Einleitung.

Erſtes Capitel. Literatur. Quellen. Blick auf Schleiermacher's Werk und Standpunkt.

Me den Wendepunkten der alten Philoſophie und des griechiſchen Geiſtes überhaupt iſt es vom größten Intereſſe, den Uebergang von der ioniſchen Naturphiloſophie in die Vernunft (% g) des Anaxagoras zu beobachten. Die ioniſche Philoſophie, d. h. diejenige Stufe der Philoſophie, auf welcher der Gedanke, das Allgemeine, noch in der Form des Sinn— lichen vorhanden iſt, gelangt dazu, dieſe ihrem eigenen Innern und Bedeutung entgegengeſetzte Form zu tilgen, und ſich als das, was ſie vorerſt nur an ſich war, als reinen von der Sinnlichkeit befreiten Gedanken zu erfaſſen.

Dieſen Uebergang nun, mit welchem De ioniſche Philoſophie es voll— bringt, das ſinnliche Sein von ſich abzuarbeiten und den Gedanken aus ſeiner Gebundenheit im Naturdaſein loszulöſen, bezeichnet uns in ſeiner höchſten Form, aber noch innerhalb ihres eigenen Princips und Kreiſes, Heraklit.

Das Hauptſächliche bei Heraklit iſt zunächſt das, daß hier zum erſten— male der formale Begriff der ſpeculativen Idee überhaupt die Einheit des ſich Entgegengeſetzten als Prozeß erfaßt wird.

Dies, was wir den abſtracten Begriff des Speculativen überhaupt nennen können, iſt das Centrum heraklitiſcher Lehre.

Ehe wir aber zu der Entwicklung dieſes ſeines Begriffs und zu einem kurzen Nachweis des Verhältniſſes ſeiner Philoſophie zu ſeinen unmittel— baren Vorgängern und Nachfolgern übergehen, wollen wir eine gedrängte Ueberſicht der über unſern Philoſophen erſchienenen Literatur geben und uns dann zur vorläufigen Erörterung einiger allgemeinen Fragen wenden,

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die uns, weil fie eng mit der ganzen Darſtellungsweiſe und Methode Heraklits zuſammenhängen, am zweckmäßigſten ſchien, ſchon in dieſem ein— leitenden Theile zu berühren.

Heraklit hat ein Werk geſchrieben: e gbcsws (ſiehe Schleiermacher p. 317. 349). Die Zurückweiſung der ihm fälſchlich beigelegten Titel und der verſchiedenen Berichte über deſſen Inhalt leſe man bei Schleier— macher p. 348 355 nach ).

Zu der Zurückführung des Titels: „Mo (Diog. Laert. IX, 12.) auf die Stelle bei Plato Soph. p. 242. e., wo Heraklit mit „Joniſche Muſen, Moda Idd es“, bezeichnet wird, kann angemerkt werden, daß wir auch ſonſt noch ſehen, wie dieſe letztere Bezeichnung ſich aus der Platoniſchen Stelle weiter fortgepflanzt hat. So Clem. Alex. Strom. V. c. 9. p. 246. Sylb. P. 682. Pott. und Themist. orat. XXVI. p. 319. Hard., wo die Reihe der ioniſchen Philoſophen „der Chor der ioniſchen Muſen“, 6 Zo00s rwv Id (Movowy) genannt wird.

Der große Ruf, den Heraklit durchgängig im Alterthum genoß und die Wichtigkeit ſeiner Philoſophie ſelbſt für weit ſpätere Syſteme bewirkten es, daß ſein Buch ſchon unter den Alten zahlreiche Exegeten fand. Beſon—

1) Befremdlich verſichern Schleiermacher p. 317. 348 und Brandis Geſchichte d. Phil. p. 151 Note p., daß außer dem Buch Ne gicsws nur noch Eines, „Zoroaſter“ betitelt, erwähnt werde, da man doch, wenn man einmal in der Stelle bei Plutarch adv. Colot. p. 1115. p. 556. Wytt. weder mit Reiske Haage leſen, noch Fabricius Vorſchlag (Bibl. Gr. T. I. p. 801. u. T. II. p. 302) annehmen will, jedenfalls ſagen muß, daß ihm von Plutarch a. a. O. drei Schriften bei— gelegt werden, nämlich außer dem Zoroaſter noch: ro ce rwy & Adov und ro re Toy νꝰ ο dropovpevwv”).

Gut hat Schleiermacher p. 349 sg. wahrſcheinlich gemacht, daß Heraklit nur dies eine Werk: „reh gbosws” geſchrieben. Außer den von ihm beigebrachten Gründen kann man beſonders noch anführen: Arist. Rhetor. III, 5. p. 1407: & 7 do adbrod Tod ovyypapparos. Später hat man ſich freilich mit mehreren Werken Heraklits getragen, cf. David. Proleg. Isag. Porphyr. ete. in den Schol. zu Arist. ed. Bekk. T. IV. p. 19: r yap ra, auvyypannarwv Hoi, - xr4. und Hesych. Miles. p. 26. ed. Or., der, obgleich er doch den Diog. Laert. wörtlich ausſchreibt und dieſer (IX, 7.) e re &viore & To avyrypan- are jagt, dennoch dafür: Jaumpòbg re sert 2y r, ovyypanpase ſetzt, cf. Suidas p. 884. ed. Bernh. und den Scholiaſt. zu Plato Theaet. (ap. Bekk. Comment. crit. T. II. p. 364: rd ro “Hoazietrov ouyypapmara: hyptw- HAevο xal ueralöppovss).

) Hierauf hat jetzt auch Bernays Rhein. Muf. 1850. VII. p. 92 sg. bereits aufmerkſam gemacht, zugleich aber auf äußerſt treffende Weiſe die Lesart Aoe- xi ſichergeſtellt.

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ders die ſtoiſche Schule, die ihre ganze Phyſik, und wie wir ſehen werden, nicht nur dieſe, ihm entlehnte, mußte ein großes Intereſſe daran nehmen, das Andenken an ſeine Philoſophie aufzufriſchen und durch Auslegungen und Deutungen, zu denen ſeine Schrift ihrer Dunkelheit wegen den wei— teſten Spielraum bot, den möglichſt engen Zuſammenhang zwiſchen ſeiner und ihrer Lehre herzuſtellen, ein Beſtreben, wobei, wie ſich ſpäter deutlich zeigen wird, ſehr oft der eigenthümliche heraklitiſche Sinn verflacht wurde, ja gänzlich verloren ging, ſo daß wir ihm viele der ungenauen und irrigen Berichte verdanken mögen, die über Heraklit curſiren.

Solche Verwiſchung ſeines eigenthümlichen Sinnes mußte ſchon des— halb ſtattfinden, weil nun ſeine Sätze in ſtoiſcher Terminologie vorgetra— gen wurden, nirgends aber mehr, als bei Heraklit auf Sprache und Form ankommt, weshalb denn ſtets da Vorſicht zu üben iſt, wo uns heraklitiſche Philoſopheme in dieſer Form begegnen.

Als Exegeten des Heraklit nennt uns nun Diog. Laert. IX, 15. zuerſt: Antiſthenes, den Schleiermacher (Einleitung zum Kratylos p. 16) mit dem Stifter der cyniſchen Schule für identiſch halten will. Er überſieht jedoch hierbei, daß Diog. an einer andern Stelle (VI, 19.) einen An— tiſthenes den „Heraklitiker“ (Hoazierreros) nennt, den er von jenem Chor— führer der Cyniker abſcheidet; womit man vergl. Euseb. Praep. Ev. XV, c. 13 p. 816: A, Hparrewrızös, (leg. Hpazxkeireos) dis avi r ghd). Ob er ihm aber eine beſondere Schrift, deren Titel Schleiermacher vermißt, gewidmet hat, iſt nicht ausgemacht. Vielleicht hat er ihn blos in den Diadochen (ef. Diog. L. IX, 6.) behandelt.

Ferner wird uns von Diog. genannt:

Herakleides der Pontiker, der (ek. V. 88.) Exegeſen des Heraklit ſchrieb. Dann

Kleanthes, nicht der Pontiker, wie uns Diog. am angef. Ort fälſchlich berichtet, ſondern der Aſſier, wie ihn Bake ad Posidon. p. 27 nach Diog. VII. 168. verbeſſert, der ſtoiſche Verfaſſer des Hymnus auf den Zeus. Dieſer ſchrieb (ek. VII, 174.) ebenfalls Exegeſen.

1) Wenn Schleiermacher noch nachträglich ſagt (Muſeum der Alterthumswiſſ.

p. 319), er ſei nichts deſtoweniger geneigt, den Antifthenes hier für identiſch mit dem Cyniker zu faſſen, jo läßt ſich dies um fo weniger halten, als unſer Antiſthenes hier offenbar auch der Verfaſſer der Diadochen iſt, die Diog. L. unter ſeinem Namen erwähnt (ef. IX, 6.) und aus denen er auch wirklich Notizen über Heraklit beibringt, in den Schriften Antifthenes des Cynikers aber, die doch Diog. L. ie ausführlich aufzählt, keine ſolche Schrift angeführt wird. i 1*

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Sphairos, der Stoiker, ſchrieb (ef. VII, 178.) fünf Diatriben über Heraklit.

Außerdem werden uns von Diog. L. noch aufgeführt:

Pauſanias „% xAndeis Hpazkerriorng", Nifomedes, Dioniſius und Diodot (ef. Suidas p. 1238 ed. Bernhardy).

Scythinos der Jambograph ſoll, wie Diog. L. IX, 16. aus Hiero— nymus erzählt, den Heraklit verſificirt haben, wobei man mit H. Ritter Geſchichte der ioniſchen Phil. p. 79 vermuthen kann, daß daher die Hexa— meter rühren, in denen heraklitiſche Sätze zuweilen angeführt werden und ſich daher auch die Angabe bei Suidas s. v. p. 884 ed. Bernh. ſchreibe, (vergl. Schleiermacher p. 349) Heraklit habe vieles poetiſch „romrexws * geſchrieben, ein Irrthum, der ſich ſelbſt noch bei Bode de Orpheo p. 69 n. 40 und p. 99 n. 86 (Göttingen 1824) findet.

Von allen dieſen Werken und Exegeſen iſt nichts bis auf uns gekom— men. Uns dienen als Quellen für die heraklitiſche Philoſophie außer Plato und Ariſtoteles hauptſächlich Plutarch, Sextus Empirikus und Clemens von Alexandria u. A. Ueber die Beſchaffenheit dieſer Quellen, von denen in Bezug auf Heraklit auch die beſte nicht unbefangen hingenommen werden darf, wird ſpäter an ſeinem Ort geſprochen werden. Von allen Quellen die beſte und lehrreichſte iſt Plato, der uns auch da, wo er nicht gerade Bruchſtücke Heraklits mittheilt, häufig ganz unſchätzbare Winke und Nach— richten über die Philoſophie Heraklits giebt, auf die noch lange nicht genü— gend Rückſicht genommen worden ſein dürfte. Wir hoffen die meiſten unſerer Reſultate gerade durch Platoniſche Stellen beſtätigen zu können. Nur iſt es Plato's Art, den Epheſier nicht immer da zu nennen, wo er ihn beſpricht. Vorzüglich reich an ſolchen lehrreichen Zügen ſind einzelne Partieen des Theaetet und beſonders der Kratylus! Inwiefern das in dieſem Geſagte blos von den Schülern Heraklits gilt, die, wie wir wiſſen, oft die Lehre des Meiſters übertrieben und ſie zu Conſequenzen entwickelten, die ſo folgerichtig ſie auch ſein mochten, dennoch eben ſo ſehr ſchon den unmittelbarſten Gegenſatz zu Heraklits eigener Lehre bildeten, wird ſich in der Folge näher herausſtellen. Denn wir wiſſen genug von Heraklit, um in den allermeiſten Fällen ſowohl aus dem allgemeinen Charakter ſeiner Philoſophie heraus, als mit Hülfe anderer Zeugniſſe und Beweiſe, mit Sicherheit entſcheiden zu können, was ſich auf den Meiſter ſelbſt erſtrecke und was nicht. Ueberhaupt, ſo begreiflich und berechtigt auch die Klage ſein mag, daß ſo weniges von Heraklit auf uns gekommen ſei, ſo iſt doch noch immer genug auf uns gekommen, um, bei ſorgfältiger Zuſammen— faſſung des Vorhandenen, Fragmente wie Zeugniſſe, nicht nur in der

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Hauptſache den vollkommenen Begriff ſowohl von Heraklits Gedanken— inhalt und geiſtigem Standpunkt, als auch von ſeiner Manier und Dar— ſtellungsform zu gewinnen, ſondern ſelbſt den geſammten Umriß ſeines durch— aus feſt in ſich geſchloſſenen Syſtems mit Sicherheit feſtſtellen zu können. Auffallend iſt übrigens, wie höchſt wenig grade die ſämmtlichen Commen— tatoren des Ariſtoteles, Simplicius kaum ausgenommen, direct aus der Philoſophie des Epheſiers beibringen; doch ſind ſie durch Urtheile, die ſie über ihn abgeben, oft wichtig. Reichlicheres, freilich nur mit Vorſicht zu Benützendes findet man bei den Neu-Platonikern. Intereſſant iſt es zu ſehen, daß viele Kirchenväter, von denen man dies bisher nicht an— genommen hätte, dem Heraklit ein beſonders eifriges Studium gewidmet zu haben ſcheinen und wenn ſie ihn in der Regel auch nicht nennen, wo ſie ſeine Philoſophie beſprechen, dennoch (3. B. die beiden Gregore, Athena— goras u. A.) mannigfache Ausbeute für ihn gewähren, in Bezug auf das Verſtändniß deſſelben ſich aber gar ſehr auszeichnen und häufig nicht nur die Commentatoren des Ariſtoteles, ſondern auch ſpätere Forſcher weit übertreffen.

Eine beſonders reichhaltige, wenn auch mit ganz beſonderer Schwie— rigkeit verknüpfte Ausbeute für Heraklit ſchien uns aus den Schriften der Stoiker, reſp. den noch vorhandenen Reſten derſelben möglich zu ſein. Es wird erſt im Verlauf des ganzen Werkes näher hervortreten können, welches das Verhältniß des ſtoiſchen Syſtems zu dem heraklitiſchen iſt, das ſich uns bei der Unterſuchung ergeben hat. Hier können wir ſelbſt auf die Gefahr hin, nicht ganz richtig aufgefaßt zu werden, nur ſoviel ſagen, daß die ſtoiſche Philoſophie einerſeits ſich noch viel enger uud treuer, als man bisher angenommen hat, überall an das Syſtem des Epheſiers an— ſchließt, und andrerſeits doch grade den ſpeculativen Kernpunkt deſſelben überall verkennt, weshalb ſie nothwendig den Epheſier im Anſchließen ſelbſt weſentlich wieder alterirt. Daß es unter dieſen Umſtänden eine eben ſo mögliche als ſchwierige Scheidungsoperation war, Ausbeute aus den Stoi— kern für Heraklit zu gewinnen, liegt auf der Hand. Ob uns dieſelbe geglückt iſt, werden Andere zu beurtheilen haben.

Von den Neuern hat zuerſt Stephanus in der poesis philosophica einen dürftigen Anfang gemacht, indem er einige Fragmente und hierauf die untergeſchobenen Briefe folgen ließ ).

1) Hierzu iſt ſeitdem ein neuer unedirter gekommen, den Boiſſonade Adnotatt. ad Eunap. T. I. p. 424 im Jahre 1822 aus einer Handſchrift mittheilte und aus dem ſchon früher Politian. Miscell. c. 51. ein Stück überſetzt hatte, ef. Hemsterh.

Dann handelte über ihn Rad. Cudworth, im Syst. intelleet.; Pfan⸗ nerus im System. theolog. gentil. purior. Bas. 1697 p. 421 sqg.; Gottfr. Olearius in zwei Abhandlungen de principio rerum naturali ex mente Heracl. exereitatio Lips. 1697 und de rer. nat. gen. ex mente Her. dissertatio 1692 (abgedruckt in Stanleianae hist. Philos. IV. c. 6, p. 452 487).

Dieſe Gelehrte beſchäftigt ſehr die Frage, ob Heraklit ein Atheiſt zu nennen jet oder nicht, ef. J. Fr. Buddeus in Thesibus de atheismo c. I, S 30 p. 80 sq., id. in Analectis hist. phil., Halae 1706 p. 211, und endlich im Compend. hist. phil. c. I. $ 12, p. 19. Ferner Brucker hist. phil. de ideis p. 129, hist. crit. phil. I, p. 1208 84d. Lips. 1742 und Supplement II. ad histor. in Schellhornii Amoenitat. Litter, Tom. VIII, p. 312 sdd. Meiners in der histor. doctrinae de deo p. 347 sdd.; id. hist. doctrin. ap. Graecos T. I. p. 619 sq. und in der Vorrede zu T. II. p. XXI. Tiedemann, Geiſt der ſpecul. Philoſ. T. I. p. 198. Marb. 1791 und im Syſt. der ſtoiſchen Philoſ. T. II. p. 99 sq. und Tennemann Geſch. der Philoſ. Lpz. 1798.

Beſondere Theile ſeiner Philoſophie behandelten Weſſeling Miscell. Observ. Vol. V. Tom. III. p. 42 sqq. Heyne Opuse. Vol. III. p. 103 sqg. (Göttingen 1788) und Geſſner, Disp. de animabus Heracl. et Hippoer. in Commentt. Soc. Gott. I. p. 67 sdq.; ef. die Diatribe in den Actis erudit. German. LVII. und LVIII. Tom. V. p. 652 8g. p. 710 sg. und Wyttenbach Disput. de Opinionib. veter. Philos. de Animor. Immort. in den Actis Sodalit. Teyler. Harlem. 1783.

Bei weitem Verdienſtlicheres leisteten Creuzer in Creuzer und Daubs Studien T. II. p. 224 sqg. (1805), der ihn auch mit oft fruchtbaren An— deutungen in ſeiner Symbolik und Mythologie beſpricht, und Böckh in denſelben Studien T. III. p. 6 sqq. (1807).

Nach dieſen Vorarbeiten erſchien Berlin 1808 im Muſeum der Alter— thumswiſſenſchaft I. 3 die Schleiermacher'ſche Darſtellung Heraklits!) aus Fragmenten und Zeugrniſſen.

ad- Lucian Tim. $ 22. T. I. p. 384. ed. Bipont. Dieſer letztere Brief iſt aber noch viel weniger Acht als feine Brüder.

1) Nach Schleiermacher hat man ſich begnügt in den Geſchichten der ioniſchen oder griechiſchen Philoſophie die Reſultate ſeiner Darſtellung, ohne irgend über dieſelbe hinauszugehen, kurz zuſammenzufaſſen; jo beſonders H. Ritter, Geſch. der ion. Phil. p. 68 163 und Brandis Geſch. d. griech.-röm. Phil. T. I. p. 178 - 188.

Mit gewohnter Meiſterſchaft hat dagegen Hegel in feiner flüchtigen Skizze He- raklits (Geſch. d. Phil. I. p. 301 320) einen Hauptpunkt, auf den es zunächſt

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Ihr Verdienſt iſt ein großes und ſteht in keinem Verhältniß zu dem der älteren Literatur. Dennoch hat dieſes Werk und zwar in philo— ſophiſcher Hinſicht ſowohl wie in philologiſcher ſehr Weſentliches zu leiſten übrig gelaſſen.

In philoſophiſcher Hinſicht hat Schleiermacher für Heraklit ganz ſoviel gethan, wieviel für einen ſo ſpeculativen Philoſophen vom Standpunkt der Reflexion aus überhaupt zu leiſten möglich war; aber er hat die wahre Bedeutung, die eigentliche ſpeculative Idee Heraklit's, nirgends erfaßt.

Es kann nicht unſere Abſicht ſein, uns hier ausführlich kritiſch über das Schleiermacher'ſche Werk zu verbreiten. Daher nur ſoviel zur einſt— weiligen Andeutung eines Hauptpunktes, mit welchem dann alle weiteren Mißverſtändniſſe im Einzelnen wie im Ganzen in innigſter Verbindung ſtehen: Schleiermacher hat ſo wenig wie einer ſeiner Vorgänger überſehen können, daß der Gedanke, aus dem Heraklit philoſophirt, der des Werdens, der Bewegung, iſt. Aber er faßte, wie ſchon die Stoiker, das Werden der Vorſtellung nach, als die bloße indifferente Veränderung; er faßte die Bewegung als bloße Fortbewegung, als, um ein Bild zu gebrauchen, die Bewegung der geraden Linie.

Heraklit dagegen hat das Werden ſeinem wahrhaften Begriffe nach gehabt, als die Einheit des abſoluten Gegenſatzes von Sein und Nichtſein und deren Uebergang in einander. Er hat die Bewe— gung nicht, wie ſie die Vorſtellung nimmt, als gleichgültige Veränderung, ſondern als das, was ſie ihrem Begriffe nach iſt, als reine Negativität gefaßt. Ihm iſt um den Unterſchied in Ein Wort zuſammenzudrücken die Bewegung nicht ſowohl aAAofwars (im Sinne von bloßer Verän— derung), ſondern wie ja überall durch ſoviel Zeugniſſe feſtſteht, ſchlechter—

bei Heraklit ankommt und zwar gerade jenen Punkt, über deſſen Verkennen durch Schleiermacher wir uns bereits in dieſem Capitel ausſprechen hervorgehoben und kurz hingeworfen. Allein in einer derartigen flüchtigen Skizze war es freilich Hegel nicht möglich, was nur bei einer monographiſchen Behandlung geleiſtet werden konnte, dieſen Punkt in ſeine weiteren Conſequenzen zu verfolgen und ſo einerſeits die geſchloſſene Abrundung des heraklitiſchen Syſtems, andererſeits den tiefſten ideellen Höhepunkt deſſelben zu erkennen. Es iſt nur eine Folge hiervon, wenn Hegel p. 311 meint, daß die näheren Beſtimmungen bei Heraklit zum Theil mangelhaft, zum Theil widerſprechend ſeien. Kein Zweifel, daß Hegel bei einer monographiſchen Bearbeitung das heraklitiſche Syſtem erkannt haben würde als das was es iſt, als das in ſich geſchloſſenſte Syſtem vielleicht, das uns das Alterthum hinterlaſſen hat. Jener Umſtand aber dürfte vielleicht mit daran Schuld ſein, daß Hegels Auseinanderſetzung faſt ohne allen Einfluß auf die ſpäteren Behand— lungen Heraklits in den Specialgeſchichten der griech. Philoſophie geblieben iſt.

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dings Zvavyr.oßpon') d. h. geradezu: (denn wie könnte man dies Wort beſſer und auch richtiger überſetzen) proceſſirender Gegenſatz!

Der Mittelpunkt der heraklitiſchen Philoſophie, der ewig wiederkeh— rende Grundgedanke aller ſeiner Philoſopheme, iſt alſo nichts anderes, als der wahre Begriff des Werdens, die Einheit des Seins und Nicht— ſeins, dieſes abſoluten Gegenſatzes. Und zwar, was auch nicht über— ſehen werden darf, dieſe Einheit nicht als ruhige, ſondern als Proceß gefaßt. Als thätige proceſſirende Bewegung iſt ihm dieſe Einheit Fluß, und als Einheit des ſchlechtſinnigen Gegenſatzes iſt ſie ihm Kampf oder Gegenfluß, 7 Evavria 50% wie fie Plato in einer weiter unten näher zu betrachtenden Stelle nennt )).

Daher kommt es denn, daß bei Schleiermacher, der vom Reflexions— ſtandpunkt aus das heraklitiſche Werden immer nur als Veränderung auf— faßt, bei weitem die meiſten grade nur von dieſem Centralpunkt herakli— tiſcher Philoſophie aus ihr Licht empfangenden Partieen und Fragmente des Epheſiers nicht nur in einem gewiſſen Halbdunkel verbleiben, ſondern auch geradezu, theils mehr theils weniger unrichtig aufgefaßt und dar— geſtellt werden.

Wenn aber Jemandem dies, was wir hier zunächſt als das Mangel- hafte bei Schleiermacher angegeben haben, vorläufig noch als ein bloßer Unterſchied der Form oder vielmehr gar nur des Wortes erſcheinen ſollte, ſo wird ſich doch auch einem Solchen ſpäter der ganze inhaltliche Unterſchied dieſer Form deutlich genug darthun; es wird ſich zeigen, wie die Vorſtellung den ſpeculativen Inhalt überall und gerade da am meiſten wo er in ſeiner innerſten Tiefe auftritt, ſchonungslos verflacht und verdirbt.

Auch in Bezug auf philologiſche Vollſtändigkeit, ſowohl Hinſichts der Fragmente als in noch höherem Maaße Hinſichts ſehr wichtiger Zeugniſſe, ließ Schleiermachers Arbeit noch zu wünſchen übrig, ein Bedürfniß, welchem zu entſprechen wir möglichſt bemüht geweſen ſind. Und manche der neu ermittelten Bruchſtücke und Berichte ſind grade beſonders im Stande, ein vorzüglich helles Licht über unſeren Philoſophen und viele ſeiner ſonſt un— verſtändlichen oder unrichtig aufgefaßten Ausſprüche zu verbreiten.

1) Womit wir nicht behaupten wollen, daß dieſes Wort ein von Heraklit ſelbſt gebrauchter Ausdruck war, ſondern nur daß ſeine Commentaren es ganz richtig bil— deten und nur erplicite darin das wiedergaben, was Heraklit ſelbſt mit „roorn, ano, raktvrporos“ 20. bereits verband und eben jo gut bezeichnete; vergl. oben die Evavria on bei Plato.

2) Plat. Cratyl. p. 413. E., p. 129. Stallb.: naynv e ebar & ro

* * + [4 oyze et rep het obx Allo , Tv Evayriav bon.

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Das Hauptverdienſt, das ſich Schleiermacher erworben, beſteht darin, daß er kritiſch verfahren und eine Menge falſcher Berichte, die wir den Alten über heraklitiſche Philoſophie verdanken und die früher unbefangen zu ihr gerechnet wurden, zurückgewieſen und wenn oft auch nicht vernichtet, doch erſchüttert hat. Eine That, die um ſo mehr Anerkennung verdient, als Schleiermacher dabei oft ſcheinbar mit der Uebereinſtimmung einer Maſſe der angeſehenſten Zeugen zu kämpfen hatte. So hat er die dem Heraklit zugeſchriebene reale Weltverbrennung, die Exrbpwaors, die in der That ein in dieſem Syſtem unmöglicher und, wie man ſehen wird, dem Heraklit nie in den Sinn gekommener Gedanke iſt, ſich zu widerlegen be— müht, wie denn dieſer Mann einen unbeſchreiblichen kritiſchen Takt hatte, der ihn ſelbſt da, wo er nicht ganz klar ſah, oft das Richtige fühlen ließ.

Aber theils konnte er eben deswegen den Gegenbeweis nicht in ſeiner Schärfe und Vollendung führen, theils iſt dieſe ſeine Einſicht hinſichts der Errbowors bei ihm nur ein loſer und vereinzelter Punkt, ja eigentlich eine Inconſequenz und ein Verſtoß gegen ſeine geſammte Darſtellung des Epheſiers, jo daß nach ihm Brandis (Geſch. der griech.-röm. Phil. T. J. p. 179) und H. Ritter (Geſch. der ion. Phil. p. 128) doch wieder zu jener Exrbpwors zurückkehren*), theils läßt ihn auch dieſer kritiſche Takt, und gerade bei den entſcheidendſten Punkten in Folge jenes Verkennens des heraklitiſchen Grundgedankens nothwendig im Stich; denn gerade da, wo uns Ariſtoteles den ſpeculativen Kernpunkt heraklitiſcher Lehre vorführt und be— ſpricht, daß nämlich dem Heraklit „Sein und Nichtſein ein und daſſelbe ſei“ !), da meint Schleiermacher (p. 438. 441 u. a. and. Ort.), daß Ari— ſtoteles Ungegründetes dem Heraklit zuſchiebe, ihm „überall ein Sein und Zugleich leihe, von dem Jener nichts wiſſe“ und ihn „mit Unrecht ſo behandele, als laufe ſeine Meinung dem Satze des Widerſpruchs zu— wider“. So will denn Schleiermacher hier, ohne durch irgend welche Be— weismittel ſeine Meinung ſtützen zu können, gerade den Begriff aus dem Verzeichniß heraklitiſcher Lehre ausſtoßen, der die eigentliche Tiefe ſeiner ganzen Philoſophie bildet, der die innere Seele und Quinteſſenz aller ſeiner Ausſprüche iſt, jedem derſelben zu Grunde liegt und aus jedem ab—

) Und jetzt auch Bernays und Zeller.

1) Arist. Metaphys. III. c. 3. und c. 4. p. 1005. Bekk. p. 67. Br. [rau- ro brolanßavysıy elvar v um elvar, xzadarep rıwis otovrar Jeyew Hoνi,iJ cf. ib. c. 7. p. 1012. Bekk. p. 85. Br.; Physic. Auscult. I. 2. p. 185. Bekk. Top. VIII. c. 3. p. 155. Bekk. etc., Stellen, die auch ihre Beſtätigung finden durch Vergleichung mit Plato Theaet. p. 182., 183. p. 195. Stallb.; Cratyl. p. 439. D. p. 221. Stallb.; Phaedo p. 90., p. 552. ed. Ast.

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geleitet werden kann! Grade dies ift der Punkt geweſen, durch deſſen Ver— kennung ſich Schleiermacher ſelbſt den Weg auch zu allen weiteren ſich aus ihm ergebenden Conſequenzen und zum Verſtändniß des ganzen Syſtems des Epheſiers im Allgemeinen wie im Einzelnen, ſowie ſeiner tiefſten Gedan— kenbeſtimmungen überall abſchnitt.

Und wie wir häufig ſehen, daß die Verſtandesreflexion dem Begriff und der Erfahrung gleichſehr widerſpricht, ſo muß auch Schleiermacher hier in ſeiner Oppoſition gegen den Begriff den Ariſtoteles, dieſen ſonſt ſicherſten aller Gewährsmänner, beſchuldigen, in einem Punkte, den er ſo oft und ſo deutlich behandelt, auf den er ſo häufig zurückkommt und auf den er offenbar wie auf einen Mittelpunkt heraklitiſcher Lehre überall das meiſte Gewicht legt, den Heraklit verfälſcht zu haben!

Wir müſſen ſpäterhin ohnehin noch weitläufiger auf dieſen Punkt zu— rückkommen. Darum hier nur noch eine Bemerkung.

Gleicherweiſe wie Ariſtoteles giebt uns auch Plutarch (Lap. Delph. II. p. 392. B. p. 605. Wytt.) dieſen grundſätzlichſten Punkt heraklitiſcher Philo— ſophie, dieſes Zugleich der Gegenſätze an, und gleicherweiſe meint auch hier Schleiermacher (p. 308) ohne alle Umſtände, Plutarch habe hier den Heraklit nur auf die Spitze geſtellt!

Seltſam! Schleiermacher ſtellt am Eingang ſeines Buches den ſehr richtigen Grundſatz auf, daß von den Worten der Späteren nur ſolches Glauben verdient, was ſchon durch Stellen bei Plato und Ariſtoteles ge— halten wird. Und nun weiſt der Kritiker gerade den Punkt zurück, der (abgeſehen davon, daß er aus jedem Wort Heraklits hervorgeht) uns durch jo viele ſichere Stellen des Ariſtoteles!), des Plutarch und endlich des älteſten und beſten Zeugen, des Plato, verbürgt wird. Denn auch dieſer giebt, um vorläufig nur an eine Stelle zu erinnern, im Soph. p. 242. e. den Unterſchied zwiſchen Heraklit und Empedokles gerade dahin an, daß die Ge— genſätze bei Heraklit zugleich ſeien, bei Empedokles aber abwechſelten.

Nein! Nicht deshalb iſt Ariſtoteles zu tadeln, als habe er dem Heraklit ein „Sein und Zugleich“ (sc. Nichtſein) geliehen, welches ſich vielmehr als das eigenſte Eigenthum des Epheſiers erweiſen wird, ſondern man kann nur ſagen, daß der Stagirite Unrecht gehabt habe, nach ſeinem Geſetze des Widerſpruchs urtheilend, die ſpeculative Lehre Heraklits herab—

1) Dem Ariſtoteles wird überhaupt von Schleiermacher in ſeiner Darſtellung des Heraklit ſo manches Unrecht gethan, wie z. B. Schleiermacher die Schuld davon trägt, daß man dem Ariſtoteles die irrige Annahme einer realen Exrdpwers impu⸗ tiven will, wovon dieſer, wie ſich ſpäter zeigen wird, nichts weiß ꝛe.

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zuſetzen. Der eigentliche Punkt, um den es ſich in dieſer Discuſſion zwiſchen Ariſtoteles und Heraklit handelt, zeigt ſich Phys. I. 2. p. 185. B., wo Ari— ſtoteles von Heraklit ſagt: „va od Hh Tod Ev eivar ra Övra o Aöyos Zoran, d e od uyosv“ d. h. nicht daß alles Seiende Eins ſei, folge aus Heraklits Philoſophie, ſondern daß überhaupt gar nichts ſei, was durchaus nicht, wie Schleiermacher p. 443 meint „eine wunderliche Fol— gerung“, ſondern eine, zwar nicht von Heraklit ſelbſt gezogene, mit ihm ſogar im Gegenſatz ſtehende, aber doch aus ſeinem Syſtem dialektiſch entwickelte Conſequenz iſt, auf die Ariſtoteles und Plato den Heraklit hindrängen, und die ſich ſogar ſchon innerhalb ſeiner eigenen Schule, bei den heraklitiſchen Sophiſten, poſitiv herausgeſtellt hatte. Doch wird und kann dies erſt im Verlauf ganz klar werden!).

) Zu der hier gegebenen Ueberſicht über die Literatur iſt jetzt ein Nachtrag zu machen. Als wir (ſiehe die Vorrede) im Winter 1855 nach zehnjähriger Unter- brechung zu der Beendigung dieſes Werkes zurückkehrten, wies uns hinſichts der in der Zwiſchenzeit über unſern Philoſophen erſchienenen Literatur, das Sup— plement von 1853 zu Engelmanns Biblioth. Script. Class. nur eine Differ- tation von Bernays Heraklitea, Bonn 1853 (36 p.) nach. Von dieſer fleißig geſchriebenen Diſſertation, welche ſich hauptſächlich damit beſchäftigt, nach Geſſner den heraklitiſchen Inhalt der pſeudohippokratiſchen Schrift de diaeta I. zu unterſuchen, haben wir, da ſie uns im Buchhandel nicht zugänglich war, erſt gegen Ende unſerer Arbeit eine flüchtige Durchſicht erlangen können. Aber erſt bei der letzten Reviſion des Werkes kam uns die geiſtvolle Geſchichte der griech. Philoſophie von Zeller (1. Theil, Tübingen 1856) zu Händen. Erſt aus der in dieſer gegebenen Skizze Heraklits wurden wir auf die beiden Aufſätze von Bernays im Rheiniſchen Muſeum, VII. Jahrgang 1850 p. 90 - 116. u. IX. Jahr⸗ gang 1854 p. 241 —69 hinverwieſen. Da Bernays in dieſer ſowie in jener Diſſer— tation bereits einige der von uns neu geſammelten Fragmente und Zeugniſſe an— zieht, ſo haben wir, wo dies der Fall war, und wenn wir, was jedoch im Ganzen nur ſehr ſelten geſchehen, dieſe Stellen in unſerem Text ausdrücklich als bis heran überſehene bezeichnet hatten, Bernays in nachträglichen mit einem Sternchen bezeich— neten Anmerkungen pflichtſchuldigſt ſein Recht widerfahren laſſen. Dagegen wurden wir erſt in Folge der im letzteren Aufſatz von Bernays gegebenen Anzeige wofür wir dem Verfaſſer hiermit unſern Dank ausſprechen auf die von E. Miller in Oxford 1851 beſorgte Ausgabe der Philosophumena des Pſeudo— Origenes und die in derſelben enthaltenen Bruchſtücke des Epheſiers aufmerkſam gemacht. Wir haben dieſelben daher, da es nicht mehr ohne große Umarbeitung thunlich war, ſie in den Text zu verweben, in gleichen mit Sternchen bezeichneten Anmerkungen unter den Text geſetzt, was um jo eher anging, als uns dieſe Bruch— ſtücke dem Inhalte nach nichts Neues brachten und ſomit bequem an den betref— fenden Orten in Noten niedergelegt werden konnten. Wohl aber haben ſie uns

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Zweites Capitel. Vorläufige Erörterung über den Zuſammenhang Heraklits mit orphiſchen und orien— taliſchen Religionslehren. Seine Darſtellungsweiſe und Form. Sein philoſophiſcher Standpunkt und kurze Skizzirung des Verhältniſſes deſſelben zu ſeinen Vorgängern.

Wir wenden uns jetzt zu einer vorläufigen, ihre definitive Ausführung erſt im Verlauf der geſammten Darſtellung finden könnenden Frage, welche ſchon häufig angeregt und im entgegengeſetzteſten Sinn beantwortet, nie aber eigentlich wirklich näher unterſucht worden iſt; zu der Frage nämlich, ob eine Verwandtſchaft und Beziehung ſtattgefunden habe zwiſchen Heraklit und orientaliſchen und orphiſchen Religionsdogmen. Oft iſt über dieſen Punkt herüber und hinüber geſtritten worden und noch iſt eine Vereinigung nicht zu Stande gekommen. So ſcheint es denn billig, daß wir zuerſt die Meinungen der Streitenden vernehmen.

Als jener Verwandtſchaft widerſprechend werden Stellen aufgeführt, die unſern Philoſophen als Autodidakten bezeichnen und als einen ſolchen, der, ohne die Lehre irgend eines Andern zu genießen, rein aus ſich ſelbſt Alles geſchöpft habe !).

die Freude bereitet, manches was wir auf anderem Wege darzuthun bemüht ge— weſen waren, ſchlagend zu beſtätigen.

In gleichen Anmerkungen, jedoch um die Zahl derſelben nicht zu ſehr zu ver— größern nur dann, wo dies beſonders geboten ſchien, haben wir auch Bernays und Zellers von uns abweichende Anſichten beſprochen. Denn trotz der un— verkennbar hellen Blicke, welche Bernays in jenen beiden verdienſtvollen Aufſätzen häufig wirft und trotz der ſo lebens- wie geiſtvollen Behandlung, die jetzt Heraklit in der Zeller'ſchen Geſch. der Ph. empfangen hat, iſt uns doch freilich, im All— gemeinen wie im Einzelnen, im Ganzen nur ſelten die Freude zu Theil geworden, mit ihnen übereinzuſtimmen. Auf demſelben Wege aber mit uns ſcheint ſich beſon— ders Bernays, wie wir aus einigen ſeiner Aeußerungen ſchließen möchten, gewiß zu befinden. Wenn trotzdem keine größere Uebereinſtimmung ſich herausgeſtellt hat, wenn wir vielmehr wieder für die wichtigſten allgemeinen Fragen, wie für das Verſtändniß der einzelnen Fragmente mit jenen ſoweit auseinandergehen, ſo ſcheint uns der Grund hiervon zumeiſt eben nur darin zu liegen, daß eben erſt bei einer totalen, nur in einer Monographie möglichen Reviſion des geſammten Stand— punktes der heraklitiſchen Philoſophie auch das richtige Verſtändniß alles Einzelnen ſich ergeben konnte.

1) Schleiermacher bezieht ſich hiefür (p. 340) auf Arist. Eth. Nic. VII. c. 5. p. 1147. B. Magn. Mor. II. 6. p. 1201. B. Man füge hinzu: Diog. L. IX, 5. Dio Chrysost. or. LV. p. 558. tom. II. p. 282 Reiske; Plotin. Ennead. IV. lib. VIII. p. 468. 873. Cr. lan welchen Stellen aber eins der heraklitiſchen Frag— mente jämmerlich mißverſtanden wird, worüber unten]. Ferner Plutarch. fragm. de anima p. 738. e. Wytt.; Hesych. Miles p. 26. ed. Or.; Tatian

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Von der andern Seite behauptet Clem. Alex. (Strom. VI. c. 2. p. 746. Pott.), daß er ſeine Lehre von der Verwandlung der Elemente aus dort angeführten orphiſchen Verſen entnommen, ja ib. p. 752 ſagt er gar noch allgemeiner: „ich geſchweige des Herakleitos des Epheſiers, welcher von Orpheus das meiſte entlehnte (rIedora eiingev)“. Allerdings kann man dem hier mit Recht die Frage entgegen ſtellen, wen Clemens denn nicht auf Orpheus und Moſes zurückführe, ſo daß die Autorität des Kirchen— vaters hierin als nichtig erſcheinen muß.

Aber auch bei Plutarch (de Defeetu Orac. p. 415. 702., Wyttenb.: dxobo zadr (Een) rollav snd Öp@ ννν Irwirny Errbpworv, WorEp con "Hoaxierzov zal”Opgews Erwvenopevrvy Sni) finden wir Heraklit und Orpheus in Bezug auf ein und dieſelbe Lehre auffällig zuſammengeſtellt und unſere ganze Aufmerkſamkeit verdient eine Stelle des Plato Cratyl. p. 402. p. 99. Stallb., wo Heraklit's Dogma vom ewigen Fluſſe der Dinge für identiſch gezeigt wird mit den Theogonien des Homer und Heſiod und Orpheus, die Kronos und Rhea und Okeanos und Thetis an die Spitze der Götter geſtellt hätten. Und vor Allem iſt dabei Acht zu haben auf die Weiſe, wie Plato dies thut und welche deutlich zeigt, daß er, abgeſehen ganz von ſeiner eigenen Meinung über dieſen Punkt, bereits vorhandene und verbreitete Meinungen ironiſirt: Sokrates: „O Guter, ich erblicke einen ganzen Schwarm Weisheit. Herm.: Was doch für einen? Sokr.: Lächerlich iſt es freilich zu ſagen, aber ich glaube doch, es hat feine Wahrſcheinlichkeit. Herm.: In welcher Art denn? Sokr.: Ich glaube zu ſehen, daß Herakleitos gar alte Weis— heit vorbringt, offenbar von Kronos und Rhea her und was auch Ho— meros ſchon geſagt hat“ ꝛc. (Schleiermacher Plato T. II. Bd. 1. p. 55.) Dieſe Stelle hat ganz den Anſchein, als hätten ſchon damals die Schüler des Epheſier's dieſe Alterthümlichkeit ihrer Lehrſätze ſehr hervorgehoben und ſich viel auf ſie zu gute gethan, weshalb denn Sokrates die Ent— deckung dieſer Verwandtſchaft mit jo komiſchem Pathos vorträgt )). Man

c. Graec. p. 11. ed. Ox. Ja ſelbſt Plato nimmt dieſen Zug ausdrücklich als charakteriſtiſch für die Heraklitiker in ſehr witziger und treffender Weiſe in ſeine ironiſche Darſtellung derſelben auf: Theaet. p. 180. C. p. 185. Stallb.: r ruyn Eraoros alray Evdonardaas”, wohl gerade auch jenes „Sichſuchen“ hier verſpottend.

1) Daß ſich übrigens auch Heraklit ſelbſt in ſeinem Buche mit den Dichtern, die er vorfand, ausdrücklich zu ſchaffen machte, ſie ſchalt, wo ſie ſeinem ſpecula— tiven Gedanken Widerſprechendes enthielten, und ſie dagegen wohl ebenſo angeführt haben wird, wo ihr theogoniſcher und mythiſcher Inhalt ſeinem Syſtem, freilich ver—

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vgl. noch Plato Theaet. p. 160. d. p. 110, Stallb.: zara uev "Ounpov zat MHpdxleırov za! rüv ro Toodrov gbAov!) xri. und ib. p. 152. E. p. 77. Stallb.; ib. p. 153. p. 83. Stallb.; ebenſo ib. p. 179. E. 183. Stallb.: rep! rodrwv ray puα⏑,¹ieͤ r ν,uZu i Dorep ou Jeyeıs un- pelwv zal Erı naAatrorepwv?), wo alfo mit dieſen „noch älteren“ als Homer doch blos Orpheus oder Orphiker gemeint fein können und wiederum p. 181. B. 188. Stallb., wo er die Heraklitiker rayurza- Aalovs Ayöpas „uralte Männer“ nennt, jo daß alſo doch viel zu oft von Plato auf dieſen angeblichen Zuſammenhang Heraklit's mit den alten und „vorhomeriſchen Dichtern“ inſiſtirt wird, als daß er nicht ſeine ernſt— liche Meinung hätte bilden ſollen !).

Von den Neueren nun haben ſich ſehr große Gelehrte für und wider vernehmen laſſen.

Die hohe Selbſtändigkeit und Eigenthümlichkeit, welche uns aus Allem entgegenſpringt, was uns nur von Heraklit hinterbracht iſt, vermochten die

neueſten Bearbeitungen deſſelben, H. Ritter (Geſch. d. Phil. J. S. 267 ff.)

möge ſpeculativer Deutung, entſprach, zeigt ja unter anderem auch das noch erhaltene Fragment, in welchem er den Homer tadelt, weil dieſer den Streit fortwünſcht aus den Reihen der Götter und Menſchen.

1) Wenn Bode de Orpheo p. 97 meint, die Worte Plato's bewieſen des— halb nichts, weil ſie zuviel bewieſen, da man dann ja auch eine Verwandtſchaft mit Homer und Heſiod annehmen müſſe, ſo brauchen wir vor dieſer Conſequenz nicht zurückzutreten, da es für uns ſich nicht ſowohl um eine ausſchließliche Be— ziehung auf Orpheus, ſondern auf die religiöſen Dogmen überhaupt, und zwar orientaliſche wie griechiſche handelt.

2) Zu welchen Worten auch Lobeck bereits Aglaoph. p. 948 ſagt: Nec du- bito quin in Theaet. p. 179. E. ubi eadem Heracliti sententia exponitur, hoc nomine (ralarorspwy) Orpheum significaverit.

3) Daß Plato auch allen Ernſtes jenes heraklitiſche Dogma vom Fließen für den Kern jener Theogonien gehalten, ergiebt ſich ſowohl aus den im Text angezo— genen Stellen als auch noch deutlicher aus Cratyl. p. 439. C. p. 219. Stallb., wo er am Ende des Dialogs ohne alle Ironie und mit beſonderm Nachdruck ver— ſichert, er halte dafür, daß die Wortbildner in der That jener irrigen Anſicht vom Fließen aller Dinge geweſen find: ro re e ol Henzvor abra Ötavonderres

Zlevro bs lovrwv Andyrwy det zar hν,H ο Palvoyrar yap Znorye zal [7 1 > N r { abrot obrwy dtavon»nvar Tod el Eruyev, ob ours Eye ar). Ja

daß von Heraklit ſelbſt dieſe Etymologie jener Gottheiten und Theogonien zuerſt verſucht worden ſein mag, iſt nicht unwahrſcheinlich, wenn man ſehen wird, welche große Rolle das Etymologiſiren bei ihm ſpielte, wie er zuerſt eine Art Sprach— philoſophie aufſtellte und die Namen als den wahren Weg zur Erkenntniß der Dinge erklärte.

und den gelehrten Brandis (Geſch. der griech. u. röm. Phil. I. S. 184) den Einfluß orientaliſcher Religionslehren in Abrede zu ſtellen.

Von der andern Seite aber konnte eben ſo wenig der dunkle, ſym— boliſche Ton, die halb orientaliſche Färbung, die uns aus den Bruchſtücken Heraklits entgegenleuchtet, unbeachtet bleiben, und fo hat man denn theils orientaliſche, theils orphiſche Religionsſyſteme als die Quelle bezeichnet, aus der Heraklit geſchöpft habe.

Dahin neigt ſich, um Anderer zu geſchweigen, Heyne Opusc. T. III. p. 107). Welker, die aeſchyleiſche Trilogie, p. 303, ſtatuirt ebenfalls einen ſolchen Zuſammenhang mit hieratiſchen Dogmen, will aber, ſeinen ſonſtigen Beſtrebungen gemäß, ihn auf alt⸗attiſchen nationalen Feuerdienſt zurückgeführt wiſſen. Beſonders nachdrücklich aber hat ſich der ſo ge— lehrte und geiſtreiche Creuzer dafür ausgeſprochen, daß perſiſche Licht— religion und aegyptiſche und orphiſche Prieſterlehre als der Quell ſeiner Philoſophie anzuſehen ſei. (Studien II. p. 229, p. 266 sqg. und in der Symbolik und Mythologie der alten Völker hin und wieder I. p. 199, II. 599 sq., III. 762 sq. 3ter Ausg.) Ja, einmal wirft Creuzer einen höchſt genialen und die Sache nahebei in ihrem innerſten Kern berührenden Blick (Symb. und Mythol. II. p. 133, 3te Ausg.). Dann aber, ſtatt dieſen feſtzuhalten und ſo das wahre Sachverhältniß zu eruiren, verleitet ihn wieder fein Ueberſehen der höheren und freieren⸗ helleniſchen Selbſtentwicklung, die zwar von dem gegebenen Material des Orients ausgeht, aber nur wie von einem verſchwindenden Anfangs— punkt und ihre Selbſtbethätigung nur in der negativen Ver— geiſtigung jenes Materials hat, auch bei Heraklit die innere Gedanken— ſelbſtändigkeit zu überſehen und ihn den Fonds ſeiner Philoſophie aus Prieſterlehre ſchöpfen zu laſſen n). (Symb. u. Myth. II. p. 595 u. a. and. O.)

Schleiermacher nimmt eine ſchwankende Stellung zwiſchen beiden Par— teien ein, indem er p. 338 Creuzer entgegentritt und die Philoſophie Heraklits aus der unmittelbaren und für ſich beſtehenden Anſchauung der Natur hervorgegangen glaubt, p. 532 aber wieder zugiebt, daß „unter

1) „Nee disputandi nunc copia datur e quibus antiquioribus sua re- petierit Heraclitus“. 2

) Dieſe Anſicht Creuzer's hat jetzt auch, wie wir aus Zeller a. a. O. p. 198 sq. erſehen, in Gladiſch (Zeitſchrift für d. Alterth. 1846 u. 1848) neuer— dings einen Vertreter gefunden, der aber auch ſchon durch Bernays kräftige Be— merkungen (a. a. O. VII. p. 498 sq.) und ausführlicher noch durch Zeller a. a. O. widerlegt wird.

*

Anderem noch eine bedeutende und anziehende Unterſuchung übrig bleibe, ob nämlich perſiſche Weisheit Einfluß auf die Lehre des Epheſiers gehabt“.

Um nun gleich hier unſere eigene Meinung, die freilich erſt im Ver— laufe des ganzen Buchs ihre wirkliche Entwickelung und zugleich ihre Be— ſtätigung und ihren genauen Nachweis erhalten kann, zunächſt aſſertoriſch und ſo weit es hier bereits möglich iſt anzudeuten, ſo glauben wir, daß beide ſtreitende Parteien gleich Recht und Unrecht haben.

Nicht abgeleugnet werden kann die hohe innere Selbſtändigkeit des heraklitiſchen Syſtems! Er iſt im höchſten Sinne des Worts Erfinder, weil ihm ein neuer, vor ihm noch nicht dageweſener Gedanke aufgegangen iſt: die begriffene Idee des Werdens, die proceſſirende Ein— heit des ſich Entgegengeſetzten. Er iſt darum fo ſehr Exfinder, daß mit ihm der philoſophirende, ja in jedem Sinne des Wortes der welthiſtoriſche Geiſt überhaupt auf eine weſentlich neue Stufe rückt.

Um aber dieſen ſeinen ſpeculativen Begriff darzuſtellen, gebraucht er als Material die Dogmen perſiſcher, aegyptiſcher und orphiſcher Religionslehre. Sie ſind bei ihm nur die ſinnliche Form, in die er den ihm eigenthümlichen ſpeculativen Inhalt hüllt. Er thut ſomit, um unſere Meinung durch eine Parallele klar zu machen, daſ— ſelbe mit jenen Religionslehren, was vor einiger Zeit die alt-hegelſche Schule mit den Dogmen und Myſterien der chriſtlichen Religion that, in die ſie ihre Philoſopheme hüllte. Nur daß er dabei freilich kein theologiſch— apologetiſches Intereſſe hat, und daß es ihm auch nicht ſowohl auf die Deutung jener Religionslehren, als vielmehr auf die Darſtellung ſeines Gedankens ankommt. Sie ſind ihm die äußere ſinnliche Form, und ſo ſehr ihm dieſe Form überhaupt und im Allgemeinen, wie wir bald ſehen werden, weſentlich iſt, ſo ſehr ſind ihm doch wieder die be— ſtimmten Religionslehren und Dogmen, die er wählt, um ſeinen Begriff darin darzuſtellen, nur ſchlechthin gleichgültige Form.

Dies zeigt ſich ſchon darin, daß er unterſchiedslos in die Gebiete der verſchiedenſten Religionskreiſe hineingreift, herausholend, was ihm zum Ausſprechen ſeines Begriffes paßt und dann wiederum nicht feſthält an der beſtimmten Form, in der er ſeinen Gedanken einmal dar— geſtellt, ſondern immer und immer wieder nach neuen ſolchen Formen und Bildern ſucht, ſeinen innern in ihm gährenden Begriff in ihnen heraus— zuringen und auszuſprechen.

So ſind Feuer, Zeit, Kampf, Nothwendigkeit, Weg nach Oben und Unten, Fluß, Gerechtigkeit, Friede ꝛc. ꝛc. (5, Yoövos, rölspos, eipap- p£vy, b dr xorw, Al, Elonyy etc.), mit welchen Benennungen

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wir mit noch vielen andern in feinen Fragmenten fein Princip bezeichnet finden, nur gehäufte Namen, nur die verſchiedene ſinn— liche Ausſprache eines und deſſelben Begriffs, ein und daſ— ſelbe bedeutend und in ein und derſelben Hinſicht gewählt oder vielmehr nur, was ſich ſpäter klarer herausſtellen wird, verſchiedene Wendungen und Abſtufungen oder Potenzirungen deſſelben Begriffs. Epheſus aber, dieſer Marktplatz der verſchiedenſten Religionen, wo vorderaſiatiſche, phrygiſche und aegyptiſche Religionslehren mit den helleni— ſchen zuſammentrafen und ſich in dem Cultus der großen Artemis in Attributen und Symbolen vereinigten, war der eigentliche Ort für ſol— ches Thun.

Dieſe bisher noch niemals beachtete, wohl aber ſchon der Grund von mancher Verwirrung geweſene identiſche Vielheit von Namen, in denen Heraklit ſein Princip ausſpricht, iſt der erſte Zug, der als ihm ganz eigenthümlich und für ihn durchaus charakteriſtiſch feſt— gehalten werden muß). Das Charakteriſtiſche deſſelben werden wir im Laufe dieſes Kapitels und des folgenden bald noch näher erörtern. Die Identität ſelbſt aber aller dieſer Namen und Formen, in denen ſein Prin— cip auftritt, kann nur durch die geſammte Darſtellung ſeiner Fragmente mit Evidenz erwieſen werden. Hier werfe man nur einen vorläufigen flüchtigen Blick auf eine Stelle des Plato, worin er offenbar dieſe gleich— ſam nicht vom Flecke kommende identiſche Vielheit von Namen in der heraklitiſchen Philoſophie ironiſirt: im Theaet. p. 150. A. p. 184. Stallb. wo er von den Heraklitikern ſagt: „xav robrou Ines Aöyov Jaßeiv Te elpnrev, Eräpw neninfe:r zarmvos nerwvonaopevo“. „Und wenn Du feine Rede faſſen willſt, was er gejagt hat, wird er Dich mit einem neu Umbenannten (einem neuen Namen) ſchlagen“! Eine Stelle, in der doch alſo Plato offenbar andeutet und darüber ſpottet, daß trotz der Vielheit von Namen für ihr Princip, in welcher ſich die Heraklitiker ge—

) Wohl aber iſt jetzt von Zeller (p. 468) hierauf ein heller Blick geworfen in den Worten: „Das göttliche Geſetz ... Die Dike .. Das Verhängniß .. Weltregie— rende Weisheit .. Zeus alle dieſe Begriffe bezeichnen nämlich bei Heraklit Ein und Daſſelbe“. Daß aber dieſe Identität dennoch nicht, wie hier unterſtellt wird, eine totale iſt, ſondern wie wir eben ſagten, verſchiedene Potenzirungen und Ab— ſtufungen deſſelben Grundbegriffes in ihnen vorliegen, welche Unterſchiede z. B. zwiſchen Zeus und dem Y detfwoy und der sinapnevn, zwiſchen dieſer und dem Feuer ꝛc. ꝛc. ſtattfinden, das wird ſich uns erſt mit dem die Fragmente behan— delnden Theil, zumal auch im phyſiſchen Abſchnitt, ergeben können. Hier müſſen auch wir einſtweilen blos auf ihrer Identität beharren.

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fielen, der Gedanke doch immer nur ſchlechthin derſelbe bliebe und dieſe Vielheit von Ausdrücken innerlich identiſch wäre !), denn ſonſt wäre ja der neue Ausdruck kein bloßes „uerwvondonevov“, kein bloßes „Um benanntes“.

Es erhellt aus dem Geſagten, daß Heraklit nur ſolche Formen wäh— len konnte, die an ſich ſelbſt ſich eigneten, ſeinen ſpeculativen Begriff aus- zudrücken, die alſo demſelben an ſich mehr oder weniger adäquat waren. Darum ſind faſt alle dieſe ſinnlichen Formen auch an und für ſich und ohne Beziehung auf jene Religionskreiſe, aus denen ſie gegriffen, ver— ſtändlich, ſeinem Begriff entſprechend, und können ſo als ohne jede andere Beziehung ſeinem Syſtem immanent erſcheinen.

So iſt das Feuer die dem heraklitiſchen Princip, der proceſſirenden Einheit von Sein und Nichtſein, dem Werden, entſprechende Exiſtenz. Denn das Feuer iſt eben die Exiſtenz, deren Beſtehen reines Sich— aufheben, deren Sein reines Sichſelbſtverzehren iſt. Es iſt die daſeiende Negativität, der reine Proceß.

Dieſelbe proceſſirende Einheit von Sein und Nicht iſt aber auch die Zeit. Sie iſt eben jo das als poſitiv, als daſeiend geſetzte Sichſelbſtaufhebenz das Jetzt, das indem es iſt, unmittelbar nicht tft.

Und was ſo Feuer und Zeit, das iſt im Raume der Fluß. Das Fließen iſt die daſeiende Idealität des Raumes; das hier, das unmittelbar aufgehoben und entſchwunden, das nicht hier iſt.

Der Krieg iſt nichts Anderes als dies Ineinander der Gegenſätze und ihr ſich aufhebendes, damit aber alle Wirklichkeit gebährendes Thun. Und dieſer ſtete, das Daſein erzeugende und in ſich zurücknehmende Ueber- gang und Weg vom Sein zum Nichtſein, das iſt der Weg nach Oben und Unten, die blos dvo zarw ꝛc. ꝛc.

Dieſe ſymboliſchen Darſtellungen, dieſe Bilder des Gedankens, die Heraklit wählt, haben alſo jedes den Gedanken an ſich ſelbſt und ſind ſomit auch unabhängig von jedem religiöſen Hintergrunde zu erklären. Dies kann nicht überraſchen und gegen jene Beziehung auf orientaliſche und orphiſche Religionslehren zu zeugen ſcheinen.

1) Wir können uns nicht enthalten, noch eine andere Stelle Platos ſchon vor— läufig hierher zu ſetzen, deshalb, weil ſie in dem Raum einer Zeile die Identität dieſer Formen an dreien derſelben nachweiſt, Cratyl. p. 413. E. p. 413. Stallb., eine Stelle, in deren ganzen Verlauf und Zuſammenhang Plato Heraklitiſches durch— nimmt und fortfährt: „— A eat & To qr einep bei ob dl)o re my Evayriav 5ony“. „Kampf aber jet in dem Seienden, wenn es fließt, kein an⸗ derer als der Gegenfluß“. Alſo dies Fließen ſelbſt iſt Kampf (Rölsuos) und dieſer Kampf beſteht eben in dem Gegenfluß, &vavria Son, d. h. odo s d xd r, oder was ſpäter Evayriorporn, Evayreodpopia genannt wurde.

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Denn gerade nad) der hier vorgetragenen Anſicht war das Requiſit, ſeiner ſpeculativen Idee gemäß zu ſein, das erſte Erforderniß für jedes Bild, das Heraklit aus dem Kreiſe der Religionen greifen konnte. Es kam ihm ja nicht auf den Inhalt jener Religionen als ſolcher an, er war kein Anhänger irgend einer Prieſterlehre, ſondern es ſind ihm dieſe reli— giöſen Principe, Geſtalten und Namen nur Bilder und Symbole ſeiner ureigenen Idee.

Jenen religiöſen Hintergrund aber, aus dem fie hervorgegangen und daß ſie wirklich aus dieſen religiöſen Kreiſen herausgegriffen, das laſſen dieſe Bilder und Namen, abgeſehen von ſpäteren ſtrengeren Beweiſen, deutlich genug ſchon in Ton und Farbe ſeiner Bruchſtücke hindurchleuchten.

So erinnert es, wenn er, nach einer bisher meiſt unbeachtet ge— bliebenen Mittheilung, die Zeit als Erſtes ſetzt (ſiehe Sextus Emp. adv. Math. X. 216 u. beſ. ib. 230.), ſofort an die Zervane Akherene der Zend-Aveſta, das Feuer und der Krieg an die Lichtverehrung und den Kampf der beiden Principien in derſelben Religion; die oog dvo αν weist noch beſtimmter auf gegyptiſche Seelenlehre hin ꝛc. ꝛc.

Wenn man aber jene an und für ſich beſtehende, der heraklitiſchen Idee adäquate Natur der Symbole und Bilder, in denen er ſeinen Be— griff ausdrückt, als ein Argument gebrauchen wollte, um jede bewußt ſtattfindende Beziehung Heraklits auf den religiöſen Hintergrund überhaupt in Abrede zu ſtellen, wenn man es ſomit als eine zufällige Ueber— einſtimmung bezeichnen wollte, ſo oft wir ſehen werden, daß Heraklit ſeine Idee in Symbolen, Namen und Principen ausgeſprochen, die wir auch in jenen Religionskreiſen wiederfinden, ſo würde dies doch erſtens heißen, dem Zufall eine gar ſeltſame Conſequenz einräumen; denn dieſe Parallelen laſſen ſich faſt ausnahmslos bei allen Hauptſtücken heraklitiſcher Lehre und mit innerer Wahrſcheinlichkeit und ſelbſt bis ins Einzelne ziehen. Zwei— tens läßt ſich aber, wie wir ſehen werden, dieſe Ausflucht bei einigen ſeiner Formen deshalb nicht anwenden, weil ohne eine ſolche Beziehung ihr be— ſtimmter Name gar nicht zu begreifen oder doch nicht genügend zu erklären wäre. Endlich aber begegnen wir, um von vielem Anberen hier zu ſchweigen, zum Glück (wir verweiſen hier einſtweilen nur auf § 16.) bie- her noch unerklärt und unerklärlich gebliebenen Bruchſtücken, Stellen, die jeden Streit geradezu ausſchließen, jede Meinungs— verſchiedenheit ſchlechterdings unmöglich machen und uns durch das helle Licht, welches fie durch die bloße Vergleichung mit religiöſen und zwar gerade orientaliſchen Symbolen, Namen und Cultusacten

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empfangen, unwiderſprechlich zwingen, eine direkt bewußte Beziehung Heraklits auf dieſelben anzunehmen!

Die Darſtellung Heraklits iſt, wie aus dem Bisherigen folgt, nicht eine mythiſche zu nennen, wie es die des Pherecydes noch war. Denn zum Begriff des Mythos gehört auch das Geſchehen, die Handlung; was Heraklit dagegen aus dem Reich des religiöſen Glaubens entlehnt, ſind meiſt nur Namen, und man könnte ſie darum eher als ſymboliſche Darſtellung bezeichnen.

Und dies iſt denn der wahre Sinn der Verſicherungen des Clemens, die doch, zumal ſie mit den ſpäter anzuführenden Verſicherungen noch beſſerer Zeugen völlig übereinſtimmen, irgend einen Sinn gehabt haben müſſen, daß Heraklit nämlich räthſelhaft und allegoriſch und mit „ver— borgener Bedeutung! [S tLů di BobAnowv]| geſchrieben; ſiehe Clem. Alex. Strom. V. 8, p. 676. Pott., ef. ib. II. 1, p. 429. Pott., V. 4, p. 657. Pott. An dieſer letztern Stelle macht Clemens einen guten Vergleich. Er ſagt, daß Hellenen und Barbaren die wahren Principien der Dinge in Räthſeln, Symbolen, Allegorien und Metaphern ausgedrückt hätten, gleichwie bei den Hellenen die Orakel und der pythiſche Apoll, mit welchem Gotte auch der Käufer beim Lucian (vit. auct. c. 14. T. III. p. 97. ed. Bipont.) den Heraklit vergleicht.

An dieſen Vergleich reihen wir ein heraklitiſches Fragment, welches, wie wir glauben, durch unſere eben entwickelte Anſicht erſt verſtändlich und wahrhaft klar geworden, uns Alles hierüber bisher Erörterte mit Heraklits eigenen Worten beſagt: Plut. de Pyth. Orac. p. 404. e. p. 657. Wytt.: oöuar 02 yıworeıw ro zap’ H] νmAũꝛ lr eu, ws , ob ro navreiöv Eorı ro Ev deigpotis oVre AEyeı oVTe xpünre: G onpalver“ (und faſt ganz ebenſo nochmals bei Plut. Fragm. ex Stob. Serm. p. 69. p. 876, Wytt., blos mit der Abänderung dvag ö SY Asipois“). „Der Herrſcher, deſſen Orakel in Delphi iſt, nicht ſpricht er heraus, noch verbirgt er (ſeinen Sinn), ſondern ſinnbildlich ſtellt er dar (deutet er an)“.

Jetzt erſt iſt aus dem Obigen der Mittelbegriff „oywalvee“ zwiſchen xo, et und dem Jeet (heraus ſagen) klar, der Schleiermachern p. 334 unzugänglich bleiben mußte.

Denn was hier Heraklit von dem Orakel Apollos ſagt, das paßt ganz genau auf ſein eigenes Sprechen, auf die für ihn ſo charak— teriſtiſche Darſtellung ſeiner Idee in Bildern und auf ſein angegebenes Verhältniß zu den religiöſen Lehren!

Und gar nicht abzuweiſen iſt die ſich aufdrängende Meinung, welche

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durch die bald folgenden Fragmente noch beſtätigt wird, daß Heraklit an dieſer Stelle dieſen dunkeln bedeutſamen Orakelton Apollos als gött— liches Sprechen und Muſter für die philoſophiſche Sprache und als fein eigenes Vorbild hingeſtellt habe!).

Eine dem Sinne nach ganz ähnliche und die eben angegebene Be— deutung des vorigen Bruchſtücks jedenfalls unzweifelhaft feſtſtellende, bis— her aber überſehene intereſſante Stelle findet ſich bei Jamblich Myst. Aeg. Seet. III. c. XV. p. 79. ed. Gale. Er ſpricht von der Wahrſagerkunſt. Dieſe gehe von den göttlichen Zeichen (area) ſelbſt aus; die Götter machten dieſe Zeichen durch die dienende Natur oder durch die der Zeugung vorſtehenden Dämonen, welche den Elementen des Alls und den Einzel— leibern zugeordnet ſind und der Götter Beſchluß vollſtrecken, worauf Jamblich unmittelbar fortfährt: „ovaßoArz@s de ryv Yvaymv Tod He HEA npoönAwaorv, xa® "Hpazlerrov, obre Adyovreas oDre xpbrrovres dla onpalvoyvres“.

„Symboliſch aber offenbaren fie den Rathſchluß des be— ſchließenden Gottes, nach Herakleitos, nicht herausſagend, noch verbergend, ſondern durch Zeichen andeutend“.

Man könnte leicht der Meinung fein wollen, daß nicht nur die Worte: oltre ÄAeyovres, our xpbnrovres, dd onpalvovres, jondern ſelbſt die ganze Stelle von: avußokmws d& bis mpooniwow für mindeſtens dem Sinne nach heraklitiſche Anführung zu halten ſei.

Daß man auf dieſe Weiſe zwei einander ſehr ähnliche und dennoch nicht ganz identiſche Stellen des Heraklit gewönne, von denen die eine mit oe Aeyoyres, ov rh¹ινονννν⅝ M ommalvovres ſchließt, wie die andere mit one Je οντν zphmrer alla t über den delphiſchen Gott, würde dieſer Anſicht noch nicht entgegenſtehen können, denn dieſem Zuge, daß zwei ſehr ähnliche Stellen aus Heraklit angeführt werden, von denen doch nicht die eine aus der andern hergefloſſen ſein kann und beide in ſeinem Werke ſich vorgefunden haben müſſen, werden wir noch häufig genug begegnen und ihn urkundlich nachweiſen können, wie ihn auch Schleiermacher bei Gelegenheit anderer Bruchſtücke annimmt.

Wohl aber können allerdings ſehr gewichtige Gründe für jene An— ſicht zu ſprechen ſcheinen. Zuvörderſt kann man ſagen, daß die Stellung der Worte * "Modzisrrov zeigt, daß ſich, nach Jamblich, die Anführung

1) Vgl. die Bemerkung Ritter's a. a. O. p. 83: „Daß er (H.) den bildlichen Ausdruck geliebt habe, dies ſcheint er ſelbſt in einem Bruchſtücke ſeines Werkes anzudeuten, in welchem er vom Delphiſchen Gotte ſpricht“.

*

auf den ganzen Satz, in deſſen Mitte ſie geſetzt iſt, erſtrecken ſoll. Sonſt hätte das xa Hodndetro exit hinter ore Adyovres feine Stelle finden können.

Ferner ſcheinen, wenn irgend etwas, ſo doch jedenfalls die Worte obre Aeyoyres xf), ſich für eine ſehr beſtimmte und wörtliche Anführung aus Heraklit auszugeben und könnten dann alſo wegen der Participal- bildung und wegen der Pluralform nicht aus der über den Apollo handelnden Stelle im Buch des Epheſiers herausgefloſſen ſein. Dann läßt ſich auch nicht leugnen, daß Niemandem, der die Stelle bei Jamblich im Zuſammenhang mit dem ihr Vorangehenden nachlieſt, wird entgehen können, wie Jamblich ſchon bei den Worten avußodr@s d xrA. feine eigene ent- wickelte abſtract-philoſophiſche Sprache aufgiebt und plötzlich ſtoßweiſe in die concrete, markige Sprachweiſe des Epheſiers übergeht. Endlich aber ſcheint gar ſehr der Gebrauch des Wortes „yvouy“ in dieſer Anſicht be— ſtärken zu müſſen; denn die yvopy in dieſem objectiven Sinne, nicht als ſubjective Einſicht und Erkenntniß, ſondern als göttliches und natür— liches das All durchwaltende Geſetz iſt ein ächt und eigenthümlich heraklitiſcher Ausdruck), dem wir in dieſer Weiſe in den Bruch— ftüden des Epheſiers begegnen). i

Wir meinen alſo, daß beide Stellen über den ſymboliſch ſprechenden Apollo und über die die yvop des beſchließenden Gottes in den Exiſtenzen der Natur verhüllt darſtellenden Dämonen in dem Werke Heraklits und zwar wohl in faſt unmittelbarer Aufeinanderfolge geſtanden haben werden, indem er ausgeführt und ſich wie auf ein Muſter und wie auf eine innere Nothwendigkeit für die in ſeiner eigenen Philoſophie geſchehende Dar— ſtellung des göttlichen Geſetzes (P, Aöyos) darauf berufen haben wird, daß Alles Göttliche und Große ſowohl in der Sprache des Orakels als im Reich der Natur zwar nicht wirklich verſteckt, aber eben ſo wenig auch

1) Siehe weiter unten 8 15.

2) Endlich ſpricht noch (wenn nämlich der Verf. der Myst. Aeg. in der That Jamblichus iſt) zu Gunſten dieſer Anſicht: daß hier ein zweites Fragment vor- liegt, der Umſtand, daß Jamblich auch jenes über Apollo handelnde Fragment in der plutarchiſchen Form kennt und anderwärts anführt, nämlich in dem Briefe an Dexippos ap. Stob. Serm. T. 81. (79.) p. 472. J. III. p. 127. ed. Gaisf. (Lips.) o de ra Eoya abra deluu,,i, abrös 6 & Aslgpois S, obre NE za "Hodzseroy, odre zpirtwv, Alla annalvwv Tas nayreias, Eyeiper oo Ötalerrırnv Ötspedvnaw Tobg Eryxoovs Toy Jomop@v, dg 75 Angıfokta Te nat Önwvuria Spin,. al e d dν,Wßmuundèn POS Ertarnumg du Je. (Jedenfalls erſcheint alſo auch in dieſem Zuſammenhange die Sprache des Gottes als Muſter und Vorbild der philoſophiſchen Sprachweiſe aufgeſtellt.)

BB

wieder in gewöhnlicher Menſchenweiſe herausgeſagt, ſondern vielmehr ver— hüllt offenbart, in Verkörperungen und ſomit in ſymboliſcher Verſinnbildlichung, die eben deshalb auch eine Verhüllung in ſich einſchlöſſe, dargeſtellt ſei.

Nimmt man aber auch an, daß die ganze Stelle der Myst. Aeg. ſammt den Participialformen Asyovres ete. nur aus einer freien Benutzung des heraklitiſchen Ausſpruchs, wie ihn Plutarch anführt, durch Jamblich entſtanden ſei, ſo iſt doch der ſubſtantielle Sinn der Stelle unzweifelhaft richtig und im heraklitiſchen Geiſte gedeutet, wie ja auch die Anführung der Sentenz im Briefe des Jamblichus evident beſtätigt, daß jene ſinnlich— darſtellende und eben durch die Verſinnlichung auch zugleich einhüllende ſymboliſche Sprache des Gottes als Vorbild philoſophiſchen Sprechens bei Heraklit aufgeſtellt wird.

Dieſelbe ſinnbildliche Sprache alſo, die am Spruche des Gottes, nahm Heraklit auch an den Erſcheinungen der Natur ſelbſt wahr, die, wie Feuer und Fluß ꝛc., ſeinen ihn beſeelenden ſpeculativen Begriff in das Material der Sinnlichkeit eingetaucht ihm entgegenhielten.

So ſpricht uns Jamblich (ib. Sect. I. c. XI. p. 20. ed. Gale) von einer ſymboliſchen Sprache der Natur und an einer dritten Stelle (ib. Sect. VII. c. 1. p. 150. Gale) jagt er uns ganz in dieſem Sinne, daß die ſymboliſche Darftellung als eine Nachahmung der ſym— boliſch wirkenden Natur ſelbſt zu betrachten ſei.

Und in einer noch mehr hier einſchlagenden, ganz und gar heraklitiſiren— den Stelle führt uns Porphyrius aus (de antro Nymph. c. XXIX. p. 27 van Goens.), daß die überall in den Exiſtenzen der Natur vorhandene Zweiheit, Tag und Nacht, Aufgang und Niedergang ꝛc. nur das Sym— bol ſei, in welchem die vom Gegenſatz ausgehende Natur) ſich darſtelle [apfapevns yap , gbosws And Erepörnyros, navrayod To öldupov abrHns nenolyrar obnßoAov xri.|?), worauf er, unmittelbar hieran ein heraklitiſches Bruchſtück reihend, ohne Heraklit zu nennen, fort- fährt; deshalb heiße es auch (nämlich eben bei Heraklit): ſich in ſich ſelbſt widerſtrebend ſei die Harmonie, welche die Gegenſätze durchdringt.

In dieſem Zuſammenhange nur iſt ein anderes gleichfalls bisher überſehenes Bruchſtück Heraklits zu verſtehen, welches Schleiermachern

1) Man vergleiche hiermit die ganz entſprechende Stelle des armeniſchen Philo über Heraklit im 8 23.

2) Aa dd todro ... „„mailvrovos 7 dppovta 7 rofeveı qi rwy Evayriuv Wir kommen auf dies unüberſetzbare Fragment, ſowie auf das bald folgende bei Plutarch ſpäter ausführlicher zurück (8 2. u. 3.).

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p. 334. 336 in Verlegenheit hätte ſetzen müſſen und das uns Themiſtius mittheilt, orat. V. ad Jovian. p. 69. ed. Hard.: „pbats , xu Hodxqetroy, zpbnreoda:r al, xal npo Tas Ylosws vis gbosws Öyptovpyos“.

Ganz gleichlautend führt Themiſtius dieſes Fragment noch einmal an or. XII. ad Valent. p. 159. Hard., fo daß offenbar auch die Worte a ao vie pboews ve ybosws Önmovpyos als Heraͤklit ſelbſt angehörig zu nehmen ſind. „Die Natur aber liebt, nach Heraklit, verborgen (d. h. verhüllt dargeſtellt) zu werden und noch vor der Natur der De— miurg der Natur“. n

Auf daſſelbe Fragment ſpielt der armeniſche Philo an (Quaestt. in Genes. p. 238. Aucher. T. VII. p. 57. ed. Lips.): Arbor est secundum Heraclitum natura nostra, quae se obducere atque abscon- dere amat.

Was es mit dieſem „Verborgen werden“, welches die Natur liebt, auf ſich hat, wird jetzt wohl bereits ſchon hier aus allen vorigen Parallel— ſtellen auf der Hand liegen.

Der Begriff des Werdens, die Identität des großen Gegenſatzes von Sein und Nichtſein iſt das göttliche Geſetz, die große Yvoun des be— ſchließenden Gottes, die ſich durchzieht durch alle Erſcheinungen der Natur und deren ſinnliche Verkörperung nur die alle Exiſtenzen der Natur durch— dringende Zweiheit und Gegenſätzlichkeit bildet. Die Natur ſelbſt iſt nichts als eben die körperliche Verkündigung dieſes ihre innere Seele bil— denden Geſetzes von der Identität des Gegenſatzes.

Der Tag iſt nur dieſe Bewegung: ſich zur Nacht zu machen. Die Nacht nur dies: zum Tag zu werden. Der Sonnenaufgang iſt nur ein ununterbrochener Niedergang ꝛc. ꝛc. Das All iſt nur die ſichtbare Ver— wirklichung dieſer Harmonie des ſich Entgegengeſetzten, die durch Alles Seiende hindurchgreift und es regiert. Allein wenn auch in allen Exiſten— zen der Natur nur dieſe Harmonie des Sich ſelbſt Entgegengeſetzten (die darum eine zaAdvrovos apnovia iſt) ausgeſprochen iſt, jo iſt doch dieſe Einheit von Sein und Nichtſein, dieſe Identität eines Jeden mit ſeinem eigenen abſoluten Gegenſatze in den ſinnlichen Erſcheinungen, eben weil ſie hier ſelbſt in der Form des ſinnlichen Seins erſcheint, eben jo verhüllt als verkündet !), denn ein jedes Seiende, ſelbſt das Feuer,

1) Dies tritt auch in dem „ſich bedecken, umhüllen“ (se obducere) deutlich heraus, welches Philo ſehr gut dem abscondere zur Erklärung hinzufügt; vergleiche hierzu außer dem $. über die ſinnliche Harmonie beſonders 8 28 bei der Lehre vom Erkennen.

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bietet immerhin ein ſcheinbares Beſtehen dar, welches nur in feiner Identität mit ſich ſelber zu beruhen und ſeinen Gegenſatz aus— zuſchließen ſcheint. Darum iſt dem Heraklit das weltbildneriſche Geſetz, nach welchem alle Dinge geordnet ſind, in denſelben weder wirklich ver— borgen noch herausgeſprochen, ſondern verhüllt dargeſtellt. Und weil die wahrhafte Natur der Dinge, obwohl ſie nichts iſt als die Darſtellung von dieſer Identität des Gegenſatzes von Sein und Nichtſein, doch dieſe Identität immer wieder nur in ſinnlichen Exiſtenzen und ſomit in dem unangemeſſenen, ein feſtes Beharren vorſpiegelnden, den Gegenſatz nur verborgen an ſich tragenden Element des Seins darſtellen kann, weil ſie mit einem Wort das Werden doch nur als Seiendes und ſomit dem Werden ſcheinbar Entnommenes verwirklichen kann, darum konnte Heraklit ſagen, die Natur wie das weltbildneriſche Geſetz derſelben liebe verborgen zu werden).

In demſelben Gedankenzuſammenhange mußte Heraklit auch ſagen und hat es wahrſcheinlich wohl auch in einem örtlichen Zuſammenhange in ſeinem Werke geſagt was uns Plutarch aus ihm anführt (de anim. procreat. p. 1026, p. 177. Wytt.) „apnov?y yap agayns pgavspys zpeitrwv e, “Hodxierrov, Ev 7 rds Ötapopüs zal Erepöryras 6 niyvboy Bebs Expuds xal xareövoe“.

„Denn die unſichtbare Harmonie iſt, nach Heraklitos, beſſer als die ſichtbare, in welche der miſchende (d. i. das Entgegengeſetzte mit einander einende) Gott die Unterſchiede und Gegenſätze eintauchte und verbarg“. Sind hier auch die Worte: Ev 7 xareövoe nicht Heraklit ſelbſt zugehörig, ſo enthalten ſie doch jedenfalls, wie ſelbſt Schleiermacher p. 420, obwohl er das Bruchſtück völlig mißverſteht, anerkennt, nur eine ſehr ächte nähere Beſchreibung und Explication des heraklitiſchen Sinnes ?)! Dieſer Sinn aber ergiebt ſich aus dem Vorangehenden von ſelber. Die reine proeeſ— ſirende Einheit des Gegenſatzes von Sein und Nicht als reiner Begriff gefaßt, Das, was wir etwa die logiſche Kategorie des Werdens

1) Das xpörreodar abſoluter aufzufaſſen und ſomit mißverſtehen zu wollen, wie, ſelbſt wenn nur dieſe Stelle iſolirt exiſtirte, kaum möglich ſcheinen ſollte, da— gegen ſchützen die obigen Stellen bei Philo und Plutarch und ebenſo auch bei Jamblich, beſonders die letztere, deren odre Jsyrοον e, orte x, alla i. von der Verwirklichung der göttlichen Zuopm in der Natur durch die Daimonen in engem Sinnzuſammenhange mit dem gegenwärtigen Fragmente ſteht.

2) Dies Bruchſtück, welches ebenſo wie das des Porphyrius hier nur wegen des Ideenzuſammenhanges vorläufig angeführt wird, muß ſpäter noch ſorgfältiger beſprochen werden, wobei ſich auch der hierbei von Schleiermacher, den Sinn der Stelle gerade in ihr Gegentheil verkehrende Mißgriff ergeben wird.

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nennen würden, war ihm die unſichtbare Harmonie oder die weltord— nende yvopın des Gottes. Die Weltbildung ſelbſt iſt ihm nur die ſinn— liche Darſtellung dieſer unſichtbaren Harmonie, iſt ihm ſomit ein Ge— genſatz zu dieſer ſichtbare Harmonie.

Wenn aber demnach die Welt der ſinnlichen Exiſtenzen auch gar keinen andern Inhalt und Bedeutung hat als dieſes die Gegenſätze als Eins ſetzende, die unſichtbare Harmonie verwirklichende Thun des Got— tes zu ſein, ſo iſt doch eben deshalb jene reine proceſſirende Einheit dadurch in der unadäquaten vorwiegenden Form des Seins, nicht mehr als un— aufgehaltnes Werden, geſetzt und in dieſer ihrer eigenen Verwirklichung ſomit eben ſo ſehr verwirklicht als auch getrübt und verborgen. Darum iſt die unſichtbare Harmonie, das reine in kein ſinnliches Sein getauchte ideelle Geſetz der Einheit des Gegenſatzes, eine reine und beſſere Har— monie als ihre geſammte Verwirklichung im ſichtbaren Weltall.

Und von hier aus empfäugt dann, ſoweit es hier bereits möglich, ſein helles aber noch nicht ſein letztes Licht das ſo dunkle Bruchſtück bei Cle— mens Alex., das, nach uns, gerade als ein Hauptſchlüſſel zu Heraklit und als die bedeutungsvollſte Charakteriſtik ſeiner ganzen Darſtellungsweiſe gelten muß. Es ſteht Strom. V. 14 p. 718. Pott: oda &yw zart d- Twya nposuaprupodvra Hpaxreiw ypagyovrt: „Ev Tb copy MoDvov Axe dt odx EdEleı xar EdEleı, Zyvos Ovona““. „Das Eine Weiſe allein will und will nicht ausgeſprochen werden, der Name des Zeus“), wie Schleiermacher p. 334 dieſe Stelle mit Gent. Hervet. zu Clemens richtig interpungirt und überſetzt, obgleich ſie ihm nichtsdeſtoweniger, wie er ſelbſt zugiebt, unverſtändlich blieb und bleiben mußte.

Was aber das Eine Weiſe iſt, das bietet jetzt nach allem Obigen keine Schwierigkeit mehr dar es wäre klar auch ohne die Parallelſtelle bei Diog. L. IX. 1: zivar νν Ev To 06gpoV, Enioraodar yvayunv Zre oly zußepvyosı navra ẽ, zavrav"?). „Eins ſei das Weiſe, die

1) Wer muß nicht übrigens ſchon bei dieſem Namen des Zeus, der nicht aus— geſprochen werden will, an die ägyptiſchen Gottheiten denken, deren Namen aus— zuſprechen verboten war, z. B. Cic. Nat. Deor. III, 22. 56. Quartus (Mercurius) Nilo patre, quem Aegyptii nefas habent nominare und Jamblich. de Myst. Aeg. Sect. VIII. c. III. p. 159. G., wo von dem Eikton gejagt wird 5 67 xa dıa o növns Vepansderar etc.

2) Denn fo ftelt Schleiermacher die Stelle richtig her Hermann's Con⸗ jektur: „Ire sn xußspynose bei Hübner z. d. a. St. kann ſich gegen die Schleier— macher'ſche Fre 9% ꝛc. nicht halten. Das / wird auch durch das wodvo» bei Clemens geſtützt (ſiehe § 15.).

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yvopy zu verſtehen, welche allein Alles durch Alles leiten wird. Das Eine Weiſe, der Name des Zeus, das iſt eben nichts Anderes, als die unſichtbare Harmonie, als das göttliche Geſetz (die 7 Tod νν . kovros) in der obigen Stelle des Jamblich, welches die Dämonen in der Weltbildung weder herausſagen noch verſchweigen, ſondern durch Ver— körperung ſinnbildlich darſtellen und welches daher allein die Seele alles Seienden bildet, Alles leitet und durchdringt. Das Eine Weiſe, der Name des oberſten Gottes, das iſt eben der ſpeculative Begriff, die pro— ceſſirende Einheit des Sich Entgegengeſetzten, die allein durch Alles ſich durchzieht, Alles regiert, in Allem vorhanden iſt und neben dem Alles Andere nur Scheinexiſtenzen ſind. Und wie dieſer ſpeculative Begriff allein es iſt, der da lebt in allen Exiſtenzen der Natur, die ihn aber in ſinnliches Material getaucht und ſomit nur verhüllt und ſinnbildlich ausſprechen, wie er es allein iſt, der immer verwirklicht und aus— geſprochen werden will, in dem geſammten Reiche der Natur, die nichts iſt als ſeine ſichtbare Darſtellung und Verwirklichung, ſo iſt er es auch allein, der in dieſer Verwirklichung doch wieder nie in ſeiner reinen Allgemeinheit und Negativität erſchöpft iſt, darin eben ſo ſehr ent— äußert als verwirklicht, eben ſo ſehr verborgen als dargeſtellt, eben ſo ſehr ausgeſprochen als wieder nicht ausgeſprochen iſt. Denn wenn er, dieſer ſpeculative Begriff, auch weſentlich der Trieb iſt, den Gegenſatz von Sein und Nicht als aufgehobenen und identiſchen zu ſetzen, ſo kann er dieſe Einheit doch immer nur in einer ſinnlichen Form, in einer einzelnen Beſtimmtheit, d. h. ſelber wieder als ſeiende ſetzen und alſo nie in ſeiner reinen innern Allgemeinheit als dieſe adäquate Einheit ſelbſt heraustreten. Das allein Wahrhafte und Wirkliche, das allein in Allem exiſtirt, deſſen Darſtellung und Verwirklichung nur aller Reichthum der Natur iſt, der Name des Zeus iſt alſo weſent— lich dies: beſtändig ausgedrückt und ausgeſprochen werden zu wollen und in jedem ſolchen Ausgedrücktwerden, weil darin in eine einzelne Beſtimmtheit und wenn ſelbſt nur in die Beſtimmtheit des ein— zelnen Namens und des ſinnlichen Lautes gehüllt zugleich auch nicht feiner wahren Natur nach, als reine Negativität, ausgedrückt und wirklich herausgerungen zu ſein “).

) Es verhält ſich ſomit durchaus nicht ſo, wie Bernays a. a. O. IX, p. 257 meint, daß nach der Schleiermacher'ſchen Ueberſetzung dieſes Bruchſtücks, bei der auch wir verblieben ſind, eine „ſchwarze Frucht der Unklarheit, der Ae ανναM]H“G "Aodgera des Empedokles“ fein würde. Bernays will das J Zmvös als Ace- euſativ, das νοο aber als eine bloße (ziemlich tautologiſche) Verſtärkung des 8

ER 2

Dieſe Stelle Heraklits kann zugleich als tiefſte Charakteriſtik der eignen Sprache und Philoſophie Heraklits gelten, die auch noch nicht ihren inneren Begriff als ſolchen auszuſprechen weiß. Man kann von ihr ſagen, daß ſie ihren Begriff immer und immer wieder in den verſchiedenſten For— men herausringt und doch nie dazu kommt, ihn in ſeiner wahrhaft gedanken— mäßigen Allgemeinheit, als reine logiſche Kategorie wie er das Eine Weiſe und Name des Zeus iſt, als Negativität auszuſprechen. Und dieſe Un— möglichkeit iſt bei Heraklit, wie wir ſehen werden, eine innere und genau mit ſeinem Gedankenſtandpunkt zuſammenhängende. Dieſe ſinnliche, ſym— boliſche Darſtellung, die, nach Jamblich, eine Nachahmung der ſymboliſch ſchaffenden Natur iſt, welche letztere ja auch, nach Heraklits eigenem Frag— ment, ihren Gedanken der ausgeſprochen werden will und auch nicht, ver— hüllt darzuſtellen liebt, dieſe Darſtellungsweiſe iſt es, die als für Heraklit eigenthümlich feſtgehalten werden muß. Und ſo charakteriſirt ihn ja auch, außer der ſchon oben über feine ſymboliſche und verborgene Be— deutung angeführten Stelle des Clemens der Verfaſſer der Alleg. Hom. p. 442. ed. Gale p. 84. ed. Schow.: ö yodv axorsivos Hpazlerros doagn na 61a ovuß6iwv eixafeodar Övvaneva Bzokoye?r ra pborza (als Beiſpiel bald darauf den Satz vom Fluſſe anführen) HAov de ro zepl gbosws alvyparwdes Alkınyope.

In dieſem Sinne auch ift die Bezeichnung „Näthjler” (advirrys) zu verſtehen, die ihm der Sillograph Timon beim Diog. L. IX. 6. giebt!).

faſſen und überſetzt hiernach „Eines, das allein Weiſe will und will auch nicht mit des 27 Namen genannt werden“. Abgeſehen von allen Mißlichkeiten, die dies haben würde, werden wir, da unſere geſammte Auffaſſung und Darſtellung Heraklits mit der dieſes Bruchſtückes ſteht und fällt, ohnehin noch ſo oft genöthigt ſein, von ganz andern Partieen und Fragmenten aus auf daſſelbe zurückzukehren und den Sinn deſſelben immer beſtimmter zu entwickeln und nachzuweiſen, daß wir uns einſtweilen jeder weiteren Vertheidigung deſſelben enthalten können. Blos ſo— viel ſei bemerkt, daß wenn Bernays als Grund gegen die Schleiermacher'ſche Ueber— ſetzung geltend macht, der bloße „Name“ des Zeus könne doch nicht wohl das allein Weiſe ſein ſollen, ſich dies ſpäter vielmehr allerdings gerade als der tiefſte Sinn des Bruchſtücks und der heraklitiſchen Philoſophie überhaupt ergeben wird. 1) Einer Menge ähnlicher Zeugniſſe werden wir noch hin und wieder be— gegnen. Auf dieſe ſymboliſche Darſtellung giebt ſich auch Asklepios ſichtliche Mühe das zu beziehen, was Metaph. III. c. 3. p. 1005. B. geſagt iſt, Heraklit habe ſelbſt nicht angenommen, was er aufgeſtellt: anatv odv 6 "Aptororeins Ir obx E}eye rodro HodndeeroS, ; einep Eee, avpßoilırag Se bs eionrar &v m gvorn npaypareia .... toreov oBv Orte 0) Tayca res Aeyeı adra ral ho- r “Hodzieros‘ zipnrar yap £v 15

edu Örı ounßolıas radra Zieyey xr}. Ar. Ed. Berol. Vol. IV. p. 652.

Ein weſentlicher Zug ſolcher Darftellung tft die Kürze. Sehr richtig jagt uns ein griechiſcher Denker über die Sprache, Demetrius, de elocut. § 243, daß die Kürze eine weſentliche Eigenſchaft des Symboliſchen ſei und ihm ſeine Gewalt und Macht verleihe ).

Dieſe gewaltſame Kürze finden wir noch in Allem, was irgend ächt heraklitiſch iſt, und ſchon Diog. IX. 7. ſagt uns: „die Kürze und Gewalt (Wucht, 5 os) feines Ausdrucks iſt unvergleichlich“.

Darum tönen denn ſo orakelartig, vulkaniſchen Eruptionen gleich, jene dunkeln und tiefen Sätze aus ſeinem Innern heraus, gleichwie der Gott ſie ſpricht in ſeinem Heiligthum und die Natur ſie verkörpert in ihren Exiſtenzen, den Symbolen der Idee. Und der ſo redende Mund heißt ihm vom Gotte erfüllt und raſend vom Gott. Plut. de Pyth. orac. p. 397. et p. 627. Wytt. „I/BvAia de narvonsvo oTönart, aud llod de,“, aysiaora za! dxarllwrıora za! dndpLoTa g9eryronevn, ztklav Erwy E£ıxvsitar e ywmvn o:a Toy dEov“, „Die Sibylle aber mit raſendem Munde Unbelachtes und Un— geſchmücktes und Ungeſalbtes verkündend, reicht durch die Jahrtauſende mit ihrer Stimme durch den Gott“.

Und noch ſchärfer vielleicht findet ſich der Gegenſatz bei Clemens Alex. Strom. I. c. 15. p. 358, Pott: "Hoazlerros yap odx avdowrivws gol, d obv den pürlov N regavdar. „Nicht men ſchlich, ſondern mit dem Gotte habe die Sibylle geredet“. Hiermit vergleiche man wieder eine bisher überſehene Stelle des Jamblich. Myst. Aeg. Sect. III. c. VIII. p. 68. Gale, wo offenbar auf unſer Fragment Bezug genommen

wird: „xa i dn adrav seil. r dewv]| ravreiys Entzpareca, TEpLEY0UGa EV nd TO Ev Au, XR Aöyovs mpoienevn

ob era Öravolas de Twv Jeyövrw, AA)a parvonevo gao! oröparı gÜeryonzvwy adrods za! brmperobvrwv Okwy Xal TaDa- ywpobvrwv hu, TH Tod zparobvros Evepyzia.

Was dies „Nerd dravolas“ (gleichviel ob man Asyovrwy oder Asyo- pevwv lejen will) hier bedeuten kann, zeigt uns das Avdpwrivws bei Clemens an. Nicht menſchlich ſpricht die Sibylle. Das menſchliche Sprechen aber im Gegenſatze zu der von dem Gotte raſenden und ihn verkündenden Stimme iſt die vermittelnde und erklärende und mit Beweisführung verbundene Rede.

1) % xa ra ounfola & . dewörnros, rt SH, rais Bpayuio- wars. Kal yap &x roh fes bhydevros brovojoar ra rislora det, zadarep PPAXEWS PN 7 f

dx rh ouußokwv.

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Und in der That iſt es denn charakteriſtiſch für Heraklit, aber aus allem Bisherigen mit Nothwendigkeit folgend, daß wir immer bei ihm nur unvermittelt hingeſtellten Sentenzen begegnen, die in ſich und ihrer innern Wahrheit trotzig wie Felsblöcke beruhen, faſt nirgends aber auch nur einen Anſatz zu einer Beweisführung durch Gründe finden.

Man würde Unrecht haben zu glauben, daß dieſe Sentenzen deshalb bei Heraklit abgeriſſene, zuſammenhangsloſe geweſen ſein müſſen. Im Gegentheil. Er ſtellt, wie Spuren genug vorliegen, in ſeinem Werke in ſehr zuſammenhängender Weiſe die ſeinem Gedanken entſprechende Natur des Weltalls dar. Aber er ſtellt eben dar, d. h. er zeigt unmittelbar und in poſitiver Form ſeinen Gedanken als in den Erſcheinungen der Natur verwirklicht auf, aber er beweiſt nicht durch Gründe.

Dieſen Mangel an vermittelnder Beweisführung mußte natürlich Ariſtoteles, dem ſolche Beweisführung Erforderniß iſt, tadelnd vermiſſen (man vergl. nur de Coelo II, 5, p. 187. b. Bekk.: 4% du der ryv alrlav ron Aeyeıy, Tis Eorıv xri. und was er dabei von der dxzprfeorspa dydin des Beweiſens jagt; ef. Eth. Nic. VII, 4. p. 1146.) und hierauf nicht aber auf ſeine Autodidaxie wie Schleiermacher p. 340 meint, gehen denn Stellen wie Eth. Magn. II. c. 6. p. 1201. Eth. Nicod. VII. c. 5. p. 1147, wo er ſagt, Heraklit baue ſo feſt auf ſeine Meinungen und das, was ihm ſcheine, wie Andere auf das, was ſie wiſſen.

Jetzt ſind wir auch im Stande zu begreifen, was es mit jener viel berühmten heraklitiſchen Dunkelheit, die ihm den Beinamen: 6 axoreivos !) verſchaffte, eigentlich für eine Bewandniß gehabt habe.

Sehr richtig ſagt Schleiermacher p. 322, es müſſe uns vorzüglich daran gelegen ſein, zu wiſſen, von welcher Art ſie eigentlich geweſen, und es ſei für keinen geringen Vortheil zu achten, daß ſie ſelbſt wenigſtens uns hell genug ſei und wir ziemlich ſicher eutſcheiden könnten, was für eine Bewandniß es mit ihr wirklich gehabt habe.

Wenn aber Schleiermacher ſo die Frage gut geſtellt hat, ſo hat er ſie doch ſchlecht beantwortet. Er meint nämlich, daß dieſe Dunkelheit: „nur eine grammatiſche geweſen ſei“. Er ſtützt dieſe Anſicht auf zwei

1) Stellen hierüber anzuführen wäre überflüſſig. Die Anekdote mit dem de— liſchen Schwimmer iſt bekannt genug. Dieſe Dunkelheit wurde nachher ſprich— wörtlich, z. B. Hieronym. in Rufin. I. ed. Par. T. IV. p. 385. Denique et ego scripta tua relegens quamquam interdum non intelligam, quid loquaris et Heraclitum me legere putem. id. adv. Jovin. lib. I. T. IV. p. 145. Hera- elitum quoque cognomento azoreivoy sudantes philosophi vix intelligunt.

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Stellen des Ariftoteles und des Demetrius. Ariſtoteles nämlich jagt, Rhetor. III. 5, p. 1407. Bekk.: „Des Herakleitos Schrift iſt ſchwer zu in- terpungiren, weil es unklar iſt, worauf ſich etwas bezieht, auf das Fol— gende oder Vorhergehende, wie z. B. im Anfange ſeines Buches. Er jagt nämlich: „Indem nun dieſes Sachverhältniß beſteht!), werden immer unvernünftig die Menſchen“. Denn undeutlich iſt hier, worauf das „Immer“ zu beziehen ſei, ob auf das Frühere oder Folgende! y7o! ruh: nod Adyou robe sdντον‚ due dSννατν§ dvdpwmor Yivovrar“ A ον yüp c del, noùs bre dtmorfzar]“.

Allein dies Beiſpiel, das Ariſtoteles anführt, hat gar keinen Zuſam— menhang mit der wirklichen heraklitiſchen Dunkelheit. Denn wie man auch die von ihm citirte Stelle interpungiren mag, ob man überſetzt: „Indem dieſes Sachverhältniß immer beſteht ꝛc.“, oder „indem es beſteht, werden immer unvernünftig die Menſchen“, in beiden Fällen giebt die Stelle immer denſelben Sinn und Dunkelheit iſt mindeſtens wegen jenes de} nicht in ihr vorhanden.

In allgemeinerer Weiſe jagt Demetr. de elocut. $ 192: Heraklit werde großentheils dunkel durch den Mangel an Verbindung, ſo daß man nicht wiſſe, wo ein Satz beginne und endige 7).

Und in der That treffen wir hin und wieder auf Stellen, in welchen die Interpunktion fraglich ſein kann. Zugegeben alſo, daß dieſe gram— matiſche Schwierigkeit bei Heraklit Statt gefunden, ſo darf man uns doch nicht ſie als einziges oder auch nur als irgend wie hauptſächliches Er— klärungsmoment jener berühmten Dunkelheit hinſtellen wollen. Bei wei— tem die meiſten Stellen, aus welchen dieſe Dunkelheit uns anweht, bieten keine Interpunktationsſchwierigkeit dar; und wo dieſe gar Statt findet, hat ſie doch mit der eigenthümlichen heraklitiſchen Dunkelheit nichts zu ſchaffen, und dieſe bleibt noch beſtehen, wenn auch die Interpunktationsfrage gelöſt iſt, wie z. B. in dem letzten aus Clemens angeführten Bruchſtück von dem Einen Weiſen Schleiermacher zwar die falſche Interpunktion und Ueberſetzung von Potter richtig verbeſſert, nichts deſtoweniger aber ſelber

1) 2övros ftatt deovros, worüber fpäter in dem die Fragmente behan— delnden Theile.

2) Aehnliche Gründe ſyntaktiſcher Natur werden für die heraklitiſche Dunkel heit angegeben in den Progymnasmata des Theon. Rhetor. gr. ed. Walz. T. I. p. 187. ef. ib. T. II. p. 226; ein etwas feinerer und bei dem häufigen Gebrauch des Participiums bei Heraklit gewiß auch hin und wieder zutreffender Grund der— ſelben Art in den Scholien des Joannes Sicul. eis rag Weas rn TEpnoyevons. Rhetor. gr. ed. Walz. T. VI. p. 197.

zugiebt, daß ihm die Stelle unverſtändlich bleibe. Ebenſo läßt auch die Art, in welcher die Alten von der Dunkelheit und Räthſelhaftigkeit Heraklits ſprechen, die Meinung nicht aufkommen, daß es ſich dabei blos um eine grammatiſche Undeutlichkeit handle. Man ſehe nur die weiter unten noch anzuführende Stelle des Plato von den „räthſelhaften Wörtern“ (önpariozıa), welche die Heraklitiker, Pfeilen gleich, aus ihrem Köcher ziehen und abſchnellen, ſo wie die ſchon oben angezogenen Stellen des Clemens, des ſ. g. Herakleides, des Diogenes, des Asclepius ꝛc. von der „verborgenen Bedeutung“ und der ſymboliſchen Sprechweiſe des Epheſiers. Iſt man doch ſo weit gegangen, ſein Buch mit einer Myſterienlehre zu vergleichen, zu der es eines Eingeweihten bedürfe, ſie zu verſtehen, die dann aber auch heller ſtrahle, als die leuchtende Sonne ).

Dies Alles hätte doch unmöglich geſagt werden können, wenn es ſich bei der heraklitiſchen Dunkelheit nur um Interpunktionsfragen gehandelt hätte, eine Schwierigkeit, die gewiß Niemand mit den Myſterien würde haben vergleichen wollen.

Die wirkliche Bewandniß, die es mit der heraklitiſchen Dunkelheit ge— habt hat, muß ſich vielmehr ſchon aus allem Bisherigen poſitiv ergeben haben.

Wenn das Speculative an und für ſich und ſtets, durch ſeine Natur die Gegenſätze als Eins zu begreifen, dem gewöhnlichen Verſtande das Schwierigſte und Unzugänglichſte geweſen iſt und noch heute iſt, ſo kann es uns nicht Wunder nehmen, wenn hier, wo zum Erſtenmale dieſes for— male Grundgeſetz des Speculativen ſich erfaßt, das ſo große Geſchrei über Dunkelheit und Unverſtändlichkeit losbricht.

Die Dunkelheit Heraklits iſt alſo, nach uns, erſtens die Dunkelheit des ſpeculativen Begriffs und ſeiner dem Verſtande unfaßbaren Natur.

Dieſe Tiefe und Schwierigkeit des Gedankens giebt uns auch in der That als den wahren Grund der heraklitiſchen Dunkelheit an jener ge— ſchätzte armeniſche Philoſoph und Commentator des Ariſtoteles, David, in ſeinen früher unedirten aber von Bekker in die Berliner Ausgabe des Ariſtoteles aufgenommenen Prolegom. zur Einleitung des Porphyrios in die ariſtoteliſchen Categorieen (ſ. daſ. Vol. IV. p. 19.): „Da wir der Undeutlichkeit Erwähnung thaten, ſo wollen wir zeigen, woher ſie entſpringt; fie entſpringt aber entweder aus dem Styl (Addrs), oder aus den Theorieen; und aus den Theorieen z. B. bei Heraklit; denn tief und gewaltig ſind

1) In einem uns bei Diog. L. IX, 16. mitgetheilten Diſtichon: hu, na oxöros Eariv dlanrerov‘ Hy , ae hier Eisayayn, gayspod Adurporsp Hektov.

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dieſe (ſeine Theoreme) und von den Schriften des Heraklits wird geſagt, fie erforderten einen tiefen Schwimmer“ ).

Dieſe Stelle iſt um ſo bedeutender, als hier ausdrücklich die Dun— kelheit in zwei Arten unterſchieden wird, in die aus der Add und in die aus der Tiefe des Gedankens entſpringende, dem Heraklit aber kein Theil an erſterer beigemeſſen, ſondern die bei ihm obwaltende Dunkelheit lediglich der Schwierigkeit der Theoreme zugetheilt wird.

Noch mehr wird unſere Anſicht beſtätigt, wenn die Alten Beiſpiele der heraklitiſchen Dunkelheit anführen, wo es ſich dann immer zeigt, daß der Sinn durch ſich ſelbſt ein dunkler und ſchwerer iſt, ohne jede Inter— punktationsſchwierigkeit. So z. B. Seneca Epist. 12. T. III. p. 33. ed. Bip.: ideo Heraclitus, cui cognomen Scotinon fecit orationis obscuritas: „Unus, inquit, dies par omni est“. Hoc alius aliter cepit. „Ein Tag, ſagte er, iſt dem andern gleich. Dies faßte nun Jeder anders auf“. i

Ebenſo jagt Diog. L. IX, 7., nachdem er eben ein ſehr dunkles, aber ebenſo wenig eine Interpunktationsſchwierigkeit darbietendes Bruchſtück des Epheſiers mitgetheilt: „So tiefe Rede führt er“ (odrw Baddv Adyov Eyer?).

Und daß unter den Theoremen wieder es gerade die ſpeculative Einheit des Gegenſatzes geweſen iſt, die ihm dieſen Ruf der Dunkelheit und Räthſelhaftigkeit zuzog, erhellt, wenn man dafür als Belege noch ein— zelne Beiſpiele brauchte, mit vollſtändiger Evidenz aus Heracleides Alleg. Hom. p. 442. Gal. p. 84. Schow., wo der Verfaſſer, um Beiſpiele von dem Räthſelhaften und Symboliſchen Heraklit's zu geben, gerade ſolche Stellen aufführt, welche durch ein einfaches: „und“ den Gegenſatz von Sein und Nichtſein, von Ja und Nein zuſammenſchließen und als Eins ausſprechen.

Zu dieſer Schwierigkeit des Gedankens ſelbſt kommt dann ferner noch die Dunkelheit jener bereits charakteriſirten ſymboliſchen Darſtellung, jener ſinnlichen Formen, jener den verſchiedenſten orientaliſchen Religions— kreiſen entlehnten Namen, in denen Heraklit ſeinen Begriff darſtellt. Nur wenn die Schwierigkeit ſo nach allen Seiten eine Schwierigkeit des Inhalts und des innern Verſtändniſſes war, konnte Sextus Emp. adv. Math. I, 301. ausrufen: „denn wie könnte einer der pedantiſchen

1) —— 9 and vie Mefews , And r Vewpnnarwv' zal Aro Ev Vew- pyudrwv ds &yeı rd Hound elrou . radra yap Badca xu dewa Örapysı rept Yüp rb ovyypappndrwv our eẽ?ůu elonrar deiadar Badeos xolunfnron.

2) Denn ganz fälſchlich, glaube ich, rechnet man die citirten Worte zu der von Diog. L. angeführten Stelle des Heraklit ſelbſt; ſiehe hierüber ſpäter.

J. 3

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Grammatiker den Heraklit verſtehen“? (zov yap ve öbvarar αορνó⁵“ nevoy yoapparızav "Hodxisrrov ovveivar;), nicht jo, wenn ſie ſich nur auf die Ungewißheit der Kommata und Punkte baſirte.

Aus dem Obigen beantwortet ſich nun auch die Frage von ſelbſt, wie entſtehen konnten und was Wahres iſt an den ſchlechten Berichten Diog. L., Cicero's und Anderer, Heraklit habe nur nicht gewollt ver— ſtanden ſein und ſei abſichtlich dunkel geweſen, damit man ihn nicht gering achte ꝛc. ꝛc., Berichte, denen wir ihr gerechtes Schickſal angedeihen laſſen wollen, nämlich das, weiter gar nicht erwähnt zu werden. 0

Denn nach allem Bisherigen muß bereits klar ſein jener Haupt— punkt, auf den es bei der heraklitiſchen Dunkelheit und Philoſophie über— haupt ankommt, daß ſie nämlich eine ſich ſelbſt dunkle geweſen jet! Der Begriff der Negativität und daß dieſe ſelber das Poſitive ſei, hat ſich zum erſten Mal erfaßt; aber er kann ſich noch nicht als dieſer reine Begriff in ſeiner wahrhaften Form, als die Kategorie der Nega— tivität, ausſprechen. Indem durch Heraklit die Identität des Seins und Nichtſeins erkannt wird, iſt die Ueberwindung des Sinnlichen, auf die von Thales an die ganze Entwicklung griechiſcher Philoſophie hindrängt, vollkommen geworden.

Das heraklitiſche Princip iſt an ſich, indem das Nichtſein Sein, das Sein Nichtſein iſt, bereits der Gedanke; iſt an ſich bereits der vods des Anaxagoras ).

Aber ſo, als das, was es an ſich iſt, als Gedanke, kann es noch nicht aus geſprochen werden und dies iſt bedingt durch die ganze Stellung und Bedeutung der heraklitiſchen Philoſo— phie. Thales hatte das Princip aller Dinge als Waſſer ausgeſprochen. Das Hohe und Philoſophiſche hierin iſt das, daß die Dinge nicht in ihrer ſinnlichen Beſonderheit und Mannigfaltigkeit belaſſen werden, daß viel—

1) Das weiß ſchon Plato und ſagt es uns in einer ſehr ſchönen und in ihrem ganzen Zuſammenhange ſehr lehrreichen Stelle, auf die wir noch zurückkommen werden, Cratyl. p. 413. E., p. 138. Stallb., wo er von dem Grundprincip He— raklits, dem ſich durch alles hindurchziehenden Gerechten (dem Atzarov, das des- halb auch als Ye etymologiſirt wird; es iſt aber, wie ſich ſpäter zeigen wird, ganz daſſelbe wie Feuer, Nothwendigkeit, Gegenfluß ꝛc.), einen Heraklitiker ſelbſt ſagen läßt: dieſes Gerechte ſei aber nichts Anderes als das was Anaxagoras den % s nenne, denn auch dieſer ſei alleinherrſchend und mit Nichts Sinnlichem vermiſcht und erzeuge alle Dinge und durchdringe ſie alle ꝛe. („— sivar ο To qu, 6 NSNν. ’AvaSayöpas, vody elvar Todro' abro- xpdropa. Yap abroy Oyra x obderi ,n TAyTa Enolw abrov Koojelv Ta rodyuara, id nayrwy lövra“ xtr.)

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mehr die ganze ſinnliche Vielheit und Unterſchiedenheit der Natur auf ein innerlich Eines in Allem Seiendes d. h. alſo auch ein Allgemeines zurückgeführt wird, welches als Princip geſetzt wird. Aber dies Allge— meine iſt ſelbſt noch eine einzelne ſinnliche Beſtimmtheit (Waſſer).

Dies iſt das Ungenügende und zum Fortgang Treibende. Die an⸗ dern Jonier wechſeln nun mit den Elementen ab, andere Beſtimmtheiten an die Stelle des Waſſers ſetzend, über die Beſtimmtheit ſelbſt nicht hinauskommend. Dieſe als Princip geſetzten Elemente find ſomit ſinn— liche Beſtimmtheiten, die aber an ſich die Beſtimmung haben, durchaus nicht dieſe ſinnliche Beſtimmtheit, ſondern das rein Allgemeine zu ſein.

Und ſo verſchmäht Anaximander alle ſolche ſinnliche Beſtimmtheit und ſetzt als ſein Urweſen das, was ſchon das Waſſer des Thales an ſich iſt, nämlich: das unbeſtimmte qualitätsloſe Sein ſelbſt.

Dieſes von jeder einzelnen Beſtimmtheit gereinigte qualitätsloſe Sein ſelber iſt aber in der That nichts anderes, als die Zahl! Die Zahl iſt dieſe erſte Einheit von Sinnlichem und Unſinnlichem, von Sein und Qualitätsloſigkeit. Sie hat die Bedeutung des ſinnlichen Seins ſelbſt, denn ſie iſt Quantität, Größe. Und dennoch iſt ſie frei von jeder ſinnlichen Beſtimmtheit und Qualität. Sie iſt ſomit das wirkliche qua- litätsloſe Sein ſelber.

Und ſo ſprechen denn die Pythagoräer das Abſolute als Zahl aus.

Die Zahl iſt alſo nur das Sein, das frei und rein von jeder ſinn— lichen Beſtimmtheit, von keiner einzelnen Qualität behaftet iſt, d. h. das reine allgemeine Sein, der Gedanke des Seins ſelbſt.

Als das was ſo die Zahl der Pythagoräer an ſich iſt, ſprechen nun die Eleaten das Abſolute aus, als das Eine reine von jeder Qua— lität befreite allgemeine Sein, als die Kategorie des Seins ſelbſt. „Blos das reine Sein iſt; Alles andere iſt gar nicht“.

Dieſes reine allgemeine Sein, dies &v x zavra, iſt jomit an ſich denn alles wirkliche Sein iſt nur beſtimmtes, qualificirtes Sein die Aufhebung und Negation jedes wirklichen ſinnlichen Seins, iſt an ſich reines Nichtſein. Als das, was ſo das elea— tiſche Princip an ſich iſt, als dies Sein, das doch nur Nichtſein iſt, als das daſeiende Nichtſein ſpricht Heraklit das Abſolute aus. Dieſer verſöhnte Widerſpruch, das daſeiende Nichtſein, iſt der Kern und, ſoweit ſie hier ſchon dargelegt werden kann, die ganze Tiefe ſeiner Phi— loſophie. Man kann vorläufig ſagen, daß dieſe in dem einzigen Satze be⸗

ſteht: nur das Nichtſein iſt. 3*

Es iſt jedoch bei ihm nicht von einer indifferenten Gleichſetzung von Sein und Nichtſein, von einer ruhigen Einheit derſelben die Rede. Das Nichtſein iſt ihm weſentlich Negativität, d. h. Proceß, thätige Ein— heit ſeiner und des Seins. Es iſt ihm nur dieſe Thätigkeit, ſich zum Sein zu machen, wie ihm das Sein andrerſeits auch nichts iſt, als dieſelbe Bewegung, ſich aufzuheben, den Weg des Nichtſeins einzuſchlagen. Beides Sein wie Nichtſein ſind ihm nicht blos ruhige Identität, ſondern ſie ſind ihm nur der Proceß, zu offenbaren, was jedes an ſich ſchon iſt, in ſein Gegentheil überzugehen.

Er faßt aber das Nichtſein und ſeine Einheit mit dem Sein, wenn auch als thätige, ſo doch immer nur als objectiv ſeiende, als ob— jectiv ſich ſetzende und vollbringende auf; noch nicht als zurück— reflectirt in ſich, noch nicht als für ſich ſeiend, als ſubjectiver Gedanke.

Und weil ſein Princip nur noch das objectiv daſeiende Nicht— ſein iſt, kann er es auch immer nur als ſolches, d. h. in der Form objectiv daſeiender Exiſtenzen ausſprechen. Das ob— jectiv daſeiende Nichtſein aber iſt Feuer, Fluß, Krieg, Har— monie, Zeit, Nothwendigkeit, Alles durchwaltende Gerechtigkeit und Grenzen ſetzende Dike ꝛc. c. Darum hängt auch Heraklit noch mit der ioniſchen Naturphiloſophie zuſammen, deren höchſte Spitze er iſt und wie er an ſich, objectiv, ſchon über ſie hinausgeht, ſo iſt er doch noch zu ihr zu zählen.

Wird das ſeiende Nicht in dieſer ſeiner wahren Allgemeinheit wirklich herausgerungen, gereinigt von allen es nicht erſchöpfenden Formen ſeines objectiven Daſeins, ſo iſt es das Leere. Das Leere iſt jedoch nur noch ruhiges Nichts, nicht Thätigkeit, Proceß.

Indem aber dies ſchon bei Heraklit ſo weſentliche Moment der Thätig— keit dem Nichtſein nicht verloren gehen kann, ſo kann das Leere, das von keinem andern Inhalt weiß, als thätiges geſetzt, nur ſchlechthin bei ſich bleibende Thätigkeit, ſomit reines Sich auf Sich ſelbſt Beziehen ſein, d. h. Fürſichſein, Atom .

Das Atom aber iſt den Atomiſtikern ſelbſt das Grundprincip des 1s (des Vollen, poſitiven Seins). Das Leere iſt es ſomit, welches ſelber dies iſt, ſich zum Vollen zu machen und die Gedanken des xEvoy

1) Daß das Atom nichts Anderes als das für ſich ſeiende Leere, das Nega— tive geſetzt als Fürſichſein, iſt, erhellt ſchon aus feiner Immaterialität.

und Graus, des Leeren und des Atom ſind innerlich verknüpft und ſich nothwendig erzeugend und an ſich identiſch.

Das Höhere bei den Atomiſtikern gegen Heraklit iſt, daß die Negation nicht mehr blos als ſeiende, ſondern als für ſich ſeiend, Atom, aus— geſprochen wird.

Und die zum Bewußtſein gekommene Einheit des zEvov und dronov, des Leeren und des Atom, der ſich ſelber klar gewordene und ſchon der atomiſtiſchen Philoſophie an ſich zu Grunde liegende Gedanke, daß das Negative (Leere) es ſei, welches als für ſich ſeiend (als Atom) das Sein (das Volle) hervorbringt, bricht in den Satz aus, daß der 90s, der für ſich ſeiende Gedanke die Welt geſchaffen ).

So ſpricht, wie wir ſehen, in dieſer ganzen Reihenfolge von Philoſo— phen Jeder immer nur das aus, was an ſich ſchon der Gedanke ſeines Vorgängers iſt; dies Ausſprechen aber iſt unmittelbar ſelbſt ein neuer Gedanke. So ſprechen den heraklitiſchen Gedanken die Atomiſtiker und dann Anaxagoras aus in feinem vods. Damit iſt aber ſofort das ſubjective Denken und ein neuer Abſchnitt des Geiſtes, die ſophiſtiſche und ſokratiſche Philoſophie gegeben.

In dieſer Entwicklung iſt zugleich die innere Nothwendigkeit dargethan, warum der Gedanke Heraklits nur dazu kömmt, ſich ſym— boliſch in ſinnlichen Formen, in den Exiſtenzen der Natur, wie in den religiöſen Namen, auszuſprechen. Heraklit hat nicht mit ſeiner Lehre Verſteckens ſpielen wollen und darum ſolches Dunkel und ſinnliche Un— angemeſſenheit gewählt!

Die Philoſophie, deren Princip ſich, im Gegenſatze zu der eleatiſchen, in den Satz zuſammenfaſſen ließe: „Alles Daſeiende iſt Negativität“ oder: „nur das Nichtſein iſt“, kann es ihrem ganzen Gedankenſtandpunkt nach zu keinem adäquaten Ausdruck ihres Abſoluten bringen. Sie kann es nicht als einfaches Nichtſein bezeichnen wollen. Denn dem Nichtſein iſt ebenſo weſentlich die Seite, ſich ſtets zum Sein zu machen, die Einheit ſeiner und ſeines Gegenſatzes.

1) Gegen dieſe Entwickelung kann es nicht zu ſprechen ſcheinen, wenn Des mokrit zwar jedenfalls noch ein Zeitgenoſſe des Anaxagoras, aber doch jünger war als dieſer (er giebt ſich ſelbſt für vierzig Jahre jünger aus). In der Geſchichte der Philoſophie kann es ſich häufig innerhalb gewiſſer Epochen treffen, was ſchon Ariſtoteles vom Empedokles ſagt, daß er zwar den Jahren nach jünger, den Werken nach aber früher als Anaxagoras geweſen ſei. Uebrigens ging dem De— mokrit auch noch Leucippus in der Entwicklung der Grundzüge der Atomiſtik voraus, welche jener nur zum geſchloſſenen Syſtem vollendete.

Sie muß ihr Princip daher als dieſe Einheit, als ſeiendes Nicht— ſein darſtellen wollen. Ueber jedes Sein aber geht das Nichtſein wiederum hinaus; in keinem Sein iſt das Nichtſein erſchöpft und in ſeiner Allgemeinheit enthalten; vielmehr iſt es in ihm nur bejchränft und verendlicht vorhanden und darum iſt es auch die aufhebende Bewegung alles Seins. Es kann alſo auch nicht als ſeiendes Nichtſein, und in keiner der Formen deſſelben, dies Princip in einer ſich wahrhaft adäquaten Weiſe ausgeſprochen werden. Wahrhaft ausgeſprochen wäre es: in ſeiner Bewegung und Thätigkeit abſolut bei ſich ſelbſt bleibendes, alſo ſich nur auf ſich beziehendes, alſo für ſich ſeiendes Nichtſein, d. h. das Atom der Atomiſtiker und der vods, der für ſich ſeiende ſubjective Ge— danke des Anaxagoras, ſomit alſo ſchon ein neuer und höherer Gedanke.

Die heraklitiſche Philoſophie iſt alſo, weit entfernt dunkel fein zu wollen, vielmehr grade dieſes ungeheure Ringen, die Natur des Gedankens in der Form des Gedankens auszudrücken.

Dies kann ſie aber nicht erreichen. Sie kann und das iſt, wie gezeigt, eine immanente Seite ihres Begriffes ſelbſt das

Nichtſein immer nur als unmittelbar Daſeiendes, ſomit immer nur als unmittelbare Exiſtenz oder doch in ſinnlicher Form überhaupt ausſprechen, wie Feuer, Fluß, Krieg, Harmonie, Nothwendigkeit und die andern Namen, welche alle nur die unmittelbar daſeiende Negati— vität, die Negativität als Seiende ausdrücken.

Das iſt aber eben dann für dieſe Philoſophie das Unangemeſſene, die reine Negativität, oder was daſſelbe iſt, die abſolute nur als Proceß vorhandene Einheit von Sein und Nichtſein als unmittelbares Da— ſein und in ſinnlicher Form überhaupt ausgeſprochen zu haben. Und dieſe Unangemeſſenheit iſt nicht nur für uns vorhanden; ſie mußte ebenſo ſehr ſchon für dieſe Philoſophie ſelbſt, welche ja innerlich weſentlich abſolute Negativität und Aufhebung alles ſinnlichen Seins iſt, vorhanden ſein. Das fühlt Heraklit und darum ſagt er in jenen Fragmenten, daß ſein wirkliches Abſolute, der Name des Zeus, das Eine Weiſe das Alles durchdringt und leitet, d. h. die abſolute Negativität, in allen For— men, in denen er es auch darſtellt, niemals erſchöpft ſei, daß es in allem Ausgeſprochenwerden eben ſo verſchwiegen bleibe, daß es ebenſo ſehr ausgeſprochen werden wolle, als auch nicht.

Und darum verbleibt Heraklit nie bei Einem ſolchen ſinnlichen Klange, in den fein ſtummer allem Sein transcendenter Gedanke ausbricht, weder bei der Bezeichnung ſeines Princips als Feuer, noch Fluß, noch Streit, noch Harmonie, noch Nothwendigkeit ꝛc. Darum gewinnt er keine Eine

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und bleibende, ihm genügende Form feines Princips. Er ringt neue und abermals neue Namen heraus, die aber wiederum, weil ſie den Makel des Sinnlichen, des objectiven Daſeins, an ſich tragen, fortgeworfen und mit andern vertauſcht werden.

Und weil Heraklit keinen Namen, keine Ausdrucksform gewinnen kann, in welcher er ſeinen Gedanken erſchöpfend und adäquat darſtellt, darum die Abwechslung mit dieſen ſinnlichen ungenügenden Formen und Namen, daher deren identiſche Vielheit.

Nicht alſo blos, um dieſe Bemerkung hier beiläufig einzuſchalten, durch einzelne dieſer Namen, die er aus den Kreiſen orphiſcher und orientaliſcher Religionslehre herausgreift, ſondern ſelbſt nach dieſer ganzen allgemeinen Seite ſeiner Form hin erinnert Heraklit lebhaft an den Orient.

Das iſt ja eben der Charakter des Orients und ſeines Symbols, dies Ungenügſame und Unangemeſſene der Form; dieſelbe gewaltſame Anſtren— gung, die Ueberfülle des ungeheuern Inhalts in ſinnliche Form heraus zuringen und die Häufung darum von Symbolen und Attributen. Noch näher und ſchlagender iſt die Parallele mit den orphiſchen Gedichten, mit der Vielnamigkeit dieſer Hymnen, die den Ausdruck nicht finden können für die Gottheit und ſich deshalb in dieſe ungebändigte Vielheit, in dieſe unendliche Häufung und Wechſel von Namen verlieren.

So konnte denn Heraklit, weil ihm der Begriff der verſchiedenen Ausdrucksformen und Namen, in welchen er ſein Abſolutes darſtellt, inner— lich nur ſtreng ein und derſelbe war, daſſelbe, was er vom Feuer aus—

ſagte, dann auch wieder vom Krieg, Fluß ꝛc. ausſagen. Auf dieſe inner⸗ liche Identität aller dieſer nur ſcheinbar verſchiedenen ſinnlichen Namen bezieht ſich denn auch das „Erfow neninge: nerwvonaopevo“ „er wird Dich mit einem andern neu Umbenannten ſchlagen“ in jener Stelle des Plato von den Heraklitikern, die wir ſchon oben theilweiſe angezogen haben, hier aber ausführlicher herſetzen müſſen, weil wir ſie erſt jetzt recht ver— ſtehen können und die uns im Verein mit einer zweiten bald anzuführenden platoniſchen Stelle gar herrlich viele der von uns mühſam conſtatirten Züge in einem lebendigen Bilde anſchaulich macht. Die erſte Stelle iſt die im Theaet. p. 180. A. p. 184. Stallb., wo Plato die Manier der Heraklitiker zu philoſophiren ſpottend alſo ſchildert:

„Aber wenn Du Einen etwas frägſt, dann ziehen ſie wie aus einem Köcher räthſelhafte Wörter (Öyparioza) hervor und ſchnellen fie ab; und wenn Du ſeine Rede faſſen willſt, was er geſagt hat, ſo wird er Dich mit einem andern neu Umbenannten ſchlagen“.

Solche, wie ſchon Plato weiß, blos neu Umbenannte, innerlich aber

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identische Formen find zu einander Feuer, Aether, Krieg, Harmonie Ent- gegenſtrebender, das Gerechte, die Dike ſelbſt, Vorherbeſtimmung ꝛc.

Daß aber in der That das hier Entwickelte der Sinn der platoniſchen Schilderung iſt, zeigt, wenn es noch irgend eines Beweiſes bedürfte, die gleich ſehr beachtenswerthe Stelle des Plato im Cratyl. p. 413. B. p. 137. Stallb. sqq. Sokrates erzählt hier, daß auf feine an die Anhänger Heraklits gerichtete Frage, was denn ihr Grundprincip, das Alles durch— dringende Gerechte (das dy) eigentlich ſei, dieſe ihn ganz verwirrt machen, indem der Eine ſagt, es ſei die Sonne, der Andere das Feuer ſelbſt, ein Dritter das Warme im Feuer, der Vierte es ſei das, was Anaxagoras vods nennt, und Jeder von dieſen den Andern immer auslacht!

Es iſt unmöglich kürzer, komiſcher und doch treffender ſo viele für Heraklit charakteriſtiſche Züge darzuſtellen, als in dieſen beiden platoniſchen Stellen geſchieht, an denen man, merkwürdig genug, bisher faſt achtlos vorüber ging.

Die ſymboliſche Räthſelhaftigkeit Heraklits, die gedrungenen concreten ſinnlichen Namen, in denen er das Abſolute ausſprechen will, die bei jedem ſolchen Ausdruck ſtattfindende Unangemeſſenheit zwiſchen Inhalt und Form, die hieraus entſpringende unendliche Vielheit dieſer Namen und die räthſelnde, taumelnde Abwechſelung mit denſelben und doch wieder die innere Gedankenidentität aller dieſer nur daſſelbe beſagenden Namen, die eben deshalb nur Umnennungen zu einander bilden —, endlich der Mangel an vermittelnder Beweisführung, weshalb die Heraklitiker dieſe Namen des Abſoluten nur eben ganz ſtoßweiſe, wie Pfeile, abſchnellen, mit dieſen dunkeln unerklärten Namen den Hörer gleichſam nur vor den Kopf ſchlagen, alle dieſe Züge find es, die Plato zu einem plaftifchen lebensvollen Bilde in ſeiner Darſtellung vereint, wobei freilich dieſe gäh— rende heraklitiſche Form die ganze Ironie des zur vollſten Angemeſſenheit von Form und Inhalt und zu künſtleriſcher Abrundung gelangten Plato erregen mußte.

Dieſe Vielheit der Formen, in welchen Heraklit ſein Abſolutes heraus— ringt, ſcheint nun ſchon, nach der Stelle des Cratylus zu urtheilen, bei den unmittelbaren Schülern Heraklits Anlaß zu einer obwohl damals nur noch ſcheinbaren Verwirrung geweſen zu ſein, indem die Einen derſelben mehr an dieſem, die Andern mehr an jenem der verſchiedenen Namen feft- hielten, unter welchen Heraklit in feinem Werke fein Princip dargeſtellt hatte. Daß dieſe Verwirrung damals noch keine ernſthafte, ſondern nur eine ſcheinbare war, daß jenen erſten Heraklitikern das Geheimniß

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der Identität dieſer verſchieden tönenden ſinnlichen Namen noch ſehr wohl bekannt war, zeigt ja die Stelle des Thenetet, nach welcher auch jeder Einzelne dieſer Schüler, auf den Grund ſeiner Rede gedrängt, mit dieſer Vielheit von Namen abwechſelt, den Einen an die Stelle des Andern ſetzend.

Zu einer ganz andern, ernſthaften Verwirrung aber führte dieſe Vielnamigkeit in ſpäteren Zeiten und bei ſpäteren Berichterſtattern. Jetzt ging das Geheimniß dieſer Identität verloren. Jetzt mußten ſomit dieſe verſchiedenen Namen des Abſoluten bei Heraklit und daß er, wie nach allem Bisherigen nicht anders ſein konnte, und wie wir noch häufig genug finden werden, von dieſen nur verſchieden tönenden, in der That aber identiſchen Principien daſſelbe ausſagte, als ein Widerſpruch erſcheinen. Vielleicht rührt auch daher die Klage des Theophraſt beim Diog. L. IX, 6: „— ra de ailore Allws Eyovra yoadar“, Heraklit habe an verſchiedenen Orten feines Buches manches verſchieden vorgetragen.

Jedenfalls aber war das eine der Quellen der vielen Verwirrung bei den Stoikern wie ſeinen ſtoiſchen Commentatoren und den ſpäteren Be— richterſtattern und daher rührt auch, wie ſich ſpäter genauer herausſtellen wird, der ſo befremdliche und bisher noch unerklärt gebliebene Streit unter den Späteren, was eigentlich das heraklitiſche Princip geweſen ſei, ob Feuer, Zeit, Luft, Sonne ꝛc. ꝛc., ein Streit, deſſen wirk— liche Bedeutung und innere Möglichkeit ſich jetzt im Allgemeinen einſtweilen ergeben hat und von welchem die obige Stelle des Cratylus von den Jüngern des Heraklit, die jeder einen andern Namen für das Abſolute angeben und ſich einander auslachen, zeigt, wie leicht er entſtehen konnte.

Von der hier gewonnenen Anſchauung aus” überblide man nun noch einmal, was oben über die ſymboliſche Darſtellung Heraklits erörtert wurde und die dabei angeführten Fragmente, die jetzt bereits ein volleres Licht erhalten. Man ſieht zugleich, daß grade dieſe eigenthümlich dunkeln Stellen, in welchen dieſe ſymboliſchen und religiöſen Namen eine Rolle ſpielen, das Tiefſte von dem eigentlichen metaphyſiſchen Begriff heraklitiſcher Weisheit enthalten und es ſich demnach durchaus nicht ſo verhält, wie Schleiermacher dem freilich dieſe ganze für ſeine Philoſophie ſo charak— teriſtiſche, ja von ihr untrennbare Seite Heraklits vollſtändig entgangen iſt, p. 335 darüber meint, daß der Epheſier ſich nämlich: „ſolche Sprüche für diejenigen Stellen ſeines Werkes aufgeſpart, wo er mit ſeiner Weisheit an die Grenzen des didactiſch auszuſprechenden gekommen war,

um ſtatt der eigentlichen Mythen, die ihm abgingen, mit ſol— chen geheimnißvollen Sprüchen, wie mit goldenen Nägeln

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ſeine Philoſophie am Himmel zu befeſtigen“ was zwar ſchön geſagt, aber doch an einem gewiſſen Mangel an beſtimmtem Sinn leidet und auch ſonſt noch falſch iſt.

Wir waren bisher bemüht, die Form Heraklits, die bei ihm ſo eng mit dem Inhalt zuſammenhängt, ſeine ſymboliſche Darſtellungsweiſe, zu begreifen und zu charakteriſiren. In dieſer Beziehung kann hier noch be— merkt werden, daß wir ihn eben ſo ſehen, eine ſymboliſche Handlung begehen. Als er nämlich ſeinen Mitbürgern eine Rede halten ſoll, ſteigt er auf die Rednerbühne, nimmt Waſſer und Mehl, rührt ſie mit einem Poleiſtengel untereinander, trinkt den Miſchtrank ſtumm aus und geht fort; ein von Plutarch (de garrul. p. 511. C. p. 58. Wytt.) erzählter ſymboliſcher Act, auf den ſchon Creuzer aufmerkſam macht (Symbol. u. Myth. T. IV. Heft II. § 50.). Intereſſant iſt es auch, zu ſehen, wie ſchon das Alterthum den dem Heraklit ſo weſentlichen allgemeinen Zug zu ſymboli— ſiren, als charakteriſtiſch für ihn auffaßte und ſich daraus weit verbreitete Fabeln über ihn bildeten ).

1) Denn nur ſo glaube ich, kann die Entſtehung jener auf den erſten Blick ganz befremdlichen und faſt ſtupiden Fabeln erklärt werden, die über ſeinen Tod im Umlauf ſind. Er habe nämlich die Waſſerſucht bekommen und die Aerzte ge— fragt, ob fie Ueberſchwemmung in Dürre verwandeln könnten [SS eronßptas adypoy rorjoar). Als fie dies verneinten, habe er ſich mit Ochſenmiſt beſchmiert und ſich ſo in die Sonne zum Trocknen gelegt, hoffend, daß er ſo das Waſſer verdünſten werde (Earuednosodar), ſei aber dabei elend umgekommen. So er— zählen mit einzelnen Abweichungen Diog. L. IX, 3—5. Marc. Anton. III, 3. P. 16. ed. Gat. Suidas. s. v. Hound. p. 884. ed. Bernhardy; Hesych. de. vit. P. 26. ed. Orelli; Tatian., or. c. Graec. p. 11. ed. Ox.; Tertullian. ad Martyr. p. 157. d. Rigalt. (der ihn gar zu einem freiwilligen Märtyrer macht). Daß dieſe Berichte allerdings nur Fabeln ſind, das verſteht ſich von ſelbſt. Allein es handelt ſich darum, den innern Entſtehungsgrund und damit zugleich die geiſtige Bedeutung ſolcher nie ganz ſinnloſen Fabeln aufzufinden.

In dieſer Hinſicht verhält es ſich nun wohl mit unſern Berichten nicht anders, als mit den vielen andern ſchönen Mythen, in welchen das Alterthum den geiſtigen Charakter ſeiner großen Männer in der Todesart, die es ihnen andichtet, ſinnreich und ſinnbildlich wiedergiebt.

Wie Anakreon an einer Weinbeere erſtickt, Sophokles vor Lachen ſtirbt, wie den Aeſchylus das Geſchick in Geſtalt eines Adlers ereilt, der dem unter hohem Felſen Sitzenden durch eine herabgeworfene Schildkrötenſchale den kahlen Schädel zerſchmettert, wie Euripides von wüthenden Hunden zerriſſen wird, ſo wird denn hier auch dem Heraklit eine für ihn eben ſo charakteriſtiſche Todesart zugetheilt. Man läßt nicht ohne feine Hinweiſung auf die ſymboliſche Sprach- und Handlungs- weiſe des Epheſier's, ihn ſeine kosmiſche Theorie von der Verwandlung der Elemente an ſich ſelbſt darſtellen, ſeine Lehre von dem göttlichen Leben

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Wir laſſen nunmehr eine flüchtige Entwicklung des Grundriſſes der heraklitiſchen Philoſophie folgen. Es erſchien dies aus einem naheliegenden Grunde faſt nothwendig. Bei jedem philoſophiſchen Werke ergiebt ſich das Verſtändniß des Einzelnen erſt aus der fortlaufenden Lectüre des Ganzen. Bei einem Philoſophen nun, von welchem man nur abgeriſſene Stellen übrig hat, iſt es deshalb, wenn nicht in unzählige Mißverſtändniſſe oder

und Proceß und den Uebergang der Gegenſätze in einander finnbild- lich an ſich ſelbſt nachahmen wollen! Vgl. hierüber beſonders im S 7. Auch im Einzelnen lehnten ſich dieſe Erzählungen an Philoſopheme des Heraklit an und wurden durch manche derſelben nahe genug gelegt. So ſcheint es unbeſtreitbar zu ſein, daß Heraklit gelehrt hat, dieſelben Umwandlungsproceſſe wie im Weltall gingen auch im menſchlichen Körper vor. Von ſeinen Schülern wenigſtens beweiſt dies unwiderleglich die Stelle des Ariſtoteles, Problem. XIII, 6. p. 908: eee Gore wis r hpazserrlövrwv gal Orte dvadvunıarat Gorsp Ey ro Öko &v ro owparı xc. Und in der That war dieſer Satz ſeiner Philoſophie auch ganz angemeſſen, ja faſt nothwendig in ihr.

Auch die Ausdrücke Eronßpia und adzuös, Ueberſchwemmung und Dürre, ſcheinen ächt heraklitiſche und von ihm ſo als ſtereotype ſich in einander um— wandelnde Gegenſätze in ſeiner Lehre von der Verwandlung der Elemente gebraucht worden zu fein. So ſagt uns Sext. Emp. adv. Mathemat. V, c. 2. S. p. 338. Fabr., daß fie Umwandlungen des „mepeeyov“ ſeien [„— adymois re zat eronßplas, Aornodbs ze zal ostonods, vd dAhas ToLWwurWders TOD Tepteyov- ros neraßokas rpodeorikew“, vgl. auch Joh. Philop. Comm. in de Anima e.6.). Von dieſem „mepeezov“ aber ift einftweilen zu bemerken, daß es von Sextus u. A. als Form des heraklitiſchen Abſoluten gebraucht wird. An die Stelle des Sextus klingt aber ganz merkwürdig eine durchaus heraklitiſirende Stelle des Maxim. Tyrius an (Diss. XIX, p. 366. ed. Reiske), welcher, wie ich keinen An— ſtand nehme zu glauben, wahrſcheinlich ein heraklitiſches Fragment zu Grunde liegen dürfte. Die Stelle lautet: „adynods νν’ zal Eronfptas zal astopods vn at rupöos 2rßoläs zar nveuudewv Zußolas ν depwy neraßolas o V% olde növos, d nat dvdoorwv Daoı davor“.

Ueber sro und abyuòs als Krankheiten ſehe man Hippoer. Aphorism. III, 15. u. XVI; ef. Hippocr. ap. Galen. V, 349. ed. Bas. T. XVII. A. p. 32. Kuehne u. XVII, 15. p. 599. Kuehne; Aretaeus de Caus. et sign. acut. morb. II, c. 4. p. 20. Ox. p. 42. Kuehne: ö d adynös Es Eroußpiyy zpererar, wo ſchon Petitus auf jene Forderung Heraklits zurückverweiſt. Daß die Ausdrücke Erop- Hin und adynös ſich faſt ſtets (auch ſchon bei Ariſtoteles), wie z. B. in allen an— gezogenen Stellen in dieſer wie gleichſam in einer ſprüchwörtlich gewordenen Ver— bindung vorfinden, etwa wie die Ausdrücke 4% und zarw, deutet ebenfalls auf einen ſehr alten Urſprung derſelben hin.

Mit der angeführten Stelle des Maxim. Tyr., von der wir ſchon ſagten, daß ein ächtes heraklitiſches Fragment in ihr unterzulaufen ſcheint, ſtimmen aber wieder in ganz auffälliger Weiſe die beiden von Stephanus mitgetheilten Briefe des He—

rallits überein, Briefe, die nicht nur, wie auch Schleiermacher urtheilt, Manches

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unendlich gehäufte Erörterungen verfallen werden ſoll, nothwendig, zu dem Verſtändniſſe jedes Fragments bereits den Begriff des Ganzen mitzubringen. Wenn dann alle in dem hiſtoriſchen Theil zu betrachtenden Fragmente, wie ebenſo viele Radien, in dies Centrum zurücklaufen, ſo iſt dies zugleich von ſelbſt der Beweis, daß ſie auch aus ihm hervorgefloſſen ſind. Und ſo groß iſt die Conſequenz der heraklitiſchen Philoſophie, daß wir in der nachfolgenden ſcheinbar aprioriſchen, überall aber auf den Fragmenten des Epheſiers beruhenden Selbſtaufrollung ſeines Gedankens noch weit con— creter in die Entwicklung ſeiner Philoſophie und deren Tiefe hätten hin— unterſteigen können, wenn dies nicht eben unſern Zweck überſchritten und in ſeiner Trennung von Fragmenten und Zeugniſſen mindeſtens den Schein der Willkühr hätte auf ſich ziehen können.

dem Epheſier nicht ungeſchickt Nachgebildetes enthalten, ſondern von denen man auch berückſichtigen muß, daß ſie offenbar zu einer Zeit entſtanden, wo das Buch Heraklits noch vorhanden war und ſomit viel wörtlich heraklitiſche Stellen benutzt haben können und auch wirklich benutzt zu haben ſcheinen.

Wir wollen zur Vergleichung mit den Worten des Maxim. Tyrius einige Stellen dieſer Briefe um ſo mehr hierher ſetzen, als dieſelben zugleich das, was im Anfange dieſer Anmerkung als Entſtehungsgrund der Mährchen von ſeiner To— desart angegeben worden iſt, hell durchſchimmern laſſen. So ſagt Heraklit in dem zweiten Briefe: Sy ed olda xoanov , olda zat dvdpwrou‘ olda vo- vous, olda Dyslay' idoopar Enavrov' ntnyoopar Toy Hzov, OS x00nou de: role Eravıoot Hilo ,,, uu oby ülwosrar voow Hunte, voaos “Hoa- zlettou Alwosrar yvayıny' zal & To rayrl bypa abatverar, ÜEpna gdöysrar oldey Em oopla Ödobs Ybosws, olde nat vocou radkay TA.

Hält man dies mit den obigen Stellen des Sextus Emp. und Maxim. Tyr. zuſammen, ſo kann man ſich ſchon hier der Ueberzeugung kaum erwehren, daß in letzterer ein wirkliches heraklitiſches Fragment bezogen ſein muß, ſowie daß in dieſem Briefe (cf. § 26.) viel Acht und wörtlich heraklitiſches benutzt fein möchte; vgl. auch die folgende Stelle in dem andern Brief an Aphidamas (Steph. p. 147): o. (sc. larpot) e Edurysmoay S vooou Aoyos eineiv, o, S Eronßptas nos üy abyuös yeyoro: o leut ö Üeos 8, xoanw peyala owpara

iarpedeı SH⁰ẽꝭ]H , abr@v TO Anerooy TO e Enpoy els bypov riet, a eis Abaw abro xalloryor xa ovveyüs Ta L dvmdev Öwwzei, ta ?

zarwdev lde Tadra zdanvovros xoonov Hepareia' TodrToyEyw . oopar 2 Zpavro (cfr. auch den ſogenannten Hippoer. de Diaeta I, p. 190. Lind. VI. p. 453. Ch. I. p. 639. K. sq.).

Jedenfalls find, wie Jeder zugeben wird, dieſe Stellen voll von ächt herakli— tiſchen Ausdrücken nicht nur, ſondern ſelbſt von eigenthümlichen Redewendungen des Epheſiers.

(Ganz anders verhält es fi mit dem von Boiſſonade ad Eunap. ſpäter

herausgegebenen Brief, der im wahren Bergpredigtton geſchrieben eins der plump⸗ ſten chriſtlichen Machwerke iſt, das exiſtirt). i

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Denn ausdrücklich müſſen wir uns gegen das Mißverſtändniß ver— wahren, als ſollte der nachfolgende flüchtige Umriß wirklich die „heraklitiſche Philoſophie“ und ihre Tiefe erſchöpfen. Nur einen dürftigen Leitfaden ſollte er an die Hand geben, um mit dieſem ausgerüſtet an das poſitive Material der Fragmente und Zeugniſſe zu gehen und hier erſt den ganzen Reichthum und die ganze ſpeculative Tiefe dieſer Philoſophie und Te Beſtimmungen entſtehen zu jehen.

Drittes Capitel. Kurze begriffliche Entwicklung des heraklitiſchen Syſtems.

Schon Anaximander hatte geſagt: „Woher das Seiende ſein Entſtehen hat, in daſſelbe hat es auch ſein Vergehen nach der Nothwendigkeit; denn es giebt einander Buße und Strafe für die Ungerechtigkeit (Ada) nach der Ordnung der Zeit“)“.

(Simplic. in Phys. f. 6.) Es liegen in dieſer Lehre Anaximanders bereits gleichmäßig die Ent— wicklungskeime ſowohl eleatiſcher als heraklitiſcher Philoſophie.

) Mit wahrer Genugthuung ſehen wir, wie jetzt auch Zeller a. a. O. p. 492. ſich offenbar von der einen Seite der obigen Ableitung nicht weit entfernend ſagt: „Heraklit hat auch für ſeine ganze Weltanſchauung an Anaximander einen Vor— gänger, deſſen Einfluß nicht zu verkennen iſt, denn wie Heraklit alles Einzelne als flüchtige Erſcheinung im Strome des Naturlebens auftauchen und wieder ver— ſchwinden läßt, jo betrachtet auch Anaximander die Einzelexiſtenz als ein Unrecht, für welches die Dinge durch ihren Untergang büßen müſſen“. Aber nicht blos dieſe Analogie einer vorüberrauſchenden „Flüchtigkeit“ mit dem Anaximander'ſchen Gedanken iſt vorhanden! Und wäre Zeller z. B. nicht eine ſpäter zu erörternde Stelle des Plutarch Terr. an aquat. p. 964. E. entgangen, ſo würde er dann, durch dieſe aufmerkſam gemacht, auch in den Fragmenten des Eppheſier's hinrei— chend gefunden haben, wie auch bei Heraklit jede Einzelexiſtenz eine Unbill, adexla, iſt, ganz jo wie bei Anaximander, nur in einem noch viel tieferen Sinne; in einem Sinne, der gerade um eben ſoviel und in derſelben Hinſicht e tiefer iſt als die Adızia der Exiſtenz bei Anaximander, wie das ideelle Eine Heraklits tiefer iſt als das Anaximander'ſche Urweſen. Erſt das Erfaſſen dieſer ſpäter (zuerft beim Frag— ment von der unſichtbaren Harmonie, 8 2.) nachzuweiſenden heraklitiſchen 4%. des Wirklichen bildet den Weg zum Verſtändniß des wahren und ganzen ſpecu— lativen Gedankens ſeiner Philoſophie.

*

Anaximander war hinausgegangen über die qualitative Beſtimmtheit des Urprincips bei Thales. Er hatte anerkannt, daß!) das Urprineip nach Raum und Zeit hin unbegrenzt ſein müſſe; denn ſein Anfang wäre ja ſeine Grenze (tod d Areipov obx Eorıw dpyn, ein Yüp d' abrod nepas); auch ein in der Zeit Gewordenes dürfe es nicht ſein; denn Alles in der Zeit Gewordene müſſe auch in der Zeit wieder untergehen (rd re 74 yevönevoy d“ Eos ]; es gebe alſo von dem Unendlichen keinen Anfang; es ſelber ſei vielmehr der Anfang des Andern, Endlichen und umfaſſe Alles und lenke Alles (% adrn ray ναονν eivar Öözer |sc. d x nepteyeıv Anavra xal navra xußepvär).

Alſo nur das unendliche Sein, in welchem keine Schranke, feine Negation iſt, die reine Poſitivität iſt das Vollkommene; alles Gewordene aber, als Endliches und Beſtimmtes, hat ſomit in ſeiner Beſtimmtheit zugleich die Negation, ſeine Grenze, nach Raum wie Zeit, an ſich. Dieſe iſt die Trübung jenes unendlichen Seins, die 0, und dieſe Ungerechtigkeit ſeines Daſeins büßt es durch den Zeitwechſel, dem es unterworfen iſt.

Das Unendliche iſt hierin beſtimmt als Das, woraus das Endliche hervorgeht und in das es wieder zurückgeht.

Es ſchickt denn es ſelber iſt ja aller Inhalt und die %%), das erzeugende Princip des Endlichen, die endlichen Beſtimmtheiten aus ſich herauf und nimmt ſie eben ſo wieder in ſich zurück. Das Unendliche als ſolches aber tritt nie in die Erſcheinung, in das Reich der wirklichen, beſtimmten Exiſtenz; ſonſt wäre es ja ſelbſt ein Beſtimmtes und Endliches.

Das unendliche Urweſen bleibt ſomit ſtets entnommen der Welt der Exiſtenzen, als das unendliche Anſichſein derſelben. Es ſtellt die Fülle ſeines Inhalts in das Licht der Wirklichkeit; damit drückt es ihm aber zugleich den Makel der Beſtimmtheit und Endlichkeit auf und darum nimmt es jede ſeiner Geburten eben ſo wieder in ſich zurück, um ſo in einem nie erſchöpften Nacheinander in der Zeit die ganze Fülle ſeines un— endlichen Inhalts heraus zu produciren und fie damit zugleich immer wieder zu verendlichen.

Das Unendliche iſt ſomit zugleich Grund und Abgrund der Exiſtenz.

Das Beſtehen des Endlichen aber iſt deshalb eine Ungerechtigkeit (adio), weil das Endliche zugleich Negation, das Nichtſein eines andern Inhalts iſt; und darum macht ſich die Negation, die es bereits an ſich ſelber hat, geltend und läßt es verſchwinden.

1) Arist. Phys. ause. III, 4. p. 203. B., vergl. Brandis Geſch. der griech. Phil. I, p. 126.

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Das alſo fteht in dieſer Anſchauung des Anarimander bereits feſt, daß das Endliche nur Trübung, daß es das Unberechtigte, ſeine Negation an ſich ſelbſt habende ſei. Und dies erhält ſich gleichmäßig in der Philoſophie der Eleaten wie Heraklits.

Das Urweſen Anaximanders aber mußte nach den beiden Momenten, die es enthält, auf die gedoppelte und ſich entgegengeſetzte Weiſe fortentwickelt werden.

I. Das Unendliche, die Kategorie der Poſitivität, iſt das Anſichſeiende, das auch den endlichen Dingen allein ihre wahrhafte und wirkliche Exiſtenz verleiht. Das Endliche dagegen iſt das Nichtanſichſeiende und Unberech— tigte, die A0 f

Was ſomit auf die Seite des Unendlichen geſtellt iſt, iſt: aller In— halt, aus welchem die Negation, Schranke, ganz ausgeſchloſſen iſt. Im Gegenſatze hierzu iſt das Endliche als ſolches gar nicht Sein, ſondern nur Grenze, Schranke, Negation. Nur weil die endliche Be— ſtimmtheit andern Inhalt nicht in ſich hat und ihn ausſchließt, weil das Endliche ſomit das negative Mament, die Seite des Nichtſeins iſt, darum iſt es unberechtigt, aoıza, und geht unter, wird ſelber zum Nichtſein. Was ſomit zum Nichtſein wird, iſt gar nicht der Inhalt, das poſitive Sein, dieſes iſt vielmehr das ſich in allem dieſen Untergang der endlichen Exiſtenzen erhaltende und herſtellende un— tergangsloſe Unendliche nur die Schranke, d. h. die Seite des Nichtſeins wird immer ſelber zum Nichtſein, geht unter. Alſo das Sein iſt, nur das Nichtſein (Endliche) iſt das Beſtand- und Haltloſe. Das „Sein iſt, nur das Nichtſein iſt nicht“! Und dies iſt der Ausruf, in welchen die Eleaten ausbrechen.

II. Aber das Unendliche ſelbſt in dieſer ſeiner Ungetrübtheit und Unendlichkeit iſt nie wirklich. Was wirklich da iſt, iſt nur das Endliche, das Anfang und Grenze hat. Das Unendliche exiſtirt nur in ſeinem Setzen und wieder Aufheben des Endlichen (S8 @v d m yEvaoi Sort rois obor, x nv Ydopüy eis rabra yivadar uc. Simpl. I. c.). Weil aber das wirklich Exiſtirende, das beſtimmte Sein, nie das Unend— liche erſchöpft, ſondern immer nur Schranke und adıza iſt und deshalb immer wieder aufgehoben wird, ſo iſt an ſich damit eben ſo gegeben, daß nicht das wirkliche endliche Sein, ſondern nur das perennirende ununter- brochene Aufheben deſſelben wahrhaft iſt. Das Sein iſt nur Schein und Lüge und nur das Nichtſein iſt. Aber dieſes Nichtſein kann hier durchaus nicht mehr ein abſtractes, einſeitiges ſein. Als das Nichtſein des Endlichen, Beſtimmten wegen ſeiner einſeitigen Beſtimmtheit, iſt es ſofort

Sein eines neuen Inhalts, einer neuen Beſtimmtheit, ſomit ſelbſt wieder Daſein. Es iſt ſomit eben ſo ſehr perennirendes ununterbrochenes Daſein, und hat nur in dieſem ſeine Realität und Exiſtenz.

Das Unendliche iſt ſomit hier nur als das geſetzt, was es bei Anaximander ſchon an ſich iſt, als Proceß. Es iſt die ſchaffende aber auch negative Macht über das Seiende. Das Seiende, weil als Be— ſtimmtheit andern Inhalt ausſchließend, iſt unberechtigt. Darum, weil es Schranke iſt, wird es von der negativen Macht des Unendlichen ergriffen und in ſich zurückgenommen (der heraklitiſche Weg nach Oben). Aber das Aufheben der Schranke iſt unmittelbar Setzen eines neuen beſtimmten Inhalts und ſomit einer neuen Schranke (Weg nach Unten). Jenes unendliche Urweſen iſt alſo die Macht, die das Endliche entſtehen und ver— gehen läßt. Es iſt ſomit ſelbſt das Entſtehen und Vergehen des Endlichen, das Werden oder der Wechſel des Wegs nach Oben und Unten, und das iſt der Weg, den Heraklit eingeſchlagen.

Dieſer ganze Proceß des Unendlichen iſt reell nur am Endlichen da und geht an ihm vor. Das Endliche als Daſein dieſes Proeeſſes iſt jelbft Werden oder genauer daſeiendes reales Werden. Sein Geſetztwerden durch das Unendliche iſt der Weg nach Unten; das Werden zur einſeitigen Beſtimmtheit, ſomit zur A0, iſt darum nur ein ver— kümmertes unangemeſſenes Daſein für das in ihm enthaltene wahrhaft Unendliche, und eine ſo große Entäußerung deſſelben, daß es ſich in dem Endlichen zu ſeiner eigenen wahren Reinheit nur verhält etwa wie ein „Affe zu einem Gott“. Gleichwohl iſt es auch als Seiendes immer nur ſeiendes Werden, hat ſomit das Unendliche an ſich, iſt ſelbſt das Daſein deſſelben. Alles Daſein iſt daher nur der Kampf und die Einheit dieſer abſoluten Gegenſätze des Sein und Nichtſein, des Unendlichen und der Schranke; die ganze Welt der wirklichen Exiſtenzen, die reale Welt— bildung exiſtirt nur durch und beſteht nur in dieſem Kampf und pro— ceſſirenden Widerſtreit, den jedes Daſein in ſich ſelber trägt. Als dieſer ununterbrochene Kampf eines Jeden in ſich ſelber kann das ganze endliche Daſein Mühſal (zuparos) genannt werden. Das Zurückſtrömen dagegen aus der Endlichkeit, der Weg nach Oben, iſt die Rückkehr in ſeine wahr— hafte adäquate Form und Heimath, in den ungehinderten göttlichen Aether des reinen Werdens und muß daher im Gegenſatz zu der Verkümmertheit und dem kämpfenden Mühſal des nur in dieſem Widerſtreit beſtehenden wirklichen Daſeins als Uebereinſtimmung mit ſich ſelbſt (önodoyia), als Friede (eoyvy) und als Ausruhe (dvarad)a) von der Qual des ſtreitenden Daſeins bezeichnet werden.

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Sind aber ſo der Weg nach Oben und nach Unten, das Setzen und das Aufheben der Beſtimmtheit, Sein und Nichtſein abſolute Gegen— ſätze, ſo ſind ſie nichtsdeſtoweniger ebenſo abſolut identiſch mit einander; jeder von beiden hat ſein Gegentheil an ſich ſelbſt und iſt ſelbſt nur dies in ſeinen Gegenſatz überzugehen.

Denn der Weg nach Oben iſt Aufheben der Schranke, ſomit Wer— den eines neuen Inhalts, einer neuen Beſtimmtheit, ſomit ſelbſt wieder Weg nach Unten ze. Oder mit andern Worten: Die Beſtimmtheit, wenn ſie ſich aufhebt, in das Unendliche rückgeht, d. h. alſo den Weg nach Oben einſchlägt, wird dadurch zum Werden (denn das Unendliche iſt ſelbſt das Werden), das Werden aber wird eben, iſt alſo ſofort Werden der Beſtimmtheit, oder Weg nach Unten und ſo fort. Der Weg nach Unten ſeinerſeits oder das Werden der Beſtimmtheit iſt eben nur da— ſeiende Negativität und hat alſo dieſe, d. h. den Weg nach Oben oder das Werden, zu ſeinem Inhalt, iſt alſo ſelbſt nichts Anderes als das reelle Daſein der unendlichen Negativität deſſelben, d. h. des Wegs nach Oben. Der Weg nach Unten iſt ſomit ſeinerſeits nur die Exiſtenzform deſſen, was in ihm allein und wahrhaftig vorhanden iſt: des abſoluten Wer— dens, und dieſes offenbart und verwirklicht nur im Wege nach Unten, dem Reich der Beſtimmtheit, ſeinen unendlichen Inhalt und deſſen abſolute Negativität.

Der Weg nach Oben iſt alſo ſchlechthin nur dies: in den Weg nach Unten überzugehen und umgekehrt, und zwar iſt dieſes Uebergehen in ſein Gegentheil auch nicht etwa als der ſchlechte Proceß der bloßen Ab— wechslung zu faſſen. Sondern der Weg nach Oben iſt nur deshalb dieſer Uebergang in ſein Gegentheil und umgekehrt, weil wie bereits gezeigt jedes dieſer beiden Momente ſchon an ſich ſelbſt identiſch mit ſeinem Gegenſatz, der Weg nach Oben an ſich ſelbſt ſchon Weg nach Unten iſt und umgekehrt.

Dieſe tiefe Einſicht muß daher in den Satz ausbrechen: „Eins iſt der Weg nach Oben und nach Unten“ (ööds avo zarw ,; eadem via sursum et deorsum).

Dies ift ein Centralpunkt heraklitiſcher Lehre, ohne den ſie ſchlechter— dings nicht zu verſtehen iſt.!) Es iſt von der höchſten Weſentlichkeit Bei—

1) Dieſer ſpeculative Satz: „Eins iſt der Weg nach Oben und nach Unten“ iſt der tiefſte Ausſpruch Heraklits, der Cardinalpunkt ſeines ganzen Syſtems, den wir noch in hundert anderen Formen wiederfinden werden. Weder Schleiermacher noch ſeine Nachfolger haben ihn erfaßt. Er macht ihnen Verlegenheit und ſie

J. 4

des, ſowohl die abſolute Gegenſätzlichkeit dieſer Momente, des Wegs nach Oben und Unten, als auch ihre innerliche Identität bei Heraklit zu be— greifen und feſtzuhalten. Beide ſind abſtract entgegengeſetzte Momente, deren lebendige Einheit das Werden iſt. Beide werden als ſchlechthinnige Gegenſätze als Eins gewußt in jeder Exiſtenz, die nur durch dieſe conerete Einheit beider Momente exiſtirt. Dieſe Einheit der beiden abſtracten Ge— genſätze in der Exiſtenz iſt aber nur deshalb keine äußerliche und will— kürliche, ſondern eine nothwendige, weil jedes der beiden entgegen— geſetzten Momente an ſich ſelber ſchon identiſch mit feinem Gegentheil und nur der Proceß iſt, dieſe innere Identität offenbarend in ſein Gegentheil überzugehen, der Weg nach Oben an ſich ſelbſt ſchon ein und daſſelbe mit dem Weg nach Unten und umgekehrt iſt, jedes der beiden Momente alſo nicht blos Moment, ſondern auch an ſich ſchon Einheit ſeiner und ſeines Gegenſatzes und ſomit Totalität der ganzen Bewegung iſt.

Dieſe Erkenntniß, daß der Weg nach Oben als Aufheben der Be— ſtimmtheit ſofort Setzen einer neuen Beſtimmtheit und Schranke oder Weg nach Unten iſt, kann auch ſo ausgeſprochen werden, daß das Aufheben, der Tod, der einen Beſtimmtheit die Geburt der andern, das Leben dieſer der Tod jener ſei.

Weil ſomit der Weg nach Oben und nach Unten ſchlechthin zuſammen— gebunden und in allem Seienden ebenſo weſentlich der Weg nach Oben, das Nicht der Beſtimmtheit enthalten iſt, kann von dieſer Philoſophie geſagt werden, daß es in ihr eigentlich nie zu einem Sein komme, da nie zu überwinden ſei das Werden, die Seite des Nichtſein, der ödos dv t).

Und mit wirklich claſſiſcher Schärfe macht uns hierauf die ariſtoteliſche Metaphyſik (ed. Br. p. 80) aufmerkſam in einer Stelle, die man bisher ſtets wohl deshalb unbeachtet ließ, weil ſie allem zu widerſprechen ſchien,

wollen ihn ſämmtlich von einer „formalen Gleichheit der Verwandlungsſtufen der Elemente“ verſtehen, was doch ſogar auch den Bruchſtücken über dieſe vor den Kopf ſtößt und nicht möglich iſt. f

1) Wörtlich ſo ſagt uns gar herrlich Plutarch von Heraklit, nachdem er Bruch- ſtücke deſſelben angeführt: . o eisro elvaı zepaber To yırvönevo, abras, To umdenore Anyew und nrraodar ryv yEvear (Eı ap. Delph. II, p. 392. B. p. 605. Wytt.). Das heißt nur ganz ebenſo viel als He dv xarw win, oder daß Alles zugleich ſei und nicht ſei, worüber Schleiermacher den Ariſtoteles ſchilt. Auf denſelben Punkt zielt auch das Urtheil des Ariſtoteles, daß nach der Philoſophie des Heraklit nicht ſowohl Alles ſei, als gar nichts ſei (Tod umdevos eivar), worüber ſpäter.

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was nur irgend ſicher über die Lehre Heraklits bekannt und verbürgt war, und die dennoch einen der tiefſten Blicke in die dialectiſche Natur des heraklitiſchen Gedanken wirft. Es heißt daſelbſt: „— za Tor ovußatie: rs rors dpa Ydoxovow elvaı za! un elvar, hpspe?rv nüllov pavar 7 xweiodar nayrar od yap Eorıy eis ürı neraßdileı, Anavra Y%p brapyse naoıv“. „Denen, welche da jagen, daß das Sein und Nichtſein zugleich ſei, paſſirt es, daß fie hierin vielmehr jagen, Alles ſei in Ruhe, als in Bewegung befindlich; denn es iſt gar nicht vor— handen, wohinein ſich etwas umwandle, da Alles (— beide Momente, Sein wie Nichtſein —) ſchon Jedem zukömmt. Wie! wird man vielleicht ausrufen wollen, von Heraklit, von welchem ſo unzählige verbürgte Frag— mente wie Zeugniſſe feſtſtellen, er habe alle Ruhe und Stillſtand aus der Welt verbannt, die ihm nur abſolute Bewegung geweſen, von Heraklit ſollte es heißen können, es ſei nach ihm alles in Ruhe befindlich und nicht in Bewegung?! Die ariſtoteliſche Stelle enthält hierauf ſelbſt ſchon die erſchöpfende Antwort. Sie offenbart nur, was wir ſoeben entwickelten, daß bei Heraklit jedes der beiden Momente des Gegenſatzes, Sein wie Nichtſein, ſein Gegentheil ſchon an ſich ſelber habe, jedes ſomit ſelbſt ſchon Totalität von Sein und Nichtſein ſeiner und feines Gegenſatzes ſei. Eben deshalb nun, folgert Ariſtoteles könne eine wirkliche Bewegung gar nicht Statt finden und dieſe ſcheinbare ewige Be— wegung ſei nur eine beſtändige Ruhe. Denn wenn jedes, Sein wie Nichtſein, zugleich auch ſelbſt ſchon fein Gegentheil iſt, jo fer ja nichts vorhanden, in das es umgewandelt werden könnte. Das Sein werde bei ſeiner Umwandelung in Nichtſein, das Nichtſein bei ſeiner Umwandelung ins Sein nie zu einem wirklich ſich Anderem, ſondern ſtets nur zu etwas mit ſich Identiſchem, was es auch früher ſchon war und an ſich ſelber hatte, ſei alſo in der That nur bei ſich geblieben und ruhige Identität mit ſich.

Weil alſo jedes der beiden Momente, Sein wie Nichtſein, ſchon To— talität beider und ſein Gegentheil ſchon an ſich ſelber hat, kann ebenſowenig wie der Weg nach Unten den nach Oben, d. h. ebenſowenig, wie das Sein das Werden überwinden kann, ebenſowenig auch der Weg nach Oben den nach Unten, das Werden niemals das Sein überwinden, erzeugt es vielmehr nur ſtets, indem es daſſelbe aufheben will, und dies iſt ſo ſehr der Fall, daß das bloße Ausſprechen des Werdens daſſelbe ſchon in einer Be— ſtimmtheit ſetzt, die eine Entäußerung, ein Heraustreten deſſelben in das ihm unangemeſſene Element des Seins darſtellt. Und darum heißt es,

4 *

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daß das Eine Weiſe, welches allein in Allem vorhanden iſt und Alles leitet, der „Name des Zeus“ (das reine Werden) allein immer ausgeſprochen werden will und auch nicht. Das reine Werden iſt es, das allein daſein und deshalb auch von dem Erkennen als das einzig Wahrhafte allein aus— geſprochen werden will, aber ſelbſt in ſeiner bloßen Benennung eine be⸗ ſtimmte Form annimmt, welche es wieder als verendlicht und in das Sein getaucht, ſomit als unausgeſprochen erſcheinen läßt. Das Eine Weiſe, der Name des Zeus, kann alſo in ſeiner wahrhaften ihm angemeſſenen Reinheit nicht einmal ausgeſprochen werden, geſchweige denn wirkliches erſchöpfendes Daſein gewinnen. Und darum heißt es wieder, daß „das Eine Weiſe, der Name des Zeus, obgleich es allein alles Exiſtirende durch— walte und in Allem vorhanden, doch von Allem das Getrennteſte iſt.

Dieſe Einheit der abſoluten Gegenſätze iſt es, welche das All con— ſtituirt. Nähme man den einen dieſer Gegenſätze fort, ſo würde Alles verſchwinden. Nähme man den Weg nach Unten (das Sein) fort, ſo wäre alle Beſtimmtheit und ſomit das ganze Reich der realen Wirk— lichkeit, ja das Werden ſelber nicht weniger aufgehoben, da dieſes ſelbſt nur perennirendes Sein, zum Sein werden iſt. Nähme man aber den Weg nach Oben fort, ſo wäre verſiegt der Quell des unendlichen Inhalts und es bliebe lediglich die Seite der Schranke, das Nichts übrig; es exiſtirte dann auch kein Sein mehr, weil dieſes nur des Werdens Daſein iſt.

Vielmehr iſt aber ſtatt ſolcher unmöglicher Trennung jedes von beiden Momenten ſchon Totalität. Darum iſt Alles nur durch das Zugleich und Ineinander dieſer Gegenſätze, oder den Krieg. Der Krieg iſt daher „der Vater aller Dinge“ und nicht zu entfernen aus den Reihen weder der Götter noch Menſchen; ſondern als dieſe lebendige ſchöpferiſche Einheit der Gegenſätze und deshalb, weil dieſe Einheit nicht eine blos willkürliche, gewaltſam zuſammengeknüpfte, ſondern die Gegenſätze auch an ſich ſchon innerlich eins mit einander ſind, iſt der Krieg zugleich auch die ſchönſte Harmonie, die Alles zuſammenhält.

Das Werden iſt alſo die Einheit dieſer entgegengeſetzten und den— noch identiſchen und darum ſtets in einander umſchlagenden Momente. Als Einheit entgegengeſetzter Momente iſt ſie die Tendenz auseinander zu treten oder ſich von ſich zu unterſcheiden. In dieſem Auseinandertreten aber oder Unterſcheiden ihrer in ſich umſchlagenden Momente einigt!) ſie

1) Vom philoſophiſchen Gedanken aus ergiebt ſich daher ſchon hier mit un— bedingter Nothwendigkeit, daß Heraklit keine reale Erröowers, keine Weltvertilgung

ſich mit ſich; denn der Weg nach Oben iſt ſelbſt Weg nach Unten. Nie wird Eins dieſer Momente frei, und darum muß es heißen: „Das Aus- einandertretende einigt ſich immer mit fi”.

Dieſelbe Einheit von Sein und Nichtſein kann wie als Krieg und Har— monie, ſo auch als Fluß verſinnbildlicht werden. Der Fluß iſt die Ein— heit von Sein und Nichtſein im Raume; er iſt das Hier das unmittelbar nicht Hier iſt; er iſt alſo gleichfalls daſeiende Negativität. Was daher vom Wege nach Oben und Unten geſagt wird, kann auch vom Fluß prädicirt werden. Wie es früher hieß, daß Alles nur durch den Wechſel der 008 dy dr exiſtire, jo kann es jetzt heißen, daß Alles nur ewiger Fluß ſei und in dem Fließen allein ſein Sein habe.

Nur iſt, wenn ſo das heraklitiſche Princip als Fluß ausgeſprochen wird, nicht zu überſehen, daß der Fluß ſelbſt nichts Anderes als die ſtrei— tende Einheit von Sein und Nichtſein des Wegs nach Oben und nach Unten, daß er Gegenfluß (evavria por) it, wie uns Plato gut jagt.

Daſſelbe daſeiende Sichaufheben, wie der Fluß, iſt aber auch das Feuer. Es iſt diejenige Exiſtenz, die unmittelbares Sichverzehren, reine proceſſirende Negativität iſt, und daher vielleicht das beſte Bild des Wer— dens. Das Feuer iſt daher ebenſo wie die andern identiſchen Bilder des Werdens, Krieg, Fluß, Harmonie, %% dvw xarw, der pofttive Mutter— ſchooß aller Dinge, und wie ſich Alles aus dem Werden herſtellt und das Werden wiederum nur die Bewegung iſt, ſich zur Fülle des wirklichen

durch ſinnliches Feuer angenommen haben könne. Das Feuer war ihm, wie doch über und über klar ſein ſollte und ſich durch ſeine ſämmtlichen Fragmente erweiſen wird, gar nicht als dieſe ſinnliche Exiſtenz 4%, es war ihm nur dieſelbe ſinnbildliche reine Einheit der % dvo zarw, des Sein und Nichtſein, kurz des Werdens, die er auch als rölsnos, Ahe, ipappvy und noch in fo vielen anderen Formen ausdrückt; Zxrupodeosar heißt ſomit weiter nichts, als den Weg nach Oben ein— ſchlagen. Die &xröpwars iſt ſomit eine immerwährende und da der Weg nach Oben ſelbſt wieder eins mit dem Weg nach Unten und nur dies iſt, in dieſen ſich umzuwandeln, fo iſt eben fo ſehr die K auch ſofort wieder reale Welt— bildung, geard gu. Ein wirklicher Weltuntergang wäre nach Heraklit nur möglich, wenn der Krieg aufhörte, d. h. eins der beiden Momente iſolirt ohne das andere bliebe. Das iſt ihm aber unmöglich, weil jedes an ſich ſchon das An— dere iſt und nothwendig in es übergeht und gerade das Feuer iſt ihm auch nur, wie 0e, das Geſetztſein ihrer Einheit, die Einheit von Sein und Nichtſein.

Wie man, nachdem Schleiermachern ſein Takt davor bewahrt hatte, doch wieder allgemein in dies große Mißverſtändniß verfallen konnte, die Exrrupwars als einen realen Weltbrand zu faſſen, iſt ſchwer abzuſehen. Zur Zurückweiſung dieſes Miß— verſtändniſſes dient faſt jedes der heraklitiſchen Fragmente und ſomit unſere ganze Darſtellung ſeiner Philoſophie auf faſt jeder Seite.

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Daſeins umzuwandeln, fo ift „Alles Austauſch gegen Feuer und das Feuer, als Werden, nur Austauſch gegen alles Andere“, wie ſich etwa „die Dinge gegen Gold und Gold wieder gegen die Dinge“ tauſcht.

So iſt die ganze Welt der realen Exiſtenz nur „ewiglebendes

Feuer (15 deröwov), das war, tft, und fein wird, ſich entzuͤndend und verlöſchend (d. h. den Weg nach Oben und nach Unten einſchlagend), und nicht einer der Götter noch Menſchen“, ſondern nur dieſes Geſetz des Werdens iſt ihr Werkmeiſter. Das Sichentzünden des Feuers oder die Exrbpwars iſt ſelbſt nichts Anderes, als der Weg nach Oben; das Verlöſchen deſſelben, durch welches die deννοννe, die reale Weltbildung, das Auseinandertreten des Wer— dens in ſeine Unterſchiede bewirkt wird, nichts Andres, als der Weg nach Unten und wie der Weg nach Oben und nach Unten ſtets eins und immer zugleich iſt, fo iſt auch die Errbpwors nicht blos in periodiſcher Zeit- abwechslung, ſondern in ſteter und immer zugleich ſeiender Einheit mit dem Verlöſchen des Feuers vorhanden, und dieſe Einheit allein conſtituirt das Beſtehen der Welt, welche als dieſe ewige Einheit und Wechſel von Exrbpwors und Weg nach Unten ſelbſt ewig iſt.

Da aber das Feuer nicht dieſes ſinnliche Element ſelbſt bedeutet, ſon— dern nur als das reinſte Bild und Realität des ununterbrochenen Werdens gebraucht wird, ſo können auch wieder andere ebenſo angemeſſene und zum Theil noch reinere Darſtellungen der abſoluten Bewegung an feine Stelle treten. Oder man muß im Feuer ſelbſt einſtweilen!) zweierlei unterſcheiden: Das ſinnliche Feuer, welches zwar die erſte und reinſte Stufe iſt, in welcher ſich das reine Werden auf ſeiner Wand— lung nach Unten verkörpert, aber immer doch ſchon eben eine wenn auch noch ſo flüchtige Verkörperung iſt. Und dann der intelligible Be— griff des reinen Werdens ſelbſt, deſſen Bild und erſte ſinnliche Ver— körperung nur jenes ſichtbare Feuer iſt und welcher dann im Gegenſatze zu dem wie immer auch perſonificirten Begriffe des realen Feuers als höchſter Gott und Zeus bezeichnet werden muß.

Weil in dieſem Syſteme das Werden, der wahrhafte Gott, alle und jede Exiſtenz, auch die ſcheinbar unbewegteſte durchdringt, ſo muß es heißen: „Alles ſei voll von Göttern“. Andrerſeits aber bieten die ſinnlichen Exiſtenzen graduelle oder Maaß-Unterſchiede dar, je nach— dem in ihnen das Moment des feſten Seins über die Unruhe des Wer—

1) Einſtweilen, denn es werden ſich ſpäter bei genauerer Analyſe drei Feuerauffaſſungen herausſtellen ($ 18).

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dens vorwiegt oder nicht, und dieſe Graduation wird alſo zugleich den Leitfaden zur Claſſification der verſchiedenen Exiſtenzformen bilden.

Es kann aber auf dieſem ganzen Standpunkte die Claſſification der Exiſtenzen auch keine äußerliche bleiben.

Die verſchiedenen Exiſtenzen der elementariſchen, der anorganiſchen wie organiſchen Welt können auf dem Standpunkt dieſes Gedankens nicht mehr als einander fremde und von einander ſchlechthin verſchiedene ruhende ſinnliche Beſtimmtheiten erſcheinen. Iſt doch vielmehr allen Exiſtenzen, da ſie alle nur die Bedeutung haben, Verkörperungen des Werdens zu ſein, von vornherein dieſe Selbſtändigkeit gegen einander geraubt und hierin ihre innerliche Identität mit einander trotz ihrer ſcheinbaren Verſchiedenheit von vornherein erkannt.

Alle Exiſtenzformen der elementariſchen und anorganiſchen Welt find daher nur die Stadien und Stufen, welche das reine Werden auf ſeinem Weg nach Unten durchläuft und die es wieder ſich aufhebend auf ſeinem Weg nach Oben zurücklegt. Wie das materielle Feuer nur die erſte ſichtbare Darſtellung oder Wandlung des reinen Feuers iſt, ſo ſind die andern elementariſchen und unorganiſchen Beſtimmtheiten, Waſſer, Erde ꝛc. nur die Wandlungen (er ονν , ro) des Feuers ſelbſt auf ſeinem Wege nach Unten, und ebenſo ſtellt ihr Rückgang in daſſelbe die Stadien dar, welche das Werden auf ſeinem Wege nach Oben dutcheilt.

Hier iſt alſo zum erſtenmale die Identität aller ſinnlichen Be⸗ ſtimmtheiten nicht wie bei den Eleaten durch bloße Abſtraction von der Verſchiedenheit, ſondern poſitiv als ein dieſe ſinnlichen Verſchieden⸗ heiten erzeugender ſteter Proceß erkannt. Hier ſind zum erſtenmale die ſinnlichen Beſtimmtheiten zu bloß verſchiedenen und abſolut in einander übergehenden Formen eines identiſchen ihnen zu Grunde liegenden Subſtrats herabgeſetzt. Hier iſt zum erſtenmal, und vom Standpunkt der philoſophiſchen Speculation aus, der phyſiologiſche Gedanke des Stoffwechſels und ſeines ewigen Kreiſens erfaßt und mit der ihm eigenthümlichen Begeiſterung verkündet.

Und nicht nur die unorganiſche Natur, auch der organiſche Körper iſt in dieſem ſelben beſtändigen Umwandlungsproceß begriffen. Ja, wie „den Flüſſen beſtändig andre und andre Waſſer zuſtrömen“, ſo iſt auch der lebendige Körper überhaupt nur ein lebendiger durch das ſtete Zu— und Abſtrömen, durch das ununterbrochene Sichvermitteln mit dieſem das All durchdringenden Wandlungsproceß. Dieſer Vermittlung mit der Außen— welt entzogen wäre er ein Leichnam und Leichname ſind, weil der ab— ſoluten Bewegung am meiſten entnommen, „verächtlicher denn Miſt“.

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Weil wir daher nur in dieſer Vermittlung mit der Außenwelt, die ſelbſt nur beſtändiger Proceß iſt, unſer Leben haben, ſo muß es auch von uns ſelbſt heißen, daß wir in einemfort und immer zugleich „ſind und nicht ſind“, täglich zugleich leben und ſterben, geſund und krank ſind, dieſe Beſtimmungen nicht als ruhige, ſondern proceſſirende und beſtändig in einander übergehende, ſomit auch an ſich identiſche gefaßt ).

Weil alſo das Werden, oder beſtimmter die Einheit des Gegenſatzes von Sein und Nichtſein, ausnahmslos das ganze All durchdringt und das Eine in aller Verſchiedenheit der Exiſtenzen ihnen Gemeinſchaftliche iſt, ſo kann es auch als das Allgemeine, ro Evvöv, als das göttliche Vernunft— geſetz (Yee Adyos, y, ro gpovodv zei.) ausgeſprochen werden, wel— ches allein Alles leitet und beherrſcht.

Das „Allgemeine“ iſt eine für die heraklitiſche Philoſophie zur Be— zeichnung ihres Abſoluten durchaus geeignete Form. Denn es iſt dieſelbe Einheit des Gegenſatzes, dieſelbe daſeiende Negativität, welche auch das Feuer, der Krieg ꝛc. darſtellt. Das Allgemeine iſt die Subſtanz für das Einzelne, welches in ihm ſeine Erzeugung und ſein poſitives Beſtehen hat. Und doch iſt es unmittelbar ebenſo wieder die Aufhebung des Sinnlichen, Einzelnen, welches auf ſich beharren will und die beſtändige Rücknahme deſſelben in ſeinen ununterbrochenen Wandel.

Dieſe allgemeine alle Außenwelt durchdringende und conſtituirende Subſtanz könnte daher auch von den Berichterſtattern ganz richtig als das Umgebende, rd zepe£yov, bezeichnet werden, wenn man nur nicht vergißt, daß dies Umfaſſende ebenſowenig eine äußere getrennte beſondere Region als eine Vielheit oder Allheit ruhiger ſinnlicher Exiſtenzen, ſon— dern nur ihr abſoluter Wandel, der ungehemmte Proceß der allgemeinen Bewegung iſt.

Das Allgemeine als daſeiende Negativität, als die negative Macht, die über die Willkür des auf ſich beharren wollenden Einzelnen, das ſchon dem Anaximander „Ad“ iſt, hereinbricht, iſt alſo ſofort wieder identiſch mit dem Begriffe des Schickſals und der vorherbeſtimmten Noth— wendigkeit, der „einapnevn“. Die Nothwendigkeit iſt ſelbſt nichts Anderes, als die unmittelbare Verknüpfung von Sein und Negativität. Es kann daher ebenſo ſehr wie der Alles durchwaltende Logos ſo auch

1) Von hier aus ergiebt ſich auch der große Einfluß, welchen die heraklitiſche Philoſophie auf die wirkliche Naturforſchung, zumal Hippokrates, gewinnen konnte, worüber ſpäter (vgl. $ 7).

wieder die Nothwendigkeit als das abſolute weltbildneriſche, alles Sein leitende, durchdringende und beherrſchende, es ſetzende und aufhebende Princip ausgeſprochen werden!

Dieſe negative Macht der Nothwendigkeit, die über das Einzelne kommt, iſt aber ſelbſt nur die Gerechtigkeit, die es ergreift, weil es auf ſich beharrendes Seiendes ſein will, und es hineinreißt in den Proceß des göttlichen Lebens. Die Nothwendigkeit iſt daher ebenſo weſentlich Dike und in ihrem Gefolge hat ſie die negativen, der Willkür des Einzelnen Grenzen ſetzenden Gottheiten, die Erinnyen.

Das Aufheben der Exiſtenz iſt die Gerechtigkeit Gottes; denn es iſt mit der Beſtimmtheit überhaupt nicht Ernſt; denn unmittelbar verknüpft mit ihr und ihr eigener Inhalt iſt ja die ſie aufhebende Negativität. Und weil ſomit der Hervorgang der Beſtimmtheit unmittelbar auch wieder ihr Rück— gang in die allgemeine Negativität, das Beſtehen der Exiſtenz haltlos und vielmehr nur dies iſt: zu werden und ſich ſomit aufzuheben, deshalb kann geſagt werden, daß das Setzen der Beſtimmtheit, die reale Welt— bildung überhaupt: nur ein Spielen Gottes fei!

Man erſieht hier übrigens wieder, wie die Dike, die eiumppevn, das Allgemeine, der die Welt durchdringende Logos, und andere Namen, in denen Heraklit ſein Abſolutes ausſpricht, nicht nur unter ſich ihrem Grundgedanken nach identiſche Geſtalten und Formen, ſondern ebenſo identiſch mit dem ſind, was früher Feuer, Fluß, Krieg, Harmonie, Weg nach Oben und Unten genannt wurde. In allen dieſen Namen lebt nur der Eine Begriff, Einheit des Seins und der Negativität, an ſich ſeiende und ſich als ununterbrochener Proceß vollbringende Identität des Seins und Nichtſeins zu ſein.

Die Subſtanz der Seele kann ſelbſtredend auf dieſem Standpunkt wiederum nichts Andres ſein, als das reine Werden, das ſich verleiblicht, den Weg nach Unten eingeſchlagen hat. Die Subſtanz der Seele iſt iden— tiſch mit der Subſtanz der Natur, jenem Allgemeinen, das nur der abſolute Proceß iſt. Darum müſſen wir die Seele in gleicher Würde, wie das Feuer, nämlich als %%% bezeichnet finden!). Ebenſo kann es andrerſeits auch heißen, daß die Seele nur das Allgemeine (mepeeyov) ſelbſt iſt, das außer ſich gekommen iſt, indem es Körperlichkeit an— nahm, den Weg nach Unten einſchlug. Der Körper iſt daher zugleich das Grab der Seele und wie es einerſeits heißt, daß die Menſchen den Tod der

1) Arist, de anima J, 2. p. 405: xat ‘Hoaxieıros d mv dpyyy elvar anal z, einep yv dvadvnlaaıy, EE ns rd avviernaw xri.

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Götter leben und umgekehrt, d. h. daß in der Geburt des Menſchen der Tod Gottes, in der Menſchen Tod die Wiedergeburt Gottes vor ſich geht, ganz ſo und hiermit nur denſelben Sinn darbietend kann man die Seele an die Stelle der Götter ſetzend ſagen, der Menſchen Leben ſei das Sterben und in uns Begrabenſein der Seele (des reinen Werdens) und das Sterben des Menſchen der Seele Wiederaufleben. Und da ja ſonach die Seele nur ganz dieſelbe Bedeutung hat wie das Feuer, nämlich nur Bild und erſte reinſte Verkörperung des reinen Werdens zu ſein, ſo kann es ebenſo wenig Wunder nehmen, bei der Lehre von den Verwandlungsſtadien des Weges nach Unten die Seele an der Stelle des Feuers anzutreffen und Fragmente zu finden, in denen es heißt, es ſei der Seele Tod, Waſſer zu werden, wie dies in andern Stellen vom Feuer ausgeſagt wird.

Die Lehre vom Erkennen ergiebt ſich nach allem Bisherigen von ſelbſt und mußte, dem Standpunkte dieſes Gedankens entſprechend, ſelbſt— redend eine ſtreng objective ſein.

Wenn alles Objective nur das Daſein des Einen Begriffs von der Identität des Gegenſatzes von Sein und Nichtſein iſt, wenn dieſer Begriff allein das Eine Weiſe und Allem Gemeinſame, das vernünftige Geſetz, das Alles leitet, iſt, fo beſteht auch das wirkliche Wiſſen in nichts An— derem, als in der Aufnahme in ſich dieſes das ganze Sein beherrſchenden Logos, in der Erkenntniß, daß Alles zugleich Sein und Nichtſein und nur der Proceß iſt, dieſe an ſich ſeiende Identität immer zu verwirk— lichen, ſo wie in der Nachweiſung dieſes Geſetzes in allen Gebieten der Exiſtenz. Dieſe Erkenntniß iſt uns möglich, weil wir ſelbſt ſchon an uns vernünftig, nämlich auch ſelber ſchon das Daſein jenes die Welt durchwaltenden Geſetzes ſind. Unſere Seele iſt an ſich ſelbſt nichts An— deres, als ein Theil jenes vernünftigen Allgemeinen ſelbſt, des reinen Werdens, das aber eben durch ſeine Verleiblichung außer ſich ge— kommen iſt.

Es handelt ſich daher nur der Uebergang vom Sein zum Wiſſen iſt in dieſer Hinſicht ganz analog dem in einer modernen Philoſophie, nur daß Heraklit noch nicht den Begriff des Fürſichſeins hat den an ſich ſeienden Zuſammenhang mit dem Allgemeinen auch zu verwirklichen ).

Im Zuſtande des Schlafs ſind wir daher jeder Erkenntniß unfähig, weil wir im Schlaf am meiſten abgeſchieden ſind von dem Zuſammenhange

1) Dieſe Verwirklichung geht aber ſelbſt wieder nur in objectiver, ſeiender Weiſe vor ſich, wie man ſehen wird, und es wäre daher ungenau zu ſagen: es handle ſich darum, den an ſich ſeienden Zuſammenhang zum Fürſichſein zu bringen, ein Begriff, der Heraklit noch weſentlich abgeht.

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mit dem Proceß des Allgemeinen, welcher hier nur noch durch die eine Function des Ein- und Ausathmens, im Wachen aber durch unſern ge— ſammten Körper ununterbrochen vermittelt wird. Darum werden wir ſchlafend „unvernünftig und erlangen die Vernunft wieder, erwachend“; Kohlen vergleichbar, die auch, vom Feuer entfernt, verglimmen und dem— ſelben genähert wieder feurig aufglühn.

Aber auch im Wachen ſind wir dem abſoluten Irrthum unterworfen, wenn wir uns abſondern von dem Allgemeinen, von jener abſoluten Bewegung, welche alles Daſein ausmacht.

Dieſe Abſonderung von dem Allgemeinen geht zumal auch in der bloßen ſinnlichen Wahrnehmung vor ſich. Die Sinne, wie ſie in uns ſelbſt die Seite unſerer Einzelheit, unſeres beſtimmten körperlich-feſten Seins ausmachen und uns von Andern abſcheiden, ſpiegeln uns eben des— wegen auch die Dinge in einer feſten bleibenden Beſtimmtheit vor, die ihnen nicht zukommt.

„Lügenſchmiede und Lügenzeugen ſind daher die Sinne, welche die Dike auch ergreifen wird“, jene negative, alles ſich noch ſo ſehr fixirende Sein aufhebende gerechte Macht des reinen Werdens.

Wenn das Geſetz von der Identität des Gegenſatzes die objective allgemeine Vernunft iſt, der alles Daſein huldigt, ſo konnte und mußte er ſehr treffend die vulgäre Anſicht, welche die Gegenſätze als ſchlechthin ſich ausſchließend faßt und ihre Einheit nicht zu begreifen vermag (alſo gerade ganz das, was etwa von der hegelſchen Philoſophie als Verſtand bezeichnet wird) im Gegenſatz zu jener ſpeculativen in der geſammten Welt— ordnung vorhandenen Vernunft, eine „aparte“ Vernunft der Menſchen (dc god unos) nennen. Ja er erfand in ſeiner tiefen Verachtung dieſer Verſtandesanſicht einen bezeichnenden Kunſtausdruck für dieſelbe: 7 O e oder das Wähnen (ſubjective Meinen).

Dieſes „Wähnen“ konnte er ſehr characteriſtiſch mit einer Krankheit vergleichen und als eine Epilepſie des Geiſtes darſtellen.

In der That, in dieſem ganzen Syſteme iſt es nur ein- und daſ— ſelbe Moment, das Sichfeſthaltenwollen des Einzelnen, die Abſperrung deſſelben gegen das, wie man nie vergeſſen darf nur im abſoluten Um— wandlungsproceß beſtehende, Allgemeine, dies Eine Moment iſt es, was im Gebiete des Sittlichen als Uebermuth und Willkür (Does), im Gebiete des Organiſchen als Krankheit, im Gebiete des Erkennens aber als „Wähnen“, als ſubjective, aparte Vernunft und ſomit Lüge er— ſcheinen mußte.

Es war ſomit kein Widerſpruch, ſondern vielmehr dem Gedanken der

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heraklitiſchen Philoſophie weſentlich nothwendig, einerſeits zu ſagen, daß es: allen Menſchen gemeinſam iſt, vernünftig zu ſein und andererſeits wie— der, daß: indem jener Logos walte, unvernünftig würden die Menſchen und daß ſie des nach dieſem Logos Gewordenen unerfahren erſchienen, ob— gleich ihn erfahrend an „Worten und Werken“ und ihnen ebenſo verborgen bliebe, was ſie ſelber wachend, als was ſie im Schlafe thun, lebend, als wenn fie eine eigene Vernunft hätten ꝛc. N

Die wirkliche Erkenntniß und Vernunft aber war und konnte ihm nichts Anderes ſein, als „die Auslegung der Weiſe, welche weltbildend das All durchdringt“ ), und inſofern wir mit dieſer, die ſelbſt das Gemeinſame in Allem übereinſtimmen, ſprechen wir daher wahr, inſofern wir eigener Anſicht ſind, lügen wir. Und darum „müſſen wir feſthalten an dieſem Gemeinſamen Aller, wie die Stadt am Geſetz und noch viel feſter“. Der Inhalt dieſes Allgemeinen und Gemeinſamen aber, mit welchem wir uns in Zuſammenhang und Uebereinſtimmung bringen müſſen, um zu erkennen, iſt ſelbſt nur das Werden, die unaufhaltſame Bewegung. Eben des— halb aber hat Heraklit noch eine weitere Conſequenz ziehen müſſen und wenn unſere neueſte Phyſiologie lehrt, der Gedanke ſei nur Bewegung des Stoffs, ſo hat ſchon, freilich ohne nähere phyſiologiſche Vermittlung, die heraklitiſche Philoſophie gelehrt: das Bewegte werde ſelbſt nur wie— der durch ein in Bewegung Befindliches erkannt (r d xe. nevov Dev yıvoorsoda:)?). Denken war ihm Bewegung, wie ihm Sein Bewegung war, beides ein und dieſelbe Subſtanz.

Wie ihm das Weltall ſelbſt nur in dem abſoluten Wechſel beſtand, ſo war ihm auch der Quell des Denkens nur in der Vermittlung mit dieſem allgemeinen Wandel aller Gegenſtändlichkeit vorhanden. Und in dieſem Sinne hat er es als „etwas Großes und Heiliges“ (neya de za: oguvov) gelehrt, daß er ſich ſelbſt geſucht habe, wie eine ſeiende Dingheit und erſt als er auch ſich als nicht ſeiend, als dieſelbe abſolute Bewegung erkannt, ſei ihm alle Erkenntniß aufgegangen und er weiſer geworden als Alle.

Die ſtrenge alles durchdringende Identität des Vernünftigen und des Allgemeinen, die, wie man geſehen, dem heraklitiſchen Gedanken immanent iſt und ſeiner Philoſophie ihren ſo durch und durch objectiven

1) 9 (sc. gd unos) Zarıw οο M v d EEnynars ro TooRoV TS Tod rayrös Ötorznosws, Next. Emp. adv. Math. VII, 126.

2) Wie uns, wenn auch nicht wörtlich citivend, Ariftoteles ganz ausdrücklich von Heraklit berichtet (de anima I, 2. p. 405).

Charakter verlieh, mußte natürlich auch ihre Conſequenzen für das Gebiet der ſittlichen Anſchauungen nach ſich ziehen und ſo zuerſt eine Art von philoſophiſch-ſyſtematiſcher Ethik erzeugen.

Wenn jenes ſpeculative Allgemeine das ganze Reich der Natur und den einzelnen Menſchen ſelbſt durchdrang und allein in ihm das Ver— nünftige war, ſo mußte es ebenſo auch für das Verhalten der Menſchen zu einander beſtimmend ſein. f

Das Sichvertiefen und Beruhen des Einzelnen in ſich, welches ihm auf dem natürlichen Gebiete als Abſperrung von dem nur als abſoluter Proceß vorhandenen göttlichen Leben, als unberechtigt und bloßer Schein, als Lüge und Krankheit erſchien, mußte ihm, wie oben bereits beiläufig er— wähnt, auf dem Felde des Sittlichen, als willkürliche Ueberhebung, als Uebermuth (%ig) erſcheinen „der mehr zu löſchen ſei, denn eine Feuers— brunſt“. Ganz daſſelbe mußte ihm im Gebiete des noch mehr individuellen Lebens als Princip der ſinnlichen Luſt erſcheinen, die er, wie alles Sinnliche und weil ſie die Seele aus ihrem reinen Werden und Zuſammen— hang mit dem Allgemeinen herausreißt und ihr die Freude an ihrer Körper— lichkeit, die doch nur ihr Tod iſt, einflößt, mit großer Heftigkeit in vielen ſeiner Fragmente perhorrescirt hat. Das, wodurch wir uns vom Thier unterſcheiden, die Seele, iſt ihm ja grade nur reines Werden, ununter— brochene Aufhebung und Ueberwindung des ſinnlichen Seins, der Beſtimmt— heit und Einzelheit.

Dieſes Unterſchiedes alſo begeben ſich grade die Meiſten und „mäſten ſich wie Vieh“, wenn ſie „nach dem Bauch und den Schaamtheilen und dem Verächtlichſten in uns meſſen das Glück“.

Seine Polemik trifft ſomit auch hier überall nur daſſelbe Moment, die Seite der Einzelheit und ſinnlichen Beſtimmtheit.

Alle Producte und Exiſtenzen des Allgemeinen aber mußte dieſe Philoſophie als das wahrhaft Vernünftige anerkennen und verehren. Da— her auch die hohe Achtung, in welcher wir das Geſetz bei Heraklit an— treffen. Nothwendigerweiſe aber war ihm das Geſetz nicht etwa das Er— gebniß des Willens vieler oder aller individuellen Menſchen, der Gedanke der empiriſchen Allheit, ſondern es war ihm ſelber nur ein Ausfluß jenes objectiv Allgemeinen, welches die Welt durchdringt. Wie die hegelſche Philoſophie etwa das Geſetz einen Ausdruck des allgemeinen ſubſtantiellen Geiſtes nennt, gleichfalls ohne hierbei die empiriſche Ma— jorität der einzelnen Willen zu meinen, ſo ſagt Heraklit in ſeiner markig— ſinnlichen Sprache: „Alle menſchlichen Geſetze werden von dem Einen Göttlichen genährt, das Alles beherrſcht und Allem genügt“.

Es ergiebt ſich aber aus der Identität des Allgemeinen mit dem Ver— nünftigen (und aus der allen Producten des Allgemeinen daher zukom— menden Verehrung) noch eine andere Conſequenz, die Heraklit auch wirklich gezogen hat, und aus welcher eine Seite ſeiner Philoſophie reſultirte, die man bisher noch gänzlich überſehen hat: wir meinen das, was man eine Philoſophie der Sprache nennen könnte.

Die Sprache iſt durchaus Product des allgemeinen ſubſtantiellen Geiſtes. Sie enthält ferner dieſelbe ſpeculative Einheit des begrifflichen Gegenſatzes, welche für Heraklit das Abſolute war. Alle in der Sprache enthaltenen Bezeichnungen der Dinge, auch der einzelnſten und ſinnlichſten, bringen es nur zu einer allgemeinen, nie zu einer wirklich einzelnen Exiſtenz, die vielmehr in der Sprache beſtändig aufgehoben und negirt wird. Die Namen der Gegenſtände bezeichnen dieſelben einerſeits zwar als dieſe einzelnen Gegenſtände, und dennoch ſind ſie in dieſem ſprachlichen Aufruf bereits aufgehoben und als allgemeine geſetzt.

Selbſt das Wort „Ich“ (wie Hegel bereits irgendwo bemerkt hat), durch welches das Einzelne als ſolches, dieſe ganz individuelle Perſon des Sprechenden, bezeichnet werden ſoll, iſt ſchon unmittelbar aufgehobenes Ich, allgemeines Ich, ein Ich, das ebenſo auf alle Ich paßt. Es iſt der Sprache gar nicht möglich, in die Sphäre des wirklich Einzelnen und Seienden herabzuſteigen und ein Ding in dieſer Einzelheit feſtzuhalten. Unmittelbar im Ausgeſprochenwerden ſelbſt werden die Dinge vielmehr wie durch eine negative Macht aus ihrer Einzelheit herausgeriſſen und als Kategorieen und Arten geſetzt, ſomit zu nicht unmittelbar ſeienden, aufgehobenen, all— gemeinen gemacht. In den Benennungen haben dle Dinge ſomit ebenſo ihr Sein wie ihr Nichtſein, ihre Poſition wie ihre Negation.

Dieſe Natur der Sprache war es, welche Heraklit zum Bewußtſein kam und ihn das Axiom aufſtellen ließ: durch die Namen gehe der Weg zur Erkenntniß der Dinge. Heraklit iſt ſomit der Erſte, welcher zu der wahrhaft philoſophiſchen Einſicht gelangte, daß die Worte der Sprache nicht zufällige, daß ſie auch nicht blos conventionell und willkürlich gewählte Zeichen ſeien, ſondern nothwendige und das in— nere Weſen der Dinge ſelbſt offenbarende Namen.

Von dieſer principiellen Anſchauung ausgehend ſetzte Heraklit in einem ihm eigenthümlichen und bisher unbeachtet gebliebenen, aber aus einigen ſeiner Fragmente noch hinlänglich nachweisbaren Sprachgebrauch den „Na— men“ einer Sache für identiſch mit dem Weſen und Begriff einer Sache.

Von derſelben principiellen Anſchauung ausgehend ſuchte Heraklit auch wirklich durch Etymologieen, von denen noch immer eine ſo er—

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hebliche Anzahl in Fragmenten und Zeugniſſen der Alten ſich nachweiſen läßt, daß es wirklich befremden muß, wie dieſe Richtung der heraklitiſchen Philoſophie der Aufmerkſamkeit bisher ſo ſehr entgehen konnte, das Weſen der Dinge darzuthun und nachzuweiſen.

Ja, noch enger ſeine Idee von der Identität des Gegenſatzes mit ſich ſelber auch auf dieſem Gebiete durchführend, ſuchte er durch ſolche Etymologieen nachzuweiſen, wie bereits in den Namen ſelbſt die Dinge als identiſch mit ihrem abſoluten Gegenſatz geſetzt ſeien und wenn er hierbei nicht umhin konnte, manchmal auf Etymologieen wie lucus a non lucendo zu verfallen, jo hat er doch auch wirklich ſpeculative und geiſtvolle Etymologieen, wie wir ſehen werden, zu Tage gefördert. Alle dieſe Etymologieen waren bei ihm aber nicht ein zufälliges leeres Spiel, ſondern wie man geſehen hat und beſonders feſthalten muß, ſeiner prin— cipiellen Anſchauung der Natur der Sprache entfloſſen.

Das iſt, ſoweit er hier bereits dargelegt werden kann, ein flüchtiger Umriß der Philoſophie Heraklits, oder der Philoſophie des Werdens.

Der Charakter dieſer Philoſophie iſt ſtreng objectiv. Sie tft zum erſtenmal wahrhaft Syſtem, weil ſie einen wahrhaft ſpeculativen Ge— danken ergriffen, der ebenſo im geiſtigen wie im phyſiſchen Gebiete ſeine Be— währung hat. Daher denn auch jene Nachrichten, daß Einige nicht haben wollen gelten laſſen, das Buch handle über die Natur, ſondern ihm einen ethiſchen Charakter vindicirten (Diog. L. IX, 12. 15. Sext. Emp. adv. Math. V, 7. Schleierm. p. 352 sq.). Heraklit iſt nicht abſtracter Phyſiker. Sein Begriff, die ſpeculative Einheit des Gegenſatzes, iſt ſo gut Grund lage der Natur wie des Staates.

Aber durchgeführt hat er dieſen Begriff mehr im Phyſiſchen. Eben ſo gut auch iſt ihm die reine proceſſirende Einheit von Sein und Nichtſein, das reine Werden, das, was der ſinnliche Name Gott nennt; es kommen verſchiedene Götternamen bei ihm vor, welche von ihm den begrifflichen Unterſchieden und Momenten ſeines Gedankens entſprechend gebraucht werden. Seine Naturphiloſophie iſt ebenſogut eine Beſchreibung des göttlichen Lebens; denn der ſpeculative Begriff iſt ihm der Gott. Darum wollen nun Einige, daß das Werk in drei Disciplinen, phyſiſche, ethiſche und theologiſche eingetheilt geweſen ſei.

Das iſt nun wieder ein Gedanke der eine unverſtändige Wendung ge⸗ nommen hat.

Es iſt ungereimt, ſolche logiſche Ordnung und Treunung bei He— raklit anzunehmen. Dieſe Gebiete mußten ihm um ſo mehr in einander fließen, als er überhaupt einen Unterſchied derſelben gar nicht kannte, ſon—

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dern nur feinen Einen göttlichen Begriff, von dem ihm Alles, Geſetze wie Phyſiſches gleich erfüllt, oder wie er ſelbſt noch draſtiſcher ſagt „ge— nährt“ wurde.

Doch iſt er durchaus unter die Reihe der phyſiſchen Philoſophen zu zählen und nicht nur deswegen, weil er ſich in ſeinem Buche am meiſten damit beſchäftigte, ſein Princip im Natürlichen durchzuführen, ſondern weil er den Begriff nur als objectivſeienden faßt. Zum Begriff des für ſich ſeienden ſubjectiven Geiſtes iſt er nicht gelangt. Haupt— mangel bei Heraklit ift, daß ihm auch der ſubjective Geiſt nichts An— deres iſt, als die Exiſtenzen der Natur, verkörperlichtes ſeiendes Wer— den. Auch den Geiſt faßte er nur als objectives Sein, das freilich eben nur im Wandel von Sein und Nichtſein ſein Sein hat.

Was ihm hier abgeht, ergänzt dann die ſophiſtiſche Dialektik des ſubjectiven Ich, gegen welches das Objective keine Wahrheit habe. Bei Heraklit iſt hiervon noch das gerade Gegentheil vorhanden und doch iſt er auch ſchon der unmittelbare Uebergang hierzu.

Es hat nämlich durch Heraklit das Sein und die Beſtimmtheit alle Feſtigkeit und Wahrheit, jeden bleibenden Charakter ver— loren; es verhält ſich in der That jo, wie Plato (Theaet. p. 181. B. p. 188. Stallb.) von den Heraklitikern ſagt: „ſie haben das Unbewegte bewegt“, denn das Objective iſt ja der heraklitiſchen Philoſophie nur dieſer conſtituirte Gegenſatz und Widerſpruch in ſich ſelbſt. Man datirt die Dialectik gewöhnlich von den Eleaten ab. Das iſt richtig, inſofern man nur die ſubjective, dem Gegenſtand äußerlich bleibende Ver— ſtandesthätigkeit im Sein hat. Objective Dialectik iſt nur mit Heraklit vorhanden, denn bei ihm iſt der Gegenſtand ſelbſt dieſer Proceß des Gegenſatzes in ſich.

Der Widerſpruch der Dialectik iſt hier objectiv ſeiender und das Weſen des Alls conſtituirend geworden und braucht blos aus dem Gegen— ſtand herausgegriffen zu werden.

Wir hatten oben geſagt, daß der Fluß des Werdens, dieſe reine Dia— lectik, nie überwunden wird und das Werden nie zum Sein gelangt. Daraus ergiebt ſich eine Hauptconſequenz des heraklitiſchen Gedankens. In dieſem perennirenden Werden iſt alle Beſtimmtheit aufgehoben.

Dahin geht das Urtheil des Ariſtoteles, es ſei nach dieſem Logos nicht ſowohl Alles Eins, als Alles Nichts.

Dieſes Urtheil trifft ebenſoſehr Heraklit als nicht. Denn es iſt eine wahrhafte Conſequenz des heraklitiſchen Gedankens an ſich, die er ſelbſt aber nicht gezogen hatte.

Seine Schüler zogen ſie und machen eben damit den Uebergang zur Sophiſtik. So gehen ſie daher von dem wahrhaften Gedanken He— raklits aus, kommen aber zu Reſultaten, die den ſeinigen ſchlechthin ent— gegengeſetzt ſind. Der Grund iſt eben der, daß der heraklitiſche Gedanke dieſer Gegenſatz in ſich ſelbſt iſt. Weil ſo alles Sein vielmehr ein un— unterbrochenes Nichtſein, perennirendes Aufheben der Beſtimmtheit iſt, jagt der Heraklitiker Kratylos: es könne nichts geſagt werden, ſondern man müſſe nur den Finger bewegen, ob man es vielleicht gerade träfe!

So hebt ſich das objective heraklitiſche Wiſſen auf und verkehrt ſich zum unmittelbaren ſinnlichen Dieſes, während Heraklit ſelbſt ſo bitter gegen alle ſinnliche Wahrnehmung polemiſirt hatte. Aus Heraklit weht uns der ganze Stolz des objectiven Wiſſens an, den 7 de rayra örxovra, den ſich durch Alles durchziehenden Gedanken erkannt zu haben.

Dieſe Objectivität iſt aber eine hauptſächlich formale. Die Schüler Heraklits jagen uns nur, was der Inhalt dieſes Logos ſei. Der Inhalt dieſes objectiven Logos ſelbſt iſt aber zunächſt die Vernichtung alles Feſten, Objectiv- Beftimmten, abſolute Negativität. Und da— hin treffen dann die Urtheile des Ariſtoteles und ſeiner Commentatoren, daß es nach dieſem Logos gar kein Wiſſen (Emorzun) gebe und gar keine wiſſenſchaftliche Unterſuchung möglich ſei, weil eben nur der Fluß, das Nicht der Beſtimmtheit, exiſtire, und weil, wenn nichts ſei, auch nichts ausgeſagt werden könne.

Daher finden wir auch Heraklit bei Plato wie Ariſtoteles mit Pro— tagoras u. A. zuſammengeſtellt. Solche Zuſammenſtellungen ſind aber bei dieſen Philoſophen durchaus nicht äußerlich; es liegt ihnen ſtets eine tiefe Gedankenconſequenz zu Grunde und unbedingt iſt auch Heraklit trotz des ſtreng dogmatiſchen und objectiven Charakters, den ſeine Lehre in ſeiner eigenen Auffaſſung hat, dennoch der Vater der Sophiſtik geweſen. Weil ſein Nichtſein, wie wir im Anfang dieſer Entwicklung geſehen, ebenſoſehr an ſich wieder reines Sein iſt, könnte man ihn auch wieder mit ſeinem un— mittelbaren Gegenſatze Parmenides, dem Führer der Eleaten, dem Haupt— verkünder des reinen Sein zuſammenſtellen. Und ſo hat denn auch Ari— ſtoteles, während er einerſeits den Heraklit auf die Conſequenz drängt, daß nach ihm, weil immer nur der Fluß, das Nicht der Beſtimmtheit vor— handen ſei, auch nichts exiſtire, andrerſeits auch die entgegengeſetzte Seite des heraklitiſchen Begriffs ebenſowenig überſehen und in der ſchönen ſchon oben (p. 50) bezogenen Stelle der Metaphyſik (p. 80. Br.) die andere Con— ſequenz entwickelt, daß, weil ihm Sein und Nichtſein identiſch ſind, bei

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ihm, wenn auch gegen feine eigene Anficht, eigentlich gar keine Bewegung, ſondern nur reine Ruhe Statt fände, weil, wenn das Sein ſchon das Nichtſein an ſich ſelbſt habe, und umgekehrt, gar keine wirkliche Umwand— lung des Seins vor ſich gehen kann, da es auch bei ſeiner Umwandlung zum Nichtſein bei nichts Anderem, ſondern nur bei dem ankömmt, womit es vorher ſchon identiſch war, alſo nur mit ſich identiſch geblieben iſt.

Dieſe dialectiſche Conſequenz iſt, obgleich freilich von Heraklit ſelbſt nicht gezogen, ſo treffend, daß der ganze Fortſchritt, welchen in der Ge— ſchichte der Philoſophie die Philoſophie der Atomiſtiker über die heraklitiſche Philoſophie bezeichnet, eben nur darin beſteht, dieſe Conſequenz gezogen und poſitiv geſetzt zu haben.

Die heraklitiſche abſolute proceſſirende Negativität als nicht mehr ſich in Andres umwandelnd, ſondern als beiſichbleidende Identität mit ſich ſelber geſetzt, iſt das Leere; als Thätigkeit in dieſem nicht mehr außer ſich kommenden Beiſichbleiben iſt ſie Sich auf Sich Beziehen, Für— ſichſein, d. h. der Gedanke des Atom. Der objective Fortſchritt der Ato— miſtiker beſteht alſo gerade in der Vollbringung dieſer Gedankenconſequenz.

Dies iſt der geiſtige Zuſammenhang der heraklitiſchen Lehre mit den Eleaten und reſp. den Atomiſtikern, wie der mit der heraklitiſchen Sophiſtik ſpäter noch deutlicher erhellen wird.

Endlich mußten wegen jener Auflöſung und Vernichtung alles Be— ſtimmten, welche, wie wir geſehen, eine Conſequenz ſeines Gedankens iſt, auch die Sceptiker dieſe Lehre ſich geeignet finden. Ihr Thun iſt eben dies, jede Beſtimmtheit durch die entgegengeſetzte Inſtanz aufzulöſen. Nach Heraklit iſt aber dieſer Gegenſatz und Widerſpruch in Allem wirklich vorhanden.

Will man den Unterſchied und doch auch die Einheit des heraklitiſchen Gedankens und der daraus hervorgehenden Sophiſtik kurz zuſammenfaſſen, ſo muß man ſagen, daß, wenn bei den Eleaten das Nichtſein gar nicht und nur das Eine oder das Sein iſt, bei Heraklit, deſſen Princip die Identität und Totalität von Sein und Nicht iſt, die ſich auch ſtets als ununterbrochener Proceß vollbringt, Beides und Alles iſt, das Sein wie das Nicht, bei der heraklitiſchen Sophiſtik aber dann nach der noth— wendigen Conſequenz des Gedankens, wenn alles Daſein nur Daſein des Nicht iſt, das Nicht das Sein verſchlungen hat und allein übrig geblieben iſt.— Und jo jagt uns in der That Sext. Emp. ſehr ſcharf Pyrrh. Hyp. II, 59.) Sr uev Zar 9 l'opyiov dedvora qe My ne, umosv elvar, Er£oa 02% "Hoaxistov va I gnot navra eve, eine andere iſt die Erkenntniß des Gorgias, nach welcher er ſagt, daß nichts ſei und eine

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andere, die des Heraklits, nach welcher er jagt, daß Alles ſei, welche Stelle ihre Erläuterung in der andern findet, ib. II, 63., wo es heißt, den Einen ſcheine der Honig ſüß, den Andern bitter, Demokrit habe ihn daher weder für ſüß noch bitter, Heraklit aber für Beides gehalten. Denn fo iſt es in der That bei Heraklit, daß bei ihm immer beide Seiten des Gegenſatzes Daſein haben; von den Sophiſten wird dieſes Daſein dann aufgezeigt als das, was es hiermit ſchon an ſich iſt, als in ſich aufgelöſt und verſchwunden.

Schleiermacher hat ſomit ſehr Unrecht gehabt, gegen dieſe Stellen des Sextus zu polemiſiren (p. 442), wie er denn merkwürdiger Weiſe allemal da Einſpruch thut, wo gerade etwas hauptſächlich Richtiges über Heraklit ausgeſagt wird.

Doch ſind wir mit der Anführung dieſer Stellen des Sextus an die Grenze dieſes Theils unſerer Arbeit gekommen und müſſen über ſie auf den folgenden Theil, der die Fragmente und Zeugniſſe der Alten und ihre Erörterung enthält, verweiſen.

Wir haben dieſe vorläufige Entwickelung des heraklitiſchen Grund— begriffs faſt durchgängig mit den eigenen Worten der heraklitiſchen Fragmente und den Zeugenausſagen der Alten gegeben. Alles, was wir von ihm haben, läßt ſich conſequent aus ſeinem ſpeculativen Feuer, aus der proceſſirenden Identität des Sein und Nichtſein ableiten. Wir hätten noch weit mehr ins Detail dabei eingehen können, wenn dies nicht überflüſſig geſchienen. Heraklits Gedanke hat die Kraft des Syſtems, d. h. die Fähigkeit, ſich aus ſich zum concreten Syſteme zu entwickeln, weil er wirklicher Begriff iſt. Heraklit konnte darum bei ſeinem Eingehen in das Detail ſo con— ſequent ſein. Bis zu einer gewiſſen Grenze nun entwickelt er ſeinen Gedanken und folgert aus ihm, d. h. erklärt aus ihm die ſich abſtufende Reihe der Naturerſcheinungen.

Ein charakteriſtiſcher Zug ſeiner Darſtellung aber bleibt immer, was im vorigen Capitel bereits ausführlich entwickelt worden iſt, daß er ſeinen Begriff in nebeneinander ſeienden, coordinirten ſinnlichen Formen und Namen ausſpricht, die ſomit identiſch und nicht alle eine ſich glie— dernde Abſtufung und Fortgang ſeines Princips ſind, ſondern nur deſſen ungeheures Ringen die ſinnliche Form zu zerſprengen und ſich in dem adäquaten Aether ſeiner begrifflichen Reinheit darzuſtellen; aber dieſer innere ſtumme Begriff tönt durch ſeine eigene Natur immer wieder in einen ſinnlichen Laut aus, der darum eben ſo ſehr ſich aufhebt und die ſich abwechſelnde Vielheit von Klängen erzeugt. Die unſichtbare Harmonie,

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dargeſtellt, wird ſomit immer zur ſichtbaren, die nicht den Gott erreicht, der fie beſeelt. Das Eine Weiſe, der Name des Zeus, ausgeſprochen, iſt immer hiermit auch verendlicht und unausgeſprochen geblieben. Er iſt gerade deshalb das Eine, das immer ausgeſprochen werden will und auch nicht.

Erſt nachdem wir dieſes Centrum heraklitiſcher Philoſophie gewonnen haben, können wir daran gehen, daſſelbe in ſeine Ausſtrahlungen, d. h. in feine concrete Entwickelung zum Syſtem und ſeine weitere hiermit gegebene Vertiefung in ſich zu begleiten.

Hiſtoriſcher Theil.

Fragmente und Zeugniſſe.

I. Ontologie.

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§ 1. Identität des Gegenſatzes.

Zwei ſinnliche Exiſtenzen und Namen unter den vielen, in denen Heraklit ſeinen abſoluten Begriff zur Darſtellung brachte, ſind es beſonders geweſen, die von jeher der verwirrenden und mißverſtehenden Verſtandes— vorſtellung Vorſchub thaten, ſeine ganze Lehre zu verkennen und zu ver— derben: Feuer und Fluß. Durch die äußere Aehnlichkeit mit dem Waſſer und der Luft der vorhergehenden ioniſchen Philoſophen überſah man, daß das Feuer nur wie Harmonie, Krieg ꝛc. eine ſymboliſche, ſinn— liche Bezeichnung der proceſſirenden Einheit des Gegenſatzes von Sein und Nichtſein war, man überſah das Feurige im Feuer und muthete ſo dem Heraklit den ungeheuern Widerſpruch gegen ſeine ganze Lehre zu, eine beſtimmte ſinnliche Exiſtenz als abſolutes Princip und % geſetzt zu haben.

Dieſer Tadel trifft ſchon die Alten, vor Allem aber die Stoiker, die beſonders dieſe materielle Feuersbrunſt geſchürt haben.

Von einer andern Seite drohte der Fluß. Zwar, daß der Fluß nur die Kategorie des Fließens, Werdens, bedeute, konnte nicht überſehen werden. Aber die gewöhnliche Vorſtellung faßt das Fließen und Werden ſelbſt nicht als Einheit und Zugleichſein des abſoluten Gegen— ſatzes (von Sein und Nichtſein), ſondern ſtumpft erſtens den abſoluten Gegenſatz zu einer bloßen Verſchiedenheit ab, und faßt zweitens dieſe Verſchiedenheiten als nacheinander und außereinander in der Zeit.

Das iſt dann die abgeflachte Kategorie der Veränderung.

So überſah man denn auch in dieſem Fluſſe das, was gerade Heraklit darin geſehen hatte, den bittern Kampf und die zugleichſeiende Einheit des ſchlechthinnigen Gegenſatzes, die der Fluß räumlich als ungetrennte Einheit und Kampf des räumlichen Sein und Nichtſein, des Hier und Nichthier darſtellt.

Jener Feuersgefahr nun iſt Schleiermacher glücklich entronnen, dafür

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litt er deſto gründlicheren Schiffbruch an den Sandbänken dieſes ſeichten Fluſſes.

Wir wollen daher zuerſt diejenigen Formen des heraklitiſchen Abſoluten durchnehmen, die weniger einem ſolchen Mißverſtändniß ausgeſetzt ſind und reiner die Natur der in ihnen enthaltenen Begriffsmomente durch— ſchimmern laſſen, ſolche Ausdrucksweiſen, die den Begriff weniger in ſinn— liches Material tauchen, ſondern weil allgemeiner und der Sprache des Gedankens adäquater, ihren logiſchen Gedankeninhalt auch klarer und un— verkennbarer offenbaren. Durch dieſe reinere Anſchauung ſeines Abſoluten geſtärkt werden wir dann ohne Gefahr die Feuer- und Waſſerprobe be— ſtehen können.

Dies alſo, daß Jedes die proceffirende Einheit ſeiner und feines Gegenſatzes iſt, daß Jedes nur die Bewegung iſt, in fein abſolutes Gegentheil umzuſchlagen, Alles ſomit es ſelbſt und zugleich ſein Gegentheil iſt, ſprach Heraklit ſo aus:

„Denn das Auseinandertretende (ſich Entzweiende)

einigt ſich immer mit ſich“ in einer Stelle des Plato, die wir, weil ſie in ihrem ganzen Zuſammen— hang für Späteres wichtig iſt, gleich hierher ſetzen wollen: 70e d X Nuneſenui ceues Dorspov H ν αενt Evvevonoav , ouumiexeıw Aogaldorarov angorspa xat keyzıv ws To by H re xal Ev Eorıw, Eydoa d R eli DUVEYETaL „OLaYEPONEVoVv Yap del Eunpepzrar“ gd al ouv- rovorepar ray Movowv' at de nalaxwrepar Tb He del can odrws Eyzsıv Eydiaoav, Ev nEpeı Ö& Tors νð,S0⁵· Ev eivar yaol To züv za: gi Im Agbs, Torz ο re xal nokepov abro æ de veixos xl).

Es genüge hier einſtweilen, darauf aufmerkſam zu machen, wie Plato in dieſer Stelle auf das Beſtimmteſte den eigenthümlichen und unter— ſcheidenden Charakter heraklitiſcher Lehre gerade dahin angiebt, daß bei ihm die Gegenſätze immer zugleich vorhanden geweſen ſeien, während ſich dies bei Empedokles in eine Abwechſelung und Nacheinander erſchlafft habe.

Dieſelbe Verknüpfung und Einheit eines Jeden mit ſeinem ſchlecht— hinnigen Gegenſatz, durch die allein Jedes und Alles beſteht, ſpricht ſich aus in den Worten bei dem Pſeudo-Ariſtoteles: radrod de Todro (näm⸗ lich, wie vorher geht, die Einheit des Gegenſatzes) / x TO zapa To

1) Plato Sophist. p. 242. D., p. 284. Ast. Man vgl. ib. p. 252. B., p. 312. Ast. und Simplicius in Phys. f. 11. b.

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oxoreıwo Aeyönevov Hpaxieirw „„ovvayeras obAa za! obyt odAa, oungepöpevov ] Öcapyspöpevov, ouvadov [xat] o:aöov za! S S navrwv Ev K S Evös navra““) „Verknüpfe Ganzes und nicht Ganzes, Zuſammentretendes und Auseinandertre— tendes, Harmoniſches und Unharmoniſches und aus Allem Eins und aus Einem Alles“, worauf der unbekannte Verfaſſer in der Hauptſache ganz richtig und auch in den Worten halb heraklitiſirend, halb ariſtoteliſirend erklärt: oßrws odv za ryv av αν oboraaıy de dig r Evavrıwrdrwy xpdosws Apywv fa ÖLEroopmosv d povia Enpov yap brd, duypöv re Bepno piyzv Exrbonmoe nia da navrwv ÖdLmxovVoa Öbvanıs.

Sowohl jenes Fragment als dieſe Erklärung finden ſich wörtlich ganz ebenſo bei Stobaeus?) bis auf die beiden eingeklammerten *, die Schleiermacher nicht mit Unrecht aus der ariſtoteliſchen Stelle weggelaſſen wiſſen will.

1) Arist. de mundo c. 5. p. 396. b. Brandis (Geſch. der griech.-rxöm. Phil. p. 156) überſetzt bereits 37 durch „Ganzes“ und erinnert dafür daran, daß Ode, wie Schleiermacher p. 361 gezeigt hat, ein eigenthümlicher heraklitiſcher Ausdruck ſei. Schleiermacher ſelbſt dagegen und Heeren überſetzen 7 mit „Verderbliches und nicht Verderbliches“, was gleichfalls ſich ſehr wohl vertheidigen ließe und durch die Singularform 0dAov zat τννẽ Dννν, bei Stobäus in der bald zu beziehenden Pa— rallelſtelle unterſtützt zu werden ſcheint. Was mich dennoch veranlaßt, 9% x mit „Gan— zes“ zu überſetzen, iſt ein Bericht des Sextus, welcher, obwohl er doch gewiß nicht überſehen worden ſein kann, doch von den Bearbeitern Heraklit's in der Regel unerwähnt geblieben iſt, vielleicht gerade deswegen, weil er zeigt, wie der Grund— gedanke Heraklits ein logiſcher war und dies, als ſich mit der bisherigen Anſicht nicht vertragend, dem Bericht den Glauben entziehen mochte, den er im Weſent— lichen verdient. Nach demſelben hätte nämlich Heraklit ſein Geſetz der Identität der Gegenſätze auch an den Gedankenbeſtimmungen des Ganzen und der Theile nachgewieſen und gezeigt, daß das Ganze ſowohl es ſelbſt als ein Theil, der Theil ſeinerſeits in Bezug auf ſich ſelbſt auch wieder ein Ganzes iſt. Sextus ſagt (adv. Math. IX, 337): „Aeneſidemus aber (den wir noch häufig auf den Fußtapfen Heraklits finden werden) ſagt nach Herakleitos, daß der Theil ſowohl etwas Anderes ſei als das Ganze (57%), als auch daſſelbe. Denn die Subſtanz (odada) iſt ſowohl das Ganze als auch ein Theil. Das Ganze iſt ſie in Hinſicht auf das Weltall. Ein Theil aber nach der Natur des einzelnen Lebendigen“. Das Ganze iſt, wie auch in dieſem Bericht hervortritt, dem Heraklit die Subſtanz, d. h. der Proceß des Werdens. Dieſer iſt aber ſelbſt ſofort die Bewegung, ſich in die Einzelheiten, in die Theile ſeiner ſelbſt aufzulöſen, die ihrerſeits wieder durch ihre Umwandlung, eins ſich aus dem Andern erzeugend, das Weltall bilden und ſo ſich zum Ganzen machen.

2) Eclog. Phys. I. p. 690.

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Dieſelbe proceſſirende Einheit des Gegenſatzes, dieſes Zuſammentreten, das nur das iſt: auseinanderzutreten, dies aber nie erreicht, weil das Auseinandertreten ſeinerſeits nur das iſt: immer zuſammenzu— gehen, lehren uns auch die Worte einer Stelle des Plutarch !), der, nachdem er Heraklits Ausſpruch, man könne nicht zweimal in einen und denſelben Fluß ſteigen, angeführt hat, unmittelbar alſo fortfährt: bos Hyndijs obatas dis Ayaadar zara EEw G bEbrnre xal rde neraßoins oxtöyno: xal nahy ovvdyeı, nühlov d oDÖE nal, oboE Dorspov d Ana auviorararxal anoleineı, npöseıo: xal Amerar Odev o Eis To eivar nepalver Tb Yırvönevov adras, To pydenore Anyeı und Lora nv yevsam. „Nicht iſt es möglich, zweimal fterbliche We— ſenheit zu berühren (in demſelben Zuſtand); ſondern durch die Schnelligkeit und Raſchheit der Umwandelung trennt ſie ſich und tritt wieder zuſammen; oder vielmehr nicht wiederum noch nachher, ſondern zugleich tritt ſie zuſammen und auseinander, eint ſie ſich mit ſich und trennt ſich von ſich; weshalb niemals zum Sein gelangt das Werdende (derſelben) da nie zu hemmen noch zum Stillſtand zu bringen iſt das Werden“. Denn dieſe Heraklit ſelbſt angehörigen Gegenſätze: „axiöyyor xal avvayeı, ouviorarar xal drohte, rposeıor x det“ gelten nicht nur vom Fluß, ſondern auch allgemein, wie Plutarch ſehr richtig ſagt, von aller ſterblichen Weſenheit, von allem Sein überhaupt. Beſonders aber merke man, wie ausdrücklich uns hier Plutarch aufmerkſam macht auf das Zugleich der Gegenſätze. „Vielmehr nicht wiederum noch nachher, ſondern zugleich“ geht in jedem Seienden dieſe entgegengeſetzte Bewegung des Auseinander- und Zuſammentretens vor ſich. Schleiermacher meint p. 358 zu dieſer Stelle, Plutarch ſtelle den Heraklit hier nur auf die Spitze, eine Aeußerung, die nur eine Folge von ſeinem Verkennen des eigentlichſten und tiefſten Punktes heraklitiſcher Lehre iſt und von der ihn ſchon hätte die Vergleichung abhalten ſollen, wie auffallend und genau dieſe Stelle des Plutarch mit der oben angeführten des

1) De Le ap. Delph. p. 392. B. p. 605. Wyttenb. und aus ihr Euseb. Praep. Ev. XI. c. 11. p. 528. Wyttenbach ſetzt bei Plutarch ſtatt des früheren rrdomdat aus Euſebius: era. Obgleich nun dem Sinne nach 5rrdchae auch gut iſt, ſcheint ſich das drache durch eine andere Stelle des Plutarch beſtätigen zu laſſen, in der auch gerade viel heraklitiſirt wird, Consol. ad Apoll. p. 107. P. 422. Wyt.: xat vu νeοτενος noranös obros Evdeieyas pEwv ODTOTE OTNIETAL.

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Plato übereinſtimmt (Soph. p. 242) .), wo der unterſcheidende Charakter Heraklits gerade ganz ebenſo angegeben wird, wie ihn hier die Worte bezeichnen: „oder vielmehr nicht wiederum noch nachher, ſondern zugleich“, die freilich in der Faſſung, wie ſie hier ſtehen, dem Plutarch, nach ihrem Inhalt und Sinn aber auf das Entſchiedenſte dem Epheſier ſelbſt an- gehören. Denn: „zugleich (4½)“ hat Heraklit allerdings nicht gejagt, dafür aber nur noch concreter und energiſcher: „immer, 4e“, hierdurch die entgegengeſetzten Beſtimmungen verbindend und unauflöslich aneinander kettend, wie wir in dem Fragment bei Plato: drupspönevov det S- geperar geſehen haben und noch häufig ſehen werden ).

Die letzten Worte des Plutarch aber laſſen wir jetzt noch unerörtert; denn ſie drücken zwar ganz daſſelbe aus, worum es ſich uns hier gerade handelt, aber in einer Form, die wir jetzt noch nicht durchgehen.

Dieſen ſelben Gedanken, wie Alles, ſogar die Bewegung, an ſich ſelbſt ſein eigenes Gegentheil ſei, erläuterte Heraklit an einem Beiſpiel, in einem von Theophraſt uns aufbewahrten Bruchſtück, das den Bearbeitern Heraklits bisher entgangen ift*), den Herausgebern des Theophraſtos aber von jeher Schwierigkeit gemacht hat. Dies ſchätzenswerthe Fragment, von welchem die Weiſe der Anführung verbürgt, daß Heraklit hier wörtlich wiedergegeben iſt, lautet: ee e my, xddansp Hyde yyor „al 6 xuxeov Ötlorarar xıvobnevos“. „Auch der Miſchtrank tritt, bewegt werdend, auseinander“. (Theophr. Fragm. VIII. c. 9. (rept 2AAywv), T. I. p. 809. ed. Schneider. und Link.)

1) Und ebenſo noch mit vielen anderen im Verlauf anzuführenden ebenſo deut⸗ lichen Stellen des Plato.

2) Dies „der“ ſpielt eine große häufig wiederkehrende Rolle bei Heraflit. Man vgl. Plato Phileb. p. 43. A. p. 148. Stallb.: g ot oogol gaaw, de yap ärayra dure xdrw het, wo das Gg of xri., auf eine wörtliche Anführung hin— weiſt; ferner die Bruchſtücke bei Clem. Alex. Strom. V. c. 14. p. 711. Pott. und ib. p. 716. Pott. ꝛc. ꝛc.

) Nicht jo Bernays, der aber die Stelle ſehr mit Unrecht verbeſſern will: ed 95 „*ανẽäj xuxed Ötiararaı un xwodpevos“, wonach das Bruchſtück alſo lauten würde: auch der Miſchtrank tritt auseinander, wenn er nicht bewegt wird; eine Aenderung, der auch Zeller p. 458, 1. beitritt. Aber abgeſehen davon, daß ſchon die hierdurch hervorgebrachte große Leichtigkeit der Stelle gegen dieſe Conjectur hätte mißtrauiſch machen ſollen, ſo wie daß der Miſchtrank nicht bewegt auch nicht auseinander tritt, ſondern ruhig ſo bleibt wie er gerade iſt, geht durch dieſe Emendation auch der ganze ſpeeifiſch heraklitiſche Sinn des Bruchſtücks ver— loren und durch die oben anzuf. St. des Plutarch wird ſie jetzt ohne allen Zweifel als irrig nachgewieſen. Uebrigens zeigt auch der Zuſammenhang und Sinn in dem Theophraſt das Bruchſtück citirt zweifellos, daß daſſelbe keineswegs geändert

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Furlanus macht ſich die Sache ſehr leicht, indem er überſetzt: et ceyceon agitatione constat; dann aber müßte vielmehr avvioraraz ſtehen, wie Heinſius auch, obwohl gegen alle Autorität der Handſchriften, hinein ver— beſſern will. Das darf aber auf keine Weiſe zugegeben werden, ſondern man muß mit der Ald. und Basil. und der neueſten Ausgabe ſchon bei ötorarar verbleiben.

Der Sinn iſt einfach der, daß der Miſchtrank, wie er durch das Bewegt- und Geſchütteltwerden, zuſammentritt und die Miſchung bildet, ſo auch durch dieſelbe Bewegung ununterbrochen immer wieder in ſeine einzelnen Beſtandtheile auseinander und ebenſo immer wieder von neuem zuſammentritt. Löſung und Miſchung ſeiner Subſtanzen voll— bringt ſich beim Miſchtrank durch ſein Geſchütteltwerden immer aufs neue. Sieht man genau zu, fo kann ovviorarar hier gar nicht ſtehen, weil es ſonſt eine leere Tautologie wäre. Das Bewegtwerden iſt der ganz natür— liche auf der Hand liegende Grund für das Zuſammengeſchütteltwerden, Zuſammentreten, und bedeutet dieſes ſelbſt ſchon, fo daß das x7 pevos nur ganz fo viel heißt, als wenn ſtünde: za! 6 xuxewv ovveord- pevos Odorarar, wie wir ſchon getroffen haben avviorarar zat anoleine: und Ötmpzpdpevov der Euugpeperar!). So hat alſo Heraklit hier nur an

werden darf. Theoph. erklärt den Schwindel, das optiſche ſich im Kreiſe Drehen, das eintritt ſowohl wenn das Auge lange ſtarr auf denſelben Punkt hinſieht, als wenn es ſich im Kreiſe bewegt und dann plötzlich wieder ruht. Er ſagt nun: airıov de Tod hen &v v xurÄogpopia To eiomnevov' Tod Ö , Entordası xal ro Arsviono, dirt ta &v To xıveiodar ow£löneva dılornor xat 7) ordars, tus ödews' Ördoranıs (dıaoraceı?) Evöos poptouv rut TüAla Ta ovveyn & To Eyxepalw Ödorarar Ötioraneva ÖE xal ywptköneva ta Papea xarafapdver zal notel töv (Aıyyov' Ta yap nepuröra xıvesiodar nv de r xlvmam dikore xat oupp£ver dıa ,: e , un (hier muß man leſen ei ev n, wie ſchon Heinſius wollte, der aber gleichfalls das Bruchſtück in avviorarar ändern will) &. Ho. nor xc. Das aber, deſſen Natur es iſt, meint alſo Th., mit dieſer Bewegung immer anders bewegt zu werden, das hält auch durch dieſe Bewegung ſelbſt wieder zuſammen, wenn nämlich Heraklit richtig gejagt hat c. In dem deore wie in dem xa liegt, daß die Bewegung ſowohl Urſache des Auseinander— tretens als Zuſammengehens ſein ſoll. Endlich zeigen die unmittelbar folgenden Worte: ein Y d xal xurÄopopta To abro Todr droöwWövar: drlarnar yap n diyn za te fab nd xodga xr). ja ganz deutlich, daß bei Theophr. wie He— raklit die Kreisbewegung ſelbſt die Urſache des Auseinandertretens ſein ſoll.

1) Man vgl. mit den bereits angeführten und noch folgenden Stellen dieſer Art den ſehr heraklitiſirenden Verfaſſer des hippokratiſchen Buchs de Diaeta 1. c. VI. p. 450. Chart. p. 632. Kuehne: radra de zat Eupnioyeodar zal dra- zpiveodar Önkw: Eye Ö2 Woe: yeveodar zal dnolsodar twuro, Fuppırnvar

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dem Beiſpiele des Miſchtranks gezeigt, wie die Bewegung des Zuſammen— tretens, ſich Einigens, ungetrennt und in Einem dieſelbe iſt mit ihrem Ge— gentheil, dem Auseinandertreten, ſich Unterſcheiden; ganz ſo, wie wir unten finden werden: ödös Ava zarw . Daß das Fragment in der That keinesfalls anders aufgefaßt werden darf, beweiſt auch entſcheidend, was uns Plutarch von dem Gebrauche des Miſchtranks bei dem Stoiker Chry— ſippus ſagt (de Stoic. Repugn. c. 34.): es habe derſelbe in ſeinem Buche über die Natur die Ewigkeit der Bewegung mit einem Miſchtranke ver— glichen, der immer andere Theile des Werdenden immer anders um— wende und immer anders durcheinander ſchüttele (Ev ro zpwrw nep! phosws v deve xνẽnuue xuxewv: æMνEEüͤ ou, d 22 orp£govr: xal rapdosovrı rwy yıvonevwv). Das Geſchüttelt— oder Bewegtwerden des Miſchtranks verurſacht alſo nothwendig nach Hera- klit auch fein Auseinandertretenz; ſonſt könnte er bei der Schüttelung nicht immer anders zuſammentreten und durcheinander gerührt werden. Daß aber, was der Stoiker Chryſippus hier vom Miſchtrank ſagt, nur von Heraklit entlehnt iſt, würde klar ſein auch ohne den ausdrücklichen Beweis, den das Zeugniß des Phaedrus!) liefert: Chryſippus habe in ſeinem Werke über die Natur Mythen gedeutet und „dem Miſchtranke des Heraklit angepaßt“.

Weil dies übrigens das einzige von den noch vorhandenen Bruchſtücken Heraklits iſt, in welchem der Miſchtrank vorkommt, ſo können wir hier beiläufig bemerken, daß entweder weil er, wie wir oben p. 42 geſehen, einen Miſchtrank bereitet, um durch dieſe ſymboliſche Handlung ſeinen Mit— bürgern eine Gnome zu verſinnlichen, oder weil man in der That mit Plutarch ſagen kann, daß nach ſeiner Philoſophie in der ganzen Natur nichts ungemiſcht und rein ſei?), am wahrſcheinlichſten aber, weil er ſelbſt, wie wir eben ſahen, in ſeinem Buche den zuzewv als Beiſpiel gebraucht und dies wohl noch öfter bei ihm vorgekommen ſein mag, Epicur ihn einen

xal deẽE:ediij vu rh) yevcodar Eιu,ꝰνα royro, Arnbleadar, newnvat, raue rwuro Exaaroy mpos rdvra xal rayra mpüs Exaaroy rwurö‘ Ö vö- nos yaprn er repi robrwv Evavyrios‘ ywpis q? nayra xal Wela xal avdpwriva dva xärw Anesıßopevos. «

1) Phaedrus Epic. de nat. Deor. ed. Petersen. p. 19: ra raparinaa 0e 2d rote reh Ybosws ypagsı nelsppnvedws ubdovs zal rw Hpaxisirovu ouvorxeti@v XUXEDVL.

2) Plutarch. Terrestr. an aquat. anim. collid. p. 964. E. p. 913. Wytt.: „— m jð,u äpıyas d, umdiv , ellızpıwes Eyovaas“.

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„ven“, Miſcher, Miſchtränkler, nennt!), wodurch die Verbeſſerung des Menagius, der in den Verſen des Sillographen Timon?)

Tote Ö&yı zoxxvorns Öykoloidopos "Hpdxkerros

alvırcns dvbpovoe xvxyens leſen will, Wahrſcheinlichkeit gewinnt.

Und auf unſer Bruchſtück geſtützt muß man auch etwas wörtlich Hera— klitiſches in den Worten erkennen, die Lucian dem Epheſier, ihn parodirend, in den Mund legt: radr' ödbpopar ru Art Euredov obötv, dAldxws eis xuxewva navra ovverleovrar xal Eorı H ο , Tepdıs xal drei xc. „Dies aber beflage ich, daß nichts feſt iſt, ſondern wie in einen Miſchtrank hinein alles zuſammengerafft wird und daſ— ſelbe iſt Freud und Leid?) ꝛc.“

Der Miſchtrank als philoſophiſches Symbol der Welt und ihrer Be— wegung iſt daher heraklitiſchen Urſprungs ). Durch unſer Fragment erklärt ſich daher auch und wirkt wieder auf unſere Interpretation deſſelben beſtätigend zurück die Stelle bei Mare. Anton. VI. § 9.: Hrot zuxswv za! dvren- nkoxy zart oxsdaopös . Gataker überſetzt dem Sinne nach ſehr richtig: Universum aut est einnus quidam rerum nunc concursu fortuito in— vicem implexarum, mox dissipatarum denuo ete., nur daß es nicht er— forderlich ift, das Univerſum in den Text hineinzunehmen. Es reicht hin, zu wiſſen, daß der Miſchtrank dem Sinne nach hier als Bild des Univerſums und ſeiner Bewegung (von der im Verlauf der Stelle gehandelt wird) erſcheint, und dieſe Bedeutung von M. Auton als bekannt vorausgeſetzt wird. Be— ſonders beachtenswerth iſt, wie daſelbſt der Miſchtrank „ſowohl als Ver— bindung wie als Auflöſung in ſeine Elemente“ erſcheint, ganz wie in unſerem Fragmente das drforarar ſeiner Bewegung attribuirt wird. Ebenſo heißt es bei demſelben, ſich überhaupt häufig beſonders eng an heraklitiſche Sentenzen und Ausdrücke anſchließenden Stoiker IV. $ 27.: ”Hro: xoonos drarsrayp£vos , zuxewv ô RN. So erſcheint auch bei Lucian (Icar. Menipp.

1) Ap. Diog. Laert. X, 8. Hodindeerò te zuantyy Exaleı.

2) Ap. Diog. Laert. IX, 6.

3) Lucian, Vitar. auct. c. 14. T. III. p. 96. ed. Bipont.; man vgl. auch die Verbalform zux@yrar bei Plato Cratyl. p. 439. C. p. 220. Stallb., wo er von den Bekennern der heraklitiſchen Anſicht ſpricht: ro rt ner ol Henevor abra Ötavoy-

Heyurss SHE bs lövrw» Andyrwv d xd hpeovrwv Yalvovrar Yap 2* \ c \ [04 02 \ > 2 N. > er * Enorys xar abrot odrw dtavondnuar, TO &, el Eruyev, oby obTws Eyet,

G obroı abroi Te bsrep eis Twa di Epreooyres, xuAWvrar xal , Speirönsvor nposeufarkovar.

4) Ueber das orphiſche Miſchen aber und ihre Bezeichnung des Zeus als x0040xparwp / vgl. Creuzer Dionysius p. 19 sqq.

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T. VII. p. 25. ed. Bipont.) der xuxewv als ſprüchwörtliches Sinnbild der Weltmiſchung, denn nachdem er Schlaglichter auf die Gegenſätze von Freu— dengelagen und Trauer, Krieg und Ackerbau, Handel und Diebſtahl geworfen, fährt er ohne Weiteres fort: aravrwv Tobrwy bo Tov abröy u νν i“ vov, pa. 00: Yon Entvosiv, bnolösrıs 6 zuxewv obros Zpalvsro.

Wir kehren von dieſer Abſchweifung zurück und führen, um dies Zu— gleich der Gegenſätze und damit die betreffenden Zeugniſſe des Ariſtoteles und Anderer gegen jede Einſprache zu ſichern, eine ſonſt eigentlich noch gar nicht hierher gehörige Stelle des Epheſiers an, wo er dies noch abſtracter und deutlicher ausdrückt: „einev re za! obx einev“)) Wir find und ſind nicht“. Denn dieſes von uns ſelbſt ausgeſagte Sein und Nicht- ſein wird doch Niemand als nacheinander in der Zeit zu faſſen ſuchen, wozu es wahrlich keiner heraklitiſchen Weisheit bedurft hätte und was zum Glück die Stelle gar nicht erlaubt.

Dieſe Identität nun des ſich Entgegengeſetzten iſt es, die uns Ariſto— teles überall wie den Mittelpunkt heraklitiſcher Lehre angiebt und am meiſten und öfterſten heraushebt von Allem, was er uns über den Epheſier berichtet.

Es iſt nur ganz angemeſſen dem durchdringenden Sinn des Stagiriten, daß er ſich weder bei dem Fluß, noch dem Feuer, noch bei dem immer— werdenden Werden lange aufhält, ſondern zu dem wahrhaften Ge— danken aller dieſer ſinnlichen Ausdrücke durchbricht, zu der Einheit des Sein und Nichtſein.

So jagt er uns, daß nach Heraflit „Sein und Nichtſein daſſelbe“, „Alles ſei und nicht ſei“, an Jedem das Entgegengeſetzte vorhanden ſei ꝛc., woraus er dann folgert, daß hiernach Alles wahr und ebenſogut Alles falſch ſei.

So in der Metaphyſik?): „aduvarov yüap övrıvodv rabrov νννν)n᷑

1) Ap. Her. Alleg. Hom. c. 24. p. 442. ed. Gal. p. 84. Schow. Ob dieſe Worte ſich auf das an dieſem Ort vorhergehende rorauois (rois abrois Eußfar vouey re xar obx Zußatvone,) zurückbeziehen, oder wie ich durchaus möchte und auch Schleiermacher p. 529 zuläßt, abſolut zu faſſen ſind, ändert für unſern augenblicklichen Zweck nichts. Ich glaube aber um jo weniger, daß die oben au— geführten Worte auf das rorahots zurückzubeziehen find, als fie in dem Werk des Epheſiers ſelbſt wohl keinesfalls unmittelbar auf das Dictum vom Fluße gefolgt find, wie ja hier der Pontiker noch mehrere unabhängige Bruchſtücke herausgreift und nur zuſammenſtellt, um Beiſpiele von der Dunkelheit Heraklits zu geben; ſiehe unten $ 12.

2) Metaph. III, c. 3. p. 67. Br. p. 1005. Bekk.

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Raven!) eivar xal un eivaı, xaddrep res otovrar iet Hod- xAerrov“, und wieder 2): „Zorxe 0’ 6 n&v "Hpaxietrou Aöyos Aeyay eue elvar xal ny elvar ünavra αν]ͥ i roreiv“, und noch ſchärfer s): „e dE zwes, ot, zadanep , e, abroi re Evögysodal gyaoı zo adro elvar za} un eivar xar brolanddavovaw obrws“ und): otov dyadov * xaxbv eivar rahrüv, xadansp "Noaxıserös grow und auch): „alla A El TO Aöyw Ev ra Övra, ws Amniov q i, rov ha- * e,ỹ - Adyov ouußalver AEysıy α τοεε“ rahröov yüp Zora dyada xal ru eivar za x di na dra“, u. a. and. Ort.“), wozu man dann noch die Kommentatoren vergleiche”).

Ja dieſe Identität der Gegenſätze war im Alterthum ein ſo allgemein bekannter Hauptſatz heraklitiſcher Lehre, daß ſeine Philoſophie ſogar wie in die bekannten Theſen, daß ſich „Alles bewege“ oder „Alles fließe“, ſo auch in die Formel, daß „die Gegentheile identiſch“ ſeien, zuſammen— gefaßt und, wie es mit ſolchen Theſen der Fall, von Hand zu Hand über— liefert wurde, |. die & Hege Gnas des Anonymus bei Walz Rhetor. Graec. T. III. p. 740. ) @s ‘Avrısdeung Eheyev Orı obx Se dre- Nee, ] rar rov H αEuie, p Aöyov, ra Evavria rabrd, und bis in die ſpäteſten Zeiten hat ſich dieſes merkwürdigerweiſe erſt von den modernen Forſchern überſehene und geleugnete Dogma von der Einheit der Gegen— ſätze als das Hauptdogma Heraklits in der Tradition mehr oder weniger klar erhalten, ſ. z. B. bei Nicephorus Blemmid. in der Oratio qualem oporteat esse regem (in der Seriptorr. Veterr. Collect. nova von Ang. Mai, T. II. p. 633): MAMA οον x xara Ta do yhjn Tod TE

1) Der ſchlechten Wendung, welche die Metaphyſik hier nimmt, Heraklit habe es nur jo geſagt und nicht auch angenommen (drolapßaveı), widerſpricht fie ſelbſt unmittelbar darauf c. 4. init.: „za brolanßavsıy odrws“ (ſiehe die Stelle oben im Text).

2) Metaphys. III, c. 7. p. 85. Br. p. 1015. Bekk.

3) ib. c. 4. p. 67. Br.

4) Topic. VIII. c. 5. p. 155. Bekk.

5) Phys. Ausc. I, 2. p. 185.

6) ef. Metaphys. III, c. 8. p. 1012; X, c. 5. p. 1062 und 1063.

7) Alex. Aphrod. Comment. in libb. et de Prima Philos. interpr. Jo. Genes. Sepulv. Venet. 1551. lib. IV. p. 48. A. sqq. und p. 61 (jetst im griech. Text in den von Brandis zur Berliner Ausgabe des Ariſt. beſorgten Scholien T. IV. p. 651. p. 652. p. 637. p. 653. p. 684 sq.). Ferner: Alex. in Topic. p. 263.; Simplicius in Phys. f. 18. a.; Themist. Paraphras. in Phys. f. 16. a. b.; Asclep. Scholia z. Arist. T. IV. p. 684. ed. Br. Andere einſchla⸗ gende Stellen werden wir bald ausführlicher durchnehmen.

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Hpaxız!zou za! Annoxp/zou zu: Zyvavos zob Azıvyrou neo! niEsws zal Evavrıoundvav Alınkors!).

Das Unrecht, das der Stagirite unſerm Philoſophen thut, befteht nur darin, daß er von ſeinem tautologiſchen Satze der Identität aus ur- theilend der ſpeculativen Idee Heraklits nicht Gerechtigkeit widerfahren läßt, und dies hat ſeinen Grund wieder darin, daß er die entgegengeſetzten Beſtimmungen als ruhige und feſte?) nimmt, während Heraklit ſie und ihre Einheit als Proceß weiß. Wenn er alſo gegen Heraklit anführt, der geſunde Sokrates könne doch nicht daſſelbe ſein, als der kranke Sokrates, faßt er eben auf dieſe Weiſe geſund und krank als ruhende, bleibende Beſtimmtheiten, während unſere heutige Naturforſchung z. B. weiß, daß Ge- ſundheit und Krankheit allerdings in einander übergehende Proeeſſe ſind.

Heraklit konnte, und das iſt, wie in den früheren Capiteln hin- länglich auseinandergeſetzt, ein integrirendes Moment ſeiner Philoſophie ſeinen treibenden Begriff, die Identität des Sein und Nichtſein, noch nicht als Kategorie ausſprechen. Ariſtoteles aber hat ſie aus dem con— creten Material, in dem ſie bei jenem verſenkt iſt, glücklich herausgeſchält und beſſer geſehen, als die neuen Bearbeiter des Epheſiers, worauf es bei dieſem ankommt“).

1) Andere entſcheidendere Beweiſe und Stellen ſiehe an vielen Orten, beſonders bei der Lehre vom Erkennen, $ 28 sq.

2) Und in dieſen Irrthum fallen dann nach ſeinem Beiſpiele alle ſeine Com— mentatoren, wenn nicht zwei vorſichtige Stellen ihn zu vermeiden ſcheinen, Simplie. in Phys. f. 11. a.: „os ‘Hoazisıros r draiò nat r zaroy eis rabroy Nxet auvızvar adi ri va que“ und Jo. Philoponus in Phys. B. p. 3: örı rd Zvayrta els rabro d Sοοενεν Wsrep Hodrssırros xri., obwohl auch das noch nicht ganz richtig iſt.

) Während die ſonſtigen Nachfolger Schleiermacher's ſämmtlich ſeinen Irr— thum hierin theilen, ſcheint Hegels a. a. O. hierüber bereits geäußerte Anſicht nicht ohne Einfluß auf Bernays geblieben zu ſein, welcher Rhein. Muſ. VII, 114, 2., in⸗ dem er ſich dabei auf ſeine Diſſertation p. 2, 101. 14. bezieht, ſehr gut gezeigt hat, daß Parmenides in den Verſen (p. 114. ed. Mullach.).:

ols ro x Te zul ohr erat Tahroy vevönuorar, zob tahrör, cuir dq rallvrporös Earı ze)eulos „Sein und Nichtfein ift daſſelbe und nicht daſſelbe“ ꝛc. offenbar auf Heraklit anſpielt. Mit Unrecht, wie es ſcheint, ſpricht ſich Zeller p. 495 gegen die Be— ziehung dieſer Verſe auf Heraklit aus. Eine ſpäter ($ 26) zu betrachtende pla— toniſche Stelle dürfte jeden Zweifel daran beſeitigen, daß mit dem raiirooros der „ins Gegentheit umſchlagende“ heraklitiſche Weltproceß gemeint iſt. Jedenfalls mit Unrecht aber bleibt Zeller trotz der Bernays'ſchen Andeutung in der Hauptſache ſelbſt bei der Anſicht Schleiermacher's ſtehen, indem er (p. 464, 1.) ſagt, daß durch jene I. 6

Wenn er ſagt, daß ſomit bei Heraklit Alles wahr und auch Alles falſch ſei, ſo iſt dies „wahr“ und „falſch“ auch nicht in Gott weiß wel— chem Sinne, den man vorſtellend damit verbinden kann, zu faſſen, ſondern ſoll eben nur die Einheit von Sein und Nichtſein, der Poſitivität und Negation, der zardgaors und arögaors, wie ſich Ariſtoteles (metaphys. X. c. 5. p. 1062. B.) ſelbſt dahin erläutert, ausſprechen. Der Gedanke iſt nämlich der: Wenn Sein und Nichtſein daſſelbe iſt, ſo kommt jeder Sache, jedem Urtheil, jedem Begriff, jedem beliebigen Inhalte ebenſoſehr das Sein wie das Nichtſein, ebenſoſehr die Bejahung wie die Verneinung zu, der Wider— ſpruch eines Jeden gegen ſich ſelbſt iſt ſelber zur Wahrheit gemacht und es kann ſomit, weil von Allem ebenſogut Sein wie Nicht— ſein, die Affirmation wie die Negation wahr iſt, geſagt werden, daß Alles ebenſogut wahr als falſch ſei, wie dies auch der den Namen des Aphrodiſiers führende Kommentar ganz gut auseinanderſetzt h.

Eine hiermit zuſammenhängende Conſequenz, die Ariſtoteles in einer trefflichen Wendung an dem oben bezogenen Orte entwickelt, iſt ganz geeignet, uns ſowohl den Einheitspunkt als auch den Unterſchied zwiſchen Heraklits noch objectiver poſitiver Philoſophie und den auflöſenden, negativen Conſequenzen, welche ſeine Secte und die aus derſelben her— vorgegangenen Sophiſten aus ihr zogen, begreiflich zu machen. Er ſagt nämlich daſelbſt: „xadarep Yap zal den adrwv oDNEv mardov 9 zaragpaoıs ) Anbpacıs dun e,,, vo abröv Toorov xal ToD OvV- apYoTEpovu xal Tod oupnenleynevou xalanep las Tivös zarapdozsms obons oNNdEv nahloy n dnogaoıs ; Tb Olov Ws D xarapaosı ıdenevov Akndehosrar“. „Denn ſowie die Bejahung nicht

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Behauptung von der Identität des Entgegengeſetzten von Ariſtoteles und Simplieius „unſerem Philoſophen eine Folgerung untergeſchoben wird, die er ſelbſt nicht gezogen hat und in dieſer Weiſe ſchwerlich anerkannt hätte“. Ganz im Gegentheil! Es kommt gar nicht einmal ſonderlich darauf an, ob Heraklit dieſe Identität in etwas abſtracterer oder ſinnlich conereterer Form ausgeſprochen hat; aber gedacht hat er ſie; ſie war ſein ſyſtematiſcher Gedanke; ſeine Ausſprüche ſind ſelbſt nur Darſtellungen dieſes Gedankens oder Folgerungen daraus, die er ſelber zog, und nicht blos von Ariſtoteles und Simplicius, ſondern auch von Plato und allen ſeinen Bruchſtücken wie von ſeinem ganzen Syſtem wird dieſer Gedanke gerade als die pulſirende Seele ſeiner Philoſophie nach— gewieſen, wie dies im ganzen Verlauf unſerer Darſtellung weiter dargethan und gegen jeden Zweifel ſicher geſtellt werden wird.

1) Alex. Aphrod. Comment. in Ar. libb. de Prima Philos. interpret. Jo. Genes. Sepulv. Venet. 1551. IV. p. 33. B. [der griech. Text in den Scholien zu Ariſt. T. IV. p. 665.].

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mehr wahr iſt, als die Verneinung, wenn beide getrennt ſind, ſo wird auch gleicherweiſe wenn beides als ſei es Eine Bejahung mit einander verbunden wird, ebenſo ſehr die Verneinung, als das wie in Be— jahung geſetzte Ganze, wahr fein“.

In den hervorgehobenen Worten liegt der ganze Unterſchied zwiſchen Heraklits eigner Philoſophie und jener Umgeſtaltung derſelben zur Sophiſtik, die bei Kratylos vorging. Bei dem Epheſier ſelbſt wurde die Identität von Sein und Nichtſein als ſelbſt poſitiv und objectiv ſeiend, als „Eine Bejahung“, ſomit noch in der Form der Poſitivität geſetzt. Alles Sein war ihm nur das Daſein der Identität von Sein und Nichtſein. Jene aber, die Schüler, zogen nur die hier auch von Ariſtoteles entwickelte dialectiſche Conſequenz, daß das als die Einheit von Sein und Nichtſein geſetzte Sein ſomit ſelber Nichtſein ſei, und ließen, was Heraklit poſitiv die Weſenheit des Alls nannte, in das Nichts ſich münden. Da beide Glieder in jenem, wie Ariſtoteles ſagt, als ſei es Eine Bejahung Zuſammengefügten ſich verneinten, ſo ſetzten ſie die Ver— bindung beider Glieder als Eine Verneinung (vgl. oben p. 64 u. 65 sq.).

Dieſer Gedankenunterſchied zwiſchen Heraklit und ſeinen negativen Conſequenzen iſt dem Ariſtoteles auch durchaus nicht entgangen. Denn es iſt nur das Erfaſſen dieſes Unterſchiedes, wenn er anderswo (Metaphys. III. c. 7) einen Gegenſatz zwiſchen Heraklit und Anaxagoras macht, indem dem Erſteren Alles wahr, dem Letzteren aber Alles falſch ſei. Dann aber ſagt er wieder Beides von Heraklit aus, weil es in der That eine un— bedingte ſich ſofort dialectiſch entwickelnde Gedankenconſequenz iſt, daß, wenn Alles wahr, auch Alles falſch iſt, wie der Commentar des Alex. Aphrod. !) zur Metaphyſik auch ganz gut und mit vieler dialectiſcher Schärfe nachweiſt.

1) Ib. ed. lat. Venet. 1551. IV. p. 61: „Heraclitus ergo cum diceret omnem rem esse et non esse et opposita simul consistere, contradietionem veram simul esse statuebat et omnia dicebat esse vera. Anaxagoram vero esse medium quoddam contradietionis ete. Postquam per Heraclitum contradietiones simul veras esse doeuit, per Anaxagoram vero falsas Ac perinde dicere omnia esse vera, ut placebat Heraclito, hoc quoque est uno modo de omnibus di- eere. Heracliti autem sententiam hane esse, ait, omnia vera esse et omnia falsa. At dixerat paulo ante sententiae Heracliti qui omnia esse et non esse dicebat consentaneum esse dicere omnia esse vera: At hoc consentaneum est ei rursus dicenti, esse et non esse contra- dietionem in re quaque simul essa veram, ut omnia dicat vera simul esse et falsa. Si enim unumquodque opposita simul est atque non est, haud

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Dieſelbe Conſequenz entwickelt uns auch Asklepios in einer Stelle, die wir deshalb anführen, weil ſie ein neues Bruchſtück des Epheſiers in ſich enthält, welches aber in ſo ungenauer Anführung und in ſo unherakli— tiſcher ſpäterer Terminologie mitgetheilt iſt, daß ſich über die wörtliche Form des dem Bericht zu Grunde liegenden Ausſpruchs ſchwerlich etwas Gewiſſes vermuthen läßt !): „za: aöbvarov zarıv adro ovvalndebsıv xadansp, gyolv, dnawshrws vt Toyro breidnßavov, ApTUDa. Tapd- yovres rd Il odxqeeron, Ensıön Eleyzv Exeivos‘ „Eva Öptonov eivat ndvrwv av npaypdrwmv“ El Yüap Ta üvre ndvrwv TWV Tpaypdrav eis bh? Drapyet, Ta ÖE Xotvwvonvra xara Tüv Optop.ov Ta ana aAlylors brapyovor, ouvöpanesita: 7 avrigagıs' Eis rd d 6 anros Öptonbs Ayadoh Te n our ayadon ).

„Eins ift die Grenze von allen Dingen“ hätte hiernach alfo Heraklit geſagt. Welches dieſe Eine Grenze aller Dinge ſein würde, werden wir ſpäter in einem andern Zuſammenhange ſehen; hier genüge es, darauf aufmerkſam zu machen, wie Asklepios richtig auch aus dieſem Aus— ſpruch die Folgerung entwickelt, daß dann auch die Gegenſätze, als in die— ſer Allem gemeinſamen Grenze mit einander übereinſtimmend, hierin ſelber identiſch wären.

Wir glauben alſo ſchon hier nachgewieſen zu haben, daß ſich Heraklit von der aus ihm hervorgegangenen Sophiftif in der That nicht anders un— terſcheidet, wie der Satz, daß Alles wahr, von dem Satz, daß Alles falſch ſei. Und daß dies: „Alles ſei wahr und Alles ſei falſch“, von welchem Ariſtoteles (wir haben geſehen, warum) bald das Eine, bald Beides von der heraklitiſchen Lehre ausſagt, eben nur die Identität des abſoluten Gegenſatzes, des Sein und Nichtſein, ausdrückt, zeigt, wenn es nach der eigenen Selbſterläuterung des Stagiriten und ſo vieler Stellen ſeiner Commentatoren noch eines Beweiſes bedürfte, auch noch die Stelle des Sextus Empiricus s), wo er, ebenfalls den angedeuteten Unter— ſchied zwiſchen Heraklit und den Sophiſten feſthaltend, ſagt: „Eine andere

dubie per hunc vera erit tum esse negatio, tum non esse affir— matio. Verumtamen utraque erit falsa. Quatenus enim esse ip- sum non est, affirmatio erit falsa, quatenus non esse non est, ne- gatio quoque falsa est (vgl. den griech. Text bei Brandis Schol. z. Ariſt. IV. p. 684. 685.).

1) Schol. in Arist. T. IV. p. 652. ed. Br.

2) cf. Asclep. ib. p. 684., wo er ebenfalls den Gegenſatz, daß nach Heraklit rayras Almdevew, gegen Anaxagoras feſthält.

3) Pyrrh. Instit. II, 59. ef. ib. I, 210.

iſt die Einſicht des Gorgias, nach welcher er ſagt, daß Nichts ſei (uydsv eivar) und eine andere, die des Heraklit, nach welcher er jagt, daß Alles ſei (zavra eivar), worauf Sextus dies „Alles ſei“, als die Einheit der Gegenſätze erklärt (durch das Beiſpiel des Honigs, der nach Heraklit ſüß und bitter zugleich ſei). Es iſt aber, wie ſattſam gezeigt, nur eine unabweisliche Gedankenconſequenz, daß, wenn Alles iſt, d. h. wenn Alles die Identität von Sein und Nichtſein und ſomit der Widerſpruch gegen ſich ſelber iſt, eben deshalb Alles zunächſt ebenſoſehr falſch, Alles Sein ebenſo ſehr Nichtſein iſt und eben nur der Widerſpruch und das Nichtſein exiſtirt. Das Urtheil alſo, das Ariſtoteles abgiebt (Phys. Ause. I. c. 2.): es folge aus dem Logos des Heraklit nicht ſowohl, daß Alles Eins, als daß Alles Nichts ſei, hat ebenſo eine wahrhafte, wenn auch einſeitige, Dialectik des Gedankens für ſich, als es in den ſich aus ihm entwickeln— den Theorien der Sophiſten ſeine geſchichtliche Wirklichkeit gehabt hat, und iſt ſomit durchaus nicht ſo „wunderlich“, wie Schleiermacher ſelbſt ſehr wunderlich meint.

Wie aber Ariſtoteles und nach ihm der Aphrodiſier gewußt, daß die Identität des abſoluten Gegenſatzes, das Zugleich des Sein und Nicht— ſein, des Ja und Nein, der principielle Gedanke Heraklits geweſen iſt, ſo hat auch Plato dieſelbe tiefe Einſicht gehabt. Und zwar liegt ſie nicht nur in der ſchon oben bezogenen Stelle im Sophiſten, ſondern in allen. Stellen, wo er von dem heraklitiſchen „Werden und niemals Sein“ ſpricht, und könnte leicht aus ihnen entwickelt werden, hier aber können wir, um jeden Schein eigenmächtigen Verfahrens zu vermeiden, nur eine derartige brauchen, wo dies auch der gedankenloſen Betrachtung offen zu Tage liegt. Als eine ſolche bietet ſich uns dar die Stelle!): „ro d' ws Eorzev, gun, el rdvra xıyeitar, nA0a Ürdxpioıs TrEol Drou Av Tıs dnoxpivyrar önolos Öbpdn eivar, odrTws T' Eyzıv ydvar za un odrws“. „Wenn Alles in Bewegung iſt, jo ſcheint jedes Urtheil, worüber einer auch urtheile, gleichmäßig richtig zu ſein, ſich ſo und nicht ſo zu verhalten“,

1) Theaet. p. 183. A. p. 195. Stallb. Und zwar geht dies Urtheil des Plato nicht bloß auf die Secte der Heraklitiker, ſondern auf den Meiſter ſelbſt, wie auch das cara zweirae ja auf ihn ſelbſt geht. Ueberhaupt iſt der Unterſchied zwiſchen dem Epheſier und ſeinen Anhängern nur der oben auseinandergeſetzte, daß ſie ſeine Conſequenz zogen. Sonſt haben ſie ſehr feſtgehalten an ſeiner Lehre. Ariſtoteles ſagt uns ausdrücklich von ihnen: „Sie geben nicht zu, daß an demſelben das Ent— gegengeſetzte zugleich nicht vorhanden iſt, nicht weil es ihnen ſo ſcheint, ſon— dern weil man nach Heraklit ſo ſagen muß“ (Top. VIII. e. 5. p. 155. und Alex. Aphrod. zu dieſer Stelle f. 263.)

= WE

jagt alfo auch Plato von der Lehre Heraklits. Man braucht hier nur den Ausdruck Aroxpeors in ſeinen Inhalt: zaragaoıs und andgaαν, auf⸗ zulöſen, um die obigen Stellen des Ariſtoteles aus der platoniſchen faſt wörtlich wiederzugewinnen!

Wollte man uns aber entgegnen, daß wir auf dieſe Weiſe aus einem Phyſiker einen Dialectiker und Logiker machen, ſo iſt das gerade die charakteriſtiſche und gänzlich überſehene Eigenthümlichkeit Heraklits, daß bei ihm das rein Dialectiſche und Logiſche da iſt, aber noch unter dem Kryſtall des Natürlichen verborgen ruht.

Oder was wird man einwenden wollen gegen dieſe andere Stelle des Plato!): „und beſonders diejenigen, welche ſich um die „avrekoyexods Adyovs“ (die ſich widerſprechenden, eigentlich dem Satze vom Wider— ſpruch widerſprechenden, Reden) herumdrehen, glauben zuletzt, wie du weißt, daß ſie die weiſeſten geworden ſind und allein erkannt haben, daß weder von den Dingen irgend eines geſund noch ſtandhaft ſei, noch von den Worten (Adywv), ſondern daß alles Seiende eigentlich wie im Euripus nach oben und unten umgewendet wird und keinen Augenblick irgendwie beharrt“, wo es doch alſo direct, auch von Plato, ausgeſprochen wird, daß die heraklitiſche Philoſophie ſich um die „„Adyoe avzeloyıxo:“ drehe. Wird man etwa zu der gewaltſamen Ausflucht greifen wollen, daß ſich dieſe Stelle des Plato nur auf die Schüler des Heraklits, nicht auf ihn ſelbſt beziehe? Dies wäre aber eine nicht nur gewaltſame, ſondern auch unmögliche Annahme. Denn die hier von Plato erwähnten Dogmata vom ewigen Fluſſe, vom Wechſel der avo xarw find urkundlich die eigenſten Ausſprüche des Epheſiers ſelbſt, und ferner iſt uns der in dieſer Stelle ironiſirte Dünkel des Wiſſens grade nur von der Perſon Heraklits ſelbſt verbürgt, von welchem bekanntlich erzählt wird, er ſei, als er ſich ſelber als nichtſeiend erkannt, dadurch der Weiſeſte von Allen, auch nach ſeiner eigenen Meinung, geworden?). Auch beweiſt der un— mittelbare Fortgang der angez. St. des Phaedo, daß der Epheſier ſelbſt gemeint iſt, denn bald darauf geht es jo weiter: „odxoov, & Oalò con,

1) Phaedo p. 90. C. p. 552. Ast. xa naktora 07 ol mepi robs Ayrılo- rırodbs Aöyovs tarhidb are dd ürı Teisuravres oloyrar oopwraroı „s- yovevar xd XATAvEvonxEvar novor OTt odTE Toy roaypndrwy obdevös obdEy bytèg g Peßawv odre tüv Aöywv, d ravra rd üvra dregvos Wansp e Loire di kur orpegerar nd ypovov obdeva. Ey obdert never.

2) Siehe hierüber unten S 12. Man vgl. auch Cratylus p. 440. C. p. 223. Stallb., wo Plato ganz jo von Heraklit perſönlich das 90e. öyızs, od Aeßaro, * 7 J. gebraucht, wie in der o. St.

sn, olzepov d sin rd æddos, e! u caννEᷣ ̃ic alcıoro u¹ͥe * Eaurod dreyviav, Alla reizurau da To dhyeiv donevos Ext rob köyous dp’ Eayrod Thu altiav dnwoarro: ral Yon co doro Blov nıoav ze d Ao:dopwv obs Aöyovs Ötarelor““ x., wo alſo doch eine An— ſpielung auf Heraklits bekanntlich angeblich melancholiſche und das Leben geringſchätzende Gemüthsart vorzuliegen ſcheint.

So ſtimmt denn alſo auch Plato überein mit dem Urtheil des Ariſto—

teles und dieſer iſt durch alles Bisherige, Fragmente wie Zeugniſſe, ge— rechtfertigt gegen den Vorwurf, den Schleiermacher ihm macht „er habe dem Epheſier ein Sein und Zugleich geliehen, von dem jener nichts wußte“ (eine Anſicht, der ſich auch Brandis, Geſch. d. gr.-röm. Philoſ. I. p. 187 anſchließt, indem er ebenfalls das Sein und Zugleich (Nichtſein) von Heraklit abhalten zu müſſen glaubt), und dieſe Meinung Schleier- macher's und ſeiner Nachfolger vielmehr nur als ein Verfehlen des tiefen Sinnes Heraklits nachgewieſen. Weitere Belege, und viel gewichtigere dafür, kann man in allem Folgenden finden; doch werden wir auf dieſen Irrthum Schleiermacher's nicht mehr ausdrücklich zurückkommen !) und zwar grade deswegen, weil wir es ſonſt eben bei jedem Fragmente von Neuem müßten; es iſt faſt jeder Satz Heraklits nur eine Variation oder Entwicklung dieſes Einen Thema's. Heraklit hat hauptſächlich nur dieſen Einen Ge— danken gehabt, den ſeine Bearbeiter ihm abſprechen! So war alſo dem Eypheſier jedes Exiſtirende nur die Einheit des ab— ſoluten Gegenſatzes und wie wir im Verlaufe ſehen werden ſtand ihm eine Exiſtenz um jo höher, je reiner und ungetrennter ſie dieſe Iden⸗ tität des Gegenſatzes in ſich zur Darſtellung brachte.

Dies zeigt auch ein ſchönes Fragment, welches uns die Scho— lien zur Iliade (ed. Bekker. p. 392. a. 47.) aus Porphyrius bei— bringen. Daſſelbe beweiſt, daß Heraklit auch mathematiſchen Specula— tionen, die ihm ſonſt umſomehr fern lagen, als er nach gewiſſen Spuren?) die Mathematik oder mindeſtens doch ihre Vermiſchung mit der Philo—

1) Schleiermacher ſcheitert nämlich an der im Anfange angedeuteten Klippe des Fluſſes; er faßt das heraklitiſche Princip als bloße Veränderung und überſieht, daß nach unſerm Philoſophen alles immer in ſich ſelbſt ſein eignes Gegen— theil, der einzige Allem zu Grunde liegende Gegenſatz aber ihm der des Sein und Nichtſein iſt.

2) Denn im Theaetet. jagt Sokr. zu Theodor., welcher Mathematiker iſt, auf deſſen Schilderung der Heraklitiker (p. 180. B.): „vielleicht haſt du die Männer nur im Kampfe geſehen, nicht wenn fie Frieden halten. Denn Dir find fie nicht Freund“.

ſophie mit ungünſtigen Augen betrachtet zu haben ſcheint, wenigſtens nicht gänzlich fremd geblieben iſt, dieſen Stoff wie jeden andern mit dem tiefſten ſpeculativen Sinne durchdringend. Es findet das Bruch- ſtück, da es in Hinſicht ſeines Stoffes ganz vereinzelt ſteht, am beiten ſchon hier feinen Platz: av zao ſagt der Schol. J. 1. 5 dy ves Erworeon onsiov, dpyn TE a neh, Euvov yap Apyn xal nepas ent xbxlou nepigepelas, xara rov “lloaxierrov. „Denn ge— meinſchaftlich iſt Anfang und Ende in der Peripherie des Kreiſes, nach Heraklit“.

Der Sinn dieſes Ausſpruches kann nicht zweifelhaft ſein und wird vom Scholiaſten ſelbſt ſehr gut dahin erklärt: als ein in ſeiner Peripherie beſchloſſener Raum ſei der Kreis in dieſer Hinſicht nicht unendlich, ſondern begrenzt, in Rückſicht darauf aber, daß er nirgendwo geſchiedene Grenzpunkte habe, vielmehr jeder beliebige heraus— gegriffene Punkt der Peripherie ebenſowohl Anfang als Ende ſei, ſei er unendlich !) (Ton romwov h zara my mepiypspseav Övros nenepaop£vou za! h dnzloov zarı Tb de S ννον 00x Av νν,,U nobs re. any nenepdvdar, ut 02 TO Mm Eyew nodEv ou Otdgyopa. mE- para, navosrto Aygdsv apyyv eivar n nepas, Ansıpov ExaAouv rov xuxlov).

Wenn frühe der Anſchauung der Völker der Kreis als Symbol des Unendlichen erſchien, ſo war es Heraklit gegeben, dieſe Vorſtellung mit dem Gedanken zu durchdringen und die wahrhafte Natur dieſer Unend— lichkeit aufzuzeigen.

Und gewiß muß, ſowohl wenn man das Fragment näher betrachtet, welches nur der mit 7 eingeleitete begründende Hinterſatz einer vom Kreiſe handelnden Stelle iſt, deren Anfang uns leider nicht erhalten, als wenn man auf die Erklärung des Scholiaſten Rückſicht nimmt, jener ſchönen Definition des Epheſiers vom Kreiſe in ſeinem Werke ein Satz vorhergegangen ſein, in welchem er dem Kreiſe wegen dieſer abſoluten Identität der Gegenſätze, wegen dieſer ſchlechthinnigen Durchdringung von

1) Wem fallen bei dieſer heraklitiſchen Definition nicht die Worte Hegels bei, Logik I. p. 156: „Das Bild des Progreſſes ins Unendliche iſt die gerade Linie, an deren beiden Grenzen nur das Unendliche iſt und immer nur iſt, wo ſie und fie iſt Daſein nicht iſt und die zu dieſem ihrem Nichtdaſein, d. i. ins Un— beſtimmte, hinausgeht; als wahrhafte Unendlichkeit, in ſich zurückgebogen, wird deren Bild der Kreis, die ſich erreicht habende Linie, die geſchloſſen und ganz gegenwärtig iſt, ohne Anfangspunkt und Ende“.

un

Anfang und Ende in jedem feiner Punkte, eine beſondere Würde und ſymboliſche Bedeutſamkeit zuſchrieb ).

1) Wenn Heraklit alſo ſehr wohl die Bewegung feines abſoluten Proceſſes, in welchem jeder Untergang Entſtehung und jedes Leben Sterben iſt durch den Kreis und die Kreisbewegung verſinnlichen konnte, weil hier gleichfalls Anfang und Ende ſtets zuſammenfallen, ſo ſind auch in ſtoiſchen Stellen noch Spuren genug zu erkennen, daß er dieſes Sinnbild für die Natur ſeiner abſoluten Be— wegung wirklich gebraucht hat; ſ. Mare. Anton. II, $ 14: man müſſe ſich zweier Dinge erinnern, vos e, t navra 2E didtov Öposiön zal dvaxux)obneva xri. und id. IX, 828 Tadra 2arı ra tod x , Eyruxlıa, dva xdrw, SS alwvos eis alwva; cf. die ariſtot. Probl. XVII, 3. p. 916. Bekk.: dorep Eri tod obpavod zal Exdorou Twv detpwy Yopa xuxrkos Tis Earı, TE xh. Met zal nv yeveow xal Tyv inwisav Toy )]ʒ e Totadrny eivat, WSTE rut rubra yivsodar zat pYeipeatar; zafairep zal paaı xuxlov elvar rd dy- Pporeva, worauf dann an den Ausspruch des Alkmäon erinnert wird, die Men— ſchen gingen dadurch zu Grunde, daß ſie Anfang und Ende nicht zuſammenbringen könnten: o yap Avdowrous ynatv uv dıa Todro AroAlvadar, Ort od dbvavrar nv d‘ To Teieı mpooayar, zopd'as eloyrws, el rig g TURW g- fovros abrod dmodsyoro xa un drarpıpobv Edzlor To Aeyder ed dm xUrkos gott, Tod ÖL xUxlov unte dpyn hire nepas xri. cf. Arist. Phys. IV. c. 13. p. 223. B. gaot yap zUrlov eivar ta dvporwa rpdypara, worauf dies hier ausführlich kritiſirt wird, und beſonders Ariſt. Meteorol. I. c. 9, 5. p. 364. B., wo die phyſiſche Bewegung Heraklits ausdrücklich als Kreisbewegung geſchildert wird, worüber ſpäter, vgl. § 23. 26. 27.

§ 2. Fortſetzung. Die Harmonie.

Das Princip ſelbſt aber dieſer ungetrennten Einheit des abſoluten Gegenſatzes hat Heraklit als Krieg oder Harmonie ausgeſprochen, welche letztere er mit der des Bogens und der Leier verglich.

Die Harmonie iſt ihm nur ganz daſſelbe, was ihm der Krieg iſt, wie entgegengeſetzte Vorſtellungen auch das gewöhnliche Bewußtſein mit Bei— den verbindet.

Die Einheit von Sein und Nichtſein als Einheit des abſoluten wider— ſtreitenden Gegenfaßes iſt ihm Krieg, aber als des Gegenſatzes Ein— heit iſt fie Harmonie. Und weil ihm Alles was exiſtirt, nur durch die— ſes Eins des Gegenſatzes iſt, fo kann ihm auch dieſer Krieg allein % ſein, nur daß er dieſen abſtracten Ausdruck noch nicht hat, ſondern den— ſelben Begriff in ſinnlichen Namen (Vater, König) ausſpricht.

So führen wir denn, an unſer erſtes Fragment uns anſchließend, zuerſt das Bruchſtück bei Plato an):

„r &vyap, not (sc. "Ipaxierros) Öcapgspopevov adro adTo Eupnpespzsodar Osnep appovlav Togo re d d „Denn das Eine, indem es ſich von ſich trennt (auseinandertritt), eint ſich mit ſich ſelbſt, wie die Harmonie des Bogens und der Leier“.

Und ebeuſo bei Ariſtoteles?): „rat "Hoaxderros „ro dyricouv oufyEpov“ xar „ex Toy Öbtapspovrwv xzailioryv appoviav“ r zdvra ar S yveodar. „Das ſich Eutgegenſtrebende iſt das ſich mit ſich Einigende“; und „aus dem ſich Entzweienden (ſich Unterſcheidenden) die ſchönſte Harmonie“ und „Alles werde durch den Streit“.

Ebenſo bei Plutarch): „raAfvrovos?) yap apnovim x0opov,

1) Sympos. p. 187. A. p. 119. Stallb.

2) Eth. Nicodem. VIII. c. 2. p. 1155.

3) De Is. et Osir. p. 369. A. p. 512. Wytt.

4) rartvrovos war ein Epitheton des Bogens überhaupt, bezeichnete aber auch

u

bzworep Abpns za! Togou“ xu “Hoaxisırov“, „ſich in ihr Gegentheil umwendend iſt die Harmonie des Weltalls wie der Leier und des Bogens“ und ganz ſo noch an einem andern Ort, nur in indirecter Rede und mit einer Veränderung des erſten Wortes ): Hod etros de raAlvrporov ppoviyy x0opou Örwsrep Aboms vm i ro£ov“. „In ihr Gegentheil umſchlagend ſei die Harmonie des Weltalls wie der Leier und des Bogens“.

Dieſe Harmonie der Leier und des Bogens, die, wie wir ſehen, Heraklit ein conſtantes Bild von der Harmonie der Gegenſätze in dem Weltall überhaupt war, führt nun Simplicius ? ſpeciell als Bild der ſich mit einander vermittelnden Einheit des Guten und Böſen an: ws Upaxlerros TO dyadov za! zb xarıy eis radrov Aeywv ouveevat G rogou zal Abpas" Os nu ddt Bear AEyeıv Öra TO doWmpioTws güvar: EvsdeixvuroösryvEv rn yevEsocısvappöveovniftv ray evavriov (worauf Simplicius ſehr gut die Stelle des Plato Soph. p- 242. e. hiermit in Verbindung bringt).

Heraklit alſo, verſichert Simplicius, habe gelehrt, daß auch das Gute und das Böſe in daſſelbe zuſammengehe (ineinander übergehe) nach Art des Bogens und der Leier; und, fügt er hinzu, mit dieſem paradox ſcheinenden Satze habe Heraklit die harmoniſche Miſchung der Gegenſätze in der Wirklichkeit gemeint. Dieſe Stelle des Sim— plicius, weil ſie uns die Identität des Guten und Böſen bei Heraklit als eine ineinander über gehende, ſomit als Proceß ſich vermittelnde angiebt, iſt correeter als jene bereits durchgenommenen Stellen des Ariſto— teles (Topic. VIII, c. 5. p. 155 u. Phys. I, 2. p. 185.), auf die fie ſich commentirend bezieht und in welchen die Identität des Gegenſatzes von gut und böſe nur als eine ruhige, ſeiende ausgeſprochen wird.

Zugleich erfahren wir aus dieſer Stelle des Simplicius, daß Heraklit auch dieſen ſpeciellen Gegenſatz des Guten und Böſen mit der Harmonie des Bogens und der Leier verglichen haben muß; denn es ließe ſich nicht abſehen, wie Simplic. dazu gekommen ſein ſollte, die Harmonie des Bogens und der Leier als Bild für die Identität des Guten und Böſen zu gebrauchen, wozu er ja durch keinen Vorgang des Ariſtoteles veranlaßt

eine beſondere Art Bogen, die doppelt zu ſpannen waren, vgl. die Interprett. zu Ilias. VIII, 266. und Herodot VII, 69. Wörtlich wäre es etwa zu überſetzen: „Sich entgegenſpannend“; über feinen wirklichen Begriff und die obige Ueber— ſetzung ſiehe unten in $ 3.

1) Plutarch. de anim. procreat. p. 1026. B. p. 177. Wytt.

2) Comment. in Aristot. Phys. f. 11. a. b.

war, wenn er ſie nicht bei Heraklit ſelbſt als Beiſpiel von der ſpeciellen Einheit entgegengeſetzter ſittlicher Beſtimmungen gebraucht ge— funden hätte.

Wohl aber hat Simplicius, jene Stellen des Ariſtoteles im Kopfe und ſie mit Heraklits eigenen Worten vermiſchend, die Ausdrücke „gut und ſchlecht“ mit welchen Heraklit dieſen Gegenſatz der ſittlichen Beſtimmungen nicht bezeichnet hat, an die Stelle der von Heraklit ſelbſt dafür gebrauchten Ausdrucksform: „Das Gerechte und Ungerechte“ geſetzt, wie wir aus einer Stelle der venetianiſchen Scholien zum Homer entnehmen, welche zugleich ein ſchönes Fragment des Epheſiers enthält und uns endlich den tiefſten Sinn jener Identität des Guten und Böſen offenbart, die Ariſtoteles jo oft dem Heraklit als unlogiſch vorwirft.

Die Stelle lautet !): Arpenes gaow, ei Tepreı rob Heods nolepwv Hear du 00x dne za yüp yevvala hr tepneı Allms TE nökepor ru hug , Öziva Öuxeı, To 02 H oo: Tanca Ödewda‘ auvreiet rap ünavra , emed Gppoviav av allwv ͤ Olwv olxovon.@v Ta oupy£povra, Onsp zar Ipazlerros Nee, e „sT@ ue den xalü navra za! ölxara, Avdpwro: DE A EV Adıza hreiingaar, a 08 ölzara““. Man halte es für unſchicklich, ſagt der Scholiaſt, wenn (beim Homer) die Götter die Göttin des Krieges erfreut; doch dem ſei nicht ſo; denn edle Werke erfreuten; uns Menſchen freilich erſchienen Kriege und Schlachten ſchrecklich, dem Gotte aber nicht alſo; denn es vollbringe Alles der Gott, zur Harmonie des Unterſchiedenen oder auch des Alls, das ſich Einigende ordnend; weshalb auch Heraklit ſage: „„dem Gotte (iſt) Alles ſchön und gerecht, die Menſchen aber haben das Eine als ungerecht, das Andere als gerecht angenommen“ “.

Das „Gerechte und Ungerechte drxarov und adezov“, find alſo Hera— klits eigene Bezeichnung für die entgegengeſetzten ſittlichen Beſtimmungen geweſen. Daß ihm dieſe Bezeichnung eine angemeſſenere war, als die abſtracten: gut und ſchlecht, würde wohl auch an ſich klar ſein. Wir wiſſen aber auch aus Plato ?), daß das Örxarov, wenigſtens bei den Schü— lern des Epheſiers als Hauptbenennung für das abſolute Princip ihrer Philoſophie galt und ſehen keinen Grund, warum ſie dieſen Namen ſelbſt gemacht und nicht ſchon in dem Werke des Heraklit über—

1) Schol. Venet. ed. Villoison. ad Iliad. IV, 104. 2) Cratyl. p. 412. D. 413. D.; p. 145 138. Stallb.

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kommen haben ſollten !), um ſo weniger, als wir ja in den eigenen Bruch— ſtücken des Epheſiers die Dike in derſelben Würde antreffen werden.

Zugleich aber zeigt uns endlich die Stelle des Scholiaſten, und ſo— wohl ſeine eigenen Worte als auch das an dieſelbe gereihte Fragment Heraklits, was es in der That für eine Bewandtniß mit der Identität des Guten und Schlechten, des Gerechten und Ungerechten bei Heraklit gehabt hat.

Zuvörderſt wird gewiß Niemand länger mit Schleiermacher p. 410 bezweifeln wollen, daß das Fragment ſo ächt als wörtlich angeführt iſt. Schon die dem Fragmente ſelbſt vorhergehende Erklärung des Scholiaſten iſt voll ächt heraklitiſcher Ausdrücke?) und des ächt heraklitiſchen Sinnes ?), ſo daß auch dieſe Erklärung ſchon dem Heraklit ſelbſt mehr oder weniger mit feinen eigenen Worten entlehnt ıft*). Das Fragment ſelbſt anlangend, ſo iſt die ganze Wendung des Satzes, die Entgegenſetzung von Gott und

1) Dieſe Annahme iſt auch um ſo weniger möglich, als die in der Stelle des Cratyl. den einzelnen Heraklitikern zugetheilten Namen für das Abjolute, 77g, , TO He - xrq. immer nur als Prädicate und Definitionen des Einen Sub— jects r Alzaroy geſetzt find, dieſes alſo in dieſer Stelle ſelbſt als die allen Hera— klitikern gemeinſame Bezeichnung des Abſoluten erſcheint.

2) So z. B. dppovta und Ja (ſ. Schleiermacher p. 361), auppepoyra, was wir eben in mehreren Bruchſtücken gehabt; auch oixovoneiv (TO πι oder ra 04a) ſcheint gleichfalls ein von Heraklit ſelbſt gebrauchtes Wort zu ſein, ef. Heracl. Alleg. Hom. p. 465. Gal. p. 146. Schow. und Marc. Anton. V, 32. Schleier- macher glaubt deshalb ſogar mit Unrecht, daß dieſe der Erwähnung Heraklits vor— hergehenden Worte ſeine Anführung bilden ſollen.

3) So enthält der Tadel, den Heraklit gegen den Homer ausſpricht (ſiehe unten $ 4), nur ganz denſelben Gedanken, wie hier die rechtfertigende Erklärung des Scholiaſten.

*) Was wir in dem oben Folgenden als den Gedanken des Fragments nach— weiſen, die bloße Relativität aller Unterſchiede vom Standpunkt des Abſoluten aus oder des Gottes, zeigt jetzt ganz ſchlagend in phyſiſcher Ausführung das Frag— ment beim Pseudo-Origenes Philosoph. ed. Miller. p. 283.: „% Ng nuspn ebppövn, q. WEpos, nökenos elpnvn, xöpos Arnös“. „AAAorod- rat dk üxws nep Öxöravy aunneyn [Hdwpa, wie Bernays a. a. O. als das fehlende Wort trefflich einfchaltet] Iovamaaıv: üvonaferar zaW Hdornv &xdoron, „der Gott ift Tag Nacht, Winter Sommer, Krieg Frieden, Sättigung Hunger“. „Es geht [jedes] in das andere über, wie wenn Räucherwerk mit Räucher— werk ſich miſcht; es wird benannt nach dem Belieben eines Jeden“. Alſo vom Standpunkt des Göttlichen aus iſt jeder Gegenſatz daſſelbe, denn jedes geht be— ſtändig in fein Gegentheil über; nur für uns iſt es unterſchieden; sub specie aeterni iſt es identiſch.

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Menſch, ganz eigenthümlich heraklitiſch und in mehreren Bruchſtücken wieder— kehrend. Die Anführung ſelbſt geſchieht nicht nur in directer Rede, ſondern auch ganz ſtoßweiſe durch das: J ο xal Ilg. Jeret ws xci.; ferner ver— bürgt die aus der Satzconſtruction herausfallende Perfectform Dreriygao: die wörtliche Anführung, denn der Scholiaſt hatte im Praeſens geſprochen „dnbeneg gaor“ und hätte im Praeſens fortfahren müſſen: DrodapBavover. Endlich aber iſt in der quäſt. Stelle viel zu ſehr der Nagel auf den Kopf getroffen, als daß man glauben könnte, der unbekannte Scholiaſt habe ſie nicht, wenn auch mittelbar, aus dem Werke des Epheſiers ſelbſt geſchöpft. Das „Gerechte und Ungerechte“ bedeutet dem Heraklit nichts Anderes, als den— ſelben logiſchen Gegenſatz von Sein und Nichtſein, den wir ihn ſchon in fo vielen Formen haben ausſprechen ſehen. Das Oxazov ift ihm nur dieſelbe Verknüpfung des Seins und der Negativität, die das heraklitiſche Princip überhaupt iſt, oder in der Form, in der es Plato ſelbſt im Cratylus ausſpricht und deren Verſtändniß wir hier anticipiren müſſen, es iſt: „das ſich durch Alles hindurchziehende, durch welches alles Werdende wird“ (de ars die Sν, Öl oh nayra za yıyvöpeva yiyvaodar); es iſt wie Plato weiter ſagt, „das Schnellſte und Unkörperlichſte; denn nicht könnte es ſonſt durch Alles in Bewegung befindliche ſich hindurch bewegen, wenn es nicht das Unkörperlichſte wäre, ſo daß nichts es aufhält, und das Schnellſte, ſo daß es die andern Dinge als wie (im Verhältniß zu ihm ſelbſt) Stillſtehende handhabt“ („— Taxıorov xal kenzorarov 0% yüp du dbl allws da ro lövros lEvar navros, ei um Aenro- Tarov TE IV. Were adTo ymoEVv OTeyewv, xal Tayıorov Wste ypyodaı Gere Eorwor H Ahrors). Es iſt alſo Das, was am wenigſten Theil hat an dem endlichen feſten Beſtehen, und die reinſte Identität des Seins und Nichtſeins iſt; es iſt die logiſche Kategorie des Wer— dens ſelber, die durch kein endliches feſtes Sein aufgehaltene reine pro— ceſſirende Gedankeneinheit von Sein und Nichtſein. Das Gdν,ue) dagegen iſt eben das Moment des ſinnlichen feſten Beſtehens ſelbſt, welches ſich als dieſes iſolirte Moment erhalten und ſeinen Gegen— ſatz, das Nichtſein, obgleich vergeblich, ausſchließen will.

Deshalb gehen, wie Simplicius ſagt, das Gute und Böſe in

1) Man ſehe nur zum Beweiſe die Stelle Plutarchs Terr. an aquat. an callid. p. 964. E. p. 913., wo er jagt, daß nach Heraklit die Natur ſelbſt „e rollov zal Adizwv radav repawopern»“ ſei und alles Endliche ſein Werden nur aus der Ungerechtigkeit „88 Ae habe, indem mit dem Unſterblichen das Sterbliche ſich eine (To Punta auvspyopsvov Tod Mαμ]˙droh).

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daſſelbe, d. h. in einander über (eis radro Acywv avveevar). Das Gute iſt das reine Werden, das Böſe das aufſichbeharrenwollende ſinnliche Daſein des Einzelnen. Aber beide Beſtimmungen find eben pro- ceſſirende. Das Werden ſelbſt wird immer, d. h. wird immer zu ein— zelnem ſich erhaltenwollenden ſinnlichen Daſein; dieſes ſeinerſeits iſt und erhält ſich nur durch beſtändige Theilnahme an dem allgemeinen Proceß und Wandel, durch die beſtändige Aufhebung ſeines Daſeins in die Bewegung des Werdens, d. h. in das Gute ).

Für alles Einzelne, Endliche ſind daher allerdings Sein und Nicht— ſein, Leben und Sterben, Beſtehen und Negation entgegengeſetzte Dinge. Für jenes abſolute Werden ſelbſt aber, für den Gott, wie das Fragment beim Scholiaſten ſagt, iſt Beſtehen und Sichaufheben, das Sicheinlaſſen in die endlichen Unterſchiede, d. h. das Setzen derſelben als Beſtimmter (To dtapspönevov) und der Rückgang aus denſelben in die reine Einheit (70 oungspönevoy) gleichgültig; denn ſein Sichaufheben in der einen Form iſt nur ſeine Geburt in eine andere. Für das göttliche Leben des abſoluten Proceſſes von Sein und Nicht iſt das drxazov und ade, die reine Negation und das einzelne Sein, gleich weſentliches Moment?), denn alle Exiſtenz wird nur durch den Widerſtreit und Kampf derſelben und gerade der Wechſel derſelben bildet die Harmonie des Alls, wie ja das ſich Entzweiende das ſich Einigende iſt und grade aus ihm die ſchöuſte Harmonie hervorgeht.

Beide Momente ſind alſo vom Standpunkt des Abſoluten aus gleichberechtigt, denn nur in der Identität Beider, die ſomit nothwendig auch als unterſchiedene geſetzt ſind, beſteht die Idee des Abſoluten ſel— ber. Und ebenſo erzeugt ſich nur durch die reale Verwirklichung dieſer Momente als unterſchiedener und deren Wiederaufhebung die Welt und geſtaltet ſich nur durch den Wechſel dieſer Bewegung zu demſelben realen Proceſſe des Werdens, zu der ſichtbaren Harmonie, dem, obwohl ſchwächeren, Abbilde jener unſichtbaren Harmonie, der reinen proceſſirenden Gedankenidentität von Sein und Nichtſein.

Hiermit ſind wir aber von ſelbſt zu zwei andern Bruchſtücken des

1) Seine vollſtändigſte Belegung wird, was im Vorſtehenden anticipirt iſt, im Verlauf erhalten.

2) Man vgl., was Aeneas Gazäus auf Heraklit anſpielend jagt, Jedem ſei ein anderes entgegengeſetzt, nur dem All ſelbſt nichts, ſo wenig wie der Har— monie ꝛc., de immort. anim. p. 37. ed. Boiss.: evayriov tv Yap dAlo d. To e rar obdev" üppovias ds aa rodro. zal EF Evarriov av göyyav

nia nv nelwdtay Enyafeadnr.

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Epheſiers gelangt, die uns Plutarch und Porphyrios aufbewahrt haben und von welchen wir zuerſt das letztere in ſeinem Zuſammenhange mittheilen wollen, weil dieſes dem andern Fragment zur Erklärung dient. Porphyrius jagt ): „apfapevs d as gbosws / Erepbryros, navrayon v ÖLdunov abrijg renoimrar obyßokov: 7 Yap did voncod 7 mopela,h dr alodyrob" zul Tod alodnTon , di- ci ansavods di cg Twv merlavnuevwv rd mh Y F nopelas: zar xEyrpov, Tb EV DrEp Yiy, To

N \ 3 A * 7 \ 4 2 * Toystov' TO Ae avarolırov TO OS OVTIXOV xd. TA e h SD,

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za d define ye TE xt eh - xal dνν TODTO „„maiAlvrovos dh A- novifa, ] LOSS dca rav Evavriwov““. Denn ſo will ich mit Boeckh und Creuzer bei der Lesart der van Goeus'ſchen Ausgabe verbleiben, wo dann allerdings das rofeder nicht gut wörtlich zu überſetzen iſt, über den Sinn aber doch kein Zweifel ſein kann. Porphyrius ſagt, da die Natur ſelbſt vom Gegenſatz ausgehe, ſo habe ſie auch überall die Zweiheit ein— geführt, als Symbol ihres eigenen Gegenſatzes, ſo: vernünftig und ſinnlich, Nacht und Tag, Aufgang und Untergang, rechts und links ꝛc. Und wegen dieſer in allen Exiſtenzen der Natur vorhandenen Zweiheit, werde auch genannt (nämlich von Heraklit): „ſich in ihr Gegentheil wendend, die Harmonie, welche durch die Gegenſätze ſchießt, (hindurch— ſchießt)“. Die Aenderung aber, die Schleiermacher vorſchlägt: rad 7 640¹. zar ονο, e did ray Evavriav („widerftrebend jet die Harmonie auch des Bogens, wenn durch die Gegenſätze“) iſt nicht nur reine und noch dazu ganz überflüſſige Conjectur, ſondern entſpricht auch dem ſonſtigen kritiſchen Takte ihres Urhebers nicht und gewährt keinen Sinn, während das Bruchſtück einen ſolchen und zwar den ganz richtigen darbietet. Denn zuerſt konnte Porphyrius nur dann dies Fragment zur Beſtätigung ſeiner Auseinanderſetzung mit den Worten: „und deswegen heiße es“ (*. del ore; anführen, wenn in dem Fragment von der Alles durchdringenden Weltharmonie, nicht aber von einer angeblichen ſpeciellen Harmonie des Bogens die Rede iſt. Auch begreift man, wenn von jener allgemeinen Harmonie hier, wie evident iſt, die Rede ſein muß, gar nicht, was das za: 70500 hier überhaupt will; ebenſo iſt das „s?“ für Heraklit hier un— angemeſſen und es fehlte auch ein von dem ss abhängiges Participium. Endlich liegt nirgendswo eine Stelle vor, in welcher der Bogen allein, ohne die Lyra, als Bild der Harmonie gebraucht ſich vorfände. Denn dies iſt dann nicht der Fall, wenn man bei dem Fragment verbleibt, wie es in den Handſchriften und Ausgaben vorliegt. Dann iſt das 0 S80se

1) De antro Nymph. c. XXIX. p. 268. p. 27. ed. van Goens.

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nicht ein ſelbſtändiges Bild der Weltharmonie, ſondern eine bildlich von ihr ausgeſagte ihr zukommende Thätigkeit, Eigenſchaft. Daß nun Heraklit, wie er ſeine harmoniſche Einheit ja überall dahin definirte, daß ſie alle Gegen— ſätze raſtlos durchdringe, daß ſie das ſich durch das Entgegengeſetzte unaufhörlich hindurchziehende Geſetz ſei (Adyos ra zavra drmxwv), dieſe Thätigkeit des Durchdringens und ſich Hin durchziehens durch die entgegengeſetzten Exiſtenzen auch vollkommen wohl mit dem ſinnlicheren Ausdrucke, daß ſie durch dieſelbe hindurchſchieße, bezeichnen konnte, kann ja auch an und für ſich weder die geringſte Schwierigkeit des Verſtändniſſes erregen, noch irgendwie befremdend erſcheinen; weshalb wir nicht nur die Schleiermacher'ſche ſondern jede andere Veränderung der vollkommen klaren Stelle für ganz überflüſſig halten. Die ganze concrete Beziehung aber, die in dem Bogenſchießen (rofeder) liegt, wird uns klar werden durch die bald folgende Erörterung, in wiefern dem Heraklit Bogen und Leyer Bild der Weltharmonie waren. Zuvor aber führen wir noch ein anderes Fragment über die Harmonie an, welches uns Plutarch mittheilt und das alſo lautet: „a, aνιν yap dgayns gavspyjs zpeirtwv, rab Hoazierzov, Ev 7 Tüs diagohg xu Ersporyras & nayvbwv deös Suu xu, zaredvoe“, „Denn die unſichtbare Harmonie iſt beſſer als die ſichtbare, nach Heraklit, in welcher die Unterſchiede und Gegenſätze der ſie einende Gott verhüllte und untertauchte“.

Den Sinn dieſer Stelle anlangend, ſo kann man zunächſt jedenfalls darüber nicht zweifelhaft ſein, daß die Erklärung, die Schleiermacher p. 420, und nach ihm Ritter und Brandis, geben will, ganz irrig zu nennen iſt. Er ſtellt nämlich die durch nichts unterſtützte Hypotheſe auf, daß Heraklit mit der ſichtbaren Harmonie die elementariſche, mit der unſichtbaren aber die höhere und complicirtere Einheit organiſcher Geſtaltungen gemeint habe.

Zuerſt iſt uns nichts von Heraklit bekannt, wodurch wir überhaupt nur wüßten, daß er einen ſolchen Unterſchied zwiſchen organiſcher und unorganiſcher Bildung gemacht und erſtere höher angeſchlagen habe; es wäre im Gegentheil ſowohl durch ſein Syſtem überhaupt als durch po— ſitive Zeugniſſe zu erweiſen, daß ein ſolcher Unterſchied bei ihm, ſeinem Ge— danken nach, ſchwerlich ſchon ſtattfinden konnte und auch nicht ſtattgefunden hat 2). Aber abgeſehen hiervon muß Schleiermacher für ſeine Hypotheſe

1) Plut. de anim. procreat. p. 1026. p. 177. Wytt.

2) Vielmehr fand nach ihm nur ganz derſelbe Verwandlungsproceß wie im unorganiſchen Weltall, ſo auch im organiſchen Statt. Man ſehe unten $$ 6. u. 7. und die daſelbſt näher beſprochenen Stellen der ariſtot. Problem. XIII, 6. p. 905. Bekk., Plut. Plac. IV, 3. p. 623. Wytt., Nemes. de nat. hom. p. 28. ed. Plant.

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die grammatiſche Structur des Satzes verletzen, indem er den Relatipſatz „Ev 7 xarzdvaev“ ſtatt auf das unmittelbar vorhergehende gavspys auf das weiter vor dieſem ſtehende dgavys zurückbeziehen will. Endlich aber erlaubt dies auch offenbar der Sinn der Ausdrücke Erouge , zaredvoe nicht, die doch auch Schleiermacher als ganz ächte Beſchreibung anerkennt; fie erfordern im Gegentheil durchaus die Beziehung auf Kaushis und Schleiermachers Erklärung wird grade dadurch ſo falſch, weil er auf die unſichtbare Harmonie die Erklärung beziehen will, die vielmehr von der ſichtbaren gegeben wird und nur von ihr gegeben werden konnte.

Der Sinn dieſes Fragmentes iſt vielmehr der ſchon früher angedeutete. Alles Sichtbare und Sinnliche war dem Heraklit nur die Exiſtenz und der reale Ausdruck ſeiner Einen reinen Harmonie, d. h. der Identität des Gegenſatzes von Sein und Nichtſein.

Im Unterſchiede von dieſen ihren ſinnlichen, ſichtbaren Darſtellungen im Reiche der Exiſtenzen kann die unſichtbare Harmonie nur die reine Idealität ſein, die reine proceſſirende Gedankeneinheit des Ge— genſatzes von Sein und Nichtſein, die noch nicht, wie alles ſinnlich Exi— ſtirende, in der einſeitigen vorwiegenden Form des Seins geſetzt iſt; mit einem Worte: die logiſche Idee des Werdens ſelbſt, in welcher beide Mo— mente, Sein und Nichtſein, fortwährend unaufgehalten und unaufhaltſam in einander umſchlagen und Unterſchied wie Einheit derſelben in ununterbroche— nem Proceß und immer zugleich ſich erzeugen, in welcher alſo die reine Einheit dieſer Momente noch durch kein feſtes Beſtehen derſelben, wie in der Exi— ſtenzialwelt, getrübt iſt. Dieſe allein adäquate intelligible Einheit des Ge— genſatzes, die er auch, wie wir ſehen werden, als nicht untergehendes Feuer von jeder noch ſo flüchtigen, ſinnlichen Exiſtenz abſchied, die er auch „das Eine Weiſe und Name des Zeus“ !) nannte, iſt das Geſetz, welches das All durchdringt. Sie iſt der Demiurg, von welchem uns das Bruch— ſtück bei Themiſtius (ſ. oben p. 24) ſagt: „die Natur liebt verhüllt (zpbrreodar) zu werden und noch vor der Natur der Demiurg der Na— tur“. Die Natur () iſt das Gebiet des Sinnlichen und Sichtbaren, ein Gebiet, in welchem gleichfalls bereits in jedem Exiſtirenden die Gegen— ſätze harmoniſch geeint und verhüllt ſind?). Der Demiurg, der noch vor der Natur verhüllt werden will, iſt die unſichtbare beſſere Harmonie, der reine, waltende, ſpeculative Gedanke des begrifflichen Gegenſatzes (bon Sein und Nichtſein) und feiner proceſſirenden Einheit (der Aoyos).

1) Siehe oben p. 26 8g.

2) Darum beſteht auch die Erkenntniß der Dinge darin, ſie zu zerſchneiden; ſiehe SS 28 sqgq. .

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Was in dem Bruchſtücke bei Them. das xpbrrsodar zu bedeuten hat, zeigt uns ſehr ſchön in unſrer Stelle des Plutarch das Örupopäs xal Erspöryras 6 pıyvbwv hee Sn ο , v zareövoev. Beide Stellen erläutern ſich gegenſeitig. Dieſes „zareövoev“ beweiſt, daß auch das Suhl bei Plutarch wie das Hhuνν esa bei Themiſtius nicht den Sinn von „verheimlichen“ hat, ſondern (weshalb es auch Philo a. a. O. nicht nur durch abscondere überſetzt, ſondern durch se obducere näher inter— pretirt) nur das Untertauchen und Verhüllen der reinen intelligiblen Harmonie in die Hülle und das Material des ſinnlichen Seins bezeichnet, wie uns ja auch Porphyr. ähnlich ſagte, die wirkliche Zweiheit in den natürlichen Dingen, Tag und Nacht ꝛc. ſei nur die ſymboliſche, d. h. in finnlihes Sein eingetauchte Darſtellung (7% abußoAov) der intelligiblen Zweiheit, von der die Natur ausgehe. Das S za! zoreövos, wie Schleiermacher will, auf die unſichtbare Harmonie zurück zu beziehen, iſt alſo nicht nur gegen die grammatiſche Satzeonſtruction, ſondern auch widerſinnig. Denn in der unſichtbaren, in der beſſern Har— monie iſt die Einheit des Gegenſatzes grade nicht untergetaucht und verborgen, ſondern ſie iſt vielmehr dieſe reine adäquate Einheit ſelbſt; verſenkt und verhüllt iſt dieſe nur in der ſichtbaren Harmonie, in den ſinnlich-ſichtbaren Dingen, welche die Erſcheinung und Darſtellung jener ſind und die in ihnen verborgene Harmonie dadurch offenbaren, daß der Gegenſatz, die Negation doch immer wieder an ihnen zum Vorſchein kommt. Offenbar ließ ſich Schleiermacher durch das 87ꝙ “'s irre führen und meinte, verborgen könne doch nur die unſichtbare Harmonie genannt werdenz in Ermangelung des Bruchſtücks bei Themiſtius hätte ihm aber ſchon das rutsdhee vollkommen deutlich zeigen können, daß auch das „verborgen“ nur heiße: verſenkt in ſinnlichen Stoff, und daß dann die in dieſem Sinne verborgene Harmonie nur die ſichtbare ſein könne.

Wenn jo die Appovia dgavys in Beziehung auf die ſichtbare Har— monie nur die reine, intelligible Einheit im Gegenſatz zu ihrer ſichtbaren Darſtellung in den ſinnlichen Exiſtenzen iſt, ſo iſt auch von ſelbſt klar, warum fie Heraklit eine „beſſere“ als die ſichtbare Harmonie (zperrwv) genannt hat und nennen mußte, denn alles ſinnliche Sein iſt, weil eben die Einheit von Sein und Nichtſein hier in der einſeitigen Form des Seins geſetzt iſt und die Unterſchiede ſomit reellen Beſtand und ganz andere Feſtigkeit gegen einander erlangen, ſofort Trübung und Hemmung jener reinern, intelligiblen Gedankeneinheit und der in ihr ohne Unterlaß proceſſirenden Identität ihrer Momente.

Daß die unſichtbare Harmonie hier ſo als Gegenſatz gebraucht iſt

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gegen die geſammte Welt der ſinnlichen Exiſtenz, deren Grundlage ſie iſt, und nicht blos gegen einzelne Formen des Sinnlichen, wie das Elementariſche, geht auch daraus hervor, daß Heraklit die ſichtbare Har— monie immer als geſammte Weltharmonie auffaßt, ſie auch ausdrücklich „appoviry EU], nennt. Endlich aber rechtfertigt ſich unſere Erklärung auch durch den Zuſammenhang bei Plutarch. Dieſer iſt folgender: Er ſagt, die Aegypter hätten in ihrer Mythologie geräthſelt, Horus habe, als er Strafe habe geben müſſen [nämlich für den Mord feiner Mutter] )), ſeinem Vater Blut und Leben, ſeiner Mutter Fleiſch und Fett zuertheilt; „— von der Seele aber ſei nichts ungemiſcht und lauter, noch werde es iſolirt von dem Anderen; denn die unſichtbare Harmonie iſt nach Heraklit beſſer als die ſichtbare“ ꝛc. (ys 08 diuzgs obö&v mev elkızpevss 000 üxparoy?) oböE ywpls Anoleinerart) av Allav αννανννιν,ỹ yap agpavyns x7).) Es wird alfo in dieſem Zuſammenhange gleichfalls die reine Idealität der Seele und die untrennbare Harmonie dieſer entgegengeſetzt der ſchwächeren, ſich weniger durchdringenden Ein— heit der Gegenſätze im ſinnlich-organiſchen Körper und dieſer erſcheint alſo ſtatt die beſſere und reinere Harmonie darzuſtellen vielmehr ſelber, wie alles Sinnliche, als der unreineren Harmonie?) zugetheilt.

1) Siehe die Fragmente bei Plutarch oben p. 90 sq.

2) cf. Plutarch de Is. et Osir. p. 338. D. und Fragm. Plut. London 1773. ex Museo Britannic. ed. Th. Tyrwhitt. bei Wytt. Vol. X. p. 702.

3) „anıyzs pnd& pnd: elkızpevis“, nichts Ungemiſchtes und nichts Reines, jagt Plutarch Terrest. an aquat. p. 964. E. p. 913. Wytt., ſei in dem ganzen Gebiete der Natur nach der Philoſophie Heraklit's, die er daſelbſt anführt. Dieſe letztere Stelle allein, die Schleiermacher entging, würde hinreichend beweiſen, daß auch in der obigen Stelle des Plutarch und in ſeinem Citat, wenn er nicht ganz ſinnverkehrend eitirt haben ſoll, mit der höheren Einheit der Gegenſätze, die über die Miſchung derſelben in der Natur noch hinausgehen und deshalb ganz un— trennbar ſein ſoll, unmöglich irgend eine beſondere Form des Natürlichen, wie das Organiſche, gemeint ſein kann.

4) „aroisirsı“ jagt in demſelben Sinne Heraklit bei Plut. Ze ap. Delph. P. 392. B. p. 605. W., jo daß unſeres Bedünkens Plutarch ſchon in dieſem Satze e Hs did, auf den Epheſier Rückſicht nimmt und wahrſcheinlich auch das folgende Fragment in dem Werke des Heraklit in einem ganz ähnlichen Zuſammenhang mit ſeiner Lehre von der dvy7 ſtand. Die dvy7 iſt unſichtbare Har— monie. Eingetaucht und begraben im Körper iſt ſie ſichtbare Harmonie. Man vgl. auch das von den Seelen geſagte öparas yiveodar bei Porphyr. (ſiehe weiter unten. Die letzte Evidenz wird unſer Bruchſtück und unſere Erklärung deſſelben noch vielfach im Verlauf erhalten). i

5) Unſere Auffaſſung der Worte As und gavgpr im Bruchſtück als den Gegenſatz des Ideellen und ſinnlich-Wirklichen bedeutend, beſtätigt ſich auch

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Wir glaubten aus doppelten Gründen bei der Widerlegung der Schleiermacher'ſchen Interpretation ſo ausführlich zu Werke gehen zu müſſen. Einmal weil Schleiermachers Erklärung allgemein angenommen worden iſt (ſiehe Brandis I. p. 166. Ritter p. 136) und am letzteren Ort noch beſonderen Beifall als „glückliche Deutung“ erhalten hat. Ferner aber weil das Bruchſtück nach unſerer Auffaſſung deſſelben zu jenen allerwich— tigſten Fragmenten gehört, welche über den innerſten Kern und die tiefſte Bedeutung des heraklitiſchen, den Uebergang von der eigentlichen Natur— philoſophie zur Gedankenphiloſophie bezeichnenden, Syſtemes ein helles

noch durch andere Stellen; man vgl. zunächſt eine des ſehr heraklitiſirenden (ſiehe 8 7.) Pseudo-Hippocrates de Diaeta VI. p. 453. Ch. I. p. 639. K., von welcher ſchon der ſpäter mitzutheilende Anfang zeigt, wie durchaus heraklitiſch fie iſt; darauf ſagt er: rohr rayra dia τπνrns xufepvä zat ru zal Ereiva οοe. rore Arpenikwv‘ ol de dvdpowrot Ex Toy pyavspav ra dpavn oxenreodar o enioravra. Darauf jet er den Unterſchied von 4 . und gay. ganz dem obigen Sinne analog auseinander als den Unterſchied des ideellen Anſich und der Wirklichkeit: Y dniaow Teyvas gyavspas dvdpwrouv ννν¶jaLwuL, Öpotas &oboas zal gare xal ägpayeaı nayrızn Towvde: Tolaı pavspoiat EV ra dpavea ywwxeodar, rolow dpavsor ra pavspa und vergleicht das mit dem Zeugen, welches ebenfalls nur das Unſichtbare (das Anſich) in das Sichtbare verwandele: dvnp yuvarki Euyysvönsvos ramloy Eroise To gavepo TO Admkoy ywworew Orte obrws Zora yvoyın dviouron Apayns' Ywworobea Ta payapa &x radtovn eis Avöpa periorarar Two Eovrı To neikov Yiwaret.

Wir werden ferner noch wiederholt im Verlauf apavifentar in dieſem Sinne finden und unmöglich kann es hiernach ein Zufall ſein, wenn wir bei den Stoikern, wie das zoeirrov als Kunſtausdruck für das die Natur durchdringende Princip, jo auch Zvapavifsadar als ſtehenden Terminus für den Rückgang des Exiſtirenden in den (bekanntlich aus Heraklit von ihnen entlehnten) 76 xo % oder anspnarıxös des Weltalls antreffen, ſ. Mare. Anton. IV. 8 14: ’Evureorys dg nepos‘ &vapavıadyaon TW yzvvnaayrı: νð2½ di dvalngsnan eis ro Aöyov abrod Toy reh, zara nerafoiny „DU beſtehſt als Theil; du wirft aufgehoben werden in das, was dich geboren hat (d. h. in das Princip) oder vielmehr du wirſt zurückgenommen werden in das Entwicklungsgeſetz gemäß der Umwandlung“, und VII, 10: Ka. ro Eunklov Evapaviferar riyıora ν rov ölwv obata. „Alles Materielle geht überaus ſchnell in die Weſenheit des Alls zurück“ und II, $ 12: s dura ruges tvapaykerar x7). Wenn auch das Wort Evapavieadar durchaus nicht von Heraklit ſelbſt gebraucht worden iſt, ſo dürfte ſich doch aus dieſem Ge— ſammtzuſammenhange in Verbindung mit einer weiter unten zu betrachtenden Stelle des Simplicius über den Krieg ergeben, daß dem Heraklit die unſichtbare Har— monie das ideelle Princip alles Daſeins geweſen und gerade die Aufhebung des ſinnlichen Daſeins von ihm als ein Rückgang in dieſe reine Harmonie beſtimmt worden iſt.

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Licht werfen, indem fie zeigen, daß ſein wahres Abſolute bereits der reine Gedanke iſt, der ſich nur noch nicht als Denken erfaßt hat. Freilich ſind wir einſtweilen auf den Vorwurf gefaßt, mit unſerer Inter— pretation des Bruchſtücks über die Grenzen der vorſokratiſchen Phyſik hinauszugehen. Die heraklitiſche Philoſophie geht aber eben ſelbſt über das hinaus, was man in der Regel unter den Grenzen der vor— ſokratiſchen Phyſik verſteht. Wer aber trotz des Bruchſtücks bei Themiſtius und jenes anderen von dem „Namen des Zeus“, ſowie des ſonſt bis— her ſchon nachgewieſenen, an unſerer obigen Auffaſſung des Fragmentes noch Anſtoß nehmen ſollte, der wird dennoch durch die im Verlauf der Darſtellung hundertfach zu erbringenden Beweiſe hoffentlich überzeugt werden.

Hier können wir einſtweilen nur noch folgendes bemerken: „Unſere Auffaſſung der „unſichtbaren beſſeren (zpstrwv) Harmonie“ als des rein ideellen Princips des gedachten Gegenſatzes von Sein und Nichtſein und ſeiner proceſſirenden Einheit wird auch dadurch beſtätigt, daß das xpeirrov und xpareorov ganz dieſer Bedeutung entſprechend bei den Stoikern zum ſtehenden Terminus für das abſolute Princip ſelbſt wird und von ihnen daher bald als das alles durchdringende Göttliche und Ideelle, für welches und zu deſſen Verwirklichung nur alles Andere (Materielle) vorhanden ſei, bald als die reine Denkkraft gebraucht und beſchrieben wird; vgl. Mare. Anton. V. $ 21. 70% s c H r xparıorov tina, worauf er daſſelbe alſo erklärt: Sort roοτνο To A, ypwp.evov xalndvra örErov, Worte, deren ftreng heraklitiſcher Charakter und Urſprung wir anderwärts hervortreten ſehen werden. Hierauf fährt er fort: Öpoiws d zal av Ev 00: To xpdreoroy Tina (ganz in demſelben Sinne, wie er III. § 9. jagt: / DroAnnrexmv de aeßon) und definirt dies xoarorov aim Menſchen nur als das dem xpdrzorov im Weltall Gleichartige (TO Exeivw önoyeves), als das alles andere im Menſchen nur für ſich, d. h. zu ſeiner Selbſtverwirklichung, verwendende und fein Leben regierende Princip (xa} yap e con ro Tors AAloıs Y- nuevo Todro Eorı xal os los U robrou Örorxeicar) vgl. Epictet. Diss. II. c. 23. T. I. p. 321. Schw. ”Aydowne unt dyapıoros Lobe, pTE nalıy duymuwv T@y xpEt0odvay pEpvnoo 0 dv d)lo Ti 001 os οe xpeitrov ündvrwov Tobrwv (nämlich als Früchte und Wein und alle ſinnlichen Dinge), zpyoöpevov adrois, ro doe uον, Tu . dElav Exdorov Aoytobuevov xa Öbvarar TO ÖLaxXovoDv xpetoocov eival Exeivouv Ötaxovei, Ö Innos Tod Innews; ) ob ο Tod xuyyyod; hier ift alſo ro xpeirroy einerſeits geradezu das Alles durchwaltende Princip, wie wir ſpäter die reine Idee des Gegenſatzes,

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die nach uns Heraflit unter der beſſeren unſichtbaren Harmonie verſteht, oder den Logos, von ihm ſelbſt jo bezeichnet finden werden (Aöyos 0?xovonony To ray, ÖLERWV, deja r rayra .); andererſeits nimmt das zpsirrov eben deshalb ganz aualog der logiſchen Entwickelung, die bei den Stoikern mit den objectiven Beſtimmungen des heraklitiſchen Syſtems überhaupt vor ſich geht, die Bedeutung des 7yzpovexov oder der Denk— thätigkeit an. Man vgl. noch Mare. Anton. V. $ 30.: 6 Tod 6Aov vos

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r , zomwvinds" menoliyze ro JElpw T@y xpeırrövay S, und

VII. $ 55. zarsoxehaorar 62 ra mtv Aoına Twv AoyınWv Everev Ge zul En! rauche ahlov Ta ,I“ xpeırrövwy Evexev und XI. § 18.: pyboıs 7 ra Ola ÖLorxodoa Ei TodTo, Ta yelpova H= xpeirzovov Evexev und IX, 9; zul TO ouvaywyov Ev To xpeitrov: Enrretvönevov ,L, 0lov 0lTE En} gur@v i olre Ent Aldwv 7 S, ,. ef. die von Gataker zu dieſen O. a. St. und Epietet. Diss. II. c. S. und endlich die noch mehr einſchlagende merkwürdige Stelle deſſelben Diss. I. e. 30: qe Tonco zar 6 vob Yzon vonos (Heraklits Logos, worüber ſpäter) xpdrıoros Eorı , Örmarcaros' To zperooov ds! zepiy:vsodw 70 yefoovos ganz wie Heraklit ſelbſt in einem Fragment bei Stob. (ſiehe § 13) von ſeinem „Einen Göttlichen“ ausſagt, daß es naar zepıyiveran. Der ſtoiſche terminus technieus hat alſo in dem zpe/rwy unferes Frag— ments, als dem unterſcheidenden Weſen der intelligiblen (gedachten) Har— monie von der im ſinnlichen vorhandenen, ſeine Wurzel und organiſche Entſtehung*).

Eine andere unſere Auffaſſung des Fragments vielleicht merkwürdig be— ſtätigende Stelle dürfte die des Julianus fein Or. I. p. 7. ed. Spanh.: c-

) Einen ferneren Beweis für unſere Auffaſſung des Fragments liefern jetzt die Worte, die Pſeudo-Origenes IX, 9. p. 281 nach Anführung derſelben äußert: are O .. . (hier find Worte ausgefallen) dravys 6 duparos üyvwaros Aaydpamrors e tobrors JS „„Appovin dparyns gavepns xpeittwv"“ Erawei xa - Hau cet rh Tod ywwazopzvou TO dyvwarov abrod zal döparoy THS Öv- Ahe g. Freilich ift dies nun zunächſt blos eine Meinung des Kirchenſchriftſtellers, aber ſie beſtätigt genau unſere Auffaſſung der unſichtbaren beſſern Harmonie als der reinen Gedankeneinheit, und ſie muß diesmal in Betracht kommen, weil Pſeudo— Origenes dieſe Aeußerung wahrſcheinlich durch den Zuſammenhang bei Heraklit gezwungen ganz gegen ſeinen Zweck thut. Denn er will gerade wegen eines andern Fragments (dawy üdıs, dxon, bung, radra Eyo rporinEw) beweifen, daß Heraklit das Sichtbare und Unſichtbare in gleicher Würde hält und giebt fich deshalb wiederholt ſichtliche Mühe, z. B. IX, 10: odrws hunde,. 2v Tan poipa reherut xu rt Ta S Tols ügpaveawv ws Ey To dugpavis x TO dpavss önokoyoupzvos bg] u. Von der Auffaſſung Schleiermachers, nach welcher

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Houeνονꝗ,it , pera ryV xpeltrova phoıv Tov my Apyyv abrois rapd- syovra, wo man jene Worte keineswegs ganz richtig mit der ſubjectiven Bezeichnung „Gott“ überſetzt und jedenfalls jetzt erſt Entſtehung und con— creter Sinn des Ausdrucks klar ſein dürfte.

mit der beſſern Harmonie die des organiſchen Körpers gemeint ſei, iſt jetzt Zeller p. 468 abgegangen, ohne daß jedoch der Gedanke des Bruchſtücks bei ihm deshalb mehr zu ſeiner richtigen Anerkennung gekommen wäre. Denn er ſagt: „Alles fügt ſich der Gottheit zum Einklang des Ganzen, auch das Ungleiche eint ſich ihr zur Gleichheit, auch das was den Menſchen ein Uebel erſcheint, iſt für ſie ein Gutes und aus Allem ſtellt ſich jene verborgene Harmonie der Welt her, welcher die Schönheit (?) des Sichtbaren nicht zu vergleichen iſt“. Hier wird alſo die ſicht— bare Harmonie als äußere Schönheit gefaßt, was ſchon deshalb ganz unmöglich, weil auch die ſichtbare Harmonie eine verhüllte und innerlich verborgene iſt, wie uns Plutarch in den Worten 87 7 drapopas xrA. (Worte, die Zeller ib. 3. ebenſo wie Schleiermacher auf die unſichtbare Harmonie ganz unrichtig zurückbezieht) und auch das Bruchſtück bei Themiſt. dadurch zeigt, daß auch ſchon die ats eine ver— borgene iſt in erſter Inſtanz, wie in zweiter der Demiurg. Es iſt vielmehr klar, daß das, was Zeller hier als ſichtbare Harmonie hinſtellt, gar keine Harmonie mehr im heraklitiſchen Sinne iſt und was er für die unſichtbare Harmonie hält, gerade dem entſpricht, was Heraklit mit der ſichtbaren (der hte) meint.

83. Bogen und Leyer.

Wenn nun der durch ſo viele Bruchſtücke bekundete heraklitiſche Ge— danke ſelbſt von der das All durchdringenden Harmonie der Gegenſätze keine Schwierigkeit mehr macht, ſo bleibt doch noch die Frage übrig, in welcher Beziehung denn Heraklit für dieſe Welt harmonie das conſtante Bild des Bogens und der Leyer gebraucht habe, ein Bild, welches bei Lichte betrachtet gar nicht ſo einfach und ohne Weiteres verſtändlich iſt, als es auf den erſten Blick vielleicht ſcheinen kann. Denn die Anſicht Schleier—

machers (p. 413), er habe das Bild genommen von dem wechſelnden Aus— 5 einandergehen und Geſpanntwerden der Saiten bei Leyer und Bogen und dieſe Thätigkeit des An- und Abſpannens ſei ihm die Harmonie an Bogen und Leyer geweſen, ſcheint uns, zumal wenn ſie ſo iſolirt feſtgehalten wer— den ſoll und bei der conſtanten Wiederkehr dieſes Bildes bei Heraklit zunächſt Schon gar zu dürftig und äußerlich für den Sinn unſeres Philo— ſophen zu ſein. Und wäre dem ſo, wie Schleiermacher will, ſo wäre dann Jedes von Beiden, Bogen wie Leyer, das totale Bild der Harmonie, auch ohne das andere. Da uns aber nirgends, wo Heraklit ſelbſt angeführt wird, Leyer oder Bogen iſolirt als Bild ſeiner Harmonie begegnen, auch nie durch 7, ſondern ſtets durch * verbunden, jo muß es ſchon hiernach den Anſchein gewinnen, als ſei jedes von beiden, Bogen wie Leyer, nicht totales Bild der Harmonie, ſondern jedes nur Ein Moment gegen das andere ihm entgegengeſetzte und die Harmonie ſei eine Harmonie des Bogens mit der Leyer als innerer Gegenſätze.

Weit geiſtvoller und wahrer ſchon faßt Syneſius das Bild hin— ſichts der Leyer auf, in einer Stelle, in welcher er den Epheſier zwar nicht nennt, aber doch offenbar auf die Sentenz deſſelben anſpielt, de Insomn. p. 133. A.: „— 00 yap &orıy 6 xoonos To ünkwg Ev, AAAa To Ex nollay Ey xal Eorıy Ev adTo nEpN HEPEOL TPOEHYopa xal MafOnEva xal Tys oraosws ahrav eis TNy Ton mayrog Öpovolav ouugpwvohons,

Gene ij Abpa obornma goyywv Eariv dvrepmvmv TE xal auupWvwv

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% ' SS ayrıxsındvou Ev, üppovia xzal Abpas xal x00p.ov“, „Denn nicht iſt die Welt ein einfach Eines, ſondern ein aus vielen Geeintes und es ſind in ihr die Theile mit den Theilen befreundet und kämpfend, indem ſelbſt die Zwietracht derſelben in den Einklang des Alls zu— ſammenſtimmt, wie auch die Leyer ein Syſtem iſt von gegenklingenden und zuſammenklingenden Tönen. Aber alles aus Gegenſätzen Eine iſt Harmonie ſowohl bei der Leyer als beim Weltall.“

Hierin liegt bereits die Einſicht, ſowohl daß die Leyer bei Heraklit an ſich ſelbſt Symbol der kosmiſchen Harmonie, als auch daß eben deswegen das Harmoniſche in ihr in keiner rein äußerlichen An- und Ab— ſpannung der Saiten, ſondern in dem die Diſſonanzen zum Einklang ord— nenden, die Gegenſätze einenden Weſen der Muſik“) beſteht. Dies

) Schon hiernach alſo muß es unmöglich ſcheinen, ſich bei der jetzt von Bernays Rhein. Muſ. VII, 94 gegebenen Erklärung zu beruhigen, nach welcher Heraklit bloß mit Rückſicht auf die äußere Form der Leyer und des Bogens dieſelben als Bild der Harmonie gebraucht habe, weil nämlich der ſeythiſche und altgriechiſche Bogen, der an den Enden ausgeſchweift, einer Leyer in Geſtalt ſo ähnlich ſei, daß es auch bei Ariſt. Rhet. III, 11. 1412: r goppeyf dyopdos heißt. Auch Zeller p. 466, 2. tritt dieſer Erklärung bei. Außer den Stellen des Syneſius und Apulejus und der im obigen Verlauf poſitiv gegebenen Darftellung unſerer Anſicht ſcheint es uns aber auch aus vielen Gründen unmöglich zu ſein, die Harmonie durch die bloße Rückſicht auf die äußere Form jener Inſtrumente zu erklären. Dies wäre dann ſchon jedenfalls unmöglich, wenn man erſtens nur irgend welches Gewicht auf die bald anzuführende, bisher unbeachtete Stelle des Jam— blichus legt, wo ftatt des Bogens der Pfeil und die Leyer gebraucht wird und ich glaube nicht, daß man dieſer Stelle nach ihrem ganzen Zuſammenhange ihr Gewicht wird verſagen können; zweitens bleibt dann das Bruchſtück bei Porphyrios, wo von der Weltharmonie als ſolcher (und ohne von der Leyer zu ſprechen) das ro&eserv ausgeſagt iſt, unbegreiflich, während ſie ſich im obigen Zuſammen— hang auf das befriedigendſte erklären wird; drittens würde ſich auch das Bruch— ſtück bei Plato nicht coneret begreifen laſſen und ebenſowenig viertens, wie Bogen und Leyer dann dazu kommen, ein angemeſſenes Bild der Weltharmonie ſein zu ſollen. Es müßte dann auch jedenfalls fünftens nur das Beiwort ννννπνννν, welches in der That ein Epitheton des Bogens iſt, lauten können, nicht makı- rooros, weshalb Zeller auch wirklich erſteres vorziehen will. Aber nicht nur find die Stellen, in welchen es zaAwrporxos heißt, noch häufiger, ſondern wir werden ſpäter ($ 26 bei Analyſe des platoniſchen Politikus) ſehen, daß gerade das e „hto vorzüglich ächt und ſignificativ ift, aber eben einen ſolchen Sinn hat, welcher ſchlechterdings nicht durch Beziehung auf eine äußere Form erklärt werden kann. Uebrigens würde ſich dann auch das πιννοναος wohl von dem Bogen oder der Leyer ſelbſt, aber ſchwerlich von der Harmonie beider erklären und gerade als Beiwort dieſer, nicht der Inſtrumente ſelbſt, erſcheint es bei Heraklit. Endlich wird ſich aus § 26 aus der Aufzeigung des phyſiſchen Inhalts dieſer e, τuνανν.

MW

beftätigt ſich auch durch den den Pſeudo-Ariſtoteles de mundo J. J. pa- raphraſirenden Apulejus: Sie totius mundi suorum instantia initiorum inter se impares conventus, pari nee discordante consensu Natura veluti musicam temperavit; namque uvidis arida et glacialibus flammida, veloeibus pigra, directis obliqua, confudit; unumque ex omnibus et ex uno omnia, juxta Heraclitum constituit. (vgl. Aeneas Gaz. a. o. [p. 95.] a. O.)

Verhält es ſich aber offenbar mit der Leyer ſo wie Syneſius ſagt, ſo wird die Frage um ſo ſchwieriger und ſcheinbar unlöslicher, in welcher Hinſicht denn auch der Bogen das Bild einer ſolchen Weltharmonie und eine Einigung von Gegenſätzen in ſich darſtellen oder vielmehr als ent— gegengeſetztes Moment und Ergänzung zu der in der Leyer vorhandenen Einen Seite der Weltharmonie dienen könne.

Wir können daher nicht umhin, dem von Creuzer) geworfenen Blicke beizuſtimmen, welcher in Leyer und Bogen bei unſerem Philoſophen kosmiſch-ſideriſche Symbole ſieht, wofür er das von Pauſanias?) be— ſchriebene Bild anführt, welches den Eros darſtellt, wie er nach abgeſchoſ— ſenem Pfeile den Bogen niederlegt und die Lyra ergreift; ein Bild, welches ſchon Winkelmann?) als eine Verſinnbildlichung der pythagoraeiſchen Welt— harmonie erklärt, wobei Creuzer noch auf die Verbindung von Bogen und Leyer in ſinnvollen Anſpielungen der Poeten aufmerkſam macht ).

durch den Politikus von ſelbſt ergeben, daß Bogen wie Leyer ſchlechterdings als Symbole des ſideriſch-kosmiſchen Proceſſes und ſeiner beiden begrifflichen Gegenſätze, der Umwandlung in die Vielheit und des Rückgangs in die Einheit, ge— nommen werden müſſen, eine Bedeutung, die bei bloßer Beziehung auf ihre äußere Form ja keinesfalls an ihnen vorhanden iſt.

Ich kann daher Bernays Beziehung nur als hinzutretend zu der oben ent— wickelten ſubſtantiellen Bedeutung acceptiren.

Hier ſtehe übrigens das ähnliche Bruchſtück, welches jetzt bei Origenes IX, 9. p. 280 ſich findet: „od Fuvtaaıy öxws drapsponevov Ewuro Ömokoyesıy rnaktvrponog Apmovin Oxws rnep TöEon , Adpns“. Aus %. muß man jedenfalls wohl et machen. Ob aber hinter dem Worte ein Punkt zu ſetzen iſt (da man dann doch hinter wadvr. ein yap erwarten dürfte), kann fraglich ſcheinen.

Sollte übrigens Heraklit ein bloß formelles und dann höchſt oberflächliches Bild, welches in dieſer Unterſtellung mit der wahren Bewegung der Gegenſätze bei ihm in gar keiner Verbindung ſtand, ſo oft abgehetzt haben?

1) Symbolik und Mythologie T. II. p. 599. 3. Ausg.

2) II, 27. 6 3.

3) Description, de pierr. grav. de C. de Stosch. p. 143.

4) Er führt an Lycophron. Cass. v. 914 sq. ib. Schol, und Anmerkung

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Allein dieſe Aeußerung bedarf offenbar noch einer näheren, den jenen Symbolen zu Grunde liegenden Gedankeninhalt und Gegenſatz und die allmähliche Fortbildung der urſprünglichen Anſchauung klar entwickelnden Ausführung, die wir in dem Nachſtehenden umſomehr nur in gedrängteſter Kürze anzudeuten verſuchen, als wir ſpäter ohnehin das theologiſch-ſymboliſche Darſtellungselement bei Heraklit ausführlicher nachzuweiſen haben werden.

An der Sonne wurden ſich die Völker des Alterthums metaphy— ſiſcher Gegenſätze bewußt. Als der regelmäßige Zeiteintheiler und durch die früh zum Bewußtſein gekommene Geſetzmäßigkeit ihrer Bewegung und der des geſammten Syſtems der Himmelskörper bot ſie dem religiöſen Sinn die große Anſchauung der allgemeinen Harmonie des Univerſums, der ſich in Eins ordnenden allgemeinen Einheit des Weltalls dar. So war ſie das abſolute Centrum, der große allgemeine Mittel— punkt des Seins. Von der andern Seite aber wurde dieſes reine Centrum auch als emanirend angeſchaut. Der allgemeine Lichtkern fließt hervor zu dem einzelnen, für ſich ſeienden Strahl und fließt aus demſelben wieder in ſich zurück. Die Sonne iſt der ſtarke, ſtrahlenſchießende Gott. Der abgeſchoſſene Sonnenſtrahl iſt der Pfeil (ſ. Baravadja's Hymnus auf Aurora im Rig. Vedae Specimen P. 7. ed. Fr. Rosen. London 1830 und Eusthat. ad Odyss. XX, 156 sdd. p. 727, 38 sdd.; man vergleiche, was Creuzer über Abaris ſagt, im 2. Bd. der Symbol. und Mythol.). Der Pfeil bleibt darum die einzige Waffe, die auch noch an Apollo hervortritt. Mithras, Dſchemſchid, Chryſaor ſind ſolche ſolariſche Perſonificationen, die den goldenen Sonnendolch tragen ).

p- 148. Reich. und Vol. II. p. 875 sq. ed. Müll., Reich. jagt dabei u. a.: quem- admodum heie lyrae de telis dicuntur, ita vicissim Pindarus cantica sua Iyrica vocat tela et hh per translationem de arcu dieuntur.

1) Noch Stellen ſpäter heidniſcher wie chriſtlicher Autoren, bei denen ſich längſt die dunkle ſymboliſche Anſchauung zur Durchſichtigkeit des klaren Gedankens aufgehellt hatte, und als daher die Sonne längſt aus der Sache zum bewußten Bilde der Sache geworden war, laſſen deutlich genug die Gegenſätze hervortreten, deren Beziehung auf einander die Sonne dem Anſchauungsſinne der alten Völker darbot. Athenagoras (leg. pro Christ. p. 40. ed. Dech.) ſagt von dem in den Propheten wirkenden heiligen Geiſte, aröpporay eivar j] od Weod, dm aul Eravagpspöpzvov, ds Arriva nilov „er ſei ein Ausfluß Gottes, hervor— fließend und in ihn zurückreflectirt, wie der Sonnenſtrahl“. Seneca, Epist. 40: Quemadmodum radii Solis contingunt quidem terram, sed ibi sunt, ubi mittuntur; sic animus magnus et sacer et in nos demissus ut propius divina nossemus, conservatur quidem nobiscum, sed haeret origini suae: illine pendet, illue spectat ac nititur; nostris tamquam me- lior interest, womit zu vergl. id. de beat. vit. c. 8.: Mundus cuncta com-

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Aber dieſe Seite wird auch, und ift ſchon an ſich, als das ſich aus dem allgemeinen Centrum losreißende, für ſich werdende Princip der Ein— zelheit, das Princip des Negativen, der Thätigkeit und der Vernichtung.

Dieſes negative Weſen, dies Princip des Vernichtens, tritt auch wie eine Nachtſeite, wie ein dunkler Naturhintergrund noch aus der helleniſch— geiſtigen Geſtaltung des Apollo oft unverkennbar hervor. Der Nacht ver— gleichbar wandelt er bei Homer, mit feinen Pfeilen ſendet er die Peſt ), von ſeinem Pfeil weggerafft ſind die plötzlich Gefallenen. Er iſt der Verderber. Und fo etymologiſirte ihn ja ſchon der alterthümliche Aeschylos Agamemn. v. 1090, 91. ibig. schol.; Euripid. Orest. v. 1389, vgl. Valken. ad Phoeniss. p. 12. und Plato, Cratyl. p. 404. E. p. 108. Stallb. ranrov o Au reh roy Anöllw, le )Eyw, roAlo! reg GHU nep! övona Tod deon, ws re dervöov unvdbovros, wo wohl darauf geachtet werden muß, daß nicht von Plato im Cratylus dieſe Etymologie des Apollo als Verderber vorgenommen, ſondern dieſe Etymologie als eine allgemein bekannte und vielfach angenommene vorausgeſetzt und zweimal im Dialog auf ſie angeſpielt wird (man vergl. über das Ver— hältniß der Etymologieen im Kratylos zu Heraklit die letzten SS der Lehre vom Erkennen).

Jene ſideriſche Harmonie hatte früh ihr entſprechendes Bild gefunden in der Harmonie der Töne; ihr Symbol wurde die Leyer, die ſo zu— gleich das Bild iſt der harmoniſchen Bewegung der Himmels— körper. Apollo iſt die Perſonification der ſideriſchen und Tonharmonie und führt als ſolcher die Leyer?), umwandelnd das Weltall. So hatten

plectens, rectorque universi Deus in exteriora quidem tendit sed tamen in totum undique in se redit; idem nostra mens faciat, cum secuta sensus suos per illos se ad externa porrexerit et illorum et sui potens sit et in sese revertatur.— Minutius in Octav. c. XXXII, S: Deo cuncta plena sunt; ubique non tantum nobis proximus sed infusus est. In solem adeo rursus intende. Coelo affixus est, sed terris omnibus sparsus est; pariter praesens ubique interest et miscetur omnibus. So etymologiſirt Mare, Anton. VIII, 57. den Strahl, Aris, als Ausgießung der Sonne, Ades yodv al abu abrod and rod Exreiveodae Akyoyres, und noch Chriſtus wird nicht blos Sonne der Gerechtigkeit ( FAtos dezawasvns, |. in Boisson. Anecd. Gr. T. IV. p. 131. T. V. p. 161.), ſondern von dem h. Gregor. Naz. (Orat. XLV. p. 720.) geradezu der Strahl des Vaters genannt: 6 TC 6 Auetspos xa To rvebna ro "Aytov, ,, Ötldunos roh Ilarnòs dx Nl.

1) Auch bei den Aegyptern ſendet die Sonne die Peſt; ſiehe z. B. Clem. Alex. Strom. V. c. 7. p. 670. Pott.

2) Die Leyer ſcheint überhaupt ſeit je das Symbol der Einheit, durch alle Stadien der Auffaſſung dieſes Gedankens, von ſeiner naturaliſtiſchſten bis zu ſeiner

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ihon die Pythagoräer gelehrt (vgl. die ſchöne Ausführung Plato's de Rep. VII. p. 530 D., wie die Sternkunde nur daſſelbe für die Augen was die Klangbewegung für die Ohren und die über dieſe pythagoräiſche Lehre von Aſt zu d. O. (p. 570) beigebrachten Stellen; ferner vgl. Plutarch. de anim. ger. in Tim. p. 1029. p. 187. Wytt., Procl. in Aleib. I. p. 204. ed. Cr.), und auch die Pythagoräer folgten darin uur älterer orphiſcher Lehre; man ſehe z. B. den Hymn. Orph. XXXIV. (ed. Herm.) v. 16: „od de rdvra mölov zıdapn roluxperrw ippöfers“ sqg. nebſt den In— terpreten !) und vergleiche damit die andere Etymologie des Apollo in Plato's Cratyl. p. 405. D. p. 111. Stallb.: „— zal Evradda mv b rohnaıv za! reh, c obpavbv, obs d mokous zalobar, xa! mepl cyv ev TH won Appoviav, 7 d ovuywvia xalsirar, Ort TaDra ravra, bs gage ot zopdor nept Movoızyv zal dorpovoniav, &p- novia zıyınolsiäna ndvra: Entorarsiözobroso Nie : movia ÖnoroiA@v aDTa nayra n xara He h zur dvdBowrous?).

Aber wie die That des helleniſchen Geiſtes eben dieſe iſt, das Natür— liche geiſtig zu verklären und zur rein menſchlichen Geſtalt herauszuringen, ſo entwickelt ſich als Endpunkt dieſes langen Proceſſes aus den An— fängen der ſideriſch-kosmiſchen Harmonie die freie Geſtalt des mu— ſiſchen Gottes, Apollo Muſagetes. Die harmoniſch-geordnete Bewegung des Natürlichen verinnerlicht ſich nach und nach in den Träger geiſtiger Harmonie und Einheit. Jetzt wird die Leyer zum geiſtigſten Wendung geweſen zu ſein. Horapollo (II. 116.) lehrt, daß die auch unter den Hieroglyphen auf Mumiendecken vorkommende Lyra das Zeichen eines die Eintracht befördernden Menſchen ſei.

1) ef. Lucian. de Astrol. 10. T. V. p. 219. Bip.: 7 d Adpn ÜOpgpews) Erra- uros £odea, Tyy r zweonevwv dr,‘ üpnoviyy ovveßahlero; noch a. St. bei Lobeck Aglaoph. p. 943 sg. (bekanntlich wurde Orpheus Lyra auch von Apollo unter die Sterne verſetzt). Auch die Kirchenväter zollten dieſer Symbolik ihren Beifall z. B. Gregor. Naz. Orat. de Paup. Amore ed. lat. Cöln 1575: Quis tibi hoc dedit, quod coeli pulchritudinem comis, solis cursum, Lunae ortum, siderum multitudinem eamque quae in his omnibus velut in lyra elucet, concinnitatem atque ordinem semper eodem modo se ha- bentem.

2) Die bekannte Scherzhaftigkeit der meiſten Etymologieen im Cratylus ver- ſchlägt hier auch für das Alter der Anſchauung nicht. Jene ironiſche Scherz— haftigkeit bezieht ſich hier eben nur auf die etymologiſche Herausdeutelung des We— ſens des Gottes aus ſeinem Namen. Das in ſcherzhafter Weiſe in den Namen hineingekünſtelte Weſen ſelbſt des Gottes dagegen iſt und mußte auch gerade zur größeren Wirkſamkeit der Ironie offenbar das wahrhaft reale und in der geiſtigen Auffaſſung bekannte Weſen des Gottes ſein.

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Symbol der Bildung (ſ. die Beweiſe bei Raoul-Rochette in den Mo- numents inedits Par. 1828 p. 236 sq.). Der Sonnenpfeil ſeinerſeits ent- wickelt ſich zum Apollo 084, zur Geſtalt des heitern, jagdliebenden Gottes und nur manchmal noch tritt, wie eine dunkle Erinnerung, ihr Urgrund, das Princip des Negativen, des Verderbens, an ihr hervor. So iſt Apollo nur die lebendige Einheit der beiden Gegenſätze, die als Attribute neben ihn treten, der Leyer und des Bogens, des Princips des All— gemeinen und des Negativen. Jetzt verſtehen wir auch das Bild des Eros, der nach abgeſchoſſenem Pfeil den Bogen niederlegend die Leyer ergreift (bei Pauſanias und Winkelm. a. a. O.). Apollo iſt die Einheit der Welt, wie die alten Theologen ſagten (man ſehe nur Plut. de E ap. Delph. p. 389. p. 593. Wytt. ef. unſere Ausführung über dieſe Stelle unten 8$ 10. 11), aber er iſt bereits in ſich ſelbſt die Einheit des Gegen— ſatzes, der großen Zweiheit von Bogen und Leyer, der allgemeinen Har— monie und des Princips des Negativen. Hier genüge für Vieles eine bedeutungsvolle Stelle eines platoniſchen Denfers, Maxim. Tyr. Diss. X. P. 182. Reiske: Zuvi/yp: zar rod Amoilavos, Togorys 6 deos xal pobo:rzos, za! g hei abrob zyv appoviav, goßodpa: de nv ro&efav. „Ich verſtehe auch den Apollo, Bogenſchütze iſt der Gott und der Tonkunſt Gott; und ich liebe ſeine Harmonie, und ich fürchte ſeine Toxeia“ (d. h. die Seite ſeines Weſens, nach welcher er Bogenſchütze iſt). Da haben wir wieder dieſe beiden Gegenſätze, die in Apollo geeint ſind, Harmonie und Bogen, und die Zerlegung des Gottes in dieſe beiden Mo— mente nennt Maximus ſein Verſtändniß des Gottes (SY⁹⁹ ̊ν Jenes liebt, dieſes fürchtet er.

So iſt dem Heraklit die Harmonie, wie in jenem Bilde der Eros, wie in dieſer Stelle des Maximus Apollo, eine Harmonie der Leyer mit dem Bogen, des Allgemeinen und des Negativen, der ſich zur Einheit auf— hebenden Bewegung des Vielen und des in die Einzelheit und den Unterſchied emanirenden Hervorgehens des Einen, Gegenſätze, die ja überall ſeine ganze Philoſophie regieren; und nun werden wir auch beſſer die ganze conerete Beziehung ſeines Ausdrucks verſtehen in dem oben aus Porphyrios angeführten Fragmente: „maAwvrovos 7 apmovfa,n roseheı de c Evavrkov, welches wir oben überſetzten: „Sich in ihr Gegentheil wendend iſt die Harmonie, welche durch die Gegenſätze ſchießt“ (ſiehe p. 96).

Jetzt wird auch klar ſein, wie in dieſem Fragmente die Harmonie nicht mit dem Bilde der Leyer und des Bogens, und noch weniger des Bogens allein, verglichen iſt, ſondern daſelbſt weiter gegangen und von der Harmonie ſelbſt das rofesew, das Bogenſchießen, als ihre eigene

Thätigkeit angeſchaut und ausgefagt werden konnte. Es iſt ja in der That ein begrifflich nothwendiges Moment für die Harmonie, daß fie aus ihrer centraliſchen Einheit ausſtrahlt, ſich in die Einzelheit entläßt und aus dieſer wieder in ihre Einheit zurückkehrt. Sonſt wäre ſie gar nicht Harmonie im heraklitiſchen Sinne, wenn ſie nicht ſelbſt dieſen Gegenſatz in ſich faßte und einte.

Jetzt werden wir auch noch deutlicher als bisher die Beiworte za- Alvrovos und raff, verſtehen, die bei Heraklit für die Harmonie der Leyer und des Bogens ſtändig ſind und von denen in wörtlicher Ueber— ſetzung das Erſte heißt: zurück- oder rückwärts gewendet, geſpannt und das zweite: ſich zum Gegentheil wendend

Nur das erſte von beiden iſt das bei den Dichtern häufige Beiwort des Bogens, oder vielmehr einer gewiſſen Art deſſelben. Beide aber kommen in dem Begriffe überein: einer durch ſich ſelbſt in ihr Gegentheil umſchlagenden ſich wieder rückwärts wendenden Bewegung, wie auch der Sonnenſtrahl die zum einzelnen Daſein herausfließende und ſich wieder in den allgemeinen Mittelpunkt zurückergießende Bewegung des Centrums iſt. Jetzt werden wir daher jenes Fragment etwa überſetzen können: „Sich in ihr Gegentheil wendend, oder rückfließend iſt die Harmonie, welche durch die Gegenſätze ſich ergießend dringt“, indem wir das doSs hett) in ein unſerem Sprachgenius homogeneres und jene ur— ſprüngliche ſymboliſche Beziehung doch beibehaltendes Bild auflöſen. Auch die oben beſprochene Stelle des Simplicius begreift ſich jetzt um ſo beſſer, daß das Gute und Böſe in daſſelbe zuſammengehen (Ses radro oyvıevar) wie der Bogen und die Leyer. Die Harmonie wird hier nicht erwähnt, ſondern geſchildert durch Auflöſung in ihre beiden entgegen— geſetzten Momente und das Spiel ihrer in einander übergehenden Be— wegung. Auch das begreift ſich jetzt erſt, warum Leyer und Bogen

1) Dan vgl. beiläufig eine nicht unintereſſante Stelle des gelehrten Nicephorus Chumnus mit der zwar durchaus nichts bewieſen werden ſoll, obwohl ſie ſchwerlich blos dem Witz dieſes Mannes ihre Entftehung verdankt, in den Anecd. graec. ed. Boiss. T. III. p. 382: o die ro Plaopnpeiv, xd ro rofeder, eis obpavov a rpoaridns, brompryerw, Tdya zal roy aoy E d ι,ñj; Tozorny, ws sinep hneis eis rc r &v re dorpan fowv, xploy Tuyoy 7 Toy rab, Tofed- ohe, abrös za nuav eαιν Erapnası rerupwpeya rs dvra EE aldepos Ta Bein, ru Baror du auyva ty» gapkrpav Okny zevov. "lows ru roy nd dyava ob Ha Aera g eis Eyraderov Öriteny abrò dd od ri ye fh e Öp- pPwöoönsr" 6 yap “Yönoydos sbs Erapy£or Yür, Evayria ra Toforn xe- vov zar yEwn.

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(was doch in allen Stellen über dieſe Harmonie entſchieden hervortritt) gerade fo wie das Gute und Böſe, oder richtiger wie das Auseinander— treten und ſich mit ſich Einigen (des Einen), von Heraklit als ſtricte und abſolute Gegentheile, als die ſeinen begrifflichen Gegenſätzen ent— ſprechenden und ſie an ſich habenden Gegentheile, gebraucht werden konnten. Sein abſoluter Begriff iſt dieſe thätige Einheit des Sein und Nichtſein, des Hervorfließens des ideellen Einen in die Einzelheit und ihre Unterſchiede, und des Rückgangs dieſer in jenes Eine und ſein allgemeines Werden, wie der Sonnenſtrahl die aus ihm hervorfließende und wieder in ſich zurück— kehrende Bewegung des Centrums iſt, wie Apollo die Einheit des Bogens und der Leyer iſt. So erſt giebt beſonders auch das oben aus Plato angeführte Bruchſtück (p. 90): „Denn das Eine auseinandertretend (ſich unterſcheidend) tritt mit ſich ſelbſt zuſammen (eint ſich mit ſich) wie die Harmonie des Bogens und der Leyer“ einen beſtimmten und comereten Sinn. Denn jetzt erſt iſt der Vergleich klar; es iſt klar, wie ſo das ſich Einigen und Auseinandertreten, das avuysponevov und Öragspöpevov, mit einer Harmonie des Bogens mit der Leyer verglichen werden kann, was bei einer Beziehung auf die bloße äußere Form beider, die mit dieſen begrifflichen Gegenſätzen nichts zu thun hat, ſtets unlösbar bleiben mußte. Der Bogen iſt die Seite des Hervorfließens der Einzelheit und ſomit der Unterſchiede, die Leyer die ſich zur Einheit ordnende Bewegung derſelben. Und wie alſo Apollo nicht gedacht werden kann ohne beide Seiten ſeines Weſens, ſo ſind jene dieſelben verſelbſtändigenden At— tribute ſelbſt nothwendig ineinander übergehend, der Bogen wird immer zur Leyer und umgekehrt, oder er einigt ſich mit ihr, geht in daſſelbe mit ihr zuſammen, wie Simplicius ſagt ).

1) Auf dieſe ſymboliſche Bedeutung von Bogen und Leyer bei Heraklit ent— hält es daher wohl gewiß eine Anſpielung, wenn Jamblich in dem Brief an Dexippos (ap. Stob. Serm. T. 81. p. 472. T. III. p. 126. Gaisf.), wo er von der dialectiſch-ſymboliſchen Auffaſſung ſpricht und nachdem er eben das Fragment Heraklits vom Apollo, der nicht ſpricht noch verbirgt, ſondern andeutet (wo— durch der Gott nach Jamblich ſeine Hörer zur dialectiſchen Erforſchung erregen will) angeführt und nachdem er ferner ſich auf die bekannte Ausdeutung jenes unter „höl— zernen Mauern“ Schiffe verſtehenden Orakelſpruchs durch Themiſtokles bezogen hat, fortfährt: ohne dieſes Verſtändniß ſeien daher weder „der Pfeil noch die Leyer, noch das Schiff noch irgend anderes etwas nütze“ (% Av bxurernz % g, ore Abpn, obre rab, o A)lo ohd:y Ave , g Ai ανεν - vor diu core E“. Indem hier aber an Stelle des Bogens der Pfeil auftritt, iſt es klar, daß hiernach nicht in der äußeren Form des Bogens, ſondern in ſeinem Weſen die Beziehung liegt (wie die Muſik bei der Leyer), welche ihn zum ſymboliſchen Bilde der Harmonie oder vielmehr einer Seite derſelben qualifieirt.

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Leyer und Bogen aber, dieſe Symbole feines Gedankens ), griff Heraklit aus dem apolliniſchen Cult, dem er auch ſonſt zugethan war gegen den orgiaſtiſchen Dionyſosdienſt, wie wir ſpäter noch ausdrücklicher ſehen werden, und liefert hierin wiederum eine Beſtätigung für ſein im zweiten Capitel auseinandergeſetztes Verhältniß zu den religiöſen Kreiſen.

1) Nach unſerer ganzen bisherigen Entwickelung hebt ſich das in der Schleier— macher'ſchen Darſtellung der Harmonie p. 410 418 theils Irrige, theils Unzurei— chende von ſelbſt auf, ſo daß ein Eingehen auf dieſe im Einzelnen überflüſſig iſt.

§ A4. Der Streit. Die Dike.

Wenn hiernach Alles was exiſtirt nur durch die in ihm vorhandene Harmonie, dieſe ſelbſt aber die Identität der immer in einander übergehen— den Gegenſätze iſt, ſo iſt auch der Zuſammenhang ſehr natürlich, in wel— chem Ariſtoteles (Eth. Nicom. VIII. c. 2.) auf die Worte: „Aus dem Sichunterſcheidenden die ſchönſte Harmonie“ unmittelbar folgen läßt: „und Alles werde nach dem Streit“ (zu nayra zar' Epıv yivsadar). Auch dies ſcheinen Heraklits eigenſte und hier nur in indirecter Rede mitgetheilte Worte zu ſein. Dies ſcheint zunächſt hervorzugehen aus einem ziemlich verdorbenen Bruchſtück bei Origenes!) : „— 9 (nämlich Celſus) Herd wa rölspov alvirreoda: vobs ralarods, Hodzkerzov ne AEyovra Gòe · „Ei d& ypn rov nölenov Eövra Euvöv xal Alknv Epeiv za! yıvönsva ndavra xaT Epıv X ypsopeva“, wo ich von Herzen der Verbeſſerung Schleiermachers beiſtimme: See zpy zul Irzmy Epev, und hiernach überſetze: „Man muß wiſſen, daß der Krieg das Gemeinſame iſt, und der Streit das Recht (die Dike), und daß nach dem Geſetz des Streits Alles wird und verwendet wird“ (oder wörtlicher: „und ſich bethätigt“).

Denn ich ſehe nicht ab, warum man nicht jo das ypsopeva überſetzen ſoll, ſtatt es mit Schleiermacher (p. 419) „unverſtändlich“ zu finden: zpdopar hat ganz die Bedeutung, daß ein an ſich berechtigter Beſitz einer Sache oder ein Zuſtand durch die wirkliche Anwendung in das actuelle ſich äußernde Daſein tritt, reelle Bewährung erhält.

Das anſichſeiende Recht, das der Streit auf die Dinge hat, weil ſie ihm nämlich ihre Exiſtenz verdanken, würde hier alſo durch das e ) rar She ausgedrückt fein, und das zpeopeva beſagte dann, daß dies Geſetz des Streites, aus dem die Dinge entſpringen, nicht nur ihr Urſprung ſei, ſondern auch in ihrer Wirklichkeit ſeine Bewährung und Be—

1) eontr, Cels. VI. p. 663. ed. de la Rue.

re

thätigung finde, indem fie nad) demſelben Geſetz auch in ihrem actuellen Daſein verwendet, gebraucht und aufgezehrt werden !).

Daſſelbe yvöneva navra zar’ Epev theilen uns dann, nur in abſtracteren und dem Heraklit ſelbſt daher nicht zuzutrauenden Ausdrücken, Stellen

1) Delarue überſetzt daher bereits ganz richtig: omniaque ex discordia gigni et adwinistrari, „daß Alles durch den Streit werde und verwaltet werde“. Die Richtigkeit der obigen Auffaſſung beſtätigt ſich auch durch die of— fenbar dieſer Quelle entfloſſene ſtoiſche Bezeichnung „ro Zpwpevov“ für das alle Exiſtenz durchwaltende Princip. Dieſes iſt das To race ypwpevov oder ro ypopsro, ſchlechtweg als Dasjenige, was allein wahrhaft exiſtirt, indem es alles Andere, das ſinnlich Exiſtirende, nur zu ſeiner eigenen Selbſt— verwirklichung und Bethätigung gebraucht und verwendet. Hieraus entſprang dann weiter der abftracte ſtoiſche Terminus 7 ypporırn Ödvapıs als Bezeichnung der Denkkraft. Jener heraklitiſche Urſprung ſowie der obige Grund— gedanke und die angegebene Entwickelung der Bedeutung des Ausdrucks treten noch ganz deutlich in vielen Stellen hervor, ſiehe z. B. die ſchon oben wegen des zpstoooy (p. 102 sq.) angeführten Stellen, beſonders Marc. Anton. V. 8 21: Id & r z0onw ro zoarıoroy ria: Zarı ο Todro, TO räct YpwWpevov zal ndvra ÖLErov: Önolws ÖE za tüv &v 00 TO xparioroy tina: Sort de rodzo, TO Ö Exreivw Önoyeves‘ zal yap Eni oouv TO Tois t nevov rohr score xd, 6 oos Pos br Todron Ötorzsitar, „von Allem, was in der Welt exiſtirt, das Beſte verehre. Es ift dies aber das alles Andere für ſich Verwendende und Alles Durchdringende; gleicherweiſe verehre auch von Allem in Dir das Veſte. Es iſt dies aber das Jenem Gleichartige. Denn auch bei Dir iſt dieſes das, was ſich des Anderen bedient und Dein Leben wird von ihm durchwaltet“; cf. Epictet. Diss. II. c. 23: Ho d fre Aldo Ti oor d. Öwxe xpeitroy ändvrwv Tobrwv, TO Xpnoopevov adrois, TO j o, TO H da Exdorou koywbusvovy nos oby Öbvaral , di Öbvanız xpeie- owy elvar radıns, , xa rols Jorrals Ötardvors gi rt zart doxınafeı abrn Exaota Tis Erslvwv oldev, Öröre det hi ot abrn xd rote i; ri sort TO ypwpevov; mpoatpears xv. ).

) Auch Zeller p. 465, 2. tritt Schleiermachers Verbeſſerung des Bruchſtücks bei, äußert aber gleichfalls, daß er jo wenig wie dieſer mit dem yocwveva anzufangen wiſſe. Der Gedanke unſerer obigen Auffaſſung beſtätigt ſich jetzt übrigens auch durch das Fragment bei Pseudo-Orig. IX, 9. p. 281: „rölsnos ravrwy e rarnp &orı, ndavrwv O8 Baarlebs xa robs ne Neos Sd eee, 1005 e dvdpwrous' ro nev Ödobklous Erolimos, Todbs ο Elevdepous“. Der Gegenſatz von Götter und Menſchen wird fpäter klar werden. Hiervon jetzt noch abſehend beſagt alſo das Fragment: Der Krieg iſt der Vater und König aller Dinge und die Einen macht er zu Sklaven und die Andern zu Freien“, d. h. wie der Krieg das ontologiſche und kosmologiſche Princip iſt, dem die Menſchen ihr Daſein verdanken, ſo iſt es auch dasjenige, nach welchem ſie nun auch aetiv ihr Leben geſtalten, ſich wieder aufreiben ꝛe. Kosmologiſches und Ethiſches fällt eben bei Heraklit in Eins zuſammen.

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mit, wie die des Diogenes Laert.: „yivaodar zavra xu sNανν, Mr, „es werde Alles nach der Gegenſätzlichkeit“ oder: „G vie Evavrıorponns npnsosa: ra övra“?), „durch die Umwendung in das Entgegengeſetzte (d. h. alſo durch das Geſetz des Gegenſatzes) werde das Seiende zu— ſammengefügt“, wo in dem %, welches überdies noch den Begriff der harmoniſchen Ordnung enthält, gewiß ein wörtlich heraklitiſcher Aus— druck vorliegt und die Evavroorporn eine um ſo treffendere, wenn auch nicht ihm ſelbſt zugehörige Bezeichnung ſeines Geſetzes des Gegenſatzes iſt, als in derſelben der Gegenſatz ſchon als proceſſirender, durch ſich ſelbſt in ſein Gegentheil umſchlagender, ausgedrückt iſt. J

Nur eine ſinnlich-concretere Form für dieſe Entſtehung alles Seienden nach dem Geſetz des Gegenſatzes bieten jene Bruchſtücke des Epheſiers dar, in welchen er den Krieg den Vater aller Dinge nannte. So bei F "Hoaxlerros eis rabryv (se. Evavriwar) anıöov Se „„ naryp navrwv““, der Krieg ift der Vater aller Dinge“ und ebenſo derſelbe Autor noch einmal in indirecter Rede: „nröolsnov?) yap eivar Tüv navrwv ντεαεα xar Baoılda rar Toy “Hoazserzov“. Daſſelbe Dictum, ohne Heraklit zu nennen, aber ſichtlich in wörtlicher Form hat uns Lucian (quomodo hist. sit. conscrib. T. IV. p. 161. ed. Bip.) aufbewahrt. Da nämlich ein Kriegsvorfall ſo viele Geſchichtſchreiber hervorgebracht habe, ſo müſſe wohl wahr ſein, ſagt Lucian ſcherzend: „jenes: der Krieg tft der Vater aller Dinge“ „S* , , nölenos andvrov racnpo“, welchen Ausſpruch der Scholiaſt da— ſelbſt richtig erklärt als der Gegenſätze Kampf (T@v Evarriov nayıy), aber mit Unrecht dem Empedokles vindicirt, wie denn auch bereits die Heraus— geber des Lucian letzteres bemerkt haben. Ebenſo jagt uns auch Plutarch): Hod ecrous he yap Avrızobs moismov Övondker narepa xa! Ba- arlca za! xbptov navrwov“, Heraklitus aber nennt geradezu den Krieg den Vater und König und Herrn aller Dinge“, wo wohl auch das Hage e jedenfalls Heraklits eigener Ausdruck iſt, wie er ja auch den Apollo Aaorreds nannte).

Auch Athenagoras hat bereits gewußt, daß dieſer heraklitiſche Krieg nichts Anderes, als das Geſetz des proceſſirenden Gegenſatzes be—

1) IX, 8.

2) Diog. L. IX, 7.

3) in Tim. p. 54.

4) ib. p. 24.

5) De Isid. et Os. p. 370. D. p. 517. Wyttenb.

*) Siehe jetzt das Fragment bei Pſeudo-Origenes in der Anmerk. zu p. 116.

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deuten joll, wie feine den Epheſier zwar nicht nennenden aber auf ihn und auf dieſen Hauptſatz ſeiner Philoſophie hinzielenden trefflichen Worte zeigen, legat. pro Christ. p. 16. ed. Dech.: gvorzo Aöoyw H οο my dperny Tas zaxlas dvrırsın£vns zal nolspnabvrwvdiinkors rwv Evayrimv HS vopw“, „da nach jenem phyſiſchen Logos die Schlechtigkeit der Tugend entgegengeſetzt iſt und die Gegenſätze mit einander kämpfen nach jenem göttlichen Geſetze“.

Auf dies Philoſophem ſich ſtützend hat auch Heraklit, wie wir durch viele Zeugniſſe wiſſen, den Homer getadelt, weil dieſer flehte, daß der Streit verſchwände aus den Reihen der Götter und Menſchen. So er⸗

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zählt zunächſt der ſ. g. Ariſtoteles 1): „* Hod. Ererina?) To romoayrı, „g Epıs Ex te He za! avdounrwy amokorro“* 0) ap α eivar apovian, pn dure ÖFeos zar Habs, vd a wa Avsu Ünizos zal Abpevos, Eyayriov övrav“, „Und Heraklit ſchmähte den Dichter, weil er bat, daß der Streit verſchwände aus den Reihen der Götter und Menſchen, denn nicht würde eine Harmonie exiſtiren, wenn es nicht gebe helle und tiefe Töne, noch Lebendiges ohne Weibliches und Männliches, die Gegen— ſätze ſeieu“.

Dieſer Grund des Tadels, den die Ethik anführt, iſt, wie nicht zu leugnen, der heraklitiſchen Philoſophie angemeſſen, fo daß auch Schleier— macher wörtlich Heraklitiſches und nur in indirecter Rede Wingels darin ſieht.

So ſehr das ſcheinen mag, ſo möchte ich doch eher glauben, daß der Verfaſſer der Ethik den Grund des Tadels, den er anführt, nicht ſowohl aus den eigenen Worten des Epheſiers, als vielmehr aus ſeiner Beurthei— lung der Philoſophie Heraklits herausgeſchrieben hat, denn die Stelle nimmt den Krieg und Gegenſatz nur als Gegenſatz zwiſchen den einzelnen ſelbſtändigen Exiſtenzen gegeneinander, männlich und weiblich ꝛc., während Alles, was wir bisher von Heraklit gehabt haben, zeigt, daß er den Gegen— ſatz nicht blos an die einzelnen Exiſtenzen vertheilt, ſo daß ſie jedes in ſich ſelbſt eins und nur gegen einander Gegenſätze wären, ſondern daß er jedes auch in ſich ſelbſt ſeinen eigenen Gegenſatz ſein läßt. Wir müſſen demnach zweifeln, ob jener in der Ethik angegebene und freilich auch rich— tige Grund der tiefſte und letzte Grund Heraklits geweſen iſt, und wollen uns daher in den vorhandenen Stellen umſehen, welcher andere Grund noch etwa als von Heraklit ſelbſt angeführt berichtet wird.

1) Eth. Eudem. VII. e. I. p. 1235. 2) Solchen Tadel der Philoſophen gegen den Dichter nimmt Maxim. Tyr. ſehr übel, Diss. XXXII. p. 119. R.

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Plutarch zunächſt fährt a. o. a. O. alſo fort: „za: rov uevOunpov ebyönzvov, Ex re dewv Eow, Ex 7 du νάꝗ n anolzoda:, Aavdaverv yyol, TY ndvrwv YevEosı zarapwp.zvov, Ex nAyns nu dvrnadeias ri yeveoı Eyövrov“, „und dem Homer, welcher fleht, daß der Krieg aus den Reihen der Götter und Menſchen verſchwände, bleibe verborgen, ſagt er, daß er damit der Entſtehung von Allem fluche, da Alles aus Kampf und Gegenſätzlichkeit ſein Entſtehen habe“. Soll hier vielleicht udn und durenad esl der Streit zweier in ſich ſelbſt kampfloſer Exiſtenzen mit einander ſein? oder der Kampf der beiden proceſſirenden Gegenſätze, die jedes Ding in ſich ſelber conſtituiren, des den geν νν und gun gepöpevov, des Sein und Nichtſein? Da aber der letzte Theil der Stelle, &x Eyövrav durchaus den Worten nach nur dem Plutarch zugehört (an— ders verhält es ſich offenbar mit dem auch durch u als wörtliche Anführung bezeichneten Aavdaveı zarapop.evov), jo kann dieſe Stelle noch nicht entſcheiden. Die venetianiſchen Scholien!) jagen zu dem in Rede ſtehenden Vers des Homer: „Hodnq. yV r dyvrwy plan zar Hey ouveordvar ννu e νι H ννjæ Oyrow, ObyzUa:v x0opou . der abr edyeodar“. „Heraklit, meinend, daß die Natur des Seienden nach dem Geſetz des Streits zuſammengetreten ſei, ſchilt den Homer, glaubend, daß dieſer eine Zuſammenſchüttung des Weltalls erflehe“.

Wir wollen uns indeſſen auch nicht auf eine weitläufige Analyſe die— ſes Ausdrucks (O sbs) einlaffen, da ohnedies den Ausſchlag giebt die treffliche Stelle des Simplicius, welcher ſagt?): „mit dem Satz des Wider— ſpruchs ſeien nicht einverſtanden diejenigen, welche die Gegenſätze als Urprincip (%%) ſetzen, ſowohl andere als beſonders die Heraklitiker“ (gabe ravavria dpyüas ZBevro, ore üllor nͤ⁰d o Houmnbeuœ’“i, und hierauf fortfährt: „denn wenn das Eine von den beiden Gegentheilen wegfallen würde, würde Alles fortgehen (verſchwinden), unſichtbar geworden, weshalb auch Heraklit den Homer ſchilt, welcher ſagt, es möge der Streit ꝛc. verſchwinden; denn verſchwinden, ſagt er, würde Alles“ („ei yap r Erepov av Evayriwv ,., ofyoıro üvnavra dgavıodevra: qi ral nEpgera , αο “Hodzlerros einovre „ws She Anbkorro“- olynosoda:r ru, g70:, navra“), wo dieſe letz— ten durch E70: eingeführten Worte „denn verſchwinden würde, jagt er, Alles“, doch unbeſtreitbar die eigenſten Worte Heraklits ſein ſollen und ſind. Schon der erſte Theil dieſer Stelle enthält eine ſehr tiefe Ein—

1) Ad Iliad. XVIII. 107. 2) Comment. in Arist. Categ. p. 105. b. Bas.

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ſicht in das Weſen heraklitiſcher Philoſophie, die nämlich, daß dem Heraklit die Gegenſätze %% geweſen find, wofür der Epheſier ſelbſt in feiner ſinn— lichen Sprache Vater ſagte; eine Einſicht!), die doch Simplicius ſchwer— lich dem Ariſtoteles verdankt, der zwar häufig genug von der Einheit des Seins und Nicht bei Heraklit ſpricht, aber dieſe doch grade nicht in dieſer Form als %% unmittelbar bei ihm hinſtellt, eine Einſicht endlich, welche ſogar auf das Entſchiedenſte der Metaphyſik widerſpricht, die eine beſtimmte ſinnliche Exiſtenz, das Feuer, als / bei Heraklit angiebt. Simplicius hat auch ſelbſt wieder dieſer ſeiner Erkenntniß widerſprochen und wenn auch gewiß noch nicht an der Stelle, wo er Heraklit unter diejenigen zählt, welche aus Einem Princip das Seiende ableiten?) (88 Evos mowdvres), jo doch in den vielen Stellen, in welchen er ſich durch die Metaphyſik ver— leiten läßt, das Feuer als %% bei ihm zugegeben?) in der Art, wie bei Thales das Waſſer ). 3

Die Gegenſätze find alſo nach unſrer St. des Simplicius %%, und wenn das Eine der beiden entgegengeſetzten Principien fehlte, würde Alles verſchwinden, unſichtbar geworden. Man ſieht, daß dies durchaus nicht ganz identiſch iſt mit dem von Ariſtoteles angegebenen Grunde. Denn die ariſtoteliſche Stelle ſpricht zuvörderſt von mehreren beſondern Gegenſätzen, weiblich und männlich, hoch und tief, d. h. eigentlich von beſtimmten entgegengeſetzten Eigenſchaften, deren es eine unendliche Vielheit giebt. Die Stelle des Simplicius aber, dieſe Vielheit in ihren Quell zurückführend, ſpricht nur von Einem einzigen Alles durchdringenden Gegenſatz, der, wenn eine ſeiner beiden Seiten (70 Erspovrovzvavriav) fortfieled), das Verſchwinden des Alls nach ſich zöge. Nach der Stelle des Ariſtoteles würde ferner, da der Gegenſatz

1) Dieſelbe Einſicht hatte übrigens auch der heilige Gregor. Nyssen., de anim. et Resurr. p. 114. ed. Krabing.: % yao s Y 2E üperjs Eyysveandar xepdos ols 5 Ybaıs Ex Tod Evayrliou nv Apymy . „—— Denen, welchen die Natur aus dem Gegenſatze ihren Urſprung hat“. Man kann ſich nicht richtiger ausdrücken und weit übertrifft der Kirchenvater hier Alles, was uns die meiſten Commentatoren des Ariſtoteles über Heraklit ſagen. Es iſt er— ſichtlich, wie in der Stelle die Gegenſätzlichkeit nicht blos als Eigenſchaft des Natürlichen, ſondern als das innere der geſammten Natur ſelbſt erſt Exi— ſtenz verleihende, und ihr, dem Gedanken nach, gleichſam vorhergehende Princip Cros) aufgefaßt iſt. Ueberhaupt zeigen beide Gregore eine genauere Bekanntſchaft mit Heraklit und haben ihn ſehr häufig auch da, wo ſie ihn nicht nennen, im Auge.

2) Comment. in libr. de Coelo. f. 145. f. 148.

3) Comm. in Phys. Ausc. f. 24, b. f. 32. f. 44. f. 60, b. f. 6, a. f. 8, a.

4) Obgleich er dies oft durch Zuſätze mildert, worüber ſpäter.

5) Vgl. damit unten 8 5. die Erörterung der Stelle des Diog. L.

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nur zwiſchen den einzelnen Exiſtenzen gegeneinander ſtattzufinden ſcheint, mit dem Wegfallen des Krieges nur eine Monotonie und Einſeitigkeit in der Natur einzutreten ſcheinen, noch nicht aber dieſe ſelbſt gänzlich ver— ſchwinden müſſen. Dies Verſchwinden der ganzen auch bereits vor— handenen Exiſtenz, welches die von Simplicius angeführten eigenen Worte des Epheſiers aber doch ausdrücklich beſagen, läßt ſich nur mit Simplicius aus der Erkenntniß rechtfertigen, daß jede Einzelexiſtenz ſchon in ſich ſelbſt Einheit der beiden Gegenſätze iſt und keinen derſelben miſſen kann. Ja es läßt ſich die Meinung Heraklits aus dieſer Stelle des Simplicius, welche letzterer, da er Worte des Epheſiers anführt, die Ariſtoteles nicht citirt, doch alſo auch offenbar nicht dem Ariſtoteles, ſon— dern anderweitiger Kenntniß des heraklitiſchen Werkes verdanken muß, noch weiter verfolgen und dabei wiederum ein helles Licht auf ein ſchon früher gehabtes Bruchſtück werfen. Daß die Worte: olyyosodar yap, £not, rayra wörtliche heraklitiſche Anführung, wenn auch in indirecter Rede ſind, wird Niemand beſtreiten wollen und läßt ſich auch wegen des dazwiſchen geſchobenen 270. nicht in Abrede ſtellen. Allein dann ſcheint es uns doch gar ſehr, daß auch ſchon das frühere: o?zorro Ay navra agavıodEvra. etwas wörtlich Heraklitiſches enthält. Wenigſtens ſcheint das 0?yorzo, das ja bald darauf in dem wörtlichen Citat wiederkehrt, auch für das ayavıodEvra als von Heraklit ſelbſt bei dieſem Anlaß ge— braucht zu ſprechen, wie wir ihn ſelbſt ſchon von einer donovia gayspn im Gegenſatz zu der . agavns haben ſprechen hören!). Demnach findet jenes Bruchſtück bei Plutarch und unſere dabei gegebene Interpretation

1) Das Ag οανναν, begegnet uns noch einmal in bemerkenswerther Weiſe und in demſelben Sinne in einer Stelle, wo uns Heraklitiſches berichtet wird. Bei Nicand. Alexipharm. v. 177. heißt es:

Din , Eydonzvoro rupös zara αντνπi hrodet. Der Scholiaſt ad h. I., der ſchon das unmittelbar vorangehende auf Heraklit be— zogen hatte, jagt hierzu: Eexrifeadar d Ho, i οννννν ν⁰ Hlodndetros,

z \ 5 7 > NV. \ D e re dura Evayria Eariv , xar abröv, rn d Waldoon Un- zewrar ta n)oia' ta ο nupt 7 i de H dbraxodsı xu neiderar xara

ro Heanöov Tod Eydonzvou rupös' ob zado)od Ö2 To rüp Eydonevoy Ae, alla 77 Dim Eydönsvov, di To dpavifeodar abryy dr abrod, wie, im Gegenſatze hierzu, von den den heraklitiſchen Weg nach Unten einſchlagenden Seelen Porphyr (ſiehe unten § 8. u. 9.) den Ausdruck gebraucht „oparas ribeodar“. cf. Cyrill. ap. Julian. VIII. p. 183. C. D. Ebenſo muß man jetzt die p. 101. Anm. angeführten Stellen über das Zvapavilceadar ala ftoifhen terminus technicus für die Aufhebung und den Rückgang des ſinnlichen Daſeins in das allgemeine Princip des Weltalls, in den Logos der Exiſtenz oder die unſichtbare Harmonie, hiermit vergleichen.

hier ihre weitere Erläuterung und Beſtätigung und die Sache verhült ſich alſo: Der Krieg iſt, wie wir in allem Bisherigen geſehen haben, die Geburt der Dinge in das wirkliche Sein; das Vergehen der Dinge, ihr Tod, iſt gerade die Beendigung dieſes Krieges, denn es iſt der Sieg der reinen Bewegung und Negativität über das ſich entgegenſtemmende Princip des feſten und einſeitigen Seins. Das Aufhören des Krieges, die Vernichtung der wirklichen nur durch den Krieg beſtehenden Dinge, iſt alſo nur ihr Rückgang aus der ſichtbaren Harmonie in die “ppovia ayavyns und darum konnte Heraklit auch ſagen, daß mit dem Aufhören des Krieges „Alles weggehen würde, unſichtbar geworden“ (dri olyorro agyavıodEvra) Dieſe unſichtbare Harmonie enthält nämlich zwar auch ſchon den Gegenſatz von Sein und Nichtſein in ſich, ſonſt hätte Heraklit ſie überhaupt nicht Harmonie nennen können, aber nur als ideelle Momente, oder wie Heraklit dies ausdrückt, fie iſt beſſer, reiner (xoe/rwv), als die ſichtbare Harmonie. Auch ſchon in der reinen Negativität, in der innern Anſchauung des logiſchen Begriffs des Werdeus, in dem Namen des Zeus, find die beiden entgegengeſetzten Gedankenmomente, Sein wie Nichtſein, vorhanden; aber eben weil hier als reine Gedankenmomente gedacht, ſind ſie nur die unaufhörlich in einander übergehende reine Bewegung. Der Gedanke des Seins iſt an ſich ſelbſt ſofort Nichtſein, dieſes ſeinerſeits iſt nur dies ſofortige Umſchlagen in den Gedanken des Seins und jo fort. Dieſer reine Wan— del des einen Momentes in das andere, dieſer continuirliche Gedanken— übergang, der eben, weil abſolut ununterbrochen, auch abſolute Identität mit ſich ſelber iſt, iſt die unſichtbare Harmonie.

Das Wirkliche geht daher bei ſeiner Vernichtung wieder in die un— ſichtbare Harmonie (dgavodeis) d. h. in die reine Negativität (in den %os der Bewegung) zurück, aus der es geworden ).

1) Und dies dürfte auch das erſte Hervortreten des philoſophiſchen Gedankens ſein, der ſich ſpäter zur platoniſchen Idealwelt entwickelte. Sehr intereſſant iſt in dieſer Hinſicht eine mit Unrecht unbeachtet gebliebene Stelle des Himerius Or. XI. 8 2. p. 575. ed. Wernsd., in welcher im Gegenſatze zu der in der ariſtoteli— ſchen Metaphyſik ausgeſprochenen gewöhnlichen Anſicht, daß Plato das Fließen des Sinnlichen von Heraklit adoptirt habe, gerade die Platoniſche Ideenlehre als in der heraklitiſchen Philoſophie wurzelnd behauptet wird: „— zal umv as Hoazistrou voptas, bp ns nrepwdeica n IMiarwvos lee ντπνιπν ,v ro» Aöywy ryyoaı, Erorrevos“ Wie es ſich hiermit verhält, wird ſich uns ſowohl beim heraklitiſchen Logos, welcher nichts anderes als das Gedankengeſetz jener un— ſichtbaren Harmonie iſt, als ſpäter näher ergeben (8$ 13. 14. 26. 36. u. 37.).

In der That iſt der Logos bei Heraklit ſchon das, was Plato etwa Urbild

u

Umgekehrt entſteht alle Wirklichkeit und Körperlichkeit nur da— durch, daß in jenem geſchilderten abſoluten und reinen Wandel ein Stillſtand, ein Verharren eintritt.

Und ſo ſagt uns denn auch, unſerer bisherigen Auseinanderſetzung und Auffaſſung des Bruchſtücks von der unſichtbaren Harmonie und des inner— ſten Weſens der heraklitiſchen Philoſophie überhaupt eine überraſchende Beſtätigung ertheilend und einen der tiefſten Blicke in die Philoſophie des Epheſiers werfend, Jamblichus in einem Fragment bei Stob. (Eel. phys. I. p. 896.) wo er die Meinungen der Philoſophen über die Verbindung des Körpers mit der Seele muſtert, dieſe Verbindung entſtünde nach Heraklit durch das Eintreten eines Ausruhens in der Um— wandlung (v “Hoaxierrov qs Tys Ev ro neraßaileoda: ava- rzabiys). Mit Recht mußte Heeren dieſe Sentenz dunkel und unerklär— lich finden!), da ja nach Allem, was nur über die heraklitiſche Philoſophie vorliegt, auch Alles und ſomit die Seele nicht weniger in beſtändigem Fluß und Bewegung begriffen ſein ſoll. Ebenſowenig konnte dieſes Zeug— niß des Jamblichus bei Schleiermacher, der eine „wunderliche Zuſammen— ſtellung“ (p. 472) darin erblickt?), zu ſeinem wirklichen Verſtändniß und ſeiner Würdigung gelangen. Dennoch trifft der Bericht des Jamblichus, wie jetzt ſchon aus dem Vorigen von ſelbſt klar iſt, grade den tiefſten und weſentlichſten, immer überſehenen Punkt heraklitiſcher Lehre. Wohl iſt auch das exiſtirende ſinnliche All, wohl iſt auch die verkörperte Seele in ſteter Bewegung und Proceß begriffen. Aber alle Bewegung im Gebiete der realen Exiſtenz, alle ſinnliche Bewegung iſt bereits gehemmte und ver— harrende, iſt mit ihrem eigenen Gegenſatz, dem Elemente des verharren—

der Bewegung nennen würde und in dieſen Logos geht bei Heraklit alles Wirk— liche zurück, wie es aus ihm geworden iſt. Dieſes an ſich ſchon vorhandene Idealitätsverhältniß in der heraklitiſchen Philoſophie iſt ſtets ganz überſehen worden.

1) Obscura hac Heracliti sententia, ſagt er, a nemine alio explicatur (nach unſerer obigen Auffaſſung derſelben ſehen wir fie dagegen dem Sinne nach in ſehr zahlreichen Bruchſtücken und Berichten vorliegen). Constat tamen ex Diog. L. IX, 7. sq. eum omnia mutationi subjecta atque ex ea orta po- suisse; nec eum aliter de anima statuisse, cum eam vo del beoy et del xtrouſienos vocaret etc. etc.

2) Ueberhaupt nimmt Schleiermacher irrthümlicher Weiſe an, als wolle Jam— blich die Meinungen der Philoſophen über die Entſtehung des Böſen zuſammen— ſtellen, während er vielmehr nur, auch noch bei der Anführung Heraklits, die An— ſichten von der Verbindung der Seele mit dem Körper durchnimmt. Erſt im weiteren Verlauf kommt er dabei auf die Entſtehung des Böſen zu ſprechen und auch nur inſofern es die Folge jener Verbindung der Seele mit dem Körper und ihrer hiermit gegebenen Selbſtentäußerung iſt.

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den Seins, gemiſchte und dadurch getrübte Bewegung, iſt nicht mehr die rein ideelle intelligible Bewegung der beſſern unſicht— baren Harmonie. Es iſt nur daſſelbe, was Plutarch in einer Stelle ſagt, die auch ſchon hierüber Aufſchluß hätte geben können, wenn ſie nicht gerade merkwürdigerweiſe immer überſehen worden wäre und die wir im Verlaufe näher werden betrachten müſſen, daß nämlich nach Herakleitos die Natur (See) grade deshalb Krieg ſei, weil fie nichts ungemiſcht noch rein in ſich enthalte, ſondern durch ungerechte Zuſtände zu Stande gebracht ſei (da nöoMav . dj. nadwv mEparvopevnv). Deshalb erlange ſie auch nach Heraklit ihre Entſtehung ſelber durch die Unbill, indem das Unſterbliche mit dem Sterblichen ſich eine (Iν⁰ð xal rny yEvsaıvadrnvE£fdörxtas ouvruyrydve Jeyouot, To Hynr d ouvapyop.e£vov Tod abavarov. Plut. Terrestr. an aquat. p.964.E. p. 913. Wytt.). Daſſelbe, was Jamblichus, beſtätigt uns auch ein gleich— falls bisher den Darſtellern Heraklits ſtets entgangener und jedenfalls ſehr merkwürdiger Bericht des Aeneas Gazaeus de imm. anim. p. 5. ed. Boisson. „% n, yüo “Hoaxierros d tοννν, dvayzalay Tılepevos, dv r xdrw Tys durgs Tyv nopelav Syn yivaodar. Enel xanaros ga TO Onpovoy@ ovvencodar za! dvo Era Tod de Tode To navy oupreprnoieiv za! Im’ Exeiva rerdydar za apyzodar, di Todro TH Tod ehe Sn] R, dpyys Einidı zart gi mv durmv gepeodar“. Wie man auch über die Glaubwürdigkeit des Aeneas denken mag, der heraklitiſche Inhalt der Stelle iſt ſowohl durch ſich ſelbſt, als auch durch zahlreiche Berichte und Fragmente, die wir theils bereits betrachtet, theils beſonders im Verlaufe noch antreffen werden, außer allem Zweifel und ebenſowenig kann über den Hauptinhalt derſelben Streit ſein: Heraklit, eine in der Nothwendigkeit gegründete und im Wandel der Ge— genſätze in einander beſtehende Aufeinanderfolge (denn 9 ſteht hier nur an Stelle der heraklitiſchen 2 Ex rwv Evavriwv; ſiehe unten die St. d. Plotinus) annehmend, habe einen Weg der Seele nach Oben und Unten ſtatuirt. Denn da es ihr Mühſal ſei, den Demiurgen in ſeinem Wandel alſo zu geleiten!) und oben mit dem Gotte das All zu umwandeln?), jo werde fie deshalb durch die Begierde

1) Worin aber dieſe Wandelbewegung des Demiurgen bei Herakleitos be— ſtand, darüber müſſen wir zunächſt auf SS 10. u. 11. verweiſen.

2) Wir hätten alſo hier, was gewiß ein höchſt intereſſantes und beachtens— werthes Zuſammentreffen iſt, vollſtändig einen ſolchen den Seelen beſtimmten Jeös ds oder Zeusweg (denn Zeus iſt der Demiurg des Heraklit Clemens Al. Paedag. I, 5. p. 111. Pott, Proclus in Tim. p. 101.), wie ihn Pindar

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nach Ruhe und die Hoffnung auf individuelle Entſtehung (wie das doi Ehröör vielleicht zu faſſen fein dürfte), nach Unten, in das Reich der Zeugung gezogen ).

Dieſen Demiurgen nennt Herakleitos anderwärts Zeus. Dieſer De— miurg iſt aber auch und zwar ebenſo ausdrücklich nach Heraklit ſelbſt nichts Anderes und beides ſteht wieder in der überraſchend— ſten Uebereinſtimmung, wenn wir unten ſehen werden, worin die Natur und demiurgiſche Bewegung dieſes Zeus beſteht als der herakleitiſche Logos, d. h. wie wir bei der Darſtellung des heraklei— tiſchen Logosbegriffes finden werden, nichts Anderes als das reine Ge— dankengeſetz der unſichtbaren Harmonie, die intellectuelle noth— wendig und beſtändig in einander umſchlagende Identität der Gedanken— momente von Sein und Nichtſein?).

In jener unſichtbaren Harmonie iſt alſo, wie wir geſehen haben, die proceſſirende Identität von Sein und Nichtſein nicht nur, wie auch in der ſinnlichen Welt als Inhalt, ſondern auch in einer ihrem Begriffe an— gemeſſenen und mit ihm übereinſtimmenden Form, als reiner unaufgehaltener Gedankenwandel vorhanden, während in der Welt der Wirklichkeit beide Momente, Sein wie Nichtſein, in der Form des feſten beharrenwollenden Seins daſind, dieſe haltloſen, raſtlos ineinander übergehenden Unterſchiede alſo als reell beſtehend geſetzt und daher in einer ihrem eigenen Begriffe, welcher abſoluter Uebergang in ihre Identität iſt, ſchlechthin widerſprechenden Form vorhanden ſind (dies iſt eben die 0 der Natur bei Heraklit, wie ſich Plutarch a. a. O.

in jener vielbeſprochenen Stelle OJ. II. 68. die dreimal bewährten Seelen durch— wandern läßt, hier freilich in ſeiner philoſophiſchen Auffaſſung.

1) Aeneas Gaz. kommt bald nachher p. 7. ed. Boiss., nochmals hierauf zurück. Nicht wiſſe er, wem er mehr folgen ſolle, ob dem Herakleitos, welcher annehme, daß von den Mühen der Seele dort Oben die Ausruhe die Flucht in dieſes Leben ſei, % do. ray rivev ννο duyis Avdranlav elvar ν eis rdude rov Hi guyYr. Beide Stellen enthalten wörtlich Heraklitiſches, wie ſich auch aus den bald anzuf. O. des Plotinus ergiebt, durch deſſen Vermittelung auch haupt— ſächlich Aeneas den Heraklit zu kennen ſcheint.

2) Es liegt wohl ſelbſt bei flüchtiger Betrachtung der Stelle bei Aeneas auf der Hand, daß ſich Heraklit mit jenen Sätzen von den Seelen, die in ununter— brochenem Wandel mit dem Demiurg das All umkreiſen und durch die Sehnſucht nach Ruhe in den Körper gezogen werden, einerſeits im Gebiete der ägyptiſchen Seelenlehre und in der Hülle ihrer Dogmen bewegt, andrerſeits aber ebenſo be— ſtimmt, daß dieſe Dogmen hier eben zur bloßen durchſichtigen Hülle und zur Dar— ſtellungsform feines rein ſpeculativen Gedankens herabgeſunken find. Wir müſſen hierüber auf die im Verlaufe folgenden Erörterungen, zunächſt auf § 8, verweiſen.

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ausdrückt). Darum iſt die unſichtbare Harmonie zwar auch Einheit des Gegenſatzes, aber dennoch das Gegentheil von der ſchlechteren ſicht— baren Harmonie, und wenn dieſe letztere Krieg und Streit iſt, ſo wird jene dagegen, als die mit ihrem eigenen Begriffe übereinſtimmende Form Uebereinſtimmung mit ſich ſelbſt und Frieden genannt werden müſſen.

Dies Alles wird uns nun aber als Heraklits eigene Ideenreihe und Ausdrucksform belegt zunächſt durch folgende St. des Diog. L. (IX, 8.) ry d Evavr/wv To nev En! ryvyYEveoıvdayov xaleioda: nölepov xar Epıv To 0 En cyv Exrbpworv Önoloylav xd elpnvnv' zal nv neraßoigv 0060v Ava zarw* Toy Te x0onov Ylvsodaı rar zadeyy. „Von den (beiden) Gegenſätzen werde der Eine, der zum Entſtehen führt, Krieg und Streit, der andere aber, der zur Aufhebung des ſinnlichen Seins führt, Uebereinſtimmung mit ſich und Friede genannt und ihre Umwandlung (ineinander) ſei der Weg nach Oben und Unten; die Welt aber werde in Gemäßheit dieſer Umwandlung“.

Und wären ſelbſt ömoAoyfa und sehnys nicht Heraklits eigene Aus— drücke, obgleich auch nicht der allergeringſte Grund vorliegt, dieſe Ver— ſicherung des Diogenes zu bezweifeln!) und ſolche Namen am wenigſten zu denen gehören, die Spätere erfanden?), ſo hätte Heraklit doch dafür,

1) Wie nämlich H. Ritter ſehr mit Unrecht thut, a. a. O. p. 117 sq. Das Mißverſtändniß diefer Stelle bei ihm, welches für ihn ſogar ein Grund wird, dieſen ganz vorzüglich mit Heraklits Lehre übereinſtimmenden Bericht als nicht übereinſtimmend mit derſelben anzuzweifeln ein Zweifel, den er ſelbſt wieder p. 119 als ungegründet zugeben muß, findet in dem Vorigen und der weitern Analyſe der Stelle von ſelbſt ſeine Erledigung.“

2) Es ſpricht aber auch noch vieles in der gewichtigſten Weiſe für die Aecht— heit des Namens yen, von dem Ritter a. a. O. mit hohem Unrecht meint, er, wie die öpodoyia ſei nur aus Mißverſtändniß der Harmonie entſtanden. So zu— nächſt ſpricht hierfür die große Rolle, welche die Jen in den noch erhaltenen Frag— menten das Epheſiers ſpielt, wenn wir hierbei berückſichtigen, in wie großer Ge— meinſchaft in den alten Theogonien die Dike und die Eirene ſtehen; beide find Schweſtern, beide gehören nach Heſiod (Theog. v. 900 sqq.) zu den ſittlichen Mächten, die Zeus mit der Themis gezeugt hat und Pindar ſingt geradezu (O1. XIII. 7.): „Ara Y önöorporos Eipava“ „die Dike und die gleichartige Eirene“. Und in der That werden wir ſehen, daß die Dike bei Heraklit denſelben Grund— begriff ausdrückt, nur in ſeiner mehr negativen Wendung gegen das wider— ſtrebende auf ſich beruhende Einzelne, den die Eirene nur ohne dieſe Beziehung und in poſitiver und auf ſich ſelbſt bezogener Form darſtellt. Es iſt aber auch ferner nach uns eine deutliche Beſtätigung dieſes heraklitiſchen Gebrauchs von Eon und ‘Oposoyia, wenn wir dieſelben in ganz entſprechender Weiſe bei den Stoikern, feinen raſtloſen Ausbeutern, antreffen, ſ. Phaedrus de nat. deor.

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wie ſeine eigenen Bruchſtücke noch zeigen, in einem dem Gedanken nach ganz identiſchen Sinne avaravia, Ausruhe, Erholung gejagt, im Gegenſatz zu dem Widerſtreit des realen Daſeins, welches er, wie wir ſehen werden, deshalb auch als Mühſal zauaros bezeichnete.

ed. Petersen. p. 17: „zat rn abrny elvar zal Edvontav ra Aiznv Onovoias za! Eipnyny“. Wenn wir aber nicht irren, jo iſt auch noch ein andrer Bericht über heraklitiſche Lehre vorhanden, in welchem die Gegenſätze rolsnos und ee ganz wie bei Diog. auftreten. Zu der Schilderung Homers der beiden Städte, die Vulkan auf dem Schilde Achills anbringt (II. XVII. v. 490.) jagt nämlich der Scholiaſt (Schol. in II. ed. Bekk. p. 505.) : Heri dlimyopızas En rds öbo möhsıs, d ue elpnyns, m Ö2 HhανEe]˙ rapsiodywv, du und "Enredorins 6 Arpayarrivos dm Üllou wos , rap Hie & Irzelrnv dh. or. d Sar, du yap rols Teooapar ororysins zara cis gui, YVenptay rapadedwxe ro velxos rut zn Yıllav zobras Saure, "Opmpos broen- nabwy rmöleız ÖVo Eveyalrsvos tn donidı cyv pEv elonuns Todreerı gr- Atlas, nv de moklsnovn rodrsor: ver. Was uns hieraus offenbar hervor- zugehen ſcheint, ift, daß der Scholiaft irgend etwas davon gehört hatte, daß 89 und rzölspos als kosmogoniſche Principien in der alten phyſiſchen Philoſophie vorgekommen ſind. Genaueres aber nicht wiſſend, attribuirt er ſie dem Empedokles, deſſen Philoſophie in der ſpäteren Zeit überhaupt weit bekannter war, als die He— raklits und identificirt zu dieſem Zwecke, da ſich Emp. jener Benennungen nie- mals bedient hatte, dieſelben mit e und veixos. Dieſe Uebertragung würde um ſo weniger Wunder nehmen können, als wir auch ſchon den Scholiaſten zum Lucian den Satz Heraklits vom Krieg dem Empedokles haben zueignen ſehen und als endlich gerade dieſelben homeriſchen Scholien eine gleiche Verwechſelung mit dem bekannten Satze des Epheſiers über die Leichname vornehmen *).

) Die hier von uns geſchützte Aechtheit des Gegenſatzes von 8 und rö)epos wird jetzt auch noch durch ein urkundliches Fragment des Ephefiers erwieſen beim Pseudo-Origen. IX, 10. p. 283: 6 . rölsnos elonvn. Ebenſo die önoloria durch das Fragment daſelbſt IX, 9. p. 280: % Euviaaw

ixus Ödtapsponzvov Ewyuro Ömokoyzer ar).

0 S 35. He d xdrw.

Wir ſind aber mit dieſer Stelle, ſowie ſchon mit der des Aeneas, zur % di zdrw gekommen, d. h. zu dem Punkte, wo die ganze Tiefe und der wahre Begriff Heraklits vielleicht am klarſten hervortritt.

Man muß nicht glauben, daß die Philoſophie Heraklits von beliebig vielen Gegenſätzen etwas gewußt habe.

Heraklit kannte nur Einen Gegenſatz, den des Nichtſein und Sein, beide als proceſſirende gefaßt; den Gegenſatz des Wegs nach Oben (obs d) und nach Unten (zurw). Das auugpspönevov zal diage⁴& pevov ur. ſind nur andere Namen jenes einzigen Gegenſatzes, den Heraklit allein ſtatuirte und auf den ſich ihm alles Andere zurückführte. Daß er nur Einen Gegenſatz kannte und dieſer kein anderer als der Gegenſatz des proceſſirenden Seins und Nichtſeins war, könnte uns, ſelbſt abgeſehen von allem Bisherigen, ſchon die einzige eben angeführte Stelle des Diog. L. lehren. Das Eine der beiden entgegengeſetzten Momente nämlich, heißt es, führt zum Sein (ro dent ryv yEvaoıv dAyoy), das andere aber zur Aufhebung, zum Nichtſein (ro ds my Exrbpworv!) und das Umſchlagen dieſer beiden entgegengeſetzten Momente ineinan— der, der Wandel dieſer beiden Wege ineinander, iſt die “os av 207W.

Dieſer Doppelweg iſt ſomit nichts als die Einheit des Sein und Nichts, beide als Bewegung gedacht, alſo die Einheit des Entſtehens und Ver— gehens oder das begriffene Werden. Der Weg nach Oben und Unten beſteht aus nichts als aus dem beſtändigen Umſchlagen (48 oder wie urkundlicher als eignes Wort Heraklits feſtſteht 77%. des zum Nicht— ſein führenden Moments in das zum Sein führende und umgekehrt. Dies

1) Auf die Frage, ob die Errypwars eine materielle Weltverbrennung bedeute eine Frage, deren Verneinung übrigens ſchon aus dieſer Stelle des Diog. auf das Entſchiedenſte folgt können wir uns hier noch nicht einlaſſen, ſondern werden dies erſt bei der Betrachtung der Phyſik näher unterſuchen; hier genügt, daß die Exrdpwars jedenfalls die Seite der Negation iſt.

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Umſchlagen der beiden Gegenſätze in einander iſt die 508 Av zarw und nach dieſem Umſchlagen wird, als nach ihrem inneren Geſetz, die Welt. Zunächſt muß beſonders hervorgehoben werden, wie dieſe Stelle mit der obigen des Simplicius gänzlich übereinſtimmend nur zwei Gegentheile, oder was daſſelbe iſt, Einen aus zwei entgegengeſetzten Mo— menten beſtehenden Gegenſatz ſtatuirt und auf dieſen die Welt, d. h. die ganze reale Fülle der ſinnlichen Unterſchiede reducirt. Ferner verſteht man erſt aus dieſer Stelle des Diogenes wahrhaft, mit welchem Rechte Sim— plicius die beiden Gegentheile bei Heraklit „%% nennen, Athana— goras von dem göttlichen Geſetze (He?os vonos) der Gegenſätze ſprechen und Gregor die Natur ſelbſt ihre Entſtehung aus dem Gegenſatze erhalten laſſen konnte. Hier iſt entwickelt, wieſo fie %% find, denn durch und in Gemäßheit des in einander Umſchlagens dieſer beiden Ge— gentheile wird die Welt. Auch nicht etwa aus dieſem Wechſel des Weges nach oben und unten (Ex radrys), wie aus einem urſächlichen Verhältniß, worauf ſcharf geachtet werden muß, wird die Welt, ſondern zara radızy in Gemäßheit dieſes Wandels; d. h. die Welt ſelbſt iſt ſeine reale Dar— ſtellung, er die ideelle Grundlage, das Gedankengeſetz derſelben. Und zwar, was die Welt wirklich conſtituirt, ſind nicht ſowohl dieſe beiden entgegen— geſetzten Momente als ſolche, ſondern nur ihr beſtändiges Umſchlagen (neraßoAy) in einander. Dieſes Umſchlagen der Gegenſätze des Seins und Nichts in einander bildet den Weg nach Oben und Unten, und nach dieſem wird die Welt (zara rabeıv, i. e. meraßoiyv). Kein Wun— der alſo, daß mit dem Fortfall des einen dieſer beiden Momente auch die geſammte Welt des Daſeins verſchwinden müßte. Die Welt iſt ſomit beſtändige Einheit der beiden entgegengeſetzten Momente des Sein und Nichts, des zur Geneſis (Geburt) und des zur Ekpyroſis (Aufhebung, Ne— gation) führenden. Sie beſteht alſo nur dadurch, daß fie die 78 wie die &xrbpwors und das Umſchlagen beider Seiten ineinander beſtändig in ſich hat. Beide Momente find ihr gleich weſentlich. Die Welt iſt ſo Einheit des Entſtehens und Vergehens oder immerwerdendes Werden.

Dieſe Bezeichnung feines Princips als Js Ava xarw iſt deshalb von allen von Heraklit gewählten vielleicht eine der beſten !), weil hier die Einheit des Gegenſatzes nicht als ruhige (wie z. B. in der Harmonie ꝛc.), ſondern als Weg, ſomit alſo in unverkennbarer Weiſe als Proceß aus— gedrückt iſt. Und die Stelle des Diogenes, obwohl dieſer ſelbſt, wie ſich

1) An Tiefe wird fie nur übertroffen von dem drapspönevov aunpspo- ſieron; ſiehe 8 27. Ir 9

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ſpäter finden wird, den Sinn ſeines eigenen Berichts durchaus nicht ver— ſteht, iſt vielleicht eine derjenigen, welche die ganze Tiefe der heraklitiſchen Idee am deutlichſten hervortreten laſſen, deshalb nämlich, weil hier nicht die Rede iſt von zwei Gegenſätzen, die in äußerlicher Weiſe mit einander in einem Dritten geeint zu ſein ſcheinen können, ſondern der Weg nach Oben und Unten wird ausdrücklich definirt als das Umſchlagen (mera- 60%) der beiden abſolut entgegengeſetzten, zum Sein und zum Nichtſein, zur yevaoıs und Exrbowers, führenden Momente (Toy Evavriwv TO nEV.. ro öE). Dieſes Umſchlagen in einander iſt alſo der nothwendigen innern Natur dieſer proceſſirenden Momente des Gegenſatzes vindicirt. Jedes muß an ſich ſelbſt in ſein Gegentheil übergehen und die Einheit beider in den ſinnlichen Exiſtenzen iſt ſomit keine blos äußere durch will— kürliche Miſchung entſtandene, ſondern ſchon darin begründet, daß es auch an ſich die nothwendige Gedankennatur eines jeden der beiden ent— gegengeſetzten Momente iſt, in ſein Gegentheil umzuſchlagen. en,

Gleichwohl darf über der Einheit zunächſt der Unterſchied der Mo— mente nicht überſehen werden. Sie ſind reine Gegenſätze. Der Weg nach Unten iſt der Uebergang in das Element des Seins; der Weg nach Oben der Rückgang in die reine ungehemmte Negativität und Bewegung, in die ungetrübte ideelle Harmonie. Es hat ſich uns ſchon oben bei dem Bruch— ſtück von der unſichtbaren Harmonie der nothwendige Gedankenzuſammen— hang ergeben, worauf hier zurückverwieſen wird, weshalb die Sphäre des Seins, weil in ihr die Einheit von Sein und Nicht, dieſer weſentlich nur als ununterbrochenes proceſſirendes Umſchlagen ineinander wahrhaft adäquaten Gedankenmomente zwar vorhanden, aber in der feſten ein— ſeitigen Form des Seins geſetzt iſt, als unangemeſſene Realiſation jener Einheit, als in ſich ſtreitender Widerſpruch des Inhalts und der Form, als Mühſal erſcheinen muß, während in der unſichtbaren Harmonie oder der reinen Negativität, beide Momente und deren Einheit in ihrer wahrhaften Form vorhanden ſind, als ununterbrochener, durch keine Feſtigkeit des Seins gehemmter ſteter Uebergang des einen ideellen Moments in das andere: ſo daß hier der reine Proceß auch in einer ihm angemeſ— ſenen und ihn nicht verlangſamenden Form geſetzt iſt und dieſe reine Ne— gativität, weil ſie jene abſolut ineinander übergehenden Gedankeumomente von Sein und Nichtſein in gleich angemeſſener Weiſe in ſich enthält, im Gegen— ſatz zu der widerſpruchsvollen Mühſal des realen Daſeins als Uebereinſtim— mung mit ſich ſelbſt, als Frieden und Ausruhe, beſtimmt werden muß !).

1) Hiermit iſt alſo erklärt, wie, was Ritter p. 118 unverſtändlich bleibt, die Harmonie (nämlich die ſichtbare) und der Krieg allerdings Einheit des Entgegen—

1

Dies, ſowie den hervorgehobenen Punkt von dem durch ihre eigene innere Natur nothwendigen Uebergang der beiden Momente des Ge— genſatzes, des Wegs nach Oben und nach Unten, ineinander, zeigen uns nun zahlreiche Stellen der Alten.

Zunächſt eine bisher überſehene Stelle bei Plotin in dem Capitel über das Herabſteigen der Seele in den Körper ): „— „, yün Hpaxierros, Ös ju napazereberar Enreiv rodro, anoıßdas Ye dvay- xalas He Ex T@v Evavyriwv, ö Te dvw xdr einchy x neraßailov dvanaderar xal xamaröos Eorı Tois adrois noydeiv za: apysodar eixdfev Edwxev, dpeinoas capy Tv 707002 , was Creuzer in feiner Ausgabe des Plotin fo emendirt: „% he xal Huh dvanabeodar zal xzuparov eivar 7. 4. 207. za Ayzzoda:“?), wenn man nicht noch lieber, um nicht gar ſo viel zu ändern, einen Wechſel indirecter und directer Anführung an— nehmen und alſo leſen will: ½e einav zul „„ro neraßdarkov dvanadsrar““ al „„dnarös 2Zorı |Ev?]| rors adrors mnoyderv za: ayysodar““, wonach alſo zu überſetzen wäre: „— und Heraklit, nothwendige Wandlungen aus den Gegenſätzen ſetzend und ſie den Weg nach Oben und Unten nennend und (ſagend): „„Das in ſeinen Gegen— ſatz Umſchlagende ruht aus““ und „„Mühſal iſt es [für die Seelen] s) in denſelben Zuſtänden ſich abzuarbeiten und gefeſſelt zu werden““, ſcheint uns deutlich zu machen“ ꝛc. c. Denn daß dies letztere Bruchſtück bei Heraklit ſich unmittelbar von den Seelen geſagt fand, zeigt nicht nur der Zuſammenhang bei Plotin, ſondern der Bericht des Stobaeus, der faſt daſſelbe, nur in weniger directer Anführung, aus Jamblichus mittheilt®):

geſetzten, aber dieſe Einheit als ſeiende und von der reinen Negativität, die auch ihrerſeits Einheit und unſichtbare Harmonie iſt, auch wieder unterſchiedene ſind. Der Krieg verliert alſo nicht, wie Ritter meint, in dieſer Stelle des Diog. ſeine Bedeutung, beide entgegengeſetzte Richtungen zu bezeichnen, indem er zum ein— ſeitigen Weg nach Unten werde, ſondern gerade als dieſer iſt er Krieg, ſtrei— tende Einheit jener Momente.

1) Ennead. IV. lib. VIII. p. 468. p. 873. Creuz.

2) Creuzer bezieht ſich hiefür auf Herm. ap. Stob. Eel. Phys. p. 768: d xaraleirerar (6 vods) Nνd TO owparı mposzermevuny (duyy) za br abrod dyyonevnv xaro, Durch die oben citirte Stelle des Aeneas Gaz., wo es gleich— falls me heißt, ohne daß dort dieſe Umänderung zuläſſig wäre, kann man aber über dieſe Conjectur zweifelhaft werden.

3) Wie man aus der bald folgenden Stelle bei Stob. einzuſchalten ſich ver— ſucht fühlen möchte.

4) Stob. Eel. Phys. p. 906.

9 *

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„odd etros hëU yüp dno:Büs avayxalas veihshevos Ex Toy Evav- /av, 6d6v re dvaxalxdrwräs duyüsdtanopedbesoda: breilngs, rl T HEY Ev ros abrors Enıneverv, xanarov elva, Y neraßdirsıv yepew avaranoıy“. „Heraklit nothwendige Wandlungen aus den Gegenſätzen ſetzend nahm an, daß die Seelen den Weg nach Oben und Unten durchwandern und das Verharren in denſelben Zuſtänden ſei Mühſal, das Umwandeln aber bringe Ausruhe“ ). Ebenſo führt auch Plotinus noch in einer andern Stelle an: „5 Hαν““οοε avanavıa &v 7H gor“, „die heraklitiſche Ruhe in der Flucht“.

Es war alſo auch hier bei Heraklit wie immer, daß ſich die Gegen— ſätze identiſch ſind. Die reine durch den Widerſtreit des feſten materiellen Seins nicht gehemmte Bewegung war ihm die reine Ruhes). Noch

1) Vergleicht man die obige Stelle des Plotinus mit der p. 124 angeführten des Aeneas, ſo ſpringt zunächſt die unleugbare Gleichheit beider in die Augen, dann aber auch der Widerſpruch beider. Denn bei Aeneas heißt es Mühſal für die Seelen, die Bewegung des Gottes mitmachen zu ſollen, hier dagegen wird gerade dieſes Umwandeln als Ruhe und Erholung, und das Körperleben als Mühſal bezeichnet. Wenn man ſich hierdurch verſucht fühlen ſollte, etwa die Stelle des Aeneas hierin als ein Mißverſtändniß oder als corrumpirt auffaſſen und nach der plotiniſchen berichtigen zu wollen, oder auch umgekehrt, ſo wäre man beidemal gleich ſehr im Unrecht. Aeneas hat ganz recht, daß jene reine Bewegung nach Heraklit Mühſal für die Seelen ſei. Denn außer allem Andern werden wir noch mit Heraklits eigenen Worten hören „Luft (78), nicht Tod, ſei es für die Seelen zu flüſſigen zu werden“. Plotinus hat ebenſo Recht. Dies zeigt die obige Stelle des Jamblich bei Stob., dies zeigen die ſpäter zu betrachtenden Fragmente über das, was die Seelen nach dem Tode erwartet. Beides wider— ſpricht ſich bei Heraklit ſo wenig, als es ſich widerſpricht, wenn wir ihn im Ge— genſatz zu dem Ausſpruch, auf den wir eben hingewieſen, ebenſo urkundlich erklären hören „Tod ſei es für die Seelen zu flüſſigen zu werden“. Die reinen Gegen— ſätze find wie immer identiſch bei Heraklit. "Kari rouro reh Arspdin jagt Lucian (vit. auct. c. 14.) von ihm. Das ſinnliche Daſein iſt, weil es Krieg und Widerſtreit in ſich ſelbſt iſt, Mühſal. Die Mühe jener abſoluten Bewegung dagegen, weil in ihrer ideellen Einheit jener Widerſtreit verſchwunden, reine Ruhe.

2) Ennead. IV. lib. VIII. p. 473. p. 881. Creuz.

3) Hier werfe man einen Blick zurück auf die oben (p. 50) angeführte Con— ſequenz, die Ariſtoteles aus der Idee Heraklits zieht; er hätte vielmehr ſagen ſollen, es ſei Alles in Ruhe und nicht in Bewegung befindlich, denn da Sein und Nicht identiſch, ſo ſei gar nicht vorhanden ein dem ſich Umwandelnden An— deres, wohinein es ſich umwandeln könne; dieſe Bewegung ſei vielmehr ſtetes Beiſichbleiben. Man ſieht, dieſe von Ariſtoteles gezogene Conſequenz hat für die ungehemmte Bewegung, für die abſolute Negativität, Heraklit ſelbſt ge— zogen, indem er fie dvaravia nannte, und von dem durch kein feſtes Sein ge— trübten ſteten Uebergaug der Momente des Gegenſatzes in einander wußte, daß

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einmal findet ſich die avarnavars in folgendem Fragment bei Stobaeus (Serm. III. p. 48. p. 100. ed. Gaisf.): „avdowro:s yivsodar νονν BE)over, o diuetnou. voboos byıeiny Enolyoev hob zal dyadov, Alnos x0pov, Ed paros Ayaravowv“, „den Menſchen wäre nicht beſſer, daß ihnen werde, was ſie wollen; (denn) Krankheit macht die Geſundheit angenehm und gut, Hunger die Sättigung, Mühe die Erholung“.

An dieſen Tadel der die Nothwendigkeit des Gegenſatzes und des Negativen verkennenden Kurzſichtigkeit der Menſchen reiht ſich dann ein von Clemens Alex., aufbewahrtes Bruchſtück: "Hodzierros yodv απα,,/.ονν.ν galverar TNy yevaoı, Enerödv, got, yevönevor H EBElovo,, pöpovs = Eysıv nakkov ÖL dvanabeodu: za! naldas zara- Aeinovo: nopovs yevsodar“?). Schleiermacher überſetzt: „Wenn fie geboren find, wollen fie dann Leben und auch Tod haben und hinter— laſſen Kinder, daß denen auch der Tod werde“. Dabei meint Schleierm., daß das d 02 avanadsoda: vom Clemens eingeſchobene mildernde Worte ſeien. Dem widerſtreitet nun die ganze Reihe der angeführten Bruchſtücke, welche avarabsodar, avaravka als einen eigenthümlichen Aus- druck Heraklits erweiſen und dann ſind es gar keine mildernden, ſon— dern vielmehr den Gegenſatz ſchärfende und auf die Spitze treibende Worte, indem ſonſt Leben und Tod in unſerer Stelle ohne jeden eigenthümlichen Gedankeninhalt nur einfach aufgezählt werden, während ein ſolcher Ge— dankeninhalt dadurch erſt hineinkommt, daß der Tod im Gegenſatz zur gewöhnlichen Anſicht Erholung genannt wird. Auch läßt ſich nur, wenn das Avarabsoda: dem Heraklit zugehört, den Worten, mit welchen Cle— mens das Bruchſtück einleitet: "Ho. zax/lwv yalberar nv yEvson, ein Sinn abgewinnen, denn ſonſt findet ſich in dieſem Fragmente nichts, was die Geneſis ſchlecht macht; dies iſt nur dann der Fall, wenn der Tod als Er— holung beſtimmt wird. Aber auch ſonſt ſcheint uns Schleiermacher's Ueber- ſetzung nicht den Sinn der Stelle getroffen zu haben. „Wenn ſie geboren ſind, wollen ſie dann Leben und auch Tod haben“. Daß ſie aber den Tod haben wollten, konnte Heraklit doch ſchwerlich von ſeinen Joniern ſagen,

dieſe reine Bewegung reines Beiſichbleiben und Ruhe (önokorta, elonvn, ava- ransa) ſei. Man vgl. noch Plat. Theaet. p. 153. p. 180. St.: öre ro he elvar ono ra To yiyvaadaı au, rapeyei, To d um elvar xa ünbAluadar Hovyia, wo daſſelbe Argument, die Natur des Gegenſatzes, nur anders gewendet, auftritt.

1) Strom. III. c. 3. p. 185. Sylb. p. 516. Pott.

2) Ct. Clem. Alex. Strom. III. c. 3. p. 186. Sylb. p. 520. P.: ot, zai Hoduſetros hdraro ryy yeveaıy xe; ſiehe unten.

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und wäre dem doch ſo geweſen, ſo hätte dann zu dem Tadel über die unverſtändige, das Negative haſſende Anſicht der Menſchen, der doch offenbar wie in dem letzten Fragment bei Stobaeus, ſo auch in dieſem hier ausgedrückt ſein ſoll, kein Anlaß vorgelegen. Denn wenn die Menſchen wirklich Beides wollten, leben wie ſterben, ſo befänden ſie ſich ja ganz im Wahren, wie ihnen ja auch wirklich Beides zu Theil wird.

Uns ſcheint alſo vielmehr die Stelle einen Tadel zu enthalten über die verkehrte, dem objectiven Lauf der Dinge entgegengeſetzte Meinung der Menſchen, die leben wollen, während ſie doch vielmehr geboren ſind, um den Tod zu haben (wie es ja auch ſofort darauf heißt razdas zara- qeirobot opovs yevEcodar), den Tod, der übrigens beſſer für ſie iſt, als ſie ſich einfallen laſſen, der Ruhe, Erholung, Erlöſung vom Streite iſt!). So daß ich die Infinitive möpous α (lies Eyew) par. g. Ava. von yevönevor abhängen laſſen möchte, ſogar wenn es hierzu nöthig fein ſollte, das yevönevor hinter EIEAovor zu ſetzen.

Was für uns dieſe Auffaſſung des Fragments zur Gewißheit zu erheben ſcheint, iſt die Vergleichung deſſelben und beſonders ſeines Schluſſes mit einer Stelle des Plutarch, in welcher er nachdem er eben ein heraklitiſches Fragment von der Identität des Lebens und Todes aufgeführt und indem er in ganz heraklitiſchen Philoſophemen von dem niemals ſtehenden Fluß des Werdens weiter fortfährt, daran die Worte knüpft?): zat wor- p£ötov ypEos eivar Aeysrar ro ν ν anododmoopevov, e νðSά¼ cavro nu@v ol nooraropss“. „Weshalb auch eine Schickſalsſchuld genannt wird das Leben, wie ein zurückzuerſtattendes, das uns unſere Vor— fahren geliehen haben“ ).

1) Man ſehe unten die ganz ſinnverwandten Fragmente von dem Ungehofften und Unerwarteten, das mit dem Tode bevorſteht ꝛc. bei der Ethik.

2) Consol. ad Apoll. p. 106. E. p. 422. Wytt. Das unmittelbar Vorher- gehende lautet: & 6 , yeveoews rotanos οννν Evdsieyüs E,νꝗoνοντ aTy- gerd, x, rd 2E Evayrias auοντα 6 vis Riad eirs Asp etre Kwzuros vνονq i ος dro Tod romrod. N rowrn ody alrta h detkaca Hpiv To Tod MAtov püs, I abr) xd r Logepov Adny det. Kat unrors robde sixwv 5 6 rept ij hide di, SY rap e nuspay zal vurza roröv, Eraywyas wis re zar Havarov za Drvov zal Eypmyoposws‘ Ötö xar norptöroy .

3) Man vgl. hiermit noch die anders gewendete aber doch ſehr verwandte Stelle des Athenagor. de mort. Resurr. p. 136. ed. Dech.: roreirar Ö2 za: raldas olre ÖL ypslav ο,œs , ore e Erspoy Te rh ahr, TPOSMAÖYTWy d en ro sival re xal Ödranevew au baov olovre, Todbs br abrod YevywyE£- vous, TN r radwy za Toy Eyyovwv Ötadoyn TNY Eayrod TEAeuTyy Hπν iE. Voöuzvos xal talrn To Yynröov anadavarilsıy olönevos.

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Offenbar iſt das in Rede ſtehende Fragment des Heraklit bei Clemens eben nur eine ganz ähnliche Schilderung dieſer fatalen Schuld, die die Väter uns geliehen und die wir abzahlen müſſen, was Plutarch hier mitten unter heraklitiſchen Ideenreihen als ein altes Dietum anführt ), wodurch ſich alſo gewiß beſtätigt, daß in unſerm Bruchſtück nicht an ein Sterben⸗ wollen der Menſchen zu denken iſt. Sondern dieſe fatale Schuld iſt eben die Ironie des Lebens und der Menſchen und in dieſem Sinne ſchildern ſie trefflich die kurz zuſammengedrängten Gegenſätze des hera- klitiſchen Bruchſtücks, das wahrſcheinlich auch Plutarch a. a. O. mit im Auge hatte. In der That aber iſt die Entrichtung dieſer fatalen Schuld doch nur avaravia, Erholung.

Ferner ſehe ich nicht ab, warum Schleiermacher den Herausgebern des Clemens hierin folgend, das Ereröay, das er auch deshalb in ein Serra verwandeln muß, als zu dem heraklitiſchen Bruchſtück gehörend betrachtet. Es ſcheint mir dies Wort vielmehr nur dem Clemens zuzugehören und das 2707 zu regieren, mit dem Bruchſtück ſelbſt aber auch nach Clemens Abſicht gar nichts zu ſchaffen zu haben. Ich interpungire alſo: “Ho. yodv xdx. piu. 7. yev., Enzidav?) not „yevönevor“ zri., und überſetze dem⸗ nach die ganze Stelle: „Heraklit ſcheint zu ſchelten die Geneſis, wenn er ſagt: „Sie wollen leben, da ſie doch geworden ſind, den Tod zu haben oder vielmehr auszuruhen, und Kinder hinterlaſſen ſie, daß denen der Tod werde“.

Die dvarav)a iſt alſo nach allen dieſen Bruchſtücken die ununter- brochene reine Bewegung, die nicht durch das feſte Sein aufgehalten wird; fie iſt der Rückgang in die dppovia dgavns, deren Gegenſatz die ſinn— liche und daher gehemmte Harmonie iſt. Sie iſt alſo nichts anderes, als was uns Diogenes oben als önoloyia und Eh bezeichnet; ſie iſt nichts anderes, als der in ſeiner Gegenſätzlichkeit gegen den Weg nach Unten gedachte und feſtgehaltene Weg nach Oben ſelbſt. Die Jas dye und udo ſind zunächſt reine Gegentheile gegeneinander. Der Eine iſt das Nicht, der Tod des Andern. Das Leben der Jas zarw, die das in das

1) Die Vindication dieſer Stelle Plutarchs als einer heraklitiſchen reſp. die obige Auffaſſung jenes heraklitiſchen Fragmentes im Sinne dieſer plutarchiſchen Worte erhält auch noch eine erhebliche Beſtätigung dadurch, daß wir dieſelbe Sen— tenz, die wir in dem Fragmente erblicken, als ein den Stoikern ſehr geläufiges und von ihnen gefeiertes Adagio wiederfinden, ſ. Epictet. Dissert. I. c. I. fin. Ich werde ſterben. Wie? Wie es ziemt dem „ra Allörpıa drodıdöavra“ und die von Upton hierzu citirten Parallelſtellen.

2) Eredar dient bekanntlich immer nur dazu, fremde Meinungen und Vor⸗ ſtellungen anzuführen. g

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Sein führende Moment (rd Er} yevaoıv ayov), das Entſtehen des Einzelnen iſt, iſt der Tod der 00s d, welche das Vergehen des Einzelnen und daher die Geburt des allgemeinen Proceſſes des Werdens, ſomit des allgemeinen und göttlichen Lebens iſt, und umgekehrt. Der Weg nach Oben aber, als dieſer Rückgang in die reine ungetrübte allgemeine Negativität, als dies durch kein Sein, welches in ihm nur zum verſchwindenden und aufgehobenen Momente herabgeſetzt iſt, aufgehaltene Werden und Bewegung iſt das höchſte Princip, das Heraklit gekannt hat. Nur dieſes Princip konnte er alſo meinen, wenn er ſich des populären ſinnlichen Namens: Gott im Allgemeinen bediente. An den Göttern des Volksglaubens als ſolchen hatte er keinen Theil ). Zugleich aber find qe av und xarw, Vergehen und Entſtehen, weil ſie dieſe reinen Gegenſätze des Begriffs ſind, eben darum wieder identiſch mit einander und ſtets ineinander umſchlagend. Im Begriff des Werdens ſelbſt liegt weſentlich dies: perennirend zum Sein zu werden (den Weg nach Unten einzuſchlagen); dies gewordene Sein iſt aber nur da— ſeiendes Werden, d. h. es iſt nur das ſich wieder aufhebende Daſein der Bewegung, der Rückgang in den Weg nach Oben. Deshalb kann, was das Vergehen oder der Tod des einen iſt, z. B. des allgemeinen Werdens, ebenſogut als die Geburt des Andern, als das Entſtehen des beſtimmten ſinnlichen Seins, und umgekehrt wieder der Weg nach Unten des reinen Werdens als der Tod der ungetrübten Bewegung, damit aber auch zugleich als der Weg nach Oben des wirklichen ſinnlichen Seins aus— geſprochen werden.

Dieſe Gedankenreihe drückt uns denn auch eine nicht unbeträchtliche Anzahl hierüber erhaltener Bruchſtücke aus. Einleiten wollen wir ſie durch eine Stelle des Maxim. Tyr., in welcher er den Sinn heraklitiſcher Lehre ſehr gut erkannt hat?): „ds oDv ra zadn, a 00 ντνο zaleis ονν, Texuarpöpevos TH TWy Anıovrwv H , Era dE Owrnplav, rerhu⁰οονννο , dcadoyn Twy neilövrwy. Meraßoiny Öpäs owudrwy xal yevEocws, Ge, bdav Ava xdrw zara vov "Hoazxkerrov: v add ad Ewvras EH Exelvwv davarov, Anodvnoxövras be Y Exelvwv C „Du ſiehſt nun die Zuſtände (Leiden), die du Untergang nennſt, urtheilend nach dem Wege der Fortgehenden, ich aber Rettung (Erhaltung) urtheilend nach der Folge der Kommenden. (Denn die 6008

de iſt nur beſtändiges Umſchlagen in die Jos zarw, wie Max. Tyr. weiß

1) Man ſehe z. B. in § 10 u. 11 die dies ſcharf genug ausſprechenden Bruch- ſtücke, in welchen er gegen Volksglauben und Cultus polemiſirt. 2) Dissert. XLI. p. 285. ed. Reiske.

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und hier andeutet, die Aufhebung der Schranke, der Beſtimmtheit iſt ſofort wieder Setzen einer neuen Schranke, Erzeugen einer neuen Beſtimmtheit.) „Du ſiehſt den Wandel der Körper und der Zeugung, den Wechſel der Wege nach Oben und Unten nach Heraklit und wiederum dieſe lebend jener Tod, ſterbend aber jener Leben“. Die hervorgehobenen Worte gehören Heraklit ſelbſt an, wie uns eine Reihe von Bruchſtücken zeigt, von denen zuerſt hier ſtehe das bei Herakleides !): „% yoDv axorewvos “Hoazısıros gie: „Beor Bynrol 7 aydpwro: adavaro: ce rov &xelvwv Bdvarov, Byvnazovres nv exeivwv Lwnv“, woraus Schleiermacher nach Fabricius Vorgang aus bald folgenden Stellen gut hergeſtellt hat: „avdpwror Beo! Bvyrot Bzol dvdpwro: d. varoı kovres“ xc. „Die Menſchen find ſterbliche Götter, die Götter unſterbliche Menſchen lebend jener Tod, ſterbend jener Leben“. So heißt es auch bei Maxim. Tyr. an einer andern Stelle?): axöneı na, r "Hoaxisirov (wie Reiske aus rov Hpazxisırov verbefjert) „e Bvnrol, dvdowror Adavaror““ und bei Clemens s) % e do einev Ipazxserros: „Avdpwro: Beot, Bzo! avdpwror“. „Die Menſchen (find) Götter, die Götter Menſchen“. So läßt auch Lucian“) den Heraklit auf die Frage des Käufers: „Was ſind die Menſchen“ antworten: „ſterbliche Götter“ und auf die Frage: „Was aber die Götter?“ Unſterbliche Menſchen“ (re d M davdpwror; Ne νEEe. T. dd o He; ”Avdpwmor adavaroı?), welche Stelle Schleiermacher vor— züglich zur Beſtätigung ſeiner Emendation des Bruchſtücks bei Herakleides hätte anführen können, da ſie mit dieſem am wörtlichſten übereinſtimmt. Der Grund aber, nach welchem die Götter unſterbliche Menſchen und die Menſchen ſterbliche Götter ſind, liegt ſehr deutlich in den dieſer Sen— tenz bei Herakleides hinzugefügten Worten Heraklits: „Sterbend jener Leben und lebend jener Tod“, die wir auch ſonſt noch oft finden, wie, außer in der Stelle des Maxim. auch noch bei Hierokles “): „evda za!

I) Alleg. Hom. p. 442. ed. Gal. p. 84. ed. Schow.

2) Dissert. X. p. 175. Reiske.

3) Paedagog. III. c. 1. p. 92. Sylb. p. 251. Pott.

4) Vitar. auct. c. 14. T. III. p. 97. ed. Bip.

5) Auch Baſilius Magnus, de legend. Gentil. libr. Oratio ed. J. H. Maj. Francof. 1714 p. 33 ſpielt auf dies Philoſophem Heraklits an: dem Herakles habe die Tugend einerſeits unendlichen Schweiß zu Waſſer und Land und andrerſeits als Lohn dafür in Ausſicht geſtellt, Gott zu werden, Jo yevendar, wg s et. vou Aoyos.

6) In Carm. aur. p. 186. ed. Cambridge; vergl. auch Hierocl. de provid. p. 250.

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keyerar öod@s And "Hoaxretron . Enmev rbv Exelvmv Advarov, redunxanev DE TovV Exelvov PBlov“ (vorher war bei Hierokles von dem Gegenſatz der vorpa edfwia und der alodyrınn Eprddera die Rede) eine Stelle, in welcher uns das Perfectum redvyxapev, wir ſind geſtorben der Götter Leben eine mindeſtens ebenſo angemeſſene!) Form zu ſein ſcheint, als die Praeſensform arodvyaxovras®).

Die Götter ſind unſterbliche Menſchen, die Menſchen ſterbliche Götter, d. h. alſo die Subſtanz der Götter und Menſchen iſt Eine, das Werden. Aber auch der Unterſchied iſt bei Heraklit nicht überſehen. Die Menſchen leben den Tod der Götter und dieſe wiederum den Tod jener. Hier muß man ſich nur durch den Namen Götter nicht irre machen laſſen, ſondern darauf ſehen, was doch dem Heraklit der Gott in ſeiner adäquaten Form geweſen iſt. Er war ihm aber eben nichts Anderes, als die reine Negati— vität, als die ungetrübte proceſſirende Identität des Gegenſatzes ).

1) Ja, dem Sinne nach eine noch angemeſſenere. Als authentiſch wird ſie übri— gens auch durch die offenbar ganz wörtlich und mit 9% eingeleitete Anführung in der unten anzuführenden Stelle des Philo (J. p. 65. ed. Mang.) beſtätigt. So daß Schleiermacher nicht ganz Recht hat zu glauben (p. 499), die Participialformen bei Herakleides wären ächter. Es verhält ſich damit vielmehr ſo: Das Fragment bei Herakleides iſt nicht identiſch mit dem bei Philo. Das Erſtere bezieht ſich auf die Götter und Menſchen, das Andere ſagt daſſelbe von dem Verhältniß der Seelen und Menſchen aus; dem Sinne nach, wie wir ſehen werden, identiſch, ſind es dennoch formell verſchiedene Bruchſtücke. Das bei Heraklit von den Göttern handelnde Fragment ſcheint in Participialformen gehalten geweſen zu ſein, wie Herakleides es berichtet. Das von den Seelen handelnde Fragment bei Philo aber ſetzt offenbar mit ebenſo vielem Recht das Präſens Zope» dem Perfectum redynzaper, das Leben der Menſchen dem Geſtorbenſein der Seelen gegenüber. Und dieſe Form hat Hierokles dann aus dem philoniſchen Fragment in das von den Göttern hinübergenommen.

„) Dies zeigt ſich jetzt auch an der Form, in der ſich das Fragment bei Pjeudo- Origenes findet IX, 10. p. 282: Asyse de Öpokoyounzvos To α uur eivar ¹,νο zal To hu, den av tιν,aůs Aöyav „Adayaroı % Fynrot adavaroı Cres Tüv s Havarov, Tüv d S Ptov r S r.

2) Und da deren Symbol, wie wir ſpäter ſehen werden, auch das Feuer iſt, ſo könnte in dieſem Sinne auch das Feuer Gott genannt werden, wenn es nur in dieſem Sinne gemeint hätte Clem. Alex. Cohort. ad Gent. V. p. 19. Sylb. p. 55. Pott.: „H eοον ο abroiv növor, T , Ne breulnparov "Irzaoos Merarovrivos ah 6 HgeονjEð ellodinſetros“; vgl. Boethius de Diis et Prae- sensionibus ap. Joh. Lydus de Ostentis ed. Hase p. 350: Dii qui sint? ex igni sint, ut credit Heraclitus; Augustin. de Civit. Dei VI. c. 5. T. V.

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Daß dieſe ſtirbt, heißt ſoviel als fie ſchlägt den Weg nach Unten ein, der zum Sein, der Geburt der beſtimmten endlichen Exiſtenz führt (rd en yEvsorv ayov bei Diog.). Somit wird denn das Abſolute, das rein Ideelle und Seeliſche, verendlicht und tritt in das Element des Be— harrens ein; es iſt jetzt der verendlichte Gott, das ſeiende Werden, die ſichtbare Harmonie des Gegenſatzes. Und zwar iſt dieſer Unterſchied und dieſe Entäußerung, die Gott auf ſich nimmt, indem er ſich verleiblicht, das reine Werden, indem es in das Sein tritt, ſo groß, daß trotz der Identität der Subſtanz, nach welcher die Menſchen nur geſtorbene Götter ſind, ſich dennoch ſelbſt der weiſeſte Menſch zu Gott nur etwa verhält, wie auch der ſchönſte Affe zum Menſchengeſchlecht. Dies bezeugt Plato): „Du weißt nicht, o Menſch, daß ſich wahr verhält des Heraklits Aus— ſpruch, wie auch der ſchönſte Affe häßlich iſt im Vergleich mit dem Men— ſchengeſchlecht; und ſagt nicht der Heraklit, den du anführſt, auch dieſes, daß auch der weiſeſte Menſch gegen den Gott ein Affe er— ſcheint an Weisheit und Schönheit und in allem Anderen?“

Und deshalb, als dieſe Sichſelbſtentfremdung und dieſes Außerſich— kommen des Göttlichen oder des reinen Werdens, iſt die Geburt überhaupt adızla, Unbill, wie ſchon Anaximander das Beſtehen des Endlichen über— haupt Adi, genannt hatte (ſiehe III. Capitel oben p. 45 sq.) und ganz richtig iſt, was Plutarch an einer bisher überſehenen Stelle, auf Ausſprüche wie die eben durchgenommenen deutend, ſagt?): ’Zpreooxiys e "Hoa-

p. 195. ed. Leyd. an ex igni sunt (dii) ut credit Herael., ein Thema, das die Kirchenväter überhaupt ſehr abreiten, vgl. Tertullian. adv. Marc. I. p. 439. ed. Rigalt. und de praeser. Haeret. p. 232. d. etc.

1) Hipp. Maj. p. 289. a. p. 154. Heind.: & dudpwre, du,, Ir To Tod our erb ed St ws dον //, ̃ 6 xaAlıoros aioypos Ayipurtvw yeveaı ounfßai)sw "H ob zat "Hodzierros Tabrov roùro Jeet, IU au Erayeıs, rt Avipurwy & oopwraros rpos Veoy ridmaos yayeitar zal go zal n x rg Üllors Tao.

2) Terrestr. an aquat. anim. p. 964. E. p. 913. Wytt. Wenn es über- haupt noch eines Bezuges auf einzelne Stellen bedürfte, ſo hätte aus dieſer Stelle des Plutarch H. Ritter, p. 117. u. p. 118 sqq., erſehen können, wie ſehr er, indem er jenen Bericht des Diogenes bezweifelt und in den Gründen, die er dafür anführt, daß dieſer dem, was wir ſonſt über Heraklits Lehre wiſſen, angeblich widerſpreche, dieſe Lehre gänzlich verkennt! Auch bei Plutarch wird bloß die Sphäre des Seins im Gegenſatz zu dem reinen Unſterblichen, aber auch dieſe ganze Sphäre der Natur als ſolche, %%, genannt und Krieg, wie auch Diog. nur das zum Sein führende Moment (ro & Sn eνν,rt dyo,), den Weg nach Unten, als Krieg qualificirt. Dieſem mit der Natur ſelbſt identiſchen Krieg wird bei Plutarch nach Heraklit ein anderes Unſterbliches entgegengeſetzt, welches im Gegenſatz zu dem

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* e,⏑du nollaxıs Öövpönzvor ru, AoWopodvres TV gbaıv wg avdyanyzalmöokepov oDoay, dh hin un e, ÿ Eyovoav, di noll@v zal Adlxwv nddwv repawopzvny' Dmov zal Tyy e αννν ahbryv EE döırlas ouvroyyavew Aeyovar, To H OUVvepyopnE£vov rod Adavarou“. „Empedokles und Heraklit, oftmals beklagend und ſchmähend die Natur als eine, die da Nothwendigkeit und Krieg ſei und nichts Ungemiſchtes noch Lauteres habe und durch viele und ungerechte Leiden (Zuſtände) zu Stande gebracht werde; weshalb ſie auch ſagen, daß ſie ihre Entſtehung aus der Ungerechtigkeit ſelbſt erlange, indem mit dem Sterblichen das Unſterbliche ſich eint“.

Gemiſchten und Unlauteren, das die Natur nach Heraklit, wie Plutarch ſagt, zum Krieg ſtempelt, ein reines und ungemiſchtes Unſterbliches ſein muß, ganz wie bei Diogenes das als Friede und Uebereinſtimmung bezeichnete zur Aufhebung führende Moment des Gegenſatzes (Y Ent mv Exrtbpwary A ”]] oder der Weg nach Oben. Wenn Heraklit keine höhere ideellere Einheit des Gegenſatzes ge— kannt hätte, als die in der Natur, jo hätte ihm die Natur nicht A 9e, jondern die Gerechtigkeit und das Höchſte ſelbſt ſein müſſen. Kannte er alſo eine ſolche reinere Einheit der Gegenſätze, als ſie ihm im Sein überhaupt (das Feuer alſo mit eingeſchloſſen) möglich war, ſo war nichts angemeſſener, als dieſe als Friede und Uebereinſtimmung mit ſich im Gegenſatz zu der von vornherein als Widerſpruch und Krieg beſtimmten Natur zu bezeichnen, als reine un— ſichtbare Harmonie, im Gegenſatz zu der unreinen ſeienden Harmonie zu beſtimmen, wie er es in der That in dem wichtigen Fragment von der dp- povta Agpayns gethan hat. Und daß der Krieg, wenn er auch bloß dem Weg nach Unten, der Geneſis, zugetheilt wird, deshalb nicht aufhört Einheit der Gegen— ſätze zu ſein, iſt aus dieſer Stelle des Plutarch ſehr leicht zu erſehen. Denn auch in dieſer wird die Geneſis als Krieg und gerade nur deshalb beſtimmt, weil ſie Einheit des Unſterblichen und Sterblichen, alſo gleichfalls und principiell Ein— heit der Gegenſätze, aber in unangemeſſener Form iſt. Aber Einheit der Ge— genſätze iſt ſie darum erſt recht und ſogar ſich ſelbſt widerſprechende, während die reine ideelle Einheit avarania iſt. Wenn man ſelbſt den philoſophiſchen Be— griff des Werdens und mit ihm den eigentlichen Charakter heraklitiſcher Lehre nicht erfaßte, ſo hätte man doch ſoviel immer noch ſehen ſollen, daß Heraklit eine dop— pelte Einheit von Gegenſätzen gekannt hat, daß ihm nämlich alles Seiende Ein— heit des Seins und der Bewegung war, daß ihm aber zum Unterſchiede von dieſer ſeienden und aufgehaltenen Bewegung, die reine Bewegung als ſolche, die gedachte Bewegung, auch noch Einheit von Gegenſätzen ſein mußte, ſonſt wäre ſie überhaupt gar keine Bewegung geweſen. Und war ihm auch dieſe gedachte und deshalb unaufgehaltene Bewegung Einheit von Gegenſätzen, ſo mußte ihm dieſe Einheit als adäquate erſcheinen, als reine und ungetrübte, die er ſomit als Uebereinſtimmung mit ihrem eigenen Begriff bezeichnen konnte, während er jene im Seienden ſtattfindende aufgehaltene Bewegung nur als Widerſpruch und Krieg bezeichnen konnte und mußte.

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Die ganze Sphäre des Seins, die Geneſis ſelbſt, iſt alſo von vornherein Aqανν‘, d. h. Entäußerung, Abfall des Göttlichen von ſich ſelbſt, und nur durch dieſe Einigung des Göttlichen mit dem Sterblichen, durch die Form des feſten Seins, welche die reine Negativität des Gegen— ſatzes annimmt, durch dieſe Unbill, welche das reine Werden, dieſe pro— ceſſirende Einheit von Sein und Nichtſein erleidet, indem es ſelber zum Sein wird, gelangt die Natur, die eben deshalb Krieg iſt, überhaupt zur Exiſtenz.

Daß andererſeits der in die Endlichkeit gerathene Gott, die in das Sein gefallene reine Bewegung!) oder der Menſch, wieder ſtirbt, heißt alſo nichts Anderes, als daß das Göttliche als ſolches, die reine Negati— vität, der ungetrübte Proceß des Wegs nach Oben, durch den Tod des Seins wieder auflebt. Es ſind ſo dieſe Sätze von den Menſchen, die den Tod der Götter, und den Göttern, die den Tod der Menſchen leben, von den Menſchen, die geſtorbene Götter und von den Göttern, die un— ſterbliche Menſchen ſind, nur Schilderungen des Wegs nach Oben und Unten, den die reine Bewegung durchläuft und der durchaus nicht blos die Verwandlungsſtufen der Elemente, wie die Bearbeiter Heraklits immer angenommen haben, bezeichnet (cf. SS 20 u. 27.), ſondern für alles Leben, auch das des Gottes und der Seele und ſeine Phaſen, die ab— ſolute Form bildet; es ſind nur nähere Beſchreibungen deſſen, was uns oben Stobaeus (Eel. Phys. p. 906) ſchon gejagt hat: die Seelen durch— laufen den Weg nach Oben und Unten und das Verharren in ihnen iſt Mühe und das Umwandeln bringe Erholung 2).

Wie bei Stobaeus der Weg nach Oben und Unten ausdrücklich der Seele oder des Gottes Stadien darſtellt, ſo zeigt dies ebenſo beſtimmt der Bericht des Diog., nach welchem dieſer Weg das abſolute Geſetz für alles Daſein und für alle Bewegung iſt, wenn auch Diog. ſelbſt, in— dem er unmittelbar daran den Elementarproceß reiht, höchſt wahrſcheinlich ſchon den Irrthum der modernen Bearbeiter theilte, daß der Elementar—

* . 1) nv eis Try e,‘ cr, wie Porphyr. de antro nymph. c. X.

p. 257. Holst. vom heraklitiſchen Niederſteigen der Seelen jagt.

2) Vgl. Macrob. Somn. Scip. II. c. 15. p. 179. ed. Bip.; Athanas. c. gent. c. 33. T. I. p. 26. Petav. Wenn es dann bei den Stoikern heißt, z. B. Mare, Antonin. IV. 42: ode, sr. zarov rois &v neraßoin yevonzvas' ws d dyadov e neraßoins bpteransvors (ef. id. IX. 21., VII, 23.), jo erkennt man hierin ſowohl noch den heraklitiſchen Quell, als auch ſchon die ſich bis zu Ge— meinplätzen treibende Verflachung des tieferen heraklitiſchen Sinnes, die bei den Stoikern mit den Philoſophemen des Epheſiers vorgeht.

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proceß, der bei Heraklit nur eine Specification ſeines allumfaſſenden Wegs nach Oben und Unten iſt, allein die 00. av. xdx. darſtelle.

Die reine Bewegung alſo, indem ſie ins Sein tritt, das rein Seeliſche, indem es den Weg nach Unten einſchlägt, wird dadurch zugleich ver— leiblicht und verendlicht; der Körper, der das Verharren der Seele iſt, iſt ſomit auch ihr Grab, und ſie ſtirbt der Körper Leben, lebt der Körper Tod.

In dieſem Zuſammenhange und mit dieſer Erklärung geben uns nun viele Schriftſteller ene Worte Heraklits: „lebend jener Tod, ſterbend jener Leben“, ſo daß die Subjecte dazu, wie in den obigen Stellen Gott und Menſch, hier Seele und Leib ſind !). Da muß man ſich aber ſehr hüten, zu glauben, als ſei dies nun dem Sinne nach verſchieden von dem Vorigen. Der Gegenſatz von Seele und Leib iſt dem Heraklit ganz und gar einer mit dem von Gott und Menſch. Und wenn ihm nicht die Subſtanz der 9%, gleichbedeutend mit Gott geweſen fein ſollte, jo ließe ſich von allem Anderen abgeſehen nie begreifen, wie er die Menſchen geſtorbene oder ſterbliche Götter (d. i. verleiblichte Seele) nennen konnte. So daß wir uns nicht zu erklären vermögen, wie Schleiermacher dies ſo Nahe— liegende überſehen und ſich (p. 498 502) gebehrden konnte, als jet der Sinn der heraklitiſchen Worte, wie er in den oben angeführten Stellen gebraucht wird, ein irgendwie andrer als in den jetzt folgenden. Zuvor aber ſtehe zum Beweiſe dieſer abſoluten Identität von Seele und Gott bei Heraklit noch eine Stelle des Ariſtoteles, in welcher uns ausdrücklich bekundet wird, daß in der That die 9%), dieſe Würde bei Heraklit ein— genommen und eine ſeiner Ausdrucksformen für ſein abſolutes Princip geweſen ſei.

1) Und ebenſo identiſch damit iſt das nach demſelben Schema ausgeſagte Leben und Sterben des Feuers und Waſſers, worüber ſpäter bei der Verwandlungslehre der Elemente. Es exiſtirt nach Heraklit kein Unterſchied im phyſiſchen und geiſtigen All. Der Leib und das Feuchte find ihm identiſch und ebenſo %%; und do nur identiſche Symbole der reinen Bewegung und ihre erſte, damit aber ſchon ſeiende, aufgehaltene, Verwirklichung zugleich. Es iſt dies ein conſequenter Mangel der heraklitiſchen Philoſophie. Es war ihm eben nur der Eine Gegenſatz in Allem vorhanden, und darum gerade floß ihm Phyſiſches, Theologiſches und Ethiſches unterſchiedlos durchſammen.

86. Die Seele als Avadupiacıs; der allgemeine Proceß.

Die am Ende des vorigen § bezogene Stelle des Ariſtoteles (de anim. I, 2. p. 405.) lautet: za: Hod jmas d v Apyyv zivar go! Gui steh ci dvaduniaoım S? 75 Talla. 0Vviocnew na doWpazWrarov o za: pEov dei. Heraklit jagt, daß die & (Urprincip) die Seele ſei (nämlich die Ae, aus welcher alles Andere zuſammentritt) und das Unkörperlichſte und immer Fließende“. Wir ſehen alſo die Seele hier als das dem Sein enthobenfte, immer in der Idealität des Werdens be— griffene (dei G6). Und wie uns Simplicius oben ſagte, daß die Gegen— ſätze (T Evavria) dem Heraklit %% find, d. h. das, was dieſe bei Heraklit nicht vorkommende ariſtoteliſche Bezeichnung unter dieſem Ausdruck verſteht, ſo ſchreibt hier Ariſtoteles dieſelbe oberſte Würde, welcher im religiöſen Kreiſe die Vorſtellung von Gott entſpricht, der Seele zu, und mit demſelben Recht, da ſie als das Unkörperlichſte!) und immer Fließende, eben die reinſte Einheit von Sein und Nicht, der abſolute Proeeß iſt.

Dieſe Stelle des Ariſtoteles lehrt uns aber auch durch die erklärende Worte Se yv Avaduniaoıy zri., was es denn in der That für eine Bewandtniß mit der Seele bei Heraklit gehabt hat, und welches ſein weder von Schleiermacher noch ſeinen Nachfolgern erkannter Begriff von der— ſelben war.

1) Mit Unrecht meint daher auch ein großer Gelehrte (Böckh in Creuzer und Daubs Studien 1807. T. III.), daß der Superlativ drwparwrarov a. a. O. nicht wörtlich genommen werden dürfe und das heraklitiſche Urprincip ein irgendwie materielles ſei. Daß letzteres nicht der Fall, hat wohl unſere ganze Darſtellung ſchon bisher gezeigt und muß es ferner zeigen. Es darf überhaupt nicht überſehen werden, daß das dowparwraroy gar nichts anderes und gar nichts mehr beſagt, als auch das durch jo unzählige Stellen verbürgte zei peov. Denn dieſes drückt, wie ſich uns bei den Fragmenten vom Fließen evident ergeben wird, nur dieſelbe abſolut unkörperliche Idealität des Werdens, dieſelbe reine Vermittelung von Sein und Nicht aus, wie auch das downarwrarov.

A

Die Seele ſei nämlich, jagt Ariſtoteles, die Avadynfaars, aus welcher das Andere (alles Seiende) zuſammentritt. Dieſe nicht mit „Dampf“ und „Dunſt“ wie bisher üblich zu überſetzende avadıpraars iſt nicht ſelbſt eine beſtimmte ſeiende Form des Sinnlichen, ſondern, wie wir ſpäter an meh— reren Orten noch näher ſehen werden, hier aber anticipiren müſſen, und wie ſich übrigens auch aus der ariſtoteliſchen Stelle ſchon hinreichend deut— lich ergiebt, nur die feurige Verflüchtigung des Seienden, d. h. die Auf— hebung des Einzelnen in den allgemeinen Proceß der Bewegung. Sie iſt gar nichts Anderes, als auch die 00e d oder die Exrbpwars iſt, nämlich die Aufhebung des ſinnlichen beſtimmten Seins ſelber und damit zugleich die Vermittlung deſſelben mit dem realen allgemeinen Werden (ef. § 23, wo ihr phyſiſcher Inhalt näher zu Tage treten wird).

Sie iſt ihm nur wie das Feuer ein anderes reales Bild, in wel— chem er die abſolute Negativität, das perennirende Sichaufheben des Seins, zur Anſchauung und zum Ausdruck brachte. Sie iſt nur der perſonifieirte Uebergang, in welchem die im Seienden vorhandene Negativität durch— bricht), das Seiende jede einzelne feſte Form auflöſt und in den all— gemeinen Werdensproceß mündet ?). Sie iſt ſomit auch identiſch mit dem

1) Vgl. Hegel Geſch. der Ph. J, 311.

2) Wir beeilen uns übrigens zu erklären, daß wir es keineswegs für aus— gemacht betrachten, daß der Name der Aαντνονjẽmges in dem Werke des Ephefiers ſelbſt vorgekommen iſt. Vieles ſpräche dafür; der abftracte Ausdruck aber dagegen. Soviel aber ſcheint uns unzweifelhaft, daß jedenfalls ſchon früh bei den Hera— klitikern und zwar auf Grund irgend einer bei dem Eypheſier ſelbſt vorhan— denen Baſis s) dies Wort in Umlauf geweſen und bei ihnen von Ariſtoteles vor— gefunden worden iſt. Iſt die vadyıians kein von Heraklit ſelbſt gebrauchtes Wort, ſo würden zwar ſchon hierdurch alle die Mißverſtändniſſe, die durch dieſen Ausdruck und ſeine ſpätere Auffaſſung über die Lehre des Epheſiers ſich einge— ſchlichen haben, ihre obligatoriſche Verbindlichkeit verlieren. Aber auch dann bleibt erforderlich, zu zeigen, was durch mehrfache Unterſuchungen an verſchiedenen Orten geſchehen wird, was denn bei Heraklit ſelbſt jener avafvıizars zu Grunde liegt und welchen Sinn Ariſtoteles in jener Stelle damit verbindet, ſowie ferner, wie ſich daraus die ſtoiſche avafvıdaas gebildet hat.

) Nicht überflüſſig gemacht, aber doch auf das frappanteſte beſtätigt werden jetzt unſere im Verlauf an verſchiedenen Orten folgenden Unterſuchungen über die dvasıylaos durch ein Fragment bei Pseudo-Origenes IX, 10., welches zugleich zeigt, daß wirklich das Wort wadvnians eine ganz conerete Grundlage bei Heraklit ſelbſt hat, ohne doch in dieſer abſtraeten Form an der wir oben mit Recht Anſtoß nahmen bei ihm gebraucht worden zu fein: Ve

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ſpäter durchzunehmenden reheνοον gpevzpes, dem allgemeinen Vernünfti— gen, welches gleichfalls nur dieſer ununterbrochene Wandel und abſolute Proceß alles Seins iſt. Ja ſie iſt jedenfalls ein conſequenterer und dem Heraklit noch eher zuzutrauender Ausdruck als repeeyov, weil dieſes das nur im ungehemmten Werden des Seins beſtehende Allgemeine als ruhiges und ſeiendes auszuſprechen ſcheint, woher auch der Irrthum der Bearbeiter Heraklits fließt, welche in Folge deſſen für daſſelbe eine beſondere örtliche Region angenommen haben. Bei der avadumiaars dagegen iſt es im Namen ſelbſt ausgedrückt, daß ſie nur Proceß und Uebergang aus dem Sein iſt. Nur wenn ihm die dvadopiaars dieſe reale all- gemeine Vermittlung, der Durchbruch der in dem Einzelnen vor— handenen Negation in die allgemeine Bewegung war, konnte Ariſtoteles die Seele mit der %% und fie, die dvadupiaoıs, wiederum mit der Seele bei Heraklit identificiren und ſagen, ſie ſei ihm das Allerunkörper— lichſte und immer Fließende und das, aus welchem alles Andere entſteht, d. h. alſo das reine niemals verharrende und ſomit in ſeiner All— gemeinheit ſelbſt nie daſeiende Werden, durch und aus welchem alles Einzelſeiende immer iſt und wird. Denn nur von dieſem Proceß der allgemeinen Bewegung wiſſen wir, daß er dieſe Stellung bei Heraklit ge— habt hat; es iſt derſelbe Begriff, den er mit ſo vielen Namen, als Feuer, Fluß ꝛc. bezeichnet; aber auch nichts im Begriffe hiervon Verſchiedenes könnte nach ihm jo definirt werden, wie es hier Ariſtoteles mit der 9% und Avaduniaoıs thut, als 4%, und als das ſelbſt unſinnliche Prin— cip, aus welchem das Sinnliche ſein Sein hat.

Es ergiebt ſich aber aus dem Bisherigen von ſelbſt, daß Heraklit bei der Seele in dieſem Sinne nicht an die individuelle Seele gedacht haben kann, ſondern daß ſie ihm als dieſe ſchlechthin allgemeine proceſſirende Bewegung eben nothwendig das allgemeine Leben, allgemeine Seele oder wie ſie die Stoiker nannten, Weltſeele war. Ob Heraklit dieſen den

Ihen ebypövn, yeınav VEpos, re jẽE“t elonvn, x0pos Aunös“. „AAAorodrar de Gnus ep br, ovupiyn [dopa, wie Bernays das hier ausgefallene Wort richtig ergänzt] Aummaotı, övonaferar za® οονάę˙ Exaorou“. „Der Gott ift Tag Nacht, Winter Sommer, Krieg Frieden ꝛe. Es geht Alles in einander über wie wenn Räucherung mit Räucherung man miſcht“. Aus dieſem höchſt expreſſiven und wahrſcheinlich häufig wiederkehrenden Bilde gewiß hat Heraklit auch das Verbum Ne ονν, gebraucht iſt die vadvnians geworden. Ihre Bedeutung aber iſt, wie die Stelle frappant zeigt, nur das AAlorodadar von Allem, d. h. alſo, ganz wie wir oben anderweitig nachweiſen, der objectivirte Uebergang (vgl. bei. $ 23).

* 10

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Stoikern dann jo geläufigen Ausdruck „Weltſeele“ gebraucht hat, iſt gleich— gültig. Wir glauben es übrigens nicht, obwohl ſich juſt zwingende Be— weiſe dagegen nicht finden. Aber den Begriff dieſer Weltſeele hat er aufs Klarſte entwickelt. Die allgemeine Bewegung iſt ihm das ſchöpferiſche Princip, wodurch alles Einzelne iſt und wird und in das es ſich auflöſt, und wenn er dieſe allgemeine, aus jedem Einzelſein immer wieder in ſich rückkehrende und durch dieſe Rückkehr gerade ſich ſelbſt zur Fülle alles realen Daſeins entwickelnde Bewegung, nach dem Zeugniß des Ariſtoteles, nun auch Seele nannte, ſo iſt der Begriff der Weltſeele damit ganz und gar gegeben und genau entwickelt, und Ritter iſt p. 139 im Unrecht, zu meinen, er habe den Begriff der Weltſeele nirgends ausgeſprochen und höchſtens vielleicht auf ihn hingedeutet. Von Heraklit haben die Stoiker dieſen Begriff ganz und gar und haben ihn nur verflacht, indem ſie die begriffliche Gegenſätzlichkeit dieſer Bewegung aus ihr fortließen. Hiermit hängt auch zuſammen das andere immenſe Unrecht, das Ritter p. 139. 140, und ebenſo Schleiermacher und Andere, Heraklit anthun, als ſei ihm nämlich der Sitz dieſer Seele in einer geſonderten Region, im oberſten Um— kreiſe der Welt geweſen.

Heraklit hat von einer ſolchen örtlichen Transcendenz der Weltſeele, von einer ſolchen Verbannung derſelben in eine beſondere oberſte und höchſte Region, wofür auch kein einziges ſicheres Zeugniß ſpricht, wie ſich ſpäter deutlicher zeigen wird, gar nichts gewußt! Ihm war die Seele als reine allgemeine Bewegung außer ihrem gedachten Daſein, dem Begriffe des Werdens (der unſichtbaren Harmonie), vielmehr nur vor— handen in dem realen Proceſſe des Weltalls, in ihrem Sichſelbſt— vermitteln zur allgemeinen Realität!) fie hatte ja ihr Daſein nur darin, ununterbrochen den Weg nach Oben und Unten zu wan— deln und ſo alle Realität aus ſich zu erzeugen; ſie hatte ihre Wirklich— keit und ihren Begriff gleichmäßig nur in dem beſtändigen Umſchlagen des abſoluten Gegenſatzes von Sein und Nichtſein. Alle Vorſtellungen einer beſondern Region der Seele oder des & v, ſtatt fie in dieſer allgemeinen Realität zu erblicken, ſind, worauf wir bei letzterer Form noch zurückkommen, nur Folgen ſtoiſch-verflachender Auffaſſungen oder zum Theil eines nicht hinreichenden Unterſcheidens der ſymboliſchen Darſtellungsweiſe und Namen Heraklits von ſeinem treibenden Begriff.

Einen weit helleren Blick wirft daher Schleiermacher, wenn er p. 486

1) Wir werden ſpäter ſehen ($ 23) wie die dvasupians und das Tepreyoy d. h. das, was beiden bei Heraklit wirklich zu Grunde liegt, in der That den die ganze Natur beſtändig erzeugenden realen phyſiſchen Proceß conſtituirt.

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ſagt, daß das Feuer als der ewiglebende Quell aller Bewegung „inſofern allerdings, wiewohl wir nicht wiſſen, ob Herakleitos ſich dieſes Ausdrucks bedient habe, die Seele des Ganzen genannt werden kann, deſſen Leib alsdann aber ſämmtliche vergängliche Erſcheinungen ſein müßten, welche die Welt bilden“; Worte, in denen ſich Schleier— macher zu der richtigen Einſicht von der Nothwendigkeit der Immanenz der Weltſeele bei Heraklit erhebt, wenn er auch dann wieder (p. 475) ſich zu demſelben Fehler verleiten läßt, ſie (das spreyov gpevnpes) in einer örtlich abgeſchiedenen Region zu ſuchen.

Aber auch indem Schleiermacher jenen Blick wirft, richtet er wieder (p. 486 sg.) eine arge Verwirrung dadurch an, daß er die dvadunfanıs nur für eine beſondere ſinnliche und zwar luftartige Erſcheinung, für trockenen Dunſt hält und nicht ſieht, daß es ſich mit ihr nur gerade ſo verhalte, wie mit dem Feuer ſelber, welches ja auch wie Schleier— macher ſelbſt bis zu einem gewiſſen Punkte geſehen und gegen die platten Mißverſtändniſſe der Berichterſtatter trefflich bewieſen hat, von Heraklit nicht nur als ſinnliches Feuer, ſondern auch in einem von dieſem unter— ſchiedenen und intellectuellen Sinne, als Symbol des abſoluten Proceſſes gebraucht wurde, was jene Berichterſtatter nicht hindert, alles von dem Feuer in dieſer Bedeutung Ausgeſagte auf jenes elementariſche zu über— tragen und gegen den Unterſchied beider ſtockblind zu ſein. Von der avadopiaoıs aber hat Schleiermacher leider nicht geſehen und feine Nach— folger gleichfalls nicht, daß ſie ganz wie das Feuer von Heraklit oder ſei— nen Schülern in dem Sinne gebraucht wurde, die objectivirte Meta— morphoſe, das perſonificirte Sichaufheben und Sichvermitteln zum realen Weltproceß auszudrücken, daß ſie das Uebergehen aus jedem beſtimmten Zuſtande als ſolches bedeutet und in dieſer Hin— ſicht nicht unpaſſend das Wort gebildet wurde, ein Sinn, welchen ſchon die ariſtoteliſche Stelle allein hinreichend feſtſtellt, wenn wir den Stagiriten nicht der begriffloſeſten Faſelei beſchuldigen wollen. Daß die heraklitiſche avadypzaas kein luftartiger Körper, wie Rauch oder Dunſt, wie ſpäter bei den Stoikern, auch ſogar nicht einmal eine ſpecielle Entwicklung aus dem Feuchten auf dem Wege nach Oben, ſondern ur— ſprünglich vielmehr ein feuriger Verbrennungsproceß iſt und als ſol— cher, wie das Feuer überhaupt, den objectivirten doppelſeitigen all— gemeinen Umwandlungsproceß nach Oben wie Unten darſtellt, davon haben ſich noch Spuren genug erhalten. Von dem feurigen Charakter der heraklitiſchen avadun/aars würden ſchon die Worte des Plato im Cratylos (L und wir müſſen hier auf unſere ſpäter zu entwickelnde allgemeine Auf—

10*

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faſſung dieſes Dialogs (ſiehe SS 36 u. 37) verweiſen —) bei der Etymologie des He von Hbew glühen, %s de And i Bbasws za leoews e duyns . rodro ro Övona (Crat. p. 419. E. p. 158. St.) eine deutliche Spur enthalten. Allein auch an andern Spuren und Beweiſen fehlt es nicht. Von dieſen wollen wir vorläufig nur auf folgende aufmerkſam machen. Von Theophraſt wird dvadopav ſynonym mit Errxafeev für die Thätigkeit der Sonne gebraucht, de igne, Fragm. III. T. I. p. 718. ed. Schneid.: ouußalvsı yap yv nEv Tod YAlov Bepuoryra kenryy oDoay za! mararmv Ka Dsrep Avadupıav zal Enıxzaleıv Ta Enenoing, ganz wie Plato in jener ſpäter genau zu betrachtenden, ganz und gar heraklitiſirenden Stelle des Cratylos (p. 413. B.) fagt, daß fie dralwv zul zawv Enmerporeber 7a. yr. Plutarch (Sympos. III. Quaest. I, c. 3. p. 647. D. p. 633. Wytt.) gebraucht die 2 πασοννανσ es als Ausſtrömung überhaupt, ſynonym mit ar sp pora, welches wir ſpäter als einen heraklitiſchen oder mindeſtens bei ſeinen ſtoiſchen Commentatoren vorkommenden Ausdruck für feinen Proceß (ar70Ppo7) wiederfinden werden. An einem andern Orte dagegen braucht ſie Plutarch (eur Pythia non etc. p. 400. B. p. 639. W.) für Werden und Ent— ſtehung überhaupt, ſynonym mit yevsors!). Bei dem Pſeudo-Plu— tarch, Plac. III. 16., wird ſie, wo er von Anhängern des Plato berichtet, wieder ausdrücklich mit der Exrbpwors identificirt und als die Thätigkeit derſelben dargeſtellt?), von dem echten Plutarch anderwärts wiederum was der bisherigen Anſicht von ihr direct widerſpricht als Entwicklung auf dem Wege nach Unten, als Uebergang aus dem 3% % in die Stufe des Feuchten nach Unten zu, identiſch mit bedgbgis genommen?), und daß ſie noch bei den älteren Stoikern ihre urſprüngliche Bedeutung nicht ganz verloren hatte, zeigt evident die Stelle Plutarchs adv. Stoic. de comm. p. 1085. A. p. 427. W., wo die Natur der Seele als Avadupiaoıs definirt und dieſe Avadvmrasıs, obgleich fie daſelbſt zunächſt als Entwicklung aus dem Feuchten erſcheint, dann als der ununterbrochene Proceß des Zu- und Abſtrömens, als die beſtändig neue Einheit des Zuſammentretens und Auseinander- gehens geſchildert wird, faſt mit denſelben Worten, mit welchen Heraklit ſelbſt und zumal auch Plutarch, wo er die Theorie deſſelben entwickelt

1) Fre d 2E brd HYYläaro Tpopnv Tod hilov al yEvsaıy xal avaduniaatv Ö Önpiovpyös .

2) o ano Illarwvos TO Ö Ano nis ara re H ,] xal Exnöd- pwarv avaduntmpevov, Alnvpov.

3) Sympos. Quaest. III. c. 1. p. 689. E. p. 831. M.: ro Y by ro Enpov Apsyönsvov za ualarrönsvov dtaybosıs loysıv xal dävadvuntdasıs.

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feinen abſoluten Proceß als das Eine, welches im beftändigen ſich von ſich Unterſcheiden und Auseinandertreten ſich beſtändig mit ſich einigt, darſtellt !).

Nirgends dagegen liegt auch nur eine Spur vor, daß die Avadupiaars, ſei es bei dem Epheſier, ſei es bei ſeinen unmittelbaren Nachfolgern, die Bedeutung eines luftartigen Dunſtes gehabt habe. Vielmehr iſt die urſprüngliche Feuers natur derſelben nicht zu beſtreiten?). Wollte man aber einwenden, daß die dvadupiacrs auch als feurige immer eine be— ſtimmte ſinnliche Uebergangsſtufe und Erſcheinung darſtellen würde, ſo ſpricht dies doch ebenſowenig gegen die ihr von uns vindicirte ideelle Be— deutung des allgemeinen, objectivirten Proceſſirens, als es gegen dieſe ideelle und abſolute Bedeutung des Feuers bei Heraklit ſpricht, daß

1) Blut. a. a. O. 9 ó dcs, avadvpianıs H re yd zpogn xa n yevears abras EE dypwv oboa oavveyn Tn» Enıpopay EN xal Thy avalwarv' TE npös my depa Tas dvanvons Enınkia xalvnv del moret nv avadvupiacıy, Efroranevnvy zal rer i Tod H t] EU- Paikovros Öyerod xal nalıv EElovros.

2) Wie dies die bisherigen Belege darthun, jo wiſſen wir auch aus der arifto- teliſchen Meteorologie I, 3., daß es eine doppelte Art von Ausdünſtung giebt, eine feuchte, die er re nennt und von der er ſagt, fie habe Waſſers-Natur (Y otov ꝗοε) und eine andere, die er Avadvpiaars nennt und von der er fagt, fie habe Feuersnatur (dvvaneı oloy röp). Und Schleiermacher hat ſelbſt p. 387 erkannt, daß dieſe letztere ihrem Weſen nach heraklitiſch geweſen und dem Epheſier vom Ariſtoteles entlehnt ſein muß. Eine feurige Strömung war alſo die 4/4 Soptaars. Um jo mehr Unrecht haben die Stoiker, welche fie (Plut. Plae. I, 3. p. 877. C.) luftartig faſſen. Um ſo mehr Recht hat Ariſtoteles, wenn er in der oben in Rede ſtehenden Stelle (de anim.) dieſe feurige Avafvuuranıs mit der ei und 4% identificirt, und um jo mehr Unrecht hat Schleiermacher, wenn er ihn wegen dieſer Identification der Avadyuiaaıs mit der %) tadelt und dieſe ihre Feuersnatur vergeſſend ſie für trocknen Dunſt hält. Um ſo mehr Unrecht hat er, wenn er im Widerſpruch mit ſeiner eigenen früheren Erkenntniß, ſtatt dieſe feſtzuhalten und zu ihren Conſequenzen zu bringen, die Commentatoren des Ari— ſtoteles arger Mißverſtändniſſe beſchuldigt, weil ſie gerade in gewiſſer Weiſe das Richtige ſehen und die avadvniaaıs in jener Stelle des Ariſtoteles durch Feuer erklären, über welche Erklärungen der Commentatoren ſpäter ($ 33) näher gehandelt werden wird. Jener Widerſpruch Schleiermachers iſt nur eine Folge davon, daß er die Natur des heraklitiſchen Feuers überhaupt nicht im Sinne des Epheſiers erfaßt hat, als die proceſſirende Einheit des Gegenſatzes von Sein und Nicht. Jene Feuersnatur der Avamnpinors aber widerſtreitet ihrer oben angegebenen unſinn— lichen Bedeutung ſchon darum nicht im mindeſten, weil dann für ſie alles in dieſer Hinſicht für das Feuer ſelbſt geltende gilt, welches dem Epheſier ja das un— beſtreitbare Symbol dieſer reinen Vermittelung oder des abſoluten Proceſſirens war.

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daſſelbe Wort auch das ſinnliche Feuer bedeutet. Vielmehr glauben wir ſchon im zweiten und dritten Capitel dieſer Arbeit hinreichend gezeigt zu haben, vermöge welcher innern Gedankennothwendigkeit Heraklit ſeinen ab— ſoluten Begriff, die reine Negativität, dieſe vollſtändige Aufhebung alles Sinnlichen immer nur in objectiv-ſeiender Form und ſomit ſelbſt wieder als Seiendes und alſo in ſinnlicher und ſeinem eigenen Begriffe unangemeſſener Weiſe auszudrücken vermochte, und wie eben dieſe ihm ſelbſt bewußte Unangemeſſenheit den reinen Proceß in ſeiender, ſinnlicher Form auszudrücken, ihn zu der unendlichen Vielheit und Abwechslung von in ihrer Bedeutung identiſchen Namen trieb.

Iſt die avadupiaoıs ein vom Epheſier ſelbſt gebrauchtes Wort, ſo iſt ſie, weit entfernt in der elementariſchen Reihe und Rangordnung unter dem Feuer zu ſtehen, vielmehr nur eine von ihm unter dem Treiben dieſes Begriffes erzeugte Form, um an der Bezeichnung ſeines abſoluten Princips durch Feuer dieſe Unangemeſſenheit der beſtimmten ſinnlichen Exiſtenz zu tilgen und jenes Proceſſiren als ſolches, wegen welches ihm das Feuer Bild und Darſtellung ſeines Princips war, frei für ſich und ohne Vermiſchung mit einem beſtimmten Daſein herauszuringen ).

Weil Schleiermacher, durch die ſtoiſchen Berichterſtatter getäuſcht, nicht zu dieſer wahrhaften Bedeutung der avadymiacrs durchbricht, muß er denn auch den Ariſtoteles in jener Stelle des gröbſten Mißverſtändniſſes be— züchtigen und ihn in einer Weiſe behandeln, als hätte er es mit einem ſinnloſen Polyhiſtor zu thun. Uns aber hat ſich Ariſtoteles bis jetzt wenigſtens immer noch als ein zuverläſſiger Kenner heraklitiſcher Philoſo— phie ergeben und wird ſich uns als ſolcher wohl auch bis ans Ende be— währen.

Wie ſehr recht Ariſtoteles damit hatte, daß die Avaduuiaoıs dem Heraklit nicht eine einzelne ſinnliche Erſcheinung, ſondern nur der all— gemeine Weltproceß ſelbſt, die beſtändige Vermittlung des allgemeinen Werdens iſt, das zeigt ganz evident eine von Euſebius aufbewahrte Stelle des Kleanthes, die hier ihren Platz finden müßte, da ſie die weſentlichſte Beſtätigung für den Ausſpruch des Stagiriten und die angegebene Be— deutung der avadunfaoıs enthält, eine Stelle, auf die wir indeß, da fie ohnehin bald bei der Lehre vom Fluſſe anzuführen iſt, einſtweilen nur hinverweiſen wollen. Daſelbſt wird ſich denn auch noch ferner ſowohl aus dieſer Stelle, wie ſogar noch aus ſtoiſchen Berichten und aus den

) Worte, die durch das AAdorodrar in dem oben nachträglich mitgetheilten Fragment aus Origenes wohl ſchlagend gerechtfertigt werden.

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Zeugniſſen über das rep.eyov ergeben, daß dieſe Avaduniaoıs von dem Epheſier als Seele und zwar weſentlich in dem Sinne von Weltſeele gedacht und ausgeſprochen wurde.

Hier ſtehe nur noch als ein weiterer Beleg für unſere Behauptung, daß die Avadumiaoıs nichts Anderes als den Proceß, die objectivirte Bewegung des allgemeinen Wandels ſelbſt bedeutet, eine Stelle des Mare. r rayıora peraßdiieı zal Mror exduniadyosrar, einep Yvwrarn obata, 7 oxsdaodnosrar. Es wird alſo hier mit dem in Rede ſtehenden Worte geradezu die ſich einende Bewegung der Weſenheit des Seins bezeichnet und durchaus nicht, was ſonſt die Stoiker darunter verſtehen, Uebergang in einen luftartigen Zuſtand aus einem feuchten. Es wird hier ausdrücklich die allgemeine proceſſirende Bewegung, in der alles Seiende, Exiſtirende (ravra 7a bDroxsiseva) begriffen iſt und ſpeciell der Weg nach Oben, der Rückgang aus den Unterſchieden des ſinnlichen Daſeins in die ideelle Ein— heit der Subſtanz damit bezeichnet. Und die Stelle ſcheint uns um ſo gewichtiger, da es das einzige Mal iſt, daß wir dieſen dem Marc. Anton. fremden Ausdruck exdupesopaer bei ihm finden. Von dem Sinne, in wel— chem Heraklit das Feuer nahm, von dem Begriffe der reinen Bewegung würde ſich die Avadvupiaors gerade nur durch die Eine Nüance unter- ſcheiden, daß bei ihr der Begriff der Bewegung nicht in abſtract-logi— ſcher Beziehung, ſondern in realer oder kosmologiſcher Beziehung gedacht wird, nämlich als die ſich aus allem realen Sein, aus allen einzelnen Erſcheinungen immerfort entwickelnde und freiwerdende, aber eben dadurch wieder die ganze Fülle die— fer Erſcheinungen, das geſammte reale Weltall aus ſich pro— ducirende und ſo in beſtändiger Wechſelwirkung mit dem In— begriff der Erſcheinungen ſtehende allgemeine Bewegung). Sie iſt der „ſich durch Alles hindurchziehende Logos“, nicht aber, wie in dieſem Ausdruck (Adyos den ravrwv νν ] der Fall iſt, nach der Seite ſeiner einfachen ideellen Einheit gedacht, ſondern nach der Seite ſeiner Entwicklung zu der Geſammtheit der Erſcheinungen. Sie iſt die als Entwicklung zum realen Weltproceſſe und darum als Weltſeele gedachte Bewegung.

Heraklit hat alſo, wo er von Seele in dem Sinne ſprach, den der Stagirit mit % bezeichnet, immer nur den klar entwickelten Begriff der

1) Der entſcheidende Beweis und die phyſiſche Durchführung des hier Ge— ſagten wird ſich in der Phyſik 8 23 ergeben.

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Weltſeele, der allgemeinen Seele, vor Augen gehabt, jenes Einen lebendigen Princips, das durch allen Wechſel der Erſcheinungen hindurch— geht und ihn ſelbſt erſt erzeugt, gleichviel ob Heraklit dieſe Seele auch x00p.09 vder zavrös doyn genannt hat oder nicht, wie er ja übrigens dieſen ſelben Begriff als den %% de zavrös deus ausgeſprochen hat ). Die Seele war ihm nur, wie auch das Feuer, ein Name und Symbol ſeines Abſoluten, der reinen aber in ihrer Entwicklung zum realen Wan— del des Weltalls gedachten Bewegung), der proceſſirenden Identität von Sein und Nicht.

1) Dieſer %s nimmt eben zum All die Stelle der 9% ein und mit gutem Rechte ſagt daher Plotinus in einer ganz herakleitiſirenden Stelle, die, wenn man Aöyos für %% ſetzt, ſich wörtlich in den Berichten über Heraklit wiederfindet (III, 1, 4. p. 230. F. p. 417, 1. ed. Oxon.): AA üpa hid rig duyn dıa ca- rog gen repatver rd rayra, „Eine das All durchwaltende Seele vollbringt Alles“.

2) Jene Berichterſtatter, welche ganz ernſthaft das materielle Feuer für das Urprincip bei Heraklit nehmen, verfahren daher, wenn ſie ſchon einmal Symbol und Sache verwechſelten, wenigſtens ganz richtig, wenn ſie ſagen, die Seele habe bei Heraklit Feuersnatur gehabt, z. B. Jo. Philoponus Comment. in libb. de Anima. Venet. 1535. ed. Vict. Trincavell. lib. I. A. 4: „o, Ye (sc. ſagten, es ſei die Seele) & O Hod e,, ere t nüp Zieyev elvar my dpzmv Toy övrwy, odTws oDv xal Tny burn ruplay eivar dıa To ebrtvnrov, in wel— chen letzteren Worten er ſich alſo dem richtigen Sachverhältniß ſehr nähert; und ib. B. 14: Aeyw 07 rw röp Aeyeıw tu dhuymy eis Tabröv Ipyerar 6 Annöxperos Hoarisitrwo u. ib. C. 6: xa mv duym» &x nupös “Hpaxierros xri. u. ib. C. 7. u. C. 10. u. Themistius, in de anima ed. Ald. f. 67. a., Stellen, welche ſämmtlich den richtigen ariſtoteliſchen Grundſatz, das, was einem Philoſophen % geweſen, ſei ihm auch das Weſen der Seele, bis zum Ueberdruß abreiten. Mehr Erwähnung verdient eine Stelle des Hermias, die von Schl. überſehen, aber um ſo bemerkenswerther iſt, als ſie gleichzeitig Luft wie Feuer als das Weſen der Seele nach andern Philoſophen anführt, von Heraklit aber angiebt, ihm ſei die Seele die Bewegung, Irris. gent. ed. Ox. p. 214: of „e yap yaoı abrav douyn elvar to röp, oloy Amnöxperos‘ x depa, ol ro ol d r voöv: ol dk nv xivnatv, Hpdxisıeros. Andere dagegen ließen ſich bekanntlich durch jene mißverſtandene dvadvpiaaıs ſo ſehr täuſchen, daß fie, wie beſonders die Stoiker, deren Luftſeele wahrſcheinlich dieſem Irrthum ihre Entſtehung verdankt, die herakli— tiſche Seele für Luft nahmen und ſo in Sache wie Symbol gleich ſehr irrten, cf. was Galen. I, 346. ed. Bas. T. V, p. 449. ed. Chart. von den Stoikern hierüber jagt, mit Philo, de mundi incorr. p. 958. T. II, p. 508. ed. Mang. u. Tertullian., de anim. c. IX. non ut ar sit ipsa substantia ejus, etsi hoc Aenesidemo visum est et Anixameni, puto secundum quosdam et Heraclito, während er jelbft (ib. c. V.) fie richtiger ex igni fein läßt, cf. ib. c. XIV. p. 317. a. ed. Rigalt. u. Sextus Emp. adv. Math. X, 233., worüber unten $ 22, wo den Gründen dieſer Verwirrung weiter nachgegangen wird.

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Aber auch die individuelle Seele mußte er freilich mit dem— ſelben Namen benennen, obgleich ſie ihm nicht mit jener allgemeinen Seele unterſchiedslos zuſammenfiel, ſondern zwar die erſte und reinſte Erſcheinung jener reinen Bewegung, aber damit ſchon immerhin ſeiende und ſomit in ſchlechthinnige Entäußerung von ſich ſelbſt gerathene, außer ſich gekommene Seele war, gerade wie auch das ſinnliche Feuer ſich von ſeinem intellectuellen Feuer, deſſen Symbol es iſt, unterſcheidet.

Daß Heraklit dieſen abſoluten Unterſchied von der allgemeinen und individuellen Seele auch mit vollkommenem Bewußtſein machte, iſt nicht blos bereits durch ſo zahlreiche Stellen belegt und wird im Verlauf durch noch weit mehrere belegt werden !), ſondern auch gewiß, wenn irgend etwas, eine Vernunftnothwendigkeit.

Wer zu dem Gegenſatz des Seins und Werdens durchgedrungen iſt, hat auch damit den Begriff des Allgemeinen und des Einzelnen erfaßt und wir werden beim Logos und dem Erkennen ſehen, wie ſcharf Heraklit dieſen Gegenſatz erfaßt hat.

Das Allgemeine und die reine Bewegung war ihm und mußte ihm identiſch fein; ebenſo Einzelnes und Seiendes. Die einzelne Seele war ihm daher ſeiende Bewegung, d. h. eben in jene abſolute Ungleichartig— keit und Widerſpruch mit ſich ſelbſt gerathen, in jene Entäußerung gefallen, die er mit dem Verhältniß eines Affen zu einem Menſchen vergleicht; ſie war ihm, wie Plutarch in der o. a. St. ſagte, jene ungerechte und widerſpruchsvolle und dennoch nothwendige Einheit des Un— ſterblichen mit dem Sterblichen.

Richtig deutet daher Theodoret a. a. O. an, daß der Tod die Be— freiung der individuellen Seele von dem ihre reine Bewegung in die Schranke des Seins hineinziehenden, hemmenden Körper und ihre Rückkehr in ihre wahre Gleichartigkeit mit ſich, in die Weltſeele oder reine Be— wegung ſei. Jetzt erſt kann auch die oben aufgeworfene Frage erſchöpfend beantwortet werden, die Frage, ob denn dem Heraklit gar kein Unterſchied zwiſchen Gott und Seele, oder aber welcher, geweſen ſei.

Zwiſchen Gott und jener allgemeinen Seele war ihm nun kein Unterſchied oder richtiger und wie bereits angedeutet, kein anderer Unter—

1) ef. Theodoret., Graec. affect. cur. T. IV, p. 822. ed. Hal., ö de odd etrus rds draklarronsvas tod owparos (H] eis my To ravrös dvaywpeiv Yyuyny “Gl, ola On Öpoyevn re obaay xat Önoodaroy; ef. Plut. Plac. IV, 3. p. 623. Wytt; Nemesius, de nat. hom. p. 28. ed. Plaut. Antwerp. 1565.

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ſchied als der zwiſchen dem Logos, d. h. dem einfachen Vernunft— geſetz oder Gedanken des proceſſirenden Gegenſatzes und ſeiner, aber ge— ſammten und totalen, Realität, dem allgemeinen Wandel ). Beide ſind ihm nur Verſinnlichungen ſeines höchſten Begriffes, der reinen Be— wegung.

Zwiſchen Gott und individueller menſchlicher Seele aber war ihm ganz derſelbe Unterſchied wie zwiſchen allgemeiner und individueller Seele oder wieder zwiſchen Gott und Menſch. Gott und jene allgemeine Seele drückten ihm dies reine Werden aus. Und zwar Gott als der reine Wan— del des intelligiblen Gegenſatzes; die allgemeine Seele als die ewige über alle Beſtimmtheit ſchlechtweg hinausgehende und ſich im abſoluten Fluſſe derſelben herſtellende Bewegung des geſammten Weltalls und ſeiner krei— ſenden Formen. Menſch und individuelle Seele dagegen drücken ihm dieſe zwar der Subſtanz nach noch immer identiſche aber bereits in das Element der Beſtimmtheit und des verharrenden Einzeldaſeins gerathene und da— durch in abſoluter Entfremdung befindliche Bewegung aus. Daher kommt es, daß in vielen Stellen Gott und Menſch in demſelben Sinne ſich ent— gegengeſetzt werden, wie Seele und Menſch, in andern wieder Gott und Seele in demſelben Gegenſatz erſcheinen können, in welchen letzteren Stellen dann aber auch immer deutlich heraustritt, daß nur von der individuellen Seele die Rede iſt. Daher kommt es denn auch, daß wie wir oben hatten, die Menſchen lebten den Tod der Götter und ſtürben der Götter Leben, andere Fragmente mit demſelben Rechte wieder ſagen, die Menſchen leb— ten der Seele Tod und ſtürben ihr Leben, und der Körper ſei das Grab der Seele, wo dann die Seele als jene allgemeine, Menſch aber als die individuelle und dadurch entäußerte Seele gefaßt iſt, Stellen, zu denen wir nach dieſer langen aber hoffentlich nicht überflüſſigen Abſchweifung nun zurückkehren.

1) Bei den Stoikern wird dieſer Unterſchied gänzlich überſehen (weil ſie den ideellen Begriff des Logos verlieren), weshalb ihnen Zeus und mundus total zuſammenfallen, während ſie bei Heraklit ſo identiſch als auch unterſchieden ſind.

87. Seele und Leib. Leben und Sterben als Naturproceß.

So bezieht auf die Seelen jene Antitheſe vom Leben und Sterben Nume— nius ap. Porphyr. ), nachdem er eben einen heraklitiſchen Satz über das Flüſ— ſigwerden derſelben mitgetheilt hat, worauf er fortfährt: za? @AAayod 02 gavaz (sc. Hoaxserrov): „I i, Tov S ννν davarov zar Ci Exelvas Tov jus repon davaroy“, „und an einem andern Orte feines Werks habe Heraklit geſagt: „wir leben Jener Tod und Jene leben unſern Tod“. Ebenſo berichtet Philo?): „ED za 6 “Hoaxierzos zara odro A πονανν e νε dxolovdnoas Ööyparl gt C rov Exelvwv ddvarov, redynzanevosrtovexeivwv Blov““, ws vov uEv Dre Evkonev re dun- xulas che duyns x⁰ ws av Ev oynarı To ownarı Evreruußsune- uns’ er d dnodbdvomev ers diurys Swons Tov Lörov Klov zar AanyAlaypevns rh E VEXRDOD TOD OUVÖETOU owp.aros“. „Trefflich jagt auch Heraklit, der hierin dem Dogma des Moſes folgte: „Wir leben Jener Tod und find geſtorben Jener Leben“, wie nämlich jetzt zwar, wenn wir leben, die Seele geftorben und in dem Leibe, wie in einem Grabhügel (wörtlich Grabzeichen) begraben ſei; wenn wir aber geſtorben ſind, die Seele ihr eigenthümliches Leben lebt und befreit iſt von dem Uebel und Leichnam des mit ihr zuſammengefeſſelten Leibes“.

Dieſe Erklärung nämlich nicht nur, ſondern auch das darin enthaltene etymologiſirende Wortſpiel von %% und anna, wie der Leib nur das Grabzeichen der in ihm begrabenen Seele ſei, iſt echt heraklitiſch, wie ſich

1) De antro Nymph. c. X. p. 257. p. 11. van Goens.

2) Legum Alleg. lib. I. fin. T. I. p. 65. ed. Mangey. Ganz ebenſo der armeniſche Text des Philo Quaest. in Gen. p. 360., Aucher. T. VII. p. 157. ed. Lips.: „Qua de re etiam Heraclitus, furtim a Moyse dempta lege et sen- tentia, dixit: Vivimus eorum morte et mortui sumus eorum vita, sub aenigmate notans corporis vitam mortem esse animae; mortem autem dietam vitam felicissimam ac primam animae.

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auch aus Stellen des Plato ergiebt !): „denn Einige ſagen auch, daß er (der Körper) das Zeichen der Seele ſei, als einer für jetzt in ihm be—

1) Cratyl. p. 400. C. p. 94. Stallb.: x yap anna rwes yaaı abro elvar tus Hs. ws rena & to vöy rapöyrı. cf. Plato Gorgias p. 493. A. Dieſe Lehre aber, daß der Körper das Zeichen und Gefängniß der Seele fei, führt Plato a. a. O. ſchon auf die Orphiker zurück, ef. Phaedo p. 62. Cc. annott. Wyttenb. und Heindorf.— Philolaos ſchon führt dafür das Zeugniß der alten Theologen an ap. Boeckh. p. 181., ef. Lobeck Aglaoph. p. 795., ef. den Verf. des Axiochus c. 5: nuels ev Yap Eapzv durn, £aov adavarov Er πẽjü naideih- hero gpovpto, und endlich eine Stelle des Dio Chrysost. Orat. XXX. p. 550 sqq. Reiske mit der nach einem Codex gegebenen Verbeſſerung bei Boissonade ad Nicet. Eugen. p. 195., wo an den orphiſchen Mythos von der titaniſchen Natur der Menſchen (cf. Orph. Fragm. ex Olympiod. in Phaed. p. 509. ed. Herm.) anknüpfend gejagt wird, daß weil die Titanen den Göttern feindlich und verhaßt ſeien, auch wir ihnen nicht lieb ſeien, ſondern beſtraft und in Gefangenſchaft gehalten würden, ſo lange wir lebten, die Geſtorbenen aber als hinlänglich gezüchtigt erlöſt und befreit würden, h ee gllor (sc. rois Weois) Lanztv, alla xolakönedd Te br ar s xal ER Tınmpta yeyovapsv, Ev Ypovpa ο Jure & To fi TocodToy xpovoy Exaorov Knpev' Tods de dnoyvnaxovras hudv xerolaonzvous HN mavos Adsodar zart anarrarreodar, womit man die jo ähnlichen Stellen über Heraklit bei Philo und Theodoretus J. J. vergleiche, ſowie die des Plato und die bald folgenden des Sextus ꝛe. Ferner aber muß man wieder mit jenen Worten des Philo und Dio Chrysost. eine Stelle des Jamblich zuſammenhalten, wo er (de Myst. Aeg. Sect. I. c. XI. p. 22. ed. Gale) über die Opfer ſpricht und ſagt, ſie geſchähen zur Reinigung der Seele und zur Minderung der mit ihr durch die Geburt in das Daſein verwachſenen Uebel, und um der Erlöſung und Be— freiung derſelben von den (ſinnlichen) Feſſeln willen (J τν e re dro rov dsonwy zal äralkayns yaper) und deswegen habe fie mit Recht Heraklit „Area“ „Heilungen“ genannt, weil fie beſtimmt ſeien auszuheilen dieſen Zu— ſtand des Unheils und die Seele wieder frei und unverſehrt zu machen von den Uebeln, mit welchen fie in der Geneſis verwachſen iſt (* ge Todro e adra d “Hodxisıros nposeizer, bs 2Earsodneva Ta deu zal Tas duyas eEdvreis Anspyaköneva r e v yerdosı auupopov"). Denn nicht nur ſcheint mir dieſer von Jamblich ſelbſt angegebene Zuſammenhang jedenfalls um ſehr viel beſſer als die von Schleiermacher p. 431 aufgeſtellte, ſich gewiß in keiner Hinſicht empfehlende Vermuthung, ſondern er ſcheint mir auch, trotz alles Mißtrauens, das ſich theils mit Recht und theils mit Unrecht an neuplatoniſche Quellen knüpft und hierbei auch Schleiermacher abhält, dem Jamblich Glauben zu ſchenken, der wirklich den Worten nach echte zu fein. Nicht nur daß Jamblich fo beſtimmt ſpricht, daß man wirklich glauben muß, er habe es bei Heraklit ſo geleſen, ſondern der von ihm angegebene Zuſammenhang enthält ja nur faſt wörtlich, was durch die vorangehende und nachfolgende Reihe von Stellen als echt heraklitiſch ver— bürgt iſt und was ſich uns unten über die Darſtellung der Seelenlehre bei Heraklit ergeben wird. Und auch in dem Gedankenſyſtem des Epheſiers ſcheint mir, was Jamblich hier von ihm erzählt, wohl möglich geweſen zu ſein. Denn

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grabenen“. So berichtet auch Clemens !), dem Heraklit ſei Schlaf und Tod das Niederſteigen der Seele in den Leib geweſen. So führt uns nun auch noch Sextus Empir. aus Heraklit an?):

„% 02 Hdd eH,ꝭi Be drt „„xal Fi xal ro darnodbaveiv xa 2 > 9 6 TE * ev ro E ynäs Eor! xal Evro redvavar““ or Hey rd he

lop.ev Hd ae jpov redvavar nd & i He ). re ÖE hs Lets drodvnoxonev rde Juyüs avaßıodv zar nv“. „Heraklit aber jagt: „„ſo— wohl Leben als Sterben ift (beides) ſowohl in unſerm Leben wie in unſerm Tod““.

Die Erklärung aber, die Sextus auf dies Citat nun folgen läßt: „denn wenn wir leben, ſind unſere Seelen geſtorben und in uns be— graben, wenn wir aber ſterben, ſo leben die Seelen wieder auf“, dieſe Erklärung, die auch wieder auf jene etymologiſirende Deutung des Körpers als des Grabes der Seele bei Heraklit zurückweiſt, iſt zwar gewiß an ſich, wie wir ja aus ſo vielen Stellen erſehen haben, ganz richtig und echt heraklitiſch, und dennoch iſt fie, wie wir glauben, nicht diejenige Beziehung, in welcher ſich das den vorhergehenden Worten bei Sextus zu Grunde liegende Fragment (denn ein ſolches und von den bisher

wenn ſchon über ein Wort eine Conjectur gewagt werden ſoll, ſo mag Heraklit ganz angemeſſen ſeinem Begriffe die Opfer deshalb Heilungen der Seele genannt haben, weil dieſe mit dem Aufgeben des ſinnlichen Beſitzes, an dem ſie hängt, zu— gleich ihr Fürſichſein, ihr Beharren und Feſthalten an ihrer Einzelheit auf— giebt, welches ja in der That dem Heraklit im Ethiſchen wie im Phyſiſchen gleich— mäßig das Princip des Böſen und wie ebenſo unbeſtreitbar iſt, die Entfremdung und der Abfall der Seele von ſich ſelbſt und ſo das Grundübel war, mit welchem die ihrer Subſtanz nach reine Bewegung ſeiende Seele dadurch, daß ſie in das verharrende Daſein tritt, nothwendig zuſammenwuchs. Die freiwillige ſittliche Aufopferung dieſes auf ſich Beharrens der Seele vollbrachte ihm die möglichſte Aufhebung dieſer Entfremdung, ein Gedanke, den faſt alle ſeine ethiſchen Fragmente (ſiehe 8 39) zweifellos durchleuchten laſſen und deſſen Anwendung auch auf die Opfer ſchon die Conſequenz des Epheſiers forderte und auch nach einem andren Fragment ($ 11), in welchem er gegen den gewöhnlichen Opfercultus polemiſirt, nicht umſonſt von ihm gefordert zu haben ſcheint.

1) Strom. V. c. 14. p. 256. Sylb. p. 722. Pott.: Drvov re xd Nd. e radra ro Hoarketrw.

2) Pyrrh. Hypotyp. III, 230.

3) Auch der h. Gregor. Nazianz. in Caesar. Orat. funebr. c. 22. p. 17. de Sin- ner. ſpielt auf dieſe heraklitiſche Sentenz, daß die Körper die Gräber der Seelen ſeien, und die durch den Tod vor ſich gehende Apotheoſe an: „.. Ire HA,] n e ros ragpoıs, ols repıpäpone», irt bs dvdpwror ürodvnexopev rov xi Apnaprias H. varoy, hebt yeyovöres“, wozu Baſilius das Scholion fett (ib. p. 50): r yap reg ri ndlar vopüv Tapous reptpepongvoug h iνν ra awpara /e.

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betrachteten formell verſchiedenes muß man offenbar in ihnen erblicken) in dem Werke des Epheſiers gefunden haben dürfte.

Iſt unſere Anſicht richtig, ſo hat Heraklit in der einen bereits durch— genommenen Fragmentenreihe das gegenſeitige Leben und Sterben und ſomit Identität und Unterſchied von Menſchen und Göttern, in der zweiten Fragmentenform daſſelbe Verhältniß, ſomit ebenſo Identität und Un— terſchied zwiſchen Seele und Menſch, in dem obigen dritten in der Stelle des Sextus unterlaufenden Fragment aber und der etwa zu demſelben ge— hörigen Reihe die Identität von Leben und Sterben als Natur— proceſſe ausgeſprochen. Daß dem Heraklit Leben und Sterben ſolche an ſich identiſche Naturproceſſe waren und ſein mußten, ergiebt ſich nicht nur aus ſeinem Grundgedanken und der Reihe der eben durchgenom— menen Fragmente mit Nothwendigkeit von ſelbſt, ſondern wird ſich weiter unten noch deutlicher in vielen Formen herausſtellen, in welchen derſelbe Gegenſatz und ſeine Identität nicht mehr in metaphyſiſcher Form, als Gott, Seele und Menſch ꝛc., ſondern in rein phyſiſcher ausgeſprochen wird. Ja es unterſcheiden ſich die bereits durchgegangenen Fragmente von den das Leben der Menſchen ſterbenden Göttern und Seelen ꝛc. überhaupt gar nicht anders von dem jetzt angeführten und den hieran anzuknüpfenden Bruchſtücken, als das metaphyſiſche Ausſprechen eines und deſſelben Gedankens von dem Ausſprechen und Durchführen deſſelben Princips im Gebiete des Phyſiſchen und Phyſiologiſchen. Heraklit aber hatte, wie ſchon mehrfach entwickelt, nicht einmal von der Trennung und Ver— ſchiedenheit dieſer Gebiete ein wirkliches Bewußtſein, und unterſchiedslos floſſen ſie ihm in das Eine göttliche Leben zuſammen, genährt, wie er ſagt, von dem Einen Göttlichen, das überall herrſcht und Alles durchwaltet.

Daß aber Heraklit wirklich auch die phyſiologiſche Erſcheinung des Lebens mit dieſem ſelben Gedanken durchdrang und ſie ſo in ihrer Wahrheit als den abſoluten Proceß der Gegenſätze erkannte, iſt leicht zu zeigen. Derjenige, dem Alles nur der immerwährende Umſchlag in ſein abſolutes Gegentheil war, dem konnte auch das Leben ſelbſt nichts anderes als dieſer ſelbe Proceß ſein; dem mußte das Leben gleich— falls nur abſolutes Umſchlagen von Leben und Sterben ineinander ſein. Und daß es ihm in der That nichts anderes war, zeigt zunächſt evident ein Fragment bei Plutarch, von welchem nur der hierhergehörige Theil hier ſtehe !): R 7 gyow "Hoazierros „rabro S (2or}?) C

re N DEREN x Me 2 5 2 A 705 > K ME TEU S dag 7. PETATEOOVTO SXELVA SCT, * K

1) Consol. ad. Apoll. p. 106. E. p. 422. W.

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xeiva ndkıy neransodvra radra“, „und wie Heraklit ſagt: „daſ— ſelbe iſt Lebend und Geſtorben, denn dieſes iſt umſchlagend [in ſein Gegentheil] !) jenes und jenes wiederum umſchlagend dieſes“.

Denn ob die Worte rade yap peran. x. dem Bruchſtück ſelbſt angehören, wie wir keinen Grund ſehen zu bezweifeln?), oder ob ſie nur eine äußerſt echte und dann jedenfalls eigene heraklitiſche Worte in indirecter Rede wiedergebende Erklärung des Plutarch ſind, in beiden Fällen dachte ſich alſo Heraklit das Leben identiſch mit dem Sterben, und zwar gerade darum, weil jedes von beiden in ſein Gegentheil umſchlagend zum an— dern wird und Alles ohne Ausnahme eben nur dies iſt, in ſein abſolutes Gegentheil umzuſchlagen und nur in dieſem beſtändigen Umſchlagen, in ſeiner Vermittlung mit ſeinem Gegenſatz gerade ſein eignes Daſein zu haben“).

1) Wie ſehr das heraklitiſche Werden durchaus nichts Anderes war, als be— ſtändiges Umſchlagen in das ftricte Gegentheil, das zeige nach jo vielen Beweiſen endlich noch eine, weil fie Heraklit nicht namentlich anführt, unbeachtet gebliebene Stelle des Plutarch, der bereits dieſe Einſicht in dieſe wahr— hafte Natur der heraklitiſchen Bewegung vollkommen gehabt hat, wäh— rend alle modernen Bearbeiter, ſich durch Worte täuſchen laſſend, ſein Werden für ein Fließen im Sinne der gewöhnlichen Vorſtellung, ſeine Bewegung für eine bloße Fortbewegung, was auch zu dem Irrthum der Ortsbewegung führen mußte, feine »eraßoAn für die gewöhnliche gedankenloſe Kategorie der Ver— änderung genommen haben und ſo die ſtreng logiſche Natur ſeiner nur im ab— ſoluten Umſchlagen der Gedankenmomente ineinander beſtehenden Be— wegung durchaus überſehen und daher auch den ganzen Inhalt ſeines Syſtems, und wie daſſelbe in ſeiner innerſten Wurzel ebenſoſehr objective Logik als Phyſik iſt, hartnäckig mißkannt haben. Plutarch an einer Stelle, wo er ohne den Epheſier zu nennen, ſeine Philoſophie und Fragmente deſſelben erörtert, ſagt (de primo frigido p. 949. p. 843. Wytt.): erei de , gYopa neraßoin ris sort ry gHeονν¼.u els robvavrioy Exrderw, gorõhe el ruuναν eνẽA]V.e ro „zupös Wavaros deνꝗ ,] g. „Da der Untergang eine Umwandlung der untergehenden Dinge in das Gegentheil eines Jeden iſt, ſo wollen wir betrachten, ob mit Recht geſagt wird, des Feuers Tod iſt der Luft Geburt“. Plutarch wußte alſo ſehr wohl, daß die heraklitiſche 4 αονν oder fein Werden nicht ein Fluß, nicht Aenderung im vulgären Sinne, ſondern die Bewegung des Umſchlagens in das abſolute Gegentheil, des Sein in Nichtſein ꝛc. iſt.

2) Vgl. unten $ 23.

*) Die einfache Aenderung des von Schl. vermutheten ar Terre (ſtatt Zye) im Eingang des Bruchſtücks in „radro ro“, die Zeller p. 456, 4. vorſchlägt, ſcheint uns die beſte zu ſein. Wenn aber dieſes Bruchſtück, welches mit Ergänzung der oben noch, weil nicht unmittelbar hierher gehörig, fortgelaſſenen Gegenſätze alſo lautet: „daſſelbe iſt lebend und geſtorben und wachend und ſchlafend und jung und alt, denn ꝛc.“, von Zeller dabei alſo erklärt wird: „Das Lebende wird

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Wenn die gewöhnliche Vorſtellung das Leben des Individuums als das auf ſich verharrende ſich Erhalten des Einzelnen gegen die allgemeinen Potenzen erfaßt, ſo war dem Heraklit dieſes ſcheinbare Sicherhalten viel— mehr geradezu der wirkliche Tod, der Zuſtand des Leichnams, wie in

ein Todtes, wenn es ſtirbt, das Todte ein Lebendes, wenn das Lebende ſich von ihm nährt; aus dem Jungen wird ein Altes durch die Jahre, aus dem Alten ein Junges durch die Fortpflanzung des Geſchlechtes“, ſo wundern wir uns faſt, wie ſelbſt dieſer geiſtvolle Geſchichtſchreiber der Philoſophie ſich mit dieſer freilich bisher üblichen Auffaſſung des Bruchſtücks hat begnügen können! denn daß wir mit der Zeit alle einmal ſterben und mit der Zeit alle einmal alt werden ꝛc. ꝛc., dies zu wiſſen und zu verkünden, dazu bedurfte es keiner heraklitiſchen Philoſophie; dieſe allerbanalſten Reflexionen und Gemeinplätze des gewöhnlichen Lebens wird man doch wirklich nicht ernſthaft in die tiefſten Fragmente des Epheſiers hineinlegen wollen, in denen er die abſolute Identität des Gegenſatzes und zwar offenbar auch als eine ganz paradoxe und der gewöhnlichen Anſicht durchaus entgegenſtehende Wahrheit verkündete! Es geht ja auch ſchon den Worten nach durchaus nicht; denn Leben und Sterben, Jung und Alt ꝛc. wären dann durchaus nicht ſelber „daſſelbe“ (radro), ſondern vielmehr ganz verſchiedene Dinge, die nur an dem— ſelben Subjecte und zwar in zeitlicher Trennung einträten. Daß aber dieſe reinen Gegenſätze ſelbſt miteinander identiſch, daß gerade während des Lebens und in jedem Augenblicke deſſelben das Leben auch ein Sterben (— wie ſchön zeigt dies auch die ebenſowenig gewürdigte St. d. Sextus „ſowohl Leben als Sterben iſt ſowohl in unſerem Leben als in unſerem Sterben“), das Wachen ein Schlafen, das Junge ein Altes iſt und umgekehrt, das Begreifen dieſer Gegen— ſätze als jederzeit ſich durcheinander vermittelnder und daher ebenſo identiſcher als entgegengeſetzter Proceſſe, das iſt der wahre und einzige heraklitiſche Sinn. Wie Leben und Sterben ſo immerfort auch in jedem einzelnen Lebenden bei Heraklit miteinander identiſch ſind, iſt oben nachgewieſen; vom Jungen und Alten wird die— ſelbe Identität im 8 23 und vom Schlafen und Wachen im 8 30 nachgewieſen werden. Richtiger ſchon und bis zu einem gewiſſen Punkte obgleich wir nicht recht klar ſehen können, bis wie weit, offenbar mit unſerer eigenen Anſicht über— einſtimmend ſcheint uns daher, was ſchon vor Zeller Bernays Rh. Muſ. VII, 104. gelegentlich über dieſes Fragment bemerkt. Denn obgleich er mit Unrecht ſtatt Tadro Tore oder ro leſen möchte radro , „in demſelben iſt“, was den Sinn des Fragmentes auch inſofern gar ſehr alteriren dürfte, als nach Heraklit Leben und Sterben nicht bloß in demſelben Subjecte vorhanden, ſondern auch gerade an ſich ſelbſt daſſelbe ſein ſollen, ſo äußert er doch hierbei: „Leben und Tod ſind nach heraklitiſcher Auffaſſung nur die nach den Gegenſeiten hingewendeten, innerlichſt untrennbaren Aeußerungen deſſelben Proceſſes, der den ganzen Bereich des Werdens beherrſcht, mithin auch den Menſchen umfaßt. In dem Menſchen wirkt alſo die Kraft des Todes wie des Lebens in jedem Augenblick (sic!) ſeines Daſeins. Die größeren Abſchnitte aber und kräftigeren Aeußerungen des Lebens und Sterbens wiederholen ſich in kleineren Kreiſen mit ſchwächerer Wirkung durch den Wechſel von Wachen und Schlafen ze. Das Eintreten von Leben und Tod

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noch aufbewahrten und ſpäter anzuführenden Fragmenten unumwunden von ihm ſelbſt ausgeſprochen wird. Das Leben des Individuums dagegen beſtand ihm in einem beſtändigen Zu- und Abfluß (Ev don za: aroppon) deſſelben, in welchem ihm beſtändig ſein Nichtſein, die allgemeine im Proceß befindliche Außenwelt, zufloß, ſein Sein abfloß, ſo daß es nur in dieſem Abfließen ſeines Seins, in dieſem Zufließen ſeines Nichtſeins, im beſtändigen Sterben ſomit, ſein wirkliches Leben hatte und das Leben ſelbſt nichts anderes als beſtändiges Umſchlagen von Sein in Nichtſein und umgekehrt war !). Auf das individuelle phyſiſche Leben als ſolches angewandt wurde alſo dieſes beſtändige Umſchlagen von Sein und Nichtſein zum wirklichen Begriffe des Lebensproceſſes, zum ununterbrochenen proceſſirenden Umſchlagen von Dem, was wir phyſiologiſch Ausſcheidung und Reproduction nennen. Nur in dieſem Proeeſſe des immerwährenden Sterbens, des Aufgebens ſeines eigenen Seins, des Ausſcheidens ſeiner von ſich ſelbſt und der Inſichnahme des Allgemeinen, beſtand dem Heraklit das Leben. Der wirkliche Tod war ihm dagegen nur die Trennung dieſer Einheit des Gegenſatzes, durch welche der nun— mehr auf ſich verharrende und der Vermittlung mit ſeinem Gegenſatze, dem Allgemeinen, nicht mehr theilhaftige Körper zum Leichnam und „verächtlicher denn Miſt“ wird, während die ihn während des Lebens durchdringende und belebende negative Bewegung des Allgemeinen dadurch in ihre reine Negativität zurückkehrt und ſomit wahrhaft wieder auflebt.

und Wachen oder Schlaf iſt daher nur das ſichtbar werdende Uebergewicht, welches je die eine Kraft über ihren Gegenſatz gewonnen, und die augenblicklich wieder an dieſer zu verlieren anfängt“. Aber ganz daran irre machen, ob wir dieſe treff— lichen Bemerkungen auch richtig verſtehen, muß es uns, wenn Bernays nun fort— fährt: „hat nun Heraklit in dieſer Weiſe fortwährendes Zuſammenwirken und gegenſeitiges Umwandeln behauptet von Leben und Tod und von Schlaf und Wachen, jo kann es nicht auffallen und muß ebenſo erklärt werden (richtig), wenn das Gleiche ausgeſagt wird von Jugendkraft und Alter, den vor— bereitenden Kräften des Lebens und Todes“. Allein wenn Bernays die Iden— tität von Jung und Alt nun ſo auffaſſen will, daß im Jüngling der Keim des Greiſen und im Greiſe noch Jugendkraft liege und wieder nur im Geſammtleben der Gattung der Greis zu einem Jungen werde, ſo mißverſteht er dieſe Identität von Jung und Alt (ſ. $ 23) jedenfalls. Und wenn die Identität von Leben und Sterben auch nur in dieſem Sinne als Keim und nacheinander ſich vollbringend gemeint ſein ſoll, ſo läuft auch das dann im Weſentlichen nur auf die oben wider⸗ legte Anſicht hinaus.

1) Siehe die große Zahl von dies belegenden Berichten, die alle gerade das Leben des Subjects in dieſer abftract logiſchen Form als Einheit von Sein und Nichtſein (7A. x ur elvar) ausiprehen, unten beim Fließen; $ 12.

2. 11

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Heraklit iſt aber auch in der That ebenſowenig wie beim metaphy— ſiſchen Ausſprechen dieſes Gegenſatzes und ſeiner Einheit, ebenſowenig bei feinem obwohl immer in ſinnlich- concrete und natürliche Bilder ge— hüllten, aber nach der innern Bedeutung derſelben rein logiſchen Aus— ſprechen dieſes Gedankens ſtehen geblieben, er hat ihn auch durch das Natürliche als ſolches durchzuführen geſucht, ſoweit, ja ſehr häufig und in überraſchender Weiſe viel weiter, als es der damalige Stand der Na— turkenntniß erlaubte; er hat ihn, wie ſeine ſpäter vorzunehmende Theorie vom Stoffwechſel zeigt, als phyſikaliſchen und ſelbſt als phyſio— logiſchen Proceß ausgeſprochen und nachzuweiſen geſucht. Dies zeigt zunächſt ſchon eine intereſſante Stelle in den ariſtoteliſchen Problemen ), wo gefragt wird, woher es komme, daß der Urin derer, die Knoblauch gegeſſen haben, danach riecht, worauf es fortgeht: „morepov h ο s S npaxrkeırılövrwv gyaolv Or: dvadupıarar f Ev To

7 ME en , / Bay d zal , ownarı, eira ndlw duydezv?) ouviorazar Exei EV

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hroov, Era d Ö& 050 £ TIE ro dvadvuldte; Se od Erever bob, evradda 02 00009, N Ex vii TpopTs dvadunianıs, EZ O EYEvETo

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adrn ouppypevn, rote? d bopmmv; aden Yap Eorıy, HH neraßaiın“, „ob, wie Einige von den Heraklitikern jagen, derſelbe feurige Ver—

1) Problem. XIII. 6. p. 908. Bekk.

2) Dieſes /e, abgekühlt, iſt ſehr lehrreich, indem es zeigt, daß die dvadvpiaoıs eine feurige Umwandlung geweſen fein muß, da die Entſtehung des Feuchten durch die Abkühlung der varvpians vor ſich geht, die ſomit feurig war und kein luftartiger Dunſt, wie die Stoiker meinten, geweſen ſein kann. Auch nimmt hier die vadvpiaoıs ganz dieſelbe Stellung in der Y dvo zaro ein, welche in den gewöhnlichen Schilderungen deſſelben dem Feuer zugewieſen wird. Zugleich zeigt ſich hier recht deutlich, wie die Avadnuiaars überhaupt keinen andern Begriff hat, als den des Umwandlungsprocefjes ſelbſt. In den ſtoiſchen Berichten nämlich erſcheint ſie immer, wie die im Text bald anzuführenden Stellen der Placita ꝛc. zeigen, als aufwärts (auf dem Wege nach Oben) ftattfindende Entwickelung aus dem Feuchten, was eben die Veranlaſſung zu dem Mißverſtändniß wurde, ſie für luftartige Ausdünſtung zu halten. Hier dagegen erſcheint ſie im Gegentheil als eine den Weg nach Unten einſchlagende und dadurch ſich in das Feuchte umwandelnde Bewegung wie das Feuer (mad duydev auv- forarar byoov), jo daß die vadup. wie ſchön oben geſagt, der beide Seiten des Wegs nach Oben und Unten umfaſſende objectivirte Uebergang und Verwandlungsproeeß ift.

Und eben darum mußte fie ihm feurig und mit dem Feuer in feiner unjinn- lichen Bedeutung identiſch ſein, weil alle Negativität dem Epheſier Feuersnatur hat oder vielmehr das Feuer die noch reinſte Verwirklichung dieſer Negati— vität iſt und das ſinnliche Bild, in welchem er dieſen Gedanken denkt und ausſpricht. Siehe oben p. 18 und unten § 18.

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wandlungsproceß wie im Weltall auch im (organiſchen) Körper vor ſich geht, ſodann wiederum abgekühlt dort (im Weltall) als Feuchtes zu⸗ ſammentritt, hier aber als Urin, die Umwandlung (avadyuiaoıs) aus der Nahrung aber den Geruch deſſen bewirkt, aus welchem ſie ſelbſt mit ihm ſich miſchend entſtand? denn ſie iſt ſelbſt Jenes, wenn ſie ſeine Umwandlung iſt“. Und hierauf entgegnet der Verfaſſer, daß nach dieſer Theorie aber dann alle ſtark riechende Nahrung dem Urin ihren Geruch mittheilen müſſe, was doch nicht der Fall ſei.

Denke man auch über die Avaduniacıs wie man immer will, jo viel geht jedenfalls aus der Stelle hervor, daß nach Heraklit oder mindeſtens nach ſeinen Schülern derſelbe Umwandlungsproceß wie im Weltall ſo auch im orgaͤniſchen Körper Statt hatte und die Functionen und phyſio— logiſchen Erſcheinungen des Lebens aus ihm abzuleiten verſucht wurden.

Und das iſt denn auch allein das Wahre an den daſſelbe nun aber auch ausdrücklich auf Heraklit ſelbſt zurückführenden Berichten der Placita des Pſeudo-Plutarch und des Nemeſios: „Heraklit (ſagte), daß die Seele der Welt die Aua aus dem Feuchten in ihr (ſei); die Seele in den lebendigen Weſen aber gleichartig (ſei) aus der in der Außenwelt und aus der in ihnen ſelbſt vorgehenden avadunfaoıs“. Man ſieht, wie ſelbſt noch in dieſen aus ſtoiſchen Quellen fließenden Berichten die dvadupiaoıs die doppelte Function hat, die im individuellen Lebens— proceß vorgehende Ausſcheidung des Individuums und ebenſo auch die von den Stoikern als Einathmung vorgeſtellte Aufnahme der allgemeinen Sub— ſtanz in das Individuum zu bezeichnen; wie ihr Begriff ſomit hier der wirkliche doppelſeitige Lebensproceß iſt y.

Hier ſei es erlaubt, die Bemerkung zuzufügen, daß dieſe Auffaſſung des Lebens als proceſſirender Identität des abſoluten Gegenſatzes und die verſuchte Durchführung dieſes Gedankens durch das phyſikaliſche und phy— ſiologiſche Gebiet auch der Punkt geweſen iſt, durch welchen Heraklit mächtig auf Hippokrates eingewirkt zu haben ſcheint und vermöge deſſen er durch dieſen wiederum zum philoſophiſchen Vater der geſammten mediciniſchen Wiſſenſchaft geworden iſt.

Der Einfluß der heraklitiſchen Philoſophie auf Hippokrates ſcheint uns noch lange nicht genug gewürdigt zu ſein. Trotz aller ſcheinbaren

1) Plaeita I, 3. p. 623. Wytt.: ‘Hodzieros j) ob xoapou ˖ ‚ννν˖ů,˙ dvady- niaoı e av &v abra bypmv, ray e n rois Lwors di Tas Erros x tus Ev abrois dvadvpıdesws . Und faft wörtlich ebenſo Nemesius de nat. hom. p. 28. ed. Plant.

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Empirie fußt Hippokrates weſentlich auf der Baſis der philoſophiſchen Idee Heraklits. Wenn Hippokrates eine „neraßoAr“, ein Umſchlagen der Elemente in einander, annimmt, ſo iſt dies nach Gedanken wie Aus— druck durchaus der Philoſophie Heraklits entlehnt. Wenn Hippokrates den Grundſatz aufſtellt, daß ſolange die entgegengeſetzten Elemente innig gemiſcht ſeien, Geſundheit beſtehe, die Krankheit aber das überwiegende Hervorſtechen des einen oder andern ſei, ſo iſt dies eine nothwendige Conſequenz des heraklitiſchen Gedankens, nach welchem ja Alles nur in der harmoniſchen Miſchung der Gegenſätze (T7v Evapp.ovıov new Toy Evavriov, wie Simplicius einmal jagt), ſein Beſtehen hat. Und daß Heraklit auch ſelbſt dieſe Conſequenz zog und die Krankheit ſelbſt ſo aufgefaßt hat, erſehen wir ja aus einem noch aufbewahrten und an ſeinem Ort anzuführenden Fragment, in welchem er (ſiehe unter § 30.) die entſprechende Erſcheinung im Geiſtigen, das iſolirte ſich Feſthalten und Fürſichſeinwollen des Einzelnen, als LS vooos, d. h. als eine ſpecielle Art von Gehirnkrankheit, wofür fie wenigſtens die Alten hielten, qua— lificirte, reſp. mit dieſer als ihrer analogen körperlichen Erſcheinung ver— glich. Wenn Plato vom Heraklit, ohne ihn namentlich zu bezeichnen, ſagt, daß nach ihm!) „das Entgegengeſetzteſte dem Entgegengeſetzteſten das am meiſten Liebe ſei; denn Jedes begehre ein ſolches, nicht aber ein mit ſich Gleichartiges; denn das Trockne begehre das Feuchte, das Kalte das Warme, das Bittere das Süße, das Spitze das Stumpfe, das Leere der Erfüllung und das Volle der Entleerung und alles Andere ebenſo nach dem— ſelben Geſetz; denn das Entgegengeſetzte ſei des Entgegengeſetzten Nahrung (ron), das Gleichartige aber (TO Sporov) nehme nichts an von dem Gleichartigen“, ſo iſt dieſe Philoſophie des Gegenſatzes die erſte phi— loſophiſche Entwicklung und Begründung des Gedankens der Allöopathie und konnte und mußte dieſelbe in ihrem Verſuch ſich durchzuführen durch das ganze Gebiet des natürlichen und organiſchen Daſeins nothwendig aus ſich erzeugen. Und ſicherlich iſt, wenn Hippokrates den nachher ſprüch—

1) Plato Lysis p. 215 u. 216. p. 35. ed. Heindorf.: „ro yap &varrınrarov To Evayrıwrarw eivar νdlpie ru pio Erıiduneiv Yap Tod Towdrtou Exaoroy, d ob Tod Önotov‘ To nv Yap e,, be,; ro d diuypöv Vspnod, To d rıxo0v yAuxsos, TO d e de, TO d' xevov rinpwosws, x To rinpss Ö& xevWwoews, xu Talla obrw abra Toy abröv Aöyov' Tpogny yap elvar TO Evav- rio TO &vayriw‘ To Yap Öporoy Tod Öpolov obö:v üv aroladear. Hat nevror, & £raipe, xd zondös Edözsı eivar rar Adywv. ED yao . Daß dies auf Heraklit geht, ift, wenn auch nicht von den Bearbeitern deſſelben, doch ſchon von Heindorf in ſeiner Ausgabe dieſes Dialogs bemerkt worden nach dem Vorgange von Boeckh in Daubs und Creuzers Studien T. III. p. 9 sq.

wörtlich gewordenen Sat!) aufſtellt „ra Evavria rwy Eyayrımv Eariv ?rpara“, „das Entgegengeſetzte ift des Entgegengeſetzten Heilung“, die Vaterſchaft, welche die heraklitiſche Philoſophie hierzu beanſpruchen kann, bei der flüchtigſten Vergleichung mit dem Vorigen unverkennbar. Jene Mährchen, daß Heraklit, als er die Waſſerſucht bekommen, die Aerzte ge— fragt, ob ſie Ueberſchwemmung in Dürre verwandeln könnten und als ſie das verneint, erklärt habe, er werde ſich, wie die untergeſchobenen Briefe ſagen, „nach ſeiner Weisheit heilen, welche die Wege der Natur erkannt habe und wiſſe, wie Gott den Weltkörper heile und in dieſem Ueberſchwemmung in Dürre, Flüſſiges in Trocknes, Kaltes in Warmes ꝛc. umwandele,“ wo— rauf er ſich mit Miſt beſchmiert und in die Sonne gelegt habe, um ſo das Waſſer zu verdunſten, enthalten zuvörderſt eine geſchichtliche Erin— nerung an die ſoeben durch die ariſtoteliſchen Problemata ꝛc. nachgewieſene Erkenntniß Heraklits, daß derſelbe Verwandlungsproceß wie im Weltall ſo auch im lebendigen Körper ſtattfinde?). Jene Mährchen bieten aber auch noch das Intereſſe und dieſe geiſtige Wahrheit dar, daß ſie uns Heraklit als den erſten wahrhaft wiſſenſchaftlichen Arzt er— ſcheinen laſſen und darſtellen, d. h. als einen ſolchen, der auch die Therapie geradezu auf ſeine theoretiſche Erkenntniß deſſen gründet, was er als den Proceß alles Lebens und der Natur ſelber erkannt hat. Therapie hat nun freilich Heraklit nicht getrieben, aber die Entſtehung dieſer Mährchen wäre ganz unmöglich geweſen, wenn nicht in dem Werke des Epheſiers ſelbſt, wenn auch nur beiſpielsweiſe, mannigfache Ausführungen ſeiner Theorie auf das Gebiet der Lebens- und Krankheitserſcheinungen hin vorgekommen wären und wenn dabei nicht auch die Forderung von ihm an die Aerzte aus— geſprochen worden wäre, auf dieſe abſolute Erkenntniß des natürlichen Proceſſes die Heilung zu gründen, ſtatt auf Aberglauben oder ſinnloſe Empirie, wie denn auch noch jene Geſchichtchen eine große und gewiß echte Verachtung Heraklits gegen die Aerzte ſeiner Zeit hindurchleuchten laſſen.

1) Vgl. die Stellen, die Boiſſonade (anecd. Graec. T. II. p. 327) zu den Worten des Maximus „Jer yap Avriorzoar h Wenna To duyoöv, To ο F Evarriov ra Evayria lanara Easadar“ anführt. |

2) Wie nothwendig fich der Gedanke des phyſiologiſchen Lebensproceſſes ſofort aus der heraklitiſchen Philoſophie nicht nur entwickeln, ſondern auch näher durchzuführen ſuchen mußte, zeigt am beſten die medieiniſch-wiſſenſchaftliche Schrift eines Heraklitikers, des ſ. g. Hippokrates, de diaeta J., von der wir bald in einer Anmerkung Stellen anführen werden. Aber in der hier berührten Hin— ſicht obgleich dies gerade der intereſſanteſte Punkt des Schriftchens iſt werden wir keine anführen, weil wir ſonſt eben das ganze Schriftchen ſelbſt ausſchreiben müßten.

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Wenn er in den Briefen (ſiehe den zweiten Brief bei Stephanus und auch den an Aphidamas) als Grundſatz der Heilung aufſtellt, die Natur ſelbſt nachzuahmen, ſo iſt dieſer Grundſatz der Nachahmung der Natur in der That ſeitdem der Grundſatz aller wiſſenſchaftlichen Arzneikunde ge— blieben. Und wenn er in dem zweiten Briefe dabei jagt: „Sych ss olda x6onou gh, olda zal dvdounou olda vooovs, Oοννe νjô !aoop.ar SH i pıpyoopa: zov Beov!), Ös xoonou dnerplas Erayıoor Hila Ererarrwv“, „ich aber, wenn ich weiß des Weltalls Natur, weiß auch die Menſchen, weiß die Krankheit, weiß die Geſundheit, ich werde mich ſelbſt heilen, ich werde nachahmen den Gott, welcher des Weltalls Ungleich— mäßigkeiten ausgleicht“ ꝛc., ſo ſcheinen uns jene Worte (im Vergleich mit den nach Sinn und Zuſammenhang ganz entſprechenden Worten einer bald ausführlicher zu citirenden pſeudo-hippokratiſchen Stelle, wo es tadelnd von den Menſchen heißt: reyuyaw ap ypzöpevor Öpoimow dvdowrivn goes: od Yvwoxrovor dewv yap voos Eöldafe nındcoda: ru Eavrovxri.), ein volles Licht auf jenen vielberühmten Ausſpruch des Hippo— krates zu werfen: Zyrpöos Yap geildoogos, !oödeos* „denn ein phi— loſophiſcher Arzt gleicht einem Gotte“. Nämlich jenen conereten, und wie im Vorſtehenden ausgeführt iſt, durchaus heraklitiſchen Gedanken glau— ben wir in dieſer Sentenz, deren Sinn verſchieden interpretirt worden iſt, erblicken zu müſſen, daß ein philoſophiſcher Arzt, d. h. ein ſolcher, welcher jenen Proceß der Natur und des Alls erkannt hat und ihn bei der Heilung nachahmend zur Grundlage macht, eben darum einem Gotte gleiche, weil er durch ſeine Einwirkung dieſelbe Umwandlung in dem ein— zelnen Organismus hervorruft, wie der Gott in dem großen Natur— proceß des Weltalls, und daſſelbe Verwandlungsgeſetz befolgt wie dieſer. Hierauf bezieht ſich wohl auch die Erforſchung des Göttlichen (ro 97 in der Krankheit, womit Hippokrates die Prognoſe zu beginnen lehrt, und ſelbſt der Irrthum des Galen, daß darunter die Luft gemeint ſei, ſcheint hiermit zuſammenzuhängen (ſiehe $ 22). Von jenen bei Stephanus mit— getheilten Briefen aber haben wir bereits erklärt, daß ſie zwar untergeſchoben,

1) Dieſer heraklitiſche und bei ihm ebenſo ethiſche als phyſiſche Gedanke iſt denn auch die Quelle jenes ſtoiſchen Dogmas bei Cicero de nat. Deor. II, 14: Ipse autem homo ortus est ad mundum (bekanntlich fällt bei den Stoikern das Weltganze als die Totalität des allgemeinen Proceſſes mit Gott ſelbſt zu— ſammen) contemplandum et imitandum, wo hier und wieder mit Unrecht ſtatt deſſen admirandum vermuthet wurde; cf. Cie. de Seneet. XXI, 5. ibique Wetzel. und was Wyttenbach zu Plutarch. d. S. N. V. p. 14 8g. ed. Leyd. anführt.

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aber offenbar zu einer Zeit entſtanden ſein müſſen, wo das Werk Heraklits noch vorlag, und vielfach auf der Benutzung von echten Stellen deſſelben beruhen. Dieſe Briefe ſelbſt ſcheinen uns ſomit ebenſo wie jene Mähr— chen, mit denen ſie zuſammenhängen, nur in ſolchen Stellen des Epheſiers, in welchen er ſich wenn auch nur in einzelnen Beiſpielen und Vergleichen aus ſeinem Grundgedanken heraus auf die philoſophiſche Erklärung und Auffaſſung von Krankheiten einließ, die Möglichkeit ihrer Entſtehung ge— habt zu haben und noch beſtimmter als jene hierauf hinzuweiſen !). (Man ſehe oben die Anmerkung zu p. 42 84.)

1) Den Einfluß Heraklits auf die medieiniſche Wiſſenſchaft näher zu verfolgen, wäre hier nicht thunlich. Nur das ſei vergönnt, hier einige Stellen aus einer Schrift folgen zu laſſen, auf deren durchaus heraklitiſchen Inhalt bereits Geßner (a. a. O. und in ſeinen Anmerkungen zu der Bipontiner Ausgabe des Lucian) nach— drücklich hingewieſen hat, eine Schrift, welche dem Hippokrates zwar fälſchlich zu— geſchrieben, von Galenus aber für noch älter als Hippokrates gehalten wird. Es iſt die pſeudo-hippokratiſche Schrift de diaeta J., und die nachfolgenden Stellen beruhen nicht nur durchaus auf dem Grundgedanken Heraklits, der Identität der Gegenſätze, ſondern ſie ſind auch voll von den eigenthümlichſten heraklitiſchen An— ſchauungen, Wendungen und Ausdrücken, ja ſie laſſen, wie jeder im Epheſier be— wanderte Leſer ſofort ſehen wird, auch viele der noch erhaltenen Fragmente Hera— klits deutlich hindurchklingen. De diaeta J. T. VI. p. 450. Ch. I. p. 183. L. I. p. 632. Kuehne: Zyeı O Gde. yevsodar zal dmolsaodar twuro, S- peydvar xal Ötaxrpıdnvar Tavurö, yevsodar S]; TOUTO, Grolsodar, newwinvar, Örarpıdmvar TWUTO EracTov RpOS TAyTa xal TAvTa. TDÖS Exaotoy Tavro‘ Ö vonos Yap Tn pbası nepi Todrwy Evavrios' Ywpis & ravra xat Wein zal dvdparıva dAvo xal xara ApsıBöonevos' nuson N= ebepovn Ent TO wnxorov zal Eidyıorov, WS xal Ty oeinın TO MiRLoTov xal TO EAdytorov, rupos Epodos xat Ddaros, NAros Ert TO marporaroy xat Ppaydraror, ralı radra v ob radra: pdos Zmyt, oxoTos Akön, gos Alön, oröros Au got aal uerarweitar zelva Oe. vu vr ve ndonv Oonv dean Eva” xetd re rd rde Ta , tadra xο xal Pd nv ronacouvarv odx oldasıv, A & zpneocouer Öoxr£ouarv elöevar za n2v öpwer od yırooxrovarv, a Önws abroieı navra yivarar dr dvayıny Veinv at &

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rat zb m Öpdrporov Ey Tolaw dovppöpoeer Zwptorsı Eppevew‘ rAavärar ne yd dyvoospevar Evppuoyöpeva Ö2 Akknlorar ouyywworsrar‘ rob Yap ro ounPpop0Y Ta ovnpöpw' To Ö2 dabpnpopov rolsnei xa hier zal Öraridocsı dm ürkhıay = Eaepreı Y 25 dvdpanor HH rU- pos zal bodros Edyxpnorv !yovaoa, pnolpay awparos AvdpWrou: Gore ol rerrovss r EVlov rplovar zal , t, 6 d ds. To abrò roteores· rdr q nıekwv Tov dν⁰ Eorner Exer Evaneißeı & m E ywpnv, Mα, zal Üposva r Ewuröv rp6rov dDrö Pins RA aydyans Ötwadneva: Öxorepa Ö Öy Eurinen Tyy nenpwuerny nolony, tadra

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So ſcheinen auch noch erhaltene (ſiehe unten § 9.) Fragmente zu zeigen, daß Heraklit dazu übergegangen iſt, aus ſeiner Verwandlungstheorie heraus Vorſchriften über die angemeſſenſte und beſte menſchliche Nahrung zu conſtituiren, Vorſchriften, die hier ſchon eine rein naturwiſſenſchaftliche und ganz andere Bedeutung haben, als die religiös -philoſophiſchen Speiſe— geſetze reſp. Abſtinenzien der Pythagoräer *).

F ovppioysrar Exaarov tv Yap Ötaxpiverar TAyra O radra Euppioysrar yupny dE Aneidayra xal ruyövra dppovins p- ons Eyodaons ouvppwvias rpeis, EuAlinpdny ¹,ẽůuᷓo did macewv, Eweı xu adEsrar roiow abrotaw otaw nodadev hy dE un TÖIM THS Äppovins, unde Ednpwva Bapea roiaıy OFEor yEynrar j rpWrn ovugpwvin: i de deren yEveaıs 7, TO did mavrös Evos droyevonzvon näs d TOvos ndraros' od Yap üv rpocasiastev' dq Apeißn 8x Tod nefovos eis TO uelov rpÖ be- ons dr ob Yyıyaaronvary, 6 Ti rotEovatv' Aposvwy (Ev oDy xat ÖUmkeiwv, dert Exarspa ylverar, mpolöyvri to Aöoya Onivaw‘ TobTwy , ÖxoTspov Ay TUN tus Gppovins Üypov 2öv xıveerar U Tod rupös' xıveönevoy dE Swrd- phrarxalnpoodyerarxri. dr6 ÖETHS aıvnatos xalrod nupösg en- patlverar xal orepeodrar' orspeodnevovy de rurvodrar wi To ds * Ex TO aunniyevros xivounevovn Tod dbypod Ötaxooneerar To owpna xara pbarv, dıa rormvde Muri. Ib. I. p. 639. Kuehne, I. p. 190. L.: „at O ueoar zar slow zart EEw repatvovoat TO Wepnöorarov xal - zup6srarov , Ürep rayrwy Entxpartcrat, ÖdtEnov Aravra xara pbaıv, Adopov , dt xa dhadast, &v Toürw duyn, voos, Ypovnats, adEnars, xivnors, neiwars, drallafıs, IN, Eyphyopars‘ Todro ravra dıa rnavrös xufßepva xat trade xal Exeiva oböexore Arpenikwv ol de dvdpwror Ex To» yavspayradgypavn oxenreodar obx Eriorayrar reino yüap zpsönevor Öönoimaıw Avdpwrivn gYdaeı ob Yıyaarovar Ne rap voos d d nınccoda: ra Eaurmv (vergl. die angebl. Briefe Heraflits u. oben p. 166) ywwexovras A roreovar xat ob ywwarovras Ü ninuzovrar rdvra yap Önora dvöonora Eoyvra: xal oUnpopa ndyra xal dtapopa 2övra (vgl. d. obige St. Platos u. Her. Bruchſtücke), dralsropeva ob draisyopeva‘ yvoymy Eyovra äyvopova brevayriovöorporostxdaorwv önokloyrobpevog vonos yüp xal glcros, olaı nayra Ötanpnoooneva o Önokoyzerar Önokoyobpueva. vonov yap Edecav dyvdowror abroi Ewurotaw, ob Yıvmxovresrept@vä&nerav gar ÖE rdvres Heol drexoonmoar' ta a, obv Avdpanor S obderore xara To wurov At, ore öpdws odre ανρ s Öxooa e Heol Eiecay, del o e xc. Wir werden übrigens, wie dies ſchon oben einigemale der Fall geweſen iſt, noch hin und wieder Gelegenheit haben, uns Stellen dieſer Schrift zur Erörterung und Beſtätigung heraklitiſcher Fragmente zu bedienen. Endlich iſt zu bemerken, daß nicht nur dieſe, ſondern auch die andere pſeudo-hippo⸗ kratiſche Schrift de carnibus, wenn auch nicht in demſelben Maße, ſo doch häufig und deutlich heraklitiſche Anſchauungen zu Grunde liegen hat.

Ohne unſere obige Ausführung zu theilen und auch ohne, wenn wir uns recht erinnern, einen Einfluß Heraklits auf Hippokrates ſelbſt anzunehmen, äußert, wie wir

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Wir kehren aber nunmehr noch einmal zu unſerm Bruchſtück bei Sextus zurück: „Sowohl Leben als Sterben iſt ſowohl in unſerm Leben als in unſerm Tod“. Wir haben nunmehr geſehen, wie Heraklit wirklich das phyſiologiſche Leben des Individuums als den Proceß des immerwährenden Sterbens auffaßte, durch welchen es (das Leben des Individuums) allein ſich erhält, ein Gedanke, der übrigens ſelbſtredend von ſeinem Leben und Sterben der Götter oder Seelen gar nicht anders verſchieden iſt, als die Durchführung eines und deſſelben Begriffs durch das natürliche von der Durchführung deſſelben durch das metaphyſiſche Gebiet, ein Unterſchied, der endlich für Heraklit gar nicht beſtand. Was uns aber veranlaßt, auch in jener Stelle des Sextus bloß eine Wendung des Gedankens auf den natürlichen Lebensproceß als ſolchen zu erblicken, iſt erſtens der Umſtand, daß die Antitheſe von Seele und Menſch in derſelben nicht ausgeſprochen, vielmehr der Menſch ausdrücklich zum Subject des ganzen Hergangs, Lebens wie Sterbens gemacht iſt. Andrerſeits aber iſt die Stelle doch

nachträglich erſehen, auch Bernays bereits in ſeiner Diſſertation die Vermuthung, daß ſich Heraklit in ſeinem Werke mit Aerztlichem irgend zu ſchaffen gemacht haben müßte, indem er ſich dafür gut darauf bezieht, daß in dem platoniſchen Sym— poſium der die heraklitiſche Meinung vertheidigende Erixymachos ein Arzt ſei. Einen Beleg für die oben von uns vermuthete herbe Kritik der Aerzte ſeiner Zeit in Heraklits Werk giebt jetzt das Bruchſtück bei Origenes IX, p. 282: „Oi yodv tarpot ynaiv Ö "Hoazseıros TEnvoyres, nalovres, ravın facavt- cores xdx S Tro Apbweorodvras, Zrarräoyraı (wie Bernays ftatt erarrıovrar ſetzt) a ααννε%τνE,q·ᷓια. Aaußavsır raparaväppweorodv. r, radra 2pyafönevor ra drama x, ras vocous“. In feiner Diſſer⸗ tation hat übrigens Bernays die Hinweiſung Geßner's auf den heraklitiſchen Inhalt der pſeudo⸗-hippokratiſchen Schrift de diaeta I. energiſch wieder aufgenommen und unter Abdruck einer längeren Textesſtelle daraus manches über den heraklitiſchen Inhalt derſelben discutirt. Gleiche Benutzung derſelben hat nach Bernays bei Zeller ſtattgefunden. Doch find mehrere gerade der intereſſanteſten Reſultate des Schrift⸗ chens noch nicht hervorgehoben worden.

Andrerſeits ſcheint uns Bernays zu weit zu gehen in der Art, in der er ver— muthet, daß dieſelbe aus Heraklits Werk direct herrühre, wogegen auch Zeller p. 455, 2. bemerkt, daß mehr nur mittelbare Abſtammung aus dem Werke des Epheſiers, und unmittelbar aus denen anderer Heraklitiker anzunehmen ſei. Dies geben wir gern zu. Aber mit dem von Bernays behaupteten „Miſchcharakter“ der Schrift können wir nicht ganz einverſtanden ſein. Der Autor will nicht miſchen, will nicht verſchiedene Philoſophieen mit einander verbinden; er will lediglich die heraklitiſche Philoſophie zu ſeiner Unterlage haben. Ob er in ſeinen Durch— führungen derſelben überall mit Glück verfährt, ob er vielleicht irgend einmal etwas mißverſteht, iſt eine andere Frage. Vielleicht wird ſich aber manches, was als fremdartiger Beiſatz erſchien, im Verlauf noch als echt heraklitiſch dem Gedanken nach zeigen.

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ſchon durch die doppelte und unvermittelte Aneinanderreihung der Ge— genſätze viel zu originell heraklitiſch, um etwa anzunehmen, daß ſie durch ungenaue Anführung aus jenen Stellen entſtanden ſei, welche den Gegenſatz des Lebens und Sterbens antithetiſch an Seele und Leib vertheilen. Viel— mehr iſt erſichtlich, daß die von Sextus mitgetheilten Worte durchaus wörtlich ein Fragment des Epheſiers bilden, wie auch Schleierm. (p. 494) ſieht, obwohl letzterer ſich nicht weiter auf das Verhältniß dieſer neuen und dritten Form, in welcher in dieſem Fragmente und der ſich daran knüpfenden Reihe das Leben und Sterben auftritt, zu jenen beiden andern Fragmentenreihen von dem Leben und Sterben der Götter und denen der Seelen eingelaſſen hat. Ferner veranlaßt uns zu dieſer Meinung das bereits mitgetheilte Bruchſtück beim Plutarch, in welchem gleichfalls die Identität von Leben und Sterben neben der von Schlafen und Wachen auftritt und als Grund angeführt wird, das Eine ſei umſchlagend das Andere, ſo daß alſo auch hier das Subject des Proceſſes der Menſch ſel— ber bleibt, ohne in die Antitheſe von Seele und Körper zerlegt zu werden. Drittens aber beſtätigt unſere Anſicht die bisher unberückſichtigt gebliebene Grabſchrift auf den Aithalides !), in welcher es von demſelben heißt:

„Ha zara c Annöxprrov adrov odv "Hoazxiei-w

"Apa Ödaxpbwv za: yelay To Aorarov Tod Brov

Eieydn dvnoxeıv ve xul Iyv Zuap del rap Hpap“. Trotz der poetischen Form wird wohl jeder mit uns einverſtanden ſein, daß in dieſem „Leben und Sterben immer Tag für Tag“ ein echtes hera— klitiſches Bruchſtück mit geringer Veränderung unterläuft, wie wir es ſchon ſehr häufig als feine Weiſe geſehen haben, durch ein Ze? die entgegen- geſetzten Beſtimmungen unauflöslich aneinander zu ketten und ihre Gleich— zeitigfeit, den ineinander ſeienden Wechſel und untrennbaren Proceß damit auszudrücken ?).

Hierher ſchlägt dann endlich auch das von Herakleides?) aufbewahrte

1) Tzetz. Chiliad. II, 721. ed. Kiessling.

2) Wie z. B. das denpepönevov det Evugpeperar bei Plato Soph. p. 242. D., wo Plato das ae noch ganz beſonders als den unterſcheidenden Charakter des Epheſiers hervorhebt, als den Gedanken des begrifflichen Proceſſes zum Unterſchied von dem ſchlechten Proceß der Abwechslung. Auch das Zuap rap he in unſrer Stelle kann nicht unheraklitiſch erſcheinen, wenn man ein ſpäteres Fragment, von der ſich gleichbleibenden Natur der Tage, betrachtet.

3) Alleg. Homer. p. 442. Gal. p. 82 Sch., denn daß dieſe Worte für ſich allein zu faſſen und nicht auf das dort unmittelbar vorangehende Bruchſtück von den Flüſſen zu beziehen iſt, ergiebt ſich, wenn man beachtet, wie Herakleides hier mehrere ganz verſchiedene Bruchſtücke des Epheſiers nur als Beiſpiele anführt, für

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Fragment: „eindv re zal odx einev“ „Wir find und ſind nicht“, in welchem Heraklit dieſe Identität am abjtracteften ausgeſprochen hat).

Leben und Sterben, Sein und Nichtſein, ſind alſo in allen ihren Formen, eben weil ſie reine proceſſirende Gegenſätze ſind, nur haltlos ineinander übergehende Momente. Sie ſind, jedes von beiden, identiſch mit ſeinem Gegentheil und müſſen dies ſein. Denn dem Heraklit ſind die Gegenſätze nicht ruhige Beſtimmtheiten, ſondern durchaus Bewegung. Zugleich aber war der Ephefier ſtatt wie feine Bearbeiter bei der ſinnlichen Vorſtellung der Bewegung ſtehen zu bleiben, zu dem logiſchen Begriff der Bewegung vorgedrungen. Die Bewegung war ihm nur beſtändiges Um— ſchlagen in das reine Gegentheil und Rückumſchlagen dieſes u. ſ. f., wie ſchon Plutarch, wenn nämlich gegen unſere Meinung dieſem und nicht Heraklit ſelbſt die Worte angehören ſollten ſo trefflich geſehen hat in der oben a. St., wo für die Identität des Lebens und Sterbens, des Schlafens und Wachens, als Grund angeführt wird: „denn dieſes iſt um— ſchlagend (nerareooyra) jenes, jenes umſchlagend dieſes “.

Aber nicht nur im Seienden iſt jedes Einzeldaſein die Einheit von Gegenſätzen, ſondern dies ſelbſt kann und muß nur deshalb ſtattfinden, wenn und weil jedes der beiden entgegengeſetzten alles Daſein conſtituirenden

ſeinen dunkeln und ſinnbildlichen Charakter, Bruchſtücke, welche aber ſämmtlich darin übereinſtimmen, daß ſie die abſolute Identität des Gegenſatzes aus— ſprechen, was dem Pontiker als tiefe Symbolik erſchien. Ferner würde die Rück— beziehung dieſer Worte auf das ora“ se rois abrois dann nur eine der Schreib- weiſe des Epheſiers ganz widerſprechende pleonaſtiſche Wiederholung des S ⁰νν re x οο 2nßatvopey fein. Und endlich ergiebt ſich aus der obigen Darſtellung, daß dieſe gleichzeitige Identität des Seins und Nichtſeins auch unſrer ſelbſt, die wir bei der Auffaſſung jener Worte als für ſich beſtehender erhalten, einer der eigenſten und tiefſten Gedanken des Epheſiers e iſt, daher auch das Sich⸗ ſelbſtſuchen (ſ. unten § 12).

1) Dieſer heraklitiſche Gedanke der Identität des Lebens und Sterbens hat dann häufig und beſonders durch Euripides poetiſchen Ausdruck gewonnen. Schon Sextus führt unmittelbar vorher die Verſe des Euripides an:

rig Holden el ro A hne sort xardaveiv

r zardaveiv d , xdr vonikerar. Siehe hierüber Fabricius z. Sext. 1.1. Suidas, in ris oe. Menag. ad Diog. Laert. IX, 73. Pott. ad Clem. Al. p. 517. Scholiast. in Aristophan. Ran. v. 1114 u. v. 1526 etc. Heraklit ſcheint überhaupt nach vielen Spuren großen Einfluß auf die philoſophiſche Bildung des Euripides gehabt zu haben (vgl. Valken. ad Eurip. Phoeniss. v. 1168) und hieraus erklärt ſich dann auch die lächerliche Anekdote, Euripides habe das Werk des Epheſiers im Artemistempel auswendig gelernt (ef. Tatian. orat, contra Graec, p. 11. ed. Ox.).

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Momente in ſich ſelbſt ſchon ſein eigenes Gegentheil iſt. Nicht nur die einzelnen entgegengeſetzten Beſtimmtheiten, Krieg und Erhaltung, gut und ſchlecht, harmoniſch und unharmoniſch, Seele und Menſch, Leben und Sterben, Schlafen und Wachen ꝛc. find identiſch, ſondern die beiden großen Gegenſätze ſelbſt, welche alles Göttliche, Menſchliche und Ele— mentariſche in ihre abſolute Form zuſammenfaſſen und erzeugen, welche nur die Momente des alles durchdringenden Geſetzes des Werdens ſind, der Weg nach Unten derjenige der beiden Gegenſätze, der zum Sein führt, wie Diogenes ſagt (T I SY i To nv , en di yeveom dyoy), und derjenige der zum Nichtſein, zur Exröpwars führt (ro OS ννσ Exrbpwow), find ſelbſt mit einander identiſch. Jedes dieſer entgegengeſetzten Momente iſt ſelbſt ſchon auch ſein Gegentheil, der Weg nach Unten in ſich ſelbſt ſchon auch wieder Weg nach Oben, und umgekehrt. Denn jedes dieſer iſolirten Momente iſt Bewegung und als ſolche nur beſtändiges Umſchlagen in ſein Gegentheil, das ſomit jedes von Beiden ſchon in ſich ſelbſt hat. Das Aufheben der Beſtimmtheit iſt nur Setzen einer neuen Schranke und Be— ſtimmtheit; das Werden nur beſtändiges zum Sein Werden. Um— gekehrt hat jede Beſtimmtheit gerade als ſolche die Negation an ſich, die ſie wieder aufhebt; das Sein iſt nur daſeiendes Werden und ſich Aufheben. Der Weg nach Oben iſt daher, trotz alles Ge— genſatzes, in ſich ſelbſt nothwendig ſchon Weg nach Unten, dieſer in ſich ſelbſt ſchon Weg nach Oben und identiſch mit ihm. Und zum Glück denn wie ſehr würde dieſe Identität ſonſt be— ſtritten werden! exiſtirt noch ein Zeugniß und endlich noch ein ausdrückliches Bruchſtück des Epheſiers, in welchem er dieſe Identität unumwun— den ausſpricht. Das nicht minder gewichtige Zeugniß iſt das des Chrysippus ap. Phaedr. de nat. deor. ed. Peters. p. 19: „— xa rh nölemov xal rov Ala rov adrüv eivar, xadanso xal rov d- xAecırov ü N „und der Krieg und Zeus ſeien identiſch wie auch Heraklit ſage“. In der That haben wir ja ſchon oben (p. 49 vgl. $ 5.) geſehen und es wird dies im Verlauf bald noch klarer werden, wie un— umgänglich nothwendig dieſe Identität trotz des Gegenſatzes auf dem Standpunkte des heraklitiſchen Gedankens iſt. Weg nach Oben und Weg nach Unten, Zeus und 1670s, find nicht ruhende Beſtimmtheiten, ſondern ſolche Proceſſe, welche abſolut nur in dem Umſchlagen in ihr Gegentheil und als Vermittlung mit demſelben beſtehen. Jedes von beiden hat das entgegengeſetzte Moment alſo ſchon an ſich. Jedes wird nur deshalb auch actu zu dem andern, weil es an ſich ſchon das andere iſt.

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Jedes von beiden iſt daher auch Totalität, Einheit ſeiner ſelbſt und ſeines Gegentheils. Zeus iſt daher auch mit dem roAsnos, der Weg nach Oben mit dem Weg nach Unten, identiſch und umgekehrt! Und daß dieſes Zeugniß hier nicht eine bloße „Deutung“ erfährt, das zeigt das zum Glück dieſe Identität des Weges nach Oben und Unten ganz unverſchleiert und dürr beſagende eigene Fragment Heraklits, das uns glücklicherweiſe und zwar gerade auch in den hippokratiſchen Werken aufbewahrt worden iſt ), „Is ν zarw f „der Weg nach Oben und Unten iſt einer“ (ein und derſelbe). Und wenn Hippokrates und Galen dabei den Heraklit nicht nennen, ſo thut dies dafür Tertullian?) „Quod enim ait Heraclitus ille tenebrosus eadem via sursum et deorsum. „Denn wie jener dunkle Heraflit, jagt Ein und Derſelbe iſt der Weg nach Oben und nach Unten“.

Freilich haben auch ſo und trotz dieſer ausgeſprochenen Identität des Wegs nach Oben und nach Unten die Bearbeiter Heraklits nicht geſehen, daß fie es in der Jos vo zarw durchaus nicht bloß mit Stufen des Elementarproceſſes, ſondern nur mit den in ſinnlicher und ſinnbildlicher Form ausgedrückten logiſchen Momenten des Begriffs des Wer— dens, dem Sein und Nichtſein als proceſſirenden, zu thun haben! Freilich haben fie ſogar auch jo nicht einmal die Identität der Ido avw und xarw aus dem fie jo unumwunden ausſprechenden Fragmente einzuſehen vermocht, weil ſie den ganzen Inhalt heraklitiſcher Philoſophie gänzlich verkennend, nothwendig auch dem tiefſten Ausſpruch und Centralpunkt derſelben keinerlei Sinn und Verſtändniß abgewinnen und immer nur die Stufen des Elementariſchen in demſelben erblicken konnten.

So will denn Schleiermacher (p. 383) in ſichtlicher Verlegenheit das Bruchſtück mit der erſtaunlichſten Gewalt und Willkür auf eine formale äußere Gleichheit der elementariſchen Verwandlungsſtufen beziehen?),

1) Hippoerat. zept rpogns T. VI. p. 297. Chart. II. p. 24. Kuehne und Galen. dazu T. XV. p. 411. Kuehne.

2) adv. Marcion. lib. II. p. 475. c. ed. Rigalt.

3) Er ſagt: „Und was können (!) jene Worte anders ſagen ſollen, als daß beide Wege einander durchaus gleich und entſprechend wären“, womit Schl. meint, daß weil ſich das Feuer auf dem Wege nach Unten in Waſſer, dieſes in Feuer umwandelt, ſo bezöge ſich hierauf (weil in beiden Wegen dieſelben Stufen durchlaufen würden) unſer Fragment. Aber abgeſehen davon, daß dieſes ſich Ent— ſprechen beider Wege immer nicht mit zei, und eadem bezeichnet werden konnte, wären ja dann die beiden Wege, ſtatt identiſch zu ſein, vielmehr immer nur eine im bloßen und entſchiedenſten Gegenſatz ſtattfindende Entwicklung und Bewegung. Es wäre dann immer nur ein abftract entgegengeſetzter Weg, den z. B. das

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während doch 7 niemals eine formale Gleichheit und dem Epheſier zumal immer nur eine ſubſtantielle Identität ausdrückt (weshalb es auch Ter— tullian ganz gut mit „eadem via“ überſetzt), ja während doch endlich eine ſolche formale Gleichheit der Verwandlungsſtufen des Elementariſchen nach Heraklit gar nicht vorhanden war und auch, wie ſich aus der Lehre vom Elementarproceß ergeben wird, gar nicht vorhanden ſein konnte. Letzteres hat auch wohl ſchon Brandis gefühlt, der in den Worten (J. I. p. 164): „Bei aller hier ſtattfindenden Verſchiedenheit aber ſoll der Weg nach Unten und Oben ein einiger, d. h. der eine dem andern gleich ſein“, wohl deutlich genug ausdrückt, daß ihm die Schleiermacher'ſche Erklärung in ihrer Will— kür und Unmöglichkeit zum Bewußtſein gekommen und ihn nicht befriedigt.

Wir haben jenes Fragment den eigentlichen Centralpunkt und die innerſte Quinteſſenz heraklitiſcher Weisheit genannt, weil ſich aus ihm die ganze begriffliche Tiefe der Anſchauung des Epheſiers ergiebt. Der Ver— ſtandesreflexion zufolge hätte Heraklit das zum Nichtſein führende Mo— ment, den Weg nach Oben, in bloßer Gegenſätzlichkeit gegen das zum Sein führende feſthalten müſſen. Aber die Identität beider, die Heraklit ausſpricht, zeigt, daß er zu dem wahrhaft logiſchen Begriffe des Werdens durchgedrungen war, in welchem Sein und Nichtſein identiſche und raſtlos in einander übergehende Momente ſind.

Das wahrhafte Princip Heraklits iſt nicht einfaches Nichtſein, ruhige

Waſſer einſchlüge, wenn es nach Unten wandelnd zu Erde oder nach Oben wan— delnd zu Feuer wird, und ebenſo wäre das ſich nach Oben zu Waſſer Umwandeln der Erde immer nur ein andrer Weg und gerade nur der entgegengeſetzte gegen die nach Unten zu ſich in Erde umwandelnde Bewegung des Waſſers. Die Stufen wären wohl dieſelben, aber die Wege durchaus nicht; ebenſo wie eine Haus— treppe und faſt ſcheint man ſich ſo Heraklits Weg nach Oben und Unten vor— zuſtellen allerdings ſtets aus denſelben Stufen beſteht, das Herunter- oder Hinaufſteigen derſelben aber immer nur entgegengeſetzte Bewegungen ſind. Endlich aber, nicht einmal die Treppenſtufen find dieſelben; es iſt bei Hera— klit ſelbſt nicht einmal eine formale Gleichheit der Verwandlungsſtufen irgend vorhanden: das Feuer wandelt ſich auf dem Wege nach Unten in Waſſer um; das Waſſer aber wandelt ſich nicht mehr jetzt, wie man durch die ſtoiſchen Berichte verführt bei dieſer „formalen Gleichheit“ annimmt, erſt in Erde um, um dann wieder in Waſſer und endlich in Feuer rückzugehen, ſondern nach den eigenen Bruchſtücken des Epheſiers iſt die Bewegung die: das Feuer wandelt ſich in Waſſer um, das Waſſer aber theilt ſich ſofort (noch auf der Mitte der Treppe), zerlegt ſich gleich nach Oben in Feuer und nach Unten in Erde. Ein Theil des in Waſſer umgewandelten Feuers läuft alſo ſofort wieder in Feuer zurück, ohne die Stufe der Erde zu paſſiren (ſ. Ss 20 sq.). Es iſt alſo nicht einmal eine formal gleichmäßige Abſtufung bei Heraklit vorhanden.

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Negation, ſondern Negativität, welche die beſtändige Aufhebung des Seins zum Nichtſein und des Nichtſeins zum Sein, der immer in einander umſchlagende Wandel dieſer Momente iſt. Die Ne- gativität hat ihr Gegentheil, das Sein, als nothwendiges aufgehobenes Moment ſchon in ſich. Sie iſt das, was ſie iſt, nur als die Ver— mittlung mit ſich ſelbſt durch dies ihr Gegentheil hindurch. Nur dies, dieſe Negativität, iſt die heraklitiſche Bewegung. Die ödds dv, das Nichtſein als thätiges gedacht, iſt ſelbſt ſofortiges und perennirendes Umſchlagen ins Sein und Erzeugen deſſelben; die 50%, xdctᷣ9, das Sein nicht als das ſtarr unbewegte der Leichname, ſondern als gleichfalls thätiges, als Weg und Bewegung gefaßt, iſt perenniren— des Aufheben ſeiner zum Nichtſein. So iſt die %% in ſich ſelbſt ſchon nothwendig der Weg nach Oben und dieſer wieder in ſich ſelbſt ſchon der Weg nach Unten. Erſt dieſe ſchon in jeder dieſer Beſtimmungen für ſich, und darum in Allem was exiſtirt, vorhandene Einheit beider, der 00s vo und xarw, iſt das Werden, deſſen beide niemals einer wirklichen Trennung zugängliche Seiten fie bilden. Dieſe Identität?) beider iſt

) Dieſe unſere Auffaſſung des Fragments erhält jetzt, wenn fie noch einer Beſtätigung bedürfte, den frappanteſten Beweis durch das nunmehr bei Pseudo- Origenes IX, 10. p. 282 mitgetheilte Bruchſtück „yyapelw (wie Bernays ſetzt), Ynalv, bbös ebleia xat axoAım N Tod Öpyavon tos zakonzvov νο u S To yvapsiw neptorpogn edbüsla zat orolın. du yap 6pnov za xUrim TE- pteixertar ia Eori ,, xal hi; adTn'‘ xal To dvw xal To xdarw Ey Eari za to adbrö' Ödös dvo zarw win za hei. „Auch der Schraube Weg, zugleich gerade und krumm, ift einer und derſelbe. Und das Un- ten und das Oben iſt eines und daſſelbe und der Weg nach Unten und Oben iſt einer und derſelbe“.

Unmöglich kann die ſubſtantielle Identität des Weges nach Oben und Un— ten nachdrücklicher und energiſcher hervorgehoben werden. Es wundert uns, daß ſelbſt dieſes Fragment den geiſtvollen Zeller nicht hindert, es ganz wie ſeine Vor— gänger jo aufzufaſſen, p. 472: „Und daß dieſer Stufengang nach beiden Seiten hin gleichmäßig eingehalten werde, drückt er in dem Satze aus: der Weg nach Oben und Unten iſt derſelbe“. Abgeſehen davon, daß ein ſolches gleichmäßiges Einhalten, wie ſchon gezeigt, gar nicht bei Heraklit der Fall iſt und abgeſehen von allem Obigen, wie kann Zeller in dieſem Fragmente noch von einem „gleich— mäßig eingehaltenen Stufengange“ ſprechen, da doch nach dem Bruchſtück nicht nur der Weg ſelbſt, ſondern auch „ro A ro zarw“, das Oben und Unten ſelbſt, alſo auch die entgegengeſetzten Endpunkte des Weges ein und daſ— ſelbe, mit einander identiſch ſind. Wollte man auch, um zu unſerem früheren Vergleiche zu greifen, eine Treppe, weil dieſelbe Stufenreihe nach Oben und Unten führt, für einen identiſchen Weg nach Oben und Unten nehmen, ſo wird doch das Oben und Unten ſelbſt bei ihr nie für daſſelbe ausgegeben werden können. Wie

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daher das das All durchwaltende Geſetz (Aöyos). Dieſe Identität beider iſt als der unaufgehaltene ideelle Wandel der Gedankenmomente des Seins und Nichtſeins die unſichtbare Harmonie, der göttliche Logos, das Eine Weiſe, der höchſte Zeus, oder wie die Stoiker ſagten, der ätheriſche Leib der Weltbildung; Leib deshalb, weil bereits beide Momente und ihre Gegenſätzlichkeit, welche den Urquell und die ideelle Möglichkeit aller realen Unterſchieds- und Weltentwicklung bildet, in ihre reine Einheit eingeſchloſſen ſind, ätheriſch deshalb, weil dieſe beiden Mo— mente in dem reinen Wandel dieſer Einheit eben noch nicht zu realen Unterſchieden herausgetreten ſind. Dieſe Einheit beider iſt aber eben deshalb nicht weniger auch das Geſetz, welches ſich auch durch alles real Seiende durchzieht und allein in allem wahrhaft vorhanden iſt; es iſt die Seele, zu welcher die ganze Welt der Erſcheinungen und ihr realer Wechſel nur den Leib bildet. Die Welt der ſinnlichen Exiſtenzen iſt nur das Da— ſein, Setzen und Erzeugen dieſer ideellen und an ſich identiſchen Un— terſchiede als real verſchiedener und gegen einander feſter, an denen aber ihre innere Identität, eben weil ſie ihre Wahrheit bildet, unaufhörlich als Negation hervortritt und ſie in den Proceß der ſich aufhebenden Bewegung hineinreißt. Iſt, um uns ſo auszudrücken, das Seiende nichts als die Einheit der 500 Av und zarw, geſetzt in der einfeitigen Form der Js zarw oder des realen Seins, jo muß dafür an dieſem, daß es innerlich vielmehr ebenſo nur Weg nach Oben iſt, raſtlos hervorbrechen und das geſammte reale Sein ſelbſt ſich darſtellen als das, was es iſt, als das bloße Daſein des ununterbrochenen Nichtſeins) oder der Ödös Avw, als der immer in ſein Gegentheil umſchlagende Wandel und Proceß alles Sinnlichen, der nach Heraklit Weſen und Quell der ſinnlichen Realität iſt und der Fülle ihrer Unterſchiede.

Man muß dieſe Identität des Wegs nach Oben und nach Unten immer

ganz anders Heraklits Vergleich mit der Schraube, der gleichfalls zeigt, wie er durchaus nicht an einen gleichmäßig eingehaltenen Stufengang der Elemente nach Oben und Unten denkt. In der Windung der Schraube darin beſteht Heraklits Vergleich iſt auch die geradanſteigende Richtung, in jedem untheilbaren Punkte derſelben zugleich eine krumme und gewundene. Die Gegenſätze durchdringen ſich und ſind eins in jeder Partikel ihres Weges.

1) Dies daher denn auch der tiefſte innerſte Grund jenes „Sein und Zu— gleich (Nichtſein)“, welches nach Schleiermacher Ariftoteles und Plutarch dem Epheſier blos „leihen“, welches ihm aber auch überall Plato und ſeine eigenſten Bruchſtücke leihen und welches Schleiermacher wegſtreichen möchte, nicht ſehend, daß er damit den ganzen Heraklit ſelbſt fortſtreichen würde.

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gegenwärtig haben, um irgend eins der heraklitiſchen Bruchſtücke wahrhaft zu verſtehen.

Nicht bloß die Elemente durchlaufen dieſen in ſich entgegengeſetzten und mit ſich identiſchen abſoluten Weg, der eben kein andrer als der Weg und der Begriff des Werdens iſt und den deshalb Alles beſtändig durchläuft, wie ſowohl die ganze bisherige als nachfolgende Darſtellung zeigen wird.

Das Eine, das immer auseinander tritt (ſ. d. Bruchſtücke bei Plato oben p. 90 und p. 72) ſchlägt damit den Weg nach Unten ein, des Aus- einandertretens in die endlichen feſten Unterſchiede; und eben weil die ödös xdce in ſich ſelbſt ſchon immer Joos d iſt, iſt dieſes Auseinandertreten in die Unterſchiede nur der Proceß des immerwährenden Rückgangs der— ſelben in die reine Einheit, in die ſich aufhebende Bewegung des Wegs nach Oben; ſo daß jene Fragmente und dasjenige, an welchem wir jetzt ſtehen, nur Ausfluß ein und deſſelben tiefen Gedankens ſind. Wie das ſich zur Vielheit unterſcheidende und aus dieſer immer in ſich rück— gehende Eine und wieder wie die Seelen nach Plotinus und Stobäus Be— richt u. A. unabläſſig den Weg nach Oben und Unten durchwandern, wie die Götter ihn durchlaufen, indem ſie zu Menſchen erſterben, wie das na— türliche Leben in den Ausſcheidungs- und Reproductionsproceſſen, in denen es allein ſein Daſein hat, unabläſſig dieſen Weg nach Oben und Unten durchläuft, wie die phyſiologiſchen Zuſtände von Schlafen und Wachen (ſ. $ 30) das beſtändige Durchlaufen deſſelben bilden, nur ſo durchläuft ihn auch das elementariſche Daſein in ſeinen Wandlungen. Er bildet, wie wir noch ſehen werden, als das abſolute Werdensgeſetz die unentrinnbare Nothwendigkeit und Vorherbeſtimmung für Alles und iſt daher weit entfernt davon, wie man ihn bisheran faßte !), eine ausſchließlich und

1) Jene ſinnliche Auffaſſungsweiſe äußert ſich dann recht deutlich, wenn Schleiermacher (p. 383 sq.) die %% s d überſetzt: „den Gang feuerwärts“ und die os zaro mit „Gang erdwärts“, wie auch Ritter (p. 103) gleichfalls ſchlechtweg ſagt, dem Heraklit ſei der Weg nach Unten „das Herunterſteigen vom Feuer zur Erde“ und der Weg nach Oben das Hinaufſchreiten von „Erde zum Feuer“. Aber was giebt denn das Recht dazu, die heraklitiſche Formel ödos diu xdro jo ohne Weiteres mit Gang erdwärts und feuerwärts zu überſetzen?

Wir wiſſen wohl, eine große Schuld an dieſer Verwirrung trägt Diog. L. ſelbſt, welcher (IX, 8. u. 9.), nachdem er eben die im Weſentlichen richtige und wahre, von ihm ſelbſt aber keineswegs verſtandene Definition der heraklitiſchen odo dr xdrò gegeben, nun auch noch klar machen will, wie denn dem Heraklit die Welt, wie er eben geſagt hat, durch den Wechſel dieſes Weges entſtehe und des—

I: 12

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lediglich den phyſikaliſchen Elementen als ſolchen zukommende Bedeutung zu haben, welche Elemente vielmehr ſelbſt nur die realen ſinn—

halb, mit einem 7% ſeine Erklärung einleitend, fortfährt: απποινπνον Yap To * xc. und nachdem er den Elementarweg nach Unten vom Feuer zur Erde be— ſchrieben, hinzufügt „das ſei der Weg nach Unten“, und nach der Beſchreibung des Elementarproceſſes von Erde zu Feuer ebenſo: „das aber iſt der Weg nach Oben“. Den Worten nach iſt das, von andern dabei unterlaufenden groben Irrthümern hier noch abgeſehen, auch nicht unrichtig. Denn das iſt wirklich im Elemen- tariſchen der Weg nach Unten und Oben, und Diogenes behauptet nicht einmal, daß dieſe Specification des Weges nach Oben und Unten, die er giebt, die aus— ſchließliche und totale Bedeutung deſſelben enthalte. Sollte aber auch dieſer ge— danken- und kritikloſe Polyhiſtor wirklich in dieſe Verwechslung gefallen ſein, wel— cher Grund iſt das, in denſelben Fehler zu verfallen, da ja über die Verwechslung ſelbſt die bei ihm unmittelbar vorausgehende allgemeine Definition jenes Weges keinen Zweifel aufkommen läßt, denn unmittelbar vorher definirt er den Weg nach Unten als das zur „Geneſis“ führende Moment und als Streit (ch de &vayrioy TO nv Eri Tyy yeveow d⁰νν] und den nach Oben als das zur exrypwars führende und als Friede oder Uebereinſtimmung.

Iſt aber dieſe wahrhafte Erklärung von Diogenes ſelbſt nicht einmal verſtanden worden, ſo ſpricht das nur umſomehr für ihre Autorität, da er ſie dann, wie auch wohl gewiß der Fall, aus beſſeren Quellen eben nur abgeſchrieben und ſo gleich— ſam bewußtlos gerettet hat, wonach ihr gewiß größeres Gewicht zukäme, als ſeiner eigenen mit 7% eingeleiteten Erklärung.

Wie kann man aber den zur Geneſis führenden Weg mit „Gang erdwärts“ überſetzen wollen? Iſt denn dem Heraklit die yeveaıs blos die Eine Stufe der Erde, oder iſt ſie ihm nicht das Gebiet und der Gedanke des realen Seins über— haupt? Und wollte man ſchon durchaus ſich dabei lediglich an elementariſche For— men halten, jo durfte man dann dennoch nicht den Weg zur yevsars mit Weg erdwärts überſetzen. Denn dem Heraklit iſt nicht die Erde, ſondern vielmehr das Waſſer, reſp. das Gebiet des Feuchten, Sinnbild und Gebiet der Geneſis geweſen (vgl. Ss 19 u. 21), jo daß man hierbei noch eher zu dem unmöglichen Reſultat käme, Weg waſſerwärts zu überſetzen. Und wie kann man zwar bei Ritter, da dieſer zu einem realen Weltbrande zurückkehren möchte, iſt dies wenigſtens con— ſequent aber wie kann Schleiermacher den Weg nach Oben, das zur Exrdpwars führende Moment (70 Se ν⁹ 2xr.), ohne Weiteres mit Weg feuerwärts über— ſetzen, in dem Sinne, als wenn dies ein bloßes Aufgehen in elementariſches Feuer wäre, derſelbe Schleiermacher, der doch ſelbſt ſo trefflich geſehen hat, daß die ſ. g. Erröpwaors keinen realen Weltbrand bedeute, eine Einſicht, mit deren conſeguenter Durchführung jene Ueberſetzung in großem Widerſpruche ſteht! Weit vorſichtiger und richtiger iſt ſchon die Aeußerung von Brandis (p. 162): „Die von den Hemmungen ſich befreiende Bewegung war dem Heraklit im Wege nach Oben (dd. dvw), die durch die Gegenſätze gehemmte im Wege nach Unten (69. zarw) begriffen“ ꝛc., Worte, in welchen es alſo ſchon enthalten iſt, daß es ſich in der % 8 av. zar. nicht bloß um die ſinnlichen Elemente als ſolche handelt, ſondern ihr der allgemeine heraklitiſche Gedanke der Bewegung und des

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lichen Unterſchiede und Stufen des Werdens ſind und darſtellen (vgl. 88 19. 21. 23 und 27.).

Werdens zu Grunde liegt, deſſen ſinnliches Daſein und Realität in jenen Elementen, aus welchen dann weiter die Einzelgegenſtände werden, ſeine allgemeinſte Form hat; eine Erkenntniß, zu der nur noch die Einſicht in die logiſche Natur des heraklitiſchen Werdens, in die Gegenſätzlichkeit ſeiner Bewegung zu treten brauchte, um zur vollen Klarheit über dieſen Punkt zu gelangen. Man vgl. übrigens zu dem hier Angedeuteten die 88 21 u. 27, wo, nach vorheriger Darſtellung der heraklitiſchen Phyſik als ſolcher die ödös Avo zarw und die hier hervorgehobenen Mißverſtändniſſe derſelben zu ihrer letzten Löſung gelangen werden.

SS. Der Seelen Auf- und Niederweg.

Wie wir daher gehabt haben, daß es den Göttern Tod iſt, Menſchen, oder auch den Seelen Tod Menſchen zu werden, ſo heißt es auch: es iſt den Seelen Tod flüſſige zu werden.

Es wird uns dies ſogleich deutlich, wenn Clemens an einer Stelle, wo er uns die ſchätzbarſten Bruchſtücke über Heraklits Naturlehre mit— theilt, ſagt, daß ihm das Feuchte der Saame der Weltbildung geweſen und er es in dieſem Sinne Meer genannt habe!) („— Ke 1% n Ton Ötoıxobvros Adyov u eo) Ta. ouumdvra dr depos ToE- nerde eis bypbv, TO ws onepma This Ötaxoopnosws, & xe. 9010000“). Das Meer, das Gebiet der feuchten Natur überhaupt, ift ihm der Saame der Weltbildung, Gebiet und Symbol der Zeugung?) (vgl. §§ 20 u. 21.), wie ihm das Feuer Bild der reinſten immateriellen Bewegung und Einheit von Sein und Nicht, die Erde aber Bild und Gebiet der Verweſung iſt.

Daß die Seele flüſſig wird, in das Reich der feuchten Natur ein— tritt, heißt ihm alſo nichts Anderes, als daß ſie in den Leib und das Element des einzelnen und beſtimmten ſinnlichen Daſeins aus ihrer reinen Bewegung herabſinkt.

So zuerſt in mehreren Stellen, wo der Weg nach Oben und Unten der Elemente beſchrieben wird, mit dem einzigen Unterſchiede, daß die Seele die oberſte Stufe, den ſonſtigen Platz des Feuers einnimmt. So

1) Strom. lib. V. c. 14. p. 255. Sylb. p. 711. Pott.

2) Wie es dies ja bekanntlich auch ebenſoſehr in ägyptiſcher Religion und Seelenlehre, als bei den Orphikern war. Man vgl. blos, um nicht Stellen zu häufen, Simplic. in Ar. Phys. p. 50: % Y Alyörrıo: ray d rpwrns νE, % νον ovpnßokırws Exakovv, brosrasumv my Diny Exdkouv, o U ον ri odoay,; Clem. Al. Strom. VI, 4. p. 757. Pott; Athenagoras Legat. c. 15. p. 64 sq. ed. Dech.; Proclus in Cratyl. $ 157. p. 93. ed. Boiss.:

„— etre xal , Yalacca. yevEosws eixWv“ Kath.

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bei Philo 1): „EB za 6 "Üpazderros, Ev ots gn, duyno: Bavaros Böwp yevßodar“ xc, „den Seelen ift es Tod, Waſſer zu wer- den“. Ebenſo bei Clemens ?): „%s Iavaros dq ονε yevcadar““ t (es folgt der weitere Weg und Rückweg der Elemente, der uns hier noch nicht intereſſirt). Und in entſprechender Weiſe, die nun aber auch den Gedanken durch den ſymboliſchen Ausdruck hindurchſcheinen läßt, ſagt Proklus 3) aus Porphyrios: „wenn der Begehrungstrieb, von der geneſiur— giſchen Feuchtheit überſchwemmt, erſchlafft und eingetaucht wird in die Ströme der Materie, ſo iſt auch dieſes ein anderer Tod der vernünftigen Seelen zu feuchten zu werden, jagt Herakleitos“ („— Je d To S b b v yevsowboyou zaraxiukönevov U e Exvau- olcerde ral Banrigerar rois vis Ding pebpaoı, za! aklos obros duy@v ray vosowv Bavaros bypyor yevEodar, gnotv Npdzısrcos“). Eine Stelle, von der ſchon Schleiermacher p. 517 eingefteht, daß nicht nur die letzten Worte /. dav. dyp. yev., ſondern, trotz der neuplatoniſchen Quelle, die ganze Gedankenreihe in ihr als wirklich heraklitiſch werde zugegeben werden müſſen; eine Stelle endlich, in welcher auch das voso@v allerdings dem Porphyrios zugehört, aber doch nur eine ſehr echte Beſchreibung des Gegenſatzes iſt, wie wir bei den Sätzen von der trocknen Seele jehen werden.

Nur ein ſcheinbarer Widerſpruch, in der That aber übereinſtimmend iſt, was uns Porphyrios ſelbſt ſagt in einer Stelle, deren Schluß ſchon früher bezogen wurde und die hier in ihrem ganzen Zuſammenhange her— geſetzt werden muß. Porphyr ſpricht von den Nymphen und den Na— jaden insbeſondere ?): „Dieſe (a vardas) werden von dem Gewäſſer (vapdrwv) ſo benannt. Nymphen nennen wir die Najaden und die den Waſſern eigenthümlich vorſtehenden Kräfte; ſie nannten aber auch überhaupt alle in die Geburt hinunterſteigenden Seelen ebenſo (rag ses

1) De mundo incorr. p. 958. T. II. p. 508. ed. Mang.

2) Strom. VI. c. 2. p. 265. Sylb. p. 746. Pott.

) Das Fragment, das jetzt bei Pseudo-Origenes V, 16. p. 132 vorliegt: zal ol oopwraror tüv ,, õ sr: ad Hodder „eis, Aeyav, Huyrns el yap hαναν,wC (der Herausgeber ſchlägt vor 82 Av, was aber ſchwerlich zu acceptiren fein dürfte; vielleicht iſt vor N αο ein ris ausgefallen) gh vyerseddt ſoll feinem Gedanken nach hervorheben, daß nur ein Tod für die Seele exiſtire, nämlich die, wie wir bald ſehen werden, gerade ihre Luſt bildende Verleiblichung oder das Feuchtwerden derſelben, während der andere Tod, der, den die Menſchen meinen gerade nur wahres Aufleben für ſie iſt.

3) In Tim. p. 36. ed. Bas.

4) De antro Nymph. c. X. p. 257. Holst. p. 11. ed. v. Goens.

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reh ο xarıoboag Yduyas); denn fie meinten, daß die Seelen an dem Waſſer hangen, das von dem Hauche Gottes durchdrungen tft (Boare Horus Jyre), wie Numenius jagt, welcher auseinanderſetzt, daß deshalb der Prophet geſagt habe, es ſchwebe der Hauch Gottes über dem Waſſer und daß deshalb die ägyptiſchen Dämonen!) ſämmtlich nicht auf dem Feſten ſtehen, ſondern alle auf einem Schiffe, ſowohl Helios als alle in die Geburt herunterſteigenden Seelen, als welche man alle auf dem Flüſ— ſigen ſchwebenden auffaſſen muß, weshalb auch Heraklit geſagt habe: „„. (gavaı) repdev, u gAνν,ee, hp revo de, TEp- dev d& ed, abrais cyV els ryV YEvsaıv nraorv““, „„Luft, nicht Tod, ſei es den Seelen, zu feuchten zu werden, Luft aber fer ihnen der Fall in die Geneſis““ und anderswo habe er geſagt, daß „„wir leben jener Tod und jene leben unſern Tod““ (Q nuäs rov Exeivwv davarov nd Ai Exebvas Toy αετhν hauarh. Die Yuft des Feuchtwerdens iſt nämlich keine andere, als diejenige, welche die Seelen antreibt, in die Sinnenwelt, in die Luſt des individuellen Daſeins einzutreten, oder wie die mythiſche Sprache der Seelenlehre dies ausdrückt, die Luſt der niederen Seelen, die in den Dionyſos— ſpiegel ſchauend ſich verleiten laſſen, in die Zeugung herabzuſteigen (ſiehe z. B. das Vaſengemälde bei Creuzer Abbildungen Taf. IX.). Dieſe Luſt iſt eine ſolche, bei welcher wir weſentlich an die Worte denken müſſen, welche Lucian?) dem Heraklit in den Mund legt: „eat! h e, are, „daſſelbe iſt Luſt (und) Leid“.

Ueber jenen Auf- und Niederweg der Seelen aber vergleiche man zu— vörderſt die ſich an die Worte des Porphyrios eng anſchließende Stelle des Plutarch de Sera Num. Vind. p. 565 e. sd.) und die gelehrten Ausführungen von Wyttenbach!) hierzu, der dieſelbe auf die bekannten platoniſchen Stellen im Phaedon und Phaedrus zurückführend, bereits meint, Plato habe dieſe Lehre aus Heraklit geſchöpft, eine Meinung, für die er noch die bereits oben in der Anmerkung 1 zu p. 122 bezogene Stelle des Himerius hätte anführen können, auf die hier wieder zurück—

1) Siehe hierüber Jablonski, Panth. Aegypt. T. II. p. 103. 2) Vitar. auct. c. 14. T. III. p. 96. ed. Biss.

3) cs Errnaeraı zal dvuypalverar ro ppovodv ů n Tas hdorns to M dloyoy DH, owparosıöts dodonzvoy zal oapxodpevov S]. Tod Eg. urnſunv, sn d& Tas hung (uspov zat nodov Eixovra npös yEvsaty Fu ore @vondosar vedorw , yhv odoav, Öbypornrı Papvvonevns TAS DVG xxꝗ.

4) T. VII. 1. P. 448 8d.

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verwieſen werden muß. Und um unſere eigene Anſicht, die wir ſchon lange durch unſere Darſtellung hindurchſcheinen ließen, ſchon hier gerade heraus— zuſagen !), fo iſt uns ſowohl ſchon von dem bloßen Namen dvo xd, als auch von jo vielen Sätzen, die wir bereits gehabt haben und noch betrachten werden, von dem Sterben der Götter und Seelen, von dem Flüſſigwerden derſelben, von dem Wege der Seelen nach Oben und Unten, von dem zugleich als Mühſal und als Erholung geſchilderten unabläſſigen Wandeln der Seele mit dem demiurgiſchen Zeus um das Weltall, von der mit dem Ablaſſen der Seele von dieſem ununterbrochenen Wandel indem fie dadurch nach Unten in das Reich der feuchten Geneſiurgie gezogen wird eintretenden Körperlichkeit derſelben und von ſo vielen andern Ausſprüchen ſchlechthin unbegreiflich, wie Heraklit zu dieſen Aus— drucksweiſen gekommen ſein ſollte, wenn er nicht die urſprünglich ägyp— tiſche und durch die Orphiker und Pythagoräer in Griechenland ver— breitete myſteribſe Lehre von der Seelen Auf- und Niederweg (dvodos?) und xadodos) als Subſtrat benutzt hat, um in dieſen religibſen Dogmen und deren mythiſch-ſinnlicher Form ſeinen ur— eigenen Begriff einhüllend darzuſtellen, auch hierin wieder folgend ſeinem Gott, der „nicht herausſagt, noch verbirgt, ſondern andeutet“ und der ſymboliſchen Sprache, welche die Natur ſſpricht in ihren Exiſtenzen (vgl. das Capitel II.). -

Was zuerſt den Namen döds avo zarw betrifft, jo bezieht ſich näm- lich das, was wir oben über die Angemeſſenheit dieſes Namens gejagt haben, nur auf den Ausdruck: ds, Weg, inſofern hierin eben die Be— wegung ausgedrückt iſt. Anders dagegen verhält es ſich mit dem dvo xd, welches, da der heraklitiſchen Philoſophie, wie bisher nur zu ſehr überſehen worden, jede örtliche Bewegung linſofern ſie die principielle Bewegung oder %% ſein ſoll) fremd iſt, derſelben durchaus unangemeſſen iſt und aus ihr heraus nicht erklärt werden kaun. Denn kein Gewicht darf man etwa auf die Verwirrung des Simplicius legen wollen, welcher ſagt: Heraklit gehöre auch unter die, welche die Orts bewegung als erſte ſetzen. So etwas, daß die heraklitiſche Bewegung, welche durchaus nur neraßoin, d. h. Umwandlung, Umſchlagen in das Gegentheil iſt, eigentlich mit der Orts bewegung eins ſei, ließ ſich wohl zur Noth von Jemandem behaupten, der die ariſtoteliſche Matereologie im Kopfe hatte, aber nicht früher! Doch werden wir dieſen Irrthum erſt ſpäter

1) Vgl. 8 26. 2) Ueber der Seelen Avndos hatte Porphyrius bekanntlich ein eigenes Werk geſchrieben (Augustin. de eiv. dei X, 29.).

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und nach vorheriger Darſtellung der heraklitiſchen Phyſik näher nachweiſen und widerlegen können ($ 27), worauf wir hier verweiſen müſſen. Hier alſo einſtweilen nur ſoviel: Nur das Umſchlagen der Gegenſätze von Sein und Nichtſein ineinander, oder die unſinnliche Bewegung iſt die allein principielle Bewegung Heraklits. Von dieſer iſt die Orts— bewegung wie jede ſinnliche Bewegung und Veränderung erſt die Folge und Wirkung. Faſt überraſchend richtig ſieht dies Philoponus in einer ſpäter 33) näher zu betrachtenden Stelle (Comm. in de Anim. C. 7.) ein, wo er von jener ſelbſt nie körperlichen (Ev aonacı dAowuarov) und ſich durch alle Körperbewegung hin durchziehenden unſinn— lichen Bewegung treffend ſagt, daß ſie erſt der „anderen“ (d. h. aller ſinnlichen und alſo auch der örtlichen) Bewegung Urſache ſei (de xcynrog xt ig AAAns xıvyoEsws altta).

Es iſt ſomit das örtliche „Oben und Unten“ als Bezeichnung für die nicht örtliche principielle Bewegung Heraklits eigentlich ein fremd— artiger Ausdruck bei ihm, was an und für ſich ſchon eine deutliche Hin— weiſung fein dürfte, daß Heraklit nicht Erfinder dieſes Namens iſt, ſondern ihn aus jener Doctrin herausgegriffen, um ſeinen Begriff ihm unterzulegen. Und die ganze bisherige Auffaſſung Heraklits, welche immer bei ihm eine örtliche Bewegung und Ableitung aus dieſer als ganz un— beſtritten und ſelbſtredend, häufig ganz unbewußt, vorausſetzte, iſt eben nur durch dieſe ſinnliche Form des y zaro und durch ihre eigene ſinnliche Vorſtellungsweiſe verführt worden und würde ſich, wie ſeines Orts gezeigt werden wird, nicht auf ein einziges Bruchſtück von Heraklit ſelbſt berufen können, in welchem örtlich-abgeſtufte Bewegung als Princip er— ſcheint oder auch nur aus reell feſtgehaltenen Unterſchieden von Oben und Unten (— das Oben wird vielmehr in der Kreisbewegung der heraklitiſchen Phyſik ſelbſt immerwährend zu Unten —) zur Ableitung und Entwicklung der concreten Erſcheinungen geſchritten wird. Als ein— ziges wahres Ableitungsprincip erſcheint vielmehr ſtets im Gebiete des Seeliſchen wie des Phyſiſchen das dialectiſche Umſchlagen in das Ge— gentheil, eine Bewegung, welche nicht die ſinnliche der Ortsbewegung iſt und wohl ſchwerlich ganz von ſelbſt ohne eine ſolche concrete Anſpielung und halb deutende, halb die Unausſprechlichkeit des eigenen dialectiſchen Gedankens in jenem Dogmen-Material darſtellende Beziehung als „Weg nach Oben und Unten“ ausgeſprochen worden wäre. Aus dieſer mit ſo gänzlichem Unrecht ſtets als principiell unterſtellten Ortsbewegung ent— ſpringen denn auch die vielen Mißverſtändniſſe der Neueren, das Nicht— erfaſſen der Identität des Wegs nach Oben und Unten, die falſchen Vor—

u

ftellungen von einer „oberften und höchſten Region“ des Feuers, oder einer örtlichen Transcendenz der höchſten Seele und des repreyov, Irrthümer, die wir theils ſchon oft widerlegt zu haben glauben, theils noch häufig Gelegenheit nehmen werden, zu widerlegen. So endlich auch wird es erſt klar, wie Der, welcher geſagt hat: „die Welt hat keiner der Götter gemacht“, Der, in deſſen Fragmenten wir ſo oft die glühendſte Polemik gegen den Volksglauben finden, ſich doch wieder in andern Bruchſtücken ſoviel mit Göttern, Daimonen ꝛc. zu ſchaffen machen konnte und ſich an die religiöſe Vorſtellung davon anzulehnen ſcheint.

Aber auch abgeſehen von dem bloßen Namen „Weg nach Oben und Unten“, auch alles Nähere und Concretere, jene Sätze von der Seelen Ayodos und xadodos, von dem Feuchtwerden der Seelen und ihrem damit gegebenen Herunterſteigen in die Leiblichkeit und Zeugung, jene Sätze von den Menſchen, die geſtorbene Götter ſind und umgekehrt, von dem, was ſie nach dem Tode erwartet, von dem Hören auf den Dämon, jene Sätze von dem Meer, dem Gebiet des Feuchten, als Symbol und Gebiet der realen Weltbildung und Zeugung ꝛc. ꝛc. und jenen „Haß der flüſſigen Natur“, wie ſich ſelbſt Schleiermacher einmal über Heraklit ausdrückt, Alles das finden wir ja faſt wörtlich wieder in dem, was in den Schrift— ſtellern über jene Seelenlehre!) anzutreffen ift*). Noch deutlicher wird dies, wie er die religiöſen Vorſtellungen in das Gebiet ſeines Philoſophirens hineingezogen und ſeinen Begriff in ihre Geſtalten hineingelegt hat, wenn wir ihn bald ſehen werden eine Polemik gegen Dionyſos ſelber er— heben. Nur darf niemals und das iſt freilich eine Hauptſache

1) Man ſehe nur außer den bereits angeführten und gelegentlich (ſ. § 9 sg.) noch folgenden O. bei Porphyrios ib. e. 6 u. c. 18 sq., die bei Wytten⸗ bach zu Plutarch 1. 1. angeführten Stellen Plato's und Anderer, Procl. in Tim. p. 17. p. 36. p. 330. in Parmenid. p. 146. ed. Cous., in Aleib. I. p. 68 sqq. p. 32. p. 86. ed. Creuzer; Clemens Al. Strom. V. p. 675. ed. Pott. (ef. ib. VII, 6. p. 850), Hermias ad. Phaedr. p. 94. ed. Ast. (ef. Orphie. Hymn. XI. XXIX. Fragm. VII. XXVIII etc. ed. Hermann) und vieles Andere bei Boeckh in den Heidelberger Jahrbüchern d. Phil. 1808 J. p. 112 f. und Creuzer in der Symbolik und Mythologie bei der Darſtellung der Seelenlehre und Dämonologie; vgl. die in der Anmerkung 1. zu p. 156 paralleliſirten Stellen des Dio Chrysost., Philo, ete. etc., ſowie das Citat aus Jamblich und das darüber Geſagte.

) Und wie deutlich weift jetzt nicht wieder das neue Fragment von der Auf— erſtehung der Seelen denn hierauf muß es offenbar bezogen werden auf dieſes Darſtellungsmaterial hin, bei Pseudo Origen. IX, 10. p. 283 u. Bernays Rh. Muſ. IX. p. 245: „ELyndde eovras Zravioraadar xa] pülaxas

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der ideelle, begriffliche Unterſchied überſehen werden zwiſchen Heraklit und jenen Dogmen. Es darf nicht überſehen werden, daß Heraklit durchaus kein Jünger und Verbreiter irgend einer Prieſter— weisheit iſt, ſondern daß er nur ſeinen ſpeculativen Begriff, der ihm durch und durch originell und von keinem ägyptiſchen Prieſter noch per— ſiſchen Magier erkannt worden war, daß er ſeinen Gedankengegenſatz der Negativität und des Seins, der reinen Bewegung und des Verharrens, des Allgemeinen, das ihm im unaufgehaltenen Wandel beſteht, und des an ſich feſthaltenden beſtimmten einzelnen Daſeins, in die religiöſen Vorſtellun— gen von den feuchtwerdenden und dadurch in die Sinnenwelt herabgezogenen Seelen, von den Opfern, die Heilungen der Seelen find ꝛc., hineinträgt; daß ihm dieſe religiöſen Vorſtellungen ſomit nicht die Sache ſelbſt, ſon— dern nur das ſinnliche Subſtrat der Darſtellung ſeines Begriffes find; ein Unterſchied, den freilich ſowohl Porphyrios als Jamblich 1. J. als die Neuplatoniker meiſt zum Theil überſehen. Es iſt, um dies an Einem Beiſpiele jo deutlich und durchſichtig als ſchon hier nur immer möglich iſt, zu machen nur erforderlich, einen Rückblick auf den p. 124 angeführten und betrachteten Bericht des Aeneas Gazäus zu werfen. Die Stelle läßt das Sachverhältniß mit einer Klarheit hervortreten, welche dadurch nicht im mindeſten benach— theiligt wird, daß ſie für Aeneas ſelbſt freilich nicht vorhanden war. Aeneas ſagt: Heraklit habe eine nothwendige Aufeinanderfolge (Bvayzalav deadoyny) angenommen, nämlich die Wanderung des Weges nach Oben und Unten durch die Seele. Da nämlich (Sus! fährt er fort —) es Mühſal für ſie ſei, dem Demiurg in ſeinem raſtloſen Wan— del zu folgen und mit ihm das All zu umwandeln, ſo werde ſie durch die Sehnſucht nach Ruhe nach Unten in den Körper gezogen. Dieſes in dem reinen demiurgiſchen Wandel nicht Aushaltenkönnen der Seele und ihre dadurch bewirkte Flucht (&; von Gott und Verkörperung ſoll alſo, nach Aeneas, den Grund und das Weſen jener „nothwendigen Auf— einanderfolge“ ausmachen. Allein dieſe nothwendige Aufeinanderfolge iſt, nach Aeneas ſelbſt, da er ſie ja ſelbſt als den Weg nach Oben

rlveodar Eyspri Zwyrwv xal verp@y“. Kann man deutlicher in der Form ägyptiſiren? Treffend bemerkt Zeller p. 483, 6: „Ich beziehe dieſe Worte auf die zu Hütern der Menſchen beſtellten Dämonen, vgl. Hes. E. x. Au. 120 ff. 250 ff.“ Aber gewiß verſteht auch er dies mit uns ſo, daß wir ſelbſt durch den Tod zu ſolchen Dämonen, zu ſolchen „Hütern der Lebenden und Leichen“ werden, vgl. Plutarch de Def. Or. p. 415. p. 700 sq. W., wo dieſe Umwandlung der Seelen in Dämonen und Heroen in die engſte Beziehung zu heraklitiſcher Lehre gebracht wird, und 8$ 11 u. 26.

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und Unten erklärt, und nach den zum Ueberfluß noch deutlicheren in— ſoweit aber mit dem Bericht des Aeneas ganz identiſchen Stellen des Plo— tinus und des Jamblichus bei Stobaeus (ſiehe oben p. 131. 132), welche ſtatt S Avayzaza aus drücklich Anorfüs dvayxalas Ex Twv Evav- zioy jagen, gar nichts anderes als der beſtändig ineinander umſchlagende Proceß der Gegenſätze von Sein und Nichtſein, welche durch ihre ſtets ineinander übergehende Bewegung das'geſammte geiſtige und phyſiſche All, Feuer und Waſſer und Erde, Schlafen und Wachen, Leben und Ster— ben, produciren. Es iſt dieſelbe kosmiſche Bewegung in ſeinen eigenen Gegenſatz hinein, welche das Auseinandertreten des Einen in das Viele und das Zuſammengehen des Vielen in das ideelle Eine, den Uebergang der ſichtbaren Harmonie in die unſichtbare und deren Rück— gang in jene conſtituirt. Der Wandel in das Gegentheil iſt nicht nur der Weg der Seele in den Körper (weshalb ſie geſtorbener Gott genannt wird), ſondern er iſt ebenſoſehr das Geſetz und der Weg des Elementarproceſſes und aller Erſcheinungen im Univerſum. Ferner iſt, wie wir bald 10 8g.) zur Evidenz ſehen werden, der Demiurg ſelber gar nichts andres, als das Gedankengeſetz ſelbſt von der Identität der intelligiblen Gegenſätze von Sein und Nichtſein und ihres ideellen Uebergehens in einander. Sein Wandel, von dem Aeneas ſpricht, ja ſeine ganze demiurgiſche Thätigkeit und Exiſtenz ſelbſt beſteht nur darin, daß er raſtlos aus dem Moment des Seins in das Moment des Nicht— ſeins übergeht, daß er ſich unaufgehalten aus der Form der ideellen Einheit in die der realen Vielheit umſetzt und dieſe ſeine Bewegung als das reine ideale Umſchlagen der Gedankenmomente in jo ſchlechthin ungetrennter Identität ſich vermittelt, daß, weil hier der Widerſpruch des endlichen Seins aufgehoben, jedes dieſer Momente ſofort das andere ſelbſt iſt, der Gegenſatz beider Momente ſofort auch ihre Identität iſt und umgekehrt, wie wir dies ſchon bei der beſſern unſichtbaren Harmonie geſehen haben und ſeines Ortes näher ſehen werden. Aber eben weil nichts Individuelles und Einzelnes dieſe demiurgiſche begriffliche Be— wegung des reinen ideellen Uebergehens der intellectuellen identiſchen Ge— dankengegenſätze mitmachen kann, können die Seelen jenem die ſpecielle Natur des Abſoluten bildenden abſoluten demiurgiſchen Wandel nicht folgen; ſie müſſen aus der Mühſal dieſes Wandelns und aus der Führung des Demiurgen fliehen und ſich nach unten, in das Reich des realen Seins und der gehemmten ſinnlichen Bewegung, in das Gebiet des Wider— ſpruchs und des realen Mühſals entlaſſen.

So liegt hier in dem Berichte des Aeneas von Heraklit nichts

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anderes vor, als ein bloß in das Material und die durchſichtige Form aegyptiſcher Seelenlehre gehülltes Ausſprechen ſeiner ſpeculativen Anſchauung von dem abſoluten Princip alles Denkens wie Seins als der intellectuellen und in ihrem Auseinandertreten das Weltſyſtem aus ſich erzeugenden Ein— heit der reinen Gedankengegenſätze von Sein und Nichtſein. Es iſt ſchon in dem zweiten Capitel der Vergleich gemacht worden, daß Heraklit ſich in Bezug auf dieſe Hülle zu den helleniſchen und orientaliſchen Religions— kreiſen ähnlich verhalte, wie die hegel'ſche Philoſophie zu den Myſterien, Dogmen und Namen der chriſtlichen Religion und es wäre ein ganz ana— loger Irrthum, wenn man annehmen wollte, Heraklit ſei ein Jünger orientaliſcher Prieſterweisheit oder habe auch nur irgendwie an jene religiöſe Seelenlehre als ſolche wirklich geglaubt, als wenn man annehmen wollte, Hegel verdanke ſeine Weisheit der chriſtlichen Religion oder ſei auch nur ein gläubiger Chriſt geweſen. Es iſt aber dort (im zweiten Capitel) zugleich der begriffliche Grund, die immanente Nothwendigkeit entwickelt worden, warum Heraklit ſeinen treibenden Gedanken der reinen Negativität unmöglich in wahrhaft genügender logiſcher Form herausringen konnte, warum er ihn ſchlechterdings nur in ſinnlicher ungenügender Form aus— ſprechen konnte, wie er deshalb ohne alle Willkür zu ſolchem Subſtrat der Darſtellung feines Begriffs, phyſiſchem wie religiöſem, greifen mußte; wie aber eben dieſe Unangemeſſenheit der ſinnlichen Form und des rein überſinnlichen Gedankens für ihn ſelbſt vorhanden und ſeine Philoſophie daher nur die ungeheuere Abmarterung war, die Kategorie der Negativität in der Form der Kategorie herauszuringen; wie er eben deshalb mit dem ſinnlichen Subſtrate ſeiner Darſtellung raſtlos wechſelt, es wieder zerbricht und fortwirft und ſo die Transcendenz ſeines Begriffs über jedes ein— zelne Subſtrat ſeiner Darſtellung offenbart. Eben deshalb zerſtört er denn auch wieder dieſe ganze religiöſe Seelenlehre mit dem tiefen Ausſpruch „Daſſelbe iſt Zeus und röienos“, der höchſte Gott, der reine Wandel ins Gegentheil, und die Sphäre des realen Dafein, oder: „Ein und daſſelbe iſt der Weg nach Oben und nach Unten“, einem Ausſpruch, der, das Tiefſte ſeines Begriffs enthaltend, mit jener religiöſen Dogmatik, welche dieſe Wege als bloß entgegengeſetzt, als jo entgegengeſetzt, wie Abfall der Seele von Gott und Rückkehr zu ihm feſthalten muß, in einem unlöslichen Widerſpruch ſteht und ſomit deutlich offenbart, wie es ihm nicht um jene Seelenlehre als ſolche, ſondern in dieſem bildlichen Material nur um das Ausſprechen ſeines Begriffs zu thun war.

Deswegen zerbricht er auch ebenſo wieder die ganze kindlich naive

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Dämonologie des Alterthums mit dem tiefen Ausruf: „Das Gemüth iſt dem Menſchen ſein Dämon“ und mit vielen andern Fragmenten, die wir noch betrachten werden.

Uebrigens darf nicht unerwähnt bleiben, daß Creuzer, wenn er auch in der Regel Heraklit die Subſtanz feiner Philoſophie ſich aus Prieſter— weisheit ſchöpfen läßt, doch einmal in einer kurzen und, weil gelegentlich gemacht, freilich auch gar nicht weiter explicirten Aeußerung über jenes Verhältniß Heraklits zu jener Seelenlehre gradezu den Nagel auf den Kopf trifft. In der Symbolik und Mythologie T. II. p. 133, 3. Ausg., nachdem er eine lichtvolle Darſtellung der ägyptiſchen Seelenlehre gegeben, äußert er nämlich: „Dieſe ägyptiſche Seelen- und Dämonenlehre hat ſich nun weiter zu den Griechen verbreitet, als zum Pherecydes von Syrus, Heraklitus, der freilich nun der 6s dvo xarw den Sinn ſeines genialen Syſtems unterlegte“.

§ 9. Feuchte und trockne Seele.

Dieſelbe Ideenreihe nun, wie in der obigen Auführung des Por— phyrios, ſetzt derſelbe Autor in einer ſich an jene bald darauf anſchließende Stelle (e. XI.) fort, eine Stelle, welche wir, da ſie wiederum heraklitiſche Bruchſtücke enthält, trotz ihrer Länge mindeſtens in ihrem weſentlichen Zu— ſammenhange mittheilen müſſen. Porphyr ſpricht von den heraklitiſchen und ſtoiſchen Lehren über die Nahrung der Himmelskörper aus Meer und Flüſſen, aus dem Feuchten überhaupt, und fährt fort: „Es iſt nun noth— wendig, daß auch die Seelen, ob ſie nun körperliche ſeien, oder zwar unkörperliche aber den Körper anziehende (Eyeixonevas!) HE owua) und am meiſten eben diejenigen, welche in das Blut und die feuchten Leiber geknüpft werden ſollen (xal udkora ras neiloboas zaradsiodar e v alna wu Ölöypa owpara), ſich dem Gebiet des Feuchten zuneigen und von der Feuchtigkeit durchdrungen dadurch verleiblicht werden (& awuarododa: bypavdefcas); weshalb auch durch die Ausſchüttung von Galle und Blut die Seelen der Geſtorbenen ſich zu uns hinwenden (bei der Todten— beſchwörung nämlich); und daß die den Körper liebenden Seelen den feuchten Hauch an ſich ziehend ihn verdicken wie zu einer Wolke (Yα v 1e grioowpdrous U TO mvedua ü Efαονùu ui⁰Ees rag, e ToDTo ws „S9, denn das Feuchte in der Luft verdickt tritt zur Wolke zu— ſammen (yo rap Ev dh naylwdev vEepos auv/orarae.); indem dieſe (wieder) verdickt wird durch den Ueberfluß des naſſen Hauches in ihnen, werden fie ſichtbar (öparas?) yuvasodar); die reinen

1) Dies Epeixonevas iſt ein Ausdruck, der ſich oft in der Verbindung mit A 9 180 findet und die Thätigkeit dieſes heraklitiſchen Weges auch bei Plato aus— drückt, z. B. Cratyl. p. 386. E. p. 47. Stallb. &Axöpeva dvw zat zarw. (cf. das an bei Diog. L. IX, 16.)

2) Man ſehe hierzu das, was über das gegenſätzliche Be oben gejagt ift p. 100, 5. und p. 121.

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Seelen aber find abgewendet der Geburt (ar. uevror zadapa! yevdosarz and r poοννοαðẽñ. Herakleitos ſelbſt aber jagt: „„die trockne Seele liſt) die weiſeſte“ “, adrös de gn Hound etre: „Erpa duy7 0ogwrary“.

Gegen den Einwand, daß das Fragment des Ephefiers in einer neu— platoniſchen und ſomit für Heraklit ſelbſt nichts beweiſenden Gedanken- verbindung mitgetheilt ſei, muß bemerkt werden, daß wir Stellen antreffen, die uns daſſelbe Fragment mit Worten wiedergeben, welche Heraklit ſelbſt angehörend mindeſtens einen Theil jener Gedankenreihe allerdings als bei ihm ſelbſt vorkommenden Zuſammenhang nachweiſen. So zu— nächſt bei Clemens !): „osrw O’üv zaf 7 gu, fu bnd S zada,pd xu S nod xu, gwrosiörs: Abyn qs duyn Eypa 009wrary xal GpLory“, wo Schleiermacher überſetzt: „denn ein trockner Strahl iſt die weiſeſte und beſte Seele“?) und in dem bald darauf Folgenden: „ds sor xdduypos Tas Ex r olvov dvadunıdosow ? αν⏑νε d, GWwp.aToroLounEvn“, „noch wird ſie durchnäßt ſein durch die Aus— dampfungen des Weines nach Art einer Wolke verkörperlicht“ erkennt auch Schleiermacher die letzten hervorgehobenen Worte als eigene des Heraklit an.

Ebenſo in einer Stelle bei Plutarch, wo Heraklit ſagt, daß dieſe trockene Seele nur den Leib durchzucke wie ein Strahl die Wolke): „. . . X FDD x0: d0apxov za! ayvov abrn yap don Enpn aptorn za Il pu e,JT Wsrep dorpann vegpous dLanrandyn Tod owp.aTos“, „denn dies iſt eben jene trockene Seele, welche die beſte iſt, nach Heraklit, den Leib durcheilend wie ein Strahl die Wolke“. Hiernach!) kann das Urtheil über das Authentiſche in dem vornehmlichen Inhalt und Zuſammenhang in der obigen Stelle des Porphyrios wohl nicht zweifelhaft ſein.

Die Zahl der Stellen aber, in denen uns verſichert wird, daß nach Heraklit die trockene Seele oder der trockene Strahl die beſte Seele ſei, iſt Legion. Das Trockene hier muß man natürlich nicht mit dem

1) Clem. Al. Paedag. II, 2. p. 184. Pott.

2) Dieſe Ueberſetzung ſchließt aber auch eine Verſetzung der Worte ein, und ein „trockner Strahl“ dürfte tautologiſch ſein, weshalb die Stelle wohl lieber ſo zu faſſen ſein dürfte: „Denn ein Strahl iſt die Seele; die trockene, die weiſeſte und beſte“. Dies beſtätigt ſich auch durch die bald folgende Stelle des Plutarch, wo die Seele ein Strahl (aorpary) genannt wird.

3) Plutarch. Romul. p. 35. 36. ſiehe die im Verfolg vorgeſchlagene Ver— beſſerung.

4) Vgl. auch die oben (p. 182, 3.) angef. St. d. Plutarch.

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Starren für verwandt halten wollen; vielmehr iſt es eine feurige!) und ſonnenartige Trockenheit.

Dieſe feurige Wärme und Trockenheit iſt deshalb die wahre Subſtanz der reinen Seele, weil ſie eben das Subſtrat der reinſten Bewegung und Beweglichkeit iſt. So lange die Seele ſich dieſe ihre elementariſche Natur der reinen Bewegung möglichſt bewahrt, iſt ſie ihrem Begriff am meiſten entſprechend.

Wie aber im Elementarproceß die Stufe des Feuchten diejenige iſt, auf welcher jene reine ſichſelbſtaufhebende Bewegung des Feuers be— reits zu einem verharrenden Daſein ſich umgewandelt hat und ſich deshalb aus dieſer Stufe, wie aus einem Saamen der Weltbildung, alles Sinn— liche nun weiter entwickelt (SS 20 u. 21) jo tritt auch die Seele, jemehr ſie ſich hingiebt an dies Gebiet des Feuchten, deſto mehr aus ihrer reinen Selbſtbewegung heraus und in das verharrende ſinnliche Daſein hinein, geräth mehr und mehr unter die Botmäßigkeit des auf ſich beruhen wol— lenden Sinnlichen und ſeiner Luſt, geht mehr und mehr ihrer echten Sub— ſtanz und dadurch auch des Erkennens verluſtig, welches, wie wir ſpäter ſehen werden, gleichfalls nur durch die Selbſtbewegung der Seele, durch das Aufgeben alles feſten, beharrenden, ſinnlichen Seins, welches die trügeriſchen Sinne vorſpiegeln, ja durch das ſtete Aufgeben ihres eigenen ſinnlichen Daſeins?) bewirkt wird.

Wenn daher Schleiermacher p. 514 ſagt, daß Heraklit in jenem Bruch— ſtücke von der den Leib wie ein Blitzſtrahl die Wolke durcheilenden Seele bildlich die Bereitwilligkeit der Seele darſtelle, den Leib wieder zu verlaſſen, ſo iſt dies gewiß ganz richtig und dient wiederum zur Be— ſtätigung deſſen, was wir oben über den ſinnbildlichen Stoff der religiöſen Seelenlehre ſagten, in denen Heraklit dieſen Theil ſeiner Philoſophie dar— geſtellt hat. Aber erſchöpfend iſt dies nicht, ſondern es liegt hierin auch noch die ſchnelle Bewegung, mit welcher die Seele unausgeſetzt den Leib, auch ſo lange ſie in ihm iſt, durcheilt und erſt durch dieſe, ſein ſinn— liches Daſein, wie ſich zeigen wird, unaufhörlich aufhebende Bewegung, alle Erkenntniß vermittelt, eine Vermittlung, ohne welche nicht ein— mal ſelbſt die in der ſinnlichen Wahrnehmung mögliche Erkenntniß

1) Es iſt ein Unterſchied, jagt Pſellus, zwiſchen der animaliſchen Wärme und der feurigen; jene iſt flüſſig, dieſe trocken und brennend, de Operat, daemon. p. 78 sq. my Yap rei rupös zal mv Hıaryv (Uοeeνν, ws xauorınynv zal Enpalvovoavy Anvorpegerar nv de Tüv &uwv WS AunLLETDOY odboay xal ne# Dypörtnros ar.

2) S. S$ 32 sqq.

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und Auffaſſung des Objectiven vorhanden iſt, ſo daß durch die Hingebung der Seele an das Feuchte ſelbſt die reinere Wahrnehmung der Sinnes— organe, geſchweige denn das wirkliche Erkennen verloren geht.

Die nähere Nachweiſung und tiefere Begründung dieſer Sätze wird ſich erſt bei der Lehre vom Erkennen ergeben, worauf hier verwieſen wer— den muß.

Die Zeugniſſe über die trockenen Seelen ſind nun, ſo kurz ſie ſind, doch unter ſich ſowohl als gegen die hierüber bereits angeführten Frag— mente etwas abweichend, ſo daß es nicht leicht iſt, auf den erſten Blick die Form herauszufinden, in der Heraklit ſelbſt jenen Satz ausgeſprochen hat, und Schleiermacher ſich mit Recht veranlaßt ſieht, mehrere Schemata als bei ihm vorkommend anzunehmen. Als die echteſte Form des Hauptſatzes beſtimmt er wohl mit Recht die bei Stobaeus erhaltene ): guy, cogr R dpiory‘, „die trockene Seele (tft) die weiſeſte und beſte“. Aehnlich bei Glycas ?): „%%%, Enporeon, oopwrepy“ und dann umgeſtellts) „Enporspy gn, cogwrepn“.

Etwas abweichend ſagt Plutarch): Aua ο dy ces o dlöyws za} Enpornra. ga pera rig deoporyros Eyywopevyv kenchvew TO nvedya za! notety aldepıwöes zal zadapov" aber yüp Enpa duyn n Hod »rerrov“. „Zugleich würde Einer nicht unrichtig bemerken, daß auch die Trockenheit zu der Wärme hinzukommend den Hauch verfeinert und ihn ätheriſch und rein macht: Dies eben iſt die trockene Seele nach Heraklit“ d). Zuvörderſt muß ich bemerken, daß ich nicht glaube, daß hier die Anführung der Plutarchiſchen Stelle mit Schleiermacher abgebrochen werden muß. Wenn Plutarch fortfährt: „Die Näſſe aber (bypörys) ſtumpft nicht nur das Geſicht und Gehör ab, ſondern auch die Spiegel berührend nimmt

1) Stob. Serm. V. p. 74. T. I. p. 151. Gaisf. Mit ſeinem ihm eigenen feinen Takt hat Schleiermacher dieſes Citat (p. 508) von dem bei Stobaeus un— mittelbar vorhergehenden losgetrennt. Angeführt wird das Dictum auch, ohne Heraklit zu nennen, bei Eusthat. ad Iliad. J. v. 261. T. IV. p. 129. p. 282. ed. Stallb.: „— od um lerrobg ro vo zal e, unde olous d οννν TW elrövrı, dre Enpn , FopwTarn.

2) Annal. I. p. 74 ed. Par.

3) ib. p. 116.

4) De Orac. def. p. 432. F. p. 767. Wytt. ſiehe oben Romul. p. 35.

5) Offenbar ſchließt der letzte Satz ſich nicht gut an das Vorhergehende an und gewährt keinen rechten Sinn, was ſich ſofort ändert, wenn man die im Ver— lauf zu begründende Conjectur: „denn ein Strahl (4%3) iſt die Seele nach Heraklit“ annimmt.

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fie ihnen den Glanz und der Luft die Durchſichtigkeit“ !), ſo iſt dies zwar nicht den Worten, aber doch wohl dem Sinne nach heraklitiſch und eine Hinweiſung darauf, daß Heraklit durch ſolche und ähnliche Beiſpiele ausgeführt haben dürfte, wie ſelbſt die durch die ſinnlichen Wahrnehmungs— organe zu erlangende Erkenntniß durch und in dem Element des Feuchten geſchwächt und aufgehoben wird, ſo daß die Seele hierdurch der Ver— mittlung mit der allgemeinen Dingheit und deren Wandel welche ſich als Princip ſeines Erkennens ergeben wird, verluſtig, mehr und mehr in jene Iſolirung und jenes einzelne dumpfe Fürſichſein verfällt, worin ihm der Gegenſatz des Wahren und Sittlichen beſtand.

Im Uebrigen wollen nun Heyne und Weſſeling das adrn yap Sn 9j in jener Stelle in 4% umändern. Schleiermacher ſträubt ſich hier— gegen und ich ſtimme ihm deshalb bei, weil in dieſer Stelle überhaupt nur eine Beziehung auf jenes heraklitiſche Dietum vorhanden, nicht aber eine ſtricte Anführung zu ſuchen iſt.

Dagegen heißt es in einem Fragment aus der Schrift des Muſonius über die Nahrung: „odrw Ö’üv zal ryv duzmv i brapyew zadapav u Enpav on0la 0000 dploy za! Gopwrdrn eis nüy, zadarep Hpazxreirw dο - yovrı obrws* „Ad dorY vopwrarn za! &olory“. So lieſt nämlich nach einer engliſchen Handſchrift die Gaisford'ſche Ausgabe, jo daß die Stelle der obigen bei Stobaeus ganz gleich iſt. Andere leſen ad 77 E7pY οeν und noch Andere , Sin lein trockener Strahl), wie auch Schleiermacher leſen zu wollen ſcheint, welcher das 4½%½ für eine vorwitzige Verbeſſerung erklärt; allein diesmal ſehr mit Unrecht, denn durch die unmittelbar darauf folgenden Worte: „Y de, Eon, noAd yeipov e, , Aloywy c h⁰οννν rpepöne.da Worte, auf die wir bald näher zurückkommen werden, iſt klar, daß diesmal von 47 nicht die Rede fein, ſondern es hier wirklich nur heißen kann.

Nichtsdeſtoweniger iſt aber auch adyy ganz und gar in demſelben Zuſammenhang von Heraklit ſelbſt gebraucht worden, wie ſchon in der obigen Stelle des Clemens (Paedag.) das 4% zeigt, welches daſelbſt durch das gorostòijs unumſtößlich iſt, und auch die Stelle des Galen?): „. . . 84% ο⁹m bp’ "Hoaxistov: za! d obros obrws einem „„adyn Enpn οναν soywrdTn““ „Ein trockner Strahl (if) die weiſeſte Seele“.

1) Der dieſer Stelle zu Grunde liegende Text krankt freilich. Ich habe mich, da es hier nur auf den allgemeinen Sinn der Stelle ankommt, an die Auffaſſung Xylanders gehalten.

2) Ap. Stob. Serm. XVII. p. 160. T. I. p. 309. ed. Gaisf.

3) Quod anim. mor. V, 450. Ch. IV, 786. Kuehn.

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Ganz ebenſo führt uns aber auch noch eine unbeachtet gebliebene Stelle des Hermias in Plat. Phaedr. ed. Ast. p. 73 das Bruchſtück an: Sre— jc ds nu c BEeoos & 7 peonußpia mpbs dvayaynv za! ard by “Hpazıerrov, Is gnor adbyn Enpn, urn oogwrarn, wo die Auffaſſung des Hermias zeigt, daß der Text keinem Verdacht der Interpolirung ꝛc. unterliegen kann, und Hermias vielmehr durchaus 4% geſchrieben haben muß. Und noch ſicherer vielleicht wird das 47 erwieſen durch die Worte des Plutarch !): „adyn Enpz S sogwrarn ẽE rov Hpazierrov Eorzev“ „nach Heraklit gleicht einem trockenen Strahl die weiſeſte Seele“, wo alſo gerade das S e das 407 abſolut erfordert, obgleich Heraklit ſelbſt nach ſeiner Art nicht geſagt haben wird, einem trockenen Strahl gleicht, ſondern ein trockner Strahl iſt die weiſeſte Seele!). Eine ganz andere und intereſſante Abweichung findet ſich in einem Fragment des Philos). Nachdem er gejagt hat, daß nur Hellas wahrhaft Menſchen hervorbringe, die Urſache hiervon aber ſei, daß durch die Fein— heit der Luft die Einſicht geſchärft werde, fährt er fort: „weshalb auch Heraklit nicht mit Unrecht jagt: „008 77 Enpn, H vogwrarn za! aplory““, wo die Erde trocken, ift die weiſeſte und befte Seele“, ſo daß ſich hiernach Heraklit auch auf die Durchführung ſeines Gedankens durch Climatiſches und Geographiſches, wenn auch nur hin und wieder und beiſpielsweiſe eingelaſſen zu haben ſcheinen muß?). Dieſe

1) Plut. de esu carn. p. 995. E. p. 47. Wytt.

2) Vgl. die ſchon von Gataker. Advers. Misc. Posth. c. XIV. p. 554. eitirte aber mit Unrecht getadelte Doppelwendung in der Blumenleſe des Holländers Hadrianus Junius, Centur. 3. adag. I., aridus fulgor mens sapientis- sima und Anima sicca jubar est sapientissimum,

3) ap. Euseb. Praep. Ev. VIII: c. 14. p. 399. Par.; Philo ed. Mangey T. II. p. 647.

4) Weſſeling meint, Heraklit hätte dann ja behaupten müſſen, in den afrika— niſchen Wüſten werden die beſten Menſchen erzeugt, worauf ihm Schleiermacher entgegnet, „daß Heraklit, wenn er anders arabiſche und libyſche Wüſten kannte, wohl auch hierüber etwas näher Beſtimmendes geſagt haben wird.“ Es könnte nun in der That ſcheinen, als hätte Schleiermacher für letztere Behauptung an— führen können eine Stelle des Proclus in Tim. p. 56: alla my 4 Austepa olzounevn (Y7) rolimy Emwdeizvurar zyy üvwpaktay elaoyals zal SS οε ? = soren dd dirayod zus yüs redta re dvariuyzva zal eis % Errewonem dınorams‘ nat rd "Hpazieiron Jöyos „„dıa rolins Afdarou ywpas dıaropeudeura els ro “d Öpos areideiv"““. „Der durch vie— les unwegſame Land Gewanderte gelange zu dem atlantiſchen Ge— birge“, ſo daß Heraklit hierin die Abwechslung der Gegenſätze auch in der

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Stelle bildet nun jedenfalls ein drittes Fragment für ſich; Schleiermacher hätte daſſelbe aber auch gegen Weſſelings (Obs. mise. Vol. V. P. III. P. 46 sq.) und Heynes (Opusc. III. p. 100) Einſpruch, die auch hier, ganz mit Unrecht, ſtatt 5 y7 wieder 7 leſen wollen, abſolut ſicher ſtellen können durch Beziehung einer Ciceroniſchen Stelle, wo es, nachdem Mei— nungen des Stoiker Cleanthes exponirt worden, im Verlauf heißt, (de nat. deor. II, 16. p. 268. ed. Creuz. und Moser.) „Etenim licet videre ac u- tiora ingenia, et ad intelligendum aptiora eorum, qui terras incolunt eas, in quibus aer sit purus ac tenuis, quam illorum qui utantur crasso caelo atque concreto, womit man wieder Hippokrates de aquis, aér. et loc. I. 85. und die anderen von den Heraus— gebern des Cicero daſelbſt angef. O. vgl. Jetzt entſcheidet überdies ſchon der armeniſche Philo (de Provid. II. § 109. p. 117. Aucher. T. VIII, p. 98. ed. Lips.): Quam ob rem etiam Heraclitus non gratis atque inconsulto dixit: in terra sicca animus est sapiens ac virtutis amans.

In Bezug auf die beiden obigen Lesarten in den andern Fragmenten, 9 und 4%, von denen doch keine geläugnet werden kann, nimmt Schleierm. an, Heraklit ſelbſt habe ſowohl gejagt „, Jury vogwrarn za! Aptery“, als auch „adyn Enpn duyn oogwrarm“. Dies iſt ganz richtig, allein es iſt dabei wohl noch etwas Weiteres zu beachten. Denn die ſo ſehr ähn— lichen Formen 0 ,, und aby; gyß find gewiß vom Epheſier nicht ohne Abſicht gewählt. Vielmehr glauben wir nicht zu viel zu wagen, wenn wir in dem 4 und adyy ein etymologiſches Wortſpiel Heraklits geographiſchen Beſchaffenheit der Länder nachgewieſen zu haben ſcheinen könnte. Die Verbeſſerung des Fabricius / u,. wird nun zwar auch durch den Münchner Codex beſtätigt, welchen Herr Profeſſor Schneider in Breslau für ſeine beabſichtigte Ausgabe des Proclus benutzt hat. Nichtsdeſtoweniger aber, denn eine Handſchrift dürfte hierbei ſchwerlich entſcheidend ſein erhält unſere Ver— muthung eine nicht geringe Beſtätigung durch eine ſpäter genauer zu betrachtende ſehr intereſſante Stelle des armeniſchen Philo (Quast. in Gen. p. 178. Aucher. T. VII. p. 11 ed. Lips.) „Sciendum est tamen, etiam partes mundi bi partitas esse et contra se invicem constitutas; terram in situm montanum et campestrem; aquam in dulcem et salsam... Hine Heraclitus libros conscripsit de natura, a theologo nostro mutuatus sen- tentias de contrariis, additis immensis iisque laboriosis argu- mentis“. Philo charakteriſirt hier nicht nur ſehr treffend die geſammte heraklitiſche Philoſophie als, wie wir uns heute etwa ausdrücken würden, Philoſophie des Gegenſatzes, ſondern es ſind doch auch offenbar, worüber die ganze Stelle und das hin kaum einen Zweifel zuläßt, die von ihm ſelbſt gegebenen Beiſpiele der Gegenſätzlichkeit, auch das geographiſche, als ſolche zu faſſen, welche, wie er hinzufügt, das Werk des Epheſiers ſelbſt füllten.

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ſehen. Seine innere Wahrſcheinlichkeit und ſyſtematiſche Begründung wird das erhalten, wenn wir in dem, was man den ſprachphiloſophiſchen Theil heraklitiſcher Lehre nennen könnte, ſehen werden, wie ſehr dieſes Etymo— logiſiren nicht nur ber Heraklits Schülern, ſondern auch bei ihm ſelbſt einen weſentlichen und principiellen Beſtandtheil ſeiner Philoſophie bildet, wie uns denn auch in der That noch mehrere ſeiner, ſprachlich häufig unrichtigen, aber immer gedankenvollen Etymologieen aufbewahrt ſind. Hier zunächſt leitet uns darauf die obige Stelle des Galen, welcher nach den Worten „ady7 Enon dug, cogwrarn“ fortfährt: „mv Enporyra nalıy agıav eivar ouveoews altiay, TO Yap Tys adyns Ovona Todr Evdeixvvrar“, „indem er (Heraflit) die Trockenheit wiederum für die Urſache der Einſicht hält, denn dies zeigt der Name des Strahls (ab yi)“, Worte, in denen uns alfo die Spur jener Etymologie noch ganz deutlich aufbewahrt iſt h).

Ferner erſcheint es uns nicht zweifelhaft, daß in den beiden Stellen Plu— tarchs de def. orac. und im Romul. das beidemal ſchleppende und den Sinn abſchwächende 4077 zwar nicht mit Weſſeling und Heyne in 7 (was das S7 nicht duldet), wohl aber geſtützt auf das Fragment bei Galen, Hermias und Clemens, ſowie auf die eigene Stelle Plutarchs de esu carn., in ady7 um= geändert werden muß, wodurch der Sinn und Zuſammenhang jener Stelle ſelbſt nicht wenig gewinnt. Dann würde alſo die Stelle de def. orac. lauten: „adyn yap Enpa duyn xa Modul., „denn ein Strahl iſt die trockene Seele nach Heraklit“. Zu dieſer Conjectur treibt beſonders auch die andere Stelle bei Plutarch (Romul.) ſehr an, wo es heißt: „adrn yap e veyovs ÖLanrapevn, denn nicht nur iſt es doch auffällig, daß durch das adry, welches, wenn es ſich nur einmal fände, noch erträglich wäre, beidemal die Verbindung mit dem vorigen gemacht worden ſein ſoll, ſondern hier würde es auch wegen des dorham einen vorzüglich guten Sinn und eine ſchöne Durchführung des Bildes gewähren, wenn man läſe und interpungirte: 40 yap dur Enpn aplory ]., und alſo überſetzte: „denn ein Strahl iſt die trockene Seele, die beſte nach Heraklit, den Leib durchzuckend wie ein Blitz die Wolke“, und hier ergäbe ſich dann ſomit ein weiterer concreter Grund,

1) Wozu Gataker. adv. Misc. Posth. 1. I. ganz mit Unrecht ſagt: 4 seripsisse Galenum et explicatione quam adjunxit ipse, satis patet. Denn die Erplication Evvoroavras zal robs doripas abyoetdeis re dh at Fnpods övras, dna cn, &yeır ſchöpft nicht nur den Begriff des Trockenen aus adyn ſelbſt und aus 8, welches fie auch wiederholt, ſondern macht das 4% durch das ahyoetdets ganz unangreiflich.

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warum Heraklit die trockene Seele 40775 oder Strahl genannt hat, eben weil in dem Begriff des Strahls dieſe blitzartige Schnelligkeit der hindurchſchießenden Bewegung liegt. Dieſe Form alſo und zwar ſo, wie ſie, wenn unſere auf die vorerwähnten Stellen (p. 194. 195) geſtützte Emen⸗ dation des Plutarch richtig tft, in beiden Stellen deſſelben wiederkehrt: „adyY ND SU (jo daß 5% Beiwort zu %, und nicht zu 4% iſt), würde ich für den eigenen heraklitiſchen Text dieſes Fragmentes halten und wo das Suh als Beiwort zu ah getreten iſt, dies theils als eine Umſtellung, theils als Explication des bei Heraklit in 40% ſchon etymologiſch ge— legenen / auffaſſen. Dies beſtätigt endlich auch noch eine wichtige, auf dies Bruchſtück Heraklits, ohne ihn zu nennen, anſpielende und von den Bearbeitern des Epheſiers (obgleich fie ſchon Gataker in feinen nachgelaſſenen Miscellaneen!) anzieht) ſtets überſehene Stelle des Por— phyrius aus dem Buch e rwv rpös Ta vorra αοννud̊ ?), welche zu— gleich unſere Auffaſſung des Fragmentes zur Evidenz bringt: 7 duyn Dbypov Eypeizerar Oray auveyws neistnon Öpıkleiv TH pbosı: r o nelstyon dploraodar ybozws, adyn Enpa ybverar doxtog x Avspelos: Dypörns Yüp Ev depe vEgpos ouvioryor (vgl. die obige Stelle des Porphyrius und das vegeins Öl owparo- rorovp.£vn bei Clemens), Enpörns ds ano die dAruföos adynv Sub- grunge“. „Die Seele zieht das Feuchte an, wenn ſie ſich ununterbrochen beſtrebt, der Natur (der Wirklichkeit, dem realen Daſein) ſich zuzugeſellen; wenn ſie aber darauf ausgeht, ſich von dem realen Daſein abzuwenden, wird ſie ein trockner Strahl, ſchatten- und wolkenlos. Denn die Feuch— tigkeit tritt in der Luft zur Wolke zuſammen, Trockenheit aber aus Ver— dampfung ſtellt den trocknen Strahl her“.

Wir haben bereits oben erwähnt, daß in dem Fragment aus Mu— ſonius bei Stobaeus auf die Worte: ... zadanso Hound e,, æd one keyovre odrws* „An doyY coywrarn za! Aplory““ unmittelbar die Worte folgen: „/ d, Se, moAd yerpovnneistovdiöoywv Tauwv rospönsda“. Schleiermacher theilt dieſen letzteren Satz nicht mit; es iſt aber evident, daß dieſe Worte nicht minder als die vorhergehenden die eigenſten Worte des Epheſiers find, dem fie nicht nur durch das Eon auf das beſtimmteſte zugetheilt ſind, ſondern deſſen Charakter ſie auch in jeder Hinſicht unverkennbar an ſich tragen. Ja dieſe Worte bilden den eigent—

1) 1. I. p. 551. ed. Trajecti ad Rhenum. 1698.

2) XXꝰXIII. p. 78. ed. Luc. Holst. Rom. 1630. Eine andere intereſſante und überſehene Stelle über die heraklitiſche trockene Seele bei Synesius de in- somniis p. 140 werden wir noch im 8 26. zu betrachten haben.

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lichen Gedankenmittelpunkt des Fragments in dieſer Form, welches jetzt in ſeinem Zuſammenhange alſo lautet: „— wie es auch dem Heraklit ſcheint, der alſo ſagt: „„die trockne Seele iſt die weiſeſte und beſte; nun aber, ſagte er, nähren wir uns weit ſchlechter, als das un— vernünftige Vieh“).

Die Stelle zeigt, daß Heraklit ſeinen oben entwickelten Gedanken auch auf das Gebiet der Nahrungsmittel angewandt hat. Weil nur die feurig- trockene Seele die ihrem Begriffe angemeſſene iſt, dieſe aber ihre reine Bewegung und Beweglichkeit durch die Hingabe an das Gebiet des Flüſſigen verliert, ſo eifert er gegen die Ueberladung des Körpers mit flüſ— ſigen Subſtanzen, zumal gegen den Wein, durch deſſen feuchte Ausdünſtungen die eben dadurch von Flüſſigkeit durchdrungene Seele, wie die obigen Stellen des Porphyrios und Clemens zeigen, wie eine Wolke verdickt und verleiblicht und ſo aus der ätheriſchen und ſtrahlartigen Beweglichkeit herausgeriſſen wird, mit welcher ſie den Körper durchläuft und in der ſie allein das Princip ihrer Einheit, Sammlung und Erkenntniß hat. Dies war nämlich auch ſchon der Zuſammenhang in der obigen Stelle des Cle— mens (Paedag.): „— odöE Zora α Hue &x ron olvov dvadv- pıdosoı vep&ins Ölxny owparororoupevn“, „und nicht wird fie (nämlich jene befte und weiſeſte trockene Seele) durchfeuchtet fein durch die Ausdünſtungen des Weines, nach Art einer Wolke verkörperlicht“.

Hier ſind von den Worten ſelbſt nur die hervorgehobenen heraklitiſch; das vorhergehende gehört nur dem Sinne nach dem Epheſier an.

Aber auch wörtliche dies beſagende Fragmente ſind uns noch erhalten. So bei Stobaeus 2): „Avnp öxdrav ) dyzrar bro nardös dvnßov, oyallönevos obx Eralwv, * Balveı, bypnv νν duzgv Eywv“. „Ein Mann, wenn er trunken iſt, wird geführt von einem unmündigen Kinde, ſtrauchelnd, nicht wahrnehmend wohin er ſchreitet, weil er eine naſſe Seele hat“).

1) Dieſer Vergleich mit dem Vieh kehrt öfters in der Polemik Heraklits wieder, vgl. z. B. Clemens Al. Strom. IV. c. 7. p. 586. Pott., und ib. V. c. 9. p. 682. Pott.

2) Serm. Tit. V. p. 74. Tom. I. p. 151. Gaisf.

3) Eine merkwürdige Vergleichung mit der Polemik Heraklits gegen dieſe Art von Nahrung gewährt jedenfalls das, was Clemens Alex. über das Verbot, Fiſche zu eſſen für die ägyptiſchen Prieſter mittheilt. Nämlich nicht ſowohl dies Verbot ſelbſt, als die dabei von Clemens referirten Gründe bieten eine auffällige Analogie. Sie dürfen keine Fiſche eſſen, weil der Genuß dieſer Speiſe das Fleiſch durch— feuchte. Denn die Thiere des Fefllandes und ebenſo die Vögel athmen dieſelbe

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Darum heißt es auch in einem andern Fragmente bei Plutarch !): „Apnadinv yap amzıvov, Os gn "Hpaxserros, zpbnreiv- Zpyov d Ev duweosı xal rap o!vov“. „Denn den Unverſtand, wie Heraklit jagt, zu verbergen, iſt beſſer; aber ſchwer in der Er— ſchlaffung und beim Weine“.

Ich halte nämlich auch dieſe letzten Worte für heraklitiſche und ver— mag nicht abzuſehen, aus welchem Grunde Schleiermacher, der allerdings auch eigentlich keinen Grund angiebt, dies nicht will.

Was mich in dieſer Anſicht, außer der Alterthümlichkeit der ganzen Ausdrucksweiſe dieſes Satzes noch beſonders beſtärkt, iſt das „Aus welches mit „Erſchlaffung“ nur ganz ungenügend überſetzt iſt. Das Wort aveors bedeutet nach ſeiner ſprachlichen Ableitung das Nachlaſſen, wo— durch ein früher in Eins Zuſammengehaltenes aufgelockert wird und auseinander fällt. Das Gegentheil hiervon iſt die abvears, das in Eins Sammeln und Zuſammenhalten, die Vereinigung. Eben dies in Eins Zuſammenfaſſen war aber nach Heraklit, wie ſich ſpäter noch näher zeigen wird, die eigenthümliche Function der Seele zum Unterſchiede von dem ſeiner Natur nach unvernünftigen, in die ſinnliche Vielheit ergoſſenen und ſomit, wie alles Sinnliche, auf ſich beruhen wollenden Körper. Sie, die Seele, iſt ſeine und überhaupt alles Sinnlichen Aufhebung zur Einheit, wie das Feuer oder die Wärme daſſelbe Princip in der elementariſchen Welt iſt. So finden wir denn auch in der obigen Stelle des Galen den Zuſtand der trockenen Seele wiederholt mit obveors bezeichnet, und zwar jo, daß man beinahe vermuthen möchte, Galen habe dies Wort bei Heraklit geleſen?). Iſt dies aber der Fall,

Luft ein, die auch unſeren Seelen zuſtrömt und beſitzen ſo eine der Luft gleichartige Seele, die Fiſche aber athmeten nicht dieſe Luft ein, ſondern eine, die ſofort mit Waſſer gemiſcht, was das Zeichen ſtofflichen Verharrens, Strom. VII, 6. p. 305. Sylb. p. 850. Pott: „z dνν odby ürrovrar za dl ꝗ?eονν ev D nv odpxa hs Toräsde xaraorzvafodans Bowosws‘ non de Ta Ev yepoala xal Ta rrnva, ro abrov Tals Nustspars Sia avanveovra depa rh ,n. , quei Y de mv duryY ,¶‚ν- robg d& d ονο Avanveiv dt. Todrov Toy dena, d Exeivos Os Eyrexparar To Hart ebdews ara Tv npWrnv yeveaı, zadlarsp xal Tols Aornois aroryetors‘ Y xat deiypna hs Ne deanovns“.

Der Haß der Aegyptier gegen das Meer überhaupt iſt bekannt (ef. mit Clem. noch Julian. Orat. 5. p. 176 sq. u. Or. 6., Herod. II, 37. Plut. de Is. et. Os. p.353 D.)

1) Sympos. III. p. 644. p. 622. Wytt.

2) „— rm Enpörnra nalıw dEtov (sc. Hodxdetrros) elvar auveoews

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fo verdankt das Wort advears dieſe feine dann in die geſammte Sprache übergegangene tropiſche Bedeutung: Bewußtſein, Einſicht, niemand anders als Heraklit, durch welchen es dann zuerſt dieſe Bedeutung in Folge jenes Verhältniſſes der Seele zum Körper und zur ſinnlichen Welt überhaupt bei ihm empfing, wie ſich denn in der That dieſe tropiſche Bedeutung des Wortes nicht vor Pindar und Herodot findet.

Dagegen iſt die 8s mit der entgegengeſetzten tropiſchen Bedeutung des Außerſichſeins und der Auflöſung jener Einheit, alſo der Be— wußtloſigkeit und Einſichtsloſigkeit, in der Sprache nicht durch— gedrungen, hat hier vielmehr die tropiſche Bedeutung der Ausgelaſſenheit und Zügelloſigkeit angenommen. Bei Heraklit dagegen war ſie in der That wie jenes Fragment bei Plutarch in intereſſanter Weiſe zeigt, ganz conſequent das ſtricte Gegentheil der 0 ces, der aus der Auflockerung jener ideellen Einheit folgende Zuſtand der theoretiſchen Ein— ſichtsloſigkeit und erſcheint ſo in dem Fragmente als eine, eine ähnliche geiſtige Unfähigkeit wie die Dünſte des Weines hervorbringende, Er— ſchlaffung.

Iſt dieſe sg alſo einerſeits ein Grund mehr, um anzunehmen, daß auch der allgemein gewordene Ausdruck ghsges in jenem Sinne von He— raklit herrühre, ſo iſt ſie aber auch ein Grund, welcher die Echtheit jenes zweiten Satzes bei Plutarch ſchützt. Dieſe Echtheit wird auch noch durch eine, übrigens von Schleiermacher ſelbſt angezogene Stelle des Stobaeus dargethan, welcher aus einer andern Schrift Plutarchs citirt ): auad mv, Gs not "Hodzleros, uu Allas zpbnreiv Zpyov Eoriv, Ev olvw q yalerwrepov“, Worte, welche ſomit durch ihre Aehnlichkeit mit dem zweiten Satze des Plutarch denſelben hinreichend beſtätigen. Uebrigens widerſpricht dies auch keineswegs den andern von Schleiermacher vor— gezogenen Fragmenten über die πνοον die wir ſpäter durchnehmen werden; vielmehr ergeben ſich hier, wie bei der trocknen Seele, mehre Schemata, die ſich übrigens auch durchaus nicht tautologiſch zu einander verhalten.

Wie dem auch ſei, jedenfalls ſteht durch das Obige feſt, wie Heraklit ſeine Theorie auf das Gebiet der Nahrungsmittel übertrug und daher gegen den Wein, weil er die Seele in Feuchtigkeit hülle, polemiſirte. Und mit Rückſicht auf den Wein eben mochte er wohl auch oben in dem Frag— ment bei Muſonius geſagt haben, daß während es darauf ankäme, die

alriay“ und ſpäter „— xal rohes deren abyosıdeis re Ana , Enpobs Övras dpa quν,) & ee“.

1) Serm. Tit. 18. p. 165. T. I. p. 319 ed. Gaisf.

Seele auch durch die Nahrung in ihrer feurigen Trockenheit zu erhalten, wir „uns viel ſchlimmer nährten, als das unvernünftige Vieh“, welchem letzteren er allerdings den Vorwurf des Weintrinkens nicht machen konnte. Allein gleichviel, ob Heraklit in dieſem Vorwurf auch ganz con— ſequent war oder nicht denn vielleicht hätte er doch ſehen ſollen, daß der Wein als eine ſelbſt ſchon feurige Flüſſigkeit auch eine vortreffliche Nahrung für feurige Seelen bilde jedenfalls ſcheint ihm die Nahrung durch feſte Subſtanzen ebenſowenig eine entſprechende geweſen zu ſein. Denn dies ſcheint das Fragment bei dem ſ. g. Ariſtoteles !) zu zeigen: „navy Yap Epmertöv ryv i venerar Ds ynow "Hoazierros“, „denn alles Gewürm weidet die Erde ab, wie Heraklit jagt“. Daſſelbe dürfte nämlich, wenn wir nicht irren, bei Heraklit in dem Zuſammenhange geſtanden haben, um zu zeigen, welche niedrigſten und verächtlichſten Lebensformen der Nahrung aus dem Starren entſprechen, wie ihm ja in der That die Erde als das Starre und der Bewegung noch mehr Entnommene als das Naſſe, als das eigentliche Gebiet des auf ſich beharrenden Todes in ſeiner, ſo zu ſagen, geiſtigen Rangordnung der Elemente ebenſoſehr unter dem Feuchten ſtand, dem Momente und Saamen des ſinnlichen Lebens, wie dieſes wieder unter dem Feuer, der Bewegung als ſolcher. Und ſo ſcheint Heraklit in dieſem Fragment, welches dann gewiß nicht vereinzelt bei ihm geſtanden haben dürfte, nachgewieſen zu haben, welche untergeordnete Lebensform durch dieſe untergeordnetſte Nah— rungsſtufe bedingt ſei und wie ſich zugleich ſo in der Nahrung, als ihrem allgemeinen Elemente, der objective und eigenthümliche Charakter einer Gattung und Lebensform darſtelle und ausſpreche. Auf dieſes letztere im weiteren Sinne, daß ſich nämlich durch die Nahrung eines Geſchöpfes und ebenſo durch das, was ihm Luſt gewährt, womit es ſich beſchäftigt, zu thun macht und was ihm von Werth erſcheint, der objective Charakter ſeiner Gattung ausſpricht, ſcheint auch ein an— deres bisher überſehenesk) Fragment beim Ariſtoteles hinzudeuten, zumal auch durch die Art, wie es dort in den Zuſammenhang eingefügt iſt. Ari— ſtoteles ſagt: „Auch die Luſt ſcheint einem jeden Thiere ebenſo eigen— thümlich zu ſein, wie auch ſeine Verrichtung; nämlich eine ſeiner Wirk—

1) De mundo e. 6. p. 401. Bekk.

) Nicht von Bernays Rhein. Muſ. VII. 91., 1., der mir aber den Gedanken des Fragmentes zu verkennen ſcheint, wenn er ſtatt es im obigen Sinne zu neh— men, nicht ungeneigt iſt, daſſelbe als einen Selbſttroſt Heraklits über die ſchlechte Aufnahme ſeiner Lehre bei den Menſchen aufzufaſſen. Die Vermuthung, welche Bernays (Herakl. 25.) gegen das erſtere oben bezogene Fragment ausſpricht, hat

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ſamkeit angemeſſene; und dies möchte wohl an jedem Einzelnen dem klar werden, der es betrachtet; denn eine andere iſt die Luſt des Pferdes, eine andere die des Hundes und die des Menſchen, wie Herakleitos jagt: „J obppar üv Eidoda: mürkov H ypvoov“ Troy Yap ypvood Tpogn vos“ „Stoppeln (oder Stroh) wähle ſich der Eſel lieber als Gold“; denn angenehmer als Gold iſt den Eſeln das Futter“ ).

Die letzten Worte gehören wieder dem Ariſtoteles an, aus der Weiſe aber, wie er Heraklits Sentenz anführt, ergiebt ſich hinreichend, daß dieſe auch beim Epheſier in demſelben Gedankenzuſammenhange geſtanden haben und gleichfalls als ein Beleg dafür angeführt worden ſein muß, daß in dem Object, auf welches ſich ein Weſen beziehe, in der Nahrung wie in ſeinem Wünſchen und Thun, der Charakter dieſes Weſens und ſeiner Gattung ſich offenbare.

Welche Nahrung nach Heraklit aber die angemeſſene geweſen iſt, darüber giebt uns unſres Wiſſens kein Fragment poſitive Nachricht; und nur aus ſeiner Theorie heraus können wir vermuthen, daß er auch hier die Nahrung für die entſprechendſte gehalten haben wird, welche die Gegenſätze des Feuchten und Feſten möglichſt vereinte, ſomit weder ſtarr noch naß war, ſondern eine leichte und trockene, aber ſaftige Nahrung wie z. B. Pflanzenkoſt. Der allgemeine hier (und ſchon oben p. 168) herausgehobene Gedanke Heraklits, der Einfluß der Nahrung auf die Seele, ſcheint uns nach der bisherigen Ausführung mit Evidenz belegt zu werden durch das, was der Heraklitiker, der Pſeudo-Hippokrates, in dem oben bezogenen Schrift— chen de diaeta I. hierüber handelt, der ihn geradezu in den Worten ausſpricht (p. 665. Kuehn.): „und es kann die Seele durch ihre Nahrung ſowohl beſſer wie ſchlechter werden (zal it [dur] Ex Fr ötafens x Beitiwv ru geν,õũa yivsodar).

Zeller p. 489, 1. bereits mit Recht zurückgewieſen, wenn er uns auch bei ſeiner Interpretation des Bruchſtücks („die meiſten Menſchen leben dahin wie das Vieh, fie wälzen ſich im Schmutz und nähren ſich von Erde, gleich dem Gewürm“) den Sinn deſſelben zu eng und ohne Grund als einen blos polemiſchen auf— zufaſſen ſcheint.

1) Ethic. Nicomach. X, 5. p. 1176. B.

8 10. Theologie, Begriff und Subſtrat. Stellung Heraklits zum religiöſen Kreiſe.

Noch ſchärfer und glühender aber erhebt ſich dieſe Polemik gegen die flüſſige Natur in einem Fragmente, zu welchem wir jetzt gelangen, und welches noch deutlicher das von uns eben auseinandergeſetzte Verhältniß Heraklits zu den religiöſen Vorſtellungen erweiſt. Heraklit läßt ſich auf die Kreiſe der Volksreligionen ein, ergreift ihre Geſtalten und zwingt ſie, ſeine Begriffe zu ſein. Wie er die ſinnlichen Exiſtenzen Feuer, Fluß, Harmonie und Krieg unmittelbar als ſeine reinen Begriffe gebraucht, ebenſo gebraucht er die ſinnlichen Göttergeſtalten; aber ſie ſind ihm nicht als ſolche gültig, ſondern nur das ſinnliche Subſtrat der Darſtellung, in dem er ſeinen in ſeiner rein logiſchen Form für ihn noch unausſprechbaren Begriff herausringt.

Das Fragment, das wir im Auge haben, lautet ): „Ee an yap dıovbow nonmnv Ernoroßvro xal Duvsov dopa aldoloraey avardsorara elypaorat, go Hod et, wbros 08 Alöys za! Arovvoos, borew nalvovrar xar Ayvalkovoı“, wonach Wyttenbach und Schleiermacher auch bereits die Stelle bei Plutarch, in welcher ſich das Ende des Fragments nochmals findet!): „ar nevror "Hpaxierrov ro gον, Aeyovros Aföns , Atovvoos würds, ÖrEw nalvovrar xal AnvaiZovor“ hergeſtellt haben. Schleiermacher verbeſſert in dem Bruchſtück bei Clemens das eloyaorar in etoyaor d und überſetzt: „Und be— gingen fie nicht dem Dionyſos ein Feſt und beſängen die Schamglieder, ſchamlos wäre das von ihnen. Es iſt aber derſelbe Hades wie Dionyſos, dem ſie toll ſind und Feſte feiern“. Doch giebt der erſte Theil dieſer Ueberſetzung keinen rechten

1) Clem. Al. Cohort. adv. Gent. c. II. p. 10. Sylb. p. 30. Pott. 2) Plut. de Is. et Os. p. 362. p. 483. Wytt.

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Sinn und ich glaube, daß man lieber, das &oyaor’ q acceptirend, zwi— ſchen gona und aidororowv ein Komma machen und überſetzen muß: „Und begingen ſie nicht dem Dionyſos das Feſt und ſängen ihm das Lied, ſo wäre das ja auf das ſchamloſeſte den Scham— theilen dargebracht; derſelbe iſt aber Hades und Dionyſos, dem ſie raſen“ ꝛc.

Jedenfalls aber iſt der Gedanke und Mittelpunkt des Fragments klar: die Identität des Dionyſos und Hades und eine gewiſſe glühende Polemik gegen den Gott der ſinnlichen feuchten Natur und Geneſiurgie und die— jenigen, die ihm Feſte feiern und von ihm toben; eine Polemik gegen den Gott ſelbſt wie ſeinen taumelnden Cultus des Außerſichgerathens und Raſens.

Einen gewiß ſeltſamen Gebrauch macht Schelling von dieſem Frag— ment, wenn er es) als einen Beleg anführt, daß die Lehre „der freund— liche Gott Dionyſos ſei der Hades, unſtreitig die beſeeligende Ueber— zeugung geweſen ſei, welche die Geheimlehren mittheilten“. Nicht nämlich, daß dies nicht wirklich von der Geheimlehre gelten müſſe und richtig ſei, wollen wir behaupten; aber keinesfalls kann es ſich auf unſer Bruchſtück ſtützen, welches, wie auch Schleiermacher gefühlt hat, Haß, Verachtung, Drohung, aber durchaus nicht „beſeeligende Ueberzeugung“ aus— drückt 7).

Um jedoch dieſen polemiſchen Charakter des Fragmentes gegen ſo ge— wichtige Autoritäten wie Schelling und Klauſen und andere gleich zum voraus über allen Zweifel zu erheben, beeilen wir uns zuvörderſt, eine bisher ſtets überſehene und äußerſt intereſſante Stelle des Arnobius mit— zutheilen. „At nequis forte ſagt Arnobius V. e. 29. a nobis tam

1) Ueber die Gottheiten von Samothrace, p. 19.

2) Wenn Klauſen in ſeinem verdienſtvollen Aufſatz über Orpheus in der En— cyelopädie von Erſch und Gruber in den Worten: „Auch von Jakchos, dem durchaus unterirdiſchen, ſagte man ja zu Eleuſis, er ſei Sohn des Zeus, dieſer war aber Eins mit dem Dionyſos, denn die Philoſophen finden es un— anſtändig, daß man dem Gotte, den man als Todtenbeherrſcher in Ewigkeit werde feiern müſſen, Phallosproceſſionen, mit allen mög— lichen Ungezogenheiten halte“ auf unſeren Philoſophen und auf unſer Bruchſtück anſpielt, ſo verfällt er daher in den ähnlichen Irrthum, anzunehmen, daß die in dem Fragmente ausgeſprochene Identität von Dionyſos und Hades bei Heraklit noch denſelben poſitiven Sinn habe, wie bei den Orphikern und daß Heraklit in dem Bruchſtück das Weſen des Gottes habe feiern wollen. Wir werden im Folgenden deshalb das Verhältniß dieſer Identität bei Heraklit zu der orphiſchen Vorſtellung derſelben näher darzulegen ſuchen.

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impias arbitretur ut confectas res esse, Heraclito testi non po- stulamus ut credat nee mysteriis volumus, quid super talibus senserit, ex ipsius accipiat lectione, totam in- terrogat Graeciam, quid sibi velint hi phalli* ete. Merkwürdige Worte, welche nicht nur die glühende Polemik gegen Dionyſos, ſeinen Cult und ſeine Symbole, welche ſich nach unſerer Auffaſſung in dem Fragmente ausſpricht, außer Frage ſetzen, ſondern auch im Verein mit andern Spuren gewiß zeigen dürften, daß Heraklit in ſeinem Werke in eine gewiſſe ſyſte— matiſche und höchſt feindliche Polemik gegen dieſe Myſterien getreten zu ſein ſcheint.

Es wird aber auch leicht ſein, aus dem Fragment ſelbſt nachzuweiſen, daß nur ganz derſelbe Grundgedanke in ihm vorhanden iſt, den wir ſchon in ſo vielen Wendungen angetroffen haben von den geſtorbenen Göttern, von den Leibern, die das Grab und der Tod der Seelen ſind, von den Seelen, die, wenn ſie flüſſig werden, in die Geneſis und den Körper fallen; es iſt ganz derſelbe Begriff, nur in einer Form ausgeſprochen, welche jetzt weit weniger Zweifel darüber zuläßt, daß, wie in dieſem Frag— ment, ſo auch in jenen Sätzen Heraklit das Subſtrat ſeiner Darſtellung, aber eben nur als ſolches Subſtrat aus dem Kreiſe religiöſer Seelenlehre und orphiſcher Dogmen!) gegriffen hat.

Und die Reihe von Fragmenten und Berichten, die wir an dies jetzige Bruchſtück im Verfolg zu knüpfen gedenken, wird zeigen, daß Heraklit bei dieſer ſymboliſchen Darſtellung ſeines Begriffs ſogar ziemlich bis ins De—

1) Wie man in dieſem Bruchſtück von der Identität des Dionyſos und Hades eine Beziehung auf orphiſche Lehre verkennen konnte, bleibt faſt unbegreiflich. Selbſt O. Müller, dem man doch gewiß nicht Mißbrauch mit Orphiſchem vor— werfen kann, ſagt, Prolegom. zur Mythologie p. 389: „Was Creuzer als Tra— dition der fernſten Vorwelt angiebt, die Lehre von Dionyſos, als dem hindurch— führenden Gotte, war offenbar dieſen Orphikern geläufig und nur von ihnen kann Herakleitos den großen Satz haben, daß Hades Dionyſos ſei, ein Satz, der nicht im Sinne ſpäterer Theokraſie zu nehmen iſt.“ Freilich wird hier auch wie— der, wie bei Schelling und Klauſen, irrig unterſtellt, daß der Satz bei Heraklit auch dieſelbe Bedeutung haben ſolle, wie bei den Orphikern, eine Unterſtellung, wodurch das wahrhaft „Große“ des heraklitiſchen Satzes ganz verkannt und fein Sinn in einer dem richtigen gerade entgegengeſetzten Richtung aufgefaßt wird!“).

) Aber ſowohl dieſe Beziehung des Fragments auf orphiſche Dogmen als auch der Begriff des Bruchſtücks wird gleichmäßig ganz verkannt, wenn jetzt ſo— gar Zeller p. 481, 3. daſſelbe ſo auffaßt: „der Weingott ſei mit dem Todesgott ein und derſelbe“, weil nämlich „der Betrunkene ſeiner ſelbſt nicht mächtig ſei, da ſeine Seele angefeuchtet iſt“.

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tail des mythiſchen und dogmatiſchen Materials, theils orientaliſcher, theils beſonders auch orphiſcher Religionsvorſtellungen eingegangen iſt. Was Heraklit zu dieſem Ausſpruche von der Identität des Dionyſos und Hades in ſeinem Gedankenſyſtem berechtigte, iſt leicht zu ſehen, wenn wir ſchon Erwieſenes kurz recapituliren. Das Abſolute war ihm die reine pro— ceſſirende Einheit des Sein und Nichtſein, der gedachte Begriff des Wer— dens, den er darum die höhere unſichtbare Harmonie nannte, oder auch den Namen des Zeus, der allein ausgeſprochen ſein will und auch nicht. Er will geſprochen ſein, und zwar er allein will und verdient es, denn er allein iſt es, der in Allem exiſtirt, und alles Andere, was zu exiſtiren ſcheint, exiſtirt in der That nur inſofern, als es an jenem Einen, dem Werden, Theil hat. Er will aber auch nicht ausgeſprochen ſein, weil er hierdurch aus der reineren unſichtbaren Harmonie in die ſichtbare und ſinnliche tritt, weil ſchon durch das Ausſprechen er, der nur im ewigen innern Wandel von Sein und Nichtſein als reiner Gedankenmomente beſtehende !), aus dieſem feinem Weſen, dem reinen Werden heraus- und in die Beſtimmtheit gefallen, zum Ein— zelnen und ſomit Seienden geworden iſt; weil das Werden ſelbſt, dieſe reine Identität von Sein und Nichtſein, indem es irgendwie da iſt, dieſe ſeine beiden Momente, die nur als ſtetes ununterbrochenes Umſchlagen, als abſolute Dialectik in einander adäquates Daſein haben, in die einſeitige Form des Seins ſetzt, als Seiendes aber Be— ſtimmtes und ſein Gegentheil, obgleich an ſich mit ihm identiſch, Aus— ſchließendes iſt. Durch das reale Sein iſt ſomit das reine Werden aufgehoben; der Gott tft geſtorben, wenn er ins Sein gerathen iſt. Darum muß Heraklit das ganze Reich der Geburt und Exiſtenz per— horresciren, denn alle reale Exiſtenz iſt das Grab der unſichtbaren reinen Harmonie der Seele. In der myſteriöſen Seelenlehre war nun das Gebiet des Flüſſigen Gebiet und Symbol der Zeugung. Dies hatte Heraklit zum Begriff erhoben und wiſſenſchaftlich durch ſeinen Elementarproceß durchgeführt?), indem ihm das Feuer der reine ſich ſelbſtverzehrende Proceß war, bei dem es um dieſes unausgeſetzten Sich— ſelbſtaufhebens willen noch zu keinem ſinnlichen Leibe kommen kann, das Waſſer dagegen die Mittelſtufe, auf welcher die beiden Momente des Wer— dens ſinnliche Realität haben, das Werden ſelber ſeiend iſt, ſo daß hier, wo das Werden als ſeiendes, das Seiende nur als werdendes vor—

1) Vgl. jetzt oben p. 24—28, p. 95100, p. 122-127, p. 130 sqgq., p. 140 8. 2) Vgl. 88 20 u. 21.

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handen iſt, die eigentliche Sphäre des ſinnlichen Lebens gegeben iſt, aus welcher ſich alles Seiende entwickelt, weshalb ihm auch das Feuchte als Saamen der Weltbildung gilt, wogegen ihm das dritte, die Erde, die Sphäre der Trennung der beiden Momente des Werdens, das ſich vom Nichtſein und ſeiner Bewegung abſcheiden wollende ruhende Sein und ſomit durch die Trennung vom eigentlichen Lebensprincip, dem Negativen und ſeiner Bewegung, die ſtarre Ruhe des Todes iſt. Es haben ſomit, wie hier nur beiläufig entwickelt, aber für ſeinen Elementarproceß weſentlich feſtzuhalten iſt, auch die Elemente bei ihm die Bedeutung, die reale Verkörperung der beſondern Momente der Idee des Wer— dens, das Subſtrat ihrer Darſtellung und zugleich die Sphäre und das Reich der Exiſtenz und Herrſchaft dieſer beſondern in der Idee des Werdens vorhandenen ideellen Stufen zu ſein.— An jene von ihm zum Begriff erhobene und zum Syſtem abgerundete Symbolik ſich anlehnend, ſtellt darum Heraklit die in das reale Sein, in die Wirklichkeit tretende Seele, alſo jene Aufhebung und Entfremdung, welche das Werden erleidet, indem es ſeiner nothwendigen Natur gemäß immer zum Seienden wird, als Flüſſigwerden der Seele dar.

Dionyſos aber war ja eben, mindeſtens in jener myſteriöſen Seelen— lehre, der Herr der feuchten Natur, der Vorſteher der Gene— ſiurgie überhaupt, und darum ſagt Heraklit, hier wie überall ſeine reinen Begriffe darſtellend in ſinnlichem Stoffe, ſich einlaſſend auf die religiöſen Bilder und Geſtalten, aber zugleich ihre Unterſchiede zer— ſchlagend und ſeinen Begriff in ſie verpflanzend: Ein und derſelbe iſt Hades und Dionyſos, das Reich des Todes und der Geburt. Der ſpeculative Gedanke iſt alſo kein anderer, als der: das reine Werden ſtirbt d. h. iſt aufgehoben, indem es real iſt, weil das Werden, dieſe reine Einheit von Sein und Nichtſein, als Seiendes das Nichtſein immer wieder als ein von ſich Unterſchiedenes und Ausgeſchloſſenes ſetzt, ſein wahrhaftes Daſein und Leben ſomit nur in dem reinen und unausſprechlichen Gedanken des Werdens hat, in welchem das Sein nur abſolutes Umſchlagen ins Nichtſein und dieſes ebenſo gleichzeitiges Um— ſchlagen in jenes iſt.

Jene Auslegung unſeres Bruchſtücks daher, welche Plutarch anführt, „Hades werde der Leib genannt, weil die Seele in ihm gleichſam außer ſich gerathen, ſinnlos und trunken ſei (I Asysodar To owpa Tys ois o rapagppovobang za! nedvobors Ev adro) iſt daher nicht falſch, aber ſie überſetzt die ſubjectiven, perſonificirenden Namen Dionyſos und Hades immer nur in eben ſolche identiſche und ſinnliche Ausdrücke, noch

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nicht in den Gedanken. Eher thut dies ſchon die andere Erklärung, auf die ſich Plutarch zurückbezieht, daß nämlich Apollo die Einheit, Dionyſos aber die Vielheit und Fülle der Natur ſei. Plutarch zieht in der That dieſe Erklärung vor und verwirft jene. Schleiermacher verwirft wieder dieſe und zieht die von Plutarch verworfene vor. Beide ſehen nicht, daß beide Erklärungen ihrem Gedanken nach wie ſich ſehr bald noch näher zeigen wird Eins ſind, daß Seele und Leiblichkeit, Einheit und Vielheit der Natur nur verſchiedene Formen deſſelben Ge— dankengegenſatzes ſind. Daß die Seele in die Leiblichkeit tritt, kann auch ganz ſo ausgedrückt werden, daß ſie aus ihrer reinen Einheit in die endlichen Unterſchiede und deren Vielheit auseinandertritt. Und ſo hat ja Heraklit auch in der That in den Fragmenten, mit welchen wir dieſe Darſtellung begonnen haben, gejagt: „Das Eine auseinander tretend (ſich von ſich unterſcheidend) einigt ſich immer mit ſich ſelbſt !)“ und umgekehrt; er hat alſo den Gegenſatz und ſeine proceſſirende Be- wegung, die Idee des Werdens, welche ihm das Abſolute bildet, auch als dieſe ſchlechthin entgegengeſetzte und dennoch ſchlechthin iden— tiſche und in jedem Moment gleichzeitige Bewegung des Sich Unter— ſcheidens, des Auseinandertretens in die Vielheit der endlichen Unterſchiede und des Rückgehens derſelben in ihre reine Einheit aus— geſprochen. Dieſe gedoppelte und immer gleichzeitige Bewegung bildet eben das Daſein des Werdens ſelbſt. Daß dieſe entgegengeſetzte Bewegung des Sich Unterſcheidens und aus den Unterſchieden in die Ein⸗ heit Zurückgehens in jenen Bruchſtücken von gar nichts Geringerem als von ſeinem Abſoluten ſelbſt ausgeſagt wird und eben das Weſen und Daſein dieſes Abſoluten, des Werdens, darlegen ſoll, das zeigt, wenn es hier— für noch eines beſondern Beweiſes bedürfte, ganz entſcheidend das Be— deutungsvolle „das Eine“ (89 Ev), welches dort als Subject dieſer Des wegung auftritt und welches wir in ſeinen Bruchſtücken immer da und nur da finden, wo er von ſeinem abſoluten Begriffe, dem Einen Göttlichen, dem Werden, ſpricht, welches ihm allein wahrhaft vor— handen ift?). Dies zeigt ferner auch die Weiſe, in der Plato dieſe Bruch—

1) Sieh oben p. 90 und p. 72.

2) Denn mit Unrecht iſt in jenem Fragment von Schleierm., (welcher ſogar glaubt, daß ſich das drapepönsvov Fuugpep. auf das Meer (!) beziehe, ein Irrthum, der ſchon von Gladiſch, Zeitſchrift für Alterthumswiſſenſchaft, Jahrg. 1846 Nr. 122. richtig erkannt worden iſt) und Anderen das 8 für platoniſche Zuthat be⸗ trachtet worden. Den abſtracten Ausdruck „ro 8“ ſchlechtweg hat Heraklit aller— dings wohl nicht gebraucht. Aber das emphatiſche „Eine“, als ſeine Bezeichnung für ſein Abſolutes, ſpringt uns nicht nur aus den Berichten der beſten Zeugen,

I. 14

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ſtücke anführt und den tiefſten Gedankengegenſatz zwiſchen Heraklit und Empedokles an ſie knüpft; es zeigen es die oben an dieſe Bruchſtücke ge— reihten Fragmente und die ganze bisherige Darſtellung. Zum Ueberfluß werden wir bald ſeinen Zeus ſelber als einen „auseinandertretenden Knaben“ (drmgpspönevos) geſchildert ſehen. Das draupenöpnevov heißt bei ihm immer nur, daß die reine Einheit des Werdens in die ſinnliche Exiſtenz und, was hiermit identiſch, in die realen Unterſchiede der— ſelben auseinandertritt. Es iſt die Seite der realen Weltbildung, die draxdoprors, und jomit identiſch mit dem Weg nach Unten. Das ovupgepöpevoy bedeutet ihm!) den Rückgang aus den realen Unterſchieden in die reine Einheit, die Einkehr aus der Sphäre des feſten, beſtimmten und unterſchiedenen Seins in den reinen Wandel des Werdens, ſomit die Seite der negativen Aufhebung des ſinnlichen Seins, den Weg nach Oben, oder, wenn man will, die exrbpwars. Die Seite der Endlichkeit, des feſten unterſchiedenen Seins perhorrescirt er. Das Höhere dagegen iſt ihm der Rückgang aus dem Sein in die ideelle Einheit deſſelben, in den reinen Wandel des Werdens. Und das konnte er alſo in der That ſo ausdrücken, daß er den Dionyſos, den Gott der realen Geneſiurgie, Hades nennt und denen, die ſeinen raſenden Dienſt feiern, droht und ſie verachtet. Den Apollo aber, den Lichtgott der reinen Einheit, mußte er hochhalten.

Doch ehe wir letzteres, die Bedeutung nämlich, die Apollo bei ihm ge— habt und die gegenſätzliche Stellung, die er zu Dionyſos eingenommen, weiter mit Zeugniſſen belegen, müſſen wir zur näheren Erörterung einer oben von uns gethanen Aeußerung ſchreiten.

Wir ſagten vorhin: Heraklit, ſich einlaſſend auf die religiöſen Vor— ſtellungen und Geſtalten, durchbräche zugleich ihre Unterſchiede, wie das in Rede ſtehende Bruchſtück zeige, um ſeinen Begriff in ſie zu verpflanzen.

Dieſes Durchbrechen der individuellen Göttergeſtalten und ihrer aus— ſchließenden Grenzen gegeneinander iſt nun aber auch ſchon der unverkenn— bare und anerkannte Zug der echt-orphiſchen Lehre ſelbſt und der aus ihr hervorgegangenen religiöſen Weihen und Myſterien. Die Identität des Dionyſos mit Hades als Dionyſos-Zagreus und Jakchos Chthonios war ja anerkanntermaaßen ein Hauptbeſtandtheil der orphiſchen Mythen

wie Ariſtoteles ꝛc., überall in die Augen (ſ. $ 25.), ſondern wir finden es in Ver— bindungen wie 8) ro Veo, & To oopör, &% dr kd ονσ noch in zahlreichen Fragmenten vor (ſ. die Zuſammenſtellung in § 18.).

1) Vgl. hierüber auch SS 18 u. 27.

ur

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und Weihen und ſelbſt auch der eleuſiniſchen Myſterien, deren gegen— ſeitiges Verhältniß zu einander übrigens hier als gleichgültig auf ſich be— ruhen bleiben kann ).

Es könnte dies ſomit, der Weiſe entſprechend, in der Schelling, Kaufen und O. Müller das Bruchſtück auffaſſen, für einen Beleg mehr eines gewiſſen geiſtigen Zuſammenhanges Heraklits mit den Or— phikern gelten, wie denn in der That das Fragment ſchon als ſolches jeden— falls und unbeſtreitbar für einen Beweis der Bekanntſchaft Heraklits mit den orphiſchen Vorſtellungen und eines gewiſſen Sich Beziehens auf dieſelben gelten muß. Es kömmt aber eben Alles darauf an, die Art dieſer Bezugnahme und damit die reelle Beſchaffenheit jenes Zuſammenhangs näher zu beſtimmen. Und hier iſt es gerade vor Allem weſentlich, auch wieder den Unterſchied nicht zu überſehen.

Innerhalb des Kreiſes der religiöſen Vorſtellung kann, eben weil das weſentliche Element der Religion die Vorſtellung iſt, die Vor— ſtellung aber die Thätigkeit des Geiſtes iſt, ſich einen Gehalt nur in ſinn— licher Form und Geſtalt zum Bewußtſein, zur Anſchauung zu brin— gen wegen dieſer ſinnlichen Natur aller Vorſtellung und ſomit der Religion ſelbſt, auch die Vereinigung der verſchiedenen Götter— geſtalten wieder nur in ſinnlicher, in mythiſcher Weiſe d. h. in der Form des einzelnen Geſchehens und der beſondern Geſtalt voll— bracht werden, eine Form, welche es daher niemals zu einer wirklichen Einheit kommen laſſen kann. Zagreus wird nur einmal zerſtückelt; er ſteht in keiner innern Vereinigung mit Apollo, dem Gotte der Einheit; nur äußerlich macht ſich das Recht des Gedankens geltend, indem Apollo es iſt, den Zeus ihm zum Hüter beigiebt, als er ihm die Weltherrſchaft überträgt und die Götter ihm gehorchen heißt, und Apollo wieder es iſt, der, als Zagreus zerriſſen iſt, die zerſtückelten Glieder ſammelt, verbindet, und ſie auf Zeus Befehl in ſeinem Heiligthum zu Delphi bei ſeinem Dreifuß beſtattet?) und ſo in dieſem Acte äußerlicher Einigung als die ergänzende, jene zerſtückelte Vielheit wieder zur Einheit abſchließende Seite hervor— tritt. Bei Heraklit dagegen iſt das Auseinandertreten des ſinnlichen Seins

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in die Vielheit der Unterſchiede, oder, um im Bilde zu bleiben, die Zer—

1) Vgl. über das Verhältniß der eleuſiniſchen Myſterien zu den orphiſchen, was Klauſen gegen Lobeck in ſeinem bereits angezogenen ſchönen Aufſatz in der Erſch und Gruber'ſchen Encyclopädie ſagt.

2) Das orphiſche Mythenſubſtrat auf das hier und im Folgenden hingedeutet iſt und die Stellen dazu ſ. in Lobeck's Aglaopham. p. 537 587 sq. und bei Klauſen a. a. O.

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ſtückelung des Dionyſos-Zagreus, eine ewigwährende, und nicht durch titaniſche Mächte gewaltſam vollbrachte, Selbſtzerſtücklung, und dieſes die Weſenheit der ſinnlichen Natur bildende beſtändige Auseinandertreten iſt nur das Sich Auseinanderlaſſen und die Bewegung des Einen ſelbſt, welche darum zugleich wieder der beſtändige Rückgang der Natur aus dieſer realen Vielheit und Fülle der ſinnlichen Unterſchiede in ihre innere Einheit iſt; oder (wie wir ſpäter ſehen werden) es iſt bei He— raklit Apollo ſelbſt, welcher beſtändig ſich in den Dionyſos um— wandelt, wie dieſer, das Außereinander des ſinnlichen Daſeins, wiederum beſtändig in die ideelle Einheit, den Apollo, ſich aufhebt und dieſer ununterbrochene Umſchlag beider Gottheiten in einander conſtituirt dem Heraflit die Weltſchöpfung und Erhaltung.

Ebenſo find in der religiöſen Vorſtellung Dionyſos-Zagreus und Jakchos Chthonios, in welchen die Identität des Dionyſos und Hades angeſchaut wird, wieder beſondere Geſtalten gegeneinander. Der unter— irdiſche Dionyſos ſelbſt iſt wieder verſchieden von dem weltlichen, und dann vom Hades als ſolchen; die Geſtalt, in welcher die Einheit zu Stande kommen und angeſchaut werden ſoll, bringt es, da ſie wieder als beſondere Geſtalt neben jene auch ſelbſtändig für ſich beſtehen bleibenden Götterindividualitäten tritt, nur zur Beziehung beider auf— einander; ſie bringt nur ein neues Auseinanderfallen und eine Be— ſonderung mehr zu Stande.

Dies kann auch nicht, wie ſehr irrthümlich ſein würde anzunehmen, ein bloßer Unterſchied der Form bleiben. Dieſer Unterſchied der Form muß vielmehr durch ſich ſelbſt einen entſprechenden Unterſchied des Inhalts nach ſich ziehen. Da nämlich die religiöſe Vorſtellung jene Göttergeſtalten noch als beſondere und ſelbſtändige Götter neben ein— ander beſtehen und gelten läßt, ſo muß jede derſelben auch als in ihrer Beſonderheit berechtigt gelten; es muß jeder ein beſonderes Amt, Würde und Reich, es muß jeder von ihnen poſitive Geltung und Weſenheit zukommen.

Die angeſchaute Identität von Dionyſos und Hades kann alſo hier noch nicht (wie bei Heraklit, der ſie in ihrem Begriffe erfaßt und den Gott als bloßes unſelbſtändiges Moment erkannt hat) zur auflöſenden Polemik gegen das Weſen dieſes Gottes führen. Der Anſchauung wird vielmehr, wie ihr Dionyſos und Hades auch als ſolche für ſich ſelbſtändige und berechtigte Götter bleiben, auch die in der Perſon des Zagreus oder des unterirdiſchen Dionyſos angeſchaute Identität beider zu einer neuen mit poſitiver Geltung und berechtigter Weſenheit und Würde be—

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kleideten beſonderen Geſtalt. Ihr wird daher jene Identität nicht zu einem Satze negativer Kritik, ſondern vielmehr zu der frommen und tröſtlichen, zu der herzerhebenden Gewißheit, daß der milde Gott Dionyſos es ſei, den ſie wiederfinden in der Unterwelt, der der Todten— beherrſcher iſt im Reiche des finſtern Hades. Der zerriſſene Zagreus, der geſtorbene, ſelbſt in die Unterwelt vertiefte Gott iſt das Unterpfand dieſes fröhlichen Looſes. Aber nicht Allen wird dies ſeelige Loos zu Theil. Das beſondere Reich des Todtenfürſten Dionyſos-Zagreus find wieder nur die beſondern Seelen, welchen dieſe Identität in den Weihen, in denen ſie ſymboliſch dargeſtellt wurde, aufgegangen iſt, welche ſie in dieſer ſymboliſchen Darſtellung an ſich erfahren, ſich zum Bewußtſein oder vielmehr zur Empfindung gebracht!) haben. Darum gehört der als Naturproduct

1) Aber nicht etwa welche ſie daſelbſt in ihrem ſpeculativen Gedanken— inhalt erkannt haben. Es wird in den Myſterien, wie in der Religion überhaupt, niemals erkannt, ſondern ein nach ſeiner innern, aber noch ver— ſchloſſenen, Bedeutung Geiſtiges ſinnlich angeſchaut, ſubjectiv empfunden, ſymboliſch gefaßt. Freilich iſt es ſomit weſentlich falſch, zu glauben, als ſei in den Myſterien abſtract gelehrt oder mit Bewußtſein allegoriſirt worden, in dem Sinne, daß nun eine bewußte Unterſcheidung von „Kern und Schaale“ vor— handen, daß die allegoriſche Bedeutung frei für ſich und losgelöſt von der ſinnlichen Form im Geiſte präſent geweſen ſei, was weder bei Geweihten noch Prieſtern der Fall ſein konnte. Statt um geiſtige Erkenntniß als ſolche handelt es ſich in den Weihen allerdings vielmehr nur um Zeigen und Thun (ra dew- voneva ut Öponera). Schon Clemens nennt die Myſterien ſehr treffend ein myſtiſches Drama (Protrept. p. 4. Sylb. p. 12. Pott. Siehe Lobeck Aglaoph. P. 48. p. 135 s.). Man denke doch nur an die ganz ähnlichen chriſtlichen My— fteriendramen im Mittelalter, wo Chriſti Leidensgeſchichte ꝛc. dargeſtellt wurde! Das Richtigſte und Tiefſte hierüber enthalten ſchon die Worte des Ariſtoteles ap. Synes. Or. p. 48. Petav.. „ros redeοαπjαοονε ob mandeiv dev, dia radetv xar dıarsdmvar Ömkövore Ererndetous“, was K. O. Müller ſchön überſetzt: „Die Eingeweihten ſollen nicht etwas lernen, ſondern an ſich er— fahren und in eine Stimmung gebracht werden, inſofern ſie nämlich dazu geeignet ſind.“

Mit ſeiner gewöhnlichen Tiefe bezeichnet in dieſen oft mißverſtandenen und noch lange nicht genug durchdachten Worten der griechiſche Meiſter nichts Geringeres als den Unterſchied, der zwiſchen den geiſtigen Thätigkeiten des reinen Den— kens und der Religion überhaupt mit ihrer ſinnlichen Anſchauung und ſub— jectiven Empfindung vorhanden iſt. Wie aber den Unterſchied, ſo bezeichnet er in jenen Worten auch die Einheit beider geiſtigen Thätigkeiten und Sphären. Lobeck hat alſo inſoweit ganz Recht, wenn er die Annahme verwirft, als ſeien in den Myſterien theologiſch-philoſophiſche Speculationen dargelegt worden, ſei es dem Volke, ſei es dem Eingeweihten höherer Grade. Vielmehr konnte in der ge— ſammten religidfen Sphäre dies freie Gedankenbewußtſein, dieſe Trennung des ſich erſt durch dieſe Trennung zu ſeiner Allgemeinheit erhebenden Gedankens

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noch ſelbſt in die bloße Vielheit der ſinnlichen Natur verlorene und des— halb von Haus aus titaniſche, aus der Aſche der verbrannten Titanen entſtandene Menſch, der rein in der ſinnlichen Mannigfaltigkeit der Natur und ihrem taumelnden Außereinander lebt, den titaniſchen Mächten an, welche Zagreus zerſtückelt haben. Er gehört ihnen an, ſolange er, das innere Weſen der Natur noch nicht erkennend, in dieſe einheitsloſe bunte und rohe ſinnliche Mannigfaltigkeit verſenkt iſt. Die titaniſche Natur iſt noch ſeine eigene. Und darum wird ihm auch in der Unterwelt nur das titaniſche Loos zu Theil, im Schlamme zu liegen, oder vom Ker—

als des Inhalts von dem Symbole als ſeiner bloßen Form, nicht vorhanden ſein. Dies ſ. g. Allegoriſiren, d. h. dies freie Bewußtſein über das, was an ſich im religiböſen Symbol vorhanden iſt, dieſe Loslöſung deſſelben von ſeiner ſinn— lichen Form und die erſt dadurch bewirkte Erhebung jenes gefühlten und angeſchauten Inhalts in den unſinnlichen, allgemeinen Gedanken, dies Bewußtſein findet nicht in den Myſterien, findet in der Religion überhaupt nicht Statt, ſondern tritt erſt mit der griechiſchen Philoſophie ein, die eben darum Religion, Myſterien und den griechiſchen Geiſt ſelbſt auflöſt und über ſich hinaushebt; ganz ebenſo, wie ja auch bei den, ſchon vorhin in Bezug auf ihre dramatiſchen Darſtellungen als Parallele angeführten Myſterien der Hriftlichen Religion, nicht die Religion, ſondern erſt die Philoſophie das Bewußtſein ihrer wirklichen geiſtigen Bedeutung hat, und erſt ſie es iſt, welche gedankenmäßig anzugeben weiß, wie ſich der Geiſt in jener Menſchwerdung, Kreu— zigung, Auferſtehung ꝛc. nur ſein eigenes allgemeines Weſen in der Form ſinnlicher Vorſtellung und einmaligen Geſchehens ſymboliſch zur Anſchauung ge— bracht hat, mit dieſem Bewußtſein aber über den geiſtigen Inhalt der chriſtlichen Religion und ihrer Symbole dieſe Religion ſelbſt aufgelöſt hat. Galen hatte alſo ganz Recht, konnte aber erſt in einer weſentlich philoſophirenden Zeit, in einer Zeit, in welcher die unmittelbare Harmonie von Geiſtigem und Sinnlichem, Innerem und Aeußerem, welche den geiſtigen Grundcharakter des Alterthums ausmacht, bereits vollſtändig aufgelöſt war und mit Rieſenſchritten ihrem Grabe entgegenging, den Ausſpruch thun, daß die Aufſchlüſſe, welche die eleuſiniſchen und ſamothrakiſchen Myſterien gewährten, unreine oder trübe (apvdoa) ſeien gegen die klare Erkenntniß der göttlichen Weisheit, die aus der Natur ſelbſt geſchöpft werden könne.

Aber noch falſcher als jene Anſicht, welche die Myſterien zu einer reinen Ver— nunfterkenntniß und Lehre umbilden möchte, iſt jene andere Anſicht, als ſeien jene Symbole bloß ſinnloſe prunkende Ceremonieen, oder höchſtens etwa pragmatiſche Erinnerungen geweſen, als habe ihnen nicht vielmehr jener fpeculative gei— ſtige Inhalt in der That zu Grunde gelegen; eine Anſicht, die, wie große Gelehrte ſie auch getheilt haben, zum Glück immer ſeltener wird und ſelber nur in der Unfenntniß des begrifflichen Unterſchiedes zwiſchen Vorſtellung und Denken wurzelt, in der Unkenntniß ſomit, daß ein und derſelbe ſpeculative Inhalt, in der Form der ſinnlichen Vorſtellung gefaßt, noch ganz etwas An— deres und Entgegengeſetztes ſein muß von ſeiner Erfaſſung im reinen Denken.

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beros zerfleiſcht zu werden, den erſt die orphiſch-apolliniſche Lyra feſſelt.

Erſt mit der Weihe, erſt mit der Ahnung, daß dieſe Fülle der realen ſinnlichen Vielheit, in welche das oberweltliche Daſein aufgelöſt iſt, daß dieſe Zerreißung des Zagreus nicht ein Letztes iſt, bei welchem ſtehen geblieben werden könnte, fondern daß jene ſinnliche Natur ſelbſt ihre Wurzel und innere Einheit hat in der Unterwelt, in dem farbloſen Reiche der einfachen Weſenheiten und Schatten, daß dieſe reale Vielheit in jene einfache unterirdiſche Einheit als in ihr eigenes unſinnliches Weſen zurückgeht und aus ihr ewig hervorquillt, iſt die titaniſche Natur des Menſchen überwunden und abgeſtreift. Erſt mit der Anſchauung dieſer Identität in Zagreus-Dionyſos, als dem aus ſeiner Zerſtückelung geeinten, zum Todtenfürſten wieder erſtandenen Gott, der jetzt auch die Menſchen, nicht inſofern ſie in das zerſtreute ſinnliche Daſein und deſſen wechſelnde Freuden, Bedürfniſſe und Intereſſen ausgebreitet ſind, ſondern inſofern ſie dieſer Naturſeite entnommen ſich zur einfachen Weſenheit des abgeſchiedenen Geiſtes zuſammengefaßt haben, beherrſcht, erſt mit dieſer Anſchauung wird das neue Lebeusloos erlangt. Darum muß der zu Wei— hende ſelbſt darſtellen die titaniſchen Mächte in ihrer Verlockung und Zer— reißung des Zagreus in mannigfaltigen Gebräuchen, er muß jene Iden— tität an ſeiner eigenen Perſon erfahren, er muß ſie genießen, indem er in dieſem unverkennbaren Vorläufer des chriſtlichen Abendmahls aus dem ihm gereichten myſtiſchen Kelche den Wein trinkt, welchen das Blut des Zagreus hervorſchießen macht. Nun erſt iſt dieſe von ihm ge— noſſene Vereinigung zur Gewißheit für ihn geworden. Jetzt erſt iſt er gereinigt von allem Titaniſchen, roh Natürlichen; jetzt gehört er dem Zagreus an und iſt ſein Eigenthum. Jetzt muß er ausrufen: „Ich entging dem Schlimmen, ich gewann das Beſſere“.

Wenn alſo und dies iſt der weſentlich feſtzuhaltende Unterſchei— dungspunkt im religiöſen Kreiſe, weil die ſinnliche Vorſtellung die ver— ſchiedenen Göttergeſtalten, auch wo ſie ihre Grenzen durchbricht und ſie zu einer nenen Geſtalt eint, in ihrer Beſtimmtheit beſtehen laſſen und da— her alle als von poſitiver Geltung erfüllt anſchauen muß, dieſe noch nicht als reiner Gedanke, ſondern in Form ſinnlicher Vorſtellung erfaßte Identität, weit entfernt zu einer Polemik gegen das Weſen dieſer Götter zu werden, vielmehr auch ihrerſeits nur poſitiv angeſchaut werden kann, und ſo zum Unterpfande der ſeeligſten Gewißheit werden muß, ſo muß dagegen bei Heraklit, weil er zum reinen Begriffe der ſinnlichen Vor— ſtellungen durchgedrungen iſt, die ſchlechthin entgegengeſetzte Folge ein—

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treten. Haß und glühende Polemik athmet bei ihm gegen den Dionyſos jenes Fragment, in welchem er ihn mit Hades identificirt, wie dies ſchon Schleiermacher gefühlt hat und ſowohl durch die im Fragment ſelbſt aus— geſprochene fo energiſche und verächtliche Verwerfung ſeines Cultus, in welchem ja nur das eigene Weſen des Gottes realiſirt iſt, als jetzt durch das Zeugniß des Arnobius ſowie noch durch eine andere ſpäter folgende Stelle des Clemens und endlich durch ſeinen Haß gegen die ganze flüſſige Natur, der Dionyſos vorſteht, unwiderſprechlich iſt.

Bei ihm ſchlägt jener orphiſche Satz von der Identität beider Götter in negative auflöſende Kritik des Dionyſos um. Denn ihm iſt der Gott bereits zum reinen Begriffe geworden, zum Momente der ſinn— lichen realen Natur, deren Gedanke eben die Vielheit und das Außer— einander der beſtimmten ſeienden Unterſchiede iſt. Dieſe Seite iſt ihm aber nur ein unſelbſtändiges Moment der Idee des Werdens, und zwar gerade dasjenige Moment, welches zur Nichtigkeit des einzelnen auf ſich beharrenden ſinnlichen Daſeins führt; dieſe Seite iſt ihm das Nichtſein und Geſtorbenſein der innern unſinnlichen Einheit; der leibliche Menſch iſt der Tod und das Grab der Seele; Dionyſos, der Gott der ſinnlichen Natur, eben deshalb der Untergang der reinen Idealität des Werdens. Gegen dieſes ſich für ſich fixirenwollende Mo— ment des ſinnlichen Seins, welches aber durch ſeine Erhaltung das Wer— den ausſchließen und ſo den Tod über alles Daſein ſelbſt ausbreiten würde, war ihm die beſtändige Aufhebung deſſelben, ſein Rückgang in die ihm zu Grunde liegende innere Einheit, in den negativen Wandel des Werdens (welches Moment er auch, wie wir ſehen werden, Apollo genannt hat) das Höhere, und feine Polemik gegen Dionyſos daher nur die Folge, oder richtiger noch identiſch mit feiner Polemik gegen alles ſinnliche reale Daſein überhaupt, welches ſich ſträubt in jenen reinen Wandel einzugehen, der gleichwohl ſeine innere Einheit und Wahrheit und ſeinen poſitiven Lebensquell ausmacht.

So hat alſo die Identität des Dionyſos und Hades bei Heraklit auch einen ganz andern Inhalt als bei den Orphikern. Wollte man nun, der philoſophiſchen Schulſprache ſich anſchließend, ſagen, Heraklit habe ſomit nur, was bei den Orphikern ſchon an ſich in der Form ſinn— licher Vorſtellung gelegen, in die Form des philoſophiſchen Gedanken— bewußtſeins gebracht, ſo iſt dies ganz richtig, vorausgeſetzt, daß man ſich dabei in der angedeuteten Weiſe ganz genau und explicirt bewußt iſt, wie dieſer formelle Unterſchied der Religion, als der Form des ſinn— lichen Vorſtellens, und der Philoſophie, als der Form des begreifenden Ge—

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dankens, durchaus nicht bloß etwa zu einem Unterſchiede größerer und geringerer Klarheit führt, ſondern das philoſophiſche Erfaſſen des in den religiöſen Vorſtellungen an ſich vorhandenen Inhalts auch einen inhaltlich unterſchiedenen und dem, was für das religiöſe Bewußtſein präſent war, geradezu entgegengeſetzten Gedanken produciren muß. Bei den Orphikern, wie in der Religion überhaupt, ſind die Götter— geſtalten Dionyſos, Hades ꝛc. nicht blos eine ſinnliche Hülle für von dieſen unterſchiedene Weſenheiten, nicht etwa eine bloße Form für einen von derſelben als verſchieden gewußten Kern, ſondern es wird auch ſinnlich gedacht; nicht blos ſinnlich geſprochen, ſondern auch der In— halt ſelber nur ſinnlich aufgefaßt und angeſchaut.

Dies war auch noch bei den ſogenannten gemiſchten Theologen Phe— rekydes, Epimenides ꝛc. der Fall, obwohl mit einem hier nicht weiter aus— zuführenden Unterſchiede.

Anders ſchon geſtaltet ſich das Verhältniß bei den Pythagoräern, aber auch bei ihnen wird immer noch nicht das Sinnliche zur bloßen Form. Ihnen ſind bereits die Göttergeſtalten Gedankenweſenheiten. Aber der Inhalt dieſes Denkens iſt ſelbſt noch ein ſinnlicher; dieſe Gedankenweſen— heiten ſind die allgemeinen Formen des unmittelbaren Daſeins. Die Zahl iſt die erſte und ſelbſt noch ſinnliche Vermittlung zwiſchen Sinnlichem und Unſinnlichem. Sie iſt die Mitte, welche als frei von der ſinnlichen Qua— lität, bereits reine Gedankenabſtraction und Allgemeinheit iſt, andrerſeits aber, als Quantitätsbeſtimmung, weſentlich ſinnliches und unmittelbares Sein iſt. Dieſer Philoſophie und ihren Gedankenbeſtimmungen iſt daher das Moment des Sinnlichen noch durchaus ſubſtantiell. Dies iſt daher auch der Grund, weshalb die pythagoräiſche Philoſophie ſo weſentlich religiöſe Speculation iſt, weshalb ſie mit den religiöſen Vorſtellungen nicht zu brechen brauchte, ſondern die Göttergeſtalten des Volksglaubens ſpeculativ erklären konnte, ohne ſie aufzuheben. Dieſe Göttergeſtalten einerſeits und ihre ruhenden Gedankenweſenheiten andrerſeits wuchſen ihr unterſchiedslos in eine ungetrennte Identität zuſammen. Die pythagoräiſche Philoſophie bleibt daher in dem organiſchen Entwicklungsgange, durch welchen ſich das religiöſe Denken und Anſchauen zum freien philoſophiſchen Denken hinüber— führt, ein Entwicklungsgang, in welchem ſie einen ſo intereſſanten Knoten— punkt bildet, noch weſentlich, auch nach der Seite ihres Inhaltes, in dem religiöſen Kreiſe ſelbſt ſtehen, ohne ihn zu durchbrechen.

Bei Heraklit dagegen wird und in dieſer Hinſicht gerade bezeichnet er nach unſerer Anſicht einen äußerſt intereſſanten Uebergang im grie— chiſchen Geiſte: den noch in der Form der religiöſen Vorſtellungen

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und ihres Stoffes geſchehenden Uebergang von der Religion zur Re— ligionsphiloſophie überhaupt bei Heraklit wird ganz unſinnlich gedacht und nur ſinnlich ausgedrückt. Seine Weſen ſind bereits reine Begriffe, die nur in jene Göttergeſtalten wie in eine Hülle ge— kleidet ſind. Streift man die Hülle des Ausdrucks ab, ſo kommen ohne Alteration die reinen Begriffe zum Vorſchein, die er nur ausſprach in dieſen Geſtalten und Namen, weil fie ihm als reine Begriffe unausſprechliche !), and hing, waren; nicht in Folge eines Myſterienverbots, ſondern weil ſich ihm die Sache, wie im zweiten Capitel gezeigt, von ſelbſt verbot. Uebrigens dürfte beiläufig auch in den Myſterien die innere Unaus— ſprechlichkeit des Inhalts ihrer Auſchauungen für die noch in den ſymboliſchen Anſchauungen ſelbſt Befangenen ein weſentlicher innerer Grund für das Verbot des Ausſprechens geweſeu ſein. Wenigſtens glauben wir, daß es keine Gefahr damit gehabt hätte, daß der religiöſe Hellene den wirklichen geiſtigen Gehalt jener Myſterienanſchauungen hätte ſollen aus— ſprechen können, wenn er auch gedurft hätte. Wir glauben überhaupt, daß man ſo lange die eigentliche Bedeutung der Myſterien verkennen und ihnen entweder ein Zuwenig oder Zuviel verleihen wird, ſolange man nicht jene Geheimniſſe als ein weſentlich Sich ſelbſt Geheimes auffaßt, in dem Sinne eben, in welchem dem Geiſte der geiſtige Gehalt ſeiner ſinnlichen Anſchauungen, ſolange er ihn eben nur erſt in der Form der Anſchauung hat, weſentlich ein geheimer und verborgener iſt.

Sagten wir, daß bei Heraklit, wenn die bloße Hülle der Göttergewänder (und ebenſo, z. B. beim Feuer, die Naturſchaale) abgeſtreift iſt, ſeine darunter liegenden reinen Begriffe ohne Alteration zum Vorſchein kommen, jo kann das z. B. durchaus nicht von den Orphikern gejagt werden, deren Gedankeninhalt wir, verglichen mit Dem, was in ihrem eigenen Bewußtſein vorhanden war, ſchlechterdings auf das Weſent— lichſte alteriren müſſen, ſobald wir ihn aus jener Form der Verſenkung des Geiſtes in die ſinnliche Anſchauung ſeiner ſelbſt heraus und in die freie Form des Gedankens hineinreißen. Mit Heraklit dagegen iſt in— nerhalb des Symboliſchen ſelbſt eben die Fortbildung vorgegangen,

) Durch die obige Entwickelung erklärt ſich jetzt auch vollſtändig Hera— klits auch von Zeller p. 491 anerkannte „Vorliebe für mythologiſche Bezeich— nungen“, ohne daß man nunmehr wohl länger mit Zeller wird den Schluß machen wollen, „es laſſe dieſe Vorliebe für mythologiſche Bezeichnungen vermuthen, daß er die Volksreligion im Ganzen nicht antaſten wollte und daß ſeine Stellung zu derſelben mit derjenigen der Pythagoräer größere Aehnlichkeit hatte, als mit der des Xenophanes“; ein Schluß, mit welchem die Fragmente des Epheſiers in einem unverſöhnbaren Widerſpruche ſtehen.

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daß jetzt der geiſtige Gedankeninhalt nicht mehr mit feiner ſinnlichen Form identiſch und verwachſen, ſondern, von ihr abgelöſt und frei für ſich zu ſeiner begrifflichen Allgemeinheit entwickelt, nur noch unter der leiſen Decke des Symboliſchen, das erſt hier bloße Form iſt, daliegt und daher hier ſo mächtig in dem unendlichen Wechſel der dieſem begriff— lichen Inhalt nicht mehr genügenden Symbole gegen dieſe Knospenhülle andrängt, um mit Zerſprengung derſelben ſich zu der gereiften Geſtalt griechiſcher Philoſophie zu entfalten, welche jetzt nun ſchon, wie Heraklit von ſeinem Gotte geiſtiger Klarheit vorausſehend ſagt, „mit ihrer Stimme durch die Jahrtauſende reicht durch den Gott!“

Haben wir aber Heraklits Verhältniß zu Dionyſos und zu den or— phiſchen Anſchauungen ſo weit verfolgt, ſo müſſen wir es noch um einen Schritt weiter verfolgen. Hierbei wird ſich auch ergeben, daß, wenn wir bisher aus dem allgemeinen Weſen des Gottes heraus nur vorauszuſetzen ſchienen, daß Apollo dem Epheſier den ſtricten Gegenſatz zu Dionyſos, das Moment der Einheit und ihres, das ſinnliche einzelne Daſein aufhebenden, negativen Wandels bedeutete, dies vielmehr auf ſicheren Belegen beruht.

Zu Herodots Zeiten konnte freilich geſagt werden, daß Orplhiſches und Bacchiſches identiſch ſeien. Nichtsdeſtoweniger haben ſich uns noch in deutlich ſprechenden Mythen die Erinnerungen erhalten von blutigem Gegenſatz und Feindſeligkeit in- älterer Zeit zwiſchen den älteſten Orphikern, den Trägern des apolliniſchen Lichtcultes und den Dienern des Dionyſos ). Es kann hier auf die nähere Deutung und Zuſammenſtellung dieſer Mythen von der Zerreißung des Orpheus durch die Mänaden des Bacchus, weil er dieſem Gotte die Ehre weigert ꝛc., nicht eingegangen werden und müſſen wir uns damit begnügen, auf die kurzen aber gedanfenreichen Andeutungen Creuzer's über den Kampf der älteſten Orpheusſchulen mit den Dionyſos— dienern (Symbolik, 3. Ausg. Bd. 4, p. 30 sqq.) und Klauſens a. a. O. zu verweiſen.

Uns genügt es, daß der durchaus apolliniſche Charakter der orphiſchen Lyra und der blutige Gegenſatz in früherer Zeit, in welchem gerade in den älteſten Mythen dieſer mythiſche Träger des Apollodienſtes gegen den Dionyſoscultus erſcheint, unleugbar und anerkannt iſt. Dieſer innere Gegenſatz der beiden Göttergeſtalten hat ſich übrigens zu allen Zeiten in dem Cultus erhalten, der ja nichts anderes als das aufgeſchloſſene und dargeſtellte eigene Weſen des Gottes ſelbſt iſt. Der rauſchende tau—

1) Siehe u. A. Eratosth. Catast. c. 24. Schol. in Pind. Pyth. IV, 176.

und Herod. ap. Schol. in Apollon. I, 23., der deshalb einen zweifachen Orpheus annimmt ꝛc.

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melnde Orgiasmus des Dionyſosdienſtes hatte ſeinen ftrieten Gegenſatz an dem ſtillen und ernſten, in ſich gekehrten Lichtcultus Apollo's. Zwar hatte auch der Apollodienſt einen gewiſſen ekſtatiſchen Charakter), aber das war nicht der raſende Orgiasmus des Bacchus. Vielmehr, wenn der Charakter des letzteren Religionsdienſtes das Außerſichgerathen des Bewußtſeins in die Zerſtreutheit und Vielheit des ſinnlichen Daſeins iſt, jo iſt der ekſtatiſche Charakter des Apollocults der um— gekehrte, die feierliche ſtille Ekſtaſe des Sich-Sammelns aus der ſinnlichen Zerſtreutheit in die reine Einheit des Innern?). Dieſe Ekſtaſe iſt aber auch, wie man zugeben wird, trotz ſeiner ioniſchen Nationalität, durchgängiger Zug Heraklits. Und wie er in dem letzten Bruchſtück gegen Dionyſos polemiſirt, jo haben wir ihn ja in der That ſchon in ſeinen eigenen Fragmenten (im zweiten Capitel) den Apollo hoch— preiſen, ihn als Muſter philoſophiſcher Rede aufſtellen hören, als den König, der nicht ſpricht noch verbirgt, ſondern andeutet und durch den die Stimme ſeiner Dienerin, die Ungeſchmücktes, Ungeſalbtes, Unbelachtes ſagt, über die Jahrtauſende reicht. Wir haben ihn ebenſo ſich der Symbole dieſes Gottes, Bogen und Leier, mit Vorliebe als Darſtellung der Har— monie des Weltalls bedienen ſehen und müſſen hier auf unſere obige Ausführung zurückverweiſen, in welcher wir nachzuweiſen ſuchten, welche metaphyſiſch-logiſchen, das All umſpannenden Gegenſätze Heraklit in dieſen Symbolen Apollos angeſchaut hat.

Gewiß wäre ſchon hiernach, da es der Gedanke faſt erfordert und ſo viele thatſächliche Spuren in ſeinen Fragmenten von Hochpreiſung des Apollo es beſtätigen, mit hoher Wahrſcheinlichkeit und ohne ſehr große aprioriſche Kühnheit vorauszuſetzen, daß er den Apollo in untergegangenen Stellen ſeines Buches dem Dionyſos entgegengeſetzt und mit ihm das Moment des Rückgangs in die ideelle Einheit des Werdens und ſeinen negativen Wandel, kurz den Weg nach oben bezeichnet haben muß.

Zwar, handelte es ſich einmal um die Forderungen des aprioriſchen Gedankens, ſo würde dieſer freilich noch etwas Anderes fordern! Er würde nämlich fordern, daß, da Dionyſos nur das Moment des ſich Aus— breitens in die Unterſchiede des reellen Daſeins oder der ſymboliſche Aus— druck des Wegs nach unten iſt, und Apollo ebenſo nur die das reelle Daſein in ihre reine ideelle Einheit aufhebende Negation des Werdens, oder nur der Weg nach oben wäre daß deshalb, da ſo jede der

1) S. K. O. Müller's Dorier I. p. 364. II. p. 395 und ſonſt. 2) Stellen zur Beſtätigung deſſen anzuführen, wäre überflüſſig. Man vgl. nur die bald folgende des Plutarch.

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beiden Geſtalten für ſich iſolirt nur unſelbſtändiges Moment wäre, Apollo ebenſoſehr durch ſeine eigene Natur ſich in den Dionyſos umwandeln müßte und Dionyſos durch ſich ſelbſt wieder in den Apollo, wie wir ge— ſehen, daß der Weg nach Unten in ſich ſelbſt Umſchlagen in den Weg nach Oben und dieſer wieder in den Weg nach Unten iſt. Oder mit andern Worten, der aprioriſche Gedanke würde in ſeiner Conſequenz fordern, daß wie der Weg nach Oben und der nach Unten jeder nur eine iſolirte un— ſelbſtändige Seite und beide in der höheren Einheit der Idee des Werdens geeint ſind, deſſen lebendige Momente ſie ſind und das nur als die Totalität dieſer immer ineinander umſchlagenden, gegenſätzlichen Momente vorhanden iſt, ebenſo auch Apollo und Dionyſos nur die ent— gegengeſetzten und in einer höheren Gottheit geeinten Seiten und Mo— mente ſeien, welche höhere Gottheit, als dieſe höchſte Einheit von Apollo und Dionyſos, als die beide entgegengeſetzte Momente in ſich faſſende Einheit der ödos av und zarow, dann niemand anders als Zeus oder die totale Idee des Werdens ſelbſt ſein dürfte, der dann ſelbſt nur darin ſein Leben und Daſein haben dürfte, aus ſeinem Moment als Apollo in ſein Moment als Dionyſos umzuſchlagen, wie das Werden nur das ſtetige Umſchlagen des Wegs nach Unten in den nach Oben und umgekehrt iſt.

Und Alles das, was hier als aprioriſche Forderungen des conſequenten Gedankens entwickelt worden, das findet ſich denn nun auch poſitiv verſichert in einer außerordentlich wichtigen Stelle des gelehrten Plutarch, von der es uns ſchlechthin unbegreiflich bleibt, wie man bisheran hat überſehen können, daß ſie von Heraklit handelt und den Grundriß ſeiner ſpeculativen Theologie liefert.

Eben deshalb iſt es nöthig, dieſe Stelle trotz ihrer etwas unbilligen Länge ausführlich und in ihrem Zuſammenhange zu betrachten. Plu— tarch in ſeinen Erklärungen der Aufſchrift auf dem delphiſchen Tempel, ſich auf nicht näher hierhergehörige Zahlenſpeculationen einlaſſend, ſpricht von der Fünf und ſagt !), daß dieſe das, das All durchwaltende, Urprincip nachahme (Arommonnevov Tod u,] Tyy Ta Ola Öraxoonoboav Apynv). Er fährt fort: „Denn wie Heraklit jagt, daß dieſes Urprincip die Welt, ſie in ſich bewahrend?), aus ſich ſelbſt, aus der Welt aber wiederum ſich ſelbſt herſtelle und ſowohl aus Feuer alles umwandelnd her— geſtellt werde, als das Feuer aus Allem, gleichwie gegen

1) Plutarch de e ap. Delph. c. VIII. u. IX. p. 388. p. 591 sqq. Wytt.

2) Nämlich als Anlage, Anſich enthält das Princip ſchon die Welt in ſich. Ohne Noth hat man angenommen, daß das euldrrovoay wverderbt ſein müſſe und keinen Sinn gebe; ſiehe die Anmerkung zur folgenden Seite.

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Gold die Dinge und gegen die Dinge das Gold, ſo erzeugt auch der Zuſammengang der Fünf mit ſich ſelbſt nichts Unvollendetes noch ſich Fremdes, ſondern hat beſtimmte Umwandlungen (wpronzvas pera- BoAas); denn entweder ſich ſelbſt oder die Zehn erzeugt fie, das heißt, entweder das Urſprüngliche (die ideelle Wurzel) oder das Vollendete“ „ws yüp Exeivyv guidrrouoay Ex he Eaurys TOV e, Ex 08 r x00n.0u nakıy ab Eauryv dmoreleiv, nupbs 7 Avransißzoda: navra, now 6 Upaxssıcos, za ndp andvrwv, bsneo ZpVOoD ZphnpMaTa, x ypryudrwv Zpvoös!)‘ obrws 7 vie mevrados npbs Eaurmy OUV- oòos“ xtr.

Obgleich wir dieſes hier von Plutarch mitgetheilte Fragment aus Heraklit, daß Alles durch die Umwandlung des Feuers und das Feuer wieder aus Allem umgeſetzt werde, wie alle Dinge gegen Gold und das Gold gegen alle Dinge umgewandelt wird, jetzt nur im Vorbeigehen be— rühren, zwingen uns doch, um den wahren Gedanken deſſelben zu gewinnen, die bisherigen Erklärungen deſſelben einen Augenblick bei ihm oder wenigſtens bei dem Vergleiche mit dem Golde zu verweilen.

Heraklit beſchreibt in dieſem Vergleiche tiefer, als es auf den erſten Blick ſcheint, die wirkliche Function des Geldes und gelangt merkwürdiger Weiſe bereits dazu, die wahrhafte national-öconomiſche Natur deſſelben und

1) Schleiermacher las (p. 456) „avransißerar”, aber die Wyttenbachſchen und Huttenſchen Ausgaben leſen avrapsißsadar. Es iſt dies auch in der That wegen des Infinitivs Arorsietv erforderlich, jo daß nun aber auch der ganze Vorderſatz 0g yap dtoree, von dem gyatv 6 "Hoazierros regiert und ſomit als heraklitiſche Meinung angeführt wird, was auch deswegen nöthig, weil erſt mit dem folgenden Satze odrwc 9% is revrados ri. der Nachſatz und Ab— ſchluß zu der mit &s 5% eingeleiteten Vergleichung eintritt, und das rupös T Avrapsißsodar rayra ,. ſomit noch nicht als Vergleichung dem 2 er Sauris ororeieiv gegenübergeftellt iſt. In der That iſt auch dieſer Wechſel— wandel der Welt aus ihrem Urprincip (2077) und wieder dieſes aus der Welt, Heraklits eigenſte Idee wie oft wird uns nicht das 88 &vös zal eis Ev ra zayra (nämlich durch 20:7) als heraͤklitiſches Axiom angeführt, z. B. Philo II. p. 443. M. T. I. p. 88. M. und von ſo vielen andern Autoren und eben der in dem Fragment von der Herſtellung alles Seins aus Feuer und des Feuers aus Allem ausgeſprochene Gedanke; aber eben deswegen bilden hier nur die im Text breit gedruckten Worte die eigenen Worte und das wirkliche Frag— ment aus Heraklit, welchem Plutarch den in demſelben ausgeſprochenen Gedanken, dieſen richtig erkennend, vorausſchickt. Das guAlarrovsay kann, wie ich glaube, nicht wohl anders gefaßt werden, als daß die %% bereits die entwickelte Welt ideell in ſich enthalte, bewahre, wie ein Keim oder Saamen die ſich aus ihm entwickelnde Geſtalt. Es kommt übrigens hier nichts weiter darauf an, da uns der Schwerpunkt erſt im Folgenden liegt.

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die Kategorie des Werthes in ihrem wirklichen Gedanken und richtiger als viele heutige National-Oeconomen thun, zu erkennen.

Das Geld als Circulationsmittel kann nie wirklich ſelbſt conſumirt werden: es bedeutet ſomit nur die Producte, die gegen daſſelbe ein— getauſcht werden können und die es daher repräſentirt, wie die modernen Oeconomen ſagen. Allein wie repräſentirt es ſie? Die zum wirklichen Conſum gelangenden Producte find eine unendliche Vielheit ſinnlich-be— ſtimmter und reell-unterſchiedener Dinge, Holz, Linnen, Fleiſch ꝛc. Alle dieſe Producte ſind allerdings in dem Gelde enthalten, für das ſie ein— getauſcht werden können, aber nicht als ſolche, nicht als dieſe ſinnlich— vielen unterſchiedenen Dinge, ſondern im Gegentheil als mit Abſtrahirung von ihren ſinnlichen Unterſchieden in ihre ideelle Einheit, den Werth, aufgehoben.

Der Werth, dieſer abſtracte Maaßſtab, nach welchem wir die ver— ſchiedenartigſten Dinge mit einander vergleichen und gleich ſetzen, iſt nur dieſe einfache Einheit der concret-verſchiedenen Producte, in welcher dieſelben vorhanden ſind, aber nur an ſich und abſtrahirt von ihrer con— ereten Unterſchiedenheit. Das Geld iſt ſomit qua Tauſchagent nur der perſonificirte Werth, die herausgeſetzte abſtracte Einheit der wirk— lichen und als wirkliche eine unendliche Vielheit von beſtimmten ſinnlichen Dingen bildenden Producte.

Daß dieſe Einheit, das Geld, nichts wirkliches, ſondern etwas nur ideelles iſt, zeigt ſich daran, daß niemals das Geld oder der Werth als ſolcher zur Wirklichkeit des Genuſſes gelangen kann, ſondern wo dieſer Werth im Verbrauch zur Wirklichkeit gelangen ſoll, zuvor dieſe abſtracte Einheit aufgegeben und in die Beſtimmtheit der unterſchiedenen Producte umgeſetzt werden muß. Nach Heraklit war alſo alles Geld nur der Gegenſatz und die herausgeſetzte ideelle Einheit aller Dinge, aller um— laufenden Producte; dieſe ihrerſeits wieder nur die dadurch in die Man— nigfaltigfeit der ſinnlichen Unterſchiede aufgelöſte Wirklichkeit jener ideellen Wertheinheit, des Geldes.

In jedem Tauſch ging nach ihm die doppelte Bewegung vor ſich, daß die im Gelde dargeſtellte einfache Einheit des Werthes Seitens des Käu— fers in ihr Gegentheil, die Vielheit der realen ſinnlichen Unterſchiede, um— gewandelt und damit realiſirt wird und dieſe wieder Seitens des Verkäufers in ihr Gegentheil, in ihre ideelle Einheit negativ aufgehoben werden. Nur deshalb konnte er ſo aber auch ſehr paſſend in dem Fragmente den Umtauſch der Dinge gegen Gold und des Goldes gegen die Dinge mit dem Umtauſch dieſer in Feuer und des Feuers in dieſe vergleichen, da ihm ja

1

das Feuer und es iſt für das Vorliegende gleichgültig, ob als ſtoffliches Element, oder auch als dieſes nur, weil es ihm die reinſte Darſtellung des ſich ſelbſt aufhebenden Werdens war das ideelle allen Elementen und Dingen zu Grunde liegende einheitliche Subſtrat war, ſo daß durch die Umwandlung des Feuers durch ſeine Bewegung, fi ſelbſt aufhebend!) in die Wirklichkeit zu treten alles ſinnliche Daſein, die Welt der realen außereinander ſeienden Unterſchiede, erzeugt wird und dieſe Viel— heit der realen Unterſchiede beſtändig wieder in jene ideelle Einheit des Feuers wie in einen Saamen?) negativ zurückgewandelt wird 3).

1) Dieſe Aufhebung des Feuers in fein Gegentheil in ſeiner Ver- wirklichung nannte Heraklit deshalb ein Verlöſchen des Feuers; ſiehe unten § 19.

2) Siehe unten § 20.

3) Wenn wir oben ſagten, Heraklit habe in jenem Fragmente die wahrhafte national-özconomiſche Natur und Function des Geldes angegeben, fo iſt es wohl über— flüſſig, zu bemerken, daß wir ihn ſelbſt damit nicht zu einem National-Oeconomen machen und alſo auch entfernt nicht behaupten wollten, als habe er irgend eine der weiteren aus jenem Fragment folgenden Conſequenzen erfaßt. Aber obwohl dieſe Wiſſenſchaft damals gar nicht exiſtirte und exiſtiren konnte, alſo auch nicht Gegenſtand heraklitiſchen Denkens war, fo iſt doch richtig, daß Heraklit eben weil er niemals Reflexionsbeſtimmungen, ſondern nur dem ſpeculativen Begriffe folgt, in jenem Fragment das Weſen des Geldes in ſeiner wirklichen Tiefe und richtiger als viele modernen Oeconomen erkannt hat, und es iſt vielleicht nicht ganz unintereſſant und auch nicht ſo von der Sache abliegend, wie es zunächſt ſcheinen könnte, zu ſehen, wie ſich aus einer bloßen Conſequenz jenes Gedankens die mo— dernen Entdeckungen auf dieſem Gebiet von ſelbſt ergeben.

Wenn Heraklit das Geld als Tauſchmittel zum Gegenſatz aller in den Tauſch kommender reellen Producte machte und es an dieſen erſt ſein wirkliches Da— ſein haben läßt, ſo iſt alſo das Geld als ſolches nicht ſelbſt ein mit einem ſelb— ſtändigen, ſtofflichen Werthe bekleidetes Product, nicht eine Waare neben andern Waaren, wie die Say'ſche Schule noch bis heute das Metallgeld hartnäckig auf— faßt, ſondern es iſt nur der ideelle Repräſentant der umlaufenden reellen Pro— ducte, das Werthzeichen derſelben, das nur ſie bedeutet. Und das iſt nur zum Theil eine aus dem Fragment entwickelte Folgerung, zum Theil nur der für Heraklit ſelbſt darin vorhandene Gedanke.

Wenn aber alles Geld nur die ideelle Einheit oder der Werthausdruck aller realen umlaufenden Producte iſt und erſt an dieſen, die zugleich ſeinen Gegenſatz bilden, fein wirkliches Daſein hat, jo folgt aus der bloßen Conſequenz dieſes Gedankens, daß die Werthenſumme oder der Reichthum eines Landes nur durch die Vermehrung der wirklichen Producte, niemals aber durch die Vermehrung des Geldes vergrößert werden kann, da ja das Geld, ſtatt auch nur irgend ein Moment des Reichthums und des Werthes ſelbſt zu bilden, immer nur den in den Pro— ducten gelegenen und nur in ihnen wirklichen Werth als abſtracte Einheit aus— drückt. Es folgt ſomit der Irrthum des Handelsbilanzſyſtems. Es folgt ferner,

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Nachdem wir alſo conſtatirt haben, daß in dieſem Fragmente gleich— falls nur der Gedanke der ſich ſinnliches Daſein gebenden und damit in die Vielheit der beſtimmten Unterſchiede tretenden ideellen Einheit und des negativen Rückgangs derſelben in ſich aus den ſinnlichen Unterſchieden ausgeſprochen iſt, wenden wir uns zu der Stelle Plutarchs wieder zurück, an der wir uns unterbrochen haben. Auch Plutarch unterbricht ſich, nachdem er jenes Fragment Heraklits von dem Gold und den Dingen mitgetheilt, mit der Frage: Was hat das Alles aber mit dem Apollo zu thun? Und er beantwortet dieſe Frage unmittelbar nach den letzten eben mitgetheilten Worten fortfahrend alſo:

„Wenn nun aber Jemand früge, was geht das den Apollo an, ſo werden wir ſagen, nicht nur den Apollo, ſondern auch den Dionyſos, der nicht weniger Theil hat an Delphi als auch Apollo. Wir hören ja die

daß alles Geld immer an Werth gleich allen umlaufenden Producten iſt, da es nur dieſe in die ideelle Wertheinheit zuſammenfaßt, ſomit nur deren Werth aus— drückt; daß ſomit durch Vergrößerung oder Verringerung der vorhandenen Geld— ſumme der Werth dieſer geſammten Geldſumme niemals berührt wird und immer nur allen umlaufenden Producten gleichbleibt; daß man ſtreng genommen gar nicht von einem Werthe alles Geldes verglichen mit dem Werthe aller umlaufenden Producte ſprechen kann, weil in einer ſolchen Vergleichung der Werth des Geldes und der Werth der Producte als zwei für ſich ſelbſtändige Werthe geſetzt werden, während nur Ein Werth vorhanden iſt, der in den ſinnlichen Producten concret realiſirt und im Gelde als abſtracte Wertheinheit ausgedrückt, oder vielmehr der Werth ſelbſt nichts als die aus den wirklichen Dingen, in denen er nicht als ſolcher vorhanden, herausabſtrahirte Einheit iſt, der im Gelde ihr beſonderer Ausdruck gegeben iſt; nicht alſo der Werth alles Geldes blos dem Werthe aller Pro— ducte gleichbleibt, ſondern, richtiger geſprochen, alles Geld nur der Werth aller umlaufenden Producte iſt. Es folgt ſomit hieraus, daß bei Vermehrung der An— zahl der Geldſtücke, da der Werth der Summe gleichbleibt, immer nur der jedes einzelnen Geldſtückes fallen und bei ihrer Verminderung ebenſo wieder ſteigen muß. Es folgt ferner, daß, da das Geld nur die unwirkliche Gedankenabſtraction des Werthes und den Gegenſatz gegen die wirklichen Producte und Stoffe dar— ſtellt, das Geld als ſolches gar keine Wirklichkeit an ſich ſelbſt zu haben, d. h. aus keinem wirklich werthvollen Stoffe zu beſtehen braucht, ſondern ebenſogut Papiergeld ſein kann und gerade dann ſeinem Begriffe am entſprechendſten iſt. Alle dieſe und viele andere erſt ſeit Ricardo's Unterſuchungen auf einem ganz an— dern Wege gewonnenen und noch lange nicht allgemein adoptirten Reſultate ergeben ſich ſchon durch die bloße Conſequenz jenes von Heraklit erkannten ſpeculativen Begriffs.

Wenn übrigens Heraklit vom Golde (ypvass) ſpricht, während wir immer vom Gelde geſprochen haben, ſo kommt das daher, daß damals noch dies Metall als ſolches das allgemeine Circulationsmittel bildete.

1. 15

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Theologen, theils in Gedichten theils in Proſa (ohne Metrum) jagen und fingen, wie der unvergängliche und ewige Gott (ws agdapros 6 eο ru diötos regvxws), durch einen gewiſſen verhängten Rathſchluß und Logos ſich Umwandlungen ſeiner ſelbſt bedienend, (Bro 07 Twvos einapp.evns!) yvopns?) R% Aöoyov?°) neraßokais*) Eaurod zpopevos?) bald, Alles Allem gleichmachend, die Natur in Feuer ent- zündet, bald wiederum ein mannigfaltig zu verſchiedenen Geſtalten und Zu— ſtänden und verſchiedenen Kräften werdender iſt, ſo wie jetzt die Welt wird; benannt aber wird er mit dem bekannteſten aller Namen (vwpruwrarw roy Övondrwy®). Der großen Menge aber verborgen nennen die Weiſeren

1) Die einappevn iſt nicht nur ein ſtoiſcher, ſondern ein von Heraklit ſelbſt gebrauchter Ausdruck ſeines Princips; ſiehe unten § 17.

2) Die 5e in dieſer objectiven Bedeutung nicht als Einſicht, ſondern als das Alles leitende Vernunftgeſetz ſelbſt, ift ganz ſpeciell heraklitiſch; ſiehe das Fragment § 15.

3) Aöyos in dieſem Sinne iſt bekanntlich der ſpecifiſchſte terminus technicus von Heraklit.

4) Die veraßoAy oder Ableitung durch Umwandlung in das Gegentheil iſt bekanntlich ebenſo Heraklit eigenthümlich, und von den Stoikern ihm nur ent— lehnt; fie iſt nur das Synonym für ſeine Ausdrücke ο und 4½σ⁵νν] vgl. § 19.

5) In dem ypwpnevos pneraßolais Eavrod liegt aber mehr als in der Ueberſetzung wiedergegeben iſt. Es liegt nämlich in dem Ypwpevos auch, daß er erſt hierin, in dieſen Umwandlungen, ſich ſeine Wirklichkeit und Bewährung giebt; vgl. das obige Fragment p. 115 u. 116, 1.

6) Die Vermuthung einiger Herausgeber des Plutarch dieſer notissimum nomen ſei xdopos, iſt offenbar nicht richtig. Dieſer „bekannteſte aller Namen“ muß vielmehr der Name des Gottes ſein, der die Einheit beider Stadien dar— ſtellt, denn die geheimen Namen (zpurrönsvor ο Tods roAlods ol aopW- rehot x77.), mit welchen die Weiſeren jedes der beiden Stadien als ſolches be— zeichnen, Apollo und Dionyſos, werden bald darauf herausgeſagt. Der ver— ſchwiegene, als der bekannteſte von allen bezeichnete, Name kann alſo, wie auch durch die Satzconſtruction klar, nur auf den dpdapros zar didros Yeos gehen, deſſen beide Seiten nur Apollo und Dionyſos bilden und der das Subject beider Umwandlun— gen iſt. Er muß alſo Aeon oder Zeus ſein, wie wir im Folgenden noch näher ſehen werden, und es kann auch an ſich ſelbſt in dieſem yuwprpwraro tw» övo- adro wohl ſchwerlich ein Sinnzuſammenhang mit jenem Fragmente Heraklits überſehen werden von dem Einen Weiſen, dem Namen des Zeus, der allein ausgeſprochen werden wolle und auch nicht. Dieſer höchſte einheitliche Gott iſt in gewiſſem Sinne identiſch mit dem Weltall; aber ſtatt daß „Welt“ ſein Name jet, iſt vielmehr umgekehrt fein Name (Zeus) der Name der Welt; man vgl. die mit den obigen Worten Plutarch's genau übereinſtimmende Stelle des Joh.

DH

die Umwandlung ins Feuer Apollo wegen der Einheit!) und Phöbus wegen der Reinheit und Farbloſigkeit (TO zadapo τν! dApavrw); den Zuſtand aber und die Umwandlung ſeines Sichumwendens und Sich— auseinanderlegens in Lüfte und Waſſer und Erde und Geſtirne und der Pflanzen und Thiere Entſtehung deuten ſie räthſelnd als eine gewiſſe Zer— reißung und Zerſtücklung an (77s dee mveinara zar Ddwp o- g ) adroD t Ötaxooprosws, To u£v nddrpa zar nv νƷj,Tpgo hx, ÖLa0Ta0p.OV zıya zat Öraneitopov alvirrovrar). Dionyſos aber und Zagreus und Nyktelios und Iſodaites (Gleichvertheiler) nennen fie ihn, und gewiſſe Untergänge und Unſichtbarwerdungen (* g9opas rıvas zal dgavıonoös?) und Tod und Wiedergeburten ), den erwähnten Umwandlungen eigen— thümliche Räthſel und Fabeln erzählen ſie; und dem Einen ſingen ſie dithyrambiſche Weiſen von Leidenſchaften voll und einem Wechſel, der einen gewiſſen umherſchweifenden und ſich in Mannigfaltigkeit zerſtreuenden Cha— rakter hat (rAayrv rıva zar Ötapopyow Eyobons); denn mit Geſchrei ge— miſcht, ſagt Aeſchylos, ziemt es dem Dithyrambos übereinzuſtimmen, ſeines Weſens theilhaftig, mit Dionyſos. Jenem aber ſingen ſie den Päan, das gemeſſene und beſonnene Lied. Und als unalternd immer und jung ſtellen fie dieſen dar (Aynpw re rodrov dei za: vEeovd), jenen aber vielartig und vielgeftaltig in Gemälden und Bildwerken. Und im Allgemeinen dem Einen Gleichartigkeit und Ordnung und ungemiſchten Ernſt beilegend, dem Andern aber eine gewiſſe mit kindiſchem Spiel und Uebermuth und Ernſt und begeiſterter Raſerei gemiſchte Ungleichartigkeit (To dE neuynevyv H

L. Lydus (de mensib. IV, c. 38. p. 74. ed. Bonn.), welcher nachdem er auch Dionyſos als Weltſeele erklärt hat, fortfährt: „denn häufig finden wir, daß das geſammte Weltall Zeus genannt wird, weil es immer lebend und unvergänglich“ „roAlayod yap ebpiozopzv, ws 6 abyras roonos Zebs Övonaferar da x aztlmoy zar drelsörnrov“ und hierbei erinnere man ſich wieder, daß Heraklit (ſiehe das Fragment bei Clemens Al. § 20.) die Welt „dp asilwoy“, immer- lebendes Feuer“ nennt.

1) Plutarch ſpielt hier auf die Etymologie des Apollo von à an.

2) roory gleichbedeutend mit ueraßoAn iſt Heraklits eigenſter Ausdruck hier— für; ſiehe die Fragmente bei Clem. Alex. § 20.

3) Ueber das apaviseadar ſiehe oben p. 101. Anm. u. p. 121 8g.

4) Vgl. § 26.

5) Dieſe Benennung dyypw del ra veos iſt uns noch wörtlich in den Fragmenten Heraklits über Apollo, reſp. Helios, als das Weſen dieſes Gottes aus- machend, erhalten; ſiehe unten § 23.

15*

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rardıa!) zar i xal onovon rd navig npospepovres dvapaktay), rufen fie den Dionyſos „Evios, Weiberaufreger, prangend in raſend machenden Ehren“, nicht übel ſo das Eigenthümliche einer jeden von beiden Umwandlungen erfaſſend. Da aber die Zeit der Umläufe?) (Perioden) in beiden Umwandlungen nicht gleich iſt, ſondern die der Einen größer, welche ſie Kess (Sättigung, Erfüllung) nennen, die der andern aber, der ypnopoohvn (Dürftigkeit und die daraus entſpringende Sehnſucht, Sucht), kleiner iſt, ſo bedienen ſie ſich deshalb, dies verhältnißgemäß beobachtend, während des übrigen Jahres des Päan bei den Opfern, mit Beginn des Winters aber den Dithyrambos wieder anſtimmend, mit dem Päan aber aufhörend, rufen ſie drei Monate dieſen Gott (Dionyſos) ſtatt jenes (Apollo) an, weil wie drei?) zu eins ihnen der Zeit nach ſich die Weltbildung (daxdopyars) zur Exrbpwors zu verhalten ſcheint“)!“

Wir haben dieſe Stelle ſo ausführlich mitgetheilt und ſie mit unſern Noten begleitet, um es unzweifelhaft zu machen, daß uns in dem Haupt— inhalte derſelben, dem Gegenſatze zwiſchen Apollo und Dionyſos und reſp. der Bezeichnung dieſes Gedankengegenſatzes mit dieſen Götternamen, Plu— tarch nur und zwar zum Theil noch mit des Epheſiers eignen Worten den Grundriß der ſpeculativen Theologie Heraklits vorträgt, d. h. die von Heraklit ſelbſt gewählte Darſtellung ſeines philoſophiſchen Begriffs im Subſtrat orphiſcher Mythen. Daß nun aber wirklich Plu— tarch hier den Epheſier ſelbſt?) im Auge hat und ihn und feine An—

1) Dieſe rardıa erſcheint in einer Reihe noch aufbewahrter und bald anzufüh— render Fragmente von Heraklit ſelbſt als ein weſentlicher Zug des Zeus in der Weltbildung, alſo in ſeinem Dionyſosſtadium.

2) Dies, ſo wie der Schluß der Stelle überhaupt, wird im 8 26. verſtändlich werden.

3) So ſchläft im orphiſchen Hymnus LIII. (52) p. 318. ed. H. Baechus drei Jahre in der Unterwelt.

4) Das Ende der Stelle ſcheint, wie bereits Xylander bemerkt, inſoweit ver— dorben zu ſein, als ſich vielmehr die 82. zur deaxoan. wie 3: 1 nach dem Zuſammenhange verhalten ſoll. S. hierüber eine bald folgende Anmerkung.

5) Der letzte und evidenteſte Beweis wird ſich im § 26. durch Analyſe einer Stelle im Politikus des Plato ergeben, dort wird auch erſt das Ende der plutar— chiſchen Stelle ganz deutlich werden. Gleichwohl kann von hieraus nicht vor— gegriffen werden, da zum Verſtändniß des platoniſchen Ortes zuvor weſentliche Reſultate im Verlauf und zumal in der Phyſik neu gewonnen werden müſſen. Die obige Beweisführung reicht übrigens auch für ſich vollkommen aus, um den heraklitiſchen Urſprung klar zu beweiſen, und mit dem näheren Verhältniß der Erröpwars und dtaxoounaors zu einander und ob erſtere eine reale war, haben

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hänger mit denen meint, die außer den Orphikern ſo lehrten, das wird nun auch, wenn man die Stelle im Einzelnen wie im Zuſammenhang über— blickt, gewiß in keiner Weiſe hypothetiſch erſcheinen können. Plutarch geht aus von einem Fragment Heraklits, daß ſich das Feuer zu allem Daſein

verhalte dieſes aus ſich, ſich aus dieſem umwandelnd herſtellend wie

das Gold zu den Dingen; von einem Fragmente alſo, welches, wie wir geſehen haben, gar keinen andern Gedanken ausdrückt, als den Ge— genſatz und die Bewegung der ideellen, und eben darum nicht wirklich da— ſeienden, Einheit und ihres in ihrer Verwirklichung in die Unterſchiede auseinandertretenden Daſeins, ſowie die beſtändige Aufhebung dieſes Ge— genſatzes; alſo gerade daſſelbe, was ſpäter als das Weſen jener Götter aufgezeigt wird. Plutarch, nach Mittheilung dieſes herakliti— ſchen Fragments vom Feuer und Gold, unterbricht ſich mit der Frage: Was geht das aber den Apollo an? und antwortet: den Apollo nicht nur, ſondern auch den Dionyſos!

Denn es ſingen und ſagen ja die Theologen in Hymnen und Proſa, daß es der Eine ewige und unvergängliche Gott iſt, der durch ſeine eigne nothwendige Natur, durch die sinappEvn u] und den os, zwei Mo— mente, zwei Umwandlungen ſeiner ſelbſt an ſich hat und nur in dieſer Umwandlung aus der einen dieſer beiden Seiten in die andere Wirklichkeit hat. Die eine Seite iſt Gott als reine ideelle Einheitt). Die ne— gative gleichmäßige Aufhebung aller ſinnlichen Unterſchiede in das Feuer,

wir es hier noch nicht zu thun. Dahin zielende Bemerkungen ſind hier nur im Vorbeigehen gemacht, und das etwa ſcheinbar Widerſprechende kann erſt ſeines Ortes aufgeklärt werden.

1) Als ſolche erklärt Plutarch ſelbſt conſtant das Weſen des Gottes, und faſt immer, wo er das thut, heraklitiſirt er; cf. ib. c. 20., wo er ihn in der bekannten Weiſe als Verneinung der Vielheit etymologiſirt: „Denn Apollo heißt er inſofern er die Vielheit verleugnet und die Menge verneint 9e, Jetos aber als der Eine und Einzige (eis 2 . Das Eine aber iſt lauter und rein (eddezowis zal πνʒjmj i), denn durch die Vermiſchung des Einen mit dem Andern entſteht die Verunreinigung, wie ja auch Homer vom rothgefärbten Elfenbein den Ausdruck zeawverdae (verunreinigt werden) gebraucht, und die Färber das Miſchen der Farben gIstosoIar (Untergehen) und die Miſchung hh (Untergang) nennen. Daher kommt dies: Eins und immer un— gemiſcht zu ſein, dem Unſterblichen und Reinen zu“.

Daß Plutarch hier ſo wie in der weiter unten bezogenen Stelle des cap. 21 heraklitiſirt, iſt auch erſichtlich durch die Vergleichung mit Plut. Terrestr. an aquat. p. 913. W. (ſ. oben p. 140.)

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und Gott in dieſem Stadium, nennen ſie, der Menge verborgen, Apollo der hier alſo ausdrücklich ganz identiſch mit der heraklitiſchen 08 dvm, als bloße Perſonification der ſog. Errbpwors erſcheint. Das andere Sta— dium des ewigen Gottes aber iſt die Umwandlung dieſer ideellen Einheit in ihr Gegentheil, in die reelle ſinnliche Vielheit und Zerſtreutheit des wirk— lichen Daſeins und die in der Unterſcheidung und dem Außereinander beſtehende reale Weltbildung. Und Gott in dieſem Stadium nennen ſie Dionyſos und Zagreus ꝛc.; fo daß Dionyſos hier durchaus wie der hera— klitiſche Weg nach Unten definirt und beſchrieben wird und gleichfalls ſeine bloße Perſonification iſt, wie Apollo die des Weges nach Oben. Und von Gott in dieſem Stadium, von Dionyſos-Zagreus, räthſeln und fabeln ſie dann gewiſſe Zerreißungen und Zerſtückelungen und Verſchwindungen und Wiedergeburten ꝛc.

Und wer ſind die, von denen Plutarch ſagt, daß ſie ſo lehrten? Die Theologen, ſagt er, höre er in Hymnen und in Proſa (dvev nerpon), ſo ſagen und ſingen. Die Theologen, die in Gedichten ſo ſangen, das ſind nun ſelbſtredend die Orphiker, die ja gewöhnlich ſo als die alten Theo— logen oder die Theologen ſchlechtweg bezeichnet werden, und mit denen hier alſo auch Plutarch den Heraklit zuſammenſtellt und zuſammenſtellen konnte, da er immer mit dem früher auseinandergeſetzten geiſtigen Unterſchiede in mythiſches Material die Darſtellung ſeines ſpeculativen Begriffs eingetaucht und dieſem ſo den Anſchein einer ſpeculativen Theologie ge— geben hatte. Denn wer anders als Heraklit und ſeine Anhänger ſollten mit den in Proſa ſo lehrenden Theologen verſtanden ſein? Man hat bisher bei dieſer Stelle, da ſie auf andere ſchlechterdings nicht bezogen werden konnte, wegen der Lehre von der drazdopyors und der S“ und dieſe Ausdrücke gehören allerdings der ſtoiſchen Terminologie an immer an die Stoiker gedacht. Allein zuvörderſt müßte es gewiß un— gewöhnlich und auffällig erſcheinen, daß Plutarch mit den in „Proſa ſchrei— benden Theologen“ hätte ſollen die Stoiker als ſolche bezeichnen wollen. Und abgeſehen davon, daß ſich die Bezeichnung „Theologen in Proſa“ über— haupt nicht für ſie ſchickt, wäre doch Plutarch am wenigſten geneigt geweſen, dieſen bei ihm ſo ehrwürdigen Titel den ihm ſo verhaßten Stoikern zu geben. Wie! Dieſe Stoiker, die er überall ſo geringſchätzt, ſollten es ſein, die er im Verlauf der Stelle mit den „Weiſeren“ bezeichnet? Und ab— geſehen davon, ob wir überhaupt eine derartige wahrhaft ſpeculative Theologie bei den Stoikern finden, ſowie davon, daß unſeres Wiſſens ſonſt keine Spuren vorliegen, daß ſie ein ſolches Drei-Götterſyſtem von

*

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Zeus, Apollo und Dionyſos in dieſem Sinne gelehrt haben !), haben ja bekanntlich die Stoiker eben dieſe Lehre von der draxdopmars und Zxrb- pwors, wegen welcher man gerade die Stelle auf fie bezieht, ſowie ihre ganze ſpeculative Phyſiologie und, ihrer Grundlage nach, ihre Theo— logie nicht weniger nur von dem Epheſier entlehnt, eine Thatſache, die wir nicht erſt zu erweiſen haben, ſondern welche lange erwieſen und an— erkannt iſt und dies ſogar ſchon bei den Alten war?). Die Stoiker find überhaupt auf dieſem Gebiete, wenn ſie in irgend einem Punkte von He— raklit abweichen, nur inſoweit von ihm abgewichen, als ſie, beſonders die ſpäteren, ihn mißverſtanden haben. Es würde ſomit, wenn wirklich feſt— ſtünde, daß die Stoiker nach Heraklit jene, das Weſen des phyſiſchen und geiſtigen All conſtituirenden, Begriffe mit Apollo und Dionyſos bezeichnet haben, hieraus immer nur folgen, daß ſie, wie ſie die Lehre ſelbſt von der Exrnbowors und Örazöopyors, der ideellen Einheit und realen Vielheit, der 0s avm und xarw, bei Heraklit vorgefunden, jo auch die Bezeich— nung derſelben Principien und Gegenſätze durch Apollo und Dionyſos bei ihm vorgefunden und von ihm entlehnt haben, eine Annahme, die nicht einmal der Rückweiſung auf das heraklitiſche Fragment vom Dionyſos— Hades bedarf, um feſtzuſtehen, und die jedenfalls durch dieſes Fragment

1) Bei den Stoikern herrſcht vielmehr meiſtens allegoriſche Auslegung, d. h. es verflachen ſich ihnen alle einzelnen Götter aus ſpeculativen Gedanken— gegenſätzen, die ſie bei Heraklit waren, zu bloßen Verſtandesabſtractionen und zu einer Vielheit einzelner Naturkräfte; ef. Cie. de nat. Deor. I. 10—15. So iſt ihnen nach Plut. de Is. et Os. c. 40. Bacchus der erzeugende und nährende Hauch, Herkules die ſchlagende und zertheilende Kraft, Ammon die empfangende, Ceres und Proſerpina die durch die Erde und Früchte, Neptun die durch das Meer ſich hindurchziehende Kraft ꝛc. ef. Plut. de def. Orac. c. 19. und c. 29.

Dies iſt durchaus nicht mehr jene Auffaſſung der Götter, die in der im Texte behandelten Stelle des Plutarch vorliegt, auch nicht bei Bacchus, der oben einen der beiden ſpeculativen, das All umfaſſenden Gedankengegenſätze Heraklits darſtellt, hier aber zu einem beſondern Elemente, einer einzelnen abſtracten Natureigenſchaft, neben der Vielheit andrer, andern Göttern zugetheilten, Naturkräfte degradirt iſt. Durch die äußere Aehnlichkeit wird ſich Niemand täuſchen laſſen, der auf den Ge— danken ſieht.

2) Vgl. z. B. Alex. Aphrod. in Meteorol. 1. f. 90: „robrrat yap ennelors ro rotes Aαοeνẽꝭõ Exröpwor ylveodar zod Glou, ws Hoarksıros H rob abrob zal ol tus Exeivoun dE, ol d And Tas aroäs her abroy und Simplic. in Ar. de coelo f. 68. b. und in Phys. f. 257. b.; vgl. beſonders die bald anzuführenden Stellen des Philo und Plutarch ſelbſt u. a. mehr bei der Naturlehre, ſowie die im Verlauf an verſchiedenen Orten zu erbringenden Beweiſe.

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zur Gewißheit erhoben werden würde, da, wie Plutarch den Dionyſos nach jenen ungenannten Theologen als identiſch mit dem Wege nach Unten beſchreibt, Heraklit ſelbſt ihn dort als das Princip des Sterbens und als mit Hades identiſch, ſomit als die perſonificirte %% s xarw ausſpricht. Mit dieſer Bezeichnung auf Heraklit ſtimmt nun auch, daß Plutarch ſich, zumal im Anfang der Stelle, aber auch weiterhin faſt überall der con— creteften Ausdrücke Heraklits bedient und zwar jo ſehr, daß wir häufig noch jetzt erhaltene Fragmente Heraklits darin wieder— finden.

Eine fernere große Beſtätigung dieſer Beziehung auf Heraklit tritt aber nochmals recht deutlich gegen das Ende der Stelle hervor. Plutarch jagt hier, daß jene Theologen die Apollo-Periode oder Exrbpwors und die Periode des Dionyſos-Stadium oder der Weltbildung mit den Namen x6005 und Z70pooÖyn belegen. Allein daß dieſe gewiß höchſt alterthümlich klingenden Namen von den Stoikern für die Exnbowors und Öraxdounars gebraucht worden ſeien, wiſſen wir nur aus einer Stelle des Philo, in welcher dieſer jelbft Lehre wie Namen auf Herakleitos zurück— führt !): „„ ds yovoppums (sc. Aöyos) S xÖopou nayra zal Eis x00- , avyayav u Beob ν̃ i olönevos, "Hoazieırsiou s . Erakpos, x0p0v E 0moyooDvny, rat Ey To navy ] ndyra. ννðονανõ zlodywv“, „— jener gleichſam den Saamenfluß habende Yogos?), der Alles aus der Welt und in die Welt zurückführt, von Gott aber nichts entſtanden glaubt, (iſt) ein Gefährte der herakleitiſchen Anſicht, 2% und Zonapo- odyr und das All als Eins und Alles durch den Wandel einführend“.

Ja, in einer andern Stelle, deren Zuſammenhang uns für die Ent— ſcheidung der Frage, ob Heraklit denn wirklich eine reale Weltverbrennung angenommen habe, wichtig iſt, macht Philo ſogar ausdrücklich einen Unter— ſchied zwiſchen denen, welche jenen Gegenſatz der ideellen Einheit und ſinnlichen Allheit &%% und Zoyapochvn, und denen, welche ihn dead a- Pos und Exrbpwors genannt haben?): „die Vertheilung eines le— bendigen Weſens in Glieder macht klar, wie Alles Eins oder daß es (Alles) aus Einem und in Eins hineingenommen iſt (ws Ev ra navra , Orı EE Evöos Te xd eis Sy), was die Einen xöpos

1) Philo, Leg. Alleg. lib. III. p. 62. J. 1. p. 88 ed. Mangey.

2) Der Aöyos orepnarwös der Stoiker, der ihnen auch nur als dieſer ter- minologiſche Kunſtausdruck, dem Weſen nach aber Heraklit angehört.

3) Philo de anim. Sacrif. Idon. T. II. p. 243 ed. Mang.

—. .

und gonouocbyn nannten, die Andern aber Exzbpweors und geanu (rep 0! he x. ra Ap. snd eqαοαν, 0! d su. za! Gin. U).

Dieſe zweite Stelle des Philo, welche Schleiermacher und ſeine Nach— folger nicht benutzt haben, obgleich ſchon Mangey in ſeiner Ausgabe des Philo auf ſie verweiſt, muß aber auch dadurch, daß ſie diejenigen, welche die Terminologie K und onouoobyn gebrauchten, geradezu (und wohl auch offenbar als die früheren) unterſcheidet und entgegenſetzt denen, welche dieſelbe Sache mit den Ausdrücken Sn. und dear. benannten, und weil doch ferner dieſe letzteren Ausdrücke als Terminologie der Stoiker, zumal der ſpäteren feſtſtehen, zu zeigen ſcheinen, daß die Benennungen x0pos und Zpyop. gerade vorzugsweiſe Heraklit ſelbſt, ſeinen un— mittelbaren Anhängern und wohl auch den älteſten Stoikern, die ja in der Phyſik nur Heraklitiker waren, eigenthümlich waren, mit der Fort— entwicklung der Stoiker aber die ihrer abſtracteren Terminologie angemeſ— ſeneren Ausdrücke dax) und Exrrbpwors, Ariſtoteles folgend, ge—

1) Dieſe zweite Stelle und der in ihr gezogene höchſt treffliche Vergleich des Philo mit der Vertheilung des organiſchen Lebens in Glieder zeigt zur Evidenz, daß wenn die Stoiker % % und Zonanocdyn oder die reale Welteinrichtung und die &rröpwors als beſondere getrennte Zuſtände und Zeitperioden betrachteten, doch noch Philo genau wußte, wie ſie bei Heraklit nicht geſchiedene Zeitperioden, ſondern nur die gleichzeitigen und in ſteter Wechſelwirkung miteinander ſtehenden begrifflichen Momente (des Werdens) geweſen ſind. Denn die Vertheilung des Lebendigen in beſtimmte Glieder und Organe und wiederum die Zuſammen— faſſung des Lebensproceſſes in die Einheit dieſer Gliederungen und Unterſchiede in das ideelle Eins des organiſchen Lebens iſt ja auch nicht in der Zeit getrennt vorhanden, ſondern ſie ſind nur ſich wechſelſeitig erzeugende, bedingende und entgegen— geſetzte Momente des Lebensproceſſes, und dieſe Momente, ſagt Philo, hätten die Einen xöpos und zyn ou. , die Andern geaxd on. und Exr. genannt. Nach Philo alſo hat Heraklit keine reale Weltverbrennung gekannt. Nach Philo waren ihm %o und zonohocuun nur die entgegengeſetzten Momente des als Proceſſes begriffenen Werdens; beide, wie alle heraklitiſchen Gegenſätze, miteinander an ſich identiſch und beſtändig ineinander umſchlagend; nämlich: das Moment der ideellen Ein— heit, die negative Bewegung und Wandlung, in welcher die einzelnen Unter— ſchiede aufgehoben ſind, wie in der Idee der Lebenseinheit die beſondern Glieder und Organe, und das Moment der realen einzelnen Unterſchiede, durch deren beſonderes Daſein erſt jene Einheit wirklich iſt, wie nur durch ſeine Auseinanderlegung in die Vielheit unterſchiedener Organe und Functionen das, dieſe Unterſchiede aus ihrer Iſolirung immer wieder in die ideelle Einheit ſeines Proceſſes aufhebende, Leben ſich Exiſtenz und Wirklichkeit giebt. Beides ſo— mit ſtets ineinander umſchlagende Momente und nichts Anderes, als die mit ſich identiſchen Gegenſätze des Weges nach Oben und Unten; ihre Ein— heit das als Proceß begriffene Werden.

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wählt und jenen ſubſtituirt wurden. Es hat demnach Plutarch in der obigen Stelle und bei Anführung der Namen xöpos und Zpyanoabvn für das Dionyſos- und Apolloſtadium wieder nicht ſowohl die Stoiker als ſolche, ſondern Heraklit ſelbſt und feine Anhänger, und die Stoiker nur qua Heraklitiker, im Auge.

Daß h und zonepoasyn echt heraklitiſche Namen find, das konnte freilich ſchon wegen ihres dunklen und alterthümlichen Tones und ebenſo wegen der erſteren philoniſchen Stelle nicht zweifelhaft ſein, und iſt daher auf Grund derſelben ſowohl von Schleiermacher als Ritter und Brandis anerkannt worden. Allein dann hätte man aber auch ſehen ſollen, daß die, von denen Plutarch ſagt, ſie nennen dieſe Perioden ſo % xöpov xa- zodo:v), nach Plutarch ſelbſt nur dieſelben Proſa-Theologen ſind, von denen er im Anfang des Capitels ſagt, daß ſie Apollo und Dio— nyſos als die zwei entgegengeſetzten Seiten und Umwandlungen des einen ewigen Gottes betrachten ꝛc., kurz, daß, wie am Ende, ſo auch am An— fang der Stelle nur heraklitiſche ſpeculative Theologie oder!) ſpeculative Phyſik (was identiſch) eitirt ift?). Eine andere Frage wäre,

1) Die Theologie iſt darum bei den Stoikern nur ein Theil der Phyſik. Die Stoiker, jagt Plutarch (de Repugn. Stoic. T. XIII. p. 343.), haben drei Disci- plinen, zuerſt die Logik, zweitens die Ethik, drittens die Phyſik und den Schluß der Phyſik bildet die Lehre von den Göttern (o d νννs½ Zayarov s 6 re e Aoyos) ef. Baguet de Vit. et Ser. Chrysipp. T. IV. (Annales Acad. Lov. p. 55.).

2) Eine Frage für ſich iſt, welcher von den beiden Namen 6% und zonohi. der Erröpwors und welcher der drazsaumors, welcher dem Apollo und welcher dem Dio— nyſos entſpricht. Xxylander hat bereits bemerkt, daß in dem Ende der Stelle des Plutarch ein Fehler ſtecken müſſe; es müſſe nämlich dem Vorhergehenden zufolge umgekehrt, da ja der Päan während neun, der Dithyrambus während drei Monaten angeſtimmt werde, die Exröpwars (das Apolloſtadium) ſich wie drei zu eins zur Weltbildung (dem Dionyſosſtadium) verhalten. Iſt dies richtig, wie es freilich gar ſehr ſcheint, ſo iſt der xöpos, wovon ja Plutarch ausdrücklich ſagt, daß es die der Zeit nach größere Umwandlung ſei, dem Apollo entſprechend, und die zonanoadyn vielmehr das Sta— dium des Dionyſos. Bisher hat man die Sache umgekehrt gefaßt. Man hat die zpnszood,n mit Sehnſucht zur Weltbildung überſetzt und fie als der ns- pwars entſprechend aufgefaßt, (ſomit alſo als Apolloſtadium) und die Sättigung, den x6p05, für die deaxsapmors, die reale Weltbildung, genommen. Dies wäre auch vom Standpunkt Heraklits nicht gerade unmöglich. Aber ohne die Sache entſcheiden zu wollen, ſcheint mir noch mehr für die durch kylanders Vermuthung bedingte umgekehrte Auffaſſung zu ſprechen. Die yonanoadvn als eine Sehnſucht des in dem realen Außereinander der ſinnlichen Natur außerſichgerathenen Göttlichen zur Rückkehr in ſeine ideelle Einheit alſo als das Moment oder die Periode der rea— len Weltgliederung (deaxoaounars) aufzufaſſen, würde offenbar einen ganz vorzüglich

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ob Plutarch nicht im Schluß der Stelle Heraklit inſofern Unrecht thut, als er daſelbſt von einer der Zeit nach von der dean unter- ſchiedenen Exrbpwors d. h. von einer realen Weltverbrennung zu ſprechen ſcheint, eine Anſicht, die, wie wir ſehen werden, Heraklit fremd iſt und bei den Stoikern nur durch Mißverſtehung ſeiner entſtanden zu ſein ſcheint. Wir werden hierüber bei der Naturlehre handeln.

Daſelbſt 26.) wird ſich zuerſt herausſtellen können, wie Plutarch dem Heraklit gar kein Unrecht thut, weil nämlich auch in dem, was er ſagt, fo ſehr es ſcheinen muß, dennoch gar keine reale Weltvertil- gung enthalten iſt. Aber da wir dies hier, weil hierzu noch erſt mannig— fache Reſultate gewonnen werden müſſen, noch nicht klar machen können, ſo wollen wir uns auch noch nicht darauf berufen, und haben dies auch für unſern gegenwärtigen Zweck gar nicht nöthig. Denn keinesfalls würde die directe Beziehung der plutarchiſchen Stelle auf Heraklit dadurch irgendwie beeinträchtigt. Plutarch geht von einem heraklitiſchen Fragment aus, welches von dem Gegenſatz der ideellen Einheit und ſinnlichen Allheit handelt; er zeigt wie es nur derſelbe Gegenſatz ſei, den die Orphiker und gewiſſe in Proſa ſchreibende Theologen als das Weſen des Apollo und Dionyſos, dieſer einſeitigen Daſeinsformen des ewigen Gottes geräthſelt

guten und bereits oft urkundlich nachgewieſenen heraklitiſchen Sinn gewähren. Dann wäre x6p05, die Sättigung oder Erfüllung, als die Vollendung dieſes Einigungstriebes gedacht, und ſomit dem Moment der Exröpwars oder dem Apollo ſtadium entſprechend. (In einer etymologiſirenden Stelle des platoniſchen Cratylos, die man überhaupt hier vergleichen muß, hat xöp05 noch den Begriff der Rein- heit. Cratyl. p. 396 F: Toöroy (nämlich Zeus) e AMανννν viöy νννẽ˖àÿ(Y fe- r . O2, neydins Twös dtavotas Soros elvar roi A xöpov Yap ampalver, ob ralda, d, To xa- Nam abrod zal Axnparoyrobvod. Man vgl. die von Stallbaum hierzu eitirten Orte, beſonders Proclus in Cratyl. ed. Boiss. c. 103. 105. 115. 144. 147. und Cicero de nat. Deor. II, 24. p. 304 mit Creuzers Anmerkungen. Aber was auch Stallbaum 1.1. mit Recht gegen Proclus ſagen mag, eine, wenn auch verändernde Beziehung und Anſpielung auf ein hiſtoriſches Philoſophem, iſt in jenen Worten Platos jedenfalls zu ſuchen). Hierzu vergleiche man eine mir auffällige Stelle des J. Philoponus c. Proclum de mundi aeternitate, ed. Venet. f. 1535. XIII, 15.: zal 2 rois Si e nalw Ö MMwrivos edit en, ws odre Ällore ohr, n rupos zal rwy Joirwv ororyelwv a obpdya oupara‘ olre Yiy Axobovrag & Sreivors elvar mpös To yelpov Tas Aropspeodar 4 pAöya oe Exeivo To ron: Ce o rap elvar rohre xara Aptororeinv ynatv 6 Iliwrivos zat otoyei röp dıa xöpov bApifov zal obyi ro arorysimdes re rat Swrıxöy rdp, wo alſo noch dabei auf das bekannte alte Sprüchwort xöpos rörrer Bfpew angeſpielt iſt, aber doch auch ein wahrſcheinlich alter Gebrauch dieſer Verbindung von xöpos

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haben; er entfernt ſich keinen Augenblick von dem wirklich Heraklitiſchen, von den Stoikern nur entlehnten Gedanken. Er bewegt ſich ſogar vor— zugsweiſe in heraklitiſchen Ausdrücken und läßt ganze Sätze des Epheſiers durch ſeine Darſtellung hindurchklingen. Aber er wirft auch rückſichtslos heraklitiſche und ſtoiſche Terminologie durcheinander, weil es ihm hier nicht auf ihren Unterſchied, ſondern eben nur auf das Weſen des Apollo und Dionyſos ankommt. Und wenn er nun ſelbſt hierbei ſtoiſche aus Miß— verſtändniß Heraklits entſtandene Vorſtellungen einer realen Sa. pwors mit der heraklitiſchen nous, durcheinander würfe !), jo könnte er dies hier ſelbſt dann thun, wenn er ſogar das klarſte Bewußtſein über dies Mißverſtändniß hatte, weil es ihm hier eben nur um dieſen Gedanken— gegenſatz zwiſchen Apollo und Dionyſos als der ideellen Einheit und ſinn— lichen Allheit zu thun iſt, und von dieſem heraklitiſchen Gedankengegenſatz ſelbſt noch jenes ſtoiſche Mißverſtändniß einer nach Zeitperioden abwech— ſelnden Weltbildung und realen Weltverbrennung getragen bleibt. Wenn es nach alledem noch irgend eines ferneren Beweiſes bedürfte, daß Plutarch mit jenen in Poeſie und Proſa ſagenden und ſingenden Theo— logen nur die Qrphiker und Herakleitos meint, die Stoiker ſelbſt aber hierin höchſtens nur als Heraklitiker betrachtet, jo liegt dieſer Beweis gewiß bis zur Evidenz in einer andern Stelle deſſelben Plutarch vor, wo er ſagt ?): obo zade' (Si; nollav za bp@ νν Irwirny Exrbpwow, O

und 9% zur Bezeichnung des höchſten Grades des reinen ſich vollenden— den Feuers erhellen dürfte.

Man vgl. endlich die ſpäteren Hindeutungen auf den uralten Koroskultus, einen Sonnendienſt, in welchem auch gerade Dionyſos ſelbſt zur Sonne um— gedacht wird).

1) Wir bemerken der Deutlichkeit wegen: Plutarch wirft in der That gar nichts derartiges durcheinander. Seine Stelle beſagt weder für Heraklit noch für die Stoiker eine reale Errdowars. Wir geben das oben geſagte nur einſt— weilen der bisher beſtehenden Anſicht nach, die bei den Stoikern allgemein und ohne Widerſpruch eine reale Weltvernichtung durch Feuer annimmt. Daß es ſich aber auch bei den Stoikern anders verhält, werden wir ſpäter ſehen.

2) De defect. Orac. p. 415. p. 301. Wytt. p. 316. Hutt.

) Jetzt beftätigen unſere obige Vermuthung noch, daß e das Feuerſtadium und zonenoodvn das des Dionyſos bedeute, die Worte des Pseudo-Origenes IX, 10. p. 283. Agyeı d2 (Heraklit) xu gpövenov Todro elvar To za v νẽ·ñt sue D .. ÖE Lariv „% dtaxdeumeors zar abrov, I O8 Errdowars 6005. Freilich entſcheidet dies gerade noch nicht, da ja eine Verwechslung der Bedeutung dieſer Beſtimmung bei Pseudo-Origenes ſehr leicht möglich wäre.

I

ra ‘Hpaxiel/rou za! OpyEws Enıvsvonevnv Enn, odrw R Tu orddou ra ouvefaruraoav“* „— ich ſehe die ſtoiſche Ekpyroſis ab— weidend, wie des Heraklits und Orpheus Worte, ſo auch die des Heſiods und fie verwirrend“).

Alſo ausdrücklich und namentlich attribuirt Plutarch, was er oben als die Lehre der poetiſchen und proſaiſchen Theologen angeführt hat, hier dem Heraklit und Orpheus, ſtellt beide hierin unmittelbar zuſammen und qualificirt die Exrbowors der ihm bekanntlich überhaupt verhaßten Stoiker nur als eine geiſtloſe Entlehnung, ja ſelbſt mißverſtehende Ent— ſtellung heraklitiſcher und orphiſcher Lehre.

Es iſt nunmehr alſo erwieſen, daß Plutarch in der obigen Stelle mit den poetiſchen und in Proſa redenden Theologen nur die Orphiker und Herakleitos im Auge gehabt hat, und dieſe ſeine Bezeichnung Heraklits als eines in Proſa redenden Theologen, die für die Stoiker ſo unpaſſend und bei Plutarch nicht denkbar geweſen wäre, kann nicht mehr wundern, wenn wir ihn ſelbſt ſoeben Heraklit und Orpheus namentlich und unmittelbar in Bezug auf dieſe Lehre identificiren ſahen. Dieſe Bezeichnung Heraklits kann aber auch im Allgemeinen weder wundern noch unpaſſend erſcheinen, wenn wir uns erinnern, daß der theologiſirende Inhalt ſeiner Schrift ſo bedeutend geweſen ſein muß, daß daraus die falſche Nachricht von einem beſondern theologiſchen Abſchnitt ſeines Werkes entſtehen konnte?); wenn wir uns ferner der bedeutungsvollen Verſicherung des ſ. g. Herakleides erinnern, daß Herakleitos „das Phyſiſche theologiſire“ )), wenn wir berückſichtigen, daß noch Macrobius Herakleitos zu denen rechnet, welche in ganz con— creter Weiſe über die Götter gefabelt hätten, Geſtalten und Bilder denen geliehen, denen alle ſolche Formen fremd find, und Altersſtufen (aetates) denen, die keine Art von Wachsthum haben und verſchiedene Hüllen und Gewänder denen, die des Körpers entbehren ).

1) So überſetzt Kaltwaſſer das οσe og.

2) Diog. L. IX, 5. denpnrar ds (sc. ſein Werk) eis zoeis Aöyovs. sis Te roy reh Tod mavrög r moltrıxov zat Beokoytixöv.

3) Heracl. Alleg. Hom. p. 412. ed. Gal. p. 84. Schow. ö yoöy axorswög Hodxqecros dog rat da ovpföiav eizdgealar Öuvaneva, Weoloyei ra gpuarza . Ghov de r Reh rig ybasws aluynaradss Akimyopek.

4) Macrobius, Somn. Scip. I. c. 2. p. 11 ed. Bip. adeo semper ita se sciri et coli numina malluerant qualiter in vulgus antiquitas fabulata est; quae et imagines et simulacra formarum talium prorsus alienis et aetates tam inerementi quam diminutionis ignaris et amictus ornatusque varios corpus non habentibus assignavit. Secundum haec Pythagoras ipse atque Empedocles, Parmenides quoque et Heraclitus de Düs fabulati sunt.

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Ja, dieſe Nachrichten, daß ſein Werk ſo reich an theologiſchem Inhalt geweſen, daß er überhaupt das phyſiſche theologiſire, wie ſich Herakleides glücklich ausdrückt, ſind erſt jetzt verſtändlich geworden und gerecht— fertigt. Bis jetzt mußten, wie man zugeben wird, dieſe Aeußerungen in einem auffallenden Contraſte mit dem zu ſtehen ſcheinen, was uns von Heraklit erhalten war. Denn eine rein phyſiſche Sprache und ausſchließliche Beſchäftigung mit philoſophiſch-phyſiſchen Begriffen ſchienen die bei weitem meiſten Fragmente zu athmen, und wo, wie allerdings bei einigen der Fall, eine dunkle und ſeltſame Anwendung von Götter und Götternamen plötzlich ſich darbot, da ſchien dies ſtets ſo abgeriſſen und verbindungslos unter— einander dazuſtehen, daß dies faſt nothwendig auf die von Schleiermacher bei Gelegenheit des Fragmentes über den Namen des Zeus ausgeſprochene Anſicht führen mußte (p. 335): „Heraklit habe ſich ſolche Sprüche für die— jenigen Stellen ſeines Werkes aufgeſpart, wo er mit ſeiner Weisheit an die Grenzen des didactiſch auszuſprechenden gekommen war, um ſtatt der eigentlichen Mythen, die ihm abgingen, mit ſolchen geheimnißvollen Sprüchen wie mit goldenen Nägeln ſeine Philoſophie am Himmel zu be— feſtigen“. Noch deutlicher und allgemeiner ſpricht ſich Schleiermacher p. 351 darüber aus mit den Worten: „Hierzu kommt noch, daß unter allen auf— behaltenen Trümmern ſich auch keine Spur von ausgebildeter Theo— logie zeigt, ſondern nur wenige Andeutungen von der allgemeinſten Art. Und ſollte dieſer ganze Theil jo ganz untergegangen jein “?

Dieſe Aeußerungen Schleiermacher's ſind auch noch für ſeine Nach— folger maaßgebend und durch keine von denſelben gewonnenen Reſultate entkräftet. Aus demſelben Grunde mußte bisher auch die von Clemens Alex. und Plutarch behauptete Verwandtſchaft Heraklits mit Orpheus den beſonnenſten Kritikern als willkührliche und träumeriſche Conjectur er— ſcheinen, die Andeutungen Platos !) in demſelben Sinne aber unbemerkt bleiben oder falſch aufgefaßt werden. Jetzt aber iſt durch die obige Stelle des Plutarch und das war auch der Grund, weshalb wir mit einer ſo breiten und vielleicht überflüſſigen Ausführlichkeit ihre Beziehung auf den Epheſier nachwieſen jetzt, ſagen wir, iſt durch dieſe Stelle des Plutarch, wenn man ſie auch einſtweilen nur mit dem heraklitiſchen Frag— ment von der Identität des Dionyſos und Hades und demjenigen von dem Einen Weiſen, dem Namen des Zeus, zuſammenhält, ein ausgebildetes und concretes Syſtem ſpeculativer Theologie als Inhalt des heraklitiſchen Werkes nachgewieſen, ein Syſtem das ſich uns im Verlauf

1) Siehe oben p. 13 u. 14.

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noch weit conecreter entwickeln wird; eine Theologie, die ſchon deshalb um ſo durchgeführter und ſyſtematiſcher bei ihm ſein konnte, als ſie über— haupt keinen von ſeiner ſpeculativen Logik-Phyſikh verſchiedenen Gedankeninhalt hatte und nichts von ihr Getrenntes war, ſondern ganz identiſch und eins mit dieſer ſeiner ſpeculativen und in ihrer innerſten Be— deutung „objective Logik“ zu nennenden Phyſik, nur dieſes phyſiſche Syſtem ſelbſt, oder die Idee des Werdens, in der ſymboliſchen Hülle der religiöſen Vorſtellungen, in dem Material ihrer Götternamen oder wie Herakleides ſagt„theologiſirend“ darſtellte, ein Ausdruck, deſſen ganze Tiefe und zutreffende Richtigkeit jetzt wohl am Tage liegt. Jetzt wiſſen wir, daß ihm Apollo und Dionyſos identiſch mit den beiden Gegenſätzen waren, die ihm allein das Weltall und die Idee des Werdens conſtituirten, Apollo die Perſonification der %s d, Dionyſos die Perſonification der Cg xdr.

Und wie die Jas avo und zarw nur die als getrennt und in ab— ſoluter Gegenſätzlichkeit gedachten, an ſich aber identiſchen Momente der Idee des Werdens ſind, die aber um dieſer inneren Identität willen be— ſtändig in einander umſchlagen und ſich ein Jedes zum Andern machen, ebenſo ſind auch Apollo und Dionyſos nur die beſtändig in einander um— ſchlagenden Momente und Wandlungen des ewigen und unvergänglichen, ſie beide in ſich einenden Gottes. Das Leben dieſes höchſten Gottes be— ſteht nur in der ununterbrochenen Umwandlung, neraßorn, ſich aus ſeiner Form als Apollo in ſeine Form als Dionyſos überzuſetzen und hieraus wieder in ſeine Idealität als Apollo beſtändig zurückzunehmen. Wie das

1) Logik-Phyſik nennen wir die herallitiſche Philoſophie. Sie iſt uns weſentlich die Stufe, wo Beides ungetrennt identiſch iſt. Bei ihm iſt, wie wir oben (p. 86) ſagten, „das Logiſche unter dem Kryſtall des Natürlichen vorhanden“ oder, weil ſeine Logik wahrhaft ſpeculativ iſt, weil fie die begriffene Idee des Werdens, die procejfirende Identität des Gegenſatzes iſt, jo iſt fie um dieſer ihrer objectiven Wahrheit willen zugleich auch Grundlage alles Phyſiſchen und dieſes ſelbſt nur ihre Realiſation. Dieſe Phyſik iſt ſomit an ſich nur Ideen lehre oder objective jpeculative Logik. Daß Logik und Phyſik noch ungeſchieden Eins in dem heraklitiſchen Gedanken ſind, bezeichnet ſowohl ſeine Höhe als auch ſeine Tiefe. Seine Tiefe deshalb, weil dieſe Identität nur deshalb bei ihm ſtattfinden kann, weil es bei ihm noch zu keiner Unterſcheidung der objectiven logiſch-phy— ſiſchen Idee einerſeits, und des Fürſichſeins des Gedankens im Selbſtbewußt— ſein, des ſubjectiven Geiſtes und Denkens andererſeits gekommen iſt. Wir haben uns über Alles dies ſo oft verbreitet, im zweiten, dritten und vierten Ca— pitel und in dem Anfange der Darſtellung der Fragmente, daß es überflüſſig wäre, hier genauer darauf zurückzukommen.

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Werden nur wirklich war in dem beſtändigen Umſchlagen des Sein in das Nichtſein und dieſes in das Sein, der 5% dvo in die Id. ædννπν, fo iſt auch dieſer höchſte Gott nie als ſolcher vorhanden, ſondern ſeine Wirk— lichkeit, ſein Daſein hat er nur in dieſem ununterbrochenen Umſchlagen ſeiner als Apollo in ſich als Dionyſos. Jetzt wiſſen wir auch von hier aus und man ſehe, wie eng alles dieſes zuſammenſtimmt warum Heraklit (ſiehe oben p. 172) Zeus und den Krieg auch als identiſch erklärt hat. Zeus iſt ja nur dieſe beſtändige Entzweiung und Di— remtion ſeiner ſelbſt, ſich aus ſeinem Moment als Apollo in ſein Mo— ment als Dionyſos umzuſetzen und umgekehrt. Jetzt wiſſen wir auch den letzten Grund, weshalb ihm in jenem Fragmente Dionyſos identiſch mit Hades iſt, weshalb er Dionyſos und die feuchte Natur, ſein Reich, haßt und perhorrescirt, und daß nur negative Polemik, nicht irgend welche Ver— ehrung in jenem Fragment zu ſuchen iſt, weil ihm nämlich Dionyſos als ſolcher die neraßoAy (und alſo der Tod) des Apollo iſt. Was wir bei Erläuterung jenes Fragments aprioriſch vorauszuſetzen ſchienen, daß ihm Dionyſos das finnliche außereinanderſeiende Daſein bedeute, und Apollo ihm der ſtricte Gegenſatz zu Dionyſos ſei, die Seite der dem ſinnlichen Außer— einander negativen ideellen Einheit, das haben wir jetzt poſitiv verbürgt geſehen. Und wie wir früher hörten, daß die Wege nach Oben und Unten, trotz des abſoluten Gegenſatzes beider identiſch ſeien (Ie dvm xarw 77), jo ſehen wir daſſelbe jetzt auch an Apollo und Dionyſos, die gleich— falls nur an ſich identiſche in einander umſchlagende Gegenſätze ſind, die ihre innere Identität in Zeus reſp. dem ewigen Gotte haben, der ihre Einheit iſt, und deſſen ſich nothwendig bedingende Momente und Daſein beide bilden, und die ihre Identität ebenſo daran haben, aus ſich ſelbſt in ihr Gegentheil überzugehen und ſich zu demſelben zu machen. Zeus aber, dieſer höchſte Gott, iſt dieſe abſolute Idee des Werdens als der proceſſirenden Identität der Gegenſätze des Seins und Nichtſeins, gegen welche Apollo und Dionyſos, die dos vw und xarw, nur einſeitige Momente ſind. Das Abſolute und wirklich Wahre iſt nur die im beſtändigen Uebergang beider ſtreitenden Momente in einander beſtehende Identität beider. Jetzt wiſſen wir auch die ganze Conſequenz zu würdigen, mit der Heraklit in jenem Fragmente, auf das wir uns ſo oft zurückbeziehen, weil es in der That den Schlüſſel ſeiner Lehre bildet, den Namen des Zeus das Eine Weiſe (Ev ro oogoy) nennt, der allein ausgeſprochen werden will und nicht. Das Eine Weiſe iſt er, denn alles andere außer ihm, dieſer den abſoluten Gegenſatz in ſich ſelbſt faſſenden abſoluten Idee des Werdens, iſt ſchon Zweiheit, iſt ſchon ein bloßes Moment, wie ſelbſt

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Apollo und Dionyſos, die eben darum jeder für ſich ſchon einſeitige und beſchränkte ſind. Apollo iſt an ſich Zeus, wie ebenſo Dionyſos; und wie alſo Zeus oder das abſolute Werden allein dasjenige iſt, das iſt und gar kein Nichtſein hat, ſo will er auch allein genannt und ausgeſprochen werden; allein dies iſt ebenſo unmöglich, denn jedes Daſein des Zeus, jede Wirklichkeit und Verwirklichung deſſelben, iſt immer nur in den einſeitigen Momenten als Apollo oder Dionyſos vorhanden. Sein reines Weſen des ewigen abſoluten Uebergangs wird ſchon durch die abgeſchloſſene Beſtimmtheit der Sprache und des Namens in Ruhe gebracht und ſo zu einem ſeiner einſeitigen Momente herabgeſetzt.

Wir nennen dieſe Theologie ſpeculativ und ſyſtematiſch, weil ſie, im Unterſchiede von der abſtracten Einen Gottheit des Kenophanes, Raum hat ſowohl für die Identität als den Unterſchied der Götter, für Zeus wie Apollo und Dionyſos und Hades und Hephaeſtos ꝛc., und dieſe Unter— ſchiede mit dem Gedanken durchdringt. Daß aber eben damit dieſe Götter zu reinen Gedankenunterſchieden, zu reinen Begriffen aufgelöſt werden, und von eigentlicher Theologie hier nichts mehr vorhanden iſt, als die ſinnlich-religiböſe Form, und warum der Begriff hier noch in dieſem ſinnlichen Material auftritt, hierüber haben wir uns, es näher begrün— dend, an vielen Stellen nun ſchon genugſam verbreitet.

Und nun wiſſen wir auch, was Wahres iſt an der gar nicht ſo un— ſinnigen und auch durch die oben bezogenen Worte des Arnobius er— heblich unterſtützten Stelle des Clemens !), wo er von den nächtlichen My— ſterien ſpricht und fortfährt: „mpos 62 zal av dAlwv M Tevas never releurnoavras doca old: Einovrar, rot- d nayrederar oder 6 Egpeoros, Nuxrendkors, Mayors, Baryoıs, Audis, Moorars robroes dme Ta era Öavarov, Tobrors pavrederar TO νι , und auch allen denen von den Hellenen, welche, wenn fie gejtorben find, er— wartet, was fie nicht hoffen, dieſen weiſſagt Herakleitos der Epheſier, den Nachtſchwärmern, Magern, Bakchen, Bakchantinnen, Myſten, dieſen droht er das nach dem Tode an, dieſen verkündet er das Feuer“.

Es iſt möglich, daß ſich Clemens in dem zweiten Theil dieſer Stelle auf das obige Bruchſtück vom Hades-Dionyſos bezieht, möglich auch und wie auch die obige Stelle des Arnobius beſtätigt, wahrſcheinlicher, daß er noch andere und ſpeciellere Stellen Heraklits in Gedanken hat, in denen dieſer den Dionyſiſchen Dienſt noch weiter anfeindete. Jedenfalls aber iſt das: „Er weiſſagt ihnen das Feuer“ richtig. Zwar nicht das Fegefeuer

1) Cohort. ad. Gent. II. p. 6. Sylb. p. 18. Pott. I. 16

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droht er ihnen an, wie Clemens am liebſten möchte, wohl aber ſeine richtig verſtandene Errbpwors droht er ihnen an, die Aufhebung aus dem ſinn— lichen in die Einzelheit und Beſtimmtheit und ihre Luſt verſenkten Daſein in die Negativität des Werdens und feine ideelle Einheit. Der qs RA droht er die %% d, dem Dionyſos den Apollo an! Nur dies iſt auch das Wahre an den Worten des Clemens in einer andern Stelle, wo er nach Anführung eines verwandten heraklitiſchen Fragments, wiederum mit Begehung jenes dem Kirchenvater leicht zu verzeihenden Mißverſtändniſſes von Heraklit ſagt!): „es weiß auch dieſer, es gelernt habend aus der Weis— heit der Barbaren, von der Reinigung derer, die ein ſchlechtes Leben ge— führt haben, durch Feuer, welche die Stoiker ſpäterhin errdowors nannten [oidsev , zul obros S v Ha νον Yehooopias nadavy nv de n- pos xadapow yy ars Beßuwzörwv, Y Dorspov Ernbowor u 0: &rwixof]?), wo alſo auch Clemens im Vorbeigehen conſtatirt, daß nicht Heraklit, ſondern erſt die Stoiker dieſen Namen für jene ihm entlehnte Sache gebraucht haben und zugleich, indem er jenes Reinigungsfeuer auf dieſe &xrbpwors zurückführt, ſeine Leſer am beſten gegen das Mißverſtändniß bewahrt, in das er ſelbſt verfiel.

1) Strom. V. c. 1. p. 235. Sylb. p. 649. Pott.

2) Das s s Aappfdpov grlooopias pad, bezieht hier übrigens Potter mit Unrecht auf Moſen und die Propheten. Clemens meint vielmehr zunächſt die ägyptiſche Weisheit damit; ſiehe Clem. Strom. I. c. 16. p. 132. Sylb. p. 361. Pott. und bejonders ib. VI. c. 4. p. 268. Sylb. p. 756. Pott. u. an and. O.

§ II. Theologie. Fortſetzung.

Wir haben in der obigen Stelle des Plutarch geſehen, wie es der Eine, ewige Gott iſt, der vorhanden iſt in zwei Umwendungen ſeiner, in ſeiner Metabole als Apollo und in feiner Metabole als Dionyſos, der unvergängliche Gott, welcher die nur in dieſem beſtändigen Umſchlagen beider Seiten ineinander ſich darſtellende Einheit beider iſt. Das Leben des Zeus, denn ſo müßte er, wenn auch keine poſitiven Angaben hierüber vorhanden wären, dieſen höchſten Gott doch wohl genannt haben beſteht nur darin, daß er ſich in das Princip des realen unterſchiedenen Seins, in ſeine Form als Dionyſos, ausbreitet und hieraus ſich ununterbrochen immer wieder in die Idealität dieſer ſinnlichen Unterſchiede, in die negative Einheit, in ſeine Form als Apollo zurücknimmt. Allein wenn die Wandlung als Apollo als reiner Gegenſatz der Tod und Untergang iſt für Dionyſos, und die Wandlung in Dionyſos wieder der Tod des Princips apolliniſcher Einheit, und dieſe Momente, als iſolirte, gegenſeitig in einander untergehen, ſo ſind dieſe Wandlungen und dieſes Umſchlagen für das in beiden Phaſen gleichmäßig vorhandene und erhaltene Abſolute, für Zeus ſelbſt, nur ein untergangsloſes und des Ernſtes des Gegenſatzes beraubtes Spielen ſeiner mit ſich ſelbſt.

Und durch dies göttliche Spiel gerade, das Zeus mit ſich ſelbſt ſpielt, kommt der Unterſchied zum realen Daſein, kommt ſomit die reale Welt— bildung zu Stande, da ſonſt Alles in die reine Idee des Werdens, in die gedachte Einheit des Zeus, in die unſichtbare Harmonie, eingeſchloſſen bleiben und nichts Wirkliches fein würde!). Durch dieſes Spiel gerade, das Zeus mit ſich ſelbſt ſpielt, in für ihn gegenſatzloſe Gegenſätze ſich um— wendend, iſt Zeus Weltbildner und Demiurg, und vollbringt ſich die wirk— liche Welt. Dies alſo hat Heraklit gemeint, wenn er, wie Proklos be—

1) Siehe oben p. 95 sqq. 119 sqq. ete. 16 *

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*

zeugt ): „AAAor e Y Önpeoupyov Ev Ta xoop.oupyeiv te elpyxant, xadanso "Upaxrerros“. gejagt hat: „Der Demiurg ſpiele in dem Weltbilden“.

Und daß Zeus der Demiurg iſt, der dieſes Spiel mit ſich ſpielt, wiſſen wir durch den hierbei Heraklit zwar ſchmählich mißverſtehenden oder vielmehr verdrehen wollenden Clemens ?): „za: adry 7 dein H ji ui. Tor- abryv wa naldeıv nardıav rov Eavrod JAla lodge Agrar. „Und dies iſt das göttliche Spiel. Irgend ein ſolches Spiel jagt auch Heraklit, daß ſein Zeus ſpiele“. Es iſt mit dem endlichen Beſtehen nicht Ernſt, da es in ſich ſelbſt die Negativität trägt, die es aufhebt; es iſt dem Zeus nicht Ernſt mit ſeinem Umſchlagen zu Dionyſos, mit ſeiner Wandlung als Weltbildung, weil er ſich aus dieſem feinem Hineingerathen in das Princip und die Sphäre der Allheit, der Vielheit von beſtimmten auf ſich beruhenden Unterſchieden, immer wieder in ſeine reine Harmonie als Apollo zurücknimmt. Und dies Zurücknehmen iſt für ihn ohne Tod). Darum iſt er ein ſpielender Knabe; ſein Spiel: der Wechſel der Wege nach Oben und Unten. In dieſem Zuſammenhange läßt auch Lucian den Heraklit ſagen !): „*, S ονντι radroö dvw xdrw te ονEẽpeοα zalaneıBönevaevry rod Alwvos racdıy“, „und daſſelbe iſt —— das nach Oben und Unten Tanzende und das Wechſelnde in dem Spiele des Aeon“, eine Zuſammenſtellung, durch welche ſich ſchon Lucians Bewußtſein ſowohl über die wahre Bedeutung der Identität der Wege nach Oben und Unten, als auch über den wahren von uns nachgewieſenen Sinn des göttlichen Spieles und der Identität deſſelben mit jenem Wechſelwege unverkennbar ausſpricht. Darauf läßt Lucian den Herakleitos weiter fragen: „Ir yap Ai Scree; „Was iſt denn der Aeon?“ und Herakleitos ant— wortet: „rars znalfwv, neoosbwv, Ötapspönevos“. „Ein Kind ſpielend, würfelnd, ſich von ſich unterſcheidend (oder ſich aus— einanderlaſſend)“.

1) Proel. in Tim. p. 101.

2) Paedag. I. c. 5. p. 40. Sylb. p. 111. Pott. Clemens meint nämlich, gleich wie der Geiſt der Kindlein in Chriſto fröhlich ſei, wenn ſie in Geduld wan— deln, eine Tendenz-Verdrehung, die auch Schleiermacher als ſolche erkennt nud nicht ungezüchtigt hingehen läßt. Aber auch die von Schleiermacher (p. 429) ge— gebene Erklärung iſt noch ſelbſt weit davon entfernt, eine concrete und wahre Erklärung jenes göttlichen Spiels zu ſein, und hat nur, wie ſich aus dem Obigen ergiebt, ein von weitem an das Richtige anklingendes Moment.

3) Darum eben iſt auch für den Gott Alles gerecht, nur für die Menſchen das Eine gerecht, das Andere ungerecht, ſiehe oben p. 92 sqgq.

4) Vit. Auctor. c. 14. T. III. p. 96. ed. Bip.

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Nie hat es eine gelungenere Comödirung gegeben, als dieſe Lucianiſche, wenn man das Gelungene in die Treue ſetzt, mit welcher gerade den we ſentlichſten und charakteriſtiſchen Zügen des Originals, ohne jede eigentliche Alteration derſelben, der komiſche Effect entlockt wird.

Es verhält ſich nicht jo, wie Schleiermacher ſagt, dem nur das rafwv verſtändlich iſt, das resoehwv und drapspönevos aber unerklärlich bleiben und deshalb willkürlich erſcheinen mußten, daß hier Eigentliches und Un— eigentliches durcheinander geworfen ſei.

Im Gegentheil iſt jedes Wort durchaus bedeutungsvoll und tief richtig. Ueber das zeoosbwv werden wir bald ſprechen. Das „dea eοννei/s“ aber iſt, wie wir ja ſchon aus der Stelle Plutarchs, wo auch daſſelbe Wort dafür gebraucht wird, erſehen, das ſich Auseinanderlaſſen der Einheit oder des Zeus in die Vielheit der in der Einheit aufgehobenen Unterſchiede, wodurch das Princip des einzelnen beſtimmten Seins und die reale Weltgliederung gegeben iſt; es iſt ſeine Seite als Dionyſos, wo— gegen ſich dann immer wieder zugleich das 8% sοον, der dieſe außer— einander ſeienden Unterſchiede negirende und in ſeine ideelle Einheit auf— hebende Weg nach Oben oder Apollo, aufthut !). Man ſieht hier mit der letzten Evidenz, daß jenes von Plato angeführte?) Fragment Heraklits: „ro Ev Ötapepönevov adro adro Sg Sνννꝭ und Örapspöpevov det Eup- geherde“, „das Eine?) ſich von ſich unterſcheidend eint ſich immer

1) Man vergl. wieder mit dem, was ſich hier über die Natur der demiurgiſchen Wandelbewegung des herakleitiſchen Zeus herausgeſtellt hat (und mit dem, was zur Erklärung des reooedwv im Verlauf beigebracht werden wird) den Bericht des Aeneas Gazaeus von der das Weltall umwandelnden Bewegung des Demiur— gen, welcher zu folgen für die Seelen Mühſal iſt, weshalb ſie aus Sehnſucht nach Ruhe nach Unten in den Körper gezogen werden und unſere Erörterungen dieſer St. p. 124 sqq. u. p. 186 sqd. Jetzt wird klar fein, was das für eine die Welt um⸗ wandelnde Bewegung des Demiurgen iſt, von der Aeneas ſpricht; es iſt nämlich nur feine, die Welt überhaupt erſt zu Stande bringende und ſchaffende, Auen aus ſeiner Form als Apollo in die als Dionyſos und umgekehrt. Jetzt wird auch klar ſein, warum die Seelen dieſe abſolute und ungehemmte Wandelbewegung, welcher nur das Abſolute ſelbſt fähig iſt, nicht mitmachen können und warum ſie daher, wie es bei Aeneas heißt, nach Unten in den Körper gezogen werden, oder wie anderwärts geſagt wird, zu flüſſigen werden, in das dionyſiſche Reich der Geneſiurgie herabſinkend. Sie gehören eben als individuelle Seelen von vorn— herein ſchon dem Dionyſosſtadium des Demiurgen, feiner οο zaro an.

2) Siehe oben p. 70 u. 92.

3) Es iſt auch von hieraus wieder erſichtlich, mit welchem Unrecht Schleier— macher gegen das gerade jo weſentlich richtige ro 5“ in dem Fragment bei Plato polemiſirt; vgl. oben p. 209.

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mit ſich“ gar nichts anderes beſagt und ganz identiſch iſt mit dem, was uns Plutarch in der vielbeſprochenen Stelle berichtet, daß der Eine ewige Gott oder Zeus, ſeine Unterſchiede ſetzend und hierdurch ſich zum Dionyſos und zum realen Dafein gliedernd und umwandelnd, darin ungetrennt ebenſo wieder in die der Unterſchiedenheit dieſes beſtimmten einzelnen Daſeins negative Einheit, in ſein Apolloweſen umſchlägt. Man ſieht hier ferner mit derſelben Evidenz, daß jenes Fragment bei Plato nur denſelben Ge— danken ausdrückt wie jenes andere Fragment, „Eins iſt der Weg nach Oben und nach Unten“ ).

Daß ſich Heraklit in dieſer ganzen theologiſirenden Darſtellung des realen ſinnlichen und darum in Vielheit aufgelöſten Daſeins als Dionyſos, der ideellen negativen Einheit der ſinnlichen Unterſchiede als Apollo, beider ſomit als reiner Gegenſätze und doch identiſch mit ſich in Zeus, deſſen Umſchlagen ſie bilden, ferner in dieſer Schilderung des in dem Um— ſchlagen ſeiner Momente Sichſelbſtrealiſirens des Zeus als eines Spieles, das Zeus mit ſich ſpielt und welches die Weltſchöpfung conſtituirt, endlich des Zeus ſelbſt eben deshalb als eines Kindes, als eines mit ſich ſpie— lenden würfelnden Knaben, daß ſich Heraklit in dieſer Reihe von theologiſchen Bildern, die zwar alle wie nachgewieſen, bei ihm durchaus keinen theologiſchen Sinn, ſondern den ſtrengen Gedankenbegriff feines Syſtems in ſich haben, doch, was die Form der Darſtellung betrifft, mit der größten bis ins Detail herabſteigenden Conſequenz und mit Bewußtſein überall auf dem Subſtrate orphiſcher Mythen und Anſchauungen bewegt und in dieſem orphiſchen Material ſeinen abſoluten Begriff, die Idee des dialectiſchen Proceſſes ausſpricht, reſp. wenn man dies lieber will und was gleichfalls richtig iſt, die orphiſchen ſinnlichen Vorſtellungen und Symbole zum Gedankenbewußtſein über ſich ſelbſt bringt, dies tft leicht bis ins Einzelne zu zeigen, und mag nun auch wieder in Bezug auf dieſe letztbeſprochenen Züge und lieber mit zu großer als zu geringer Aus— führlichkeit nachgewieſen werden, da wir Werth auf dieſen Nachweis legen, welcher, nach uns, das Verhältniß Heraklits zum religiöſen Kreiſe und, wie bereits früher bemerkt, einen der wichtigſten welthiſtoriſchen Wende— punkte des menſchlichen Geiſtes überhaupt, den Uebergang und die Auflöſung des religiöſen Vorſtellens in freies, ſich ſelbſt begreifendes Denken, klar hervortreten läßt.

Zunächſt könnten wir, daß ſich Heraklit in dieſer theologiſchen Dar— ſtellung durchaus auf orphiſchem Boden bewegt, ſchon dem gelehrten Plutarch

1) Vgl. oben p. 172 sqq.

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glauben, der in der obigen Stelle wie nachgewieſen, jene Theologie als ebenſo heraklitiſch wie orphiſch hinſtellt. Aber Plutarch bew eiſt es auch durch die nähere Ausführung, die er an jener Stelle giebt und indem er jagt, daß fie den Dionyſos deshalb Zagreus und Iſodaites ꝛc. nennen. Die von Plutarch gegebene Deutung, die Zerreißung und Zerſtücklung des Zagreus ſei eben nur die ſinnliche Darſtellung deſſen, daß das Weſen des Dionyſos das reale ſinnliche und ſich deshalb in die Vielheit der Un— terſchiede auflöſende Daſein ſei, iſt in die Augen ſpringend richtig. Außer dem, was ſchon oben bei dem Fragment vom Dionyſos Hades hierüber nachgewieſen iſt, bemerke man nur noch, daß Zagreus, ehe er von den Titanen zerriſſen wird, ſich in alle Elemente und Naturen ver— wandeln muß ). Ebenſo, wenn Dionyſos alle Verächter ſeines Weſens immer mit dere charakteriſtiſchen Strafe ſtraft, daß er fie in Stücke zerreißt wie Pentheus und Andere, fo iſt dies nur feine eigene ſich in die Vielheit zerſtückelnde Zagreus-Natur des ſinnlichen Daſeins, die er gewaltſam an denen ſetzt, welche die Berechtigung dieſer Bedingung des Daſeins läugnen. Daher die ſymboliſche Darſtellung dieſes Zerreißens an ſeinen Feſten durch Zerreißung eines Rehkalbes ꝛc. (ſiehe Phot. s. v. Neßpr£ew). Er iſt ferner darum den Orphikern auch Phanes, der Offenbarer deſſen, was in der ideellen Einheit, was ſogar in der ideellen Totalität, in Zeus ſelbſt, an ſich und unſichtbar eingeſchloſſen iſt. Er iſt von Allem zuerſt ans Licht gekommen. Er iſt ihnen der Herumſchweifer, ihm vor Allen wird bedeutungsvoll die Vielnamigkeit beigelegt, nicht in dem Sinne, daß dies nur eine identiſche Vielheit von Namen ſei, oder, wie bei andern Gott— heiten, eine ſolche Mehrheit von Namen, bei welchen entweder der Unter— ſchied oder die Identität der Bezeichnungen dem Bewußtſein verborgen bleibt, oder ihm mindeſtens doch jedesmal nur Ein Name gegenwärtig iſt, ſondern ausdrücklich um der Fülle der einzelnen Momente und Beziehungen willen, die mit ſeinem Weſen, dem ſich in die reale Vielheit auflöſenden Princip des ſinnlichen Daſeins gegeben ſind; um der Fülle der Einzeln— heiten willen, welche die Vielheit in ſich ſchließt und zu welchen ſie ſich erſchließt, wenn ſie ins Daſein tritt, ausdrücklich um dieſes ſeines Weſens willen heißt er der Vielnamige und prineipiell wird er darum der ſeinen Namen im Wechſel der Zeit immer Wechſelnde und jede dieſer Benennungen immer zara xarpdv, d. h. zeitgemäß führende und dem Momente gemäß, indem ſein Weſen gerade gedacht iſt, genannt.

1) Bei Nonnus, Dionys. VI. 174.

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Aufs deutlichſte drücken dieſe ganze Ideenreihe die von Macrobius aufbewahrten orphiſchen Verſe auf den Dionyſos-Phanes aus ):

Du

allor © arlo xarobary Erıydoviaov h

nowros d és yaos Je, Arwvvoos 0 Enerindn

oßvexa. Öweitar ar dmeipova. naxpov "Oluurov

dlraydeis Ovon Eoye, nposwvunlas re Exaarov

navrodanüs xara xarpov, AnsıBonEvoro Yp6voro.

Wenn man berückſichtigt, wie in dieſen Verſen der Zeitunterſchied zu

dem eigenen immanenten Weſen des Gottes erhoben erſcheint, ſo daß er im Wandel der Zeit ſich ſelbſt zu immer neuen angemeſſenen Namen, d. h. Eigenſchaften und Weſensunterſchieden entwickelt und er ſich ſomit erſt im geſammten Zeitwechſel?) in der Totalität ſeines Weſens aufrollt, fo kann es nun nicht mehr überraſchen, die Göttinnen der Zeit— unterſchiede, die Horen, in engſter Vereinigung mit ihm gedacht, geradezu dionyſiſche ?) (Arovvoraöes) genannt zu finden und feinen Altar in ihrer Capelle zu ſehen, ohne deshalb auf die orientaliſche und auch für die Griechen den erſten verſchwindenden Ausgangspunkt bildende, aber im Hel— lenismus eben aufgehobene und in geiſtige Ideen umgeſetzte Potenz des Dionyſos als Aequinoctialſtier und Gott des Thierkreiſes rückgehen zu müſſen!). Wenn im Mythos die Horen die Pflegerinnen und Ammen dieſes kosmiſchen Dionyſos ſind, deren Lebensſäfte alſo dieſen Gott des realen Daſeins und ſeiner ſich auseinanderlegenden Fülle nähren und entwickeln, ſo iſt dies ſomit gar kein anderer Gedanke, als der, den Heraklit ſelbſt ausdrückt, indem er fie in einer Stelle des Plutarch) „die Alles

1) Macrob. Sat. I, 18., j. Fragm. Orph. VII. p. 463 sq. ed. Hermann. und Lobeck. Aglaoph. p. 727 sqq.

2) Aus dieſer Seite ſeines Weſens entſpringt ſeine Anſchauung als Zeit— umlauf, in der er dann mit der Sonne zuſammenfällt und aus welcher nicht beneidenswerthe Etymologieen entſprangen, ſ. Jo. Lyd. de mens. IV. c. 38. Man vgl. aber hiermit wie die Stoiker, offenbar nach Heraklit, den 1%, definirten als „Exrxpırixöv Tod pednaros hανονe „ven heraus ſondernden (wie dıape- pögevov) Lauf des Flußes“, Chrysipp. ap. Phaedr. nat. Deor. p. 17. Peters., vgl. SS 16. u. 26. über die Zeit bei den Stoikern und Heraklit.

3) Nonnus, Dionys. IX, 11 sq. und was Creuzer im Dionyſ. p. 273 8g. anführt. Hierzu vgl. man noch die Verſe des Panyaſis bei Athenaeus II, c. 3. p. 36 D. ed. Casaub.

4) Creuzer Symb. und Myth. Bd. IV. p. 15.

5) Plut. Quaest. Plat. p. 1007. E. p. 101. Wytt.: „G7 (nämlich der Zeit⸗ grenzen) 6 HAos Ertorarms M xa groròs, Öpifew , HH. zal dva- deixvbvar xal dvapatvew ueraßolds zal bpas, al nayra pEpovar xaf

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Bringenden“ (a? zavra gepover) nennt. Aber dies Weſen der Horen iſt nicht bloß das poſitive Fließen und Hervorbringen der Zeit. Ihnen iſt vielmehr zum Unterſchied von der bloßen Zeit, die nur ihr abſtractes Subſtrat bildet, das negative Moment des Zeitunterſchieds, der Grenze, gleichweſentlich. Nur durch den Wandel der Zeit in ihre Gegenſätze, nur durch dieſes negative Weſen in ihnen, das ſie zu Unterſchieden und Ören- zen macht, find fie das was fie find, find fie die, die Alles hervorbringen. Dieſe heraklitiſche Definition der Horen erkennt ſich noch deutlich durch die Vergleichung zweier Stellen, zuerſt nämlich der gewiß heraklitiſirenden Etymologie im Cratylus des Plato, wo es heißt: „Je, yap e di- Tb bolcei yeıpavas ze , BEon zal nveluara zal ro zaprobs !) rods ex IS rs: Öpffovoa: de Ömalws d Opar xahotvro“, Horen alſo würden fie genannt, weil fie begrenzen, % find, und in dieſem Be— grenzen alles Wirkliche, das eben nur mit Grenze und Unterſchied gegeben iſt, hervorbringen. Hiermit vergleiche man nun die eben angezogene Stelle des Plutarch, wo gewiß nicht nur die drei hervorgehobenen und direct aus Heraklit angeführten Worte, ſondern auch das Weſentliche des über die Grenzen der Zeit Geſagten herakleitiſch iſt. Dieſer Zeit-Abſchnitte und Grenzen Vorſteher und Aufſeher ſagt Plutarch, ſei die Sonne, die?), indem ſie begrenze und eintheile und anzeige die Wandlungen und Horen, die Alles bringen nach Heraklit, dadurch nicht im Geringfügigen und Kleinen, ſondern im Größten und dem am meiſten Beſtimmenden, dem Leitenden und Erften Gotte zum Mitarbeiter wird (ovvepyös).

Um jenes negativen Weſens willen, welches, wie es Alles hervorbringt, ſo auch die Wandlung und Grenze und ſomit die Aufhebung des Einzelnen feftfetst, werden die Horen auch in den orphiſchen Hymnen die Geſpie— linnen der Todesgöttin Perſephone genannt;), die bald als Mutter und Schweſter, bald als Gemahlin des myſtiſchen Jakchos erſcheint.

Dies iſt auch der Punkt, durch den ſich die Horen an die Parcen

Hpaxrkstrov, obdè gauhgον gu, nırpüv Alla Tüv nerlorwy xt ZUDIWTÄTWY TO hyepövi xd, mpurw E avvepyoz.

1) Vgl. hierzu und zu dem heraklitiſchen Citat bei Plutarch die Worte Marc. Anton’s IV, 24: „rd por zaprös, D geponary al cal Öpat, & gi „Alles iſt mir Frucht, was deine Horen bringen, o Natur“.

2) Mit allem Vorſtehenden muß nun wieder die phyſiſche Durchführung bei Heraklit im $ 26. verglichen werden, wo wir auf die plutarchiſche Stelle zurück— kommen.

3) Q avnraserepa wird Perſephone im Hymn. Orph. XXIX. (28.) p. 290 angerufen, wie die Horen ihrerſeits /lspaspoyns avnraixropes im Hymn. XLIII. (42.) p. 307. ed. H.

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reihen. Auch die Parcen bekränzen den eben geborenen Dionyſos ); in Kunſtdarſtellungen wie in den ſ. g. orphiſchen Hymnen ſind ſie den Horen geſellt?), und deren Schweſtern find fie nach Heſiod s). Ja wenn von den alten heſiodiſchen und orphiſchen Hören, Eunomia, Dike und Eirene )), die letzteren beiden bei Heraklit eine überaus wichtige Rolle ſpielen, die theils ſchon früher belegt, theils beſonders noch aus ſpäter zu betrachtenden Fragmenten erhellen wird 5), fo find von Heraklit dieſer Hore Dike, die nicht bloß abſtract rechtlich, ſondern kosmiſch aufzufaſſen iſt, die Erinnyen“) als Dienerinnen und Willensvollſtreckerinnen beigegeben, wozu es wieder in frappanter Parallele ſteht, wenn in einem orphiſchen Hymnus die Erin— nyen als „Göttinnen Mören“ (Hear Mozpar) angerufen werden und es dabei von ihnen heißt: „ad 7’ Öppa A e εοννE e, „die ihr ſchaut das Auge der Dike“ )).

Um aber zu Dionyſos zurückzukehren, ſo iſt jene Vielheit und Viel— namigkeit ein ſelbſt in der Kunſtpoeſie niemals an ihm getilgter bedeutungs— voller Zug. „Vielnamiger“ (roAvovvue) ruft ihn der Chor an in der Antigone des Sophokles); als vielgeſtaltig, bald zum Löwen bald zum Stier und zur Schlange gewandelt, erſcheint er bei Euripides (Bacch. v. 1015), und vielköpfig bildete ihn die alte Symbolik). Als Princip des realen Daſeins iſt er, alle wirkliche Unterſchiede in ſich ſelbſt enthaltend, des— halb auch mann weiblich, und in dieſem kosmiurgiſchen Sinne rufen ihn ge— rade unter ſeinem Myſterien-Namen Jackchos die ſogenannten orphiſchen Hym— nen an als „männlich und weiblich, zweifacher Natur, den Löſer Jackchos 10)“,

1) Creuzer IV. p. 15.

2) Auf dem Throne des Apollo zu Amyelae find die Parcen mit den Horen und Chariten zugleich dargeſtellt, Pausan. VIII, 21; ebenſo an dem borgheſiſchen dreieckigen Altar, Mus. Pio Clement. T. VI. cf. Winkelmann Geſch. der Kunft p. 307 sq. u. Hymn. Orph. XLIII. (42) v. 7 sq.

3) Theog. v. 901 sq.

4) Bei Heſiod ſind die Horen Töchter der Themis und heißen Eunomia, Dike, Eirene (Theog. 895 sgq.) und ebenſo bei Pindar (Ol. 13, 6.) und in dem eben bezog. orph. Hymnus p. 307. II.

5) Vgl. vorläufig oben p. 115 u. 126 sg.

6) Siehe das Fragment über die Sonne, die ihre Grenzen nicht verlaſſen wird.

7) Hymn. Orph. LXIX. (68) p. 339. ed. H.

8) Soph. Antig. v. 1103 und Trielin. Schol. ad h. I. ef. Orph. Hymn. XLII. (41) v. 2. p. 306. Herm.

9) Siehe Creuzers Symbolik I. p. 57. 3. Ausg.

10) „apasva . Nj un, dein, Adoeıoy "laxyov“ Orph. Hymn. 41. v. 4. p. 306. ed. Herm.; wie auch die ihm ſo verwandte Mondsgöttin Selene und vor ihm noch in höherer Potenz Zeus, der alle Unterſchiede in ſich enthält, ſelbſt den von

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wie wir ihn ebenfalls deshalb auf alten Vaſen als geflügeltes Mannweib gebildet finden !). Darum trug er auch nach Euſthatios manchmal Frauen— kleider (ad II. VI. 130.) und darum konnte Ariſtides (orat. in Bacch. T. J. P. 29. ed. Jebb.) von ihm ſagen: „Unter den Jünglingen iſt er Mädchen, unter den Mädchen Jüngling“ ?).

Als Weſen der Vielheit und ſinnlichen Fülle des Daſeins wird er deshalb zum Reichthumſpender. „Aiovrodörns“ wird er angeredet in den Lenäen?), und gerade inſofern er mit Dionyſos identiſch gedacht tft, wird Hades ſelbſt, der finſtere einſame Gott der Unterwelt, zum freundlichen Reichthumſpendenden Pluto. Weil es das Weſen der Vielheit des Daſeins iſt, ſich in das Einzelne aufzulöſen und an die Einzelheit hinzugeben, ſo heißt er auch Iſodätes, Gleichvertheiler, und dieſer Name, an den Plutarch ſelbſt erinnert, iſt deshalb vorzüglich ſein Beiname in den Myſterien und beim myſteriöſen Feſtmahl. Aber dieſes Sichhingeben an die Einzelheit, wodurch dieſe ihr Daſein empfängt, iſt zugleich ſeine Aufopferung für dieſelbe, darum erinnert gerade ſein Weſen als Gleichvertheiler an die Paſſionsgeſchichte des Dionyſos, an ſeinen Tod und ſeine Zagreus-Zer— ſtücklung, durch welche erſt das Daſein des Einzelnen entſtanden iſt. Erſt mit der Zerſtücklung des als Einheit gedachten Naturleibs, dieſer bloßen Idee des reellen Daſeins iſt das Daſein wirklich reell und das Einzelne gegeben. Darum iſt in ſeiner Bezeichnung als Iſodätes ſeine Todesgeſchichte gegenwärtig. Iſodätes iſt ebenſo Beiname des Hades (ſ. Hesychius s. v.), d. h. gerade als Iſodätes wird er als identiſch mit Hades, als unterirdiſcher Dionyſos, gefaßt. So wird er als der Daſeinsgeber und Erzeuger alles Einzelnen zum Liber Pater.

Der ſtricte Gegenſatz aber, in welchem bei Heraklit in der Stelle des Plutarch Dionyſos zu Apollo, der alle Unterſchiede tilgend und gleich— machend die Welt in die Feuereinheit aufhebt, oder reſp. zu Zeus er— ſcheint (nach ſeiner Seite als ideelle Einheit gedacht), ermangelt ebenſowenig ſeines orphiſchen Subſtrats, erkennbar noch in dem, was heute als or— phiſche Hymnen vorhanden iſt.

Merkwürdig iſt in dieſer Hinſicht der 46te (XLVII.) Hymnus orph. p. 311. ed. H. Es heißt hier von Bakchos:

Dionyſos und Apollo, mannweiblich iſt, Hymn. Orph. IX. (S.) v. 4. p. 266 und die bekannten Verſe bei Proklus; ſiehe Orph. Fragm. VI. p. 457. ed. Herm. 1) Millin., Peint. de Vases antiques I. p. 77. 2) Vgl. Welkers Nachtr. z. Aeſch. Tril. p. 109. p. 220 sqq. 3) Siehe Schol. zu Arist. Ran, 479. und Moſer zum Nonnus, Dionys. p. 220.

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„Eornasv xparspods Hνφονννναο yalys donne vera nungbpos abyn Exlvyosv ydova naoay rpnorhypos gholcots Y Ö dvsöpape deopnös Anävrwv“. „Der abwendend geſtillt der Erde gewaltigen Aufruhr, Als aufflammende Glut ringsum erſchüttert das Erdreich Unter des Blitzſtrahls Wucht; ein Band erhub er ſich Allem“. (Dietſch.)

Merkwürdig iſt es hier zunächſt, wie der zonorzp als Gegenſatz des Bacchus erſcheint, der bei ſeiner Geburt dieſe Feuerſubſtanz, ob man ſie nun Feuerwirbel, Feuerluft oder Blitzſtrahl überſetze, und ihre Herrſchaft über die Erde ſtillt und beendigt. Denn der zoyornp iſt wieder eine bei Heraklit wichtige und weſentliche Benennung des ſinnlichen Feuers ). Derſelbe 7on70T70 iſt aber auch ein in den orphiſchen Gedichten häufig wieder— kehrender Ausdruck, der beſonders als Attribut des Zeus vorkommt und in dem orphiſchen Fragment bei Proclus definirt wird als „Blume des unreinen Feuers 2)“. Die Herrſchaft dieſes feurigen moyar7o erſcheint nun in dem 45. Hymnus eben als die dem Dionyſos vorhergehende Feuerperiode, welche durch die Geburt des Bakchoskindes beendigt und bewältigt wird. Gegen dieſe raſtlos verzehrende Feuer— bewegung (Exivnoev ydova räcav) erhebt ſich, ſie beendigend, Bakchos „das Band aller Dinge“! Worte, welche den in der Stelle enthaltenen Gegenſatz vollends klar machen, deren ganze Bedeutſamkeit ſich aber erſt ſpäter ergeben wird.

Ebenſo iſt der Gegenſatz, wie hier von Dionyſos und dem reinen Zeusfeuer, ſo auch von Dionyſos und Apollo, dem Weſen des Zeus als ideelle negative Einheit, in dem Mythus von Lykurgus enthalten, den Dionyſos in Stücke reißt, weil er ihn läugnet. Daß Lykurgus Niemand anders als Apollo ſelbſt (AroAMwv Avzazros) iſt, hat Uſchold (Vorh. d. Geſch. II. p. 148) nachgewieſen. Aehnlich verhält es ſich mit der Zer— reißung des Orpheus. Wenn, wie wir aus der Stelle des Plutarch ent— wickelt haben, bei Heraklit, wo die Göttergeſtalten unſelbſtändige Momente des philoſophiſchen Gedankens ſind und das reale Daſein und ſeine Viel— heit nichts, als die eigene ſich in die Vielheit auseinander laſſende

1) Siehe Clem. Alex. Strom. V. c. 14. p. 255. Sylb. p. 711. Pott. Bei der Naturlehre wird hierauf näher eingegangen werden. 2) Procl. in Tim. p. 137, 26. Fragm. Orph. p. 467. ed. H.: „Zuev avpo-

heros conori dnvöpod rupos Ayıos.“

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Bewegung und Wandlung der Einheit jelbjt'), dadurch aber eben zugleich ihr Gegenſatz iſt, wenn nach ihm alſo Dionyſos genannt werden könnte: Apollo oder die ideelle Einheit?) in dem Stadium ihres Zerſtückeltſeins, ſo wird in dem Elemente des religiöſen Vorſtellens, wo alle Momente beſonderes ſelbſtändiges Daſein erhalten, Das, was der Gott nach ſeinem Weſen iſt,

1) Dies muß auch bei Heraklit in der theologiſchen Darſtellung ſelbſt hervor— gehoben worden ſein und hierauf ſcheint ſich dann die ſonſt höchſt befremdliche Stelle Plutarchs Le ap. D. c. 21. zu beziehen, wo plötzlich die Zerlegung in die Vielheit der Elemente, Winde, Thiere, zu dem eignen Weſen Apollos und zu einer Selbſtbewegung ſeiner gemacht wird, gegen welche Lehre Plutarch aber Ein— ſprache erhebt: „Aber feine (Apollos) Ausartungen und Veränderungen (Exora- osıs d abro zar ueraßolas), indem er bald Feuer von ſich ausgehen läßt, bald ſich hinaufzieht, wie man ſagt und wiederum herabdrückt, ſich in Erde, Waſſer, Wind, Thiere, ausdehnt und (in) die gewaltigen (Umwandlungs-) Leiden (dewa rzadnpara) von Thieren und Pflanzen, darf man, ohne eine Sünde zu begehen, nicht einmal anhören; er wäre ſonſt ſchlimmer daran als jener Knabe in der Fabel, daſſelbe den Sand zuſammenhäufende und wieder auseinander— ſchüttende Spiel, welches jener ſpielt, ()) za ralfsı rardıd,) immer in Bezug auf das Weltall treibend, (radrn rept ra Öla ypwWuevos det) und bald die Welt ſchaffend, welche nicht iſt, bald die geſchaffene vernichtend“. Dagegen meint Plutarch, dieſem Gotte komme keine Ausartung und Metabole zu, ſondern dies Letztere komme „eher einem anderen Gotte oder vielmehr einem über die der Vernichtung und der Entſtehung unterworfene Natur geſetzten Dämon zu“. Der ganze Gedankengang, ſowie die Ausdrucksweiſe z. B. jenes rare rardıay in Bezug auf die Weltbildung, verglichen mit den obigen Zeugniſſen über das Spiel, das bei Heraklit der Demiurg in der Weltbildung als ſpielender Knabe ſpielt und das yownevos ? (ef. p. 115. 116, J.) laſſen keinen Zweifel, daß hier Plutarch heraklitiſche Sentenzen bekämpft, wie auch gewiß dieſe dem Apollo ſelbſt die Zerſtückelung in die Vielheit zuſchreibende Meinung für jeden andern Philo— ſophen höchſt befremdlich ſein würde außer für Heraklit, bei welchem alle Gegenſätze identiſch, und dieſes Sichauseinanderlaſſen in die Vielheit in der That die eigne Bewegung der Einheit iſt.

2) Bezeichnend und aus demſelben geiſtigen Gegenſatze beider Götter fließend iſt auch die entgegengeſetzte Stellung, welche das weibliche und männliche Geſchlecht zu ihnen einnimmt. Nichts iſt hervortretender im Cultus des Bacchus, als das weibliche Geſchlecht. Unter ihm ſoll auch die Religion deſſelben am meiſten um ſich gegriffen haben und von ihm vorzüglich eingeführt worden ſein. Das Heilig— thum dagegen im delphiſchen Apollotempel, wo die Pythia Orakel ſprach, war jedem Weibe zu betreten verboten, ſ. Plut. de Zr ap. D. c. 2. Faſt immer er— ſchien bekanntlich, worauf hier ohne jede Ausführung nur hingedeutet werden kann, in den alten Speculationen das Princip der realen Exiſtenz und ihrer Entfal— tung in ſeiner Perſonification weiblicher Natur, das Princip der intelligiblen Einheit männlicher. Die Dyas, welche den Pythagoräern die Wurzel und Quelle aller Wirklichkeit iſt und von ihnen weiblich (%%) genannt wird, wird in ihrer

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zu Dem, was er freiwillig und in vorübergehender Weiſe thut; Dionyſos, der nur Umwandlung Apollos, die Einheit als zerſtückelte iſt, zerſtückelt im Mythos den ſein Weſen läugnenden ihm entgegengeſetzten Gott Apollo und ſeine Perſonificationen.

Ebenſo wird Bacchus ſeinerſeits wieder von Perſeus getödtet, von Perſeus, deſſen Name ſchon auf perſiſchen Feuer- und Lichtdienſt hinzeigt und den Creuzer, ſeiner orientaliſchen Grundlage nach, mit Recht als eine Mithras-Perſonification aufgewieſen hat, der aber inſofern er helleniſirt und helleniſch iſt, offenbar in den Kreis apolliniſcher Weſen übergeht. Und um die Sache recht deutlich zu machen, iſt es gerade dieſer von Perſeus getödtete Bakchos, der im Delphitempel begraben wird neben dem goldenen Apollo, wie nach Dinarchos berichtet wird ).

Aber auch die urſprüngliche Identität, in der er an ſich mit Apollo ſteht, hat ſich ſowohl noch in bedeutungsvollen Beziehungen beider Götter auf einander, als auch in andern zum Theil noch deutlicheren Spuren er— halten. Schon oben beim Fragment von Hades-Dionyſos iſt aufmerkſam gemacht worden, wie frappant dieſe Beziehung beider Götter als noth- wendiger Gedankengegenſätze aufeinander darin hervortritt, daß Zeus, als er das Zagreuskind auf den Thron jest und ihm Götter und Menſchen unterordnet, ihm gerade Apollo zum Hüter beigiebt?). Auch unter der Herrſchaft der Vielheit des reellen Daſeins geht in den Myſterien— anſchauungen nämlich die ideelle Einheit nie wirklich verloren. Sie bleibt die innere, wenn auch nicht heraustretende Grundlage. Ebenſo iſt ſchon angeführt, daß, als Zagreus zerriſſen, wieder Apollo es iſt, der auf Zeus Befehl ſeine zerſtückelten Glieder ſammelt, verbindet, ſo wieder Götterlehre ausdrücklich als Phanes (Dionyſos) erläutert, wie Nicomachus in den arithmetiſchen Theologumenen jagt. Sie iſt die Mutter, während das Eine der Vater der Zahlen iſt ꝛc., ſ. Meurſius im Denar. Pythag. bei Gron. Thes. Ant. Gr. IX. p. 1351 sq. ef. Theologum. arith. p. 8 sqq. ed. Ast.

1) Ap. Cyrill. c. Jul. L. X. 341. und andere Zeugniſſe bei Lobeck, Agl. p. 573 sqgq.

2) Jetzt vgl. man hierüber, was Proelus ganz mit Plutarch übereinſtimmend, und wie Heraklit ſinnliche Vorftellungen in Gedankenbegriffe erhebend, von Or— r . novada nv 'Äroilwvarny drorperovoay abrov τν , to Teravırov rpoodon zal THs EFavaoracsws Tod PJaarlstov Ipovov xal Ypoupoboay alrov dh s Y Evwoet, rowmdra Ön zal 6 Iwxoarous Ödalımy Teptdysiv u abroy eis TNy vospav Teptwrmy, Entysiv de Toy npös Tas nollods covouarwy (in Plat. Aleib. I. p. 83. Cr. p. 216. Cous.; Orph. Fragm. 17. p. 508. ed, Herm.).

*

255

die Einheit äußerlich herſtellt), und fie in ſeinem delphiſchen Heiligthum bei ſeinem Dreifuß beſtattet. Jetzt erſt iſt das Weſen beider Gottheiten zum poſitiven Abſchluß gekommen in ihrer gegenſeitigen Ergänzung. Die ideelle Einheit hat ſich durch die Vielheit des Daſeins hin— durch bewegt und in dieſem Verluſt ihrer ſelbſt wiederhergeſtellt und erhalten. Die Vielheit hat ſich in ihrer Zerſtücklung, aus der Alles entſproſſen, ſelbſt zu ihrem einfachen Geiſte, zur inneren Einheit der unter— irdiſchen unſinnlichen Wurzel zuſammengefaßt. Jetzt erſt iſt das Weſen beider Gottheiten, die wie alle Gegenſätze des Begriffs in nothwendiger ſich bedingender Einheit und Beziehung auf einander ſtehen, zur Ruhe und vollſtändigen Entwicklung gebracht. Und ſo enthält jene Verſicherung des Plutarch J. J., daß Dionyſos nicht weniger Antheil an Delphi habe, als auch Apollo, ſowie der Mythus, daß in dem Apollotempel zu Delphi auch das Grab des Bacchus ſei, das Tiefſte und Richtigſte über das metaphyſiſche Weſen beider Götter. Hier iſt noch darauf zu verweiſen, daß ebenſo in Amyclä neben Apollo gerade Dionyſos am meiſten verehrt wurde (Pausanias III, 19.). Ebenſo ſind von den beiden Gipfeln des Parnaß der eine dem Apollo, der andere dem Dionyſos geweiht (Schol. ad Eurip. Bacch. v. 287.) und die Thyaden raſen ſowohl dem Apollo als dem Dionyſos zu Ehren (Paus. Phoc. 32, 5.).

Hier iſt auch daran zu erinnern, wie Dionyſos, wenn er im 46. or- phiſchen Hymnus die Feuergewalt ſtillt und abwendet, im 44. Hymnus ſelbſt als Feuergeborener (rup/orope) angerufen wird, wie er ja auch im Feuer und Blitz vom Himmel heruntergekommen iſt?). Ebenſo iſt hier an die Auffaſſung des Dionyſos als Sonne zu erinnern?). Merkwürdig iſt in dieſer Hinſicht eine Gloſſe, die ein Lex. rhet. in Bekkers Anecd. gr. p. 267 zu dem Namen Iſodätes hat: „Joodafrns Beos, 6 Nitos v !00ov Exrdorw ετννοτ Oavepwv“. Iſodätes alſo iſt der Gott als die Jedem gleichmäßig den Tod zutheilende Sonne. Als Iſodätes iſt er der Daſeinszutheiler für alles Einzelne. Aber wie er dem Einzelnen das Daſein nur zutheilt durch ſeine eigene Zerſtückelung und Untergang, ſo liegt in dieſem gleichmäßigen Zutheilen des Daſeins an alles Ein— zelne, auch ſchon der Unbeſtand und Wiederuntergang jedes Einzelnen

1) Dieſer Zug tritt conſtant in verſchiedenen Variationen hervor. So ſollen die Titanen den Keſſel mit den zerſtückelten Gliedern des Dionyſos dem Apollo vorgeſetzt haben (Etymol. Magn. s. v. Jeigot p. 255. p. 233. Lips.).

2) Eurip. Bacch. v. 3. Philostrat. I, 14. Mellag. Carm. CXI. ſ. Moſer zum Nonn. p. 216.

3) Siehe Lobeck Aglaoph. p. 727 sqq. p. 296, Etymol. Magu. p. 251. Lips.

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für ſich genommen. So iſt was er in der That dem Einzelnen am gleich— mäßigſten zutheilt, der Tod! Und gerade in dieſer negativen Beziehung auf das Einzelne genommen wird er als Helios gefaßt, und vermittelt ſich ſo mit Apollo. Beſonders muß aber endlich hier noch auf das Zeug— niß des Macrobius (Sat. I. 18.) Bezug genommen werden: Aristoteles qui theologumena seripsit, Apollinem et Liberum patrem unum eundemque Deum esse, tam multis aliis argumentis assererat ete. Hier werden alſo Apollo und Dionyſius geradezu als ein und derſelbe Gott ausgeſprochen, wofür man ſich auch des Apollo Dionyſodotus (bei Pausan. I, 31) erinnern muß !). Wenn endlich Creuzer (Symb. und Myth. IV. p. 117. 3. Ausg.) den A EßdonayErns, den am ſiebenten Tage Geborenen, damit vergleicht, daß Zagreus in ſieben Theile zer— ſtückelt worden, (Proel. in Tim. p. 200) und auf dieſe Berührung beider in der beiden geheiligten Siebenzahl aufmerkſam macht, ſo wird jetzt nach unſerer Auffaſſung und Entwickelung der plutarchiſchen Stelle ſowohl der Grund dieſer Identität, als auch beſonders ihr Unterſchied gegeben ſein. Die ſieben Stücke, die ſieben einzelnen Wochentage andeutend, kommen dem Zagreus zu, dem die Auflöſung in die Einzelheit des Daſeins als ſolche entſpricht. Apollo kommen nicht dieſe einzelnen ſieben Tage, ſondern die einheitliche Zuſammenfaſſung derſelben als Woche zu, eine Be— ſtimmung, in welcher nicht mehr die Tage als einzelne enthalten, ſondern vielmehr als ſolche negirt und zu der Einheit des Wochenabſchnitts auf— gehoben ſind. Darum iſt ihm erſt der ſiebente Tag?) heilig, der, den Abſchnitt vollendend, das Auseinanderfallen der Zeit wieder zur Einheit der Periode aufhebt.

Ebenſo wenn Dionyſos der Feuergeborene (rupioropos, rupt- res) iſt, jo iſt deshalb durchaus nicht das Feuer fein Element. Sein Element iſt vielmehr das Gegentheil des Feuers, die flüſſige feuchte Natur. Wie in der Philoſophie, wie ſpeciell bei Heraklit das Waſſer aus dem Feuer, als ſeinem directen Gegenſatz, ſich erzeugt, ſo iſt in jeder ſinnvollen Mythologie und Theologie das, woraus ein Weſen entſpringt, nicht ſein identiſches Element, ſondern vielmehr weſentlich ſein Nichtſein und Ge— genſatz. Dionyſos, der Feuergeborne, iſt Feuerverlöſcher. So ſehen wir, während noch ſeine Mutter Semele in den Umarmungen des Feuer-Zeus verbrannt iſt, ihn ſchon in dem orphiſchen Hymnus das Herrſchen des Feuers

1) ef. Nonn. Dionys. IX, 261. und Creuzer in den Heidelberger Jahr— büchern 1817 und 49. p. 780 sqq. 2) Herod. VI, 57. Plutarch. Quaest. Symp. VIII. 1. 2. p. 958. ed. Wytt.

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beendigen bei ſeiner Geburt. Darum nennt ihn Plutarch geradezu den Herrn der feuchten Natur (xboros vie b ybosws, Is. et Os. c. 34. p. 493 sqq. Wyttenb. und deſſen Anmerk.), und als ſolcher heißt er Hyes ). Er iſt der Regenbringer. Er iſt nur die Ausſchüttung des Zeus und von ihm niedergefloſſen 2). Alles Feuchte iſt ſein Element. Aus dem Meer heraus, das dem Heraklit, wie wir ſchon geſehen haben, *) oreppa 775 Ötaxoopnosws, der materielle Saame der Weltbildung war, (zum Unterſchiede von dem reinen Werden oder dem Feuer, welches ihm, wie wir noch ſehen werden, der ideelle Saame derſelben war), aus dem Meer heraus als ſeinem heimiſchen Elemente rufen ihn die Argiver mit ſchmetternder epheu-umrankter Trompete herauf zum Feſte (Plat. Is. et Os. p. 495. Wytt.). Darum iſt er im weiteſten Sinne Pflanzengott. Das Vegetative, das ſeine innerſte Lebenswurzel in der feuchten Natur hat, iſt ſein Reich; der Epheu, dieſes nur in beſonders feuchten Regionen üppig wuchernde Schlinggewächs, wird ſein beſonderes Attribut, und unverkennbar deutlich iſt wohl nach alle dieſem die Erzählung des Mnaſeas;), daß bei der Flammengeburt des Bakchoskindes, als es vom Leibe der Mutter getrennt war, blühender Epheu hervorgeſchoſſen wäre und das Kind vor den Flammen ſchützend umrankt habe, ein Wunder, in welchem ſich doch nur das eigene Weſen des Gottes äußern kann und ſich wiederum, wie in jenem orphiſchen Hymnus, als die dem Feuer entgegengeſetzte, die Herrſchaft des Feuers beendigende und durch Verlöſchung deſſelben das vegetative Daſein hervorbringende feuchte Natur offenbart. Wenn alſo Heraklit ſagt (ap. Clem. Al. Strom. V. p. 711. Pott.): „die Welt iſt ewig lebendes Feuer, ſich ebenmäßig entzündend und ebenmäßig verlöſchend“ (Do deινοον, Antönsvov ́ = fννοει za Anooßevvinevov neroa), Jo entſpricht dieſer Seite des Verlöſchens im mythiſchen Vorſtellen, aus welchem ſich ſelbſtredend das reine Denken erſt entwickelt hat, Dionyſos, wie dem Ent— zünden des Feuers Apollo entſpricht ).

Allein wenn ſo Waſſer und Feuer, das elementariſche Weſen des Dio— nyſos und des Apollo, reine Gegenſätze ſind, ſo iſt es gerade der Trieb der geiſtigen Thätigkeit, und zwar inſofern ſie ſich zum Denken ſteigert, im reinen Gedanken, inſofern ſie aber ſinnliche Vorſtellung bleibt, in den ſinnlich—

1) Siehe Creuzer's Ausführungen hierüber T. I. p. 466 sq. 2) Aristodem, ap. Etym. Magn. s. v. Jeövvoos und Creuzer J. 1, 3) ap. Schol. Eurip. Phoeniss. v. 651. 4) Bekanntlich wurde dem Apollo in Delphi ein ewiges Feuer unterhalten; ſiehe Plut. de Le ap. Delph. c. 2. und vit. Num. c. IX. L 17

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religibſen Myſterien-Anſchauungen und Gebräuchen und alſo in ſinnlicher Weiſe ſich die an ſich ſeiende Einheit der entgegengeſetzten Götter und Naturen zum Bewußtſein zu bringen, die reinen Gegenſätze nicht mehr als ſolche einander nur negative und ausſchließende, ſondern als jeden durch das Weſen des andern hindurchgegangen und ſo in höherer affirmativer Einheit mit einander ſtehende ſich vorzuſtellen. So iſt es ein bedeutungs— voller Zug der bakchiſchen Myſterien zu Rom (Livius XXXIX, 13.), daß Frauen als Bakchantinnen gekleidet zur Nacht mit brennenden Fackeln zur Tiber laufen, ſie in das Waſſer tauchen und ſie, weil ſie mit Schwefel und Kalk beſtrichen, brennend wieder herausziehen. So ſind Feuer und Waſſer und die Götter dieſer entgegengeſetzten Naturen mit einander ver— ſöhnt und nicht mehr feindliche Gegenſätze. Sie erhalten ſich Einer im Andern. Das gedankenmäßige Begreifen dieſes Symboles aber, das Her— ausringen des an ſich in ihm Enthaltenen, iſt die heraklitiſche Phy— ſiologie, in welcher Feuer und Waſſer als weſentlich identiſche Ge— genſätze, als durch ſich ſelbſt in einander umſchlagende, aber hierin nicht untergehende, ſondern ſich in ihrem Gegentheil, weil dieſes ja ſelbſt nichts iſt als die bloße Bewegung wieder in ſeinen Gegenſatz überzugehen, er— haltende Naturen, als an ſich identiſche Momente des Werdens ſelbſt gefaßt werden, und in der ſomit Unterſchied wie Einheit ihr Recht erhält. Und wem dieſe Zuſammenſtellung von Myſterienanſchauungen und heraklitiſcher Phyſiologie auf den erſten Blick befremdlich erſcheint, der erinnere ſich doch deſſen, was vielleicht an der entgegengeſetzten Einſeitigkeit laborirend, Ci— cero über die ſamothrakiſchen und lemniſchen Myſterien ſagt, daß durch ſie nämlich, wenn ſie explicirt und auf ihren Gedankeninhalt reducirt werden, die Natur der Dinge weit mehr als die Natur der Götter erkannt werde. „Quibus explicatis ad rationemque revocatis rerum magis natura cognoscitur quam Deorum“ (de nat. Deor. I, 42.).

Und der erinnere ſich ferner der noch weit weſentlicher richtigen und manchen ſpäteren Forſcher beſchämenden Stelle des Kirchenvater Clemens Al. (Strom. IV. p. 164. Pott.), wo er die dem Kanon der Wahrheit gemäße Phyſiologie (Naturerkenntnißlehre), ſie mit dem dritten und letzten Grad der eleuſiniſchen Weiſen vergleichend, eine Epoptie nennt, die von der kos— mogoniſchen Art der Unterſuchung anfange und zu derjenigen aufſteige, die göttliche Dinge betrifft.

Wenn bei den Myſterien des phrygiſchen Bakchos die myſtiſche Formel war: „der Stier des Drachen Vater und der Drache Vater des Stier“ (Jul. Fir- micus, de errore prof. rel. c. 27.), wenn ein nach ſeiner Grundlage gewiß alter, von Bentley (in der Epist. crit. ad Mill. subj. Hist. chr. Joh. Malal.

p-8., wieder abgedruckt in der Bonner Ausgabe des Malalas p. 684, ypnonds VIII.) angeführter propos?) jagt: „der Alte iſt der Junge und der Junge iſt der Alte, der Vater iſt der Sprößling und der Sprößling iſt der Vater“ ( nalaros veos zart 6 veos dpyalos, 6 rarnp yYüvos xal U yüvos na- 7%), was find das anders als zuerft immer mehr in Naturanſchauung verſenkte, und dann immer freier, immer allgemeiner, immer durchſichtiger werdende und ſomit immer mehr der Erfaſſung ihres reinen Gedankens ſich nähernde, wenn auch die Form der ſinnlichen Vorſtellung ſelbſt noch nicht abſtreifende, Symbole deſſen, daß die entgegengeſetzten Potenzen und Weſen— heiten in ſteter Wechſelwirkung ſich gegenſeitig erzeugende und gegenſeitig bedingende und ſo in dieſem Uebergehen in einander einheitliche, ihre in— nere Einheit auch im Unterſchiede und Gegenſatze nicht verlierende ſind? Was iſt dies anders als das ſymboliſche und ſinnliche Anſchauen deſſen, was ſich dann bei Heraklit in dem wechſelſeitigen, immerwährenden Er— zeugen von Apollo und Dionyſos, nicht mehr als ſinnlicher Geſtalten, ſondern nach ihrer durchſchauten Bedeutung als reiner Momente des Begriffs, in dem wechſelſeitigen ſich Erzeugen und immerwährenden Ineinanderumſchlagen von Feuer und Waſſer, von Sein und Nichtſein, von der Ödös avm und Jobs xarw, zum reinen Gedanken abklärt und als die begriffene Idee des Proceſſes ſich zum Bewußtſein bringte)!

Wir ſagten, das eben ſei der Trieb und der allgemeine geiſtige Ge— halt aller Myſterien und der myſtiſchen Richtung bei den Griechen überhaupt, die abſtracten geiſtigen Gegenſätze der Götter mit einander zu vermitteln und zu verſöhnen und dieſe zur Einheit zu bringen, indem ſie gegen— ſeitig durch ihr Weſen hindurch gehen. So durch ihren Gegenſatz hindurch— gegangen, ſind ſie jetzt nicht mehr abſtract einſeitige, einander negative, ſon—

1) Es iſt ihm der Name „IlAovrapyov“ vorgeſetzt.

2) Sollte vielleicht erſt noch die Anführung beſonderer heraklitiſcher Parallel— ſtellen für jenen von Bentley mitgetheilten yonapss nöthig ſein? Man erinnere ſich nur des Fragments bei Plutarch: „radror st für xat us zal To &yphyopos rat zo nαννẽνασοοꝰ zal e xal rnpalov' ra & Yap neransaovra Exeiva er, xzüxsiva nal nerarsoovra tadra“, „daſſelbe ift lebend und tobt und Wachen und Schlafen und jung und alt, denn Dieſes ift umſchlagend Jenes, und Jenes wiederum umſchlagend Dieſes“ (ſiehe oben p. 158). Und ebenſo das andere p. 133 sqq. explicirte Fragment, ſowie das ſpäter zu erörternde über den ewig jungen Apollo. In der That aber wären nicht einzelne Stellen, ſondern das ganze Weſen heraklitiſcher Philoſophie hier zu paralleliſiren. Zu den angezogenen Stellen aber, wie zu jenem Yunai ſelbſt, vergl. man wieder die or— phiſchen Verſe bei Olympiodor:

o abrot narspss re xd He &v neyapoiaw xri.; ſiehe Lobeck Aglaoph. p. 797 sq. und Plat. Phaedon, ib. eit. 1

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dern in der That geiſtig höhere Potenzen, die das Weſen ihres Gegen— ſatzes in ſich aufgenommen haben. Inwiefern aber dieſe Einigung ein „Später“ im Gedanken iſt, und inwiefern ſie demnach auch ein Später in der Zeit geweſen ſein dürfte, dies näher auseinander zu ſetzen, iſt hier nicht der Ort. Aber manche Erinnerung dieſer Umbildung dürfte ſich in zahlreichen Mythen erhalten haben. Dies iſt auch vielleicht mit dem Verhältniß des Dionyſos zur Ariadne der Fall. Es kann hier nicht auf den Ariadnemythos eingegangen werden. Allein ſoviel iſt jedenfalls klar, daß Ariadne, welche uns die Dichter ſtets als Geliebte des Dionyſos ſchildern, zunächſt ein dem Dionyſos entgegengeſetztes Weſen iſt. Denn ſie iſt eine Perſonification der ideellen Einheit. Abſtammend von einem rein negativen Weſen, dem Verderber Minos, deſſen Identität mit Sa— turn hier gleichfalls nicht näher ausgeführt werden kann, leuchtet ihre Krone als Leitſtern dem Theſeus durch die labyrinthiſchen Gänge des ver— worrenen Daſeins, in dem ſich Jeder verliert, der die innere Einheit dieſer ſinnlichen, ſich wirr verſchlingenden Vielheit nicht erfaßt hat; ihre Krone iſt dem Theſeus der Polarſtern, der ihm, ihn ſichernd gegen ſolchen Verluſt ſeiner ſelbſt, die Rückkehr weiſt (Hygin. P. A. II. 5.), wie dieſe deshalb am Himmel prangende Krone fort und fort zu gleichem Dienſte Jedem leuchtet. So erſcheint Ariadne auch in offenbar älteren Sagen als geradezu entgegengeſetzt dem Dionyſos. Sie hat ſeine heilige Grotte entweiht, und er iſt die Urſache ihres Todes (Schol. ad Odyss. XI, 321. und Schol. Apollon. III, 996.). Wie kömmt alſo dieſe Ariadne zu Dio— nyſos? Sie kommt aber auch nicht zu dem Umherſchwärmer Dionyſos. Sie iſt die Gemahlin des myſtiſchen, des unterirdiſchen Dionyſos, der ſich ſelbſt ſchon zu ſeiner einfachen innern Einheit zuſammengefaßt hat (Munker. ad Hyg. fab. 224. und Böttiger Arch. Muſ. 1. Heft), und das Abbild ihrer Krone, wie Böttiger zeigt, iſt der Kranz, den jeder Geweihte bei den attiſchen Myſterien trug. So zeigt ſich auch in dieſer Verbindung des Bakchos und der Ariadne, wie fi in der myſteriöſen Anſchauung das Weſen des Gottes gehoben und mit ſeinem Gegenſatz in Einheit gebracht hat. So iſt die myſtiſche Anſchauung nur der im Griechenthum ſelbſt vor— handene Zug, durch welches daſſelbe ſich über ſich ſelbſt herauszuheben und das Daſein der beſonderen Momente der Idee in ihre geiſtige Einheit aufzulöſen gedrängt war.

Nicht nur durch dieſe und jene Symbole und Gebräuche, ſondern nach ihrer ganzen innern Bedeutung iſt die myſteriöſe Richtung der im Griechen— thum ſelbſt vorhandene und ſich forttreibende Entwicklungskeim der chriſt— lichen Religion.

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1

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Richtiger ſicherlich, als ihm ſelbſt bewußt, ſagt Jo. Lydus (de mensi- bus IV. c. 38. p. 72, Bonner Ausg.), nachdem er zuvor Apollo, welchem Hermes die Kithara übergiebt, als die Sonne gedeutet hat, welcher die Harmonie (alſo die ideelle und negative Einheit, nicht die ſinnliche Fülle) des Weltalls übertragen ſei: „im Geheimen wurden die Myſterien des Dionyſos gefeiert, weil Allen verborgen iſt die Gemeinſchaft der Sonne (d. h. hier des inneren einheitlichen Centralpunktes) mit der ſinnlichen Natur des Alls“ ).

Wieder erſcheinen hier die Apollo und Dionyſos zu Grunde liegenden Ideen als die die ganze Weite der griechiſchen Religion umſpannenden Gegenſätze, und die in der dunkeln ſinnlichen Vorſtellung ſich ſinnlich voll— bringende Einigung derſelben als der Inhalt der Myſterien; als Bedingung aber dieſer Myſterien und ſomit zugleich andrerſeits auch als die Be— dingung der griechiſchen Volksreligion überhaupt mit Recht das Ge— heimſein dieſer Einheit d. h. alſo die noch ſelbſtändige Beſonderheit, der noch nicht aufgehobene Gegenſatz dieſer Göttervorſtellungen gegen einander. Als die beſonderen Götter immer mehr vergeiſtigt ſind, als ſie immer mehr ihre Rollen mit einander vertauſcht und ſich gegenſeitig ſo durchdrungen haben, daß ſie ſchlechthin in keiner Beſonderung gegen einander beſtehen bleiben können, als die Gegenſätze zu reinen Momenten der Idee geworden, und ſomit ihre bis dahin nur vorgeſtellte und des— halb geheime Einigung ſo vollbracht iſt, daß aller Gegenſatz als ein auf— gehobener erſcheint, da iſt das, was die griechiſche Myſtik nur vor— ſtellend verſucht, einerſeits vollendet und auf die Spitze getrieben im Neu-Platonicismus, andrerſeits erfüllt und aufgehoben zugleich im Chriſtenthum, dieſen einander ſo feindlichen und doch innerlich ſo weſentlich zuſammenhängenden Erſcheinungen.

Wie einerſeits, wie wir oben gezeigt, im Elemente des reinen Denkens

das philoſophiſche Erkennen ſchon früher jene Einheit vollbringt, ſo iſt jetzt noch in der Form der ſinnlichen religiöſen Vorſtellung ſelbſt die chriſtliche Religion die Vollendung und Offenbarung und damit zugleich die Aufhebung dieſer Myſterien-Anſchauungen. Der chriſtliche Gott war das Herzensgeheimniß, das die griechiſche Welt ſo lange in ſich verborgen trug, wie der griechiſche Zeus den Dionyſos in ſeinen Flanken.

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1) „ee Hong zudapav Adnan fun ra Aröllavı, olov 6 Aöyos ro Hilo ray Tod mayrög dppoviav: Ev dropprrw ÖE ro Joviow ra uuarnpra reer dd v ndot dmörpugpov elvar iv tod hilov mpos my ToD ravrög

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22

Um jedoch von dieſer Abſchweifung zurückzulenken, ſo iſt jetzt nach allem Bisherigen wohl gewiß und unzweifelhaft erwieſen, daß Heraklit in feiner ſpeculativen theologiſchen Dreieinigkeit von Apollo und Dionyſos als den reinen in einander umſchlagenden an ſich identiſchen Gegenſätzen des Momentes der ideellen Einheit oder des Negativen und des Momentes des realen Daſeins, deren beſtändige ihnen ſelbſt negative Umwandlung in einander das Leben des Zeus oder die abſolute Idee des Werdens bildet, die nur in der proceſſirenden Vermittelung dieſer Gegenſätze mit einander exiſtirt, ſich in der That überall auf dem Subſtrate der religiöſen, beſonders der orphiſchen Vorſtellungen bewegt, und nur das in dieſen An— ſchauungen an ſich in ſinnlicher Weiſe Enthaltene in den reinen Begriff erhebt, eben deshalb aber mit dieſer ſpeculativen Religionsphiloſophie die Religion ſelbſt, deren Weſen darauf beruht, ihres eigenen Inhalts nicht bewußt und mächtig zu ſein, vollſtändig auflöſt.

Daſſelbe Subſtrat und Material orphiſcher Anſchauungen, dieſelbe Adoption dieſes ſinnlich mythiſchen Stoffes als Darſtellungsform ſeines Gedankens, und, was hierin ſchon geſagt iſt, dieſelbe ſpeculative Ausbeutung dieſes Stoffes läßt ſich auch mit Sicherheit darin nachweiſen, wenn er, laut den oben angeführten Fragmenten und Zeugniſſen, ſeinen Demiurgen Zeus ein Kind und gerade ſeine Action des Weltbildens ein Spielen dieſes Kindes genannt hat. Von dem Material, das hierüber zu Gebote ſtünde, nur Einiges: Proklus bezeugt, daß Orpheus ſowohl ſeinen Zeus ſelbſt, als auch ſeinen Dionyſos Kinder genannt habe !). Natürlich! Wenn bei Heraklit Zeus, nicht inſofern er als ſolcher d. h. in der Totalität und Einheit ſeines Weſens gefaßt wird (denn inſofern iſt er das „Eine Weiſe“), ſondern inſofern er weltbildend iſt, d. h. ſich in den Dionyſos umwandelt und rückwandelt, wenn alſo weſentlich Zeus als Dionyſos

gedacht ein ſpielendes Kind iſt, jo drückt fi) das in der ſinnlichen Vor- ſtellung, wo alle Momente noch beſonderes ſinnliches Dafein e noth⸗

wendig ſo aus, daß Zeus und Dionyſos Kinder ſind.

Bei Dionyſos iſt nun ſeine Auffaſſung als Kind ein vorſtechender und bedeutungsvoller Zug. Wenn alle andern Götter uns faſt immer nur in entwickelter Jünglings- oder Mannes-Geſtalt begegnen, je muß es für Dionyſos in ſeinem innerſten Weſen begründet ſein, daß in ſeinem geſammten Mythenkreiſe feine Kindheit eine jo große Rolle ſpielt, be—

1) Comm. in Parmen. p. 91 ed. C. p. 527. Stallb.: „Aro rov AJ at ov Atövvoov naldas e veous 7 Veoloyia xalei, xalnep üvre Vs,

gneaiv H ¹ν. Fragm. Orph. p. 507. ed. Herm.

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ſonders aber im orphiſchen und myſteriöſen Kreiſe er faſt conſtant als Kind gedacht erſcheint. Wie durch ſeine Paſſionsgeſchichte, ſo iſt auch hierin der myſtiſche Dionyſos das offenbare Vorbild und der Entwicklungskeim des Jeſukindleins. Es iſt aber die Kindheit in der That in der Idee des Gottes begründet. Das reale Daſein iſt nicht einmal geſchaffen; es iſt eine fortgeſetzt ſich vollbringende und wiederholende neue Schöpfung. Es iſt dieſer Wechſel vom immer neuen Hervorgehen und Verſchwinden des Ein— zelnen. Dionyſos wird daher gerade in der myſteriöſen Auffaſſung, wie er hier einerſeits zum unterweltlichen Todesgott Hades-Zagreus wird, andrerſeits als dieſer demiurgiſche Lebensgeber des Einzelnen ſich ſtets neu erzeugenden, nothwendig zum Kinde.

Allein das Daſein als ſich ſtets neuſchaffendes iſt mehr blos für den philoſophiſchen Gedanken vorhanden. Für die ſinnliche Vorſtellung ſtellt ſich dieſe unausgeſetzte Neuſchöpfung, an die ſinnliche Wahrnehmung anleh— nend, vielmehr als ſich jährlich neu wiederholende dar. Mit der Jahres— periode beginnt eine neue Schöpfung, eine Erneuung alles Daſeins. Darum wird jedes Jahr um die Zeit des Winterſolſtitiums, wo die Sonne wieder zu ſteigen beginnt, das neugeborene Dionyſoskind, dieſer Jahresheiland, in der myſtiſchen Wanne von einer Prieſterin in den Myſterien gezeigt!), wovon der Gott Aue?) hieß.

Der ganz myſteriöſe Jakchos wird von Suidas (s. v.) ausdrücklich ein Säugling, der an der Mutterbruſt liegende Dionyſos genannt;). Ebenſo erſcheint als Kind oder Knabe (us) Jakchos mit der Demeter in den orphiſchen Verſen bei Clemenss); dem Kinde Zagreus übergiebt Zeus die Weltherrſchaft s).

Nicht anders verhält es ſich mit dem Spielen des heraklitiſchen Zeus. Durch Kinderſpielzeng, Kegel, Kreiſel ꝛc. verlocken die Titanen den Zagreus, als fie ihn zerreißen“). Kindiſche Luſtbarkeiten erwähnt Plato bei den orphiſchen Weihen ?). Wenn nun Clemens unter den Symbolen, die bei den orphiſchen Myſterien als Spielſachen (A9bppnara) des Dio—

1) Siehe Proel. in Plat. Tim. p. 124., Lobeck. Aglaoph. p. 581 sqq., Serv. ad Virg. Georg. I, 166.

2) Nach Plut. de Is. et Os. c. 35. bringen die Hoſier in dem Tempel des Apollo ein geheimes Qpfer, wenn die Thyaden den Liknites aufrichten.

3) Vgl. Creuzer Bd. IV. p. 95 sq. Zte Ausg.

4) Protrept. p. 17. Fragm. Orph. XVI. p. 475. ed. H.

5) Clem. Al. ib. p. 15., Lobeck. Aglaoph. p. 699 sq.

6) Clem. u. Lobeck. I. I., Nonnus Dionys. VI, 173.

7) Plat. Rep. II, 364.

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nyſoskindes vorkommen, neben Kegel, Kreiſel ꝛc., die alle anerkannter— maaßen kosmiſche Bedeutung haben, beſonders auch der Würfel erwähnt, und wenn andrerſeits Lucian J. J. den Heraklit auf die Frage, wer denn fein Aeon ſei, antworten läßt: „Ein ſpielender, würfelnder (zeo- cebwv), ſich auseinander laffender Knabe“, jo iſt nun gewiß evident, daß dies „würfelnd“ keineswegs, wie Schleiermacher meint, ein uneigentlicher und verunſtaltender Zug der lucianiſchen Darſtellung iſt, ſondern daß He— raklit in der That, auch dies aus den orphiſchen Symbolen adoptirend und reſp. dieſe ſpeculativ ausdeutend, ſeinem weltbildenden Zeus jenes Würfeln zugeſchrieben haben muß ). Dies beftätigt ſich auch durch die früher ſchon nachgewieſene Genauigkeit der andern beiden Beiwörter des Lucian ra? nalfwv, Öcapepönevos. Dieſe Genauigkeit im Thatſächlichen iſt gerade auch für eine comödirende Darſtellung beſondere Pflicht. Sie vor allen darf nur ſolche Züge anbringen, die auf thatſächlicher bekannter Wahrheit im Originale beruhen und in demſelben einen weſentlichen Beſtandtheil aus— machen. Nur an dem contraſtirenden Vergleich dieſer zutreffenden als thatſächlich und wahr bekannten Grundlage und ihrer comödirenden Auf— faſſung entzündet ſich das Gelächter.

Soll Lucian's Verſpottung gelungen fein, fo muß alſo dies reoscehwv (würfelnd) bei Heraklit nicht nur ein thatſächlicher, ſondern auch ein be— deutungsvoller Zug ſein. Und in der That iſt dies ſo ſehr der Fall, daß erſt durch dies Würfeln die Darſtellung des weltbildenden Zeus bei Heraklit als eines Kindes und eines ſpielenden Kindes?) ihr concretes

1) So würfelt (garpayasıke) Heraklit bei Diog. L. IX, 3. Als ihn näm⸗ lich ſeine Mitbürger auffordern, ihnen Geſetze zu geben, ſo geht er ſtatt deſſen in das Heiligthum der Artemis und ſpielt daſelbſt mit Kindern Würfel. Und auf die Verwunderung ſeiner Mitbürger entgegnet er ihnen, daß das weit beſſer ſei, als mit ſo ſchlechten Leuten, wie ſie, die Stadt zu regieren. Obgleich auch der Zufall ſein nicht zu verkümmerndes Recht hat, ſo wäre es doch ganz möglich, daß hier bei dem ſymboliſchen Charakter, den wir überhaupt an Heraklit kennen und durch deſſen Auffaſſung im Alterthum manche Fabeln entſprungen find (vgl. p. 42, I.), hier wieder eine ſolche Beziehung unterläuft.

2) Man muß hierzu die p. 253, 1. ausgezogene Stelle des Plutarch de Ee ap. Delph. vergleichen, wo geſagt wird, daß Apollo nach gewiſſen Lehren gleich dem Knaben in der Fabel immer daſſelbe den Sand zuſammenhäufende und wie— der auseinanderſchüttende Spiel in Bezug auf das Weltall treibe, die Welt, welche nicht iſt, bald ſchaffend, bald die geſchaffene vernichtend, und das dort von uns Bemerkte, und hierzu beſonders Gregor. Nazianz. Orat. de paup. amore c. XX. P. 270, E. ed. Paris. 1778: ra , yap Earı za,ta hevora xal moosxarpa xa Gs Ev nardıa dhypwr, dire eis Üllous nerappırrobnevaralpera-

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Verſtändniß erhält. Das Spiel, das Zeus in der Weltbildung ſpielt, beſteht ja, wie wir oben geſehen haben, in nichts Anderem als darin, daß er ſich unausgeſetzt aus ſeiner Form als Apollo in ſein Gegentheil, in ſeine Form als Dionyſos, umſchlägt und aus dieſer ebenſo wieder immer in jene rückumſchlägt. Dieſe neraßorn, dieſe ſich ſelbſt umſchlagende Bewegung, hat ihre beſte ſinnliche Darſtellung in der ſich überſchlagenden und rück— überſchlagenden Bewegung der Würfel. Dieſe ſich überſchlagende Bewegung des resosdwv, noch dazu mit dem heraklitiſchen avo zarw in Verbindung gebracht, tritt ſehr gut auch in einer Stelle des Philo hervor, de vit. Moys. ): 7% rd doradunrörepov oböEv dvw zdrw ra avdowreta nerrevobons. „Nichts iſt unbeſtändiger als der Zu- fall, der nach Oben und Unten die menſchlichen Dinge über— ſchlägt“. Und darum iſt Zeus, weil ſich beſtändig aus ſich als Apollo in ſich als Dionyſos und vice versa umwandelnd und gerade durch dies umſchlagende Spiel ſeiner mit ſich ſelbſt die Weltſchöpfung zu Stande bringend, in der Weltbildung ein würfelſpielender Knabe).

Es würde noch übrig bleiben, ähnliche aus den religiös-dogmatiſchen Kreiſen gegriffene Beziehungen in den von Heraklit gebrauchten, ſchon an ſich ſelbſt jo alterthümlich klingenden Namen & ο und onohocbn nach— zuweiſen.

re hShẽ,ö und bald darauf rarfeodar nuäs e rote öpwpevors, dhlor Allws nerafalkonevors ad, uerafdilouae zal dvw zal xarw Yepope£vors Te zal meptrperongvors.

BUTLER: 85 M. T. IV. p. 1213 ed. Lips, ;

) Unſere Inſchutznahme des zeoasdwy nicht nur, ſondern auch unfere ganze Auf— faſſung des ſpielenden Kindes Zeus wird jetzt aber evident durch das neue Frag— ment bei Pſeudo-Origenes IX, 9. p. 281 beſtätigt: „A2 (fo nannte ihn ſchon Lucian J. I., es iſt Zeus in feiner realen Entfaltung) ats Eori ratkwv: nerredwv rardös 5 Aaaııniy. „Ein ſpielendes, würfelndes Kind ift der Aeon. Des Kindes iſt die Herrſchaft“. Unmöglich kann deutlicher, als in den letzten Worten geſchieht, die Beziehung auf die orphiſchen Dogmen, in denen (ſ. oben) Zeus dem Kinde die Fageeig über Göttern und Welt übergiebt, zum Vorſchein kommen.

Nach der von uns oben p. 57. 243 sq. gegebenen Entwickelung der Bedeutung dieſes Spieles des Zeus und des orphiſchen Subſtrats, in dem ſich Heraklit dabei bewegt, dürfte alſo auch von ſelbſt die Anſicht von Bernays beſeitigt ſein, welcher Rhein. Muſ. VII. 109 sqq. darin einen immer neue Welten bauenden und zer— ſtörenden Zeus und einen Beleg für die angebliche Weltuntergangslehre bei Hera— fit ganz mit Unrecht finden und die heraklitiſche Darſtellungsform hierbei durch Bezugnahme auf ein Hom. Il. XV. 361. erwähntes gewöhnliches Kinderſpiel er— klären will.

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Daß wirklich in ihnen ſolche Beziehungen vorliegen, daran wird man nach dem bisherigen im Allgemeinen gewiß nicht zweifeln können. Aber hier beſtimmt das Material nachzuweiſen, in welchem ſich Heraklit mit dieſen Namen bewegt, iſt ſchwieriger, deswegen weil, wie wir in einer früheren Anmerkung (p. 234, 2.) auseinandergeſetzt haben, nicht ganz feſtſteht, ob Heraklit den xöpos für das feurige Apolloſtadium und die Zynο i für das des Dionyſos gebraucht habe, oder umgekehrt. Nothwendig aber kömmt gerade hierauf alles an, ehe man wirklich beſtimmen kann, welche Mythenkreiſe Heraklit hier im Auge hat; denn ohne dieſes vorherige Feſt— ſtehen und den daran gegebenen Prüfungsmaßſtab würden einem die mög— lichen Beziehungen, die' weit entfernt zu fehlen in einem nur zu überreichen Maße vorhanden wären, hierhin und dorthin ſchillernd nur über den Kopf zuſammenſchlagen ).

Wäre unfere Vermuthung, daß der x0005 das Moment oder Sta— dium der feurigen Einheit darſtelle, ſicher, ſo muß zunächſt wohl auf den von Carl Ritter nachgewieſenen alten Koroscultus ?), der auch gerade in Kleinaſien localiſirt war, Bezug genommen werden, einen apolli— niſchen Sonnendienſt, in welchem (ſiehe Creuzer an den von Ritter angeführten Orten) gerade auch wieder Dionyſos zur Sonne umgedacht wurde.

In Bezug auf die ZHnoßlochyn. die Dürftigkeit und hieraus ent— ſpringende Sehnſucht, Sucht, wird immer ganz auffällig bleiben, wie Schelling in ſeiner ſo geiſtvollen Schrift über die Gottheiten von Samo— thrace (p. 11 sqq.) gerade dies als den Begriff und das Weſen (und ſelbſt den Namen) der ſamothrakiſchen Demeter entwickelt. Denn ſtünde es auch um Schellings daſelbſt verſuchte phoeniziſch-hebräiſche Etymologie wie es wolle, den Begriff dieſer ſamothrakiſchen Ceres hat er unzweifelhaft feſtgeſtellt, und ein merkwürdiges Zuſammentreffen iſt es daher jedenfalls, wenn

1) So würde man z. B. auf den Einfall kommen können, mit xöpos und xonspood,n (Sehnſucht) die phöniziſche Kosmogonie bei Damascius de prineip. in Wolf. Anec. Gr. III. p. 259 zu vergleichen, nach welcher Zeit, Sehnſucht und Nebel als Principien auftreten: Idwvıoe dE zara Tor abroy ovyypagea (nämlich Eudemus) zoö zavrwv ypövov broriderrar zat moWov zal Öpiyiny (ef. Euseb. Pr. Ev. II. c. 10.). Die Zeit tritt hier nicht als ſchöpferiſches Prin— cip ſelbſt, ſondern nur als Subſtrat von Allem auf und dies würde gut genug mit Heraklit ſtimmen. Aber der 76s oder die Sehnſucht nur dann, wenn bei Heraklit die yonapoadvn eine Sehnſucht nach Weltbildung, und alſo das Feuer⸗ ſtadium wäre, nicht aber wenn ſie das Dionyſosſtadium iſt und folglich eine Sehn— ſucht nach Rückgang in die ideelle Einheit darſtellt.

2) Vorhalle europ. Völkergeſchichten, Berlin 1820 p. 95 181 sqq.

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Heraklit, genau dieſen Begriff jener Ceres (obwohl in umgekehrter Weiſe) in dem griechiſchen Worte Zpyopoobvn wiedergebend und fie dem 6 Erfüllung und Vollendung gegenüberſtellend, dieſe Namen als die beiden Momente oder Stadien des göttlichen Lebens und ſeiner ſpeculativen Phyſik und Kosmogonie gebraucht (ef. § 26.). Und um jo beziehungsreicher muß die hierin vorliegende Hinweiſung erſcheinen, als nicht nur auch die Verehrung des Dio— nyſos unter den ſamothrakiſchen Gottheiten ſo bedeutend in den Vorder— grund tritt.), ſondern im Myſterienkreiſe gerade?) der myſtiſche Dionyſos als x6p05?) der Ceres gegenübergeſtellt und mit ihr als die Hauptgötter—

zweiheit angeſchaut wird. Denn daß die religiöſe Anſchauung von xöpos

(Bacchus als Kind und ſpeciell als Kind der Ceres) von dem Be⸗ griffe der Erfüllung?) nicht eben weit abliegt, iſt wohl auch ohne jede weitere Ausführung klar ).

1) Siehe außer Schelling, bei Schol. Apollon. 1, 917.; Jo. Lydus de mens. IV, 38. p. 72. ed. Bonn., wo dem Dionyſos ſogar die Stiftung der kabiriſchen Weihen zugeſchrieben wird, ebenſo bei Cicero de nat. Deor. III, 23. p. 618 Cr. vgl. Welker, Aeſch. Tril. p. 164 und Creuzer, Dionyſos p. 151.

2) In den eleuſiniſchen zwar, deren Zuſammenhaug mit den ſamothrakiſchen aber wohl ſeit lange von Niemand mehr bezweifelt wird, vgl. oben p. 211, 1.

3) zopos heißt der myſtiſche Dionyſos in den Eleuſinien als Kind, und zwar immer nur als Kind der Ceres aufgefaßt, wie Proſerpina u. Wie Ceres die Mutter xar &£oyyv ift (Herod. VIII. 65. Cc. interpr.), fo iſt er (vgl. Cie, de nat. Deor. II, 24.; Hermias in Plat. Phaedr. p. 87. ed. Ast.) der xöpos, das Kind zarefoyyr. Man ſehe Creuzers gelehrte Ausführung über xöp05 und x0p7 Symb. u. Myth. IV. p. 110. 3te Ausg. und beſonders in der 2ten Ausg.

4) Darum hat 2% os die Bedeutung von Sproß, Sprößling, ſelbſt in der Pflanzenwelt; ſiehe Lobeck, Aglaoph. p. 413.

5) Blos einige Andeutungen ſeien geftattet: Mit dem Kinde iſt das in Schmachten und Sehnſucht beſtehende Weſen der Mutter (Ceres) zur Erfüllung und Vollendung gekommen. Dies dürfte eine Ideenreihe ſein, die dem Bei— namen des myſtiſchen Bacchus xopos zu Grunde liegt. Darum iſt bei den Or— phikern, bei welchen die Ceres mit der Rhea identiſch und Mutter des Zeus iſt, die Ceres vor ihrer Mutterſchaft Rhea; erſt mit derſelben erfüllt ſie ſich zur Demeter, ſ. Proclus in Cratyl. p. 96: Anumrpa H ενẽ, ˖ Try abrmy Aeywv 77 Fea etrdt lere, drt dvwiev uEv nera Koovov odoa ävsrpoitnros Jed sort, npoßallovaa. Ö2 xal droysvvooa roy Aa A, Aeysı .

Vein ro noi Eobaay nt Jeg Erlero νν,

rerore uf. und hierzu die Berichtigung des Textes bei Lobeck, Aglaoph. p. 537. Beſonders muß dabei auf die in @vexporrnros liegende Bezeichnung ihres noch einſamen,

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Zeigt ſich aber immerhin hierbei, wie wenig Heraklit an dem beſtimmten einmal gewählten theologiſch-dogmatiſchen Stoff und ſelbſt an der Stellung, welche innerhalb deſſelben die mythiſchen Geſtalten zu einander einnehmen, feſthielt, ſo iſt dies nur ein Beweis mehr für die ſchon im Anfang dieſer Arbeit aufgeſtellte und ſeitdem oft genug belegte und im Verlauf immer deutlicher nachzuweiſende Anſicht, daß er ohne jede dogmatiſch-theologiſche Tendenz jenes Material nur als Darſtellungsform ſeiner reinen Be— griffe gebraucht und, gerade wegen der für ihn ſelbſt vorhandenen Un— angemeſſenheit dieſer ſinnlichen Hülle für den rein begrifflichen Inhalt, dieſen

nicht aus ſich herauskommenden Weſens geachtet werden, ſowie auf die in d ονẽ verknüpften Bedeutungen von Sichbewegen und einem dadurch hervorgebrachten Sein. Faſt noch deutlicher ſagt Proelus ib. p. 85: 6 Mopeds roorov H wa i ahr evar mv Anmrpa Om Zworovia, zoorov ÖAAkov ob Tyy a Aud pev rd obea E Sr. zarw , Herd tod ee Ae.

Auf dieſe orphiſche, des geiſtigen Unterſchiedes nicht entbehrende Identität der Ceres und Rhea hätte ſich, wie mir ſcheint, Lobeck berufen ſollen, um den ſchon im Alterthum geführten Streit, ob der ſamothrakiſche Dienſt der Rhea oder der Ceres geweiht geweſen, zu verſöhnen (ſ. Aglaoph. p. 1225 sqgq.), nicht auf die Aehnlichkeit einzelner Attribute und Beinamen und eine daraus hervorgegangene Verwechslung.

Gewiß muß es uns aber ſehr bedeutſam für unſern Zuſammenhang erſcheinen,

wenn wir ſehen, daß auch die Stoiker, ſo ſehr in der Regel jenes ſchlechte und abſtracte phyſiſche Allegoriſiren (vgl. oben p. 231,1.) bei ihnen überhand nahm, in welchem dann die Ceres in der beliebten Weiſe zur Erde wurde, dennoch nach noch vorhandenen Spuren anderwärts auch jene orphiſche Identität von Ceres und Rhea acceptirt hatten, ſ. Chrysippus ap. Phaedrus de nat. deor. p. 18: „, paysosar zo my IE u pirspa tod 4 eivar zar Inyarepa“. Sicher, wenn Phaedrus daſelbſt von Chryſippus jagt: Ta raparinara de xav rot re pbosws h . ννỹνττεπꝗ.w᷑̃ i οο πν⏑νανe zatta Hpuxisiron gunονEẽ, , xuxeove, ſo hat Chryſippus auch dieſes „Umdeuten der Mythen“ nicht weniger als den Miſchtrank, dem er ſie anpaßt, von Heraklit entlehnt. Und nach Allem, was ſich bereits hierüber in Bezug auf das Verhältniß der Stoiker herausgeſtellt hat und ferner herausſtellen wird, werden wir allemal gerade da veranlaßt ſein, engeres Anſchließen an Heraklit bei ihnen anzunehmen, wo ſich Spuren wirklich ſpecula— tiver Mythenbehandlung bei ihnen finden, eine Behandlungsweiſe, die ihnen ſo wenig originär und ſelbſteigen iſt, daß ſie dieſelbe auch nirgends feſtzuhalten ver— mochten; während dagegen, wo fie in ihrer gewöhnlich abftract oberflächlichen Weiſe die Götter in Luft, Erde ꝛc. ꝛc. zerlegen, ſie offenbar von Heraklit ſich ent— fernen, ihrem eigenen Genius folgen, und das ganz genau entſprechende ver— derbende Mißverſtändniß an heraklitiſcher Theologie verüben, das wir ſie an hera— klitiſcher Phyſik verüben ſehen werden. Von Heraklit ſagte uns Heraklides oben ſehr richtig, er theologiſire das Phyſiſche (Heodoyei ra gvarza); von den Stoikern könnte das Umgekehrte geſagt werden, guaroAoyoder ra eta.

u A

in feiner rein logiſchen Form ihm noch unausſprechlichen Begriff in immer neuen ſinnlichen Darſtellungen herauszuringen geſucht hat.

Die eben in Folge dieſer Darſtellungsform ſelbſt wieder die äußere Geſtalt einer ſpeculativen Theologie und Religionsphiloſophie an— nehmende, aber mit ſeiner Philoſophie nothwendig bereits gegebene voll- ſtändige Auflöſung der Religion ſelbſt tritt nun auch deutlich ge— nug in vielen noch erhaltenen Fragmenten Heraklits heraus, in welchen wir ihn zunächſt im entſchiedenſten Gegenſatz gegen die Volksreligion er— blicken. So in dem Fragmente, das Origenes aus Celſus mittheilt !): „za: e xar Hodnej,,⅛¹ja de re dnogalverar „al rors dydinac: roureoroev zelyovrat, 0xolov El , Toloe Ödnoro: Aeoyy- veborro, re Yırvmormy Bzods olre Hpwas olrıyEs elat“. Und mit Weglaſſung des letzten (aber deshalb nicht weniger echt hera— klitiſchen Satzes) findet ſich das Fragment auch bei Clemens ?): Tod re 00D dxovaov yriocdgou od kgpeoiov Au eν] . „za dyak- a0 Tour£oroev edyovrar Öxolov el rıs Öömorse keoyy- vedorro“. „Und zu dieſen Bildſäulen flehen fie, als wie wenn Einer zu Häuſern plapperte, nicht wiſſend wer Götter noch Heroen find‘.

Dieſe Sentenz wird bei Heraklit gewiß nicht im Geringſten überraſchen können. Wenn ihm das Göttliche das reine ungehemmte Werden war, ſo iſt die Bildſäule das, was am wenigſten Theil an dieſer proceſſirenden Be— wegung hat. Sie iſt am meiſten feſtes bleibendes Sein.

Darum ſagt Clemens nicht mit Unrecht, indem er zu jenem Citate übergeht: „Du aber, wenn Du den Propheten nicht hören willſt, ſo höre Deinen eigenen Philoſophen, den Epheſier Herakleitos, wie er den Bildſäulen ihre Lebloſigkeit (dvaadyacav) vorwirft“ ꝛc. Darum iſt auch im Frag— ment ſelbſt der Vergleich der Bildſäulen mit Häuſern ſehr bezeichnend gewählt, und kein Unbefangener wird irgend zweifelhaft darüber fein können, daß Heraklit zu dieſem Ausſpruch von ſeinem Syſtem aus gelangen konnte und mußte. Gleichwohl will Schleiermacher wie er ſagt, nicht „wagen“, das Fragment als echtes zu bezeichnen. Aber er belegt dies mit ſeltſamen Gründen. Er meint, es ruhe „auf dieſer Stelle der Verdacht jüdiſchen Urſprungs“. Worauf baſirt er dieſen Verdacht? Auf nichts Anderes als darauf, daß dieſer Gedanke in der That auch vom jüdiſch-alexandriniſchen Standpunkt aus ausgeſprochen werden konnte. Aber das wird doch hof—

1) contra Celsum VII. p. 738. ed. de la Rue. 2) Cohort. ad Gent. c. IV. p. 15. Sylb. p. 44. Pott.

fentlich nichts beweiſen ſollen! Denn, wie bekannt, kann ein- und der- ſelbe Satz von den verſchiedenſten Standpunkten der Welt aus geſagt werden. So vergleicht Celſus ſelbſt bei Origenes a. a. O. dieſe Sentenz Heraklits mit der Sitte der alten Perſer, den Göttern keine Tempel und keine Bildſäulen zu ſetzen, wie denn in der That die Verachtung der Ma— gier gegen beide bekannt iſt (ef. Diog. L. Prooem. $ 6. und dazu Mena- gius; Cicero de legibus II, 10. mit Davis. u. Creuzers Noten; Herodot 17131)

Ebenſo erzählt uus von den Aegyptern Lucian, daß ſie Tempel ohne Bildſäulen gehabt (% d£oavor, Luc. Dea Syr. T. IX. p. 87. ed. Bip. ef. Diog. L. Prooem. 2. u. Philostr. vit. Ap. VI. c. 19. p. 257).

So werden wir bei dem verbürgteſten Spruche Heraklits, daß Alles nach Art eines Fluſſes fließe, finden, daß fromme Kirchenväter ihn in ihrem ſpiritualiſtiſchen Sinne von der Nichtigkeit und Hinfälligkeit alles Irdiſchen gebraucht haben, wie denn überhaupt ſehr viele heraklitiſche Sen— tenzen, z. B. der Spruch: Leichname ſeien verächtlicher denn Miſt, der Leib das Grab der Seele, der unſtäte Wechſel des Wegs von Oben nach Unten, in dem Alles immer begriffen ſei, der Krieg als Geſetz des Daſeins, die Auflöſung der Dinge in Feuer ꝛc. ꝛc., das Schickſal gehabt haben, theils mit beſonderer Vorliebe von dem chriſtlichen Spiritualismus ergriffen und ausgebeutet, theils zu reinen Gemeinplätzen und in einem Sinne, in wel— chem Heraklit ſie gar nicht wieder erkannt haben würde, ſprüchwörtlich zu werden!). Alle dieſe Dicta hätte alſo, inſofern ſie ſich nicht ſchon bei

1) Doch zeigt ſich hierin jedenfalls die große Verbreitung, die Heraklits Sen— tenzen direct und indirect zu Theil geworden war. Außer dem, was in obiger Beziehung bei den betreffenden einzelnen Fragmenten bemerkt iſt, vgl. man als Beleg hierzu nur Folgendes: Das Dictum vom Fluſſe in dieſer Weiſe bei Euseb. Orat. de laudib. Constant. ed. Paris. 1659. p. 613: „i dvwrarw Ha öptyvmpzvos un Yap Ta rapovra ügıa Tod rapfaoıEws Yzod ovveidws, Ta Hurd zal Erixnpa xal notanod Otanv bedvra xal drokldneva Try AH Toy aa, dowpnarov Tod Veod Pmorsslav ,. Das heraklitiiche Dietum verves aon, 2fAnrörspoy in gleicher Weiſe verarbeitet in derſelben Rede p. 659: „adrixa yoby yUES πu⁰ npwmy Yzoudywv yEvos rov GH dviowurwv Plov Suu, Are Te rut Annye nal nohla loyver, Erei Y S dvdourwv α,),F , ve O herd tadra Ent vi, oxufßaiwy Exfinrtöorspov, Arvovv, arA.— Der Krieg, welcher nach Heraklit die ganze Sphäre des wirklichen Daſeins conſtituirt, konnte ebenſowenig umhin, ſchon bei den Stoikern zu einem Gemeinplatz (in wel— chem er natürlich ſeine logiſch-metaphyſiſche Bedeutung, die er bei Heraklit hat, gänzlich verlor) und hinterher von den Kirchenvätern mit großem Beifall in ihrem ſpiritualiſtiſchen Sinne adoptirt zu werden; cf. Seneca Epist. 96: Vivere, mi-

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Plato und Ariſtoteles finden, Schleiermacher donſequenterweiſe gleichfalls verwerfen müſſen. Ueberhaupt ſollte es, nach dieſem Grundſatze verfah— rend, ein Leichtes ſein, mehr als drei Viertheile der von Schleiermacher anerkannten Fragmente zu ſtreichen.

Der Probierſtein für Alles das, was uns erſt von ſpäteren Schrift— ſtellern als Heraklit gehörig angeführt wird, kann daher nur der doppelte ſein, daß man zuſieht, ob Heraklit von ſeinem Gedankenſtandpunkt aus einen ſolchen Ausſpruch thun konnte, und dann, ob er nach Ton und Faſ— ſung ihm entſpricht. Trifft Beides zu, ſo bleibt ſehr gleichgültig, von welchen noch andern Standpunkten aus und in welchem anderen Sinne derſelbe Ausſpruch gleichfalls hätte gethan werden können. Was die erſte Forderung anlangt, ſo iſt, daß Heraklit von ſeinem Gedanken aus jene Worte ſagen konnte, ſo ſehr klar, daß er ſie conſequenterweiſe ſelbſt ſagen mußte. Faſſung und Ton des Fragments betreffend, ſo muß auch Schleier— macher bekennen, daß er „alterthümlich“ und, fügen wir hinzu, ſpeciell hera— klitiſch iſt. Auch führt ja nicht Origenes, ſondern Celſus, und Origenes nur aus ihm, dies Fragment au. Aber, meint Schleiermacher, „Celſus mußte freilich die alexandriniſchen Juden auch leſen und konnte ſich von ihnen und mit ihnen täuſchen laſſen“. Gewiß eine ausnehmend vage Ver— muthung! Mit ſolchen durch nichts Näheres unterſtützten bloßen Mög— lichkeiten würde aber jede Scheidelinie zwiſchen Kritik und Willkür fort— fallen.

Es iſt vielmehr gewiß nicht glaublich, daß der gelehrte und chriſten— feindliche Celſus einen Satz Heraklits, den die Chriſten ſo ſehr zu ihrem Vortheile benutzen konnten, ſelbſt angeführt hätte, wenn er nicht verbürgter— und anerkanntermaßen dem Epheſier angehört hätte. Ferner hätte Schleiermacher berückſichtigen ſollen, daß auch von Zeno eine ähnliche Denk— weiſe in Bezug auf Bildſäulen und Tempel als der Götter unwürdig be— richtet wird (aus ſeinem Buch über den Staat ſiehe Theodoret. Serm. III. de aff. Graec.). Endlich aber überſah man bisher eine andere Stelle,

litare est; Epist. 51: Nobis quoque militandum est et quidem genere mi- litiae, quo nunquam quies nunquam otium datur; Chrysostomus in Act. Orat. 15. ed. Commel. p. 143. D.: AV Earıv 6 rapwv ] e, cue, sort xa hννν. Id. in 1. ad Thess. hom. 3. p. 1428: roAguov j, dg ,’ Sans iu 2arı ypövos; id. in Genes. Orat. 3.: Jmvernr iu Sarw 6 Hτννν]ο zat dvarıyyy oböerore &yav. Augustin. adv. Jul. IV. c. 16. Nullum sine bello intestino diem dueis. Das Dietum, daß der Leib das Grab der Seele, hat natürlich des Gregor. Nazianz. ganzen Beifall, Epist. 70. in Philagr. ed. lat. Cöln. 1570. p. 690 ete.

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in der uns Origenes dies Fragment aus Celſus nochmals aufbewahrt hat, aber mit einer Variation, welche noch mehr den Verdacht jüdiſcher Er—

2

findung von unſerem Bruchſtück abwälzt !): Exridera: "Hoaxierrov Add eyv Aeyovoav: „onola ws el ve Ööpors Aeoyyvsborro roreiv ro npoorövras ws Beors rois Aabdyors“. „Gleiches, als wie wenn Jemand mit Häuſern ſpräche, thun Die, die an ſeelenloſe Götter herantreten“. Das zweite s aber in dieſer Stelle wäre überflüſſig und nicht wohl zu begreifen, wenn nicht vor ihm AuAh,de ausgefallen ſein ſollte. Und an dieſes Heors rors aybyors konnte ſich dann auch anſchließen obre yıyvwoxovras Beods x. 2).

In denſelben Kreis entſchiedener Polemik gegen das ſinnliche Weſen der Religion überhaupt und ihres Cultus gehört auch das Fragment, wel— ches ſich bei Elias Cretens. ad Gregor. Nazianz. ) in Ueberſetzung zwar, aber in einer offenbar wörtlichen, vorfindet. Er ſpricht von denen, die turpioria sacrificia darbringen und fährt fort: „Quos quidem irridens

1) c. Cels. I. p. 325 de la Rue.

2) Die innere Echtheit des Bruchſtücks beſtätigt ſich übrigens noch durch eine Stelle Plutarchs, in welcher er, um den aegyptiihen Thierdienſt zu vertheidigen, in einem ganz heraklitiſirenden Gedankengange, und Heraklit auch ausdrücklich eiti— rend, aus denſelben Gründen die Verwerfung des Bildſäulen-Cultus entwickelt, ſo daß es, Angeſichts des obigen Fragments dringend wahrſcheinlich wird, daß Plu— tarch auch dieſen Tadel des Bilderdienſtes aus Heraklit, deſſen Gedanken er ſich zur Begründung deſſelben bedient und den er oben angeführt hat, ſchöpft und daß er ſomit gleichfalls das obige Fragment beim Epheſier geleſen hat, de Is. et Os. c. 77. Plutarch hatte im Vorhergehenden gejagt, es dürfe das Unbeſeelte (4% %) nicht beſſer erſcheinen als das Beſeelte und das Leb- oder Empfindungsloſe (avar- oer) nicht beſſer als das mit Empfindung Begabte, auch nicht wenn man alles Gold und Edelgeſtein an einem Ort aufhäufte. Nicht in Farben, Geſtalten noch Flächen erſcheine das Göttliche, vielmehr habe das, was niemals Leben in ſich hatte, noch ſeiner Natur nach haben konnte, ein weniger geehrtes Loos als ſelbſt Leich— name (dreuorspav Set vezo@v poipar). „Die lebendige, fährt er fort, und ſchauende und den Urſprung der Bewegung aus ſich ſelbſt ſchöpfende (zunesws dh, e Eavras Eyovoa) und die Kenntniß des Eigenen und Fremden habende Natur riß wo anders her an ſich einen Abfluß (Aroppoyr) und Antheil des Ver— nünftigen, durch welches das All regiert wird nach Heraklit; weshalb das Gött— liche nicht ſchlechter in dieſer (thieriſchen Natur) bildlich dargeſtellt wird, als in ehernen und ſteinernen Gebilden, welche Untergang und Veränderung gleichmäßig erfahren, aller Empfindung (aledncewz) und Einſicht (e aber von Natur aus ermangeln. Dies halte ich für das Weſentlichſte, was über die Verehrung der Thiere zu ſagen iſt“. (Die Analyſe des herakl. Citats in dieſer Stelle folgt ſpäter.)

3) Orat. XXIII. p. 386.

*

er *

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Heraclitus: „Purgantur, inquit, cum eruore polluuntur, non secus ac si quis in lutum ingressus luto se abluat“, „dieſe verhöhnt Heraklit, wenn er ſagt: „Indem fie ſich reinigen wollen, beſudeln ſie ſich mit Blut, gleichwie als wenn Einer der ſich mit Koth beſchmutzt hat, ſich mit Koth abwüſche“. Die un— vermittelte, nicht einmal durch eine Participialconſtruction mit einander ver— bundene, im Deutſchen gar nicht wiederzugebende Nebeneinanderſtellung von purgantur, polluuntur iſt echt heraklitiſch. Die Wendung non secus ac si quis tft nur eine Ueberſetzung von der Verbindung & ws e res, welche wir ſchon in dem vorigen Fragmente antrafen. Schleiermacher (ſ. p. 431) will auch zu dem letzten von Elias Cret. mitgetheilten Bruch— ſtück, weil es nirgends anderswo erwähnt wird, kein rechtes Vertrauen faſſen. Allein er überſieht hierbei eine andere Stelle, nach welcher es ſogar zu den bekannteren gehört zu haben ſcheinen könnte. Denn ohne Heraklit zu nennen, bezieht ſich darauf faſt wie auf etwas Sprüchwört— liches und daſſelbe zugleich nicht unglücklich interpretirend der freilich ſehr beleſene Gregor Nazianz ſelbſt, Orat. 25. c. 15. T. I. p. 466. ed. Par.: obyysı pev vu vn Eiiyvwv Öderorarmoviav Ws TDÖTEDOV xal TOY no- Abdeoy ahrwyv Adeiay za Tobs nalards Yeods xar Tods veous xal ro aloypods nbNdous ru, Tods aloyporepas Bvolas nn)o nyAdv & E darpovrwv, ws alrwy Tıvos AEYovros Nx0v00, AEYw 0N7 oWpaoL g. para Tois Toy dAldywv lwwy Ta Eavr@v xri. „wüuf fort die häßlichen Mythen und die noch häßlicheren Opfer, die das Thun derer ſind, welche Koth durch Koth reinigen, wie ich Einen von ihnen ſelbſt ſagen hörte, ich meine Solcher, die durch die Körper unvernünftiger Thiere ihre eigenen Körper reinigen wollen“.

Uebrigens wird man ſich hier auch der Andeutung erinnern, die bei Jamblich über die Opfer erhalten iſt, daß ſie nämlich Heraklit nach ihrer wahren, aber wie die letzte Stelle zeigt vom religiöſen Cultus ſchmählich verkannten und in ihr Gegentheil verkehrten Beſtimmung, „area“, Hei— lungen der Seele d. i. Reinigungen derſelben vom Stofflichen, ge— nannt habe (vgl. oben p. 156, 1.; die daſelbſt aufgeſtellte Vermuthung erhält in dem gegenwärtigen Zuſammenhang wohl hinreichende Wahrſcheinlichkeit).

Wird aber die Frage aufgeworfen, was waren denn, wenn Heraklit mit ſolcher Verachtung von ſeinen Zeitgenoſſen ſagt: „Nicht wiſſend, wer Götter noch Heroen ſind“, was waren denn nach ihm ſelbſt Götter, Heroen und Dämonen, ſo ergiebt ſich die Antwort hierauf im Allgemeinen zunächſt aus ſeinem Syſtem, der es auch an poſitiven Belegen nicht feh— len wird.

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Das Göttliche war ihm das reine Werden; die Verbindungen deſſelben mit dem Sein alſo in der That das, was man ſeine Dä— monologie nennen könnte. Und da bei ihm dieſe Verbindung kein ruhiges Sein, ſondern ein ſolches producirte, welches nur Proceß war und darin beſtand, den Weg nach Oben und Unten einzuſchlagen, ſo wäre es an ſich leicht möglich, daß er die Stufen und Knotenpunkte, welche das Sein auf ſeinem Wege nach Oben durchläuft, als entſprechende Stufen und Knoten—

punkte für die Entwicklung des Göttlichen an irgend welchen Orten ſeines

Werkes hingeſtellt hätte; daß er alſo die Stufen des Naturproceſſes auch als Klaſſificationen und Abtheilungen der Dämonologie darſtellen konnte, ja darſtellen mußte, falls er ſich überhaupt einmal irgendwo in ſolcher Claſſification der Dämonologie ergehen wollte.

Einen Wink hierüber ſcheint uns Plutarch zu geben in einer von den Bearbeitern des Epheſiers nie in Betracht gezogenen Stelle, in welcher er zwar Heraklit nicht nennt, aber doch wohl deutlich auf ſeine Lehre, wenn auch erſt in ihrer bei den Stoikern erhaltenen Entwicklung hin— verweiſt. Er ſpricht daſelbſt (de defectu Orac. c. X. p. 415. p. 700 sd. Wytt.) ausführlich von der Dämonologie und zeigt, daß ſie Heſiod zuerſt in vier getrennte Gattungen genau claſſificirt hat, in Götter, Dä— monen, Heroen und Menſchen. Hierauf fährt er fort: „Erspor de nera- BoAyv ros re owpaorv Ömolws rowdor zar ars gu, GS Ex ie Döwp, Ex & boaros di, SH 0 depös dp yevvdpevov OpATaL, Ts oDalas va geo odrws &x nv dvdounrwv eis Gowas, Ex de ToWwv eis Öalpovas, al Beirloves N cyv meraßoinv Aaufavonowv: £x 02 de- növav Öktyar pEv Sr. ypovo rölla dr aperys zadapdeica: rayranaoı deörnros nErsoyov: Evias Ö2 H ee zpareiv Eaurav, AA bęte- nEvars xal dvakvouzvar ray owpaoı dee, di, v anvopay Can, Gee Avadunfaoıy, lage., „Andere aber nehmen dieſelbe Um— wandlung wie bei den Körpern, ſo auch bei den Seelen an; wie man nämlich ſieht, daß aus der Erde Waſſer, aus dem Waſſer Luft, aus der Luft Feuer ſich erzeugt, indem ſich die Weſenheit nach Oben bewegt, ſo ſchlagen auch die beſſern Seelen eine Umwandlung aus Menſchen in He— roen, aus Heroen in Dämonen ein. Und aus Dämonen nun gelangen ſie, nachdem ſie ſich noch lange Zeit durch Tugend gänzlich gereinigt haben, zur Theilnahme an der Gottheit. Einigen aber geſchieht es, daß ſie ihrer ſelbſt nicht mächtig ſind, ſondern herabſinkend und wieder in ſterbliche Körper eingehend ein glanzloſes und unreines einer ſteten Umdunſtung!) ähnliches Leben

1) avaduniao vgl. oben p. 144152 u. 162 sq. Der hier gemachte Gebrauch des Wortes widerſpricht nicht, ſondern beſtätigt das daſelbſt über die vadvnians von

ur | Bar = .

8 999 Wie vieles aus der zweiten Hälfte dieſer Stelle genau mit

dem übereinſtimmt, was wir ſchon urkundlich über Heraklit gehabt haben

(ſ. oben S 9.), liegt auf der Hand, und noch anderwärts wird ſich manches

bei Heraklit ergeben, was deutlich beſtätigen dürfte, daß Plutarch hier

auch ihn ſelbſt und nicht blos die Stoiker im Auge hat. Dennoch ſind

wir der Meinung, daß Heraklit, wenn er auch wohl gerade durch den

mythiſchen Stoff in dem er ſich bewegt, dazu hingezogen an einzelnen

Stellen ſeines Werkes derartige Claſſification aufgeſtellt hätte, dieſelbe

doch nicht feſtgehalten hat. Dies zeigt ſich deutlich ſchon an einigen hier—

her gehörigen Berichten heraklitiſcher Ausſprüche, in welchen wenigſtens in

2 der Form, in der ſie uns erhalten ſind, Götter, Dämonen und Seelen unterſchiedlos durcheinander geworfen werden.

h So zunächſt der obwohl nicht in wörtlicher Anführung mitgetheilte

2

Bericht des Diogenes IX, 9. Heraklit habe geſagt: „mavra duymv ervar za: Ou uνν rinpy“, „Alles ſei voll von Seelen und Dämonen“. Hier— hin gehört auch die Geſchichte, die Ariſtoteles !) erzählt, es wären einſt Gaſtfreunde zu Heraklit gekommen und hätten ihn ſich im Stalle wärmend gefunden, und als ſie nun geſtutzt, habe er ihnen zugerufen, getroſten Muthes einzutreten, „denn auch hier ſeien Götter“ (Exeievos Yap abrods elardvar dappodvras eivar Yap Evranda Beobs). In directer Rede findet ſich dieſe Aufforderung bei Gellius in der Vorrede: „Ego vero cum illud Heracliti Ephesii, viri summe nobilis, verbum cordi haberem

uns Geſagte. Die var. ift, ſagten wir, der objectivirte Uebergang des Seienden. Aber ein Uebergang, der immer ſelbſt wieder ins Daſein übergeht; ſie iſt der reale Proceß. So werden hier die Dämonen nicht ſelbſt mit „Dünſten“ verglichen (es heißt nicht Gszep dvamvpıdasar oder dvadvpedesıs), ſondern ihr Leben wird einer avanvn. gleich geſetzt. Es heißt alſo nicht: fie führen ein Leben, wie Dünſte es führen, ſondern: fie führen ein Leben, welches gleichſam eine dvasvutanıs i ſt,

d. h. einem ſich ſtets aus dem Feſten entwickelnden und ſtets wieder in's Feſte nieder— ſchlagenden Dunſtungsproceſſe gleicht. Wie dieſer, wie die vayvpiacıs nämlich iſt auch ihr Leben beſtändiger Uebergang der Seele aus dem realen Sein, dem feuch— * ten Leibe, in das Dämonenſtadium, und da ſie ſich in dieſem nicht erhalten, viel— mehr wieder in den Leib gezogen werden, wiederum Uebergang ins reale Sein. Der Vergleich iſt alſo ganz paſſend. Aber eben darin, in dieſer beſtändig zu neuem realen Daſein umſchlagenden Bewegung beſteht der Unterſchied des realen Proceſſes und der intelligiblen Bewegung des Zeus (vgl. $ 18.), und eben deshalb er— langen dieſe Dämonen nicht die Theilnahme an der Gottheit (ſ. oben p. 124 sq.). 1) de part. animant. I, 5. p. 645. Jenes rayra rinpn darıövwy oder Hey bringt daher ſchon Michael Ephef. mit diefer Aneedote in richtige Verbindung, Scholia in IV. libr. Arist. de part. Animant. ed. Florent. 1548. f. 80: „Leh 2ari zo ob del G robs naldas eure ta ndca tüv Swwv, Aka mpostevar rodrors d To e adrois Haunaoröv' v dt mept Hnaxksirou Towdro,

18*

«ar N 33 ss

276 *

quod profecto ita est: Introite; nam et hie dii sunt“). Der heraklitiſche Gedanke dieſer Sentenzen iſt aber kein anderer, als der von Plato alſo wiedergegebene ?): „meraßdile: ν rowuv zavd H] pEroyd sort G νν. „Alles proceſſirt (ſchlägt um) was der Seele theil— haftig iſt“. >

Es dürfte ſich alſo in dieſen Stellen zeigen, daß Heraklit, da das

einemal Seelen genannt wird, was das anderemal wieder Götter und Dämonen, einen ſyſtematiſchen Unterſchied zwiſchen dieſen Ausdrücken nicht

feſtgehalten zu haben ſcheint. Sieht man näher zu, ſo iſt dies ſeiner Phi— loſophie ebenſo natürlich als nothwendig, ſo daß die plutarchiſche Stelle, inſofern ſie feſte elaſſificirte und bleibende Unterſchiede zwiſchen den Benennungen Heroen, Dämonen ꝛc. annimmt, nur die bei den Stoikern vorgegangene Fortbildung heraklitiſcher Lehre trifft. Dies iſt ſchon dann wahrſcheinlich, wenn man berückſichtigt, daß die von Plutarch gegebene Eintheilung der Vierheit der Elemente entſpricht und auf ihr beruht, während die Umwandlung des Waſſers in Luft nicht Heraklit ſelbſt, ſon— dern erſt den Stoikern zukommt.

Es iſt aber auch bei genauer Betrachtung im heraklitiſchen Syſteme hierbei etwa nur für folgenden Unterſchied Platz: Die menſchliche Seele, ſelbſt feuriger Natur, ſteht im ſinnlichen Leibe auf der Stufe des Feuch— ten und in beſtändiger Wechſelwirkung mit dieſem. Dies iſt ihre Trübung. Durch Ausziehung des feuchten Leibes erhebt ſie ſich auf die Stufe, der im Elementariſchen das Feuer entſpricht. Aber auch das Feuer als ſolches iſt, wie ſich zeigen wird, ſchon einzelnes, wenn auch reinſtes, beſtimmtes Sein. Es iſt ſchon eine beſtimmte Stufe des realen Pro— ceſſes, und ſomit ſchon ein verendlichendes und vereinzelndes, wenn auch das relativ angemeſſenſte Daſein des Göttlichen. Ueber dem Feuer aber ſteht nur das Eine Weiſe, die intelligible Bewegung des Zeus. Dieſes Weſens was Plutarch J. J. abſtract die Gottheit nennt ſind die Seelen noch nicht theilhaftig, wenn ſie den feuchten Leib ausziehend auf die Stufe des Feuers treten. Jetzt ſind ſie vielmehr Dämonen, Heroen oder Götter (Os. Zwiſchen dieſen drei Benennungen kann bei Heraklit unmöglich ein Unterſchied ſein. So kann man die zweite Hälfte der plutarchiſchen Stelle, welche nicht nur mit Früherem ſehr übereinſtimmt,

Sariv. Hodder 6 ’Epenos zadlmusvos Evros xal He ονν,ννðE Exelevos TODS Tpostövras abr Fevoug eiseideiv: elvar yap, not, xal &v- raöda eos: ro yapravra zinpn ], Hpaxisireiov Earı döyna“. 1) Doch ſiehe die Bemerkung von Aeg. Menagius zu Diog. L. VI, 37. 2) de Legibus lib. X. p. 957.

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er 2.

auch noch an 0 Orten manche Beſtätigungen erhalten wird,

1 für lit feſthalten, und dennoch die in der erſten Hälfte derſelben ent- F wickelten beſtimmten Claſſificationen !) und Unterſchiede bloß auf die Stoiker 2 beziehen. Denn daß ihm die vom Leibe befreite Seele ſelbſt das war,

was ſonſt unter Dämonen, Heroen und Göttern verſtanden wurde, 1 daß ſie ihm der in die Wirklichkeit des Seins und dadurch in die End— lichkeit gerathene Gott war, dies zeigen ſeine ſchon früher be— trachteten Fragmente: „Die Menſchen ſind geſtorbene Götter, die Götter geſtorbene Menſchen“, Fragmente, welche ſeine eigentliche 2 und echte Dämonologie enthalten und darthun, daß bei Heraklit, der nicht wie die Stoiker ſich an die reflexionsmäßige Vorſtellung anlehnte, ſeoondern conſequent an feinem ſpeculativen Begriffe feſthielt, auch hier nur von einer gegenſätzlichen und an ſich identiſchen Zweiheit die Rede ſein konnte. Wohl aber konnte und mußte ihm noch ein anderes Princip des Un— terſchiedes vorhanden ſein, das nämlich, ob eine Seele bloß, wie alle Seelen, ihrer Subſtanz nach Werden und Negativität iſt, für ſich ſelbſt aber ins Sein verſenkt iſt, oder ob ſie ſich auch als das erfaßt, was ſie ihrer Subſtanz nach wirklich iſt. Dieſe ſich in ihrer Wahrheit als Proceß und allgemeines Werden erkennende Seele ſetzte er als göttliche Ge— ſinnung und Einſicht der menſchlichen gegenüber, die ihr Weſen und is Göttliche verkennend, ſich und die Außenwelt für Seiendes und Ein— f Fel nes hält. 5 bi fe Bei der Ethik wird ſich auch näher zeigen, wie Heraklit trotz einiger

Fragmente, die für ſich allein genommen eine andere Anſicht erwecken könnten, in der That aber nur durch jenes ſpeculative Sicheinlaſſen auf e Sega Stoff entſtanden ſind, dennoch wieder die voll— ſtändigſte Negation und Auflöſung der Dämonologie und Religion berhaupt bezeichnet. Hiergegen ſtehen auch in durchaus keinem Wider—

0 ſpruche di Fragmente, in welchen er in einer gewiſſen geheimnißvollen Weiſe Das bezeichnet, was die Seelen nach dem Tode erwartet. Vielmehr ſind auch dieſe Sätze im Allgemeinen nur conſequente Folgen ſeines phi— loſophiſchen Gedankens. So haben wir ja ſchon oben (p. 131 84d.) aus einer Stelle bei Stobaeus erſehen, wie er das Sein überhaupt als Mühſal (xduaros) und Widerſpruch, das reine von dem Widerſpruch der ver-

pharrenden Einzelheit befreite Werden aber, die ungeſtörte proceſſirende

. Einheit von Sein und Nichtſein, als Ausruhe (dvaravia) von dem Kampf

des realen Daſeins bezeichnet hat.

>. j 1) Bekanntlich war ſchon Thales zu einer ſolchen Claſſification geſchritten, ſiehe Athenag. Legat. c. 21.

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Die Seelen alſo, die, das Sein verlaſſend, den Weg nach Oben ein⸗ ſchlagen, erwartet dieſe nicht mehr durch den Trotz des Seins gehemmte

Einheit; ſie erwartet der Friede, die reine Harmonie, die Vereinigung

mit Zeus !), die Wolluſt der unaufgehaltenen Bewegung, des ungeftörten Uebergangs der identiſchen Gegenſätze und ihres Wandels in einander.

Sie werden jetzt wirklich zu Gott; denn ihre Einzelheit aufgebend gehen ſie ein in den allgemeinen abſoluten Proceß, welcher das göttliche Leben conſtituirt.

Wüßten die Seelen daher, was fie erwartet, jo würde nichts fie zu— rückhalten in dieſem Daſein, das nur Kampf, Widerſpruch und Mühſal iſt. So ſagt uns Plutarch in einem von Stobäus aufbewahrten Fragment, nachdem er eben von den 77 0 Feſſeln (vapxivors deopors) der Seele

im Körper geſprochen 2): „Es! di ν naodeicav don avdpwrous

nepıneverreleur ee Ag, ru Iloaxkeırov, oDOEV Av zaTa0Jor“, „Aber die davon, was die Menſchen nach dem Tode erwartet, überzeugte (Seele) würde nichts zurück halten, nach Heraklit“. Denn es iſt wahrſcheinlich, daß auch die Worte 9% Y Ay zar., wie die ganze Stelle, auf indirecter Anführung aus Heraklit beruhen. Das Fragment ſelbſt in directer An—

führung, auf welchem der Vorderſatz dieſer Stelle beruht, hat uns Cle mens?) erhalten: „Avdowrous never drodbavdvras A 0Ddx EArovrar oDdöE Öoxcovorv“. „Die Menſchen erwartet, wenn

jie geftorben find, was fie nicht hoffen noch glauben“, ein Aus— ſpruch, für welchen, denſelben mit der unechten Abänderung des 4000 in Jon anführend, Theodorets) ihm reichliches Lob ſpendet: „Exeivo d& rod Hoazxieirov ala daupafw, & H meves: Tods dvdpwrous 000 odx Zinovrar oDOE doxeovowv“.

Auf dieſes den Menſchen die Einkehr in die reine Bewegung und in

den Proceß des göttlichen Lebens verheißende, ihnen das Glück eines mie

ſeinem innern abſoluten Begriff auch in feiner Form abſolut übereinſtim⸗ menden Zuſtandes in ſo geheimnißvoller Weiſe verkündende Dietum hatte ſich auch Clemens in der oben p. 241 8g. angeführten Stelle bezogen, wo er dieſes räthſelhafte „Was“, das die Menſchen, wenn ſie ſterben, erwartet, alſo verdolmetſcht: „Dieſen weiſſagt er das Feuer“; allerdings dem Sinne nach Heraklit arg mißverſtehend; aber den Worten nach nicht unrichtig. Denn das Feuer iſt ja Heraklit eben nur das Bild und die angemeſſene

Hef 8 5.

2) Plut. de S. N. V. p. 147. Wytt. ed. Leyden.

3) Strom. IV. c. 22. p. 228. Sylb. p. 630. P.

4) Graec. affect. cur. Disp. VIII. T. IV. p. 913. ed. Hal.

Realität des reinen Proceſſes; es bedeutet ihm mM. Seele in Feuer,

ſoll ſomit, wie die Avazavda, entweder ihre Einkehr oder die dämoniſche Vor-

ſtufe dieſer Einkehr in die reine unaufgehaltene Bewegung vorſtellen. Clemens freilich verſteht es nur als Strafe. In der That iſt es weder als ſolche,

noch ſelbſt als Belohnung zu verſtehen. Es iſt vielmehr ganz objectiv blos: reine Bewegung, Rückgang in den ungehemmten Proceß des reinen Werdens.

Allerdings hat dieſe Heraklit als ungetrübtes Glück und Wolluſt be- zeichnet und zwar aus einem ſehr philoſophiſchen Grunde.

Denn auch von Glück und Unglück hatte Heraklit bereits den wahr— haften philoſophiſchen Grundbegriff formal erfaßt. Glück war ihm, wie bereits angedeutet und wie (wgl. bei der Ethik) ſchwerlich geläugnet werden könnte, die Uebereinſtimmung eines Zuſtandes mit dem innern Begriffe deſſelben Unglück nur der Widerſpruch zwiſchen Beiden, zwiſchen Anſichſein und Sein, potentia und actus. Da ihm nun alles einzelne Daſein nur daſeiendes Werden war, alſo das Werden geſetzt in der ihm principiell wider— ſprechenden Form als Seiendes, da alſo das Exiſtirende ihm überhaupt nur dadurch zu Stande kam, daß das Unendliche (das Werden) in ſichſelbſtwider— ſprechender Form als endliches geſetzt wird (vgl. oben p. 98 84d. 119127.

131 sqg.), jo war ihm von vornherein jedes Einzeldaſein in dieſen Wider- ſpruch zwiſchen innerem Begriff und äußerer Exiſtenz verfallen, der ihm auch 1

Einzeldaſeins, durch welches das bis dahin als ſeiend vorhandene Werden in ſeine Gleichheit mit ſich zurückkehrt, als Uebereinſtimmung von Begriff und Exiſtenzform, und ſomit als Glück gelten mußte. Daher jene 2 Perhorrescirung, die er der ganzen Sphäre des Daſeins entgegenſetzte. Daher jene Erzählungen von ſeiner Miſanthropie und ſeiner Beklagung alles Da— ſeins 1). Dies bei den Griechen die hauptſächlichſte Gedankenquelle jener An—

j 2 den Begriff des Unglücks bildete, während ihm dagegen das Aufgeben des

1) Daß wirklich jene ſpeculative Auffaſſung des Daſeins und nicht ſeine an-

5 gebliche Lehre vom Weltbrand (ſiehe Lucian und Schleierm. p. 460), die Quelle der Erzählung von der angeblichen Schwermuth des Epheſiers wurde und wie bei— des zuſammenhängt, zeigt ſich am beſten in der Stelle des Plutarch, Terrestr. an aquat. p. 964. E. p. 913. Wytt. sxet rd 7e un zavra rüoı xadlapedeı, Adızlas ro dvdpwrov odrw ra fwa ν ETayemtsönevoy, Epredoxins xd Hodxdeerogã os Ähmdzs rposdeyovrar, mo)hdxıs böupopevor zal Aordopodyres THY - av, WS Avdyanvralroienovoboay , , umds ellıxpıvag Eyovaav, A dıaroi)wv zal adixwv ndalwmv repatvonsvnyxri). Die Gerüchte von der Schwermuth des Mannes ſind daher auch durchaus nicht jo ſehr ſpät erſonnen, wie Schleierm. a. a. O. meint. Man kann für die Entſtehung der— ſelben ſogar eine platoniſche Stelle anführen, die ohne Heraklit zu nennen, ſich

5 3 2280

4

2 ſchauung von der Vorzüglichkeit des Todes gegen das Leben, die von Dich— tern verherrlicht, von der ſocratiſchen Philoſophie adoptirt und in dm berühmten Schluſſe der Apologie ausgeſprochen eine ſo reiche Literatur bei den Alten gehabt hat. Da her auch die Namen, die Heraklit bei Diog. L. u. A. dem zum Sein führenden Wege, dem Weg nach Unten giebt: Krieg und Mühſal (nöisnos, zaparos), und die Bezeichnungen: Friede und Uebereinſtimmung mit ſich ſelbſt (% und een) für den Weg nach Oben; daher auch jener Ausſpruch (ſ. p. 131 sq.), daß die reine Bewegung Erholung (Avaravda) ſei. Denn dieſe beſteht ihm nicht in der Ruhe, im ſinnlichen Sein, ſondern vielmehr im Wegfall jenes Widerſpruchs zwiſchen Bewegung und Verharren, zwiſchen dem proceſſirenden Umſchlagen in den Gegenſatz und dem ſich erhaltenden Daſein, ein Widerſpruch der Loos und Exiſtenz alles Einzelnen bildet. Vom philoſophiſchen Gedankenſtandpunkt Heraklits aus mußte ſich alſo der Tod als Glück und Erholung beſtimmen; allein vom Standpunkt des an ſich ſelbſt feſthaltenden einzelnen Lebens aus iſt dieſe Erholung doch nur die ihm Gewalt anthuende Negation und Strafe. Und das iſt nicht nur eine Reflexion, die wir anſtellen, ſondern die auch Heraklit ſelbſt an— geſtellt hat. Denn dieſelbe Aufhebung des Einzelnen, die er für Erholung und Friede erklärt, hat er auch als Ai ausgeſprochen, als die rächende und negative Macht gegen das auf ſich beharrende Sein und die Unbill ſeines Lebensegoismus, ganz ſo wie Anaximander ſchon vor ihm. - Die bei Clemens und Theodoret angeführten Fragmente jagen alfo N in ihrer räthſelhaft und geheimnißvoll klingenden Wendung gar nichts an— deres aus, als jene p. 123 u. 132 aus Jamblichus angeführten Stellen des Stobäus oder auch als das p. 153 erörterte, wenn auch in ſtoiſcher 3 Terminologie gehaltene Zeugniß des Theodoret: „Heraklit ſagte, daß die vom Leibe befreiten Seelen in die Seele des Alls rückkehren als in eine ihnen homogene und gleichartige“.

dennoch offenbar nur auf ihn bezieht, Phaedo p. 90. p. 552. ed. Ast. (ſ. dieſe oben p. 86). In den letzten Worten derſelben, daß das Seiende der Wahrheit und Erkenntniß beraubt ſei, wirft Plato freilich die Lehre Heraklits und die erſt von den heraklitiſchen Sophiſten aus ihr gezogenen Conſequenzen durcheinander; aus jenem weowv re zat Aowdopwv rods Adyovs aber mußte ſehr bald e ve zar Aowdopay Toy Hi oder rny gdarw, wie bei Plutarch, werden, und mit größerer Conſequenz, denn auch in der platoniſchen Stelle ſelbſt kömmt ja der Grund des Beklagens, die Haltloſigkeit des Daſeins nicht ſowohl den Jes (den Reden), fon- dern dieſen nur deshalb, weil eben dem Daſein ſelbſt zu.

u > 281

Dies iſt der wirkliche Gedanke der Sache. Darum iſt der Tod als die Rückkehr in die Subſtanz des allgemeinen Werdens nicht nur Ver— einigung des Einzelnen mit Gott, ſondern geradezu Gottwerdung des Einzelnen; darum find in jenem Fragment: „die Götter geftorbene Menſchen“. Der Unterſchied zwiſchen den Stoikern und Heraklit iſt in nur der, daß die Stoiker dieſe Subſtanz als Weltſeele ſich vor- ſtellen und ausſprechen, und die gegenſätzliche, im logiſch- dialectiſchen Ge⸗ dankenproceß beſtehende Natur derſelben ihnen in den Hintergrund trat, womit dann immer wieder die Annäherung an die Vorſtellung eines irgendwie ſtoffartigen oder transcendenten Ens gegeben war, Heraklit dagegen ſie con— & ſequent und ſpeculativ als das zugleich logiſch- (im objectiven Sinne) 3 phyſiſche Vernunftgeſetz der proceſſirenden Identität von Sein und Nichtſein, als den Gedanken des den Begriff des Seins wie des Denkens (dieſer ihm noch in ungetrennter Identität ſtehender N Beſtimmungen) bildenden dialectiſchen Proceſſes feſthielt.

| Am wenigſten entfernen ſich daher auch formell die Stoiker von Hera- klit in ſolchen Ausſprüchen, wo fie die Seele nach dem Tod in den e parızbs Aöyos des Weltalls zurückkehren laſſen, d. h. eben in das die

Entwicklung der Welt in ſich ſchließende Vernunftgeſetz ). Daß jener Bericht des Theodoret von der Einkehr in die Weltſeele in der That nichts anderes enthält, als die in ſtoiſcher Terminologie ge— gebene Explication deſſen, was in den Bruchſtücken bei Clemens und Theo— doret „die Menſchen nach ihrem Tode erwartet“, zeigt auch die Reminis— cenz des Marc. Antonius IV, 46. p. 127. ed. Gatak. 1698, wo er eine ganze Blumenleſe heraklitiſcher Sentenzen zuſammendrängt: "del co Hd ‚xAerreiou pepvzodar Dre Yys davaros Jo yzvsodar za: HU, SAA 8 ral de hoe H nenvzoda: 62 za! c Erılaydavonzvou nn bö0s Axe xtr. „Immer erinnere Dich des Heraklitiſchen Dictums, daß der Erde Tod iſt Waſſer zu werden und des Waſſers Tod Luft, und der Luft Tod Feuer zu werden und umgekehrt. Und erinnere Dich auch des Vergeſſenen „wohin der Weg führt“. Nämlich der heraklitiſche Weg nach Oben, auf den hier, wie ſchon Gataker geſehen, in ſprichwörtlicher Weiſe angeſpielt wird, und den Antonin in ſeinen phyſiſchen Wandlungs—

ſtufen eben geſchildert hat. Der innere Gedankenzuſammenhang der Stelle 1) z. B. Mare. Anton. IV. $ 14. „— ad de wvainpinen eis ro

Abyoy abrod rb arspnarızöv zara neraßoiny“. „Du wirft (beim Tod) wieder

aufgenommen werden in den Logos Spermatikos (das vernünftige Entwickelungs—

geſetzb nach dem Geſetz der Umwandlung“, und ib. VI, 24. u. IV, 21. (fiehe die 4 nächſte Anmerk.)

a er 8 5 * 3 | 7 * >

282 2 A aber ift der, daß wie es im Naturproceſſe der Tod der Erde ift, Waller, des Waſſers Luft ꝛc. zu werden, es ſo der Tod des Menſchen ſei, Gott zu werden (ef. z. B. die Stelle bei Marc. Anton. II, 12. ). | Als Philoſoph und Phyſiker aber zeigt ſich auch noch in jenen jo ge— N heimnißvoll klingenden Sentenzen Heraklit dadurch, daß er von der religiöſen ö

En 5

1) Sie lautet: 5 (der Tod) nevror od novov picews Epyov.2oriv, d nal oung&pov i mus ürrerar eh Ävdowros, zal nur Ti abrod UEDOS' x gran rs Si drarenrar To Tod dvdoaroun Todro wöproy. Wir glauben, daß die Stelle einer Emendation bedarf. Mericus Caſaubonus hatte ſchon vorgeſchlagen zu leſen, rar zus Zyn 7 Ödrayzsrar, ohne jedoch das drayssrar weiter zu be- legen und durch das ) den richtigen Sinn der Stelle verwirrend. Gataker ver— 2 wirft daher dieſen Vorſchlag und möchte leſen, entweder & e e νν Gray drianrar oder zwar auch * m. 8. Öray Örayesrar, aber in dem Sinne von: ubi diffusa (anima) et dissipata fuerit, corporis nimirum compage soluta, d. h. 8 N alſo in einem Sinne, der, nach unſerer Anſicht, dem richtigen gerade entgegengeſetzt iſt. Wir glauben vielmehr darauf verweiſen zu müſſen, daß deayesrar ein echt 5 heraklitiſcher Ausdruck gerade für die Bewegung iſt, welche den Weg nach Unten conſtituirt; er bezeichnet ihm, identiſch mit dem dra@sponevovy, und nur noch in ſinnlich-conereterer, zugleich das Flüſſigwerden in ſich einſchließender { Ausdrucksweiſe, das Auseinandertreten der Einheit des Werdens in feine Momente, wodurch das Sein und das Einzelne zu Stande kommt. So in dem Fragment bei Clemens. Alex. Strom. V. c. 14. p. 255. Sylb. p. 711. Pott. In dieſer ſtreng heraklitiſchen Bedeutung gebraucht Mare. Anton. das Wort auch IV. § 21. Er zeigt, daß nach dem Tode der Aether ebenſowenig Raum hätte, die Seelen, als die Erde die begrabenen Leiber zu faſſen, wenn nicht beide, ſtatt zu verharren, ſich umwandelten: „.oftos al eis ro depa uedtoranevar Gx e no0oov ouppeivagar meraßahkovar zalyeoyrarxalefdrroyrar.

eis ro ray Ökwvy orspparızöovy Aöoyoy dvalapnfavonsvar“. „So (nämlich wie die Körper in der Erde verweſen) wandeln auch die in die Luft entwichenen Seelen, nachdem ſie eine gewiſſe Zeit ausgedauert, ſich um und werden flüſſig und entzünden ſich, in den den Saamen von Allem bildenden Logos (in d die Entwickelung der Welt in ſich einſchließende Vernunftgeſetz) aufgenommen“. Man achte darauf, wie in dem weraßdikoner der gemeinſchaftliche Begriff der Wandel der Wege nach Oben und Unten vorausgeſchickt wird, der dann in ſeine beiden Gegenſätze zerlegt wird: <£arreosar, ſich entzünden, welches auch bei Heraklit urkundlicher Ausdruck für den Weg nach Oben iſt und für welches die Stoiker ſonſt errvoododar zu jagen pflegen (ſiehe Heraklit bei Clemens. Al. Strom. IV. c. 22. p. 227. Sylb. 628. Pott.), und welches daher den ſtrieten Gegenſatz (wie in dem eben bezogenen Fragment zu droafsoteis) zu gears να 4 bildet. Ich leſe daher mit Gataker in der erſteren Stelle des Mare. Anton.: „zei e &ym ra deayserdt“ und überſetze, es jet Sache der Vernunft, zu wiſſen: „wie der Menſch Gott berührt und nach welchem ſeiner (des Menſchen) Theile, und wie ſich dieſer Theil des Menſchen (die Seele) verhält, wenn er f flüſſig werdend ſich ins Daſein ausſchüttet“; ſie, die Seele, iſt dann näm— 4 7 *

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Vorſtellungsweiſe entfernt jene Deificirung durch den Tod nicht als das beſondere Loos beſonderer Seelen, nämlich der tugendhaften oder edlen oder zum richtigen Erkenntniß des Göttlichen vorgedrungenen, ſondern als das allgemeine Schickſal aller, weil der ſeeliſchen Subſtanz betrachtet. „Avdowrovus never reisvryoavras“, die Menſchen erwartet nach dem

Tode ꝛc., jagt er; alſo alle Menſchen überhaupt, und es findet ſich

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keine ſichere Spur, daß er, jene individuellen Unterſchiede des irdiſchen

Lebens über das Leben hinaus erhaltend, aus ihnen einen Unterſchied in Dem, was die Menſchen nach dem Tode erwartet, abgeleitet habe !). Er iſt alſo hierin gleichweit entfernt von den religiöſen Vorſtellungen der Orphiker, wenn er auch die Seeligkeits-Verheißungen derſelben auch bei dieſen Sprüchen nicht undeutlich im Auge hat, da die Or— phiker das ſeelige Loos immer nur den geweihten Seelen, den andern aber ein Leben im Schlamme verhießen, als andrerſeits von den mannig— fachen Verſtandes-Widerſprüchen, in welche die Stoiker hierin ſowohl unter einander, als gegen ihre wahre Principien geriethen ?).

iich nach Heraklit, worauf Marc. Anton. hier hinweiſt, außer ſich gerathen und

in dem Zuſtande der Entfremdung ihrer ſelbſt.

Es gewinnt dann auch die den Tod preiſende Stelle des Antonin ihren rich— tigen Abſchluß, indem er einerſeits darauf hinweiſt, wie durch den Tod die Seele in ihre Einheit mit dem Göttlichen tritt, andererſeits darauf, in welchem ſich ſelbſt entfremdeten Zuſtand ſich dieſes Göttliche im Menfchen während ſeines Lebens befindet. .

I) Denn das Fragment bei Clemens. Strom. IV, 7. uöpor ru ue co nns conag poipas Jayyasover, dem Schleierm. p. 502 dieſe im Text von uns ver— neinte Beziehung unterlegen möchte, dürfte in der That eine ſolche Bedeutung nicht, n eine rein ethiſche haben, wie ſich ſpäter durch ein anderes von Schleierm. überſehenes Fragment herausſtellen wird.

2) So heißt es z. B. bei Diog. L. VII, 156. u. Cicero Tuscul. I, 77., daß die Seelen ſich nach dem Tode noch eine Zeitlang erhalten, dann aber unter— gehen, wie bei Marc. Anton. IV, 21. (ext zoooy auppewwacaı). Nach Cleanthes dagegen dauern, nach Diog. L. VII, 157. die Seelen bis zur Weltverbrennung fort, nach Chryſipp aber dauern blos die Seelen der Weiſen jo lange. Ebeuſo berichtet dies von ihnen Numenius ap. Euseb. praep. Ev. lib. XV, 20: 7, 08 duymy rend TE xa pıaprnv Aeyouaw. gu, S]] ÖE Tod awparos di l- reioav gpIeipeodar, AAN Erınevew Tas Ypdvous za Eaurhy‘ Tyy Ev Tov arovdatioy H jg els non dvalboews r rdvrwv' Tyy ο TO» dppövan, mpos roaong rede ypövons. cf. Dionys. Halie. VIII, p. 530. ed. Sylb. 1691. und die Noten von Gataker zu Marc. Ant. IV, 21. und des Menag. zu Diog. I. I. Dagegen haben bei Marc. Ant. VI, 8 24. Alexander der Große und ſein Eſel— treiber nur daſſelbe Schickſal, in den Adyos orspparexsc zurückgenommen zu werden.

284

Wohl aber muß hierbei bemerkt werden, daß diesmal die Stoiker den Anſtoß zu dieſen Widerſprüchen untereinander durch Heraklit ſelbſt inſofern erhalten haben dürften, als ſich, ſo ſehr wir auch unſere vorhergehende Entwicklung als das Weſentliche bei Heraklit feſthalten müſſen, doch einigen Spuren zufolge in ſeinem Werke Ausſprüche befunden haben müſſen, in welchen er, wenn ſelbſt nur ſcheinbar und nur in Folge ſeiner charak— teriſirten Darſtellungsform, doch in Bezug auf das Schickſal der Seelen nach dem Tode wieder in Widerſpruch mit ſich zu treten ſchien. Und ſelbſt ein wirklicher Widerſpruch ſeinerſeits würde hierbei um ſo erklärlicher, ja genau genommen, um ſo unvermeidlicher erſcheinen müſſen, als, wie wir bei der Lehre vom Erkennen ſehen werden, es gerade das Weſen der Seele war, an dem ſeine ſonſt ſo conſequente Philoſophie ſcheiterte, und das ihre Schranke bildete.

Hiermit ſchließen wir einſtweilen die Darſtellung der heraklitiſchen dos diu eur,ο. Dieſer Ausdruck iſt dann, natürlich nicht in der ſtreng philoſophiſchen Bedeutung Heraklits, nach der er die proceſſirende Identität von Sein und Nichtſein als der an ſich identiſchen unausgeſetzt in ihr Gegentheil umſchlagenden gegenſätzlichen Momente des Werdens ausdrückt,

ſondern in vielfach übertragenem und trivialiſirtem Sinne ſprüchwörtlich !)

geworden, wie das ſo vielen Sätzen Heraklits begegnet iſt.

1) Plato hält häufig da, wo er diefe Formel in einem bildlichen, heraklitiſche Lehre ironiſirenden Sinne gebraucht, ſelbſt noch im Bilde die eigentliche und ſtrenge Bedeutung der 0s av zarn, das Ueberſchlagen ins directe Gegentheil feſt; jo z. B. Soph. p. 242. p. 282. Ast. He- i Ta elonpzva fore qed radra qt nayızos elvar ÖdEw raparodas nerafalov enaurov dvo * A zareo. In dieſer Bedeutung: Uebergang ins Gegentheil, ſowohl von den Din⸗ gen, als auch von der dem Gegenſatz in dieſen entſprechenden Bewegung des Erkennens gebraucht es, die heraklitiſche Lehre im Auge habend, Plato, de republ. VI. p. 508. p. 194. ed. Ast.: wenn die Seele ſchaue 88 ro To axöro verouſievon, TO Yıyvonevov re xal drnoikbnevov dotddet re xa dt dvo zar xdro ras ÖdEas neraßarrov .; in der naheliegenden aber ſchon abgeleiteten Bedeutung von Untergang führt es uns gleichfalls ſchon Plato als

ſprüchwörtlich an, Theaet. p. 153. D.: rayra gun iar d drapdapein ν

rcnott d To Jerd hero du nr cue; vgl. den Schol. ad. h. 1. zapoepia, du xdrον rayra, er r Tyy Tag neraorpepövrwy . und was Bake aus Ruhnken zum Cleomedes p. 382 citirt. In dem noch uneigentlicheren Sinne der Veränderung überhaupt bei Plato Phaed. p. 90. D., aus welcher Stelle erſt durch die daſelbſt gezogene Vergleichung GS e & Edpizw ſich die gleichfalls ſprüch— wörtlich gebliebene Verbindung dieſes Fluſſes mit dem Dietum (vgl. Wyttenbach's Anmerkung zu Phaedo 1. 1.) entwickelt zu haben ſcheint. So braucht Philo die Formel dieſes Weges als ſprüchwörtlich für die Unſtätigkeit aller menſchlichen Dinge,

u 285

Wir werden zu dieſer %% Avw zarw wiederkehren, wenn wir an die Elementarlehre des Epheſiers gehen; d. h. wir werden dieſe namentliche Bezeichnung wiederfinden. Denn in der That muß geſagt werden, daß wir uns der Sache nach, ſo lange wir bei irgend etwas Heraklitiſchem ver— weilen, nie von dieſem Wege nach Oben und Unten entfernen.

gerade wie ſich jo häufig der herakleitiſche Fluß gebraucht findet: & ödös rıs D rpaypdrwv, dorarors zal iviöpsrors Zpwpevn ouvruytars x7). (de somno J. p. 644. ed. Mang.) In demſelben ſpi⸗ ritualiſtiſchen Sinne bei Basilius Magnus, de legend. Gent. libr. Orat. ed. Maj. c. XIV, p. 46. cf. Wolf. ad. Lib. Epist. XX. p. 48.

$ 12. Der Fluß.

Es iſt für das geſammte Verſtändniß heraklitiſchen Philoſophirens vorzugsweiſe erforderlich, die Identität der verſchiedenen ſinnlichen Formen und Namen, in denen Heraklit ſeinen Gedanken dargeſtellt hat, aufzuzeigen, ſtatt dieſe Formen in ihrer ſcheinbaren ſinnlichen Vielheit zu belaſſen.

Wenn wir jetzt zu den Sätzen Heraklits vom Fluſſe und vom Fließen übergehen, ſo entfernen wir uns durchaus nicht von dem Gedanken der 0e Ava zdrw. Beide drücken nur die Idee des Proceſſes aus. Der Fluß iſt die Dialectik und Negativität im Raume. Er iſt die G0 090 are, die Einheit des Sein und Nichtſein als räumliche, die Einheit des Hier und nicht Hier. Es iſt weſentlich, daß man bei den heraklitiſchen Sätzen vom Fluſſe den Gedanken an die % dvw zarw- und die Identität mit dieſem Gegenwege feſthält, ſonſt überſieht man, wie dies den Stoikern und ebenſo Schleiermachern und ſeinen Nachfolgern widerfahren iſt, daß dem Heraklit der Fluß, wie das Werden, die Ein— heit und der Kampf des abſoluten Gegenſatzes von eivar za} o5x eivar, Sein und Nichtſein iſt, nimmt ihn für die triviale Kategorie der Veränderung und verflacht ſo den wirklichen Gedanken Heraklits vollſtändig. Man kann dann hin und wieder den Worten nach ſogar ſcheinen, einen heraklitiſchen Satz ganz richtig interpretirt zu haben und doch dabei ganz gründlich irre gegangen ſein.

Platon iſt dies nicht widerfahren. Er wußte ſehr wohl, daß dem Heraklit die %% Ayo xarw und der röignos mit dem Fluß identiſch ſei, weshalb wir denn auch mit ſeinen Worten den Uebergang auf dies neue Gebiet machen wollen. „Immer ſagt er von Heraklit fließt alles nach Oben und Unten“, „s o a0pol gaaı dei yüp ünavra dvors za! xara Her’); ganz wie wir ſonſt hatten zavra ον zur operPöneva, jo daß durch jene platoniſchen Worte faſt nach Art einer

1) Phileb. p. 43. A. p. 248. Stallb.; cf. Proclus in Cratyl. p. 85. b. ed. Stallb.

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mathematiſchen Gleichung erhellt, wie das Fließen nichts anderes iſt, als das immerwährende Umſchlagen des Weges nach Oben und Unten. Und noch beſſer faſt lehrt uns Plato die Identität des Kriegs und des Fluſſes in einem Dialog, der ſich im Ganzen hauptſächlich mit Heraklitiſchem be— faßt und an einer Stelle, wo er ſich gerade mit neuem Eifer auf dieſe Lehre zurückwendet. Er ſagt !): „udzyv 0 eivar Ev ro Öyrı einen pe? odx Allo d mv Evavriav poyzv.“ Alſo Krieg iſt in dem Sein, weil es fließt und dieſer Krieg iſt nichts anderes als der Ge— genfluß (Proceß). Dieſer Krieg und Gegenfluß, der in dem Seienden iſt, weil es fließt, iſt der Kampf mit dem dem Sein entgegengeſetzten Factor, dem Nicht, und da, wie ſchon jene beiden Stellen ſagen und wir bald in einer Maſſe anderer ſich direct auf Heraklit beziehenden ſehen werden, alles Sein unaufhörlich fließt, ſo giebt es gar kein bloßes, iſolirtes Sein, ſondern alles Sein iſt zugleich Nichtſein, iſt ſomit, als Einheit und Kampf des Seins und Nichtſeins: Werden, Bewegung, Fluß. So ſagt Plato von Heraklit 2): „ex 02 07 gods re zal xi οον,eàGͤ x xpaosws rpös Aklınla ylverar ravra, u di gapzy zivar, 00x

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% dh Dπνννuehνν⏑jj darı n2v Yüp obdEror ohdEy, de d&

yiyvsrar xal nept Tobrou M due ei 0: 0000: rinv lapusvido- Sung£psohov, Ipwrayöpas re zaf Hpazserros“ xv. Alſo: „durch Be— wegung und Miſchung mit einander wird Alles, wovon wir jagen, daß

es ſei, es mit Unrecht ſo benennend; denn es iſt niemals irgend

etwas, ſondern wird immer; und hierüber ſind alle Weiſen der Reihe nach mit Ausnahme des Parmenides einig, Protagoras ſowohl als Hera— kleitos“ 3).

1) Cratyl. p. 413. E. p. 129. Stallb.

2) Theaetet. p. 152. E. p. 77. Stallb.

3) Und wie Plato weiß, daß dieſer beraflitiihe Fluß mit dem Krieg und dem Weg nach Oben und Unten, ſo weiß und zeigt der heilige Gregorius Nyssen. in einer ſehr ſchönen obwohl immer unberückſichtigt gebliebenen Stelle, daß er mit dem Feuer identiſch iſt, de Anim. et resurr..p. 136. ed. Krabing. rig rap ob oldev. or bon zwi zposeoer h drum] et Torte ri xunosws Jnyovoa, fra, za ro evt zadanrarz aA j d Alloiwars Ews üy n rodro b Aeysrar, obdcrore Ext tod abr, due, rh Yüp Av Ev rabröornre pulaydein ro d jbdeο⏑,,⏑d, dk Üüsren To ert ri Hou] rüp Tu piv doreiv dei To abr ygaberar: To rap auveyss del ri xunasws dötderaorov abr za Tvmjızvov TOOg gauro deinwuar 7 Ö8 ro abro never n yüp SS d rs Veppöryros Innas Öpod Te eFeploywim za els Aıyvov Exxauıdeioa pnerenomdm, zat dest nv dddorwrıry Öuvapsı ij die Yploybs viumas Zvspyeitar, els Alyvım dd u Alkowöaa To

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Dieſer das Sein bei Heraklit gänzlich ausſchließende Ausdruck Platos iſt vielleicht der ſtärkſte und ſchärfſte, der in dieſer Hinſicht zur Charak— teriſirung heraklitiſcher Lehre gebraucht werden kann. Und gewiß muß es nach ſo überaus deutlichen Stellen Platos, denen bald mehrere derſelben Art folgen werden, faſt unbegreiflich erſcheinen, Schleiermacher und ſeine Nachfolger gegen das „Sein und Zugleich“ (sc. Nichtſein) das, nach ihm, Ariſtoteles (und auch Plutarch) dem Epheſier „leihen“ !) und von dem dieſer ſelbſt nichts gewußt haben ſoll, ankämpfen zu ſehen! Es iſt unmöglich, das Sein und zugleich Nichtſein deutlicher und richtiger her— vortreten zu laſſen, als in der angeführten platoniſchen Stelle geſchieht. Darum nämlich iſt niemals irgend etwas, weil alles immer zugleich auch ſein eigenes Nichtſein iſt. Und eben weil Alles immer Sein und zu— gleich ſein eigenes Nichtſein iſt, darum wird immer Alles, denn das Werden (Entſtehen wie Vergehen) iſt eben die Beſtimmung, in welcher Sein und Nichtſein in Bezug auf ein und daſſelbe gleichzeitig geeint ſind; ſo daß, wer gegen jenes Zugleich von Sein und Nichtſein bei Heraklit polemiſirt, auch ſehr weit davon entfernt iſt, das heraklitiſche Princip des Werdens und die heraklitiſche Bewegung wirklich zu verſtehen, wenn er es auch den Worten nach ſcheint, und conſequenterweiſe vielmehr auch hier— gegen polemiſiren müßte. Nach jenem Zeugniſſe Platos iſt es nicht nur unläugbar, daß bei Heraklit niemals ein Sein iſt, das nicht zugleich ſein eigenes Nichtſein wäre, ſondern man kann aus der Stelle ebenſowohl ſchon die Conſequenz entwickeln, daß bei dieſer ſchlechthinnigen zugleichſeien— den Identität von Sein und Nichtſein das negative Moment das Sein verſchlungen hat. Dieſe Conſequenz zieht in der That jo richtig wie ſcharf Simplicius in Ar. Phys. f. 17. a. aus der heraklitiſchen Sentenz vom Fluſſe, indem er nach Anführung derſelben fortfährt: 7 S ατνe, Tod noranod) G Tyv yEvsow. Hud (sc. Hound.) nAeov zo un Ov Eyovoav rod Övros“, Heraklit habe mit „dem unaufhörlichen Fließen des Stromes das Werden verglichen, das mehr Nichtſein als Sein hat“. broxelusevov‘ Gτπεεο rοννm Öls zara Tabrov r pAoyos Alyayra obx Sort rug adras To Öls Adacdar To ydg dE Tas Allorwosws 05x Ayapzvet Toy &x Öeurepon rahıy Eruftyydvorra, xay ws Tayıora Todro rom‘ AAR dest asi TE xal noosparos Earıy 7 PAOE Tavrors Yevvwuern xal dest Saurny d ta- dsyonevn zal oböErors Ent Tod abrod nEvovaa.

Mit völliger Conſequenz wendet alſo Gregor das bald folgende heraklitiſche Dietum vom Fluſſe auf das Feuer an; beide find eben nur Darſtellungen der Idee

des Proceſſes. (Das Ende der Stelle ſiehe weiter unten.) 1) Siehe oben p. 9 sq. 87. ꝛc. Schleierm. p. 358. 438. 441. ꝛc.

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Es iſt durchaus nicht damit abgethan, zu jagen, das Princip Hera- klits ſei das Werden oder die Bewegung, ſondern es handelt ſich darum, dieſes Werden und dieſe heraklitiſche Bewegung als die proceſſirende Identität des ſchlechthin Entgegengeſetzten zu wiſſen, eine Auf— faſſung, die ſich, wie wir ſahen, gleichmäßig durch Plato, Ariſtoteles, Plutarch, Simplicius, und wie wir bald ſehen werden durch alle Com- mentatoren des Ariſtoteles beſtätigt.

Nach Vorausſchickung jener ſich ſo deutlich explicirenden Stelle Platos iſt es evident, daß er auch in andern dieſen Punkt flüchtiger oder mehr bildlich berührenden Ausdrücken nur daſſelbe meint. So im Theaetet.!): „e To navy xiynois I rut ahho rab Toro oböEy“, das All jei Be⸗ wegung und außer dieſer exiſtire nichts, oder wenn er jagt?): „nach Ho⸗ mer und Heraklit werde Alles wie Ströme bewegt“ (02ov pednara zıvsfodn: dura), oder wenn er im Kratylos den Namen der Heſtia in der Art dieſes Dialoges etymologiſirend ſagts): „door 0’ a) woiav, (se. Erwvönacay) oyzö6v ze ab obro: za#° "Hpazierzov Ay nyoivro 7a Övra lzvar Te ndvra za: never oböEv“ und an vielen and. O. Auch Ariſtoteles läßt es an Verſicherungen über die heraklitiſche Bewegung, in der allein Alles jein Sein habe, nicht fehlen. So außer in ſchon früher angeführten hier⸗ herſchlagenden Stellen): S/ zuujos: 6’ zivar ra Övra xdxsivos W@ero nal o. roh und s): „af E“ reg zıvsioda: r bvrwv 0D Ta EV, Ta d od, Alla navra za! det, dl) kavdaveıv ToDro Thy Tueripav alodyow“, „und Einige jagen, von dem Seienden werde nicht das Eine bewegt und das Andere nicht, ſondern Alles und immer, nur entgehe das unſerer ſinnlichen Wahrnehmung“.

Ebenſo heißt es in der Metaphyſiks) von Plato, er ſei in ſeiner Ju⸗ gend ein Genoſſe des Kratylos und der heraklitiſchen Meinungen geweſen, daß Alles Sinnliche immer fließe (os Ardvrwv rwv alodyrwv d pzivrwv).

1) p. 156. a. p. 93. Stallb.

2) ib. p. 160. D. p. 110. St.

3) Cratyl. p. 401. D. p. 98. St.

4) de anima J, 2. p. 405, ef. Themist. Paraphr. in Phys. f. 67.

5) Phys. Auscult. VIII. c. 3. p. 253.

6) Metaph. I. c. 6. p. 987; wozu Brandis bemerkt, daß die Beſchränkung auf das Sinnlich⸗Wahrnehmbare ſich nur auf dasjenige beziehen ſoll, was Plato von Heraklit aufgenommen habe (vgl. hierüber in § 25.). Dieſer Angabe der Metaphyſik in Bezug auf Plato widerſprechen übrigens nicht nur Proclus in Cratyl. p. 85. ed. Stallb., ſondern noch beſtimmter Syrian. Comment. in Ar. Metaphys. ed, lat. ab Hi. Bagol. Venet. 1558. p. 58 u. p. 98. b.

I. 19

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Und eng ſich anſchließend an die obige Erklärung des Plato, daß niemals etwas ſei, ſondern Alles nur immer werde, jagt Alexand. Aphrod. !): „navra gie ο H xal del yu , obdenore V oDdEV Eorı za “Hoaxrerrov“, „Alles fließt beſtändig und wird immer, niemals aber ift irgend etwas nach Heraklit“. Am ſchärfſten und richtigſten aber jagt Phi— loponus ?) von derſelben Lehre: „Alles habe ſein Sein nur in dem Fließen und in der Umwandlung“, „oed To navra Ev Dbosı re xal peraßoing ro eivar Eyew xal ordow n 6pov eivar av aladıyrav oböevos“ 3).

Aehnlich Simplicius, ebenfalls wie Plato die bloße Bezeichnung „Sein“ verwerfend ): „at Öre d eivar doxei Tobro, Enerön Ev To ννννον xar gdelpsodar To eivar Set de,, Ev Tadro eu, od Tore u Av Ne zupt@s" ala Yıvönzvoy zat glerpönzvov dec ci OVveyd He TyV navra Evalldoocovoav, Y hvizaro 6 Hoazierros“. „Und wenn etwas zu ſein jcheint, jo würde es, da es nur in dem Entſtehen und Ver— gehen ſein Sein hat, niemals daſſelbe bleibend, eigentlich nicht ein Seiendes zu nennen ſein, ſondern ein Werdendes und Vergehendes durch den unaufhörlichen Alles umwandelnden Fluß, den Heraklit geräthſelt hat“.

Auch Herakleides ) ſagt an einer Stelle, wo er ſehr viel ohne nament— liche Anführung des Epheſiers heraklitiſirt hat: See; pbose wi xal devwvaw xıynosı TO ray otxovoperzard), jo daß vollkommen gerechtfertigt

1) In Arist. Top. f. 43, welche Stelle Suidas ausſchreibt s. v. HEars Vol. I. p. 1168. ed. Bernh.

2) Contra Proclum de mundi aeternit. II. F. ed. Venet. 1535. cur. Viet. Trincavell.

3) Wir finden dieſe Ausdrucksweiſe, welche bei Heraklit noch ein Sein übrig, dieſes Sein ſelbſt aber lediglich im Proceß und der Umwandlung lin's Gegentheil) beſtehen läßt, deshalb noch richtiger als jenen platoniſchen Ausdruck, daß bei Hera— klit niemals irgend etwas iſt, weil durch jene Ausdrucksweiſe zugleich der Unter— ſchied zwiſchen der noch ſtreng objeetiven Lehre des Epheſiers und den negativen, alles Sein und deshalb zugleich alle Wiſſenſchaft vom Sein (ſiehe die ariſt. Metaph. a. a. O.) aufhebenden Conſequenzen, die erſt ſeine Schüler zogen, gewahrt wird.

4) In Phys. f. 17. a.

5) Alleg. Hom. p. 465. G. p. 140. Schow.

6) Vgl. noch Simplic. in Phys. f. 207. b. ij r, d2 7a “Hoazkstrov Aöyw To Asyoyrı nayra het x underors to adro eivar u. ib. f. 293. a.; Philopon. contra Procl. VII, 6. Sextus Pyrrh. Instit. III, 115: ro de “Hoaxlerros ögela rotanod pVaeı Tyy ebxnotay cas nuerspas Dins Areırdlav oböEv dpa oο nee. Bei Diog. L. IX, 8. ift in dem „es ra G rorauod Ölen wohl nicht nur das 574, jondern wohl auch das 9% in dieſer Verbindung dem Epheſier ſelbſt angehörig, wie wir das Yen ſchon jo bei der Harmonie des Bo—

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erſcheinen Urtheile, wie die des Ammonius ), Heraklit habe gejagt, daß das Seiende auf keine Weiſe Antheil habe an dem Beſtehen (ordors), oder wie der Pſeudo-Plutarch verſichert?), Heraklit habe Ruhe und Beſtehen aus dem All fortgenommen (Hod. Hpspiav ν)õ- nul ordoıy 2x Twv dla dvipet). Denn dasjenige Sein, welches irgendwie des Stillſtandes theilhaftig wäre, wäre eben ein ſolches, von dem das Nichtſein ausgeſchloſſen, welches ſomit nur Seiendes und nicht Werdendes wäre.

Daſſelbe verſichert uns auch Plato in einer Stelle, an deren Ende er ſich ſehr einer wörtlichen Citation nähert): „Ve. nov Hoazierros, lc ravca Zwpe? ul ohe nEvsı za! norap.od 00% areızdfav za oyra . ws Öfs eis Hr adröov noramovodxüv Epnßains“, „Heraklit jagt, daß alles in Bewegung iſt und nichts verbleibt, und mit dem Fließen eines Stromes das Seiende vergleichend ſagt er, daß man nicht zweimal in denſelben Strom hineinſteigen könne“. Ganz ſo führt dies Dictum auch Simplicius an!): Für Heraklit und diejenigen, die nach ihm phyſiologiſirten, wäre es, auf den ewigen Fluß des Werdens ſchauend und darauf, daß niemals etwas iſt, billig zu ſagen: Fre zavra h. zal It eis Tov adröv noranov dis obx av hf].

Noch etwas wörtlicher Scheint uns Ariſtoteles dies aufbewahrt zu haben, indem er uns dabei von der bekannten Fortbildung und reſp. Uebertreibung dieſes Satzes durch die Anhänger Heraklits erzählt’): „ex yap rabens s broindews Eönvdnosv 7 dxpordrn qu Twv elonunvwv, , ch ga- xovrwv npaxlerrifew za: otav Koarvios ziyev, S To Teleuraiov obdEV

Y S_w 12 \ 22 22 7 d z Gero dery ., Alla S Oaxrvlov S. uu zar To Hoazxieirw

gens und der Leyer angetroffen haben und dieſe Kürze für Heraklit paßt. Daß das Dictum in dieſer Form ſprüchwörtlich geworden, zeigt die ſchon früher angef. Stelle des Euseb. Orat. de laud. Const. p. 613. ed. Par. Ganz gut drückt ſich endlich der h. Gregorius Nyſſ., ohne Heraklit zu nennen, darüber aus, de anim, et resurr. p. 122. ed. Krabing. ws d. um dıa ravrös peor yöaıs dei dia r Erıywousvov Eri TO npoow Jzonzvn rat obderore ThS xuwnosws Anyovoa.

1) In libr. de Interpr. f. 4. ed. Venet. 1503

2) Plac. I. 23. p. 558. Wytt. u. Stob. Eel. Phys. I. p. 3%.

3) Cratyl. p. 402. A. p. 99. Stallb.

4) In Ar. Phys. f. 308. b. Ebenſo ib. f. 17. a. % tod „eis v abröy roranoy dis i u Shißi vu und Plutarch. de S. N. V. p. 559. C. p. 254. r üravra rpdypara roranov Sufldkovres, els öv not dis oN Eufnvar ro rdvra xweiv xa Ersporwodv i Ybaw ueraßahkoueay.

5) Metaph. III. e. 5. p. 1010. B.

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Enerina elnöovre, Or: öls r adra rorana ox Eorıv Eußyjvar- arg yap Wero ob0 Araz“. „Aus dieſer Annahme (weil fie nämlich die ganze Natur in ſteter Bewegung begriffen ſahen, und weil in Bezug auf das Sich Umändernde nichts wahres auszuſagen ſei, weshalb ſie geſagt hätten: von dem in allen Theilen durchaus ſich Umwandelnden könne nichts Wahres ausgeſagt werden) ging hervor die am meiſten auf die Spitze ge— ſtellte von den genannten Meinungen, die der angeblich!) Heraklitiſirenden, die auch Kratylos hatte, der zuletzt glaubte, man dürfe gar nichts ſagen, ſondern bloß den Finger bewegte und den Heraklit tadelte, welcher ſagte, daß man nicht zweimal in denſelben Fluß hinabſteigen kann; denn er ſelbſt meinte, auch nicht einmal“. Daher ſcheint uns die Stelle vielleicht ganz in ihrer Urſprünglichkeit mitgetheilt zu ſein bei Plutarch ?): „Morapo yap odx Larıv Ööls Eußyvar co adro za Hodxierrov, obòs dunrjs obotas dg Adaodar?) zarı ZErw-t) M ögbeyre ul raysı die neraßoigs oxrlövyar i mahıy %%, mahkov os 0DÖE mahıy oDÖE Dorspov AAN Ama. ovviorarar za! dmokeineı xal moöseiot xal ümsıor dev 000 eg TO eivar mepalver To yırvönevov abr TO Amoenore Anysıv ti Toraodar yv yEvaon“, eine Stelle, die wir Schon oben (p. 50 und 74) ausführlich beſprochen und daſelbſt das Zua gegen Schleiermacher geſchützt haben, mit der Vermuthung, daß Heraklit dafür dei gejagt habe. Jetzt aber iſt durch die Reihe der mitgetheilten Zeugniſſe, Plato an der Spitze, die Rechtfertigung Plutarchs hoffentlich zur Evidenz gebracht.

Wenn Plutarch in dem letzten Satze im Sinne Heraklits ſagt, daß

1) Sehr vorſichtig drückt ſich die Metaphyſik hier aus, indem fie nicht 7 r npazxkerrıfövrov, ſondern noazierriev gaozövrwv jagt und jo anzudeuten ſcheint, daß dies eine in der That nicht in dem Sinne Herallits gelegene Confequenz fei.

2) de Ee ap. Delph. p. 392. B. p. 605. Wytt.

3) In ähnlicher Verallgemeinerung im Cod. Anon. Urbin. Vol. IV. p. 547. der Berliner Ausgabe des Ariſtoteles: "Hoaziseros o Sr Eri Tod abrod dis Payar Eier, 6 & Koparvlos obÖdE üraf.

4) Schleiermacher p. 357 will das odre—xara SSe aus folgendem Grunde nicht mehr zu den eigenen Worten des Epheſiers rechnen: „Dieſes zara ZEw ſoll darauf deuten, daß die Erinnerung wohl auch nach Heraklit rein wiederholen kann, was die Wahrnehmung gehabt hat und gehört eben deshalb dem Plutarch an“. In dieſem Sinne überſetzt er auch: „zweimal berührend zu treffen“. Doch finden wir dieſe Unterſcheidung, auf die das zara Ste deuten ſoll, für unſere Stelle durch nichts bewieſen. Wyttenbach überſetzt einfacher und richtiger eodem in statu. Wir würden daher auch kein Bedenken tragen, den an „rs hängenden Satz dem Epheſier ſelbſt zu vindiciren, wenn nicht die ganze Ausdrucksweiſe viel zu ab— ſtract wäre. N

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das werdende Endliche (TO yervönevov αοννιν, se. Hunrzs o] oder das ſinnlich Exiſtirende nie zum Sein gelange, weil nie zu überwinden ſei das Werden, ſo haben wir denſelben Gedanken ſoeben in einer Menge von Zeugniſſen in der Form wiedergefunden, daß das Seiende nur im Werden und der Umwandlung ſein Sein habe. Es iſt nur daſſelbe, was uns Simplicius eben geſagt hat, Heraklit vergleiche mit dem immerwährenden Fließen eines Stromes die Geneſis „weil ſie mehr Nichtſein als Sein habe“. Dieſer letztere Ausdruck iſt aber inſofern richtiger, als der plutarchiſche, welcher die 76 ee dem eivar entgegenſetzt, weil die Geneſis nicht mehr bloßer Gegenſatz des Sein, ſondern ſchon Totalbegriff des pn Övros und Övros iſt.

Was übrigens die von Ariſtoteles angeführte von Kratylos aus— geſprochene Zurechtweiſung ſeines Meiſters anbetrifft, daß man nicht nur nicht zweimal, ſondern auch nicht einmal in denſelben Fluß ſteigen könne, ſo muß man ſich hüten, wie bisher zu glauben, daß ſchon hierin eine Uebertreibung oder auch nur irgend ein Unterſchied des Kratylos und des Heraklit liege. Vielmehr liegt in Beidem unterſchiedslos nur Ein und derſelbe Gedanke, und Kratylos macht ſeinen Meiſter hierbei nur in der Sprache conſequenter. Denn auch in Heraklits eigenem Sinne verwandelt ſich, wenn man näher zuſieht, warum man nicht zweimal in denſelben Strom ſteigen könne, das „nicht zweimal“ ſofort in ein „nicht einmal“, wie dies ſchon aus der Erklärung des Jo. Philopon. richtig erhellt, Proleg. in Categor. in den Berliner Scholien zum Ariſtoteles p. 35: Je e on xıveicar Ta npdypara xal dei Ev Don nal droopon Eori, Toursorev Ev hct x H. dpdas Eyaoxov: H xaf wos Tav doyafwv eln ros, It eis Tov abr noranov odx Eorı d, Eußnvar zal rpös

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Döwp nptv eis adrö ro Aoındbv Eunßdvar owpa!) und ebenjo

1) Aehnlich auch in einer bisher, wie die des Philoponus gleichfalls, ſtets über— ſehenen Stelle der heilige Gregorius Nyſſen., der auch trefflich weiß, wie dieſer Fluß nichts Anderes, als den Proceß der Umwandlung ins Gegentheil darſtellt und ſich dabei, wenn er Heraklit nicht nennt, dafür hin und wieder hera— klitiſcherer Ausdrücke als die Commentatoren des Ariſtoteles bedient, de hom. opif. C. 13. initio: „/ U ra boden ahr rh owndrwv Sun, TAvroTe dıa xıvnosws rpotodena, Ev rolrw Et Tod elvar nv Obvanın Evo un arhjvalrore (vgl. oben Plutarch ꝛc. I. I. u. oben p. 74,1.) dis zunoews. Nadarsp ÖE ve motanos rar ci dd i⁰Mν˙ενν jup i h Östavnor my zorldrnra, , Ig d Toy .- pevos, o fue r abro Ddarı ve rov alröv dei tonov Öpärar Y ] To iv

Dredpapnevabrod,todtbreppun odrw xat ro bimov vhs rnde g dd wos

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Ammon. (in Ar. Categ. f. 3. Venet. Ald. 1503.), nachdem er daſſelbe Geſchichtchen erzählt hat: Fre o A eis rov nue rorapov SH Hue Ouvaröv" molv To bloy To L zaraodvar nieiorov Döwp s t rapappedoav. „Ehe der ganze Leib noch in den Fluß niederſteige, ſei ſchon das meiſte Waſſer vorübergeſtrömt“. Dieſe für den Satz des Kra— tylos angeführte Begründung würde aber auch Heraklit ſelbſt haben für wahr und für im Grunde identiſch mit dem Gedanken ſeines eigenen „Nicht zweimal“ gelten laſſen müſſen. Die feine aber ſcharfe Demar— kationslinie, die Heraklit von Kratylos und anderen Schülern trennt, iſt vielmehr, um die Differenz möglichſt in Eine Antitheſe hineinzudrängen, die: daß bei Heraklit die Sache noch fo ſteht, daß bei ihm nur das Wahre iſt; das Unwahre, das Sein als ſolches, die Ruhe, iſt ihm gar nicht (ſ. die obigen St. des Plato und des Simplic., wo deshalb der Name Sein getadelt wird, wie auch Kratylos in dem nach ihm benannten pla— toniſchen Dialog p. 430 und p. 433 gar nicht zugeben will, daß der falſche Name überhaupt nur ſei, cf. Ammon. in libro de Interpr. f. 15.), fo daß dies die Veranlaſſung iſt zu dem, was Sextus Empiricus und auch Ariſtoteles angeben, daß nach Heraklit Alles wahr ſei (ravra aAndedew); Bei Kratylos dagegen iſt die Conſequenz gezogen, daß da Alles nur im Nichtſein und der Umwandlung ſein Sein habe, überhaupt nichts ſei und nichts wahr ſei (% SY Aindebew; cf. oben p. 64 sq. und $$ 35 sqq.). Deutlicher wird der Unterſchied darin, daß, wie Ariſtoteles erzählt, Kratylos glaubte, man müſſe überhaupt nichts ausſagen, weil näm— lich alles Sein im Nu wieder vergangen, alſo keine Ausſage das Seiende noch antreffen und mit ihm übereinſtimmen und ſomit wahr ſein könne, die wahrſte Ausſage vielmehr wegen der inzwiſchen eingetretenen Aenderung des Seins unwahr geworden ſei, weshalb Kratylos blos den Finger be— wegte, offenbar als die einzige Weiſe in der es möglich ſei einen Zuſtand etwa noch zu ereilen. Man ſieht, wie merkwürdig hier Heraklits Princip, welches die ſinnliche Wahrnehmung aller Wahrheit beraubt und dagegen auf das objective Wiſſen des Alles allein beherrſchenden unſinnlichen Vernunft— geſetzes (Aöyos, von) verwieſen hatte, durch feine eigene Dialektik in ſein ſtrictes Gegentheil, in das Princip der unmittelbaren ſinnlichen Gewißheit umſchlägt und ebenſo andrerſeits den Uebergang zur Sophiſtik

,s xal pons TN ovveysla TuS Toy Evayrimv Ötadoyys aneißerat, underore oryvar Öbvaadar rüs neraßoins, dia Y dvvaneı (Krab. verbeſſ. nach Handſchriften Advvania) od Arpsneiv (vgl. in der p. 168 angef. St. d. Hippokr. das röo ohdexors Arpenifov) dravaroy Eye d TWv Öpotwv evaneıfopevnv Ty xumow“.

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macht. Denn daß mit dem „man könne nichts ausſagen“ und mit dem Finger- bewegen eben nur zur unmittelbarſten ſinnlichſten Gewißheit zurückgekehrt und auf jede denkende Betrachtung überhaupt verzichtet iſt, iſt einleuchtend, weshalb auch Ariſtoteles dieſe Heraklitiker mit Recht als Solche bezeichnet, mit denen keine Wiſſenſchaft und keine Art von Unterſuchung möglich ſei. Noch klarer tritt dies aus einem ſehr ſcharfen Zuſatz hervor, den der Aphro— diſier wohl nicht bloß aus ſich heraus macht !): odros obdE Asyew e wero deiv, g undzv Dbronevov rhv Ton AEyoyros zaryyoplay* ee vdo av g broxsimevnv nep! hs & Adyos, did ci oUveyn Door TOv mept abrns Aeyöpevov Adyov ahlomunevyvy zal U ywonzvyv, s 1m elvar ouugpavoDy note adrH TO Asyönevov nep! abras" NElov darrbiw Osızvbvar TO broxeinevoy mövov, un Atyovra Aldov 9 Ebkov 7 zpvoov 4 Allo* zabra, ,,. Yüp oby Dronevem de 7yy dhlotworv e zyv rut obotay neraßokhy, 76 mEvror Öbeıxzvbnevov To daxrbio eivar rodro Örı nors za: rugor üv dre deixvurar. Man könne alſo nicht jagen, ob etwas Stein oder Holz oder Gold ſei. Denn dieſe Qualificationen des Seins hätten keine Dauer vermöge der beſtändigen Umwandlung; „nur was man mit dem Finger zeige, ſei das, was man vielleicht noch als ſeiend anträfe, indem man es zeigt“. Da aber mit dieſer dialectiſchen Conſequenz des Kratylos der Gedanke ſowohl zur Verflüchtigung alles Objectiven als zugleich zur Verneinung jeder ſinnlichen Beſtimmtheit gekommen war, ſo war dies auch die Seite, an welche die Skeptiker anknüpfen konnten, oder vielmehr welche ſich ſelbſt zur Skepſis entwickeln mußte, wie denn dieſen innerlichen Zuſammenhang nicht übel Ammonius hervorhebt, indem er fortfährt (in Ar. Categ. I. I. ): „alſo (vorüberrauſchend wie die Gewäſſer des Stroms) verhalte ſich auch die Natur der Dinge; denn in Bewegung und Fließen hat Alles ſein Sein, weshalb ſie auch Skeptiker genannt wurden, weil ſie ſich der Urtheile enthielten über die Dinge“. Irrig allerdings iſt der äußerliche Zuſammen— hang der Skeptiker mit Heraklit, den er daſelbſt angiebt. Er läßt nämlich die Sentenz vom Fluſſe urſprünglich von Pyrrhon herrühren und die Ver— beſſerung in 9% Anas ſchreibt er, ſtatt dem Kratylos, dem Heraklit zu, den er einen Schüler des Pyrrhon nennt. Dies verhält ſich nun offen— bar wohl fo, wie Ideler zu Arist. Meteorol. T. I. p. 648 vermuthet, daß

1) Comm. in Metaph. Vol. IV. p. 670 der Berl. Ausg. d. Ariſt.

2) ofrw , Eye xal nv Toy npaypdrwv gbaw' x ,ẽde. Yap xa Bon ro elvar & ee ürayra, q. zal Eperrixol E)Eyoyro rapa ro Eriyerv v reh r npayudrwv Anoxpieeis.

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nämlich die Namen des Heraklit und Pyrrhon von irgend einem Schreiber verwechſelt worden ſeien ſo daß hier eigentlich Pyrrhon Schüler des Heraklit genannt werde und eine factiſche Ane der Skeptiker an den heraklitiſchen Satz vorläge.

Man erinnert ſich hierbei, wie der Skeptiker Aeneſidem bei Sextus Empirikus!) die Skepſis eine Vorſchule zu Heraklit nennt, denn nach der Skepſis erſchienen die Gegenſätze an jedem Dinge, nach Heraklit aber ſeien ſie ſogar wirklich in jedem vorhanden.

Der objective und wirkliche Weg der Geſchichte des Gedankens iſt freilich der umgekehrte geweſen. Erſt mußten die Gegenſätze begriffen werden als das reelle Daſein des Objectes wahrhaft conſtituirend, ehe die Conſequenz eintreten konnte, daß dieſer Gegenſatz ſich zum Widerſpruch entwickelte, in den alles Gegenſtändliche, Beſtimmte und Objective wie in einen Strudel unterging, über den ſich allein die beſtimmende Thätigkeit des denkenden Subjectes erhob; ein Untergang, in welchem der Geiſt, wenn er die ganze Welt des Wahren darin verloren hatte, doch ſich den einzigen Boden des Wahren, ſeine freie Innerlichkeit, erſt erobert hatte.

Jedenfalls liegt dieſen Angaben des Aeneſidem und bei Ammonius eine Gedankenwahrheit zu Grunde, die nicht jo abgefertigt werden darf, wie Schleiermacher thut.

Daß übrigens Kratylos mit feinem Amendement 090° An zu der heraklitiſchen Sentenz vom Fluſſe ſeinen Meiſter inſoweit durchaus nicht übertreibt, wie man auf Grund jener Stelle der Metaphyſik, in derſelben nicht genau genug unterſcheidend, angenommen hat, zeigt ſich auch durch eine andere und noch ſicherer in wörtlicher Form auftretende Variation des hera— klitiſchen Satzes, die uns zunächſt Herakleides alſo aufbewahrt hat?): „xa? nalv noranois totis adrors?) Enßalvondv re xal ονοοοα Ep-

1) Pyrrh. Hypoth. I. 210.

2) Alleg. Hom. p. 442 ed. Gal. p. 84 Sch.

3) Schleiermachers Vermuthung (p. 529), daß zwiſchen adrois und at. vopev ein dis ausgefallen ſei, iſt ſehr beſtimmt abzuweiſen; denn zu ſagen dis Enfawopsy Te xal obx Enßatvonev wäre offenbar abgeſchmackt. Dann genügte weit beſſer das eine mit der Negation geſetzte SZufawvoper, wie wir es fo oft ge— habt haben. Allein die antithetiſche Wiederholung 5. re za obx Zußat- vopev iſt offenbar viel zu echt heraklitiſch und durch die directe Anführung viel zu verbürgt, um an ihr rühren zu können und zu wollen, was Schleiermacher auch gar nicht vorſchlägt. Heraklit hat dieſe Sentenz, wie andere ſchon betrachtete, gewiß an verſchiedenen Stellen ſeines Werks in dieſen verſchiedenen Variationen aus— geſprochen, was ein häufig bei ihm wiederkehrender Zug geweſen zu ſein ſcheint. Denn wörtlich ein und dieſelbe mit den bei Plutarch und Ariſtoteles eitirten Stellen

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en

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Aalvonev: einev re xal odx eineEv“. „In dieſelben Ströme fteigen wir hinein und nicht hinein“.

Ehe wir aber die folgenden Worte: „wir ſind und ſind nicht“ in ihrem Verhältniß zu den ihnen vorhergehenden betrachten, wollen wir das Citat vom Fluſſe einen Schritt weiter verfolgen, was uns von ſelbſt wieder auf die Stelle des Herakleides zurückführen wird. Dieſelbe Dia— lectik des räumlichen Daſeins, dieſelbe Identität des ſinnlichen Hier und Nichthier, die in der angeführten Sentenz liegt, hat Heraklit auch im Ver— folg derſelben in der Form eines realen Grundes ausgedrückt 1): „zora- ug yap e r abrois obx Av Enßaiys, os guat Hod etros, S rep, yap Enıpper Dödara“, nicht kann man zweimal in die— ſelben Flüſſe ſteigen, wie Heraklit ſagt, denn andere Waſſer ſtrömen hinzu“. Dieſen von Heraklit ſelbſt angegebenen realen Grund hat uns in noch wörtlicherer Weiſe und mit einer ſehr ausdrücklichen An— führung Euſebius?) in einer lehrreichen Stelle aus Kleanthes aufbewahrt; der Grund wird aber in derſelben nicht ſowohl als Grund eingeleitet, ſondern in echt heraklitiſcher Weiſe unmittelbar der Schilderung einverleibt: „— Hod xAerros Je, ̃ Ohr „roramoiot Toiaıy aDrora:y S Balvovorv Erspa xar Erepa Ddara Erıpper“, ¶Heraklit der alſo jagt: „Den in dieſelben Flüſſe hineinſteigenden ſtröm— ten andere und andere Waſſer zu“. Wir nennen die Stelle beſon— ders lehrreich und zwar um ihres Zuſammenhanges willen, obwohl dieſen,

merkwürdig genug, Schleiermacher gerade tadelt und unrichtig findet (p. 359). Er iſt aber folgender: Zeno, berichtet Euſebius aus Kleanthes, nenne

gleichfalls die Seele eine avadunians „zadaneo "Hodxierros, BovAonevos ru Epgavioar , al duyat Ke e voepal dei y- vovrat, Elxaoev adrüs Tois moranois Aeywy e . (folgt das Fragm.) „wie Heraklit, welcher um klar zu machen, daß die Seelen pro— cejfirend?) immer vernünftig werden, fie mit Flüſſen verglich, alſo ſa—

würde die Sentenz ja auch ſelbſt mit der Schleiermacherſchen Vermuthung noch nicht ſein, und man müßte noch immer zwei verſchiedene Lesarten derſelben bei Heraklit annehmen, wie ja auch Schleiermacher ſelbſt drei Fragmente (Fragm. 20. u. 21. u. Fragm. 72; p. 357 sg. u. 529.) aufführt.

1) Plutarch. quaest. nat. p. 912. p. 685. Wyttenb.

2) Praepar. Evang. XV. c. 2. p. 821. ed. Par.

3) Gegen die übliche Ueberſetzung „einathmend“ glauben wir das un zevar richtiger geradezu mit: proceſſirend überſetzen zu können. Wir verweiſen

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gend: ꝛc.“. Dieſer dem Heraklit hier zugeſchriebene Vergleich der Seele mit Flüſſen, ſo daß, wie letztere nur in dem immerwährenden Zuſtrömen immer neuer Gewäſſer, ſo auch die Seele nur in der beſtändigen Vermittlung mit dem Allgemeinen, in der fortwährenden Aufnahme deſ— ſelben in ſich (dvadvpeopevar) ihr Dafein habe, dieſer von Schleiermacher als eine unrichtige, unſtatthafte und den Sinn verdunkelnde Zuſammen— drängung des Berichterſtatters angegriffene Vergleich ſcheint uns vielmehr tief in der Philoſophie des Epheſiers begründet und ſelbſt das Richtigſte vielleicht zu ſein, was uns über ſeine Seele geſagt worden iſt. Denn wie dem Fluß !)) feine Subſtanz immer aufs neue, wie ihm immer „andere und andere Waſſer“ zuſtrömen, ſo iſt in dieſer individualitätsloſen Philo— ſophie auch die 9% )», das Subject, nur das ununterbrochene, ſelbſtloſe und noch zu keiner Reflexion in ſich, zu keiner Innerlichkeit als ſolcher ge— langte Zuſtrömen und Aufnehmen feiner Subſtanz. Zuvörderſt führt uns das auch auf das: „wir ſind und ſind nicht“ in der Stelle des Hera— kleides zurück. Schleiermacher wirft p. 529 über dieſe Worte die Frage auf: „Wer kann bei heraklitiſcher Dunkelheit wiſſen, ob fie noch auf zo- Tanois Tors adrois zu beziehen find, oder für ſich allein ſtehen und im Allgemeinen ſagen ſollen, daß eben in jener zwiefachen Beziehung auch von uns gilt, daß wir ſind und daß wir nicht ſind“. Bis zu einer überaus hohen Wahrſcheinlichkeit läßt ſich die Frage allerdings bringen. Daß bei Herakleides beide Sätze unmittelbar hintereinander ſtehen, kann

hierüber einſtweilen auf das im § 6. Geſagte, ſowie auf das im Verlauf und dann bei der Lehre vom Erkennen und vom Feuer noch Folgende).

1) Wollte man für Schleiermacher gelten laſſen, was er hervorhebt, daß näm— lich in dem Fragmente bei Euſeb. nicht den Flüſſen ſelbſt, ſondern den einſteigenden Menſchen das Waſſer zuſtrömt und deshalb mit Schleiermacher verbeſſern wollen eixaoe, alras (sc. rde Hο i Tois & r, rorapots, ſo iſt dies doch eine in- haltsloſe und ziemlich wortklauberiſche Unterſcheidung. Grammatiſch bezieht ſich das sxeſhet allerdings auf Zußaiwvovorw, vealiter aber auf rors roranois. Denn nicht den Subjecten ſtrömt das Waſſer zu, die mit ihm in keiner realen Ver— bindung ſtehen, ſondern den Flüſſen, deren Subſtanz es iſt, und die Subjecte er— fahren nur dieſe als Bild für die Natur ihrer eigenen Seele gebrauchte Natur der Flüſſe am beſten und handgreiflichſten, wenn ſie ſich in die Ströme hinein— begeben und von ihren Wellen fortgetragen fühlen. Es kömmt ja auch weniger darauf an, Heraklits Sprache zu tadeln, wenn hier Grund zu ſolchem Tadel wäre, als rein aufzufaſſen, was er hat ſagen wollen.

*) Man vgl. jetzt das Fragment p. 144, wo das R αναννẽ, Ioopa die Richtigkeit unſerer obigen Ueberſetzung evident beſtätigt.

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nicht einmal für ihre gleiche örtliche Stellung im Buche des Epheſiers etwas beweiſen, weil Herakleides gerade an dieſer Stelle mehrere ſolche Bruchſtücke, die in dem Werke des Epheſiers unzweifelhaft räumlich getrennt waren, zuſammenſtellt, um Beiſpiele heraklitiſcher ſymboliſirender Dunkelheit zu liefern (eine Abſicht, die Herakleides ſelbſt vor ſeinen Citaten ausſpricht), Beiſpiele, welche alle gerade darin übereinſtimmen, daß ſie die ſtricten Ge— genſätze unvermittelt als identiſch ſetzen. Ferner können die in Rede ſtehenden Worte in dem Buche Heraklits auch deshalb nicht auf das S- Hachou e ze ru ob Sue. gefolgt zu ſein ſcheinen, weil, da ja nach den Stellen bei Plutarch und Euſeb. Heraklit auch den Grund angegeben hat, weshalb es nicht mehr dieſelben Flüſſe ſind, dieſer Grund am ſchicklichſten wohl unmittelbar nach dem odx Epßazvonev gefolgt ſein dürfte. Wenn es nämlich darauf ankäme, ein Stück Heraklit zu machen, ſo könnte man vielleicht mit einiger Wahrſcheinlichkeit die Stelle ſeines Buches aus den dreien bei Herakleides, Euſebius und Plutarch alſo zuſammenſetzen wollen: „roranois Tors adrois Eußalvonev Te za! t uν]ν⁰νͥ᷑mͥ noTap.oraty roroı ahroroı Eußalvovow, Erepa yao zar Erspa Ddara Se.

Wie dem auch fer, ſo wird man jedenfalls zugeben müſſen, daß die Worte Se de za} οο eiue nicht mehr wie das 85. re zal odx SU. ſich auf die Flüſſe beziehen können, weil ſonſt in ihnen nicht nur eine leere und Heraklit nicht wohl zuzutrauende Tautologie, ſondern ſelbſt eine ab— ſchwächende Tautologie liegen würde. Denn an der jetzt in Rede ſtehen— den Stelle hat ja Heraklit weder ſagen wollen, noch dem Texte zufolge geſagt, daß wir nicht zu zwei getrennten Malen in denſelben Fluß hinein— ſteigen können, ſondern diesmal auch in der Sprache weit mehr mit Kra— tylos übereinſtimmend, daß im Momente des Einſteigens ſelbſt der betreffende Fluß nicht mit ſich ſelbſt identiſch bleibe, da andere und an— dere Waſſer zuſtrömen ). Dann aber iſt das eiuev r. x. odx e., wenn

1) Und dieſe Auffaſſung dürfte um ſo richtiger ſein, als wenn man umgekehrt bei dem Zuf. r. x. o SH. zwei in der Zeit getrennte Handlungen unterſtellen und das ee r. x. O eh. als Klimax faſſen wollte, man 1) dann hierdurch, wenn wir gleichzeitig in denſelben Flüſſen ſind und nicht ſind, doch immer ſachlich zu demſelben Reſultate käme und 2) wenn bei dem Ss r. x. O e Gleichzeitigkeit unterſtellt werden muß, es ſchon ſprachlich erforderlich iſt, die— ſelbe Gleichzeitigkeit auch bei dem „ſteigen wir ein und nicht ein“ zu unterſtellen. Dann zeigt aber auch das Präſens S* , in dem begründenden Satze „denn den Einſteigenden fließen andere und andere Waſſer zu“, daß die Handlungen des Ein— ſteigens in den Fluß und des Sich Aenderns deſſelben als gleichzeitige gedacht ſind. Sonſt hätte, wenn an ein zweimaliges Einſteigen zu verſchiedenen Zeiten gedacht würde, geſagt werden müſſen, daß inzwiſchen andere Waſſer zugefloſſen ſind.

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es auch noch auf die Flüſſe bezogen werden ſoll, ein abſchwächender Zuſatz und nicht eine Klimax; denn das ,'“ bezeichnet dann doch jedenfalls einen Zeitmoment von längerer Dauer, als die ganz momentane Handlung des Einſteigens.

Daß aber endlich die Worte zinev re zur odx , éjedenfalls ab- ſolut zu faſſen ſind und nur den gleichen Fluß, die gleiche Einheit des Seins und zugleich Nichtſeins, von den Subjecten ſelbſt ausſagen ſollen, dies lehren ja eben ganz beſtimmt die Worte des Kleanthes (die umſomehr Gewicht haben, als Kleanthes, ſiehe oben p. 3, ein Bearbeiter des Epheſiers war), Heraklit habe, um klar zu machen, wie ſie proceſſirend vernünftig werden, die Seelen ſelbſt mit Flüſſen verglichen. Wie richtig dieſer Vergleich für die Philoſophie des Epheſiers iſt, iſt leicht zu ſehen. Die Subjecte ſind in demſelben Zu- und Abſtrömen, in derſelben continuirlichen Vermittelung von Sein und Nicht beſtändig begriffen, wie die Flüſſe ſelbſt und alle Dingheit überhaupt; ſie ſind ſelber Flüſſe, ſind Wellen des beſtändig fließenden allgemeinen Werdens. Wie uns z. B. Philopon oben (p. 290) ſagte: Alle Dinge bewegen ſich und

find immer in Zufluß und Abfluß, jo ſagt, mit Kleanthes übereinſtimmend und ſich eng an Plato anſchließend Ammonius (in Arist. Categ. f. 37):

ws Hνο’ A Hν,“' Eavrod ͤ g dvapzvew rr zo vi deen Öööypna, 76 "Hparlsirerov Adyw, olov 6 Iwxpdens & bon yap za} aroppon ro eivar Eye. Alſo auch das Subject hat nur „im Zu- und Abfluß fein Sein“. Aber nicht blos jene Stelle des Kleanthes, auch andere Stellen beweiſen mit vollſtändiger Evidenz, daß jener Fluß von den Subjecten ſelbſt ausgeſagt wurde und das Fließen des Stromes hier nur als ein klar machender Vergleich für dieſen Fluß in den Sub- jecten dienen ſollte. Dies zeigen ſchon die wohl ohne allen Zweifel auf dieſes heraklitiſche Dictum anſpielenden und von dieſer Auffaſſung aus— gehenden Worte des Ariſtoteles (Polit. III. c. 3. p. 127. B.), in denen er die Frage aufwirft, ob wir „eine Stadt dieſelbe nennen, ſo lange ein und daſſelbe Geſchlecht ſie bewohnt, obgleich immer die Einen ſterben, die An— dern geboren werden, wie wir auch gewöhnt ſind, Flüſſe und Quellen dieſelben zu nennen, obgleich immer das eine Waſſer zu— ſtrömt, das andere abfließt“. Entſcheidender aber noch iſt die das hera— klitiſche Fragment ausdrücklich anführende und interpretirende Stelle des Seneca Ep. LVIII. (T. III. p. 172. ed. Bip.): Nemo nostrum idem est in senectute quo fuit juvenis; nemo est mane quo fuit pridie. Cor— pora nostra rapiuntur fluminum more, quidquid vides eurrit cum tempore, nihil ex his quae vidimus manet. Ego ipse dum lo-

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quor mutari ista, mutatus sum. Hoc est quod ait Heraclitus: In idem flumen bis non descendimus. Manet idem fluminis no- men, aqua transmissa est. Hoc in omne manifestius est quam in homine, sed nos quoque non minus velox cursus praetervehit ). Und weil wir ſo nur im Zuſtrömen des allgemeinen Werdens, im Ab— ſtrömen unſers eigenen Seins unſer Sein haben, ſo beſteht die Weisheit eben darin zu wiſſen, daß wir gar nicht ſind. Und weil wir nichts Bleibendes ſind, können wir uns auch nicht als ſolches finden und feſt— halten, ſondern wir müſſen uns ſelbſt ſuchen in dieſem Zu- und Abfluß des Werdens. Uns ſo als nichtſeiende zu wiſſen, uns in dieſem Strom des Allgemeinen zu ſuchen, das eben iſt die Weisheit. Dieſen Sinn hat denn auch das oft angeführte und faſt eben ſo oft mißverſtandene Dictum Heraklits: „edefnaauyv Epewuröov“ „Ich ſuchte mich ſelbſt“ wie hierbei ſchon Schleiermacher (p. 530) richtig geſehen hat, obgleich es ge— rade deshalb um ſo mehr wundern muß, daß er den Vergleich der Seele mit einem Fluß bei Euſebius eine unrichtige Auslegung nennt. Den Ausſpruch ſelbſt führt zuerſt an Plutarch?): „% Y "Hoazderros, ws hu de K ospvov Ötarenpayp£vos, Eörlyodumv, nos, Enswuröv“ „Heraklit aber jagt, wie Jemand, der etwas Großes und Heiliges voll— bracht hat: Ich ſuchte mich ſelbſt“. Daß es aber Heraklit eben „wie etwas Großes und Heiliges“ gelehrt hat, hätte den Plutarch ſchon darauf aufmerkſam machen ſollen, daß es nicht in dem gewöhnlichen und flachen 'pſychologiſchen Sinne zu nehmen ſei, in welchem auch Suidass) den Aus— ſpruch mißverſtanden hat: „odxodv areıxös I nat zov d Ildorouuov AE-

or

yzıw Aöyov Exeivov, Ovnso oDdv "Hodzdseros e Ep’ Eavrod Enewuv-

1) Cf. Augustin. de Trin. IV. c. 16: quasi fluvio quadam decurrit genus humanum und beſonders auch die oben p. 293, 1. angeführte Stelle des Gre— gorius Nyſſ. und endlich noch eine andere Stelle deſſelben, die ſich unmittelbar an die p. 287 über die Flamme angeführte anſchließt, de anim. et resurr. p. 138. ed. Krab.: rowdröv re xa zept rnY Tod awnaros huwv gh Ları To yap erippurov Tas pbosws nı@v xal To dröppurov dia vis dlkorwruns zuunosws del Topsvöonevöoy Te xal xıvodnevoy Türe lorarat, Oray xal 17 fwns Anoninän‘ Ews av Ev ro i V, ordaw obx v. I yd nAnpodrat, 7 Ötanvesrar, N Öl Exarepwv navrws eis del Örefayerau Schärfer als die Commentatoren des Ariftoteles zeigt der Kirchenvater auch hier, wie der Fluß ebenſo wie die Flamme und das organiſche Leben nichts an— deres iſt, als der Proceß der entgegengeſetzten und ununterbrochen in ihr Gegen— theil umſchlagenden Bewegung (vgl. $ 7.).

2) Adv. Colot. p. 1118. p. 569. Wytt.

3) s. v. Postumus Vol. II. P. II. p. 380. ed. Bernh.

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rov S Noch plumper freilich faßt es Diog. L. (IX, 5.) auf, als ſollte es nämlich ſeine Autodidaxie beſagen: r = ohdevos, a ayröv, & gn, de giũανjE d. Außer dieſen drei bereits von Schleiermacher angeführten Stellen findet ſich das Dictum noch in mehreren bisher überſehe— nen ), am trefflichſten aber bei Plotin?): „ro yap abro voeiv Eor/re zalelvar - 1 av dved Ding Segviquν. Tabrov To Tpdypazı Kal TO ., eνj)l⁵iadv edılmoanyv ws Ev Tav Övrwv““ „denn dafjelbe iſt Denken und Sein und die Erkenntniß des Immateriellen daſſelbe mit dem Thatſäch— lichen und das „Ich ſuchte mich ſelbſt wie eines der ſeienden Dinge“. Daß das ws Ev c Övrwv der wahrhafte Sinn jenes Spruches iſt, man müſſe ſich ebenſo betrachten und ſuchen wie eins der ſeienden Dinge, d. h. als ebenſowenig ſeiend wie die Dingheit, als in demſelben Fluſſe begriffen, in welchem alles Gegenſtändliche ſtets pro— ceſſirt, ift bereits klar, und inſofern ſagt die Stelle nur ſehr deutlich, was Schleiermacher bereits ohne ſie erkannt hatte. Fraglich iſt nur, ob dieſer Zuſatz dem Heraklit ſelbſt angehört, oder eine treffliche Interpretation des Plotinos iſt. Creuzer ad J. J. neigt ſich zu erſterer Annahme. Er hätte dieſelbe aber auch, wie es ſcheint, faſt zur Evidenz bringen können. An einer andern Stelle nämlich, wo Plotin dieſe ſelbe Sentenz zwar nicht anführt, aber offenbar auf ſie anſpielt, ſcheint er ſie gänzlich und zwar in der Weiſe des Diog. L. mißzuverſtehen ): e yap Hodndeν .., Os fιν’ rapaze- deberut Enreiv Todbro elxafeıv Eöwxev, de ꝗ,Qugm c, N nomoar ToV Aoyov, ws ÖEov lows nap ara Äyreiv, Üszep x abrös Inryoas ebpev. Es würde ſich daher ſchwer annehmen laſſen, daß Plotin die Stelle, die er das einemal doch ſo ſehr mißzuverſtehen ſcheint, das anderemal ſo trefflich interpretirt haben ſollte, und man muß daher glauben, daß er das s Sy Twv Ovrwv an der erſt a. St. nicht aus ſich, ſondern aus Heraklit ſelbſt, was auch die gleichſam ſtoßweiſe Anführung durch das dem Satze vorgeſtellte zu beſtätigen ſcheint, oder mindeſteus aus einem trefflichen Commentator geſchöpft habe.

1) 3. B. Julian. orat. VI. adv. Cyn. p. 185. a. ed. Spanh.: Hodadeeros S, Sn Euwvrö,. Hesych. I. p. 1084. ed. Ab. ohne Namensanführung: Eodifnoa Enewurov' E£yrnoa Ewaurov. Clem. Al. Strom. lib. I. im Anfang: a O ahr dıfmodnevor Eavrods EEevpnxdvar ppvdrrovrar. Der würdige Tatian ändert das Dictum in <uauroy 2dedafauny eirovra (sc. Hp.) p. II. ed. Ox. cf. Dio Chrysost. Or. LV. p. 558. T. II. p. 282 Reiske: “HoaxAsıros Y Ere yevvarorepov abrös ubs (noi) TnY Tod rayrös Ybar, brola TUyyaveı odboa, nnögvos Öıdafavros zal yevcodar rap abrod 0008. 2) Ennead. V. lib. IX. p. 559. p. 1033. ed. Creuzer. 3) Ennead. IV. lib. VIII. p. 468. p. 873. Cr.

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Demgemäß hat auch Schleiermacher Recht zu ſagen, daß in der Stelle des Stobaeus !): Hod ejν? Y DV navrav yYEyove oopWrepos Uv ids: Eauvröv umozv elödra die zwei letzten Worte nur eine Verfälſchung aus undsv Övra jeien, fo daß Heraklit geſagt haben mag: dadurch, daß er auch ſich ſelbſt als nichtſeiend gefunden habe, ſei ihm erſt alle Erkenntniß aufgegangen. Man kann dies noch dadurch belegen, daß bei Diog. L. (IX, 5.) : v veos dv Eyaoxe umdEv eldevar, TEietos pEVTOor yYevd- pEVos Tayro, Ervmxevar noch die ed. Froben. ſtatt des un7oEv eldevar viel- mehr undev eivaz lieſt, und wir das seas erſt einer Conjectur des Ste— phanus verdanken.

Aber auch platoniſche Stellen beſtätigen dies, z. B. die im Kratyl. p. 440. C. p. 223. St.: „Ob nun dieſes ſich jo verhält oder aber auf jene Weiſe wie Heraklit mit den ſeinigen und noch viele Andere behaupten, möchte nicht leicht ſein zu unterſuchen, gewiß aber iſt es einem Vernunft habenden Menſchen nicht angemeſſen, blos den Namen (der Dinge) zu— gewendet ſich und ſeine Seele in Abhängigkeit von ihnen zu begeben und im Vertrauen auf ſie und Diejenigen, die ſie eingeführt, ſich ſo feſt darauf zu verlaſſen, als wiſſe man etwas Rechtes (drioyvpflendar &s eiööra), und ſowohl von ſich ſelbſt als von den ſeienden Dingen eine üble Meinung zu haben ( adroD re xal dvrwv xarayıyvo- oxeıv), als wäre nichts geſund, ſondern alles hinfällig wie Töpferwaare (Ge neh xepapea He), und geradezu zu glauben, daß wie am Katarrh leidende Menſchen, ſich ſo auch die Dinge verhalten und von Rheuma und Katarrh geplagt werden“.

In dieſer Stelle wird alſo gleichfalls von Plato das „es ſei nichts geſund“ und „es flöße Alles“ im Sinne Heraklits ganz ebenſo auf die Subjecte ſelbſt als auf die Dinge (adrod re xal dvrwv) bezogen. Man beachte auch, wie Plato (Phaed. p. 90. C. p. 552. Ast.) dadurch den Heraklit zu ſeinem Dogma von dem objectiven Fluſſe und gegen— ſätzlichen Wandel der Dinge gekommen ſein läßt, daß er ſich ſubjectiv in dieſem Fluß befunden, nämlich immer ein andermal anderer Anſicht über die Dinge geweſen wäre und ſtatt nun ſich die Schuld zu geben, dieſen Fluß auf die Dinge übertragen hätte. Hat Heraklit, wie wir aus der Stelle des Stobaeus vermuthet haben, geſagt, es ſei ihm durch die Erkenntniß, daß er ſelbſt nicht ſei (Ire nos: Eaurov umdev Övra), alle Er— kenntniß aufgegangen, indem er auch die Dinge in dem gleichen Fluſſe gefunden, fo iſt dieſe Stelle des Phaedon eine halb ironiſche, halb zurecht—

1) Serm. XXI. p. 177. I. p. 344. ed. Gaisf.

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weiſende Beziehung auf dieſen Satz, wie denn in der Regel hinter der Ironie des Platon ein ſehr concreter und realer Hintergrund zu ſuchen iſt. Ferner muß man in der zuerſt a. St. des Kratylos auch auf das „otioyupfifeodar ws re elödra“ achten, Heraklit habe ſich darauf als wiſſe er damit etwas Tüchtiges und Unerſchütterliches, beſonders viel zu gute gethan. Es entſpricht ganz der Art, in der uns Plutarch bei An— führung des: „Ich ſuchte mich ſelbſt“ ſagt, Heraklit habe es geſagt „wie Jemand, der etwas Großes und Heiliges (ws neya v za! osuvov da- rerodypevos) vollbracht hat“. Jedenfalls ergiebt ſich auch daraus, wie falſch das u70Ev e2odra bei Stobaeus iſt. Heraklit iſt es nie eingefallen, zu jagen, daß er nichts wüßte. Jener ſokratiſche Spruch iſt ihm gänzlich fremd. Vielmehr war er, wie die Stellen bei Stob. u. Diog. ſelbſt, ferner die bei Dio Chys. (ſ. p. 302, 1.) und die eben angeführte Schilderung des Platon, auch die Worte des Ariſtoteles !): „Herakleitos baue jo feſt auf das was ihm ſcheine, wie andere auf das was ſie wiſſen“ und noch viele andere?) ſpäter zu betrachtende Zeugniſſe zeigen, durch und durch von dem philo— ſophiſchen Hochmuthe des bewußten Wiſſens erfüllt, nicht des Wiſſens, das dieſes und jenes gelehrte Nichts weiß, ſondern desjenigen das er— kannt hat „was die Welt im Innerſten zuſammenhält“.

Frägt man aber, um bei unſerem Thema, dem Zu- und Abfluß, in dem die Subjecte begriffen ſind, zu bleiben und noch näher auf die Ver— gleichung der Seele mit Flüſſen einzugehen: den Flüſſen fließt allerdings ihre Subſtanz, das Waſſer, immer neu zu; was fließt nun aber den Seelen zu? jo iſt die ſchon im obigen gegebene Antwort die: eben auch ihre Subſtanz, das abſolute reale Werden, oder das Allgemeine, der reale Proceß, in dem Alles befindlich, der Gott, der eben dadurch ſtirbt, weil er dadurch aus ſeiner allgemeinen Continuität mit ſich heraus- und in die Einzelheit und ihr auf ſich Beharrenwollen hineingeräth. Die Ein— zelheit andrerſeits tritt eben durch dieſes Aufnehmen des allgemeinen Wer— dens aus ihrem Fürſichſein heraus und wird vernünftig.

1) Eth. Nic. VII. c. 5. p. 1147: Zyoı Yap riorsbovaw obd&V Z ον, oi do&akouarw ] Ersoor olc Ertoravrar Önkot , “Hodzxserros.

2) Vgl. einftweilen noch Origen. Philosoph. Vol. I. c. 4. p. 884 de la Rue:

J za N x 40 0 72 8 3. ra 7 N RL. Ioaxisıros Ö8 puarrös yıldoopos 6 Eysnos: üyvotay Tod rayrös Plov zaraytyvworsiv xal rdyrav dviourwy adrov , Yap e; Ta nAyvra

eldevar, robs ο Aklous dvdowrous oböey. Anderes bei der Lehre vom Er— kennen.

$ 13. Das rep:eyov. Das Allgemeine.

Dieſes allgemeine Werden nun, durch deſſen Aufnahme in ſich auch die Seele vernünftig wird, ſoll, wie wir in bald anzuführenden Berichten hören werden, Heraklit auch als reprEzov ausgeſprochen haben, und zwar wäre ihm dieſes nach dem Berichte des Sextus Empirikus mit dem 9829s ysos ſchlechthin identiſch geweſen. Schleiermacher meint, daß es un— gewiß bleiben müſſe, ob jenes Wort ein eigner Ausdruck Heraklits ſei. Uns iſt es nicht zweifelhaft, daß derſelbe nicht Heraklit, ſondern nur deſſen Com— mentatoren ſeine Stelle in der heraklitiſchen Philoſophie verdankt. Weil derſelbe aber jedenfalls ſchon von frühen und guten Commentatoren her— zurühren ſcheint, ſo iſt es vor allem erforderlich, zu ſehen, was ihm in der heraklitiſchen Philoſophie entſprechen und zu Grunde lie— gen kann, zumal gerade durch dieſes 78087 die irrigſten Auffaſſungen und Mißverſtändniſſe bei den Neueren, wie auch in ſpäterer Zeit ſchon manchmal bei den Alten, veranlaßt und in die heraklitiſche Philoſophie hinein— getragen worden ſind !). Ihren letzten und evidenteſten mit der wahren Auf—

1) Es wäre kaum möglich zu ſagen, was für der heraklitiſchen Philoſophie durchaus widerſprechende Mißverſtändniſſe durch dieſes repeeyov in ſie hineingetragen worden ſind, und in welche großen Widerſprüche mit ſich ſelbſt ſogar man ſich dabei verwickelt. So ſagt ein ſehr geachteter Geſchichtsſchreiber der grie— chiſchen Philoſophie: „Dieſes und nichts Anderes ſpricht ſich auch in der ſchon erwähnten Lehre aus, daß die menſchliche Seele ein abgeriſſener Theil (!!) des verſtändigen Umkreiſes der Welt ſei (ift alles Heraklit gar nicht in den Sinn gekommen), welches man ganz falſch verſtehen würde, weun man es wört— lich ſo nähme, als wenn wirklich ein Theil der Feuermaſſe aus der oberen Region (diefe beſondere Feuerregion exiſtirt gar nicht bei Heraklit; purer Miß— verſtand, großentheils dem dee entfloſſen) niederwärts vom menſch— lichen Körper eingezogen würde“. Alſo ſo ſoll man es nicht auffaſſen. Wie aber denn, wenn doch einmal das rspriyoy jo eine obere Feuergegend iſt? Und ſo ſagt derſelbe Verf. daher drei Seiten vorher wörtlich: „daher konnte auch die menſchliche Seele als ein von dem Umkreiſe der Welt ausgewanderter und vom Menſchen eingezogener Theil betrachtet werden“, und eine Seite darauf:

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faſſung der Avadopiaoıs innig zuſammenhängenden Nachweis wird die Bedeutung des rep.eyoy erſt bei ſeiner phyſiſchen Entwicklung 23.) fin— den. Indeß kann auch ſchon hier ohne ſolche Vorausbeziehung einſtweilen hinreichend der Gedanke deſſelben nachgewieſen und jene Irrthümer wider— legt werden. Das rsprEyov iſt in der heraklitiſchen Philoſophie durch— aus nicht ſo etwas, wie Himmel, Luft ꝛc. Es iſt noch viel weniger, wie Schleiermacher es höchſt irrig erklärt: „Die äußere vom Erſtarrten ent- fernteſte Region“. Es iſt ebenſowenig eine beſondere örtlich getrennte Region, wie es ein beſonderer Stoff iſt. Wenn Sextus das repreyov und den Heros Aöyos als identiſch ſetzt, jo hat er in der Hauptſache ganz recht und überſieht nur einen feineren, obwohl durchaus nicht unweſentlichen Ge— dankenunterſchied zwiſchen beiden. Wenn nämlich der Logos das einfache ſich durch alles hindurch ziehende Gedankengeſetz iſt, fo iſt das nze- pr2yoy der durch dieſen Logos bewirkte allgemeine reale Werdens— proceß, in welchem das Univerſum ſtets begriffen iſt.

Der Unterſchied zwiſchen beiden Beſtimmungen iſt alſo der aber auch nur der daß im Logos als innere Einheit gedacht iſt, was im rehtsgon als die Realiſirung dieſes Gedankengeſetzes zum beſtän— digen real allgemeinen Proceſſe des Weltalls und ſeiner unabläſſig in ſich übergehenden kreiſenden Formen aufgefaßt wird. Wenn der Logos das ideell Allgemeine iſt, jo iſt das 8s das jenem Geſetze ge— mäße real allgemeine Werden des Weltalls, die ſich zur Univerſalität

„Und viele andere Vergleichungspunkte bieten ſich hier noch dar, von welchen nicht übergangen werden darf, daß, ſo wie Heraklit die menſchliche Seele als einen niederwärts gezogenen Theil des Weltumkreiſes anſah, ebenſo auch ſie ihm als ein geſtorbener Gott erſchien“. Sind größere Widerſprüche mit ſich ſelbſt denkbar? Hier wird die Seele ganz ausdrücklich wieder ſo verſtanden, wie ſie nach jener zuerſt citirten Stelle nicht verſtanden werden ſoll! Aber auch in dieſer erſten Stelle, wie will der Verf. daſelbſt, wo er jene Auffaſſung der Seele als ein Mißverſtändniß bezeichnet (es iſt aber ſein eigenes Mißverſtändniß, das er tadelt, wie man ſieht), wie will er die Sache daſelbſt verſtanden haben? Er fährt unmittelbar nach den zuerſt angeführten Worten hierüber Aufſchluß gebend, alſo fort: „Es ſoll vielmehr dadurch nur angezeigt werden, daß Seele und Himmel innere Gleichartigkeit und inneren Zuſammenhang haben, indem ein Theil des Feuers und des Bewußtſeins der Welt (1!) ſich in einer ihm ſonſt frem— den Region zeigt, auf irgend eine Weiſe ſich entwickelnd aus dem Waſſer oder der Erde, oder, da er ſelbſt nicht ganz reines Feuer iſt, auch aus dem Feuer“.

Wir müſſen geſtehen, daß es uns trotz unſerer angeſtrengteſten Bemühungen nicht gelungen iſt, dieſen Satz wirklich zu verſtehen. Aber Alles, was wir aus demſelben verſtanden haben, iſt ſo falſch, daß wir kaum zu ſagen vermöchten, wie

falſch es iſt.

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des Kosmos erſchließende phyſiſche Bewegung jenes Gedankengeſetzes. Man kann und muß daher das rep.eyov auch für die heraklitiſche Philoſophie mit der ſpäteren Bedeutung des Wortes „das Allgemeine“ (wiewohl in einem unterſchiedenen Sinne, wie ſich zeigen wird) überſetzen.

Wir eilen dies auf gedoppelte Weiſe gegen jeden etwaigen Vorwurf der Willkür in Schutz zu nehmen.

Daß Heraklit nothwendig dazu kommen mußte, feinen abſoluten Be- griff, die Einheit von Sein und Nicht, als das „Allgemeine“ aus— zuſprechen, liegt auf der Hand. Der Gedanke des Allgemeinen iſt gar nichts anderes als der in Harmonie, Krieg, Feuer ꝛc. von ihm aus— geſprochene Begriff; er iſt die Einheit des Seins und des Negativen, die beſtehende i. e. ſich im ununterbrochenen Proceſſe Daſein ge— bende Negativität. Das Einzelne iſt das Aufſichbeharrenwollen der Exiſtenz. Das Werden aber, als das wodurch alles Sein wahrhaft iſt und welches alle Einzelexiſtenz durchdringt, iſt eben deshalb auch, als das über jede Einzelexiſtenz hinausgehende und ihr Negative: das Allgemeine ).

Es iſt übrigens von ſelbſt erſichtlich, wie ſehr dieſe Auffaſſung des Allgemeinen von dem Sinne, in welchem ſeit Ariſtoteles das repreyov als Allgemeines gebraucht wird, noch unterſchieden iſt.

Allein wenn es auch klar iſt, daß Heraklit, weil er zuerſt den Ge— danken des Negativen erfaßt hat, nothwendig dazu gelangen mußte, zuerſt die Kategorie des Allgemeinen zu produciren und als Princip aus- zuſprechen, ſo frägt ſich doch noch falls er nämlich wirklich irgendwo dies Wort (repr£zov) gebraucht hat?) wie er ſprachlich dazu kommen konnte, gerade die hier aufgezeigte Anſchauung des Allgemeinen mit dem- ſelben zu verbinden, und endlich wird es ſich um die poſitiven Beweiſe handeln, daß, ob von Heraklit ſelbſt gebraucht oder nicht, die aufgezeigte Bedeutung wirklich allein diejenige iſt, welche dem e in der hera— klitiſchen Philoſophie entſpricht und den betreffenden Berichten, wenn auch in mißverſtandener Weiſe, zu Grunde liegt. Lehes geen heißt allerdings zu— nächſt: umgeben, umfaſſen, und wie dies die Urſache davon tft, daß ro rebtsgon ſpäter die Bedeutung von Atmosphäre und Luft erhielt, jo iſt

1) Und jo hat ja Heraklit auch urkundlich ſeinen Begriff als das „All- gemeine“ ausgeſprochen, nicht nur im Aöyos, ſondern auch direct als das „Sonde; vgl. das Erkennen und die Ethik.

2) ro zepr£yov als terminus technicus (wie Adyos zrA.) hat Heraklit ganz gewiß nicht gebraucht. Aber shes yet ürayra xc. könnte er möglicher— weiſe freilich von ſeinem Principe geſagt haben.

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dieſe Ueberſetzung: „das Umgebende“ auch der Grund, weshalb es Schleier— macher auch bei Heraklit als eine örtlich- getrennte vom Erſtarrten ent— fernteſte Region, und Brandis I. p. 170 ſich der Wahrheit ſchon ein wenig mehr nähernd als „das einſchließende reine Weltfeuer“ und ſomit immerhin als örtlich-ruhender und ſtofflicher Natur auffaſſen zu müſſen glaubt. Al— lein repeeyev bedeutet auch, ganz wie repryiyvopar: überwinden, über— legen ſein. Und dieſe Bedeutung ſcheint uns diejenige zu ſein, in welcher es für die heraklitiſche Philoſophie zu faſſen und die in der That geeignet iſt, den Begriff des Allgemeinen, wie er für Heraklit vorhanden war, dar— zuſtellen und als aus ihr abgeleitet erſcheinen zu laſſen. Das Werden war ihm das allein Seiende, da Alles nur dadurch war, daß es an ihm Theil hatte; andrerſeits aber war es, zum Unterſchiede von ſeinem Da— ſein als ſolchem oder der Einzelheit, Dasjenige, was auch in dem Nicht— ſein ſeiner ſelbſt, im Untergang jedes Einzelnen ſich erhielt und in dieſem Nichtſein ſeiner ſelbſt gerade ſein eigenes Lebensgeſetz hatte. So beſtimmte ſich ihm das Werden als das im Nichtſein ſelbſt ſich Erhaltende, über die ſein eigenes Daſein bildende Einzelheit dennoch Hinausgehende und von ihr Freie, d. h. es beſtimmte ſich ihm der Be— griff des Allgemeinen folgerecht als das Alles Ueberwindende und Durchdringende.

Es käme nun noch darauf an, durch Belege nachzuweiſen, daß das tepisgon wirklich nur, ſtatt der Bedeutung „Umgeben“, in dieſem dem reoryiyvonor ſynonymen Sinne gebraucht iſt. Wir beziehen uns in dieſer Hinſicht zunächſt auf eine Stelle des Ariſtoteles, wo er von denen ſpricht, die das Unendliche ſelbſt als Princip ſetzten !): „Von dem Unendlichen aber giebt es keinen Anfang; denn er wäre ſeine Grenze weshalb, wie wir ſagen, kein Anfang von dieſem, ſondern vielmehr es ſelbſt der Anfang des Andern zu ſein ſcheint „* repeezev Aravra xal rnayra zußepvay“ (wir überſetzen: und Alles [nämlich das Endliche, Beſtimmte, das Anfang und Ende hat] zu überwinden?) und Alles zu leiten ſcheint), wie diejenigen ſagen, welche keine andern Urſachen außer dem Unendlichen

1) Phys. Ausc. III, 4. p. 203.

2) d. h. wir überſetzen wörtlich ſo, um zu zeigen, aus welcher urſprünglichen Wurzel die Bedeutung des sss ſich entwickelt hat. Dies einmal feſtgeſtellt, würden wir überſetzen können: „Alles in ſich zu enthalten“, ohne von unſerer Anſicht dadurch abzugehen. Denn das unbegrenzte und durch nichts ausgeſchloſſene Unendliche, welches alſo vor, in und nach jedem Endlichen iſt, iſt deshalb (nicht aber in dem Sinne eines äußerlich Umgebenden) das, was alles Endliche in ſich enthält.

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annehmen, wie z. B. den Gedanken oder die Liebe“. Denn gleichviel, ob ſich die hervorgehobenen Worte nur auf Anaximander beziehen, den Ari— ſtoteles allerdings hauptſächlich hier im Auge hat, oder ob ſie auch mit auf Heraklit gehen was trotz des Satzes Door pm ν. und anderer ſcheinbarer Schwierigkeiten behauptet werden könnte, aber unerörtert ge— laſſen werden mag, in jedem Falle iſt doch aus dieſer Stelle die in der Sprache der alten Philoſophie innerlich eng zuſammenhängende Be— deutung von repreyev und zußspvav und zumal die ſynonyme Bedeu— tung von mspreyew und zepryiyvsodar, die Bedeutung von Ueberlegen— ſein, Ueberwinden, d. h. vor ihm und nach ihm und in ihm ſein, alſo auch Durchdringen von dem Verhältniß des Unendlichen oder des Princips zu dem mit Grenze, mit Anfang und Ende behafteten Endlichen und Beſtimmten nicht abzuläugnen. Wollte Je— mand dennoch behaupten, daß an dieſem Orte rep.eyev und zußspväv nicht in dieſem Sinne als bloße Modificationen deſſelben Begriffs, ſon— dern als zwei ganz verſchiedene Begriffe, und 89e auch hier nicht in der explicirten Bedeutung von Ueberwinden, Ueberlegen ſein ꝛc., ſondern von Umgeben zu faſſen ſei, ſo würde ein Solcher zuvörderſt vielleicht einen nicht geringen Verſtoß gegen die Anaximandriſche Philoſophie be— gehen, deſſen Urweſen ja durchaus kein Stoffliches war und daher auch nicht als ein Alles Umfaſſendes im räumlichen Sinne betrachtet werden darf. Doch laſſen wir das dahingeſtellt.

Wem aber deshalb mit jener Stelle nicht genügt iſt, der wird ſich doch durch die treffliche Interpretation genügen laſſen müſſen, die Sim— plicius zu ee mepıeyew drν]ÿ xar xußepvay zu der Stelle des Ariſt. f. 107 giebt: „ee e x nepreysw Eleyov Q xh) gauhaua r, TO MEY 760 TEPLENELV ne: To D alla Ds ÖLa ndvray JwpoDvrt, To ÖE xußepväv, Ws Kara TV Ertrnoetörnza adrod av dr’ adrod 1 „denn das rehesv ee kommt der ſtofflichen Urſache zu, weil ſie durch Alles hindurchläuft“. Simplicius erklärt und rechtfertigt alſo das repeeyewv bei Anaximander ftatt mit Umgeben geradezu mit: Sich durch Alles hindurchziehen, Alles durchdringen, ganz in dem Sinne, in welchem wir eben dieſen Begriff aus dem Ueberlegenſein d. h. aus dem vor ihm, nach ihm und in ihm ſein des Unendlichen gegen das Seiende abgeleitet haben, und ganz in dem Sinne, in welchem wir Heraflit ſelbſt den Auyov debt zavrwv drmzovra, das ſich durch alles hin durchziehende Vernunftgeſetz, als das abſolute Princip proclqmiren hören werden.

Endlich aber ſcheint uns von nicht geringer Wichtigkeit für die wahre

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Bedeutung, welche dem sprsyov der heraklitiſchen Berichterſtatter zu Grunde liegt, ein Fragment des Epheſiers ſelbſt, welches im Uebrigen an ſeinem Orte näher betrachtet werden wird, aber auch hier aus dem ge— dachten Grunde ſeine Stelle finden muß. Es iſt uns daſſelbe von Sto— bäus aufbewahrt, Serm. Tit. III. p. 48. I. p. 100. Gaisf.: „Toegpovra:

yap navres ol dvdowrivor vonoL.bro Evös Tod ,; xpare?i

yap rooobrov, 6x60ov s E], zal Efapxei nücı xal N- rbverac“. Heraklit ſpricht hier alſo gerade von feinem Einen Abſoluten und Göttlichen und ſagt von ihm: „Denn es werden alle menſch— lichen Geſetze genährt von dem Einen Göttlichen; denn dieſes herrſcht ſoviel es will und genügt Allem und überwindet Alles“. Hier iſt alſo von Heraklit ſelbſt repey/verar gerade fo zur Bezeichnung feines Unendlichen gebraucht und abſolut hingeſtellt !), wie wir ſonſt bei Sextus und andern Berichterſtattern das 19 eνοο an- treffen. Andere Spuren dieſes von Heraklit zur Bezeichnung ſeines Abſoluten gebrauchten und vom Verhältniß deſſelben zu dem Endlichen hergenommenen Ausdrucks ſcheinen ſich noch bei den römiſchen Stoikern zu finden, ſ. Epictet. Diss. I. c. 29. T. I. p. 152. ed. Schweigh.: Ae rodro xat ö ron Heov vöonos zpariorös Eorı zat dexaröraros* I xpelooov (hierüber vergl. man aber oben p. 102 sq.) dei repıyıvscdw Tod yeipovos (cf. Marc. Ant. VII. $ 59.), und genau jenem heraklitiſchen zepryiverae ent- ſprechend wird in der hippokratiſchen Stelle (I. p. 639. Kuehn.) jenes principielle Feuer (nämlich wie es dort heißt, o Hspmörarov xal LoyvpoTarov Do) dasjenige genannt, „was Alles überwindet“ (örep zavrwy Ertxparzcrar!). Ebenſo ſcheint uns offenbar hierauf hin— zuweiſen, daß was wir alſo nur als eine deutliche Ueberſetzung jenes heraklitiſchen æ e oder rehts ge in unſerm Sinne auffaſſen bei den römiſchen Schriftſtellern superans (nicht ampleetens) fo häufig als ſtändiges Beiwort des heraklitiſch-ſtoiſchen Princips und Feuers er— ſcheint, z. B. Lucretius v. 395: quum semel interea fuerit Superan- tior ignis, ib. v. 408. ignis enim superare potest, cf. ib. v. 384. u. 412. Es muß demnach ſcheinen, daß nur an Stelle dieſes von Heraklit ſelbſt gebrauchten rspryyveodar das eine ſynonyme Bedeutung darbietende und in dieſer von der alten Philoſophie ſchon von Anaximander, nach den an—

1) Vgl. hiermit Marc. Anton. IV, 1., wo die Worte se To röp, GH Erızparn Toy Lprerrövroy ausdrücklich als Vergleich für die Art gebraucht werden, in welcher das in uns herrſchende Princip (To Zvdoy zupeedor) ſich zu dem ſich zufällig Ereignenden verhält und dieſes in ſich aufnimmt und zu ſich um wandelt.

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I

geführten Stellen des Ariftoteles und Simplicius, angewendete re ese ſchon frühe von den heraklitiſchen Commentatoren geſetzt worden iſt, worauf es dann von den Späteren auch ſeiner Bedeutung nach leicht mißverſtan— den und als ein räumliches aufgefaßt werden konnte.

Wen dieſe Erklärung der Entſtehung des repreyov nicht befriedigt, der wird in § 23. dieſe Entſtehung auch auf eine andere, vielleicht mehr zuſagende und ſich dennoch an das hier Entwickelte vollkommen anſchließende Weiſe erklärt finden. Soviel wird aber ſchon durch das Bisherige jeden— falls klar geworden ſein, daß die Bedeutung des Se keinesfalls eine örtlich-getrennte oberſte Region oder ein beſonderer räumlich umgebender Umkreis iſt, ſondern daß, was allein dieſem Ausdruck für die heraklitiſche Philoſophie in Wahrheit zu Grunde liegen kann, nichts andres iſt als der Gedanke des allgemeinen Proceſſirens, deſſen ideelles Geſetz der Logos iſt, während das zeorEyoy ſich zu dieſem gemeinſamen, alles durchwaltenden Logos als die im beſtändigen proceſſirenden Kreislauf des Univerſums vor ſich gehende reale Darſtellung deſſelben (des Logos) verhält. Wie wenig das reoreyoy irgend eine örtlich-getrennte obere Region ꝛc. iſt, das wäre auch ſchon durch die Stellen des Sextus und die in denſelben vorgenommene Identification deſſelben mit dem Logos vollkommen klar. Da der Bericht des Sextus ohnehin mit andern ſich daran knüpfenden bald näher betrachtet werden muß, ſei hier einſtweilen darauf hinverwieſen. Hier mögen nur folgende, im Verlauf noch zu verſtärkende Beweiſe gegen jene bisher allgemein beliebte örtliche Auffaſſung des e eeeο als heraklitiſchen Prin— cips ihren Platz finden. Gerade da, wo uns Clemens Alex. zuſammenhängend und ausführlich die Naturlehre des Epheſiers beſchreibt und ſeine Darſtellung immer in kurzen Zwiſchenräumen durch die Anführung der beſten und ech— teſten Bruchſtücke belegt, die uns über dieſelbe und nirgendswo anders als hier aufbehalten ſind, gerade da alſo, wo Clemens, wenn jemals, das Werk Heraklits vor ſich liegen hat und aus ihm herausscitirt, jagt er: Ire nbp Imb roh Öroxodvros Aöyou zar (eo) Ta obumavra depos reer eis rb ws To on£ppa e Otmxoopnosws, , Halacoay* Ex e Tobrou des ylverar yy% zal obpavds xal Tu Zurspreyömeva (Strom. V. c. 14. p. 711. Pott.).

Es kann dieſe Stelle überhaupt nicht ſehr geneigt zu der Annahme machen, daß Heraklit ſich der Bezeichnung 78% für ſein Princip be— dient habe. Aber jedenfalls geht aus ihr ſehr gut hervor, daß das ze- hesgo qua räumliche die Welt umſchließende Region von Heraklit un— möglich für ſein Princip gebraucht worden ſein kann. Denn was hier wirklich als ein ſolches räumlich Umgebendes auftritt, der odpavös

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(za a Enrzepreyöopeva) das wird in der Stelle ſelbſt, weit ent— fernt mit dem Logos identificirt oder irgend als Princip aufgefaßt zu werden, erſt als eine aus der Stufe des Feuchten vor ſich gehende Entwickelung hingeſtellt. Noch beweiſender gegen jede Auffaſſung des re- hesgo als einer beſonderen Region oder eines räumlich Umgebenden in der heraklitiſchen Philoſophie iſt eine merkwürdige Stelle des Marc. Antoninus. Merkwürdig deshalb, weil er, obgleich er ſelbſt immer das reprezov wie die Stoiker überhaupt, als das vernünftige Princip des Alls und gleich— bedeutend mit der Weltſeele gebraucht !), ſich hier ſehr richtig und mit großer Energie gegen jede Auffaſſung des Princips (und ſomit auch des von ihm ſelbſt als ſolchen gebrauchten repeezov) als eines räumlich um— gebenden ausſpricht. Marc. Antoninus, bei dem wir nun ſchon ſo oft mitten unter allen aus Verflachungen und mißverſtehenden Auffaſſungen Heraklits entſtandenen ſtoiſchen Vorſtellungen und Sätzen, die er mit ſeiner ganzen Secte theilt, Spuren einer genaueren Kenntniß Heraklits und eines beſ— ſeren Verſtändniſſes deſſelben deſſen Reſultate er aber, inſofern ſie vom ſtoiſchen Canon abweichen, nicht feſthält gefunden haben und noch finden werden, ſagt VI. § 9: zura yv av Dlwv ylbaw Exaora. Ne hahe rut: o yüp zar’ AAAmv YE rıva po Yro:r SSH Eure- pe£yovoav 4 Epreprsyon£vnv Evdov 7 EEw Annorzpevgv. Alſo: „nur gemäß der Natur des Alls, i. e. nach dem allgemeinen Naturgeſetz, kommt jedes Einzelne zu Stande, nicht aber gemäß irgend einer andern (d. h. beſonderen) Natur, weder gemäß einer von außen her um— gebenden, noch einer innerlich im Einzelnen eingeſchloſſenen (d. h. indivi— duellen Natur), noch einer äußerlich angehängten (d. h. nicht nach zu— fälliger Einwirkung äußerer Urſachen)“. Die allgemeine und Eine Natur des Weltalls, das wahrhafte Werdensgeſetz, nach dem alles Einzelne wird, jener vernünftige Alles durchwaltende Logos, kurz Alles das, was von den Stoikern und den heraklitiſchen Berichterſtattern und von M. Antoninus ſelbſt jo oft 5s genannt wird, ſei, jagt hier Marc. Anton. ſelbſt, nicht als ein äußerlich Umgebendes und Umſchließendes zu faffen (und dies kann er doch ſogar nur in einem ausdrücklich gegen dieſe Anſchauung des 889, gerichteten kritiſchen Sinne geſagt haben), ſondern eben nur als 7 Twv οοννπνν gbors d. h. als das wahrhaft Allgemeine,

1) z. B. IV. 8 39.: E allorpiw nysporızo run, cd oby boplorarar' obö2 e &y r Tpony zal Erepwoer Tod repeeyovros. VIII. $ 54.: d jon rat ovpgppoveiv TO repreyoyrı ndvra vospo r. Vgl. die

bald folgende nähere Analyſe letzterer Stelle.

4

* es 313 Fr

als der Proceß, als jenes Werdensgeſetz des Alls, welches nach Hera— klits eigener Auffaſſung das Geſetz der proceſſirenden Identität von Sein und Nichtſein war.

Wegen dieſer nicht geringen Wichtigkeit der Bedeutung, in der das repe£yew zu nehmen iſt, muß noch einmal verweiſend auf das r νee lanaurad na rar zußspvay in der oben angeführten Stelle des Ariſto— teles und den Worten des Simplicius dazu, darauf aufmerkſam gemacht werden, wie, wenn es von dem dehtsVety zweifelhaft iſt, ob es ein eigener Ausdruck des Heraklit war, es dagegen von dem navra zußzpväv ur- kundlich feſtſteht, daß er es, ganz wie in jener ariſtoteliſchen Stelle, von ſeinem Abſoluten gebraucht hat, um das Verhältniß dieſes ideellen Geſetzes des Werdens zu den Einzelexiſtenzen zu ſchildern. So z. B. in dem erſt ſpäter zu betrachtenden Fragment bei Diog. Laert. (IX. 1.). So ferner in einer kurzen Anführung in einer auch ihrem Inhalt nach hierher ſchla— genden Stelle des Plutarch !): 7 Y won zur ABizrovoa za! zıynosws i S abrjs Eyovoa. , yuνννν olzeiwv e Akkorplav ghors Ahkodev

Eonaxev drnopponyv?) za! moipav 2x Tod gpovodvros ÖTW XU-

1) de Is. et. Os. p. 382. B. p. 563. Wytt. Mit Recht verbeſſert Schleierm. arloder aus ο re. Ganz mit Unrecht aber meint er in Bezug auf die ſchon von Markl. vorgeſchlagene und auch von Wytt. genehmigte Verbeſſerung 577 ftatt dns, fie ſei nur annehmbar, wenn man die Worte als plutarchiſche betrachten wolle; als heraklitiſche aber betrachtet, ſei das örws feſtzuhalten. Ganz im Gegen— theil ift, wie das Fragment bei Diog. L. IX. 1. zeigt, das Vernunftgeſetz ſelbſt Das, wodurch das All regiert wird; das @povody ift daher auch durchaus nicht ſubjectiv, wie Schleierm. thut (p. 493), aufzufaſſen und zu überſetzen: „aus dem, in welchem die Erkenntniß iſt, wie das Ganze regiert wird“, ſondern ob— jectiv zu nehmen und jo wie im Text oder noch beſſer mit „Vernunftgeſetz“ zu überſetzen.

2) Zum eindringenden Verſtändniß dieſer Aroppoz muß man ſich jetzt deſſen erinnern, was wir oben beim Fluß, beſonders p. 300 über die beſtändige Aroppor, in der das Subject ſich raſtlos befindet, gehabt haben; der alterthümliche Ausdruck aroppon (cf. Bekker. Anecd. gr. T. I. p. 28, arophon osuyörspov tod Aröp-

pora) dürfte daher wohl hierfür (wie auch %%%, welches Wort dann nur daſſelbe, was Aroppo7, mit einem mehr an die religiöſe Vorſtellung anlehnenden Ausdruck beſagen will) echt heraklitiſch ſein, wenigſtens iſt es durchaus an—

gemeſſen für die Bezeichnung deſſen, was die Seele wahrhaft bei Heraklit iſt, näm— lich daß fie Proceß iſt. ef. Marc. Anton. II. 8 4. dei de Yon rors alalcadar, rig xdonou ðẽE g el, xd tivos Ödtorxodvros , x0danov Aröoppora drearns, ein Satz, in welchem in ſehr richtiger Weiſe der Aoyos dwexay To räv, das das All durchwaltende vernünftige Geſetz, mit der Aroppora in Verbindung geſetzt und wir, reſp. die Seele, eine Ardppora dieſes Adyos genannt werden, ganz

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GF SH˙α , röre obnrav, nad Hod ej,jU» i). „Die lebende und ſchauende und das Princip der Bewegung in ſich ſelbſt habende und die Kenntniß des Eigenen und Fremden beſitzende Natur riß von wo andersher an ſich einen Ausfluß und einen Antheil aus dem Vernünftigen, durch welches das All regiert wird, nach Heraklit“.

Es iſt klar, daß wir jetzt in dieſen und ähnlichen Zeugniſſen nur die nähere phyſiſche und logiſche Begründung deſſen vor uns ſehen, was in einer mehr bildlichen, der veligiöfen Seelenlehre ſich bedienenden Dar— ſtellungsform in den Fragmenten über die Götter und Menſchen geſagt iſt. Wie dort die Menſchen geſtorbene Götter hießen, ſo ſind ſie hier ein Ausfluß des Vernünftigen, das dadurch aus feiner Continuität mit ſich in die Einzelheit geräth. Dieſes Vernünftigen, von welchem die Welt regiert wird, oder, wie uns Ammonius u. A. eben ſagten, des Werdens p0o7 und Aroppoy find wir. In ihm haben wir uns zu ſuchen. Was uns Plutarch ſagt, daß die lebende, ſich ſelbſt bewegende und erkennende Natur darin beſtehe, daß das allgemeine 9% zerriſſen, oder wie Sextus ſagt, durch die Trennung von ſich ſelbſt unvernünftig wird, giebt alſo den ſyſtematiſchen Grund dafür an, warum wir den Tod der Götter leben, warum der Leib ein Begräbniß der Seele iſt ꝛe.

Daſſelbe was Plutarch von dem gpovodv, jagt uns nun Sextus Empirikus gleichmäßig von dem repeeyov und dem Heros Adyos aus.

wie in der Textesſtelle bei Plutarch eine Au &x Tod gpovodvros ar}. Anz ders verhält es ſich dagegen mit dem Forazev bei Plutarch. Dieſer Ausdruck, welchem entſprechend die heraklitiſche Seele auch wohl ein arvoraopa, ein abgeriſſener Theil des Göttlichen von unbehutſamen und nicht hinreichend unterſcheidenden Berichterſtattern genannt wurde, in Folge der Identität des Sinns, den beide Aus— drücke für die Vorſtellung zu haben ſcheinen, ſowie in Folge der Verwechslung mit andern Philoſophen, welche die Seele als ſolches Aanvoraspa des Göttlichen beſchrieben (. B. den Pythagoräern), dieſer Ausdruck iſt für die heraklitiſche Seele ungeeignet und gab noch bis heute zu ſehr falſchen Auffaſſungen Ver— aulaſſung, wie wir ſie z. B. in der oben p. 305, 1. angeführten Stelle finden. Wäh— rend für Heraklit die Seele nur im beſtändigen proceffirenden Zufſammenhange mit dem Allgemeinen beſtand, ſomit eine ununterbrochen zu- und abfließende Strömung des Göttlichen war und in dieſem Sinne vollkommen wohl auch Antheil an demſelben habend (%, jagt Sextus ſehr vorſichtig) genannt werden konnte, war fie bei andern Philoſophen, welche weniger als Heraklit die Natur des Speculativen feſtzuhalten wußten und der ſinnlichen Vorſtellung folg— ten, ein fixer abgeriſſener Theil des Göttlichen, Sätze, die durch die ganze Kluft des Gedankens von einander getrennt ſind, ohne daß dies dennoch vor dem Ueberſehen dieſes Unterſchiedes bewahren konnte. 2) Vgl. das zußspva, bei dem Heraklitiker oben p. 168.

Wenn uns Philoſtratus in einer ſchon angeführten Stelle (ep. Ap.18.) jagt, daß nach Heraklit der Menſch als Naturproduct unvernünftig ſei, ſo iſt dabei noch nicht, der modernen Vorſtellung gemäß, an einen Gegenſatz zwiſchen dem Körper und dem eigenen Inneren des Menſchen zu denken, ſondern der Ge— genſatz iſt der zwiſchen dem Menſchen als körperliches Gebilde, als Einzel— exiſtenz, und dem allgemeinen Proceſſe, 1 durch die Theilnahme an dieſem Allgemeinen, durch welches die Welt gelenkt wird, der Menſch ver— nünftig wird. So berichtet uns im Weſentlichen ganz richtig Sextus (adv. Math. VIII. 286.) za: un Dnros 6 Hodxrerros gn, To un eivar Adyıxov Toy aydowrov, m6vov Ö brapyew gpevnpes Tb nepeeyov. „Der Menſch ſei unvernünftig, vernünftig jet allein das Allgemeine“ und ebenſo ib. VII, 129: dosoxe: yap r, yuormd TO rentEyov nuas koyızöov TE 0V za gpevypss. In dieſem Sinne konnte in der That gejagt werden, daß nach Heraklit die Vernunft außerhalb des Körpers ſei, wie Sextus nach Aeneſidem berichtet (ib. VII. 349.) 4% o , Exrös re owparos (se. eivar nv Ördvorav) ws Alvnotönnos zara Hoazierrov und Tertullian (de anim. c. 15.); ut neque extrinsecus agitari putes principale il- lud (wie Tertullian alſo das 8 s, unſere Auffaſſung deſſelben beftä- tigend, gut überſetzt) secundum Heraclitum. Durch den ununterbrochenen Proceß, in welchem unſer Leben beſteht, treten wir aus unſerer Ein— zelheit heraus und werden dieſes & e onder des Heros Aoyos theilhaftig. Durch dieſe Aufnahme und Vermittlung mit der Außenwelt, welche letztere aber nicht als eine ruhende zu faſſen, ſondern ſchlechterdings als der objectivirte Proceß, als die reale allgemeine neraßoir feſtzuhalten iſt, werden wir vernünftig. So jagt Sextus (ib. VII. 129.) rodrov 07 zov Herov Aöyov i "Hoaxreırrov di Avanvoys ondoavres vospol yı- vopcda „dieſen göttlichen Logos nun nach Heraklit durch das Einathmen in uns aufnehmend werden wir vernünftig“. Richtig iſt hier Alles, bis darauf, daß das Aufnehmen des Allgemeinen in das Individuum als Ein— athmen beſtimmt wird. Wenn aber Sexrtus in dieſe Ungenauigkeit ver— fällt, welche die Wurzel eines bedeutenden Irrthums iſt, ſo liefert er doch ſelbſt in den unmittelbar folgenden Sätzen das hinreichende Material zur Erkenntniß und Verbeſſerung deſſelben. Er fährt fort „und in dem Schlafe zwar ihn (den Hes Js) vergeſſend, find wir nach dem Erwachen wieder vernünftig. Denn indem im Schlafe die Vermittlungswege der Sinne geſchloſſen find (uvodvrwv av alodyrızav röpwv), wird der Geiſt in uns abgetrennt von ſeinem Zuſammenwachſen mit dem Allgemeinen (Juhlcerde vi npüs To mepieyov oungutas 6 Ey ih vong), indem nur

noch durch das Einathmen ein Zuſammenhang gerettet wird, wie gleichſam

316

durch eine Wurzel; und ſo getrennt verliert er die Kraft der Erinnerung, die er früher hatte. Im Wachen aber wieder durch die Sinnenwege wie durch Fenſteröffnungen herausguckend (Ev e Eypyyopoor raden dee av alodnrızav room &rrep ÖLd rıvav Bupldwv rpoxb- 9s) und mit dem Allgemeinen ſich vereinigend (TO repeeyovr: avp- PBarrkoy), tritt er in ſeine Fähigkeit zu denken ein“. „Gleichwie die Kohlen, fährt Sextus in einem nicht unheraklitiſchen Bilde fort, wenn fie dem Feuer genaht ſind, dem Geſetze der Umänderung gemäß feurig werden, vom Feuer getreunt aber verlöſchen, ſo wird auch der in unſern Leibern ſich ſelbſt entfremdete Theil des Allgemeinen (odrw zul 7 Emr- Fevadeica Tols „per£pors owpaory ννν Tod nepıeyovros norpa) zufolge der Trennung (von dieſem) faſt unvernünftig, zufolge aber der Vereinigung mit ihm durch die meiſten ſinnlichen Vermittlungswege mit dem All ſelbſt gleichartig (önorsöns To Om zaNorarar). Von dieſem ge— meinſamen und göttlichen Logos (Todrov 04 do zorvov Adyov za! H). durch die Gemeinſchaft mit welchem wir auch denkend (J) wer— den, ſagt Heraklit, daß er das Kriterium der Wahrheit ſei“.

Wenn alſo nach Heraklit im Schlaf die Vermittelung des Subjects mit dem eoreyov fajt aufgehoben, und der Menſch im Schlaf un— vernünftig wird, worüber wir noch eigene, ſehr ſchöne und energiſche an ihrem Ort anzuführende Fragmente des Epheſiers beſitzen, wie kann da gejagt werden, daß wir nach Heraklit durch das Einathmen gerade dieſen göttlichen Logos oder das T8 5 in uns einziehen? Denn das Einathmen iſt doch gerade die Function, welche auch im Schlaf weder auf— gehoben noch auch nur gemindert wird. In der dieſer irrigen Angabe nachfolgenden näheren Beſchreibung ſtellt aber Sextus, wie wir geſehen, dieſe Aufnahme des Allgemeinen richtig dar als die Vermittelung des,

1) Wenn man mit den hervorgehobenen Worten des Sextus die Verſe des

Lucretius III, 360. vergleicht

oculos nullam rem cernere posse

Sed per eos animam ut foribus spectare reclusis und ferner, was Sextus ib. VII, 350. von Aeneſidem jagt, der ſich Heraklit in jo Vielem anſchloß: 4 (sc. 77, ù) St, as H ei“. zadarsp dıd ww önoy Toy alodnrnptwy rpoxdrrouoay und endlich die Worte des un— echten, aber an echt heraklitiſchen Wendungen und Ausdrücken reichen Briefs Hera— klits an Amphidamas: raya za duyn marrevsrar dnölvew Sie, jd mork &x T0 dsauwrnptov TOobTou zal oston£von TOD OWNATOS EXKÜTTOUGA, ſo muß es gewiß den Anſchein gewinnen, daß jenes jo naive Bild von dem durch die Sinnenöffnungen wie durch Fenſterchen herausguckenden Geiſt vom Epheſier ſelbſt herrührt.

17

wie wir bereits wiſſen, nur im beſtändigen Sein und Nichtſein, im Zu— und Abfluß des Werdens d. h. im beſtändigen Proceß beſtehenden ſub— jectiven Lebens mit der Außenwelt, die ihrerſeits ebenſo nichts ruhiges, ſondern nur die objectivirte neraßoAn, der ununterbrochene vergegen— ſtändlichte allgemeine Proceß iſt.

Vergleicht man alſo zu dieſer Stelle des Sextus die oben betrachtete des Kleanthes bei Euſebius über Heraklit: Jur. ai N dvadupıo- nevar vospa! de! yivoyraz, ſo ergiebt ſich nunmehr wohl unzweifelhaft zweierlei. Erſtens nämlich, daß bei Sextus, der hierin wahrſcheinlich dem irrigen Vorgang des Aeneſidem folgte, das dr dvanvons ordoayres nur an die Stelle jenes jedenfalls echteren avadvııopevar getreten tt, und zweitens, daß dieſes Avadumop.evar ſeinerſeits wieder nichts anderes bedeutet, als die Vermittelung, welche die Stelle des Sextus aus— führlich beſchreibt; daß es alſo mit Unrecht von Schleiermacher, der darin dem Irrthum des Aeneſidem und Sextus noch viel zu viel nachgab !?), mit „einathmend“ überſetzt wird, und wir wohl mit Recht und auch dem Grundbegriffe des Wortes entſprechend, oben überſetzt haben dürften: daß die Seelen proceſſirend vernünftig werden.

Die vollſtändige Identificirung übrigens von repreyov und Heꝛos dos, welche Sextus wiederholt in der a. St. vornimmt, beſeitigt gewiß jeden Zweifel darüber, daß das zepreyov weder eine Atmosphäre, noch eine örtlich getrennte Region ſein kann, da es dann doch niemals als Aöyos hätte qualificirt werden können, der bei Heraklit immer nur ſein vernünftiges, das Verhältniß alles Seins bildendes und regelndes Geſetz der Identität von Sein und Nichtſein bedeutet. Und endlich, wie hätte Sextus, wenn er ſich nicht in der allergröbſten und undenkbarſten Un— wiſſenheit über alles Heraklitiſche und in einer erſtaunlichen Gedanken— loſigkeit überhaupt befunden haben ſoll, ſagen können, Heraklit ſetze dieſen gemeinſamen und göttlichen %s oder dieſes repeeyov als das Kri— terium des Wahren und der Erkenntniß, wenn daſſelbe etwa eine örtlich getrennte luftartige oder feurige Region oder ein beſtimmter Stoff, wie Feuer ꝛc. oder überhaupt irgend etwas anderes geweſen wäre, als jenes im Gegenſatz zur Einzelexiſtenz als das Allgemeine aus-

) Wie jetzt auch noch Zeller thut, wenn er p. 481 sq. die Vernunft „oder den Wärmeſtoff“ (2) auch durch den Athem in uns eintreten läßt; dann müßten auch die Schlafenden dem Heraklit nach vernünftig geweſen ſein, wovon das Gegentheil feſtſteht. Der nähere Unterſchied zwiſchen dem blos phyſiologiſchen Lebensproceß und der Vermittlung mit der Vernunft wird ſich $ 30 sqq. ergeben; vgl. einſtweilen die nächſte Anmerkung.

318

geſprochene Vernunftgeſetz der Identität von Sein und Nichtſein, das Heraͤklit allein als Kriterium der Wahrheit ſetzen konnte und wie wir bei der Lehre vom Erkennen ſehen werden, geſetzt hat?

Wenn dagegen Schleiermacher mit Beziehung auf Tertullian de anima c. 14. zeigt, wie, da einmal die Theilnahme an dem Göttlichen als Ein— athmen beſchrieben war (nicht aber wie Schleiermacher meint, durch Hera— klit ſelbſt!), ſondern durch den Irrthum des Aeneſidem u. A.) und da nach der gewöhnlichen Vorſtellung das Eingeathmete Luft iſt, dies auch min— deſtens zum Theil der Grund der irrigen Meinung geweſen ſein mag, als ſei dem Heraklit die Luft %%, geweſen?), ſo muß es umſomehr wun— dern, daß Schleiermacher nicht auch geſehen, was es mit der dvaduniaors für eine Bewandtuiß hat. Und um ſo richtiger muß jenem Irrthum ge— genüber, der die Luft als das Weſen der Seele und des Alls und das Aufnehmen derſelben in das Individuum als ein Einathmen bezeichnete, das Wort des Kleanthes erſcheinen, von dem wir hierbei ausgingen, Heraklit habe die Seelen, weil ſie durch die beſtändige Vermittlung mit dem Allgemeinen vernünftig werden, mit Flüſſen verglichen, denen immer neue und neue Waſſer zuſtrömen. Was in dieſem Vergleiche der Seele immer neu zuſtrömt, das iſt eben jenes ihre Subſtanz bildende Allgemeine, das, im Gegenſatz zum Aufſichberuhen der Einzelexiſtenz, als ehe ausgeſprochen werden konnte; es iſt jener abſolute Wandel,

1) Wie leicht dieſer Irrthum entſtehen konnte und wie wenig er dennoch in Heraklits eigener Lehre wurzelt, zeigt wieder am beſten und noch deutlicher als die von Schleierm. eitirten Worte Tertullian's, eine Stelle des Marc. Anton. VIII. 8 54: „Miert novov au unrveiv ro mepı£yoyre d, N Jo v aupgppoveiv r rept£yovri ndyvra vospW' od Yan ATTov N vospa Ödvanıs RÄyTn KENUTAL za ÖtLanspoityre c ordoar Öyvapzvw, hrep h, dh i Ta dvarvsdaat ÖUva- zero“. Man müſſe nicht blos „ſich vereinigen (iibereinftimmen) mit der uns umgebenden Luft, ſondern auch (im Denken) zuſammenſtimmen mit dem Alles durchdringenden Vernünftigen. Denn nicht weniger iſt die vernünftige Kraft überall hin ausgegoſſen und durchdringt den, der ſie einziehen kann, als diejenige der Luft den, der einathmen kann.“ Hier iſt alſo die umgebende Luft und das Einathmen derſelben als Bild des vernünftigen Allgemeinen und der das Denken erzeugenden übereinſtimmenden Vermittlung mit demſelben (wie Heraklit bei Sextus jagt 9e det Ersodar To xowo) gebraucht, beides aber, als blos miteinander verglichen, noch vollkommen bewußt von einander geſchieden. Beides wird reducirt auf den Vergleichungspunkt: Vermittlung mit dem Allgemeinen, in dem wir leben, worin wie auch in den Worten ravyrn zezurar vu deanspoirnzs die wahre Bedeutung des S οσοναν als das Allgemeine, das weder örtlich noch materiell beſtimmte Geſetz des abſoluten Wandels, deſſen reale Darſtellung das Weltall iſt, wieder ſehr gut hervortritt.

2) Sextus Emp. adv. Math. IX, 360.; X, 230.

319

in dem Alles immer begriffen- ift, der daher das allein und wahrhaft Exiſtirende iſt und mit welchem ſich vermittelnd die Seele dem vernünftigen All ſelbſt gleichartig wird; die Vermittlung mit ihm conſtituirt eben den Proceß des ſubjectiven Daſeins überhaupt.

Eben deshalb, weil der Menſch nur durch dieſe 27 ο, des gehe, nur durch dieſe Wechſelwirkung mit dem Allgemeinen lebendig wie ver— nünftig!) wird, ſchließt ſich hieran eng an die viel wiederholte und ſprüch— wörtlich gewordene Sentenz Heraklits, daß Leichname weil jener Ver— mittlung mit dem zspreyov nicht mehr theilhaftig mehr fortzuſchaffen find als Miſt. So Plutarch 2): vervss yap zorpiwv Exfßiyrorspo: ruh “Hoaziercov, „Leichname ſind mehr fortzuſchaffen als Miſt nach Heraklit“. Schleiermacher (p. 473) hat allerdings ein Recht, den Suidas zu tadeln, daß dieſer in ſeinen Worten ?): „Hoazisrros Sęy ölywpeiv ray Tod owparos za: vonfkew abro zar zonplwv &x- Pimrorspov: Ex Tob paorou 02 ala Tas Beparsias drorinponv, Ews üy 6 deüs Osrep Öpyavo TO owparı yoyodar Errrarre, „Hevaklit ſagte, man müſſe!) überall den Leib gering achten und ihn für verächtlicher betrachten als Miſt; ſo wenig als möglich aber ſei ſeiner zu warten, ſolange der Gott auferlegt, ſich wie eines Organes des Leibes zu bedienen“, den lebendigen Leib und den Leichnam ohne Weiteres 5 ir gleichbedeutend zu nehmen ſcheint. Nur iſt nicht zu überſehen, daß der für ſich iſolirt, ohne Verbindung mit dem reh und im Gegenſatz zu dieſem gedachte Leib dem Heraklit allerdings als ein Todtes und als Leichnam gegolten haben muß, und daß das de οeννν und die Vermittlung mit demſelben (die aua νε , d. h. daſſelbe, was den Leichnam zum Leibe machte, indem es ihn in den Proceß des Lebens hineinriß, auch das Princip der Seele bildet, die uns ja (ſiehe oben § 6. u. 7.) ſchon früher Ariſtoteles ſelbſt als Avadoniaars ſchilderte. So daß Heraklit allerdings, in einer Antitheſe von Seele und Leib und um den überwiegenden Werth der erſteren klar zu machen, geſagt haben mag, wie ohne dieſe die Seele ausmachende Vermittlung mit dem

1) Wir beleuchten hier den heraklitiſchen Unterſchied zwiſchen beiden Beſtimmun— gen noch nicht näher.

2) Sympos. p. 644 F. p. 622. Wytt.

3) 8. v. Hound. p. 883. ed. Bernh.

4) Bei Suidas ſcheint ein 86 ausgefallen zu fein, wie man nach der ſonſt ganz gleichlautenden Stelle bei Georg. Cedren. Hist. Comp. T. I. p. 276. ed. Bonn.: S %% (Hoaxd.) de nat rote, hre rat rod awnaros ghSον Ökıywpeiv xa vonisew adro xonptwv Exfinrörspov zal ex ob haorov rinpodv abrob Tas Vepaneias Ewg üv 6 Heos Wsrep “] gh out Ererdrrn ſchließen könnte.

320

rehtsgo unſer Leib überhaupt nicht mehr lebendiger Leib, ſondern Leichnam und verächtlich wie ein ſolcher wäre. Denn irgend etwas wörtlich Heraklitiſches ſcheint der Stelle des Suidas in der That zu Grunde zu liegen. Dies zeigen, außer der Polemik gegen den Cultus des Leibes, die wir auch in den ethiſchen Fragmenten des Epheſiers wiederfinden werden, und außer der Ausdrucksweiſe des letzten Satzes, noch zwei andere Stellen, die Schleierm. entgangen find. Zuerſt die bei Julian, Orat. VII. )), in der ſich die Stelle bereits ganz wie bei Suidas findet?), ſo daß ſie bei der Beleſenheit dieſes Kaiſers in der alten Philoſophie gewiß als aus einem älteren Bearbeiter Heraklits geſchöpft betrachtet werden muß. Hierzu kömmt dann eine ſchöne bisher überſehene Stelle bei Plotinus, in welcher das urkundliche und wört— liche heraklitiſche Dictum ſelbſt ganz in der von uns angegebenen Antitheſe gebraucht iſt. Plotin ſpricht von der Seele, wie ſie Eins ſei und nicht getheilt, ſondern überall ganz und in Allem ganz vorhanden und einfach?): „* roAds

av 0 vDpavos zar AAhos d, Ev Eorı , radens (sc. vi Hανανν Övvaper £ S g AAN EV SC d N . 775 DANS, =

zur eds st di Talemv 6 x0onos . Hor d aa Zios Bes, Ort Eugvyos zar a alla dorpa , ieee, einsp ve, di- ToDro: verves yap zorploy ExßAnrorspor“, „und auch der Himmel, obgleich ex ein vielfältiger iſt und anderwärts anders, iſt Eins durch dieſer, der Seele, Kraft; und durch ſie iſt dieſes Weltall ein Gott. Es iſt aber auch die Sonne Gott, weil ſie beſeelt iſt, und die andern Geſtirne; und wir, wenn wir etwas ſind, ſind es dadurch; denn Leichname ſind ver— ächtlicher als Miſt“. Auch Celſus bei Origenes) führt die Sentenz an: „vexves , gn Hoaxierros, ronp,ρ? Exßinrorspor“. Pollux) giebt rn] ExßAnrorspov als eine heraklitiſche Redensart, und wie ſprüchwörtlich ſie geworden war, zeigt deutlich eine Stelle bei Philos), der fie mit einem ws se des anführt, indem er die dosßera ein Uebel

v \ v 3% 0m 7 nennt: „advyov za veroov za! zonplwv, as Sg is, Exriyrörspov?).

1) In Heracl. p. 226. C. ed. Spanh.

2) reſp. daſelbſt jo wiederhergeſtellt werden muß, wie ſchon Valeſius geſehen hat zu Euſebius, Or. de laud. Const. p. 659. ed. Par., wo in den Worten „U ο , νάe auf unſer Dietum angeſpielt wird.

3) Ennead. V, I. p. 483. p. 900. Creuz.

4) c. Cels. V. p. 588. ed. de la Rue.

5) Onomast. V. 163.

6) De Profugis p. 459. T. I. p. 555. Mang.

7) Endlich wird die Sentenz noch bezogen bei Strabo lib. XVI. fin. und in den Schol. ad Iliad. ed. Bekk. p. 630. b., wo fie mit Unrecht dem Empedokles zugeſchrieben wird: s x Epredoxins qi (y. ws v ’Hoarisrros V.) „veruss

un

321

Den Grund der Sentenz laſſen auch die Placita des ſ. g. Plutarch ganz richtig hervortreten. Der Leichnam, als der % und aroppor nicht mehr theilhaftig, hat eben die Ruhe, die Heraklit ſonſt aus der Welt geſtrichen. Deshalb fahren die Placita !), nachdem fie gejagt: „Heraklit verbannte Ruhe und Beſtehen aus der Welt“ richtig fort: „Sort Yap Tobro av veoh „Denn dies iſt Sache der Leichname“.

Mit Rückſicht hierauf und auf die Stellung, welche das Feuer bei Heraklit überhaupt einnimmt, iſt auch gewiß unbedenklich und nur conſequente Folge ſeines Syſtems, was Servius erzählt, wo er von den verſchiedenen Begräbnißarten ſpricht?), Heraklit habe darauf gedrungen, daß die Leich— name verbrannt und nicht beerdigt würden: et perite has varietates Virgilius posuit: namque Heraclitus qui omnia vult ex igne constare dicit, corpora debere in ignem resolvis).

zorpiwv &xfinrörspor“. Hiernach iſt auch zu berichtigen, was Sturz gegen Ste— phanus ſagt, Empedoecl. ad v. 354. p. 643.

1) Place. phil. I, 23. p. 558. Wytt.

2) In Virg. Aen. IX, 186. cf. III, 68. und Tertullian. de anim. c. 33. p. 288. ed. Rig.; Lydus de mens. III, 27. p. 124. Roeth.

3) Auf dieſe mit feiner geſammten Theorie zuſammenhängende Lehre Hera— klits vom Begräbniß und auf den Antagonismus, in welchem ſich Demokrit auch hierin gegen ihn befindet, hat ſchon Böttiger, Ideen zur Kunſtmythologie J. p. 35 aufmerkſam gemacht und dabei wohl gewiß mit Recht die Aenderung von Hera- elides Pontius in Heraclitus in Varronis Fragm. p. 269. ed. Bip. vorgenommen: „Quam Heraclides Pontieus plus sapit qui praecipit ut combureèrentur, quam D&mocritus qui ut melle servarent etc.“

s 14. Der Logos.

Jenen gemeinſamen und göttlichen Logos aber, den Sextus anführt und den er als identiſch mit dem ve ονννο gebraucht, hat Heraklit des— halb als den gemeinſamen (Eovov) aufgefaßt, weil er ihm das Alles Durchdringende, die in aller Exiſtenz vorhandene und fie aus ſich pro— ducirende reine Identität des Sein und Nichtſein war.

Dieſer Logos iſt daher nur jene als das innere vernünftige Geſetz des Daſeins ausgeſprochene proceſſirende Identität der Gegenſätze ſelbſt; er iſt der ideelle Saame der Weltbildung (adEprov owpa, one 775 yeveoews jagen ſtoiſche Berichte), der Typus derſelben, oder wie man heute ſagen würde, die Idee der Exiſtenz ſelbſt. Er iſt das, was wir bereits als die unſichtbare Harmonie hatten, die in den Exiſtenzen begraben und verborgen iſt. Er enthält darum die Momente, deren Ein— heit er iſt, Sein und Nicht, in adäquater Form in ſich, während ſie die Exiſtenz in der unangemeſſenen Form des Seins ſetzt. Wird z. B. die proceſſirende Einheit des Seins und Nicht als Bewegung ausgeſprochen, ſo iſt jener Logos Das, was dieſe Bewegung ſchlechthin unauf— gehalten in ſich hat, gegen welches alle, auch die ſchnellſte ſinnliche Bewegung und Exiſtenz, ſich wie ein Beharrendes verhält; d. h. er iſt die logiſche Gedankenkategorie der Bewegung ſelbſt.

Plato ſagt im Kratylos !): „Diejenigen, welche meinen, daß das All in Bewegung ſei, nehmen von dem Meiſten an, daß es nichts anderes ſei, als ſich Bewegen. Durch dies Alles aber gäbe es etwas Hindurch— gehendes, durch das alles Werdende wird.“ Dies, durch alles ſchon in Bewegung Befindliche ſich noch hindurch Bewegende, iſt nichts an— deres als der Logos, d. h. das Vernunftgeſetz, das logiſche Princip der

1) p. 412. D. p. 135. Stallb.

323

Bewegung ſelbſt oder die unſichtbare Harmonie. Aber eben darum, weil dieſe reine Kategorie der Bewegung in jeder wirklichen, einzelnen Exiſtenz ebenſo nicht iſt, als iſt, weil ſie die einzelne Exiſtenz ebenſo ſetzt, als wieder über ſie hinausgeht, iſt ſie die Negativität gegen ſie. Jener Logos, das Vernunftgeſetz, nach welchem und durch welches das Seiende wird, iſt auch zugleich die Dike, die dem Einzelnen ſein Recht, den Untergang, angedeihen läßt. Wenn das Setzen der endlichen Exiſtenz als ein Spiel des Zeus ausgeſprochen wurde (ſ. oben p. 57. u. 243 sqq.), jo iſt deren Aufhebung feine Gerechtigkeit.

Der die Welt durchdringende Logos iſt das allein in Allem Seiende, allein Poſitive, das ſchlechthin Allgemeine. Dieſes Allgemeine iſt an und für ſich bereits die Verknüpfung des Seins und der Negativität; es iſt das dem Einzelnen und ſeinem Fürſichbeſtehenwollen Negative, und nach dieſer ſeiner dem auf ſich beruhen wollenden Einzelnen negativen Seite ausgeſprochen, iſt es die aufhebende Gerechtigkeit, die Dike, die in ihrem Gefolge die den Uebermuth des Einzelnen rächenden Mächte, die Erinnyen hat.

Allein bei Heraklit giebt es keine blos negative, wie keine blos poſitive Beſtimmung. Eben ſo giebt es bei Heraklit keinen bloßen Untergang. Der Untergang des Einen iſt bei ihm an ſich ſelbſt ſchon das Werden eines Andern (ſ. oben p. 49 sq.). Das Allgemeine, welches ihm den inneren Begriff der Exiſtenz bildet, und nach ſeiner dem Einzelnen negativen Seite die aufhebende Gerechtigkeit iſt, kann daher auch als die vorherbeſtimmte Nothwendigkeit, als die Kinapuevn aus- geſprochen werden, welche Alles erzeugt, dem Einzelnen Daſein giebt, und, indem der Untergang der Einzelheit ſofort das Daſein einer anderen Beſtimmtheit iſt, auch in der Negation ſelbſt vielmehr poſitiv und ſchaffend iſt und das Sein mit einander zuſammenknüpft und verbindet. Oder mit andern Worten: das Geſetz der proceſſirenden Identität von Sein und Nichtſein iſt in kosmogoniſcher Hinſicht das wahre weltſchöpferiſche Princip, und wenn es als das dem Einzelnen negative und es auflöſende Princip die Grenzenſetzende Dike iſt, ſo iſt es doch, indem es gerade durch die Aufhebung der einzelnen Exiſtenz die Reihe der Erſcheinungen producirt, das allein wahrhaft Poſitive und das Band, welches alles Seiende auseinander ableitet und mit— einander verbindet, d. h. wiederum auch von dieſer Seite der wirkliche Begriff des Proceſſes. Die Reihenfolge aller Wirklichkeiten aber iſt hiernach gleich der vorherbeſtimmten Nothwendigkeit, der

21*

324

eipappevn ſelbſt und nur der wirkliche Inhalt deſſen, was dieſe als formales Geſetz ausſpricht.

Dieſen Namen und der hier nach ihrem weſentlichſten Inhalt voraus— geſchickten Ideenreihe begegnen wir in einer Menge von Berichten und Zeugniſſen. Wie wir ſonſt hörten, „Alles werde nach (in Gemäßheit) dem Streit“ (navru ybveodar zar’ Low), jo heißt es jetzt bei Diog. L. IX, 7.: „movra ve yiveodar zad einappevnv na di xi Evavriorpords judo ra ravco“, „Alles werde nach der Nothwendigkeit und durch die Umwendung in das Entgegengeſetzte werde das All zuſammen— gefügt“. Ebenſo in den Plac. des Plutarch (I, 27. p. 560. Wytt.) “Hpazserros, ravra H eipappevyy. Es kann das nicht wundern; die eipappevn iſt ja nur daſſelbe Geſetz der Einheit des proceſſirenden Gegen— ſatzes, nur mehr formaliter und wieder, wie wir gleich ſehen werden, an das Subſtrat orphiſcher Vorſtellungen anlehnend ausgeſprochen, welches der Streit iſt.

Wundern könnte höchſtens, daß ſelbſt trotz jener ſo trocknen und ſinn— fälligen Gleichſetzung beider die innere Identität der einappevn und des Geſetzes des Streits jemals unbemerkt bleiben konnte !). Der Inhalt der

1) Dies iſt nicht mehr ganz bei Schleiermacher der Fall, obwohl, wegen ſeiner Verkennung des heraklitiſchen Grundprincips auch dieſer Punkt noch nicht zu ſeiner richtigen Stellung gelangen konnte. Denn wenn Schleiermacher p. 423 ſagt: „es ſcheint die Art, wie Heraklit ſich im allgemeinen über die Bedingungen ausgedrückt, unter welchen die einzelnen Dinge entſtehen und vergehen, eben nicht auf eine ſehr klare Einſicht in das Einzelne zu deuten. Denn es ſcheint, er habe die Geſetze, nach welchen auf verſchiedene Weiſe die entgegengeſetzten Bewegungen einander bald hemmen, bald wieder frei laſſen und dadurch die einzelnen Dinge erzeugen und zerſtören, unter dem alten dichteriſchen Namen „Einappern“*“ dar⸗ geſtellt, der immer vorzüglich der dunklen unbegriffnen Nothwendigkeit gegeben ward“, jo tft hierin der Einſicht in die Identität der eirappevn und des Ge— ſetzes des Widerſtreites allerdings in gewiſſer Weiſe nahe gekommen. Andrerſeits aber muß geſagt werden, daß Heraklit von ſolchen mehrfachen Bewegungen und von einer ſolchen Pluralität von Geſetzen, nach welchen auf verſchiedene Weiſe ent— gegengeſetzte Bewegungen ſich bald hemmen bald frei laſſen ꝛc., überhaupt nichts gewußt hat, wie ſie auch Schleiermacher nirgends nachzuweiſen verſucht hat. He— raklit hat nur das Eine Geſetz gekannt von der proeeſſirenden Identität des Seins und Nichtſeins, und dies Umſchlagen des Seins und Nichtſeins iſt die Eine und ununterbrochene Bewegung, die bei Heraklit ſtattfindet und das ganze Gebiet phyſiſcher wie pſychiſcher und geiſtiger Erſcheinungen conſtituirt. Wenn die sirapuevn allerdings ſonſt ein dichteriſcher Ausdruck für die dunkle und unbegriffene Nothwendigkeit iſt, ſo iſt ſie bei Heraklit gerade, wie im Texte gezeigt und noch näher betrachtet werden wird, zu ihrer begrifflichen und logiſchen Explication gekommen. Auch jener Vorwurf, Heraklit ſcheine ſich nur im All—

325

Nothwendigkeit iſt eben jene proceſſirende Vermittelung von Sein und Nicht, welche den allgemeinen Wandel ausmacht und ſo die Reihenfolge des Wirklichen erzeugt. Wenn bei den Orphikern der Demiurg, der von der Adraſtea genährt wird, mit der Ananke die Einappevn erzeugt), ſo iſt dieſe Vorſtellung in ihr begriffliches Verhältniß erhoben in dem, was uns Stobaeus berichtet?): Hod e,τ,ẽ'ꝗ -eipappevny ÖE Aöyov e e Evavrıodponias Öymtovpybv av Övrwv, „Herakleitos nannte die Eipappevn das aus dem Gegenlauf die Welt bildende Vernunftgeſetz“. Die Einapnevn iſt alſo ſelber der Demiurg, nicht als ein ſubjectives Weſen oder Gott, ſondern als Logos, als ſachliches Verhältniß, oder wie wir es überſetzten, Vernunftgeſetz ?). (vgl. hierüber § 35.)

gemeinen über die Bedingungen ausgedrückt zu haben, unter welchen die einzelnen Dinge entſtehen, was eben nicht in eine ſehr klare Einſicht in das Einzelne zu deuten ſcheine, beruht gleichfalls nur auf derſelben Verkennung des ganzen hera— klitiſchen Syſtems, da Heraklit ſo conſequent und ins Einzelne eingehend, als dies von ſeinem Standpunkt aus überhaupt nur möglich war, das Einzelne dadurch ableitete, daß er jedes Einzelne in ſein fpecielles Gegentheil umſchlagen und dieſes aus ſich erzeugen ließ, Feuer in Waſſer, Waſſer in Erde, Schlafen in Wachen, Leben in Sterben, Einathmung in Ausſcheidung ꝛc. ꝛc. und umgekehrt, ja ſelbſt die Functionen der ſinnlichen Wahrnehmung, die Geſtirne und einzelne Naturerſcheinungen, Krankheiten ꝛc. ꝛc. auf dieſem Wege abzuleiten geſucht hat. Alles was uns von Heraklit erhalten iſt, iſt nur die Explication jener αάοοννj/ und ihres Waltens, d. h. der Weiſe, wie das Geſetz des Gegenſatzes die Welt bildet, und Schleiermacher poſtulirt bei Heraklit, oder vielmehr richtiger, poſtulirt und vermißt in Einem Athem ſolche beſondere Geſetze für die Entſtehung des Einzelnen nur deshalb, weil er nicht jenes Eine Geſetz Heraklits erkannt hat, das fie nach ihm allein ent⸗ hält und enthalten konnte.

Die genaue phyſiſche Explication der ipappevn wird übrigens noch § 26. hervortreten. Man wird daſelbſt ſehen, mit welcher gewaltigen Conſequenz ſie Heraklit zur Totalität des ſideriſch-kosmiſchen Proceſſes macht. Freilich iſt dieſer ganze Theil ſeiner Phyſik bisher gänzlich überſehen worden.

1) Proclus in Tim. V. p. 323. Plut. Sympos. III, 9. p. 657. E. p. 681. Wytt.; Callim. Hymn. in Jov. 47 sqq.

2) Eelog. Phys. p. 58.

3) Schleiermacher hat bereits (p. 476) bemerkt, wie der Sprachgebrauch mit Aöyos die Vernunft zu bezeichnen von Heraklit zuerſt ausgegangen iſt. Nur ift nicht zu überſehen, daß das Wort Vernunft im ſubjectiven Sinne die Bedeutung des Logos bei Heraklit nicht erſchöpft und wiedergiebt. Er bedeutet ihm immer das Objective, das Geſetz der proceſſirenden Identät des Gegenſatzes, welches ihm als das allein wahrhaft ſeiende, als das ſich durch Alles Hindurch— ziehende und allein Gemeinſchaftliche, auch das allein Vernünftige iſt. Es ift iden— tiſch mit dem „hοννν. rw ro u zußepväarar (ſiehe Plutarch oben p. 313)

326

Und daß der Inhalt und die wahre Bedeutung dieſes Logos nichts anderes tft, als das Geſetz des Gegenſatzes und des Um— ſchlagens in denſelben wird hier ſo deutlich und richtig, wie ſelten bei dieſen Berichterſtattern ausgeſprochen, da ja die Krnapnevy der Logos iſt, welcher „ex e Evavroodponias“, aus dieſem Geſetz des Gegen— laufs des Weges nach unten in den nach oben, und umgekehrt, die Welt bildet, gerade wie es bei Diogenes ſoeben hieß, daß durch die

oder mit (Diog. L. IX, I.) der zvopn, die Alles durch Alles leitet. Wir haben es daher, während es Schleiermacher mit „Verhältniß“, Tiedemann mit „Einrichtung“ überſetzt, am beſten mit „Vernunftgeſetz“ überſetzen zu können geglaubt, nicht im formell-logiſchen, auch nicht in irgend einem allgemeinen Sinne, ſondern wir meinen, daß Heraklit unter dieſem Logos ſtets immer nur das ſpecielle und Eine Geſetz der Identität von Sein und Nichtſein verſtanden hat, welches den Inhalt ſeiner ganzen Philoſophie bildet. Von Einer heraklitiſchen Stelle fühlt Schleiermacher ſelbſt, daß der Logos durchaus nur aufgefaßt werden kann „als die Art wie das Grundweſen die Geſetze aller Entwicklungen in ſich trägt. In dieſe Bedeutung wenigſtens ſpielt 77% s hinüber in der Stelle bei Sextus, wo man wenigſtens in den Worten rod Adyon ν 2övros Euvod Zwonow ol roAlor ws i Zyovrss gpovyow mit keiner andern Bedeutung von %o aus— reicht“ (Schleierm. p. 476, obwohl trotz dieſes richtigen Blickes Schleierm. dann p. 482 sqq. dieſe Stelle dennoch nicht richtig auffaßt). Dieſe Bedeutung, in welche der 7% s bei Heraklit nicht nur hinüberſpielt, ſondern die er auf das ener— giſchſte und conereteſte hat, hat er ſtets und jedesmal bei Heraklit, wenn er nicht einfach „Wort“ bedeutet; er hat ſie z. B. ebenſoſehr in ſeinen Worten daſelbſt „Adyov rode Eoyros, ASUνοτ Ybovrar Avdpwror“ und „Ywonsvwv Yap zara ro gro rövde“ zꝛc. Berichte, wie die obigen des Stobäus vom Adyos &x v evayriodpopias Önptovpyos Toy dvroy, find nur die explieirte Auseinanderlegung und Beſtätigung dieſes conereten Logos- Begriffs bei Heraklit. Dies tritt ebenſo hervor in dem Aoyos dıa rdyrwy Öerwv, von dem wir noch ſprechen werden, in dem Aöyos οẽ,jLi, (TO rä,) (Marc. Anton. VI. I. und V. 21. Gat.), in dem 467 oltxovonody To ray (Marc. Anton. V, 32. und Gatak. annott.), welche Ausdrücke zum Theil leicht (cf. Heracl. Alleg. Hom. p. 140. Schow. und das zoorou Ötoern- gebs bei Sextus a. a. O.) Heraklit ſelbſt angehörig fein können. Jedenfalls find dieſe den Stoikern ſo geläufigen Bezeichnungen ganz reine und den heraklitiſchen Gedanken in keiner Weiſe alterirende Darſtellungen deſſelben, wie auch bereits Schleiermacher bemerkt hat, daß der zowös Asyos der Stoiker gleichfalls unſerm Philoſophen entnommen. Nicht mehr ganz jo verhält es ſich manchmal mit dem Jau ge unis der Stoiker. Denn obgleich dieſer Ausdruck gleichfalls aus heraklitiſcher Grundlage entwickelt iſt, ſo iſt die innere Auffaſſung deſſelben häufig eine bereits abgeleitete und veränderte. Jener Adyos otxovonody oder deor- 2 ro xd drückt (— fo wird er z. B. bei Marc. Anton. V. 21. als das „x doe xp©nevov rat nayra deerov“ definirt) ein Ideal-Verhältniß zur Exi—

327

Evavrıorporn das All zuſammengefügt werde, ein Ausdruck, der gleichfalls, richtig überſetzt, etwa lauten muß: die Einrichtung oder das Geſetz der Umwendung in das Gegentheil.

Von allen Seiten aus erhellt dieſe Bedeutung des Logos bei Hera— klit übereinſtimmend und bildet einen der tiefſten und wichtigſten Punkte ſeiner Philoſophie. Der Logos iſt ihm das rein begriffliche, logiſche Geſetz der proceſſirenden Identität von Sein und Nichtſein; er iſt ihm die beſtändig in den abſoluten Gegenſatz dieſer ihrer Mo— mente umſchlagende und hierin mit ſich identiſche Bewegung, welche die Idee des Werdens bildet. Dies geht, wie aus den erklärenden Worten der Berichterſtatter „ex 7ys Evavreodpopias“, ſo auch ſchon daraus her— vor, daß Heraklit den Logos den Demiurg der Welt genannt hat. Denn wir haben oben p. 124. 186 aus dem Bericht des Aeneas und dann SS 10. 11. weiter geſehen, in welcher beſtändigen Wandelbewegung der Demiurg bei Heraklit begriffen iſt, wie dieſe Wandelbewegung in ſeiner eigenen neraßoAn beſteht, darin nämlich, daß er ſich beſtändig aus der Form des Seins in die des Nichtſeins, aus der realen Vielheit in die ideelle Einheit umſetzt und umgekehrt, wie dieſes ſich unaufhörlich in ſein eigenes Gegentheil umwandelnde Spiel des Demiurgen es iſt, durch welches die Weltbildung zu Stande kommt. Wir hören jetzt und man ſieht, wie alle dieſe Stellen ſich wechſelſeitig ſtützen und beſtätigen, und ſo unſere Interpretation derſelben wohl gegen jeden Zweifel befeſtigen, daß der Demiurg nichts anderes als der Logos iſt, der aus der Umwendung in das Gegentheil die Welt bilde, d. h. alſo das Geſetz dieſer Be— wegung. Dieſe evavroodponia, wie ſie der ſpätere Erklärer, aus dem Stobaeus ſchöpft, nennt, iſt ſomit nichts anderes, als jenes „auseinander— tretende, würfelnde“ Spiel des ſpielenden demiurgiſchen Zeus, nichts anderes, als jene Wandelbewegung, die uns Aeneas als Umwandlung des Weltalls ſchildert; eine Bewegung, deren reinem intellectuellen Wandel nichts Exiſtirendes oder Individuelles folgen kann, und deren Hemmung,

ſtenz aus (ef. oben p. 98 sqq. 122.). Und es liegt wohl jetzt ſchon auf der Hand, und wird ſich dies uns im Verlauf immer näher herausſtellen, daß die erſte Wurzel jener jo entwicklungsreichen Vorſtellung vom %s als Typus der Exiſtenz bei Heraklit zu ſuchen iſt; der Aöyos arepnarezös der Stoiker dagegen, obgleich er häufig (ſiehe z. B. p. 281. u. die in der Anm. eit. St. des M. Ant.) dieſe ſeine urſprüng— liche Ideal bedeutung behält, geht oft bei ihnen ſchon in die Vorſtellung eines bloßen Cauſalverhältniſſes über.

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wie Jamblich mit Aeneas übereinſtimmend zeigt, das Beſtehen des Körperlichen und real Exiſtirenden bildet ).

Wenn Schleiermacher ſagt (p. 424): „Was aber jene Evavrıoopo- ni und dieſe Evavrıorporn bedeuten ſollen, iſt klar, nämlich den Gegen— ſatz in den beiden Bewegungen und in den Verwandlungsſtufen des Seins“, ſo iſt dieſe Erklärung alſo vielmehr umzukehren, um das voll— ſtändig Richtige und das wirkliche Princip heraklitiſcher Philoſophie zu ergeben, welche zwei einander äußerliche Bewegungen, die zufällig zuſammentreffen, zufällig ſich frei laſſen, wie Schleiermacher ſich dies überall vorſtellt, und die ſomit auch nur zufällig im Gegenſatze ſtehen, gar nicht kennt, ebenſowenig wie einen von dem Gegenſatz in den Bewegungen verſchiedenen und coordinirten Gegenſatz in den Verwand— lungsſtufen des Seins.

Statt nämlich den Gegenſatz in den beiden Bewegungen, bedeuten jene Ausdrücke vielmehr einfach: die Bewegung in das Gegentheil, und dies Geſetz, nach welchem das Sein in ſein abſolutes Gegentheil umſchlägt, iſt es ſelbſt, wodurch alle Verwandlungsſtufen des Seins zu Stande kommen. Die Ausdrücke ſelbſt Evavrıorporn und Evavrıoöpo- pa ſind freilich erſt von Bearbeitern Heraklits, wahrſcheinlich ſtoiſchen, gebildet, aber auf eine ſehr echte, den wirklichen Begriff Heraklits höchſt getreu wiedergebende und ſich auch in den Worten, wie ſchon Schleier— macher bemerkt hat, den Heraklitiſchen Ausdrücken hiefür, 9% und ööos, eng anſchließende Weiſe.

Wenn daher Schleiermacher ſagt, „denn er ſelbſt (Heraklit) hat in ſolcher Form Erklärungen wohl nicht gegeben und ſtoiſches Gepräge tragen ſie ſtark“, jo iſt dies durchaus nur auf die abſtracte Form des Ausdrucks einzuſchränken. Es ſind Kunſtausdrücke, die den Sinn des Syſtems in eine enge und coneiſe Formel preſſend, ſich, wie ſo häufig der Fall, erſt nach längerem Vorliegen des Syſtems und in einer in ab— ſtracten Begriffen und Bezeichnungen geübteren Zeit entwickelten. Aber ſelbſt in Bezug auf ihre formell-ſprachliche Bildung ſchließen ſie ſich eng an die „Evavria don“ an, die wir ſchon bei Plato (Cratyl. p. 413. E.) als das heraklitiſche weltbildende Geſetz des Werdens ausgeſprochen ge— funden und bereits p. 8 mit „Proceß“ im philoſophiſchen Sinne des

1) Vgl. über den 7% s $ 16., bei der Naturlehre SS 18. u. 20., ferner beim Erkennen § 28. und die Schlußunterſuchung über ihn § 35.

329

Wortes überſetzt haben. Dieſer platoniſche Ausdruck hindert uns auch, uns der Vermuthung Lobecks anzuſchließen, daß Evavrorporn corrum- pirt, oder gar fo ſehr neu ſei („nisi corruptum, certe scholae voca- bulum est, in usu perquam recens“. Phrynich. p. 498.).

Ebenſo wie in dem Bisherigen berichtet uns in einer andern Stelle Stobäus von der eiuapuevn!): Hod eν,ẽαeͤ obolav einappevys Anegal

*

. '

vero Aöyoy.röv d obatas Tod navros Öımxovra* aben Ö Eort ro ale, hf, onEpna. TyS TOD mayros YEvEosws za! TEpL0OOUD H- Tpoy Teroypevys „Heraklit nannte das Weſen der einappevny den durch die Weſenheit des Alls hindurchgehenden Logos (Vernunftgeſetz); ſie tft aber der ätheriſche Leib, der Saame der Entſtehung von Allem und das Maaß der zugemeſſenen Zeit“. Sehr richtig tritt hier alſo die siuap- usyn oder das ſich durch Alles hindurchziehende Geſetz des Proceſſes als das ſowohl Poſitive als Negative, als Das hervor, wodurch das Einzelne ſowohl iſt als nicht iſt. Was jene Bezeichnung der einappevn als des Aöyos did ravros dio betrifft, jo glauben wir aus mehrfachen Gründen, daß dieſelbe als eine von Heraklit ſelbſt gebrauchte betrachtet werden muß. Ueber den Logos ſelbſt haben wir bereits geſprochen; das de zdvros d xu, welches in dieſer Verbindung mit dem Logos den Stoikern in ihren am meiſten heraklitiſirenden Sentenzen ſo geläufig iſt?), wird man aber kaum Anſtand nehmen können, für eine von Heraklit ſelbſt gebrauchte Be— zeichnung ſeines Princips zu halten, wenn man darauf achtet, wie Plato in jener über die heraklitiſche Philoſophie ſo lehrreichen Stelle des Kra— tylos s), die in ihrem Zuſammenhange nachgeleſen werden muß und in welcher er die Uneinigkeit der Heraklitiker ſchildert, ſämmtliche Heraklitiker darüber, daß das „Orrmeov“ das wahre heraklitiſche Grundprincip, und daß es das durch Alles Hin durchgehende ſei, wodurch alles Werdende wird (de re robrou navros eivaf e d, , d 0b navra Ta Yıyvö- peva yöyveodar), einig ſein läßt und uneinig nur über die fernere Frage, was denn dieſes Gerechte ſei; daß ferner Plato daſelbſt das orxarov ety—

e

1) Stob. Eel. Phys. I. p. 178. und ebenſo bis auf die letzten vier Worte Plac. phil. I, 28. p. 560. Wytt.

2) ef. z. B. Marc. Anton. V, 32: % (duyn) eldvia Aapyny xat Telos x Toy ge di obotas Öinxovra Aöyov, xa qi ravrös Tod diüvos xara HπννEii• d ονν? reraynevas olxovonodvra To räy. und Gatakers Anmerkungen. cf. Stob. Eel. Phys. p. 690.

3) p. 412 D. 414. p. 135 137 Stallb.

330 ,

mologiſirend erklärt als das, welches alles andere hin durchgehend durchwaltet „enerporebs: za Alla ravra drakov“!), und nochmals auf dieſe Etymologie zurückkehrt, indem er den Heraklitiker, welcher das Ge— rechte als Sonne definirt, dies mit den Worten begründen läßt: vod roy (se. YArov), Yap nivov Öraiovra za! xaovra Entrponehew?) Ta dvr. Hier find wohl nur zwei Fälle möglich. Entweder dieſe Etymologie?) ift ſelbſt wirklich heraklitiſch, oder fie iſt eine ironiſch-ſcherzhafte Nachahmung und Verſpottung ſolchen heraklitiſchen Etymologiſirens. Aber auch dann iſt durchaus erforderlich, daß Heraklit fein Princip ſowohl als rxazov ) wie als das durch Alles Hindurchgehende ausgeſprochen habe und nur die Form d,, durch welche beide in etymologiſche Verbindung gebracht werden, iſt Platons ironiſche Zuthat. Dies beſtätigt ſich endlich auch dadurch, wie noch gegen den Schluß der betreffenden Stelle jener letzte Heraklitiker, welcher bereits die Identität des heraklitiſchen drxazov mit dem %s des Anaxagoras behauptet, dieſe Identität wieder damit be— gründet, daß eben der vods es ſei, welcher die Dinge ordne und verwalte durch Alles hin durchgehend (adrov ohe, c nodypara del ravrwv lovra). Vielleicht hat Heraklit auch Adyos drdrwv Ta nayra gejagt, wie es ſcheinen muß, wenn man die Stelle des Marc. Anton. V. § 21: r Ev ro x0ouw Tb xpdrıorov Tina Eorı òè ToDro, To näoı zpopevov za! navra öferoyv vergleicht mit den Worten des Heraklit bei Sext. Emp. adv. Math. VII. 133: œ½% de? Ersodar 7a n) und hiermit wieder die oben (Anm. zu p. 168) ausführlich ausgeſchriebene hippo— kratiſche Stelle, wo es von dem reinſten Feuer heißt, daß es Alles beherrſcht, Alles durchwaltend nach dem Geſetz der Natur: o

deonörarov xal loyuporarov n Onep navrwy Enıxpard

00 1 S 7 8

de S R po. Ob aber in der obigen Stelle bei Stobäus ſich das adrn auf ob oder, wie uns eher ſcheint, auf die einapnevn zurückbezieht, welches

1) Dies Sxerhorsdee jagt Platon im Theaetet. p. 153. p. 80 sq. St. vom Verhältniß des heraklitiſchen Feuers zu allen andern Exiſtenzen aus (To N Te xat röp, O d xat Taila yzvva zal Erırporedee).

2) Dies wiederholte Ererporssee ſcheint auch für den Adyos dtomwv oder oeοπνiον zu ſprechen.

3) Wir verweiſen hierüber auf unſere ſpätere Unterſuchung über den ſprachlich— philoſophiſchen Theil bei Heraklit.

4) Was von dieſem auch durch die Fragmente über die 4% feſtſteht.

5) Ueber das yowpevoy ſiehe oben p. 102. u. 116, 1.

letztere auch dadurch beſtätigt wird, daß es in der Sammlung bei Galen!) nach den Worten "Hodzierros obatay eipappevns Aöyos did navros de- zovra. heißt 7 02 siuappevn Soriv ardEprov ooua, iſt wohl ſchlechthin gleich- gültig und begreifen wir nicht, welchen Unterſchied Schleiermacher (p. 425) hierin zu finden meint. Denn die einappevn und die odora To) navrös und der Aöyos del navröos deja ſind doch ihrem Inhalt nach einander nur erklärende und das, worin die Subſtanz beſteht, nur näher entwickelnde Ausdrücke. Oder aber Schleiermacher hätte ihren inneren Unterſchied, den er anzunehmen ſcheint, auch aufzeigen müſſen. Iſt doch ſchon dem Plu— tarch die Identität der Sπνπ e] mit einer ſcheinbar viel weiter ab— liegenden Benennung Heraklits für ſein Princip, mit der Harmonie, be— kannt. Denn aus der plutarchiſchen Stelle?): „— ovilaßodea. , To zadrovV 2... C TE Ton mavröos Eorıv Euppwv α“ Emin za Aoyos dom neıdor i. du. I Eimnappevnv 0: nollor ui, Hunedonſije 02 gıllav önod ru, veixos, MHpdzxierros 02 naliv- Tporov appoviyv xbonou Öxws neo Abons za: Tozov“ geht nur hervor, daß Plutarch, ſei es nun auf Grund ausdrücklicher Ausſprüche Heraklits, jet es durch eigene treffliche Interpretation, die Identität?) jener Noth—

1) Hist. phil. II, 33. Ch. XIX. p. 261. Kuehn.

2) De anim. procr. p. 1026. b. p. 177 Wytt.

3) Will man die innere Identität einer Reihe von heraklitiſchen Formeln, der elnappzvn, des röp, des Weges nach Oben und Unten, des 7νο ec. in einer Stelle von wenigen Zeilen kurz und dennoch deutlich zuſammengedrängt ſehen, ſo betrachte man, was Athenagoras legat. pro Christ. p. 7 von den Stoikern jagt: Heos rDp Teyvinov dd Padtkoy Ert yevsasıs zoanoV, Zprsprsiimpos nayras robs orspnarirods Nur, za obs Exaora za sinappevnv yiverar. ef. Diog. L. VII, 156. von Zeno: 7, poor eivar zöp reyvıröv dd Padtkov eis yEvaaw. Die Identität des göttlichen Logos mit der eiuapnern lehrte Chryſippus bei Plutarch (de Stoie. repugn. p. 1056) mit dürren Worten (77 sinappevn Tor abroy eivar, sc. tod Aös Aöyos). Auch haben bereits die Kirchenväter die Identität aller dieſer verſchiedenen Formen des Abſoluten, die ſich aus Heraklit bei den Stoikern erhielten, ſehr wohl eingeſehen z. B. noch Lactant. Instit. div. J. 5. p. 18: sive natura sive aether, sive ratio, sive mens, sive fatalis ne— cessitas, sive divina lex, sive quid aliud dixeris, idem est, quod a nobis dieitur deus. Ebenſo jagt Tertullian (in Apolog. c. 21. p. 19) von Zeno, es werde der weltbildende Adyos „et fatum vocari et deum et animum Jovis et necessitatem omnium rerum“ etc. Diog. Laert. giebt uns ſogar ausdrücklich dieſe identiſche Vielnamigkeit als characteriſtiſch bei den Stoikern an VII, 135: &y re elvar de xa noi zal eipappzuny zal Jıa, moilais re Erepars övo- paolars rposovondfeadar Und injoweit ſieht man, wie dies nur die

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wendigkeit und dieſer früher von uns erörterten „ſich in ihr Gegen— theil umwendenden Harmonie des Weltalls“ bei Heraklit erkannt hat. Keineswegs aber darf aus dieſer Stelle gefolgert werden, daß der Ausdruck einappevn kein von Herakleit gebrauchter geweſen ſei. Richtig bemerkt Schleiermacher hiergegen, hier ſei „wohl viel darauf zu rechnen, daß Plutarch alle dieſe Anſichten neben einander ſtellen wollte und nicht eben daran dachte, wo vielleicht auch Arpappevn ein techniſcher Ausdruck wäre“ und zieht hierfür die Worte der Placita !) an: „AHodzisrros ravra za einappevmy* chv ÖE adryv zar Avdyzmy“, die nur „ein ſtoiſcher Aus— leger gejagt haben könne im Gegenſatz gegen die Erklärungen ſeiner Schule, welche einen Unterſchied machte zwiſchen einappevn und Avayzr“ und welche kaum erklärlich ſeien, wenn ſich nicht Herakleitos jenes Ausdrucks in der That bedient hätte.

Was aber jedes noch übrige Bedenken (wie denn Brandis?) I. p. 177. a. ein ſolches zu äußern ſcheint) definitiv beſeitigen und die Sache zur Ge— wißheit bringen muß, ſind die von Schleiermacher auffälliger Weiſe nicht mitgetheilten Worte des Stobäus, welcher unmittelbar nach der obigen Stelle (Eel. Phys. I. p. 178) wörtlich wie die Placita fortfährt: ravre Te d eipappevmv yv O0 dαννν⁰¹ν Drapysv dyayzyy, hieran aber nun noch die Worte ſchließt: get (nämlich Herakleitos) yodv „„Larıye sinap- HEvy navros““, ein Satz, der zwar, wie ſchon Heeren ſieht, verſtümmelt ſein muß, aber doch jedenfalls in einer äußerſt ausdrücklichen Anführung die Krnaopevy als den eigenen Ausdruck Heraklits herausſtellt. Denn in

Continuation des ſchon bei Heraklit typiſchen identiſchen „Umbenamens“ iſt, welches uns Platon in einer früher (p. 17. p. 39 8g.) erörterten und für die Er- faſſung des inneren Charakters der Philoſophie des Epheſiers ſo äußerſt wichtigen Stelle in einem ebenſo treuen als ironiſchen Gemälde ſchildert. Wenn uns aber derſelbe Diogenes ſpäter (VII. 147) von den Stoikern jagt: eivar Y v nv d- ptovpyov Tüv O)wy zal ÜsTEp α e rdyrwv' ν⁰ν,ͤe, TE xal TO n£pos abrod ro dtmxov qi cuir, Y roAlals rposmyopiars rposovonafeodar ara Tas Ödyvanesıs, jo iſt dies nicht mehr daſſelbe. Man ſieht hier vielmehr, wie zuſammenhängend mit dem, was wir früher bei der Theologie (p. 231, 1.) über die bei den Stoikern vor ſich gehende Umwandlung und Verflachung des rein be— grifflichen Denkens des Epheſiers in allegoriſches und reflexionsmäßiges Vorſtellen ſagten die bei Heraklit in ganz andern Gründen wurzelnde Vielnamigkeit und die ſtrenge Einheit ſeines Abſoluten und der begrifflichen Momente deſſelben in eine der allegoriſchen und ſinnlichen Vorſtellungsweiſe entſprechende Vielheit von Seiten und Kräften ſich auflöſt.

1) I, 27. cf. Theodoret. Vol. IV. p. 851. ed. Hal.

) Und Zeller p. 468, 6.

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dieſe Anführung Mißtrauen zu ſetzen, iſt keine Möglichkeit vorhanden, da die Citation durch das „% jo beſtimmt iſt, wie ſelten bei Stobäus DL Und wenn dieſer auch nicht aus Heraklits Werke ſelbſt citirt, ſondern nur frühere Epitomatoren ausgeſchrieben hat, ſo muß er es doch bei dieſen in ähnlicher unzweideutiger Anführung gefunden haben, wodurch wir alſo nur immer ältere Autoritäten dafür gewinnen würden. Was aber dies ver— ſtümmelte Fragment ſelbſt betrifft, ſo möchten wir, um bis ſeine Ergän— zung gelingt wenigſtens eine einen Sinn gewährende und überſetzbare Stelle zu haben, vorſchlagen, einſtweilen e ſtatt zavrws zu leſen: „überall (in Allem) iſt die Nothwendigkeit vorhanden“, in demſelben Sinne nämlich, in welchem Heraklit ſagte, daß alles von Göttern und Dämonen voll ſei. Denn daß Alles an der ezuaopevn Theil hat und ihr wirkliches Daſein ausmacht, zu welchem ſie ſich als der ideelle Saame deſſelben ver— hält (adepeov αοαο , onzppa Tys Tod navrös yeveoews?), oben bei Sto⸗ bäus) iſt bereits im Vorigen nachgewieſen; weshalb wir denn gerade ſo wie wir auch ein Ausfluß des ep.£yov find und eine 7074 deſſelben in uns haben, jo auch ſelber an der eipappevy Theil haben und ſie in uns darſtellen, wie z. B. in den Worten des Marc. Anton. V, 24. hervortritt: „Sei eingedenk der geſammten Weſenheit (der Dinge), von der auch Du ein jo Weniges in Dir haft und der Eipappevy von der Du ein wie kleiner Theil biſt“ (Ig αννν , pepos). Daß aber dieſe mit dem objectiven Geſetz des Werdens identiſche siuappevn nicht das geringſte mit dem ſub— jectiven Begriffe einer Vorſehung zu thun hat, liegt ſchon hier auf der Hand und Nemeſius hat alſo inſofern ganz Recht, wenn er (de nat. hom. ed. Plant. 1565. p. 168) ſagt „Demokritos, Herakleitos und Epikuros wollen, daß weder für das Allgemeine noch das Einzelne eine Vorſehung (Tpövorav) ſei“. Es iſt dies nur dieſelbe ſtreng objective und jede Thätigkeit eines ſubjectiven Verſtandes in der Weltbildung ſtreng ausſchließende An— ſchauung Heraklits von ſeinem abſoluten Entwickelungsgeſetzs), welche ihn ſagen ließ: „die Welt hat keinen der Götter noch Menſchen gemacht, ſon— dern ſie iſt und wird ſein ewiglebendes Feuer. Es iſt derſelbe Punkt, der

1) Vgl. auch die einappevn in der Stelle des platoniſchen Politikus S 26.

2) Wie die Stoiker in ihren terminis, aber den heraklitiſchen Gedanken nicht unglücklich wiedergebend, ſagten.

3) Am deutlichſten tritt dieſer jedem ſubjectiven Vorſehungsbegriff ganz fremde ſtreng objective Charakter der einapuevn heraus, wenn wir $ 26. ihren phyſiſchen Inhalt als die kreiſende kosmiſche Regeneration jedes Da— ſeins kennen lernen werden.

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Philo veranlaßt hat, von der heraklitiſchen Lehre zu ſagen, daß ſie wie die ſtoiſche alles aus der Welt und in die Welt ableite, von Gott aber nichts geworden glaubt“ ).

1) Philo alleg. leg. III. p. 62. T. I. p. 88. Mang. Es iſt daher der von Schleiermacher p. 430 über den Bericht des Nemeſius geäußerte Tadel und ſein daſelbſt und p. 431 gemachter Verſuch durch eine höchſt willkürliche und gewiß falſche Vermuthung über das, was uns Jamblich (ſiehe oben p. 156, 1.) von den Opfern jagt, eine ſolche ονε zu gewinnen, völlig grundlos und dem Geiſte Heraklits ganz zuwider.

§ 15. Die yvouy. Das Eine Weiſe. Das von allem Getrennte.

In dieſen Zuſammenhang gehören nun einige Fragmente Heraklits, in welchen wir dem Gedankeninhalte nach ganz daſſelbe wiederfinden, was wir bisher aus dem Munde der Berichterſtatter über den 7% de rav- ray den, über das ſich durch Alles hindurchziehende und Alles leitende Vernunftgeſetz gehört haben.

Wie wir ſchon oben bei Plutarch von einem „‚gpovodvros Orw eu- Hehvdrat rure obprav“ gehört haben, jo fährt Diog. L. IX. 1., nachdem er folgende Sätze aus Heraklit in directer Rede mitgetheilt hat: „Viel— wiſſerei lehrt nicht Verſtand. Sonſt hätte ſie ihn auch dem Heſiodos ge— lehrt und wiederum auch dem Pythagoras und dem kenophanes und dem Hekatäus“ in indirecter Anführung alſo fort: „eivar yap Ev ro aopüven!- oraoda: zvwopyv Zre OU xußspvnos: navra!) da zndvrwv“,

1) So verbeſſert Schleiermacher den Text 7s o. Eyxußepvyos: . d. x. Die Stelle hat viele anders Conjecturen erfahren, die jedoch bis auf zwei nicht einmal der Erwähnung verdienen. Die eine iſt die von der Hübner'ſchen Ausgabe des Diog. mitgetheilte Aeußerung Herrmanns: Nisi fallor nam perdifficile est de Heracliteis certi quid pronuntiare scribendum: sivar yao e ro oo- go», Eniorasdar yvoyıny ohre &v außspvnast rdyra d rayrwy, esse illud unum sapiens, intelligere mentem ejus, eujus in gubernatione sint omnia per omnia: i. e. mentem divinam, hier wird alſo die Yuan gleichfalls in ſub⸗ jectivem Sinne überhaupt (was in dem oben Geſagten ſeine Widerlegung findet) und die Leitung der Welt als die eines perſönlichen Geiſtes auf— gefaßt, was durch und durch unherallitiſch iſt. Iſt dagegen je eine Conjectur auf eine zugleich ebenſo gelehrte als geiſtreiche Weiſe begründet worden, ſo iſt es die von Creuzer im Dionyſos p. 72 (Heidelberg 1809) vorgetragene: yyaumv n det &v xufspvnese ndvra dıa rayrwy „hoc sensu: eam solam esse sa- pientiam, nosse quomodo ratio in sua gubernatione omnia colli- gare soleat per omnia“ welche in der That einen ganz heraklitiſchen Sinn

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„denn Eins ſei das Weiſe; die Sentenz (im objectiven Sinne von: Geſetz, Schickſalsſpruch) zu verſtehen, welche allein Alles durch Alles hindurchleiten wird“.

Die Worte zußepvyosı navra d rdyrwv, die eine unverkennbare Annäherung an den Adyos O zayrös di¹ enthalten, können ſchon des— halb und mit Rückſicht auf das, was uns oben Plato hierbei von dem durch Alles Hindurchgehenden (Y zavrös αν ], durch welches alles Werdende wird, gejagt hat, keine Schwierigkeit bieten. Die 7% aber, welche hier, an die Stelle des Adyos tretend, dieſe Leitung übernimmt, muß alſo wie dieſer, muß wie das Ypovodv Irw zußspvarar Tore obu- rau, wie es bei Plutarch hieß, objectiv aufgefaßt werden. Dies hat zum Theil ſchon Mericus Casaubonus (ad. Marc. Anton. V. ed. Trajeeti ad Rhenum p. 403) eingeſehen, und in dieſem Sinne die 77% durch „Gott“ erklärt und überſetzt, obgleich dieſer Ausdruck auch wieder eine ſubjective Auffaſſung zuließe.

Auch Schleiermacher (p. 478) iſt die objective Bedeutung, welche die yvorr hier hat, nicht ganz entgangen, wie ſeine ſchwankende Bemerkung

gewähren würde und für welche man die von Creuzer gegebene Begründung und zur Unterſtützung angeführten Stellen bei ihm ſelbſt p. 72 74 nachleſen muß. Wenn wir dennoch der Schleiermacherſchen Conjectur den Vorzug geben zu müſſen glaubten, ſo verlangt dies die kurze Angabe einiger Gründe. Als ſolche wollen wir nur anführen, daß das „7“ uns ſowohl durch das 8 do go, als durch den Sinn der ganzen Stelle geboten erſcheint; es iſt erforderlich, daß von dem den Vielwiſſern entgegengeſetzten Einen Weiſen geſagt wird, daß es allein und ohne daß irgend etwas Anderes an dieſer Weltregierung Theil nehme, Alles durch Alles hindurchleitet. Dies zeigt auch dieſelbe Wiederholung in dem ſehr parallelen Fragment bei Clemens 2, ro oopoy modvov Adysadar obx SH nat , und das adroxpdaropa yap abroy Jura, als welches das heraklitiſche Abſolute bei Plato Cratyl. p. 413. B. definirt wird. Ferner erſcheint uns die zuepvnors als ein ſehr abftractes und Heraklit ſchwerlich zuzutrauendes Subſtantiv, während das Verbum „/, bei ihm verbürgt iſt. Die auf den erſten Blick ſchwierige Futurform / CS % ieee, wo zunächſt ein Präſens erwartet werden ſollte, erſcheint uns aber gerade darum ſehr echt, weil durch ſie auch die Ewigkeit dieſer Leitung für alle Zukunft ausgedrückt und von dem, der im Gegenſatz zur „Vielwiſſerei das Eine Weiſe kennt, geſagt wird, wie er darum auch nicht blos wiſſe, was ſchon ſei, ſondern auch in aller Zukunft immer fein werde. Heraklit zieht hier nur mit der ihm eigenen Kürze in das Futur zuſammen, was Chryſipp in einer auch ſonſt zu dieſem Fragment in inniger Verwandtſchaft ſtehenden Erklärung der siugpnevn bei Plutarch Plac. I, 28. in Perfectum, Präſens und Futurum auflöft: „Einappevn s , Tod x6onou Aöyos ... , Aöyos, va d Ta nv Yeyovora verove, rd d yıröneva rlverar, Ta Ö: yevnaopeva yeynostar“.

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zeigt, daß „die Zvoyım nicht zu denken iſt ohne ihren Inhalt, das all- gemeine Geſetz“. Allein zur Klarheit iſt er über dieſen Punkt nicht gelangt, wie ſeine gegen Caſaubonus gerichtete Aeußerung zeigt Y aber geradezu durch Gott zu überſetzen, oder auch nur beſtimmt als Weltſeele zu verſtehen, kann uns ſelbſt die Vergleichung mit No. 11. (dem Fragmente bei Clemens, auf welches wir bald zu ſprechen kommen werden) nicht ge— neigt machen“ und noch deutlicher ſeine völlig unrichtige Ueberſetzung des Bruchſtücks: „Denn Eins nur ſei weiſe, zu verſtehen die Einſicht, welche allein jeglichen geleiten kann durch alles“. Hier iſt nicht nur die Auf— faſſung von ychuy als des ſubjectiven Begriffes der „Einſicht“ falſch, ſondern eben dieſe ſubjective Auffaſſung verſchuldet auch, daß Schleier— macher das zavra als Accuſativ Singularis nehmen und durch „Jeglichen“ überſetzen muß, wodurch der ganze Sinn des Fragmentes zerſtört wird. Denn es iſt offenbar und ſowohl an ſich als nach der früher betrachteten Reihe von Stellen über den Adyos d τνð “d deine und ähnliche Ausdrucksweiſen ganz unzweifelhaft, daß 7e nicht eine Perſon bedeuten kann, ſondern als Accuſativus Pluralis Neutrius auf die Dinge geht, welche die Yvoyır weltregierend ordnet und leitet !), weshalb fie eben das durch Alles Hindurchgehende iſt, wie auch das xußepvav nur dieſe ſach— liche Regierung der Weltordnung bedeutet. Die 7α⁰uiiſt, ſagten wir, rein objectiv zu faſſen; ſie iſt das hier von Heraklit als die Sentenz alles Daſeins, als der Alles beherrſchende Schickſalsſpruch oder göttliche Rathſchluß ausgeſprochene Geſetz der Identität des Seins und Nicht, das allein alles regiert und regieren wird, und mit deſſen Erkenntniß daher das ganze Weltall erkannt iſt. >

Daß die Yvopy in der That nur dieſen objectiven, die Welt regie— renden Schickſalsſpruch bedeutet, daß fie ganz identiſch mit der Zinap- 12 ½%/ ſelbſt iſt, würde wohl auch Schleiermacher nicht verabredet haben, wenn er erſtens die ſoeben (p. 336. Anm.) mitgetheilte Definition der einapp.evn bei Chryſippos verglichen und wenn er ferner hierbei die Stelle des Plutarch (über deren heraklitiſchen Inhalt wir uns oben p. 221 sgg. näher verbreitet haben, worauf wir hier zurückverweiſen müſſen) conſultirt hätte: dydapros 6 debs nd d idios ce gu¹i⁰ͤ h On cενςe Elnapp. Evns yvonns za! Adyou neraßolais ypanevos“ xrı. Die Identität der

1) Zur Beftätigung unſrer ganzen Auffaſſung des Fragments vgl. man noch die oben p. 168 ausführlich ausgezogene hippokratiſche Stelle, wo es von dem reinſten Feuer (c Wepuörarov R layupsrarov dp) wörtlich wie in unſerem Fragmente von der yy heißt: rodro rayra dıa mayrösg νρůuy.

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einappevn, der rudi und des Adyos, und wie der Inhalt der 1 de. nur eben die meraßoAy, das Geſetz des Umſchlagens von Sein und Nicht ineinander iſt (der beiden Seiten des Dionyſos und Apollo, in welche ſich im Fortgang der Stelle der ewige Gott beſtändig umſetzt, ſiehe oben a. a. O.), kann unmöglich deutlicher hervortreten als durch dieſe die yvopy ganz in demſelben ungewöhnlichen Sinne wie jenes Fragment ge— brauchende, durch den Beiſatz einapnevns aber doch jede Un— gewißheit beſeitigende Stelle, welche alſo etwa folgendermaaßen zu überſetzen wäre: „der unvergängliche ewige Gott, vermöge eines gewiſſen Schickſalsſpruchs (oder: verhängten Rathſchluſſes) und Geſetzes ſich Umwandlungen ſeiner ſelbſt bedienend“ ꝛc. ).

) Mit welchem Unrecht Schleiermacher in dem obigen Fragmenta ravra als „jeglichen Menſchen“ ſtatt als „alle Dinge“ auffaßt, iſt, wie wir jetzt ſehen, bereits von Bernays Rhein. Muſ. IX. p. 252 sq. bemerkt worden. Aber ganz entſchieden müſſen wir uns ſowohl gegen die von Bernays gegebene Emendation als auch ſeine Auffaſſung des Fragments ausſprechen. Da uns damit gerade die weſentlichſte Eigenthümlichkeit und Schranke der heraklitiſchen Philoſophie verkannt zu ſein ſcheint, ſo iſt es wegen der großen Wichtigkeit der Sache nothwendig, obwohl die Wider— legung von Bernays Anſicht ſchon aus der obigen Darſtellung von ſelbſt folgt, dennoch fie näher zu betrachten. Bernays will leſen: u Tre otazikeı ravra id rdyrov und faßt die Zuopm geradezu als das, was wir oben zurückweiſen, als eine wirkende Intelligenz auf; er überſetzt: „Eine Intelligenz leitet das All im Spiel ſeiner ſich durchdringenden Gegenſätze, lenkt Alles durch Alles“.

Was zuerſt die Emendation betrifft, ſo hat es gewiß auch diplomatiſch keine Wahrſcheinlichkeit für ſich, daß or-Eyzußepvyose aus -A geworden ſein ſollte. Und warum vieſe gewagte Conjunctur? olaze£er iſt durch ein Fragment bei Pſeudo— Origenes als heraklitiſcher Ausdruck verbürgt. Aber / ß iſt es ſogar durch drei Stellen (ſiehe oben p. 313) und wird ja auch von Bernays ſelbſt nicht als ſolcher beſtritten. Ferner fällt bei dieſer Conjunetur 07 aus, welches gerade (vgl. das Fragment vom Zeus: SY ro oopöv wodvov 2e.) ſehr weſentlich iſt. Bernays meint, daß das Futurum /S hνẽZ ee unlogiſch wäre. Ganz im Gegentheil iſt (ſiehe oben p. 336. Anmerk.) das Futurum hier ganz beſonders expreſſiv und nothwendig. Es liegt in ihm der Begriff der Ewigkeit. Im Präſens iſt nicht das Futurum, wohl aber in dieſem ſchon das Präſens enthalten. Es iſt klar, daß, wenn die zuvor alles immer leiten wird, fie es auch ſtets geleitet hat und leitet. Die Nothwendigkeit des Futurums, ſei es eines zum Präſens hinzutretenden, oder von Heraklit kürzer ohne ausdrückliche Beifügung des Präſens geſetzten, erhellt aus § 26. von ſelbſt. Noch entſchiedener aber muß ich der Auffaſſung der yon als „Intelligenz“ entgegentreten. Zufällig erwähnt auch gerade Bernays ib. p. 259 der sαννα, e und nimmt einen Unterſchied zwiſchen yyozn und sd zen an („Die 4% alſo iſt dem Zeus nur an die Seite geſetzt; die vu dagegen . .. mit dem Zeus verſchmolzen“). Jetzt wird nach der oben bezogenen

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Eine dritte hier erläuternd in Betracht kommende Stelle, in der die ry in ähnlich objectiver Weiſe auftritt und aus welcher ſich dieſer Ge— brauch von yy. erklären kann, iſt die bereits im zweiten Capitel näher

Stelle des Plutarch Bernays wohl ſelbſt zugeben, daß die yyayım und einapuevn identiſch ſind. Gerade von hieraus entwickelte ſich der große ſachliche Unterſchied in unſrer Auffaſſung des Fragments. Die yvorn ift nach uns nur, wie die einap- nern, ſtrenge objective Nothwendigkeit. Das heraklitiſche Abſolute iſt nicht, wie Bernays meint, „Intelligenz“, ſondern nur erſt ein „Intelligentes“, nicht „Vernunft“ (als für ſich ſeiend), ſondern erſt ein objectiv „Vernünftiges“; es iſt ein „Weiſes“ (vogor), aber noch kein Wiſſen von ſich ſelbft. Wer dieſe, wenn auch feine, Demarcationslinie einreißt, hebt damit das ganze Weſen der heraklitiſchen Philoſophie auf, die es nicht über das objectiv-Vernünftige hinaus— bringt, deren Schranke eben darin beſteht, dies Vernünftige noch nicht als eine ſich ſelbſt erfaſſende Vernunft (Intelligenz) aufzufaſſen. Wer dieſe Schranke auf— hebt, der reißt jeden Unterſchied zwiſchen dem , des Heraklit und dem voös des Anaxagoras ein; ja wegen anderweitiger Beſtimmungen würde das Princip Heraklits dann ſchon weit über den voös des Anaxagoras hinausgehen. Die Be— ſtimmung ſeines Princips als Weiſen (co cogoy) iſt die höchſte Concentration, in welcher Heraklit gegen dieſe Schranke anſtürmt und ſie doch noch beſtehen läßt und nicht durchbricht. Wir haben uns hierüber häufig ausführlich explieirt und es genügt, darauf zurückzuverweiſen. Bernays hat daher auch höchſt Un— recht, in der plutarchiſchen Stelle (ſiehe oben p. 313.) &x Tod gPpovodvros Orsp zußepvärar das Participium zu tadeln, indem er jagt: „Weil Zzuozn im ſpäteren Griechiſch nicht mehr die abſolut gefaßte Intelligenz bedeutet, ſondern nur die von Jemandem gehegte Anſicht und Geſinnung, greift Plutarch zu einem participialen Abſtractum (ro gpovody) und während der alte Epheſier das Steuer unmittelbar der Intelligenz zuweiſt“ ꝛc. Ganz im Gegentheil. Gerade das Neutrum 9 vody iſt vorzüglich gut (nur daß mit Wytt. und Markl. für örws man leſen muß). Es iſt ein Vernünftiges, welches bei Heraklit alles leitet und ſteuert, nicht eine Vernunft (i. e. ſich ſelbſt erfaſſende Intelligenz). Heraklit hat nur ghoονννοοαο; gejagt oder ppovınov (cf. Pseudo-Origenes IX, 10: Asyzı s xa ppövınoy robro elvar rd TDp v ve de ,,, Tc Ökwy alzeo,), wie er nur 0, gejagt hat, nicht . Der Unterſchied iſt durchaus nicht blos der des mehr oder weniger abſtracten Ausdrucks, ſondern der des Gedankens; es tft der Unterſchied zwiſchen rein objectiver Vernünftigkeit und einem Wiſſen derſelben von ſich oder Vernunft. Es liegt nahe, von hier auf eine andre Behauptung von Bernays daſelbſt zu kommen. Es heißt bei Pſeudo-Origenes IX, 9: O 2nod di Tod Adyov (wie Bernays richtig verbeſſert) dxodaayras önokoyeiv oogov οννι, Y ravra elvar. So hat nämlich der Herausgeber ſtatt rayra elöevar geſetzt. Bernays ſchützt letzteres und äußert: Nur dies „Eines weiß Alles“ hat Heraklit geſchrieben und nur dies hat er ſchreiben können ... Sobald er den Satz S/ ravra elvar ausgeſprochen hätte, würde Heraklit aufgehört haben ein Herallitiker zu fein, wäre er ein Eleate geworden, einer von denen, die eben mit dieſem Eins— ſein aller Dinge .. . das All zum Stehen bringen“. Es iſt uns unbegreiflich, 22*

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betrachtete des Jamblich von den Dämonen, welche „in den Exiſtenzen der Natur ſymboliſch den Rathſchluß des beſchließenden Gottes (77V Yvapınv ro neikovros deod) darſtellen“, eine Stelle, über die wir auf die Erörte— rung p. 21 verweiſen müſſen ).

wie dieſer tüchtige Forſcher heraklitiſcher Lehre ſich momentan zu dieſer Aeußerung hinreißen laſſen kann. Wie oft hören wir nicht durch die beſten Zeugen, daß bei Heraklit & &vös ndvra zal &x rdvrrwv &. Es iſt dies eines der verbürgteſten und häufigſten Zeugniſſe und ſehr gut konnte alſo Heraklit jagen ST zayra eivar. Nur daß dabei „4% ν, „durch Umwandlung“ werde Eins aus Allem und Alles aus Einem, hinzuverſtanden war. Immerhin iſt dann alles Eines, wie ja in der That alles bei ihm Feuer ꝛc. in verſchiedenen Graden iſt (§8 19 sqgq.). Die Handſchrift hat freilich sꝛsα Aber wenn man berückſichtigt, wie oft in den Handſchriften aus elvar eldcyar geworden ift (ogl. z. B. oben p. 303), jo beweiſt dies ſoviel wie gar nichts. Auch war es eher im Geiſte der Abſchreiber 8 rayra eidevar aus elvar zu machen als umgekehrt. Da nun, wie Bernays ſelbſt zugiebt, der Zuſammen— hang in dem Pſeudo-Origenes das Bruchſtück citirt, & rayra elvar erfordert, jo ſehen wir nicht ein, warum wir ihm ohne Noth, und dadurch einen vorzüglich echten heraklitiſchen Ausſpruch verlierend, die Thorheit imputiren ſollen, gegen ſeinen eigenen Zweck citirt zu haben. Wir ziehen alſo die Vermuthung des Heraus- gebers SY ravra eivar bei weitem vor, zumal auch wegen des Zuſammenhangs mit dem Logos, der immer als das auftritt, nach welchem Alles wird („ywousvwr ru rare ara r Aoyoy röyde“ ſagt ein daſelbſt unmittelbar folgendes Bruch— ſtück, vgl. $ 28.). Aber für unmöglich halten wir diesmal die von Bernays gewollte Lesart nicht. Heraklit kann geſagt haben: Eins weiß Alles. Dies zeigt uns gerade eine von Bernays nicht angerufene Stelle des pſeudo-hippokratiſchen Buchs de carnibus (j.$ 18.). Von dem Geſetz, nach welchem jedes und alles Einzelne wird, und welches die Verwandlungen jedes Einzelnen bedingt, kann man auch ſagen, daß es alles Seiende und Werdende weiß. Aber damit iſt dem oben Geſagten noch durchaus nicht widerſprochen. Dieſes Geſetz weiß wieder nur das objective Sein als ſolches, oder das Einzelne, das aus ihm wird, aber noch durchaus nicht ſich ſelbſt. Es iſt keine Intelligenz. Noch genauer geſagt, was aber erſt im $ 26. verſtändlich werden wird: die yon, als die ganze kos— miſche Reihenfolge der Umwandlungen jedes Daſeins während der Periode der kosmiſchen Generation in ſich tragend, weiß, da in jeder Periode ſich nur derſelbe kosmiſche Kreislauf der Exiſtenzen wiederholt, auch alles, was ſich jemals in dieſen kosmiſchen Kreisläufen zutragen und entwickeln wird. Sie iſt jo ein Wiſſen oder Sunehaben des objecetiven Seins, das iſt, war und fein wird; ein Vorausbeſtimmtſein und Verhängniß deſſelben, aber niemals ſub— jective Intelligenz, Fürſichſein, Wiſſen von ſich. In 8 26. wird auch ganz entſcheidend die obige Erplication der Yuan und ihre Identität mit der eiuap- usern ſich beſtätigen. Zeus ſelbſt ift bei Heraklit nur objectiver Wandel ohne allen und jeden Perſönlichkeitsbegriff.

1) Man vgl. endlich die heraklitiſirende Stelle bei Epietet. Enchir. c. 31. T. III. p. 35. ed. Schw., wo er, nachdem er die Götter als die drorxod,ras Ta

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Endlich ſind hier noch zwei andere Fragmente Heraklits anzuführen, welche von unſerem Bruchſtück ſowohl Licht empfangen, als ihm wechſel— ſeitig ſolches verleihen. Das erſte dieſer Fragmente iſt das ſchon im zweiten Capitel näher erörterte und ſeitdem oft berührte Fragment bei Clemens (Strom. V. 14. p. 718. Pott.), welches hier jedoch ſeine Stelle finden muß, da erſt hier unſere p. 26 sqq. gegebene Erläuterung ihre weitere Beſtätigung empfangen kann: „EY TO h nodvov Acyzsadar obx e s dee, Zuvos Övona“. „Das Eine Weiſe allein will nicht ausgeſprochen werden und will ausgeſprochen werden, der Name des Zeus“.

Die genaue Vergleichung des vorigen Fragments aus Diog. mit dieſem letzteren iſt umſomehr geboten, als beide ausdrücklich das „Y rd aogpov“ oder das heraklitiſche Abſolute definiren, und alſo das, was fie von ihm prädiciren, in beiden Fragmenten gleichſam mit einander vertauſcht wer— den können muß, um den wirklichen Sinn der Stellen zu offenbaren und zugleich die Probe für die Richtigkeit der Auffaſſung derſelben zu liefern. Es ergiebt ſich zunächſt aus dieſer Vergleichung die an ihrem Ort nach ihrem inneren Grunde als nothwendig nachgewieſene gänzliche Unterſchieds— loſigkeit und Identificirung des abſoluten Wiſſens!) und des ab— ſoluten Geſetzes ſelber bei Heraklit. Denn das Einemal heißt es, das Eine Weiſe oder das Abſolute ſei das Wiſſen des Geſetzes (Sπιε 7yv yvopyy), wie es das anderemal heißt, es ſei der Name des Zeus, das göttliche Weſen ſelbſt. Das Fragment bei Diog. zeigt, daß wir ein

"Dia erklärt hat, ſagt, man müſſe dem Geſchehenden freiwillig folgen als dem „welches von der vortrefflichſten 77 vollbracht wird“, „— räct rois ywonevors zat drolonudeiv Exovra bs bro , Aptorns YYopms Ertreionnevors““ (zu dem Aptorns vgl. oben p. 102 sq.), wo Schweigh. mit Recht von durch consilium, Rathſchluß, überſetzt.

1) Doch darf dieſer Ausdruck hier nicht mißverſtanden werden. Das abſolute Geſetz weiß auch alle Wandlungen, die es durchzumachen hat und die es in ſich trägt. Darum iſt es das Eine Weiſe, weiß Alles, und inſofern nennen wir es oben: abſolutes Wiſſen. Davon iſt aber, wie eben in einer vorhergehenden Aumerkung bemerkt worden, jede jubjective Auffaſſung dieſes Abſoluten als göttliche Einſicht, Plan ꝛc. weſentlich fern zu halten. Die gewiß merkwürdige Anſchauung bei Heraklit iſt vielmehr die, daß das Abſolute als rein Objectives aufgefaßt wird, als Ge— ſetz, Aöyos ꝛc. und das Wiſſen eine dieſem Objectiven ſelbſt, und ohne es zu einem Subjectiven zu machen, zukommende ſelbſt objective Eigenſchaft ein Innehaben iſt. (Darum bleibt es auch im Neutrum, „das Weiſe“, ſtehen). Es iſt bei ihm totale Identification des Objeetiven und Subjectiven vorhanden, d. h. aber eben der Begriff des Subjectiven ift bei ihm noch gar nicht da. Es wird dies ſpäter noch deutlicher werden.

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Recht hatten, p. 26 sq. das „Eine Weiſe“, welches in dem Fragment bei Clemens „allein ausgeſprochen werden will und auch nicht“ als das ab— ſolute, Alles durchdringende und regierende Geſetz (des Gegenſatzes) zu er— klären, als welches es in dem Fragment bei Diog. ausdrücklich definirt wird. Scheint es für dieſe Auffaſſung des Fragments bei Clemens eine Schwierig— keit zu bilden, daß daſelbſt das Eine Weiſe als „Name des Zeus“ ge: , ſchildert wird, jo iſt ſchon hier der Ort, auch jeden Anſchein dieſer Schwierig— keit zu beſeitigen und den Nachweis zu führen, daß der „Name des Zeus“, ſelbſt ohne den appoſitionellen Zuſatz „das Eine Weiſe“, bei Heraklit den— noch nichts anderes bedeuten würde, als den Adyov dıa navrös dehονν, das Alles durchwaltende Geſetz des Gegenſatzes ſelbſt ). Zunächſt müſſen wir hiefür darauf aufmerkſam machen, daß überhaupt, was in der Unterſuchung über die Sprachphiloſophie Heraklits ſeine nähere Begründung und Nachweiſung finden wird, der Name eines Dinges bei Heraklit das iſt, worin ſich ihm das Weſen deſſelben offen— bart, und deshalb von ihm als gleichbedeutend mit dieſem gebraucht werden kann. So ſagt er in einem andern Fragmente?) „Arzns dvona obx Ay noscav“ ur, „ſie würden den Namen der Dike nicht kennen“ (nämlich die Menſchen), wo alſo doch offenbar gemeint iſt, ſie würden das Weſen der Gerechtigkeit nicht kennen.

Aber die ſpecielle Identität des „Namens des Zeus“ und des die Welt durchdringenden Geſetzes oder Logos empfängt ihren evidenten Nachweis durch Berichte über die Lehre der Orphiker, welche zugleich eine neue Beſtätigung deſſen liefern, was wir über das Verhältniß Heraklits zu den orphiſchen Dogmen und Anſchauungen geſagt haben. So heißt es bei Proclus (Comm. in Aleib. I. p. 150. ed. Creuzer.) „Id yap G ¹ά,uu bvönara ray dewv bkov neniypwxe Tüv ονν,Zs,p, s- reo ol Beovoyor AEyovov“ xri., „denn die unausſprechlichen Namen der Götter füllten das geſammte Weltall aus, wie die Theurgen ſagen“. Und ebenſo, ja ſich noch genauer in wörtlicher Hinſicht an den Aöyos La mavrös dj anſchließend, wird uns bei Jamblichos (de Myster. c. V. p. 61.) geſagt, Hermes habe gelehrt, der Name Gottes be— deute Das, was die ganze Welt durchdringt (rd re od H ον Ovona napeöwxre ÖLMmxov Öl 6lov Tod ονν)i.

1) Vgl. hierüber noch in dem folgenden $: der Aöyos als Wort.

2) Clemens Al. Strom. IV. c. 3. p. 205. Sylb. p. 568. Pott.

3) Vgl. noch Proel. in Cratyl. p. 23 u. 70. u. Wyttenb. ad Plut. de Is. p. 179 sqq.

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So gebrauchte Heraklit alſo auch hier wieder theils orphiſches, theils wie wir bald ſehen werden, orientaliſch-religibſes Material zum Subſtrat der Darſtellung ſeines ſpeculativen Begriffs. Gilt in der religiöſen Vorſtellung der Name Gottes als das die Welt Befruchtende und Durchdringende, ſo wird dies bei Heraklit zur Darſtellungsform, in welcher er ſeinen ſpecu— lativen Gedanken von der Einheit des Sein und Nichtſein als das abſolute Geſetz ausſpricht, das Alles durchdringt und beherrſcht. Jene myſtiſche Unausſprechlichkeit ſelbſt des Namens Gottes (ra & dvonara) und man erinnert ſich, daß dieſe Anſchauung im Lauf der Zeit eine ganze Literatur entwickelt hat wurde ihm zu einem geeigneten Symbol, um die gegenſätzliche Natur des ſpeculativen Begriffes darin auszudrücken. Indem er ſich dieſes Dogmas von der Unausſprechlichkeit bemächtigt, und daſſelbe ſcharf zuſpitzt, den Namen Gottes als das be— zeichnend, was allein (40) nicht ausgeſprochen werden will, und indem er andrerſeits aber nun hinzufügt, daß er zugleich es auch ſei, der allein ausgeſprochen werden wolle, ſchildert er auf das Tiefſte die ihm un— ſagbare Natur des Speculativen, die Natur des Gedankens der Negativität, welche einerſeits in der Benennung jedes Einzelnen, da dieſes nur in ihr ſein Sein hat, ausgeſprochen wird, und welche ebenſo andrerſeits als das abſolute Hinaus über jede Beſtimmtheit und jedes unmittelbare Da— ſein in keinen ſinnlichen Laut zuſammengefaßt, in keiner, weil immer mit Beſtimmtheit und Unmittelbarkeit behafteten, Form in ihrer Allgemeinheit herausgerungen und erſchöpft werden kann.

Iſt dieſe Auffaſſung des Fragmentes bei Clemens über jeden Zweifel erhoben, ſo iſt damit auch dargethan, daß in dem Fragmente des Diog. die von in demſelben objectiven Sinne zu faſſen iſt und daſſelbe be— deutet, wie in jenem Fragmente der Name des Zeus, ſo daß was von beiden prädicirt iſt, mit einander vertauſcht werden könnte, ohne den Sinn Heraklits zu alteriren.

ö Iſt ihm hiernach die ) das das Daſein durchwaltende Geſetz der Identität des abſoluten Gegenſatzes, iſt ſie ihm dasjenige, was „allein ausgeſprochen werden nicht will und auch will“, ſo iſt damit auch bewieſen, daß wovon wir den innern Grund und die Nothwendigkeit im zweiten und dritten Capitel der Einleitung zu zeigen verſuchten die Ungenügend— heit der Formen, in denen er ſein abſolutes Princip darzuſtellen ſuchte, und die Unmöglichkeit daſſelbe in ſeiner reinen und adäquaten Allgemeinheit herauszuringen, ihm ſelbſt zum Bewußtſein gekommen war, und ſo in dem Triebe hinauszugehen über das Ungenügende einer jeden

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ſolchen ſinnlichen (weil unmittelbaren) Form ſeines Abſoluten für den rein allgemeinen Gedankeninhalt deſſelben, die unendliche Vielheit und Abwechslung dieſer Formen erzeugte.

In demſelben Verhältniß der gegenſeitigen Beleuchtung, in welchem die beiden Fragmente bei Diog. und Clemens untereinander ſtehen, ſteht endlich noch ein anderes Fragment zu ihnen, ein dritter Ausſpruch Hera— klits über daſſelbe „Eine Weiſe“, welcher uns von Stobäus (Serm. III. p. 48. I. p. 100. ed. Gaisf.) aufbewahrt worden iſt: „Oxz6owv Adyovs 7x0ov0a, obdels Ayıznveitar &s Tobro Wsre Yıymazxeıy yùp deos 7 Sni Or: 0op6v Eorı ndvrwy xeywpronevov“. „Wie vieler Reden ich auch vernommen habe, Keiner gelangt dazu zu erkennen, daß das Weiſe das von Allem (d. h. von allem Seien— den) Getrennte tft“.

Zunächſt ein Wort über den Text. Schleiermacher hat bereits min— deſtens gegen den Ort, welchen die Worte ) yap des , Hnplov ein- nehmen, ohne denſelben übrigens eine andere Stellung zuweiſen zu können, Bedenken erhoben, wenn er auch noch (p. 348) zugeben zu müſſen glaubt, daß dieſe Worte „doch ſchwerlich ganz falſch ſein können“. Die Gais— ford'ſche Ausgabe des Stobäus hat ſie dagegen, und zwar auf Grund von Handſchriften, gänzlich fortgelaſſen. Wenn H. Ritter (p. 71) aber gegen eine von Schow vorgeſchlagene, zwar auch nicht ganz richtige Emendation, bei der aber doch mindeſtens das J 7 Hung fortfallen ſollte, bemerkt, die Stelle werde dadurch zu leicht und überdies ſei „der Gegenſatz zwiſchen ges und Hugo ganz heraklitiſch“, jo nöthigt uns das zu der Erwiderung, daß, was die zu große Leichtigkeit der Stelle anbetrifft, H. Ritter ihr die— ſelbe nicht hätte zum Vorwurf zu machen brauchen, da er ſie, wie ſeine Ueberſetzung!) und Erklärung zeigt, mit und ohne jenen Beiſatz gründlich mißverſteht. Anlangend aber jenen Gegenſatz zwiſchen 98s und Hugtoy, ſo müſſen wir den angeblich ganz heraklitiſchen Charakter deſſelben ent— ſchieden in Abrede ſtellen. Der Gegenſatz zwiſchen Gott und Menſch ift ganz heraklitiſch; ein Gegenſatz zwiſchen Menſch und Thier würde es gleich— falls ſein können. Aber der Gegenſatz zwiſchen Gott und Thier iſt durch— aus nicht heraklitiſch und kann es auch, weil er mindeſtens im heraklitiſchen Sinne ein mit einander nichts zu ſchaffen habender, durch den Gedanken

1) Sie lautet: „So vieler Worte ich gehört habe, keiner gelangt ſoweit, daß er erkennt, denn entweder iſt er ein Gott oder Thier, weil die Weisheit entfernt iſt von Allen (Menſchen)!!

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nicht vermittelter Gegenſatz wäre, nicht ſein. Wenigſtens wird man keine Stelle nachweiſen können, aus welcher das Vorkommen dieſer Antitheſe bei Heraklit ſich ergäbe, oder auch nur wahrſcheinlich würde.

Aber auch abgeſehen hiervon könnte jedenfalls jener Gegenſatz in die— ſem Fragmente unmöglich an feinem Orte jein*). Denn gewiß wäre es eine der unglücklichſten Behauptungen und das größte Unrecht, das man dem Epheſier anthun könnte, anzunehmen, daß Heraklit von ſeinem Abſo— luten denn von nichts anderem handelt die Stelle, nichts anderes bedeutet jenes „Weiſe“ habe ſagen können, daß es möglicher— weiſe auch ein Thier (!) fein könne. Vielmehr war Heraklit dieſes Weiſe nur Gott und jede irgendwie hingeſtellte Alternative, ſowie es ſich von dieſem Abſoluten handelt, ſchlechthin unmöglich. Wenn daher bereits Gaisford mit großem Rechte und auf handſchriftlichem Grunde, wie be— reits bemerkt, jenen ganzen Beiſatz ) yap Heos , yd Imotov als unechte Zuthat fortläßt, ſo kann man ſelbſt und mit vielleicht nicht geringer Wahr— ſcheinlichkeit, den Urſprung jenes ſinnloſen und das ganze Bruchſtück ver— derbenden Gloſſems angeben. Einige Handſchriften haben nämlich die ineriminirten Worte nur am Rande. Nun erinnere man ſich, was Ari— ſtoteles (Polit. I. 2. p. 1253. B.) vom Staate ſagt, wie er auf der menſch— lichen Gemeinſchaft (zovwvia) beruhe und darauf, daß der Einzelne für ſich getrennt (Zwpea#ers) ſich nicht genüge; wie aber derjenige, der eine Gemeinſamkeit entweder nicht eingehen könne, oder ſich ſelbſt genügend nicht einzugehen brauche, kein Glied der menſchlichen Geſellſchaft ſei, ſo daß er „entweder ein Thier oder ein Gott“ fein müſſe „J d wm Öuvanzvos KoLvwvsiy 7 undEV Öeonevos Ör α“,ράb e,, ohö:v i nolews, were Implovh des“.

Offenbar hat nun irgend ein gelehrt ſein wollender Abſchreiber dieſe ariſtoteliſche Stelle im Kopfe, bei jenem äußerlich in der That lebhaft an ſie erinnernden heraklitiſchen Bruchſtück von dem Weiſen, das von Allem getrennt ſei, gar gelehrt und erläuternd wie auch das 5 beſtätigt das ariſtoteliſche Dictum am Rande hinzugefügt, um ſo zu zeigen, was dieſes „von allem Getrennte“ allein ſein könne, und ſo iſt dieſe Interpre—

) Mit ſicherem Tact erklärt daher auch Zeller p. 451, 1. das 7 Yan e } nptoy für unecht. Wenn er aber im Text das Fragment jo wiedergeben zu wollen ſcheint: „Wo unſer Philoſoph hinblickt, nirgends findet er wahre Er— kenntniß“, jo iſt der conerete Sinn des Bruchſtücks hierin ebenſowenig zur Au— erkennung gelangt.

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tation dann für einen Theil des Textes genommen und in dieſen über— tragen worden. a Wenden wir uns jetzt zu der näheren Interpretation des Bruchſtücks, jo iſt zuvörderſt zu bemerken, daß Schleiermacher zwar richtig. überſetzt „wie das Weiſe von allem abgeſondert iſt“, in ſeiner Erklärung dagegen ganz deuſelben Irrthum, wie nach ihm Ritter begeht, das Weiſe ſubjectiv als „das wahre Erkennen“ aufzufaſſen, ſo daß dies Fragment nach ihm beſagen ſoll, wie „das wahre Erkennen etwas durchaus anderes als die u, das Wiſſen um vielerlei Einzelnes als ſolches iſt“. Das „Weiſe“ iſt dem Epheſier vielmehr das Object der Philoſophie und des Wiſſens; nicht ſowohl die ſubjective Erkenntniß, ſondern der abſolute Gegenſtand des Erkennens, kurz das Abſolute und Göttliche ſelbſt, welches die menſch— liche Weisheit nur zu erfaſſen ſtrebt und welches ihm eben jenes die Welt regierende ſpeculative Geſetz des Gegenſatzes war. Daß das „ro go auch hier nur dieſes Höchſte und Objective bezeichnet, iſt ſchon durch die vorigen beiden Fragmente bei Diogenes und bei Clemens vollkommen gewiß, wird aber endlich zum Ueberfluß durch das Fragment ſelbſt bewieſen, in dem es jagt, daß es navrwv zezwpronevov, von Allem (Exiſtirenden) abgeſondert ſei. Denn das wird uns auch ſonſt als das Weſen des heraklitiſchen Abſoluten angegeben. So z. B. in einer Stelle des platoniſchen Kratylus, welche auch über den Sinn des ravrwv zeywpto- pevov guten Aufſchluß giebt. Hier nämlich, wo Plato die Heraklitiker darüber ſtreiten läßt, was denn ihr Grundprincip, das durch Alles hindurchgehende Gerechte eigentlich ſei, und nun der eine Heraklitiker ſagt, es ſei die Sonne, der andere, es ſei das Feuer, der dritte, das Warme im Feuer, läßt er den letzten, welcher die anderen alle auslachend es als daſſelbe, was die Vernunft des Anaxagoras ſei, erklärt, dies alſo beweiſen: „adroxpdropa ap adrüv Övra xzal oDÖEV! meniypevov nayra gnolv adrov xooneiv Ta nodypara de rayrwv löyra“\) „denn dieſe jei, jagt er, alleinherrſchend, und mit nichts anderem (Sinnlichem) vermiſcht ordne ſie alles, indem ſie durch alles hindurchgeht“. Es iſt klar, daß dieſe Beſchreibung, welche den Grund dafür enthält, daß und warum das heraklitiſche Gerechte mit der Vernunft des Anaxagoras identiſch ſei, nicht nur auf dieſe, ſondern ebenſoſehr auch auf das Grund— princip des Epheſiers und das, was dieſer von demſelben prädieirt hat, paſſen muß, ohne was ſie ja gar nicht zu dem Beweiſe taugen würde,

1) Cratyl. p. 413. C. p. 138. Stallb.

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den der Heraklitiker durch ſie führen will, und was übrigens durch die Worte ſelbſt, zumal die letzten (xoop. T. zpayp. de zavr. lövra) denn dieſe ſind ja eine ſtereotype Formel und Beſchreibung für das heraklitiſche Princip unzweifelhaft bewieſen iſt.

Wie es daher in Heraklits eigenem Fragment heißt: navrwv zeyw- p:op£vov, jo wird hier von feinem Abſoluten ganz ebenſo ausgeſagt, es jet oοοο penerpevov, Worte, die nunmehr über die wirkliche Bedeutung jenes ravrwv xezworopn£vov keinen Zweifel länger laſſen. Daß „von Allem getrennt“ und „mit Nichts vermiſcht“ nur ganz daſſelbe beſagen, liegt auf der Hand. Dies „mit Nichts vermiſcht“ heißt aber nichts an— deres, als es ſei jenes alleinherrſchende Weſen und Princip mit nichts Sinnlichem (nichts Anderem, wie Schleiermacher in ſeiner Ueberſetzung des Plato ſich ausdrückt), mit nichts Seiendem und Einzelnem vermiſcht und wie hätte es denn dieſes auch ſein dürfen? Denn als das durch Alles Hindurchgehende mußte es zwar in Allem, aber auch das über Alles, als Einzelnes, Hinausgehende ſein. Mit irgend welcher ſinn— lichen Exiſtenz vermiſcht, wäre es auch an dieſe gebunden geweſen und hätte nicht mehr das durch Alles Hindurchgehende ſein können. Das ndyrwy xEywprop£vov läßt ſich alſo wie das οοο uepynevov dem Sinne nach überſetzen: das allem Daſein als ſolchem, aller Sinnlichkeit Ent— hobene. So beſtätigt es auch von neuem, warum dieſes Weiſe allein aus— geſprochen werden will und nicht. Eben weil es navrwv zezwpron.zvov iſt, iſt es dem Heraklit das, was nicht ausgeſprochen werden will. Denn wie ließe ſich das, deſſen Weſen gerade darin beſteht, allem Daſein und aller Einzelheit abſolut entnommen zu ſein, in die Beſtimmtheit des Namens faſſen, ohne dadurch die Form eines Beſtimmten, Seienden und Ein— zelnen angenommen zu haben und dadurch ſich ſelbſt ungleich geworden, gleichſam degradirt zu ſein?

Faſſen wir jetzt nach dieſen Vorausſchickungen das Fragment des Epheſiers bei Stobäus in ſeiner Totalität ins Auge, ſo ergiebt ſich, daß daſſelbe nichts geringeres enthält als das älteſte Stück kritiſcher und philoſophiſcher Geſchichte der Philoſophie, das auf uns gekommen iſt, oder vielmehr das je geſchrieben worden ſein dürfte! Heraklit giebt nämlich in dieſem Fragmente auf eine ebenſo gedankenvolle und bedeutſame als tief richtige Weiſe den Punkt an, der ihn von allen ſeinen Vor— gängern trennt, die Differenz, durch welche er ſich von ſämmtlichen frü— heren Philoſophen unterſcheidet. Das Fragment iſt deshalb eins der in— tereſſanteſten von allen die uns aufbewahrt worden, weil es zeigt, welch

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tiefes Verſtändniß ſeines Princips und des wahrhaften gedanken— mäßigen Unterſchiedes, der ihn von ſeinen Vorgängern abtrennt, dem Epheſier beiwohnte. Heraklits Princip war, wie zur Genüge nachgewieſen, der Gedanke der Negativität. Er hatte zum erſtenmal das Abſolute als die allem wirklichen ſinnlichen Sein transcendente Idee des Proceſſes des Negativen erfaßt, und nur weil er fie noch in der Form der objectiven Negativität feſthielt, konnte er noch nicht dazu gelangen, ſie als das aus— zuſprechen, was fie bereits an ſich war, als reinen logiſchen Begriff. Von dieſem Standpunkt aus wendet ſich nun Heraklit zu einer Kritik ſeiner Vorgänger zurück. Man weiß aus Diog. L., der darüber Bruchſtücke auf— führt, die uns noch ſpäter begegnen werden, daß er viele derſelben na— mentlich erwähnt und beurtheilt, die meiſten, wie Pythagoras ꝛc., in harter und ſchonungsloſer Weiſe getadelt, nur ſehr wenigen ein ſehr zurück— haltendes und eingeſchränktes Lob ertheilt hat, das ſich auch nur auf Ein— zelheiten bezogen haben kann; denn von allen jenen Vorgängern trennte ihn, wie unſer Fragment ſelbſt ausſpricht, die Gedankenkluft, daß jene ſämmtlich das Abſolute als Sein auffaßten und im Sein ſuchten. Dies iſt in der That der gemeinſchaftliche Zug aller vorheraklitiſchen Philo— ſophen. Dem Thales war das Abſolute das Waſſer, andern älteſten Joniern eine andere ſinnliche Beſtimmtheit; den Pythagoräern war es die Zahl, d. h. die erſte Mitte zwiſchen Unſinnlichem und Sinnlichem oder richtiger das unſinnliche Sinnliche ſelbſt, denn die Zahl iſt das ſinnliche Da— ſein, welches ſchon von der Beſtimmtheit der ſinnlichen Eigenſchaft gereinigt und gegen ſie gleichgültig iſt, aber, als Größe, immer an den Begriff des ſinnlichen Seins gebunden bleibt; den Eleaten, von denen Heraklit jedenfalls den Xenophanes, den er auch tadelnd erwähnt, erlebte, war es bereits das reine Sein; d. h. ſchon das allgemeine unwirkliche Sein, der Gedanke und die Kategorie des Seins ſelbſt. Aber immerhin war es eben noch der Gedanke des Seins.

Heraklit dagegen erfaßte zum erſtenmale den Gedanken des Nega— tiven und ſeiner beſtändig ſich in ihr Gegentheil umſchlagenden und da— durch verwirklichenden, in ihrer Verwirklichung ſelbſt ſich aber ebenſo wieder in ihr Gegentheil aufhebenden Bewegung. Sein Abſolutes iſt das allem Daſein transcendente und es aufhebende Geſetz dieſes Pro— ceſſes. Das Sein ſelbſt iſt ihm zum Schein und zum bloßen peren— nirenden Daſein des Nichtſeins geworden, wie es deshalb auch nur die Bewegung iſt, ſich ſelbſt in dies ſein Gegentheil, mit dem es an ſich identiſch, wieder aufzuheben. Und deshalb giebt, zurückſehend auf ſeine Vorgänger, Heraklit ſelbſt ſo trefflich und ſo tief den epochemachenden Ge—

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danken, der ihn von allen dieſen unterſcheidet und mit welchem die Philo— ſophie auf einen neuen Standpunkt rückt, in jenem Fragmente an, welches frei, aber doch ganz ſinngetreu überſetzt, etwa lauten würde: „Wie vieler Reden ich auch gehört, keiner gelangt dahin zu erkennen, daß das Abſolute (das Weiſe) allem ſinnlichen Daſein enthoben, daß es das Negative iſt“.

§ 16. Die 4% Das perſiſche Daritellungsjubitrat. Der Aöyos als Wort (Verbum).

Es iſt daher nur conſequent, wenn Heraklit dies ſein Princip (der Negativität) als Jim. als die Gerechtigkeit, aber im kosmiſchen Sinne, ausgeſprochen hat. Dieſe Dike iſt nichts anderes als ſeiende Ne— gativität; ſie iſt die Aufhebung des einzelnen ſinnlichen Daſeins, das auf ſich beruhen und ſich erhalten will. So wahrt ſie das allgemeine Geſetz gegen das Fürſichſein der einzelnen Exiſtenz, oder mit andern Worten, ſie iſt ſelbſt dieſes allgemeine Geſetz, der ſich durch Alles hindurchziehende Logos, nach ſeiner negativen Seite hin gegen die Einzelexiſtenz aus— geſprochen. Der Untergang des Einzelnen gerade iſt die göttliche Ge— rechtigkeit. Schon Anaximander hatte in der Stelle, welche wir am Anfang des dritten Capitels zum Ausgangspunkt für die Entwickelung der heraklitiſchen Philoſophie nahmen, das einzelne Daſein als 0e ausgeſprochen; er aber deshalb, weil es anderes Einzelnes aus ſich ausſchließt, d. h. mit der Negation behaftet iſt. Eng hiermit zuſammenhängend und doch auch wieder in ganz entgegengeſetzter Weiſe hatte laut einer bereits früher (p. 139 8g.) betrachteten Stelle des Plutarch !) nach Heraklit die Natur ſelbſt aus der adıza ihr Daſein, weil in ihr das Unſterbliche (der Proceß) mit dem Sterblichen (in dem jener ſich wirkliches Daſein giebt und ſo zum Einzelnen und Seien— den wird) ſich eint. Die heraklitiſche Nothwendigkeit oder ſein ſich durch Alles hindurchziehender Logos enthält daher weſentlich beide Seiten in Beziehung auf das Einzelne in ſich, ſowohl die poſitive nach der ſie daſſelbe ſetzt, als die negative, nach der ſie es aufhebt. Nur deshalb, weil es ebenſoſehr zugleich das Setzen als das Aufheben des Einzelnen iſt, iſt das heraklitiſche Princip die Idee des Werdens. Beide Seiten hatte bereits der obige Bericht des Stobäus (p. 325. 329.) über das was die hera—

1) Terrestr. an aquat. p. 913. Wytt. örxou xal nv yevsaw abrnv (rnv Eee S ddırlas oanyruyyayew dero.

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klitiſche eipapp.evn oder reſp. der J dect ravrös def, geweſen ſei, ſehr deutlich hervortreten laſſen. Sie iſt, wie Stobäus ſagt, „der Saa— men der Entſtehung des Alls (alſo das, was das Einzelne ſetzt, der Grund ſeines Daſeins) und das Maaß der zugeordneten Zeit“, alſo zu— gleich die grenzenſetzende und aufhebende Macht über dieſes Einzelne. Nach dieſer ſeiner negativen Richtung gegen das Einzelne hin iſt das heraklitiſche Abſolute die grenzenſetzende Dike und erſcheint ſo in noch erhaltenen Fragmenten des Epheſiers, zunächſt in einem Fragmente bei Plutarch !), wo fie mit der Function betraut iſt, jedes fürſichſeinwollende Einzelne, ſelbſt das relativ Vollkommenſte, auf ſein Maaß zurückzuführen: „Hitos 08% brepßnosra: nerpa gnow Y Hod et- et 68 p7 Epıivvbes e˙ν Alzys Enixoupo: eEevpnoovarv“. „Die Sonne wird nicht überſchreiten ihr Maaß; wenn aber ja, jo werden ſie finden die Erinnyen, die Dienerinnen der Dike“. Die rä— chenden negativen Mächte, die Erinnyen, erſcheinen hier als die Dienerinnen dieſer kosmiſchen Dike oder Nothwendigkeit, und als Vollſtreckerinnen ihrer Beſchlüſſe, alſo gleichfalls in kosmiſcher Auffaſſung, ganz ähnlich, wie fie im 70. orphiſchen Hymnus genannt werden „Beiſteherinnen der Noth— wendigkeit“ (Epsoryxviar dvdyzn) und im 69. Hymnus „zujauchzend den Nothwendigkeiten“ (Erevafovoa: Avdyzars), woſelbſt fie auch „oppa. A das „Auge der Dike“ heißen (ef. Hymnus Orph. LXII). Daſſelbe Fragment theilt uns Plutarch noch einmal in indirecter An— führung und mit einer höchſt intereſſanten Abweichung mit?): „7 de u brepßyosoda: robs rposmrövras Öpovs: ei Ö8 mn, Ylarras he, Aians Entxobpous 2fevpnoesıw“, „die Sonne werde nicht überſchreiten die ihr zukommenden Grenzen; wenn aber ja, ſo werden ſie finden die Zungen, die Dienerinnen der Dike“! Es muß wirklich dem Zufall Dank gewußt werden, daß er uns dies Fragment auch in dieſer Lesart aufbewahrt hat. Denn es erweiſt daſſelbe mit zwingender Gewalt jenes Verhältniß Heraklits zu den orientaliſchen, orphiſchen und helleniſchen Religionsdogmen, welches wir im zweiten Capitel ent— wickelt und ſeitdem ſchon ſo häufig belegt haben: daß Heraklit nämlich ſeinen reinen Gedanken in der ſinnlichen Form dieſer religiöſen Namen und Lehren beziehungsvoll ausgeſprochen habe. Im gegenwärtigen Frag— mente aber liegt dieſe Bezugnahme auf perſiſche, reſp. babyloniſch— magiſche Lehre und Ritual, auf eclatante Weiſe zu Tage, und der Be⸗

1) De exilio p. 604. p. 434. Wytt. 2) De Is. et Os. p. 370. D. p. 517. Wytt.

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weis dieſer Bezugnahme d. h. einer directen und bewußten Be— ziehung und alſo eines hiſtoriſchen Zuſammenhangs Heraklits mit perſiſchen Religionslehren läßt ſich jetzt mit einer ſinnfälligen, jeden Widerſpruch ausſchließenden Evidenz führen.

Man hat durch übereilte Conjecturen das ſchlechthin unverſtändliche Wort in unſerem Fragmente wegſchaffen und in Abooas ver- wandeln wollen“). Schleiermacher aber, der doch ſonſt ſelten um eine Conjectur verlegen war, äußert ſich mit ſeinem bewährten Tact in an— erkennenswerther Weiſe über unſer Fragment (p. 394): „— wo ich freilich keineswegs verſtehe, wie aus den Erinnyen / geworden find, aber doch gegen jede vorwitzige Aenderung mich verwahrend dabei bleiben will, daß beides nur eine und die nämliche Stelle ſein kann“.

Um aber zu verſtehen, was Heraklit hier mit den YAorrar gewollt habe, iſt es blos erforderlich, den Blick auf eine Stelle des Philoſtratus (vit. Apoll. I, 25. p. 34. ed. Olear.) zu werfen. Philoſtratus erzählt uns daſelbſt von dem Gemach des Königs zu Babylon, in welchem er Recht ſprach: „Sendet E 6 Paorleds Evranda- τhρ⁰i˙ uit d lurres dnoxpe- nayraz Tod Öpögou rerrapes cyv Aöpaoreiav adro rapsyyv@oaı zar To un Dn£p Tods Avdowrous alpsodar- rabras ol h , abrof yacıy apnörreodar, gyorwvrss Es ra Baclheıa" zaAodor 62 adräas HS Ylvoocas“.

Jetzt iſt die Sache jo klar, daß es unmöglich ift, etwas Weiteres hin— zufügen zu wollen! Es handelte ſich ja eben darum zu wiſſen, was die „Zungen“ in unſerem Fragmente wollen und bedeuten, wie ſie Dienerinnen der Dike genannt werden und die Stelle der Erinnyen in jener andern Lesart des Fragments einnehmen können. Alle dieſe Fragen beantwortet die Stelle des Philoſtratus mit Einem Worte. Nach babyloniſch-magiſchem Ritus, lehrt uns Philoſtratus, hingen in Babylon in dem Gemache des Königs, wo er zu Gericht ſaß, vier goldene Jyngen (Vögel, die bekanntlich auch in anderer Hinſicht magiſche Beziehungen im Alterthum hatten) von der Decke herunter. Die Function dieſer Vögel in der Religionslehre der Magier iſt nun ganz dieſelbe, wie die der Erinnyen in der erſten Lesart unſeres Fragments. Sie ſollen dem König die unentfliehbare Ge—

) Oder wie Bernays im feiner Diſſertation mit der Vermuthung helfen wollen, daß YAoccar aus einer Randbemerkung entſtanden, aus dem von Plutarch kurz vorher erwähnten Symbol: YAocca röyn yAöoca dalpwy in den Text über gegangen ſei, eine Vermuthung, welche ſich jetzt durch das oben Folgende gleich— falls von ſelbſt erledigt.

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rechtigkeit, die Dike-Adraſtea beſtändig in Erinnerung bringen und ihn warnen, „daß er ſich nicht über die Menſchen überhebe“, nicht das Maaß überſchreite. Sie ſind alſo in der That im eigentlichſten Sinne Dienerinnen der Dike! Dieſe Vögel!) ſtehen unter der un— mittelbaren Obhut und Aufſicht der Magier ſelbſt und der prieſterliche Name, den ſie dieſen Jyngen geben, iſt: Zungen! „Sie nennen ſie aber Zungen der Götter“. Es find alſo in der That die YAwrraz in der zweiten Lesart des Fragments ganz und gar dem Gedanken nach mit den Erinnyen identiſch. Sie ſind Dienerinnen der Dike. Sie ſtehen zu dieſer in der magiſchen Prieſterlehre in demſelben Verhältniß, in welchem nach orphiſcher Anſchauung die Erinnyen zu ihr ſtehen. Weil aber auch die Lesart Eyryyhss echt ſein muß, woran niemand zweifeln wird, ſo muß, wie übrigens auch durch die Abweichung von nerpa und mposnrovras Öpovs beſtätigt wird, die man ſchwerlich auf Plutarch ſchieben wollen darf, dies Fragment in den beiden verſchiedenen Lesarten, in denen es ſich vorfindet, an zwei verſchiedenen und räumlich getrennten Stellen des heraklitiſchen Werkes geſtanden haben, wie wir eine ſolche, ja auch bereits von Schleiermacher in mehreren Fällen angenommene, Wiederholung ſeiner Dicta ſchon bei ſeinen Ausſprüchen über den Fluß, die trockene Seele ꝛc. nachgewieſen haben, und dieſe noch einen gewiſſen Nachklang des gnomiſchen Charakters an ſich tragende Manier der Wiederholung einzelner Sentenzen für Heraklit bezeichnend iſt. Der Gedanke unſeres Fragmentes iſt in beiden Stellen ganz derſelbe. Aber als Kleid dieſes Gedankens hat Heraklit, einer ſolchen Darſtellungsform überhaupt bedürfend und für die Beſtimmtheit derſelben gleichgültig, das einemal die Geſtalten orphiſchen, das anderemal die Symbole und Na— men des magiſchen Cultus ergriffen, ganz in der Weiſe, wie wir dies im zweiten Capitel entwickelt haben.

So poſitiv und trocken wie diesmal wird ſich ein Beweis in ſolchen Materien gewiß nur äußerſt ſelten führen laſſen! Iſt aber in einem Punkte und in einer Stelle ſolche directe und bewußte Beziehung auf orientaliſche Religionslehren einmal dargethan, ſo kommt das dann natür— lich auch andern Stellen zu Hülfe, wo der Beweis nicht weniger vor— handen, aber doch complicirterer oder vielmehr mehr geiſtiger und darum nicht ſo ſinnfälliger Natur iſt. Unſer Fragment hat deshalb ſogar eine über Heraklit ſelbſt noch hinausgehende und weit allgemeinere Wichtigkeit.

1) Man ſehe über den allgemeinen Gebrauch derſelben im perſiſch-magiſchen Religionsſyſteme Kleuker Anhang zum Zendaveſta Bd. II. Th. 1. p. 104. E 23

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Der hiſtoriſche Zuſammenhang zwiſchen den älteſten ioniſchen Phi— loſophen und den orientaliſchen Religionslehren, den ſo viele Forſcher noch immer als bloße träumeriſche Conjectur hinzuſtellen und abzuläugnen be⸗ müht ſind, und dies bisher deshalb zur Noth noch konnten, weil die Be— weiſe deſſelben nur allgemeiner Natur waren, iſt durch unſer Fragment zum erſtenmal in hiſtoriſcher und poſitiv-trockener Weiſe bewieſen, und es fällt daher von hier aus endlich ein helles und gewiſſes Licht auf die Acten und Differenzpunkte jenes großen Streites. Es wird hiernach in der That keinem Zweifel unterliegen können, daß jene ioniſchen Philoſophen (in gewiſſer Hinſicht ganz analog dem Entwicklungsgange und der Be— deutung des helleniſchen Geiſtes überhaupt) von dem gegebenen geiſtigen Material des Orientes ausgingen, daß ſie durch die Schule orientaliſcher Religionsweisheit (worunter wir aber durchaus keine angebliche Urw eis⸗ heit“ oder traditionelle Reſte derſelben, ſondern nur die immer noch in die Form von ſinnlichen Anſchauungen und Vorſtellungen gehüllten Selbſt— erkenntniſſe ſeines eigenen Weſens verſtehen, welche der in der Religion über ſich ſelbſt ſinnende und ſich in ſein eigenes Weſen vertiefende menſch— liche Geiſt allmählig in den orientaliſchen Religionen in aufſteigender Linie bereits zu Tage gefördert hatte) hindurchgingen; daß ſie wahrheits— und erkenntnißſüchtig ſich zunächſt auf dieſe durch den Schein von höherer und geheimerer Weisheit mächtig reizenden Religionslehren zurückwandten und ſie zum Ferment ihrer Bildung machten. Welche Stellung dann bei den einzelnen Philoſophen dieſes Bildungsferment zu ihrer Phi— loſophie einnahm, inwiefern jeder zu dem ſpeculativen Inhalt jener religiöſen Vorſtellungen durch eigenes Erkennen durchdrang oder über ſie hinansging oder endlich ſich bei jenen veligiöfen Vorſtellungen als ſolchen im Weſent— lichen beruhigte und nur im ſelben Geiſte fortſann, dies ſich verſchieden geſtaltende Verhältniß muß bei jedem Philoſophen beſonders unter— ſucht und dargeſtellt werden. Bei Heraklit iſt, wie gezeigt, dies Verhält— niß das, daß ihm jenes religiöſe Material zur Darſtellungsform und Symbol ſeines philoſophiſch-freien, ureigenen und ſelbſt producirten Ge— dankens herabſank. Dies Verhältniß empfängt eine neue Aufklärung, reſp. einen neuen Beleg, wenn wir, was unſeres Fragmentes wegen hier ohnehin am Orte iſt, einen kurzen Blick werfen auf den ſonſtigen Zu— ſammenhang, der ſich bei Heraklit mit perſiſcher Religionsweisheit be— kundet. Wenn Heraklit den Krieg als König und Vater aller Dinge ausſpricht und Alles nur durch den Gegenſatz und deſſen Einheit be— ſtehen läßt, und dies ſo ſehr der Grundgedanke ſeines Syſtems iſt, daß ſeine ganze Philoſophie die Philoſophie des Gegenſatzes genannt werden

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könnte, ſo iſt zumal jetzt nach dem Nachweis directer Kenntniß magiſcher Lehre Seitens Heraklits, den uns jenes Fragment geführt hat, auch für dieſen Grundgedanken die Parallele mit dem perſiſch-magiſchen Religions⸗ ſyſteme unabweisbar; auch dieſes unterſcheidet ſich bekanntlich von den andern Religionen des Orients gerade durch jenen principiellen Dualismus, durch die Theorie von dem Gegenſatz der beiden Prin— cipien Ormuzd und Ahriman und ihrem beſtändigen Kampf miteinander, welche dem geſammten magiſchen Religionsgebäude ſo ſehr zu Grunde liegt, daß wie die heraklitiſche Philoſophie die philoſophiſche, ſo jene ganze Religionslehre nichts Anderes als die religiöſe Durchführung des Gedankens des Gegenſatzes iſt. Das Allgemeine dieſes Zu— ſammenhanges iſt bereits Creuzer (ſ. Symbol. u. Mythol. te Ausg. 2ter Bd. p. 594 603) nicht entgangen, der ihn mit Recht in ebenſo nachdrücklichen als beredten Worten gegen die Läugner deſſelben vertheidigt und dabei gut darauf aufmerkſam gemacht hat, wie Epheſus ſeit älteſter Zeit ein Sitz alter Magierlehre geweſen (cf. Lobeck. Aglaoph. p. 1330). Wir wollen das von Creuzer Geſagte nicht wiederholen, ſondern darauf hinverweiſend mehreres Andere in Kürze hinzufügen, was dazu dient, die— ſen Zuſammenhang näher darzulegen, nachdem wir jedoch zuvor den gei— ſtigen Unterſchied zwiſchen dem Grundgedanken Heraklits und dem der magiſchen Religionslehre nochmals ins Auge gefaßt haben. Denn frei— lich können wir mit Creuzer vielleicht noch in die Worte, daß Heraklit „Zoroaſtriſch philoſophirt habe“, in gewiſſer Weiſe übereinſtimmen, aber keinesfalls mehr in die von Creuzer unmittelbar daneben geſetzten, „daß er, Heraklit, gelehrt hat, wie der alte große Lichtlehrer Zerethoſchtro, der Stern des Goldes“ (p. 601). Und ebenſowenig können wir uns mit den Worten Creuzers daſelbſt „dieſe Sätze alter Magierlehre und epheſiſcher Magierformeln, dieſe Symbole der alten Licht— und Feuertempel Vorderaſiens, dieſe Mythen und Feſthymnen des Prieſter— ſängers Olen durchdrang der tiefſinnige Philoſoph von Epheſus mit ſei— nem ſcharfen, tiefen Geiſte und erweiterte ſie zu einem Syſteme von Philoſophemen, nicht dialectiſch, dies blieb dem ſpäteren Plato vorbehalten, ſondern prieſterlich, bedeutſam, und im Charakter des delphiſchen Königs, der, wie Heraklitus ſelbſt ſagt, nicht redet, nicht verbirgt, ſondern an— deutet“ einverſtanden erklären, weder was das „Prieſterliche“, noch was die bloße Erweiterung jener Prieſterdogmen aubetrifft, die bei Heraklit vorgegangen ſein ſoll. Zu erſterer Behauptung verleitet Creuzer offen— bar die, nicht prieſterliche, wohl aber ſymboliſche Form Heraklits, deren Beſchaffenheit ſowohl, wie ihre in ſeinem Gedankenſtandpunkt ſelbſt ge— 23*

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gründete Nothwendigkeit wir des Oefteren und zur Genüge dargethan zu haben hoffen. Noch weniger aber iſt es eine bloße Erweiterung jener Sätze alter Magierlehre, die in der heraklitiſchen Philoſophie vor— gegangen iſt; ſie bildet vielmehr jene religiöſen Anſchauungen zu einem ganz neuen und durchaus originellen philoſophiſchen Gedan— ken um, und wenn man auch vielleicht in einem gewiſſen philoſophiſchen Sinne mit Recht ſagen kann, daß jene religiöſen Anſchauungen in der That nichts Anderes, als die Ahnung dieſes Gedankens und dieſer ſomit ihr eigener geiſtiger Inhalt geweſen ſei, ſo iſt doch nicht zu vergeſſen, welche ungeheure geiſtige Kluft eine ſolche ſinnliche Vorſtellung und Ahnung eines geiſtigen Inhalts von ſeiner freien und begrifflichen Er— kenntniß trennt.

Um dies!) an jener Theorie des Gegenſatzes klar zu machen, die in der That ſowohl das religiöſe Syſtem des Magismus, als das philoſophiſche Heraklits gleichmäßig beherrſcht, werden folgende Bemerkungen genügen. In der perſiſchen Religion ſind die beiden entgegengeſetzten Principien zwei Beſtimmtheiten und es iſt hierfür gleichgültig, ob man ſie nur als Beſtimmtheiten des ſinnlich- natürlichen Daſeins oder auch als ſolche der innern ethiſchen Vorſtellung faßt, Licht und Finſterniß, Gut und Böſe. Bei Heraklit ſind die beiden Gegenſätze nicht ſolche äußere oder innere Beſtimmtheiten, ſondern ſie ſind weſentlich nur dies: ineinander überzugehen, ſich zum andern zu machen. Sie find Bewegungen, „doc, nicht Beſtimmtheiten, und jede dieſer Bewegungen beſteht nur darin, un— abläſſig in die entgegengeſetzte umzuſchlagen. In der Lehre der Magier find, was hiermit eng zuſammenhängt, jene beiden Gegenſätze, Ormuzd und Ahriman einander nur ausſchließende abſtracte Gegenſätze. Heraklits ganzes Syſtem dagegen beruht darauf, daß die Gegenſätze an ſich ſelbſt miteinander identiſch ſind. Er konnte ſagen: eins iſt der Weg nach Unten und nach Oben, ein und daſſelbe iſt das Sichtrennen und Sich— einigen, gut und böſe, und ſo viele andere Sätze, in denen er dieſen Car— dinalpunkt ſeines Syſtems, die Identität der abſoluten Gegenſätze, unabläſſig darzuſtellen bemüht war, eine Identität, die natürlich dem Magier, wenn er ſie hätte von Ormuzd und Ahriman denken ſollen, als das diametrale Gegentheil und die totale Aufhebung ſeiner Religion in ihrem innerſten Gedanken erſchienen wäre.

Alle weiteren mit der ganzen Unermeßlichkeit des Gedankens behafteten

1) Wie oben SS 10. 11. an dem Unterſchied der orphiſchen und heraklitiſchen Identität von Dionyſos-Hades.

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Unterſchiede find nur Conf equenzen der vorigen. Im religiöſen Syſtem der Magier bleibt Ahriman immer ein Gegenſatz, auf deſſen abſtracte Ber- nichtung ausgegangen wird, die auch wirklich zuletzt erreicht wird; er iſt ſomit in letzter Inſtanz ein blos Negatives und Unberechtigtes, das keine affirmative Bedeutung hat und aufgehoben werden ſoll und wird. Bei Heraklit dagegen iſt der Gegenſatz und das Negative dem göttlichen Leben ſelbſt immanent und unerläßlich und ſein eigenes Daſein und darum erſt iſt ſein Abſolutes wahrhafte Negativität und Proceß.

In der magiſchen Lehre fällt das Göttliche und Abſolute auf die eine Seite des Gegenſatzes, Ormuzd, der darum auch identiſch iſt mit dem Schöpfungswort Honover. Bei Heraklit iſt erſt die Einheit beider Ge— genſätze das Abſolute, und gerade dadurch iſt dieſes die Idee des Werdens, des Proceſſes. Im Magismus iſt deshalb auch die Welt immerhin durch das Göttliche frei geſchaffen, wenn auch durch Entäußerung ſeiner. Bei Heraklit iſt fie, wie er ſelbſt hervorhebt, nicht geſchaffen, ſondern gewor— den, reſp. vielmehr ſie iſt: nie aufhörendes Werden.

Mit Einem Wort, die magiſche Lehre verhält ſich hierin ganz ſo zur heraklitiſchen Philoſophie, wie die ſinnliche Vorſtellung vom Weſen des Gegenſatzes zu der wahrhaft begrifflichen und gedankenmäßigen, philo— ſophiſchen Erfaſſung deſſelben: d. h. die Kluft iſt an jedem Punkte un- endlich; überall, wo die Identität zwiſchen beiden Syſtemen am größten zu ſein ſcheint, gerade da iſt vielmehr auch der totalſte Gegenſatz vor— handen. Man kann alſo gewiß nicht ſagen, daß Heraklit zoroaſtriſch ge— lehrt oder die Sätze der alten prieſterlichen Magierlehre nur erweitert habe. Aber gekannt hat er ſie, dies iſt bewieſen; ſie hat auf ihn als Bildungsferment eingewirkt; er hat in ihr eine Ahnung ſeines Gedankens gefunden und ſich deshalb mit Vorliebe vieler ihrer Formen bemächtigt, um jenen darin auszuſprechen und ſo hat ſie durch ihre An— ſchauungen Einfluß auf ihn ausgeübt.

Nachdem jener principielle Unterſchied dargelegt iſt, aus welchem ſich die entſprechenden Conſequenzen ſehr leicht für jeden einzelnen Punkt er— geben, mag nur noch Einiges in Kürze zuſammengeſtellt werden, was bei Heraklit vorzugsweiſe an die Magierlehre erinnert. Wenn Heraklit gegen Homer ſagt, daß dieſer mit ſeiner Verwünſchung des Streites der Geneſis des Alls ſelber fluche, weil mit dem Fortfallen des Streites alle Dinge verſchwinden würden, ſo tritt auch nach der Zendlehre mit der Beſiegung des Gegenſatzes, mit dem Sturze des Ahriman und ſeiner Verbrennung durch fließendes Erz und dem Opfer, welches darauf Ormuzd der Zeruane

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Akerene, der ewigen und unbegrenzten Zeit bringt, der Schluß aller Dinge ein!). 5

An dieſe Zeruane Akerene erinnert es auch lebhaft, wenn in zwei Stellen des Sextus, von denen wir um ſo weniger begreifen, wie man ſie bisher in der Regel unbeachtet laſſen konnte, als ſie ein wahres Ge— dankenintereſſe bieten, nach Aeneſidemos berichtet wird, Heraklit habe die Zeit als das Erſte aller Dinge geſetzt, adv. Matth. X, 216: owpua E obv SES eivar nv yodvov Alvpolönwos, rar roy Ipaxkerrov: m dtap£peiv Yap abrov TOD Oyros xal TO) TOWTOU OWwparos, „ein Körper jet die Zeit, ſagte Aeneſidemus, nach Herakleitos, denn nicht unterſcheide fie ſich von dem Seienden ſelbſt und dem erſten Körper“ (cf. ib. 230 sqq.. wo beſtritten wird, daß Heraklit ein Körperliches als Erſtes geſetzt habe, reſp. daß das Princip nach ihm die Zeit ſei). Es kann für uns Heraklits Gedanken nur angemeſſen erſcheinen, wenn er die Zeit als erſten Kör— per ausgeſprochen hat. Sie iſt, wie das Feuer, reinſte daſeiende Einheit von Sein und Nichtſein; ſie iſt das Jetzt, das unmittelbar indem es iſt, vorübergegangen, aufgehoben und ſomit zu einem Nicht-Jetzt geworden iſt, welches aber wieder ſeinerſeits ebenſogut ein Jetzt iſt, wie das erſte. Die Zeit iſt alſo Continuität von Jetzt und Nichtjetzt, ſie iſt ganz derſelbe daſeiende Proceß, dieſelbe objective Dialectik, wie Feuer, Fluß ꝛc. Daß mit dieſer Auffaſſung der Zeit nichts Fremdes in Heraklit hineingetragen?) wird,

1) Die Zendaveſta von Kleuker Bd. I. p. 24 sqq. und Anhang Bd. I. Th. 1. Pp. 276 286 und Görres Mythengeſch. I. p. 235.

2) Dies zeigt ſich noch deutlicher in der Definition der Zeit, welche die Stoiker geben und in welcher ſie dieſes dialectiſche Weſen des Jetzt, ſofort Nichtjetzt zu ſein, ausdrücklich hervorheben, ohne jedoch der Sache gänzlich Herr zu werden. So lehrten fie (cf. Plutarch. de comm. not. c. Stoic. p. 1081. D. p. 413 sqq. Wytt.), daß es nur eine zukünftige und vergangene Zeit, aber keine gegen— wärtige gebe, weil: „das „Jetzt“ überhaupt nicht exiſtire“ (ro de vöv νο #702 eiva). Wenn der Stoiker Archidemus daſelbſt jagt: das Jetzt ſei ein Princip und die Einheit des Vergangenen und Zukünftigen (% rey xat ouvuFoiAmny eivar Aeywv Tod TapwynhEvoU zal Tod Ertpsponevou TO „0, jo hebt er alſo nur ganz vortrefflich und in logiſcher Form den bei He— raklit ſchon vorhandenen dialectiſchen Inhalt des Zeitbegriffes als Einheit von Jetzt und Nichtjetzt, Sein und Nichtſein heraus. Und wenn daſelbſt Chryſippus im weſentlichen wieder ſagt: Vergangenheit und Zukunft beſtehe gar nicht, ſondern nur gegenwärtige Zeit („TO iv rapwynpevov ro ypövou zal To ge r O2 brapyew To Eveornxos“), |0 iſt das eben nur ein ſcheinbarer Widerſpruch mit Archidemus, in der That aber ganz identiſch damit. Denn beidemal iſt das Jetzt als die dialectiſche Einheit ſeiner und ſeines Gegentheils geſetzt. Und ganz deutlich iſt jetzt ſowohl die Be—

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zeigen die eigenen Worte jenes von Sextus aus Aeneſidemos gemachten Berichtes auf das Deutlichſte: To mev yap, vov, Y n zpövon unvopa Eorw, Erı 02 nv növada, o Od eivar , TyV ] Yον d ius- pay ral Tov u, Toy Evauröv, noAuniaotaopov Dndpyew Tod y, nul de, Ton zoövov“, d. h. alfo: die Bedeutung der Zeit ſei das „Jetzt“. Tag, Monat, Jahr ſeien nichts als die Vervielfältigung, d. h. als die Continuität dieſes Jetzt mit ſich ſelbſt. Die Einheit dieſer perennirenden Continuität des Jetzt die Ausdehnung!) mit der Monas, der ideellen Einheit des einfachen Zeitmomentes, ſei nichts Anderes, als die „, die Weſenheit des Seins ſelbſt.

In der That iſt jene wie dieſe: als perennirendes Daſein geſetztes Nichtſein, daſeiende reine Einheit von Sein und Nicht.

Wenn Sexptus bald darauf (ib. 230 sq.) nochmals erwähnt, daß nach den Heraklitikern die Weſenheit der Zeit körperlich ſei (owpuarızyv e V obolav Ton Z00vov), jo glauben wir, daß dies, trotz der bald darauf fol— genden Beſtreitung dieſer Anſicht als einer wirklich heraklitiſchen durch Sextus, dennoch ganz conſequent von Heraklit gejagt werden konnte 2). Die Zeit war ihm, wie auch das ſinnliche Feuer, eine erſte und reinſte Erſcheinung des Geſetzes von der Einheit des Gegenſatzes von Sein und Nicht, das ſich durch Alles hindurchzieht. Aber ſie war ihm nicht dieſes Geſetz ſelbſt, eben weil

deutung als der durchaus heraklitiſche Urſprung von der ſtoiſchen Definition der Zeit, wenn wir ap. Plut. Plae. J, 22. hören: „die meiſten Stoiker ſagen, das Weſen der Zeit ſei die Bewegung“ (r7v ie). So find auch jetzt die Wider— ſprüche bei den Stoikern darüber, ob die Zeit körperlich oder unkörperlich ſei, von ſelbſt klar.

1) Man ſieht, daß dieſe begriffliche Auffaſſung der Zeit ſofort den Begriff des Raumes erzeugt und mit ihm, der dieſelbe Continuität iſt, in dieſer Hinſicht identiſch iſt. Dieſe innere Identität der Begriffe von Zeit und Raum iſt auch der Grund, weshalb uns Damascius (de prineip. cap. 125. p. 384. ed. Kopp.), ſich hierbei auf Eudemos berufend, berichten kann, von den Magiern hätten die Einen den Raum, die Andern die Zeit für das noch ungeſchiedene nur im Denken zu faſſende Weſen des Alls gehalten (od e rorov, ol d& ypovov xa- Aodar TO vonrov üray za To Avopevoy M..), während von der Bezeichnung des Urweſens als Raum ſich gegenwärtig in den Zendſchriften keine Spuren zu finden ſcheinen.

2) Deshalb definirt auch Chryſippus bei Phaedrus de nat. Deor. p. 17. Peters. den Zeitgott Kpovos als Exzpırexöv Tod He¹‚et- os hd „den heraus— ſondernden (zum realen Unterſchied, den Begriff des Körperlichen bei Heraklit auseinandertretenden, was der Epheſier drapspöpsvov nennt) Lauf des Fluſſes“.

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ſie ſchon eine Daſeinsform deſſelben, wie auch das Feuer war. Alles aber außer jenem Einen ſich durch Alles hindurchziehenden Logos ſelbſt, mußte ſomit Heraklit als ein Beſtimmtes und ſomit Körperliches gelten. Die Zeit ſei körperlich und dennoch Erſtes, heißt alſo bei ihm nichts, als daß ſie die erſte Verwirklichung jenes Princips, daß ſie ſchon ein Daſein deſſelben, aber nicht das Princip ſelbſt war .

Wenn daher Sextus im Verlauf ſeiner eigenen Beweisführung, daß die Zeit nicht körperlich ſein könne, jagt (ib. 2322): „Und diejenigen, welche jagen, nach Heraklit ſei das Erſte kein Körper, find nicht ge— hindert dabei die Zeit zu meinen (nämlich ſie für das Erſte bei Heraklit zu halten), wenn aber die Zeit nach Heraklit der erſte Körper war, jo wären ſie dadurch auch gehindert worden, die Zeit zu meinen; nicht alſo iſt das Sein (TO dv) nach Heraklit die Zeit; vielmehr iſt es nach ihm Luft, wie Aeneſidemos ſagt“, ſo iſt ſchon in dem erſten Satze dieſer Stelle Wahres und Falſches durcheinander geworfen, denn richtig und in— tereſſant iſt der Bericht, daß es Solche gab, die behaupteten, das Erſte bei Heraklit ſei kein Körperliches. Dieſe theilten alſo auch offenbar den vielverbreiteten Irrthum nicht, daß das Feuer dem Heraklit Princip aller Dinge, %,, ſei. Dieſe waren alſo zu der richtigen Einſicht vor— gedrungen, daß das wahre Princip bei Heraklit weder Feuer noch Zeit, noch Luft, noch irgend ein Körper, ſondern das ſelbſt unkörperliche Geſetz alles Seins ſei.

Die Meinung dieſer vereint ſich daher ſehr wohl damit, daß von Heraklit die Zeit als erſter Körper in dem oben erörterten Sinne be— zeichnet werden konnte.

So conſequent und gedankenmäßig demnach auch jene Auffaſſung der

Wenn alſo Plato bei Plut. Plac. I, 21. die Zeit als „Auseinandertreten (Abſtand) der Bewegung der Welt“ „degornua Tas Tod adj, / xE¾i)˙ definirt, ſo dürfte Schon hier die weſentliche Identität dieſer Definition mit dem Exxpirıxos #005 klar fein.

1) Vgl. das phyſiſche Weſen der Zeit bei Heraklit $ 23. 26., von welchem ſo— wohl die platoniſche als ſtoiſche Definition der Zeit ſich blos als der logiſche Ausdruck deſſelben erweiſen werden.

2) x wmv ol Aeyovrss um Örapysw TO Tpwroy oma xara tov H- xAettov, o AWAbovrar Yoovoy v, el DE V, Ypovos TO TPWTO,, xara Toy Hod etron, owpa, ray Exwiboyto Toy Xp6dvoy H obx dpa To du, xara Toy Hodadetrou, sor ypövos' To, re rar rov Hpdzisırov di Eorıy & ino Avpeldnpos. Das Letzte iſt nun freilich wieder in mehr als einer Hinſicht falſch. Den Grund dieſes Mißverſtändniſſes werden wir bei der Elementarlehre näher ſehen.

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Zeit bei Heraflit erſcheint, jo erinnert dieſelbe doch umſomehr an die Zeruane Akerene der Zendlehre, als auch dieſe daſelbſt (ef. Tychsen. Comment. Soc. Gotting. Vol. XI. p. 130 sg.) nicht als Gott erſcheint, wie ſie auch nicht die höhere Einheit der beiden Gegenſätze, ſondern die der Entfaltung des Gegenſatzes vorangehende zwar gedachte, aber noch als indifferent gedachte Einheit des Daſeins bedeutet (cf. Damascius J. I.).

Nach dieſen Parallelen kann auch die Heraklit ſo beſonders geläufige und von ihm vorzugsweiſe beliebte Darſtellung ſeines Princips als Feuer gewiß nicht ohne Verbindung erſcheinen mit der ſo großen Rolle, welche dieſes Element in der Zendlehre bekanntlich ſpielt (ſiehe Herod. III, 16. Ilzooa: yap Bzov vonifovor eivar rDp, vgl. Brisson. Regn. Pers. II, 14. und Emeéric David, Jupiter ou Recherches etc. I. p. 171.). Noch weit beſtimmter aber tritt dieſer Zuſammenhang dann hervor, wenn man berückſichtigt, daß die Zendlehre zuerſt unterſcheidet zwiſchen dem ſinn— lichen, materiellen Feuer und einem präexiſtirenden unkörper— lichen und gleichſam intellectuellen Urfeuer, eine Unterſcheidung, von der ſich uns bei der Feuer- und Elementarlehre auf das poſitivſte zeigen wird, daß ſie bei Heraklit nicht nur gleichfalls ganz ebenſo Statt hatte, ſondern auch daß ſie einen der wichtigſten Punkte für ſein richtiges Verſtändniß bildet, deſſen Ueberſehen die Urſache war von allen Miß— verhältniſſen, zu denen ſein Feuer die Veranlaſſung gegeben hat. Es wird jetzt vielleicht ſchon aus dem Allgemeinen ſeiner Philoſophie klar ſein, jedenfalls aber im phyſiſchen Theile zur Evidenz gebracht werden, daß ihm jenes reine und unſinnliche Feuer (das „nicht untergehende“, wie er es bezeichnet zu haben ſcheint), nichts anderes geweſen iſt, als der ideelle Begriff des Feuers, die Idee des Werdens als ſolche, das reine und allgemeine unſinnliche Geſetz der abſoluten Einheit und Vermittlung von Sein und Nichtſein; alſo daſſelbe, was ihm die unſicht— bare Harmonie iſt, d. h. die gedachte, noch durch kein ſinnliches Sein gehemmte Einheit und Vermittlung. Es wird ſich zeigen, daß nur in dieſem Sinne, als reine Idee des Werdens genommen, bei ihm das Feuer die Stelle des oberſten und durch Alles hindurchgehenden Prin— cipes, der %, eingenommen haben kann!): daß dagegen das materielle,

1) Daher die analogen beiden Arten des Feuers bei den Stoikern, ignis artificiosus und inartificiosus, über welche man ſehe Villoison, Comment. de Theologia Physica Stoicorum in der Ausgabe des Cornutus von Fr. Oſann p. 507 sq. Wir fagen, daß dies ignis artifieiosus analog, aber nicht identiſch

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wirklich erſcheinende Feuer ihm nur die erſte und reinſte Verwirklichung, das ſinnliche Bild jenes reinen Feuers geweſen iſt. Ganz ſo wird nun aber in der Zendlehre (ſ. Zendaveſta von Kleuker I. p. 44 sq., ef. Izeschn. Ha. XXXVI. T. I. p. 126, Bun-Deh. T. III. p. 55 und An- hang II. 1. p. 127) das materielle Feuer als ein Bild des Urfeuers und als aus dieſem geworden dargeſtellt. Es wird dieſes Urfeuer ferner (ſ. Kleuker a. a. O. und I. p. 143—157. ef. Anhang Bd. II. T. 2. p. 51) das Band der Einigung zwiſchen Ormuzd und der unbegrenzten Zeit!) und der Saame genannt, aus dem Ormuzd alle Weſen geſchaffen hat, Ausdrücke, die ſich zum Theil wörtlich (3. B. die Bezeichnung als Saame) in dem wiederfinden, was Heraklit nach Frag— menten oder Berichten von ſeinem kosmogoniſchen, das Princip aller Dinge bildenden Feuer geſagt hat. Gewiß ſind wir weit entfernt davon, zu be— haupten, daß die dunkle Vorſtellung, welche der Parſe mit jenem Urfeuer verband, inhaltlich irgendwie mit dem heraklitiſchen Gedanken, dem Geſetze des Werdens, identiſch geweſen ſein ſollte; es ſpricht ſich vielmehr in jenem Urfeuer der Zendlehre, dem auch ein Urwaſſer, Urlicht, alſo eine Präfor— mation der Elemente überhaupt zur Seite ſteht, nur der Idealismus der parſiſchen Religion aus, wie er für die ſinnliche Vorſtellung vorhanden ſein konnte. Aber Das wollen wir behaupten, daß, zumal nachdem Hera— klits hiſtoriſcher Zuſammenhang mit der Magierlehre und feine Kenntniß derſelben erwieſen iſt, jene Unterſcheidung zwiſchen einem materiellen und einem Urfeuer und der Gebrauch des Feuers im Sinne dieſes Urfeuers als Symbol für ſein abſolutes und weltbildendes Gedankengeſetz als auf dem Boden jener parſiſchen Anſchauungen erwachſen und als aus dem Einfluß jener Magierlehre hervorgegangen betrachtet werden muß.

Auch für die Elementarlehre Heraklits enthält die Zendreligion manche

mit dem ideellen Feuer Heraklits iſt; denn deſſen intelligibles logiſches Feuer wird in dem ignis artificiosus als phyſiſche Lebenskraft mißverſtanden und aufgefaßt. ö g

1) Oder es wird Izeschn. Ha. XXXVI: „kräftigwirkendes (vgl. das ſtoiſche ignis artificiosus, & reyvıröy) Feuer ſeit Urbeginn der Dinge und Grund der Einigung zwiſchen Ormuzd und dem in Herrlichkeit verſchlungenen Weſen“ genannt. Die Thätigkeit iſt auch die Grundanſchauung des Worts in der Zend-Aveſta. Es wird als beſtändig wirkend und ſich bewegend gedacht und als „bis zur Auferſtehung von dieſer Welt im Lauf zum Himmel (von dem es ausgegangen) zurückkehrend“, Jescht-Favard. XCIII. Card. 24. T. II. p. 258. Kleuk.; ebenſo heißt es Si-ruze T. II. p. 293 Das „des Gang in der Höhe iſt“ ꝛc.

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nicht undeutliche Anklänge. Nicht darauf wollen wir uns berufen, was uns Herodot (I, 131.) von der Elementarverehrung der alten Perſer er— zählt: „Die Perſer opfern der Sonne, dem Monde, der Erde, dem Feuer, dem Waſſer, den Winden, dieſen allein opfern ſie von Alters her“; ein Bericht, in welchem wir theils eben ſo viel abweichende, theils in Bezug auf das Aehnliche viel zu allgemeine, auch anderwärts wieder— kehrende Züge ſehen, um eine beſondere Analogie mit Heraklit darin finden zu können. Wohl aber darauf wollen wir uns berufen, daß bereits in der Zendlehre die beſtimmte Anſchauung von dem directen Gegenſatze zwiſchen Feuer und Waſſer bedeutungsvoll hervortritt; jenes, das Feuer, iſt männlich, dieſes weiblich“); aus der Vereinigung beider iſt das Licht entſtanden, wie alles Gedeihen in der Natur aus ihnen entſpringt (S. Kleuker a. a. O. ).

Endlich aber können wir nicht umhin, unſere Ueberzeugung noch über einen ganz beſonders hauptſächlichen, an Conſequenzen nicht unfruchtbaren Punkt auszuſprechen, in welchem der Einfluß der Zendlehre und ihrer Anſchauungen auf Heraklit nach unſerer Anficht unverkennbar iſt und folgenreich fortgewirkt hat. Wir haben ſchon oben darauf hiu— verwieſen, wie Schleiermacher bereits darauf aufmerkſam gemacht hat, daß das Wort Jνο, welches doch in ſeiner urſprünglichſten Bedeutung

1) Vgl. für Heraklit 8 21.

2) Es frägt ſich ſelbſt, ob nicht etwas an heraklitiſche Elementarlehre merk— würdig anklingendes zu finden iſt in dem intereſſanten Bericht des Plutarchus de prim. frigido p. 950. F.: bei den Perſern wäre es die größte und, wenn fie angewandt würde, unablehnbare Anflehung (T Ixersundrwv n£ytorov = zal Araparirnroy) geweſen, wenn der Flehende Feuer nahm und in einen Fluß ſteigend drohte, das Feuer in das Waſſer zu entlaſſen (8 röp Ss ro Ddwp Apnosw); er erlangte dann unweigerlich, worum er bat; es erlangend aber wurde er beſtraft um der Drohung (Oe ray areıiyr) willen „os rapa vonov za zarta Ths Pbosws yevoperyv“. Man überſetzt dieſe Stelle ftets „weil fie eine gegen das Geſetz und gegen die Natur geſchehende ſei“ (z. B. Wyttenbach. na- turae contrariam). Aber es muß zweifelhaft erſcheinen, ob dies richtig iſt, da Plutarch dann ja gar keinen Grund hatte, ftatt einfach & vonov zat era zu jagen, mit der Präpofition abzuwechſeln und ſtatt des energiſcheren apa das ſchwächere zara, welches auch nur ſeltener als jenes dieſen feindlichen Sinn hat, zu ſetzen. Es frägt ſich alſo, ob man zara und den Genitiv nicht in ſeiner urſprüng— licheren Bedeutung und der Richtung auf eine Sache, der Beziehung auf etwas auffaſſen und demnach überſetzen ſoll „weil ſie eine gegen das Geſetz und nach der Natur hin (i. e. mit Beziehung auf die Natur hin geſchehende Drohung, weil in der Natur, an der ja Ahriman vorläufig noch Theil hat, dies Verlöſchen des Feuers wirklich ſtattfindet) geſchehende ſei.

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„Wort“ heißt von Heraklit zu allererſt in dem Sinne von Vernunft gebraucht worden ſei. Wir haben aber auch bereits oben (ſ. p. 325 8d.) durch Fragmente und Berichte nachgewieſen, wie wir hoffen, und werden dies ſpäter noch durch ſpäter zu betrachtende Bruchſtücke erheblich be— ſtätigen können, daß auch die Bedeutung Vernunft im formellen und ſubjectiven Sinne durchaus nicht zureicht, ſondern daß %s (wenn es nicht eben ſeine unmittelbarſte Bedeutung: Wort hat, wie in dem Bruch— ſtück bei Stobäus, ſ. p. 344) bei Heraklit immer durchaus objectiv ge— faßt werden muß und jenes Eine die Weſenheit des Alls bildende und die Welt durchwaltende Geſetz alles Daſeins, das Geſetz der Welt— einrichtung bedeutet, kurz daſſelbe, was in den Verbindungen Adyos den- us TOD Tayrös oder Aöyos 0!x0vop.@v 7a. rAyro nur explicirter hervortritt. Allein wie erklärt ſich dieſe bei genauer Betrachtung höchſt auffällige Eigenthümlichkeit Heraklits, das die Welt und alles Daſein regierende Geſetz durch Aöyos „Das Wort“ zu bezeichnen? Die von Schleiermacher (p. 476) zum Zwecke dieſer Erklärung gemachte Annahme einer Ableitung von J ſammeln, löſt die Schwierigkeit gewiß nicht und iſt ſchwerlich

richtig. Denn zuvörderſt würde der Begriff des Sammelns, wenn ihn

Heraklit ſogar mit %s wirklich verbunden hätte, durchaus nicht im Stande ſein, den Gebrauch dieſes Wortes für jenes Geſetz des Daſeins zu erklären. Denn dieſes Geſetz iſt dem Heraklit nicht ein aus den einzelnen Exiſtenzen Geſammeltes und Abſtrahirtes, ſondern um— gekehrt, der heraklitiſchen Philoſophie, die deshalb als objectiver Idealis— mus bezeichnet werden muß, iſt alles empiriſche Daſein nur aus jenem Einen und unſichtbaren Geſetze geworden. Ferner ſteht der Ableitung von Acyw, ſammeln, die allgemein angenommene und offenbar richtige Herleitung des Wortes von der Bedeutung „ſprechen“ entgegen, und ebenſo— wenig findet ſich irgendwo eine Spur davon, daß Heraklit mit Aoyos den Begriff von Sammeln verbunden habe.

Wie erklärt ſich alſo dieſer befremdliche und zugleich an ſo tiefen An— ſchauungen reiche Gebrauch des „Wortes“ für das kosmogoniſche Prin— cip, für das weltbildneriſche, allem Einzelnen Daſein gebende und es regierende Geſetz?

Es erklärt ſich durch die hiſtoriſch nachgewieſene Kenntniß Heraklits von dem parſiſchen Religionsſyſtem und die hierdurch in ihm erweckten Anſchauungen. Nach der Zendlehre iſt (ſ. Zendaveſta von Kleuker T. I. p. 3 und p. 5 sd.) das Ewige ſeinem Weſen nach Wort. Das Wort „Honover“ iſt das Schöpfungs- und Geſetzeswort, welches vom Throne des Guten gegeben und durch welches Alles ent—

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ſtanden iſt und alle Weſen geſchaffen worden find (ſ. Kleuker ib., IZ. Ha. XIX. Th. I. p. 1071). Selbſt das Urfeuer, Urwaſſer und Urlicht find erſt durch das Wort geworden, welches Ormuzd noch jetzt unabläſſig fortſpricht durch alle Ewigkeit, welches nach ihm von den Izeds des Himmels, von den Amshaspands und den Feruers durch die ganze Natur fortgeſprochen wird als der fortwirkende Quell alles Lebens. Es wird genannt das heilige, reine, ſchnell wirkende, das da war, ehe der Himmel war und irgend ein Geſchaffenes, das vortrefflichſte Wort, Lichtquell, Grund der Thätigkeit; Ormuzd ſelbſt iſt identiſch mit dieſem Wort; ſein weſentlicher Name iſt „vortreffliches Wort“?); und darum heißt er Grund und Mittelpunkt aller Weſen, Allkraft, reiner Grundkeim, abgemeſſene Weisheit, Wiſſenſchaft und Geber der Wiſſenſchaft (es iſt hier eine ähnliche Identification des Subjectiven und Objectiven, die im Hera— klitiſchen Ev ro go i hervortritt), Der, der alles ſiehet, Richter der Gerechtigkeit, König, und ausdrücklich „das Wort von Allem ꝛc.“ )

1) „Zoroaſter fragte Ormuzd und ſprach: O Ormuzd, in Herrlichkeit ver— ſchlungen, gerechter Richter der reinen Welt, die Du trägſt, welches iſt das große Wort, von Gott geſchaffen, das Wort des Lebens und der Schnelligkeit, das war, ehe Himmel war und Waſſer war und Erde war und Heerden und Bäume und Feuer, Ormuzd's Sohn (ö) war; ehe reine Menſchen und Dews ꝛc., ehe die ganze Welt war und alle Gaben und alle reingeſchaffenen Or— muzdskeime? Dies ſage mir deutlich.

Ormuzd antwortete: Der reine heilige ſchnellbewegliche Honover (Wort) ich rede Dir deutlich, o Sapetman Zoroaſter, war vor Himmel und Waſſer und Erde ꝛc. ꝛc.

Bete, o Sapetman Zoroaſter, meinen reinen Honover, wenn Sprache Dich verläßt und Du ohne Hoffnung biſt ꝛc. Führe, wenn Du reden kannſt und Tage der Geſundheit haft, Honover im Munde ꝛc. ꝛc. Lies wohl dies große Wort, das war vor Schöpfung des Himmels und der Erde und des Waſſers ꝛc. Dies Wort, das lebendig war, ehe reine Geſchöpfe und Amhaspandskörper geboren worden. Ich ſelbſt, in Herrlichkeit verſchlungen, habe dies Wort geſprochen mit Größe und alle reine Weſen, die ſind und geweſen ſind und ſein werden, ſind dadurch gemacht und in Ormuzds Welt gekommen. Noch jetzt ſpricht mein Mund dieſes Wort in aller ſeiner Weite fort und fort und Ueberfluß vervielfältigt ſich ꝛc. ꝛc.

2) Wie in der oben p. 340, 1. angeführten ganz heraklitiſirenden Stelle des Epictet. Enchirid. c. 31. T. III. p. 35. Schw. Gott, nachdem er eben als deor- zody 7a Gi geſchildert, mit dem Ausdruck 5 Apforn ? bezeichnet wird.

3) Vgl. p. 185. 186. „Mein Name iſt das Jetzt. Mein Name iſt das Alles und Halter des Alles“ ꝛc. Mein Name iſt: der alles weiß; der das Beſte weiß; Urheber von allem. Mein Name iſt das Wort von Allem“ ꝛc.

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(Kleuker, Jeſcht-Ormuzd LXXX. T. II. p. 183 sq.). Das Geſetz ſelbſt iſt durch dies Wort entſtanden. Ja, das Geſetz und Wort ſind ſelbſt identiſch; denn das Geſetz iſt nur der Körper, durch welchen das himmliſche Wort ſich geoffenbaret hat (Si ruzé, Mansrespand. T. II. p. 292 Kleuk.). Das Geſetz wird deshalb „Wort Ormuzd's“ und ebenſo das himmliſche Wort „Geſetz der Mazdeiesnans“ angeredet, und als dieſe Verkörperung des von Ormuzd geſprochenen Wortes heißt das Geſetz Zoroaſters darum Zendaveſta, lebendiges Wort (ſ. Kleuker ib. I. p. 36.).

Dieſe Anſchauung vom Worte als des Schöpfungs- und Ge— ſetzeswortes, als des weltbildneriſchen Princips und des zugleich fort— wirkenden, alles Daſein erzeugenden und beherrſchenden Geſetzes, fand Hera— klit in der perſiſchen Religion vor, und hat fie ftriete in den Ausdruck ros übertragen. Der ſpeculative Inhalt feines weltregierenden Geſetzes iſt ihm eigenthümlich, der Gedanke deſſelben, das Werden be— griffen als die proceſſirende Identität von Sein und Nichtſein, iſt ihm durchaus originell, aber das Ausſprechen dieſes ihm nach ſeinem ent— wickelten Inhalt unausſprechlichen Geſetzes als Wort, als Logos des Alls, iſt dem magiſchen Religionsſyſteme entlehnt, reſpective durch die Kenntniß deſſelben in ihm hervorgerufen. Wenn der Perſer Ormuzd, „abgemeſſene Weisheit, Wiſſenſchaft und Geber der Wiſſenſchaft“, wenn er ihn „das Wort von Allem“ naunte, ſo iſt das dieſelbe Bezeichnung, die Heraklit auf ſein abſolutes, weltbildendes und welterhaltendes Geſetz überträgt, wenn er es das „Eine Weiſe“, den allein „die Welt regierenden Ausſpruch“ (Yvauyv, Ire o xußspvnos: navra did zoyroy |. oben § 15.) und das das All durchwaltende, ſich durch Alles hindurchziehende Wort nennt. Könnte noch ein Zweifel darüber ſein, daß ſein Logos als Geſetz des Alls nicht von Sammeln, ſondern von der Bedeutung Wort abzuleiten iſt und ſomit jenen perſiſchen Urſprung hat, ſo wird ſich dieſer Zweifel vielleicht ſchon durch das eben berührte Fragment beim Diogenes hier beſeitigen, da für die weltleitende yvopm in demſelben keine der Ableitung des Logos von Sammeln ent— ſprechende Bedeutung, wohl aber die dem Logos als Wort ganz ver— wandte von Ausſpruch, Sentenz zu Gebote ſteht, welche wir ſchon oben bei der Ueberſetzung des Bruchſtücks gewählt und begründet haben.

Vorzugsweiſe aber wird dieſe Verbalbedeutung des Logos bei Heraklit beſtätigt durch die hohe Stellung, welche der „Name“ in ſeiner Philoſophie einnimmt, worüber wir auf die ſpätere ausführliche Erörterung 35.) verweiſen müſſen. Hier genüge es, wieder an jenes Fragment

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zu erinnern, in welchem das Eine Weiſe oder das Abſolute „der Name des Zeus“ genannt wird, der „allein ausgeſprochen werden nicht will und will.“

Eine frappante Parallele aber bietet hierzu wiederum die Zend-Aveſta. Das himmliſche Wort, welches Alles geſchaffen hat und fort und fort ſchafft, iſt ſelbſt zugleich Name. Es iſt Ormuzd's Name. Zoroaſter frägt Ormuzd !): „O Herrlichkeitverſchlungener Ormuzd, gerechter Richter der reinen Welt, welches iſt das Wort der Vortrefflichkeit und Erhabenheit? Das triumphirende Wort? Lichtquell? Grund der Thätig— keit? ꝛc. ꝛc. und er erhält von Ormuzd zur Antwort:

„Mein Name, o Sapetman Zoroaſter, Name der Unſterblichkeit, Name der Vortrefflichkeit. Das Wort der Herrlichkeit und Erhabenheit! Wort des Sieges! Quell des Lichtes! Grundkraft der Thätig— keit“ ꝛc. c. Und Zoroaſter ſpricht: „Lehre mich dieſen Namen in ſeiner vollen Weite, o reiner Ormuzd, dieſen über alles großen, himmliſchſten, reinſten Namen, Grundkraft der Thätigkeit, der ſchlägt und triumphirt (wie etwa Heraklit reprriverar jagt, ſ. p. 310), Geſundheit giebt“ ꝛc. Und nun ſehe man die unendliche liturgiſche Reihe von De— finitionen, in welchen Ormuzd ſeinen Namen aufrollt und von welchen wir nur einige anführen wollen:

„Mein Name iſt: Liebe gefragt zu werden.

Mein Name iſt Verſammlung, Grund und Mittelpunkt aller Weſen.

Mein Name iſt allvermögende Kraft.

Mein Name iſt reiner Grundkeim aller guten Ormuzzdgeſchöpfe.

Mein Name iſt Verſtand, höchſte Weisheit, Wiſſenſchaft, Geber der Wiſſenſchaft.

Mein Name iſt: Der nie müde wird; der Alles ſiehet.

Mein Name iſt Quell der Geſundheit, Richter der Gerechtigkeit.

Mein Name iſt Geſundheit; giebt ſie im höchſten Sinne.

Mein Name iſt König.

Mein Name iſt Großer.

Mein Name iſt Glanz, höchſter Glanz.

Mein Name iſt Vielſchützer, Beſtſchützer.

Mein Name iſt Weitſeher, Weitſchauendſter.

Mein Name iſt der Weg zeigt und Menſchen bekleidet.

Mein Name iſt Richter der Gerechtigkeit; Beſchützer; Ernährer.

1) Jescht-Ormuzd LXXX. T. II. p. 183. Kleuk.

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Mein Name iſt: Der Alles weiß, der das Beſte weiß; Urheber von Allem.

Mein Name iſt das Wort von Allem.

Mein Name iſt König des Ueberfluſſes.

Mein Name iſt: Der nicht trügt.

Mein Name iſt: Der nicht betrogen werden kann.

Mein Name iſt: Das Alles und Halter des Alles.

Mein Name iſt: Reiner Wille des Guten“ ꝛc. ꝛc.

Im Parſismus wie bei Herakleitos iſt alſo das Abſolute weſentlich Name.

Im Parſismus iſt das abſolute „Wort“, ſchlechthin identiſch mit dem „Namen“ (des Göttlichen). Und auf das genaueſte ebenſo iſt bei Heraklit in jenem Bruchſtück vom Einen Weiſen ſein abſoluter Aoyos, Wort, unmittelbar identiſch mit dem Namen des Zeus“). Und wenn es mit einer myſtiſcheren Richtung in anderen Religionen eng zuſammen— hängt, den Namen Gottes als einen nicht nur unausſprechbaren, ſondern auch als einen ſolchen, der nicht ausgeſprochen werden ſoll, als ein aröbpryrov aufzufaſſen, jo iſt es ein im innerſten Geiſte der zoroaſtriſchen Gottesanſchauung, deren weſentlichſter Grundzug gerade die Idee der Thätigkeit, der Offenbarungs- und Selbſtverwirklichungs— trieb des Abſoluten iſt, ebenſo tief begründeter Zug, daß hier dieſer Name Gottes, das abſolute Wort, unaufhörlich ausgeſprochen werden will und fol. Es iſt ein Hauptdogma des zoroaſtriſchen Religions— gebäudes, daß nur durch das continuirliche Ausſprechen dieſes Namens, des Wortes „Honover“, welches von Ormuzd und ſeinen Geiſtern ununter— brochen durch die ganze Natur hindurch geſprochen wird, die Schöpfung erhalten und das Böſe vernichtet wird; und dieſes unaufhörliche Aus— ſprechen des göttlichen Namens iſt ebenſo für die Menſchen Pflicht. „In der Welt, die durch meine Macht gehalten wird, jagt Ormuzd, predige dieſe Namen, o Sapetman Zoroaſter, lies fie, ſprich fie Tag wie Nacht; ſei geſtanden und ſetze Dich, oder erhebe Dich vom Sitzen; umgürte Dich mit dem Koſti oder entlöſe ihn; wandle aus einem Ort, aus einer Stadt, einer Provinz, oder komme in ein Land, allezeit predige meine Namen.“ „Willſt Du, Zoroaſter, kränken und ſchmettern, Dewsmenſchen und Magiker und Peris, Dews, die ohnmächtig, taub und blind machen, zweifüßige Schlangen ꝛc., ſo ſprich meinen Namen in

) Vgl. jetzt p. 341 sqq. So erledigt ſich alſo auch hier die von Bernays gefühlte Schwierigkeit, vgl. p. 27 sg. und $ 35.

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feiner vollen Weite Tage wie Nächte“ ꝛc. Und gerade fo wie dies ununterbrochene Ausſprechen des Namens Gottes in der Zendaveſta ein Hauptdogma in kosmiſcher wie ethiſcher Hinſicht und abſolute Be— dingung alles Beſtehens und aller Erkenntniß iſt, ganz ſo wird von Hera— klit in jenem Fragmente das Eine Weiſe, der „Name des Zeus“, das Wort genannt, welches einerſeits „allein ausgeſprochen werden will“. Und wenn er, beides in Einen Satz verbindend, im directen Gegenſatz hinzu— fügt, daß es auch dasjenige ſei, welches allein nicht ausgeſprochen werden will, ſo zeigt ſich hieran nur an einem Beiſpiele mehr, wie Heraklit die ihm (Cap. II.) zugewieſene Stellung zu den verſchiedenen Religionen des Orients einnimmt, die Anſchauungen und Dogmen derſelben als Material ſeines ſpeculativen Denkens und Darſtellens frei auszubeuten ).

1) In der Individualität Heraklits prägt ſich auf das markigſte in Bezug auf die religiöſen Speculationen des Orients jene welthiſtoriſche Stellung aus, welche ein ebenſo geiſtvoller als umfaſſender moderner Forſcher, indem er ſich gegen die Kritiker ausſpricht, welche noch immer den griechiſchen Geiſt für einen „in barbariſcher Wildniß aufgewachſenen Autodidakten“ halten möchten, dem griechiſchen Genius im Allgemeinen in ſeinem Verhältniß zu den Völkern des Orients mit Recht zuweiſt. Dieſe Stellung läßt ſich nicht trefflicher charakteriſiren als mit dem ſchönen Ver— gleiche jenes Gelehrten, „daß die Griechen in dieſer wichtigen Periode (— es iſt die Rede von der Periode des Thales, des Pythagoras, ꝛc.) die Gelehrſamkeit der Barbaren aller Orten wie reifes Korn in ihre Scheuern ſammelten zu neuer Aus— ſaat auf ihrem eigenen triebkräftigen Boden“ (Lepſius, die Chronologie der Aegyter T. I. p. 55.). Wie total verſchieden bei Herakleitos die Frucht von jener Ausſaat, wie durchaus originell und ſelbſtändig der von ihm producirte Gedanke war, wie ſeine Kenntniß der religiöſen Anſchauungen des Orients nur als geiſtiges Bildungsferment überhaupt auf ihn einwirkte und keine jener religidjen Vor— ſtellung und Lehren als ſolche wie ſie in jenen Religionen vorhanden war ſich bei ihm wiederfindet, iſt wiederholt näher nachgewieſen worden. Nicht ganz ebenſo verhält es ſich mit Pythagoras. Von dieſem iſt ſeit lange ſein recep— tives Verhältniß zum Orient anerkannt. Allein wenn dem Pythagoras auch durch— aus nicht eigenes Denken abgeſprochen werden ſoll, ſo läßt ſich doch nicht läugnen, daß er ſich von Herakleitos gerade dadurch unterſcheidet, daß er die ihm vom Oriente überlieferten religiöſen Vorſtellungen (3. B. Unſterblichkeit, Seelenwanderung ꝛc. ꝛc.) als ſolche acceptirte und beibehielt, wie er fie vorfand, fie untereinander verbindend und combinirend, während der Epheſier ſie vielmehr in ihren inneren ſpeculativen Gedankengehalt auflöſte und aufhob und ſie nur als Material der Darſtellung und Verkörperung ſeines eigenen treibenden ſpeculativen Begriffes ge— brauchte. Wer die Natur des Gedankens und die Geſchichte der Philoſophie und Religionsphiloſophie der Völker kennt, wird weder über das Stattfinden dieſes Unterſchiedes, noch über ſeine tiefe Bedeutſamkeit in Zweifel ſein können. Bei dieſer Scheidelinie aber, welche, nach der vorgetragenen Anſicht, Herakleitos von Py—

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Die Anſchauung des Abſoluten als Wort und als Name, und es bedarf hier keiner weiteren Ausführung, wie identiſch dies beides iſt, iſt alſo für Heraklit wie für den Parſismus weſentlich und bei beiden übereinſtimmend.

Dieſe Wortbedeutung des heraklitiſchen Logos iſt ſomit nur die Beſtätigung für den von uns ſchon oben (p. 325, 3. vgl. p. 122, 1.) geführten und ſeitdem durch alles Folgende wohl zur Gewißheit erhobenen

thagoras und in ihnen nicht nur zwei Männer, ſondern zwei hiſtoriſche Standpunkte des philoſophirenden Geiſtes überhaupt trennt, muß es von hohem Intereſſe ſein, zu hören, wie ſich Herakleitos ſelbſt über Pytha— goras äußert, und dabei zu finden, daß feine Kritik dieſen in der That nach den beiden eben angedeuteten Seiten ſeiner Stellung erſcheinen läßt. Denn in einem Bruchſtücke, welches wir an feinem Orte ($ 31.) näher betrachten werden, geſteht einerſeits Herakleitos dem Pythagoras rühmend zu, daß „Pytha— goras, des Mneſarchos Sohn, Forſchung (koropiyy) getrieben hat am meiſten von allen Menſchen“. Worte, in denen, da Zaropin hier ſchwerlich in einem andern Sinne zu nehmen iſt, als eingezogene Kunde und die in dem Einziehen ſolcher Kunde beſtehende Forſchung, Heraklit wohl kaum etwas anderes meint denn bei den Griechen gab es damals ſchwerlich ſolche Kunde einzuziehen als die von Pythagoras aus dem Oriente geholten Kunden und Ueber— lieferungen aller Art. Es dürfte vielleicht nicht ohne Intereſſe ſein, zu bemerken, daß wir hier alſo Herakleitos dem Pythagoras ein Lob ſpenden ſehen, welches genau demjenigen entſpricht, das wir Herodot den Aegyptern ertheilen hören, r e <lar parpo r S Es Ötdrerpav Irıröpmy, Worte, welche nach Vorangang von Bunſens treffender Bemerkung (Aegypten I. p. 25.) Lepſius (Chronologie I. p. 40.) ſchön überſetzt, es ſeien die Aegypter „die bei weitem unterrichtetſten Menſchen von allen die er kennen gelernt, indem ſie unter allen Menſchen am meiſten für die Er— innerung aufbewahren“, und dahin interpretirt, es bezögen ſich jene Worte nicht allein auf geſchichtliche Ereigniſſe, ſondern auf alle au fbewahrungs— würdige Erfahrungen, und Herodot meine, ſie ſeien das literateſte Volk. Wie hier Herodot von den Aegyptern jagt, daß fie die am meiſten von allen 27 un» Eraoxeovres ſeien, jo jagt Heraklit von Pythagoras (— auch die Art, wie ihn Heraklit mit Hekatäus und Heſiod, mit einem Dichter und einem Geſchichtſchreiber zuſammenſtellt, deutet darauf hin), daß er am meiſten von allen loroptgv iannos, d. h. Kunde einzog von allen ſolchen Erfahrungen aller Art, wie ſie nach Herodot die Aegypter am meiſten für die Erinnerung bewahrten. Aber Herallit fügt auch hinzu „und er machte ſeine Weisheit zu einer Vielwiſſerei und ſchlechten Kunſt“. Was Heraklit dem Pythagoras in dieſen Worten vorwirft, iſt, wenn wir nicht irren, nichts Anderes, als Eklekticismus, iſt eben nur das, daß er die verſchiedeuen allüberallher aus dem Orient geſchöpften religiöſen Tra— ditionen und Vorſtellungen, ſtatt ſie in ihren Begriff aufzulöſen, als ſolche beſtehen läßt und zu einem philoſophiſchen Lehrgebäude verbindet; vgl. 8 31.

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Nachweis, daß bereits bei Heraklit, und zwar bei ihm zuerſt, der Logos als Typus der Exiſtenz, als die vorbildliche Idee der Welt er— ſcheint. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß bei Herakleitos, der ja auch ausdrücklich den Logos als Demiurg (j. bei Stobäus oben p. 325. 329.) hinſtellt, die Quelle des platoniſchen Logosbegriffes zu ſuchen iſt, der ſich bekanntlich von Plato zu Philo!) und endlich zu Johannes fort— gepflanzt hat.

Es muß übrigens bemerkt werden, daß ſchon Hugo Grotius dieſe Wortbedeutung des heraklitiſchen Logos gefühlt haben muß, wenn er jagt (Prolegom. in Stob. p. LV. ed Gaisf.): „Certe zsp! roD Adyov Heraklitus quaedam seripserat cum Christianorum sensu con- gruentia, ut ex hoc Amelii Platoniei loco apparet za! obros 200 jv 6 Aöyos xa® Y de! Övra Yıvöpeva ws üv t , Hpa- xherros dEeiwoesıe x). (fiehe oben). Man vgl. denſelben Grotius de veritate relig. Christ. I. S XVI. nota 2., wo er zu dieſer Stelle die Worte Tertullians (Apolog. c. 21, p. 19) anzieht: apud vestros quo- que sapientes Aöyoy, id est sermonem atque rationem con- stat artificem videri universitatis. Hunc enim Zeno determinat facti— tatorem qui cuncta in dispositione formaverit; eundem et fatum vo- cari et deum et animum Jovis et necessitatem omnium rerum etc.

Ganz wie Tertullian, ſpricht ſich Lactantius (Inst. div. IV, 9. p. 291) ed. Dufresne darüber aus: melius Graeci Aöyov dieunt quam nos ver- bum, sive sermonem; Aöyos enim et sermonem significat et rationem, quia ille est et vox et sapientia Dei. Hune sermonem divinum ne philosophi quidem ignoraverunt. Siquidem Zeno rerum naturae dispositorem atque opificem universitatis % praedicat quem et fatum et necessitatem rerum et deum et animum Jovis nuncupat etc.

Villoiſon in feiner gelehrten Abhandlung über die phyſiſche Theologie der Stoiker (in der Ausgabe des Cornutus von Fr. Oſann, p. 439 sqq.) hält gleichfalls, wenn auch, ohne näher auf den Gedankeninhalt dieſer Anſchauung des Epheſiers einzugehen?), an der Bedeutung „Verbum“ des demiurgiſchen herakleitiſchen Logos feſt, auf den er mit Recht den Logos der Stoiker in allen feinen Formen als Aöyos, Aöyos xormös,

1) Wenn Philo den Logos rerinpwros rayra dıa rayroy nennt, jo iſt dies noch wörtlich dieſelbe Bezeichnung, welche uns ſo oft bei Heraklit begegnet (mit SοEẽ , qeν,⏑0 oder dıerwy ꝛc. verbunden).

2) In letzter Analyſe wird ſich übrigens auch uns dieſelbe erſt in § 35. ergeben.

24*

SD

Adyos orspporzös zurückführt!). Außer den angeführten Stellen führt Villoiſon noch die Worte des Justinus Martyr. (Apolog. I, 46. p. 330. ed. Colon.) an: rov Apraroy rov nowröroxoy od H ο zivar Sdο hey ra moospmyboansv Aöyov Ovra, ob nüy Yevos dvdoomwy Here za: Of nerü Aoyou Puwouyres, Aptoriavof zlar, xy ddeor Evontody- o, olov Ev H iv Iwrparys zart Hoaxierros ru o GHH odrors und meint, daß Juſtinus dieſe ausgezeichnete Ehre dem Herakleitos wegen des Logosbegriffes deſſelben widerfahren laſſe. Es können jedoch die Worte des Juſtinus, wie zumal der Schluß derſelben ( Y Oporoe) zu zeigen ſcheint, auch in einem beſchränkteren blos ethiſchen Sinne ge— nommen werden 9.

Iſt es nun auch im Allgemeinen in der Wiſſenſchaft eine lange an— erkannte Thatſache, aus welchen Quellen Johannes ſeinen Logosbegriff geſchöpft hat, ſo möge es doch erlaubt ſein, dieſe Unterſuchung mit der Bemerkung zu ſchließen, daß wenn die obigen Anſchauungen der Zend— lehre vom „Worte“ feſtſtehen und wenn ferner feſtſteht, daß Epheſus ſeit je ein alter und vorzugsweiſer Sitz perſiſcher Magierlehre geweſen iſt (ſ. Creuzer Symbol. II. p. 597; Lobeck Aglaoph. p. 1330 sqq.), und wenn nun dazu eine alte Tradition (bei Irenäus, Adv. haer. 3, 1.) behauptet, daß das Evangelium Johannis in Epheſus geſchrieben worden ſei, durch die Zuſammenreihung aller dieſer Punkte ein ſpecielles und beſonders helles Licht auf das vierte Evangelium und ſeinen berühmten Eingang fällt: Im Anfang war das Wort!?)

Dies ſind die hauptſächlichſten Spuren des Einfluſſes, welchen die

1) Das Verdienſt dieſer Abhandlung um Heraklit beſteht gerade darin, daß Villoiſon bei manchen Einzelheiten der ſtoiſchen theologiſchen Phyſik nachweiſt, wie die Stoiker, um mich Villoiſons Ausdruck (p. 459.) zu bedienen „zara roda“ Herakleitos gefolgt find.

2) Nämlich als auf die ethiſche Lebensrichtung Heraklits gehend, wie es bei Epictet heißt, Enchirid. c. 15. T. III. p. 17. ed. Schw.: 4% de xat rapare- devrav co um Aafns, d za breplöns, TOTE o πνο« ovunrorns Toy Hewy Fan, Alla rat ovvdpywv' odTw i rowv Aroyeuns xat “Hodxisırog zxal O. Önoror dElws Yelol re Zoay zat Eieyoyro, wozu Simplic. Comm. in Ench. T. IV. p. 199. ed. Schweigh. erklärt: Yer ap ot zara To Axpoy zal - pnuevov TO Ev adrois e . üxporaroy Weös.

3) An das bekannte Geſtändniß des heiligen Auguſtinus (confess. VII. c. 13 sqq.), daß er gerade durch die Schriften der Platoniker von der johanneiſchen Lehre vom Logos überzeugt worden ſei und Plato ſelbſt hat Begriff wie Aus— druck erſt von Heraklit entlehnt braucht hier nur erinnert zu werden.

1

magiſche Religionslehre und ihre Kenntniß auf die Darſtellungsweiſe Heraklits und auf ſeine Anſchauungen im Einzelnen ausgeübt hat, und deren Grenzen wir oben hinreichend ſorgfältig gezogen zu haben glauben.

Weitere derartige Zuſammenhänge nachzuweiſen, müſſen wir Solchen überlaſſen, welche gründlichere Kenner der perſiſchen Religionsurkunden und fie in der Sprache der Originalien zu leſen befähigt find ).

) Wie ſehr ſich die oben dargelegte Anſicht von der von Gladiſch (Religion und Philoſophie, Breslau 1852) und ebenſo in Bezug auf die heraklitiſche Be— nutzung des gegyptiſchen Stoffes von der von Roeth (Geſch. der abendl. Philoſophie) unterſcheidet, bedarf keiner weiteren Ausführung.

§ 17. Unterſchied der 4% und Einapnevn.

Wir kehren von dieſem Excurſe zu der 477 zurück, die uns in dem letzten Fragment beſchäftigte und von der wir beſtrebt waren, nachzuweiſen, daß ſie dem Heraklit nichts Anderes iſt, als ſeiende Negativität, alſo daſ— ſelbe was Krieg, Harmonie ꝛc., d. h. eine Form ſeines abſoluten Princips, aber nach der negativen Beziehung deſſelben auf das Einzelne aufgefaßt. Ganz deutlich tritt dies in dem bereits p. 115 sg. aus Origenes angeführten und erörterten Fragment hervor: „ARdEvar zn Tov mölszmov Zövra. Evvov xar ui, dorv za} yıvoneva nayra zar' Low E‘ zpsopeva“. „Man muß wiſſen, daß der Krieg das Gemeinſame und die Dike (d. h. das der Exiſtenz zukommende Recht) der Streit iſt, und daß Alles entſteht nach dem Geſetz des Streites und nach ihm ſich verwendet“. Denn ob man nun der von uns nach der Schleiermacher'ſchen Vermuthung an— genommenen Textesverbeſſerung beitritt, oder ob man fie, wie Schleierm. fürchtet (p. 419) zu kühn findet, immer geht das aus dem Bruchſtück un— zweifelhaft hervor, daß die Dike mit dem Krieg und Streit identiſch iſt, d. h. daß wie der Krieg das kosmogoniſche Princip, der Vater aller Dinge iſt, deshalb auch das Recht aller Exiſtenz kein anderes ſei, als eben dieſelbe, die reale Aufhebung und Vernichtung alles Einzelnen nach ſich ziehende, Identität des Gegenſatzes von Sein und Nicht, der es auch ſein Daſein verdankt. Und ſchon bei der erſten Erörterung des Fragments iſt, worauf wir rückverweiſen müſſen, ausführlich gezeigt worden, daß das von Schleierm. unverſtändlich gefundene yosopeva nichts Anderes iſt, als eine ſehr deutliche und echte Beſchreibung deſſen, daß die Dinge nur nach dem— ſelben Geſetze, durch das ſie entſtanden und das alſo ihr an ſich ſeien— des Recht bildet, auch in ihrer Wirklichkeit verwaltet und aufgehoben werden; daß alſo das dem Einzelnen wirklich zukommende Recht, die Dike, kein anderes ſein kann, als die Aufhebung durch denſelben Streit, durch den es auch geworden iſt. „Denn Alles, was entſteht, iſt werth, daß es

U a Su ee

8

= zu Grunde geht“. Das zpeopeva (aur she], d. h. die ihre Aufhebung herbeiführende Verwaltung der Dinge nach dem Geſetze des Streits iſt alſo die eigentliche Seite und Thätigkeit der Dike.

So erſchien ſie ſchon in dem Fragment von der Sonne.

So erſcheint ſie noch deutlicher in einem erſt ſpäter vollſtändig an— zuführenden und näher zu erörternden Fragment (bei Clemens Strom. V. c. 1.), „und die Dike wird ergreifen die Lügen-Verfertiger und Zeugen“, ein Fragment, welches die Bedeutung der Dike um ſo klarer nachweiſt, als wir ſehen werden, daß dieſe „Lügen-Zeugen und Verfertiger“ nicht Subjecte, ſondern die trügeriſch ein feſtes Beſtehen vorſpiegelnden Sinne ſind.

Bedeutungsvoll tritt endlich noch einmal der „Name der Dike“ auf. Clemens hatte von der Strafe geſprochen und fährt fort (Strom. IV. c. 3. P. 205. Sylb. p. 586. Pott. ): zaAos oDy Il pin eτνν. „Aexys ovopd, ynow, obx av Hosoav, ei Tara u, i, „und ſchön jagt Heraklit „„nicht einmal den Namen der Dike würden fie kennen, wenn dies nicht wäre“ “. Es iſt allerdings wahr, daß es ein merkwürdiger Zu— fall ſein müßte, wenn Clemens die Worte Se radra , , die er gerade brauchte, auch ſchon ſo bei Heraklit vorgefunden haben ſollte, weshalb wir ſie auch nicht beſtimmt als Heraklit zugehörig hervorgehoben haben. Allein wenn nur, woran nicht zu zweifeln, der Vorderſatz ganz wörtlich angeführt iſt, ſo kann in der That nicht viel Anderes gefolgt ſein. Und auch der Zuſammenhang des Sinnes kann wohl nur der geweſen ſein, daß wenn die Dike ſich nicht thatſächlich zeigte und äußerte in der wirklichen Negation und Aufhebung der Einzelheit, dieſe Negation des aufſichbeharren— den Einzelnen, welche ihm wie wir bei ſeinen ethiſchen Fragmenten noch näher ſehen werden das Grundpriucip des Gerechten ausmachte, den ſich ſelbſt und die Dinge für ein Beharrendes haltenden und an dieſem Be— harren feſthalten wollenden Menſchen nicht einmal dem Namen nach be— kannt ſein würde, jo daß der Meuſchen Lehrmeiſter in der Gerechtigkeit der ihnen dieſelbe zur Anſchauung bringende Untergang iſt.

Wenn ſo die Gerechtigkeit die negative Beziehung des heraklitiſchen Abſoluten auf das Cxiſtirende und Einzelne iſt, jo kann es doch bei Hera— klit keine blos negative Beſtimmung geben. Dies iſt der heraklitiſchen Philoſophie, wie wir oft geſehen haben, nach ihrem iunerſten Gedanken durchaus weſentlich und zeigt ſich auch an dem Begriff der Dike. Iſt die— ſer die Negation des Einzelnen, ſo iſt und dies liegt ſchon in dem Gedanken der Umwandlung, der nerapoAn überhaupt gerade mit dem Nichtſein des Einen und durch dies Nichtſein das Sein des Andern

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nothwendig gegeben. Gerade durch die Aufhebung des Einen kömmt die Exiſtenz des Andern zu Stande. Der Begriff der heraklitiſchen Dike ſchlägt daher ſofort in den Begriff der Nothwendigkeit um, welche das Nichtſein des Einen mit dem Sein des Andern verknüpft. Dieſe Verknüpfung gerade, welche das Poſitive, die Exiſtenz, als durch ihr Gegentheil, das Negative, nothwendig bedingt zu faſſen weiß, iſt der innerſte Begriff der heraklitiſchen Nothwendigkeit, der einapp.evy, die darum ein Band genannt werden kann, welches der tiefere Begriff des Cauſalnexus nicht zwei ſeiende Dinge, ſondern das Beſtehen des Einen mit dem Nichtſein des Andern zuſammenbindet. Daß dies in der That der Begriff der heraklitiſchen Nothwendigkeit, daß dieſe alſo nur die poſitive Seite der Dike iſt, zeigt zunächſt die hera— klitiſche Stelle des Plato (Theaetet. p. 160. b.) „% dvayzn di obarav ovvoe?“. „Die Nothwendigkeit bindet die Weſenheit des Seins zu— ſammen“. Ebenſo wird von ihm im Kratylos !) die A als ein Band, dsonös, definirt. Ja in den Worten daſelbſt: deanos c ÖTWODV, WETE Eve Örovodv, noTepos loyupörepös Eorıy, ννε erdunia, „welches Band iſt wohl das ſtärkere für jedes Lebende, damit es irgendwo bleibe, die Nothwendigkeit oder das Verlangen“, tritt auf das Deutlichſte dieſe Auffaſſung der avayzz als des poſitiven und das Einzelne erhaltenden Momentes hervor, und wie ſie eben nur als ſolche Beſtehen verleihende und erhaltende Macht ein Band genannt wird. Heraklit iſt alſo die Quelle jener den Stoikern ſo geläufigen Auf— faſſung, welche die einappevy, die rerum omnium necessitas, als Band und Verknüpfung, illigatio, ausſpricht. So nannten die Stoiker nach dem falſchen Plutarch, Placit. I, 28. die einappevn „eippov u robreorı rag zar enrohbvdso:y anapaßarov“. „Verknüpfung (Reihe) der Urſachen, d. h. Anordnung und unüberſchreitbare Verbindung“ und bei demſelben Berichterſtatter, ib. I. 27., angeordnete Verflechtung der Urſachen, ovurAoxnv altiov reraypevyv. So bezeichnet ſie Marc. Anton. X, 28. kurzweg als nv Evöeow , als „unjere Ver— knüpfung“ und zwar an einer Stelle, wo dies dem Sinne nach unſern Untergang bedeutet?), über den er tröſtet und von dem er nicht will, daß wir ihn wie ſchreiend zur Schlachtbank geſchleppte Schweine erleiden.

1) p. 403. C. p. 103. Stallb.

2) „oroeoy (nämlich wie ein ſolches ſchreiend abgeſchlachtetes Thier) x o Sον Ext Tod e] novos , nv Zvöearv τπα,, d. h. alſo, unſer Unter- gang iſt ja nur unſere Verknüpfung, durch die unſer Geſchlecht ꝛc. beſteht. Es

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So ſetzt derſelbe Autor X. 5 Emerlorn alriav für die inapnevn, indem er denſelben Troſt giebt, daß wir auch bei theilweiſer Negation, bei Unglücksfällen, eingedenk ſein ſollen, wie dies Negative auch poſitiv iſt, wie wir nur aus derſelben uns jetzt negativen Verknüpfung der Dinge auch unſere Exiſtenz überhaupt empfangen haben: „Was Dir auch zuſtoße, es war Dir von Ewigkeit her ja beſtimmt und dieſelbe Verflechtung der Urſachen ſpann von Ewigkeit her zuſammen ſowohl Dein Beſtehen über— haupt, als auch das Zuſtoßen dieſes Ereigniſſes“. Dieſelben Stoiker er— klärten aber auch, was beſonders bezeichnend iſt und nicht wenig beſtätigend für die Bedeutung, die wir der eiuappevr bei Heraklit angewieſen haben, Zeus ſelbſt als die eiuappevy (ſ. Eustath. p. 695. ad II. VIII. 18 sq.). Ebenſo wie in den bereits bezogenen Stellen und noch deutlicher vielleicht tritt jene Verknüpfung des Poſitiven und Negativen, die nach uns den Gedanken jenes „Bandes“ bildet, in der Erklärung hervor, die Cicero giebt, divinat. I, 55: „Fatum autem id appello quod Graeeci eipap- pevyy, id est ordinem seriemque causarum. cum causa causae nexa rem ex se gignit“. In series, im Begriff der Reihe, liegt bereits und zunächſt die Aufhebung und das Aufgehobenſein des Einzelnen. Dieſen zunächſt negativen Sinn der Reihe hebt Seneca hervor in den Beiworten, die er ihr ertheilt, Epist. 77: Series invieta et nulla mutabilis ope illigat et trahit. Aber dieſe negative Macht iſt es, die jelbft vielmehr productiv, hervorbringend und das Einzelne ſchaffend iſt, „rem ex se gignit“, wie es deshalb bei Cicero weiter heißt, und dieſe nothwendige Verknüpfung von Entſtehen und Vergehen, von dem negativen und poſitiven Weſen der Reihe iſt eben der Nexus, den Cicero deshalb auch die Berührung oder die Ge— meinſchaft der Dinge, ipsa rerum contagio nennt, de fato e. 4, p. 570 ed. Moser. (Noch andere Stellen ſiehe bei Gataker ad M. Ant. 1. 1. und Creuzer Dionysus, Heidelberg 1809, p. 72 74, wo auch auf die heraklitiſirende Stelle des Plato Sympos. p. 74. W. „w@sre r zäv adro ahr Zvuvosdcoha: hingewieſen und Creuzer zu Cicero de nat. Deor. liegt in der S Jen die fataliſtiſche Nothwendigkeit des Untergangs, aber zugleich die poſitive, Anderem Daſeingebende, Seite darin, durch die wir ſelbſt unſere Eixiſtenz empfingen, die Hinweiſung auf dieſe Wechſelwirkung, und das ſich ge— genſeitige Bedingen des Entſtehens und Vergehens, weshalb anſtatt der negativen Beſtimmung „Untergang“ oder der allgemeineren und formellen Beſtimmung „Noth— wendigkeit“ Sees gejagt und jo der poſitive Inhalt der Notbwendigfeit her— vorgehoben wird. Die Ueberſetzung von Caſaubonus miserius mortalis vita hujus verfehlt daher den Gedanken, und die an ſich richtige von Gataker fato nos illigari drückt ihn nicht beſtimmt genug aus.

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I. 20. p. 92.). Was wir durch dieſe Stellen zu beſtätigen geſucht haben, iſt, daß dem Heraklit die Nothwendigkeit, wie ſchon aus den erſtangeführten Worten des Theaetet ſich ergiebt, das die Weſenheit des Seins Zu— ſammenbindende, daß fie ihm ein Band, 98s, iſt, daß die Be— deutung dieſes Bandes die Verknüpfung des Negativen mit dem Sein ift N), daß die heraklitiſche Nothwendigkeit ſomit nur daſſelbe was auch ſeine 4%, nur in poſitiver Wendung iſt, nämlich die Seite des Ab— ſoluten, welche durch die Vermittlung des Negativen ſelbſt dem Ein— zelnen Daſein und Beſtehen verleihet.

Es iſt nun gewiß von nicht geringem Intereſſe, zu ſehen, wie es die genau dieſen Begriffsmomenten entſprechende, dem gewöhnlichen Bewußtſein fremde, Vorſtellung iſt, welche wir noch in den heutigen orphiſchen Hymnen mit deopds verbunden finden. Im XIII. orphiſchen Hymnus auf Kronos (p. 274. ed. Herrm.) heißt es von dieſem Gotte:

„us danavas he Anavra t u e q- alrüs deomods dbpnxrous s Seis nue drelpova. 2001.09“. „Der Du alles verzehrſt und alles auch wieder vermehreſt Der unzerbrechliche Bande Du ſchlingſt ums unendliche Weltall. (òUnweberſetzung von Dietſch.)

Dieſe gedoppelte und gegenſätzliche Beziehung des Kronos zur Welt, dieſe Verknüpfung ſeines negativen Weſeus mit ſeinem poſitiven, der Vernichtung ſelbſt mit der Geburt, als deren Einheit er geprieſen wird, werden alſo die „unzerbrechlichen Bande“ genannt, die Kronos um die Welt ſchlingt, der er gerade durch dieſes, an jedes Nichtſein ein neues Sein bindende, unzerreißliche Band Unendlichkeit und Beſtehen gewährt. Die „Bande“ ſind daher immer (auch wo die Verknüpfung mit dem Nega— tiven in den Hintergrund tritt), das, wodurch die Exiſtenz ihr Beſtehen hat?).

1) Plato jagt nicht: 7 A ra üvra ovvde, dies wäre die gewöhnliche Verſtandesvorſtellung von dem Cauſalnexus, in welche die Stoiker allerdings, ſelbſt wo die ſpeculative Natur der Begriffsmomente aus ihren Erklärungen hindurch— ſchimmert, nur zu oft verfielen, die Vorſtellung, nach welcher ein Einzelnes und Seiendes ein anderes zur Folge hat, ohne ſelbſt darin aufgehoben zu ſein. Plato ſagt vielmehr 7 het nv odalay ame; die Weſenheit des Seins, die Subſtanz, iſt aber ſelbſt ſchon im heraklitiſchen Sinne das allgemeine Werden, welches an ſich ſowohl die beſtändige Negation alles Seins, als auch die Fülle alles Inhalts iſt. Beide Seiten zuſammenſchließend, iſt es die Nothwendigkeit, welche Sein und Nichtſein ineinanderbindend das Daſein der einzelnen Be— ſtimmtheit durch das Nichtſein der andern zu Stande bringt und ſo dem Einzelnen reelles Beſtehen verleiht.

2) So z. B. in dem 87. Orph. Hymn. auf den Tod p. 352. ed. H. „%% d Eriins i ανενπνε rerparnusva deond“.

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Noch merkwürdiger aber, und nur in dieſem Zuſammenhange wahr— haft zu verſtehen, ift es, wenn Bakchos, von dem wir oben 10. 11.) gezeigt haben, worauf wir hier rückverweiſen müſſen, daß er dem Heraklit die Perſonification des Momentes des realen Daſeins war, im XLVII. Orph. Hymnus !) (p. 310 ed. II.), geradezu als „das Band aller Dinge“, Öeonös Aravrwv“ apoſtrophirt wird

„2ornoev zparspods Ppaopods rains dm Yvıza. nbogopos adyn Exlvyosv ydova naoav nonorjpos holkors- 6 0 avsöpape dzomös anavrmv“,

„Und abwendend geftillt der Erde gewaltigen Aufruhr

Als aufflammende Glut ringsum erſchüttert das Erdreich

Unter des Blitzſtrahls Wucht; ein Band erhub er ſich Allem“.

(nach Dietſch.)

Denn daß deospos Aravrov hier ſchlechterdings nur in kosmiſchem Sinne?) genommen werden muß, iſt von ſich ſelbſt klar und nach allem, was oben a. a. O. darüber geſagt worden iſt, wäre es überflüſſig, noch etwas hinzufügen zu wollen.

1) Wir haben ſchon oben p. 251 sq. von dieſem Hymnus darauf aufmerkſam gemacht, wie er Bakchos als Beendiger der kosmiſchen Feuer-Periode, reſp. wie es nach Plutarchs Bericht über die heraklitiſch-orphiſche Theologie auszudrücken wäre, als Umwandlung des reinen Apollo-Stadiums, des Moments oder Stadiums der negativen Einheit in das des realen unterſchiedenen Daſeins erſcheinen läßt.

2) Es iſt hiernach, zumal nach jenen deanods apprzrovs im 13. Hymnus, auch klar, daß der von Schelling (Gottheiten von Samothrace, Anm. 119., ef. ib. P. 40.) aus allgemeineren Gründen ausgeſprochene Tadel über die zu Orph. Argon. v. 468. 469. ed. Herrm.:

Se Sapodonan?

"Evda. rd üprıa gpirra Wewv, Üppnrra Aporgierw von Herrmann nach Brunk gemachte doppelte Aenderung von Appnzra in H und von J in d, (— beide Aenderungen hängen freilich eng zuſammen —) ganz berechtigt iſt; vgl. dazu das von A. Mai dem Eunapius vindieirte und ohne ſeinen Namen bei Suidas geleſene Fragment deſſelben (Eunap. ed. Bonn. p. 107): "ApBafäzıos louuhos I her sg "Apnevias ros rt Ae ovyrareuimp- pEvos radeav Öbsrep hparorsioıs deoanois dppnyrrors ͥ She ve & abrois Zpredov‘ tabra dE 77 Epwronavta zal nein t rieovefta (ef. Orph. Lap. v. 255.).

Ende des erften Bandes.

Druck von Duncker & Weidling in Berlin.

Druckfehler des erſten Bandes”).

Seite Zeile

8 8 10 14 17 23

60 62 64 65 90 102 106 106 143 157 166 183 254 260 300 304 330 331 336 339 341

.

6 2 18 16. 3 9 AL 9. 7 SEAN 16. v. u 18. v. o 1E 112 54 6. 15. v. u 16. 8 , 5 11. 10. 79 9. 4. % 5 33 4 ar 18 00 5 17. v. u 5. 0. 0 18. 55

ſtatt: Commentaren ſchlechtſinnigen p. 308 Bearbeitungen mit dem fortfährt; ein Gegenſatz eine bisher überſehene Stelle hierauf nicht aber Nichtſein des Wegs in Allem übereinſtimmen eine Philoſophie im Sein uns nur Eth. Nicodem. heraklitiſcher während ſie nur das Beiwort meint 122 bier Mateorologie rg rollods αονοæει) p herauszuheben quo .... quo Dio Chys. (se. AAtov), Ath. leg. pro Christ. p. 7 entwickelte als Weiſen Eigenſchaft

zu leſen: Commentatoren ſchlechthinnigen p. 358 Bearbeiter in dem fortfährt: im Gegenſatz eine Stelle hierauf, nicht aber Nichtſein, des Wegs in Allem ift,übereinftimmen ſeine Philoſophie im Sinn uns nun Eth. Nicomach. heraklitiſchen während es das Beiwort nur

meinte

712

hin

Meteorologie

tobs ToAlods avvovarWy hinauszuheben

qui .. ugmı

Dio Chrys. ohne Komma p. 28 entwickelt

als des Weiſen Eigenſchaft,

Dieſelben wolle man vor dem Leſen berichtigen. Verbeſſerungen, die ſich dem Leſer von ſelbſt ergeben, wie ausgelaſſene oder verſetzte Aecente ꝛc., find hier übergangen.

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