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G. Grote’fhe Verlagsbuchhandlung in Berlin
Guftav Falke, Der Spanier. Eine Novelle: " Buchaus- ftattung von Carl Weydemeyer. 12°.
Mit ungemein zarten Federzügen ift uns da aus dem Leben dreier Kinder ein Seelendrama entboten worden, wie es im grauen Alltag wohl oft vorfommen mag, von und Gereiften aber viel zu wenig ernitlich beachtet wird. Und doch liegt darin ein ungeahnter Wert, die Seele des Kindes auch aus Schriften unjerer bedeutendſten Autoren fennen zu lernen, weil wir es noch bei rechter Zeit erfannt, viel leichter vermögen, das Kind auf glüclichen, Hoffnungsreichen Wegen ins braujende Leben zu führen.
Guſtav falle, Das Leben Iebt. Letzte Gedichte 8%
Das unter dem bedeutjam jymboliichen Titel „Das Leben lebt“ die lyriſchen Abſchiedsgrüße Falkes, jeine in den legten Zeiten ent- ftandenen Dichtungen vereinigende Bändchen führt und noch einmal den ganzen vollen Reichtum jeiner Dichterjeele, ihre jtill vornehme Eigenart, ihre künſtleriſch abgeflärte Reife der Formgebung recht eindringlich vor Augen. Neben einigen Meifterjtüden jeiner innigen, von perjönlichitem Empfinden gejättigten Naturftimmungspoefie, fin- den ſich ſchalkhaft und behaglich plaudernde und erzählende Iyrijch- epische Gaben, in welchen der Dichter befanntlich nicht weniger voll- fommen den fernhaften Gehalt feines liebenswürdig-anmutigen Weſens enthüllt und gejtaltet. Die ſchönſten Weijen enthalten wohl die beiden Gruppen „Herz und Welt” und „Heimat und Geele”; in ihren Beiträgen zum Vermächtnis des Lyrikers Falfe tritt er uns entichieden am echtejten und freieiten entgegen Wem würden jo wunderherrlich jchlichte Klänge wie das Lied „Weihnacht“ oder Die lyriſche Faſſung eines alten Lieblingsmotived des Dichters in dem Gedichte „Kübel3 Türme“ nicht mit unmiderjtehlichem Zauber ans Herz rühren? Und manch ein Bekenntnis, tiefft empfunden und ungejcheut befannt, wie e3 der Scheidende, jein Lebenswerk be- ichließende wohl ausiprechen darf, begegnet uns da, leiſe bebend aus einer danferfüllten Bruft gejchöpft, Halb jchon vom Friedensglanze der Senjeitigfeit verflärt, wie beijpielsweije die prachtvolle, zufunft- freudige Huldigung „Gruß der Jugend auf den Gafjen“ oder das er- greifende „Dichter8 Danfgebet” und „Ein Oſtergeſang an Deutjchland”.
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Die Stadt mit den goldenen Türmen
Die Gefchichte meines. Lebens
von
Guſtav Falke
Secysundzwanzigftes Taufend
G. Grote’fhbe PVerlagsbuhhandlung Berlin 1923
MICROFORMED BY PRESERVATION SERVICES
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Alle Rechte, insbefon- dere das der Überfegung in andere Sprachen, vor: behalten. Gopyright by ©. Grote'ſche Verlags: buchhandlung in Berlin 1912, Druck von Fifcher & Wittig in Leipzig.
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+ Sn Lübe bin ich geboren, im Schatten von Sanft Marien. Es war in meinem achten Sahre, als fich meiner findlichen Seele die Baterftadt in einem un— auslöfchlichen Bilde einprägte, und immer leuchtender wurden mit der Zeit feine Farben, fo daß e8 über ein
bloßes Abbild meiner irdifchen Geburtsftätte weit hinauswuchs und zum Symbol einer himmlifchen Heimat erblühte, der mein Sehnen und Suchen galt.
Unſer Hausdiener, ein Feiner, freundlicher Mann, der ſich fpäter ald Gärtner felbjtändig machte, war ein großer Freund der Natur. Ob wir nicht einmal die Sonne aufgehen fehen möchten, fragte er eines Zaged mich und meinen um ein Sahr jüngeren Bru- der; das ſei das Herrlichite, was man fehen fünne, Und da die Mutter es erlaubte, weckte er und am Pfingftfonntag vor Tagedanbruh und führte uns auf den Stadtwall hinauf. Uns fror, und wir zitter- ten an der Hand des guten Mannes, der ung mit allerlei Gefchichten zu unterhalten und zu erwärmen ſuchte und und von Zeit zu Zeit zum Laufen und
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Springen ermunterte, worauf wir denn wie zwei junge BÖöclein ein paarmal auf und nieder hüpften. . Auch auf den Geſang der Bögel ließ er uns laufchen, die nad) und nach ihre Stimmen erhoben und den Tag einfangen. Aber alles das machte uns nicht warm, erft der Anruf: „Segt! Jetzt fommt fie!“ ließ und alles vergeffen und richtete unfere großen Kinder— augen auf die Himmelstür, aus der die Königin in ihrem goldenen Kleide nun heraustreten follte.
Noch lagen die Dächer und Türme der Stadt, wie auch die wenigen Maften in ihrem ftilen Hafen, in einem Falten Zwielicht. Hier und da ftieg ſchon ein Rauch aus den Schornfteinen, der uns anzeigte, Daß wir nicht die einzigen Frühauffteher waren, und uns zugleih an den Morgenfaffee erinnerte, der und mit feinem Feſtkuchen noch bevorftand.
Da öffnete fih der Himmel, die hohe Fürftin war im Anzuge, und ein Saum ihres Gewandes wurde fichtbar. Wir fagten fein Wörtchen zu ihrer Begrüßung, fondern verftummten in großer Ergriffen- heit. Franz aber z0g uns in diefem Augenblid feiter an fi, und mich will heute bedünfen, als hätte er fi; ebenfofehr an unferer Freude ald an dem himm- lifchen Schaufpiel geweidet. Und num trat langjam, in immer größerer Glorie, die Sonne hervor und fhüttete ihre flammenden Rofen über die erwachende Stadt aus. Zuerſt erglühten die fchlanfen Türme von St. Safobi in einem märdenhaften Rot, aber blig-
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gleich folgten St. Marien und St. Agidien und die ernften Türme des Domes; und das fchimmernde Licht fief an ihnen hernieder und über die hohen Dächer hin. Die ſpitzen Giebel der Häufer erglänzten, und wir fuchten neben St. Marien unfer väterliches Dad) und waren erfreut, daß es gleichfalld wie eitel Gold funfelte; aud dem Hafen aber wiejen die Maften mie feurige Finger in den aufgetanen Himmel.
Als hätten die Vögel bisher nur zaghaft ihre klei— nen Kehlen gejtimmt und wollten ſich jest mit dem himmlifchen Gloria meffen, hub ein vermehrtes Trillern und Flöten an; und daß auch die Büfche und Bäume in der allgemeinen Morgenmujif nicht zurüdflanden, erwachte ein Säufeln und Raufchen in allen Zweigen und Kronen.
Wie nun alles fo recht in heiligem Eifer war, nahm Franz ung facht an der Hand und führte ung den grünen Wall hinab, durch lauter Morgenglanz und fang, der harrenden Mutter wieder zu.
Als dann aber nachher von allen Türmen die Pfingſtglocken ihre frommen und frohen Stimmen erſchallen ließen, jo daß die ganze Luft über der nunmehr ermwachten Stadt von ihrem Klingen er: fchüttert war, wie fühlte ſich da mein Gemüt, in heili— ger $rühe föftlich vorbereitet, auf das innigfte ergriffen!
Sn der Nacht aber baute ſich das feurige Morgen: bild noch einmal vor mir auf. Mir träumte, ich ginge in den Straßen der himmlifchen Stadt fpazieren,
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barfuß, in meinem weißen Hemdchen, alle Leute waren wie ich gefleidet, und wir wanbelten fromm und friedlich miteinander in all dem Glanz umher; und von ben goldenen Türmen fangen die Gloden.
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Unſer Vaterhaus lag ſo recht im Mittelpunkt der Stadt; St. Marien ſandte ihm ſtündlich ihre nachbarlichen Grüße, und die ſchwarzen Giebel und Türmchen des alten, ehrwürdigen Rathauſes ſahen ihm in die Fenſter. Es war ein altes Kaufmannshaus mit feſten, breiten Mauern und ſchien für die Ewigkeit gebaut. Es war ein Eckhaus. Die Mutter betrieb darin mit Hilfe eines Geſchäftsführers eine Manufakturwaren—⸗ handlung: Seiden⸗, Leinen» und Wollzeuge.
Der Bater war früh geftorben, ich erinnere mich feiner faum. Er hatte die Seinigen in einem be- häbigen Wohlftande zurüdgelaffen, denn er war ein tüchtiger Kaufmann gemwefen, der fein Detailgefchäft zu einer refpeftablen Höhe gebracht und in der Han- delöwelt meiner Vaterſtadt eine geachtete Stellung eingenommen hatte. Bon feinem guten Kerzen und
‘ feiner Liebe zu ung Kindern erzählte die Mutter oft
genug, fo daß wir wohl glauben durften, den beiten Bater gehabt zu haben.
Er war in Ratzeburg geboren, wo unfer Großvater die Pofthalterei innehatte. Da hat er fich mit feinen
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fieben oder acht Brüdern in den fchönen Wäldern um den See herum weidlich getummelt, im Sommer barfuß; denn e8 mag dem Großpapa Pofthalter nicht ‚immer leicht geworben fein, für die reichliche Nach— fommenfchaft Strümpfe und Stiefel in genügender Anzahl herbeizufchaffen. Es find aber aus den Bar- füßern hernach meift tüchtige, angefehene Leute ge- worden, von denen einige es zu leidlichem Wohlftand gebracht, wie mein Vater, andere fogar in gelehrten Berufen fich ausgezeichnet haben, jo daß ich mid diefer nächften barfüßigen Vorfahren nicht zu ſchämen brauche.
Lübeck war in meinen Kinderjahren eine ftille Stadt, und die Straßen mit den alten, meift fchmalfrontigen Giebelhäufern boten und Raum genug für unfere Spiele.
Aber lieber noch ald die Straße fuchten wir unferen Hausboden auf. Unter dem fchrägen Dach mit feinen toten Ziegeln, welch eine glüdliche Kinderwelt baute ſich hier auf! Durch die zwei oder drei fleinen, runs den Fenfter fiel das Tageslicht mit einem märchen- haften Glanz; von einem filbernen Staubmantel um: geben, ftellte ed goldene Zeller auf den Fußboden, von denen die unfichtbaren Schußgeifter dieſes wunder- famen Reiches fyeiften. Waren wir im Spieleifer, fo achteten wir des güldenen Gedeckes natürlich nicht, fondern fprangen mutwillig über fo edles Gefchirr hin und her, als wäre es nichts als ein paar Sonnen-
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fleden; waren wir body Buben, und ftand doch unfer Schlachtroß hier, ein lebensgroßes, ausgeftopftes, fuchsfarbenes Füllen. Auf diefem Schaufelpferd galoppierten wir um die halbe Welt oder fprengten mit viel Gefchrei in den Kampf. Ziemlich arg durften wir ed fchon treiben, bevor man unten im Haufe etwas davon fpürte. Manchmal aber erichten doch das Haupt eined Abgefandten in der Lufenöffnung, der je nadı Temperament und Auftrag fchalt oder bat; dann wurde die Luft ein wenig gedämpft.
Auf der geräumigen Hausdiele durften wir wegen ber Nähe des Ladens nicht lärmen. Wir trieben wohl mandymal auf den bunten Fliefen unferen Kreifel . oder fpielten Marmel oder „Pider“, wie wir ed nannz ten; doc; das Gefühl, nur geduldet zu fein, ließ und hier nicht recht heimifch werden. . Bon diefer Diele führte eine verdedte Treppe in den erften Stod hinauf; zeifiggelb geftrichen, machte ihre fonft ſchmuckloſe, glatte Berfchalung, in der fid) ein viereckiges Ausgud- fenjter befand, einen Iuftigen Eindrud.
Hier faßen wir nadı Feierabend oft im Halbdunfel auf der oberften Stufe und ließen und von Franz Gefchichten erzählen. Das verftand er vortrefflid. Seine Borliebe galt den alten Sagen und Gefchichten unferer Baterftadt, die er alle auswendig mußte. So hörten wir denn früh aus feinem Munde von „Pape— döhne“, einem anderen Ritter Blaubart, und feiner Mordhöhle, von „Habundus und der weißen Sterbe-
rofe”, von „Herrn Nikolaus Barbewiel, dem Trunk—⸗ feften“ und derlei mehr.
Die Mutter ftörte eine ſolche Sagenwelt nicht, ſon— dern mahnte wohl nur einmal: „Quält den Franz nicht zu arg.“ Wir aber waren uns nicht bemußt, ihn zu quälen, faßen vielmehr regungslos und fahen mit flopfendem Herzen den böfen „Papedöhne” die Frauen in fein Verſteck fchleppen und waren voller Grauen und Empörung.
Franz genoß das vollſte Vertrauen unferer Mutter. Er war ein bewegliches Männchen mit einem großen Kopf und einem gutmütigen, bartlofen Geficht, das älter ausjah, als es eigentlich war, ein greifenhaftes Kinder- gefiht. Seine Stimme war hoch und hell, und er - hatte in allem etwas Weibifches. Er liebte die Vögel und die Blumen und machte ſich durch aufmerffame Dflege unferes Kanarienvogels und der Blumenfenfter fehr verdient; ihm wurde darin vollig freie Hand gelaffen, und wir fahen denn auch immer einen Flor blühender Töpfe hinter unferen Scheiben.
Er hatte noch eine Mutter, eine hochbetagte Frau, die wir von Zeit zu Zeit mit ihm befuchen durften. Sie wohnte in der Nähe des Domes, „An der Mauer“, der alten Stadtmauer, die teilweife noch erhalten war. Hier lebte fie in einem jener kleinen Stifte, deren 8 in meiner Baterftadt viele gab und deren Wohltat alten, hilfsbedürftigen Männern und Frauen zu: gute kam; meiſtens den Frauen, wie denn das
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ſchwache Geſchlecht fid, überall einer größeren Rück— fihtnahme erfreut. Dieſes Stift beftand aus feche Kleinen, einftöcigen Wohnungen, die fich, je drei und drei unter einem Dad), gegenüber lagen, da benn die einen in meiner Erinnerung beftändig in heller Sonne feuchten, während die anderen in einem fühlen Schatten gebettet bleiben. Sie bildeten zufammen einen Fleinen, hübfchen Hof, zu dem man von der Straße aus durch einen fchlanfen, anmutigen Torbogen gelangte, den der Steinmeg mit Fruchtgirlanden und Rokokoſchnörkeln auf das reichte gefchmüct hatte. Hinten ſchloß ihn ein Gärtchen ab, das fic an eine weinumfponnene Mauer anlehnte; aber die wenigen Trauben waren fauer und fchienen nie zu reifen, und nur das bunte Laub erfüllte als Ieuchtender Schmud einen fchönen Zweck. Schon die enge Straße, die ſich mit ihren alten un
ſchmalen Giebelhäuſern hinter der Mauer hinzog, war eine andere Welt für uns. Vollends war es uns wie am Anfang eines Märchens zumute, wenn wir in den Schatten des Torbogens eintraten und dann nach einigen Schritten auf dem ſtillen Hof ſtanden und von beiden Seiten die kleinen Fenſter der Pfeffer— fuchenhäuschen wie ebenfoviel Augen auf und gerichtet fahen. Meift herrfchte ein wunderliches Schweigen hier, fo daß mir über unfere eigenen Schritte auf dem holperigen Steinpflafter ſchier erfchrafen; kamen wir aber einmal in einer Spätftunde, fo faßen die
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guten Stiftlerinnen auf den weißen Bänfen vor ihren Züren beifammen, jede mit einem ÖStricdzeug in den alten Händen, und wir hatten rechts und linfd Grüße auszuteilen. Wir kannten fie alle bei Namen, wie fie ung, und wir galten etwas Nechtes bei ihnen; waren wir doc die einzigen Slinder aus befjerer Fa- milie, die hier einmal einfahen. Site fühlten fidy alle ein wenig gejchmeichelt und beneideten Frau Heyden⸗ reich, Franzens Mutter. Diefe war eine große, ſchwer⸗ fällige Frau mit einer tiefen, Elagenden Stimme. Sie war auch wirflich leidend, denn das Reißen plagte fie, doch ließ fie fich nicht gehen, blieb tätig und be— ſchränkte fi; darauf, von Zeit zu Zeit zu jammern, wie wenig fie noch auf Gottes Welt zu brauchen wäre,
Hatte fie und umftändlicd ind Haus und in ihre Stube hineingefchoben, tätfchelte fie zuerſt meinen Bruder. Er war ihr Liebling, weil er ihrem Franz fo ähnlich fähe; gerade fo hätte der als Eleiner Sunge auch in die Welt gegudt. Nun war aber mein Bruder ein hübfcher, derber Knabe, und es war keineswegs glaubhaft, daß der Franz auch einmal fo gewefen war. Sie hatten zwar alle beide eine tüch— tige Nafe, alled andere aber ftimmte doch herzlic, ſchlecht. Doch mag etwas dagewefen fein, was Mutter Heydenreicd; an ihren Franz erinnerte und ihre merf- liche Bevorzugung meines Bruders begründete. Wäh- rend fie nun meijt mit ihm bejchäftigt war, Fonnte
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ih mid um fo ungeftörter mit einem prächtigen Spielzeug vergnügen, das ich in dem Fleinen Zimmer entdect hatte. |
Es war ein NRofofoherrchen in rotem Seidenfrad, mit Dreifpis, Galanteriedegen und Zopf, das unter einer Glaskugel auf der Kommode ſtand. Es hatte unter ſich vier oder fünf Zinnzünglein, vermittels deren man feine Glieder in Bewegung ſetzen konnte. Da verneigte es ſich dann höflich, nahm den Hut ab, hob den Stock auf, drehte den Kopf nach rechts und links, kurz, zeigte ſich als ein gehorſames Glieder— männchen. Hatte die gute Frau die Glaskuppel vor— ſichtig abgehoben und an einen ſicheren Platz geſtellt, konnte ich eine halbe Stunde lang vor ihm auf den Knien liegen und mir die zierlichſten Verbeugungen machen laſſen. Ich erinnere mich, daß ich einmal ganz laut ein kindliches Zwiegeſpräch mit ihm hielt.
„Guten Tag, mein Herr.“ |
„Buten Tag.“
„Mit wem habe ich die Ehre?”
„Sch bin der Prinz Taufendfchon.”
„Und wie geht es Shrer lieben Frau?”
„Danke, e& geht ihr recht gut.“
Dann jchredte ein lautes Gelächter mich auf; ich fah die beluſtigten Gefichter der anderen, wurde rot, fprang von meinem Stuhl. herunter und war durch nichts zu bewegen, wieder hinaufzuflettern.
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Wie diefes feine Spielzeug in den Beſitz der ein» fachen Frau gefommen, weiß ich nicht; mir war es ein köſtliches Kunftwerf, und mein größter Wunfch war, es zu befiten. Wie freudig war ich daher er- ftaunt, ald der gute Franz mich zu meinem Geburts- tage mit dem geliebten Gliedermänncyen überrafchte. Die Mutter meinte freilich, ich dürfe ſolch ein Ge— fchenf nicht annehmen, und erjt die gewaltjamen Tränen, in die ich ausbrad, und die verlegene Scham des zurückgewiejenen Geber erzwangen ihre Zuſtim— mung. Geitdem grüßte denn das feine Herrchen mit eleganten Berbeugungen von unferem Sefretär herab und verharrte gleichfam wie fragend in diefer Stel lung, bis ich ihm und mir den Willen tat und meiner Mutter die Erlaubnis abfchmeichelte, ihn feine gute Erziehung in dem höflichften Betragen zeigen lafjen zu ‚dürfen.
Einmal aber konnte id) doch nicht widerjtehen, den Mechanismus, der jo Wunderbares ermöglichte, näher zu unterfuchen. Sch zog und wacdelte ein wenig hef- tiger an dem Zünglein, beflopfte den Faftenartigen Unterfag und zog und wacdelte wieder. Knacks jagte e8, und der rechte Arm mit dem Dreifpig ftel fchlaff herab; das Männchen fonnte fic nur noch verbeugen und den Kopf bewegen.
Erfchredt fchlich ich aus dem Zimmer. Eine Zeit- lang blieb der Schaden unentdedt. Dann aber mußte id; gejtehen, was id, mit möglichft unfchuldiger Miene
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tat. Da das Männchen men war, hatte ich mir ins zwiſchen auch ein Recht zugefprochen, ihm Arme und Beine zu brechen, wenn ed mir belieben würde. Sch erhielt auch weiter feine Strafe, aber meine Freude an dem Spielzeug war dahin. Es behauptete ſich in feinem invaliden Zuftande noch eine Weile auf feinem Page; als ihm dann aber auch unter den Fingern meines Bruders der Kopf einmal nad links ftehen blieb und in feiner Weife mehr zu bewegen war, fidh zu rühren, fam es zulest auf den Boden, wo es verflaubte und ich weiß nicht welchem unglüdlichen Ende entgegenging. Wie dieſes Männchen, fo fam mir auch ein Fleines Mädchen, deffen Befanntfchaft ich in demjelben Alt- weiberjpittel machte, als etwas Befonderes und Feines vor, obgleich ed nur ein Arbeiterfind war, und id) hätte es gleichfalld gern als ein liebes Spielzeug mit nach Haufe genommen. Es landete eines Tages mit und zufammen auf dem Stiftshof, wo es eine Groß— mutter wohnen hatte. Da es zu einer Zeit war, wo die alten Frauen fi) alle vor den Türen in ber Abendfonne gütlich taten, und daher alle auf einer Seite ded Hofes beifammen faßen, je zwei und zwei auf einer Banf, und des Kindes Großmutter bei Frau Heydenreich Pla genommen hatte, jo fonnte ed nicht ausbleiben, daß wir Bekanntſchaft ſchloſſen. „Sag? ſchön guten Tag, Lisbeth,“ mahnte die Groß- mutter, und die Kleine, etwa ein Sahr jünger als
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ich und mit meinem Bruder in einem Alter, ftredte ung ihre Hand entgegen, in die wir nur zögernd ein: ſchlugen; nicht aus Hochmut, fondern aus natürlicher, bubenhafter Befangenheit.
Mir erfchien fie wie ein Eleiner Engel, und ich traummandelte jogar einmal mit ihr in den Straßen meiner goldenen Stadt, Hand in Hand, und mit einem fcheuen, findlichen Glücksgefühl. Ich ging in der Folge ımmer mit der Hoffnung nadı dem Agnesftift, meine Kleine Freundin dort anzutreffen; doch follte mir dad nur noch zweimal glüden, ohne daß wir uns dadurch befonders näher famen. Gie hielt fidy von den feineren Knaben fcheu zurüd, und auch in meiner Natur lag viel Blödigfeit; meinem Bruder aber war fie völlig gleichgültig. So kam es zu feiner weiteren Anfreundung. Aber der erfte Heiligenfchein, den ein zärtliches Knabengemüt zu verjchenfen hatte, ſchwebt über dem blonden Loden- fopf dieſes fleinen Mädchens, von dem ich fpäter nie wieder etwas erfuhr, und das in der großen Welt der harten Arbeit irgendwo untergetaucht fein wird. |
Aber für immer halte ich ihr liebes Bild an meiner Knabenhand, ihr weißes Hemdchen leuchtet gleich dem meinen, und unfere bloßen Füße gehen durch goldene Straßen, von dem feierlichen Klange großer Gloden umjummt.
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Sch war ein Kind, das ſich früh mit den Büchern bejchäftigte; ich frocdh damit unter das alte Tafel- flavier und konnte da lange mäuschenftill ſitzen, das aufgefchlagene Buch mit den bunten Bildern auf dem Schoß. Früh regte fich die Phantafie des Kindes, das fic gerne Eden und Winfel, auch die fleinften, bevölferte und zu einer eigenen Welt um- gejtaltete. Die Falten auf der Bettdecke wurden mir zu Berg und Tal, die ich mit Gemfen und Sägern belebte, oder ich tiefte mir in dem weichen Feder— bett eine große Seemulde aus und fegelte mit meinem Schiff von einem Strand zum anderen, wobei ich mit den Knien auf höchſt einfache Weife eine jlür- mifche Wellenbewegung hervorrief. Um die Blumen töpfe auf dem Kenfterbrett, wie in den dunklen Höhlen meiner kleinen Hausſchuhe führte ich meine erdichtete Melt fpazieren, und die wonnigen Schauer ded Ge- heimnispollen und des Nätfelhaften, die noch heute jede Wegbiegung mir macht, fuchte ich mir fchon da- mals zu verjchaffen, indem ich das Auge um irgend- einen beliebigen Gegenitand, einem Käſtchen, einem Lampenfuß oder was ed war, ſich herumtajten ließ, bis e8 an eine Ede, eine Biegung fam, hinter der nun ein Reich mit taufend Wundern begann.
Meine Vorliebe für den Schlupfwinfel unter dem Klavier wurde fcherzhaft als erfte Anfündigung einer mufifalifchen Begabung gedeutet, die fich denn aud) in der Folge bei mir und ebenfo bei meinen Ge—
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fchmwiftern zeigte; vorläufig aber äußerte fie fidy nur in dem atemlofen Kaufchen, womit wir dem Klavier: jpiel und dem Gefang unferer Mutter folgten. Diefe war durchaus eine mufifalifche Seele und hatte es zu einer hübfchen Fertigkeit gebracht, die fie unter anderem Chopinſche Walzer mit ebenfoviel Anmut als Feuer vortragen ließ. Doch neigte ihre Natur mehr zu der fchlichten Innigkeit des Volksliedes, und mit nichts machte fie und mehr Freude, ald wenn jie und durch ihren ſchönen weichen Sopran allerlei Kinderlieder vorfang, die wir bald nachfingen lernten. Da faßen wir denn um fie herum mit heller Kehle, die Hälfe wie zwitfchernde Vögel aufreißend, und bielten tapfer Takt und Melodie. „Händchen fitt in Schofteen und flidet fine Schoh“, „Ein Schäfer> mädchen weidete”, oder „Mer mill unter die Sol- daten”, dad waren fo unfere Lieblinge. Ab und zu fang die Mutter und auch wohl ein Mendelfohnfches oder Schubertfches Lied. Sie wurde oft in Gefell- ſchaft anfgefordert, etwas zu fingen, und die Lieblich— feit ihrer Stimme und die Innigfeit und Schönheit ihres Vortrages entzücten immer.
Erfchreclich wirfte dagegen auf und das Konzert eined Klaviervirtuofen, der, ich weiß nicht woher, in unjer Haus gefchneit war. Mit gewaltigem Getöfe hielt er Einzug in unfere Kinderfeelen.
Eine kohlſchwarze Mähne hing ihm wild um Kopf und Schulter und umrahmte ein blaffes, zigeunerhaftes
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Geficht, aus dem zwei fchmwarze, ftechende Augen ung anfunfelten. Er fpielte das Erwachen des Löwen von Kontski, jenes jahrelang beliebte triviale Salon» und Virtuoſenſtück, fchüttelte feine Mähne, und brüllte und donnerte, daß ich noch heute nicht begreife, wie unfer altes Klavier dad aushielt. Die MWirfung auf und verdugte Kinder war denn aud, daß wir immer verängftigter wurden und zulegt wei- nend aus dem Zimmer liefen. Das hielt jedoch den brüllenden Löwen nicht ab, ſich noch weiter mit maje- fätifchem Lärm zu produzieren.
An ſolchen Gefellfchaftsabenden durften wir Kinder immer auf ein PViertelftündchen ins Zimmer fommen, jedem die Hand geben und uns hätfcheln laſſen. Sch wurde befonders von einer zarten, blaffen Dame, einer Freundin der Mutter, gerne gefehen, die wir Tante Pollinfa nannten. Sie hatte am Marft eine Konditorei inne und hatte es fi, da fie Finderlos war, in den Kopf gefegt, ich follte einmal ihr Nadı- folger werden. So gerne ih nun Süßigfeiten aß, ſo war mir doch die Vorftellung, mich in der weißen Konditortracht, mit der großen Schürze, mein Leben lang bewegen zu follen, eine lächerlihe, für einen Sungen beſchämende, und ich erinnere nicht, jemals Neigung dazu auch nur vorübergehend gefpürt zu haben. Dennocd erhielt fid der Wunfdy der guten Tante Pollinfa hartnädig, bis fie endlich wohl einfah, daß an mir ein Zucderbäder verloren war. Aber
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noch in fpäteren Jahren bin id; nie an dem fchmalen Eckhauſe vorübergegangen ohne das Gefühl: ‚Das - hätte eigentlich alles dir gehören follen, und du Fönnteft nun dahinten in dem Fleinen Raum fliehen und Mandeln fchälen, Zimmet ftoßen, Zeig rühren und mit buntfarbigem Fruchtgelee die Torten zierlich defo- rieren.‘
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Viele Geſellſchaften gab die Mutter nicht, dafür widmete ſie ſich, ſoviel der Hausſtand ihr nur Zeit ließ, uns Kindern, und ging namentlich gern mit uns vors Tor hinaus, wo ſie uns bald in dieſem, bald in jenem Kaffeegarten mit Milch und Kuchen traktierte. Wir durften dann nad) Herzensluſt um- hertollen, während fie, mit einer Handarbeit befchäf- tigt, ab und zu einen wachſamen Blick nach und aus- fandte.
Bon diefen Kaffeegärten wurde einer von uns bevorzugt, weil er den beften Zummelplag für unfere Spiele bot. Er hieß „Die Lachswehr“ und lag oberhalb der Stadt am lifer der Trave. Graf Sohann V. von Holftein, der Milde und Freigebige, hatte einem Lübecker Bürger, „der ed nicht ſonderlich um ihn verdient hatte“, wie es in der Chronik heißt, einen Fifchftand gefchenft, darin unzählig viele Lachſe gefangen wurden. Es find aber dazumal die Lachſe in Lübee fo häufig gewefen, daß die Dienftboten ſich
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ausbedungen, ehe fie ihren Dienft angetreten, aller höchſtens zweimal in der Woche mit Lachs gefpeift zu werden. Diefer Reichtum hatte nun lange auf- gehört, und wenn wir einmal unfere Snabenangel in den Fluß warfen, biß höchſtens einmal ein NRotauge oder ein Barſch an. Doc das Angeln war nicht unfere Leidenfchaftz; dad Waſſer aber 309 und an, und aus dem verbotenen Boot, das, am Steg angefettet, wohlgefhüst im hohen Schilf lag, mußten wir oft genug verjagt werden. Die Angft unferer guten Mutter war nicht unbegründet, denn namentlich mein Bruder war weniger tollfühn als unvorfichtig, und mußte denn auch einmal feine Un bedachtfamfeit mit einem Falten Bade büßen. Wie erfchraf ich, als ich ihn in der freifenden, im Schatten bed überhängenden, dunflen Sommerlaubes faft fchwarzen Flut verfchwinden fah. Er tauchte jedod) alsbald wieder auf, pruftete und paddelte ſich wie ein ind Waffer gefallener Pudel foweit wieder an das Boot heran, daß ich ihm meine Hand entgegen firefen fonntee Da faß er nun triefend auf ber Nuderbanf und wollte aus Furdıt vor Strafe nicht ans Land. Es blieb aber nachher bei einer Straf- predigt der zu Tode erfchrodenen Mutter; der Trie- fende wurde notdürftig umgefleidet, in eine Drofchfe gepacdt und heimgefchict. Franz aber nahm am an- deren Tag PVeranlaffung, uns zur Warnung von der Travennire zu erzählen.
„1630 ging Herr Gert Reuter, welcher mit Ziegels brennen und Steinen fein Berfehren gehabt hat, zu Abend mit Torfchluß nad) Moisling, um die Nadıt daſelbſt zu bleiben; wie er nun unterwegs auf dem Damm oder Kohenftegen ift, fieht er aus dem Waffer eine nackte Geftalt jich etliche Male erheben, melde fich allenthalben umgefchaut und gerufen: ‚Wehe, mwehe, die Stunde ift da, aber der Menſch ift nicht fommen!‘ Gert Reuter weiß zwar nicht, was ed be- deutet, geht aber ruhig feines Weges fort: da fommt vom Berge herab ein Knabe in vollem Laufen gerannt und will nadı dem Waffer zu. Diefen friegt Gert Reuter zu faffen, hält ihn feſt und fragt ihn: ‚Wo willft du hin, mein Sohn?‘ Der Knabe fpridht: „O, laß mich gehen, ich will baden; ich muß baden.‘ Da fagt Gert Reuter: ‚Du follft um Gottes willen nicht!‘ Der Knabe wird nun traurig, läßt fich aber ftill nad) Moisling führen, und hat ihm Herr Gert vermutlid) damals fein Leben gerettet. Desdgleichen Gefchrei hat man öfter gehört, wie glaubwürdige Leute verfichern, und ift jedesmal an dem Tage ein Knabe ertrunfen.“
So erzählte Franz, wenn auch nicht mit dieſen Worten der Chronif, und ich war fogleich bereit, ein folches Gefchrei gehört haben zu wollen.
„Es ift doch wahr!“ verteidigte ich mich gegen meinen Bruder, der es beftritt.
„Du lügft!“ fuhr er mich grob an. „Was hat fie denn gerufen?“
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„Wehe! Wehe!“
Meder Franz noch mein Bruder fchenften mir Glau— ben, wie ich recht gut merfte, obwohl fie fchmwiegen. Sch aber fpann mid; in mein Märchen weiter ein.
Nun hatte ich, während wir im Boot faßen, meine . Mutter einmal laut nach meiner Schweſter rufen hören: „Gretchen! Gretchen!” Jetzt redete ich mir ein, mich verhört zu haben, es hätte nicht anders als „Wehe! Wehe!“ geflungen und wäre nicht aus dem Garten, fondern vom Waffer hergefommen.
„Bibt es Wafferniren?” fragte ich die Mutter. Sie verneinte ed lächelnd. Aber wenn ich von der dunflen Allee aus, die fi am Ende des Kaffee garten am Waſſer hinzog, einen Blid auf den ftillen Fluß warf, in dem ficy die breiten, dichten Kronen der Bäume tieffchwarz fpiegelten, und der an feinem anderen Ufer umfchilfte Wiefen befpülte, die in geheimnisvollem Schweigen dalagen, fo glaubte ih doch manchmal einen fuchenden Blid nach der Waſſernixe fenden zu follen, und fchraf wohl einmal zufammen, wenn ein plöglicher Windftoß den grünen Binfenwald heftiger fchüttelte und einen Schauer fleiner Wellen über die Wafferfläche trieb.
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zufingern. Eine alte Tante der Mutter, die einſt zu
den geſuchteſten Klavierlehrerinnen gehört hatte, erbot ih, und. den erften Unterricht zu geben, und bald hocte ich ftolz und glüclich vor den Taften und lernte unter ihrer Anleitung Noten lefen und erſte Melodien hervorbringen.
Sch hatte die alte Tante fehr lieb und war ein fernbegieriger Schüler. Alle Notenhefte, die mir in die Hände famen, blätterte ich durch und tat
wie ein gelehrter Kapellmeifter. Ungeduldig harrte ich der Zeit, wo ich alle diefe fraufen Zeichen ent-
rätfeln fönnen würde. Noch waren fie flumm für
mich, aber ich wußte, ich würde jie einft zum Sprechen bringen, zum Singen und Klingen. D, wie wollte ih fleißig fein, um bald die fchöne Kunft zu lernen! Wie glüdlich war ich über jedes Lob der Tante und wie unglüdlich über ihre Unzufrieden-
heit. Mein Fleiß fpornte auch meinen Bruder an, und wir waren bald in regem Wetteifer. Die Tante wußte diefen Eifer auf kluge Weife zu nähren: wenn wir befonders fleißig gewefen waren, durften wir fie befuchen und fonnten und unfere Lieblings— fpeife ausbitten. Ich wählte dann immer Milchreie mit recht viel Zucder und Zimmet, mein Bruder zog arme Nitter vor. |
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Sn der Vorfchule lernte ich Iefen und fchreiben. Sie befand fich in dem Hinterflügel eines alten Kauf— mannshaufes, deffen Dämmrige, geräumige Fliefendiele uns anheimelte. Fäffer und Ballen lagen hier auf- geſtapelt und füllten die Luft mit ihren mwunderlichen Gerüchen, Gerüche, wie fie und mwohlvertraut waren, da fie überall aus den dunflen Dielen und Kellern auf die engen Straßen herausftrömten, die wir — paſſierten.
In unſer Schulzimmer aber — die blauen Dolden blühenden Flieders und die weißen Kugeln des Schneeballs herein, und die liebe Sonne ſtreichelte unſere Köpfe und vergoldete uns mitleidig Schiefer— tafel und Fibel. Es waren drei freundliche Schwe— ſtern, die den kleinen Abeſchützen den erſten Unterricht erteilten, und wir lernten eifrig. Traten wir mor- gens in das Schulzimmer, begrüßte ung das Brodeln - des Teefeffeld, der über einer Spritflamme hing, denn wir befamen in der erfien Paufe heife Milch und Semmeln. Dad Summen und Singen der bläulichen Flamme, das leife Klappern ded Dedeld auf dem Keffel, ein freundliches Frauengeficht und viel Sonnen: fchein — das ift mein erfted Schuljahr.
„Wir werden nicht recht Flug aus ihm, er geht ftill feine Wege.“ Das war das Urteil des Schul- vorfteherd über mich, als ihn meine Mutter über meine Fortfchritte befragte. In den höheren Klaffen aber hatte ich immer einen erftien Plag und ließ Die
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Lehrer nicht länger über meine Fähigkeiten in Zweifel. Und faft will mir fcheinen, ald ob ich alles, was ich von der Schule mit ind Xeben genommen habe, diefer Borfchule verdanfe. Es war ein frifched, fröhliches Lernen unter freundlichen, tüchtigen Lehrern.
Dann aber hieß es fich entjcheiden, ob ich ın Die Lateinflaffen oder in die Nealabteilung des Katha- rineumd, der altehrwürdigen Gelehrtenfchule meiner Baterftadt übergehen wollte.
Um diefe Zeit heiratete die Mutter wieder. Wir durften bei der Hochzeit fein, Paſteten ſchlecken, Eis fchmaufen und waren des neuen Vaters von Herzen froh. AB ich nun aber die Vorſchule verlaffen follte, machte er fogleich feine Autorität geltend und entfchied gegen meinen Wunjch, daß ich nicht das Gymnaſium, fondern das Realgymnaftum zu beſuchen habe. Er madıte Gründe geltend, die ich felbft zu prüfen nocd nicht imftande war, und bei denen id) mich daher beruhigen mußte.
Das Katharineum war an die alte Kirche des Katharinenflofterd angebaut. Ein Teil der Klaffen hatte in ehemaligen Kapellen und Zellen Unterfchlupf gefunden, deren hohe, gewölbte Deden einjt von den Gebeten der Mönche miderhalten, jest aber die Übungen Iateinifcher Abefhügen anhören mußten. Aus dem SKlaffenzimmer traten wir in den alten Kloftergang hinaus, wo denn unfere Füße laut genug über die verjchliffenen Steinplatten und ihre unleferlich
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gewordenen Snfchriften hintrabten, an alten, aufs gerichteten Grabiteinen vorüber, die ung nicht küm— merten, denn wir firebten nur immer, in die Sonne des Spielhofes zu fommen, den der moderne Vorderbau einfchloß, und blieben von ehrwürdigen Schauern der Vergangenheit unberührt.
Der Unterricht verlief in einem hergebradhten Trott, wie es derzeit überall nicht anderd war, wo nicht überragende Lehrerperfönlichfeiten die Zwangsjacke des Syſtems zerriffen. Lernen, lernen, lernen. Vokabeln, Namen, Sahreszahlen. Bon den herrlichiten alten Baudenfmälern umgeben, auf dem Boden einer ruhm- reichen Vergangenheit, lebten wir ohne Führung und Anregung dahin. Heimatkunde war ein unbefannter Begriff. Lübeck? Deutfchland? Gab ed damals ein Deutichland? Ta, ed gab ein Deutfchland; zweimal in der Woche in der Geographieftunde: Flüffe, Städte, Berge, Einwohnerzahl. Und in der Gefchichte gab ed ein Deutfchland: die Namen der deutfchen Kaifer und ihre Sahreszahlen; vor- und rüdwärtd. „Setz' dich einen rauf, feß’ Dich einen runter!“
Zwei Kriege bewegten diefe Zeit. 1864 füllten fremde Truppen die Stadt. Preußen und Öfterreicher waren auf dem Marfcd gegen Dänemarf. Wir faßen abends mit der Mutter um einen runden Tifh und zupften Scharpie. Die Giegesnadhrichten trafen ein, und wir fangen und fpielten den „Düppel- ftürmer“,
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Nachher fam Königgräg. Aber hinter den Schul⸗ mauern merfte man nicht viel von dem, was draußen vor ſich ging; hier tobten noch immer die punifchen Kriege. Was ging und der König von Preußen an?
Nur einmal ein Lichtblid: Ein neuer, junger Lehrer der Naturwiffenfchaft fam zu ung; Profeffor
Küftermann. Das war einer von denen, die nicht auswendig lernen ließen, fondern Iehrten, zeigten, lebendig machten. Mit offenem Munde drängten wir und um ihn und tranfen, was er bot: Leben, nicht totes MWiffen. Und einmal eine flüchtige Sonnenſtunde, die uns zeigte, wie trübe eigentlich der Himmel war, unter dem wir fonft dahinlebten:
Unfer Ordinarius, bei dem wir Deutfch haben follten, fehlte, und der Direktor vertrat ihn.
Deutſch? Was war das? Das war Auffag und - Grammatif und wieder, Auffas und Grammatif. Subjeft, Objekt und Prädifat.
Nun follten wir von dem „Alten“ ſelbſt Deutfch
haben. Ich fehe den würdigen, grauföpftgen Schul- regenten, fonft eine feltene Erfcheinung in den Real- Haffen, noch heute, wie er, ein Buch unterm Arm, ind Zimmer trat, und mit einem wohlmollenden Blid überflog und dann ſchmunzelnd aufd Katheder flieg. Hier fchlug er fein Buch auf, fah uns noch einmal freundlih an und fragte: „Kennt ihr den ‚Siebzig- ten Geburtstag‘ von Johann Heinrich Voß?“
Berlegenes Schweigen.
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„Wer war Voß?“
Zwei, drei Finger famen zaghaft zum Borfchein. „Er hat ein langes Gedicht gemacht, das heißt ‚Luife‘.
„But. Was mwißt ihr weiter?“
Schweigen.
„Nun hört aufmerffam zu. Er hat neben der „Luiſe‘ auch noch anderes gedichtet und hat als Erfter eine herrliche Überfegung des Homer geliefert. Und nun lefe ich euch den ‚Siebzigften Geburtstag ‘.”
Sp ungefähr redete er mit und und las und dann das Gedicht:
„Auf die Poftille gebüdt .. .“
Wie andäctig hörten wir zu, lebten die fchlichte Idylle mit, fühlten ung gemütlich bereichert und zu- gleih an unferer befcheidenen Bildung gewachfen. Und nun, als das Gedicht beendet war, hieß es: „Seßt wollen wir einmal Herameter machen. Verſuch' es ein jeder, fo gut er es kann.“
Er fagte ein paar Worte der Erflärung, und dann hub ein lautloſes Verfefchmieden an. Wir hatten nie fo etwas getrieben, und der Alte mochte und mit feinen Primanern verwechfelt haben, und wenn man will, fann man ed belächeln. Aber wieviel Unfinn auch zufammengefchrieben wurde, wir befamen da— bei ein lebendiges Gefühl des eben gehörten Berfes. Zu den paar leidlicd, gelungenen Herametern gehörten auch meine.
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Weniger wollte es mir bei unferem Ordinarius, dem Mathematifprofeffor, mit einem dichterifchen Ver— ſuch glüden, auf den ich mir etwas einbildete, weil er der Mutter und den Gefchwiltern viel Spaß ge: macht hatte, Wie konnte ich aber ahnen, daß gerade dieſe Berfe die Urfache meiner erften öffentlichen Nieder- lage werden follten?
In unferem Schlafzimmer hing ein farbiges Bild: Ein alter Schäfer hält eine franfe Ente im Arm und erteilt der beforgten Bäuerin Ratfchläge. „Der Dorf- arzt“ betitelt ſich dieſes Kunftwerf, dag, wenn ich nicht irre, Düffeldorfer Herkunft war. Gch hatte es befungen, und die Mutter hatte dies rührfame Ge: dicht unferem Arbeitlehrer gezeigt. Der gute, wohl wollende Mann aber mochte ed im Lehrerfollegium folportiert haben, denn wie erfchraf ich, ald ich in einer Mathematifftunde vom SKatheder herab ans geherrfcht wurde: „Enten fannft du befingen, aber rechnen Fannft du nicht.“ Sch glaubte vor Scham in die Erde finfen zu follen. Alle Augen richteten fid) auf mich, verwundert, fragend, ſpoͤttiſch. Wie follten fie das auch verftiehen? Seit jener Stunde trug ich, der für feine Jahre fchon recht lang aufgefchoffen war, den Spitznamen „die lange Ente“. Glücklicherweiſe hatte id} Humor genug, mir den neuen Namen ge: fallen zu laffen, und da ich im ganzen bei meinen Mit- ſchülern mohlgelitten war, fo ftellten fie allmählich auch die Mecferei ein.
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Dem alten Herrn aber trug ich es nicht nach; er war. ein lieber, freundlicher Mann, der ed gut mit feinen Schülern meinte. Auch war ich mir wohl be wußt, daß ich wenig Anfprüce auf fein Wohlmwollen hatte, denn ich war in der Mathematifftunde unbeftrit- ten fein größter Ejel.
Für das öde Einerlei des Unterrichts, das nur durch einzelne Lichtblicke erhellt wurde, fuchten wir und außer- halb der Schule nach Kräften zu entjchädigen. Der Sommer rief und natürlich vord Tor, im Winter aber warfen wir und auf allerlei häusliche Befchäftigungen, wie fie Kinder gern betreiben. Auch die Mufif nahm und fehr in Anſpruch. Wir hatten fchnelle Fort- fchritte gemacht, konnten uns fohon an die Sympho- nien unferer Klaſſiker wagen, und felbft der Vater verfchmähte es nicht, fich ein Stündcdhen in die Sofa— ede zu fegen und unferem vierhändigen Spiel zu— zuhören. Bor allem war es Haydn, den wir liebten; feine Anmut, feine Sonnigfeit, fein Humor waren ſo recht für unfere jungen Snabenherzen. Sch hatte auch Mozart befonders lieb. Aus einem alten, ver- gilbten Heft lernte ich zuerft die A-dur⸗Sonate mit dem lieblichen Andantethema und dem Finale a la Zurca fennen. Mozart! Sch konnte förmlich mit dem Namen auf dem Titelblatt liebäugeln, und noch heute
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wenn id; die Sonate fpiele und höre, fehe ich diefeg alte, ftodfledige Mozartheft vor mir.
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Das iſt die Melodie meiner Kindheit, die Zauber—⸗ formel, mit der ich fie in ihrer ganzen Unfchuld und in ihrem fonnigen Glanze wieder wachrufen fann.
Neben der Mufif trieben wir noch andere Künfte: Wir zeichneten und tufchten Bilderbögen, die fich jähr- lich mit neuen Farbfäften auf dem Weihnadhtstifch einftellten, und aud) das Ausfchneiden fand feine Lieb— haber. Namentlich ich zug eine Zeitlang das Arbeiten mit der Silhouettenfchere dem Kolorieren der Neu- Ruppiner Kunfterzeugniffe vor; fauber in ein Schreib» heft geflebt, machten diefe zierlichen ſchwarzen Bilder mir und anderen viel Freude.
Mehr als alle diefe Handfertigfeiten nahm uns das Theaterjpielen in Anſpruch. Die Anregung dazu gab ein Puppentheater mit einem reichen Marionettens vorrat, wovon mir befonders die Figuren zum Freis- ſchütz im Gedächtniß geblieben find; fo der grasgrüne Mar mit wallenden blonden Locken, und die lange
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Figur des fohwarzen Kafper mit roter Feder auf dem Hut. Mächtig regte die Wolfsfchlucht unfere Find- liche Phantafie an. Ich als der Gefchidtefte zu ſolchen Künften, mußte meiftenteild mit diefen pap- penen Helden agieren, und. übte mich dabei im Er- finden der fchönften Nitter- und Räuberfomödien. Wir Brüder hatten damald im erften Stock ein langes, fchmales Zimmer, deffen eined Fenfter nadı dem Hof hinausging, ald Schlaf- und Arbeitsraum inne. Hier war in dem fohmalen Türrahmen der ge- gebene Plag für das Theater. Ein Vorhang. war leicht hergeftellt, eine alte Tifchglocde zur Hand, und eine Reihe von Stühlen, auf dem Korridor aufgeitellt, harrte eines Funftbegeifterten Publikums.
Fielen nun bei dem Puppentheater alle Aufgaben mir zu, und ebenfo bei dem Kafperletheater, womit uns einmal der Weihnachtsmann überrafchte, fo ftellte fih bei fo mannigfacher Anregung bald die Luft bei mir ein, ftatt mit Drahtpuppen und Kafperlefiguren, in eigener Perfon zu agieren, und mich fo erft recht ald König, Räuberhauptmann oder Teufel zu fühlen.
Bisher Direktor, Dichter und Dramaturg in einer Perfon, hatte ich auch jebt die Aufgabe, meinen lebendigen Schaufpielern Stüde mit glänzenden und möglichft danfbaren Rollen zu verfchaffen, und in folchen Lagen pflegt die Not den Meifter zu machen. Nun hatte ſich aber der Not eine ebenfo Fräftige ala holde PBerbündete zugefellt. Unter dem Stamm-
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Be...
publifum meined Marionettentheaterd befand fich ein Mädchen, das mir mit feinem fchwarzen Haar und feinen großen tiefbraunen Augen der Inbegriff aller Lieblich— feit zu fein fchien, obgleich ſonſt meine Vorliebe den Blondinen galt. Diefe junge Schöne genoß als einziges Töchterchen eines der reichiten Weinhändler unferer Stadt das Anfehen einer Fleinen Prinzefjin. Sie hatte in der Ruhe etwas ungemein Ernites, fat Melancyolifcheg, welcher Eindruck von dem Kontraft zwifchen ihren nachtdunklen Augen und Haaren und der Bläffe ihres Teints, der einen leifen Hauch gelblicher Elfenbein- farbe hatte, noch erhöht wurde, Anders, wenn fie ſich bewegte; da konnte fie die Auggelaffenfte beim Spiel fein, und ihre dunflen Augen leuchteten dann wie zwei Frühlingsfonnen.
Sc hätte ſchwerlich fagen fünnen, wie fie mir lieber war, heiter oder ernft. Saß fie vor meinem Puppen: theater, fpielte ich eigentlich nur für fie, und manches feurige und gefühlvolle Wort aus pappenem Mund war nur an fie gerichtet. Jetzt follte fie aud dem Parkett auf die Bühne fteigen und durch Feine noch fo papierne Rampe gehemmt mit mir in lebendige Be- rährung treten; denn dafür zu forgen, war die erfte und heiligfte Pflicht, die ich ald Dichter empfand. Man verlangte durchaus etwas Luſtiges von mir, und ich verfprad; alles, damit nur überhaupt etwas zuitande füme. Tagelang lief ich umher und zerbrach mir den Kopf, und fam mir in diefer forgenvollen Eriftenz
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hoͤchſt wichtig vor. „Weißt du fchon etwas?“ fragte mid, Bruder und Schwefter jeden neuen Tag, und in dem Zon ihrer Frage lag unbegrenzte Hochachtung vor meinem bichterifchen Genie und das felfenfefte Vertrauen, daß mir ſchon etwas Gutes einfallen würde. Endlich glaubte ich denn auch eine herrliche Idee ge- funden zu haben. „Sch hab’! Sch hab's!“ rief ich, hüllte mich aber den Fragern gegenüber in geheimnig- volles Schweigen; erft müffe ich das. Stüd ganz fertig haben, früher fünne ich nicht darüber fprechen.
Mein Stück betitelte ſich, und ſoviel verriet ich fhon vorher: „Der Iuftige Poftilon.“ Mir ftanden nur vier Afteurs zur Verfügung, zwei männliche und zwei weibliche, Nun war die Titelrolle natürlich in den Augen der anderen die Hauptrolle, mir aber war ed darum zu tun, fei ed in welcher Rolle, der Heldin, der hübfchen Alma, einen Kuß zu geben, den zu bul- den fie nadı den Gefegen der Bühne meiner Meinung nach ohne Widerrede verpflichtet war. So überließ id, denn gerne meinem Bruder, fchon um jedem Ber- dacht des Eigennuges zn begegnen, die Rolle des Iuftigen Poftillong, und begnügte mich mit der des Örc- fen, mic; zugleich an dem vornehmen Titel fchadlos haltend. Der Plan meined Stüdchend aber war der: die Gräfin gedenft ihres abwefenden Mannes, als die Kammerzofe den Poftillon anmeldet, der durchaus einen Brief eigenhändig an die Frau Gräfin ab- zugeben den Auftrag haben will. Der Poftillon wird
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. vorgelajfen, benimmt fich höchft albern, und will den Brief nur gegen einen Kuß abliefern. Die Auffchrift perrät die Hand des Grafen, und Gräfin Alma brennt
darauf, den Inhalt zu erfahren. Aber fein Befehlen, Srohen, Bitten hilft, der Frechling will den geforder— r ten Drief nur gegen den gewünfchten Lohn ausliefern. Das Kammerkaͤtzchen erbietet ſich höflich, ihn einzu> Löfen, aber der Flegel befteht auf einen „herrfchaft-
lichen“ Kuß. Was bleibt da zu tun übrig® Ohne männliche Hilfe, dem Aufdringlichen gegenüber wehr- los, voll Sehnſucht, den Brief des Gemahls zu leſen, gibt die ſchöne Gräfin nach, und die Zofe muß ſich als Anſtandſchirm zwiſchen fie und das Publikum
ſtellen. In diefem Augenblick aber erfcheint der Ge:
} mahl felbft, den heiße Sehnſucht feinem Briefe auf
dem Fuße hat folgen laſſen. Den frechen Flegel ohr-
feigen und zum Tempel hinausmwerfen ift das erite, Teidenfchaftliche Vorwürfe find das zweite. Aber das Kammerkaͤtzchen entlaftet die weinende Gräfin, und der Graf fchließt feine Gemahlin mit einem Kuß in bie
Arme, worüber dann ſchnell der Vorhang zu fallen
hat.
Ich glaubte, meine Sache meifterlich gemacht zu haben, und war ebenfo verwundert als fiegesgemwiß, als feiner der Beteiligten ſich gegen meine Rolle auf: lehnte, und fand es, wenn aud) ärgerlich, doch auch wieder natürlich, daß Alma fich in den Proben gegen den Kuß firäubte und ihn nur marfierte. „Aber bei
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den Aufführungen muß alles nach Vorfchrift gehen,“ fagte ich und nahm ihr Schweigen für Zuftimmung. Dennod war ich den ganzen Tag fall franf vor Aufregung und Zweifel, ob ich nun wohl meinen Kuß befommen würde; und fo flott ih in der Probe gefpielt hatte, ald nun am Abend fidy der Borhang hob, das heißt die beiden Flügeltüren, die die Verbindung zwifchen dem roten und dem grünen Zimmer herftellten, ſich auftaten, überftel mic, vier- fache Angft: die des Dichters, des Theaterdirektors, des Schaufpielers und des Liebhabers. Unfer Publi- fum beftand meift aus Erwachjenen, dem Elternpaar und einigen weiblichen Gäften. Es hieß alfo, fid) zu— fammennehmen und das Befte geben. Jene vierfacdhe Angft aber ließ mich eine ‘ziemlich hölzerne Figur machen, wohingegen der Schlingel von Poftillon al fein Pulver für den Abend aufbewahrt zu haben fchien. Denn ald nun der große Augenblic gefommen war, fprang er mit einem übermütigen Sab aus der vor- gefchriebenen Rolle und küßte Alma unter dem fchal- Ienden Gelächter des Publiftums herzhaft auf den Mund. Erboft langte ich aus, ihm die vorgejchriebene Dhrfeige nun audy recht fräftig zu geben; allein er ver- ftand es, gewandt auszuweichen. Sch, aus der Rolle fallend, mache mich hinter ihm her und jage ihn ein- mal um die Bühne, ohne zu meinem Zwed zu gelangen. Der Zufchauer, die diefed alles als zum Stüd gehörig nahmen, bemädhtigte ſich gefteigerte Heiterkeit, die fich
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zuletzt aud; auf meine Mitfpieler übertrug. Gplte das ganze Stück nicht in die Brüche gehen, mußte ich mic, faffen, die verdrießliche Sagd aufgeben, und meine Rolle vorfchriftgmäßig weiter fpielen. Mit vor Erregung zitternder Stimme hielt ich meine vorwurfs- volle Strafpredigt, die ehrlich genug geflungen haben mag, und wartete auf den Augenblid, wo ich die gerechtfertigte Gattin verfühnt in die Arme fchließen und num auch meinerfeitd einen Kuß auf ihren Kippen anbringen konnte. Aber auch hier verlor ich das Spiel. Wohl warf fie fih an meine Bruft, fo daß ich einen Augenblid dad hübfche Wefen warm und weich in meinen Armen fühlte, aber den Kopf weg— wendend, machte fie ed mir unmöglich, fie zu füffen; ein Furzes Ringen entftand, wobei fie mir entfchlüpfte, und abermald war ich dem Gelächter ausgefegt. Was blieb mir anders übrig, als mit einzuftimmen, wollte ich mich nicht, den Gefränften fpielend, num wirklich lächerlich machen; fo aber fam ich noch billig davon, und das alberne Stück errang wenigftend ehrlich einen Heiterfeitserfolg, wenn aud; auf ungewollte YBeife. Sch erholte mich fohnell von meiner Niederlage, und redete mir ein, daß meine Neigung zu der dunklen Alma gar nicht fo groß fei, ja, gar nicht fein könne, da meine Vorliebe doch immer den Blonden gegolten habe, und nur eine folche könne es fein, die mein Herz wirklich auf die Dauer gewönne. Der Troft, den mir biefe Sophifterei gewährte, hielt zwar nidht
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lange vor. Doch verfuchte ich nicht ein zweites Mal, mid; dem Mädchen vertraulich zu nähern; eine noche malige Abweifung hätte ich nicht verwunden. Wir fpielten nody oft Theater, aber nie hat Alma ſich wieder herbeigelaffen, mitzufpielen. Sie wuchs zu einer ftadtbefannten jungen Schönheit heran, heiratete fpäter einen Offizier und hat ed, wenn ich nicht irre, bi8 zur Generalin gebracht.
+ = %*
Salt ich auch nicht mit Unrecht für einen Stillen, der feineswegs überall mit dabei zu fein brauchte, fo war doc meine Phantafie rege genug, um auch an den Sioux⸗ und Comanchesſpielen Freude zu finden. Chingachkook, der große Delaware, ftellte alle Helden der Weltgefchichte in den Schatten, und jeder einzelne von und war überzeugt, daß er ihm gleidy fam an Haltung, Gebärde, Tapferfeit und Edelmut.
Ich zählte zu feinen Kriegern und diente ihm mit Eifer ald Treufter der Getreuen, der am Lagerfeuer
neben ihm lag, zuerft die Friedenspfeife aus feinem
Munde empfing, und den Becher nad ihm an Die Lippen führen durfte. Und nie wieder im Leben habe ich das befeligende Gefühl hingebender Freundfchaft fo fennen gelernt. Er war ein fchöner, ftarfer, blonder Zunge mit lachenden Augen. Hatte ich ihn einmal einen Tag lang nicht gefehen, fo war id; unglüdlich; doc
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Be. Es — mehr als “sah Liebe, die mich feine Nähe beglüdend emp- ließ. Natürlich verbarg ich diefe Neigung
an. Sch erfchraf, als diefe Frage hinter meinem Be wurde. Ich fühlte, wie ich errötete, und
‚jenem Augenblick war der Zauber geftört, wir
ur‘ {
hielten uns über unferen Freund, er trat damit
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Ri orten, fcheuen, reinen Ruabeuffebe war ent»
x 3 hatte aber in jener Zeit * einen zweiten Freund. Er beſuchte eine andere Schule, wohnte aber inſerer Straße, wo wir ſchon früh beim Pferde— I Befanntfchaft fchloffen. Auch er war ein hüb- e Sunge mit fraufem Blondhaar, und fein fym- pathiſches Äußere ſprach gewiß mit, daß ich mich zu hingezogen fühlte. Mehr aber waren es die
gleichen Intereffen, die und verbanden. Er hieß Fri und war der Sohn eines Fleinen Beamten, der in einem mäßigen Wohlftande lebte. Er war flug, leb- haft und für alles Schöne begeiftert. Er hatte einen Hang zum Philofophieren, und wir redeten über Gott und die Welt mit heißen Herzen und heißen Köpfen und dachten wunder was von unferer Tertianer- weisheit.
„Glaubſt du an die Unſterblichkeit der Seele?“ fragte er mich eines Tages.
„Gewiß, glaube ich daran,“ antwortete ich. „Alle großen Geiſter haben daran geglaubt. Goethe und Schiller und alle. Natürlich denke ich es mir nicht ſo, wie die Paſtoren es predigen.“
„Ach die Pfaffen!“ rief er veraäͤchtlich.
„Ja, dieſe Pfaffen,“ pflichtete ich emphatiſch bei.
Die Stirn runzelnd ſtarrten wir beide ins Leere, als ob wir uns ſchwere Sorgen machten, was aus der Welt unter den Händen dieſer haſſenswerten Pfaffen noch werden ſollte.
In Wahrheit lag uns das ſehr wenig am Herzen. Wir waren zufrieden, uns an großen Worten berauſchen zu können. So war auch die Unſterblichkeit nur ein Klang, der meine Seele bewegte. Im übrigen war ich des Lebens froh, genoß den Tag und ließ das Jen— ſeits Jenſeits ſein. Daß es einen Gott gäbe, galt mir für bewiefen und allen Zweifeln entrüdt. Sa, id) war im Grunde eine ganz fromme Seele, die ſich
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ohne ihn gar nidyt hätte zurechtfinden fünnen. Sch betete in allen Stunden, wo mid, etwas bedrücte und beängftigte, zu ihm, und war voll findlichen Vertrauens. Ein Bild machte idy mir nicht von ihm; irgendwie und irgendwo würde er ſchon fein, und feiner Macht wäre nicht zu entrinnen.
Bon diefen unreifen Schwärmereien, worin fidh je- doch ein erftes Ahnen und Begehren, die Welt zu begreifen, regte, zog und glüdlicherweife ein anderes ab, das uns zu praftifcher Betätigung zwang.
Da Fritz ſich troß feiner fohöngeiftigen Neigungen für den Kaufmannsftand vorbereitete, weil der Vater nicht die Mittel hatte, ihn ftudieren zu laffen, fo trieb er, durchaus dafür begabt, fleißig fremdfprachliche Studien, darunter auch in der für Lübecks Handel fo wichtigen fchwedifchen Sprache. Zu Schweden hatten nun auch wir einige Beziehungen, als unfer Stiefvater während einiger Sahre Kompagnon des fchwedifchen Konſuls war, So fahen wir manchen fchwedifchen Befuc, in unferem Haufe und hatten an dem Wohllaut der Sprache unfere Freude. Daß wir fie nicht beherrfchten, bedauerten wir nie lebhafter, ald da wir eined Tages am Hafen die Befanntfchaft eines Kleinen ſchwediſchen Schiffsjungen machten, woraus fich eine Art Freundfchaft entfpann. Wir - mußten genau, warn die „Drothning Luife“ wieder im Hafen war, und unfer fleiner Freund fah fohon nad) und aus und lachte und über die Reeling erfreut
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an, wenn er und am Bollwerf entdecdt hatte. Db> gleich wir und nur mit Zeichen und Mienen verftän- digen fonnten, waren ſich unfere jungen Herzen doch
einig geworden. Ihm mußte ed wohltun, im fremden
Hafen Kinder zu wiffen, die ihm, dem gar nicht fo viel Älteren, zeigten, daß fie ihn gerne hatten. Und er lohnte es und, indem er und ein paarmal heimlich ein paar Sciffdzwiebäde zuftedte, woran wir denn unfere Zähne wegten. Als er und einmal zu ver- ftehen gegeben hatte, daß er nicht wiederfommen würde, vergoſſen wir Tränen beim Abſchied, und aud) er ftand länger als fonft und winfte ung zu, während das fchöne Schiff langfam die Trave hinunterglitt.
Sp waren wir denn gern bereit, fchwebifch zu lernen, ald Freund Fritz fich anbot, ung die Anfangs» gründe beizubringen. Die Eltern ließen und lächelnd gewähren; die nötigen Bücher wurden angefchafft, und wir zogen und mit unferem Mentor zweimal wöchentlid; auf unfer Zimmer zurüd.
Diefes Zimmer war für ung, feitdem die Schweiter fo weit herangewachfen war, daß fie nicht mehr bei den Eltern fchlief, fondern eines Raumes für ſich bedurfte, auf dem erften Bodengefchoß hergerichtet worden. Es war eigentlidy nur ein Bretterverfchlag, innen aber mit einer hellen, freundlichen Tapete ver— fehen; ein höchft gemütlicher, wohnlicher Raum. Wir fchliefen nicht nur bier, fondern machten auch unfere Schularbeiten an einem runden Tifch, der im der
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Mähe des einzigen Fenfters ftand. Diefes führte auf das Dach des Nachbarhaufes hinaus, wo wir denn in der Dadırinne die Katzen fpazieren gehen ſahen und leichtiglid; von ihnen Befuch erhalten Fonnten, was aber meined Erinnernd nie vorgefommen tft;
aber die Sperlinge, denen wir Brofamen ftreuten,
famen zutraulich heran, und ab und zu hufchte auch wohl mal ein Mäuschen längs der Rinne. Eigentli) war mir diefer Ausblick auf das hohe,
Schmale, fchräge Ziegeldady des Nachbarhaufes ebenfo
lieb, als ein fchönerer auf Gärten und Felder. Denn meine Neigung, mid; mit der Phantafie in Fugen und Risen und Köcher zu verfriechen, fand hier reid)-
liche Nahrung. Wenn im Winter der Schnee die
Rinne füllte, bei Negenwetter der Negen über die rotbraunen Pfannen herunterraufchte und fich in der Rinne zu einem reißenden Strom fammelte und weiter:
ſchoß, oder wenn die liebe Sonne die wunderlichiten
Lichter auf den roten Steinen entzündete, immer war ed eine andere Welt.
Ganz abgefchieden und geborgen waren wir hier in unferem eigenften Reich. Licht und Luft famen gerade genug herein, und immer war ed im Sommer hübſch Fühl und im Winter durch die Nähe des Schornſteins für und nicht allzu empfindlichen Sungen warm ‚genug. Hier faßen wir nun um den runden Tiſch, deflinierten „fifa“, das Mädchen, und hüllten und dabei in mächtige Nauchwolfen, denn wir hatten
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Ort und Zeit für günftig gehalten, wenigſtens dieſe eine unferer indianifchen Gepflogenheiten wieder auf- zunehmen. Das Fenfter wurde vorforglich geöffnet, damit die verräterifchen Tabakwolken alfobald ent- weichen fonnten, und es ging eine ganze Weile fo gut, bis das NRauchopfer, das wir der ſchwediſchen Nation und ihrem vofalreichen Idiom brachten, an den Tag fam, anders, ald wir ed mit dem Öffnen des Fenſters beabfichtigten. Dazu gehörte freilich nur die Nafe des Mädchend, das morgens unfere Betten machte, denn es fing allmählich alles an, nad unferem billigen, abfcheulichen Kraut zu riechen. So tat fich denn eined Tages, als wir drei Schweden eifrig tobaften, die Tür auf, und unfer Stiefvater erjchien mit einem Lächeln, welches uns anzeigte, daß er ald Wiffender fam.
„sc glaube, ihr könnt jest genug ſchwediſch und gebt die Stunde auf.“
Das war alles, was er fagte. Aber wie beſchämt waren wır und war vor allem unfer Mentor, mein guter Fritz. Er packte feine Bücher zufammen und ließ fich einige Zeit lang nicht in unferem Haufe bliden. Das munderliche Geficht unferes Stiefvaterd aber fehe ich noch vor mir; er mochte ähnlicher Dinge aus feiner Knabenzeit gedacht haben und innerlich mehr beluftigt ald erzürnt geweſen fein.
Sp waren die fchmwedifchen Studien vorzeitig be- endet, und mir ift aus jenen Stunden nicht einmal
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die Fähigkeit verblieben, „flida”, das Mädchen, noch richtig deflinieren zu fünnen. Nur „jag elöfer dig“, id; liebe dich, ift als einzige und unvergeßliche Vofabel in meinem Kopfe hängen geblieben.
„Sag elöfer dig!" Wie oft, wenn auch völlig gegenftandslos, haben wir es in jenen Tagen aus— gerufen. „Sag elöfer dig!“ und jeder dachte ſich ein liebes, Himmlifchfchönes, aber fchemenhaftes Wefen dabei. „Sag elöfer dig!" Ich Fonnte die ganze Glut einer nach Zärtlichkeit dürftenden Seele hineinlegen, dabei die Arme ausbreiten und die leere Luft mit Ungeflüm an meine Bruft drüden. Ich ahnte nicht, daß mein junges Herz bald einen lebendigen Gegen» ftand für feine Schwärmerei finden follte.
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Unſere Familie hatte fich inzwifchen vergrößert, Ein Schwefterden war uns gefchenft worden, das, heranwachfend, die Arbeit der Mutter vermehrte. Das war der Grund, weshalb ein Kinderfräulein, eine Stüße ind Haus genommen wurde. Sie hieß Cäcilie und war die Tochter eines befjeren Handwerkers, der, Findergefegnet, die Ältefte gern ihr Brot bei frem- den Leuten efjen fah. Sie war achtzehn Sahre alt, faft rotblond, mit dem zarten Teint, den Mädchen diefer Haarfarbe zu haben pflegen. Sie hatte eine mittelgroße, zierliche Figur, der es doch nicht an Rundung und weicher Bildung fehlte, und ein befchei- denes, freundliches Wefen machte fie angenehm.
Wir beiden Sungen empfingen fie zuerft etwas ab- weifend und fpöttifch: ‚Glaube nur nicht, daß wir und von dir befehlen laffen; du bift nur für Die Schweſter da.‘ Dennod; waren wir auf Schritt und Tritt hinter ihr her, necten fie und fuchten auf jede Weiſe mit ihr anzubinden. Hierbei zeigte fie fi nun von foviel Munterfeit, Gutmütigfeit und Klugheit, daß unverſehens aus den nicht immer harmlofen Necereien eine Zuneigung erwuchs, Die wir mehr empfanden ald und eingeftanden. Damit vertrug ſich fehr wohl, daß mein Bruder, der ein wenig tief in die Slegeljahre geraten war, ſich gelegentlich mit ihr balgte und einmal als endliche Abwehr eine Fräftige Dhrfeige empfing, ja ein anderes Mal eine foldhe zu
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beiderfeitigem Schreden austeilte. Die beftürzten Gefichter fehe ich noch vor mir, beide, in tiefer Scham erglüht, in Tränen außbrechend. Es war in einer Abendftunde, während die Eltern außer dem Kaufe waren. Der Lärm des Balgend und der erfchrocdene Schrei der Geſchlagenen mochten unten im Kontor ge- hört worden fein und mochten dort geftört haben. Einer der Kommid Fam ärgerlich die Treppe hinauf und fragte, was denn hier los ſei. Dad arme Mäd- chen flüchtete weinend in ihr Zimmer, und id; ant- wortete, nichts fei hier los. Der Frager fonnte an— gefichts der reichlich fließenden Tränen faum mit diefer Antwort zufrieden fein, ging jedoch mit der Bitte, wir möchten und doch ruhiger verhalten, wies der hinunter.
Wir aber fchlichen ung an die Tür des Zimmers, in dem die Gekränkte nın, wie wir annehmen mußten, faß und fid) ausweinte. Wir hörten denn auch unter- drücktes Schluchzen, und ich, der ich doch eigentlich ganz unfchuldig war, fühlte eine folche Zerfnirfchung und ein ſolches Mitleid, daß ich mich nicht enthalten fonnte, ind Zimmer zu dringen und um Verzeihung zu bitten. Mein Bruder, der mir auf dem Fuße gefolgt -war, ftand als armer Sünder dabei.
„Es war ja nur aus Verfehen,“ fagte id).
„Sc hab’ Sie gar nicht treffen wollen,“ ftotterte er.
Ein reizended Lächeln lief über das verweinte Geſicht des Mädchens, deſſen getroffene Bade noch
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brannte und unfere Scham aufd neue aufflammen ließ.
„Du bift ein kleiner Grobian,“ fagte fie vorwurfs- voll zu meinem Bruder.
„Sa,“ eiferte ich, „er ift immer gleich fo grob.“
„sch hab’ es doch nur aus DVerfehen getan,” ver- teidigte fich der Bruder wieder.
„But, jo will ich dir diesmal verzeihen,“ fagte fie freundlidy und gab ihm die Hand.
„Sagen Sie e8 auch nicht nach?“ fragten wir beiden wie aus einem Munde, Sie verfprad) e8 und ſchob ung zulegt wieder ein wenig ärgerlich aus ihrem Zimmer. Wir waren froh, daß die Sadıe fo glimpflich ablief und waren von Stund’ an jedem MWunfd und Wink des Mäpdchend willig. Sch aber meinte zu bemerfen, daß fie mir eine befondere Nei- gung zeigte. Es hatte fie offenbar gerührt, daß ich Unfchuldiger die Schmach, die ihr widerfahren, fo lebhaft mitempfunden und fie als erfter um Berzeihung gebeten hatte. Mich traf manchmal ein freundlicherer, wärmerer Blick aus ihren hübfchen Augen, der mir zu fagen fchien: ‚Du bift doch der beſte von euch.‘ Und fo erwarb fie ſich immer mehr mein Herz zu eigen. M |
Es fam hinzu, daß fie, die eine gute Schule bejucht hatte, im Franzöfifchen ziemlich befchlagen war, und ich mir manchen Rat bei ihr holen Ffonnte, wenn ich im Charles XII nicht weiter wußte. Sch hatte
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meinen Bruder um eine Klafje überflügelt und fonnte alfo bei ihm feine Hilfe fuchen. So jaß ich mandy- mal eine Stunde und länger mit dem Mädchen allein und arbeitete mit feiner Hilfe meine franzöfifchen Aufgaben. Die Mutter, der Sprache nicht mächtig, war froh, daß ich auf diefe Weife in der Schule mitfam, und der Vater parte gewiß gern das Geld für die Nachhilfeftunden, wenn er fich überhaupt um die Sache befümmert hat.
Cäcilie hatte immer ihr Nähzeug in der Hand, wenn ich mid; mit meiner Arbeit neben fie fette. Die Lampe ftand zwifchen und auf dem Fleinen Tiſch, ich beugte mich über dad Buch, fie über ihr Linnen, und ab und zu trafen ſich unfere Augen mit einem wunderlichen Blick, der wie eine Frage nach etwas Unbefanntem war, worauf man die Ant- wort jedoch kaum zu wiffen begehrt. Konnte ich nicht weiter in meiner Arbeit, fo fam fie an meine Seite und neigte ihren Blondfopf mit über das Bud, wobei mid; ihre feinen Schläfenhärchen ftreiften, und ich die warme Nähe ihrer weichen, blühen» den Wange fühlte; und fo dicht nebeneinander, den reinen Atem unferer Sugend mifchend, überfegten wir mit halblauter Stimme den fchwierigen Satz. Und es gefhah, daß ich fie öfter von ihrem Finnen aufrief, ald es nötig gewefen wäre, und mid) dümmer ftellte, um mich als ein armes, fchugbedürftiged Vögel— chen unter die Hand ihrer Klugheit fchmiegen zu fönnen.
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Solche Abende in ihrer Nähe auch ohne dem Charles XII genießen zu fünnen, brauchte ich kaum auf Mittel und Wege zu finnen, denn fie boten ſich von felbft. Welches junge Mädchen in ihren Jahren hat nicht einiges Verhältnis zur Poefie, fei ed auch nur oberflächlich und fentimental, ohne tiefered Ver— Händnis? Bei Säcilien aber fand ich ein warmes, empfängliche® Herz für die Gefühlswelt unferer Dichter. Lenau, Heine, Nücdert und andere und vor allem der edle Sänger unferer Baterftadt, Emanuel Seibel, waren ihr nicht unbefannt, und fie hatte ihre
Lieblingsverſe, die fie gern rezitierte. So vertaufchten
wir denn den PBoltaire gelegentlich mit Heines Bud der Lieder oder Lenaus Lyrif, die ich mir von Freund Fritz zu verfchaffen wußte, und waren uns faum recht bewußt oder wollten es nicht fein, daß hier die Be—
rechtigung unferes Zuſammenhockens aufhörte, da fie |
und nur für den Charles XII und eigentlid nur für feine ſchweren Stellen gegeben war. Auf welch gefährliches Gebiet wir uns mit Keine und Lenau begaben, follten wir bald mit Schreden gewahren. Mochte ich auch für fie gleichfam nur die Stimme ferner Traumgeftalten fein, die der Geift des Buches der Lieder in ihrer Frühlingsfeele gebar, fo empfand ich felbft doch alle diefe Gedichte als direft an meine fchöne Lehrerin gerichtet und nahm alles auf das perfönlichfte. Der Thron meines Herzens war frei, und ich machte das blonde Fräulein zur Königin.
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Wie fehnte ich mic, in den langen Tagesjtunden nad meinem abendlichen Pagendienft. Meine Lehrer hatten in diefer Zeit oft Veranlafjung, den Kopf über mich zu fchütteln, und mutmaßten alles andere, als die rechte Urſache meiner Zerftreuung, Ob man im Kaufe ein verändertes Weſen mir anmerfte, weiß ich nicht; jedenfalls blieb man ohne Argwohn, und ich genoß ein heimliche Glück, das fonft Knaben meines Alters nicht vergönnt zu fein pflegt.
Hatte ich meine PVorlefungen mit Heine und Lenau angefangen, fo war es gleich in der Abſicht gefchehen, mit meinen eigenen Verſen zu fchließen. Daß ich ſolche auf Cäcilie in großer Anzahl verfaßte, war felbftverftändlih. Nun ließ fie ſich Heine und Lenau mit fchönem Ernft gefallen, als ich aber mein eigened Liebeögereimfel vorlad und fredy genug war, ed ihr zuzufteken, nahm fie ed zwar an, lachte aber doch beluftigt über einen fo jungen Liebhaber. Auch behandelte fie mich von diefer Stunde an anders und wies mich bei jeder Gelegenheit in meine Kind- lichkeit zurüd, Allein fie richtete nicht viel damit aus. Sa, ich erhiste mich nady und nach bis zum kecken Unterfangen, fie zu füffen. Doch tat ich es nicht als ein Held im Kiebesgarten, Aug’ in Auge und geradezu auf den jungen, frifchen Mund, fondern ich fand hinter ihr und beugte mich ſcheu und furdtfam, ein ungeübter Dieb, über ihre rechte Schulter und be- rührte mit meinen Lippen ihre Wangen. Einen
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Augenblid blieb fie regungslos, blutrot und feines Wortes mächtig, dann aber fprang fie zornig auf: „Dummer Bengel!” rief fi. „Was fällt dir ein? Sofort machſt du, daß du hinausfommft !“ ——
Wie vernichtet ſtand ich vor ihr, wagte kaum den Blick zu erheben und fühlte mit einmal die Schwere meiner Tat. Wenn ſie mich verklagte? Und wie nun fo Scham und Angſt mit vereinten Kräften über mich herftelen, wußte ich mir nicht anders zu helfen, als daß ich in Tränen ausbrach; ſchluchzend ließ ich mich auf meinen Stuhl fallen, warf mich über ben Tiſch und verbarg das Geficht zwifchen meinen aus- geſtreckten Armen.
Eine Zeitlang fah fie dem fohmeigend zu, dann legte fie ihren Arm um meinen Naden und verfuchte mich aufzurichten und mich zu tröften.
„Sunge, mad)’ feine Gefchichten, deshalb brauchft du doch nicht zu weinen. Sch bin dir nicht böfe. Aber du mußt nun vernünftig fein und gehen.“ |
Sie zog mid; mit fanfter Gewalt vom Stuhl in die Höhe, fah mid, halb beluftigt und halb gerührt an und jchob mich der Tür zu. Hier nahm fie meine Hand und fagte: „Sch will dir deinen Kuß wieder- geben.“ Sie zwang den Sichfträubenden, ihr ſtill zu halten, indem fie ihm den abgewandten Kopf mit feftem Griff zurechtfegte und, ein verfchämtes, willenlofes Kind, mußte er es leiden, daß fie ihn
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herzhaft auf den Mund küßte. „So, und nun geh!” Und damit fchob fie mid vollends zur Tür hinaus.
Da ftand ich nun, ein Ausgetriebener, vor meinem Paradies. ‚Hätteft du nicht von der verbotenen Frucht genofien, hätteft du dir noch lange darin wohl- fein lafjen fönnen,‘ dachte ich; jekt war ed mir auf immer verfchloffen. Woher hätte ich den Mut nehmen follen, wieder um Einlaß anzuflopfen? Sch fuchte vielmehr in den folgenden Tagen mid; möglidyft vor den Augen des Mädchens zu verſtecken und mit meinem Charles XII allein fertig zu werden, was denn aud leidlih, ging. Meine Mutter freute fich diefer Fort- fchritte, und ich wußte ihr ein paar fchlechte Zeugniffe zu verheimlichen.
Erftaunt war ich, daß Cäcilie mich bald wieder mit völligfter Gleichgültigfeit behandelte, ald ob nichts gefchehen fei. Konnte fie fich fo gut verftellen, oder war ihr das Ganze wirklich nur eine Kinderei, die ihr fein Stündchen länger Gedanfen machte? Was hatte ich ihrem Betragen zu entnehmen? Beruhigung? Dder mußte ich fortgefegt fürchten, daß die Eltern ich eines Tages als Mitwiffer meines erften Sünden» falles zu erfennen geben würden?
Doch nichtd derartiges gefchah. Und fchon bes gann ich Ruhe und Vertrauen wiederzugewinnen, ald mid; die Mitteilung der Mutter, daß Cäcilie ſich ver> lobt habe, und wohl bald unfer Haus verlaffen würde,
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wieder aus dem Öleichgewicht warf, War dem wirt» lich fo, oder war ed nur ein Vorwand? Doch e8 war, wie die Mutter fagte; das Mädchen hatte ſchon einen Bewerber gehabt, als es in unfer Baus ein- trat und war heimlich mit ihm verfprodhen. Wenn ich ihr aus dem Buch der Lieder vorlas, hatten ihre Gedanfen jenem entfernten Freund gegolten, und id) fnabenhafter Liebhaber diente ihr nur dazu, ihrem Herzendfeuer noch ein paar poetifche Kohlen unter- zuſchaufeln. Daher auch ihre Heiterkeit, als fie merfte, daß ich felbft Feuer gefangen hatte, und die Sicher- heit ihres Betragens hinterher.
Natürlich ftellte ich damals folche Betrachtungen nicht an, fondern bezichtete jie im ftillen pathetiſch der Falfchheit und des Verrates, ald ob fie mir irgend etwas fchuldig geworden wäre. Als fie dann aber unfer Haus verließ, ung allen noch einmal bie Hand gab, und mid) mit einem flüchtigen Evablid erröten machte, war ed mir doc, ald zöge ein Stüd Sonne mit ihr davon, und ald würde ih fo ſchöne Stunden nie wieder erleben. Ich fette mich mit heißen Wangen hinter meine Berfe, die ich ihr ge- widmet hatte, und war für den Reſt ded Tages ein tiefungluͤckliches, zerriffenes Wefen, verdammt ein ‚großes, unfeliged Geheimnis in meinem jungen Bufen zu verfchließen.
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Lange war ich nicht mehr durch die Straßen meiner goldenen Stadt gewandert und hatte den befeligten Blick zu ihren Türmen erhoben; ftatt deſſen hatte fich ein anderer Traum bei mir eingeniftet. Mit Grauen ging ich ded Abends zu Bett, wußte ich doch, was mir für die Nadıt bevorftand: ich lief in Todesangſt die Holitenftraße hinunter, die ſich in ihrer unteren Hälfte ziemlich ſenkt, einen unfichtbaren Verfolger hinter mir; und gerade vor dem „Roten Hahn“, einem fleinen Wirtshaus rechter Hand, wurde mir ein langes Dolcdymeffer tief in den Rüden geftoßen. Diefes wiederholte fidh lange Zeit Nacht für Nacht; und immer gerade vor dem „Roten Hahn“ erhielt ich den Stid;, der mid fogleid) in Schweiß gebadet aufwachen ließ. Es wiederholte ſich fo oft, daß ich es zulegt ale etwas Unabänderliches hinnahm, und gleichgültig da— gegen wurde,und damit blieb diejer böfe Traum dann meg.
‚Bald nad) Säciliend Weggang war er zuerjt auf: getreten, und ich fuchte vergebeng,. ihn zu deuten und nadı feiner Urfache zu fpüren. Wie fehnlid; hatte ich gewünfcht, einmal von Gäcilien zu träumen. Mit innigem Gedanken an dad Mädchen war ich oft zu Bett gegangen, hatte wiederholt Leife ihren Namen ausgefprochen und fie in mein Gebet eingefchloffen; aber fo wie die Wimpern fich fchloffen, war ihr Ans denfen erlofchen. Hier aber tauchte etwas aus dem Schoße der Nadıt auf, womit die Seele am Tage feine Gemeinfchaft hatte.
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Alle diefe Zuftände plagten mich, ohne daß die Um— gebung davon etwas gewahr wurde, denn id; Fonnte mich von früh auf gut beherrfchen. Dazu fam anderer: jeit8 die Gabe, Stimmungen und Zuftände bewußt herbeizuführen. Sp fonnte ich durch den bloßen Willen einen Zuftand fo unendlichen Grauens fogar am hellen Tage hervorrufen, daß es mir eisfalt über den Rüden lief, und ich an die Eriftenz von Geiftern zu glauben geneigt war.
Sch weiß nicht, was mich in den Ruf des Stolzes, ja des Hochmutes gebracht hatte. Diefem Schidfal verfallen recht oft ftille, innerliche Naturen, die fich felbft genug find und daher, mehr als den anderen lieb ift, deren Gemeinfchaft entraten fünnen. Meine äußere Haltung fonnte jenem Urteil keineswegs Nah- rung geben. Sch hatte einen -Ieichten, ſchwebenden Gang, von dem die Schweiter fagte: „Ganz wie Leutnant Karo.” Das war ein fchmeichelhaftes Lob, denn diefer fchlanfe, blühende Sefondeleutnant war der Gott aller Backfiſche. Sonft aber hatte ich faum mit diefem Marsjünger Ähnlichkeit. Ich trug den Kopf freilich auch hoch genug, aber auf einem langen Hals, den ich weit vorzuftreden pflegte, fo daß ich wie ein Schiff, mit dem Schnabel voran, durch Die Straßen fegelte. Dabei hatte ich, ohne mich eigent- lich fchlecht zu ‚halten, einen rundlichen Rüden, ver: urfacht durch die Fräftige Ausbildung der Schulter- blätter; das war ein Erbreil meiner Mutter und ihrer
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bäuerlichen Vorfahren, die den Pflug durch die harte Scholle geführt und den Segen der Felder in Iaften- den Säden auf ihren Rüden in die Mühle getragen hatten.
Sp begreife ich, daß die kleinen Badftfche mehr Augen für Leutnant Karo hatten als für mich. Dennod; war eine unter den Freundinnen meiner Schwefter, die mid; wenigſtens aus der Ferne anſchwärmte. Sie merfte wohl, daß fie auf Gegenliebe nicht zu rechnen hatte, und verfuchte nicht erſt eine vergebliche An- näherung herbeizuführen. Es war ein feines, finnen- des Mädchen, aber fie war häßlich. Diefe hatte durch meine Schwefter von meinen Gedichten erfahren, hatte einzelne von dem fentimentalen Zeug gelefen und ih nad; Backfiſchart in die Neigung. zum Dichter hineingeſchwärmt. ihre Schwärmerei ließ ich mir natürlich als Futter meiner Eitelfeit gerne gefallen, und ich ließ ihr ab und an auch durch meine Scwefter einen Gruß zufommen, wie man einem Bettler ein Almofen zuwirft. Immerhin fog id; auch aus diefer, wie jeder anderen fpärlichen Ans erfennung den mir nötigen Honig, fing an mid zu fühlen, und ftrebte immer lichteren Höhen des Parnafjes zu.
Einmal wurde mir denn auch ein Triumph, der mid; aber mit feinem blendenden Glanz faft ebenfo- fehr erfchredte, als er mich in einen kurzen Rauſch wahnfinniger Zufunfthoffnungen verfegte. Ein Traum
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hatte mir die Idee zu einem langen Gedicht gegeben: Sch ging dur die Wüfte, arbeitete mich langfam durch den Flugfand der heißen, flimmernden Dünen und fah um mid, die Gerippe der gefallenen Kamele und deren Treiber. Aber ich erreichte einen fefteren Sandhügel, der meinem Fuß Halt gewährte, und fah nun plöglich die ganze Wüfte in Freifender Bewegung um mid) herum aufftehen. Soweit der Traum. Dann hatte meine Phantafie weiter gedichtet. Ich ließ die drehenden und wandelnden Staubfäulen Ger ftalt annehmen; die großen Männer der Menfchheite- gefchichte, wie fie in einer Tertianerfeele lebendig find. Schiller und Goethe, Alerander und Napoleon, Kant und Humboldt, Beethoven und Mozart, Raffael und Michelangelo, jeder diefer aus dem Staub zu einem Sceindafein erftandenen Helden begrüßte mich mit einer Klage über die Vergänglichfeit alles Irdifchen, und der Refrain jeder Strophe war immer ein dumpfes, geifterhaftes: „Staub! Staub!“
Diefes Gedicht mußte meinem Gtiefvater in die Hände fallen, oder vielmehr er überrafchte mich, ale ich die legte Hand anlegte. Sch konnte ihm das
Blatt nicht weigern, er nahm es und lad es in meiner
Gegenwart durd;, fagte wohlmwollend: „Sieh, fieh!“ oder fo ähnlich, und hieß es mich fertig machen und ihm dann noch einmal zeigen. Wer war beglüdter als ih! Er nahm dann das fertige Gedicht an fich, um es feinem Freunde dem Polizeirat Dr. AvesLalles
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mant, der ſich auch einen fchriftftellerifchen Namen gemacht hat, zu zeigen; dieſer ſprach ſich fehr an— erfennend darüber aus, und mein Vater vorenthielt mir nicht feine lobenden Worte, ald er mir mein Opus mit einem freundlichen Lächeln zurüdgab.
Nun mochte die Größe des Stoffes — Tertianer wagen ſich immer an dad Größte und Schwerfte — ‚mich über mich felbft hinausgehoben haben, genug es war noch ein paar Tage lang von meinem Gedicht die Nede, und zuleßt rüdte meine Mutter mit ber Abficht heraus, eg Emanuel Seibel zu zeigen; fie wollte felbft damit zu ihm gehen.
Emanuel Geibel! Bor feine Augen zu fommen, hielt man meine Verſe für würdig? Statt in einen Freudentaumel zu geraten, überftiel mich eine herz- beflemmende Angft. „Nein! Nein!“ rief ich und bat, ed doch zu unterlaffen. Aber meine Mutter mußte mich zu beruhigen und zu überreden, und da id; merfte, daß auch der Vater von der Sache wußte und fie befürmwortete, gab ich nach; und fo wartete ich denn flopfenden Herzens ihrer Rückkehr und meined Ur- teile.
Geibel lebte nach feinem Weggang aus München als Penfionär des Königs von Preußen wieder in feiner Baterftadt. Wir begegneten ihm oft auf unferen Schulmwegen, oder fahen ihn draußen vor dem Burgtor im Scyatten der alten Allen Iuftwandeln. Scon von weitem erfannten wir ihn an dem großen grauen
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Schlapphut, dem Plaid, das er läffig über die Schulter geworfen trug, und dem charafteriftifchen Zwickelbart. Diefer Bart gab feinem Geſicht etwas Martialifches, wie er denn überhaupt ein ganzer Mann war, diefer fpäter fo arg ald Badftfchdichter Verfchriene, männ- fiher ald mancher feiner jugendlichen Gegner, die ſtürmiſch auftraten, aber was pofitive Leiftungen für ihre Nation anbetrifft, weit hinter Geibel zurüd- blieben. Damals ftand er noch auf der Höhe feines wohlverdienten Ruhmes, und galt und, der Jugend feiner Baterftadt, als ein Dichter, Weifer und Prophet, dem wir und mit fcheuer Ehrfurcht zu nähern hätten. Eine Edelnatur, verbreitete er eine Atmofphäre von Reinheit und Adel um fich und bewegte ſich auch äußer— lich als ein Auserwählter unter und. | Diefer Mann follte nun meine Gedichte lefen! War ed nicht ein Fühnes, ja durchaus ungehöriges Linter- fangen, ihn mit ſolchen Schülerreimereien unter die Augen zu gehen und aud;) noch einiges Intereſſe für den dreiften Räuber feiner Zeit zu erbitten? Meiner guten Mutter kamen diefelben Bedenken, und fie fehrte unverrichteter Sache wieder heim, nachdem fie ein paarmal unfchlüffig vor dem Haufe des Dichters auf und ab gegangen war und nicht den Mut hatte fin- den können, auch nur die Türflinfe zu berühren. Sch fühlte mich mehr erleichtert als betrübt, und begnügte mid; gerne mit dem Fleineren aber ficheren Triumph, daß erwachfene Leute von Bildung und Verſtändnis
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ed überhaupt in Erwägung gezogen hatten, mein Opus einem Manne wie Geibel vorzulegen. Sch atmete wieder frei auf und war mit diefem Ausgang der Sache fehr zufrieden.
Unfer Stiefvater hatte ficy dem jungen Poeten als von gütiger und teilnehmender Geſinnung gezeigt. Soldye Fleine Züge hatten mich fchon wiederholt er- kennen Iaffen, daß er mid; im ftillen bevorzugte. Das hat mich natürlich auch milder in meinem Urteil über ihn geftimmt, der im ganzen unferem Kaufe nicht zum Segen gereicht hat.
Während feiner langen Reiſezeit in den nordi- fchen Ländern hatte er fi an dortige Trinffitten und an ein wechſelvolles Wirtshausleben gewöhnt und vermißte es in den fpäten Ehejahren. Er.ge- hörte bald zu jener gar nicht Fleinen Zahl von Haus- herren, die ihre Abende gern außer dem Kaufe zu— bringen und ihrer Familie einreden, der Mann be- dürfe des Stammtifchgefpräches mit Gleichgefinnten, und die fich fielen, als erfüllten fie damit gleichfam eine foziale Pflicht. Unſer Stiefvater hatte feinen Stuhl nun gleich in den Ratskeller geftellt, wie er denn überhaupt ein Mann von Gefchmad und vers feinerten Anfprücen war, dem das Befte gerade gut genug fchien. Auftern, Rebhühner und SKrammets-
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voͤgel, ſagte man ihm nach, hätte er am liebſten ge— geſſen und für ſich nötig befunden, während er zu Hauſe für Einfachheit und Genügſamkeit kluge und vaäterliche Reden hielt.
Er hatte auch überall die befte Einficht und hätte manches Gute wirfen fünnen, allein er war ſchwach und ganz in Egoismus verfunfen. Er fonnte einen Anlauf nehmen, fich unferer Erziehung mit Ernft und Eifer zu widmen, und ſich unfer Vertrauen, deſſen Mangel er wohl fühlte, zu erwerben. Er fing an, und an Winterabenden aus Zfchoffes Stunden der Andacht vorzulefen; ed waren Feierftunden für ung, denn er war ein ausgezeichneter Vorlefer und mußte die vorgetragene aufflärerifche Weisheit auch unfe- rem Gemüt nahezubringen. Lieber noch hörten wir ihn Frig Reuter Iefen; hier war er unnachahmlich, fowohl in den ernften, wie in den humorvollen Partien, und da er im Grunde felbft mehr Ge— fhmad daran fand, ald an dem etwas dünnen Meisheitstee Zfchoffes, fo blieben wir bald bei Onkel Bräfig und dem alten Havermann. Nad; einigen Wochen war aber auch diefe Herrlichkeit zu Ende, und ed wurde nie wieder ein Buch in die Hand ge- nommen.
Dafür fing er an, mit uns fpazieren zu gehen, wobei belehrende Unterhaltungen das Wandern würzen follten. Das gefchah auch anfangs, indem er an Zfchoffe anfnüpfte; aber bald wurde es ihm und ung
fäftig, und wir plauderten lieber nach Bedarf und Laune und genoffen jegt erft die Freude des Spazieren- gehens.
So war er in allem ein wunderlicher, ſtarrer und doch oft inkonſequenter Mann, der aber ſeine Schwächen kannte und einem etwaigen Verluſt an Anſehen dadurch vorzubeugen wußte, daß er mit tyranniſchem Eigenſinn überall feinen Willen durch— ſetzte.
So war er gleich im Anfang mit unſerem guten Franz hart aneinander geraten. Der gekränkte lang— jährige Diener des Hauſes hatte gefündigt, und alle Berfuche der Mutter, zu vermitteln, fcheiterten an dem Eigenfinn ded Vaters. Mit Tränen in den Augen fahen wir den Freund unferer Kinderjahre das Haus verlaffen. Er faufte fich eine fleine Gärtnerei, und wir befuchten ihn in der Folge manchmal, worüber er eine rührende Freude zeigte.
Zwei Leidenſchaften beherrfchten den Vater vor allem: das Trinfen und das Angeln; damals überwog noch das Angeln. |
Die Trave, fowohl unterhalb, wie auch ober- halb der Stadt, war ftfchreich genug. Lieber aber angelte er in einem benachbarten See, der mit einer nur halbjtündigen Eifenbahnfahrt zu erreichen war. Dahin nahm er uns oftmald mit. Das war denn jedesmal ein Fefttag für und, auch für mid), der ih am Fifchfang felbft” wenig Vergnügen fand.
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Nach einigen vergeblichen Verſuchen, auch einen Barſch oder ein Rotauge an meinen Hafen zu be— fommen, gab id; gewöhnlich das Angeln auf, zog ein » Buch aus der Tafche und las. Aber auf der fchatten- Iofen Wafferfläche, wo die Sonne doppelt heiß brannte, und die weißen Blätter ded Buches die Augen blendeten, wenn ich nicht eine fünftliche Be— fchattung herftellte, überfam mich nur zu oft ein Ge- fühl der Müpdigfeit, gegen das ich dann heroifch an— fämpfte, indem ich an den gefüllten Futterforb dachte, oder die Hände bis über die Gelenfe in das fühle Waſſer tauchte. Manchmal flog mir auch wohl ein zappelnder Fiſch aufmunternd um die Ohren, der, gar zu flürmifh an das himmlifche Licht gerifjen, an der naffen Schnur über das ganze Boot hin- ſchnellte.
Kehrten wir dann ſonnenverbrannt heim, ſtand ich im Berichten fiſcherlicher Heldentaten keineswegs zu— rück, und lobte — immer mit „wir“ ſprechend — die Fänge der anderen neidlos in den höchſten Tönen. Ganz ohne Ausbeute kam auch ich nie nach Hauſe, wenn ic; meine Schätze auch nicht auf den Tiſch fhütten, nod, ‚irgendwie anderen zugänglidy machen fonnte. Dieſes befchaulicye Stilliegen auf dem Waffer war eigentlidy ganz nad; meinem Sinn und meiner Träumernatur gemäß. Schon das Schmoren an der Sonne behagte mir und fonnte mir nicht leicht zuniel werden; ich freute mich über die zu-
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nehmende Bräune meiner Hände und beugte mich über den Rand des Bootes, um im feuchten Spiegel ein unvollfommenes Bild des farbigen Fortfchrittes auf meinem Geficht zu erhaſchen. Dabei verlor fich der Blick gern in die geheimnisvolle Tiefe. Ein breiter Schilfgürtel umgab den See, Mummeln blühten aus dem ftillen Grund märchenhaft herauf, und die weißen Slügel.der Landmöwen blisten, fich fpiegelnd, neben den fchneeigen Blumenfronen im Waſſer. Zahlreiche Libellen tummelten ſich in ber fhimmernden Luft über der flimmernden Flut, und die Fifchlein Famen hier und da glikernd an die SOberfläche und fchoffen im pfeilfchnellen Zickzack wies der aus der gefährlichen Bootnähe in ihr ficheres Reich zurücd.
Eined Nachts lebte eines jener Wafferbilder in lieblicher Verfchönerung in meinem Traum wieder auf. Ich ſah Eäcilie, von der zu träumen ich fo oft vergeblich gewünfcht hatte, vor mir aus dem See auftauchen. Sie hatte wunderbarerweife ganz grüne Haare, die ein Kranz filberner Sterne feſſelte. Doch als fie näher Fam, geifterhaft das flüffige Element durch— fchneidend, ohne daß ſich ein Wellchen regte, erfannte ich, daß das grüne Haar langes, feuchtes Schilfgras war, und die hellen Sterne zeigten fich ald weiße Wafferrofen, auf denen hier und da ein diamantener Tropfen funkelte. Es war nur eine flüchtige Er- ſcheinung, die ſich mir fofort entzog, als ich Anftalten
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machte, fie zu umfangen. Aber aus den nachfolgen— den mwirren und wechfelnden Traumbildern Teuchtete fie mir doch weit in den Tag hinein; fie in einem Gedicht feftzuhalten, mißlang nad) vielen Bemühungen, und das fchöne Bild zog fich wieder in fein ver- borgenes Nirenreich zurüd.
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Das nachgeborene Schweſterchen, ein huͤbſches, zier- liches Kind, war fchwer erfranft. Es fpringt noch eben munter mit feinen Gefpielen umher, als es plöglich auffchreit. Befragt, Elagt es über Schmerzen in der rechten Hüfte. Die Schmerzen verlieren jich, treten aber bei jedem Laufen und Springen erneut und heftiger auf. Das Kind muß .fich legen, ein Hüftleiden ftellt fich heraus, Wunden brechen auf, und die Ärzte wollen zur Amputation des Beines fchreiten; nur der energifche Widerfpruch des Haus— arzted verhindert dad. Aber nun begann ein langes Kranfenlager, das der Mutter fchwere Lajten auf: bürdete. Um fich zu erholen und auch der Kranken zur Stärfung, ging die Mutter mit den beiden Schweftern während der Sommerferien nach Trave- münde. Wir beiden Brüder wurden folange auf ein benachbartes Gut in Penfion gegeben. Wir freuten und gar fehr darauf und vergaßen darüber die be- trübende Veranlafjung.
Es war ein heißer Sommer, die Ernte war vor der Tür und fchon teilweife in Angriff genommen, fo daß wir Ungeduldigen etwas zu verlieren fürchteten; denn was gibt es Schöneres für einen Knaben als das Einfahren des Kornes, hoch oben auf dem ſchwan— fenden Segen oder, noch beffer, neben dem Knecht auf dem Handpferd. Bei und regte fich dad alte Bauernblut der Vorfahren. Das Landleben war und
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nicht ganz neu; auf gelegentlichen Ausfahrten hatten wir es genugfam fennen gelernt, um ung fehnliht einen längeren Tandaufenthalt zu wünſchen. Nun follten wir fo Herrliche wirklich auskoſten!
Die Gutsfinder, zwei Brüder und eine Schweſter, holten und in einem niedrigen Wägelchen ab. Es waren bäuerlich=derbe Sungen von achtzehn und drei- zehn Sahren, für ihr Alter groß und breit; die Schweſter, neunzehn Sahre alt, war ebenfo ftattlic aufgewachſen, und wir refpeftierten fie ald junge Dame. Sie war freundlich, fragte nach Eltern und Geſchwiſtern, Haus und Schule und zeigte ein mun- teres, burfchifofes Wefen, das und eine gute Gemein- ſchaft erhoffen ließ.
Die Eltern diefer Gefchwifter waren ein fehr un gleiches Paar. Der Vater fam gerade über den Hof, als wir anlangten, und begrüßte und mit kraͤftigem Handſchlag. Er war ein fchlanfer, fonnengebräunter Mann, aber von leidendem Ausfehen, mit hübfchen, ftilen Augen. Die Mutter ftand unter der Tür, breit, behäbig, wohlmwollend.
Sie hieß und willfommen und führte und ind Haus. „Shr habt gewiß einen tücdhtigen Hunger,“ waren ihre erften Worte.
In der fühlen Stube ftanden ein mächtiger Teller Butterbrot und ein großer Topf herrliher Milch bereit, und zu laben, und wir waren ob folden Empfanges fehr erfreut. Nur genierte e8 uns, Daß
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wir allein zulangen follten; die beiden Söhne behaup- teten, feinen Appetit mehr zu haben, da fie fchon gegefien hätten, ‚bevor fie aus dem Haufe gegangen wären. Doch ſie festen fich mit an den Tiſch, und gerade gegenüber, ftüßten den Kopf und fahen ung jeden Biffen in den Mund, Das Mädchen fand daneben und wehrte ihnen zulest; da gingen fie hinaus und hießen ung nachkommen, wenn wir fatt wären. „Lauft nur,“ fagte die Schweiter. „Wir haben doc; noch allerlei herzurichten.“
Sie führte und denn auch, nachdem wir die Hälfte des großen Butterbrotberged abgetragen hatten, in unfere Kammer, zeigte und im Borübergehen allerlei andere Räume und auc ihr eigenes freundliches Mädchenzimmer, worin ein grünliches Licht herrjchte, da vor dem offenen Fenfter eine breite Kindenfrone ihre Zweige ausſtreckte.
Unfere Kammer lag auf einem fchmalen Korridor ‚gerade der Kammer Helenend gegenüber. Auch hier ſtand das Fenfter offen und ließ eine erquicliche Luft herein, und fperrte ein grünes Lindenlaub die heiße Sonne ab. Die fchlichten Betten waren fauber, und
das weiße Finnen duftete nach frifcher Wäſche. „She müßt euch erfi ein wenig behelfen,“ fagte das Mädchen. „Paul fchläft ein paar Tage bei euch auf dem Fußboden. Er geht dann nachher mit Georg zum Schwager Oberförfter in die Ferien, und dann habt ihr hier das ganze Reich für euch allein.“
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Nachdem wir und oberflächlich eingerichtet hatten, führte unfer erfter Weg natürlich in die Ställe, die wir jedoch leer fanden; das Vieh war auf der Weide und die Pferde waren bei der Arbeit. Die Rapsernte war im Gange, und die vollen Wagen rollten geräufchvoll über den Hof und fchwanften durchs weitgeöffnete Scheunen- tor auf die Tenne. Wir ftreichelten die dampfenden Tiere, Eletterten in die geleerten Wagen und fuhren gleich mit aufs Feld hinaus, wo eine große Schar flei- iger Arbeiter in der glühenden Sonne befchäftigt war, die erfte Feldfrucht mit ihrem harten, ftadjligen Stroh . aufzuladen. So holten wir und neuen Hunger für den Mittag, aber auch ein wenig Müdigfeit, jo daß wir ed nad; dem Eſſen vorzogen, im Garten zur blei- ben, wohin in eine fohattige Taube der Nachmittag⸗ faffee und die felbftgebadenen Kringelchen aus Mürbe- teig gebracht wurden.
Diefer Garten fenfte fih an der einen Seite in ein bufchiges Tal, in der eine Duelle ihr Wefen trieb; man hörte beftändig ihr Geplätfcher aus dem Fühlen Dunfel herausflingen. War man auf jchmalem, romantifchem Pfade zu ihr hinabgeftiegen, ſah man fie mit einem gligernden Bogen aus dem dunklen, bemooften Abhang hervorfpringen, hell, Klar und fühl, und dann weiter durch Moos und Farn ihren fchlän- gelnden Weg fich fuchen. Hier war der Lieblings» platz Helenens, und fie führte und denn auch bald in dies Heiligtum hinab. Auf der entgegengefegten
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Seite des Gartens erhob ſich ein tannenumfäumtes Hügelchen mit einer NRuhebanf, von wo aus man einen weiten Blick über die Felder hatte. Das gol» dene Korn mwogte im Gonnenfchein, und die heiße Luft zitterte unabläffig darüber bi8 an den fernen, dunftigen Horizont, wo ein dunfler Wälderfirich das Bild begrenzte. Oft ſchwankte ich, weldyem Plat ic) den Vorzug geben follte.
Anfangs freilid war an ein friedliches Genießen jo jchöner Umgebung, wie e8 meinem Wefen wohl angemejjen war, nicht zu denfen. Die beiden Brüder erwiefen fich als ein derbed, unruhiged Paar, das immer etwas unternehmen mußte, und, wenn es nichts Gemeinfames auszurichten fand, miteinander raufte, um doc, irgendwie die überfchüffige Kraft augzulaffen. Sp waren wir denn froh, als fie und nad) einigen Zagen verließen. Allein meinem Bruder fohien es auch in dem größeren Frieden nicht zu behagen, denn eined Morgend war er verfchwunden.
Zum Schreden der Eltern fam er zu Fuß in Trave- münde an. Diefe heroifche Leiftung kindlichen Heim- wehs rührte fie, und fie behielten ihn bei fih. Da war ich denn allein und ftand vor der Frage, ob ich auch nad Haufe gehen oder aushalten wolle. Nun gab es fo vieled, was mich hielt; vor allem war es die ungebundene Freiheit in der fohönen Natur, dann das gute ländliche Eſſen, vor allem das felbftgebadene, ſchmackhafte Brot und nicht zulegt die Hoffnung, nun
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die beiden Störenfriede aus dem Haufe waren, eine Zeit ungeftörten Glückes verleben zu fünnen. Dazu fan, daß Helene mich bat, doch ja da zu bleiben.
„Sch werde dir fehr böfe,“ fagte fie, „wenn du gehft. Oder bift du auch fo ein Mutterföhnchen?“
„Das nicht,“ antwortete ih, „aber wenn fie alle weg find —“
„Wir wollen uns fchon die Zeit vertreiben. Jetzt, da du gerade anfängt, frifch auszufehen, wollteft du davonlaufen? Das gibt es nicht.“
Auch die Eltern fchienen froh, daß ich dann blieb; fie mochten die üble Nachrede fürchten, wenn e8 ‚etwa heißen würde, wir wären ihnen davongelaufen, weil wir es nicht bei ihnen hätten aushalten können.
So murde ich denn mit doppelter Freundlichfeit von ihnen umgeben, ja geradezu verzogen. Helene hatte manche Stunde für mid übrig; ja fie nahm die Sorge für mid; und mein Ieibliches Wohl zulest ganz in ihre Hand.
Sch fühlte von Tag zu Tag, daß ich ihr Lieber wurde und, daß fie fuchte, mir etwas Gutes zu er- weifen. War ich dann einige Stunden mir felbft überlaffen, fo war fie am Nachmittage wieder für mich _ da. Wir gingen in den Garten, faßen an der Quelle oder auf dem Tannenhügel, machten auch wohl einen weiteren Spaziergang durch die Felder oder bis an den entlegenen Wald. Dft aber gingen wir zu den Arbeitern auf das Feld hinaus und fuhren mit den
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vollen Wagen heim, wobei fie fich auch wohl mal in den Sattel ſchwang und die Zügel ergriff, während
ich mid an der Seite einer fo fraftvollen Amazone mit
großem Stolz und möglichft guter Haltung auf dem Nebenpferd breit machte. Sie war von früh an das Reiten gewohnt und erfeste auch in anderer Hinficht gut einen Knecht. So vertraute man ihr denn ein Ge— ſpann ſchon an und war ficher, daß fie es mohlbehalten in der Scheune abliefern würde.
Als nun die Roggenernte begann, ließ fie es ſich nicht nehmen, das erſte Fuder auf den Hof zu fahren.
Es war ein fchwüler, gemwitterfchwangerer Tag, als
wir aufs Feld hinausgingen, mo alles des Wetters wegen in fieberhafter Tätigfeit war. Hier raufchten die goldenen Ähren unter dem fingenden Schlag der Senfen in fhönem, gleichmäßigen Schwung zu Boden, dort rafften braune Arme die Gefallenen zufammen, und andere ftellten fie in Hocken gegeneinander; weiterhin war alles fchon zum Einfahren bereit, und der gebündelte Segen ſchwebte auf ragender Forte hoch über dem Rand des Wagens. Der erfte war vollgeladen und Helene wollte ihn im Triumph in die Zenne bringen; ein Knecht half mir aufd Neben- pferd, und im Trabe ging ed heim. | Die ſchwarzen Wolfen waren indes drohend herauf- gefommen und fchienen und gleichfam zu verfolgen. Mein Iangbeiniger Fuchs ftieß fehr, und ich hatte Mühe, mich auf feinem Rüden zu behaupten. „Halte
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dich nur gut feſt,“ mahnte Helene, „wir find bald zu Haufe.“ Sie fchnalzte mit der Zunge und ermunterte mit furzem Schlag der Keine die Tiere zu fchnellerem Trab, fo daß ich nicht ohne Angft auf meinem fattel- loſen Gaul hockte.
Doch umſonſt, der plötzlich einſetzende Wind trieb das ſchnell aufkommende Gewölk raſcher vor ſich her als wir unſere Pferde; ein erſter Blitz fuhr herab, ein knatternder Donner folgte, und die erſten ſchweren Regentropfen fielen. Und jetzt brach das Unwetter mit aller Heftigkeit auf uns herein; ein zweiter Blitz in unſerer Nähe machte die Pferde ſcheuen, ſchwere Hagelkörner praſſelten herab und ein Unglück drohte. Helene glitt aus dem Sattel und beruhigte die zittern— den Tiere. Wie ich ihrem Beiſpiel gefolgt, weiß ich nicht: genug, ich ſtand neben ihr, triefend und bei. jedem neuen Bliß zufammenfahrend. Mit jeder Hand eined der Pferde kurz am Zügel haltend, hoch auf: gerichtet bot Helene dad Bild jugendlicher Kraft. Die unruhige Deichfel tanzte vor ihrer Bruft in ge fährlicher Nähe auf und ab; aber fie ſprach mit ihrer tiefen, vollen Stimme unabläffig auf die Pferde ein: „Sp, jo, Liſch. — Ruhig, Peter. — Sp, fo, guter Deter.“ Schnell wie das Unwetter gefommen war, 309 es vorüber, und wir fonnten uns wieder, freilich tüchtig durchnäßt, in den Sattel fchwingen.
Solche gemeinfame Erlebniffe führten und immer näher zufammen, und ald wir uns am Nachmittag
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diefes fhwülen Tages an der Duelle im Gartental trafen, hatten wir ein ergiebiged Thema für unfere Unterhaltung. Der fchwere Regen war nur ftrich- weiſe gefallen, wir fonnten uns auf die einladende Moosdecke niederlaffen, in unmittelbarer Nähe des fühlenden Strahles, feiner feuchten Spriger nicht achtend; Flingend fprang er aus der Fühlen Erde und fchimmerte vielfarbig im Lichte, dad durch die leife fchwanfenden Blätter fiel. Helene fchöpfte mit beiden Händen, die fie funftvoll ineinander verfchlungen hatte, tranf, und bot auch mir aus diefem föftlichen Becher von dem Flaren, erquidlichen Xabfal an. Ein wenig verfchämt beugte ich mich auf ihre Hände, und fchlürfte mit fpigen Lippen, nicht eben bequem, bis fte auf einmal das fchöne Waſſer entlaufen ließ, mir mit ben naffen Händen ind Geficht fuhr und mid; gehörig wuſch.
War dieſer Scherz an heißem Tage eine doppelte Erfriſchung, fo war es eine dreifache von ihren Kän- den. Wie dankbar war ich ſchon für jede derartige Vertraulichkeit, die mir ein Recht gab, mich ebenfo gegen fie zu betragen. So zögerte ich denn audı nicht, fie mit einem rafchen Handſchlag durch den forudelnden Strahl zu befprigen. Sie erwiderte es, und es entſpann fich ein feuchter Krieg, der mit meiner völligen Niederlage endigte; denn fie packte mich plöß- lich an beiden Armen, zwang mid; auf den Ruͤcken ind weiche Moos nieder und fehüttelte mich Fräftie
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durch. „Ich Fönnte dich freffen!“ rief fie, und machte eine drollige Gebärde des Beißens. Endlich ließ fie mid) los, ſprang auf und ging ein paar Schritte von mir weg. Sch erhob mich und folgte ihr, war aber nicht fähig ein Wort zu fprechen, in einer fo wunderlichen Stimmung befand id; mid). Doch ihre Sache war Berlegenheit nicht, fie fand denn auch bald ein luſtiges Wort, und wir jagten uns ausgelaffen durch den Garten. Daß fie mid gern hatte, erfannte ich nun jeden neuen Tag an hundert kleinen Zeichen. Gingen wir des Abends nach dem Effen noch ein Stücchen im Garten fpazieren, legte fie ihren Arm fchwefterlich um meinen Nacen. Mit ihren Brüdern hatte ich fie nie fo gefehen; Zärt- lichkeit fommt im Verkehr mit Gefchmiftern felten vor. Sch aber war ihr gerade fremd und unſchuldig genug dazu, und meine ftädtifche Wohlerzogenheit, die ihr mit größerem Reſpekt begegnete, nahm fie für mid) ein. Nun ließ ich es meinerfeits auch nicht an Fleinen Aufmerffamfeiten fehlen, und zeigte ihr, aller Ver- ftellungsfünfte bar, durd; mein ganzes Betragen, daß ih ihr von Kerzen gut war. Für ihre gejunde Schönheit war ich nicht unempfänglich, ihre Kraft und ihr Mut hatten mir Reſpekt eingeflößt, und ihre tägliche Güte gegen mich tat mir wohl. Ich fann darüber nach, wie ich ihr etwas Befonderes zuliebe tun könne. Eine billige Ausgabe des Fauft trug ich ‚ feit einiger Zeit immer mit mir herum; fjchonfam,
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wie ich mit meinen Büchern war, fchien fie mir noch wohlerhalten genug, um fie mit Anftand verfchenfen zu fönnen. Sch fchrieb auf das erfte Blatt: „Meiner lieben Helene,“ und bat fie, das Fleine Andenfen von mir anzunehmen. Sie tat hocherfreut und dankte mir mit einem Kändedrud. „Goethes Kauft!“ rief fie aus. „Lieft du denn den fchon?“ „O,“ antwortete ich ftolz, „ich weiß ihn faft auswendig.“ „Nun, nun, das wäre?“ meinte fie zweifelnd. Sogleidy begann ich:
„Habe nun, ach! Philofophie,
Surifterei und Medizin
‚Und, leider! auch Theologie
Durchaus ftudiert, mit heißem Bemühn.“
Soweit fam ich, ald wir geflört wurden. Als wir aber am anderen Abend im Garten allein waren, nahm ich die unterbrochene Deflamation wieder auf,
‚und während ich von. Helene umhalft an ihrer Seite
auf und ab wandelte, und der Mond fein poetifches Licht über die Gartenfteige breitete, rezitierte ich mit
knabenhaftem Pathos die unfterblichen Verſe, wobei
ich mich bald aus ihrer Umarmung fchälte, bald wieder in diefe ſchöne Gefangenfchaft zurüddrängte.
* * *
Reichlich die Hälfte der Ferien war vergangen, da fam aus dem benachbarten Kirchdorf eine Einladung ins Paftorat. Der Beſuch mußte aber, ich weiß nicht
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mehr uud weldyen Gründen, verfchoben werden, und fand erit am legten Sonntag vor meiner Keimreife ftatt. Da die Pferde nad) der angeftrengten Wochen— arbeit ihrer Sonntagruhe bedurften, wollte man zu Fuß gehen, nur Helenend Vater wollte reiten. Es wurde aber die Mutter von einem Unwohlſein be- fallen, und von den Fußgängern blieben nur Helene und id, übrig. Am liebften wäre nun die Tochter auch zu Haufe geblieben, aber der Bater drang darauf, daß man gehe; man wäre lange nicht dort gewefen, hätte auch feine firchlichen Pflichten jeit einigen Sonn- tagen verfaumt und dürfe den Herrn Paſtor nicht erzürnen. Doc fchien e8 mir, als fprädhe man fi nidyt ganz unummunden aus, ald wäre da etwas im Hinterhalt. Es fielen ein paar fcharfe Worte zwifchen Vater und Tochter, bis das Mädchen refigniert nadıgab.
Das fam mir wunderlid; vor, befchäftigte mich aber nicht lange, und vergnügt fchritt ich neben Helene in fonntäglicher Nachmittagsftunde dem Kirchdorf zu. Der Weg war hödhjft anmutig und führte auch eine Strefe durdy jenen Wald, den man vom Tannen: hügel ded Gartend aus am Horizonte fich hinziehen fah. Wir gingen gemächlich nebeneinander, als hätten wir fein beftimmtes Ziel und fönnten die Zeit nadı Belieben verfchlendern. Helene war anfangs jchmeig- famer als fonft, ich voller Erwartung, was ſich mir in jenem ländlichen Paftorat bieten würde. Es war ein milder, nicht zu heißer Augufttag, ein jonntäg-
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licher Friede ruhte auf den Feldern, die teilweife fchon in den Stoppeln ſtanden, teilweife noch den reifen Schmud der fetten Weizenfrucht trugen, die fich auf ihren fchlanfen Halmen wie in fatter Zufriedenheit wiegte. Im Walde war ed angenehm fühl; bie ſchönſten Buchen ftrebten mit ihren filbernen Stämmen in den Himmel und wölbten ein dichtes grünes Dach ‚über den moofigen Waldboden.
„Könnte man doch hier die paar Stunden ver- bringen, ftatt diefen langweiligen Beſuch zu machen,“ fagte Helene, und es Flang faft wie ein Seufzer. „Ein wenig mögen fie gerne auf und warten. Komm, ſetz' dich!“ Sie ließ ſich ind Moos niedergleiten und zog mid am Arm zu jich herunter. Nur zu gerne folgte idy der Aufforderung, denn ed war hier ein ftilles, abgefchiedenes Plägchen, wie ich es liebte. In fchmalen, goldenen Bächlein rann hier und da das Sonnenlicht an den breiten Stämmen herunter und lief über die fdywarzgrüne Moosdecke, bis es in Schat- ten verfiderte. Ein Specht Flopfte irgendwo, und ein Eichhörndyen Iugte neugierig herüber und entfloh dann mit blisfchnellen Sprüngen. Und ein leifes, fchwebendes Summen war in der Luft, lieblich ein- Iullend.
Wir faßen denn auch anfangs ganz ftill beiein> ander, und unfere Hände fpielten mit den abgefalle- nen Buchecfern, die reichlich im Mooſe verftreut lagen. Da wir gar fo ftumm waren, fonnte ich ed nicht
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unterlaffen, fie mit einem Nußfernlein zu werfen, und traf fie mitten auf ihre gebräunte Wange, auf der ein luſtiges Sonnenfledichen hin und her tanzte. Gie wurde fofort lebendig, warf gleich zurüd, eine ganze Hand vol, und die wunderliche Stille verwandelte fich alsbald in ein Iuftiges Kampfgetümmel. Mitten in einem reichen Borrat fo billiger Munition fikend, hatte ich fie mit einem wahren Regen von Gefchofjen in die Flucht gefchlagen, als fie ſich mit einem: „Warte, du Kerichen!“ auf mich ftürzte, mir beide Arme am Handgelenf umflammerte und mid) jo Fampf- unfähig machte. Vergeblich fuchte ich mich zu bes freien. „Willft du ganz artig fein?“ fragte fie. „Sa,“ ſagte ih und fpürte ihre feften Finger ſchmerzhaft um meine Gelenke. „So gibft du mir jene einen Kup,“ befahl fie.
Mit einem Ruck riß ich mid) los. Aber es gelang mir nur, die eine Hand frei zu befommenz; fie hatte mich alsbald wieder eingefangen, und von meinem MWiderftand gereizt, fuchte fie jegt mit Gewalt ihren Willen durchzufegen. Sie riß mich plötzlich an ſich, zwang mein Geficht mit ihrer rechten Hand in die Höhe, ſo daß es wie in einem Schraubftod faß und küßte mich gerade auf den Mund. „Siehft du, was ich will, muß geſchehen!“ rief fie.
Bisher fchien e8 nur Spiel zu fein; aber Herr der Situation befann fie ſich, gab mich nicht frei, fondern fah mir mit einem eigentümlichen, herrifchen
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Bli in die Augen und füßte mich ungezählte Male jest auf Mund, Stirn und Wangen. Wehrlos ließ ich ed gefchehen, daß fie ihre Lippen folange auf die meinen preßte, bis es mic fchmerzte. Endlich gab fie mich frei.
„Biſt du verrüdt?“ Das war alles, was id hervorbrachte, indem ich meine Kleider ordnete und ihr zornige Blicke zumwarf; eine folche Vergewaltigung verlegte doc; meinen Knabenftolz, und idy war ihr ernſtlich böfe.
„Biſt du nicht angefangen?“ fragte fie lachend. Doch merfte ich wohl, daß einige Verlegenheit fie unficher machte,
„Womit angefangen?“ fragte ich heftig zurücd.
„Meinft du Knirps, du dürfteft Ältere Damen un geftraft mit Bucheckern bewerfen?“
„Mein ganzes Handgelenf haft du mir zerquetfcht,“ ſchmollte ich.
„Komm her, ich will's dir puften.“
„Dante fchön!“
„Aber fo zeig’ nur, wehe tun wollte ich dir nicht.“
„Sieh nur,“ rief ich, und hielt ihr die roten Ringe, die ihre feften Finger um meine Kandgelenfe gelegt hatten, unter die Augen.
„Armes Kerlchen, hier, tu mir wieder weh,“ fagte fie halb mitleidig, halb fpöttifch. Sie hielt mir ihre Hand hin, aber mein Zorn war fchon verflogen, und ich gab ihr nur einen leichten Klaps.
Salte 6, 8
So lief in Scherz aus, was in Scherz begann. Gie drängte zum Weitergehen, und war wie umgewandelt, faft übermütig. So famen wir auf dem Paftorat an, als der Vater ſchon da war, und entfchuldigten und mit der Hite des Taged und dem Zauber des Waldes, der uns ſolange gegen unferen Willen feftgehalten hätte.
Es mar eine muntere Gefellfchaft, in die wir ge rieten. Nur Helene wurde gleich wieder ſchweigſam und fchien in ihre Zerftreutheit von vorhin zurüd- fallen zu wollen. Und diefes Wefen fteigerte fich von Stunde zu Stunde, bis ſich zum Abendeffen noch eine benachbarte Familie einftellte, und es mir flar wurde, daß hier die Urſache zu Helenens Verhalten zu fuchen fei, denn fie verftummte jegt faft vollends. '
Diefe neuen Befucher waren ein älteres, großbäue- rifches Ehepaar, aus deffen feiften Gefichtern feine ganze Wohlhabenheit ſprach, und ein ungefähr fünfundzwanzig- jähriger Sohn. Machte die zur Schau getragene, nur auf Befit gegründete Würde der Alten, einen faft fomifchen Eindrucf auf mich, fo geftel mir der ftatt- fihe Sohn wohl. Er hatte ein fichereg, felbitbewußtes Auftreten, das ſich auch im lauten, unbefümmerten Sprechen äußerte. Ein hübfcheg, frifches Geficht nahm für ihn ein. Gin Eleiner blonder Schnurrbart war fofett aufgewichft und nötigte mir befonderen Reſpekt ab, und es regte fich der. heimliche Wunfch, auch bald eine folche Zierde mein eigen nennen zu dürfen. Der
junge Mann hatte bei den roten Huſaren geftanden, hatte eben feine Dienftzeit hinter fit und war noch nicht wieder hinter dem Pflug verbauert.
Die Unterhaltung drehte fidy meift um landwirt- fchaftliche Fragen, die mir fremd waren, weswegen mir denn alles Flug und bedeutend vorfam, was fo breit und ficher über den Tifch hin- und herüber ge- redet wurde. Nach Helenend Miene zu urteilen, mochte es das freilich nicht fein; fie faß gelangweilt da, und ließ fi) von dem geweſenen Huſaren ge: zwungen den Hof machen. Ich wandte indeffen meine größere Aufmerffamfeit den erlefenen Gerichten diefer ländlichen Tafel zu. Mit Erftaunen und Bemwunde- rung fah ich, wie der mwohlgenährte geiftliche Gaft- geber fich einen dicken Keil vom fetten Käfe abfchnitt, ihn fingerdif mit Butter belegte und den üppigen Biffen ohne Brot in den Mund fchob, mo er aldbald verjchwand und einem neuen Platz machte. ‚Könnte es einem doch auch einmal fo gut werden,‘ dachte ich; doch wagte ich nicht, dem Beifpiel fühnlich zu folgen und belegte mir mein Brot befcheidentlich, wie ich e8 gewohnt war.
Die Paftordleute waren noch verhältnismäßig jung. Eine ganze Schar Kinder im Alter von fieben bie jechzehn Sahren faß mit am Tifh, fünf Söhne und zwei Töchter, darunter ein Zwillingspaar. Hier fiel mir nun eine merfwürdige Art des Tifchgebetes uns angenehm auf. Es teilten ſich nämlich die fünf
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Söhne darin, fo daß der ältefte aufftand und begann: „Komm, Herr Sefu,“ worauf der zweite ſich erhob und fortfuhr: „fei unfer Gaft,“ und fo weiter, alle DOrgelpfeifen hindurch, bis der letzte und Fleinfte mit einem haftigen „Amen!“ ſchloß, worauf fogleid, jeder nach feinem Löffel langte. Diefe Arbeitsteilung beim Beten hatte aber fo etwas unmiderftehlich Komifches, daß ich mid frampfhaft bemühen mußte, nicht los— zuladhen. Schon der Anblid der keineswegs wohl— geftalteten, rothaarigen Jungen, wie fie nacheinander von ihren Stühlen in die Höhe fchnellten, ald ob fie einem Drud auf einem eleftrifchen Knopf gehordhten, war ein Hohn auf jede Gebetsftimmung. Sch faltete jedoch mit den anderen die Hände und fah dabei verftohlen auf Helene; fie verriet aber mit Feiner Miene, daß fie Anftoß an dem weihelofen Geplapper nähme.
Nah dem Effen mußte ich auf einem alten, ver- flimmten Tafelflavier etwas zum beten geben. Sch fand auf dem Snftrument ein abgegriffenes Choral- buch, Spindlere „Hufarenritt“ und das „Gebet der Jungfrau” liegen; auch ein Tanzalbum fehlte nicht. Den „Hufarenritt“ wollte ich nicht fpielen, damit nicht Helenens Sourmacher ſich einbilden möge, es gefhähe ihm zur Ehre; vielmehr griff ich zum „Gebet der Sungfrau“, in der beftimmten Abficht, damit eine Verbeugung vor Helenen zu machen. Ich fpielte das fentimentale Stud mit allem Gefühl, das mir auf-
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zuwenden möglich war und war beglüct, als ich einen freundlichen, warmen Blick aus ihren Augen auffangen fonnte. Die Unterhaltung ging jedody während meines Muftzierend ungehindert weiter, und ich hatte die Freude, das alte Tafelflavier in einem fiegreichen Fortiffimofampfe mit der lauten, prahblerifchen Huſaren⸗ flimme führen zu fönnen. Zu einem zweiten Stüd aber ließ ich mich nicht bewegen, fondern zog mid ſtill in eine Ede zurüd, wo ich ungeftört beobachten fonnte. Se eifriger fich der junge Bauer mit Helene bejchäftigte, um fo lebhafter gedachte ich jener Szene im: Walde und fpürte die Wonne, die ein folches Geheimnis fchenft. ‚Rede du nur,‘ dachte ich, ‚mid, hat fie gefüßt, wenn du es nur mwüßteft!! Ich fam mir wichtig und auserwählt vor, empfand plößlic, Eiferfucht und redete mir ein, das Mädchen zu lieben.
Als nun für den Heimweg fich jener Nebenbuhler ald Begleiter anbot, war mein Ärger groß. Ich war albern genug, zu widerfprechen; wir wären ja zu zweien und der Weg wäre ja auch durchaus nicht gefährlih. Er fah mid; groß an, lachte und beadhtete mid; weiter gar nicht. Doch Helene fprang mir bei: „Recht hat er eigentlih. Sie follten ſich wirflich nicht bemühen.“ Doch jener fonnte und wollte nicht mehr zurücdtreten, und es blieb nichts übrig, als feine Begleitung mit Danf anzunehmen.
Als wir an jener Stelle vorbeifamen, mo wir die Bucheckernſchlacht bis zum abjonderlichen Friedensſchluß
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ausgefochten hatten, konnte ich nicht unterlaſſen, Helene mit den Blicken zu belauern; aber es war zu dunkel, um eine Bewegung auf ihrem Geſicht bemerken zu können. Jenſeits des Waldes verabfchiedete fie unſeren Begleiter ganz energifch; wir bedürften nun feines Schutzes nicht weiter. Er machte einige Redens— arten, fügte ſich aber ihrem Willen und verließ ung mit einem fchnarrenden: „Wünſch' wohl zu ruhen, gnädiges Fräulein.“ |
Sp waren wir denn allein, und id) erwartete einige harte Worte über den Aufdringlichen. Aber id, fpiste mich umfonft darauf; fie verftummte völlig und Tief mich müde und gelangweilt den Reſt des Weges neben ſich herlaufen. Nur beim Gutenachtgruß nady- her war fie wieder lieb und freundlich, drüdte mir die Hand und hieß mich recht fchön fchlafen und träumen, wie fie mit einem hübfchen Lachen nad einer kurzen Paufe hinzufügte. „Gleichfalls,“ fagte ich mehr gedanfenlos als abfichtlich.
Sch hörte fie noch in ihre Kammer gehen, ſank müde aufs Bett und fühlte unter vergeblichen Ber- fuchen, die Erlebniffe des Tages noch einmal zu durd)- denfen, wie die Lider fchwerer und ſchwerer wurden und fich langſam fchloffen. Das Fenjter fand, wie immer, offen, ich hörte noch ein leiſes, traumhaftes Rauſchen der Linde, fühlte den Fühlen Nachthauch gleihmäßig über mein Geficht ftreihen und ging fo unmerflic, in einen Traumzuſtand über, der mir Die
wunderliche Waldfzene noch einmal zurüdführte. Ich fpürte noch einmal die heftigen Küffe auf meinen fchmerzenden Lippen, erwachte davon, jchlug die Augen auf und ftarrte gerade in Helenend Gefiht. Sie hatte ihr reiches Haar gelöft, die vollen Flechten hingen ihr vorn über die Schulter und lagen wie zwei braune Schlangen auf meiner Bruft. Ihre grauen Augen ftanden dicht über den meinen, wie zwei ftählerne Sterne, ihr Mund hatte ſich foeben von meinem gelöft, und ihre unbededte Bruft hob und fenfte ſich unter tiefen Atemzügen. So fahen wir und wohl ein paar Sefunden regungslos an; id, ftarr, wie ein Bogel unter dem Blick der Klapper- fhlange, fie in der Ruhe eines felbjtverftändlichen, wohldurchdachten Tuns. „Sch mußte dich noch ein⸗ mal küſſen,“ fagte fi. Dabei drüdte fie ihre Lippen wieder auf meinen Mund, und ed war mehr eine leife Berührung als ein Kuß. Dann nidte fie mir noch einmal zu, doch nur mit den Augen allein, und ging geräufchlog, wie fie gefommen. |
Sch hatte weder ein Wort zu ihr gefprochen, noch hatte ich mich gerührt; jegt fiel ed wie ein Alp von mir, ich erhob mich halb, ftarrte mit aufgeriffenen Augen auf die Tür, durch die fie verfchwunden war und fanf in die Kiffen zurüd, um in ein haltlofes, mich felbft befremdendes Weinen auszubrehen. Warum ich weinte, ob ihretwegen, ob meinetwegen, ich wußte ed nicht; meine Tränen floffen reichlich und hörten
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nicht eher auf, als bis ich erfchöpft wieder dem Schlaf in die Arme ftel.
Am anderen Tage packte ich mein Köfferchen. Helenend Betragen verriet nichtd von dem nächtlichen Abenteuer, und meine Verftörtheit konnte man auf die Stimmung des Abfchieds zurücdführen. Als id im Wagen faß, der mich nad) der Stadt zurücdbringen jollte, fchüttelte fie mir noch einmal fräftig die Hand und nicfte mir fchwefterlich zu; dann rollte dad Gefährt vom Hof. Ich wandte mich zurüd: fie ftand und winfte mit der Hand; eine Wegebiegung, und ich hatte fie zum le&tenmal gejehen.
V A
Nun nahm die Schule mich gleich wieder tüchtig heran. Es war das legte halbe Sahr vor der Kon— firmation, und wenn id) auch ſicher war, daß ich dies— mal die Obertertia mit Erfolg abfolviert hatte, fo hieß es nicht nur ehrenhalber aufs fchärffte fich an- firengen; hing doch auch die Berechtigung zum Ein- jährigendienft von der Reife für die Selefta ab. Dazu fam, daß ich fo dicht vor dem Abfchluß meiner Schulzeit mid; zu entfcheiden hatte, welchen Beruf ich ergreifen wollte. Am Tiebften hätte ich Mufif ftudiert, doch erflärte mein Stiefvater kurzweg, zu irgendwelcdhem Studium ſei dad Geld nicht da; aber ob ich nicht Luft hätte, Buchhändler zu werden, da bliebe ich ja bei den Büchern. Lieber hätte ich nun freilich die Fiteratur zu einem Studium als zu einem Handelsartifel gemadıt, aber eine Entfcheidung des Baterd umzuftoßen, hätte ich faum den Berfuch ge- wagt.
Auf den Kat eines alten Buchhändler mußte ich griechifche Privatftunden nehmen, denn Griechiſch und Kateinifh fei für einen Buchhändler unumgänglich nötig.
Alpha, Betha, Gamma, Delta — e8 ging mir wie beim Schwedifchen, das Abe und ein paar Bofabeln waren alles, was ich profitierte. |
In diefer Zeit wurde unfer Haus in Trauer ver: fegt. Unfere alte Tante war nad) kurzer Krankheit
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geftorben. Sie hatte ſchon feit einigen Wochen mit unferem Slavierunterricht aufgehört, und wir hatten vergeblich auf ihre Befferung gehofft. Nun lag fie ftill und weiß in ihrem Sarg, das alte, hagere Gefidht von weißen Koden umrahmt, die langen, fchlanfen Hände zwifchen Roſen gebettet, die ihr unfere Mutter reichlich auf die Dede ihres legten Bettes gejtreut hatte. An einem fonnigen Tage wurde fie beerdigt und fand ihre NRuheftätte neben dem Hügel unferes Baterd. Wir Kinder durften dem Begräbnis nicht beimohnen, aber einige Tage fpäter ging unfere Mutter mit uns hinaus und wir durften je einen Kranz auf dad Grab der Tante und auf das unſeres Vaters legen. Die Sonne fchien hell über die vielen Blumen- hügel, und ich hatte fein Grauen vor dem Tode; er ſchien mir gütig und freundlich wie unfere liebe Mutter, wenn fie abends die Kammertür ſchloß: „Dun fchlaft auch Schön!“
Das war im März geweſen. Eine erfte Früh- lingsfonne hatte das frifche Grab umleucdhtet, und an den Heden fchwollen die Knofpen. Nun fam Dftern heran und damit mein Austritt aus Der Schule.
Alt genug war ich geworden, denn ich hatte in der Tertia ein ganzes Jahr verloren; die Mathematik war mir im Wege geweſen. Doch hatte ich mir mit dem Zeugnis der Reife für die Selekta die Berech—
tigung zum „Einjährigen“ erfefjen und fomit ein
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erites Lebengziel erreicht. Eine Lehrftelle war fchon' für mich gefunden, und zwar in Hamburg, der großen Nachbarftadt, an die ich mit einem wunderlichen Ge- miſch von Heinftädtifchem Bangen und freudiger Er- wartung von Welt und Herrlichkeit dachte. Schon am Dienstag nad) Oſtern follte ich dort eintreten.
* * *
Am Palmſonntag wurde ich konfirmiert. Im fchwarzen Schoßrod, den Zylinderhut auf dem Kopfe, ging ich an der Seite meiner Eltern in die Kirche. Mir war fehr feierlich zu Sinn, ohne daß fidy be- flimmte Gedanken und Gefühle geitalten wollten. Die Predigt, der Gefang, das Braufen der Orgel, die Tränen der Mutter, alles vereinte fich zu einem gewaltigen Anfturm auf mein weiches Herz. Sch atmete auf, ald wir wieder auf die befonnte Straße hinaustraten und das helle Haus, von Küchen- und Schofoladenduft durchzogen, und wieder aufnahm. Gratulanten ftellten ſich ein, und der Tag verlief recht: feftli und fröhlid).
Dann aber fam die Zeit, wo ich an den bevor: fiehenden Abfchied zu denfen genötigt war. Das Herz 309 fich mir zufammen, und ich fchlich ftil im Kaufe umher. Am Abfchiedsmorgen faß ih noch ein festes Mal vor dem lieben, alten Klavier, das ich feit der Tante Tod ein wenig vernacdhläffigt hatte. Sch
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fpielte allerlei durcheinander. Alled nur halb und ohne rechte Befriedigung. Selbft mein Mozartandante aus der A⸗dur-Sonate wollte mir nicht Flingen, bie ih zum alla Zurca vordrangz; mit diefen feurigen Rhythmen rang ich mir die halb bange, halb weh- mütige Stimmung aus der Seele, eine Art Troß überfam mich, und das alte Klavier Elirrte unter meinen wilden Händen.
Darüber war meine Mutter unbemerft ind Zimmer getreten. Sie hatte ſich ftill an das Feniter geſetzt und hatte mich außfpielen Laffen. Als ich fie nun gewahrte, erfchraf ich; eine ftille Traurigfeit lag auf ihrem lieben Geficht, und mich beftel das unklare, beflemmende Gefühl, daß fie etwas Schmerzliches, Leidvolles mit fidy herumtrüge. ch feste mich zu ihr, und fie griff fogleich nad) meiner Hand.
„Sreuft du dich?“ fragte fie.
„Auf Hamburg?” fragte ich zurück.
Sie legte ihre linfe Hand auf meine Schulter und fuhr mir mit der rechten ein paarmal liebfofend über den Scheitel. Sie fah mir dabei mit einem innigen Blic fo tief in die Augen, daß mir plöglich die Tränen heroorfchoffen. Sie fchloß mid in ihre Arme und wir füßten und. „Bleibe ein guter Menſch!“ fagte fie mit einem Ausdrud, der mich erjchredte und nadıs denflich ftimmte. ‚Wer ift denn fein guter Menfch?‘ dachte ich. ‚Sit es fo fchwer, ein guter Menſch zu fein?‘ .
Nachher gab die Mutter mir noch ein Paar Strümpfe, die fie vergeffen hatte in mein Köfferchen zu legen, und ich ging in unfer Knabenzimmer hinauf, fie zu den übrigen zu paden. Mir war fehr wehmütig zu Sinn, und der traulihe Raum, den ich nun bald für immer verlaffen follte, ftimmte mich nicht heiterer. Sch feste mich and Fenfter und fah auf das fchräge Dad des Nachbarhaufes; es lag noch ein Streifen finfender Sonne auf den Pfannen, und im Schatten der Rinne hatte ſich noch ein Reſtchen Schnee er- halten, das der Ruß gefchwärzt hatte. Troſtlos er- ſchien mir diefer Ausblick, der mir zu anderen Zeiten foviel Vergnügen gewährt hatte, der ich gern mit den Augen in Löcher und Winfel und Nigen hinein- froch und eine heimliche, verftecfte Welt mit meiner Phantaſie belebte. Doc; als ich den Blick ind Zim— mer zurüdwandte, fand ſich ein Schwarm lieber Ge- falten ein, die jedody alle eine wehmütige Gebärde zur Schau trugen und meinen Abjchiedsjchmerz zu teilen fchienen. Da fah ich und wieder um den runden Tiſch figen, das wackere fchwedifche Tabak: follegium, und und wieder mit der Deflination von „flicka“, das Mädchen, ein ehrbares Mäntelchen um— hängen. Da jtanden unfere beiden Betten, in deren einem ich nun diefe Nacht zum legten Male fchlafen jollte. Und nie wieder würde mein Bruder in dem anderen bis gegen Mitternacht wad; liegen und meinen abenteuerlichen Sndianergefchichten laufchen.
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Der Feine Wafchtifch, an dem wir uns manchesmal um die Seife geftritten haben, der gemeinfame Klleider- ſchrank, der jegt von mir nur noch altes, abgelegtes Knabenzeug barg, ja felbft der eiferne Stiefelfnecht,
der wie ein großer, fchwarzer Trauerfäfer unter meinem
Bett hervorzukriechen fchien, alles ſtimmte mich trüb— felig.
Über meinem Kopfe Tief plöglich ein leiſes Rollen hin, ein Schurrenz vielleicht eine Maus, die ihren Abendfpaziergang über unferen Spielboden madhte, der uns immer feltener gefehen hatte, und der nun
bald das alleinige Reich der Ratten, Mäufe und
Spinnen fein würde.
Auf dem Stuhl vor meinem Bett ftand mein Koffer,
der laut vom Scheiden fprad. Draußen auf dem Dad; erlofch die legte Sonne, und ich fühlte plötzlich, wie falt ed in dem ungeheizten Raume war. Ein leifes Fröfteln fchüttelte mich, und ich erhob mid und verließ dad Zimmer; ald fid; die Tür hinter mir fchloß, überfam mich ein beflemmended Gefühl, wie einem, der zum erftenmal ing Waffer fpringen ſoll.
Am Fuß der Treppenleiter, die zu unſerem Kinder» paradies hinaufführte, padte mich ein fehnliches Ver— langen, nur noch einmal einen Blick hineinzumwerfen. Ich ftieg die paar Stufen hinan und hob die ſchwere Lufe; fie freifchte in den Angeln, und eine leichte Staubwolfe mwehte auf. Sch fiedte den Kopf durch
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— — DR —
die Luke; ed war ganz dämmerig, faſt dunkel dort oben. ine fchwarze, faſt unfenntliche Geftalt, ftand das alte Schaufelpferd ganz hinten in einer Ede. Eine falte, tote Luft fchlug mir entgegen. Was fuchte ich bier oben? Leiſe fchloß ich die alte Luke wieder.
hr N —
I Der Vater hatte mid nad Hamburg gebracht.
Am Bahnhof empfing uns eine alte, verftaubte Chaife,
auf deren Bod ein bäurifcher Kutfcher faß; er hatte einen dicken MWolfchal um den Hals und große, wollene Faufthbandfchuhe an den Händen. Aus dem tiefen, dunflen Raum des Wagens fchälte fich ein alter Mann mit hohem, grauen Zylinder, fchälte ſich aus einem Wuſt von Wolldeden heraus und ftieg fteifbeinig auf das Straßenpflafter, wobei ber Bater ihm behilflich war.
Das war mein Onfel Theodor. Wir Kinder hatten felten von ihm gehört, und ein Verkehr zwi— [hen den Eltern und ihm hatte auch kaum flatt- gefunden. Der Vater hatte mir nichts von ihm ge fagt, und ich war erftaunt, ihn zu fehen. Er fah mid; mit guten Augen an, reichte mir freundlich die Hand, und ic; feste mid; gern zu ihm in feinen Magen.
Da es regnete, blieben die Fenfter der alten, Happrigen Chaife gefchloffen; fie befchlugen fchnel, und ich konnte den Weg, den wir nahmen, nur uns
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deutlich erfennen. Der Vater und der Onfel fchrien gegeneinander an, denn dad alte Gefährt machte auf dem Straßenpflafter einen großen Lärm.
Mir fuhren nun durd viele breite und helle Straßen, bogen in eine Seitengaſſe ein, ratterten zwifchen hohen Käufern hin und hielten endlich vor der Buchhandlung.
Ein paar Straßenjungen flanden fill und fpotteten über die alte Kutfche und den Sohann im dicken Wolfchal, der gewiß feinen fehr herrfchaftlichen Eindrud machte.
Sch ließ meinen Blick fchnell über die bunte Bücherauslage des Schaufenfters fchweifen, wunderte mich über die ſchmale Ladentür und fühlte plöglich mein leßted bißchen Mut entfchwinden. Die beiden Alten fchoben mich vor fich her in den Laden, die Tür fchloß ſich mit einem fohrillen Klingeln hinter ung, und da ftand ich nun auf dem Boden meiner nächſten Zukunft.
Ganz hinten in dem langen, fchmalen Raum löfte fich eine Geſtalt von einem hochbeinigen Seffel und fam mit vielen Verbeugungen eines Fundenfrohen Gefchäftsmannes auf und zu. Als der Vater uns vorftellte, fchien der Überhöfliche ein wenig enttäufcht, gab fich ald der Chef zu erkennen und reichte mir mit einer gemachten Freundlichkeit die Hand.
„Sehen Sie nur gleich nach hinten,“ fagte er und rief den Hausknecht, mid; zu geleiten.
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Diefes ſchnelle Berfügen über mich, bevor ich midy noch von meinen Begleitern verabfchiedet hatte, war nicht geeignet, meinen Mut zu heben. Sch fah mid unfiher nad) dem Vater um und wollte ihm fchon die Hand zum Abfchied reichen, als er bat, der Prinzi- pal möchte mich noch für zwei Stunden freigeben. Das fam dem fo unerwartet wie mir. Sch erfchraf freudig und fürchtete, er würde nein fagen. Er fchien auch einiges Bedenfen zu haben, denn er zog die Uhr und wiederholte langfam: „Zwei Stunden?“
„Sn zwei Stunden bring’ ich ihn wieder,“ fagte der Vater mit dem Ton eined Mannes, der nicht ge- wohnt ift, Widerſpruch zu finden,
„Gewiß, gewiß, felbftverftändlich,“ ftieß der Chef haftig heraus, fchien aber doch ein folches Verlangen unerhört zu finden.
Der Wagen wurde nun weggeſchickt, und wir gingen eine kurze Strede zu Fuß. Sc war voller Erwartung, wohin? Man gab mir feine Erflärungen, und ic; bewegte mich wie in einem Märchen. Der Onkel in feinem altmodifchen, langen, blauen Nod, den grauen Zylinderhut auf dem weißen Kopf, machte den Führer, Er blieb bald vor einem Ecdhaufe fiehen, fah den Bater lächelnd an und lud und mit einer Handbewegung ein, die wenigen Stufen, bie in einen Aufternfeller führten, hinabzufteigen. Es war Cöllns Keller, der fich fchon damals eines vor- züglichen Rufes erfreute.
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Sp faß ich denn ſchon eine Stunde nadı meinem Einzug in Hamburg vor einem Schlemmerfrühftüd. „Willſt du auch Auftern?“ fragte der Vater.
Befcheiden, wie ic ed zu Haufe gewohnt war, fagte
ih: „Wenn ich bitten darf?“
„Natürlich darfit du.“
War das der Bater? War das ich? Befeligend kam es über mid: ‚Du giltft jegt auch etwas, bift gleichberechtigt, fein Kind mehr‘ Tapfer fah ich mic; um, fegte mid; auf dem Stuhl in Pofitur und genoß das erhebende Bemwußtfein, in Hamburg eine andere Rolle zu fpielen als in Lübed.
Und dann fam die Föftliche Platte,
Wie geſchickt der Kellner fie auf den Tiſch ſchob.
Drei Dugend Auftern auf Eis, die gelben Zitronen- fcheiben daneben.
Der Bater legte mir zwei Schalen auf den Teller. Sch nahm erft verlegen einen Schlud Wein, denn ich wußte mit dem wunderlichen Gericht nichts an- zufangen, und fah zu, wie die beiden Alten die fchleimigen Seetiere mit wollüftigem Geräufh und gefchloffenen Augen aus der Schale jchlürften; dann führte auch ich zitternd die erfte Aufter zum Munde.
Brrrr! Schmedte das! Nach Seemwaffer!
Zapfer faute ich den ungewohnten Biffen, war aber nicht imftande, ihn herunter zu fchluden. Der Onkel ladıte.
„Nun, will's nicht?“ fragte der Vater.
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Be EI RE ee N
Sc ſchämte mid, nein zu fagen, zwang’d hinab und machte mich fchaudernd an die zweite Aufter.
„Dual dic nicht, unge,“ fagte der Onkel,
Sch lächelte füßfauer.
Da beftellte der Vater ein Beeffteaf für mich, das fhmedte mir beffer. Es ftiegen aber Bedenfen in mir auf, ob es mit den anderen Hamburger Herrlich⸗ feiten etwa auch fo befchaffen fein fünnte, wie mit den Auftern. Und ich fchludte den letzten Biffen Fleifh ſchon mit dem beflemmenden Bemwußtfein, daß die Stunde meined Eintritt ind arbeitende Leben nun nahe fei.
Erftaunt war ich, als nicht der Onfel, fondern der Vater bezahlte. Meine Augen weiteten ſich, als er dad Goldſtuͤck auf den Tiſch legte, und weiteten fihh noch mehr, ald er dem Kellner einen ganzen Taler ald Trinfgeld zufchob. ‚Donnermwetter!‘ dachte ich und fand es ganz in ber Ordnung, daß der Kellner ihm feinen Pelz mit größter Dienftbefliffenheit um— hing.
Der alte Dnfel wurde um einen Grad weniger höflich behandelt. Ich darf nicht fagen, daß er au | in meiner Achtung ſank, aber ich war doch enttäufcht: ih hatte ihn für fehr reich gehalten. Eigenes Fuhrwerk, Hof und Garten — ich war ber feften Meinung gemwefen, er würde hier den Wirt machen. Dod es fchmeichelte mir wieder, daß es der Bater war, der fo nobel auftrat. Der Kellner begleitete
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ung mit vielen Kragfüßen bis an die Tür; ich ermiderte fie höflich, und der Piffolo lachte über mid.
Draußen war es falt, und obgleich der Rheinwein mir einen heißen Kopf gemadıt hatte, fror mid). Trogdem mwünfchte ich, die Buchhandlung läge am Ende der Stadt, aber nach zehn Schritten um bie nächfte Ede ertönte wieder das fchrille Läuten der Ladenglode, und Iöfte fi) wieder in dem dämmrigen Hintergrund die Geftalt des Chef von feinem Pult. Er rieb fich die Hände, ließ einen verftändnisvollen Blick über unfere weingerdteten Gefichter gleiten und zeigte deutlich, daß er bei einer offenbar dringenden Arbeit geftört worden war.
„Ma, denn adjd, mein Junge,“ fagte der Vater, gab mir einen Kuß, was er fonft nie zu tun pflegte, und lächelte ganz glüdlich, während mir Feineswege fröhlich zumute war. Der Onfel ermahnte mic, nod) mal, ihn und die Tante ja recht fleißig zu befuchen, und nach einem legten Austaufch von Komplimenten ftand ich allein vor dem fünftigen Herrn und Ge— bieter, Er fah mid; mit fchwarzen, ftechenden Augen an, wie man eine Ware muftert. Seine Geſichtsfarbe - war blaß und fränflich, in dem dichten Rahmen eined ſchwarzen Bartes faft weiß, und ich empfand etwas wie Furcht vor ihm.
Er rief wieder nad dem Hausknecht, und ein großer, junger Menfch von elefantenhaftem Bau nahm mich in Empfang.
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a —
„Wollen Sie bitte mit nach hinten kommen,“ ſagte er und grinſte mich gutmütig an. Schwerfällig
latſchte er voraus.
Wir gelangten durch zwei, drei kleinere Raͤume in
ein größeres Zimmer; in dad Wohnzimmer, wie mid
mein Führer belehrte. Es war geräumig genug, war aber halbdunfel, da es nur ein Fenfter hatte, das in den Hof hinausfah, und eine dumpfe, feuchte Luft herrfchte darin. Dahinter lag das Schlafzimmer, das war fat dunkel, und die Luft in ihm war noch fchlechter, war muffig und modrig. Undeutlich unterfchied ich zwei Betten, einen Schranf, einen Wafchtifchh und Bücher- regale, die zwei der Wände bis unter die Dede aus— fülten und mit Paketen und Büchern vollgeftopft zu jein jchienen. Ein einziges Fenfter ging auf einen engen Hinterhof hinaus, der von hohen, verräucher: ten Mauern eingefaßt war. Schwer legte ſich die die Luft mir auf die Bruft.
Der Elefant erflärte mir, was zu erflären war und führte mich wieder in das Wohnzimmer, das ein Sofa, ein runder Tifh und zwei Stühle möblierten. Die Hauptwand war aud) hier wieder von einem großen Bücherregal eingenommen, das aber einen fchranfartigen Unterfagß hatte; Hermann, jo hieß der Hausknecht, öffnete ihn, und ich fah eine Butterdofe .und eine Zucertüte, Kannen und Zaffen und atmete eine fonderbare Luft von Fett und Kolonialmaren.
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Nachdem id mich in diefen unfreundlichen Räumen haftig eingerichtet hatte, begaben wir und wieder zum
Chef. Bon ihm empfing ich denn weitere SInftruf
tionen, wobei er indes freundlicher war als beim Empfang. Der Raum zwifchen dem Laden und dem MWohnzimmer war mir zum Arbeiten angewiefen. Er war der helfte und behaglichfte von allen, er hatte zwei Fenfter, die nach dem Zwifchenhofe hinausführten und zwifchen denen mein Pult ftand. Um mid; herum aber waren lauter hohe Regale mit Büchern ver-
fohiedenfter Größe angefült, die alle denfelben ab-
genugten, braunen Lederrücken mit einem Fleinen grünen Schild darauf zeigten: die Keihbibliothek,
Der Geruch der alten, zermürbten Lederrücken gab diefem Raum feine befondere Atmofphäre.. Alle
diefe Bücher waren abgegriffen, befhmust, in uns zähligen Käufern mit dem widerlichen Duft von
Zabaf, Eau de Cologne und Schlafzimmerdünften und Gott weiß welchen Odeurs feit Sahren getränft.
„Die Bedienung der Leihbibliothef ift hauptfächlich Ihre Pflicht!“ fagte der Chef, zeigte mir den Plag, wo ber Katalog fand und meinte: „Sie werden ſich fhon zurecht finden.“
MWährenddeffen fam ein fchmächtiger, netter, junger Mann herein, den er mir als den Gehilfen, Herrn Schünemann, vorftellte Diefer gab mir freundlich die Hand, und ich fah auf den erften Blick, daß wir . gut miteinander ausfommen würden. Kerr Schüne-
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mann übernahm es dann weiter, mich in die Gefchäfte einzuführen, und ehe eine halbe Stunde vergangen war, faß ich an meinem Pult und orönete Fafturen nach dem Abe.
Das war nun feine ſchwere Aufgabe, fie war aber
feineswegs fehr unterhaltend; doch war fie mir für den Anfang fehr lieb, denn fie ließ mir Zeit, mid mit meinen Gedanken abzufinden. Mechanifch ordnete ih: Abel, Adermann, Bartolomäus, Benzheimer und fo weiter, „Wenn Sie fertig find, wollen Sie bitte dieſe Zettel auch ordnen,” fagte der Chef und legte mir ein Päckchen Heiner und Fleinfter Zettelchen aufs Pult. Und wieder faß ich und fingerte zwifchen den winzigen Papierchen herum: ABEDEF...
Bon meinem Pult aus konnte ich über den Hof hinüber einem Schufter in die Werfitatt fehen. Der Alte faß da mit einem Gefellen und einem Lehrling von morgend bid abends fleißig über dem Xeder. Das wollte mir unterhaltfamer erfcheinen ald mein Abe. Aber der Tag ging hin, und ich Fonnte mid) nicht über zu große Anftrengung beflagen. Ein paars mal war ein Xeihbibliothefdbuc gefordert worden, und ich hatte von meinem Bock herunter auf Die Reiter müffen. ‚Was wird der nächſte Tag bringen?‘ Mit diefem Gedanken legte ich mich ded Abende
müde ind Bett,
* * *
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Der zweite Tag verlief wie ber erfte, der ber Anfang von einer langen Flucht von grauen Tagen war, von denen einer dem anderen glich.
Alpha, Betha, Gamma, Delta.
Hatte ich darum griechifch gelernt?
Bücher abftauben, Pakete paden, Ballen mit der Packnadel nähen, Fafturen ordnen, Leihbibliothefds bücher nadı der Nummer herausfuchen und wieder
einordnen, Davidis’ Kochbuch verfaufen oder Elife
Polkos Dichtergrüße oder, wenn das nicht vorhanden war, fonft ein Buch „zu drei Mark, aber mit Gold- ſchnitt“ — jeder Hausknecht konnte dieſe Arbeit ebenſogut verrichten wie ich, der nebenbei auch den Ofen heizen und mit der Scheuerbürſte die —— reinigen mußte.
Nach einem Vierteljahr war ich ganz verzagt. Würde das denn gar nicht anders werden? Der Vater hatte mich dem Prinzipal auf fuͤnf Jahre verpflichtet. Fünf lange Jahre, während welcher ich lernen ſollte, wo nichts zu lernen war, und zum Entgelt nur Koſt und Logis bekam, während ich den Hausknecht jeden Sonnabend um feinen baren Wochen- lohn beneibdete.
Ein Brief von Freund Fritz aus Lübeck war nicht geeignet, mich meiner Niedergefchlagenheit zu ent: reißen.
„Wie beneide ich Dich,“ fchrieb er, „um Deine jegige Eriftenz. Sch bin zwar auch nicht zu bedauern
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und bin mit meiner Lage wohl zufrieden. Freilich . nimmt mid; das Gefchäft tagsüber firamm her, aber ic; gewinne dabei Einblide in ein großes Getriebe; der Chef läßt mid) überall daber und läßt mich lernen, was zu lernen ift. Sch habe dem Kaufmannzftand doch unrecht getan und bin meinem Vater nicht mehr gram, daß er mich, etwas gewaltfam freilich, dazu beftimmte. Mein Horizont erweitert fi, ich ſehe dad Tor zur großen Welt aufgetan und hoffe, in zwei Sahren, wenn ich audgelernt habe, es zu durdh- fohreiten; wohin dann, weiß ich noch nicht, wahr; fcheinlich aber wohl nach Schweden.
„Du mußt nun aber nicht glauben, daß ich unferen Idealen untreu geworden bin. Im Gegenteil, habe id den Tag über auf dem Kontorbode zugebracht, freue ich mich um fo mehr auf die ftille Abendlampe und die geliebten Bücher. Ich Iefe jest Schopenhauer, und ein Schleier nach dem anderen fällt von meinen geiftigen Augen. Wie beneide ich Dich um die vielen Bücher, unter denen Du lebft und webft, und woran Du Dich nad; Herzendluft bilden fannft. Haft Du Schopenhauer gelefen? Womit befchäftigft Du Dich jest? Laß mid; doch teilnehmen an Deiner Lektüre. Wie fhön war ed, ald wir in gemeinfamem Ge- danfenaustaufch unfere freien Stunden verlebten. Noch habe ich feinen Erfag für Dich gefunden, werde ihn auch wohl nie finden; doch ift ein junger Mann an unferem Kontor, der gleichfalls für alles
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Schöne und Edele glüht und fih mir langfam zu nähern fcheint.“
Mit welchen Gefühlen Iegte ich dieſen Brief beis feite! Bitterfeit und Scham erfüllten mid. Fritz lad Schopenhauer und glaubte mich gleichfalld in fo hohen Welten heimifch, ja beneidete mid um Die herrliche Bildungsmöglichkeit, die ich vor ihm voraus» hatte. Ad), wenn er wüßte, welches Hausknechts⸗ dafein ich hier lebtel Er würde mid, fchon jeßt dem neuen Freunde opfern.
Sa, an Büchern fehlte e8 mir nicht! Bücher! Bücher! Bücher! Um mid, über mir, unter mir! Nichts ald Bücher! Aber nur ald Ware! Wann follte ich vom Inhalt Kenntnis nehmen? Sch lernte nur Titel und Preife kennen!
Mar ich von morgens fieben bis abends zehn Uhr auf den Beinen gewefen, fielen mir die Augen faft von felbft zu. Nad und nad) gewöhnte ich mid) freilich und griff auch nad) einem Bud. Aber ad, befhämt merfte ich, daß mein Geift für fchmwere Leftüre nicht mehr mac genug war und begnügte mid, mit einem Roman von Spielhagen oder Auer- bach und verzehrte dabei mein Abendbrot. Ich befam Schwarzbrot und Butter von der Prinzipalin geliefert und konnte mir dazu Kaffee oder Tee kochen. Ich zog den Kaffee vor, der mic; anregte und mich wach hielt, und tranf viel fchwarzen Kaffee und aß, da
die Butter oft ranzig war, mein trodened Schwarz
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Br
brot dazu. Doch ich war nicht verwöhnt und war am Ende ded Tages jedesmal ehrlich hungrig.
Der Sonntag bradıte mir ein bißchen Freiheit. Sn den Bormittagsftunden hatte ich, gleich dem Hausfnecht, Sournale audzutragen; nachmittags ging ich gemwöhnlicdy zum Onkel nach der Uhlenhorft.
Sch fand immer freundliche Aufnahme hier. Doc) ed waren alte Leute, fie faßen nadı dem Kaffee am
‚großen Tiſch und legten Grabuge; die Tante huftend
und frächzend, der Onfel beftändig mit feinem roten Taſchentuch befchäftigt. Ich faß artig daneben und mifchte ihnen die Karten. Geduldig harrte ich, bis die Stunde des Abendeſſens fam, das gegen meinen Schwarzbrotimbiß fürftlich zu nennen war und mid; jedesmal mit der Langeweile der vorhergehenden Stunden wieder ausföhnte.
Sn der Woche kam ic, Faum anders auf die Straße als auf dem Furzen Weg zum Mittagstifch, oder mit dem „Suchbuch“, wenn es galt, eiligft bei einer bes
nachbarten Buchhandlung ein Buch zu fuchen, das
in unferem Laden gefordert wurde, aber nicht vor- rätig war. Da wäre ich denn freilich oft gerne länger unterwegs geblieben, und ed machte mir Ver; gnügen, im Strudel des Menfchenftromes dahin zu treiben. Herrgott, wo kamen alle die Menfchen her? Und jeder hatte ein anderes Geficht und war wert, einen Augenblid angeftaunt zu werden, ein Gefchöpf für fih! Aber dazu war feine Zeit. Ein ander»
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OT US Ze Bee KT —— N
mal wieder beängftigten, bedrüdten mid; die Menge Menfchen. Sch verfanf rettungslos in dem gewals tigen Strom, der mich umbrandete, befam mitten im dichten Haften und Hetzen Heimweh nad den ftillen Straßen meiner Vaterftadt und fühlte mich unglüd- ih an einem Plage, wo mir alles fo fremd und falt und fat drohend gegenüberftand.
* * *
Ein Jahr war vergangen. Ich verhockte und ver—⸗ muffte in meinem Buͤcherkäfig. Immer das gleiche Einerlei von morgens bis abends. Ich hielt das
nicht laͤnger aus. Was follte ich hier noch lernen?
Was war das große Geheimnis diefed Geſchäfts— betriebes, um deffentwillen ich fünf Sahre meines jungen Lebens daran geben mußte? Diefe öde Krämerei, wie haßte ich fie! |
Ein wütender Drang nad Freiheit erfaßte mid). Sch war nahe daran wegzulaufen. Da fam mir Hilfe von einer Seite, von der ich fie am menigften er- wartet hätte.
Sch machte in einer Singhalle die Befanntfchaft einer Fleinen blonden Sängerin. Eines Abends war ich, ich weiß nicht wie, in diefe dicke, dumpfe Atmofphäre von Bier, Tabaksqualm, Stumpffinn und Gemeinheit hineingeraten. Die Fleine Sängerin faß ganz vorn auf dem Podium. Sie mochte achtzehn, neungehn
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TE TE he N Fun * —
Jahre alt fein, ein Gemiſch von Unſchuld und Ver— dorbenheit. Mit quäfender Stimme fang fie Abend für Abend dasfelbe Lied. Sie hatte ed nicht ſchwer, in dieſer Gefellfchaft verlebter und verblühter Schön- heiten die Kübfchefte zu fein; in meinen Augen wenigftend war fie ed. Und ich mochte fie mehr als nötig angeftaunt haben, denn fie nickte mir freund«- fich zu. Sch wurde rot, und fie lachte, amüſierte ſich über mich. Aber in der Paufe kam fie zu mir, ſetzte fih an meinen Tifch und fragte, ob es mir recht fei. Mir dummen ungen fchmeichelte das; vor allem Publifum feste ſich die jüngfte und hübfchefte der Damen zu mir. So fing unfere Befanntfchaft an. Bald jagen Nelly und ic; Abend für Abend zufam- men; fie tranf mein Bier, aß mein Butterbrot, rauchte meine Zigaretten. Sie war Iuftig, kindlich, harmlos, fo fchien es mir; ich war fein Menfchenfenner. Ich gewann fie lieb und begann, mich für fie zu ruinieren; dazu gehörte nicht viel, denn ich befam nur monat- liche einen Taler Tafchengeld von zu Haufe.
Aber man fam mir auf die Spur. Der Chef er fuhr von meinen häufigen Baridtebefuchen und hielt mir eine Moralpredigt. Er ſprach in verädhtlichen Morten von „diefer Sorte Mädchen“.
„sch hätte Ihnen einen befferen Gefchmad zus getraut,” fagte er. „Sie hat ja einen unreinen Teint.“
Das traf meine Eitelkeit. Sch fchämte mid und war ungluͤcklich.
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„Diefe Sorte Mädchen!“ mie er das fagte; fo wie man etwas lÜbelfchmedendes ausfpudt. Das empörte mid; doch wieder. Kannte er fie denn? ie war rein, unfchuldig, nur die Not zwang fie zu diefem Gewerbe; ich wußte ed aus ihrem eigenen Munde.
hr Teint war nicht ganz rein, das war wahr; aber woher mußte er e8? Er fannte fie alfo auch? Vielleicht war es gar Eiferfucht, was ihn aufbradjte. Sch hatte wirflich diefen albernen Gedanken und ver- trogte mich, der Nelly nun erft recht treu zu bleiben. Aber der Prinzipal mochte eingefehen haben, daß es mich weiter den Gefahren der mächtigen Großſtadt ausfegen hieß, wenn er mich länger allein wohnen: ließ, und ich mußte in fein Haus überftedeln.
Als empfänden fie, daß fie fich bisher gar zu wenig um mich befümmert hatten, fuchten er und feine Frau mir eine gewiffe Häuslichfeit zu fchaffen, indem ich abends nach dem Tee, den ich mit ihnen zufammen einnahm, noch ein halbes Stündchen im Zimmer verweilen durfte. Sch las dann ein Buch, während der Prinzipal fi in Die Zeitung vertiefte und die Frau ſich mit einer Kandarbeit befchäftigte. War die halbe Stunde aber abgelaufen, wurde ich ind Bett gefchicdt. Ich fah ein, daß die Eheleute ein Recht darauf hatten, ihren Abend unter fich zu verbringen. _ |
Sie war nod) eine junge, hübfche, blutfrifche Frau
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von ftattlihem Wuchs, deren ruhiges, gelaffenes Mefen mir fehr gefiel. Sie war immer gleich freundlich zu mir, und ich durfte annehmen, daß ber behagliche Friede, der die kurze Abendftunde fo angenehm machte, in der Hauptſache von ihr aus- ging.
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Es waren faft zwei Sahre vergangen, daß id feinen der Meinigen wiedergefehen hatte. Die Mutter hatte freilich regelmäßig gefchrieben, jo daß ich aud) in der Fremde mit den Meinen fortlebte. Die Briefe der Freunde waren dagegen fehr bald fpärlicher ge worden, und es war zulegt bei gelegentlichen Grüßen geblieben; felbft Freund Fritz hatte fid als ein läffiger Brieffchreiber erwiefen. Da gewährte mir der Prinzipal einen zweitägigen Urlaub in die Hei— mat. Wie freute ich mid nun, auf neue mit ihnen allen anknüpfen zu können, und freute mich vor allem auf ein Wiederfehen mit den Eltern und Ge⸗ ſchwiſtern.
Mit offenen Armen wurde ich zu Haufe empfangen. Die Mutter fah angegriffen aus, war aber heiter und ging ganz in der Freude auf, mich wieder umhalfen zu fünnen. Der Vater begrüßte mich freundlich in feiner überlegenen, ruhigen Weiſe und fo, ald wäre ich feine acht Tage fortgewefen. Doc; ftörte mid) das nicht; ich burfte annehmen, daß er es trotzdem gut mit mir meinte.
Mein Erfted war, nad der Begrüßung Die Treppe hinaufzufpringen in unfer alted Zimmer, Das ‘ jet der Bruder allein bewohnte. Ad), ed war nod) das alte, und war ed doch nicht! Der Raum war größer und leerer, da jegt nur ein Bett darin fland, und e8 fehlte — ja was fehlte?
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Mein Bruder hatte nun auch fchon die Schule ver- laffen, hatte gleichfalls auf feinen Studienwunfd) ver- zichten müflen und war von dem Vater in eine Schlofferwerfitatt geftedt worden. Da war er denn nur noch zum Schlafen in feinem Zimmer, Wie wohnlichh, wie behaglich war es einft hier oben. Jetzt war ed ein Zimmer wie andere. Nur als ich vor dem Fenfter ftand, und auf das Dach hinausfah wurde ed mir warm ums Herz Der alte Schorn- fein, die ſchmutzigen roten Ziegel, die Rinne, alles befam Leben. Eine Krähe faß auf dem Firft. Saß fie noch von damald dort? Es war mir, ald müßte fie mich wiedererfennen.
Auch auf den Boden flieg ich hinauf, und fah die hellen Sonnenflefen auf dem Fußboden wieder, fab den Staub in den Lichtfäulen tanzen, Die durch die Fenfter fielen, und fuchte nach dem alten Schaukelpferd. Es war nicht mehr da, ed war an den Sohn der Wafchfrau verfchenft worden. Wir waren alle varüber hinaudgewachfen, und das jüngite Schweiterchen hatte ed nicht einmal mit den Augen gefehen; ed lag auf feinem Stredbett. Blaß, mit einem lieblichen, heiteren Frieden auf feinem hüb— schen Gefichtchen, lag es da. Ad, ed war Fein Wunder, wenn die Mutter müde und angegriffen ausfah.
Abende ging der Bater weg. Er hätte feinen „Abend“ heute, fagte die Mutter. Wir andern aber
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faßen dann alle beifammen, fie, die ältefte Schwefter, der Bruder und ich, und im NMebenzimmer lag bie Kranfe und fprad) dann und warın durch die offene Tür ein ftilled Wort mit. Da mußte ich denn erzählen, manches zum zweitenmal, und hatte viele Fragen zu beantworten. Die alte Rampe brannte auf dem alten Zifh, und mir war, ald wäre ich hier nimmer weg gewefen, und war mir doch fefundenlang wieder, ale wäre ed ein Traum und wollte mic, ängftigen, und ich wußte nicht, wad ed war. Nachts Fam die Mutter noch einmal in meine Kammer, fegte fih auf den Bettrand und nahm meine Hand in die ihre. Und ich fah, daß fie etwas auf dem Kerzen hatte. Sie forgte ſich um mein fittliched Wohl, bangte, ich könnte auf fchlechten Wegen wandeln und redete mir ein- dringlich zu Gemüt.
Sc fagte, was mir zu ihrer Beruhigung einftel, fonnte es aber nicht übers Herz bringen, fie zu hinter- gehen, und erzählte von Nelly. Sie war erfchroden, doch Fonnte ich fie beruhigen, daß das alles hinter mir läge und mir jegt ſelbſt Efel einflöße. Auch ftellte ich alles harmlofer hin, als es war und ver fprach ihr, in Zufunft folche Lokale zu meiden.
„Geh lieber einmal ind Konzert oder ind Theater,“ fagte fie. „Es ift ja wohl teuer, aber du haft dann etwas Schönes und Edles.“
Sc lachte. „Herzlich gern, aber das koſtet Geld, mehr als ein Glas Bier.“
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Sie war erftaunt, als fie die hohen Preife hörte, und fah ein, daß id; das von meinem geringen Tafchengeld nicht beftreiten Fonnte. „Sch will mit dem Vater fprechen,“ fagte fie, „daß du mwenigftens dann und wann bir ein Theaterbillett erlauben darfſt.“
Sch war froh und dankte ihr. Lange lag ich wach und träumte von den herrlichften Kunftgenüffen.
Ald ih am anderen Tage ein paar Freunde auf- fuchte, waren fie erftaunt, daß ich noch nicht ein einziges Mal im Theater oder im Konzert gemwefen war. Sch bemühte mich, das zu erflären, ohne den wahren Grund angeben zu mögen. „Menſch, mie hältft du das aus?“ riefen fie wie aus einem Munde, und ich meinte zu bemerfen, daß ich ein wenig in ihrer Achtung ſank.
Sch fuchte ihre Meinung wieder etwas zu vers beffern, indem ich ihnen berichtete, was ich alled ge— lefen hatte, aber ed imponierte ihnen nicht ſehr; fie hatten ganz andere Sachen gelefen: Shafefpeare, Kant, Goethe, Hebbel. Sie fprachen gelehrt und von oben herab, und ich wurde ganz Elein und fam mir armfelig und dumm vor.
„Menſch, was treibft du denn eigentlich?“ frag- ten fie.
„Pakete paden, Bindfaden fnütteln, Fafturen fchreis ben, Staub wifchen, Schaufenfter deforieren, und allerlei anderes,“ fagte ich ingrimmig. Sie fahen
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mich an, wie einen Berlorenen, der nicht mehr zu ihnen gehörte, fprachen hohe Dinge, ohne mid; teils nehmen zu laffen und befannen fich erft beim Ab fchied wieder, daß wir eigentlich Freunde feien. Sie fchüttelten mir freundlich die Hand und wünfchten mir alled Gute. Bei Frig erhoffte ich eine beffere Aufnahme, aber unglüdlicherweife traf ich ihn nicht an; er fei verreift, hieß ed. Enttäufcht ging ich nad Haufe, |
Auf der Diele hörte ich laute Worte im Wohn: zimmer fallen. Es war ber Bater. Er fpradı heftig. Sch wollte anflopfen, wagte ed aber nicht, fondern ging ftil nad oben. Gleich darauf hörte ich, wie die Haustür hart ind Schloß fiel. Sch fah zum Fenfter hinaus, da ging der Bater mit blanfem Zylinder, wie immer würdevoll wie ein Senator, die Straße hinunter. Sollte ich zur Mutter hinab» gehen? Sch konnte ed nicht. Mein Herz fchlug in banger Ahnung und mir war elend zumute. Am Nachmittag follte ich wieder abreifen. In diefer Stimmung? Und wir hatten uns fo herzlich und fröhlich umarmt, als ich angefommen war.
Die Mutter fam die Treppe herauf und erfchraf, ald fie mid am Fenfter fiten ſah; fie hatte mein Kommen überhört. Sch bemerkte, daß fie gemeint hatte. Sie fah meine fragenden Augen, fah meine Verwirrung, aber fchwieg. Und ich durfte nicht fragen. |
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„Nun, haft du fie getroffen?“ fragte fie dann.
„Sa,“ fagte ich etwas gepreßt.
„Haben ſie fich nicht gefreut?”
„Das haben fie fchon.”
„Aber? “
„Ad Gott, das Alte ift e8 doch nicht mehr,“ bemühte ich mich möglichft wegmwerfend zu fagen, aber Ärger, Zorn, gefränfte Eitelkeit übermannten mich, und ich fhüttete mein Herz aus. Hochfahrend, eingebildet wären fie gewefen, aufgeblafene Burfchen, mit denen ich nichts mehr zu tun haben wolle.
„Du mußt nicht fo fcharf fein,“ fagte fie. „Ohr feid alle älter geworden und jeder hat andere und feine befonderen Intereſſen. Und dann ändert man ich, und es fcheint, ald wüchſe man auseinander. Deswegen fann doc; die alte Freundfchaft im Grunde noch bleiben, man muß fie nur immer pflegen.“
„Wie fol man das machen?“
Sie antwortete nicht barauf, fondern fagte: „Wir müffen und alle gegenfeitig nehmen, fo wie wir nun einmal find, und muß feiner vom anderen zuviel ver; langen. Nur mit Kiebe und Geduld Täßt fid; das Leben ertragen.“ Ä
Sch fühlte, daß hinter diefen Worten etwas anderes fand als mein Verhältnis zu den Freunden, und als ob fie das merfe und ablenfen wolle, fuhr fie uns vermittelt fort: „Sch habe mit dem Vater gefprochen. Er hat erlaubt, daß du jegt monatlich fünf Marf
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ſtatt drei bekommſt, da kannſt du wenigſtens einmal im Monat dir ein Theater» oder Konzertvergnügen erlauben.“
Sch dachte fogleich, daß diefes die Urfache des elterlichen Zanfes gewefen war, und daß. der Vater nur miderwillig feine Zuftimmung gegeben haben mochte.
„sch kann mich auch fo einrichten,“ fagte ich.
„Nein, es bleibt num dabei. Sparfam mußt du freilich fein. Es wird dem Vater nicht leicht, immer dad Geld zu fchaffen. Der Bruder verdient ja auch vorläufig noch nichts, und dann die Krankheit ber Schweſter —“
Sie brach leiſe ab, und ich merkte wieder deutlich, daß hinter ihrer angenommenen Gelaſſenheit ein tiefer Kummer ſie bewegte. Was mochte das ſein? Nur Sorgen? Sie hatte mich nun ſchon zweimal an dieſem Tage zum Sparen ermahnt, und ich gedachte der Auſtern im Hamburger Keller, und wie der Vater das Geld fo vornehm laͤſſig auf den Tiſch gelegt und wie er dem Kellner das reichliche Trinfgeld zu— gefchoben. Ob die Mutter wohl jemals Auftern zu effen befäme?
Der Vater fam nicht zu Tifch, und ich mußte am Nachmittag abreifen, ohne ihm Adjö gefagt zu haben. Die Mutter und die Schweiter brachten mich an den Bahnhof, und ich fuhr ſchweren Herzens wieder nach Hamburg zurüd,
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Keine Hoffnung, feine Erwartung auf Neues, Schönes, Wunderbares vergoldete mir dieſen Abs ſchied; grauer als fonft lagen die Werfeltage vor mir, und grau lag der Himmel über dem Baterhaufe hinter mir. Die Türme Lübecks verfanfen; nod ein fester Blid auf fie, und ich legte mich traurig in meine Ede zurüd.
Zwei junge Leute meines Alterd waren mit mir im Coupe, rauchten, und fuchten fich auf jede Weife ald erwachſene Männer zu benehmen. Sch gedadıte der Freunde, die auch über mich hinausgewachlen waren, und fam mir klein und unbedeutend vor, ein armes fleined Nichts, das hilflos in die weite Welt
hinausrollte.
x * *
Ich wurde nun wieder umquartiert. Aus welchen Gründen, weiß ich nicht mehr. Genug, ich mußte in das alte muffige Schlafzimmer zurüd, Der Gebilfe, immer derſelbe ftille Mann, der tagsüber faft un hörbar feine Pflicht tat und abends zu feiner Braut ging, ſchien kaum teil daran zu nehmen. Sch ftörte ihn ja auch eigentlich nicht, denn wenn er nachts heimfam, lag ich fchon lange im gefunden Schlaf. Der vermehrten Freiheit, die ich nun wieder abends hatte, war ich fehr froh. Wielleicht wäre ich wieder auf Wege geraten, die mich in die faule Atmofphäre der Barietes geführt hätten, wäre mir nicht bie
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Möglichkeit geworden, monatlich einmal ins Theater
gehen zu fünnen. Gleich der erfte Theaterabend riß
mich aus den Niederungen meines bisherigen Dahin- lebens in ftrahlende Höhen.
Man gab den „Lohengrin“, Albert Niemann fang ihn.
„Atmeſt du nicht mit mir Die füßen Düfte? D wie fo Hold beraufchen fie den Sinn.”
Elfas blonded Haupt ruhte an ber breiten Bruft bes Schwanenritterd. Mondlicht überfloß den Altan, zerfloß mit der weichen, fjehnfüchtigen Mufit ber
Geigen, hüllte die Liebenden ein; ein finnbetörender
Zauber einer für mic; neuen, wunderbaren Welt.
Ein efftatifcher Raufch überfam mich, ein Schweben
zwifchen Keufchheit und Wolluf. Sch fühlte diefe Muſik körperlich. Sch war fo ergriffen, daß ich hätte weinen mögen. Tagelang, wochenlang mwühlte das in mir nad). Sch ging, wie in einem blauen Nebel, war verliebt, ohne zu wiflen in wen; in ein traumhaftes, überirdifches Wefen, in einen holden Schatten. Wie gemein erfchien mir jest Nelly, „diefe Sorte Mäp- chen“. „Atmeſt du nicht mit mir die füßen Düfte?“
Ich breitete die Arme aus. Komm, fomm! Ein ſchmerzlich wonnevoller Zuftand, Franfhaft bis zu Tränen, die nachts meine Kiffen negten.
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Ach, hätte ich jest mein altes Klavier gehabt! Ich fchrieb darum nach Haufe, Die Mutter ſah die Be: rechtigung meines Wunfches ein; fie wolle fehen, was fih machen ließe, e8 wäre doc; auch in jeder Weiſe zu meinem Beſten, wenn ich mid; auf dieſe Weife beſchaͤftigte. Und wirklich machte fie ed möglich, mir für diefen Zweck monatlich ſechs Mark zu fchiden. Aber ich folle ed den Vater nicht wiffen laffenz fie fchrieb, e8 wäre von ihrem Hausſtandsgeld, und fie hoffe fich einrichten zu fünnen. Mit widerftrebenden Gefühlen nahm ich das Opfer an, voll heißen Dankes und tiefer Rührung und doc, auch wieder mit Ge- wiffensbiffen, daß ich der Mutter dadurch Einfchrän- fungen auferlegte. Gedanken darüber, daß fo ein geringfügiger Betrag in ber Rechnung meiner Mutter eine Rolle fpielte, machte ich mir nicht. ich ver: diente ja ſelbſt noch nichts, die ſechs Marf waren für mic; tatfächlich eine große Summe, und fo durfte ich wohl denfen, daß es meiner Mutter fchwer wurde, fie zu miffen. |
Um fo danfbarer war ih. Sch litt nur darunter, daß ich in meinen Briefen nie von meinem Klavier fprechen durfte, damit der Vater nichts davon erführe. Warum wohl wollte er es nicht erlauben? Er war doch gar zu hart und fireng. Und immer wieder mußte ich an das Aufternfrühftüc denfen. Drei Monate lang hätte id; von dem Gelde die Klaviermiete be- zahlen können.
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Das Inftrument, das jest in meinem Zimmer ftand, mar fchlecht genug, doch ed ließ fich wenigftend Mufif darauf machen. Wußte man es recht zu behandeln, fang es fogar ganz weich und ſchön; nur großen Straftproben war es nicht gewachſen, dann Elirrte und Ächzte und fchrillte ed zum Erbarmen.
Sch fchleppte nun alles, was ich von der Cotta— [hen Klaffiferausgabe in einem verborgenen Yadı des Ladens fand, aufs Pult, und gewann im jenen Tagen eine Vorliebe für die großen Klavierfonaten von Clementiz; vielleicht, weil fie fi in ihrer Klavier- mäßigfeit am beften für mein armfeliges Inftrument eigneten, das für die Poefie Beethovens nicht genug Seele befaß.
Mie glüdlid war ich jest, wenn ich abends bei fümmerlicher Beleuchtung mein Klavier traftieren konnte. Die Ode der täglichen Befchäftigung ertrug ich leichter, ja gewöhnte mich, fie ald etwas Neben- fächliches, Gleichgültiges anzufehen. Sch freute mid, den ganzen Tag auf die Sonate, die ih am Abend vornehmen wollte, warf in einem abgeftohlenen Augen- blick mal einen zärtlichen Blick hinein oder trommelte zur anderen Zeit eine fchwere Stelle, an der id gerade übte, gedanfenlos mit den Fingern auf dem Pult.
Warum durfte ich nicht Mufif fudieren? Warum hatte man mich bier in diefen ftaubigen Bücherftall eingefperrt? Was follte aus mir werden? Wie wollte
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ih es aushalten? Sahrein, jahraus, diefe elende Befchäftigung, zu der ich verdammt war!
Unm dieſe Zeit fchicfte mich der Chef einmal mit einem Privatauftrag zu einem feiner Freunde, der am Hafen wohnte. Da ed Mittag war, famen von der anderen Seite des Stromes, wo fich die Werften und Fabriken befanden, Scharen von Arbeitern auf fleinen Dampfern und Booten und Sollen übers MWaffers, rußgefhwärzte Oeftalten, denen man ihre Arbeit in jenem rauchenden, brodelnden Hexenkeſſel
- drüben anfah, deflen Lärm auch in diefer Stunde ununterbrochen herüberfchalltee Sn dieſen Lärm mifchten fich das vielftimmige Pfeifen der kleinen Fährs dampfer und das tiefere Heulen eines großen Dampfers, der irgendwo, mir unfichtbar, ein» oder auslief. Der Lärm verwirrte mich ebenfo wie das Gemwirr der Maften und Schornfteine, die hier in die fchmugige Luft hinausragten, unter einem Himmel, der von einem langen, treibenden Schleier ſich immer ver: ändernder, immer erneuernder Wolfen von Raud) verhült war. Zrübe wälzte ſich die Flut zwifchen den Scifföleibern hin, Flatfchte am Bollwerf und ließ allerlei Unrat auf ihren Wellen tanzen; Stroh— geflecht, faulige Apfelfinen, Kork, Flafchen, eine leere Kifte, oder was fonft über Bord geworfen, oder vom MWinde ind Waffer geweht war. Ich geriet uns verfehens in den Strom der landenden Arbeiter; eine Dunftwolfe von Schweiß, Schnaps und Werbkſtatt⸗
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geruch hüllte mich ein und erfüllte mic; mit Abfchen. Bedrüct, beklommen, ja geängftigt zog ich mich zurüdi; eine unbeftimmte Traurigkeit erfüllte mich und das troft- Iofe Gefühl, daß die gepriefene Welt der Arbeit, der nun ja auch mein Leben für immer angehören follte, überall mit Lärm, Ruß und Geſtank unzertrennlih verbunden war. |
Ad, und ed gab doch eine andere Welt da draußen, voll Sonnenschein und Vogellied, vol Wipfelraufchen, vol Quellenfang, vol Freiheit und Freude! War bie nur für ein paar abgeftohlene Stunden da, für ein paar Schnell verflogene Sonntagnachmittage? Tagelang lag der Eindrud des KHafenbildes wie ein Alp auf mir, und ich fühlte mich unglüdlih und
freudlos. | —Ich ſetzte mich hin und fchrieb einen leidenfchaft- fichen Brief an den Vater, er möge mich doch hier wegnehmen und Mufif ftudieren laffen. Umgehend fam feine Antwort, ich möchte es mir ein für alle- mal aus dem Kopf fchlagen. Ob id Geld dazu hätte? Er hätte es nicht. Und ob ich nicht wife, daß ich auf fünf Jahre Eontraftlich verpflichtet worden wäre. Sc hätte meine Pflicht zu tun und auszuharren. Man könne in jedem Beruf ein tüchtiger Menſch werden, und der Buchhandel gehöre gewiß zu den idealeren Berufen. Jede Lehrzeit fei ſchwer und böte Bittered, das hinuntergefchlucdt werden müſſe. Das Leben fei ernft, und nur wer fich felbft überwinden
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lerne, hätte Ausficht, im Lebenskampf zu fiegen. Ernite, gewichtige Worte, erft zürnend, dann väterlich ers mahnend, füllten in feiner fchönen Kaufmannshand- fchrift die vier Seiten feines Briefed, Zum Schluß warf er fich vor, daß er der Bitte der Mutter, mir einen jo häufigen Befuch der Oper zu geftatten, nicht fefter entgegengetreten wäre. Dies fei nun die Folge, die er wohl voraudgefehen habe. Aber er hoffe von meiner befjeren Einficht, daß ich zu meiner Pflicht zurüdfehre, und wünſche vor allem, daß ich jeden Theaterbefuch fo lange unterließe, bis ich ſelbſt in der tage wäre, mir biefen Luxus, deffen idealen Wert er durchaus nicht verfenne, zu geftatten.
Sc hätte mir diefe Antwort vorherfagen können. Ich zerriß den Brief in kleine Stüde. Alle diefe fhönen und großen Worte hatten gar feinen Eindruck auf mid; gemacht, denn ich fah nur feinen Egois- mus dahinter und keineswegs väterliche Sorge und Weisheit.
Pflicht! Pfliht! Sch fah das kummervolle Geficht meiner Mutter vor mir, ich gedachte ihrer beftändigen Ermahnung zur Sparfamfeit, ihrer oft forgenvollen Briefe. Wie heiter und zufrieden war früher alles bei ung gewefen. Hatte ed denn damals feine Sorgen gegeben? Woher fam auf einmal diefes Sorgenvolle und Kummervolle, das aus den Mienen und ben Briefen meiner Mutter ſprach? Tat der Vater feine Pflicht?
Balte 9, 4129
Es ts. N EL AN Em —
Dieſe unkindliche Frage ſtieg in mir auf. Nein! Nein! ſchrie es immer wieder in mir. Und er wollte mich mit großen Worten an meine Pflicht mahnen! Immer war er mit großen Worten, mit Maximen und Sentenzen bei der Hand geweſen. Auf Spazier⸗ gängen, an den wenigen Abenden, wo er ſich auf- gefchwungen hatte und vorzulefen, und in mancher Strafpredigt, die er und gehalten hat. Wie würde er jebt vor meine arme Mutter treten und ihr mit triefender Weisheit ihren Irrtum vorhalten, fie mit Vorwürfen quälen. Ich hörte wieder fein lautes Schelten an jenem Morgen meines Lübecker Befuches, hörte das zornige Türfchlagen.
Gut, knirſchte ich, ich muß mich fügen. Aber wenn id; erft mein eigener Herr bin, foll mid; nichts hin» dern, ein Leben zu leben, wie ich es für mid) am beften und meinem Glücke dienlich halte. Drei Sahre noch, dann hatte ich auögelitten. Die hieß ed nun noch ertragen. Dann, ja dann! — Irgendwie würde Mat werben.
* * *
Sinzwifchen war der Sommer bed Sahres 1870 herangefommen. Hatte ich biöher nur in meinem engen SKreife gelebt und die Außenwelt fo an mir vorüberraufchen Iaffen, fo fohlug jest von dort ein Ton an mein Ohr, der nicht nur mid, fondern alle
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Träumer und Philifter im ganzen Lande gewaltfam aufrüttelte.
Die Emfer Depeſche, die franzofifche Kriegserflärung, dad gewaltfame Aufflammen des Nationalgefühlg, der Sturm der Begeifterung, der bis in die ver- ſtaubteſten und verftecteften Winfel z0g und allen Unrat ausfehrte, er fand auch in unfere muffige Bücherei Eingang. Und als dann die erfte Sieges- nachricht Fam, eine Depeſche der anderen folgte, welcher Subel, welcher Stolz, welche Begeifterung auf allen Gefichtern; auf den Straßen, in den Wirt fchaften, in den Läden und Werfftätten, ja auf den Kanzeln Iohte die helle, heiße Baterlandsflamme mit Subel und Dank.
Sn dieſer patriotifchen Begeifterung ging aud für mich alled andere unter. Deutjchland, Vaterland, ah, ed waren leere Begriffe gewefen: jegt füllten fie fi mit blühendem, braufendem Leben. Mein junges Herz jauchzte bei jeder Siegesnachricht, und ih war glüdlih, wenn ich mit dem Suchbuch auf die Straße gefchickt wurde, in der Hoffnung, wieder Neues zu hören oder zu fehen.
Unfer Riefe war mit vor dem Feind. Bor Orleans lag er, und ed fam ein Brief von ihm, ein einziger an den Chef; der zeigte ihn dem Gehilfen. Ich befam ihn nicht zu Iefen, aber fein Gruß wurde mir aud- gerichtet. Und der Gehilfe erzählte mir furz, was in dem Briefe geftanden. Nicht viel. Unbeholfene,
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N ⸗ as Se re, , Früh; NOTEN.
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und daß ich ihm nicht mehr auf der Tafche Liegen würde, Er Iobte mih, daß ich mic aller Grillen entfchlagen hätte, die ja jedem einmal in den Sinn famen, ber die Welt noch nicht Fenne und in Phantafien und Hoffnungen lebe! Aber ein tüch— tiger Menſch, und für den habe er mich immer ge- halten, würde damit fertig. Er ging fogar zu un ferer aller Berwunderung mit mir aus, führte mich in den Ratskeller und traftierte mich mit einem Heinen Frühftüd. Selbſt eine Zigarre bot er mir an, lobte mich dann aber, daß ich Ro nicht diefem Lafter verfallen war.
Eine ganze Flafche Burgunder hatten wir zufammen geleert, und ich Fam mit ſchweren Gliedern heim. Die Mutter fchüttelte den Kopf, und der Vater fah etwas verlegen lächelnd drein. Die Mutter ſchwieg aber, und man fah es ihr an, daß fie froh war, ung in einem fo guten Einvernehmen zu fehen. Als der Bater nun aud; abends zu Haufe blieb, und wir Brüder ihm noch einmal vorfpielen mußten, wobei ſich der Bruder mit feinen verarbeiteten Schlofler- händen noch recht brav bewährte, und ich auch mit der Schweiter, die inzwifchen hübfche Fortfchritte ges madıt hatte, vierhändig fpielte, da wurde die Mutter fogar heiter, und ed lag ein fchönes Licht alten Gluͤckes und Friedens auf ihrem lieben Gefiht. Wir faßen dann wieder einmal alle vereint um den run- den Familientifch und aßen Dftereier. Die Schweiter
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hatte fie hübfch bunt gefärbt und für mich eins extra mit einem luſtigen Mondgeficht bemalt. Wie fröhlich waren wir! Die Kranke konnte vom Neben- zimmer aus in ihrer ftillen, zufriedenen Art an allem teilnehmen und war froh mit den Gefunden; id) faß nachher vor ihrem Bett, wunderte mich, wie fchön fie auf ihrem Schmerzendlager geworden war und prägte mir dieſes blaffe, ſchöne Kindergeficht tief ins Herz ein.
„Wenn du nun wiederfommft, kann ich hoffentlich bald gehen,“ fagte fie, „der Doftor meint ed auch.“
„Er hat und Hoffnung gemacht,“ fagte die Mutter. Mir aber riefen der Schwefter Worte das Nücdertfche Lied wach:
„Als ich Abſchied nahm, als ich Abſchied nahm, War die Welt mir voll fo fehr.
Als ich wiederkfam, als ich wiederkam,
War alles leer.”
Shre Augen waren groß und feucht, und ihre Lippen fühl und blaß, als fie mir am nädjften Morgen den Abſchiedskuß gab.
Wieder brachten mich die Mutter und die Ältere Schweiter nadı dem Bahnhof. Ein paar Befannte unterwegs machten große Augen und grüßten. Einer ging mit und deöfelben Weges, einen Koffer in ber Hand; ich fürdhtete ſchon, ihn als Neifebegleiter zu haben, aber er ftieg hernach in ein anderes Coupe.
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und daß ic ihm nicht mehr auf der Taſche Liegen würde, Er Iobte mih, baß ich mid, aller Grillen entfchlagen hätte, bie ja jedem einmal in den Sinn famen, ber die Welt noch nicht kenne und in Phantafien und Hoffnungen lebe! Aber ein tüdh- tiger Menſch, und für den habe er mich immer ge- halten, würde damit fertig. Er ging fogar zu un ferer aller VBerwunderung mit mir aus, führte mich in den Natsfeller und traftierte mich mit einem Heinen Frühftüd. Selbſt eine Zigarre bot er mir an, lobte mich dann aber, daß ich eh nicht diefem Lafter verfallen war.
Eine ganze Flafche Burgunder hatten wir zufammen geleert, und ich Fam mit ſchweren Gliedern heim. Die Mutter fchüttelte den Kopf, und der Vater ſah etwas verlegen lächelnd drein. Die Mutter ſchwieg aber, und man fah es ihr an, daß fie froh war, ung in einem fo guten Einvernehmen zu fehen. Als ber Bater nun aud; abends zu Haufe blieb, und wir Brüder ihm noch einmal vorfpielen mußten, wobei fi; der Bruder mit feinen verarbeiteten Schloſſer— händen noch recht brav bewährte, und ich auch mit der Schwelter, die inzwifchen hübfche Fortfchritte ges macht hatte, vierhändig fpielte, da wurde die Mutter ſogar heiter, und es lag ein fchöned Licht alten Gluͤckes und Friedens auf ihrem lieben Gefiht. Wir faßen dann wieder einmal alle vereint um den run- den Familientifch und aßen Dftereier. Die Schweſter
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hatte fie hübfch bunt gefärbt und für mich eins extra mit einem luſtigen Mondgeficht bemalt. Wie fröhlich waren wir! Die Kranke konnte vom Neben- zimmer aus in ihrer ftillen, zufriedenen Art an allem teilnehmen und war froh mit den Gefunden; ih faß nachher vor ihrem Bett, wunderte mich, wie fchon fie auf ihrem Schmerzenslager geworden war und prägte mir dieſes blaffe, ſchöne Kindergeficht tief ins Herz ein,
„Wenn du nun wiederfommft, kann ich hoffentlich bald gehen,“ fagte fie, „der Doktor meint ed auch.“
„Er hat und Hoffnung gemacht,“ fagte die Mutter. Mir aber riefen der Schwefter Worte das Rückertſche Lied wach:
„Als ic Abſchied nahm, als ich Abſchied nahm, War die Welt mir voll fo fehr.
Als ich wiederfam, als ich wiederkam,
War alles leer.“
Shre Augen waren groß und feucht, und ihre Lippen fühl und blaß, als fie mir am nädjften Morgen den Abſchiedskuß gab.
Wieder brachten mich die Mutter und die Ältere Schwefter nadı dem Bahnhof. Ein paar Bekannte unterwegs machten große Augen und grüßten. Einer ging mit und desfelben Weges, einen Koffer in der Hand; ich fürdhtete ſchon, ihn als Neifebegleiter zu haben, aber er ftieg hernach in ein anderes Coupe.
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Die Freunde aufzufuchen hatte ich diesmal fein Bedürfnis verfpürt; die Stunde follte ganz denen gehören, die einzig ein Anrecht daran hatten, Friß, den ich freilicdy gern gefehen hätte, wohnte draußen vor dem Burgtor; dad war mir zu weit gewefen.
Still, in verhaltener Bewegung, ftand ich mit der Mutter und der Schwefter im Gewühl der Reifenden auf dem Perron, Noch ein Umarmen, ein lekter Kup, winfende Tücher, und eine dicke Wolfe weißen Dampfed aud dem Sclot der Mafchine verdeckte mir die lieben Gefichter, noch ehe mein Wagen die lange, dunkle Kalle verlaffen hatte. Zum drittenmal fah ich die Türme der Vaterſtadt hinter mir vers finfen.
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Eine lange Eifenbahnfahrt bis in das Herz von Thüringen hatte mich ermüdet. Gern hatte id; das dumpfe, überheizte Abteil mit feinen harten Bänfen verlafien, hatte meinen Fleinen Koffer in die Hand genommen und mid; auf den Weg ind Städtchen gemacht; das lag ein paar Minuten vom Bahnhof entfernt. Doch bevor ich in die erſte Gaſſe einbog, hatte mich ein mäßig hoher, fchön geformter Hügel angelodt; er erhob ſich unmittelbar vor den Käufern und ermöglichte einen prächtigen Überblick. Hier faß ich nun auf einem großen Feldftein, den Koffer neben mir im Grafe, und fah meinen fünftigen. Aufenthaltsort inmitten einer fonnigen Frühlings- landfchaft zu meinen Füßen liegen.
Eine liebliche Hügellandfchaft, die legten Ausläufer des Thüringer Waldes, betteten das Städtchen in einen fanften Zalfeffel. In der Nähe zeigte fich zwifchen audgebreiteter Heidedecde ein fandiger Boden, hier und da mit furzem Geftrüpp beftanden. Weiter: hin bewaldeten fi die Hügel mehr und mehr und reckten fich höher; die beiden höchften flanden in der Ferne wie zwei dunfle Zwillingsbrüder unmittelbar nebeneinander und grüßten ernfthaft herüber.
Es war mir wohlig zumute in der fchönen Früh» lingswelt um mich herum, und ich vergaß wirflic eınen Augenblick, daß ich nicht lange auf meinem Stein verweilen durfte, fondern mid) meinem Prinzipal
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pflichts und höflichfeitsgemäß alsbald vorzuftellen
hätte. Das Rund der ftilen Hügel und MWälder umgab mid; wie mit weichen Friedensarmen, bie
erften Infeften fummten im Kraut zu meinen Füßen,
und das gleichmäßige Getön fpann mich ein, fo daß
ich in ein felbfivergeffenes Träumen verfiel, aus dem
mid, erft die ſchwatzenden Stimmen nahender Weiber jäh auffahren ließen. Schwer bepadt, die vollen Körbe auf den gebeugten Rüden, gingen fie unten vorbei, und jedes warf einen verwunderten Blick zu mir herauf, den der Reifefoffer ihnen ald einen zus gereiften Fremdling offenbaren mochte.
. Sch fah nad der Uhr und fprang fohnell auf. Zu lange hatte ich mid) hier verträumt. Eiligſt griff ih nach meinem Koffer und ſchritt in die abend; dämmerigen Straßen hinunter. Hier fand ich als—
bald am Marft die einzige Buchhandlung am Platz.
Es war eins der anfehnlichften Käufer; zweiftödig, von folidem Äußeren, lag es breit und mwohlgenährt zwifchen zwei Gafthöfen. Der eine war offenbar der vornehmfte des Drted und nannte fich denn aud) „Hotel zum goldenen Engel“, während der andere, von geringerem Augfehen, ſich fchlicht und recht mit der Bezeichnung „Lindes Gafthof“ begnügte.e Da vor der Tür aus einem geräumigen Marftbrunnen ein klares Waſſer mit Geräufch hervorfprudelte, fonnte ed mir an diefem Ort meiner zufünftigen Tätigkeit an leiblicher Erquickung und Gtärfung
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| wahrlich nicht fehlen, zumal ſich der Buchhandlung
gegenüber, wie ein ſchneller Rundblick mir zeigte, auch noch tröftlicherweife die Apotheke befand.
Der Marftplag war noch ftiller als die Gaffen, die ich vorher hallenden Schritted durchwandert hatte; nur in der offenen Zür der Apothefe refelte ein blonder Süngling, der mid; angelegentlich durch fein Augenglad mufterte. Gewiß wußte er, wer id) war, da id; fo geradeswegd auf mein Ziel zus fteuerte.
Nun hatte mir das Herz ein wenig geflopft, je mehr id; mich dem Haufe näherte, und ich tat zuvor einen tiefen Atemzug, ehe ich in den Laden eintrat. Hier fam mir fogleich ein wunderliced Männchen entgegen. Es trug eine fchwarze, recht abgetragene Pudelmütze auf dem dichten, blonden Krauskopf, den indeffen fchon einige Silberftreifen durdyzogen, und hatte um den Hals einen dicken, bunten Wollfchal, der, zweimal herumgewidelt, doch noch mit anfehnlichen Enden nad hinten über die Schulter hing. Mit vorgeſtrecktem Geficht fchoß es auf mich zu und gab ein paar Schnaubtöne von fich, indem die lange Nafe die Luft heftig einfog, ald wollte fie fogleich eine Witterung von mir gewinnen. Das Männchen, das mid; an meinem Meifefoffer gleich erfannt haben mochte, mufterte mich von oben bis unten, wobei es ein Paar furzfichtige Äuglein faft ganz zufammentniff. „Sind Sie es?“ fragte es mit fingendem Tonfall.
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„Bo kommen Sie denn nun jest her? Der Zug ift doc; Schon feit fünf Uhr eingelaufen?“ Dabei warf ed feine Pudelmüge auf den Ladentifch und riß fich mit ein paar fühnen Windungen den Wollfchal vom mageren Hals. Es hatte ſich mir nicht vorgeftellt, aber ich vermutete gleich den Gefchäftsführer in ihm, mit dem ich über den Antritt diefer Stellung forres fpondiert hatte; fein Name, Nusfche, fehien mir zu feinem Äußeren zu paffen. Mein Herzklopfen war längft verfchwunden, denn dieſes Männchen hatte nicht das Ausſehen eines geftrengen Gebieterd, vor dem man Furcht zu haben braucht. Doch entichul- digte ich mich, im Bewußtſein, eine Ungehörigfeit begangen zu haben, noch demütig genug: ‚Es hätte mid; gelodt, von dem bequemen Hügel gleich einmal einen NRundbli über meinen Fünftigen Wohnfig zu genießen, und da hätte ich mich im Anblick der lieb» lichen Landſchaft ein wenig verträumt.‘
Diefes fchien ihm zu gefallen. „So, fo,“ fagte Herr Nutzſche gutmütig. „Nun, ed ift recht.“ Er murmelte aber nod; ein paar unverftändliche Worte vor fih hin, deren Ton aud; wieder auf Miß- billigung fchliegen laſſen fonnte „Wir hatten Sie fhon viel früher erwartet,“ fagte er dann wieder laut. „Wir glaubten ſchon, Sie fämen überhaupt nicht mehr.“ Er zog haftig die Uhr, die er mehr befchnüffelte als befah und meinte: „Wir fchließen ja gleih. Es geht ja fchon auf fieben. Da will
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ih Sie noch fchnel dem Herrn Chef vorftellen, das mit er doch weiß, daß Sie hier find.”
Ich war ihm inzwifchen in einen Fleinen Neben- raum gefolgt, in dem fich das Kontor befand. Hier fand an einem Pult ein langer, flachsblonder, junger Mann mit einem goldenen Kneifer auf einer fleinen, feden, faſt kindlichen Stupsnafe. „Kerr Bandler, ‚Shr Kollege,“ fiellte das Männchen vor. Wir madıten und eine fleife Verbeugung, beäugelten und neugierig und gaben beide zu gleicher Zeit einen kurzen Räufpers laut von und. „Bitte,“ fagte dad Männchen, „kom⸗ men Sie mit nach oben.”
Ein alter, freundlicher Herr mit dem Ausfehen eined Theologen empfing und. Er führte jedoch ben Titel Suftizrat, hatte feine Rechtögefchäfte aber längft aufgegeben, wie ich nachher erfuhr. Wieweit er fich um die Führung der Büchergefchäfte fümmerte, it mir nie ganz klar geworden; im Laden ließ er fich felten oder nie fehen, und die Seele des Ge— fchäftes war jedenfalls das Männdyen mit dem Furz- fichtigen, ewig jchnüffelnden und fehnaubenden Ge- fiht. Doch war auch ein Fleiner Berlag mit dem Sortiment verbunden, und diefem mochte wohl vor- zugsweiſe die Tätigkeit des Herrn Suflizrat zugute fommen.
Nach einer kurzen, freundlichen Begrüßung und nad) ein paar Fragen nach Herkunft, Alter, Familie und Reife war ich entlaffen und flieg mit dem ſchnau—
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benden Männchen wieder in die Geſchäftsräume hinab, wo der Lehrling fchon befchäftigt war, ben Laden zu fohließen, und wo ber flachsblonde Rolege auf unfere Ruͤckkehr gewartet hatte.
„Herr Bandler wird fo freundlich fein, Sie in Shre Wohnung zu führen,“ fagte das Männchen. „Wenn fie Shnen nicht gefällt, findet ſich wohl eine andere, inftweilen bürfte fie ausreichen. Guten Abend, meine Herren; morgen um neun Uhr find Sie wohl zur Stelle.“
Er hatte fi feinen Wollſchal mit zwei raſchen Schwenkungen um den Hals gewickelt, ſetzte ſeine Pudelmuͤtze auf und verließ und mit einem freund» lichen Kopfniden.
* * En
An der Ede des Marktplaged und der zum Bahnhof hinunterführenden Sauptftraße lag ein munderliches, altes Fachbaumwerf, Es beftand aus Vorderhaus und Hinterhaus, die einen länglichen Hof einfchloffen. Das Gewefe hatte früher einmal landwirtfchaftlichen Zwecken gedient, gehörte aber fchon feit Generationen feinen Aderbürgern, fondern biederen Handwerks— meiftern. Hier hatte man mir zwei Zimmer gemietet; fie Tagen aber im Hinterhaus, und ich fonnte zu ihnen nur über eine gedecte Galerie fommen, die, nad der Hofſeite hin offen, Vorder- und Hinterhaus mitein»
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VE N ALT in
ander verband. Unten lag ber miftbededte Hof— platz, auf dem die Hühner ihr Wefen trieben, und in deffen fchmußigfter, verjauchter Ede ſich ein paar Schweine wohlfühlten. Ein fräftiger, ländlicher Duft flieg von da empor.
Mein gefälliger Begleiter hatte mich meiner Wirtin überliefert, einer alten, freundlichen Frau, die mid) herzlich willfommen hieß. Sie führte mid) in meine Wohnung, zündete die Feine Petroleumlampe an, die auf dem Tifche fand, und fragte, ob id; Tee wünfce oder zum Abendeffen ins Wirtshaus ginge, und ob fie mir etwa beim Audpaden meines Kofferd behilflich fein könnte.
Sc fagte ihr, daß ich an diefem erften Abend zu Haufe bleiben würde, und bat um Tee. Sie brachte ihn mir, wünfchte guten Appetit und eine gute Nacht und verließ mid, zögernd, als ob fie ſich gern auch ein wenig unterhalten hätte.
Sie hatte die Tür geräuſchlos hinter fich gefchloffen. Die Lampe verbreitete ein trauliches Licht in dem behaglichen Raum, aus der braunen Teekanne flieg der Örodem als ein feined Dampffäulchen vergnüg—
lich hervor, und das Fleine Sofa hinter dem Tiſch lud mid in feine Ede ein. Da wurde mir’d mit einmal fo gemütlich; und heimifch in dem ftillen Ges mad), daß ich vor lauter Behaglichkeit fröhlich mit den Fingern knipſte, mich forglic; in das weiche Polfter ſchmiegte und es mir gut fein ließ.
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Nach dem Effen erft machte ich mid; daran, meinen Koffer auszupacden, die Kleider und Wäfcheftüde in den Schranf und den Schubladen der feinen Kommode zu verteilen. Das ging mir fchnell von der Hand, nur bei einigen Kleinigkeiten hielt ich mic, länger auf, und als ein Letztes fiel mir ein Bündelchen Briefe in die Hand; ed waren Briefe der Mutter. Sc, konnte mid; nicht enthalten, die Schnur zu löfen und auf diefem und jenem der teuren Blätter einen flüchtigen Blick ruhen zu laffen, um mich in Diefer erfien Stunde meined Einwohnens in der Fremde auch eined Grußes aus der Heimat zu verfichern. Der reine Hauch mütterlicher Xiebe, der diefen zarten, feinen Schriftzügen entftrömte, legte fich mir warm ums Herz und flimmte mid) weich; ich gedachte eines allerlegten Päckchend, das nod) auf dem Grunde des Koffers zurücgeblieben war, und holte nun aud diefed hervor. Es war ein Stüd felbftgebadenen Dfierfuchendg, das mir die Mutter bei meinem Ab- fchiedsbefuch im Elternhaufe in einen fauberen Bogen weißen Schreibpapiered eingewidelt hatte; ed war nun ſchon ein paar Tage alt und ganz zufammen- getrocnet, aber ich brach einen Broden ab, fchob ihn halb widerftrebend in den Mund und mwürgte daran. Dabei quoll ed warm’ und weh in mir auf; die Tränen ftahlen ſich hervor und rannen mir langfam über die Baden. Sch trat and Fenfter, wie wenn ich mich diefer Tränen fhämte und fie
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verbergen wollte, wo doc, Feiner im Zimmer war, der fie hätte bemerken können. Draußen war ins deffen der Mond in die Höhe gekommen und warf ein weißes Licht auf die ftille Seitenftraße, die ſich unter meinem Fenſter zu einer etwas tiefer liegenden Quergaſſe hinabfenkte, hinter der eine Wildnis hoher Baumfronen fihtbar war. Ganz ftil und friedfam lagen die Gäßchen da; bie ſchwarzen Schatten ber vielgeftaltigen Häufer und Dächer zeichneten fich wunderlid; genug ab. Nur die hohen Bäume ſtan— den mit ihren zierlichen Frühlingszweigen wie filberne Filigrangewebe dunfel gegen die blaue Luft.
* * *
Traumlos ſchlief ich bis in den hellen Morgen. Ich kleidete mich ſchnell an, trank haſtig meinen Kaffee und begab mich ins Geſchäft, wo ich alle ſchon zur Stelle fand; doch kam ich noch eben recht— zeitig genug, um mir eine Entſchuldigung ſparen zu können. Herr Nutzſche zog aber doch die Uhr, be— aͤugelte und beſchnüffelte ſie und ſteckte ſie mit einem gelinden Schnauben wieder ein; dann wies er mir meine Arbeit an.
Sch hatte mit Bandler meinen Platz an einem ge: meinfamen, geräumigen Pult. Hinter und an einem zweiten Doppelpult arbeitete ein großer, breitfchul- triger, etwa vierzigjähriger Mann mit einem roten
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Geficht, aus dem zwei etwas verfchleierte Augen
blidten. Man fah es fogleih, der Mann war Irinfer, oder war ed doch gemwefen. Er hieß Prä- torius und hatte die Expedition und das Annoncen-
wefen an einer kleinen Zeitung zu leiten, bie unter
dem Namen „Der Waldbote“ in unferem Verlag er- fhien und in der gefamten Umgebung fleißig ges lefen wurde. Ihm zur Seite war ein biutjunges Screiberlein gegeben, das hieß Jakob, war eine ehr⸗ lihe Haut und trug gleich unferem Kern und Meifter bis in die warme Sahreszeit hinein einen wollenen Schal um feinen Hals gewidelt. Anders fein Pultfollege und Vorgefekter, der Herr Prätorius; ber trug auch bei der flärfften Kälte feinen Über: rod. Er rieb ſich dann wohl einmal die großen Hände und ſchlug bie Arme freuzweife um ben breiten Bruftfaften, während ein verräterifcher Duft aus feinem Munde anzeigte, was er an falten Tagen für zweckdienlicher hielt, als einen gefütterten Überzieher.
Sch hatte außer einem Teil der Buchführung ben Tadenverfauf unter mir. E83 wurden faft nır Ge fang» und Gebetbücher gefordert, und zwar meiftens
von den Bauerfrauen, die an beftimmten Tagen mit
den Erzeugniffen ihrer Felder und Gärten in bie Stadt famen. Er waren evangelifche und Fatholifche Leute in der Gegend, und wir dienten beiden Kon— feffionen mit dem gleichen Fleiße. Das Hauptgefchäft aber wurde in Papier- und Schreibutenfilien gemadıt.
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Dieſes Papiergeſchäft war meine perfünliche Angelegen⸗ heit, und da ich an dieſem Zweig des Ladengeſchäftes mit einem kleinen Gewinn beteiligt war, ſo widmete ich mid; ihm mit beſonderem Eifer und wurde fo unver- fehens aus einem Buchhändler zu einem Papierhändler.
Anfangs machte ed mir Schwierigfeit, mid) mit den Leuten zu verftändigen, denn die guten Dörfler fprachen unverfälfchten Dialekt, und namentlich das fohnelle, fchnatternde Mundwerf der Weiber madjte mir mandjed Mißverftändnid. Dazu kam die geradezu babylonifche Verwirrung, die in den Münzverhältniffen herrfchte, denn das neue Geld war inzwifchen auf: gekommen, die Reichsmark und die Nicelpfennige. Damald aber waren die Münzen und Zettel fämt- licher Feiner thüringifcher Staaten noch in Berfehr; Preußen und Bayern, beide in nädjfter Nachbarfchaft, brachten ihr Geld über die Grenze, üfterreichifche Gulden und Kreuzer fchoben ſich dazwifchen, kurz es war ein Wirrwarr, der durch das viele Papiergeld, das hier wild durcheinander lief, noch vermehrt wurde. Die Bauern fanden fich fchleeht in die neue Markwähr rung, und ich hatte mit dem Umrechnen der vielen Kreuzer und Gulden und Taler und Grofchen meine liebe Not. Almählich fand ich mich aber auch hier» mit fo gut ab, wie mit der fingenden und zwitjchern- den Mundart, wozu nicht wenig beitrug, daß hier alles ohne Haft erledigt wurde, während in Hamburg immer die Peitiche dahinter war.
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Jeder Tag ging in einer läffigen und faft gemüt- lichen Pflichterfülung vorüber Manche müßige Biertelftunde blieb, wo wir nichts Beſſeres taten, als auf den Markt hinaus maulafften, ung über Better und Bier unterhielten, das Leben gut und an ber Welt nichts auszufegen fanden.
Viel Augenweide bot der Markt für gewöhnlich nicht, wenn nicht gerade drüben vor der Apotheke einer der beiden Giftmifcher erfchien und unter Arm⸗ und SKopfverrenfungen ein telegraphifches Gefpräd) mit und anzufangen fuchte. Nur an den Marfttagen zeigte fich ein belebtes, heitered Bild; da war der geräumige Plab von Buden und Tifchen Dicht be- fegt, und dazwifchen fohoben fich die Planwagen mit ihrem mehr oder weniger weißen Linnendach. Eine Menge buntgefleideter Bauern und Bäuerinnen feilichten vor ihren Körben mit den Käufern, müßiges Bolt, befonderd die Sugend, Tungerte umher und trieb Schabernad, und ein beftändiged Gewirr von fchnatternden Geräufchen, woran fi auch das ver- handelte Gänfe- und Entenvolf Iebhaft beteiligte, drang durch die offene Ladentür zu ung herein. Was diefem Marftplag einen befonderen Reiz aud) für und verlieh, waren die Wurftbuden, deren Duft gleichfalls den Weg zu und fand, Eine hatte ihren Stand gerade vor unferer Buchhandlung, und wir ver: faumten denn aud nicht, unfer Paar heißer Brat- würftchen, das appetitlich . zwifchen zwei Weißbrot—
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hälften lag, aus der Hand zu verzehren, worin uns Herr Nutzſche mit gutem Beifpiel voranging. Pünktlih um die elfte Morgenftunde- fugelte ſich an ſolchen Marfttagen ein Fleines, dickes Männchen in den Laden hinein, das von Fett und Behagen triefte; einen grauen, fchmierigen Schlapphut auf einem großen Sraufopf, in der Hand eine angebiffene Wurftfemmel, deren Fett um feinen breiten Mund glänzte, in der anderen noch eine unverfehrte Reſerve— jemmel, benußgte er, mit oder ohne Gruß, je nach— dem er den Mund gerade voll oder leer hatte, unferen Laden ald Frühftücslofal. Aus welchem Grunde ihm dieſes Vorrecht zugeftanden wurde, habe ich nie erfahren. Vielleicht war er einmal ein guter Kunde des Geſchäftes gewefen; zu meiner Zeit erinnere ich mich nicht, daß er je etwas Faufte, alg einmal für einen Kreuzer Stahlfedern. Er hieß Kreußler und war Muſiklehrer. Wir nannten ihn aber unter und immer nur Wurftler, weil wir ihn nie anders, als mit einer Bratwurft fahen. Unterricht gab er damals nicht mehr; er privatifierte und verbrachte feine Abende am Stammtifch eines Fleinen Lokals, das wir nicht beſuchten. Prätorius kannte ihn ein wenig näher und behauptete, er fei früher ein tüchtiger Klaviers und Drgelfpieler gemefen und verberge unter fo abfonderlichem Äußeren eine weiche Künftler- feele.. Mir wollte das nicht in den Sinn, wenn id; das breite und jchrille Lachen des Fugeligen Männ-
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chens durch den Laden wiehern hörte Wie kann dieſer Menſch eine muſikaliſche Seele haben? fragte ich mich. Erkundigte ich mich hier und da nach ihm, hieß es wohl: „O ja, der Kreußler. Man ſieht es ihm nur nicht an.“ Aber es waren auch immer welche da, die dazwiſchenriefen: „War mal, war mal!” Das hielt mein Intereſſe für den alten Mufts fanten wach, trotdem er mir eigentlich unfympathifch war, und als er einftmald eine mitgebradyte Papiers rolle auf dem Ladentifch hatte Liegen laflen, konnte ich mich nicht enthalten, fie zu öffnen. Ich glaubte, ed wären Notenblätter darin, die mir vielleicht einen Schluß auf fein Können geftatteten; ed waren aber nur einige Reſte einer alten fledigen, blauen Tapete, die ich fchleunigft wieder zufammenrollte,
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Mit jedem Tag fühlte ich mid; wohler in meiner neuen Umgebung. Was war ich für ein armes Troͤpf⸗ fein in dem Menfchenmeer der Großftadt - gewefen. Hier zählte ich mit. Hier genoffen die Buchhand- lIungsgehilfen von jeher eines befonderen Anfeheng, galten mehr, als die jungen Krämer und Handwerker, und nur die beiden Apothefergehilfen Fonnten ſich einigermaßen mit ihnen mefjen.
Natürlich hatten wir ein Stammlofal, das wir bevorzugten. Hier durfte ich mit würdigen Männern, wie dem Bürgermeifter, dem Stadtjchreiber, dem Seminardireftor und anderen an einem langen Tifche figen und mich fühlen. Harmloſe Philiftergefpräche frei- lich waren e8 nur, die unfere Tafelrunde bewegten. Ab und an erhitte eine kommunale Angelegenheit die Ge- müter, oder ein Feft im Kaſino gab Veranlaffung zu reichlichen Debatten. Aber im Rat der Alten und Erfahrenen ein Wort mitfprechen zu dürfen, war an ſich fchon wertvoll und hob das Selbfigefühl. Mir gefiel diefed behagliche Philifterleben nur zu fehr, und ic; hätte nicht jung fein und aus einem fo dunflen Käfig fommen müffen, wenn ed mir nicht hätte gefallen follen; die Sonne der Freiheit vergoldete ed mir, und ich tranf dies junge Licht mit durftigen Zügen.
Sch war nun feft angeftellter Buchhandlungsgehilfe und verdiente, was ich für meine Perfon zum Leben brauchte. Gleich mir fah ich Bandler und andere
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fid) mit ihrem Beruf abfinden, ihre tägliche Pflicht erfüllen und abends zufrieden ihr Bier trinfen. Ders einft eine Stellung wie das fohnaubende Männchen einzunehmen, lag als erreichbared Lebengziel vor mir.
Sp fehr ih in Hamburg unter den Ketten des
aufgezwungenen Berufes gefeufzt hatte, hier erfchien mir alles in einem milderen Fichte, und ich war ſchnell verföhnt.
Der flachsblonde Bandler war ein guter Kerl, mit dem ich bald auf dem beften Fuße ftand. Seine Züge waren faft mädchenhaft weich, und feine Eurzfichtigen blasen Augen fahen freundlich und. harmlos durch den goldenen Zwider. Wir verbrachten auch außer: halb des Gefchäftes fait alle unfere freie Zeit zu- fammen. Wir aßen zu Mittag im „Goldenen Engel”, der und bequem gelegen und als erfter Gafthof am Drt gerade recht war, denn wir glaubten unferer Stellung etwas fchuldig zu fein. Wir waren eine fleine Gefellfchaft von vier Herren, die gut mit»
einander audfamen. Einer, den wir feiner vor⸗
nehmen Allüren wegen den „Legationsrat” nannten, hatte fich eine Art Prafidium angemaßt, und ba er ‚ fonft ein guter Kerl war, ließen wir es uns gern gefallen. Die Koſt war gut und mundete namentlich mir nad) dem Färglichen Tiſch meiner Hamburger Lehrzeit vortrefflid.
Sc hatte fchon ein halbes Sahr hier gefpeift, als mir das Mahl noch auf eine befondere Art gewürzt
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werben follte. Ein neuer Kochlehrling fam in bie Küche des Hotels, eine zierliche Blondine mittlerer Größe mit großen grauen Augen und einem weichen, unſchuldigen Gefichtchen. Sie war die Tochter des Stadtfchreibers und hieß Anna Lenz. Lenzlich genug erfchien fie mir in ihrer erften knoſpenden Jugend; ich fchäste fie auf kaum achtzehn Sahre, und wollte fein reizenderes Alter für junge Mädchen fennen, als gerade dieſes.
Sch verliebte mich flugs, aber umfonft bemühte id) mid, einen Blick von ihr zu erhafchen; ja, ich befam fie oft wochenlang nicht zu Geſicht. Es mochte Zu- fall fein, aber ich redete mir ein, fie wiche mir aus, und war heute geneigt es mir zum Vorteil zu deuten, da Mädchen immer jcheu und zaghaft zu fein pflegen, und war morgen troftlos, da ich mir einredete, nur heftige Abneigung könne fie mich fo lange und fo beftändig meiden laſſen.
Sc fah von meinem Pult aus den Turm des Rat- haufes, in dem ihr Bater fein Amt verfah, und ich wußte, hinter diefem Rathaus hervor führte ihr Weg fie um die beftimmte Stunde über den Markt und ind Nach— barhaus; aber ich Eonnte von meinem Pat aus den Weg nicht überfehen, fah nichts, als den dicken, runden Turm, deſſen Uhr mir jest ihre Zeiger zu träge über das Zifferblatt fchob, zu träge für meine Ungeduld, die die Efjengzeit herbeifehnte, in der immer wieder getäufchten Hoffnung, heute wirft du
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fie doch endlich einmal wiederfehen. An der Mittags⸗ tafel dann löffelte ich mit widerftreitenden Empfin- dungen die Suppe, bie fie hatte bereiten helfen, gabelte den Braten, ftocherte in dem Gemüfe, oder rührte elegifch in der füßen Speife, was alles ihrer Hände Werk und mir daher je nach Stimmung mehr oder weniger foöftlich war.
Sp verging der Winter. Ein paarmal war es
mir doch geglüdt Anna zu fehen, und immer hatte e& mir nur zu neuer Dual gedient; und mein Verlangen nad, einer Annäherung größer ge macht.
Mit dem April fegte ein zeitiger Frühling ein, mit einem faft fürmifchen Knoſpenſchwellen; ein braufen- der Gefang erwachenden Lebens. Wir ließen durch die offene Zür die warme, milde Luft von dem übers fonnten Marktplag in das flaubige Büchergewolbe
hinein. Nur unfer Herr Nubfche legte feinen Schal
nicht ab; wie zwei flatternde Tauben begleiteten ihn die grauen Enden feines dicken Haldwärmerd, wenn das nervöfe Männchen, die geliebte Pudelmüge auf dem Kopf, über den frühlingshellen Marktplatz haftete, Mochte aber Herr Nugfche dem Frühling noch miß- trauen, ich hatte die Gewißheit, daß er da war, fühlte ihn in meinem Herzen, barinnen ein Flöten und Trillern war: Anna und immer nur Anna. Und endlich hielt ich es nicht länger aus, und vertraute mich Bandler an.
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Er war durchaus nicht überrafcht, meinte, das hätte er längft gemerkt und tröftete mid; mit dem Ge; ftändnis, daß auch er verliebt feiz freilich war er mit feiner Schönen ſchon etwas weiter, ald ich mit Anna. Gerne hörte ich, daß die beiden Mädchen miteinander befreundet feien, und befchwor Bandler, diefen Umftand für mid; audzunugen und eine Ver: mittlerrole zu übernehmen, Er fam denn auch ſchon am anderen Tage mit der Nachricht, daß feine Meta ſich nicht gefträubt, fondern mit der Luft ded Weibes an ſolchen Kupplergefchäften mit beiden Händen zu- gegriffen und auch ſchon einen artigen Plan aus—⸗ gedacht habe.
Mit dem warmen Frühlingswetter hatte fich eine erfte reifende Künftlertruppe in der Stadt eingefunden, ein Zirkus, der, wie es hieß, auf dem Wege nad) der bayerifchen Grenze fei, wo in einem großen Kirch— dorf, deſſen Name mir entfallen ift, ein Sahrmarft abgehalten werde. Unfer abgelegenes Städtchen jah felten folche Gäfte, und gern firömte alles hinaus, das Schaufpiel zu genießen. Hier wollten auch wir ung mit den Mädchen treffen.
Am Sonntag morgen machten wir und auf den Meg, und fanden draußen bereitd ein munteres Treiben in beftem Gange. Das Karuffel drehte fich, lachende und Freifchende Burfchen und Mädchen fuhren im Kreife herum, die Drehorgel quiefte einen frechen Galopp bazu, und vom Zirkus herüber verfuchte der
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= RL. OH ; DL. r 9
Ausrufer mit Geſchrei und Lärm dieſe Muſik zu übertönen. Ihm ſtrebten wir zu, denn vor dem Zirkus wollte man ſich treffen. Die Mädchen waren auch fchon zur Stelle; es waren ihrer drei. Zu unferer Überraſchung hatte fich aber auch ‚Kerr Kluge, der vierte von und Tifchgenofjen, ein- gefunden.
Der Zufall hatte ihn mit den Damen zufammen- geführt, die er bereits zu kennen fchien. Wir fühnten ung wohl oder übel mit feiner Gegenwart aus. Bandler hatte begonnen mid; förmlich vorzuftellen, mit einer Art Tanzftundenfteifheit, die ihm in folchen Fällen eigen war, und hatte dadurch meine Ver— legenheit erft recht wachgerufen. Sie alle wiflen, fagte ich mir, daß du als Kiebhaber der Anna hier ftehft; fie felbft, ihr befangenes Erröten, fagt es dir. Auch mir flieg das Blut verräterifch in die Wangen. Doch fam mir das refolute Wefen ber älteften der drei Schönen zu Hilfe Sie reichte friſchweg jedem von und die Hand, worauf auch die anderen ihrem Beifpiel folgten, und ich denn aud) zulegt Annas Fingerſpitzen loſe wiſchen den meinen fühlte,
„Kinder, nur nicht förmlich!“ rief jene friſche Schöne mit einem offenen, heiteren Laden. „Wir find doc, Feine Penfionatsgänfe.“ Ihr Reden gefiel mir und ihr Äußeres noch mehr. Sie war groß und ftattlich, eine blonde Germania, und überragte auch
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Bandlers fchlanfe Meta noch um einen halben Kopf. Anna Stand Flein und zierlich, faft wie ein Kind, baneben, und. ich verhehlte mir nicht, daß fie ent— fchieden die am wenigften Hübfchefte von den Dreien war. Eine leichte Enttäufchung beſchlich mich. War
fie e8 denn? |
Aber ich kämpfte fofort dagegen an; fie war es, follte e8 fein, und follte es bleiben.
Wir drängten nun in das Zelt, und alsbald ſaß ich neben ihr auf einer harten Banf und teilte meine Aufmerffamfeit zwifchen ihr und den armfeligen Zirfusfünften, die fi in der kleinen Manege wichtig: tuerifch produzierten. Es war das Ärmlichſte und das Billigfte, was man von ſolchen Kunftftüden fehen ‘ Eonnte, Eine magere Amazone jagte auf einem ebenfo mageren, Iangbeinigen Gaul durch den Zirkus, wobei fie von Zeit zu Zeit aus dem Sattel fprang und ſich in vollem Kauf wieder hinauffhwang. Pudel und Affe machten ihre Scherze, und ein fihwarz- Iodiger Knabe zeigte ſich mit dem musfulöfen Bes figer des Zirkuffes zufammen in afrobatifchen Bor: fellungen. Das alles war ziemlicd; langweilig, und meine Augen irrten mehr zur Seite ab, wo Anna mit offenem Mündchen folchen armfeligen Künften mit größerem Intereſſe zu folgen ſchien. Ihr Geficht war von Eifer fanft gerötet, was ihr fehr hübſch fand, Ghre großen Augen leuchteten unter langen, weichen Wimpern hervor, und der fleine jegt offene
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Mund zeigte foviel Kindlichfeit und Unſchuld Des
Herzens an, daß ich mit ihrem Anblid völlig aus
geföhnt war, die alte Neigung warm und wärmer zurücfehren fühlte, und nun ganz das Glüd an ihrer Seite genoß. Ab und an trafen fi unfere Blide, ohne fih länger als flüchtig zu begrüßen; nur einmal
ſchien der ihre wie fuchend in meinem leſen zu
wollen, war wie eine Frage, deren Art mir ein leichted Erröten, ein ſchnelles Abwenden zu verraten fchien.
Sa, ja, ich Liebe dich! Fürchte nichts! Sch bleibe dir gut und treu! Das war bie Antwort, die fill aus meinem Herzen emporftieg, und während meine Hand auf der Banf einen fchüchternen Verſuch machte,
fih der ihrigen zu nähern, erhafchte ich nur ihre °
Handſchuhe, die fie zwifchen uns gelegt hatte. Scheu wagte ich, das weiche Xeder zu berühren, nahm es leife, wie ein Dieb in die Hand, und preßte ed mit einer Inbrunſt, als fäßen Annas liebe Finger darin. Mie gern hätte ich die Handſchuhe an die Kippen geführt! |
Aus ſolchem Begehren und Träumen riß mid; das Erfcheinen des Zirfusdireftors, der laut aufforderte, ed möchte einer aus dem Publifum mit ihm ringen; ein fetted Schwein, das fogleich hereingeführt wurde und den Zirfus mit feinem jämmerlichen Gequieke erfüllte, follte dem Sieger zufallen. Nach einigem Gelächter und Gerede erhob ſich denn auch aus ber
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hinterften Banf eine lange Geftalt und erfchien nad einer Weile unten in ber Manege. Alles johlte, denn der Mann war ein befannter Einwohner unferes Städtchend, ein verfommened, dem Trunke ergebenes Subjeft. Auch jest fehlen er nicht ganz nuͤchtern zu fein, benahm ſich in jeder Weife albern, grölte und prahlte, fo daß der beflere Teil des Publikums bald Ärgernis an ihm nahm.
„Sehen wir doch,“ fagte ich, entjegt, daß Annas Augen ein fo widerliched Schaufpiel geboten werden ſollte. Doch Bandler und Kluge wollten abwarten, wie die Komödie enden würde, und fo blieben wir denn. Mad) einigem Hin» und Herzerren warf der Zrunfenbold unter unbefchreiblichem Hallo des Publi- fumd den Zirfusmann. Uber fogleich erhob ſich biefer und verfündete, ber Befieger habe gegen die Regel veritoßen, diefer Gang gelte nicht. Nach wüften - Gefhimpf begann ein abermaliged Ringen, mobei denn der Athlet den armen Schnapsbruder wie ein Bündel Fliden hin- und herwarf, und es alsbald far wurde, daß dad Ganze nur ein abgekartet Spiel war. Als nun der Trunfene noch anfing mit dem Zeller herumzugehen, hatten wir genug von folchen Künften. Die Münzen Flapperten nur fpärlich auf das irdene Gefchirr, und der Sammler zeigte ſich höchſt mißvergnügt. Sa, ald er an uns fam, und wir, indigniert von einem fo unwürdigen Schaufpiel, nichts geben wollten, öffnete er die Schleufen feiner
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trunfenen Berebfamfeit gegen und, indem er ung in einer greulichen Weife heruntermachte. Und da ich mich gerade erhoben hatte, fo richteten ſich alle Blicke auf mid, und es fah aus, als fei ich allein der Abgefanzelte. Der Unverfchämte zeigte dann auch wirklich mit einer frechen Kandbewegung auf mid: „Da fleht er,“ rief er, „das ift er, der feine Kerr.
Nobel muß die Welt zugrunde gehen! Aber Groſchens im Portemonnaie — ift nicht!“ Und er machte eine verächtliche Gebärde, die fo draſtiſch ausfiel, daß fie mich dem allgemeinen Gelächter des rohen Publikums preisgab..
Wir waren die erften, die draußen waren. Einige lachten, andere fchalten. Sc; war wütend. Cinmal empörte ed mich, folche Frechheit vor Annas Augen erduldet haben zu müffen, und dann war ich von jo reizbarer Empfindlichkeit, daß auch die ungerechteften Vorwürfe, wenn fie nur ein Quentchen Wahrheit enthielten, mich leicht befchämten. Nun hatte ich mich nicht nur für Anna befondersd nobel gemacht, fondern war mir auch bewußt, daß der Inhalt meines Portemonnaied keineswegs mit dieſer äußeren Bor: nehmheit Schritt hielt. Der Unverfhämte hatte mid) öffentlich ald Baron von Habenichts angerufen, und wenn ich ehrlich fein wollte, mußte ich mir geftehen, daß ich eigentlich nichts Befferes fei. Zu foldher Er- fenntnid aber an der Seite eines Mädchens zu Fom- men, dad man liebt, dem man ſich nähert in der
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Abſicht, ihr zu gefallen, das zu befchenfen man alle Schäge Indiens fein eigen nennen möchte, ift fränfend,
In diefer Berfaffung ftieg ich zu Pferde, daß heißt, fegte mid) breitbeinig auf ein fchofoladenfarbenes Holzroß des Karuffelld, nachdem Anna hinter mir in dem eiergelben Schlitten Plaß genommen hatte. Sch mußte, daß ich das Karuffellfahren eigentlich nicht vertragen fonnte, aber nad, diefer Niederlage im Zirfus wollte ich mich auf jede Weife ald Mann und Liebhaber wieder herftellen und wäre um nichts in der Welt zurüdgeblieben. Aber fchon nad) einigen Umdrehungen fühlte idy midy unwohl. Der Ärger, den ich ftil in mid; hineingefreffen hatte, mochte ohnehin meine Nerven erregt und meine Willenskraft geſchwächt haben; genug, der falte Schweiß brach mir aus, ich mußte die Augen fchlie- Ben, und wäre nicht in diefem Augenblick die Fahrt beendet gemwefen, fo wäre ich unfehlbar vom Pferde gefallen.
Eine ſolche Niederlage, eine ſolche Befhämung glaubte ich nicht ertragen zu Fönnen, und beflant darauf mic; zu verabfchieden. ch eilte heim, pacdte mic; ind Bett, legte mir ein naſſes Handtuch auf den Kopf, und ftarrte tiefunglüdlicd; auf das herab» gelaffene Rouleau, auf deffen grünem Grund eine etwas verblichene Schäferfzene des blamierten Lieb— habers zu fpotten fchien. Dahinter glänzte der goldene
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Zag, in deffen Licht fich die anderen nun weiter ver: gnügen würden, von dem id; mir foviel verfprochen hatte, und von deffen Mittaghöhe ih nun in diefe Nacht des Jammers und der Scham hinabgeftürzt war. Am anderen Tag erzählte mir Bandler von heiteren Stunden, die die Fleine Gefelfchaft noch am Nadhs mittag verlebt hatte. Das konnte mich nicht zus friedener flimmen. Zu Haufe aber fand ich mittags eine Scherzfarte vor, ein Iuftiged Verschen, der Hand» fchrift nad von Meta verfaßt. Es wünfchte mir baldige Genefung, und alle hatten ſich unterzeichnet. Auch Annas Name ftand da, zierlich, mädchenhaft. Er war fogar befonders unterfirihen. War das Ab- fiht, oder war es ihr Gewohnheit, diefen dünnen, etwas ausdrudlofen Strich unter ihren Namen zu ziehen, wie andere dem ihrigen einen Schnörfel ans hängen? Ich deutete ed mir zum Vorteil, las breis mal die ziemlich; unbedeutenden, wenn auch luſtigen Berfe, um nur immer wieder ihren Namenszug bes trachten zu fünnen, und war wieder guter Dinge,
* * *
Ich ſann nun, wie ich Anna irgendeine Aufmerk— famfeit erweifen könne. Ich gedachte, ihr ein Bud) zu fchenfen mit einer Infchrift. Ich wählte zwifchen den wenigen Sachen, die wir im Laden hatten und die in Betracht fommen konnten. Fein und zierlich
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gebunden follte das Büchlein fein und fo recht für ein junges Mädchen geeignet. Nücderts „Liebesfrühling“ ſchon jegt zu wählen, war doch zu anzüglich und zu plump; vielleicht fpäter einmal. „Fauſt“ war zu ernft. „Hermann und Dorothea” wohl paßlich, aber der Einband ſo trift und obendrein nicht mehr ganz tadellos. Aber Goethes Gedichte waren in einer niedlichen Miniaturausgabe vorhanden und fo» gar in einem roten Einband. Sch zögerte nicht länger, legte den Preis dafür in die Ladenkaſſe und nahm das Büchlein mit nadı Haufe, um irgend etwas Schönes und Sinniges hineinzufchreiben.
Ich ftecdte meine Lampe an und madıte ed mir an meinem Tifch gemütlich. Sauber, in meiner fchönften Handſchrift, fchrieb ich Annas Namen auf das erfte Blatt und darunter:
„Sleine Blumen, Heine Blätter Streuen wir mit leichter Hand.”
Weiter nichte. Darunter feste ih ein ® und das Datum dieſes Taged. Diefed G mochte fie deuten. E8 konnte fowohl Goethe ald Guftan heißen. Und id; meinte meine Sache finnig und fehön gemacht zu haben.
Nach diefer Falligraphifchen Leitung aber begann ich zu blättern, um mir das, was ich dem geliebten Mädchen foeben zugeeignet hatte, vorher felbft noch einmal zu eigen zu machen. Sc muß geftehen, daß
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ich damald außer dem „Fauft“ noch nicht viel von Goethe kannte. Was uns in der Schule von den Gedichten nahe gebracht worden war, war mir freilid) ficherer Bejig geblieben, aber das war wenig genug. Nun begab ich, ein Liebender, mid) in diefes Wunder: reich, und überall blühten mir die herrlichiten Blumen taufrifh wie am erften Schöpfungsmorgen entgegen. Sch fprang auf, das Buch in der Hand, und lief im Zimmer hin und her, Diefe Rhythmen nahmen mid; auf ihre Schwingen, ich fchwebte, tanzte wie auf Flügeln eines trunfenen Schmetterlinges:
„Wie herrlich leuchtet Mir die Natur!
Wie gleißt die Sonn’! Wie lacht die Flur —
D Mädchen, Mädchen, Wie lieb’ ich dich! Wie blickt dein Auge! Wie liebſt du mich!“
Sch geriet in ein lautes Deflamieren. War es die Liebe? War es der Genius? Wie mit himmlifchen Händen faßte es mich, hob mich herauf aus der Enge meined Zimmers, zog mid; hinauf in ein rofiges Gewölk, mit dem ich leicht und ſelig hinfchmebte. Bon Vers zu Verd, von Gedidyt zu Gedicht drang ih vor. Immer war ed mir, als tönte mir aus dem Bud; die Stimme meines eigenen Herzens ents
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gegen, als gehörte das alles mir, wäre mein, wäre ein Stüd von mir. Ich fühlte mid, völlig eind mit dem Dichter, der nur ausfprach, was mich tiefinnerft befeelte:
„Dem Schnee, dem Regen, Dem Wind entgegen, Sm Dampf der Klüfte
Glück ohne Ruf’, Liebe, bift du!”
Ich flürste and Fenfter, Iehnte beide Arme ans Senfterfreuz und fah, diefer Welt entrüdt, in ben Mond, der mittlerweile groß und glänzend am Himmel heraufgefommen war. Über die ftillen Dächer floß fein weißes Licht. Die nahen Parfbäume ftanden mit verflärten Wipfeln gegen den dunflen Abend» himmel, und nur eine Fledermaus hufchte wie ein ſchwarzer, grilliger Gedante durch diefen reinen, fil- . bernen Traum.
„Mir ift eg, denk ich nur an dich, Als in den Mond zu fehen.”
Aber nicht Annas Name Löfte fich von meinen Lippen, fondern „Goethe!“ ftammelte ich in tiefer Ergriffens heit. „Goethe!“ Und allmählich, während ich mein heißes Geficht immer der fühlen, unberührten Scheibe
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bes Mondes zugewandt hielt, fam eine wunderbare Ruhe über mich und eine Befeligung wie an dem erfien Abend meines Einzugs. Es mar wie ein von allem Grdifchen Iosgelöftes Hinfchweben mit feinem Licht, ein geifterhaftes Gleiten durch jene ftillen, fühlen Höhen, Es war, als burchriefele das filberne Licht meinen Körper wie ein leifer, Fühler Strom. Die ewigen Sterne in der Nähe ded Mondes bligten und funfelten von Zeit zu Zeit heller auf; ed war mir wie ein Grüßen von dort. „Ihr! She!“ ftammelte ic}, grüßte zurüd, wie zu brüberlichen Weſen. Erft Ieife, wohltuend, Iöften fich die Tränen, dann, heftiger, überftürzten fie ſich, und zuletzt brach ich in ein faffungslofes, gegenftandslofes Wei- nen aus, das meinen ganzen Körper gewaltfam ers jchütterte,
* * *
Anna hatte mir mein Buch, das ich ihr durch Bandlers Meta hatte überreichen laſſen, wieder zurüds gegeben; fie hatte ein kurzes Billett beigelegt, worin fie mir herzlich dankte, aber mir mitteilte, daß fie das hübfche Buch leider nicht annehmen dürfe. „Mit freundlichen Grüßen Ihre Anna Lenz.“
Ich war fehr niedergefchlagen, ja gekränkt. ‚Sie durfte das Bud, nicht annehmen? Wer hatte es ihr unterfagt? Die Eltern? Wäre dem doch fo?‘ dachte
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ich. ‚Aber fie braucht es nur ald Vorwand; fie felbft weilt deine Gabe zurüd. Gib did, feiner fals fchen Soffnung bin, für did) gibt ed feinen Weg zu ihrem Herzen!“ —
Doch krampfhaft hielt ich mich an die Unterſchrift, an die freundlichen Grüße. Würde fie mir freund- liche Grüße fenden, wenn fie mid) ein für allemal abweifen wollte?
Bandler hob meine gefunfene Hoffnung, indem er mir mitteilte, daß feine Meta und die blonde Ger— mania angeregt hätten, einen Freundfchaftsflub junger - Leute zu gründen: Ausflüge im Sommer und Tanz und Aufführungen im Winter follten das Programm fein. Es handle fi nur darum, noch ein yaar gleichalterige und gleichgefinnte junge Leute anzu— werben; vorläufig feien Bandler und ich, Fräulein Meta und die Germania und Kluge und Anna als Stamm in Ausficht genommen.
Ehe jedoch diefer Klub zuftande fam, wurde ich in einen anderen Kreis eingeführt, der ganz abfeits von unferem lauten Zreiben eine ftille, friedliche Welt umzirfte. Es war ein Zufall, der mic, ihres Segens teilhaftig machte,
Eine öfterreichifche Militärfapelle, auf einer Kunft- reife durch Deutichland begriffen, tauchte auch in unferem Städtchen auf, wohin fie aus der benadh- barten herzoglichen Refidenz von einem jüngeren un- ferer Wirte, einem Iuftigen Pfälzer, eingeladen worden
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war, um vor feinem Lokal zu fonzertieren. Diefe fleine Weinftube lag ein wenig abfeits in einem Minfel des Marktplages, hinter dem vorgefchobenen, runden, unterfegten Turme des alten Rathauſes. Es war fo redt ein Winfel für eine Weinftube, Der Plag vor dem Haufe war groß genug und gemöhns lich leer, da nur die wenigen Liebhaber des fprigigen Pfälzers dort etwas zu fuchen hatten. Wir fonnten vom Geſchäft aus einen Bli auf diefen ftilen Marft- winfel werfen, der nun plöglid, von weißen Uni— formen belebt, von den fchmetternden Klängen einer Iuftigen Militärmufif erfüllt, zum WMittelpunft der Stadt wurde. |
Groß war der Gewinn der waderen Gfarbasfpieler nicht. Nach drei Tagen lag der Marftplag wieder fo ftil wie immer da, und nur Bandler hörte man noch eine Zeitlang den Nadepfymarfch durch die Zähne pfeifen. Diefe Öfterreicher aber hatten eine Bekanntſchaft mit der Pfälzer Weinftube und dem munteren Wirt vermittelt, und wir verkehrten von jest ab häufiger dort. Hier hatte auch Prätorius feinen Stammtiſch. Behaglich in die Ede des ein- jigen, Heinen Sofas gedrüdt, ließ er fi feinen Sprigigen fchmeden. Er war einer der banfbarften Zuhörer der Öfterreicher gewesen, und am Tagenah ihrem Abzug trafen wir ihn in der Weinftube am Klavier figen, das ſich dort befcheiden in eine Ede flemmte; mit feinen großen, roten Haͤnden fuchte
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er ſich den Radetzkymarſch auf den vergilbten Taften zufammen, Es mollte nicht jo recht gelingen, und Bandler ftellte fich zu ihm und pfiff ihm bie Melodie vor. Aber dad gab nun erjt recht eine Häglihe Mufif, fo daß fie beide lachend davon abs ließen. Da feste ich mich ftil an das Inſtrument und fpielte ihnen den Radetzky, fo daß fie erftaunt aufhordten. Natürlich fpielte ich ihn nicht zum eritenmal, fondern hatte ihn fchon früher in den Fingern gehabt; aber er faß dody noch, und ich freute mich, wie Finger und Gedächtnis mir fo gut gehordhten.
Von jest ab mußte ich öfters fyielen, namentlid) Prätorius ließ mir feine Ruhe. Am liebften hörte er, wenn ich phantafierte, wie er ed nannte. Aber es war mehr ein ftümperhaftes Aneinanderreihen von Melodien und Melodienbroden, »die mir im Kopfe hängen geblieben waren, als gerade ein Phantafieren; ihm aber genügte ed, und auch andere hatten ihren furzen Spaß daran.
‚Da trat Prätoriud eines Tages ganz verfchämt mit einer Bitte an mich heran: er habe gar nicht gewußt, daß ich fo fertig Klavier fpiele; er felbft wäre auch mufifalifch, freilich nur auf der Bioline, wie er fast entfchuldigend hinzufegte., Diefe aber bes dürfe der Begleitung, und ſchon lange habe er fich nach jemand gefehnt, mit dem er dann und wann ein bißchen mufizieren könne. Keiner wolle recht
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heran, und wenn fie es anfingen, ließen fie ed glei, immer wieder liegen, Ihm aber fei darum zu tun, durch regelmäßiges Zufammenfpielen feine Fertigkeit zu fleigern und aud) von Zeit zu Zeit Neues kennen zu lernen. |
Sch war gern bereit, Prätorius’ Wunfch zu erfüllen. Er war fehr glüdlih, und wir verabredeten gleich einen Abend, wann ich zu ihm fommen follte. „Sie müffen freilich mit befcheidenen Verhältniffen vorlieb nehmen,“ fagte er. „Sie willen, ih bin Jung—⸗ gefelle, und ich habe obendrein eine franfe Schwe- fter zu Haufe, die fchon feit Jahren and Bett ge feffelt if. Aber gerade ihr madhen Sie durch Ihr Kommen eine große Freude, Gie Tiebt bie Muſik fo fehr und tft nie glüdlicher, ald wenn id ſpiele.“
„Ein Grund mehr, daß ich gern komme,“ ant— wortete ich.
Daß Prätorius eine kranke Schweſter bei ſich habe und in brüderlicher Liebe für fie ſorge, hatte ich ſchon früher gehört. Aber wie von guten Taten weniger Aufhebend gemadıt wird als von böfen, fo befchäf- tigen und auch nicht einmal die wenigen, von denen wir. erfahren, länger als einen Augenblick, während wir eine fchlimme Tat, ja aud nur ein fchlimmes Wort, oft jahrelang in unferem Gedächtnis fortleben und und von der Verderbnis der menichlichen Natur erzählen laſſen.
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Das bebauerliche junge Weſen, dad ganz von der brüderlichen Liebe abhing, völlig gelähmt an das Bett gefeffelt war, ertrug ihr ſchweres Siechtum fchon feit ihrem zwölften Sahr. Alle ärztlichen Künfte waren vergeblich gewefen. Zeure eleftrifche Kuren hatten ein Eleined Vermögen verfchlungen, ohne mehr als zeitweilig gefteigerte Hoffnung zu bringen. Schließlich hatte die Ärmfte völlig auf Befferung verzichtet und ſich mit rührender Ergebung in ihr Scidfal ge funden. Sie war jegt in ihrem fünfundzwanzigften Sahr, alfo nur ein paar Sabre älter als ich. Bon Natur nicht häßlich, war fie durch ihr Leiden verſchönt und geabelt worden. Sie lag weiß und zart auf ihrem fauberen Bett, das in einer freundlichen Kammer ftand. Bon dort führte die Tür, die immer offen war, ine Wohnzimmer, fo daß die Kranke von ihrem Lager aus auch diefen Nebenraum fo ziemlich überfehen konnte. Eine Handarbeit, woran fie mit Schonung ihrer ſchwachen Nerven von Zeit zu Zeit arbeitete, lag beftändig auf ihrer Bettdede. Auf dem Nachttifchchen ſah man ftetd ein kleines Neues Teftament, das die Spuren eifrigen Gebrauches zeigte, und ein bequemer, alt modifcher Lehnftuhl vor ihrem Bett ließ mich ver- muten, daß hier der Bruder oft Platz nahm, der Schweſter zu erzählen oder vorzulefen. Dad war auch der Fall, wie ich hernach erfuhr, nur waren es nicht die chriftlichen Evangelien, die fie aus feinem Munde vernahm, fondern die tägliche Nummer bes
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Maldboten. Prätorius war nicht fromm, er hatte irgendwo einen Haß auf die Pfaffen eingefogen und betrachtete das Bibellefen feiner Schweiter als eine Schwäche, die man einer Kranken nachjehen müſſe.
Die arme Gelähmte empfing mich mit unbefangener, ſanfter Freundlichkeit an ihrem Bett, ſie ſcherzte ſogar, daß ſie ſo gar keine Umſtände machen könne; nicht mal einen Knicks bringe ſie zuwege. Ich benahm mich ziemlich ungewandt; fie mochte feinen vorzüglichen Eindrud von meiner Sntelligenz empfangen haben und entließ mid) bald mit einer freundlichen Hand— bewegung ind Mebenzimmer: „Sie wollen fpielen, bitte, laſſen Sie ſich nicht ftören.”
Im Wohnzimmer ftand ein altes Tafelflavier, das mir wenig Vertrauen einflößte, aber es erwies ſich als nicht fo übel: ed war gut erhalten und war für diefe Fleinen, niedrigen Näume vielleicht gerade das rechte Ssnftrument.
Prätorius holte feine Geige hervor, ftimmte ums» fändlih, und fchleppte dann einen ganzen Haufen Mufifalten herbei. Wir wählten ein einfaches Stüd von Mozart, und ed ging leidlich. Er glühte fchnell vor Eifer, lobte meine Begleitung, fo gut hätte er. mit nod) feinem zufammenfpielen können, und wieder; holte diefe Verficherung laut ind Nebenzimmer hinein. „Es war fehr fchön,“ ermwiderte die fanfte Stimme der Kranken.
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Wir fpielten dann nacheinander Gounods Mer ditation zu Bachs Air und Händels berühmtes Largo, und ernteten aud, dafür warme Anerkennung aus dem Kranfenzimmer. |
Prätorius war felig.
„seden Abend möcht? ich mit Ihnen fpielen,” rief er. „Daß ift ja als hätten wir fchon immer zufammen muſiziert.“
Ich bin auch überraſcht,“ ſagte die ſanfte Stimme von nebenan. „Sie würden meinem Bruder wirklich eine große Freude machen, wenn Sie recht oft mit ihm ſpielen. Er liebt die Muſik ſo ſehr. Ich auch. Machen Sie ung die Freude.“
Ich verſprach recht bald wieder zu fommen, und ed war mir ernft, denn ich hatte felbft Vergnügen an dem langentbehrten Mufizieren gefunden. Aber
ſchon das nächſte Mal war das Vergnügen weniger
groß. Prätorius hatte offenbar zuerft feine Parade- fiücfe vorgeführt, und entpuppte fich immer mehr ale recht Fläglicher Mufifant. Immer häufiger bat mid) die Schweiter, doch einmal ein Solo auf dem Klavier zum Beften zu geben, das höre fie fo fehr felten, und id; fam zulegt eigentlich nur noch der Kranken wegen.
Eines Abends war ich etwas zu früh gefommen, oder Prätorius hatte fich verfpätet; genug, die Kranfe lud mid) an ihr Bett und bat mid), dieweil ein wenig mit ihr zu plaudern. Mac einigen gleichgültigen
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Bemerkungen famen wir natürlich bald auf die Muſik zu jprechen, und da geftand fie mir denn, daß fie dag Opfer, dad ich dem Bruder bringe, wohl zu Ihägen wilfe. „Es hat ja noch feiner bei und aus— gehalten, und ich fann es den Herren nicht ver: denfen, er ift nun einmal fo fehr viel mehr Liebhaber als Könner. Aber es ift fein einziges Glück und feine einzige Freude, und nebenbei, was noch Die Hauptfache ift, bildet er fich ein, auch mir eine Freude damit zu machen. Nun ja, ich freue mid), wenn er Dabei ift.“
Sie ſchwieg einen Augenblict, ald befänne fie ſich, ob fie noch Weiteres verlauten laſſen folle, und fuhr - dann lebhaft und heiter fort: „Wie anders ift e8, wenn Sie fpielen. Das ift Mufit! D, Sie ahnen nicht, wie wunderfchöon das if, wenn ich hier fo ftil liege und laufchen kann.“
Sie firedte mir ihre fchmale weiße Hand entgegen, und id) drücte fie zum erftenmal wärmer.
„Aber fagen Sie ihm nicht, wie ich über fein Spiel denfe. Darum bitte id Sie. Es würde ihn ganz unglüdlich machen. Er weiß nicht anders, als daß ich ihm gern zuhöre, und fo muß ed bleiben.“
Sch verſprach es, und als Prätorius erfchien, und wir dann vor unferen Snftrumenten faßen, gab ich mir befondere Mühe, mid; feiner Eigenart an- zupaflen, und ein leidliches Zufammenjpiel herzu- ftellen.
„Meine Schweiter hat einen Narren an Ihnen ges frefien,“ fagte er mir anderen Taged. „Sie fünnen ihr feinen größeren Gefallen tun, ald wenn Sie recht oft zu und kommen.“
„Das beruht wohl auf Gegenfeitigkeit,“ fagte ich. „Es ift rührend, foviel Friede und Sanftmut und Heiterkeit —“
„sa, ja, das arme Ding —“ unterbrach er mid).
Eined Sonntagvormittags brachte ich ihr ein paar Blumen and Bett. Es war zufällig ihr Geburtötag. Ein großer Kuchen fand auf dem Tifch des MWohn- zimmerg, und aus der Sammer der Kranfen fchlug mir die helle Stimme eined SKanarienvogels ent- gegen. |
„Ein Gefchent Alwins. Hören Sie nur, wie lieb er fingt,“ fagte fie.
Der Bruder, der hinter mir die Treppe herauf- geftiegen war, trat ein, zwei große Tüten mit Obft auf dem Arm, und war überrafcht, mich hier zu ſehen.
„Ein erſter Gratulant,“ fagte die Kranke.
„Woher wußten Sie denn das?“ fragte Prätorius verwundert.
„Nun, man hört auch wohl einmal die Glocken lauten,” antwortete ich. Aber ed kam Doch heraus, daß ich nicht als Glüdwünfchender angetreten war, fondern aus freiem Antrieb meine Blumen an das Srantenbett hatte tragen wollen. Geit diefem Tage
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ging ich als guter Freund in diefem Gefchwilterheim ein und aus, ——
* * *
Meine Liebe zu Anna nahm daneben einen wunder⸗ lichen Fortgang. Der Klub war gegründet worden, wir ſahen uns infolgedeſſen häufiger, vorläufig auf Spaziergängen in die reizende Umgebung, wo wir in idylliſch gelegenen Dörfern oder auf romantiſchen Waldplätzen fröhlichſte Raſt machten. Dabei lernte ih Anna immer mehr als ein gutherziges Gäns— chen fennen, dad zu lieben mir feineswegs Unehre made, mir aber auch nicht zu befonderem Ruhm gereiche; fo Liebe gute Dinger liefen zu hunderten herum.
Sch Tieß mir aber um fo leichter an Anna genügen, ald meine höheren Bedürfniffe im Umgang mit der franfen und um ſechs Sahre älteren Martha ihre volle Befriedigung fanden. Dazu fam, daß ich fort- fuhr, mich auch durdy ein immer weiteres Einlefen in Goethe in einen goldenen Schleier zu hüllen, durch ben ich alles in einem fchöneren ©lanze fah.
„Kleine Blumen, Heine Blätter”
fönnte ald Motto über diefem Lebensabfchnitt ftehen; Geift, Gefühl, Ton, Rhythmus diefer entzüdenden Verfe beherrfchten diefe Tage, „Werther“ gab einen ſchwaͤr— merifchen Einſchlag und „Hermann und Dorothea“
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wurde Anlaß, Anna und mid an die Stelle dieſes unfterblichen Liebespaares zu denfen, und darauf zu finnen, wie ähnliche Situationen zwifchen ung herbeis zuführen wären, -
Schon länger glaubte ich Anzeichen zu haben, daß Kluge gleichfalld ein Auge auf Anna geworfen hatte, und daß fie ihm nicht abmweifender ald mir entgegens fam. Er war durchaus ein Rivale, den man bei einer folchen Einfalt und Unfchuld zu fürchten hatte; hübſch, frifh, munter, mit blanfen Augen, vor Ge- fundheit ftrogend, fonnte er meinem Gänschen wohl gefährlich werden.
Mit den Augen des Eiferfüchtigen begann ich ihn zu beobadıten. Sch glaubte in feinen Blicken bald einen veritedten Spott zu lefen, bald ein gutmütiges Mitleid, das mich noch mehr fränfte. Ich fand, daß er auffallend viel von Anna fpradı, und hafte ihn, ald er mir eines Tages lächelnd erzählte, daß er ſchon feit geraumer Zeit mit Annas Bater einen Abend in der Woche Sfat fpiele, |
‚Alfo fo weit bift du ſchon, daß du dich hinter den Bater ſteckſt,“ erbofte ich mic, gegen ihn. ‚Berfuche nur dein Glüf! Am Spieltifch wirft du die Braut nicht gewinnen.‘
Auf welche Weife ich fie aber gewinnen wollte, war mir nicht Har. Daß ich feineswegs in der Rage war, fchon ein Wefen für das Leben an midy zu feffeln, daß ein Brautfiand aud einen Hausſtand
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nadı ſich ziehen wolle, das blieb ganz außerhalb meiner Betrachtungen und Gedanken. Ich betrug mich wie ein Primaner, ja noch weit törichter; denn jener pflegt doch romantifche Luftfchlöffer zu bauen, in die er fich mit feiner Schönen wohnlich einzurichten gedenft, id; aber lebte nur dem Tag, der Stunde, in einem dumpfen, eigenfinnigen Kreifen um das Mägd» lein Anne.
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Sm Klub fpielten zwei Schweltern Ammann eine befcheidene Rolle, wenn auch jeder die hübfchen und aufgewedten Mäddyen gern hatte; aber fie waren als Letzte eingetreten, hatten die beften Plaͤtze bejett gefunden, und mußten ſich nun lange Zeit mit einer Art Afchenbrödelftelung begnügen.
Diefe beiden Schweftern mochten darüber nach— geſonnen haben, wie fie fich verdient machen fonnten; denn fie wollten doch auch etwas fein und vorftellen. Sp famen fie auf den hübfchen Einfall, ung ein Meines Felt zu geben. Die Eltern lebten in guten Ber: hältniffen, fo daß die Töchter fich diefen Aufwand fhon erlauben durften. Aus dem Heiratsgut der Mutter war noch ein anfehnlicher Weinberg uns veräußert geblieben. Er überragte, von einem ziers lihen Häuschen gefrönt, im Südoften dad Städtchen mit feiner nicht unbeträchtlichen Kuppe, von der aus man einen reizenden Blid in das Tal genof. Der Wein, der an diefem Hügel wuchs, war freilich nicht berühmt, doch Tieferte er annchmbare Trauben, die von befcheidenen Leuten nicht verfchmäht wurden.
Auf die Höhe dieſes MWeinberges hatten Die Schweitern und geladen, wo fie und in dem hübfchen Häuschen mit Kaffee und Suchen und nachher mit einer Pfirſichbowle bewirten wollten. Die Lieders bücher folten mit hinaufgenommen werben, und von
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dort oben die fchönften und beliebteften Kieder ine
Tal hinunterfchallen.
Es war ein wunderfchöner Sonntagnadmittag, als
wir einzeln die überfonnten Stufen des Weinberges hinaufftiegen, um oben von dem fchon wartenden
Scwefternpaar aufd freundlichfte empfangen und in
die Veranda ded ſchmucken Häuschens geführt zu werden. In diefer Veranda, die fid; gegen das . Städtchen hin auftat, war der Kaffeetiſch gedeckt, Berge von Kuchen türmten ſich auf, Blumen fehlten nicht, und ihr Duft erfüllte mit dem Duft von Kaffee und Schofolade den Fleinen Raum. Bald war die Gefellfchaft verfammelt, die Paare ungezwungen ges ordnet, wobei fomohl Eduard von feiner Meta, als ic von Anna getrennt wurden. Vielleicht aber wollten fi) die beiden Gaftgeberinnen einmal an den be vorzugten Freundinnen rächen und fich deren Lieb— haber auf ein paar Stunden felbft aneignen. N
Sch war keineswegs mit meinem Plag zufrieden, dba ich meinen Rüden der fchönen Augficht zuwenden mußte. Annas Geficht, das ich vor mir hatte, hätte mich freilich entfchädigen follen, aber ich mußte. auch Kluges rofigen Bollmond daneben fehen, und fo fam ed, daß ich auf meinem Sig in beftändiger Bewegung war, bald mid; der Landſchaft und bald mid) der Ges felfchaft zumandte.
„Sch glaube, wir geben diefem Herrn einen anderen Stuhl,“ fagte meine Nachbarin zur Rechten, bie
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blonde Germania. „Er fitt in feiner Weife bequem darauf, wie es fcheint.“
Man lachte, und ich entjchuldigte mich. „Iſt es
denn nicht ſchwer, einem folchen Bilde beftändig ben Rüden zufehren zu follen?” fagte id), indem ich ınid) noch einmal dem überfonnten Tal zumandte, „Ic liebe nicht mehr, als fo von freier Höhe hinunter ungehindert in die Welt hinaudzufehen. Mir tft es dann immer, ald wäre das Fliegen nur eine ver- fümmerte Fähigfeit, die den Menfchen angeboren ift.“
Aber die Germania wandte mich wieder mit einem feften Schultergriff der Gefelihaft zu: „Auch vor Ihnen gibt ed hübfche Ausficht, andernfalld würde eine Viertelmendung nach rechts genügen.“
„Mir liegt nichts daran, daß der Herr aus feiner Höhe auf mich herabfieht,“ fagte Anna. „Mag er nur ind Blaue fchwärmen.“
Abermals gab es ein Gelächter auf meine Koften, und diesmal glaubte ic), Kluges etwas laute und harte Stimme über alle fich hervortun zu hören.
War das Anna, die das gefagt hatte? Sch hatte ihr foviel Schlagfertigfeit gar nicht zugetraut. Sie ſelbſt ſchien erfchrocden über ihre Dreiftigfeit; fie war rot und fuchte ihre Verlegenheit unter einem Findifchen Geficher zu verbergen.
„er, der jung ift,“ rief ich, „ſchwärmt nicht ins Dlaue? Kommt ed doch nur darauf an, daß wir fhwärmen. Db der Gegenftand es verdient, ift fo
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wichtig nicht. Aber einmal die Flügel heben, einmal heraus aus dem Alltag, hinauf in freiere, fonnigere, glüdlichere Höhen will jedes Herz, jede Seele! Und da erprobt fie erſt auf Fleinen, dann auf immer größeren Flügen, recht wie ein flügges VBöglein, ihre Schwingen, um plöglich, wenn die rechte Zeit da iſt, wie eine fingende Lerche in den goldenen Himmel aufzufteigen, fo hoch, daß das kleine Gänfeblümchen, um dad ihre eriten furchtfamen Verſuche hinfreiften, den fingenden Punft über ſich gar nicht mehr gewahr wird.“
„Wie poetifch!” rief Kluge fpöttifch, während Anna biutrot in ihrer Kaffeetaffe löffelte.
Sch hatte das wirklich alles ohne Bezug auf fie gefagt. Auch das Gänfeblümchen war mir nur fo entfahren. Jetzt wurde mir jedoch fchnell Flar, wie ungezogen mein Ausfall erficheinen mußte. Aber Meta riß mic, aus der Berlegenheit, indem fie Kluges Auss ruf aufgriff und meinte: „Freilich war das poetifch gefagt, und ich wette, unfer himmelblauer Schwärmer ift ein heimlicher Verſemacher.“ |
„Leugnen Site nicht, ich fehe es Ihnen an, Gie können dichten,” fuhr fie fort und ließ fich von meiner MWiderrede nicht beirren.
„Unbedingt muß er etwas zum beften geben,“ rief man, „Nicht zieren, mein Herr!“
„er fagt Ihnen denn, daß ich Dichte!“ entgegnete ich nod; einmal; „und wenn es fo fein follte, fo habe ich doch nichts bei mir.“
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„Wiffen Sie nicht etwas aus dem Kopf?“ fragte man hartnädig.
„Gewiß! Aber es ift nicht von mir.“
„Hören lafien! Hören laffen!“ hieß es.
Mit einem Achſelzucken, das fagen follte: ‚Ich bin unfhuldig, ihr habt e8 wollen,‘ erhob id, mid) und begann Goethes „Der Goldſchmiedgeſelle“ herzus fagen.
Es ift doch meine Nachbarin
Ein allerliebftes Mädchen!
Wie früh ich in der Werkftatt bin, Blick' ich nach ihrem Lädchen.
Zu Ring und Kette poch' ich dann Die feinen goldnen Drähtchen.
Ach, denk' ich, wann und wieder, wann Iſt ſolch ein Ding für Käthchen?
Und tun ſie erſt die Schalter auf,
Da kommt das ganze Städtchen
Und feilſcht und wirbt mit hellem Haut Ums Allerlei im Lädchen.
Ich feile; wohl zerfeil’ ich dann Auch manches goldne Drähtcen. Der Meifter brummt, der harte Mann! Er merkt, es war das Lädchen.
Und Auge, wie nur der Handel ſtill, Gleich greift fie nach dem Rädchen. Sch weiß wohl, was fie fpinnen will: Es hofft das liebe Mädchen.
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Das Heine Fühchen trirt und tritt,
Da den?’ ich mir das Wädchen;
Das Strumpfband den? ich auch wohl mit, Ich ſchenkt's dem lieben Mädchen.
Und nach den Lippen führt der Schatz Das alterfeinfte Fädchen.
D wär’ ich doch an feinem Was, Wie küßt' ich mir das Mädchen!
Vers für Vers ftand mir fidyer zu Gebote, mit jedem überfam mid; eine größere Leichtigkeit, eine Freiheit, die mir erlaubte, das Ganze mit einer an- mutigen Schelmerei vorzutragen, die ihre Wirfung nicht verfehlte, und man modıte dad Ganze für einen gewollten und gelungenen Berfuc halten, das Wort vom Gänfeblümchen wieder vergeffen zu machen.
„Das haben Sie felbft gemacht?“ rief Kluge, ohne feine Berwunderung unterdrüden zu fünnen.
„sa,“ antwortete ich ironiſch. Doch die anderen fielen über ihn her: „Aber Herr Kluge! Das ift ja von Goethe, das wiffen Sie nicht?” Und jeder tat wie ein Goethefenner.
„zur Strafe für feine Unmiffenheit fol er nun felbft ein Gedicht herfagen,“ befahl die Germania, die gern dad Wort führte Alle ftimmten jubelnd bei, und der arme Menſch wurde mit Gewalt vom Stuhl in die Höhe gezerrt. Als er nun einmal ftand, fohien auch er zu denfen: fie haben ed gewollt, alfo
müffen fie ed nehmen, wie ich es gebe; fogar ein
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felbitgefälliged, fiegesficheres Lächeln erfchien auf feinem Geſicht. Eine Parodie des Schillerfchen Hand» ſchuhs, richt übel vorgetragen, verfehlte denn auch ihre Wirkung nicht. Sch felber lachte herzlich mit, Was er aber hernach, durch den Beifall eitel gemacht, folgen ließ, fanf immer mehr auf ein fo flaches Niveau herab, daß er nur ſchwachen Beifall erntete.
Wenn fie nich blind ift, fo hat fie jegt gefehen, wes Geiſtes Kind er ift, dachte ich. Aber Anna, in allem lau und farblos, ließ nicht erfennen, ob fre für oder gegen den Rezitator und feinen banalen Wirtshaus humor war,
Indeſſen waren die Kuchenberge bis auf die Sohle abgetragen, nur noch einige Roſinen und Bröcelchen lagen auf den Tellern, und fie wurden jegt ben Vögeln hingefchüttet. Die Sonne war gefunfenz ein legter Schimmer lag noch auf dem weißen Tifchzeug und fpiegelte fich in dem feinen Porzellan der Kannen und Taſſen, während unten ſchon alled in einem filen, blauen Dämmer lag, aus dem der Abend langfam zu und heraufftieg. Die Lampe wurde an- gezündet, die Bowle aufgefegt, und die Liederbücher hervorgeholt. Das liebliche Getränf, an dem in feiner Weiſe geipart war, brachte erhöhte Stimmung. Die Släfer Fangen in die ftille Luft hinaus, und ein Lied nadı dem anderen verhallte, bald laut und feurig, bald fanft und innig hinausgefungen, zwifchen den Hügeln. Unten aber waren in den Käufern bie
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Lichter Schon aufgebligt, bevor wir hier oben unfere Lampe mit der farbigen Kuppel ald einen grünen Stern in die beginnende Nacht hinauggeftellt hatten; wie ein Märchenlicht, das einem geifterhaften Treiben leuchtet, mochte es den Leuten dba unten vorkommen, wenn nicht unfere fräftigen Kehlen, die man jeben- falls weithin vernahm, fie über unfere irdifche Bes fchaffenheit aufflärten.
Se lauter die anderen wurden, je ftiller wurde ih und faß zulegt mie ein Zufchauer da, der ftatt vor der Bühne mitten zwifchen den Schaufpielern Pla genommen hat. Die fingenden Freunde ers hielten zugleid; etwas Puppenhaftes, ja Gefpeniters haftes, wobei ihr Gefang ähnlich dem monotonen Geräufc; der Meereöbrandung oder des Wipfel- raufchend an mein Ohr fchlug, ohne mich zu flören. Das grüne Licht der Lampe erhöhte den geifterhaften Eindrud, und die Schatten an der Wand bewegten fich wie eine zweite gefpenfterhafte Gefellfchaft, die fih damit vergnügte, jene andere nadzuäffen und ind Groteske zu farifieren. Dazu ſchwirrte unab- läſſig dunkles Getier aus der Nacht herein und um die gedämpfte Flamme, ja einmal verirrte fich eine Fledermaus unter bas niedere Gebälf der Veranda, wo fie wie wahnfinnig hin» und herfchoß, fo daß ein paar Mädchen ängftlich auffreifchten. Schrecdte dieſes Kreifhen mid) auch für einen Augenblid auf, fo blieb ed doch hernach wieder nur ein leered oder doch
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traumhaftes Schaufpiel für mich, daß ich Kluge einer Zifchvafe Blumen entnehmen und fie Anna ins Haar ſtecken ſah.
Da weckte mich ein lautes Klirren aus dieſem wunderlichen Zuſtand. Der Apotheker hatte mit Kluge anſtoßen wollen, hatte ſich von ſeinem Platz erhoben und dabei eine Blendlaterne, die hinter ihm auf dem Heinen Ecktiſchchen ſtand, umgeworfen. Ein allge meiner Aufſchrei des Schreckens, des Bedauerns, des Vorwurfs ließ ſich hören, „Was fangen wir jest an?" „Wie finden wir im Dunfeln den Weg hinab?“ „Wenn wir nur Mondfchein hätten!” fo rief man durcheinander.
Man wurde erft jegt auf die Dunkelheit aufmerf- fam, die fi draußen inzwifchen fchwarz und undurd)- dringlich audgebreitet hatte; faum daß ein paar Sterne Hein und wie in unendlicher Ferne mit ſchwachem Flimmern aufleuchteten, Die Schweitern wußten die Beforgten zu beruhigen. Ohne Kicht wäre freilid, der Abftieg für Fremde nicht ganz ungefährlich, da der Weg aus lauter nidyt immer ganz regelmäßigen Stufen beftände und auch zeitweilig Geröll mit fid) führe, worauf der Fuß leicht ausgleiten fünne; aber ed fei ja gänzlich windftill, und fo fünne man Die Zifchlampe mit hinunternehmen, man habe fich fchon manchmal damit geholfen.
Sch nahm fofort die Lampe, was man ohne Eins rede gefchehen ließ, und wir machten und auf den
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Weg. Man war übereingefommen, nichts oben zu laflen, und fo war jeder mit irgend etwas beladen; Glas und Porzellan waren in kleine Körbe vers packt, Bandler und der Apothefer trugen je einen Teil der Liederbücer unterm Arm, nur Kluge und Anna waren unbehelligt geblieben. Sie gingen dicht vor mir auf, und die Blume in Annas Haar leuchtete mir im Schein der Rampe entgegen. Doch hatte ich zu fehr auf den Weg und auf das Licht in meiner Hand zu achten, ald daß ich mich hätte eiferfüchtigen MWallungen lange hingeben fünnen. Sch fühlte aber auch nichts dergleichen fich regen. Ich fah, wie er ihr ab und an die Hand reichte, fie über größere und unbequemere Stufen behutfam hinmwegzuleiten. Hier war nun ein Bild aus Hermann und Dorothea; aber nicht idy war es, fondern Kluge, der mit Anna die föftlihe Dichtung meines geliebten Dichterd in die Wirklichkeit überfegte.e Wie fam es nur, daß es mich fo ruhig ließ? War es allein die Aufmerffamfeit auf die Lampe, was mid, fo völlig ablenfte?
Bei jedem Schritt zucte die Flamme im Zylinder, nur einen Heinen Umkreis erhellte ihr Ficht. Wie ein blaffer Mond glitt diefe gelbe Lichtfcheibe vor mir den Weg hinab und zeigte mir Stufe für Stufe. „Borficht!” mahnte ich von Zeit zu Zeit, mahnten andere Stimmen ebenfo. Aber Kluge und Anna fchienen den Weg zu kennen, gingen ihn mit nacht-⸗ mwanbdlerifcher Sicherheit, lachten und fcherzten.
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Ein großer ſchwarzer Nachtfalter flatterte unauf- hörlich um meine Campe, fchoß in das Dunfel zurüd, fam wieder, ſchlug mit den fchönen famtenen Flügeln ‚gegen die grüne Kuppel, ſchwirrte und furrte um das heiße Glas.
Kein Lüftchen regte fih. Aus dem Städtchen ſchim— merten Die Lichtchen unbewegt zu uns hinauf. Aber um uns, foweit nicht der kleine Kichtfreis der Lampe fiel, war ſchwarze Nacht.
„Löfcht doch die Lampe aus!” rief man. „Man fieht ja ohne Richt viel beffer!“
Sofort wandte ſich Kluge und blies mir die Lampe - in der Hand aus,
„Bravo!“ rief einer.
„Mir ift es recht,“ fagte ih. „Da bin ich einer Sorge ledig.”
Sn der Tat ging es fich jegt für alle beifer; man gewöhnte fich, von feinem Licht geblendet, fchnel an die Dunfelbeit. Die Umriffe der ſchwarzen Hügel in der Ferne traten fcharf hervor, in der Nähe die fchlanfen Pyramiden der Weinftöde, ja zulegt lag. alled wie unter einem zwar dunflen aber durch— fihtigen Schleier da. In der Höhe traten die Sterne heller hervor, und ich bedauerte im ftillen, weld, ſchönes Nadıtbild wir ung durch das mühfam zu Tal getragene Licht verdunfelt hatten. Nur meinen Nacht: falter ſah ich jegt nicht wieder. Nur einmal war er angefauft gefommen, gerade gegen meine Stirn,
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war ein paarmal dicht vor meinen Augen, die ihn mit einem fchwachen Leuchten angezogen haben moch» ten, auf und ab getaumelt, um dann auf Nimmer: wiederfehen zu verfchwinden. Glücklich famen wir unten an und verabfchiedeten und mit herzlichem Dank von den beiden Tiebenswürdigen Schweitern.
In der Nacht fam ein Gewitter herauf. Ich ftand auf und fah die blauen Blige über den Himmel hinlaufen. Obgleich; er von meinem Fenfter aus nicht fihtbar war, bildete ich mir doch ein, den Gipfel des Weinberges in diefem himmlifchen Feuer aufleuchten zu fehen, fah das kleine Tempelchen, bie grüne Lampe darin, wie ein zu heimlichen Märchenwundern lockendes Licht, ſah den Weg ſich zwiſchen den ſtillen Stöcken hinabſchläängeln und Kluge und Anna Stufe für Stufe ihm folgen; ihn, wie er halb zuruͤckgewandt dem nachfolgenden Mädchen die ſtützende Hand bot, fie, wie fie in fchnellem Vertrauen fich feiner Führung überliep. Und während Blitz auf Bli lautlos aufleuchtete, fam mir die Tächelnde Erfenntnis: Deine vermeints liche Liebe zu Anna ift nichts, als ein poetifches Spiel.
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Bei Martha fand ich Erfag für das Berlorene oder vielmehr freiwillig Aufgegebene. Ich hatte ihr in der legten Zeit auch wohl einmal vorlefen müffen;
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idy hatte meinen Goethe an ihr Bett getragen, und wir lebten bald in einer geiftigen Gemeinfchaft zu- fammen, die zwifchen Anna und mir unmöglid, ge- weien wäre. Wie fohmerzlich hatte die Kranke jahrelang eines folcyen anregenden Umganges ent, behrt. Der Bruder hatte außer für feine Muſik feine höheren Sintereffen. Ihm war fie ja auch fchon danfbar genug für die Liebe, mit der er fie umgab, und fie mochte weitere Opfer von ihm nicht ver: langen. Jetzt erfuhr idy ganz, wie weit er darin ſchon gegangen war. Eine Neigung zu einem hübfchen und reichen jungen Mädchen, einer älteren Schwefter unferer freundlichen Weinbergwirtinnen, hatte ihn ergriffen, aber er hatte ihr der Schwefter wegen ent- fagt. Er hatte fich eingeredet, eine fo wohlhabende und verwöhnte Tochter würde ſich für einen Bräuti- gam mit einer folchen lebenslänglichen Zugabe be- danfen; denn feine Schweiter zu verlaffen wäre ihm nie in den Sinn gefommen. Aber zu fpät erfuhr er, daß jenes Fräulein feine Neigung im ftillen erwidert hatte und ſich wohl die Hausgenofjenfchaft einer franfen Schwägerin würde gefallen laffen haben; ertrug fie doch jest in einer bald darauf gefchloffenen Ehe ein ähnliches Schicffal mit Liebe und Gelaffen- heit, indem fie die franfe Schwiegermutter mit töchters licher Liebe umgab.
Diefed Glück alfo war verfäumt, das Band aber, das die Geſchwiſter miteinander vereinte, feitdem nur
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um fo fefter gefnüpft. Ganz ohne Folgen war bieje
Enttäufhung für den guten Prätorius leider nicht
geblieben, Er hatte zu trinfen angefangen, hatte ſich eine Zeitlang faft ganz verloren und war nur als mählidy durch die Klugheit und Kiebe der Schweſter ih und einem ehrfamen Leben wiedergemwonnen wors den. Hierbei hatte ihr hauptfäclicd feine Muſik— fiebhaberei hilfreiche Dienfte leiften müffen. Ganz und gar freilich hatte er das Trinfen nicht laffen fönnen, doch blieb es in mäßigen Grenzen und Martha
duldete ed gern, wenn er fi) im Nebenzimmer ein '
Glas Grog braute; wußte fie doch, daß es zu Haufe in ihrer Nähe bei einem Glas bleiben würde, während er im Wirtshaus den Verfuchungen zum Weitertrinfen leicht erlag. Um fo danfbarer war fie, daß jegt eine Kraft mehr da war, die ihn zu Haufe hielt, denn wir. mufizierten fleißig weiter, ein Opfer, das id) Martha gerne bracdıte. Auch ging es allmählich doc, . etwas leidlicher mit unferen Hauskonzerten; Prätorius gewann an Fertigfeit und Sicherheit und, da id) darauf hielt, daß wir und nicht an zu ſchwere Sadıen wagten, erhielt ein immer beſſeres Gelingen ihn bei Luft und Laune.
Dad machte auch mid; immer eifriger. ch mietete
mir ein Klavier und blieb nun oft des Abende zu -
Haufe und übte. Anfangs kam Bandler ein paarmal, zog aber bald die Kneipe vor. Gern fah ich, daß er wegblieb. Sch mußte allein fein, wenn ih Muſik
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machte. Oder mußte wiffen, daß ich mwirflich jeman- dem eine Freude damit bereitete, wie Martha. Bei jedem Stüd dadıte ich fie ald meine Hörerin; fie ſollte alles ſo vollendet wie möglich hören. Das fürderte mich fehr.
Leider wurde dieſer Fortfchritt durch ein unglückliches Ereignis, dad mic auf lange Zeit von meinem lieben Dilettanten trennen follte, unterbrochen. Jeder junge Mann, der fich für längere Zeit im Städtchen nieder- ließ, war gehalten, der Feuerwehr feine Dienfte zu leiften und auch auf diefe Weife das Seine zur Er: haltung eines Gemeinweſens beizutragen, das ihm Obdach und Lebensmöglichkeit verlieh. Jetzt follte auch für mich die Stunde fommen. Eine Feine Kate war niedergebrannt und lag nun, ein Eohlender und rauchender Trümmerhaufen, da. Als wir abends ge- mütlih am Stammtifch faßen, mit und der TZurn- lehrer Körner, der Kommandant der Feuerwehr, meldete ein Bote, daß aus dem Brandfchutt wieder helle Flammen fohlügen. Sofort fprang der Komman⸗ dant auf: „Wer ift anmwefend? Bitte, meine Herren, alle mitfommen!“
Es war eiöfalt draußen, der Oſtwind pfiff, es glatteifte, und die Straßen funfelten nur fo im Mond» fhein. An der Brandftelle empfingen und Rauch und Flammen, und wir mußten fofort an die Pumpe, die in einem halbvereiften Waſſerloch aufgeftellt war. Es war ein hartes Stüd Arbeit. An den falten Eifen-
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ftüclen erftarben die Hände, und auf dem von einer dicfen Eisfrufte überzogenen Erdreich war fchlecht Fuß zu faffen. Aber wir griffen feft zu, und der Waſſer— ſtrahl faufte in die Flammen, daß der dide Dualm hoch aufftieg und fofort, von dem pfeifenden Wind ergriffen, davonjagte.
Bandler, dem fchlanfen Kommandanten an Größe gleich, hatte mit dieſem zufammen zuerft die Pumpe bedient. Kluge und ich, ebenfalls von gleichem Wuchs, löften fie ab. Kluge, in allem derb und zufahrend, pumpte wie der Teufel, und ich, in ihm überall einen Rivalen fehend, mühte mich, es ihm gleich zu tun. Dabei glitt ich auf dem vereiften Boden aus, fuchte vergebens Halt und rutfchte bis unter die Arme in das eidfalte Wafferloch hinein. Noch im Fallen fühlte ich mich gepadt und von vier fräftigen Armen herausgezogen; aber ich war bis auf die Haut durch— näßt und Flapperte vor Froft mit den Zähnen.
Was jest? Die einen wollten mich in die Wirt- haft zurücjchleppen und mid; mit einem heißen Grog behandeln, Bandler und Körner waren für einen Dauerlauf nach meiner nur fünf Minuten ent: fernt liegenden Wohnung, wo ich mid, fofort ins Bett paden folle. Bandler nahm mid; auch ſogleich am Arm und trabte mit mir fo fchnell es auf dem Glatteis möglich war, meinem Haufe zu.
Da-lag ich denn nad, zehn Minuten in den warmen Federn, goß eine Unmenge heißen Zitronentees in mid)
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hinein und brachte ed zu einem gehörigen Schweiß. Allein die plögliche Abfühlung des überhigten Kör— pers, der mit Feuchender Bruft in das fchmerzend- falte Eiswaffer geraten war, blieb nicht ohne ernfte Folge. Eine heftige Lungenentzündung ftellte ſich ein, und ich war in großer Gefahr. Prätorius fam täg- lich, um zu fehen, daß ed mir an nidjts fehle, aud) Bandler bemühte fih um mich, und fo überfland ich unter der forgfamen Pflege meiner alten Wirtin die Kriſis.
Sch genoß das wohltuende Gefühl langfamer und fteter Gefundung in Dankbarkeit und Zufriedenheit und war, wie fo oft, in einem Zuftand, in dem ich nichts wollte und begehrte, jondern mid, vom Tag fchaufeln ließ.
Darüber war e8 Weihnacht geworden; fie hatten mir ein Bäumchen geſchmückt, und ich durfte ein paar Stunden aufftehen, mid) feiner zu freuen. Draußen lag der Schnee fußhoch. Die niedrigen Dächer grüßten unter der hohen Schneehaube gar traulich und feitlich zum Fenfter herein, nur hin und wieder fegte ein Windftoß durchs Tal, zaufte ihre Kappe
und verurfachte ein Fleined Schneetreiben um Schorn-
fteine und Dadhfirfte.
Es war ein rechtes Weihnachtwetter. Wie mochte ed jeßt draußen im Walde ausfehen, wo mein Tänn- den noc vor ein paar Tagen unter all den großen und Fleinen Schweitern geftanden und den hungrigen
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Fuchs hatte hinftreichen fehen, wie er die Rute durch den Schnee zog; wo ed dem Gezänf der Krähen zus gehört und nachts über feinem Scheitel die Sterne hatte aufblinfen fehen. Jetzt waren fie zu ihm herab- gefommen, bie goldenen Lichter, auf jeded Zweiglein eines; ganz ſtill und glüclich trug er die Sternlein und atmete dabei einen würzigen Harzduft aus, der das ganze Zimmer erfüllte.
Bon Martha Prätorius war ein blühendes Topf: gewädhs gefommen, mit einem Brief, worin fie mir . mitteilte, fie habe eine Handarbeit für mich begonnen, habe jie aber wieber beifeite legen müffen, denn ihre ſchwachen Kräfte hätten nicht ausreichen wollen. Ich betrachtete gerührt das hübfche Bäumchen, atmete den Schwachen Duft der blaffen Blüten und fühlte mich reich befchenft. Auch aus der Heimat ftellte fich ein Weihnachtsgruß ein. Sch erkannte die Auffchrift meiner lieben Mutter und im reichlich verfchwendeten Siegellad die Abdrüde ihres Fleinen Petfchaftes, dag, ein letztes Geburtstagsgefchent meines verftorbenen Baterd, mir mit feinem roten faft durchfichtigen Achat— griff noch lebhaft in der Erinnerung war. Sc fah die gute Mutter vor mir, wie fie ſich abmühte den vielen Bindfaden kreuz und quer um das Paket zu fchlingen, fah fie den roten Wachs über die Flamme des Leuchterd erwärmen und die ſchmelzende Maffe ſorglich auf die zu verfiegelnden Stellen träufeln. Gerührt fah ich das Ergebnis fo umftändlicher Mühen
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* ER { — Ma: a
——
vor mir ſtehen und mochte kaum den Bindfaden mit meinem Federmeſſer zerſtören.
Natürlic, lag ein Brief oben auf, den ich ſogleich öffnete, um ihn dann wieder ſo lange beiſeite zu legen, bis ich die Feſtgaben aus der Heimat näher
erforſcht hätte. Ein paar wollene Socken waren das
erſte was zum Vorſchein kam; ſie waren mir lieb
und kamen mir ſehr zuſtatten. Darunter ſtand ein
Schächtelchen mit Lübecker Marzipan. Das war alles und wollte mir nicht viel erſcheinen, bis ich mit taftender Hand noch etwas Hartes im Strumpf ver- borgen fühlte; ed war. ein in ein Edchen Schreib- papier gewidelter Taler. Meine Enttäufchung machte
jedoch fogleich einer tiefen Rührung Platz. Auch
dieſe wenigen Gaben waren ein Zeichen mütterlicher Liebe. Und ich zerfloß vollends in Tränen, als ich
‚num aus dem Briefe erfuhr, dag noch dieſes Wenige
ein Möglichites vorftelle, und daß Kummer und Sorge das Herz meiner armen Mutter bedrücten. Sie hatte wohl immer wieder in ihren Briefen angedeutet, daß fie jetzt ſparſam leben müßten, und daß die Krank— heit der Schwefter viel Geld koſte. Shre Klagen waren diesmal nicht größer als fonft, nur daß das Leiden des Kindes ihr einen tiefen Herzensſeufzer auspreßte. Aber ich lad wohl zwifchen den Zeilen, fah an dem geringen Inhalt des Weihnachtsfift hend, daß es nicht zum Beften gehen könne und ſchalt mid, daß ich auch nur einen Augenblick lang
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hatte unzufrieden oder auch nur enttäufcht fein fonnen.
Bon meiner Krankheit hatte ich nicht? geichrieben. Die Mutter hielt mid; für wohl und befchmwerte ſich, daß ich folange nichtd hatte von mir hören laffen. Ic freute mich nun doppelt, daß ich ihr diefe Sorge um mid; erfpart hatte.
Ich befah meinen Taler, ein fohönes, blanfes, preus- Bifches Geldftüd neuefter Prägung, fühlte die Weiche der wollenen Soden, indem ich fie zärtlih an die Wange drüdte und war gerade dabei die Marzipan- torte zu betrachten, ald meine Wirtin mit einem gleichen runden Schächtelchen erfchien. Es ſei Lübecker Marzipan, den ihr Sohn gefchictt habe, fagte fie, und da fie wilfe, daß ich aus Lübeck fei, habe fie gedadht, ich würde ein Stücfchen des heimatlichen Gebäcks nicht verfchmähen.
Sch zeigte ihr trumphierend mein mütterliches Ge- fchenf, und wir ftanden uns lachend mit den Marzian- torten gegenüber. Sie hatte aber von der ihren, auf der ein braller Engelsbube aus einem Füllhorn Roſen ftreute, ſchon ein paar Fleine Stüde abgeteilt und drang nun in mich, davon zu nehmen. „Gut,“ fagte ich, „dann müffen Sie auch von meinem Gebäd koſten.“ Auf diefem aber waren die alten feften Türme des Holjtentored abgebildet; wie Heimweh beftel es mich bei ihrem Anblick und es Foftete mich einige Über- windung, das vaterftädtifche Wahrzeichen zu zerftören.
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Sie erwifchte ein Stüd des Getürmd und fchlug nun ihre Zähne in das alte, freilich leicht genug zerbrödelnde Gemäuer, während ich mir mit einem Stüd des himmlifchen Geftederd den Gaumen Fißelte,
Bandler fam auf ein halbes Stündchen und wäre, da er es fo behaglich und meihnachtlich bei mir fand, gern geblieben; aber er habe verſprechen müffen mit feinen Wirtsleuten, jungen, munteren und mit Kindern gefegneten Leuten, zu feiern. Er ermahnte mich, mich zu fchonen, und ließ durchblicken, daß man im Gefchäft fchon fehr nach mir ausfähe. Man hatte von dort aus meinen Zuftand mit Teilnahme ver- folgt, mußte aber in der Weihnachtszeit den Abgang einer Arbeitöfraft doppelt empfinden. Bandler hatte dad Seine getan, mid) zu vertreten; den Reſt der vermehrten Arbeit hatte Herr Nutzſche felbft auf feine Schultern nehmen müffen. Obwohl ich hier für das Allgemeinwohl litt, in deflen Dienft ich verunglüdt war, drückte mich diefer Umftand fchon genug, und ich fehnte mich jelbft, den Platz an meinem Pult wieder einnehmen zu fünnen. Sp bejchloß ich denn die einfame Weihnachtsfeier mit einem frühen Zu- bettgehen, lag aber, von mancherlei bewegt, nod) lange wach. Der Brief der Mutter ging mir im Kopf herum. Obgleich fie nicht Flagte, war doch ein fummervoller Ton in ihrem Schreiben. War es allein die Krankheit der jüngften Schwefter, die noch immer auf ihrem Schmerzendlager lag, was fie be-
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trübte? Die ungewohnte Kärglichfeit der Weihnachts» gabe und die Ermahnung zum Sparen ließen mid) fürchten, daß auch fonft die Verhältniffe zu Kaufe ſich ungünftig geftaltet hätten. Heimweh überfam mich, meine Gedanfen weilten bei den Meinen im Elternhaufe und meine Erinnerungen durchirrten die Gärten meiner Kindheit.
In Ddiefer Nacht aber fuchte mich zum erftenmal in der Fremde mein Kindertraum wieder auf; meine Gedanfen mochten wohl zu lange auf jenen längit- verfunfenen Sugendwiefen gegangen fein. Die Stadt mit den goldenen Türmen öffnete mir wieder ihre ftrahlenden Tore und wehmütig-feierlich fchritt ich durch die alten lieben Gaffen. Nur mar mandjes ander geworden. Aus einem Brunnen, der ſich mir jedoch altvertraut und gar nicht überrafchend darbot, fiel ein klares Waffer mit melodifchem Geplaͤtſcher; daran fiand meine Mutter und fchöpfte mit ihrem grünen Gießfännlein, woraus fie dann wieder ein welkes Röslein, dad neben ihr in einem irdenen Topf auf dem Pflafter ftand, forglich tränfte.
„Es will gar nicht gebeihen, fo fehr ich's aud) pflege,” fagte fie fo traurig, daß ed mir ind Herz fchnitt.
Be zer — — ——
VI
Das neue Sahr fand mich wieder an meinem Pas am Pult. Sch fühlte mich wie ein Neuerftandener, der aufrichtig dankbar zu fein hatte, daß ihm der Anblic des Marftplages, des Brunnensd und des alten Rathaus- turmed noch wieder vergönnt worden war. Ein reiner Schnee lag auf Dächern und Straßen, doc war es ein ftilled und Flares Froftwetter ohne Wind, der meiner faum genefenen Lunge hätte fchaden können. Aber nicht nur die Natur empfing mid fohonend und freundlich, auch die Menſchen zeigten fich wohlwollend, teilnehmend und erfreut, mich in ihren Kreis wieder aufnehmen zu fünnen. Der Alte in den Wolfen empfing mic, gütig, führte mid, des Pfeifengualmes wegen in ein Mebenzimmer und ermahnte mich, nun auc vorläufig noch auf meine Gefundheit recht be- dacht zu fein; fo eine längere Krankheit fei ja überall recht ftörend, und Herr Nußfche und Bandler würden ſich freuen, daß ich wieder da fei.
Prätorius und Martha hatten mid; gleich am erften Abend zum Tee gebeten. Allerlei Fefigebäd fand ſich noch vor, und ed war wie eine ftille Nachfeier weih— nadjtlicher Tage. Marthas Blicke ruhten wiederholt auf mir, und eine leichte Nöte der Freude verflärte ihr feines, fchmales Geficht. Prätorius wollte mufis zieren, aber fie wehrte ab, um mich zu fchonen. Dennoch fpielte ich ein Adagio von Beethoven. Gie
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ſah mich danfbar an. „Es hat mir unfäglid, wohl: getan,“ fagte fie leife, „ich habe folange nichts ge- hört.“
„Aber!“ rief Prätorius betroffen, und fie errötete, „sh will dir nicht weh tun, lieber Alwin. Dein Geigenfpiel ift wie das tägliche Brot, dad man nicht achtet und das doc, eigentlich das liebe Brot ift. Aber fo ein Adagio, von unferem Freund gefpielt, ift wie eine Art Feftfuchen, den man feftlid, begrüßt.“
Er war es zufrieden und meinte nur: „Man fol aber auch für das tägliche Brot danfbar fein.“
„Das fol man, und ich bin e8 auch.“ Sie reichte ihm die Hand, und ich freute mich ihrer feinen Art, ihn zu. fchonen.
* * *:
Die Faſchingszeit brachte als glanzvollſtes Ereignis einen Maskenball in der Kaſinogeſellſchaft. Uns Buchhandlungsgehilfen wurde eine Einladung zuteil; wir wurden dadurch ſehr geehrt, denn nur die Honoratioren und die wenigen Offiziere der kleinen Garniſon gehörten dieſem Zirkel an. So waren wir nicht wenig ſtolz und ließen und durch das Gefühl, eigentlich doch wohl nur als Lückenbuͤßer gebeten zu fein, nicht beunruhigen.
Das Wichtigfte für uns war nun, und um eine paffende Maske zu bemühen. Das war nicht fchmwer,
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denn im erſten Stocd eines Haufes am Marfte hatte eine Garderobiere aus der Reſidenz eine Niederlage von Theaterfoftümen für die Fafchingzeit etabliert. Die Auswahl war allerdings nicht leicht, da jeder fo ſchön wie möglich erfcheinen wollte. Endlich ent: fchied ich mid für einen Malteferritter, deſſen langer, weißer Mantel mir gut fland. Barett und Degen gaben mir ein Anfehen, des Kreuzed auf dem Mantel würdig. Bandler fand nichts Paſſen— dere für feine langen Glieder ald einen roten Hufaren, der ihm dafür aber wie angefchneidert - faß. Seine firaffe Haltung paßte gut zu dieſem militärifchen Mummenſchanz, und es fehlte ihm nichts, als ein keckes Bärtchen, das er hätte auf- zwirbeln können. So waren wir denn beide bes friedigt, dünkten ung höchft anfehnlich und der Kaftno- gefelfchaft würdig, und hatten — ein paar große Kinder — nichts weiter mehr im Kopf als unferen Masfenball.
Aber ein Brief der Mutter dämpfte mir diefe Bor: freude. Ich hatte nachträglich von meiner Kranf- heit berichtet, und da ich vielleicht, wie man e8 bei folchen Gelegenheiten wohl zu tun pflegt, die über- ftandene Gefahr mit etwas breitem Pinfel ausgemalt hatte, fo hatte ich fie damit aufs höchfte erfchredt. Beſorgt fchrieb fie zurücd, ich möchte mich doch um des Himmels willen fchonen und ihr erhalten, denn alles bräche jest über fie zufammen. Sie fünne es
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mir nicht länger verfchweigen, die arme Schweſter fei fehr franf, fo daß wenig Hoffnung wäre fie am Leben zu erhalten. Das Gefchäft wäre fo gut wie ruiniert, da der Vater feine Zeit im Wirtshaus ober beim Angeln verbringe; die Auflöfjung aller Ber- hältniffe fet in drohende Nähe gerüdt, wenn nicht von irgendeiner Seite Hilfe käme.
Ich war ganz zerfchmettert. Erft allmählich richtete id; mich an der Hoffnung auf, daß meine Mutter in dem Schmerz um die Kranfe zu ſchwarz fähe. Ob denn ein Konkurs bevorftehe, fragte ich zurüd, und erhielt ums» gehend einen etwas tröftlicheren Brief; ich folle mid nicht ängftigen, nicht aufregen, noch fei alles unent- fchieden, und man hoffe auf ein glückliches Arrangement. Die Gewißheit, daß ich vernünftig lebe und auf meine Gefundheit Bedacht nähme, würde ihr ein Troft in diefer fchweren Zeit fein. Alfo war es doch nicht ganz fo fchlimm, wie ich befürdjtete, und ich glaubte mid) den Fafchingsfreuden ohne Bedenken hingeben zu fönnen.
Es lag Schnee, und wir zitterten vor Froft in der ungewohnten Tracht, ald wir dem Schloß zuftapften. Ale Fenfter waren feftlich erleuchtet, geputzte Lohn: Diener empfingen ung, und mir fchlug mein Maltefer- herz unter dem Mitterfreug wie vor der Schlacht. Auch Bandler verlor einen Augenblic die militärifche
Haltung und ftolperte auf der Treppe über feinen
Säbel. Wir fanden jedoch ſchnell unfere Sicherheit
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wieder, zumal wir glauben durften ung unbefannt unter die Menge mifchen zu können, die in den beiden großen Sälen durcheinanderfchwirrte.
Der verführerifche Anblid fo vieler reizender Masten beraufchte und. Wo kamen alle biefe jungen und hübfchen Mädchengeftalten her? Lebten fie hinter Kloftermauern und tauchten nur einmal im Sahr bei feitlichen Gelegenheiten feengleich auf?
Eine fchlanfe Zirkaffierin zog meine Blicke auf ih, als ich von einem unterfegten holländischen Schiffer angerempelt wurde. Sch wandte mich, tat ernjtlich beleidigt und legte die Hand an den Degen, worauf er mit allen Zeichen eines komiſchen Ent- ſetzens floh; die fchöne Zirfaffierin aber war in— zwifchen verfchmunden. Alle Augenblicke zerrte man an meinem langen Mantel, drehte mid; um und be- trachtete mich neugierig. Ich fah, daß ich aufftel und hörte, wie man ſich fragte: wer ift diefer Mal- tefer? Sch war felig, folzierte mit meinem Degen durch die Säle, ließ den Mantel möglichft maleriſch mwallen und brachte die lange Feder meines Barettd durch ein häufiges vornehmes Neigen meines Kopfes in ein leifes Auf» und Niederſchwanken, wodurch ich mir ein erhöhtes Anfehen zu geben glaubte. |
Die Mufif hatte das Regiment geftellt, eine etwas lange Polonäfe eröffnete den Tanz, und bald wiegten fi die Paare im Walzer durcheinander. Ich war ein fchlechter Tänzer, und Mantel und Säbel hinderten
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mich noch mehr. Dennoch drehte ich mid; ein paar- mal durch beide Säle, das erjtemal mit der dunklen Zirfaffterin, die nach kurzem Zaudern meinen Arm genommen und mich gefcjict führte; fie befam es aber bald fatt, ließ es mich merfen, und ich führte fie zu Platz. Um fo beffer glüdte ed mir mit einer Fleinen Zirolerin, die ſich Luftig plaudernd in meinen Arm hing, fi aus meinem Holpern nichts zu machen fhien und über meine Ungeſchicklichkeit herzlich lachte.
„Unterm Sohanniterfreuz ſucht man feine Tänzer,“ fagte fie. „Tapferkeit und Frömmigfeit find die Zierden eined Nitterd, und an beiden laffen Sie ed hoffent- lich nicht fehlen.”
„Gott meine Seele und den Degen den Frauen,“ antwortete ich.
„Das ift hübfch von Ihnen; obgleid; Gott aud) eigentlich auf: Shren Degen Anſpruch hätte. Aber ziehen Sie ihn nur für und; wir armen Würmer haben foviel auszuftehen, daß wir den Schuß eines tapferen Ritters wohl brauchen fünnen.“
„Na, na,“ fagte ich, „ift e8 fo arg?“
„Gewiß ift ed das. Sch bin auch fo ein armes Wurm. Herr Leutnant, gelt, Sie gehen in den Tod für mich?”
Sie lachte fchelmifch auf: „Herr Leutnant, hab’ ic) gejagt. Mein Gott, fo ein Malteferleutnant!“
Wieder rempelte mich der Seemann an.
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„Na, Dider,“ fuhr fie ihn an. „Er ift hier nicht an Bord, immer hübſch manierlidh.“
„AU right!“ fagte der Holländer und verfchwand in der Menge.
„Kennen Sie den?“ fragte fie.
„Mein, Gnaͤdigſte.“
Ein Türke, der uns fchon eine Weile beobachtet hatte, näherte fi; und bat um einen Tanz.
„Wenn der Komtur mid, freigibt,” meinte fie lachend. Mit einer ritterlichen Verbeugung trat ich zurück. |
Ic, drängte mid; durch die Menge und jah mid nad; einer anderen gefälligen Maske um, als ein Elown auf mich zufam, der fich bisher in beiden Sälen umhergetrieben hatte, ohne viel mehr Humor zu entwiceln, ald hier und da einen Pritfchenfchlag auszuteilen. „Kommen Sie, Koller,“ jagte er, nahm mic, ohne weiteres unter den Arm und zog mid) mit fich fort. An dem „Koller“ erkannte ich ihn. Ss pflegte der Sohn unferes Chef und vertraulich zu nennen.
„Sie?“ fragte ich überrafcht.
„sh!“ | }
„Und wie haben Sie mich erfannt?“
„Gar nicht; Bandler hat Sie mir verraten. Man halt Sie hier allgemein für einen Leutnant des Regi— ments, das früher hier in Garnifon lag, und der ale
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ein großer Schwerendter in lebhafter Erinnerung bei allen Frauenzimmern geblieben ift.“
Etwas Angenehmered hätte er mir kaum fagen fönnen, und ich folgte ihm nur ungern, ald er mid) mit Gewalt fortzog. |
„Es ift ja fchauderhaft heiß unter der Maske,“ fagte er. „Das hält ja fein Pferd aus. Wir figen fhon lange im Turmzimmer beim Seft.“
Gern hätte ich die Heine Zirolerin noch einmal
aufgefucht, die mich alfo aud für den Schwerenöter von Leutnant gehalten hatte Welche Abenteuer fönnten mir noch blühen, wenn ich jet die Rolle weiterfpielen würde. Die Zirfaffterin hatte mich natürlich auch für diefen Leutnant gehalten. Biel: leicht war fie eine vornehme Seele und der Ruf des jungen Offizier nicht zum beften. Der vielleicht eine alte Gefchichte, ein verwundeted Herz. Ein Roman. Ich fegnete den Leutnant und verfluchte den Clown. |
Im Turmzimmer, einem gemütlichen, runden Ge- mad, faßen Bandler, der „Legationdrat“, Kluge und ein mir unbefannter junger Mann hinter der Seft- flafhe. Kluge warf mir einen fpöttifchen Blid zu. Er war alfo der Holländer, der mich wiederholt ans gerempelt hatte?
„Vorzüglich!“ rief Bandler mir zu. „Kein Menſch erfennt Sie. Und wenn Sie wüßten, wie die Damen hinter Shnen her find.“
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„Weiß ich!” fagte ich.
„Na! Aber alles andere!“
„Das werden nette Gefchichten fein!“
„Dumme Zeug! Ein leichtfinniges® Huhn war er, aber ein famofer Kerl!“
„Und gar nicht einmal hübfch! Aber die Weiber liefen ihm nad.“ |
„Sm Umfreis von drei Meilen ift wohl fein Dorf, wo er nicht ein Mädel figen ließ!“ |
„Da, danke!“ |
„Wollen Sie mic; gefälligft dem Herrn vorftellen ?“ fragte der Unbekannte Wir wurden befannt ges macht, und Herr Studioſus Lammert fegte ſich würdes voll wieder hin. Er war der Sohn von Kluges Chef und fühlte fidy als die Blüte der Haute volde; ein blafjes, blafiertes, übrigens ganz hübjches Herrchen. Er war anfangs Kadett geweſen, doch der Drill hatte ihm nicht zugefagt; jetzt ſtudierte er Medizin.
Nun hub eine große ZTrinferei an, der Sohn unſeres Chefs fühlte fich berufen den Wirt zu machen. Der „Legationsrat” glaubte als Gejchäftsführer der Firma, in deren Wohnräumen diefes Feft abgehalten wurde, fich gleichfall8 hervortun zu müflen, und fo fam eine Flafche nach der anderen auf den Tifch und leer wieder herunter. Zigarren und Zigaretten glimm- ten. Ein dichter Rauch hüllte und ein, und bald war es in dem Ffleinen Turmgemach heißer und
Balte 14. 209
ſchwüler als im Tanzfaal. Doch ſchon waren die Köpfe foweit erhigt, daß an eine Ruͤckkehr in die Gefell- fchaft nicht zu denfen war. Rauſchend Flang die Mufif zu und herein und wir fohrien und lärmten dagegen an. Gläſer zerflirrten, und ab und an er- fchien jemand an der Tür und warf einen ver wunderten Bli hinein. Ein Diener, der in der Abs ficht gefommen zu fein fchien, etwaigen Unfug zu feuern, verfchwand, als er den „Legationdrat” in unferer Mitte ſah.
Sch war, durch meinen Erfolg ald Malteferritter gehoben, bald in eine übermütige Stimmung ges raten; der Sekt löfte alle meine Geifter, und ich war zu meiner eigenen Berwunderung laut, wortführend und mwißig. Kluge hingegen, auf den der Pommery einfchläfernd zu wirfen fchien, faß mit geröteten Augen und ſchwerer Zunge mir gegenüber. Ihn zu fticheln und zu neden vergnügte ich mich bejonders, da ich nur auf diefe Weife Genugtuung für die jeden- falls abfichtlihe Anrempelei im Saal nehmen fonnte. Der Schwerfällige vermochte in feiner Weife gegen mich aufzufommen. Endlich aber fchien doc; mein Wis mich zu verlaffen. Sch follte, wie ich nachher hörte, Anfpielungen auf feinen Namen gemacht haben, entfann mic, aber nicht eines der Worte, die ich übermütig herausgefprudelt hatte. Kluge jedoch mar plöglicd; aufgefahren und hatte mid; angefchrien: „Das verbitte ich mir!” „Unerhört!“ krähte auch der Studio-
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fus mich an, dem ich überdies ein Dorn im Auge zu fein fchien.
„Das verlangt Genugtuung,“ ereiferte er fih. Al "Kadett und Student mußte er natürlich ein befonders
fisliges Ehrgefühl zur Schau tragen.
„Er ift ja betrunfen!“ fagte Kluge verächtlich.
„Wer ift betrunken?“ fchrie ich.
Wir fuhren aufeinander los, und man mußte ung
trennen. Als ich mich wieder feste, merfte ich, daß der Wein feine Wirfung getan hatte; alles Freifte, and ich mußte mid) gewaltfam zufammenreißen. Es gelang mir, aber ich fah alles nur wie durch einen Schleier. Db wir gleich die Sigung aufhoben oder noch eine Weile weiter tranfen, ıft meinem Gedächtnis ent- ſchwunden. Genug, ich fühlte mich am Arm gefaßt und hinausgeführt. Undeutlich fah ich im Saal das Gewoge der bunten Masfen, die Tirvlerin hufchte an mir vorbei und gab mir einen derben Schlag auf die - Schulter, Trompeten fchmetterten aus dem Saal — Gelächter — ein paar Walzertafte . .
Mir ſchwand die Befinnung. Als ich zu mir fam, hing ich im Boudoir der gnädigen Frau über einen Stuhl. Bandler ftand neben mir, halb entjegt und halb beluſtigt. Eine Magd war um ung befchäftigt, Scherben aufzufammeln, und aus einer roten Ampel fiel ein gedämpftes Licht auf die Fleine Szene.
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„Komm, komm!“ mahnte Bandler, zog mich in bie Höhe, ftülpte mir meinen Federhut auf und fchleppte
mich hinaus. „Wie fommft du denn da hinein?“
fragte er. Sch mußte es nicht. Er hielt einen Diener an, flößte mir Selterwaffer ein, und ich fam langfam zu mir,
Wie wir die Treppe hinunter und aus dem Haufe |
gefommen find, weiß ich nicht. Draußen war es
mondhell, frifcher Schnee war gefallen und lag fuß—
hoch, |
Sch fing an zu fingen. Bandler gebot mit zu ſchweigen, fing aber bald felbft an. Doch war er nüchtern genug, um mich ſchwankenden Ritter mit feftem Arm durch den Schnee fchleppen zu können. Fürforglich brachte er mich ind Haus und führte mid) bis vor mein Bett. Hier fanf ich fogleich mit Mantel und Degen auf die Kiffen nieder und in einen wüften Schlaf, aus dem ich fpät erwachte. Sch fand mid) quer über das Bett liegen, griff nad meinem fchmerzenden Kopf und erhob mid mühjam. Alle Glieder waren mir wie zerfchlagen. Sch entledigte mid; meines Nitterfleides, das mir, mit den Augen des Jammers angefehen, recht fchmierig und lumpig vorfam. Sch fürchte das Barett und fand es unter dem Bett wieder.
Sch war eben mit dem Anfleiden fertig, ald auch Bandler fchon erfchien. Er war ganz auf den Beinen, aber höchſt ärgerlich, ja verfiört.
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„Bas find das für Sachen?“ redete er gleich auf mich ein. „Da haft du dir eine fchöne Suppe ein- gebrockt!“
„Ich?“
„Ja, du!“
„Was iſt denn? Wovon redeſt du?“
Da bekam ich denn zu hören, in welche Händel ich mich geſtern verſtrickt hatte, ohne daß mir irgend etwas bewußt geblieben war. Daß ich das Boudoir der gnädigen Frau in Unordnung gebracht und eine recht wertvolle Vaſe zerbrochen hätte, wäre noch das wenigſte; aber ich hätte mit Kluge kontrahiert, wir hätten unfere Karten gewechſelt, der Studioſus und der Einjährige hätten DI ind Feuer gegoffen, und der Zweikampf fei unvermeidlich, wenn ich mid) nicht durchaus Tächerlih und unmöglich machen wolle.
„Das ift ja alles Unfinn,“ entgegnete ich. „Ich weiß tatfächlich von gar nichts, erinnere mich an nichts mehr.“
„Aber es ift fo, und die Zeugen werden noch heute mittag erfcheinen.“
„Und da fol ich mich duellieren ?“
„Dder revozieren!“
„Blödſinn! Iſt ja Kinderei!” rief ich.
„Sc werde hierbleiben,“ fagte Bandler, „und ich will vermitteln, wenn dieſer efelhafte Patron, der Lammert, ſich einftellt.“
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„Lammert?“
„Er wird im Auftrag Kluges die Forderung über— bringen.“
Alſo in allem Ernſt ein Duell. Ich hatte nie eine Waffe in der Hand gehabt. „Sp ein Blödſinn!“ rief ic, ein über das andere Mal, während ich im Zimmer auf und ab ging. Das Ganze wollte mir noch fo wenig glaubhaft vorfommen, daß von irgend» einer Furchtempfindung oder Beforgnis nicht Die Rede war. Vielmehr fchimpfte und ſchalt ih mid in einen Heroismus hinein, der bei mir, der ich faum noch mit Flisbogen und Pufterohr umzugehen wußte, etwas Groteskes hatte.
Als nun aber der Student erſchien und mir mit | ungeheuer wichtiger Miene Kluges Forderung über- brachte, fam ich aus meinem Heldenrauſch wieder zu mir und fland mit beiden Beinen auf dem Boden der Wirklichkeit. Der fchien mir indeffen doch be- denflich zu fchwanfen. Es war alfo ernft. Sch follte mit der Piftole in der Hand Genugtuung für eine getane Beleidigung geben, und der Überbringer der Forderung wartete mit einer verlegenden Miene, bie Zweifel an meinem Mut ausfprach, auf meine Ant: wort. Bandler bemühte ſich vergebens, zu vermitteln. Der blafierte Süngling vor mir verlangte, ich folle erklären, daß ich in der „Befoffenheit“ gehandelt habe, alles zurücdnähme und um Entfchuldigung bäte.
Das Wort „Befoffenheit“, von diefem Munde verächtlich ausgefprochen, reizte mich. Sch wurde fehr heftig. Alles, was diefer Kluge mir im Laufe der Zeit zugefügt hatte, fchoß mir durch den Kopf. Anna! Der ganze Klub! Wie lächerlich, wie ges demütigt würde ic, fein, wenn id} feige zurüdtreten würde. Ich dachte an die zweimalige Anrempelung im Ballfaal.
„Er! Er! Er ift derjenige, der mit mir anzubändeln fucht!“ rief ich außer mir. „Auf Schritt und Tritt ftelt er fidy mir in den Weg, reizt mich, verfpottet mich! Ei zum Teufel, da fährt man auch einmal los. Man ift ja fein Schaf.“
„Sie haben Herrn Kluge in offener Gefellfchaft ein lächerliches Schaf genannt!"
„Iſt er auh! Iſt er auch!“ ſchrie ich außer mir.
„Aber Koller,“ rief Bandler mahnend.
„Schriftlich gebe ich es ihm!“ fchrie ich noch mwütiger.
„Sie halten alfo Shre Beleidigung aufrecht?“ fragte der Student. „Sie werden alfo Genugtuung geben, oder als feige und ehrlos —“
Er trat einen Schritt zurücd, fo dicht war ich ihm mit einem Sat auf den Leib gerüdt.
„Sa, ja! Sch fchiege mic! Mit Vergnügen fchieße id; mich! Sagen Sie das dem Herrn Kluge! Fapfe! Fatzke!“
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Sch zifchte ihm das Wort dreimal entgegen, zitterte am ganzen Körper und mochte ihn zornig genug angeblitt haben, denn er fagte fein Wort mehr, verbeugte fich ftumm, nahm feinen Hut und war Draußen.
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Da hatte ih mir nun etwas Schlimmed eins gebrocdt. Mein Mut hielt folange vor, wie mein Zorn. Als der verraucht war, dachte ich mit Herz flopfen an einen böfen Ausgang. Bandler übernahm ed, alles Weitere mit dem Studenten zu vereinbaren. Der Sohn unfered Chefs bot ſich mir als zweiter Zeuge an, doch nahm er die Sache, halb zu meinem Ärger, halb zu meinem Trotz, gar nicht fo fehr tragifh. „Das ift recht, nur nicht zurückziehen,“ fagte er feelenruhig, „brennen Sie ihm eins aufs Fell.“ |
Der Ausdrud fohien mir roh. So gerne ich dem Kluge einen gehörigen Denfzettel gönnte, aber ihm eins aufs Fell brennen, ein Loch in den Xeib zu fchießen, darauf brannte ich nicht.
Die Bedingungen waren breimaliger Kugelmechfel. Mir wollten und frühmorgend um vier Uhr in einem Heinen Birkenwäldchen fchießen, das ich bei meinem Einzug ind Städtchen vom Hügel herab mit Liebe- vollen Augen angeladjt hatte. Eduard fragte mich,
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ob ich noch irgendwelche Wünfche und Beftimmungen hätte. Sch hatte noch gar nicht daran gedacht, und es fiel mir jetzt alle ſchwer auf Herz. ich feßte mich zu einem legten Brief an die Mutter hin, zerriß ihn, da er mir nicht fchonend genug fchien, und fchob zulest das Schreiben bis zum Abend auf.
Snzwifchen verlebte ich jchlimme Stunden im Gefhäft, wo ich kopflos vor meiner Arbeit ftand, die Wände anftarrte, die ich nun vielleicht zum letzenmal ſah und zwifchen tiefer Nieder- gefchlagenheit und prahlerifchem Mut hin⸗ und her- fteberte. |
Gegen Mittag eröffnete mir Herr Nubfche, der Chef wünfche mid; zu fprechen, ich möchte einen Augenbli zu ihm hinauffommen. Sch war über raſcht und halb ahnungsvoll. Der Alte empfing mih am Schreibtifch, die Pfeife wie immer in der Hand, und in Tabafwolfen gehült. Sch mußte mid; ſetzen, und er eröffnete die Unterhaltung mit einem peinlichen Schweigen. ‚Der weiß etwas,‘ dachte ich; ‚dad Duell ift verraten‘ Sn der Tat war feine erfie Frage: „Sie wollen fich duel- lieren?"
Sc wurde noch röter als ich ohnehin fchon war und ließ ihn nur aus meinem beflommenen Schweigen ein Sa heraushören.
„Können Sie fchießen?“ fragte er.
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„Das ift doch nicht ſchwer,“ meinte ich.
Er lachte befuftigt. |
„Wiſſen Sie wohl, daß e8 eine große Albernheit * was Sie da vorhaben, und daß daraus natürlich nichts werden kann?“
Sch fchwieg, denn was follte ich fagen? Das eine gab ich ihm ftillfchweigend zu, und das andere hoffte ich ja auch, feit der erften Stunde, nad; dem der widerliche Kerl, der Lammert, mich verlaffen hatte.
„Mein Sohn hat mir von Shrer Dummheit er- zahlt,“ fagte der Alte dann ernfter. „Sie haben felbft- verftändlich zu revnzieren. Sie haben noch heute Die Sache ind reine zu bringen, indem Sie fich mit dem
Herrn Ruge —“
Kluge,“ verbefjerte ich.
„Kluge, fo. Nun, der follte auch flüger fein. Alfo Sie haben fich noch heute mit ihm auseinanderzufegen, oder Sie fünnen fich als entlaflen betrachten und noch heute abend Ihren Koffer packen.“
Ich merfte, daß es fein unerfchütterlicher Ernſt fei und daß mir fein Ausweg bliebe.
„Sch will es verfuchen,“ fagte ich und erhob mid). Er nötigte mich wieder zum Sißen.
Ich bin noch nicht fertig,” fagte er firenge. „Als Ihr Chef habe ich das Recht und vor allem auch die Pfliht, an diefen Vorfall ein paar ernfte Worte zu fnüpfen, die Sie fi) ruhig gefagt fein laſſen fönnen,
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da fie wohlgemeint und im guten ausgefprochen find. Wir find hier in einer Fleinen Stadt. Sie dürfen ſich nicht vergeffen, fich nicht gehen laffen; alle Augen richten fih auf Sie. Und Sie haben nicht zu ver- geffen, daß Sie ein Angeftellter unferer Firma find, deren junge Leute fich bisher immer eines guten Rufes und daher auch einer befonderen Achtung erfreut haben.“ |
Ich errötete beftürzt, und er fuhr begütigend fort: „sh will nicht fagen, daß Sie fich bisher haben etwas zufchulden fommen laffen; das Fleine Gelage, über das ich meinem Sohn auch fehon ein Privatijfimum ges halten habe, ift durch den Freibrief der Faſchings— zeit entfchuldigt. Aber diefe Duellfache! Auf welche abenteuerliche Don Quijotterien werden Sie fid am Ende noch einlaffen!”
Er paffte ein paarmal heftig und blies mir im Eifer die Rauchwolfen ins Geficht.
„Seien Sie vergnügt! Sunge Leute wollen fi, amäüfteren. Sich hab’8 auch nicht daran fehlen laffen. Aber es will mir fcheinen, als ob Ihre Arbeit in legter Zeit darunter litte,“
Er ſagte es leichthin, doc; nicht ohne Vorwurf und ſah mich antwortheifchend an.
„Nehmen Sie ſich ein Beifpiel an Bandler. Der ft ein treuer, gewiffenhafter Arbeiter, und Shr Herr Vorgänger war es ebenfo. Herr Nutzſche wundert fih, daß Sie fo wenig aus dem Papier-
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verfauf herausfchlagen. Ihr Borgänger hat in mandiem Monat fein Salär dadurch verdoppelt, während Sie es faum auf ein nennenswerted Plus bringen. Gewiß, die Zeiten find wechfelnd. Aber ed ift nicht nur in Ihrem eigenen Sintereffe, daß Sie mit Ihren Einnahmen zufrieden find, fondern auch in meinem. Sind Gie eigentlich gern im Geſchäft?“
„Gewiß,“ verſetzte ich.
„Das freut mich! Sind Sie überhaupt gern Buch— händler 2“
„Sa, ganz gern.“
Das fam etwas unficher heraus, und ich fah an feinem Geficht, daß er mir nicht recht glaubte.
„Haben Sie ſich ſchon irgendeinen Zufunftöplan gemacht?”
Ich verneinte,
„sch halte es für gut, daß die jungen Leute ſich möglichft in der Welt umſehen. Natürlich follen Sie nicht alle Sahre Ihre Stellung wechfeln, aber es gibt an jedem Plat etwas Neued zu lernen. Doc, das brauche ich Ihnen nicht erft zu fagen. Und im übrigen wiffen Sie ja nun, was ich von Ihnen er- warte,”
Er ſtand auf und gab mir die Hand zum Ab- fchied, |
„Sie haben noch eine Mutter, nicht wahr?“ fragte er und legte mir die Hand auf die Schulter.
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Fast jet BEN ⸗ u,
ne Hand (08 und ich war entlaffen. — e nur gleich zu Tiſch,“ fagte Herr
mir. Herr Bandler iſt ſchon —
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Bandler hatte ed übernommen, meinen Brief Kluge zu überbringen, und die Sache war beigelegt. Aber im ganzen Städtchen fprad; man von dem vereitelten Duell. Ich war lächerlich geworden. Sch mied den Klub, erfchien nit am Stammtifh und wäre auh nicht mehr in den „Goldenen Engel” zum Mittag- effen gegangen, wenn nicht Kluge mir zuvorge— fommen und in Lindes Gafthof übergefiedelt wäre, Auch ihm hatte die dumme ©efchichte nur gefchadet. Sch empfand immer mehr Scham, je länger id; über alles nachdachte und verlebte böfe Tage.
Die Nede des Alten in den Wolken hatte mid) auch getroffen; vielleicht war fie fchon das Vorfpiel zu einer Kündigung.
Der Alte hatte recht: ich mußte einmal weiter, mich anderswo umfehen, möglichft viel neues kennen lernen. |
Bon Martha würde mir der Abfchied fchwer wer- den. Sest, da ich an die Möglichkeit des Scheidens dachte, fam es mir zum Bemwußtfein, daß fich zwifchen und ein feined und ftarfes Band angefnüpft hatte, von Herz zu Herz. Sa, fie war die einzige gewefen, die wirflich um mich gebangt hatte, als fie von der albernen Schießerei hörte. Wie herzlich erfreut hatte fie mich empfangen, als ich mid) etwas befchämt und kleinlaut wieder bei ihr einfand. Kein Wort des
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Borwurfs, fein Spott, fein Scherz, nur eine ftille Freude, daß ich da fei. Shr follte jest meine Zeit gehören, folange ich noch hier verweilen durfte.
Sm Gejchäft bemühte ich mich, meinen Plat nad) beiten Kräften auszufüllen; man fchien das aud ‚anzuerkennen, denn ein Tadel wurde nicht. laut, und Herr Nusfche und gelegentlich auch der Chef famen mir mit größerer Freundlichfeit entgegen. Nach einigen Wochen hatte ich mich fchon wieder in die Gemwißheit eingewiegt, daß eine beabfichtigte Kündigung nur in meiner Einbildung lebte, und daß es nur von mir abhängen würde, wann ich mein Bündel ſchnüren wolle, vorausgefegt, daß ich in der Erfüllung meiner Pflichten nicht nachließe.
Sc; mied möglichft alle überflüffigen Zerftrenungen und fuchte mit der wachfenden Jahreszeit meine Er- holung immer mehr in der Natur, wobei mir die einfamften Spaziergänge die liebften waren. Auf dem Wege innerer Einkehr hatten meine Gedanfen auch häufiger die Richtung in die Heimat und in das Elternhaus genommen. Die Nachrichten von dort waren keineswegs geeignet, mich fröhlich zu flim- men, vielmehr erfuhr ich viel Trübes, Niederfchla- gended. Daß der Maskenball und feine albernen Folgen mid; ganz die Not der Mutter hatten ver; geſſen laſſen können, machte ich mir allmählich zum Vorwurf. War ich denn ganz verflacht und ver- tobt, war jeded tiefere, edlere Gefühl in dem Meer
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von Nichtigfeiten, in dem ich hier plätfcherte, unter gegangen? Was ich nie gefpürt hatte, überftel mich jegt mit Gewalt, dag Heimweh. Es war mir, als könnte ich hier zwifchen den Hügeln und Wäl- dern nicht mehr frei atmen. Wie eng war bier alles. Nur bis zur nächften Wegbiegung konnte der Blick reichen. Sch hungerte nach Weite, nach der Heide meiner nordifchen Heimat, nad ihrem unendlichen Himmel, nad) Feld und Knick. Als ich nad) einer längeren Wanderung auf eine lichte Waldhöhe hinaus» trat, zu deren Füßen fich ein Ianggeftredted Tal er öffnete, ergriff mich diefer Anblid mit Gewalt. Id breitete die Arme aus und mir war, ald müßte ich fliegen fönnen, als wüdhfen mir Flügel. Wie ich mid; an jenem Abend körperlich eins mit dem filbernen Licht ded Mondes gefühlt hatte, fo war mir jet, ald müfje ich mit dem leiſen Wind, der durch das Tal wehte, dahinfchweben fünnen, losgelöſt von aller irdifohen Schwere. Ein Birkenbäumchen, das neben mir fein weißes Stämmchen erhob, ſchwankte mit feiner zierlichen Krone leis im Winde; es neigte fid) zu mir, ein Flüftern fchien durch fein helles Laub zu gehen, und es war mir, als fpräche es zu mir. Sch fhlang meinen Arm um dad Bäumchen und legte meine Wange an feine fühle Rinde. „Die große Sehnfucht, die in allem lebt,“ fagte ich halblaut, „fte lebt auch in dir. Hier ftehft du, über dir den Himmel und die Winde, unter dir das Tal und vor dir die
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filbrige Ferne. Da wählt du, wächſt immer höher vor lauter Sehnſucht. Aber die Sterne ftehen fo hoch, daß niemand fie erreicht, und der größte Baum hat immer noch feine Sehnfucht hinauf, hinauf, über fih hinaus.“
Es war mir fo natürlich, daß ich mich mit dem Bäumchen unterhielt. Was war denn dieſes Ge— fühl anders, das mich jest in dad Gras nieder- zwang, das mich die zarten Halme durd; meine Finger gleiten und das Ohr feft an die grüne Erde drüden ließ, als fünnte ich auch von dort Stimmen vernehmen, zarte, geheimnisvolle und doc, fo vertraute Stimmen — mas war e8 anders als das lebendige Gefühl des Einsſeins mit aller Kreatur.
* * *
Eines Tages führte mich mein Weg wieder ing
Freie. Ich war ein halbes Stündchen gemandert, als ich aus dem weichen Moos des fleigenden Weg- randes ein weißes Hügelchen emporfteigen fah, das ich aber aldbald als ein mit einer Sommermefte be- fleidetes Bäuchlein erfannte, zu dem auch ohne Zweifel die zwei kurzen Stümpfe gehörten, die halb in den Weg hineinragten und fich als grobbefchuhte Menfchenfüße erwiefen.
„Ah, Herr Mufifdireftor, ein Mittagfchläfchen?“ fragte id.
Kalte 15. 225
*
Das Wurſtmännchen, aus ſeiner Beſchaulichkeit auf— geſtört, erhob ſich zu ſitzender Stellung, wiſchte ſich den Schweiß von der Stirn und fragte: „Wo kommen Sie denn her?“
„Sch gehe ſpazieren,“ erflärte ich.
„Leben's denn noch?“
„Wie Sie fehen.“
„Nun, ich meint, Sie hätten ſich wollen totfchießen laſſen,“ lachte er.
„Dieſe dumme Geſchichte,“ ſagte ich ärgerlich. „Bitte, laſſen Sie das ruhen.“
„Na, na, nur nichts krumm genommen. Hab' auch ſolche Dummheiten früher gemacht.“
„Sie?“ rief ich verwundert.
„Wohin gehen's,“ fragte er zurück. „Ich geh' ein Stückchen mit, oder wollen Sie allein ſein?“
Ich lud ihn ein, mich zu begleiten, und er wölterte ſich aus der ſitzenden Stellung auf ſeine kurzen Beine, wobei ich ihm behilflich war. Er ſchlug ſich die Grashälmchen vom Rock, trocknete ſich noch einmal mit dem roten Taſchentuch das Geſicht und ſtüͤlpte einen breitrandigen, nicht mehr ganz fauberen Strohhut nachläffig auf den diden Schädel.
Er ging ganz Iuftig mit feinen dicken Beinen neben mir ber und hielt Schritt.
„Sa, ja,“ fette er gleich die Unterhaltung fort. „Sn der Sugend ift man eben oft ein Efel, hat auch
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ein Recht dazu. Hahaha! Hahaha! Haben Sie fid alfo ausgeföhnt? Hahaha!“
Sch ärgerte mich, daß er wieder auf die Gefchichte zurücfam.
„Warum haben denn Sie fi fchießen wollen?“ fragte ich.
„Wollen? Gefchoflen ift worden.“
„Sm Ernft?“
„Sie traun’d mir wohl nicht zu?” fragte er bes Inftigt. „Damals war id; noch nicht fo dick und war eine fchlechte Zielfcheibe, nicht einmal fo dick wie Sie heute.“
„Und wie lief's denn ab?“ fragte ich, neugierig geworden.
„Sur mich gut, wie Sie fehen, der andere aber hatte den Kleinen Finger feiner Schießhand dabei ge> opfert. Aus der Hand hab’ ich ihm die Piftole ge- ſchoſſen. Wie ich's gemacht hab’, weiß ich heut noch nicht.“
„Und warum haben Sie fich gefchoffen?“
„sch hatte ihn geohrfeigt.“
„Oho!“
„Sa, regelrecht geohrfeigt. Sch war ein rabiates Kerlchen damals auf der Akademie. Er wollte mir den Wagner nicht gelten laffen. Sp ein windiges Slötenpufterchen, wie er war. Mir gerieten uns arg in bie Haare. Und ald er mir die Meifterfinger eine Schmiererei nannte und den Meifter einen Farens
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macher und Dilettanten fchalt, haute ich ihm ſchlankweg eine runter, daß er fat umgefugelt wäre. Und ba ed in einem öffentlichen Kofal war, in einem Cafe — fennen Sie Berlin?“
„Nein,“ |
„Ra, ift ja auch gleichgültig.“
„Glaubt er denn jest an Wagner?“ fragte ich lachend, | |
„Bott, der arme Kerl ift längft tot, war fowiefo ſchwindſuͤchtig. Ein paar Sahre hat er noch bie Beden und die Trommel gefchlagen, da er ja mit
feiner verftümmelten Hand die Flöte nicht mehr trat⸗
tieren fonnte, Es war eine Eſelei von uns beiden und feinen Fleinen Finger wert.“
So erzählte er, indem er feine Rede durch ein ges
wohnheitsmäßiges, halb gutmütiges, halb ironifches Lachen von Zeit zu Zeit unterbrad. Im naͤchſten Dorf machten wir in einer Heinen Wirtslaube Raft, und ich erfuhr bei einem Glas Apfelweins noch einiges aus feinem Leben. Ein Künftlerleben, wie ed unzählige leben. Mit vollen Segeln hinaus und auf halber Fahrt Kehrt und ftil mit gerefften Segeln in irgend- einen Heinen Hafen ſich zurüdfchleppen laffen. Er hatte auch fomponiert: Kammermuſik, eine Sinfonie, Lieder, meiſtens aber Klavierfachen, die unter Elingen- dem Titel das Entzücden der Flavierfpielenden höheren Töchter geworden waren, wie er, fich felbft vers fpottend, hinzufügte. Dann war er bier als Mufit
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direftor und Chordirigent gelandet und hatte, da er unvermählt geblieben war, ein gutes Ausfommen gehabt.
„Die Künftlerlaufbahn ift gewiß recht ſchwer,“ fagte ich, ald er einen Augenblid ſchwieg. Er ſchien nachzudenken, was er mir darüber fagen follte. Dann fuhr es ihm fat polternd heraus:
„Sch hatte auch Talent, am Klavier. Und wenn's auch mit dem Lorbeer nichtd geworden ift, ich war ein guter und ehrlicher Mufifant. Aber die Narren, die fich ohne Talent in die Tempel drängen. Natürs lich, fie find alle feft davon überzeugt, daß fie jehr begabt find. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß die achtzehn, neunzehn Jahre ein fritifched Alter für Menichen von latenter fünftlerifcher Veranlagung find; da gärt alles, meiftend nebulog, oft abfurd, da herrfcht ein Gefühlsüberfchwang, der fich mit Vorliebe in die wehmütigen Seiten des Lebens vertieft; die Werther— flimmung, die Goethe von jedem deutfchen Süngling verlangt. Kommt dazu noch eine mehr oder weniger tiefe Leidenfchaft, fo fließt der Kelch über, das heißt, bei derartig veranlagten Perfonen offenbart fich eine Empfänglichkeit für alled was mit Kunft zufammens hängt, und diefe Empfänglichfeit wird in neunzig von. hundert Fällen leider mit Schöpferfraft ver- wechſelt. Da heißt e8 denn, fich immer wieder auf Herz und Nieren prüfen. Der Zweifel in der Bruft muß fein. Aber ed muß immer wieder überwunden
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werben, dann ift e8 gut. Äußere Semmniffe fchaden dann nicht, bei paſſiven Naturen bewirken fie manch— mal geradezu, daß der Betreffende alled aus ſich herausholt, und ſich auf fich felbft befinnt. Jeden— falls ift eine grenzenlofe Hingabe nötig, um etwas zu erreichen, und man muß manche bittere Pille hinunterfchluden, bie man fo weit if. Aber das fagen Sie fo einem armen Tropf; er glüht in rührendem Eifer und hält fich für einen der Aus: erwählten.“
Er hatte ſich ganz erregt und fogar eine Zeitlang ohne fein kurzes Dazwifchenlachen gejprochen. Gebt ftieß er ein helles Gelächter aus.
„Da haben Sie den alten. Kerl mal in Eifer ge jehen! Was predige ich Ihnen das alles? Sie wollen ja feine Sinfonien fomponieren. Daß Sie fo ein bißchen Klavier foielen, weiß ich ja. Hab's neulich mal beim Pfälzer gehört. Haben's denn zu Kaufe auch ein Inſtrument?“
Sc erzählte ihm, daß m mit Prätorius häufig zu- fammen mufiziere.
„Der?“ fragte er —— „ja, der iſt nun ein Dilettant. Aber was ſchadet das? Er hat fein Ver— gnügen, und will nichts fein damit, und fpart manchen Grog dadurch.“
„Der arme Kerl dauert mich immer,“ ſagte ich.
„Armer Kerl, wiefo? Der fteht doc, nichts aus.“
„Nun, die Franke Schwerter!“
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„sa, 10. Sagen Sie mal, die ift wohl 'n bißchen verfchroben? Betfchwefter, was?“
Da fuhr ich aber auf, und er fah mid; ganz er; ſchrocken an und wurde faft befcheiden.
„So, fo," fagte er, „da will ich nichts gejagt haben. Bor wahrer Frömmigkeit hab’ ich den größ- ten Refpeft. Nur vor diefem Paftorenchriftentum, wiffen Sie, hab’ ich eine hölifche Abneigung. In—⸗ dem fie ung Gottes Wort bei jeder möglichen und unmöglihen Gelegenheit morgend, mittags und abends mit ihrem ſalbungsvollen Mundwerf vor- gefaut, haben fie uns die Fernige Speife zu einem widerlichen Brei gemacht, der uns endlich wider: ſteht. Sie müffen mich aber für teinen Heiden halten. Sch alter Kerl ſpreche noch heute mein Abendgebet, wie's mid; die Mutter lehrte und — das Leben.”
War diefer alte, prächtige Menfh unfer Wurft- männchen, über das ich mid immer im jtillen be- luftigt hatte? Warum mußte ich fo fpät feine Be- kanntſchaft machen? Wie viele Leute feines Schla- ged mochten noch in unferem Städtchen wohnen, und ich mußte nichts von ihnen. Statt deſſen hatte ich mid unter jungem unbedeutendem Volk herumgetrieben und hatte meine Zeit vergeudet. Doch das hatte ja nun aufgehört. Der Alte Ind mich ein, ihn doch einmal zu befuchen, und ich ver- ſprach es.
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Ganz fröhlich Fehrte ich von diefem Spaziergang heim. Am meiften freute mich, daß ich Gelegen- heit gehabt hatte, für Martha ind Keuer zu gehen. echt wie ein Ritter für feine Dame, fo hatte ich für fie geftritten. Und hatte den Alten aus dem Sattel gehoben, daß er ihr im Staube Abbitte tun mußte. Das machte mich ganz glück— lich,
Ein neues Lebensgefühl begann mich zu befeelen; id) fühlte mid; wie ein Schwimmer, der aus einem ‚trüben und verfrauteten Waſſer in einen tiefen, Haren Strom ſich dDurchgearbeitet hat und wohlig die Muskeln fpannt zum fpielenden Kampf mit dem reinen Element. Aber die immer häufiger werdenden Briefe aus der Heimat ließen ed zu einem reinen Glücksgefühl nicht kommen. Die Eltern waren in Konkurs geraten, das Haus meiner Kindheit war in fremde Hände übergegangen, der Vater ſiech im Kran: fenhaus und meine Mutter mit den Gefchwiftern nadı Hamburg übergefiedelt, um ſich da von ihren. Hände Arbeit zu ernähren.
Und zulegt fam von dort eine Hiobspoſt, die follte mich ‚mit allen Würzelchen und Fäferchen wie eine fchwanfe Efeuranfe aus dieſem liebgewordenen Boden reifen. Dad arme, vom Leben nur gepeinigte Schweſterchen war geftorben. Und nicht genug, daß dieſes Lieblings- und Schmerzendfind die Mutter vers ließ, auch mein Bruder, dem durd; Vermittelung eines
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guten Freundes eine ausſichtsreiche, verlockende An— ftelung in der Südfee angeboten worden war, wollte auf und davon gehen. Ihm war fein Vorwurf zu machen. Er fam auf diefe Weife aus der einfachen Schloſſerwerkſtatt in das weite Getriebe einer großen Plantagengefellichaft, mo ſich ihm die Möglichkeit bot, fih über das Niveau, auf das ihn der Wille des Stiefvaterd niedergedrücdt hatte, zu erheben, mozu ihn alle Fähigkeiten und die genoffene Erziehung be- rechtigten. Die arme Mutter aber follte, dann fallt aller ihrer Kinder beraubt, mit der einen älteften Tochter allein zurücbleiben. Da hatte fie das fehn- liche Verlangen, mid, den fie feit Sahren nicht ges fehen hatte, einmal wieder zu umarmen, um fid meined Beſitzes verfichern zu können. Sa, fie flug mir vor, ganz nad Hamburg zu fommen; dort gäbe es doch auch Buchhandlungen, wo id; mein Brot finden könne. Auch müßte ih doch dem Bruder, bevor er, vielleicht auf Nimmer- wiederfehr, die lange Reife über den Ozean anträte, noch einmal jehen. hr Brief wurde zum Schluß zu einem heißen: Flehen, fie nicht allein zu Iaffen, und Tränen hatten die Unterſchrift unleferlich ge- macht.
Ich fah mein Schwefterchen ausgeſtreckt, wie fie die längſten Sahre ihres jungen Lebens gelegen hatte, auf dem Totenbett, gedachte der Zeit, wo fie als Vierjährige mit ihren kurzen Beinchen fröhlich über
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den Raſen fprang, hörte ihr ſüßes Stimmchen Die eriten Liederchen fingen:
Ein Schäfermäddyen weidete Ein Lämmchen weiß wie Schnee —
Das ganze Glück unferer Kindheit ftand wieder auf, die lieben alten Räume des Vaterhaufes, darin nun fremde Menfchen hauften, und es war mir, ale fet das alles jest erft mit dem Schwefterchen tot. Der ſchwarze Sargdedel legte ſich darüber und id) fonnte nicht einmal einen Kranz darauf legen.
Und Doch, ich konnte es. Sebt hieß es Mann fein, Sohnespflicht erfüllen und arbeiten und fireben, der Mutter ihren Lebensabend zu vergolden, wie fie es an unferem Morgen getan hatte. Das follte der Kranz fein, den ich auf den Sarg meines Schwefler- chend, auf dag Grab meiner Tugend legte.
* *
Der Chef und Herr Nutzſche billigten meine Ent—⸗ ſcheidung und ſtellten mir frei, früher zu reiſen, wenn ſie ſo zeitig Erſatz für mich finden könnten. Dieſer Plan hätte nun noch geſtört werden können, wenn ich nicht in dieſer Zeit der Sorge um meine Militär- pflicht enthoben worden wäre, indem man mid) vor> läufig auf ein Sahr zurüdftellte. Das war für mid), der ich mir immer nur um den nächſten Tag Ge ‚danken zu machen pflegte, eine lange Zeit.
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Sp richtete ich mich ein, jederzeit bereit zu fein. Zum alten Mufifdireftor, den zu befuchen ich immer noch aufgefchoben hatte, fam ich nun nicht mehr. Was follte mir noch die Anfnüpfung neuer Be- ziehungen? Martha, die von meinem Schmwefterchen wußte, daß fie in gleicher Weife ans Bett gefeffelt war wie fie, war fchmerzlich bewegt. Ich hatte ges meint, ihr den Tod verheimlichen zu follen, aber Prätoriud war mir in einer feltfamen Rücdfichts- lofigfeit, der er ſich manchmal fchuldig machte, zuvor- gefommen. Ich mußte Martha von der Verftorbenen erzählen, tat ed unter möglichfter Schonung ihres eigenen Zuftandes und erlebte einen traurig » fchönen Abend an ihrem Kranfenbette. Die Feniter flanden offen, Die laue Sommerluft ftrömte ungehindert hinein, und die finfende Sonne gab ihren roten Schimmer über das weiße Linnen der Dede und über Marthas weiße Hände.
Prätorius machte mir ein ſtummes Zeichen, ich würde ihr mit etwas Mufif jest wohltun. Sie hatte es be— merft und rief vorwurfsvoll: „Aber Alwin! Sn folcher Stimmung!“
„Doch, doch,“ rief ich, „ich ſpiele.“ Und fchon ſaß ih am Klavier, und nur eine Sefunde lang ließ id; die Finger auf den Taften ruhen, als fie von ſelbſt Chopins ZTrauermarfch zu fpielen anfingen. Die Monotonie der immer toiederfehrenden tiefen B⸗Aklkorde wirkte wunderbar beruhigend auf mid,
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la, id rang mich aus meinem Schmerz; immer mehr m einer trogigen Gefaßtheit durch, die mir wohltat, bie mid) befreite. So fonnte ich das himmlifche, wie von Engelftimmen gefungene Trio mit einem freien Ausdrud fpielen, befeligt und getröftet. Als ich wieder in die Monotonie ded Trauermarfches eins leiten wollte, gab mir Prätorius ein Zeichen auf- zuhören. Über fein großes, rotes Geficht ging ein wunderliched Zuden.
„Es hat fie doch angegriffen,” fagte er, faum vers ſtändlich, mit gepreßter Stimme,
Leife erhob ich mich; da lag die Kranfe mit ge- Schloffenen Augen, bleicher als fonft, und über ihre ſchmalen Wangen liefen unaufhaltfam die großen Tränen.
Jetzt erft wurde fie gewahr, daß ich nidyt mehr ſpielte. Sie öffnete die Augen, fah mich mit einem wehen Lächeln an und fchlug dann fchnell die Hände vord Geficht, als fchäme fie fich ihrer Tränen.
„Wie fchön, wie himmlifch ſchön war dag,” fagte fie leife.
„Sch komme morgen wieder,“ flüfterte ich Prä- torius zu. „Einen fchönen Gruß.” Und auf ben Zehen eilte ich zur Tür hinaus und die Treppe hinunter, EN
War ich wahnfinnig? Was ließ mich denn biefen Trauermarfch fpielen! Aber ich hatte es ja nicht gewollt, ed war wie unter einem Zwang gefommen,
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ohne mein Zutun, ſtrömte aus dem Innerſten meiner Seele, als ihr natürlicher melodifcher Atem,
Sch ſollte Martha nicht wiederfehen. Sie war ein paar Tage darauf in eine fchwere Krankheit verfallen. Eine zu tiefe feelifche Erfohütterung hätte wahrfchein- lich ihr fchwaches Nervenſyſtem in Unordnung ge- bracht, meinte der Arzt.
Al ich im September meinen Koffer padte, war fie in der Genefung, durfte aber noch feinen Befud) empfangen. Zief erfchüttert nahm ich von Prätoriug Abjchied, trug ihm Grüße an die Schweiter auf und verſprach aus Hamburg zu jchreiben.
„Sie hat Sie fehr geliebt,“ fagte er. „Bergeifen Sie fie nicht.”
Bandler brachte mich an den Bahnhof. Es war ein eriter, vorzeitiger Herbfttag, ber fich vorauseilend in unfer Tal verirrt haben mochte, wo fonft bis in den Dftober hinein noch eine milde Spätfommers witterung zu herrfchen pflegte. Das Laub prangte auch noch in den herrlichften Karben an den Äften und Zweigen, aber ein faft Falter Wind warf dieſe hin und her und trieb und den Staub entgegen, als wir die ftille, menfchenleere Straße zum Städt- chen hinausfchritten. Über dem Hügel, von dem id} damals zuerft in dieſes fchöne Land hineingefehen hatte, das Herz voller Frühlingshoffnung, zogen die fchnellen, fhwarzen Schatten der Wolfen, die vor dem Winde hineilten. Mich fröfteltee Auch vor mir
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fliegen Schatten auf, fchwärzer, drohender als die, die jeßt dad Städtchen hinter meinem Rüden über- dunfelten. Aber von Zeit zu Zeit drang eine liebe, fhöne Sonne durch dad Gewölk: dad Bild ber Mutter.
E8 waren nur wenige Neifende auf dem Bahn hof; der Zug, ein Schnellzug, hielt nicht lange, Um fo beſſer. Ein kurzer Abfchied und dann der Zufunft entgegen. Ein letzter Händedruck, ein legte Winken, und ich fah auch den Freund nicht mehr. |
In die Ede gefchmiegt, war id, allein mit meinen Gedanken in dem traurigen, harten Coupe. Mir war bang und beflommen zumute. Auc die Gedanken an die Heimat hellten mein Gemüt nicht auf. Ad, es war ja nicht mehr die alte Heimat, die ich einjt als halbes Kind verließ. |
Sieben Jahre waren feitdem vergangen. Was hatten fie mir gebradjt? Ich Fam mir vor wie einer, der nadı Schäßen ausgezogen war und mit leeren Händen nadı Haufe fommt. Se weiter der Zug mich eniführte, je mehr wollte mir allee, was id nun hinter mir gelaffen hatte, wie ein Traum erfcheinen. Nur eines blieb Wirklichkeit: das blaffe, tränenüber- ftrömte Geficht auf dem Leidensbett. Annas Lärvchen wollte ſich dazmifchendrängen, aber ich ſchob es bei- fette.
Martha, du ftille Dulderin.
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‚Sie hat Sie jehr geliebt, vergeflen Sie fie nicht, Hang ed in mir nad).
Nie, nie werde ich Dich vergefien!
Draußen flogen Hügel und Wälder vorbei, jest in dunkle Schatten gehüllt, jett von einem Gtreifen Sonnenlicht bligartig überhellt. Unaufhaltfam ging es der Heimat zu, einer ungemwiffen Zukunft entgegen. Nur eines wußte ich: fie würde Arbeit fein, ernfte, männliche Arbeit. Ä
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Die Schweiter empfing mih am Bahnhof. Wie hübſch war fie geworden! Sie führte mich zur Mutter und führte mich dabei durd halb Hamburg. Wie anders gefiel mir die Stadt jest, da ich etwas Liebes darin hatte; ich hatte das Gefühl der Heimat, und kamen wir durd eine befannte Straße, ging mir dad Herz auf.
Das Geficht der Schwefter ftrahlte vom Glück des MWiederfehens; ihre Erzählung floß leicht und munter und malte ein befchränftes aber nicht troftlofes Bild des neuen Zuftandes: Die Wohnung fei zwar weit draußen in der VBorftadt, aber fie jei frei und freund» lich gelegen; die Mutter habe jett einigen Erwerb, indem fie am Klavier unterrichte, und fie felbit, die Schwefter, habe in einer freundlichen Familie eine Stellung ald Hausfräulein gefunden.
„Sch meine, ihr hättet einen Heinen Laden auf: gemacht?” rief ich verwundert.
„Schofolade und Konfttüren. Sa, wir hatten es,“ erklärte fie. „Aber es wollte nicht gehen. Es war
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am Hafen. Das Publikum ift dort ein eigenes, und die Mutter konnte fich nicht zurechtfinden; es famen zulegt nur noch die Kinder, die ihre Sonntagsfchillinge vernafchen wollten.“
„Rechnet ihr hier noch nach Schillingen?“ fragte ich neckend.
Sie lachte.
„Alte Gewohnheit; man hat folange Schilling gefagt. Alfo ihre Sonntagspfennige.”
Wie lieb fie ausfah, wenn fie lachte.
„Geht es der Mutter auch fo gut wie dir?“ fragte ih. „Dann will ich mich freuen.“
„Es geht ihr nicht fchlecht,“ erwiderte die Schwer iter. „Sie ift jegt viel zufriedener, da fie der Ges Ihäftsforgen ledig ift und auch mich geborgen weiß. Und jest trägt fie die Freude, dich wiederzujehen, und bie ſtille Hoffnung, dich zu behalten.“
„Wir wollen ſehen wie ed wird,“ fagte id). „Borläufig bin ich nun mal hier, und wir wollen froh fein, daß wir uns wiederhaben.“
„Nein!“ rief fie, „du darfſt nun nicht wieder fort.“
So gingen wir noch eine Weile plaudernd neben- einander, bis die Schmwefter rief: „Da find wir!“ Wir waren in eine Straße eingebogen, die nur einfeitig bebaut war; ſie hatte ein freies Feld mit Kaubenfolonien vor ſich und bot einen nüd)ternen, troftlofen Anblid, der nur durd den hellen Sonnens
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fchein, der alle Fenſter der grauen Käufer flammen und bligen machte, ein wenig gemildert wurde.
„Alfo hier!“ rief ich etwas gepreßt. Dad Bild unferes Vaterhaufes flieg vor mir auf, und ich wurde ded Gegenfates fchmerzlich inne.
Eine lange Häuſerreihe ftand vor und, alle gleich hoch, gleich breit, gleich grau, mit der gleichen An— zahl Fenfter. Eine rechte Vorſtadtſtraße nach der Schablone gebaut, die ganze Reihe diefer Wohnfäften unter einem Dad. Wir traten in eine der vielen Türen ein, ftiegen bis in den zweiten Stocd hinauf, und die Mutter hing an meinem Hals.
‚Wie Elein fie geworden ift,‘ dachte ich. Unſere Tränen floffen ineinander, wir füßten und wieder und wieder und ihre lieben Hände ftreichelten mir die Baden, als wäre ich ihr Feines Kind. Sie war noch fursfichtiger geworden, und ihre grauen, ges trübten Augen fuchten in nächfter Nähe mein Geſicht nach den befannten Zügen ab.
„Sch bin's noch,“ fagte ich lachend.
„Sa, bu bift’8 noch, und wie gut du augfiehft. Ich fürchtete ſchon, es ginge dir Schlecht.“
Sie z0g mich zu fi auf das fleine Sofa nieder und ftellte Fragen über Fragen. Mir war aber mehr darum zu tun, erft einmal von ihr felbft etwas zu hören, und während die beiden lieben Frauen durchs einander ausframten, was zu berichten war, hatte ich Zeit, mich umzufehen. Die wenigen Möbel des feinen
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Zimmers waren mir alle befannt und vertraut; fie waren Das wenige, was die Mutter aus dem Zur fammenbruch gerettet hatte. Auch das alte Klavier fand da und ſah mich wie mit den Augen eines alten Jugendfreundes an, der befcheiden wartet, daß auch an ihn die Reihe der Begrüßung fommt. Sch gedachte des Wandels ber Zeit, gedachte der Kinder⸗ tage, wo wir, um das alte Inftrument gefchart, dem Spiel der Mutter lanfchten und mit ihr fangen, und die enge Gegenwart, welde die damals jugend- liche, fchöne und im reichen Glück fiende Spielerin verurteilte, an eben dieſen Taften ihren Erwerb zu fuchen, um ein fleined und gebemütigted Leben küm— merlich friften zu fünnen, fiel mir ſchwer aufs Herz.
Ein alter Kapitän, deffen Frau eine Lübederin und mit den früheren Verhältniffen unferer Familie wohl vertraut war, und die fich meiner Mutter fchon früher nüglich gemacht hatte, indem fie ihren Fleinen Bedarf an Tee und Schofolade bei ihr dedte, hatte ihr als erfte SKlavierfchülerinnen geradezu feine Töchter aufgedrungen, den Stundenpreis felbft be- flimmt und fo Diftatorifch Vorfehung gefpielt. Es hatten ſich noch einige Töchter in der Nahbarfchaft hinzugefunden, meift Kinder von Eleinen Geeleuten, die ihren Stolz darin fuchten und deren Einfommen es ihnen geftattete, ihren Mädchen das Klavierfpielen lernen zu laſſen. Was fie zahlten, war lächerlich gering, fünfzig und fechzig Pfennige für die Stunde,
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aber da fie alle auf einem Kaufen wohnten, verlor meine Mutter nicht viel Zeit mit dem Zwifchenlaufen und fonnte immerhin mit einem Taler Tagesverdienft rechnen.
Das alles erfuhr ich ziemlich breit und umftändlid). Hiernach aber follte ich von meinen Zufunftsplänen erzählen. Da fonnte ich denn nur fagen, daß fie vorerft ganz ins Ungewiſſe gingen. Auf jeden Fall müffe ich mich ja wieder um eine Anftellung be- mühen, und wenn ich fie in Hamburg nicht fände, was ich fehr befürchte, müffe ich mich wieder nad ausmwärtd wenden. Diefe Ausſicht machte fte beide fehr niedergefchlagen. Sie hatten fid Hoffnung ge macht, ich könnte nun bei ihnen bleiben, und die Mutter ſprach es fogar mit einiger Zuverſicht aus.
„Gewiß wirft du etwas Paſſendes finden, wenn du dich nur ordentlich darum bemühft. Es find ja fo viele Buchhandlungen in Hamburg, und du bift doch auch noch von früher her befannt, und fie werden dich gern wieder nehmen.“
Sch mußte lächeln über die Naivität der Mutter, beruhigte fie aber vurerjt, indem ich ihr verfpradh, mein möglichfted zu tun, und verficherte, daß es mein eigener Wunſch wäre, bei ihr zu bleiben und ihr nadı Kräften zur Seite zu fiehen. Sie war fogleid, ganz glüdlich und rief: „Wenn wir den lieben Gott nur recht bitten, wird er dich fchon etwas finden laffen.“
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„Du haft dir dein Gottvertrauen noch immer er- halten, Mütterchen,“ fagte ich.
„Und er hat mir noch immer beigeftanden,“ ſagte
fte zurüd,
Dies Wort aus ihrem Munde nad fo fchmeren Heimfuchungen rührte mich, und ich drückte ihr zu⸗ ſtimmend die Hand.
Wir ließen nun die Zukunft vorläufig in ihrem Dunkel und wandten uns der Gegenwart zu. Sch mußte die ganze Heine Wohnung in Augenfchein nehmen, die aus drei Zimmern und einer Küche be> fand und einen traulichen Eindrud machte; Licht und Luft hatten reichlich Zutritt, und alled war im fauberften Zuftand. In dem Zimmer, das mir als Schlafraum zugewiefen wurde, fiand noch ein zweites . Bett. Diefes war für meinen Bruder bejtimmt, ber in einigen Tagen aus Kiel erwartet wurde, Er hatte feiner Militärpflicht bei der Marine genügt und hatte feit einem halben Sahre einen beſcheidenen Poſten ald Schloffer auf einer Werft inne. Sept rüdte die Zeit näher, wo er von feinem Baterlande Abfchied nehmen wollte, und die Mutter brach in Tränen aus, ald nun unfere Gedanken fich diefem Sohn zumendeten, den fie gegen den ſoeben wieder- gewonnenen verlieren follte. Sie lobte ihn in den zärtlichiten Ausdräüden, immer habe er fte treu unter- fügt, feine lesten Grofchen mit ihr geteilt und fich während feiner Dienfizeit auf das fnappfte beholfen
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und fei doch immer wohlauf und guter Dinge ges weſen. Diefes befchämte mich nicht wenig, denn ich hatte mein ganzes Gehalt immer für mich aufgebraucht, und wenn ich bedadjte, daß ich der Mutter während meiner Lehrzeit noch manchen Extrataler gefoftet hatte, während er ſchon im eriten Sahre in Verdienſt gewejen war, fo ſchien ih mir vollig im Nachteil
‚gegen ihn. Aber von nun an wollte ich ed nicht
länger an mir fehlen laffen und mich ald männliche Stüße der Mutter und Schweiter erweifen. Sch fühlte lebhaft, daß meine Rückkehr nach Hamburg eine Epoche in meinem Leben bedeute, daß ich mit dem Abfchied von meinem lieben thüringifchen Städtchen zugleich auch Abſchied von meiner Sugend genommen hatte.
* * *
Sch lief bald durch die ganze Stadt von einem Buchhändler zum anderen. ch konnte aber Feine Beichäftigung finden, nirgends war ein Plag vafant. Sch hörte, daß mein früherer Prinzipal geftorben und fein Gefchäft in andere Hände übergegangen fei. Ich Elopfte auch bei feinem Nachfolger vergebens an. Hier und da erlebte ich die Freude, daß man mid nod im Gedächtnis behalten hatte und als einen Befannten begrüßte, dem man gern geholfen hätte. Man fchrieb ſich meine Adreffe auf, aber überall waren die Ausfichten fchlecht.
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Die Mutter, gewohnt von der Hoffnung zu leben, wollte indes immer noch nicht verzagen und tröftete mich in Erwartung zufälliger Umftände, die vielleicht einen Plas für mich freimachen fünnten.
Sn der erften Woche des Oktobers traf der Bruder ein. Wie fehr war er gewachfen, gereift und mir an äußerer Männlichfeit überlegen. Braun gebrannt bi8 auf die Spitze feiner großen Nafe, mit hellen, freien Augen, den eigenartigen wiegenden Gang des Schiffsvolkes noch in den Beinen, fo fchien er mir wohl geeignet, fich gleich aufs neue wieder auf das Meltineer hinaus zu begeben.
Mit der paradiefifh fchönen Inſel der Südſee follte er feine rauhe, nordifche Heimat vertaufchen, ewigem Sommer ging er entgegen, Palmenmwäldern, blauen Küften und einem immer lachenden Himmel. Sollte ich ihn nicht beneiden? Schon die nächiten Tage würden ihn hinausführen in die goldene Weite, während ich in Enge und Dürftigfeit zurückblieb.
Die Mutter war tiefbewegt und überfchüttete den Bruder mit taufend kleinen Zärtlichfeiten, und id) mußte mich darein finden, daß ich für die Zeit feiner Anmefenheit ein wenig beifeiteftehen mußte.
Am Abend vor feiner Abreife faßen wir nod ein letztes Mal an unferem alten Klavier und fpielten Haydnfche Symphonien. Er faß wie früher vor den Baßnoten. Es war, als hätten wir und nie getrennt, fo einig und innig ging ed zufammen, und id, be
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wunderte feine großen Arbeitshände, die ihm noch fo gut gehorchten.
Bei einem heiteren Finale aber bemerfte ich, wie ihm plöglih ein paar Tränen über die braunen Mangen liefen. Er fah midy mit einer komiſchen Grimaſſe an, und wir lachten und fprangen auf. „Zum Weinen Iuftig!“ rief er. Aber es zuedte doch in feinem Geftcht.
Am anderen Tag bradıten. die Schwefter und id; ihn and Schiff. Die Mutter war in ihrem Gott⸗ vertrauen wunderbar gefaßt gewefen, wenn fte ben Scheidenden auch immer und immer wieder mit trä- nenden Augen umarmt hatte, bis es ein letztes Mal fein mußte. Sie blieb in ber offenen Tür ftehen und ſah uns die Treppe hinunter nah. Mich ums wendend, fah ich, daß fie mit unendlicher Zärtlichkeit eine Bewegung machte, ald wolle fie ihn zurüd- halten; ahnte fie, daß fie ihm nicht wiederfehen würde? |
Da wir ihn nicht an Bord des Schiffes begleiten durften, fo eilten wir auf die Höhe des Stintfangs, um von bort noch einmal dem Scheidenden, Vorübers fahrenden einen legten Gruß zumehen zu können. Lang- fam glitt der große Dampfer aus dem Hafen. Am Heck ftand eine fchlanfe, dunkle Geftalt, die zu ung heraufwintte. Kelle Sonne lag über dem breiten Strom, und weiße Möwen begleiteten dad Schiff mit fpielendem Fluge.
Als wir zurücfehrten, fanden wir bie Mutter am Fenfter figen und in ihrem Geſangbuch lefen.
„Befiehl du deine Wege
Und was dein Herze kränkt Der allertreuften Pflege
Des, der den Himmel lenkt; Der Wolken, Luft und Winden Gibt Wege, Lauf und Bahn, Der wird auch Wege finden, Da dein Fuß gehen Kann.”
Sie hatte in ihrer Frömmigfeit den rechten Troſtſpruch gefunden, ber nicht nur für fie, fondern aud für ihren nun dem Wind und den Wellen preidgegebenen Seefahrer Geltung hatte. Sie war bewegt, aber gefaßt, nahm die legten Grüße des Bruderd mit einem banfbaren, wehmütigen Lächeln entgegen und ſchloß uns beide in ihre Arme. Dann zog fie mih zu fi auf Sofa, hielt meine Hand und fagte: „Weißt du, was ih mir fo im ftillen ausgedadht habe, als ihr weg wart? Fahre nur nicht gleich auf und rede dagegen. Sch bin gewiß, der liebe Gott hat mir den Gedanken eingegeben, da er deinen Bruder nun von mir genommen hat.“
„Auf Zeit,“ unterbrach ich fie, über dieſen Aus— druck erfchrocden.
„Ad, wer weiß, ob ich ihn wiederfehe,“ fagte fie ruhig. „Da ich dich nun aber wieder habe, möchte ich dich nicht wieder fahren laffen.“
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„Nun, was iſt's denn, Mutter?” fragte id).
Sie feste mir etwas verlegen und flotternd ihren Plan auseinander, der darauf hinausging, ich folle ihre Mufikftunden übernehmen und mir auf diefe Weiſe eine Eriftenz an ihrer Seite gründen. Ja, fie hatte ſchon alled im kleinſten überlegt: die Eltern ihrer Schülerinnen würden gewiß mit Freuden ein- willigen, ein männlicher Lehrer wäre doch etwas ganz anderes als wie eine alte Frau wie fie; ich fönnte den Kindern doch ihre Stüde vorfpielen, während ihre Finger fteif und flumpf geworden wären.
„Unmöglich!“ fuhr ich fogleich auf. „Wie fönnte id; dag!“
„Warum nicht, ich hab’ es doch aud) gekonnt!“ meinte fie.
„Das ift etwas anderes,” fagte ih. „Sieh, von mir verlangt man mehr, muß man mehr verlangen, ich ſelbſt muß das. Wie follte ich das leiften können? Mein bißchen Spiel — nein, das fchlagt euch nur aus dem Kopf, daraus Fann nichts werden.“
„sch mußte e8 ja, daß du aufbegehren würdeſt,“ fagte die Mutter fanft und traurig. „Aber überlege e8 dir nur noch einmal, Sch will inzwifchen bei den Eltern anfragen, ob fie damit einverftanden wären.“ Sch wollte aber auch davon nichts wiſſen.
Ein Sonntagsmorgen jedoch brachte die Entfchei- bung. Die Mutter war mit der Schweſter in Die
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Kirche gegangen, und als ich nun allein in ber fonnenhellen Wohnung war und ihren ftillen Frieden veht mit Behagen genoß, überfam mid fo eine heimatliche, zärtliche Empfindung, die mich durch alle Zimmer trieb, an jedem alten Möbel wieder Erinne- rungen wachwerden und mich in verzeihlicher Findlicher Neugierde auch wohl in biefe und jene Schublade hineingucden ließ. Zulegt ſetzte ich mich auf den Fenfterplag der Mutter, wo auf ihrem Nähtiſch das alte Predigtbuch lag, und fing an zu blättern. Da fah ich denn, daß fie nicht in gedanfenlofer Frömmig- feit las, fondern, ganz mit ihrem Buche vertraut, überall mit Zeichen und NRandbemerfungen nicht ge fpart hatte. Hier ftand ein „Wie wahr!“, dort las id ein rührendes „Troſt in einer ſchwachen Stunde“, auf einem anderen Blatte hatte fie vermerkt: „Am Geburtstag meines lieben verftorbenen Kindes“, und endlich fand ich gar am Rande einer Predigt die Worte: „Als mein Sohn in Jamburg in fchlechte Hände gefallen war.“
Sch war verwundert, eine Blutwelle flieg mir in die Wangen. Aber ich mußte doch lächeln. Die Heine finnige Nelly. Sch las die Predigt, ohne eine Verbindung zwifchen dem Text und diefer Rand⸗ bemerfung finden zu fönnen, es fei denn ber eine Sag: „Durch alle Sünden können wir hindurdygehen und doc ded Himmelreiches teilhaftig werden, fo wir wahrhaft Buße tun.“
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Sp hatte dad Mutterherz um mid, gebangt! Ich gedachte der Stunde, da ich vor meinem erjten Aus— zug in die Welt ihre Hand auf meinem Scheitel fühlte und ihre traurige, zärtliche Stimme hörte: „Bleibe ein guter Menſch!“ Und ich führte das Bud, durch das eine fromme Frau und Mutter mit ihrem Gott verfehrte, leife an die Lippen. Dann ging ich an Klavier. Zwei Stunden lang fpielte ich, alles um mid, her vergeſſend.
Als die Mutter vom Kirchgang heimfehrte, fiel ih ihr um den Hals: „Mutter, ich bleibe! Du bift nun abgefegt.” Dad war ein Freudenfonntag für die Mutter,
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I Es war eine wunderliche Eleine Gefellfchaft, die nad; der Pfeife meiner Mutter hatte tanzen lernen follen; ein Elefant, ein paar Bären, ein widerfpen- ftiges Bödlein und, ald beſonderes Schauftüd, zwei gelehrige Pudel. Wie mochte die Ärmſte ſich mit
diefen Schülerinnen abgequält und was mochte ed
fie gefoftet haben, ihnen wenigftend die Kunſtſtücke beizubringen, die fie zulegt machen fonnten.
Ganz unerfahren im Unterrichten, fuchte ich nun meift durch größere Energie die Faulen aufzurütteln, und fie fühlten denn auch bald die feftere Hand.
Die Eltern. merften den neuen Wind, der wehte,
auch, und ich fah zufriedene Gefichter. Am meiſten war meine Mutter erfreut, daß alles jo gut ging, und daß die Kinder nun Doc noch einen tüchtigen Lehrer hatten.
„Mutter,“ rief ich lachend. „Ich verſtehe nicht mehr davon als du. Sc muß das Unterrichten erft lernen. Die armen Bälger find meine Verſuchs— fanindhen. So meine ich denn, wenn id) es fort- fegen fol, ich muß erft felbft wieder Uinterricdht nehmen: denn wie fol ich lehren, wenn ich nichts gelernt habe?“
Sie fah das ein, und, wie fie war, dachte fie ſo— gleih an Rat. Sie hatte denn auch ſchon nad einigen Tagen von der Frau unferes Hauswirtes eine Empfehlung an einen vielbefchäftigten Muſik—
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pädagogen in der Tafche, der beftimmt werden jollte, mich für ein billiges zu unterrichten. Nicht ohne Herzklopfen ging ich zu ihm; er empfing mid, jedod) ſehr freundlich: er wolle fehen, was er für mid tun fönne. Er nötigte mich fogleich an den Flügel, fragte, wie weit ich es denn ſchon gebradyt hätte, und legte mir Mozarts Sonate facile aufs Pult. Sch hatte die Sonate zwar feit meiner Kindheit nicht mehr gefpielt, glaubte aber, gut damit beftehen zu fünnen. Die Angſt fuhr mir aber doc; nach den eriten Takten in die Finger, und das Paffagenwerf, das gerade bei Mozart die größte Fazilität erfordert, geriet recht holprig, fo daß ich am Ende mit einem roten Kopf daſaß. Der Profeffor fchien aber nicht unzufrieden zu fein. „Gut,“ fagte er, „es wird gehen; zuerit dürfen Sie natürlich nur technifche Übungen fpielen, Wie ift es mit den Tonleitern ?“
Sch war nur froh, daß er mich nicht gleich ab- gewiejen hatte, und fpielte meine Leitern jo gut, wie ich es eben vermochte. |
„Jun, ed wird fi fchon machen,“ meinte er. „Kommen Sie morgen wieder. Paßt ed Ihnen von fieben bis acht Uhr?“
„Bon fieben bis acht Uhr habe ich zu unterrichten,“ fagte ich Eleinlaut, denn ich fchämte mich, daß ich Stümperlein fhon andere etwas lehren wollte.
„Ss früh ſchon?“ fragte er verwundert, was ich abermals auf meine Überhebung bezog.
Balte 17. 957
Er hatte ed aber anders gemeint: ich follte fchon ded Morgens um fieben Uhr bet ihm antreten. „Sit ed Ihnen zu früh?” fragte er.
„Mein, gewiß nicht,“ verficherte ich und fragte fhücdtern: „Und mie hoch ift dag Honorar?“
„Mein niedrigfter Preis ift ſechs Marf für bie Stunde,” war bie niederfchlagende Antwort. „Aber wie ich höre, fünnen Sie foviel nicht zahlen. So will ich es Ihnen auf die Hälfte ermäßigen. Drei Mark fechzig, ift Shnen das recht?“
Sch wunderte midh, daß die Hälfte von ſechs Marf drei Marf fechzig fein follte, wagte aber nichts ein- zuwenden, überfchlug fchnell, daß ich ed eben würde aufbringen fünnen und fagte: „Sa, ich banfe Ihnen ſehr.“
Die Mutter war entſetzt über das viele Geld, das ich zahlen ſollte. Ich beruhigte fie aber. Se mehr ich gelernt hätte, je höhere Preife fünnte ich dann felbft fordern.
Sch ging nun wöchentlich zweimal in frühefter Morgenftunde zu meinem Profeffor, und die Mutter mußte an diefen Tagen etwas von ihrer Nachtruhe opfern, denn fie wollte es fich nicht nehmen laffen, mir meinen Kaffee zu bereiten und zu forgen, daß ih warm und gefättigt auf die noch dunkle und falte Straße hinausfäme.
Mein Lehrer war ein Frühauffteher und ein fleißiger Arbeiter. Ich fand ihn fchon regelmäßig an feinem
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Pult und beim Schein einer Rampe fchreiben, bie mit einem großen, grünen Schirm abgeblendet war. Er war auf dem einen Auge faft erblindet, und es fah fomifh aus, wenn er beim Spielen das bebrillte Geſicht fo dicht über die Motenreihen hinführte, als follte die Nafe ihm beim Entziffern der fchwarzen Zeichen helfen. Er trank in diefer frühen Morgens ftunde feinen Tee und bot auch mir immer freundlich eine Taſſe des wärmenden Tranfes anz den fchlürfte ich dann mit Behagen und wärmte mir dabei an der heißen Zaffe die Finger. Er hatte die Mufiffritif für eine größere Tageszeitung zu fchreiben, und da er auch fomponierte und edierte, hatte feine fleißige Feder immer Arbeit genug. Ging ed nad; dem genoffenen Morgentee ind Muſikzimmer an den Flügel, fo war er fofort ganz bei der Sache. Er. war ein erfahrener, tüchtiger Pädagoge, und ich merfte bald, daß ic) für mid; faum einen befjeren Lehrer hätte finden fünnen. Er ließ mich ganz wieder von vorne beginnen, mit den einfachften mechanifchen Übungen, und führte mic ganz langfam auf fiheren Wegen zu einer anftän- digen Technif, bevor er mir erlaubte, „Stüde” zu fpielen. Sch übte täglich vier Stunden unverdroffen und bedauerte die arme Mutter, die ed jedoch geduldig anhörte,
So follte ich alfo doch noch ein Künftler werden?
Ich fah jest wie in ein ſchönes Morgenrot, das einen firahlenden Tag verkündet; freilich war ed noch
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gar früh an der Zeit, und dem Sonnenwanderer fröftelte in feinem dünnen Röckchen, das faum feine Blößen verbarg. Aber die lichtfrohen Augen tranfen den erften Glanz des Tages und meine Seele war vol Hoffnung.
Doch es tft dafür geforgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wadfen. Man hatte mid; an eine neue „Kundſchaft“ empfohlen, und ich madıte mid auf den Weg, fie aufzuſuchen. Die Adreffe, die ich mir notiert hatte, führte mid in ein altes Ge bäude, das abfeitd der Straße in einem Hof lag. Eine Wendeltreppe, der ein Strid als Geländer diente, führte, immer Dämmriger werdend, ins Dunkel hinauf; nur ab und zu zeigten ſich die Umriſſe einer Tür. Es war ein fogenannter Saal, und je höher ich ftieg, je dunfler wurde ed, und je fchwerer fiel e8 mir auf Gemüt, daß id; mir auf foldhen Megen mein Brot fuchen mußte. Sm dritten Stod, wo die Witwe wohnen follte, der ich empfohlen war, tajtete ich nach der Tür, hinter der ich ein fröhliches Singen vernahm. ch Flopfte an, worauf denn das Singen verftummte, fohnelle Schritte fich näherten und die Tür mit einem kurzen Ruck geöffnet wurde, Sch trat in einen lichten, freundlichen Raum, wo drei junge Frauensperſonen an einem VBügelbrett be- fhäftigt waren. Ein Kaufen weißer Wäſche lag herum und erfüllte das ganze Zimmer, das halb Borplas, halb Wohnraum war, mit feinem frifehen
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Geruch. Die mich hereingelaflen hatte, eröffnete mir alsbald, daß die gefuchte Witwe hier nicht wohne, warf einen dreiften Blick in mein Notizbuch und lachte.
Achtundachtzig, da find Sie freilich ganz redht. Aber es ift doch verfehrt, denn wohin Sie wollen ift hundertachtundachtzig.“
„Das ift wohl noch weit?“ fragte ich.
„Nicht fo weit, aber fchwer zu finden. Willen Sie Meyerd Gang?“
„Sa, den weiß ich.“
„Run, darüber hinaus —“
„Und dann links und dann recht3 und dann drei Treppen hoch und vier herunter,“ ftel ihr eins der anderen Mädchen ins Wort. „So findet der Herr fich auch nicht hin. Haben Sie aber Zeit, kann ich es Ihnen zeigen. Ich bringe gleich die Wäfche hin, fünf Minuten noch.“
Ich nahm es dankbar an, feste mic, dieweil auf einen Stuhl, den fie mir freundlich zufchob, und fah fie das Bügeleifen wieder über die Wäfche führen. Sie fing unbefangen an, zu ihrer fleißigen Arbeit ein Lied zu fingen. Shre Stimme war von reinftem Klang, und ich bedauerte, als fie ihr Eifen beifeite ftellte und erflärte, es fei nun Zeit zu gehen. Sie verſchwand im Nebenraum und hatte ein Fleines, buntes Tuch über ihre Schultern gefchlagen, als fie wieder zurückkehrte. Mit ein paar fchnellen Griffen
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pacte fie die Wäfche in den Korb und winkte mir, ihr zu folgen. |
„Sie find wohl Muſikant?“ fragte fie unterwegs.
„Sch fehe es an den Noten, die Sie unterm Arm tragen. Die Lene fol wohl nun Klavierftunde haben?“
„Sa,“ fagte ich verwundert und beluftigt, „fennen Sie Lene?“
„sc hab’ einen Bruder, der ift auch Muſikant,“ fagte fie, ohne auf meine Frage einzugehen.
„Sp,“ fagte ich.
„Sa, er arbeitet bei Ludofsky in ber Kakesfabrik.
Aber Sonntags fpielt er zu Tanz.“
„Klavier 2“ |
„D nein, Trompete,” fagte fie überlegen. „Das ift aber erft fchwer. Aber er verdient fih ’nen netten Schilling damit. Spielen Sie auch zu Tanz?“
Als ich es lachend verneinte, fah fie mid unficher an. Aber nicht fie, fondern ich wurde verlegen, denn ich fah, wie ihre Augen fchnell an mir herunterliefen, und ich dachte: ‚Du fiehft gewiß fo ärmlich aus, daß fie dich nicht anders, als für einen Tanzbodenmufi- fanten einfhägen kann.‘ Und mir fiel ein, daß ich ein Loch im Unterfutter hatte; fie fonnte ed freis lich nicht fehen, aber ich empfand ed doch peinlich, und ich fehämte mich meiner Ärmlichkeit, die mich gleihfam auf du und du mit ihr ftellte,
Mir waren inzwifchen durch einen Torweg in einen Gang eingebogen.
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ER SE —
„Da wären wir,“ fagte fi. „Gehen Sie nur den Gang hinunter, das legte Haus links; ich muß hier vorn hinein.“
Sch war töricht genug, mich durch biefes fleine Abenteuer gedemütigt zu fühlen. Sch gab noch am felben Abend der Mutter meinen Rod zum Fliden. Doch was half’, ich mochte troß der fauberen Res paratur immer noch wie ein Zanzbodenfpieler aus» fehen, und ich dachte: ‚Wenn der fchäbige Rod und die verwafchene Wäfche den Künftler machen, wirft du bald einer der erften.‘
Aber ich fah feine Möglichkeit, mich eleganter zu fleiden. Ein abgegriffener, brauner Filz, deſſen Ränder ins Gelbliche fpielten, dedte nad) wie vor mein Künftlerhaupt und mahnte mich mehrmald am Zage an die NMiedrigfeit und Armfeligfeit meiner Lebensſtellung; drückte ich mich haftig von der Straße in einen jener Gänge am Hafen hinein, um einem polfaluftigen Seemanndfinde den Taft einzuflopfen, fo glaubte ich oft die helle Stimme der munteren Wäfcherin zu hören: ‚Spielen Sie auch zu Tanz?“
* * *
Inzwiſchen war ed Sommer geworden. Mid; Iodte ed, in der erſten Frühe aufzuftehen, um in der ers quidlichen Morgenluft zu meinem Profeffor zu pilgern, meift auf einem tleinen Umwege, der mid, an bie
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Alfter führte. Dankbar genoß ich das Tiebliche Morgenbild des befonnten jenfeitigen Ufer. Mein Weg lag noch im Schatten, aber das fleigende Licht warf feinen frühen Glanz fchon über bie breite Wafferflähe, auf der einzelne Dampfer der Stadt zueilten und verfchlafene Schwäne ſich miegten. |
Eines Tages redete mic, auf meinem Morgengange ein junger Mann an. „Sie erinnern ſich meiner wohl nicht mehr?” fragte er. Sch betrachtete ihn genauer und fann nad), wo ich ihm fchon begegnet fein mochte, konnte mich deffen aber nicht entfinnen. Er nannte den Namen einer mir völlig fremden . Familie, in der er mid; fchon einmal getroffen haben wollte: ich habe dort Klavier gefpielt, von einem Geiger begleitet, deſſen mir ebenfalls fremden Namen er nannte,
„un,“ meinte er, „ed muß fchon fo fein, mein Gedächtnis kann mich nicht fo täufchen. Aber fei dem, wie ihm wolle; jedenfalls bin ich Ihnen ſchon um diefe Morgenftunde mehrfach begegnet, ohne daß Sie mich beachtet haben. Immer aber find Sie mir auf- gefallen, und ich habe ſchon mandımal den Wunſch gehegt, Sihnen näher zu treten.“
„Seltfam,” fagteich, „und was erweckt diefen Wunſch in Ihnen?“
„Sie müffen fehr viel Energie befigen,“ ant- mwortete er.
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Sch Tächelte, feine Antwort überrafchte und amü- fierte mid).
„Warum meinen Sie das?“
„Sch fehe ed an Ihrem Gefiht. Sch habe felten ein jo energifches Geficht gefehen. Stehen Sie immer fo früh auf?“
„Regelmäßig,“ fagte ich lachend. „Das koſtet mid, feine befondere Überwindung.“ |
„Und Sie arbeiten viel?! Studieren Sie Muſik?“
Er ſchien mir aufdringlich, und ich fagte etwas kurz: „sa, aber warum fragen Sie nach allem?“
Er wurde plöglich rot und entfchuldigte ſich.
„sh muß Ihnen fehr taftlo8 und aufdringlich er- fcheinen. Das Intereſſe, dad mir Ihre Perfönlichkeit eingeflößt hat, muß mid; entfchuldigen. Würden Sie mir die Ehre einer näheren Bekanntſchaft gönnen?“
‚Wunderlicher Menfch,‘ dachte ih. ‚Mer bift du? Was willft du von mir?‘
Er zog feine Karte, überreichte fie mir förmlich und fagte: „Sch will Sie nicht länger aufhalten. Sch muß Ihnen ſchon fonderbar genug vorfommen. Aber hier haben Sie meine Adreſſe. Vielleicht habe ich das Glück, von Ihnen zu hören. Sonft entfchuldigen Sie, bitte, wenn ich Sie beläftigt habe.“
Er Lüftete den Hut, verneigte fich kurz und entfernte fih mit langen, haftigen Schritten.
Welch ein feltfames Abenteuer! Sch hielt die Karte in der Hand, fah ihm nad) und fohüttelte den Kopf.
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SPP et 2. 1
Sch hielt ihn für einen Narren, obgleih fein Äußeres mir wohl gefallen hatte und durchaus nichts Geſtörtes zeigte; ein langes, feingefchnittenes Geficht mit fchöner Nafe und ein Paar blauen, Flugen Augen, das ein paar Blatternarben nur wenig ents ftellten. |
Natürlich befchäftigtee mid; die fonderbare Bes gegnung noch lange, und ich ging mit mir zu Rate, wie ich mid; dem Fremden gegenüber wohl am beften verhielte. Sch fchalt mich, daß ich nicht einmal ge fragt hatte, was er denn fei und was er triebe. Biel- leicht war er auch Mufifer, und feine Bekanntſchaft fonnte mir von Vorteil fein.
Meine Mutter war durchaus nidt fo überrafcht von meiner Erzählung wie ich erwartete: es fchien ihr Freude zu mahen, baß mein Charafter eine fo gute Note, wenn auch von ganz unbefannter Seite, befommen hatte, und fie fchloß fogleich, es müfle ges wiß ein guter und kluger Menfch fein, der fid fo geäußert habe. Auch überredete fie mich, ihn auf zufuchen und eine Bekanntſchaft anzubahnen.
So feßte ich mich denn einige Tage fpäter hin und ſchrieb dem Fremden ein Billett; ich hätte die Abficht, auf feine Einladung einzugehen, ob ihm mein Beſuch noch erwünfcdt fei. ine ganze Weile ließ er mich auf Antwort warten; endlich fam ein Brief, worin er mid; mit Ausdrücden des Danfes und der Freude bat, zu fommen und mir eine Abendflunde angab, wann
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ih ihn treffen würde. Er habe mit der Antwort folange gezögert, weil er fich feines Überfalles von damals nachträglich geichämt hätte, Er wiſſe felbft nicht, wie er den Mut dazu gefunden habe, und bäte mich auch jest noch, ihn zu vergeffen, wenn ich nur das geringfte Mißtrauen in feine Perfon fege. Wenn ich aber käne, würde ich ihn glüdlih machen, und er würde feine Dreiftigfeit als eine Eingebung feines guten Genius fegnen, denn er glaube ein guter Menfchenfenner zu fein und fürchte nicht, fich in meiner
Perſon getäufcht zu haben.
Das alles war fo befcheiden und liebenswürdig gefagt und in einer fo gebildeten und charaftervollen Sandfchrift zu Papier gebracht, daß alles Mißs trauen ſchwand und ich mich zu ihm auf den Weg machte,
Er wohnte in einer guten Gegend, im dritten Stock eined modernen Mietshaufes, Er öffnete mir felbft die Tür, empfing mid) mit großer Liebenswuͤr⸗ digfeit und führte mich fogleich in ein behagliches Wohnzimmer, wo eine große, ftarfe Dame im Sofa faß und ſtrickte. Er ftellte fie mir als feine Mutter vor, und ich reichte der alten Frau, die mich durch zwei große Brillengläfer forfchend anfah, die Hand.
„Mein Sohn freut fich fehr, daß Sie gefommen find. Er hat mir fchon viel von Shnen erzählt.“
Mie konnte er viel erzählt haben, er kannte mid, ja nod gar nicht. Er fügte aber den Worten feiner
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Mutter fogleich hinzu: „Viel zu wenig, denn fo recht weiß ich ja eigentlich nichts von Ihnen, ald nur, daß Sie mir gefallen haben.” Er errötete dabei wie ein junges Mädchen.
„Mein Sohn hat einen fehr fcharfen Blid für Menfchen,“ bedeutete die alte Frau.
Er Tächelte.
„sc bilde mir das wenigftens ein; ich habe mid auch felten getäufcht, Und warum fol man nicht, wie man fich bemüht, eine fchöne Pflanze, einen feltenen Stein oder ein hübfches Bild in feinen Be- fig zu befommen, warum fol man nicht auch trachten, die Befanntfchaft eines Menfchen zu machen, der einem gefällt?“
Er fah mich fragend an, und ich gab ihm redht.
„Mein Sohn ift immer fo allein,” fagte die alte Frau, „und jeden mag er nicht. Und wenn der Menſch immer fo für fi allein ift, das tut nicht gut.“
Sch war ein wenig verlegen. Was wollte man von mir? Was waren es für Leute, die mich gleich- fam mit Gewalt von der Straße weg in ihren Kreis zogen?
„Ich bin Ihnen erſt mal eine kurze Erklärung ſchuldig,“ nahm der Sohn wieder das Wort. „Vor allem das Geſtändnis, daß ich mich von meinem Irrtum überzeugt habe und daß nicht Sie e8 waren, ben ich in jener Gefellfchaft getroffen habe; aber das tut
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nichts mehr zur Sadje. Sie find es doc), deſſen Be- fanntfchaft ich fuchte; fo ift ſchon alles recht. Doch ih muß Shnen nun über meine Perfon Auffchlug geben, damit Sie wiſſen, mit wem Sie es eigentlich zu tun haben. Sch bin Kaufmann fehr wider meinen Willen, aber ich bin es nun einmal und finde mich damit ab. In meinen Mußeftunden aber fuche ich nach einem Ausgleich. Für die Mufik, fo fehr ich fie liebe, fehlt mir jede Begabung. Aber meine Bibliothef enthält eine Menge guter Bücher, die ich mir zur Belehrung und Unterhaltung nad) und nad angejchafft habe. Ein wenig befchäftige ich mich auch mit Naturwiffenfchaft, und ich habe allerlei Sammlungen, die Shnen viels leicht Teilnahme abnötigen. Aber das alles find tote Schäge, wenn man nicht jemanden hat, mit dem man fie genießen, dem man fie mitteilen kann. Unter den jungen Leuten meined Berufes, mit denen mid) die Berhältniffe zufammengeführt haben, ift Feiner, der meine Liebhaberei teilt, und ich bin num einmal für Bier, Sfat und Sport nicht geboren, das heißt Sport, wie er vereinsmäßig betrieben wird, Sch bin fein Vereinsmenſch und haffe alles Statuten- und Paragraphenwefen, ohne das ed vielleicht nicht abgehen fann. Für mich allein aber betreibe ich allerlei; ich bade und fchwimme, ich fegle und rudere, habe auch ein Feines Boot auf der Alfter — bin alſo durhaus Fein Stubenhoder und Phi- liſter.“
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Er hatte dad alles halblaut, ſich oft unterbrechend und befinnend, auf mich eingefprochen, und fah mid nın an, ald wollte er jagen: ‚Segt ift an bir bie Reihe.‘
Sc danfte ihm für fein Vertrauen und fagte ihm, daß ich mid; glücklich fhägen würde, wenn wir zus fammen harmonierten; denn ed ginge mir wie ihm: ich fühlte mid; gleichfalls allein, lebte nur mit meiner alten Mutter zufammen und entbehre, wie er, den Umgang mit einem gleichgeftimmten Freund,
„So laffen Sie ed und miteinander verfuchen,“ fagte er und hielt mir die Hand hin, in die ich ohne Beſinnen einfhlug Er führte mid nun in ein anderes Zimmer und zeigte mir feine Sammlungen. An den Wänden hingen zwei Eleinere Käften mit auf gefpießten Schmetterlingen; ein größerer, unter befjen Glas eine wahre Drgie von Farben leuchtete, ſtand auf einem Pult vor dem einen Fenfter, ein Aquarium vor dem anderen, etwas abfeit8 davon ein Terrarium. Alles aufs befte ausgeftattet und aufs reichſte be- völfert. Als ich näher treten wollte, hielt er mid. zurüd, Eine Schildfröte kroch langſam durchs Zimmer, und ich hätte fie beinahe getreten.
„Sie hätte ed zwar nicht gefühlt, aber fi doch erfchrocen,“ bemerkte er mit ernfter Miene; „fie ift übrigend ganz zahm.“ Er rief fie „Peter!*, worauf fie indes nicht zu hören fchien, fo daß er fie auf- nahm und auf fie einredete. Sie ftredte ihren
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langen Hals aus dem Panzer heraus und ſah ihn an, ald ob fie ihn vertünde, wobei fie langſam den feinen Kopf hin und her bewegte. Ploͤtzlich fegte er fie fchnel hin und rief: „Ah, da ift fie!“ Er flürzte in eine Ede des Zimmerd und fam mit einer Schlange zurüd, die fih ihm um den Arm ringelte und fich vergeblich bemühte, fich zu befreien. Sch trat unmillfürlicy einen Schritt zurüd.
„Keine Angft,“ beruhigte er mid. „Ich hab’ ihr die Giftzähne ausgebrochen. Sie ift mir geſtern ent- wifcht, und ich fuchte fie vergeblich.“
Er feste fie ind Terrarium zurüd, fchalt fie „Schlingel“ und „Augreißer” und ladıte, als fie ſich eiligft in eine Höhlung des Tropffteines —— „Verkriech dich nur! Schäm' dich!“
Er ſchien zu allem dieſem Wurmzeug ein perfün- liched Verhältnis zu haben. Molche und Salamans der lagen auf dem Stein und zwifchen den Scling- gewächfen, bewegten leife das zierlihe Schwänzchen und fchoben fich träge weiter. Er nannte mir Die Namen aller diefer Gefchöpfe, erzählte, wann und wo er fie gefangen und belehrte mid) dann gleichermeife vor dem Aquarium, wo allerlei Waffergetier ſich Durcheinander bewegte und in beftändiger Jagd auf- einander zu fein fchien. An einem Hafen in der Mähe ber Tür hing eine große, grüne Botanifters trommel, SKetfcher verfchiedener Größe fanden in einer Ede, und ich mwunderte mich nicht, nun aud
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noch einen Glaskaſten an der Wand zu gewahren, in bem ein audgeftopfter Pinguin in philofophifcher Be— fchaulichfeit faß und ausfah wie ein brütender Mönd).
„Man muß fic bejchränfen,“ fagte mein Freund, ald er bemerfte, daß ich nad; weiterem Gevögel Ums fhau hielt. „Sch intereffiere mich eigentlich nur noch für das Terrarium. Den Bogel habe ich übrigens ge» fhenft befommen, ich habe nie Vögel gefammelt. Sch mag das Tote, Ausgeftopfte nicht. Eine Ieben- dige Hede hätte ich freilich gern, aber da heißt es pflegen und aufpafien, und die Zeit reicht dazu nicht aus. Aber darf ich Shnen jest meine Bibliothef zeigen?“
Sc folgte ihm in ein drittes Zimmer, in dem ein großer Schreibtifch fand. Drei Regale an den Wän- den waren mit Büchern befegt, die alle einfach aber gediegen gebunden waren und wie nad) der Schnur in Reih und Glied ftanden; fachweife fchienen fie fogar yedantifch nad, der Größe geordnet zu fein. Schon in dem Zimmer, das feine Sammlung be herbergte, hatte ich eine peinliche Drdnung und Sauber- feit bemerft, die mir hier noch mehr auffiel. Auch ein Bli auf den Schreibtifch beftärfte mich in der Vermutung, daß er von einer gewifjen Pedanterie nicht frei war, wie fie Sammlern wohl eignet und nötig und nuͤtzlich ift.
Er führte mid; die Reihe feiner Bücher entlang, nahm hie und da ein Buch heraus und zeigte ed mir
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mit einer gewiffen Zärtlichkeit. Zu dieſen feinen Lieblingen gehörten jowohl Dantes Göttliche Komödie, als Kellerd Grüner Heinrich. Sein Gefchmad nötigte mir Reſpekt ab; neben Goethe und Schiller jtanden Scott und Dickens und ein paar franzöfifche Romane, neben Schloffers Weltgefchichte und Vilmars Fiteratur- geſchichte eine-ganze Reihe naturmwiffenichaftlicher und geographifcher Werke.
„Sie find Kaufmann?“ rief ich aus.
Er ſchien meine Verwunderung nicht gleich zu ver- ſtehen.
„Muß man denn als Kaufmann gerade ein Banauſe ſein?“ fragte er dann zurück.
Ich ſchämte mich und ſchwieg, und er führte mich wieder ins Wohnzimmer zurück, wo die alte Frau noch immer in der Sofaede ſaß und ſtrickte.
„un,“ fagte fie, „hat er Sihnen feine alten efligen Würmer und Schlangen gezeigt? Haben Sie aud) foviel übrig für die alten Dinger?“
„Mutter möchte fie am liebften alle vergiften,” fagte er. „Sie traut ſich nur nicht heran.“
Sie fchüttelte fih. „So ein Ffaltes, fchleimiges Wurmzeug! Aber mein Sohn geht ja ganz darin auf, und wo hat er das nur her? Sein Vater hatte einen rechten Abjcheu vor allen Würmern und Fröfchen. Nur Metten, da mußte er nichtd davon, die fonnte er ruhig anfaflen; er war nämlicd, ein leidenjchaftlicher Angler, müſſen Sie miffen.“
Salte 18. 273
„War Ihr Herr Vater auch Kaufmann?“ fragte ich ihn. |
„Beamter,“ antwortete er, und ich erflärte mir aus der Erbichaft diejed angelnden Beamten feine Borliebe für Aquarien und Terrarien und feine pe- bantifche Drdnungsliebe.
Meine Zeit war abgelaufen, und idy bat, mid) vers
abjchieden zu dürfen.
„Nicht wahr, Sie laſſen fich wieder fehen?“ Sc verjprad, ed, und die Mutter ſchien gleicherweije er- freut.
„Wollen Sie am Sonntag mit mir rudern?“ fragte er.
„Gern, aber ich bin jedes Wafjerfportes unfundig.“
„Ohne Sorge,“ fagte er, „Sie können fidy mir ruhig anvertrauen.“
Das war mein erjter Bejuch bei ihm und der Ans
fang unferer Freundfchaft.
» * *
Georg Seeberg war vier Sahre jünger ale ich, aber mir trog feiner Sugend in allem überlegen. Er war fchon ein Sahr in London gewefen und ein halbes drüben in Balparaifo. Er ſprach franzöftfch, englifch und ein wenig fpanifch. Außerdem befaß er eine gründliche Kenntnis der verfi chiedenartigften Handelsartikel, wußte von fremden Völkern und Sitten hübjch zu plaudern
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mährend ich dem nichts entgegenzufegen hatte ald meine trivialen Kleinftadterlebniffe. So war er der Gebende und id; der Empfangende. Sa, felbft auf literarifchem Gebiete zeigte er ſich belefener als ich, der ihm noch das befhämende Geftändnig machen mußte, daß ihm die fremden Literaturen wegen der mangelnden
Sprachkenntniſſe verfchloffen waren. Da er mid
nun auch nody im Rudern und Schwimmen meiiterte, fo hätte ich durchaus nicht gewußt, wie ich ihm im- ponieren follte, wenn ich nicht meine Mufif gehabt hätte. Das genügte ihm aber vollfommen, mid) zu bewundern; er fonnte ganz fill in feinem Stuhle figen und mir ftundenlang zuhören.
Spielte ich ihm nicht vor, ſo lafen wir zufammen. Er liebte Mörike und Geibel und hatte oft ein Bud) in der Tafche, wenn mir eine fonntägliche Boots—
‘ fahrt ind Alftertal hinein machten.
tagen wir zwifchen unferen jtillen Wiefen, mo ſich das klare Flüßchen in vielerlei Windungen durch das töylliiche Tal fchlängelte, zug er wohl Strümpfe und Stiefel aus, mwatete, den Ketfcher in der Hand, die Botanifiertrommel an der Seite, bis an die Knie
ins Wafler und fonnte ſich in jeder Weife einer
fnabenhaften Ungebundenheit überlaffen. Ohne irgend— einen Gefangenen blieb das grüne Verlies felten. Er hatte fcharfe Augen und erjpähte jedes Spinnlein und Käferlein, das fich für feine Glaskäſten eignete. Immer wußte er ed mit Namen zu benennen und
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mit ein paar Worten einen furzen Abriß feiner Ge- fchichte zu geben, welche Belehrungen freilich meifteng ‚an mir verfchwendet waren; denn ich hatte wohl ein offenes Auge für alle Erfcheinungen der Natur, ließ mir aber genügen, mich an Formen und Farben zu erfreuen, ohne nad Art und Namen zu fragen.
Er veritand meine Art fehr wohl und mar felbft der reinen äfthetifchen Luft an der Buntheit der Melt zugänglich. Ihn entzüdte des Himmels Bläue, des Fluffes Silberglanz, der Wieſen Grün ebenfo wie mid. Er genoß mit inniger Freude das Lied der Vögel und das Raufchen des Windes in Schilf und Laub. Und immer war er es, der zuerft Worte fand, während ich gern ftill blieb und meiner inneren Bewegung felten den Riegel öffnete.
Wir fchwärmten in ftilen Mondnädhten wie zwei Liebende, badeten zugleich in dem romantifchen Richt des Nachtgeftirnd und der fühlen, alle Sterne und unfere weißen Körper wibderfpiegelnden Flut. Wir verträumten halbe Nächte draußen und befchwichtigten die beforgten Mütter mit einem feurigen: „Ed war zu fchön heute!“
Sch pries mich glücklich, einen folchen Freund gefunden zu haben und danfte ihm. Er wies den Dank zurüd, Es fei Selbfthilfe gemefen, daß er mid) Damals angeredet, er wäre fonft in einem unglüdlichen, quälerifchen Zuftand verfommen. Er habe meiner bedurft, wie hätte er fonft wohl den Mut finden fünnen, mid
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anzufprechen.” Getäufchte Liebe, die Zreulofigfeit eined Mädchens und der gleichzeitige Tod eines Freundes hätten ihn in eine tiefe Melancholie geftürzt. Er wäre menfchenfcheu geworden, ja frank, wenn er ſich nicht gewaltfam aufgerafft hätte. Und was hätte ihn anders entjchädigen fünnen, ald eine neue und echte Freundfchaft?
„sch ging fuchen, nicht wie Saul, der einen Ejel fuchte und ein Königreich fand, fondern wie ein be- wußter Sronenfucher.“
„Und da dein Blick fi genügend an Spinnen und Käfern und dergleichen niederem Getier gefchärft hatte, glüdte es dir auch bei der sweibeinigen Ge⸗ ſellſchaft,“ verſetzte ich ſcherzend.
Er lachte und gab mir einen Klaps.
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in
Wie fchal und nichtig mußte mir das Leben er- fcheinen, das ich in der philiftröfen Enge der Klein: ftadt geführt hatte, wenn ich es mit der reichen, lebendigen Gegenwart verglih. Nur Marthas konnte id) rein und ohne Befhämung gedenfen. Um des einen Gerechten willen wollte Gott Sodom ver- ſchonen.
Ihre Briefe, die freilich in immer längeren Paufen eintrafen, verbanden mich noch mit dem Fleinen Städtchen da unten zwifchen Hügeln und Tannen. Aber ach, e8 war Krankenſtubenluft in diefen Briefen; fie Hagte nicht, eine wehmütige Refignation lang jedoch aus jeder Zeile, und was id; damals ſchon wußte, wurde mir doc) jest in der Ferne erſchreckend deutlich: daß fie mich geliebt hatte und noch liebte mit der ganzen Kraft ihres einfamen Herzens. Meine Mutter lad ihre Briefe mit einem gleich frommgeftimmten Gemüt. Dad Scidfal der armen Gelähmten mahnte fie an ihr toted Kind und ver- mehrte ihre Teilnahme. Martha verfäumte in feinem Briefe, die Mutter grüßen zu laffen, Gegengrüße antworteten ebenfo regelmäßig, und zulegt hatte meine Mutter fich hingefegt und ihr einen herzlichen Brief gefchrieben, worin fie nach ihrer befcheidenen Art noch einen Dank mochte einfließen laffen haben für alles, was Martha mir damald geweſen war; benn ed Fam alsbald ein Schreiben Marthas, worin fie
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jeden Danf zurücdwies und im ©egenteil ſich als die Danffchuldige hinftellte.
„Sie fchreiben mir VBerdienfte zu, liebe, verehrte Frau, die ich gewiß nicht habe. Was hätte ich arme, franfe Perfon Shrem Sohn fein fönnen? Mich dagegen hat er unendlich durch feine Güte beglüct und aufgerichtet. Ach, jeitdem er fortging, habe ich feine Muſik wieder gehört und muß nun von ber Erinnerung zehren. Mein armer Bruder rührt feine Geige nicht mehr an. Ihr Sohn fehlt auch ihm. Da läuft denn unfer Leben jehr jtil und einförmig hin, und alles, was und von draußen Freundliches ind Haus fommt, madıt und einen Feſttag. Dazu gehört, ja, es ift faft das einzige, ein Brief aus Ham- burg. Gott hat mich zur Genügfamfeit erzogen, aber der Wunfch, folche lieben Briefe wie den Ihren öfter zu empfangen, erfüllt mein Herz. Grüßen Sie Ihren Sohn von einer alten Freundin, die nod von jedem Ton zehrt, den er ihrer einfamen Seele gefchenft hat, und feien Sie, liebe, verehrte, gnädige Frau, taufendmal bedankt von Ihrer Martha Präs
torius.“
Acht Tage nach dieſem Brief kam von des Bruders Hand die Anzeige von ihrem Tode; ein Herzſchlag habe ihrem Dulderleben ein ſchnelles und fanftes Ende bereitet.
Wir waren tief erſchüttert. Prätorius erzählte von den legten Tagen der Schmwefter, wie fie fchwächer
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und fchwächer geworden und zulegt wie ein aus gebranntesd Ficht jäh verlofchen fei. Er glaube im Sinne der Berftorbenen zu handeln, wenn er mir das Feine Neue Teftament übergäbe, das immer in ihrer Hand gewefen wäre und defjen ich mich wohl noch entfinnen würde.
Das liebe Andenken fam, ich hielt ed gerührt in der Hand, und die Fleine, freundliche Kammer ftand wieder vor meinen Augen. Sch fah die blaße, feine Dulderin auf ihrem weißen Bette vor mir; ich hörte ihre fanfte Stimme und hörte die bewegten Worte des Bruders: ‚Sie hat Sie fehr geliebt, vergeflen Sie fie nicht.‘
Sch fchlug das heilige Büchlein auf, und es fielen
mir getrodnete Blumen entgegen. Ein Gefühl fagte
‚ mir, fie feien aus dem Geburtstagsftrauß, und ich legte fie mwunderfam bewegt wieder an ihre Stelle.
* * *
Georgs Beſitz mußte mich über den Verluſt des lieben Mädchens tröften. Hatte ich viel verloren, fo hatte ich da- gegen auch viel gemonnen, Ich hatte Die Freude, daß der Freund auch meiner Mutter fympathifch war, ja, fie ſprach fogar einmal den Gedanfen aus, er wäre ein Mann für die Schmwefter. Doch wollte ſich zwifchen diefen beiden ein herzliches Verhältnis nicht herftellen, wie denn Georg jeder Heirat abgeneigt zu fein fchien.
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Es hatte fich aber für meine Schweiter ein anderer Freier gefunden. Er war ein Freund meines Bru- ders, feines Zeichens Seemann und ein anfjehnlicher, frifcher Menſch mit dem Kapitänspatent in der Tafche.
Die Schwefter war über die erfte Jugend hinaus, in einer abhängigen Stellung, hübjch und liebeng- würdig, aber. zu bejcheiden, um ſich auffällig zu machen. Bon dem tadellofen Charafter und der . beiten Gefinnung des Freier hatte jie fichere Beweiſe fhon früher erhalten und feine vertrauenswürdige Art auch aus dem Munde des Bruders nur [oben hören. Er hatte in feinem fohönen und männlichen Berufe die höchite Staffel bereitd in jungen Sahren erſtiegen und bot ihr eine geadhtete Stellung und ein guted Ausfommen.
So hatten wir denn gegen Ende ded Sommers - eine Braut im Haufe, und Mutter und Tochter faßen fleißig über der Ausfteuer, die freilich nur eine be- fcheidene fein konnte. Im Herbſt war die Hochzeit, und das junge Paar verzog nad) Rotterdam, wo der Schwager in Sruppfche Dienftie trat. So war ich denn der einzige, der der Mutter blieb, und fie ſprach die Befürchtung aus, daß auch ich fie bald verlaffen fünnte. Sch tröftete fie, aber fie meinte: „Ach, einmal wirft du doch aud) heiraten.“
Nun warf denn freilic; meine Schweiter bald mit glücdatmenden Briefen ein gutes Gewicht für die Ehe
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in die Wagfchale, bis endlidy auch ein jubelnder Brief des Schwagers die Geburt eines Sohnes meldete. Als aber das Frühjahr wiederum nahte, famen ftatt der glücklichen Briefe der Schwefter forgenvolle Nachrichten ihres Manned. Die junge Mutter hatte fich eine heftige Erfältung zugezogen, lag krank und wollte fi nicht erholen. Kummervolle Briefe gingen hin und her und zulegt fam ein Telegramm an mid: „So— fort fommen, es geht zu Ende.“
Eine Stunde fpäter ſaß id im Schnellzug, die Mutter mit ihrem Schmerz allein zurüdlaffend.
In einem. dunklen, fenfterlofen Zimmer fand ich die Sterbende, fie lag in ihrem tiefen Wandbett; die lieben Augen waren gefchloffen, die abgemagerten Hände ruhten regungslos auf der Bettdede, nur ihre Bruft bob und ſenkte fich Frampfhaft.
Erfchüttert, mit gefalteten Händen ftand ich am Bettrand, da rang ſich von den blaffen Lippen ein Ruf fo qualvoller Sehnfucht, daß ich ihm nie ver- geffen fann: „So fomm dodh! So fomm doh!"
Salt er der Mutter? Galt er mir? Galt er dem Tode felbft?
Ich hatte die Hände vord Geftcht gefchlagen; als ich fie wieder fallen ließ, war alled vorbei. In fremder Erde betteten wir fie unter Rofen. Ein furzeg, lachendes Glüuͤck war für immer erloſchen. Am an deren Tage mußte der Schwager in See gehen, und von einem zerftörten Herd Fehrte ich zur Mutter zurück.
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A ca Ka ER
E8 war ein heiterer Frühlingstag, ald der Zug durch die endlofe Fläche der Lüneburger Heide eilte. Doch nie war fie mir fo trofilos, fo erdrüdend in ihrer Einfamfeit vorgefommen. Die weißen Birfen> ftämme leuchteten in der Sonne, die Gräben und Bäche bligten zwifchen dem dunflen Moorgrund auf, Bögel fliegen aus dem Kraut in die flimmernde Luft, eine friedliche Schafherde mit hüpfenden Lämmern grafte am Bahndamm entlang: ein Lichtes Frühlings- bild unter blauem Himmel, Aber fern vom fließen- den Horizonte her fam jemand durch das helle Bild gefchritten, wachfend, einen dunflen Schatten werfend: der Tod,
Wie eilig er es hatte. Er hielt Schritt mit dem haftenden Zuge. Ich fah in ein leeres, beinernes Geſicht. Konnten diefe fleifchlofen Kiefern lachen, diefe leeren Augenhöhlen fpöttifch blicken?
Gewaltſam riß ich mich los.
Und dann quälte mic, das gleichmäßige, ftoßende Geräufc der rollenden Wagen: ‚So fomm doch, jo fomm doch, fo fomm doc, fo fomm do!‘ Und immer wieder: ‚Sp fomm doch, fo fomm doc, fo fomm doc, fo fomm doch!‘
* * *
In den Sommerferien ging ich mit der armen, ſtillen Mutter in ein kleines billiges Seebad an der
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“Ar VE Ce 2 Mh ni mon ut E Fk
Dftfüfte Holfteind. Es war ein noch wenig befanntes Fifcherdorf, mit einem breiten, langgedehnten Strand fchönen, weißen Sandes, wie gefchaffen, befcheidene Badegäfte, die in ländlicher Stille und Abgefchieden- heit nur der Gefundheit leben wollen, anzuziehen und feftzuhalten.
Mir hatten das Glüd, ganz am Ende des Dorfes ein Häuschen zu finden, das mitten in einem großen Blumengarten lag. Der Befiger war feines Zeichens Gärtner, ein Beruf, für den es faum ein ungeeig- neteres Feld gab als diefes entlegene Dorf. Die Leute wußten denn auch nicht recht, wie er fich mit feiner kleinen, verwachſenen Frau durchbrachte, da er fich weder mit der Fifcherei befchäftigte, noch den drei Bauern des Dorfes bei ihrer Arbeit Half. Er baute einiges Gemüfe, pflegte feine Blumenbeete und fultivierte eine Fleine Baumfchule, für deren Zög- linge er immerhin einigen Abſatz hatte. Doc mochte das Ehepaar etwas Vermögen haben oder die Kunft verſtehen, fich bei geringem Einfommen mit ziemlichem Anftand nad, außen hin zu behaupten. Er fah mit einem vollen weißen Bart fehr würdig aus, hatte ein Fluges, nicht unfchönes Geſicht und ſprach ein gutes Hochdeutfchz fie, ein unanfehnliches, Fleines Geſchöpf mit eingefallener Brufi und jpigem Rücken, fhien ihm an Bildung jedody noch überlegen. Trotz ihres Gebreftes arbeitete fie mit pfeifendem Atem den ganzen Tag in Haus und Garten und hielt alles in
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fauberfter Ordnung. Dbmohl fie uns in leidlicher Harmonie zu leben fchienen, hörten wir doch bald, daß fie Feine beſonders glüdliche Ehe miteinander führen follten. Aber wir waren nicht gefommen, um ung um die Familienangelegenheiten fremder Leute zu befümmern, fondern wir wollten möglichſt un- geſtört nur ung felbit leben.
Der herrliche Strand, auf neugezimmerter Treppe über einen mäßig hohen Deich bequem in ein paar Minuten zu erreichen, bot den fchönften Aufenthalt für den ganzen Tag. Ich genoß zum erftenmal diefeg föftliche Ruhen im weichen Sande, während der Blick träumend über die endlofe Fläche des Meeres fchweift und dad Ohr nicht müde wird, dem beftändigen Raufchen der Wellen zu laufchen, die an den Strand eilen, ihm ihre weißen Schaumfronen als ein ſchimmerndes Gürtelgefchmeide zum Gefchent zu bringen.
Auch etwas Wald war in der Nähe, ven wir gern auffuchten, wobei die Mutter denn wohl vorzog, am trocdenen und fonnigen Rande zu verweilen, während ich allein in das feuchte und fühle Dunfel vordrang und der Harrenden ein Sträußchen Wald— himbeeren mit zurüdbradhte.
So lebten wir ſchöne, file Tage. Das Trauer: kleid der Mutter hielt die Neugierigen unter den wenigen Badegäften in wohltuender Ferne, und wir ‚erfreuten uns meiftend eines ungeftörten Alleinfeins.
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Hier hab’ ich Wald, hier hab’ ich See, Hier fcyreit Die Möwe, äugt das Reh, Und um mid, fchlägt zu jeder Zeit Den weichen Arm die Einfamkeit.
Wenn fie ihr fanftes Lied mir fingt,
Der Gram die fehwarzen Flügel fchwingt, Den Möwen nad) den Flug er Ienkt Und ſich ins tiefe Meer verfenkt.
Sp reimte ich, an der Seite der Mutter am Strande liegend; ich hätte ihr die Verſe gern gezeigt und fhämte mic, dann doc, es zu tun.
Eines Tages fam ich von einem Morgenfpaziergang
zurüd, den ich manchmal allein zu unternehmen pflegte. Das rote Gärtnerhäuschen erfchien mir nie fo idylliſch und reizvoll als an diefem Morgen, da ich durch das Fleine grüne Gitter in das farbige Neid der Blumen eintrat; fie funfelten im Tau und bie Bienen des Nachbard waren mit leifem Summen um ihre frühen Kelche befchäftigt. Aus dem Schorn- ftein flieg der erfte Herdrauch, und die Schwalben zwitfcherten um den Firſt. Danfbar empfand id, wieder das Glück, daß wir ein fo freundliches Unter: fommen gefunden hatten, fah fhon wie gewöhnlich die Blumen neben unferem Kaffee auf dem Tiſch ftehen und hörte im voraus das mütterliche Loblied auf unfere fleine, gefällige Wirtin. |
Wie erfchraf ich, ald die Mutter mir blaß ent» gegenfam und auf das beſtimmteſte verficherte, fie
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bliebe feinen Tag länger in diefem Haufe. Ihre Stimme zitterte, und in ihren Augen ſprach ſich foviel Abſcheu, ja Angit aus, daß ich annehmen mußte, etwas Schredliched habe fich ereignet.
„Was ift gefchehen?“ rief ich.
„Daß ich das jehen mußte! D, ed war jchredlich!
So roh! So ganz abſcheulich!“ Und unter bejtän-
digen Ausrufen des Abfcheus und des Ekels erzählte fie, daß der würdige Patriard; im weißen Bart die Feine, budlige Frau auf das rohefte mißhandelt habe. An den Schultern habe er fie gefaßt und fie gejchüttelt, daß jie wie leblos hin und her gefchlottert fei, und mit beiden Fäuften habe er auf ihrem armen Rüden herumgetrommelt. Alles habe die Ärmſte ſtumm über ſich ergehen Iaffen, bis er mit einem häßlichen Wort von ihr abgelaffen. Sie, die Mutter, habe um etwas Waffer bitten wollen, fei in die Küche gegangen und jei jo Zeuge dieſer ruchlofen Szene geworden.
„Alſo doch!“ rief ich aus. „Wer hätte das ge- dacht, jo ein weißbärtiger Heiliger! Sp haben Die Leute doch recht gehabt! Aber wie konnte ſie fi das gefallen laſſen?“
„Ad du!“
Das klang wie aus bitterſter Erfahrung heraus: ‚Bas weißt du von dem Martyrium einer Frau? Wie wenig haft du noch vom Leben fennen ge lernt!‘
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Das alles lag in diefem Ausruf und weckte einen böfen Verdacht in mir.
Ich bat die Mutter, doch fein Auffehen zu machen und alle noch einmal in Ruhe zu überlegen. Aber fie beftand darauf, dad Haus fogleich zu verlaffen und überließ es mir, die Angelegenheit zu ordnen.
Zum Glüc fand ich bei dem Lehrer ein geeignetes Unterfommen für und; die Mutter kehrte nicht wieder zu den Öärtnersleuten zurüd, und ich holte unjere Sachen und bezahlte unfere fchuldige Miete,
Drei Tage nach der rohen Szene war die Frau tot. Die Leute meinten, die Prügel allein wären wohl feine Schuld daran, denn fie hätte folche oft genug ohne Klage ertragen. Aber einmal hätte es ja fo fommen müffen; fo eine Handvoll Knochen, wie fie. gewejen wäre.
Als die Mutter unter ihren Sachen ein Fleines Tuch vermißte, ging ich am Tage nach dem Begräb- nis noch einmal in das Fleine, freundliche, blumen: umrahmte Häuschen zurüd, um danach zu fragen. Sch traf den Graufopf bei einer fonderbaren Be- fhäftigung. Er ſchien in den Schränfen und Kom— moden geframt zu haben. Die Scyiebladen waren alle offen und allerlei Zeug war überall heraus: geriffen oder lag auf den Fenfterbänfen und Stühlen umber. Er jelbft aber ftand mitten im Zimmer und fpielte mit einem leeren Portemonnaie Fangball; bes ftändig ein häßliches Schimpfwort wiederholen,
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warf er ed mit einem höhnifchen Lachen gegen die Dede des Zimmers, fing ed geſchickt wieder auf und war ganz verbiffen in dies törichte, rohe Treiben.
Es ſchien ihn indes wenig zu lören, daß ich ihn
dabei überrafchte.
„Univerfalerbe!” fagte er mit einem häßlichen
Lachen und zeigte mir das leere Portemonnaie.
Sch würdigte ihn feined Wortes, nahm das Tuch,
das ſchon bereitgelegen hatte, und verließ mit grenzen-
Iofem Abſcheu und faft fürperlichem Efel den rohen
Patron.
Die Mutter lebte dank einer heiteren alten Dame, die erft feit kurzem zugereift war, fichtlich auf, und ich Fonnte fie leicht überreden, einen Aufenthalt, der ihr fo gut zu befommen ſchien, noch um vierzehn Tage zu verlängern. Mich aber rief die Pflicht wieder zu meinen Schülerinnen.
* * *
Es war ein heißer Sommer, und wieder zwiſchen den glühenden Mauern der Stadt, ſehnte ich mich nach dem freien Lande und dem kühlen Seeſtrande zurück. Die einſamen Abende aber, die ich bei offe— nem Fenſter zubrachte, waren mir jetzt ſehr will- kommen, weil ich ungeſtört bis in die Nacht arbeiten konnte.
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An einem ſolchen Abend wurde ich noch fpät nad zehn Uhr durch die Türglocke aufgeitört. Verwundert über fo fpäten Befuch öffnete ich und fah im Halb— dunfel ded Treppenflurd einen jungen Mann in Kellnerjacfe ftehen und fah hinter ihm ein befanntes, aber lange nicht gefehenes, meinerhittes Se ” auf: tauchen.
„Diefer Herr beruft ſich auf Sie,“ nahm der Kellner das Wort. „Er hat bei und gegeffen und getrunfen und ift acht Mark fchuldig geworden.“
Er nannte ein Hotel in der Nähe des Lübecker Bahnhofes und fah fich nad) feinem Gaft um, ale wollte er von ihm die Beftätigung feiner Worte haben.
„Du bift wohl fo gut und bezahlt die Kleinig- keit,“ fagte der Vater. „Sch bin augenblidlich nicht bei Kaffe.“
Natürlich befriedigte ich den Kellner und gab ihm noch ein Zrinfgeld obendrein. |
„Iſt die Mutter zu Haufe?“ fragte mein un— erwarteter Beſuch, ſchien fid; aber aus der Ver— neinung diefer Frage nicht viel zu machen. „Dann fann ich wohl um fo leichter ein Nachtquartier hier finden?” meinte er.
„Woher fommft du?“ Sie ih, „und was heißt dad alles ?“
Er antwortete etwas, was ich nicht verftand und tch bemerfte, daß er ein wenig betrunfen war. Er
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begehrte zu effen, und id) konnte ihm Zee und Butter: brot vorfeßen, dem er troß jeines Hotelmahles mit wahrem Heißhunger zuſprach. Der Tee fhien ihn etwas zu ernüchtern, und ich erfuhr endlich nach und nad, was zu erfahren ich brannte.
Er hatte eine lirlaubsftunde, die ihm zu einem Ausgang gewährt worden war, zu einem Spazier- gang nad Hamburg benugt. Er hatte. zu Fuß eine ganze Nacht hindurch den weiten Weg auf der Landſtraße zurücgelegt und war, wie er fagte, den folgenden Tag herumgeirrt, ohne und in Hamburg finden zu fünnen. Im Chauffeegraben habe er in der Nacht mit einigen Strolchen gelegen; fie feien aber nicht bösartig gewefen, und hätten ihm aus ihren Flafchen zu trinken gegeben. Er führte zwifchen zus fammenhängenden Erzählungen fo viele fraufe, wirre Reden, daß ich zweifelte, ob ich ed mit einem ZTrunfenen oder mit einem Kranfen zu tun hätte. Seine Kleidung fah durchaus anftändig aus; er trug feinen alten Pelz, der freilich arg verfchoffen, aber heil war, hatte feine alte Pelzmütze auf, und erinnerte mic, völlig an früher, als er in eben diefem Kleide mit uns vor den Toren unferer Vaterftadt fpazieren ging und uns nad; Zjchoffes „Stunden der Andacht“ die Wunder der Welt und die Größe ded Schöpfers zu erklären ſich bemühte.
Ich war in einer fchreclichen Gemütsverfaffung. Mitleid und Abſcheu ftritten fich in mir; feine weißen
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Haare nötigten mir Ehrfurcht ab, und ich zwang midh, möglichft ruhig und harmlos zu erfcheinen.
Er tat, ald ob nicht Tage des Kummers und der Schande zwifchen und Tagen, feitdem wir ung zulebt gefehen hatten. Er fragte nach mancherlei, was id triebe, wie es der Mutter und den Gefchwiftern ginge und meinte: „So hört man doc mal wieder etwas voneinander.”
Mir aber tat das Herz weh. Seder Abfcheu ver: ging, und das reinfte Mitleid bewog mich, ihn gütig und mit findlichem Reſpekt zu behandeln. Er ſchien das zu empfinden, obwohl feine Worte das Gegenteil auszudrücken fchienen.
„Du hältjt mid; wohl für einen ganz fahlechten Kerl?“ fagte er.
Doc bevor J— konnte, ſchlug er ſchon eine zyniſche Lache an und erſchreckte mich mit dem Ausdruck grenzenloſeſter Menſchenverachtung. Dabei wanderten ſeine Augen im ganzen Zimmer hin und her, von Stück zu Stück, von Bild zu Bild. Suchte er ein Andenken an ſich, irgend etwas, was ihm ſagte, daß er hier nicht ganz vergeſſen ſei? Plötzlich ſtand er auf und wollte ſchlafen gehen. Ich wies ihn, nachdem ich ihn mit unſerer kleinen Wohnung be— kannt gemacht hatte, meine Kammer an und legte mich ſelbſt in das Bett der Mutter.
Zwei Stunden vielleicht hatte ich ſchlaflos gelegen, als ich ihn auf dem Korridor hörte. Er ging auf
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Soden, fchleichend. Ich hörte, wie er ſich von Zür zu Zür taftete, wie die Drüder fnarrten. Sekt war er an meiner Tür. Ich fah, wie der Drücker ſich leiſe, ganz leife ein paarmal bewegte.
Mit angehaltenem Atem faß ich aufrecht im Bett. Täuſchte mich meine erregte Phantaſie? Sollte ich ihn anrufen? Warum fprady er nicht, wenn er etwas wollte? Was trieb ihn durch alle Stuben?
Ein leifes Knarren und Murren draußen, fchleichende Schritte und alles war wieder ftill.
Sch fchlief Die ganze Nacht nicht. Sch fland früh auf, hörte, wie er in meinem Zimmer noch fräftig fhnarchte, und fing an das Frühftüc zu bereiten.
Während ich trank, hörte ich ihn rumoren, Er fam denn auch bald zum Vorjchein, gab mir die Hand und bot mir ganz vergnügt guten Morgen.
Kaum aber hatte er ſich vor feiner Kaffeetaffe nieder- gelafien, jo fagte er: „Es tut mir leid, mein Sunge. Aber um das Reifegeld muß ich Dich Doch noch bitten.“
„Natürlich, gern!“ rief ich aufatmend „Wann willft du denn reifen?“ |
Er nannte einen Zug, ber in furzer Zeit abging und bat mid, ihn an die Bahn zu bringen und bie Sahrfarte für ihn zu löfen; das wäre ihm Tieber, ala wenn id, ihm das Geld gäbe.
„Dein alter Vater weiß nicht redyt mehr mit Geld umzugehen,“ fagte er, „und damit dir ftehft, daß ich auch wirklich abfahre.“
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ik
Auf dem Weg nadı dem Bahnhof fpradı er ganz
vernünftig; beftellte mir Grüße für die Mutter und lud mich ein, ihn doch einmal in Lübeck zu be— fuchen. Mit der Munterfeit eines Mannes, der eine fleine Vergnügungsreife antritt, flieg er in den Wagen, lehnte fich zum offenen Fenfter hinaus und reichte mir zum Abſchied noch einmal die Hand.
„Adid, mein Sunge, ich danfe dir auch für Deine Freundlichkeit.”
Das waren feine legten Worte. Ein halbes Sahr fpäter war er tot. |
Als ich der Mutter von diefem Beſuch fo fcho- nend wie möglidy Mitteilung machte, erfchraf fie heftig.
„Welch ein Glück, daß ich nicht zu Haufe war!“ rief fie und fing heftig an zu weinen.
Und dann erfuhr ich die Gefchichte ihrer unglüd- lichen Ehe. Es war fo wie ich geargmwohnt hatte. Bon Kränfungen und Beleidigungen war er zu
Tätlichfeiten übergegangen, hatte fie, die Wehrlofe,
Schwache mißhandelt und der Verzweiflung nahe ge- bracht.
Sie hatte ihn früher geliebt als meinen leiblichen Vater und hatte ihrem Herzen Schweigen gebieten müſſen, weil er nicht in der Lage gewefen war, eine Familie zu ernähren. Als er dann einige Jahre nadı dem Tode des erften Mannes wieder um fie warb, hatte
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ERTDHR. H*
* x a re RR
— Adi N
. fie gehofft, an der Seite des Sugendgeliebten ein ſpätes Glück zu finden. Wie graufam war fie enttäufcht worden! Konnte fie ohne Zorn und Scham feiner gedenfen? Wohl weinte fie bei der Nachricht von feinem Tode, aber gefprochen hat fie nie wieder von ihm.
Nun fteht auch über feinem Grabe ein freundlicher Stern. Alle Schuld menfchlicher Schmachheit Töfcht der Tod, der große Berföhner. |
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IV
Es war, als ob das Schicfal nun fein Mütchen an und gefühlt hätte, denn es folgte eine lange Zeit ungeftörten Schaffens und langfamen Aufftieged auf der Staffel des Erfolges für mich und damit auch ein wenig Sonnenfchein für die Mutter,
Der Profeffor ſchenkte meinen Fähigkeiten Ber: trauen und erlaubte mir, ihn für fleine populäre Aufführungen als Mufifreferent zu vertreten. Er zahlte mir jedesmal fünf Marf, und da ed häufig genug vorfam, Fonnte ich mit Ddiefer Bereicherung meiner Börfe wohl zufrieden fein. Es handelte ſich freilich meiftend um ganz untergeordnete Veranftal- tungen, die einer Kritif nicht wert waren, aber doch auf Grund ihrer Annoncen einen kurzen Bericht ber anfpruchten und auch aus gefchäftlichen Rüdfichten ein jolches Mindeftmaß von Beachtung zugeflanden erhielten. Da faß ich denn nach getaner, anftrengen- der Arbeit oft noch in fpäter Abendftunde in irgend- einem Saal und Tieß irgendeine Mufif über mic ergehen.
Beliebt waren damals Zitherfonzerte, und es fpielten oft acht, zehn oder mehr Zithern ein anſpruchsvolles Programm herunter. Man denke fich ein Adagio von Beethoven, Webers „Aufforderung zum Tanz“ oder Wagnerd Tannhäufermarfh von zehn Zithern vorgetragen! Schlimmer war ed, wenn ein Fleines DOrcheiter ein Konzert mit nadjfolgendem Ball gab,
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Da faß ich denn manchmal in einem jchledht er- feuchteten und fchledyt geheisten Saal, deſſen Bänfe von faum einem Dutzend Perfonen befegt waren, und hörte unter innigftem Mitleid mit den armen Muft- fanten ihrem Streichen und Blafen ergeben zu, wäh— rend fi dad Publifum langjam um einige tanz- fuftige Paare. vermehrte; junge Leute der niederen Stände und Mädchen mit dünnen weißen Tanzfahnen, deren Anblid mich in dem Falten Saal noch mehr fröfteln machte. Hin und wieder hatte ich aber auch den Profeſſor bei Fünftlerifchen Beranitaltungen zu vertreten, wenn einmal in der Hochſaiſon fich zuviel auf einen Tag häufte oder Unpäßlichkeit ihn verhin- derte. Da faß ich dann mit gefpitten Ohren und dem Hochgefühl eines Eritifchen Merkers und freute mich auf die fchönen Perioden, die ich zu Haufe bauen wollte. Dft mußten die fchönen Perioden für den Mangel an Inhalt entfchädigen, denn fam es wirflich darauf an, etwas zu fagen, fo fühlte ich mit großer Befhämung meine Unzulänglichfeit und wagte mich weder mit Lob noch Tadel ordentlich heraus. Das war vielleicht mein größtes Verdienft und meine Rechtfertigung; denn eigentlich war es ein Unfug, daß ich Lernender zu Gericht fiten follte über auögereifte oder mir doch wenigſtens überlegene Künftler. Würden doc alle Kunftreporter des Tages fich mit einfachen Berichten begnügen, aber da flicht fie der Hafer, und fie fangen an zu fritifieren, und
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da man es ihnen nicht verweift und ihren größten Unfinn durchgehen läßt, faffen fie Mut, und bie Sache wird oft gar arg und gefährlid.
Lernte ich auch bei diefer untergeordneten Tätigfeit mancherlei, fo übte ich fie dody nur der Mot gehor- chend aus und hätte lieber meine ganze Zeit meinem eigentlichen Studium gewidmet, dad midy jest jcharf herannahm.
Da idy mit einiger Leichtigfeit in die Theorie meiner Kunft eindrang, wuchs die Freude daran mit dem Erreichten, und ich fah mich, woran ich vorher faum zu denfen gewagt hatte, mit einmal ald Kom— poniften. Als Frucht meiner Bachſtudien am Klavier war eine Reihe von Präludien, zwei- und breiftim- mige Inventionen im firengen Stil, entftanden, Die das Lob meines Profeffors erhielten und mit feiner Genehmigung und durch feine Vermittlung bei einem ihm befreundeten Mufifverleger als Opus erfchienen. Was fi darin ausſprach, war freilich nichts ale der Fleiß eines ftrebfamen Schülerd, der in einer forreften, fehlerlofen Arbeit nachweiſen fonnte, daß er feine Zeit gut angewandt hatte. Dennod war id nicht wenig ſtolz, als die erften geflochenen Sremplare meines Opusculums vor mir lagen, ſchön verziert mit der Widmung: „An meinen Xehrer,“ Auf deffen Rat brachte ich zweien der angefehenften Kritiker perfönlid, ein Eremplar und fand namentlich bei dem einen, e8 war Ludwig Meinardus, eine Tiebens-
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mwürdige Aufnahme; er brachte aud) nachher in feinem Dlatte eine freundliche, aufmunternde Kritif, die frei- lich betonte, daß die Fleinen Sachen fo ſehr „Bachiſch“ feien, daß man daraus auf eine fchöpferifche Begabung des jungen Komponiften noch nicht fohließen Fönne.
Das fpornte mich an, mich in freiem Stil auf eine eigene Weife zu verfuchen, und ich fchrieb Kleine, furze Klavierftücde, zu welchen ich mir die Themen auf dem Klavier zufammenphantafierte. Einige Korref: turen des Profeffors brachten auch fie zur Drudreife, und bald folgte dem Opus 1 ein Opus 2 unter dem Titel „Bagatellen für Klavier”.
Weniger wollte es mir mit Liedern gelingen; am leidlichſten glüdten mir die vierfiimmigen, bei denen die ſchwerere Satzweiſe mich zu firengerem Arbeiten zwang und dem Berjiande manches gelang. Was mir fehlte, war eben die Hauptfache: melodifche Ein- fälle. Es wollte in mir nicht fingen, und was ich hervorbrachte, war gemacht, erflügelt.
Dei folchen Arbeiten war die Zeit fchnell genug vergangen, und ich fah mich wieder um zwei Sahre älter, Ich war in mein drittes Jahrzehnt eingetreten und durfte wohl fragen, was ich denn nun erreicht hätte und wo ich im Leben ftände. Verglich ich mid mit anderen gleichalterigen jungen Leuten, fo meinte ih mich ſchänen zu müffen. Denn immer noch lebte id von der Hand in den Mund, ohne Ausficht auf wefentliche Befferung meiner Berhältniffe. Ich mußte
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mir fagen, daß ich einmal mit der Jugend und ber Lehrzeit abzufchließen habe, und da die Mutter aus öfonomifchen Gründen eifrig zuredete, fo nahm id) mir vor, mit Ende des Jahres die Stunden bei meinem Lehrer aufzugeben. So vor dem Abfchluß meiner Studien fiehend, raffte ich mich noch einmal gehörig zufammen und gönnte mir faum eine andere Erholung ale den Umgang mit Georg.
Soviel angewandte Energie mußte aber einmal zur Erfchöpfung führen. Es ftellten fich nervöfe Er- fcheinungen ein, die ich anfangs mit eifernem Willen zu unterdrücden verfichte,: die aber nicht weichen wollten. Es war eine Art Platangft, die mich im engen Straßen überfiel, fo daß ich jie nur paſſieren fonnte, indem ich mid dicht an den Häufern wie ein Trunfener hintaftete;, ich mußte fie fohließlich ganz meiden und mich zu Ummegen bequemen.
Als der Sommer fam, drangen daher die Mutter wie auch Georg darauf, daß ich die großen Ferien zu einem Erholungsaufenthalt an der See benutze, und zwar ohne die Mutter, um ganz mir und meinem Nuhebedürfnis leben zu konnen. Georg empfahl mir, ed einmal mit Borby zu verfuchen, mo Gelegenheit fei, mich an einen ihm befannten Hotelwirt auf das befte zu empfehlen. Sch ließ mich beftimmen und pacte, ald die Zeit da war, meinen Koffer.
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Überall an der Küfte entwicelten fich neue Bäbder, jedes Fiſcherdorf nahm Gäfte auf und rücte nad) furzer Zeit zum Range eines Bades auf; da mußten denn ältere Bäder, die nichtd Bedeutended in Die Wagſchale zu werfen hatten, einigen Nachteil ver- fpüren.
Sch fand in Borby das Hotel, das man mir vor- gefchlagen hatte, völlig leer, und in dem anderen, unmittelbar daneben gelegenen höchſtens fteben oder acht Säfte, und es fchien feine Ausſicht, daß in diefem Sahr für die Wirte an ein Gefchäft zu denken fei.
So bedauerlich das war, fo war ich’ doch Feines-
wegs unzufrieden; ich wurde als einziger Gaft mit größter Aufmerffamfeit bedient und hatte die An-
nehmlichfeit eines ruhigen Wohnens. Auch Die freundliche Promenade, die fich längs der Bucht hin- 309, war eigentlich nur Sonntags, wenn die Edern- förder hinauskamen, belebt, an anderen Tagen fonnten die wenigen Badegäfte fich zu jeder Tagesftunde dort ungeftört ergehen oder auf den fohattigen Bänfen der Ruhe genießen. Dan hatte einen fchönen Überblid über die große Bucht, die den Eindrud eines völlig geichlofjenen Landſees machte, Rechts lagerte fich Edernförde mit feinen Fleinen, roten Ziegeldächern hart ans Ufer, drüben zogen ſich die fchönften dunklen Waldungen hin, die ernſt herübergrüßten und zum Beſuch ihrer ftilen Heimlichkeit einluden. Für Ruder: und Segelboote war reichlich geſorgt, Fleinere See—
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Bee I 4 ST, IRRE SE N . sw u
ſchiffe kamen bi8 an die Stadt heran. Stets hatte
ich von der Terrafje meines Hotels aus ein hübſches Wafferbild vor mir, das troß feines idyllifchen Rah— mens doc; die Nähe der großen See ahnen ließ, auch wenn nicht der eigentümliche Geruch der am Ufer faulenden Algen ſich oft recht Fräftig bemerfbar ge- macht hätte,
‚ Meine Tage verliefen ziemlic) —— nach dem Morgenkaffee, den ich auf der von großen Linden überſchatteten Hotelterraſſe einnahm, ſchlenderte ich am Ufer hin bis zu einem Punkt, wo es ſich zur anſehnlichen Höhe über den Waſſerſpiegel erhob. Durch ein Wäldchen von Buchen- und Birkengeſtrüpp
ſchlängelte fich ein fchmaler Steig nad oben, wo
im Schatten dichteren Bufchwerf3 eine Bank fand, von der aus man dur ein grünes Guckloch die ganze Bırcht überfehen fonnte und doch heimlich und geborgen faß. Immittelbar hinter der Banf erhob ji eine Hürde, die eine hochgelegene Kuhfoppel ein- fchloß, von der her das rupfende Geräuſch grafender Rinder fam und den Frieden diefer Abgefchloffenheit mehr erhöhte als ftörte,
Georg hatte mir aus feiner Bibliothef einige Bücher |
mitgegeben, wovon mir vor allem zwei Bände Gott- fried Kellers willlommen waren; ich fannte noch wenig von ihm und war höchft begierig, mir biefen hochgeſchätzten Dichtersmann nad und nad ganz zu eigen zu machen.
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Sch hatte zuerft nad dem Sinngedicht gegriffen und freute mid; an Herrn Neinhardts Bemühungen, Logaus reizended Rezept zu erproben:
„Wie willft du weiße Lilien zu voten Roſen machen? Küß eine weiße Salathee; fie wird erröfend Tachen.“
Sp faß ich nun an jedem Morgen in meiner grünen und fühlen Geborgenheit und las mit heiterer Andacht. Weisheit und Humor des Dichters, feine reiche und reine Phantafie, die männliche Anmut feines Stild entzücten mich aufs höchſte, und ich war Georg dankbar, daß er mir gerade diefed Buch aufgenötigt hatte.
Einmal, ald ich fo faß und lag, brach eins der vierbeinigen Weidegefchöpfe durch die Hürde und wollte fih auf feine Weife wieder verjagen laffen. Es war eine Schöne, hellfarbige Kuh und mochte unter ihresgleichen wohl für eine Galathee gelten. Sch aber wußte mit einer folchen Schönen nichtd anzu- fangen, und da fie durchaus fich nicht abweiſen laffen wollte, fchlug ich ihr mit dem Buch fräftig auf die rofige Schnauze, worauf fie dann entfegt feitwärts durch die Büfche brach und ſich abwärts nad) dem Strande zu verlor. Sch aber vertiefte mich weiter in die reizendfte Lektüre und folgte Don Correa nad) der Weftfüfte von Afrifa, zur Fürftin von Angola; id; wunderte mich mit ihm über den lebenden Feld— ſtuhl der braunen Königin und betrachtete das fchöne
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Bildwerf, die ald Gefchenf zurückgelaffene kniende Sklavin, nicht ohne Neid auf den glücdlichen Admiral, der eine fo holde, wenn auch braune Menfchenblüte fchließlih nad vielen Prüfungen in feine Arme fchließen durfte.
Was Wunder, daß ih mich mandmal an bie Stelle des Herrn Reinhardt zu verfegen den Wunſch verfpürte und nun auch meine Augen auf die Suche nach weißen Lilien ausſchickte.
Im Nacbarhotel Iogierten einige junge Daiei; ih hatte fie an verfchiedenen Abenden fi im Saal beim Tanzen vergnügen fehen, war auch ein- mal in der offenen Tür ftehen geblieben und hatte ihnen länger zugefohaut. Sie konnten nun bis auf eine faum Anfpruch machen, für meiße Lilien zu gelten, und auch jene eine war eine fo ausgeſprochene Brünette, daß fie eher für eine Roſe anzufprechen war; nur ihr Wuchs war Iilienfchlanf und von biegfamer Anmut. Zu ihr nun fohmeiften meine Gedanfen mandmal über das aufgefchlagene Bud hinweg. Ich hatte fie freilich nur zweimal im Saal gefehen und vergeblich auf der Promenade nad) ihr ausgefchaut. Vielleicht war fie eine Edernförderin, die nur einmal auf einige Abendftunden nad; Borby hinausfpazierte, oder fie wußte ſich auf einfamen, mir unbefannten Wegen verborgen zu halten.
In den Ballfaal vorzudringen war ich zu uns gewandt und fchüchtern; da ich des Tanzens nicht
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oder doch nur ſehr wenig kundig war, hätte ich mich nicht ohne Befhämung unter die fröhlichen Paare der Walzenden mifchen können, und fo mußte ich feinen Weg, mich ihr zu nähern. Einmal traf ich fie in einer fpäten Dämmerfiunde mit zwei Freun- dinnen auf der Promenade, aber fie ſchickte ihre Augen auf das dunfle Waffer hinaus, und ich fah nur ein fchönes Profil, das fich ernft und abweifend von mir wegwandte. Und dann fah ich fie faft zwei Wochen lang nicht wieder, erfuhr aber inzwifchen von der Eriftenz einer anderen Galathee, deren Weiße auch Herrn Reinhardt zu feinem Erperiment verlocdt haben würde.
Sch hatte am Strande die Befanntfchaft eines jungen Fabrifarbeiter8 gemacht. Er befaß ein eignes Segelboot, dad er an Badegäfte vermietete, aber fehr oft auch chne foldye auf die Bucht hinausführte. Bei einer Reparatur feines Segeld befchäftigt, wobei ich ihm zufah, redete er mich an, indem er eine Bes merfung über dad Wetter machte. So wurden wir miteinander befannt, und er lud mid ein, eine Fahrt mit feinem Boot zu machen. Ich fagte ihm, daß id) mid; weder auf dad Nudern noch auf dad Segeln verftände, und er meinte, er wolle mir das Allein— fegeln auf dem unbefannten Waffer auch gar nicht raten, wenn ich aber mit ihm fommen wolle, wäre ich freundlichft eingeladen.
Nicht ohne Bedenken ftieg ich zu ihm ind Boot, aber er erwies fich als ein fo vorzüglicher Segler,
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daß ich ihm bald jedes Vertrauen fchenfte und mir für jeden Tag eine Segelfahrt jicherte, wofür eine billige Entfchädigung unter und vereinbart wurde. Bald Ternte ich, von Georg fchon ein wenig vor— gebildet, dad Steuer handhaben; dad weiße Segel blähte fich vor und im frifchen Wind, die blauen Wogen glitten unter und weg, und Tag für Tag ge: noß ich das glücliche Gefühl freien und ficheren Schwebend über Tod und Tiefe, während dad Leben in allen Pulfen fang und jubilierte.
Mein Bootömann bewohnte ein Fleined Haus an der Landitraße, die oberhalb Borbys hinlief und zu der ein paar fteile Straßen und Treppenwege am Ötrande hinführten. Das Häuschen lag etwas verfteckt hinter frummen Obftbäumen in einem feinen Garten. Ein Steg führte über den Chauffeegraben nad der Fleinen weißen Pforte, die, als ich das erftemal vorüberging, offen ftand und mir einen ungehinderten Einblick ge- währte. Das Gärtchen, meiltend Gemüfefultur, war fauber gehalten; ein paar Blumen leuchteten auf ſchmalen Nabatten, und in der Nähe des Hauſes fpielten ein paar Kinder, ein Knabe und ein Mädchen von drei und vier Jahren, blonde Krausköpfe mit frifchen Gefichtern. Gerade als ich hinblickte, Fam eine Frau aus dem Haufe und beugte fich zu den Kindern hinab und gab jedem einen Apfel, in den fie fogleich herzhaft hineinbiffen. Dabei Teuchtete mir dag Haar der Mutter wie eine Sonne entgegen.
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Es war ein fo feltenes Rot, daß ich unwillfürfich ftehen blieb.
Sch konnte auch nachher nicht wieder davon los— fommen, immer flammte bdiefed Rot vor mir auf. Wenn ich aufs Waſſer hinausfah, lag es plötzlich wie eine fchaufelnde Roſe auf den Wellen, wenn ich las, fchob es fich zwifchen Auge und Bud; und blen- dete mich, und unter den roten Flammen leuchtete eine blütenweiße Stirn auf. Noch unter dem Bann von Kellers Sinngedicht, fühlte ich mehr als einmal die Verfuhung, an dem Haufe vorüber zu gehen, um nadı der Bewohnerin augzufpähen.
Dennoch wäre ed wohl zu einem allmählichen Er— löfchen des roten Feuers gefommen, wenn nicht der rechtmäßige Beftter diefer weißen Galathee felbft die Glut neu heraufbefchworen hätte.
Er rief mir eined Tages im DVorübergehen zur Zerrafje hinauf, wo ich gerade meinen Nachmittagd- faffee tranf, er habe nach Feierabend noch fchnell einen Auftrag in der Stadt auszurichten, vielleicht ginge ich felbft zu feiner Frau und bäte mir den Bootsfchlüffel aus, fo würden wir feine Zeit ver- lieren. |
Da war alfo eine unauffällige Gelegenheit, das rote Haar wieder zu fehen.
E8 war ganz ftill um das Haus herum, als ich eine Stunde fpäter über den Sartenfteg in die offene Pforte trat, und ich hätte gemwünfcht, wieder die Kinder vor der
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Tür ſpielend anzutreffen. Aber ich wußte ſchon von ihm, daß ſie auf acht Tage bei der Großmutter in Mölten- ort bei Kiel ſeien. Die Levkojen auf den Nabatten dufteten flarf und füß, und eine große Hummel flog immer vor mir auf, von Blume zu Blume, bis fie auf der letzten zurüchlieb und mich allein in das Haus eintreten ließ.
Hier fam mir die Frau, die mich durch das Fenfter von bem Steg hatte herauffommen fehen, entgegen und fragte nur mit ein paar überrafchten Augen nach dem Anlaß meined Beſuches. Als ich gejagt hatte, um was ed ſich handelte, nötigte fie mich ins Zimmer und bat mich, Plas zu nehmen, obgleid; der Sclüffel unmittelbar neben der Tür am Pfoften hing. Aber fie war verlegen und glaubte wohl, mid, nicht jo kurz abfertigen zu Dürfen. Dabei jah es allerliebft aus, wie der rote Schimmer der Haare fich über ihr weißes Geſicht fortzupflanzen ſchien.
Ich ſah jest erft, wie hübfc; fie war. Sie war von Mittelgröße, ſchlank, mit runden, weichen Glie— dern; die bloßen Arme waren ein wenig gebräunter ald das Geſicht, das fie vielleicht gegen die Sonne zu fchüsen gewohnt war. immer wieder aber mußte ich auf ihr Haar fehen. Es war ein feuriged Gold, und man erwartete faft ein Kniftern zu hören; voll und leicht gefräufelt, war es hinten zu einem golde- . nen Knoten verfchlungen, der von einem Neb ge halten wurde. Sie bemerkte, daß ıch ihr Haar be-
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trachtete und errötete noch tiefer, lächelte dabei aber halb gefchmeichelt, halb wie ein verlegenes Kind.
„Was haben Sie für famofes Haar!" platte ich plump heraus.
„Gefällt es Ihnen?” fragte jie.
Sie hatte mir inzwifchen den Schlüffel eingehän- digt, den fie fchon eine Weile in der Hand gehalten hatte; er war warm von der Wärme ihres Blutes. Sie ftand dicht vor mir, und unfere Augen fanden fih in gleicher Höhe. Welch ein feuchtes, tiefes Blau fchillerte unter ihren weißen, am Rande ganz zart geröteten Lidern. Ihre Naſe war fchmalrüdig, mit feinen, nervöfen Flügeln, der Mund rot und friſch, und das runde, fefte Kinn ein wenig vor— gefchoben, wie man es oft bei energifchen Leuten findet. Das alles erhafchte ich gleichfam im Fluge mit den Augen, während fich das Ohr an ihrer vollen, aber etwas verfchleierten Stimme vergnügte.
Mein Bootsmann erwartete mid; fhon am Steg, als ich mit dem Schlüffel anfam, die Gedanken nod) vollauf mit feiner hübfchen Frau beſchäftigt. Ich flieg zu ihm ind Boot, und während wir uns laut und ladyend unterhielten, dachte ich immer wieder: ‚Wie fommt diefer Mann zu diefer Frau?‘ Wie häß— lich war er doch. Ein grauer, unreiner Teint, Die Heinen Augen von unbejtimmter Farbe, die ſchwarzen Haare dünn und fpießend, ebenfo der Bart unter der etwas fchiefen, Inorpeligen Nafe. Lachte er, fah
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man, daß ihm oben zwei Zähne fehlten, und er lachte ſehr viel.
Auf einmal tat er mir leid. Er war ein anftän- diger Kerl, und id) fohämte mid, vor ihm. Er war auch in feiner Art ganz gebildet, wußte in fommus nalen Angelegenheiten gut Befcheid und urteilte ver- ftändig und maßvoll.
Warum follte diefe Frau zu gut für ihn fein? Weil fie hübſch war? Vielleicht fanden andere fie gar nicht einmal hübſch, fanden ihre roten Haare häßlich; vielleicht wußte er felbft gar nicht, daß fie hübſch war.
Sch ſteuerte diesmal wiederholt falfh und er meinte verwundert: „Nun, wad haben Sie denn heute?“
„Weiß der Kuckuck,“ fagte ich, „bin ich denn närrifch 2“
„Nur immer aufpaffen, ed fann auch mal ein Unglüd geben.“
Ich nahm mich zufammen, aber er behielt dod) immer ein wacfames Auge auf mic und beendete die Fahrt früher als fonft.
‚Möchte er mich doch wieder nad; dem Schlüffel ſchicken, dachte ich am anderen Abend, wiegte mid) aber vergebens in folcher Hoffnung. Dafür ging ich jegt täglich die Landftraße hinauf hart an ihrem Häuschen vorbei, immer Iugend, ob ich nicht etwas von ihr erwifchen fünnte. Cinmal hörte ich ihre
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Stimme, einmal ſah ich ihren blauen Roc um das Haus verfchwinden.
Ich hatte feit Anna nad) feinem Mädchen gefehen; die Arbeit hatte mich ganz in Befchlag genommen, und Georgd Weiberfeindfchaft hatte das ihrige getan. Jetzt meldete fi), was fo lange gefchwiegen hatte.
„ie willſt du weiße Lilien zu roten Roſen machen? Küß eine weiße Galathee; fie wird errötend lachen.“
Sollte ich nicht dasſelbe Recht haben, dieſes Rezept auf ſeine Richtigkeit zu erproben, wie Herr Reinhardt?
* * *
Als ich eines Morgens wieder vor ihrem Hauſe ſpazieren ging, kam mir ein guter Gedanke. Ich wollte hineingehen und ihr ſagen, ſie möchte ihrem Mann beſtellen, daß ich am Abend nicht ſegeln würde. Das war gewiß unauffällig.
Ich machte ſofort entſchloſſen kehrt, ging über den Steg in den Garten und ſuchte ſchon mit den Blicken, ob ich fie wo entdecken könnte. Auf dem Hausflur war alles ftil. Ic klopfte an eine Stuben- tür, aber niemand rief herein. Sch öffnete und fah, daß niemand da war. So ging id) weiter durd)e Haus, entſchloſſen, ans Ziel zu fommen. Endlid fand ich fie in der Küche. Sie ftand mit dem Rücken gegen den Herd und fah träumend vor fi hin.
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Als fie mich gewahrte, fchraf fie heftig zufammen und eine Blutwelle überfloß fie; dabei öffnete fie den Mund wie zum Spredyen, blieb aber jtumm, während ihre großen, blauen Augen mich wie aus einer anderen Welt anftarrten.
„Hab' ich Sie erſchreckt?“ fragte ich, und meine Stimme zitterte. Sie legte die linfe Hand aufs Herz und atmete einmal tief,
„Sa, ja,“ fagte fie, „wie hab’ ich mich erfchroden.“
„Sch habe doch ‚Guten Tag!‘ gerufen und an— geflopft und habe in die Stube hineingegudt —“
„Sch habe Sie nicht gehört,“ unterbrach fie mid). „Mein Mann ift nicht zu Haufe,“
„Das weiß ich ja. Sch wollte auch nur bitten, daß Sie ihm fagen, daß ich heute abend nicht fegeln würde.”
„Nicht?“ fagte fir „Es ift wohl zu windig heute?"
„Windig?“ rief ich. „Es ift faft windftill draußen.“
„Sa, es ift auch wohl fein Wind,“ meinte jie dann. „Sr kann ja aber noch fommen.”
Sie war ein paar Schritte näher getreten und wicelte mechanifch die Schürze um ihre bloßen Arme, Es fah aus, als fröre fie.
„Es ift fehr heiß heute,“ fagte ich und fühlte, wie mir der Gaumen troden war und die Zunge Flebte.
„Sch bringe Ihnen ein Glas Milch,“ fagte fie raſch, wie erloft.
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„Waffer genügt,“ antwortete ich.
„Nein, ich habe friſche Milch, und ganz kühl —“
Sie ging in die Kammer und fam mit einem Topf Milch zurüd.
„Wollen Sie nicht in die Stube gehen?” lud fie ein, |
„Danke, danke, ich trinfe gleich hier,“ wehrte ich ab.
Ihre Hand zitterte, als fie mir die Milch reichte, und die meine war beim Nehmen nicht ruhiger.
Ich leerte haftig das Glas und dadıte: ‚Wie
dumm, hätteft du es doch langfamer getrunfen.‘
Sie wollte mir noch einmal einfchenfen, und id ließ es gejchehen.
Während ich wieder trank, diesmal fehluckweife, jagte fie: „Sie gehen jest wohl öfter fpazieren? Sch fehe fie immer hier vorbeigehen.“
Sch ſah auf und jah, wie ihr Blick zur Seite irrte. Sie hatte mich alfo gefehen, hatte mich beobachtet? Vielleicht hatte fie gar auf mich gewartet.
„Ja,“ erwiderte ich, „haben Sie mich gefehen?“
Ich gab ihr das leere Glas zurück und unfere Hände berührten fich.
„sh muß immer Ihre Haare bewundern,“ fagte ih. „Sc habe immer an Ihre Haare gedacht, alle Tage. Wie fann man nur folhe Haare haben?"
„Nicht wahr, fie find gar zu rot?“
„Herrlich find fie! Ganz herrlich!” rief ich, griff nad) ihrer Hand und zog fie ins hellere Licht.
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„Wie das flammt und leuchtet, der reine Feuers wald? Sft Ihr Mann nidyt auch ganz entzücdt von Ihren Haaren?“
„Ad; der!“ fagte fie leichthin, „der nimmt mid) fchon, wie ih bin!“
Wir ftanden in der offenen Tür, die feitwärte nady dem Garten hinausführte,;, ein paar Hühner fharrten auf dem Weg, und eine fremde Kate faß auf dem Zaun und fah ihnen mit grünfchillernden Augen zu.
„Kuſch!“ rief fie und hob den Arm. Die Hühner flatterten auseinander, und bie Kaße verfchwand mit einem Sag.
„Eben fnifterte Ihr Haar ordentlich,“ fagte ich und fuhr fe, wenn auch leicht, mit der flachen Hand über die Spigen ihrer roten Haare.
Sie hielt ganz ftil und fühlte mit der eigenen Hand noch einmal nad).
- Plöglid; aber wandte fie fidy um,
„Der Keffel kocht über!“ rief fie und eilte in die Küche zurüd. Sch folgte ihr jedod, und fah fie ratlos am Herd ftehen.
„Es ift nichts, ich verhörte mich,“ fagte fie.
Ich drohte ihr mit dem Finger, und fie lächelte.
Da fah ich auf einmal, daß id) gemonnened Spiel hatte,
„Warte du!” rief ich und trat einen Schritt auf fie zu. - Sie hob die Arme wie zur Abwehr, duldete
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aber, daß ich fie bei beiden Handgelenken faßte und ihr heiß in die Augen fah.
„Laffen Sie mich,“ fagte fie leife, wandte aber dann den Kopf wie mutlos beifeite. Da riß ich fie an mich.
„So laff’ idy dich, fo, und fo!“ rief ich und Füßte fie, wohin es traf, ihre Stirn, ihre Haare, ihre feine weiche Wange und zulegt ihren Mund, den fie mir ließ, mit dem fie fic, feftfog an meinen Lippen, gierig, durftig, wie der halbverfchmachtete Wüftenwanderer nad) langem, qualvollem Marſch am Duell brennen den Mundes das belebende Naß direft aus der Hand der Natur fchlürft, mit gefchloffenen Augen und feuchender Bruft. |
Endlich Töften wir uns aus folder Umarmung, fie fanf auf den Kerd zurüd, ſchlug die Hände vors Gefiht und faß ganz ftumm da,
„Du! Du!“ rief id und zog ihr die Hände weg. Ich erwartete Tränen zu fehen, aber ihre Augen waren nur feuchtfchimmernd, und ein ganz fonderbarer Ausdrud von Befriedigung, von Freude war auf ihrem weißen Geficht.
„Gehen Sie, gehen Sie jest!“ fagte fie und fchob “mid hart von fi. „Aber kommen Sie nie wieder!”
Ich wollte fie nod) einmal füffen, aber fie fah mid) fo an, daß idy davon abließ.
„Sehen Sie!“ wiederholte fie noch einmal, faft heftig.
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Da ging ich, lief faft den fchmalen Steig herunter, fchraf zufammen, ald meine Schritte dumpf über den hohlen Steg fchallten und war wieder auf der Land— ſtraße in greller Sonne, die mid, blendete,
Ich lief eine Stunde auf der Landftraße hin, in brütender Hitze. Landein über den flimmernden Feldern türmte fich Gewölk. Auf einer hohen Koppel wölbten ſich mächtige Eichenfronen. Sch Eletterte dahin über harte Erdfchollen. Die Eichen ftanden ganz reglog, fein Blatt rührte fich, aber ihr Schatten war breit und fühl und gut. Sch legte mid) auf den Boden, der ftellenweife mit trodenem Moos über- zogen war, und fah in den hohen Wipfelbogen hinauf. Hier und da faß in einem Laublöchlein ein Stüd leuchtenden Himmels, wie ein blaues Sirchenfeniter. Ich fchloß die Augen, und das rote Feuer. ihrer Haare leuchtete vor meinen Blicken auf. Sch rief mir ihre Küffe zurüd und vermeinte, fie wieder auf meinen
Lippen brennen zu fühlen. Shr weißes Geficht, ihre
feften, kleinen Hände, die gebräunten Arme, alles ffand vor mir und wollte mich nicht verlaffen. Die blauen Himmelsaugen, die durch das grüne Dad herunterjahen, waren fo jchön nicht, wie ihre Augen, als fie mich anflehten: „Gehen Sie jest, gehen: Sie!“
Ein Peitfchenfnall von der Landftraße her ſchreckte mich auf, und zugleich rollte ein leifer Donner übers Feld.
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Im Hotel hatte man ſchon auf mich gewartet, ald ich erhigt und ohne Appetit anfam. Sch faß ganz allein auf der Zerraffe und löffelte unluftig meine Suppe.
„Heiß heute,“ fagte der Kellner, als er den Braten brachte.
„Es wird ein Gewitter geben,“ fagte ich.
„Glaub's Faum,“ meinte er, „es wird fid) verziehen.“
Er behielt recht; es fam ein bißchen Wind auf, verftärfte fich allmählich und abends hatten wir die fchönfte Brife.
Als ich längs der Promenade ging, war mein Bootsmann bei feinem Fahrzeug, grüßte mich erfreut und rief lachend: „Wo bleiben Sie denn?“
Sollte fie ihm nichts gefagt haben? Hatte fie es vergeffen? Dover hatte fie ihm abfichtlidy meinen Be- ſuch verfchwiegen, um ihn nicht argmöhnifch zu machen?
Sollte idy nun doch noch fegeln?
Aber ich Fonnte heute nicht zufammen mit ihm im Boot figen. Ich fagte, daß ich Kopfichmerzen hätte und nicht fahren möchte.
„E38 war aber aud; fehr heiß heute,“ erwiderte er. „Meine Frau flagt auch über Kopffchmerzen. Sie hat fich ind Bett gelegt.- Gut, daß die Kinder nicht da find, da kann fie es fich bequem machen.“
„Das ift recht,” fagte ich automatifch, ſah ihm noch einen Augenblid zu, wie er das Boot wieder feit- machte, und dachte: Er follte lieber fegeln. Warım mill er nicht alfeine fegeln? Nun geht er zur Frau
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und fommt doch noch dahinter, woher fie ihre Kopf: fchmerzen hat.
Er jchien aber nicht dahintergefommen zu fein, denn er ftellte fi am anderen Tag wieder ein. Diesmal konnte ich mic; mit Briefen entfchuldigen. Georg hatte angefragt, warum id; denn gegen alle Abmachungen gar nicht von mir hören ließe, und ich wollte ihm gleich antworten.
„Fahren Sie morgen aud nicht? Wenn ich es vorher weiß, fann id; mir den Weg fparen,“ fagte er etwas übellaunig.
„Nun ja, alfo morgen,“ vertröftete ich ihn. „Über: morgen muß ich ſowieſo abreifen.“
„Wie fchade,“ meinte er bedauternd.
Als ih am nächſten Tag wieder neben ihm im Boot faß, pricelte ed mich, und ich foftete das Gefühl der Überlegenheit, da8 mein Geheimnis mir über ihn gab, mit einem feltfamen Wohlbehagen aus. Ja ich fragte nach feiner Frau, nach den Kindern, immer bis an die Grenze gehend, über die. hinaus ich * ihm verdächtig gemacht hätte.
„Was er wohl tun würde, wenn er ed wüßte?‘ —— ich mir ernſthaft. „Vielleicht wirft er dich über Bord, erſäuft dich wie eine Kate.‘
Oho! So Leicht follte ihm das nicht werden.
Ich malte mir einen ganzen Roman aus, während ich ihn unausgeſetzt beobachtete und das gleichgültigfte Zeug durcheinanderfcwaste.
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Wie er mit den Segeln umzugehen wußte! Was für Kraft er hatte, trog jeiner Schmächtigkeit!
Das Wetter war nicht fchön, der Wind. fprang um, und ein paar NRegenböen gingen über der Bucht nieder. Wir mußten gegen den Wind freuzen und waren lange unterwegs. Ich hatte mir vorgenommen, in der Waldfchenfe noch einmal den Nobeln zu fpielen, und fo legten wir, obfchon es fpät war, dad Boot doch noch drüben feit.
Er war ſchweigſamer als fonft, fagte, wie leid es ihm täte, daß ich nun wieder abreifen müßte und wie jchön doch unfere Segelfahrten geweſen jeien. Seine Frau hätte meinen Weggang aud,; bedauert, e8 jet doch immer ein Schilling in die Wirtichaft gewejen.
Hatte fie das gejagt?
„Srüßen Sie Ihre Frau von mir!“
„sch joll Sie aud) noch grüßen,“ erwiderte er nicht ohne Verlegenheit, als empfände er diefen Gruß feiner Frau als unziemlich.
Danke! Danke!“ ſagte ih. „Eine kleine hübſche Frau haben Sie.“
Er lachte geſchmeichelt.
„Geht ja wohl immer noch an. Wenn ſie nur tüchtig in der Wirtſchaft iſt und für die Kinder ſorgt. Schönheit vergeht.“
„Auf Ihre Frau!“ ſagte ich und ſtieß mit ihm an.
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Sch hatte dad Glas bis zur Meige geleert und
wollte ein frifches beftellen, ald große Negentropfen auf unfern Tiſch ftelen.
Er fah fich den Himmel an und meinte bedenklich: „Da müffen wir wohl machen, daß wir nady Haufe fahren.”
Sp brachen wir eilends auf und famen im ſchoͤn⸗
ſten Regen wieder bei unſerem Boote an. Gerade waren wir fertig zum Abſtoßen, als ein junges Mäd— chen in hellem Kleid und weißem Strohhut haftig aus dem Wald gelaufen fam. Sie wollte offenbar mit dem Fleinen Motorboot, das zwifchen der Stadt und hier verfehrte, das aber eben feine legte Heim— fahrt angetreten hatte; ratlos ſtand fie in ihrem leichten Kleide im firömenden Regen da.
Ich hatte fogleich meine dunfle Galathee aus dem Tanzſaal erfannt.
„Wollen Sie mit uns fahren?“ rief ich ihr zu, in» dem ich eine einladende Handbewegung machte.
„Danke,“ fagte fie kurz entfchloffen., „Wenn Sie Platz haben? Diefer fohrecliche Regen!“ Sie kam ſchnell heran, und id) reichte ihr die Hand und half ihr beim KHinüberfteigen. Schlanf und bieg- fam balancierte fie einen Augenblic® auf dem ſchwan— fenden Bootsrand, indem fie meine Hand mit langen, fchlanfen Fingern feft umklammerte. Dann fprang fie gewandt ind Boot und ließ ſich einen Platz ans mweifen. Wir hatten feine fo ſchnelle Rücfahrt, wie
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wir erwartet hatten, denn der Wind war abermals umgefprungen. Stumm jaßen wir beieinander, und während wir auf unferen Kurs achteten, fah lie, in fidy zufammengefauert, auf das regengepeitfchte, graue Waſſer hinaus. Sie mußte ſich bei diefer Näffe in ihrem leichten Sommerfleid eine Erfältung zuziehen, und ich warf ihr meinen Mantel um die Schulter, obwohl fie abwehrte. Inzwiſchen hatte ich Zeit, fie zu betrachten. Ein ſchmales, ausdrudsvolles Geficht. von Elfenbeinfarbe. Hochgemwölbte, ſcharfgezeichnete ſchwarze Brauen, lange, dunfle Wimpern und graue, ftille Augen darunter. Den Mund, der mir ein wenig zu groß jchien, ‚ hielt fie feft gefchloffen, was ihr einen herben Zug gab.
‚Ganz anziehend!‘ dadıte id. ‚Wie alt mag fie wohl fein?‘ Eine heftige Bö, die über das aufgeregte Waſſer fegte und und die Wellen über Bord warf, legte das Boot beinahe auf die Seite.
„Steuer!“ rief mein Bootsmann warnend. Sch packte zu und hielt meine Gedanfen beifammen.
Als wir anlangten, waren wir alle gründlich durdy- näßt. Das Mädchen wollte mir den Mantel zurüd- geben, aber ich wehrte ab: „Eilen Sie nur ins Hotel, ich laffe ihn holen.“ Sie fprang leicht ans Ufer und lief, fo ſchnell ihre Füße fie trugen, durch die naffen Anlagen dem Haufe zu. Ich half meinem Gefellen beim Vertauen des Booted, gab ihm das doppelte Fahrgeld, das er dankbar annahm, und verabfchiedete mich fchnell von ihm.
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Ich war kaum im Hotel, ald ein Zimmermädchen
von nebenan mir auch fchon meinen Mantel zurüdz brachte; er war ganz durdnäßt, und id gab ihn
in die Küche zum Trodnen, Am anderen Morgen in ber Frühe reifte ich 2
Der Wagen, der mid; an den Bahnhof brachte, fuhr
mich an der Fabrif vorbei, in der mein Bootsmann arbeitete.. Dichter Rauch ftieg aus den hohen Schloten, und aus den Werfftätten klang ein Hämmern und Feilen; ich fah Feuer glühen und ſchwarze Geftalten fi) hin und her bewegen. |
Ob oben in dem Heinen Häuschen an ber Land- firaße jest vielleicht ein Rotfopf am Herde ftand und in die Flammen fah? Elske Garften, du wirft meine Küffe nicht vergeffen, und ich nicht deine.
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V Jedermann war erftaunt, wie wohl ich ausfah, ges bräunt wie ein Seemann. | „Sch lag auch den ganzen Tag auf dem Waffer,“ erklärte ih. Die Mutter ängftigte ſich nachträglich
und meinte, ob das nicht auch gefährlich gewesen fei,
und dann ſchalt fie mich, daß ich fo wenig gefchrieben hatte. |
„Was follte ich ſchreiben?“ entfchuldigte ich mid. „Ein Tag war wie der andere, und daß es mir gut
ging, haben ja meine Poftfarten gemeldet; vier Stüd,
bedenke, jede Woche.“
„Run, fo erzähle wenigftens,” rief fie. „Irgend etwas wirjt du doch erlebt haben?“ Und fie begann mich auszufragen.
Da erzählte id; denn, was zu erzählen war, nur über Elöfe Garften fchwieg id; mich aus. Wie hätte
Aid das auch der Mutter beichten fönnen? Sie hätte
mich nicht verftanden, und vor ihrer reinen Seele wäre ich wie ein Sünder gemefen. Georg wiederholte feine Vorwürfe, ich hätte ihn
nur mit Karten abgefpeift, und fragte nach meinem
Zagebuche, dad er mir zu führen anempfohlen hatte. „Du mit deinem Tagebuch!“ rief ich ärgerlich. „Das ift etwas für Backfiſche! Sch hab’ es ehrlich verſucht und ein paar Eintragungen gemacht, aber dann war’d mir zuwider. Immer mich felbit beob— achten und ausfragen, das halte ich nicht aus.“
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Übrigens hatte ich das Tagebuch vergeblich in meinem Koffer gefucht. Sch mußte es verloren haben. Einer Eintragung wegen, die Elske betraf, war mir das freilich ärgerlich, höchſt ärgerlich, im übrigen lag mir wenig an dem Berluft. Hätte man ed im Hotel gefunden, fo hätte man mir ed nadhgefchickt, wenn nidjt dad Zimmermädchen es ſich angeeignet. Mochte e3 fi daran erfreuen und ed mit weiteren Eintragungen füllen. Das Tagebuch eined Zimmermädchens, das wäre gewiß Iuftig zu lefen.
„Haft du gar nicht ein bißchen erlebt?“ fragte Georg. „Warft du in Miffunde? Haft bu bie Schanzen beſucht?“
Er konnte nicht begreifen, daß mich das nicht ge— reizt hatte, und um ihm zu zeigen, daß ich Befferes, Wichtigered zu tun gehabt hatte, erzählte ih ihm mein Abenteuer mit Elske Garften.
„Dad finde ich gemein!” rief er entrüftet.
„Bitte, mäßige dich,” ſagte ich mit einer großen Gebärde.
„Wie würdeſt du es denn nennen, wenn ich dir erzählte, daß ich Tag für Tag mit einem freundlichen, dienſtwilligen Mann, der noch obendrein ſozial unter mir ſteht, in feinem Segelboot mid) amüſiere und hinter feinem Ruücken hingehe —“
„Erlaube,“ unterbrach ich ihn. „Sp gehen nun folche Sachen doch nicht vor ſich. Ich habe es nicht gefucht, es fam von felbft, überftel mich, überfiel ung,
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denn fie war ebenfo ohnmächtig Dagegen wie ich. Du vergißt, daß Leidenſchaft nicht rechnet noch wägt.“
„Nun, das find deine Sachen,“ fagte er. „Haft du deiner Mutter davon erzählt?”
„Natürlicy nicht, welche Frage!“
„Siehft du,“ triumphierte er.
Er wollte mich nicht verſtehen. Sch ärgerte mich und ging verfiimmt nad) Haufe. ‚Er ift doch ein rechter Philifter,‘ dachte ih. ‚Ein guter Kerl, aber ein Pedant. Schon die Iagebuchmarotte und das Abflappern der fogenannten bhiftorifchen Stätten. Aber das hat er von feinem Botanifieren her. Immer Staubfäden zählen, beftimmen und preffen, bis alles Lebendige heraus ift und man etwas für die Mappe hat. Sp ein Herbariummenfdh !‘
Aber recht hatte er dody, wenn ich auch taufend fhöne Worte fand, mein Gemiffen zu befchwidh- tigen. — —
„Darf ich eintreten, oder verfehrit du nicht mehr mit moralifdy fo tief gefunfenen Leuten?” fragte ich, als ic, eine Woche darauf wieder bei Georg anflopfte.
Er lachte und fagte: „Komm nur; wenn du zu bejjern bift, fo ift in meiner Gefellfhaft noch die meifte Ausficht dafür.“
„Du fühlft did ald Schlangenbändiger?“
„Und Zeufelaustreiber!” feste er hinzu.
„Du meinft den Rotkopf?“
„Den Rotkopf? Denkſt du immer noch an den?“
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„Die Haare allein! Solche Haare vergißt man im Leben nicht wieder.” |
„Verrückt, fih in Haare zu verlieben!“ meinte er.
„Berlieben!“ rief ich. „Verlieben! Das ift ed nicht. Man fieht fie eben vor fich, immer vor ſich, wird fie nicht los. Wie eine Melodie, die ung im Ohre liegt und uns bis zum Wahnfinn quälen fann. So ein flammendes, geradezu fprühendes Rot! Und. dann die weiße Stirn darunter Als ob die Sonne über einem Schneefeld verblutet.”
„Saul, du rafeft!“ unterbrach er mich lachend. „Komm, feß’ dich lieber and Klavier und fpiele etwas.“
Aber ich faß fhon und rafte ein paar Läufe auf und ab, während er mir Chopin aufs Pult legte. Sch fpielte die A-Mol-Mazurfa und dann bie Cis— Mol: Polonaife. Er hörte ganz ftill zu und rief zum Schluffe: „Sp haft du noch nie gefpielt!“
„Das kommt von den roten Haaren, du Philiſter, Inurrte ich. „Meint ihr denn, wir trügen immer eine gefalzene Begeifterung mit und herum? Wir müffen auch einmal für frifche Feuerung forgen.“
„Neulich nach dem Hummerfalat haft du ebenfo jchön gefpielt,“ fagte er troden.
„Der war audy delifat, Menſch, danach mußte man auch fchön fpielen !“
Er ftieß mir die Kauft in den Rüden; er verftand mich aber ganz gut.
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Zwei Tage nachher, ed war an einem Sonntag» morgen, faß ich am Schreibtifch über einer Stormfchen Novelle, als die Mutter mir Beſuch anmeldete; es fei eine junge Dame, die fie nicht fenne. Sch bat, fie herein zu führen, und war überrafcht, meine ſchlanke Galathee aus Borby vor mir zu ſehen.
Sie war ein wenig verlegen, bat um Entfchuldis gung, daß fie mich jtöre, aber fie habe einen Fund, den fie eigentlich unterjchlagen habe, perſönlich in meine Hände legen und ſich Verzeihung erbitten wollen, daß das erjt jegt gefchehe. Sie überreichte mir ein in Papier gefchlagenes Buch, das ih am Format fofort als mein vermißtes Tagebuch er- kannte.
Meine fragenden Blide veranlaßten fie, ſogleich mit der Aufklärung heraugzufommen, Nachdem fie da> mald meinen Mantel ind Hotel zurüdgeichidt, habe je am anderen Morgen dad Bud, auf dem Teppich ihre Zimmers gefunden, fich fogleich gelagt, daß es aus der Taſche meines Kleidungsitüdes herausgefallen fei und habe neugierig, „wie wir Frauen nun ein- mal jind“, ſich nicht enthalten fünnen, einen Blid hineinzumwerfen. Sie habe fofort gefehen, daß es ein Zagebud) fei, und obwohl fie Berlangen geipürt, e8 zu leſen, habe fie ſich doch fofort aufgemadht und in meinem Hotel nadı mir gefragt. Da habe fie dann gehört, daß ic, foeben abgereijt je. Man habe ihr meine Adreffe gefagt, und fie habe e8 auf fich ge-
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nommen, da wir in derfelben Stadt wohnten, mir dad Buch wieder zuzuftellen. Auch fei es ihr ſchwer aufs Herz gefallen, daß fie damals fo fchnel und fait ohne Danf fich entfernt habe, und fo wäre ihr die Gelegenheit nicht unmwillfommen geweſen, das Berfäumte bei Nüdgabe des Buches nachzuholen.
So ungefähr fagte fie, mit jedem Wort freier fprechend und mit ihren großen, grauen Augen mich ohne Ber fangenheit, aber befcheiden und freundlich anfehend.
„sc hätte dad Buch freilich ſchon früher bringen follen,“ fagte fi. „Aber wir wohnten biöher weit draußen in Eimsbüttel, und ich wartete immer eine gelegene Stunde für den weiten Weg ab. Jetzt find wir jeit zwei Tagen ganz in Ihre Nachbarfchaft ge> zogen, und da habe ich die erfte freie Stunde benusst, mein Gemwiffen zu erleichtern.“
Sie nannte eine Straße, die in unfere einmündete
und Die id) täglich zu paſſieren hatte. Ihr beſchei— dened, aber fichered Wefen geftel mir. Gie trug ein fchlichtes, anfchmiegendes, graued Straßenfoftüm, das ihre fchlanfe Geitalt auf das vorteilhaftefte zeigte, und ein Fleined Barett aus fchwarzem Serimmeritoff, das freilich der Jahreszeit nicht angemeffen war, ihr aber allerliebft ftand. Die Elfenbeinfarbe ihres Teints erfhien mir hier gebräunter, als unter ben vielen gebräunten Gefichtern an der See, und ein rofiger Haud, der Wangen, vielleicht ein Zeichen innerer Erregung, madıte fie jehr reizend.
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Ich dankte ihr, ich hätte das Bud, kaum einmal vermißt. Es täte mir leid, daß fie deswegen Mühe und nun gar Gewiffensbiffe gehabt hätte, und ich bedauerte nur, daß ihr Feine intereffantere Leftüre in die Hände gefallen war.
Sie lächelte und meinte, dad, was ſie fich erlaubt habe zu Iefen, habe ihr fchon zugefagt, fie habe nur bedauert, daß es nicht mehr gewejen fei.
Wir ſprachen noch einiges über die naffe Segel— fahrt und über das Leben im Bade, wobei ich nebenher erfuhr, daß fie mich bemitleidet hatte, fo ganz allein in dem großen Hotel zu wohnen, und daß man mich allgemein den „Einzigen“ genannt, ſich aber nicht an mich herangetraut habe, weil ich ſtets gar fo „philo- ſophiſch“ einhergegangen fei.
„Din ich das?“ rief ich lachend. „Wie fol man freilich anders ausfehen, als philofophifch, wenn man fo ganz allein umherläuft. Man will doch gern etwas vorftellen und macht ein bedeutendes Geſicht.“
Sie erwiderte nichts darauf, fondern verabfchiedete fih; fie reichte mir die Hand, eine fchlanfe, fehr ſchmale Hand, und ich begleitete fie an die Treppe.
Als ich zu meiner Stormſchen Novelle zurüctehrte, ließ mic, jedoch ihr hübfches Geſicht nicht ungeftört, fondern tauchte immer wieder zmwifchen den Zeilen auf, und zulest fchob fich ihre fchlanfe Anmut uns vermerkt in die Gefchichte hinein und lieh der Heldin ihre Geftalt und Farbe, und ich taufte fie mit deren
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EN
Namen. Diefer Stormjche Mädchenname wollte mir gerade pafjend für fie erfcheinen, obwohl fie eigent> lich nichts Nordifches an fidy hatte, vielmehr ein —— Fremdartiges ſie umgab.
Was mochte ſie zu meiner Tagebuchnotiz über Elske Carſten geſagt haben? Ob ſie Elske Carſten kannte? Ob fie erraten hatte, daß dieſe gemeint war?
„Nun babe ich fie gefüßt, meine weiße Galathee mit dem Flammenhaupt. Waren das Küffe? Ein Schauer heißefter Leidenſchaft war es, der über fie niederbrad. O, wie muß ich jubeln, daß ich ſolchen Feuers fähig bin! Wie armfelig war das Licht ftümpfchen, das ich meine Liebe zu Anra nannte, Nur als Knabe, ald Helenens nächtlicher Kuß mich auffchrecte, empfand ich Ähnliches. Aber da war id) duldend und fo, fo war ed nicht, wie heute. Wie fie meine Küffe erwiderte, wie fie zitterte, wie fie in ‚gleicher Leidenfchaft brannte,
Scyöner, grüner Dom, wo die blauen Gottesaugen durch deine leuchtenden Fenfter auf mid) niederjahen, ald das Gewitter fern herübergrollte. Wie freute ich mich auf die Blige, die herniederzuden jollten, lodernd wie das rote Feuer über ihrem weißen Geficdht.“
Wie ein einzelner, flammender Mohn zwifchen fümmerlihem, beftaubtem linfraut jtand Ddieje eine Tagebuchbemerfung zwifchen den paar gleichgültigen Daten der Ankunft, des Wetters, der Mittagstafel.
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Was mochte fie gedacht haben, als fie fo vor mir faß und ihre grauen Augen auf mir ruhten? ‚Schon fo alt und noch diefer Primanerüberfhwang?‘
Gewiß machte fie ſich innerlich über mich Luftig. Sch riß die paar befchriebenen Seiten aus dem Buch, ‚ verfchloß ed in meinen Schreibtifch und verfchwor, je wieder ein Tagebuch anzufangen.
* * *
Ungefähr neunzehn Jahre früher fuhr ein großer, breitſchultriger Mann in den beſten Jahren mit ſeiner kleinen Frau den Miſſiſſippi hinunter, um ſich nach St. Antonio in Texas zu begeben. Es war allerlei Volk an Bord des großen Steamers, der majeſtätiſch den breiten River von Station zu Station hinunter- glitt. Größtenteild war ed Landvolk, Farmer und Ar: beiter, darunter manche, die ihre ganze Habe in Kiften und Bündeln mit fich führten. Zu ihnen fchien eine blafje, ärmlich ausfehende, junge Frauensperfon zu ges hören, die ſich jedoch meift von der Menge abfonderte und fi um ein vielleicht einjähriges Kind bemühte, das wie ein Häuflein Unglüd in ihren Armen ruhte.
Sened Ehepaar, Deutfche, hatte ſchon längere Zeit das Fleine hilflofe Weſen beobachtet, das inmitten diefer lärmenden und rücfichtslofen Schiffsgefellichaft fo früh ſchon eine fo weite Neife antreten mußte. Der Mann hatte ald Militärarzt den Krieg mit-
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gemacht, war feines Zeichend aber eigentlich Phar— mazeut, und hatte fomit von Berufs wegen einen fchärferen Bli für allerlei Siranfheiten und Schwä—
chen, daneben aber auch ein mitleidig Herz, wie feine
fleine Frau. Sie madıten ſich nun mit dem Kind» hen zu fchaffen und erfuhren, daß es von feiner großen Schweiter in das Findelhaus von St. Louis gebracht werben ſollte. Die Mutter fei bei der Ge- burt der Kleinen geftorben, der Vater fei ein armer Holzarbeiter, und Armut und Elend fei im Haufe und Feine Möglichkeit, diefed nachgeborene Wefen auf eine angemefjene Weife zu ernähren und zu pflegen.
Boller Mitleid beugte fi der große Mann über das ängftliche Menfchenfindlein und fing an, mit ihm nah Männerart zu jchäfern, während die kleine Frau fih auf die Fußfpigen erhob, um doch auch etwas von dem Lächeln des Kleinen verfümmerten Weſens zu erhafchen. Diefes aber, ald ob ed in feiner Berlaffenheit das drohende Schickſal ahne, griff mit feinen Fäuftchen in den blonden Bart des Mannes und krampfte fih fo feft da hinein, Daß fich fein Gefiht unter Schmerzen verzog und er mit
den Händen zufuhr, um ſich aus biefer Gefangenſchaft
zu befreien. Er nahm die Kleine aus dem Arm des Mädchens in die feinen und ftreichelte und fchmeichelte, da ließ fie los und legte zutraulich ihren blonden Kopf an feine breite Bruft.
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„Was meinft du, Alte, wenn e8 fein Afyl gefunden hätte?“ fragte er.
Sp wurde das Kindchen vor dem Findelhaud be— wahrt; in St. Louis aber wurde vor dem Friedend- richter ein Adoptiovertrag unterfchrieben.
Diefer Findling des Miffiffippt, zu einem fchlanfen, jungen Menjchenfinde aufgewachſen, war meine graus äugige Galathee aus Borby, vor derem dunklen, aus⸗ drucksvollen Mädchentopf das flammende Rot von Elsfe Sarjtend Haaren allmählich erloſch.
Ziehft mit deiner ſtillen Kraft Mich in deine Kreife, Führeft heft’ge LZeidenfchaft Sanft in rechte Gleiſe.
Dämmft die trüben Fluten ein, Daß fle Elarer fließen,
Und der Soune hellen Schein Ihren Grund erfcyließen.
Altes Schöne bahnft du an, Stärkeſt alles Gute,
Das ſich frei entfalten kann, Was im Innern ruhte.
Sp verfelte ich, und in Stunden des Zweifelng und Zagend, wenn ich fie einmal nicht gefehen hatte und mir meine Liebe als ausſichtslos erfchien, klagte ich:
Dunkle Weiten, nicht ein Stern, Morgenftunde noch fo fern,
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Und im Herzen legt ein Flor Deinem lieben Bild fih vor.
Schmerzlich harr' ich auf den Tag, Da ſich alles lichten mag.
Dhne Sonne, weld ein Sein! Dhne Liebe, wie allein!
Dann aber faßte ich Mut und warb um fie. Sch follte aber erft wie Safob um Rahel dienen.
Die Feine Pflegemama hatte den nicht üblen Ein- fall, ich jolle ihrer Tochter eine Zeitlang Klavierftunden geben, dabei fünnten wir ung näher kennen lernen und uns vor Übereilung ſchuͤtzen.
Meine Schülerin war mit ganzem Eifer dabei; aber einen ſchlechteren Lehrer als mich hätte ſie nicht fin— den können, denn mir war weniger um ihre Fort- fchritte zu tun, ald um meine, die ich denn aud) von Stunde zu Stunde zu machen vermeinte,
Sie hatte bereit ein wenig gefpielt, und wir fonnten ung mit den leichteren Liedern ohne Worte von Mendelsfohn befchäftigen, die ich ihr öfter ale nötig mit allem Gefühlsausdrud vorfpielte.
Die Heine Mama. faß dabei und ftridte ihre Strümpfe, während wir, lehrend und lernend, an den Maſchen unfered Liebeweſens mweiterhäfelten.
Der Eifer meiner hübſchen Schülerin, nun aus dem Nutzen für unfere Liebe auch einen für ihre muftfalifche Ausbildung zu ziehen, war groß. Durfte ich daraus
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fchließen, daß ihre Liebe der meinen nicht gleichfam, die nur mit Seufzen eine Teilung zwifchen Pflicht und Neigung ertrug? Aber es war ihre Art, wie ich immer mehr erfennen follte, alled einmal Ans» gefangene mit Zähigfeit und Ausdauer durchzuführen. So hatte fie fchon als Fleines Kind, da ihre Wünjche nad Muſikſtunde abgewiefen worden waren, ſich mit Kreide die Klaviatur auf den Tifch gezeichnet und hatte mit ihren zarten Fingern auf diefem fiummen Inſtrument die erften Übungen gemadıt.
Bei folcher Energie und Luſt wäre es ihr zu wüns ſchen gewefen, einen weniger verliebten Lehrer ge- habt zu haben. Bei mir aber taten ihre grauen Augen denfelben Dienft, wie Elske Garftend rote Haare oder wie einft der Hummerſalat, und Georg hatte einige Male Urfahe, über die „Seele” in meinem Spiel entzüct zu fein. Sa, ich fing wieder an, zu Eomponieren: als Frucht diefer Liebesmonde entitand ein „Deutfcher Walzer“ für Klavier, den ich der Geliebten widmete und ald Opus 3 veröffent- lichte. Doch da war fie ſchon meine Braut.
Wir hatten die Weihnachtsferzen nicht verlöfchen laffen wollen, ohne daß wir unferen Bund mit Kuß und Ring befiegelten. Daß ich ſchon vorher Logaus liebliches Rezept an meiner Galathee zu erproben verfuchte, dürfte anzunehmen fein, und aud, daß folder Verſuch glücdte und die Wahrheit des Sinn» gedichtes zu mehreren Malen glänzend dartat.
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Es ſollten aber Jahre vergehen, bevor wir heiraten fonnten. Gefchäftliche Verlufte warfen den Bater meiner Braut auf die Straße und in ein langes Siehtum; Mutter und Tochter mußten ſich und ihn mit ihrer Hände Arbeit ernähren; ed waren nicht die geringften Mittel zu einer Augfteuer da, und wir mußten den Wunfch auf eine eheliche Verbindung aufs ungewiffe verfchieben. Meine Braut wollte mir das Samort zurücdgeben, ich aber fhalt: „Meinft du, ic ließe mein Honorar für die Mufikftunden fahren? Wie fannft du mich für fo einfältig halten!“
Sie lachte und füßte mid).
„Das find nur kleine Abzahlungen,” fagte id. „Die fummen nicht. Warte nur, bald fomme idh, den ganzen Reſt einzufaffieren.“
Nach vier Jahren wurde meine Rechnung honoriert. Der Geiftliche, der uns traute, fprad) viel von meiner Kunſt, die freilich auf Harmonie beruhe, aber doch der Disharmonie nicht entbehren fünne. So möchten aud bei ung gelegentlihe Disharmonien nur zur höheren Ehre der Herrfcherin Harmonie dienen.
Wir hielten und umfangen und waren ung be mußt, daß unfere Neigung auf feſtem Grunde ruhe.
Es war eine Kleine Hochzeit in engftem SKreife. Georg hielt die Tifchrede.
„Da haben wir nun wieder ein Beifpiel,“ begann er, „ein ſchönes Beifpiel, daß wird, was werden fol, Der liebe Bräutigam wird denfen, wenn ich nicht
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mein Ziel fo energifch verfolgt hätte, und die liebe Braut wird fagen, wenn id) nicht gewollt hätte, was dann? Sa, fie mußte eben wollen, es half nichtg, und ebenfo mußte er wollen und braucht fich nichts auf feine Energie zugute zu tun; die Xiebe hatte fie nun einmal unter ihrem Ötecden und trieb fie wie zwei Sämmlein auf ihre Weide; da follen fie nun zufammen grafen: Viel guted Gras, manches bittere Kräutlein, und ihre Nafen, nicht fo fein, wie die der Zierlein, mit denen ich fie foeben verglich, werden nicht immer rechtzeitig unterfcheiden, was gut, was fchlecht fchmedt, was ihnen nährfam und dienlich und was ihnen bitter und gar fchädlich ift.
Aber verlaffen wir diefes Bild, fie werden ſolche fanfte Liebeslämmlein ja auch nicht lange bleiben, fondern ſich menfchlich darftellen und betragen. Da wird es denn nicht lange dauern, daß jie beide mit dem Dichter erkennen und geftehen:
Sch bin Eein ausgeflügelt Buch, Sch bin ein Menfch mit feinem Widerſpruch.
Die liebe Braut, pardon Ehefrau, fenne ich nicht fo genau, um mir ein Urteil in diefer wenn auch be- fchränften Öffentlichkeit über fie erlauben zu follen; ihn aber, den jest fo ftolz dreinfchauenden Sünger der Harmonie und Ehemann, fenne ich und ich weiß aus Erfahrung, daß jenes Dichterwort auf ihn zutrifft. Er, der immer für rote Haare fchwärmte —“
Balte 2, 837
N, PER DR TEN 71 \ & N
„Blonde,“ unterbrach ich ihn.
„Nun, die roten Haare gehören auch zu den blons en,“ fuhr Georg gelaffen fort. „Alfo der Schwär- mer für allerlei Blond verliebt fich ylöglih in Schwarz.“
„Bitte, dunfelblond!“ unterbrach ihn meine Frau.
„Alfo in Pechrabendunfelblond. Sft das Fonfequent? Gibt dad Bürgfchaft für einen in ſich gefeftigten Charakter, dem fich ein zarte Weib in allen Stürmen des Lebens vertrauensvoll hingeben fan: Du, mein Hort, du, mein Anter!? Muß man nicht fürchten, ed fünne der Tag fommen, wo er zu Not —“
„Blond!“ rief ich.
„zu Rotblond zurückkehrt und ſich von dem — Ehegemahl abwendet? Dem nun vorzubeugen, der
jungen Frau ein Mittel an die Hand zu geben, wie
fie ihn dann aufs neue an ſich feffelt, habe ich hier ein Elirier mitgebradyt, das ihr die beften Dienfte leiften wird.“
Er zog ein Fläfchchen roter Tinte hervor und ftellte ed mit einer Verbeugung vor meiner lachenden Eher liebften auf den Tifch.
„Gebraucht fie dieſes Elirier nicht ale Färbemittel, fo kann es immerhin noch Verwendung finden für feine Liebesbriefe, die er ihr ficher in Zufunft auch nicht vorenthalten wird, denn ift er aud) arg fchreibs faul, nit einmal ein Tagebuch mag er ordentlich führen, fo fagt uns doch eine innere Stimme, daß
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er fih nach umd nad, beffern und Tinte und Feder nicht fchonen wird. Damit es auch an diefer nicht fehle, habe ich auch dafür geforgt, und überreiche unferem jungen Ehemann dieſe goldene Feder zur angebeuteten Benusung.“
Er zog eine goldene Füllfeder hervor und legte fie mit drolligem Ernft neben das Fläfchchen roter Tinte.
„Und nun,“ fuhr er fort, „da wir fo vorgeforgt haben, wollen wir fie vertrauensvoll in die Zukunft entlaffen. Der Verbleib diefer Tinte wird ein Baro— meter für ihre Liebe abgeben; wird fie ein Haarfärbe- mittel werden, wiſſen wir, wie ed mit dem fauberen Herrn Gemahl beftellt if. Wird fie aber in feine Liebesbriefe fließen, nun gut, er fchone fie nicht, für Erſatz fol geforgt fein. Erheben wir nun das Glas und trinfen in rotem Wein das Wohl des Lieben Daares. In Treue erworben, in Treue feftgehalten und vom Himmel in Leid und Luft gefegnet, das walte Gott!“
Die Gläfer Hangen zufammen, und Georg empfing fat mehr Händedrüde für feine herzliche und fchel- mifche Rede, ald wir gerührtes Paar, Meine Mutter ging von einem zum anderen und fiel jedem bis zu Tränen bewegt um den Hals.
Und dann Fam die Stunde, wo wir unfer Glück ins Neft trugen. Die Mütter hatten eine befcheidene Wohnung von drei Zimmern, zwei Treppen hoch in einer ftillen Seitenftraße, aufs behaglichfte ausgefchmüdt.
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Als mir nun eintraten, empfing und die alte Auf— wartefrau, die alles zum Empfang vorbereitet hatte, mit ihren Glückwünſchen. Auf dem Tifh brannte die neue Lampe und beleuchtete eine Fülle unerwarteter Sefchenfe, die mir Schüler und ———— ins junge Eheneſt geſtiftet hatten.
„Wie reich wir find!“ rief mein Frauchen.
Die alte Dienerin hatte und verlaffen, wir waren ganz allein. Ganz ftil war ed in dem Eleinen Raum, unfere Herzen fchlugen aneinander, und unfere Augen fahen groß und lange in das rote Kicht.
Nun bift du mein! AU Leid hat nun ein Ende! Sich! Frühling ward’s und taufend Blüten fproffen. In buntem Schmuck prangt lachendes Gelände.
Auch du, an deines Lebens erfter Wende,
Wie haft fo frühlingsſchön du dic, erfchloffen.
Und mein bift du! — O, fei es ohne Zagen! Was auch mag fommen, über alle Klüfte Wird. meine Liebe hohe Brücken fchlagen, Wird forgfam dic, auf fanftem Fittich tragen, Wie Morgenwind der Rofe füße Düfte,
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I
Die Trennung von der Mutter war der ein- zige Schatten, der auf mein junges Glück fiel, Ale die langen Jahre hatten wir Tag für Tag miteinander gelebt, nun wurde es ihr fchwer, fih zu befcheiden, und wenn ich bei aller Liebe zu ihr aus meinem Glück feinen Kehl machte, fonnte fie manchmal eine leife Eiferfucht nicht unter- drücken.
Ich aber fühlte mich nun endlich im Hafen. Mein Leben hatte Halt und Ziel bekommen, die Laſt des Berufes trug ſich leichter, da ich für etwas Liebes ſorgte, und meine Beſtimmung ſchien mir erreicht. Nun hieß es, in treuer Arbeit das Erreichte zu be— feſtigen.
Wir waren auf das allergenügſamſte eingerichtet. Jede der Muͤtter hatte hergegeben, was ſie entbehren konnte, und für das Fehlende hatte ich ſelbſt ſorgen müffen. Da zeigte ſich mit der Zeit, daß dieſes und jenes noch nöfig fei und daß gerechnet und ge- fpart werden mußte, um es herbeifchaffen zu fünnen.
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Doch wir hatten beide gelernt, mit wenigem glücklich zu fein.
Ein Abend in der Woche gehörte Georg, und da feine Mutter in der legten Zeit angefangen zu fränfeln, und er fie ungern verließ, fo ging ih zu ihm und ließ meine Frau bei einer Fand» arbeit und einem Roman zurüd. Als nun aber die alte Frau fränfer wurde, fahen wir und immer feltener und hatten ung einmal faft während eines Vierteljahres nicht mehr als flüchtig gefehen und nur durch kurze SKartengrüße voneinander gehört. Dann rief er mich zu fih, feine Mutter fei ge- ftorben.
Sch fand ihn fehr bla, fehr einfilbig, aber Außer- lich gefaßt. Ald wir nad dem Begräbnid davon ſprachen, wie er fich jet einrichten wolle, fonnte er zu feinem Entfchluß fommen.
„Heirate,“ riet ich.
Er fah mich einen Augenblid® mit feinen (hwahzeh Augen groß an und jagte dann leichthin: „Das ift jetzt zu ſpät.“
Ich meinte, er dächte an die verlorene Braut und rief: „Keineswegs! Es gibt der Mädchen mehr, und du bift noch nicht zu alt.“
Da madıte er mir ein erfchütterndes Geftändnis.
Sein Vater, den er übrigend kaum gefannt habe, fei im Irrenhaus geftorben. Er habe das erfi fpät erfahren, und zwar damals, als die Untreue
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ae
feiner Braut ihn niedergeworfen; die Familie des
„ Mädchens habe irgendwoher die Krankheit des Va— ter8 in Erfahrung gebradt, und dann fei ed zu einer Ausſprache zwifchen ihm und der Mutter ge- fommen.
„Und ich follte heiraten, ich dürfte heiraten!” rief er erregter werdend. |
Sch verfuchte, ihm den Vererbungsgedanfen aus- zureden, natürlich ohne Erfolg, da ich ihm heimlich zuftimmen mußte.
„Mein, nein,“ rief er. „Reden wir nie wieder davon, ich bitte dich darum.“
Erfchüttert verließ ich ihn. Doppelt graufam erfchien mir fein Geſchick, da ich in meinem jungen Eheglüd faß.
Vom Srrfinn bedroht, an der Grenze der Vernunft hin nachtwandelnd, ein geringfter Anftoß, und Die Nacht verfchlang ihn. Und er mußte das feit Sahren. Und dabei diefer Gleichmut, diefe gelaffene Heiterkeit.
Der Tod feiner Mutter aber hatte auch für mich eine wunderliche Folge, die uns zuerft noch näher zufammenbrachte, um dann fpäter die Urfache unferer Entfremdung zu werden.
Sch hatte am Abend der Beerdigung, von der ftillen
Innigkeit feines Schmerzes gerührt, ein paar Verſe aufs Papier geworfen, von denen idy glaubte, daß fie ihm Freude machen fönnten.
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Nach dem Begräbnis,
Eine alte kranke Fran . . Haben heute wir begraben,
Ob fie nun wird Frieden haben?
Uch wir wiffens nicht genau.
Eins nur wiffen wir, ein Stüd Nahm ſie von des Sohnes Herzen Mit ins Grab und ließ in Schmerzen Nun ihre Liebftes hier zurüd.
Wenn die Klage auch verftummt
Und die Tränen auch verfiegen,
Schmerz fehleicht doch auf allen Stiegen, Hockt in jeder EP vermummt.
Wenn du gar nicht fein gedacht, - Kommt er, dir die Hand zu reichen, Sanft den Scheitel dir zu flreichen, Wie's die Mutter hat gemacht.
Er war gerührt. Vielleicht wäre er zu anderer Zeit fritifcher gewefen, aber fein Herz meinte nod, und er fand das Gedicht ſchön. Er mwunderte fi, daß ich ihm nie von meinen Verſen gezeigt hatte, denn daß diefe die erften feien, würde ich ihm nicht einreden fünnen. So kam ich denn mit den wenigen Verſuchen, die idy aus der legten Zeit befaß und bie größtenteild an meine Braut gerichtet waren, heraus, . und fand auch mit den meiften vor ihm Gnade.
„Du bift ja ein Dichter,“ fagte er verwundert.
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Sch aber wollte einen fo hohen Titel nicht ohne Miderrede annehmen und meinte, fein Urteil allein wäre mir doch nicht maßgebend, worauf er mir riet einige Gedichte zur Prüfung an — Redaktion einzuſchicken.
Ich erinnerte mich aus —— Buchhaͤndlerzeit der
„Deutfhen Dichtung“ von Karl Emil Franzos und
der „Romanzeitung“, die Dtto von Leixner leitete. Nach einigem Zögern entfchloß ich mich denn, das Gedicht auf den Tod der Mutter meines Freundes an Franzos zu ſchicken. Natürlich abonnierte ich auf fein Blatt und verfolgte nun mit Spannung Nummer für Nummer. Und fiehe, mehr als ich erwartet hatte: das Gedicht war im Hauptteil des Blattes abgedruct und hinten im Brieffaften flanden einige ermunternde Worte.
„Siehit du!“ rief Georg triumphierend. „Sage nun noch, ich verftünde nichts von dieſen Sachen.“
Freilich mußte er felbit ein paar Tage fpäter meinen Stolz; dämpfen, indem er mir die neuefte Nummer des „Kladderadatfch” brachte, in deffen Brieffaften mein fchönes Gedicht dem Spott verfallen war. Alte franfe Frauen fo ohne weiteres zu begraben, hieß es ba, wäre eigentlicd; bisher nicht geftattet worden, und wäre auch reichlich graufam. Aber vielleicht hätten wir fo lange gewartet, bis die alte franfe Frau auch tot geweſen wäre. |
Wir lachten und fchalten auf den Philifter, der etwas Gelbitverftändliches noch wollte erwähnt haben,
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und deckten und mit dem blanfen Schild der „Deutfchen Dichtung“, die gewiß feinem fchlechten Gedicht ihre Spalten geöffnet haben würde.
Al nun Franzos von einer zweiten Sendung wieder ein Gedicht annahm, war das ein wenig wanfend gewordene Selbftvertrauen wieder völlig hergeftellt, und ich ſah mid ſchon in die Reihe der deutfchen Dichter glorreich aufgenommen.
Doh hätte eine fo ruhmvoll begonnene Laufbahn leicht ein frühzeitig Ende nehmen können. Georg, einer Kleinen Ausfpannung bedürftig, hatte mid; über» redet, ihn nach Büfum zu begleiten. Es war Pfingiten, das Wetter günftig, und wir gingen im fchönften Sonnenfchein auf dem langen grünen Deich fpazieren, an den das leichtbewegte Meer feine Wellen warf.
Georg, der leidenfchaftliche Waſſermenſch, konnte alsbald der Luft nicht wibderftehen, ein erfrifchendes Bad zu nehmen, und ich ließ mich verlocden, auch bie Kleider abzumwerfen. Wie wohlig umfing mid; bie Flut! Der Freund war mit ein paar Schlägen fchon weit draußen, während ‘ich mich vorfichtiger in der ‚Nähe des Ufers zu halten gedachte. Als ich nun aber den Rückweg antreten wollte, bemerfie ich zu meinem Schrecen, daß ich gegen einen heftigen Strom anzufämpfen hatte, und zugleich ſchoß ed mir durch den Kopf: Du fämpfft gegen die Ebbe.
Sch verdoppelte meine Anftrengungen, aber meine Kräfte verließen mich, als ich mich gerade über einem
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tiefen Priel befand. Ich war indes dem Ufer nah genug, fo daß ein Mann, der auf dem Deich an einem Net flickte, mich fehen konnte. Sch rief und winfte, aber er nahm für Luft und Übermut, was Not und Angft war, und winfte mir fröhlidy zurüd. Endlid, begriff er die Sache und fprang, als ich ſchon der Erſchöpfung nahe war, mit Stiefeln und Kleidern ins Waffer; aber auch; er fonnte gegen die Ge— walt des ebbenden Stromes nidyt an, und begann zu rufen und zu winfen, worauf denn ein Boot, id; weiß nicht woher, eilig herangerudert fam und uns aufnahm.
‚Eined Tages fand ich bei meinen Buchhändlern ein Heft der von Bleibtreu und Conrad herausge- gebenen „Geſellſchaft“. Es enthielt einen Auffas über den mir bisher unbefannten Dichter Detlev von Lilienceron, fein Bild und einige Gedichte von ihm. Der Auffas, von Sven Srufe gefchrieben, führte in dag Heim ded Dichters ein, bad unmweit Hamburgs im holfteinifchen Städtchen Kellinghufen ſich befand, machte mit feiner Perfönlichfeit befannt und Außerte . ji; begeiftert über feine neue und eigenartige Poeſie, die aus der Heimatfcholle aufblühe, wie die Blume des Feldes. Die Gedichtproben fchienen mir dem Schreiber recht zu geben, mehr noch feffelte mich
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eine längere Profaffizze des Dichters „In der Mergels grube“, die mir die Natur direft in meine vier Wände zauberte und zugleich eine fo originelle Art zu fehen, zu empfinden, ſich audzudrüden offenbarte, daß ich freudig erregt und eines Erlebniffed mir be mußt war.
Diefed Heft der „Geſellſchaf brachte auch eine An⸗ zeige der Gedichtſammlung des Dichters, „Die Ad— jutantenritte“. Ein paar Tage fpäter hielt ich das fchmale Bändchen in Händen, und las und las, während mir die Baden brannten. Immer wieder fprang id) auf und lief durchs Zimmer, ging wieder zum Bud) und war in einem Rauſch, wie damald in meinem Thüringer Stübchen, ald mir Goethes Lyrif zum erfienmal die Seele mit ihrem goldenen Licht durch— fonnte,
Wie das fprudelte, wie das ftürmte, unbefümmert im Ausdrud, wie es jchien, und immer treffend. Und mie plaftifch alles hingeftellt war! Sch fah, ich konnte mit Händen greifen, der Dichter riß mich hinein in feine Welt; ein Bild, eine Stimmung, und immer war ich bezwungen. |
Ich Tief zwifchen Schreibtifch und Küche hin und her, um meine Frau an meiner Begeifterung teil nehmen zu laffen, und ich war gefränft, wenn fie ſich nicht fogleich von ihren Kochtöpfen hinweg in bie Einfamfeit der erifagefchmücten Heide wollte ver- fegen laffen.
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„Sch finde es ja auch fehr hübſch,“ fagte fie.
„Aber begreife doch, daß Kochlöffel und Lyrif ſich nicht in jeden Augenbli miteinander verbinden laffen.“
„Aber dad muß dich doch paden! Höre nun mal!
Tiefeinfamkeit fpannt weit die fchönen Flügel, Weit über ftille Felder aus.
Wie ferne Küften grenzen graue Hügel,
Sie ſchützen vor dem Menfchengraus.
Im Frühling fliegt in mitternächt'ger Stunde Die Wildgand hoch im rafchen Flug.
Das alte Gaukelſpiel: in weiter Runde
Hör’ ich Geſang im Wolkenzug.
Verfchlafen finft der Mond in ſchwarze Gründe, Beglänzt noch einmal Schilf und Rohr. Gelangweilt ob fo mancher Holden Sünde, Derfäßt er Garten, Wald und Moor.”
Sie hatte geduldig zugehört, aber dann ſchob fie
mich raſch aus der Küche.
* * *
Ziefeinfamkeit, es fchlingt um deine Pforte
Die Erika das rote Band.
Don Menfchen fern, was braucht ed nody der Worte, Sei mir gegrüßt du ſtilles Land.
Sch forderte vom Buchhändler, was fonft noch von
Gedichten Liliencrons erfchienen fei, und er fandte mir einen neuen Band: „Gedichte“.
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Du, den ich nicht kenne,
Wenn icdy dich wüßte!
Der du am Boden liegft verzweifelnd, verzweifelt, Dem kleinliche Menfcyen und Pharifäer Hochmütig den Rüden drehn,
Weil du den Scheitel nicht trägft wie fie,
Weil du das Schuhband anders bindeft wie fie, Weil du nicht denkſt wie fie.
Den fie hungern laffen aus Ärger,
Weil du heißeren Drang haft als fie,
Vom Alltagsgeleiſe abbiegft
In unbekannten Pfad.
Den ſie für einen Narren wähnen,
Weil du den Pfennig nicht umwendeſt wie ſie, Nicht rechnen kannſt wie ſie.
Den ſie für wahnſinnig halten,
Weil du mit ausgebreiteten Armen
Dem ſinkenden Tagesgeſtirn nachſchauſt,
Und nachſchauend ausrufſt:
Auch mir, auch mir die Sonne!
Du, den ich nicht kenne,
Von dem ich weiß, daß du ein Dichter biſt! Daß deine Schmerzen ſchlimmer,
Deine Freuden größer ſind
Als dein Nachbar fie fühlt, fle ahnt.
Wenn ich dich wüßte!
Du, den ich nicht Fenne, wenn ich Did wüßte! Komm an mein Herz, forge nicht mehr! Wie ein Ruf an mid; war ed mir.
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Und dann las ich:
Mit Trommeln und Pfeifen bin ich oft marfchiert, eben Trommeln und Pfeifen hab’ ich oft präfentiert, Bor Trommeln und Pfeifen bin ich oft avanciert
In den Feind, hurra!
Die Trommeln und Pfeifen wohl Hör’ ich nicht mehr, Und Trommeln und Pfeifen, rückten fie her, Hinter Trommeln und Pfeifen ftelzte zu ſchwer
Mein Holzbein, o weh.
Wenn Trommeln und Pfeifen mir kaͤmen in Sicht, Gegen Trommeln und Pfeifen mein Ohr hielt ich dicht, Die Trommeln und Pfeifen ertrüg’ ich nicht,
Mir bräche das Herz.
Und Trommeln und Pfeifen. vas war mein Klang,
Und Trommeln und Pfeifen, Soldatengefang,
‘hr Trommeln und Pfeifen, mein Leben lang Hoch Kaifer und Heer!
Ging das nicht bis in die Zehenfpigen, warf die Beine, daß ic; hätte auf- und abmarfchieren mögen in meinem Kleinen Zimmer? Und ich tat es aud, und trommelte die Berfe noch einmal laut durch den Raum.
„Höre, höre, wie das wirbelt!“ rief ich, ald meine Frau hinzufam. Aber fie nahm mir dad Buch aus der Hand und meinte: „Das muß ich felber lefen. Sp kann ich's nicht verftehen, wie du ed herunter- bellſt.“
Falle 3 858
Pas
a
Das ärgerte mi. Sch glaubte es, troß einem Zambour gut gemadjt zu haben. Aber natürlich gab id) ihr Recht, um das Gedicht zu retten. Doch das war nicht nötig, es hatte ſich ſchon felbft in Reſpekt
gefegt, und fein Rhythmus fchien meiner Frau in den
Kochlöffel gefahren zu fein, fo rumorte fie hernad) in ihren Töpfen herum.
Sch freute mich auf den erften Abend, wo id) Georg mit meinem Dichter befannt machen würde; was follte der für Augen machen. Aber wie war ich enttäufcht, als er nicht in meine Begeifterung . einftimmte, fidy mit lauer Zuftimmung zu einigen Ge- dichten begnügte, zulegt aber von meinem Dichter nichts wiffen wollte,
Er holte einen Band Geibel hervor und lad mir mit Pathos eins der vollflingenden Gedichte vor.
„Schön, gewiß!“ rief id. „Aber wirbelt’3 did empor? Daß du vom Stuhl fpringft? Das lieft man, bewundert man, aber hier, bier ift doch — Sraft, Natur —“ |
„Meinetwegen, aber feine Kunft!“ unterbrach er mid. „Keine durch Kunft gebändigte Natur!“
„Unfinn!”“ rief id.
Er langte nad; dem Band Filieneron, aber id) rief: „Laß! Du ſollſt ihn mir nicht gleich ver» efeln !“ |
„Wer will das?" lachte er. „Deine Efftafe wird ſchon von felbft abnehmen und vielleicht — ich kann
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ja nur nad dem erften Eindrud urteilen — ich will mich gern mit ihm bejchäftigen —“ „Du wirft fehen! Du wirft ſehen!“ triumphierte ich.
Sch lieh ihm die „Adjutantenritte”, und wir fchieden in Frieden. Dafür zanfte mich meine Frau aus, daß ih das Bud; weggegeben hatte, denn ed war E. Mar ebenfo lieb geworden wie mir.
Eines Abends hatte ich mich mit dem neuften Heft der „Geſellſchaft“ zu ihr aufs Sofa gefegt, während fie in den Adjudantenritten las, die ich von Georg zurüderbeten und die fie abends faft immer mit Ber flag belegte, als die * Poſt noch einen Brief brachte.
Aus Münden?
Und ich lachte, Mit Riefenbuchftaben ftand auf dem Kuvert mein Name und darunter „Dichter in Hamburg“.
Meine Frau machte auch Augen.
„Aber fo öffne doch,“ rief fie ungeduldig, denn ich hielt den Brief eine Weile in der Hand und betrady- tete ihn von allen Seiten, wie etwas Wunderbares.
„Bon irgendeiner Zeitfchrift,“ fagte ich, riß dag Kuvert herunter und fah meiner Gewohnheit nad) zuerft auf die Unterfchrift: Detlev Freiherr Liliencron.
„Bon ihm!“ rief id).
„Bon Shm? Wer ift Ihm?“ fragte meine Frau.
„Run von ihm,” wiederholte ich und hielt ihr den Brief hin. Da hätte fie mir den Brief beinah aus
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der Hand geriffen. Sch aber wahrte meine Rechte, ließ fie einen Augenblick zappeln, was mir fchwer genug wurde, und ftillte dann unferer beider Neugier:
„Soeben lad der alte herrliche Hauptmann von Meeder ung (und — d. h. einem Fleinen Kreife von Künftlern, Dichtern, Literaten) Ihren ‚Gang durchs FSiicherdörfchen‘. Und wie lad er! Gie hätten es hören follen! Poet Sie! Das tft ein wundervolles Gedicht!
‚Eine dunfelrote Kofe‘ Das hätten Sie hören jollen. Unglaublic, ſchön! Ich glaube Shnen eine Freude zu machen, wenn ich Ihnen das fage. Michael Georg Conrad war auch dabei, der Tapfere.
Detlev Freiherr Liliencron.“
Sch fprang auf, den Brief in der Sand. Sch las ihn wieder und wieder und war wie ein Sind.
Dad Gediht, das Filieneron Iobte, war eine Erinnerung an meinen Aufenthalt in jenem Fleinen oftholfteinifchen Bade, war, in unregelmäßigen ge reimten Rhythmen, die realiftifche Schilderung eines folchen Fifcherdorfeg:
„Fiſchergerät, Nebe und Schnüre,
. Vor jeder Türe; Hin und wieder ein frommer Spruch Und überall Fiſchgeruch.“
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Am Ausgang des Dorfes aber:
Über die Friedhofmauer hängt,
Die Wurzel zwifchen die Duader geswängt, Schwarzgrüner Efen und höher im Haud) Des Windes, wiegt fid) am Strauch
Ganz Ieife, leiſe
Eine dunkelrote Roſe.
Am liebſten hätte ich mich gleich hingeſetzt und einen flürmifchen Danfbrief zurücgefchrieben; aber ih fchob es bis zum nächſten Morgen auf und entwarf inzmwifchen im Geifte die überftrömendjten Epiſteln.
Ach, wie ſteif, wie förmlich, wie ſchüchtern und ungeſchickt fiel dann nachher der Brief aus: „Koch zuverehrender Herr Baron!“
‚Nun, er wird es fchon herausgefühlt haben, wie du dich gefreut haft,‘ dachte ich. Und er hatte es herausgefühlt, denn ein paar Tage fpäter fam ein zweiter Brief; furze lapidare Säte, viele Klammern, Einfchaltungen, Ausrufungszeihen und Unterftreis Hungen. Wer ich denn fei? Was ich denn triebe? Ob ich verheiratet fei? „Ein Dichter, ein Künftler darf nie heiraten, n—i—e!!“ Sch folle die „Geſellſchaft“ fefen. Michael Georg Conrad, der Nitter Georg, fei der, der und aus dem Sumpf heraugziehen würde. Und zum Schluß einige fräftige Worte gegen bie guten „Teutſchen“, die Philifter und Sfatbrüder.
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„Aber paſſen Sie auf, Lieber! Es fommt! Es f——m—m—t!!!“
Als ich ihm fchrieb, daß ich Mufiflehrer fei, fragte er mich, ob ich Hugo Wolff Fenne, diefen „unglaublich genialer Kiederdichter”, er wolle mir vom DBerleger einige Hefte feiner Goethes und Mörifelieder aus— wirken.
So kamen wir in einen Briefwechſel. Zwanglos ſchüttete er ſein Herz aus, als ob wir uns ſchon lange kennten. Wie mußte mich das ſtolz machen. Wer war ich denn, daß er mir ſo ſein Vertrauen, ſeine Freundſchaft bot?
Du, den ich nicht kenne, wenn ich dich wüßte! Komm an mein Herz, forge nicht mehr! |
Ein paar Tage vor Weihnachten, ed war ein Sonntag und ich lag noch im Bett, brachte mir Die Morgenpoft fein neuſtes Buch: den „Heidegänger“, vom Verlag überfandt, und einen Brief aus München, worin er mir mitteilte, daß er bald nad Neujahr nad; Hamburg fommen würde; auch eine umfang- reiche Notenrolle, die Lieder Hugo Wolffs, fam gleich» zeitig aus Frankfurt vom Mufikverlag Schott Söhne.
Das war eine Sonntagspoft!
Ei, fprang ich aus dem Bett! Und bald faß ich am Flügel vor den Liedern, die allerdings nicht jo im Fluge zu erhafchen waren. Und dann ging’s an den Screibtiih. Und ed murden Berfe, freilich unter vielem Fingern und Silbenzählen.
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An Detlev von Filiencron.
Heute hatt’ ich einen Fefttag, einen Frohtag.
In den Federn lag ich noch, ich Siebenfchläfer,
Als erſchreckend mich, an meinem Klingelzug fchon Stürmifch riß der brave, fchnauz’ge Stephansiünger, Er, fo mancher meiftens unverhoffter Freuden Unbewußter, mürrifch Falter Botenträger.
An die Türe flürz’ ich eins, zwei, drei auf Soden, Stürze, ftolpre, rutiche. Durch die fchmale Spalte Eine Handvoll „Poſt“ reicht mir herein der Brave: Briefe, Bücher, eine lange Notenrolle.
Ei, verflog der Schlaf, der halbwegs mid, umfing nod). Dennoch 309 ich fchnell zurück ins warme Bett mid). In des MWintermorgens matten, trübem Frühlicht Überflog ich ſchnell die reiche Stephansfpende, Brad) das Brieflein: „Viel zu Kalt iſt's heute,” fchrieb mein Mütterchen, „für unfre Domfahrt, und ich fchone Lieber mich zum Feſte.“ — Aus der fchlanfen Rolle 309 die erften fünf ich von den dreiundfünfzig Moörikegefängen Hugo Wolffs, den unlängft
Du begeiftert mir gepriefen und in deinem
Neueften, prächtigen Verfebuch: „Der Heidegänger” Kräftiglich in deiner Bernigen Urt befungen.
Und da war er felbit in feinem gelben Kleide,
Kam mit einem gelben Zettelchen, auf welchem
Zier gefchrieben: „Mit ergebenfter Empfehlung Vom Verleger überreicht.” Schon hatt! am Abend Fröhlich ich für ihn das Portemonnaie gezogen
Und mit meinem Federmeffer alfogleich ihn Unterfucht nad) wahren, echten Dichtergaben.
Zwei der edlen „Sänger“ ftehen nun im Stall mir, Bücherftall: fo nenn’ ich meinen Eleinen gelben Schrank, Einft war es Mutters Wäſcheſchrank. Jetzt ftehen
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Drin in Reih und Gfied geordnet (Schöne Ordnung d Groß und Kleine und berühmt und unberühmte Zeutfche Dichter, die ja, wie befannt, nur fehreiben Tapfer fleißig für ihr Volk, auf daß es ſchmunzelnd Sie und flolz als höchſte nationale Güter
In den Schrank ftelie! Aber Freund, fei ohne Sorge, Eins von deinen Heidegängerbüchern mag drin
Neben Goethe, Schiller, Paten, Zenau, Reuter,
Meben Bibel und Fürft Bismard Ruhe pflegen,
Bon dem Schreibtifch kommt mir nicht das andre eher, Bis ich Vers für Vers zu eigen mir gemacht hab’. Kommft du, wie du ja verfprochen, gleich nach Neujahr Auf die Bude mir, fo will für alles Schöne,
Das feit letztem Sommer ich dir danke, herzlic)
Beide Hände ich dir drüden. Und dann fingft du
— Denn mir ahnt: Du fingft, verftehft zu fingen — jene Schönen Lieder mir vom neuen Liederkönig
Hugo Wolf. Vor allem das entzückend luſt'ge
Lied vom Knaben mit dem Immlein. - Ach, ich felber Singe nur in Tönen wie ein Nebelhorn, das Mitternächtig ruft bei trüben, diem Wetter
Angft und Gram im Herzen wach der Paflagiere,
Die mit Zagen denken der Gefahr, davon fie
Einzig nur des Schiffes dünne Planken trennen.
Heute noch dazu quält mich ein Riefenfchnupfen: Schnaufend, niefend, Eröchelnd, ächzend fchreib’ ich diefe Seltfame Epiftel an dich nieder, während
Draußen, Omeleften gleich dick überzucert,
Alle Dächer tragen frifchen Winterfhmud, denn
Scon ſeit frühem Morgen fchneit es unaufhörlich
Auf die Dächer, Straßen, Pläse und die grünen MWaldentführten Weihnachtsbäume. Wenige Tage Noch, und auch in meiner Heinen Klaufe leuchtet
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Solch ein Fichtgefhmücktes Baͤumchen mir zum erflen Frohen Ehriftfeft an dem eignen Herd. Wie Eöftlich!
Und du Böfer wollteſt einft mid, forglicy warnen, Keinem Weib zu feft ins fchlane Garn zu gehen, Denn die leidigen Ehefeſſeln brächten wenig
Freude einem teutfchen Dichter. Nun, am Ende
Bin ich gar Fein Dichter, denn fürs erfte ſchmeckt mir Noch die Ehe wie ein Honigkuchen, drauf mit Weißen Mandeln eingelegt ein ſchönes Herz ill.
Doc), gewiß, ic) weiß ja, Ehe ad und Ehe!
Aber dak nun meine Fran fo übel gar nicht
Und ein dichterfreundlich Herz hat, zeigt allein fchon,
Daß trotz jener Warnung fie nicht ſchmollt mit dir und Ihren „Erſten“ — wenn das Störchlein nicht vergißt drauf — Detlev nennen will: Hans Detlev. Heute fchickt fie
Dir befondern Gruß und Dank durch mich für deinen Allerliebſten „Puppenhimmel”. Damit, Befter,
Gott befohlen. Und ein frohes, fchönes Chriſtfeſt.
Gleich nach Neujahr Hoff’ ich dir die Hand zu drücken,
Das war am 20. Dezember 41890. Vier Tage fpäter brannte das erfte Chriftbäumchen an unferem eigenen Herd, und das Jahr, dad mir foviel Glüd gefchenft hatte, ſchickte ſich an, mit einem letzten ſchönen Lächeln zu fcheiden. |
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ni
Lilieneron wollte kommen. Wir hatten und nah
feinen Gedichten und vor allem nach feinem „Mögen“ ein Bild von ihm gemacht: Beſitzer von neunund-
neungig Gütern, unermeßlich reich, Ariftofrat, Offizier,
groß und breitfchultrig, und wir fahen nach dem Wagen aus, in dem er vorfahren würde, vielleicht vierfpännig.
„Wenn er ſich nur vorher anmelden würde,“ meinte
meine Frau, der ein fo hoher Befuch doch einige
Beflemmungen machte. Auch ich war nicht ohne Bedenken. Wie würde er ſich geben? Würde er fein wie feine Briefe, feine Bücher? Wir hatten fchriftlich manches vertrauliche Wort gewechfelt; würde ich num dem reichen Freiherrn gegenüber mündlich denfelben Ton finden?
Eined Tages, ald wir von einem Spaziergang zurücfehrten, fanden wir auf dem Fußboden feine Vifitenfarte; er hatte fie unter die Tür gefchoben.
Detlev Freiherr von Liliencron; darüber die Frei- herrnfrone.
Auf der Nücfeite aber ftand mit Blei in feiner großen energifchen Handſchrift: „Komme morgen wieder.“
„Weißt du — eigentlich bin id; ganz froh,“ fagte meine Frau. „Nun fünnen wir und doch wenigſtens etwas vorbereiten. Aber hoffentlich fommt er nicht nachmittags, wenn du nicht zu Haufe bifl. Das wäre
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fchredlich! Auf keinen Kal empfange ich ihn allein, Dann mußt du zu Kaufe bleiben.“
„Das geht doch nicht, Schatz.“
„Dann gehe ich auch aus oder jchließe einfach ab.“
.+&8 half mir nichts, ich mußte ihr verfprechen, da⸗
heim zu bleiben.
Am anderen Tag warteten wir von Stunde zu Stunde, aber er fam nicht. Als wir uns jedod) gerade vor unfere Mittagfuppe fetten, Flingelte es.
„Das ift er!“ rief meine Frau, und ein Fomifches Entfegen malte ſich in ihrem Geſicht.
Es Flingelte zum zweitenmal.
„Sol ich die Suppe wieder hinausbringen?“
Aber da hatte das Fleine Morgenmädchen fchon geöffnet; eine fchnarrende Stimme wurde auf dem Korridor laut, kurz, offiziersmäßig, ein Scharren und Schnüffeln — die Tür wurde geöffnet, und herein ſchoß ein Fleiner, gelber Tedel, an einer Leine feft- gehalten.
Sch ging dem Befuch ein paar Schritte entgegen.
Er firedte und beide Hände entgegen.
„Entfhuldigen Sie, gnädige Frau, wenn ich Ihnen in die Suppe falle. — Männe, willſt du! Aber faffen Sie ſich nicht ftören. Bitte, ruhig Ihre Suppe zu effen. — Männe!“
Der Tedel fchoß unter alle Stühle und rumorte entfeglich umher, während fein Kerr vergeblid; an der Keine zerrte.
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Das war alſo der Freiherr von Liliencron! Ein kleiner, hagerer Mann in langem Lodenrock, der ihm bis auf die Füße fiel, mit einem kleinen, grünen Hute, den er unter den linfen Arm geflemmt hatte, und mit einer hellen, frähenden Stimme.
Sch lud ihn. ein, abzulegen, aber er mehrte ab.
„Nein, nein, ich will gleich wieder gehen. Sie follen
Ihre Suppe eſſen. Kartoffelfuppe? Herrlich! Herrlich!
Kantüffelfupp’, Kantüffelfupp”, Den ganzen Tag Kantüffelſupp'!“
Er legte nicht ab, nahm feinen Stuhl an, drüdte
ung nur wieberholt die Sande und nannte mid:
„Mein Poet.“
„Bann treffe ich Sie morgen zu Haufe?” fragte er.
„au jeder Stunde bin ih für Sie da,” ant- wortete ich.
„Bortrefflih! Dann hole ih Sie ab zu einem Spaziergang. Gnädige Frau erlauben, daß ich Ihren
Herrn Gemahl entführe. Um vier Uhr? Iſt Shen
dad recht?“
Ich bejahte.
„Aber nun die Suppe, die Suppe! Männe! Willft du her!“
Ein Handfuß, ein Händedrud, und draußen war er. Und die Kartoffelfuppe war noch heiß.
Wir fahen und an und ladıten. _
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Sch hatte mit einer gewiffen Enttäufchung zu fümpfen. Sch hatte mir ein Bild von ihm gemacht, fo ſtolz, fo edel, wie nur ein begeifterter Backſiſch fich feinen Ritter träumt. Und diefer Fleine, hagere, quecfilberne Mann mit der frähenden Stimme ent- ſprach fo gar nicht diefem Bilde.
Am anderen Tag trat er in derfelben turbulenten MWeife bei uns ein; nur feinen Teckel hatte er zu Haufe gelaffen.
Ein Handkuß, ein „gnädige Frau“, und eins zwei drei hatte er mic; meinen vier Wänden entführt.
Er äußerte den Wunfch, nad) der „blauen Brüde" zu gehen, die hinter Horn über die Billfe führt. Hier liegt jenfeits eine Reihe alter Patrizierhäufer, Sommerwohnungen, in dunklen, verträumten Öärten, die wollte er wieberfehen; er ſei früher viel dort fpazieren gegangen und liebe diefe Gegend. ch ver: nahm zum erftenmal, daß er fohon früher in Hamburg gewohnt habe und hier durchaus nicht fremd ſei; ja es zeigte ſich bald, daß er beffer Beſcheid wußte als ich ſelbſt.
Die Natur lag nod im Winterfleid. Die Bille war zwar frei von Eis, aber der Erdboden war hart gefroren, und auf den Fahlen Feldern und auf den Wegen und an den Gräben lagen Reſte ſchmutzigen Schneed. Es war aber eine ftille, Flare Luft, in der fich gut fpazierte, und wir wurden bald warm vom Gehen und Sprechen.
Was war er für ein prächtiger Erzähler! Er er zählte von Conrad und Bierbaum, den er feinen Dtto Julius nannte, von Mar Halbe, vom Liederfönig Hugo Wolff, von Karl Henkel und Conradi, „dieſem ganz Genialen“, die ich alle aus „Der Gefellfchaft“ ſchon Fannte, und führte mich in einer halben Stunde durch die ganze moderne Literatur.
Ich hatte Muße, fein Geſicht zu ftudieren, das mir, je länger id; es anfah, immer ſchöner erfcheinen wollte: das feite, energifche Kinn, die hübfche Nafe, die wunder- barften Augen, die einmal aufblisten und ein ander:
mal wie hinter trüben Schleiern verfanfen. Als wir an den winterlichen Gärten hingingen, wußte er mir von den dunkel und einfam daliegenden Käufern allerlei zu erzählen; von einem kannte er den Namen des einftigen Beſitzers, an ein andred wußte er eine Anefdote anzufnüpfen, ein drittes begeifterte ihn zu einem Loblied auf das Empire, und ein viertes ſchien er bei einem perfünlichen Beſuch bis in alle Räume fennen gelernt zu haben.
„Sehen Sie!” rief er und faßte EN am Arm. „Dort das Zimmer rechtd im Erdgefchoß! Sehen Sie’3? Neben den ſchwarzen Zyprefien? Da ſtarb fie,“
„Ber ?“
„Sp ein füßes Mädel, wie fie war,“ fuhr er fort, ohne auf meine Frage zu achten. „Augen, wie der Abendftern, und fo ganz fleine weiße Hände. Und küſſen fonnte fie!“
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A 3 ee] —— — F
Es ſchien mir indiskret, weiter nach dieſem füßen Mädel zu fragen; ich ſtarrte auf das ſtumme Fenſter neben den fchwarzen Zypreffen, und Haus und Er- zsähler famen mir rätfelhaft, wunoderlid; vor. Was mochte er alles erlebt haben?
Bei einem anderen Landhaus, deffen Winterfchlaf zwei Bronzelöwen zu bewachen fchienen, rief er: „So müffen wir Dichter wohnen! Statt deffen laffen fie uns hungern! Zweimalhunderttaufend Marf jährlid,. Der Teutſche rauft fic, ja wohl die Haare aus. Was? Tmweemalhunertdufend Mark? Kartoffeln follt Ihr
freſſen und uns unfere Geburtstagsfarmen dichten!“
Sc lachte. Er aber fing ernfthaft an zu prophezeien: „Paſſen Sie auf, yaffen Sie auf! Es kommt! Konrad zeigt es ihnen, diefer Niefe, diefes Genie!“
Sp ließ er feinem Temperament die Zügel; id) fonnte ihm nur ftaunend zuhören, und mir war mwunderlich zu Sinn. |
War das der Dichter, deffen Berfe mic) ſo im Innerſten gepadt hatten, wie nach Goethe noch feiner? War das Timmo Boje Tetje aus dem „Mäzen“, der glüd- liche Erbe Wulff Gadendorps ?
„Sehen Sie, dort, das einfame Bäumchen auf dem Deih? Iſt ed nicht rührend ?“
Sch hatte kaum Zeit hinzufehen, als er fchon wieder rief: „Salfe, Falke!” Er ftieß mid; mit den Ellbogen in die Seite. „Haben Sie gefehen, was die lütje Deern für Augen machte? Die liebt Sie jest.“
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—— x *
Verrückter Kerl!‘ dachte ich denn doch reſpektlos und lachte. Die Kleine, ein flachsblondes Arbeiterkind, die und im Vorübergehen angeſchielt hatte, kicherte hinter unferem Rüden. Er drehte mich um: „Sit fie nicht entzuͤckend?“ /
Ich fand ed keineswegs, widerfprach aber nicht.
„Shre herrliche Frau! Was hat fie für gütige Augen!“ fagte er unvermittelt.
So fprang er von einem aufd andere, und ald wir und nach drei Stunden in der Nähe meiner Wohnung
trennten, hatte ich einen wirren Saufen von Eins drüden und Stimmungen empfangen, ohne daß id) eigentlicy etwas Rechtes in der Hand hielt; nur bie Empfindung hatte ich, daß wir und näher gefommen waren, und daß ich ihm gefallen hatte. Eine Ein- ladung, den Tee bei und zu trinfen, hatte er ab» gefchlagen; er wolle diefen Abend eine Wohnung
in Altona mieten und erjt noch ein paar Minuten
bei feinem alten Vater vorfprechen, der hier ganz in der Nähe in einem alten Patrizierhaufe wohne.
„Nun?“ fragte meine Frau, ald ich etwas ermüdet wieder bei ihr eintrat.
„Ein wunderliher Menfch,” fagte ih. „Aber höchſt intereffant. Und wir find fchon gute Freunde,“
Sie wollte mehr wiffen, und ob er denn nichts von fich felbft erzählt habe. Aber ich Fonnte ihr nichts mitteilen, ald daß er ganz in unferer Nähe in einem
SE
alten Patrizierhaufe einen Vater wohnen habe und. daß er fih in Altona eine Wohnung mieten wolle. „Dann ift ed doch wohl nichtd mit feinen Gütern?“ meinte fie. „Die liegen wohl im Monde,“ jagte ich.
* * *
Es entſpann ſich jetzt ein lebhafter Verkehr zwiſchen Lilieneron und mir. Er lebte in einer Einſamkeit und Berlafjenheit, die im fchneidendften Gegenſatz zu dem Bilde ftand, das ic, mir von dem Millionenerben Wulff Gadendorps gemacht hatte, und der mich tief erfchütterte und ed mir erflärlich machte, daß er ſich an mich als eine verftehende Seele anflammerte.
Er hatte fidy in Dttenfen bei Altona, in ber Nähe der Kirche und der Nachbarfchaft von Klopſtocks Grab bei einfachen Leuten ein fleined Parterrezimmer gemietet; er wollte möglichit draußen in der Nähe der Elbe und feiner geliebten holfteinifchen Wiefen und Felder fein. |
„Wohn’ ich nicht entzücdend ?“ empfing er mid) Das erftemal, zog die Gardine zurüd, und zeigte auf eine fleine Zaube, die vor feinem Fenfter fand.
„Hier fiße ich nun jeden Abend mit meiner guten prächtigen Frau Möllern und klön en beeten.“
Und dann zeigte er mir mit ironifcher Handbe— wegung fein bejcheidened Zimmer: „L’appartement
Falke 24. 869
Re \ — a sie
de Monsieur le Baron! Herr B’ron, wie meine alte gute Möllern fagt.“
Sch lachte und fah mich um. Der fleine Raum war nur mit dem Notdürftigften möbliert; ein Sofa, ein Zifch, eine Kommode und zwei Stühle. Das Bett war hinter einer geblümten Kattungardine verborgen, bie er ein wenig lüftete, damit ich fehe, daß er auch ein „anftändiges Lager“ habe. Sch fah Hut, Stod und gelbe Handſchuhe auf dem Bett liegen. Sch fah, daß er nicht verwöhnt war und vielleicht mit noch befcheideneren Verhältniffen hatte manchmal vor- liebnehmen müffen.
Leuchtend in all der Ärmlichkeit ftand eine blaßrote La France in einem Wafferglad auf dem runden Tiſch. |
„Iſt die nicht herrlich?“ rief er, und fand mit ausgebreiteten Armen davor, ald gälte es ein junges Mädchen zu umarmen.
„Aber nun fommen Sie, wir wollen einen Gang durch die Felder machen. Nachher effen Sie Erbfen- juppe mit mir; Frau Möller focht eine köſtliche Erb» fenfuppe.“
x % *
Wöchentlich einmal mußte ich zu ihm kommen. Gewöhnlich aß ich dann bei ihm, ein befcheidenes Mahl, ganz Fleinbürgerli: eine Suppe, eine Kar⸗
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bonade, ein paar Frifandeaus, alled reichlich ın Fett fhwimmend, wodurch er fih auch bald ein vor» übergehended Magenleiden zuzog. Zwei Flafchen Lagerbier bildeten den Trunk, eine Roſe oder ein Syringenzweig den Tifhfhmud. Und während wir aßen, lagen auf dem Bett oder auf der Kommode fhon Aut und Handfchuhe zum Spaziergang bereit. Nie ging er ohne Handfchuhe. |
Manchmal vergingen feine acht Tage, daß er mid) rief: „Kommen Sie, fommen Sie, ich habe fo eine Sehnfuht nach Ihnen.“ Oder: „Es kümmert ſich kein Menſch um mich!“ Oder: „Heute Nacht ein wundervolles Gedicht! Sie müffen fofort kommen!“
Und immer mußte id) auch von meinen eigenen Verſen mitbringen. Da gab er fi) denn die liebevollite Mühe mit ihnen, lobte überfchwenglich, tadelte draftifch und wußte mir mit ein paar Worten die Augen zu öffnen. Las er dann feine eigenen Berfe, fo fonnte man fich nichts lebendigeres denfen. Er unterftrid, mit Ton und Gebärde, malte mit Tempo und Mimik und gab immer ein plaftifch anfchaulich Bild, fo daß man fich ſtets mitten in feinem Gedicht befand, war es nur eine Ballade mit Schladht und Mord, oder ein Landichaftsidyll, oder eine feiner entzücenden Liebeöfzenen.
Einzelne Berfe, die ihm befonders geftelen, wieder; holte er wohl, ebenfo einzelne Ausdrüde und ger lungene Bilder.
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„Falke! Hören Sie! Ein Waffer fhwagt fich felig durchs Gelände! Iſt das nicht reizend ?“
Seine Manuffripte fahen bunt aus. Er änderte und feilte unermüdlich, und fohalt mich, wenn ic) nicht trachtete, einen guten Ausdrud durch einen beſſeren zu erfegen.
„Immer Leben, immer Anfchauung! Was ift ein Vogel? Ein Vogel ift nichts. Ein Sperling ift fohon etwag.“
Er hatte die feinften Ohren für Anklänge und
Neminifzenzen.
„Das ift Goethe, das ift Lenau, das ift Geibel! Sehr fchön, aber Schillehr, Schille—h—r !”
. .©o arbeiteten wir zufammen, und ed fam aud wohl vor, daß er mich um einen Rat fragte und meinen Borfchlag guthieß und annahm.
Lange äfthetifche und kritiſche Gefprädye, öde Fadı- fimpelei waren ihm zuwider, und auf unfern Spazier- gängen hatten wir ed ein für allemal verpönt, „Literarifch“ zu werden.
Es fehlte und auch nicht an anderer Unterhaltung. Ein Baum, eine Wolfe, ein einfames Haus, ein Knid, eine Krähe, ein Mädchen, ein Tedel, ein Viergejpann, alles wurde fprunghaft, mit ein paar kurzen Worten wie mit dem Bliglicht aufgefangen, wobei denn oft die drolligften Bilder und Wortverbindungen zum Borfchein Famen. Dabei fammelte er unermüdlid, für feine Arbeiten. Wie er jenes Landhaus an der
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Het ER
Bille mit den Geftalten feiner Novelle „Das Richt Schwert von Damaskus” belebt hatte, wie ich jegt erfuhr, fo mußte ihm beftändig alled dienen, und manches, was und auf unferen Spaziergängen auf- gefallen war, ein merfwürdiger Baum, eine alte Katenfrau, ein blühendes Topfgewächs vor einem ‘ Billenfenfter und was immer ed fein mochte, fand ih hernach in irgendeinem Kapitel feined Romans „Mit dem Iinfen Ellbogen”, an dem er gerade arbeitete, wieder.
Gern führte er mich in Fleine und verftecte länd— lihe Wirtshäufer, je Fleiner und verftecdter je lieber ihm, wo er mid; zu einem Glas Grog oder Bier einlud. Hier hieß es denn meiftens: „Falke, hebbt Se ’n beeten Geld?” Und der Gaft mußte dem Wirt borgen, was nicht fo genau genommen wurde. Da hodten wir denn in irgendeiner kleinen Laube zu> fammen, fchütteten unfere Herzen aus und machten uns heiße Köpfe.
Nur hin und wieder wurde ein neues Buch, ein neuer Autor, mit ein paar Worten abgetan. Das gegen liebte er ed, immer wieder mit fräftigen Aus— drüden auf die „guten Teutſchen“ zu fchelten, Die ihre „Zichter” hungern ließen, und auf die neidifchen und hämifchen Philifter, die ihm nicht das Fleinfte Glück gönnten und in Liebesfachen von einer efelhaften, altjüngferlichen Prüderie und Heuchelei wären. Und allemal harte er ein neues Liebesabentener zum beiten
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zu geben, manchmal brutal, manchmal mit der naiven, entzücdenden Anmut feiner Gedichte.
Auch in feinen Briefen vertraute er mir feine feinen Grlebniffe meift mit großer Offenherzigfeit an; oft in ein paar hingeworfenen Zeilen. Nicht immer war ed ein Brief oder eine Karte, fondern zu- weilen nur ein abgeriffener Feten, die Klappe eines alten Kuverts, was feinem Mitteilddrang genügen mußte. Dft fehlte es ihm an Porto. Seine Armut war in diefer Zeit grenzenlos, und fein Zuftand war geeignet, mid; in feine Anflagen gegen eine Gefellfchaft ein- ftimmen zu laffen, die ſolche Dichter wie ihn darben ließ. |
Hatte ich es nun zehnmal beffer ald er, weil ich mit Stundengeben das, was ich brauchte, leidlich vers diente, fo hatte ich doc auch meine Sorgen und feufzte wohl auch einmal unter ihrem Drud, Eraber ſchloß mich zugleich in den Kreis der notleidenden Poeten mit ein, zu denen ich ja, wenn id} von meiner Poefte hätte leben follen, freilich als ein allerärmfter Schächer gehört haben würde, und er nannte ed eine Schmad), daß ich genötigt fei, mein Brot als Klavierlehrer zu verdienen. So fonnte es nicht ausbleiben, daß aud) in meiner Seele mandjmal Bitterfeit aufjtieg und fich bin und wieder in einem Vers Luft machte. Ihm aber war ich dann immer nicht fcharf genug. Er warf mir vor, daß ich noch viel zu viel Rüdficht auf diefe „Philifter”, dieſe „Bourgeois“ nähme, während
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ich mir doch bewußt war, Feine Rüdficht, nach Feiner Seite hin, zu nehmen. Wie hätte ich aber eine Ge— ſellſchaft haffen follen, aus deren Schoß ich hervor» gegangen war, deren Wege ich‘ jahrelang gewandert und der ich nicht vorzumerfen hatte, als daß fie mich, wie Millionen andere, um mein Brot arbeiten ließ. Daß fie mich als Dichter ehre und pflege, konnte id) nicht verlangen, da fie mich als folchen unmöglich Schon fennen fonnte, und ich auch eine Verpflichtung der Nation, für ihre Dichter zu forgen, nur den wirklich auserwählten und Werte fchaffenden Geiftern gegenüber anerfennen fonnte. Sp war ich mehr aus feiner Seele heraus rebellifch, ald aus eigenem uns zufriedenen Gemüt. Ich war ja auch nicht jung genug mehr, um nicht einigen Einblick in die Welt zu haben und nicht zu wiffen, daß mit Schelten und Schreien nichtd getan fei, und daß nichts übrig blieb, als in ftiller und treuer Arbeit auszuharren, um mit der Zeit zu einiger Bedeutung heranzuwachſen. Er aber hatte das Recht, fich fohon zu fühlen, und er litt zehnfach unter der Laft feiner Armut, da er ein befjeres Leben als Dffizier und Edelmann einft ge wohnt gewefen war, und von einem armen Klavier: lehrer und einem armen Baron immer der arme Baron der Bedauerndwertere ift.
Da es ihm nun nit an Tapferkeit fehlte, feine Nöte mit Außerer Würde zu tragen, und er aus allem feinem Elend heraus ein herrliches Gedicht nad) dem
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NENNEN ei Du REN — 9
anderen in die Welt hinausſchleuderte, ſo mochte er zur Erleichterung gerne kraftiglich ſchelten und ges legentlich ſchimpfen. Aber was ihm wohl anſtand, waͤre mir nicht zugekommen.
Eine ſo kraftvolle Perſönlichkeit, ein ſo feuriges Temperament mußte eine ruhigere, gelaſſenere Natur, oft unwillig als Gegenſatz empfinden. Und wenn ich mir nun mein Eigenſtes in dieſem Feuerbad täglicher Einwirkungen bewahrte, ſo gehörte oft nicht wenig zähe Widerſtandskraft dazu, und in jüngeren Jahren wäre ich ihm gewiß rettungslos erlegen. Immerhin war ich wenigſtens ald Dichter jung genug, um zu ihm aufzufchauen, ihm nachzueifern und ihm bewußt abzugucen, was ich für mich für förderlich hielt.
Seinen vielen Kiebesabenteuern fiand ich als junger Ehemann gebunden gegenüber, oft ihm feine Freiheit beneidend, oft fein Flattern von Blume zu Blume mit feinem Fünftlerifchen Temperament vor meiner anerzogenen bürgerlihen Moral unwillig rechtfertis gend.
Las er mir, noch ganz befeelt von dem Erlebten, bie Frucht einer folchen Liebesnacht oder eines Aus— fluges in die Verfchwiegenheit bäuerlicher Gaſthaus— fauben vor, glaubte ih, ihm für ſolche Köſtlich— feiten alle „Sünde“ verzeihen zu follen. Solcher Iprifcher Perlen auch teilhaftig zu werben, bildete id mir wohl ein, auch ähnliche Abenteuer nötig zu haben, und es bedurfte der ganzen Liebe zu meiner
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Frau, um bei meiner bürgerlichen Tugendhaftigfeit zu verharren.
Doch waren bie Fleinen Mädchen nicht allein feine einzige Schaggrube. Wenn er aus dem rauchenden Sclot des Hornhardtfchen Konzert» Etabliffements auf St. Pauli ein fo groß gefehenes phantaftifches Ge- bilde holte, wie das wunderbare Gedicht „Der ſchwer⸗ mütige König”, wo das Gebäude zur Burg, der Schornfteingualm zum Opferrauch und das dumpfe Geräufch der Dynamos verbunden mit den abgeriffenen Klängen der im Saal fonzertierenden Kapelle zu einem wilden Getöfe, zu einer dem Götzen dargebrachten Mufit wurde, fo glaubte auch ich die rechten Wege zu wandeln, wenn ich die einfachen Erlebniffe und Vorgänge der Straße umzubilden fuchte, Realismus und Phantaftif verbände, mas mir jedoch meiftend mißlang. Sp etwas mußte bei mir aus einem ges wiffen Traumzuftand geboren werben, der mich felten vor den Dingen felbft überftel, wie es ihm wohl bligartig geichehen fonnte, wie denn alles an ihm genial war und er zu jeder Zeit ein rechtes Kind des Augenblickes erfchien.
Mehr ald auf diefem Wege lernte ich technifch von ihm, wenn er mich immer wieder darauf hinwies, Wortwiederholungen zu vermeiden, mich auf Inver⸗ fionen aufmerffam machte und das Dichters „e“, das er grimmig haßte, mit Spott und Zorn verfolgte. Mit der Wortwiederholung nahm er es fo genau, daß er felkit in einem langen vielftrophigen Gedicht
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nod; im legten Vers ein Wort rügen konnte, das fhon im erften Vers vorgefommen war, und er fonnte alddann unermüdlich auf der Suche nach einem anderen Wort fein, wobei er Grimms Wörterbuch und andere Hilfsmittel nicht verfchmähte. Artete das auch mandy-
mal zur Pedanterie aus, fo hat er doch dadurch feiner
Sprache unendlichen Dienft geleiftet und fie reich gemacht.
Nachdem er jedes Gedicht gutgeheißen hatte, war er mir beim Zufammenftellen meines erften Buches behilflich. Weil eine Reihe von Gedichten fich mit dem Knochenmann befchäftigte, und diefe, zu einer Art Totentanz zufammengeftelt, den Anfang der Sammlung bildeten, fand er für. fie den Titel „Mynheer der Tod“.
Es war natürlih, daß id; ihm, dem ich ſoviel verdanfte, dieſen Erftling widmete. Er ließ es fich gefallen und lachte vielleicht im ſtillen, daß ich dieſer Widmung das Motto hinzufügte:
„Laßt uns fingen wie wir wollen, Scelten, fcherzen, tanzen, tollen, Sind wir ung nicht felbft genug? Frei von allen engen Banden, Unbekümmert, wo wir landen, Wagen wir den keckſten Flug.“
Mit diefem „wir“ ftellte ich mich ihm doch eigentlich keck genug an die Seite; aber er wußte, daß Freundſchaft und nicht Selbftüberhebung diefe Verfe diftiert hatte,
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In ditfem Sommer fchenfte meine Frau mir das erite Töchterhen. Wäre es ein Sohn gemefen, hätte er Hand Detlev heißen follen, nun nannten wir das Kindchen Gertrud Heilwig. Wir waren für beides gerüftet geweien, Knabe oder Mädchen. Lilieneron hatte eine lange Liſte von Mädchennamen aufgeftellt, meiftens alte: fchledwig-holfteinifche Namen, wie er fie in feinen Balladen und Erzählungen bringt; Wibke hatte er unterftrichen, aber meine Frau fonnte ſich mit dem fremden Namen nicht befreunden.
Da ftand ich nun und hielt fo ein erftes Kindchen - in meinem Arm, wie man es fo hält, halb ängftlich, man fönnte es fallen laffen, und halb verlegen in der ungewohnten Vaterrolle. Und gerade in diefem Augenbli mußte der Hausarzt fich melden, und ich fonnte das MWürmchen nicht fchnell genug wieder in die Hände der MWärterin zurücdlegen. Die Mama aber lachte mich von ihren Kiffen her mit gutmütigem Spott tuͤchtig aus.
Sie hatte gut lachen. Nicht ein Vögelchen Fonnte ih in der Hand halten, ohne daß mein Herz nicht ebenfo ängſtlich Flopfte wie das des zitternden Tier- chend, aus Furcht, ich fünnte es verlegen. Und num fo ein Kindchen, fo ein eingewideltes Menfchlein! Iſt es nicht das hilflofefte Gefchöpf auf Gottes Welt? Iſt e8 nicht beffer, es liegt warm und ficher in feinem Miegenbettchen, und du ftehft nur darüber hingebeugt
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und flaunft ed an, wie der Knabe ind Vogelneftchen gut, wo eben die Kleinen aus dem Et gefchlüpft
find? „Du fchläfft, und fachte neig’ ich mid Über dein Bettchen und fegne dich. Jeder behutfame Atemzug Iſt wie ein fchweifender Himmelsflug, Iſt ein Suchen weit umher, Ob nicht doch ein Sternlein wär”, Wo aus eitel Glanz und Licht Liebe fich ein Glückskraut bricht, Das fie geflügelt herniederträgt Und dir aufs weiße Deckchen legt.“
Nun erfi war aus dem innigen Bund zweier, die ſich lieb hatten, eine Familie geworden. Mit den Anfprü- chen wuchſen freilich die Einnahmen nicht, wenn nicht vermehrter Fleiß das Nötige herbeifchaffte.. Da war ed denn mit Freuden zu begrüßen, daß hin und wieder für ein Gedicht ein paar Marf Honorar eingingen. Durch Rilieneron war id mit der Redaktion der Zeitfchrift „Zur guten Stunde”, die damald von Paul Dobert geleitet wurde, in Verbindung getreten.
Diefe Zeitfchrift war wohl die erfie und lange Zeit
die einzige, die ftändig Gedichte brachte und fie auch be>
zahlte. War e8 auch nicht viel, fo war ed doch für
meine fchmale Kaffe eine erwünfchte Beihilfe. Glücklicher Sommer diefed Jahres 1891!
Sch am Schreibtifch gedankenfchwer, Du vor dem Herd im Hin und Her,
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—
Sorgen wir beide, den Boden zu nähren, Heimlic, reifen unfere Ähren.
Ruhen die Hände, und halt ich dich feft Abends, du Gute, and Herz gepreßt,
Iſt mir’s, als Hör’ ich ein Raufchen und Regen Feld an Feld in blühendftem Segen.
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Förbderlic in anderem Sinne als die Verbindung mit honorarzahlenden Nedaftionen war mir eine neue Bekanntſchaft, die Lilieneron vermittelte, und Die hernach zu einer dauernden Freundfchaft führen follte. Otto Ernft, in der Abficht, eine Literarifche Gefellfchaft zu gründen, fammelte alles um fich, was literarifch einen Namen in Hamburg hatte und was fich für Literatur intereffierte. E38 galt, dem Neuen einen Weg zu bahnen, und bald trat denn auch die Ge- fellichaft ind Leben, die unter feiner energifchen und Hugen Leitung nad und nad, einen großen Umfang annehmen und für das Titerarifche Leben der Stadt wertvoll werden follte. Die große Maffe war nod im Alten befangen, Zola, war noch als unfittlich verjchrien, und e8 waren nur Fleine Kreife oder ver: einzelte Gruppen, die ſich für das Neue begeifterten und dann auch, wie das immer ift, fo radifal als möglich waren.
Ein ſolches Konventifelhen der Modernen nannte ſich „Atta Troll“ und tagte bei Bier, Likör und
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Zigaretten in einem Vorftadtcafe. in befannter Geiger, Lilieneron und mir befreundet, lud uns da— hin ein, und eines Abends entfchloß ich mich, mit Dtto Ernft diefen Kreis zu befuchen. In einem voll- gequalmten Fleinen Klubzimmer trafen wir eine auf geregte Berfammlung, die leidenfchaftlich Durcheinander- bifputierte. Es war nicht zu verjtehen, um was es fich handelte, und wir festen uns befcheiden unten an den Tiſch und verhielten ung zuhörend, bis es und endlich gelang, in die Debatte einzubringen. Ein Mufifer modernfter Richtung fchien ald Dalai⸗Lama bier zu thronen, wenigftens faß er mit der Würde eines folchen oben am Tiſch, dampfte und tranf un- heimlich, und jedes feiner Worte ſchien den anderen ein Evangelium, Er fprad nicht in zufammen- hängender Rede, fondern ypolterte dann und wann mit dröhnendem Baß irgendeine Ungeheuerlichkeit heraus. Da wurde dann Schiller einfach ein Blech— ſchädel gefcholten und in gleichem Ton von Beethovens Zrampelrhythmus gefprochen, fo daß ſich mir .bei ſolchen Blasphemien die Haare fträuben wollten. Doch ſchien es mir angefichts der vielen geleerten Bierfeidel und Schnapsgläfer töricht, ein ernftes Wort zu jagen, und ich ftand lachend auf, ging mitmeinem vollen Glas zum Dalai⸗Lama und tranf ihm zu: „Profit! Auf Schillers Blechſchaͤdel!“ Er fah mich verdutzt an, zog die Stirn in finftre Falten und Löfte langfam diefe Jupiter tonans- Grimaffe in ein unfagbar überlegenes Lächeln auf.
Die andern aber lachten und fchienen mir nicht böfe zu fein, wie fie denn alle zufammen, fo abjurd fie ſich gebärdeten, ganz harmloje Leutchen waren, die wohl ihren Niegfche gelefen hatten, aber ihre Rolle als Übermenfchen noch ziemlich Findlich fpielten.
Mit einem Lächeln fchied ich von diefen Geiftern, die ich nicht ernft nehmen konnte, fonft hätten fie mid; wohl für immer aus dem neuen Lager verjagt. 309 ich aber Bier» und Tabafsdunft ab, in dem fie fih bewegten, fo waren fie eigentlich nicht viel
Schlimmer als ich felbft, was unreifes Suchen und
Taften anbelangte. Der Naturalismus eined Zola, von Michael Georg Conrad den Deutfchen begeiftert gepriefen und gepredigt, galt auch mir als allein» feligmachend, und ich ereiferte mich für ihn in Wort und Schrift.
„Aber fommt einer des Wegs mit der reinen Freude am Objekt, mit der naiven Künftlerfreude an der Welt der Erfcheinungen, und er heißt nicht gerade Goethe und ift nicht gerade feit 1832 maufetot, fo rufen fie: ‚Hebe dich weg, was willft du in unferem Zempel? Du haft feine höheren Abfichten! Was wilft du mit deinen Alltagsgefchichten und Alltagss menschen ?‘
‚Altagsmenfchen?‘ rufft du erftaunt zurüd. ‚Gibt es denn Alltagsmenfhen? Ich Fenne Feine.‘
‚Dann find Sie wohl Künftler?“‘
‚Sal‘
‚Dann raus, aber fchleunigft!‘ |
Diefe groben Tempelwächter, die ihrem Gott mit höheren Abfichten und tieferem Sinn dienen, find fehr ungerecht gegen did. Auch reden fie ſich nur ein, daß fie deiner Alltagsbilder und »gefchichten nicht bedürfen. Sch wette, wenn fich einer biefer Herren hinfegen fol und einen Milchkarren befchrei- ben, wie er ihn ficher taufendmal in der Woche auf den Straßen der Großſtadt fieht, er fommt zu der Überzeugung, daß er noch gar feinen Milchkarren fennt. Er hat ihn das taufendftemal fo flüchtig ges fehen wie das erftemal. Aber den Jungen hinter dem Karren, den fennt er, das Mädel, dad die Mild fauft, den Herrn Wachtmeifter, der fie Eontrolliert ie Milch natürlich), die Fennt er, diefer vorzügliche Menfchenfenner. Sebt er ſich aber hin, um fie zu fchildern, fie zu reproduzieren, heiliger Photographies faften! Was für Ungeheuer fommen da zum Bors ſchein!“
Und mit derſelben Feder, die ſo törichtes Zeug niederſchrieb, warf ich in weicher Traumſtunde in kaum leſerlicher Schrift ein Gedicht wie dieſes aufs Papier:
Phantaſie.
Das Wolkentor ſprang auf, und der entzückte Blick Nahm teil an einem ſeligen Geſchick.
Ich ſah die Himmelsgeiſter
Mit goldnen Weltenkugeln Fangball ſpielen,
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Und einer unter den verwegnen vielen War aller Meifter.
Nicht Weib, nicht Mann, in fatterndem Gewand Ein bionder Genius, hüpft' er auf den Sohlen, Mit rafcyer Hand
Sid, feine Bälle aus dem Raum pr holen,
Die warf er jauchzend und voll Luft am Glanz In der Genoſſen heitren Kugeltanz.
Und wenn die goldnen aneinanderklangen,
Gleich Glas zeriprangen
Und Flimmerftaub in alle Weite flreuten —
Wie fic die Eindlichen der Spieler freuten
Und eifriger die blanfen Bälle warfen,
Daß ein Geräufch entitand, ein tönend Schwirren, Als wenn durch Silberharfen
Erſchrockne Winde aufs und niederirren.
Mein „Mynheer der Tod” hatte nad, einigen ver: geblichen Verſuchen, denn Liliencrons Empfehlung hatte damals noch nicht viel Einfluß, einen Verleger gefunden, dem ich freilich die halben Drucfoften zahlen mußte. Nun las ich die Korreftur und wiegte mid in goldenen Träumen und Hoffnungen. Ald dann das Bud zu Weihnachten erfchien, fand es hier und da freundliche Aufnahme bei der Kritik, doc, im Lager der Alten auch Tadel und Spott. Ein Weifer in Wien wollte diefe Berfe überhaupt nicht als Gedichte
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anerfennen, es feien nur verfifizierte und nicht ein» mal gluͤcklich verfifizierte Feuilletons; es ſei verwun⸗ derlich, was die „Modernen“ jetzt für Poeſie aus— gäben, und wer alles fich zum Dichter berufen fühle
Hierbei trüftete mich nur und erfüllte mich mit einem gewiffen Stolz, daß man mid, zu den „Mo: dernen“ zählte, und fo jchlanfweg ins neue Lager hinübergefchoben, wollte ich denn auch- treulich bei der Oppofition gegen das Alte und Überlebte ver- harren. Aber auch der angefehenite Kritiker im eigenen Lager ftieß feineswegs in die Pofaune, fondern be- handelte mich als einen Anfänger, von bem man vielleicht einmal etwas Neifes erwarten fünne. Eigents (ich ließ er nur ein Gedicht gelten:
Regentag.
Der Regen fällt; in den Tropfentanz Starr' ich hinaus, verſunken ganz
In allerlei trüben Gedanken. Mir iſt, Als hätt! es geregnet zu jeder Friſt Und alles, folange ic denken Kann, Trüb, grau und naß ineinanderrann, Als hätte es nie eine Sonne gegeben, Als wäre nur immer das ganze Leben, Die Jahre, die Tage, die Stunden all Ein trüber, haſtiger Tropfenfall.
Es war Heinrich Hart, der mich immerhin jo ernit genommen hatte, daß er mid; einer langen und aufs richtigen Kritif würdigte. Er ftellte eine bedenkliche
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Abhängigkeit von Kiliencron feit, wenn auch hin und wieder Anfäge zu Eigenem, wie dad Regenlied, vor: handen feien.
Eine große Freude machte mir ein Brief Richard Dehmeld, dem ich mein Buch auf Kiliencrond Vers anlaffung gefchict hatte. Auch er fand Anlehnung an Lilieneron, in „Form“ und „Kolorit”, meinte aber, mein Wefentliches fände doch überall eigene Töne. Er fchrieb:
„Der junge Künftler darf fich getroft, nein: muß ſich unbedingt eingeftehen, was, wo, wie und inwie- weit er von den ausgereiften Meiftern techniſch ge> lernt hat. Tut er das, fo lernt er eben an denen, die ſich zu einer eigenen Form durchgebildet haben, fogleich ſich felber vereignen. Übt er diefe Kontrolle nicht, fo iſt es felbftverftändlich, daß mit der angenom- menen Form allmählich aud) das eigene Wefen in An- empfindung untergeht; gerade der technifche Fortfchritt wird dann ein pfychifcher Rücfchritt. Es ift ja gar nicht anders möglich, zu einer Herrfchaft über die Ausdrucdmittel und dadurch zu neuen, eigenen Dar- fellungsformen zu gelangen, ald daß wir unterfuchen, was bei anderen neu und eigentümlich ift, oder ge- weien if. Sehen Sie doch: Wie hat Goethe fein ganzes Leben lang fremde Anregungen in fi auf- genommen und verarbeitet, fremde Eigenart in ſich vereignet! Vielleicht war diefe immer frifche Empfäng- lichfeit gerade eine natürliche Bedingung feiner Größe.
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Aber eben: der felbftfichere Blid, die Bewußtheit der Anlehnung und Aneignung muß da fein, foll nicht der Dichter durch den Künftler in Gefahr geraten. Und nun — offen gejagt — lieber Falfe, bei Ihnen kann ich mir gar nicht denken, daß Sie nur blindlings „nachgeahmt” hätten; id, glaube, Sie wollen ſich das nur einreden, befangen in der unmillfürlichen Abs neigung felbftändiger Naturen gegen das Zugeftändnid folder fremden Einflüfe. Sie find ein fo feiner Künftler, der fo forgfältig die Worte nad ihrem Klang wertet, ihre rhythmifche und melodifche Gegen feitigfeit wählt und mwägt, der fo genau feine Farben- Fontrafte, feine Stimmungseffefte und die Plaftik feines Satgefüged berechnet, daß ich mir nicht vorftellen fann, Sie hätten ſich nicht an diefer und jener Stelle gefagt: aha, das wirft bei Lilieneron farbig, plaſtiſch, ſtimmungsvoll. Meines Erachtend brauchen Sie aber gar feine Furcht zu haben, fic das ruhig einzugeftehen, denn ich fehe, daß überall, wo Sie von innen heraus geben, auch die Form eine andere, eigene wird. Liliencronfche Darftellungsmittel tauchen nur auf, wo ſich's um die äußere Einkleidung, das Kofalbild handelt; daher die Ähnlichkeit mit ihm in Farben- fontraften und plaftifchen Stilmendungen — in dem, was man unter „äußerer Form“ verfteht. Das Melo- difche und Rhythmiſche dagegen, ſowie das Gleich- nis, dad Empfindungsbild, alfo alles, was „innere“ Form gibt, was in mitfchwingende Bewegtheit vers
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fegt, ift Ihr Eigentum. Es kaͤme alfo nur noch darauf an, daß Sie auch das Lofale nicht mehr bloß als finnliche Impreffion hinftellten (was Liliencron darf, weil das feine hedonifche Phantafie ſym— bolifiert), fondern daß Sie ed mit geiftigen Affozia- tionen erfüllten (was Sie müffen, weil Sie ein elegifher Realift find, meil alfo in Ihrer Empfindungsfpradhe das rein Sinnliche feinen fym- bolifchen Phantafiewert hat), Sie müjfen das Spyl- fifche durdy eigene Ideen wertvoll machen, die dann auch für das Lofale die eigene Form erzeugen werden. Sc fpreche nicht etwa vom grünen Tifch weg; ich jehe, daß Sie in einigen Gedichten tatfächlich bereits zu dieſer eigenen idylliſchen Form durchgedrungen find. Den „ang ins Fifcherdörfchen” 3.8. halte ich geradezu für die Iyrifche Vollendung deffen, was Sohannes Schlaf in „Dingsda“ mit feinen breiteren epifchen Mitteln lange nicht in dem Maße wirffam gemacht hat. Und daß Ihnen diefes fo geglüdt ift, liegt eben meiner Meinung nad einzig und allein daran, daß Sie erftend die objektiv finnlichen Ein- drüde durch eine ganz eigentümliche Rhythmik befeelt haben und zweitens auch noch immerfort Ihre fub- jeftive Ideenkette ſichtbar durch das Ganze fchlingen: „Wie 's Kind in den Windeln“, „Beltimmt, zu welfen”, „Nimm dich in adıt“, „Haben immer Eile, find immer reg’“, „Der alte Lehrer fingt für zehn“, „Es ift unerträglich“, „Wie verfauert”“ uſw. Und die
verfteckten Wertbeftimmungen in folchen Kontraſt⸗ impreſſionen wie:
„Hin und wieder ein frommer Spruch Und überall Fiſchgeruch.“
Oder:
„Halb ſcheu und ſtutzig, Halb dreiſt Und barfuß zumeiſt.“
Dieſer Brief Dehmels mußte mir Mut machen.
Eigentlich ſtand ich ſelbſt meiner plötzlich lebendig gewordenen Produktionskraft wie einem Wunder gegenüber. Auf der Straße, am Klavier, während des Stundengebens, beim Effen, ja während des Schlafeng im Traum war ich in beftändigem poetifchem Her— vorbringen, und die Welt erfchien mir in einem neuen, höheren Glanz.
Alles trug aber auch dazu bei, mich in dieſem glüclichen Zuftand zu erhalten: die Freundfchaft Lilienerong, die Annäherung Richard Dehmeld und vor allem das häusliche Glüc, das mich mit weichen Liebesarmen umfing.
Doch drohende Schatten fliegen langfam auf. Noch aber war der Himmel über mir hell, und ich begrüßte jeden neuen Tag als ein fchönes Gefchenf mit danf- barem und zufriedenem Gemüt:
„Dem mein Herz willfommen fingt, ließe aus der reinen Ferne,
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Wo im Zirkel heitrer Sterne Deine goldne Quelle fpringt.
Zreib mit feingeftimmtem Klang Deine klaren Wellen weiter,
Und mein Lied fei dein Begleiter Uferhin im Zwiegeſang.“
* * *
Nun das Kind da war, erwieſen ſich unſere drei kleinen Zimmer als zu beſchränkt, und wir mieteten eine neue Wohnung. Sie lag nur eine Treppe hoch, hatte ein Zimmer mehr, und wir konnten uns ein wenig ausbreiten. Mein Arbeitszimmer ſah freilich nach hinten hinaus in eine ſogenannte Terraſſe, einer ſchmalen Reihe niedriger Häuſer, die von kleinen Leuten bewohnt waren, und zu welcher der Eingang von der Straße her neben unferem Haufe war. Es war aber vor jedem Häuschen ein winziged Gärtchen, vielleicht ein Meter im Quadrat, wo ein bißchen Grün wuchs und das ganze Bild freundlich machte. Scien dann die Sonne drauf, die über die niedrigen Dächer leicht in diefen Fleinen Winkel hineinfommen fonnte, ſo war es oft gar hübſch, zumal dann die kleinen Kinder hinter den hölzernen Einfriedigungen im Sande jpielten und, jeded für ſich eingefchlofien, nur wenig Lärm machten und midy nicht ftören fonnten. Die Größeren lagen meift auf der Straße und ums
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fagerten in den warmen Sommerabendftunden bie Steinftufen unſeres Haufes; manches Mal eine rechte Plage. Dody wer gezwungen ift, billig zu wohnen, muß fchon vorliebnehmen.
Wir waren im Frühjahr eingezogen und hatten ung faum eingelebt, ald ein heißer Sommer ung in der nicht allzu vornehmen, ftaubigen und finder gefegneten Straße anfing, recht läftig zu werden. Da chloffen wir in den großen Ferien unfere Wohnung ab und zogen auf fünf Wochen nadı Blanfenefe, wo wir hinter der Hauptſtraße in einem ftillen Hinter: hauſe, das in einem etwas verwilderten Garten lag, ein billige Unterfommen fanden. Wie follte das uns allen wohltun, vor allem auch meiner Frau, Die nach der Geburt ded Kindes, den Mühen des Umzuges und allerlei häuslichen Placereien recht erholungs- bebürftig war, Wir hatten zwei freundliche Zimmer im Erdgefhoß und eine Küche, fo daß wir felbft aufs billigite wirtfchaften Fonnten, und hatten in einer alten Scifferöwitwe mit ihrer erwachfenen Tochter gutmütige, gefällige Wirtsleute.
Der Garten war eigentlich nur ein mit ein paar alten Obſtbäumen befegtes Stück Raſen, das hier am terraffenförmig auffteigenden Elbufer mählich herauf: froh. Die Grenze nach oben bildete eine Mauer, an derem Fuße eine weiße Banf jtand. Hier faß ih am Vormittag lefend und fehreibend, den Kinder: wagen neben mir, während meine Frau drinnen
wirtfchaftete. Ganz geborgen war man hier, kaum ein Laut drang von der Straße herüber, nur vom Strom her ab und zu das Pfeifen und Tuten der Dampfer, die ein» und ausliefen. Nur nachmittags, wenn die Ausflügler fcharenmweife das freundliche Berg- ftädthen an der Elbhöhe überfluteten, hallte auch diefer file Winkel von Gefang und Mufif wider, denn oberhalb der Mauer fchlängelte fid; der Weg nad Sagebield Fährhaus, einem beliebten Vergnügungs— etabliffement, hinauf. Kamen Vereine und größere Gefelfchaften zu irgendeinem Fefte Dort oben zufam- men, fo wurden fie fogar mit Böllerfchüffen begrüßt. Da geſchah es mir denn glei am erften Tag, als ich nichtsahnend auf meiner Bank faß, daß ich bei dem unerwarteten Krach von der Banf fiel, auf der ich nicht allzufeft gefeffen haben mochte, und daß Das Kind im Wagen vor Schred gar jämmerlich an zu fchreien fing, jo daß die Mutter entfegt aus dem Haufe flürzte, vermeinend, es fei ein Unglück ge- fchehen.
Unter folchem Feftjiubel und Geböller war natür- lich an ein Arbeiten nicht zu denfen. Das war ja auch nicht der Zweck unfered Aufenthaltes, und ba ich die ftillen Morgenftunden völlig ausnugen fonnte, überließ ich mich an den Nachmittagen um fo ruhiger dem wohlbefümmlichften Nichtötun.
Wie erquiclich war ed am fchönen, breiten Elbftrom, wo die Augen immer ein neued Bild regen Schiffe:
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lebend hatten, wo das weite Himmelsgewölbe den beftändigen Anblick der herrlichften Licht- und Wolfen- fpiele gab, und Ebbe und Flut ein wechfelndes Schaus
fpiel boten.
Leife ebbt der Strom. Im Schlick Ragen plumpe Fifcherfähne, Draußen gleiten, ftile Schwäne, Mit den weißen Segeln andre. Und die Strecke überwandre Breiter Bahn ich mit dem Blick Bis ans niedere Gelände Drüben, wo ſich Wiefen breiten, Wo die bunten Kühe fchreiten Zwiſchen üppigem Krautgeftände, Und die groben Weidenköpfe, Knorrig, biffig, Sauertöpfe,
Wie im Zorn die Haare fpießen.
Meiter oben fammeln, ſchließen Wie ein Wal, fih grüne Wipfel Um das Dörfchen. Höchſte Gipfel Zeigen Pappeln. Nur der Hahn Auf des Kirchleins goldner Spitze Sieht von einem ſtolzren Site Rings die Weit fih aufgetan: Weite, unbegrenzte Fläche, Segenftrogend Feld an Felder, Landmanns ungemünzte Gelder, Wieſen, Moore, Waldesränder, Und dazwifchen, blaue Bänder, Die Kanäle, Weiher, Bäche.
. Über unten, ihm zu Füßen,
Sieht er weiße Segel grüßen,
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Schwarze Schlote niedergleiten. Kommen, Gehen. Aller Weiten Unficytbare Fäden weben
Nach verborgenem Geſetze,
Dort an einem Rieſennetze.
Und es trägt der Strom das Leben Ruhig zwiſchen Uferbreiten,
Die zum Meer ſich maͤhlich weiten.
Leif’ zum Strande rinnt die Welle, Und die ſchwanke Binfe fchmiegt fich, Windet ſich und bebt und wiegt fid), Zwielicht wechſelt ab mit Helle,
Wie fich vor der Ubendfonne,
Eine fehweifende Kolonne,
Leichte Wolken haſtig drängen,
Die auf ihren hohen Gängen,
Unter fich den Tanz der Wogen, - Über fi) den Glanz der Sterne, Kommen lautlos hergezogen, Abgeſandte welcher Ferne?
Aber tiefer, Welenteiler, Kraftbeichwingte Luftdurcheiler, Tummeln fih im Auf und Nieder Möwen mit dem Schneegefieder. Wie um blaue Blumenfronen Weiße Schmetterlinge flügeln, Schaukeln ohne Schwingenſchonen Leicht ſie über Wellenhügeln.
Zwiſchen Waſſer, zwiſchen Himmel: Segel, Vögel, ein Gewimmel Regen Lebens, lautlos haſtend.
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Und ich träume ın dem Schweigen Unter breiten Buchenzweigen
Hier am Ufer wohlig raftend. Stilfes Glück der Ebbe. — Ragen Seh’ ic, aus vergangnen Tagen, Bloßgelegt, was überbraufen Sonft die Wellen. Und die haufen Heimlich in verfchwiegnen Reichen, Kommen nun, die nirengleichen, Mit den großen Schelmenblicen, Mit der Luft am Necen, Zwiden, Alterliebftes Ungeziefer,
Soviel Elüger, foviel tiefer
Als die lärmenden Gedanken,
Die zur Flutzeit mich umzanken Und mit ihrem kecken Meinen Herrn fich meiner Seele fcheinen.
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Am liebſten waren mir freilich jene ſtillen Morgen- fiunden auf meiner Gartenbanf, wenn die Sonnen- flefen unbemwegt auf dem grünen Boden ruhten und in den Kronen der alten Obftbäume die. Hummeln fummten.
Die Mütter waren auch hier Sonntags gewöhnlich, unfere Säfte, einmal befuchte uns Lilieneron auf ein Neisgericht mit Curry, das er leidenfchaftlich gern aß, und einmal fam auch Georg, der fich in der legten Zeit mit Recht von mir vernachläffigt fühlte. Sch war mir jedoch bewußt, ihm innerlich nicht un» treu geworden zu fein und glaubte mich genügend
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entjchuldigt, wenn ich ihm Flarmachte, daß eine Per- fönlichfeit wie Liltencron mid) natürlich fehr in An— fporuch nehmen müffe, und daß gerade jegt, da ich am Anfang meiner literarifhen Laufbahn ftünde, fein Umgang mir durchaus ebenfo nötig als förderlich wäre.
„Laß dich durch mich nicht ftören,“ erwiderte er etwas gereist. „Er wird dir gewiß vieles bieten, was du anderswo nicht findeft. Daß ich der Mei nung bin, daß du bei Goethe, Schiller, Storm und anderen unferer reinften und edelften Dichter eine befjere Schule fändeft ald bei ihm, der nun doch nachgerade in feinen neueften Gedichten an Saloppheit und Gefchmadlofigfeit den Gipfel erreicht hat, weißt du ja. Aber die Sache hat doch noch eine Kehrfeite. Oder glaubft du, aus einem fo intimen Umgang mit einem ftadtbefannten Schuldenmacdher und Schürzen- jäger auch Nuten zu ziehen?“
„Sc verbiete Dir, in diefem Ton von ihm zu fprechen,“ fuhr ich auf.
„Wenn du ed wünfchft, will ich nicht weiter über ihn reden,“ fagte er ruhig. „Sch glaubte nur, als dein Freund das Recht zu haben —“
„Du bift eiferfüchtig,” unterbrady ich ihn.
Er wies dad mit einem furzen Lachen zurücd.
„Daß er jest bei dir im Vordergrund fieht und mich bei dir zurücgedrängt hat, empfinde ich freilich, und daß ed mir Freude macht, Fannft du nicht ver:
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langen. Dod das ift e8 nicht, wenigftens nicht in eriter Linie. ’ „Aber du fagft mit Gretchen:
Es tut mir lang’ fchon weh, Daß ich dich in der Geſellſchaft ſeh'.“
„sa und nein. Und nicht einmal deinetwegen, fondern meinetwegen; daß ich mich fo täufchen fonntee Did, gerade di muß dod gar fo vieled bei ihm abftoßen, beim Menfchen wie beim Dichter,“
„Was weißt du von dem Menfchen ?“
„Perſönlich kenne ich ihn allerdings nicht —“
„Und da plapperft du nad, was alte Tanten dir vorplärren!“ rief ich und fchlug zornig mit der Fauft auf den Tiſch, daß er zufammenfuhr.
Er wurde blaß und biß ſich auf die Lippen.
„Bitte, Iaffen wir das,“ fagte er falt. „Du ver- lierft die Herrfchaft über dich.“
Obgleich ed mir leid tat, ihn fo angefahren zu haben, konnte ich mid; doch nicht bezwingen und fprudelte alles heraus, was ich gegen bie Philifier und die Pharifäer auf dem Herzen hatte, bis er feinerfeitd heftig wurde und nun auch aufiprang und zornig rief: „Wem fagft du das? Iſt Saufen und Huren weniger philiftrös als nach den Gefegen bürs gerliher Moral eben?“
„Das Genie —“ rief ich.
Aber er unterbrach mich und wollte von dem DBor- recht des Genies nichts wiffen.
„Übrigens weißt du,“ fagte er, „daß ich deinen Dichter nicht jo hoch einfchäge wie du, und nun laß uns diefes unfruchtbare Gefpräd abbrechen. Es war nicht meine Abjicht, dich irgendwie zu beeinfluffen. Sch wollte dich nur nicht im Zweifel darüber Iaffen, wie ich denfe. Wenn du mir jegt noch einen Platz neben ihm gönnen willft, will ich zufrieden fein,“ - fagte er mit einem hübfchen Lächeln und hielt mir die Hand hin.
„Philifter,“ fagte ich gleichfalls Lächelnd, indem id einfchlug. „Rechts das Genie, links den Philifter, da habe id; wohl Sicherheit, immer auf der goldenen Mittelftraße zu bleiben.“
„Wenn mein Philiftertum fo ſchwer wiegt wie fein Genie.”
„Das tut ed, unbedingt, das tut es!“ rief id). Und. der Fleine Krieg endete mit einem verfühnenden Lachen. |
Da der Aufenthalt in Blanfenefe dem Kindchen und feiner Mutter fehr mwohltat, verlängerten wir ihn noch um eine Woche. Und diefe legte Woche fhien und die fchönfte, da der größte Lärm der Feriengäfte fich verzogen hatte und wir des Friedend nun recht ungeflört genießen fonnten. Nur unerträg- lich heiß war es geworden, fo daß ich faum aus meiner grünen Gartenede herausfam. Endlich aber
mußte doc an die Heimkehr gedacht werden, und wir nahmen Abfchied von unferen guten Wir- tinnen. |
Zu Haufe fanden wir eine heiße, ftidige Wohnung vor. Wir riffen fogleich die Fenfter auf, und unfer erfter Schritt war auf den Fleinen Balkon hinaus, um den verwöhnten Lungen ein paar Atemzüge reiner Luft zu gönnen. Aber faum hatten wir das Fleine, umgitterte Pläsgchen betreten, auf dem ein paar ver- geffene Blumen traurig ihre toten Köpfe hängen liegen, fo erſcholl von irgendwoher aus der Nachbar: [haft ein fo marferfchütternder, furchtbarer Schrei, daß wir faft erftarrten.
„Was war das?“ rief meine Frau und fah mid) fchredensbleidy an. Sogleich öffnete ſich die Tür zum Nachbarbalfon und die Nachbarin trat heraus.
„Haben Sie gehört?” fragte fie.
„sa, was war es?“
„Wohl wieder ein Kranker.”
„Sin Kranker?”
„sa, wiffen Sie denn nicht, daß wir die Cholera in der Stadt haben?”
„Die Cholera?” riefen wir wie aus einem Munde.
„Haben Sie denn feine Zeitungen gelefen ?“
Das hatten wir freilich nit. Aber war denn diefe Schreckensnachricht nicht nach Blanfenefe ge- drungen? Wußten denn unfere Mütter nichts davon, daß die und nichts mitgeteilt hatten?
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Das Furditbare beftätigte fi. Sch eilte zu den Müttern und fand fie in Sorge und Angſt; fie wollten erit feit zwei Tagen davon wiffen, hätten uns aber nicht erſchrecken wollen.
„Du kannſt doch feine Stunden geben,” meinte meine Mutter. „Kein Menfch wird dic annehmen. Du darfft ed aud) der Frau und des Kindes wegen nicht.”
Nun begann eine Zeit des Grauſens und Bangene. Der Würgengel fchritt durch Hamburg, und täglich erlagen ihm Hunderte.
Wenn ich feine Stunden gab, fo hatten wir fein Brot. Ich mußte hinaus. Aber nahmen mid) ans fangs die meiften Schüler noch an, fo zogen fie fidh doch nach und nad, bedenklich zurück, und zulegt hatte ih nur noch an zwei Tagen der Woche einen mageren Verdienſt.
Zitternd ließ meine Frau mich auf die Straße, zitternd kehrte ich zurück, das Herz von der Angſt gepreßt: ‚Findeft du deine Lieben geſund wieder?“ Das war eine qualvolle Zeit.
Liliencron ſchickte mir ein Gedicht, „Die Peſt“, worin er die grauſigen Erlebniſſe dieſer Tage dich— teriſch zu geſtalten ſuchte, und erzählte mir in dem Brief von einem Mädchen, das in einem peſtverſeuchten Haufe wohne, dad er aber in diefer Schredengzeit nicht verließe, obgleich fie ihn warnend darum bäte. Er aber wolle feine Furcht fennen und, fein Mädel im Arm, dem grinfenden Tod die Zähne zeigen.
Galle 26, 401
Sollte idy’& bewundern? Sollte ich's ruchlos nennen? Mir graufte,
Georg, den ich nicht zu Haufe angetroffen hatte, fchrieb mir, ich möge ihn, folange die Seuche nod) in aller Heftigfeit wüte, nicht befuchen. Sch würde ihn auch kaum zu Haufe treffen. Da die Gefchäfte ohnehin ftodten, hätte er für ein paar Tage ber Woche fein Kontor gefchloffen und ſich als freiwilliger Krankenpfleger zur Verfügung 'geftellt.
Das fah ihm Ähnlich. „Hätteſt du das auch getan?‘ fragte ich mich beſchänt. Aber ich hatte Frau und Kind, ich hatte zuerft gegen fie meine Pflicht zu er- füllen. Georg ftand ganz allein auf der Welt. Und doch, ich bewunderte ihn.
Wie aber hätte man die Aufgaben dieſer fürchters lichen Tage bewältigen wollen, wenn es nicht ſolche edlen Helfer gegeben hätte! Die fohredliche Krankheit wäütete mit unerhörter Heftigkeit.
Aus der Terraffe hinter unferem Haufe wurden faft jeden Tag Kranke und Tote abgeholt. Wir mochten faum mehr aus dem Fenfter. fehen. |
Eines Abends Fehrte ich heim und fah den Wagen nicht vor ber Terraffe, fondern vor unferem Haufe halten. Das Herz wollte mir ftilffiehen. Ich flürze vor, da trägt man aus der Tür eine totenblaffe Frau — meine Frau! Sch fühle, wie mein Herz ausſetzt. Eisfalt Läuft mir’d die Knie herab. Da erfcheint meine Frau oben auf dem Balfon und winft mir,
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Sch weiß nicht, wie ich die Treppe hinauffam.
„sc glaubte, dur feieft e8!” fagte ich und umarmte fie lange.
Ic ging in mein Zimmer, trat and Fenfter und ſah in bie unfelige, heimgefuchte Terraffe hinunter, wo bie kleinen ausgetrodneten Gärten verlaffen und verwaift dalagen. Sechs SKinderchen und zwei Er⸗ wachjene hatte man hinausgetragen, und wie ich fo fand, rannen mir langfam die Tränen über die Baden.
Bis in den November hinein dauerte die Schreckens— zeit. Und ich mußte fremde Hilfe in Anſpruch nehmen, um über fie hinwegzufommen.
Als ich zuerft wieder an Georgd Tür Flopfte, wurde mir nicht aufgemacht. Die Seuche hatte ihn weggerafft. Umfonft mühte ich mich um eine Spur von ihm. Weggewiſcht war er von der Tafel des Lebens. Das große Maffengrab hatte auch ihn auf: genommen,
Trauer war überall. Wohl hielt ich Weib und Kind lebend im Arm, aber erfchüttert fühlte ich, auf wie fchwachen Füßen mein Glüd ftand,
„Kann mit Ängſten und mit Händebreiten Zreue Liebe dunkle Mächte leiten? Muß am Ufer ftehn,
- Wind und Wellen fehn, Und ihr Liebftes taumelt über Tod und Tiefe.”
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206° 408
Handel und Wandel blühten wieder auf, Die herr liche Stadt, gedemütigt, belehrt, geläutert, richtete ſich wie fchon fo mandjesmal auch aus diefem Un— glüf wieder zu neuem, fröhlichem Leben auf. Der Einzelne, je nachdem er getroffen war, erholte ſich langfamer oder fdhneller von dem Schlag. Und wer nicht einen Freund, einen lieben Toten zu betrauern, fondern nur einen gefchäftlichen Verluft zu beflagen hatte, lebte wohl bald in alter Heiterfeit und in der Zuverficht dahin, daß eine folche Heimfuchung nur alle hundert Jahre einmal das Menfchengefchledjt träfe, und fomit für ihn nun ein für allemal über- fanden wäre.
Zraf mid) Georgs Verluft auch ſchwer, und wollte dad Bemwußtfein, daß er eined Heldentodes geitorben war, aud nur ein fchwader Troſt fein, fo konnte ih doch im Bejig meiner Lieben wohl danfbar und befreit aufatmen. Dazu fam, daß die Zahl meiner Schüler mit einem Male einen unerwarteten Auffchwung nahm, teils, weil alles Leben nad überftandener Gefahr fich mit verdoppelter Kraft zu regen pflegt, teild, weil wohlmollende Freunde und Gönner trady- teten, mich durch Empfehlungen für die erlittenen Verlufte zu entjchädigen.
Dennoch jchien ed, ald wäre das Unglück, ba es einmal den Eingang gefunden hatte, gewillt, fich nicht gänzlich wieder mwegzuwenden. Der Winter brachte meiner Frau, die ohnehin durch die ausgeftandene
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Angft gefhwädht war, eine fo heftige Influenza, daß id) um ihr Leben bangte. Dody nicht genug, fing auch die Kleine an zu fränfeln, indem ſich eine entzündliche An— fchmwellung des rechten Fußgelenfes einftellte, die eine längere Behandlung mit Eis und nadıfolgendem Gips⸗ verband nötig machte und dem Arzt, wie er nachher ge> ftand, einen Augenblid den Gedanken nahegelegt hatte, den Kleinen Fuß zu amputieren. Ich felbft, von einer entzündeten Lippe geplagt, lief mit einem Maulforb herum. Da nun die Magd ein troßiged und un brauchbares Gefchöpf war, fo wären wir hilf- und ratlos gemwefen, wenn nicht eine treue Freundin meiner Frau ſich in diefer Leidenszeit unferes Fleinen Haus- ftanded angenommen hätte.
Al nun mit dem Frühjahr beide Patienten fich wieder als genefen auf die Straße hinauswagen durften, wollte uns diefe Unglücksſtraße mit ihren vielen und traurigen Erinnerungen nicht länger ge: fallen, zumal aud der Arzt für meine Frau eine freier liegende Wohnung für mwünfchenswert erflärt hatte. Wir fanden eine foldye nicht allzuweit davon in einem Eckhaus, dad von grünen Anlagen umgeben war, und wo wir einen großen, geräumigen Balfon mit einer Eleinen, gedeckten Ertralaube darauf zur Verfügung hatten. Die Wohnung bot Raum genug, daß ich meine Mutter bei und aufnehmen Fonnte, und wir waren bald froh und zufrieden in dieſem neuen Neſt.
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SS A N EEE N zur WAL BORN m
Jetzt trat auch die Notwendigkeit, unfer Töchterchen taufen zu laffen, ernftlich an mid; heran, wenn ich dad meiner Mutter gegebene Wort einlöfen wollte, Wir baten Liliencron, Gevatter zu fiehen, und er erfchien zur heiligen Sandlung zu Ehren des Täuf- lings und feiner Eltern in Sauptmannsuniform. Als vollendeter Kavalier mußte er fchnell die Kerzen unferer beiden Mütter zu erobern. Namentlich die meine, nicht ohne die gleichen Sorgen und Bedenken, die damals Georg nicht verfchweigen zu follen meinte, war ihm im Innerſten fchon lange dankbar zugetan wegen der Freundfchaft, die er mir erwies und bie fie in ihrem befcheidenen Gemüt noch weit mehr als eine Ehre empfand, als ich; denn fie hatte wohl eine richtige Schägung von Geift und Genie, wenn fie auch die reine und edle Menfchlichfeit über alle Talente ftellte Daß es Liliencron auch an diefer nicht fehle, hatte ich ihr oft genug bewiefen und ein- mal fogar auch, wie meinem armen Georg, mit einem Fauftfchlag auf den Tiſch befräftigt; worauf fie mich denn nicht blaß wie jener, fondern vor Scham und Schrecf errötend mit entfegten Augen anfah, alfo daß die heißen Klammen von ihrem Geficht fofort auf meines überfprangen, und ich meines unziemlichen Eiferd wegen um Berzeihung bat, Es hat ihr aber hernach doc gefallen, daß id; mit einem Fauftfchlag für den Freund eingetreten war.
Wie fehr die ihn verfannten, die in ibm nur den
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Don Suan fahen,, zeigte der Brief, den er mir am Tage nad ber Taufe fchrieb:
„Wir hatten geftern einen fo lieben, lieben Tag. Shr füßes Trudchen hat fich mir tief ind Herz ge- prägt, und es war mir eine flille, innige Freude, fie und ihr einfames Herz dabei zu beobachten. Und eiwig wird mir aud das Bild Ihrer Frau Gemahlin vor Augen fein, wie fie den Täufling auf dem Arm hielt vor Paſtor und Beden. Es war das Köftlichfte, was und das Leben fchenfen kann: Mutterglück — Madonnenglüd.“
Doch auch diefes Köftlichite follte mir bald wieder in Frage geftellt werden. Meine Frau hatte fidy nur fcheinbar von dem tüdifchen Influenzaanfall erholt. Sie hatte aufs neue zu fränfeln angefangen, fie wollte ſich troß aller Pflege nicht wieder Fräftigen. Einige Wochen Seeaufenthalt auf Amrum, die ich mit fchweren Opfern ermöglicht hatte, wollten nichts ver⸗ fhlagen. Langſam fchien fie an einem fchlimmen Lungenübel dahin zu fiechen.
„Wollen Sie ſich Ihre Frau erhalten, fo muß fie unbedingt in eine Heilanftalt und Lieber heute als morgen,“ fagte der Arzt.
Aber woher follte ich die Mittel nehmen?
Da fam Hilfe in fchwerer Not. Ein Berliner Berleger gründete ein neues Romanunternehmen und fragte auch bei mir an, ob ich nicht ein geeignetes Manuffript für feine Sammlung hätte. Nun arbeitete
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ich fchon feit Tangem an einem Hamburger Roman, den ich ungefähr zur Hälfte fertig hatte. Diefes unfertige Manuffript erbat er fi. Und faum wagte ich zu hoffen, daß es ihm fchon genug fagen würde. Aber es geftel ihm, er zahlte mir die Hälfte des für mich fehr anfehnlichen Honorare bar aus, und mir war mit einem Schlage geholfen,
Mie jubelte ich und danfte ih. Und was das Scönfte war, meiner Feder follte es befchieden fein, das Leben meiner Frau zu retten.
Mit welcher Freude arbeitete ich nun weiter an meinem Roman, der nachher unter dem Titel „Landen und Stranden” manchen freundlichen Leſer gefunden hat. Meine Frau aber ging auf eine Winterfur nach Bad Nehburg, während meine Mutter mir die kleine Wirtfchaft führte.
Das war eine ſchwere Zeit der Trennung, der Angft und Sorge, aber auch der Hoffnung und des immer wieder durchbrechenden DVertrauend auf eine beffere Zufunft, diefes wunderbare Gefühl einer nacht⸗ wandlerifchen Sicherheit, das mid; von Jugend auf begleitet hatte —
Voller heimlichen Erwartens, Ars blühte wo ein fpätes Glück mir noch Im Schatten eines unbekannten Gartens.
Und auch diesmal trog ed mich nicht. Im Mat konnte ich meine Frau ald genefen wieder in die Arme ſchließen.
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Wie man den Totgefagten ein beſonders langes Leben zufchreibt, fo glaubte auch ich mich nun der Hoffnung bingeben zu fünnen, der Wiedergefchenften mich hinfort ungeftört erfreuen zu fünnen. Und in der Tat flieg die Sonne unferes Glückes aus dem Dunftfrei8 der Trübfal wieder langfam aber ftetig höher. Sa, meine Frau gewann die Kraft, mir ein zweites Töchterchen ohne Nachteil für ihre Gefundheit zu ſchenken. Und ald ein abermaliger Wohnungs- wechfel uns in ein Unterhaus führte, das ſowohl einen Fleinen Vor» als einen größeren Hintergarten hatte, wo Rofen blühten und ein paar alte Birn- bäume faftige Birnen fchenften, lebten wir alle mit— einander auf. Die Roſen, an hundert edle Stämm- hen, blühten mit einer Üppigfeit und Fülle, daß wir mit vollen Händen verfchenfen mußten, follte der Reichtum nicht elend verkommen.
Es befand fi fogar ein geräumiges, bedachtes Glashaus längs der ganzen Kinterfront des Hauſes, in dem der Hauswirt, der als ein leidenfchaftlicher Gartenfreund vor und diefe Wohnung felbit inne- gehabt hatte, drei Sorten des fchönften Weines ge- pflanzt hatte, von denen wir die reifften und ſchmack⸗ hafteften Trauben ernteten. Auch eine Fleine Tuff- fleingrotte mit einem Springbrünnlein befand fich mit unter diefem Glas, fo daß wir in den Beſitz eined idealen Wintergartend famen, der mit feiner feuchten Luft, der langen Durchſonnung und dem
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belebenden Anbli der grünen Ranfen meiner Frau. ein wahres Sanatorium wurde. |
MWie freuten wir und des erftien Weined. Grüns golden und purpurblau hingen die fchönen Trauben dicht über unferen Köpfen, und wir brauchten nur die Hand zu heben, um und zu laben. Sa big in meine Träume ranften die gefegneten eben. Sch fah bie ſchlanke, biegfame Geftalt meiner Frau fich zu ben hängenden Trauben hinaufreden, die fchönite brechen und die vollen roten Beeren über einen Becher zer» drücden, den ich in beiden Händen hielt. Dabei fah fie mid; mit einem ftillen, gütigen Lächeln gar eigen an und fagte leife: „Trinke, es ift mein Blut.“
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IV
„Der Dichter ferbft Bedarf zu feinem Werk der Freudigkeit, Und wenn fie fehlt, fo iſt's zuviel verlangt, Daß trüber Sinn Begeifterung erweckt,”
fo fagt Euripides in „Der Mütter Bittgang“.
Sp war auch in den Sahren der Krankheit und Sorge meine Seele dichterifchen Stimmungen weniger zugänglich; meine Arbeit hatte auch wohl einmal ganz geftodt; aber immer brach doch die Luft am Seftalten mit Gewalt wieder hervor.
Die Kritif fuhr fort, meinen Büchern eine freund» liche Aufmerkfamfeit zu ſchenken, und überfchlug ich
die Summe des Erreichten, fo hatte ich mit Danf
einzugeftehen, daß alles Leid und alle Sorgen nur die Begleiterinnen eines auffteigenden Weges waren, der mich aus engen Niederungen zu immer freieren und lichteren Höhen hinaufgeführt hatte. Aus dem fundenlaufenden SKlavierlehrer war ein Poet
geworden, ben die beiten der Mitlebenden gern in
ihren Kreid aufgenommen hatten. Das galt mir natürlich mehr, als alle® Lob der zünftigen Kritik. Lilieneron hatte mich in den Sattel gefett und folgte nun lobend und tadelnd, ja auch wohl fcheltend meinen Reitfünften, Mit der Einfeitigfeit des Genies und mit einem Temperament, das ihn leicht über das Ziel hinaudgreifen ließ, war er auch wohl mand;mal
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ungerecht, und manche Vorwürfe hätten mich heftiger gefchmerzt, da ich fie ald ungerecht empfand, wenn nicht Richard Dehmeld kluge und tiefer gründende Kritif manches wieder ind Gleichgewicht gebracht hätte,
Als mein zweite Gedichtbud; „Tanz und Andacht” erfchien, war die Kritif der Meinung, baß ich, der in feinem erften Bud; noch ganz abhängig von Kilien- cron fich gezeigt, fehr fohnell meinen eigenen Weg gefunden hätte. Auch Liliencron felbft erfannte das an, und fchrieb mir einen herrlichen Brief, der mit allen Widerfprücen und Überfchwenglichfeiten ein ſchönes Dofument feines Künftlerernfted war.
„— Daß Sie über Dehmeld Worte erfreut waren, fonnte ich mir denfen. Und bier gleich einiges noch: Die „heiße, tod» und Iebentriefende Sonne” find Sie doch! Nur lag und liegt alles noch wie ein Bann auf Ihnen. Ihr bisheriges Leben — durch Ihr Stundengebenmüffen in der efelhaften Bourgevifie — drüdte Sie! Nein, mein Falke, ein Feuergeift find Sie, der nody oft ſchüchtern, zu fchüchtern ift: durch Ihr Milieu. Sie leben nur ein Innenleben, wie jeder große Künftler (wie Sie einer find) ein Innenleben leben muß, wenn er in ſolchen Ber- bältniffen ſich herumhauen muß. Sch habe Ihnen mit Willen nichts vordeflamiert, ehe Sie jest Ihr wundervolled Buch Aus Tanz und Andadıt vollendet haben. Darin freilich find Sie der milde, große,
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fhöne Morgen» und Abendftiern; aber ſchon Shre „Welle” zeigt die „Ieben- und todtriefende Sonne.” Bleiben Sie fo feufch, wie Sie find und denken, Falke. Das aber fagt nichts dazu: daß man eine „Sonne” werden kann. Und diefe „Sonne”’ werden Sie! Sie willen, wie ich „Keuſchheit“ verftehe, aud) bei Shnen verftehe: Unfchuldige Weibergefchichten — ob mit oder ohne den Gefchlechtsgenuß“ ; ich muß dieſes widerlichſte Wort hier brauchen — fagt natürlic nichts zu dem Begriffe „Keufchheit“. Sondern in „Keuſchheit“ Liegt jener Begriff der vornehmen Denfungsart!!! Und diefe vornehme Denfungs- art die haben Sie. Bewahr’s Ihnen für alle Zeiten der heilige Ehrift!
Nun laffen Sie, wo jest ein Abfchluß hinter Ihnen liegt, in Shrem Buche Tanz und Andadıt, nun laſſen Sie alled mehr ausreifen, und nun fangen Sie an aus Shren Sachen, bei entftehenden und entftandenen: zu arbeiten.
Der Begriff der Arbeit, des Durch⸗(Nach⸗) Denkens, der Feile lag Ihnen bisher ganz fern. Crlauben Sie mir dad fraffe Wort (Ihnen darf idy’8 fagen): Sie fchludern und jchleudern alles hin, und damit bafta. Und wenn Ihre Freunde Shnen nicht immer ihr: das ift noch nicht Fertig, Falke! zugerufen hätten, fo hätten wir faſt nur flüchtig hingeworfene Skizzen befommen. Genie aber — das alte richtige Wort: — ift Arbeit, harte, mitleidslofe Arbeit; und die fannten
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Sie bisher noch nicht. Nun aber auch ein Ent fhuldigungswort für Sie: — Keiner der lebenden Dichter, und wohl keiner auch der je gelebt habenden, hat ſolchen ſich wie von ſelbſt gebenden Reichtum des Reimes, das Sichgeben— müſſen der Phantaſie! Da ſtehn wir alle weit hinter Ihnen zuruͤck. Und ich verſteh's nur zu gut wie dieſer ewig ſprudelnde Quell bei Ihnen — welch ein ſieches kriechendes Wäſſerchen bin ich dagegen —, wie er ſo unaufhörlich quillt und quillt, ſich nicht mit Eindämmung, Selbſtkritik, Sorgfalt, Arbeit ab— geben will und mag. Aber davon hängt Ihre Zu— kunft ab. Ihr jetziges Buch iſt einfach wundervoll! Ich rechne Sie zu den erften Künftlern Deutſchlands. Am meiften Ähnlichkeit haben Sie mit dem Feufchen Thoma; aber auch Böcklin find Sie; bei Stud fehlt dDiefe SKeufchheit der Seele, und deshalb haben Sie auc nichts mit ihm gemein. Bon Klinger haben Sie mandyeds, nachdem Sie ihn fennen gelernt haben; aber dennody freue ich mid für Gie: er
war Ihnen eine mächtige Anregung. Und nun:
Sind Sie's fohon in Ihrem Buch Tanz und Andacht: Falke!
fo werden Sie's von nun an noch mehr. Laſſen Sie Ihrem unglaublichen Talent den Lauf, fehren Sie ſich an feine Borbilder — ich hätte bald gefagt: auch
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unbewußt nicht — dann find Sie in Shrem nädıften Bud, mein feiner, feiner Künftler Falfe
Amen.”
Hatte meine Bejcheidenheit mit beiden Händen und einem verftehenden Lächeln „die bluts und lebens triefende Sonne” und andere Worte Iiliencronfchen Überfchwanges abgewehrt, fo durfte ich doch auch anbererfeitd wohl zurücdweifen, was mir ungeredjt fchien. Eine gemwifje Leichtigkeit ded Technifchen war mir zwar eigen, doch nicht in dem Maße, daß mir ohne ernfte Arbeit Produftionen gelungen wären, die fo fehr feinen Beifall gefunden hatten.
Mit Nachdrucd konnte ich den Borwurf des Schluderns und Schleuderns zurüdweifen, und den Vorwurf, es an Gelbjifritit fehlen zu laffen. Der Wille, mein Beftes zu geben, war immer rege gewefen, und ließ ich Unzulängliched paffieren, fo war es nicht Sorg— Iofigfeit, fondern Mangel an Einfiht; denn ich war feineswegd fertig und gefeitet und reifte viel lang- famer als es ihm fchien.
Konnten mic, folche Widerfprüche, die mir in einem Atem fagten, daß mein Buch einfach wundervoll fei und daß ich zu fehr fchleuderte und fchluderte, auch auf die Dauer fein Unbehagen machen, ba alles, Lob und Zadel, nur ein vulfanifcher Ausbruch feiner großen Liebe und Freundfchaft war, fo waren mir
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Richard Dehmeld Bemerfungen zu demfelben Bud von um fo höherem Wert, als fie auf ben Kern meiner fünftlerifchen Perfünlichkeit gingen und mir greifbare Urteile gaben und fürderliche Ausblide er- öffneten.
Sp fchrieb er mir über eine Reihe „Zraumbilder”, die den Band eröffneten:
„Das Traumbild“ hingegen erinnert mid, in feiner Weiſe (wie Sie. befürdhteten) an Liliencron. Nicht verjchweigen aber will ich, daß es mich in den Mitteln der Stimmungderzeugung lebhaft an einen anderen Dichter erinnert hat: dad Gedicht „An Helene“ von Edgar Allan Poe. Es ift freilich möglich, daß Sie auf einem Umweg über Lilieneron zu diefer fonder- baren Ähnlichkeit gelangt find. (Oder kennen Sie dad Poeſche Gedicht?) Offenbar hat nämlich Lilien— cron ſelbſt entweder direkt oder gleichfalls auf Um— wegen (über den Dänen Jacobſen und die jüngeren Franzoſen, die alle unter Poes Einfluß dichten gelernt haben) dem Amerikaner manches zu verdanken; freilich hat er es in eine abſolut neue Sphäre und eigene Form zu ruͤcken verſtanden, die Sphaͤre der ſinnlichen Geſundheit und die Form der farbig klaren Heiter— feit Cim Gegenſatz zu Poes krankhafter Nebelfchwelgerei oder Laterna magica-Grellheit). Und fo fünnte es fein, daß Sie — fchon im Begriffe, ſich techniſch von
Lilieneron zu befreien — alfo immerhin noch teil-
weife mit feinen Mitteln arbeitend — nun auf dem
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a y UN BIN N Era
Wege ber andersartigen Empfindung, der nicht- Iilieneronfchen elegifchen Berfunfenheit, unbewußt zu dem erften Urheber bdiefer ganzen naturaliftifch- phantaftifchen Poefte, eben zu Poe, zurüdgelangt wären. Mie dem auch fei, Sie brauchen diefe Ähnlichkeit nicht zu ſcheuen; fie ift, glaube ich, nur dem durch eigene technifche Erfahrung verfeinerten Leſer fühlbar. Nach meinem fubjeftiven Gefchmad ift died Gedicht fogar das poetifch tieffte, an Stimmung gehaltvollſte, unter den fünf Bildern.
„Die drei anderen Bifionen find in der Tat ganz und gar eigentümlidh in der fprachlichen Behandlung. Sch glaube, hauptfächlich deshalb, weil Sie die technischen Reize ganz überwiegend mehr aus plaftifchen als aus Foloriftifchen Vorftelungen gefhöpft haben. Das würde fich damit deden, daß Sie mir fchon aus Ihren gedrudten Gedichten weit mehr als realiftifcher Gemütsmenfch, denn als phantaftifcher Luſtmenſch (wie Lilieneron einer ift) entgegengetreten find. Das fpezi- fiſch wahrnehmende Gefühl (das empfindfame Ge—⸗ müt) geht feiner Natur nach, der realen Welt gegens über, immer zunädft auf das dauerhaft Plaftifche; das genießende Gefühl (die finnliche Luft) entfchieden mehr auf die flüchtigeren koloriſtiſchen Eindrücke. Daher wirfen alle diejenigen Borftellungsbilder, bei denen Sie Ihre Phantafie mehr auf die räumliche Anſchauung einftellen, entfchieden eigentümlicher, Falkeſcher als die, bei denen Sie auf Farben-
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eindrüde ausgehen. Am bdeutlichften kommt dies bei dem poetifchen Gleichnis zum Vorfchein, das ja immer die ficherften Auffchlüffe über das indi— viduelle Darftellungsvermögen des Lyrikers gibt. Wiffen Sie, welches Gleichnis in Ihren Gedichten auf mid) den nachhaltigften, für Sie bezeichnenditen Eindrud gemacht hat? Indem Stimmungsbild „Unter- wegs“ (als Ganzes betrachtet, gefällt es mir weniger) der Vergleich zwifchen dem aus der Brunnenfrage flürzenden Sprudel und dem Mädchenfchwarm, ber aus dem Schulgebäude ftürmt. Alfo ein rein pla— ſtiſches Gleichnis; denn die Beziehung zwifchen den Negenbogenfarben der Wafferblafen und dem bunten Durcheinander der Kinder ift durchaus fefundäre Begleiterfcheinung. |
„Was ich im großen und ganzen bemängeln möchte, ift die wenig eigentümliche Art der poetifchen Phantafie im „Berg“ und in der „Regeninfel“. Sie trägt zu fehr Klinger⸗Böcklinſches Gepräge. Sch verehre diefe beiden, den Zeichner wie den Maler fehr, verehre und liebe fie. Aber der Poet hat, fcheint mir, andere Aufgaben, ald nur Bilder zu geben. Es tft gut und wünfchendwert, daß wir unfere technifchen Hilfsmittel wie auch unfer Borftelungsvermögen aus den Schweſter⸗ fünften bereichern, aber durch zmedentfprechende Um: bildung, nicht durch einfache Übertragung; eben wieber- um nur ald Mittel zu den höchften fpeziftfch poetifchen Zweden, nicht als zeichnerifchen oder malerifchen
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- Selbfizwed. Wir werden dad Nebeneinander der ‚malerifhen Wirfungen durch unfer ſprachliches Nach⸗ einander der Darftellung doch nie im felben Deutlich» feitögrad erreichen. Daher muß m. €. der Poet feine Phantafiebilder nach einer andern, ihm ausſchließlich gangbaren Richtung hin vertiefen, als bloß nad) Anfchaulicyfeit und Stimmung hin. Das ift entweder Handlung oder Deutung; ganz befonderd die fort» fchreitende, im Lauf des Phantafievorganges ſich ent- widelnde Deutung. Alfo aud eine Handlung, nur von idealerer Subftanz ald die Handlungen der Afs fette. Er muß eben in viel höherem Grabe finn- bildlich wirfen als alle anderen Künftler, muß einer- feit8 aus perfünlicher Erfahrung Auffchlüffe geben über reale Zufammenhänge der lebendigen Natur, andererfeitd eine überperfönliche, ideale, in fich felbft finnvol zufammenhängende Gefühlswelt geftalten. Dies Poftulat ift durchaus Fein fchulmeifterhaftes,
fondern folgt einfach aus der Beichaffenheit feines - Arbeitömateriald, der Sprache; denn dieſe ift in ihren Begriffen und Beziehungen nicht bloß Fonfret indivis dualifierend, fondern mehr noch typifch abftrahierend. Beides muß alfo der Poet gleicherweife berüdfichtigen, will er zu höchften, fpeziftich poetifchen Keiftungen ge- langen. Entwidelt er feine Phantafle in diefer Beziehung nicht, fo bleibt er — bei aller fünftlerifchen Meifters [haft — entweder in der bedeutungslofen Natur: befchreibung oder in phantaftifchen Spielereien jteden;
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er wird zum feineren Unterhaltungsdidhter, bleibt ein Modetechnifer, anftatt ein Zufunftsförderer, ein Seelenfchöpfer, ein Menfchheitsbildner, ein Dichter der Vertiefung und Erhebung zu werden. Sehen Sie fi) doch die naturaliftifchen Idylliker des vorigen Sahrhunderts, die romantifchen Phantaftifer im erften Drittel diefed Sahrhunderts an! Wir zucken heute bie Achſel über fie; zu ihrer Zeit waren fie bewunderte Künftler. Heute fienern dem Wefen nach die meiften jungen SKünftlerdichter zu berfelben Scylla oder Charybdis hin; nur ihre technifche Mode ift feiner - geworden, fie haben ein paar deforative und fenfitive Fineffen der Sprache hinzugelernt, fonft toute la m&me chose. Sehen Sie, darum ift Lilieneron anders: troß. feiner Luft am flüchtigen, pridelnden Augenblid tiefer, ewiger: weil er überall, wo er fein Beſtes gibt, in feine finnliche Augenblidderregung, in feinen phantajtifchen Impreſſionismus zugleich eine herzliche Erfahrungsmweisheit oder eine ironifche Kumanitätd- idee hineinzumeben verfteht. Denn dies Ideelle — fo hängen eben bichterifche Weſenskraft und Fünft- lerifche Wirfungsmadht eng zufammen — dies Ideelle übt zugleich wieder feine Nüdwirfung auf die fenfuelle Form. Alles wird fonzentrierter, gefammelter, von innen heraus bewegter, individuell organifcher, un- nadhahmlicher: Die eigentümlich einheitlihe Welt erzeugt eben auch ihre eigentümlihen Geftalten, bas ewig Reizvolle. Das bloß ſtimmungsvoll Ober
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flächliche vertieft fich ins geiftvol Gründliche; das profaifhe Nach einander wird zum poetifhen Mits einander und In einander, die metrifche Gliederung zum rhythmifchen Wachstum, das bloß bezeichnende Eigenfchaftswort zum bedeutfamen Beziehungswort. Kurz: das Zwingende, Schlagende, Notwendige, das „unmöglich anders” Seiende fließt, glaube ich, nur aus diefer Quelle.
„Der gehette Friede“ endlich ift fehr, ſehr fchon; Ihnen ganz eigentümlich, fowohl dem Ausdrud nad, wie auh in Stimmung und humoriftifcher dee.
Alles entwidelt ſich aufden Schluß hin! Sehen Sie, hier ift ein Kunftwerf, das nur der fpeziftfch poetifche Künftler ſchaffen konnte. Sch für meine Perfon hätte allerdings nod; etwas weltweife Ironie hinein- gemifcht; aber chacun a son goft! Zumal die Ein- führungsafforde mit den einwenig ä la Shafefpeare filifierten Bildern find prachtvoll. Dann ylöglich der mwunderfame Kontraft in die Gartenſtimmung hinein; entzückend! Um fo flörender wirft in diefer Schönheit die ungefchicte Inverſion von „feinem FSlimmergifcht dem hellen“. Das müffen Sie ent- fchieden ändern. Überhaupt fcheinen mir die Aus— drüde „Giſcht“ und „Spriger“ für die weichen Tupfen, die das zitternde, durch die Gebüfche fidernde Licht auf den Marmor ftreut, viel zu hart und greifbar. — „Die Nachtigall, die abfeits feufzt”; fprechen Sie das mal laut aus, und dann fragen Sie fi, ob man
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das füße Schluchzen und Kichern und Schelten der
Nachtigall durch eine fo fehauderhafte Eonfonantifche Zungenbrecherei wiedergeben darf! — In den beiden unterftrichenen Zeilen „Der legte Wagen uſw.“ wirft die Auseinanderreißung und Sinverfion des Verbums furchtbar fchwerfälig Coffendbar durch metrifche Scwierigfeiten verurfacht); das muß ebenfalls auf jeden Fal in natürlichere Form gebracht werben, ba ja gerade dad Wegrollen der eleganten Equipagen einen durchaus leichten, geradezu „gefchmierten“ Ein- drud machen muß. — (Der Lampenfchein) „ruft leiſe Lichter uſw.“ das ift wieder nur profaifche Andeutung, nicht poetifcher Ausdrud, d. h. Erfchöpfung des Ein- drucks. Diefer ftumme Lampenfchein im ftillen Schlaf gemach kann Doch unmöglich. etwas hervorrufen.“ —
Über ein längeres Gedicht in einem fpäteren Buche, das ich ihm dann dankbarſt zueignete, fchrieb er mir in gleicher Offenheit:
„Bor der „Inſel“ ftehe ich mit sofefpäftigem Ges fühl. Dem ganzen Wurf nad ift e8 vielleicht Ihr bedeutendfted Gedicht. Aber in der Ausführung find wieder lange Stellen voll der verdammten Wielandfchen Geiltuerei Cechte Geilheit ift es nämlich nicht), Die ich durchaus nicht verfnufen fann. Bemühen Sie fid nicht,
das herauszubringen! Das würde Ihnen nicht ge
lingen. Es liegt nicht in Ihrer Natur, diefe brutale
hellenifche Sinnlichkeit, nad) der zuweilen Ihr Sehnen
ſteht, wirklich darzuftelen. Man muß fi eben an
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der Sehnſucht ſchadlos halten, und die haben Sie in ganz einziger Weife zum Ausdruck gebradt. Se mehr nach dem Schluß zu, um fo reiner und feelen» voller wird alled. Wundervoll ift die „Knaben“ »Epis- fode, der große Pan, der Abfchied; pfychologifch jehr gut, wenn auch etwas zu zahm in der Ausführung, „Die Flöte”, Mles in allem: Hut ab!“
Sehr hart empfand ich den Vorwurf der Geiltuerei und ich nahm das Gedicht noch einmal vor und fuchte auszumerzen, was mir meiner Meinung nad) diejen Borwurf zugezogen haben könnte, Aber Dehmel war damit nicht zufrieden.
„Zu Ihren Ausmerzungen aus der „Inſel“ kann id Ihnen fchwer was Ordentliches fagen, fchrieb er. Das „Wielandfche” Liegt nicht im einzelnen, fondern in dem ganzen finnlichen Ton. Der Anlage nad it e8 ja faft nötig, auch etwas Vielmweiberei zu treiben. Nur eben Sie bringen es nicht heraus, dies mit natürlicher Selbftverftändlichfeit von ſich zu geben; ed ift Ihnen nicht natürlich. Es ift Shnen überhaupt nicht natürlich (wie es faft ftetd unferm Detlev und zuweilen auch mir ift), im bloß finnlichen Raufch aufzus gehen; dazu find Sie eine viel zu chriftlich edle Matur. Und das ift eben das Wundervolle in diefer Dichtung, wie fich fchließlich die Liebe aus Mitgefühl, nicht aus bloßer Miterregung in dem Heidentums⸗ Sehnfüchtling einftellt, trog aller Verftandeseinficht, wie großartig es ift, die Welt mit Pan» Augen ans
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zulacdhen. Seien wir doch ehrlich! Pan ift und bleibt das vergöttlichte Tier; wir aber wollen dvenMenfdhen göttlicher machen! Deshalb braucht uns unfere Tier- heit noch fein Schmerz zu fein; aber wir wollen und hüten, ed als großgeiftig, als übermenſchlich ufw. auszufchreien, wenn wir andern mit unferer Tier: heit Schmerz bereiten. Finden fi zwei Menfchen in tierifhem Glück zufammen: & la bonne heure! Aber ſchändlich ift ed, da als Tier zu genießen, wo ein anderes Wefen den Gott in und genießen möchte. Und Gie, Lieber Falfe, haben überhaupt nicht die Fähigkeit, dieſes höchfte Sittengefeg jemals ganz zu vergeffen, felbft dann nicht, wenn Ihnen mal durch Zufall ein Gefchöpf in den Weg läuft, das nur das Tier in Ihnen ſucht; dann werden Sie viel eher die Neigung haben, ed zum Gott zu ber fehren. Und unterdrüden Sie diefe Neigung in fid) und fuchen „naiv“ (o Dies verdammte Fremdwort, e8 ift Doppelzüngiger ald alle Schlangen der Welt) den aufgeregten Sinnen nachzugeben, dann eben werden Sie unnaiv, d. h. naturwidrig, Ihrer Natur zu— wider, und Shre aufgereizte Sinnlichkeit wirft „lüftern“, halb geil, halb impotent. Aber wie gejagt: wenn man die „Inſel“ ald Ganzes anſchaut, fchadet das nichts. Man wird eben verfühnt mit dem unfelbi- eigenen Anfang, der übrigens ftücweife bis über Die Mitte hinausreicht, durch den echt ſelbſtvollen Schluß und die echt felbftlofe Verherrlihung Pans. Im
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diefem Pan ift es Ihnen gelungen, die hellenifche Sehnfucht rein darzuftellen, während fie in ben nicht geiftigen, fondern fleifchlichen VBorftellungen un: rein wirft. Erft der tragifche Abfchied (Goethe fagt einmal: „das Grundmotiv jeder Tragödie ift ein Abſchiednehmen“ oder fo ähnlich) löſt diefe unbeab- fichtigte Diffonanz ebenfo unbeabfichtigt auf; das ift das kuͤnſtleriſch Schwache, aber menjhlih Schöne an der Dichtung. Und ich rate Ihnen, ſich in die ſer Hinfiht nicht den Kopf mit Befferungsverfuchen zu zerbrechen; da ift einfach eine Grenze Ihrer Natur! Wir find allzumal Sünder ufm.“
Daß ich den Befig zweier folcher Freunde wie Lilieneron und Dehmel und die Gelegenheit zu ſolchen Ausfprachen ald ein höchſtes Glück zu ſchätzen hatte, mar mir wohl bewußt. Gar mander, der einfam fhafft und bildet, fehnt ſich nad einer gleich- geftimmten, verftehenden Seele und verzehrt ſich in diefer Sehnfudht, und Scheu und Keufchheit hindern ihn ſich zu offenbaren, während felbftbemußte Jugend von fiebzehn und achtzehn Sahren fich nicht fcheut, mit ihren unfertigen Verſuchen anerfannte Meifter wieder und wieder zu beläftigen, oft mit jo rührender Einfalt, daß es ſchwer wird ihnen zu zürnen. Sch hatte nun lange genug meine dilettantifchen Verfuche nur im Berborgenen blühen laffen, bis ich mid) ent» fhloß, den einzigen Weg zu befchreiten, der mir erlaubt war, nämlich den, ſich an eine Redaktion mit
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der befcheidenen Bitte um Prüfung zu wenden. Diefes war mir geglüct. Und mir war alsbald der Kohn für mein Wohlverhalten geworden, indem nun der Meifter an meine Tür klopfte und mir freiwillig bot, um was zu bitten ich mich nie erfühnt hätte. Wenn ich bedachte, wie alles mir fo ohne mein Zutun in den Schoß gefallen, fühlte idy mich immer wieder und wieder in meiner befonderen Art Frömmigfeit beftärft, die in einem lebhaften, innigen Danfgefühl gegen die unfichtbare, fchenfende und führende Macht beftand und in einem kindlich gläubigen Vertrauen auf ihre weitere Führung.
Stolz und felbftrühmend zu fein, lag nicht in meiner Natur, und wie hätte id; ed auch ohne gleichzeitige ‚ tiefe Befhämung fein fönnen, wo der herrliche Freund mit allen feinen Vorzuͤgen auch die adelige Eigenſchaft vornehmfter Befcheidenheit verband, Karl Buffe hatte feine Anthologie moderner Lyrik herausgegeben, die alles vereinte, was ein Recht hatte, ſich in dem deutfchen Dichterwalde mit feiner Stimme hervor- zutun. |
„sch las viel in Buffes Buch,“ fchrieb Liliencron mir. „Und wieviel unendlich Schönes fand ich darin. Eine tiefe Schamröte bedeckt mich, wenn ich an bie bodenlofe Arroganz denfe, etwas Beſonderes bei all diefen Dichtern zu fein. Welcher Unfinn. Wie fallen meine Lieder ab, bei dem nächften Beſten, den ich in Buffe auffchlage — Daß Deutfchland nicht ahnt,
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was ed an feiner Lyrik hat, wieviel herrliche Lyrik ed hat —“
Daß er von allen lebenden Mitdichtern neidlos als Erfter anerfannt wurde, war ihm ficher bewußt, und färfte ihn in feinem jahrelangen Kampf gegen Un- verftändnis, Übelmollen und Stumpffinn.
Sch aber, an feiner Hand heraufgefommen, genoß früher des füßen Ruhmes, ald er mir ohne ihn zus teil geworden wäre, und war fein Weg jteinig ge: weien, fo war meiner durch die Gunft der Um⸗ fände fat ein mühelofer Aufftieg zu nennen. Oder, um in einem anderen Bilde zu fprehen: Er flritt gegen Wind und Wellen, ich ſchwamm in einem be- ruhigten, fi) immer mehr ausbreitenden Strome ohne MWiderftand dahin; freilih: ſchwimmen mußte auch ich fünnen.
* * *
- Manchmal überfam ed mid, als hätte ich eine verlorene Tugend nachzuholen, ein Sehnen nad) Flügelbreiten, Kampf und Leidenfchaft, nad, allen Feſten des Juͤnglings. War ich denn nicht jung geweſen, hatte gefpielt, gefchwärmt, gefüßt? Ach, es wollte mir dann fcheinen, ald wäre das. alles nur ein Dumpfes Träumen geweſen, ohne Licht, ohne Klang, nur ein zaghaftes prüfendes Fingern auf den Saiten des Lebens. Und ich war töricht genug zu glauben,
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ich könnte das Lied der Jugend noch einmal fingen, Da klang's denn wohl gefünftelt, der Dompfaff im Bauer. Und Filiencron lachte mid; aud. Das ver- ftand er prädıtig, ohne weh zu tun. Und Dehmel verwies ed mir in feiner Weife. Und hatte mein Herz nicht feinen Heimgarten, wo es fich jung fühlen durfte, wie am erften Tag in immer gleicher Liebe? Und mit Recht durfte ich zu anderen Zeiten fingen:
Herz, mein altes Herz, ich muß dich Tieben,
Immer findeft du dein Lachen wieder,
Singft die lieben Kindheitsmorgenlieder
Mit dem alten hellen tapfern Ton,
Wie vor Fahren fchon,
Und fo preif” ich dich und deine Tugend:
Deine immer unverdroffene Jugend.
* * *
Bom hohen Felfen ftürzt der Gießbach mit Donnern und Schäumen. Sin allen Negenbogenfarben fchimmern die Waſſer. Bewundernd, halb betäubt ftehit du, die Gewalt des tofenden Falles bezwingt did, und dir kommen Gedanken und Wünfche des braufenden, ungebändigten Lebens. Aber an jenem Halm hängt ein Tropfen Tau, nur ein Tropfen Tau, in heiliger Morgenfrühe, bligend im erften Licht. Sieh ihn ruhen, glänzen, felig in fih. Was ift ed, das deine Seele bewegt, fo viel reiner, himmlifcher bewegt, ald ber Tumult des ftürzenden Baches? Sp fragte ich mid und lernte mich finden und mein Reich.
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Und fo wurden neben Lilieneron andere meine Lehrmeifter. Conrad Ferdinand Meyers ftrenge, edle Kunft fam dem Zug zum Bildnerifchen, Plaftifchen in mir entgegen, und bot gewiß ein heilfames Gegen» gewicht gegen die Unarten, die Liliencrons Stil an: hafteten, oder wenigftend bei anderen zu Unarten ge- worden wären, indefjen fie ihm als zu feiner Perfünlich- feit gehörig erlaubt waren. Auch bleibt vieles bei ihm nur impreffioniftifch, rundet fich nicht zu einem fertigen Kunftwerf, zu einem vollen Gedicht; diefed aber war mir ein Bedürfnis, das auch durch meine mufifalifchen Studien und mein mufifalifches Empfinden genährt und ausgebildet worden war. Hierin aber mar Conrad Ferdinand Meyer, der Künftler, vorbildlich.
Ein reiner filberheller Duell floß mir aus Mörifes Lyrif, den ich um feinen einzigen Plab unter den deutfchen Dichtern beneidete. Wollte mir Liliencrons Poeſie, wie die Vegetation der Heide und des Waldes erfcheinen, lieblih und herbe, aber urwüchſig, wie Erika, Ginfter und Wacholder, fo lachten mir Mörifeg Lieder gleich goldenen Kästchen aus einer heiteren, fonnigen Wipfelregion entgegen, von einer lichteren und leichteren Luft umfloffen, und dieſes Lichte und leichte Schweben wollte mir wohl mandmal feliger dünken als das Liliencronſche Daherbraus fen. Doch die Eiche ift Schon und die Roſe ift ſchön, und ich getraue mich nicht zu fagen, wer größer ift.
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Auch Kellerd männliche Lyrik liebte ich, und bad Maldhorn Eichendorfficher Poefie hallte bis in meine Träume,
Mit allen diefen Einflüffen hatte ih mid) aus einanderzufegen, und tat ed nicht kämpfend, fondern
in Tiebevollfter Hingabe, wie ed meiner Natur
gemäß war. Mein Eigenfted blieb mir dabei doch unverloren, wenn auch manchmal ein Tröpfchen von dem Bade, dem ich gerade entfliegen war, an mir hängen blieb. Das fchließt Lob und Tadel in fid. - Sch meine aber, jedes Bad erquidte und ftärfte mich. Die ungebadeten Originale aber follen in ihrer größeren Pracht des höheren Ruhmes gerne genießen.
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V
Se mehr mir in der Poefie eine neue Welt aufs gegangen war, je weniger fonnte mir ber unters geordnete Dienft im Hofſtaat der Frau Muſika nod) zufagen. Dft feufzte ich unter der Laft des Stunden» gebend, konnte fie aber nicht abmwerfen, da meine literarifhen Einnahmen nicht ausgereiht haben würden, eine- Familie auch nur notdürftig zu er- nähren. Gehen junge, alleinftehende Leute mutig ind Ungemwiffe, fo ift das zu oben, voraudgefegt, daß fie mit den nötigen Fähigkeiten ausgerüftet find, worüber fie fich allerdings oft einem gefährlichen GSelbftbetrug hingeben. Sch aber ald Familienvater mußte den Kampf zwifchen Sehnſucht und Pflicht vorläufig weiterfämpfen. So gab ich mit manchem heimlichen Seufzer meine Stunden weiter.
Ald nun eines Tages ein junges Mädchen mit dem MWunfh zu mir fam, Literaturftunden zu nehmen, mworunter fie freilich nichts anderes verftand, ald eine Korrektur ihrer eigenen Berfe, und eine weitere Unterweifung im Dichten, tauchte in mir der Gedanke auf, den reiferen unter meinen Mufitfchülerinnen literarifche Vorträge zu halten. Eine Umfrage fand regered Sintereffe, ald ich vermutete, und bald hatte ich einen Zirfel junger Hörerinnen, die ich wöchent- lid; einmal in meiner Wohnung verfammelte, um fie mit den Schägen unferer deutfchen Lyrif befannt zu machen.
Unter ihnen war ein Mädchen, das ich feit feinem fechften Sahr im Klavierfpiel unterrichtet hatte, und das mir, obgleich ihre mufikalifchen Fähigkeiten nur gering waren, durch die Anmut ihres Wefens und die Lieblichfeit ihres Betragend im Laufe der Zeit fo an das Herz gewachfen war, daß ich mid) unverſehens mitten in einer zärtlichen Leidenfchaft für fie befand. Sie war nun adıtzehn Sahre alt, fchlanf, mit einem lieben, hübfchen Geficht, das eine ſich immer gleich bleibende gewinnende Freundlichkeit verfchönte. Große graue Augen fahen rein und treu in die Welt, konnten aber auch fchelmifch Tachen.
Diefes Liebe Wefen warf einen hellen Sonnenfchein über die grauen Tage meines Frondienfted am Klavier. Sch freute mich auf die Stunden, wo fie am Klavier erfchien, und fie wurde zu meiner jungen Königin und beherrfchte mein Denken, das zulegt wie ein millen- loſes Rad um dieſe Achſe kreiſte.
Sie hatte einiges Talent zum Malen, und was ſie hervorbrachte, gefiel meinen voreingenommenen Augen. Ich ſuchte meine eigenen Malkünſte hervor, und war gluͤcklich, mich mit ihr in der gleichen Tätig- feit zu bewegen. Da fie mir voraus war, und weil es meiner Natur widerftrebte, ind Blaue hinein zu dilet- tieren, nahm ich Unterricht, und bewog einen jungen tüchtigen Künftler, der einft ald Knabe mein Klavier- fhüler gewefen war, mich zu unterweifen. Er nahm aus Freundfchaft und Gefälligfeit einen jo alten
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Schüler in die Lehre, und führte mich hinaus und zeigte mir, wie man die Natur mit Wafjerfarben aufs Papier brachte. Da ſaß ich vor einem einfamen Baum auf weiter Koppel und verbrauchte viel Waſſer
und Grün und war zwifchendurd; eifrig bemüht, die
Kühe abzuwehren, die neugierig herbeifamen und mein Kunftwerf beftaunten. Als mein Meifter mich hernach vor ein Zeichmotiv führte, vor dem auch meine Fleine Freundin ihre Kunft erprobt hatte, genoß ich bei jedem Pinfelftrich ein befonderes Glück. Was ich fo zuftande brachte, war wirflich mit Liebe gemalt, und daß es nicht beſſer ausfiel, hatte andere Urfache, als Mangel an Fleiß und Vertiefung.
Mit lächelndem Verfiehen und Gemwährenlaffen fah meine Frau diefer wunderlichen Liebe zu. Güte und Klugheit, diefe beiden Haupttugenden des Weibes, waren die Schugwehr, woran fie den Aufruhr ſich brechen ließ.
Allmählich legte fich die wilde Flut, ein letztes Ge— wolf verflatterte, und die Sonne trat wieder am Haren Simmel hervor.
Sc aber befreite mich von dem letzten Reſt diefer fpäten Liebe, indem ich den Poeten zu Hilfe rief. Er war nit ganz unfchuldig an der Anzettelung biejer Gefchichte und mochte nun auch das Seine zum Guten beitragen. Und eines Abends fagte ich zu meiner Frau: „Du, ich möchte dir etwas vor- lefen.“
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„Was ifl’8 denn?“ fragte fie.
„Ein Märchen.“
„Ein Märchen? Nun laß hören.“
Und ich fegte mich, fo daß der grüne Schirm ber Lampe zwifchen und war, und begann:
Der verherte König.
Es war einmal ein König, der hieß Klaus, der hatte eine Frau, die hieß Hanne. Die lebten glüd- ih umd zufrieden. Ihr Königreih war nur fehr flein, nicht ganz ſo Flein wie ein Hühnerei, aber au lange nicht fo groß mie Rußland. Darum mußten fie ſich fehr einzurichten, ſparſam wirtſchaften und jeden Pfennig dreimal umfehren, ehe fie ihn ausgaben. Dad taten fie denn aud. Und da fie fich fehr lieb hatten, feinen Hunger litten und fich nicht mehr Gedanken machten, ald nötig und zuträg» lich, fo lebten fie tatfächlich wie die Könige, und ihr Better, der Zar von Rußland, mag mehr fchlaflofe Nächte gehabt haben als fie.
So flein nun auch ihr Königreih war, und fo veritect ed lag, der Storch fand ed doch. Er brachte ihnen ein niedliches Töchterchen, biß die Fran ind Bein und fagte: „Wohl bekomm's“ und „Vergiß mid) nicht.“ Dann erhob er fi in Kirchturmshöhe und flog weiter. Der König aber ftand am Fenfter und fah ihm lange nad. „Du gutes Tier,“ fagte er leife, „nun mußt du und auch nod einen Sungen bringen.“
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‚Hätte er es nur etwas lauter gefagt, denn es dauerte drei Sahre, bis der Storch es hörte. Aber
a 2 gehört eigentlich noch nicht hierher. Man fol - nicht vorgreifen, aud; dem Stord nicht.
Nun begab es ſich leider, daß die Königin Fränf-
ich wurde; fie huſtete, ward täglich magerer, und ber Arzt ſagte, fie müſſe ind Bad.
„Sa,“ fagte der König, „das fol fi. Sch hab’ fie jo lieb, daß fie das fol.“ Und dann dadıte er lange nad), und dazu hatte
er alle Urſache. Denn erfiens gab es im ganzen
Königreich fein anderes Bad. ald die Badewanne der Prinzeſſin, die meinte aber der Arzt nicht, und zweiteng foftete eine Badereife Geld, und nun gar eine über die Grenze. Woher follte er das Geld nehmen? „Sm,“ ſagte der Arzt und zuckte die Achfel. „sa,“ fagte der König und zudte Die andere Achfel. „Dann laffen Sie Ihre Frau Lebertran nehmen,“ fagte der Arzt. Mein,“ vief die Königin, „Xebertran mag ich nicht.
‚Lieber gehe ich ind Bad.”
Da fuchten fie alle ihre Pfennige zufammen, fparten
ſich dad übrige vom Munde ab, und die ang fam
ind Bad. Da hatte der König nun lange Tage. Er hätte
a ‚mit der Köchin fechsundfechzig fpielen fönnen. Aber
die Köchin fchielte, und mit Leuten, welche einen
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nicht gerade anfehen können, fpielt man nicht gerne Karten.
Mit einem Puftrohr Erbfen zu verfchießen, hätte ihm wohl Spaß gemacht, aber er fürchtete Grenz ftreitigfeiten. Krieg um eine verfchoffene Erbfe?
Da machte der König Verſe. Das ift eine an- genehme Beichäftigung. Die Zeit geht damit hin und man tft glüdlid; und zufrieden.
Der König war es aud. Hatte er einen Bogen vol, fing er einen neuen an, und alles reimte fich, daß es eine Freude war.
Nun wohnte in der Nachbarfchaft fchon feit langem ein Feines Mädchen, dad hie Mitimiti und war fehr niedlich und war munter und aufgewedt, und der König hatte ed immer gerne gehabt. Er hatte ihr Blumen geſchenkt, hübfche Bücher und Bilder- chen, was er gerade hatte, und Mitimiti hatte alles mit „herzlichem Danf“ angenommen. Aus dem Eleinen Mädchen war aber mit der Zeit ein oroßes Mädchen geworden, und als der König nun fo viele lange Tage hatte und fi die Welt recht anfehen tonnte, fah er, wie groß Mitimiti fchon geworden war und wie hübidh.
Wenn doc Zudelmaus auch erft fo groß wäre, dachte der König. Aber das hatte noch lange Weile, denn Prinzeßchen Zudelmaug lag noch in der Wiege, und Mitimiti war fon achtzehn Sahre alt und war ſchön und war fchlanf und war weißund hatte wunder»
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hübfch ‚große graue Augen. Wenn man da hineinjah,
glaubte man ein Märchen aus Tanfendundeine Nacht zu fefen. Und der König hatte von jeher gerne Märchen
gelejen. Mitimiti war aber eine Here. Niemand mußte
das, auch der König nicht. Und fo konnte fie ihn
beheren, ohne daß er etwas dagegen tun konnte. Und der König, der fonft ganz harmlos und munter
war, wurde auf einmal ganz grillig und wunberlid.
Er bildete ſich nämlich ein, die Sonne hätte nicht
geſchienen, wenn er nicht wenigftens einmal in Mitimitis
Schöne Augen gefehen hätte. Die Sonne mochte noch fo hoch am Himmel fiehen, daß alle Leute „Puh“ fagten und in Hemdärmeln gingen, für ihn war fie nicht vorhanden. Wenn fi ihm Mitimitid Augen verjchloffen, dann war er jehr traurig, machte nur Berfe, worin fi weinen auf fcheinen reimte und Tränen auf Sehnen und Schmerzen auf Herzen, und ap nicht und trank nicht.
„Der gute König,” fagte die Köchin, „jo nahe geht ihm die Trennung von feiner Frau Möchte ber liebe Gott fie doch bald wieder gefund machen!“
Der gute König aber wurde noc, viel trauriger, wenn er an die Königin dachte. Er fühlte felbit, wie franf er war, und hoffte, wenn die Königin erft wieder da wäre, würde es befler mit ihm werden. Hatte fie auch feine Märchenaugen, fo hatte fie doch fehr fjchöne, liebe Augen, in die er immer gerne
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Hinbigefehen hatte, fo recht tief, bis in ihr liebes, | gutes, fönigliches Herz. |
Inzwiſchen fuchte er auch mohl Heilung bei Prins zeffin Zudelmaus, feste ſich an ihr Bettchen und wiegte fie oder machte dideldideldi und Figelte fie mit dem Zeigefinger. Aber fo recht wollte das nicht helfen. Er dachte zulegt doch immer wieder, ob Zudelmaus auch wohl fo groß und fo ſchön und fo flug wird wie Mitimiti. Und dann küßte er Zudelmaus fo heftig, daß das Kind laut an zu fchreien fing und die Köchin herbeilief und es ihm wegnahm und auf bie ungefchidten Mannsleute jchalt, die nicht mit Heinen Kindern umzugehen wüßten.
Nun war aber die Königin inzwifchen wieder ges fund geworden und fam wieder nad Kaufe. Der König und die Königin umarmten fich.
„Xieber Klaus!“
„Liebe Hanne!”
Als fie ſich aber näher anfahen, erfchrafen fie beide, fo blaß und mager waren fie geworden.
Die Königin aber dachte nicht anders, als die Trennung von ihr hätte den König fo mitgenommen, und fie wurde ganz gerührt.
„Du armer Kerl," fagte fie, „was haft bu alle zeit ohne mic; gemacht?” Da wurde der König fehr rot, und da er doch etwas fagen mußte, fagte er: „Berfe"
„Berfe?” fragte die Königin. „Ei, wie hübfch.
/ . Die mußt du mir alle vorlefen. Heute abend nadı dem Tee, wenn die Lampe brennt und Zudelmaus
ſchläft.“ Als ſie nun die Verſe hörte, ſagte ſie: „Das ſind ja lauter verliebte Sachen. Wie haſt du dir das
J alles fo ausdenken können? Man ſollte meinen, du
hätteſt das alles erlebt. Ich glaube, lieber Klaus,
du bift ein wirflicher Dichter.”
„Hm,“ machte der König. Es wurmte ihn, daß das ausgedachte Sachen fein follten. Aber verraten durfte er doch nichts. Es plagte ihn aber doch, und wes dad Herz voll ift, des fließt der Mund über. Da merfte die Königin, wie e8 mit ihm beitellt war.
"Sein drittes Wort war Mitimiti, Wenn die Köni—
gin von einem neuen Mantel ſprach, fo fand der König Mitimitis Sachen fehr Fleidfam. Bemerfte die Königin, daß es regnete, fo meinte er, ed wäre dod gut, daß es geftern nicht geregnet hätte, als Mitimiti zu ihrer Tante ging. Man konnte vom Nordpol fprechen oder von Schlei mit Butter und
S Peterſilie, Mitimiti war das Ende vom Lied.
Da wurde die Königin fehr traurig. „sh mil nichts mehr von Mitimiti hören,“ fagte fie.
„Aber Frau,” fagte der König, „es ift ja doch alles ganz unfchuldig. Ich könnte ja ihr Vater fein. Warum fol ich fie nicht gern haben? Du verlierft doch nichts dabei Ein Herz ift doch Feine Hutfchachtel,
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die ausgefüllt werden tan und dann ‚Dedel zu‘ Ein Herz iſt doch — mie fol ich fagen — na ja, ein Herz ift doch Feine Hutſchachtel.“
Da meinte die Königin ganz laut.
Db fein Herz eine Hutfchachtel wäre ober ui das wäre ihr ganz gleich; fie wolle ein für allemal nichts mehr von Mitimitt hören. |
Und dann meinte fie noch lauter. Da wurde ber König ganz gerührt und Füßte fie.
„Es ift ja alles Unfinn,“ fagte er. Und dann gab er ihr noch einen Kuß. Es war aber fein Unſinn,
fondern ed war eine Krankheit. Der König war
behert. da halfen alle fchönen Reden nichts. Er wurde immer fränfer, und die Königin fürchtete für feinen Verſtand. Wenn er fich in ihrer Gegenwart nicht fo fehr zufammengenommen hätte, fo wäre ihre Befürdytung bald zur Gewißheit geworden, denn war der König allein und konnte fich gehen laffen, dann trieb er allerlei wunderliched Zeug. Er feufzte ganz laut, rief plöglich in die leere Luft hinein: „Miti- miti!”, zählte die Leute, die vorübergingen, die Wagen auf der Straße, die Hausnummern, und war es eine ‚gerade Zahl, war er glüdlich, denn Mitimiti Name beftand aus acht Buchftaben, und acht ift eine gerade Zahl.
Die Acht wurde für ihn zur heiligen Zahl.
Er tat alles achtmal. Abends beim Zubettgehen und morgens beim Aufftehen fagte er achtmal Mitimitt.
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Trank er auf ihr Wohl, fo tat er es in adıt Schluden, und er tranf nichts, ohne auf ihr Wohl zu trinken, auch feinen Kaffee. Berfchludte er fich dabei, jo war er fehr traurig, denn es galt ihm ale ein böfes Omen. Manchmal verbrannte er ſich auch wohl den Mund dabei.
Zulegt trieb er diefe Tollheiten fo weit, daß er ſo— gar acht Hemden übereinander trug.
Da wurde die Königin untröftlic und betete Tag und Nadıt, der liebe Gott möge doch den König wieder gefjund werden laflen. Aber es half ihr alles nichts, und Lebertran oder eine Badereife hätte auch nicht geholfen.
Nun wohnte in einem großen Walde ein Zauberer. Bon dem hörte die Königin zufällig durch ihre Köchin, die eine alte Tante hatte, deren Großmutter einmal durch bloße Anhauchen von diefem Zauberer von jieben Krankheiten zugleich geheilt worden war. Und diefe fieben Krankheiten waren das Zipperlein ges weien, ein offenes Bein, ein verfettetes Herz, eine rote Nafe, ein verftopfter Katarrh, wie die Köchin fagte, und noch noch zwei Krankheiten, die fie wieder vergefjen hatte.
Die Königin meinte, ob es vielleicht die Liebe ge— wejen wäre, „Nein,“ fagte die Köchin, „die Liebe war es nicht, ed war was mit dem Magen.“
„Ad,“ feufzte die Königin, „vielleicht war es doch bie Liebe," Sedenfalld war ein verfetteted Herz
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darunter, und ed war Boffnung vorhanden, daß der alte Zauberer auch andere Herzfranfheiten heilen fonnte.
Die Königin ging alfo zu ihm und Flagte ihm ihr Leid, fiel vor ihm auf die Knie und bat, er möge ihr doch helfen.
„Sa,“ fagte der Zauberer, der fchon über taufend Jahre alt war und immer mit dem Kopfe mwadelte, „wenn er fchon acıt Hemden übereinander anzieht, ift die Krankheit ſchon recht eingemurzelt. Aber ich kann Euch dennoch helfen, wenn Shr mir acht Küffe geben wollt.“
Nun fchauderte die Königin. Aber um die Kiebe des Königs wieder zu gewinnen, hätte fie das Schmerfte getan, und fie überwand fidy und gab dem greulichen Alten acht Kuͤſſe. Dazu brauchte fie eine lange Zeit, denn da er beitändig mit dem Kopfe wadelte, ging mancher Ruß vorbei, und der wurde nicht mitgezählt.
Endlich hatte der Zauberer feine acht Küffe und fagte: „Sp hört nun aufmerffam zu: Hier habt Shr acht Stride. Der erfte Strid heißt ‚Schlau‘, Der zweite ‚Fefthand‘, der dritte ‚Sanfthand‘, der vierte ‚Scmedft du gut‘, der fünfte ‚Geduld‘, der jechite ‚Wie du mir, fo ich dir“. Die beiden legten find Reſerveſtricke, falls Shr in Not fommt. Mit diefen Striden müßt Shr den König binden, fo daß er ſich nicht rühren fann. Den erften Strid legt Ihr ihm um ben Hals, den zweiten um den rechten Arm, ben
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dritten um den linfen Arm, den vierten aber um
den Leib, und mit dem fünften bindet Ihr ihm bie Füße. Mit dem fechiten aber ſchlagt Ihr ihm aufs Herz. Und das müßt Ihr acht Tage und acht Nächte lang tun und dabei unaufhörlich Mitimiti fagen. Ihn felbit aber dürft Shr nicht zu Worte fommen laffen.”
Die Königin. war hocherfreut und tat alles, wie ihr geheißen.
- Der König wußte anfangs nicht, wie ihm geichah. Aber die Königin ließ ihn gar nicht erft zu Worte fommen und ſagte in einem fort: „Mitimiti, Miti- miti“ und jchlug ihm dabei aufs Herz.
Der König machte erft ein fehr dummes Geficht, allmählich aber lächelte er, ſah fie zärtlid und danf- bar an, und je länger fie Mitimiti fagte, je heiterer und milder und glüdlicher ſah er aus, fohlürfte mir den Lippen und jchnalzte mit der Zunge, wie einer, der mit dem föftlichften Wein getränft und mit den ſchönſten Lederbiffen gefüttert wird.
Am dritten Tage fchon verlor die Königin die Geduld.
„Du bift und bleibft verrückt!“ rief fie und ſprang wütend auf.
Was wollte fie machen? Sie war untröftlic.
Der Zauberer mwadelte ganz fürchterlid; mit dem Kopf und fagte, da fie nicht acht Tage und acht Nächte ausgehalten hätte, wäre er entjchuldigt. Segt
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könne er nichts mehr dabei machen. Jetzt bliebe ihr nur noch übrig, ſich an das Hexchen ſelbſt zu wenden. Und da mit Heren im Böfen nichts anzufangen wäre, denn das mache fie nur widerfpenftiger, fo müfle fie ed im Guten verfuchen. Vielleicht glüde es ihr. Denn mande Here hätte ein gutes Herz und vers diene fiatt des Scheiterhaufeng eine Kutfche mit ſechs Schimmeln und einen Prinzen zum Gemahl. Miti- mitt aber verdiene noch einen Schimmel extra mit einem Vorreiter darauf, denn fie wäre eine von ben ganz guten Heren, die ſelbſt nicht wüßten, daß fie eine wären, und ihre Zauberfünfte in aller — betrieben.
Warum er ihr das nicht gleich geſagt habe, ſqcan die Königin,
Da lachte ber Zauberer und wadelte jo fürdterlih mit dem Kopf, daß die Königin glaubte, er würde ihm abfallen.
„Weil ich weiß, daß ein Frauenzimmer lieber sehnmal zum Teufel geht, als einmal zur Neben buhlerin,“ fagte der Zauberer.
Da zog die Königin die Unterlippe, zahlte ihren Taler und ging meg. x
Zu Haufe zog fie ihre fchönften Kleider an und ging geradenwegs zu Mitimiti. Als fie das junge Ding fah, wollte fie erft zornig werden. Aber fie befann ſich und bat leife und freundlich, das Hex— chen möchte ihr doch das Herz ihres Mannes wieder:
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Br geben, fie wolle ihr auch alles dafür geben, was fie
haben wolle. „Der alte Eſel,“ lachte das Hexchen. „Was?“ rief die Königin. „D, bitte fag’ ihm das doch felbft. Bitte, bitte, das wird gewiß helfen.“ „Aber das fann ich doch nicht,“ fagte das Herchen
- und wurde rot.
„Barum denn nicht?“ „Beil er es vielleicht für eine Schmeichelei neh»
men fünnte. Verliebte find blind und taub ober
fehen und hören doch ganz anders als andre Leute. Und dann fagt der König am Ende, ich wäre ihm entgegengefommen. Unb das ift nicht war!” rief fie heftig und ftampfte ganz zornig mit dem Fuß.
„Aber mir fällt etwas Befferes ein,” tröftete fie.
„D bitte, fag’ ed mir,“ bat die Königin, „ich will dir all mein Lebenlang dankbar fein.” |
„zaßt mich nur machen,“ fagte das Herden. „Sorgt nur, daß der König heute abend im Garten ift.“
„Ein Rendezvous?” fragte die Königin beftürzt und mißtrauifch.
„Wie man es nehmen will,“ lachte das Hexchen.
„Gut,“ fagte die Königin. „Aber mad) es nicht fo fhlimm. Denn er ift nidyt fohlecht, er ift nur frank und tut mir fo leid.“
„Mir auch,“ fagte das Hexchen ganz treuherzig. „Aber feid unbeforgt, ed tut nicht weh.”
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Als der König nun in den Garten fam, ſtand $ Mitimiti an einer Rofenhede und fuchte Käfer ab.
Sie war fchön und war weiß und war lang, und
bem König fchlug das Herz.
„Buten Abend, Fräulein Mitimiti,” fagte er.
„Guten Abend, Herr König.“
„Prachtvolles Wetter, heute abend.“
„sa, gar nicht mehr fo heiß.“
„Sicht wahr?“ _
IST: Nie
„Wie geht ed, Fräulein Mitimiti ?*
„Danfe ſchön, Herr König, mir geht es fehr gut. Und wie geht es Euch in Euren acht Hemden?“ „Act Hemden?“ fiotterte der König und wurde ganz rot.
„Wie könnt Ihr e8 nur in Euren acht — aushalten?“ ſagte Mitimiti. „Ihr verweichlicht Euch.“
„O, gar nicht.“
„Ihr ſolltet ſie doch ablegen.“
„Nicht um alles in der Welt.“
Das Hexchen ſah ihn ſchelmiſch an.
„Was gilt die Wette?“
„Das wäre,“ ſagte der König. „Die Wette werdet Ihr verlieren.“
„Wenn ich Euch nun etwas gebe —“
Das Hexchen ſtockte verlegen, und der König horchte hoch auf.
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| „Aber nein, das geht doch nicht,“ ſagte das NHers
dien noch verjchämter.
Da drang der König in Mitimiti, fie folle doc
fagen, was jie meine, Es ließe jih ja vielleicht darüber reden.
„Benn ich e8 denn jagen darf,“ ſagte Mitimiti. „Sch meine, wenn id; Euch nun etwas gebe, mas ih Euch noch. nie gegeben habe?“
Da wurde der König purpurrot.
„Mitimiti!“ rief er und breitete beide Arme aus.
„Salt!“ rief ji. „Erft die acht Hemden.”
„Aber das geht doch nicht!”
„Barum denn nicht?“
„Hier auf der Stelle?“
„Auf der Stelle.“
„Aber nein.“
„But, denn nicht," ſagte Mitimiti, machte ein ge fränftes Gefiht und wollte gehen.
„Es ſei!“ rief der König. „Aber ich darf mid doc hinter diefen Baum jtellen ?“
„Gewiß, das dürft hr.“
Da trat der König hinter den Baum und begann haftig die acht Hemden abzumerfen, eins nad dem andern.
Als aber fieben im Gras lagen, dadıte er: ‚Das muß genug fein.‘ |
Aber Mitimiri beftand auf ihren Willen.
„But,“ fagte der König, „aber nun befomme id)
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auch einen Kuß. Und mit ausgebreiten Armen ging er auf das Herden zu und fpigte die Lippen. /
Mitimiti aber richtete jich in ihrer ganzen Größe auf und war fo ſchön und fo weiß und fo lang und fagte: „Da habt Ihr, was Euch zufommt und was ih Euch noch nie gegeben habe.“ Und damit gab fie ihm einen herzhaften Nafenftüber, machte einen Knie, und weg war fie.
Da fand nun der König ohne Hemd und war fehr klein und war fehr rot und fah fehr, fehr dumm aus. Und hätte die Königin nicht aus dem Feniter gerufen: „Klaus, was madft du da im Garten? Wo haft du deine Hemden gelaffen?“ fo fände er heute noch da.
Aber er hat feine acht Hemden zufammengefammelt und tft fill und befcheiden ind Haus gefhlichen und hat zwifchen fi) und dem Herchen eine hohe, hohe Mauer aufgerichtet, die war aber doch nicht jo hoch, daß fie ſich nicht dann und wann „Guten Morgen!“ zurufen konnten.
„Buten Morgen, König Klaus!”
„Buten Morgen, Fräulein Mitimiti!”
Und das war fehr nett und zeigte, daß fie beide das Herz auf dem rechten Flecd hatten und fich nichts
übel nahmen. Einen Nafenjtüber zur rechten Zeit
fol Fein Menfdy übel nehmen. Mit denen zur un- rechten Zeit kann es jeder halten, wie er will. Jedes Sahr aber, wenn fich der Nafenftüber jahrte,
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warf der, König. ein paar Roſen über die Mauer und rief: „Danfe ſchön, Fräulein Mitimiti!“
Und Mitimiti rief: „Bitte jehr, gern gefchehen!“
Der König aber und die Königin lebten noch lange und glüdlich zufammen. Der Storch Fam noch adıt- mal und brachte abwechfelnd ein Mädchen und ein Knäbchen. Jedes befam jofort ein Hemd an, und der König gab jedem bei der Ankunft einen Nafen- über. „Auf daß ihr später feinen befommt,“ fagte er.
Alle aber hatten fie von diefem Nafenftüber Stubb3s nafen, und das fah ſehr drollig aus.“
“ = *
„Verworrene Wege, wo lief es hinaus?
Du lächelſt und haſt mich wieder zu Haus.“ Und es war ein Haus, in dem ſich auch ein uns ruhiges Dichtergemüt wohl geborgen fühlen konnte. Die Kinder wuchfen gar hold heran, und ein Drittes gefellte fi dazu; diesmal war’d ein unge, zur großen Freude der Eltern. So verging Jahr um Sahr, und der Kranz meines befcheidenen Glückes vergrößerte, fi und feine Farben wurden tiefer und fatter.
Um was hätte ich noch bitten follen, als einzig um
Beſtand eines fo freundlichen Loſes. Wer, auch der Glücklichſte und Neichite, ift des Tages, der Stunde
Balte 28. 449
fiher? Bei mir aber ftand doch alles allein auf meinen zwei Augen. Was der Tag geerntet, ver- ſchlang der Tag, und das einzige Kapital, womit ich rechnen konnte, war meine Gefundheit. Daß die mir immer treu blieb, hatte ich als fchönftes Gefchent des Himmels dankbar anzuerfennen, aber troßdem ed mir immer vergönnt war, nach Kräften das Meine zu tun, war ich doch oft genug genötigt, Schulden zu machen und den Kredit guter Freunde in Anſpruch zu nehmen, die gefunden zu haben ich als ein weiteres großes Himmelögefchent anzufehen hatte.
Freunde in der Not Sehen zehn auf ein Lot.
Die Wahrheit diefes Sprichwortes zu erproben, war mir immer erfpart geblieben. Und als nun mein fünfzigfte8 Lebensjahr zu Ende ging, hatte ich aber- mals Gelegenheit, mid; als einen Auserwählten und Begünftigten des Scidfald mit ebenſoviel Staunen ald Befhämung zu erfennen. Eine ungeahnte Ges burtötagsgabe überrafchte mih: Hamburgs Senat und Bürgerfchaft zeichneten mich durch einen lebens- länglichen Ehrenfold „wegen meiner Berbienfte um die deutfche Literatur” aus.
Ich, der fcheufte Vogel, faß nun mit goldener Kette am Fuß auf offenem Marfte und follte fingen. Die Nachtigall will ihr heimlich Dunkel. Sie flieht die lauten Straßen. Taufendfach verlegten mich der
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freche Tag, die neugierigen Augen, die taftlofen Lober. Sch fah, daß mir jede Anlage, ftolz zu fein, mich zu fühlen, mich wichtig zu nehmen fehlte. ‘Der Kranz, der über Nacht auf meinen Scheitel gefallen mar, genierte mich, eine peinfiche Kopfbedeckung. Und ich mußte fie gar fo öffentlich und weithin ficht- bar tragen.
Und ic; gedachte der Würdigeren, gedachte vor allem Liliencerons. Und es famen Stunden, wo id nicht glüdlidy) war, und wo ich bange war. Sch hatte meine Unbefangenheit verloren. Sch fah bei jedem Vers taufend Augen auf mich gerichtet.
Und der Singvogel flog in fein Dichtefted Buſch— werf zurüd, und die Leute ftanden davor und fragten: Wo blieb er? Warum fingt er nicht? Er fol doch fingen! Er befommt doch dafür bezahlt!
* 3% *
Eines Tages kam eine anonyme Poſtkarte ins Haus: „Sie nähren ſich von dem Schweiß der Steuerzahler!“ Und fie blieb nicht die einzige. Die niedrigftie Ge- meinheit Eroch aus ihrer Höhle und befchleimte meinen Meg. Neid, Mißgunft, Klatſchſucht richteten ihre grünen Augen auf mich und erhoben ihre widerlichen Stimmen.
Ich lernte verachten.
Und ich lernte fiolz fein.
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Doch den Stunden des Stolzes folgten Stunden des Zweifelns. Ich fchlug nad) meinem Kranz und fragte mich: ‚Wer bift du, daß man dich Frönt? Auf welchem Hügelchen ftehft du, und oben fliegen mit flürmifchem Naufchen die wahren königlichen Vögel hoch über deinem Haupte?‘ Und ich fah um mic, und id) fah taufend ruhmhungrig geredte Hälfe, und ich hörte ein Lärmen und Lobpofaunen, und es mußte die Welt voller großer Talente und Genies fein. Der „Berühmte“, der „Geiſtvolle“, der „Dri- ginelle“, der „Bahnbredher“, der „Ganzgroße“! So fhwirrte es durcheinander. Und wenn id) felbft diefe Ganzgroßen an den wahrhaft Großen maß, an einem : Goethe, Shafefpeare, ja an Geiftern wie Hebbel und Keller, wie Flein erfchienen fie mir. Und war id mehr als fie? |
E8 gibt feine größere Dual ald diefe, wenn Du gebemätigt im Staube liegfi und dein Leben wie eine taube Nuß in den Händen hältft. Wenn deine Nächte fchlaflos find und du did; wundringft um das Rätfel deines kleinen perfünlichen Dafeind und des Lebens überhaupt.
Der Schritt der Stunde, wenn du fAylaflos liegſt, - Und die Gedanken ſich wie Schwalben jagen,
Wenn fehnend du bis an die Sterne fliegft
Und Teer zurückkehrft, flügellahm, zerfchlagen.
Der Schritt der Stunde, wenn du fchlaflos Liegft,
Und aus dem Dunkel flarren ftumme Klagen, Daß du dich fchluchzend in die Kiffen fchmiegit
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— —
Und weißt nicht ein und aus. Schon wird es tagen, Das Leben jauchzt auf tauſend hellen Geigen,
Du aber hörſt nur durch den muntern Reigen, Nachzitternd, dumpf, wohin du fliehen magſt,
Den Schritt der Stunde, da du ſchlaflos lagſt
Und rangſt und fühlteft in fruchtlofem Kiopfen
An Gottes Pforten deine Kraft vertropfen.
x *ᷣ *
Manchmal kam ein Brief, von irgendwo her, von unbekannter Hand: „Schenken Sie uns wieder ein paar Verſe, die wir als Schatz im tiefſten Herzen hüten und, wenn wir allein ſind, ganz leiſe vor uns hinſprechen — wie ein Gebet. Das ſind Ihre Verſe für mich und das find fie auch für viele, viele an— dere.”
Nur ein mitfühlendese Herz finden, nur einen Tropfen himmlifchen Dles fpenden, irgendeiner fernen, fremden, leidenden Seele — wer fann das von fich jagen? Iſt es fo wenig? Iſt es umfonft ge: febt?
Bift du auch fein ftolzer Baumeifter deiner Kunft und führft den Tempel höher, an dem die Genien deined Volkes bauen, ein farbiges Fenfter Lieferft du du doch zum Bau, durch das die Welt fih ſchön und lieblich ausnimmt.
Und mandymal dadıte ih: ‚Wie, wenn du damals hätteft fiudieren dürfen? Wie anders wäre es dir
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geworden! Wieviel Jahre haft du nun verloren, fo dumpf in dumpfen Niederungen bahinlebend. Und bift nun aufgewacht, haft Flügel über Nacht be; fommen — — und figt auf dem Stock und an ber
Kette.‘
Mein Weib und all mein holder Kreis, Mein Kind und all mein lachend Glück. Sch rühre an die Saite leis,
Mie hell Klingt es zurück.
Nur manchmal, wenn von ferne ich
Die großen Ströme rauſchen Höre, Menn ſich der vollen Lebenschöre
Ein Ton in meine Stille ſchlich,
Schrei laut ich auf und hebe Klag’: Mehr Licht, mehr Licht, nur einen Tag!
Und biutend leg’ ich, abgewandt,
Mein Herz in eure Liebeshand,
Bis es von aller Angſt entbunden
Und wieder feinen Takt gefunden,
Den Gleichtakt zwifchen Wunfch und Pflicht. Herddämmerglücd, Herddämmerlicht.
® * *
Bon Luͤbeck war eine Einladung gekommen, id) folle mich meinen alten Landsleuten zeigen und ihnen aus meinen Dichtungen vorlefen. |
Da faßen fie und Hatfchten Beifall. Geibels
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Scwiegerfohn und fein Enkel waren unter ihnen, und ich gedachte der zaghaften Mutter, die fich nicht getraut hatte, die Türflinfe des berühmten Mannes zu berühren.
Und es waren von meinen ehemaligen Freunden unter ihnen, und fie erinnerten fich meiner und er: wiefen mir Liebed. Fris aber war nicht mehr in unferer Vaterſtadt, und meine Baterftadt war nicht mehr die Alte. Auch mein Vaterhaus fand ich nicht . mehr; ftatt feiner ſah mich ein modernes Geſchäfts— haus falt und fremd an.
Und in einen der Türme von St. Safobi, zu deren Füßen fie Geibel ein Denkmal gefegt hatten, fuhr an diefem Tage der Blitz, doch fraß er nur die Spike ded Turmes.
Und feiner der fchlanfen Türme der Baterftadt flamımte an diefem Tage in goldenem Feuer. Ernſt und firenge tiefen fie in einen grauen Himmel. Nur einen Augenblid, als ich finnend zu ihnen hinauf: fhaute, war ein wunderliches Flimmern um die föniglichen Türme von St. Marien, ald wäre die Luft bewegt von unhörbaren Glocken.
Und manchmal, wenn ich ich an dich zurückvente, alte liebe Stadt an der Trave, wenn ich nur beinen Namen höre, ift ed mir, als fei ein folches wunder: liches Flimmern um alle deine alten Käufer und Kirchen. Ach, vierzig verfloffene Sahre dämpfen Licht und Schein. Wie hinter einem Schleier fehe ich dich,
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aber mein Herz wird unruhig und traurig vor dieſem Schleier, und Heimweh befällt mid; nad) der Stadt meiner Kindheit.
* * %
In Groß-Borftel, auf hamburgifchem Landgebiet, baute ih mir ein Haus. Ein fihmaler Streifen MWiefenland war urbar zu machen; nur ein alter Weißdorn fand darauf, der aus vielfachen Wurzeln drei phantaftifch gemwundene Stämme nad) verfchie- benen Geiten auöftredte und fo ein breites, in ber Blütezeit von Bienen durchſummtes Dach herftellte. Sonft mußte jeded Sträuchlein gepflanzt werben, follte fidy die grüne Wiefenmwildnis in einen Garten verwandeln. Wege wurden gezogen, Beete angelegt, ein Zeich ausgehoben, und es entftand ein freund- liches Befigtum, dad die darauf verwendete Mühe vielfältig lohnte.
Wie lieblich ift es, eine eigene Schöpfung fo nad) und nach werden, das Gemordene ſich ausbreiten und ſich mit jedem Jahr treulicdy erneuern zu fehen. Ich genoß eine bisher noch nicht gefannte reine Freude; die Natur, der ich bisher nur als ein Lieb» haber gegenüber geftanden, machte mich zu ihrem Bertrauten und verlor dabei nichts von ihren Reizen, wie es fonft wohl bei Annäherung an einen ge liebten Gegenftand zu fein pflegt. Sch verlor mid
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ſo ganz an fie, daß für die erften langen Wochen alled andere hinter meiner neuen Liebe zurüctrat. Meine Mufikfchüler hatte ich nach und nach ent> laffen, bis auf die Kinder von Dito Ernſt, mit dem id immerfort in herzlicher Freundfchaft verkehrte. Doch erwies fich bald die Fortfegung des Unter: riht8 von meinem neuen Wohnfis aus ald zu zeitraubend, und ich löſte auch diefes letzte Band, was mich noch mit meinem Muflferberuf verfnüpfte, der mir über zwanzig Sahre lang: mein Brot ges geben hatte. Viele Freude, fehr viel Leid. Froh war ich, jeßt ein freier Mann zu fein und mit dem fchweren Beruf auch der Enge der Stadt entfagt zu haben.
Wie hatte ich ed nur folange in der Stadt aus— halten fünnen? Wo der Bli immer gegen Mauern prallt, und mo das vielfadhe Getöfe des Tages, zu einem wirren, faum mehr beadhteten Lärm verfchlungen, ſich bis in die Nacht fortfegt und und wahnfinnig machen würde, wenn wir nicht dagegen abftumpften. Hier draußen war Friede und Stille, ein weiter Himmel, Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, alle Jahres—
‚zeiten im fanften Wandel, hier war helled Grün des
Sommerd und Teuchtender Schnee des Winters, war der violette Hauch des erwachenden Frühlings und waren die taufend Farben des noch einmal beim raufchenden Abfchiedgfeft aufjubelnden Herbftes; hier
' war der ganze Kreis des holden Lebens gejchloffen,
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und der Menſch, teilnehmend, leidend und wirfend, mitten darin. —
— Ich liege im Gras in meinem Garten und laffe den Wind über mid; hinftreihen. Um mid) ift ein Summen von vielen Inſekten, an ben Blumen, den honigreichen, hängen Bienen und Hummeln; id fann fie nicht fehen, denn meine Augen blinzeln nad oben, wo weiße Schäfchen auf der blauen Himmels» wiefe gehen.
Ad, fo zu liegen und fo zu träumen, nur zu fein! Nur den Atem heben und wieder fenfen: nichts als dad. Wie die Blumen leben! Sid, leife mit ben Wurzeln in die Erde taften und faugen; ein ange wurzelt Menfchenreis! So ftil und demütig, von der heiligen Kraft der Erde einichlürfen, Zweig für Zweig in das Licht hinaustreiben, und dann blühen dürfen, blühen! AU den überquellenden Drang in einem Blütenfener befreien, einen ganzen langen flammenden Frühling hindurch! —
Junges Bäumchen, das ic felbft gepflanzt, Sag, wann fchenfft du mir die erften Früchte? Edel bift du. Deine Art will Zeit.
Langſam reifft du, und ich muß wohl warten.
Marten! Fugend ift dem Wort nicht hold,
Fugend pflüct gern Früchte aus dem Blauen, Aus dem Leeren. Aber mählid) dann
Lernt fie ſich gedulden, fi befcheiden.
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Doch das Alter, mannigfach geprüft,
Oft enttäuſcht und nicht mehr reich an Hoffnung, Schäst nur noch den Apfel in der Hand,
Denkt des Guten, das er fchon genofleu.
Manche Ernte hab’ ich eingeheimft,
Manche Ernte mag mir noch gedeihen.
Dody id, wart’ und laß den Sommer braunen, Weiß, der Segen läßt ſich nicht erzwingen.
Du nur, Bäumchen, das ich felbft gepflanzt, Edelbäumchen, Schoßkind meiner Sorge, Bringft des Alters Gleichmut in Gefahr, Und ich frag’, wie lange fol ich warten?
Wär’s auch nur, daß ich aus deinem Saft Eines Apfels füßen Schaum genöfle,
Wär's aucd nur, daß man den erften mir Rötlich fchimmernd in den Sarg mitgäbe.
Zieg ich dann auf meinem jiillen Bett, Sacht zerfallend mit der Frucht, der mürben, Labft du meine Kinder, die mit Luft Schmaufen und den toten Gärtner fegnen.
— Am Bad), der hinter meinem Garten fließt, fige ic gern in aller Frühe im firohgededten Tempelchen auf der Banf. Das Wäſſerlein hat ed immer eilig, als fonnte es die Zeit nicht erwarten, wo ed in den Mühlenteich fließt und von da in die Alfter; immer tut ed, als müfle ed noch heute nach Hamburg, in die Stadt. Lauf zu und grüß’! Sag’, ich fäße gern hier
und fäme fo bald nicht.
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Drüben die ftile Wiefe, noch naß vom Morgens
tau, ift meine Augenweide. Bon hohen Bäumen um- rahmt liegt fie wie ein funfelnder Edelftein da. Se nad Sahreszeit und Tag und Stunde leuchtet jie in allen Farben. Am fchönften ift fie, wenn der Frühling feine goldenen Butterblumen und den gelben Hahnenfuß darüber ftreut, und das feine Birfenbäum- hen hinten am Saum in feinem weißen Kleid mär- chenhaft dafteht; feine zarten Zweige ſchwanken leicht im Winde und leuchten im erften hellen Grün, wie das Blondhaar eines Backfiſchchens. Aber auch das dunfle Sommerlaub ift ſchon; und die Miefe befommt dann fo etwas Ernfted, Yeier- fiched, wenn die hohen Bäume fchweigend baftehen und ein dichtes Gewölf dahinter auffteigt.
Und im Serbit und im Winter, wenn noch fein Schnee fiel und der graue Himmel durch die Fahlen Bäume hindurchfchaut und die Krähen in den leeren Kronen haufen, ganze Krähenfchwärme, die fich hier mit Gefchrei verfammeln — immer fige ich gern auf meiner Banf und fehe das Bädhlein nach Hamburg laufen. —
Aber in das fonnige Idyll genügfamen Landlebens follten gar bald tiefe Schatten fallen. Die Mutter, nad) der Geburt unferesd dritten Kindes zum zweiten: mal dem SKinderlärm weichend, hatte in einem in chriftlichem Geifte gelenften Stift eine bejcheidene, aber freundliche Penſion gefunden. Hier aber fing
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fie bald an zu kränkeln, eine Reihe von Schlag- anfallen machten fie nad) und nad) hilflos, und eines Tages entjchlief fie nach mancherlei Leiden, und ich fonnte, an ihr Sterbelager gerufen, nur noch einen Kuß auf die eben gefchloffenen Augen drüden.
Sch fireichelte die Falten Hände und den weißen fpärlichen Scheitel und betrachtete mit Wehmut die Züge des lieben Geficdhtes, in dem die guten Augen, in ben letzten Fahren faft von Blindheir gefchlagen, nun erlofhen waren.
Sie hatte an dem legten Umſchwung meines Lebens liebevollen Anteil genommen und war untröftlicd; ge- weſen, daß fie meinen fünfzigftien Geburtstag nur von ferne mit fegnendem Gedenken begleiten Fonnte. An meinem literarifchen Erfolge hatte fie die größte Freude. Doch ließ fie andere faum merken, daß fie auch ftolz; darauf war. Auch mich felbft glaubte fie vor Überhebung bewahren zu müffen und hatte fchon viel gefagt, wenn fie einmal äußerte: „Wie fchon, daß du das alles fo kannſt, und daß die Leute es fo anerkennen. Da fünnen wir doch nicht dankbar genug fein.“
- Die Frömmigkeit ihres Wefens, die ſich abhängig und verpflichtet fühlte, tritt auch in diefer Außerung zutage. Und diefe file und gute und fromme Frau, als fie nun in der Kirche der Anftalt aufgebahrt war, und ihr weißes Geficht, von dem fladernden Licht zweier Kerzen wunderlich belebt, einen tiefen
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Frieden atmete, fie mußte es über fich ergehen laſſen, daß ein eifernder Mund über fie Worte von Hölle und Gericht fprach und nicht ein Wort des Troftes für die Hinterbliebenen fand, ale das kalte feines eingelernten Bibeltertes. |
Die Tote lag freilich ftill da und proteftierte nur durch den feligen Frieden ihres fchlafenden Antlißes gegen fo törichte Menfchenrede.
Dann trugen wir fie hinaus, einen [legten meiten Weg nad) dem winterlichen Gottesader, und die harte Erde ſchloß fich über fie. Ein letzter Wunfd war ihr nicht erfüllt worden: meinen Bruder noch einmal zu fehen; ald er mit Weib und Kind herübereilte, fam er zu ſpät und fonnte nur noch einen Kranz auf. ihren frifcehen Hügel legen.
* * a
Meine Mutter hatte mit ihren fiebenundftebzig Sahren das Alter erreicht, wo man gerüftet fein muß, der Natur ihren Tribut zu zahlen. Aber nun begann ein Sterben von jüngeren oder gleichaltrigen Ge— noffen und Freunden um mid; herum, das wohl ge- eignet war, mich zu mahnen, daß auch ich den ab- fteigenden Weg bereits betreten hatte.
Prinz Emil zu Schönaich- Carolath, der edle, liebenswürdige und Tiebendwerte Schloßherr von Hafeldorf, den ich ald Dichter hochſchätzte, war mir
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feit ein paar Sahren auch perfünlich näher getreten. Sch war wiederholt fein Gaft und durfte einmal fogar mit Frau und Kind drei herrliche Tage auf feinem fchönen, ſtillen Marfchenfig verleben. Da war es mir denn eine Freude und ein Gewinn, dieſen Arifto> fraten von feinfter und echtefter Herzenspornehmheit in näherem Berfehr beobadjten zu fönnen und auch als Menſch immer mehr verehren zu lernen. Seit langem leidend, wußte er doch mit größter Selbft- beherrfchung feinen vielen Gälten der immer liebend- würdige, felbftlofe Wirt zu fein. Nur feine Augen, die oft verloren wie in eine andere, ferne Welt zu fehen fchienen, verrieten von einem abgewandten und oft leidvollen Innenleben.
In jenen Tagen ereignete ſich dort das Zuſammen— treffen zweier grundverfchiedener Naturen, die nad) furzem Verſuch, ſich zu verftändigen, ſchnell davon abließen.
Schon bei unferer Ankunft hieß es, ed würde noch ein Herr aus Norden erfcheinen. Doch ließ der Herr auf fich warten. Er fam erft am Nachmittag bei firömendem Regen auf den Hof gefahren und ent- fhuldigte fi, er wäre in Gedanken über die nächte Bahnftation hinausgefahren.
E8 war Guſtav Frenffen, den fein junger Ruhm ald Berfaffer des Jörn Uhl auch perfünlich aus feinem ftilen Wohnfig heraus unter die Leute brachte.
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Ich war ebenfo überraſcht als erfreut, ihn zu
ſehen. Wir fannten und ſchon. Er hatte mich bei Gelegenheit eines Vortrages, den er in Hamburg hielt, zu fich eingeladen, und ich war dann adıt Tage in feinem Paftorat zu Hemme fein Gaft gewejen. Er arbeitete damals an den legten Kapiteln feines großen Bauernromand Sörn Uhl und teilte feine Zeit zwis fchen feinem Stehpult und mir. Draußen, auf un fern längeren Spaziergängen, war er oft von einem jungshaftem Übermut; am liebſten wäre er noch mit dem Springfiod über die breiten Marfchgruben ge: fprungen. Die gährende Fülle, aus der heraus er feinen Sorn Uhl gefchrieben, fohäumte noch in ihm über. | ;
Hier, im Prinzenhaufe, fühlt er ſich nicht wohl. Es fchien ihm an Raum zu fehlen, freimeg fpringen
zu fonnen. Sur, ed bewegten fich zwei fremde
Welten nebeneinander.
Es war Frenſſens eriter und legter Beſuch in Haſel⸗ dorf. Leider follte es auch mein letzter gewefen fein, trog wiederholter Einladungen, die faft immer in Be- gleitung einer Sagdbeute — ein paar Hühner, Enten oder Hafen — eintrafen. Die Leiden, die zulegt un— fäglich gemwefen fein müffen, rieben die zarte Kon» ftitution ‘des tapferen Dulders auf, und ein edler Dichter und wahrhaft vornehmer Menſch ging in jenes unbekannte Land hinüber, das eine echte, tiefe Religiöſi— tät ihm immer hatte verheißungsvoll erfcheinen Laffen.
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Einem ähnlichen Schidfal, wenn auch nicht auf bed Lebens Höhen, fondern auf dem engen, mühs famen, fandigen Talweg eines ärmlichen Dafeing, erlag bald darauf ein anderer Dichtergenoffe.
Schon oft war mir auf meinen Spaziergängen in Groß- Borftel ein mittelgroßer Mann aufgefallen, der halb den Eindrud eines Schulmeifters, halb den
eines Fatholifchen Priefterd machte; was um fo drol; | figer wirfte, ald er meift einen Kinderwagen vor ſich herfchob. Das große, etwas leidende Geficht wandte fh mir jedesmal zu und fah mich durch blanfe Brillengläſer forfchend an. Es war Frig Staven- hagen, der fein Töchterchen fpazieren fuhr, und der, wie ich bald erfuhr, nicht weit von mir ein grüns umranfted Häuschen bewohnte Wir lernten und dann fennen, und zwar machte er mir den eriten Beſuch. Er war feit furzem am Schillertheater in Altona Dramaturg geworden und hatte den Ehrgeiz, diefe Bolfsbühne zu heben und zu veredeln. Sch hatte ein Märchenftüc gefchrieben, „Putzi“, das im herzoglichen Koftheater in Meiningen in der Weih- nachtözeit aufgeführt worden war, wie es hieß, auf allerhöchſten Wunſch. Den Hamburger Bühnen hatte ich es ohne Erfolg angeboten, felbft die Meininger Aufführung war feine genügende Fürſprache gewefen. Da erbat Stavenhagen fi das Stück; es fei fo voller Poefie, daß es ihn zu einem Berfuch reize. Sp famen wir zufammen, und id) freute mid) der
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gemeinſamen Arbeit. Als ich dann zu ihm ging, fand ich ihn fehr elend. Er flagte, er litte an einem hart» nädigen Magenübel; eben gerade hätte er einen hef- tigen Anfall überftanden und ſich in Krämpfen auf dem Boden gewunden. Der Schweiß perlte ihm noch auf der blaffen Stirn. „Morgen gehe ich ine Krankenhaus zur Operation“, fagte er. „So oder fo, ich halte ed nicht länger aus.“
Doppelt rührend war mir in dieſem Augenblid die Ärmlichkeit feiner Umgebung. Er führte mich mit Stolz an feinen felbftgezimmerten Schreibtifch, der roh aus ein paar Kiften aufgebaut war. Er follte nicht wieder an ihm arbeiten, und mein Stüd, dem er fo viele Liebe entgegengebracht, wurde erft ein Sahr nad, feinem Tode aufgeführt. Der von vielen Entbehrungen geſchwächte Körper Stavenhagens hatte zwar Die Operation überftanden, hatte aber dann nicht mehr die Kraft gehabt, den Weg bis zur Ge- nefung zurüdzulegen. Mit ihm farb eine große Hoffnung. E8 fiel gerade etwas Sonne auf feinen Weg, die Bühnen begannen fich feiner Stüde an- zunehmen, da riß der Tod ihn weg.
Noch nie fah ich ein fo vom Tode veredelted, ge- adeltes Geficht. An feinem Grabe ftanden nur wenig Leidtragende. Ein paar Freunde Ein paar Sour- naliften. Bom Theater war niemand erfchienen. Siegfried Hedfcher hatte in der Friedhofsfapelle nad ber Rede des Geiftlichen noch ein paar warme, über-
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auellende Worte geſprochen. Erfchüttert kehrte ich mit ihm heim, tiefbewegt von dem tragiſchem Gefchid ded unglüdlichen jungen Dichterd, des Shakeſpeares des plattdeutfchen Theaters, wie ihn überfchäumende Begeifterung genannt hatte,
Es ſprach die Not: Ich quäle dich.
Es ſprach der Mut: Sch flähle dich.
Es fprach der Sieg: Ruhm winkt und Licht Es ſprach der Tod: Fch will es nicht.
D Tod, das haft du fchlecht gemacht, Sp fchöne Kraft für nichts geacht, Biel Kräuter ftehen hundertweis, Was raufteft du dies Edelreis?
Spricht der Tod:
Fühl nicht wie ihr, bin hart und fchneid’ AM Kraut und Gras ohn' Luft, ohn' Leid, Und fchon’ auch nicht der Blumen. Hüt' Dein Röslein du, fo lang’ es blüht.
Auch Wilhelm Holzamer, der junge heffifche Dichter, dem ich im herzlicher Freundfchaft verbunden war, wurde mir bald darauf durch den Tod genommen. Er hatte ſich an mir herangebildet und hatte mir fein erſtes Versbuch in Dankbarkeit gewidmet. Auch ihm fchien nach mancherlei Leiden einer zerftörten Ehe feit kurzem die Sonne eines neuen Glückes und eined endlichen mohlverdienten Erfolges, als ein
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heimtücifches Halsleiden ihn in das Dunfel ftieß, vor dem ihm vorahnend manchmal gebangt hatte, „Sch bin ein Wanderer“ hatte er einft gefungen.
„Sp muß ich wandern — tiefe Schluchten hin, Und fchreit mein Herz auch auf in müder Nacht, Um Morgen muß ich ziellos weiterziehn.
Und ruht mein Haupt auf weichem Mooſe aus, Und träumt mein Herz von einem tiefen Glück, Zu ftetem Frieden baut ich mir fein Haus.
Und fteckt ihr Roſen mir auf meinen Hut, Und kraͤnzt der Lorbeer felbft mein armes Haupt — Sc ftehe frierend bei der lichten Glut.
Ich bin ein Wandrer. — Und es ift kein Ort, Wo mir ein häuslich-liebes Heim befchert — — Sc, habe nach den Sternen einft begehrt,
Nun treibt's mich ruhlos zu den Sternen fort.
Er war ein Menfch, der ſchwer am Leben trug, der jedes Unrecht, das er andern getan, zehnmal ftärfer empfand, als das ihm gefchehene. Dft war ich dad Gefäß, in das er feine bitteren, felbft- quälerifchen Klagen ausftrömte, öfter noch wandte er ſich an meine Frau, die ihm Berftändnis entgegen brachte, und deren Aufrichtigfeit und Gerechtigkeit ihm wohlzutun fchien.
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Gewiß hatte id die Wutter mit aller Innigkeit und Zärtlichfeit des Sohnes geliebt und durfte gewiß fein, daß fie ſich darüber nicht im Zweifel befand, dennoch wollte mir fcheinen, als ob id; mandjed an ihr verfäumt hätte, manches zärtliche Wort, das ſich ſchon auf die Zunge gedrängt hatte, manche findliche Liebfofung aus falfcher Scham unterdrüdt hätte, denn immer war ed mir von Kindheit an ſchwer geworben, meinen Gefühlen freien und unbefangenen Ausdrucd zu verleihen, und ich hatte manche ſchmerzliche Stunde dadurd; und manchen Nachteil.
Diefe Schwäche, die aber wieder mit meinem Beften innig verwurzelt war, follte auch ein anderes Band, was mich mit einem lieben Menfchen verfnüpfte, wenn auc) nicht innerlich, fo doch äußerlich durch die Berhältniffe begünftigt, lockern, bis endlich der Tod ed ganz löfte.
Liliencron hatte inzwifchen auch geheiratet und fi) in Alt-Rahlftedt niedergelaffen. Die räumlich meite Trennung, die wachfenden Anfprüce der Familien, liegen uns fo oft. nicht mehr zufammenfommen. Auch er hatte inzwifchen an feinem fechzigften Geburtstag reihe Ehren eingeheimft; eine immer wachfende Schar von Berehrern, Anhängern, Freunden und Bekannten umlagerte ihn, und ich fah ihn fich mit Leuten duzen und brüberlich tun, von denen verdrängt zu werden mir wehetun mußte.
Nun war ed nicht dad „Du“; auf das hatten wir
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und von Anfang zu verzichten das Berfprechen ges geben.
„sc merke, daß ich eine ftarfe innerliche Keufch- heit befige,“ fohrieb er mir damals, „nicht natürlic die Gouvernantenfeufchheit, na, das wiffen Sie ja, aber die feelifche., Bei jedem Berlaffen des ‚Sie‘ hört jede Keufchheit auf. Das ‚Du‘ ift ſtets der Anfang der Brutalität.“
Aber ed war das Gefühl, daß ich Außerlich immer mehr und mehr zu einem Draußenftehenden wurde. Da hätte e8 mid, gewiß nur ein Wort gefoftet, aber dazu war ich zu ftolz; er follte und mußte auch ohne das wiſſen, daß ich ihm nicht verloren gehen fonnte. Fuhr ich doch auch fort, mich öffentlich und bei jeder fi; bietenden Gelegenheit laut und freudig zu ihm, als meinen Lehrer, Förderer und Freund zu befennen. Dennocd mußte ich nachher erfahren, daß er ſich bes klagt hatte, ich wäre „fühl“ geworden.
Er hatte mir einft die Hände gefüßt, mid, feinen Herzend-Falfe genannt und gefchrieben: „Sie wiflen gar nicht, wie ich Sie Liebe.“
Womit hatte ich es ihm vergolten? Nur mit einem Herzen voll treufter Anhänglichfeit, wie er es treuer nirgend hätte finden fünnen, und doch fonnte er ſich im Recht glauben, wenn er mid, jegt „fühl“ nannte. Es war die wortfarge Scheu meined Empfindens, die mir hier den tiefften und meheften Stoß gab, Ale lauten Worte und Gebärden waren mir peinlich).
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Sch erinnere mich jener Anekdote von Mörike, der dem fchwärmenden Geibel antwortete: „Das nennt man bei ung Schäfle“. So fprad) auch ich lieber von Schäflen als von himmlifhen Wolfenfchaufpielen. Sc, habe in meinem Zimmer ein Paftell hängen, ein einfamer Knickweg im Schnee, von dem Hamburger Friedrih Schaper gemalt. Kaum ein Tag vergeht, wo ich nicht einen Blick auf das Bild werfe, und oft ftehe ich davor und fehe ed mit Augen der Liebe an, weil ed meinem Empfinden fo viel fagt, mag es anderen vielleicht auch ftumm fein. Diefes Bild lobte ich einft einem anderen trefflichen Künſtler mit den Morten: „Nett, nicht wahr?“ Der aber fuhr heftig herum und rief ganz empört: „Nett? Nett? Das ift ein Kunſtwerk!“
Ad, ein herzliches Wort der Liebe noch! Zu fpät!
Sch ſtand an Liliencrons Totenbett und fah fein ftilles ſchönes Gefiht vor mir in den Kiffen, und ed war mir, ald müßten fich die gütigen blauen Augen nod) einmal aufichlagen und mic, vorwurfsvoll anfchauen. Rote Roſen leuchteten auf feinem Bett; zu ihnen legte ich mein ehrfürdjtiges und Liebendes Schweigen.
* * *
Jahre ſind ſeitdem vergangen, und ich begann unterdeſſen auf dieſen Blättern die ſchlichte und doch wunderliche Geſchichte meines Lebens zu erzählen.
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Sch kramte viel in alten Papieren. Die Briefe des toten Freundes führten mic in die vergangenen Tage zurüd, Da war ein Brief:
„Heute Fam ich zu ganzen Bergen von Shren alten Briefen aus den neunziger Sahren. Was waren das doc; damals für frifche Zeiten. Wir fahen und wöchentlich und, wie ich aus den Briefen erfehe, hatte der Tag taufend ‚literarifche Ereigniffe. Da finde id; denn auch eine ganze Menge Namen, an die fein Menſch heute mehr denft. Sa an deren Perfönlich- feiten ich mich nicht mal erinnern kann. Sie transit gloria mundi.“
Srifche Zeiten! Und dann?
„Wo Engel fich die fühlen Hände reichen,“ glaubte der Freund auch mich ftehen. Vielleicht Fonnte es nicht anders fein. Vielleicht war es die Zeit, als er mich „kühl“ wähnte, wo ich dem Strom entftieg, in dem ich zu lange gebadet, auf defjen Grund ich zu tief hinabgetaudyt war. Und der Strom, gewohnt, ihn fo lange in feinen Armen zu halten, großte dem Entwichenen, und überfah, daß jener am Ufer ftand, ihm zugewandt, und die herrliche, erquicende, Fräf- tigende Flut in überfließendem Danfgefühl fegnete.
Und in Briefe der Lebenden verfenfte ich mich und ließ mid, zurüctragen zu jenen Anfängen, über denen das ganze Glück des Frühlingshimmels war.
„Ach, Lieber Falfe: — fchrieb mir Dehmel — meinen Sie denn, mir fei es nicht ‚fchmerzlich‘
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gewefen, meine alten Briefe an Sie zu leſen? Bielleicht noch fchmerzlicher ald Ihnen! Sie waren fhon damals im Begriff, ſich das vielbefpöttelte Schnedenhaus anzulegen, in das wir uns fchließ- lich doch alle vor der Welt verfriechen müſſen; ich froh noch mit vollfommen nadter Haut in dem Weinberg des Herrn herum, und wie fühlbar ift fie mir feitdem gefchunden worden! Man hat dann fchlieglic, feine Zeit mehr für Hautbalgereien, fonft wird man mit dem Hausbau nie fertig. Aber ein Zroft ift doch bei al diefer Schinderei: fie treibt und nur fcheinbar in uns felbft zurüd: eben das Schnedenhaus, dad wir und bauen, wird ja einft der fchönfte Unterfchlupf für die Armen, die nicht bauen fünnen.“
v* & %
Es iſt heute der 4. März des Jahres 4912, einem
kurzen, firengen Winter find frühzeitig milde Tage. gefolgt. Sommerwarm Tiegt die Sonne auf den werdenden Beeten und den braunen Büfchen. An den Stadjelbeerfträuchern kommen die erften fleinen grünen Spiten keck hervor, Schneeglöckhen entfalten zaghaft ihre weißen Roͤckchen, wie junge Mädchen in Pfingfifleidern; nur mutig, ed wird euch nicht frieren, heute nicht. Aus dem Nachbargarten leuchtet ein blanfes Gelb herüber, eine winzige Krokusfamilie
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im Feftftaat. Sonft ift alles noch fahl und winter lih. Dod nein, ftehe da, erfte Kästchen an ben Weiden und dort hinten am Teich, lang und ſchlank, wie goldene Fäden, Erlenfäschen. Sa, nun ift der Frühling nicht weit. In all dem Bufchwerf rumort
e8 ſchon und in den fchlanfen Birfen und in den
Eichen und Ahornbäumen und in der jungen Rot: buche auf dem Raſenfleck; man müßte es hören fonnen, hätte man nur feinere Ohren.
Wie ich euch liebe! Bon Fein auf wuchft ihr mir and Herz D, die Freude des Gärtnerd an feinem jungen Bäumchen!
Ich war als Gärtner ihm beftellt
Und 309 es auf, fo Jahr für Jahr, Und war kein Bäumchen auf der Welt, Das fo ein liebes Bäumchen war.
Und hatten andere Freude dran, Mar meine Freude größer nod), Und Fam einmal ein Nörgler an, Ich lächelte — und liebt es doch.
Und jest, da es in Blüte praugt,
Sp zart und weiß und wunderfein, Erfchrict mein Herz und zagt und bangt: Das Bäumdyen, Narr, ift ja nicht dein.
Die Früchte, die fich leife jest Aus diefen Blüten ringen los, D Gott, ein Fremder kommt zuletzt Und fchüttert fie fich in den Schoß.
474
a. a Br N. — Au
Doch das war ein junges Menfchenbäumchen. Ihr aber blüht mir, und eure Früchte Iohnen meine Liebe Sahr um Jahr. Wie lange nody?
Zu beiden Seiten, in den Nacdhbargärten, ging vor furzem der Zod und bettete hier ein junges Leben unter dem Weihnachtsbaum zur frühen Ruhe und nahm dort einem Mann aus der Mittaghöhe des Lebens die Gartenfchere aus der fleißigen Hand. Die Bäumchen, die diefer befchnitt, ſchwellen in Saft und wollen grünen, und auf den Steigen, wo bie jungen müden Füße ſchwankten, liegt die volle Sonne und füßt auf ben fchwarzen NRabatten die erften Beildyen wach. Auf der Abendfeite des Lebens ftehend, jehe ich über alle Gärten hinweg in die verfchleierte Ferne, und fehe am violetten Saum der Welt zwei dunfle Flügel fchweben.
Lu * *
Und nun, kleine beſcheidene Feder, die ſich nie groß gedünkt, die aber immer in Liebe und Zärtlichkeit und Danf getaucht war, fchreibe du jegt die legten Seiten biefed wunderlichen und bunten Buches. Nicht den Toten fol unfer letztes Wort gelten, fondern den Lebenden.
Dir, liebes Weib, die ich dich meine „Tempels hüterin“ genannt habe.
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Das hab’ ich dir zu danken,
Daß du die grünen Ranken
Des Glücks zu einem ftillen Zelt mir bieoft, Davor du ohne Klagen
Getreu an allen Tagen
Ars meines Friedens wache Hüterin Tiepft.
Du hörſt die leiſen Klänge,
Die heimlichen Gefänge,
Und horchft mit einem halben Ohr hinein,
Und durch des Vorhangs Falten,
Den deine Hände halten,
Dringt nicht des Tages freher Lärm und Schein.
So läßt du mid, gewähren,
Und weißt den Gott zu ehren,
Der herriſch dich von meiner Seite fcheucht, Und träumft von Ruhmesfternen,
Und fiehft in goldne Fernen
Mit einem ftilfen, feligen Geleucht.
Und euch, ihr beiden Mädchen, deren Wege ſchwer fein werden, denn Shr habt von dem Träumerblut Eures Vaters in den Adern. Shr feht goldene Füße tanzen, wie er, und hört gleich ihm das Klingen fil- berner Harfen. Sei e8 in Freude, fei es in Leid, mögen immer Eure Tage im Rhythmus eines höheren Lebens freifen über allem Gemeinen und Niederen.:
Und du, mein Sunge, in dem noch die Bödlein einer fpielerifchen Sugend gar närrifhe Sprünge machen, gib mir deine Heine Sand. Bift du audı der Unverftändigfte, fo will ich dir Doch das Belle
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Br nD Ernftefte, was ich noch zu jagen habe, ans Herz - fegen. |
Sch war ein Junge wie du, nur um weniges jünger, ald ich von den Wällen meiner Vaterſtadt die feurigen Türme, von denen ich auf den erften diefer Blätter erzählte, in den aufgehenden Morgen hineinragen fah. Diefer herrliche Anblick prägte ſich meiner Eleinen Seele tief ein, und ich träumte Tag und Nacht von dem goldenen Bilde, und als id, größer wurde, war ed mir ein Symbol alles Gol- denen, was bes Menfchen Sehnfucht, himmlifcher Abftammung ſich bewußt, mie ein Winfen aus der höheren Heimat über dem Dunft diefer Erde leuchten fieht. Aber das Leben ift ein Wandern auf breiten ftaubigen Straßen, und die goldenen Bilder erlöfchen und verfinfen wohl auf lange Streden, manchmal aber für immer.
Vielleicht haft du auch ſchon ein ſolches Bild in dir aufgenommen und trägft es verfchloffen in deinem fleinen Herzen und hüteft es wie ein fchamhaftes
Geheimnis; denn von folchen Erlebniffen pflegt man
nicht zu fprechen, weil man ahnt, vaR ein Hauch ges nügt, Heiligſtes zu befleden. Bewahre dir fürs Leben fo ein Heiligftes in der Seele. Sp lange noch ein Fünfchen glüht von diefem Golde, folange fannft du nicht ganz ver- Ioren gehen.
Du bift anders als dein Bater. Es ift fremdes
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Blut in deinen Adern, und ich muß manchmal daran denfen, daß deine Mutter von den Wellen des Mifftfs - ſippi gefchaufelt wurde, und daß deren Mutter als Kind die, freie Luft der Schweizer Berge atmete. Möge dir von daher all das Gute gefommen fein, das dein Vater dir nicht mit ins Leben hat geben fünnen. Ich denfe, du wirft nicht beifeite ftehen, du wirft zugreifen und dir dad Deine nehmen.
Sch Tieß jeden Tag an mich heranfommen. Sch
war wie ein verwehtes Saatforn, dad auf einem breiten Strom dahintreibt. Wird es finfen, ober wird ed irgendwo an das Ufer gefpält werden und Wurzel treiben und feimen? Es war ein Glück, daß id meinen Boden fand, und die Leute fagen, es fei fein wertlofes Korn, das da angefchwemmt worden. Aber ein Glüd bleibt es do, und ich muß in Demut fagen, mein ganzes Leben ftand unter einem guten Stern.
Ob dad Samenkorn von der Rofe weiß, die in ibm fchlummert? Der Wurm von dem Schmetter- ling?
Ein ewiged Ahnen geht durdy alle Kreatur von ihrer göttlichen Beftimmung. Und dad war es, was mich trug, bis in diefe Tage hinein, und was mid) weiter tragen wird, folange ich die Sonne nod) grüßen darf: ein Eindliches Bertrauen, du ruhft in ficherer Hand, Andere nennen ed ottvertrauen. Und warum foll ich es nicht auch fo nennen?
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Und das ift ed, was ich wünfchte, dir und deinen Schweſtern ind Blut gegeben zu haben, diefe meine Art Frömmigkeit, die mich jeden neuen Morgen mit fröhlichem Kerzen hat begrüßen. laffen, und die auch heute noch Elingende Türme vor fich fieht, dir mit goldenen Fingern in den aufgetanen Himmel zeigen-
ENDE
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— — =
Grote'ſche Sammlung v. Werken zeitgenöff. Schriftfteller
Eharitas Bifhoff, Amalie Dietrih. Ein Leben. Mit 8 Bildniffen. 80. Taujend.
— — Bilder aus meinem Leben. Mit jechzehn Bollbildern und fünf Tertillujtrationen. 34. Taujend.
Walther Burt, Der verfuntene Berrgoti. Roman.
Guftaf Dickhuth, Wie der Leutnant Hubertus von Barnim fi verloben wollte und anderes. Novellen.
Bans Dittmer, Vrouw Johanna. Ein Roman aus Dft-
friesland.
Ernft Eckſte in, Murillo. (Fehlt zurzeit.)
— — Hertha. Roman. (Fehlt zurzeit.)
— — Themis. Roman. Zwei Bände.
— — Dee Mönch vom Aventin. Novelle Vierte Auflage. — — Familie Hartwig. Roman. Dritte Auflage.
— — Kxypyarifſos. Roman. Zweite Auflage.
— — Roderich Cöhr. Roman. Zweite Auflage.
— — Adotja. Novellen.
— — Die Bexe von Glauſtädt. Roman. Dritte Auflage.
Guftan Falke, Die Stadt mit den goldenen Türmen. Die Gejchichte meines Lebend. 26. Taujend.
BHeinrih Sederer, Lachweiler Geſchichten. Fünf Er- zählungen. 17. Taujend. (Fehlt zurzeit.)
— —, Berge und Menſchen. Roman. 87. Taujend.
— —, Pilstus. Eine Erzählung aus den Bergen. 39. Taujend,
— — Jungfer Therefe. Eine Erzählung aus Lachweiler. 18. Taujend. (Fehlt zurzeit.)
— —, Das Mättelifeppi. Eine Schweizer Erzählung. 47. Taufend.
— —, Spigbube über Spitzbube. Eine Erzählung. 35. Taujend.
Guſtav Frenſſen, Die Sandgräfin. Roman. 106. Tauſend. — —, Die drei Getreuen. Roman. 150. Taujend. — — Jörn Uhl. Roman. 291. Taujend.
31
——
—
Grote'ſche Sammlung v. Werfen zeitgenöff. Schriftfteller
Guſtav Srenfjen, BHilligenlei. Roman. 178. Tauſend.
— — Peter Moors Sahrt nah Sudweſt. Ein Feldzugs- bericht. 197. Taufend.
— — Klaus hinrich Baas. Roman. 108. Taujend.
— — Der Untergang der Anna Bollmann. Eine Er- zählung. 76. Zaujend.
— — Bismard. Epiſche Erzählung. 26. Taufend.
— —, Die Brüder. Eine Erzählung. 102. Taujend.
— — Der Paftor von Poggjee. Roman. 61. Taufend.
£udwig Ganghofer, Doppelte Wahrheit. Neue Novellen. 10. Taujend.
— — Sliegender Sommer. Novellen. Der Reihe nach 26. Taufend.
— —, Das Schweigen im Walde. Roman. Neue Yusgabe. 145. Taufend.
— — Die Truße von hi Eine Geihichte aus Anne Domini 41445. 86. Taujend.
— — Das große Jagen. Roman aus dem 18. Jahrhundert. 87. "Zaufend.
— — Edelweiflönig. Hoclandsroman. Neue Ausgabe. Der Reihe na) 154. Taufend.
— —, Das Kind und die Million. Eine Münchner Gejchichte, 51. Taujend.
— —, Das wilde Jahr. Fragmente aus dem Nachlaß. 21. Taujend.
Bans Serdinand Gerhard, In der Jodutenftrake. Roman. 3. Taujend.
Kurt Geude, Ruſt. Die Gejihichte eines Lebens. Roman. Neue Ausgabe.
Hermann Beiberg, Reihe Leute von einfl. Roman.
Elifabeth von Beyfing, Weberin Schuld. Novellen. Mit Bildnis. 5 En Kopien, Gotthard Eingens Fahrt na dem Glück. oman. $. Bugin, Dur den Hebel. Roman. 4. Tauſend Johannes Jegerlehner, Marignano. Eine Erzählung. 8. Taujend.
Grote'ſche Sammlung dv. Werfen zeitgenöſſ. Schriftiteller
Johannes Jegerlehbner, Petronella. Roman aus dem Hochgebirge. 7. Taujend.
— —, Brenzwaht der Schweizer. Eine Erzählung. 7. Tauſend.
— — Bergluft. Eine Erzählung aus der Schweizer Hoch- gebirgsjommerfriiche. 7. Tauiend.
— —, Die Schloßberger. Geſchichte einer Jugend.
Wilhelm Jordan, Zwei Wiegen. Ein Roman. Neue Ausgabe. Zwei Bände. 7. Taujend.
Adam Karrillon, Michael Hely. Roman. 11. Taujend.
— — Die Mühle zu Bufterloh. Roman. 10. Taujend. — —, O0 Domina mea. Roman. 8. Taujend.
— — Im Lande unferer Urentel. 3. Taujend. (Neue Auflage in Vorbereitung.)
— —, Bauerngefelchtes. Sechzehn Novellen aus dem Chatten- lande. 3. Taujend.
— — Udams Großvater. Roman. 8. Taujend.
— — Sehs Shwaben und ein halber, Eine Weltreije. Mit Zeichnungen von Karl Worm 7. Taujend.
Joſeph von Lauff, Kärreliet, Roman. 16. Taujend.
— —, Pittje Pittjewitt. Roman. 28. Taujend.
— — Stau Nleit, Roman. 24. Taujend.
— — Die Tanzmamfel. Roman. 24. Taujend.
— — Santt Anne Roman. 22. Taujend.
— — Kevelaer. Roman. 23. Taujend.
— — , Luxaeterna. Roman. 13. Taujend.
— — Die Brinkſchulte. Roman. 19. Taujend.
— — Unne-Sufanne. Roman. 30. Taujend.
— — Sergeant Seuerftein. ‚Roman. 235. Taujend.
— — Schnee. Ein niederrheinifcher Roman. 27. Taufend.
— —, Sinter Klaas. Ein Roman vom Niederrhein. 26. Taufend.
— — Springinsrödel, Ein furiofer Roman vom Niederrhein.
31*
Grote'ſche Sammlung v. Werfen zeitgenöff. Schriftfteller
wen Philippi, Adam Hotmann. Ein Leben in der Zelle.
oman.
Wilhelm Raabe, Die Chronik der Sperlingsgafle. 152. Auflage.
— —, Borader. 41. Taujend.
ka Unrubige Gäfte. Ein Roman aus dem Säfulum. Zwölfte Auflage.
— — Im alten Eifen. Eine Erzählung. 10. Auflage.
— —, Hab dem großen Kriege. Eine Geſchichte in zwölf Briefen. Sechſte Auflage.
— — Die Kinder von Sintenrode. Dreizehnte Auflage.
— — Balb Mär, Halb mehr. Erzählungen, Skizzen, Reime. Dritte Auflage.
Otto Rodehorft, Und wenn die Welt voll Teufel wär. Eine Erzählung. 8. Taufend.
Erih Shenrmann, Ein Weg. Roman.
— —, Abfeits. Sechs Erzählungen.
Guftap Schröder, Die Flucht von der Murmanbabn. Eine Erzählung. 8. Taujend.
— — Der Beiland vom Binfenbofe. Roman. 8. Taufend.
Ernft Shubert, Ruhm. Ein Novellenfranz um Friedrich den Großen. Fünfzehn Novellen. 3. Tauj. (Neue Auflage in Vorbereitg.)
— —, Der Sturmmwind Gottes. Zwei Erzählungen.
Beintie Wolfgang Seidel, Der Pogel Tolidan. Neun —
— — vie Darnholzer. Ein Buch der Heimat. 6. Taujend.
— — Das vergitterte Senfter. Roman.
— — George Palmerftone. Roman. Mit Jluftrationen von Erich M. Simon.
Heinrich Steinhaufen, Heinrich Zwiefels Angfte. Eine Spießhagener Gejchichte.
Konrad Telmann, Bohemiens. Roman.
Johannes Trojan, Auf der anderen Seite. Streifzüge am Ontario-Gee.
— —, Berliner Bilder. Hundert Momentaufnahmen. Zweite Auflage.
Erich Wentſcher, Freiheit. Eine Preußenjugend. Erzählung.
Ernft Wiehhert, Der Wald. Roman.
& | Grote'ſche Sammlung v. Werfen zeitgenöff. Schriftiteller |
Ernit von Wildenbrub, Das fhwarze Holz. Roman. 19. Taujend.
— — £fufrsgia. Roman. 20. Taujend.
Margarete Windthorfst, Die Tau-Streicherin. Roman.
3ulius Wolff, TiN Eulenipiegelredivivus. Ein Schelmen- fied. 26. Tauſend.
— — Der Rattenfänger von Hameln. Eine Aventiure. 719. Zaufend.
— —, Der wilde Jäger. Eine Weidnannsmär. 115. Taufend.
— — Eannhänfer. Ein Minnefang Zwei Bände. 45. Taujend.
— —, £urlei. Eine Romanze. 76. Taujend.
— — Die Pappenheimer. Ein NReiterlid. 25. Taujend.
— — Renata. Eine Dichtung. 37. Taujend.
— —, Der fliegende Holländer. Eine Seemannzjage. 41. Tau.
— —, Affalide. Dichtung aus der Zeit der probeonlfiien Trou- badours. 18. Taujend.
— — Der £andstneht von Cochem. Ein Sang von Der Mojel. 25. Taufend.
— —, Der fahrende Schüler. Eine Dichtung. 15. Taufend.
— —, Der Sülfmeifter. Eine alte Stadtgejhichte. Zwei Bände. 81. Taufend.
— — Der Raubgraf. Eine Geſchichte aus dem Harzgau. 94. Taufend.
— — Das Recht der Bageftolze. Eine Heiratsgejchichte aus dem Nedartal. 49. Taujend.
— —, Das jhwarze Weib, Roman aus dem Bauernfriege. 30. Taufend.
— — Die Bohfönigsburg. Eine Fehdegejhichte aus dem Was- gau. 40. Taufend.
— —, Sweifelder Liebe. Romanausder Gegenwart. 22. Taujend.
— —, Das Wildfangreht. Eine pfälzische Gejchichte. 23. Taufend.
— —, Der Sacdienipiegel. Eine Gejchichte aus der Hohen ftaufenzeit. 24. Taufend.
— — Singuf. NRattenfängerlieder. 17. Taujend.
— — Aus dem Selde. Gedichte. Bierte, vermehrte Auflage.
Grote'ſche Sammlung v. Werfen zeitgenöff. Schriftſteller
Guftav Srenfjen, Grübeleien. Erlebnijje und Belenntniffe. 23. Taujend.
Es ift fein Roman, fordern es find „Aufzeichnungen“, wie er jelbft im Vorwort sagt, Gedanken und Bilder, mie jie in den Sahren 1890 bis 1905 die Geele eines einfamen Grüblerd und Geſtalters heimgejucht, bewegt und befruchtet haben. Ich möchte vielen, und nicht zum menigjten denen, die glauben, der Verfaſſer des „Sörn Uhl“ Habe ihnen nicht3 oder nicht3 mehr zu jagen, diejes Buch bejonder3 ans Herz legen. Ich Habe es mit innigjter Anteil- nahme, mit tiefer Ergriffenheit gelejen. Es erſchließt nicht nur etwas von dem tppiichen Wejen meiner engeren Heimat Schleswig-Holftein mit einer Stlarheit und Bildhaftigfeit, wie es mir jonft nirgend be- gegnet ift, es gibt Aufhellungen über die Perjönlichkeit Frenſſens, die vielleicht gerade, weil fie hier losgelöſt von feinen Werfen find, auch einen ganz andre künſtleriſche Wege Wandelnden in höchſtem Maße feſſeln muß, und es gibt ſchließlich außer einer Reihe ein- gejtreuter Bilder von Landſchaften und Menjchen eine bis an Die Schwelle des Pfarramts geführte fortlaufende Autobiographie Srenfjens, Die zu dem Schönften und Snnerlichiten gehört, was wir auf diefem Gebiet bejigen. Mllein um dieſes „Lebensberichtes“ willen, der dem über die Not und die Rätjel unjrer Zeit Sinnenden viel mehr gibt al3 die kunſtgeformte Widerjpiegelung eines Einzel- lebend, möchte ich diefem Buch im deutjchen Haus einen Plag wünschen. Berthold Ligmann (Kölniiche Zeitung)
Sn Frenſſen find zwei Blutftröme von ftärfiter Gegenjäglich- feit zujammengefloffen: der Vater war lauter Mut, helle Sonne und friiher Wind, Die Seele der Mutter dagegen war nach dem Dunkeln und Gorgenvollen gerichtet. Aus jolher Blutmilchung ift der merkwürdige Dichter- Denker hervorgegangen, der uns in den obigen „&rübeleien” einen tiefen Einblid in jein Inneres verjtattet. Ich geitehe, daß mich jeit langem fein Bekenntnisbuch jo ftark in Anjpruch genommen hat wie Died. Nicht weil 3. ein Mann ftarker Dichterijcher Erfolge und die Beihäftigung mit ihm ein modernes Bedürfnis ift, jondern weil die piychologiiche For- ihung durch diefe oft erjtaunlich rückſichtslos hingeworfenen Denf- quader die jtärkiten Anregungen erfährt. Yon unjerm Standpunkt aus müſſen wir freilich faſt alles ablehnen, was ins Gebiet der Dog- matif und Moral Hinüberjpielt, aber darüber hinaus ift jo viel Zeit- gejchichtliches, Autobiographiiches und Allgemein-Denjchliches in dem Buch, daß der reife Lejer Hände und Füße rühren muß, um mit diefen Reichtümern fertig zu werden.
Prof. Brechenmaher (Magazin für Pädagogik).
Grote'ſche Sammlung v. Werfen zeitgenöſſ. Schriftſteller
Kurt Geude, Ruft. Die Gejchichte eines Lebend. Roman. Neue Ausgabe.
Eine namenloje Spannung des Vorwärtsdrängend trägt das . Buch, das in alle Weiten menjchlichen Geſchickes greift; ein Kolonial- roman, ein Charakterbild, ein fauftiiher Roman, dem auch Goethes großes Wort vom immer jtrebenden Bemühen vorangeftellt und das dem Andenken Johann Cejar Godeffroy8 gewidmet iſt. Es läßt ſich nichts Erzieherijcheres denfen als dieſes Buch, das den Werdenden deshalb bejonders ans Herz gelegt jei... Nach erichütternden Tra- gödien jeines Berufes kommt Ruſt nad) Hamburg, und Mannestüchtig- feit, genialer ſchöpferiſcher Kaufmannsſinn ſchafft ihm hier die Stelle, an der er wirken kann; erit iſt es jein Geilt und dann auch jein Name, der da3 Haus Wullenmweber leitet. Er jelbjt gründet ein feines Kolonialreich in der Südſee, und an diejem Unternehmen entwidelt Geude in prachtvoller Anjchaulichkeit Die modernften päda- gogiichen, jozialen und allgemein menjchlichen Probleme. Wunder- Jame Epijoden, phantaftische Gejchehnifje, ein unendlich zartes Eheidyll auf dem Meere, die meilterhafte Schilderung eines Wirbeljturmes, der Schönheitswelt der Südjee und ihrer braunen, urfräftigen Be- mwohner, die düſter-dämoniſche Geſtalt des malaiiſchen Seeräubers Orangbrani, das farbenbunte Bild des Marktes zu Makaſſar, das an Tauſend und eine Nacht erinnert ... Alles dies vermittelt aus dem Kunſtwerk des „Ruſt“ auch eine Reihe gegenjtändlicher Reize und läßt die tiefgeichaute vielfarbige Welt, die hier aufgebaut ift, in jo weiter Wirfung erjcheinen wie etwa Defoes „Robinjon”, Swifts „Bulliver” oder Fenelons „Telemach“. Tägliche Rundichan.
Guſtav Schröer, Der Heiland vom Binjenhofe. Roman. 8. Taujend.
Ihr „Heiland von Binjenhofe“ ift jehr viel. Eine ethijche Groß— tat. Sieghaft wie triumphierendes Morgenrot ijt dieſer Jakob Sindig. Bielleicht ift mancher Figur, die Doch im erddumpfen, jcheuen Bauern: tum fteht, zuviel Seele gegeben. ch bin auch Bauernjunge und weiß um die Bauernjeele, die zäh und brüchig ijt wie altes Gejchirr- leder. Sie find fein Nachbeter. Vielmehr jonnenfreudiger Kämpfer, zitternd um Licht und Erlöjung für die arme, in Fetten ftöhnende Menjchheit ... Man fühlt ſtürmiſch ergriffene Säeleute über die Ader fchreiten ... Guſtav Schüler
Grote'ſche Sammlung v. Werfen zeitgenöff. Schriftfteller
Heinrih Wolfgang Seidel, George Palmerftone.
Roman. Sluftrationen von Erich M. Simon. Behaglich ladet der Roman aus, Didenzfcher Art tief verwandt,
bermeilt er gern bei dem Kleinen und doc nie Unmwejentlichen. Alle Fäden aber laufen zujammen über dem findlichen Haupt des Helden und jeinem Vorwärtsdringen auf der Bahn. Wohltuend berührt vor allem die Reinheit dieſer jungen Geele, die, in unbewußter Ehrfurcht vor Geheimnifjen de3 Seins, Kämpfe überfteht.
Ein Buch, das Stille bringt, Befinnen und eine frohe Dank— barfeit vor dem Reichtum des Lebens, bei allem Erfennen jchlum- mernder Hemmungen. Das Erlebnis dieſes ſchönen, reifen Werkes mit jeinem Wachstum an innerer Fülle wie der Beherrichung der techniſchen Mittel, bleibt recht vielen Leſern zu wünſchen. Gie werden fich bereichert fühlen und von diefem Reichtum mitteilen ' wollen, weil das Schöne, in Einſamkeit genofjen, nur Halb feine Heilkraft offenbart. Und brauchen wir folche Heilung nicht, da jo viele Seelen an Sorge und Kleinmut Franken? Heimatluft durch- weht dieje Blätter, friih und ftark, Jugend des deutichen Herzens, die nicht verloren gehen kann, folange wir jolche Bücher haben.
Hedwig Forftreuter im „Tag“.
Ernjit Wiechert, Der Wald, Roman.
Die Sprache nimmt durch ihre überaus reiche Fülle gefangen; die Heimatliebe, die Liebe zum Wald, die immer neue Bilder findet, um Diejer Liebe zur Scholle Ausdrud zu verleihen, macht das Bud) zu einem Schagfäftlein. Der junge Dichter hat in dieſem Werk feine: Geelennot über den Bujammenbruch jeines Baterlandes gejchildert und jein Beſtes in diejen Roman gelegt. Mit jeitener Kraft und Anjchaulichkeit bringt er und die Schönheiten des Waldes näher, mit künſtleriſcher Schöpfungsfraft gejtaltet er die Perjönlichfeiten. Der Roman kann zu den beiten gezählt werden, die in den lebten Sahren gejchrieben worden find, und erwedt große Hoffnungen für den jungen Dichter. Wejerzeitung.
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY
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