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THE UNIVERSITY LIBRARY

UNIVERSITY Or CALIFORNIA, SAN DIEGO

LA JOLLA. CALIFORNIA

Die St. Gallische Olaubensbewepng

zur Zeit der Fürstäbte Franz und Kiiian (1520-1530)

Von Theodor Müller.

St. Gallen.

Druck der Buchdruckerei Zollikofer & Cie.

1910.

Meinen lieben Eltern.

Einleitung.

In unserem nüchternen Zeitalter, wo die idealen Güter des Menschen so wenig mehr zu gelten scheinen, lenkt wohl mancher Unbefriedigte seinen Blick gern in jene Zeiten zurück, in denen Männer auftraten, die für die Erreichung eines hohen, grossen Ziels ihr Leben lang kämpften und litten. Das Reformations- zeitalter namentlich ist reich an solchen Gestalten. Eine der mar- kantesten und bedeutendsten ist Ulrich Zwingli; sein Zeitgenosse ist Joachim von Watt in St. Gallen. Beiden gemeinsam ist der ideale Drang, ihre Mitmenschen sittlich und intellektuell zu heben.

Unser Thema bietet Gelegenheit, die reformatorische Tätig- keit Vadians, dieses nächst Zwingli bedeutendsten Förderers der deutsch-schweizerischen Reformation, genauer kennen zu lernen. Aber auch auf Zwingiis gewaltiges Wirken fällt dabei reiches Licht, da unter Zürichs dominierendem Einfluss jene Begeben- heiten sich abspielten, von denen im folgenden die Rede sein wird.

Dass die vorliegende Arbeit nicht überflüssig ist, ergibt sich schon daraus, dass die einzige nennenswerte gedruckte Dar- stellung des von uns behandelten Zeitabschnitts im Jahre 1811 erschienen ist: „J. v. Arx, Geschichten des Kantons St. Gallen", 2. Band, S. 472 ff., vorzüglich zwar für jene Zeit, nunmehr aber begreiflicherweise vielfach veraltet. Zudem sind manche Ab- schnitte, so die Reformationsbewegung in der Stadt St. Gallen, recht dürftig behandelt, das Ganze durchaus vom katholischen Standpunkt aus geschrieben. Wir hoffen, auch durch andere Anordnung des Stoffes ein übersichtlicheres Bild der Ereignisse gegeben zu haben.

Für unsere Arbeit fanden wir manches da und dort in ge- druckten Abhandlungen verstreut. So zogen wir die betreffenden Abschnitte von Wegelins Geschichte des Toggenburgs zu Rate, wo wir es für nötig erachteten, auf die Geschichte der Graf- schaft einzutreten, ferner die Arbeiten Presseis, Stähelins und Götzingers über Vadian, Eglis Schrift über die St. Galler Täufer, diverse St. Galler Neujahrsblätter, Haenes Klosterbruch, die

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Bauernbewegung in der Ostschweiz von H. Nabholz, Eschers Glaubensparteien, den 3. Band von Dierauers Geschichte der Schweizerischen Eidgenossenschaft etc., alles in den Anmerkungen zum Texte an gebührendem Orte mit wörtlicher Titelangabe er- wähnt.

Von gedruckten Quellen lagen uns vor:

1. Eidgenössische Abschiede, Band IV, 1 a und IV, 1 b, be- arbeitet von Joh. Strickler;

2. Aktensammlung zur Schweizer. Reformationsgeschichte von Joh. Strickler, Zürich 1878 und 1879, Band I und II;

3. die Vadianische Briefsammlung, Band III und IV und Nachträge in den St. Galler Mitteilungen, Band 27 und 28 ;

4. Kesslers Sabbata in der gediegenen Neuausgabe (St. Gallen 1902);

5. Joachim von Watt, Deutsche historische Schriften, heraus- gegeben von Ernst Götzinger, Band II und III, St. Gallen 1877 und 1879;

6. die Chroniken von Fridolin Sicher und Hermann Miles in den St. Galler Mitteilungen, Band 20 und 28;

7. Heinrich Bulhngers Reformationsgeschichte, Bd. II, Frauen- feld 1838;

8. Valentin Tschudis Chronik der Reformationsjahre 1521 bis 1533, herausgegeben von Joh. Strickler, Glarus 1888.

Was die ungedruckten Quellen anbelangt, so war zu er- warten, dass sie nur noch spärlich fliessen würden in Anbetracht der durch Strickler ausgezeichnet redigierten Abschiede und der nicht minder umsichtig angelegten Aktensammlung zur Refor- mationsgeschichte.

Trotzdem gaben wir uns Mühe, persönlich die einschlägigen Archive abzusuchen. Doch fanden wir in Schwyz und Einsiedeln zwar sehr freundlichen Empfang, aber nichts für unser Thema. Nicht anders ging es uns in Glarus. In Luzern wurde uns von Staatsarchivar Dr. Th. von Liebenau mitgeteilt, dass im dortigen Archiv für unsere Arbeit sich nichts finde, was nicht schon in den Abschieden und der Aktensammlung Stricklers enthalten sei. Ahnlich lautete die schriftliche Antwort aus dem Staatsarchiv Bern. Einiges wenige fanden wir im Statthaltereiarchiv von Inns- bruck; wenn wir aber gehofft hatten, aus den dortigen Kopial- büchern nähern Aufschluss über die Tätigkeit Kilians im Exil

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zu gewinnen, so wurden wir gänzlich getäuscht. In Zürich lag zwar ein reiches Aktenmaterial vor; doch hatte glücklicherweise der ehemalige Zürcher Staatsarchivar Joh. Strickler dasselbe zum grössten Teil seiner „Aktensammlung" einverleibt, was uns manche Stunde mühseligen Aktenabschreibens erspart hat. Dagegen bot das Stadtarchiv St. Gallen noch manches; namentlich enthielten die Ratsprotokolle eine Reihe wichtiger Notizen. Herr Stadt- archivar Dr. T. Schiess stellte uns auch in freundlichster Weise ein Manuskript Karl Leders zur Verfügung, betitelt: „Die Be- ziehungen der Stadt St. Gallen zur Fürstabtei vom Beginn der Reformation bis zur völligen Scheidung der beidseitigen Gebiete"; diese Abhandlung diente uns für die Stadt St. Gallischen Ver- hältnisse vielfach als Wegweiser. Ferner ist zu nennen das Wiler Archiv. Das meiste Material aber fand sich natürlich im Stiftsarchiv St. Gallen vor; so schöpften wir aus dem dort befind- lichen Band Nr. 102 manches Interessante über Leben und Wirk- samkeit Kilians. ^)

Es bleibt uns noch die angenehme Pflicht, den Herren, welche wir bei unsern Studien in Anspruch nehmen mussten, herzlich zu danken. Es sind dies vor allem die tit. Vorstände des St. Galler Stadt- und Stiftsarchivs, Dr. T. Schiess und J. Müller, welche uns in liebenswürdigster und zuvorkommendster Weise beim Sammeln des in ihren Archiven enthaltenen Materials mit Rat und Tat beistanden. Für die Durchsicht der Korrekturbogen sind wir Herrn Dr. Schiess noch zu ganz besonderem Dank verpflichtet. Im fernem danken wir den Herren vom Staatsarchiv und der Stadtbibliothek Zürich, dem Direktor des Innsbrucker Statthalterei- archivs und Herrn Landesarchivar Kleiner in Bregenz für ihre uns erwiesenen Gefälligkeiten. Endlich sei auch den Herren Pfarrer Dr. Bächtold und Dr. H. Herzog, Bibliothekaren zu Schaff- hausen und Aarau, wie auch den Herren Dr. R. und E. Bertsch in Zürich für ihr freundliches Entgegenkommen warm gedankt.

^) Siehe über diesen Band Beilage VI.

Abkürzungen.

1. Eidgenössische Abschiede, Bd. IV 1 a und IV 1 b, zitiert E. A., IV 1 a und IV Ib.

(Die Ziffern dahinter bedeuten die Nummern, niclit die Seitenzalüen.)

2. Aktensammlung zur Schweizerischen Reformationsgeschichte von Joh. Strickler, zitiert A.-S.

(Die arabischen Zahlen hinter den römischen, weh'li letztere den Band bezeichnen, bedeuten die Numinern, nicht die Seitenzahlen.)

3. Vadianische Briefsammlung, zitiert V.-B.-S.

4. Kesslers Sabbata, zitiert Sabb.

(Die Seitenzahlen nur nach der neuen Ausgabe.)

5. Joach. V. Watt, Deutsche historische Schriften, zitiert Vad.

6. Fridolin Sichers Chronik, zitiert Sicher, I, II (I., II. Bearbeitung).

7. Chronik des Hermann Miles, zitiert Miles.

8. BuUingers Reformationsgeschichte, Band II, zitiert Bull. II.

9. Stiftsarchiv St. Gallen, zitiert St.-A. 10. Stadtarchiv St. Gallen, zitiert Sta.

n. St. Galler RatsprotokoUe im Stadtai-chiv, zitiert R.-P,

1. ABSCHNITT.

Stadt und Abtei St. Gallen unter dem Einfluss der Reformation bis zum Tode des Abtes Franz Geissberg.

VORGESCHICHTE.

Das Kloster St. Gallen hatte zu Anfang des 15. Jahrhunderts zu verschwinden gedroht, so sehr war es, namentlich durch die Appenzellerkriege , herabgekommen. 1412 bildeten noch zwei Mönche den Konvent; der eine wählte den andern zum Abte! Seinen Neuaufschwung, seine „völlige Regeneration" verdankte das Stift dem energischen und klugen Ulrich Rösch. ^)

1458 wurde nämlich dem verschwenderischen Abt Kaspar durch einen päpstlichen Schiedsrichter die Verwaltung des Klosters entzogen und Ulrich Rösch, dem Grosskeller des Stifts, übertragen. Als der nominelle Abt starb, erhielt Rösch auch die Abtswürde. Er nannte sich Ulrich VIII. Diesen Mann, der sich vermöge seiner geistigen Fähigkeit vom Küchenjungen zur ersten Stelle in der Abtei emporgeschwungen, hielt man in Rom für den geeigneten Mann, das verwahrloste Stift zu reorganisieren. Mit fieberhaftem Eifer machte sich auch der neue Abt an die schwere Aufgabe. Der Abtei entfremdete Gebiete wurden wieder herangezogen, dazu neue Erwerbungen gemacht: 1468 kaufte Ulrich zum Beispiel von den Raron um 14,500 rheinische Gulden das Toggenburg. ^) Den Gotteshausleuten wurde ihre untertänige Stellung sehr deutlich klar gemacht, da tüchtige Beamte des Abtes für die richtige und

^) Näheres über diese „grossangelegte, kraftvolle Persönlichkeit" siehe bei Scheiwiler: „Abt Ulrich Rösch", im Neujahrsblatt des Historischen Vereins des Kantons St. Gallen für 1903.

-) Allerdings hatte das Kloster schon vorher ansehnliche Besitzungen in der Grafschaft.

St. Galler Mittlgn. z. vaterländ. Gesch. XXXIII. 1

pünktliche Einlieferung der Steuern und Abgaben sorgten. Auf diese Weise wurde auch der finanziellen Zerrüttung dem Haupt- übel, an welchem das Kloster litt erfolgreich gesteuert. Ja, der Abt war mit der Zeit imstande, seine Finanzen so in die Höhe zu bringen, dass er aus ihnen nicht bloss die auf dem Stift liegenden Schulden bezahlen, sondern auch seine sehr zahlreichen Landkäufe bestreiten konnte.

Sodann schloss Ulrich 1479 mit den vier eidgenössischen Orten Zürich, Luzern, Schwyz und Glarus den sogenannten „Hauptmann- schaftsvertrag" ab. Die vier Orte übernahmen laut des Abkommens den Schutz und Schirm der Rechte und Gebiete des Gotteshauses, und zwar sandte jeweils einer der vier „Schirmorte" in regel- mässigem Turnus seinen Vertreter, den Schirmhauptmann, für zwei Jahre ins Kloster: die Schirmorte sollten auf diese "Weise die Interessen des Stifts besser fördern können. Der Hauptmann- schaftsvertrag war vor allem gegen die Stadt St. Gallen gerichtet: ihren Expansionsgelüsten sollte damit ein Ende gemacht werden.

St. Gallen, das sich im Laufe der Jahrhunderte von der Abtei beinahe ganz frei gemacht hatte, konnte sich nämlich, weil rings von äbtischem Gebiet umschlossen, nur auf Kosten des Gottes- hauses ausdehnen. Unter Abt Kaspar ^) wäre es der Stadt bei- nahe gelungen, grössere Teile des äbtischen Gebietes käufhch zu erwerben. Aber die Konventualen, an ihrer Spitze Ulrich Rösch, weigerten sich, den Kaufvertrag anzuerkennen, worauf ihn schliess- lich die Vni Orte der damaligen Eidgenossenschaft für ungültig erklärten. Diese und andere Händel mit der Stadt boten dem Nachfolger Abt Kaspars, Ulrich VHL, den Vorwand zu der Er- klärung, er habe im Sinne, unter Beibehaltung des „wesen zu Sant Gallen", sein Kloster nach Rorschach zu verlegen. Der Hauptgrund für den Abt war aber, das Zentrum seiner Herr- schaft aus einer Stadt, die ihm, seit sie fast unabhängig war, feindselig gegenüberstand, in die Landschaft seines Gotteshauses zu verlegen. Konvent, Papst und Kaiser gaben ihre EinwilHgung, und da auch die äbtischen Untertanen nichts dagegen einwandten, wurde der Bau begonnen und machte rasche Fortschritte.

^) Vgl. hierüber wie über die nachstehend skizzierten Ereignisse der Jahre 1489 1490 Joh. Häne: ,Der Klosterbruch in Rorschach und der St. Galler Krieg" (in den Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte, herausg. vom Histor. Verein St. Gallen, Bd. XXVI).

Aber nun trat St. Gallen dem Klosterbau scharf entgegen. Mochte auch einerseits die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Stadt dadurch gewinnen, dass der Abt seinen Hauptsitz von dort weg verlegte, so war doch anderseits der kommerzielle Nachteil, den sie dabei erleiden mußte, ausserordentlich gross. Denn St. Gallens Markt verdankte seine Blüte vor allem dem Um- stand, dass die Stadt der anerkannte Mittelpunkt der äbtischen Gebiete war. Das musste sich völlig ändern, sobald der Abt seine Residenz nach Rorschach verlegte und dort, wie er beabsichtigte, einen Konkurrenzmarkt errichtete, mit dem er den St. Gallischen vernichten zu können hoffte. Zudem lag die Gefahr nahe, Ror- schach könnte der Haupthafen für die Stiftslandschaft werden und damit dem der Stadt gehörigen Steinach den Rang ablaufen.

Mit den St. Gallern verbanden sich die Appenzeller. Sie fürch- teten, der Abt möchte von Rorschach aus die Hand über ihr Herrschaftsgebiet im Rheintal schlagen, auf das der geistliche Herr schon lange ein Auge geworfen hatte.

St. Galler und Appenzeller beschlossen darum, das im Ent- stehen begriffene äbtische Kloster zu Rorschach zu vernichten. Die Seele des Widerstandes gegen den Abt war der St. Galler Ulrich Farnbüler, der die Gelegenheit benutzen wollte, um der Stadt jenes äbtische Territorium zu gewinnen, das St. Gallen durch den Kaufvertrag von 1455 bereits in den Händen zu haben ge- glaubt hatte. ^) Farnbüler, der von 1480 1490 stets die höchsten Ämter der Stadt bekleidete, verstand es, durch einen engern Kreis von Vertrauten innerhalb des Rates „die ganze Stadt nach seinem Kopfe zu regieren".

Am 28. Juh 1489 zerstörten 1200 Appenzeller, 350 St. Galler und 650 Rheintaler das im Bau begriffene Kloster, nachdem sie vorher vergeblich vom Abte verlangt hatten, dass er die Arbeiten daran einstelle. Die Abtei erlitt einen Schaden von etwa 16,000 Gulden.

Trotzdem sich nun Abt Ulrich eifrig bei den eidgenössischen Orten verwandte, um Sühne für den Frevel zu erlangen, richtete er anfangs wenig aus. Nach verschiedenen, resultatlos verlaufenen Tagsatzungen suchte schliesslich eine Botschaft eidgenössischer Orte (ohne Zürich, Luzern, Schwyz und Glarus) zu vermitteln. Doch der Versuch missglückte : Appenzell wollte ohne St. Gallen

^) Siehe oben.

nicht unterhandeln, und dieses glaubte, die Lage sei günstig; denn bereits hatte sich ein grosser Teil der Gotteshausleute gegen den Abt erhoben.

Seitdem Ulrich VIII. die Zügel der äbtischen Regierung in seine starke Hand genommen, waren bei seinen Untertanen wieder die alten Klagen über hartes, geistliches Regiment aufgekommen. An der Zerstörung des halbvollendeten Rorschacher Klosters scheinen sich die Gotteshausleute zwar nicht beteiligt zu haben. Aber ihr passives Verhalten während des Gewaltstreiches zeigt uns doch, dass das Verhältnis des Abtes zu seinen Untertanen ein wenig günstiges war. In der Umgebung von Rorschach hatte niemand Miene gemacht, die Gewalttat zu verhindern, trotzdem die äbtischen Untertanen sich mit dem Bau des neuen Klosters einverstanden erklärt hatten. Einzig die Toggenburger und Wiler erwiesen sich als zuverlässig.

In eine dem Abt geradezu feindliche Stellung wurden aber die unzufriedenen Elemente der Gotteshausleute nach dem „Kloster- bruch", d. h. der Zerstörung des Klosterbaues, gedrängt durch die agitatorische Tätigkeit des Otmar Gerster von Lömmiswil, ge- wöhnlich wegen seiner roten Haare ,,Fuchs" Gerster genannt. Eine Landsgemeinde zu Waldkirch brachte die von ihm ange- strebte Annäherung der Gotteshausleute an Appenzell und die Stadt St. Gallen zustande, und bei den Verhandlungen wegen des Klosterbruches auf der Tagsatzung zu Baden im Oktober 1489 benahm sich die Gesandtschaft der Gotteshausleute so, wie wenn das Fürstenland schon im Bunde mit den Appenzellem und St. Gallern stünde.

Auf dem Tag zu Waldkirch vom 21. Oktober 1489 schlössen jetzt sämtliche Gemeinden der Gotteshauslandschaft, ausgenommen Wil und dessen nächste Umgebung, mit den St. Gallern und Appen- zellem ein Bündnis. Abt und Konvent, hiess es in einem Artikel des Bundesvertrages, sollen versprechen, alle Mauerungen und Beschwerden abzustellen. Die Verhältnisse in den äbtischen Landen trieben immer mehr der offenen Revolution zu. Dazu kam nun noch, dass in St. Gallen im Dezember 1489 Ulrich Farn- büler zum Amtsbürgermeister ^) für das folgende Jahr gewählt wurde, womit die Stadt erklärte, dass sie Farnbülers Politik billige.

^) Heisst soviel als regierender Bürgermeister.

Nun aber beschlossen die vier Schirmorte der Abtei nach fruchtlosen Vermittlungsversuchen durch unbeteiligte eidgenös- sische Stände, mit Waffengewalt dem Abt Genugtuung zu ver- schaffen und die Erhebung niederzuwerfen. Sie hatten um so mehr Aussicht auf Erfolg, da ihre Gegner durchaus nicht einig waren : der Bund von Waldkirch, welcher Städter, freie Bauern und Untertanen verband, erwies sich bald genug als zu locker gefügt.

Dem von Wil gegen Gossau vorrückenden schirraörtischen Heere leisteten die Gotteshausleute keinen Widerstand. Sie schwuren den vier Schirmorten Gehorsam und versprachen, die Urheber der Empörung anzugeben.

Auch die Appenzeller krochen ohne Schwertstreich zu Kreuz, nachdem sie die Gotteshausleute und St. Gallen ohne militärische Unterstützung gelassen und ruhig den Verlauf der Dinge hinter ihrer Letzi bei Herisau abgewartet hatten. Sie bezahlten ihre abtfeindliche Haltung mit dem Verlust des Rheintals.

Noch leistete St. Gallen Widerstand. Doch nicht unter Farn- büler; denn dieser war, bevor das vierörtische Heer am 12. Februar 1490 vor den Mauern erschien, aus der Stadt geflohen. Trotzdem gedachte die wohlbefestigte Stadt dem Belagerungsheer ener- gischen Widerstand zu leisten. Dadurch entging sie zwar der Schmach einer Kapitulation, da ihre Gegner es nicht auf einen Belagerungskrieg ankommen lassen wollten. Aber die schliess- lichen Friedensbedingungen waren für die Stadt doch sehr hart. Wohl rettete St. Gallen unter Beistand Zürichs seine Selbständig- keit, verlor aber seine auswärtigen Besitzungen: Schloss Ober- berg, die zwei Gerichte Oberberg und Andwil, sowie das Gred- haus (Lagerhaus) zu Steinach. Diese Abtretungen wurden später für nur 8000 gl. von den Schirmorten dem Abt überlassen. Ferner hatte die Stadt an die vier Schirmorte 10,000 gl., an Abt Ulrich 4000 gl. zu zahlen. Das Schlimmste aber war, dass sie ihre Aus- burger ^) entlassen und keine neuen mehr aufnehmen durfte. Damit war St. Gallen die Erwerbung einer Territorialherrschaft verun möglicht.

Die Gotteshausleute wurden als Verführte behandelt und milde bestraft. Sie durften in Zukunft ohne Erlaubnis ihres Herrn, des

0 Leute, die Bürger der Stadt sind, aber nicht dort wohnen müssen.

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Abtes von St. Gallen, keine Versammlungen abhalten, und was besonders empfindlich für sie war: der Erb-, Todes- oder Sterbe- fall wurde wieder eingeführt. Endlich hatten sie den Schirmorten für die bewaffnete Intervention 4000 gl. und dem Abt an seinen erlittenen Schaden 3000 gl. zu zahlen.

Aber mochte auch Ulrich VIII. triumphieren, er hatte einen Pyrrhussieg errungen. Die siegreichen Schirraorte benützten nämlich die Gelegenheit, ihm einen neuen Hauptmannschafts- vertrag aufzunötigen (1490). Dieser sollte zwar nur eine „bessre erlüterung und verstendnus" des Hauptmannschaftsvertrages von 1479 sein, drückte aber die Gotteshauslandschaft tatsächlich zur gemeinen Herrschaft herab. Nach dem neuen Vorkommnis durfte z. B. kein Abt von den Besitzungen der Abtei etwas versetzen oder verkaufen, und die Gotteshausleute hatten in Kriegszeiten der Mehrheit der Schirmorte zuzuziehen, wohin diese wollten, und zwar auf eigene Kosten.

Den Anstiftern hatte der „Klosterbruch" allerdings nur Schaden gebracht. Jedoch das Zentrum der äbtischen Regierung blieb auch in Zukunft in St. Gallen, obwohl der Gegensatz zwischen Abtei und Stadt fortdauerte. Die rebellischen Untertanen waren wieder unter den Krummstab des Abtes von St. Gallen gebeugt worden; aber die Empörung hatte gezeigt, was für ein trotziges, selbst- bewusstes Wesen unter den Bauern der Ostschweiz vorhanden war.

Diese Erhebung steht jedoch nicht vereinzelt da, sondern bildet nur das Glied einer Kette von ähnlichen Erscheinungen in Süddeutschland und in der Eidgenossenschaft: 1462 hatten sich die salzburgischen Bauern erhoben, 1491/1492 empörten sich die- jenigen des Stifts von Kempten, und gleich der Anfang des 16. Jahr- hunderts bringt uns Erhebungen im Bernischen, Luzernischen und Solothurnischen.

Es sind darum die Bauernrevolutionen, die sich in den zwan- ziger Jahren des 16. Jahrhunderts abspielten, im Grunde genommen nichts Neues. Sie sind nur unter dem Einfluss der reformatorischen Ideen für die bestehende Ordnung sehr viel gefährlicher geworden als frühere; denn die Reformation gab der ganzen Bewegung eine sittlich-religiöse Grundlage. Wenn der untertänige Bauer diesseits wie jenseits des Rheines die evangelische Freiheit und Gleichheit der Menschen wörtlich und äusserlich auffasste, so war das wohl zu begreifen; denn hier wie dort war seine materielle Lage eine

keineswegs beneidenswerte, ^) und mochte er auch diesseits des Rheines durchschnitthch besser gestellt sein als sein deutscher Nachbar, so herrschte doch auch hier manchenorts eine revo- lutionäre Stimmung.

Dies war namentlich wieder bei den bäuerlichen Untertanen des Abtes von St. Gallen der Fall, und zwar arbeiteten diese, was für den geistlichen Herrn besonders gefährlich war, nicht nur auf soziale, sondern vor allem auch auf politische Besserstellung hin. Ja, im Grunde genommen war es nichts mehr und nichts weniger als die Ablösung vom Stifte, was sie anstrebten, wie das schon der Rorschacher Klosterbruch wenigstens für die nördlichen Ge- biete der äbtischen Lande deutlich genug bewiesen hatte. Seit jener Zeit hörten die Händel der Untertanen mit ihrem geist- lichen Herrn nie mehr ganz auf. '^) Fortwährend hatte der Prälat mit seinen Untertanen Späne wegen Zehntenverweigerung aus- zufechten. Und dass das Streben nach politischer Unabhängigkeit in seinem Herrschaftsgebiet nicht erlosch, dafür sorgten die Toggen- burger, deren Selbstgefühl durch die grossen, im Verein mit den Eidgenossen bestandenen Kämpfe wach geworden war. ^) Wenn bei diesen steten Reibereien zwischen Abt und Untertanen Miss- trauen und Erbitterung gegenseitig fortwährend wuchsen, so war das nicht verwunderlich. Und nun war vollends durch die Refor- mation dem Bauer die Bibel in die Hand gegeben worden. Wo stand da etwas von der masslosen und ewigen Belastung des Armen durch geistliche und weltliche Herren, wo ein Wort von geistlicher Hierarchie? Der Bauer musste auf den Glauben kommen, dass er es sei, der für das Christentum fechte, für eine gute Sache. Während bisher bei den Bauernunruhen vorwiegend soziale und politische Motive gewirkt hatten, kam nun noch das religiöse Moment hinzu und damit der Fanatismus. Alle drei wirkten zu- sammen, um im Sommer 1525 die Revolution der süddeutschen

^) So heisst es in dem eidg. Glaubenskonkordat von 1525, dass der , ge- meine arme Mann eben merklich von geistlichen Prälaten und Gotteshäusern, auch von edeln und unedeln Gerichtsherren allenthalben mit der Eigenschaft (Leibeigenschaft) hart und streng gehalten worden" sei. (Oechsli, „Das eidg. Glaubenseoncordat von 1525", Jahrb. für Schweiz. Gesch., Bd. 14.)

2) H. Nabholz: „Die Bauernbewegung in der Ostschweiz, 1524 1525", S. 13. (Inaug.-Diss., Bülach 1898.)

^) J. Dierauer: „Das Toggepburg unter äbtischer Herrschaft." (St. Galler Neuj.-Bl. 1875.)

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Bauern hervorzurufen. Da sich diese grossenteils in nächster Nähe der eidgenössischen Grenze abspielte, so machte sich die Bewegung auch bei den Untertanen des Abtes von St. Gallen wohl bemerkbar; standen doch die äbtischen Untertanen in Ver- bindung mit den aufständischen süddeutschen Bauern. Doch kam es unter den Gotteshausleuten nicht zu einer eigentlichen Er- hebung. Die Stiftsbauern begnügten sich vorderhand damit, ins- gesamt bei den Schirmorten über unbillige Abgaben zu klagen, die sie dem Kloster zu entrichten hätten, worauf diese dem Abt und seinen Anklägern einen Rechtstag nach Rapperswil auf den 29. März 1525 ansetzten. Der Tag verhef jedoch resultatlos, da nur ein Teil der Gotteshausleute Gesandte geschickt hatte, und die Schirmorte verlangten, dass die äbtischen Untertanen ihre Klagen in einem gemeinsamen Programm ihnen vorlegen sollten. ^) Bis das aber geschah, war der Aufstand unter den deutschen Bauern mächtig angewachsen, und unter dessen Einfluss nahm auch die Bewegung im Gebiet der Abtei St. Gallen eine drohende Wendung, so dass Abt Franz es für nötig erachtete, eine Be- satzung ins Schloss Rorschach zu legen.

Die am 1. Mai 1525 zu Lömmiswil zusammentretende Ge- meinde der Gotteshausleute, welche sich über die Beschwerde- punkte gegen den Abt einigen sollte, durchwehte ein recht revo- lutionärer Geist, der in den Forderungen der versammelten Land- leute beredten Ausdruck fand: neben bedeutenden materiellen Erleichterungen sollte der Abt urkundlich versprechen, ohne Wissen und Willen der Gotteshausleute keine Verfügung zu treffen ! Er wurde denn auch von diesem und den andern Beschlüssen der abgehaltenen Gemeinde in Kenntnis gesetzt und aufgefordert, sie anzunehmen. Sehr begreiflich, dass der geistliche Herr darauf nicht einging. Dabei fand er Hilfe bei seinen Schirmorten, welche nunmehr von den Gotteshausleuten die Absendung von Bevoll- mächtigten forderten. Diese sollten den Abgeordneten der vier Stände die Beschwerden des Fürstenlandes vortragen, worauf dann die Boten der Schirmherren, wenn nötig, einen Spruch fällen würden, falls mit gütlicher Verhandlung nichts auszurichten wäre. Einen hierfür angesetzten Tag besuchten aber die Unter- tanen des Stiftes nicht, unwilhg über das gestellte Verlangen

') E. A., IV, la, S. 603 p und S. 610 ff.

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der Schirmorte. Sie versprachen sich von einem Paktieren mit den Regierungen der einzelnen Schirmorte mehr als von einem Rechtstag, wo sie ihre Forderungen begründen mussten, und hofften ganz besonders, dass Zürich ihnen seinen Beistand nicht versagen werde, da es ja auch die Verbreitung der Zwingiischen Lehre im äbtischen Gebiete in jeder Weise unterstützte. Kommunistische Ideen, von Wiedertäufern unter ihnen verbreitet, taten das Ihrige, die Untertanen des Abtes im Widerstände gegen ihren Herrn zu ermutigen. Doch machte schliesslich die blutige Unterdrückung derdeutschen Bauernbewegung auch die äbtischen Widerspenstigen mürbe, so dass sie endlich einen neuen Tag (10. Juli 1525) zu Rapperswil beschickten und hier der Rechtshandel zwischen dem Abt und den Bevollmächtigten seiner Untertanen beginnen konnte.

Wie vorauszusehen war, endigten die Verhandlungen völlig zu Ungunsten der Gotteshausleute: beinahe mit allen ihren For- derungen wurden sie abgewiesen, da ihre Bevollmächtigten eben fast immer den genügenden Beweis für die Unrechtmässigkeit der von ihnen beanstandeten Lasten schuldig blieben. ^) Demütigend für die Stiftsbauern war auch, dass am 28. Juli, ebenfalls zu Rapperswil, der energische, aber den Gotteshausleuten verhasste Verfechter der äbtischen Rechte, Dr. Christoph Winkler, ^) den die Tablater gefangen genommen, freigesprochen und diesen eine Busse von 100 Gulden auferlegt wurde. ^) Der Abt erhielt zudem die Erlaubnis, die Rädelsführer zu bestrafen, worauf er sie aus dem Lande jagte.

So hatte der Prälat, vor allem durch die Wendung, welche der Bauernkrieg in Süddeutschland genommen allerdings unter bedeutenden Geldopfern, welche ihn der lange Prozess kostete,*) vollständig gesiegt. Aber die Ruhe kam für ihn nicht wieder. Schon hatten sich nämlich die reformatorischen Ideen Luthers und Zwingiis im äbtischen Gebiete so stark verbreitet, dass die sozialen und politischen Fragen, die bisher in dem Streite mass- gebend gewesen, anfingen, von den rehgiösen Gesichtspunkten ganz in den Hintergrund gedrängt zu werden; ja, die politisch- sozialen Fragen gingen nunmehr in den religiösen auf, und dieser

^) Näheres bei Nabholz, Bauernbewegung, S. 90.

2) über seine Tüchtigkeit siehe Vad. II, S. 402 12.

^) Über den Handel siehe Sabb., S. 196/197.

^) Sicher, I, S. 64io, berechnet die Kosten des Abtes auf mehr als 1500 gl.

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neue Gegensatz bedeutete für Abt Franz wie für so manchen andern Prälaten eine Gefahr, die unter Umständen seine ganze Macht in geistlichen und weltlichen Dingen in Frage stellen konnte.

Auf dem oben genannten Rechtstage war die religiöse Frage bereits von den Gotteshausleuten gestreift, aber vom Abt geschickt umgangen worden. In sehr kluger Weise wollte er nämlich zuerst mit den sozialen und politischen Forderungen seiner Untertanen ins Reine kommen, ehe er die viel gefährlichere religiöse Frage angriff.

Wie sehr aber die letztere bereits in der Eidgenossenschaft überhaupt in den Vordergrund gerückt war, zeigte sich noch im Jahre 1525. Boten aus denjenigen Gebieten des Rheintales, in denen der Abt von St. Gallen die niedere Gerichtsbarkeit besass, klagten gleich nach Abschluss des Rechtstages zu Rappers wil vor den Boten der im Rheintal regierenden Orte über ungerechte Abgaben, die sie dem Abte entrichten müssten. Eine Vermittlung der Tagherren in dem Streit verhinderten aber die im Rheintal mitregierenden Urner, indem sie erklärten, dass sie neben dem ketzerischen Zürich nicht mehr tagen wollten. Erst im Juli 1526 konnte zu Rorschach ein Vergleich zwischen Abt Franz und den Rheintalern zustande gebracht werden. ^)

Auch im Toggenburg hatte sich unter dem Einfluss der neuen Lehre der Geist des Ungehorsams gegen den Abt von neuem geregt, und in der Stadt St. Gallen huldigte bereits die Mehrheit der Bürger dem neuen Glauben.

So tritt immer mächtiger, alle andern Fragen weit zurück- drängend, das religiöse Moment in den Vordergrund. Deswegen haben wir nun die reformatorische Bewegung in der Stadt und auf dem Gebiete der Abtei eingehend darzustellen und verfolgen vorerst die Vorgänge in St. Gallen, da von hier aus die neue Lehre auch in der Landschaft des Gotteshauses verbreitet wurde.

1) E. A., IV, 1 a, S.

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I. Kapitel.

Die Einführung der Reformation in der Stadt St. Gallen.

Beim Rorschacher Klosterbruch und St. Galler Krieg konnten wir sehen, welch schroffe Gegensätze zwischen Kloster und Stadt St. Gallen vorhanden waren. ') An diesem misslichen Verhältnis hatten die folgenden Jahre wenig geändert, lag doch das Zentrum der äbtischen Herrschaft nach wie vor in der Stadt St. Gallen. Gerade das bewirkte aber, dass man an der Steinach der Auf- nahme reformatorischer Ideen günstig gesinnt war.

„Der hauptsächliche Urheber und der massgebende Leiter",-) die eigentliche Seele der Reformationsbewegung in der Stadt St. Gallen ist Vadian gewesen, d. h. die leitende Persönlichkeit in der Glaubensänderung war hier im Gegensatz zu Zürich ein Laie, der sich aber als Vorkämpfer für die neue Lehre dem Theologen näherte.

Joachim von Watt ^) stammte aus einer gut bürgerlichen

^) Siehe oben.

^) Stähelin, Yadian, S. 213, siehe folgende Anmerkung.

^) Leider besitzen wir bis zum heutigen Tage keine Vadianbiographie, die den modernen wissenschaftlichen Anforderungen genügte und uns ein vollstän- diges Bild vom Leben und der Tätigkeit dieses hochbedeutenden und persönlich so ansprechenden Mannes zu geben imstande wäre. Von bedeutenderen älteren Arbeiten über ihn nenne ich diejenige von Theod. Pressel (in dem Sammelwerk Leben und ausgewählte Schriften der Väter und Begründer der reformatorischen Kirche", Bd. IX, Elberfeld 1861). Für die damalige Zeit eine recht gute Ar- beit, ist sie heutzutage zum grossen Teil veraltet. Die Vad.-Briefsamml. und die Sabbata wurden ungenügend ausgenützt. Der ganzen Arbeit merkt man an, dass sie von einem Theologen geschrieben wurde. Ferner sei die in ihrer Art ausgezeichnete Arbeit Rudolf Stähelins: ,Die reformatorische Wirksamkeit des St. Galler Humanisten Vadian", genannt (in den Beiträgen zur vaterl. Gesch., herausgeg. von der Hist.-antiquar. Gesellschaft Basel. Neue Folge, Bd. 1, der ganzen Reihe XI. Bd., 1882). Wie der Titel andeutet und auch der Verfasser selbst sagt, will dieses Buch keine eigentliche Biographie sein (Stäh., S. 196). Trotzdem sich aber Stähelin auf die Darstellung der reformatorischen Tätigkeit Vadians beschränkt, müssen wir es als einen grossen Mangel des Buches be-

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Familie St. Gallens, die im 14. Jahrhundert zu Stand und Ver- mögen gelangt war. Ihre Glieder gehörten vornehmlich dem Kauf- mannsstande an. Als Sohn des Handelsmannes und Ratsherrn Leonhard von Watt und der Magdalena Talmann wurde der spätere Reformator St. Gallens am 28. Dezember 1484 geboren. Der Vater, ein Freund der schönen Künste und Wissenschaften, bestimmte den Sohn für die gelehrten Studien. Ein sorgfältiger Privatunterricht ward ihm zuteil; ein Vater voll Würde und eine Mutter voller Frömmigkeit gaben ihm das Beispiel einer feinen und religiösen Lebensführung. Damit verband sich die glückliche, harmonische Anlage des strebsamen Jünglings.

Dennoch blieben auch ihm die Versuchungen eines freien Lebens nicht ferne, als er zu Wien studierte. Aber ein väter- licher Freund gab ihn sich selbst zurück, und bald finden wir ihn in der fremden Stadt als angesehensten Humanisten und Professor der alten Sprachen. Als solchem fehlte es ihm nicht an Ehrenbezeugungen noch an einem Kreise von Gleichgesinnten und Freunden, und schon damals traten jene beiden Züge seines sympathischen Wesens hervor, die ihn über das Mittel seiner Zeit- und Gesinnungsgenossen hinausheben : mildes Menschentum und unaussprechlicher Trieb nach innerer Wahrheit.

Als Humanist und Gottesgelehrter, der seine theologischen Studien vornehmlich im Lichte der Geschichte und seine historischen Anschauungen im Lichte des Gottesreiches klärte, kam er 1518 nach St. Gallen: eine abgeschlossene, abgerundete, seltene Er- scheinung. Was ihn von Wien forttrieb, wissen wir nicht genau. Neben der Pest war es jedenfalls das Streben, seiner Vaterstadt zu dienen, damit „auch die Nachwelt einstimmig sagen sollte, dass er nichts unterlassen habe, worin er seiner Geburtsstadt, seinen Angehörigen und jedem Rechtschaffenen sich nach Kräften habe dienstbar erweisen können''.

zeichnen, dass die Yad.-Briefsamml. der Stadtbibliothek St. Gallen nicht benützt worden ist, wie Stähelin übrigens ausdrücklich bemei'kt (S. 196). Endlich ist noch der neuesten Arbeit über Vadian zu gedenken, die Ernst Götzinger verfasst hat (in den Schriften des Vereins für Ref.-Gesch., Heft 50: , Joachim Vadian, der Reformator und Geschichtschreiber von St. Gallen", Halle 1895). Vergleichen wir diese Schrift mit derjenigen Presseis, so müssen wir sagen, dass Götzinger über Pressel eigentlich nicht hinausgekommen ist, ausser was die Angaben über die von ihm herausgegebenen Deutschen histor. Schriften Vadians betrifft : auch las: ihm die Vad.-Briefsamml. nur zum kleinsten Teile gedruckt vor.

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Er hatte nämlich nach seinen philologischen, theologischen und juristischen Studien, und nachdem er zum Dichter gekrönt worden war, im Jahre 1517 auch den Grad eines Doktors der Medizin sich erworben, und gleich nach seiner Rückkehr nahm der Rat von St. Gallen den berühmten Mann als Arzt in den Dienst der Stadt. Und sie durfte stolz darauf sein ; hoffte man in Wien doch immer noch auf seine Rückkehr, und auch Zürich bewarb sich um ihn. 1519 ehelichte er Martha Grebel von Zürich. So treu er in Zukunft den humanistischen Studien auch blieb, so können wir doch in den nächsten Jahren eine entschiedene Neigung zu kirchlichen Fragen hin erkennen, wie auch deutlich der Umstand beweist, dass er in Reuchlins Kampf mit den Dunkel- männern lebhaft Partei für diesen ergriff. Wir treffen ihn jetzt in einem unausgesetzten Studium der Bibel und der Reformations- schriften und in regem brieflichem Verkehr mit seinem Freunde Zwingli '), seit 1520 auch mit Luther, und finden ihn mit Plänen für die Reformation seiner Vaterstadt beschäftigt.

Aber noch mehr als in Zürich stellten sich in St. Gallen der Ausbreitung der neuen Lehre grosse Hindernisse in den Weg. Wie ein Pfahl im Fleisch lag das Kloster St. Gallen innerhalb der Stadtmauern und schloss mit seinem grossen Territorialbesitz die Reichsstadt völlig ein. Sie war dadurch in ihrem Streben nach Entwicklung lahmgelegt, hatte auch, wie wir wissen, ihren Versuch, den Ring zu sprengen und sich auszudehnen, teuer be- zahlen müssen. ^) Dazu kam, dass unter den Bürgern der Stadt selbst eine starke Oppositionspartei vorhanden war, die der ge- planten religiösen Neuerung ablehnend gegenüberstand. Zu ihr gehörten einmal, wie anderswo auch, jene Leute, die gern gegen- über den kirchlichen Missbräuchen ein Auge zudrückten, wenn dafür ihre äussere Sicherheit und Ruhe nicht gefährdet wurde. Bedenklicher war, dass auch vor allem die im Kleinen Rate sitzen- den reichen Kaufleute zu den Gegnern der Reform gehörten. Sie erblickten nämlich in solchen durchgreifenden Änderungen, wie sie die neue Lehre für die Stadt mit sich bringen musste, eine grosse Gefahr für den St, Gallischen Handel; denn in der Eid-

^) Schon 1513 beklagte sich Zwingli in einem Briefe an Vadian, dass er ihn in seinem brieflichen Verkehr vernachlässige, Glarus, 23. Februar 1513. (V.-B.-S., Nachträge 1509—25, Nr. 7, St. Galler Mitteilungen, Bd. XXVII.)

^) Siehe oben.

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genossenschaft, zu deren zugewandten Orten St. Gallen seit dem 13. Juni 1454 gehörte, war vorderhand nur Zürich den kirchlichen Reformen günstig gesinnt, und die dortige Regierung hatte genug zu tun. um in ihrem Machtbereiche der neuen geistigen Richtung zum Durchbruch zu verhelfen. Eine allfällige militärische Unter- stützung von dieser Seite war für St. Gallen vorderhand voll- ständig ausgeschlossen. Im Deutschen Reiche aber herrschte da- mals Karl V., dem die Einheit des Glaubens und unter diesem verstand der Habsburger natürlich den Katholizismus für ein Reich ein unbedingtes Erfordernis schien; daher die aus politischen Erwägungen hervorgehende antilutherische Gesinnung des Kaisers. Unter solchen Verhältnissen St. Gallen zu reformieren, ohne dadurch die äussere Stellung der Reichsstadt schwer zu gefährden, dazu gehörte eine bedeutende Persönlichkeit. Vadian hat die Aufgabe glänzend gelöst.

Der erste Widerstand gegen die Einführung der neuen Lehre war natürlich vom Kloster zu erwarten. Dessen Abt, Franz Geiss- berg, war ein gewandter und geschickter Verteidiger der Rechte seiner Abtei, wie wir bereits bei Gelegenheit der sozialen Un- ruhen unter seinen bäuerlichen Untertanen (1525) konstatieren konnten. ^) Die Rechte des Klosters zu verteidigen, zu behaupten und wenn möglich zu vermehren, das bildete das Hauptziel seines Lebens. ^)

„Von erheben, riehen vater und müter bürtig", war er an- fänglich gegen den Willen seiner Eltern ins Kloster St. Gallen eingetreten. Bald wurde er wegen seines guten Betragens und seiner Geschicklichkeit in geistlichen Geschäften Novizenmeister, dann Superior, und als 1504 Abt Gotthard starb, ging bei der Neuwahl Franz Geissberg aus dem Dreiervorschlag als Sieger hervor, indem besonders die jungen Konventualen für ihn stimmten.^)

In religiösen Dingen scheint er, wie der Durchschnitt der Kleriker zu jener Zeit, ein recht äusserlicher und oberflächlicher Herr gewesen zu sein, dem vor allem daran lag, die äussere Pracht des Gottesdienstes zu steigern : ') Die Orgel im Münster

^) Siehe oben.

^) Kessler bezeichnetihn als „fürtreffenlich geschwind und verständig . . . uf des clausters bruch und zütragenlicher hushaltung". (Sabb., S. 314 22—23.) 3) Sicher, I, S. 100 f. '^) „ein grosser cerimonier" wird er von Vadian (II, S. 413 ii) genannt.

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wurde restauriert, was den Abt mehr als 1500 Gulden kostete;^) für prachtvolle Messgewänder -) und Verschönerungen im Münster wurden tausende von Gulden ausgegeben. ^) In Essen und Trinken aber war Abt Franz gegen sich und die Konventualen sehr spar- sam. ^) Charakteristisch für seine einseitige Sparsamkeit ist die Bemerkung Vadians:'') „seine konventzbrüder vielend in schwäre krankheiten von wegen des säursten weins, den sie trinken müss- tend, sie trunkend in gern oder nit", obwohl dem Abt jährlich bis 400 Fuder Wein eingingen,-') worunter mancher gute Tropfen. 1520, nachdem Papst Leo X. Notker I. kanonisiert hatte, be- stimmte Abt Franz einen besondern Feiertag für diesen Spezial- heiligen des Klosters. ') Der äusserlichen Auffassung des Christen- tums entsprechend, war auch die Ausbildung, die der Abt Jüngern Mönchen angedeihen liess, recht gering. Sein Konvent war ihm gelehrt genug, wenn er singen, lesen, Messe halten und andere Kirchendienste verrichten konnte. -) Nicht höher war wohl auch seine eigene Bildungsstufe. Doch besass der Abt Eigenschaften, die ihn über den Durchschnitt der damaligen Geistlichen empor- hoben : neben seiner grossen Wohltätigkeit gegen die Armen, ^) die an diesem Manne besonders zu schätzen ist, mussten auch seine Gegner anerkennen, dass er sich sein ganzes Leben lang keine Fleischessünden zuschulden kommen liess. ^^') Ausserlich war der Abt von kleiner Statur, ^^) in früherer Zeit auch von recht gesundem Aussehen, aber seit einer Reise nach Rom, wo er seine

1) Sicher, I, S. 102i5-i(;.

2) Sabb., S. 44/45.

^) Siehe Sicher, I, S. 102.

■*) Sabb., S. 314 23.

^) Vad., II, S. 4139-u.

6) Vad., II, S. 412 4M-44.

^) Vad., II, S. 40016-19.

^) Vad., II, S. 412 40-41. Vadian bemerkt an dieser Stelle, Abt Franz habe gelehrte Leute nicht hoch geachtet. Trotzdem stand er mit ihm in Korrespon- denz und widmete dem Prälaten auch seine 1517 verfasste Avisgabe des Pom- ponius Mela. Dass das Vei-hältnis Vad.s zum Abte noch Ende 1520 ein günstiges genannt werden kann, beweisen uns die Bitten zweier Freunde Vad.s, sie dem Abte zu empfehlen. (V.-B.-S., II, No. 145, 150,152, 165, 216. Das letzte dieser Empfehlungsgesuche stammt vom 17. Sept. 1520.)

■•) Sicher, I, S. 104 e.

10) Vad., II, S. 412 33-37; Sabb., S. 314 27-28.

11) Sabb., S. 314 30.

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Konfirmation holte, leidend, wie Sicher berichtet, infolge einer Vergiftung, ^) so dass er in den spätem Jahren hinfällig aussah „und ganz gelb von Angesicht".-)

Der feste Wille des Abtes, sich nirgends in seinen Rechten antasten zu lassen, seine entschieden anti-reformatorische Ge- sinnung, für die ihm Papst Adrian VI. in einem besondern Breve grossen Dank wusste, als einem „ernstlichen Widerf echter" lutherischer Lehre, ^) die anfängliche Opposition in der Stadt St. Gallen selbst, dazu die bereits berührte, sehr ungünstige äussere politische Lage, erforderte den ganzen Takt und die grosse politische Begabung Vadians für die Einführung der neuen Lehre in seiner Vaterstadt. Planmässig, den richtigen Moment ruhig abwartend, wie Zwingli in Zürich, „ohne leiden- schaftliche Überstürzung, aber auch ohne Menschenfurcht, mit Kraft und Weisheit" ^) führte der grosse St. Galler die Refor- mation in seiner Vaterstadt durch. Ohne irgendwie vorderhand an den bestehenden staatlichen Einrichtungen zu rütteln, be- gnügte sich Vadian zunächst damit, ihm geneigte Geistliche in der Stadt in reformfreundlichem Sinne zu belehren. Dann folgten unter seinem Einfluss Berufungen auswärtiger, der Reformation günstig gesinnter Geistlicher. Zu den ersten gehörte sein früherer Schüler, Benedikt Burgauer, der an die durch die Pest erledigte Stelle eines Pfarrers zu St. Laurenzen '") berufen wurde und im Verein mit seinem Helfer Wolfgang Wetter, genannt Jufli, die neue Lehre in lutherischem Sinne '') unter der Bürgerschaft zu verbreiten begann. ') Einen weiteren Fortschritt der neuen Rich- tung bedeutete die Ernennung eines der Reformation günstig gesinnten lateinischen Schullehrers, Dominikus Zili, die ebenfalls

1) Sicher, I, S. 1015-11.

2) Sabb., S. 314 31-33.

^) Vad., II, S. 402 15. In einem Brief vom 19. Okt. 1528 an Ambrosius Blaurer nennt Vadian den Abt einen Mann „perniciosae et jjrodigae diligentiae". (V-B.-S., IV, ^0. 540.)

^) Dierauer, Gesch. d. Schweiz. Eidgenossenschaft, Bd. III, S. 68.

'"') Es war die eigentliche Stadtkirche, während über St. Mangen und die Klosterkirche der Abt verfügte.

«) Sabb., S. 105 f.

') Burgauer wurde am 30. Sept. 1519 als Leutpriester zu St. Laurenzen angestellt, Wetter am 18. Okt. des gleichen Jahres an die ,HeliFery" daselbst berufen. (R.-P. 1519.) Vgl. über beide Egli im Komm, zur Sabbata, S. 551.

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unter dem Einfliiss Vadians im Frühjahr 1521 ^) erfolgt war. Die Zahl der Neugläubigen in der Stadt war in fortwährendem Wachsen begriffen. ^) Darauf gestützt fing der reformfreundiiche Grosse Rat an, die in St. Gallen vorhandenen Mönchsorden der Augustiner, Franziskaner und Dominikaner streng zu überwachen und ihnen zu verbieten, die „Widerwärtigen" in der Stadt gegen das Evan- gelium aufzureizen, oder man würde mit ihnen so handeln, dass sie ihr Unrecht einsehen müssten. •^) Er beklagte sich auch im August 1523 bei der Tagsatzung zu Luzern wegen Belästigung der Bürger durch Priester, welche die Städter fortwährend mit Zitationen vor den Bischof .von Konstanz und mit geistlichen Gerichten beschwerten.^) Der Streit zwischen den Alt- und Neu- gläubigen zu St. Gallen hatte sich auch bereits auf die Kanzeln verpflanzt, indem besonders der Münsterprediger Dr. Wendelin Oswald von Sommeri ■') seinem Abscheu vor der ketzerischen Lehre scharfen Ausdruck gab, weshalb er hinwiederum von den Reformierten angegriffen wurde, ") und schon war der Abt von einem Gerücht, das im Lande herumging, in Kenntnis gesetzt worden, als ob St. Galler Bürger die Alte Landschaft gegen ihn aufzureizen versuchten, Grund genug für den Prälaten, bei der Stadt vorstelhg zu werden. ')

Unterdessen scheinen Burgauer und Wetter nicht das ge- leistet zu haben, was man von ihnen erwartete. So wurden der bedächtige und zurückhaltende Burgauer, ,,der gern seine eigenen

1) R.-P. 1521: Donnerstag nach Ostern (4. April). Vgl. über ihn Egli, a. a. 0., S. 554.

^) Dass St. Gallen noch 1522 dem Bündnis der XII Orte (ohne Zürich) mit Frankreich beitrat, geschah aus Rücksicht auf den St. Gallischen Handel. (Vgl. T. Schiess, ,Drei St. Gallische Reisläufer", St. Galler Neujahrsblatt 1906, S. 25 f.)

3) R.-P. 1523, Jan. 29.

^) E. A., IV, la, S. 322 n.

■^) Siehe über ihn Pressel, S. 56 ff. Wendelin, wenn auch von wenig ein- wandfreiem Lebenswandel, war ein gewandter Verteidiger des alten Glaubens. Er erklärte z. B., man dürfe das Neue Testament wegen Missverständnissen den ,, Einfältigen" nicht in die Hand geben. Der Zank der neugläubigen Theologen unter einander sei der beste Beweis dafür, wie schief es mit dem neuen Glauben stehe etc.

^) R.-P. 1523, fol. 60b. Siehe auch den Brief Zwingiis an Wendelin, d.d. 23. Feb. 1524. (H. Zwingiis Werke, ed. Schulerund Schulthess, Bd. VII, S. 324 bis 326.)

') R.-P. 1523, fol. 61a.

St. GaUer Mittlgn. z. vaterländ. Gesch. XXXIII. 2

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Wege ging", ') und der geistig wenig bedeutende Wetter eine Zeitlang sehr in den Hintergrund gedrängt von dem Pfarrer von Memmingen, Christoph Schappeler, einem geborenen St. Galler, der vorübergehend in seiner Vaterstadt predigte und, wie Kessler erzählt, -) Wendelin öffentlich Lügnerei vorwarf und ihn ver- gebens zum Disputieren aufforderte. Noch viel grössern Eindruck machten aber auf die Bürger die Predigten des Waldshuter Pfarrers und spätem Wiedertäufers Dr. Balthasar Friedberger oder Hubmeier, ^) der, „mit lieblichem und hellem gsprech be- gäbet",^) die Masse zu begeistern und mit sich fortzureissen wusste. ■') Seine baldige Abreise wjiirde sehr bedauert. ") Auch Vadian hatte den Gast gern gesehen, und er lud ihn noch im Juni 1524 ein, wieder nach St, Gallen zu kommen. '')

Wenn so bis ins Jahr 1523 die neue Lehre sich schon kräftig in der Stadt ausgebreitet hatte, so dass Vadian gegen einen Be- kannten seiner Freude darüber Ausdruck geben konnte,^) so erhielt sie mit Beginn des Jahres 1524 durch den „milden" ") Johannes Kessler neue, mächtige Förderung. ^'^) Aus einer bis auf den heutigen Tag nachweisbaren St. Galler Familie gebürtig, hatte er sich zum Studium der heihgen Schrift anfangs 1522 nach Wittenberg begeben, wo er zu den Füssen Luthers sass. Auch Melanchthon und Bugenhagen hörte er. Als dann Kessler, nach dreisemestrigem Studium in Wittenberg, am 9. Dezember 1523 nach St. Gallen zurückkehrte, wurde er schon auf Neujahr 1524 von Anhängern der neuen Lehre ersucht, mit ihnen die heilige Schrift zu lesen und sie ihnen zu erklären. ^^) Zwei Tage darauf begann

1) Arbenz, St. Galler Neujahrsbl. 1905, S. 10 ; Egli, Reform.-Gesch., S. 345 f.

2) Sabb., S. 10710-16.

3) Siehe E. Egli, Die St. Galler Täufer (Zürich 1887), S. 12; Kommentar zur Sabbata, S. 552.

^) Sabb., S. 107 1.

•^) Sicher, I, S. 6l2iif.

^) Sabb, S. 107 6-9.

"') V.-B.-S.: Nachträge 1509—1525 (St. Galler Mitteil. XXVII), Nr. 92.

«) V.-B.-S., II, Nr. 354.

■') Dierauer, III, S. 68.

^^) Das Leben und Wirken dieses um die St. Galler Reformation so hoch- verdienten Mannes hat von berufenster Hand, durch E. Egli, in der Einleitung zur Sabbata (S. VII bis XXIV) und durch die prächtige Neuausgabe der Kessler- schen Chronik selbst seine gebührende Würdigung erhalten. 11) Sabb., S. 107 17 ff.

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Kessler mit seinen „Lektionen" zuerst in einem Privathaus; dann setzte er, wegen der stets wachsenden Zuhörerschaft, in dem Zunfthaus der Schneider und schliesshch in dem grossen Saal der Weberzunft diesen Privatgottesdienst fort. Versuche der katholischen Bürger, Kesslers fortwährend im Steigen begriffenes Ansehen zu schwächen und seinem „Lesen" Einhalt zu tun, ^) hatten keinen Erfolg, besonders weil der Rat seine Wirksamkeit sichtlich billigte, -) obschon der Prediger nur ein Laie war. Kessler hatte nämlich aus Überzeugung auf die Ordination zum Priester verzichtet. Bald erlangte er eine solche Bedeutung, und seine Zuhörerschaft wuchs derart, „dass seine Privatversammlungen einige Zeit hindurch von grösserm Einfluss auf die reformatorische Entwicklung geworden sind, als die offizielle Predigt der Kirche".'^) Was Kessler trotz mancher Mängel, die seinen Lektionen an- hafteten, den Erfolg sicherte, lag neben der treuherzigen und anschaulichen Art seiner Darstellung vor allem darin, dass er ein Schüler Luthers war und seine Reformationsideen direkt von der Quelle stammten. „So ist, soweit es die religiöse Erweckung durch populäre Verkündigung des Evangeliums betrifft, unser Kessler der Mann, der vor allen andern als Anfänger der St. Galler Kirche vor uns steht und dem neben Vadian, dem geistigen Haupt und Leiter des Gemeinwesens, der Name des Reformators zuer- kannt werden darf." *)

Aber auch der Grosse Rat, dem Vadian seit seines Vaters Tode angehörte, beschäftigte sich nunmehr eingehend mit der kirch- lichen Reform. Lange Sitzungen dieser Behörde fanden deshalb statt, in denen man auf Mittel und Wege sann, den Widerstand, dem die neue Lehre besonders noch von selten des Kleinen Rates begegnete, zu brechen. Daneben suchte der Rat aber dem wegen des Glaubens bereits heftig entbrannten Streit unter den Bürgern nach Möglichkeit zu steuern. Er verbot am 1. April 1524, dass sich jemand ,,parthyen" dürfe, und erliess am 4. eine Straford- nung, nach welcher derjenige, der einen andern „ketzert, hübet, schelmet", zwei Pfund Busse bezahlen sollte. ^)

^) Sabb., S. 108 39—109 5.

2) R.-P. 1524, fol. 82 b.

3) Egli, Täufer, S. 14. 1) Egli, Sabb., S. XI.

^) R.-P. 1524, fol. 82 b.

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Schon setzte aber auch der offene Konfhkt der Stadt mit dem Abte ein. Auf der Tagsatzung zu Luzern, im Mai 1524, Hess Franz durch seinen Kanzler Klage führen, dass einige in der Stadt St. Gallen Drohungen gegen ihn ausgestossen hätten. Die Tagherren forderten den Abt nun auf, sich genau zu erkundigen, wer es gewesen sei, und auf der Jahrrechnung zu Baden darüber Bericht zu erstatten ; gehe ihm dies zu lang, so solle er den IV Schirmorten einen Tag nach Einsiedeln ansetzen. ^)

Die kathoüschen Elemente in der Schweiz und vor allem der Kern derselben, die V Orte, waren fest entschlossen, dem geist- lichen Herrn gegen die von der Ketzerei angesteckte Stadt zu helfen, wie sie überhaupt durchaus noch daran festhielten, die Neugläubigen in der Schweiz zu rekatholisieren, wenn nötig, mit Waffengewalt. An der Spitze der anti-reformatorischen Bewegung stand Luzern, unter dessen Führung die V Orte den Feldzug gegen das im Glauben abtrünnige Zürich eröffnet hatten, ^) In schärfster Form hatten ihre Vertreter auf einem Tage zu Beggen- ried (8. April 1524) den Grundsatz aufgestellt, dass sie beim alten Glauben bleiben und, soweit es in ihrer Macht hege, den neuen nicht aufkommen lassen oder da, wo er schon vorhanden, wieder ausrotten wollten. ^) Indessen war in St. Gallen ein eidgenös- sisches Schreiben eingelaufen, worin stand, es sei der „ainhelhg" Wille der Tagherren, dass der Rat ,, diesen vertribnen Pfaffen" ausweise, weil er gegen christlichen Brauch in einer Trinkstube predige, in der sich nicht gebühre, über Gottes Wort zu reden. Dieses Schreiben deutete man auf Georg Gügi,^) gewesenen Pfarrer zu Kleinrickenbach, der damals, wegen seiner evangelischen Ge- sinnung vom Landvogt im Thurgau verjagt, nach St. Gallen ge- kommen war, und der Rat ersuchte, um weitern Misshelligkeiten mit den Eidgenossen vorzubeugen, den Pfarrer, er möchte „an zit lang ussert die statt tretten"; er könne, wenn er wolle, in Monats- fristwiederkommen. Daraufhin verliessGügi die Stadt."^) Kessler war diesmal noch dem Angriff der katholischen Eidgenossen entgangen.

1) E. A., IV, la, S. 419pi.

2) Dierauer, III, S. 59.

^) S. das Nähere darüber bei Dierauer, III, S. 59/60; E. A., IV, 1 a. Nr. 175. ^) Gügi steht neben Kessler in der Hochschulmatrikel von Wittenberg vom Jahre 1522 (Sabb., S. VIII); siehe A.-S., I, 777. Kommentar z. Sabb., S. 553. ■^) Sabb., S. 109 18-22; ebenda Kommentar, S. 553 f.

21

Der Rat hatte nachgegeben, da die überwiegende Mehrheit der eidgenössischen Stände noch kathohsch war und man es nicht mit diesen verderben wollte, ohne sich aber von dem einmal ein- geschlagenen Wege abbringen zu lassen. Schon am 4. April ^) 1524 war ein Erlass der Obrigkeit erfolgt, der einen Markstein bildet in der St. Gallischen Reformationsgeschichte. Es sei der Wille des Grossen Rates, heisst es in diesem Reformationsmandat, „das ir Seelsorger und predicanten in irer pfarrkirchen nun fürhin an den canzlen gar nichts predigend und dem volk verkündigend dann das hailig evangelion hell, dar und nach rechtem cristen- lichen verstand, one inmischung menschlichs züsatz, der uss bib- lischer gschrift nit gegründt ist und sy nit mit dem evangelio und biblischer gschrift erhalten und bewisen mögend".^) Für Zwiste unter den Bürgern in religiösen Dingen war eine Kommission von vier Mann eingesetzt worden. Gegenseitige Schmähungen, Gotteslästerungen und Zutrinken wurden bei strengen Strafen verboten. ^) Der Rat hatte also in seiner vorsichtigen Art die Kultus- und Verfassungsfragen wohlweislich nicht berührt. Am 8. Juni 1524 folgte eine städtische Armenordnung. ^) In schöner Weise fügte der Rat dem Erlass bei, dass nicht äusserliche Zere- monien Gott wohlgefällig seien, sondern Barmherzigkeit.

Dass Zwingii zu dem kräftigen Fortschreiten der Reformation in St. Gallen sein Teil beitrug, ist selbstverständlich. Besonders liess er sich's angelegen sein, Vadian aufzumuntern und anzu- spornen. Nachdem er den St. Galler Reformator in einem Briefe vom 24. Februar 1524 wegen seines Eifers für die Sache des Evangeliums gelobt,^) schrieb er ihm im Mai des gleichen Jahres: . . . „carissime Vadiane ! Neque nunc a diligentie tue in evangelio Christi commendatione temperare possum, quam ita vigilem et inexhaustam video, ut tales nobis multos precer episcopos, qui Vadiani more vadere ac promovere nunquam desistant" . . . .^) Und dem St. Galler Reformator ahmte der Grosse Rat nach.

1) R.-P. 1524, fol. 82 b, Kessler nimmt den 5. d. M. an (S. 114 20).

2) Sabb., S. II234-.39; vgl. Egli, Reform. -Gesch., S. 349. ^) Sabb., S. 113/114.

*) Sabb., S. 114 116. Vgl. über diese Armenordnung die Notiz bei Stähelin, Vad., S. 216, Anm. 1; Egli, a. a. 0., S. 351 f. ">) V.-B.-S, III, Nr. 382. 6) V.-B.-S., III, Nr. 393, Zwgl. an Vad., Zürich 16. Mai 1524.

22

Langsam, vorsichtig abwägend, aber unaufhaltsam rückte er auf der Bahn der kirchhchen Reformen vorwärts. Willkommen war ihm der Besuch der beiden angesehenen Prediger Sebastian Hof- meister aus Schaffhausen und Leo Jud aus Zürich, die im Sommer 1524, von einer vergeblichen Glaubensreise nach Appenzell heim- kehrend, von Wolfgang Wetter und einigen andern St. Galler Bürgern aufgefordert wurden, in der Gallusstadt abzusteigen und dem Volke zu predigen. Gerne leisteten sie der Aufforderung Folge und halfen mit, der neuen Richtung die Wege zu ebnen. ^) Wie sehr sich die Reformation in dieser Zeit schon in der Stadt eingebürgert hatte, ergibt sich aus dem Umstand, dass mit Wissen und Willen der Obrigkeit zwei Kirchenpfleger damit beginnen durften, die Bilder aus der Stadtkirche St. Laurenzen zu ent- fernen, wodurch nun der Bruch mit der katholischen Kirche auch äusserlich eingeleitet wurde, nachdem er innerlich schon lange begonnen hatte. Um aber jedes Ärgernis oder allfällige An- feindungen von Seiten der Katholiken zu vermeiden, wurden die Bilder nur teilweise und auch diese ganz allmählich und bei Nacht aus der Kirche entfernt, -) ohne dass der Rat sonst mit dem bisherigen Zustand gebrochen hätte. So liess er auch weiter zu St. Laurenzen Messe lesen. Doch das Vorgehen der Obrigkeit fand Anklang, indem nun einzelne Bürger anfingen, in ihren Häusern die Heiligenbilder zu entfernen. ■^) Schon vorher hatten Beda Miles und einige andere stürmische Gesellen einen kleinen Bildersturm veranlasst, indem sie nächtlicherweile „an gross bild- hus" unfern der St. Laurenzenkirche leerten, wobei die Bilder in Brüche gingen. Ob letzteres absichthch oder zufällig ^) geschah, lassen wir dahingestellt. Da sich die katholischen Bürger durch die Tat verletzt fühlten, und besonders weil sie in eigenmäch- tiger Weise verübt worden, wurden die Bilderstürmer um 5 Pfund gestraft. ^) Das verhinderte aber nicht, dass die anti-katholische Bewegung in der Stadt immer mehr zunahm : als am 29. Mai 1524 der Abt seine übliche Fronleichnamsprozession abhielt, hatten einige Neugläubige in der Webergasse, wo der Zug durchging,

1) Sabb., S. 111/112.

2) Sabb., S. 116/117. Vgl. zum folgenden Egli, a. a. 0., S. 350 f. •^) Sabb., S. 117 27-29.

*) Sabb., S. 117 21-22.

5) Ib. 24— 26 ; R.-P. 1524, fol. 85 a, hier auch die Namen der Schuldigen.

23

ihre Ablassbriefe an Stangen vor ihren Häusern aufgehängt und beim Passieren der Prozession gerufen: „Lössend ab den ablass, lössend ab den ablass!" ^) Der Vorfall machte peinliches Auf- sehen, wie denn auch der Abt nachträglich lieber gesehen hätte, dass unter solchen Umständen die Prozession unterblieben wäre.^) Wieder aber schritt die Obrigkeit gegen den begangenen Unfug ein, indem sie die Schuldigen je um 2 Pfund büsste. '')

Die immer entschiedener hervortretende Stellungnahme St. Gallens für die Reformation ^) verschlechterte aber natürUcher- weise die Beziehungen der Stadt zu den katholischen Ständen fortwährend. Wie gereizt man vor allem in der Innerschweiz schon über die Neuerungen in St. Gallen war, trat auf der im Juli 1524 stattfindenden Tagsatzung in Zug mit einer Deuthch- keit zutage, die nichts zu wünschen übrig Hess. Vadian, neben dem Unterbürgermeister Andres Müller ^) Vertreter St. Gallens, wurde von den Gesandten von Luzern und Uri in heftigster Weise geschmäht und fand für gut, sich heimlich aus dem Staube zu machen. ^) Schon längst war er bei den Katholiken als „hopt- ketzer" verschrieen "') und nicht mit Unrecht als die Seele der Reformationsbewegung in St. Gallen angesehen worden. Auch hatte man ihm nicht vergessen, dass er an der Zürcher Dispu- tation im Oktober des vergangenen Jahres (1523) den Vorsitz geführt. ^) Im folgenden Monat ging auch das Gerücht herum, dass der Abt auf Vadian, den Stadtschreiber Augustin Fechter, Wolfgang Wetter und drei andere im ganzen 600 Gulden „potten hab".'0

Doch die Wellen der neuen Bewegung gingen unter dem mächtigen Einfluss Zürichs höher und höher. Von hier, „dem klassischen Reformationsgebiet der deutschen Schweiz", aus, ver-

1) Chronik des Herrn. Miles (St. Galler Mitteü., Bd. 28, S. 319).

2) Vad., II, S. 40412-14.

=') R.-P. 1524, fol. 87 a, ibid. die Namen der Missetäter. ^) Der Rat hatte bereits beschlossen, die Nonnen zu St. Katharina (und zu St.Leonhard) zu bevogten. (R.-P. 1524, fol. 87 a und 88 b.)

5) R.-P. 1524, fol. 90b.

6) Sabb., S. 117/118.

^) Doch vergleiche dazu die ehrenden Worte, die der Luzerner Schultheiss Zukäs noch im Dez. 1524 über Vadian verlauten Hess. (V.-B.-S., III, Nr. 410.) «) Siehe Dierauer, III, S. 36. ^) R.-P. 1524, fol. 91b, „uff 6 mann".

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breitete sich, durchaus im Sinne Zwinghs, der auf „eine wahr- hafte Regeneration der ganzen Eidgenossenschaft" hoffte, ^) die neue Geistesrichtung strahlenförmig nach allen Seiten hin. Sie zeigte aber schon früh, gleich wie die lutherische Lehre, Aus- wüchse, veranlasst von radikalen Schwärmern, die bewiesen, Avie staatsgefährlich der neue Glaube werden konnte, wenn man daran ging, die letzten Konsequenzen zu ziehen. Die Wiedertäuferei und die Erhebungen unter den Bauern, vorderhand nur jenseits des Rheines, lehrten das zur Genüge.

Noch waren aber die streng katholischen eidgenössischen Stände fest entschlossen, der wachsenden religiösen Bewegung nicht nur Einhalt zu gebieten, sondern sie wieder auszurotten. Die V Orte, die seit dem Tag von Beggenried, im April 1524, geschlossen gegen die neue Religion Stellung genommen, äusserten, unterstützt von Freiburg, im Juni dieses Jahres auf dem Tag zu Baden die Absicht, Zürich aus dem Bunde zu stossen und mit Gewalt gegen die neugläubigen Zürcher vorzugehen; doch konnte auf dem schon genannten Tag zu Zug (11. Juni 1524) Bern, unter- stützt von Glarus, Solothurn und Basel, die von den übrigen Orten geplanten gewalttätigen Schritte gegen die Limraatstadt verhin- dern. ^) Auch St. Gallen bekam diese drohende Haltung der Mehr- heit der Orte gegenüber dem Evangelium bald zu spüren. Seinen Gesandten wurde anfangs September 1524 auf einem Tag zu Baden erklärt, die St. Galler seien als Eidgenossen verpflichtet, wie die andern Orte die Gebräuche der Väter zu halten; die Eidgenossen seien entschlossen , in ihrem Gebiete den neuen Glauben gänzlich auszurotten und Leib und Gut daran zu setzen ; die St. Galler Regierung solle „ihren Kessler" dazu anhalten, von seinem Predigen und Vorlesen auf den Stuben abzustehen. ') Ein drohendes Schreiben, von den [VI oder] VII Orten (V Orte mit Freiburg und Solothurn) an St. Gallen geschickt, ^) sollte den an dessen Gesandte gerichteten mündlichen Ermahnungen den nötigen Nachdruck verleihen. Wie Kessler selbst berichtet, •') berief ihn daraufhin der Rat vor sich und verbot ihm, weiter

1) Dierauer, III, S. 56.

-) Dierauer, III, S. 60.

3) E. A., IV, la, Nr. 2071, k; A.-S., I, 904.

^) Sabb., S. 10932—33. Vgl. zum folgenden Egli, Reform. -Gesch., S. 353.

^) Sabb. 109/110, siehe auch R.-P. 1518—28, fol. 95 a.

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Lektionen zu halten, nachdem die Regierung vergebens versucht hatte, ihn durch einen Ratsfreund zu bewegen, dass er güthch davon abstehe.

Doch der Stein war ins Rollen geraten und Hess sich nicht mehr aufhalten. Der Nachfolger Kesslers, Wolfgang Schorant, genannt Ulimann, ^) konnte die Lektionen mit grossem Erfolg fortsetzen, und der Prediger Dominikus Zili und die Neugläubigen erlangten sogar durch einstimmiges Mehr des Grossen Rates die Erlaubnis, fortan in der Stadtkirche zu St. Laurenzen ihre „Lesenen" abhalten zu dürfen, was natürlich das Ansehen dieser Betstunden bedeutend erhöhte, da viele St. Galler den Versammlungen nur deshalb ferngeblieben, weil sie bisher nicht in einem Gotteshaus abgehalten worden waren. -) Am 14. November 1524 folgte dann ein äusserst wichtiger obrigkeitlicher Erlass, der die Laienpredigt gestattete, ^) ohne dass der Rat ausdrücklich Stellung zu ihren Gunsten genommen hätte.

Der Abt suchte dem allem nach Möglichkeit entgegenzu- treten. Er beklagte sich am 26. Januar 1525 im besondern beim Rat 0 über die Lektionen Zilis, nachdem er schon anfangs De- zember 1524 auf der Tagsatzung zu Luzern über St. Gallen Klage geführt und die Tagherren seine Beschwerden in den Abschied genommen hatten. •')

Bei der seit dem Ittingersturm äusserst gespannten Lage ") fassten nun die VI Orte den Beschluss, eine Botschaft an die übrigen eidgenössischen Stände ausser Zürich zu senden und ebenso zu den Gotteshausleuten und der Stadt St. Gallen, um

^) Über ihn siehe Egli, Täufer, 8.19 und Carl Pestalozzi : Die St. Magnus- Kirche in St. Gallen während tausend Jahren, 898 1898 (St. Gallen, 1898), S. 76 78, ferner Eglis ausführlichere Darstellung Reform. -Gesch., S. 354 f.

^) Sabb., S. 111, Sonntag d. 2. Feb. versammelten sich zum ersten Mal die Teilnehmer an den „Lesenen" in der ihnen zugewiesenen Kirche.

''') R.-P., fol. 97 a, „Gross rat mentag vor Othmari anno 1524 : uff anbringen ainer grossen mengi von burgern und gotzhuslüten, och der underthonen oder pfleger zu S(ant) M(angen) sind m(ine) h(erren) rettig worden, das man in kainer kilchen solle lassen lesen dann priester, die dartzü geordnet sind, aber ze lesen usserhalb den kilchen wollend inen m(ine) herren nüt abgeschlagen noch nüt erlobet haben, aber sich aller gehorsame unnd guten zu inen versehen."

4) R.-P. 1525, fol. 100 a.

^) E. A., IV, la, Nr. 227 g.

ö) Siehe Dierauer, III, S. 61— 65.

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sich über deren Stellung zur Glaubensfrage Gewissheit zu ver- schaffen. 0 So erschienen denn um 2 Uhr nachmittags des 6. Januar 1525 2) die Boten der Orte auch vor dem St. Galhschen Grossen Rate. Auf ihren Vortrag erklärte dieser, er sei entschlossen, den Bund, den die Stadt mit einigen Orten habe, treuhch zu halten und Leib und Leben zu ihnen zu setzen ; der Verwirrung wegen des „ungleichen Predigens" in der Stadt habe man in der Weise gesteuert, dass der Rat in einem Mandat den Priestern und Prädikanten befohlen habe, nichts als das klare Wort Gottes, wie sie es aus der heiligen Schrift erweisen könnten, zu predigen. Zum Schluss ersuchte der Rat die Boten noch, ihre Obern zu bitten, sie möchten nicht ohne weiteres den Verleumdungen gegen St. Gallen Glauben schenken, sondern darüber schriftUch Nach- richt geben und die gebührende Antwort abwarten. Eine Frage wegen Beteiligung der Stadt an einer Disputation hatte der Rat ausweichend beantwortet, gab darüber auch seinen Gesandten auf den Tag von Luzern (27. und 28. Januar 1525) keine Vollmacht, um dann am 6. Februar 1525 daran festzuhalten und durch seine Boten auf einem weitern Luzerner Tag erklären zu lassen, er halte sich für „zu siecht" für die Beurteilung von religiösen Fragen ! ■^)

Bei dieser für die kathohschen Stände wenig tröstlichen Haltung der Stadt St. Gallen war der scharfe Ton, der gegen dessen Gesandte auf der Luzerner Tagsatzung im Februar 1525 angeschlagen wurde, sehr begreiflich. Man habe, hiess es da, schon früher St. Gallen aufgefordert, einen gewissen weltlichen Prädikanten, der in Trinkstuben und Tanzlauben predige, abzu- stellen; nun aber habe der „lutherische Bub" neulich wieder in der St. Laurenzenkirche gepredigt; das befremde die IX Orte sehr, und man begehre darum nochmals ernstlich, dass die Stadt die lutherischen Prädikanten und besonders jenen „laischen Buben oder Schulmeister" abstehe und nur geweihte Personen predigen lasse; man könne diesem Unwesen nicht mehr länger zusehen.^) Doch scheinen die katholischen Orte wenig genau über die Ver- hältnisse in der Stadt St.GaUen unterrichtet gewesen zu sein, da sie

1) E. A., IV, la, Nr. 228 t.

^) R.-P. 1525, fol. 99 a; E. A., IV, 1 a, Nr. 235.

■^) R.-P. 1525, fol. 100 b.

^) E. A., IV, 1 a. Nr. 247 b.

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in ihren Angriffen Kessler mit Zili verwechselten. Der Rat zu St. Gallen zeigte sich ihnen auch wenig willfährig, indem er am 17. Februar beschloss: „die lection in der kilchen lassen beliben, wie die vormals angesehen ist". ')

Die immer entschiedenere Stellungnahme des Grossen Rates gegen den Katholizismus trug das Ihrige dazu bei, die Spannung zwischen den Katholiken in der Stadt, vor allem den Klerikern des Abtes, und der in ihrer grossen Mehrheit reformfreundlichen Bürgerschaft zu vergrössern. Hüben und trüben fehlten zudem die Elemente nicht, welche durch ihre extreme Haltung die Situation im Laufe des Jahres 1525 immer unerquicklicher ge- stalteten. Am 9. März 1525 beklagte sich der Abt durch seinen Hofmeister vor dem Rat über eine vergangene Nacht ihm zu- gefügte Beleidigung mit dem Ersuchen, dem Fall nachzugehen und die Übeltäter zu bestrafen, da er sich sonst anderwärts Schutz suchen müsste. Der Rat antwortete darauf, er hätte der Sache nachgeforscht, aber nichts Gründliches erfahren können ; er wolle übrigens tun, was sich gebühre, hätte auch bereits ein Mandat erlassen, damit solches und ähnliches in Zukunft unter- bleibe. -) Dieser Erlass des Rates scheint aber wenig gefruchtet zu haben ; denn am Palmsonntagabend verursachten mehr als 300 St. Galler, an ihrer Spitze Zunftmeister Christian Appenzeller,^) im Feldnonnenstift St. Leonhard einen wüsten Tumult, so dass die Klosterfrauen Sturm läuteten, bis schliesslich Vadian durch sein persönliches Erscheinen die Ruhe wieder herstellte, *) Aber auch auf katholischer Seite steigerte man die gegenseitige Er- bitterung, indem der uns bereits bekannte Pfarrer am Münster, Wendelin Oswald, von der Kanzel herunter seine Angriffe in heftigster Weise fortsetzte.

Doch viel gefährlicher als dieses Vorgehen von katholischer Seite war für St. Gallen der Feind, der im Schosse der neu-

1) R.-P. 1525, fol. 101b.

2) R.-P. 1525, fol. 103 b.

^) Er wurde zur Strafe seines Amts beraubt.

^) Vgl. das St. Galler Neujahrsblatt 1868: „Die Feldnonnen bei St. Leon- hard", von E. Götzinger (S. 5/6), auf das hier ein für allemal verwiesen sei. Wir machen speziell noch auf die darin enthaltenen Tagebuchnotizen der Vor- steherin aufmerksam, welche uns zeigen, wie hart die konsequente Durchführung der Reformation manche Altgläubigen treffen mochte.

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gläubigen Partei selbst entstanden war: Die Wiedertäiiferei. ^) Von Zürich aus war die Sekte auch in St. Gallen eingedrungen,-) wo sie gewissermassen den Boden schon vorbereitet fand durch die uns bekannten Lektionen Kesslers. War doch dieser ein Laie und jedem Teilnehmer erlaubt gewesen, zu fragen und zu wider- legen. Die neue Sekte erhielt in St. Gallen mächtigen Vorschub, als ihr schweizerisches Haupt, Konrad Grebel, „ein sehr begabter, aber innerlich haltloser" ■*) Mann, einige Wochen vor Ostern 1525 in St. Gallen erschien. Gewaltige Scharen aus Stadt und Land zogen am Palmsonntag an die Sitter, um sich taufen zu lassen. Der Sieg der einen oder andern neuen Glaubenslehre stand zu St. Gallen eine Zeitlang auf der Wage. Die Stadtobrigkeit kam bald in eine bitterböse Lage, zeigte aber unter der Führung Vadians wieder die grösste Klugheit im Vorgehen gegen die Sektierer. Das Haupt der Wiedertäufer, nach der Abreise Grebels war es der uns schon durch seine „Lesenen" bekannte Ulimann, wurde wegen Störung der Lektionen in der Kirche vor den Rat zitiert und ihm befohlen, vorderhand in seinen wiedertäuferischen Verrichtungen stillzustehen bis zum Austrag der Angelegen- heit, bei Strafe der Ausweisung aus Stadt und Gerichten. Das gleiche Verfahren wurde auch gegen zahlreiche andere Wieder- täufer angewendet und damit die Sekte zum Stillstand verurteilt, ohne dass man an dem Vorgehen des Rates etwas aussetzen konnte. Vadian schrieb nun selbst gegen die Wiedertäufer und fand auch die gewünschte Unterstützung bei Zwingli, dessen bedeutendste Schrift gegen den Wiedertauf St. Gallen gewidmet ist. Anderseits suchte Grebel durch einen Brief, dessen Inhalt wie eine „Beschwörung" klang, für seine Anhänger zu wirken, indem er ihn an den einflussreichsten Mann in St. Gallen, an Vadian.

^) Wir geben hier nur das Allern ötig.ste über die Wiedertäuferei zu St. Gallen, verweisen im übrigen auf die schon mehrfach zitierte Arbeit Eglis: „Die St. Galler Täufer".

^) Es war der gegen den Willen Zwingiis aus Zürich vertriebene Lorenz Hochreutiner, der die Sekte in St. Gallen aufbrachte. Zwingli und Konr. Grebel empfahlen Vadian den Mann. (V.-B.-S., III, Nr. 368 und 369, 11. und 12. Nov. 1523.)

^) Götzinger, Vadian, S. 24; siehe auch das von Emil Arbeuz verfasste St. Galler Neujahrsblatt 1886: „Aus dem Briefwechsel Vadians", das über Konr. Grebel interessante Aufschlüsse gibt.

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richtete, der ja sein Verwandter war. ^) Die Erregung in der Stadt war gross. Aber eine Disputation anfangs Juni 1525 ver- lief ungünstig für die Täufer, und daran anschliessend erschien am 8. Juni ein Mandat der Obrigkeit, das die Täuferei endgültig verbot. Um jeden allfälligen Tumult in der Stadt im Keime zu ersticken, Hess der Rat 200 Bürger schwören, sobald es verlangt werde, sich bewaffnet auf dem Rathause einzufinden, um die öffentliche Ordnung handhaben zu helfen. -) Die strenge Bestrafung, die bald erfolgte, zeigte, dass sich der Rat des Ernstes der Lage wohl bewusst war, und sinnlose Taten, ^) von Wiedertäufern begangen, bewiesen bald, wie sehr die Obrigkeit mit ihrem Vor- gehen im Rechte war. So kehrte die Ruhe rasch wieder in die neugläubige Bürgerschaft zurück, wenn auch noch längere Zeit hindurch wiedertäuferische Regungen an die so gefährliche Situation erinnerten, in welche die Stadt St. Gallen durch die radikalen Schwärmer gebracht worden war. Die evangelische Gemeinde war siegreich und gefestigt aus dem Kampfe hervor- gegangen. ■*)

Ausser wegen der täuferischen Bewegung war das Jahr 1525 besonders durch die von uns schon skizzierten Bauernaufstände ein sehr unruhiges und für die Stadt gefährliches gewesen. Trotz der verlockenden Aussicht, welche sich damals für die Stadt auftat, sich für die 1490 erlittene schwere Einbusse am Stift schadlos zu halten, blieb sie aus triftigen Gründen neutral: durch die Wiedertäuferei bereits in eine schwierige Lage gebracht, konnte sich St. Gallen die grosse Gefahr, die ein Anschluss der Stadt an die Bauern unter Umständen mit sich bringen musste, nicht verhehlen. Dabei wirkte sehr abschreckend die Erinnerung an den so ungünstig verlaufenen Rorschacher Klosterkrieg, der vor allem gerade durch den Verrat der Gotteshausleute so jämmer- lich für St. Gallen geendet hatte.

Auch der vollständige Sieg, den der Abt durch den Rappers- wiler Rechtstag im Juli 1525 über seine Gotteshausleute errang

1) Konr. Grebel an Vad. d. d. 30. Mai 1525 (V.-B.-S., III, Nr. 430). Der St. Galler Reformator mag in dieser Zeit bittere Stmiden durchgemacht haben, da er in seinem eigenen Schwager das Haupt der Wiedertäufer bekämpfen musste.

2) R.-P. 1525, fol. 113a.

3) Siehe Sabb., S. 154 ff.

'^) Götzinger, Vadian, S. 27.

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und der eine Neubefestigung seiner Macht bedeutete, machte sich sehr bald der Stadt St. Gallen äusserst unangenehm fühlbar. Die schroffe Stellung der VI katholischen Orte gegen den neuen Glauben, welche bereits Ende 1524 derart gewesen war, dass vorübergehend ein Krieg zwischen Zürich und den VI Orten un- vermeidlich geschienen, ^) kam dem Abt dabei zustatten. Anfangs September 1525 traf ein sehr scharfes Schreiben von der Tag- satzung zu Luzern im Namen der XII Orte ein, das wichtig genug war, um unter dem 8. September in extenso ins Ratsbuch aufgenommen zu werden.-) „Der vergifft lutherisch und, bas ze reden, tufehsch missglob", heisst es in dem Schreiben, sei so stark in St. Gallen aufgetreten, dass man den christlichen Gottes- dienst abgestellt habe und verachte, und dass es „gantz grob" in St. Gallen zugehe; das missfalle den Orten sehr; es sei darum ihr „ernstUch beger und bitt", dass die Stadt die Neuerung bei Strafe verbiete und beim alten Glauben bleibe, wie sie das Gott schuldig sei, laut heihger Schrift und Kirchenordnung; man be- gehre in der Sache auf den nächsten Tag, der in Baden statt- finde, mündhche oder schriftliche Antwort. Eine Konferenz der kathohschen Orte, die vor diesem Termin zu Schwyz am 11. Sep- tember stattfand, beschloss ferner, dass die Boten der VI Orte, welche bei den im Glauben noch unentschiedenen eidgenössischen Ständen herumzureisen Befehl hätten, sich auch nach St, Gallen begeben und dort „allerlei erzählen" sollten, weil die Stadt ver- triebene Täufer und Prediger beherberge; die Boten sollten die Stadt ermahnen, diesen den Schirm aufzusagen und sich den VI Orten im Glauben gleichförmig zu machen, ^) Als drei Tage später der Tag von Baden stattfand, Hess St. Gallen durch seine Gesandten eine lange Instruktion vortragen als Erwiderung auf das Schreiben der eidgenössischen Orte vom Luzerner Tag. Den

^) Siehe Dierauer, III, S. 65 f.

2) R.-P. 1525, fol. 118b; E. A., IV, 1 a, S. 766. Ob es wirklich die XII Orte waren, in deren Namen das Schreiben abgesandt wurde, wie das R.-P. angibt, möchten wir bezweifeln. Kessler (Sabb., S. 227) spricht ausdrücklich nur von VII Orten, verlegt aber das Schreiben ins Jahr 1526. Doch ist die Tagangabe des Schreibens im R.-P. und in der Sabb. die gleiche (1. Sept.), und die von Kessler in extenso wiedergegebene Missive stimmt, wenige ganz neben- sächliche Abweichungen ausgenommen, mit den Angaben im Ratsbuch überein, so dass es sich also nicht um zwei verschiedene Schreiben handeln kann.

3) E. A., IV, la, Nr. 302 a.

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katholischen Ständen aber gefiel diese Antwort „nicht zum besten", und man schrieb der Stadt nochmals ernstlich, sie solle von „et- hchen Artikeln" abstehen und sich im Glauben von den „andern" Eidgenossen nicht absondern. ')

Die Drohungen und Mahnungen der kathohschen Orte fruch- teten aber wenig. Schon am 20. September nahmen Boten der V Orte und von Glarus zu Tobel in den Abschied, dass der Haupt- mann zu St. Gallen einen in Schwyz freigelassenen „lutherischen Buben" in der Stadt St. Gallen gefunden, wo er gotteslästerhche Reden ausstosse. Zudem scheine dem Hauptmann die Sekte dort eher zu- als abzunehmen; das Volk benehme sich daselbst je länger je ungeschickter. -)

Dass unter solchen Umständen das Verhältnis des Abtes zur Stadt immer bedenklicher wurde, ist klar. Schon gingen Gerüchte um von Rüstungen des Abtes und einem geplanten Angriffe auf St. Gallen. ■■') Mochten vielleicht diese Gerüchte wenig begründet sein, die Situation war doch so ernst, dass der Rat beschloss, alle innerhalb der Stadtgerichte wohnenden Personen einen Treueid leisten zu lassen. ') Auf den 18. Dezember 1525 zitierte man darum die Priester vor den Rat. In freundlichen Worten erläuterte der Bih-germeister den Geistlichen den ausserordentlichen Beschluss des Rates und erklärte, dieser sei „um bessers friden willen, und darniit mengklich wisse, was sich ainer zu dem anderen ver- sehen solle", gefasst worden; man werde ihnen dafür auch Schutz und Schirm angedeihen lassen wie andern Bürgern. Darauf for- derte er auch von ihnen den Bürgereid, oder man würde sie als Fremde ansehen und behandeln. ■') Die von der Stadt ernannten Geisthchen leisteten den Eid sofort, die vom Abt eingesetzten Priester verlangten Bedenkzeit. Sie legten aber am kommenden Freitag (22. Dezember) ebenfalls der Stadt den Treueid ab, da ihnen der Rat keine andere Wahl Hess, als zu schwören oder St. Gallen zu verlassen. '') Der Abt musste in dieser „ongehorten änderung" ') wohl deutlich das Misstrauen erkennen, das man

1) E. A., IV, 1 a, Nr. 304 d, Baden 14. Sept.

2) E. A., IV, la, Nr. 307 e.

3) R.-P. 1.525, fol. 122 b.

4) R.-P. 1525, fol. 126 a. ö) Sicher, II, S. 206 f.

'') R.-P. 1525, fol. 127. ^) Sicher, II, S. 206 21-22.

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dem Stift entgegenbrachte. So wurde die Kluft immer grösser, besonders auch, da die Reformation in der Stadt ihren Fortgang nahm. Im Januar 1526 hörte Wolfgang Wetter auf, Messe zu lesen, und der Stadtpfarrer Burgauer wurde durch ein warnendes .,Zedeli" dazu gebracht, das Gleiche zu tun. ^) Die Obrigkeit liess dies geschehen, ohne sich direkt für oder gegen die Abschaffung der Messe zu erklären. -) Diese Beseitigung der Messe „samt andren überflüssigen ceremonien" an der städtischen Kirche machte aber eine neue gottesdienstliche Ordnung nötig. Deren Aufstellung wurde vom Rate einer Kommission übertragen, welcher auch Vadian angehörte. Sie stellte die Vorschriften für den Kirchendienst fest. In echt christlicher Weise wird in der Liturgie die Barmherzig- keit gegenüber Armen empfohlen, und der Rat machte seine Prädikanten noch speziell darauf aufmerksam. ■^)

Wenig später ereignete sich ein Vorfall, der ein grelles Licht wirft auf das damals waltende Missverhältnis zwischen Stadt und Kloster. In der Nacht vom Samstag auf den Ostersonntag wurde aus der Sakristei des Münsters eine Anzahl kostbarer Chormäntel und Messgewänder gestohlen. ^) Im Kloster hielt man den Dieb für einen St. Galler, trotzdem die Stadt eine strenge, aber erfolg- lose Untersuchung in ihrem Gebiete angeordnet hatte. Wendelin gab von der Kanzel herab deutlich zu verstehen, dass der Dieb unter den Bürgern zu suchen sei, und .auf einem Tage zu Ein- siedeln, im April 1526, liess der Abt den Tagherren die Sache ebenfalls mitteilen, ohne aber jemanden des Diebstahls zu be- schuldigen. ■') Schliesslich wurde, viele Wochen später, nachdem der Handel viel Aufsehen erregt, der Missetäter ausfindig ge- macht. Es war ein Gotteshausmann, der lange im Kloster gedient hatte und keine weiteren Mitschuldigen gehabt zu haben schien. Er büsste den Kirchenfrevel mit dem Tode. Der Diebstahl und seine Folgen zogen natürlich eine weitere Verstimmung gegen den Abt und besonders gegen seinen Geistlichen Wendelin nach sich, welchen man wegen seiner vorlauten Äusserung beschul-

1) Sabb., S. 205 1-6.

-) Sicher, I, S. 69io-]8.

3) Sabb., S. 204 207.

^) Mttl. z. vaterl. Gescb., Bd. 14, S. 132—136.

•^) E. A., IV, la, Nr. 3.57 p.

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digte, er habe öffentlich in der Kirche gelogen. ') Das Misstrauen aber, das der Abt während dieser Zeit gegenüber der Stadt an den Tag legte, hatte eine gewisse Berechtigung, wenn wir die sehr milde Bestrafung von Kirchenräubern kurz vor der genannten Affäre ins Auge fassen. Unter anderm waren Hans Friedrich und Heinrich Wissman ins „bainhus" eingebrochen und hatten dort Altartücher und anderes entwendet. Durch Bitten liess sich nun der Rat zu dem milden Urteil bewegen, dass die Haft als Ge- fängnisstrafe gelten sollte, und dass die Übeltäter ein ganzes Jahr nach „fürgloggen" nicht mehr aus dem Hause gehen dürften; falls jemand Schadenersatz verlange, sollten sie den gerichtlichen Entscheid über sich ergehen lassen. '')

Unterdessen war der Tag der Badener Disputation gekommen. Es war wohl nicht zufällig, dass der Hofmeister des Abtes, Ritter Jakob Stapf er, als einer der vier Präsidenten fungierte, ^) sondern sollte die Antwort darauf sein, dass Vadian im Jahre 1523 der sogenannten zweiten Disputation zu Zürich präsidiert hatte. An die Stadt St. Gallen war die Einladung der XH Orte zur Disputation ebenfalls ergangen. Der Rat beschloss aber am 14. Mai, keine „gelerten'" hin zu schicken, sondern nur eine Ge- sandtschaft, bestehend aus einem Mitglied des Grossen und einem des Kleinen Rates. Sie erhielt die geschmeidige Instruktion, dass St. Gallen den Beschlüssen der Disputation nachleben wolle, sofern sie Gottes Wort gemäss seien. ^) Erst auf die direkte Aufforderung der Eidgenossen hin, ebenfalls „Gelehrte" zu senden, wurden die Prädikanten Burgauer, Wetter, Zih und Jakob Riner-^) samt den beiden schon erwähnten Gesandten nach Baden beordert; aber man schärfte der Abordnung ein, beim Gotteswort zu bleiben und nichts „meren" zu helfen, was gegen dasselbe sei.*^) Als „Gelehrten" hatte der Abt seinen Münsterprediger Wendehn gesandt, welcher zu Baden

1) Vad., II, S. 410 2-8.

^) R.-P. 1526, fol. 134a.

^) E. A., IV, la, S. 931.

^) R.-P. 1526, fol. 136 a.

'^) Ibid. 137 a. Über Einer vgl. Egli, Komm. z. Sabb., S. 566.

'^) Vadian befand sich nicht unter den Gesandten. Den Hass der Katholiken gegen ihn hatte er auf dem obenerwähnten Tag zu Zug (Juli 1524) deutlich genug erkennen können. Es waren also ungefähr die gleichen Gründe für Vadian wie für Zwingli massgebend, welche die beiden Reformatoren von Baden fern- hielten.

St. Galler Mittlgii. z. vaterläiid. Gesch. XXXIll. 3

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von Eck und Murner aufgefordert wurde, sich mit den St. Galler Prädikanten in eine Disputation einzulassen; letztere waren dazu bereit; doch verbot der Hofmeister Stapfer Wendelin, darauf ein- zugehen. Bei seiner Rückkehr nach St. Gallen aber verkündete dieser triumphierend, er sei zu Baden nicht widerlegt worden. Die Disputation zu Baden, die vom 21. Mai bis 28. Juni 1525 gedauert hatte, ^) vermochte trotz ihres für die Katholiken so günstigen Verlaufes die Reformationsbewegung in der Stadt St. Gallen nicht zum Stillstand zu bringen, geschweige sie rück- gängig zu machen; im Gegenteil war der völlige Übertritt der Stadt zur neuen Lehre nur noch eine Frage der Zeit, seitdem Vadian 1526 zum Bürgermeister seiner Vaterstadt gewählt worden war. Schon seine Wahl bewies, dass nunmehr die neugläubige Partei zu St. Gallen völlig dominierte. Gross war darüber die Freude bei den Häuptern der schweizerischen Reformationspartei, vor allem natürlich bei Zwingli, der in einer uns fast überschwäng- lich klingenden Weise dem neuen Bürgermeister zur Wahl seine Glückwünsche übersandte. -) Unter Führung Vadians wurde im Grossen Rat am 15. Juni, kurz nach der ungünstigen Badener Disputation, beschlossen: die Prädikanten sollten das Evangelium laut Mandat der Obrigkeit vom 4. April 1524 weiter verkünden. ^) Damit wurde das Festhalten an dem neuen Glauben ausdrücklich geboten. Ferner gestattete man durch den gleichen Ratsbeschluss dem Dr. Christoph Schappeler, in der Stadt zu predigen. Schon früher war er, wie wir oben gehört, erfolgreich in St. Gallen auf- getreten und hatte auch aus seinem entschieden neugläubigen Standpunkt kein Hehl gemacht. Vorher Prädikant zu Memmingen, hatte er während der Bauernunruhen im Jahre 1525 fliehen müssen und war nach St. Gallen gekommen.^) Endlich besagte jener Rats- beschluss vom 15. Juni, dass man Dr. Wendelins Sache, weil er die Ehre der Obrigkeit am Ostermontag von der Kanzel herab angetastet habe, anstehen lassen wolle. Es waren energische Be- schlüsse, die von derUnerschrockenheit und Festigkeit des leitenden

1) E. A., IV, la, Nr. 362.

^) V.-B.-S., Bd. IV, Nr. 441. Ähnliche Glückwunschschreiben von Georg Binder, Lehrer ana Grossmünster, und Wolfgang Joner (Nr. 438, 439); aus Wien (Nr. 460).

^) R.-P. 1526. Ratsbeschluss „uff Viti% 1526.

^) Über dessen weitere Schicksale s. Pestalozzi, St. Mangenkirche, S. 89 ff.

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Hauptes zeugten. St. Gallen gehörte auch zu den Orten, welche, wie vor allem Bern, die Veröffentlichung der Disputationsakten verlangten, damit der Handel „ussgienge'' und man daraus er- sehen könne, was laut der Schrift zu tun und zu lassen sei. ^) Am 6. Juli wurde ferner den beiden Prädikanten Burgauer und Wetter, sowie dem Schulmeister Zili auf ihre Anfrage vom Rate neuerdings eingeschärft, laut Mandat der Obrigkeit zu predigen, ihnen aber zugleich Milde in der Ausdrucksweise empfohlen. ^)

Dieses Auftreten St. Gallens entfremdete der Stadt die katho- lischen Orte noch mehr, wie das bei der Frage der Neubeschwörung der eidgenössischen Bünde klar hervortrat. Als die Angelegen- heit auf einem Tag zu Luzern Mitte Juli 1526 erörtert wurde, erklärten die VH Orte [V Orte, Freiburg und Solothurn], dass sie mit Zürich, Basel und der Stadt St. Gallen die Bünde nicht neu beschwören würden. Von St. Gallen hiess es im besondern, dort sei der „Missglaube" schon so stark eingewurzelt, dass man die heilige Messe beseitigt habe; ja es stehe daselbst in Glaubens- sachen eher noch schlimmer als in Zürich; die Stadt solle vom neuen Glauben abstehen und die ketzerischen Priester verjagen, so werde man auch mit ihr die Bünde neu beschwören. ^) Die Folge davon war, dass der Rat am 13. Juli den Gesandten von Zürich und Bern auf deren Begehren, die Bünde mit der Stadt neu zu beschwören, erklären musste, er könne darauf nicht ein- gehen, weil die Neubeschwörung nicht von der Mehrheit der VI mit St. Gallen verbündeten Orte gewünscht worden sei; doch bitte man die Boten dringend, diesen Abschlag in Anbetracht der zwingen- den Umstände in bester Meinung aufzunehmen. ^) St. Gallen sei auch fernerhin bereit, die Bündnisse treu zu halten und Leib und Gut daran zu setzen. So schrieben denn die Zürcher am 8. August wiederum an St. Gallen, man habe volles Vertrauen, dass es auch ohne Beschwörung der Bünde nach wie vor in treuer Freund- schaft zu Zürich verharren werde. '')

Dieses Freundschaftsverhältnis, das anlässlich eines Schützen- festes zu Zürich im August dieses Jahres eine weitere Kräftigung

') R.-P. 1526, 18. Juni.

^) R.-P. 1526, fol. 141a.

3) E. A., IV, la, Nr. 377 b (5).

-*) E. A., IV, la, Nr. 3814-5.

^)E. A., IV, la, Nr. 381 (Anm.).

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erfuhr, ^) ermöglichte es auch dem Rate, ruhig auf der Bahn der Reformen weiter zu schreiten. Schon 1524 hatte man, wie oben erzählt, begonnen, die Bilder aus der Stadtkirche St. Laurenzen wenigstens teilweise zu entfernen. Nun beschloss der Rat am St. Nikolausabend, die Bilder zu St. Laurenzen ganz von dannen zu tun, desgleichen die Wand beim St. Sebastiansaltar daselbst, damit man in den Chor sehen könne, und ein Gitter davor zu machen. -) Der Rat hatte sich dafür der Mehrheit der Kirch- genossen von St. Laurenzen versichert, so auch der Gemeinden Speicher, Tablat, Wittenbach und Straubenzell, welche zu diesem Kirchsprengel gehörten. Ohne viel Umstände wurde der Be- schluss bis zum 8. Dezember ausgeführt, „alle taflen, alle bilder, alle elter [Altäre], usgenomen der fronalter nit, zerbrochen, mit sampt dem grossen Hergot, und die bilder zerschitet und hinweg- tün, usgenomen was vergult was". Letzteres wurde auf die „kilchen- tili" gebracht, schon zwei Jahre später aber, jedenfalls auf Ge- heiss der Obrigkeit, vom Messner wieder heruntergenommen und verbrannt. ■') Manches schöne Kunstwerk mag dabei zugrunde gegangen sein. ^) Die Evangelischen mussten auch von den Katho- liken hören, die Neugläubigen hätten aus der St. Laurenzenkirche einen „höstadel und rossstall" "') gemacht. Der Rat liess sich durch solche Äusserungen jedoch von weitern Reformen nicht abhalten. Wohl erst jetzt erfolgte, um sich vom Konstanzer Chorgericht frei zu machen, die Einsetzung eines Ehegerichtes, wohl erst jetzt auch, um jede Unsicherheit dabei zu beseitigen, eine be- deutende Reduzierung der Zahl der Feiertage und deren genaue Veröffentlichung.") Am 14. Dezember wurde durch Ratsbeschluss an dieser Verordnung nachdrücklich festgehalten, das Tanzen an den festgesetzten Feiertagen verboten und verfügt, dass alle Samstage der Wochenmarkt abgehalten werden solle, gleichgültig, ob dieser auf frühere Feiertage fallen würde oder nicht. Nur wenn Weihnachten oder Assumptio Mariae auf einen Samstag

1) Sabb., S. 229/230.

2) R.-P. 1526, fol. 153 b.

3) Miles, S. 309/310 (37/38); ausführlicher in der Sabb., S. 231—233: Sicher, I, S. 67,

■*) Vgl. Kesslers Ausruf: „Was grossen kosten und arbaifc ist in kurzer zit, das mit grossem gütt lange zit züberait, zu grund gangen!" (Sabb., S. 232 lo.) •') Sabb., S. 233 12. " '^) Sabb., S. 225/226.

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fielen, durfte der Markt an diesem Tage nicht abgehalten werden. ^) Infolge dessen traf ein Schreiben von der Tagsatzung zu Luzern mit Datum vom 3. Februar 1527 ein, das die St. Galler wegen ihrer kirchlichen Reformen mit Beschwerden überschüttete, sie „nochmalen und jetz zületst" aufforderte, von ihren religiösen Neuerungen abzustehen, und drohend damit schloss: wenn St.Gallen etwas wegen seiner Neuerung begegne, so würden die Orte, in deren Namen das Schreiben verfasst sei, ihm Schutz und Schirm versagen.-) Diese scharfen Worte waren wohl begründet; denn die Lage des Abtes muss wegen der religiösen Neuerungen in der Stadt schon sozusagen unhaltbar geworden sein; wird doch in dem genannten Schreiben ausdrücklich unter den Beschwerden aufgeführt, der Abt könne im Münster nur noch bei geschlossenen Türen Messe lesen lassen.

Das Schreiben vom Luzerner Tag hatte aber nur die Folge, dass St. Gallen sich notgedrungen immer mehr Zürich näherte und ebenso auch der Stadt Bern, die bereits anfing, sich ent- schieden von den streng katholischen Orten abzuwenden, gereizt durch das parteiische und verdächtige Verhalten der V Orte bei der Veröffentlichung der Badener Disputationsakten. Der Abt bekam dies bald zu spüren. Er hatte St. Gallen wegen der fort- währenden Händel zwischen den städtischen Prädikanten und Dr. Wendelin mit einem Prozess bedroht. Die Stadt aber hatte die Gelegenheit benützt, dem Abt das ganze Sündenregister, das sie über den Münsterprediger und andere ihrer Gegner im Kloster gesammelt hatte, in schroffster Weise vorzuhalten: Wendelin habe offen auf der Kanzel „bubet, ketzert, gehuret, geschützet und bachantet" und zum Aufruhr gereizt, indem er von der Kanzel herab erklärt habe, wer etwas gegen seine Predigten einwenden könne, solle hervortreten. Am Ostermontag habe er, ebenfalls in der Kirche, so geredet, als ob die Stadt die Messgewänder ge- stohlen ; ^) dagegen erhobene Einsprachen des Rates bei den An- wälten des Abtes hätten nichts genützt; nicht nur die Prädikanten,

1) R.-P. 1526, fol. 154 b.

-) E. A., IV, la, Nr. 417r. Das Schreiben wird jedenfalls nicht, wie die Ab- sender angeben, von allen zu Luzern anwesenden Orten gesandt worden sein, da sich unter den Tagherren auch diejenigen von Bern, Basel und Schaifhausen befanden.

■^) Siehe oben.

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sondern auch der Rat müsse somit glauben, dass man sie auf äbtischer Seite verachte. Die städtischen Gesandten drohten hierbei dem Abt, dass sie das Hochgericht gegen WendeHn anwenden würden, da „ketzern" vor dieses Gericht gehöre. Ferner habe man von äbtischer Seite die Stadt auch bei den Eidgenossen „versait", welche ihr darauf „ruch" geschrieben hätten. Der Abt verlangte Bedenkzeit. Man fand aber seine Entschuldigung, die er am 28. März durch Hauptmann und Kanzler vorbrachte, so wenig befriedigend, dass der Rat sie aufzeichnen Hess, damit man ihrer zu gelegener Zeit eingedenk sei und sich danach zu richten wisse. ^) Der Abt Hess sich dadurch wenig abschrecken. Eines seiner Fastenmandate befahl, Fleisch und Eier, welche man während dieser Zeit in die Stadt führen wolle, wegzunehmen. Ferner machte er den anfangs April 1.527 zu Einsiedeln tagenden kathohschen Orten von den Beschwerden, welche die Stadt gegen Dr. Wendelin erhoben hatte, Mitteilung. Man habe aber den städtischen Gesandten erklärt, liess der Abt den Tagherren weiter berichten, dass die Prädikanten Wendelin beschimpften, indem sie öffentlich verkündeten, wer Beichte und das Sakrament empfange in dem Glauben, dass Fleisch und Blut Christi darin enthalten sei, der sei des Teufels, und wer in die Predigten zu Wendelin gehe, sei ein Ketzer und Bösewicht; die städtische Obrigkeit habe darauf- hin versprochen, die Schuldigen zu bestrafen; aber bis jetzt sei dies nicht geschehen. -) Der Abt fand um so willigeres Gehör, als bereits am 27. März zu Luzern von den Tagherren die immer grössere Annäherung St. Gallons an Zürich übel vermerkt worden war. Eine ernste Mahnung von diesem Tag an St. Gallen, die Bünde genauer zu „besehen", war nur unterblieben, weil die Stadt zu den Orten gehörte, welche in dem Handel wegen des Ittinger- sturms zwischen Zürich und den übrigen am Turgau beteiligten Orten zu entscheiden hatten. •^) Dagegen äusserte sich die einen Monat später ebenfalls zu Luzern tagende Versammlung der katholischen Stände in drohender Weise über St. Gallen : Man sehe es samt Schaffhausen, Appenzell und auch Bern und Basel bald in Zürich, bald in Bern tagen. An Glarus und Appenzell wolle man eine Botschaft senden, um sie beim alten Glauben zu

1) R.-P. 1526, fol. 164.

2) E. A., IV, la, Nr. 433 v. ^) E. A., IV, la, Nr. 431a,'i.

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erhalten, nicht aber an St. Gallen; denn dieses dulde über alle Massen und „gröber als sonst jemand'' unchristhche Reden und Handlungen gegen Gott, den Glauben und „die Eidgenossen", habe auch mehrere Schreiben der VII kathohschen Orte gar nicht beantwortet; zu Einsiedeln wolle man weiter beraten, wie man sich fernerhin gegen die Stadt zu verhalten habe. ^

Letztere fand unter diesen Umständen für gut, auf den Ein- siedler Tag [7. Mai ff.] Unterbürgermeister Reinsberg und Ulrich Appenzeller -) zu senden, um durch eine Verantwortung den drohenden Sturm zu beschwören. Die katholischen Orte erklärten aber auf die Instruktion St. Gallons, diese enthalte zwar viele schöne Worte und Versprechungen, stehe aber nicht im Einklang mit der WirkUchkeit; denn im St. Galler Rate sässen ja noch Wiedertäufer; auch werde die Taufe selbst dort nicht mehr nach kirchlicher Ordnung gebraucht, das Sakrament des Altars mit Worten und Werken verachtet, und die „verkehrten und ver- logenen Pfaffen" predigten in schmählicher Weise gegen den rechten Glauben; einige hätten sogar offen erklärt, wer hinter einer Messe stehe oder eine halte, sündige mehr gegen Gott als ein „Mörder im Wald". Die Verteidigungsschrift St. Gallons wurde darum nicht in den Abschied genommen, mit der Begründung: die Regierungen der Tagherren hätten doch keinen Gefallen an dieser Verantwortung; es seien schöne Worte, denen tatsächlich das Gegenteil entspreche; mit Freuden würde man sehen, wenn St. Gallen wieder in den Schoss der alten Kirche zurückkehren wollte; da dies nicht geschehe, so behalte man den Obrigkeiten vor, in der Sache weiter zu handeln.^) Der scharfe Ton rührte zum Teil von einer weitern religiösen Neuerung her, die durch Ratsbeschluss vom 10. ApriH) in Kraft erklärt worden war: „dass man den tisch des Herren begon soll lut der Schrifft". '') Dies zog der Stadt natürlich von selten der Anhänger des Abtes neue Verunglimpfungen zu : man habe in der Pfarre zu St. Laurenzen „an mostbrockenden" aufgerichtet. '')

1) E. A., IV, la, Nr. 437 aö. ^) E.-P. 1527, fol. 166 a. 3) E. A., IV, la, Nr. 442 y. ^) R.-P. 1527, fol. 165 b.

•'') Die einzelnen Artikel der neuen Abend mahlsordniing siehe in der Sabb., S. 244—248.

•') Sabb., S. 247 45.

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In dieser für St. Gallen so schwierigen Lage bot ein Schützen- fest daselbst den Zürchern Gelegenheit, sich der befreundeten Stadt noch mehr zu nähern, sie zu ermutigen und zu neuen energischen Schritten anzuspornen. ') Am 18. Mai zogen ausser andern Gästen auch 45 Zürcher zu Fuss und einige Berittene der Feststadt zu, -) an ihrer Spitze Lavater und der Bannerherr Schwyzer. 800 Spiesser, vorn und hinten eingeschlossen von 12 Büchsenschützen, sämtlich in Blau und Weiss gekleidet, kamen den Zürchern aus der Stadt St. Gallen entgegen. Hinter der statt- lichen Schar ritt der Altbürgermeister Joachim von Watt zwei Tage früher war der amtierende Bürgermeister Jakob Krumm gestorben, und Vadian hatte ihn vorderhand zu vertreten mit 30 Berittenen, um sie zu empfangen. Das Fest, welches bis zum 23. des Monats dauerte, nahm den besten Verlauf. •') Seinen politischen Charakter aber Hessen die Anreden v. Watts und Lavaters recht deutlich erkennen. Man hoffe auf weitere Freund- schaft, äusserte sich der Vogt von Kyburg, während Vadian er- klärte, die St. Galler würden die Ehre, die ihnen die Zürcher mit ihrem Besuche erwiesen hätten, in Ewigkeit nicht vergessen. ') Noch deutlicher drückt sich der Chronist Sicher aus, indem er bei der Erwähnung dieses Schützenfestes bemerkt: „Do wurdent Zürcher und Galler ains, des ain gotzhus Sant Gallen nit vil gnoss". ^)

Der Abt mochte wenig erbaut sein von der Feier. Er hatte sich einige Tage vor ihrem Beginn aus der Stadt wegbegeben, '') benahm sich aber im übrigen recht klug, liess den fremden Gästen wie üblich den Wein kredenzen, jedoch durch den Schenk, im Gegensatz zum sonstigen Gebrauche, nur die wenigen Worte sprechen: „Edlen etc. gnedigen herren von Zürich,

^) Dass das Fest in erster Linie aus diesem Grunde abgehalten wurde, ergibt sich deutlich aus Bernhard Wyss' Chronik. (Quellen z. Schweiz. Ref.- Gesch., Bd. 1, S. 73.)

2) Beiträge z. St. Gallischen Gesch., St. Gallen 1904, S. 11—40: „Das Gesellenschiessen zu St. Gallen im Mai 1527", herausgeg. v. T. Schiess.

3) Vgl. darüber Sabb., S. 252—255, Miles 320 (48)— 322 (50), der einige in der Sabb. nicht enthaltene Angaben macht. Weitaus am einlässlichsten wird das Fest in der oben genannten, Yon T. Schiess herausgeg. Arbeit behandelt.

*) Schiess, S. 20.

•') Sicher, I, S. 81n-i8.

•') Schiess, S. 23.

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Costentz und Lindow, den wyn den gsegen üch Got, den schenckt üch min gnediger herr von Sant Gallen". ^)

Die politische Stärkung St. Gallens machte sich für den Abt bald fühlbar. Schon Ende April war Hans Wettach, der Kaplan am Linsibühl, vor den Kleinen Rat zitiert und ihm befohlen worden, aufzuhören, am Linsibühl zu predigen, auch daselbst und im Münster keine Messe mehr zu halten, sondern zu den Predigten und „lesinen" in der St. Laurenzenkirche zu gehen. Vernehme er dort etwas, das nicht richtig sei, so könne er es dem Rate melden. -) Der Abt aber nahm seinen Kaplan nach- drücklich in Schutz, indem er ihm die Pfründe „auf unserer Frauen Amt" am Münster verlieh und sie dem bisherigen Inhaber Hans NoU, der Bürger St. Gallens und der religiösen Neuerung freundlich gesinnt war, entzog. ^) Da griff nun der Rat am 2. August energisch zugunsten des letztern ein. Er forderte Wettach auf, den Linsibühl zu räumen und die Gerichte der Stadt zu ver- lassen, da der Rat ihn nicht mehr als seinen Bürger betrachte.^)

Inzwischen hatten Kleine und Grosse Räte am 6. Juni ein Mandat erlassen: „wider eebruch, hüry, coplery und unerbare klaidung".*') Wer dreimal des Ehebruchs überwiesen war, sollte die Stadt verlassen. Der Rat machte mit dieser Verordnung einen kräftigen Versuch, der herrschenden Sittenlosigkeit zu steuern und das zerrüttete Familienleben wieder zu bessern. Scharf wurde in dem Mandat gegen den Konkubinat der in der Stadt wohnenden Priester und Mönche vorgegangen, was denn auch bewirkte, dass etliche Priester ihre „Kellerinnen" zu Frauen nahmen, und die Obrigkeit sah dies gerne. *^) Doch der Abt konnte dem Vorgehen der Stadtobrigkeit nicht ruhig zusehen. Die von ihm belehnten Priester, welche sich verheiratet hatten, wurden durch ihn ihrer Pfründen und Nutzungen entsetzt. ') Am 26. Juni erschien auch seine Botschaft vor dem Rate: Der Abt habe gehört, dass die

1) Ibid.

2) ß.-P. 1527, fol. 166 a.

3) R.-P. 1527, fol. 173a. ^) R.-P. 1527, fol. 174b.

^) Sabb., S. 249—52; R.-P. 1527, fol. 168 b.

^) So beteiligten sich an der bescheidenen Feier auf der Weberzunft, zu Ehren einiger Neuvermählter. Bürgermeister Konr. Mayer und Altbm. von Watt mit anderen angesehenen Städtern, Miles, S. 323 (51j 324(52).

^) Sabb., S. 250 44-46.

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städtische Obrigkeit ein Mandat erlassen, nach welchem Mönche, die bei unsittlichen Handlungen angetroffen würden, ins Gefängnis geworfen werden sollten, da man ihnen so wenig wie den Bürgern sittliche Ausschweifungen gestatten wolle. Der Abt bitte, wenn die Stadtobrigkeit von dem Mandat nicht abzustehen gedenke, ihm Meldung zu machen, wenn Priester der Unsittlichkeit be- schuldigt würden, oder doch die fehlbaren Geistlichen in sein Gefängnis zu überantworten. Der Rat begnügte sich aber damit, den äbtischen Gesandten sein Sittenmandat zu erklären. ^) Darauf- hin klagte Abt Franz bei der Tagsatzung, die am 1. JuU zu Baden zusammengetreten war,, dass einige Priester zu St. Gallen sich verheiratet hätten und keine Messe mehr lesen wollten, und bat um Verhaltungsmassregeln. Doch die Tagherren begnügten sich, die Sache in den Abschied zu nehmen,-) und St. Gallen arbeitete weiter am Ausbau der eingeführten Reformation. Am 7. August wurde vom Rat für die Jugend, „so ob 9 oder under 15 Jaren ist", die Kinderlehre •^) eingeführt, die jeweils mit einem oder mehreren deutsch gesungenen Psalmen eröffnet und geschlossen wurde. Es mag wohl ein Hinweis auf die schweren Zeiten ge- wesen sein, die St. Gallen wegen seines neuen Glaubens durch- zumachen hatte, dass, wie Kessler berichtet, die Kinder zuerst jenen schönen Psalm lernen mussten: ,,Aus tiefer Not schrei ich zu dir". ')

Zu den Geistlichen des Abtes, welche den neuen Glauben angriffen, gehörte besonders der Dekan Adam Moser, der die evangelische Taufe ein „suwbad" nannte. ■') Früher Pfarrer in Stammheim, war er der Nachfolger Wendelins am Münster ge- worden. *') Wegen der Schmähreden beklagte sich die Stadt beim Abt durch eine Gesandtschaft, mit Vadian an der Spitze, die dem Abt Franz drohte, wenn er seine allzueifrigen Prediger nicht abstelle, müsste St. Gallen selbst Abhilfe schaffen. Die Vor- stellungen scheinen wenig gefruchtet zu haben ; denn der Rat

1) ß.-P. 1527, fol. 171a.

2) E. A., IV, la, Nr. 461 q.

'^) Vad., II, S. 410 37 ; Sabb., S. 249 f. ^) Sabb., S. 24919-25. ^) R.-P. 1527, fol. 164 b.

^) Wendelin war Ende März 1527 nach Einsiedeln gezogen (R.-P. 1527), worauf Moser am 31. März d. J. für ihn angestellt wurde. (Sicher, I, S. 70 6—9.)

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nahm die energische Bestrafung der Schuldigen selbst an die Hand. Wenigstens weiss Sicher ^) zu berichten, dass um den 21. September herum, einen Monat nachdem der Rat beim Abt vorstellig geworden, der Pfarrer von Niederbüren, Hans Schindeli, wegen verletzender Reden über den neuen Glauben, in St. Gallen hart gefoltert und noch ca. 4 Stunden an den Pranger gestellt worden sei. -) Bereits hatten auch die vom Stift belehnten Pfarrer „auf unserer Frauen amt" vom Rat einen scharfen Verweis er- halten, weil sie es wagten, zu kranken Leuten in der Stadt zu gehen, ihnen Messe zu lesen und das Sakrament und die Ölung zu geben : sie hätten kein Recht dazu und sollten in Zukunft sich hüten, dies in den Gerichten der Stadt weiter zu tun, oder sonst erwarten, was ihnen daraus erwachsen könnte. ^)

Dieses so entschiedene Auftreten St. Gallons in Sachen des neuen Glaubens der Abt war aus einem Angreifer zum An- gegriffenen geworden dürfte wohl zum grossen Teil zu er- klären sein durch die mächtige Verstärkung, welche die schwei- zerische reformierte Partei erfahren hatte: Bern hatte sich für die religiöse Reform entschieden. Der Übermut der katholischen Orte wegen ihres Sieges auf der Badener Disputation hatte eine starke Entfremdung zwischen Bern und den Orten herbeigeführt, und zu Ostern 1527 war der Berner Rat in einem der religiösen Reform sehr günstigen Sinne erneuert worden. Obrigkeitliche Mandate befahlen die freie Predigt des Evangeliums und die weltliche Verwaltung sämtlicher Klöster, wodurch offiziell die Berner Reformation eingeleitet wurde. Die vom Rate angeord- nete Disputation, im Januar 1528, brachte schliesshch den völligen Umschwung zugunsten der neuen Lehre. St. Gallen hatte eine ansehnliche *) Gesandtschaft, an ihrer Spitze Vadian, zu diesem Religionsgespräch nach Bern geschickt; ja, der St. Galler Rat forderte auch die Münsterprediger auf, sich an der Disputation zu beteiligen, '') und anerbot sich, einem jeden ein Pferd und

1) Sicher, I, S. 92 20-27.

^) Miles, S. 324(52)15-30, der über die Bestrafung Schindeiis ausführlich berichtet, weiss nichts davon, dass der genannte Pfarrer gefoltert wurde. Man habe ihn 2 Stunden an den Pi-anger gestellt und ihm dann die Stadt für 101 (!) Jahre verboten.

3)R.-P. 1527, fol. 174 b.

^) R.-P. 1528, fol. 188 a.

^) E. A., IV, la, Nr. 494 f.

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Zehrimg mitzugeben. ^) Der Abt klagte darüber im Dezember durch seinen Hauptmann auf dem Tag zu Luzern, worauf die VIII Orte an St. Gallen schrieben, die Stadt solle keinen äbtischen Geistlichen zur Disputation nach Bern nötigen, diese überhaupt unbekümmert lassen und die Zusagen halten, welche sie ihnen gemacht, als sie ihr den Treueid geleistet hätten. ^) Zudem wurde die Angelegenheit in den Abschied genommen, weil die St. Galler „so gar ungeschickt" seien. ^) Die katholischen Orte hatten um so mehr Grund zu diesem scharfen Beschlüsse, als sie die Art, wie St. Gallen gegen die Dominikanerinnen zu St. Katharina vor- gegangen war, sehr erbittern musste; denn seit 1527 begann der Rat, den Frauen Schritt für Schritt den neuen Glauben aufzu- zwingen. ^)

Der Ausgang der Berner Disputation, auf der Vadian eine hervorragende Rolle gespielt hatte, die daraus folgende „Ab- wendung der Berner von der alten Kirche bewirkte den ent- scheidenden Umschwung der Glaubensbewegung in der deutschen Schweiz". '') Unter dem gewaltigen Eindruck, den der Verlauf des Religionsgesprächs hervorrief, wurden nun noch die letzten vorhandenen Einrichtungen der katholischen Kirche im Gebiet der Stadt St. Gallen in rascher Aufeinanderfolge beseitigt. Ja, unter dem neuen, reformfreundlichen Bürgermeister von 1528, Christian Studer,'^) und im Vertrauen auf das mächtige Umsich- greifen des neuen Glaubens unter den äbtischen Untertanen selbst wagte nun der Rat, in die Machtsphäre des Abtes grössere Ein- griffe zu tun: er beschloss auf Ansuchen der Kirchhöre St. Mangen und besonders des dortigen Pfarrers Hermann Miles, ') die Bilder und Statuen aus der St. Mangenkirche zu entfernen, ^) trotzdem deren KoUaturrechte dem Abte zustanden. Tags darauf, am 28. Februar, ward der Beschluss gründlich durchgeführt. Das

1) R.-P. 1528, fol. 208 b.

2) Sta. Trucke Q., Nr. 3, Luzern, 18. Dez.

3) E. A., IV, la, Nr. 494 f.

^) Siehe St. Galler Neujahi-sblatt (von Hardegger) 1885: „Die Frauen zu St. Katharina in St. Gallen''.

'") Dierauer, III, S. 103/104.

6) Sabb., S. 278 5-6.

"') Über Herrn. Miles als Neugläubigen und sein weiteres Leben bis zum 1533 erfolgten Tode siehe Pestalozzi, St. Mangenkirche, S. 78—81, 85 89.

^) R.-P. 1528, fol. 196a, Ratsbeschluss vom 27. Feb.

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gewonnene Edelmetall wurde „umb zimlich geld" verkauft ^) und in die Armenbüchse gelegt. -) Am 4. März beschloss ferner die Obrigkeit, diejenigen, welche noch ins Münster zur Messe gingen, vor sich kommen zu lassen und sie freundlich zu bitten, alle Sonntage und an den von der Stadt anerkannten Feiertagen zu St. Laurenzen die Spätpredigt zu besuchen. Zu den übrigen Zeiten dürften sie zur Kirche gehen, wohin sie wollten, auch ins Münster.-') Gemäss der strengen Lebensauffassung, wie sie der neue Glaube verlangte, wurde am 11. März das Spielen mit Würfeln und Karten, womit man Geld verlieren oder gewinnen könne, bei 3 Pfund Busse verboten,^) nachdem schon 1525 alles Tanzen in und vor den Häusern abgestellt und den Spielleuten untersagt worden war, auf die Gasse zu ziehen, alles bei Strafe von 5 Pfund. '") Den Nonnen zu St. Katharina wurde durch Ratsbeschluss vom 11. Mai befohlen, nach St. Mangen zur Predigt zu gehen und die Ordenskleider abzulegen. Letzteres wurde auch den Feldnonnen zu St. Leonhard bis zum 25. Juli des Jahres zu tun befohlen. •') Den Nonnen zu St. Katharinen hatte man auch bereits einen streng evangelisch gesinnten Mann als Prediger gegeben , Dr. Christoph Schappeler, und nun, nach dem Beschluss des Rates, welcher die Klosterregeln beseitigte, vermählten sich einige der ehemaligen Nonnen. "')

Eine weitere Befestigung der Reformation zu St. Gallen be- deutete die Erneuerung des Grossen Rates. Stets im Juni statt- findend, fiel sie dieses Jahr völlig zugunsten der reformierten Partei aus : die katholisch gesinnten Elemente des frühern Rates wurden übergangen.^) Den gänzlichen Sieg der neuen Lehre in der Stadt brachte jedoch der Ratsbeschluss vom 17. Juli, welcher die Messe in St. Gallen tatsächlich abschaffte. Eine angesehene Ratsbotschaft sollte sogar beim Abte energisch Abstellung „der lesterlichen, verführischen und hesslichenn predigen im Münster" verlangen, mit dem Beifügen, dass die Stadt sonst selbst handeln

1) Sabb., S. 281/282; Miles, S. 326(54)io ;io.

2) Vad., II, S. 411(5-8.

3) R.-P. 1528, fol. 196 b. '*) R.-P. 1528, fol. 197 b.

■'') R.-P. 1525, fol. 114 a, Dienstag vor Petri und Pauli. *^) R.-P. 1528, fol. 204 b. '') Sabb., S. 2881.3-18. «) Sabb., S. 288 20-23.

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werde. ^) Der bedrängte geistliche Herr wandte sich darauf an die kathohschen Orte, die seit dem 20. Juh zu Einsiedeln tagten, mit einer Beschwerde : nicht nar habe die Stadtobrigkeit seine Priester am Münster, welche in der Stadt wohnten, vor sich be- schieden und von ihnen, wider Bullen und Briefe, verlangt, keine Messe mehr zu lesen oder dann das Gebiet der Stadt zu ver- lassen, sondern es gehe auch schon das Gerücht, St. Gallen wolle Abt und Konvent ersuchen, sich der Stadt „gleichförmig" zu machen, ansonst, wie es lieisse, die St. Galler „villicht wyter handien" würden; der Abt bitte die Tagherren um Rat und Hilfe. Wohl angesichts der immer schwierigem Lage der katholischen Orte in der Eidgenossenschaft begnügten sich jedoch die Abge- ordneten der eidgenössischen Stände wieder einmal damit, den Bericht des Prälaten in den Abschied zu nehmen und an St. Gallen zu schreiben, man möge bis auf weiteren Bescheid die Priester Messe lesen lassen. -) Abt Franz genügte das nicht. Er erliess eine Kundgebung, welche sich energisch seiner von der Stadt gemassregelten Geistlichen annahm: Eingangs wird resümiert, wie die Stadtobrigkeit gegen ihre als Geistliche im äbtischen Dienste stehenden Bürger vorgegangen sei; darauf hätten den

^) „Gross Rat uff 17. tag höwmonat anno 1528: diewil am tag ligt, dass die mess ain gotzlesterung und grosser grüwel vor gott ist, och m. li. zu den ziteu, als man zu Bern hat wollen disputieren, nach allen pfaffen in ihr statt und grichten geschickt und mit in geredt habend und sy gepetten, welicher die artickel getruw ze widerfechten, dass sy gen Bern keren und da disputieren wollen und welicher das ton, dem wollen m(ine) h(erren) ain pferd under und zerung inn seckel geben, und diewile sy söllichs nit geton, sonder m(ine) h(erren) mit der unwarhait verunglimpft, haben m. h. angesehen, welicher unnser burger oder in unnser statt wonen wolle, der soll abstan und nit mer mess han wolle; welicher aber das nit ton wolle, der soll uss der statt ziehen, er truwe dann die mess mit göttlicher schrifft ze erhalten in 14 Tagen den nechsten. Das hat man den pfaffen fürgehalten.

Item von wegen der teste rlichen, verfürischen und hesslichen predigen, so im münster geschieht, sollen gen hof geschickt werden die 2 burgermaister. der vogt Eichs und der underburgermaister und inen söllichs fürhalten mit pitt, dass er davon woli ston, oder m. h. werden witter darzü tun, das man sech, dass sy die warhait wollend handthaben. " (R.-P. 1518 28, S. 208b/209a.) Kessler (Sabb., S. 28824) gibt für den Tag, an welchem der Rat die Messe in der Stadt abzuschaffen beschloss, fälschlicherweise den 10. Juli an.

2) E. A., IV, 1 a, Nr. 559 a ; Sta. Tr. Q., Nr. 4. Schreiben der V Orte samt Freibui-g und Solothurn, d. d. 20. Juli, gesiegelt vom Schwyzer Landammann Heinr. Reding.

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Abt die genannten Pfarrer ersucht, sie in sein Kloster aufzu- nehmen und ihnen Nahrung /u geben, damit sie wie bisher ihr geistliches Amt verrichten könnten ; er habe ihren Bitten will- fahrt und bestimmt, dass jeder dieser Geistlichen eine eigene Kammer und gleiches Essen wie die Konventherren, dazu seine bisherigen Pfrundzinse, Zehnten, Renten und Gülten bekommen sollte; müsste, was Gott verhüte, das Kloster zu St. Gallen geräumt werden, so würden die Kapläne, wie sie zugestanden, mit ihm fortziehen, und werde er zu ihnen Leib und Gut setzen ; wolle man ihnen von der Stadt aus ihre Pfründen nehmen, so werde er den Rechtsweg dagegen einschlagen; wolle aber einer der Kapläne nicht weiter Messe halten, so habe er seine Pfründe ver- wirkt. ') Um diese Kundmachung kümmerte sich jedoch die Stadt wenig bei ihrem Vorgehen gegen reformfeindliche Priester. Der Helfer von Wil, Franz Sonnenschein, der die Reformierten be- schimpfte und die Berner Disputation angriff, wurde, als er sich auf städtischem Boden zeigte, verhaftet, fünf Wochen ins Ge- fängnis gelegt, „och jemerlich gebracht" ^') und schliesslich am 22. August in Anwesenheit einer Zürcher und Berner Gesandt- schaft einige Stunden an den Pranger gestellt und auf Lebens- zeit aus den städtischen Gerichten gewiesen. Dass er nicht hin- gerichtet wurde, verdankte er wohl nur dem Umstand, dass er erklärte, sein Leben lang keine Messe mehr halten zu wollen. ^) Unterdessen hatte auch in der übrigen Eidgenossenschaft die Reformation sich durch den Übertritt Berns mächtig ausgebreitet. Es hatte dies aber zur Folge, dass die katholisch bleibenden Orte eine immer schroffere Stellung gegenüber den Neugläubigen ein- nahmen, besonders in Anbetracht der für den Katholizismus gefahrdrohenden Politik Zwingiis. Unter der Führung seines kühnen Reformators strebte nämlich Zürich nach einer „plan- mässigen Vereinigung der auf evangelischer Seite stehenden städtischen Gemeinwesen". Im Dezember 1527 hatte es mit Kon- stanz sein erstes ,, christliches Burgrecht" abgeschlossen und damit in verhängnisvoller Weise mit einer Politik den Anfang gemacht, welche unter Umständen die Existenz der Eidgenossenschaft überhaupt bedrohen konnte. Am 25. Juni 1528 trat sodann Bern

1) St.-A., Bd. 63 b, gedruckte Kopie.

^) Sicher, I, S. 93 7.

=*) Sicher, I, S. 92 28— 93i5; E. A., IV, 1 a, Nr. 569 a, zu a.

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diesem Biirgrecht bei. nachdem die Unterhandlungen schon während der Berner Disputation begonnen hatten, und im November des Jahres wurde auch St. Gallen eine Stadt des christHchen Burg- rechts. ^) An dem Abschluss dieses Bündnisses hatte Zwingli ein Hauptverdienst : er hatte den St. Galler Reformator durch zahl- reiche Schreiben von dem Stand der Dinge in der Eidgenossen- schaft unterrichtet-) und mahnte am 11. September im Namen der Heimlichen Vadian zum möglichst baldigen Abschluss des Burgrechts. •') Daraufhin, wohl Mitte September, erschienen Vadian und Konrad Mayer in Zürich, um wegen der Aufnahme St. Gallen s ins Dreistädtebündnis zu unterhandeln.^) Zürich benachrichtigte sofort Bern von dem Gesuche und empfahl ihm dessen Geneh- migung. Bern die St. Galler Gesandtschaft hatte hier ebenfalls vorgesprochen erwiderte unterm 22. September: es sei wohl einverstanden, falls der Bund St. Gallens mit den Eidgenossen nicht dagegen laute; Zürich solle deshalb mit St. Gallen auf einem gemeinsamen Tage die eidgenössischen Bünde prüfen und möge, wenn sie nichts gegen eine Aufnahme St. Gallens ins Burg- recht enthielten, einen baldigen Tag ausschreiben, um die Auf- nahme zu vollziehen. Zürich bat darauf St. Gallen um eine De- klaration über die in Frage kommenden Bünde. St. Gallen schickte eine solche mit dem Wunsche, dass auf einem nahen Tag geprüft werde, ob sie einwandfrei sei, und Zürich sandte die Deklaration samt einem Schreiben an Bern, das nunmehr seine frühern Skrupel fallen liess. Am 7. Oktober schrieb der Berner Rat an denjenigen von Zürich, man habe sich früher schon zu dem Burgrecht mit St. Gallen geneigt erklärt, und da Zürich Bern Vollmacht gebe, einen Tag zum Abschluss des Burgrechts zu bestimmen, so setze man diesen Tag auf den 1. November des Jahres nach Zürich an; man möge dies den St. Gallern mitteilen. Das scheint dann ge- schehen zu sein; denn am 21. Oktober bestimmte der St. Galler Rat Vadian, Altbürgermeister Konrad Mayer, Ulrich Appenzeller und Stoffel Krenk als Gesandte für den Tag zu Zürich. ■^) Am 30. Oktober gab Bern seinen Gesandten den Auftrag, dafür zu

^) Dierauer, III, S. 115 ff.: Gründung konfessioneller Sonderbündnisse.

2) Siehe z. Beisp. V.-B.-S., IV, Nr. 450, 463, 483, 555.

3) V.-B.-S., IV, Nr. 537.

^) A.-S., L, 2061; R.-P. 1529, S. 17. '-') R.-P. 1529, S. 21 ; Sabb., S. 297 i8f.

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sorgen, dass das Biirgrecht mit St. Gallen wirklich aufgerichtet werde. Es sollte zuerst in Zürich, dann in St. Gallen und schliess- lich in Bern beschworen werden. ^ Sonntag, den 8. November, morgens 9 Uhr, versammelte sich die Gemeinde St. Gallons in der St. Laurenzenkirche zur feierlichen Beschwörung des Burg- rechts. Bürgermeister Christian Studer und Altbürgermeister Konrad Mayer empfahlen es mit warmen Worten, worauf Stadt- schreiber Augustin Fechter den Burgrechtsbrief vorlas. Darauf gab der Zürcher Gesandte von Chuosen ^) die Eidesformel an, nach der nun die St. Galler Bürger das Inhalts- und folgenschwere Bündnis mit Zürich und Bern beschworen. ^) Am 10. November ritten Konrad Mayer und Unterbürgermeister Heinrich Kummer mit den Gesandten der Burgrechtsstädte nach Bern,') wo Mitte November der neue Bund ebenfalls beschworen wurde. •^) St. Gallen hatte sich damit in eine Verbindung eingelassen, die durchaus seinem Bündnis mit den VI Orten widersprach; denn in dem Bundesbrief St. Gallons mit Zürich, Bern, Luzern, Schwyz, Zug und Glarus vom 13. Juni 1454 hiess es ausdrücklich: „Wir, die obgenanten von Santgallen, noch unser nachkomen söllent uns ouch zu nieman, weder zu herren noch zu stetten yetz noch in künf fügen zitten nit verbinden mit deheinen gelüpten noch eiden an der obgenanten unser Eidgnossen von Stetten und Lendern gemeinlichoderdesmerteils under inen ratt, gunst, wissen

und willen " •^)

Es war klar, dass die VII altgläubigen Orte diesem selbst- herrlichen Vorgehen St. Gallons nicht ruhig zusehen konnten. Auf der Luzerner Tagsatzung vom 8. Dezember wurde von dem bundeswidrigen Verhalten der Stadt Notiz genommen und be- schlossen, auf dem Tag zu Baden darauf einzutreten ; inzwischen wolle man von den Bünden Einsicht nehmen. ')

1) E. A., IV, 1 a, Nr. 593 zu ai-6.

^) Von Bern war Crispinus Fischer anwesend.

3) Sabb., S. 297/298.

4) Sabb., S. 298 23-26.

^) E. A., IV, la, Nr. 599 c; wörtliche Wiedergabe des Burgrechtsbriefes in E. A., IV, la, S. 1526/1527, Beilage 8a.

'^) E. A., II, Beilage 35, S. 878 ff.

'') E. A., IV, 1 a, 607 d. Welcher Badenertag damit gemeint war, ist nicht gesagt. Der Badener Abschied vom 14. Dez. enthält nichts über diesen Punkt. Die Aussichtslosigkeit, an dem Geschehenen noch etwas ändern zu können, mag

St. Galler Mittlgn. z. vaterländ. Gesch. XXXIII. 4

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Unterdessen hatte der scharfe religiöse Gegensatz auch für die St. Galler sehr unangenehme Folgen. Als der St. Galler Peter Lienhart sich im Oktober in Geschäften nach Luzern begeben wollte, wurde er zu Rotenburg von sechs Gesellen im Wirtshaus mit Schmähungen und Drohungen überschüttet, besonders als sie vernahmen, dass er der Weberzunft angehöre, und als er Tags darauf seinen Weg nach Luzern fortsetzen wollte, liefen sie ihm nach, banden ihm die Füsse zusammen und schleppten ihn „eben wit", mit dem Kopf gegen den Boden, traten ihn mit Füssen und stahlen ihm seine Barschaft von 9 Gulden. Darauf nahmen die Missetäter Reissaus. Lienhart klagte, als er nach Luzern kam, beim Schult- heissen, bekam aber eine „schlechte'' Antwort.^) Doch auch auf St. Gallischer Seite fehlte es an Gewalttätigkeiten nicht. Zwischen dem Münsterprediger Adam Moser und den städtischen Prä- dikanten herrschte, besonders auch von den Kanzeln herab, ein wüstes religiöses Gezanke. Der Abt hatte Moser, der sich eines grossen Ansehens unter den Katholiken ringsum erfreute, ge- schützt und ihn zum Bleiben in St. Gallen bewogen. Die immer schwieriger werdende Stellung am Münster veranlasste aber schliesslich den Dekan doch, seinen Posten aufzugeben. Er ge- dachte nach Wil zu gehen, wurde aber unter dem Stadttore am 17. November auf Befehl der städtischen Obrigkeit verhaftet und am 18. Dezember,-) nachdem der Greis einen Monat in Haft ge- legen, vor den Rat beschieden. Er musste widerrufen und eine harte Demütigung für ihn am Weihnachtstag in der St. Lau- renzenkirche dies öffentlich bestätigen. ') Der Widerruf aber des angesehenen Dekans scheint der katholischen Religion in Stadt und Umgebung schwer geschadet zu haben. ^)

Die Lage des Stiftes wurde immer unsicherer und gefähr- licher. Schon im August 1527 hatte der Abt, da er sich in der Stadt nicht mehr sicher gefühlt, seine Residenz nach dem gut- katholischen Wil verlegt, um dann Mitte Oktober 1528 ins Kloster

wohl die katholischen Orte von weiteren nutzlosen Verhandlungen über diesen Gegenstand abgehalten haben.

^) R.-P. 1528—1533, S. 23, Okt. 29.

2) Sabb., S. 29934 gibt den 10. Dez. an.

3) A.-S., I, 2213 ; Sabb., S. 298—300 ; Sicher, I, S. 89—91 : R.-P. 1528, S. 82.

^) Sicher, I, S. 91 15-19.

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Korschach überziisiedehi. Er wollte sich wohl für den äussersten Notfall die Möghchkeit einer Flucht über den See offen behalten ; denn schon hatten auch die Fürstenlande, wie wir noch sehen werden, sich in ihrer Mehrheit dem neuen Glauben zugewandt. Aber auch zu Rorschach fand der schwerkranke Mann keine Ruhe vor seinen Widersachern. Das eigenmächtige Schalten und Walten der Zürcher und Berner in seinen üntertanengebieten, die drohende Haltung seiner eigenen Untergebenen, Kunde von geplanten An- griffen auf das Rorschacher „Kloster", ^) das schon erwähnte Vor- gehen gegen Moser veranlassten ihn, sich Februar 1529 in das feste Schloss zu Rorschach zurückzuziehen. -) Der Abt fühlte, wie sich ein schweres Gewitter über ihm und seinem Stifte zu- sammenzog. Er liess darum, was er an „gelt, silber, gschier, brief , rödel" zu Rorschach, Wil und St. Gallen besass, heimlich in Sicherheit bringen. •^) Er hatte dazu um so mehr Grund, als vom Oktober bis Dezember 1528 eingezogene Kundschaften über Reden St. Galhscher Bürger höchst bedenklich lauteten. Offen sprach man in der Stadt davon, dass „es uf dem stupf gsin sey", dass man ins Kloster eingebrochen wäre. Man wolle, hiess eine andere Kundschaft aus der Stadt, die Mönche im Kloster aufs Land hinausschicken zu den Gotteshausleuten und jedem „ain küdreck uf die blatten schlachen", damit man sie nicht kenne und doch sehe, dass es Pfaffen seien. Auch von einer Frau aus der Stadt, die sich in lästerlicher Weise über die Messe äusserte, wusste die Kundschaft zu berichten. Am gefährlichsten aber lautete, dass Bürgermeister Rainsberg in seinem Hause erklärt habe, es hätten nur 10 Hände gefehlt [im Rate?], so wäre man ins Münster eingebrochen und hätte die Mönche verjagt.^) Wie viel Wahres an den Kundschaften war, lassen wir dahingestellt.

^) Die Gotteshausleute hatten ihm wiederholt gedroht, das , Kloster" zu Rorschach zu stünneu und zu verbrennen (Sicher, I, S. 95/96). Er war dieses Gebäude kein eigentliches Kloster mehr, sondern diente Abt Gotthard hatte es, nachdem 1489 die halbfertigen Klostergebäulichkeiten zerstört worden waren, wieder restaurieren und ausbauen lassen zu Schulzwecken.

^) A.-S., II, 108 1. Dann begaben sich auf Befehl des Abtes fünf ihm treu- gebliebene Konventherren aus dem Kloster St. Gallen nach Wil und von da im Frühjahr 1529 nach Einsiedeln, wo seit Aug. 1526 Ludwig Blarer, vorher Dekan zu St. Gallen, Abt war. (St.-A., Fasz. 13.)

^) Sicher, I, S. 96io-i5.

4) A.-S., I, 2226.

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So viel geht aber aus diesen und anderen dem Abt über die Stadt zugestellten Berichten hervor, dass dort der Widerstand gegen das Stift bereits einen revolutionären Charakter angenommen hatte, der sich voraussichtlich bei weiterem Vorgehen gegen das Gotteshaus wenig mehr um bestehendes Recht kümmern würde. Das zeigte sich denn auch in deutlichster Weise bei der „Räumung" des äbtischen Münsters durch die Stadt.

Gründe gab es allerdings genug, welche dem St. Gallischen Rate die Entfernung der Bilder aus der Klosterkirche wünschens- wert erscheinen Hessen. Vor allem konnte, solange innerhalb der Stadtmauern katholischer Gottesdienst gehalten wurde, in diesen intoleranten Zeiten die reformierte Stadt nicht zur Ruhe kommen. Ebenso klar ist es aber, dass ein gutkatholischer Abt von St. Gallen nie und nimmer freiwillig auf die Messe im Münster daselbst verzichten konnte ; er hätte sich ja damit in seinen eigenen Augen und denen der katholischen Schirmorte selbst gerichtet. Also bheb, wenn St. Gallen bei seinem Vorsatze, die Münsterkirche zu reformieren, beharrte, nur die Gewalt in mehr oder weniger verhüllter Form übrig. Was Kessler ^) als Ent- schuldigungsgründe für das Vorgehen seines Rates in dieser An- gelegenheit anführt, der Rat habe den Abt und seine Beamten vielfältig aber vergebens ersucht, den Münsterprediger anzuweisen, Bilder und Messe mit der heiligen Schrift zu begründen, be- mäntelt den gewalttätigen und rechtswidrigen Schritt, den die Stadt mit der Entfernung der Bilder aus der Stiftskirche tat, ebenso schlecht, wie die Gründe, welche der Rat am 5. März d. J. den Gesandten von Luzern, Schwyz und Glarus vorbrachte, als diese beim Rate wegen des damals bereits geschehenen Bilder- sturms vorstellig wurden. ^)

Zwei mächtige Faktoren wirkten zusammen, um die Ent- fernung der Bilder aus der Klosterkirche zu beschleunigen. Einmal, dass Vadian 1529 wieder das Amt eines Bürgermeisters bekleidete; vor allem aber, dass Ende November 1528 der neue

1) Sabb., S. 309 28if.

-) R.-P. 1529, S. 55. Neben dem von Kessler angeführten Grunde gipfelten die Entschuldigungen der St. Galler darin : der Münsterprediger habe die neue Lehre gescholten, der Abt ihn nicht abgestellt. Die Gotteshausleute hätten rings um St. Gallen herum die Kirchen ausgeräumt. Das Münster sei keine abgeschlossene Kloster-, sondern eine Leutkirche.

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Schirmhauptmann, ein Zürcher, aufgeritten war. So war die be- freundete Limmatstadt in der Lage, ihre Glaubensschwester in nachdrückUchster Weise zu unterstützen und damit auch ihre eigene Sache zu fördern. Es war wohl nicht zufällig, dass ge- rade der Eatsherr Jakob Frei von Zürich als Schirmhauptmann in die Stiftslande gesandt wurde; denn Frei war ein rücksichts- loser Draufgänger und energischer Verfechter evangelischer Lehre und schien so wohl geeignet, Zürichs Hegemonie in der Ostschweiz, wie Zwingli sie anstrebte, zu verwirklichen. Dementsprechend sollte der neue Hauptmann zwar „nach Inhalt der Briefe" sein Amt verwalten, „immerhin unter Vorbehalt des göttlichen Wortes und der Mandate seiner Herren''.^) Es ging von ihm die Rede, er werde mit dem Kloster St. Gallen das Gleiche tun, was Zürich bereits mit seinen Klöstern getan. -) Frei hat auch als Schirm- hauptmann seine Obrigkeit durch Ermahnungen, die er seinen Schreiben oft beifügte, fortwährend zu neuem energischem Vor- gehen gegen den Abt und dessen Sache angetrieben. ^) Rechnen wir dazu den durch den neuen Hauptmannschaftsvertrag vom 11. Juni 1490 mächtig vermehrten Einfluss der Schirmorte auf die Abtei, welcher den Schirmhauptraann zu einer Art Landvogt im Fürstenland machte, so erkennen wir die grosse Bedeutung, welche die Wahl Freis für den Gang der Dinge in den äbtischen Landen haben musste.

So kam denn auch nicht gar lange nach seinem Aufritt eine der schwerwiegendsten, aber zugleich brennendsten Fragen in Fluss: die Entfernung der Bilder aus der Münsterkirche zu St. Gallen. Ende Januar 1529 erschien nämlich eine St. Galhsche Gesandtschaft in Zürich, um dem dortigen Rat die kirchlichen Verhältnisse ihrer Stadt, besonders in bezug auf das Stift, aus- einanderzusetzen. In einer den Boten mitgegebenen Instruktion ^) suchte St. Gallen zu beweisen, dass das Münster keine abge- sonderte Kirche sei, wie man behaupte, sondern eine offene Leutkirche. Noch verg-ang-ene Weihnacht seien zahlreiche Per-

1) E. A., IV, la, Nr. 603 zu e^'.

2j A.-S., I, 2074.

3) Siehe z. Beisp. A.-S., II, 74, 249, 341, 358, 450, 939, 1143, 1172, 1237; III, 480, 1173 etc.

*) E. A., IV, 1 b, Nr. 14(1). Mit Strickler glauben wir, dass das Akten- stück chronologisch hierher gehört.

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sonen „hinauf" gewandert und sei ihnen dort die Beichte ab- genommen und das Sakrament gegeben worden. Nun aber, da man die Messe dort gerne beseitigen möchte, wolle der Abt das Münster für eine „abgesonderte" Klosterkirche halten, während doch der grössere Teil der „Götzerei" im Münster von den Städtern bezahlt worden sei und die Stadt auch den Baumeister für die Kirche zu ernennen habe, zudem die Schlüssel zum Kirchenschatz besitze. Der Rat wolle darum im Namen der Kirchgenossen des Münsters die „manigf altige abgötterei" daselbst beseitigen lassen, entweder durch Abt und Konvent oder durch eigene, dazu ver- ordnete Leute. Zum Schluss hiess es noch, Bürgermeister und Rat würden im übrigen nicht in die Verwaltung des Gotteshauses eingreifen, sondern Abt und Konvent vor Gewalt und Drohungen schützen. Bei dem allem rechne man auf die Zustimmung des Konvents. Daraufhin richtete Zwingli noch am 27. Januar an Vadian die Anfrage, ob die St. Galler wünschten, dass Zürich zugunsten ihrer Stadt an den Abt schriebe ; man sei in Zürich auch gerne bereit, eine Botschaft an den Prälaten zu senden, wäre auch wohl einverstanden, dass Bern beigezogen würde. ') Am nächsten Tage befahl der Zürcher Rat seinem Schirmhaupt- mann in einem ausführlichen Schreiben, sich mit St. Gallen in dessen religiösen Angelegenheiten ins Einvernehmen zu setzen, -) und am darauffolgenden Tag schrieb Zwingli an Vadian : Frei habe Befehl, ., alles" mit Beirat der Herren von St, Gallen vorzunehmen; es sei nunmehr nötig, in der Angelegenheit ernstlich zu handeln, doch so, dass niemand über frevles Vorgehen klagen könne. ^) Am 2. Februar trat eine eidgenössische Tagsatzung in Baden zusammen, und Vadian benutzte als Gesandter St. Gallens die Gelegenheit, um sich dort im Schosse der evangelischen Städte über den Abt zu beklagen, der noch mehr Messe halte als früher etc. Man müsse annehmen, dass es der Stadt zuleide geschehe, und so seien Unruhen unter den Bürgern zu besorgen ; er bitte die Städte um Rat. Diese schrieben darauf an St. Gallen, was Vadian

^) E. A., IV, Ib, Nr. 14(2). Man beachte die Randbemerkung Zwingiis zu dem Vorschlage, Bern beizuziehen r Hoc consilium mihi raaximeprobatur; ardua enim satis est res, non propter se ipsam, sed propter eum, quocum agitur. Hoc meum est consilium."

2) A.-S., n, 46.

3) A.-S., II, 48; St. Galler Mitteil. III, S. 213.

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vorgebracht, sei so schwerwiegend, dass die Tagherren nicht von sich aus handeln, sondern erst ihre Obern anfragen wollten; man ersuche die Stadt, unterdessen nichts Tätliches vorzunehmen. ^) Und während noch am 2. Februar Zwingli an Vadian schrieb, die ,,Heimlichen" begehrten, dass mit der bisher bewiesenen Treue in Sachen der „göttlichen Wahrheit" gehandelt werde, -) riet Bern der Stadt St. Gallen entschieden ab, gegen das Münster Gewalt zu brauchen; sie habe da dem Abt nichts zu gebieten, und laut Burgrecht der Städte dürfte kein Mitglied jemanden zum Glauben zwingen; man solle auf dem Rechtswege bleiben.-^) Die Mahnung wirkte : St. Gallen versprach in seinem Antwortschreiben, nicht zur Gewalt zu greifen, fügte aber bei, die Abschaffung der „Ab- götterei" im Münster sei aus mancherlei Gründen notwendig; man werde darum Bern und Zürich über die kirchlichen Ver- hältnisse in der Stadt genauen schriftlichen Bericht geben. ^) Unterdessen hatte Bern, um St. Gallen seine Geneigtheit zu be- weisen und das Äusserste zu verhindern, am 10. Februar an den Abt geschrieben, dass im Münster zu St. Gallen mehr Messe ge- halten und mehr geläutet werde als früher; da man darüber in der Stadt unwillig sei, so solle der Abt, wenn er die evangeHsche Lehre „noch nicht" annehmen wolle, wenigstens die päpstlichen Zeremonien nicht mehr als bisher ausüben; man bitte dringend, diese Mahnung zu beherzigen, damit niemand verursacht werde, etwas zu tun, was christlicher Liebe nicht entspreche. ^) Das Gleiche bezweckte eine Botschaft von Zürich, die Mitte Februar an Abt und Konvent geschickt wurde. Daneben aber hatte Zürich den Gesandten befohlen, den St. Gallern zum freundhchsten zu raten, sie möchten in Anbetracht der schwierigen Zeiten nicht gewalttätig gegen das Kloster vorgehen, da hierdurch das gött- liche Wort mehr gemindert als gemehrt würde. *^) Diese Botschaft verhandelte vom 18. 20. Februar mit der Stadt St. Gallen in der äbtischen Angelegenheit. Entsprechend der oben genannten In- struktion sollten die Boten die Sache auf friedlichem Wege zu

1) E. A., IV, Ib, Nr. 19 a.

2) A.-S., II, 57; St. Galler Mitteil. III, S. 213 f.

3) A.-S., II, 79, 11. Februar. ^) A.-S., II, 90.

^) St.-A., Fasz. 13. Orig. 6) E. A., IV, Ib, Nr. 24 1.

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erledigen suchen, was ihnen aber schlecht gelang, wie das Schreiben zeigt, das St. Gallen am 19. Februar an Zürich schickte. Es er- suchte darin die Zürcher Obrigkeit um weitere Vollmachten für deren zu St. Gallen befindliche Gesandte, da es entschlossen sei, mit ihrer Hilfe eine Instruktion über das Begehren und Anliegen der Stadt zu verfassen und Zürich zur Prüfung mitzuteilen; in der Schrift solle stehen, dass man, wenn Abt oder Konvent dem freundlichen Gesuche der Stadt nicht entsprächen, die „Ab- götterei" nicht weiter dulden, sondern abstellen werde; des Abtes Untreue liege klar am Tage, und die Gemeinde sei etwas hitzig und sehr unruhig; durch die Beseitigung der Bilder aber würde Beruhigung eintreten, und die Obrigkeit könnte so besser auf ihre Angehörigen und Kirchgenossen zählen, falls, was Gott verhüte, die „Widerwärtigen" Krieg anfangen sollten. ^)

Diese gespannte Lage in St. Gallen entsprach derjenigen in der ganzen Eidgenossenschaft überhaupt. Hier hatte sich bis zum Jahre 1529 eine mächtige neugläubige Partei gebildet, welcher drei der bedeutendsten eidgenössischen Stände, Zürich, Bern und Basel, angehörten und Schaffhausen, Appenzell und Glarus offen zuneigten. Die Gegensätze gestalteten sich immer unversöhn- licher; denn, hielten die Katholiken schroff am Alten, namentlich den kirchlichen Überlieferungen fest, so traten die Anhänger Zwingiis um so entschiedener für die religiöse und politische Reform ein. Die Leidenschaften hatten sich auf diese Weise schon derart erhitzt, dass der Ausbruch eines Bürgerkrieges vor der Türe stand. Deshalb suchten sich beide Parteien durch Sonder- bündnisse für den bevorstehenden Kampf zu stärken. Es ent- standen die früher erwähnten „christlichen Burgrechte" der Refor- mierten, während die V Orte, wie wir sehen werden, am 22. April 1529 zu Waldshut ein Verteidigungs- und Angriffsbündnis mit Öster- reich, dem alten Erbfeind der Eidgenossenschaft, abschlössen, und einige Monate später der offene Bruch zwischen alt- und neugläu- bigen Eidgenossen erfolgte. Es kam zum ersten Kappelerkriege.

Unter diesen Umständen machte man sich in Zürich offenbar .immer mehr damit vertraut, in der St. Galler Klosterangelegen- heit Gewalt vor Recht ergehen zu lassen. Ein Gutachten, viel- leicht unmittelbar auf obiges Schreiben hin von Bürgermeister

1) E. A., IV, Ib, Nr. 28(2).

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Röist und den Obristzunftmeistern verfasst, zeigt uns das sehr deutlich. Von drei Anträgen dieser Kommission lautete einer: St. Gallen solle in diesen schwierigen Zeiten „keine Veränderung" vornehmen; der zweite: St. Gallen möge vom Abt um der Ruhe und des Friedens willen unverzügliche Abstellung der „Götzerei" fordern; schlage der geistliche Herr das ab, so solle es selbst das Münster „räumen". Der dritte nahm eine Art Mittelstellung zwischen diesen beiden Vorschlägen ein und besagte: Zürich sei gegen gewalttätiges Vorgehen, und zwar erstens wegen der Sprüche und Verträge zwischen Stadt und Abt, zweitens weil der Abt und die Gotteshausleute noch andere Schirmherren als Zürich hätten, drittens, weil von Glarus noch kein Bescheid gekommen; wolle aber, hiess der schwerwiegende Nachsatz, St. Gallen nach seinem eigenen Gutdünken verfahren, so werde Zürich das Beste dazu reden und im Notfall Leib und Gut für St. Gallen einsetzen. ^) Gemäss diesem letzten Vorschlage wurde am 22. Februar an St. Gallen geschrieben, -) und das gab dort den Ausschlag, wie eine Notiz des St. Galler Ratsbuches vom 23". Februar 1529 aus- drücklich sagt. ^) Am Morgen dieses Tages fasste der Rat auch die endgültigen Beschlüsse über die Räumung des Münsters : ^) „1. das man uff hüttigen tag anfahen unnd die abgöttery, gützen [Götzen], tafeln unnd altaren im mönster dannen tun soll.

2. Item das man, so lang untz man damit grech sye, das Brültor zutun unnd die übrigen tor nemlich yedes mit 4 mann in harnasch (besetzen) unnd 2 wachter uff das mönster unnd S. Lorentzenturm (legen), och uff den gang uff der ringkmur zw[ischen] Müllertor und der port (acht) haben soll.

3. Item das man den mönchen sagen soll, das (sy) die kelch, erütz, altartücher, lü[ch]ter unnd anders an gelegne ort verwaren soll[en], och das haltum lassen ston in mass, wie das yetz ist, unnd inen sagen, das sy sorg dartzü haben sollend, das nüt veraberwandlet werd, oder man wurds zu inen suchen; wölten sys nit tun, wurd man sölhs dem buwmeister be- felhen unnd in den capellen alle ding in die sacristyen tun und nüt ufbrechen, weder trog noch anders.

0 A.-S., II, 115.

2) Ibid.

=*) R.-P. 1529, S. 50.

^) R.-P. 1529, S. 50—51.

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4. Sind verordnet solhs zu f ersehen und volstrecken ain b(urger)- m(aister), die 6 zunftmaister, sampt denen die dartzü ver- ordnend, unnd sol niemand dartzü gon, denn der dartzü ver- ordnett sind, und niemand nüt hinweg trag, weder klins noch gross, die götzen zerschitten und uff den Brül füren und verbrennen; was von Hsten, on götzen, im brespiterium sind, lassen ston unnd behalten.

5. Das ain burgermaister und etlich ret sollichs dem techan und convent verkonden unnd sich protestieren, das man sollichs uff recht ^) und uss krafft götlichs wort tun und sunst inen an lib und gut kain schmach und schaden zu- fügen wolle."

Auf ein Glockenzeichen sollte dann, wie Kessler erzählt,-) nach dem „imisessen" jeder Grossrat zwei Bürger mitnehmen und ins Münster hinaufgehen, um da auszuführen, was man befehle. Durch diesen Anschlag sollten die Mönche verhindert werden, noch rechtzeitig die Bilder in Sicherheit zu bringen, um sie etwa bei günstiger Gelegenheit wieder hervorzuholen.

Um 12 Uhr mittags erschien eine Ratsbotschaft im Kloster bei Dekan und Konvent. Vadian setzte ihnen „mit inmischung vil süsser worten" auseinander, dass ihr Gottesdienst dem „gött- lichen Wort" widerstrebe und „unnütz" sei, sich auch mit der heiligen Schrift nicht beweisen lasse. Er bitte sie darum, dass man die „piltnussenn unnd götzery, dessglichenn die altär" in schonendster Weise aus dem Münster entfernen dürfe.

Sehr erschrocken schickten darauf die Mönche zum Hof- meister und dem Stiftshauptmann, antworteten auch einhellig, dass sie die Bitte Vadians „zumm höchstenn befrömbdte", be- sonders da der Abt noch „bi guter vernunfft" sei, ohne den sie auf das Begehren nicht eingehen könnten ; doch würden sie es auch nicht tun, wenn sie von sich aus in der Sache handeln dürften. Sie hofften, dass die St. Galler „als gut nachpurnn" von ihrem Verlangen abstehen würden. Doch die Gesandten der

•) Was auf einem Rechtstage in der Angelegenheit herauskommen würde, wenn die Stadt bereits das Münster ausgeräumt hatte, Hess sich leicht vorstellen !

^) Sabb., S. 310 10. Über den folgenden Bildersturm siehe neben Sabb., S. 309 ff., hauptsächlich auch Beilage III, der zahlreiche Angaben für meine Darstellung entnommen sind.

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Stadt erwiderten, sie hätten erwartet, dass die Mönche ihr Be- gehren niclit abschlagen würden, da dasselbe ja nur zum Vorteil des Gotteshauses gestellt worden sei, damit ihm „nit onversechen ettwas wyters schadenn zustund" ; deshalb müssten sie auf dem gestellten Begehren verharren, da zudem der Rat genau wisse, dass der Abt so schwer krank sei, „das er sich semhcher unnd derglichenn handlungen nit mer belüd". Nochmals baten die Kon- ventherren, die Forderung St. Gallens an den Abt bringen zu dürfen, der ja noch geistig ungebrochen sei, und wollten dies unverzüglich tun. Doch darauf erklärten die St. Galler Boten, ihre Obrigkeit sei entschlossen, die Räumung des Münsters auch gegen den Willen des Konvents vorzunehmen. Vergebens ent- gegnete dieser, dass die Stadt dazu gar kein Recht habe, wofür man Briefe und Siegel vorlegen könnte, und schlug dann, weil er damit nichts ausrichtete, der Stadt auch im Namen des Abtes Recht vor, und zwar vor dem Papst, Kaiser Karl, König Ferdinand, Gemeinen Eidgenossen und vor allem vor den Schirmorten des Stiftes, doch ohne dass die Gegner darauf eingegangen wären.

Unterdessen hatte aber die Stadtbevölkerung von dem Plane der Obrigkeit, das Münster zu räumen, Kunde erhalten, und es war „schon ain grosse zal volcks mit irmm werchzüg unnd In- strumenten" ins Münster geströmt, um beim ersten Zeichen über die Bilder herzufallen. Als der Konvent davon erfuhr, bat er, man möge ihm wenigstens gestatten, die Bilder, „Tafeln" und anderes selbst aus dem Münster zu entfernen. Doch umsonst. Vergebens trat auch der Dekan Otmar Glutz vor und beklagte sich hoch vor den Gesandten, dass man den Konventualen nicht einmal Zeit lassen wolle, den Abt in dieser für ihn so wichtigen Angelegenheit zu befragen.

Es wurde ihm erwidert, der Abt habe wegen seiner Krank- heit die Herrschaft über das Stift nicht mehr geführt, sondern sich ihrer „entladen'^ Darum habe man sich an den Konvent gewandt. Auch habe der Abt sich geweigert, auf die mehrmaligen Bitten der Stadt einzugehen und zu beweisen, dass Bilder und Messe in der heiligen Schrift „begründet" seien. Laut Sprüchen und Verträgen sei das Münster eine offene Leutkirche. Tue die Stadt die „Götzen" nicht aus der Kirche, so habe der Konvent von der unruhigen Stadtbevölkerung Schlimmes zu befürchten; das wolle die Obrigkeit nicht und werde darum die Sache jetzt

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selbst an die Hand nehmen ; man sei gern erbötig, auf einem Rechtstage die Tat zu verantworten.

Darauf ging man ans Werk. Im Münsterchor erklärte v. Watt der Menge, dass der Rat beschlossen, noch heute „das gegen- würtig götzenwerk" zu entfernen und zu verbrennen. Er hatte kaum ausgeredet, als die Zerstörungsarbeit begann. Innerhalb 2^/2 ^) Stunden war das Werk vollbracht, das Münster geräumt. Manch wertvolles Kunststück ging dabei zugrunde. Sicher be- rechnet den Schaden auf mehr als 16,000 GL; denn der Bilder- sturm dehnte sich auch auf „al capellen um das Münster ligend" aus. -) 40 ^) Wagen voll zerstörter „hölzerner Götzen" wurden auf den Brühl ^) geführt und dort verbrannt. Was aus Stein war, verwandte man zu Mauerwerk. Am folgenden Tage entfernte man noch etwa 33 Altäre aus dem Münster. Dagegen war es zur grossen Freude der Altgläubigen den Mönchen gelungen, die Gebeine des heiligen Otmar'') und ebenso diejenigen des heiligen Notker *') zu retten. Aber mochten auch die städtischen Abgeord- neten „ernstlich ufsechen, damit nünt unbefolchens zerbrochen und das notwendig zerbrochen hinweg ab den ogen und uss den füssen behend abgefertiget wurde", den Katholiken musste und muss doch dieser Bildersturm als ein „grauenvoller" ') erscheinen. Am 7. März hielt Dominikus Zili den ersten reformierten Gottes- dienst im Münster. -) Bei 3000 Personen wohnten der Predigt bei.-')

Schon am 24. Februar berichtete St. Gallen das Geschehene an Zürich, indem es ausdrücklich bemerkte, dass man die Tat gewagt habe auf seine tröstlichen Zusagen hin. ^^) Die Zürcher Regierung erklärte sich darauf in ihrem Antwortschreiben mit dem Vorgehen der St. Galler einverstanden und schrieb auch, man werde die Stadt in der Klosterangelegenheit nicht verlassen;

^) Miles, S. 338 (66) 1 gibt 2 Stunden an.

2) Vad., II, S. 41140.

3) Vad., II, S. 41 1 44, nennt 46 Fuder ; Miles, S. 338 (66)7 , sagt 46 „karen " . ■*) Zum Kloster gehöriges Wiesenland ausserhalb der Stadtmauern.

-^) Sicher, I, S. 94; Sabb., S. 313i7-:u.

*■') Sabb., S. 313 31-32.

') Handbuch der Schweiz. -Gesch. v. Jos. Hürbin, 11. Lieferung, S. 152.

8) Sabb., S. 313 39-43.

9) Miles, S. 338(66)15-17 ; Vad., II, S. 412 20-21, spricht von mehr als 4000. ^^) A.-S., II, 132. Das Gleiche wird auch im St. Galler Ratsprotokoll vom

23. Feb. 1529 (S. 50) ungefähr gesagt.

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nur solle bestmöglich jeder Aufruhr von selten der Bürger ver- mieden werden. ^) Aber die übrigen Schirmorte, vor allem Luzern und Schwyz, waren nicht gewillt, das gewalttätige Vorgehen unbe- anstandet zu lassen. Schon am 2. März schrieb Hauptmann Frei an seine Obern, an diesem Tage seien Boten von Luzern und Schwyz bei ihm zu Wil gewesen, welche vorgebracht, sie hätten etwas mit ihm zu reden, möchten aber noch die Gesandten von Glarus erwarten ; sollten diese Boten ihm etwas zumuten, das gegen das „göttliche Wort und Zürich" gehe, so werde er erklären, er wolle tun, was ihm die IV Orte befehlen würden. -) Am folgenden Tage erschienen denn die Glarner Gesandten in Wil, und Schwyz und Luzern gedachten nun die Verhandlungen zu eröffnen, da bereits auch der Dekan und zwei Mönche aus St. Gallen eingetroffen waren. •^) Der erstere erzählte im Auftrag des Konventes die Einzelheiten des Bildersturmes vom 23. Februar im Münster. Als darauf der Hauptmann gefragt wurde, warum er dem Treiben nicht Einhalt und im Namen der Schirmorte Recht geboten habe, erklärte er: die Stadt St. Gallen hätte zuerst das Recht vorgeschlagen ; ein Gleiches zu tun, habe er daraufhin für unnötig gehalten und glaube, dies vor Gott und der Welt ver- antworten zu können. Die Abtischen forderten nun die IH Schirm- orte auf, den allen Verträgen zuwiderlaufenden Frevel der St. Galler zu bestrafen. Die Boten wollten auch auf den Fall näher eintreten ; aber Frei erklärte, dass Zürich auch dabei sein müsse. Vergebens suchten die Tagherren ihn zu bewegen, an den Verhandlungen im Namen Zürichs teilzunehmen, da dieses, weil es den Schirm- hauptmann im Stift habe, nicht selbst eingeladen worden sei, wie das in ähnlichen Fällen immer so gehalten werde. Frei er- klärte, nichts hinter seinen Herren handeln zu wollen ; er danke für die Ehre, die man ihm erweisen wolle, in dem wichtigen Handel mitraten zu dürfen; doch werde er, wenn Zürich ihm Voll- macht erteile, gern mithelfen, die Angelegenheit zum Austrag zu bringen. Die Gesandten der HI Orte hielten es daraufhin für das Beste, nach St. Gallen zu reiten, um dort persönlich den Tat- bestand festzustellen. Von dem Vorgefallenen benachrichtigte

1) A.-S., II, 134, 25. Februar. 2)E. A., IV, Ib, Nr. 40 zu a(l). ^) Sabb., S. 31 3. 33-34.

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Frei noch am gleichen Tag ^) seine Oberen und teilte am folgenden ungefähr dasselbe den St. Gallern mit, indem er noch beifügte, der eine der Glarner Boten, Vogt Schiesser, habe ihm vertraulich eröffnet, sie hätten keinen Befehl zum Handeln, sondern sollten nur das Beste zur Sache reden; Schiesser habe ihn auch versichert, nur ein Vierteil der Ratsraitglieder habe die Glarner Gesandtschaft abgeordnet, und Glarus werde in der Sache nichts anderes tun als Zürich, -)

Am 5. März erschienen die Gesandten der III Schirmorte zu St. Gallen von Luzern Am Ort, von Schwyz Sonnenberg, von Glarus Schiesser und Tschudi und erklärten vor dem Rat, auf ein Schreiben des Abtes hin hätten ihre Obern sie hierhergeschickt, um die Ursache zu erfahren, warum man so wider Sprüche und Verträge im Münster gehandelt habe. Die St. Galler Obrigkeit dankte daraufhin den Gesandten sehr, dass die III Orte nicht einfach dem hitzigen Schreiben des Abtes geglaubt, sondern auch die Gegenpartei hören wollten. Folgendes seien die Ursachen zu dem Bildersturm gewesen: Die städtische Obrigkeit habe ein Reforraationsmandat ergehen lassen, aber vergebens den Abt ersucht, seine Geistlichen zur Disputation mit den städtischen Prädikanten zu bewegen, die von den äbtischen Geistlichen ge- schmäht worden seien; als ein Diebstahl im Münster vorgefallen, habe Dr. Wendelin indirekt die St. Galler für die Schuldigen er- klärt; das Münster sei eine offene Kirche, und St. Gallen habe für sie den Baumeister zu ernennen ; in der Stadt sei wegen der Messe im Münster die Bevölkerung unruhig geworden, be- sonders da man die Kirchen in der Nachbarschaft „geräumt" habe etc. Die Gesandten der III Orte erklärten darauf, diese Antwort an ihre Obern bringen zu wollen und baten nur, die Mönche im Kloster ruhig zu lassen und keinen Prädikanten ins Münster zu setzen. Das erstere gestanden die St. Galler zu. Sie erklärten auch, die Mönche sollten ihre Einkünfte weiter beziehen, und man habe ihnen freien Wandel zugesagt, doch dass sie „beschaidner worte sigen". Weiter äusserten sie : wenn einer im Münster predige, der von seiner Lehre Rechenschaft gebe, so

^) A.-S., II, 133. Das fettgedruckte Datum bei Strickler ist falsch. Es sollte statt 24. Feb. beissen 3. März.

2) E. A., IV, 1 b, Nr. 40 zu a. 4. März: Frei an St. Gallen.

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würde ihn die Stadt gerne sehen ; sonst aber werde man einen andern „hinauf" tun. ') Und dabei blieb es.

Mit der Räumung des Münsters war die Reformation in der Stadt St. Gallen zu einem gewissen Abschluss gelangt: Messe und Bilder waren aus den Stadtmauern verbannt. Es ist der letzte bedeutende Fortschritt, den die Reformation in der Stadt zu Lebzeiten des Abtes Franz und vor dem Amtsantritt des Abtes Kilian machte. Unter der Führung Vadians und Zwingiis war die neue Geistesrichtung an der Steinach zum völligen Siege gelangt, und schon war durch den Bildersturm auch das Zentrum der äbtischen Herrschaft selbst schwer erschüttert.

Inzwischen hatte sich die Reformation auch in den Stifts- landen aussrebreitet.

1) R.-P. 1529, März 5. (S. 55—57), vgl. oben S. 52, Anm. 2.

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II. Kapitel.

Die Reformation im St. Gallischen Fürstenland bis zum Antritt Abt Kilians.

Wir haben oben versucht darzulegen, wie bis Ende 1525 die Bewegung bei den Untergebenen des Abtes von St. Gallen einen ganz vorwiegend sozialen oder sozialpolitischen Charakter trug, und dass der religiöse Reformgedanke bis zu dem genannten Zeitpunkt durchaus im Hintergrund stand. Aber die Keime der Reformation waren auch hier schon lange vorhanden. Ihre immer stärkere Entwicklung hängt zusammen mit den Fortschritten der neuen Lehre in St. Gallen. Wir dürfen wohl annehmen, dass vor allem von dieser Stadt aus die Reformation sich in der alten Landschaft verbreitet habe, gehörten doch z. B. Straubenzell, Tablat und Wittenbach zum Kirchsprengel der St. Laurenzen- kirche, so dass in sehr natürlicher Weise die neuen religiösen Gedanken und Ideen sich den übrigen Gemeinden des Gottes- hauses mitteilten und je nach dem Erfolg der neuen Richtung in der Stadt bis zu einem gewissen Grade auch im Fürstenland die neue Lehre mehr oder weniger rasch Boden fassen musste. Doch dürfen wir von Anfang an auch Zürichs Einfluss auf die Bewegung daselbst nicht gering anschlagen, und zwar nicht bloss seit Ende 1528, als Jakob Frei Stiftshauptmann wurde. Zwingli wird wohl sehr früh die äbtischen Untertanen als geeignetes Objekt für seine meisterhaft betriebene religiöse Propaganda be- trachtet haben. Wenn Zürich den äbtischen Bauern soziale und politische Besserstellung versprach, so waren wohl die meisten unter ihnen für die neue Lehre zu gewinnen, und wir können wirklich verfolgen, wie mit dem ersten kräftigeren Auftreten der Reformation in Zürich und St. Gallen auch in der Gotteshaus- landschaft der neue Glaube eindringt.

Im Januar 1523 hatte in Zürich die entscheidende erste Dis- putation stattgefunden ; im gleichen Jahre machte die neue Lehre in der Stadt St. Gallen kräftige Fortschritte, und schon am 3. März

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dieses Jahres klagt der Abt in einem Schreiben an Liizern über den bei seinen Untertanen vorhandenen Missglauben: durch etliche Priester seien Unruhen im Untertanengebiete veranlasst worden. Auch gedruckte Büchlein, „die dann in der luterischen handlung jetzo emborschweben", wären daran schuld. Er suche nach Kräften zu verhindern, dass der gemeine Mann sich darein ver- tiefe. Zu seiner Unterstützung habe er den von Luzern gesetzten Schirmhauptmann Jost Köchlin nach St. Gallen berufen und bitte, ihm für diesen Handel besondere Vollmacht zu erteilen. ')

Ein Jahr später erhalten wir wieder eine kurze Notiz über den Stand der Reformation in den Stiftslanden. Auf einem Tage zu Luzern im Mai 1 ö24 klagte der Abt unter anderem neuerdings durch seinen Kanzler, dass die lutherischen Religionsneuerungen in der Landschaft des Gotteshauses „um St. Gallen herum" sich deutlich zu zeigen anfingen. -)

Der Abt hatte seine guten Gründe, auf die religiöse Bewegung in seinen Landen aufmerksam zu sein; halfen doch auch Gottes- hausleute dazu, dass der Rat der Stadt im November 1524 einen den Laienpredigten förderlichen Beschluss fasste.-') Diese wohl- erkennbare, stetig wachsende Annäherung seiner Landschaft an das ketzerische St. Gallen musste auch für den katholischen Glauben seiner Untertanen eine immer grössere Gefahr bilden, und es konnte darum diese Haltung der Gotteshausleute dem Abt durchaus nicht gleichgültig sein, ganz abgesehen von etwaigen politischen Folgen. Um der umsichgreifenden Bewegung aber erfolgreich entgegen- treten zu können und gegen die Stadt einen Rückhalt zu haben, suchte Abt Franz sich wenigstens der Mehrheit der eidgenössischen Orte zu versichern. Anfangs September 1524 Hess er deshalb auf der Tagsatzung zu Baden durch seinen Rat Ludwig von Helms- dorf anzeigen, dass er mit Leib und Gut zu den Eidgenossen halten wolle, hinwiederum ihnen sein Gotteshaus bestens empfehle.^)

Das Jahr 1525 hatte, wie wir oben gesehen, die ganze sozial- politische Bewegung unter den Stiftsbauern gebracht. Wir haben darauf hingewiesen, wie gefährlich diese Bauernaufstände unter dem Einfluss der neuen religiösen Ideen geworden waren. Nur

1) A.-S., I., 565.

^) E. A., IV, la, Nr. 178 p 2.

3) R.-P. 1524, fol. 97 a.; vgl. oben S. 25.

•^) E. A., IV, la, Nr. 207 u.

St. Galler Mittlgn. z. vaterläml. Gesch. XXXIII. 5

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die Furcht vor dem damals noch in der Schweiz dominierenden Kathohzismus hatte die rebellischen Untertanen des Abtes ver- hindert, auch die religiöse Reform zu verlangen : sie begnügten sich, soziale Forderungen zu stellen. Jener grosse Rechtstag zwischen Abt und Untertanen zu Rapperswil im Juli 1525 warf jedoch ein grelles Streiflicht auf die religiösen Verhältnisse in den Stiftslanden. Die zur Pfalz in St. Gallen gehörenden Ge- meinden, unter ihnen Waldkirch, Rorschach und Gossau, stellten nämlich gleich zu Beginn der Verhandlungen an den Abt die Frage, ob er sie bei dem heiligen Gotteswort, dem Evangelium, der heiligen Schrift und der göttlichen Wahrheit bleiben lassen und mit ihnen darnach leben wolle. In geschickter Weise drückte Franz sein Befremden darüber aus, da er nicht hierher gekommen, um über geistliche Dinge und den christlichen Glauben zu disputieren, wie denn auch im Löramiswiler-Programm ^) von religiösen Dingen nicht die Rede war. Daraufhin liessen die Gotteshausleute die gestellte Frage wieder fallen. -) Gemässigter, aber sehr bezeichnend, äusserten sich in dieser Sache die Ge- meinden, welche zur Pfalz in Wil gehörten. Rickenbach, Ober- büren etc. : bis auf eine habe der Abt alle Pfarreien bei ihnen zu verleihen, erklärten sie. ; die Gemeinden seien aber schlecht versehen, da die Pfarrer ,,ganz ungleich" predigten; einige Geist- liche hätten erklärt, sie dürften die Wahrheit und das Gotteswort nicht „lauter'' verkünden ; es sei darum ihre Bitte, dass der Abt oder die IV Schirmorte diesen misslichen Zuständen ein Ende machten. Der Abt gab ihnen darauf die gleiche Antwort wie den zur Pfalz in St. Gallen gehörenden Gemeinden : er sei nicht für geistliche Dinge erschienen. •^)

Wir ersehen aus diesen Verhandlungen, wie mächtig die Reformation Mitte 1525 schon bei den Stiftsbauern Fuss gefasst hatte, aber auch, wie ablehnend der Abt sich verhielt. Und er war entschlossen, dabei zu verharren. Im November dieses Jahres wurde der Leutpriester von Oberbüren, Christoph Landenberger, auf ein Mandat von neun Orten ^) wegen Schmähreden auf den

1) Siehe oben, S. 8.

2) E. A., IV, 1 a, S. 707.

3) E. A., IV, la, S. 727 1.

^) S. E. A., IV, la, Nr. 319 zu s.

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Katholizismus ^) verhaftet, nach Luzern geführt und an Leib und Gut schwer geschädigt. -) Bezeichnenderweise hatte man ihn aber zur Bestrafung wegführen müssen, um einen Aufruhr unter den Gotteshausleuten zu vermeiden. Mandate von Luzern und Glarus und ein im Namen der katholischen Orte Anfang November er- lassenes teilten den Gotteshausleuten die angeordnete Verhaftung des Priesters mit und forderten sie auf, der Gefangennahme keine Hindernisse in den Weg zu legen. •') Doch die drei kathohschen Schirmorte sahen sich schon zu Beginn des Jahres 1526 zu weiteren Schritten genötigt. Von Ein siedeln aus erliessen sie, am 1. März, zwei scharfe Mandate. Das eine untersagte den Gotteshausleuten den Genuss von Fleisch und anderen verbotenen Speisen in der Fastenzeit; wer bemerke, hiess es in der Verordnung, wie einer in der Fastenzeit Vieh oder andere verbotene Dinge nach Konstanz, St. Gallen oder anderswohin führe, habe das Recht, ihm die Ware wegzunehmen. Im zweiten Erlass wird den Gotteshausleuten ver- kündet, der Schirmhauptmann des Stiftes, Melchior Tegen von Schwyz, habe Befehl, jeden, Weib oder Mann, der sich ketzerischer Handlung schuldig mache, zu verhaften, sofern der Fehlbare sich auf dem Boden des Gotteshauses befinde; jedermann solle dem Hauptmann dabei helfen.*) Ganz im Sinne dieser beiden Erlasse folgte am IL März, und zwar auf Befehl der drei kathohschen Schirmorte, ein solcher von selten des Fürstabtes Franz. Es wurde darin den Gotteshausleuten auch verboten, verdeutschte Testamente zu besitzen. ^') Die Lage verschhmmerte sich aber so, dass Schwyz auf einem Tage zu Einsiedeln im April des Jahres wegen „ungeschickter Vorgänge" in der Gotteshauslandschaft und anderswo um getreues Aufsehen bat. ")

Mit dem Fortschritt der Reformation begannen in der zweiten Hälfte des Jahres Ib'ii^ die Zehntenverweigerungen aufs neue: der Abt hatte im August auf den Tagsatzungen zu Luzern und Baden über Gaiserwald, Abtwil, Junkartswil zu klagen, weil diese Gemeinden ihm die schuldigen Abgaben nicht entrichteten. Darauf

1) A.-S., I, 1308.

2) A.-S., I, 1976.

■') A.-S., 1308a; E. A., IV, 1 a, Nr. 319 zu s.

^) E. A., IV, 1 a, Nr. 348 zu bb.

^) Sabb., S. 210 23-28.

«) E. A., IV, 1 a, Nr. 357 i.

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wurde am 24. August von drei Schirmorten (ohne Zürich) be- schlossen, er dürfe, wenn jemand sich weigere, Zehnten zu geben, die Güter oder Feldfrüchte des Säumigen mit Beschlag belegen, bis seiner Forderung Genüge geleistet sei. 0

Nun aber griff Zürich zugunsten der Neugläubigen in der Landschaft des Gotteshauses kräftig ein. Als eine Botschaft von Waldkirch um Schutz in religiösen Dingen ersuchte und erklärte, die Waldkircher seien im übrigen bereit, dem Abt zu leisten, was sie schuldig seien, verfasste zu Anfang Februar 1527 Zwingli ein Gutachten in der Angelegenheit. Er empfahl darin seiner Obrigkeit, die Waldkircher bei ihrem neuen Glauben zu schützen, sofern sie, wie versprochen, in weltlichen Dingen dem Abt Genüge leisteten. -) Das war auch die Absicht der Zürcher Regierung. ■') Sie beklagte sich deshalb schon am 4. Februar bei Fürstabt Franz, dass er den Waldkirchern verboten, eine Gemeinde darüber zu halten, ob man beim alten Glauben bleiben wolle oder nicht; die Bilder und Götzen seien Gott widerwärtig und in der heiligen Schrift nicht begründet; der Abt möge seine Untertanen in Glaubenssachen frei entscheiden lassen. Zugleich griff sie in dem Schreiben auch jenes Mandat des Abtes vom März 1526 an. 0

Diese offene Parteinahme Zürichs für die neugläubigen Gottes- hausleute trug für den Abt bald die bedenklichsten Früchte, Schon Ende Februar 1527 klagte der Gesandte des Abtes auf dem Tage zu Einsiedeln über Aufruhr in der Gemeinde Waldkirch und über gotteslästerliche Reden eines Bauern zu Utzwil. Noch viele andere, fügte er bei, hätten sich unchristlich über die Messe geäussert; ja, der Stiftshauptmann lasse durch ihn klagen, dass man sich um seine Befehle nichts mehr künunere.'^) Die Folge war zunächst eine scharfe Zuschrift von Luzern, Schwyz und Glarus an Wald- kirch: die Waldkircher sollten ihr ,,türkisch fürnemen" aufgeben und die Bilder in ihrer Kirche lassen. Möge Waldkirch auch bei Zürich in seinem Vorgehen gegen die Messe Gefallen finden: sie, die drei Orte, seien noch des alten Glaubens und würden jede

1) E. A., IV, la, Nr. 383 r, Nr. 392 u.

^) A.-S., I, 1635.

'^) E. A., IV, 1 a, S. 1057, Nr. 421 zu t(2).

•^) E. A., IV, la, Nr. 421 zu t(i).

•-•) E. A., IV, la, Nr. 421s.

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Bilderstürmerei, wo sie zu gebieten hätten, hart zu strafen wissen. Darnach möchten sich die Waldkircher richten. ')

Aber der Geist des Widerstandes nahm in den Stiftslanden nicht ab. Der Abt hatte sich anfangs Mai 1527 wieder über Zehnten- verweigerungen und zwar von seiten Abtwils-) und Junkartswils zu beschweren ; im Juli desselben Jahres musste er zu Baden die Klagen über die beiden Gemeinden wiederholen ^), und der Wider- stand der Gotteshausleute gegen den Abt zog unter dem Schutze Zürichs immer weitere Kreise. Leute von Zuzwil zeigten sich widerspenstig gegen Verordnungen, welche, wie üblich, auf den Kirchweihen und Versammlungen bekannt gemacht wurden. ^) Erst als die drei Orte auf einem besonderen Tage'') dagegen Stellung nahmen, gab Zuzwil nach und versprach, die Übeltäter zu bestrafen.

Noch im gleichen Monat Mai fand, wie oben erwähnt, das St. Galler Schützenfest statt. Die Gotteshausleute benutzten die günstige Gelegenheit, Zürich ihr Wohlwollen und Zutrauen zu beweisen. Vierhundert bewaffnete Gotteshausleute aus Rorschach, Waldkirch, Gossau, Goldach, Straubenzell, Lömmiswil und Tablat bezeichnenderweise alles Gemeinden, die zur Pfalz in St. Gallen gehörten erschienen während des Festes, und ihr Sprecher, der hochbejahrte Ammann von Lömmiswil, „Fuchs" Gerster, *^) schenkte der Stadt Zürich „als des gotshus trüwem kastenvogt" im Namen der genannten Gemeinden „ainen schönen, schweren ochssen" mit der Bitte, dass die Zürcher sich die Gotteshausleute „allweg bevolhen" sein lassen möchten. Das versprachen denn auch die Gesandten Zürichs im Namen ihrer Obern gerne und nahmen hocherfreut die Gabe an. An dem „Bankett'", das daraufhin zu Ehren der Gotteshausleute stattfand, beteiligten sich mehr als tausend Personen. Die Zürcher schenkten den Gesandten der alten Landschaft 10 Gulden und Hessen den Ochsen sofort nach Zürich führen, um den Stiftsleuten zu beweisen, wie angenehm ihr Ge-

1) E. A., IV, 1 a. 421 zu t{3). -) E. A., lY, 1 a, 433 t. 3) E. A., IV, la, 4621. ■*) E. A., IV, la, 442 X (3). '") E. A., IV. la, 446; Wil 1.527, 25. Mai.

^) Es ist der Gleiche, den wir 1489/90 an der Spitze der aufständischen Gotteshausleute sahen (s. oben).

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schenk gewesen sei. ') Der Abt aber hatte begreifUcherweise keine Freude an dem Geschehenen ; er miisste fürchten, die Zürcher und Gotteshausleute möchten „zu gütt fründ" werden. ^)

Das kommende Jahr 1528 belehrte Abt Franz, dass er nicht zu schwarz gesehen hatte. Doch war er nicht der Mann, klein beizugeben. Als der uns bekannte Pfarrer von Oberbüren, Christoph Landenberger, seiner reformatorischen Überzeugung wieder allzu deutlichen Ausdruck gab. Hess er ihn am 23. April 1528 vor sich rufen, und nachdem der Pfarrer ihm und seinen Räten Rede und Antwort gestanden wegen seines Glaubens, erklärte der geistliche Herr, er habe noch mehr solcher Pfaffen in seinen hohen und niederen Gerichten; wenn diese und Landenberger von ihrem neuen Glauben nicht abstünden, so werde er sie vor Hochgericht stellen; entsage dagegen Landenberger dem neuen Glauben, so werde er vielleicht davon Vorteile haben. Sonst aber würde sein geistlicher Herr mit Hilfe des Bischofs von Konstanz und der drei Schirmorte Luzern, Schwyz und Glarus „witer lügen; denn er welle beschirmen unsern alten waren cristenlichen glouben, so fer und es im müglich sige". Als der genannte Pfarrer Zürich von dem Geschehenen in einem ausführlichen Schreiben in Kenntnis setzte und um Rat und Hilfe bat,-) benützte dieses die Gelegen- heit, um fünf Tage später in einer langen ernstlichen Zuschrift an den Abt sich energisch für die neugläubigen Gotteshausleute zu verwenden : Zürich sei das „fürnemist" unter den IV Schirm- orten und werde, wenn der Abt nicht imstande sei, zu beweisen, dass die neue Lehre falsch sei, nicht dulden, dass er die evan- gelischen Gotteshausleute es möchten Laien oder Kleriker sein wegen ihres Glaubens „pinlich" oder „bürgerlich'' bestrafe; es lasse sich auch nicht aus seiner Stellung als Schirmort drängen; wenn der Abt Strafen wegen des Glaubens verhängen wollte und es von den Gotteshausleuten insgemein oder von einzelnen Personen deshalb um Hilfe angerufen würde, müsste es „uss dem geheiss gottes und in vermög unser verwandtnuss" den Bedrängten Hilfe und Beistand leisten ; dagegen erbiete es sich, in weltlichen Dingen die Untertanen des Abtes zum Gehorsam zu weisen, wo das nötig sei. Abt Franz gab darauf ausweichende Antwort: er

') T. Schiess, Gselleuschiessen (Beitr. z. St. Gall. Gesch.), S. 29 33.

2) Sabb., S. 254 28-29.

=^) A.-S., T, 1976, 1. Mai 1528.

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habe nicht genügend Räte bei sich, könne auch in der Eile nicht über alles, was man ihm vorgeworfen, Antwort geben, werde sich aber die Sache überlegen und dann antworten in einer, wie er hoffe, Zürich nicht missfälligen Weise. Der Brief an den Abt hatte grosses Aufsehen erregt und wurde im Mai zu Luzern in den Abschied genommen, damit man auf dem nächsten Tage darüber Antwort gebe. Durch seine rücksichtslose Unterstützung der Neugläubigen hatte Zürich auch den Stiftshauptmann vor den Kopf gestossen. Er beklagte sich bitter bei Glarus, dass die Stadt Beschwerden von Gotteshausleuten, die er im Namen des Abtes bestraft habe. Gehör schenke; er wünsche, dass er in Zukunft nicht derart „verunglimpft, verachtet und verschupft" werde. ^) Zürich musste darum vor allem darauf achten, dass es einen zweiten Schirmort in Betracht kam nur Glarus auf seine Seite brachte. Dem entspricht eine Stelle im Gutachten, das Zwingli, wahrscheinlich im Juni d. J., für die evangelischen Glarner abfasste : sie sollten in ihrem Lande durchsetzen, dass Glarus Zürich darin unterstütze, dass in den gemeinen Vogteien auch das Fürstenland war ja etwas derartiges dem Evangelium keine Hindernisse in den Weg gelegt würden. ^) Doch darüber verging noch einige Zeit. Zürich verharrte aber inzwischen in seiner schroffen Haltung gegenüber dem Abt. Unter dem 11. Juli be- schwerte es sich schriftlich bei ihm über Gewalttätigkeiten äbti- scher Beamten gegen Stiftsbauern und darüber, dass den Gottes- hausleuten verboten worden sei, Gemeinden zu halten für ihre Angelegenheiten; das geschehe offenbar aus Hass gegen den neuen Glauben, sei aber gegen die Verträge. Wie im Schreiben vom 6. Mai war am Schlüsse dieser Missive die Drohung bei- gefügt: man werde den Gotteshausleuten auf ihr Anrufen den nötigen Beistand nicht versagen können. Wieder gab der Abt in seiner Antwort einen ausweichenden Bescheid,^) brachte dann aber die Sache auf dem Einsiedlertag [20. Juli ff.] zur Sprache und fand dort geneigtes Gehör, *) so dass er am 23. d. M. in ziemlich scharfem Ton an Zürich schreiben konnte : er bedaure, dass die Stadt einem jeden glaube, der ihr nachlaufe und über

1) E. A., IV, la, Nr. 538 p und dazu Note i-3.

-) A.-S., I, 2033.

•') E. A,, IV, 1 a, 559 zu c :; und 4; St.-A., Pasc. 13, Orig. (10. Juli).

'j E. A., IV, la, Nr. 559c.

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ihn Klage führe ; Zürich möge, bevor es solchen Anklagen Gehör schenke, die Handlungen des Hauptmanns und der Räte des Abtes besser in Erfahrung bringen; er selbst werde dann auf be- rechtigte Vorstellungen hin tun, was recht und billig sei. Zürich verzichtete darauf, zu antworten. Man wolle, ist a tergo bemerkt, die Sache bei diesem Schreiben des Prälaten bewenden lassen; kämen aber weitere Klagen, so würde man handeln nach Gestalt der Sache. Auf dem Burgrechtstag zu Zürich brachten dann Zürich und Bern vor, wie die beiden Städte, besonders erstere, von den Gotteshausleuten zu St. Gallen und andern Untertanen aufs dringendste gebeten worden seien, sie bei dem „göttlichen Wort" zu schützen. Doch in Anbetracht der schwierigen Zeit- umstände, und besonders weil Glarus sich noch nicht entschieden zugunsten der Reformation ausgesprochen, was aber wohl bald eintreten würde, beschlossen die Burgrechtsorte, die nächste Tagung abzuwarten ; unterdessen solle jede der Burgrechtsstädte darüber nachdenken, wie man den Hilfesuchenden beistehen könnte; vor allem sei gegen die strenge Bestrafung der Untertanen wegen Entfernung der Bilder aus den Kirchen und wegen ähnhcher Hand- lungen Abhülfe zu suchen. ^)

Indessen schritt die Ausbreitung des neuen Glaubens im Untertanengebiet des Abtes vorwärts. Im September des Jahres baten die neugläubigen Rorschacher die Zürcher, ihnen zur Ein- führung der Reformation in ihrer Gemeinde behülflich zu sein, und Zürich unterstützte diese Bitte auf Wunsch der Petenten durch ein Schreiben an den Abt, obwohl, wie es in der Missive an denselben bemerkte, solche Empfehlungen für die Gotteshaus- leute bisher noch wenig gefruchtet hätten.-) Als darauf der Prälat die Rorschacher zur Verantwortung nach Baden forderte, riet Zürich deren Botschaft, dort nicht zu erscheinen und sich damit zu entschuldigen, dass die IV Schirmorte des Stiftes ihre alleinigen Schirmherren seien. Man erklärte auch den Gesandten. Zürich werde Rorschach nicht verlassen.'') Noch am gleichen Tage fasste die Stadt den Beschluss, diejenigen gemeinen Vogteien, welche evangelisch gesinnt seien, bei ihrem Glauben zu schützen, und verkündete dies, unterstützt von Bern, noch im September den

1) Vgl. A.-S., I, 2053 ; E. A., IV, 1 a, Nr. 568 b.

2) A.-S., I, 2100 (17. Sept.).

3) E. A., IV, la, Nr. 579a, Zürich, 26. Sept.; A.-S., I, 2106.

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Tagherren von Baden. Dies rief unter den anwesenden katholischen Gesandten begreifücherweise grosse Aufregung hervor, so dass Basel, Schaffhausen und Appenzell die Vermittlung zwischen den hadernden Parteien übernehmen mussten. ^ Zürich hielt aber an seinem Beschluss fest und wollte nur ein Recht der Mehrheit der Orte in weltlichen Dingen gelten lassen. Für die Ausbreitung des neuen Glaubens in der alten Landschaft war das von grösster Bedeutung. -) Noch am 28. September wurde von Zürich eine Botschaft nach Wil abgefertigt, die den dortigen Schultheissen und Rat zu ersuchen hatte, den Neugläubigen im Städtchen auf deren eigene Kosten einen Prädikanten zu bewilligen. Darauf sollte die Gesandtschaft vor den Abt treten und ihn zum dringendsten ersuchen, dies nicht zu hindern und auch seinen Amtsleuten dem- entsprechende Befehle zu geben; man habe den neugläubigen Wilern mit Leib und Gut zu helfen versprochen. ') Die Lage war für den geistlichen Herrn bereits eine so unerquickliche ge- worden, dass Zürich im Oktober die Kunde erhielt, der Prälat rüste sich „treffenlich" mit Munition und Büchsen, habe auch ins Rorschacher Schloss vier Kanonen und zwei Fässer voll Pulver geschickt, welche über den See gebracht worden seien. Zürich fasste dieses Gerücht, in anbetracht der äusserst gespannten Lage in der Eidgenossenschaft, ') höchst ernst auf und schickte deshalb einen besonderen Boten an den Abt mit einem vom 19. Oktober datierten Schreiben. In diesem verlangte es klare Antwort dar- über, gegen wen die Rüstungen des Abtes betrieben würden: ,,dann sölt das uns nit entteckt, werden wir doch sunst sovil ernst und flisses inn den dingen bruchen und uns nüdzit beduren lassenn, damit wir ü(wer) g(naden) gefarlicher anschleg und prattiken be- richt erapf achint". •^) Es lag umsomehr Grund vor, gegen den Abt misstrauisch zu sein, da er, neben dem Grafen von Sulz und dem Herrn von Ems, Österreich zum Kriege gegen die reformierten Schweizer drängen wollte. Ja, Abt Franz und der Bischof von Konstanz hatten sich anerboten, einen Teil des Kriegsvolkes, das

1) E. A.. IV, 1 a. Nr. 580 c und Note zu c.

-0 S. Sicher, I. S. 87 5-22.

») E. A., IV, 1 a, 580 zu as.

^) S. A.-S.. L 2134, 2142, 2153.

'") St.-A., Bd. 302. S. 388 (Orig.) ; A.-S.. I, 2121.

74

den V Orten zu Hilfe gesandt werden sollte, auf ihre Kosten zu besolden. ')

Der Abt zeigte sich aber in seinem Antwortschreiben sehr entrüstet über die Verdächtigung Zürichs. Er habe wahrlich weder Büchsen noch Pulver etc. zu einer Rüstung bestellt und bisher sein Möghchstes getan, was zur Ruhe und zum Frieden in der Eidgenossenschaft dienen könne, habe auch seinen Boten auf den nächsten Badener Tag dementsprechende Instruktionen gegeben ; er bitte Zürich, in Zukunft den Klagen gegen ihn nicht einfach Glauben zu schenken, sondern ihn zuerst anzuhören, und hoffe, sich dann genügend verantworten zu können.-) Doch ein Schreiben der neugläubigen Rorschacher vom 21. Oktober hatte indes die Kunde von Rüstungen des Abtes, wenigstens für das Schloss Rorschach. bestätigt. In dem gleichen Schreiben-') teilten sie mit, wie ihnen der Abt bei 30 Pfund Strafe verboten, einen Prädikanten anzu- stellen; sie seien aber entschlossen, sich nicht daran zu kehren, trotzdem sie auch der Stiftshauptmann auf versammelter Gemeinde dringend gebeten, für einmal „stillzustehen''. Der Diakon der St. Laurenzenkirche in St. Gallen, Jakob Riner, predigte seitdem an Sonn- und Feiertagen zu Rorschach. *)

So hatte die Reformation im Fürstenlande schon mächtig um sich gegriffen, als im November 1528 der Auf ritt des Zürcher Hauptmanns Jakob Frei erfolgte, der nun die Bewegung erst recht in Fluss brachte, da .,die puren im Gotzhuss allenthalb sich uf in vertröstend". •'') Am 29. November entfernten die Waldkircher die Bilder aus ihrer Kirche, trotz des Widerstandes von selten des Abtes. '') Am 30. folgten die Rorschacher. ') Sie erhielten noch im Dezember auf ihr Ansuchen*^) einen eigenen ständigen Prä-

^) Hermann Escher: „Die Glaubeusparteien in der Eidgenossenschaft und ihre Beziehungen zum Ausland, 1527 1531/ (Frauenfeld 1882.) S. 58.

-0 A.-S., I, 2129 (22. Oct.).

'^) A.-S., I, 2125, d. d. Oct. 21.

■») Sabb., S. 295; Miles, S. 333 (61) i,;.

^) Sicher, I, S. 91/92.

") Sabb., S. 298 3.S-34; Miles, S. 310/311 (38/39), datiert 26. Okt.

') Sabb., S. 298 35; Miles, S. 311 (39)i6-i9.

**) A.-S., I, 2207. Siehe auch den originellen, aber wenig schmeichelhaften Bericht der Neugläubigen zu Rorschach über den dortigen katholischen Priester Christian Gruber, ebenda 2190. Er wurde Febr. 1529 wegen Schmähreden auf Zürich und St. Gallen in Kontumaz verurteilt. (E. A., IV, 1 b, 26.)

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dikanten, Utz Ekstein 0 mit Namen. Zürcher Gesandte hatten vorher den Abt ersucht, der Gemeinde einen „christhchen" Prädikanten zuzulassen, da der altgläubige die Evangelischen mehrmals Ketzer gescholten. Der Abt hatte aber darauf Bedenkzeit verlangt. -) In gleicher Weise, aber ebenso vergeblich, hatte sich jene Zürcher Gesandtschaft für die Neugläubigen zu Wil verwendet. ■^) Noch Ende November hatten Schultheiss und Rat einer Botschaft der V Orte ihren Willen verkündet, beim alten Glauben zu bleiben; doch möge man sie beschützen, falls sie jemand deswegen an- fechten würde. ^) Unter diesem „Jemand" waren vor allem die Zürcher verstanden, welche kurz vorher durch eine Gesandtschaft in Wil hatten erklären lassen, man dulde nicht, dass einer des Glaubens wegen verfolgt werde. •^) Schon hatte nämlich dort die neue Lehre so festen Fuss gefasst und bis Anfang 1529 solche Fortschritte gemacht, dass Luzern und Schwyz sich genötigt sahen, unterm 26. Januar 1529 ein langes Schreiben an Schultheiss und Rat zu Wil ergehen zu lassen, in welchem sie diese aufs ein- dringlichste ermahnten, dem Glauben der Altvorderen treu zu bleiben und den Ketzerglauben in ihren Stadtmauern wieder aus- zutilgen.'') Da griff nun der neue Schirmhauptmann Frei zugunsten der Evangelischen ein. Er versammelte auf den 10. Februar die Wiler zu einer Gemeinde, um den Beschluss durchzusetzen, dass die Bilder aus den dortigen Kirchen entfernt würden. Aber der altgläubige Rat verlangte und erhielt einen Aufschub von 8 Tagen. Doch erklärten die Evangehschen, wenn in dieser Zeit die Kirchen nicht ausgeräumt würden, so täten es die Neugläubigen. Immerhin gab es unter der Bürgerschaft eine starke katholische Minderheit, so dass Frei an Zürich schrieb, er besorge einen Aufruhr unter

') Sabb., S. 295 12. Siehe vor allem Salomon Vögelin: Utz Eckstein, Jahrb. für Schweiz. Geschichte, Bd. VIT, S. 234 ff.

2) E. A., IV, la, Nr. 605 c.

^) Da die Reformation zu Wil bereits eine besondere Darstellung gefunden hat [Ernst Götzinger: ,Die Reformation der Stadt Wil", St. Galler Mittheil., Bd. XIV (1872)], so werden wir nur da auf die religiösen Verhältnisse des Städtchens zurückkommen, wo wir es für unsere Darstellung nötig erachten oder neues, von Götzinger nicht verwertetes Material vorliegt.

*) E. A., IV, 1 a, Nr. 603 f.

•^) E. A., IV, 1 a, Nr. 603 zu e.

<■■) A.-S., II, 43.

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den Bürgern, wenn es zur Entfernung der Bilder komme. ^) Wohl noch hn Februar wurden in dem Städtchen „etliche Kirchen'' für den reformierten Gottesdienst hergerichtet, wobei es aber nicht ohne „etwas unfrids und rumoris" abging.-) Am 17. März konnte der Schirmhauptraann an Vadian berichten, dass Zürich den Wilern einen Prädikanten zugeschickt habe und zwar einen „tapferen" Mann. ')

Schon im Januar dieses Jahres hatten die Anhänger der neuen Lehre auch zu Steinach, Hagenwil und Gossau gesiegt, und waren die Kirchen ausgeräumt worden.^)

Wir können somit sagen, dass noch zu Lebzeiten des Abtes Franz die überwiegende Mehrheit der alten st. gallischen Land- schaft sich öffentlich zum neuen Glauben bekannte. ^)

1) A.-S., II, 75.

2) Sabb., S. 305 22-23.

3) A.-S., II, 188 2.

4) Miles, S. 312(40)1-14; Sabb., S. 304 21-22.

^) Zur Bestätigung dieser Worte siehe Miles, S. 312 (40)io-ii : Vad., II, S. 411 9— 10 (der diese Vorgänge ins Jahr 1528 verlegt). Doch muss noch eine nicht zu unterschätzende katholische Minderheit vorhanden gewesen sein, s. unten S. 98 und Abschnitt III.

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III. Kapitel.

Die Reformation im Toggenburg bis Anfang 1529/)

Das Jahr 1522 bildet einen gewissen Wendepunkt in der toggenbnrgischen Kirchengeschiclite : mit diesem Jahre begann nämlich Johannes Döring, vorher Priester zu Herisau, seine reformatorische Tätigkeit im Toggenburg als Pfarrer auf dem Hemberg. Er war einer „der ersten und emsigsten Beförderer der kirchlichen Reformation"-) im Thurtal und nahm eine Zeit- lang die führende Stellung unter den reformfreundlichen Geist- hchen des Toggenburgs ein. In dem gleichen Jahr war Bernhard Künzli von Brunnadern Ammann im * Niederamte ■') geworden. Hoch angesehen unter seinen Landsleuten, spielte er in. den folgenden Jahrzehnten in der Grafschaft eine sehr wichtige Rolle. KünzU galt als „eine bedeutende Stütze der Kirchenreform". So können wir wohl mit diesem Jahre die Darstellung der Re-

^) Karl Wegelin hat in seiner „Geschichte der Landschaft Toggenburg" die religiösen Verhältnisse der Grafschaft in dem von uns behandelten Zeit- abschnitt in detaillierter und durchaus zuverlässiger Weise, wie wir des öftern konstatieren konnten, dargestellt (Bd. II, S. 13 ff.). Als Stiftsarchivar zu St. Gallen und Verfasser des grossen Repertoriums für das gesamte im Stifts- archiv vorhandene Aktenmaterial war er besonders geeignet, eine gründliche Behandlung der toggen burgischen Geschichte zu liefern. So ist denn seine Dar- stellung, obwohl bereits 1833 im Druck erschienen, immer noch wohl zu ge- brauchen, ja mancherorts unersetzlich; denn wie Strickler ist es auch uns er- gangen: wir konnten hie und da die Quellen, aus denen Wegelin schöpfte, nicht mehr auffinden.

Da nun zudem erst mit dem Loskauf der Toggenburger vom Abte die religiös-politische Bewegung in der Grafschaft zu einem gewissen Abschluss gelangte, dieses Ereignis aber erst unter dem Nachfolger Kilians, Abt Diethelm, stattfand, so kann es sich hier, bei der Schilderung der Vorgänge im Toggen- burg unter Abt Franz und Kilian, kaum um mehr als eine Zusammenfassung der wesentlichen Begebenheiten handeln. Dabei fussten wir auf den eidgen. Abschieden und der Aktensammlung Stricklers. Wir glaubten aber, es unserm Thema schuldig zu sein, wenn wir nicht ganz auf die Darstellung der Toggenb.- Gesch. in dem von uns behandelten Zeitraum verzichteten.

2) Wegelin, S. 13.

•^) Das Toggenburg zerfiel damals in das Ober- und Unter(Nieder-)amt. Ersteres reichte bis Lichtensteiar.

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formation im Toggenburg beginnen. Zu der neugläubigen Partei gehörten auch der rechtskundige und angesehene Stadtschreiber von Lichtensteig, Heinrich Steiger, und der Ammann im Thurtal, Hans Rüdlinger. Unter Einwirkung so einflussreicher Männer konnte es nicht ausbleiben, dass im Geburtsland Zwingiis die Reformation in den nächsten Jahren mächtige Fortschritte machte, besonders da zudem die Kirchenreform an den Pfarrern von Jonswil, Kirchberg, Wattwil, Stein und Wildhaus bereits kräftige Stützen hatte. So versammelte denn unter dem Einfluss der zweiten Zürcher Disputation der toggenburgische Landrat schon im Sommer 1524 die Geistlichen des Landes und forderte von ihnen die Predigt des Gotteswortes auf Grund des Evangeliums, ,,ohne Beimischung menschlicher Satzungen".')

Dass Zwingli an der Entwicklung der neuen Lehre im obern Thurtal aus den verschiedensten Gründen das grösste Interesse haben musste. versteht sich von selbst. Ein Schreiben vom 18. Juli 1524 an den Landrat liess es nicht an begeisternder Aufmunterung fehlen, um die Glaubensbewegung in der Grafschaft zu kräftigen.-) Verwicklungen mit dem Abt von St. Gallen und dessen geistlichem Oberhirten, dem Bischof von Konstanz, traten aber jetzt schon ein, •') besonders da die neugläubigen Priester, wie übrigens anderswo auch, in ihrem Eifer es oft an dem nötigen Takt fehlen liessen. Auch mit seinen Landrechtsorten Schwyz und Glarus geriet das Toggenburg in Konflikt. Am 3. Dezember dieses Jahres beklagte sich Schwyz beim Landvogt und Landrat des Toggen- burgs über den dortigen Missglauben und forderte dessen Unter- drückung, ^) erneuerte auch im Verein mit Glarus im folgenden Jahre seine Vorstellungen. Schon aber zeigte sich die Mehrheit des Toggenburger Volkes entschlossen, bei dem neuen Glauben zu verharren, und hatte auch die Mehrzahl der Landräte auf seiner Seite, die sich unter Führung des geschmeidigen Land- vogtes Hans Giger sehr klug und den Zeitumständen entsprechend zu benehmen wussten. °)

') S. Wegelin, a. a. 0., S. 16. flF.

-) S. Zwingli's Werke, ed. Schuler & Schulthess, Bd. 7, S. 352—356. '■^) A.-S., I, 912. -') Wegelin, S. 21.

^) Über Giger s. Zwiugliana, 1905, Nr. 2, S. 51 55: ,Hans Giger, ein Toggenburger Amtmann" ; Wegelin. S. 16.

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Die Dinge hatten im Turtal bereits eine so drohende anti- kathohsche Richtung genommen, dass Schwyz auf einem Tage zu Einsiedeln im April 1526 um „getreues Aufsehen" bat, ') nachdem es schon im März dieses Jahres ebenfalls auf einem Tage zu Einsiedeln mit bewaffneter Intervention gedroht hatte. -) Unter- dessen nahm der Streit zwischen Abt und Toggenburg seinen Fortgang. Eine Botschaft von Schwyz und Glarus zugunsten des Prälaten richtete bei den Toggenburgern, wie es scheint, nichts aus. Wenigstens wurde wieder zu Einsiedeln Anfang Mai 1526 von den Tagherren beschlossen, heimzubringen, ob Schwyz und Glarus nochmals Boten zu den Toggenburgern schicken sollten, um sie zur Erfüllung ihrer Pflichten gegenüber dem Herrn von St. Gallen zu ermahnen. "0 Es war vor allem die eigenmächtige Besetzung der Pfründen durch die Toggenburger, welche den Abt zu seinen Klagen veranlasste. Da er sich mit den Land- leuten über diesen und andere Streitpunkte nicht einigen konnte und seine Schirmorte des öftern um einen Rechtstag gegen seine Untertanen ersuchte, gingen schliesslich Schwyz und Glarus auf das Gesuch des Abtes ein. Sie schrieben ihm am 8. November 1526: sie hätten ihm und seinen Widersachern auf den kommenden 9. Dezember einen Tag nach Schwyz angesetzt; man werde über jede einzelne seiner Klagen diskutieren und jedesmal zuerst den Streit in Güte beizulegen versuchen ; erst wenn das nicht gelinge, würden sie einen Rechtsspruch fällen und zwar ohne Rücksicht auf die Abwesenheit der einen oder andern Partei; in gleichem Sinne hätten sie an die Toggenburger geschrieben.^) Da der Abt krank darniederlag, schickte er seinen Statthalter zu Wil, Marx Brunnmann, den Rat Ludwig von Helmsdorf und den Reichsvogt Heinrich Schenkli als bevollmächtigte Gesandte auf den festge- setzten Tag. •') Für diesen war das Haupttraktandum die Pfründen- verleihung im Toggenburg. ^) Der Abt liess klagen, dass „üppig, schnöd und uffrürisch lutterisch pf äffen" ihn an der Belehnung

1) E. A., IV, la, Nr. 357 i.

2) Wegelin, S. 25/26. 3)E. A., IV, la, Nr. 359 r. ■») E. A., IV, la, Nr. 406.

^) St.-A., Fase. 13, Dienstag vor St. Nikolaustag.

'') Wir haben das von Strickler (E. A., IV, 1 a, S. 1022) vermisste Original des Abschieds über die Pfründenverleihung in dem Sammelband Nr. 1427 (S. 104 ff.) des St.-A. gefunden. Siehe Beilage I.

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seiner Pfründen im Toggenburg verhinderten; diese Geistlichen seien es auch, welche das gemeine Volk zum Aufruhr und Un- gehorsam verleiteten „und der oberkeit und erberkeit ganntz widerwertig machen", dadurch auch „die armen lüt an seel und eren verderben". Er selbst werde aber durch die Landleute ver- hindert, diese Priester zu bestrafen, und fühle sich dadurch in seinem Gewissen beunruhigt, sei jedoch mit andern Lehensherrn im Toggenburg der Hoffnung, man werde ihn in seinen Lehens- rechten schützen und die Frevler bestrafen. Die Toggenburger, offenbar etwas eingeschüchtert durch diese deutliche Sprache, erklärten, zur Behandlung einer so wichtigen Frage nicht ge- nügend instruiert zu sein, obschon sie ihrem Herrn in seine Lehensrechte keine Eingriffe tun w^ollten, und riefen ihrerseits Schwyz und Glarus um Hilfe an. Da aber gütliche Unterhand- lungen der beiden Orte nicht zum Ziele führten, fällten sie fol- genden Spruch: „Der Abt hat wie bisher das Recht, nach seinem Gefallen die ihm zustehenden Pfründen im Toggenburg zu be- setzen, wie auch die andern Lehensherren daselbst dazu Fug und Recht haben. Die Kirchgenossen haben zwar das Recht, sich für die Einsetzung eines Geistlichen, der ihnen gefällt, verwenden zu dürfen; der Abt ist aber nicht an ihren Wunsch gebunden. Belehnt er einen von den Landleuten empfohlenen Geistlichen, und hält sich dieser nicht, wie der Abt es wünscht, so hat dieser das Recht, ihn zu entsetzen. Glauben aber die Untertanen, der Geistliche habe die Entsetzung nicht verdient, so haben Schwyz und Glarus endgültig zu entscheiden, ob der Pfarrer seine Stelle weiter behalten darf oder nicht. Verlangen dagegen die Unter- tanen die Entsetzung eines Priesters und findet der Lehensherr das Gesuch genügend begründet, so ist der Geistliche entsetzt; ist der Abt aber anderer Meinung, so sollen dessen Räte oder Verordnete endgültig urteilen. Dies alles soll geschehen unbe- schadet der Rechte des Papstes und des Bischofs von Konstanz." Auf diesen Spruch hin erklärten jedoch die Toggenburger, sie hätten keine Vollmacht, den Entscheid anzunehmen. Sie er- suchten die beiden Orte um Aufschub, anerboten sich aber, den Rechtsentscheid heimzubringen und ihr Möglichstes zu tun, damit „die nüwen lerer und uffrüerisch, unckristlichen pf äffen fürderlich und angends dannen komen und uss der graff schafft gethan" würden. Darauf wollten zwar die Abgeordneten des Abtes nicht

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eingehen, gaben sich aber auf Verwenden der beiden Orte mit dem gemachten Versprechen der Toggenburger Abgeordneten zufrieden. Diesen wurde zudem von Schwyz und Glarus noch befohlen, in allen ihren Streitigkeiten mit dem Abte sich gütlich zu vertragen; die beiden Orte würden fernerhin darauf achten, ob die gemachten Versprechungen beförderlich auch verwirklicht würden ; geschehe das nicht, so werde man in Bälde einen neuen Rechtstag ansetzen, wozu die toggenburgische Gesandtschaft mit Vollmacht zu erscheinen hätte, und dann unverzüglich den Rechts- weg einschlagen. Die beiden Orte, hiess es weiter, seien ent- schlossen, zur Beseitigung der neugläubigen Pfarrer Leib und Gut einzusetzen; die Toggenburger sollten darum den jetzt gefällten Rechtsentscheid von ihnen annehmen; dann würde man ihnen auch gegen die Kurtisanen helfen in dem Sinne, dass der Pfarrer, welcher mit einer Pfründe belehnt worden sei, sie auch innehaben solle, nicht hinter dem Rücken seiner Gemeinde „ver- wandeln, versetzen, verkouffen noch vertuschen" dürfe; wolle er aber die Pfründe nicht mehr selbst versehen, so solle er „fry re- signieren'".

Auf der gleichen Tagleistung, am 14. Dezember, wurde auch das Kloster St. Johann im Thurtal auf dessen Ersuchen ausdrück- lich von den beiden Orten in Schutz und Schirm genommen. ^) Sein früherer Schirmherr nämlich, der Abt von St. Gallen, hatte erklärt, es sei ihm in diesen schwierigen Zeiten unmöghch, seine Schirmpflichten diesem Kloster gegenüber zu erfüllen. -)

Unterdessen hatten die Toggenburger dem oben genannten Schwyzer Abschiede insoweit nachgelebt, als sie den allzu eifrigen Pfarrern auf dem Hemberg, zu Stein und Wildhaus befohlen hatten, das Land zu räumen. •') Im übrigen aber ging die Be- festigung der Kirchenreform im Toggenburg trotzdem weiter, und ihr gesellten sich soziale Forderungen bei. Ende Mai 1527 tagten Schwyz und Glarus zu Wil, um in Güte zu vermitteln zwischen Abt Franz und zahlreichen Gerichten, Gemeinden und einzelnen Personen aus dem Toggenburg, ^) welche ihrem geist- lichen Herrn von St. Gallen die Entrichtung von Zehnten, Fast-

1) E. A., IV, la, Nr. 411 b. -) Bull, II, S. 15. 3) Miles S. 334 (62) 25—28. ^) Vergl. A.-S., I, 1664.

St. Galler Mittlgn. z. vaterliiad. Gesch. XXXIII. 6

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nachthühnern, Steuern, Zinsen etc. verweigerten. Die Ange- klagten nahmen aber den dort von den zwei Orten gefällten Spruch nicht an, ^) und so zog sich der Handel bis in den Herbst hinein. Da güthche Mittel stetsfort nichts ausrichteten, ver- kündeten schliesslich die beiden Stände dem Abt und den Toggen- burgern einen Rechtstag nach Schwyz auf den 1. September, und die Toggenburger wurden bei ihrem Eide auf das Landrecht auf- gefordert, den Rechtstag zu besuchen, da man den gehorsamen Teil auf sein Anrufen ohne Aufschub verhören und das Urteil fällen würde. ^) Sie fanden für gut, der Aufforderung Folge zu leisten. Auf diesem Rechtstage war Schwyz durch seinen Land- ammann Heinrich Reding samt dem ganzen Rat vertreten, ^) ein deutliches Zeichen, welche Wichtigkeit es dem Tage beimass. Die Toggenburger erlangten, was ihre sozialen Forderungen anbetraf, so minime Zugeständnisse, dass sie schliesshch, als der Abt ihnen nicht das Recht einräumen wollte, über Bussen, Frevel und male- fizische Händel nach Gutdünken zu richten, alle festgesetzten Artikel betreffend Fälle, Fastnachthühner, Wildbann, Fischenzen etc. fallen und „nüt sin" Hessen und erklärten, die Dinge beim alten bleiben lassen zu wollen. Der Abt war damit einverstanden, liess aber durch seine Gesandten klagen, wie ihm in der letzten Zeit an der Einlieferung der Abgaben im Toggenburg Eintrag geschehen sei, und verlangte, dass durch einen Rechtsspruch dem abgeholfen werde. Die beiden Orte entschieden darauf: man solle den Abt bei Brief und Siegel bleiben lassen ; bei Streitigkeiten zwischen der Grafschaft als solcher oder einzelnen „gegninen'' und dem Prälaten sollten Schwyz und Glarus die Richter sein laut Landrecht, falls in Güte nichts zu machen wäre; einzelne Personen oder Dörfer solle der Abt „mit recht besuochen, da sy gesessen'', laut Briefen und Herkommen. Endlich wurde auch die Frage der geistlichen Lehen im Toggenburg durch Rechts- spruch auf diesem Tage entschieden, da Abt Franz trotz des Abschiedes von Schwyz und Glarus im Dezember 1526 ^) glaubte, sich über die Toggenburger bitter beklagen zu müssen wegen Verleihung der Pfründen in der Grafschaft. Der Rechtsent-

1) E. A., IV, 1 a, Nr. 447.

2) St.-A. Fase, 13, d. d. 27. Juli.

3) E. A., IV, la, Nr. 478, S. 1158 flf. •*) S. oben, S. 79 ff.

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scheid der beiden Orte enthielt, dass der Abt an der Ver- leihung- der Pfründen, auf die er ,,sigel und guote ge warsame inhat'', nicht beeinträchtigt werden dürfe, wenn ihm dieses Recht nicht für eine Pfründe durch richterlichen Entscheid aberkannt werde, wozu aber die Landleute Brief und Siegel haben raüssten. Höchst interessant ist, dass auf diesem Tage die Toggenburger die beiden Landrechtsorte ersuchten, ihnen zu helfen, dass der Abt die Summe, womit er sie seinerzeit erkauft habe, „für das Seine nehme", damit in Zukunft Toggenburg und Abt samt Schwyz imd Glarus Ruhe hätten. Mit einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig liess, hatten so die Toggenburger ihr letztes Ziel, nämlich den Loskauf von der Abtei, enthüllt, ohne dass natürlich diese Forderung jetzt schon irgendwie verwirklicht worden wäre ; denn sie wollten in dieser heiklen Frage das Recht nicht ergehen lassen, wie die Anwälte des Abtes ver- langten, und so blieb durch Rechtsspruch der Kaufbrief unan- getastet. Wenn aber die beiden Orte und der Abt von dem Rechtstage irgendwelche Kräftigung des Katholizismus im Toggen- burg erwartet hatten, so täuschten sie sich. Noch im gleichen Jahre nahm die Reformation dort ihren Fortgang, so besonders im Niederamte, wo z. B. Jonswil und Kirchberg ^) zur neuen Lehre übertraten, -) beides Gemeinden, mit denen der Abt auf eben diesem Tage zu tun gehabt hatte.

Auch für das Toggenburg war der Ausgang der Berner Dis- putation im Jahre 1528 von grosser Bedeutung. Es war „ein gross uflosen und warten uff die disputatz zuo Bern" gewesen, „da sy verhoffend, es soll etwas nüws darus werden". Im Toggen- burg gewann in diesem Jahre die Reformation entschieden die Oberhand. Im Mai wurden die Bilder aus den Kirchen zu Krum- menau und Kappel •') entfernt, sodass Schwyz noch im gleichen

^"l S. St.-A. Fase. 13, wo unterm 18. Dezember dieses Jahres sich die ge- druckte Kopie eines Rechtsentscheides befindet über die Forderung des Pfarrers von Kirchberg, Balthasar Bachmann, an den Abt. Bachmann, der evangelisch gesinnt war, hatte die Naivität, an den Abt das Gesuch zu stellen, er möge ihm grössere Einnahmen verschaffen, da er in der jetzigen „widerwärtigen" Zeit „merklichen abgang" an seiner Pfründe erleide. Wirklich wurde ihm durch toggenburgische Schiedsrichter für 2 Jahre ein jährlicher Zuschuss von 1 3 gl. rh. zuerkannt, welche Summe der Abt zu bezahlen hatte.

2) Wegelin, S. 88.

^) Wegelin S. 35.

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Monat auf der Tagsatziing zu Luzern sich bitter darüber be- klagte, dass alles Zureden, vom lutherischen Wesen abzustehen, bei den Toggenburgern nicht nur nichts gefruchtet hätte, sondern gerade in diesen Tagen wieder einige Kirchen in der Grafschaft dem katholischen Glauben entfremdet worden seien. Schwyz habe darum auf einer Landsgemeinde beschlossen, die Messe im Toggenburg wieder aufzurichten, und zwar wenn nötig mit Gewalt; es hoffe, dass ihm Glarus dabei behilflich sein werde, und bitte um getreues Aufsehen der übrigen Orte für den Notfall, dass Waffengewalt unvermeidlich wäre. Bei dieser drohenden Stim- mung der Schwyzer nahm die Tagsatzung in den Abschied, es sollten, falls Schwyz zu den Waffen greife, die diesem Ort be- nachbarten Stände sofort, es wäre bei Tag oder Nacht, ihre Botschaft zur Vermittlung absenden. ^) Zum Glück für die Toggen- burger war aber die neugläubige Partei in Glarus schon so er- starkt, dass es zu keinem gemeinsamen entscheidenden Beschlüsse der beiden Landrechtsorte in der Toggenburger Angelegenheit kam. -) Bereits hatte auch die Zürcher Obrigkeit auf den 2. Juni in ihre Stadt einen Burgrechtstag angesetzt und Bern ersucht, seinen Gesandten Vollmacht zu gütlicher Vermittlung in der Toggenburger Sache zu erteilen. ^) Diesem Gesuche entsprach Bern. ') Man kam aber auf diesem Tag zu der Ansicht, dass augenblicklich in dem Handel zwischen Schwyz und Toggenburg sich nichts „fruchtbares" vornehmen lasse. ^) Immerhin fand Zürich es gut, zu rüsten, um den Toggenburgern im Notfall bei- springen zu können. '') Am 31. Mai war nun aber der Toggen- burger Landvogt persönlich in Schwyz erschienen, um die militä- rische Intervention zu verhindern und die Schwyzer dahin zu bringen, dass sie das Resultat der Beschlüsse der nach Pfingsten sich versammelnden toggenburgischen Gemeinden abwarteten. Schwyz bat darum Luzern in einem Schreiben, die eigenen Truppen und diejenigen von Unterwaiden zurückzuhalten und teilte mit, es werde die gleiche Aufforderung auch an die beiden andern Orte jedenfalls sind Uri und Zug damit gemeint

1) E. A., IV, 1 a, Nr. 538 f.

2) A.-S., I, 2021.

3) A.-S., I, 2004. ^) A.-S., I, 2009.

•^) E. A., IV. 1 a, Nr. 542 b.

*■■) E. A., IV, 1 a, Nr. 559 zu c (i).

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ergehen lassen. ^) Schon drei Tage später konnte es berichten, die Toggenbiirger hätten sich auf der Tagung durch ihre Botschaft so günstig ausgesprochen, dass man auf einen guten Ausgang der Sache hoffen dürfe. -)

Nun aber verwandte sich Zürichs Regierung energisch beim Abt zugunsten ihrer Glaubensgenossen in der Grafschaft. Sie berichtete ihm von ihren Rüstungen und warf ihm vor, dass er einer kriegerischen Intervention der Schwyzer das Wort geredet, auch einige Priester, sie möchten belehnt sein, von wem sie wollten, von ihren Pfründen zu vertreiben w^age ; der Abt möge bedenken, wohin das führen könnte, w^enn er auf seinem Vorgehen beharre: Zürich und andere eidgenössische Orte w'ären unter diesen Umständen nicht imstande, die Ihrigen davon abzuhalten, den Toggenburgern zu helfen. Im Juli d. J. wiederholte Zürich die Drohungen, als der Abt die katholische Minderheit zu Lichten- steig gegen die dortige evangelische Mehrheit unterstützte. ^) Das bot aber Zürichs Feinden Anlass, diese Hilfe so auszulegen, als ob die Stadt Annexionsgelüste auf die Grafschaft habe, so dass sie für nötig fand, durch eine besondere Ratsbotschaft sich gegen diese Anschuldigung auf einer Landsgemeinde der Toggen- burger zu verteidigen. ^)

Die Situation verschärfte sich wieder mehr und mehr, vor allem, w^eil die Reformation im Toggenburg stetig neue Anhänger gewann. Ende August w^urde die Kirche zu Lichtensteig aus- geräumt, Altäre und Bilder zerbrochen, trotz Schreiben des Abtes und Abmahnen Gigers. •') Abt Franz beklagte sich deshalb zu Anfang September in Baden, und die Schwyzer waren über diesen neuen Kirchenfrevel so erbittert, dass man sie auf dem nämlichen Tage ersuchen musste, keinen Krieg gegen die Grafschaft zu beginnen; man wolle die Klage des Abtes getreulich an die Obern bringen und sich auf dem nächsten Tage über geeignete Mittel und Wege in der Angelegenheit vereinbaren. ") Zudem erhessen noch von Baden aus am 5. September Luzern, Uri,

1) A.-S., I, 2013.

2) A.-S., L 2017.

^) E. A., IV, 1 a, Nr. 559 zu c (i u. 2). -*) A.-S., I, 2045.

^') E. A., IV, 1 a, Nr. 573 zu g i u. -. '') E. A., IV. 1 a, Nr. 573 g.

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Unterwaiden, Zug, Basel, Freiburg, Solothurn, Schaffhausen und Appenzell ein scharfes Schreiben an Lichtensteig, in welchem sie der Stadt ihr Bedauern und ihren Schrecken ausdrückten über den dortigen Bildersturm. Sie knüpften daran die bestimmte Forderung, dass die Lichtensteiger die Altäre von neuem er- richten und die Bilder wieder in die Kirche stellen sollten; man müsste sonst den Schwyzern auf ihr weiteres Ansuchen Hülfe und Rat zuteil werden lassen.^) Indes fruchtete das wenig. Schon war die Glaubensbewegung auch in dem obersten Teil des Toggen- burgs erstarkt ; die Gemeinde Wildhaus trat in dieser Zeit offen zum neuen Glauben über, und am 14. September kam es in der Klosterkirche zu St. Johann zu einem wüsten Auftritt. Als an diesem Tage, es war der heilige Kreuztag, der Abt des Klosters in seiner Kirche Messe halten wollte, drang eine Schar Jünglinge ein und veranstaltete unter den Augen des Prälaten in dem Gotteshaus einen Bildersturm. Der erschreckte Abt ergriff die Flucht und beklagte sich persönlich bei Glarus und Schwyz. -) Letzteres, seit kurzem, wie wir oben gehört, einer der beiden Schirmherren des Klosters, war über den Vorfall-^) aufs höchste erregt; daneben musste es auch über Zürich schwer erbittert sein, das mit seiner starken Hand den neugläubigen Toggen- burgern allen möglichen Vorschub leistete, trotzdem es zu ihnen in keinem vertraglichen Verhältnisse stand. Andererseits muss aber auch gesagt werden, dass die Schwyzer sich so geberdeten, als ob sie nicht Verbündete der Toggenburger, sondern deren „halssherren" wären. Am 12. September schrieb Schwyz an Zürich, man habe dessen Einmischung in der Grafschaft, wo die Stadt nichts zu sagen habe, mit Bedauern vernommen und stelle darum die ernstliche Bitte, Schwyz, das mit dem Toggenburg ein Landrecht aufgerichtet, und den Abt, dem dort sowohl die hohen wie die niedern Gerichte gehörten, nach ihrem Belieben handeln zu lassen ; man mische sich auch nicht in die Verhältnisse Zürichs zu seinen Untertanen. ') Und obgleich am 17. ds. Mts. der toggenburgische Landrat sich bei Schwyz wegen des Vorfalls

») E. A., IV, la, Nr. 573 zu gö. -0 Bull., II, S. 15.

■') Siehe darüber das eigenhändige Gutachten Zwingiis (A.-S., I, 2105); den Hergang selbst bei Kessler, Sabb. S. 289 i6— 18. •1) E. A., IV, la, Nr. 576 zu ai.

87

entscliiüdigte und versprach, die Frevler zu bestrafen, klagten die Schw3^zer schon zwei Tage später bei Basel, Freiburg und andern Orten: da die Unruhen im Toggenburg immer grösser würden, halte man für nötig, mit Waffengewalt diesem Zu- stande ein Ende zu machen, und bitte freundUch um Hilfe, Rat und getreues Aufsehen. ^) Die Schwyzer mochten aber wohl fühlen, dass sie ohne Beistand der andern katholischen Orte eine bewaffnete Intervention im Toggenburg nicht wagen konnten; denn auch Zürich hatte gerüstet und 5000 Mann auf Pikett ge- stellt. -) Sie brachten darum die Angelegenheit am 23. September auf dem Tag der V Orte zu Luzern zur Sprache; doch die andern kathohschen Stände hatten es nicht so eilig. Luzern und Unter- waiden zeigten sich zwar bereit, mit Leib und Gut Schwyz bei- zustehen; Uri und Zug aber waren ungenügend instruiert und gaben den Rat, an Zürich zu schreiben und eine bestimmte Er- klärung darüber zu verlangen, ob es im Falle eines Aufgebots gegen die Toggenburger sich ihrer annehmen würde (!) ; man solle überhaupt nicht zu eilig vorgehen, sondern die Sache auf dem nächsten Badener Tag wieder zur Sprache bringen. Da man auch Freiburg und Solothurn gern beigezogen hätte, so wurde dieser Vorschlag angenommen in dem Sinne, dass jedes der V Orte auf dem genannten Tage zu Baden mit Vollmacht in dieser An- gelegenheit zu erscheinen habe. •') Man sieht, in der Innerschweiz erkannte man wohl, dass bei der entschiedenen Haltung Zürichs bewaffnetes Einschreiten gegen die Toggenburger einen eidge- nössischen Bürgerkrieg zur Folge haben musste. Ein Schreiben, das Zürich am 28. September an Schwyz richtete, bestätigte diese Ansicht: die Zürcher würden, hiess es in der Missive, die Toggen- burger mit Leib und Gut unterstützen, falls Schwyz sie wegen ihres Glaubens angreifen wollte, besonders auch deshalb, weil sie willens seien, in weltlichen Dingen zu leisten, was ihre Pflicht und Schuldigkeit sei; man sei sich in Zürich klar darüber, dass die Unterdrückung des neuen Glaubens im Toggenburg nur der Anfang wäre zur Vernichtung der Reformation in der ganzen Schweiz; Schwyz möge bedenken, „wohin es reichen wurde", wenn es seine Drohungen gegen das Toggenburg in die Tat um-

1) E. A., IV, la, "Nr. 576 zu aa.

2) Bull., II, S. 17.

'■'') E. A., IV, la, Nr. 576a.

setzen wollte, und solle sich darum eines Bessern besinnen. ^) Schwyz versuchte darauf, Zürich von den Toggenburgern abzu- ziehen, indem es am folgenden Tage schrieb, man habe nie die Absicht gehegt, auch gegen Zürich einzuschreiten, sondern wolle jeden mit den Seinen handeln lassen, wie es ihn gutdünke, und wünsche nur, dass auch Zürich diese Auffassung teile. -)

Unterdessen war wieder einmal die Tagsatzung zu Baden zusammengetreten. Zürich und Bern hatten sich darüber geeinigt, dass niemand vom Evangelium gedrängt werden dürfe. Die Zürcher Gesandten sollten darum laut Instruktion den Schwyzern ausdrücklich erklären, man werde nicht gestatten, dass die Graf- schaft wegen des Evangeliums von katholischer Seite bekriegt würde. Im gleichen Sinne war auch die Berner Instruktion ab- gefasst.-') Die entschlossene Haltung der beiden mächtigen Stände bewirkte, dass die katholischen Orte vor einem Gewaltschritt zurückschreckten. Man übertrug Basel, Schaff hausen und Appen- zell auf deren Anerbieten hin die Vermittlung, und sie schlugen vor, auf einen folgenden Tag zu Baden die Toggenburger mit Vollmacht kommen zu lassen. Wenn dann Güte in dem Streit zwischen ihnen und den Schwyzern nichts vermöchte, wollten die drei Schiedorte sofort einen Rechtstag ansetzen; unterdessen sollte das Toggenburg mit seinen kirchlichen Neuerungen stillstehen und Schwyz nichts Unfreundliches gegen die Grafschaft unter- nehmen. Dieser Vorschlag wurde in den Abschied genommen.^) Schwyz teilte daraufhin dem Abt das Resultat der Verhandlungen mit und berichtete auch, dass der neue Badener Tag auf den 25. Oktober angesetzt sei; der Abt möge ihn allen beteiligten Per- sonen und Gemeinden verkünden und auch selbst besuchen, da er an einem günstigen Ausgang des Handels am meisten inte- ressiert sei; dabei solle er zunächst gütliche Vermittlung walten lassen und erst, wenn das nichts fruchte, gemeine Eidgenossen um Recht anrufen ; Schwyz werde ihm gerne, wenn er es wünsche, seinen Beistand leihen. •') Dieser Ort wollte also in berechneter

1) E. A., IV, la, Nr. 580 zu a5.

2) E. A., IV, la, Nr. 580 zu a.;.

^) E. A., IV, 1 a, Nr. 580 zu ai-a.

-') E. A., IV, la, Nr. 580a.

•') E. A., IV, la, Nr. 588 zu d.-.

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Weise in dem Handel den Abt vorschieben, da er Landesherr im Toggenburg war, während Schw3^z nur in einem Bundesver- hältnis zu der Grafschaft stand. Diese war sich ihrer schwierigen Lage wohl bewusst und sandte einen besonderen Boten nach Bern mit einem Schreiben, worin die Stadt um Beistand ange- rufen wurde, und man zögerte hier nicht, die Toggenburger zu trösten und ihnen zu versprechen, „das best" für sie auf der entscheidenden Tagsatzung zu reden. ^) Diese begann am 26. Oktober zu Baden. Die drei vermittelnden Orte brachten aber keinen Vergleich zwischen den beiden streitenden Parteien zu- stande ; auch die X Orte, an welche Schwyz sich wandte, hatten keinen bessern Erfolg. Auf Anerbieten der anwesenden Toggen- burger wurde endlich folgender Entscheid gefällt: Schw3^z soll den Rechtsweg beschreiten laut Landrechtsbrief; genügt ihm der allfällige Entscheid nicht, so kann es seine Forderungen weiter geltend machen ; inzwischen dürfen die Toggenburger keine weitern religiösen Neuerungen vornehmen und sollen dem Abt. und jedem der es wünscht, freies und sicheres Geleit gewähren. Diesen Beschluss nahmen die Schwyzer und Toggenburger auf die Bitte der Eidgenossen in den Abschied zur Empfehlung an ihre Obern. -)

Doch das Toggenburg kehrte sich wenig daran, dass es mit der religiösen Reform vorderhand stillstehen sollte. Daher konnte im Februar 1529 die Reform daselbst zu einem gewissen Ab- schluss gelangen : am 13. ds. Mts. wurde zu Lichtensteig in An- wesenheit des Landrates eine den neuen religiösen Anschauungen entsprechende Kirchenverfassung für die Grafschaft aufgestellt. Obenan stand der Satz: „Alle Prädikanten in der Grafschaft Toggenburg sollen hinfür das ewige, immerwährende Wort Gottes lauter und ohne alle Menschensatzungen verkünden.'" . . . Be- stimmungen über Abendmahl, Ehe und Kindertaufe, über Pre- diger, Pfründenverleihung und Krankenbesuche durch die Pfarrer folgten in weitern Artikeln. Ferner wurde für die GeistHchen die Zensur eingeführt ; die Prediger sind dem Dekan, dem Vor- steher des Kapitels, Gehorsam schuldig, soweit das billig ist. •'^)

1) E. A., IV. la, Nr. 588 zu da.

-) E. A., IV, la, Nr. .588 d.

3) St. Galler Mittl., Bd. III., S. 29 31.

90

Am 18. Februar schrieben Landvogt und Landrat unter anderm nach Zürich, sie seien entschlossen, Leib und Gut für die Auf- rechterlialtung des göttlichen Wortes einzusetzen. 0

Die oberste weltliche Behörde des Toggenburgs und die grosse Mehrzahl der dortigen Geistlichkeit hatte sich damit in entschiedenster Weise zugunsten des neuen Glaubens ausge- sprochen, und sie konnten dies um so eher tun, als sie die er- drückende Mehrheit des Toggenburger Volkes hinter sich wussten.

1) A.-S., II, 106.

II. ABSCHNITT.

Abt Kilian.

I. Kapitel.

Die Vorgänge bis zum Ausbruch des ersten Kappelerkrieges.

Die letzten Lebenstage des bejahrten und schwerkranken Abtes Franz waren recht düster. Er rausste einsehen, dass er umsonst gegen den neuen Glauben gekämpft, den die erdrückende Mehr- heit seiner Untertanen trotz seiner endlosen Bemühungen ange- nommen hatte. Schon regierte in seinem Gebiete in Wirklichkeit nicht mehr er, sondern Zürich, und dieses gab auch bereits seinem Hauptmann die nötigen Weisungen, nach dem Tode des Fürstabtes eine Neuwahl zu verhindern. Dass an der Verwirklichung dieses Planes die Stadt St. Gallen das grösste Interesse hatte. Hegt auf der Hand; begreifhch, dass sie den Zürchern versicherte, alles tun zu wollen, was ihnen in der äbtischen Angelegenheit dienen könne. ^) Bereits am 2. Februar 1529 meinte Zwingh in einem Schreiben an Vadian, es habe wohl keinen Sinn, den Abt ge- fangen zu nehmen, da er nächstens in die „Unterwelt" fahre;-) aber sehr viel lag ihm daran, dass nach dessen Tode kein Nach- folger gewählt würde. •'■) Hauptmann Frei verschaffte sich darum bei Abt Franz Zutritt, um sich über seinen Krankheitszustand zu informieren. Der Abt könne noch bis in den März hinein leben, berichtete er an Zürich. Daneben hatte Vadian bereits einen der im Kloster St. Gallen zurückgebUebenen Mönche gefragt, ob die Klosterinsassen bei Gelegenheit helfen würden, dass kein

1) A.-S., II, 74.

2) A.-S., II, 57.

^) Schon ging bezeichnender Weise die Gassenrede um, „apt Franciscus ward der letzst abt zuo Sant Gallen sin" (Sicher I, S. 98 12).

92

neuer Abt gewählt werde, und die Antwort erhalten, es. sei wohl möglich, wenn die Mönche reichlich ausgesteuert würden. ^) Da- mit aber wollte Zwingli warten, bis Abt Franz gestorben wäre. -) Um vor seinen Bedrängern sicher zu sein, hatte sich der Abt, wie wir bereits gehört, ins Schloss zu Rorschach bringen lassen. Er wolle hier sein Leben beschliessen, erklärte er dem Hauptmann Frei. Der Kämmerling des Abtes gab auch zu wissen, dass sein Herr krankheitshalber keine Besuche mehr empfangen könne. Diese Bekanntmachung war auf Anordnung des Wiler Statthalters Kilian Germann in der Absicht erfolgt, den Tod des Abtes solange geheim zu halten, bis eine Neuwahl stattgefunden hätte. Germann hielt sich auch, seitdem der Tod des Prälaten jeden Tag erwartet werden konnte, im „Kloster'' zu Rorschach auf, wo er, durch ein verabredetes Zeichen vom Schloss her, so- fort vom erfolgten Hinschied in Kenntnis gesetzt werden konnte. ^) Zürich jedoch fürchtete, dass der Abt nur darum seinen Wohn- sitz ins Schloss verlegt habe, damit er besser mit den V Orten und Österreich Anschläge machen könne ; denn diese tagten da- mals zu Feldkirch, um sich gegen die reformierten Eidgenossen zu verbünden,') ein Vorspiel des ersten Kappelerkrieges. Wohl um die Befürchtungen der Zürcher zu beseitigen, gab der äbtische Vogt zu Rorschach, Diethelm Blarer, dem Stiftshauptmann und den das Schloss umlagernden Bauern zu, dass eine Besatzung von acht Gotteshausleuten je zwei Mann von Rorschach, Stei- nach, Goldach und Tübach ins Schloss gelegt wurde. '^) Zürich verfolgte natürlich nichts destoweniger den stets bedenklicheren Gesundheitszustand des Prälaten mit gespanntestem Interesse und forderte seinen Hauptmann und die Stadt St. Gallen auf, den Verlauf der Krankheit mit grösster Wachsamkeit zu beobachten,'^) soweit dies bei der Zurückgezogenheit des Abtes Franz noch möglich war. Schon hatte nämlich Frei geglaubt, beobachten zu können, dass man unter den Konventualen Anstalten zu

1) A.-S., IL 74.

2) A.-S., IL 99.

3) Sicher I, S. 97/98.

^) Das Bündnis, welches am 22. April 1529 in Waldshut zum Abschluss kam, wurde die „christliche Vereinigung" genannt. S. 101 Anm. 2. ■') Sicher I, S. 96 5-8 : A.-S.. IL 129 2. '') A.-S., II, 187.

93

einer Neuwahl treffe, und der Dekan Otmar Glutz war nach Ein- siedeln gereist/) wo sich bekanntlich fünf abttreue Konventherren aufhielten. Aber trotz aller Wachsamkeit Jakob Freis und St. Gallens gelang es, den Tod des Abtes, der am 23. März infolge von Wassersucht eingetreten war,-) geheim zu halten,-^) bis die Neuwahl stattgefunden hatte. Das Hauptverdienst daran kam Kihan Germann zu. Sobald nämlich der Abt verschieden war, reiste er nach Einsiedeln und brachte jene fünf Konventherren nach Rapperswil. Dort, „in der nebendstuben" des „Roten Löwen"^) wurde er selbst am 25. März ^) zum Fürstabt gewählt, nachdem man sich schon früh er heimlich auf diese Wahl geeinigt zu haben scheint. ^')

Am Ostermontag (29. März) wurde die Leiche des Abtes Franz im „capitelhus" zu St. Gallen beigesetzt. Seitdem die Re- formation in den Stiftslanden Eingang gefunden, war sein Leben ein steter Kampf gewesen gegen den neuen Glauben, dessen Ver- breitung aber auch er, wie so viele andere Prälaten, vergeblich zu hindern gesucht hatte. Da aber der jeweilige Abt von St. Gallen auch Reichsfürst war, konnten dem Hause Habsburg, als dem Inhaber der Kaiserwürde, die Misserfolge des Prälaten nicht gleichgültig sein. Schon am 26. März meldete die [nnsbrucker Regierung dem König Ferdinand den Tod des Abtes, indem sie sich zugleich über die reformatorischen Umtriebe von Bern,

^) A.-S., II, 183.

^) Dieses Datum ist jedenfalls das richtige und nicht der 21. März, wie V. Arx (S. 538) annimmt; denn Kessler (Sabb. S. 314 lo-u) und Sicher (I, 99 4-io) nehmen beide den 23. März an ; v. Arx stützt sich wohl auf eine wei- tere Stelle in Sichers Chronik, wo in teilweisem Widerspruch zur früheren Angabe (I, S. 99 -i), dass der Abt am „zistag nach palmarum", d. h. am 23. März gestorben sei Seite 104 27 als Todestag der 21. März angegeben wird. Sicher schreibt , zistag, was 21 tag merzen." Der 21. März war jedoch ein Sonntag, der 23. dagegen ein Dienstag.

^) tJber die Art, wie das möglich war, s. Sicher, I, S. 99 1- 10.

■*) Stumpf spricht davon, dass der Abt in der „Abtey Rüti behausung" gewählt worden sei (Chronik, V. Buch, S. 41). „in Rütensium aedibus", heisst es bei Mezler, S. 644. (Chronicon S. Galli R. P. Mezleri.) St.-A., Bd. 182. Zieglers günstiges Urteil über die Zuverlässigkeit des Chronikschreibers haben wir bestätigt gefunden. E. Ziegler: Abt Othmar II. von St. Gallen (St. Gallen 1896), S. 5.

'') V. Arx (II, S. 539) gibt zwar richtig den 25. März an. Es war aber nicht ein Charfreitag, wie er glaubt, sondern der voraufgehende Donnerstag.

'') Sabb., S. 315 2:5-20 ; Sicher, I, S. 98 16-18.

1)4

Zürich und Konstanz beklagte; es wisse auch jedermann, wie dem geisthchen Herrn von St. Gallen, trotzdem er ein Fürst des Reiches gewesen, „übel ist mitgefarn worden". ')

Der neue Abt Kilian Germann, welcher, wie schon sein Vater, den Beinamen ,,Köuffi" führte, stammte aus angesehener Toggen- burger Familie. Seinen Vater, Hans Germann, hatte 1504 Abt Franz zum Amtmann von Lütisburg in der Grafschaft ernannt.-) Früher „grosskeller" zu St. Gallen, war Kilian 1523 Schaffner des Gotteshauses zu Rorschach, ■') im März 1528 äbtischer Statt- halter oder „Zinspropst^' ') zu Wil geworden. Der Bruder unseres Abtes war der „Hauptmann von Batzenheid", so genannt, weil er früher als Offizier in französischen Diensten gestanden und zu Batzenheid unterhalb Lichtensteig wohnte. "') So verband sich mit der Person Kilians schon manches, was seine Wahl als eine glückliche erscheinen liess. Zudem war der neue Abt selbst ,,ein schön, persönlich man, senftmütigs und früntlichs dings mit iedem man",'') und dies musste ihn für den schwierigen Posten besonders geeignet machen. Mochte er auch „nit giert" sein, so zieigte er doch Verständnis für geistige Bildung, indem er, trotz der schwierigen finanziellen Lage des Stiftes, drei junge Konventualen auf die Universität Tübingen schickte. '') Zudem war Kilian, wie wir im Verlaufe unserer Darstellung noch ge- nügend sehen werden, ein sehr zäher und mutiger Verteidiger der Rechte seines Stifts. Wenn dessenungeachtet der Erfolg seiner Regierung gleich Null, ja die äbtische Herrschaft bei seineni Tode weit schlimmer dran war als zur Zeit seiner Wahl, so lag das zum wenigsten an seiner Person; vielmehr waren, abgesehen von seinem unerwartet frühen Hinschied, die besonderen Schwierig- keiten, die sich ihm entgegenstellten, daran schuld ; hatte er doch gegen die Hochflut der deutsch-schweizerischen Reformations- bewegung anzukämpfen.

^) Statthalterei-Archiv Innsbruck. Copialbuch : An die königl. Maj. 1527 bis 1529 . Lib. 3.

^) S. über ihn St.-A., Bd. 50, S. 7, Bd. 80, S. 271 ; Bd. 114, fol. 220 und 236 b: Lehenbuch, fol.' 95 und 134 b. Letzte Erwähnung Bd. 80, S. 942.

3) St.-A., Bd. 98, S. 199 b.

4) Vad. II, S. 413 js.

■^) Vad., II, S. 413 21-23. 6) Vad., II, S. 413 24-25. ') Tgb. Sail., foL 76 b. St.-A., Bd. 307, S. 97.

95

Am Ostersonntag 1529 wurde die Wahl Kilians in der Kirche zu Rorschach feierlich verkündet, ^) wobei Vogt Jakob am Ort von Luzern und Vogt Kaspar Stalder von Schwyz anwesend waren. -) Erst jetzt wurde aucli der Öffentlichkeit der Tod des Abtes Franz mitgeteilt. Tags vorher schon hatten Am Ort und Stalder den Hauptmann Frei von der neuen Abtwahl in Kenntnis gesetzt und ihn eingeladen, sich am 28. März bei Kilian in Ror- schach einzustellen. Darauf wurde noch am späten Abend dieses Tages Zürich St. Gallen hatte ihm am gleichen Tag den Tod des Abtes Franz gemeldet ■^) durch Frei über die Sachlage orientiert. *) Hier w.ar man entschlossen, offene Gewalt zu ge- brauchen, um der Wahl jede Bedeutung zu nehmen. So gab Zürich zwei Tage später einer Gesandtschaft die Instruktion mit, den neuen Abt samt dem Reichsvogt des Prälaten, Heinrich Schenkli, gefangen nehmen zu lassen und sie bis auf weiteres zu St, Gallen in Haft zu behalten. ■') Zum mindesten sollte dem Abt ..alle ge- waltsamy" abgeschlagen werden, bis die vier Orte gemeinsam in der Angelegenheit Beschluss gefasst hätten,") da er durch „böse, arglistige practiken" ohne Wissen Zürichs und des Haupt- manns gewählt worden sei. Die Gesandten werden wohl noch am gleichen Tag abgereist sein, da schon am folgenden, es war der 30. März, Kilian einen Boten zu den vier Schirmorten sandte mit einer Instruktion, in der er sich darüber beschwerte, dass ihm von Zürich durch eine Botschaft die Ausübung seiner Herr- schaftsrechte verboten worden sei. „Und als nun s(in) g(naden)

') Vad., III, S. 227 4 : Sicher, I, S. 99 13.

^) Vad., III, S. 227 5. Dass Luzern und Schwyz an der heimlichen Wahl und Einsetzung des Abtes ohne Anteil gewesen, können wir nicht glauben, trotz bestimmtester Versicherungen von Schwyz, dass es und Luzern weder Hilfe noch Rat und Tat dabei geleistet (A.-S., II, 1486). Die beiden Orte hatten ein zu grosses Interesse daran, dass die erledigte Abtsstelle nicht unbesetzt blieb. Ferner befanden sich die abttreuen Mitglieder des Kapitels, unmittelbar bevor Abt Franz starb, im Kloster Einsiedeln. Auch werden die beiden Boten von Luzern und Schwyz wohl nicht erst zur Einsetzung des Abtes wie zur Pa- rade nach Rorschach gekommen sein (s. auch A.-S., II, 1532). Wenigstens waren sie beim Tode des Abtes Franz zugegen (Bull., II, S. 114).

3) A.-S.. II, 223. -

■') A.-S., II, 221.

•') A.-S., II, 228.

'=) A.-S., II, 242.

96

und gozhus mit lüt und land üch alss s(mer) g(naden) g(nädig) l(ieben) h(erren) mit biiigk- und lantrecht hoch und tref fenUch ver- want, ist s(iner) g(naden) hoch und ernsthch, treffenUch pitt und beger mit allem fliss und ernst, ir wollind dieselbig sin g(naden) und gozhus by siner friheit, herlikeit und gerechtigkait beliben lausen, auch sin g(ozhus) by ainem er weiten herrn und appt schüzen, schirmen und handhaben und üch mit sampt den andren dry orten ains tags berümen, und so ir lieber üch zesamen ver- mögen, wil sin gnad ir potschafft ouch dahin verordnen". ^) Die Aufforderung Zürichs, in seinem Regiment vorderhand stillzu- stehen, liess der Abt lange unbeantwortet; er wollte Zeit ge- winnen. Erst am 13. April antwortete er, die Aufforderung habe ihn befremdet; er könne momentan keinen definitiven Bescheid geben, da er wenig Räte bei sich habe und mit Geschäften über- laden sei. -) Doch hinderte das Zürich nicht, die Angelegenheit in seinem Sinne ernergisch weiter zu betreiben. Wohl noch im März gab es Johannes Bleuler den Befehl, mit Ammann und Rat von Glarus wie besonders mit den dortigen „Gutwilligen" zu unterhandeln, und sie zum Höchsten zu bitten, Glarus möge den Abt nicht bestätigen und nicht zur Regierung kommen lassen, besonders da die Wahl in betrügerischer Weise stattgefunden. Der Bote sollte auch den Landleuten mitteilen, was Zürich bisher in der Angelegenheit getan habe. •') Doch die Glarner Hessen sich daraufhin durch zwei eigens entsandte Boten belehren, dass die Wahl nicht in der Weise stattgefunden habe, wie die Zürcher erzählt hatten,') und dies scheint einen Entscheid der Glarner zu- gunsten Zürichs verhindert zu haben. Währenddem schrieb letzteres an die bedeutendsten Gemeinden des Fürstenlandes '') wie auch an Schultheiss und Rat zu Lichtensteig, '') dem Abt den Huldigungseid bis auf weiteres nicht zu leisten. Ferner for- derte die Zürcher Obrigkeit am 3L März St. Gallen auf, bei den Gotteshausleuten, die in die Stadt kämen, in gleichem Sinne zu

^) St.-A., Bd. 99 b.

^) Staatsarchiv Zürich, Akten Abtei St. Gallen orig.

3) E. A., IV, 1 b, Nr. 52.

1) Val. Tschudi, S. 64.

'') E. A., IV, 1 b, Nr. 52 (1).

ß) St.-A., Bd. 99 b.

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wirken; die Wahl Kilians habe „mit nit wenigem alenfanz und fuler pratiken" stattgefunden hinter Zürich und dem Stiftshaupt- mann.

Wollte nämlich Zürich in seinem gewalttätigen Vorgehen gegen den Abt Erfolg haben, so war das nicht anders möghch, als dass es alle Elemente des Widerstandes gegen das äbtische Regiment zusammenfasste. Hatte doch der Prälat zu Rorschach den Zürcher Gesandten bereits erklärt, „dass er von der heiligen mess nit stan und ee daran sin Hb, gut und alles das, so er vermöge, setzen welle". ^) Er hatte sich auch weiter um seine Anerkennung bemüht, so bei seinen Landsleuten im Toggenburg. Wohl vom Anfang April stammt ein Aktenstück im Zürcher Staatsarchiv, das von derartigen Bemühungen Kilians in der Grafschaft Toggenburg berichtet: er sei dort vor den Landrat getreten und habe ihn ersucht, ihn anzuerkennen; die Landräte hätten ihm aber zur Antwort gegeben, man werde tun, was man schuldig sei ; -) dieser Bescheid habe dem Abt nicht gefallen ; er habe auch angesehenen Personen im Toggenburg 100 Kronen und anderes versprochen. ■^) Wirklich lieh er dem Toggenburg 100 Gulden, wofür ihm am 1. April Altamman Bernhard Künzli, Ammann Rüdlinger und der Hauptmann von Batzenheid im Namen gemeiner Landleute einen Schuldbrief ausstellten. *) Auch Ror- schach und Gossau bat Kilian persönlich, ihn anzuerkennen. Sein leutseliges Wesen mochte ihm dabei nicht wenig zustatten kommen ; denn er benahm sich „ganz herrlich und eerlich mit schenken und gastfrije". ^) Am 5. April bat er ferner in einem Schreiben die Gemeinde Tablat um seine Anerkennung. '') Es mochte kein Zufall sein, dass sich der Abt gerade an diese Ge- meinde wandte; denn die Tablater hatten (vielleicht allein von den Gotteshausleuten) in corpore in schwarzen Kleidern der Bei-

1) E. A., IV, Ib, Nr. 52 (1) ; zur Ergänzung s. Vad., III, S. 227 r,-o ; Sabb.,

S. 315 29—31.

^) Diese Nachricht wird bestätigt durch die Missive, welche Kilian am 19, August 1529 an die Gemeinden zu Lütisburg und Lichtensteig schickte, in welchen er seine bisherigen Bemühungen bei den Toggenburgern um Aner- kennung resümierte (St.-A., Tom. 101, S. 32 ^34).

'') A.-S., II, 240.

■^) St.-A., Fase. 14.-

'') Sabb., S. 315 26-27.

'>) V.-B.-S., IV, Nr. 570.

St. G-aUer Mittlgn. z. vaterländ. Gesell. XXXIII. 7

98

Setzung des Abtes Franz beigewohnt. ') Aber von dort, wie aucli von andern Gemeinden im Fürstenlande, erhielt Kilian abschlägige Antwort, ") trotzdem er versprochen, den Beschwerden seiner Untertanen über unbillige Abgaben gern Gehör schenken zu wollen. ■^)

Doch die Schwierigkeiten, auf die Zürich bei der Durchführung seiner Pläne in der Alten Landschaft stiess, waren auch jetzt noch keineswegs gering. Der Abt muss im Fürstenlande noch zahlreiche Anhänger gehabt haben, die sich darauf beriefen, drei Schirmorte auf ihrer Seite zu haben, so dass der Hauptmann Frei seine Regierung bat, bei Glarus auszuwirken, dass er im Namen der zwei Orte grössere Handlungsfreiheit in Sachen des „Gottes- worts" bekomme, damit er den Widerwärtigen leichter „in die zahne stehen" könne. ^) Besprechungen, die zwischen den Ge- sandten der beiden Stände zu Wil anfangs April stattfanden, brachten aber für Zürich nicht den gewünschten Erfolg, weshalb die Zürcher Gesandten und Jakob Frei von Wil aus ihre Obrigkeit aufforderten, bei Glarus von neuem dahin zu wirken, dass die beiden Orte in Glaubenssachen einig gingen. ■') Die Zürcher er- suchten denn auch Glarus, seine Gesandten auf den 14. April mit Vollmacht in ihre Stadt zu schicken, um im Verein mit den Abgeordneten von St. Gallen bei der Beseitigung der äbti- schen Herrschaft und der Messe in den Stiftslanden behilflich zu sein. ") Dieser Tag dürfte wirklich stattgefunden haben, aber von Glarus nicht besucht worden sein. Wenigstens ver- fasste Zwingli am 15. April, in Anwesenheit von St. Galler Ge- sandten, einen Ratschlag in der äbtischen Sache. ') Darin ist niedergelegt, wie Zürich vorderhand in der Angelegenheit vor- zugehen gedachte. Die Eingangsworte des Memorandums weisen in nicht misszuverstehender Weise darauf hin, dass es zwischen der Stadt und dem Abt keinen Ausgleich geben könne, da jene den Gotteshausleuten für ihren evangelischen Glauben mit Leib

1) Sicher, I, S. 99 27/28.

-) Sicher, I, S. 105 I8/19.

3) A.-S., 11, 261.

^) A.-S., 11, 242.

•') A.-S., ir, 249.

«) A.-S., II, 262.

') E. A., IV, Ib, Nr. 782 u. 3.

99

und Gut Beistand versprochen, Kilian aber offen habe merken lassen, er werde zur Erhaltung und Wiederaufrichtung der Messe in seinen Gebieten alles einsetzen. ^) Wenn auch der Abt be- haupten möchte, dass er das nicht gesagt, so hätten doch seine Bemühungen bei den Gotteshausleuten und den Toggenburgern um seine Anerkennung als Abt genügend dargetan, dass er seinen Mönchsstand nicht aufgeben wolle und auch „weltlich ze herrschen hoch" begehre; das heisse soviel, dass Kilian im Sinne habe, Stetsfort gegen das Gotteswort zu streiten. Nun habe aber der Abt wohl 10,000 Gl. jährliches Einkommen, womit er, wenn er das Geld dazu benütze. Zürich entgegenzutreten, es „wol zu armüt richten möcht''. Darum wolle es den Abt nicht aner- kennen und überhaupt die geistliche Herrschaft in den Stifts- landen vernichten. Wolle Glarus nicht mitwirken, so werde Zürich allein handeln ; doch sollten die Rechte der zwei oder drei andern Schirmorte nicht angetastet werden, soweit es zeitliche Güter imd Herrschaftsrechte betreffe, ausser wenn es sich fände, dass Luzern und Schwyz treulos hinter dem Rücken der Zürcher ge- handelt hätten. -) Die Mönche sollten ausgesteuert werden „so- ferr sy geheiner untrüwen pratik hoptsächer gewesen". Mit Glarus solle „angends" ernstlich in der Angelegenheit in obigem Sinne gehandelt werden.

Ein weiteres Gutachten vom gleichen Tage war dazu be- stimmt, die Gotteshausleute für die Sache Zürichs zu gewinnen. Es wurde ihnen darin vorgestellt, dass sie bei Anerkennung des Abtes des Gottes Wortes -wiederum entroubet und in das bapstum gstossen wurdind". Auch wäre sicherlich für sie unerträglich, wenn Luzern und Schwyz im Verein mit dem Abte über sie

\) Am 20. Februar 1529 hatten auch Dekan und Konvent des Klosters St. Gallen eine feierliche, schriftliche Erklärung abgegeben, dass sie beim ka- tholischen Glauben bleiben wollten ; wenn aber einer von ihnen trotzdem zum neuen Glauben abfalle, so solle er aller Rechte „ad monasterii bona ac privi- legia" verlustig gehen, (A.-S., II, 116.)

-) Damit hatte Zürich sich selbst die Handhabe gegeben, ohne Luzern und Schwyz in der äbtischen Angelegenheit nach Gutdünken zu handeln, da es ja bereits den beiden (Jrten vorwarf und wohl mit Recht, hinter Zürichs Rücken dem neuen Abt zu seiner Wahl geholfen zu haben. Glarus war durch die religiösen Streitigkeiten im eigenen Lande vorderhand verhindert, eine feste äussere Politik zu betreiben, und als dann die Reformation dort siegte, wurde es von Zürich ins Schlejiptau genommen.

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herrschen sollten, wie das geplant sei. Zürich dagegen wolle ihnen, eventuell ohne Glarus, soziale Erleichterung verschaffen. Daneben war in dem Gutachten vorgesehen, die Toggenburger zu „trösten", die sich bereits Ende März bei Zürich um den Los- kauf von der äbtischen Herrschaft beworben hatten.^) Am Schlüsse dieser zweiten Denkschrift stehen die bezeichnenden Worte : ., Summa, dass alle ratschlag dahin reichind, dass der münch nümmen ein hengst sye und gheine junge me mache, sunder ghalftret, zöumt und im gstall gon gelert werd". ^)

Diesen Worten entsprach zum Teil die rücksichtslose Pro- paganda, die Zürich bei den Gotteshausleuten für das Evangelium wie für seine politischen Interessen veranstaltete.-^) Dies brachte ihm den grossen Erfolg, dass „glich nach osteren" eine grosse Lands- gemeinde des Fürstenlandes zu Lömmiswil, welche Luzern, Schwyz und Glarus einberufen hatten, damit die Gotteshausleute den Abt als ihren Herrn anerkennen möchten, ^) völlig zugunsten Zürichs verlief. Die versammelten Stiftsbauern erklärten den drei Orten (Zürich war nicht erschienen), sie wollten beim „Gottes- wort" bleiben und keinen Abt ohne Gunst, Wissen und Willen von Zürich anerkennen. ■') Am 23. April bestätigten die Aus- schüsse von 21 Gemeinden der Gotteshausleute den Beschluss einer zürcherischen Botschaft gegenüber in Gegenwart von Ab- geordneten von Luzern und Schwyz. ^) Diese Zusage musste den Zürchern doppelt willkommen sein bei der gefährlichen Spannung, die zwischen ihnen und ihren katholischen Eidgenossen herrschte. Am 8. iVpril hatte nämlich Zürich in seinen Gebieten das Aufgebot zur Rüstung erlassen, da man nicht wisse, zu

1) A.-S., II, 227.

''^) E. A., IV, 1 1). S. 153.

•^) Sicher, I, 8. 106 und 107/108.

■*) Sicher, I, S. 105 20-29.

■') Sabb., S. 315/316; Sicher, I, S. 105 26-29, lässt die Gotteshaiisleute eine andere Antwort geben : da nur 3 statt 4 Schirmorte anwesend seien, könnten sie jetzt keine Antwort geben.

'^) E. A., IV, Ib, Nr. 71 a 1 und b2. v. Arx (II, S. 541) verlegt unrichtig die Lömmiswiler Landsgemeinde auf den 23. April. Ihm folgt Näf, Chronik der Stadt und Landschaft St. Gallen (Zürich, St. Gallen 1850), S. 223, während sich aus Sabb. und E. A. ganz klar ergibt, dass zu Rorschach am 23. April die Ausschüsse einer bald nach Ostern abgehaltenen Landsgevneinde von Löm- miswil erschienen.

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welcher Stunde man ausrücken müsse. ') Am 22, April dagegen fand der Abschluss eines Bündnisses der V Orte mit König Fer- dinand statt, -) und Marx Sittich von Ems sorgte dafür, dass Österreich stets genau unterrichtet war über die Läufe in der Eid- genossenschaft; er tat auch sein möglichstes, um das Vorarlberg- kriegsbereit zu machen. •') Anderseits aber strengte sich Zürich mächtig an, der Reformation im äbtischen Gebiet überall zum Sieg zu verhelfen. So wurde z. B. der Abt, der sich zu Wil aufhielt, durch Drohungen gezwungen, die Messe daselbst abzu- stellen. *) Doch die schwankende Haltung von Glarus liess Zürich noch zu keinem durchschlagenden Erfolge in der äbtischen An- gelegenheit kommen.

Dass man im Fürstenlande unter dieser Unsicherheit der Verhältnisse schwer zu leiden hatte, ist klar. Ordnung der Zu- stände in der Alten Landschaft und Einsetzung des Abtes in sein Regiment waren deshalb die Haupttraktanden einer Rappers- wiler Konferenz, die Ende April auf Ansuchen Kilians stattfand.-') Doch erschienen nicht, wie der Abt es gewünscht, alle vier Schirm- orte, sondern nur Luzern, Schwyz und Glarus, '0 trotzdem auch Zürich vom Abt eingeladen worden war. ') Deshalb schrieben die drei Orte am 29. April an dieses, man sei darüber befremdet, dass es den Tag nicht besuche, besonders da es den Abt ge- heissen, bis auf weiteres „stillzustehen". Man erwarte, dass die Stadt ihre Botschaft unverzüglich nach Rapperswil abfertigen werde, sei auch bereit, einen weiteren Tag da abzuhalten, wo es Zürich „gefellig" sei; nur möge es dann für die Sicherheit der Gesandten des Abtes und der drei Orte bürgen. Zürich setzte darauf einen Tag auf den 17. Mai nach Wil an. Die drei Stände waren von dieser Hinausschiebung der äbtischen Angelegenheit

') A.-S., II, 269.

^) E. A., IV, 1 b, Beilage 5. Es ist die in Anm. 4 Seite 92 erwähnte „christliche Vereinigung" .

''^) Statth alterei- Archiv Innsbruck. Copialbücher : An königl. Maj., Lib. 3. Das Regiment an den König, d. d. 4. Juni 1529.

'^) A.-S., II, 3342 ; Sicher, I, S. 107 27-28.

°) E. A., IV, 1 b, Nr. 78.

'■) Sicher, I, S. 107ii. Der Abt konnte nicht selbst erscheinen, da er es nicht wagte, durch Zürcher- oder Toggenburger Gebiet nach Rapperswil zu reisen, s. ebenda Z. 8 10.

^) St.-A., Bd. 99 b, S. 43.

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wenig erbaut. Sie erklärten zwar, den Tag besuchen zu wollen; Zürich möge aber seinen Gesandten schon für den nächsten Badener Tag den Auftrag erteilen, mit den drei Orten in Sachen des Abtes zu verhandeln. \) Warum Zürich die Rapperswiler Konferenz nicht besuchte, ist klar: zu Glarus wehte wieder einmal ein für den Abt günstiger Wind. Immerhin verhinderte der Glarner Landrat, dass zu Rapperswil von der Mehrheit der Schirmorte ent- scheidende Beschlüsse zugunsten des Abtes gefasst wurden, indem er seine Gesandten nur zum Referieren instruierte. -) Aus dieser Haltung von Glarus scheint sich der Schirmhauptmann Frei am wenigsten gemacht zu haben, da er sich der Mehrheit der äbtischen Untertanen sicher wusste. Er schrieb in diesen Tagen an Zwingli: die Zürcher Obrigkeit solle nur recht „handfest'" sein und das Beste tun; „dann die lüt sind gar am hag'' ; wenn auch alle drei andern Schirmorte gegen Zürich sein sollten, so hoffe er doch, ,,wir wellend die sach wol eroberen". '■') Bis dahin konnte aber noch geraume Zeit verstreichen, da Luzern und besonders Schwyz sich kräftig für den Abt ins Zeug legten, auch Kilian persönlich bei ihnen für seine Sache wirkte. ^) Bereits am 4. Mai tagten die beiden Orte im Verein mit Glarus zu Wil. Die Konferenz war aber ergebnislos, da die Glarner Boten laut ihrer Instruktion nur da mithandeln durften, wo die andern drei Schirmorte eins waren. Nun hatte Zürich zwar einen Boten auf des Abtes Kosten nach Wil gesandt, ihm jedoch keinen andern Befehl gegeben, als zu beobachten, ob die Gesandten der beiden katholischen Schirm- orte „hinderrugs" von Zürich etwas vornehmen würden. ■') Der Abt war mit dieser Haltung recht wenig zufrieden. Als Jakob Frei und der Zürcher Gesandte, wahrscheinlich Meister Nikiaus Brunner, auf die Aufforderung des Abtes, an der Beratung seiner Angelegenheit mit den andern Orten teilzunehmen und mitzu- handeln, erklärten, sie hätten dazu keinen Befehl, drohte der

'j E. A.. IV, 1 b, Nr. 78, 4. 6. 7.

■') A.-S., II, S. 339.

3) A.-S., II, 341.

^) Vad., II, S. 413 29.

■') Dies geht wenigstens aus einem Schreiben hervor, das Jakob am Ort von Wil aus im Mai dieses Jahres an Luzern richtete. Wir glauben mit Strickler (A.-S., II. 351), dass die Abfassung der Missive in die Zeit vom 4. bis 6. Mai fällt.

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Prälat, er werde andere Schirmherren suchen müssen, wenn er nicht besser beschirmt werde. Er möge tun, was ihn gutdünke, wurde ihm erwidert. ') Immerhin fand sich Frei doch wieder einmal veranlasst, seine Obrigkeit anzuspornen, tapfer zu handeln, da sonst viel verloren gehen könnte. -)

Zürich hatte diesmal den Wink nicht nötig. Am gleichen Tag, da der Schirmhauptmann die obige Mahnung aufsetzte, es war der 7. Mai, verhandelten im Namen der Stadt Jos v. Chuosen und Jakob Werdmüller mit dem Landrat von Glarus, um ein Zu- sammengehen der beiden Orte in Sachen der Abtei St. Gallen und ihres Oberhauptes zu erzielen. ') Die Instruktion der Zürcher Gesandten betonte in schroffster Weise den neugläubigen Stand- punkt. Der Mönchs- und Nonnenstand sei „ein luter betrug, irrsal und greuwel vor gott" hiess es darin ; männliche und weib- liche Klosterinsassen werden als „unnützes Volk und Müssig- gänger" bezeichnet, durch die der gemeine Mann unbillig und schwer bedrängt würde. Wichtiger ist die Stelle in der Schrift, wo Zürich auseinandersetzt, wie es den Begriff Gotteshaus auf- fasse: „dann je nit allein das steinin huss und darin ein hüfli mutwilliger, frächer münchen, sunder meer die biderben Kit und ganzen gemeinden, zu dem gotshus gehörig, das gotshus zu Sanct Gallen" sind. SicherUch kann auch der weitern Stelle in der Instruktion eine gewisse Berechtigung nicht abgesprochen werden, wo sich Zürich dagegen verwahrt, .,dass ein einziger unnützer' münch, der etwa wol als bald über Ryn här, hüt ein Schwab, morn ein Frank, einer Eidgnoschaft und denen, so dem gotshus verwandt, weder trüw noch hold wäre", über die Abtei gebiete und mit Hilfe der grossen Mittel, welche seine Lande ihm ein- brächten, „villicht unsere fygend und widerwärtigen damit ent- halten" und „über uns füeren" werde, statt dass die Einnahmen den armen Untertanen des Abtes zugute kämen. Man fordere den Zorn Gottes heraus, wenn man dem Zustand kein Ende mache. Zürich habe, um sich mit Glarus weiter über das Vorgehen gegen den Abt zu beraten es sei ihm ja in dieser Hinsicht von den Glarnern günstiger Bescheid erteilt worden den Tag in Rappers- wil nicht besucht, „sunder den dest länger fürgestreckt und gan

») E. A., IV, 1 b, Nr. 83 :;.

-') A.-S., 11, 358 ■>.

■') E. A., IV, 1 b, Nr. 87.

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Wyl bestimpt". Nach solchen Erklärungen sollten die Gesandten die Glarner Räte zum höchsten bitten, die Gotteshausleute nicht länger mit dem Abte zu beschweren, „der ihnen als vil als un- wissend erweit" sei, sondern sich in der äbtischen Angelegenheit und dem Gottes wort mit Zürich „verglychen" ; darauf hoffe man bestimmt und werde es den Glarnern ,,niemermeer" vergessen.

Zwei Ratschläge sodann, von Zürich ausgearbeitet und ebenfalls für die Unterhandlungen mit Glarus bestimmt, enthalten Zürichs Ansicht über die zukünftige Regierung und Verwaltung der äbtischen Untertanenlande. . Das zweite dieser Gutachten zeichnet sich namentlich durch seine scharfe Spitze gegen den Abt aus. Danach sollte ihm und den Mönchen jede Regierung der Gotteshauslande „anrucks" entzogen und vier Vögten übergeben werden, von denen der Hauptmann der erste wäre. Um die künftigen Untertanen für das neue Regiment zu gewinnen, sollten ihnen, sobald sie den vier Orten den Huldigungseid ablegten, ihre grössten Beschwerden abgenommen werden.

Zürich erntete mit seiner Mission vor dem Glarner Landrate den Erfolg, dass dieser sich mit ihm auf folgende drei Artikel einigte: 1. „der vermeint Appt" soll „sin kutten und unnützen unbegründten Münchenstand . . , und was dem anhangt . . , mit heyliger, göttlicher, biblischer geschrifft allts und nüws tes- taments . . . erhalten" (d. h. als von Gott eingesetzt erweisen) . . . oder, wenn er das nicht kann, den Mönchsstand aufgeben und nur noch ein Schaffner und Statthalter sein. 2. Des Gottes- hauses Habe und Güter sollen aufgeschrieben werden und der ehemalige Abt den vier Schirmorten und den Gotteshausleuten jährlich Rechnung über seine Amtsführung ablegen. 3. Den Gotteshausleuten sind die „unlydenlichen Beschwerden" abzu- nehmen. ^)

Doch der Abt rastete nicht. Vielleicht am gleichen Tage, da Zürich den Glarner Rat für seine Sache gewann, versuchte Kilian den Landrat des Toggenburgs auf seine Seite zu ziehen und zu bewegen, ihn als Landsmann zu schirmen, da man ihm mit Gefangennahme gedroht habe. Er anerbot sich, wenn er anerkannt sei, den Toggenburgern ihre Beschwerden abzunehmen, und be-

^) Bull.. II. S. 114. Die Datierung ergibt sich aus A.-S.. II, 364 a und 434 1.

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richtete auch, dass die von Wil und andere Gotteshausleute ihm schon Gehorsam geschworen hätten. Es war umsonst. Der Land- rat antwortete, man wolle ihm alles tun, was man schuldig sei, ..so er ze abt zu Sant Gallen ordenlich erkennt werd",^) was einer Absage gleichkam. Doch liess Kilian darum den Mut nicht sinken. Bereits hatten sich auch Schwyz und Luzern über den Glarner Landratsbeschluss vom 7. Mai in einem Schreiben an Glarus beklagt und es aufgefordert, sich nicht zu sondern von den zwei katholischen Orten, die des festen Willens seien, dem Abt und seinem Gotteshaus alles zu halten, was sie schuldig seien. Luzern und Schwyz hatten dieses Schreiben von einem Tage in Baden erlassen, auf dem der Abt durch seinen Gesandten die Eidgenossen gebeten, sein Gotteshaus in Schutz und Schirm zu nehmen. -)

Schon beratschlagten auch wieder Luzerner, Schwyzer und Glarner Boten zu Wil über die äbtische Angelegenheit. Der Glarner Landrat hatte dem Abt durch den dortigen Gesandten den Landratsbeschluss mitteilen lassen, worauf Kilian seinen Hofammann zu Wil, Lienhard Schnider, am 15. Mai mit einer ausführlichen Instruktion nach Glarus schickte. Er verzichtete natürlich darauf, seinen Mönchsstand mit der Bibel zu begründen, bemerkte aber, er habe „vil merklich, redlich Ursachen", warum er seine Kutte nicht ablegen könne, und wies mit Recht darauf hin, dass er, wenn er seinen Orden aufgäbe, der „Begabungen" von Kaisern und Königen beraubt und in der Folge um Renten, Gülten u. a. gebracht würde, wovon doch Glarus nur geringen Nutzen hätte. Auch verbiete die heilige Schrift niemandem, ehrbare Kleider zu tragen ; also dürften er und sein Konvent auch ihre Ordenskleider behalten, und dadurch werde sicherlich niemand gestört werden. Er bitte darum, ihm und seinen Mönchen die Ordenstracht zu lassen. Ferner sei er Landmann der Glarner, da seine Heimat, das Toggenburg, mit Glarus im Landrecht stehe. Man solle daher auch ihm jenen Landsgemeindebeschluss zugute kommen lassen, dass man jeden unbehelligt bei seinem „wesen" bleiben lassen wolle. Zugleich möchten sich die Glarner den Inhalt der Burgrechts-, Landrechts- und Hauptmannschafts- briefe ins Gedächtnis zurückrufen, so z. B. jene Stelle im Burg-

1) A.-S., IL 362.

2) E. A., IV, 1 b, Nr. 88 d und zu d.

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und Laiidrecht, wo es heisse, dass die vier Schirmorte den Abt bei seinen Rechten und Freiheiten bleiben lassen und das beste für ihn tun, und jenen Passus im Hauptmannschaftsbrief, dass sich die vier Orte keiner weitern Gewaltsame an dem Gottes- hause unterziehen wollten. Beschliesse ein allgemeines Konzil, die Kutten, Messe u. a. abzutun, so werde auch er gerne Folge leisten, ebenso wenn dies durch eine Disputation gemeiner deutscher Nation oder auch bloss von den eidgenössischen Orten gemeinsam beschlossen würde. Er sei auch jederzeit bereit, sich über Klagen seiner Untertanen vor den vier Orten zu recht- fertigen. Habe er gefehlt, so wolle er sich gern weisen lassen. Über das Verhalten von Zürich ihm gegenüber habe er sich sehr zu beklagen, besonders da er sich nicht bewusst sei, der Stadt jemals etwas zuleide getan zu haben. Er wolle ihr Freund sein und begehre nichts anderes von ihr, als dass sie ihn bei Brief, Siegel und seinem „habitt" und Orden bleiben lasse. ^) Auf den gleichen Tag wie die Instruktion Kilians wurde auch von Dekan und Konvent ein Brief an Glarus gerichtet, worin ka- tegorisch erklärt war, Kilian sei vom Konvent „einhelliklich" zum Abt gewählt worden ; Dekan und Konvent würden nur mit Gewalt dazu gebracht werden können, ihr Mönchsgelübde zu brechen; man bitte Glarus, sie bei ihrem Orden und bei ihren Freiheiten bleiben zu lassen, sie auch dabei zu schirmen und dem Gesandten, der jetzt zu Wil sei, entsprechende Instruktionen zu geben. -)

Diese Vorstellungen des Abtes und Konventes bei Glarus machten sich für Zürich auf einer Konferenz der vier Schirm- orte zu Wil (17. Mai ff.) höchst unangenehm fühlbar. Die Zürcher Boten hatten den iVuftrag, sich in erster Linie über die Gesinnung der Giarner Gesandten zu informieren, ob sie auch gemäss der Ant- wort instruiert seien, welche der Landrat vor einer Woche der Zürcher Botschaft gegeben habe. ■') Sei das der Fall, so solle man gemeinsam dem Abt einen nahen Tag verkünden, auf dem er selbst oder seine Gelehrten den Mönchsstand mit der Bibel be- gründen sollten. Nehme der Prälat diesen Vorschlag nicht an.

1) E. A., IV, Ib, Nr. 98 : St.-A., Fase. 14. Am Schlüsse der Instruktion sind die vielsagenden Worte durchgestrichen: „Schmützwort vast ze miden". -) A.-S., IL 368. ■^) S. oben S. 104.

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sondern werfe seinerseits die Frage auf, ob man ihn bei päpst- lichen Bullen, kaiserlichen Privilegien, Schirmbriefen u. a. bleiben lassen wolle, so sollten die Boten auf diese Frage die spitz- findige Antwort geben: Zürich sei stets bereit, jedermann Briefe und Siegel zu halten, falls diese dem göttlichen Wort nicht zu- wider seien ; der Abt solle nun erklären, ob er beim Recht und beim Evangelium oder gegen das Recht und „göttlich gefallen" beschirmt zu werden wünsche. Antworte der Abt, er wolle beim Recht beschirmt werden, so sei ihm zu erwidern, er hätte seinen Mönchsstand mit ,,göttlicher Wahrheit" begründen sollen. Ferner hatten die Zürcher Gesandten ihm vorzuhalten, dass die Gottes- hausleute die -Greuel" des katholischen Gottesdienstes nicht mehr dulden wollten; es gehe nicht an, ihn bei dem zu schützen, was gegen Gott sei. Drohe dann der Prälat mit andern Schirmherren, so sei ihm zu sagen, man könne das Burgrecht wohl zurücknehmen ; er möge aber bedenken, was das für Folgen haben dürfte. Auf alle Fälle solle, wenn Glarus einwillige, der Abt durch die Thurgauer Gotteshaus- leute und andere zuhanden der vier Orte gefangen genommen und besonders auch sein Geldvorrat mit Beschlag belegt werden. Gegenüber den etwaigen Beschwerden der Untertanen des Abtes sollten die Boten nachsichtig sein, wo immer möglich unter Mit- wirkung von Glarus. Zeige sich aber der Vertreter dieses Standes widerwärtig oder überschreite er, wie es schon früher geschehen, seine Instruktionen, so solle er davon abgemahnt und aufge- fordert werden, weitere Befehle seiner Oberen abzuwarten, i)

Doch aus all diesen Plänen wurde nichts. Am 18. Mai, während man zu Wil tagte, legte der äbtische Hofammann Lien- hard Schulder seine oben erwähnte Instruktion zu Glarus vor, worauf die mit Zürich in drei Artikeln getroffene Vereinbarung umgestürzt und ohne Zusatz beschlossen wurde, Glarus wolle den Abt bei Brief und Siegel schirmen.^) Auf diese Stellungnahme des Landrates scheint das früher genannte Schreiben von Luzern und Schwyz nicht ohne Einfluss gewesen zu sein. Als nun am 20. Mai der Abt zu Wil vor den vier Orten ungefähr dasselbe vortrug, was Schulder zu Glarus eröffnet hatte, und die Schirm- orte aufs höchste bat, ihn bei seinen Rechten und Schirmbriefen

1) E. A., IV, 1 b, Nr. 97 i : Bull. II, S. 144—147. '') Valentin Tschudi S. 68.

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bleiben zu lassen, da zeigte es sich, dass die Mehrheit der Schirm- orte zu ihm hielt; denn ausser Luzern und Schwyz nahm auch Glarus entschieden für den Abt Stellung. Es liess erklären, das es ihn bei Brief und Siegel bleiben lassen wolle wie auch bei Orden und Kutte. Von dieser Antwort der Mehrheit seiner Schirmherren war Kilian begreiflicherweise sehr befriedigt und erhielt auch auf sein Verlangen über die abgegebenen Erklärungen der drei Orte einen besiegelten Abschied. ^)

Zürich war in seiner anti äbtischen Haltung zu Wil allein geblieben. -) Die Situation hatte sich für die Stadt an der Limmat in ihrem Ringen mit dem Abt und dessen Partei wieder einmal verschlechtert, und Kilian gedachte, dies auszunützen, besonders da in der Landschaft des Gotteshauses mancherorts eine Zürich feindliche Stimmung herrschte. Vielleicht trug daran das rück- sichtslose Auftreten Freis nicht wenig schuld ; wenigstens Hessen sich Gotteshausleute vernehmen, „sy wellend lichter ainen gaist- lichen vatter zum herren, dann einen weltlichen thyrannen er- tragen''. In Wil war es vorgekommen, dass die beiden Glaubens- parteien zu den Waffen gegriffen hatten. ^) Kilian säumte auch nicht, den Toggenburgern den günstigen Entscheid der drei Orte mitzuteilen und ihnen zu befehlen, ihn als Abt anzuerkennen ; was ihre Beschwerden anlange, wolle er sich dann gern als ihr getreuer Landsmann zeigen. ^ Doch scheint der Abt, um seine Anerkennung zu erlangen, in religiöser Beziehung allzu nach- sichtig gewesen zu sein. Wenigstens wurde Ende Mai auf dem Tag der V Orte zu Luzern geklagt, dass er sich in Glaubens- sachen ,,schlechtlich halte". •")

Inzwischen fand es Zürich für gut, nochmals nach Glarus zu schicken, um dem Landrat sein deutliches Missfallen auszu- drücken über die Haltung der Glarner Botschaft auf dem letzten Wiler Tage : man stelle die dringende Bitte, dass Glarus seinen vielfachen tröstlichen Zusagen nachkomme, und betone aus-

^) E.A.,TV, lb,Nr.97 2 und 3. Von dieser Stellungnahine des Standes Glarus 7Aigunsten des Abtes weiss Bull. (II, S. 147) nichts. Doch siehe ausser E. A., IV, 1 b, S. 185, auch A.-S., II, 389 1.

2) Sicher I, S. 109, 1/2.

3) Sabb., S. 316 26. ^) A.-S., II, 389.

») E. A., IV, Ib, Nr. 107 h.

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drücklich, class Zürich sich niemals durch Briefe und Verbindungen, „die der göttlichen Wahrheit widrig" seien, gebunden fühle; es ersuche um eine schriftliche Antwort, an die es sich halten könne. ^) Ferner erhielt noch Ende Mai Junker Hans Edhbach den Auftrag, bei den „Gutwilligen" zu Glarus dahin zu wirken, dass der am 1. Juni zusammentretende Landrat in der äbtischen Sache einen für Zürich günstigen Beschluss fasse. -) Wie früher dachte man in Zürich auch jetzt wieder daran, Kilian gefangen zu nehmen. Aber die Obrigkeit scheint doch vor diesem Radikal- mittel zurückgeschreckt zu sein, solange sie dabei nicht Glarus auf ihrer Seite wusste, und hätte es darum gerne gesehen, wenn neugläubige Wiler und Gotteshausleute sie zur Verhaftung des Abts von St. Gallen aufgefordert hätten. Doch jene zeigten wenig Lust, die Verantwortung für eine solche Gewalttat auf sich zu nehmen, wie ja auch Zürich selbst seinen Gesandten in Wil über die Massregeln zur Gefangennahme des Abtes so ver- schleierte Instruktionen gab, dass die Boten sich darüber bei ihren Auftraggebern beschwerten. •'■)

So war es denn stets die Haltung der Glarner, die für Zürich ausschlaggebend sein musste, da erst, wenn sie auf seiner Seite standen, die Stadt vor einem ihr ungünstigen Mehrheits- beschlüsse der Schirmorte sicher war. Aber auch Luzern und Schwyz erkannten dies wohl, und so suchten sie am 1. Juni die Glarner Regierung zu einem für sie und den Abt günstigen endgültigen Entscheid zu bewegen, jedoch ohne dass ihnen dies gelungen wäre: die Entscheidung wurde vom Landrat auf den 13. Juni an die Landsgemeinde gewiesen. Zürichs Gesandter Jakob Werdmüller war bereits mit einer Instruktion an den Landrat abgereist, kehrte aber infolge eines Missverständnisses wieder um, und man begnügte sich daraufhin, in einem Schreiben dem Landrat die drei mit der Stadt früher vereinbarten Ar- tikel nachdrücklich ins Gedächtnis zu rufen und eine schrift- hche Antwort zu verlangen, ob er dabei bleiben wolle oder nicht. ^)

1) E. A., IV, 1 b, Nr. 103 1.

2) E. A., IV, 1 b, Nr. 105 b.

=*) A.-S., II, 408 2.

■*) Dies teilte Zürich seinen Gesandten zu Wil unterm 4. Juni mit (A.-S., II, 434 i). Die Nachricht steht in Widerspruch zu der von Strickler (E. A., IV, Ib, Nr. 110) wiedergegebenen Stelle aus Val. Tschudis Chronik (S. 68), als

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Keinen bessern Erfolg als in Glarus hatte Zürich mit seinen Plänen gegen die Abtei bei den Gotteshaiisleuten gehabt. Es war ihm bisher nicht gelungen, sie auf ein gemeinsames Programm in der äbtischen Angelegenheit zu einigen. ^) Dazu hatte Kilian sein Teil beigetragen, indem er unter den Gotteshausleuten ausstreuen Hess, dass Zürich sie durch seine Vögte in Zukunft noch mehr beschweren werde als vordem die Abte. Wie man zu wissen glaubte, wandte er zu Wil und im Unteramt Be- stechung an, um die Leute auf seine Seite zu bringen oder sich treu zu erhalten, und Ähnliches wurde aus dem Toggenburg be- richtet. Zürich forderte darum seine Wiler Gesandten auf, diesem Treiben des Abtes entgegenzutreten und die Gemeinden zu ver- sichern, dass die Stadt Leib und Leben zu ihnen setzen wolle und sich gegen den Prälaten nur aufgeworfen habe, damit die Gotteshausleute nicht von der „göttlichen Wahrheit" gedrängt würden. Um den lästigen Gegner für immer kalt zu stellen, gab es nunmehr seinen Boten in Wil offenen Befehl, mit Hilfe der Gotteshausleute und der evangelischen Stadtbewohner den Abt, den Reichsvogt Schenkli und andere Parteigänger, welche in Ver- dacht ständen, sich an der Propaganda für die äbtische Sache beteiligt zu haben, zu verhaften und bis auf weiteres in sichern Gewahrsam zu bringen, und zwar so bald als möglich.-)

Das Schreiben, das diesen Befehl enthielt, war vom 4. Juni abends 6 Uhr, datiert. Sechs Stunden später berichtete Zürich den Wiler Gesandten, dass es am kommenden Morgen den Kampf gegen die V Orte eröffnen werde. Dieser Krieg galt aber auch dem Abt; ihn und seine treusten Anhänger gefangen zu nehmen, war darum eine Kriegslist, die, wenn sie gelang, Zürich gleich zu Beginn seines Feldzuges eines lästigen und unter Umständen gefährlichen Gegners in der Flanke entledigte. Von dem Aus- bruch des Krieges wusste man zu Wil, wenigstens in den Morgen- stunden des 5. Juni, freilich noch nichts. An diesem Tage be- rieten dort die Gesandten der vier Schirmorte von neuem über

ob wirklich eine Botschaft von Zürich am 1. Juni mit dem Landrat verhandelt hätte. Tschudi mochte wohl davon gehört haben, dass eine Abordnung von Zürich nach Glarus unterwegs war. ohne dass er die Umkehr der Gesandtschaft auf halbem Wege erfuhr.

1) A.-S., II, 425.

2) ^_.g_^ II 293, 434 2 mid 3 ; Vad., III. 227 18 19.

111

die Angelegenheit des Abtes von St. Gallen. Die Konferenz verlief aber wieder resultatlos, trotzdem Kilian die grössten An- strengungen machte, einen ihm günstigen Entscheid der Schirm- orte herbeizuführen. Die Zürcher Gesandten wollten sich auf keine Verhandlungen einlassen, bis die Glarner Landsgemeinde ^) sich für oder wider den Abt ausgesprochen. Letzterer erklärte schliesslich, wenn die vier Orte gemeinsam oder einzeln ihn nicht beim Orden und den Verträgen bleiben lassen wollten, so be- gehre er die Schirmbriefe zurück, damit er andere Schutz- und Schirmherren suchen könne, die er wohl zu finden wissen werde. Es wurde daraufhin von den Vertretern eer Orte beschlossen, am 20. Juni mit Vollmacht von neuem in Wil zu erscheinen.-) Dies mag wohl der Zeitpunkt sein, an dem das Schreiben Zürichs an seine Gesandten zu Wil eintraf, das ihnen den Kriegsausbruch meldete und sie abberief. ^^)

1) S. oben S. 109.

2) E. A., IV, 1 b, 118 a. e. t.

•^) E. A., IV, 1 b, Nr. 119 i. Unterm 5. Juni berichtete Zürich den Boten von Luzern und Schwyz, welche sich zu Wil befanden, den Kriegsausbruch und forderte sie auf, Wil zu verlassen (E. A., IV, 1 b, Nr. 119 s).

1,12

II. Kapitel.

Der erste Kappelerkrieg.

Sonntag den 6. Juni beschlossen die vereinigten Räte von Zürich, am kommenden Mittwoch mit dem Hauptbanner aufzu- brechen. \) Daneben sollten in der Grafschaft Kiburg 300 400 wohlgerüstete Leute ausgehoben werden und am gleichen Tage, da die Hauptmacht der Zürcher gegen die V Orte ins Feld zog, in den Thurgau, das Rheintal und die Gotteshauslandschaft ziehen und die dortigen Gemeinden Zürich den Huldigungseid schwören lassen. -) Neben Hauptmann Lavater wurden Johannes Bleuler und Heinrich Peyer zu Befehlshabern dieses Kontingents ernannt. Am gleichen Tage wurde Frei von der geplanten Invasion der äbtischen Lande in Kenntnis gesetzt mit der Mahnung, die Sache geheim zu halten, bis ihm von Lavater Bericht zukomme. ■') Schon am folgenden Tage liess dieser „ainen gwaltigen stürm ussgon". Am 9. Juni ^) rückte er mit seinen Truppen, 1200 Zürchern und Thurgauern, vor Wil. Er hatte eine drohende Missive seiner Regierung an das Städtchen vorausgeschickt, so dass dieses der Gewalt wich und sich ohne Kampf ergab. ^) Am folgenden Tag zogen auch 600 Toggenburger „mit dem Fendli oder Rüden"

1) E. A.,IV, Ib, Nr. 119 (14i); Bull. (Tl, S. 158) berichtet, dass der ent- scheidende Batsbeschluss, mit dem Gros auszurücken, „Sontags den 5. tag Brachmonats " gefasst worden sei. Der Sonntag, von dem Bullinger spricht, war aber der 6. und nicht der 5. Tag des Monats.

^) Die Lande und das Kloster von St. Gallen einzunehmen, hatte Zwingli bereits im März 1529 in einem Gutachten empfohlen, damit man einen „Zer- pfennig" habe (A.-S., II, 23(5 ö).

'') A.-S., II, 441.

^) Dieser Tag ergibt sich aus dem oben erwähnten Zürcher Ratsbeschluss vom 6. Juni, aus Sabb., S. 319 26 und A.-S., II, 495 ; Sicher, I, S. 111 nimmt den Abend vorher an.

'') A.-S., II, 495. Siehe darüber auch das undatierte Schreiben aus Wil vom 9. Juni (St.-A., Fase. 14).

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unter der Führung Ammann Rüdlingers ^) Zürich zu Hilfe. ^) Lavater schickte sie ins Gasterland. Ohne auf das dringende Ansuchen der Schwyzer einzugehen, dass ihnen laut des Land- rechts die bundesgemässe Hilfe geleistet werden möchte, ^) hatte sich eine Landsgemeinde zu Wattwil für Zürich entschieden: man konnte es den Schwyzern nicht vergessen, dass sie vor einem Jahre die Toggenburger wegen ihres neuen Glaubens allen Ernstes zu bekriegen gedacht hatten. Von Zürich aber war schon am 8. Juni der Grafschaft die Zusicherung gegeben worden, dass es keineswegs die Absicht hege, sie zu bevogten oder ihren Frei- heiten Eintrag zu tun, wie „böswillige Leute" im Toggenburg aus- gestreut hätten, und am 11. Juni schrieb Lavater aus Wil im gleichen Sinn.^) Er traf am folgenden Tag (12. Juni), mit seinen Truppen über Bischofszeil und Arbon marschierend, in Ror- schach ein. Der Platz wurde besetzt, wobei, wie fast immer in solchen Fällen, von den Soldaten allerlei Unfug verübt wurde. '") „Den 13. Tag, was suntag, kamend alle gotzhuslüt gmaintswis zu Rorschach versamlet zusammen, gewaffnet, wie si in das feld ziechen sond, und schwurend si dem vogt von Kiburg ; das was alss vil, alss schwurend si der statt Zürich, die andren zway Orter (Luzern und Schwyz) usgeschlossen; doch haind si denen von Glarus ihre grechtigkeit vorbehalten, wie si bishar gehebt heind. Morndrins frü (14. Juni) zugend die von Zürich von Rorschach gen Rinegg und ins Rinthal und nammen der V Orten Uri, Under- walden, Luzern, Schwyz und Zug vogtung und grechtigkait in; also schwuren inen die vom Rinthal überal, wiewol sich die am Oberriet etlich tag spertend. Doch behielten si denen von Glarus und Appenzell ihre gerechtigkait bevor an den vogtaien; dan si nit vind waren." ^)

1) A.-S., II, 568 5.

^) Dankschreiben Lavaters vind Zürichs vom 11. und 12. Juni (A.-S., II, 508 b, 523). In letzterm wird auch den Anführern des Toggenburger Kontin- gents befohlen, nichts Tätliches vorzunehmen bis auf weitern Bescheid.

^) A.-S., II, 463. Schreiben der Schwyzer vom 8. Juni; Wegelin, S. 48.

0 A.-S., II, 462, 508 b.

^) A.-S., II, 568 3.

^'j St.-A., Bd. 99b, 8. 100 f. Der chronikartige Bericht auf S. 97 103 dieses im 18. Jahrhundert zusammengestellten Bandes, der ganz aus chrono- logisch geordneten Abschriften von Tilliers Hand besteht, geht offenbar auf eine in Fase. XIV erhaltene Abschrift von Stipplin zurück und stimmt in Inhalt

St. Galler Mittlgu. z. vaterländ. Gesch. XXXIO. 8

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Dass St. Gallen dem Verlaufe der Dinge bis zum Kriegs- ausbruch mit grösster Spannung gefolgt war, ist selbstverständlich. da die Stadt ja schon seit geraumer Zeit die Sache Zürichs zu der ihrigen gemacht hatte. Der Rat war mit der Reformierung inner- halb der Stadtgrenzen fortgefahren, und so wuchs die Spannung zwischen der Stadt und den katholischen Orten noch mehr und machte sich oft für St. Gallen recht unangenehm fühlbar. Als ein Bürger dieser Stadt im Mai Schuhwaren zu Luzern feilhalten wollte, wurde er daran verhindert und vor den Schultheissen geführt, der ihm erklärte : er würde es lieber sehen, wenn die St. Galler nicht zu den Luzernern kämen, da sie ja doch in allen Dingen gegen sie seien. M

Als der Bürgerkrieg in der Eidgenossenschaft zur Tatsache geworden war, beschloss der Grosse Rat ,,uff 8. tag Junij anno etc. 1529: uff die schwebenden löff unnd die bottschafft so Ulrich Appentzeller von Zürich pracht band, sind klin unnd gross ret retig worden, das man das kloster hie in der statt innemen woll im namen gotz, in form, als hernach volgt:

1. Das söllichs geschehen sol mit klain unnd grossen reten; darunder sollend in harnasch gon 20 man, unnd sol man sunst niemand ins kloster lan, denn der darin gehört.

2. Die pfaffen im kloster '^) zemen ton in die obern stuben in der hell, "j

3. Das hofxind sol m(inen) h(erren) schweren, m(iner) h(erren) unnd gmainer statt (in) trüw unnd warhait irn nutz zefürdern unnd schaden ze wenden, welicher aber das nit tun wolt, der sol von stund an das gotzhus rumen. Uff das band geschworn Se- bastian Gaissberg, schriber, der koch, der underkoch, der portner. der winschenck, der pfister, der kornmaister. Haini der waibel hat ni(t) wollen schweren, dessglich Vitterlin von Roschach.

und Wortlaut nahe überein mit der entsprechenden Partie (S. 120 ff.) der sog. Murerschen Chronik (Ms. 177 der Stadtbibliothek St. Gallen) in deren zweitem Teil, der einzelne Kapitel aus einer ersten, von der endgültigen z. T, abwei- chenden Bearbeitung der Sabbata Kesslers enthält, s. Götzinger. St. Gall. Mit- teilungen XIV, S. 127 ff. Schiess, ebenda XXVIII, S. 368 ff. Zu obigem Passus vrgl. auch Bull. II, S. 171, Sabb. S. 31930-.S1.

0 R.-P., 1529, 13. Mai. Der Schuhmacher hiess Hans Tungi.

') Im Original ist durchgestrichen der Passus: „haissen von stund an die statt und gricht rumen".

^) Ein Haus, das zu den Klostergebäulichkeiten gehörte.

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4. Die conventherren iinnd die brüder im brüderhiis in die obern stuben uff der pfaltz und inen ain züsatz geben.

5. An lib unnd gut verbüten, das niemand sunst hinuf ins kloster gang, denn der darin verordnet ist." ^)

Noch am gleichen Tage schickten die „herren von St. Gallen ain gantz(en) rat ins kloster zu St. Gallen, und welli vom gsind m(inen) h(erren) ain bürgerlichen aid schwüren, liessents bliben, welche nit schwören wotend, hiessent si us dem gotzhus oder kloster und stat gohn. Die münchen unnd layenbrüder namen si fengklich und tettend si in die obren pfalz und zu ihnen 12 mann im harnasch, des grossen rats, si zu verhüten. Laytend herr Heinrich Sailer, Statthalter, an aim armen ysen und hiessend inen alle Schlüssel des gotzhus überantwurten. Desglichen namen sie alle pfaffen, die si im kloster fundend, och gefangen in das oberstübli in der hell und och zu ihnen zwölf geharnascht mann vom grossen rat". -)

Alles was man im Kloster vorfand, wurde genau aufgeschrie- ben, ^) und zwei Tage später ,,haind m(ine) h(erren) herr Hans Wettach. herr Jakob Gebhart, herr Adam Wäckerli von Kostentz, herr Peter Kaiser, herr Kuonrat Högger und herr Latzarus Tal- man us ihren grichten ghaissen gon bis an ains ratz gefallen. Herr Marti Fonwiller und herr Hans Schürpf haind sy uf die pfallatz ton zu den münchen, wie obstat; aber darnach uff 11. tag Junij hat man si bed us den grichten ghaissen strichen." An diesem Tag haben auch ,|mine herren die münchen im kloster von ir gfäncknus ledig glassen ; doch band si ihnen gschworen ain bürgerlichen aid und blatten und kutten von ihnen tuon und söllind also fri wie ander burger us und in gan; das hand si von stund an tun, desglichen die brüder, und ist ihnen zügsait schütz und schirm als andren burgern." ^)

Die Stadt St. Gallen gab sich auch in ihrem eigenen Inte- resse redlich Mühe, dass der Krieg für Zürich und seine Ver- bündeten möglichst vorteilhaft verlaufe. Den Steinachern schickte sie vier „haggen", den Rheineckern zwölf. ■'). Vadian vergisst

1) R.-P. 1529, S. 75.

2) St.-A„ Bd. 99 b, S. 97 f., Murer, S. 120, Sabb. S. 318/319, Sicher.

I. S. 111 29-31.

3) R.-P. 1529, S. 76.

4) St.-A., Bd. 99 b, S. 99 f., vgl. Murer, S. 121. •') R.-P. 1529, S. 76, 8. Juni, nachmittags.

116

darum nicht, in seinem Diarium ') hervorzuheben, wie St. Gallen „in disen löufen alle trüw erzaigt mit büchsen, bulver, stainen, lib und gilt". Am 11. Juni hatte die Stadt ein recht kriegerisches Aussehen, da sie an diesem Tage von Zürich, kraft des christ- lichen Burgrechtes, zum Zuzug gemahnt worden war. Noch am gleichen ,,tag zwischend 3 und 4 haind m(ine) h(erren) 200 mann mit aim fendli usgeschickt, unsern herren und mitburgern von Z(ürich) zu hilff wider die von Schwiz, die im Gastel gen Utznach lagen : wass hoptmann Andreas Müller, fendrich Bastli Graf, pre- dikant her Thebas Alther, waibel Andres zu Türrenmüli und Bernhartz Hansi, Wachtmeister Thoni Seckler, lütiner Stoffel Krench, und fürtend 4 schlengli und 1 raiswagen mit spies(s)en; kamend die erste nacht gen Gossaw. Da kam ain bott von Z(ürich), si sottind den nechsten gen Z(ürich) und nit ins Gastel; dan die V Ort legind in der March zu Lacha gsterckt. Also kamend si am 11. tag gen Aelgöw; dan es tätt noth. Und kamend zwen brieff diesen tag gen St. Gallen von Z(ürich), und stalt man 2 schlangen und 4 raisschlängli für die metzgi mit stein und bulfer, also das man maint, man müssti ghch uff sin mit dem paner dem fenli nach." -)

Als Lavater mit seinen Truppen in Rorschach war, schickten die St. Galler den Hauptmann Konrad Mayer dorthin, „ain frünt- lich verstand mit ainander zu heben." ^)

Den Zuzug der Gotteshausleute zur Rorschacher Landsge- meinde vom 13. Juni ^) erleichterte St. Gallen den Teilnehmern, so viel es konnte, wobei es namentlich die durchziehende Mann- schaft mit Klosterwein traktierte. Am frühen Morgen dieses Tages zogen nämlich ,,bi 500 man von Gossaw, Mettendorff, Niderdorff, Oberdorff und Strubenzell, die an die gmaind gen Rorschach wettind, hindurch; denen gabende m(ine) h(erren) in der Weber hus win, käs und brott, den win von hoff by 3 som, käs und brott gabend m(ine) h(erren). Morndes kamend aber etlich wider von Rorschach und trunckend aber bi 1 som, wass montag den 14. tag Junij." •')

1) Vad., III, S. 2288.

'■^) St.-A., Bd. 99 b, S. 98/99; Murer, S. 120 f.

3) St.-A., Bd. 99b, S. 100: Murer. S. 121.

•*) S. oben, S. 113.

■') St.-A., Bd. 99 b, S. 100 f.: Murer, S. 122.

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Noch kurz vor dem Priedensschluss zwischen Zürich und den V Orten hatte St. Gallen Gelegenheit, auch den evangelischen Rheintalern seine Geneigtheit und Opferwilligkeit zu beweisen. Zu der österreichischen Kriegspartei, welche die Innsbrucker Regierung zur kriegerischen Unterstützung der katholischen Orte aufforderte, gehörte, wie wir wissen, namentlich auch Marx Sittich von Ems, österreichischer Vogt zu Bregenz und im Vorarlberg. Schon Ende September 1528 hatte er mit dem Grafen von Sulz, dem „Haupt der Innsbrucker Regierung", den V Orten seinen Beistand angeboten. ^) Und wenn diese im ersten Kappeler- kriege von Österreich keine Unterstützung erhielten, so war es nicht die Schuld Marx Sittichs, sondern verursacht durch „das Fehlen eines einheitlichen Bandes", welches Vorderösterreich zu- sammengefasst hätte, die finanzielle Misere seiner Regierungen und die Abgeneigtheit der weltlichen und geistlichen Herren zwischen Donau und Rhein. -) So erwiesen sich die Ratschläge des Marx Sittich für bewaffnetes Eingreifen als „nicht ausführ- bar". Man begnügte sich schliesslich zu Innsbruck damit, ihn zu strengster Beobachtung und Berichterstattung über die Vor- gänge in der Eidgenossenschaft aufzufordern. '') Diese Ohnmacht Österreichs war aber wohl nur wenigen Eingeweihten bekannt. Im Rheintal fürchtete man während des Kriegs beständig einen Überfall von Seiten des Emsers, der auch nicht versäumte, die Leute jenseits des Rheins in Schrecken zu jagen. Er hatte einige Truppen zusammengebracht, „mit welchen er etwas ge- speust und prögen am Rin gemacht", so dass in der Nacht von' 22. auf den 23. Juni die Rheintaler an Rheineck einen Eilboten schickten mit einem Schreiben, worin stand : „lientz, ilentz, ilentz schigkend uns ain züg, oder wir sind arm lüt". Die Zahl der Feinde sei gross etc. *) Es hiess auch, Marx Sittich habe den Rheintalern berichten lassen, er wolle am 23. d. M. „mit in zu morgen essen". Die Kunde rief in der ganzen Ostschweiz ge- waltige Aufregung hervor. Bis nach Winterthur hinunter wurde Sturm geläutet, so dass bei 10,000 Mann •"■) zusammenliefen.

^) Escher, Glaubensparteien, S. 58/59.

2) S. Escher, S. 92 98.

•*) Statthalterei- Archiv Innsbruck: Gemain Missifen 1529.

4) A.-S., II, 609.

•') Sabb. 3239.

118

St. Gallen schickte 120 Mann „mit dem fendli gen Rorschach und 2 karenbuchs und 6 hagenbüchsa, euch müssmel und spiss" und sandte noch weitere ß Geschütze nach. Hauptmann Lavater war am 25. Juni mit starken Kontingenten und drei Kanonen in Wil, um von da ins Rheintal zu ziehen. Er erfuhr aber dort, „es sei nichts", ')

So verwandelte sich denn an diesem Tag der Schrecken in Freude, besonders als man erfuhr, dass am Tag vorher Friede zwischen den katholischen und evangelischen Orten geschlossen worden sei. Noch am 25. kehrte unter dem Jubel der Bevöl- kerung das St. Galler Kontingent wieder nach Hause zurück. -) Am 28. Juni wurden die Artikel des ersten Kappeier Landfriedens im Grossen Rate vorgelesen. Daraufhin berief er alle Hauptleute und Unterbefehlshaber, welche am Auszuge teilgenommen, vor sich, dankte ihnen „vast" und lohnte sie wie die Mannschaft reich- lich ab. 0

•■I-- Es war für Abt Kilian von grossem Vorteil gewesen, dass beim Kriegsausbruch die Gesandten von Luzern und Schwyz sich noch bei ihm zu Wil befunden hatten. So konnte er sie in seiner höchst schwierigen Lage über sein Verhalten zu Rate ziehen. Die Boten rieten ihm, sich ausser Landes zu begeben.^)

^) A.-S., II, 624. Siehe über das Ereignis auch Sabb. S. 322/.S23 ; Miles S. 340 (68) 341 (69); Sicher, I, S. 113. Näf (s. a. a. 0.), S. 717 glaubt allen Ernstes, dass Marx Sittich ,mit 10,000 Mann österreichischer Truppen" den ßheinübergang versucht habe: doch sei das Unternehmen an der „wach- samen Bereitschaft" der Rheinecker und durch den Zuzug der Gotteshausleute, Thurgauer und Rheintaler gescheitert. Wieso Näf zu dieser Annahme kommen konnte, lässt sich freilich bei dem vollständigen Mangel an Quellenangaben nicht ermitteln. Seine Darstellung dürfte aber ganz abgesehen davon, dass sie weder durch Kessler noch Miles noch Sicher belegt ist durch Eschers Untersuchungen („ Glaubensparteien "), S. 91 98, vollständig widerlegt sein.

3) Miles S. 345 (73) 27-29.

=») R.-P., 1529, 28. Juni.

■^) Es ist kaum richtig, was v. Arx (II, S. 546) berichtet, dass auch die Glarner Gesandten Kilian den Rat gaben, sich aus der Eidgenossenschaft weg zu begeben. Letzteres schliesst v. Arx aus Sicher, I, S. 111 5—10, ohne dass sich die Annahme notwendig aus den dort angeführten Worten ergäbe. Vor allem aber spricht Kilian in einem Schreiben (A.-S., II, 636i) selbst nur von den Ge- sandten von Luzern und Schwyz, welche ihm geraten, sich über den See zu verfügen.

119

Wirklich flüchtete er sich in aller Heimlichkeit nach Steinach und liess sich von dort in der Morgenfrühe des 7. Juni ') „mit frombden klaidern", vom Dekan Othmar Glus und dem Käm- merer begleitet, -) über den See nach Mersburg führen, „mit etwa vil geltz"', wie Vadian zu berichten weiss, ^j Friedrich von Mötteli zu Roggwil hatte ihm von Wil aus eine Strecke weit das Geleite gegeben, weshalb er später dafür und „für anderes" 1000 Gulden zu ,, vertrösten'' hatte. ') Noch am 6. Juni hatte der Abt angesichts der drohenden Lage, an ein nicht genanntes Kloster wahrscheinlich Mehrerau bei Bregenz geschrieben, um im schlimmsten Fall für sich und die treu gebliebenen Kon- ventherren Unterkunft zu finden. ') Am Tage seiner Abreise liess er dem Hauptmann sagen, man habe ihm berichtet, er solle zu leichterer Erlangung der päpstlichen Konfirmation Kilian hatte sich schon bald nach seiner Wahl um dieselbe beworben ") wie auch seiner Regalien über den See kommen. ') Vergebens hatte Frei den Verhaftungsbefehl Zürichs auszuführen gesucht. Der Abt besass in Wil und Umgebung noch einen so starken Anhang, dass der Hauptmann an die Ausführung seines Handstreiches gegen ihn nicht hatte denken können, '^) und als Lavater am 9. Juni mit seinen Truppen nach Wil kam, um laut Zürcher Ratsbeschluss vom 6. Juni nebenbei den Prälaten zu verhaften, •') befand sich dieser bereits in Sicherheit. Der Arger darüber war begreiflicherweise bei Zürich und seinen Anhängern

1) Sabb., S. 319 27^28.

^) Diethelm Blarer floh nicht mit dem Abt zusammen über den See, wie man aus v. Arx (II, S. -546) sc-hliessen könnte. Er hatte Kilian jedenfalls auch nicht bis nach Steinach begleitet (v. Arx ibid.) ; denn noch am 11. Juni wusste Blarer nicht recht, wo der Abt war. Er habe gehört, dass sein g(nädiger) h(err) nach Mersburg gefahren sei, schrieb er am 11. Juni an Kilian (St.-A., Fase. 14).

3) Vad., m, S. 227 12-13.

^) A.-S., II, 684.

•^) St.-A.. Fase. 14.

") S. dazu E. A. IV, 1 b, Nr. 97 (1 s).

'') Schreiben Frais vom 7. Juni an die Zürcher Regierung (A.-S., II, 450). Wir begreifen darum nicht, wie Vadian (II, 227 14—15) über die Flucht des Abtes bemerken kann: ,Item sait er (der Abt) darnach, er hette solichs (seinen Weggang) dem hauptman ze wissen tun, und was erlogen."

**) A.-S., II, 438.

■•) E. A., IV, Ib, Nr. 119 (14a).

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nicht gering und machte sich in manchen ungerechten Anklagen gegen den Entronnenen Luft. Dass aber dieser nicht in erster Linie, um strikte Neutrahtät in dem begonnenen Kriege zu halten, sich jenseits des Rheins und Bodensees niedergelassen, wie Sicher berichtet, ^) dürfte wohl klar sein. Selbst der abtfreund- liche Chronist Valentin Tschudi bemerkt zur Flucht Kilians, er habe von seiner Verlegung des Wohnsitzes gehofft, „der Keiser wurde im widerum ynhelfen".

Doch bevor wir auf diesen Punkt näher eintreten, wollen wir sehen, wie sich die Eidgenossen zu dem Plane stellten, den Abt in den wirklichen Besitz seiner Abtei gelangen zu lassen.

1) Sicher L 8. 111 n.

121

III. Kapitel.

Abt Kilian und die Eidgenossen.

Abt Kilian hatte sich, wie wir gesehen, noch rechtzeitig der Gefangennahme entzogen und vorderhand seinen Wohnsitz zu Überhngen aufgeschlagen. 0 Schon am 25. Juni konnte der „Wiler Kanzler" Heinrich Grossmann ihm dorthin Bericht senden von dem soeben erfolgten Friedensschluss zwischen den beiden kriegführenden Parteien. -)

Die Urteile, welche von katholischer Seite über den ersten Landfrieden dem Abt zu Ohren kamen, lauteten für ihn wenig tröstlich. So schrieb man am 14. Juli aus Einsiedeln an Dekan Glus nach Überlingen: „So ist der berycht jetz gemachett, das ich übel furcht, es sy noch nit genüg; die rütt und straff gottes hab noch nit end, sonder werdend noch fyl lütt in kurtzen tagen abfallen . . . Ich sorgen der gantzen Aidgnoßschafft; wyr habind ander lütt geplaget, nun sy die zit, das gott unss messen well, wie wyr habind gemessen .... ■')

Der gefährlichste Punkt im Friedensinstrument war für den Abt der erste Teil des VIII. Artikels. Hier wurde nämHch aus- drückhch gesagt, dass alle „züsagungen^', . . welche Zürich etc. „göttlichs Worts halb" gemacht hatten, in Kräften bleiben sollten. Nun konnte man zu Zürich sagen: wir Zürcher sehen den Mönchs- stand, also auch die Abtwürde, als etwas Ungöttliches an; das wir nun vor dem Krieg den Gotteshausleuten versprochen, sie mit Leib und Gut gegen ungöttliche Beschwerden zu schirmen.

^) Es klingt recht sophistisch, wenn Vadian (III, S. 243 30-3i) erklärt, Kilian sei freiwillig geflohen : der Prälat habe demnach gelogen, als er zu Baden (März 1530) erklärt habe, er sei vertrieben worden. Es war doch eine sehr unfreiwillige Flucht, wie aus den vorhergehenden Ereignissen deutlich genug hervorgehen dürfte.

-) St.-A., Bd. 99 b, S. 127/128; Orig. fehlt.

•') St.-A., Fase. 14, Orig.

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so verweigern wir dem Abt als solchem die Anerkennung laut Artikel VIII des Landfriedens. Geschah dies und trat Kilian nicht aus dem Orden aus, wurde er nicht regierender weltlicher Herr, so war für ihn der erste Teil des XV. iVrtikels illusorisch geworden, welcher bestimmte, dass beide kriegführenden Parteien und den geistlichen Herrn konnte man doch nicht wohl für neutral ansehen, wenigstens tat das Zürich nicht bei ihren Herrschaftsrechten bleiben sollten. Ausdrücklich waren nämlich dabei die früheren Artikel, also auch jene Zusagen Zürichs in Betreff des göttlichen Wortes ausgenommen. So hatten denn die V Orte bei den Friedensverhandlungen einen speziellen Zusatz für den xA.bt von St. Gallen und andere Prälaten vorgeschlagen, dass nämlich diese bei dem Ihrigen wie vor dem Krieg und von alters her bleiben sollten. 0 Die übrigen für den Abt besonders in Betracht fallenden Artikel des Landfriedens, nämlich I und VIII 2. Teil, änderten in Wirklichkeit in den äbtischen Landen nichts. Wir können sagen, dass diese beiden Artikel Zürich in seiner schon längst betriebenen Propaganda nur weiter anspornten, indem sie bestimmten, dass, wo die Messe abgestellt sei, dies nicht angefochten werden dürfe und weitere Abstimmungen über die Glaubenslehre in d e n Kirchgemeinden gestattet seien, wo noch Messe gelesen werde.

Dem Abt aber genügte es, dass der erste Landfriede jeden wieder zu dem Seinen kommen lasse, ohne dass er sich weiter viel um die damit verbundenen Klauseln bekümmert hätte. Er ge- dachte darum, selbst seine Sache bei den Eidgenossen zu ver- fechten und vorderhand einige Tage auf Schloss Gräpplang beim Ritter Ludwig Tschudi Quartier zu nehmen, -) während noch im Juni sein Reichsvogt Schenkli bereits für ihn zu Luzern unter- handelte. •^) Kilian ermahnte diesen eindringlich, auf etwaiges Be- fragen nicht zu verraten, dass Luzern und Schwyz ihm zur Flucht geraten hatten, sondern anzugeben, er sei über den See gegangen in der Absicht, sich die Bestätigung von Kaiser und Papst zu holen. ') Indessen arbeitete der Reichsvogt rüstig weiter für seinen Herrn. Er bea^ab sich in den ersten Tasren des Juli

1) E. A., IV, ib, S. 279. ^) A.-S., II, 626. '^) A.-S., II, 6312. ^) A.-S., II, 636.

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nach Glarus, dann nach Schwyz und Lnzern, um auf dem näch- sten Badener Tage einen Mehrheitsbeschluss der Schirmorte zugunsten des Abtes zustande zu bringen/) und hatte vom Glarner Landrate bereits eine günstige Antwort erhalten. -) Daneben Hess aber Zürich die Anhänger des Abtes deutUch genug fühlen, wer im ersten Kappelerkrieg den Erfolg davon getragen. Ein Anonymus konnte deshalb an Kilian schreiben, „so herschent dero von Zürich hotten über Kit und gut, schaltend und waltend, tröstend, stärkend nach irera fürnemen jederman in wis und gestalt, als ob sy herren syent über land, lüt und gut". ^) Zürich wandte sich auch Mitte Juli an Glarus und forderte es auf, seine ihm früher gegebenen Zusagen wegen des Abts von St. Gallen zu halten. *)

Bei ihrem Vorgehen gegen den Abt kam den Zürchern na- mentlich auch der Umstand zu Hilfe, dass diejenigen, welche in den äbtischen Gebieten noch zu Kilian hielten, durch die Flucht ihres Hauptes und Herrn schwer getroffen waren. Mancher von ihnen glaubte, dieser habe mit seiner Flucht bewiesen, dass er selbst an seiner Sache verzweifle. So hatte denn die Entweichung des Abtes gerade unter seinen eifrigsten Anhängern grosse Mut- und Tatenlosigkeit hervorgerufen. ') Es wurde darum Kilian be- sonders durch seinen Reichsvogt dringend geraten, in Bälde selbst in die Eidgenossenschaft zu kommen, um sich zu Baden vor den vier Orten persönlich verhören zu lassen. Zudem könnte der Abt selbst zu den Schirmorten Luzern, Schwyz und Glarus reiten, und er glaube, „üwer person schüef gar vil". ") Doch der nächste Badener Tag war zu nahe, als dass der Abt schon auf diesem persönlich hätte erscheinen können, besonders da er wegen der gegen ihn bestehenden offenen Feindseligkeit Zürichs und seiner Anhänger bei den eidgenössischen Orten zuerst um sicheres Geleit nach Baden hätte werben müssen. Er begnügte sich darum, schriftlich und durch Gesandte auf dem Badener Tag, der am

') A.-S., II, 647.

~) St.-A., Fase. 14. Frater Martin Störi, St. Galler Konventual, zur Zeit im Kloster Einsiedeln, an Kilian, d. d. 9. Juli. •'S) A.-S., IL 649. ^) A.-S., n, 6782. •') S. Beilage V. '') A.-S., II, 679.

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23. Juli eröffnet wurde, für seine Sache zu wirken. Den eid- genössischen Boten insgesamt berichtete er, wie er wegen seiner Konfirmation nach Überlingen gegangen und nicht wegen des damals ausgebrochenen Krieges, und verwahrte sich ausdrücklich gegen die Gerüchte, als ob er jenseits des Sees mit König Fer- dinand oder sonst jemand gegen die Eidgenossenschaft Anschläge gemacht habe. Sodann bat er, die Tagherren möchten die In- struktion, die er seinen Gesandten wegen seines Gotteshauses mitgegeben, gnädig verhören.^) In dieser beklagte sich der Prälat vor allem über das gewalttätige Vorgehen St. Gallons gegen das dortige Münster wie über das eigenmächtige Gebaren Zürichs in den äbtischen Landen, besonders im Schloss Rorschach; die Eidgenossen möchten dafür sorgen, dass er laut Landfrieden wieder in seine Herrschaft eingesetzt würde und dass Luzern. Schwyz und Glarus ihre früher zu Wil gegebenen Zusagen hielten. Die Tagsatzung setzte daraufhin einenTag in der äbtischen Angelegenheit auf den 24. August nach Wil an. ^) Inzwischen sollten die Angehörigen des Gotteshauses nichts Unfreundliches gegen den Abt vornehmen. -^

Kilian beschloss, diesen Tag persönlich zu besuchen. Schenkh riet ihm das dringend an, '^) ebenso die ihrem Herrn ergebenen Beamten zu Wil, welche ihm schrieben, er solle in die Eidge- nossenschaft kommen und sich „tapferlich wie ain grimer low stellen". ^) Doch die Zürcher hatten von der geplanten Reise Kilians Kenntnis bekommen. Hans Rudolf Lavater und Rudolf Thumysen berichteten schon am 30. Juli aus Baden an Zürich, der Abt habe im Sinne, zu den Toggenburgern zu gehen •') und. wenn er dort nicht bleiben könnte, sich nach Einsiedeln zu be- geben ; man solle alle Wege und Stege, auf denen Kilian in die Eidgenossenschaft gelangen könnte, schleunigst bewachen lassen, um den Prälaten womöglich abzufangen. Auf Befehl Zürichs traf nun Frei die nötigen Vorbereitungen: der Amniann A'on

^) St.-A., Fase. 14.

2) E. A., IV, Ib, Nr. 1461.

3) St.-A., Fase. 14.

4) St.-A., Bd. 99 b, S. 238 ; Orig. fehlt, ö) St.-A., Fase. 14, 20. Juli, Orig.

^) In der Tat hatte der Abt bereits an Giger das Gesueh gerichtet, in die Grafschaft kommen zu dürfen (s. A.-S., II. 710 5).

1

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Rorschach musste die Fähren von da bis nach Rheineck über- wachen und, wenn nötig, bis nach Appenzell hinauf Vorkehrungen treffen, falls der Abt etwa von Hohenems hereinkommen wollte; Peter Weber von Waldkirch hatte die Strecke Arbon-Romans- horn unter seiner Aufsicht und Erhard Witzig die Wege und Stege von Romanshorn bis Münsterlingen. ^)

Doch Kihan war noch zur rechten Zeit von solchen Vor- kehrungen in Kenntnis gesetzt worden und hatte Mittel und Wege gefunden, um ungehindert nach Einsiedeln zu gelangen. Er hatte sich am 12. August, morgens sechs Uhr, in Überlingen eingeschifft, begleitet vom Reichsvogt Heinrich Schenkli und seinem Schreiber Rudolf Sailer. Am gegenüberhegenden Ufer angelangt, stieg man zu Pferde und ritt nach Radolfszell. Zwar reiste der Abt sicherheitshalber inkognito, aber „nüntz desterminder wurden die von Zell-j siner gnaden zükunfft bericht unnd schanckten im den win in VI kannen gantz erheben, mit vil erpietung"'. Es war Mittag geworden, als Kilian von hier wegritt, Schaffhausen zu, das um die Vesperzeit erreicht wurde. Das nächste Ziel war Kaiserstuhl. Der dortige Vogt, Cornel Schulthess von Zürich, war ein Partei- gänger des Abtes und ritt ihm bis aufs Rafzerfeld entgegen. In Kaiserstuhl wurde übernachtet. ^) Am nächsten Morgen ging's weiter über Baden, Bremgarten, die Reuss hinauf ins Nonnen- kloster Hermetswil, wo dem Prälaten und seinen Begleitern ,,von den frowen insonnder vil güts" erwiesen wurde. In Sins, unweit des Zugersees, endigte der zweite Reisetag. Am folgenden Morgen fuhr der Abt über den Zugersee nach Zug. Wie er dort in die Stube des Gasthofs trat, „waren glichergestalt der dein rat daselbs unnd assent mit m(inem) g(nädigen) h(errn) den iinbis, schanckten sinen gnaden ouch den win gantz erheben unnd erpotten sich darnebennt mundtlichen insonnders vil gütz gegen im, des er sich dann gar wol erfröwt, unnd zalt also m(in) g(nediger) h(err) das mal für die rädt unnd alle, die da, dere nammlichen dry tisch waren, unnd reit alsonach dem imbis den nechsten über Schinndelledi gen Ainsidlen zu unnd kamen

1) A.-S., II, 717.

2) D. h. Radolfszell.

3) Kilian hat sich, nebenbei bemerkt, durch diesen grossen Ritt auf schlechten Strassen als tüchtiger Reiter gezeigt.

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um das salvezit dahin. Da ward m(in) g(nediger) h(eiT) unnd sine diener von m(inem) g(nedigen) h(errn) von Ainsidlen ganntz erlich empfangen unnd gar wol gehalten.'" ^)

Es war zu erwarten, dass durch das Wiedererscheinen Kilians in der Eidgenossenschaft sein Anhang daselbst von neuem Mut schöpfen würde. Auch zu Glarus war ein Wiedererstarken der altgläubigen Partei zu befürchten, so dass Zürich beschloss, sein möglichstes zu tun, um die Glarner Landsgemeinde, die am 24. August stattfand, für sich zu gewinnen und damit die äbtische Angelegenheit in seinem Sinne zum x\ustrag zu bringen. Es gab seinem Gesandten hiefür eine durch ihre Weitläufigkeit ermüdende Instruktion mit. Darin wurde Glarus das Bedauern darüber aus- gedrückt, dass es seine Gesandten auf den letzten Wiler Tag nicht mit besseren Instruktionen versehen habe. Im weiteren wurde hervorgehoben, warum Zürich, wie auch Glarus, den Abt nicht anerkennen könne : er habe heimlich das Land geräumt, wie das die Art der reissenden, aber in Schafskleidern einhergehenden Wölfe sei. Kilian habe jedenfalls weder Mühe noch Geld ge- spart, um jenseits des Sees Zürich und den Gotteshausleuten zu schaden; man erzähle ja, dass er zur Anwerbung von Söldnern, welche man in die Schweiz habe werfen wollen, Geld ausge- geben habe ; auch sei der Kappeier Landfriede gegen eine An- erkennung des Abtes, indem das Friedensinstrument bestimme, dass Messe. Bilder und ähnlicher Gottesdienst, wozu auch die Mönchsregeln gehörten, da, wo man sie entfernt habe, abgestellt sein und bleiben sollten ; Glarus sei darum schuldig, dieses „Mönchengespenst" beseitigen zu helfen; zudem möchten ja auch die Gotteshausleute keinen Abt mehr haben ; man bitte darum die Landsgemeinde zum höchsten und teuersten, sich um Gottes Ehre willen nicht von Zürich zu sondern. -)

Dagegen erklärte der Abt in seiner Instruktion für die Lands- gemeinde: es sei nicht wahr, dass er fremdes Kriegsvolk habe in die Schweiz führen wollen, und er werde die „uftrager" des Gerüchts, sobald sie ihm bekannt seien, gerichtlich verfolgen; denn der offene Streit unter den Eidgenossen sei ihm von Herzen leid gewesen : die Landsgeraeinde wisse ferner, dass er immer

1) Tgb. Sail. fol. 1—2.

-) E. A., IV, Ib, Nr. 168 1 .md 2.

127

noch nicht in seine Herrschaft eingesetzt sei, was ihm „nit klainen kiimmer und beschwere!" verursache, da er als geborner Eidgenosse immer bemüht gewesen sei, für sein Vaterland und namentlich für seine Schirmorte das beste zu tun ; er bitte darum die Glarner „im ze dem sinen, wartzü er recht habe, unnd nit wyter, ze helffen".

Nachdem beide Parteien angehört worden waren, entschied sich nach erregten Verhandlungen die Mehrheit der Glarner dafür, dass Abt Kilian „jetzmals siner possess enntsetzt unnd kein appt sin solle, er möge denn sin wesenn mit göttlicher ge- schrifft erhalten unnd bypringen. das es wider gott unnd sin wort nit sige''. Als aber diese „anntwurt dermassen gemeret unnd mit zellung der hennden geschaidenn, ward daruf unnder dem volck ain semlich ungestimpt schryen unnd prechtenn, das mengklich inn sorgen stünden, sy weiten enanndernn an der gmaind erschlagen"; denn die unterlegene Minderheit war er- bittert darüber, dass man den Landrechtsbrief des Abtes nicht angehört hatte „unnd das also sannt Fridli an den selbigen brieffen so ellenndigklich nackennt unnd bloß hanngen muß und nüntz mer gelten solle.

In dem luff das volck hinweg.'* ')

Am gleichen 24. August sollte der für den Abt festgesetzte Tag zu Wil stattfinden ; er scheint aber auf den 28. August ver- schoben worden zu sein, und es kam dann nicht die Sache des Abtes zur Sprache, sondern Anliegen seiner Untertanen. -) Für ihn selbst war auch wenig zu erwarten ; denn Zürich hatte seinen Gesandten die Instruktion gegeben, sie sollten dem wahrscheinlichen Begehren des Abtes um Gehör „schlächtlich" keine Folge geben und ihm kein Geleit bewilligen, bis er die geraubte Habe zurückgebracht hätte. •^) Diesem Auftreten

^) Tgb. Sail. fol. 4 6. über das Resultat der Landsgemeinde siehe auch Val. Tschudi S. 77 und 78 und E. A., IV, Ib, Nr. I683. Entgegen Stricklers Vermutung, dass die Landsgemeinde am Sonntag vor Bartholomäus (22. Aug.) abgehalten wurde, fand dieselbe, laut Tagebuch Sailers, fol. 4, am Bartholomäus- tag selbst (24. August) statt.

2) E. A., IV, Ib. Nr. 173.

^) Staatsarchiv Zürich, Instruktionenbuch II, fol. 61 63. Es sind im wesentlichen die gleichen Motive wie diejenigen der Instruktion, welche Zürich seinen Gesandten auf die Glarner Landsgemeinde vom 24. August mitgab. In der Wiler Instruktion ist vielleicht noch das folgende bemerkenswert: Wenn

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Zürichs gegenüber bemühte sich der Abt, vor allem Luzern und Schwyz zu energischer Stellungnahme zu seinen Gunsten zu be- wegen. Er ging am 3. September von Einsiedeln persönlich nach Schwyz, wo er bei Landammann und Rat günstiges Gehör für seine Klagen gegen Zürich und die Gotteshausleute fand. Ähn- lich erging es ihm zu Luzern, wohin er sich zwei Tage später begab. Als er hier den Rat bat, ihn, der ein „verlassener trost- loser" Mann sei, nicht im Stiche zu lassen, gab die Stadtobrigkeit zur Antwort, man wolle ihm in allem treu beholfen sein, wozu man vermöge Burg- und Landrecht Fug und Recht habe. Vier- zehn Tage hielt sich der Abt zu Luzern auf und schonte seine Kasse nicht, um sich die Bürger möghchst günstig zu stimmen.^) Als in dieser Zeit zu Brunnen eine Tagsatzung der V Orte statt- fand, liess er Burg-, Landrechts- und Hauptmannschaftsbriefe vorlegen und den Rat um Hilfe anrufen -) und wiederholte dies wenige Tage später durch seine Botschaft vor den vier Orten zu Baden. •') Die Schirmherren hatten bereits in seiner Sache einen Tag wieder nach Wil angesetzt. Doch war für den Abt von dieser Zusammenkunft wenig zu hoffen; denn Zürich hatte zum voraus erklärt: „der münchen wellent wir glatt nützit"; ^) auch war dem Prälaten selbst Wil als Tagungsort wenig angenehm ; denn es lag mitten in seiner rebellischen Landschaft. Er liess darum durch seine Gesandten anfangs Oktober bei den Tag- herren zu Baden um eine Konferenz nach Rapperswil bitten. '') Zürich dagegen brachte Bischof szell in Vorschlag: dorthin werde dem Abt Geleit gegeben werden, wenn er die dem Gotteshaus entführte Habe zurückerstattet habe. '') Endlich wurde ihm auf

man etwa auf dem Wiler Tage vorbi'ingen wollte, dass durch den ersten Land- frieden Fehden und Strafen aufgehoben seien, so sei dies richtig in dem Falle, dass unter den Eidgenossen einer dem andern zugezogen : aber anders verhalte es sich mit denen, welche fremdes Kriegsvolk über den See oder Rhein in die Eidgenossenschaft führen wollten, wie das der vermeinte Abt im Sinne gehabt habe.

1) Tgb. Sail. fol. 10 b 16 a.

-) E. A., IV, Ib, Nr. 182 m, 1-5. Sept.

3) E. A., IV, Ib, Nr. 192 0.

■*) A.-S., II, 8575.

^) E. A., IV, Ib, Nr. 199 aa: A.-S., II, 863.

") A.-S., II, 896 2; siehe auch A.-S., II, 881.

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sein weiteres Begehren ein Tag nach Baden bestimmt auf den 23. November. Zürich erklärte aber, es werde den Abt nicht anhören, bis das fortgeschaffte Gut zurückgebracht sei.O

Der äbtische Handel im Verein mit andern Vorkommnissen hatte die Situation in der Eidgenossenschaft bereits wieder so verschlimmert, dass Luzern im September Schwyz um Aufsehen mahnte und einen Tag für die V Orte ausschrieb, um gemeinsam Verteidigungsmassregeln zu treffen. -) Kilian erhielt seinerseits Nachricht, wie Zürich zum Kriege rüste. Der geistliche Herr fühlte sich deshalb zu Einsiedeln nicht mehr sicher genug und begab sich heimlich und verkleidet auf das Schloss Gräpplang zu seinem Freunde, dem Ritter Ludwig Tschudi. Beinahe wäre er dabei von seinen Widersachern gefangen genommen worden; denn als er ins neugläubige Städtchen Wesen einritt, um von dort den Walensee hinauf zu fahren, wurde er erkannt. Doch forderte anfangs der Wirt zum „Schwert" das Volk vergebens auf, den Prälaten gefangen zu nehmen. Aber kaum sei er auf dem See draussen gewesen, berichtet Sailer, „da wäre ain vili des gmainen volcks dahin züsamen komen unnd des fürnamens unnd radtschlag gsin, sinen gnaden ilenntz nachin züfaren unnd inn widerumb gen Wesen zu füren unnd da sampt der hab unnd gut, dero er dann so vil gefürt, das sih der henngst gebückt hette, vengklichenn zu behalten bis uff wytren beschaid irer herren unnd dero von Zürich, denen sy dann ain mergklich groß wol- gefallenn daran bewysenn wurdenn. Dasseib nun aber nit mögen beschechenn; dann wie bald der her von Sannt Gallen uffenn se unnd ingsessenn, da wäre ze stund ain semlicher nachwind komen, das nit wol müglich gsin, inn mit dechainen schiffenn mer zu erylen noch zu erjagen." •^)

Die für den Abt auf den 23. November angesetzte Tagung kam erst am 26. ds. Mts. in Baden zustande, nachdem Zürich vergebens versucht, sie nach Bischofszell zu verlegen, wo es den Abt besser in seiner Gewalt gehabt hätte. *) In einem „Rat- schlag" für diesen Tag hatte eine Zürcher Ratskomraission vor- geschlagen, Kilian nicht anzuhören, ihm keine Antwort zu geben,

1) E. A., IV, Ib, Nr. 209 t i i 2.

^) A.-S., II, 827.

3) Tgb. Sail., fol. 21 22.

-') A.-S., II, 924; Tgb. Sali., fol. 41b.

St. Galler Mittlgn. z. vaterländ. Gesch. XXXIII. 9

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sich überhaupt mit ihm ..inn keyn disputatz, gezängk oder reclit- fertigung" einzulassen, damit nicht ,,eyn tröleten angericht" werde und die Gotteshausleute dadurch vielleicht veranlasst würden, von Zürich abzufallen. Dieser Vorschlag wurde zwar nicht angenommen ; man beschloss vielmehr, den Abt anzuhören : doch sollte den drei übrigen Schirmorten rund heraus gesagt werden, dass man ihn nicht im Lande dulden werde und dass man, auch wenn Glarus nicht mithandeln wolle, in nächster Zeit den Gotteshausleuten ihre Beschwerden abzunehmen gedenke. Den Boten nach Baden wurde eingeschärft, sich von diesem Ent- schlüsse unter keinen Umständen abbringen zu lassen. ^) So war denn von diesem Tage ebenfalls für den Abt wenig zu hoffen, besonders da auch Glarus seinen Boten nur befohlen zu ,.losen" und da unter Zürichs Einfluss die Gotteshausleute, welche auf diesem Tage hätten erscheinen sollen, fern geblieben waren. Der Abt brachte, ohne dass Gegner vorhanden gewesen wären, welche ihn zur Verantwortung aufgefordert hätten, über seine Wahl und sein Verhalten, besonders seit Beginn des ersten Kappelerkrieges , eine ausführliche Rechtfertigung vor : Er sei nicht zu St. Gallen, sondern zu Rapperswil gewählt worden, da man hätte befürchten müssen, dass seine Wahl verhindert würde, wenn sie am gewohnten Orte vorgenommen worden wäre; zudem sei er von Papst und Kaiser l^estätigt worden. Er habe mit Wissen und Willen seines Konventes einen Teil der Habe des Gotteshauses „entflöchnof' ; -) der grössere Teil davon befinde sich noch in der Eidgenossenschaft und werde wieder ins Kloster St. Gallen gebracht werden, sobald er als Abt anerkannt sei. Wenn man ihm vorwerfe, dass er seine Gotteshausleute im Stiche gelassen, so habe er zu entgegnen, dass ihm am 6. Juni ein Schreiben zugekommen sei des Inhalts: er möge, wenn er mit geringen Kosten die Konfirmation und die Regalia bekommen wolle, sich eilends nach Überlingen begeben ; das habe er getan, auch in einem Schreiben dem Hauptmann Mitteilung davon ge- macht und ihn gebeten, in seiner Abwesenheit das Gotteshaus in „guter befälch ze haben". Dass er sich verkleidet über den

1) E. A., IV, Ib, Nr. 220 zu g2.

^) Der äbtische Konvent hatte diese Worte durch ein Schreiben an die vier Schirmorte unterstützt. (Tgb. Sail., fol. 44. Donnerstag nach Othmar [18. Nov.]).

See begeben, könne er wohl verantworten; denn man habe ihm während mehrerer Nächte sein Haus zu Wil „verhüet und ver- wachet'', und als er verreiste, seien ihm „all far'' am See ver- legt worden : kaum sei er jenseits des Bodensees angekommen, da wäre das „fenly von Kyburg" zu Wil eingezogen und das Städtchen samt der ganzen äbtischen Landschaft besetzt worden, so dass er nicht habe zurückkommen können. Zum Beweise ferner dafür, dass er nicht mit Marx Sittich „praktiziert" habe, legte der Abt ein Schreiben des Herrn von Ems vor, in welchem dieser erklärte, er habe seines Wissens Kilian noch nie gesehen. Mit der dringenden Bitte, ihn bei dem, wofür er Briefe und Siegel besitze, zu schirmen und ihn als gebornen Eidgenossen und Landsmann der vier Schirmorte nicht gegen den Landfrieden von dem, was ihm gehöre, fern zu halten, endigte der Abt seinen Vortrag. Doch er erreichte mit seiner Verteidigung so gut wie nichts. Glarus hatte, wie wir wissen, zum Handeln keine Voll- macht, und die Zürcher Boten hielten sich an ihre Instruktion. Sie erklärten, sie hätten die Verantwortung des Abtes gehört und ^.lassend die S3"n, wie die syge"; ja, sie bemerkten unum- wunden, mit Wiederholung der uns schon bekannten Gründe, warum Zürich den Abt nicht anerkennen könne : „ire herren sigend des stifen sinns und gemüets. in nit widerumb inkommen ze lassen". Es war ein schwacher Trost für Kihan, dass Luzern und Schwyz versprachen, ihm Briefe und Siegel wie von Alters her zu halten, soweit sie das im Stande wären.

Zum Schluss der ganzen Verhandlung, für die ein besonderer Abschied ausgefertigt wurde, ^) rief Kilian seine ihm treu ge- bliebenen Schirmorte an, Zürich und Glarus gütlich oder rechtlich dazu zu vermögen, dass sie ihm Briefe und Siegel hielten oder im Weigerungsfalle ihm die Schutz- und Schirmbriefe herausgäben. „Man wurde in uss der kutten nit bringen; es müesste noch mee red brachen", fügte der energische geistliche Herr bei. und seine Gönner, welche ihm auf diesem Tage Beistand geleistet, liessen sich vernehmen, dass sie solche Anschuldigungen gegen den Abt, der sich doch gebührend verantwortet habe, nicht länger

1) E. A.. TV. 1 b. 220 zu g:! : siehe auch Vad. III, S. 229 4o 231 i.' : Sicher. I, S. 117 i-io: ferner das eingehende Gutachten über die Verhand- lungen mit Abt Kilian, welches wohl Vadian verfasst hat. (A.-S.. II, 956).

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dulden könnten. Dies hätten sie im Namen der „früntschafft" des Abtes, „dero dann gezelter mannen bi vierhunderten sigen". anzuzeigen. ^) So gab denn der Abt nicht nach mit seinen Be- mühungen, ins Regiment zu kommen. Von Einsiedeln aus suchte er durch ausführliche Schreiben Zürich und Glarus von ihrer feindseligen Haltung ihm gegenüber abzubringen und vor allem zu verhindern, dass die beiden Orte, wie Zürich zu Baden er- klärt hatte, den Gotteshausleuten eine Regierungsbehörde gäben, wodurch er eigentlich entsetzt worden wäre. In diesen an die beiden Stände gerichteten Schreiben -) liess sich Kilian ver- nehmen : er habe sich zu Baden so verantwortet, dass er glaube, die vier Schirmorte hätten daran „ain gut benuegen empfangen", und rufe also Zürich und Glarus nochmals zum höchsten an, ihn bei Brief und Siegel zu schirmen. Wenn sie aber trotzdem im Sinne hätten, wie Zürich gedroht, den Gotteshausleuten ein Re- giment zu geben, so fordere er die beiden Orte auf, damit still- zustehei), bis ein Rechtsentscheid darüber gefällt sei, ob Zürich und Glarus zu ihrem Vorgehen Fug und Recht hätten; er wolle ihnen auch hiemit einen solchen Rechtstag vorgeschlagen und sie darauf aufmerksam gemacht haben, dass er andere Schirm- herren suchen müsse, wenn er nicht besser bei seinen Rechten und Freiheiten beschirmt werde.-') Zürich fand es daraufhin nötig, energisch an Glarus zu schreiben und aufs höchste darum zu er- suchen, dass man sich in der äbtischen Angelegenheit nicht von ihm trenne, das Rechtsangebot des Abtes in den Wind schlage und auf den kommenden St. Nikolaustag eine Botschaft mit der- jenigen von Zürich nach Wil sende, um den Gotteshausleuten ein Regiment aufzurichten : der Abt habe alle Rechte auf die Abtei, „ob ihm schon einiche zugestanden", durch die Entführung von Klosterhabe über den See „von rechts wegen" verwirkt;

^) Tgb. Sail., fol. 48b. (Freitag nach Katharina); siehe dazu die In- struktion Luzerns für diesen Tag zu Baden. Der Luzerner Bote hatte unter anderm an Zürich die Frage zu stellen, ob es den Frieden in allen Stücken halten wolle oder nicht; es scheine, als ob die Zürcher nur die Artikel halten wollten, die ihnen beliebten; dies könne jedoch nicht geduldet werden. (A.-S.. II, 949 2.)

^) Beide vom 29. November datiert und von gleichem Inhalte.

3) E. A., IV, 1 b, Nr. 220 zu g4. St.-A., Fase. 14, Kilian an Zürich; St.-A., Bd. 101, S. 52 bis 54, Kilian an Glarus.

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denn er habe mit dieser Tat „öffentlichen nam und spolium'' begangen. ^) Einen Tag später, am 4. Dezember, schrieb Zürich an den Abt zurück: es bleibe bei der Antwort, die es den äb- tischen Gesandten gegeben, da er kein Recht habe, dem Vor- gehen Zürichs entgegenzutreten oder ihm Recht zu bieten ; denn bekanntlich sei Zürichs Burgrecht mit dem Kloster St. Gallen ein ewiges, beziehe sich nicht allein auf den Abt, sondern auch auf das Gotteshaus und dessen Land und Leute. Der Mönchs- stand sei in der Bibel nicht begründet ; Kilian speziell sei nicht auf rechtmässige Weise gewählt worden, hätte die Gotteshaus- leute in ihrer Not verlassen und sich mit des Klosters Hab und Gut über den See geflüchtet. Die Gründe, die der Prälat da- gegen zur Entschuldigung zu Baden vorgebracht, seien unhalt- bar; zudem habe der Abt nicht, wie Glarus und Zürich es ver- langten, die geraubte Habe wieder zurückgebracht, und die Gottes- hausleute wollten überhaupt keinen Abt mehr. Nicht minder scharf als der Inhalt war die Adresse: „Dem erwirdigen, geist- lichenn herren Kilian Köuffi, ettwa conventherren dess gotzhuse zu St. Gallen, der sich desselbigen gotzhuses bestättigetten abbt berümpt, unserm lieben herrenn und gütenn fründ!" Und der Tagebuchschreiber des Abtes vergisst nicht, dabei zu erwähnen : ,, semliche obverschribne missif schickent euch die von Zürich minem gnädigen herrenn nit bi ir statt löiffer, noch bi ainem der irer statt farw angetragenn, sonnder bi ainem schlechten, frommen und unachtparen mentschen. alles zu widerdriess und Verachtung sin er gnaden." -)

Daraufhin liess der Abt durch seine Botschaft auf dem Lu- zerner Tag vom 14. Dezember um Beistand werben, während er selbst sich in diesen Tagen wieder nach Überlingen begeben hatte. Seine Gesandten richteten aber wenig aus. Uri und Unterwaiden wollten überhaupt nichts mit der Sache zu tun haben; -^j Luzern und Schwyz aber schrieben am 16. ds. Mts. an Glarus. dass es den Abt zu dem Seinen kommen lassen und nichts weiter bei den Stiftsbauern vornehmen solle; die beiden Orte wollten Glarus, wenn es von seinem Beginnen nicht ab-

1) E. A., IV, Ib, Nr. 220 zu g.ö.

-) Tgb. Sali., Fol. 53 a bis 55 b.

») Vad., III, S. 232 iH-19; E. A.. IV, 1 b. Nr. 233 r.

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stehe, hiemit Recht vorgeschlagen haben. ^) Im gleichen Sinne schrieben sie am selben Tage an Zürich;-) dieses begnügte sich [iber damit, den Lnzernern den Empfang des Schreibens, das „eben räss und scharpf" gewesen, anzuzeigen und beizufügen, dass es sich mit Glarus über eine Antwort verständigen werde. da die Sache diesen Ort ebenfalls angehe. •') Dadurch wurde die Angelegenheit neuerdings auf die lange Bank geschoben.

Das Schreiben Zürichs wurde in den Tagen abgefasst, da der Auflauf zu Wil stattgefunden hatte (s. Abschn. III, Kap. Ib). Dieser bot den Zürchern willkommene Gelegenheit, in nachdrück- lichster Weise mit Folter und Kerker gegen die treuesten An- hänger des Abtes vorzugehen und damit der Sache des Prälaten selbst einen neuen schweren Stoss zu versetzen. Begreiflich, dass dieser durch seine Botschaft Anfangs Januar L530 auf einem Tage zu Luzern vor den neun Orten sich beklagte, seine Sache werde immer „böser''. Darauf erhoben sich die Boten von Luzern und Schwyz und protestierten laut gegen das eigenmächtige Vorgehen von Zürich und Glarus in den äbtischen Landen und gegen die Missachtung aller Rechtsmittel und Ermahnungen durch die Zürcher; Luzern und Schwyz könnten diese Schmach und Schande nicht länger erdulden. Die Tagherren begnügten sich aber damit, die Sache in den Abschied zu nehmen und auf den 16. Januar 1530 einen neuen Tag nach Baden anzusetzen, auf dem besonders die Angelegenheit des Gotteshauses St. Gallen besprochen werden sollte. Auch Zürich, Schaffhausen und Basel wurden aufgefordert, die Tagleistung unbedingt zu besuchen. *) Noch vor deren Eröffnung berief aber Zürich die Burgrechts- orte in seine Stadt. Zwingli hatte für diesen Burgertag ein ein- gehendes Programm ausgearbeitet, in dem neben anderem vor allem auch dargelegt wurde, warum Kilian unmöglich anerkannt werden könne. Bei Anführung der uns schon mehrfach be- gegneten Gründe wird in dem Memorandum namentlich erklärt, man habe Fug und Recht, den Abt solange nicht „ynzulassen", als er seine Kutte nicht ablegen wolle, die ein „verwandter gotz-

0 St.-A., Fase. 14.

-) E. A., IV, Ib, 233 zur.

3) A.-S., II, 1013.

•*) E. A., IV, 1 b, Nr. 247 p und zu t.

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dienst"' sei. ') Doch aucli Luzern und Schwyz suchten im Hin- bUck auf den Badener Tag. für ihre Sache bei den eidgenössischen Orten Stimmung zu machen. Vom 12. 14. Januar war ihre Bot- schaft in Bern. Ihre im Namen der V Orte verfasste, einläss- Hche Instruktion enthielt eine Reihe von Beschwerdepunkten über gewalttätiges Vorgehen von reformierter Seite; besonders sollten sich die Gesandten alt Schultheiss Golder von Luzern und Vogt Amberg von Schwyz über das eigenmächtige Vor- gehen von Zürich und Glarus in der äbtischen Sache beklagen. Doch erreichten die Boten nur, dass die Berner versprachen, beide Parteien zu verhören,-) da inzwischen Zürich eine schrift- liche Verantwortung seines Verhaltens in dem berührten Handel nach Bern geschickt hatte. •') Nicht viel besser erging es der Gesandtschaft zu Freiburg ^) und Solothurn. '")

Indessen begann die Tagsatzung zu Baden ihre Verhand- lungen. Doch wiederum gelangte man zu keinem Vergleich. Auf die lange Anklagerede der Luzerner und Schwyzer Boten gegen Zürich wegen dessen Verhalten gegen sie und den Abt legten die Zürcher Boten in der gewohnten Weise dar, warum ihre Stadt Kilian nicht anerkennen könne. Da die vermittelnden Orte keine Vollmacht hatten, die beiden Parteien zur gütlichen Unterhandlung oder auf den Rechtsweg zu weisen, und die Zürcher Gesandten im Namen ihrer Obern rundweg erklärten, den Abt aus den dargelegten Ursachen nicht zur Herrschaft kommen zu lassen, so wurde der Handel wieder einmal in den Abschied ge- nommen. Immerhin sollten bis zum nächsten Tage, der in der Angelegenheit des Abtes abgehalten würde, die Zürcher und ihre Gegner nichts Unfreundhches gegen einander vornehmen, *') und Bern, Basel und Schaffhausen forderten Zürich dringend auf, sich an diese Bestimmung zu halten. ') Ferner beschlossen Bern, Freiburg und Solothurn, keine Mühe zu sparen, damit der Handel in Minne beigelegt werde. '*)

') E. A., IV, Ib, Nr. 2.52 zu alV.

-) Wohl auf dem kommenden Tag zu Baden.

•^) E. A., IV, 1 b, Nr. 254 I, u i8 ; III 2.

0 E. A., IV, 1 b, Nr. 2.56.

•') A.-S., II, 1068.

'=) E. A., IV, Ib, Nr. 257 a.

') A.-S., II, 1085, 1077, 1090.

"") E. A., IV, 1 b, Nr. 264 b. Bern, 81. -lanuar.

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Auf dem folgenden Tage zu Baden (14. Februar ff.) rückten nun die unbeteiligten Orte mit Vermittlungsvorschlägen auf. welche hauptsächlich dahin lauteten, der Abt solle die bei seiner Flucht mitgenommene Habe des Gotteshauses wieder zurückbringen und die Stiftsleute beim Evangelium lassen, worauf dann er und seine Aratsleute wieder eingesetzt werden sollten. Doch die Zürcher und Glarner Boten erklärten, für ein Eintreten auf diesen Antrag keine Vollmacht zu haben, besonders auch deshalb, weil die Gotteshaus- leute keinen Abt mehr wollten ; Zürich und Glarus würden in dieser Angelegenheit keine weiteren Tage mehr beschicken. Luzern und Schwyz aber äusserten sich dahin, dass der Abt den von den unbeteiligten Orten gemachten Vorschlag sicherlich nicht an- nehmen werde. Darauf setzten die neun Orte trotz der noch- maligen Erklärung von Zürich und Glarus, in keine weitere Unter- handlung in der Sache mehr einwilligen zu wollen, abermals einen Tag an, und zwar auf den 20. März. Dazu sollten auch der Abt und die Gotteshausleute berufen werden. Bern aber er- hielt im Verein mit Basel und Schaffhausen noch besonderen Auf- trag, Zürich ,,zum höchsten" zu ermahnen, dass es den nächsten Tag in der äbtischen Angelegenheit ruhig abwarte.^) Die Schreiben der genannten Regierungen gingen unter dem 26. Februar und

I. März an Zürich ab. -) Von letzterem Tage datiert aber auch ein Schreiben des Hauptmanns Frei an seine Obern, in welchem er sie ermahnt, im äbtischen Handel „tapfer und handfest" zu bleiben, die Zusagen, welche sie den Gotteshausleuten gemacht, wohl zu bedenken und sich mit keinem Orte in Unterhandhingen einzulassen, die solchen Verheissungen zuwider wären. ^) Sein Schreiben wird wohl dazu beigetragen haben, dass Zürich in den ersten Tagen des März in einem „kurzen Bericht" alle Ur- sachen zusammenfasste, warum es samt Glarus Kilian nicht an- erkennen könne und weder mit ihm noch mit Luzern und Schwyz ins Recht stehen müsse : letzteres schon darum nicht, heisst es in dem Programm, weil die Rechte von Luzern und Schwyz an <ler Hauptmannschaft nicht angetastet würden. Das Ganze ^)

1) E. A., IV, 1 b, Nr. 273 e und zu 63.

2) A.-S., II, 1157:!, 1173 und 1174.

3) A.-S., II, 1172.

"*) Bull., II, S. 250 254. Bemerkenswert ist der harte Ton. der uns in dem Schriftstück entgegentritt; zugrunde gelegt war ihm wohl ein „Ratschlag" Zwingiis, betitelt: „Die summa des santgallischen handeis stat darin", s. A.-S..

II, lies.

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der übrige Inhalt bietet uns längst bekannte Ausführungen war für die Burgrechtsstädte bestimmt und forderte sie am Schlüsse auf, sich mit der Rechtfertigung zu begnügen und Zürich nicht weiter mit dem „nnangesehen , vermeint rächt- pott" des Abtes und seiner Anhänger, dem Zürich doch nicht Folge leisten würde, zu behelligen. Unterm ö. März schickte es diese Verteidigungsschrift an die Burgrechtsstädte mit einem besondern Begleitschreiben, in welchem es sein Bedauern da- rüber aussprach, dass man, wie es scheine, den nichtigen Vor- wänden des Abtes Gehör geschenkt habe ; es hätte geglaubt, dass man um die Freundschaft Zürichs mehr gebe als um die „müden'' Umtriebe des Abtes. ^)

Doch der für Kilian angesetzte Badener Tag liess sich nicht mehr aufhalten. Bereits hatten nämlich am 21. Februar die neun unparteiischen Orte an den Abt geschrieben, dass auf den 20. März ein Tag für ihn nach Baden angesetzt sei; er möge selbst kommen, ansonst er ermessen könne, „was villicht daruß ent- springen möchte'". Dazu wurde ihm auch von den neun Orten Geleit nach Baden hin und zurück gegeben. -) Darüber erfreut, schrieb Kilian an seinen Reichsvogt, er sei willens, den Tag zu besuchen, und werde sich unterstehen, mit Gottes Willen „die sachenn zu vollenden'". '■'') Doch damit hatte es noch gute Weile ; denn Zürich war stetsfort fest entschlossen, den Abt nicht zur Regierung gelangen zu lassen. Dies musste auch eine Ge- sandtschaft der mit Zürich verburgrechteten Städte erfahren. Vom 9. 12. März tagten nämlich Zürich, Bern, Basel, Schaff- hausen, Strassburg, Mülhausen und Biel zu Basel, da sie vom Kaiser, der nach Deutschland unterwegs war, das Schlinunste befürchteten. Ihre Gesandten, natürlich ohne diejenigen von Zürich, erschienen am 16. März vor Kleinen und Grossen Räten der Stadt Zürich und baten sie aufs höchste und dringendste, den auf der letzten eidgenössischen Tagsatzung ') vorgeschlagenen Vergleich anzunehmen und den Boten auf den kommenden Tag zu Baden dementsprechende Instruktionen zu geben. Die Gesandten der

') E. A., IV', Ib, Nr. 291 zu 1 i „„.i 2.

^) St.-A., Tom. 307, S. 123 124.

■•) St.-A., Tom. 307, S. 171 ; s. auch A.-S., Nr. 1170.

'*) Siehe oben.

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Burgrechtsstädte machten dabei Zürich besonders darauf auf- merksam, wie gefährhcli die Zeiten seien und dass dem Abt als ])estätigtem Reichsfürsten Hilfe vom Kaiser kommen könnte. ') Der Zürcher Rat ernannte darnach aus seinen Mitgliedern eine Kommission, welche über die Antwort auf diesen Vortrag be- raten sollte ; -) aber Zwingli lehnte schliesslich in seiner Ver- nehmlassung das Ansuchen der Städte rundweg ab, indem er erklärte, Kilian nimmermehr „einzulassen". •') Dementsprechend weigerte sich Zürich, dem Abt auf dessen Begehren ^) freies Geleit nach Baden zu bewilligen, besonders da es dabei auch Glarus auf seiner Seite wusste. •') Ein Schreiben der neun Orte von Baden aus erreichte bei der Stadt nichts. ") Sie zeigten sich darüber recht verstimmt, ') besonders die Berner, die schon über die von Zürich den Burgrechtsstädten gegebene Antwort wenig erbaut waren und ihrem Unwillen über seine Weigerung, mit dem Abt oder seiner Partei in weltlichen Dingen den Rechts- weg zu betreten, scharfen Ausdruck gaben. ^)

Zu dieser Zeit befand sich Kilian bereits in Waldshut, das er vom Schlosse Wolfurt im Vorarlberg, seinem neuen Wohnsitz, aus erreicht hatte, nicht ohne unterwegs unter den Strapazen zu leiden, die er aber mit Humor ertrug. '•')

1) E. A., IV. Ib, Nr. 283 zu g: Nr. 289 I.

^) A.-S., II, 1209.

•'j E. A., IV. .Ib, Nr. 289 II: siehe hier die einzelnen Punkte, mit denen Zürich seine Antwort begründete, und die Argumente gegen eine allfällige Ein- mischung des Kaisers.

■i) A.-S., II, 1170.

•'^) A.-S., II, 1221.

'') A.-S., II, 1220; Antwort Zürichs auf das Sehreiben der IX Orte, vom 24. März datiert, worin es sieh beklagt, dass seine Verantwortung nicht ge- würdigt worden sei.

') A.-S., II, 1225; s. auch V.-B.-S., IV, Nr. 598.

^) Schreiben Berns an seine Gesandten zu Baden, dat. den 23. März [ß. A., IV, Ib, Nr. 291 zu In).

•^) Der Abt hatte dieses Mal seinen Weg über deutsches Gebiet genommen : Bregenz Aich (Aach? nördlich von Singen! —Thaingen. Der Einbruch der Nacht nötigte ihn, kurz vor Waldshut im Gasthaus einer kleineren Ortschaft zu nächtigen, wo man, wie Rudolf Sailer erzählt, für den Empfang der hohen Herrschaften wenig eingerichtet war: „In dem selbigen wirtzhus nun aber der wirf nüwlich ufzogen unnd was ains klainen Vermögens unnd hatt sich noch in die wirtschafft nit grüst, unnd must also min guediger her unnd sine diener in

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Von Waldshut aus schickte er am 20. März seme Begleiter, den Hauptmann von Batzenheid und seinen Schreiber Rudolf Sailer, mit einer Instruktion an die neun Orte. Er berichtete, warum er es nicht wage, selbst nach Baden zu kommen. Wenn man ihn zu dem Seinen gelangen lasse, werde er sich gegen seine Untertanen huldvoll zeigen; er wolle zwar beim Orden und der Messe bleiben, doch keinen Untertanen dazu nötigen; die Mehrheit (!) der Gotteshausleute samt dem Städtchen Wil hätten ihn anfangs als ihren Abt anerkannt und wären dabei geblieben, wenn sie nicht so „grosslich" gegen ihn auf gestiftet worden wären. Die Gesandten sollten nach diesen Erklärungen die neun Orte anrufen, dem Abt zu dem Seinen zu verhelfen, sonst werde er als Reichsfürst anderswo Schutz suchen müssen ; er wünsche auch von den dreizehn Orten Geleit nach Baden und erwarte zu Waldshut von den Tagherren weiteren Bescheid. Diese waren entschlossen, den Abt persönlich zum Wort kommen zu lassen, und gaben ihm durch den damaligen Landvogt zu Baden, Anton Adacher, das Geleit nach Baden. Kilian wurde gut empfangen ; zahlreiche Herren, darunter auch etliche Zürcher, waren ihm entgegengezogen. ^) „Es hat euch do zmal noch ain gut an- sehen, im wolt doch zu recht geholfen sin werden." -) Am 28. März •') wurde der Abt vor die neun unbeteiligten Orte gerufen. Man erklärte ihm da, es lägen schwere Klagen gegen ihn vor; er möge sich verantworten, sonst sei man nicht verpflichtet, ihm zu helfen. ') Darauf verteidigte sich der geistliche Herr in langem Vortrag gegen die Anschuldigungen seiner Gegner in folgender

ainem gaden ligen, darinu si dann vor rouch kum plyben ; si mochten sich ouch ganntz kumerlichen vorm gwitter erweren, dann der lufft den regen allennt- halben zum gaden intreib, und müstent also im gwand unnd klaidern sich die ganntze nacht ennthalten, unnd wiewol sy unnder tagen vom regen gantz nass worden warennt unnd sich des wirtzhus gefröwt hatten unnd aber darinne ain semlichen ufennthalt funden, nuntz desterminder musten si diser herberg unnd schlafkameren lachen. Der v^^ii-t unnd sin frow gabennt inen aber nun ganntz gnug ze essen unnd trincken etc." (Tgb. Sail , fol. 87 b).

') Sailer berichtet, es seien „ob den viertzig gezelter mannen" gewesen. Tgb. 8ail., fol. 92 a.

-) Sicher, I, S. 124 30— 3i.

■^) Laut Tgb. Sail., fol. 92 a.

■*) Siehe dazu Tgb. Sail., fol. 92 a f., wo der Schreiber ausführt, wie der Abt , gantz früntlichen" von den neun Orten empfangen worden sei.

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Weise: die äbtische Regierung habe er nicht angefangen, son- dern diese sei von Kaisern und Päpsten laut Briefen und Privi- legien verliehen worden ; Jahrhunderte lang hätte man die Äbte in ihrer weltlichen Herrschaft nicht angefochten, und auch er wolle dabei bleiben ; wenn ferner, was er aber nicht genau wisse, da er nicht dabei gewesen, der Hauptmann bei seinem Aufritt das „göttliche Wort" sich vorbehalten habe, so heisse das nicht, dass Frei gegen Brief und Siegel und alles Recht- bieten zu handeln befugt sei. üann protestierte Kilian dagegen, dass Zürich und Glarus seinen Gotteshausleuten zugesagt, ihnen mit Leib und Gut beizustehen, da dies gegen Burg- und Land- recht gehe; zudem binde der Treueid, den die Gotteshausleute einem Abt und Konvent geleistet hätten, so lange, bis ein neuer geistlicher Herr eingesetzt sei. Seine Wahl sei in Gegenwart von Zeugen und Notaren in rechtsgültiger Weise getroffen worden; man könne nicht verlangen, dass Mönche, die vor vier oder fünf Jahren aus dem Kloster gelaufen seien, noch dem Konvent hätten angehören und bei der Wahl anwesend sein sollen. Im weiteren habe man seine Worte zu Rorschach, dass er fest entschlossen sei, dort katholischen Gottesdienst zu halten wie bisher, fälschlich dahin ausgelegt, als ob er die Messe in seinen Landen, wo sie abgeschafft sei. wieder aufrichten wolle. Die Konfirmation vom Papst habe er wegen der bedrohlichen Zeit nicht selbst in Rom holen können, sondern dies durch die Fugger besorgen lassen müssen. ^) Kilian bemerkte fernei*, er habe ein Recht darauf gehabt, einen Teil der beweglichen HabQ des Gotteshauses mit sich über den Bodensee zu nehmen, den grösseren Teil habe er in der Eidgenossenschaft gelassen und zwar da, wo man das Gut jederzeit wohl finden könne, da ihm und seinem Konvent das Gotteshaus St. Gallen und dessen „zügehörung" zustehe und niemand anderem; zudem sei von Abt Franz wenig Bargeld hinterlassen worden. Den Kirchenschatz aber des St. Galler Münsters habe nicht er mitgenommen, sondern die Stadt St. Gallen habe ihn „angriffen". Wegen der gefahrvollen Lage habe er verkleidet entweichen müssen ; Briefe, Siegel und fromme Leute

^) Die Konfirmation vom Papste, welche der Abt Mitte Januar 1530 er- halten hatte, kostete ihn die verhältnismässig geringe Summe von rund 900 gl. Den Fuggern schenkte der Abt für die Besorgung 40 gl., St.-A.. Bd. 101, S. 88 f., s. dazAi Strickler, A.-S.. II, 811, 902.

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könnten aber beweisen, dass er nicht im Sinne gehabt habe, fremdes Kriegsvolk in die Eidgenossenschaft zu führen ; er wolle den Landfrieden an seinen Gotteshausleuten halten und hoffe, dass er auch an ihm gehalten werde und man ihn wieder zu dem Seinen kommen lasse. Das Burg- und Landrecht laute aus- drücklich allein auf Abt und Konvent und nicht auch auf die Gotteshausleute. Zu Wil, im Ober- und Unteramt habe man ihn als Herrn anerkannt, und es wäre dabei geblieben, wenn man seine Untertanen nicht wieder davon abspenstig gemacht hätte. Dass er die Stiftsleute mit „Beschwerden" überladen, sei nicht wahr; ebenso wenig könne man das von seinem Vorgänger sagen, wie der Rechtstag zu Rapperswil (Juli 1525) bewiesen habe. Der Abt schloss mit der Drohung, sich, wenn er in der Eidgenossen- schaft nicht zum Recht gelangen könne, anderswohin, in letzter Instanz an den Kaiser, zu wenden ; doch wolle er, wenn auch seine Gegner bis zur nächsten Tagung „still stünden", sich nicht weiter um Hilfe umsehen.

Darauf entschieden die unbeteiligten Orte, der Abt solle seine vorgebrachte Verantwortung samt seinen Klagen vor den vier Orten und den Gotteshausleuten vortragen. Aber Zürich und Glarus erklärten, den Abt nicht anhören zu wollen, worüber sich die Boten der neun Orte ,,nit gnügsam verwunndren" konnten. Es hatte dieses Verhalten der beiden Schirmorte zur Folge, dass auch die Gesandten der Gotteshausleute und die von Wil es nunmehr den vermittelnden Ständen abschlugen, den Abt anzu- hören. ^) Darauf forderten die neun Orte Zürich auf, seine bereits mündlich vor ihnen dargelegte Anklage gegen den Abt in Gegen- wart des letztern nochmals vorzutragen oder schriftlich abzufassen. Zürich wählte das letztere, und man stellte dem Abte das Schrift- stück zu. Ebenso Hess Kilian auf Ansuchen der unbeteiligten Orte seine Klage und Verantwortung schriftlich -) samt glaubwür- digen Kopien der Burg-, Landrechts- und Hauptmannschaftsbriefe jedem der vier Orte übergeben. Schliesslich wurde auf den 15. Mai ein neuer Tag angesetzt; jeder Bote sollte den Handel getreulich an seine Obern bringen, damit in der Sache ernstlich beratschlagt werde. Auf dass dies um so nachdrücklicher ge- schehe, legten Batzenheid und der Reichsvogt eine Kopie des

0 Tgb. Sail., S. 96 b/97 a.

-) Das Datum ist laut Tgb. Sail. der 28. März.

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kaiserlichen Lehenbriefes für Kilian als Reichsfürsten ^) vor, mit dem Bemerken, dass Karl V. seinen Schirm- und Lehenbrief wohl aufrecht erhalten werde ; er habe auch die Schädigung des Klosters St. Gallen bei Strafe seiner Ungnade und 80 Mark lö- tigen Goldes verboten. -) Ein energisches Schreiben von Dekan und Konvent, an die neun Orte zu Baden gerichtet, hatte den Abt in seinen Bemühungen unterstützt. Die Mönche erklärten darin, dass die Wahl Kilians regelrecht stattgefunden; es habe ihr niemand beizuwohnen gehabt als der Konvent. Sie seien entschlossen, nicht von der Messe und dem Orden zu lassen, da sonst die Briefe und Siegel des Klosters kraftlos würden. Kilian habe mit der Konventualen Einverständnis einen Teil der Güter des Gotteshauses weggeführt; wer etwas zu fordern habe, dem wollten sie hiemit Recht bieten. Zum Schlüsse richteten die Konventherren an die neun Orte die dringende Bitte, sie möchten den Abt anerkennen und die vier Orte bewegen, ilirem Herrn Briefe und Siegel zu halten; man hoffe, dass der Abt im Landfrieden eingeschlossen sei und so wieder zu seiner Herrschaft gelangen könne. ')

Der Eindruck, den der Abt. der über Schaffhausen heim- reiste, von dem Tag zu Baden empfangen hatte, muss ein gün- stiger gewesen sein. Zu Wolfurt, wo er am G. April wieder ankam.

^) Belehnung Kilians durch Karl V., d. d. 20. Februar 1530. Die Gebühr dafür an die kaiserliche Kanzlei betrug nur 60 gl., in Anbetracht, dass der Abt aus seinen Landen vertrieben worden (St.-A., Fase. 14). Der Lehenbrief wurde Kilian erst am 31. März durch den Bischof von Konstanz zugestellt. (St.A.. Bd. 307, g. 211.)

-) E. A.,IV, lb,Nr. 21111. n,o. und zu li. Vad. III, S. 243ii-3ii. S.auchTgb. Sailers, wo ausführlich über den Tag berichtet wird, so auch, dass die Wei- gerung von Zürich-Glarus und den Gotteshausleuteu von ,den nun Orten zu grossen undanck und missfallen angenomen wurd. Saiten inen auch darneben im grund, was inen zu sagen wäre, und redtend dermassen so scharpff mit inen, das menigklicher vor der thür (es) hordte" (Tgb. Sail., fol. 97 a). Siehe dazu die Worte Bastian Appenzellers: die Gotteshausleute seien „ruch" gehalten worden, V.-B.-S.. IV, Nr. 598 ; A.-S., IL 1225.

•') A.-S., IL 1204. Die dort fehlende Adresse findet sich in Bd. 101 (S. 78) des St.-A. Auffallend ist das frühe Datum (14. März), da nach Strickler der Badener Tag, für den, laut Adresse, die Missive bestimmt war, erst am 21. März begann. Um einen frühern Tag zu Baden kann es sich wohl nicht handeln, da, laut E. A., die letzte vor dem 21. März abgehaltene eidgenössische Tag- satzung am 14. Februar zusammentrat.

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herrschte grosse Freude, als er seinen dort befindhchen Konvent- lierren den Verhinf der verflossenen eidgenössischen Tagsatzung erzählte. 0

Zürich aber sah sich durch den Widerstand, den Bern seinen Plänen auf die Abtei entgegensetzte, überall gehemmt. Von Bern war jener oben erwähnte Vergleichsvorschlag ausgegangen; auch hatte sich die Berner Regierung entschieden gegen die Behauptung- Zürichs verwahrt, als ob sie mit ihren Prälaten ebenso gehandelt habe wie Zürich jetzt mit dem Abt von St. Gallen : sie sei mit niemandem, der nicht ihrer Obrigkeit unterworfen sei, so ver- fahren. -) Am 3. April ferner schrieb Bern an Schaffhausen : da die Zürcher sich beständig gegen einen Rechtstag in dem St. Gallischen Handel sperrten und sich nicht mit billigen Vor- schlägen begnügen wollten, werde Bern seine Botschaft mit „trungenlicher, scharpfer befelch'' auf den nächsten Badener Tag abfertigen und die Zürcher aufs Höchste ermahnen lassen, sich mit dem Rechtswege zu begnügen; auch Schaffhausen möge in diesem Sinne seine Botschaft für den genannten Tag instruieren, um Krieg zu verhüten. •') Damit war klar und deutlich ausge- sprochen, dass Bern das Verhalten Zürichs in der äbtischen An- gelegenheit entschieden missbilligte. Letzteres beschloss darum, wo immer möglich, Bern auf seine Seite zu ziehen, und zwar sollten, um mehr Eindruck zu machen, sich mit den Zürcher Gesandten auch solche von Glarus nach Bern begeben. '*) Am y. April waren die beiden Botschaften, wie verabredet, dort und legten mündlich und schriftlich vor dem Rate dar, wie sehr die beiden Orte es bedauerten, dass Bern und andere ., christliche" Städte bisher versucht hätten, sie vor ein par- teiisches Gericht zu weisen, während doch der Abt ,,das rechte Richtscheit aller Rechte", das Wort Gottes, zurückgewiesen habe. Das Rechtsangebot des Prälaten sei darum jedermann „ungemäss''. und man sei fest entschlossen, Kilian oder seine „Nachkommen'' nicht anzuerkennen. Bern möge sich wegen dieses Handels nicht

'j Tgb. Sail.. fol. 105. '

-) Worte aus dem schon erwähnten Schreiben Berns an seine Gesandten in Baden vom 23. März, s. oben S. 138, Aiim. 8. ■'•) A.-S.. ir, 1249. 'j E. A., IV. Ib, Nr. 21» 7 zu ai.

von Zürich sondern; denn es gebe Leute, welche nur zu gern die beiden Städte trennen möchten. ^)

Die Räte antworteten hierauf: sie könnten sich des Abtes nicht weiter „beladen", da er mit Bern nicht „soviel verwandt sei". Dagegen bemerkten sie betreffs der andern beiden Schirm- orte, Luzern und Schwyz : wenn diese wegen zeitlicher Dinge in der äbtischen Angelegenheit einen Rechtstag verlangen sollten, so könne man ihnen laut der Bünde nicht davor sein ; sonst jedoch würde man sich des Abtes nicht weiter annehmen. Zum Schlüsse wurden Zürich und Glarus von den Berner Räten er- mahnt, in den Dingen, welche Leib und Gut berührten, glimpf- lich zu verfahren. -) Wenn wir damit die bis zu diesem Tage in dem äbtischen Handel von Bern eingenommene Haltung vergleichen, so müssen wir sagen, dass Zürich mit seinem Vortrag grossen Er- folg gehabt hatte : denn Bern Hess jetzt den Abt fallen und wollte ihn höchstens noch als weltlichen Herrn gelten lassen. Zürich konnte nun auch mit einem gewissen Rechte die Gerüchte de-

') Zürich hatte für den Tag in Bern seinen Gesandten zwei Instruktionen mitgegeben. Die erste wiederholt nur bereits bekannte Motive, während die zweite, welche zur Unterstützung des mündlichen Vortrags der Zürcher diente, eine Widerlegung der wesentlichen Punkte der äbtischen Verteidigung vom letzten Badener Tag darstellen sollte : der Abt stütze sich auf nichtige Briefe statt auf das Wort Gottes, ziehe das menschliche Recht dem göttlichen vor, behaupte, dass der vermeinte Eid, welchen die Gotteshausleute ihm geschworen, dem göttlichen Wort vorgehe. Seine Wahl sei nicht durch das Gotteswort be- stätigt. Das Schreiben des Konventes, welches erklärte, dass die Konventualen bei Orden und Messe bleiben wollten, sei dem Gotteswort, dem Landfrieden und dem christlichen Burgrecht zuwider. Aus den Burg- und Landrechtsbriefen gehe hervor, dass Zürich als Schirmort die Gotteshausleute ebenso gut wie den Abt zu schirmen schuldig sei ; wenn es also des Gotteshauses und aller seiner Lande und Leute zwischen den beiden Seen anerkannter Schirmherr sei, wer denn eigentlich der Herr sei, der Abt oder Zürich (!) und ob der Schirmherr nicht mehr sei als derjenige, welcher beschirmt werde ? Der Kaiser werde dieses Mönchs halber keinen Krieg anfangen, sondern die ganze lutherische Faktion, wie er sie nenne, zu vertilgen suchen. Bern möge bedenken, wie Zürich ihm im unterwaldischen Handel beigestanden (E. A., IV, 1 b, S. 601 604). Es mochte wohl im Hinblick auf diese vom 2. April datierte Instruktion sein, dass Zwingli am 5. April an Vadian schrieb:. De abbate iubeo te non nimis sollicitum esse : nam senatus noster deo gloria magis ac magis in illum irritatur ..." (V.-B.-S., IV, Nr. 600).

2) E_ i^ lY ib, Nr. 297 an.

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mentieren, als ob es sich mit Bern in der äbtischen Angelegenheit überwerfen habe. ')

Die Lage wurde so für Kilian in der Schweiz immer hoffnungs- loser; denn Bern blieb auch einer Gesandtschaft der V Orte gegenüber bei seiner den Zürchern und Glarnern gegebenen Antwort, -) und durch die Landsgemeinde vom 24. April bekam zu Glarus die reformierte Partei das „entschiedene Übergewicht".-') So war von dem auf den 15. Mai angesetzten Tag nach Baden für den Abt wenig zu erwarten. Der Reichsvogt hatte Kilian das Ergebnis der Glarner Landsgemeinde mitgeteilt und ent- mutigt dazu geschrieben : „in summa, so wil mir üwer gnaden sach nit zum besten gevallen ; die lüten trucken hindurch und sind ains." ')

Wie vorauszusehen war, verlief denn auch der Badener Tag, der Mitte Mai stattfand, für den Abt völlig resultatlos. Zürich und Glarus wollten sich weder gütlich noch rechtlich mit Kilian einlassen. •') Bern aber trat aus, indem es erklärte, dass es bei der Antwort bleibe, welche es den Boten von Zürich, Glarus und den V Orten früher gegeben habe. '') Hatte so der Prälat schon auf diesem Tage sehen müssen, wie bitter wenig für ihn noch bei den Eidgenossen zu erwarten war, so musste der nächste Ba- dener Tag Ende Juni ihn belehren, dass er bei den eidgenössi- schen Ständen mit seinem Anliegen schlechterdings nicht zum Ziele kommen werde; denn ein neuer Vermittlungsvorschlag, welchen die neun Orte auf dem vorangegangenen Badener Tag gemacht hatten, wurde nunmehr von Zürich und Glarus wie auch von Luzern und Schwyz verworfen. Den neun Orten, welche eine „freundliche Beilegung des Streites" verunmöglicht sahen und keine Vollmacht hatten, die Parteien zum Recht zu mahnen, blieb nichts übrig, als sie zu ersuchen, sie möchten nichts Un-

1) A.-S., II, 1274 1, 1276.

2) E. A., IV, Ib, Nr. 298 iii. •^) Dierauer, III, S. 145.

*) St.-A., Bd. 307, S. 213. Originalsehreiben Schenklis von Einsiedeln aus an Kilian, d. d. Dienstag nach Quasimodo. Aus dem Schreiben ergibt sich auch, dass die Glarner Landsgemeinde am 24. April stattfand. Siehe den weitern Beweis für dieses Datum bei Dierauer III, S. 145, Anm. 1.

^) E. A., IV, Ib, Nr. 322 V.

*') Tgb. Sail., S. 113 a.

St. Galler Mittlgn. z. vaterländ. Gesch. XXXIII. 10

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freundliches gegen einander unternehmen und die Angelegenheit einstweilen ruhen lassen. ^)

So beschloss denn der Abt, wie er schon lange beabsichtigt, so bald als möglich den Reichstag von Augsburg, der bereits in Anwesenheit Karls V. eröffnet war. zu besuchen. Dazu mochte ihn nicht zum wenigsten auch die Tatsache veranlassen, dass sich die alte Landschaft bereits völlig von ihrem geistlichen Herrn emanzipiert hatte. -)

1) E. A., IV. Ib, Nr. 342 q.

2) Siehe IIl. Absehn., I. Kap. C.

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IV. Kapitel.

Abt Kilian auf dem Augsburger Reichstage.

Kilian hatte, nachdem er beim Ausbruch des ersten Kap- pelerkrieges die Schweiz verlassen, vorläufig in Überlingen gute Aufnahme gefunden. Er versprach sich von dieser Verlegung seines Wohnsitzes nach Schwaben das Beste; namentlich rech- nete er dabei auf kräftige Hilfe von Seiten König Ferdinands und des süddeutschen Adels.

Vorderhand liess sich auch die Sache gut an. In weitem Umkreis kam ihm der Adel sehr s^ympathisch entgegen, zum Teil wohl in der Absicht, die reformierten Orte damit zu ärgern und zu beunruhigen. Besonders Marx Sittich ') und der Graf Hugo von Montfort zeigten sich ihm sehr günstig gesinnt, und Kihan gab sich Mühe, ihre Gunst sich zu erhalten. Schon am 5. Juli 1529 liess er sich deshalb bei dem Grafen Hugo ent- schuldigen, dass er ihn nicht, wie schon längst geplant, persön- hch besucht oder ihm doch eine Botschaft geschickt habe. -) So gestaltete sich denn auch der Akt der äbtischen Benediktion, die am 6. Januar 1530 auf päpstliche Erlaubnis hin ausnahms- weise zu ÜberHngen vollzogen wurde, zu einer grossen Demon- stration zu gunsten des Abtes. An seine „Inf ulmesse" (das Ponti- fikalamt) am genannten Tage schloss sich ein grosses Bankett, an dem 400 Personen teilnahmen und dem der Abt präsidierte. Noch den ganzen folgenden Tag dauerte die Feier; es war ein „mechtig gross fest von edeln, rittern und knecht" samt geist- Hchen Würdenträgern, welches den Abt, der seine Gäste frei- hielt, einige hundert Gulden kostete. Wohl ganz richtig bemerkt Vadian dazu: „Kilian tet es mit etwas trutz, damit man in Turgöw bericht wurd, dass er sein abtei zu verlassen noch niendert ge- sinnt were". •') Während des Festes mochten wohl zwischen dem

1) A.-S., II, 665.

2) St.-A., Bd. 99b, S. 146.

■^) Über das Fest siehe Vad. II, S. 414 27-35 ; Miles S. 341 (69) i.i-21 : 8abb. S. 336 lo-u; Sicher, I, S. 123 4-8: II, S. 256 10-20; Mezler, S. 644 :

148

Abt und den adeligen Herren auch Unterredungen politischer Natur stattgefunden haben, ^) welche für den Prälaten günstig ausfielen ; denn schon am 12. Januar berichtete Kilian seinem Reichsvogt Heinrich Schenkli und seinem Bruder Hans Germann, dass er allenthalben bei den Herren ,.vil züsagens, trosts und wiUigenn erpietenns" gefunden habe ; er glaube, dass seine Sache in kurzem .,zum Guten" gebracht werde. ^) Am I.Fe- bruar schrieb er an dieselben nach Einsiedeln : wenn er auch in der Eidgenossenschaft nicht zum Recht kommen könnte, so werde er doch hier diesseits des Sees nicht verlassen werden; er handle und unternehme auch fortwährend alles, was für die Sache seines Gotteshauses dienlich sein könnte ; heute habe Marx Sittich mit ihm zu Mittag gegessen, ihn ermutigt und ihm im geheimen vieles mitgeteilt. ^)

Am 27. Februar feierte der Abt mit einigen Prälaten und dem umliegenden Adel auch Eck von Reischach war dabei ^) Fastnacht zu Überlingen.-') Dass man auf reformierter Seite von solchen Zusammenkünften nichts Gutes erwartete, ist begreiflich; erhielt doch Zürich am gleichen Tage, da Kilian mit dem Adel Fastnacht feierte, Kunde von kathohschen Rüstungen jenseits des Sees, und zwar figurierte unter den Werbeplätzen neben Zell am Untersee auch Überlingen und als Anführer des Heeres, das angeblich auf 20,000 Mann gebracht werden sollte, Zürichs grimmiger Feind. Marx Sittich.'') Dass dabei auch der Abt beteiligt sei, war man auf reformierter Seite umso eher zu glauben ge- neigt, als dem Prälaten schon seit Juni 1529 offen vorgeworfen wurde, dass er Marx Sittich Geld gegeben habe, um Kriegsleute gegen die Schweiz anzuwerben, und dass er sich bei dem Herrn von Ems befunden, als nach dem ersten Kappelerkrieg der Sturm im Rheintal erging. ') Doch der Abt bestritt schon damals diese

vgl. auch die Angaben der Berichterstatter über die Ausgaben des Abtes für die Feier: Sicher ca. 400 gl., Sabb. ca. 600 gl., Vad. ca. 2000 gl.

^) Vgl. dazu das St. Galler Schützenfest vom Mai 1527.

2) St.-A., Bd. 307, S. 62.

•^) 1. Febr. Kilian an Schenkli und Batzenheid, St.-A., Bd. 307, S. 89/92.

1) A.-S., II, 1166.

^) Vad., in, S. 241 11-17.

«) A.-S., II, 1159.

^) Siehe oben, S. 117.

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Beschiildigimgen auf das entschiedenste ^) und schrieb deswegen am 21. Juh 1529 an die Tagherren zu Baden: „dann in der warhait mir daran gantz unfrüntHch und unrecht beschicht unnd bsche- chenn ist; sol und wirt sich ouch, dermassen ainicherlay ge- hanndelt habenn noch gepraticiert, mit warhait niemer erfinden, sonnders das ich mich die zyt har für unnd für ze Überlingen unnd daselbs enthalten, ouch zu allen dinngen das best und wägst unnd alles, das sich zii frid, rüw unnd ainigkait zogenn unnd diennt, geredt hab". Diese Verteidigung bezog sich aber noch auf einen weitern Vorwurf, der dem Abt gemacht wurde, „als ob er der sin solle, der in disem kriegklichenn ufrür mit küng Fer- dinandussen naißwan ain haimlichenn verstannd unnd pratick ge- macht und angenomenn".-) Grund zu diesen nicht zu beweisenden Beschuldigungen mochten die auffällige Freundlichkeit Ferdinands gegen den Abt, sowie die Versprechungen sein, die der König dem Prälaten machte; schrieb doch am 5. Juli 1529 Kilian unter anderem an einen seiner Getreuen, Heinrich Sailer, zu St. Gallen : man habe sich in seiner Umgebung gewundert über die grossen Hilfszusagen, welche ihm der König gemacht; er wolle aber nichts ,, stifften ". ^) Und einige Tage nachher berichtete er seinen Konventherren zu St. Gallen : der König habe ihm einen eigenhändig unterzeichneten Brief geschickt, und zwar durch „fast'' den obersten Ratsboten, „mit semlichem grossenn gne- digenn erpietenn, das nünt darvon zu sagen ist (!)" ; er, der Abt, werde aber noch zuwarten; wollte er das nicht, „so wurdint ettlich nit wyt mer wandlen" ; er sei guter Hoffnung, dass er und sein Gotteshaus bald „erlöst" würden. ^)

^) St.-A., Fase. 14, Kilian an die Toggenburger. 12. Juli, ebenso au die Ootteshausleute, 7. August, und Bd. 101, S. 28 30, an Appenzell, 18. August 1529. Der Abt beklagte sich darin besonders über den Appenzeller Bartholo- mäus Bärweger, der „zu Ptäffers im bad haiter und unverborgenlich " erzählt habe, dass der Abt im vergangenen ersten Kappelerkrieg Landsknechten „ain besoldung'" bezahlt, um sie gegen die reformierte Schweiz führen zu lassen. Kilian könne wegen dieser Verleumdung dem Bärweger „rechtens nit erlassenn".

-) St.-A., Bd. 101, S. 9/10, Kilian an die eidgenössischen Boten zu Baden, dat. den 21. Juli.

3) St.-A., Fase. 14.

^j St.-A., Bd. 101, S. 1 f., 14. Juli. Mehr Material über die Beziehungen Kilians zu König Ferdinand war nicht aufzufinden. Die Kopialbüeher der vorderösterreichischen Regierung, die zu Innsbruck, Stuttgart und Ludwigsburg liegen (siehe darüber Escher, Glaubensparteien, S. VI und VII), versagen hier

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Doch seine Sache verschhmmerte sich zusehends; denn im Sep- tember 1529 wurde ilim berichtet, dass Zürich und Glarus einen seiner abgefallenen Konventherren, Anton Vogt, zum weltlichen Herrn über die Lande des Gotteshauses setzen wollten, worein die Stiftsleute bereits gewilligt hätten. ^) Wenn aber der Abt von den Eidgenossen seine Erlösung erwartet hatte, so war er, wie wir bereits wissen, gründlich enttäuscht worden. War also von dieser Seite nichts zu hoffen, so gedachte sich Kilian jetzt seine Stellung als Reichsfürst zu nutze zu machen und den Kaiser, der in Deutschland erwartet wurde, um Hilfe anzurufen. Schon Ende 1529 scheint ihm Joseph Amberg von Schwyz den Rat gegeben zu haben, sich an den Kaiser zu wenden, da die katholischen Orte ihm nicht zu helfen wüssten, -) und anfangs Januar 1530 drohte der Abt auf einem Tag zu Luzern vor den Boten der IX Orte: wenn man ihm nicht zum Recht verhelfe, so sei er genötigt, als Glied und Fürst des Reichs anderswo Hilfe und Recht zu suchen. ') Wohl im Hinblick auf die baldige An- kunft des Kaisers schrieb ihm am 13. Januar einer seiner treu- gebliebenen geistlichen Anhänger, die zum Teil schon seit August 1529 im Kloster Mehrerau bei ßregenz Unterkunft gefunden hatten : ') Kilian möge handfest sein ; zweifellos werde ihm bald geholfen werden. •') Am 15. ds. M. berichtete der Abt an Schenkli und Hans Germann, dass der Kaiser auf den heiligen Dreikönigs- abend zu Rom eingeritten sei und am andern Tag sich daselbst habe krönen lassen; spätestens am 1. März werde er nach

völlig. Daraus dürfte wohl, in Anbetracht der Sorgfalt, mit welcher alles we- sentliche, was die vorderösterreichische Regierung anging, in die genannten Kopialbücher eingetragen wurde, mit einer gewissen Sicherheit hervorgehen, dass Kilian, wie er auch ausdrücklich in einigen Schreiben bemerkt, den Verlauf seines Handels „usswarten" wollte, ohne sich weiter mit Ferdinand oder dessen Regierung in ein Paktieren gegen die reformierten Orte einzulassen. Es blieb ihm ja schliesslich noch der Kaiser übrig, der in den ersten Monaten des Jahres 1530 in Deutschland eintreffen sollte. Als Fürst des Reiches konnte Kilian den auf den 8. April ausgeschriebenen Reichstag besuchen, ohne dass man ihm daraus auf reformierter Seite einen Vorwurf hätte machen können.

') A.-S., II, 802.

2) A.-S., II, 1033 1 7.

•') E. A., IV, Ib, Nr. 247 p.

*) St.-A., Bd. 101, S. 35—36.

■>) St.-A., Bd. 307, S. 424. Heinrich Sailer an Kilian.

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Innsbruck kommen und wolle dann mit seinem grossen Heere die Widerspenstigen mit Gewalt zum alten Glauben zurückbringen; ]nan rüste sich allenthalben mächtig auf die Ankunft des Kaisers.') Noch im gleichen Monat Januar (1530) erhielt der Abt aus dem genannten Kloster bei Bregenz von seinem Dekan und Konvent die Kunde, der Kaiser werde auf die kommende Fastnacht zu Innsbruck sein; der ,,Doktor von der Regierung" habe eine In- struktion mit nach Innsbruck genommen betreffs aller Handlungen der Zürcher und Glarner gegen den Abt und wolle seine Herren (d. h. die Regierung in Innsbruck) von dem Handel unterrichten.-) Kilian mochte jetzt wohl glauben, es sei Zeit, dass seine Sache energisch beim Kaiser an die Hand genommen werde. Schon am 1. Februar konnte er an Schenkli und Batzenheider schreiben: .,So wissent, dass wir verschiner tagen bimm coadjutor zu Mörs- purg gewesen unnd im all unnsers gotzhus henndel unnd sachenn erzelt unnd inn daruf umb hilff unnd rat ankert unnd ersucht haben. Derselbig sich dann füruß hoch unnd treffennlichen aller gütwilligkait gegen unns erpotten und hat unns nämlichen an- zaigt, er werde in kurtzem widerumb hinweg unnd den nechsten selbs personlichen zu kayserlicher mayestat ryten, unnd darumb so söllint wir im ain Instruction aller des gotzhus erganngner Sachen halber stellen; so welle er die zu im nemen unnd dem- nach den hanndel selbs mundthchen kay(serlicher) M(ajesta)t unnd zumm trüwlichesten fürtragenn unnd ungezwifelt sovil hanndlen, das uns und dem gotzhus erschiessennlichen sin werde, mit vil früntlichem trost unnd züsagenn etc. Also habenn wir ain Instruction stellen lassenn unnd darinn all erganngen henndel unnd artickel, wie unnd vonn wemm die dem gotzhus unnd uns von ainem an das annder begegnet unnd widerfaren sind, ge- meldt unnd ganntz nüntz darinn ußgelassenn. Dieselbigen er dann zu gutem gefallen angenomen, unnd sind also daruf mit dem coadjutor zu Mörspurg in cantzly ganngen, die doctor Jörgen, cantzler unnd den vogt unnd züvoran imnsern herrenn von Costentz verhören lassen, unnd hat daruf der cantzler ain missif an kay(serliche) M(ajesta)t zumm scherpffisten unnd bestenn ge- macht unnd darinne dero, so unns des unnsern on recht ent-

') St.-A., Bd. 307, S. 67 f. -^) St.-A., Bd. 307, S. 59.

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setzenn wennd, ganntz nit verschonet, sonnder alle handliing darinn gantz ordenlich anzaigt unnd nüntz underlassenn, und zületst haben wir darinn kay(serliche) M(ajesta)t als ain fürst des rychs umb schirm unnd schütz angerüfft. unnd ist dermasen so ordennlich unnd grundtlich verfast unnd beschechen, das wir ungezwifelt verhoffennt, es werde unns zu gutem erschiessen unnd in kurtzem gschrifftenn von kay(serlicher) M(ajesta)t an gemain Aidtgnossen unnd sonndrige ort unnd stett komen.'' ')

Ende März 1530 konnte der Abt den Tagherren zu Baden mitteilen, dass ihm durch ein besiegeltes Mandat vom Kaiser der Reichstag zu Augsburg verkündet worden sei; er habe im Sinne, denselben zu besuchen, was er hiemit angezeigt haben wolle. -) Der Prälat hatte um so mehr Grund, dies zu tun, als ihm die V Orte, wie früher, auch jetzt wieder dazu rieten, ^i Dasselbe tat sein Reichsvogt, indem er die betrübende Lage des Gotteshauses St. Gallen schilderte, wie die Gegner sich in ihrem Beginnen nicht aufhalten Hessen und ihre Reihen stets verstärkten, während die äbtische Partei immer schwächer werde. Von den Zürchern speziell erklärte er : „Denen lüten wil nieman kain wi- derstand tun; man furcht si, das got erbarm'".^)

Als vollends am 22. Juni Kilians Kämmerer, den der Abt nach Augsburg geschickt hatte, wieder zurückkam und ihn auf Anraten von Augsburger Freunden aufforderte, ,,angentz" selbst dorthin zu gehen, schrieb Kilian am gleichen Tag an seinen Reichsvogt: er werde diesem Winke Folge leisten; Schenkli solle nunmehr auf der Tagsatzung „weder umb recht noch gütigkait anrüffen. noch des ainicher gestalt wyter begeren'"; es dünke ihn dies nunmehr ganz unnötig, und er wolle es auch nicht haben ; da er bisher die Eidgenossen so oft um Recht an- gerufen und nicht dazu habe gelangen können, so glaube er. „jetz ouch gegen kay(serliche) M(ajesta)t und andern dester mer glimpffs und ursach'" zu haben, und hoffe, dass es „fruchtbar" ausschlagen werde. '')

1) St.-A., Bd. 307, S. 90 91.

-) E. A., IV, Ib, Nr. 291 zu 1 i. is.

^) E. A., IV, Ib, Nr. 311 e.

■*) St.-A., Bd. 307, S. 227.

■'') Originalschreibeu (von Sailers Hand) vom 22. Juui. St.-A., Bd. 307. S. 313 316; der in dem Brief enthaltene Bericht vom Einzug Karls Y. in Augsburg findet sich in Beilage VII,

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Doch die Abreise des Abtes verzögerte sich bis zum 7. Jiüi. und erst am 9. ds. M. langte er mit drei Begleitern, unter ihnen der Schreiber, Rudolf Sailer, in Augsburg an. Bei seiner An- kunft wurde ihm „von denen von Ougspurg mit acht kannten gantz erheb geschennckt unnd er darbi erlich gegrüst unnd empfangen".') Doch musste sich der Abt mit einem Logis bei einem Fisclier in einer abgelegenen Gasse begnügen. Am folgenden Tage speiste er bei dem ebenfalls zu Augsburg befindhchen Bischof von Konstanz. Am 11. Juli wurde Kihan bei ihm zur Audienz zugelassen. -)

Wie der Bischof, so hatte sich auch Luzern des Abtes an- genommen und ihm eine „fürgschrifff" an den Kaiser mitge- geben, die, wie aus dem Inhalt des Schreibens klar hervorgeht, wenigstens inbezug auf den zweiten Teil auch im Namen von Schwyz abgefasst war. Eingangs begrüssen die Luzerner den Kaiser in demütigen Worten und erklären, dass sie um des Friedens und der Ruhe der Eidgenossenschaft willen keine Bot- schaft an ihn geschickt hätten; er möge ihnen diese ,,schlechte empfachung und begrüessung mit gschrifff' nicht verargen. Sonst aber beschäftigt sich der Inhalt dieses Aktenstückes nur mit Abt Kilian und dessen Gotteshaus, und zwar in sehr scharfer Tonart, und zeigt uns so recht, wie man eigenthch in der Innerschweiz über Zürichs und seiner Anhänger Vorgehen in den Stiftslanden dachte. Laut wird darin Klage geführt, was für „beschwerlich, verachthch, unerhört, überflüssig, unbilHch händel und Sachen'- dem Abt seit seiner Wahl begegnet seien ; wie er Luzern und Schwyz laut Burg- und Landreclit so oft angerufen, ihm zu dem Seinen oder zum Recht gegen Zürich und Glarus zu verhelfen, wie die beiden katholischen Orte jedoch Zürich und Glarus nicht dazu hätten bringen können ; wie auch der Abt die eidgenössischen Boten insgesamt auf ihren Tagungen angerufen, ihm um Gottes und der Gerechtigkeit willen zum „rechten" zu verhelfen und ihn „nit also rechtlos" zu lassen ; wie aber das alles nichts genützt habe, so dass er mit ihnen, den zwei Orten, recht- los dastehen müsse, „das Gott klagt sig". Da sie selbst nicht imstande seien, dem Abt zu helfen, so sei ihr „demüetig, trungen-

1) Tgb. Sau., Fol. 121a. ■^) A.-S., II, 1471 1.

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lieh und ernstlich anrüefen und bitt'\ der Kaiser möge „durch etwas mitel und weg" verschaffen, dass dem Prälaten geholfen werde; dieser werde selbst in eingehenderer Weise, als sie es jetzt getan, seine Klagen bei seiner Majestät anbringen, und es sei ihre Bitte, dass der Kaiser ihn „ganz gnedigkUch" anhören möge. ')

Der Abt hatte seinerseits sein Anbringen beim Kaiser in zwei ungleich grosse Schriftstücke zusammengefasst. Im ersten, „Supplikation" genannt, beklagte sich Kilian hoch über die Ge- walttaten, die ihm von St. Gallen und Zürich widerfahren seien. Besonders schlimm kam dabei erstere Stadt weg, indem sie be- schuldigt wurde, ihre „mithelffer" von Zürich zu deren gewalt- tätigem Vorgehen in den Gotteshauslanden aufgestachelt zu haben. Zum Schluss rief der Abt den Kaiser als den Advokaten der heiligen christlichen Kirche hoch und teuer an, ihn aus dem „gefenngknus der unglöubigen" zu erlösen. ^) Dieses Aktenstück war mehr allgemein gehalten, und erst in einem weitern für den Kaiser bestimmten Dokument trat der Abt auf die einzelnen Be- schwerdepunkte näher ein. '') In ziemlich einlässlicher Weise wird da berichtet, was Kilian von der Stadt St. Gallen, von Zürich und Glarus alles begegnet sei, und ausführlich wird der Bilder- sturm im Münster (Februar 1529) geschildert. Nachdem alle wesentlichen Anklagepunkte gegen die Stadt St. Gallen dargetan sind, wird speziell darauf hingewiesen, dass dies besonders darum

') E. A., IV. Ib, Nr. 360 Notes. Strickler glaubte, das Datum auf Mitte Juli annehmen zu müssen. Das Schreiben ist aber, laut St.-A., Bd. 101, S. 114 und Tgb. Sail., Fol. 123 a, vom 29. Mai datiert. Bis zu diesem Tage hatte also, wie wir aus den Eingangsworten ersehen, Luzern nicht im Sinne, eine Botschaft an den Kaiser nach Augsburg zu senden. Dann aber muss es verhältnismässig rasch seine Ansicht geändert haben, da bereits am 5. Juli eine dreiköi)fige Lu- zeruer Gesandtschaft zu Augsburg eintraf. Entgegen Eschers Bemerkung (S. 174) wurde, laut Tgb. Sail., Pol. 121 b, die Missive Luzei-ns an den Kaiser dem Abt mitgegeben und nicht den Luzerner Gesandten. Es hätte auch wenig Sinn gehabt, wenn Luzern seiner Gesandtschaft ein Schreiben an Karl V. mit- gegeben hätte, worin es erklärte, dass es wegen der schwierigen Lage in der Eidgenossenschaft keine Gesandtschaft schicken könne.

^) Siehe das Einzelne in Beilage II.

•') Indem wir uns mit einem kurzen Überblick über den Inhalt des Akten- stückes begnügen, verweisen wir auf Beilage III, wo die Schrift in extenso wiedergegeben ist.

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für die St. Galler schwerwiegende Händel seien, weil sämtliche Bürger der Stadt ohne Ausnahme geschworene Lehenleiite des Gotteshauses St. Gallen seien (!). Dann kommen die Zürcher und Glarner an die Reihe, denen natürlich vor allem ihr eigen- mächtiges Vorgehen in den Landen des Gotteshauses zur Last gelegt wird; der Abt habe auch gegen sie nicht zum Recht gelangen können, so wird zum Schlüsse bemerkt, sondern „also rechtloß" vor gemeinen Eidgenossen dastehen müssen, da diese ihm nicht ..haben mögen noch wellen diser zyt zu gepürlichem und zimlichem rechten verhelffen".

Auch für die Reichsstände hatte Kilian eine besondere ., Supplikation" ausarbeiten lassen. Darin richteten sich die An- griffe des Abtes wiederum in erster Linie gegen St. Gallen, das wie in der Supplikation an den Kaiser beschuldigt wurde, die Zürcher zur Eroberung der Lande des Gotteshauses während des ersten Kappelerkrieges aufgereizt zu haben. Die beiden Orte hätten auch samt ihrem Anhang die Stiftsleute zum Abfall von ihrem Herrn aufgestachelt, so dass diese ihm den Gehorsam aufgekündet hätten, und vergebens habe der Abt nach Empfang der Benediktion und der Regalien den „vermaindten regierern'' befohlen, von ihrem selbstherrlichen Vorgehen abzustehen. Er rufe darum die Stände des Reiches an, sich für ihn beim Kaiser zu verwenden, damit ihn dieser „durch ettwas mittel unnd weg", wie solche seiner Majestät ja ohne Zahl zur Verfügung stünden, wieder in sein Gotteshaus einsetze. ') Damit die Stände sich besser über seine und seines Klosters Lage orientieren könnten, hatte ihnen der Abt noch eine besondere Abschrift der ein- zelnen schon erwähnten Beschwerdeartikel übergeben lassen ; -)

•) Siehe Beilage IV.

-) Siehe Beilage IIL Dass der Abt persönlich von Kaiser und Reichs- ständen verhört worden sei, könnte man wohl aus folgender Stelle des Sailer- schen Tagebuches schliessen : „Unnd wie also min gnediger her sölich sin unnd sins gotzhus ob unnd anligenndt henndel unnd gschäfft dermassen, als obstat, Sailer gab dort die Missive Luzerns und die Supplikationen und Beschwerde- artikel des Abtes in extenso wieder durch gschrifift und ouch von mund vollenn- det unnd bi kay(serlicher) M(ajesta)t, ouch den stennden dess Rychs fürgetragenn und nach allen statten angezaigt unnd erzelt, hat er . . ." (Tgb., Fol. 130b). Auch nach dem Schreiben Luzerns an Karl V. (siehe oben) möchte man es vermuten, und so nimmt denn auch Mezler (S. 649) es als sicher an, indem er schreibt: ,Eo (nach Augsburg) Kilianus etiam profectus, cum benigne a Carolo

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daneben warb er zu Augsburg auf das eifrigste für seine Sache „mit mer mundtliclier unnd selbs gethaner hanndlung sinns an- ligenns". ^)

Doch all das wollten die Äbtischen vorderhand ihren Gegnern verheimlichen. Am 16. Juli schrieb ein gewisser N. aus Augsburg an eine reformierte Stadt, wahrscheinlich St. Gallen : er habe Rudolf Sailer auf der Strasse getroffen; der habe ihm erklärt, sein Herr wäre zu Augsburg allein deshalb, „da er wolt leben empfachen vom bischof von Chur'' ; Kilian wolle auch sehen, was auf dem Reichstag beschlossen würde; es werde ihm dann gehen wie den andern Prälaten auch. -) Weiter meldete der Berichterstatter die Anwesenheit der Luzerner Gesandtschaft zu Augsburg ; von Zug seien Heinrich Schönbrunner und der Seckel- meister anwesend;-^) sie seien wohl „zuvorderst" deshalb da,

atque a Ferdinando Rege fuisset exceptus". Doch scheint v. Arx (II, S. 574) nicht dieser Ansicht zu sein, und auch uns kommt sie unwahrscheinlich vor. Dass der Abt seine Beschwerden durch Mittelmänner anbrachte, deutet wohl das Tgb. Sail. selbst an. wenn darin gesagt wird: ,Nun so volgt hernach die Supplication unud ettlich verzaichnett artickel, wie die min gnediger her an kay(serliche) M(ajesta)t anpracht unnd fürtragen hat mit hilff mins g(nedigen) h(errn) von Costentz" (Tgb. Sail., Fol. 123a). und zu der Behauptung von äbtischer Seite, dass Kilian persönlich vor den ßeichsständen erschienen sei, erklärt Vadian (III, S. 259 n) kurz : „was erlogen". In der Tat bemerkt der Abt in seinem Be- richt (s. Anm. 1 auf S. 158) über den Erfolg seiner Bemühungen in Augsburg nur. er sei nicht nur von den Geringsten, sondern auch von vornehmen und namhaften Fürsten des Reichs wohl empfangen und gehalten worden, und mit Hilfe des Bischofs von Konstanz, Balthasar Merklin, Propst zu Waldkirch, habe er alle seine Supplikationen samt etlichen schriftlichen Artikeln, wie es ihm ergangen, ganz nach seinem Willen und Gefallen angebracht.

') St.-A., Bd. 101, S. 123.

^) Das war nun allerdings wenig der Wahrheit gemäss, da, wie wir ge- nugsam vernommen, Kilian in erster Linie darum nach Augsburg ging, um den Kaiser um Hilfe anzurufen. Doch fand jene Lehenverleihung wirklich statt. Es handelte sich dabei um die Eidesleistung und die Gelübde, welche Kilian dem Bischof von Chur zu banden des Kaisers für den Empfang der Regalien und Lehen zu leisten hatte. Dies geschah am 11. Juli in der „behausung" des Job. Koler, Doktor der geistlichen Rechte, Dompropst zu Chur und zu St. Mau- ritius in Augsburg, St.-A., P. 2. L. 2, Orig.

•^) Siehe Escher, Glaubensparteien Kap. VII.: „Die V Orte während des Augsburger Reichstages " .

') A.-S., TL 1471h : E. A.. IV. 1 1), Nr. 353d.

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ist, dass der Abt zu Augsburg viel Geld ausgab. Er berichtete nämlich dem Reichsvogt und seinem Bruder: eine Summe Geldes, die er aufgenommen, sei auf dem Reichstage beinahe verbraucht worden, weil alles sehr teuer gewesen. ^

Am 19. Juli verreiste der Abt und traf am 22. wieder zu Wolfurt-) ein.-') Noch unterwegs hatte er vom Gotteshaus Ochsen- hausen aus dem Reichsvogt und seinem Bruder Hans Germann nach Einsiedeln geschrieben, wie er zu Augsburg „insonders ehrlich und wohl empfangen und gehalten worden", und zwar nicht bloss von den Geringsten, sondern auch von vornehmen

1) A.-S., 11, 1488.;.

-) Der Abt und die ihm treu gebliebenen Konventherren hatten hier seit dem 26. Februar 1530 ihren Wohnsitz aufgeschlagen (Tgb. Sail., Fol. 84 a), nachdem sie, wie wir gehört, sich vorher im Kloster Mehrerau bei Bregenz aufgehalten hatten. Es war wohl kein Zufall, dass Kilian sich nunmehr gerade zu Wolfurt niedergelassen ; denn das Schlösschen lag ganz nahe bei Bregenz, wo, wie wir wissen, Marx Sittich Herr war. Dass aber Kilian seinen neuen Wohnsitz gekauft habe, dürfte unrichtig sein. Kessler nimmt zwar einen Kauf an (Sabb., S. 341 is), und ihm vielleicht folgte Franz Joseph Weizenegger [Vor- arlberg, Bd. II, herausgegeben von M. Merkle (Insbruck 1839) Artikel „Wolf- furt", S. 347ff.l. Auch Vadian, (11, S. 414 3ß) berichtet, der Abt habe das „Schlössli" gekauft, wie man sage, um 5000 gl.; doch widerspricht er sich, indem er in seinem Diarium (Vad., III, S. 227 32) erzählt, im Jahre 1530 habe der Abt das Schlösschen , dingt um ain zins". Ferner weiss Sailers Tgb. nichts davon, dass der Abt seinen neuen Wohnsitz käuflich an sich gebracht habe, u.nd Sicher sagt an der Stelle, wo er den Prälaten zu Wolfurt seinen Wohnsitz nehmen lässf (S. 150 m-ao), ausdrücklich, das Schloss gehöre der Familie Leber von Bregenz. Nun steht in den „Lehensauszügen des Walgau" (Statthaltereiarchiv Innsbruck) unterm 22. April 1528: „Burg Wolffurt . . hat Georg Echtpeckh, burger zu Überlingen, an stat als Lehentrager weilend Jacoben Lebers gelassen sons, genannt Hannss, zu leben empfangen . ." (Lehen lib. 1. Fol. 134). und unterm 18. Apinl 1537 heisst es: „Hannss Leber hat auf die new lehensberuetfung vorgemelt leben empfangen ..." (Lehen lib., Pol. 257). Das Schlösschen war nämlich 1463 an die Familie Leber gekommen, welche dann unter Kaiser Maximilian I. den Adelstitel von Wolfurt erhalten hatte. Von Echtpeckh dürfte Kilian das Schlösschen gemietet haben. Dies konnte um so leichter geschehen, weil Echtpeckh ja Bürger zu Überlingen war, wo der Abt zuerst Aufenthalt genommen. Obschon Burg Wolfurt in den „Lehensauszügen des Walgau" figuriert, kann es sich doch nicht um eine zweite Burg gleichen Namens in der Gegend von Bludenz bis Feldkirch handeln, da Sicher die Wol- furt bei Bregenz mit dem gleichnamigen Besitztum der Familie Leber identi- fiziert und es laut gütiger Mitteilung von Herrn Landesarchivar Kleiner in Bregenz „in ganz Vorarlberg ein anderes Wolfurt nicht gibt."

3) Tgb. Sail., Fol. 132 b.

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und namhaften Fürsten des Reichs. Mit Hilfe des Bischofs von Konstanz habe er alle seine Supplikationen samt etlichen schrift- lichen Artikeln, wie es ihm ergangen, ganz nach seinem Willen und Gefallen angebracht und so fleissig sich beworben, dass es unzweifelhaft ihm und seinem Gotteshaus zum guten ausschlagen werde. Man habe ihn auch getröstet, er werde und solle in kurtzem wieder zu seinem Rechte gelangen wie andere vertrie- bene Christen auch ; man erwarte in nächster Zeit eine Änderung und zwar so, dass alles wieder zum alten Glauben gebracht werde. Die Sache lasse sich gut an ; der Kaiser sei nämlich entschlossen, jedem zu dem Seinen zu verhelfen und sein ganzes Vermögen daran zu „binden". ^)

Doch Karl V. hatte vorderhand noch keineswegs Lust, mit Gewalt gegen die religiösen Neuerer vorzugehen, den Knoten, der sich nicht mehr lösen liess, mit dem Schwerte durchzuhauen. Noch den ganzen August hindurch dauerten seine Ausgleichs- versuche, und dementsprechend lautete auch das Gutachten des für Bittschriften verordneten Ausschusses in der st. gallischen Angelegenheit vom 21. August: es sei dies ein „fast schwerer und wichtiger Handel'' ; darum möchten die churfürstlichen und fürstlichen Gnaden besondern Fleiss ankehren und auf Wege trachten, den Bittsteller wiederum in seine Rechte einzusetzen.-) Das hiess unter den damaligen politischen Verhältnissen die äbtische Angelegenheit auf ungewisse Zeit vertagen.

^) A.-S., II, 1488 1—4. Es gelang St. Galleu durch „holflicli abzwickeu" (!) eine Kopie des Schreibens zu erhalten, worauf die Stadt sich beeilte, die Burg- rechtsstädte von demselben in Kenntnis zu setzen (Vad.. III, S. 260 nis).

-) E. A., lY, Ib, S. 723.

III. ABSCHNITT.

Abtei und Stadt St. Gallen nach dem ersten Kappeler- kriege bis zum Tode Abt Kilians.

I. Kapitel.

Die Emanzipation des Fürstenlandes von der Abtei.

A. Die Verhandlungen über die Aufrichtung einer neuen Verfassung bis Ende 1529.

Die Fhicht Kilians nach Überlingen bot den Gotteshausleuten die erwünschte Gelegenheit, ihre völlige Lösung vom Stifte ener- gisch zu betreiben. Schon am !). Juni 1529 wurde dem Abt be- richtet, dass die Stiftsbauern eine Botschaft zu den vier Schirm- orten gesandt hätten, um von ihnen die Erlaubnis zur Wahl eines Landammanns zu erhalten, der im Verein mit dem Hauptmann die fürstäbtische Landschaft regieren sollte. 0 Doch wird diese Gesandtschaft wenig ausgerichtet haben ; denn der Wiler Kanzler berichtete am (5. Juli dem Abt, dass vergangener Tage eine Ab- ordnung der Gotteshausleute in Zürich erschienen sei und die Stadt gebeten habe, ihnen Selbstregierung zu geben, da sie „fry lüt" seien, womit sie jedoch den vier Orten nichts in ihre Haupt- mannschaft geredet haben möchten ; -) aber man sei dort den

») A.-S.. IL 479.

-) Wenn jedoch die Gotteshausleute besonders seit ihnen der Huldi- gungseid, den sie im ersten Kappelerkrieg hatten leisten müssen, wieder „abkündt" worden war sich darauf berufen wollten, dass „sy vornacher nit der vier Orten, sonder eins herren von Sant Gallen gsin und die vier Ort nüt an inen gehept, denn dass sy eim herren von St. Gallen habint ein houpt- man geben, der eim herren solle hilflich sin, sofer die gottshuislüt eim herren welltint nit gehorsam sin" (A.-S.. II, 659), so war das freilich nicht ganz

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Gesandten mit „schimpflicher antwurt" begegnet: sie sollten ge- mässigtere Forderungen stellen ^) und vorderhand nach Hause zurückkehren ; Zürich werde sich diese Sache überlegen und ihnen, wenn es gelegen sei, Antwort geben. -)

Doch die Verhältnisse in den Landen des Abtes drängten Zürich zu raschem Handeln. Schon Ende Juni hatte nämlich Frei an seine Regierung geschrieben, er werde überlaufen mit Beschwerden wegen Zehnten, Nutzung des Waldes, der Weiher etc.; es gehe im Fürstenlande „gar ungebunden" zu; wenn man nicht tapfer eingreife, so wisse er nicht, wie sich aus dem Handel ziehen. ^) Im Gotteshausland wolle „jedermann selb herr sin", schrieb Lienhard Schulder an Kilian. *) In äbtischen Kreisen sah man das natürlich gerne; die Sache fange an sich zu „bes- sern", wurde Othmar Glus nach Überlingen berichtet. '')

Zürich beeilte sich deshalb, Ordnung in die verworrenen Verhältnisse der alten Landschaft zu bringen, und schrieb auf den 14. Juli einen Tag der vier Schirmorte nach Zürich aus; doch erschienen nur die Boten von Glarus und Schwyz. Als Zürich diese ersuchte, ihm zu helfen, den Gotteshausleuten eine Re- gierung einzusetzen, da ihr Abt sie verlassen und seine ehe- maligen Untertanen ihn schlechterdings nicht mehr als ihren Herrn anerkennen wollten, auch bei den Stiftsbauern alles drunter und drüber gehe, hatten Schwyz und Glarus keine Vollmacht dazu. Deshalb wurde, zumal da Luzern nicht erschienen war, die Angelegenheit auf den nächsten Badener Tag verschoben;") doch verzog sich die gemeinsame Behandlung der Sache durch die IV Orte bis zum 28. August, an welchem Tage sich alle

richtig. Der neue Schirmvertrag vom 11.. Juni 1490, der nichts als eine ,, bessere erlüterung und verstendnus" des Burg- und Landrechts von 1451 und des Hauptmannschaftsvertrages von 1479 sein sollte, hatte das äbtische Untertanenland ,,zu einer Art gemeiner Herrschaft" (W. Öchsli : ,,Orte und Zugewandte", S. 55) herabgedrückt. Dies war namentlich durch die Be- stimmung geschehen, dass die Gotteshausleute im Kriegsfall den vier Schirm- orten oder deren Mehrheit auf eigene Kosten zuziehen sollten.

0 . . die Sache nicht „zu hoch", sondern ,.zimlich'' anziehen etc.

2) A.-S., II, 653.

3) A.-S., II, 630 1. •*) A.-S., II, 670.

'") St.-A., Fase. 14.

ß) E. A., IV, Ib, Nr. 141.

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Schirmorte zu Wil einfanden. Dort erneuerten die Gotteshaus- leute ihr Begehren, sich eine Regierung geben zu dürfen, ohne jedoch, wie sie beifügten, den Briefen, Burg- und Landrechten, welche die Obern der Hauptmannschaft wegen hätten, damit Eintrag tun zu wollen. Die Boten der IV Orte fragten sie danach, wen sie eigentlich zu ihrem Herrn haben wollten, worauf die Gesandten der Landschaft gewandt entgegneten: sie könnten hierauf nicht Antwort geben, bis sie wüssten, ob die IV Orte den Abt auch „auszureuten" im Sinne hätten. Jedoch als nun die Boten ihre Instruktionen eröffneten, zeigte sich, dass sie ungleich lauteten. Man schickte darum die Gotteshausleute mit Vertröstung auf einen andern Tag wieder heim, trotzdem sie sich über diesen Bescheid, mit Hinweis auf die unhaltbaren Zustände in den äb- tischen Landen, beschwerten. Da so dieser Tag zu Wil „zer- gangen" war, die Boten von Luzern und Schwyz aber keine Vollmacht gehabt hatten, einen weitern Tag, wie man den Gottes- hausleuten versprochen, in der Angelegenheit zu bestimmen, so setzten Zürich und Glarus dafür von sich aus eine neue Kon- ferenz auf den 12. September wieder nach Wil an, wo jedes Ort mit bevollmächtigten Boten erscheinen sollte. ^) Doch wurde erst am 20. September die Angelegenheit zu Wil wieder aufgenommen. Es rückten nun die Gotteshausleute daselbst mit Artikeln auf, in denen sie darlegten, wie sie sich das neue Regiment in ihrem Gebiete dachten, nämlich nicht anders, als dass an Stelle des Abtes eine von ihnen ernannte Regierung zu treten hätte : an ihrer Spitze so lautete ihr Entwurf soll ein Landammann stehen ; in dem Eid, den alljährlich „regiment, amptlüt, gricht vmd rat. euch gmeind" dem Landammann abzulegen haben, sollen die Gotteshausleute sich auch verpflichten, den vier Orten zu leisten, was sie laut Sprüchen und Verträgen schuldig sind; Zinse etc. sollen „mit hilf und rat eins hoptmans, landammans und rats" eingezogen, „unbillich beswerden" beseitigt werden; wer appel- lieren will, wenn er sich durch ein Urteil beschwert fühlt, mag dies tun vor Hauptmann, Landammann und Räten; malefizische Händel soll, wenn das Gericht sich spaltet und „zuo glich urteP' abgibt, der Hauptmann entscheiden." -)

') E. A., IV, Ib, Nr. 173 a, c ; A.-S., II, 776 1. 2)E. A., IV, Ib, Nr. 187 zu e.

St.Gnller Mittlijn. z. vaterläml. Gesc-h. XXXIII. H

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Doch Zürich konnte auf diese Vorschläge nicht ein- gehen, wenn es nicht seine dominierende Stellung im äbtischen Gebiete verlieren wollte. So lehnte es denn das Begehren der Gotteshausleute ab, da man, wie der „Ratschlag" darüber erklärt, bemerkt habe, wie die Gotteshausleute unter dem Schein „eines guten Geistes" gerne „Freiheit des Fleisches" hätten und selbst gern regieren würden ; das sei nicht rätlich, da den Schirmorten Luzern und Schwyz eine solche Obrigkeit nicht gefallen würde und ohne deren Zustimmung ein solches Regiment keinen langen Bestand hätte; man wolle den Stiftsleuten jedoch gestatten, die niedern Gerichte mit Hilfe des Hauptmanns mit ,.gottliebenden" Männern zu besetzen, damit die Leute über Gericht und Recht nicht zu klagen hätten; die Appellationen sollten einstweilen an den Hauptmann gehen ; damit hätten sich die Gotteshaus- leute vorderhand zu begnügen. ^) An Luzern und Schwyz aber schrieb Zürich : da gegen Erwarten ihre Boten sich nicht zu Wil befänden, um mit Zürich und Glarus in der Angelegenheit der Stiftsbauern zu handeln, ersuche man die beiden Orte, ohne Verzug ihre Botschaft zu senden, weil sonst ihre Vertreter allein „fürfahren" würden.^) Darauf schickten auch Luzern und Schwyz ihre Boten nach Wil. Doch kam man hier, wie zu erwarten war, wiederum zu keinem Ziele; denn im Gegensatz zu Zürich und Glarus hielten Luzern und Schwyz am Abte fest, da, wie sie er- klärten, noch nicht dargetan worden, dass er zur Regierung un- fähig sei. Darauf wurde am 7. Oktober in den Abschied genommen, man solle das nächste Mal Vollmacht haben, den Haushalt zu versehen, Statthalter und Amtleute zu Wil, St. Gallen und Ror- schach zu wählen und einige Vögte, die ihre Stelle aufzugeben im Sinne hätten, zu ersetzen. ^) Wann dieser Tag stattfinden sollte, wurde im Abschied nicht gesagt. Vorderhand fand man es in Zürich für das beste, die Angelegenheit der Statthalter, die der Hauptmann zu Wil und St. Gallen einzusetzen begehrte, ruhen zu lassen ; Hauptmann Frei sollte sich dafür einstweilen mit seinem zuverlässigen Schreiber Lorenz Appenzeller behelfen und ihn als Statthalter zu Wil gebrauchen. Sonst sollten zunächst

1) A.-S., II, 847 1.

2) A.-S, II, 844.

3) E. A.. IV. Ib. Nr. 200a, c.

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keine andern Statthalter ernannt werden; denn nähme man dazu einen Mann aus den Gotteshausleuten, so sähen diese darin eine „Anleitung", nach dem Regiment zu greifen; nähme man aber keinen Gotteshausmann, so wären die Stiftsleute unzufrieden. ^ Doch schon am Tage, nach welchem dieser Ratschlag aufgesetzt worden war, am 18. Oktober, schrieb Frei an seine Regierung: man solle ohne Verzug Statthalter nach St. Gallen und Wil setzen, da er allein mit so vielen böswilligen Dienern und Amtsleuten nicht länger wirtschaften könne. Ferner teilte er seiner Re- gierung mit, dass er in der Besetzung der niedern Gerichte bei den Tablatern und Mörswilern auf unbequemen Widerstand stosse und von den Täufern und „Widerwärtigen" fortwährend Unruhen verursacht würden; es wäre wohl gut, wenn Zürich durch Bot- schaft oder ein Schreiben an den am 24. Oktober zu Lömmiswil zusammentretenden Landrat der Gotteshausleute diesem Treiben ein Ende machte. -) Der Zürcher Rat leistete der Aufforderung Freis Folge, indem er Jakob Werdmüller als Abgesandten be- stimmte und ihm eine scharfe Instruktion mitgab, worin die Stadt den Gotteshausleuten ins Gedächtnis zurückrief, was sie schon alles für sie getan, wie aber die Gotteshausleute dessen nicht eingedenk seien, sondern nach täuferischer Ansicht selbst Herren sein und alle Obrigkeit abschütteln möchten, was Zürich nicht gefalle, auch unmöglich sei; sie sollten vorderhand die niedern Gerichte und Appellationen versehen lassen, wie das angeordnet worden sei; wenn sie aber in ihrem „ungeschickten Treiben ver- harren wollten, so werde Zürich seine Hand von ihnen abziehen.'^) Wie sich Zürich das zukünftige Regiment dachte, zeigt uns ein „Ratschlag" vom Anfang Dezember, an dessen Abfassung neben Röist, Thumysen, Jakob Werdmüller, Hans Bleuler, Peter Meyer und Stadtschreiber Beyel auch Zwingli beteiligt war. Hatten die Gotteshausleute in ihren Vorschlägen selbst domi- nierenden Einfluss auf die Regierung der Landschaft gewinnen wollen, vor allem durch den von ihnen zu wählenden Landammann, so betonte Zürich den entgegengesetzten Standpunkt, indem es das ganze Schwergewicht der Regierung, das eigentliche Regiment,

1) A.-S., II, 88 U>.

'') E. A., IV, Ib, Nr. 207 1.

3) E. A., IV, Ib, Nr. 207 2.

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dem Schirmhaiiptmann zudachte. Er sollte in den Gotteshaiis- landen „ir houpt beliben, sin und heissen, der alle Verwaltung der obern und beerhaften ^) geschäften in sinem gewalt haben und dem ouch alle anderen underamptlüt, es syge der hofamman oder andere, in dhand sehen und aller irer Verwaltung rechnung und bescheid geben söllent". Damit aber eine solche Machtfülle nicht etwa an eine Zürich missliebige Person käme und diese ihre mächtige Stellung zum Schaden der Stadt und des neuen Glaubens ausüben könnte, bestimmte der Ratschlag weiter, dass der jeweilige Hauptmann dem Gotteswort nicht widerwärtig sein dürfe, ansonst die Untertanen nicht gezwungen wären, ihn als ihr Haupt anzuerkennen, und um den dominierenden Ein- fluss Zürichs auf die äbtischen Untertanenlande möglichst fest zu begründen, war in dem Gutachten vorgesehen, dass Hauptmann Frei „von jetzhin" noch weitere zwei Jahre seines Amtes als Schirmhauptmann walten sollte. -)

Doch Luzern und Schwyz suchten die Ausführung dieser Pläne auf jede Weise zu hintertreiben, soweit ihnen das bei der damaligen machtvollen Position Zürichs möglich war. Am 15. No- vember beklagten sie sich heftig bei den Wilern und Gotteshaus- leuten, dass Zürich Dinge in den äbtischen Landen an die Hand nehme, die nicht einmal den vier Schirmorten insgesamt, ge- schweige einzelnen derselben erlaubt wären, und dass der Haupt- mann sich in den äbtischen Gebieten benehme, wie wenn er dort Herr wäre;^) sie möchten sich dagegen verwahrt haben, als ob sie mit diesem eigenmächtigem Vorgehen einverstanden wären, und wollten die Gotteshausleute warnen, an Freis Amt- leute Zinsen und Zehnten zu entrichten; weder der Hauptmann noch sein Schaffner man habe dazu, gegen den Willen der beiden katholischen Orte, den vertriebenen alten Stadtschreiber von Rapperswil, Lorenz Appenzeller, gewählt sei befugt, die Gefälle einzuziehen; die Gotteshausleute würden eines Tages dafür ihrem rechten Herrn Red und Antwort stehen müssen; denn die jetzige Verwaltung der äbtischen Lande werde zuver-

^) beerhaft = fruchtbar. Schweiz. Idiotikon, Bd. IV, S, 1477. 2) A.-S., II, 965.

^) Über die Haltung Freis beschwerte sich Kilian persönlich in einem Schreiben an den Schirmhauijtmann selbst (St.-A., Fase. 14, d. d. 4. Dezember).

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sichtlich keinen Bestand haben. '•) Bei dieser Haltung der beiden Orte und ihrer fortgesetzten Weigerung, den Gotteshausleuten das von Zürich gewünschte Regiment geben zu helfen, blieb diesem nichts übrig, als im Verein mit Glarus allein vorzugehen und das möglichst bald, da der Abt nichts versäumte, sich die Gotteshausleute günstig zu stimmen. ^) Am 10. Dezember waren daher die beiden Orte wieder zu Wil beisammen. Dort Hessen sie den anwesenden Gesandten der Gotteshausleute, da diese keine Vollmacht hatten, endgültige Abmachungen zu treffen, ,, einige ehrbare und christliche Vorschläge und Artikel" schrift- lich übergeben, damit der Handel beförderlich erledigt würde und man nicht lange miteinander „uf- und niderkrynnen'' und disputieren müsse. ^) In diesen Artikeln, die einen eigentlichen Verfassungsentwurf bilden, wird an der Machtstellung, wie sie der oben erwähnte „Ratschlag" für den evangelischen Schirm- hauptmann wünschte, festgehalten: „Kein wäsenhche, grosse sach" soll ohne sein „vorwissen und gehäll" im Fürstenlande unternommen werden dürfen. Dem Vertreter der IV Schirm- orte stehen zwölf Räte zur Seite; die Gemeinden schlagen sie vor und ernennen davon acht, der Hauptmann vier. Dieser und die Räte sollen ehrsame, gottesfürchtige Leute sein. Das Ap- pellationsgericht besteht aus dem Hauptmann, als dem „oberrichter"; die übrigen Richter werden aus den Zwölfern genommen, indem man aus ihnen vier von den Gotteshausleuten gewählte Räte nimmt und zwei, welche der Hauptmann ernannt hat; diese sechs Richter amten ein halbes Jahr; dann kommt die andere Hälfte der Zwölfer an die Reihe. ^) Die Amtleute im Fürstenland soll der Haupt- mann nur mit Wissen und Willen der Zwölf „setzen und ent- setzen''. Die Pfarrer dürfen von den Gemeinden gewählt werden. Zinsen und Zehnten soll man wie von Alters her geben ; ^) doch

1) A.-S., II, 925.

2) E. A,., IV, Ib, Nr. 230 zu as.

3) E. A., IV, Ib, Nr. 230 a, zu aa, b, c.

■*) Neben dieser geplanten Zusammensetzung des Appellationsgerichts fi- gurierte in einer Instruktion vom 4. November (A.-S., II, 912) eine andere, nach welcher alle zwölf Räte des Hauptmanns das Appellationsgericht bilden sollten. Dieser Vorschlag wurde zum Teil auch in den obigen Verfassungs- entwurf aufgenommen, indem man bestimmte, dass „jetz zum anfang'" zwölf Appellationsrichter sein sollten, „diewyl der geschäften so vil sind.*"

■'') Das war besonders in einem von Frei aufgestellten „memorial" vom Anfang Dezember verlangt worden (A.-S., II, 957).

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werden eine ganze Anzahl von „ungöttlichen Beschwerden", wie gewisse Hauptfälle, Ehrschätze etc. den Gotteshausleuten abge- nommen. Endlich sollen der Kirchenschmuck und die Kirchen- güter von den Gotteshausleuten angegriffen werden dürfen zum Zweck der Armenversorgung oder, wie es in dem oben genannten Ratschlag heisst, damit „jetz zum anfang die biderwen lüt damit willig und lustig gemacht, dass sy sich dest ee der zehenden, Zinsen und anderer versicherter und angeleiter güetern halb ent- schlahen und in anderen dingen dester ee eins billichen wysen lassen wurdent" ; ^) eine Kommission soll die Verteilung des Er- löses vornehmen und darüber dem Hauptmann und seinen Räten jährlich Rechenschaft geben. -)

Diese Artikel sollten die Gesandten der Gotteshausleute an ihre Gemeinden bringen. Auf den 17. Dezember erwarteten die IV Schirmorte zu St. Gallen deren Antwort; man warnte aber die Stiftsboten zum voraus, etwa einen ungünstigen Bescheid zurückzubringen, da dies dem Fürstenlande nicht zum Vorteil ausschlagen würde.

Dessen ungeachtet stiess der Verfassungsentwurf der beiden Orte im Fürstenland auf heftigen Widerstand, was um so be- greiflicher war, da dort mancher glaubte, „es solltend sampt ainem abbt alle zins, rent und gült hinfallen", und der Bauer „ichts mer ze geben schuldig sin".^) Zudem ruhten auch des Abtes Anhänger nicht. Grobe Reden gingen im Gotteshauslande um über die beiden reformierten Schirmorte ; ^) im besondern „ent- stund ain lümbd über die von Zürich, sam die uf iren aignen nutz stalten und sich irem vil embieten unglich erzaigtend". •') Die Unzufriedenheit der Gotteshausleute über die Artikel zeigte sich denn auch bei den neuen Unterhandlungen recht deutlich. Am 19. Dezember eröffneten nämlich zu St. Gallen die Gesandten der Landschaft die Antwort der Gemeinden vor den Boten von Zürich und Glarus. Da zeigte es sich, dass gerade bei den wich- tigsten Artikeln die Boten der Gotteshausleute Befehl hatten, auf Abänderung zugunsten der Landschaft zu dringen, ohne dass

1) A.-S., II, 965 12.

2) E. A., IV, Ib, Nr. 230 zu b. ^) Sabb., s. Anm. 5.

•i)E. A., IV, Ib, Nr. 238x11.

'") Sabb., S. 332 40-43; s. auch Sicher, II, S. 253 ii-u.

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es aber den Gesandten der Stiftsbauern möglich wurde, wesent- liche Zugeständnisse zu erlangen. Namentlich hielten die Boten von Zürich und Glarus daran fest, dass der Hauptmann in der alten Landschaft das „oberist houpt syn und heissen" sollte. Als die Gotteshausboten verlangten, dass er den Stiftsleuten nicht nur schwören solle, sie beim Evangelium zu schirmen, sondern auch, ihren Nutzen und ihre Ehre zu betrachten, erklärten die Gesandten der beiden Orte, keine Vollmacht für solche Zuge- ständnisse zu haben. Die gleiche Antwort erhielten die Boten der Landschaft auf ihre Bitte, den Gemeinden ein Urbar über die Güter des Gotteshauses, seine Einkünfte und Gerechtigkeiten zuzustellen, wie ein solches zuhanden des Hauptmanns im Ver- fassungsentwurf A^orgesehen war. Geradezu unwillig aber wurden die Boten der beiden neugläubigen Schirmherren über die For- derung der Gemeinden, dass der Bezüger der Zinsen, Gülten, Renten etc. nicht aus der Stadt St. Gallen, sondern aus der alten Landschaft genommen werden solle. Bereits am 3. Oktober 1529 hatte nämlich St. Gallen auf Ersuchen von Zürich und Glarus sein Ratsmitglied Franziskus Studer dazu designiert. ^) So er- klärten die Boten der beiden Orte unverblümt, dass es zwar viel ehrliche und geschickte Männer unter den Gotteshausleuten gebe; doch könne man zu dem Amt nur solche nehmen, die dazu fähig und der Sache kundig seien. Als die Gotteshausleute weiter fragten, ob die Überschüsse aus der Verwaltung nicht bloss den Armen des Fürstenlandes, sondern auch denen der vier Orte zugute kommen sollten, erwiderten die Delegierten von Zürich und Glarus kurz : vorderhand sei noch gar kein Überschuss vor- handen, sondern zu erwägen, wie man Geld auftreiben könne, um die Schulden zu bezahlen. Zum Schluss wurden die Boten der Gotteshausleute aufgefordert, die Artikel in ihrer nunmehrigen Form an ihre Gemeinden zu bringen und Ende Dezember zu Wil Antwort zu geben ; es wurde ihnen aber dabei gesagt, dass die beiden Orte die Gotteshausgemeinden aufs dringendste er- suchten, an den Artikeln nicht mehr zu „kranglen" oder etwas neues hineinzuziehen; wenn sie den heute vereinbarten Ver- fassungsentwurf nicht annehmen wollten, so würde man alle Schriften, Abschiede und Zusagen, die sie bisher erhalten, zurück-

^) R.-P., 1529 ; vgl. über ihn T. Schiess, St. Gall. Neujahrsbl. 1906, S. 23fr.

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nehmen, alles den Oberen berichten und diesen die weitern Ent- schlüsse überlassen. ^) In diesen Schlussworten machten die Boten von Zürich und Glarus ihrem Unmut über die Begehrlichkeit der Gotteshausleute Luft, welche nur an 6 von den 15 Artikeln des Verfassungsentwurfes nichts auszusetzen gehabt hatten. Ja, die Gesandten der Zürcher berichteten am 25. Dezember ihrer Obrigkeit, es gehe das Gerücht, dass die Gotteshausleute im Sinne hätten, sich selbst eine Regierung zu geben und auf die Vorschläge von Zürich und Glarus einen weitern „verdacht" zu nehmen bis Mitte Mai des kommenden Jahres. -) Wir begreifen es unter diesen Umständen sehr wohl, wenn man bei den Anhängern des Abtes neuen Mut schöpfte und den Reichsvogt aufforderte, persönlich zu den Schwyzern zu reisen und sie zu ersuchen, sie möchten die Glarner von den Zürchern abwendig machen. ^) Die Gotteshausleute aber wollten auf ihrer Landsgemeinde, die am 31. Dezember zu Waldkirch stattfinden sollte, über den Ver- fassungsentwurf von Zürich und Glarus in der jetzigen revidierten Form sich endgültig aussprechen. Jedenfalls für diese Lands- gemeinde war die Instruktion bestimmt, welche Ende Dezember von Zürich verfasst wurde. Man war hier von dem hartnäckigen Widerstand, den das Fürstenland den Plänen Zürichs auf die Abtei entgegensetzte, peinlich berührt und fühlte sich wohl durch jene Reden, dass die Gotteshausleute sich selbst ein Regiment geben wollten, beunruhigt. Die Instruktion vom Dezember 1529 befahl darum den Gesandten, Bürgermeister Röist, Jakob Werd- müller und Hauptmann Frei, sie sollten, falls jenes Gerücht dei Wahrheit entspräche, vor „ein voUkomne landsgemeind'' gelangen und sie auffordern, „den handel anders und bas, dann noch bishar beschechen", zu Herzen zu nehmen. Sie sollten ihr auch zum „türisten" vorhalten, dass die äbtische Partei es sei, welche die Leute gegeneinander zu „verhetzen" suche, um Kilians Sache zu fördern. Würden dann die Gotteshausleute sich nicht eines bessern belehren lassen, so sollten die Boten ihnen mitteilen, dass Zürich seine Zusagen betreffend das göttliche Wort nicht er- füllen, sondern sich ihrer „entschlachen und muessigen" werde;

1) E. A., IV, Ib, Nr. 238. '') A.-S., II, 1002. 3) A.-S., II, 999.

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denn es sei nicht verpflichtet, jemanden beim göttUchen Wort zu handhaben, der nur „gefar und eignen nutz" suche. ^)

Doch die geplante Landsgemeinde zu Waldkirch fand nicht statt infolge' der Ereignisse, die sich in den letzten Tagen des Dezembers zu Wil abspielten.

B. Der Wiler Auflauf.

Es ist oben gezeigt worden, wie zu Wil erst im Frühjahr 1529 evangelischer Gottesdienst eingeführt wurde. Doch ver- hinderte das die in ihrer grossen Mehrheit noch katholische Bürgerschaft nicht, dem Abt Kilian zu seiner Wahl zu gratu- lieren. Dieser suchte sich denn auch die Gunst des für die Aus- übung seiner Herrschaft so wichtigen Städtchens weiter zu er- halten, indem er ihm Geld und Getreide lieh. -) Dabei kam ihm der Umstand zu statten, dass die Wiler sich in einem für die damalige Zeit natürlichen Gegensatz zu den Bauern der Land- schaft befanden, ^) besonders da sie schon seit Ende des 15. Jahr- hunderts bedeutende Rechte und Freiheiten ^) vor der Gottes- hauslandschaft voraus hatten. Nichts kennzeichnet so die feind- selige Stimmung der Stiftsbauern gegen Wil besser, als die Worte, welche ein Gotteshausmann in diesem Jahre (1529) gegenüber einem Wiler äusserte: „Mir puren sind maister; mer wend üch leren; mir wend üch anmal zur statt uss schlachen.*' ")

Wegen seiner bevorzugten politischen Stellung war darum das Städtchen nicht gewillt, sich, wie es Zürich wünschte, den Bauern des Gotteshauses gleichzustellen, besonders, da es wegen seiner abtfreundlichen Haltung nicht zum Rang einer Hauptstadt des Fürstenlandes emporsteigen konnte, ganz abgesehen von seiner dafür ungünstigen Lage. Wil hatte so von den Plänen, die Zürich inbezug auf die Landschaft des Gotteshauses hegte, politisch wohl mehr Nachteile als Vorteile zu erwarten, da sich ja seine Hoffnungen, eine freie, christhche Burgrechtsstadt zu

1) A.-S., II, 1019.

2) St.-A.. Fase. 14.

3) Siehe dazu E. A., IV, 1 b, Nr. 340 a; Vadian III, S. 257 13-2].

^) S. E. Wild: „Verfassungsgeschichte der Stadt Wir (St. Gallen 1904). •^) Wiler Ratsbuch.

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werden, nicht erfüllt hatten und auch später nicht in Erfüllung gingen. So war denn zu Wil der Boden für die politisch-reli- giösen Pläne der Zürcher wenig günstig, wenn auch gesagt werden muss, dass durch den ersten Landfrieden die Reformation im Städtchen gesichert war. Zudem musste das selbstherrliche Benehmen Freis der auf ihre Freiheiten eifersüchtigen Bürger- schaft wenig Vertrauen einflössen. Im August 1529 zog der Hauptmann, der im Hof zu Wil residierte, über 40 Mann aus verschiedenen Gerichten des Fürstenlandes zu sich in das Städt- chen, ^) welche da nach Gefallen schalteten und walteten und die Amtleute des Abtes verjagten. Als sich Luzern und Schwyz darüber bei Zürich beklagten, liess dieses das Schreiben unbe- antwortet. ^) Wann und ob diese Besatzung, welche Frei zu sich in den Hof genommen, entfernt wurde, vermochten wir nicht sicher zu ermitteln. '^) Sicher aber ist, dass gegen Ende des Jahres 1529 die beiden religiösen Parteien im Städtchen über ihre Lage sehr unzufrieden waren.

Dies mussten wir zum bessern Verständnis des nun folgenden Auflaufs in der Ortschaft vorausschicken.

Wir erinnern uns, wie zu St. Gallen die Zürcher und Glarner Boten denjenigen der Gotteshausleute auftrugen, die Antwort der Gemeinden auf die revidierten Verfassungsartikel nach Wil zu bringen. ^) Dort befanden sich bereits am 26. Dezember die

') E. A., IV, Ib, Nr. 146 f.

-) E. A., IV, Ib, Nr. 159.

^) Die zwölf Wiler „Zuscätzer" (St.-A., Fase. 14), welche durch die IV Schirmorte Ende August aus dem „Hofe" weggewiesen wurden der Haupt- mann musste dafür 1 2 Wiler Ratsmitglieder als Gehilfen in den „Hof nehmen gehörten wohl zu jenen 40 Mann Besatzung ; von den übrigen „Zu- sätzern" ist dabei nicht die Rede (E. A., IV, 1 b, Nr. 173c).

^) S. oben, S. 166. Als Datum dafür gibt der Abschied den 27. Dezember an (E. A., IV, 1 b, S. 474). Damit stimmt aber schlecht, dass die Landsgemeinde zu Waldkirch erst am 31. Dezember stattfinden sollte und, wie Kessler (Sabb., S. 333 5-8) ausdrücklich bemerkt, die Boten der Gotteshausleute die Artikel erst vor diese bringen wollten, bevor sie endgültigen Bescheid gäben. Es hilft uns auch nichts, dass Kessler die Waldkircher Landsgemeinde auf den 28. De- zember ansetzt. Zudem dürfte dieses Datum unrichtig sein. Sicher und der Tgb. -Schreiber Sailer nehmen nämlich dafür den 31. Dezember an, und wenn Kessler berichtet, dass Frei den Sturm, der die Gotteshausleute nach Wil be- rief, am 28. Dezember habe ergehen lassen, so widerspricht das dem authen- tischen Bericht Christian Fridbolts an Vadian (V.-B.-S., IV, Nr. 588). Dort

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Boten der beiden reformierten Schirmorte wie auch diejenigen von Luzern und Schwyz. Natürlich hatten letztere längst Kunde erhalten von den Verhandlungen zwischen Zürich -Glarus und den Gotteshausleuten. Sie waren daher nach Wil gekommen, damit nicht in der Angelegenheit „etwas Gewaltiges" vorge- nommen, sondern zuerst der Rechtsweg betreten werde, ^) und stellten an Zürich und Glarus die Forderung, dass man ihnen Einsicht in die von den beiden reformierten Schirmorten den Gotteshausleuten aufgestellten Artikel geben solle. Darauf ent- gegneten deren Vertreter : man habe den Gotteshausleuten hohe und niedere Gerichte „aufgetan" und zum Teil mit Stiftsleuten besetzt; der Hauptmann solle dabei Obmann und Führer des Schwertes sein ; die Leibeigenschaft und die unbilligen Ehr- und Erbschätze habe man ihnen erlassen, soweit solche nachweislich seit Menschengedenken aufgeladen worden ; Luzern und Schwyz habe man dabei keineswegs ihrer Rechte, die sie am Gotteshaus hätten, entsetzt. Nun verlangten die beiden katholischen Orte, in der Angelegenheit auch mithandeln zu dürfen, da diese noch nicht definitiv abgeschlossen sei; doch als die Zürcher und Glarner Boten für diesen Fall von ihnen verlangten, den Abt nicht mehr „als Herrn" anzuerkennen, erwiederten sie, davor möge sie Gott behüten,^) und zogen sich ins Wirtshaus, das neben der Pfalz lag und wo sie Aufenthalt genommen, zurück. ") Da brach am folgenden Tag, es war ein Dienstag und zugleich Wochen-

steht ausdrücklich, dass der Sturm erst am Donnerstag (30. Dezember) er- gangen sei. Nur wenn die Landsgemeinde der Stiftsbauern am 31. und nicht am 28. Dezember zu Waldkirch stattfinden sollte, konnte sie vor die Stadt Wil verlegt werden. Kessler ist in bezug auf Chronologie hier überhaupt wenig zuverlässig. Er stellt zum Beispiel die Vorgänge so dar, als ob der Auflauf und der Sturm, welcher die Gotteshausleute vor Wil versammelte, am gleichen Tage stattgefunden hätten (28. Dezember), sagt aber nicht, was die Bauern- scharen bis zum 1, Januar vor Wil zu tun gehabt hätten, da erst an diesem Tage die Landsgemeinde stattfand, nachdem am 31. Dezember die Hauptkon- tingente der Bauern vor Wil eingetroffen waren (V.-B.-S., IV, Nr. 588).

^) Erklärung der Boten von Luzern und Schwyz auf dem Tag zu Baden. Januar 1530 (E. A., IV, 1 b, Nr. 257 a [III).

2) E. A., IV, Ib, Nr. 241.

^) E.-A., IV, 1 b, S. 159. Dass sie nicht, wie üblich, bei den Zürchern und C41arnern in der Pfalz Quartier genommen, ist bei dem damals äusserst ge- spannten Verhältnis zwischen reformierten und katholischen Orten wohl zu ver- stehen.

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markt im Städtchen, offene Empörung unter der Wiler Bevöl- kerung aus.

Die Berichte darüber sind natürhch sehr widersprechend, oft entgegengesetzt, je nachdem sie aus kathohscher oder reformierter Feder stammen. Ob der Auflauf eine abgekartete Sache gewesen, wie sich des Abtes und Zürichs Anhänger gegenseitig vorwarfen, haben wir allerdings nicht ganz sicher ermitteln können. Zu et- welcher Orientierung diene immerhin folgendes: auf der Tagung zu Luzern (4. bis 6. Januar 1530), wo auch Bern und Glarus an- wesend waren, erzählten flüchtige Wiler, die Zürcher hätten sich, bevor der Auflauf stattgefunden, in der Pfalz „verbollwerkt", so dass man einen Plan dahinter vermuten müsse. Andere für Zürich wirklich gravierende Punkte brachten sie nicht vor. ^) Dass die Zürcher die Pfalz stark befestigt, ist aber bei der Un- zuverlässigkeit, ja Feindseligkeit der Mehrheit der Wiler Bevöl- kerung gegen sie nicht verwunderlich und braucht durchaus nicht in dem Sinn ausgelegt zu werden, wie es die Vertriebenen aus Wil taten.

Sehr viel begründeter war die Anklage der reformierten, Zürich freundlichen Partei, dass von den Anhängern des Abtes der Aufruhr geplant und ins Werk gesetzt worden sei. Einer der eifrigsten Verfechter des Abtes, der Hauptmann von Batzen- heid, ^) befand sich, obwohl er im Toggenburg wohnte, an dem verhängnisvollen Dienstag zu Wil. ') Wenn wir auch nicht an- zunehmen brauchen, wie es seine Gegner taten, dass er der eigentliche Anführer der Aufrührer war, ^) wird er immerhin nicht so unschuldig gewesen sein, wie er durch seine Verteidigung vor den eidgenössischen Orten glauben machen wollte. '') Ganz abgesehen von dem vielleicht tendenziös gefärbten Zürcher Ge- sandtenbericht, dass der Batzenheider, von einer Schar begleitet, mit gezücktem Schwert gegen die Pfalz gestürmt sei, um sie einzunehmen, lag auch eine sehr schwerwiegende Zeugenaussage

1) E. A., IV, Ib, Nr. 247 m.

^') Der Bruder des Abtes. 1534 erscheint er als Landvogt im Toggenburg (St.-A., Bd. 104, S. 229).

3) Tgb. Sali., Fol. 60a.

**) S. besonders E. A., IV, 1 b, Nr. 257 zu a iii, offizieller Bericht Zürichs über den Auflauf; siehe auch Vadian, III, S. 232 235.

^) St.-A., Bd. 101, S. 61 f; Bd. 221, Fol. 173 176.

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gegen ihn vor. Ein treuer Anhänger des Abtes, der von den Zürchern zu Grüningen verhaftet worden war, Hans Pfäfferli, sagte bei seinem Verhör aus: vor acht oder neun Wochen habe der Hauptmann von Batzenheid in seiner Gegenwart gesagt, weil er, Batzenheid, und sein Bruder, der Abt, in der Grafschaft Toggenburg viele Freunde und Verwandte hätten, so wolle er sich auf einen Wochenmarkt mit etwa 40 Mann nach Wil be- geben, in die Pfalz eindringen und. die darin wären, hinauswerfen.^) Dazu stimmt, was Bullinger in seiner Chronik "^) ausdrücklich be- merkt, dass etliche gut äbtisch gesinnte Toggen burger sich in die Stadt eingeschlichen und mit einigen Wilern zusammen den Auflauf veranstaltet hätten. •^) Wenn wir solch einen planmässig vorbereiteten Überfall annehmen wollen, so passt es sehr gut dazu, dass schon morgens 8 Uhr am Tag des Auflaufs War- nungen, als ob man die Wiler Pfalz überfallen wolle, an die Zürcher Gesandten nach Wil gekommen waren, und zwar so oft, ,,dass das Kind uff den gassen davon seite". ^) Ein so kecker Handstreich war dem kriegserfahrenen Reisläufer-Hauptmann von Batzenheid wohl zuzutrauen, und was er mit seinem Überfall be- zweckte, sagt uns vielleicht Zwingli, wenn er an die Wiler Ge- sandten am 1. Januar 1530 berichtet: es sei ihm Nachricht zuge-

1) A.-S., II, 1033. Diese Worte, bemerkte Pfäfferli, habe der Batzenheider in Gegenwart des Reichsvogtes, als er beim Abte gewesen, nach einer Mahlzeit geäussert. Darnach hätte Kilian vielleicht von einem allfälligen Plane, dass sein Bruder die Pfalz überfallen wolle, gewusst. Vielleicht auf diesen Punkt beziehen sich auch die Worte, die Gallus Germann am 16. Januar an Kilian, seinen Bruder, schrieb : er habe dem Hans (Germann) sagen lassen, wenn er sich wegen des Wiler Auflaufs zu Baden vei-antworten wolle, so möge er das tun, doch dabei des Abtes nicht gedenken (St.-A., Bd. 307, S. 65). Dass Kilian an dem Aufruhr beteiligt gewesen, wie ihm von reformierter Seite offen vorgeworfen wurde, dafür haben wir keine Beweise irgendwelcher Art. Doch besagt es für die Unschuld des Abtes nichts, wenn der Tgb. -Schreiber ihn nichts ahnend von Buchhorn nach Hagnau reiten lässt, als ihm der erste Bericht über den Auflauf zukommt (Tgb., fol. 58 a). Ebenso wenig konnte es den Abt entlasten, wenn er direkt oder indirekt am Auflauf beteiligt war, dass er einem Rädelsführer, Heinr. Schlosser, Wirt zu Rorschach, in einem Schreiben vom 7. Februar wegen dessen Beteiligung am Auflauf tüchtig den Text las (St.-A., Bd. 101, S. 70—72).

-) IM. II, Nr. 333, S. 246.

^) Auch die Zürcher Boten berichteten nach Hause, dass namentlich Tog- genburger unter den Aufruhrern gewesen seien (A.-S., II, 1008).

^) E. A., IV, 1 b, Nr. 257 zu a in.

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kommen, dass man den Bürgermeister Eöist es war dies einer der Zürcher Gesandten zu Wil samt seinen Mitboten gefangen nehmen, über den Bodensee schleppen und auf diese Weise einen für den Abt günstigen Vertrag erhalten wolle. ^) Vadian be- stätigt diesen Bericht teilweise, wenn er erzählt, dass die Zürcher Boten des Abends, wenn sie unbewehrt beim Nachtessen sässen. überfallen werden sollten. -) Wenn das letztere richtig ist, so wurde der Plan durch die drei "•) oder vier Büchsenschützen ver- eitelt, welche schon um 4 Uhr abends mit „halbenn haggen" er- schienen, um in die Pfalz hinaufzugehen. Ihr Anblick genügte, um die erregten Bürger in Aufruhr zu versetzen, und als gar ein Wiler *) ihrer gereizten Stimmung gegen Zürich Ausdruck verlieh, in dem er schrie : „Lauffend lieben burger! Das mögend mir nit erliden, das an züsatz wend inha legen", ■') da griffen nicht nur katholische, sondern auch evangelische '^) Wiler zu den Waffen und schlugen die Büchsenschützen wieder zur Stadt hinaus; ') denn man glaubte im Städtchen, die Krieger sollten

1) A.-S., II, 1032. ^

^) Vad., IIL S. 233 24-2fi.

3) Tgb. Sail., Fol. 58a; Vad. III, S. 23327.

"*) Das Tgb. (Fol. 58 a) erzählt, dass es ein „Luterscher" gewesen.

'") Wiler Ratsbuch.

^) Tgb. Sali., Fol. 58 a; Val. Tschudi, S. 84.

'') Tgb. Sail., Fol. 58 b. Die katholikenfreundliche, übrigens recht brauch- bare Wiler Chronik (jetzt im Besitze der Herren Dr. R. und E. Bertsch, Institut ,,Concordia", Zürich) bemerkt dazu: ,,a*^ 1530 sind 3 Züricher am dienstag nach dem neuen jähr (nach moderner Zeitrechnung war es der Dienstag vor dem neuen Jahr) mit halben bogen anhero kommen und zu denen Soldaten in hoff gangen. Die lutherische bürger zu Wyl wüsten nicht, was dies bedeutten sollte. Sie schryen überlut : „Wehren! Wehren! liebe bürger, damit wir nicht überladen werden " , worauf die katholischen und lutherischen bürger zu- sammen geloflPen und haben diese 3 Züricher hoggenschüzen zur statt hinaus gejagt."

Das Tgb. Sail. berichtet (Fol. 58 a), ,,das dry von Zürich mit halbenn haggen zu Wyl statt uff gangen wären unnd inn hof daselbs inn zusatz wellenn gon, unnd wie nun semlichs von den burgern zu Wyl ersechen worden, sige ainer der luterschen fürhin gewüschst unnd gschruwen : ,,Werent, liebenn burger, werent, darmit der hof nit dermassen bsetzt unnd wir mit ainem sölichen züsatz nit überladen werdint", mit derglichen mer Worten. In dem syen ettlich des nüwen und alten gloubens zugfaren, dieselbigen dry Zürcher mit gwalt widerumb hinder sich zurr statt uss gschlagen unnd triben. Und wie also sem- lichs die hotten baider Ordten, Zürich und Glarus, so dann im hof warennt.

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dem Hauptmann die Bürger bevogtigen helfen. Gleichzeitig fand auch der Angriff auf die Pfalz statt, ^) unter Führung Batzen- heiders. wie der Zürcher Bericht meldet. War wirkhch Hans Germann der Anführer dieser Schar, so müssen wir annehmen, dass er, durch die Verhältnisse bewogen, seinen, laut Vadian, auf den Abend geplanten Handstreich jetzt schon ausführen wollte. Allein dieser schlug gänzlich fehl, ^) und es gelang den Ammännern Rüdlinger und Künzli aus dem Toggenburg, die Aufrührer einstweilen zur Ruhe zu bringen. ■'') Doch standen die Boten in der Pfalz weiter in Gefahr, ^) indem das Haus vom 28. auf den 29. beständig umlagert wurde. Nach Vadian wurde der Hof am 29. Dezember „mit grossem hoch" von den Auf- rührern aufs neue bestürmt, ■') wobei, wie am Tage vorher, die Luzerner und Schwyzer Boten eine verdächtige Rolle spielten. Diese Boten „trj^bend . . . seltzam sp}^", berichtete der St. Galler Bürgermeister von Rickenbach aus an seine Obern, ^) und Bul- linger sagt, sie hätten sich bei dem Auflauf so benommen, dass sie bei vielen Leuten in Verdacht gekommen seien, „als ob der uffrür inen kein undienst" wäre. ') Noch am Donnerstag glaubte Frei, einen „Sturm" durch die äbtischen Lande ergehen lassen

vernomen und ersechenn, ouch den hof zu voi'an allennthalbenn verspeert unnd verbolwerchet hatten, do rüst der hoptman Jacob Fiy durch ain haimliche unnd faltsche jjratick zu unnd liess die nechsten puren schnelleklich für statt beruften und inen anzaigen, si soltint komen und denen von Wyl helffen, dann sy hettint den hoff zi^i ir und gmainer gotzhuslüten hannden ingenomen, mit der- glichen unwarhafften redenn."

^) Vad., III, S. 233 26. Die Zeitangabe Vadians stimmt ungefähr mit der des Zürcher Berichts überein.

-) S. E. Götzinger: Die Reformation der Stadt Wil (St. Galler Mitteilungen Bd. 14), S. 159—165.

3) Bull., II, Nr. 233, S. 246; Vad., III, S. 233 ff.

^) A.-S., II, 1008.

5) Vad., III, S. 234 t.

6) V.-B.-S., IV, Nr. 587.

'') Bull., II, Nr. 333. Dazu lauten gewisse Zeugenaussagen in den wegen des Auflaufs angestrengten Prozessen für die Boten der beiden Orte so, dass man daraus schliessen könnte, die katholischen Gesandten hätten die Wiler direkt zur Einnahme der Pfalz aufgefordert (A.-S., II, 1058). S. besonders Nr. 7, Zeugenaussage des Melchior Huber, nach welchem die beiden katholi- schen Boten den Wilern zuriefen :....„ Wo wott das recht sin, dass die zwai Ort da obnen ligend V luogend, dass sy abi kemind."

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zu müssen. ^) Bereits hatte sich der Hauptmann für diesen Fall mit den Bauern, die sich vor den verschlossenen Stadttoren an- gesammelt, über ein Zeichen verständigt. ^) Die Reformierten gaben an, Frei habe dies getan, weil ihm am Donnerstag Bericht zugekommen, dass der Hauptmann von Batzenheid, welchem es gelungen war, aus Wil zu entkommen, mit 1000 Mann gegen die Pfalz heranrücke. ^) Nun sollte aber am Silvester jene mehrfach erwähnte Landsgemeinde der Gotteshausleute in Waldkirch zur Entscheidung über die Artikel der von Zürich entworfenen Ver- fassung stattfinden, und dorthin waren auch die Boten von Luzern und Schwyz abgeordnet, um die Annahme der Verfassung durch die Gotteshausleute zu verhindern. Mit auffallender Bestimmtheit erklärt da der sonst in seinem Urteil recht vorsichtige Tagebuch- schreiber des Abtes, Frei habe „allain desshalb" den Sturm er- gehen lassen, „darmit die lanntzgmaind" zu Waldkirch „nitghalten wurd." ^) Doch sei dem, wie ihm wolle; jedenfalls hatte Frei seinen Zweck erreicht; denn auf sein Alarmzeichen eilten die Gotteshausbauern von allen Seiten in Scharen herbei, so dass schon am Silvesterabend gegen 4000 Mann vor dem Städtchen versammelt waren, ^) und bereits hatte auch der Vogt von Kiburg auf die Aufforderung Freis die nötigen Massregeln getroffen, um unter Umständen mit Heeresmacht nach Wil zu marschieren. Die Thurgauer hatten sich auf die Anfrage Zürichs bereit er- klärt, nötigenfalls mit 3 4000 Mann zuzuziehen. ^)

1) V.-B.-S., IV, Nr. 588. Bericht Christian Fridbolts an Vadian, dat. d. 1, Januar 1530.

-) Vad., III, S. 234 8 ; Sabb , S. 334 lö/io. Der wegen angeblicher Teil- nahme am Aufruhr verhaftete „Wiler Kanzler", Heinrich Grossmann, berichtete am 18. März seinem Herrn, dem Abt: als er gefangen gelegen, hätten sich Jakob Werdmüller und andere vor ihm gerühmt, dass sie mit den Bauern der Nachbarschaft verabredet, wenn die Zürcher aus der Pfalz ,_,fürr uss werffind" und ,,schüsind", so sollten die Bauern allenthalben stürmen und der Stadt Wil zulaufen (Wiler Ratsbuch).

^) Pridbolt an Vadian, s. oben Anm. 1 ; Zürichs Bericht über den Wiler Auflauf, s. Anmerkung 4 auf S. 172.

■*) Tgb. Sail., Fol. 59 a. Dagegen bemerkt Sicher (II, S. 255), was uns am glaublichsten vorkommt : da man durch das Zuströmen der Bauern vor Wil am Donnerstag die auf den folgenden Tag angesetzte Landsgemeinde zu Waldkirch ,,nit mer mocht ze weg bringen", so habe man sie nach Wil ver- legt und den Sturm ,,noch witer gon" lassen.

'') E. A., IV, Ib, Nr. 241 zu 1 4.

«) E. A., IV, Ib, Nr. 241 zu 1 2, 1.

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Doch die drohenden Ansammhingen der Gotteshausleute vor dem Städtchen genügten, dass die Wiler den von allen Seiten herbeieilenden Vermittlern Gehör schenkten. Dabei trat der Hass der Gotteshausbauern gegen die Bürger recht charakteristisch zutage, indem sie verlangten, dass die Stadttore niedergerissen werden sollten; aber sie begnügten sich schliesslich damit, dass sie in bestimmter kleiner Anzahl, zu fünf oder sieben, jederzeit bei Tag oder Nacht Einlass in die Stadt verlangen durften. Zürich nützte die böse Lage der Wiler gehörig aus; sie mussten ihm versprechen, den Rat neu zu besetzen, natürlich nur mit Leuten, welche dem Evangelium günstig gesinnt waren. Offenbar gegen die Stadtrechte, hatte Zürich auch verlangt, die Hauptschuldigen, soweit sie nicht geflohen waren, im Städtchen verhaften zu dürfen; die Wiler waren darüber „ser übel erschrogkenn" und schlugen diese Forderung dreimal ab, bis Frei, nachdem er sich mit den Bauern verständigt, Gesandte von Wil vor das Tor berief und die Antwort ja oder nein verlangte auf seine Frage, ob die Bürger der Aufforderung Zürichs Folge leisten wollten, worauf die Wiler der Gewalt nachgaben. ^) So bekam Zürich einige der treuesten Anhänger des Abtes, darunter den Hofammann Lienhard Schulder, den ,, Wiler kanzler" Heinrich Grossmann und andere, in seine Gewalt ; es gelang ihm aber nicht, nennenswerte, für den Abt belastende Aussagen von den Gefangenen zu erpressen, trotzdem die Folter nicht gespart wurde.-) Um einer ähnlichen Behandlung zu entgehen, war eine ganze Anzahl mehr oder weniger kom- promittierter Wiler entflohen und vermochte, trotz aller Vorstel- lungen und Bitten auf Tagsatzungen und bei einzelnen Orten, und trotzdem sich die katholischen Stände eifrig für sie ver- wandten, erst nach Abschluss des H. Kappeier Landfriedens wieder zu Haus und Hof, Weib und Kind zu gelangen. Als das aber geschehen war, kehrten sie den Spiess um, indem nun die ehe- maligen „Banditen" noch 1534 die vier Jahre früher am Staats- ruder stehenden Wiler Bürger mit Schadenersatzforderungen in Angst und Schrecken jagten. ^)

^) St.-A, Bd. 307, S. 127, Schreiben Grossmanns an Kilian, dat. d. 18. März 1530.

^) So wurde Grossmann acht Mal am Folterseil aufgezogen (ibid.). 3) St.-A., Fase. 16.

St. Galler Mittlgn. z. vaterläiid. Gesch. XXXIII. 12

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Der Schaden, den die Wiler beim Auflauf, vor allem ausser- halb der Stadttore an ihren Reben, durch die feindlichen Gottes- hausbauern erlitten hatten, belief sich in die Tausende von Gulden.') Es war eine recht „wüsti kilwy" gewesen. Immerhin wusste sich der neue Rat teilweise aus der Finanzmisere in der Weise zu helfen, dass er die Schuldigen mit schweren Geldbussen be- strafte oder ihnen, wie dem Hans Grütter „und den andern", Hab und Gut konfiszierte; ferner beschloss er am 7. Januar 1530, den „kirchenplunder" noch am gleichen Tage zu verkaufen und den Erlös in erster Linie an die beim Auflauf erwachsenen Kosten zu verwenden. -)

Der Auflauf aber hatte weit und breit das grösste Aufsehen erregt. Selbst die kühlen Berner Staatsmänner befürchteten, wohl nicht mit Unrecht, von ihm das Schlimmste : den Ausbruch eines neuen Bürgerkrieges. •')

C. Absehluss der Verfassung- für die fürstäbtisehe Landschaft.

Am 1. Januar^) 1530 fand vor dem Städtchen Wil jene Lands- gemeinde der Gotteshausleute statt, welche zu Waldkirch hätte ab- gehalten werden sollen. Die Sthnmung der Bauern war für Zürich günstig. Trotz der Versprechungen des Schwyzer Gesandten, Vogt Stalder im Namen seiner Obrigkeit und der Luzerner, „wan Zürich und Glaris in an schüch gebe, wellen sy in zwen geben ",^) entschloss sich die Landsgemeinde kurz, die Artikel des Verfassungsent- wurfes so, „wy S}^ gesteh" worden, anzunehmen.*^) Darauf wurde verabschiedet, wenn diese Artikel erläutert und mit Brief und Siegel bekräftigt seien, so wollten die Gotteshausleute dem Haupt- mann den schuldigen Eid ablegen und er solle ihn entgegen- nehmen. Wenn dann die Gotteshausleute weiter erklärten, dem Abte gehorsam sein zu wollen, falls er seinen Stand aus der

1) V.-B.-S., IV, Nr. 589.

-) Wiler Ratsbuch.

^) Charakteristiscli ist dafür das ernste Schreiben, das Bern wegen des Auflaufs an Luzern und Schwyz richtete. Bei Strickler (II, 1016) leider nur im Auszuge wiedergegeben.

4) V.-B.-S., IV, 588.

") Ibid., s. dazu Sicher, I, S. 122.

«) Sabb.. S. 334 24-31 ; A.-S., 11, 1025 : E. A., IV, 1 b, Nr. 245 Note 2, i.

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Bibel begründen und beweisen könne, dass er ein Regent oder ein regierender Herr sein solle, so klang das schon mehr wie blutige Ironie. ^)

Doch waren darum die Verhältnisse im Fürstenland für Zürich noch keineswegs befriedigend; ^) denn immer noch machte sich unter den Stiftsbauern eine ansehnliche äbtische Partei be- merkbar, die Zürichs Plänen energisch entgegenarbeitete. Zudem hatten sich die Gotteshausleute noch immer nicht damit befreunden können, dass Zürich den Steuerbezüger aus der Stadt St. Gallen genommen hatte, besonders da zu dieser Zeit das Verhältnis der Bauern zur Stadt St. Gallen ein sehr gespanntes war. Als z. B. Ende Dezember wegen der Wiler Vorgänge der Sturm durch die Landschaft ging, glaubten die Bürger St. Gallens, „dass man filicht etwas gegen inen und gemainer stat fürgenommen hett", und der Rat stellte Wachen aus. •^) Die Bauern machten auch ihrem Unmut über den Steuerbezüger, weil er nicht einer von ihnen sei, Luft, indem sie ihm die Entrichtung der Abgaben verweigerten,^) sodass Frei an die Zürcher berichten musste, es sei hohe Zeit, einmal Ordnung zu schaffen. '')

Die Gotteshausleute bemühten sich auch fortwährend, über den von ihnen angenommenen Verfassungsentwurf hinaus weitere Zugeständnisse zu eriialten. Im Februar d. J. erschien ihre Bot- schaft in Zürich, um anzubringen, dass man doch dem Einzüger aus der Stadt St. Gallen, auch Statthalter genannt, einen Mann vom Land als Gehülfen beigeben möchte, in der Weise, dass der Statthalter alle Geschäfte in der Stadt und innerhalb der vier Kreuze, sein Gehülfe aber diejenigen auf dem Lande zu verrichten hätte ; ferner möchte Zürich den Gotteshausleuten gestatten, Hoch- gericht zu halten, und die Eidesformeln aufstellen für die Ablegung des Schwures, den sie dem Hauptmann zu leisten hätten und er ihnen etc. Doch Zürich erklärte: man habe es bis zum nächsten Badener Tag in der äbtischen Sache stillstehen heissen; die Gotteshausleute möchten also erst diesen Tag abwarten; sollten

1) E. A., IV, Ib, Nr. 245 ij.

^) Am 17. Januar 15-30 hatte ein Gönner dem Abt geschrieben, es gehe im Fürstenland „wellen wäg es welli" (St.-A.. Bd. 307, S. 71). =») Vad., III, S. 235 14-22. 4) A.-S., II, 1108. '">) A.-S., 11, 1129, 12. Februar.

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dann Liizern und Schwyz sich nicht bereit finden lassen, mit Zürich und Glarus ihnen zu helfen, so werde man den beiden katholischen Ständen bestimmt erklären, dass die zwei reformierten entschlossen seien, den Stiftsleuten ihre Zusage zu halten und ihnen Gericht, Recht und andere notwendige Ordnungen auf- zurichten. ^)

Doch der Badener Tag, Mitte Februar, brachte keine Einigung zwischen Zürich-Glarus und Luzern-Schwyz, weshalb Frei an seine Obrigkeit schrieb: man möge nun unverzüglich die Hoch- gerichte im Fürstenlande aufstellen und auch sonst die Sache der Gotteshausleute energisch betreiben; denn es entrichte niemand Zinsen, Renten und Gülten und herrsche eine solche „allgemeine Ungebundenheit", dass er das nicht mehr länger dulden noch verantworten könne.-) Aber die Erledigung der Angelegenheit verzog sich noch weiter. Die Gotteshausleute, die am 31, März in Zürich dringend baten, die vereinbarten Artikel in Kraft treten zu lassen, erhielten ausweichende Antwort: man habe den Ab- schied vom letzten Badener Tage (21. März f.) noch nicht erhalten; sobald man dessen Inhalt kenne, werde man mit Glarus über die eben angebrachte Bitte des Fürstenlandes beraten. ■^)

Immerhin fand Zürich gut, die Aufrichtung der Verfassung für die Gotteshausleute zu beschleunigen, besonders da von Seiten der Anhänger Kiliaws eifrig für dessen Sache gearbeitet wurde. Namentlich war Jakob Krumm zu Waldegg ^) fortwährend für den Abt tätig. Er hatte zwölf diesem günstig gesinnten Männern aus den „Geginen" Tablat, Straubenzell, Geiserwald, Rotmonten und Mörswil den Verlauf des letzten Badener Tags, auf dem der Abt verhört worden war, ^) durch Verlesen von Kopien des Ab- schieds angezeigt und wohl dabei den Tag als für den Abt günstig verlaufen hingestellt; denn die Bauern äusserten ihre Freude über den Bericht und erklärten, sie wollten das Gehörte ihren Ge- meinden mitteilen und hofften, soviel zustande zu bringen, dass .,die gwaltigen, so bisshar das redli triben", in ihrem Beginnen

1) E. A., IV, 1 b, Nr. 270.

2) A.-S., II, 1143.

3) E. A., IV, Ib, Nr. 293.

^) In der ,,Gegni" Straubenzell gelegen.

^) Es war der 28. März, der IL Verhörtag des Abtes, s. oben, S. 139 ff.

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still gestellt würden. ^) Der Konvent Abt Kilians gab darauf dem Junker Krumm weitere Verhaltungsmassregeln: er möge den Gotteshausleuten vorstellen, dass die Konventherren, indem sie nach dem Tode des Abtes Franz einen neuen Klostervorsteher wählten, „die armen gotzhuslüt mer dan sich selbs betrachtet" ; denn es sei offen geredet worden, Franz Geissberg solle der letzte Abt sein, und die frommen Gotteshausleute sollten durch fremde Herren „beherschet und bevogtet" werden ; Kilian aber wolle so regieren, dass wenig über ihn zu klagen sein werde. Die Gotteshausleute möchten ferner bedenken, dass die Zürcher und Glarner „mittler zyt, so es zu fällen kompt, uss diser sach schloiffen", die armen Gotteshausleute im Stiche lassen und alle Schuld auf sie werfen würden „gantz unangesechen irs vilfaltigen züsagens, dem sy dann warlichen nit nachkomen und gnügthün werden mögen." -)

So tagten denn am 16. und 17. Mai 1530 Zürich und Glarus zu St. Gallen mit den Gotteshausleuten, um die letzten Anord- nungen zum Abschluss der neuen Verfassung zu treffen, wobei sich die beiden Orte auf die Bitten der Stiftsleute, um sie willig zu machen, noch zu verschiedenen Zugeständnissen verstanden; so sollte auch ihnen ein Urbar eingehändigt werden. Zahlreiche verhängte Bussen wurden erlassen. Namentlich aber gaben die beiden Orte in Betreff des Einzügers nach, indem „bis auf weiteres" Hieronymus Schowinger von Gossau das Einzügeramt bekleiden sollte. Statthalter Studer war damit im Grunde genommen seines Amtes entsetzt, wenn auch weiter bestimmt wurde, dass er „mitt- lerzeit", - d. h. wohl bis man sich mit der Stadt St. Gallen über den „Platz" des Klosters u. a. geeinigt hätte, - „im Amte" bleiben, die Haushaltung versehen und alle Dinge in Ordnung bringen solle.

Alle Artikel in ihrer jetzigen Form hatten die Gesandten des Fürstenlandes nochmals an ihre Gemeinden zu bringen; am 24. Mai sollte der Hauptmann vor der Landsgemeindo zu Lömmiswil erscheinen und der Landrat besetzt; am darauffolgenden Tag durch die Gotteshausleute in St. Gallen Antwort darüber erteilt werden, ob sie die Artikel annehmen wollten oder nicht, und wer von ihnen zu siegeln habe; dann sollten Tag, Ort und Form der Beschwörung bestimmt werden.")

1) Tgb. Sail., Fol. 106 a.

2) St.-A., Bd. 307, S. 219—221, 22. April.

3) E. A., IV, Ib, Nr. 323 a, b, c.

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Da die Landsgemeinde der Gotteshausleute am 24. Mai zu den Artikeln ihre Zustimmung gab, konnte schon am folgenden Tag, Mittwoch den 25, Mai, der „Vertrag der Schirmorte Zürich und Glarus mit den Gotteshausleuten der Landschaft St. Gallen über eine neue Verfassung" aufgerichtet werden. ^)

Einige einleitende Bemerkungen in der Urkunde sollten über die Ursachen orientieren, welche zur Aufrichtung des nachstehen- den Vertrages geführt hätten : die Gotteshausleute seien von den Äbten hart regiert und namentlich vom angenommenen Evan- gelium „erbärmklich" gedrängt worden; zudem sei es wider Gotteswort, dass ein Geistlicher sie beherrsche. Sie hätten darum beschlossen, sich „solicher lestiger, ungöttlicher und unträglicher regierung ußzeziechen" ; habe doch Abt Kilian seinen Mönchs- stand und seine Regierung mit der heiligen Schrift nicht nur nicht bewiesen, sondern sei sogar mit des Gotteshauses Habe aus dem Lande geflohen, weshalb Zürich und Glarus den Gotteshausleuten auf deren Bitte folgende Artikel aufgestellt hätten, doch blos „unz zu wyterer versechung" und bis die vier Orte miteinander besser einig seien. Das Ganze hatte also nur provisorischen Charakter.

Der Inhalt der einzelnen Artikel der Verfassung zeigt uns, dass Zürich an der machtvollen Position des Schirmhauptmanns, wie sie der Entwurf vorgesehen, durchaus festgehalten hatte, wenn es sich auch manche Einschränkungen im Einzelnen ge- fallen lassen musste.

Der Hauptmann soll „in des Gotzhus und aller desselben landschaft nun hinfür das oberist houpt sin und heissen, . . . uff den alle landschaft ir ufsechen und Zuflucht hat" ; keine Amts- person darf „on sin vorwissen und gehäll" eine „dapfere oder wichtige sach" unternehmen. So heisst es gleich am Anfang; dann wird auf die einzelnen Artikel eingetreten : dem Schirm- hauptmann sollen auch alljährlich Geginen und Gemeinden im Namen der Obrigkeit schwören ; die Landräte, Gerichtsammänner und andere hohe und niedere Richter sollen sich ihm gegenüber eidlich verpflichten, unparteiisch zu richten, Nutz und Ehre der Gotteshauslandschaft zu fördern und dem Hauptmann „in zym- lichen, billichen dingen" gehorsam zu sein. Zugleich sollen sie

1) E. A., IV, Ib, Beilage 12, S. 1493 ff.

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auch schwören, den vier Schirmorten getreuUch zu leisten, was sie schuldig sind, und sollen sich eidlich verpflichten, das Gotteswort zu handhaben. Diese Bestimmung gilt auch für die von den Ge- meinden gewählten Gerichtsammänner; wenn diese dem Gottes- wort nicht hold sind, kann sie der Hauptmann entsetzen. Das bedingt aber von selbst, dass dieser „evangelischer leer und war- heit günstig und nit ze wider sige"; sonst brauchen die Gottes- hausleute ihm nicht zu huldigen. Der Hauptmann soll darum, so- bald er aufgeritten ist, den Gotteshausleuten schwören, „dass er sy by göttlichem wort und irem cristenlichen ansechen beliben lassen" will. Mit dem Hauptmann zusammen bilden zwölf Land- räte die eigentliche Regierung; ein Drittel von ihnen ernennt der Hauptmann, die übrigen zwei Drittel die Gotteshausleute. ^) Auch diese Räte müssen dem Evangelium günstig gesinnt sein. In Gegenwart der zwölf haben die Beamten der alten Land- schaft dem Hauptmann Rechnung über ihre Amtsführung abzu- legen, und er darf keinen Amtmann einsetzen oder entsetzen ohne Wissen und Willen mindestens der Mehrheit seiner Land- räte, ausgenommen Vögte, Statthalter und Einzüger, deren Er- nennung und Absetzung dem Hauptmann im Namen der vier Orte vorbehalten bleibt. -)

Im Gerichtswesen sollte es in Zukunft folgendermassen ge- halten werden: die niedern Gerichte besetzen die Gemeinden mit evangelisch gesinnten Männern ; beim Hochgericht vertritt der Hauptmann die Stelle des Reichsvogtes; doch darf er keinen Angeklagten „peinlich" verhören ohne Rat und Wissen des Land- rates. Gibt ein Gefangener, der vors Malefizgericht gehört, ge- nügende Bürgschaft, dass er sich auf Verlangen dem Gerichte stellen werde, so muss der Hauptmann ihn freilassen. Im übrigen sollen die Hochgerichte „wie von altem här" gebraucht und auch

^) Noch kurz vor dem Abschhiss der Verfassung hatten die beiden Orte einen ihnen passierten, eigentümlichen Lapsus korrigieren müssen. Im Entwurf (Nr. 4) hatte es nämlich wegen der Wahl der Landräte geheissen, dass die Ge- meinden dem Hauptmann zwölf Männer vorzuschlagen hätten, aus welchen die Gotteshausleute acht und er vier nehmen sollte, was auf eine Wahl des Land- rates allein durch die Stiftsbauern herausgekommen wäre. Die Zürcher und Glarner Boten erklärten darauf den Stiftsleuten, es hätte heissen sollen, dass die Gotteshausleute acht Räte zu wählen hätten und der Haui^tmann vier.

^) Dazu gehören wohl auch die Gerichtsammänner.

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an den herkömmlichen Gerichtsstätten gehalten werden. Im Appel- lationsgericht sollen sitzen: 1. der Hauptmann als Oberrichter; doch kann er, wie im Hochgericht, einen Stellvertreter aus seinen Räten ernennen; 2. die Hälfte der Landräte, und zwar sollen von diesen sechs Mitrichtern vier von den Gotteshausleuten, zwei vom Hauptmann gewählt sein; nach einem halben Jahr müssen sie mit den sechs übrigen Landräten abwechseln; doch sollen vorderhand alle zwölf Landräte Appellationsrichter sein, bis die Zahl der Geschäfte geringer wird. Was von diesem Gerichte anerkannt wird, darf nicht angefochten werden. Die Appellations- richter erhalten an den Tagen, da sie zu Gericht sitzen müssen, vom Hauptmann Speise und Trank für sich und ihre Pferde und jeder zwei Batzen Taggeld; beim Hochgericht sollen sie sich mit der „spisung" begnügen.

Den Gemeinden wird freie Pfarrwahl zwar zugestanden; doch sollen die Geistlichen vorher durch Schriftgelehrte zu Zürich, Konstanz oder St. Gallen geprüft werden. Es darf auch kein Prädikant von Seiten seiner Gemeinde von seiner Pfründe „ver- schupft" werden, wenn nicht der Hauptmann und mindestens die Mehrheit der Landräte dafür ist; anderseits muss der Pfarrer auch dem Herrn der betreffenden Pfründe genehm sein.

Vergleichen wir den angenommenen Vertrag mit dem ersten den Gotteshausleuten vorgeschlagenen Entwurf, so ist zu sagen, dass von den 15 Artikeln des letztern nur Artikel 11—15 unver- ändert geblieben waren, die bestimmten, dass Zinsen und Zehnten, mit Ausnahme der erlassenen „ungöttlichen Beschwerden", von den Gotteshausleuten auch weiterhin entrichtet werden sollten zur Bestreitung des Staatshaushaltes, wozu auch die Armenver- sorgung gehörte; ferner, dass dem Hauptmann und seinen Räten die Entscheidung über Bezahlung von Ehrschätzen, welche will- kürlich von den Äbten auf Schupposen gelegt worden waren, überlassen werden sollte; endlich, dass die Gotteshausleute Jahr- zeiten und Kirchengüter angreifen dürften, doch darüber dem Hauptmann und seinen Räten Rechenschaft zu geben hätten. Abgesehen von diesen 5 Artikeln hatten alle übrigen des Zürcher Entwurfs erweitert werden müssen. So durfte z. B. der Haupt- mann keine neuen Satzungen erlassen ohne Wissen und Willen seiner Landräte; er sollte auch in seinem Schwur, den er den Gotteshausleuten abzulegen hatte, erklären, dass er ihren Nutzen

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und ihre Ehre ins Auge fassen und sie bei dem, was recht sei, schirmen wolle, lieber die Güter, Einkommen und Herrhchkeiten des Gotteshauses sollte nicht nur dem Hauptmann, sondern auch den Gotteshausleuten ein Urbar eingehändigt werden und von den Gerichtsbussen die eine Hälfte den vier Schirmorten, die andere dem Fürstenlande zustehen.

So war es Zürich nach Überwindung zahlloser Schwierigkeiten endlich doch gelungen, die Gotteshausleute für die neue Verfas- sung zu gewinnen. Als am 31. Mai Abt Kilian das Ober- und Unteramt aufforderte, ihm als ihrem rechtmässigen Herrn zu hul- digen, ^) und er den Wilern erklärte, er anerkenne das neue Regiment nicht,-) da war es bereits zu spät. Nicht mehr fruch- teten Missiven von Luzern und Schwyz, in welchen die beiden Orte durch Schreiben vom 6. Juni die Wiler und Gotteshausleute davon abmahnten, auf die Pläne „etlicher" Orte einzugehen, und ihnen die Worte zuriefen : „Ir hörend am anfang vil guter wort ; aber ir sechend weder das mittel noch end." ^) Im Juni gaben die Gotteshausleute die scharfe Antwort: Luzern und Schwyz sollten sie mit dem Abt in Ruhe lassen, „diewyl und dann nit er allein für sich selbs, sunder wir, die gotshuslüt, das gotshus genempt und er von uns und wir nit von im hie sind (!), er ouch von gemeinem convent und uns zu herren und obern nie erweit noch angenommen."^)

Grösseren, wenn auch nur vorübergehenden Erfolg hatten Luzern und Schwyz bei Glarus, als sie ihm laut der Bünde das Recht vorschlugen; das bewirkte, dass dieser Ort den Gotteshaus- leuten die Besiegelung der neuen Verfassung A^erweigerte.-^) Vadian glaubt, es seien die „geltsamler" zu Glarus gewesen, welche dies zu Stande gebracht hätten;*') Sicher aber erzählt, es sei die ,;Sag" umgegangen, die Glarner hätten dem Abt die Schirmbriefe her- ausgeben und sich seiner entschlagen wollen, „diewil si doch im brief noch sigel nit halten mögend noch könden".') Wie dem

1) St.-A., Bd. 101, S. 79-82.

2) St.-A., Bd. 101, S. 83 84.

3) A.-S., II, 1372. ^) A.-S., II, 1394. ^) A.-S., II, 1401.

f') Vad., III, S. 254 30-35. ') Sicher, I, S. 141 29 ff.

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auch sei, das Benehmen von Glarus muss auf die Gotteshaus- leute Eindruck gemacht haben. Dazu kam, dass die Zugeständ- nisse, welche Zürich bei der Aufrichtung der neuen Verfassung gemacht hatte, doch nicht sehr bedeutend waren. Die Gotteshaus- leute mussten mit grossem Widerwillen bemerken, dass nicht, wie sie gewollt, ihr Vertreter, sondern derjenige der vier Schirm- orte, oder richtiger von Zürich und Glarus, was die weltlichen Herrschaftsrechte betraf, an die Stelle des Abtes gerückt war. So verstehen wir, dass Frei kaum einen Monat nach Abschluss der Verfassung an Zürich schreiben konnte: wenn wegen der Be- siegelung des Vertrages mit Glarus nicht ernstlich gehandelt werde, dürfte es im Fürstenland in allen Dingen so „unentbunnen" zugehen, dass im künftigen Schnitt weder Zinsen noch Zehnten eingehen würden ; die Sache stehe so gefährlich, dass ein Abfall der „Gutwilligen" zu befürchten sei. Darauf befahl ihm Zürich, sich ganz an das neue Vorkommnis mit den Gotteshausleuten zu halten, ohne sich darum zu bekümmern, dass die Glarner nicht gesiegelt hätten. ^)

Letztere schrieben indessen an Schwyz, es solle von seiner Rechtsforderung abstehen, da alles, was sie den Gotteshausleuten getan, ohne Schaden für diesen Ort geschehen und darum den Bünden nicht zuwider sei. ^) Doch als das nichts nützte, ^) blieb Glarus eingeschüchtert und wollte nicht siegeln. Da kam ihm Zürich zu Hilfe. Anfangs August schrieb es den Glarnern, sie seien nicht verpflichtet, der Mahnung zum Recht Folge zu leisten, da sie sich mit den Gotteshausleuten nicht in bundeswidriger Weise eingelassen hätten; sollten sie von Schwyz weiter angefochten werden, so möchten sie Recht bieten, '^) und am 6. August bat Zürich dringend, den Vertrag zu siegeln und sich um die „ver- meinte" Mahnung der Schwyzer nicht zu kümmern. '^) Dies wirkte endlich. Glarus schrieb noch im August an Schwyz: wenn man mit Luzern ihm die Besiegelung des Vertrages nicht gestatten wolle, so schlage es den beiden Orten Recht vor ; falls sie aber innerhalb 14 Tagen dasselbe nicht annähmen und den Prozess nicht ge-

1) A.-S., II, 1406, 21. Juni, vgl. ebenda die Note.

2) A.-S., II, 1473, 17. Juli.

3) A.-S., II, 1486.

4) A.-S., II, 1532. '") A.-S., II, 1534 2.

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wannen, werde man siegeln. ^) Diese Bedingung wurde, wie es scheint, nicht erfüllt, und so hängten, wohl kurz nach dem Tode Kilians, auch die Glarner ihr Landessiegel an die Urkunde, was Zürich und die Gotteshausleute bereits im Juni des Jahres ge- tan hatten.

Nachdem schliesslich die Gotteshausleute auch ihre eigenen Landesfarben, Schwarz-Gelb, -) bekommen, war unter der Ägide und Leitung Zürichs die völlige Loslösung des Fürstenlandes von der Herrschaft des Abtes von St. Gallen auch äusserlich zur Tatsache geworden.

1) A.-S., II, 1569, 18. August.

2) Bull., II, S. 271.

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II. Kapitel.

Das Toggenburg nach dem ersten Landfrieden. ')

Wir haben bereits gehört, wie Abt Kihan, solange er in der Eidgenossenschaft weilte, Anstrengungen machte, sein Heimat- land dahin zu bringen, dass es ihn anerkenne; doch waren die Bemühungen erfolglos gewesen.

Gestützt nun auf die günstige Antwort, welche ihm Luzern, Schwyz und Glarus im Mai 1529 zu Wil gegeben, hatte der Abt gehofft, zum Ziele zu kommen, und den Landvogt Giger aufge- fordert, das Regiment mit dem Landrat wie bisher auszuüben. ^) Doch Giger antwortete am 26. Juli, wenn er dem Befehle Folge leistete, würde er von den Toggenburgern entsetzt. ^) Vergebens suchte Kilian daraufhin durch Nachgiebigkeit Landvogt und Land- räte für sich zu gewinnen, indem er erklärte, er werde sich, wenn sie ihm huldigten, so zeigen, dass sie den Landsmann spüren könnten ; ^) vergebens machte er auch Giger darauf aufmerksam, dass er seine Konfirmation erhalten habe ; '") er brachte es im Toggenburg nicht zu seiner ausdrücklichen Anerkennung. Nicht mehr Erfolg hatten lange Schreiben, die er im August 1529 an die Landsgemeinden zu Lütisburg (und Lichtensteig) richtete;*^) die Toggenburger blieben bei der Antwort, die sie Kilian gleich nach seiner Erwählung gegeben hatten : was sie dem Abt und andern schuldig seien, das wollten sie treulich, ehrlich und redlich halten.

^) Ausüben angeführten Gründen t^s. Abschn. I, Kap.III, (S. 77)Anm. 1) be- gnügen wir uns auch hier mit einer das Wesentliche zusammenfassenden Dar- stellung.

2) St.-A., Bd. 101. S. 6/7, Schreiben vom 24. Juli 1529.

3) A.-S., II, 710.

^) St.-A., Bd. 101, S. 27—28, 11. August.

■') St.-A., Bd. 101, S. 19—20, Schreiben Kilians vom 28. Juli.

^) St.-A., Bd. 101, S. 33 34, Schreiben Kilians vom 19. August.

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Eine Besserung schien das Jahr 1530 für den Prälaten zu bringen, als Mitte Januar zu Lichtensteig, Lütisburg und im Oberen Amt toggenburgische Landsgemeinden beschlossen, ferner- hin jedem, wer das auch sei, das „Recht" seinem Begehren nach zu halten und in Zukunft weder dem Landrat noch sonst je- mandem zu gestatten, mit Fürsten und Herren dies- oder jenseits des Rheines und Sees eine Vereinigung abzuschliessen ohne Wissen und Willen der Landsgemeinde der ganzen Grafschaft. ^) Als nun aber der Abt diese energisch aufforderte, ihm zu hul- digen und im Weigerungsfalle den dortigen Behörden jegliche Amtsverrichtung verbot, ersuchte Giger um „ain gnedig urlob", indem er die versteckte Drohung beifügte, dass die Landleute, wenn er sein Amt niederlege, die Regierung selbst in die Hand nehmen würden. -)

Eine solche Haltung der Toggenburger war nur möglich, wenn sie sich im Rücken gedeckt fühlten ; sie waren es durch die Zürcher, die zu dieser Zeit mit ihrem Einfluss in der Graf- schaft völlig dominierten, trotz der Bemühungen des Hauptmanns von Batzenheid"') und des äbtischen Konvents^) wie der Anfeindung von Seiten der abtfreundlichen Elemente im Toggenburg, welche der Stadt vorwarfen, sie habe im Sinne, die Grafschaft „inze- nämen, ze beherschenn oder ze bevogten". '") Mitte Juni, als der Abt die Regalien vom Kaiser erhalten, erneuerte er die For- derung seiner Anerkennung durch ein Schreiben an die Lands- gemeinde zu Wattwil,*^) erreichte aber das gerade Gegenteil; denn es entstand ein „mergklicher unwill" über seinen Brief unter den versammelten Toggenburgern, und die Landsgemeinde be- schloss, indem sie eine Botschaft der Schwyzer nicht zum Wort kommen liess, „das sy ü(wer) f(ürstHch) g(naden) nit wellind

1) Tgb. Sail., Fol. 65 b, f.

^) St.-A., Bd. 307, S. 223 225, Schreiben Kilians an Giger und den Landrat vom 27. Mai 1530 ; Bd. 101, S. 104, Giger an Kilian, d. d. 30. Mai.

^) St.-A., Fase. 14, Hauptmann Batzenheider an die Toggenburger, dat. d. 18. Februar.

■•) St.-A., Bd. 307, S. 222—223, Dekan und Konvent an Giger, dat. d. 28. April; Antwort Gigers vom 3. Mai, Bd. 101, S. 92—93.

ö) St.-A., Bd. 307, S. 183, Zürich an Toggenburg, dat. den 16. März; A.-S., II, 1343 ; s. auch Sicher, I, S. 129 7-li.

«) St.-A., Bd. 101, S. 97 100.

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haben für kainen herren", sondern in Zukunft einen %on ihnen selbst gewählten Landammann haben wollten. Die Wahl fand so- gleich statt und fiel auf Ammann Künzli.^) Die Boten der Schwyzer aber, welche gekommen waren, um das Landrecht mit den Tog- genburgern neu zu beschwören, wurden grob abgewiesen, indem man ihnen zurief, „das sy ain gemaind rüwig lassen söllintt mit irm landtzrecht" ; sie (die Schwyzer) hätten dasselbe zuerst ge- brochen etc. -) Giger teilte dies alles dem Abte mit und bat von neuem um „urlob".

Seit geraumer Zeit stand das Toggenburg auch mit Zürich in Unterhandlung „von losung wegen". ^) Am 26. Juni erschien in der Stadt eine Botschaft aus der Grafschaft, um sich mit ihr über ein ewiges, christliches Burgrecht zu einigen. ^) Der be- drängte Abt bat darauf Giger, seinen Posten als äbtischer Land- vogt nicht zu verlassen, ■') wandte sich auch durch seinen Reichs- vogt an Luzern und Schwyz um Rat, <') was ihm aber wenig half. Doch hatte Schwyz, wie wir oben gesehen, Grund genug, über die Toggenburger erbost zu sein, und beklagte sich deshalb am 27. Juni auf der Tagsatzung zu Baden, dass ihm sein Landrecht mit dem Toggenburg von diesem nach allerlei Vorwürfen auf- gekündet worden sei. Die Tagherren wussten aber keinen bes- sern Rat, als den Span einstweilen ruhen zu lassen ; man wolle später wieder auf die Sache zurückkommen. ')

Die Toggenburger jedoch drängten unaufhörlich vorwärts, um sich schliesslich durch Rückerstattung der Summe, um welche einst der Abt sie von denen von Raron erworben, vollständig unabhängig zu machen, und Zürich tat sein möglichstes, diesen Plan

^) Giger bekleidete von da an das Amt eines Seckehneisters. Er hatte in seiner klugen Weise die Wahl zum Landammann abgelehnt (Sicher, I, S. 128 f.), um sich beim Abte möglichst wenig zu kompromittieren.

2) Bericht Gigers an Kilian vom 20. Juni (St.-A., Bd. 101, S. 101 102).

3) St.-A., Bd. 307, S. 183, Zürich an Toggenburg, dat. den 16. März: A.-S., II, 1343.

^) Vad., III, S. 255, lo-u.

ö) St.-A., Bd. 101, S. 105, Kilian an Giger, d. d. 22. Juni, •^j St.-A., Bd. 307, S. 313, Kilian an Heinrich Schenkli, Reichsvogt, jetzt in Einsiedeln, d. d. 22. Juni.

') E. A., IV, 1 b, Nr. 342 m.

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zu verwirklichen ; wenn er erst unter dem Nachfolger Kilians, Abt Diethelm, durchgeführt werden konnte, so war daran Glarus schuld, welches sich wegen der drohenden Haltung von Luzern und Schwyz vorderhand nicht auf diese schwerwiegende Sache einlassen wollte. ^)

') Siehe das Nähere in den E. A., IV, Ib, Nr. 343, 35 lo, 366f ; bei Strickler A.-S., II, 1425, 1463a, 1501 i, 1515.

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III. Kapitel.

Der Klosterkauf.

Wir erinnern uns, wie die Stadt St. Gallen im ersten Kappeler- krieg den Zürchern kräftigen Beistand geleistet. Die Kosten dafür beliefen sich für die Stadt auf die verhältnismässig recht hohe Summe von 1700 Gulden. ^) Doch der für die Reformierten günstige Ausgang des Feldzuges war auch dem weiteren Vor- gehen St. Gallens zugunsten religiöser Neuerungen sehr förderlich: die St. Jakobskapelle wurde als solche aufgehoben und in eine Ziegelei verwandelt, die Kirche der Nonnen von St. Leonhard in den ersten Tagen des Jahres 1530 in religiösem Übereifer abge- brochen, wofür selbst Vadian die bedauernden Worte hatte: „ist gar ain hübsche kirch gsin";-) die Nonnen selbst, die bereits ihre Ordenskleider hatten ausziehen müssen, wurden noch im April dieses Jahres ausgesteuert,^) und die bedeutende Summe, ca. 3000 Gulden, welche vom Klostervermögen übrig blieb, floss in die städtische Armenkasse.^) Die Innenwände des Münsters wurden weiss übertüncht und Bibelverse statt der früheren Ge- mälde angebracht. Als Pfarrer wurde dort um Ostern 1530 der uns bekannte Dr. Christoph Schappeler von der Stadt angestellt, ^) der in dieser Zeit seine 42 Artikel gegen den katholischen Glauben im Druck erscheinen liess.*^) Mindestens 14 Glocken '') aus nieder- gerissenen Kapellen des Klosterbezirkes wurden nach Lindau geschickt und trotz aller Bemühungen Kilians, das „gloggenzüg" dort in Haft legen zu lassen,**) in eine grosse Kanone umgegossen.'*)

1) Vad., III, S. 247 se.

2) Vad., III, S. 240 i ; Sicher, I, S. 124 i-io.

3) R.-P. 1530, S. 136.

■*) Vad., III, S. 244 22-44.

'") Sicher, I, S. 127/128.

6) Bull., II, S. 115-119; Sta., Tr. Q., Nr. 14.

^) Vad., III, S. 363 i4.

8) Siehe z. B. St.-A., Bd. 101, S. 74 und Bd. 307; S. 168.

•') Vad., III, S. 247 26-30; Sabb., 338, 35-43.

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Nachdem diese glücklich unter Bedeckung man befürchtete einen Handstreich Marx Sittichs des Nachts über den See nach Rorschach bugsiert worden war, wurde sie von dort am Morgen des 10. Mai im Triumph nach St. Gallen geführt. 0 Es war ein ansehnliches Geschütz, das 13 Pfund schwere Steine abschiessen konnte. -) Der Verlust, den der Abt durch das Ein- schmelzen der Glocken erlitt, betrug mehrere 100 Gulden, ^) wobei er und die Seinen zum Schaden noch den Spott zu tragen hatten, indem auf der neuen Büchse zu lesen stand:

„Das mich an statt S. Gallen hat lassen giessen Das thüt gar mengen verdriessen." ^)

Wichtigere Veränderungen als die oben geschilderten waren inzwischen innerhalb der Stadtbehörden vor sich gegangen. Vor allem war auf das Drängen einiger Zunftmeister am 5. Juli 1529 vom Grossen Rate beschlossen worden, dass zukünftig auch die sechs Altzunftmeister dem Kleinen Rate angehören sollten, '") der bisanhin aus den sechs amtierenden, demokratischen Zunft- meistern und neun aristokratischen Mitgliedern bestanden hatte. Nicht dieser, in seiner Mehrheit aristokratische Kleine Rat hatte die Leitung der Reformationsbewegung in St. Gallen innegehabt, sondern von Anfang an der in seiner überwiegenden Mehrheit demokratische Grosse Rat. Dadurch dass nach dessen Beschluss vom 5. Juli nunmehr im Kleinen Rate zwölf Zunftmeister den neun aristokratischen Mitgliedern gegenüberstanden, erhielt auch dort die demokratische Partei das Übergewicht. Weitere Neue- rungen, besonders auf Kosten der Abtei, Hessen sich nunmehr viel leichter an die Hand nehmen.

War es nämhch bis dahin der Stadt gelungen, innerhalb ihrer Ringmauern allein den evangelischen Gottesdienst zu dulden, so musste sie ganz natürlich auch auf den Gedanken kommen, die äbtischen Gebäulichkeiten in der Stadt, so namenthch das Kloster,

1) Vad., m, S. 250/251.

2) Miles, S. 337 (65) 17.

^) Vad. (III, S. 363 12) nimmt im Maximum 200 gl. an, die Äbtischen 600 gl.

*) Sabb., S. 338 42-43.

^) R.-P., 1529, S. 80; Sabb., S. 326 15-20; Vad., III, S. 215 15 nimmt unrichtig das Jahr 1530 an; unrichtig ist auch, was dort von der Ratsver- änderung berichtet wird.

St. Galler Mittlgn. z. vaterliind. Oesch. XXXIII. 13

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an sich zu bringen, um auf diese Weise endlich allein „Herr im Hause" zu werden. Die Stadt dachte an Kauf und beabsichtigte, zu gleicher Zeit auch alles übrige, was zum Klosterbezirk ge- hörte, samt dem Brühl, wie auch die 1490 verlorenen Gerichte zu Oberberg, Andwil und Steinach ^) käuflich zu erwerben. Am 14. Juli 1529 wurde dies durch Ratsbeschluss angeordnet.-)

St. Gallen hätte dazu kaum einen günstigeren Moment wählen können. Noch stand man in der ganzen Eidgenossenschaft unter dem frischen Eindruck des grossen Erfolges, den der erste Kap- pelerkrieg Zürich und seinen Anhängern gebracht hatte. Die katholische Partei in der Schweiz war eingeschüchtert, und der Landfriede selbst gab St. Gallen im YllL Artikel einmal Gewähr dafür, dass in seinen Mauern die reformierte Lehre nicht ange- fochten werden dürfte. Ferner aber bot das Friedensinstrument der Stadt sogar die Handhabe, wo sie mit ihren Absichten auf das Kloster, ja auch mit weiteren Begehren einsetzen konnte; in Artikel XV hiess es nämlich, „dass ein statt Sant Gallen von wegen des klosters in ir statt und sunst anderm irem anligen von den vier orten Zürich, Luzern, Schwiz und Glarus in zimlikeit bedacht und inen darin gehulfen werde". ^) Begreiflich, dass die Stadt, als sie den Inhalt des ersten Landfriedens erfuhr, Züricli in überschwänglicher Weise seine Freude darüber kundgab : der

') Es war dieser Verlust die Frucht des ßorschacher Klosterbruchs und der darauffolgenden, für die Stadt so ungünstigen kriegerischen Intervention der IV" Schinuorte. Statt seine Territorialherrschaft durch äbtisches Gebiet mächtig zu erweitern, wie St. Gallen gehoft't hatte, verlor es seinen geringen auswär- tigen Besitz : das Schloss Oberberg und die zwei Gerichte Oberberg und Andwil, samt dem Gredhaus zu Steinach, und die Rechte der Stadt zu Ober- und Nieder- steinach gingen an die IV äbtischen Schirmorte über, welche sie dem Abt ver- kauften. Ja, St. Gallen musste froh sein, nicht zum Mittelpunkt einer gemeinen Herrschaft, was man aus der alten Landschaft zu machen gedachte, herabge- drückt zu werden. Dass dies nicht geschah, verdankte es vor allem Zürich (s. Haene, Klosterbruch, S. 162 176).

^) „diewil das gotzhus rendt unnd gult hab, (be)gere man der nit, allain des platz mit kilchen und kilchenzier, lehen, pott und verbott (am Rand : „Brül, und was inn grichten ist, fry ledig"), diewil doch abt ufgerumpt unnd von land zogen sig.

Item och ellentlich umb Oberberg unnd Stainach komen ; dasselb m(inenj h(erren) lassen verlangen, unnd das nit vergebens, sonnder daruß lassen gan, das zimlich ist" (R.-P.. 1529, S. 81).

•^)E. A., IV, Ib, S. 1481—1482.

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Stadtläufer, welcher St. Gallen von dem eben geschlossenen Frieden Bericht gegeben, habe „ain überuß trostlich und fröhch bottenbrot" gebracht; man preise den barmherzigen Gott, dass er der Stadt so gnädig vergönnt, diese Stunde zu erleben. ^)

Doch St. Gallen fand bei seinen Plänen auf das Kloster in den Gotteshausleuten einen unbequemen Konkurrenten. Bereits am 12. JuH 1529 erhielt der Kleine Rat Kunde, man habe zu Lömmiswil geredet, das Kloster sollte den Gotteshausleuten ge- hören; denn sie hätten das Ihrige daran gegeben. Ein Bauer sollte gesagt haben, man wäre zu Lömmiswil rätig geworden, das Kloster einzunehmen. -) St. Gallen mochte diesen Gerüchten um so eher Glauben schenken, als es sich dabei wohl bewusst war, auf wie gespanntem Fusse es mit den Gotteshausleuten lebte. Dies hatte sich ja während des ersten Kappelerkrieges nur zu deutlich gezeigt. ^) Dass die Stadt damals den Kloster- bezirk besetzt hatte, mochte die Hauptschuld an dem unfreund- lichen Verhältnis zum Fürstenlande tragen; denn dieses betrachtete sich als Nachfolger des Abtes auch inbezug auf das Kloster und wollte anfänglich von dessen Abtretung an die Stadt nichts wissen, da man befürchtete, dabei übervorteilt zu werden. ^) Doch St. Gallen berief sich auf den XV. Artikel des Landfriedens und schickte am 1.3. Oktober 1529 eine angesehene Gesandtschaft, auch Vadian befand sich dabei, zu den vier Schirmorten, um diese zur Abtretung des Klosterbezirks und des Brühls zu veran- lassen, da ja der vermeinte Abt „ufgerumpt" und mit grosser Habe aus der Eidgenossenschaft „abgeschwaift" sei. Die vier Orte möchten ferner bedenken, wie der St. Galler Spital um Ober- berg und die Stadt um die Gred (Lagerhaus) bei Steinach ge- kommen sei, welche beide der Abt erhalten habe: das Stift dürfte wohl inzwischen durch deren bisherige „nutzung'' auf die Kosten gekommen sein, die es einst durch den Klosterbruch und Rorschacherkrieg erlitten ; darum möchten die Schirmorte helfen, dass den armen „siechlin'^ Oberberg mit Zubehör und der Stadt das Gredhaus zu Steinach wieder übergeben werde. Die St. Galler Boten erhielten daraufhin zu Zürich die Antwort, dass man ihnen

1) E. A., IV, 1 b, S. 263 29.

^) R.-P., 1.529, S. 8L

■'') Siehe oben.

^) Vad., III, S. 252, Xr. 67.

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gerne helfen würde, wenn der Handel die Zürcher allein anginge; dies sei aber nicht der Fall, sondern man müsse auch die drei andern Schirmorte zur Verhandlung beiziehen ; doch wolle man bei diesen dahin wirken, dass die Stadt in ihren Beschwerden wie billig bedacht werde. Ungünstiger lautete die Antwort von Luzern: es sei wie Schwyz wegen des Abtes von St. Gallen mit Zürich und Glarus in einen Streit verwickelt, weswegen ein Tag nach Baden angesetzt worden sei; wenn dieser vorüber, wolle man mit Schwyz die Angelegenheit beraten und gebührend ant- worten. In gleichem Sinne dürfte sich auch Schwyz geäussert haben, während uns die Antwort von Glarus nicht bekannt ist. 0

St. Gallen hielt sich darum vor allem an Zürich, das ihm Ende November versprach, die Sache energisch an die Hand zu nehmen. -)

Um Weihnachten erschien auch eine neue Botschaft St. Gallons unter Führung Vadians in Zürich, um das Begehren der Steinach- stadt zu erneuern. ^) Das Gleiche geschah am 15. Januar vor dem Glarner Landrat, der den Boten einen günstigen Bescheid erteilte.^) Auf den Rat Zürichs schickte ferner St. Gallen zu Anfang Februar zwei Boten nach Luzern und Schwyz mit einer auf das Kloster bezüglichen Supplikation ; '") man empfing sie dort gut, gab ihnen aber wieder ausweichende Antwort.*^) Sodann wurde, wieder auf Zürichs Rat, eine Gesandtschaft, nämlich Vadian und Fridbolt, auf die am 14. Februar beginnende Tagsatzung nach Baden abgeordnet. Sie hatte dort darauf zu dringen, dass die vier Schirmorte nun einmal mit jener Bestimmung des Land- friedens, welche der Stadt in der Klosterangelegenheit Unter- stützung versprach, Ernst machen sollten, da sich die Erledigung der Sache bereits lange genug hinausgezogen habe. ') Doch erreichten die Boten nichts, weil die Tagherren zuerst in der Angelegenheit des Abtes zu Ende kommen wollten, die Verhand-

*) E. A., IV, 1 b, Nr. 202. Die Instruktion (bei Strickler auszugsweise mitgeteilt) liegt im Sta. Tr. X, Nr. 59. Datum: um Sant Gallen Tag.

2) A.-S., II, 945.

3) E. A., IV, 1 b, Nr. 323 e.

4) Vad., III, S. 236 24-33.

5) A.-S., II, 1104 (1).

^) Vad., III, S. 240 25-29. "') Ibid. 3-15.

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hingen darüber aber zu keinem Ziele führten. ^) St. Gallen konnte mit diesem Ausgange des Badener Tages wenig zufrieden sein ; denn wenn seine Angelegenheit mit der endlosen Sache des Abtes verbunden wurde, so war freilich nicht abzusehen, wann es mit seinen Forderungen zum Ziele gelangen würde. Dies erkannte man auch im Rate wohl und beschloss darum, Zürich und Bern in der Klosterfrage zum Handeln zu bewegen. Wolle Zürich, hiess es in einem bezüglichen Ratschlag, den Abt verhören oder „begnaden", so möge es das tun, aber unter Vorbehalt der For- derungen der Stadt; in diesem Sinne möge Zürich auch Glarus für dieselben günstig stimmen. Dass St. Gallen auch bei Bern in ähnlichem Sinne für seine Sache werben wollte, hatte darin seinen Grund, dass der Vorsitz unter den neun in der äbti- schen Angelegenheit unparteiischen Orten Bern zukam und dass St. Gallen von Seiten jener Widerstand gegen seine Pläne befürch- tete. ^) In Zürich und Bern erhielten aber die St. Galler Boten am 9. und 13. März nur die allgemein gehaltene Antwort: man wolle das Beste tun, damit der Landfrieden an der Stadt gehalten werde. ^)

Doch St. Gallen gab sich damit nicht zufrieden. Als Zürich und Glarus sich dort im Mai mit den Gotteshausleuten über eine neue Verfassung einigten, benutzte der Rat die Gelegenheit, um am 19. d. M. aufs neue durch eine ansehnliche Botschaft Vadian, Bürgermeister Konrad Mayer und Stadtschreiber Augustin Fechter befanden sich darunter^) bei den Gesandten der beiden Orte darauf zu dringen, dass die Stadt gemäss dem Landfrieden in ihren Forderungen auf das Kloster zufriedengestellt werde. Wieder lautete die Antwort ausweichend: der Vertrag der beiden Orte mit den Gotteshausleuten sei noch nicht aufgerichtet und der Streit mit Luzern und Schwyz nicht beigelegt. Vor allem aber habe sich St. Gallen in seinem Anliegen auch an diese beiden Orte gewandt, welche ihm darin noch nichts abgeschlagen hätten; es möge darum, wenn es die vier Orte bei einander finde, sie um einen besondern Tag in seiner Angelegenheit anrufen; gingen

^) E. A., IV, 1 b, Nr. 278 e; Vad., III, S. 240 30-39. 2) Vad., III, S. 242 17-36.

^) Vad., III, S. 242 37 -4i; E. A., IV, 1 b, Nr. 285. ^) Vad., III, S. 252 10-11.

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dann Liizern und Schwyz nicht darauf ein, so würden „wahr- scheinlich'' Zürich und Glarus von sich aus einen baldigen Tag ansetzen. Der St. Galler Rat erklärte sich damit zufrieden und einverstanden, bat auch die Gesandten der beiden reformierten Schirmorte als getreue „fürmünder", ihre Regierungen seinen Forderungen möglichst günstig zu stiTumen. ^) Das Gleiche be- zweckten Briefe, welche die Stadt am 17. Juni nach Luzern und Schwyz schickte.-') Ferner sandte sie am 1. Juli ihre Boten, V. Watt und Ulrich Appenzeller, zu den vier Orten auf die Badener Tagsatzung, ^) wie ihr von Zürich und Glarus geraten worden war. Als dort die Gesandtschaft um Erfüllung der städtischen Forderungen ans Kloster einkam und um die Ansetzung eines besonderen Tages dafür bat, hatten zwar die Boten Zürichs Voll- macht, darauf einzugehen; diejenigen von Glarus aber nahmen das Anbringen einfach in den Abschied, und die Gesandten von Luzern und Schwyz wollten überhaupt nicht darauf eingehen, bevor der Abt wieder eingesetzt wäre. Doch Zürich erklärte auch, ohne Mitwirkung anderer Orte wolle es „stracks" vorwärts gehen und dem Landfrieden nachkommen. ^) Demgemäss setzte es einen besonderen Tag auf den 22. August nach St. Gallen an und teilte ihn Luzern und Schwyz mit, unter dem Beifügen: wenn diese beiden Orte keine Gesandtschaft schicken sollten, werde Zürich kraft des Landfriedens auch ohne sie vorgehen;'') Glarus aber wurde ermahnt, seine Botschaft auf diesen Tag mit Vollmacht zum endgültigen Handeln zu senden, auch für den Fall, dass die Boten von Luzern und Schwyz nicht in St. Gallen erscheinen sollten. •')

An diesem Tage befand sich jedoch von den vier Schirm- orten der Abtei nur Zürich in St. Gallen. Erst am Mittag des 24. trafen die Glarner Boten ein;') Luzern und Schwyz aber hatten, wie zu erwarten stand, vorgezogen, an den Verhandlungen nicht teilzunehmen. So begannen denn die beiden reformierten Schirm-

1) E. A., IV, 1 b, Nr. 323 e, p.

2) Vad., III, S. 254, Nr. 73. '^) Vad., III, 255 26-30.

^) E. A., IV, 1 b, Nr. 342 kk. '") A.-S., II, 1535. 6) A.-S., II, 1534 1. ^) A.-S., II, 1589 (2).

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orte am 25. für sich allein mit der St. Galler Ratskommission, welcher Bürgermeister Heinrich Kummerer i) und Vadian ange- hörten, die Unterhandlungen; doch fand die St. Galler Gesandt- schaft bei weitem nicht das Entgegenkommen, welches ihre Obrigkeit erwartet hatte. Namentlich hielten die Boten der beiden Orte trotz aller Bitten der städtischen Kommission daran fest, dass einige Gebäude samt Keller, Gärten etc. vom Kaufe aus- geschlossen sein sollten. Ferner verlangten Zürich und Glarus von der Stadt, dass sie ihren Plan, die Gerichte zu Oberberg, Andwil und Steinach samt dem dortigen Gredhaus wieder zu er- werben, bis zu einer günstigeren Zeit fallen lassen solle. Diese Gerichte hatte man nämlich bereits den Gotteshausleuten zur Verwaltung überlassen, und die Boten der beiden Orten bemerkten, dass die Bauern, was sie einmal „bekläftert" hätten, nicht wieder von Händen geben wollten. ^)

So gelangten denn die Gesandten der Stadt mit den Forde- rungen von Zürich und Glarus an den Rat, wo „ain grosser widerdriess" entstand, als man von dem Begehren der reformierten' Schirmorte Kenntnis erhielt. Schliesslich aber gab der Rat nach, trotz der Gefährlichkeit des Wagnisses, die ein Kauf auch in dieser für St. Gallen verhältnismässig ungünstigen Gestalt haben musste ; denn einmal waren nur zwei Schirmorte mit dem Kauf einver- standen; sodann war zu erwarten, dass der Abt nicht „firen" würde, den Handel wieder rückgängig zu machen, und sich dabei wohl nicht zuletzt auf den Kaiser stützen möchte. Dass St. Gallen trotzdem auf die Forderungen von Zürich und Glarus einging, hatte seinen Grund hauptsächlich darin, dass es die beiden Orte bestmöglich fernhalten und vor allem verhindern wollte, dass etwa die Gebäude und Herrschaftsrechte, welche der Abt noch in der Stadt besessen hatte, an die Gotteshausleute, beziehungs- weise die vier Schirmorte übergingen und die Bürger „mit der zit von (irer) gwaltsame und von dem rieh komen und zu schwärer beherschung bracht" würden. Das Schreckgespenst von 1490 mochte es demnach in erster Linie sein, welches die Stadt zum Kauf drängte: die Furcht, zum Mittelpunkt einer gemeinen Herr-

^) Dieser war am 19. Juni an Stelle Konrad Mayers gewählt worden, der wegen Überhäufung mit Privatgeschäften selbst um seine Entlassung beim Rate nachgesucht hatte (Sabb., S. 341 i— lo).

-) E. A., IV, 1 b, Nr. 373.

200

Schaft herabzusinken; dies konnte man 'später, falls der Kauf wieder fallen gelassen werden musste, als Entschuldigung an- bringen; zudem war anzunehmen, dass in diesem Fall immerhin zwei Schirmorte gegen zwei stehen würden, sodass die Hälfte in ihrem etwaigen Vorgehen gegen St. Gallen gelähmt wäre. Zu grösserer Sicherheit gedachte auch die Kaufmann sstadt, die Summe, die man durch den Klosterkauf schuldig wurde, in ab- sehbarer Zeit nicht zu erlegen, sondern bloss zu verzinsen.

Immerhin befahl der Rat den durch vier Grossratsmitglieder verstärkten Unterhändlern, sie sollten noch einmal versuchen, die Zürcher und Glarner Boten wenigstens davon abzubringen, dass innerhalb der Stadt den Schirmorten Klostergebäulichkeiten reserviert würden. Doch erreichten sie nichts, und erst „nach langem handien und krangelen" ') einigte man sich am 28. August in folgender Weise: der Klosterbezirk mit Zubehör an Häusern, Plätzen und Herrschaftsrechten, wie diese die Äbte bisher be- sessen, samt dem Brühl und einigen Gärten, dazu die Pfründen zu St. Fiden, St. Jakob und St. Leonhard kommen an die Stadt; doch behalten sich Zürich und Glarus, auch im Namen der beiden andern Schirmorte, vor: die Hell, das Siechenhaus als Wohnung für Hauptmann, Schaffner und Amtleute samt dem Garten im Kreuzgang, von diesem selbst den vierten Teil samt dem untern Teil des grossen neuen Kellers, welcher dem Chor der St. Laurenzen-Kirche gegenüber liegt. Die Stadt verpflichtet sich, Weg und Steg zu den Gebäuden der Schirmorte zu geben und zwischen den genannten Gebäulichkeiten einen Brunnen zu er- stellen, auf Verlangen dem Hauptmann 6 Fuder Heu vom Brühl zu liefern; im Chor der St. Peterskapelle, welche die Stadt in einen Stall verwandeln will, soll sie Unterkunft schaffen für die Pferde des Hauptmanns, damit so die vier Orte mit einer „tapferen, ehrlichen" Stallung versehen sind. Zwar übergeben die beiden Orte alle Obrigkeit innerhalb des Klosterbezirkes der Stadt samt den „Titel- und Scheinlehen", welche die Äbte bisher inner- halb der vier Kreuze gehabt; doch müssen der Hauptmann und sein Schreiber der Stadt keinen Eid leisten, sondern nur, wenn sie sich innerhalb der Mauern aufhalten, den Erlassen des Rates sich fügen; wohl aber hat der Schaffner der Stadt zu schwören, doch unter Vorbehalt des Eides an die vier Orte.

0 Vad , III, S. 261 4ö.

201

Der Preis, den die St. Galler für die ihnen zugestandenen Plätze, Gebäulichkeiten und Herrschaftsrechte zu bezahlen hatten, wurde auf ihre Bitten, nachdem sie 9000 Gulden geboten hatten, von den beiden Orten von 15,000 auf 14,000 Gulden erniedrigt. Wenn die Stadt, um die Summe herabzudrücken, mit Recht geltend machte, dass der Preis in Anbetracht des geringen materiellen Nutzens, den sie aus dem Erworbenen ziehen könne, zu hoch sei, so konnten Zürich und Glarus dagegen einwenden, dass es ihr früher auch mit „unsäglichem Gut" nicht möglich gewesen wäre, in den Besitz dessen zu gelangen, was ihr nunmehr über- lassen wurde. Von |den 14,000 Gulden sollten 11,000 in drei Raten entrichtet werden.

Die restierenden 3000 Gulden hatte die Stadt zur Aussteuerung der sechs ^) im Kloster wohnenden Konventualen zu verwenden. -) Bereits am 3. November 1529 hatte nämlich Zürich in einem „Ratschlag" die Aussteuerung der Ordensleute vorgeschlagen. Diese waren auch bereits aus dem Mönchsstand ausgetreten und zum Teil schon verheiratet, hatten auch selbst um eine Aussteuer zur Bestreitung der Kosten ihres Hausstandes gebeten. ■^) In einem Memorial vom Anfang Dezember des Jahres unterstützte Hauptmann Frei diese Ansicht, da man damit Ausgaben in der Verwaltung ersparen könnte. ^) So wurde denn noch im Dezember die Angelegenheit von Zürich und Glarus in Anwesenheit Vadians an die Hand genommen ; doch kam man 1529 noch zu keinem Vergleich. Die Konventherren verlangten nämlich jeder für sich 1000 Gulden in bar und sofort zu entrichten und 1000 Gulden an „hablichen" Zinsen, dazu jährlich auf Lebenszeit je 15 Saum Wein, 30 Mutt Kernen und 20 Malter Hafer; es habe ja, wurde von ihnen hervorgehoben, das Kloster ein grosses Vermögen und von Zinsen, Renten und Gülten etc. eine jährliche Einnahme von 18,000 Gulden gehabt; sie aber hätten ihre Jugend unnütz im Kloster verbracht und seien nunmehr in vorgerücktem Alter zu schwerem Handwerk nicht mehr tauglich.

Den Gesandten von St. Gallen und denen der beiden Orte schien jedoch die Forderung zu hoch. Auch ohne dazu Vollmacht

^) Die Namen derselben siehe in A.-S., III, 966 und in Sabb., S. 351 28-31.

2) Über den Klosterkauf siehe E. A., IV, Ib, Nr. 378 a— d; Sabb., S. 346 bis 351 ; Vad., III, S. 261—262.

3) A.-S., II, 9108. ^) A.-S., II, 957 9.

202

zu haben, erklärten sie, man wolle sich bei den Obern bemühen, dass jedem Konventherrn 500 Gulden als Eigentum und 100 Gulden (1 ä 15 Batzen) jährlich als „rechtes Leibding" entrichtet werden sollten, ^) und zwar so, dass die Stadt von den oben genannten 3000 Gulden jedem der sechs Konventherren 500 bezahle; die Jahresrente der ausgesteuerten Herren sollte aus den eingehenden Renten und Zinsen der Landschaft des Gotteshauses bestritten werden. An diesen Ansätzen hielten Zürich und Glarus auch auf den im Mai 1530 deshalb stattfindenden neuen Beratungen fest. Sie gingen auf die reduzierte Forderung der Konventherren nicht ein, ihnen zu den 1000 Gulden statt 1000, wie sie anfangs verlangt, 100 als Leibding zu verabreichen. Schliesslich waren diese froh, dass sie 500 Gulden Vermögen und jede Fronfasten 25 als Vierteljahrs- rente bekommen sollten, und baten die Boten von Glarus, welche keine Vollmacht für diesen Handel gehabt hatten, sich bei ihren Obern zu verwenden, damit der Vertrag beförderlich angenommen werde. Dazu waren die Glarner Boten gerne bereit. Den beiden No- vizen des Klosters wurden je 100 Gulden zuerkannt und beide be- vogtet, damit sie ein Handwerk lernen könnten und „rechtschaffene Leute" aus ihnen würden. -) Im Juli d. J. forderte man „koch, portner, junkfrowen, hussknecht" auf, das Kloster zu verlassen. ■')

1) E. A., IV, 1 b. Nr. 323 zu d.

2) E. A., IV, 1 b. Nr. 323 d, g. Unrichtiger Weise nimmt v. Arx (II. 583) an. dass die Jahresrente der Konventherren 25 gl. betragen habe. v. Arx folgt dabei Sicher, I, S. 138. Das widerspricht E. A.. IV, 1 b, S. 647. Die Fron- fasten, an welchen die Rente ausbezahlt wurde, sind nämlich als Quatember aufzufassen, so dass wir 25 mit 4 multiplizieren müssen, um die Jahresrente zu ei'halten. Ebenso weiss v. Arx, wieder indem er Sicher folgt, nichts davon, dass jedem der Konventhei'ren zu seiner Rente noch 500 gl. Vermögen zuer- kannt wurden. Dagegen mag wohl zum Teil richtig sein, dass die ausge- steuerten Konventualen, wie v. Arx nach Sicher berichtet, sehr unzufrieden ge- wesen seien mit dem, was ihnen an Geld zugesprochen wurde. Als Eigengut erhielten sie statt 1000 gl., wie sie gefordert, nur 500 und als „Leibding" statt 1000 sogar nur 100 gl. Wenn aber Sicher, I, S. 138, die Sache so darstellt, dass man den Konventheri'en 500 gl. Eigengut und 1000 gl. Leibding zwar versprochen, wodurch die Mönche »zum tail" bewogen worden seien, in ihre Aussteuerung einzuwilligen, nachher aber die Versprechungen nicht gehalten habe (v. Arx, II, S. 583, folgt ihm), so widerspricht dies der Tatsache, dass die Zürcher, Glarner und St. Galler Boten (laut E. A.) gleich von Anfang an 500 gl, als Eigengut und 100 gl. jährliche Rente versprachen (E. A., IV, 1 b S. 651).

3) Sicher, I, S. 139 4/5.

203

Schon Ende Juni d. J. hatten auch Zürich und Glarus beschlossen, dass die Konventherren das Kloster räumen sollten, da bereits deren Leibrente ,,angegangen" sei. 9 Doch wurde dieser Beschluss erst im Juli 1531 zur Ausführung gebracht,-) als endlich auch Glarus am 2. Juli des genannten Jahres die Urkunde über den Klosterverkauf besiegelt hatte, ^) was Zürich bereits am 3. Sep- tember 1530 getan, ^) wobei wiederum die Rechte von Luzern und Schwyz formell vorbehalten worden waren. Am 13. Juli 1531 erklärten die sechs Konventherren urkundlich, dass ihnen ihr ., Eigentum" ausgerichtet und ihre Vierteljahrsrente genügend ver- sichert worden sei. weshalb sie auf ihre bisherigen Rechte als Konventualen verzichteten. ')

Die Aussteuerung der Konventherren hatte der Stadt St. Gallen und den Gotteshausleuten neue Lasten aufgebürdet, was für die Stiftsbauern besonders bedenklich war bei der ungünstigen finan- ziellen Lage ihres Staatsbudgets. Bis Ende Oktober 1529 hatte der Hauptmann allein von der Stadt St. Gallen 1800 gl. zur Be- streitung der Regierungs- und Verwaltungsausgaben entlehnen müssen, '^) und zu Rorschach, Rosenberg und Wil war man bedeu- tende Summen schuldig. ')

Noch aber war eine unter Umständen sehr ergiebige Geld- quelle im St. Galler Münster vorhanden in dem Heiltum, worunter man die in Edelmetall und kostbare Steine eingefassten Reliquien verstand. Der ganze Schatz repräsentierte einen Wert von min- destens 10,000 gl. Nach dem Bildersturm im Münster, Februar 1529, war das Heiltum von den St. Galler Bürgern im Münster- turm eingemauert worden, damit niemand es antasten könnte;-) doch änderte der Rat zu St. Gallen bald seine Ansichten über die Unantastbarkeit des Kirchenschatzes. Als nämlich Zürich,

1) E. A., IV. 1 b. Nr. 340 f.

2) St. Galler Säckelamtsbuch 1531.

3) Vad., m, S. 289 9-i3.

^) A.-S., II, 1631 ; St. Gallen hatte die 11000 gl. mit 550 gl. zu ver- zinsen (Staatsarchiv Zürich. Akten Abtei St. Gallen), zahlte auch dem Zürcher Stadtschreiber, welcher bei der Aufrichtung des Vertrags das Schriftliche be- sorgt hatte, 100 gl. fVad., III, S. 283 is).

■^) A.-S.. III. 966.

«j E. A., IV. Ib, Nr. 207 (1)4.

') E. A., IV, 1 b, S. 652 II.

») Vad., III, S. 358/359.

204

Glariis und St. Gallen die Konventherren aussteuern wollten, wusste man schlechthin nicht, woher man das nötige Geld nehmen sollte. ^) Zürich und Glarus hatten dies kommen sehen und be- reits im Oktober 1529 beim St. Galler Rat angeklopft, um zu erfahren, ob er, gleich den beiden Orten, geneigt wäre, das Heil- tum in klingende Münze zu verwandeln. Auf die Anfrage hin fanden Kleine und Grosse Räte, es wäre das beste, wenn man mit den zwei Orten in der Sache „frunthch ainswurd".-) Unter diesen Umständen war eine Einigung bald erzielt, und so wurden schon im Dezember 1529 die St. Galler mit den Zürchern und Glarnern „ainhellig des sins, das hailtümb anzegrifen und in gelt ze verwenden", da, wie hervorgehoben wurde, das Heiltum doch nur „lautere, bare" Abgötterei sei. Bereits am 18. Dezember wurde dieser Beschluss ausgeführt : ^) das Heiltum wurde durch die St. Galler Goldschmiede Jakob Merz und Stoffel Krenk „zu rümpf" geschlagen und die verschiedenen Metalle säuberlich von einander geschieden. ^) Das Gold 24 Mark, 10 Lot wurde auf Wunsch von Zürich Anfang 1530 durch den St. Galler Seckel- meister Jörg Zollikofer zu Lyon verkauft, wofür er 1720 Kronen erhielt. Das Silber 288 Mark wanderte in die Münze zu Schaffhausen und Konstanz; man erhielt dafür 2925 Gulden. Das Kupfer 80 Pfund wurde pfundweise verkauft. Die Edelsteine und Korallen wurden bei zwei fremden Krämern abgesetzt, er- gaben aber bloss 70 rheinische Gulden.-') Der gesamte Erlös aus dem Heiltum belief sich auf gegen 5000 Gulden. Zürich Glarus hatte keine Vollmacht dazu") einigte sich mit der Stadt St. Gallen dahin, dass ihr die eine Hälfte des Gewinnes, die andere aber dem Hauptmann im Namen der Gotteshauslandschaft zufallen sollte; bereits hatten nämlich die „Geginen" um die Stadt herum einen Teil des Erlöses reklamiert. ^') Doch kamen davon noch die Unkosten, welche man bei der Umwandlung des Heiltums in Geld gehabt hatte, in Abzug. So erhielt denn die Stadt für den Bau-

1) E. A-, IV, Ib, S. 652 II.

2) R.-P., 1529, Okt. 3. und 4.

3) Vad., III, S. 231 34.

4) E. A., IV, Ib, S, 652 III ; Vad., III, S. 231 35.

■') E. A., IV, 1 b, Nr. 378 zu k; Vad.. III, S. 248. Nr. 55. •5) E. A., IV, 1 b, Nr. 323 f ; Vad., III, S. 252 13-15. ') St.-A-, Fase. 14.

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fond des Münsters und als Unterstützung für die Armen 9 2122 Gulden 10 Batzen. Für den Empfang der gleichen Summe stellte Hauptmann Frei im Namen des Fürstenlandes am 10. November 1530 St.- Gallen eine Quittung aus.-)

Mit diesem Ereignis stehen wir bereits in der Zeit Abt Diet- helms, des Nachfolgers von Kilian, dessen ruhelosem Dasein schon am 30. August ein Unglücksfall ein jähes Ende gesetzt hatte. Kilian wollte nämlich an diesem Tage den Grafen Hugo von Montfort zu Tettnang besuchen, traf ihn aber nicht zu Hause und begab sich nach einem Frühstück im Wirtshause der Ort- schaft mit seinen Begleitern in guter Stimmung auf den Heimweg. Der Abt, der ein ebenso tüchtiger Reiter wie liebenswürdiger Gesellschafter war, ritt einen grossen, schwarzen Hengst und unterhielt sich in fröhlichster Weise mit seinen Dienern, dem Hofmeister, dem Schreiber Rudolf Sailer und Hans Nägelin. Ohne unterwegs noch anzuhalten, erreichten die vier Reiter gegen Abend das Armenhaus zu Bregenz, wo die Kranken und Alters- schwachen eben bei einander sassen. Der Abt hielt an, plauderte in leutseligster Weise mit ihnen und reichte ihnen beim Abschied ein Almosen. Schon sahen sie ihren Wohnsitz, das Schlösschen Wolfurt im Abendschein vor sich liegen, da kamen sie an einen Punkt, wo die Wege sich trennten; der eine führte nach der Brücke über die Aach, der andere dem Flüsschen entlang bis zu einer 'Furt. Man entschied sich für den letzteren. Hans Nägelin ritt voraus ; ihm folgte Kilian und dann die andern. Da die Aach angeschwollen war, versuchten die Reiter, das Wasser weiter unten, wo es weniger reissend schien, zu durchqueren. Kilian war schon mitten darin, als er sah, wie sein Vorreiter wegen der Strömung Mühe hatte, das jenseitige Ufer zu erreichen. Er wollte sein Pferd flussaufwärts wenden; dabei glitt es mit den Hinterbeinen aus ; sein Herr stürzte rücklings auf die harten Flussteine und wurde unter dem schweren Tier begraben. Ein-

1) Vad., IIL S. 359 -to.

2) Sta. Tr., X, Nr. 59, g; Vad. (III, S. 252 u) nimmt ^ongefar" 2500 gl. an. welche je dem Hauptmann und der Stadt St. Gallen ausbezahlt worden seien, was zu hoch gegriffen ist. Dass jeder Teil rund 2122 gl. als die Hälfte des Reinertrages aus dem Erlös des Heiltums erhielt, beweist auch eine detail- lierte Berechnung der Ein- und Ausgaben beim Umwandlungsprozess des Heil- tums in Geld (E. A.. IV. 1 b. 378 zu k).

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geengt von einem schweren Filzmantel, konnte der Unglückliche sich nicht rühren und starb so an Erstickung. Holzflösser, die eben des Weges kamen, halfen den leblosen Körper ans Land bringen. Alle Belebungsversuche blieben fruchtlos, und weh- klagend umringten die Getreuen den Leichnam ihres Gebieters. Mittlerweile hatten die Konventherren auf Schloss Wolfurt mit dem Nachtessen auf ihren gnädigen Herrn gewartet und an den Fenstern Ausschau gehalten. Da sahen sie die vier Reiter der Aach sich nahen, sahen, wie sie das Flüsschen durchquerten und wie einer mit dem Pferde stürzte. Sie vermochten aus der Ferne nicht zu erkennen, wer es war. und kamen in angstvoller Hast dahergeeilt. Gross war ihr Jammer, als sie ihren verehrten Herrn, auf dessen Heimkehr sie sich eben noch gefreut, als das Opfer des Unfalls, im Tode erstarrt, vorfanden. ^)

Am Morgen des ersten September, der Abt war am 30. August nachmittags 4 Uhr ertrunken, ging durch die Stadt St. Gallen ein „gemömel", dass Kilian in der Bregenzer Aach ertrunken sei. Als mittags 3 Uhr ein St. Galler Bürger dem Rate die Nachricht bestätigen konnte, erhielt er drei Kronen Belohnung. Noch am gleichen Tage wurden Läufer nach Zürich und Glarus entsandt -) und auch dem Hauptmann Frei die Kunde vom Hinschied Kihans geschrieben. ^)

Vadian aber verfasste auf den Tod des Abtes ^folgendes Gedicht :

„Quaeritur, unde tuae tam mox, Kihane, supremum Attulerit vitae mors inopina diem? Caussa latet fati, quam sola aeterna voluntas Novit; sed vulgo nunc quoque caussa datur: Quod cuperes similis Pharaoni in luce A^ideri, Mors tibi communis cum Pharaone fuit." ^) Fridolin Sicher jedoch macht zum Tode des Abtes die Be- merkung: „vilicht darumb in Got der her habe . . . . dißer

1) Tgb. Sali.. Fol. 133 f. Über die Begräbnisstätte berichtet Mezler (S. 650), dass Kilian begraben wurde „in sunimo templo coenobii Brigantini, in choro sinistra abside, ubi et epitaphinm eins hodie conspicitur. "

2) Vad., III, S. 263 u ; E. A.. IV, 1 b. Nr. 378 zua 2 ; siehe auch V.-B.-S., Nr. 612.

=^) A.-S.. II, 1624 ; siehe auch A.-S., II, 1629 1. '*) Vad., II, S. 415 30-35; vgl. Sabb.. S. 341 f.

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zit genomen, darumb daß die boßhait sin gut fürnemen und stantmüetigkait nit veränderete". ^)

Kessler endlich vergisst nicht, daran zu erinnern, wie der Abt, als man ihm im vergangenen Mai nur dann Geleit auf den Tag nach Baden geben wollte, wenn er seinen Mönchsstand mit bi- blischer Schrift begründe, „sinen armen ussgestreckt mit den witen kuttenermlen und gesprochen: ,In diser kuten wil ich sterben' ".2)

1) Sicher. I. S. 150 8-11.

2) Sabb.. S. 341 27-28.

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Nachwort

Niemand wird leugnen können, dass die religiös-politischen Bewegungen, die eben an unsern Augen vorübergezogen sind, in ihren Hauptlinien wuchtig und imposant sind. Ein kühner, grosser Zug durchweht sie; denn eine mächtige Persönlichkeit steht im Mittelpunkt dieser Ereignisse, leitet und beherrscht sie : Zwingli.

Vom Rechtsboden aus betrachtet, sind es freilich meisten- teils trübe Bilder. Gewalt geht vor Recht ; rücksichtslos werden verbriefte Rechte und Gewohnheiten mit Füssen getreten ; Leben und Eigentum geraten in Gefahr: es ist die offene Revolution, welche Zwingli in der Ostschweiz entfachte. Aber nicht nur hier; denn strahlenförmig fluten von Zürich aus die Wellen des neuen Glaubens nach allen Seiten, ohne vor den Grenzpfählen der Eidgenossenschaft Halt zu machen. Durch diese aber geht seitdem ein tiefer Riss, der die katholischen Eidgenossen von den reformierten scheidet und jede kräftige auswärtige Politik lähmt, ja den stolzen Bau der alten Eidgenossenschaft selbst unterhöhlt. Diese Kluft ist bis jetzt mit nichten ausgefüllt. Von dieser Seite gesehen, waren die Folgen von Zwingiis Auftreten ausserordentlich verhängnisvoll.

Trotzdem dürfen die Reformierten mit Stolz und Bewunderung auf Zwingli blicken; denn dieser Mann hat seine ganze gewaltige Geisteskraft in den Dienst einer grossen Idee gestellt : sein Vater- land religiös und politisch zu reformieren. Für diesen grossen Gedanken kämpfte er sein Leben lang. Dass der Reformator bei der Durchführung seiner tief einschneidenden Reformen nicht immer auf dem legalen Wege bleiben konnte, sondern oft in ge- walttätiger, revolutionärer Weise vorgehen musste, leuchtet ein; denn so gewaltige, tiefgehende Umwälzungen sind, wie die Welt- geschichte beweist, nie und nimmer nur auf friedlichem, gesetz- lichem Wege durchführbar gewesen.

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Aber die V Orte waren nicht gewillt, sich dieses Auftreten Zwingiis und der Zürcher auf die Länge gefallen zu lassen, und so brach denn bereits 1531 von neuem der Bürgerkrieg aus. Er führte die Zürcher nach Kappel, wo am 11. Oktober jenes Gefecht stattfand, das durch den Tod Zwingiis für die reformierte Schweiz von unabsehbarer Tragweite wurde. Der zweite Kappeier Land- friede wäre, darf man wohl behaupten, zu Lebzeiten Zwingiis nicht möglich gewesen; denn durch diesen Frieden vom 31. Januar 1532, der allerdings dem brudermörderischen Kampfe ein Ende machte, wurde die Reformation der Schweiz zum Stillstand und Rückschritt verurteilt. '

,,0 ainer frommen gmaind St. Gallen!" hatte Vadian ausge- rufen, als er die Artikel des Friedensschlusses zwischen Zürich und den V Orten erfuhr. Und in der Tat war dieser Landfriede für St. Gallen ein furchtbarer Schlag. Diethelm Blarer, Kilians Nachfolger in der Abtwürde, musste anerkannt und ihm von der Stadt eine Entschädigung von 10,000 Gulden entrichtet werden. Wieder erhoben sich in der Stiftskirche die Altäre und „Götzen". Am 1. März 1532 hielt der Abt mit seinem Konvent feierlichen Einzug im Kloster und ging nun, unterstützt von Luzern und Schwyz, mit rücksichtsloser Energie an die Rekatholisierung seiner Gebiete. Binnen wenigen Jahren hatte er dieses Ziel im Fürsten- lande erreicht; in der Heimat Zwingiis jedoch, im Toggenburg, hatten seine Restaurationsbemühungen geringeren Erfolg. Zwar wurden die Bewohner der Grafschaft wieder dem Abt unter- worfen ; aber die Mehrheit der Toggenburger blieb trotz Anfech- tungen beim evangelischen Glauben, so dass der Abt ihnen schliesslich die evangelische Predigt und die Errichtung paritä- tischer Gemeinden gestattete.

Mit der Rückkehr des Abtes in seine Herrschaft und der Wiederaufrichtung des alten Gottesdienstes in der Pfalz regten sich natürlich auch in der Stadt St. Gallen die Anhänger des alten Glaubens. „Dazu kamen die Kriegskosten, die hohe Entschädi- gungssumme ans Kloster,^) die Rückkehr der Landschaft zur alten Kirche und die damit verbundene Vertreibung der evangehschen Prädikanten, Schmäh- und Trutzworte aller Art, namentlich gegen

') Siehe oben.

St. Galler Mittlgn. z. vaterlänil. (resch. XXXIII.

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Vadian." ^) „Es bedurfte eines unendlichen Masses von Klugheit, Geduld und Gottvertrauen, um evangelische Bildung und Sitte trotz so vieler Schwierigkeiten der Stadt St. Gallen zu erhalten. Wenn das gelang, so lag das Hauptverdienst bei dem Mann, der im Glück besonnen und massvoll, im Unglück mutig und standhaft zu sein verstand", -) bei Joachim von Watt.

^) Götzinger: Vadian, S. 58.

2) Arbenz, St. Galler Neujahrsblatt 1905, S. 18.

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Beilage I.

Schwyz, 13. Dezember 1526.

Abscheid von beiden orthen Schwytz und Glaruß usgangen.

„Wier der landamann und gantzer landsratt zu Schwitz mitsampt unser lieben Eidgnossen von Glarus ersam wyß botschafft vergechend und thünd kundt hieran öffentlich bekennende: alls sich dann durch die jetz ein zitt bar schwebenden löuff zugetragen und begeben haben spenn und zwytracht enzwüschen dem hochwürdigen in gott fürsten und herren herren Francisco, abtte des gotzhus Sant Gallen, eins und siner gnaden lütten, unsern gütten fründen und getrüwen, lieben lantlütten der graffschafft Toggenburg, genieinlich und sunderlich, anders theills, welich spenn und uneinikeit sich so wytt verzogen, das wir obgenanten von beden lendren Schwitz und Glarus durch des obge- nanten unsers gnedigen herren von Sant Gallen anwellt zürn dickernmal umb recht angerüfft und ersucht sind, nach lutt der lantrechten, so wir bede lender mitt den parthyen zu beden theiln band, in sömlicher maß, das wir nitt band können vorsin, sunder daiaimb ein tag angsetzt und den den parthyen zu beiden theiln verkünt, sömlichen angesetzten tag zürn rechten oder zu der güttikeit zu verstan, und deshalb die parthyen und sunderlich unser lantlütt der graff- schafft Toggenburg dermassen beschriben und erfordert, das sy zu allen theiln sämpt und sunders erschinen und den tag zum rechten und in der güttikeit, ob die sin möchte, verstanden ; und so nun der articklen, dero sich unser gnediger her von Sant Gallen gegen unsern lantlütten der graffschafft beclagt, eben vil und nämlichen der erst die geistlichen lechen berürend, es sye, das die un- serm gnedigen herren von Sant Gallen oder andren lechenherren zustanden, daran sin gnad und ander lecheuherrn ettlicher gstailtt verhindert und gesumpt ; dann da üppig, schnöd und uffrürisch lutterisch pfaffen genommen und enthallten, die das gemein volck uffrürisch, ungehorsam und der oberkeit und erberkeit gantz widerwertig machen nitt allein, sunder ouch zu besorgen, die armen lüt an seel und eren verderben, und so sin gnad und ander lechenherren und sunder sin gnad, dem alle oberkeit züstadt, durch sin züthün die gern strafften, so mög s(in) g(nad) des an den underthanen und lantlüten nitt statt finden, deshalb

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s(iner) g(naden) und andren lechenherren ire lechen verspertt, weliches s(iner) g(naden) der höchst und gröst artikel ; dann siner gnaden gwüßny damit fast be- schwert der armen lütten halb, die durch söllich pfaffen an der seel zu besoi'gen verletzt und verderbtt, deshalb s(in) g(nad) vermeint, ime da beholffen ze sinde, das s(in) g(nad) by semlichen sinen geistlichen lechen fry beliben möchte, darzu ouch ander lechenherren by iren geistlichen lechnen in der graflfschaff't, alls der. dem die oberkeit zughört, beschirmen und das übell in söllichem gstraffen niöcht etc.

Dargegen sieh aber unser lantlüt der graffschatft beclagtt und vermeint, inen sömlicher artikel nit dar erscheint gsin, das sy sich daruff beratten und gewallt haben, der gstallt darumb ze handien, wiewoli sy min gnedigen herren von Sant Gallen noch andren in ir geistlichen lechen nitt redent, und uns des- halb umb hilfif und ratt gebetten etc.

Und uff söllich beder theilen darthün, mitt wyttenn inhallt zu mellden alles unnöttig, band wir umb disen artikell anfangs die güttikeit besucht der hoffnung, den güttlich hin und abweg zu bringen, und haben an unsers gnedigen herren von Sant Gallen anwellten funden, das wir one zwiffell verhofft, denselbigen artikell allso angenommen hetten, und hatten ouch zügseit den anzunemmen, alls hienach statt:

Item, das ein herr von Sant Gallen und ander lechenherren by iren geist- lichen lechen fry beliben, von den lantlütten der graffschafft sampt und sunders ungesumpt, und das die lechenherren, so ein pfründ ledig, die woll mögen besetzen mitt einem priester, der im, dem lechenherren, gfellig. Doch ob den underthanen ein priester zu band keme, den sy gern welltend han, mö- gend sy wol für in bitten, in hoffnung, ein lechenherr wurde sy ir bitt eren und inen ein sömlichen, für den sy gebetten, geben; doch soll ein herr des nitt ge- bunden sin, ein söllicher priester, für den gebetten, wer im dann gfellig. Und ob sach wurd, das ein priester, dem allso ein pfründ geliehen, sich über kurtz oder lang unfromklich, unerlich, unpriesterlich oder uncristenlich hiellt und das kuntlich wurd, das er dardurch einem lechenherren widerwerttig wurd, soll dann ein lechenherr gwallt han, den dannen zthün und in der pfründ zu entsetzen ; ob aber die underthanen vermeinten, das einer nit so vil übells gehandlet, das er darumb der pfriind entsetzt sollte werden, sollen die Ursachen miner herren von Schwitz undGlaris rätten oder iren verordnetten hotten angezeigt werden; die mögend sich dann darüber erkennen, ob er dannen solle oder da bliben, und weders dieselben von Schwitz und Glarus sich darüber erkennent, daby soll es dann bliben. Harwiderumb ob ein söllicher priester sich hiellte, das er den underthanen ouch wider wertig und sy meinten, das ein lechenherr inen den ab- nemen und sy mit einem andren fürsechen sollte, sönd sy das eim lechenherren

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anzeigen. Wirtt der mitt inen eins, das die Ursachen so groß, so bedarifs nit witter; ob aber ein lechenherr vermeinte, die Ursachen nit so groß, das der priester dorumb ab der pfründ solle, soll der handeil aber, wie oblutt, komen für miner herren von Schwitz und Glarus rätt oder iro vei'ordnetten botten, und was sy sich darüber erkennent, daby soll es ouch den bliben, damit und weder ein lechenherr noch die underthanen mitt keim pfaffen gfarlich beschwert müßten bliben etc. Doch so band unsers gnedigen herren von Sant Gallen anwellt unserm helgen vatter dem bapst und bischoifen zu Costentz nüt haben verthädigen wellen etc.

SöUichen artikell betten wir von Schwitz und Glarus vermeint, unser lantlütuß der graffschafft sollten den allso angenommen haben; des sy aber nitt gwallt band wellen haben, den allso anzniiemen, Ursachen uns erzeilt, und uns daruff ernstlich gebetten und angsucht, inen verzug zu geben, den hinder sich an ir gemeinden zu bringen, und sich daby erbotten, allen müglichen Hiß anzukeren und zu handien, das die nüwen lerer und uffrürisch, uncrist- lichen pfaflen fürderlich und angends dannen komen und der graffschafft ge- than (werden).

Dargegen aber unsers gnädigen herren anwellt uns zum höchsten inhallt des landsrechtt, so sin gnad mit uns hatt, umb recht angerufft und ersucht, des wir sinen gnaden nitt wol könden vorsin, wo sich die spenn göttlich nitt zer- tragen sollten. Jedoch uff das früntlich versprechen und zusagen, so uns unser lantlüt der graffschafl't gethan, haben wir uns für die gemellten unsers gnädigen herren von Sant Gallen an wellt uff dis mal gemechttiget und sy jetzmaln bedersyt abgeferttiget allso, das unser lantlüt der graffschafft inhallt irs Versprechens und züsagens die bösen pfaffen hinweg wysend und der graffschafft thügend; dann wir iro ye da nitt wellend; darzü das sy unserm gnedigen herren von Sant Gallen gebint, das sy im schulldig syen, desglychen das sy sich mitt sinen gnaden umb all spenn understanden guttlich zu vertragen ; dann wir werden uffsechen haben, wie sy sich hierin werden hallten; und ob sy fürderlich irem zusagen nach handlendt, wirf inen der verzug des rechten, ob die güttikeit vorhin nitt funden, dester lenger verstreckt. Wo sy aber sumig und dise handlung und sunderlich der üppigen uffrürischen pfaffen halb in beitt- winckell und verzug stellen, wurden wir uff das villfalltig ernstlich anrüffen unsers gnedigen herren von Sant Gallen nitt mögen ußgan, sunder einen fürderlichen rechttag ansetzen und inen den verkünden, das sy den besuchen und mitt vollem gewallt verfaßt erschinen, kraff't des lantrechts und der manung, hievor daruff' beschechen, und wurden dann hinfür die sach nit lenger uffschieben, sunder dem rechten sin stat geben und yedem theill lassen gelangen, darzu er recht hatt.

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Wir werden ouch sömlich uffrCirisch, uncristenlich pfafFen in der grafFschafft nit lyden noch dulden, sunder unser lib und gut darzüsetzeu, das die hinweg gethan werden, deshalb wir unsern lantlütten der grafFschafft trüwlich ratten, das sy den artikell die geistlichen lechen berürend, hie oben angezeigt, Avol mögen annemen, darzfi umb ander spenn sich niitt unserem gnedigen herren güttlich vereinen und thügend, das sy im schulldig syen, umb das sy und wir zu i'üwen kommen.

Und so das von inen beschicht, so wend wir inen beholffen sin, das sy mitt curtisanen nitt beschwert, ouch wo ein pfaff by inen belechnett, das der ouch die pfrund selb besitzen (sollt) und die hinder inen den underthanen nit ver- wandle, versetze, verkouffe noch vertusche ; sunder ob einer darvon wellt, das er die pfrund fiy resignieren und uffgeben sollt etc., alles krafft der artiklen, so die Eidgnossen söllicher Sachen halb mit einandren band angenommen.

Wir werden ouch mitt den lechenherren reden und handien, das sy inen behollffen syen und den armen lütten söllich uncristenlich und uni^riesterlich pfaffen abnement. Harumb so wend wir die lantlüt gemeinlich und sunderlich in der graffschafft Toggenburg früntlich vermant und gebetten haben in güttem vertrüwen, sy wellint ansechen, was inen und uns daran gelegen, und hierin handien und thün, damit unser gnediger her von Sant Gallen, sy und wir mitteinandren zu friden, rüwen und einikeit kommen und bliben, wie unser vorelltern und wier yewellten gsin und bliben. So das erfunden, wurden söllichs zu gut annemen und früntlich haben zu verdienen.

Des zu urkund band wir den parthyen zu beden theilen einen abscheid geben mitt unser dero von Schwitz gemeinem insigell in beder lender namen besigellt, geben uff sannt Josts tag, anno xv*^ und xxvj jar."

{Stiftsarchiv St. Gallen, Bd. 1427, f. 104—107, Original.)

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Beilage II.

Supplication an kay(serliche) m(ajesta)t.

Hernach volgt der fürtrag, so min gnedigerr herr abbt Killian vor rö(mische)r kay(serliclier)m(ajesta)t und gmainen stenden des rychs zu Ougspurg fürgetragen hat, etc. Allerdurchlüchtigister, großmechtigister kayser, allergnedigister herre, ewer kay(serliche) ra(ajesta)t gerueche, diss unser nachvolgendt hochbeschwär- lich ob- und anligen allergnedigst ze verneinen. Wiewol unser alt, wirdig gotz- huse nunmer ob nünhundert jarn in gaistlichem wesen und wirden bstanden und alßbald nach erster fundation von den zyten wylundt kayser Pipini, dess grossen Karoli und andern mer e(wer) kay(serlichen) m(ajesta)t vorfarn, rö- mischen kaysern, vil und manigfaltig, hoch und rychlich dotiert, begabt und mit allerlay namhaiften Privilegien nach und nach gefryt, begnadt und für- sechen und gevorthailt, ouch ye allwegens in des haiigen rychs sondern gnaden, schütz, schirm und verspruch gewesen und pliben, deßglich wir ouch unsers gotzhus regalia und weltlichait, deßglichen manschafften, ober- und herrlichaiten, ouch gaistliche und weltliche lechenschaiften, mitsampt lüten, zechenden, zinsen, nützen, gülten, grechtigkaiten und der aller züghörungen von e(wer) k(ayser- lichen) m(ajesta)t und dem haiigen römschen ryche zu lechen tragen und ouch derselben ain tayl pfandswyse innhaben, deßhalb wir dann e(wer) k(ayserlichen) m(ajesta)t und derselben vorfarn, röm(isch)en kaysern, in allen und yeden des rychs anschlegen, contributionen und uflagen verfangen, ouch biß dahar ge- horsam und gwertig erschinen und noch füran unsers höchsten und besten ver- mugens zu erschainen genaigt warn ; wiewol ouch obangeregt unser gotzhuse von wylundt den haiigen vättern sant Othmarn und sant Gallen, ouch der- selben allen und yeden successorn und nachvolgern bis uff uns mit täglich und nächtlichem cristenlichem gotzdienste singens und lesens nach insatzung und regel sancti Benedi cti one alles uf hörn loblichgeregierrtund verwalten worden, deßglichen ouch sy und wir uns in aller gaistlich und zytlich Verwaltungen in gestalt und massen, wie regulierten ordenslüten gezimpt und wir one nim mit warhait wol darthftn mögen, so ains ingezognen, unverdächtlichen, gaist- lichen wandel, leben und Vorbilds, ouch gegen unsern nechsten und armen ains

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mitlidenlichen, muten gmütz und handtraichens beflissen und gehalten, das wir unsers verhoffens jemandtz, sich ab uns zu ergern, zu erclagen oder wider uns in Unwillen zu erhaben und (uns) des unsern gwaltigklich zu entsetzen und zu Verstössen, gar kain ursach gegeben: nochdann, das alles unangesechen, ouch unbedacht der manigfaltigen wol- und guttäten, so rychen und armen der statt zu Sant Gallen von unsern vorfaren, uns und unserm gotzhus yewälten har be- gegnet, och zuvorderst in vergesß der aid- und lechenspflichten, darmit N. burgermaister, rädt, gemaind und burger obbermelter statt Sant Gallen un- serm wirdigen gotzhuse saraent unddero jede sonderlich zügethan und verwandt syen, habent sich dieselben zu Sant Gallen ettwelich jar und zyt, sider der lutersch ungloube im haiigen rych hochtütscherr nation entstanden und zü- voran diser unser lantzard schwärlich ingeprochen und überhande genomen, understanden, uns an gepruch und Übung unsrer gaistlich und zitlich Verwaltung und regierungen wider unser kaiserlich und ordens fryhaiten, ouch vertrag, pündtnussen, alt, rechtmessig, unverdächtlich herkomen, possession und quasi hochlich anzufechten, zu betrüben und mit täglichen ingriffen und nüwerungen zu beschwären. Dess alles wir doch nach inschwebender loütf und zytens gstalt- same und sorglichait mit höchster gedult überstanden und unsere widerwertigen dardurch zu überwinden, ouch irer erbitterten hertzen und gmüt zu erwaichen verhofli't, aber glichwol darmit nit mer erlangt haben, dann das sy darab erhal- starckt und nach manigfaltiger antaschtung, Verletzung, schmächung und zu- gefügten beschwarungn zületzst zügfaren, uns in schyn ains guten und mit in- mischung vil süsser bewegnussen von unserm gaistlichen habitt, ouch zu ab- stellung und zerrstörung alles cristenlichen gotzdiensts (den sy mit höchster gotzlesterung ain verwandte götzery nemmen) zu bewegen, darin sy doch wylundt unsers abgestorbnen prelaten selbigen, so domals nit anhaimsch was, willen und antwurt nit erwarten mugen; besonder zu offembarer bezügung ires gewalttät- lichen, gottlosen Vorhabens syen sy gestragks in unser gotzhus und kirchen mit grosser wuet, ungestimme und werhaffter band frävenlich ingefallen, daselbst in der kirchen alle altär, gepildtnussen, gestül, portigk, und was sy der enden zu volpringung göttlicher dienst und ämpter gewidmet gefunden, ernidergerissen, die gotzzierd, ordnätund clinodien derkirch angegriffen, das hailtum prophaniert, die reliquias, corpör und gepain der haiigen ußgeschüttet und das, so an edlem gstain, gold, silber und costparer beclaidung zugegen gewesen, zu irn banden und in ir unordenliche gwaltsame, in willen und mainung (als wir dessen waren bericht und gut wissen tragen), under sy und ire mithelffer uszetailen, ingezogen. Durch welch ir gepflegne wustung und abstellung alles cristenlichen gotzdiensts, und ouch nachdem wir uns nit gnügsam mer by inen sicher gewisset, sy uns, usser unserm gotzhuse zu entussern und unser haile in rechtgegründte

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flucht zu stellen, betrungen und doch an dem allein kain genügen getragen, be- sonder, als in disen wylen wylundt unser wirdiger, geti'üwer und gnediger prelat und vatter abbt Franciscus todes verschiden, haben sy sich ei-st unsers gotz- hus allentklich underfangen, dasselb mit grossem züsatz beschwärdt und ettwe- lich unser liebe convent- und layprüder, ouch weltliche gepriester, ampt- und dienstlüt, so wir dennocht daselbst hinder uns gelassen, in ir vermaindte aids- pflicht ervordert und ufgenomen und den allen darby ernstlich gepotten, mich jetzigen unwirdigen prelateu für irn herren und obern nit anzenemen, zu er- kennen noch nüt in wenig oder vilem gwertig zu sind, deßglichen ouch dieselben conventherrendurclihardtegefengknus zu hinlegung irs gaistlichen habits genöt- trengt und über das alles ire mithelffer von Zürich ufge bracht und über uns dermassen angerichtet, das uns dieselben von Zürich on ainich zusprüch, vordrung und verursachen, ouch unverwaret irer eren und uuabgesagt unsers gotzhus aigen statt Wyl, unser gotzhus züKoschach mit schloss und flecken und andern unsern hüsern und güttern, so dannocht ainstails e(wer) kay (serlichen) m(ajesta)t und dess haiigen rychs recht aigenthumb und allain unsers gotzhus lechen und pfandt syen, mit gwaltiger macht überzogen und uns dieselben un- erbarlich abgetrungen, ouch die fruchten von körn, win und varender hab (die sy der enden in grosser anzal gefunden) mit höchster unmaß, mißbruch und wüstung verdempt und verhöret und uns daran unußsprechenlichen schaden und nachtail zugefügt, deßglichen unser und unsers gotzhus armlüt und underthanen wider uns in abfall und ungehorsame bewegt und ufgewiglet, alles der wyse, maß und gestalt, das wir nunmer gar nach aller unsrer gaistlich und zitlich Verwaltungen, ouch hab und güttern one ainich billiche Ursachen noch unser verwürckung vertriben, entsetzt und mit werhafifter gethat wider gott, eer und recht beroubt syen. Diewyl wir nun danne in all disen unser kumerhafften an- fechtungen und hochbeschwärlichen verderplichaiten und obligen by menig- klichem hilff- und trostlos stond und zu niemandt dann e(wer) k(ayserlichen) m(ajesta)t als advocaten der haiigen cristenlichen kirchen und aller derselben ingelybten glidern, ouch Schirmherren aller beschwärdten und belaidigetten unser Zuflucht zu suchen wüssent, so thün hierumb zu e(wer) k(ay serlichen) m(ajesta)t wir underthänigist schryeu und rüfien, das sy unser unverschuldt eilende aller- gnedigist behertzigen und offtermelt unser alt, würdig stifftung und gotzhuse nit also jemerlich undertriben und vergon lassen, besonder zu göttlichem lobe und ewiger dienstparkait in sin vorigen stand, wesen und wirden widerpringen, ouch uns armen verjagten usser yetziger schwären anfechtuug und gefengknus der unglöubigen und unsrer widerwertigen erledigen und in egerürt unser gotz- hus wider restituieren und insetzen und dann in dem allem irer m(ajesta)t und dess haiigen rychs recht aigenthumb, und was inen deßhalben von uns und

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unserm gotzlius ye zu zyten gepürt, ouch unser lechen und pfand für gwalt und unrecht gnedigklich versprechen, beschützen, schirmen und handthaben (welle). Das wellen umb e(wer) kay(serliche) m(ajesta)t (welche der almechtig sinen hailigen, ci-istenlichen glouben, nammen und plut zu ufung, nutz, eere und wolffart nach sinem gottlichen willen aller zit in langwiriger, glücklicher regierung gnedig- klich ze fristen und füran zu erhöchen geruche) wir gegen gott mit unserm armen demütigen gepette und hie in disem zyt unsern underthänigisten, ge- horsamsten diensten unvergessenlich zu verdienen, uns ouch gegen e(wer) kay(serliche) m(ajesta)t und dem haiigen ryche als desselben ingelybten und getrüwen mitverwandten in allweg gewei'tig und gehorsampklichen zu erzaigen, aller wyle unsers höchsten und besten Vermögens berait vmd gütwillig erfunden werden, uns hiermit in e(wer) kay(serlichen) m(ajesta)t gnad, verspruch, schütz und schirm allerdemüttigist bevelhennde,

E(wer) kay (serlichen) m(ajesta)t underthänigist demütigiste capplön Killian, abbt, und gemainer convent des gotzhuss zu Sant Gallen.

(Siiftsarchiv St. Gallen, Bd. 101, S. 107—110; Tgb. Sali. fol. 123 ff.)

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Beilage III.

Klageschrift Abt Kilians.

Hernach volgt zum tail die iinbillichen handlungen, mutwillen und gwaltsami, so mit minem gnedigen herren Kilian, abbt des gotzhus Sant Gallen, ouch sinem wirdigen convent und dem jetzgesaiten irem gotzhus frävenlich fürgenoraen und gepiaicht worden sind, wie und von wem das bschechen ist, etc. Nemlichen und dess ersten, als sich dann die nüw lutersch und ver- fürisch sect und missgloub in der statt Sant Gallen erhaben und von tag zu tag zügenomen und dermassen gemeret, das sj von Sant Gallen in irn kirchen und cappellen, in irer statt gelegen, die hailig mesß und ander geprucht loblich gotzdienst, sampt den pildtnussen und andern cristenlichen brüchen alles abgestelt, zerrissen, zerrschlagen und hinweg gethan, habent sich daruf die- selbigen von Sant Gallen understanden, den cristenlichen gotzdienst, so dann gantz unangesechen diser irer unbillichen und uncristenlichen handlung nacht und tag in obberürtem gotzhus Sant Gallen, in irer ringkmur gelegen, von ainem herren abbt und sinem wirdigen convent cristenlichem bruch nach mit meßhan, singen und lesen gantz on uf hören gehalten und volpracht worden, ouch uszurüten, abzethün und ze nuten zmachen; dann sy disen cristenlichen und loblichen gotzdienst (als darvon abgefallen) nit mer erdulden, sechen und hören mochten, imd also ufFsant Mathys abent hievor im 29. jar verschinen ain treffenliche bottschafft, nemlich dry burgermaister, sechs zunfftmaister sampt irem stattschryber und ander in abwesen ains herrn von Sant Gallen für techan und gmain conventherren in obberürt gotzhus Sant Gallen, daran sy dannocht endtlichen ainich gwaltsame, recht noch grechtigkait nit gehept und noch nit haben, gschickt und an sy, die conventprüder, nach langer red und handlung mit inmischung vil süsser worten pittlichen begert und ervordert, nemlichen: aldiewyl sy doch hordtint und täglichs vernemen und sechen, das semlicher verwandter gotzdienst und götzery, darmit sy dann in täglicher Übung umbgiengen und pruchten, wider götlichs wort und leer strepte, demselben wider, ouch gantz vergebenlich und in summa unnütz wäre, das ouch mit gött- licher gschrifft für grecht und gut nit erfunden noch erhalten werden möchte.

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das sy dann so gütwillig sin und inen bewilgen weiten, söllich pildtnussen und götzery, deßglichen die altär vor ougen dannen und hinweg ze thund, dasselb dann ouch zum allerzimlichesten beschechen sölte, und so sy inen in dem ver- wilgen, als sich dann oucb ir herren und sy zu inen und gantz kains abschlags versechen täten, so weiten sy demnach als trüw, lieb nachpuren, ir lyb und gut zu inen setzen und also inen, den conventprüdern, und irn zügehörungen ir lyb und gut zum trüwlichesten bschvitzenn und bschirmen, mit vil mer und langen, umbstendigen werten etc.

Daruff inen techan und gmain conventprüderr, inen den gesandten der statt Sant Gallen, ainhellentklichen mit ainer semlichen antwurt begegnet, nämlich das sy ir schwär pitt und begeren zum höchsten befrömbdte usß vil und mengerlay erzelten Ursachen, und fürnemlichen sidmal sy doch noch ainen regierenden herren und abbt, der ouch in lyb und leben und bi guter vernunfft war. betten, hinder dem und on sin gunst, wüssen und willen inen gentzlichen nit zßstünd, solcher ir gethaner erschrockenlicher pitt und anvordrung bewilgung ze geben ; weiten inen ouch dermassen darin schlechtz nüntzlt bewilgen unnd nachlassen, ob sy schon glichwol dess ze thün glimpff und füg, als sy aber nit hetten ; und darumb, dwyl dem also, war ir früntlich pitt zum allerhöchsten an sy, sid und sy sich doch als gut nachpuren berümpten, sy weiten von semlichem irm be- geren und anvordren gütlich abston, ouch sy an dem end als irem aigenthumb und dem iren rüwig und daran ungesumpt plyben lassen ; desselbigen sy sich dann ouch gentzlichen zu inen versechen weiten.

Hierwider die gesandten der statt Sant Gallen wyter redten: sy hetten ir antwurt, will und mainung verstanden und wol vermaindt, diss ir gethan zimlich ansuchen und pitt war von inen nit abgeschlagen, sonder bester mainung verhördt und gütlichen nachgeben und betrachtet, das sölichs allain inen und irem gotzhus zu gutem angsecheu und beschechen, darmit inen nit unversechen ettwas wyter schaden zustund, dar vor sy inen dann gern sin und verhüten weiten, und war ouch also glich wie vor ir begehr zum früntlichesten, inen ir gethan pitt nochmals gütlichen zu verwilgen ; dann ire herren ouch glouplichen fürkoraen, das obbemelterr herr und abbt Franciscus mit so grosser kranckhait umb- geben und beladen war, das er sich semlicher und derglichen handlungen nit mer belüd und underwünde; deßhalber sy nümer ain techan und convent darfür achtetint alls die, so yetz söllichen gwalt hetten.

Zu dem techan und gmainer convent inen mit antwurt guter maß wie vor begegnotten : sy täten sy zum früntlichesten und obersten anrüfien und pitten. aldiewyl sy, wie vor verstanden, noch ain regierenden herren in gütter ver- nunfl't, hinder dem sy dann söllichs zu bewilgen nit gwalt noch macht hetten. das sy dann inen nochmals früntlich nachlassen weiten, semlich ir gethan an-

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pringen und begeren demselbigen irem herren und vatter ze eroffnen ; dasselb dann ouch glich ze stund und one lenger verziechen beschechen müste.

Dartzu die botten der statt Sant Gallen inen geantwurt und abermals wie vor pittlichen begert, sy weiten inen in disem irem göttlichen fürnemen nochmaln früntlich bewilgen ; dann ob und sover sy glichwol inen zu söllichem nit verwilgten, so sige doch endtlich irer herren ains klainen und grossen radtz bevelch, will und raainung, semlichs uff recht hin ze thund, dai'mit die gepruch- ten und verwandten gotzdienst und götzery nit mer geübt und gehalten, ouch umb willen unnd dardurch die ergernuss, deßhalber dem nechsten gegeben, vermitten plibe und undei'lassen werde.

Uff söllichs techan und der gmain convent sy widerumb und abermals zum trungenlichesten und ernstlichesten anrüfften und baten, an diss irem un- billichen fürnemen und gwaltsami stillzestond und sich dei'o nit ze underwinden und anzulegen, sonder ouch zuvoran ansechen und betrachten, wie das wirdig ir gotzhus S. Gallen vor vil hundert jaren har von bäbsten, kaysern und klingen so mergklich hoch und fürtreffenlich gefryt sig; weiten ouch nit in vergesß stellen, sonder gedencken der loblichen fryhaiten, sprüch und vertragen, so danne das wirdig gotzhus und ain statt S. Gallen manigfaltigerr wyß gegen enandern besigelt betten, durch welch solch sprüch und vertrag dann ouch, wie sy bekant- lichen wüsten, das wirdig gotzhus in sinem gezirck und die statt S. Gallen durchschaidenlichen von enandern gesündert und geschaiden worden wären mit bedingtlichen puncten und articklen, das sich die genanten von der statt Sant Gallen an dem wirdigen gotzhus daselbs gantz dehainer gwaltsami, pott und verpott nit anneraen noch beladen söllint, sonder das gotzhus daran ungesumpt und unverhindert rüwig pliben lassen etc. Semlich loblich sprüch und vertrag sampt andern brieven sy im grund aigenlichen erlesen; so sy nun aber Sachen und laider hordten, das sy nit darby plyben möchten, sonder das sy von Sant Gallen also in irem unbillichen fürnemen verharren und fürfaren weiten, und dagegen inen dehain kay(serlich) fryhait, die dann im gotzhus ist, nit erschiessen noch sunst dhain billichait hüttztagen an inen helffen möchte, so thäten sy inen daruff von wegen irs herren und abbts, ouch ir selbs. recht pieten und für- schlachen, erstlichen für unsern allerhailgisten vatter den babst und bästlich fryhaiten, demnach für unsern allergnedigsten herren ro(mischen) kayser und kayserlich fryhaiten, deßglichen für köni^igklich) m(ajesta)t zu Hungern und Behem, unsern gnedigisten herren, ouch für gmain Aidtgnossen und inson- derhait für die vier ordt der Aidtgnoschafft, neralich Zürich, Lutzern, Swytz und Glarus, mit denen das wirdig gotzhus Sant Gallen in bürg- und landtrecht behafft und verpunden ist, und mit namen uff alle dess gotzhus alt, unverserrt babstlich und kay(serlich) fryhaiten und ander sprüch und vei'träg,

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ouch besigelt brief, alles mit vil mer und wyterii gethanen rechtpotten, so aber hierin zu melden nit von nöten sind, etc. Und als nun aber sy, die genanten techan und gemainer convent, verbordten und Sachen, das der enden weder rechtpott, früntlich pitt noch verzug, sölchs an irn herren ze pringen lassen, und gantz nichtzit überal mer erschiessen noch hellFen, sonder ouch vernoment und sächent, das schon ain grosse zal volcks mit irem werchzüg und Instru- menten im münster irs gotzhuses verordnot und daselbst warten warent und gwaltigklich an sach gen wolten, do baten techan und convent die verordnotten botten der statt San t Gallen zum allerfrüntlichesten und gantz mit belaidigetten hertzen: aldiewyl sy doch laiderr sechen und spürten, das ir sach, pitt und begeren uflF disem tag an inen nichtz erschiessen, sonder das sy in irem für- nemen gwaltigklich fürfaren, das sy inen dann bewilgen und nachlassen weiten, semlich pildtnussen und talFlen sampt anderm selbs abzebrechenn und abweg ze thün; dasselb sy dann ouch glich ze stett ansichtig und on ainich verziechen thun und das alles behalten und versorgen (weiten), darmit sölichs nit zerrissen und zerschlagenn wurde.

Diss alles aber gantz unangesechen sind die verordnotten der statt Sant Gallen glich ze stett mit aller wüetung und unstimmikait gwaltigklich zü- gfaren, sich daran weder kayserlich fryhaiten noch ainich rechtpott verhindern lassen, geschwygen das sy daran lut brief und siglen kain gwaltsame, recht noch grechtigkait ghept haben ; sonnder also usß aigensinnigem mütwillen und zu undertruckung göttlicher eren und gepruchtz cristenlichs gotzdiensts alle die tafilen, so im münster und den cappellen im gotzhus ligende, deren dann nämlichen an ainer summ 32 gewesen sind, abbrochen, zerrissen und zerschlagen und das alles überus gantz costlich sampt andern vil umbhangenden tafflen [an den muren und stainenen sülen] ^) hinus für die statt und uff des gotzhus Sant Gallen aigenthumb, den Brül gfürt und daselbst verbrendt und demnach die altär gmainlichen, dero dann ouch 32 gewesen, ernider gerissen und zerbrochen darin sy dann in ettlichen gantz särch voll haltumb funden, dasselb si darus genomen, och verbrendt, hinweg geworffen und größlich entuneret und an dem allem grossen mütwillen begangen.

Sy band ouch daruf ain vierfach überus costlich gestül und brespiterium sampt ainem lettmer und anderm im münster abbrochen, ouch alle die gwelber, so ob den altären gwesen, und ettlich muren und thüren in vermeltem münster ernider geschlagen und zerrzert und dartzü alle gotzzierdenn und klainotter, so sy der enden in costlicher anzal erfunden, sampt ettlichen kelchen, gfäss dess haltumbs, zu irn banden genomen und fürnemlichen die custory und derglichen

*) Aus der Zürcher Abschrift eino-efügt.

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anders, und darmit nach irem willen und gwaltiger wyß ghandelt, unangsechen das sy dartzü ainich füg nit hatten. Und nach Vollendung diser dingen allen hand sy von der statt Sant Gallen ir bottschaflft widerumb zum techan und convent dess gotzhus Sant Gallen gschickt und sy pittlichen ankeren lassen, inen zu verwilgen, ainen irer predicanten uff neehstkomenden sonntag in das münster zu stellen und darin predigen zu lassen. Das habent sy inen abermals glich wie das vordrig ir beger gentzlich abgeschlagen. Aber über das hand sy von der statt Sant Gallen ainen luterschen predicanten darin gstelt mit ir selbs gwalt; der prediget ouch noch also für und für.

Nun alls man den cristenlichen und hochloblichen gotzdienst der enden mit messhan, singen und lesen nit mer volpringen mögen noch könden, da hat wylundt der abgestorben herr und abbt Franciscus seiger gedächtnuß als ain gotzförchtigerr herr und sorgsamer, trüwer vatter siner conventuales ettlich der- selbigen in das gotzhus zu den Ainsidlen und anderschwahin gschickt, darmit sy gott dem almechtigen dester bas gedienen möchten, und ouch, ob die von Sant Gallen, als zu ersorgen, vilicht ettwas wyter mit inen handien weiten, das sy sy doch nit gmainlichen by enandern erfundint, etc.

Nachvolgendtz hand die dickgemelten von der statt S. Gallen das wirdig gotzhus mit aller gwaltsame, kay(serlichei') fryhait, recht und grechtigkait, ouch siner begryffung und zugehörd, zu irn banden gwaltigklich mit weerhaffter hand, unverwart irer eren und onabgesait, ouch on ainich rechtmessig vorur- sachen noch verdienen, ingenomen und glich ze stundt daruf alle conventherren, so domals noch im gotzhus verharret, deßglich sunst weltlich priester, so ains tails ir burger gewesen und von inen der nüwen sect halber vertriben und also ouch im gotzhus und kay(serliche)r fryhait warent, sampt dryen layprüdern all gemainlich in gefengknus glegt und bhalten, dartzü ouch ettlich der ampt- und dienstlüten gfangen, dieselbigen amptlüt, ouch sunst alles hofgsind, in ir vermaindte aidspüicht genomen ; hand ouch die conventherren dermassen in so langer gefengknus behalten und sy darrmit zwungen, das sy dess ordens be- claidung müssen abthün; habent sy ouch daruf nüntz dester minder wie ander hofgsind in ir aidspflicht genomen und inen, den conventherren, darin mit sonderhait verpotten, das sy dem jetzigen, irem erweiten und bestätigetten herren und prelaten, her Killianen, gar nüntzit enweder züschryben noch erbieten, sonder ouch hierwider glicher wyß von im nichtz empfachen und mit namen überal sich sinen müssigen und mit ime nichtzit handien noch schaffen sollen. Und wie uu also darzwischent jetzgenanter ir nüwer und bestättigetter herr inen, den conventuales, ain versigelte missif zügschickt. hand sy doch die nit bedorffen verlesen, sonder der aidspflicht nach die müssen denen von Sant Gallen überantwurten ; die hand sy ouch ufprochen und, wiewol sy nit inen

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gstanden ist, nüntz dester minder verlesen. Sy, die von Sant Gallen, band ouch die vorgemelten weltlichen priester, umbe das sy im gotzhus gewesen, daselbs meß und ander cristenlich brüch gehalten haben, usser irn gricht und pieten verpotten und glich derselbigen tagszyt ir statt müssen rumen.

Und nach dem allen band die von Sant Gallen das wirdig gotzhus mit ainem grossen züsatz bsetzt, ouch vili der cborbücher zerrissen und sunst bücher usß der libery genomen, welche libery dann die eltist in diesen landen ist ; sy band ouch die gloggen usß (allen) cappellenn gnomen, die zerschlagen und zu Lindow bücbsen dai-us giessen lassen, habent ouch ain mergklicbe grosse summ costlichs wins verkoufft, im gotzhus gelegen, und das glöst gelt zu irn banden genomen und verbrucht. Und also band die von Sant Gallen durch söllichen irn angelegten mutwillen, fräfel u.nd gwalt, wie obstat, und in ander weg dem wirdigen gotzhus Sant Gallen ain semlicben mergklichen und unermeßenlichen grossen schaden zugfugt, das derselbig nit wol muglicb zu schätzen und zu er- messen ist; bruchen ouch semlichen gwalt und unbillicb handlung on underlass für und für an dem gotzhus und dem sinen, alles gantz unangesechen, das alle burger gmainlicben der statt Sant Gallen sampt und sonders, dehainer uß- genomen, dess vilgesaiten gotzhus Sant Gallen geschworen lechenslüt sind.

Nachvolgendtz so sind die von Zürich und Glarus, so danne ain herren von Sant Gallen, sin convent und gotzhus lut brief und siglen helflfen schirmen sölten etc., sampt den vilgedacbten von Sant Gallen nach gütter leng und verschinung diser hievor geschribnen dingen über das gros, costlich, schön, zierlich haltumb, dem wirdigen gotzhus Sant Gallen zügebörende, das dann in dem münsterthurn verschlossen und vermuret gwesen ist, gewaltigklichen prochen, das alles gantz fürtreffenlichen, seer schön und costlich von silberr, gold, edlem gstain und berlin, ußhin genomen und mit höchster unmaß und mutwillen zerrschlagen und zerrissen, das hailtumb von Sant Gallen und andern haiigen, in schönen särchen glegen, deren dann ettlich sechshundert jar da gstanden sind, darus gnomen, under die füsß geworifen, zertretten und ver- brendt und unsäglich großlichen verspotten und entunei'et, ouch das alles zu irn banden gezogen und also dem gotzhus entfüi-t und gnomen und darmit dem gotzhus unwiderrpringlicben schaden zügfügt ; dann sölich hailtumb von silber, gold und edlem gstain nit wol muglichen zu schätzen gewesen ist.

(Wyter Zürich betreffend:)

Item, und als dann die genanten von Zürich sampt irn anhengern den fünff allten cristenlichen ordten der Aidtgnosschafft zu verganngner irer ufrur und gebepter empörung vyentlichen abgesagt, sind sy die bemalten von Zürich daruf angendtz und glich ze stett mit gantzer macht und ufrechten venlinen gwal-

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tigklichen dem obernempten herren und abbt von Sant Gallen, unentsagt irer eren und gantz onabgesait, in sin und sins bemelten gotzhus landtschaift und nemlichen für sin aigen statt Wyl zogen, ime dieselbig sampt dem gotzhus Roschach und der gantzen landtschafft onver schuld et und on ainich recht- messig ursach gantz unerbarlich abgetrungen und in ir vermaindte aidspflicht genomen und glich daruf das bemelt gotzhus und schlosß zu Roschach, ouch das hus zu Wyl und ander dess gotzhus Schlösser und hüsern mit zusätzern bsetzt, wie sy dann das alles noch gwaltigerr wyse mit dem regiment und beherschung under banden, und haben also darmit aim herren von Sant Gallen sine gotzhuslüt abzogen, inen ursach und sterckung geben, das sy sich von ime gantz abgeworffen haben und im weder huldigung noch ghorsame thün wellen, sonder das sy sich aigens gwaltz über und wider ir erbhuldigung. pflicht und aid züsamen veraint und verpündtnus wider ain herren von Sant Gallen, sin convent und gotzhus gemacht und beschlossen, ime ainich nutzung noch gült, wie sy schuldig und von alter harkomen warn, zu bezallen, ouch gantz alle ghorsame entzogen, rädt, gricht und recht bsetzt und ghalten, dess sich doch vilgesaiter her abbt von Sant Gallen kainswegs zu inen versechen und ver- truwt hette. Dann sobald er von bäbstlicherr hailigkait und oixch kay(serlicher) m(ajesta)t, sinen allergnedigsten herren, bestät und confirmiert ist, hat er dess gotzhus Sant Gallen und sinen imderthauen und zügehörigen und iren ge- setzten vermaindten regierern, deßglichen den sinen usß der grafschafft Toggen- burg schrifftlich verkündt und zu wüssen getan, wie ime römisch kay(serliche) m(ajesta)t dess gotzhus regalien, weltlichait, fryhait, lechen, herlichait imd ober- kaiten gnedigklich geliehen habe, mit angehengkter beger und ermanung, im als irem rechten, natürlichen herren huldigung und ghorsame ze thünd und also fürterhin irer aignen fürgenommnen mainung und regierung stillzeston, die fallen zu lassen und nit mer zu gepruchen, alles mit vil mer, lengern und früntlichen, erjjietenden Worten etc., das aber endtlichen by inen gantz und gar nichtz erschiessen mögen ; sonder handien sy für und für irs willens und gfallens, habent und haltent ouch hoche gricht und richtent überr das blüt und derglichen ander malefitzisch hendel, alles gantz unangesechen, das allain obernemptem irem gnedigen herren die regalia, als jetz verstanden, glichen sind und züghören und nit inen. Wyter so hannd sy von Zürich den erstgenanten herren und abbt zu Sant Gallen glich in anfang siner erwellung alles regimentz entsetzt und still gstelt und also darzwischendt die gotzhuslüt, wie vorstat, durch täg- lich bottschaflften und gschriff"tenn mit aim und dem andern verursacht und dartzu pracht und inen zum tail so vil hilfi" und trost zügsagt und verhaissen, das sich dieselbigen gotzhuslüt von erstbenemptem irem rechten und natürlichen heiTen abgeworffen haben.

St. Galler Mittl-n. z. vaterläiul. Gesch. XXXIII. 15

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Und in summa: wiewol egesaiter min gnediger herr von Sant Gallen zu gehaltnen taglaistungen gmainer Aidgnossen botten zu mermaln selbs mundt- lich und ouch darnebent schrifftlich die baide ordt Zürich und Glarus, der lut er sehen sect auhengig, als die, so in und sin gotzhus lut und vermög un- verserter brief und siglen helffen schützen und schirmen sölten etc., angerüfft und gepetten hat, in und sin convent allain by brief und siglen und dem wirdigen irem gotzhus wie ire vorherren plyben zu lassen und nit allso gwaltiger wyß underston, sy dess also und one ainich rechtmessig Ursachen zu entsetzen, als sy dann ze thund understünden, und inen deßhalber vor gmainen Aidtgnossen recht potten und fürgeschlagen, ouch das mermals gegen inen begert und ervor- dert, hat im doch dehain recht veeder gegen inen noch andern irn anhengern endtlichen nie mögen vervolgen noch gelangen, sonder ime zu allen tagen mit semlicher antwurt begegnet: sy, die baide ordt Zürich und Glarus, wellint ime noch sinem convent dehains rechtens nit sin noch gestattnen, sich ouch sunst gütlich noch früntlich ainicher gestalt gegen im nit inlassen, sonder in irem fürnemen fürfaren und sy inne, her abbt, noch niemandt anders daran ver- hindern lassen etc. Und hat also vilgenantem abbte kain recht mögen verlangen, sonder also rechtlos vor gemainen Aidtgnossen ston und j^lyben müssen; dann im dieselbigen nit haben mögen noch wollen diser zyt zu gepürlichem rechten verhelflfen, wie dann bißhar für und für sin anschryen gewesen ist etc."*

Stiftsarchiv St. Gallen, Bd. 101, S. 115-123; Tgb. Sali. fol. 125 ff.; Staats- archiv Zürich, Abt. St. Gall. Archiv, Bd. X, 36. S. 5 ff.

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Beilage IV.

Supplication an die Reichsstände.

Hochwürdigsten, durchlüchtigisten, hocliwürdigen, durchlüchtigen , hoch- gebornen, erwürdigen, wolgebornen, edlen, gestrengen und liochgelerten dess hailigen römischen rychs churfiirsten, fürsten und gemaine stand, gnedigst, gnedig, lieb herren und guten fründ ! Wiewol burgermaister und radt, ouch alle bürgere und gantze gemaind der statt zu Sant Gallen wjlundt dem hoch- wirdigen fürsten und herren hern Franciscus, abbte dess wirdigen gotzhus SantGallen, mitayd- und lechenspflichten samentlich und sonderlich ziigethan und verwandt syen, das unangesechen haben dieselbigen burgermaister, radt, burger und gmaind wider und über kay(serlicher) m(ajesta)t ufgerichten gemainen lantzfriden, die guldin bull und reforraation, ouch über kay(serlich) edicten und poenäl, mandaten, (uf) gehalten rychstägen zu Wormbs, Nürnberg und Spyr ußgangen, ouch sonderlich vertrag und ijündtnussen, zwüschent inen uf- gericht, ouch alles rechtlichs erpietens in solchem gotzhus allen cristenlichen gotzdienst, mesß, singen, lesen, petten und ordenshabid anzetragen und zu vol- pringen, frävenlich abgestelt, im münster und liirchen, alle altär und stül zer- rissen, für die statt hinus uff dess gotzhus aigenthumb gefürt und daselbst ver- brent, das hailtumb, cörppel und gepain der haiigen ußgeschütt und entuneret, edel gestain, gold, silber, berlin, mesßgwand und all ander gotzzierd sampt aller dess gotzhus hab und gütter beroubt und in ander weg geschmecht und begwaltigt, zu irn banden gnomen und under sy und ire mithelffer usgetailt, den convent, laypriester und dienstlüt sölchs gotzhus in glüpt und aid genomen und vom gotzdienst zu. ston und habitt abzethün oder zu entwychen verursacht. Und als vermelter herr Franciscus loblicher gedächtnus usß disem zyt der gnaden ervordert, haben mich min convent daselbst usß crafft irer fryhait zfi irem pre- laten und regierer erweit und fürgenomen. Als sy dess gwar worden, haben sich vermelt von der statt Sant Gallen by den von Zürich beworben und bwegt, das dieselbigen Züricherr on ainich rechtmessig vordrung und ver- ursachen, ouch unbewart und unentsagt aller eren, min und mins gotzhus statt Wyl, ouch unser gotzhus, schlosß und flecken Roschach und ander wonungen, hoff und gütter daselbst umb mit heres crafft überzogen und gwaltigklich in- genomen und abgetrungen, win und körn, vai'end hab und allen vorradt verspyst,

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verschwänpt und verderpt, derniassen das nichtz mer vorhanden, und in un- widerpringlichen schaden und nachtail gefui-t. Nachdem haben ouch gemelt Züricher und Galler sampt irem anhang dess gotzhus lüt und underthonen (wiewol min vorfar und ich yemandtz unfrüntlichs oder args bewisen noch dhain beschwerd noch nüwerung fürgenomen, besonder manigfaltiger wyß rychen und armen zu Sant Gallen und usserhalben in dess gotzhus landtschaiften milte handtraichung und gütät bewisen) ufgewiglet und verursacht, das sy sich aigensgwalts über und wider ir erbhuldigung, pflicht und aid on alle m-sach abge- worffen, der merer thayl züsamen gerottiert. consj^iration und verpündtnus wider mich und min convent und gotzhus gemacht und beschlossen, ainich nutzung noch gült, wie sy schuldig und von alter herkomen wern, zu bezallen noch zu raichen, ouch alle ghorsame entzogen, radt, gricht und recht bsetzt und ghalten, dess wir uns doch kainswegs zu inen versechen noch vertruwt hetten; dann so- bald ich von bäbstlicherhay(likai)t und ouch rö(mischer)kay(serlicher)m(ajesta)t, minen allergnedigisten herren, bestät und coufirmiei't bin, hab ich dess gotzhus underthonen und irn gesetzten vermaindten regierern schrilftlich verkündt und zu wissen gethan, kay(serliche) m(ajesta)t haben mir dess gotzhus regalien, welt- lichait, fryhaiten, lechen und pfandtschafften, herlichait und oberkaiten gnedig- klich geliehen und verliehen, mit beger, irer aignen fürgenomnen regierung stillzeston, fallen ze lassen und nit mer zu gepruchen, das aber by inen nichtz ersprossen hat ; sonder irs gefallens darin für und für volfarn.

So ich dann in all vorerzelten beschwärlichen und verderplichaiten by menigklichen bißherr trostlos gstanden und söllichs wider zu erhollen zu yemandtz dann zu der kay(serlichen) m(ajesta)t als dem rechten u.rsprung, lieb- und handt- haber aller grechtigkait, ouch schütz- und schirmher der hailigen cristenlichen kirchen und (mischen) rychs und aller derselben getrüwen und ghorsamen ingelybten glidern und underthonen und zu ewer churfürstlichen und fürstlichen gnaden gunst und früntschaift hoffnung, vertruwen und Zuflucht hab und dann dieselb ewer churfürstlichen und füi'stlichen gnaden gun(st) und früntschafft als der kay(serlichen) m(ajesta)t getrüw^ rädt und dess haiigen rychs mitglider ab söllichen min und mins conventz kumerhafften anfechtungen und hoch- beschwärlichen, verderplichen obligen unsers gantz ungezwyfelten vertruwens gnedigst mitlyden tragen: darumb so langt an ewer churfürstlichen und fürst- lichen gnaden gunst und früntschafft alls mitthelflfer aller beschwärdten und belaidigetten min demütigs, trungenlichs und ernstlichs anrüffen und bitt, die wellen mich und bemelten min convent als betrupt und on recht vertriben eilende gnedigst und günstlich bedencken und behertzgen und semlich oberzellt min anligen und unbillich begegnet Sachen, wie dieselb ewer churfürstlichen und fürstlichen gnaden gunst und früntschaflt in nebentliefenden gestellten articklen

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noch durchschaidenlicher verstendiget werden mögen, römisclie r kay(serlicher) m(ajesta)t, unserem allergnedigisten herren, erschainen und anzaigen und gegen derselben kay(serlichen) m(ajesta)t als ußtailerr, beschirmer und hanthaber der grechtigkait (durch ettwas mittel und weg, die sin kayi^serliche) m(ajesta)t so unzalbar, mer dann ich yemer erdencken, fürzünemen waist) mir und minem convent erschiessenlichen sin und beholffen ze werden, darmit offtermelt min alt wirdig stifftung und gotzhuse nit also jemerlich undertriben und ze nuten gemacht werde, besonder in sin vorigen stand, wesen und wirden by kay(serlicher) m(ajesta)t helfFen widerpringen, ouch mich und min convent als arme verjagten usserr yetzigerr schwären anfechtung unsrerwiderwertigen helffen erledigen und in egerurt unser gotzhuse insetzen, und ewer chur(fürstlich) und fürstlich gnaden gunst und früntschaflPt welle sich gegen kay(serliche) m(ajesta)t mir und minem convent zu hilff dermassen so gnedigst und günstlich erzaigen, als dann zu ewer chur(fürstlich ) und fürstlich gnaden gunst und früntschafft ich ain sonder hoch vertruwen und gute hoftnung hab. Das will umb dieselben üwer churfürst- lichen und fürstlichen gnaden gunst und früntschafft ich gegen gott mit minem armen demüttigen gepette und hie in disem zyt minen underthänigen, gehor- saiiien, willigen diensten unvergessenlich haben zu verdienen.

Ewer chur(fürstlich) und fürstlich gnaden gunst und früntschafft

underthäniger, gütwilliger capplon

Killian, abbte des gotzhus Sant Gallen. (Stiftsarchiv St. Gallen, Bd. 101, S. 123-126; Tgb. 129b -130b.)

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Beilage V.

Unbekannter (vielleicht Lienhard Schnider, Hofammann zu Wyl) an Abt Kilian, ca. Anfang Juli 1529.

Obsequentes (?), b(oher) f(ürst), g(nediger) h(eiT). Von tag zu tag so gat deß gotzhuß Sachen und handel hinder sich und ab, von wegen daß sich deß niement recht annimpt und handlet nach gestalt der sach. schryent die Toggenburger, sy habint thein heren; es schryent die gotzhußlüt und die von Wil deßglichen, und so solt jetz der hoä'meister der sin, der ritt und handlette ; so ist er mit güttem willen und über genügsamliche Warnung ge(n) SantGallen geritten und will sich jetz also entschulliget haben: die von SantGallen habint imß by er und eid verbotten, nüt inß gotzhuß Sachen zu handien, und nimpt aber nüt desterminder sin sold, spiß und tranck hin. Derglichen der vogt lit jetz zu Baden im bad, so er solt vo(n) Ort der dryen Orten zu Ort ritten und sich üch 1). Darzü so vermerckt man wol, das jederman dass hemdptli nächer lit weder daß röckli etc., und so das sechent die grafstätter, gotzhußlüt und die von Wil, daß uwer gnad jetz nach dem bericht noch jemer von u(wer) g(naden) wegen treffenlichs handlet und aber u(wer) g(naden) widerwerttigen nit fyrent, sind sy der meinung, jetlich teil u(wer) g(naden) herlichkeit, oberkeit, rent, zinß und gült innen selber zu behalten und u(wer) g(naden) noch dem gotzhuß nüt mer lassen vervollgen, so sydmalß u(wer) g(nad) sich niener nüt lasß mercken noch jemet von ü(wer) g(naden) wegen, alß ob sy widerumb welle daß regiment und her(lich)keit annemen, gebent sy glouben denen, die das sagent (wie wir u(wer) g(naden) vor habent geschriben), gelob thein mentschß, daß u(wer) g(nad) noch thein münck mer her zu Sant Gallen werd. Darumb so grifft jederman in. habent die von Will allen caplonen ir pfrundrödel genomen und darziT dem meßmar ouch abkündt, und ist die sagg, si habindt vj man ver- ordnet, die söllint alle zechenden insamllen und die zu der statt banden bringen. Deßglichen die uff dem land im gotzhuß wellindt ir zechenden von körn und haber ouch jetzlickhe gegni ir selb behalten und darzü thein deinen zechend uifrichten noch geben, und gat also alleß hinder sich, daß deß gotzhuß ist. Darumb so ist groß not, daß üwer gnad selber zun Sachen lüge, und schriben

') Das Yerbum fehlt.

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dem vogt gen Baden: sye not, daß er ü(wer) g(naden) umb ein fryg, sicher geleyd werbe, vmd so welle der hofFainen ouch zu ü(wer) g(naden) gen Baden ritten und ü(wer) g(naden) witter mit mund berichten, denn jeman schriben künd oder bedörff; denn der von Will halb wüsse ü.(wer) g(nad) wol, daß wäder iler vogt noch er bedörffe noch zustand zu handien und aber vil daran wil ge- legen sin. Item, so sind uwer g(nadea) rätt, altvogt, vogt von Schwartzen- bach und hoffamen, ufFhütt dato by einander gesin, und uff daß, so u(wer) g(nad) sich tröstett uff Ferdinand und ander fursten, sich und(er)redt, und ist ir meinung, gantz und gar sich nit uff der fursten züsaggen zvil verlassen; sy wärindt aber in hoffnung, sover u(wer) g(nad) die sach selb in die band neme und zu den dryen Orten ritte, u(wer) g(naden) wurd gehulffen, und würdindt ab demselbigen die der graffschatt't, die gotzhußlüt, ouch die von Will, vil mer thon dann ab ußwendigen heren und fursten. Daß habent si mir bevolhen, üfwer) g(naden) ernstlich ze schriben, und sover ü(wer) g(nad) forohin nit ernst- licher welle handien, so wüssent sy ü(wer) g(naden) nit mer zu ratten, dan wo sy ü(wer) g(naden) gedencken, so ist ein geschrey über sy: „wo ist er? waß thüt er? wil er ünß all, daß gotzhußland und lüt also gar verlossen und in die schantz schlachen? wir sechent wol, sin widersechen schx'ibent, schickent botten und rittendt tag und nach(t), land sy nüt thuren weder costen noch arbeit; aber er lit, weitschß nieman wo, und tuht nüt zu den Sachen; darumb so mussent wir sechen und hören, daß war ist, waß man von in seit und redt". Darumb g(ne- diger) h(err), lasßt ü(wer) g(naden) daß zu hertzen gon und helff ir selbß und ünß; dan wir thein zwifel habent, sover ü(wer) g(naden) selbß zu den Sachen thäte, ir und unß wurd gehulffen, und wurde alles widrumb zu gotten komen. Witter so ist ü(wer) g(naden) rädt meinung, sover und doch ü(wer) g(nad) nit weite gen Baden, uff' Marie Magdelene so gat der tag an, daß doch ü(wer) g(nad) wüße umb ein doctor oder sust umb ein berichten man, er wäre edel oder onedel, den dem vogt mit einer Instruction zuschickte, damit man doch Sache, dass ü(wer) gnad nit weit also die herlikeit verlassen etc. Datum etc.

(Stiftsarchiv St. Gallen, Bd. 307, S. 157 f. Orig.)

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Beilage VI.

Zeitgenössische Notizen aus dem Leben Abt Kilians.

Im Stiftsarcliiv St. Gallen befindet sich ein Manuskript, bezeichnet mit No. 102, Seine stellenweise sehr verblassten Schriftzüge sind oft recht schwer lesbar. Wir haben dem Schriftstück, da es von Abt Kilian handelt, eine Reihe von Notizen für die vorliegende Arbeit entnommen, und so wird es wohl ange- bracht sein, in Kürze auf diesen Band No. 102 zu sprechen zu kommen.

Er besteht aus 143 ganz oder teilweise beschriebenen Papierblättern in Quartformat und trägt von späterer Hand die Überschrift: „Quando novatores invaserunt monasterium". Das will aber nur heissen, dass die Aufzeichnungen, soweit sie erhalten sind, mit dem Zeitpunkt beginnen, wo das Kloster im ersten Kappelerkrieg von den St. Gallern besetzt wurde, oder wenn wir monasterium weiter fassen als die Besetzung des äbtischen Gebietes durch die Zürcher stattfand. So finden wir denn gleich im Eingang des Buches Kilian bereits in Überlingen, wohin er sich Anfang Juni 1529 vor den anrückenden Zürchei'n geflüchtet. Und dann erzählt uns der Tagebuchschreiber weiter alles, was er Erwähnenswertes aus dem Leben des Abtes hier aufzeichnen wollte, bis wenig über den Tod Kilians hinaus. Den Schluss des Buches bildet die Wiedergabe eines Briefes in extenso, den der Stadtschreiber von Überlingen, Hans Metten- zelt, an den St. Gallischen Dekan und Konvent nach Schloss Wolfurt schickte, datiert 12. September 1530. Solche wörtliche Wiedergaben von Briefen, aber auch von Abschieden, sind in dem Buch sehr zahlreich in die zwar anschauliche, aber oft sehr umständliche Erzählung eingeflochten, sodass, wenn wir dieselben aus dem übi'igen ausscheiden wollten, das Tagebuch auf einen im Verhältnis zum ganzen Buche sehr geringen Umfang zusammenschmelzen würde, und dieser Rest ist oft von rein lokalgeschichtlichem Interesse ; auch ist von irgend welcher tieferen politischen Einsicht des Verfassers nichts zu spüren. Letzterer nennt zudem nirgends seinen Namen. Doch war es nicht allzaschwer. den Verfasser herauszufinden. Man merkt schon auf der ersten Seite, dass es jemand aus der nächsten Umgebung des Abtes gewesen sein muss, der fast überall Mit- erlebtes erzählt, ganz abgesehen davon, dass der Schreiber hie und da in der ersten Person Pluralis berichtet. Wo er sich auf die Berichte anderer verlassen

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musste, lässt er dies den Lesei- unschwer erraten. Am nächsten liegt es, an den äbtischen Schreiber zu denken, der laut Tagebuch der getreue Begleiter des Abtes auf die Tagsatzungen nach Baden und anderswohin war, auch für die wichtigsten Missionen verwendet wurde, von denen uns der Tagebuchschreiber in anschaulicher und detaillierter Weise berichtet. Diese Annahme verstärkt nun erheblich ein zweiter Punkt, nämlich die massenhafte Verwertung von Aktenstücken. Da werden uns Dutzende von Briefen an den Abt, zahlreiche eidgenössische Abschiede, die sich auf Kilian und sein Gotteshaus beziehen, wörtlich wiedergegeben und zwar, wo sich das kontrollieren lässt wir waren oft in diesem Fall , mit einer bis ins einzelne gehenden wörtlichen Über- einstimmung mit dem Original. Es ist doch kaum denkbar, dass ausser dem Abt aus dessen Umgebung jemand anderer als sein Schreiber Zeit und Ge- legenheit gefunden hätte, alle diese Dokumente in extenso abzuschreiben. Ein dritter Punkt endlich macht es uns, wir dürfen wohl sagen, zur Gewissheit, dass wir in dem Tagebuehschreiber Rudolf Sailer, dies ist der Name des fürst- äbtischen Schreibers oder Kanzlers, vor uns haben ; die eigenartige, saubere Schrift des Tagebuchs ist nämlich diejenige des Schreibers von Abt Kilian. Das springt einem sofort in die Augen, wenn man z. B. das Missivenbuch Kilians (St.-A. Bd. 101) mit diesem Tagebuch zusammenhält ; ja sogar die wenig deut- liche, gelbgrünliche Tinte, wie sie für Rudolf Sailer charakteristisch ist, lässt sich auch im Tagebuch meistens deutlich erkennen.

Über diesen Rudolf Sailer gibt uns wohl eine Quelle aus dem Stiftsarchiv den besten Aufschluss. Es heisst da: ^) „Item uflp sant Othmars abent anno XV^XXVI. so hat der hochwirdig fürst und her her Franciscus, abt des gotzhus Sant Gallen, min gnediger her, Rüdolffen Sailer von Wil zu ainem Substituten in siner gnaden kantzli zu Sant Gallen bestellt. . . . Doch so sol er in der undern stuben in der hell mit dem hoffgsind an irem tisch essen. Und gat das jar uf und an uff sant Othmars abent. Darmit so hat er den ayd thon wie oblut."

Solche Substituten hatte der äbtische Kanzler zu gleicher Zeit mehrere. Die Pflichten eines solchen waren:

„das er zu allen zyten früw und spat wol warten, auch den rat, hoff und anderi gericht mit clag, antwurt und urthailen nach aller notturfft ordenlich beschryben, desglychen sunst auch alles das, so im durch mynen gnedigen hern, den statthallter und cantzler zu schryben bevolhen und furgeben würt, es sye latin ald tütsch, fürderlichen vergken und machen, auch die brieff, so zu regi- strieren not sind, registrieren etc., deßglychen alle bücher und schrifl'ten wol

') St.-A., Bd. 98, S, 196 b.

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und dermassen versorgen, das kain verendern noch veraberwandlen geschehe, weder dui'ch sich selbs noch ander. Er soll auch den rat und alles das, so in gehaim und ratswyse gehandellt und geredt würt, sin lebenlang verschwigen, auch alles das gellt, so im uff und umb die brieff geben wurt, dem statthallter oder cantzler uberantwurten und allain in der cantzly, daran gelegen ist, schryben. ^)

Für diese Pflichten eines Substituten erhielt Rudolf Sailer seine Nahi-ung vom Kloster und jedes Jahr zehn Gulden. ^) Sailer muss dann verhältnismässig rasch zum eigentlichen Schreiber oder Kanzler des Abtes avanciert sein, im Ver- gleich wenigstens zu seinem mutmasslichen Vorgänger Ulrich Bertz. Dieser war 1504 äbtischer Substitut und erst 1513 Kanzler geworden, während Sailer schon nach drei Jahren (1529) diese Stelle bekleidete. Das Kanzleramt war schon ein recht ansehnliches und bedeutete eine grosse Besserstellung gegenüber dem Substituten. Schon finanziell; denn von Ulrich Bertz wissen wir, dass er als Kanzler, abgesehen von zahlreichen Nebeneinnahmen, ^) jährlich 31 GL. 1 Saum Wein, 2 Malter Vesen und 20 Viertel Hafer bezog. *^) Er war der eigent- liche Hofrats- und Hofgerichtssehreiber, dem die andern Schreiber als Gehilfen zur Seite standen; sie erhielten von ihm Anweisung, was sie zu schreiben hatten. Der Kanzler hatte auch für gute Aufbewahrung der Bücher und Urkunden zu sorgen. °)

Eudolf Sailer ist spätestens 1533 gestorben, s) Er muss sein Tagebuch kurz vor seinem Tode geschrieben haben oder sogleich, nachdem die Erlebnisse sich zugetragen hatten. Letzteres war vielleicht für die ersten zwei Dritteile

1) Ibid.

2) Ibid.

^) Taggebühren, wenn man ihn auswärts brauchte, Ti-inkgelder etc.

') Doch gab es noch bedeutend einträglichere Stellen im äbtisclien Dienste. So erhielt Ritter Ludwig von Helmsdorf, als er 1519 von Abt Franz zum Hof- meister ernannt wurde, jährlich 80 gl. und einen Hofrock. Dazu kamen Ge- richtsgehühren etc.

5) St.-A., Bd. 98, S. 167 a.

®) Abt Kilian hatte sich mit vorarlbergischen Edeln in einen für ihn wenig angenehmen Handel verwickelt. Da er nicht wollte, dass der Streit weiteren Kreisen bekannt würde, besorgte nur sein Kanzler Rudolf Sailer die Schreibarbeiten. Ende Dezember 1532, dei Handel ist noch lange nicht zu Ende, verschwindet nun plötzlich die Hand Sailers aus den äbtischen Akten- stücken, die sich auf die genannte Affäre beziehen. Vor allem aber: in einem Schreiben, das wir auf Mitte 1533 datieren müssen (St.-A., Bd. 304, S. 353), be- richtet Abt Diethelm, der Nachfolger Kilians, einem Verwandten, er werde wohl wissen, dass der äbtische Kanzleischreiber mit Tod abgegangen. Von der Umgebung Diethelms sei dieser allein in die „Handlung'', es ist eben jener bereits erwähnte Streit, eingeweiht gewesen.

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des Buches der Fall. Die Schrift ist da oft flüchtig ; der Schreiber scheint hastig die Feder geführt zu haben, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit. Dagegen dürfen wir wohl für das letzte Drittel, das die gewöhnliche, regel- mässige, sorgfältige Schrift aufweist, annehmen, dass es ohne viel Untei'brchung niedergeschrieben wurde.

Ob Rudolf Sailer von plötzlicher Krankheit dahingeraft'te wurde V Wir möchten es beinahe glauben. Als er 1526 Kanzleisubstitut wurde, war er doch wohl noch nicht so bejahrt, dass er 1533 aus Altersschwäche gestorben wäre. Gegen letzteres spricht auch ein zweites, wie es scheint, von ihm nur begonnenes Tagebuch von Abt Diethelm. in welchem er neben der Erwählung des Prälaten und dessen Bestätigung durch den Kaiser, auch schildern wollte, was , der nüw erweit her allenthalber gehandlet hat und im widerfaren, begegnet und zu- gstanden ist". Doch kam er nur bis zu dem Momente, wo dem Abt der „bricht" zukommt, d. h. der zweite Kappeier Landfriede. Natürlich ist es auch möglich, dass der folgende Teil verloren gegangen ist, wie wir auch für das Tagebuch, dessen Inhalt sich mit Kilian beschäftigt, vielleicht den ersten Teil nicht mehr besitzen; denn ohne irgendwelche orientierenden Bemerkungen werden wir da mit den ersten Worten des Buchs mitten in die Ereignisse hinein nach Über- lingen versetzt, indem der Schreiber mit einem für den Anfang eines Buchs wenig passenden „Item" anfängt.^) Beim Tagebuch Abt Diethelms haben wir dagegen auf dem ersten Blatt einen ordentlichen Titel, was durchaus der säuber- lichen Schreibmanier Sailers entspricht.

Dieser zeigt sich uns in seinen Tagebüchern als eine sympathische Figur. Der Ton in welchem er berichtet, ist ein treuherziger, der uns zu fesseln ver- mag. Oft allerdings erzählt er mit grosser Weitschweifigkeit, und seine hübsche Darstellung wird auch durch die eingestreuten, oft sehr langen Aktenstücke beeinträchtigt, ist aber, wenn man auch den Katholiken und Anhänger des Abtes gleich herausfühlt, für die damalige Zeit erstaunlich objektiv gehalten, trotzdem man aus dem Gebotenen gut heraus merken kann, dass der Schreiber auch mitfühlte, was er erzählte. Auffallend ruhig für jene Zeit wird über die Gegner gesprochen, so vor allem über die Zürcher, trotzdem Sailer als treuer äbtischer Beamter und Katholik wohl Grund genug gehabt hätte, über sie los- zuziehen. Nichts von alldem ; selbst da, wo er von dem Gefecht bei Kappel spricht, vermag er zu schreiben: Die V Orte „habint inen [den Zürchern] by zway thu- sent mannen erschlagen, der letsten und fürnemisten kriegslüten, darunter dann nämlich der Zwingli mit fünfzehn predicanten, ouch der appt von Capjjel, der von Geroltsegg und ander irs glichen gwesen und pliben syen. Der

>) Siehe Abschnitt 11, Kap. 3, S. 1.30.

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allmechtig Gott welle ir seien allen begnaden."^) Diese milde Ge- sinnung Sailers ist umsomelir anzuerkennen, als er wohl manchmal bei seinen Missionen in Gefahr geschwebt hatte, seinen reformierten Feinden, vor allem den Zürchern, in die Hände zu fallen, und da nichts Gutes zu erwarten hatte.

Doch macht das Tagebuch den Eindruck, als ob der Verfasser wohl er- wogen habe, was er niederschreiben wollte, und namentlich alles vermieden habe, was seinen Herrn hätte diskreditieren können. So verschweigt er unter anderm einen Handel, den Kilian und sein Nachfolger mit vorarlbergischen Edeln hatten, ") obwohl Sailer die Angelegenheit genau kannte, um die Äbte nicht blosszustellen. Dass er unter Umständen um eine Notlüge nicht verlegen war, haben wir bei Besprechung des Augsburger Reichstages gesehen. Wohl um das Ansehen seines Buches zu heben, hat er zahlreiche Aktenstücke darin aufgenommen. Dies letztere und die ruhige, meist recht unparteiisch erschei- nende Art, mit der Sailer erzählt, lassen uns vermuten, dass das Tagebuch vielleicht aus Auftrag des Abtes verfasst wurde. Wir haben dem Buch darum den Titel eines „offiziellen Tagebuchs Rudolf Sailers " gegeben. •'')

Im gleichen Bande der St. Galler Mitteilungen, in welchem unsere Arbeit erscheint, wird der St. Galler Stiftsarchivar J. Müller die Sailerschen Tagebücher herausgeben. Wir haben darum auf die wörtliche Wiedergabe grösserer Partien des Tagebuches, das von Abt Kilian handelt, verzichtet.

1) Tagebuch Abt Diethelra, Fol. 304.

^) Es ist derselbe Streitbandel, von dem S. 234, Aniii. 6 die Rede war.

^) Es wäre aber auch denkbar, dass die beiden Tagebücher uns vollständig erhalten sind; dass Sailer den Auftrag gehabt liätte, einen offiziellen Bericht niederzuschreiben über den Aufenthalt der Äbte im Exil und dabei nament- lich Kilian durch eine objektiv erscheinende Darstellung von dessen Leben und Tätigkeit im Ausland zu verteidigen. Es Avurde dem Abt nämlich von reJormierter Seite offen vorgeworfen, er habe während seines Aufenthalts in Süddeutschland verräterische Verbindungen gegen die Schweiz angeknüpft. Auf solche Weise wäre dann auch der Abschluss des zweiten Tagebuchs, das von Abt Diethelm handelt, mit dem II. Kappeier Landfrieden völlig gerecht- fertigt. Immerhin würde uns dann für das Tagebuch aus der Zeit Abt Kilian s ein Titel fehlen und derjenige des II. Tagebuchs wäre nicht recht verständlich.

Beilage VII.

Authentischer Bericht über den Einzug Karls V. in Augsburg.

Kilians Kämmerer, der selbst Augenzeuge gewesen, erzählt: das kay(serliche) m(ajesta(t) ufFmitwuchen hütt acht tag verschinen, sampt ettlichen cardhaälen, ouch andern namhafftigen fürsten und herren und sinem raisigen zügund kriegsvolck, gantz überus costlich und wolgerust, zuOugsiJurg ingritten sige, nemlich umb die achtenden stund nach mittag, und sigen im die von Ougspurg mit xviij'-' mannen ze fuß, überus wol beklaidt, ze gantzem hanaasch verfast, entgegen gangen sampt zway hundert raisigen, ouch irer bürge r gantz schön und wol gerüst, darunder dann ettlieh küriser gewesen, und sige also fürtrelFenlich hoch und erlich empfangen, hab sich ouch vom ainen bis zu der nünden stund gegen der nacht verzogen, ee er gar ingritten sige. Im sind ouch alle hertzogen, fürsten, grafen und ander groß herren, zu Ougspurg ge- legen, entgegen gritten und ab iren pferden gstigen, do si zu kayserlicher m(ajesta)t komen sigen etc. Und wie also kay(serliche) m(ajesta)t under ainem guldineu himmel in statt gfürt worden und er abgstanden, ist er anfenklichen und des ersten in die kirchen gangen, da sin pett in langer wyl vollendet, dem- nach glich ze stund desselben abents alle fürsten und herren berüifen lassen, inen angezaigt, sin m(ajesta)t wei'de uff mornendtz, dornstags, unsers hergots tag, ain crützgang christenlichem bruch nach erstatten und darumb, welchen im den helffen vollenden wellint, die mögints thün. Und also, wie semlicher crützgang beschechen, sigen all fürsten und herren, ußgnomen hertzog Hans von Sachsen, landtgraf von Hessen und sunst ain marggraf, erschinen und mit der procession gangen. Also hab kung Ferdinand und noch ain marg- graff den bischoff von Ougspurg, der dann das hochwirdig sacrament getragen, under sinen armen gefürt, und sig kay(serliche) m(ajesta)t allernechst dem sacrament nachgangen und ain zimliche kertze von wissem wachs in guter grosse bräunende in siner band getragen und glicher gestalt all nachgend fürsten und herren, und sig schönere und erlichere procession nie erhördt worden etc. Und wie kayserlich majestat wellen den imbis niessen, hab die züvoran durch ire trometer in gantzer statt Ougspurg bi verlierung lybs und lebens und siner ungnad gepieten lassen, das niemandtz dehain predicanten, der lutersch sig.

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ufstellen noch predigen lassen solle. Und aber, wie ouch kay(serlich) m(ajesta)t hertzogHannsen von Saxs und ander Fürsten, im anheugig und im luter sehen glouben glicbformig, sampt andern fürsten des abents, als hie vor stat, zu siner m(ajesta)t beschickt und sy des crützgangs halber ankomen, haben dieselbigen luterschen fürsten siner m(ajesta)t geantwort, si wellint gott und dem kayser thun, was sy schuldig syen, mit mer worten etc. Also mornendtz hats der kayser widerumb für in berüfft, und band im müssen diser ir antwurt in gschriflft geben etc., und wie uns der kämerling sagt und er ouch gehördt hat, wil kay(serliche) raa(yesta)t underston, den alten glouben zu erhalten oder sin cron daran zu binden; sagt ouch, das er ernstlich und mit aller tapfferkait anheb und handle, und trösten sich all alten cristen siner zükunift wol ; dann er endtlichs für- nemens sig, ain nüwe reformation zu machen, ouch allen gaistlichen und welt- lichen zu dem iren zu verhelffen und ain ainigkait des gloubens halber zu machen, es bescheche dann mit dem schwert ald sunst güttlich."

(Stiftsarckiv St. Gallen, Bd. 307, S. 314—316.)

Inhaltsübersicht.

Seite

Einleitung V

Verzeichnis der Abkürzungen VIII

I. Abschnitt: Stadt und Abtei St. Gallen unter dem Einfluss der Refor- mation bis zum Tode des Abtes Franz Geissberg. Vorgeschichte 1

1. Kapitel: Die Einführung der Reformation in der Stadt St. Gallen 11

2. Kapitel : Die Reformation im St. Gallischen Fürstenlande bis

zum Antritt Abt Kilians 64

3. Kapitel: Die Reformation im Toggenburg bis Anfang 1529 . . 77

IL Abschnitt: Abt Kilian.

1. Kapitel: Die Vorgänge bis zum Ausbruch des ersten Kappeler-

krieges 91

2. Kapitel: Der erste Kappelerkrieg 112

3. Kapitel: Abt Kilian und die Eidgenossen 121

4. Kapitel: Abt Kilian auf dem Augsburger Reichstage .... 147 III. Abschnitt : Abtei und Stadt St. Gallen nach dfem ersten Kappelerkrieg

bis zum Tode Abt Kilians.

1. Kapitel: Die Emanzipation des Fürstenlandes von der Abtei.

A. Die Verhandlungen über die Aufrichtung einer neuen Ver- fassung bis Ende 1529 159

B. Der Wiler Auflauf 169

C. Abschluss der Verfassung für die fürstäbtische Landschaft 178

2. Kapitel : Das Toggenburg nach dem ersten Landfrieden . . . 188

3. Kapitel : Der Klosterkauf 192

Nachwort 208

Beilagen 211

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