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DES

HL THOMAS VON AQUIN

jS

ZU ÄVEICEBEOL

(IBM GEBIROL).

INAUGURALDISSERTATION

DER PHILOSOPHISCHEN FAKULTÄT SEKTION I DER LUDWIG-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT MÜNCHEN

VON

DR, MICHAEL WITTMANN.

ZUR CENSUR EINGEREICHT AM 15. APRIL 1899.

■vO^^^^UDf-

MÜNSTER i. ¥. 1899.

DRUCK UND VERLAG DER ASCHENDORFFSCHEN BUCHHANDLUNG.

THE INSTITUTE OF MEDIAEVAL STUCit^

. 10 ELMSLEY PLACE TORONTO 5, CANADA,

OCT 1 5 1931

6//

Geboren am 13. Juni des Jahres 1870 zu Berg (Oberpfalz) besuchte ich seit Oktober 1881 das Gymnasium in Eichstätt und absolvierte dasselbe im Jahre 1890. Daraufhin oblag ich am Lyceum der genannten Stadt bis zum Frühjahr 1895 philoso- phischen und theologischen Studien. In der Folge war ich drei Jahre als Seelsorger thätig, teils in Velburg, teils in Kastl (Oberpfalz). Im Frühjahr 1898 wurde ich zur Fortsetzung mei- ner philosophischen Studien beurlaubt und begab mich hiezu an die Universität München. Daselbst erwarb im am 16. Mai 1899 den philosophischen Doktorgrad.

Einleitung.

Avencebrol !), jüdischer Dichter und Philosoph, lebte im 1 1 . Jahrhundert in Spanien. Im übrigen ist über sein äußeres Leben sehr wenig verbürgt. Um das Jahr 1020 in Malaga geboren, soll er in Saragossa erzogen worden und um 1070 oder wahrscheinlicher schon um 1050 2) gestorben sein. Als Dichter stand er bei seinen Stammes- genossen in hohen Ehren und ist in der Geschichte der jüdischen Poesie des Mittelalters unter dem Namen Ibn Gabirol ) bekannt. Seine poetischen Erzeugnisse religiösen Inhalts ernteten solchen Beifall, daß sie in das jüdische Gebetsritual Aufnahme fanden 4). Als Philosoph5) wird Avencebrol von den Scholastikern des -Mittel-

') Zur Biographie Avencebrol's siehe: Munk, Melanges de philosophie juive et arabe Paris 1857. p. 151 ff. Graetz, Geschichte der Juden. Bd. VI. Leipzig 186;. S. 31 ff. 61. Guttmann, Die Philosophie des Salomon ibn Gabirol. Göttingen 1889. S. 1 Anm. 1. Steinschneider, Die hebräischen Übersetzungen des Mittelalters und die Juden als Dolmet- scher. Berlin 1893. S. 379 ff.

-) Neubauer in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums. XXXVI (Krotoschin 1887). S. 498-502.

!) Über den arabischen Namen (Verkleinerungsform von Ibn Gebir) und dessen hebräische Gestaltung vgl. Neubauer, a. a. O. S. 499. D. Kauf- mann in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums. XLIII (Berlin 1899^. S. 308 f.

4) Munk, a. a. O. p. 155. Guttmann, a. a. O. S. 2. Über Avencebrol als Dichter s. L. Dukes, Ehrensäulen und Denksteine zu einem künftigen Pantheon hebräischer Dichter und Dichtungen. Wien 1837. S. 1 ff. 59 ff. Michael Sachs, Die religiöse Poesie der Juden in Spanien. Berlin 1845. S. 3. ff. 217 ff. Zunz, Die synagogale Poesie des Mittelalters. Berlin 1855. S. 222 ff. A. Geiger, Salomo Gabirol und seine Dichtungen. Leipzig 1867.

5) Erst Munk hat um die Mitte dieses Jahrhunderts die Entdeckung gemacht, daß der bei den Scholastikern viel genannte, angeblich arabische Philosoph mit dem jüdischen Dichter Ibn Gabirol identisch ist. S. Litteratur- blatt des Orients. Leipzig 1846. Nr. 46. Vgl. Ritter in den Göttinger gelehrten Anzeigen vom 17. April 1847. Der latinisierte Name tritt in ver- schiedener Gestalt auf. Es finden sich die Variationen: Avencebrol, Avice- brol, Avencebron, /'vicebron, Avicembron, Avicerbron. Soweit diese Formen mit einem „n" endigen, sind sie ohne Zweifel nicht ursprünglich und korrekt, sondern als Korruptionen anzusehen. Hingegen können die beiden Formen

Beiträge III, 3. Wittmann, Thomas von Aquino. 1

2 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

alters oftmals citiert. Sie hielten ihn für einen Araber und schenkten seiner Lehre eine nicht geringe Beachtung. Am mei- sten gilt dies von den Koryphäen unter den Scholastikern, von Albertus Magnus, Thomas von Aquin und Duns Scotus. Das einzige philosophische Werk Avencebrol's, das die christlichen Philosophen des Mittelalters anführen, ist der Föns vitae 1).

Derselbe war allerdings sein Hauptwerk und hat seine Be- deutung in der Geschichte der Philosophie begründet. Ursprüng- lich in arabischer Sprache abgefaßt, wurde es in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts durch die bekannten Übersetzer Johannes Hispanus und Dominicus Gundissalinus in das Latei- nische übertragen % Aus dieser Übersetzung haben die Scholastiker ihre Kenntnis der Philosophie Avencebrol's geschöpft. In unserem Jahrhundert hat zunächst Munk die lateinische Übersetzung in Paris wieder aufgefunden. Der genannte Autor entdeckte ferner den hebräischen Auszug, den im 13. Jahrhundert der Jude Fala- qera (Palqera) nach dem arabischen Originale hergestellt hat •). Mit Hilfe dieser Funde hat Munk die Philosophie Avencebrol's in mehreren Arbeiten behandelt4). Teilweise gleichzeitig hat aufgrund einer weiteren Handschrift der lateinischen Übersetzung Seyerlen die Lehre des jüdischen Philosophen bearbeitet 5). Diesen Publi-

Avencebrol und Avicebrol vorerst in gleichem Maße auf Korrektheit An- spruch erheben. Erstere hat ein Analogon in Avempace = ihn Badscha, letztere in Avicenna ibn Sina. Doch soll hier nach dem Vorgange Baeum- ker's die Form Avencebrol beibehalten werden. Herrn Prof. Dr. Baeum- ker verdanke ich die Mitteilung, daß sich die Form Avicebrol auch noch bei Bradwardina (f 1349) findet, während sie sonst um jene Zeit allgemein ver- schwunden war. Bradwardina, De causa Dei contra Pelagium. Londini 1618. lib. I cap. 2, p. 159. 1. I c. 2, p. 164 sq. 1. I c. 9, p. 192. 1. I. c. 10, p. 201.

') Von gewissen Anhaltspunkten, die scheinbar auf andere Schriften Avencebrol's schließen lassen, wird an den betreffenden Orten die Rede sein. Über die ethischen Werke des Autors s Guttmann, a. a. 0. S. 16 ff. Stein- schneider, a. a. 0. S. 380 ff.

2) Baeumker, a. a. 0. p. VII.

3) Munk, a. a. 0. p. 152. Baeumker, a. a. 0. p. XV f.

4) Zunächst im Dictionnaire des sciences philosophiques. T. III. Paris 1847. S. 358 ff., dann in der Schrift: La philosophie chez les juifs. Paris 1849 (deutsch durch Beer, Philosophie und philosophische Schriftsteller der Juden. Leipzig 1852); zuletzt in den Mälanges 1857.

6) Theologische Jahrbücher von Baur und Zell er. Bd. 15 ff. (Tu-

Einleitung. %

kationen schlössen sich einige Specialschriften an. Joel hat Avence- brol's Verhältnis zum Neuplatonismus untersucht1), Adler seinen Einfluß auf die Scholastik besprochen -). Stößel hat das Verhältnis der Kabbala zu Avencebrol geprüft ■'). Die neueste Bearbeitung des Föns vitae stammt von Guttmann4). Er gibt nach dem von Seyerlen aufgefundenen Texte die lateinische Übersetzung ziemlich genau wieder und bietet zudem zahlreiche historisch-kritische Bemer- kungen. Die früheren Publikationen hat Guttmann sorgsam ver- wertet. In einer zweiten Schrift behandelt er das Verhältnis des heiligen Thomas von Aquin zu Avencebrol •"•). Alle diese Arbeiten leiden indes, so wenig ihnen teilweise Gründlichkeit abgesprochen werden kann, insofern an einem sehr fühlbaren Mangel, als sie auf unsicheren Texten beruhen. Einerseits weichen die benutz- ten Handschriften in hohem Grade von einander ab und weisen dadurch auf zahlreiche Korruptionen hin, andererseits haben die genannten Autoren in der Regel nur ein einziges Manuskript verwertet. So erklärt sich unter anderem die Thatsache, daß sich Munk und Seyerlen in ihren Darstellungen häufig wider- sprechen. Baeumker hat nun die schwierige und dankenswerte Aufgabe übernommen, unter Anwendung aller zu Gebote stehen- den Hilfsmittel die lateinische Übersetzung der „Lebensquelle", soweit es nur immer möglich ist, in ihrer ursprünglichen Gestalt wiederherzustellen und so einen möglichst verlässigen und zu- gleich einheitlichen Text zu schaffen. Zur Erreichung dieses

hingen 1856 ff.). Während sich die vorliegende Arbeit unter der Presse befand, erschien Seyerlen' s Rede: Die gegenseitigen Beziehungen zwischen abendländischer uud morgenländischer Wissenschaft mit besonderer Rücksicht auf Salomon ibn Gabirol und seine philosophische Bedeutung. Jena 1899.

') Monatschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums Bd. VI ff. (Leipzig 1857 ff.). Abgedruckt bei Joel, Beiträge zur Geschichte der Philosophie Bd. I. Anhang. Breslau 1876.

2) Ibn Gabirol and his influence upon sholastic Philosophy. Lon- don 1865.

:i) Salomo ben Gabirol als Philosoph und Förderer der Kabbala In. auguraldissertation. Leipzig 1881.

4) a. a. 0.

') Das Verhältnis des Thomas von Aquino zum Judentum und zur jüdischen Litteratur. Göttingen 1891.

1*

4 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

Zweckes l) hat er vor allem zwischen den ihm zugänglichen 2) Manuskripten eine sehr sorgfältige Vergleichung angestellt. Außer- dem wurde die Arbeit Falaqera's beigezogen, sowrie ein Auszug aus der lateinischen Übersetzung, der ebenfalls dem 13. Jahrhun- dert anzugehören scheint 3). In letzter Linie hat Baeumker auch die Citate der Scholastiker ausgebeutet. Als bester Zeuge er- wies sich in dieser Beziehung Dominicus Gundissalinus, der die Aussprüche des jüdischen Philosophen nicht bloß dem Sinne nach sondern sehr häufig in ihrem Wortlaute anführt.

Durch die vorliegende Arbeit nun soll die Forschung über Avencebrol abermals um einen kleinen Schritt weiter geführt wer- den. Es gilt die Bedeutung zu fixieren, die der jüdische Philosoph für die Wissenschaft des christlichen Mittelalters gewonnen hat, und zwar soll zunächst dargelegt werden, welche Stellung Tho- mas von Aquin ihm gegenüber einnimmt. Soweit Haureau 4), Munk 5), Jourdain (;), Adler 7), Guttmann b) bereits an diese Auf- gabe herangetreten sind, haben sie sich auf wenige Mitteilungen von meist allgemeinem Charakter beschränkt. Die Schrift Ad- ler's, von der man das Meiste erwarten möchte, ist nur ein po- pulärer Vortrag, der alles wissenschaftlichen Wertes entbehrt •'). Soweit speciell Thomas in Frage kommt, hat sich Guttmann

') Baeumker, a. a. 0. p. XVIII ff.

2) Außer den beiden Pariser Handschriften benutzte Baeumker noch zwei weitere, wovon sich die eine in Sevilla, die andere in Erfurt befindet« a. a. 0. p. X f. Ein fünfter Codex wurde erst nach der Publikation Baeum- ker's von Nagy in Rom aufgefunden. Nagy, Un nuovo codice del ,Fons vitae' d' Ibn Gabirol. Rendiconti della reale Accademia dei Lincei. Classe delle scienze morali, storiche e filosofiche. 1896 p. 154 170

;i) a. a. O. p. XIV f.

4) De la philosophie scolastique. Paris 1850. T. I. p. 371 ff. T. II p. 281 f. 327. Histoire de la philosophie scolastique. Paris 1872 1880. II, 1. p. 29 ff. II. 2 p. 100. 197 ff.

6) a. a. 0. p. 291 ff.

,!) La philosophie de St. Thomas d' Aquin. T. I. Paris 1858. p. 276 ff.

7) a. a. 0.

8) Salomon ibn Gabirol, S. 59 ff. Das Verhältnis des Thomas von Aquino zum Judentum und zur jüdischen Litteratur S. 16 ff.

!)) Die von mir angestellten Versuche, der englischen Schrift habhaft zu werden, sind leider vergeblich gewesen. Herr Dr. Guttmann in Breslau hatte daraufhin die Freundlichkeit, mir die nötige Auskunft zu erteilen.

Einleitung. 5

am eingehendsten mit dem Gegenstande beschäftigt. Indes hat anch er keine erschöpfende Behandlung geliefert. Der Verfasser zieht fast nur die Schrift. De substantüs separatio in den Bereich seiner Untersuchung und findet lediglich in der hier erörterten Frage das Gebiet, auf dem Thomas zu Avencebrol in Beziehung tritt. Allein der Scholastiker nimmt, wie sich zeigen wird, auch noch in anderer Hinsicht auf den vermeintlich arabischen Philo- sophen Bezug.

Bevor jedoch die eigentliche Aufgabe in Angriff genom- men wird, liegt es nähe, auf grund des neuen Textes den Inhalt der Avencebrol'schen Philosophie in Kürze vorzuführen. Einmal setzt die Frage, die hier zu beantworten ist, eine solche Kenntnis voraus; sodann ist von vornherein zu erwarten, daß die früheren Darstellungen durch die Publikation Baeumker's in mancher Beziehung unhaltbar geworden sind. Andererseits sind an diesem Orte einer solchen Darlegung gewisse Grenzen gezogen. Es kann unmöglich zur Aufgabe gehören, das System des jüdischen Philosophen bis in das Einzelne zu verfolgen. Zwei Gesichtspunkte sollen maßgebend sein. Die Anschauungen Avencebrol's werden insoweit zur Darstellung gelangen, daß der Charakter des Ganzen hervortritt und das System als solches ver- ständlich wird. Außerdem wird auf den Inhalt und Zweck der vorliegenden Abhandlung möglichst Rücksicht genommen wer- den. Einige historisch-kritiscne Erörterungen werden sich an- schließen.

System AvencebroFs.

1. Die Dinge des Universums machen zusammen eine Ein- heit aus. Alle kommen im Substanzsein überein und bilden daher eine einzige Substanz. Das gemeinsame Substanzsein wird durch Materie und Form konstituiert. Es gibt demnach eine allen Dingen gemeinsame Materie und eine ebenso allgemeine Form l). Dieser Satz soll im folgenden näher erläutert und be- gründet weiden.

Aus Materie und Form bestehen vor allem die körperlichen Wesen, lebende wie leblose, einfache wie zusammengesetzte, natürliche wie künstliche 2). Die irdischen Körper haben etwas Gemeinsames, nämlich das Körpersein, das deswegen Subjekt der Form ist '■'). Sie bilden daher zusammen einen einzigen Körper 4). Mit ihnen sind außerdem die Himmelskörper zu einem einheitlichen Körper vereinigt; doch sind beide Arten körper- lichen Seins insofern verschieden, als sie ihre Formen nicht gegenseitig vertauschen können 5). Sonach findet sich in der Körperwelt eine allgemeine Materie, nämlich der Körper als solcher, und eine allgemeine Form, nämlich die Gesamtheit des- sen, was vom Körper getragen wird (i).

2. Aber auch der Körper als solcher ist wieder aus Ma- terie und Form zusammengesetzt; denn als Körper bezeichnet

') Föns vitae I, 5 6.

2) I 14.

8) I 15, p. 19, 4.

4) I 16, p. 19, 23.

r>) I 17, p. 20, 28.

6) Ergo debet esse in sensibilibus materia universalis, id est corpus, et forma universalis, scilicet omnia quae sustinentur in corpore. 1 17, p. 22, 16.

System AvencebroFs. 7

man dasjenige, was mit der Form der Körperlichkeit behaftet ist !). Zum gleichen Resultat gelangt man durch die Erwägung, daß Körper und Geist etwas Gemeinsames und etwas Beson- deres haben. Das Gemeinsame ist das Fürsichsein, das Beson- dere hier die Geistigkeit, dort die Körperlichkeit. Der Körper besteht somit aus der Substanz und der Körperlichkeit; jene ist die Materie, diese die Form -). Als Subjekt der Quantität und aller übrigen Accidentien wird die Materie Substanz der neun Kategorien genannt ). Letztere bilden zusammen die universelle Körperform '). Die Substanz der Kategorien ist die Grenzscheide zwischen Körper und Geist, der Ausgangspunkt für die Erfor- schung des Übersinnlichen 5); das Niedere ist nämlich das Nach- bild des Höheren (1). Sie ist die letzte unter den geistigen Sub- stanzen und entbehrt als solche der Aktivität 7); sie ist am wei- testen von dem Quell aller Bewegung entfernt, weshalb auf sie keine thätige Kraft übergegangen ist'). Ihrem Ursprünge nach ist die Substanz der Kategorien das Produkt einer höheren Geistsubstanz, nämlich der Natur !l). In ähnlicher Weise sind ihre Formen Erzeugnisse geistiger Formen 10).

3. Die Existenz geistiger Wesen ist die notwendige Vor- aussetzung für das Dasein der Körperwelt. Letztere kann nicht von Gott hervorgebracht sein; der weite Abstand zwischen Gott und der Sinnenwelt verlangt Mittelwesen n). Ein Beweis für die Existenz solcher Wesen liegt auch in der Bewegung innerhalb der Sinnenwelt, da dieselbe nur von einem höheren Wesen, je- doch nicht vom Urwesen, ausgehen kann 12). Die geistigen We- sen bekunden ihr Dasein durch die Wirkungen, die sie in der Körperwelt hervorbringen ls). Alle Formen wie alle Arten von

J) II 1, p. 24, 16. 2) II 1, p. 25, 18. 8) II 2, p. 27, 16. II 6, p. 34, 27. 4) II 6, p. 35, 2. 5) II 6, p. 35, 11. G) II 7, p. 37, 6. 7) II 9, p. 40, 14. 8) II 10, p. 41, 12. 9) II 12, p. 43, 19. 10) II 23, p. 67, 3. ") III 2. III 10, p. 100, 11. \i) III 3, p. 79, 7. III 4, p. 82, 19. 83, 4. ,3') III 11, p. 102, 28.

8 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

Betätigungen der körperlichen Wesen kommen aus einer höhe- ren Welt 1). Da ferner die Thätigkeiten in der Sinnenwelt man- nigfach sind, so ist eine Mehrheit geistiger Wesen anzunehmen. Die Verbindung und Trennung der Teile des Körpers ist der Natursubstanz zuzuschreiben -). Der Unterschied zwischen vege- tativer, animalischer und vernünftiger Lebensthätigkeit läßt auf drei Seelen schließen 3). Dazu kommt als höchste Geistsubstanz der Weltgeist, der alle Formen in sich zusammenfaßt 4). In be- zug auf ihre Vollkommenheiten stellen die geistigen Wesen ver- schiedene Rangstufen dar 5). Jedes von ihnen ist eine Ausstrah- lung oder Kraftäußerung des vorausgehenden ,;). Notwendig ist deshalb die Ursache vollkommener als die Wirkung 7). Letztere besitzt nur insofern substanziellen Charakter als sie Princip und Subjekt der folgenden Emanation ist 8). Von ihrer Ursache löst sich die emanierende Substanz nicht ab ;'). Geist und Körper verhalten sich wie Luft und Licht, Ausdehnung und Farbe, Sub- stanz und Accidens 10).

4. Auch die geistigen Wesen sind aus Materie und Form zusammengesetzt, wie sich aus ihrem Verhältnis zur Körperwelt erschließen läßt. Was in der Wirkung ist, muß nämlich auch, und zwar in vollkommenerer Weise, in der Ursache sein. In der Körperwelt könnte es deswegen keine Form und keine Ma- terie geben, wenn nicht beide auch in der Geisterwelt vorhan- den wären n). Widrigenfalls müßten die geistigen Substanzen entweder bloß Materie oder bloß Form sein; allein weder das eine noch das andere ist möglich 12). Das nämliche ergibt sich aus dem Umstände, daß die Geistwesen teils einander gleichen, teils von einander verschieden sind18). Außerdem

') III 16, p. 112, 4. III 17, p. 114, 17.

2) III 46, p. 181, 16. III 47, p. 184, 14. IV 17, p 250, 15.

!) III 47, p 181, 14. An anderen Stellen redet Avencebrol nur von Einer Seele. III 54, p. 199, 3. III 57, p. 206, 10.

4) III 48, p. 187, 16. 111 49, p. 188, 13.

6) III 51, p. 194, 17. ,;) III 52, p. 196, 17.

7) III 52, p. 196, 27. 8) III 52, p. 197, 2.

9) III 54, p. 200, 1. 10) III 57, p. 206, 10.

,l) IV 1, p. 211, 13. «*) IV 1, p. 212, 20. 1S) IV 6, p. 222, 19.

System Avencebrol's. 9

fordert der große Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf im Gegensatz zur absoluten Einfachheit auf der einen Seite die Zusammensetzung aus Materie und Form auf der anderen !). Da ferner auch in der Geistervveit sowohl alle Materien wie alle Formen einen gemeinsamen Begriff haben, so gibt es auch hier eine einheitliche Materie und eine einheitliche Form -). Da zu- dem die allgemeine körperliche und die allgemeine geistige Ma- terie einerseits, die allgemeine körperliche und die allgemeine geistige Form andererseits ebenfalls in einem gemeinsamen Be- griffe zusammentreffen, so resultiert hieraus eine absolut allge- meine Materie und eine absolut allgemeine Form 3).

5. Die allgemeine Materie und die allgemeine Form sind die Konstitutive des Weltgeistes 4). Erstere ist vom höchsten Wesen, letztere vom Willen geschaffen5). Der Wille vereinigt beide zu einem einheitlichen Sein fi) und erhält sie als solches7). Er durchdringt das Universum wie die Seele den Leib oder das Licht die Luft <s). Alle Thätigkeit der geistigen wie der körper- lichen Wesen leitet sich von ihm her 9). Die Materie und die Form des W'eltgeistes sind der Ausgangspunkt aller übrigen Ma- terien und Formen 10). Die Vollkommenheit beider nimmt ab mit der Entfernung vom Ursprünge 11). Das Streben aller Dinge ist auf das höchste Wesen, die absolute Einheit hingerichtet; alle wollen nach Maf3gabe ihres Ranges einen Anteil an seiner Güte haben12).

x) IV 6, p. 222, 24.

2) IV 7, p. 226, 20.

3) IV 7, p. 227, 4.

4) V 1, p. 258, 18. 259, 1. 13. V 35, p. 322, 12.

5) V 42, p. 333, 4. 335, 4. Doch wird teilweise auch der Wille als Schöpfer der Materie bezeichnet. II 13, p. 47,8. V 36, p. 323, 18. Avence- brol spricht thatsächlich von einer Hervorbringung aus nichts, so wenig auch dieser Begriff sich in das System einfügen will. III 3, p. 79, 18. HI 25 p. 139, 25. Ähnlich der Liber de cawsis. Bardenhewer, Die pseudoaristo- telische Schrift über das reine Gute, bekannt unter dem Namen Liber de cau- sis. Freiburg i. Br. 1882. S. 14.

6) IV 20, p. 254, 26. 255, 21.

7) V 39, p. 327, 22. 8) V 38, p. 326, 12. !') V 36, p. 323, 13. 10) V 30, p. 313, 6. n) V 35, p. 321, 3 V 42, p. 333, 16.

12) V 32, p. 316, 21.

10 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

Dies sind die hauptsächlichsten Elemente des Avencebrol'- schen Systems, soweit es im Föns vitae dargestellt ist. Letzte- rer enthält nämlich nicht das ganze System des Philosophen. Dieser will vielmehr in der „Lebensquelle" nur den ersten Teil seiner Philosophie, die Lehre von Materie und Form, vor- führen. Ausdrücklich unterscheidet er davon zwei weitere Wis- senschaften, von denen die erste den Willen, die zweite das göttliche Wesen zum Gegenstande hat l). Mit vollem Rechte führte deshalb das Werk im Mittelalter auch den Titel De ma- teria et forma 2).

Wie aus der kurzen Übersicht hervorgeht, trägt die Philosophie Avencebrol's einen durchaus neuplatonischen Charakter zur Schau. Sie enthält alle wesentlichen Elemente des Neuplatonismus, wie er durch Plotin und Proklus vertreten wird. Dahin gehört vor allem das Bestreben, die Transscendenz des Urwesens möglichst in die Höhe zu schrauben. Plotin will von allen Attributen, die wir den Dingen beilegen, keines auf das „Eine" übertragen8); Avencebrol lehrt, daß von Gott nur das Dasein, jedoch nicht die Wesenheit oder Beschaffenheit erkennbar sei4). Die Weltentstehung hat in dieser Philosophie gleichwohl einen pantheistisch-emana- tischen Charakter. Beide, Plotin 5) wie Avencebrol ,;), charakte- risieren das Urwesen als eine Quelle, die gleichsam überströmt und so ein anderes Sein hervorbringt. Beide stimmen auch im Gedanken überein, daß jener Vorgang Schritt für Schritt vom Höheren zum Niederen herabsteigt. Nur das höchste endliche Wesen, der Weltgeist, hat das Sein unmittelbar von Gott. Daran reiht sich die Weltseele; den Abschluß bildet die Sinnen-

') V 36. p. 322, 23.

2) Albertus Magnus, De intellectu et intelligibili 1. I. tr. 1. e. 6 (T. V). Den angegebenen Titel trägt die Schrift auch in dem von Seyerlen in der Bibliotheque Mazarine zu Paris aufgefundenen Manuskripte. Theo- logische Jahrbücher von Baur und Zeller. 15. Jahrgang. Tübingen 18')6. S. 487.

3) Zeller, Philosophie der Griechen. III, 2. 3. Auflage. Leipzig 1881. S. 483 ff.

4) V 24, p. 301, 19.

5) Plotin, Enn. III, 8, 10 p. 274, 17 (Müller.) VI, 9, 5 p. 447, 23.

6) V 41, p. 330, 17.

System Avencebrol's. 1 1

weit. Auch darin, daß Avencebrol zwischen den beiden letzteren die Natur einschaltet, hat er in Plotin und anderen seine Vorbilder gehabt. Plotin spricht von einer doppelten Weltseele; die eine ist ein in jeder Beziehung übersinnliches Wesen, die andere ist die Ursache der Erscheinungswelt und wird Natur genannt ]). Auch bei Proklus ist die Natur der Abschluß der Geisterwelt und das Prinzip des Körperlichen -). Der Gedanke ist außerdem in gewisse pseadonyme neupJatonische Schriften, die bei den Arabern im Umlaute waren, übergegangen 3). Gerade hier dürfte die Quelle sein, welcher der jüdische Autor die Charakteristik der Natursubstanz zum Teil entnommen hat ). Vollkommen neu- platonisch denkt ferner Avencebrol, wenn er das Urwesen und die Körperwelt als die zwei diametral entgegengesetzten Endpunkte des Seins einander gegenüberstellt, jenes als unfaßbare Voll- kommenheit, diese als letzten Niederschlag alles Seins kenn- zeichnet und die weite Kluft zwischen beiden durch die Mittel- wesen ausfüllt. Plotin ist ferner dem jüdischen Philosophen in der Lehre vorausgegangen, daß Materie und Form alle endlichen Wesen konstituieren. Auch die Begründung ist teilweise schon die nämliche wie bei Avencebrol. So geht der Neuplatoniker von der absoluten Verschiedenheit zwischen dem erschaffenen und uner- schaffenen Sein aus und fordert auf grund dessen für ersteres die Zusammensetzung aus Materie und Form •). Den nämlichen Schluß will er daraus ziehen, daß die Körperwelt der Geister- welt nachgebildet sei '). Indessen darf in letzterer Beziehung auch Plotin den Ruhm der Originalität nicht für sich in An- spruch nehmen. Jenes Beweis verfahren war schon den Neu- pythagoreern geläufig 7) und reicht sogar bis zu Plato zurück b).

') Zeller, a. a. 0. S. 539 ff.

2) Zeller, a. a 0. S. 809.

:i) Munk, Melanges. Paris 1857. p. 244 f. 247 f.

4) Munk, a. a. 0. p. 248. Vgl. F. v. III 47, p. 184, 14. IV 17, p. 250, 15.

5) Zeller, a. a. 0. S. 525.

B) Baeumker, Das Problem der Materie in der griechischen Philosophie. Münster 1890. S. 409 f.

7) Baeumker, a. a. 0. S. 410.

8) a. a. 0. S. 198 f.

12 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

So bekundet das System Avencebrol's in der Hauptsache einen neu- platonischen Ursprung x). Einzelne aristotelische Elemente lassen sich wohl nachweisen'), spielen jedoch eine unbedeutende Rolle. Am allerwenigsten müssen sie aus Aristoteles selbst entnom- men sein.

Als ein Ausfluß des religiösen Standpunktes Avencebrol's muß wohl der Begriff einer Hervorbringung aus nichts angesehen wer- den 3). Man könnte geneigt sein, auch die Willenslehre Avencebrol's auf jenen Ursprung zurückzuführen 4). Jedoch entstammt offenbar auch dieser Lehrpunkt großenteils der griechisch-arabischen Phi- losophie. Die neuplatonischen Schriften, die von den Arabern und auch vom jüdischen Philosophen benutzt wurden, konnten auch in dieser Beziehung als Vorlage dienen 5). Außerdem hat Haneberg nachgewiesen, daß in der Encyklopädie der lauteren Brüder der Wille eine ganz ähnliche Stellung einnimmt wie im Föns vitae ,;). Im übrigen erinnert die Willenstheorie an die Logos- lehre Philo's. Der Wille ist bei Avencebrol der eigentliche Urheber der Welt und das Princip, das die Welt im Dasein erhält und in ihr wirksam ist. Er wird teils als göttliches Attribut, teils als selbständiges Wesen charakterisiert 7). In allen diesen Punk- ten konnte der philonische Logos Vorbild sein*). Die Überein- stimmung erstreckt sich außerdem auf die Namen. Dem Xoyog und der oocpia auf der einen Seite !)) entspricht nämlich das ver-

') Näheres über die Quellen Avencebrol's s bei Munk, a. a. 0. p. 240 ff. Joel, a. a. 0.

2) Vgl. HI 17, p. 116, 22. V 32, p. 317, 21.

3) Vgl. Munk, a. a. 0. p. 233 f. Guttmann meint eigentümlicher- weise, es sei nicht notwendig, den Schöpfungsgedanken als eine Einwirkung des religiösen Glaubens zu deuten, „da auch nach Plotin die Materie nicht ewig oder wenigstens nicht erschaffen ist." Sal. ibn Gabirol, S. 23 Anm.

4) Die Bemerkungen Guttmann's lassen thatsächlich eine solche An- schauung erkennen, a. a. 0. S. 6. 23.

5) Munk, a. a. 0. p. 242. 256 ff.

6) Sitzungsberichte der Kgl. bayrischen Akademie der Wissenschaften. 1866. Bd. IT. S. 96 f.

7) V 38, p. 326, 3. III 42, p. 173, 19. IV 19, p. 253, 3. V 37, p. 325, 23.

8) Zeller, a. a. 0. S. 372 f. 377 f.

9) a. a. 0. S. 372 mit Anm. 7.

System Avencebrol's. 13

bum und die sapientia auf der anderen *). Aber die Vermutung, daß Avencebrol auch von Philo abhängig ist, hat doch die große Schwierigkeit, daß der alexandrinische Philosopii dem spanischen Juden kaum zugänglich war ?).

Jedenfalls fehlt es dem jüdischen Denker auch nicht an Origi- nalität. Dies zeigen die überaus zahlreichen Argumente, die er für die Allgemeinheit der Materie anführt. Auch die Lehre von der Substanz der Kategorien ist offenbar zum großen Teile dem jüdischen Philosophen ausschließlich eigen. Originell ist Avencebrol ferner darin, daß er die Zusammensetzung aus Materie und Form zum Hauptgedanken seiner Lehre macht. Ein ganz bestimmtes Gepräge erhält außerdem die Philosophie Avencebrol's durch die konsequent durchgeführte Konfundierung von sachlicher und begriff- licher Ordnung. Wohl ist der naive Begriffsrealismus ein Ge- meingut der gesamten platonischen und neuplatonischen Philo- sophie; indes scheint diese Denkweise von keinem anderen mit solcher Folgerichtigkeit ausgebildet worden zu sein wie von Avence- brol. Eine Einheit im Begriffe ist ihm auch eine Einheit in der Sache, eine Vielheit in den Gedanken auch eine Vielheit in den Dingen. Dieser Standpunkt führt auch zur Einheit der Substanz und damit zur Einheit der Materie und der Form. Während so alle Wesen zu einem einzigen Sein verschmelzen, wird andererseits das Einzelding in ebenso viele Konstitutive zerlegt, als sich be- griffliche Elemente unterscheiden lassen. Hierauf beruht auch zum großen Teile die Lehre, daß die Geister aus Materie und Form bestehen. Die Zusammensetzung aus Potenz und Akt, Gattung und Differenz, gilt als gleichwertig mit der Zusammensetzung aus Materie und Form. Auch die Vielheit von Formen im Indivi- duum ist mit einem solchen Standpunkte unmittelbar gegeben. Mit Recht kann daher die Gleichsetzung von sachlichen und be- grifflichen Verhältnissen als das tzqwtov yievdog der AvencebroP- schen Philosophie bezeichnet werden.

l) Secunda est scientia de verbo agente, id est voluntate V 36, p. 322, 23. Vgl. V 36, p. 323, 17. Oportet ut inateria fiat ab essentia, et forma a voluntate, id est a sapientia. V 42, p. 335, 5.

-) Vgl. L. Cohn in den Prolegomena der von ihm und Wendland be- sorgten neuen Ausgabe Philo's, I. Berlin 1896. p. I. Aus den angegebenen Gründen möchte ich nicht mit Guttmann in der Willenslehre den Versuch er- blicken, den pantheistischen Charakter des Systems abzuschwächen. a.a.O.S.6.23.

14 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Ävencebrol.

Aus diesen Darlegungen leuchtet auch ein, daß der wissen- schaftliche Wert dem Werke des jüdischen Philosophen keinen unbedingten Anspruch auf Beachtung verleihen würde. Ein solches Recht gründet sich viel mehr auf die historische Be- deutung, die der Föns vitae durch seine Beeinflussung der Scholastik gewonnen hat. Die Schrift Avencebrol's kann in dieser wie in anderer Beziehung mit dem Liber de causis ver- glichen werden. Bevor jedoch das Verhältnis des Aquinaten zu Ävencebrol erörtert werden kann, ist es notwendig, die Scho- lastik überhaupt nach dieser Seite hin einigermaßen ins Auge zu fassen.

Avencebrol in der Scholastik; Verhältnis des hl. Thomas zu Avencebrol im allgemeinen.

Die Scholastik des Mittelalters stand zur arabischen Philo- sophie in engen Beziehungen. Letztere ist einer jener Faktoren, die an der Bildung und Ausgestaltung der christlichen Philoso- phie in hervorragender Weise beteiligt waren. Dies trifft vor allem insofern zu, als den Vertretern der christlichen Wissen- schaft die volle Kenntnis des Aristoteles erst durch die Araber vermittelt wurde. Bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts besaßen die Scholastiker von den aristotelischen Schriften nur einen Teil des Organon; die übrigen kannten sie nur aus Boethius 1). Erst von dem genannten Zeitpunkte an lernten sie zunächst aus ara- bisch-lateinischen Übersetzungen nach und nach die übrigen Teile des Organon sowie die naturphilosophischen, metaphysi- schen und ethischen Schriften kennen. Außerdem hat aber auch der Arabismus als solcher auf die scholastische Philosophie einen sehr bedeutenden Einfluß ausgeübt. Mit den Schriften des Aristoteles sind den Scholastikern auch die arabischen Be- arbeitungen der aristotelischen Philosophie in Paraphrasen u. s. w., später auch eigentliche Kommentare, sowie sonstige Werke der Araber bekannt geworden. Zahlreiche arabische Ideen haben in die christlichen Schulen Eingang gefunden. Dies zeigt nicht blos die Thatsache, daß mancherlei arabische Lehrsätze von der kirchlichen Autorität verworfen wurden 2),

]) Erdmann, Grundriß der Geschichte der Philosophie. Bd. 1. 4. Aufl. Berlin 1896. S. 265.

'-) Denifle, Chartularium universitatis Parisiensis. T. 1. Paris 1889. S. 486 f. 543 ff. Daß nicht von Anfang an, wie man oft annimmt, der engere Averroismus ins Abendland eindrang, zeigt Mandonnet, Siger de Brabrant et l'Averroisme latin au Moyen äge. Fribourg 1899. p. LXIX ff.

16 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

sondern mehr noch ein vom historischen Standpunkte aus unter- nommenes Studium der Scholastik. Es hief3e geschichtliche Thatsachen verkennen, wollte man geltend machen, daß sich gewisse Autoren der allgemeinen Zeitströmung völlig entzogen hätten, wenn auch nicht zu leugnen ist, daß die fremden Ein- flüsse nach Schulen und Individuen in verschiedenem Maße zu Tage treten. So ist die Franziskanerschule für die arabischen Anschauungen teilweise empfänglicher gewesen, als ihre Rivalin, die Schule des Dominikanerordens, die ihrerseits jene Einflüsse im allgemeinen bekämpfte. Letzteres gilt am meisten von Tho- mas von Aquino, der in dem Eindringen des Arabismus eine Gefahr für die christliche Wissenschaft erblickte und sich in vielen Schriften zur Wehr setzte.

Diese allgemeinen Verhältnisse dienen dem Bilde, das hier entworfen werden soll, gleichsam als Hintergrund. Die Bezie- hungen zwischen der Scholastik, speciell zwischen Thomas und Avencebrol, sind gleichsam eine einzelne Episode aus den Be- ziehungen zwischen der Scholastik und der arabischen Philoso- phie überhaupt. Avencebrol gehört zu jenen Vertretern des Arabismus, die bei den Scholastikern eine besondere Rücksicht- nahme gefunden haben. Mit Avicenna und Averroes allerdings kann sich der jüdische Philosoph in dieser Hinsicht nicht mes- sen; gleichwohl ist sein Platz in der Geschichte der mittelalter- lichen Scholastik gesichert. Jourdain glaubt seine Stellung durch den Ausspruch kennzeichnen zu dürfen, daß sich eine sichere und allseitige Kenntnis der Philosophie des 13. Jahrhunderts nicht gewinnen lasse, solange man nicht den Liber de causis und den Föns vitae einer gründlichen Untersuchung unterzogen habe [). Was den Liber de causis anbelangt, so hat schon Bar- denhewer gezeigt, daß die Scholastiker demselben im allgemei- nen nicht so fast neue Gedanken, als vielmehr nur Belege für die ihnen bereits geläufigen Anschauungen entnommen haben 2). Die Bedeutung des Föns ritu<> muß allerdings höher angeschlagen

l) Recherches critiques sur l'äge et l'origine des traductions d'Aristote. 2. Aufl. Paris 1843. S. 197.

■) Die pseudoaristotelische Schrift über das reine Gute, bekannt unter dem Namen Liber de causis. Freiburg 1882. S. 204 ff.

Avencebrol in der Scholastik etc. 17

werden ; immerhin ist sie in dem obigen Ausspruche Jourdain's entschieden überschätzt. Eine arge Übertreibung aber ist es, wenn Joel meint, „daß die Lehre Gebirol's das eigentliche Fer- ment der scholastischen Philosophie des 13. Jahrhunderts ge- wesen" sei i).

Die beiden Ordensschulen unterscheiden sich in ihrem Ver- hältnis zu Avencebrol ebenso wie in ihren Beziehungen zur arabischen Wissenschaft überhaupt. Während sich die Mitglieder der Franziskanerschule fast ausnahmslos von Avencebrol'schen Ideen beeinflußt zeigen, verhalten sich die bedeutendsten Reprä- sentanten der Dominikanerschule ablehnend.

Die ersten sicheren Zeichen eines direkten Einflusses von Seite Avencebrol's finden sich bei Dominicus Gundissali- nus. Die Schriften, die diesem Autor auf Grund der neuesten Forschungen zuerkannt werden und ihn nicht als Urheber neuer Gedanken sondern als unselbständigen Kompilator verraten -), weisen an zahlreichen Stellen auf Avencebrol hin. Gundissa- linus hat sich nicht begnügt, das Werk des jüdischen Philo- sophen in das Lateinische zu übersetzen ; er hat vielmehr auch die Gedanken und Worte Avencebrol's in beträchtlichem Um- fange seinen eigenen Elaboraten einverleibt. Dies gilt zunächst von der Abhandlung De unitate 3). Der Verfasser hält es für ausgemacht, daß alle erschaffenen Wesen aus Materie und Form bestehen4). Die Materie ist das Prinzip der Vielheit "J), die Form das Prinzip der Einheit (>). Diese und andere Gedanken werden

l) Beiträge zur Geschichte der Philosophie. Breslau 1876. Anhang S. 3.

'-') Cl. Baeumker, Dominicus Gundissalinus als philosophischer Schrift- steller. Münster 1899.

:i) Die dem Boethius fälschlich zugeschriebene Abhandlung des Domi- nicus Gundissalinus De unitate. Herausgegeben und philosophiegeschichtlich bearbeitet von Dr. Paul Correns. Münster 1889. (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters von Baeumker I, 1.)

4) a. a. 0. S. 3.

:') Materia enim contraria est unitati. a. a. 0. S. 5. Vgl. Materia facit contrarium eius quod facit una. F. v. II 23, p. 67, 20.

,;) Forma ergo existens in materia, quae perficit et custodit essentiam cuiusque rei, unitas est descendens a prima unitate, quae creavit eam. Cor- rens, a. a. 0. S. 5. Vgl. Forma existens in materia quae perficit essentiam Beiträge III, 3. Witt mann, Thomas von Aquin. Z

18 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

auch in der Schrift De processione miindi ]) ausgesprochen. Zum extrem realistischen Standpunkte Avencebrol's bekennt sich Gun- dissalinus, wenn er meint, daß jede begriffliche Zusammen- setzung eine sachliche anzeige 2). Im übrigen steht die Lehre von Materie und Form wieder im Vordergrund. Jedes außer- göttliche Wesen ist aus Materie und Form zusammengesetzt, da auf die absolute Einheit notwendig eine Zweiheit folgt 3). Die erste Materie ist die allen Dingen gemeinsame Substanz, die Trägerin aller Formen 4), die erste Form ist der Wesensgrund aller übrigen Formen 5).

Ganz ähnliche, wenn nicht engere Beziehungen weist die Schrift De anima auf ,;). Löwenthal glaubte sogar den Beweis erbringen zu können, daß ihr eine Schrift Avencebrol's über den nämlichen Gegenstand zugrunde liege 7). Eine gleiche Vermutung

omnis rei et per quam factum est unumquodque quicquid est, est unitas, veniens a prima unitate quae creavit eam. F. v. II 20, p. 60, 28.

1) Herausgegeben von Menendez Pelayo, Heterodoxos Espanoles. Bd. I. Madrid 1880.

2) Quicquid enim intellectus dividit et resolvit in aliquid, compositum est ex his in quae resolvitur. Menendez Pelayo, a. a. 0. S. 692. Vgl. Quic- quid compositorum intelligentia dividit et resolvit in aliud, est compositum ex illo in quod resolvitur. F. v. II 16, p. 51, 17.

') Omne creatum a creante debet esse diversum. Cum igitur creator vere unus sit, profecto creaturis non debuit esse unitas; . . . cum igitur creator vere sit unus, profecto creatura que post ipsum est debuit esse duo. Menendez Pelayo, a. a. 0. S. 698. Vgl. Creator omnium debet esse unus tantum, et creatum debet esse diversum ab eo. unde si creatum esset ma- teria tantum aut forma tantum, assimilaretur uni, et non esset medium inter illa, quia duo sunt post unum. F. v. IV 6, p. 222, 24.

]) Materia est prima substantia per se existens, sustentatrix diversita- tis, una numero. Item: mateiia prima est substantia receptibilis omnium formarum. Menendez Pelayo, a. a. 0. S. 702. Vgl. Si una est materia uniuersalis omnium rerum, hae proprietates adhaerent ei: scilicet quod sit per se existens, unius essentiae, sustinens diversitatem, dans omnibus essen- tiam suam et nomen. F. v. I 10, p. 13, 14.

5) Forma vero prima est substantia constituens essentiam omnium formarum. Menendez Pelayo, a. a. 0. S. 702. Vgl. Descriptio formae uni- versalis haec est, scilicet quod est substantia constituens essentiam omnium formarum. F. v. V 22, p. 298, 17.

6) Löwenthal, Dominicus Gundisalvi und sein psychologisches Com- pendium. Berlin 1890. Derselbe, Pseudoaristoteles über die Seele. Ber- lin 1891.

7) Bülow hält den Beweis für erbracht. Des Dominicus Gundissalinus

Avencebrol in der Scholastik etc. 19

Löwenthal's hinsichtlich der weiteren Abhandlung De immor- talltate animae wird von Bülow überzeugend widerlegt ]). Merk- würdiger Weise finden sich daselbst sogar Widersprüche mit der Lehre des jüdischen Philosophen. Bülow erklärt diese Erschei- nung mit der Annahme, daß der Kompilator „sich seine Vor- lagen überall nimmt, wo es ihm gefällt, und wo sich ihm Ge- legenheit bietet, ohne sich ängstlich Skrupel zu machen, wenn sich einmal in seinen neuesten Bearbeitungen Anschauungen finden, die denen seiner früheren Werke widerstreiten -).

An zweiter Stelle muß Wilhelm von Auvergne erwähnt werden. Das Werk Avencebrol's führt bei ihm durchweg den Titel Föns sapientlae. Fälschlich behauptet er, daß Avencebrol selbst sein Werk so überschrieben habe ;J>). Er nennt den jüdischen Philo- sophen einen Theologen und spendet ihm das Lob, daß er allein unter allen Vertretern der arabischen Philosophie die Lehre vom Verbum Dei richtig erfaßt habe. Aus diesem Grunde hält er ihn trotz des arabischen Namens und des Charakters seiner Philo- sophie für einen Christen. Diese Anschauung stützt jedoch Wil- helm, wie es scheint, nicht so fast auf den Föns vitae, als viel- mehr — und dieser Umstand dürfte die Thatsache weniger auf- fallend erscheinen lassen auf eine andere Schrift Avencebrol's. Wilhelm bemerkt, daß der von ihm so geschätzte Autor ein eigenes Buch über den Willen verfaßt habe, eine Nachricht, die mit einer Bemerkung im Föns vitae im Einklänge steht. 4) Der

Schrift von der Unsterblichkeit der Seele. Münster 1897 (Beiträge zur Ge- schichte des Philosophie des Mittelalters II, 3). S. 101. Indes weist Baeumker a.a.O. S. 13 f. nach, daß von einer psychologischen Schrift Aven- cebrol's keine Rede sein kann.

') a. a. 0. S. 102 ff.

2) a. a. 0. S. 104.

:!) De uniuerso p. I c. 26 (Opera omnia. T. I. Orleans 1674).

4) Avicembron autem Theologus nomine et stylo, ut videtur, Arabs, istud evidenter apprehendit, cum et de hoc in libro, quem vocat fontem sapientiae, mentionem expressam faciat et librum singularem de verbo Dei agente omnia scribat. Ego autem propter hoc puto ipsum fuisse Christia- num. a. a. 0. Vgl. Iam disposui verba de his omnibus in libro qui tractat de scientia voluntatis; et hie liber vocatur origo largitatis et causa essendi. F. v. V40, p. 330, 10. Werner vermutet indes, daß Wilhelm jenes Buch nach dem Föns vitae citiert. Wilhelm' s von Auvergne Verhältnis zu den Platoni-

2*

20 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol,

Scholastiker geht in seiner Begeisterung für Avencebrol so weit, ihm unter allen Philosophen die erste Stelle einzuräumen !). Diese Hochachtung erklärt es, daß Wilhelm auch sonst Avence- brol'sche Gedanken verwertet 2). Die Ansicht, daß die geistigen Wesen eine Materie haben, teilt er gleichwohl nicht 3). Dagegen dürfte Wilhelm wieder vom jüdischen Philosophen abhängig sein, wenn er die Geistervveit als einen notwendigen Bestandteil des Weltganzen betrachtet4). Die Begründung allerdings ent- springt bei ihm der christlichen Weltanschauung ; der Gedanke an sich jedoch ist ein wesentliches Element des Avencebrorschen Systems.

Eine unleugbare Abhängigkeit von Avencebrol läßt sich ferner bei Alexander von Haies konstatieren. Zwar bekundet er nicht jene Eingenommenheit wie Wilhelm von Auvergne. Er unterläßt es, sich in einer Frage offen zur Anschauung des jüdischen Philosophen zu bekennen ; der Name des letzteren wird, wie es scheint, niemals genannt: allein der Scholastiker befindet sich im Banne Avencebrol'scher Gedanken. Dies betrifft wenigstens die Lehre von der Materialität der geistigen Substanzen. Alexander ist der Ansicht, daß die endliche Sub- stanz als solche durch Materie und Form konstituiert wird 5). Den Einfluß Avencebrol's verrät besonders die Begründung dieser Meinung. In Übereinstimmung mit jenem lehrt Alexander, daß alle Wesen, die irgend einer Gattung angehören, eine Materie

kern des 12. Jahrhunderts, in den Sitzungsberichten der kaiserlichen Akade- mie der Wissenschaften zu Wien. 1873, S. 144. Ebenso Guttmann, Revue des etudes juives. T. XVIII. Paris 1889. S. 252.

') Unicus omnium philosophantium nobilissimus. De Trinitate c. 12.

-) Vgl. De universo p. I. c. 26 mit F. v. III 13, p. 107, 13. Ferner Guttmann, Guillaume d' Auvergne et la littOature juive, in: Revue des dtudes juives. T. XVIII. S. 243 ff. Werner, a. a. 0. S. 157 ff.

l) De universo IL p. 2 c. 7. An einer anderen Stelle indes scheint Wilhelm von den geistigen Substanzen zwar eine körperliche, jedoch nicht eine geistige Materie auszuschließen. De univ. IL p. 2 c. 6.

4) a. a. 0. II p. 2. c. 4.

5) Summa theol. p. IL q. 10. m. 1. Ausgaben: Nürnberg 1483; Lyon 1517. Vgl. Endres, Des Alexander von Haies Leben und psychologische Lehre, im philosophischen Jahrbuch der Görresgesellschaft. Bd. I. Fulda 1888. S. 204.

Avencebrol in der Scholastik etc. 21

haben müssen ; denn die Gattung ist das Zeichen der Materie. Auch den Engeln muß daher eine Materie zuerkannt werden, da sie samt den körperlichen Wesen zur Gattung Substanz ge- hören. Die Materie besteht aber nicht für sich allein, sondern verlangt eine Form 1). Auf Avencebrol geht wohl auch der Gedanke zurück, daß jedes aktive Verhalten auf eine Form, jedes passive auf eine Materie hinweist -). Im vollen Einklänge mit Avencebrol steht Alexander ferner, wenn er trotzdem den Versuch macht, die Einfachheit der geistigen Wesen aufrecht zu erhalten. Beide betonen, daß jene Einfacheit nicht als eine ab- solute, sondern als eine relative anzusehen sei. Das Geistige ist einfach im Vergleich zum Körperlichen ; denn obschon beides zusammengesetzt ist, so ist doch die Konstitution des ersteren weniger kompliziert als die des letzteren ;).

Von vornherein ist anzunehmen, daß diese Ideen Alexan- ders auch auf zahlreiche Schüler übergegangen sind. Das An- sehen des großen Lehrers, der seiner Zeit der Stolz der Pariser Universität war 4) , bürgt dafür. Diese Vermutung wird durch feststehende Thatsachen bestätigt. Die ältere Franziskanerschule ist hier wie in anderer Beziehung den Fußstapfen ihres Meisters gefolgt. Dieser Umstand rechtfertigt die Annahme, daß Alexander auch innerhalb des Säkularklerus einen bedeutenden Anhang gefunden hat, da er längst vor seinem Eintritt in den Ordens- stand ein gefeierter Lehrer war. 5) Um so auffallender ist die Erscheinung, daß einer seiner ersten und berühmtesten Schüler aus dem Franziskanerorden, nämlich Johannes von Rupella, der noch gleichzeitig mit ihm Lehrer an der Pariser Universität war 6), sich von ihm insofern entfernt, als er die Zusammen-

l) Summa theol. p. II. q. 20. m. 2. a. 2. Vgl. F. v. lil 18, p. 118, 10.

IV 6, p. 223, 15.

"') Summa theol. p. II. q. 61. m. 1. Vgl. F. v. IV 1, p. 212, 20.

V 31, p. 314, 12. III 13, p. 106, 28. p. 107, 5. 8.

:!) Summa theol. p. II. q. 20. m. 2. a. 2. Vgl. F. v. IV 4, p, 218,22.

4) Endres, a. a. O. S. 29 f.

5) Endres, a. a. O. S. 29 ff. Endres gelangt zum Ergebnis, daß Alexander im Jahre 1231 oder 1232 in den Orden eingetreten ist. a, a. O. S. 33.

,;) a. a. O. S. 36 ff. Gegen Quetif und Echard, Scriptores ordinis Praedicatorum. T. I. Paris 1719. p. 276.

22 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

Setzung aus Materie und Form für Seele und Engel in Abrede stellt x). Indes gelingt es ihm nicht, den Standpunkt seines Leh- rers vollkommen zu überwinden. Das Argument auf grund der Verbindung von Aktivität und Passivität hat auch bei ihm in- soweit Beweiskraft, als er in jenem Gegensatz zwar nicht ein Zeichen für das Vorhandensein von Materie und Form, wohl aber für den Unterschied zwischen einem quod est und einem quo est erblickt 2). Hierbei ist zu beachten, daß Johannes mit diesen Ausdrücken nicht etwa jenen Sinn verbindet, in dem später Thomas dieselben gebraucht. Johannes will damit nicht einen Unterschied von Wesenheit und Dasein bezeichnen, son- dern, wie es scheint, eine Verschiedenheit zwischen dem Ding und seiner Wesenheit ;i). Wenn er weiterhin das quo est als Form, das quod est als eine Art Materie charakterisiert 4), so kehrt er damit teilweise zur Ansicht seines Lehrers zurück. Man wird deshalb anerkennen müssen, daß Johannes gegenüber Alexander selbständig zu Werke geht •"'), jedoch die Einflüsse der Schule durchaus nicht völlig abgestreift hat.

Enger hat sich an Alexander sein bedeutendster Schüler, Bonaventura, angeschlossen. Er spricht sich dafür aus, daß geistige Substanzen aus Materie und Form bestehen ,;). Er führt

') Spiritualia, ut anima rationalis, compositionem habent ex partibus essentialibus, quae partes sunt quod est et quo est, quae sunt a Deo et de nihilo, et non habent compositionem, quae est ex materia et forma. Do- menichelli, La Summa de anima di Frate Giovanni della Rochelle. Prato 1882. p. 121.

2) Secundum hoc recipere et agere in anima differens est: scilicet acci- pere per naturam eius, quod dico qnod est; agere per naturam eius quod dico quo est. a. a. 0.

:i) a. a. 0. p. 120. Doch gestattet die leider durchaus ungenügende und kritiklose Textesausgabe Domenichelli's nicht, den Gedanken des Autors mit voller Sicherheit zu bestimmen.

4) Quo est ut forma, quod est ut substans, quasi materia. a. a. 0. p. 121.

') Die Bemerkung Erdmann' s, Johannes „scheine nur wiederholt zu haben, was der Meister gelehrt hatte" (Grundriß, I, S. 360), trifft daher in dieser Allgemeinheit nicht zu. Die Selbständigkeit des Schülers wird später noch in einer anderen Frage hervortreten.

,;) Krause, Die Lehre des hl. Bonaventura über die Natur der körper- lichen und geistigen Wesen und ihr Verhältnis zum Thomismus. Paderborn 1888. S. 51 ff. 71 ff. K. Ziesche, Die Lehre von Materie und Form bei Bonaventura. Philosophisches Jahrbuch XIII. Fulda 1900.

Avencebrol in der Scholastik etc. 23

ebenfalls das aktive Verhalten auf die Form, das passive auf die Materie zurück l). Desgleichen erblickt er in der Substanz als solcher ein Produkt aus Materie und Form 2). In Überein- stimmung mit Avencebrol scheint er auch das Verhältnis zwi- schen Gattung und Differenz mit jenem zwischen Materie und Form zu identificieren 3).

Den nämlichen Standpunkt hat Wilhelm von Lamarre vertreten, der erste heftige Gegner, der dem Aquinaten aus dem Franziskanerorden erwachsen ist. Dies bezeugt die zur Abwehr seiner Angriffe verfaßte, lange Zeit dem Ägidius Colonna zuge- teilte Schrift Correctorium corruptorii fratris Thomae 4). Jede Art passiven Verhaltens gilt wieder als Zeichen einer Materie. ') Nicht ganz ohne Beziehung zum Gegenstande der vorliegenden Abhand- lung ist außerdem die Thatsache, daß Wilhelm bereits die durch den Bischof von Paris im Jahre 1277 ausgesprochene Verurteilung von 219 Sätzen gegen Thomas in das Feld führt. Es ist näm- lich von Interesse, daß Wilhelm hierbei nicht auf den bekann- ten Satz hinweist, der bei Du Boulay innerhalb der Rubrik Errores de Deo vel intelUgenüis unter Nr. 16 angeführt wird 6)

') IL Sent. d. 3. p. 1 a. 1. q. 1 (Opera omnia. Ad Claras Aquas [Quaracchi]. 1885)

2) Omne illud, quod secundum sui mutationem est susceptibile contra- riorum, est hoc aliquid et substantia per se existens in genere; et omne tale compositum est ex materia et forma, a. a. 0. d. 17. a. 1. q. 2.

:i) Angelus enim definitur et ita participat naturam generis et differen- tiae: naturam, in qua convenit cum aliis, et naturam, in qua differt. Ergo cum necesse sit totam veritatem definitionis realiter inveniri in quolibet an- gelo, necesse est in eo ponere naturarum diversitatem. Sed impossibile est, plures naturas concurrere ad constitutionem tertii. quin altera habeat ratio- nem possibilis, altera rationem actualis, quia ex duobus entibus in potentia nihil fit, similiter nee ex duobus entibus in actu. a.a.O. d. 3. p. 1. a. 1. q. 1.

4) Aegidii de Columna Romani Defensorium seu Correctorium librorum S. Thomae Aquinatis. Köln 1624. Echard glaubt beweisen zu können, daß nicht Ägidius, sondern Richard Clapwel oder Johannes von Paris der Ver- fasser ist. Scriptores ordinis Praedicatorum I. S. 502 ff. Werner gibt Jo- hann Quidort als Autor an. Der hl. Thomas von Aquin. Bd. I. Regens- burg 1858. S. 862. (Über Johann Quidort den jüngeren Johannes Pari- siensis vgl. Denifle im Archiv für Litteratur- und Kirchengeschichte des Mittelalters. IL Berlin 1886. S. 205.)

u) Quod est immune a materia, est immune a passione : et ita et si angelus non habet materiam, angelus non potest pati. Correctorium, p. 65; vgl. p. 163.

6) Historia universitatis Parisiensis. T. III. Paris, p. 436.

24 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

und mit dem die thomistische Lehre von der Immaterialität der Geister ausdrücklich verworfen worden wäre, sondern auf einen anderen, der sich höchstens durch eine freie Deutung gegen Thomas ausbeuten läßt '). Wilhelm kennt also keinen thomi- stischen Satz, der vom Bischof Stephan ausdrücklich verurteilt worden wäre, ein Umstand, der im Einklang mit der bereits von Denifle festgestellten Thatsache -) neuerdings beweist, daß der bekannte Beisatz contra fratrem Thomam als eine Zuthat aus späterer Zeit anzusehen ist.

Um von Richard von Middletown, der sich in den nämlichen Gedanken bewegt, wie die zuletzt behandelten Auto- ren 3), zu schweigen, so findet sich der offenkundigste Anschluß an Avencebrol beim berühmtesten Lehrer der Franziskanerschule, nämlich bei Duns Scotus. Er begründet die Allgemeinheit der Materie damit, daß alle erschaffenen Wesen aus Potenz und Akt, aus einem allgemeinen und einem besondern Elemente zu- sammengesetzt seien. Beide sind von einander real verschieden und verhalten sich wie Materie und Form. Die erschaffene Substanz besteht daher als solche aus Materie und Form 4). Scotus ist ferner der Ansicht, daß Geist und Körper eine gemein- same Materie haben. Ganz im Geiste Avencebrol's betrachtet er einen gemeinsamen Begriff als Zeichen sachlicher Einheit. Weil Körper und Geist insofern das nämliche passive Verhalten zeigen, als beide Träger von Accidentien sind, müssen sie eine gemeinsame Materie haben 5). Auf den nämlichen Ursprung weist ein anderes Argument hin. Die Einheit der Materie erscheint dem Scholastiker auch von der Einheit des Universums gefor- dert. Er erblickt mit Avencebrol in der Welt eine reale Einheit und in der ersten Materie den Grund derselben. Es entspricht ferner vollkommen der Anschauungsweise des Verfassers der „Lebensquelle", wenn Scotus die allgemeine Materie als den ge-

') Defensorium, p. 538; DuBoulay, Historia universitatis Paris. a.a.O. Nr. 6. Denifle, Chartularium I, p. 547 Nr. 71. 2) Chartularium I, p. 557''.

:') II. Sent. d. 3. p. 1 q. 1. Vgl. d. 17. q. 1. Ausgabe: Venedig 1509. 4) De rerum principio. q. 7. a. 2. n. 15 ff. Ausgabe: Lyon 1639. 6) a. a. 0. n. 26.

Avencebrol in der Scholastik etc. 25

meinsamen Stamm, Geist und Körper als die beiden Äste be- trachtet '). Wie sehr sich der Scholastiker mit den Anschauungen AvencebroFs befreundet hat, läßt außerdem seine durchaus rea- listische Auffassung der Universalien erkennen. Ohne Bedenken schreibt er dem Allgemeinen als solchem objektive Realität zu und läßt den verschiedenen Graden der Abstraktion ebensoviele Stufen im Sein entsprechen 2).

Gewisse Ideen Avencebrol's haben sich, so erhellt aus der bisherigen Darlegung, innerhalb der Franziskanerschule von Glied zu Glied vererbt. Dabei drängt sich die Wahrnehmung auf, daß dieser Einfluß auf die Scholastik mit der Zeit immer schwächer wird. Am meisten ist Gundissalinus vom Verfasser der „Lebensquelle" abhängig. Wilhelm von Auvergne ist förm- lich begeistert für ihn. Alexander tritt wenigstens in der Engel- lehre in seine Fußstapfen. Von da an verschwindet der jüdische Philosoph allmählich unter anderen Autoritäten. Wilhelm von Lamarre beruft sich auf Augustin, Boethius, Johannes von Damascus, sogar auf die hl. Schrift :i). Die hergebrachten Ge- danken Avencebrol's werden zwar übernommen, augenscheinlich, ohne daß man ihren Ursprung kennt; allein sie treten gegen- über den aus anderen Quellen entlehnten Argumenten mehr und mehr in den Hintergrund. Scotus jedoch gibt der Bewegung eine rückläufige Richtung. Er kehrt direkt zu Avencebrol zurück und schließt sich ihm enger an, als dies, abgesehen von Gun- dissalinus, je geschehen war.

Doch haben sich offenbar auch die Gelehrten des Domini- kanerordens dem Einflüsse des jüdischen Philosophen nicht völlig

') De isto igitur totius universalis naturae fundamento, materia scilicet primo prima, verum est, quod in fundamento naturae nihil est distinctum. Dividitur radix ista immediate in duos ramos, in corporalem et spiritualem. a. a. 0. n. 30. Vgl. Föns vitae V 29, p. 310, 8. 14.

-) Theoremata IV. Joel ist der Ansicht, dafs auch die Willenslehre des Scotus Avencebrorsche Elemente enthalte Monatschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums. Bd. IX. Leipzig 1860. S. 215 f. Eine hinreichende Begründung dieser Annahme wird allerdings vermif3t. Im- merhin mag vielleicht darin eine Nachwirkung Avencebrol's liegen, daß Sco- tus den Willen gegenüber dem Verstände so sehr in den Vordergrund stellt.

3) a. a. 0.

26 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

entzogen. Albert spricht es offen aus, daß die Lehre von der Universalität der Materie auch unter seinen Ordensgenossen ihre Anhänger hatte !). Allerdings ist es bis jetzt nicht möglich, diese Autoren im einzelnen namhaft zu machen, da es an den nötigen Quellen fehlt. Bedenkt man nun, daß jene Lehre in der einen der beiden Ordensschulen nahezu ausschließlich, in der anderen wenigstens zum Teil vertreten wurde, so ist wohl dadurch schon die Annahme gerechtfertigt, daß dieselben inner- halb des betreffenden Zeitraumes, nämlich von der Zeit der Lehr- thätigkeit Alexander's von Haies bis gegen den Schluß des 13. Jahrhunderts, die vorhersehende war 2).

Im Übrigen ist unter den Dominikanern Albert der erste, der sich nachweisbar mit dem angeblich arabischen Philosophen beschäftigt hat. Er ist mit der Lehre Avencebrol's wohl ver- traut. Es ist ihm bekannt, durch welche Erwägungen derselbe dazu geführt wird, in allen endlichen Substanzen eine Materie und eine Form anzunehmen 3). Wahrheitsgetreu berichtet er, daß Avencebrol vom Niederen zum Höheren, vom Körperlichen zum Geistigen aufsteigt und schließlich dazu gelangt, eine letzte Materie und eine letzte Form anzusetzen. Das erste Produkt aus Materie und Form ist der Weltgeist. Desgleichen weiß Albert, daß Avencebrol als drittes Prinzip den Willen statuiert, durch den die oberste Materie mit der entsprechenden Form vereinigt wird 4). So sehr jedoch das Referat Albert's im allgemeinen der Wahrheit entspricht und zur Genüge erkennen läßt, daß der Scholastiker von dem Werke Avencebrol's Einsicht genom- men hat, so wenig läßt sich übersehen, daß dies im einzelnen

') Dicit autem Avicenna, quod anima habet individuum proprium, licet naturam eius et nomen ignoremus. Sed cum individuum sit materia, oportet quod illud individuum esset materia incorporea in anima existens, et per formam quae non est corporis perfectio; et hoc concedunt plerique inter no- stros socios. Albertus Magnus, De anima 1. 3. tr. 3. c. 14 (Opera T. III. p. 171. c. 2).

2) Vgl. Endres, a. a 0. S. 204.

:!) Quod etiam in intellectuali substantia sit (sc. materia), probare cona- tur per id, quod proprietatem mateiiae invenit in substantia intellectuali. De causis et processu univ. 1. 1. tr. 1. c. 5 (Opera T. V).

4) a. a. 0. 1 1. tr. 1. c, 5. Vgl. 1. 1. tr. 3. c. 4.

Avencebrol in der Scholastik etc. 27

nicht durchweg zutrifft. Ein Vergleich mit dem Original stellt heraus, daß der Bericht Albert's mitunter nur in geringem Grade mit jenem übereinstimmt. So entfernt sich Albert von dem richtigen Sachverhalt, wenn er den Verfasser der „Lebensquelle" daraus, daß die Substanz der Kategorien aus Materie und Form besteht, unmittelbar das Dasein einer höheren Materie erschließen läßt ]). Avencebrol legt seinen Argumenten allerdings vielfach jene Voraussetzung zu gründe, jedoch nicht, um von da zur Erkenntnis einer weiteren Materie fortzuschreiten, sondern um das Dasein geistiger Substanzen abzuleiten -). Der Gedanke so- dann, daß die Materie als erste Form die Intellektualität, als zweite die Körperlichkeit, als dritte die Gegensätzlichkeit auf- nimmt8), wird sich aus den Worten Avencebrol's nirgends heraus- lesen lassen. Ähnliche Fälle könnten in größerer Anzahl nam- haft gemacht werden.

Was die Stellung betrifft, die Albert gegenüber der Philo- sophie Avencebrol's einnimmt, so verhält sich der Lehrer des Dominikanerordens ablehnend. Er findet, daß sein Gegner den Ursprung der Materie nicht befriedigend erklärt hat. Avence- brol kann unmöglich die erste Materie als das unvollkommenste Sein ansehen ; denn je näher ein Sein dem höchsten Wesen steht, desto vollkommener ist es 4). Die Zusammensetzung aus Materie und Form will er für die geistigen Wesen nicht gelten lassen 5). Wenn Avencebrol aus dem receptiven Charakter der geistigen Substanzen auf eine Materie schließt, so leidet diese Folgerung an einer unrichtigen Deutung des Begriffes Receptivität '■). Wie sich zeigen wird, hat auch Thomas diese

J) a. a. 0. 1. 1. tr. 1. c. 5. 2) Föns vitae III 2, p. 76, 8. ff.

:j) De intellectu et intelligibili 1. I. tr. 1. c. 6 (T. V). Vgl. De anima 1. 3. tr. 2. c. 9 (T. III).

4) De caus. et process. univ. 1. 1. tr. I.e. 6.

5) a. a. 0. De anima 1. 2. tr. 1. c. 11.1. 3. tr. 2. c. 9. II. Sent. d. 2. a. 2. d. 3. a. 4. S. theol. p. 2. tr. 4. q. 13. m. 1 (T. XVIII). Summa de creaturis p. 1. tr. 1. q. 2. a. 5. Vgl. dagegen: Angelus est substantia com- posita, et dieimus quattuor esse prineipia substantiae compositae, scilicet ma- teriam et formam, et quod est et esse. Surnma de creaturis p. 1. tr. 4. q. 21. a. 1.

<;) De anima 1. 3. tr. 2. c. 9. Vgl. S. theol. p. 2. tr. 1. q. 4. m. 1, p. 2. De causis et proc. univ. a. a. 0.

28 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

Einwände erhoben. Am allerwenigsten ist iUbert mit der Willenslehre Avencebrol's einverstanden. Er vermag dieselbe mit der Einfachheit des göttlichen Wesens nicht in Einklang zu setzen. Das vollkommenste Wesen handelt unmittelbar, ohne sich eines Organs zu bedienen oder sich durch ein anderes Prinzip bestimmen zu lassen '). Der Scholastiker macht in die- sem Zusammenhange seinem Gegner den Vorwurf, daß er die Tragweite seiner Worte schlechterdings nicht abzuwägen ver- stehe 2). Die Stellung, die Avencebrol dem Willen anweist, möchte Albert noch eher dem Verstände zuerkennen ; denn was ein vernünftiges Wesen vollbringt, ist in erster Linie durch die Idee des denkenden Verstandes bedingt, während der Wille nur den Befehl zur Ausführung erteilt 3). Albert kann der Willens- lehre so wenig Verständnis abgewinnen, daß er sich im Hinblick auf dieselbe nicht entschließen kann, Avencebrol als den Ver- fasser des Föns vitae anzusehen. Seiner Meinung zufolge ist die genannte Schrift das Machwerk eines oder mehrerer „Sophi- sten" 4), eine Äußerung, die in einem gewissen Sinne Beach- tung verdient. Albert hat von Avencebrol eine Anschauung, mit welcher er die Annahme, daß ihm der Föns vitae zuzuschreiben ist, nicht vereinbaren kann. Woher stammt diese hohe Mei- nung von dem jüdischen Philosophen ? Zeigt sich hier eine jener vereinzelten Spuren, die vielleicht darauf hinweisen, daß Avencebrol nicht ausschließlich durch den Föns vitae zu den Scholastikern in Beziehung getreten ist? Man denkt möglicher- weise an das von Wilhelm von Auvergne erwähnte Werk über den Willen, sofern ein solches überhaupt den Scholastikern be- kannt gewesen ist. Indes wäre es zum mindesten auffällig, wenn Albert seine gute Meinung über Avencebrol aus einer Arbeit über den Willen geschöpft hätte, da er gerade an der Willenslehre am meisten Anstoß nimmt.

') De causis et processu univ. a. a. 0.

-) Mirabile videtur quod iste dictorum suorum null am attendit rationem. a. a. 0. 1. 1. tr. 3. c. 4.

:i) a. a. 0.

') Nee puto quod Avicebron hune librum fecit, sed quod quidam sophi- starum confixerunt eum sub nomine suo. a. a. 0. Vgl. S. theol. p. 1. tr. 4. q. 20. quaest. ine. (T. XVII).

Avencebrol in der Scholastik etc. 29

Guttmann hat gemeint, daß Albert, so entschieden er im allgemeinen die Lehre Avencebrol's zurückweist, in Einer Hin- sicht dennoch sich von ihm beeinflußt zeige. Wie Avencebrol unterscheide er drei Arten von Formen, solche, die dem mate- riellen Wesen im Geiste des Urhebers als Vorbilder voraus- gehen, solche, die mit der Materie das körperliche Wesen kon- stituieren, und solche, die der abstrahierende Verstand aus den Dingen gewinnt l). Allein gerade ein Vergleich der beiden Texte 2), auf die Guttmann aufmerksam macht, dürfte seine An- nahme am wenigsten rechtfertigen. Viel wahrscheinlicher ist, daß der Scholastiker in jener Beziehung durch Avicenna beein- flußt ist 3). Ein anderer Punkt dagegen, hinsichtlich dessen sich mit mehr Recht eine Abhängigkeit Albert's von Avencebrol an- nehmen läßt, wird später berührt werden ]).

Noch größere Beachtung als bei Albert hat Avencebrol bei Thomas von Aquin gefunden. Die Lehre des jüdischen Denkers ist dem Aquinaten im einzelnen wie als ganzes wohl bekannt. Diese Kenntnis hat er ohne allen Zweifel aus dem Föns vitae selbst geschöpft. In seiner Stellungnahme gegenüber Avencebrol schließt er sich seinem Lehrer Albert an. Auch er beschäftigt sich mit den Anschauungen Avencebrörs lediglich, um sie zu bekämpfen. Er erkennt in seinem Gegner einen Ver- treter des extremen Realismus. Da das Verständnis des Fol- genden und die richtige Beurteilung des Einflusses, den Avence- brol auf die Scholastik ausgeübt hat, eine allgemeine Kenntnis der Geschichte des Realismus und Nominalismus zur Voraus- setzung hat, so sollen die wichtigsten der hierher gehörigen That- sachen mit einigen Worten gestreift werden.

Der Gegensatz zwischen dem Realismus und dem Nomi-

1) Sal. ibn Gabirol, S. 59.

2) De natura et origine animae tr. 1. c. 2. Die von Guttmann nach der Handschrift citierte Stelle des Föns vitae findet sich in der Ausgabe Baeumker's IV 20, p. 255, 15.

3) Vgl. Löwe, der Kampf zwischen dem Realismus und Nominalismus im Mittelalter. Prag 1876. S. 78 f.

J) Über Albert's Beziehungen zu Avencebrol siehe auch Bach, Des Albertus Magnus Verhältnis zu der Erkenntnislehre der Griechen, Lateiner, Araber und Juden. Wien 1881. S. 163 ff.

30 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Ävencebrol.

nalismus zieht sich von Anfang an durch die Scholastik hin- durch. Porphyrius hat in seiner für die mittelalterliche Philo- sophie bedeutungsvollen „Einleitung" zu den aristotelischen „Ka- tegorien" das Problem aufgeworfen, was von den Universalien zu halten sei 1). Die neu entstehende christliche Wissenschaft hat sich der Frage sofort bemächtigt und sie in verschiedenem Sinne beantwortet. Von den zwei Hauptrichtungen, die man unterscheidet, erblickt der Realismus in den Universalien mehr oder minder etwas objektiv Wirkliches, während der Nominalis- mus das Allgemeine in den Begriffen oder Worten sucht. Jede der beiden Richtungen trat in mannigfachen Schattierungen auf. Was den geschichtlichen Verlauf angeht, so herrscht in der ersten Periode der Scholastik ein mehr oder minder extremer Realismus vor. Ihren unmittelbaren Grund hat diese Thatsache darin, daß jener Zeit eine vorzugsweise platonische Denkweise eigen war, also eine Philosophie, die von jeher die Verkörperung und der Herd des extremen Realismus gewesen ist. Mit der Zeit verschob sich jenes Verhältnis zu Gunsten eines mehr ge- gemäßigten Realismus. Diese Bewegung schritt in raschem Tempo voran, seitdem den Scholastikern die gesamte aristote- lische Philosophie bekannt geworden war. Albert, Thomas, überhaupt die meisten Gelehrten des Dominikanerordens, eigne- ten sich den gemilderten Realismus mit den aristotelischen Ge- danken an. Die Franziskanerschule dagegen nahm den Aristo- telismus nicht mit solcher Bereitwilligkeit auf, sondern blieb auch nachher großenteils der platonisch-augustinischen Denk- weise getreu. Ihre Erklärung findet diese Erscheinung dadurch, daß Alexander von Haies zeitlich noch der älteren Periode an- gehört. Bei ihm hat sich die aristotelische Philosophie mit der christlichen Gedankenwelt noch nicht so verschmolzen -) , wie bei Albert und Thomas; er aber galt innerhalb seines Ordens als Vorbild. Damit ist zugleich der Grund angegeben, warum Ävencebrol hauptsächlich auf die Franziskanerschule einen direk- ten Einfluß gewonnen hat :!). Sein extremer Realismus stand

') Überweg-Heinze, Grundriß der Geschichte der Philosophie. Bd. II. 8. Aufl. S. 160 ff. Vgl. außerdem zum ganzen Abschnitt Löwe, a. a. 0. 2) Vgl. Endres, a. a. 0. S. 296. s) Vgl. Correns, a. a. 0. S. 44 ff.

Avencebrol in der Scholastik etc. 81

eben den augustinisch-platonischen Anschauungen näher als der aristotelischen Philosophie. So erscheint iVvencebrol als einer jener Faktoren, die dem excessiven Realismus in der Scholastik als Stütze dienten. Unter diesem Gesichtspunkte wird daher seine Lehre von Thomas aufgefaßt und bekämpft. Auf solche Weise gewinnt die Polemik des Aquinaten einen breiteren Hinter- grund und eine allgemeinere Bedeutung. Sie charakterisiert sich als ein Ausfluß des Streites zwischen dem gemäßigten und dem gesteigerten Realismus, zwischen Dominikaner- und Franziskaner- schule, zwischen aristotelischer und platonischer Philosophie. So kommt es auch, daß Thomas mit seinen Ausführungen nicht allein den Verfasser der „Lebensquelle", sondern auch dessen Anhang treffen will. Hierin liegt sogar der eigentliche Anlaß seiner Polemik. Hätte Avencebrol unter den Vertretern der christlichen Wissenschaft keine Anhänger gefunden, so wäre für Thomas kein Grund vorhanden gewesen, ihn so nachdrucksvoll zu bekämpfen. Daß es sich in letzter Linie um einen Kampf zwischen aristotelischer und platonischer Philosophie handelt, kommt darin deutlich zum Ausdruck, daß sich Thomas gegen- über dem Neuplatoniker allzeit auf Aristoteles zurückzieht, um dessen wirkliche oder vermeintliche Lehre zu verteidigen.

Was den Gegenstand der Polemik anlangt, so handelt es sich im Grunde nur um drei Lehrpunkte. Vor allem be- kämpft Thomas die Behauptung, daß die Materie ein Bestand- teil aller endlichen Wesen sei. Daß diese Anschauung historisch an eine extrem realistische Richtung geknüpft ist, geht aus obigen Angaben bereits hinlänglich hervor. Die innere Verwandt- schaft wird sich im Verlaufe der Abhandlung deutlicher heraus- stellen. Ebenso verhält es sich mit der von Thomas ebenfalls bekämpften Lehre, daß im materiellen Individuum eine Mehr- heit von Formen zu statuieren sei. Der Aquinate wendet sich außerdem noch gegen einen anderen Lehrpunkt, nämlich gegen die Anschauung, nach der die körperlichen Wesen kein Thätig- keitsvermögen besitzen sollen.

Äußerlich zieht sich die Polemik nahezu durch alle größe- ren und mehrere kleineren Werke des Aquinaten hindurch. Die Behandlung der betreffenden Lehrpunkte gibt dem Scholastiker stets wieder Anlaß zur Abwehr. Bei einigen kleineren Schriften

32 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

erscheint die Widerlegung Avencebrol's mehr oder weniger als Hauptzweck. Hierher gehören die beiden Abhandlungen De subslantils separaüs und De ente et essentia ; erstere ist wenig- stens zu einem großen Teil, letztere, wie es scheint, nahezu ausschließlich gegen Avencebrol gerichtet. Ähnliches ließe sich von den Schriften De natura gener In und De pluralitate forma- rum zeigen. Da indessen deren Echtheit mit Recht angestritten wird x), und deshalb in ihnen eine sichere Grundlage für die Darstellung der Beziehungen des hl. Thomas zu Avencebrol nicht gesucht werden kann, so muß hier davon abgesehen werden.

Zeitlich füllen die Werke, die hier berücksichtigt werden, die ganze Periode aus, über die sich die schriftstellerische Thä- tigkeit des Verfassers erstreckt. Für die noch in mehrfacher Beziehung unsichere 2) Chronologie dürften sich aus den Ergebnissen dieser Abhandlung einige neue Gesichtspunkte gewinnen lassen.

Nach diesen allgemeinen Bemerkungen kann das Verhältnis des Aquinaten zu Avencebrol im besonderen zur Erörterung ge- langen. Die Einteilung des Stoffes gestaltet sich wohl am ein- fachsten, wenn zunächst die Polemik gegen die aufgezählten Lehrsätze in der angegebenen Reihenfolge zur Darstellung ge- langt, hiebei auch die Schrift De ente et essentia einer Be- sprechung unterzogen, zuletzt noch ein Thema von anderer Art er- örtert wird, nämlich ein Lehrpunkt, bezüglich dessen Thomas, wie es .seheint, von Avencebrol, wenn auch nur indirekt, beein- flußt ist. Chronologische Gesichtspunkte werden gegebenenfalls innerhalb der einzelnen Teile zur Geltung kommen.

') Jourdain, Philosophie de St. Thomas d' Aquin. T. I. Paris 1858. p. 131 ff. Quetif-Echard, Scriptores ord. Praed. T. I, p. 339.

'-') Jourdain erklärt den Kommentar zu den Sentenzen als das erste Werk des hl. Thomas (a. a. 0. p. 150), während Echard (a. a. 0. p. 278) und mit ihm Werner (der hl. Thomas v. Aquino. Bd. I. Regensburg 1858. S. 110) einige kleinere Arbeiten, darunter De ente et essentia, früher an- setzen. Bezüglich der Quodlibeta gerät Jourdain mit sich selbst in Wider- spruch, sofern er De ente et ess. der ersten Abteilung jenes Werkes einmal vorausgehen, ein anderes Mal folgen läßt. Vgl. a. a. 0. p. 94. 109. 151. Unsicher sind die Quellenangaben über De anima. Jourdain, a. a. 0. p. 108. Daß jedoch die Abhandlung De spiritualibus creaturis in Paris ent- standen ist und zwar während des letzten Aufenthaltes des Verfassers, darf nunmehr als ausgemacht gelten. S. v. Hertling im historischen Jahrbuch der Görresgesellschaft. Bd. V. S. 143 ff.

Das Verhältnis des hl. Thomas zu Avencebrol

im besonderen.

I. Das Wesen der geistigen Substanzen.

1.

Im Gegensatz zur Franziskanerschule hält Thomas daran fest, daß die geistigen Substanzen immateriell seien, und beruft sich hierfür auf den intellektuellen Charakter ihrer Thätigkeit. In der intellektuellen Bethätigung gibt sich seiner Überzeugung nach die immaterielle Beschaffenheit kund 1).

Soweit hier die Werke des hl. Thomas polemischen Cha- rakters sind, müssen zwei Klassen unterschieden werden. Wie schon hervorgehoben wurde, wird der Einfluß Avencebrol's auf die Franziskanerschule nach und nach durch andere Autoritäten zurückgedrängt. Diese Thatsache spiegelt sich nun in den Schriften des Aquinaten deutlich wieder. In seiner früheren und mittleren Periode betrachtet er nämlich den Avencebrol durchweg als seinen eigentlichen Gegner. Der Verfasser der „Lebensquelle" gilt ihm als Begründer der Lehre, daß auch die Geister eine Materie haben; alle, die dieser Ansicht huldigen, werden als Anhänger des jüdischen Philosophen bezeichnet 2). Dieser ist darum auch in erster Linie das Ziel der Polemik. In seiner letzten Periode jedoch unterläßt es Thomas, den Föns vitae als den eigentlichen Ursprung der gegnerischen Lehre hinzustellen. Avencebrol wird

') Summa theol. p. I. q. 50. a. 2. II. Sent. d. 3. q. 1. a. 1. Quodlib. IX. a. 6. Cont. gent. 1. 2. c. 50. De spiritualibus creaturis a. 1.

2) II. Sent. a. a. 0. De ente et ess. c. 5. De substantiis separatis c. 5. S. theol. a. a. 0.

Beiträge III. S. Wittmann. Thomas v. Aquin. 3

34 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

überhaupt nicht mehr zu ihr in Beziehung gebracht und findet auch in der Polemik keine Berücksichtigung mehr. An seine Stelle ist in einem gewissen Sinne ein anderer Gewährsmann, nämlich Augustin, getreten. Allerdings unterläßt es Thomas, gegen den großen Kirchenlehrer in ähnlicher Weise zu polemi- sieren wie gegen den angeblich arabischen Philosophen. Viel- mehr ist er bemüht, ihn gegen den Verdacht, den geistigen Wesen eine Materie zuzuschreiben, in Schutz zu nehmen. So- viel läßt jedoch die veränderte Haltung des Aquinaten erkennen, daß sich seine Gegner für jene Lehre auf Augustin zu berufen pflegten. Thomas hat demnach in dieser Beziehung den neuen Zeitverhältnissen Rechnung getragen. Anfänglich wies die viel- bekämpfte Anschauung durch die Begründung, mit der sie auf- trat, deutlich auf Avencebrol als ihren Ursprung hin. Mit der Zeit verschwindet dieser Charakter, die Vertreter der Lehre klammern sich mit Vorliebe an die Autorität des Kirchenlehrers an. Alexander beruft sich auf ihn noch nicht. Er citiert von ihm allerdings Äußerungen über die Materie l) ; jedoch für die Ansicht, daß die Geister eine Materie haben, sucht er bei ihm keinen Beleg. Bonaventura ist meines Wissens der erste, der die Autorität Augustin's hierfür in Anspruch nimmt 2). Von da an wird dieses Beispiel allgemein nachgeahmt, am meisten wohl von Wilhelm von Lamarre und Duns Scotus.

Die Erscheinung, die hier zu Tage tritt, hängt mit den allgemeinen Zeitverhältnissen unmittelbar zusammen. Die weit- gehende Eingenommenheit für Aristoteles, wie sie der Domini- kanerschule eigen war, betrachtete man auf der anderen Seite als eine Gefahr für den christlichen Glauben. Man machte dieser Richtung den Vorwurf, daß sie zum Schaden der kirchlichen Lehre den Boden der Tradition verlassen und die christlichen Autoritäten durch heidnische Philosophen ersetzt habe. Und je mehr man auf der einen Seite sich für die aristotelische Philo- sophie begeisterte, desto entschiedener zog sich die andere Schule auf kirchliche Schriftsteller zurück 3). Wilhelm von La-

') Summa theol. p. II. q. 10. m. 1.

2) II. Sent. d. 8. p. 1. a. 1. q. 1.

8) Denifle, Chartularium I, p. 627. 634.

Das Wesen der geistigen Substanzen. 35

marre geht in dieser Beziehung so weit, daß er sich beständig auch auf die Glaubensquellen beruft und den fremden Standpunkt mit der Häresie, den eigenen mit der Glaubenslehre fortwährend identificiert 1).

Wenn übrigens Thomas in seiner früheren Periode den jüdischen Philosophen als Begründer der Lehre von der Allge- meinheit der Materie bezeichnet, so durfte die Behauptung, ob- wohl sie in einem gewissen Sinne richtig war, doch schon damals nicht ohne allen Vorbehalt aufgestellt werden. Daß jene Meinung schon der griechischen Philosophie bekannt war, wurde bereits dargethan. Ferner muß anerkannt werden, daß sich in der Folge Augustin in diesem Sinne ausgesprochen hat 2). Indes scheint Thomas nur behaupten zu wollen, daß für die Schola- stik Avencebrol als Urheber anzusehen sei, insofern nämlich, als jene Lehre durch ihn den Scholastikern übermittelt wor- den ist.

Doch auch in dieser Form bedarf die These des Aquinaten noch einer näheren Bestimmung. Die Anschauung, daß die geistigen Wesen materiell sind, war nämlich der Scholastik be- reits geläufig, bevor der Einfluß Avencebrol's zur Geltung gekommen war. Hugo von St. Victor redet auch mit Be- zug auf die Geister von einer Zusammensetzung aus einem materiellen und einem formellen Elemente. Er gebraucht aller- dings in diesem Zusammenhange nicht den Ausdruck „Materie", sondern stellt der Materie der sinnlichen Wesen die „Natur" der übersinnlichen gegenüber 3). Allein wie das sinnliche Wesen durch die Vereinigung von Form und Materie zustande kommt, so entsteht seiner Auffassung gemäß die geistige Substanz durch die Verbindung von Form und Natur 4). In der Sache ist diese Lehre nichts anderes als was Avencebrol will. Wenn Hugo ein

') Vgl. Hauräau, Histoire de la philosophie scolastique. T. II, 2. Paris 1880. p. 102.

■) Correns, a. a. 0. S. 42 ff.

s) Eodem momento simul et visibiliura materia essentialiter creata est et invisibilium natura. De sacramentis. Migne PL. 176. 1. 1. p. 1. c. 5. Vgl. ebd. c. 6 und p. 5. c. 4. 5.

4) a. a. 0. 1. 1. p. 5. c. 5.

3*

36. Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

anderes Mal der Geisterwelt die Materie abspricht, so hat er, wie der Zusammenhang deutlich erkennen läßt, die körperliche Materie im Auge 1). Petrus Lombardus hat die Lehre Hugo's nach Inhalt und Form acceptiert 2). Wie schon gesagt, kann in beiden Fällen von einer Beeinflussung durch Avencebrol nicht die Rede sein. Selbst wenn vom Standpunkte der Chronologie aus gegen die Benutzung des lateinischen Föns vitae wenigstens beim Lombarden etwas völlig Entscheidendes nicht einzuwenden wäre, so ist eine solche Annahme doch schon durch die Ter- minologie der beiden Scholastiker vollkommen ausgeschlossen. Ebenso wenig läßt sich bezweifeln, daß ihre Ausführungen auf Augustin zurückgehen 3). Darnach wurde die Lehre, daß die Materie ein Bestandteil aller erschaffenen Wesen sei, den Scho- lastikern zunächst nicht durch Avencebrol, sondern durch Augu- stin zugeführt. Die Bedeutung des jüdischen Philosophen wird durch diese Thatsache freilich kaum beeinträchtigt. Zeitlich hat das christliche Mittelalter jene Meinung allerdings zuerst aus Augustin geschöpft; daß dieselbe jedoch in der Scholastik festen Boden gewann und sich lange Zeit hindurch speziell in der Franziskanerschule behauptete, ist dem Einflüsse AvencebroFs zu- zuschreiben. Wenn Gundissalin für die Universalität der Materie eintritt, so hat Augustin an dieser Thatsache wohl keinen Anteil, vielmehr war dem Scholastiker Avencebrol ausschließlich Vor- bild4). Eine ähnliche Bewandtnis hat es mit Alexander von Haies; er lehnt sich, wie dargethan wurde, in der Motivierung

J) a. a. 0. 1. 1. p. 5. c. 7.

'-') Sent. 1. 2. d. 2. c. 5. ich benutze den Text, der in der neuen Aus- gabe der Werke ßonaventura's (Quaracchi) mit dessen Sentenzen-Kommentar verbunden ist.

3) S. De genesi contra Manichaeos. 1. 1. c. 5 7. Paris 1689. De genesi ad litteram. Prag-Wien-Leipzig 1894. 1. 1. c. 15. Confessiones. Prag- Wien- Leipzig 1896. 1. 13. c. 2. 3. Vgl. Graf3mann, Die Schöpfungslehre des hl. Augustin u. Darwin's. Regensburg 1889. S. 11 ff. Correns, a. a. 0. S- 43 f.

4) Auch Correns nimmt an, daß Avencebrol als unmittelbare Quelle1* diente, a. a. 0. S. 41. Eine Benutzung Augustin's hält er immerhin für wahrscheinlich, vermag jedoch keinen überzeugenden Nachweis zu erbringen, a. a. 0. S. 46. Auf der anderen Seite liegt die Thatsache, daß die Schrift des Gundissalinus in ihrer größeren Hälfte eine Kompilation von Stellen aus dem Föns vitae ist, offen zu Tage, a, a. 0. S. 21 ff.

Das Wesen der geistigen Substanzen. 37

seines Standpunktes durchaus an Avencebrol an '). Damit aber war innerhalb des Franziskanerordens die Erhaltung der Avence- brol'schen Anschauung auf lange Zeit gesichert. Aus dem An- sehen, dessen sich Alexander bei seinen Ordensgenossen er- freut, ist es zu erklären, daß man allgemein an jener Meinung festhielt ; das Hauptgewicht ruht somit auf dem Einflüsse Avence- broPs. Nur unter solchen Umständen leuchtet auch ein, daß Thomas in dem jüdischen Philosophen überhaupt jemals den eigentlichen Urheber jener Lehre erblicken konnte. Die That- sache, daß seit dem Ende des 13. Jahrhunderts Augustin als Zeuge angerufen wurde, ändert daran nichts. Der Neigung der Franziskanerschule entsprach es ja damals, das Beweismaterial aus kirchlichen Quellen herbeizuholen, mochte auch ein Lehr- satz an sich anderen Ursprungs sein.

Die chronologische Anordnung der hier einschlägigen Werke des hl. Thomas gestaltet sich nach dem Gesagten folgender- maßen. Der ersten Periode gehört vor allem der Kommentar zu den Sentenzen an, der bekanntlich das erste Hauptwerk des Verfassers ist.

Daran reiht sich De substantiis separatio. Wenn jedoch Werner schreibt, daß diese Schrift nach allgemeiner An- nahme von Thomas während seines Baccalaureats (1253—1256) verfaßt worden sei 2), so kann dieser Meinung, für die übrigens keine Belege angegeben sind, nicht beigetreten werden. Bekanntlich hat der Verfasser jene Arbeit seinem Freunde und Ordensge- nossen Reginald gewidmet. Das freundschaftliche Verhältnis zwischen beiden hat sich aber offenbar erst gebildet, nachdem Thomas aus Paris nach Rom zurückgekehrt war. Quetif und Echard wenigstens sprechen sich unzweideutig in diesem Sinne aus 3). Die Glaubwürdigkeit ihrer Nachricht wird durch den Umstand erhöht, daß von dem sehr intimen Verkehr, den die beiden Freunde von da an unterhalten, aus früheren Zeiten nichts erzählt wird. Es ist deshalb anzunehmen, daß die Schrift nicht vor 1260 entstanden ist.

Ferner ist hier die Quaestio dlsputata de anima zu nennen.

1) S. oben S. 20 f.

2) a. a. 0. S. 114 f. :!) a. a. 0. I, p. 382.

38 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

Die Angaben über die Entstehungszeit lauten, soviel Jourdain mitteilt, schon in den ältesten Quellen widersprechend 1). Dar- nach verlegt Tolomeo von Lucca die Abfassung in den Ponti- fikat Urban's IV. (1261 1264), Bartholomäus von Gapua in den letzten Aufenthalt in Paris (1269—1271). Da nun die Abhand- lung mit Rücksicht auf ihren Inhalt der früheren Periode zuge- teilt werden muß, so ist der Angabe des Tolomeo von Lucca entschieden der Vorzug zu geben.

An letzter Stelle muß auch noch die Summa theologica hierher gerechnet werden. Der erste Teil des Werkes, der hier allein in Betracht kommt, wurde in Italien verfaßt, und zwar unter Clemens IV. (1265— 1268) 2).

Zur zweiten Periode gehört die Quaestlo disputata de spi- rltiialibus creaturis. Die ältesten Nachrichten lassen es auch hier unentschieden, ob Thomas die Abhandlung in Italien oder in Frankreich geschrieben hat 3). G. v. Hertling hat darauf aufmerk- sam gemacht, daß sie offenbar in Paris entstanden ist J) , eine Feststellung, die durch die Ergebnisse dieser Untersuchungen bestätigt wird.

Der letzteren Periode des Aquinaten muß auch der Auf- satz Quodlibetum IX. a. 6. zugewiesen werden. Bezüglich der Quodlibeta wird überliefert, daß die erste Hälfte früher zustande gekommen ist als die zweite 5). Im Einklänge damit befindet sich die Thatsache, daß beide Abteilungen auch in den Hand- schriften zuweilen getrennt sind (;). Die Berichte stimmen ferner darin überein, daß die erste Hälfte des Werkes in Paris, die zweite in Italien abgefaßt wurde. Jourdain glaubt nun allerdings den Abschluß des ganzen Werkes in den Anfang der sechziger Jahre verlegen zu sollen 7). Der Umstand jedoch, daß hier Tho- mas von Avencebrol ebenso vollkommen absieht wie in der

J) a. a. 0. I, S. 108. Etwas anders v. Hertling, Historisches Jahr- buch der Görresgesellschaft. Bd. V. München 1884. S. 144.

2) Jourdain, a. a. 0. I, p. 152.

3) a. a. 0. I, p. 108.

4) Historisches Jahrbuch, a. a. 0.

5) Echard, a. a. 0. I, p. 280. 290. Jourdain, a. a. 0. I, p. 109. ") Echard, a. a. 0. I, p. 290.

7) a. a. 0. I, p. 151 f.

Das Wesen der geistigen Substanzen. 39

Quaestio de spiritualibus creaturis, Augustin dagegen in den Vordergrund stellt, erlaubt es nicht, dieser Ansicht zuzustimmen« Die Arbeit muß vielmehr aus diesem Grunde über den ersten Teil der Summa theologica hinaus gerückt werden.

Die Kritik, die Thomas der Lehre Avencebrol's als solcher angedeihen läßt, gehört somit lediglich den Werken seiner frür heren Periode an. Avencebrol geht, so behauptet er, dadurch von einer irrtümlichen Voraussetzung aus, daß er begriffliche und sachliche Verschiedenheit nicht auseinanderhält 1). Geist und Körper kommen bis zu einem gewissen Grade miteinander überein ; im übrigen sind sie verschieden. Durch die Erkenntnis läßt sich Avencebrol zur Meinung verleiten, daß sowohl der Geist wie der Körper aus zwei verschiedenen Elementen zusam- mengesetzt sei, aus einem allgemeinen und einem besonderen, einem materiellen und einem formellen. Weil ihm andererseits ein gemeinsamer Begriff für eine gemeinsame Sache bürgt, so kommt er dazu, für Geist und Körper eine einheitliche Materie, der sowohl die Geist- wie die Körperform inhäriert, anzuneh- men 2). Thomas bemerkt hiergegen, daß sich unsere Auffassungs- weise mit der Seinsweise der Dinge nicht schlechthin deckt ; denn der Verstand denkt die Dinge nicht konkret und materiell, wie sie in Wirklichkeit sind, sondern allgemein und immate- riell 3). Eine gemeinsame Materie ist nicht denkbar. Denn die Geist- und Körperform müßten in einem solchen Falle entweder dem nämlichen Teile oder verschiedenen Teilen der Materie an- haften. Ersteres ist unmöglich, da ein und dasselbe Wesen Geist und Körper wäre, letzteres, da die Materie erst durch die Quantität in Teile zerlegt wird 4).

Zu wiederholten Malen kommt Thomas auf folgendes Haupt- argument Avencebrol's zu sprechen. Eine Materie muß überall

J) Supponit enim, quod quaeeumque distinguntur secundum intellectum, sint etiam in rebus distincta. Summa theol. p. I. q. 50. a. 2.

*) Ex hoc procedunt plures rationes Avicebronis in libro Fontis, qui semper unitatem materiae venatur ex aequali communitate praedicationis. II. Sent. d. 17 q. 1 a. 1.

3) Summa theol. a. a. 0.

4) Summa theol. a. a. 0. Vgl. Cont. gent. 1. 2. c. 50. Quodl. IX. a. 6.

40 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

da vorhanden sein, wo sich deren Merkmale zeigen. Hierher gehört aber die Fähigkeit, Formen aufzunehmen. Da dies auch bei geistigen Substanzen geschieht, so müssen sie eine Materie haben.

In der Widerlegung dieser Beweisführung schließt sich Thomas an Albert an, geht jedoch insofern um einen Schritt weiter, als er den Gedanken näher bestimmt. Demgemäß ist der Geist in einem andern Sinne Subjekt der Form, wie die Materie. Dort hat die Form den Charakter der Allgemeinheit, hier ist sie individualisiert ]) ; dort geht die Aufnahme der Form ohne lokale Bewegung vor sich, hier ist sie an eine Bewegung gebunden 2) ; dort ist die Form Erkenntnisprinzip, hier ist sie Seinsprinzip 3).

Diese wenigen Angaben lassen bereits genugsam erkennen, wodurch Thomas abgehalten wird, dem jüdischen Philosophen beizustimmen. Es ist die aristotelische Denkweise, die er dem Neuplatonismus entgegenstellt.

Eine eigene Besprechung erheischt die Schrift De substantiis separates. Thomas holt hier nämlich viel weiter aus als sonst. Er nimmt dieses Mal die Geisterlehre Avencebrol's nicht aus ihrem Zusammenhange heraus, sondern faßt sie in ihrer Stellung innerhalb des Systems ins Auge. Außerdem bilden die Erörte- rungen, auf die es hier ankommt, ein so einheitliches Ganzes, daß es nicht anginge, sie in verschiedene Partien auseinander zu legen.

Der Verfasser hat sich mit der in Frage stehenden Abhandlung die Aufgabe gestellt, einige Punkte seiner Engellehre gegenüber anderweitigen Anschauungen zu rechtfertigen. Er beginnt mit einem historischen Exkurs, worin er die Hauptstadien hervor- hebt, welche die Entwicklung der Geisterlehre in der antiken Philosophie durchgemacht hat 4). Die alten Naturphilosophen

*) II. Sent. d. 3. q. 1. a. 1. J) De anima (Quaest. disp.) a. 6. 8) Summa theol. a. a. 0. ad 2. 4) c. 1.

Das Wesen der geistigen Substanzen. 41

handeln nur von der sichtbaren Welt ; von dem Dasein geistiger Wesen wissen sie noch nichts. Sie haben es noch nicht zum Begriffe einer transcendenten Gottheit gebracht, sondern indenti- licieren sie mit der Urmaterie. Anaxagoras aus Klazomenä ist der Erste, bei dem der Dualismus von Körper und Geist zum Durchbruch gelangt, Er nimmt einen Geist an, der die Materie zwar nicht erschaffen, wohl aber geordnet und aus ihr die Welt gebildet hat 1). Um einen weiteren Schritt sind Plato und Aristoteles der Wahrheit näher gekommen, sofern sie neben dem höchsten Geistwesen eine untergeordnete Geisterwelt aner- kennen 2). Obschon beide im einzelnen vielfach von einander abweichen, so treffen sie doch, wie Thomas meint, in folgenden Punkten zusammen 3).

1) Alle endlichen Geister leiten ihr Dasein unmittelbar vom höchsten Wesen her 4).

2) Sie sind nicht aus Materie und Form zusammen- gesetzt 5).

*) Neuestens hierüber Dentler, Philosophisches Jahrbuch der Görres- gesellschaft. Bd. XI. 1898. S. 52-64. 166-181. 305-313.

2) c. 1-2.

3) c. 3.

4) Hier ist Thomas zunächst im Irrtume, soweit Plato in Frage kommt. Der platonische Gott ist mit der Idee des Guten identisch und keineswegs Urheber der übrigen Ideen; sämtliche Ideen sind vielmehr unentstanden. S. Zeller, Philosophie der Griechen. II, 1. 4. Aufl. Leipzig 1889. S. 665 ff. 694. 711 Aber auch von Aristoteles kann nicht behauptet werden, daß er seinen Gott als Urheber der Geisterwelt erklärt; Zeller, a. a. 0. II, 2. 3. Aufl. Leipzig 1879. S. 375. 379. Eiser, Die Lehre des Aristoteles über das Wirken Gottes. Münster i. W. 1893. S. 167. 175. 212. Anders aller- dings Brentano, Die Psychologie des Aristoteles. Mainz 1867. S. 198 ff. 234 ff. Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Wien 1882. S. 120 ff. In etwas abgeschwächter Form vertritt den Stand- punkt Brentano's auch Rolf es, Die aristotelische Auffassung vom Verhältnis Gottes zur Welt und zum Menschen. Berlin 1892. S. 78 ff. 89 ff.

5) Die Behauptung bedarf, soweit sie Plato betrifft, einer Einschrän- kung. Zunächst steht fest, daß Aristoteles den platonischen Ideen eine Zu- sammensetzung aus Materie und Form zuschreibt. Zell er, a. a. 0. II, 1. S. 947 f. Sitzungsberichte der kgl. preußischen Akademie der Wissenschaft- ten zu Berlin. Jahrg. 1887, Bd. I. S. 198. Baeumker, Das Problem der Materie in der griechischen Philosophie. S. 198 f. Es muß ferner anerkannt werden, daß diese Auffassung des Aristoteles in den Werken Plato's eine

42 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

3) Sie sind der göttlichen Vorsehung unterstellt !).

Damit hat Thomas zugleich seinen eigenen Standpunkt fixiert; die aufgeführten Thesen sollen in dieser Schrift verteidigt werden. Thomas beabsichtigt also nicht eine vollständige und systematische Darstellung seiner Engellehre. Es handelt sich hier vielmehr um eine Streitschrift, in der nur einzelne Punkte her- ausgegriffen und mit Rücksicht auf gewisse Gegner einer eigenen Behandlung unterzogen werden. Die Anschauungen, die Tho- mas bekämpft, entstammen größtenteils einer gemeinsamen Quelle, nämlich der arabischen Philosophie. So richtet sich die erste These gegen die emanatistische Auffassung, wonach nur das erste endliche Wesen unmittelbar aus Gott entsteht. Mit dem zweiten Satze wendet sich Thomas gegen Avencebrol. An drit- ter Stelle polemisiert er gegen den Versuch, die göttliche Vor- sehung auf das Allgemeine einzuschränken, also hauptsächlich gegen Averroes 2). Die Schrift ist somit ein unmittelbarer Aus- fluß aus den konkreten Zeitverhällnissen des 13. Jahrhunderts, eine Probe aus dem Kampfe, der gegen die arabischen Einflüsse unternommen wurde. Avencebrol ist, wie gerade hier zu Tage tritt, an jenen Einflüssen in hervorragender Weise beteiligt. Thomas schlägt offenbar seine Bedeutung ziemlich hoch an, da er sich gegen ihn in erster Linie wendet und zwar mit viel größerer Ausführlichkeit als gegen jeden anderen Autor.

Zunächst ist der Darstellung der Avencebrol'schen Lehre ein eigenes Kapitel gewidmet 3). Als Grundirrtum des jüdischen Philosophen bezeichnet Thomas abermals die Verwechslung von

gewisse Grundlage besitzt. Plato spricht auch mit Bezug auf die Ideen von einem Unbegrenzten und behauptet, daß alles Seiende eine Grenze und ein Unbegrenztes habe. Zell er, a. a. 0. II, 1. S. 753.

1) Es ist nicht richtig, daß Aristoteles den Vorsehungsgedanken im vollen Sinne erfaßt und durchgeführt hat. Zeller, a. a. 0. II, 2. S. 372. Eiser, a, a. 0. S. 139. 152 f. 212. Anders wiederum Rolfes, a. a. 0. S. 125 ff. Dagegen vermag ich dessen Ansicht bei Brentano, Psychologie des Aristoteles. S. 235 ff. mit Eiser, a. a. 0. S. 117 nicht zu finden.

2) Stöckl, Geschichte der Philosophie des Mittelalters. Bd. IL Mainz 1865. S. 108 f.

:t) c. 5.

Das Wesen der geistigen Substanzen. 43

sachlichen und begrifflichen Verhältnissen 1). Eine falsche Vor- aussetzung findet er außerdem darin, daß der Begriff Potenz auf alle Seinsklassen im gleichen Sinne angewendet wird 2). Auf diese beiden Grundlagen gestüzt, geht Avencebrol der Reihe nach alle Klassen der Dinge in analytischer Weise durch, um die All- gemeinheit der Materie Schritt für Schritt nachzuweisen 3).

Die letztere Bemerkung läßt bereits erkennen, daß der Scholastiker in den Föns vitae Einsicht gewonnen hat. Avence- brol geht ja in der That vom Kompositum aus, um den Beweis für seine These durch ein analytisches Verfahren zu erbringen. Im Anschluß daran gibt Thomas die Ausführungen im Avence- brol'schen Werke folgendermaßen wieder.

Zuerst zieht Avencebrol die künstlichen Dinge in Betracht und findet, daß an ihnen ein materieller und ein formeller Be- standteil zu unterscheiden sei; jener ist das Naturding, z.B. das Holz oder Eisen, aus dem der Gegenstand gefertigt ist, dieser die künstliche Form. Beide verhalten sich wie Potenz und Akt. Die Naturdinge sodann entstehen aus den vier Elementen. Letztere sind deshalb die Materie derselben und verhalten sich zu den neuen Formen ebenfalls wie die Potenz zum Akt. Die nämliche Zusammensetzung besteht auch innerhalb der Ele- mente. Sie haben etwas Gemeinsames, nämlich das Körpersein, und etwas Unterscheidendes, die einander entgegengesetzten Qualitäten. Das Körpersein ist die Materie der Elemente und wird allgemeine körperliche Materie genannt, die entgegengesetz- ten Qualitäten sind die Formen. Weil ferner die Himmelskörper mit den elementaren Körpern zwar im Körpersein übereinkom- men, sich aber insofern von ihnen unterscheiden, als sie nicht für entgegengesetzte Qualitäten zugänglich sind, so muß es auch eine Materie der Himmelskörper geben. So statuiert Avencebrol eine vierfache Körpermaterie 4).

Damit hat Thomas genau jene Klassen aufgeführt, in die

x) S. oben. 2) S. oben.

8) Quibus duabus positionibus innixus quadam resolutoria via processit investigando compositiones rerum usque ad intellectuales substantias. c. 5. *) Vgl. F. v. I, 14—17.

44 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

bei Avencebrol die Körperwelt eingeteilt ist, auffallender Weise jedoch in etwas veränderter Reihenfolge. Wenn er nämlich schreibt: Primo inspexit in artificialibus, so ist diese Angabe in Bezug auf den Text , in dem uns das Werk Avencebrol's nun- mehr vorliegt, nicht richtig. Daselbst bilden nicht die künst- lichen sondern die natürlichen Dinge den Ausgangspunkt 1). An jener Stelle, wo das Resultat der Untersuchung zusammenge- faßt wird 2), stehen allerdings die künstlichen Dinge voraus. Je- doch ist kaum anzunehmen, daß Thomas diese Stelle im Auge hat; denn das inspexit bedeutet nicht eine abschließende Zu- sammenfassung der behandelten Punkte, sondern die eigentliche Untersuchung derselben. Vielleicht hat Thomas ein kurz vor- her vorkommendes Beispiel (I. 12, p. 15, 25: Aspice inaures 3), armillas, monilia quae sunt facta ex auro etc.) mit jener Aus- führung verbunden und ist so zu jener Umstellung gekommen. Jedenfalls wird die von ihm gewählte Anordnung vom analy- tischen Charakter der Untersuchung gefordert.

Eine Erweiterung oder vielmehr selbständige, jedoch objektive Erklärung der Gedanken des von ihm bekämpften Philosophen erlaubt sich Thomas, wenn er ihm die Lehre zuschreibt, daß in den künstlichen Dingen das Naturding als materieller, die künst- liche Form als formeller Bestandteil gelten müsse. Avencebrol lehrt zwar, daß die künstlichen Dinge aus Materie und Form bestehen, ohne sich jedoch hierüber näher auszusprechen und beide Bestandteile namhaft zu machen. Thomas nimmt diese Ergänzung, wie es scheint, auf Grund der Analogie mit den natürlichen Dingen vor. Den natürlichen Dingen liegen die Ele- mente, den künstlichen die natürlichen zu gründe; wie dort die Elemente, so müssen deshalb hier die natürlichen Dinge als Materie angesehen werden.

Thomas fährt dann in seinem Berichte also fort:

Da ferner jeder Körper eine dreifach ausgedehnte Substanz

l) I 14, p. 17, 7.

-) I 17, p. 21, 20.

3) Zu lesen ist inaures (Ohrgehänge), nicht in aureas; vgl. Albino Nagy, Rendiconti della R. Accademia dei Lincei, Classe di scienze morali, storiche e filologiche, V. Roma 1896, p. 159.

Das Wesen der geistigen Substanzen. 45

ist, so erklärt Avencebrol die dreifache Ausdehnung als Form, die Substanz, die der Ausdehnung und den übrigen Aecidentien zu gründe liegt, als Materie. Die Substanz der neun Katego- rien, wie er sie nennt, ist zugleich die erste geistige Materie 1). Wie dann Avencebrol an der allgemeinen Körpermaterie eine obere und eine untere unterscheidet, nämlich die Materie der Himmelskörper und jene der Elemente, so zerlegt er auch die Substanz in zwei Teile, einen oberen und einen unteren; jener ist ohne Ausdehnung und geistige Substanz, dieser ist ausge- dehnt und Materie der Körperwelt.

Nach dieser Darstellung des Aquinaten bilden Geist und Körper im Grunde eine einzige Substanz. In Wirklichkeit er- klärt sich Avencebrol im zweiten Traktate seines Werkes, auf den Thomas Bezug nimmt, für das Gegenteil 2) und begründet diesen Standpunkt damit, daß beide verschiedene Formen haben 3). Avencebrol fußt hier auf dem Gedanken, daß ver- schiedenen Formen verschiedene Materien entsprechen. Allein eine andere Voraussetzung, nämlich die Vermengung von sach- lichen und begrifflichen Verhältnissen, treibt zur entgegengesetz- ten Konsequenz, die der mittelalterliche Neuplatoniker sonst auch gezogen hat4). Daß Thomas nur die letztere Version wiedergibt, erklärt sich vielleicht daraus, daß dieselbe dem Gesamtcharakter des Systems näher steht.

Über Avencebrol's Argumente für die Materialität der Geister referiert Thomas folgendermaßen :

1. Bestehen die Geister nicht aus Materie und Form, so ist eine Vielheit oder Verschiedenheit solcher Wesen undenkbar. Denn unter jener Voraussetzung sind sie entweder bloß Materie oder bloß Form, in keinem Falle aber ist eine Mehrheit mög- lich. Die Materie an sich ist eine ungeteilte Einheit, die den

*) Vgl. F. v. II, 1 2. Wie Thomas an einer anderen Stelle bemerkt, betrachtet Avencebrol die Substanz der Kategorien zugleich als Schlüssel zur Erkenntnis der Geisterwelt. De spirit creat. a. 1. ad 9. Vgl. F. v. II 6, p. 35, 14.

2) II 24, p. 68, 16.

3) II 24, p. 68, 16.

4) I 6, p. 8, 17. IV 8, p. 228, 19.

46 Stellung des hl. Thoraas von Aquin zu Avencebrol.

Grund der Teilung in der Form hat x). Aber auch die Form allein kann eine Mehrheit geistiger Wesen nicht begründen. Wenn sich nämlich die geistigen Substanzen durch verschiedene Grade der Vollkommenheit von einander unterscheiden sollen, müssen sie Träger der Vollkommenheiten sein ; darin aber liegt ein wesentliches Merkmal der Materie 2).

Im Föns vitae ist dieser Beweis zwar der Sache nach, jedoch nicht in streng syllogistischer Form enthalten. Der Ober- satz : Bestehen die Geister nicht aus Materie und Form, so sind sie entweder bloß Materie oder bloß Form, ist dort nicht ausgesprochen, sondern vorausgesetzt :i). Wenn ferner Avence- brol an der betreffenden Stelle lehrt, daß die Form Princip der Vielheit und Verschiedenheit sei, so behauptet er dies an an- deren Stellen von der Materie 4). Im Übrigen läßt die Verglei- chung der beiden Texte die Abhängigkeit des einen vom an- deren kaum als zweifelhaft erscheinen.

i2. Der Begriff Geist liegt außerhalb des Begriffes Körper. Geist und Körper haben deshalb einerseits etwas Unterscheiden- des, andererseits etwas Gemeinsames, nämlich das Substanz- sein. Wie nun die Substanz im Körper Materie und Subjekt der Körperlichkeit ist, so ist sie im Geiste Materie und Subjekt der Geistigkeit 5). Je nachdem sie an der Form der Geistigkeit einen größeren oder geringeren Anteil hat, ist sie mehr oder

J) Vgl. F. v. IV 1, p. 212, 7. 20. V 30, p. 311, 3.

-) Si dicas quod sint diversae secundum perfectionem et imperfectio- nem, sequeretur quod substantia spiritualis sit subiectum perfectionis et im- perfectionis. Sed esse subiectum pertinet ad rationem materiae. c. 5. Vgl. M. Si sie essent diversae in perfectione et irnperfectione, deberet hie esse sustinens aliquid perfectionem et sustinens imperfectionem. D. Sustinens perfectionem forma est, et sustinens imperfectionem forma similiter. M. Ergo formae iam sunt materiae, quia sunt sustinentes. F. v. IV 1, p. 213, 8.

:i) IV, 1.

4) Non aeeidit eis diversitas nisi propter materiam. IV 2, p. 215, 13. Vgl. IV 11, p. 236, 20. IV 14, p. 242, 10.

6) Intellectus spiritualitatis est praeter intellectum corporeitatis . . . . Ergo sicut in substantia corporali substantia est tamquam materia sustentans corporeitatem, ita in substantia spirituali substantia est quasi materia susten- tans spiritualitatem. c. 5. Vgl. Debet ut intellectus spiritualitatis sit prae- ter intellectum corporeitatis, et debet ut hie intellectus sustineatur in alio a se describente illam. F. v. IV 2, p. 213, 23.

Das Wesen der geistigen Substanzen. 47

minder vollkommen, wie auch die Luft um so mehr Helligkeit besitzt, je feiner sie ist.

Avencebrol hat von dieser Beweisführung nur die beiden Gedanken, daß der Körperbegriff außerhalb des Geistbegriffes liege, und daß die Geistigkeit ein Subjekt, haben müsse. Die Übereinstimmung zwischen Original und Bericht dehnt sich hierbei wieder bis auf den Wortlaut aus. Dagegen findet sich die Vervollständigung zum kompleten Argument, das eigentlich begründende Element, nämlich der Hinweis auf die Analogie mit dem Körper, nur bei Thomas. Wenn der Scholastiker daran den Gedanken reiht, daß die Materie um so höher stehe, je größer ihr Anteil an der Form sei1), so verkehrt er damit den Sinn der Worte AvencebroFs ins Gegenteil. Dort ist nicht die Form, sondern die Materie als das Primäre und Maßgebende hingestellt. Je nachdem die Materie mehr oder minder voll- kommen ist, erscheint die Form in ihr auf verschiedenen Stufen der Vollkommenheit, wie auch ein und dasselbe Licht um so heller leuchtet, je feiner die Luft ist, die es durchdringt 2). Dies ist der Gedanke Avencebrol's, der übrigens von ihm mit obiger Beweisführung nicht in Zusammenhang gebracht ist.

3. Im Sein treffen Geist und Körper als in einem gemein- samen Elemente zusammen. Was immer in der körperlichen Substanz an das Sein geknüpft ist, muß daher auch in der geistigen mit ihm verbunden sein. Nun besteht in der Körper- welt eine dreifache Gliederung. Man unterscheidet einen dichten, nämlich den elementaren Körper, einen feinen, den Himmels- körper, außerdem Materie und Form. Ebenso muß es in der

') Secundum quod materia plus vel minus participat de forma Spiri- tual itatis, secundum hoc substantiae spirituales sunt superiores vel inferiores, sicut et aer quanto est subtilior, tanto plus participat de claritate. c. 5.

2) Quod debes imaginari de formis spiritualibus, hoc est, scilicet quod omnes sunt una forma, et quod non est diversitas in Ulis ex se ipsis; quia spirituales sunt pure, et non accidit eis diversitas nisi propter materiam quae eas sustinet, quia si fuerit proxima perfectionis, erit subtilis, et forma quae sustinetur in ea erit in fine simplicitatis et spiritualitatis, et e contrario, et pone exemplum huius lumen solis; quia hoc lumen in se est unum, et si ob- viaverit ei aer subtilis, clarus, penetrabit eum et apparebit alio diverso modo quam in aere spisso, non claro. similiter dicendum est de forma. IV 2. p. 215, 11.

48 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

Geisterwelt eine niedere Substanz geben, d. i. eine solche, die sich mit der Körperwelt verbindet, ferner eine höhere, die zu keinem Körper in Beziehung tritt; zuletzt Materie und Form, die Bestandteile der geistigen Substanz x).

Auch hier stimmt der Bericht mit der Vorlage zum Teil wörtlich überein, während er sich andererseits von ihr erheb- lich entfernt. Avencebrol will in der That in eigentümlicher Weise aus einer in der Körperwelt bestehenden, angeblich drei- fachen Gliederung, die ihm durch die Verschiedenheit zwischen einem dichten und feinen Körper und durch das Vorhandensein von Materie und Form gegeben erscheint, einen entsprechenden Schluß auf die Geisterwelt ziehen. Ohne Zweifel mit Recht bezeichnet Thomas erklärend als dichten Körper den irdischen, als feinen den überirdischen. Nicht so einfach liegt die Sache hinsichtlich der niederen und höheren Geistsubstanz, wie sie Thomas dem Verfasser der „Lebensquelle" zuschreibt. Dieser unterscheidet beide insofern, als er die eine unmittelbar an die Körperwelt anreiht, der anderen aber einen höheren Grad von Geistigkeit zuerkennt. Hiervon weicht die Darstellung des hl. Thomas dadurch ab, daß dort von einer Geistsubstanz die Rede ist, die mit der Körper weit eine Verbindung eingeht. Im Übrigen ist der Sinn der Worte AvencebroFs keineswegs klar. Es fragt sich, welches die beiden Substanzen sind, die sich wie

l) Esse communiter invenitur in substantiis spiritualibus et corporali- bus tarn superioribus quam inferioribus. Illud ergo quod est consequens ad esse in substantiis corporalibus, erit consequens ad esse in substantiis spiri- tualibus. Sed in substantiis corporalibus invenitur triplex ordo, scilicet cor- pus spissum, quod est corpus elementorum; et corpus subtile, quod est corpus caeleste; et iterum materia et forma corporis. Ergo etiam in substantia spirituali invenitur substantia spiritualis inferior, puta quae coniungitur cor- pori; et superior, quae non est coniuncta corpori; et iterum materia et forma, ex quibus substantia spiritualis componitur. c. 5. Vgl. Inferius est ex superiori et est exemplum eius; quia si inferius fuerit ex superiori, debet ut ordo substantiarum corporalium sit ad instar ordinis substantiarum spiri- tualium; quia sicut substantia corporalis ordinata est tribus ordinibus, hoc est corpore spisso, et corpore subtili, et materia et forma ex quibus constant: similiter etiam substantia spiritualis disposita est tribus ordinibus; primo eorum substantia spirituali quae sequitur substantiam corporalem , deinde substantia spirituali quae est spiritualior illa, deinde materia et forma ex quibus composita sunt. F. v. IV 4, p. 217, 15.

t)as Wesen der geistigen Hubstanzen 49

ie

Niederes und Höheres verhalten. Der Begriff „niedere Geist- substanz" dürfte sich am leichtesten auf die Natur anwenden lassen, da dieselbe unmittelbar über der Körperwelt steht (se- quitur substantiam corporalem). Allein der Begriff „höhere Geistsubstanz" würde dann eine Mehrheit von substantiellen Wesen umfassen, ein Umstand, der gegen eine solche Erklärung spricht, da er die Berechtigung einer Zweiteilung in Frage stellt.

Eine unleugbare Abweichung der historischen Darlegung von den Gedanken Avencebrol's liegt ferner darin, daß Thomas dem Argumente eine ganz andere Voraussetzung zu gründe legt. Avencebrol geht nicht von der Gemeinsamkeit des Seins- begriffes aus, sondern von der Annahme, daß die körperliche Welt ein Nachbild der geistigen ist. Wie kommt aber Thomas dazu, in die Beweisführung einen ganz fremden Gedanken hin- einzutragen ? Diese Frage drängt sich um so mehr auf, als die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, daß sich die Ergän- zungen oder Änderungen, die Thomas vornimmt, in der Regel aus der Vorlage selbst hinlänglich erklären lassen. Von vornherein vermutet man daher, daß seine Darstellung auch in diesem Falle im Föns vitae selbst eine gewisse Unterlage habe, und diese Ver- mutung scheint sich zu bestätigen. Unmittelbar an das Argu- ment reiht nämlich der Schüler folgende, nicht leicht verständ- liche Aufforderung an : Patefac mihi quod superius habet esse in inferiori 1). Der Lehrer erwidert darauf: Signum quod onmes substantiae et formae spirituales, scililet essentiae earum et actio- nes, habent esse in substantiis corporalibus, hoc est, quod omne quod est commune proprietatibus rerum invenitur in eis 2). Man vergleiche hiemit die Worte des Aquinaten : Esse commu- niter invenitur in substantiis spiritualibus et corporalibus, und es gewinnt doch wohl den Anschein, daß ihnen jene Stelle des Föns vitae zu gründe liegt.

4. Das Geschöpf muß vom Schöpfer verschieden sein. Der Schöpfer ist aber einfach ; folglich muß das Geschöpf zusammen- gesetzt sein, also aus Materie und Form bestehen, da ein Ding

*) IV 4, p. 217, 25. '•) IV 4, p. 218, 1.

Beiträge III, 3. Witt mann, Thomas von Aquin.

50 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

weder aus zwei Materien noch aus zwei Formen zusammen- gesetzt sein kann ]).

An den Text Avencebrol's lehnt sich hier Thomas inso- fern an, als er nach dessen Vorgang mit dem Worte unus den Begriff einfach verbindet. Gundissalin hatte dies ebenfalls gethan 2).

5. Jede erschaffene Geistsubstanz ist begrenzt. Das Prin- cip der Begrenztheit ist aber die Form; denn ein Sein, dem die Form fehlt, ist unbegrenzt. Folglich ist die geistige Sub- stanz aus Materie und Form zusammengesetzt b).

Diese Mitteilungen zeigen zur Genüge, daß Thomas die Lehre des jüdischen Philosophen näher kennen gelernt hat. Sie lassen keinen Zweifel darüber bestehen, daf3 ihm die Einteilung und der Gedankengang des Fom vitae bekannt war. Der Scho- lastiker referiert zunächst über den ersten Traktat, in welchem der Verfasser die verschiedenen Klassen der sinnlichen Wesen ana- lysiert. Darauf entnimmt er dem zweiten Traktat die Bemer- kungen über die allgemeine Körpermaterie. Den dritten Traktat übergeht Thomas, da derselbe vom Dasein geistiger Substanzen handelt und deshalb dem Zwecke seiner Schrift ferne steht. Im vierten dagegen findet er die Beweise für die Materialität der Geister. Hiebei ist beachtenswert, daß der Bericht auch in-

1) Omnis substantia creata oportet quod distinguatur a creatoro. Sed creator est unum tantum. Oportet igitur quod omnis substantia creata non sit unum tantum, sed composita ex duobus: quorum necesse est ut unum sit forma, et aliud materia; quia ex duabus materiis non potest aliquid fieri, nee ex duabus formis. c. 5. Vgl. Creator omnium debet esse unus tantum, et creatum debet esse diversum ab eo. unde si creatum esset materia tan- tum aut forma tantum, assimilaretur uni, et non esset medium inter illa, quia duo sunt post unum. F. v. IV 6, p. 222,25. Vgl. V 24, p. 303, 8. 303,17.

2) S. oben S. 18 Anm. 3.

s) Omnis substantia spiritualis creata est finita. Res autem non est finita nisi per suam formam, quia res quae non habet formam per quam fiat unum, est infinita. Omnis igitur substantia spiritualis creata est composita ex materia et forma, c. 5. Vgl. Intellectus, cum pereipit rem, comprehen- dit eam, et non comprehendit eam, nisi quia finita est apud eum; res autem non est finita nisi per suam formam, quia res quae infinita est non habet formam qua fiat unum et differat ab alia, et ideo essentia aeterna est infi- nita, quia non habet formam. F. v. IV 6, p. 223, 20.

Das Wesen der geistigen Substanzen. 51

nerhalb dieses begrenzten Abschnittes in der Aufzählung der Argumente die Reihenfolge Avencebrol's beibehält.

Thomas übt an der Lehre seines Gegners schon teilweise Kritik, wenn er in ihr den Ausfluß bestimmter Grundirrtümer entdeckt. Indes will er den Standpunkt Avencebrol's einer ein- gehenden und möglichst allseitigen Würdigung unterziehen.

Zunächst bringt er folgende Einwände vor *).

Bei Avencebrol ist das Aufsuchen der Materien ein Vor- dringen vom Niederen zum Höheren. Die Materie ist aber doch ein unvollkommenes Sein ; denn Materie und Form verhalten sich wie Potenz und Akt, wie Möglichkeit und Wirklichkeit. Je weiter man in der Forschung nach der Materie voranschreitet, desto mehr nähert man sich dem Nichtsein. Die Methode Aven- cebrol's ist daher unzulässig.

Thomas stellt sich auf den aristotelischen Standpunkt. Die Materie ist darnach das unvollkommenste Sein, beinahe dem Nichts gleich ein Begriff, zu dem das Verfahren Avencebrol's allerdings nicht paßt. Der jüdische Philosoph hat eben einen anderen Materiebegriff. In seinen Augen ist die Materie nahezu mit der Substanz und dem Wesen der Dinge identisch 2), sie ist jenes Sein, das unmittelbar aus dem göttlichen Wesen entsteht, der Wesensgrund und Ausgangspunkt aller endlichen Substan- zen. Daneben betont Avencebrol freilich auch den poten- ziellen Charakter der Materie 3). Den nämlichen Einwand, den hier Thomas erhebt, hat auch, wie oben erwähnt4), Albert vor- gebracht.

Thomas zieht dann die ionischen Naturphilosophen zum Vergleiche heran. Auch sie erklärten, wie er meint, das Uni- versum für ein einziges Sein, die Materie für die gemeinsame Substanz aller Dinge 5). Der Unterschied zwischen ihnen und Avencebrol bestehe bloß darin, daß jene nur eine körperliche Welt kannten und deshalb irgend einen Körper, wie das Feuer,

') c. 6.

2) F. v. I 10, p. 13, 15. I 12, p. 15, 15.

:t) V 24, p. 303, 2. V 26, p. 305, 17.

4) S. 27.

ft) Posuerunt quod omnia essent unum ens, dum ponebant substantiam

rerum omnium non esse aliud quam materiam. c. 6.

4*

52 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

die Luft u. s. f., als einheitliche Materie betrachteten, während die universelle Materie Avencebrol's über die Körperwelt hinaus- reicht und geistiger Natur ist.

In Wirklichkeit verhält sich bekanntlich die Sache zum Teil anders. Die alten Naturphilosophen führten allerdings sämtliche Naturdinge auf ein einzelnes Element zurück, lehrten also, daß alle Dinge im Grunde specifisch identisch sind. Daß jedoch das Universum ein einziges Wesen, eine numerische Ein- heit — „unum ens" bilde, behaupten sie nicht. Weiter unten will denn auch Thomas auffallender Weise ihre Lehre in einem von dieser Auffassung wesentlich verschiedenen Sinne verstehen1).

Einen weiteren Irrtum Avencebrol's entdeckt der Schola- stiker darin, daß die Gattung der Materie, die Differenz der Form gleichgesetzt wird. Avencebrol kennzeichnet den Körper als Materie aller körperlichen, die Substanz als Materie aller substantiellen Wesen 2). Dadurch werden aber alle Differenzen, die zur Gattung hinzutreten, zu accidentellen Bestimmungen herabgesetzt. Thomas glaubt, daß Avencebrol diese Konse- quenz selbst gezogen habe und zwar in dem Ausspruche, daß die Formen an sich Accidentien seien und nur im Hinblick auf das Wesen, in dessen Definition sie enthalten sind, substan- tiellen Charakter hätten. Jedoch vermag ich nicht, eine solche Äußerung im Forts vitae nachzuweisen. Es finden sich zwar Stellen, an denen der Form thatsächlich teils substantieller, teils accidenteller Charakter zugeschrieben wird, aber in anderer Weise, als Thomas angibt. An und für sich, so erklärt Aven- cebrol, ist die Form substantiell ; accidentell jedoch ist sie in- sofern, als sie der Materie inhäriert B). Sonach enthält der Be- richt des Aquinaten zum Teil gerade das Umgekehrte dessen, was Avencebrol lehrt.

Sobald aber die Form als Acciclens erscheint, ist nach der

1) S. unten S. 53 f.

2) Der Gedanke, daß die Substanz die gemeinsame Materie aller We- sen sei, wird im Föns vitae zwar nicht direkt ausgesprochen, ist aber in sei- ner Lehre unleugbar enthalten. Avencebrol sieht durchweg das gemeinsame Element als Materie an; alle Wesen aber kommen im Begriffe Substanz überein und haben deshalb ein gemeinsames Substanzsein. I 5, p. 8, 11.

) III 36, p. 161, 20. V 22, p. 298, 24.

Das Wesen der geistigen Substanzen. 53

Ansicht des hl. Thomas die Materie, die ihrem Wesen nach reine Potenz ist, in Wirklichkeit aufgehoben. Auch die Grund- sätze der Logik werden dadurch gefährdet. Unter solcher Vor- aussetzung wäre nur eine Aussage von accidentellen Prädikaten möglich ; die Begriffe Gattung, Art und Differenz werden da- durch zerstört 1). Die Lehre Avencebrol's und der griechischen Naturphilosophen macht außerdem ein Entstehen und Vergehen der Dinge unmöglich und untergräbt dadurch die Grundlagen der Naturphilosophie. Endlich beseitigt der jüdische Denker mit seiner Lehre die Fundamente der Philosophie überhaupt, da er sowohl die Einheit und das Sein des Individuums, wie auch die Verschiedenheit der Dinge von einander zerstört.

Thomas wendet sich bis jetzt gegen die Anschauung, daß die Materie etwas Aktuelles sei. Im Folgenden setzt die Kritik an einem anderen Punkte ein.

Avencebrol muß gemäß seinen Voraussetzungen eine un- endliche Reihe von Materien annehmen, so dals er niemals zu einer ersten Materie gelangen kann. Denn in allen Dingen, die etwas Gemeinsames und etwas Besonderes haben, betrachtet er das erstere als Materie, das letztere als Form. Gibt es nun eine erste Materie, so muß die höhere Form einer feineren, die nie- dere einer gröberen Materie zugeteilt werden 2). So würde die Geistigkeit eine bessere Materie verlangen, als die Körperlich- keit. Demnach muß diesen beiden Formen eine bereits diffe- renzierte Materie zu gründe liegen. Diese Forderung müßte sich ohne Ende wiederholen. Würde man einmal auf eine durchaus homogene Materie stoßen, so könnte dieselbe nur eine ebenso einheitliche Form in sich aufnehmen ; eine Verschiedenheit der Dinge würde auf solche Weise niemals zustande kommen.

Zuletzt wendet sich Thomas gegen den Materiebegriff Avencebrol's noch mit folgenden Erwägungen. Vom Standpunkt der alten Naturphilosophen aus, so räumt er dieses Mal ein 3),

J) Tollit etiam logicae prineipia, auferens veram rationem generis et speciei et substantialis differentiae, dura omnia in modum accidentaüs prae- dicationis convertit. c. 6.

2) Vgl. F. v. KI 18, p. 119, 18. III 34, p. 159, 5. III 55, p. 202, 1. V 16, p. 287, 9.

') S. oben S. 52.

54 Stellung dos hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

läßt sich eine Vielheit von Wesen erklären, nämlich dann, wenn man verschiedenen Teilen der Materie verschiedene Formen zuteilt. Anders verhält es sich mit einer quantitätslosen Materie. Wenn indessen Avencehrol lehrt, daß dieselbe teils diese, teils jene Form aufnehme, so setzt er damit in der Materie Teile voraus. Thatsächlich läßt sich auch, so behauptet Thomas, eine allen Wesen gemeinsame, ungeteilte Materie nicht aufrecht erhalten. Die Verschiedenheit der Materien wird nicht erst durch die Ver- schiedenheit der Formen begründet, sondern ist bereits mit der Potenz zu verschiedenen Formen gegeben.

Thomas richtet bisher seine Polemik gegen Avencebrol's Auffassung der Materie, da er hierin die Grundlage für dessen Lehre über das Wesen der Geister erkennt. Zielbewußt will er vorerst die Voraussetzungen beseitigen, um dann gegen die Konsequenzen desto wirksamer ankämpfen zu können. An letzter Stelle hat er noch den Gedanken einer universellen, d. i. ein- heitlichen Materie abgewiesen. Im Anschluß daran begründet er seine eigene Ansicht bezüglich der Konstitution der geistigen Substanzen *), um dann in einem weiteren Kapitel zu den Argu- menten Avencebrol's Stellung zu nehmen.

Am ersten Beweise negiert Thomas den Satz, daß es ohne Materie und Form eine Mehrheit von Geistern nicht geben könne. Einmal darf nicht angenommen werden, daß die Materie ohne die Form eine ungeteilte Einheit ist. Sodann ist es unzulässig, jeder Vollkommenheit eine Materie als Subjekt zuweisen zu w'ollen. Vollkommenheiten sind keineswegs immer von dem Sein, dem sie angehören, real verschieden. Ebenso unzulässig ist es, das Subjekt einer Form allgemein als Materie zu charak- terisieren.

Damit ist im Grunde auch das zweite Argument erledigt. Substanz und Geistigkeit, oder Substanz und Körperlichkeit, ver- halten sich nicht wie Materie und Form oder wie Subjekt und Acci- dens, sondern wie Gattung und Differenz. Das Substanzsein ist von der Geistigkeit oder Körperlichkeit nicht real verschieden. Gattung und Differenz werden durch eine und dieselbe Form begründet.

') c. 7.

Das Wesen der geistigen Substanzen 55

An dritter Stelle führt Thomas den Gedanken aus, daß der Seinsbegriff in den verschiedenen Klassen der Dinge in ver- schiedener Weise verwirklicht ist.

Zum vierten Argument erklärt er, daß hinsichtlich der geistigen Substanzen auch aus ihrer Verschiedenheit vom höch- sten Wesen nicht auf das Vorhandensein von Materie und Form geschlossen werden dürfe. Das Verhältnis zwischen Potenz und Akt ist durch die Immaterialität nicht ausgeschlossen , da der Unterschied zwischen Wesenheit und Dasein allen endlichen Wesen eigen ist.

Zuletzt entgegnet Thomas, daß die Begrenztheit der end- lichen Geistsubstanz darin zu suchen sei, daß deren Sein nicht absoluten Charakter trägt, sondern auf ein bestimmtes Maß ein- geschränkt ist.

So beweist gerade diese Abhandlung, daß Thomas in seinen früheren Jahren dem jüdischen Philosophen eine nicht geringe Bedeutung zugesprochen hat. Auf die weitere Gestal- tung der Auffassung von der Natur der Geister dürfte sie nicht ohne Einfluß geblieben sein. Für die Dominikanerschule war eine solch entschiedene Stellungnahme seitens ihres angesehen- sten Lehrers ohne Zweifel maßgebend. Auf Seite der Franzis- kanerschule dagegen mußte ein Rückschlag erfolgen i). Der Um- stand, daß Thomas die Annahme einer geistigen Materie von Avencebrol herleitete und so gerade jener Schule, die gegen ihre Rivalin den Vorwurf allzu großer Eingenommenheit für die heidnische Philosophie erhob und das Prädikat der Kirchlichkeit für sich allein in Anspruch nahm 2), mit Recht vorhalten konnte, daß sie in den Bahnen eines allgemein als Araber geltenden Philosophen wandle, hat jedenfalls dazu beigetragen, daß sich seine scholastischen Gegner von da an desto eifriger mit kirch- lichen Autoritäten zu decken suchten.

*) Vgl. Guttmann, Verhältnis des Thomas von Aquino zum Juden- tum. S. 30.

-) S. oben S. 34- f.

56 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

II. Die Lehre von einer Mehrheit substantieller Formen.

Der Einfluß Avencebrol's auf die Entwicklung der christ- lichen Wissenschaft erstreckt sich nach dem Berichte des hl. Tho- mas nicht blos auf die Geisterlehre, sondern auch auf die Kör- perlehre. Er betrifft speciell die Frage, ob das körperliche In- dividuum eine einzige oder mehrere substantielle Formen besitzt. Wie bekannt, handelt es sich auch hier um einen Gegenstand fortgesetzter Kontroversen1) Zahlreiche Schriften, die allerdings, wie es scheint, nur zum geringsten Teil erhalten sind, wurden dadurch veranlaßt 2). Der Streit bezog sich hauptsächlich auf die Lehre vom Menschen und drehte sich darum, ob neben der vernünftigen Seele noch eine andere Form anzunehmen ist. Daß auch dieser Kampf auf den Gegensatz zwischen dem extremen und dem gemäßigten Realismus zurückgeht, wurde bereits an- gedeutet. Es entspricht der realistischen Denkweise, die Rea- litäten zu häufen und mehrere Formen anzusetzen. Je gemil- derter der Realismus ist, desto mehr wird er zur Annahme einer einzigen Form hinneigen. Indes behält der mehr extreme Realismus während des 13. Jahrhunderts in der vorliegenden Frage die Oberhand. Daß Thomas, der die Einheit der Form vertritt, in der Minderheit war, geht daraus hervor, daß er in Paris vom Bischöfe und von der Universität zur Verantwortung gezogen :!) und seine Lehre in Oxford sogar zum wiederholten Male verworfen wurde 4). Auch die Mitglieder des Dominikaner-

1) Haureau, De la philosophie scolastique. T. 11. p. 247 ff.

2) Außer Thomas haben Johann von Paris und Agidius von Lessines die Einheit der Form in eigenen Schriften verteidigt. Auf gegnerischer Seite hat Robert Kilwardby eine Schrift verfaßt. Haureau, a. a. 0. T. II. p. 241 f. 247.

s) Denifle, Chartularium. T. I. p. 625. 627. 634.

4) Denifle, a. a. 0. T. I. p. 559. 560. Anm. 6. 8. Ehrle, Zeit- schrift für kathol. Theologie. Bd. XIII. Innsbruck 1889. S. 178 ff. Hier- durch wird bezeugt, daß die Lehre von den drei Seelen in jener Zeit keines- wegs schon erloschen war. Endres irrt deshalb, wenn er meint, daß schon zur Zeit Alexander's von Haies die Einheit der Seele ausschließlich" gelehrt worden sei. Phil. Jahrb. d. Görresgesellschaft. Bd. I. S. 208; Übrigens reden auch Albert und Thomas, wenn sie jene Lehre bekämpfen, ausdrücklich von zeitgenössischen Gegnern. Albertus M., De anima 1. 1. tr. 3. o. 2; 1. 8. tr. 5. c. 4. Thomas A., Quaestio de anima a. 11.

Die Lehre von einer Mehrheit substantieller Formen. 57

ordens traten zum Teil für eine Mehrheit von Formen ein x). Noch am Ende des Jahrhunderts charakterisiert John Peckham die Lehre von der Einheit der Form als eine überaus gefähr- liche Neuerung 2).

Thomas unternimmt es 3), den historischen Ursprung der Kontroverse aufzusuchen, und iindet, daß er in die Philosophie des Altertums zurückreicht. Der fundamentale Unterschied zwi- schen platonischer und aristotelischer Philosophie hat nach seiner Auffassung jenen Gegensatz hervorgerufen. Die beiden Schulen stehen in der Frage, ob die Materie unmittelbares Sub- jekt der vernünftigen Seele sei, auf entgegengesetzten Stand- punkten. Die Platoniker teilen dem körperlichen Individuum eine Mehrheit substantieller Formen zu und erklären demgemäß nicht die Materie, sondern das sinnliche Lebensprincip als näch- stes Subjekt der Seele. Die Aristoteliker dagegen behaupten, daß im Einzelding nur eine einzige substantielle Form anzuneh- men sei. Nach dieser Auffassung wird im Menschen das Menschsein, das animalische und das vegetative Leben, die Kör- perlichkeit, die Substantialität und das Sein durch ein einziges formelles Princip begründet.

An die Platoniker knüpft, so lehrt Thomas, Avencebrol an. Er statuiert eine allen Substanzen, geistigen wie körper- lichen, gemeinsame Materie, mit der sich die universelle Form verbindet. Hiezu kommt in einem Teil der Materie die körper- liche, in einem andern die geistige Form l). Weiterhin schließen sich der Reihe nach die übrigen Formen an. Der Scholastiker

1) Denifle, a. a. 0. T. I. p. 625. 634. Vgl. 567. Ehrle, a. a. 0. S. 189. Auch Erzbischof Robert Kilwardby, der im Jahre 1277 im Einver- ständnis mit der Universität Oxford die thomistische Lehre verbot, war Do- minikaner. Erst um die Wende des Jahrhunderts scheint in dieser Bezie- hung ein Umschwung eingetreten zu sein. Ehrle, a. a. 0.

2) Er sagt von der Annahme mehrerer Formen: Tenuit nactenus totus mundus. Ehrle, a. a. 0. S. 192. Haureau meint, daß jener Realismus nur in Oxford das Übergewicht besessen habe, während auf dem Kontinent der Thomismus herrschend gewesen sei. Histoire de la phil scolastique. T. II, 2. p. 102. Daß letzeres für die in Frage stehende Lehre nicht zu- trifft, beweisen die Erfahrungen, die Thomas in Paris machen mußte.

8) De spirit. creat. a. 3.

4) Vgl. F. v. V 29, p. 310, 8.

58 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

bemerkt, daß neben dieser unleugbaren Übereinstimmung zwi- schen den Piatonikern und Avencebrol eine gewisse Verschie- denheit bestehe. Während jene vorgeben, daß die Form not- wendig etwas Allgemeines ist, so daß der Formcharakter mit dem Grade der Allgemeinheit gleichen Schritt hält, ist bei Aven- cebrol die Form um so materieller, je allgemeiner sie ist. Doch läßt sich Thomas hiedurch in der Überzeugung, daß der jüdische Philosoph in den Bahnen der Platoniker wandelt, nicht beirren. Er erklärt den Widerspruch für bloßen Schein und ist der An- sicht, daß beide Teile im Grunde und in der Sache das näm- liche lehren. Behaupten ja die Platoniker, daß die Wirkung eines abstrakten Wesens ein um so tiefer liegendes Substrat ist, je allgemeiner und formhafter die Ursache ist. Das höchste jener Wesen, das Gute, ist deshalb die Ursache der ersten Ma- terie, so daß dem ersten aktiven Principe das erste Substrat als Wirkung entspricht. Dazu kommen die Formen nach der Ord- nung der abstrakten Wesen ; je universeller die Ursache, desto universeller die Wirkung.

Gemäß dieser Darstellung wurzelt die Annahme mehrerer Formen zuletzt in der platonischen Philosophie. Welche Auto- ren hiebei besonders in P>age kommen, hat Thomas nicht aus- geführt. Er spricht von Piatonikern, ohne diesen Begriff näher zu bestimmen. Da jedoch neben der vernünftigen die animali- sche Seele als weitere Form genannt wird, so läßt sich anneh- men, daß hier der Scholastiker an Plato's Lehre von den drei Seelen denkt, umsomehr als er dieselbe auch an einer anderen Stelle in ähnlichem Zusammenhange als Ausgangspunkt wählt J). Dagegen bildet die Angabe, daß die erste Materie die Wirkung der universellsten Ursache sei , offenbar eine Beminiscenz an Proklus; dieser ordnet die geistigen Wesen nach der Stufenreihe der allgemeinen Begriffe und ist der Meinung, daß die Univer- salität der Wirkung zur Universalität der Ursache im geraden Verhältnisse steht. Im Widerspruche mit dem Gesamtcharakter des Neuplatonismus sieht er in der körperlichen Materie nicht den letzten Ausläufer der Entwicklung, sondern das Produkt der

*) Quaestio de anima a. 11.

Die Lehre von einer Mehrheit substantieller Formen. 59

intelligiblen Materie und damit ein Werk Gottes 1). Bei Aven- cebrol ist die Auffassung, daß die Form desto mehr den Charak- ter der Materie annimmt, je universeller sie ist, insofern gegeben, als sich die Form je nach dem Grade ihrer Universalität der ersten Materie nähert und dementsprechend Subjekt anderer Formen ist. Doch können derartige Vergleichungen nicht beweisen, daß einzelne Vertreter der platonischen oder neuplatonischen Philo- sophie als Urheber der Lehre von mehreren Formen anzusehen sind; es kann sich vielmehr nur darum handeln , im allge- meinen Charakter dieser Philosophie den Keim und den An- fang jener Lehre nachzuweisen. Diesen Sinn scheint denn auch Thomas mit seinen Darlegungen zu verbinden. Er erklärt die Ideenlehre Plato's als die Wurzel der in Frage stehenden Auf- fassung, ein Urteil, das, richtig verstanden, als zutreffend gel- ten muß. Seiner Ableitung der platonischen Seelenlehre aller- dings kann nicht zugestimmt werden. Ist der Mensch, so folgert Thomas, mehreren Ideen nachgebildet, so muß in ihm eine Mehrheit von Formen vorhanden sein. An und für sich mag dieser Schluß vielleicht nicht aller Berechtigung entbehren; allein der thatsächliche Ursprung der Seelenlehre Plato's ist da- mit nicht angegeben. Der griechische Denker leitet vielmehr die Dreiheit von Seelen aus den verschiedenen Bethätigungsformen ab 2). Dagegen kann die Ideenlehre als Quelle für die Annahme einer Mehrheit von Formen angesehen werden, sofern sie der konkrete Ausdruck des extremsten Begriffsreal ismus ist. Die extrem realistische Denkweise, die hier zur Geltung kommt und sich von da durch die ganze platonische und neuplatonische Philosophie hindurchzieht, ist der Boden, aus dem jene Lehre erwachsen ist. Sofern Avencebrol diese Denkweise mit dem Neupiaton ismus übernommen hat, steht er mit der Annahme

') Zeller, a. a. 0. Bd. III, 2. 3. Aufl. S. 789 ff. Baeumker macht darauf aufmerksam, daß schon Iamblichus die Ansicht des Proklus vertreten zu haben scheint. Das Problem der Materie in der griech. Philosophie. S. 424. Vgl. Baeumker, Die Impossibilia des Siger von Brabant. Eine phi- losophische Streitschrift aus dem 13. Jahrhundert. Münster 1898 (Beiträge II, 6), S. 142.

2) Zeller, a. a. 0. Bd. II, 1. 4. Aufl. S. 845 ff.

60 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

mehrerer substantieller Formen unter dem Einflüsse der antiken Philosophie. Im übrigen ist anzuerkennen, daß er den Gedan- ken selbständig gestaltet und gerade hier seine realistischen Grundsätze bis zu den letzten Konsequenzen durchgeführt hat.

Von Avencebrol aus ist die Lehre von mehreren Formen nach der Darstellung des Aquinaten in die Scholastik übergegangen. Demgemäß nimmt in dieser Frage der jüdische Philosoph gegen- über dem christlichen Mittelalter eine ähnliche Stellung ein wie in der Geisterlehre. Zwar spricht sich Thomas nicht mit solch klaren Worten aus wie dort; immerhin kann über seine Ansicht kein Zweifel obwalten. Die Lehre, daß im körperlichen Indivi- duum mehrere Formen seien, wird von ihm, abgesehen von den ,, Piatonikern", stets auf Avencebrol zurückgeführt1); alle, die sich zu ihr bekennen, werden als Anhänger Avencebrol's bezeichnet 2). Wie in die Augen springt, wird damit dem jüdi- schen Philosophen abermals eine weitgehende Bedeutung zuer- kannt. Man bedenke, wie sehr jene Anschauung im 13. Jahr- hundert verbreitet war; und sein Einfluß erscheint hier größer als in der Lehre über die Geister. Es ist daher von Interesse, zu prüfen, ob und inwieweit die Angaben des hl. Thomas durch anderweitige Zeugnisse, speciell durch den historischen Entwick- lungsgang der fraglichen Lehre selbst, bestätigt werden.

Eine Mehrheit von Formen wird bereits von Hugo von St. Victor angenommen. Nach seiner Auffassung hat Gott zu- nächst eine formlose Materie ins Dasein gesetzt und dieselbe erst in zweiter Linie zu Dingen von bestimmter Beschaffen- heit geformt 3). Jene Formlosigkeit der Urmaterie war jedoch nicht eine absolute, sondern nur eine relative. Die Materie besaß noch keine bestimmte , unterscheidende , wohl aber eine allgemeine, unbestimmte Form. Die endgiltige Formierung

1) Comment. in libros de anima 1. 2. lect. 1. Comment. in libros de gen. et corrupt. 1. 1. lect. 10. Quodl. XI. a. 5. De spirit creat. a. 1 ad 9. a. 3. Daß Avencebrol die ihm zugeteilte Lehre thatsächlich vertritt, geht aus den Angaben über sein System wohl zur Genüge hervor. Vgl. F. v. IV 3, p. 216, 2. V 34, p. 320, 8.

2) Circa ordinem formarum est duplex opinio. Una est Avicebron et quorundam sequacium eius. Quodl. XI. a. 5.

3) De sacramentis \ 1. p. 1. c. 3.

Die Lehre von einer Mehrheit substantieller Formen. 61

fand dadurch statt, daß der Schöpfer aus der chaotischen Ma- terie die verschiedenen Arten der Dinge in ihrer Bestimmtheit hervorgehen ließ l). Ohne Zweifel liegen diesen Anschauungen die Gedanken Augustin's zu gründe. Bei ihm fand Hugo aus- geführt , daß Gott vorerst eine formlose Materie geschaffen und dann aus ihr die Welt gebildet hat 2). Auserdem weist auch die Ausdrucksweise unverkennbar auf den Kirchenlehrer hin ::).

Als Schüler Hugos bekundet sich wieder Petrus Lom- bardus 4).

So stellt sich auch bei dieser Frage heraus, daß die An- schauung, die Thomas von Avencebrol herleitet, bereits in die Scholastik Eingang gefunden hatte, bevor dessen Einwirkung zur Geltung kam. Seine Bedeutung beruht , wie sich zeigen wird, auch hier darin, einer dem christlichen Mittelalter bereits bekannten Lehre einen neuen Rückhalt geboten zu haben.

Haureau findet die Annahme mehrerer Formen auch bei Gil- bert de la Porree, unterläßt es jedoch, eine hieher gehörige Stelle in den Werken des Scholastikers anzugeben 5). Indes muß wohl der Liber sex principiorwm tr. 1. c. 3 t;) hieher bezogen werden. Die betreffenden Aussprüche lauten aber so unbestimmt, daß es zweifelhaft sein dürfte, ob sie überhaupt im Sinne einer Vielheit substantieller Formen zu deuten sind. Um so. weniger läßt sich daraus für den Zweck dieser Abhandlug etwas Sicheres ableiten.

Dagegen läßt sich wohl wieder bei Gun dissalin eine Ab- hängigkeit von Avencebrol konstatieren. Der Scholastiker lehrt,

') a. a. 0. 1. 1. p. 1. c. 4. 7. 1. 1. p. 5. c. 5.

2) De genesi contra Manichaeos 1. 1. c. 7.

:t) Die Urmaterie bezeichnet Augustin als materia confusa et informis, die Dinge, die aus ihr gebildet werden, als distincta atque formata, und redet in letzterer Beziehung auch von einem pulchrum esse. De gen. cont. Manich. 1. 1. c. 5. Confess. 1. 13. c. 3. Hugo spricht einerseits von einer materia in- formis, in confusione et mixtione quadam subsistens, von einer forma confu- sionis, andererseits von einer pulchra aptaque dispositio et forma, von einer forma dispositionis. a. a. 0. 1. 1. p. 1. c. 4,

4) Sent. 1. 2. d. 2. c. 5; d. 12. c. 5.

B) Histoire de la philosophie scolastique. T. II, 2. p. 100.

ü) Die von mir eingesehene Ausgabe erschien 1507 in Leipzig.

62 Stellung des hl. Thomas von Äquin zu Aven'cebrol.

daß im Menschen drei Seelen zu unterscheiden seien, und be- gründet diesen Satz, höchst wahrscheinlich im Anschluß an den Föns üitae, mit der Thatsache, das die verschiedenen Bethäti- gungsformen des Menschen in den verschiedenen Klassen der lebenden Wesen getrennt vorkommen 1).

Wilhelm von Auvergne nimmt gegenüber einer Mehr- heit substantieller Formen einen ablehnenden Standpunkt ein. Seine kritischen Bemerkungen sind jedoch von historischem In- teresse. Wenn Wilhelm glaubt, daß die Lehre von drei Seelen, einer vegetativen, sensitiven und vernünftigen, in der arabischen Philosophie vertreten wird2), so gilt dies nur, wenn er an Aven- cebrol denkt*). Durch den Umstand, daß er den jüdischen Philosophen für einen Christen erklärt, wird eine derartige An- nahme nicht ausgeschlossen, da er ihm gleichwohl die arabische Herkunft nicht streitig machen will '). Auch daraus, daß er die Lehre von drei Seelen bekämpft, läßt sich gegen eine solche Annahme kein Einwand entnehmen, da er trotz aller Hoch- schätzung Avencebrol's auch sonst zuweilen, freilich in äußerst schonender Weise , gegen ihn polemisiert 5). Wenn endlich Wilhelm den Ausgangspunkt der von ihm bekämpften Lehre in der Ansicht findet, daß aus verschiedenartigen Betätigungen ebensoviele Formen zu erschließen seien '•), so trifft dies bei Avencebrol vollständig zu 7).

Alexander von Haies glaubt, daß im Menschen außer der vernünftigen Seele noch eine sog. Körperform vorhanden seis); doch fehlt jede nähere Erläuterung oder Begründung.

Johannes von Rupella übergeht die Frage, ob die in-

J) Löwenthal, Dominicus Gundisalvi und sein psychologisches Compendium. S. 32 f. Vgl. F: v. III 46, p. 182, 3.

■) Baumgartner, Die Erkenntnistheorie des Wilhelm von Auvergne. Münster 1893 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters II, 1). S. 14.

8) F. v. IV 3, p. 216, 2. V 20, p. 295, 13. V 34, p. 320, 10.

4) De univ. p. 1. c. 26.

5) Guttmann, Ibn Gabiro]. S. 56 f. G) De anima c. 4. p. 1.

7) F. v. III 46, p. 181, 14.

8) Summa theol. p. 2. q. 63. m. 1.

Die Lehre von einer Mehrheit substantieller Formen. 63

tellektuelle Seele die einzige Form sei oder nicht. Indes drücken seine Worte unzweideutig aus, daß sich die Seele nicht mit der reinen Materie sondern mit einem kompleten Körper vereinigt *). Damit verbindet sich noch ein anderes Moment. Johannes spricht sich sehr entschieden für die Einheit der Seele aus 2). Gleich- wohl ist die platonische Unterscheidung von drei Seelen nicht völlig verschwunden. Johannes redet nämlich von mehreren Medien, welche die Vereinigung von Seele und Leib vermitteln sollen, und unterscheidet je zwei auf Seite der Seele und auf Seite des Leibes. Als die beiden ersteren bezeichnet er nun die „vegetative und die sensitive Natur". Beide sollen einfach und unkörperlich sein '°).

Bonaventura spricht sich nirgends offen für eine Mehr- heit der Formen aus, wenn auch dieser Gedanke in manchen Äußerungen mehr oder minder versteckt enthalten sein mag 4). Bezüglich des Menschen, schließt er außer der intellektuellen Seele jede weitere Form sogar direkt aus ö).

Wilhelm von Lamarre nimmt für den Menschen drei Formen in Anspruch6). Eine Nachwirkung Avencebrol's läßt sich jedoch nicht feststellen; vielmehr sind für ihn auch hier hauptsächlich theologische Gesichtspunkte maßgebend.

Richard von Middletown behauptet, daß im Menschen neben der vernünftigen Seele noch eine inkomplete Körperform anzunehmen sei. Die Argumente sind zwar bei ihm, im Ge- gensatz zu Wilhelm von Lamarre, vorwiegend philosophischer Natur, ohne jedoch an Avencebrol zu erinnern 7).

Albertus Magnus will scheinbar die Einheit der Form aufrechterhalten und deshalb nicht zugeben, daß die substan- tiellen Formen der Elemente im zusammengesetzten Körper

1) Domenich eil i, La Summa de anima di Frate Giovanni della Rochelle. c. 35- 37.

-) a. a. 0. c. 24.

3) a. a, 0. c. 37.

4) Krause, Die Lehre des hl. Bonaventura über die Natur der körper- lichen und geistigen Wesen. S. 42 ff.

6) a. a. 0. S. 60 f.

G) Defensorium, p. 181 ff.

7) II. Sent. d. 17. q. 5.

4 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebroh

unversehrt bleiben. Da aber gleichwohl die Eigentümlich- keiten der Elemente auch in der Mischung noch zur Geltung kommen, so kann er sich auch nicht zur Ansicht verstehen, daß die elementaren Formen vollständig verschwinden. Albert hält deshalb dafür, daß schon der elementare Körper zwei Formen hat, nämlich eine allgemeine Substanzform und eine zweite als Princip der bestimmten Beschaffenheit und Thätigkeit !). Während die erstere in der Mischung ihr Sein bewahrt, geht die letz- tere unter.

In einer hievon zum Teil abweichenden Weise legt Albert seinen Standpunkt an einer anderen Stelle des nämlichen Wer- kes dar 2). Er unterscheidet hier an den elementaren Körpern nicht zwei Formen sondern ein zweifaches Sein. Das erstere soll durch die „ersten substantiellen Formen", das zweite, wie es scheint, durch accidentelle Bestimmungen begründet sein; jenes geht in den zusammengesetzten Körper über, dieses nicht. Die Elemente behalten in der Mischung ein unbestimmtes, allge- meines Sein und bilden in ihrer Vereinigung die Potenz, aus der die neue Form entsteht. Die Materie des zusammengesezten Körpers ist daher eine andere als jene der Elemente. Das Axiom, daß jedes Individuum nur eine einzige substantielle Form besitzt, behält seine Giltigkeit, wenn man die Form als letzte und unterscheidende Seinsbestimmung auffaßt. Es soll nämlich nicht ausgeschlossen sein, daß andere, unbestimmte Formen als Potenz der letzteren und eigentlichen Form vorhanden sind. Wenn dann die Frage aufgeworfen wird, ob substantielle For- men einer Steigerung der Verminderung fähig sind, so ist dies bezüg- lich jener Formen, welche letzte Vollkommenheiten sind, und des- halb keine Verbindung eingehen können, zuzugeben, jedoch hinsicht- lich der elementaren Formen, die ihrer Natur nach zur Mischung in Beziehung stehen, in Abrede zu stellen. Gerade deshalb sind die elementaren Formen befähigt, höhere Formen aufzuneh- men, weil sie eine Veränderung erleiden können.

a) Elementorum formae duplices sunt, sc. primae et secundae. Primae quidem sunt, a quibus est esse elementi substantiale sine contrarietate; et secundae sunt, a quibus est esse elementi et actio. De caelo et mundo 1. 3. tr. 2. c. 1.

2) a. a. 0. 1. 3. tr. 2. c. 8.

Die Lehre von einer Mehrheit substantieller Formen. 60

Diese beiden Darstellungen kommen in der Annahme über- ein, daß die Elemente, wenn sie sich zu einem neuen Körper verbinden, nicht auf die reine Materie reduciert werden. Die Einheit der Form ist damit in Wirklichkeit preisgegeben. Ein weiteres gemeinsames Element bilden die Substanzformen, die, wie es scheint, ein reines, nicht näher bestimmtes Substanzsein begründen sollen. Damit spricht dann Albert offenbar einen Gedanken aus, der in der Lehre des jüdischen Philosophen un- leugbar enthalten ist *), wenn er auch nur ausnahmsweise aus- drücklich ausgesprochen wird 2). Die Vermutung, daß daselbst auch die Quelle zu suchen ist, liegt nahe. Vielleicht verdient auch Beach- tung, daß Albert der Substanzform die Gegensätzlichkeit (con- trarietas) gegenüberstellt, eine Bezeichnung, die er auch in der Darstellung der Philosophie Avencebrol's gebraucht 3).

Die Lehre von mehreren Seelen weist der Scholastiker ab und bemerkt, daß sie bei Peripatetikern niemals Aufnahme ge- funden habe. Trotzdem will er allem Anscheine nach im Men- schen die substantiellen Formen vermehren, da er neben den übrigen auch eine Fleischform anerkennen will 4).

Von Bedeutung ist, was Heinrich von Gent zum Gegen- stande mitteilt 5). Er will im Menschen zwei Formen, in allen übrigen materiellen Wesen nur eine einzige zugeben (i). Hieb ei verbreitet er sich, was den letzteren Punkt anbelangt, ausführ- lich über die entgegengesetzte Meinung und klassificiert die Gründe, die man zu ihren Gunsten anzuführen pflegt. Darnach wird die substantielle Form bei solchen Beweisführungen unter einem dreifachen Gesichtspunkte aufgefaßt , nämlich als Princip der Beschaffenheit, der Thätigkeit und der Erkennbarkeit. In er- sterer Beziehung wird aus dem Vorhandensein mehrerer Seins-

*) S. oben S. 6. Wenn der mittelalterliche Neuplatoniker soviele For- men annimmt, als sich Gattungsbegriffe und specifische Differenzen aufzäh- len lassen, so muß er auch für das Substanzsein eine eigene Form ansetzen.

*) V 20, p. 295, 26. 296, 1.

3) S. oben S. 27.

*) De caelo et mundo 1. 3. tr. 2. c. 1.

5) Quodl. IV. q. 3. Ausgabe: Venedig 1613.

6) Vgl. Maurice De Wulf, Histoire de la philosophie scolastique dans les Pays-Bas et la principaute" de Liege. Louvain u. Paris 1895. p. 100.

Beiträge III, 3. Wittmann, Thomas von Aquin. 5

66 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

bestimmungen, als da sind Substantialität, Körperlichkeit u. s. f., eine entsprechende Anzahl von Formen erschlossen. Sodann ist man gewohnt, verschiedene Bethätigungsweisen als Zeichen ver- schiedener Formen anzusehen. An dritter Stelle dient die Mehrheit von Begriffen dem Beweisverfahren als Ausgangspunkt. Auf Grund der allgemeinen Form ist das Ding für den abstrahie- renden Verstand erkennbar. Verschiedene abstrakte Begriffe von einem Dinge müssen deshalb von verschiedenen Formen herrühren.

Es wäre überflüssig, die Übereinstimmung dieser Argumente mit denjenigen Avencebrol's näher darthun zu wollen. Daß gerade er verschiedene Vollkommenheiten als ebensoviele For- men betrachtet, daß sich bei ihm die Zahl der Formen nach jener der Bethätigungsweisen und der abstrakten Begriffe richtet, ist aus dem Bisherigen hinlänglich bekannt. Die Ausführungen Heinrich's von Gent müssen daher als Beweis gelten, daß Aven- cebrol in der Frage einen durchgreifenden Einfluß gewonnen hat. Daß die Gedanken des jüdischen Philosophen im Laufe der Zeit allerlei Zuthaten erhielten und Umbildungen erfuhren, ist begreiflich.

An letzter Stelle sei noch auf den Standpunkt des Duns Scotus hingewiesen. Er war allerdings nicht mehr Zeitgenosse des Aquinaten und konnte insofern auf dessen historisches Ur- teil keinen Einfluß mehr gewinnen 1). Immerhin bietet die Kenntnis seiner Lehre einen Anhaltspunkt, um die Bedeutung Avencebrol's und damit die Darstellung des hl. Thomas zu be- urteilen. Daß Scotus in den Lebewesen eine Mehrheit von For- men annimmt 2), wird nicht bezweifelt. Allein auch die leblosen Wesen haben nach scotistischer Anschauung mehrere Formen. Der Scholastiker lehrt allerdings, daß die Elemente, wenn sie eine Verbindung eingehen, eine wesentliche Änderung erleiden :i). Indes kann er unmöglich der Meinung sein, daß die Elemente auf eine formlose Materie reduciert werden, da eine solche An- nahme seiner gesamten Kosmologie in der schroffsten Weise

') Der letztere Teil der Bemerkung trifft wohl auch schon bei Wilhelm von Lamarre, Richard von Middletown und Heinrich von Gent zu. 2) IV. Sent. d. 11. q. 3. n. 28—31. 37—38. s) Schneid, Körperlehre des Duns Scotus. Mainz 1879. S. 7 f.

De ente et essentia. 67

widersprechen würde. Scotus unterscheidet bekanntlich eine dreifache Materie. Die erste (materia primo prima), das form- lose Substrat aller Dinge, wird durch die Naturvorgänge niemals berührt; nur dem Wirken Gottes ist sie zugänglich. Die Thä- tigkeit der Naturdinge dringt blos bis zur zweiten Materie (ma- teria secundo prima) vor; dieselbe ist das Subjekt aller sub- stantiellen Veränderungen und bereits ein Kompositum aus der ersten Materie und einer Form. Die dritte Materie (materia tertio prima) ist das Subjekt alles künstlichen Wirkens, also das Naturding, das Produkt aus der zweiten Materie und einer wei- teren Form l). Die Annahme mehrerer Formen ist demnach mit der scotistischen Lehre von der dreifachen Materie unmit- telbar gegeben.

Was den historischen Ursprung dieser Denkweise betrifft, so hat Avencebrol daran ohne Zweifel einen Anteil. Die Ma- terien und Formen des Duns Scotus erinnern unverkennbar an die Abstraktionen Avencebrol's. Zudem bekennt sich Scotus gerade in diesem Zusammenhange als Anhänger des jüdischen Philosophen 2).

In ihrer Gesamtheit ergeben diese Ausführungen das Re- sultat, daß die mannigfach modificierte scholastische Lehre von einer Mehrheit substantieller Formen thatsächlich historische Zusammenhänge mit der Philosophie Avencebrol's aufweist. Es darf sogar als sicher gelten, daß der Föns vitae zeitweise eine Hauptquelle jener Lehre gewesen ist. Ob er jedoch von der Mitte des 12. Jahrhunderts an als einzige Hauptquelle gedient hat, wie Thomas will, dürfte immerhin noch teilweise in der Schwebe bleiben. Soll die Stellung, die Avencebrol in der Geschichte der Streitfrage einnimmt, schärfer umgrenzt werden, so erweist sich das bisher zugängliche litterarische Material noch als unzureichend.

III. De ente et essentia.

Man hat längst erkannt, daß die kleineren Schriften des hl. Thomas größtenteils aus ganz singulären Anlässen entstanden sind. Die Verhältnisse, in denen er gerade lebte, entgegengesetzte

J) De rerum principio. q. 8. a. 3. 2) S. oben a. a. 0. q. 8 a. 4 n. 24.

68 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

wissenschaftliche Strömungen, die eben seine Aufmerksamkeit erregten, bestimmten ihn oftmals, im Interresse seines Stand- punktes zur Feder zu greifen x). Es sind besonders arabische Einflüsse gewesen, denen er öfter entgegengetreten ist. Ein Bei- spiel dieser Kategorie von Schriften wurde bereits besprochen. Ein anderes bietet sich dar in der Abhandlung De ente et essentia. Man hat es bisher unterlassen, diese Schrift unter einem solchen Gesichtspunkte näher ins Auge zu fassen, und doch dürfte hie- durch allein das richtige Verständnis derselben ermöglicht wer- den. Die Arbeit steht zur Polemik gegen Avencebrol in naher Beziehung. Mag sie auch nicht das Gepräge einer formellen Polemik zur Schau tragen, so ergibt sich doch, daß ihr Inhalt und Charakter durch polemische Absichten bedingt ist.

Die Verfassungszeit wird verschieden angegeben. Echard 2) setzt sie 1248 1252 an, ohne aber diese Angabe klar und überzeugend zu begründen. Werner schließt sich ihm an 3). Jourdain bestreitet diese Ansicht und behauptet, daß die Ab- handlung vor 1253 nicht zustande gekommen ist4). Trotz dieser Verschiedenheit der Meinungen herrscht darin Übereinstimmung, daß man es mit einem der frühesten Werke des Aquina- ten zu thun hat. Wenn dasselbe gleichwohl erst hier zur Erörterung kommt, so geschieht dies aus einem doppelten Grunde. Einmal geht es mit Rücksicht auf den Inhalt nicht an, die Besprechung der Schrift unter einen der beiden vorausge- henden Abschnitte einzureihen; dieselbe muß vielmehr getrennt von beiden erfolgen. Sodann bilden die bisherigen Ausfüh- rungen die notwendige Grundlage hierfür. Erst nachdem bereits dargelegt ist, in welcher Weise Thomas gegenüber Avencebrol in der Geister- und Körperlehre Stellung nimmt, ist es möglich, an die vorliegende Schrift heranzutreten.

Um nun auf den Inhalt einzugehen, so läßt der Titel eine Abhandlung über die höchsten metaphysischen Begriffe erwarten. In Wirklichkeit ist der eigentliche Gegenstand ein anderer. Der Verfasser beginnt mit dem Sein im allgemeinen, um sofort

') Jourdain, a. a. 0. T. I. p. 130.

•) a. a. 0. T. I. p. 271. 278.

8) a. a. 0. Bd. I. S. 110. 4) a. a. 0. p. 94.

De evte et essentia. 69

zwischen dem realen und logischen Sein zu unterscheiden. Ersteres wird nach Aristoteles in zehn Kategorien eingeteilt. Die Wesenheit eines Dinges bedingt seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gattung und Art. Sie ist zugleich das Princip der Erkennbarkeit und des Wirkens. Von der Substanz wird das Sein im primären und eigentlichen, vom Accidens nur im sekun- dären Sinne ausgesagt 1). Die Klasse der substantiellen Wesen scheidet sich abermals in zwei Gebiete, in die körperlichen und geistigen Substanzen. Diese beiden Seinsklassen sind es, von denen Thomas vorzugsweise handelt. Die Kategorien des Acci- dens treten vollständig in den Hintergrund und werden offenbar nur einer gewissen äußeren Abrundung halber am Schlüsse noch einigermaßen herangezogen2). Ihrem wesentlichen Inhalte nach ist daher die Schrift eine Abhandlung über Körper und Geist. Dazu kommt, daß Thomas die Lehre über diese beiden Klassen des substantiellen Seins keineswegs allseitig darstellt, sondern nur einzelne Punkte herausgreift, um sie teilweise sehr ein- gehend zu diskutieren.

In Bezug auf das körperliche Sein tritt Thomas zunächst der Auffassung entgegen, als ob sein Wesen bloß in der Materie oder bloß in der Form bestünde 'd). Nur das Kompositum aus beiden macht die Wesenheit des Dinges aus. Daß der Scho- lastiker sich damit gegen Avencebrol wendet, muß vorerst wenigstens als möglich gelten; denn letzterer charakterisiert in der That bald die Form 4), bald die Materie 5) als Wesen des Körpers. Das nämliche trifft zu, wenn Thomas weiterhin feststellt, daß Gattung und Differenz sachlich identisch sind, und daß die Ein- heit der Gattung nicht eine reale, sondern nur eine logische ist 6). Der erstere Punkt wird zudem auch sonst im Gegensatz zu Avencebrol besprochen 7), jedes Mal nämlich, wenn Thomas die

*) c. 2.

2) c 7.

3) c. 2.

4) IV 11, p. 235, 23. 236, 22. V 9, p. 272, 26. 273, 2. V H, p. 282, 17.

5) III 36, p. 161, 25. IV 18, p. 251, 3.

6) c. 3.

7) De spirit. creat. a. 3. Quodl. XI. a. 5.

TO Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

Einheit der Form gegen ihn verteidigt. Wenn der Aquinate daraufhin den Universalien auf den Grund geht und zum Er- gebnis gelangt, daß die Dinge insofern den Charakter der Gattung und Art annehmen, als sie Gegenstand des Denkens sind *), so bilden diese Erörterungen die natürliche Ergänzung der voraus- gehenden. Das körperliche Wesen wird demnach unter einem zweifachen Gesichtspunkte in Betracht gezogen, in seinem wirk- lichen Sein und in seinem Verhältnis zum denkenden Verstände. In ersterer Beziehung wird die Konstitution des Körpers nicht etwa von Grund aus untersucht, es wird vielmehr nur eine sekundäre Frage ausgewählt und in polemischer Weise erledigt. Nimmt man an, daß Thomas Avencebrol'sche Irrtümer abwehren will, so ist diese Auswahl erklärt. Es leuchtet ferner ein, daß dieser mehr untergeordnete Teil mit dem Folgenden, wo von den Universalien gehandelt wird, in keinem inneren Zusammen- hange steht. Wie kommt Thomas aber dazu, so entlegene Fragen unmittelbar an einander zu reihen ? Das verknüpfende Band muß ein äußeres sein. Will Thomas gerade solche Lehr- punkte sicher stellen, die durch Avencebrol gefährdet sind, so ist das Rätsel abermals gelöst.

Klarer liegt die Sache hinsichtlich der zweiten Hälfte der Schrift. Im ausdrücklichen Gegensatz zum Autor der Lebensquelle" wird vorerst die Immaterialität der Geister verteidigt 2), und dann auf Grund der festgestellten Resultate einerseits die Ver- schiedenheit zwischen Geist und Körper, andererseits das Ge- meinsame beider scharf hervorgehoben 3). Nur in Kürze wird die geistige Substanz auch noch als Objekt des Denkens be- trachtet 4).

Darnach scheint der eigentliche Zweck der Schrift darin zu bestehen, gegenüber Avencebrol die Beschaffenheit sowohl der körperlichen wie der geistigen Substanz festzustellen und dadurch das wahre Verhältnis zwischen beiden klar hervortreten zu lassen. Der Geist hat mit dem Körper zwar die Zusammen- setzung aus Potenz und Act, Wesenheit und Dasein gemein, jedoch nicht die Konstitution durch Materie und Form. In

J) c. 4. *) c. fc.

De ente et essentia. 71

diesem Gedanken gipfelt ja auch sonst die Diskussion, so oft Thomas die Geisterlehre seines Gegners bekämpft l). Avencebrol hat nach der Auffassung des Scholastikers sowohl über das körperliche wie über das geistige Wesen unrichtig gedacht. Bezüglich des ersteren besteht sein Hauptfehler darin, daß er logische und reale Verhältnisse einander gleichsetzt und so das Ding in ebensoviele Bestandteile zerlegt, als sich von ihm Be- griffe abstrahieren lassen; hinsichtlich des letzteren irrt er da- durch, daß er ihm eine Materie zuschreibt. Daraus erklärt sich, daß die beiden Hauptabschnitte, in welche die Schrift zerfällt, in ihrer Anlage rieben einer ausgeprägten Symmetrie eine auf- fallende Verschiedenheit erkennen lassen. Körper und Geist werden sowohl in ihrer realen Beschaffenheit wie in ihrer Be- ziehung zum abstrahierenden Verstände ins Auge gefaßt. Beide Gesichtspunkte kommen jedoch abwechselnd in verschiedenem Maße zur Geltung. Beim materiellen Sein tritt die reale Kon- stitution zurück, beim geistigen steht sie im Vordergrund; dort wird besonders das Verhältnis zu den' allgemeinen Begriffen erörtert, hier findet diese Seite wenig Beachtung. Unter der Voraussetzung, daß es dem Aquinaten darum zu thun war, gegen Avencebrol gewisse Lehrsätze zu rechtfertigen , haben diese Unterschiede nichts Auffallendes. Daß der Körper aus Materie und Form besteht, braucht Thomas gegen Avencebrol nicht zu beweisen; höchstens mag er betonen, daß nicht eines der beiden Konstitutive, sondern das Produkt aus ihnen die Wesenheit aus- mache. Dagegen hat er Grund, das Verhältnis zwischen den Dingen und den Universalien zu beleuchten. Umgekehrt verhält es sich mit der Geistsubstanz.

Sonach dürfte kaum zu bestreiten sein, daß die Schrift in einem gewissen Sinne eine Bekämpfung Avencebrol's ist; nicht als ob seine Anschauungen durchweg eine direkte und ausdrück- liche Widerlegung erfahren sollten , wohl aber insofern, als Thomas unter den Gesichtspunkten „Körper" und „Geist" gerade solche Lehrsätze heraushebt, die er gegenüber dem genannten Autor einer besonderen Begründung für bedürftig erachtet 2).

') II. Sent. d. 3. q. 1. a. 1. De subst. sep. c. 7. De spirit. creat. a. 1. ■) Es trifft daher nicht zu, daß der reale Unterschied zwischen Wesen-

72 Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol.

Es sei noch darauf hingewiesen, daß ein solcher Thatbe- stand mit den früheren Ergebnissen im besten Einklänge steht. Wie sich gezeigt hat, schlägt Thomas die Bedeutung Avence- brol's sowohl in der Geister- wie in der Körperlehre nicht gering an. Dazu kommt, daß die Immaterialität der Geister und die Einheit der substantiellen Form im thomistischen System eine hervorragende Stellung einnehmen. Dem Aquinaten ist alles daran gelegen, nach diesen beiden Richtungen hin seinen Standpunkt gut zu begründen. Unter solchen Voraussetzungen ist es begreiflich, wenn er die strittigen Punkte gegenüber jenem Hauptgegner auch einmal in einer eigenen Schrift be- handelt 1).

heit und Dasein den Grundgedanken der Schrift bildet, wie Bardenhewer meint. Die pseudoaristotelische Schrift über das reine Gute. Freiburg 1882. S. 257.

') Zwei weitere Abschnitte, die in der Buchausgabe dieser Schrift (Bei- träge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters, hrsg. von Baeumker und von Hertling. Band III Heft 3. Münster 1900) sich anschließen, wie auch Schluf3wort, Inhaltsangabe und Autorenregister, sind erst entstanden, nachdem die Arbeit von der philosophischen Fakultät Sektion I der Kgl. Universität München bereits censiert war; dieselben sind aus diesem Grunde hier nicht zum Abdruck gekommen.

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