Wie x a \ An EX:UBRIS ANER-HUB “N Papierhandlung |P nKfurt M. . 5 5 [ Abb. 1. Schädel von Spitzmaus, Hausmaus, Wühlmaus. — Abb. 2. Schädel des Igels Abb. 3. Schädel der Wanderratte. — Abb. 4. Schädel des Kaninchens. — Abb. 5. Schädel des Rehs Hennings, Die Säugetiere Deutſchlands. Len ee NN — B iẽ0c . 211i ü | Wiſſenſchaft und Bildung | Einzeldarftellungen aus allen Gebieten des Wiſſens | Herausgegeben von Privatdozent Dr. Paul Herre JJ ER ee Die Säugetiere Deutſchlands ihr Bau, ihre Lebensweiſe und ihre wirtſchaftliche Bedeutung Dr. Curt Hennings Privatdozent der Soologie an der techniſchen Hochſchule zu Karlsruhe. . 77 — — 1 WW * fe Rn 1909 Verlag von Quelle & Meyer in Leipzig ur Mn A et Rechte vorbehalten 1 1 7 = r = » 2 — F NR a Di), 1 1 1 I . h ae ** 1 { 2 3 971 1 r VAR ‘ Drud von C. G. Naumann, £ ip 05 1 N Vorwort. Das vorliegende Bändchen, hervorgegangen aus Dorlejungen, die der Verfaſſer ſeit mehreren Jahren vor den Studierenden der hieſigen Hochjchule hält, beabſichtigt nicht nur, die Kenntnis unſerer heimiſchen Säugetierwelt zu vermitteln, ſondern vor allem das Intereſſe an ihr zu wecken und zu fördern. Manche andere Tiergruppe mag durch Formen- und Farbenpracht dem Auge mehr zu bieten haben, keine einzige ſteht uns doch körperlich und geiſtig ſo nahe, keine iſt in ſo enge Beziehungen zum Menſchen und ſeiner Kultur getreten wie die Säugetiere. Ihre wirtſchaftliche Bedeutung ergibt ſich, ſobald man ihre Lebensweiſe kennt, in den meiſten Fällen von ſelbſt; bei einigen Arten freilich iſt dieſe Bedeutung recht verſchiedener Beurteilung ausgeſetzt, je nach dem Berufſtand des Urteilenden. Bier zwi⸗ ſchen den einander entgegenſtehenden Anſichten zu vermitteln, dabei aber auch gleichzeitig das Intereſſe zu wahren, das der Naturfreund an der Erhaltung unſerer deutſchen Tierwelt hat, das iſt eine weitere Aufgabe der folgenden Seiten. Manchem Leſer, dem an der oft nicht leichten Unterſcheidung nah verwandter Arten gelegen iſt, werden vielleicht die beige— gebenen Beſtimmungstabellen willkommen ſein; ihre Brauchbar- keit wurde an dem reichhaltigen Material des hieſigen zoolo— giſchen Inſtituts geprüft. Von Literatur über unſere heimiſchen Säugetiere ſei fol— gendes aufgeführt: ihre allgemeine Naturgeſchichte findet mehr oder weniger ausführliche Behandlung in den Werken von Blaſius (Die Säugetiere), Brehm (Tierleben), Beck (Das Tier: reich), Weber (Die Säugetiere) und Schmeil (Soologie); den Werken des letztgenannten konnte mit freundlicher Erlaubnis des Derfaffers und Verlegers eine größere Sahl inſtruktiver Abbil- dungen entnommen werden. Die Syſtematik bearbeiteten Bretſcher 1* 4 Vorwort. (Wirbeltiere Mitteleuropas), Dahl (Wirbeltiere Schleswig Holſteins und Schmiedeknecht (Wirbeltiere Europas); die ausgeſtorbenen Arten und die Gründe ihres Ausſterbens behandelt Steinmann (Paläontologie); vorwiegend die wirtſchaftliche Bedeutung tft be— rückſichtigt von Altum (Forſtzoologie), Sckſtein (Forſtzoologie), Ritzema Bos (Tieriſche Nützlinge und Schädlinge) und Rörig (Soologie und Landwirtſchaft), im beſonderen die jagdliche von Schäff (Jagdtierkunde), Diezel (Niederjagd) und Teuwſen (Fährten und Spuren). Außerdem wurden im folgenden noch zahlreiche Spezialaufſätze fiſcherei-, land- und forſtwirtſchaftlicher Seitſchriften berücfichtigt, ſowie die Deröffentlichungen der Kaijerlichen Bio— logiſchen Anſtalt für Land- und Forſtwirtſchaft. Karlsruhe, im Februar 1909. Dr. C. Bennings. Einleitung Inhaltsüberſicht ene e ener et ei) eo reiiiex ut I. Kapitel: Dom Bau und von der Tätigkeit des Säuge— // nl a Te aha I. ILR IV. W. I. Skelett und Gebiß; die Haut und ihre Anhangsgebilde; Geſchlechtsorgane und Entwicklung; allgemeine Betrach— tung des lebenden Säugetiers. Kapitel: Die Fledermä Kapitel: Die Kerfjäger BF DES RR BR RE , Sa ren Ferien eee Maulwurf; Spitzmäuſe; Igel. eee ,,, ine I een. Hörnchen; Bilde, Biber; Mäuſe; Hafen. Hapıtel Die Naunbtie nnn 8 Hatzen; Hunde; Marder; Bär. Kapitel: Die Huftiere Unpaarhufer (Pferde); nicht wiederkäuende Paarhufer r e e e (Schweine); wiederkäuende Paarhufer (Hornträger, Ge— weihträger). | N 170 N 9 wu KARO 1 Ro rn Pe HN N e e I 8 9 1550 Be ak n e e | * I u An 0 va! \ IB 1 Me 1 12 0 u a e nun K N en Ba Haan nd | N 97 nu ELLE MEAN KEN SE Opa Han, MAN 10 Man N 1 0 Ne N I, 0 . 1 m 1 1 9 A * IN K nah 160 * ‚Mt Ha ı 1 A ! 15 0 u FR 1 1 * N 0 mi e 1 Ko Einleitung Die heutige Verbreitung nicht nur der Säugetiere, ſondern aller Tiere überhaupt ift das Produkt einer langen Entwicklung, einer Entwicklung einerſeits der Tiere ſelbſt, andererſeits unſerer Erde. Freilich ſind die Säugetiere die jüngſte aller Tiergruppen, aber auch ſie haben zahlreiche Veränderungen der Erdoberfläche miterlebt, haben ſich bald dieſen Veränderungen angepaßt, bald ſich durch ſie in ihrer Verbreitung beſtimmen laſſen. Die Paläontologie, die Lehre von den ausgeſtorbenen Tieren, und die Geologie, die uns den Bau und die Entſtehung unſerer Erde kennen lehrt, geben uns Aufſchluß über dieſe Vorgänge, die ſich 3. T. ſchon vor dem Auftreten des Menſchen abſpielten. Zu Beginn der dritten großen Erdepoche, des ſog. Tertiärs, treten, ſo erfahren wir, ziemlich unvermittelt zahlreiche Gruppen von Säuge— tieren in Europa auf; unſer Erdteil war damals mit Aſien und Nordafrika zu einer tiergeographiſchen Einheit verbunden, und bald drangen z. B. Elephanten, Nashörner, Flußpferde — teil- weis freilich in anderen Arten als den heut lebenden — bis nördlich der Alpen vor, und Affen belebten die Felſen und Wälder Mittel⸗ und Süddeutſchlands. Da traten gegen Ende des Tertiärs zwei Erſcheinungen auf, die eine völlige Umwandlung herbei— führen ſollten: die eine iſt die Abkühlung des Klimas, welche wir als Eiszeit bezeichnen, die andere iſt das Auftreten des Menſchen. Die Eiszeit iſt eines der merkwürdigſten Vorkommniſſe, das uns in der ganzen Geſchichte unſerer Erde begegnet: in einer Epoche, deren Klima ſicher erheblich wärmer war als das heutige — zeigte doch Mitteleuropa im Tertiär eine ſubtropiſche Pflanzenwelt mit Palmen, Bambus und Lorbeer — ſehen wir eine Abkühlung ſich bemerkbar machen, die allmählich immer weiter fortſchreitet. Eine mächtige Eisfappe ſchiebt ſich, nur die geſchützteren Täler verſchonend, von den Gebirgen Skandinavien 8 Einleitung. und Finnlands nach Süden, ganz Vorddeutſchland bis zum Harz und zum Rieſengebirge hin deckend, während gleichzeitig die Gletſcher der Alpen nach Norden vordringen bis zu den Vogeſen und bis in die Gegend des heutigen München und Wien. Unter dem Einfluß der Eiszeit, die von den Geologen als der Beginn der vierten großen Erdperiode, des Quartärs oder der Gegen— wart angeſehen wird, wandern nordiſche Pflanzen nach Süden, und mit ihnen nordiſche Tiere. Auf ihrem Höhepunkt finden wir z. B. in Mitteleuropa den heut auf Grönland und das nörd— lichſte Amerika beſchränkten Moſchusochſen (Ovibos moschatus Blv.), ferner den Lemming (Myodes lemmus L.), den Eisfuchs (Canis lagopus L.), das Ren (Rangifer tarandus L.), und ſeinen Verfolger, den Dielfraß (Gulo luscus L.). Doch die Eismafjen ſchwinden wieder; ein wärmeres, dem heutigen mehr entſprechendes Klima ſetzt ein, Europa gewinnt einen Steppencharakter, und aus dem Gſten dringen die Steppen- tiere vor: die höhlenbewohnenden Nagetiere Rußlands dehnen ihr Gebiet aus bis an den Rhein, die Saiga-Antilope (Saiga tatarica Forst.) ſtreift bis zum Atlantiſchen Ozean. Aber neben dieſen Eindringlingen finden wir auch noch Beſte der vor-eiszeitlichen Sauna: fo haben Mammuth (Elephas primigenius Blmb.) und Nashorn (Rhinoceros tichorhinus Cuv.) im Schutze dichter Woll— pelze der Kälte getrotzt; während und nach der Eiszeit bevölkerten Flußpferde Main und Bhein; gleichzeitig ſchweifte die Hyäne (Hyäna crocuta var. spelaea Goldf.) durch ganz Mitteleuropa und traf hier zuſammen mit riefigen Birfcharten, einem kleinen ponyartigen Wildpferd, ſowie zwei Wildrindern, dem Ur oder Auerochs (Bos primigenius Boj.) und dem Wiſent (Bison bo- nasus L.). Und wiederum wechſelte die Pflanzenwelt Deutfchlands: die Steppe ſchwindet und mit ihr ein Teil der Steppentiere; an ihre Stelle treten dichte Wälder, in denen Elch und Edelhirfch, Luchs und Bär hauſen; neben ihnen hat ſich aber auch manch früherer Bewohner erhalten, ſo z. B. Ur und Wiſent. Haben in ſolcher Weiſe die Veränderungen der Erdoberfläche eine große Rolle geſpielt für das Vorkommen und die Verbreitung der Tiere, ſo hat auf ſie ein anderer Umſtand kaum geringeren Einfluß ausgeübt: das Erfcheinen des Menſchen! Man nimmt jetzt allgemein an, daß er gegen Ende der Tertiärperiode zuerſt auftrat, und mit ſeiner Ausbreitung und Tätigkeit iſt überall Einleitung. 9 ein Rückgang, ſehr häufig ſogar ein Verſchwinden der großen jagdbaren Säugetiere verknüpft. Mammuth, Rhinozeros, Rieſen— hirſch u. a. überdauerten die großen klimatiſchen Schwankungen der Eiszeit, ebenſo auch Ren und Moſchusochs, und wenn die erſteren in Europa vollſtändig ausſtarben, die letzteren nach Norden zurückwichen, ſo iſt dies wohl kaum allein auf die Ungunſt der äußeren Lebensbedingungen zurückzuführen, ſondern ſteht ſicher— lich auch mit der Ausbreitung des Menſchen im engſten Sufammen- hang. Im erſten Kulturzuftand als Jäger wagte der Höhlen- menſch den Kampf mit den großen Jagdtieren ſeiner Seit, und wie wir wiſſen, konnte er ſie mit ſeinen primitiven Steinwerkzeugen in ungeheuren Mengen erlegen. Freilich, mit noch ſchlimmeren Feinden hatte er zu ſtreiten, Feinden, denen gegenüber er ſelbſt die Rolle des Wildes ſpielte: gegen Höhlenlöwen (Felis spelaea Goldf.) und Höhlenbären (Ursus spelaeus Blmb.) mußte er ſein Leben und den Beſitz der ſchützenden Höhlen verteidigen; lang- ſam nur konnte er ihrer Herr werden. Aus dem Eingreifen des Menſchen erklärt ſich am beſten die Verarmung der Tierwelt, die mit dem Ausgang der Tertiär— periode beginnt und bis in die Jetztzeit noch andauert. Die Be— völkerung Mitteleuropas wurde ſeßhaft, ſie lernte Ackerbau und Viehzucht, fie führte eine rationelle Fiſch⸗ und Waldwirtſchaft ein, und nun galt es, diejenigen Tiere zu ſchützen, die ſich in den Dienſt der Kultur ſtellten, die anderen aber zu bekämpfen, welche der Tätigkeit des Menſchen hemmend und zerſtörend in den Weg traten. So entſtanden die Begriffe „nützlich“ und „ſchädlich“. — Heut freilich müſſen wir uns darüber klar ſein, daß dieſe beiden Begriffe nur relative find, und die folgenden Seiten werden uns zeigen, daß ein und dasſelbe Tier nicht ſelten dem einen Beruf— ſtand als nützlich, dem anderen als ſchädlich gelten muß. Auch dürfen wir nie vergeſſen, daß die Tierwelt eines die gleichen Kebensbedingungen gewährenden Gebietes gleichſam eine in ſich abgeſchloſſene „Lebensgemeinſchaft“ (Biocoenoſe) bildet; ein von außen durch den Menſchen erfolgender Eingriff, mag er nun in der Dezimierung einer zu dieſer Gemeinſchaft gehörenden Art beſtehen, oder in einer Anderung der äußeren Exiſtenzbedingungen, hat immer eine Störung des Gleichgewichts innerhalb der Ge— meinſchaft zur Folge, und ſo kann der Menſch auch gelegentlich wohl durch ſeinen Eingriff ein Beſultat erzielen, das er nicht im entfernteſten beabſichtigte. 10 Einleitung. Abgeſehen von den oben genannten Säugetieren, die in vor: hiftorifcher Seit ausgerottet oder aus Deutſchlands Grenzen ver: trieben wurden, ſind auch noch in hiſtoriſcher Seit zahlreiche Charaktertiere unſerer Heimat dem Menſchen und feiner Kultur zum Opfer gefallen; ſo gehören z. B. Luchs, Wolf und Bär nicht mehr unſerer heimiſchen Faung an: als „ſchädliche“ Tiere ſind ſie unnachſichtlich bis in die entlegenſten Schlupfwinkel verfolgt worden. Viel zur Erhaltung unſerer Tierwelt trägt die Jagd und die Jagdgeſetzgebung bei. Das ſinnloſe Hinmorden zahlloſen Wildes, wie es leider auch heut noch gelegentlich, jo in Spitz— bergen und Grönland, vor allem auch in den Kolonien von reiſenden „Jagd“ geſellſchaften geübt wird, hat innerhalb Deutſch— lands Grenzen keine Freiſtatt; bei uns gelten wohl für jeden Weid— mann die trefflichen Worte Rieſenthals: „Das iſt des Jägers Ehrenſchild, Daß er beſchützt und hegt ſein Wild, Weidmänniſch jagt, wie ſich's gehört, Den Schöpfer im Geſchöpfe ehrt.“ Die Geſetzgebung hat bekanntlich zahlreiche Säugetiere für „jagdbar“ erklärt, d. h. ſie dürfen nur zu beſtimmten Seiten und vom Jagdberechtigten erlegt, aber niemals mit Schlingen, Fang— und Fallgruben oder durch Selbſtſchüſſe erbeutet werden. Bier— her gehören nicht nur die als „Nutzwild“ bezeichneten Tiere, wie Edel-, Dam⸗, Reh⸗, Schwarzwild, Gemſe und Haſe, die uns mit Fleiſch verſorgen — auch von dieſem rein materiellen Geſichts— punkt betrachtet, hat die Jagd eine große Bedeutung! — ſondern als „jagdbar“ gilt auch mancher andere Säuger, wie Dachs, Biber und Murmeltier, ja ſelbſt Raubtiere erfreuen ſich dieſes Schutzes, fo Fiſchotter, Fuchs, Wildkatze und Sdelmarder, Iltis, Wieſel und Hermelin. Gleichwohl würde noch manches deutſche Säugetier durch Gleichgültigkeit und Unverſtand des Menſchen der allmählichen Vernichtung und Ausrottung anheimfallen, wenn ſich nicht in letzter Seit darin ein Umſchwung angebahnt hätte: Niemand wird es dem Landwirt und dem Fiſchereitreibenden, dem Weid— mann und dem Forſtmann verargen, wenn er die ihn ſchädigen— den Tiere bekämpft und ihrer Uberhandnahme entgegenzuwirken ſucht; ihre vollſtändige Ausrottung aber ſoll und muß verhindert Einleitung. 11 werden! Schon lange tritt das Empfinden des deutſchen Volkes ein für die Erhaltung der Kunftdenfmäler, die uns aus früheren Seiten überkommen ſind; mögen die Beſtrebungen, die in unſerer Tierwelt ſchonungsbedürftige und der Erhaltung würdige „Natur— denkmäler“ ſehen, bald geiſtiges Allgemeingut werden! Erſtes Kapitel. Dom Bau und von der Tätigkeit des Säugetier— körpers. Gleich den übrigen Wirbeltieren, den Fiſchen, Lurchen, Kriechtieren und Vögeln, beſitzen die Säugetiere einen inneren Stützapparat, das Skelett, das durch ihm aufgelagerte Muskeln bewegt wird, ſelbſt aber im Schädel und in der Wirbelſäule die beiden Sentralorgane des Nervenſypſtems, Gehirn und Rücken— mark, ſchützend umhüllt. Auch darin ſtimmen die Säugetiere mit den übrigen Wirbeltieren überein, daß die wichtigſten Sinnes organe auf den Kopf beſchränkt find und daß Herz, Atmungs-, Verdauungs-, Harn- und Geſchlechtswerkzeuge im Rumpf, in der Leibeshöhle, liegen. Eine Reihe von Eigenſchaften zeichnet aber die Säuger vor allen anderen Wirbeltieren aus und gibt ihnen die höchſte Stellung nicht nur innerhalb ihres Tierkreiſes, ſondern im ganzen Tierreich überhaupt. Doch es würde zu weit führen, wollten wir hier eingehend alle Organe und Organſyſteme des Säugetierkörpers beſchreiben, und wir wollen uns daher mit denjenigen begnügen, deren genauere Kenntnis zum Verſtändnis der körperlichen und geiſtigen Eigenſchaften und Fähigkeiten dieſer Tierklaſſe erforderlich iſt. Es kommen dabei hauptſächlich das Skelett, die Haut mit ihren Anhangsgebilden und die Geſchlechtsorgane in Betracht, während Muskulatur, Nervenſyſtem und Sinnesorgane, Verdauungsapparat, Atmungs⸗, Blutkreislauf⸗ und Harnorgane im großen und ganzen den uns von unſerem eigenen Körper her bekannten und ge— läufigen Bau zeigen. In der Hauptſache wollen wir uns hier auch beſchränken auf die in Deutſchland vertretenen Ordnungen. Man teilt die Klaſſe der Säugetiere nämlich in folgende elf große Gruppen ein: 9 N 2 n 10. I. Erſtes Kapitel. Kloafentiere, Monotremata; Beuteltiere, Marsupialia; Sahnarme, Edentata; Wale, Cetacea; | Duftiere, Ungulata; Raubtiere, Carnivora; Nagetiere, Rodentia; Inſektenfreſſer oder Kerfjäger, Insectivora; Fledermäuſe, Chiroptera; Halbaffen, Prosimiae; Affen, Simiae. Don ihnen beſitzen wir nur die durch den Druck hervor: gehobenen Vertreter auf dem deutſchen Feſtland, während wir außerdem in der Nord- und Gſtſee Waltiere (ſowie floſſenfüßige Raubtiere, Pinnipedia) antreffen. I. Das Skelett. Um eine Überſicht zu gewinnen über den knöchernen Be— wegungsapparat der Säugetiere, betrachten wir die beiſtehende Abbildung J, die uns eine Reihe größerer Abteilungen unter: ſcheiden läßt, nämlich den Schädel, die Wirbelſäule mit dem Dom Bau und von der Tätigfeit des Säugetierkörpers. 13 Bruſtkorb, den Schultergürtel mit dem vorderen und den Becken— gürtel mit dem hinteren Gliedmaßenpaar. Für den Schädel (Figur 2) iſt im allgemeinen bemerfens- wert, daß im Suſammenhang mit der ſtarken Entwickelung des Gehirns und dem dadurch bedingten längeren Wachstum des Schädels die einzelnen Knochen niemals vollſtändig verſchmelzen, es bleiben vielmehr die zackigen Schädelnähte zeitlebens erfenn- bar, die freilich eine Verſchiebung der Knochen gegeneinander nicht zulaſſen: durch Bildung von a und Dorjprüngen wird im Gegenteil ſogar eine ſehr feſte Verbindung zwiſchen dem „Geſichts— EN 1% ER Schädel" und dem „Ge— , ie . 27 00 N hirnſchädel“ herbeige— W 1 führt. Allein dem Unter: kiefer kommt eine größere Beweglichkeit zu; im ſog. Kiefergelenk iſt er dem Schädel eingefügt. — Einen weſentlichen Anteil an der Bildung des Ge— ſichtsſchädels haben die Oberkieferbeine (ossa eee maxillaria), die ſich weit Figur 2. Schädel des i mene nach vorn und oben er— Aus Schmeil.) 8 ſtrecken und durch hori⸗ teten 2 Säeitikein, 3 Binterhauptsbein, zontale Seitenplatten ein bein, 8 AN en Oberfieferbein, hartes, Mund- und Naſen— | höhle ſcheidendes Gaumendach bilden. Bft entſendet außerdem jedes Oberkieferbein noch einen Fortſatz nach oben und einen anderen nach hinten: der erſtere kann dann zuſammen mit einem ähnlichen Fortſatz des Stirnbeins die Augenhöhle vollkommen von der Schläfengrube trennen (Menſch, Affen, Huftiere), der nach hinten gerichtete bildet durch Vermittlung eines beſonderen Knochens, des Jochbeines (Backenknochen, os jugale) und einer vorderen Verlängerung des Schläfenbeines (os temporum) den Jochbogen. Die Eigentümlichkeiten des Säugetierſchädels ſtehen ohne Sweifel in Suſammenhang mit der Art der Ernährung, find doch die Säugetiere allein unter allen Wirbeltieren befähigt, ihre 14 Erſtes Kapitel. Nahrung vor dem Verſchlucken jorgfältiger zu zerkleinern, zu „kauen“. Diejenigen Organe nun, denen die Aufgabe, zu kauen, zukommt, ſind die Hähne. Nur in ganz jeltenen Ausnahmefällen, z. B. bei den Bartenwalen, fehlend, find fie — im Gegenſatz zu den Kriechtieren — auf die Kieferknochen beſchränkt, auf deren Rän- dern ſie in beſonderen Gruben, den Sahnalveolen, ſitzen. Ihre Jahl iſt mindeſtens für jede Tierart konſtant, meiſt auch für jede Tiergattung, und vielfach ſogar für die Familie; ihrer Stellung nach teilen wir ſie in drei Gruppen, doch brauchen dieſe durch— aus nicht überall vorhanden zu ſein. Bei dieſer Einteilung gehen wir von der oberen Kinnlade aus: ſie ſetzt ſich aus zwei Knochen— paaren zuſammen, den großen, ſeitlichen Gber— kieferbeinen, von denen wir oben ſchon ſprachen, res und einem kleinen, die Mitte einnehmenden Knochenpaar, den Swiſchenkieferknochen. (Bei keinem Säugetier verſchmelzen übrigens dieſe vier Knochen ſo innig miteinander wie beim Menſchen.) Wir nennen nun alle Sähne, welche dem Swiſchen⸗ kiefer aufſitzen, Schneidezähne, dentes incisivi; der erſte Zahn, der im Gberkiefer folgt, heißt der Sckzahn, dens caninus, die weiter nach hinten von dieſem ſtehenden bezeichnen wir als Backzähne, dentes molares. Die gleichen Be— Figur 3. Schnitt zeichnungen werden im Unterkiefer auf diejenigen durch einen Fahn. Sähne angewandt, die den betreffenden Sähnen S Schmelz, der oberen Kinnlade gegenüberliegen; dabei kommt 0 Tenent, der untere Eckzahn bei geſchloſſenem Munde vor P Pulpahöhle. den oberen zu ſtehen. — Der Natur ſeines Gewebes nach iſt der Zahn ein umgewandelter Knochen; feine Hauptmaſſe bildet das Dentin (Figur 5D), auch Sahnbein oder Elfenbein (substantia eburnea) genannt, eine Subſtanz von großer Härte, die aus organiſchem Material beſteht, aber reich mit Kalkſalzen imprägniert iſt. Dieſes Dentin umgibt die keinem Sahn fehlende Sahnhöhle (P), welche ſich nach unten öffnet und erfüllt iſt von einer weichen, blutgefäß⸗ und nervenreichen Bindegewebsmaſſe, der Zahnpulpa, dem Überreſt der Schleimhautpapille, auf welcher die erſte Anlage des Sahnes entſtanden war; die Pulpa hat die Aufgabe, den Zahn zu ernähren. Die zweite Subſtanz des Sahnes iſt der Schmelz (Figur 3 8) oder Email (substantia adamantina), — ,, S = 2 0 —— TEE ZU > Dom Bau und von der Tätigfeit des Säugetierförpers. 15 die im allgemeinen einen verjchieden dicken Überzug über die frei aus dem Kiefer herausragenden Teile des Dentins bildet, dieſes alſo gleichſam röhrenförmig einſchließt. Es iſt die härteſte Subſtanz des tieriſchen Körpers, die beinahe gar kein organiſches Material, ſondern faſt nur Mineralſalze enthält; ihre Oberfläche iſt porzellanartig glänzend und geſtreift, als Ausdruck der Su— ſammenſetzung des Schmelzes aus kleinſten Prismen. Die übrige Oberfläche des Sahnes, foweit fie in der Alveole ſteckt, wird vom Zement oder Sahnkitt (Figur 5 0) bedeckt, einer wie das Dentin dem Knochengewebe ſehr verwandten Subſtanz, die, wie wir ſehen werden, bei komplizierter gebauten Sähnen auch auf der Krone zutage treten kann. An der großen Mehrzahl der Zähne unterſcheiden wir nämlich die in der Alveole ſteckende, bald einfache, bald zwei- oder dreiteilige Wurzel und die frei aus dem Sahnfleiſch hervorragende, in der Regel von Schmelz überzogene Krone. Solche ſog. Wurzelzähne haben ein be— ſchränktes Wachstum, im Gegenſatz zu anderen Sähnen, die zeit— lebens weiter wachſen und deshalb keinen Unterſchied zwiſchen Krone und Wurzel erkennen laſſen: was heut noch in der Alveole ſteckt, tritt fpäter oberhalb des Sahnfleiſches frei hervor. Solche „wurzelloſen“ Zähne oder Sähne mit unbeſchränktem Wachstum behalten gleichwohl dauernd dieſelbe Größe, wenn ſie durch den Gebrauch derart abgenutzt werden, daß Wuchs und Abnutzung einander entſprechen. (Dies gilt z. B. von den Schneidezähnen der Nagetiere.) Findet dagegen keine Abnutzung ſtatt, oder iſt dieſe geringer als der Suwachs, fo erreichen derartige Sähne eine erhebliche Größe, wie uns die Stoßzähne des Elefanten, die Hauer des Ebers u. a. zeigen. — Das beſchränkte Wachs: tum der meiſten Sähne hat nun eine höchſt bedeutſame Er— ſcheinung im Gefolge, nämlich den ſog. Sahnwechſel. Ein regelloſer unbeſchränkter Erſatz verlorener oder abgenutzter Sähne findet zwar ſchon bei den niederen Wirbeltieren ſtatt, der Sahn— wechſel der Säuger aber beſteht darin, daß das bei der Geburt vorhandene oder bald darauf durchbrechende „Milch- oder laf- teale Gebiß“ (die „Sähne der erſten Dentition“) nach einiger Seit vom „bleibenden oder permanenten Gebiß“ (den „Sähnen der zweiten Dentition“) in ganz geregelter Art und Weiſe ver— drängt wird: die bleibenden Zähne entſtehen nämlich im Kiefer zu einer Seit, da die Milchzähne noch funktionieren, ſie üben durch ihre allmähliche Größenzunahme einen Druck auf die 16 Erftes Kapitel. Wurzeln der Milchzähne aus, hemmen ihre Ernährung und ſtoßen ſie ſchließlich aus dem Kiefer heraus. (Außer dieſen typiſchen zwei „Dentitionen“ können übrigens gelegentlich noch Reſte einer dritten, ja ſelbſt einer vierten vorkommen.) Da nun aber das neugeborene und das jugendliche Tier ſtets einen klei— neren Schädel und damit auch kleinere Kiefer hat als das er- wachſene, ſo iſt auch die Sahl der Milchzähne meiſt eine kleinere als die der bleibenden Zähne. Die Schneide-, Ed: und Baden- zähne des Milchgebiſſes werden beim Sahnwechſel durch ent— ſprechende Zähne des bleibenden Gebiſſes erſetzt, dazu aber kommen beim letzteren noch hintere Backenzähne hinzu, die im Milchgebiß noch keine Vorläufer beſaßen. Dieſe Vermehrung der Backenzähne hat dazu geführt, daß man ſie unterſcheidet in „falſche“ (dentes praemolares), die ſchon im Milchgebiß vor— handen waren, und „wahre“ Backenzähne (dentes molares), die nur der zweiten Dentition angehören. Die feinere Säugetierſyſtematik ſtützt ſich nun zum großen Teile gerade auf die Gebißverhältniſſe, und ſo hat man für dieſe einen kurzen Ausdruck eingeführt, die ſog. Sahnformel. In dieſer wird die Sahnzahl des Gberkiefers oberhalb, die des Unterkiefers unterhalb eines Bruchſtrichs geſchrieben, wobei jede der vier Sahnarten, Schneide-, Eck, Prämolar: und Molarzähne für ſich gezählt wird; auch ſchreibt man, beginnend mit den Schneidezähnen, nur die Sahlen für die eine Seite der Kiefer, da die Bezahnung ja rechts und links ſtets gleich iſt. So hat 1 255 3. B. der Menſch die Sahnformel 2.125 — 32, und fie be⸗ jagt uns: der Menſch beſitzt zunächſt 52 Sähne und die Be— zahnung iſt im Ober- und Unterkiefer die gleiche; ferner find alle vier Sahnarten vertreten, und zwar finden ſich in jeder der beiden Ober- und der beiden Unterkieferhälften je 2 Schneiden, 1 Prämolar- und 5 Molarzähne. Als Beiſpiel, daß auch gelegentlich eine Sahnart fehlt, ſei hier noch die Formel für die Hirſche angeführt: Fur zwar in jeder Unterkieferhälfte 5 Schneidezähne vorhanden find, daß dieſen aber im Oberkiefer keine entſprechenden Zähne gegenüberſtehen. Von den übrigen Teilen des Skeletts verdienen noch die Gliedmaßen und ihr Aufhängeapparat, Schulter: und — 54; aus ihr erjehen wir, daß Dom Bau und von der Tätigfeit des Säugetierförpers. 17 Beckengürtel, eine kurze Betrachtung. Der Schultergürtel wird bei allen Säugern von einem breiten, flachen, rückenſeits ge— legenen Knochen, dem Schulterblatt (scapula) gebildet; oft ſtellt dieſes allein die Verbindung zwiſchen dem Rumpf und der Vorder— extremität dar, nämlich bei allen denjenigen Säugetieren, deren Beine in der Hauptſache nur als Stütze des Körpers auf feſter Unterlage dienen. Vicht ſelten tritt aber zum Schulterblatt noch ein zweiter Knochen hinzu, das bauchſeits gelegene Schlüſſel— bein (clavicula): dann iſt die Befeſtigung der Gliedmaßen am Körper natürlich eine viel ſichrere, und das iſt nötig bei den- jenigen Säugern, die ihre Dorderertremitäten nicht nur als Stütze verwenden, ſondern auch noch zu anderen Verrichtungen, wie Graben, Fliegen u. dal. — Der Becken— gürtel, der nur bei den Walen nicht zur Ausbildung gelangt, beſteht jeder— ſeits aus einem großen, dreiteiligen Knochen, dem Hüftbein (os coxae): rückenſeits feſt mit den zum Kreuzbein verſchmolzenen Kreuzwirbeln vereinigt, bilden die Hüftbeine je einen Halbring, der ſich bei faſt allen Säugern an der Bauchſeite mit dem der Gegenſeite in Figur 4. Handſkelett der ſog. Symphyſe verbindet. von Menſch und Hund. Die Gliedmaßen ſelbſt ſind ent— W Bandwurzelfnochen, ſprechend ihrer im ganzen recht aleich- 2 Sen re artigen Verwendung einander ſehr ähnlich gebaut: ſie ſetzen ſich aus je drei hintereinander gelegenen Abſchnitten zuſammen, die wir als Oberarm oder OGberſchenkel, Unterarm oder Unterſchenkel, Hand oder Fuß bezeichnen. Der Oberarm (humerus) und der OGberſchenkel (femur) find gelenkig mit dem „Gürtel“ verbunden; der Unterarm wird von zwei Knochen ge— bildet, der Speiche (radius) und der Elle (ulna), die aber nicht bei allen Ordnungen in derſelben Weiſe entwickelt ſind, und das gleiche gilt auch von den beiden Knochen, aus denen der Unterſchenkel beſteht, vom Schienbein (tibia) und Waden— bein (fibula). Einen komplizierteren und vor allem einen je nach den einzelnen Gruppen ſehr wechſelnden Bau zeigen Hand und Fuß: in typiſcher Ausbildung (Figur 4) ſetzt ſich die Hand zuſammen aus der an den Unterarm ſich anſchließenden Hand— wurzel (carpus) (W), von zwei Querreihen kleiner mehr oder Hennings, Die Säugetiere Deutſchlands. 4 2 18 Erſtes Kapitel. weniger rundlicher Knochen gebildet, aus der auf fie folgenden Mittelhand (metacarpus) (M), fünf nebeneinander liegende lang- geſtreckte Knochen darſtellend, und aus den Fingern (P), die ſelbſt wieder mit Ausnahme des zweigliedrigen Daumens je drei Glieder (Phalangen) zeigen. Die entſprechenden und faſt ebenſo gebauten Teile des Fußes nennen wir Fußwurzel (tarsus), Mittelfuß (meta- tarsus) und Sehen. Abweichungen von dieſem fünffingerigen und fünfzehigen Typus werden wir aber im folgenden mehrfach kennen lernen, und dieſe Abweichungen beſtehen immer darin, daß die Sahl der Sehen und Finger ſich verringert, was dann natürlich nur ſelten ohne Einfluß auf die Ausbildung von Mittel⸗ hand und Mittelfuß bleibt. — Die Säuger weiſen aber nicht nur hinſichtlich der Sehenzahl große Verſchiedenheiten auf, ſon— dern auch in bezug auf die Art und Weiſe, wie ihre Gliedmaßen den Boden berühren. Nur wenige (3. B. der Bär) treten gleich dem Menſchen mit der ganzen Sohle auf, und ſie nennen wir „Sohlengänger“ (Plantigrada); einige, die „Halbjohlengänger" (Semiplantigrada) (3. B. der Dachs) laufen auf den Sehen, laſſen ſich aber beim Halten ſogleich auf die Sohlen nieder; die meiſten Säugetiere aber ſind entweder Sehengänger (Digitigrada) oder „Spitzengänger“ (Unguligrada). Bei den erſtgenannten (3. B. bei Hund und Vatze) ruht das Körpergewicht auf der Sohlenfläche der Finger bzw. Sehen, indem die Mittelhand- und Mittelfuß⸗ knochen ſich aufgerichtet und ſenkrecht zum Erdboden geſtellt haben; bei den Spitzengängern iſt dieſe Aufrichtung auch für die Finger und Sehen durchgeführt und die Tiere ſtützen ſich nur auf die Spitze des letzten Finger- bzw. Sehengliedes. In welcher Weiſe hierdurch der Bau der ganzen Extremität in Mit- leidenſchaft gezogen iſt, werden wir bei der Betrachtung der typiſchen Spitzengänger, der Huftiere, näher kennen lernen. II. Die Haut und ihre Anhangsgebilde. Die äußere Körperbededung der Säugetiere beſitzt eine große Sahl charakteriſtiſcher Eigenfchaften: als warmblütiges, verhältnismäßig großes und mit wenigen Ausnahmen an das Leben auf dem feſten Lande angepaßtes Tier bedarf das Säuge- tier ſowohl eines gewiſſen mechaniſchen Schutzes gegen die Außen- welt, als auch ganz beſonders eines wirkſamen Wärmeſchutzes, Dom Bau und von der Tätigkeit des Säugetierförpers. 19 und fo iſt denn bei ihm gerade die Haut mit ihren Anhangs— gebilden in reichem Maße entwickelt. Die Haut ſelbſt ſchließt ſich zunächſt an die der niederen Wirbeltiere dadurch an, daß fie aus zwei, nach Bau und Her: kunft ganz verſchiedenen Lagen beſteht, einer oberflächlichen, der Oberhaut oder Epidermis, und einer tieferen, der Lederhaut oder dem Corium (Cutis). Die letztgenannte beſteht in der Haupt⸗ ſache aus Bindegewebe, deſſen Faſern ein unentwirrbares Ge— flecht kreuz und quer verlaufender Süge bilden; die Derbheit und Feſtigkeit dieſer Faſerzüge wird am beſten dadurch gekenn— zeichnet, daß das, was wir Leder nennen, nichts anderes dar— ſtellt als die durch den Prozeß des Gerbens konſervierte Leder— haut verſchiedener Säugetiere. Nach innen geht die Lederhaut in das lockerer gefügte Unterhautgewebe über, das den unter der Haut gelegenen Organen, wie Muskeln, Knochen uſw. auf— liegt. An ſeiner Außenfläche beſitzt das Corium wellenförmige, dicht nebeneinander ſtehende Erhebungen, die ſog. Papillen, in denen die Endſchlingen von Blutgefäßen und Vervenendigungen liegen. Die Oberhaut beſitzt nämlich keines dieſer beiden, fie iſt vielmehr, was die Derforgung mit Blut und die Empfindungs: fähigkeit anlangt, vollſtändig auf die Unterhaut angewieſen. Dagegen iſt die Epidermis durch eine andere Eigenſchaft aus- gezeichnet: ſie ſetzt ſich ausſchließlich aus Sellen zuſammen, die in den tieferen Schichten entſtehen, nach außen rücken und, an die Oberfläche gelangt, vertrocknen oder wie man ſagt „ver— hornen“; die oberflächlichſten verhornten Sellen werden abge— worfen („abgeſchilfert“) und immer wieder durch die von unten her nachdringenden Sellen erſetzt. In gewiſſen Stellen kann dieſe Verhornung beſonders ſtark werden, jo 3. B. an den „Kaſtanien“ des Pferdes und auf der Sunge der Katze, und Horngebilde ſind auch die wichtigſten Hautgebilde des Säugetieres, Die Haare. Entſtanden durch Hineinwachſen einer Anzahl Epidermiszellen in das Corium, liegt das fertige Haar ſchließlich in einer röhrenförmigen Sinſenkung der Oberhaut, dem ſog. Follikel; an feine Baſis heften ſich kleine nur unwillkürlich be— wegte Muskeln, die den ſchräg liegenden Haarſchaft bei irgend» einer Erregung, ſowie bei Kälte- und Wärmereiz aufrichten. Bei einigen Säugern, z. B. beim Pferd, beſteht das Haarkleid, abgeſehen von Mähne und Schweif, nur aus einer Art von Haaren; bei anderen dagegen, z. B. bei den Raubtieren, ſetzt ſich 2% 20 Erftes Kapitel. der Pelz aus zwei verſchiedenen Arten zuſammen, den weicheren, feineren und meiſt dichter geſtellten „Wollhaaren“ und längeren, dickeren, aber weniger dicht ſtehenden Grannen oder „Stichel- haaren“, die mit ihren Spitzen oft weit über die Wollhaare hinausragen. Mit zunehmender Dicke werden die Stichelhaare zu „Schnurrhaaren“, wie wir fie an der Oberlippe vieler Säuge— tiere finden, und weiter zu Borſten (Schwein) und Stacheln (Igel, Stachelſchwein). Meiſt iſt die Anordnung der Haare der- art, daß eine Gruppe von Wollhaaren je ein Stichelhaar um- gibt, und je mehr die erſteren an Sahl überwiegen, deſto wärmer und feiner wird der Pelz. Bekanntlich liefert ja das Fell mancher Säuger koſtbares Rauchwerk: meiſt wird ihm die natürliche Be- ſchaffenheit gelaſſen und nur durch Gerben Dauerhaftigkeit und Geſchmeidigkeit verliehen. — Betrachten wir ein Haar unter dem Mikroſkop, ſo erkennen wir ſeine Suſammenſetzung aus ver⸗ hornten Sellen, und dieſe ſind oft derart angeordnet, daß wir eine innere Marf- und äußere Rindenſchicht unterſcheiden können. Die Ausbildung dieſer beiden Schichten iſt bei den verſchiedenen Säugetierarten eine verſchiedene, ja eine derart verſchiedene, daß man faſt immer von einem einzelnen Haar ſagen kann, von welchem Tier es ſtammt (und das iſt gelegentlich von großer praf- tiſcher Bedeutung!). Das Haarmark iſt lufthaltig und je ſtärker es entwickelt iſt, deſto brüchiger iſt das Haar; die Rindenſchicht enthält gelöſten oder körnigen Farbſtoff und iſt ſelbſt wieder überdeckt vom ſog. „OGberhäutchen“. Die Farbe des einzelnen Haares iſt abhängig von dem Luftgehalt, dem Farbſtoff und dem Relief der Oberfläche, während die Färbung des Pelzes in der Regel durch die Grannen— ſpitzen bedingt iſt, zumal dort, wo das einzelne Haar mehrfarbig iſt. Als ein Gebilde aus Epidermiszellen iſt aber das Haar gleich jenen einem Wechſel unterworfen, und diefer Hhaarwechſel (oder die „Haarung“) findet bei einigen Säugern (3. B. den Menſchen und Affen) das ganze Jahr hindurch ſtatt, indem bald hier bald dort ein Haar ausfällt und durch ein neues erſetzt wird. Bei anderen iſt der Haarwechfel auf eine beſtimmte Seit konzentriert, auf das Frühjahr und den Herbſt, und dabei erhält dann das Tier einen dem Charakter der Jahreszeit angepaßten dünneren Sommer- oder dichteren Winterpelz. Wenn nun die neuen Haare anders gefärbt find als die alten, fo hat der Haar⸗ wechſel eine Umfärbung zur Folge, wie wir ſie auch bei einigen deutſchen Säugetieren kennen lernen werden. Dom Bau und von der Tätigkeit des Säugetierförpers. 21 Auch die Hormbildungen am Ende der Sehen, die Nägel, Krallen, Rufe und Klauen, find Umwandlungen der Gber— haut und beſtehen daher gleich den Haaren aus verhornten Epidermiszellen. An der Unterſeite der Füße finden wir ge— wöhnlich elaſtiſche unbehaarte Hautkiſſen, die Sehen bzw. Sohlen⸗ ballen; nur das letzte, dritte Glied der Finger und Sehen zeigt jene eigentümlichen, hornigen Bedeckungen, und zwar iſt es bei der echten Kralle (Figur 5 II) von oben und ſeitlich bedeckt von der ſog. „Krallenplatte“, die von rechts nach links gewölbt und gleichſam zu einer am Ende ſchräg abgeſchnittenen Röhre II Figur 5. Nagel, Kralle, Huf. Obere Reihe: Querſchnitt, untere Reihe: Anſicht von unten. Weiß: Krallenplatte, punktiert: Sohlenhorn, geſtrichelt: Sohlenballen. zufammengebogen iſt. Dieſe Krallenplatte wächſt in der Weiſe, daß von hinten her immer neue Hornteilchen angefügt werden und ſie ſo allmählich nach vorn ſchieben. Der freie Rand der Kralle, der der Abnutzung unterworfen iſt, umgibt eine Haut— partie, welche von einer etwas weicheren Fornmaſſe, dem „Sohlen: horn“ (oder der „Nornſohle“) überzogen iſt. Eine gewiſſe Umbildung zeigt der Nagel (Menſch, Affe) (Figur 5 J), indem die Sehenballen ſich weit nach vorn, d. h. auf die Unterſeite auch des letzten Fingergliedes ausdehnen und jo das Sohlenhorn auf einen ſchmalen Streifen unter dem Nagelende, den „Nagel— ſaum“, beſchränken. Den krallen⸗ bzw. nageltragenden Tieren, den „Unguikulaten“, die entweder Sehen- oder Sohlengänger find, ſtehen die Huftiere oder „Ungulata“ gegenüber, bei denen das letzte Sehenglied allein die ganze Caſt des Körpers zu tragen hat. Infolgedeſſen hat auch die Hornbekleidung eine charakte⸗ 22 Erftes Kapitel. riftifche Umwandlung zu „Hufen“ (oder „Klauen“) erfahren (Figur 5 III). Der Huf gleicht der Kralle darin, daß die Krallen- platte, hier als „Hornwand“ bezeichnet, eine am Ende abge: ſtutzte Röhre bildet, doch iſt er nicht, gleich der Kralle, der Länge nach gebogen und beſitzt eine anſehnlichere Dicke. Die Haut der Säugetiere iſt aber nicht nur ein Schutz, ſondern auch ein Ausſcheidungsorgan und als ſolches ausge— zeichnet durch ihren Reichtum an Drüſen. In der Hauptſache kommen dieſe in zwei Arten vor, als Schweißdrüſen, die mit der Wärmeregulierung des Körpers, und als Talgdrüſen, die mit dem Haarkleid in Beziehung ſtehen; beſondere Bedeutung erlangen ſie aber vornehmlich dort, wo ſie ſich zu größeren, mit bloßem Auge ſichtbaren Drüſenkörpern häufen, und dieſe nennen wir dann nach ihrer Lage Geſichts⸗, After-, Seiten, Klauendrüfen uſw. Im folgenden werden wir einige ſolcher Drüſen näher kennen N lernen, hier ſei nur bemerkt, Figur 6. Sitzenbildung. daß ihr Ausſcheidungsprodukt 1 Ursprünglicher Typus, II Kage, III menſch, (Sekret) oftmals der Träger ind en Drüſenfelb. Dopn bejonderer Gerüche ift: fo dient es zum gegenſeitigen Auf: finden und Erkennen und ſpielt daher auch eine große Rolle im Geſchlechtsleben der Säugetiere. — Kein Drüſenapparat beſitzt aber eine ſolche Bedeutung wie derjenige, dem unſere Tierklaſſe ihren Namen entlehnt: Der Milchdrüſen- oder Mammar-Apparat, mit deſſen Sekret die Jungen ſo lange „geſäugt“ werden, bis ſie fähig ſind, feſte Nahrung aufzunehmen. Jede Milchdrüſe mündet mit einer oder mit mehreren Öffnungen an der Spitze einer etwas hervor: tretenden Warze, der ſogen. Sitze, und der Bau dieſer Organe iſt ein etwas komplizierter, inſofern er je nach den verſchiedenen Säugetiergruppen verſchieden iſt. Sum beſſeren Verſtändnis gehen wir aus von der einfachſten Form, wie fie uns das primitivfte Säugetier, der auſtraliſche Ameiſenigel (Echidna) zeigt (Figur 61). Bier ſehen wir am Bauche ein etwas eingeſunkenes Feld, das Dom Bau und von der Tätigkeit des Säugetierförpers. 23 Drüfenfeld, auf welchem zahlreiche kleine Milchdrüſen münden, während der Rand des Feldes zum ſogen. Wall ſich erhebt. Aus dieſem niederſten Suſtand können wir uns die verſchiedenen Sitzenformen dadurch entſtanden denken, daß entweder der Wall ſich hoch über die Haut erhebt (Figur 6 II), oder daß allein das Drüſenfeld ſich nach außen vorwölbt (Figur 6 III), oder endlich, daß zwar der Wall erhaben iſt, der Drüſenapparat aber mit ſeiner Mündung in die Tiefe ſinkt (Figur 6 IV). In letzterem Fall ent- ſteht der ſogen. Sitzen⸗ oder Strichkanal. Der urſprüngliche Suſtand, der aber nur von wenigen heut lebenden Säugetieren bewahrt wurde, iſt nun der, daß die Milch— drüſen, das „Geſäuge“, an der ganzen Unterſeite des Körpers in zwei Cängsreihen angeordnet find, deren jede bis zu II Sitzen aufweiſen kann. In der Regel finden wir dieſe Sitzen auf ganz beſtimmte Stellen, wie die Bruft- oder Bauchgegend, beſchränkt, was wohl hauptſächlich durch die Lebensweiſe der Mutter und die Bedürfniſſe der Jungen bedingt iſt. Übrigens beſitzen nicht nur die weiblichen Säugetiere einen derartigen Drüſenapparat, ſondern auch die Männchen, bei dieſen freilich find normaler: weiſe die zugehörigen Drüſen zeitlebens unentwickelt, bei den Weibchen dagegen nehmen ſie während der Schwangerſchaft an Umfang und Ausbildung zu und ſondern nach der Geburt der Jungen eine Zeitlang eine zucer-, eiweiß und fetthaltige Flüſſig⸗ keit, die Milch, ab. — Aber dies führt uns bereits zu einer Betrachtung der III. Geſchlechtsorgane und Entwicklung. Wie die niederen Wirbeltiere und die Vögel, ſind auch die Säugetiere getrennten Geſchlechts; doch haben die Fortpflanzungs⸗ organe bei ihnen einen komplizierteren Bau; dieſen Organen kommt nämlich nicht nur die Aufgabe zu, die Geſchlechtspro— dukte, Ei und Samen, zu bilden, fie müſſen auch die innere Be— fruchtung, die bei den Säugetieren immer ſtattfindet, zu einer möglichſt geſicherten machen, und ſchließlich werden die weiblichen Organe noch dadurch beeinflußt, daß der aus dem befruchteten Ei ſich entwickelnde Keimling (Embryo) vom mütterlichen Körper umſchloſſen bleibt und von ihm ſeine Nahrung erhält, bis er in recht vollkommenem Suſtand geboren wird. 24 Erftes Kapitel. Das durchſchnittlich nur 2—3 Sehntel Millimeter große Ei der Säugetiere entſteht im Eierftod (Ovarium), einem paarigen, in der Sendengegend gelegenen Organ, und wandert durch den Eileiter (Ovidukt) zu gewiſſen, regelmäßig wiederkehrenden Seiten in den Fruchthalter (Uterus). Findet keine Befruchtung ſtatt, ſo wird es einfach nach außen entfernt; iſt es befruchtet worden, was ſtets durch den Begattungsakt vermittelt wird, jo macht es im Fruchthalter ſeine Entwicklung durch. Bei den meiſten Säuge— tieren — nur die Beuteltiere und die Hloafentiere bilden eine Ausnahme — tritt das Ei dabei an feiner Oberfläche in enge Verbindung mit der Wand des Fruchthalters, wodurch der ſog. Mutterkuchen entſteht: mit ſeiner Hilfe vermag der Keimling durch die Mutter und mit ihr ſich zu ernähren, zu atmen und abzuſcheiden. Die Geburt ſelbſt geht dann auf die Weiſe vor ſich, daß mittels krampfartiger Suſammenziehungen des musku⸗ löſen Fruchthalters der reife Embryo durch die ſehr ausgeweiteten äußeren Geſchlechtsteile hervorgepreßt wird. Wie die Eier im Eierſtock, ſo entſteht der Same gleichfalls in drüſigen Gebilden, den beiden ſog. Hoden, die wie bei allen anderen Wirbeltieren ſo auch bei den Säugetieren urſprünglich in der Leibeshöhle, nahe den Nieren gelegen ſind. Seitlebens behalten die Hoden freilich nur bei einigen wenigen Säugern dieſe Cage bei, meiſt ſinken ſie aus der Bauchhöhle heraus nach unten; ſie finden dann entweder in der Leiſtengegend ihren Platz, um je nach der Jahreszeit oder auch willkürlich wieder in die Bauchhöhle zurücktreten zu können, oder aber ſie kommen ſtändig in einen von der äußeren Haut gebildeten Beutel, den Hoden: ſack (Scrotum) zu liegen. — Aus den Hoden gelangt der Same in den Samenleiter, miſcht ſich mit dem Ausſcheidungsprodukt beſonderer Drüſen (Vorſteherdrüſe u. a.) und wird dann durch die Begattung in das weibliche Tier geleitet, wobei das männ⸗ liche Begattungsorgan, die Rute (Penis), und beſonders ſein vorderes Ende, Eichel (Glans) genannt, durch blutſtauende Schwell- körper einen größeren Umfang und größere Feſtigkeit erhält; die letztere wird übrigens nicht ſelten durch beſondere „Rutenknochen“ noch erhöht. In der Ruhelage hängt der Penis entweder frei herab, oder er liegt in einer beſonderen Penistaſche bzw. einer Falte der Bauchhaut; ſeine Gffnung ſieht in der Regel nach vorn. Die Loslöſung des Sies vom Eierſtock beim Weibchen und die Bildung von Samen beim Männchen ſehen wir erſt dann Dom Bau und von der Tätigfeit des Säugetierförpers. 25 vor ſich gehen, wenn das Tier „geſchlechtsreif“, fortpflanzungs- fähig, geworden iſt, was allerdings nicht ſelten ſchon der Fall ift, bevor es feine definitive Größe erlangt hat. Die Ei- und Samenbildung findet aber nur ſelten das ganze Jahr hindurch ſtatt, meiſt iſt ſie auf eine kurze, alljährlich wiederkehrende Seit beſchränkt; in der Regel iſt hiermit ein erhöhter Blutzufluß zu den weiblichen Geſchlechtsorganen und ein Suſtand der Erregung verbunden, den man Brunſt (Brunft) nennt. Um die gleiche Seit wird auch das Männchen „brünſtig“, indem bei ihm Pro- duktion oder wenigſtens erhöhte Produktion von Samen im Hoden ſtatthat: dann wird vielfach erbittert um den Beſitz der Weibchen gekämpft, zumal bei den fog. polygamen Tieren, bei denen auf ein Männchen mehrere Weibchen entfallen. Die meiſten Säugetiere pflanzen ſich nur einmal im Jahr fort, ſie ſehen wir daher auch nur einmal jährlich in Brunſt geraten; der Seitpunkt, an welchem dies geſchieht, fällt bald in das Frühjahr, bald in den Herbſt oder Winter und er hängt zuſammen mit der „Tragzeit“, der Trächtigkeitsdauer, die von einigen Wochen bis zu einem Jahr währen kann; die „Satz“ oder „Wurfzeit“ dagegen fällt faſt immer in das Frühjahr, in diejenige Jahreszeit alſo, zu welcher den Tieren die Nahrung am reichlichſten zufließt und daher eine ausreichende Ernährung des ſäugenden Muttertieres am beſten geſichert erſcheint. IV. Allgemeine Betrachtung des lebenden Säuaetiers. Der Vörperbau des Säugetiers beweiſt, daß dieſes in der Hauptſache ein Landtier iſt und vermöge ſeiner ganzen Grganiſation am beiten zur Bewegung auf der feſten Erde ſich eignet; der Aufenthalt in der Luft oder im Waſſer bedingt denn auch, wie wir ſehen werden, ſtets eine weitgehende Umbildung, eben in Anpaſſung an dieſe beiden, dem Säuger urſprünglich nicht zugänglichen Medien. Als Landtier nimmt das Säugetier ſeine Nahrung vor allem vom feſten Erdboden her, wo ihm ja auch eine reiche Auswahl zur Verfügung ſteht. Einige Gruppen find ausge ſprochene Fleiſchfreſſer, andere nähren ſich von Pflanzen und pflanzlichen Stoffen, und wieder andere find „Allesfreſſer“ (omni— vor). Gerade aber die Verſchiedenheit der Nahrung bedingt 26 Erſtes Kapitel. auch eine verſchiedene Art und Weiſe, wie die Nahrung erworben wird, und dies wieder hat einen weitgehenden Einfluß auf die Entſtehung der verſchiedenen uns heut entgegentretenden Orga— niſationsformen des Säugetierkörpers. Am meiſten wohl ſind neben dem Verdauungsapparat der Schädel mit dem Gebiß und die Extremitäten durch die Verſchiedenartigkeit der Nahrung und des Nahrungserwerbes modifiziert worden. In welcher Weiſe bei den ausgeſprochenſten Pflanzenfreſſern, den Wiederkäuern, der Magen umgebildet iſt, werden wir unten kennen lernen; hier ſei nur erwähnt, daß die Länge des Darmkanals in Beziehung ſteht zur Art der Nahrung: pflanzliche Koſt ſtellt nicht nur an die mechaniſche, zerkleinernde und chemiſche, zerſetzende Tätigkeit des Darmes, ſondern auch an ſeine Fähigkeit, das gelöſte Nähr⸗ material aufzuſaugen (zu reſorbieren), viel größere Anſprüche als tieriſche Nahrung, und ſo ſehen wir denn auch, daß der Darm bei den Pflanzenfreſſern viel länger iſt als bei den Fleiſchfreſſern. Einige Beiſpiele mögen dies hier ſchon beweiſen: es verhält ſich z. B. die Länge des Darmes zu der des ganzen Körpers beim Schaf wie 28:1, beim Rind wie 20:1, bei der Katze da: gegen wie 4:1 und bei einzelnen inſektenfreſſenden Fledermäuſen gar wie 2:1. Daß die Art der Ernährung auch beſtimmend auf die Aus- bildung der Sähne einwirken muß, ift leicht einzuſehen, und wie wir ſchon wiſſen, iſt ja auch das Gebiß bei den einzelnen Säugetiergruppen ganz charakteriſtiſch gebaut; ein Suſammen⸗ hang zwiſchen der Nahrung und dem Bau der Gliedmaßen ſcheint aber auf den erſten Blick kaum vorhanden zu ſein. Dieſer Sufammenhang wird uns jedoch bald klar, wenn wir bedenken, daß manche Fleiſchfreſſer ihren Beutetieren auflauern und ſie in plötzlichem Angriff überwältigen, andere ſie heimlich beſchleichen oder fie im Laufe einholen, wieder andere ihnen kletternd, gra- bend, ſchwimmend folgen; die Pflanzenfreſſer andererſeits bedürfen größerer Futtermaſſen als die Fleiſchfreſſer, und jo find 3. B. die Huftiere ganz beſonders befähigt, mit feſten, andauernden Schritten große Gebiete abzuweiden. Der Bau der Gliedmaßen, das „Gebäude“, bedingt ſeiner— ſeits nun wieder die Gangart eines jeden Tieres. Bei einigen Säugern kann man nur eine einzige Art der Fortbewegung be— obachten, die freilich bezüglich der Schnelligkeit recht verſchieden ſein kann. Bei anderen unterſcheiden wir dagegen nach der Dom Bau und von der Tätigkeit des Säugetierförpers. 27 Schnelligkeit und der Art, wie die Beine geſetzt werden, drei Gangarten, den Schritt, den Trab und den Galopp. Bei den beiden erſtgenannten werden die Beine in der Diagonale be— wegt: wenn das Tier alſo das linke Vorderbein zuerſt hebt und vorwärts bewegt, jo folgt ihm zu gleicher Seit das rechte Hinter: bein; ſobald dieſes den Boden berührt, hebt ſich das rechte Dorderbein und mit ihm das linke Hinterbein. Eine Ausnahme hiervon macht nur der ſog. Paßgang, wie wir ihn gelegentlich bei Pferd und Hund beobachten können und der darin beſteht, daß die Beine der gleichen Seite gleichzeitig fortbewegt werden. Die dritte Gangart, der Galopp, äußert ſich darin, daß Ab— ſtoßen und Fortſchnellen des Körpers mit den Hinterbeinen und Unterſtützen, Auffangen mit den Vorderbeinen miteinander ab— wechſeln; dabei greifen die erſteren ſtets über die Stelle, an der die Vorderbeine aufſetzten, hinweg. Die verſchiedene Ausbildung der Extremitäten zeigt ſich auch in der verſchiedenartigen Geſtaltung ihrer unteren, den Boden berührenden Teile, und dieſe Unterſchiede gehen ſo weit, daß man die meiſten Tiere allein ſchon an den „Tritten“, die ſie im Schnee oder im lockeren Erdreich zurücklaſſen, erkennen kann. Man pflegt die fortlaufende Reihe dieſer Tritte als „Spur“ oder „Fährte“ zu bezeichnen, und ihre Kenntnis iſt nicht nur für den Weidmann von großer Bedeutung, ſie offenbaren auch jedem Naturfreund in Feld und Wald zahlreiche Geheimniſſe der Tier— welt, ſofern er nur den Blick für dieſe verborgenen Seichen geſchärft hat! Mit der Nahrung, oder vielmehr mit dem Mangel an ſolcher, hängt ſchließlich noch eine ganz eigenartige Erſcheinung zuſammen, der Winterſchlaf. Manche unſerer Säugetiere wer— den durch die Kälte und vornehmlich dadurch, daß der Winter ihnen die Nahrung vorenthält, gezwungen, einen kürzeren oder längeren Teil der ungünſtigen Jahreszeit zu „verſchlafen“. Doch es beſtehen ganz weſentliche Unterſchiede zwiſchen einem jchla- fenden und einem Winterſchlaf haltenden Tier: bei dem erſteren iſt nur die Tätigkeit des Gehirns auffallend herabgeſetzt, denn dieſes Organ bedarf immer wieder der Ruhe zu ſeiner Erholung; alle übrigen Lebensäußerungen, vor allem Atmung und Kreis- lauf, währen ununterbrochen fort. Das winterfchlafende Tier dagegen ruht nicht aus, es hilft ſich nur gleichſam in höchſter Sparjamfeit über eine Seit der Not hinweg, und deshalb find 28 Sweites Kapitel. bei ihm auch alle Lebensäußerungen auf ein Mindeſtmaß herab» geſetzt: Atmung und Herzichlag gehen nur langſam und die Körpertemperatur ſinkt beträchtlich. Manche Winterſchläfer tragen ſich übrigens während der guten Jahreszeit Vorräte ein, von denen ſie beim Erwachen an milden Tagen ſich nähren; alle aber zehren während des Winters gewiſſermaßen vom eigenen Fett. Gelegentlich finden wir dieſes in beſonders reichlicher Menge auf dem Rücken angehäuft in einem Gebilde, das früher als Winterſchlafdrüſe bezeichnet wurde, dem aber jeder drüſige Bau abgeht und das nichts anderes vorſtellt als ein Fettreſervoir. Zweites Kapitel. Die Fledermäuſe (Chiroptera). Noch ehe an ſchönen Sommertagen die Sonne vollkommen untergegangen iſt, beginnt eine der merkwürdigſten Säugetier⸗ ordnungen ihr eigentümliches Treiben: die Fledermäuſe rüſten ſich zu ihrem nächtlichen Werk. Mit raſchem, unhörbaren Flügel⸗ ſchlag ſehen wir ſie umherflattern, die gleich ihnen nächtlich fliegenden Inſekten verfolgend, und je mehr die Nacht herein⸗ ſinkt, um ſo größer wird die Menge dieſer dunklen, ſchnellen Tiere. Trotzdem können wir in Deutſchland nur eine geringe Sahl von Arten, und zwar ausſchließlich die kleineren von ihnen kennen lernen: die Unterordnung der Fruchtfreſſer oder Groß— fledermäuſe (Frugivora, Macrochiroptera) iſt durchweg auf die tropiſchen und ſubtropiſchen Gebiete unſerer Erde beſchränkt, und ſelbſt die inſektenfreſſenden Kleinfledermäuſe Microchiroptera), zu denen alle unſeren einheimiſchen Formen gehören, ſind in den Tropen bei weitem artenreicher als bei uns. Die Fledermäuſe ſind vorzugsweiſe durch ihre äußere Körpergeſtalt ausgezeichnet, und dieſe ſteht wieder in engſtem Suſammenhang mit der enormen Entwicklung der Haut. Swiſchen den ſtark verlängerten Mittelhandknochen und Fingern iſt eine Flughaut ausgeſpannt (Figur 7), die ſich an den Seiten des Rumpfes entlang nach hinten fortſetzt bis zur Fußwurzel und zum Schwanz, während fie nach vorn auch zwiſchen Gber⸗ und Unterarm ſich erſtreckt. Dieſe Flughaut (Patagium) iſt das eigen⸗ Die Fledermäuſe (Chiroptera). 29 tümlichſte Merkmal der Fledermäuſe, fie befähigt die Tiere zum Flug und läßt an der Vorderextremität nur den mit ſcharfer Kralle bewehrten Dau- men frei, während die übrigen Finger an ihren Enden knorpelig bleiben und der Krallen entbehren. An den Hinterbeinen find da⸗ gegen weder der Müt- telfuß noch auch die fünf bekrallten Sehen in die Flughaut einge⸗ ſchloſſen, und um dieſer letzteren auch hier einen feſten Anhalt zu geben, entſpringt von der Ferſe ein knöcherner Sporn, der gelegentlich einen kleinen (ſyſtematiſch wichtigen) „Spornhaut⸗ Figur 7. Hörperumriß der Fledermaus. Od Ohrdeckel, Spl Spornbeinlappen. lappen“ (Spl.), trägt und den freien Rand der Schwanzflughaut ( Uropatagium) ſtützt; der Schwanz ſelbſt iſt bei einigen Arten ganz in die Flughaut einbezogen, bei anderen ragt ſeine Spitze frei hervor. Die ganze Flughaut iſt nun ſehr elaſtiſch und leicht zuſammenfaltbar, aber größtenteils nackt oder doch nur dünnbehaart, und zwar finden wir auf ihr vorwiegend die ſog. Schnurrhaare, die ſonſt bei den Säugetieren nur auf den Lippen ſtehen. Im übrigen iſt der Körper von einem dichten und weichen, düſter gefärbten Pelz bedeckt, deſſen Haare — ein Unterſchied zwiſchen „Grannen“ und „Wolle“ iſt nicht zu machen — an der Wurzel ſchmal und riſſig, weiter der Spitze Figur 8. zu deutliche ſchraubenartige Umgänge (Figur 8) zeigen: Haar einer die Rindenſchicht beſteht nämlich bald aus einzelnen Sleder- ſich dachziegelförmig deckenden Schüppchen, bald aus maus. tütenartig ineinander ſteckenden feingezähnelten Hülſen. Infolgedeſſen haften die Haare feſter zuſammen, ſo daß die einzelnen Körperteile nicht fo leicht beim Fliegen durch den Luftzug ent⸗ blößt werden können. 30 Sweites Kapitel. Wie die Haut, jo ſteht auch Skelett und Muskulatur ganz unter dem Einfluß der Flugfähigkeit: das KAnochengerüſt enthält zwar nicht, wie bei den Vögeln, beſondere luftgefüllte Räume, iſt aber leicht, zierlich und zugleich kräftig gebaut; der Schädel bildet mit der Halswirbelſäule einen rechten Winkel, der Oberarm iſt nicht nur durch ein Schulterblatt, ſondern auch durch ein kräftiges Schlüſſelbein mit dem Rumpfſkelett verbunden. Die Flugbewegung geſchieht in der Hauptjache nur im Schultergelenk, während der „Flügel“ im übrigen ſteif gehalten wird; dement— ſprechend werden auch die Bruſtmuskeln am meiſten in Anſpruch genommen, wie das ja auch bei den Vögeln der Fall iſt, und wie bei dieſen, ſo hat aus dem gleichen Grunde auch bei den Fledermäuſen das Bruſtbein einen mittleren Kiel, wodurch die Anſatzfläche der Bruſtmuskeln eine Vergrößerung erfährt. Trotz aller dieſer Einrichtungen erreichen unſere Tiere frei— lich doch nicht die Flugfähigkeit der Vögel: ihr Flug iſt ein immer wiederholtes Schlagen auf die Luft. Der Vogel kann ohne Flügelſchlag dahinſchweben, die Fledermaus nur flattern, wobei ihr die Schwanzflughaut als Steuer dient. Und doch kann ſich der aufmerkſame Naturfreund überzeugen, daß es auch unter unſeren heimiſchen Arten manche raſche und gewandte Slatterer gibt! Der Charakter der Flugbewegung iſt nämlich durch die Geſtalt der Flughäute genau bedingt: die Arten mit langen, ſchmalen Flügeln, die ſog. „Schmalflügler“, ähneln faſt den Schwalben im Fluge, die „Breitflügler“ mit ihren kurzen und breiten Flügeln erinnern an die unbeholfene Bewegung fliegender Hühner. Die Geſtalt des Flügels läßt ſich übrigens durch das Cängenverhältnis zwiſchen dem dritten und dem fünften Finger ausdrücken: der erſtere erlangt bei den Schmalflüglern faſt das Anderthalb bis Sweifache des fünften, während er bei den Breitflüglern dieſen an Länge kaum übertrifft. Der nächtlichen Kerfjagd gilt, wie ſchon gejagt, der Flug unſerer Fledermäuſe, und da muß es auffallen, daß das Auge nur klein iſt; auch der Geruchsſinn iſt erwieſenermaßen nur wenig ausgebildet, und wir fragen uns erſtaunt, wie unſere Tiere ihre Beute erkennen könnend Ein anderer Sinn, das Gefühl, iſt aber hier ganz hervorragend entwickelt, indem er nicht nur bei direkter Berührung wirkt, ſondern in die Ferne! Schon der be— rühmte italieniſche Phyſiologe des 18. Jahrhunderts Spallanzani ſtellte Derfuche mit geblendeten Fledermäuſen an und fah, wie Die Fledermäuſe (Chiroptera). 31 fie, ohne anzuſtoßen, in einem Raum mit kreuz und quer ge- ſpannten Fäden geſchickt umherflogen. Dieſes feine Gefühl hat nun ſeinen Sitz nicht nur in den Sinnes- haaren der Flughaut und in der Umgebung der Naſenlöcher, wo wir gelegentlich verwickelt gebaute häutige Naſenaufſätze finden (Figur 9), ſondern auch in dem gut ausgebildeten äußeren Ohr. Dieſe Ohr— muſchel ſtellt überhaupt ein ganz eigentümliches Ge— bilde dar (Figur 10): ſtets von beträchtlicher Größe, f f N 5 s Figur 9. bleibt fie in einigen Fällen an Länge kaum hinter Renger der Länge des ganzen Körpers zurück, in anderen Naſenaufſatz wieder wird ſie ſo breit, daß rechte und linke auf dem der „Auf: Scheitel verwachfen; auch der Ohrdeckel (Tragus), Ar bei anderen Säugetieren nur ein niederer Hautrand, wird meiſt zu einer großen, aufrechtſtehenden und unbeweglichen Falte (Figur 7 Od.). Figur 10. Ohrformen verſchiedener Fledermäuſe und zwar von: a) Vesperugo noctula (große Speckmaus), b) V. pipistrellus (gemeine Swergfledermaus), c) V. serotinus (ſpätfliegende Fledermaus), d) Vespertilio murinus (gemeine Fledermaus), e) V. bechsteini (großohrige Fledermaus). Dabei iſt aber die Ohrmuſchel ihrer eigentlichen Aufgabe als jchall- auffangendes und zuleitendes Organ keineswegs entfremdet: in der Ruhe faltig zuſammengezogen und dem Kopf angelegt, wird ſie von dem feinhörigen Tier beim Aufhorchen und beim Fluge „geſpitzt“; der zum Aufrichten dienende Muskel verläuft am inneren Rande, während die feinen knorpeligen Querfalten, die wir auf der Innenfläche hervortreten ſehen durch zahlreiche Muskelzüge einander genähert werden können und ſo die Muſchel zuſammenfalten. Im Fluge erbeuten, wie wir ſchon wiſſen, die Fledermäuſe ihre Nahrung, die ausſchließlich aus Kerftieren beſteht, und zwar in der Hauptſache aus Nachtſchmetterlingen, Käfern, Fliegen und Mücken; mit der Art der Ernährung harmoniert nun das Gebiß: wir finden nämlich alle drei Sahnarten, und namentlich 32 Sweites Kapitel. die Backzähne enden mit Spitzen und Höckern, die ſcharf und ſchneidend auch den härteſten Inſektenpanzer durchdringen und 8 zermalmen. Die Sahl der Sähne ſchwankt zwiſchen N =, und 4 35 — 58, und fie bildet für die Unterſcheidung der einzelnen Arten ein zwar etwas ſubtiles, aber ſicheres Merkmal. Das Milchgebiß, das ſchon bei der Geburt vorhanden iſt, be— ſteht aus kleinen, nach innen, zungenwärts, gekrümmten Stiften mit ein oder mehreren ſcharfen Spitzen, mit denen der Säugling ſich an der Sitze der herumfliegenden Mutter feſthält. (Lebensweiſe.) Bei der Nahrungsſuche durchſtreift die Fledermaus nur ein kleines Gebiet, das ſie aber planmäßig ab⸗ ſucht; hierbei hat jede Art ihre eigentümlichen Jadgebiete: in Wäldern und Gärten, Alleen und Straßen, über ſtehenden und fließenden Waſſerflächen. Sehr gut wiſſen die Tiere ſich dabei der zu erwartenden Nahrungsmenge anzupaſſen, indem fie abends um fo früher hervorkommen, je ärmer die Jahreszeit an Kerfen zu ſein pflegt. Freilich iſt ſowohl der tägliche wie der jährliche Fluganfang je nach der Art verſchieden, und wie im Bau der Flugorgane, ſo ſtehen ſich auch hier die Breitflügler und die Schmalflügler gegenüber: die erſteren ſind durchweg zarte Tiere, empfindlich gegen jeden Luftzug und beſonders gegen Regen und Kälte; erſt ziemlich ſpät im Frühjahr können wir ſie daher im Freien beobachten und fchon zeitig im Herbſt find fie ver— ſchwunden; auch ihre Scheu vor dem Tageslicht iſt ſo groß, daß fie immer erſt einige Seit nach feinem Verſchwinden her- vorkommen. Ganz anders die Schmalflügler: kräftig und weniger empfindlich wie gegen das Sonnenlicht, ſo auch gegen die Un— bilden der Witterung, erſcheinen ſie nicht nur frühzeitig des Abends, ſondern auch früh im Jahr und ſind im Spätherbſt noch jagend anzutreffen, wenn die Breitflügler ſchon längſt ihre Winterquartiere bezogen haben. Im Sommer halten ſich alle Fledermäuſe, ſowohl die breit- wie die ſchmalgeflügelten, tagsüber an geſchützten Orten ver— borgen; in der Auswahl derartiger Schlupfwinkel ſind ſie nicht beſonders wähleriſch, nur müſſen dieſe ſtets trocken, warm und ſicher ſein. Man kann zuweilen ein- und dieſelbe Art ſowohl in Kellern und Höhlen, wie in Baumlöchern und unter Dächern finden; zu vorübergehendem Ausruhen bei ihren Jagdſtreifereien Die Fledermäuſe (Chiroptera). 33 hängen fie ſich wohl auch frei an Baumäſten auf. Die Ruhe lage iſt bei allen die gleiche: fie klammern ſich mit den Hinter: beinen feſt und laſſen den Körper frei herabhängen. Das hat den Vorteil, daß fie um aufzufliegen, nur nötig haben, ſich fallen zu laſſen und die Flughaut auszubreiten. Viele Arten wählen zu ihren täglichen Aufenthaltsorten ganz beſtimmte Plätze aus, die ſie nur wechſeln, wenn ſie aufgeſtört werden; manche leben dabei in großen Geſellſchaften von einigen Hundert bei einander, und da ſie an dieſen täglichen Ruheſtätten auch kurz vor dem Aufbruch zur Jagd ihren Kot entleeren, fo ſammelt ſich dieſer oft ſo maſſenhaft an, daß er gelegentlich ſogar als Dünger ver— wandt wird; andere wieder ſind unverträglich und lieben es, während der Tagesruhe allein und ungeſtört zu bleiben. Naht der Winter, und nimmt dann die Sahl der Inſekten in Feld und Wald ab, alsdann ſind unſere Tiere gezwungen, dem bald fühlbar werdenden Mangel an Nahrung ſich anzu— paſſen. Den Sugvögeln gleich ihre Heimat zu verlaſſen und, weite Gebiete überfliegend, in ſüdlicheren Gegenden zu über— wintern, das verbietet den Fledermäuſen ſchon ihre geringere Flugfähigkeit; es erſcheint freilich nicht unwahrſcheinlich, daß von unſeren Handflatterern weit mehr als wir annehmen, wandern, und wenn die Beobachtungen hierüber nicht ſo ſchwierig wären und öfter angeſtellt würden, ſo läge wohl bald eine größere Anzahl von Beiſpielen hierfür vor, als dies bisher der Fall iſt. Doch wiſſen wir, daß einige unſerer deutſchen Arten im Berbſte aus dem Gebirge ins Tal ziehen, um im Frühjahr zurückzukehren, andere (3. B. die „nordiſche Fledermaus“ Vesperugo nilssoni und die Teichfledermaus Vespertilio dasycneme) findet man im Sommer in Gegenden, in denen man ſie winters auch in den verſteckteſten Schlupfwinkeln vergebens ſucht. — Aber der Mangel an Nahrung und die Scheu vor der Kälte bedingen es, daß unſere Fledermäuſe mit dem Eintritt der kalten Jahreszeit in einen monatelang währenden Winterſchlaf verfallen. Die Grte, die hierfür ausgewählt werden, müſſen immer möglichſt geſchützt liegen vor den Einflüſſen der Witterung; ſie ſtimmen oft mit den ſommerlichen, tagsüber aufgeſuchten Schlupfwinkeln überein, doch iſt dies keineswegs bei allen Arten der Fall: weitaus die meiſten be- wohnen im Winter Höhlen und unterirdiſche Räume, auch diejenigen, die (wie z. B. die „Wimperfledermäuſe“) während des Sommers in Bäumen raſten. Die nicht allzu empfindlichen Vertreter unſerer > N . 2 . 2 Hennings, Die Säugetiere Deutſchlands. 3 34 Zweites Kapitel. Ordnung unterbrechen übrigens den Winterſchlaf bisweilen, von Zeit zu Seit erwachend und ihre Winterquartiere nach den ſpärlich dort noch ſich findenden Inſekten abſuchend; bei gelindem Wetter kommen einige ſogar heraus ins Freie und flattern einige Seit umher, die Mehrzahl aber ſchläft ununterbrochen. Indem ſich die Fledermaus durch den Winterſchlaf über die Seit des Nahrungsmangels hinweghilft, find alle ihre Or— gane in ihrer Tätigkeit merklich herabgeſetzt; die Sahl der Atem— züge ſinkt, der Blutkreislauf iſt verlangſamt, ſo daß ſich nur etwa 28 Herzſchläge in der Minute zählen laſſen, und die Eigen: wärme iſt erheblich vermindert: im Sommer 52-56 C. be— tragend, geht fie während des Winterſchlafes auf 18—14, ja bis auf 12° herab, ſteigt und fällt aber mit der Außentemperatur. Natürlich darf die Blutwärme nicht auf den Gefrierpunkt ſinken, da dies den Tod des Tieres zur Folge hätte! Doch ſcheint es, daß die Fledermaus durch zu ſtarke Kälte aus ihrem Schlafe erweckt wird, und wenn man auch nicht gerade ſelten tote Exemplare in den Winterquartieren findet, ſo dürfte der Tod nicht ſo ſehr durch Erfrieren wie durch Vertrocknen herbei— geführt ſein: Nieren und Haut ſetzen ja auch während des Winterſchlafes ihre ausſcheidende Tätigkeit, wenngleich in ge— ringerem Maße als beim wachen Tiere, fort, und deshalb wer— den auch ſtaubtrockene Orte ebenſo vermieden wie zu feuchte. — Auch das während des Sommers reichlich und vornehmlich in der „Winterſchlafdrüſe“ aufgeſpeicherte Fett wird im Winter vollkommen aufgezehrt, und im Frühjahr, wenn die Tiere hervor— kommen, haben fie deshalb ſtets etwa ½ — / ihres Körper: gewichts verloren. Bald nach Beendigung des Winterſchlafs findet auch die Vermehrung ſtatt, indem das Weibchen Ende Mai, Anfang Juni ein oder höchſtens zwei Junge zur Welt bringt; dabei hängt es ſich am Daumen der Vorderbeine auf und bildet mit der Schwanzflughaut eine Taſche, in die das Neugeborene hinein- fällt. Dieſes ſelbſt hat zwar noch verſchloſſene Augen, d. h. verklebte Augenlider, iſt aber im übrigen recht vollkommen ent- wickelt und auch ſofort imſtande, ſich am Pelz der Mutter feſt— zuhalten und bis zu den meiſt nach den Achſelhöhlen hin ver— ſchobenen Sitzen emporzuarbeiten. Hier ſaugt es ſich mit den hakigen Sähnchen ſeines Milchgebiſſes feſt und läßt ſich auch während des mütterlichen Fluges herumtragen, bis es, etwa im Die Fledermäuſe (Chiroptera). 35 Auguſt, erwachſen iſt. Sortpflanzungsfähig wird es im Alter von 15 Monaten. Ganz eigenartig ſind nun die Geſchehniſſe, die der Geburt voraufgehen: die Begattung geht nämlich ſchon im Herbſt vor ſich, wobei Männchen und Weibchen ſich gegenfeitig mit den Vordergliedmaßen umklammern und Bauch an Bauch gedrückt ſich teilweiſe in die Flughaut wickeln. Durch die Begattung wird der Fruchthalter des Weibchens mit Samen angefüllt, der nun ſofort gerinnt, aber ſich bis zum Frühjahr lebend erhält: erſt wenn im März, April das Weib— chen aus dem Winterſchlaf erwacht, löſt ſich in ſeinem Eierſtock ein Ei ab, das nun befruchtet wird und binnen wenigen Wochen ſich entwickelt. Während der Trächtigkeit halten ſich die Weib— chen von den Männchen abgeſondert in großen Kolonien bei— einander, ſo daß man im Frühjahr die Geſchlechter ſtets getrennt antrifft; erſt nach der Geburt finden ſie ſich wieder zuſammen. Fragen wir uns nun nach der wirtſchaftlichen Be— deutung der Fledermäuſe, ſo müſſen wir leider ſehen, daß wohl infolge ihres Aufenthalts im Dunklen und des mausartigen Körpers, infolge der wunderlich geſtalteten Flughände und des unhörbaren „unheimlichen“ Fluges nicht nur früher, ſondern gelegentlich auch heute noch manch einer Haß und Abfcheu empfindet gegen dieſe Tiere, die im Gegenteil in unſerem eigenen Intereſſe nicht genug geſchont und gehegt werden können. Daß fie den Menſchen in irgendeiner Weiſe ſchädigen ſollten, das kann man keiner einzigen unſerer heimiſchen Arten nachſagen, iſt doch ſelbſt bei den großen amerikaniſchen Formen, den ſog. Vampiren, das Streben, Menſch und Tier anzufallen und ihr Blut zu ſaugen, in früherer Seit arg übertrieben worden! Von unſeren deutſchen Fledermäuſen kommen als Blutſauger nur die beiden „Nufeiſennaſen“ in Betracht, aber auch fie gehen niemals an den Menſchen, ſondern nur an ihresgleichen oder höchſtens an Geflügel und kleines Wild, wie Eichhörnchen, Kaninchen u. dgl., und ſelbſt bei ihnen bilden doch Inſekten ſtets die Hauptnahrung. Ebenſo unrichtig iſt auch die oft gehörte Be— hauptung, daß die Fledermäuſe in Vorratskammern naſchen: keine von ihnen frißt Speck oder dergleichen — das tun die Mäuſe und Ratten! — und wenn wir fie einmal im Rauchfang zwiſchen den Räucherwaren finden, jo haben fie ſich hierher nur der Wärme wegen zurückgezogen. Ihre Nahrung beſteht ja, wie wir ſahen, ausſchließlich aus Kerftieren, und hierauf beruht 3 * 36 Sweites Kapitel. auch der außerordentliche Nutzen, den fie uns bringen: ſind es doch hauptſächlich Käfer und Nachtſchmetterlinge, Eulen und Spinner, die ſie vertilgen und meiſt bilden ſie neben einigen wenigen Vögeln die einzige Kraft im Haushalt der Natur, die uns Menſchen im Kampf gegen jene land- und forſtwirtſchaft— lich ſo überaus ſchädlichen Inſekten unterſtützen! Wie groß aber das Nahrungsbedürfnis der Fledermaus iſt, davon kann man ſich ungefähr eine Vorſtellung machen, wenn man ſieht, daß ein Dutzend Maikäfer oder Hundert Fliegen, während einer einzigen Mahlzeit genoſſen, ihren Hunger nicht ſtillen kann. So iſt denn der Vorteil, den wir von der Gegenwart der unſcheinbaren Tiere haben, nicht hoch genug anzuſchlagen, und wir dürfen kein Mittel unverſucht laſſen, ſie in möglichſt großer Sahl uns zu erhalten. Dazu gehört vor allem, daß wir ſie nicht verfolgen, ſondern wo wir ſie treffen, ſchonen und auch ihre Sufluchtsſtätten niemals mutwillig vernichten. Falls aber eine Serſtörung ihrer Schlupfwinkel unbedingt nötig wird, wenn 3. B. alte hohle Bäume gefällt oder verfallende Gebäude ein- geriſſen werden müſſen, dann wollen wir wenigſtens den ver: jagten die Möglichkeit gewähren, ungeſtört ſich andere Stätten aufzuſuchen. Iſt doch ohnehin ſchon die Sahl ihrer Feinde, wie Schleiereulen, Iltiſſe, Marder u. dgl., keine geringe! Bei der ziemlich einheitlichen Lebensweiſe unſerer Fleder— mäuſe und ihrer gleichmäßigen Nützlichkeit ſollen im folgenden nur unſere häufigeren Arten etwas näher charakteriſiert werden. Funächſt aber möge eine kurze Überſicht über alle unſere einheimiſchen Vertreter hier Platz finden: “ Naſe mit Hufeiſen-Aufſatz; Ohr ohne Ghrdeckel; Gebiß 5 A = 32. Gtg. Hufeiſennaſe Rhinolophus. 2“ Flughaut bis über die Ferſe angewachſen; Spannweite 55 —40 cm; Körperlänge bis 10 cm, davon 4 cm auf den Schwanz (felten). 1. Große Bufeifennafe Rhinolophus ferrum equinum Schreb. 2, Flughaut nicht bis zur Ferſe angewachſen; Spannweite 23—25 cm; Körperlänge 7 em, davon 3 em auf den Schwanz. 2. Kleine Hufeiſennaſe Rhinolophus hipposideros Bechst. = hippocrepis Herm. 1, Naſe ohne Hufeiſen-Aufſatz; Ohr mit Ohrdeckel; 32—38 Sähne, davon Schneide- und Eckzähne ſtets . Die Fledermäuſe (Chiroptera). 37 2“ Schmalflügler, mit Spornhautlappen (kräftig und widerftandsfähig). 5“ Ohren breit, von Kopflänge, auf der Scheitelmitte miteinander verwachſend; Backzähne 55 Spannw. 27 cm, Körperlänge 9 cm, davon fait 5cm auf den Schwanz. 3. Breitohrige oder Mops fledermaus Synotus barbastellus Schreb. 5, Ohren nicht auf dem Scheitel miteinander verwachſen; Back— zähne . Gtg. Abendflatterer Vesperugo (ſ. u.). 2 Breitflügler, ohne Spornhautlappen (zart und empfindlich). 5“ Ohren faſt von Körperlänge, auf der Scheitelmitte miteinander verwachſend; Backzähne 55 Spannw. 25 cm, Körperlänge 8—9 cm, davon die Hälfte auf den Schwanz. 4. Großohrfledermaus Plecotus auritus L. 3, Ohren nicht auf der Scheitelmitte verwachſen; Backzähne 2. Gtg. Nachtflatterer Vespertilio (ſ. u.). 1 — Die Arten der Gattung „Abendflatterer“ Vesperugo laſſen ſich folgendermaßen unterſcheiden: “ Schwanz ragt nicht einmal um die halbe Daumenslänge aus der Flughaut; Backzähne = (Untergtg. Vesperugo). 2“ Ghrdeckel über der Mitte am breiteſten (Figur 10a) („Wald— fledermäufe“ ]. 5“ Das einzelne Haar des Pelzes einfarbig; Körperlänge 11—13 cm, davon 4—5cm auf den Schwanz; Spannw. 55—45 cm (größte deutſche und eine der häufigſten Arten). 5. Große Speckmaus oder frühfliegende Fleder— maus Vesperugo noctula Schreb. 3, Das einzelne Haar des Pelzes dunkel mit heller Spitze; Flug— haut an der Unterſeite längs der Arme dicht behaart; Körper- länge faſt 10 em, davon etwa 4 cm auf den Schwanz. Spannw. 28 em (ſeltener). 6. Rauharmige Fl. Vesperugo Leisleri Kuhl. 2, Ohrdeckel unter der Mitte am breiteſten (Figur fob) [„Swerg— fledermäuſe “]. 5“ Schwanzflughaut kaum behaart; Spannw. 16—2 1 cm; Körper: länge ? em, davon faſt die Hälfte auf den Schwanz (kleinſte europäiſche Art). ?. Gemeine Swergfledermaus Vesperugo pipistrellus Schreb. U 38 Zweites Kapitel. 3, Schwanzflughaut auf der Rückenſeite bis zur Mitte und längs der Schienbeine ziemlich dicht behaart; Körperlänge 8—9 cm, davon faſt à em auf den Schwanz; Spannw. 23 cm. 8. Rauhhäutige Swergfledermaus Vesperugo abramus Tem. — Nathusii Keys.-Bl. 1, Schwanz ragt um Daumenslänge aus der Flughaut hervor, Bad: zähne 5 (Untergtg. Vesperus). 2“ Ohrdedel lang, unten breit, nach oben ſchlank verſchmälert und ſpitz zulaufend (Figur 100); Körperlänge 12cm, davon etwa die N Hälfte auf den Schwanz; Spannw. 35 cm. 5 ae 9. Spätfliegende Fl. Vesperugo serotinus Schreb. 2, Ohrdeckel kurz, oben breit abgerundet; Haar zweifarbig mit 8 dunkler Baſis und heller Spitze („Bergfledermäuſe !“). 3“ Die braungelben Haarſpitzen geben einen leicht goldigen Reif auf dunklem Grund; Spannw. 25 em; Körperlänge etwa 9 em, davon à em auf den Schwanz (ſelten, weit wandernd). 10. Nordiſche Fledermaus Vesperugo nilssoni Keys.-Bl. (= borealis Nils.) 3, Die weißlichen Haarſpitzen geben dem Pelz einen weißlichen Se N Reif; Spannw. 50 —55 cm, Körperlänge 10-1 cm, davon die 37 Hälfte auf den Schwanz. r / 11. Sweifarbige Fledermaus Vesperugo discolor Natt. Die Arten der Gattung „Nachtflatterer“ Vespertilio zeigen folgende Unterſcheidungsmerkmale: “ Schwanz von der Flughaut bis auf die letzte Spitze eingeſchloſſen; Schwanzflughaut am Hinterrand dicht bewimpert; Ohr mit 5—6 Querfalten („Wimperfledermäuſe“ [feltenere Arten)). 2“ Rand der Schwanzflughaut zwiſchen Sporn und Schwanz mit ſtarren, etwas gekrümmten Wimperhaaren dicht beſetzt; Spannw. 25 cm, Körperlänge faſt 9 cm, davon etwa die Hälfte auf den Schwanz. 12. Gefranſte Fledermaus Vespertilio nattereri Kuhl. 2, Rand der Schwanzflughaut zwiſchen Sporn und Schwanz mit wei— chen, geraden Härchen beſetzt; Spannw. 22 em, Körperlänge faſt 8 em, davon etwa die Hälfte auf den Schwanz. 15. Gewimperte Fledermaus Vespertilio era Blas. 1, Die Schwanzſpitze ſteht frei aus der Flughaut hervor; der Binter— rand der Schwanzflughaut iſt kahl. 2“ Ohr mit 8—10 Querfalten; länger als der Kopf („Großohr— fledermäuſe “). 5“ Ohrdeckel gerade, allmählich nach der Spitze zu ſich ver— ſchmälernd (Figur 10d); Spannw. 38 cm; Körperlänge über 12 cm, davon faft die Hälfte auf den Schwanz. 14. Gemeine Fledermaus Vespertilio murinus Schreb. - myotis Bechst. Die Fledermäuſe (Chiroptera). 39 3, Ohrdeckel in der Endhälfte ſichelförmig nach außen gebogen (Figur oe); Spannw. 27 cm; Körperlänge über 9 em, davon etwa 4 em auf den Schwanz (feltener). 15. Großohrige Fl. Vespertilio bechsteini Leisl. 2, Ohr mit 4 Querfalten, kürzer als der Kopf („Waſſerfledermäuſe“). 3“ Das 2. und 3. Glied am 3. Finger gleichlang; Spannw. 22 cm; Körperlänge 8 cm, davon faſt die Hälfte auf den Schwanz (ſeltenere Art). 16. Bartfledermaus Vespertilio mystacinus Leisl. 3, Das 2. Glied des 3. Fingers länger als das 5. 4“ Die Flughaut bis ungefähr zur Mitte der Fußſohle an— gewachſen, ſo daß nur deren vordere Hälfte frei hervorſteht; Spannw. 24 cm, Körperlänge 9 cm, davon 4 cm auf den Schwanz. 17. Gemeine Waſſerfledermaus Vespertilio daubentoni Leisl. 4, Die Flughaut nur bis zur Ferſe angewachſen, fo daß der ganze Fuß frei vorſteht; Spannw. 28 —50 cm; Körperlänge Il cm, davon 5 em auf den Schwanz. 19. Teichfledermaus Vespertilio dasycneme Boie. J. Die große und die kleine Rufeiſennaſe, Rhino- lophus ferrum-equinum und Rh. hipposideros (hippo- crepis) verdanken ihren deutſchen wie ihren wiſſenſchaftlichen Namen den ganz eigentümlichen Naſenaufſätzen, an denen ſie ſofort kenntlich find (Figur 9). Auch in ihrer Leben⸗weiſe ſtimmen beide überein: gern halten ſie ſich in warmen Höhlen und Kellern, in verlaſſenen Gebäuden und Ruinen auf und als Nahrung ziehen ſie ſolche Inſekten vor, die keine harten Körperringe und Flügeldecken beſitzen; fie nähren ſich daher hauptſächlich von Nachtſchmetter⸗ lingen und Fliegen. Daneben ſind ſie freilich auch die einzigen deutſchen Fledermäuſe, die gelegentlich Blut ſaugen: nie aber wagen ſie ſich an größere Tiere oder gar an den Menſchen, auch handelt es ſich dabei weder um tiefgreifende Verletzungen noch um lebengefährdende Blutentziehungen, was ja bei der Klein- heit dieſer Tierchen ganz ausgeſchloſſen iſt, ſondern um ganz harmloſe Hautriſſe, und wir dürfen darin keineswegs einen Grund ſehen, dieſen ſonſt fo nützlichen Geſchöpfen nachzuftellen. — Die größere, im männlichen Geſchlecht mehr grau, im weib— lichen mehr rotbraun gefärbte Art iſt gegen die Witterung empfindlicher als die kleinere, in beiden Geſchlechtern grau ge— färbte; ſie geht daher auch nicht ſo weit nach Norden wie dieſe, 40 Sweites Kapitel. und kaum über Thüringen hinaus. Die häufigere kleine Huf: eiſennaſe iſt in Deutſchland weit verbreitet, bis zur Nord⸗ und Oſtſee hin, und ſteigt in den Alpen bis zu einer Höhe von 2000 m empor. 2. Die Mopsfledermaus, Synotus barbastellus, mit braunem Pelz und ſchwarzen Flughäuten, hat ihren Namen von der kurzen Schnauze und dem eingeſenkten Naſenrücken. Sie lebt nicht gern geſellig und iſt daher auch nie in größeren Scharen anzutreffen. Doch kommt ſie in ganz Deutſchland vor, wenn ſie auch vorzugsweiſe waldige und bergige Gegenden liebt. Wenn kaum die Dämmerung herniederſinkt, ſieht man ſie an Waldrändern und in Baumgärten, wohl auch zwiſchen den Dorfhäuſern gewandt und ſchnell in einer Höhe von etwa IO m umherfliegen, wobei manch ſchädlicher Falter ihr zur Beute wird. Wenig empfindlich gegen Kälte, Sturm und Regen, ſteigt fie in den Alpen bis zur Höhe des Gotthard, und hält auch nur einen kurzen Winterſchlaf, am liebſten in Gewölben, Kellern, Fels— höhlen u. dal. Bier hängt ſich das Männchen meiſt ganz frei an der Decke auf, während das Weibchen gern in Ritzen und Löchern der Wände ſich verkriecht. 5. Die graubraune Ohrenfledermaus, Plecotus auri— tus iſt ſtets an ihren auffallend großen, an Länge faſt dem Körper gleichkommenden Ohren zu erkennen. Meiſt flattert fie langſam, wenn auch nicht ungeſchickt, in der ſpäteren Dämme— rung und bei Nacht in der Nähe von Dörfern und Städten, in Baumgärten, an Waldwegen umher und beſucht mit Vor— liebe die Obſtbäume, um die hier umherſchwärmenden kleinen Motten zu vertilgen; auch verſteht ſie es, ähnlich dem Turm— falken, über beſtimmten Punkten ſchwebend zu „rütteln“, d. h. durch ſchnelle Flügelſchläge auf ein und derſelben Stelle in der Luft ſich zu halten. Im Sommer verbirgt fie ſich tagsüber gern in hohlen Bäumen oder hinter Fenſterläden, für den Winter: ſchlaf flüchtet fie in Keller und Höhlen, in alte Bergwerke und Kirchengewölbe. 4. Die große Speckmaus oder frühfliegende Fleder— maus, Vesperugo noctula iſt eine unferer häufigſten Arten, wenn fie auch mehr das Slachland und die breiten Täler als bergige Gegenden liebt. Das roftbraune, fchmal- und lang⸗ geflügelte Tier trägt ſeinen Namen „Abendſegler“ mit vollem Recht, denn es fliegt ſchon vor Sonnenuntergang in raſchen, Die Fledermäuſe (Chiroptera). 41 kühnen Wendungen umher, bald hoch in der Luft, bald dicht über Buſchwerk, Bäumen und Häufern, und hat in der Tat den Vergleich mit der Schwalbe kaum zu ſcheuen! Namentlich dem Forſtmann wird die große Speckmaus ſehr nützlich durch Ver— tilgung von Maikäfern, Nonnen, Spinnern u. dgl., die das ver— hältnismäßig große Tier in ungeheuren Maſſen verzehrt. — Sur vorübergehenden Tagesruhe verbirgt ſie ſich am liebſten in Baumritzen und hohlen Bäumen, hier oder an unzugänglichen Stellen verfallender Gebäude, alter Kirchböden und ähnlicher Orte hält fie auch ihren langen, ununterbrochenen Winterfchlaf, bei dem die Tiere oft zu Hunderten in dicken Klumpen neben: und aufeinanderhängen. S5. An ihrer geringen Größe — iſt fie doch die kleinſte europäiſche Art! — erkennt man leicht die gemeine Swerg— fledermaus, Vesperugo pipistrellus. Von gleicher Fär— bung wie die vorige iſt ſie wie jene eine häufige, ja vielleicht die verbreitetſte deutſche Fledermaus, die wir überall, in der Ebene wie im Gebirge, finden können. In nicht ſehr ſchnellem unruhigem Flug huſcht ſie, ſobald die Sonne ſinkt, emſig einher in Feld und Wald, im Gebüſch, zwiſchen Häuſern und im Garten, und vertilgt zahllofe, der Wald- und Gbſtbaumzucht ſchädliche Falter, ſowie in Ställen und auf der Straße das läſtige Heer der Fliegen und Mücken. Außerdem iſt ſie die wetter— härteſte Art, die ſelbſt bei Regen und Wind ihre tagsüber be— wohnten Schlupfwinkel, Mauerritzen, Gewölbe, Baumlöcher, ver— läßt und einen nur kurzen, oft unterbrochenen Winterſchlaf hält. Zuletzt im Herbſt verſchwindend und zuerſt im Frühjahr erſchei— nend, läßt ſich das zutrauliche, die Geſelligkeit liebende Tier nicht ſelten auch mitten im Winter ſehen und treibt ſich dann luſtig umher, unbekümmert um die den Boden verhüllende Schneedecke. 6. Spät, wie fchon ihr Name beſagt, und dabei nur an warmen, windftillen Abenden fliegend, iſt die „Spätflie gende“ Fledermaus, Vesperugo serotinus im allgemeinen weniger bekannt, obgleich fie bei uns überall, mancherorts ſogar häufig vorkommt. CLangſamen flatternden Fluges ſucht fie Alleen auf, lichte Plätze und Gärten, und in der Nähe von Gehöften, ja ſelbſt in der Stadt kann man fie in baumbepflanzten Straßen antreffen. Am Tage und für den langen, ununterbrochenen Winterſchlaf ſucht ſie hohle Bäume und entlegene Mauerwinkel 42 Drittes Kapitel. auf, Verſtecke, die fie bei naſſem rauhem Wetter auch nachts nicht verläßt. 7. Die gemeine Fledermaus, Vespertilio murinus. Im Gebirge wie in der Ebene, in waſſerreichen Gegenden wie auf trockenen Steppen, überall können wir dieſe unſere größte Fledermaus finden — wenn wir ſie zu finden wiſſen! Wie alle Breitflügler empfindlich für Kälte, aber auch das Tageslicht ſcheuend, erſcheint ſie erſt einige Seit nach Sonnenuntergang und verſchwindet fchon ehe der Morgen graut, und ihr grauer Pelz hebt ſich kaum vom Nachthimmel ab. Mit ſchwerfälligem Fluge flattert ſie mit Vorliebe in der Nähe menſchlicher Woh— nungen umher, um Jagd auf Fliegen und andere, beſonders landwirtſchaftlich ſchädliche Inſekten zu machen. Tagsüber halten ſich unſere Tiere gern unter hohen Dächern von Kirchen u. dgl. auf, wo ſie geſellig zu Hunderten in dicken Klumpen hängen; für den langen ununterbrochenen Winterſchlaf ſuchen ſie mehr Höhlen und Bergwerke auf; zänkiſch und biſſig teilen ſie ihre Schlupfwinkel ſelten mit anderen Arten, und namentlich die kleineren unter dieſen werden ſchnell verdrängt. 8. In waſſerreicher Gegend werden wir die Waſſer— fledermaus, Vespertilio daubentoni felten vergebens ſuchen: mit Beginn der Abenddämmerung kommt fie zum Vorſchein, in gewandtem, wenn auch nicht ſchnellem Fluge jagt ſie über ſtehenden und fließenden Gewäſſern, dicht über der Oberfläche dahinſtreichend und beſonders Sweiflügler und Vetzflügler er— beutend. Zu vorübergehender Ruhe hängt ſie ſich gern an über— hängende Sweige und zeigt auch hier ihre Liebe zur Geſellig— keit, indem wir ſie oft reihenweiſe nebeneinander ruhen finden. Bei Tage ſitzt ſie gern in den Mauerritzen von Brückenpfeilern oder von Gebäuden in der Nähe des Waſſers, wohl auch in Baumhöhlen; hier oder in Gewölben, Felsgrotten u. ähnl. hält ſie ihren kurzen, gelegentlich unterbrochenen Winterſchlaf. Drittes Kapitel. Die Kerfjäger (Insectivora). Gleich den Fledermäuſen nähren ſich die zur Ordnung der Kerfjäger vereinigten Säugetiere, wie ſchon ihr Name beſagt, vorwiegend von Inſekten; bei jenen aber herrſchte, bejonders Die Kerfjäger (Insectivora). 43 infolge der Umbildung der Vordergliedmaßen zu Flugwerkzeugen, eine große Übereinftimmung im äußeren Bau; anders hier: auch wenn wir nur die heimiſchen Vertreter berückſichtigen, haben wir ſchon eine mannigfaltig genug geſtaltete Tiergruppe vor uns! Trotzdem gibt es natürlich eine Reihe von Eigenſchaften, die allen Kerfjägern gemeinſam ſind: ſtets niedrig geſtellte, kleine Sohlengänger mit fünfzehigen Füßen, mit ſpitzem Kopf und gut entwickeltem Schlüfjelbein, faſt alle ein Leben auf der Erde führend, zeigen ſie im Gebiß das Merkmal, das am beſten ihre Suſammengehörigkeit beweiſt: ſtets ſind alle drei Arten von Zähnen vorhanden, und wenn auch ihre Form im einzelnen recht verſchieden fein kann — fo hat der ESckzahn z. B. oft mehr das Ausſehen eines Schneide- als das eines Sckzahns — fo ſind doch alle, auch die Backenzähne, ſpitz und ſcharf; beide Kiefer ſtarren geradezu von Sacken und dolchartigen Klingen, und ein Blick in den geöffneten Rachen eines Inſektivoren über: zeugt uns ſofort, daß wir hier einen Fleiſchfreſſer vor uns haben müſſen! Die Spitzen der Sähne des Oberkiefers greifen bei geſchloſſenem Munde zwiſchen die des Unterkiefers, und ſo wird das Beutetier nicht eigentlich zermalmt, ſondern ähnlich wie bei den Fledermäuſen durchbohrt und zerſchnitten. Und ſo furchtbar iſt die Waffe, über welche der Kerfjäger in feinen Sähnen verfügt, daß ein bekannter Naturforſcher (Vogt) ſagen konnte: „Das Gebiß einer Spitzmaus, zu den Maßen desjenigen eines Löwen vergrößert, würde ein ſchauderhaftes Serſtörungswerk— zeug darſtellen.“ — Ein Milchgebiß tritt übrigens bei allen Kerfjägern auf, iſt aber, wenigſtens bei unſeren deutſchen Arten, ſtets mehr oder weniger zurückgebildet. Da es nun in der Hauptſache ſchädliche Inſekten find, die den Kerfjägern zum Opfer fallen, fo müſſen wir fie als wid: tige Bundesgenoſſen anerkennen, die wir nicht miſſen möchten; helfen ſie doch zu ihrem Teil mit, daß unſere Kulturpflanzen die auf ſie verwandte Mühe auch lohnen! Der geringe Schaden, den einige von ihnen gelegentlich wohl anrichten, fällt dem großen Nutzen gegenüber kaum ins Gewicht; leider aber iſt das Vorurteil, das gegen dieſe kleinen Wühler infolge ihrer unſchönen Geſtalt und ihrer nächtlichen Lebensweiſe herrſcht, noch immer nicht ausgerottet. In Deutſchland finden wir Angehörige dreier Familien, der Mulle (Talpidae), der Igel (Erinaceidae) und der Spitzmäuſe 44 Drittes Kapitel. (Soricidae), von denen aber die beiden erſtgenannten nur durch je eine Art, den „europäifchen Maulwurf“ und den „europä- iſchen Igel“ vertreten ſind. 1. Der Maulwurf, Talpa europaea L. Kein Tier wohl iſt durch ſeinen ganzen Körperbau beſſer befähigt, im Boden zu wühlen und zu graben, als der Maulwurf (Figur II), in dem wir nicht nur einen feinnaſigen Inſektenjäger, nicht nur einen kunſtfertigen, unterirdiſchen Baumeiſter vor uns ſehen, ſondern auch einen wahren Rieſen unter den Swergen, wenn wir die erſtaunliche Kraftleiſtung dieſes nur 15 — 1e cm (Aus Schmeil, Leitfaden der 5.) meſſenden Tieres berückſichtigen! So zeigen denn auch faſt alle Organe den großen Einfluß ſeiner Lebensweiſe: Der ſchwarze, ſammtartige Pelz, der weder Waſſer noch Erde bis auf die Haut gelangen läßt, der gedrungene walzenförmige Rumpf, der vorn ſpitz zulaufende Kopf mit dem empfindlichen, durch einen beſonderen Knochen geſtützten Rüſſel, die kleinen, etwa mohn— korngroßen, vor- und zurückſchiebbaren Augen, das Ohr, das durch einen beſonderen Muskel verſchließbar iſt, aber der Ohr— muſchel entbehrt. Dazu kommen gewiſſe Eigentümlichkeiten des Skeletts und die charakteriſtiſch geſtalteten Beine: das hintere Paar trägt je 5 freibewegliche, mit ſpitzen Krallen bewehrte Sehen und dient vorwiegend der Fortbewegung, das vordere iſt zum eigentlichen Graborgan geworden und ſteht faſt wage— recht vom Körper ab. Groß, flach und ſchaufelförmig, iſt die Die Kerfjäger (Insectivora). 45 Hand durch einen neben dem Daumen gelegenen fichelförmigen Knochen, die Scharrkralle (os falciforme) noch mehr verbreitert; ihre nackte Innenfläche iſt nach hinten gerichtet und die Finger, deren mittelſter der längſte iſt, ſind durch Spannhäute faſt voll— ſtändig mit einander verbunden und tragen breite, abgeplattete Krallen. So ausgerüſtet, vermag der Maulwurf ſich mit großer Schnelligkeit in der Erde fortzubewegen, um hier ſeiner Nah— rung nachzugehen, und daß dieſe ausſchließlich aus Tieren be— ſtehen muß, erkennen wir an den Sähnent fie verteilen ſich Brink 3 44 cha. und nur die Schneidezähne befigen etwas breitere Kronen, die übrigen ſind ſämtlich in ein oder mehrere Spitzen ausgezogen. Dabei verdient noch eine ganz eigentümliche Erſcheinung unſere Aufmerkſamkeit: auf den erſten Blick ſcheint nämlich der Unter- kiefer nicht je 5 ſondern je 4 Schneidezähne zu beſitzen, und es bedurfte langwieriger, vor allem entwicklungsgeſchichtlicher Unter— ſuchungen, ehe man erkannte, daß der vierte untere Sahn zwar der wirkliche Sckzahn iſt, aber die Form eines Schneidezahns annimmt, während der fünfte, alſo der erſte Prämolar, eckzahn— förmig erſcheint. Sein Leben verbringt der Maulwurf faſt ausſchießlich unter der Erde; gelegentlich kommt er wohl einmal an die Gber— fläche, doch fühlt er ſich hier nicht recht heimiſch, wenn er ſich auch dabei ſchneller bewegt, als man ihm zutraut. Das Graben in der Erde wird ihm dagegen ſehr leicht, und ſo findet er ſich in jedem, von Inſekten und Würmern bewohnten Boden, falls dieſer nicht zu ſteif iſt, wie z. B. dichte, eiſenhaltige Lehmböden, und doch zuſammenhängend genug, um in ihm ſeine Gänge anlegen zu können. Mit Hilfe der ſtarken Nackenmuskeln und der gewaltigen Schaufelhände, mit denen er ſich feſthält, bohrt er zuerſt den Kopf in das lockere Erdreich, zerſcharrt um ſich herum die Erdſchollen mit den Vorderpfoten und wirft fie mit großer Schnelligkeit hinter ſich. Bier bleibt die aufgewühlte Erde ſo lange liegen, bis ihre Menge ihm unbequem wird, dann ſucht er an die Gberfläche zu gelangen und wirft ſie mit der Schnauze empor, wobei er aber ſelbſt ſtets durch eine etwa 12—15 cm dicke Schicht lockerer Schollen überdeckt bleibt. So entſtehen die bekannten „Maulwurfshaufen“, durch die das Tier ſelbſt uns ſtets ſichere Kunde gibt von der Richtung und Aus— auf die einzelnen Sahnarten nach der Formel 46 Drittes Kapitel. dehnung jeines jeweiligen Jagdgebietes. Die eigentliche Woh— nung, der „Bau“, liegt meiſt etwas abſeits von den Jagd— gründen, unter einem Erd oder Steinhaufen, unter Wurzelwerk u. dgl. Ihre ganze Anlage iſt nicht, wie man früher meinte, bei allen Tieren die gleiche, ſondern zeigt ſowohl durch äußere Umſtände bedingte wie auch rein individuelle Verſchiedenheiten. Den Hauptteil bildet ſtets eine kugelförmige, mit Caub und Moos weich ausgepolſterte Höhle, der „Keſſel“, als Sufluchtsort und Schlupfwinkel; um ihn herum laufen meiſt J oder 2 mehr oder weniger ringförmige Röhren, die untereinander und mit dem Keſſel durch Gänge in Verbindung ſtehen. Liegt dieſer Haupt- bau abſeits von den eigentlichen Jagdgründen, ſo iſt er mit dieſen durch einen beſonderen Gang, die „Laufröhre“ verbun— den, die natürlich fehlt, wenn der Hauptbau mitten im Jagd— gebiet errichtet iſt. Außerdem findet man oftmals noch beſon— dere Fluchtröhren, Tränkröhren und Vorratsröhren; in den Wänden der letzteren ſind gelegentlich einige Hundert verletzte aber noch lebende Regenwürmer eingemauert, wohl ein während des Winters eingeſammelter Vorrat. — Dieſes ganze bald kom— plizierter bald einfacher angelegte Kanalſyſtem des Hauptbaues zeigt ſorgfältig gefeſtete, dichte Wände, da es ja von ſeinem Bewohner immer wieder benutzt wird; anders die eigentlichen „Jagdröhren“: tagtäglich, und zwar meiſt dreimal, morgens, mittags und abends, wird das Jagdrevier nach allen Richtungen hin durchwühlt und durchſucht; die hierbei angelegten Gänge merden nicht befeſtigt, ſondern die Erde wird in der oben be— ſchriebenen Weiſe als „Maulwurfshaufen“ an die Oberfläche geworfen. Die Nahrung unſeres unterirdiſchen Wühlers beſteht aus— ſchließlich aus Tieren, und zwar ſind es vorwiegend Inſekten, Inſektenlarven und Würmer, denen er, geleitet durch den feinen, untrüglichen Geruchsſinn, nachgeht; aber auch Aſſeln und Schnecken verſchmäht er nicht, und jede Maus, jeder Froſch, die Eidechſe, Blindſchleiche und Schlange, die ſich in ſeinen Bau verirrt, ſind ihm unrettbar verfallen. Sein Nahrungsbedürfnis iſt ein ganz gewaltiges, täglich verzehrt er das Anderthalbfache ſeines eigenen Cebendgewichtes, und jo kann er auch den Winter nicht „ver- ſchlafen“: bei Eintritt der Kälte folgt er feinen Beutetieren in die froſtfreie Tiefe der Erde. Eine weitere Folge ſeiner Ge— fräßigkeit iſt ſeine Unverträglichkeit: in jedem Artgenoſſen erblickt Die Kerfjäger (Insectivora). 47 er den Nahrungskonkurrenten, der ſofort durch Biſſe verſcheucht — oder aufgefreſſen wird. Nur während der Paarzeit, zu Beginn des Frühjahrs, macht er eine freilich kurzwährende Aus- nahme; haben ſich dann nach erbittertem Kampfe der Männchen untereinander die Paare gefunden, ſo zieht ſich das Weibchen bald in ein abſeits vom Hauptbau gelegenes, ausgepolitertes Weit zurück, wo es 6 Wochen nach der Paarung, im April oder Mai, 4—6 Junge wirft; zunächſt recht unbehilflich, nackt und „blind“ — ihre Augenlider haben ſich noch nicht geöffnet — werden dieſe Jungen mit großer Sorgfalt aufgezogen, um ſich im Herbſt ein eigenes Jagdrevier zu ſuchen. Wollen wir Nutzen und Schaden des Maulwurfs gegen— einander abwägen und zu einer gerechten Würdigung ſeiner wirtſchaftlichen Bedeutung gelangen, ſo müſſen wir zunächſt be— achten, daß er niemals Pflanzenwurzeln zernagt, wie ihm ſo oft nachgeſagt wird! Dagegen verdanken wir ihm die planmäßige Säuberung ſeines Wohngebiets von vielem unterirdiſch lebenden Ungeziefer, das der Pflanzenfultur ſchädlich wird, wie Engerlinge, Drahtwürmer, Erdraupen, Schnakenlarven, Maulwurfsgrillen uſw. Vergeſſen dürfen wir auch nicht, daß er viel zu der dem Erd— reich nötigen Durchlüftung beiträgt, jedenfalls nicht weniger als die Regenwürmer, deren Dertilgung ihm gerade mit Rückſicht auf dieſe Durchlüftung nicht ſelten zum Vorwurf gemacht wird. In der Hauptſache alſo werden wir ihm daher das Lob eines hervorragend nützlichen Tieres nicht vorenthalten! Gelegentlich freilich kann feine Anweſenheit wohl auch einmal unerwünſcht ſein: eigentlichen Schaden richtet er aber nur in Dämmen und Deichen an, und hier iſt er unter keinen Umſtänden zu dulden, da ſeine Gänge dem andringenden Waſſer leichte Angriffspunkte bieten. Störend und läſtig wird der Maulwurf auch hier und da in jungen Kulturanlagen und Beeten, denn ſeine Wühlarbeit lockert die Wurzeln und kann ſo die Pflänzchen zum Abſterben bringen. Seine Vertilgung wird aber auch in dieſen Fällen nie— mals nötig werden, zumal ſchon Feinde genug, wie Buſſard und Kauz, Wieſel, Iltis und Fuchs, ihm nach dem Leben trachten und wir ſelbſt über Mittel zu ſeiner Vertreibung und Fernhaltung — ſcherbengefüllte Gräben, engmaſchige in den Boden eingelaſſene Drahtgeflechte u. dal. — verfügen! 48 Drittes Kapitel. II. Die Familie der Spitzmäuſe, Soricidae, enthält kleine Tiere, die, wie ſchon ihr Name beſagt, eine gewiſſe Ahnlichkeit mit den Mäufen beſitzen, was ihnen oft verderblich wird. Und dabei iſt dieſe Ähnlichkeit nur eine ganz oberfläch- liche, hervorgerufen durch die geringe Körpergröße, die Schnellig— keit und Gewandtheit der Bewegung und den langen Schwanz, während tiefgreifende Unterſchiede zwiſchen dieſen beiden Tier— gruppen ſowohl in der Art der Ernährung wie auch im Körper: bau ſich zeigen, ſo daß man z. B. ohne Schwierigkeit den Schädel einer Spitzmaus von dem einer gewöhnlichen Maus (und einer Wühlmaus) (ſiehe Tafel, Abb. ]) unterſcheiden kann, und zwar nicht nur an den Sähnen, ſondern faſt noch leichter an der langen, ſchmalen Form und dem Mangel eines Jochbogens. — Groß iſt dagegen die Übereinſtimmung in Körperbau und L ebensweiſ e mit dem Maulwurf: hier bei den Spitzmäuſen finden wir den dichten ſammetweichen Pelz wieder, ebenſo die zu einer Art Rüſſel ver— längerte Naſe, die hervorragende Ausbildung des Geruchsſinnes, die Ernährung durch Inſekten und im SHuſammenhang mit dem großen Nahrungsbedürfnis das Fehlen des Winterſchlafs. Und wie der Maulwurf ſein Leben im Dunkeln führt, ſo meiden auch die Spitzmäuſe das Sonnenlicht; freilich find fie nur ſelten im- ſtande, ſich ſelbſt unterirdiſche Gänge anzulegen, aber ſie leben in Gängen von Mäuſen, Maulwürfen und in anderen Schlupf— winkeln und gehen vorwiegend in der Dämmerung und des Nachts auf die Jagd. Dabei entfalten ſie eine ſolche Raubgier und Mordluſt, daß ſie auch größere Tiere, ja auch Vögel, un— bedenklich anfallen und töten. Ihr Gebiß iſt das tvpifche der Inſektenfreſſer, d. h. die einzelnen Hähne find nadelſpitz oder haben vielſpitzige Höcker; die Zahl der Zähne wechſelt je nach der Art, doch finden wir bei allen im Oberkiefer je drei, im Unterkiefer jederſeits zwei Schneidezähne. Sckzähne ſcheinen auf den erſten Blick zu fehlen, doch hat ſich herausgeſtellt, daß wenigſtens oben jederſeits einer vorhanden iſt, der freilich in ſeiner Form den Schneidezähnen gleicht. Außer dem Menſchen, der nur zu gern alle Spitzmäuſe, auch die unbedingt nützlichen, vernichtet, haben dieſe kleinen Kerf— jäger noch unter zahlreichen anderen Feinden zu leiden. Swar beſitzen ſie an den Seiten des Körpers Drüſenanhäufungen, die ein ſtark riechendes Sekret abſondern, und deshalb werden ſie * Die Kerfjäger (Insectivora). 49 auch nur von einigen Vögeln, wie Schleiereulen u. a., verzehrt, aber auch Wieſel, Katze und Hund ſtellen ihnen nach und töten ſie, laſſen ſie dann freilich, wohl des Geruches wegen, unberührt liegen. Gleichſam um die großen Verluſte, die ſie durch Feinde und wohl auch durch die Witterung erleiden, wieder auszu— gleichen, beſitzen die Spitzmäuſe eine große Fruchtbarkeit. Meiſt werden mehrmals im Jahr Junge geworfen, deren Sahl 4-10 für jeden Wurf beträgt; anfangs blind und nackt, wachſen ſie ſchnell heran und werden ſchon 4—5 Wochen nach der Geburt ſelbſtändig. Die in Deutſchland lebenden fünf Arten laſſen ſich folgenderweiſe leicht unterſcheiden: 1“ Sahnſpitzen braunrot, Ohrmuſchel im Pelz verſteckt. > „ 30; Schwanz an der Unterſeite mit einem 2“ Sahnformel Kiel längerer, ſteifer Borſtenhaare; Körperlänge faſt 12 cm, davon » über 5cm auf den Schwanz. 1. Waſſerſpitzmaus Crossopus fodiens Pall. Sahnformel ea = 20T 3 haart, ohne Borſtenkiel. 5“ Schwanz kürzer als der Rumpf (d. h. der Körper ohne Kopf); Auge in der Mitte zwiſchen Rüſſelſpitze und Ghröffnung. Körperlänge 11— 12 em, davon 4-4 ½ em auf den Schwanz. 2. Gemeine oder Waldſpitzmaus Sorex vulgaris L. 3, Schwanz länger als der Rumpf; Auge der Ohröffnung näher als der Rüſſelſpitze. Körperlänge 9 cm, davon 5½ —4 cm auf den Schwanz. 5. Swergſpitzmaus Sorex minutus L. (= pygmaeus Pall. ). ahnſpitzen weiß, Ohrmuſchel groß, den Pelz überragend; Fahnformel a as, Schwanz kürzer als der halbe Körper; die dunkelbraune Gberſeite ſcharf abgeſetzt von der weißen Bauchſeite. Körperlänge 10-1 cm, davon 3 em auf den Schwanz. 4. Feldſpitzmaus Crocidura leucodon Herm. 2, Schwanz länger als der halbe Hörper; die braungraue Farbe des Rückens allmählich in die hellgraue des Bauches übergehend. Körperlänge 11,5 cm, davon 4,5 em auf den Schwanz. 5. Hausſpitzmaus Crocidura aranea Schreb. J. Oben meiſt ſchwarz, auf der Bauchfeite weiß oder gelb- lich gefärbt, iſt die Waſſerſpitzmaus, Crossopus fodiens 4 2 — 32; Schwanz ringsum gleichmäßig be— — N —. Hennings, Die Säugetiere Deutſchlands. 50 Drittes Kapitel. (Figur 12), wie ſchon ihr Name beſagt, vorwiegend eine Be— wohnerin des Waſſers und zugleich eine vortreffliche Schwim— merin und Taucherin. Dabei dient ihr der Schwanz, der an feiner Unterſeite eine Art Kiel oder Kamm aus längeren ſteifen Borftenhaaren trägt, als Steuer, während die Hinterfüße eben- falls durch lange, nach Belieben entfaltete und zuſammengelegte Haare zu wirkſamen Rudern werden. Wir finden dieſe Art an den Ufern von Seen und Flüſſen, von Bächen, Gräben und Teichen, doch vermag ſie auch ſich Gänge in den Erdboden zu graben; namentlich in der kalten Jahreszeit kommt ſie ſogar Figur 12. Waſſerſpitzmaus. Crossopus fodiens Pall. (Nach Blaſius.) gelegentlich in Scheunen und Ställe. Weniger das Sonnen— licht ſcheuend als ihre Familiengenoſſen, tummelt ſie ſich auch bei Tage mit ſchnellen gewandten Bewegungen im Waſſer und bereitet dem ſtillen Beobachter viel Freude, unterſcheidet ſich aber dafür auch recht unvorteilhaft von den anderen Spitzmäuſen durch ihre Nahrung: auf dem Lande freilich lebt ſie von Inſekten und Schnecken, vertilgt alſo manches ſchädliche Ungeziefer; im Waſſer aber kann ſie unter Umſtänden ſelbſt recht ſchädlich wer⸗ den, da ſie nicht nur Fiſchlaich und Krebſe verzehrt, ſondern ſich auch an Fiſche, ſelbſt an ſolche, die ihr eigenes Gewicht um das Sechzigfache übertreffen, heranmacht! So fällt ſie furchtlos 3. B. über mehrpfündige Karpfen und Hechte her und tötet fie, indem ſie Auge und Gehirn ausfrißt; ja ſelbſt kleinere Vögel, wie Bachſtelzen u. dgl., ſind vor ihr nicht ſicher. 2. Die gewöhnliche oder Waldſpitzmaus, Sorex vulgaris, iſt wohl die häufigſte Spitzmaus Deutſchlands und Die Kerfjäger (Insectivora). 51 (abgejehen von den obengenannten Merkmalen) an dem dunkel— braunen Rücken, den gelblichen Flanken und der weißlichen Unter— ſeite leicht kenntlich. Ihr bevorzugter Aufenthalt iſt der feuchte Wald und dichtes Gebüſch in der Nähe von Waſſer, doch kommt fie auch heraus auf Acker und Wieſen. Obgleich fie oft kleine Gänge ſelbſt gräbt, ſo benutzt ſie doch zu ihren Streifereien gern die Röhren von Mäuſen und Maulwürfen, von Hamſtern und Waſſerratten; ſchon einige Seit bevor die Sonne untergeht, kann man ſie eilig von einem Mausloch zum andern laufen ſehen; das grelle Sonnenlicht freilich meidet ſie, und es ſcheint wirklich, daß die Strahlen der Mittagsſonne ihr nicht nur beſchwerlich fallen, ſondern ihr ſogar den Tod bringen können. — Wie alle Kerfjäger äußerſt gefräßig, vertilgt unſere Spitzmaus eine Unmaſſe von Engerlingen, Drahtwürmern, Erd— raupen und im Boden ruhenden Puppen, und findet ſie nicht mehr genügend Inſekten, dann macht ſie Jagd auf Feldmäuſe, indem ſie dieſen ſchädlichen Nagern bis in ihre Schlupfwinkel hinein folgt, ihnen den Hals durchbeißt und das Blut ausſaugt. In Feld und Wald alſo, für den Landmann wie für den Sorit- mann, muß die gewöhnliche Spitzmaus als eines der nützlichſten Tiere gelten! 5. Das kleinſte deutſche Säugetier, die Hwergſpitzmaus, Sorex minutus, iſt auf dem Rücken zart bräunlich⸗grau, auf der Bauchſeite etwas heller grau gefärbt und ziemlich allgemein verbreitet, dabei aber nirgends beſonders häufig. Gleich der Waldſpitzmaus lebt fie in waldreichen Gegenden, an Wald— rändern oder doch wenigſtens in der Nähe von Gebüſch, wagt ſich aber weniger oft auf Felder und Acker; in der Nahrung wie in der ganzen Lebensweiſe ihrer größeren Verwandten ähn⸗ lich, iſt fie ein ganz unſchädliches, ja ein durchaus nützliches Tier, deſſen Bedeutung im Haushalt der Natur freilich infolge ihrer geringeren Häufigkeit keine beſonders große ſein mag. 4. Die Feldſpitzmaus, Crocidura leucodon, und 5. die Hausſpitzmaus, Crocidura aranea, treten durch eine Reihe von Eigenſchaften in einen gewiſſen Gegenſatz zu den drei anderen heimiſchen Spitzmäuſen, und zwar nicht nur durch ihre weißſpitzigen Zähne und die großen, den Pelz überragenden Ohrmuſcheln, ſondern auch in der Lebensweiſe, indem ſie beide naſſe und ſumpfige, ja auch nur feuchte Orte ängſtlich meiden. 4 * St 10 Drittes Kapitel. Die Feldſpitzmaus zieht große, weite Sbenen dem bewaldeten Gebirge vor und ſcheint im Süden Deutſchlands häufiger als im Norden zu ſein. Auch in Anlagen und Gärten können wir ihr begegnen, ja im Winter gelegentlich ſogar in Ställen und Scheunen, wohl kaum jemals aber in Wohnhäuſern. In manchen Jahren erſcheint ſie in großer Anzahl, und man hat dann Ge— legenheit, das zierliche Tierchen auf ſeinen morgens und abends unternommenen Streifzügen zu beobachten: ſchnell eilt es auf Feldern und Gartenbeeten umher und macht Jagd auf Kerfe, Würmer, Schnecken und kleine Mäuſe. Es bedarf daher kaum der Erwähnung, daß auch die Feldſpitzmaus zu unſeren nütz⸗ lichſten Tieren zählt. Die Hausſpitzmaus meidet nicht nur feuchte, ſondern auch einſame Gegenden; am liebſten hält ſie ſich in der Nähe menſch— licher Wohnungen auf, hauptſächlich, wenn auch nicht ausſchließ⸗ lich, in Gärten. Hier macht fie ſich durch Vertilgung von Inſekten, Inſektenlarven und Schnecken nützlich; häufig aber, und beſonders im Winter, dringt ſie aus dem Garten in Scheunen und Ställe, ja ſogar in die Häuſer ein. Sie ſiedelt ſich dann, ſobald ſie geeignete dunkle Winkel findet, gern in Küche und Keller an und läßt ſich Fleiſch und Speck, Käſe und Milch ſchmecken. Es kommt ſogar vor, daß eine Spitzmausfamilie nicht nur für den Winter, ſondern ſtändig in der menſchlichen Wohnung bleibt und ſich hier vermehrt, und ſolche ganz zu „Haustieren“ gewordenen Exemplare können nach Art der Haus: mäuſe gelegentlich recht unangenehm und ſtörend werden. III. Der Igel, Erinaceus europaeus L. Als größter unter unſeren heimiſchen Kerfjägern, noch dazu gepanzert in ſtarrendem Stachelkleid, ſcheint der Igel (Figur 15) auf den erſten Blick feinen Mitgeſchöpfen noch gefährlicher wer— den zu können als Maulwurf und Spitzmaus! Dem iſt aber nicht jo, ja unſer Stachelträger iſt ſogar der einzige Kerfjäger, der neben tieriſcher Nahrung auch pflanzliche nimmt, wenn er auch in ſeinem Körperbau die Merkmale des echten Inſek— tivors zeigt. Der gedrungene Rumpf ruht auf plumpen, fünf- zehigen Füßen und endet mit einem kurzen, etwa 2,5 cm langen Schwanz; die ganze Länge des Tieres beträgt 25 —50 cm, ſeine Die Kerfjäger (Insectivora). 53 Höhe am Widerriſt ungefähr I12—15 cm; der Kopf, der breite Ohr- muſcheln und kleine fchwarze Auglein trägt, ift infolge der kräftigen Jochbögen (ſiehe Tafel, Abb. 2) ziemlich breit, geht jedoch vorn über in einen ſpitzen Rüſſel. Das auffallendfte Merkmal des Igels aber ſehen wir in ſeinem eigentümlichen Gewand: an Hals und Bauch iſt er mit rötlich⸗ bis gelblich⸗grauen ſtraffen Haaren bedeckt, auf dem Rücken, auf der Stirn und an den Flanken ſind dieſe um— gewandelt zu Stacheln, die zwiſchen dem weichen Wollunterhaar emporſtarren. Der einzelne Stachel zeigt an ſeiner Oberfläche 24—25 feine Längsfurchen und iſt gelblich gefärbt bis auf die Spitze und eine kleine Partie in der Mitte, die beide dunkel— braun erſcheinen. In der Jugend zu regelmäßigen Känasreihent geordnet, läßt das Stachel— f kleid beim erwachſenen Tier keinen beſtimmten „Strich“ erkennen, und wenn es ſich zufammen- rollt,dann ſtarren die Stacheln nach allen Seiten - auseinander und bilden ſo eine gefürchtete, frei— lich mehr der Verteidigung als dem Angriff dienende Waffe. Die Hautmusfulatur iſt nämlich beim Igel ſehr ſtark entwickelt, und beſonders gilt dies von einem Muskelring, der beim ausgeſtreckten Tier flach über dem Rücken liegt; tritt dieſer Muskel in Tätigkeit, ſo rückt er nach unten und nähert durch ſeine Kontraktion Kopf und Schwanz: dann haben wir einen eiförmigen Klumpen vor uns, von dem nach allen Seiten zahl— reiche kleine Spieße uns entgegenſtarren! 1 5 Im Gebiß ſteht der Igel, da feine Sahnformel 1 = 50 lautet, in der Mitte zwifchen Maulwurf und Spitzmäuſen, doch zeigen wenigſtens die Backzähne nicht ganz ſo ſcharfſchneidende Spitzen wie bei jenen, und das hängt natürlich zuſammen mit der Art ſeiner Ernährung, d. h. mit ſeiner Lebensweiſe. Bei uns in Deutſchland können wir dem Igel überall begegnen, in der Ebene ſowohl wie im Gebirge bis zu 2000 m Höhe, ſowohl in Wäldern und Auen, wie in Feldern und Gärten; freilich iſt er nirgends beſonders häufig, Figur 15. Igel. Erinaceus europaeus L. (Aus Schmeil.) 54 Drittes Kapitel. aber auch nirgends geradezu felten, jofern er nur geeignete Schlupfwinkel findet, wie alte CLaub⸗ und Reiſighaufen, faule an der Wurzel hohle Bäume, Cöcher in alten umwachſenen Mauern, in SHäunen und Hecken u. dgl. Hier ſchlägt jedes Tier für ſich ſein Lager auf und macht es ſich möglichſt behaglich zurecht aus Blättern, Stroh und Heu; ſelten nur gräbt es ſich ſelbſt eine Höhle, was ihm ſtets viel Mühe und Anſtrengung koſtet. Hier in ſeiner Wohnung bringt nun der Igel den größten Teil des Tages zu, und auch bei ſeinen nächtlichen Streifereien ent- fernt er ſich niemals ſehr weit, da er ja in der Nähe ſeiner Behauſung wohl ſtets ſeinen Tiſch reichlich gedeckt findet. Gegen Abend kommt er ſchnell trippelnden Schritts hervor, die Naſe wie ein Spürhund am Boden und jeden Gegenſtand, den er unterwegs trifft, ſorgfältig beriechend; dabei ſieht man recht deut- lich, daß der Geruch bei weitem der ſchärfſte ſeiner Sinne, vor allem im Vergleich zum Auge, iſt. Bemerkt er etwas Der- dächtiges, ſo bleibt er ſtehen, lauſcht und wittert; drohender Gefahr ſucht er zunächſt durch die Flucht zu entgehen; gelingt ihm dies nicht, ſo macht er alsbald von ſeiner Schutzwaffe Ge— brauch und kugelt ſich zuſammen. Wie bei den anderen Kerfjägern, ſo beſteht auch beim Igel die Nahrung in erſter Linie aus Inſekten, beſonders Käfern und Käferlarven, Heuſchrecken, Grillen, ſowie aus Ackerſchnecken und Regenwürmern, doch nimmt er auch alle anderen Tiere, ſofern er fie nur bewältigen kann: Eidechfen und Blindſchleichen, Ringelnattern und Fröſche find ihm ebenſolche Leckerbiſſen wie jedes kleine Säugetier und der Inhalt eines Dogelneftes, mögen es nun Eier oder Junge fein; wagt er ſich doch ſogar an die Gelege von Enten, Rebhühnern und Faſanen. Dabei iſt der ſtachliche Geſelle trotz ſeines plumpen Leibes keineswegs ein un- geſchickter Jäger, und jo fängt er auch eine Unmaſſe von $eld- mäuſen, die er zwar nicht in ihre Röhren hinein verfolgen kann, die er aber abends belauert und ausgräbt. Von beſonderem Intereſſe iſt ſeine Giftfeſtigkeit: er kann ſpaniſche Fliegen ver— zehren und ſich (nach den klaſſiſchen Verſuchen von Lenz) von der Kreuzotter, die er mit Vorliebe vertilgt, Schnauze und Zunge blutig beißen laſſen, ohne Schaden zu nehmen! — Außer dieſer recht mannigfaltigen tieriſchen Koſt verſchmäht der Igel ſchließ⸗ lich, als einziger unſerer Inſektivoren, auch pflanzliche Nahrung nicht: ja ſüße Früchte, wie Pflaumen und Waldbeeren, ſcheint Die Kerfjäger (Insectivora). 55 er beſonders zu ſchätzen, doch nimmt er auch Pflanzenwurzeln und Baumſamen gern. Sein Nahrungsbedürfnis iſt aber deshalb ein ſo großes, weil er nicht nur den täglichen, ſtarken Hunger befriedigen, ſondern auch ſich gleichſam einen Wintervorrat anmäſten muß, der in der ſog. Winterſchlafdrüſe aufgeſpeichert wird. Bei Beginn der ſchlechten Witterung im Herbſt zieht er ſich zurück und richtet ſich ein großes, warm ausgepolſtertes Neſt zurecht, wo er ſeinen Winterſchlaf hält; und dieſer iſt ein ſo tiefer, daß ſelbſt ſchwere Verletzungen das Tier nicht aus ſeiner Erſtarrung löſen: erſt im März erwacht es zu neuem Leben. — Dann regt ſich auch der Paarungstrieb: jonft ungeſellig und ſowohl während der täg— lichen wie während der winterlichen Ruhe gern ungeſtört blei— bend, ändert unſer Stachelheld zur Seit der Fortpflanzung ſein ganzes Weſen; dann kann man ſehen, wie die Geſchlechter ein— ander jagen und ſuchen, und die Männchen zeigen im Kampf um das ſtets etwas größere, lichter gefärbte Weibchen einen Mut, der ihnen ſonſt fremd iſt; mit wütend geſträubten Stirn— ſtacheln fahren die erbitterten Kämpen aufeinander los, was freilich dem Beſchauer oft einen mehr komiſchen als ernſthaften Eindruck macht! Um die Paarungszeit kann man den Igel auch eigentümlich ſchrille Laute ausſtoßen hören, während er ſonſt nur ein dumpfes, trommelndes Brummen ertönen läßt. — Su Beginn des Sommers, etwa? Wochen nach der Paarung, wirft das Weibchen in einem gepolſterten Lager 5—6, ſelten 8 oder gar 10 blinde Junge von 6— 7 cm Länge, zarte, unbehilfliche Geſchöpfchen, die weiß und faſt nackt erſcheinen; die Stacheln find zwar ſchon bei der Geburt vorhanden, aber fie treten erſt nach derſelben hervor, dann freilich ſo ſchnell, daß ſie ſchon nach acht Tagen Jem lang ſind; und während das Stachelkleid an— fangs rein weiß ausſieht, hat es ſchon nach einem Monat ganz die Farbe wie bei den Erwachſenen. Die Fähigkeit, ſich zu- ſammenzurollen, wird freilich erſt ſpäter erworben. Unter der ſorgenden Obhut der Mutter gedeihen die Kleinen ſchnell, ſo daß ſie ſchon zum Herbſt ſich ſelbſt ihre Nahrung ſuchen können, gleichwohl fallen nicht wenige von ihnen der Winterkälte zum Opfer. . Im Schutze feines Stachelkleides iſt der Igel vor den An— griffen vieler Feinde ſicher; einige größere Raubvögel aber ver— folgen ihn eifrig, vornehmlich der Uhu; liſtig weiß auch der 56 Diertes Kapitel. Fuchs ihn zum Aufrollen zu bringen, indem er ihn ins Waſſer rollt und ihn zum Schwimmen veranlaßt, wobei er ihm leicht den Garaus macht. Der Iltis ſtellt beſonders den im Winter— ſchlaf erſtarrten Tieren nach, und dieſen Feinden geſellt ſich auch der Menſch zu, der den armen Schelm leider nur zu oft ſelbſt dort verfolgt, wo er uns nur nützlich werden kann. Freilich, ob der Igel nützlich oder ſchädlich iſt, das läßt ſich nicht mit einem Worte ſagen, ſondern das muß von Fall zu Fall feſtgeſtellt werden. Unmittelbaren Nutzen bringt er uns heutzutage wohl nur noch als Mäuſejäger: mancherorts wird er in Scheunen und Speichern gern gehalten in Fällen, wo die Verwendung von Vatzen untunlich iſt, und wenn er nur einiger— maßen verſtändig behandelt wird und ihm geeignete Schlupf— winkel für den Tag bereitet ſind, jo befindet er ſich als „Baus: tier“ ſehr wohl. — Weit größer noch iſt der mittelbare Vor— teil, den wir ihm als dem Vertilger zahlloſer Schädlinge, wie Inſekten, Schlangen, Schnecken und Feldmäuſe, verdanken, und der verſtändige Landmann wird ihn daher auch ſtets zu ſchätzen wiſſen! Den Geflügelzüchter freilich mag er gelegentlich ſchä— digen durch Ausſchlürfen von Siern und Verzehren der Jungen, und deshalb darf der Igel z. B. auch in Faſanerien nie ge— duldet werden, während die Einbuße, die der Weidmann an Rebhühnern erleidet, wohl kaum je wirklich den Ertrag der Jagd zu mindern vermag. Auch dem Forſtmann ſchließlich kann unſer Allesfreſſer unangenehm werden, indem er ausgeſäte Baum— ſamen der Schale beraubt und die Kerne verſpeiſt; beſonders gern tut er dies übrigens bei Bucheln, denen zuliebe er die Saatkämpen aufſucht. Im großen und ganzen kann man wohl ſagen, daß der Igel zwar kein Heiliger iſt, daß aber ſein Nutzen den Schaden überwiegt, und daß er daher, abgeſehen von den oben genannten Ausnahmefällen, unſeren Schutz in vollem Maße verdient. Viertes Kapitel, Die Nagetiere (Rodentia). Mehr als ein Drittel aller heute lebenden Säugetiere ge— hört zur Ordnung der Nager, und ſo finden wir dieſe denn Die Nagetiere (Rodentia). 57 auch über die ganze Erde verbreitet, von den Tropen bis zu den Polen. Auch Deutſchland iſt reich an Nagetieren, ſtellen ſie doch das größte Kontingent aller Feinde des Landwirts und des Forſtmannes, ja ſie dringen ſelbſt in unſere Speicher und Wohnungen, um an unſeren Vorräten ihre zerftörende Tätigkeit zu entfalten! Dieſem großen Schaden ſteht nur ein geringer Nutzen gegenüber, indem einige von ihnen als Jagdtiere ge— ſchätzt werden und uns ein willkommenes Wildbret liefern, bei anderen das Fell als Bauchwerk geſucht iſt. Ihrer weiten Verbreitung und ihrer meiſt außerordentlich großen Individuenzahl entſprechend, iſt die Bedeutung der Nage— tiere nicht nur für den Menſchen, ſondern auch im Haushalte der Natur eine recht er- hebliche: bilden ſie doch die Hauptnahrung der meiſten Raubtiere und N Raubvögel ſowie vieler “N 4 Kriechtiere. Der großen N m DR Sahl ihrer Feinde geſellt RN a A A nz fich, und zwar meift mit a RUN, EN re vollem Recht, der Menih gg hinzu, doch ift gerade Figur 14. Unterkiefer des Eichhörnchens. bei den wirtſchaftlich ERBEN ſchädlichſten Arten eine Ausrottung wohl gänzlich ausgeſchloſſen, denn die Nager gehören zu den fruchtbarſten Säugern: ſie werfen meiſt mehrmals jährlich zahlreiche Junge, und bei einigen ver— mag ein einziges Pärchen ſich im Laufe eines Jahres zu mehreren Hundert Individuen zu vermehren! Trotz der großen Artenzahl und der ungeheuren Mannig— faltigkeit in Aufenthaltsort und Lebensweiſe zeigen die Nagetiere eine Reihe gemeinſamer Merkmale; das weſentlichſte, dem ſie auch ihren Namen verdanken, liegt in der als „Nagen“ be— kannten Kaubewegung, und dieſe iſt bedingt durch den eigen— tümlichen Bau des Gebiſſes: die Schneidezähne ſind zu „Nage— zähnen“ umgewandelt, von denen im Unterkiefer ſtets und faſt immer auch im Gberkiefer nur ein einziger jederſeits vorkommt; halbkreisförmig in ſchwacher Spirale gebogen, erſtrecken ſie ſich weit in die Kiefer hinein (Figur 14) und find an ihrer vorderen Fläche mit einer kräftigen, oft gelb oder rot gefärbten Schmelz⸗ ſchicht belegt; dieſer Überzug wird natürlich weniger abgenutzt 58 Diertes Kapitel. als das weichere Dentin, und jo erhalten die Nagezähne eine ſcharfe Meißelform. Bei der ausgedehnten und andauernden Tätigkeit dieſer Hauptzähne iſt ihre Abnutzung eine recht erheb— liche — bei einem jungen Kaninchen z. B. 5 mm in 7 Tagen! — und ſie würden daher in kurzer Seit ſich abſtumpfen und ab— nutzen, wenn ſie nicht durch das gegenſeitige Aufeinanderreiben ſcharf erhalten und vor allem durch ein fortdauerndes Nach— wachſen ergänzt würden; die Nagezähne find deshalb wurzellos und ſitzen mit weiter Offnung der Sahnpapille auf. — Dieſer eigentümliche Bau kann übrigens gelegentlich für die Tiere recht unangenehme Folgen haben: bricht z. B. ein ſolcher Nagezahn ab, ſo drängt der ihm gegenſtändige, da er ja nun keine Ab— nutzung mehr erleidet, aus dem Maul hervor und wächſt zu vollſtändiger Spiral oder Kreisform aus, bisweilen jogar in den Schädel hinein! — Da Edzähne den Nagetieren ſtets fehlen, ſo ſind die Schneidezähne durch eine breite Sahnlücke (Diastema) von den Backenzähnen getrennt; dieſe letzteren, zu 5—6 in jeder ö — Kieferhälfte vorhanden, find im Figur 15. Backzähne von Nagetieren. Gegenſatz zu den bei allen e an eeeı Schneidezähnen bei den ver- ſchiedenen Gruppen verſchieden gebaut: dort, wo die Bewegung des Unterkiefers in der Hauptſache von unten nach oben geht, haben die Backzähne lange Wurzeln mit niedriger Krone und höckeriger Kaufläche (ſ. Figur 14); wenn aber die Kaubewegung vorwiegend von hinten nach vorn gerichtet iſt, dann ſehen wir nicht nur das Unterkiefergelenk entſprechend verlängert, ſon— dern die Backzähne zeigen auch viel kleinere, unvollkommene Wurzeln, ja ſie werden nicht ſelten wurzellos, während die Krone um ſo höher wird und falls die Wurzel fehlt, wie bei den Nagezähnen dauernd nachwächſt. Dabei iſt die Schmelzröhre mehr oder weniger tief eingebuchtet durch ſenkrechte Längsfalten, deren Rinnen wieder von Sement ausgefüllt ſein können (Figur 15); durch die Abnutzung werden dann auf der Kau- fläche oftmals „Schmelzſchlingen“ von regelmäßigem, ſehr charak— teriſtiſchen Verlauf gebildet. Von weiteren körperlichen Eigenfchaften der Nagetiere ſei Die Nagetiere (Rodentia). 59 nur erwähnt, daß an dem niedrigen, im Geſichtsteil meiſt ge— ſtreckten Schädel die Augenhöhle in weiter offener Verbindung mit der Schläfengrube ſteht; gelegentlich (Hafen, Hörnchen) wer- den beide durch einen großen Stirnbeinfortſatz (processus postorbi- talis) voneinander abgegrenzt, was dann ein gutes Erkennungs⸗ merkmal bildet. — Die Gliedmaßen enden bei den Nagern mit vier oder fünf krallentragenden Sehen und berühren den Boden meiſt mit der ganzen Sohle; vielfach, zumal bei unſeren heimiſchen Arten, iſt das hintere Beinpaar länger als das vordere, und dann können wir nicht die früher erwähnten drei Gang— arten Schritt, Trab, Galopp unterſcheiden, ſondern die Fort— bewegung geſchieht dann ſprunghaft, wobei die Hinterfüße über die vorderen vorgreifen. An den Knochen der hinteren Extremität können wir gelegentlich eine teilweiſe Verſchmelzung von Schien- bein und Wadenbein beobachten, niemals aber kommt eine ſolche am Unterarm, bei Elle und Speiche, vor, ja dieſe beiden ſind nicht ſelten ſogar im Ellenbogen derart beweglich gegeneinander, daß die Sohle der Hand nach innen gedreht werden kann: dann ſind die Tiere imſtande, ihre Nahrung „mit den Händen“ zu ergreifen und beim Verzehren feſtzuhalten. Von den ungefähr 20 Familien, aus denen ſich unſere Ord— nung zuſammenſetzt, ſind in Deutſchland nur 5 vertreten, die Hörnchen, Biber, Bilche, Mäuſe und Haſen. Dieſe 5 Familien unterſcheiden ſich in folgender Weiſe: 1“ vorn 5, hinten 4 Zehen; Schwanz höchſtens kopflang; Schädel mit großem Stirnbeinfortſatz; Schneidezähne 7 Backzähne 8 wurzellos. 5. Fam. Hafen Leporidae. 1, hinten 5 Sehen; Schneidezähne = Backzähne höchſtens 2“ vorn 5 Sehen; die hinteren Sehen mit Schwimmhaut; Schwanz platt, beſchuppt; Backzähne a wurzellos. 3. Fam. Biber Castoridae. 2, vorn 4 Sehen; die hinteren Sehen ohne Schwimmhaut; Schwanz rund, behaart oder beſchuppt. 3“ Schwanz dünn behaart oder beſchuppt oder faſt nackt; Backzähne —, mit oder ohne Wurzeln. 8 4. Fam. Mäuſe Muridae. 60 Diertes Kapitel. 5, Schwanz dicht behaart, Backzähne 4 oder 5 4 Schädel mit Stirnbeinfortſatz; Backzähne 15 1. Fam. Hörnchen Sciuridae. „bewurzelt. 4, Schädel ohne Stirnbeinfortſatz; Backzähne 8 2. Fam. Bilche Myoxidae. J. Familie: Hörnchen, Seiuridae. Wir ſtellen die Hörnchen an die Spitze der Nager, weil ſie den Unterkiefer beim Nauen noch vorwiegend von unten nach oben bewegen und weil infolgedeſſen die Backenzähne — ihre Sahl beträgt jederſeits oben 5 und unten 4 — noch lange kräftige Wurzeln beſitzen mit niedriger höckeriger Krone. Alle Hörnchen ſind ausgeſprochene Tagestiere; bei ſchlechtem Wetter verkriechen ſie ſich, ja einige derſelben fallen während der kalten Jahreszeit in einen feſten Winterfchlaf. Im übrigen iſt aber die Cebensweiſe der drei bei uns vorkommenden Arten ebenſo verſchieden wie ihr Körperbau. Unterſcheidungsmerkmale der drei deutſchen Hörnchen: 1“ Schwanz faft körperlang, buſchig und zweizeilig behaart; OGhrmuſchel kopflang, an der Spitze mit Haarpinſel. Körperlänge 44—47 cm, davon etwa 20 cm auf den Schwanz. 1. Eichhörnchen Sciurus vulgaris L. 1, Schwanz nur / — 0 der Körperlänge; Ohrmuſchel klein und nur wenig aus dem Pelz hervorſtehend. 2“ Schwanz nur etwa ½ des Körpers, nur in der Endhälfte buſchig behaart. Mit Backentaſchen. Körperlänge 25 cm, davon 5 cm auf den Schwanz. 2. Siefel Citellus (Spermophilus) citillus L. 2, Schwanz nur etwa ½¼ des Körpers, von Grund aus buſchig be- haart. Keine Backentaſchen. Körperlänge 63 cm, davon 15 cm auf den Schwanz. 3. Murmeltier Marmotta (Arctomys) marmotta L. J. Das Sichhörnchen, Sciurus vulgaris L. Wer kennt ihn nicht, den „falb-feurig gemantelten Königs- john“ Rückerts? Wer hat ſich nicht ſchon an den zierlichen Die Nagetiere (Rodentia). 61 Bewegungen dieſes Charaktertieres unſerer deutſchen Wälder erfreut? Mit unglaublicher Sicherheit eilt es am Stamm hinauf und hinab, wobei ihm die fcharfen Krallen treffliche Dienſte leiſten: auf wagerechtem Aſt läuft es faſt bis zur äußerſten Spitze, ſpringt dann über auf den Aſt eines benachbarten Baumes, geſchickt die breite buſchige Fahne ſeines Schwanzes als Fallſchirm benutzend und am neuen Ort das alte Spiel fort— ſetzend. Dabei iſt es auf dem Erdboden nichts weniger als langſam; es tritt mit der ganzen Sohle auf, und da die Hinter— beine bedeutend länger ſind als die vorderen, ſo ge— ſchieht die Fortbewegung in einem ſprungartigen Hüpfen, wobei das Tier mit den ſtark nach außen 9 geſtellten Binterläufen ſtets die eng nebeneinander— 9 9 ſtehenden Vorderläufe überſchnellt: ſo kommt eine ganz charakteriſtiſche Spur zuſtande (Figur 16), denn die gegenſeitige Stellung der Käufe bleibt ſtets die gleiche und nur die Abſtände der Spurenbilder von q 7 einander ſind je nach der Schnelligkeit verſchieden. Auch beim Schwimmen zeigt es übrigens große 9 9 Gewandtheit, wenn es auch ſelten freiwillig ins | Waſſer geht. Der Pelz des Eichhörnchens ändert in der Fär⸗ ! bung mehrfach ab: im Sommer iſt er meiſt oben bräunlichrot, an den Kopfjeiten mit grau gemiſcht, . am Bauche weiß; doch auch kaſtanienbraunen und 9 ſchwarzen Exemplaren begegnet man häufig, den 90 letzteren anſcheinend beſonders im Gebirge. Im — Winter erhält der Pelz auf der Oberfeite einen grauen Ligur 16. Anflug, in nordiſchen Gegenden, wie z. B. in Sibirien, . 9225 5 Aal 8 4 Eichhörn wird er in dieſer Jahreszeit ſogar vollkommen weiß— chens. grau und bildet dann als „Grauwerk“ eine geſchätzte Rauchware; namentlich der Bauchteil gilt unter dem Namen „Feh“ oder „Fehwamme“ als koſtbar. Uber ganz Europa und Aſien verbreitet, ſucht ſich das Eichhörnchen am liebſten hochſtämmige trockne Wälder, beſon— ders Nadelholzwälder zum Aufenthaltsort, beſucht freilich auch während der Reife des Obſtes und der Nüſſe gern die Dorfgärten. Wo ihm ſeine Hauptnahrung, Sämereien des Waldes, in reichlicher Menge zur Verfügung ſteht, dort ſiedelt es ſich an und erbaut ſich ſeine Wohnungen. Su kurzem, ge— 62 Diertes Kapitel. legentlichen Aufenthalt, z. B. bei plötzlicher Gefahr oder auch als Vorratskammern dienen ihm verlaſſene Vogelneſter, Löcher und Spalten hohler Bäume u. dgl.; die eigentliche Wohnung wird ſorgfältig aus Reiſig hergerichtet, mit Laub und Moos gepolſtert und mit einem flachen, kegelförmigen Dach überwölbt, wobei freilich auch oftmals ein verlaſſener Elſter-, Krähen⸗ oder Raubvogelhorft als Unterlage dient. Der abwärts gerichtete Haupteingang ſieht gewöhnlich nach Oſten, außerdem findet ſich meift noch ein kleineres Fluchtloch. In ein ſolches Veſt, deren übrigens jedes Tier mehrere zu beſitzen ſcheint, zieht ſich unſer Eichhörnchen während der Nacht zurück, hier verharrt es bei un⸗ günftiger Witterung oft tage: lang, und hier verbringt es auch den Winter, ohne aber in einen eigentlichen Winterſchlaf zu ver- fallen. Naht dann das Früh⸗ jahr, jo beginnt die Paarung, bei der die Tiere oft ein eigen⸗ tümliches Pfeifen ertönen laſſen, und nach vierwöchentlicher Trag⸗ zeit wirft das Weibchen im März oder April 5—8 hilflofe, ungefähr 9 Tage blinde Junge, die etwa I Monat lang gefäugt und ſorgfältig gehütet, ja bei Gefahr in ein anderes Neſt ge: ſchleppt werden. Wenn das Wetter andauernd trocken und ſchön iſt und die Nahrung reichlich zu Gebote ſteht, dann bringt das Weibchen wohl auch noch einen zweiten Wurf im Sommer. Ebenſo zierlich wie das ganze Gebaren des Eichhörnchens in der Bewegung iſt auch ſeine Haltung beim Freſſen, wenn es ſich auf die Hinterbeine niederläßt und die Nahrung mit den Dorderpfoten zum Munde führt. Gerade aber durch die Art ſeiner Ernährung fügt unſer Tier dem Walde außerordent— lichen Schaden zu! Seine Lieblingsnahrung bilden Sämereien; neben Nüſſen und Obſt, von welchem übrigens nur der Kern, niemals das Fleiſch verzehrt wird, vornehmlich Sämereien des Waldes. Gern nimmt es Eicheln und Bucheln, Ahorn-, Linden⸗ und Hainbuchenſamen, beſondere Vorliebe aber zeigt es für die Figur 17. Fichtenzapfen, vom Eich⸗ hörnchen der Schuppen beraubt. Die Nagetiere (Rodentia). 63 Samen des Nadelholzes: um fie zu erlangen, weiß es geſchickt von den Zapfen die Schuppen abzubrechen, am Stiel beginnend und nur einige wenige an der Spitze ſtehen laſſend (Figur 17); am Boden finden wir dann die Spindeln, die es fallen läßt. Doch nicht genug damit: eifrig macht es ſich auch, zumal wenn es nicht genug Sämereien bekommen kann, über Knojpen und Rinde her! Die letztere wird an Buche und Hainbuche, an Tanne und Fichte, Eiche und Aſpe, beſonders in den höheren Baumpartien plätzförmig abgenagt oder „geringelt“, was nicht ſelten Faulwerden, ja ſogar Abſterben des Holzes zur Folge hat und lange fingerbreite Rindenfetzen an der Erde geben uns dann Kunde von der verwüſtenden Tätigkeit des Tieres. Trieb⸗ und Blütenknoſpen nimmt es beſonders gern von der Fichte, aber auch von Kiefer und Tanne, und um ihrer habhaft zu werden, bricht es die ganzen Triebe ab, die als „Abbiſſe“ oder „Abſprünge“ alsdann den Boden bedecken. Und dabei werden weder junge Kulturen noch Bäume von vielen Metern Höhe verſchont. Aber nicht auf dieſe pflanzlichen Stoffe, zu denen gelegent— lich auch Pilze kommen, beſchränkt ſich der Hunger des Eich⸗ hörnchens, auch tieriſche Nahrung wird nicht verſchmäht. Frei⸗ lich, um gerecht zu ſein, müſſen wir anerkennen, daß unſer Tier auch manche Galle, manchen Maikäfer, manche ſchädliche Raupe, 3. B. die ſchädlichen Afterraupen der Blattweſpen, vertilgt, doch das kann keinen Erſatz bieten für die Serſtörung zahlloſer Dogel- neſter, deren Bewohner ebenſo wie die Eier mit wahrer Leiden: ſchaft verzehrt werden. In Mengen fallen dem Räuber die kleinen Vögel des Waldes zum Opfer, die uns teils direkt durch das Dertilgen ſchädlicher Inſekten nützlich werden, teils uns durch ihren Geſang erfreuen! Und dabei hat das gewandte Tier, abgeſehen von un günſtiger Witterung, der es oft erliegt, kaum einen Feind zu fürchten außer dem Sdelmarder; er freilich iſt ihm ein furcht- barer Feind, konnte man doch ſogar beobachten, daß feine Aus: rottung eine ſtarke Vermehrung des Eichhörnchens zur Folge hatte und damit eine Zunahme des dem Walde zugefügten Schadens! Wer alfo unſer Tier wirklich kennt, der wird auch, trotz ſeines anſprechenden Außeren, trotz ſeiner Sierlichkeit und Ge: wandtheit, damit einverſtanden ſein, daß der Forſtmann ſeiner Überhandnahme zu fteuern fucht. 64 Diertes Kapitel. 2, Der Feſel, Citellus (Spermophılus) cıtıllus L. gehört ſchon durch feine Verbreitung zu den intereſſanteſten Tieren unſeres Vaterlandes! Ausſchließlich für ein Leben auf und im Erdboden geſchaffen, iſt das kaum hamſtergroße gelb— graue Tier ein ausgeſprochener Bewohner der Steppe. Tief— liegende feuchte Wieſen ebenſo meidend wie Gebüſch und Wäl— der, hat es in unſerer jetzigen Erdepoche — in der Eiszeit war es über ganz Europa verbreitet — ſeine urſprüngliche Heimat in der Gegend des ſchwarzen Meeres, iſt aber von hier all— mählich immer weiter nach Weſten vorgedrungen. Schon im XIII. Jahrhundert finden wir es in Gſterreich- Ungarn; die Grenzen Deutſchlands überſchritt es zu Beginn des NIX. Jahr: hunderts und heute bewohnt es das Königreich Sachſen und Schleſien, ohne daß aber ſein Vorrücken damit beendet zu ſein ſcheint! In Kohl und Gemüſeäckern, in Kleejchlägen und auf Weiden, beſonders häufig aber in Getreidefeldern gräbt ſich jedes Tier eine ſenkrechte, oft mannstiefe Röhre, an deren un: terem Ende fich das weich gepolſterte, meiſt auch kleine Vorrats⸗ mengen enthaltende Lager befindet. Hier verbringt der Sieſel die Nacht, hier wirft das Weibchen im Frühjahr ſeine Jungen, hier wird auch der Winterſchlaf gehalten, der ſchon zeitig im Herbſt beginnt. Von den eigentlichen Wohn- und Brutbauten laſſen ſich übrigens die einfacheren, flach unter der Erde hin— ſtreichenden „Spiel⸗ und Sufluchtsbaue“ unterſcheiden. Sierlich und beweglich in feinen ganzen Gebaren, macht ſich der „Suslick“ durch die Art ſeiner Ernährung den Land— mann zum Feinde. Das einzelne Tier ſchadet freilich nicht viel, obgleich man in den großen Backentaſchen oft mehr als eine Handvoll Hafer finden kann, aber bei feiner großen Fruchtbar— keit ift fein Schade ein ganz beträchtlicher. Wurzeln, Gräſer und Sämereien bilden ſeine Nahrung: Getreide- und Haferfelder werden durch Abbeißen der Halme und Enthülfen der Uhren verwüſtet, Kartoffelfnollen und Rüben werden angefreſſen und gehen zugrunde. Außerdem wird der Erdboden durch die zahlreichen Baue und vornehmlich durch die ſchrägen Ein— gangsröhren derart unterwühlt, daß oft Sugtiere, ja ſelbſt Menſchen die dünngewordene Decke eee und zu aaa kommen. Die Nagetiere (Rodentia). 65 Obgleich der Sieſel in Schlingen zu fangen iſt, ſo erſcheint doch überall, wo er ſich angeſiedelt hat, eine energiſche Be— kämpfung am Platz, und man verwendet hierzu am beſten den Schwefelkohlenſtoff, ein Mittel, das, wie wir ſehen werden, auch gegen Kaninchen, Hamſter und Feldmäuſe erprobt iſt. 5. Das Murmeltier, Marmotta (Arctomys) marmotta L. Das ſchmucke, wenn auch ziemlich plumpe und etwas über kaninchengroße Geſchöpf (Figur 18) mit ſeinem braunen, nicht beſonders geſchätzten Pelz, mit den fait ganz ver- ſteckten Ohrmuſcheln und den großen, vorn rotgelben Schneidezähnen iſt uns gegenwärtig entfremdeter geworden als in früheren Zeiten, da noch der Sa— voyardenknabe mit ſeiner „Marmotte“ in Deutſch— land herumziehen durfte, um in Dorf und Stadt 5 f 5 feine einfachen Vorſtel— Figur 18. Murmeltier. Marmotta marmotta L. lungen zu geben. (Aus Schmeil.) Innerhalb der Grenzen unſeres Vaterlandes iſt das Mur— meltier nur in Bayern zu finden; ſind doch die Hochgebirge der Alpen, der Pyrenäen und Karpathen feine Heimat, und dort bewohnt es die höchſtgelegenen Stellen, die Matten dicht unter dem Schnee und dem ewigen Siſe. In ganzen „Rudeln“ oder Familien lebt es an Orten, die jedem menſchlichen Treiben möglichſt fern ſind, wie freie, von ſteilen Felswänden umſchloſſene Plätze oder engere Gebirgsſchluchten; mit Vorliebe ſiedelt es ſich dabei auf den nach Süden, Oſten und Weſten gelegenen Hängen an. Im Sommer bewohnen die Tiere einzeln oder paarweiſe ihre ſelbſtgegrabenen Erdhöhlen; mit Tagesanbruch kommen ſie hervor, immer aufmerkſam lauſchend und horchend, bei nahender Gefahr die Genoſſen durch einen eigentümlichen tiefen Pfiff warnend, dabei aber ſtets nach Nahrung ſuchend. Dieſe beſteht aus den friſchen ſaftigen Alpenpflanzen, aus Kräu- Hennings, Die Säugetiere Deutſchlands. 5 66 Diertes Kapitel. tern und Wurzeln, und wird während des kurzen Sommers in ſolchen Mengen vertilgt, daß die kleinen Geſellen im Herbſt ungemein fett ſind. Naht dann die ungünſtige Jahreszeit, ſo graben ſie eine beſondere, meiſt etwas niedriger im Gebirge gelegene Winterwohnung, welche die ganze Familie von 5 bis 15 Stück aufnimmt, und deren Eingänge von innen her mit Neu, Erde und Steinen verſchloſſen werden. Der nun folgende Winterſchlaf dauert viele Monate, ja bis zu einem halben Jahr und darüber, länger alſo, als bei irgendeinem anderen Winter— ſchläfer, und ſo kommt es, daß gerade das Murmeltier immer mit beſonderer Vorliebe zu Studien über jene merkwürdige Er— ſcheinung benutzt wurde. Dabei hat ſich folgendes ergeben: Während des Wachens verhungert ein Tier, das länger als 20 Tage faſten muß, im „Schlaf“ verharrt es, nur vom eigenen Fette zehrend, bis zu ½ Jahr ohne Nahrung aufzunehmen. Die Sahl der Herzſchläge, die im Sommer 2—500 in der Minute beträgt, ſinkt auf 14—56, die Sahl der Atemzüge von 50—70 auf 2—8, ja man kann oft für viele Minuten ein vollkommenes Aufhören der Atmung beobachten; und ſo iſt auch der Verbrauch an Sauerſtoff nur 1/,, des normalen Bedarfs. Ebenſo fällt die Körperwärme um ein Beträchtliches: während des Sommers mißt fie 57,50 C., im Winterſchlaf geht fie faft herab auf die Tem- peratur der umgebenden Luft, meiſt alſo auf wenige Grad über Null. Direkt lebensrettend wirkt es dabei, daß das Tier, ſobald die Temperatur ſeiner Höhle auf den Gefrierpunkt ſinkt, erwacht, um ſich tiefer in die Erde einzugraben: würde doch eine Ab— kühlung des Körpers auf 00 natürlich den Tod zur Folge haben! Ganz erſtaunlich iſt auch die Schnelligkeit, mit der die winter— liche Erſtarrung ſich löſt; hat im Frühjahr Sonne und Wind den Schnee vertrieben, dann erfolgt das Erwachen und dabei ſteigt die Körperwärme binnen weniger Stunden um 25— 500. — Bald darauf findet die Paarung ſtatt und 6 Wochen danach wirft das Weibchen 2—5 Junge, die mit der Familie zuſammen— bleiben und nur langſam heranwachſen; erſt im dritten Lebens— jahr erreichen ſie die Größe der Eltern. II. Familie: Schläfer oder Bilche, Myoxidae. Die Mitglieder dieſer Familie, durchweg kleine zierliche Tierchen, zeigen manche Beziehungen zu dem Eichhörnchen einer— Die Nagetiere (Rodentia). 67 und andrerſeits zu den Mäuſen: den dicht behaarten, faſt körper— langen Schwanz, den wir bei jenem antrafen, finden wir hier wieder, und ebenſo auch die bewurzelten Backzähne mit höcke— riger Krone, dagegen erinnern die großen faſt nackten Ohr— muſcheln und die geringe Körpergröße ſehr an die Mäuſe. — Wälder, vornehmlich Caubwälder, Haine und Gärten find der Aufenthaltsort der Bilche, hier klettern fie gleich dem Eichhörn- chen auf und in Bäumen und Sträuchern geſchickt umher, ohne es ihm freilich an Springfähigkeit gleich zu tun. Ihre Lebens⸗ weiſe iſt eine ausgeſprochen nächtliche, wofür ſchon die großen Augen ſprechen; ſie ſchlafen tagsüber, und man bekommt ſie daher auch nur ſelten einmal zu Geſicht, zumal ſie bei Beginn der kalten Jahreszeit in einen tiefen Winterſchlaf verfallen. Gleich dem Eichhörnchen find die „Schlafmäuſe“ Alles- freſſer; ſie verſchmähen zwar keineswegs Inſekten, kleine Vögel und Dogeleier, ihre Hauptnahrung jedoch bilden Sämereien, Früchte, Knoſpen und Rinde. So können fie, wo ſie häufiger vorkommen, wohl einigen Schaden verurſachen, indem ſie die Obſtplantagen des Landwirts brandſchatzen; auch im Walde machen ſie ſich gelegentlich unangenehm bemerkbar, ſie nagen 3. B. mit Vorliebe Fichtenzapfen an und „ringeln“ gern Laub— hölzer, wie Birke, Buche u. a., indem ſie die Rinde in ſchmalen, ring: oder jpiralförmigen Streifen abreißen. Freilich iſt der Schade dabei kein beſonders erheblicher, denn die befallenen Bäume gehen wohl kaum jemals zugrunde, ſondern gleichen den Derluft durch Überwallen wieder aus. Nach leicht kenntlichen Merkmalen laſſen ſich unſere vier deutſchen Bilche folgendermaßen unterſcheiden: 1“ Ohr von halber Kopflänge; Pelz oben braun, unten weiß, um das Auge ein ſchwarzer Ring, der ſich nach hinten an den Seiten des Kopfes fortſetzt, und zwar: 2“ unter dem Ohr bis zum Hals hin. Körperlänge etwa 12 +π cm. Gartenſchläfer Eliomys quercinus L. 2, nur bis zum Ohr. Körperlänge etwa 9 - em. Baumſchläfer Eliomys (Myoxus) dryas Schreb. 1, Ohr kürzer als der halbe Kopf; Pelz oben nicht braun, ſondern grau oder gelb. 2“ Pelz oben gelbgrau, unten weiß. Körperlänge 16 bis 18 + 13 bis 14 cm. Siebenſchläfer Myoxus glis L. 2, Pelz einfarbig gelblich. Körperlänge 7 -- 7 cm. Dafelmaus Muscardinus avellanarius L. 5* 68 Diertes Kapitel. j. Der Siebenſchläfer, Myoxus glis L. iſt der größte unſerer heimiſchen Bilche und erreicht ungefähr die Größe einer mittleren Ratte. Er dürfte in den meiſten bewaldeten Hügel: und Berglandfchaften Deutſchlands vorkommen, bleibt aber meiſt, vielleicht mit Ausnahme von Bayern und Schleſien, ziemlich ſelten. Ganz wie das Eichhörnchen bewegt er ſich zierlich und gewandt in den Aſten und baut ſich in einem hohlen Baum, einem Erdloch oder einer Felsſpalte aus kleinen Sweigen ein warm gepolſtertes Neſt, das zugleich als Vorratskammer dient und wo Männchen und Weibchen gemeinſam den Tag und den Winter verbringen. Seine Nahrung beſteht hauptſächlich in Vüſſen, Eicheln, Bucheln, gelegentlich auch in ganz jungen Buchenpflänzchen und vor allem in Obſt, von dem er aber weit mehr verdirbt als er zur Sättigung bedarf, und nur der Kerne wegen plündert er die Gbſt— bäume. Daneben werden auch In— ſekten, Vögel und Eier mit großer Gier verſchlungen. — Mit dem Siebenſchläfer ſtimmen 2. Der Baumſchläfer, Myoxus dryas und 5. der Gartenſchläfer, Eliomys quercinus in der Lebensweiſe ziemlich überein. (Ihre Färbung iſt aus der obenſtehenden Tabelle erſichtlich.) Der erſtgenannte iſt vorwiegend in Südoſteuropa zuhauſe, doch kommt er auch ziemlich weit nach Weſten vor, ſelbſt in Schleſien, weshalb er hier wenigſtens kurz erwähnt ſei. Viel häufiger und beſonders in den deutſchen Mittelgebirgen ſtellenweiſe ſogar ungemein zahlreich iſt der Garten— ſchläfer (Figur 10), der ſich in der Cebensweiſe eigentlich nur da- durch vom Siebenſchläfer unterſcheidet, daß er im Sommer ein freiſtehendes, kugeliges Neſt baut; als Unterlage dient ihm meiſt ein Dogelneft, deſſen Erbauer und urſprünglichen Bewohner er verdrängte. Bier lebt das zierliche Geſchöpf während der gün- ſtigen Jahreszeit, hier kommen auch die 4—6 Jungen zur Welt, während für den Winterſchlaf geſchütztere Schlupfwinkel auf: geſucht werden. Figur 19. Gartenſchläfer. Eliomys quercinus L. Die Nagetiere (Rodentia). 69 4. Die Bafelmaus, Muscardinus avellanarius, die kleinſte Art unſerer Schläfer, erreicht nur die Größe einer Haus- maus, von der ſie ſich aber ſofort durch die gelblichrötliche Färbung und den gleichmäßig dicht behaarten Schwanz unter— ſcheidet. Sie bewohnt das Gebirge ſowohl wie die Ebene, hält ſich jedoch nur dort auf, wo ihr dichtes Buſchwerk zur Verfügung ſteht, und wie ſchon ihr Name beſagt, zieht ſie den Haſelſtrauch allen anderen Gebüſchen vor. Bier baut fie fich, nicht befon- ders hoch über dem Erdboden, ein Veſt aus Grashalmen, Wurzelwerk und Moos, in welchem ſie tagsüber verweilt und auch die Jungen wirft und großzieht, bis der nahende Winter fie in Baumhöhlen und andere, ſichere Verſtecke treibt. Hajel- nüſſe, Eicheln und Bucheln bilden mit den verſchiedenſten ſaf— tigen Beeren die Hauptnahrung der Hafelmaus, doch plündert ſie auch gern Obſtbäume und gleich ihren größeren Familien— genoſſen kann auch ſie durch „Ringeln“ an Buchen, Birken u. a. Caubhölzern ſchädlich werden. — Die III. Familie: Biber, Castoridae dürfte in nicht zu ferner Zeit das Schickſal ſo mancher anderen Säugetiergruppe teilen, die heute vom Erdboden verſchwunden find und nur in „Verſteinerungen“ uns Kenntnis von ihrer einſtigen Erijtenz geben! Noch freilich leben zwei geographiſche, äußerlich nur wenig verſchiedene Formen, der nordamerikaniſche und der europäifch-fibirifche Biber, Castor fiber und der letztere iſt durch ſorgfältige Schonung bisher in letzten Reſten ein Mitglied unſerer deutſchen Tierwelt geblieben. Mit ſeinen hinteren Schwimmfüßen und dem breiten ſchuppigen Steuerſchwanz hat ſich das I—120 m lange Tier vorzüglich dem Waſſerleben angepaßt; ebenſo auch in ſeinem dunkelbraunen, durch lange glänzende Grannenhaare und dicke Unterwolle aus— gezeichneten Pelz, der eine der ſchönſten und wertvollſten Rauch— waren iſt und allein ſchon viel zur allmählichen Ausrottung ſeines Trägers getan hat. Aber nicht nur des Kleides wegen, ſondern auch noch aus anderen Gründen iſt der Biber nament— lich in früherer Seit den ſchlimmſten Verfolgungen ausgeſetzt 70 Diertes Kapitel. geweſen: zu den Seiten der Geſchlechtsöffnung liegen bei beiden Geſchlechtern zwei Drüſenſäcke, die eine eigentümlich riechende, ſalbenartige Maſſe ausfcheiden, das ſog. Bibergeil (Castoreum): auch heute noch gelegentlich vom Arzt als krampfſtillendes Mittel angewandt, ſpielte es in der Quackſalberei früherer Jahr: hunderte eine hervorragende Rolle! Auf eine halb unterirdiſche Lebensweiſe unſeres Tieres deuten die kleinen Augen und Ohren, auf ſeine „Hobfällertätig- keit“ der mächtig entwickelte Kauapparat, beſtehend aus großen, vorn rotgelben Nagezähnen und 16 wurzelloſen Backzähnen mit äußeren und inneren Schmelzfalten (Figur 15 B). Der Biber frißt zwar auch Waſſerpflanzen, beſonders die ſog. Waſſerlilien (Nymphaeen), hauptſächlich aber nährt er ſich von der Binde der Weiden, Pappeln, Sſchen, Birken u. a., ſelbſt der härteſten Caubhölzer, wie der Eiche; jo wird er allein ſchon durch die Art ſeiner Ernährung zum Schädling, und in viel höherem Maße iſt dies noch der Fall durch ſeine Bautätigkeit, wobei er freilich oft eine kaum glaubliche Kunſtfertigkeit an den Tag legt: dort, wo er nur in einzelnen verſprengten Exemplaren vorkommt, beſchränkt er ſich meiſt auf einen nicht weit vom Ufer in die Erde gegrabenen „Keſſel“, deſſen ebenfalls unter— irdiſche Fluchtröhre, das „Geſchleife“, zum Waſſer hinführt und unter dem Waſſerſpiegel mündet. Bier werden auch im Mai die 2—5 blinden Jungen geworfen, die ſich früheſtens im dritten Lebensjahr von den Eltern trennen. — Wo aber die Tiere noch in größerer Sahl und einigermaßen ungeſtört zuſammen⸗ hauſen, dort erweiſen ſie ſich als wahre Waſſerbaukünſtler: in planmäßiger Suſammenarbeit wird an verſtändnisvoll gewählter Stelle ein breiter, mit Erde und Steinen gedichteter Knüppel— damm aufgeführt; über dem Spiegel der fo aufgeſtauten Waſſer— fläche werden dann auf einer Art Pfahlroſt die „Burgen“ er— richtet, bis 5 m hohe, ebenfalls gut gedichtete und kuppelförmige Knüppelnefter, die ihren Eingang unter Waſſer haben und neben geräumigen Wohnungen oft noch Vorratsräume mit aufgeſpeicherter Aſtrinde und Sweigen enthalten. Das Material zu dieſen Bauten holt ſich der Biber aus der Umgebung des Gewäſſers, wobei er mit feinen fcharfen Nagezähnen mühelos Bäume von 50 cm. und mehr Durchmeſſer fällt und in paſſende Stücke zerlegt. Der Schaden, der durch große Biberkolonien angerichtet werden kann, iſt alſo kein geringer, zumal ſie durch ihre Bautätigkeit Flüſſe Die Nagetiere (Rodentia). 71 aufſtauen und in eine Kette von Seen verwandeln, die dann wieder zu Torfmooren werden können. Ausgedehnte Anſiedelungen mit großen Damm- und Burg— bauten werden wir freilich heute in Deutſchland kaum finden, iſt der Biber doch in faſt allen Teilen unſeres Vaterlandes ausgerottet, und nur eine Reihe von Ortsnamen deuten auf ſein früheres Vorkommen hin; in Weſtpreußen z. B. fiel der letzte Ende des 18., in Weſtfalen erſt um die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Dagegen können wir dem Biber noch begegnen in preußiſchen und anhaltiſchen Forſtbezirken an der Mulde und mittleren Elbe, ſowie deren Altwäſſern und kleineren Nebenflüſſen: hier wird er von den beiden Regierungen ſorgfältig geſchützt und gehegt, um noch möglichſt lange als eines der intereſſanteſten Naturdenkmale der Heimat erhalten zu bleiben! IV. Familie: Mäuſe, Muridae. 4 Dieſe Familie, durch Häufigkeit, Fruchtbarkeit und Gefräßig— keit vor allen anderen Nagern dazu befähigt, uns den größten, empfindlichſten Schaden zuzufügen, umfaßt eine beträchtliche Reihe von Arten, die alle darin übereinſtimmen, daß ſie in jeder Kieferhälfte nur drei Backzähne beſitzen und daß ihr Schwanz im Vergleich zu den Hörnchen und Bilchen nur dünn behaart, ja nicht ſelten auch mit kleinen Schuppen bedeckt und dann faſt nackt iſt. Unſere heimiſchen Arten laſſen ſich auf drei Gruppen verteilen, die mehr im Körperbau als in der Lebensweiſe von einander abweichen: J. die Hamſter, großohrige Tiere, deren behaarter Schwanz nur ¼ der Körperlänge mißt und deren Backzähne deutliche Wurzeln und eine höckerige Kaufläche zeigen; 2. die ſchlanken echten Mäuſe, gleichfalls mit großen Ohren und bewurzelten, höckerkronigen Backzähnen, aber mit ungefähr körperlangem, beſchupptem und faſt nacktem Schwanz; und 5. die Wühlmäuſe, plumpe Tiere mit mehr oder weniger im Pelz verſteckten Ohren, einem Schwanz, der nur ½ — 0 der Körperlänge erreicht und Backzähnen, die, in der Jugend ſtets und im Alter meiſt unbewurzelt, aus zwei Reihen alternierend geſtellter Schmelzprismen beſtehen (Figur 15 C). 72 Diertes Kapitel. I. Der Hamſter, Cricetus, ericetus .R. (= frumentarius Pall.), der einzige deutſche Vertreter der (beſonders in Amerika zahlreichen) Hamſtergruppe, iſt ein ausgeſprochener Steppen- bewohner, der dem Menſchen auf die fruchtbaren Ackerfelder gefolgt iſt. Das ſtattliche, rattengroße Tier (Figur 20) iſt ſtets leicht an dem kurzen, nur 5 cm meſſenden Schwanz und vor- nehmlich an der eigentümlichen „Verkehrtfärbung“ zu erkennen: auf der Oberſeite, wie manch anderer Säuger des Feldes der Umgebung angepaßt und rötlichgelb bis graubraun gefärbt, iſt die Unterſeite nicht, wie bei den meiſten Tieren, heller, ſon— dern viel dunkler, tief ſchwarz⸗ braun! Fruchtbare Getreidefelder von Elſaß-Lothringen bis nach Schle- ſien gewähren ihm Aufenthalt und Nahrung; in Vorddeutſch— land iſt er ſeltener, fehlt auch wohl ſtellenweiſe ganz. Gebirgige und ſumpfige, dürre und reinfan- dige Gegenden meidet er ebenſo FE wie den Wald, bejonders häufig Figur 20. Hamſter. Cricetus cricetus L. ſtellt er ſich ein, wo ein tief- (Aus Schmeil.) gründiger, lehmig⸗ſandiger Boden von mittlerer Fruchtbarkeit vor⸗ herrſcht. Bier lebt er ungefellig und nur zur Fortpflanzungs⸗ zeit paarweiſe in unterirdiſchen, aus Wohn- und Vorratskam⸗ mern beſtehenden Bauen, die er mit feinem gedrungenen ftäm- migen Leib und den kurzen, aber ſcharf befrallten Beinen mühelos 1—2 m tief in den Ackerboden gräbt. Den Zugang bildet ein ſenkrechtes „Fall- oder Singangsrohr“ mit enger, kreisrunder Öffnung und eine ſchräg verlaufende, oben ſich er— weiternde „Fluchtröhre“, und an dieſen Gängen kann man auch leicht erkennen, ob ein Bau bewohnt iſt oder nicht: findet ſich in ihnen Moos, Schimmel, Gras und Spinnweben, ja ſehen ſie auch nur rauh und uneben aus, ſo iſt der Bau verlaſſen, denn der Hamfter hält fein Haus ſtets rein und in Ordnung. Länger Die Nagetiere (Rodentia). N 73 benutzte Gänge werden bei dem fortwährenden Ein- und Aus— fahren durch den Pelz derart abgerieben, daß ſie rund und ganz glatt erſcheinen. Von dieſer Wohnung aus unternimmt der ſtets hungerige Geſelle bei Tag und Nacht ſeine Streifzüge in die nahen Felder, wo er feine großen, bis in die Schultergegend reichenden Backen⸗ taſchen mit Wurzeln, Kräutern, Erbſen, vor allem aber mit Getreidekörnern anfüllt; mit Hilfe der ſehr beweglichen, hand— artigen Vorderfüße biegt er geſchickt die Halme um, beißt mit den Nagezähnen die Ahren ab und zieht fie ein paarmal durch den Mund, die herausſpringenden Körner mit der Sunge in die Backentaſchen ſchiebend. Auch tieriſche Nahrung wird Feines- wegs verſchmäht, Mäuſe, kleine Vögel und Inſekten werden gar gern ergriffen und ſofort an Ort und Stelle aufgefreſſen; die pflanzliche Beute dagegen wird erſt verzehrt im Bau, oder hier für den Winter aufgeſpeichert. — Im Oktober verſtopft unſer Tier dann die Sugänge ſeiner unterirdiſchen Behauſung mit Erde und verfällt in der warm gepolſterten Wohnkammer in den Winterſchlaf, erwacht aber nicht ſelten auch während der ungünſtigen Jahreszeit und labt ſich dann an ſeinen Vor— räten. Kehrt dann der Frühling wieder ins Land und iſt die winterliche Ruhe beendet, dann wird der Reſt des Vorrats ver— zehrt; jetzt wird auch der Bau wieder geöffnet, um freilich noch gelegentlich, etwa bis Johanni, zum Schutz gegen die nächtliche Kühle oder bei ſtarkem Regen vorübergehend wieder geſchloſſen zu werden. Im Frühling beginnt auch die Fortpflauzung, die zwei- mal im Jahr, im Mai und Juli, Würfe liefert von 6—14 blin⸗ den, faſt nackten Jungen. Ungefähr nach einer Woche öffnen fie die Augen, nach 14 Tagen beginnen fie zu wühlen, und ſo— bald ſie das können, werden ſie von der Mutter zum Bau herausgejagt und „machen ſich ſelbſtändig“; doch brauchen ſie immerhin ein ganzes Jahr, ehe ſie ausgewachſen ſind. Die Schädlichkeit des Hamſters iſt recht bedeutend, kann man doch in einem einzigen Bau Getreidevorräte von 20 bis 25 Pfund, ja ſelbſt bis zu I Sentner, finden. Auch werden die Baue ſelbſt zu einer Gefahr namentlich für die Sugtiere. Es iſt daher ein rechtes Glück, daß dieſer ſchädliche Nager ſo viele Feinde hat, wenn er auch, hochaufgerichtet und fauchend, manch einen von ihnen abzuwehren weiß. Buſſarde und Eulen, Raben 74 Diertes Kapitel. und andere Dögel, vor allem aber Iltis und Wiefel find un— unterbrochen auf feiner Spur und töten ihn, wo und wann fie können; die beiden letztgenannten folgen ihm auch in feine unter- irdiſche Wohnung, und verdienten deshalb in Hamſtergegenden größere Schonung, wenn der Landmann auch natürlich nur ſelten ihnen allein die Bekämpfung des Schädlings überlaſſen kann: oft genug wird er zu anderen Mitteln, vor allem zum Schwefel— kohlenſtoff (ſ. u.) greifen müſſen! Übrigens hat ſich auch das jog. „Frettieren“, die Jagd mit dem Frettchen, als recht erfolg- reich erwieſen. 2. Die echten Mäuſe, Murinae. Dieſe Ur⸗ und Vorbilder der ganzen Familie ſind in ihrer Zudringlichkeit und Häufigkeit, in ihrem Treiben und Weſen nur zu gut bekannt, doch nirgends dankt ihnen der Menſch die un— verwüſtliche Anhänglichkeit, die ſie für ſeine Perſon, für ſein Haus und feinen Hof, feine Felder und Gärten beweiſen, bringen fie ihm doch ſtets nur Schaden und Verdruß! Daraus erklärt ſich auch, daß dieſe Nager meiſt ſchlechtweg als häßliche Tiere bezeichnet werden, obgleich ſie dies in Wirklichkeit durchaus nicht ſind: gerade durch ihre ſchlanke, zierliche Geſtalt und den ſchmalen Kopf mit ſpitzer Schnauze (ſ. Tafel Abb. J u. 3) unterſcheiden ſich ja die Schten Mäuſe von den Wühlmäuſen. Weitere Kenn⸗ zeichen dieſer Gruppe ſind die ſtets bewurzelten Backzähne mit höckeriger Kaufläche, die großen runden tiefſchwarzen Augen, die frei aus dem Pelz hervorſtehenden Ohren und der lange, faſt nackte Schwanz, der mit ringförmig geordneten Schuppen be— deckt iſt. Nach der Färbung und anderen leicht erkennbaren Merkmalen kann man die 6 deutſchen Arten folgendermaßen unterſcheiden: 1“ Schwanz mit 200—270 Schuppenringen. Geſamtkörperlänge über 30 cm („Ratten“). 0 2“ Schwanz mit 200—220 Schuppenringen, etwas kürzer als der Körper. Ohr nur / — ); des Kopfes (angedrückt, nicht bis zum Auge reichend). Pelz deutlich zweifarbig, oben rotgraubraun, unten weiß. 24 + 19 cm. 1. Wanderratte Mus decumanus Pall. 2, Schwanz mit 250—270 Schuppenringen, etwas länger als der Körper. Ohr ½ des Kopfes (angedrückt das Auge erreichend). Pelz einfarbig dunkelbraunſchwarz. 16419 cm. 2. Hausratte Mus rattus L. Die Nagetiere (Rodentia). 75 1, Schwanz nur mit 120—180 Schuppenringen. Geſamtkörperlänge unter 25 cm („Mäuſe“). 2“ Schwanz etwa körperlang, Ohr etwa von halber Kopflänge (an- gedrückt bis zum Auge reichend) („Langohrige“ Mäuſe). 3“ Schwanz mit ca. 180 Schuppenringen. Pelz einfarbig grau. Im. 3. Hausmaus Mus musculus L. 3, Schwanz mit ca. 150 Schuppenringen. Pelz deutlich zweifarbig, oben rötlich gelb, unten ſcharf abgeſetzt weiß. ı1 TIL cm. 4. Waldmaus Mus silvaticus L. 2, Ohr nur etwa !/,-Fopflang (angedrückt nicht das Auge erreichend) („kurzohrige“ Mäuſe). 3“ Schwanz kürzer als der Körper, mit 120 Schuppenringen. Pelz ‘ dreifarbig: unten weiß, oben braunrot und auf der Mitte des Rückens ein ſchwarzer e 10 78 cm. . Brandmaus Mus agrarius Pall. 3, Schwanz von an. mit etwa 130 Schuppenringen. Pelz zweifarbig, oben braunrot, unten weiß. 6+6 cm. 6. Swergmaus Mus minutus Pall. ˖ — a) Die Wanderratte, Mus decumanus Pall. und b) die Dausratte, Mus rattus L. find beide urſprünglich nicht in Deutfchland, ja nicht einmal in Europa heimiſch, ſondern Ein— dringlinge aus dem Oſten. Die kleinere von ihnen iſt die ein— farbige dunkelbraunſchwarze Bausratte, die übrigens gelegent— lich auch vollkommen des Farbſtoffs entbehrt und dann als „Albino“ oder Kakerlak weißgefärbt und rotäugig erſcheint. Sie kam vermutlich aus Agypten, und gehörte jedenfalls ſchon im frühen Mittelalter der heimiſchen Tierwelt an, durch enorme Vermehrung nicht ſelten zur Landplage werdend, bis ſie durch die größere Wanderratte in neuerer Seit allmählich verdrängt wurde, ſo daß ſie heute nur noch ſelten zu finden iſt. Ihre zweifarbige Schweſter, der ſie weichen mußte, kam aus Aſien zu uns: im Herbſt des Jahres 1727 ſetzte fie in großen Scharen über die Wolga, um ſofort ihren Siegeszug durch Europa an— zutreten. Da beide Ratten den gleichen Lebensbedingungen angepaßt ſind, in der Lebensweiſe alſo annähernd übereinſtimmen, ſo iſt es nur natürlich, daß die größere, kräftigere ihre kleinere ſchwächere Verwandte immer mehr verdrängt! Typiſche Bewohnerinnen menſchlicher Anſiedlungen, ſind ſie faſt Allesfreſſer geworden; ſie freſſen die Früchte des Feldes ebenſo gern wie alle Vorräte, die fie 76 Diertes Kapitel. in den Häuſern finden. Mit gleicher Gier nehmen fie tierijche ITah- rung und zeigen dabei nach menfchlichen Begriffen eine grenzenloje Brutalität, indem fie nicht nur Mäuſe, junge Vögel und Eier verzehren, ſondern auch unſer Hausgeflügel anfallen und dem gemäſteten Schwein ganze Stücke aus dem Körper reißen. Beide Arten bewohnen jegliche Verſtecke in Kellern und Speichern, in Abdeckereien und Schlachthäufern uſw., während aber die Haus: ratte kaum jemals ſich weit von den menſchlichen Behauſungen entfernt, gräbt die Wanderratte auch Gänge in Gärten, Ackern und Wieſen; auch ſchwimmt ſie gut und andauernd, hält ſich daher nicht nur maſſenweiſe in den Kanälen der größeren Städte auf, ſondern wird ſelbſt dem Waſſergeflügel gefährlich! Obgleich die Ratten von vielen Vögeln und Raubtieren eifrig verfolgt werden, ſind ſie doch, wo ſie ſich einmal angeſiedelt haben, nur ſchwer auszurotten; und wie ſchnell ſich dabei dieſe Schädlinge, die neuerdings auch als Verbreiter der Peſt gefürchtet werden, zu vermehren wiſſen, geht ſchon daraus hervor, daß ein einziges Weibchen 3, ja Amal jährlich Würfe von 5 bis 10 Jungen zur Welt bringt, die bereits im Alter von 3 Monaten geſchlechtsreif und fortpflanzungsfähig werden. c) Die Hausmaus, Mus musculus L. Ungleich zier⸗ licher, beweglicher und behender als die Ratten, hat das kleine „mausgraue“ Tier, das uns übrigens nicht ſelten auch in weißem Pelz mit roten Augen, alſo als Albino begegnet, ſich faſt noch mehr an den Menſchen angeſchloſſen als ihre beiden eben genannten Verwandten. In ſeinem Gefolge hat ſie ſich über die ganze Erde verbreitet und als ſein „treuer“ Begleiter hat fie ſich vor allem die menſchliche Behauſung als Aufenthalts: ort gewählt, den ſie nur ganz gelegentlich und auf kurze Seit verläßt. Süßigkeiten aller Art, Milch und Fleiſch, Käſe, Fette und Körner werden mit gleicher Begier als Nahrung gewählt und ſind auch vor dem gewandten Kletterer nirgends ſicher; auch in Bücher⸗ und Vaturalienſammlungen hauſen die Tiere oft in verderblichſter Weiſe. Nirgends gern geſehen und überall verfolgt, nicht nur vom Menſchen und ihrem ſchlimmſten Feind, der Katze, ſondern auf dem Lande auch von Igel, Iltis, Wieſel und Eule, iſt die läſtige Hausgenoffin doch meiſt recht ſchwer zu vertreiben, zumal ihre Fruchtbarkeit eine ganz außerordentliche iſt: die Tragzeit dauert nur drei Wochen und drei bis fünfmal im Jahr wirft das Weibchen 4 —6, nicht ſelten auch 8 Junge; Die Nagetiere (Rodentia). N bei der Geburt blind und nackt, wachſen dieſe ſchnell heran und bleiben nur ein paar Wochen im warmen Veſt, um dann ſelb— ſtändig auf die Nahrungsſuche zu gehen. — Gleich der Haus- maus iſt auch d) die Waldmaus, Mus silvaticus L. ausgezeichnet durch große Ohren und körperlangen Schwanz, ſie unterſcheidet ſich aber von jener nicht nur durch den deutlich zweifarbigen Pelz, ſondern auch durch die Lebensweiſe und die Art der Fort— bewegung. Während nämlich die Hausmaus bei der Flucht ſchnell über den Boden dahinläuft, pflegt die Waldmaus oder „Springmaus“ in großen Sätzen zu flüchten, wobei ſie jedesmal nur die Abdrücke der Hinterbeine hinterläßt. — Verbreitet durch ganz Deutſchland, lebt die Waldmaus, wie ſchon ihr Name be- ſagt, mit Vorliebe im Walde, wo ſie geſchickt im Gebüſch herum— klettert, kaum weniger häufig aber iſt ſie in Garten und Feld! Sie nährt ſich von Kerfen, Würmern, Wurzeln und Keimlingen, ihre beſondere Vorliebe gilt Sämereien, ſeien es Gbſt, Nüſſe, Kinden- oder Hainbuchenſamen, oder Eicheln und Bucheln; auch zarte Rinde, wie von Hollunder und Eſche, benagt ſie gern, ohne jedoch eine Sahnſpur zu hinterlaſſen. Ihre Tätigkeit im Walde iſt, das ſei zu ihrem Lobe geſagt, bei weitem nicht ſo ſtörend, wie man früher annahm, und größerer Schälſchaden iſt niemals ihr, ſondern der gewöhnlichen Feldmaus oder der Rötelmaus zu— zuſchreiben. — Im Herbſt gelangt unfere Waldmaus übrigens nicht ſelten mit dem eingefahrenen Getreide in die Häuſer und Scheunen, und kann dann recht empfindlich ſchaden, zumal ſie ſich auch hier, nicht nur des Sommers im Freien, vermehrt: zwei⸗ bis dreimal im Jahre findet man Würfe von 4—6 Jungen. — Gleich ihr verbringt auch e) die Brandmaus, Mus agrarius Pall., den Winter gern in Gehöften und Scheunen, wohin ſie teils freiwillig aus den benachbarten Feldern, teils unfreiwillig mit dem Erntewagen gelangt. Wir können dieſer Maus, die an ihrem ſchwarzen Rückenſtreif ſtets leicht kenntlich iſt, wohl überall in Deutſchland begegnen, ja in Mitteldeutſchland iſt ſie ſogar recht häufig, und wir finden ſie ſowohl an lichten Stellen des Waldes und am Wald— rande, wie in kleinen Feldgebüſchen und auf Ackern; von Inſekten und Würmern, aber auch von Knollen, Sämereien und Getreide lebend, muß ſie gelegentlich als landwirtſchaftlicher Schädling bezeichnet werden, ohne daß ſie freilich jemals an Gefräßigkeit 78 Diertes Kapitel. und Fruchtbarkeit und damit an wirtſchaftlicher Bedeutung der gewöhnlichen Feldmaus gleich käme. Aber auch die Brandmaus kann ſich unter günſtigen Umſtänden recht ſchnell vermehren, wirft fie doch S—4 mal jährlich Sätze von 4—8 Jungen. Brandmaus und Waldmaus bringen ihre Nachkommenſchaft in unterirdiſchen Neſtern zur Welt, anders f) die Swergmaus, Mus minutus Pall.: fie baut ſich eine oberirdiſche Wohnung und entfaltet dabei eine rühmens- werte Geſchicklichkeit: nach Geſtalt und Größe einem beſonders rundlichen Gänſeei gleichend, ſteht dieſer Bau bald auf einer Anzahl an der Spitze zerſchliſſener und miteinander verflochtener Riedgrasblätter, bald hängt er ½ bis I m hoch über der Erde frei in den Sweigen eines Buſches; als Material werden Pflanzen- faſern und Blätter verwandt und das Innere mit dem Überzug oder den haarigen Anhängen der Blätter und Samen ver— ſchiedener Pflanzen ausgepolitert. — Im Winter kommt dieſe kleinſte und zierlichſte, ebenfalls zweifarbige Maus oft in die Scheunen, doch verbringt ſie auch nicht ſelten die kalte Jahreszeit draußen im Freien: dann zieht fie ſich in ihr Neſt zurück und verfällt in einen Winterſchlaf, den ſie gelegentlich unterbricht, um von den als Vorrat aufgeſpeicherten Getreidekörnern zu naſchen. Im Sommer ſehen wir fie behende an Halmen, Stämmchen und Aſten umherklettern, wobei fie nicht nur die Beine, ſondern ge- ſchickt auch den Schwanz zu gebrauchen weiß; ihre Nahrung be- ſteht aus Kerfen ſowie namentlich aus Getreide und Sämereien der verſchiedenſten Gräſer, Kräuter und Bäume, und auf Adern kann ſie daher ziemlich erheblichen Schaden anrichten, da ſie viele Körner raubt; Hafer ſcheint ihre Lieblingsnahrung zu ſein, weshalb ſie auch in manchen Gegenden das „Hafermäuschen“ heißt. 5. Die Wühlmäuſe, Arvicolinae. Der plumpe Körper, der breite dicke Kopf mit ſtumpfer Schnauze (ſ. Tafel Abb. 1) und mehr oder weniger im Pelz verſteckten Ohren, der kurze, behaarte Schwanz, der höchſtens halb ſo lang wird wie der Körper: das find die Merkmale, nach denen wir die „Wühlmäuſe“ auf den erſten Blick von den „Echten Mäuſen“ unterſcheiden können. Ein weiterer, wichtiger Charakter dieſer Tiergruppe liegt im Gebiß: die Nagezähne ſind ſtark und ſcharf— ſchneidend, und hinterlaſſen z. B. an Baumrinde tiefe Spuren Die Nagetiere (Rodentia). 79 (Figur 25 B); die Backzähne ſind wurzellos, und jeder einzelne ſetzt ſich zuſammen aus 2 Reihen dreieckiger, alternierend ge— ſtellter Prismen (Figur 15 C), die aus Sahnbein beſtehen und von einer Schmelzſchicht umhüllt find; auf der Kaufläche bildet dieſe letztere eigenartige Schlingen, deren Form und Verlauf ein wichtiges, ja das wichtigſte Unterſcheidungsmittel für die ein- zelnen Arten abgeben. Freilich ſind dieſe Unterſchiede nur dem bewaffneten Auge erkennbar, und jo genüge hier der Hinweis, daß dabei vor allem der erſte untere ſowie der zweite und dritte obere Backzahn in Betracht kommen. Obgleich die Backzähne das ficherfte und beſte Merkmal für die richtige Beſtimmung unſerer heimiſchen Wühlmäuſe darſtellen, laſſen dieſe ſich doch wohl nach folgenden leichter erkennbaren Merkmalen beſtimmen: “ Ohr von halber Kopflänge und deutlich aus dem Pelz hervor— tretend. Schwanz von etwa halber Körperlänge und an der Wurzel kurz, an der Spitze länger behaart. Färbung: oben braunrot, unten ſcharf abgeſetzt weiß. 9,5 bis 10 4,5 bis 5 cm. 1. Waldwühl- oder Rötelmaus Hypudaeus glareolus Schreb. 1, Ohr von weniger als halber Kopflänge, Schwanz gleichmäßig be— haart. Pelzoberſeite nie braunrot. 2“ Größere Arten von 12—16 cm Körperlänge (ohne Schwanz!) (Untergattung Paludicola). 5“ Größte Art. Ohr im Pelz verſteckt, Schwanz etwa halbförper- lang. Pelz oben bräunlich- bis ſchwarzgrau, allmählich in die etwas hellere, aber nicht weiße Unterſeite übergehend. 16 78 cm. 2. Mollmaus oder Waſſerratte Arvicola amphibius L. 5, Körperlänge ohne Schwanz etwa 12 cm. Ohr etwas hervor— tretend, Pelz zweifarbig. 4“ Ohr von nicht ganz halber Kopflänge. Pelz oben dunkel— roſtbraun oder ſchwarzbraun, unten deutlich abgeſetzt grau— weiß. Schwanz etwa ½ -körperlang und wie der Pelz zweifarbig. 12,5 4,5 cm. 3. Nordiſche Wühlratte Arvicola ratticeps Keys. Blas. Ohr nur ½kopflang; Pelz oben braungrau, allmählich nach unten in die grauweiße Bauchſeite übergehend. Schwanz von halber Körperlänge, einfarbig braungrau. 1276 cm. 4. Schneemaus, Alpenratte Arvicola nivalis Mart. 2, Kleinere Arten von 8—10, höchſtens 11 cm Körperlänge (ohne Schwanz!) Schwanz etwa ½⸗körperlang. 3“ Ohr vollſtändig im Pelz. In der Färbung herrſcht Roſtgrau vor (Bauchſeite weißlich). Schwanz zweifarbig in den Farben des Pelzes. 8 bis 9-3 cm. 5. Unterirdiſche Wühlmaus oder kurzohrige Erd— maus Microtus subterraneus Selys. * t 80 Diertes Kapitel. 5, Ohr mindeſtens von !/,-Fopflänge, daher etwas hervortretend. In der Pelzfärbung herrſcht Grau oder Braun vor. 4“ Die braune Farbe herrſcht vor: Pelz oben ſchmutzig⸗grau⸗ braun, unten grauweiß. Schwanz deutlich zweifarbig in den Farben des Pelzes. 10 bis 115 bis 4 cm. 6. Gemeine Erdmaus Arvicola agrestis L. 4, Die graue Farbe herrſcht vor: Pelz oben bräunlich gelbgrau, unten ſchmutzigweißgrau. Schwanz einfarbig mit einzelnen weißen Haaren. 9,5 bis 10,5 s bis 3,5 cm. 7. Gemeine Feldmaus Arvicola arvalis Pall. a) Die Waldwühl⸗ oder Rötelmaus, Hypudaeus glareolus L., in ihrem Außeren gleichſam ein Verbindungsglied zwiſchen den Schten und den Wühlmäuſen, unterſcheidet ſich von den letzteren nicht nur durch den rotbraunen Rücken, ſondern auch in der von ihr gewählten Koft, indem fie eine große Vor— liebe für tieriſche Nahrung zeigt; ja es ſcheint faſt, als ob dieſe für ihr Wohlbefinden unerläßlich wäre, wenn man Gelegenheit hat, zu ſehen, mit welcher Gier ſie über alle Kerfe herfällt, mögen es nun Larven, Puppen oder ausgebildete Inſekten fein. Wohl wird ſie hierdurch zeitweiſe nützlicher als ihre Verwandten, aber doch überwiegt auch bei ihr der Schaden, den ſie in Feld und Wald anrichtet, bei weitem. — Wir finden dieſe Maus ge— wöhnlich an Waldrändern und im Walde ſelbſt, auf lichten Stellen mit Unterwuchs, in Gebüſchen und parkähnlichen Gärten, kaum weniger häufig aber auch auf Fruchtfeldern. Überall lebt ſie in ſelbſtgegrabenen Erdlöchern, in denen ſie ſich ein weiches Neſt herrichtet und drei- bis viermal jährlich ihre Jungen zur Welt bringt. Auch bei Tage munter, aber in größerer Sahl erſt gegen Abend erſcheinend, klettert ſie geſchickt und hoch, und frißt außer Inſekten Sämereien und Getreide — mit dem ſie oft in die Scheunen gelangt —, ferner Wurzeln, Knofpen und Rinde. Die letztere wird beſonders gern von Hollunder, Linde, Weide und Aſpe, aber auch von Lärche, Tanne und Kiefer ge— nommen, ohne daß dabei das Hol angegriffen wird; noch in Höhen von 4 m und darüber kann man gelegentlich die Spuren ihrer Tätigkeit erkennen! An Größe nicht nur, ſondern auch an wirtſchaftlicher Be— deutung wird die Rötelmaus übertroffen von der b) Mollmaus oder Waſſerratte, Arvicola amphibius L., unſerer größten, auch Schärrmaus, Reutmaus oder Hamaus genannten Arvicolide, mit faſt einfarbig dunklem, im übrigen aber Die Nagetiere (Rodentia). 81 in der Tönung recht wechſelndem Pelz. — Merkwürdigerweiſe finden wir die Mollmaus an 2 ganz verſchiedenen Grtlichkeiten, jo daß wir es vielleicht mit 2 Spielarten oder Raſſen zu tun haben: die eine lebt unmittelbar am Waſſer und gräbt ſich ihre Erdröhren, deren Zugänge unter dem Waſſerſpiegel liegen, an Böſchungen, an überhängenden Uferwänden und Dämmen. Bier nährt ſie ſich von Rohr und Schilfſtengeln, erbeutet aber als gewandter Schwimmer auch manchen jungen Fiſch ſowie Waffer- inſekten und Fiſchbrut; doch wird ſie weniger durch die Art ihrer Ernährung als durch ihre unterminierende Tätigkeit ſchädlich: wie der Maulwurf am gleichen Orte kann auch fie Damm- und Deichbrüche veranlaſſen! Der anderen Form oder Abart begegnen wir auf dem trockenſten Gelände, beſonders auf gut kultiviertem Boden, auf Feldern und Wieſen, in Gärten und Kämpen, wo fie dem Land— und Forſtmann verhängnisvoll wird: Gbſt, Getreide, Gemüſe, Knollen jeder Art und Rüben verzehrt fie gern; in Obſtbaum⸗ ſchulen und in den der Aufzucht unſerer Waldbäume dienenden Saat- und Pflanzkämpen nagt fie, oft den Reihen folgend, die jungen Pflänzchen oder älteren Stämmchen unter der Erde durch, und dieſe Tätigkeit wird man erſt gewahr, wenn die befallene Pflanze trocken wird und eingeht: dann ſitzt ſie locker im Boden, läßt ſich leicht herausheben und zeigt, daß ſie dicht über dem Wurzelkopf durchſchnitten iſt. — Ihre Wohnung gräbt ſich auch dieſe Form der Mollmaus in die Erde; ihre Gänge werfen, wenn ſie flach ſtreichen, den Boden auf weite Strecken hin auf, verlaufen die Röhren tiefer in der Erde, ſo entſtehen kleine, denen des Maulwurfs ähnliche, aber niedrigere Haufen. Während der kalten Jahreszeit hält die Schärrmaus einen Winterſchlaf, den ſie gelegentlich unterbricht, um von ihren frei— lich geringen Vorräten zu koſten. Da fie nur 2—5mal jährlich Junge wirft, ſo iſt ihre Vermehrung nicht ſo groß wie bei den anderen Wühlmäuſen; während aber dieſe erſt bei zahlreichem Auftreten erheblichen Schaden ſtiften, kann bei der Mollmaus ſchon ein einziges Individuum recht ſtörend werden, und daher mögen Hermelin und Wieſel, Fuchs und Eulen als ihre natür- lichen Feinde vor zu ftarfer Verfolgung bewahrt bleiben! Su den mehr ratten als mausartigen Arvicoliden gehören neben der Waſſerratte noch zwei Arten, die freilich beide in Deutſchland nur an wenigen Grten zu finden ſind: Hennings, Die Säugetiere Deutfchlands. 6 82 Viertes Kapitel. c) die nordiſche Wühlratte, Arvicola ratticeps Keys. Blas. und d) die Alpenratte, Arvicola nivalis Mart. Die erſtgenannte liebt die Nähe des Waſſers oder doch wenigſtens feuchten Boden; ein geſchickter Schwimmer, gräbt fie ihre Woh⸗ nungen mit Vorliebe am Rande feuchter Gräben, doch wühlt ſie auch in flachſtreichenden Gängen die Erde auf, dabei ab und zu kleine Haufen emporſtoßend. Das Intereſſanteſte an dieſer hauptſächlich von pflanzlicher Koſt lebenden Wühlmaus iſt ihre Verbreitung: während der Eiszeit in ganz Deutſchland heimiſch, wich fie beim Einſetzen des wärmeren Klimas nach Nord— oſteuropa und Sibirien zurück, und heute iſt ſie nur von wenigen Punkten Norddeutſchlands bekannt. Vielleicht handelt es ſich bei dieſen kleinen Kolonien um ſog. Eiszeitrelikte, d. h. um Hefte aus jener Epoche, da das Tier noch weit verbreitet war; nicht unmöglich aber iſt es, daß wir es hier gleichſam mit Vorpoſten zu tun haben bei einem allmählichen, von Nordoſt erfolgenden Vordringen, durch welches die einſt verlorenen Gebiete zurück— gewonnen werden. Dann hätten wir eine ähnliche Erſcheinung vor uns wie beim Sieſel. Die Alpenratte oder Schneemaus gehört ausſchließlich der Alpenkette (und den Pyrenäen) an und iſt kaum in einer Höhe von weniger als 1000 m zu finden. Bier bewohnt ſie die kleinſten Pflanzeninſeln, hier verbringt ſie, Röhren grabend und Pflanzenwurzeln ſammelnd, auch den Winter, begraben unter einer faſt unverwüſtlichen Schneedecke! An Körpergröße hinter den bisher betrachteten Wühlmäuſen zurückſtehend, in wirtſchaftlicher Beziehung aber weit bedeutungs⸗ voller find die drei folgenden, mehr „maus“ ähnlichen Arvicoliden: e) die gemeine Erdmaus, Arvicola agrestis L. Ihr rundliches Neſt, in dem fie 5 bis Amal jährlich 4—7 Junge wirft, ſteht dicht unter der Oberfläche der Erde, iſt aber ſo ver— ſteckt angelegt, daß es nur ſchwer zu entdecken iſt: wir finden es nicht nur im Gebüſch, in jungen Kulturen und Waldwieſen, ſondern auch mitten in Altholzbeſtänden, ſofern ſie nur etwas gelichtet ſind und an ihrem Fuße Graswuchs aufweiſen. Hier hält ſich die oft überſehene Erdmaus am liebſten auf und hier wird fie auch zu einem gefährlichen Feind der Holzgewächſe; gibt es doch kaum eines unter ihnen, das fie verſchont! Nicht nur die Eicheln und Bucheln am Boden gewähren ihr will— kommene Nahrung, mit Vorliebe nimmt fie auch Rinde, Holz Die Nagetiere (Rodentia). 83 und Nadeln, und dabei klettert ſie recht gut, ſo daß wir ihre Beſchädigungen, vorzüglich im Winter, oft in Höhen von über 2m antreffen. Nadelfraß kommt gelegentlich an 5 bis 5jährigen Kiefern und Fichten vor, häufiger noch in den ſog. Saatkämpen, in denen die jungen Pflanzen aus Samen gezogen werden: hier werden die Endtriebe abgebiſſen, und die Nadeln liegen in dichten Haufen am Boden. Selbſt den harten Hokförper verſchmäht das gefräßige Tier nicht, und oft nagt es unterirdiſch kleine Stämmchen im Boden durch, oft auch weidet es über dem Erd— Figur 21. Gemeine Feldmaus. Arvicola arvalis Pall. boden an Laub- und Nadelbäumen zuerſt die Rinde ab und dann die darunter gelegenen Schichten. Weniger vielleicht dem Forſtmann, dafür ſicherlich um ſo mehr dem Landwirt ſchädlich iſt: f) die gemeine Feldmaus, Arvicola arvalis Pall. In hohem Maße geſellig und von unglaublicher Fruchtbarkeit, lebt fie in großen Scharen beiſammen, nicht ſelten wahre „Kalami— täten“ verurſachend, und man ſieht dann Bau an Bau gereiht. Das Durchwühlen des Bodens iſt ihr Bedürfnis: die Sahl der einer Familie zugehörigen Gänge und Köcher iſt deshalb außerordent— lich groß, und dieſe letzteren werden zudem durch feſtgetretene oberirdiſche Wege miteinander verbunden. Eine ausgeſprochene Feldbewohnerin, die nur ganz ſterilen Sandboden meidet, zwar ohne eigentliche Kletterfähigkeit, aber doch in dichtem Gras und Geſtrüpp emporſteigend, kommt die Feldmaus nicht allzu ſelten 5 6* 84 Diertes Kapitel. auch im Walde vor und ſchadet hier in ähnlicher Weiſe wie die Erdmaus durch Benagen der Rinde und indem fie junge Pflänzchen an der Wurzel durchbeißt. Auf ihrer eigentlichen Domäne, den Feldern, wählt fie vor allem Sämereien als Nah: rung; Getreide, Rüben und Kartoffeln nimmt ſie am liebſten, und nur wo ſie dieſe nicht bekommen kann, begnügt ſie ſich mit Gräſern und Kräutern, mit Wurzeln und Klee. Die Mehrzahl der Tiere bleibt auch während des Winters in ihren Bauen und fällt dann in einen gelegentlich unterbrochenen Winterſchlaf; nicht wenige aber werden im Herbſt mit der Ernte in die Scheunen gebracht, wohin ſich auch manche freiwillig beim Nahen der kalten Jahreszeit zurückziehen. In wirtſchaftlicher Beziehung iſt unſere Maus (Figur 21) einer der ſchlimmſten Schädlinge des Feldes, und wenn ſie ſich gar übermäßig vermehrt, was zeitweilig und ohne äußerlich er— ſichtlichen Grund geſchieht, dann kann auf weite Strecken hin der größte Teil der Ernte vernichtet werden. Bereits im Mittel⸗ alter fiel dieſes plötzliche Maſſenauftreten von Feldmäuſen in der zweiten Hälfte des Sommers auf; man ſprach damals von „Mäuſeregen“ und ſpäter glaubte man, große Wanderungen der Tiere dafür verantwortlich machen zu müſſen. Die genaue Beobachtung hat aber gezeigt, daß drei Umſtände die ſtarke Vermehrung dieſer Schädlinge bedingen, nämlich das Überwiegen der Weibchen, ihre große Fruchtbarkeit und die ſchnelle Folge der Generationen: bei günſtiger Witterung werden die Jungen des erſten Satzes ſchon Mitte April zur Welt gebracht und werfen bereits im Alter von 12 Wochen das erſtemal. Nimmt man für jeden Wurf durchſchnittlich 4—7 Junge an, von denen ein Drittel Männchen und zwei Drittel Weibchen ſind, ſo läßt ſich leicht berechnen, daß ein einziges überwintertes Mäuſepaar, obgleich es ſelbſt ſchon im Hochſommer (nach dem zweiten Satz) abſtirbt, ſich vom April bis zum Herbſt auf faſt 200 Individuen vermehrt hat! Freilich hat die Feldmaus auch zahlreiche Feinde, faſt alle Raub⸗Säugetiere und Vögel, Spitzmaus und Igel ſtellen ihr nach, und Infektionskrankheiten können in Verbindung mit un: günſtiger Witterung oft plötzlich eine Kalamität beenden. In der Lebensweiſe ſtimmt mit ihr g) die unterirdiſche Wühlmaus, Microtus subterra- neus de Selys, auch kurzohrige Erdmaus oder Wurzelmaus ge⸗ Die Nagetiere (Rodentia). 85 nannt, überein, die aber in unſerem Vaterland weit weniger verbreitet iſt und ſich anſcheinend nur in Weit: und Mitteldeutſch— land findet. Das ganz einer unterirdiſchen Lebensweiſe ange— paßte Tier — ſammetweicher Pelz, kleine Augen und ganz ver— ſteckte Ohren! — bleibt tagsüber in ſeinen weitverzweigten Röhrenbauen, die es in Gemüſe⸗ und Blumengärten, auf Wieſen und Feldern anlegt. Nur nachts kommt die Wurzelmaus an die Oberfläche, und jo können wir ſie ſelbſt feltener ſehen als den von ihr angerichteten Schaden; da aber ihre Vermehrung eine geringere iſt, als bei ihren Verwandten, ſo iſt ſie nicht nur weniger häufig, ſondern auch weniger ſchädlich. Groß iſt, wie wir ſahen, die Sahl unſerer heimiſchen Mäuſe, groß auch der Schaden, den ſie in Feld und Wald, in Scheunen und Vorratskammern, in Küche und Keller anrichten, und fo war der Menſch von jeher beſtrebt, Mittel zu finden, um ihrer Herr zu werden. Von der in Gebäuden und Gehöften erfolg— reich angewandten Methode des Fallenſtellens können wir im Freien nur gelegentlich Gebrauch machen, z. B. bei der Moll- maus. Bei ihren Verwandten ſind meiſt andere Mittel ange— bracht: Iſoliergräben mit eingelaſſenen Fangtöpfen tun in der Nähe von Eichelſchuppen und Getreideſchobern gute Dienſte; auch Gifte, wie Baryum-Karbonat und beſonders der Gifthafer (Saccharin⸗Strychninhafer) haben ſich vielfach bewährt, ſind aber der damit für andere Tiere verbundenen Gefahr wegen nur dort zu verwenden, wo ſie direkt in die Löcher gebracht werden können. Sine Art Vergiftung iſt auch das ſog. Schwefelkohlen— jtoffverfahren, bei dem der Schwefelkohlenſtoff, eine leicht ver— dampfende, durchdringend riechende Flüſſigkeit, in die Gänge des Schädlings (Mäuſe, Namſter, Sieſel) gegoſſen wird: hier ver: flüchtigt er ſich, und das ſo entſtandene Gas ſinkt zu Boden, betäubt und tötet die Tiere. Wie die Beobachtung im Freien gelehrt hat, wird oftmals eine Mäuſeplage plötzlich dadurch beendet, daß eine anſteckende Krankheit die Tiere in Scharen dahinrafft; man hat dies aus— zunutzen verſtanden, indem man die Erreger derartiger Krank— heiten züchtet und den Tieren auf ausgelegten Brotſtückchen bei- bringt. Hierher gehört z. B. der ſog. „Mäuſetyphusbazillus“ (Löffler), ein Organismus, der bei den Mäuſen eine typhus⸗ artige, in 7—14 Tagen tödlich verlaufende Krankheit erzeugt; 86 Viertes Kapitel, gegen viele Mäuſearten erfolgreich, kann dieſes Mittel leider nicht bei der Brandmaus, der Wander- und Waſſerratte benutzt werden. Infektionskrankheiten werden auch durch zwei neuerlich viel empfohlene Mittel hervorgerufen, durch das Ratin und das im Pariſer Paſteur-Inſtitut entdeckte Danys⸗Virus, von denen das letztere ſich namentlich gegen die Ratten zu bewähren ſcheint. Der Menſch verfügt alſo über eine ganze Reihe von Be— kämpfungsmitteln, die bei richtiger Anwendung wohl auch meiſt zum Siele führen und ihn als Sieger aus dieſem ſchweren Rampf hervorgehen laſſen! V. Familie Haſen, Leporidae. Nächſt Ratten und Mäuſen iſt wohl kein Nagetier volks- tümlicher als Haſe und Kaninchen, die einheimifchen Vertreter der nicht eben großen Haſenfamilie. Ihre äußeren Kennzeichen ſind: die faſt wollige, dichte Behaarung, der kurze aufrecht ge— tragene Schwanz, dem der Weidmann den poetiſchen Namen „Blume“ gibt, die hohen vierzehigen Hinter- und niedrigen fünf— zehigen Vorderbeine, der geſtreckte Kopf mit dicker tiefgeſpaltener Oberlippe („Haſenſcharte“), großen „Sehern“ und langen „Löffeln“. Der Schädel aber (ſ. Tafel Abb. 4), der übrigens große flügelförmige Stirnbeinfortſätze und ſiebartig durchbrochene Gberkiefer zeigt, lehrt uns den weſentlichſten Unterſchied zwiſchen ſämtlichen anderen Nagetieren und den Haſen kennen: hier finden wir nämlich im Oberkiefer nicht 2, ſondern 4 Schneidezähne, indem hinter dem ſcharfen und breiten eigentlichen Nagezahn jederſeits noch ein kleiner ſtiftförmiger ſteht; auch find ſämtliche Schneidezähne rings- a 6 um von Schmelz umgeben. Die wurzelloſen, zu 5 vorhandenen Backenzähne (ſ. Figur ISA) beſitzen eine tiefe ſeitliche Schmelzfalte. Mehr noch als bei anderen Nagern bedingt der Körper: bau eine hüpfende Fortbewegung, da die Hinterbeine die vor— deren bei weitem an Cänge übertreffen; dieſes Mißverhältnis iſt übrigens auch der Grund, warum BHafe und Kaninchen mit Vor— liebe, wenn auch keineswegs immer, bergan laufen. Beide zeigen, falls ſie nicht durch etwas Ungewöhnliches in ihrer Gemütsruhe geſtört und zu ſchneller „Flucht“ veranlaßt werden, als gewöhn— liche Gangart das ſog. „Hoppeln“ (Figur 22 &): die Hinterläufe Die Nagetiere (Rodentia). 87 bejorgen dabei das Abſtoßen vom Erdboden MP und kommen, wenn ſie ihn wieder berühren, eig nebeneinander zu ſtehen, und zwar vor die 5 10 Vorderläufe; dieſe aber müſſen den mit voller Wucht nach vorn geſchleuderten Körper auf: fangen, und um ihm wirkſam Halt zu bieten, 9 werden fie hintereinander aufgeſetzt. Bei der * „Flucht“ (Figur 22 B) dagegen, bei der die A 5 einzelnen Spurenbilder oft mehrere Meter a voneinander entfernt find und die große Schnellkraft der Tiere bekunden, drücken die 97 Hinterläufe nicht den ganzen Fuß, ſondern kaum mehr als die Sehen ab, und ſie werden auch nicht neben-, ſondern etwas ſchräg zu- a ff einander auf geſetzt. Bewunderungswürdig & iſt dabei die Fähigkeit, die einmal eingeſchlagene ) 9 Richtung urplötzlich in eine andere, ja in die 4 N entgegengeſetzte zu verkehren, „Hafen zu | ſchlagen“, wie der Jäger jagt. — Wer nun aber Gelegenheit hat, einen Hajen oder ein a Kaninchen beim ruhigen Aſen zu beobachten, 8 5 der wird noch eine weitere Fortbewegungsart kennen lernen, das „Rutſchen“: das Tier ſitzt Figur 22. Hafenfpur. ſtill auf einem Fleck und rückt, um neue Halme poder Hinterlause. oder dergleichen zu erreichen, ganz allmählich mit den Vorderläufen nach vorn, bis es ſich ſo lang ausgeſtreckt hat, daß es nicht mehr weiter ausgreifen kann; dann erſt „rutſcht“ es mit den Binterläufen nach, die aber nicht über die vorderen weggeſchnellt werden. Daß hierbei keine eigentliche Spur entſtehen kann, liegt auf der Hand. Die drei in Deutſchland heimiſchen Arten laſſen ſich folgendermaßen unterſcheiden: 1“ Ohr länger als der Kopf (d. h. angedrückt, die Schnauze überragend); Ohrſpitze ſchwarz. Schwanz faſt kopflang, oben ſchwarz, unten weiß. 60—-70 cm Körperlänge. 1. Der (gewöhnliche) Haſe Lepus europaeus Pall. 1, Ohr kürzer als der Kopf. F 2“ Ohrpitze ſchwarz. Schwanz nur von Halbkopflänge, einfarbig weiß. Etwa 55 cm Körperlänge. 2. Alpen- oder Schneehaſe Lepus timidus L. (= variabilis Pall.). 88 Diertes Kapitel. 2, Ohr mit ſchmalem ſchwarzen Rand, aber ohne ſchwarze Spitze. Schwanz von etwa ¼ Kopflänge, zweifarbig, oben ſchwarz, unten weiß. 45 cm Körperlänge. 3. Kaninchen Oryctolagus cuniculus L. J. Der (gewöhnliche) Hafe, Lepus europaeus Pall. (=vul- garis L.). Daß der Haſe, in der alten deutſchen Sage und heut noch in der Jägerſprache „Lampe“ genannt, neben dem Rebhuhn das Hauptwild unſeres Kulturlandes iſt und ſich ſelbſt in ſtark bebauten Gegenden hält, weiß ein jeder, und jeder kennt ihn, hat ihn ſchon einmal laufen oder „Männchen machen“ ſehen; fo ſei denn von feinem Äußeren nur erwähnt, daß feine Fär⸗ bung an der Öberfeite ein Gemiſch von Roſtgelb, Schwarz— braun, Schwarz und Grau ift und an den Körperfeiten, an Hals und Bruſt in ein mattes Roſtrot, an den Keulen in Grau übergeht. Freilich wechſelt die Farbe im einzelnen ſehr, ſowohl individuell wie nach Alter, Gegend und Jahreszeit — im Winter erſcheint er, der reichlichen grauen Unterwolle wegen, mehr grau — ſtets aber bleibt die ſchwarze Cöffelſpitze und die zweifarbige, oben ſchwarze, unten weiße „Blume“ charakteriſtiſch, und ganz allgemein paßt ſich ſein Kleid aufs vorzüglichſte dem Boden an, zeigt alſo eine richtige „Schutzfarbe“. Daß aber ein Tier von einem ſolchen Schutzmittel auch ausgiebigen Gebrauch macht, iſt leicht verſtändlich; und trotzdem glaubte man lange Seit, gelegentlich wohl ſogar in Weidmannskreiſen, daß der Haſe mit offenen Augen ſchlafe! Dieſe Meinung iſt jedoch unrichtig: wie jedes andere Säugetier vermag auch er im Ruhen die Augen völlig zu ſchließen — was übrigens an Gefangenen leicht zu konſtatieren iſt —, überraſcht man ihn aber im „Lager“, fo wird man ihn faſt ſtets mit offenen Sehern antreffen, denn der feinhörige Geſelle hat längſt das Nahen eines Feindes ver— nommen und deſſen Bewegungen ängſtlich verfolgt, im Vertrauen auf feine Schutzfärbung aber „drückt er ſich“, und hofft, über- jehen zu werden! Über faſt ganz Europa mit Ausnahme des hohen Nordens verbreitet, hat der Haſe doch in Deutſchland und Öfterreich ſein eigentliches Vaterland; in reicher Sahl bevölkert er unſere Felder und fühlt ſich beſonders wohl dort, wo warmer, frucht— barer Boden vorherrſcht. Aber auch auf magerem Sandboden Die Nagetiere (Rodentia). 89 weiß er fich zu halten, ja ſogar in den Dünenbezirken der kuri— ſchen Nehrung iſt er gar nicht ſelten; nur kalte und naſſe Boden— arten ſind ihm zuwider. Dafür ſteigt er in den Bergen bis zu Höhen von 1800 m empor und man unterſcheidet daher nach dem Vorkommen außer dem lebhafter, kräftiger gefärbten Wald— und dem helleren Feldhaſen auch noch Berg-, Sand-, Bufch, Sumpfhaſen uſw. (Lebensweiſe.) Lampe iſt ein ausgeſprochenes „Stand— wild“, das, wenn irgend möglich, die Gegend, in der er das Licht der Welt erblickte, nicht verläßt; wohl aber legt er inner- halb ſeines Wohngebietes ſein „Lager“ je nach der Jahreszeit und Witterung an verſchiedenen Stellen an; dabei ſcharrt er ſich, wo der Boden es geſtattet und andere Deckung fehlt, eine ziemlich flache Grube, die er gelegentlich mit etwas „Wolle“ auspolſtert. Im Herbſt und Winter gern die Südlehnen, ſonnige Hänge oder, wenn möglich, den Wald aufſuchend, im Sommer mehr die kühlere Nordſeite und fchattige Teile des Reviers, auch wohl das freie Feld, „ſitzt“ der Naſe tagsüber meiſt im Lager und erſt bei ſinkender Sonne rückt er zur Aſung aus; die landläufige Anſicht, daß dieſe hauptſächlich in Kohl beſtände, iſt aber nicht richtig: nur im Winter, wenn andere Nahrung knapp geworden iſt, hält er ſich gern an Kohlfelder, im übrigen nimmt er in Feld und Wald, was die Natur ihm an zarten pflanzlichen Gebilden bietet, und je ſtrenger die Kälte, je tiefer der Schnee iſt, deſto früger eilt er zur Aſung, dabei meiſt denſelben „Wechſel“ innehaltend. Als Hauptcharakterzug des Haſen pflegt man ſeine ſprich— wörtliche Furchtſamkeit zu bezeichnen, doch zeigt er ebenſo gut Mut und Entſchloſſenheit, wie manch anderes Tier: das beweiſt jowohl der ſäugende „Satzhaſe“ (die Häfin) bei der Verteidigung der Jungen, wie der „Rammler“ (das Männchen) im Kampf mit einem Nebenbuhler, wobei es oft Ohrfeigen ſetzt, daß die Wolle umherfliegt! Mit größerem Rechte kann man den außer- ordentlich regen Geſchlechtstrieb als den hervorſtechendſten Sug im Weſen unſeres Lampe bezeichnen: beginnt doch die „Rammelzeit“ in milden Wintern oft ſchon Ende Januar, um erſt im Herbſt ihr Ende zu finden. In normalen Jahren „jetzt“ die Häſin bei einer Tragzeit von 55 Tagen viermal, das erſte und letzte Mal gewöhnlich 2, das zweite und dritte Mal meiſt 5—4 Junge, die ſehend zur Welt kommen und etwa 2—5 Wochen 90 Diertes Kapitel. lang von der Mutter, meift des Nachts, geſäugt werden; dann bleiben ſie ihrem Schickſal überlaſſen, denn die Häſin iſt bald wieder fortpflanzungsbereit. Die frühzeitig im Jahre geſetzten Individuen dürften fchon im Herbſt geſchlechtsreif ſein, doch ſind die Jungen, unter denen anſcheinend das männliche Ge— ſchlecht überwiegt, erſt nach einem Jahr erwachſen; je nach der Größe bezeichnet man ſie als „Quarthäschen“, „halbwüchſig“ (oder „halbgewachſen“) und dann, wenn fie zu dreiviertel aus: gewachjen find, als „Dreiläufer“. Die wirtſchaftliche Bedeutung unſeres Lampe iſt eine große, und wenn auch der Schade, den er der Land- und Forſt— wirtſchaft zufügt, recht beträchtlich wird, ſo darf man doch auch ſeinen Nutzen nicht zu gering anſchlagen. Die hohen Jagdpachten, die vielen Gemeinden jährlich zufließen, beruhen zum großen Teil gerade auf dem Be— ſtand an dieſem Wilde, und das Wild— pret der 4-4 Millionen Hafen, die jährlich in Deutſchland erlegt wer⸗ den, iſt immerhin recht wichtig als Zuwachs an Fleiſch während des Win— ters. Außerdem findet bekanntlich auch der Balg Verwendung, der im Herbſt 12 5 595 mit 10-20 M., im Winter mit 50 M. „Schälen“ der Rinde.: Adurch und mehr für 100 Stück bewertet wird. Hafen, B durch Wühlmäuſe. Dem Landmann und dem Forſtwirt aber wird der Haſe ſtets als ſchädliches Tier gelten müſſen, wenn auch das Vergnügen an der Jagd — die bald auf dem Anſtand, bald als Treibjagd ausgeübt wird — gewiſſe Berückſichtigung verdient. Namentlich im Walde und in Öbftgärten macht ſich unſer Nager oft recht unangenehm bemerkbar, und zwar in zweierlei Weiſe, durch das „Schneiden“ der Sweige und Hnofpen, und durch das „Schälen“ der Rinde. Nadelhölzer werden weniger angenommen als Caubhölzer, ihre Rinde verſchmäht er ſtets, wenn er auch gelegentlich eine junge Fichte dicht über dem Boden abſchneidet und die Nadeln der Kiefer verbeißt. An Laubbäumen, von denen beſonders die Akazie und der Apfelbaum gefährdet ſind, zeigen die abgeſchnittenen Sweige eine ſchiefe, aber vollkommen glatte Schnittfläche, ſo daß Die Nagetiere (Rodentia). 91 fie ausſehen, als ſeien fie mit dem Meſſer durchtrennt (hat Birch oder Reh dieſen Frevel begangen, ſo iſt die Abbißſtelle meiſt roh und uneben!). Wie dieſes ſog. „Schneiden“ geſchieht auch das „Schälen“ hauptſächlich im Winter, wobei dann die Rinde entweder einfach benagt (Fig. 25 K), oder, wie bei der Akazie in langen Streifen nach oben abgezogen wird. (Wertvollere Bäume laſſen ſich übrigens durch Reiſigumhüllung oder Draht— gitter ſchützen). — Geringer iſt der Schade, den der Haje im Felde anrichtet. Freilich nimmt er alle Arten Kohl, Raps, Klee, junges Getreide, CLupinen, Möhren, die er mit den Füßen aus— ſcharrt, u. a., aber da er nur hier und da zu naſchen pflegt und die einzelnen Pflanzen nicht kahl frißt, ſo ſind dieſe auch in ihrem Wachstum nicht erheblich geſchädigt. Kaum größer ſind auch die Verluſte, die dadurch entſtehen, daß er ſich durch die im Halme ſtehenden Getreidefelder Päſſe ſchneidet. Außer an dieſen ſog. „Herenjteigen” und an der ſchon erwähnten Spur kann man die Anweſenheit des Haſen übrigens auch an dem Kot, der ſog. „Loſung“, erkennen, abgeflachten Kugeln von I—1,5 em Durchmeſſer, mit glatter Oberfläche, die je nach der Nahrung bald mehr gelblich, bald mehr braun gefärbt ſind. Daß der Haſe ſtellenweiſe nicht ſo häufig iſt, wie bei feiner ſtarken Vermehrung wohl zu erwarten wäre, hat ſeinen Grund einmal in den zahlreichen Krankheiten, wie der Lungenwurm— ſeuche und anderen paraſitären Infektionen, die oft ganze Be— ſtände dezimieren, ferner in den Unbilden der Witterung, der namentlich die Jungen zum Opfer fallen, hauptfächlich aber in ſeinen zahlloſen Feinden, die alle in ihm eine leckere Beute er— blicken. Für Deutſchland hat von Wildungen dieſe Feinde in einem luſtigen Reim zuſammengeſtellt: „Menſchen, Hunde, Wölfe, Lüchſe, Katzen, Marder, Wieſel, Füchſe, Adler, Uhu, Raben, Krähen, Jeder Habicht, den wir ſehen, Elſtern auch nicht zu vergeſſen, Alles, alles will ihn freſſen.“ 92 Diertes Kapitel. 2. Der Alpen- oder Schneehaſe, Lepus timidus L. (S variabilis Pall.). Außer unſerem Lampe beherbergt Europa, ja teilweis fo: gar Deutſchland, noch einen zweiten echten Hafen, den Alpen- oder Schneehaſen, der ſich durch die etwas geringere Körper: größe, den kürzeren, mehr rundlichen Kopf, die einfarbig weiße Blume und die geringere Länge der Löffel von jenem unter— ſcheidet. Das eigentümlichſte an ihm iſt aber ſeine Färbung und ſeine Verbreitung: er bewohnt von Island an den ganzen Norden Europas und Aſiens, ſüdlich bis nach Norddeutſchland vordringend; außerhalb dieſes Verbreitungsgebietes finden wir ihn auch noch in allen höheren Gebirgen, wie in den Alpen, Pyrenäen und Karpathen. Je nach feinem Vorkommen wechſelt auch ſeine Färbung, ſo daß man heut drei verſchiedene geogra— phiſche Formen unterſcheiden kann, die nur in der ſtets ſchwarzen Ohrſpitze übereinſtimmen. Die erſte iſt die der Polargegenden, bei welcher der Pelz im Sommer wie im Winter weiß iſt; es handelt ſich hier aber keineswegs um einen Albino, denn das Tier beſitzt nicht rote, ſondern dunkelbraune „Lichter“, ähnlich den hellbraunen unſeres Feldhaſen. Der zweiten Form be— gegnen wir in unſerem Erdteil nur in den wärmeren nördlichen Gegenden, in Island alſo und im ſüdlichen Schweden: ſie zeigt im Sommer einen gelb- bis rötlich⸗graubraunen Farbton, der im Winter nur eine etwas mehr ins Graue gehende Schattierung annimmt. Die dritte und intereſſanteſte Form endlich iſt die der Mittelregion (Skandinavien, Finnland, Rußland) und der Gebirge: bei ihr iſt ein ausgeſprochener Farbwechſel zu beobachten, indem die Tiere im Sommer graubraun, im Winter weiß gefärbt er— ſcheinen, und zwar haben eingehende Unterſuchungen gezeigt, daß die Haare ſelbſt nur im Frühjahr gewechſelt werden, während der Übergang des Sommerkleides in das winterliche auf einem all- mählichen Weißwerden des ſtehenbleibenden Sommerhaares beruht! In den ebenen Teilen ſeines Wohngebietes hält ſich der Schneehaſe gern in Wäldern auf, ſowie in Mooren, die mit Birken⸗ und Kieferngeftrüpp und dergl. bewachſen find, und ganz im Gegenſatz zu ſeinem Vetter, der mit dem Ackerbau vorrückt, weicht er der fortſchreitenden Kultur aus. Im Gebirge lebt er während des Sommers in großen Höhen, ja jenſeits der Holzgrenze, bis ihn der Winter tiefer in die Täler hinabtreibt. Die Nagetiere (Rodentia). 93 In der Ernährung ſowie in der ganzen Lebensweiſe ſtimmt er übrigens mit ſeinem größeren Verwandten überein, und dort, wo beide gleichzeitig vorkommen, iſt man auch ſchon verſchiedent— lich Baſtarden begegnet. 5. Das Kaninchen, Oryctolagus cuniculus L. Das Kaninchen, auch Karnickel oder im Gegenſatz zum „zahmen“ das Wildkaninchen genannt, unterſcheidet ſich trotz einer gewiſſen äußeren Ahnlichkeit doch namentlich in der Lebens— weiſe fo ſehr von den Haſen, daß man es heute als den Ver— treter einer beſonderen Tiergattung anſieht. Dieſe Trennung iſt umſomehr berechtigt, als Kreuzungen zwiſchen beiden nicht vorkommen: in Frankreich hatte man freilich eine Seitlang ge— glaubt, Bajtarde zwiſchen Hafe und Kaninchen züchten zu können, die ſog. Keporides, denen man alle möglichen vorteilhaften Eigen- ſchaften andichtete, heute aber hat man ſich von der Unmöglich— keit derartiger Verſuche überzeugt! — Im Gegenſatz zu den beiden größeren Mitgliedern der Haſenfamilie, die in der Haupt- ſache eine Spezialiſierung zu ſchnellem Laufe zeigen, iſt das Kaninchen, das eine Körpergröße von 40—45 cm erreicht, ein unterirdiſcher Gräber, und das zeigt fich natürlich nicht nur in ſeinem Gebaren, ſondern auch in ſeinen körperlichen Sigen— tümlichkeiten. Das im allgemeinen oben bräunlichgrau oder roſtgelb, unten weißlich gefärbte Tier, das individuell ſeine Farbe vielfach wechſelt, beſitzt vor allem eine viel gedrungenere Geſtalt und Binterläufe, welche die vorderen an Länge nur mäßig über— treffen. Die „Cöffel“, denen eine ſchwarze Spitze fehlt, und die oben ſchwarze unten weiße „Blume“ find kürzer als der Kopf. Am Schädel gleichen zwar die Sähne, abgeſehen von ihrer geringeren Größe, denen des Haſen, doch zeigt ſich ein freilich unbedeutender Unterſchied in der Gaumenbildung, und ganz charakteriſtiſch ge— bildet ſind die beiden Knochen des Unterarms, Elle und Speiche: beim Haſen iſt die erſtere viel ſchwächer als die Speiche und außerdem faſt völlig hinter ihr gelegen; beim Karnickel dagegen iſt der Unterſchied zwiſchen beiden viel geringer und ſie liegen faſt in ihrer ganzen Länge nebeneinander. Auch dieſer Gegen— ſatz zum Hafen hängt zuſammen mit der eigenartigen Lebensweiſe des Kaninchens. Vicht mehr oder weniger einſiedleriſch wie jener, liebt es im Gegenteil die Geſelligkeit, 94 Viertes Kapitel. und iſt daher auch meiſt in größeren Kolonien anzutreffen, oft zu Hunderten beiſammen lebend. Dabei hat jedes Pärchen ſeine eigene unterirdiſche Behauſung, und ſolch ein Bau beſteht aus der ziemlich tiefliegenden Kammer und winklig gebogenen, weit verzweigten Röhren, von denen jede wiederum ihren eigenen Ausgang hat; nicht ſelten übrigens verſchlingen ſich die Gänge benachbarter Baue miteinander. Die Jungen werden aber meiſt nicht in dem eigentlichen Wohnkeſſel, ſondern in flacher ſtreichen— den „Satzröhren“ zur Welt gebracht. Da das Kaninchen nur ſelten ſchon vorhandene Schlupfwinkel bezieht, ſich vielmehr faſt ſtets ſeine Wohnungen ſelbſt gräbt, ſo iſt es auch an beſtimmte Gegenden gebunden, denn der Boden darf weder zu ſteif und feſt, noch zu leicht ſein. Unſer Nager fehlt alſo auf ſchwerem Lehm⸗, Ton: und Cößboden, in feuchten Niederungen und im dichten Walde, ſowie im eigentlichen Gebirge; der ziemlich leichte aber zugleich bindige Sandboden, auf dem Birke und Kiefer gedeiht, wo Roggen und Kartoffeln gebaut werden, ſagt ihm am meiſten zu. Hier hauſen die Tiere in den Schonungen, unter Umſtänden ſogar im Stangen,, ja ſelbſt im Altholz, hier werden die Baue an den Abhängen kleiner Hügel, an Wällen, Eiſen— bahndämmen und ähnlichen derartigen Erhöhungen angelegt, womöglich jo, daß die Eingänge durch Geſtrüpp oder Gebüſch verdeckt find. Auch in den Dünen mancher Vordſeeinſeln und der Küfte finden die Kaninchen ein geeignetes Terrain. — Wo genügende Deckung vorhanden und keine Störung zu befürchten iſt, dort halten fie ſich auch tagsüber viel außerhalb ihrer unter: irdiſchen Behauſung auf; ſonſt rücken ſie nur des Abends zur Aſung aus, dabei unabläſſig „ſichernd“ und bei drohender Ge— fahr durch heftiges Aufſchlagen mit einem Binterlauf die Genoſſen warnend. Urſprünglich in den Mittelmeerländern heimiſch und wahr— ſcheinlich aus Spanien nach Deutſchland eingeführt, hat ſich unſer Tier über den größten Teil Mitteleuropas verbreitet, und wo ihm das Gelände nur einigermaßen zuſagt, auch außerordentlich vermehrt: werden doch faſt das ganze Jahr hindurch bei nur 28 tägiger Tragzeit, ungefähr alle 6 Wochen Junge geworfen, die, 5—8 an der Sahl, zunächſt blind, unbehaart und recht hilf— los ſind und daher auch ziemlich lange von der Mutter beſäugt werden; ſie wachſen aber ſchnell heran, kaum halbwüchſig, be— wegen fie ſich fchon ſelbſtändig im Freien und mit 8 Monaten, Die Nagetiere (Rodentia). 95 in ſüdlicheren Gegenden wohl ſchon früher, ſind fie fortpflanzungs— fähig, wenn ſie auch ihre volle Größe erſt mit einem Jahr erreichen. Bei dieſer ſtarken Vermehrung hat das Kaninchen natur⸗ gemäß auch eine große wirtſchaftliche Bedeutung erlangt, wenn es auch glücklicherweiſe noch nicht eine ſolche Landplage bei uns geworden iſt, wie anderwärts, 3. B. in Auſtralien. Frei— lich belebt es die meiſt ſtillen Schonungsränder und bietet dem Weidmann ein ganz intereſſantes Jagdobjekt; auch das Wildpret, das im Gegenſatz zu dem roten des Haſen weiß ausſieht, iſt ge— ſchätzt, und daß der unruhige kleine Geſelle den Hafen verdränge, wird neuerlich beſtritten. Dem Landwirt und dem Forſtmann aber iſt es ſtets ſehr läſtig und ſtörend, und da die Tiere ſich auch nur ungern weit von ihren Bauen entfernen, ſo tritt der durch ſie angerichtete Schade weit deutlicher hervor als beim Haſen: plätzweiſe äſen ſie alles Genießbare ab, ehe ſie weiter rücken, kein einziges Kulturgewächs wird verſchont, junge Saaten werden oft völlig vernichtet, und den Klee und Lupinenſchlägen geht es kaum beſſer. Im Winter hat beſonders der Wald und der Obſtgarten zu leiden und zwar ſowohl durch „Verbeißen“ wie durch „Schälen“; erſterem ſind faſt alle Nadel- und Laub— bäume ausgeſetzt, und auch bei dem Abnagen der Rinde, dem „Schälen“, wird wenig Auswahl getroffen, wenn auch, ſolange die Not nicht drängt, beſtimmte Bäume, wie Akazie, Hainbuche, Obſtbäume bevorzugt werden; an jungen Stämmchen iſt die Rinde oft ringsum oberhalb des Wurzelknotens abgenagt, eine Beſchädigung, die naturgemäß ein Abſterben zur Folge hat. — Schließlich wird auch das Wühlen oftmals recht unangenehm; ſowohl in den Dünen wie im diluvialen Sandboden geben die Röhren Anlaß zu einem Verwehen des nur durch Dünenhafer und Dünengras zuſammengehaltenen Bodens, während die Gräſer ſelbſt teils angefreſſen, teils in ihren weitveräſtelten Wurzelſtöcken gelockert werden. So iſt denn auch das Kaninchen für vogelfrei erklärt: es gehört nicht zu den jagdbaren Tieren und unterliegt der freien Aneignung; freilich darf, wer es erbeuten oder verjagen will, ſich nicht mit dem Rechte des Jagdberechtigten in Widerſpruch ſetzen, z. B. durch Aufſtellen von Schlingen, in denen ſich jagd— bares Getier fangen kann; und ſo bleibt bei der Bekämpfung einer Kaninchenplage oft als einziges Mittel nur das Schwefel— kohlenſtoffverfahren! 96 Fünftes Kapitel. Das zahme Kaninchen oder der Stallhaſe, der Abkömm— ling des wilden und ſelbſt ſehr leicht wieder verwildernd, iſt mancherorts vollkommen zum Haustier geworden. Am meiſten gilt dies freilich von Frankreich, England und Belgien, von denen z. B. das erſtgenannte jährlich 99 —100 Millionen Kaninchen züchtet! In Deutſchland wird — man kann wohl ſagen, leider — ſein ſchmackhaftes Fleiſch noch viel zu wenig geſchätzt, und die rege Agitation der Kaninchenzuchtvereine hat bisher kaum mehr erzielt, als daß die Kaninchenliebhaberei jetzt ſportsmäßig be⸗ trieben wird: heute können wir auf ihren Ausſtellungen ſchon die verſchiedenen Raſſen in fehlerfreien Exemplaren kennen lernen, wie die weißen Angorakaninchen, vollkommen Albinos mit langem Seidenhaar, die „Ruſſen“ oder „Bimalapakaninchen“, unvoll- ſtändige Albinos mit ſchwarzen Augen, Ohren, Schnauze und Füßen, die grauen Silberkaninchen, die Holländer, die hängeohrigen Widderkaninchen, die „Belgiſchen Rieſen“, die bis zu 14 Pfund ſchwer werden uſw. Ganz kurz nur und als Anhang ſei Das Meerſchweinchen, Cavia cobaya Marcgr. hier erwähnt, das bequem zu verwendende und leicht empfäng⸗ liche Verſuchstier der Arzte und zugleich das beliebte Spiel und Haustier der Kinder. Das meiſt dreifarbig, ſchwarz, weiß und gelb gezeichnete, aber auch oft als vollkommener Albino auf: tretende Tierchen iſt heute über ganz Europa verbreitet, in „wildem“ Suſtand aber überhaupt nicht bekannt. Wie inter⸗ eſſante Unterſuchungen (Nehrings) ergaben, wurde es ſchon von den alten Peruanern, deren Inkadynaſtien bis in die graue Vor— zeit zurückreichen, als Haustier gehalten, und ſo lebt auch die nächftverwandte wilde Art (Cavia cutleri), die wohl die Stamm- form unſeres zahmen ſein dürfte, in Peru. Fünftes Kapitel. Die Raubtiere, Carnivora. Ein ſtarker, dabei doch wohlproportionierter Körper mit kräftigem Knochengerüſt, aber ohne Schlüſſelbein; am Schädel ſtarkgekrümmte Jochbögen, offene Verbindung zwiſchen Augen- höhle und Schläfengrube und ein ausſchließlich auf- und abwärts Die Raubtiere (Carnivora). 97 bewegbarer Unterkiefer; Extremitäten, die vorwiegend zum Laufen und Springen, aber auch zum Klettern und Feſthalten geeignet find, mit je 4 oder 5 krallenbeſetzten Sehen; hervorragend ent— wickelte Sinnesorgane und ein Auge, das vielfach das Phänomen des „Leuchtens“ zeigt infolge beſonderer eigentümlicher Selllagen im Augenhintergrund); ein einfacher Magen, ein meiſt kurzer Darm und in der Umgebung des Afters beſondere Drüſen mit ſtark riechenden Abſonderungen: — das ſind einige der körper— lichen Eigenſchaften, durch welche ſich die Raubtiere von den anderen Säugetiergruppen unterſcheiden. Dabei haben wir aber ein beſonders wichtiges Merkmal der Ordnung noch gar nicht berührt, das von großer ſyſtematiſcher Bedeutung iſt: das Ge— biß. Ein Milchgebiß iſt ſtets vorhanden und mit Ausnahme der Bären auch längere Seit im Gebrauch; die ſtets be— wurzelten Sähne des Dauergebiſſes ſind in allen vier Formen ausgebildet als Schneide-, Eck-, Prämolar- und Molarzähne. Urſprünglich, d. h. bei den a der heutigen Raubtiere, nr — 1 — 44 (gelegentlich finden wir auch heute noch einen N der die gleiche Formel zeigt), durch Schwinden des letzten oberen Sahnes reduziert ſich aber die SHahnzahl auf 42, denen wir heute noch bei Bären und Hunden begegnen; geringer noch wird ſie bei den Mardern und Katzen, aber auch hier bleiben ſtets 5 Schneide- und der Eckzahn jederfeits erhalten. Ahnlich wie bei den Fledermäuſen und Inſektenfreſſern berühren ſich die Hähne der beiden Kiefer nicht geradflächig, ſondern paſſen mit Spitzen und Sacken in entſprechende Ausbuchtungen und Vertiefungen der gegenüber— liegenden Sahnreihe hinein: fo erlangt das Gebiß ſtarken Su— ſammenhalt und die Fähigkeit, das einmal Gefaßte auch feſt— zuhalten und zu zerſchneiden, verliert dafür aber in anderer Hinſicht: es iſt nicht geeignet, die Nahrung zu zermahlen (jeder Hund, der trockenes Brot kaut, beweiſt uns dies !). Die kegelförmig zugeſpitzten, weit vortretenden Sckzähne werden gleich Dolchen in das Beutetier geſtoßen und reißen das Fleiſch aus ſeinem Körper, die kleinen, aber ſcharfmeißelförmigen Schneidezähne dienen zum Abbeißen, und mit den ſcharfen Sacken der Backen— zähne werden die losgeriſſenen Fetzen wie mit einer ſcharfen Schere zerſchnitten. — Bei denjenigen Familien, die den Raub— tiercharakter am ausgeſprochenſten zeigen und die auch e Hennings, Die Säugetiere Deutſchlands. 98 Fünftes Kapitel, lich von Fleiſchnahrung leben, find naturgemäß die Backzähne vorwiegend in Gebrauch, welche dem Mundwinkel am nächſten ſtehen und auch in bezug auf die Kaumusfeln am günſtigſten gelegen find: es iſt dies oben der letzte Prämolar-, unten der erſte Molarzahn; jeder von ihnen übertrifft die übrigen Backen— zähne feiner Reihe an Größe und wird als Beißzahn bezeichnet (dens lacerans) (in den folgenden Sahnformeln durch R angedeutet), während die vor ihm ſtehenden Backenzähne Lück, die hinter ihm folgenden Höckerzähne ge— nannt werden. Je mehr der Reiß⸗ zahn im Gebiß vorherrſcht (f. Figur 24) und je weniger zahl- reich und kleiner die anderen Backzähne ſind, deſto mehr iſt das betreffende Tier ein reißender, ausſchließlich auf warmblütige Opfer angewieſenersleiſchfreſſerl Mit der Bildung der Sähne geht nun eine Verſchiedenheit in der Fußbildung parallel, die wieder mit Abweichungen in der Art der Bewegung verbun— den iſt. Läßt ſich auch die alte (Cuvierſche) Einteilung in Soh- len⸗ und Sehengänger für die igur 24. . Gre a Nalibeterenn Geſamtheit aller Raubtiere heute Die Reißzähne durch punktierte Cinie ver— nicht mehr aufrecht erhalten, bunden: a) Katzen, b) Hunde, c) Marder, ſo iſt ſie doch für unſere ein⸗ d D 7 )Bä x 1 1 ) Dachs, e) Bär heimiſchen Arten noch ſehr wohl anzuwenden: die einen nämlich, die einer mannigfaltigen, ſtets leichten und ſchnellen Bewegung fähig find, die Hunde und Katzen, berühren nur mit den Sehen den Boden, Mittelhand— und Mittelfußknochen find ganz aufgerichtet und der ihnen ent— ſprechende Teil der Fußſohle daher auch behaart; gleichzeitig ſehen wir hinten die erſte Sehe ſchwinden. Anders bei den Bären und Mardern, die ſich im allgemeinen langſamer, zum Teil ſogar ſchwerfällig bewegen: ſie treten mit der ganzen, daher nackt bleibenden Sohle auf und beſitzen ſowohl an den Vorder— wie an den Hinterbeinen je 5 Sehen. Die Raubtiere (Carnivora). 99 Was die Spur der Raubtiere anlangt, jo unterſcheidet man, abgeſehen von der Form des Tritts und der Schnelligkeit der Fortbewegung, auch die verſchiedene gegenſeitige Stellung der 4 Fußabdrücke: bei langſamem Gehen ſtehen die beiden rechten rechts, die beiden linken links von einer gedachten mittleren Linie, die gleichſam die Projektion der Körperlängsachſe auf den Erd— boden darſtellt; man ſagt alsdann, das Tier „ſchränkt“. Bei ſchnellerer Fortbewegung = RB ſucht jedes Tier aber das mit dem „Schränken“ meiſt verbundene Schwanken dadurch aufzu— 8 u 0 heben, daß es feine Käufe mehr unter die : Mitte des Körpers bringt, und gelegentlich . geht das ſo weit, daß das ſog. „Schnüren“ a lu eintritt, bei dem alle Tritte, ſowohl die der 8 6) rechten wie die der linken Füße, in einer 5 geraden Linie — „wie auf der Schnur” — ſtehen (Figur 25 A). f Daß der Schaden, den „das Raubzeug “k | dem Menſchen zufügt, für größer gilt, als 60 ihr Nutzen, das beweiſt der Vertilgungskrieg, . unter dem es ſeit undenklichen Seiten zu leiden hat und noch leidet. Aber von jeher iſt dieſer i Dernichtungsfampf übertrieben worden und u © jr hat nur den Erfolg gezeitigt, daß wir Luchs, 2 Wolf und Bär heute vergebens innerhalb . Deutſchlands Grenzen ſuchen und daß andere i Raubtiere, wie Wildkatze und Nörz, ſchon ſo 8 00% ſelten geworden ſind, daß ſie wohl als Natur— 2 denkmäler vor gänzlicher Vernichtung bewahrt Figur 25. Fuchsſpur. bleiben ſollten. Und dabei wird der große A ſchnürend“, B flüchtig. Nutzen, den uns auch dieſe „Räuber“ bringen k Crit der SER können, ganz überſehen: noch heute grollt mancher Unkundige, wenn ein Wieſel gelegentlich einmal ein Hühnerei ſtiehlt, er bedenkt aber nicht, daß dieſe kleine Marder— art für jedes Hühnerei Hunderte von Mäuſen vertilgt! Ja ſelbſt der übel beleumundete Fuchs leiſtet als Mäuſejäger vortreffliches. Jung eingefangen, laſſen ſich die meiſten Raubtiere zähmen, ja zwei Gruppen, die Hunde und die Katzen, haben ſogar in— folge des jahrtauſendelangen Zufammenlebens mit dem Menſchen uns nützliche und treue Hausgenoſſen geliefert. ö 7 * 100 Fünftes Kapitel. Don den zahlreichen Familien, in denen die Raubtiere ſich über faft die ganze Erde verbreiten, ſind in Mitteleuropa nur vier heimiſch, die ſich in folgender Weiſe voneinander unterſcheiden: 1“ Sehengänger mit behaarter Sohle und vorn 5, hinten 4 Sehen. Gebiß: Der Reißzahn die übrigen Backzähne an Größe und Schärfe weit überragend; die unteren 6 Schneidezähne in einer Reihe ſtehend. 2“ Krallen zurückziehbar, Junge rauh, Kopf rundlich, Schnauze kurz. Gebiß: 11 oder 2 R. 1 — 28 oder 30. 1 2 R. 0 1. Katzen, Felidae. 2“ Krallen nicht zurückziehbar, Sunge glatt, Kopf geſtreckt, Schnauze a a SSR? ſpitz. Gebiß: te 2 e 01,01 2. Hunde, Canidae. Sohlengänger mit mehr oder weniger nackter Sohle, und vorn wie hinten 5 Sehen. Gebiß: Der Reißzahn nur wenig die übrigen Bad- zähne übertreffend; von den 5 Schneidezähnen jeder Unterkieferhälfte tritt der mittlere etwas hinter ſeine Nachbarn nach innen zurück. 2“ Schwanz mindeſtens kopflang, Körper meiſt ſchlank. Gebiß: 5. 12 od. 5 R . 5 1 ao R wenigen als 40. — — sog R 3. Marder, Mustelidae. 8 l e 2, Schwanz im Pelz verſteckt, Körper plump. Gebiß: g 5 z 2 42 I. Familie Aatzen, Felidae. Dieſe Familie verdient es in der Tat, an die Spitze der Zanzen Ordnung geſtellt zu werden, find es doch die Katzen, die uns das Gepräge des Baubtieres am vollkommenſten ſehen laſſen! Das Gebiß zeigt die geringſte Sahl von Backzähnen, aber einen außerordentlich kräftigen Reißzahn, es iſt alſo aus: ſchließlich zum Serreißen der Beute, kaum jedoch zum Kauen eingerichtet, und im Suſammenhang mit der Kürze der Sahn— reihe iſt der Kopf gleichfalls kurz, aber breit und ſtarkknochig. Steht der Bau des Schädels und des Gebiſſes mit der Art der Nahrung im Einklang, fo die Einrichtung der Katzenpfote mit der Art des Nahrungserwerbes: nicht durch Ausdauer oder Schnellig- keit, wie bei dem Wolf z. B., ſondern durch Liſt wird die Beute erlangt, und die Geſchmeidigkeit der Katze, ihr Cauern, ihr Sprung ſind ja ſprichwörtlich geworden; aus dem Hinterhalt wird das Opfer im Sprunge erreicht und die ſcharfen Krallen dringen Die Raubtiere (Carnivora). 101 ihm ins Genick oder in die Kehle. Daß diefe Mordwerkzeuge aber ſtets ſcharfgeſchliffenen Dolchen gleichen und beim Gehen ſich nicht abnutzen, iſt durch eine beſondere Einrichtung bedingt (Figur 26): das letzte Sehenglied (5) iſt nämlich durch 2 ſtarke elaſtiſche Bänder (B) für gewöhnlich aufwärts geſchlagen und ſo bleibt die an ihr ſitzende Kralle in eine Hautſcheide zurückgezogen, drückt ſich in der Spur nicht mit ab; erſt wenn die unten am Sehenglied befeſtigte Sehne (8) des Beugemuskels die Sehe gerade ſtreckt, tritt auch die Kralle hervor. — Die Sahl der Sehen beträgt übrigens hinten 4, vorn 5, doch berührt der Daumen niemals den Erdboden. — Unter den Sinnen iſt im Gegenſatz zu den Hunden, die ja überhaupt körperlich wie geiſtig ein Gegenſtück zur Katzenfamilie bilden, der Geruch verhältnis: mäßig wenig ausgebildet; oben- an ſtehen der Gehörsſinn und kiaar 20 Sehe der Kae NE namentlich das Geſicht, deſſen 1 A er Kralle. Organ, das Auge, durch die mehr (Aus Schmeil, £eitfaden d. 3.) oder weniger elliptiſche, ſehr be⸗ M mittelfußknochen, 1, 2, 3 die 3 Sehenglie⸗ wegliche, ja bis auf einen Spalt der, K Kralle, B elaſtiſches Band, 5 Sehne. zuſammenziehbare Pupille an das Sehen bei Nacht angepaßt iſt: der geringſte Kichtfchein liefert ihm noch genügend Beleuchtung. Die rauhe Sunge mit ihrem dichten Beſatz horniger und ſpitzer Höcker iſt das wichtigſte Werkzeug beim „Blutlecken“. In Deutſchland kommt heute neben der Hauskatze nur noch eine einzige Art, die Wildkatze, vor, während eine zweite, der Luchs, vielleicht zur Freude des Weidmanns und des Candwirts, ſicherlich aber zum Leidweſen des Naturfreundes, bei uns aus⸗ gerottet iſt. Die drei genannten können folgendermaßen unterſchieden werden: 1“ Ohr mit Haarpinſel; Schwanz höchſtens von ½ der Körperlänge. Gebiß: Im Gberkiefer nur je 3 Backenzähne: 1 Lückzahn, 1 Reiß⸗ zahn und 1 Höckerzahn. 3. Der Luchs, Lynx Lynx I. Ohr ohne Haarpinfel, Schwanz mindeftens halbkörperlang. Im Oberkiefer je 4 Backenzähne, 2 Lück- vor und 1 ſehr kleiner Höcker⸗ zahn hinter dem Reißzahn. 2“ Schwanz etwa halbkörperlang, bis zur Spitze gleichmäßig dick und dicht behaart, die Spitze ſelbſt ſchwarz und davor noch 2—5 voll- — — 102 Fünftes Kapitel. ſtändige ſchwarze Ringe. Pelz gelbgrau mit dunklen Flecken. Hinterbeine mit ſchwarzem Sohlenfleck. Weibchen 3 Sitzenpaare. 1. Die Wildkatze Felis catus L. 2, Schwanz mehr als halbkörperlang, nach der Spitze verjüngt und kürzer behaart, ohne Ringe und ſchwarze Spitze. Färbung wechſelnd, wenn wildfarbig, dann mit ſchwarzer Sohle. Weibchen 4 Sitzen— paare. 2. Hauskatze, Felis domesticus riss. J. Die Wildkatze, Felis catus L. erſcheint, mit unſerer Hauskatze verglichen, ſtämmiger, unterſetzter, dabei aber, bei gleichem Alter und Geſchlecht, auch größer, er— reicht fie doch bei einer Schulterhöhe von 52—40 cm eine Cänge von 60— 90 cm, von denen etwa 50—40 cm auf den Schwanz, die ſog. Rute oder Lunte, entfallen. Die Grundfärbung des Pelzes, der ein gutes Rauchwerk liefert, iſt ein gelbliches Grau, das, bald mehr ins Gelb, bald mehr ins Grau ſpielend, im ganzen wenig wechſelt; auf dieſem Grundton treten mehrfache dunkle Seichnungen, in mehr oder weniger deutlichen Längs- und Querſtreifen, hervor. Die halbkörperlange, nicht zugeſpitzte und überall gleichmäßig dicht behaarte Rute zeigt an ihrem Ende 5—4 ringsumlaufende ſchwarze Ringe, von denen der die ganze Spitze einnehmende auch zugleich der breiteſte iſt; weiter nach vorn zu, nach der Schwanzwurzel hin, folgen dann noch einige undeutliche, unterſeits nicht durchgehende Binden. Der den Boden berührende Teil des Fußes iſt ſchwärzlich und weiſt eine nackte Schwiele ſowie 4 ebenfalls nackte Sehenballen auf. Schwarz iſt auch ein runder, etwa markſtückgroßer Fleck an der Außenſeite der Sehen der Hinterfüße, der ſog. „Sohlen— fleck“ — wir müſſen ſpäter nochmals auf ihn zurückkommen — während die übrige „Sohle“, d. h. die wirkliche Sohle in ana⸗ tomiſchem Sinne, die ja den Boden nicht berührt, ſondern auf— gerichtet iſt, gelbgraue Farbe zeigt. Swar verſchmäht es die Wildkatze nicht, die an das Holz ſtoßenden Felder und Wieſen gelegentlich nach Beute abzuſuchen, doch bilden ruhige, dichte Gebirgswaldungen, in denen hohle Bäume, verlaſſene Fuchs⸗ und Dachsbauten, Felſenhöhlen einen Schlupfwinkel bieten, ihr Hauptrevier. Bier lebt fie, ungeſellig und jede ihr Gebiet gegen andere ihresgleichen verteidigend, bier ſpielt ſich auch gegen Ende des Winters das Liebesleben ab, Die Raubtiere (Carnivora). 103 das in ganz ähnlicher Weiſe wie bei der Hauskatze von ſchmachten— dem Klagen, von Fauchen und Spucken ſowie heftigen Fehden der „Kater“ oder „Ruder“ begleitet iſt. Nach etwa 9 Wochen wirft die Katze, auch „Kätzin“ genannt, 4—6, eine halbe Woche lang blinde Junge, die bei nahender Gefahr von der Mutter im Maule von einem Verſtecke ins andere geſchleppt werden und unter ihrer Anleitung ſchnell ihr Räuberhandwerk erlernen, bis ſich im Herbſt die Familie auflöſt. Beim Schleichen „ſchränkend“, beim Traben „ſchnürend“, windet ſich unſer Tier, wenn es in der Dämmerung oder nachts auf Raub ausgeht, aalglatt und unhörbar durch das Unterholz und ebenſo geſchickt zeigt es ſich auch im Klettern, wenn es gilt, einen Vogel zu beſchleichen. Kein Wirbeltier, das es be— wältigen kann, iſt vor ihm ſicher, von den kleinſten bis hinauf zur Auerhenne, zum Reh-, ja zum Hirſchkalb. Freilich verzehrt die Wildkatze auch Eichhörnchen, Mäuſe, Hamſter u. dgl., und jo iſt ihr ein gewiſſer Nutzen nicht abzuſprechen, zumal in mäuſe— reichen Jahren — in einigen deutſchen Bundesitaaten (Preußen, Bayern, Sachſen, Baden) gilt fie daher als jagdbares Tier — aber bei weitem überwiegt doch der Schaden, den ſie der Jagd, der Land- und Forſtwirtſchaft, den letzteren durch Vertilgung inſektenfreſſender Vögel, zufügt. Das iſt auch der Grund, warum ſie Rette bei uns ſchon zu den ſelteneren Tieren zählt: ſie kommt nur noch in den größeren Gebirgswäldern vor, über den Harz und ſeine Vorberge geht ſie überhaupt nicht hinaus und nirgends findet ſie ſich in größerer Sahl. In kultivierten, ſtark bewohnten Gegenden, die ſie, heute wenigſtens, meidet — Hausgeflügel fällt daher wohl nie ihr zum Opfer —, hat ſie eine „würdige“ Nachfolgerin gefunden in ver— wilderten Exemplaren der 2. Hauskatze, Felis domesticus Briss. Obgleich im wahren Sinne des Wortes ein Haustier ge— worden und meiſt nur ungern das Haus verlaſſend, in dem ſie ſich wohl fühlt, wird doch die Hauskatze, der Obhut und Auf— ſicht des Menſchen entwichen, ſchnell zum Raubtier. Ihre geiſtigen und körperlichen Fähigkeiten geben ihr die Möglichkeit, das Veſt der Nachtigall ebenſo ſicher zu finden, wie die Schlupfwinkel der Feldmäuſe, der Junghaſen und brütenden Rebhühner; ja die Ent— 104 Fünftes Kapitel. blößung der Gärten und Parks von Singvögeln ift vornehmlich ihr Werk, das möge auch der Landmann bedenken, der nur zu oft in der herumſtreunenden Katze nur die Mäuſevertilgerin ſieht! Derwilderte Katzen find übrigens herrenlos und dürfen vom Jagdberechtigten ohne weiteres getötet werden, von anderen nur „bei drohender Gefahr“, die aber ſtets vorliegt, wo über— haupt Vögel vorkommen. Die Raubtiernatur der verwilderten Katze tritt natürlich noch mehr hervor bei ihren Nachkommen, die infolge des ungebun— denen Lebens nicht nur größer werden, ſondern auch oft etwas wildkatzenartig ausſehen, und alsdann gelegentlich als echte Wild⸗ katze erlegt werden. Auch kommen Kreuzungen zwiſchen Wild— katzen und verwilderten Hauskatzen vor, was das richtige Anſprechen noch mehr erſchwert. Allgemein gültige Unterſchei⸗ dungsmerkmale laſſen ſich kaum geben, denn die aufgeſtellten Unterſchiede im Schädelbau find ebenſowenig ſtichhaltig wie die der Färbung. Der ſchon oben erwähnte Sohlenfleck iſt freilich für die „unverfälſchte“ Wildkatze von großer Bedeutung (Neh— ring), aber doch mehr im negativen Sinne, inſofern man ſagen kann: eine im Freien erlegte wildfarbige Katze, bei der nicht nur der kleine Fleck, ſondern die ganze Sohle bis hinauf zur Ferſe ſchwarz gefärbt iſt, iſt keine Wildkatze. Selbſt ſehr er— fahrene Jäger find daher gelegentlich nicht imſtande, ein erlegtes Stück mit Sicherheit zu beſtimmen, und manchmal bleibt nur der Vergleich mit unzweifelhaften Sammlungs⸗Exemplaren übrig. Die vollſtändig ſchwarze Sohle hat unſere Hauskatze, wenn ſie überhaupt der wilden ähnlich und nicht ganz anders, ſchwarz, weiß oder geſcheckt gefärbt iſt, gemeinſam mit der oſtafrikaniſchen Falbkatze (Felis maniculata Rüpp.), und das iſt auch einer der Gründe für ihre Ableitung von dieſer, nicht von der heimiſchen Wildkatze. Die wichtigſten Belege für die afrikaniſche Ab— ſtammung der europäiſchen Hauskatze ſind aber geſchichtlicher Natur. In Deutſchland wurde ſie erſt im Mittelalter eingeführt, im alten Rom und Griechenland war ſie kaum bekannt, im alten Agypten dagegen ſpielte ſie eine große Rolle: urſprünglich wohl in ihrer wilden Stammform zu Bekämpfung der Mäuſeplage gezähmt und dann zum Haustier geworden, ja heilig gehalten — hat man doch z. B. bei Bubaſtis Maſſengräber einbalſa— mierter Katzenmumien gefunden! — hat fie ſich von dort aus mit der von ihr verfolgten Hausratte nach Europa verbreitet. Die Raubtiere (Carnivora). 105 Unabhängig übrigens von den Agyptern haben auch die Chineſen den erfolgreichen Verſuch gemacht, eine kleine zentralaſiatiſche Wildkatze (wahrſcheinlich die „Steppenkatze“, Felis manul Pall.) zu domeſtizieren; von ihr dürfte außer den aſiatiſchen Haus- katzen auch die ſog. Angorakatze ſtammen, eine der wenigen Katzenraſſen, die der Menſch gezüchtet hat. Denn ganz im Gegenſatz zum Hunde hat die Katze gerade in ihrer Fortpflanzung derart ihren Eigenwillen zu wahren gewußt, daß es auch heute nur wenige wirkliche „Raſſen“ gibt. 8.00 HR. TER 3 TE PR Figur 27. Luchs, Lynx lynx L. (Aus Schmeil, Leitfaden d. 5.) ee o Das Schickſal, das der Wildkatze droht: in nicht zu ferner Seit aus unſerem Vaterland verſchwunden zu ſein, dies Schickſal hat ſich ſchon am Luchs erfüllt! Wenn auch noch gelegentlich im äußerſten Oſten von Oſtpreußen ein Stück einmal nach Deutſchland einwechſelt, ſo iſt er doch als „Standwild“ ſchon im 19., ja mancherorts ſogar fchon im 18. Jahrhundert aus: gerottet worden. Das reichlich I m, ja bis zu 1,50 m lange und am Wider: riſt 75 cm hohe Tier, das durch feine hohen Ohrbüſchel und den Backenbart ein ganz ſeltſames Ausſehen erhält (Figur 27), 106 Fünftes Kapitel. wählt fich dort, wo es vorkommt (Rußland, Skandinavien, Öfter- reich, Balfanländer), große, dichte und ruhige Wälder der Ebene und beſonders des Gebirges zum Aufenthalt und liefert in ſeinem rötlichbraun oder grau gefärbten, dunkel gefleckten Pelz ein ge— ſchätztes Rauchwerk. Swar aufbaumend, aber nicht ſonderlich geſchickt kletternd, lauert es feiner Beute im Binterhalte auf oder beſchleicht ſie und erreicht ſie dann in wenigen, außer— ordentlich weiten Sprüngen. Immer tötet der nächtliche Räuber weit mehr als er zur Stillung ſeines Hungers bedarf, kein warmblütiges Tier verjchonend in feinem Revier, und jo wird er zu einer wahren Geißel, deren rückſichtsloſe Bekämpfung durch den Menſchen wohl zu verſtehen iſt, zumal auch die Haus— tiere, Rinder, Schafe, Siegen, Hühner, nicht vor ihm ſicher ſind. Dafür ſchmückte aber auch, wenigſtens in früheren Seiten, ſein wohlſchmeckendes Wildbret die Tafel der Fürſten und Vor— nehmen! Die II. Familie: Hunde, Canidae ſtellt in manchen Eigentümlichfeiten des Körperbaus und der Lebensweiſe ein Gegenſtück dar zu den Katzen. Swar find auch ſie Sehengänger mit behaarter Sohle, und hier wie dort finden wir an den Vorderbeinen fünf Sehen und an den Binterbeinen vier. (Nur einige Haushundraſſen haben auch hinten fünf Sehen, indem ſich die erſte als ſog. „Wolfsklaue“ erhält und gelegent— lich ſogar verdoppelt iſt als „Nubertuszehe“.) Im Gegenſatz zu den Katzen ſind aber die Krallen nicht zurückziehbar: der Abnutzung unterworfen und auf geeignetem Boden auch ſtets deutlich ſich abdrückend, befähigen ſie ihren Träger nicht zum Klettern ſondern ſind hauptſächlich zum Scharren zu gebrauchen, und das deutet darauf hin, daß wir es in den Hunden mit Gräbern und Erdläufern zu tun haben! Charakteriſtiſch für die Hunde iſt auch der derbe, robuſte Körper ſowie der geſtreckte Schädel mit verlängertem Schnauzenteil, und dieſe Verlängerung iſt wie— der bedingt durch die reiche Bezahnung: das Gebiß, zwar nicht ſo ſtark ausgebildet wie bei den Katzen, dafür aber mit einer größeren Sahl von Sähnen ausgeſtattet — nach der Formel 3888 KR. 2 i 77 ee — 42 — und mit kräftigem Reißzahn (ſ. Figur 24 b), erklärt auch die Neigung vieler Hunde für Aas, Knochen Die Raubtiere (Carnivora). 107 und die Überbleibſel des Mahles ſtärkerer Räuber, wie denn jogar Degetabilien nicht verſchmäht werden. Das Milchgebiß beſteht übrigens aus je drei feinen ſtiftartigen Schneide-, je einem ſehr ſpitzen und dünnen Sck- und je drei ſpitzhöckerigen Backzähnen. — Unter den Sinnesorganen ſtehen Geruch und Gehör obenan, während das Auge bei weitem nicht die Aus— bildung erreicht wie bei der Katze; das Fell gibt im allgemeinen nur ein grobes Pelzwerk, bei einigen Arten aber wird es be— ſonders geſchätzt (ſo bei dem der nördlichen Polarzone ange— hörigen Eis⸗ oder Polarfuchs, der auch unter dem Namen Stein— oder Blaufuchs bekannt iſt, Canis lagopus L.). Für uns kommen drei Vertreter dieſer Familie in Betracht, außer dem Haushund nur Wolf und Fuchs, doch gehören ſie zwei verſchiedenen Gruppen an, die ſich in mehrfacher Beziehung, freilich hauptſächlich im Skelettbau unterſcheiden: bei der „Wolfs— gruppe“ (Thooidea), zu welcher außer Wolf und Hund auch die Schakale gehören, iſt der von oben her die Augenhöhle nach hinten begrenzende Fortſatz des Stirnbeins (der Poſtorbitalfort— ſatz) mit ſeinem Ende abwärts gekrümmt und auf der OGberſeite etwas erhaben, konvex; die Stirnbeine ſelbſt beſitzen luftführende Höhlen, wodurch dieſer Teil des Schädels mehr oder weniger aufgetrieben erſcheint; die Pupille iſt rund, der Schwanz kürzer als der halbe Körper und die Sahl der Sitzen beläuft ſich auf mindeſtens acht, meiſt zehn oder mehr. Die in Europa, Afrika und Amerika zahlreich vertretene „Fuchsgruppe“ (Alope- coidea) dagegen beſitzt einen Stirnbeinfortſatz, der oben aus- gehöhlt, konkav, iſt und an ſeinem Ende etwas aufwärts gebogen erſcheint; luftführende Stirnbeinhöhlen fehlen ihr; die Pupille bildet im zuſammengezogenen Suſtand einen ſenkrecht ſtehenden Spalt, der Schwanz iſt länger als der halbe Körper, und die Sahl der Sitzen überſteigt niemals ſechs. Der Wolf, Canis lupus I., der Iſegrimm der alten deutſchen Tierfabel, läßt ſich mit ſeinem hageren Leib und dem eingezogenen Bauch, den mageren ſehnigen Läufen und kräftigen Pfoten, mit feinen aufrecht ſtehen— den und breiten aber ſpitz zulaufenden Ohren oder „CLauſchern“, der buſchigen, meiſt hängend getragenen „Rute“ am beſten mit einem ſtarken Schäferhund vergleichen, mit dem er auch in der OS DR Fünftes Kapitel. Größe übereinſtimmt: feine Leibeslänge ift I—I,20 m. Im all gemeinen iſt der Pelz des Wolfes, in welchem ftets die langen ſchwarzſpitzigen Grannen aus dem dichten kurzen Unterhaar her- vorragen, oben gelbgrau mit ſchwärzlichem Anflug, unten etwas heller, weißlichgrau; doch ſind die Tiere des Waldgebirges nicht nur größer und ſtärker ſondern auch mehr dunkelgrau-ſchwarz gefärbt, während ſie in den Sumpfniederungen der Ebene kleiner, ſchwächer und mehr rötlich erſcheinen. Schon aus dieſer Gegen— überſtellung geht hervor, wie wenig wähleriſch der Wolf in bezug auf ſeinen Aufenthaltsort iſt, und ſo gehört er auch zur ſtändigen Tierwelt aller europäiſchen Länder mit Ausnahme Englands und Deutſchlands! Als „Gaſt“ beherbergen auch wir ihn immer noch gelegentlich, da er beſonders in ſtrengen Wintern unglaublich weit umherſtreift und dabei nicht ſelten von Weſten oder von Oſten her die Grenzen Deutſchlands über— ſchreitet; als „Standwild“ aber iſt er bei uns ausgerottet. Früher war es anders: namentlich nach dem dreißigjährigen und dem ſiebenjährigen Krieg vermehrten ſich die Wölfe bei uns beträcht- lich, ebenſo auch im Suſammenhang mit dem Rückzug der Sran- zoſen aus Rußland, und ſtellenweiſe konnte man auch in unſerer Heimat von einer wirklichen „Wolfsplage“ ſprechen. Eine Plage aber iſt in der Tat der Wolf überall dort, wo er vorkommt: am Tage ſich verborgen haltend und erſt mit Anbruch der Dämmerung auf Raub ausgehend, hält er ſich im Sommer mehr einzeln, im Winter aber liebt er es, zu mehreren gemein— ſchaftlich, in Rudeln, zu jagen. Als ausdauernder Hetzer und begabt mit einer großen Fährtenſicherheit, richtet der Wolf furchtbaren Schaden an unter dem Herdenvieh ebenſo wie unter dem Wild bis hinauf zum Sdelhirſch, Elch und Wild— ſchwein. Wie manches andere Raubtier auch, würgt er mehr als er frißt; in der Not, wenn ihn der Hunger plagt, verſchlingt er dafür aber alles, was ihm irgend erreichbar, wie Aas, Knochen, Leder, Miſt uſw. Im einzelnen Tritt hat er eine große Ahnlichkeit mit einem großen Hund, feine Fortbewegung geſchieht in der Regel trabend, wobei er ziemlich ſtark ſchnürt; in der Flucht, d. h. beim Galopp überſchnellen, wie bei allen Tieren, die Hinterläufe, fo daß fie vor die vorderen zu ſtehen kommen. Etwa Anfang Januar beginnt die Ranzzeit, die bis in den Februar hinein dauern kann und bei jungen Individuen ſpäter ein⸗ Die Raubtiere (Carnivora). 109 ſetzt aber auch länger währt als bei älteren. Die Paarung geſchieht in der Weiſe wie beim Hund und nach Beendigung der Trag— zeit, die nicht 15 Wochen, wie früher behauptet, ſondern nur neun Wochen (Nehring) dauert, „wölft“ die Wölfin 8 —9 Junge. In ihrem rußgrauen, weichen Wollkleid gleichen ſie ganz den Welpen großer, weichhaariger Hunde, doch bleiben ihre Augen— lider viel länger, etwa für drei Wochen, geſchloſſen. Während der Vater ſich nicht weiter um die Nachkommenſchaft bekümmert, widmet die Mutter ihr große Sorgfalt, indem fie fie pflicht- eifrigſt ſäugt und ihr dann ſpäter reichlich Futter nicht nur zu« trägt ſondern zunächſt auch vorkaut. 2. Der Raushund, Canis familiaris L. iſt ein echter Vertreter der „Wolfsgruppe“, mit deren übrigen Mitgliedern er ſich auch fruchtbar kreuzt; ja man kann faſt ſagen, unſer Haushund iſt ein echter Wolf! Die Mehrzahl der dem Skelett entnommenen Unterſcheidungsmerkmale zwiſchen beiden hat ſich bei der Prüfung an größerem Material nicht als ſtichhaltig erwieſen; dazu kommt noch die allen Vertretern der Hundefamilie eigentümliche „Variabilität“, d. h. die Neigung, Abarten und Nafjen zu bilden, eine Neigung, die der Haus- hund wie alle Haustiere in ganz beſonderem Maße zeigt, und ſo laſſen ſich in der Tat die zwar in jedem einzelnen Fall wohl erkennbaren, aber nicht allgemein gültig zu beſchreibenden Unter— ſchiede mit dem Altmeiſter der ſyſtematiſchen Soologie, Cinns, nur ausdrücken durch „cauda sinistrorsum recurvata“, d. h. beim Hund iſt die Rute nach links gerollt. Dieſe eigentümliche Hal⸗ tung des Schwanzes erklärt ſich wohl aus der meiſt etwas von rechts vorn nach links hinten verſchobenen Stellung des Hunde- körpers, und dieſe bedingt wieder eine weitere Eigentümlichkeit, die für alle Haushunde gilt: im Gegenſatz zum Wolf (und Fuchs) „ſchnüren“ ſie nicht, ſondern „ſchränken“ im Trab. Von ſonſtigen körperlichen Eigenſchaften des Hundes fei erwähnt, daß er — auch darin mit dem Wolf übereinſtimmend — neun Wochen trägt, und in Regel 4—8, gelegentlich auch noch mehr, Junge wirft. Dieſe ſog. „Welpen“ ſind anfangs blind und unbeholfen, öffnen aber die Augen viel früher als junge Wölfe und wechſeln zwiſchen dem dritten und fünften Monat ihr Milchgebiß; die kleineren Raſſen haben meiſt mit 110 Fünftes Kapitel. einem halben Jahr ihr Wachstum beendet, bei den größeren iſt dies erſt im zweiten Jahr für das Höhen- und im dritten für das Breitenwachstum der Fall. Vielfach erörtert und nicht nur in zoologiſcher, ſondern auch in kulturgeſchichtlicher Beziehung intereſſant iſt die Frage nach der Abſtammung des Haushundes und feiner Raſſen; iſt doch die Sahl der letzteren außerordentlich groß, und faſt jedes Sand hat ſich feine eigenen Formen herausgezüchtet. Eine Aus- nahme macht nur der Grient, vor allem die Länder des Islam, deſſen Anhänger den Hund als unreines Tier verachten, ihn aber keineswegs verfolgen; ja mit ihnen kamen ſogar die auf der niederſten Stufe des Haushundes ſtehenden ſog. Pariahunde nach Europa, die, wie jeder Beſucher Konjtantinopels beobachten kann, nur ihrem Geburtsort die Treue halten und das ganze große Gebiet dieſer Stadt nach Vierteln und Straßen unter ſich verteilt haben, aber keinem eigentlichen Herrn angehören. Sicherlich hat der Menſch im Hunde ſchon einen Genoſſen be— ſeſſen zu der Seit, da er als Jäger und Fiſcher ſein Leben friſtete, alſo lange bevor er ſeßhaft wurde und das Feld beſtellen lernte. Nicht nur die Paläontologie, die Lehre von den heute nicht mehr exiſtierenden Tierformen, ſpricht dafür, ſondern auch die archäo— logiſchen und prähiſtoriſchen Wiſſenſchaften, und ſie haben uns auch gezeigt, daß gleich von Anfang an der Haushund in ver— ſchiedenen, verſchiedenen Sweden dienenden Hauptraſſen ſich entwickelte oder beſſer wohl: gezüchtet wurde. Ja dieſe Haupt- formen entſprechen ſogar ungefähr unſeren heutigen Raſſen: Hetz⸗ und Kampfhund, Jagd-, Wind- und Wachtelhund, ja ſogar Schoßhunde und teckelartige Formen finden wir ebenſowohl auf den altägyptiſchen und aſſyriſchen Denkmälern wie auf griechi- ſchen und römiſchen Darſtellungen. Selbſt die Inkas, die hoch- kultivierten Bewohner des alten Peru haben, wie das altperu— aniſche Gräberfeld von Ancon beweiſt (Nehring), ſchon vor der Berührung mit den Europäern Haushunde gehalten und auch dieſe ſchon laſſen Raſſenbildung — Bulldogg:, Jagdhund- und Teckelartige — erkennen. Und ſo iſt denn auch die heute all- gemein geteilte Anficht berechtigt, daß die gezähmten Haushunde der verſchiedenen Länder den urſprünglich dort heimiſchen wilden Vertretern der Caniden-Familie entſtammen: für die in Europa entſtandenen Raſſen wäre dabei, ſoweit es ſich um größere han— delt, in erſter Linie an den Wolf und ſeine ausgeſtorbenen Ver— Die Raubtiere (Carnivora). 111 wandten, und für die kleineren an den Schakal (Canis aureus L.) zu denken, wobei noch Kreuzung beider und der Einfluß der „Domeſtikation“, d. h. der Haustierſchaft, das ihrige taten. 5. Der Fuchs, Canis vulpes L. Der vielberühmte, vielberüchtigte Meiſter Reinecke iſt ein ſprichwörtliches, allbekanntes Tier mit ſeiner leichten geſchmei— digen Geſtalt, den feinen, ſehnigen Läufen, dem ſpitzen Kopf mit den dreieckigen „Lauſchern“, der walzenförmigen, faſt in ihrer ganzen Länge annähernd gleich dicken „Rute“, die der Weidmann wohl auch „Lunte“ oder „Standarte“ heißt. Die Hauptfarbe iſt ein ſchönes rötliches Gelb oder „Fuchsrot“ ober— ſeits, während die Unterſeite und die Innenſeite der Läufe weiß— lich, die Außenſeite der Ohren ſowie ein Streif an der Vorder— ſeite der Läufe ſchwarz zu fein pflegen. Sunächſt iſt aber der Winterpelz nicht nur beträchtlich dichter, ſondern auch etwas weißlicher als der durchweg mehr rote Sommerbalg; dann er— ſcheint auch das Gelbrot der Gberſeite in mannigfacher Weiſe mit hellgelben oder weißlichen, z. T. auch mit ſchwarzen Haaren durchſetzt, ſo daß ſich eine große Verſchiedenheit in Seichnung und Geſamtton ergibt. Der deutſche Weidmann pflegt zweierlei Füchſe zu unterſcheiden, den mattfarbigen „Brand-“ oder „Hohl: fuchs“ mit ſchwarzer „Blume“ (Schwanzſpitze) und grauer Kehle, deſſen Fell wie angeſengt oder mit Ruß beſtäubt erſcheint, und den reiner, heller gefärbten „Birkfuchs“, auch „Goldfuchs“ ge— nannt, mit weißer Blume und weißer Kehle; beide kommen aber in vielen Abänderungen nebeneinander vor. — Während der Balg unſeres deutſchen Reinecke ſich keiner beſonderen Wert— ſchätzung erfreut, bildet der Fuchs im hohen XHorden beider Welten ein ſehr geſuchtes Pelztier, wertvoll namentlich in drei Sarbabänderungen: als „Kreuzfuchs“ mit dunklem Schulter- und Rückenſtreif, als „Schwarzfuchs“ ganz rauchfarbig, und als „Silberfuchs“ mit ſilberig ſchimmerndem Haar; ein einzelner Balg der letztgenannten Abart kommt unter Umſtänden auf mehrere tauſend Mark zu ſtehen! Kein Tier iſt als Sinnbild der Liſt und Verſchlagenheit, der Tücke und Srevelhaftigfeit jo bekannt, jo geprieſen, ja ver— herrlicht worden, wie der Fuchs, und doch muß man ſagen: der Reinecke der Sage und Dichtung, und der Fuchs der Wirk— 112 Fünftes Kapitel. lichkeit find doch recht verſchiedene Geſchöpfe! In den oben: genannten Eigenfchaften kommt er vielleicht nicht einmal dem Wolfe gleich; daß er ferner, wie alle Hundearten, nicht ſehr ſcharf äugt, lehren viele Fälle aus der jagdlichen Praxis, und an Intelligenz ſteht er keineswegs ſo hoch über unſeren anderen Wildarten, wie behauptet wird. Dabei darf man freilich nicht, wie das gelegentlich geſchieht, in das entgegengeſetzte Extrem verfallen und ihn als unbegabt, ja als dumm hinſtellen: in der Färbung ſich vorzüglich der Umgebung, mag es ſich um Laub⸗ oder Nadelwald, um Heide, Feld oder Steingeklüft handeln, an— ſchmiegend, repräſentiert der Fuchs eben unter den Caniden den einen Typus des vorſichtig ſeine Beute belauernden und be— ſchleichenden Räubers — den anderen Typus bildet, wie wir wiſſen, der gemeinſchaftlich und laut hetzende Wolf — und er iſt, wenn er zur Jagd auszieht, ein ausdauernder und gewandter, dabei ſcharfſinniger und beſonders feinnaſiger und hellhöriger Geſell. Vor allem aber muß man ihm eines nachrühmen, was entſchieden für feine geiſtige Befähigung ſpricht: es iſt ihm ge- lungen, der im allgemeinen tierfeindlichen Entwickelung unſerer Forſt⸗ und Landwirtſchaft nicht nur zu widerſtehen, ſondern auch die fortſchreitende Kultur in gewiſſem Sinne ſich dienſtbar zu machen. Als Raubtier urſprünglich den Menſchen möglichſt meidend, lebt er heute mit Vorliebe dort, wo er reiche Dörfer und einen guten Beſtand an Niederjagd findet. Ebenſo vor— trefflich verſteht es Reinecke, ſich den jeweiligen Verhältniſſen und den verſchiedenſten Candſchaftsformen anzupaſſen: er bewohnt die Ebene wie das Gebirge, Wald-, wie Steppengegenden; am liebſten ſind ihm Landſtriche, in denen Wieſe, Feld und Wald abwechſeln, vor allem aber müſſen zwei Bedingungen erfüllt ſein: Nahrung muß in reichlichem Maße zur Stelle ſein und es müſſen Baue vorhanden oder doch wenigſtens zu beſchaffen ſein. In Übereinſtimmung mit ſeinem Charakter bemüht er ſich frei⸗ lich nicht ſonderlich um ein ſelbſtgeſchaffenes Heim, ſehr gern quartiert er ſich in einem Teile des geräumigen und weitläufigen Dachsbaues ein, deſſen Bewohner er wohl auch allmählich ver- drängt; auch natürliche Schlupfwinkel nimmt er gern an; findet ſich aber nichts dergleichen, ſo weiß er geſchickt ſich ſelbſt eine Wohnung zu ſchaffen. Sine ſolche hat unter Umſtänden einen Umfang von 6—12 m und beſteht aus ein oder zwei metertief unter der Erdoberfläche gelegenen „Keſſeln“, zu denen Die Raubtiere (Carnivora). 113 mehrere Röhren hinführen; außer dem regelmäßig „befahrenen“ Dauptbau legt er ſich übrigens oft auch noch beſondere „Not— baue“ an, namentlich in Getreidefeldern, Schonungen u. dgl. Ob ein Fuchsbau bewohnt iſt, kann man an dem friſch heraus- gewühlten Sande, und namentlich im Sommer, wenn Junge im Bau ſtecken, an den Reſten der zugetragenen Nahrung er- kennen. Bei geeignetem Boden ſieht man auch die friſchen Spuren, und wie vom Wolf geſagt werden kann, daß ſeine Fährte der Spur eines ſtarken Hundes ſehr ähnlich ſei, jo kann man das gleiche vom Fuchs und einem ſchwachen Bunde fagen, nur iſt Reineckes „Tritt“ im allgemeinen länglicher und ſchlanker, und die Klauen find länger und ſtärker abgedrückt. So viel- ſeitig übrigens der ganze Kerl iſt, ſo vielſeitig iſt auch die Stellung ſeiner Tritte in den verſchiedenen Gangarten: bei der ruhigſten, die man wohl auch „Schleichen“ nennt, alſo im „Schritt“, nimmt er ganz kurze Schritte und läßt ein gewiſſes Schränken deutlich erkennen. Die bei weitem häufigere Gang— art iſt der Trab, bei dem er „ſchnürt“, die einzelnen Tritte mithin faſt genau hintereinander in einer geraden Linie ſetzt (Figur 25 A); manchmal ſieht man bei hohem Schnee dabei auch die Spur der nachſchleifenden Standarte als einen ſchwachen Strich angedeutet. Beim flüchtigen, galoppierenden Fuchs bilden die vier Tritte gewöhnlich die Figur eines Paralleltrapezes (Figur 25), und in dieſer äußerſten Leiſtung der Geſchwindig⸗ keit macht er merkwürdigerweiſe einen verkehrten, jog. Kreuz⸗ galopp. Den größten Teil des Jahres lebt jedes Tier für ſich allein, nur zur Ranz⸗ oder „Rollzeit“, die in milden Wintern ſchon Ende Januar, in ſtrengen erſt im Februar einſetzt und einige Wochen dauert, bemerkt man eine gewiſſe Geſelligkeit: dann wird die Füchſin oder „Fähe“ von mehreren „Rüden“ (Männchen) aufgeſucht, die manchmal ſtundenlang im Felde hinter ihr her- traben, dabei oft in Beißereien geratend und auch wohl ihr eigentümliches, abgebrochen und heiſer klingendes Bellen hören laſſend. Die Begattung, die bald im Bau, bald außerhalb des Baues ftattfindet, geſchieht nach Art der Hunde; die Tragzeit währt wie bei jenen etwa 9 Wochen, nach deren Verlauf die Fähe (meiſt im April) 5—5, bisweilen auch 7—9 und mehr Junge „wölft“. Dieſe ſind rauchfarben braunſchwarz mit auf⸗ fallend dicker Schnauze und weißlicher Rutenſpitze; fie bleiben Hennings, Die Säugetiere Deutſchlands. 8 114 Fünftes Kapitel. etwa 12 Tage blind und werden von der Mutter ungefähr 2 Wochen lang geſäugt, bis das Gebiß ihnen die Aufnahme feſter Nahrung geſtattet. Dann beginnt für die Alte eine arbeits⸗ reiche, mühevolle Seit, alles mögliche Getier ſchleppt ſie herbei, leitet die Jungen im Würgen an und übt fie im Rauben, ſo— lange bis ſie imſtande ſind, ſich ſelbſt ihren Unterhalt zu ver— ſchaffen; hierzu find fie freilich meiſt ſchon im Alter von 3 bis 4 Monaten genötigt. Fortpflanzungsfähig werden ſie erſt in dem auf ihre Geburt folgenden Jahre. Don allen Problemen aus der Lebensgeſchichte Reinecke hat jahrzehntelang am meiſten Streit verurſacht die Frage, ob der Fuchsrüde ſich an der Ernährung der Jungfüchſe beteiligt. Nun lebt aber der Fuchs überall oder doch meiſtenteils in Poly- gamie, und da die Rüden in der Überzahl ſind, ſo müſſen ſie bald bei dieſer, bald bei jener Füchſin ihr Glück verſuchen; von vornherein erſcheint es alſo wenig wahrſcheinlich, daß der Rüde ſich „ſeiner“ Jungen annehme. Trotzdem hat man beobachtet, daß er ſich nach der Ranzzeit der Familie gelegentlich zugeſellt, freilich erſt, wenn das „Geheck“ nicht mehr geſäugt wird; ja bisweilen, z. B. wenn die Fähe getötet iſt, trägt er wohl auch den Verwaiſten Nahrung zu, eine Aufgabe, die, wie erwähnt, in der Regel der Alten zufällt. Und in dieſer Seit ſind in der Tat die Tiere eine Geißel für die Niederjagd. Als Beweis dafür ſeien nur einige Sahlen angeführt: in und an einem Bau, in dem eine Mutter mit 6 Jungen hauſte, fanden ſich Reſte von 25 Haſen, 49 Vögeln, 2 Hechten und J Blei, und in einem anderen I Rehkitz, 5 Hafen, I Auerhenne, I Friſchling und 1 Hecht. Ein ſolcher Feinſchmecker iſt, das ſei zu ſeiner Verteidigung geſagt, der Fuchs nun freilich nicht immer! — Bei ſchönem Wetter auch wohl tagsüber in Wald und Feld umherbummelnd, ja ſo— gar, wenn keine Gefahr droht, auf einem Baumſtumpf, im Röhricht oder an ſonſtiger geſchützter Stelle ein Schläfchen wagend, beginnt er doch ſeine eigentliche Jagdzeit erſt gegen Abend, um ſie gelegentlich bis gegen Sonnenaufgang auszudehnen. Dabei verſchmäht er weder Käfer noch Schnecken, frißt Fröſche und Ei- dechſen, ſelbſt Beeren und Obſt; unter den höheren Tieren fallen ihm Mäuſe, Hamſter, Kaninchen und Hafen zum Opfer, er fucht der Bache ihren Friſchling und der Ricke das Kitz zu rauben, Rebhühner, Faſanen, Birk⸗ und Auerwild, Enten und alles übrige Wildgeflügel haben in ihm einen gefährlichen Feind, und das r . — . Die Raubtiere (Carnivora). 115 nicht genügend beaufſichtigte Federvieh des Candmannes erhöht noch die Abwechſelung ſeines Speiſezettels. Aus der Art ſeiner Ernährung ergibt ſich feine wirtſchaft— liche Bedeutung: er iſt ſowohl nützlich wie ſchädlich! (Des halb genießt er auch inſofern geſetzlichen Schutz, als er für ein jagdbares Tier gilt.) Der Geflügelzucht unbedingt ſchädlich — wobei freilich oft ein großer Teil der Schuld dem zu wenig achtſamen Beſitzer zuzuſchreiben iſt — wird er vom Forſtmann und Landmann als Vertilger weit ſchlimmerer Feinde, der Mäuſe, geſchätzt; und tatſächlich bilden dieſe kleinen Nager während eines großen Teiles des Jahres ſeine Hauptnahrung, ja man hat beobachtet, daß Füchſe, Flüſſe durchſchwimmend, auf die von Mäuſen bewohnten Felder wanderten und ſpäter förmlich ge— mäſtet heimkehrten. — Mit ganz anderen Augen betrachtet ihn wieder der Weidmann, der kein Mittel für unerlaubt hält, um dieſen „gefährlichſten Feind der Jagd“ zu vertilgen! Alles in allem müſſen wir ſagen: wir wollen weder unſeren Rebhühnern, Hafen und Rehen zuliebe unſere Feld⸗ und Waldſaaten von den Mäuſen aufzehren, noch aus Furcht vor dieſen unſere Jagden zugrunde richten laſſen. So wenig alſo vollkommene Schonung des Fuchſes ſich vom wirtſchaftlichen Standpunkt aus rechtfertigen läßt, ſo ſehr iſt ſeine Erhaltung in mäßigen Grenzen erwünſcht, ja ſogar gerade im Intereſſe der Jagd ſelbſt gerechtfertigt; fallen ihm doch, beſonders unter den Hafen, in erſter Linie die- jenigen Individuen zum Opfer, die durch Schwäche, durch Krank— heiten, durch mangelhafte Geſchicklichkeit oder ſonſt irgendwelche ungünſtigen Sigenſchaften ſich von ihresgleichen unterſcheiden: werden ſie durch den Fuchs ausgerottet, ſo gelangen nur die Gefunden und Starken zur Fortpflanzung, die Raſſe wird in ſich gefeſtigt und für uns wertvoller und nutzbarer. Und wäre es ſchließlich nicht vom äſthetiſchen Standpunkt aus zu bedauern, wenn unſere Tierwelt eines der intereſſanteſten, von unſerem größten Dichter beſungenen Vertreters beraubt würde d III. Familie Marder, Mustelidae. Hier finden wir vereinigt vorzügliche Gräber mit gewandten Kletterern und nicht minder geſchickten Schwimmern, blutdürſtige Räuber mit ſolchen Arten, die, wenn auch nicht ausſchließlich, 8 * 116 Fünftes Kapitel, jo doch recht häufig an Wurzeln und Früchten ſich weiden, allen gemeinſam aber ſind einige körperliche Momente, ſo vor allem das Gebiß: die Sahl der Sähne ſchwankt zwiſchen 34 und 38 3.1.2 oder 3 R · (nach der Formel 5.4.3 der 4K. 8857 em von den 5 Schneide— zähnen jeder Unterkieferhälfte tritt der mittlere etwas hinter ſeine N B Nachbarn nach innen zurück; oben und unten ſteht nur je ein Höckerzahn. Der Reißzahn iſt 99 c dagegen nur bei den ausgeſprochenen Sleijch- freſſern von den anderen Backzähnen durch ſeine 8 Größe verſchieden (Figur 240), bei den Alles- 9 freſſern bleibt er an Umfang weit hinter dem Höckerzahn zurück (Figur 24 d). Charakteriſtiſch iſt ferner für die Marder— 1 | familie der langgeſtreckte, niedrig geſtellte Leib und die Fünfzehigkeit der Vorder- und Hinterbeine; 6 die mehr oder weniger behaarte Sohle berührt | zeitweife in ihrer ganzen Länge den Boden, näm— 9 lich wenn die Tiere in Schlupfwinkeln umher: kriechen oder einen Raub beſchleichen; ſobald fie es aber eilig haben, wenn ſie alſo entweder einem 9 Feind entgehen wollen oder der Beute nachjagen, 9 dann wird die Sohle, wie bei Hunden und Katzen, erhoben und nur die Sehen werden aufgeſetzt. 6 Infolge der großen Körperlänge und der unver: hältnismäßigen Kürze der Läufe ift auch die Fort— © bewegung der Marder eine ganz eigentümliche: 900 ſie beſteht für gewöhnlich in einer Art von hüpfen⸗ dem Springen, das etwa dem kurzen Galopp ande- Figur 28. rer Tiere entſpricht, bei dem aber das hintere Marderſpur. Caufpaar nicht fo weit über die Tritte des vor- 1 deren hinweggeſchnellt wird; im gewöhnlichen f Tempo findet man ſogar als Regel, daß die Binterläufe faſt genau in die Tritte der vorderen greifen: man ſpricht dann von einer „Paarſpur“ (Figur 28A), da die vier Füße nur zwei, meiſt ſchräg zueinander ſtehende Abdrücke er- geben. Bei ſtärkerer „Flucht“ (Figur 28 B) findet natürlich auch ein Aberſchnellen der Hinterläufe ſtatt, und hin und wieder kommt auch eine ruhigere und langſamere, etwa die Mitte zwiſchen Schritt und Trab haltende Gangart vor. So Die Raubtiere (Carnivora). 117 wird die Spur der Marder eine recht wechſelvolle und mannig- faltige, doch zeigt ſie niemals das für die Katzen und Hunde ſo charakteriſtiſche Schnüren. — Schließlich ſei noch erwähnt, daß beſondere, in der Nähe des Afters gelegene Drüſen meiſt bei der Entleerung der Exkremente, gelegentlich wohl auch nach dem Willen des Tieres, ein ſtark riechendes Ausſcheidungsprodukt liefern. Nach dem Gebiß und einigen anderen, mit der Lebens: weiſe zuſammenhängenden körperlichen Beſonderheiten unter— ſcheiden wir drei Mardergruppen, die Gttern, die Dachſe und die eigentlichen Marder, von denen die erſte und zweite nur durch je eine, die letzte durch ſechs Arten in Deutſchland ver- treten ſind. Unterſcheidungsmerkmale der 5 Mardergruppen: 1“ Sehen mit unbehaarten Schwimmhäuten, Krallen kurz, ſtumpf. Schwanz flach, halbkörperlang. Ohr faſt ganz verſteckt. Pelz kurz anliegend behaart. Gebiß: 3 = 36. 1. Ottern, einzige Art: Der Fiſchotter Lutra lutra L. 1, Füße ohne Schwimmhäute. Pelz langhaarig. Ohr groß, hervor— tretend. 2“ Füße verlängert mit langen, ſtumpfen, nicht zurückziehbaren Grab— krallen. Schwanz kopflang. Gebiß: — ; oberer R fleiner als der (längsgeſtellte) Höckerzahn. Il. Dachſe, einzige Art: Der Dachs Meles taxus Schreb. 2, Füße kurz mit kurzen, ſcharfen, zurückziehbaren Krallen. Gebiß: 34 oder 58 Sähne, R. ftets deutlich, oberer Höckerzahn quergeſtellt, d. h. breiter als lang. Il. Eigentliche Marder. I. Der Fiſchotter, Lutra lutra L. In ſeiner Lebensweiſe durchaus auf das Waſſer angewieſen, hat ſich der Otter (Figur 29) auch körperlich dieſem Element vorzüglich angepaßt, nicht nur in der kleinen, kaum aus dem Pelz hervortretenden, durch eine Klappe verſchließbaren Ohr⸗ muſchel und in den ſtark entwickelten Schwimmhäuten an Vorder— und Hinterfüßen, ſondern auch in dem halbförperlangen, etwas abgeflachten und nach der Spitze ſich verjüngenden Schwanz und vor allem in der Körperbedeckung: der Balg, der namentlich 118 Fünftes Kapitel. im Winter einen koſtbaren, mit 25 Mark und mehr bewerteten Pelz liefert, zeigt eine ſo dichte, kurz anliegende Behaarung, daß das Waſſer nicht hindurchdringen kann; ſeine Färbung iſt oben ein glänzendes Dunkelbraun, geht aber auf der Unterſeite in lichtere Töne über und hat namentlich an Kinn und Oberlippe gelegentlich weißliche Flecke. Auch durch die kurzen, ſtumpfen Krallen und das Gebiß von 36 Zähnen ſteht der Otter recht iſoliert unter feinen Familiengenoſſen. Ganz Europa und den größten Teil Aſiens bewohnend, iſt dieſer gefährliche Fiſchfeind doch immer auf die Nähe des Waſſers um 4 ih 5 A N 4 7 2 2 W N 5 29. er ae lutra 5 (Aus Schmeil, Leitfaden d. 3.) angewieſen, ſeien es nun Flüſſe und Bäche, oder Seen oder gar Meeresteile; durchweg aber werden ſolche Gewäſſer vorgezogen, deren Ufer mit Wald bedeckt ſind. Der ſchäumende Gebirgs— bach iſt ihm dabei ebenſo genehm wie der träge fließende Strom oder der See der Niederung, ſofern ſie nur genügend Nahrung bieten. Am Ufer legt ſich das Tier, meiſt unter Benutzung der vom Waſſer ausgeſchwemmten Löcher, feinen Bau an, deſſen eine Mündung unter dem Waſſerſpiegel ſich befindet; der höher gelegene „Keſſel“ iſt trocken ausgepolſtert und hat einen zweiten, an der Oberfläche des Ufers mündenden Ausgang. An ſtändig von Ottern bewohnten Ufern findet man auch beſtimmte Stellen, meift mit ſandigem Boden, von denen fich der Otter regelmäßig ins Waſſer und wieder hinaus begiebt; und an dieſen ſog. „Otterſtiegen“ kann man ihn auch am beſten „ſpüren“: der Die Raubtiere (Carnivora). 119 einzelne Tritt iſt äußerſt charakteriſtiſch dadurch, daß die Schwimm⸗ haut ſich deutlich mit abdrückt; die Geſamtheit der Tritte, die Spur, iſt dagegen wie bei allen Marderarten außerordentlich mannigfaltig. Als vorwiegend nächtlicher Räuber hält ſich der Otter tags⸗ über in ſeinem Bau oder in ſonſtigen Verſtecken auf, ſonnt ſich auch wohl einmal an geſchützten Plätzchen, begibt ſich aber doch nur ſelten am Tage zur Jagd ins Waſſer. Siemlich ungeſchickt im Klettern, beweiſt er auch auf dem Erdboden keine beſondere Meiſterſchaft, wenn er auch gelegentlich nach neuen Wohn- und Nahrungsgebieten wandert. Seine bewunderungswürdige Ge— wandtheit aber entfaltet er in ſeinem eigentlichen Element! Es iſt eine wahre Freude, ihn im Waſſer zu beobachten: die breiten Auderfüße und der vorzügliche Ruderſchwanz ermöglichen es ihm, mit der Forelle an Schnelligkeit zu wetteifern, und ſeine Biegſamkeit und Behendigkeit werden von keinem anderen Säuge— tier übertroffen. Er ſchwimmt ebenſo raſch mit dem Strom wie gegen ihn, bald auf dem Bauche, bald auf dem Rücken oder auf der Seite; meiſt ragt dabei der Kopf und ein Teil des Balfes aus dem Waſſer, verfolgt, taucht er aber jo weit unter, daß nur die Naſe zu ſehen iſt, ja auch unter Waſſer kann er es eine geraume Seit aushalten und dabei die geſchickteſten Wendungen ausführen. So anziehend nun freilich dem Vaturfreund unſer Waſſer⸗ marder iſt, ſo groß iſt, das läßt ſich nicht leugnen, der Schaden, den er durch die Art ſeiner Ernährung anſtiftet. Swar frißt er auch Fröſche, Waſſerratten und Maulwürfe, lieber aber ſind ihm ſchon Krebſe und alles zahme und wilde Waſſergeflügel, und ſeine Hauptnahrung bilden Fiſche. Dabei zeigt er ſich als ein außer⸗ ordentlicher Feinſchmecker; er zieht Forellen und Lachſe allen anderen vor und verzehrt, wenn der Hunger nicht gar zu mächtig iſt, nur das Fleiſch des Rückens; alles übrige bleibt liegen, und dieſe Reſte laſſen oft beſſer noch als die Spur auf die Anwejen- heit des Räubers ſchließen. — Als gefährlicher Fiſchereiſchädling, der beſonders in Forellenbächen arg hauſt und geſchloſſene Fiſch— wäſſer ganz ausrauben kann, iſt der Otter ſtets eifrigen Ver— folgungen ausgeſetzt, ganz abgeſehen davon, daß der wertvolle Pelz, das als Faſtenſpeiſe einſt hochgeſchätzte Fleiſch und die von Fiſchereivereinen vielfach ausgeſetzten Prämien die Mühe des Jägers — in manchen deutſchen Staaten gilt er als jagd- 120 Fünftes Kapitel. bares Tier — reichlich Iohnen. So nimmt denn auch die Zahl der Ottern in kultivierten Gegenden immer mehr ab, und es wäre wirklich höchſt bedauerlich, wenn dieſes intereſſante Tier aus unſerer Fauna verſchwinden ſollte, eine Gefahr, die zwar nicht unmittelbar droht, mit der aber doch zu rechnen iſt! Mit der ſtets ergiebigen Nahrungsquelle hängt es wohl zuſammen, daß das Weibchen zu jeder Jahreszeit nach neun⸗ wöchiger Trächtigkeit 2—4 gelblich⸗weiße, etwa 9 Tage blinde Junge zur Welt bringen kann: der im Frühjahr geworfene junge Otter ſcheint nämlich ſchon im Januar bis März des folgenden Jahres zu „ranzen“, der alte aber erſt ſpäter, ſelbſt im Sommer oder Herbſt. Die Jungen werden übrigens jehr leicht zahm und laſſen ſich ſogar zum Fiſchfang abrichten. II. Der Dachs, Meles taxus Schreb. Stellt der Otter den Schwimmer unter den Mardern dar, ſo der Dachs den Gräber; dementſprechend hat ſeine ganze Figur etwas Gedrungenes, faſt Plumpes, was weſentlich auf Rechnung der kurzen, ſtämmigen Läufe und des breiten, wenig biegſamen Rumpfes kommt. Dieſer erſcheint freilich durch die Behaarung noch ſtärker, als er in Wirklichkeit iſt: die „Schwarte“, wie man den Pelz des Dachſes nennt, iſt lang und dick, das einzelne Grannenhaar faſt borſtenartig und auf dem Rücken ſchwarz und weiß geringelt, das Wollhaar ſchmutzig⸗gelb. Hierdurch entſteht eine dunkelgraue Färbung, die nur auf dem Kopf hell, faſt weiß iſt und jederſeits einen durch „Seher“ (Auge) und „Laufcher” (Ohr) ziehenden ſchwarzen Streif erkennen läßt. Wegen ſeines anſcheinend ſo plumpen Körpers, deſſen Länge etwa 75 + 18 cm beträgt, wegen feiner ſtarkballigen, unbehaarten Sohlen, die beim Gehen mit allen fünf Sehen auftreten, wegen des kurzen „Bürzels“ (Schwanzes) und nicht zuletzt wegen ſeiner zum großen Teil dem Pflanzenreich entnommenen Nahrung wurde unſer „Grimbart“ oder „Gräwing“ früher vielfach in die Nähe der Bären geſtellt, doch erweiſt er ſich durch ſein Gebiß und durch ſeine Afterdrüſen als ein echter Marder. Dieſe Drüſen liegen zwiſchen der Schwanzwurzel und dem „Weidloch“ ge— nannten After, und zwar in einer beſonderen Grube, die in der Jägerſprache Schmalzröhre, Stinkrohr oder Saugloch genannt wird; die letztere Bezeichnung rührt übrigens daher, daß man Die Raubtiere (Carnivora). 121 früher glaubte, der Dachs ſtecke während des Winterſchlafes ſeine Schnauze hinein und ſauge hier ſein eigenes Fett auf. — Das Gebiß zeigt 58 Sähne, von denen der obere Reißzahn (Figur 24d) nur wenig hervortritt und viel kleiner iſt als der auf ihn folgende große, kräftige, längsgeſtellte Höderzahn. Der Dachs kommt eigentlich überall vor, iſt aber nirgends beſonders häufig, ja heute kann man ihn eigentlich ſchon zu den ſeltener werdenden Tieren rechnen. Es liegt das einmal daran, daß er nicht, gleich feinem „Vetter Reinecke“ ſich den Fort⸗ ſchritten der Kultur anpaßt, ſondern vor ihnen zurückweicht; dann aber auch daran, daß er überhaupt die Geſellſchaft, auch ſeiner Artgenoſſen meidet und ein einſiedleriſches Leben führt. Wälder und Gehölze liebt er, findet ſich aber weniger im Innern größerer Waldkomplexe als an den Rändern und in kleineren Beſtänden, wo Feld und Wieſe leicht und bequem zu erreichen ſind. Seine langen, ſtarken Vorderkrallen ermöglichen es ihm, weite und tiefe Baue anzulegen; zu dem etwa 1½ m tiefen weich ausgepolſterten Keſſel führen mehrere Röhren, von denen aber nur eine oder höchſtens zwei regelmäßig benutzt, „befahren“ werden; die übrigen find teils Luftöffnungen, teils dienen fie als Fluchtröhren. Man kann wohl ſagen, daß der Dachsbau die reinlichſte, und beſtgeordnete Wohnung iſt, die ein Säugetier überhaupt ſich anlegt — pflegt doch z. B. der Dachs ſeine „Loſung“ (den Kot) an beſtimmten Stellen außerhalb des Baues abzuſetzen — und hier verträumt denn auch ihr Bewohner faſt 5 ſeines Lebens. Während des Winters weilt er monatelang unter der Erde, faſt ohne auszugehen, und ſchläft dann viel, ohne eigentlich in tiefen Winterſchlaf zu verfallen; aber auch während der günſtigen Jahreszeit ruht Grimbart tagsüber in ſeinem weichen Keſſel, und erſt wenn die Dämmerung herein— ſinkt, verläßt er fein Heim, um ſich Nahrung zu ſuchen. Ob dieſe mehr dem Pflanzen: oder dem Tierreich entſtammt, das hängt ſowohl von der Grtlichkeit wie von der Jahreszeit ab, jedenfalls wird er durch die Art ſeiner Ernährung gleich dem Fuchs nützlich und ſchädlich zugleich: iſt viel Eichel und Buchelmaſt gefallen, ſo nimmt er oft wochenlang nur dieſe; führt ihn ſein Weg in Weingärten, ſo weidet er ſich an den reifenden Trauben, wie er auch andere Früchte, ja Wurzeln nicht ver⸗ ſchmäht. Andererſeits hat man ſeinen Magen ſchon ganz mit Maikäfern angefüllt gefunden, und daß Inſekten in großen 122 Fünftes Kapitel. Mengen von ihm vertilgt werden, das beweiſt feine Loſung. Durch Verzehren ſchädlicher Käfer und Schnecken ſowie zahlloſer Engerlinge, nach denen er mit feinen ſcharfen Krallen und mit der rüſſelartigen Schnauze „ſticht“, wird der Dachs zweifellos nützlich, wenn auch das Wühlen auf dem Felde gelegentlich dem Landwirt recht unangenehm iſt. So plump aber auch Grimbart erſcheint, er iſt doch gewandt genug, kleinere Säuge— tiere und Vögel zu fangen, und deshalb betrachtet ihn zumal der Jäger mit argwöhniſchen Augen; ja neuerlich mehren ſich die Klagen über den von ihm angerichteten Wildſchaden. Doch handelt es ſich bei all dieſen „Schandtaten“ wohl kaum um ein ſyſtematiſches Aufſuchen von Junghaſen und Rebhuhngelegen, ſondern wohl immer mehr um ein zufälliges Suſammentreffen. Freilich werden wir ihn in Faſanerien nicht dulden, und auch in ſolchen Revieren, deren Wert in der Niederjagd beſteht, ſoll man ihn nicht überhand nehmen laſſen, dabei ſei ihm aber nicht vergeſſen, daß auch die Sahl der vertilgten Mäuſe eine große iſt. Im allgemeinen iſt alſo unſer Dachs ein ziemlich harmloſer Geſelle, der ſich ſchlecht und recht mit dem, was ihm auf ſeinen nächtlichen Wanderungen begegnet, durchs Leben ſchlägt, und dem hat auch die Geſetzgebung Rechnung getragen, indem ſie ihm als jagdbarem Tier den Schutz einer ausgedehnten Schon— zeit angedeihen läßt. Eine der gebräuchlichſten Jagdmethoden übrigens, und eine der größten Herbſtfreuden des Weidmann bildet das Dachsgraben, das ſyſtematiſche Einſchließen und „Be— rennen“ von Grimbarts Burg, wobei freilich die Hauptarbeit dem Dachshund zukommt, der mutig in die Röhre „ſchlieft“ und den Kampf beginnt. — Die Dachsſpur iſt an der Länge der vorderen Grabkrallen und an den breiten ſtarken Ballen leich kenntlich. Über die Ranzzeit des Dachſes hat lange Seit große Unklarheit geherrſcht, ja dieſe Frage iſt erſt neuerlich dahin ge— klärt worden, daß die Begattung im Sommer ſtattfindet: das Ei braucht 8—IO Tage, um in die Gebärmutter zu gelangen, bleibt dann hier 5 Monate unverändert liegen und beginnt ſeine Entwicklung erſt Ende November. Nach einer Tragzeit von in der Regel 9— 10 Monaten wirft dann die Dächſin im Frühjahr 5— 5 Junge, die bei der Geburt von kurzem weißen Haarkleid bedeckt und blind ſind, ihre Augen erſt nach etwa 5 Wochen öffnen und bald die Färbung der Alten annehmen. Ihre Er- Die Raubtiere (Carnivora). 123 nährung und Unterweiſung erhalten fie ausſchließlich von der Mutter, und im Alter von etwa I Jahr find fie erwachſen; fortpflanzungsfähig werden fie mit 1¼ Jahren. III. Die Gruppe der Marderartigen im engeren Sinne enthält die kleinſten und ſchlankſten Formen der Familie; mehr weniger ſpitzſchnäuzig und langgeſchwänzt, mit niedrigen Beinen aber ſcharfen Krallen begabt, iſt ſie für uns beſonders wichtig, weil zu ihr das gefamte kleine „Raubzeug“ unſerer heimiſchen Fauna gehört: die beiden an der Kehle hell gezeichneten Marder, die zwei an der Bauchſeite weißen Wieſel, der „verkehrt“ ge— färbte Iltis und der faſt einem Fiſchotter im kleinen gleichende Nörz. Dieſe 6 Arten laſſen ſich nach folgenden Merkmalen unterſcheiden: 1“ braun mit großem hellen Kehlfleck; Schwanz buſchig, etwa halb— 3-.1-3-R-1ı 5. 1.4 R 1 jo lang wie breit. Körperlänge etwa 48724 cm. Gtg. Marder Mustela L. 2“ Pelz gelbbraun, Kehlfleck roſtgelb. Gberer letzter Lückzahn am Außenrand konkav, oberer Höckerzahn außen konvex, faſt eine ſtumpfe Spitze bildend (Fig. 31 A). 1. Edel- oder Baummarder Mustela martes L. 2, Pelz graubraun, Kehlfleck weiß. Oberer letzter Lückzahn am Außenrand konvex, oberer Höckerzahn außen ausgebuchtet und daher zweilappig (Fig. 51 B). 2. Stein- oder Hausmarder Mustela fagorum L. ohne hellen Kehlfleck; Schwanz minder buſchig und höchſtens / körper⸗ Val 3 1 2 R l Ta: 3-:1-3-R-ı Gtg. Iltis Putorius Cuv. 2“ Pelz oben und unten gleichmäßig tiefbraun; die Sehen bef. der Binterfüße mit ftarfen Bindehäuten. Schwanz etwa !/, körperlang. Etwa 37+14 cm. 4. Nörz oder Waſſerwieſel Putorius (Vison) lutreola L. 2, Pelz oben und unten verſchieden gefärbt; Zehen ohne Bindehäute. 3‘ oben hellgelbbraun, unten dunkelbraun; Schwanz etwa Förper- lang. 40 bis 45 + 15 bis 17 cm. 3. Ratz oder Iltis, Putorius putorius L. 3, Sommerkleid: oben rotbraun, unten weiß. 4“ Winterkleid weiß; Schwanz Sommer und Winter mit ſchwarzer Spitze und länger als der Kopf. 27 bis 28 5 bis 6 em. 5. Großes Wieſel, Hermelin Putorius erminea L. körperlang. Gebiß: — 38, oberer Höderzahn 2 mal 1 — — 54. 124 Fünftes Kapitel. 4, Winterfleid meift wie Sommerkleid; Schwanz nicht mit ſchwarzer Spitze und nur kopflang. 16 bis 17 +4 cm. 6. Kleines Wieſel Putorius (Ictis) nivalis L. 1. Der Edel- oder Baummarder, Mustela martes L. und 2. Der Stein- oder Hausmarder, Mustela fagorum L. (= foina Briss.) ſehen einander recht ähnlich: bei ungefähr gleicher Körpergröße zeigen fie (Fig. 50) beide einen von dem übrigen braunen Pelz deutlich ſich abhebenden hellen Kehlfleck, der verſchieden weit Figur 50. ESdelmarder, Mustela martes L. (Aus Schmeil, Leitfaden d. S.) ſich nach unten, auf die Bruſt hin ausdehnt, und beide haben ein Gebiß von 38 Sähnen mit deutlichem Reißzahn (Fig. 24c) und quer, d. h. ſenkrecht zur Längsrichtung des Kiefers geſtelltem oberen Höckerzahn. Daher iſt auch die Unterſcheidung dieſer beiden Arten oft etwas ſchwierig, zumal das am meiſten in die Augen fallende Merkmal, die Färbung von Pelz und Kehlfled, gelegentlich nicht ganz ſicher zum Siele führt. Im allgemeinen iſt die Farbe des Edelmarders ein ſchönes ſattes Braun, fein unten ſtets abgerundeter Kehlfleck erſcheint gelb oder rötlichgelb, während der Steinmarder ein graubraunes Haarkleid und einen reinweißen Kehlfleck beſitzt, der am unteren Ende gegabelt iſt und ſich mit ſeinen beiden Gabelenden bis etwa zur Mitte der Die Raubtiere (Carnivora), 125 Innenſeite der Vorderbeine erſtreckt. Aber Farbabweichungen ſind, wenn auch nicht gerade häufig, ſo doch nicht allzu ſelten; charakteriſtiſcher ſchon iſt die Form des Kehlflecks, und am deut⸗ lichſten prägt ſich der Unterſchied zwiſchen beiden Marderarten am Schädel aus: abgeſehen von der beim Edelmarder ovalen, beim Steinmarder faſt runden Naſenöffnung zeigt der erſtere bei der Anſicht des Oberkiefers von der Gaumenſeite her am dritten (letzten) oberen Cückzahn eine deutliche Einbuchtung des Außen- randes (Fig. 51A), der Steinmarder eine Ausbuchtung (Fig. 51); das Umgekehrte iſt beim oberen Höckerzahn der Fall. So fein dieſe Unterſchiede auch ſein mögen, ſie ſind doch derart durch— greifend, daß ſie vollauf genügen zur Trennung der beiden Arten, die ſich überdies auch in der Lebensweiſe recht voneinander unterſcheiden. Der Sdelmarder iſt ein aus- geſprochener Bewohner des Waldes, — den er freiwillig wohl nur ſelten ver: läßt. Ein äußerſt gewandter Kletterer, bewegt er ſich in dichten Beſtänden Figur 51. Rechter Oberkiefer oft lange Strecken weit, dem Eich— von der Gaumenſeite betrachtet: hörnchen gleich „fortbaumend“ nur A beim Edel-, B beim Steinmarder. in den Bäumen fort, ſelbſt die dünnen äußeren Sweige dabei als Weg benutzend. Sein Verſteck wählt er in Krähen, Eich⸗ hörnchen⸗ und Raubvogelneſtern, in hohlen Bäumen, Holz— klaftern, Reiſighaufen, Felslöchern und dgl., und zwar beſitzt er gleichzeitig mehrere Wohnungen. Bier liegt er tagsüber ver⸗ ſteckt, um mit Anbruch der Dämmerung auf Raub auszugehen, und bei ſeinen Streifzügen durchmißt er oft weite Entfernungen, wie man namentlich im Winter bei Schnee leicht feſtſtellen kann: ſein Tritt ähnelt nicht, wie man wohl gelegentlich meint, dem der Katze, denn die Krallen ſind ſtets deutlich mit abgedrückt, viel eher läßt er ſich mit dem des Haſen verwechſeln. Seine Fortbewegung erfolgt meiſt in dem allen Mardern eigentüm— lichen hüpfenden Springen und bei der Flucht, bei welcher Sätze von 2 m gemacht werden, erſcheint die trapezförmige Stellung der 4 Tritte charakteriſtiſch (Fig. 28 B). Als ein weiteres un⸗ trügliches Zeichen unſeres Marders kann feine Loſung gelten, die ſtets ſtark nach Moſchus riecht und auch meiſt Flügeldecken 126 Fünftes Kapitel. des Miſtkäfers ſowie im Herbſt Eberefcheribeeren enthält. — Ceider beſchränkt ſich aber der Edelmarder nicht auf Inſekten und Waldfrüchte: bei ſeiner Blutgier im Verein mit ſeiner außer⸗ ordentlichen Gewandtheit iſt er eine entſetzliche Geißel für alle Singvögel und wird ſelbſt größeren Tieren, wie dem Rebwild, gefährlich; auch iſt er ganz beſonders auf Eier erpicht. Doch darf man eines nicht vergeſſen: mit derartigen Leckerbiſſen iſt ihm nicht jeden Tag der Tiſch gedeckt, und in der Hauptſache muß er ſich wohl mit den mehr oder weniger ſchädlichen kleinen Nagetieren begnügen. Sumal das dem Walde ſo gefährliche Eichhörnchen ſieht in ihm feinen ärgſten Feind! Ein gewiſſer Nutzen iſt alſo auch ihm nicht abzuſprechen, wobei freilich der Schaden nur allzu oft überwiegen mag, und daher iſt auch die lebhafte Verfolgung, der unſer Tier ausgeſetzt iſt, nur zu begreiflich, zumal auch der Winterbalg das koſtbarſte, mit 50 M. und mehr bewertete einheimiſche Pelzwerk darſtellt. In manchen Gegenden iſt er daher ſchon ſelten geworden, doch iſt — man darf wohl ſagen, zur Freude des Tierfreundes — bisher kaum eine Ausrottung zu befürchten, ſolange große Waldungen dem gewandten, als „jagdbar“ geltenden Tier genügend Schlupf— winkel bieten. Das Liebesleben des Edelmarders ſpielt ſich wie faſt bei allem unſerem Raubzeug gegen Ende des Winters ab: die Ranzzeit fällt in den Januar und Februar, und 9 Wochen ſpäter wirft das Weibchen ſeine Jungen, die, meiſt 5—4 an der Sahl, in den erſten Lebenstagen mausgrau gefärbt ſind und nach 2 Wochen die Augen öffnen. Von der Mutter zärtlich geliebt und reichlich mit Fraß verſorgt, werden ſie ſorgfältig in ihrem KRäuberhandwerk unterrichtet, um im Herbſt ſelbſtändig und nach Jahresfriſt fortpflanzungsfähig zu fein. Der Stein- oder Hausmarder bevorzugt im Gegenſatz zu ſeinem edleren Vetter die Nähe des Menſchen; er quartiert ſich, wenn auch nicht gerade in neuen Wohnhäuſern, ſo doch in Magazinen, Ställen und Scheunen, mit Vorliebe auch in leer⸗ ſtehenden, verfallenden Gebäuden ein. Hier hält er ſich unter⸗ tags verborgen, wenn er es nicht vorzieht, unter Steinhaufen oder in Hobftögen fein Schläfchen zu halten; mit Eintritt der Dunkelheit kommt er hervor und beginnt ſeinen nächtlichen Jagd— zug. Gelingt es ihm, den Zugang zum Tauben oder Hühner⸗ ſtall zu finden, ſo würgt er alle Inſaſſen ohne Ausnahme ab, Die Raubtiere (Carnivora). 127 am Blut ſich förmlich berauſchend und womöglich am Schauplatz ſeiner Taten ſich zum Ausruhen niederſtreckend. So gut trifft er es freilich heute nur noch ſelten einmal, und er muß ſich gewöhnlich mit anderem Getier begnügen, mit Mäuſen, Batten und Sperlingen, die wohl ſeine vorzüglichſte Nahrung bilden. Sein unangenehm riechender Kot enthält oft Samen aller mög: lichen Früchte und es hat fich ſogar herausgeftellt, daß unſer Steinmarder ein großer Liebhaber von ſüßem Gbſt iſt: fo macht er ſich neben dem Geflügelzüchter auch den Gartenbeſitzer zum Feinde! Ja er gehört auch zu den Jagdſchädlingen, da er ſeine nächtlichen Streifereien ab und zu in die anſtoßenden Wälder ausdehnt. Hier kann man dann feine Spur neben der feines gelbkehligen Vetters erkennen, von der ſie ſich jedoch nur durch recht ſubtile Merkmale, nämlich durch die ſchärferen Abdrücke der Ballen, unterſcheidet. In der Fortpflanzung dem Edelmarder gleichend, macht doch der Steinmarder ſich während der Ranzzeit, die gegen Ende Februar fällt, viel ſtärker bemerkbar: dann jagen die Männchen laut kreiſchend und fauchend auf Dächern, Holzhaufen und dgl. umher, und in ſtillen Mondnächten kann man die Kämpfer gut beobachten und erlegen; dem glücklichen Schützen gewährt dann der Balg eine geſchätzte, mit 15— 22 Mk. be: wertete Beute. — Im allgemeinen freilich iſt die Jagd auf beide Marderarten nur von geringem Erfolg begleitet, ſie werden deshalb auch gern in Fallen gefangen, doch müſſen dieſe ſtet⸗ gut verblendet und verwittert ſein; ſind doch beide außerordent— lich mißtrauiſche und kluge Geſellen! 3. Der Iltis oder Ratz, Putorius (Foetorius) putorius L. „ Gray} verſteht es am beſten, die Abſonderung der allen Mardern eigen— tümlichen Afterdrüſen als Schutzwaffe zu benutzen — wobei es ſich freilich wohl mehr um ein unwillkürliches, im Schreck und in der Aufregung eintretendes Nachlaſſen des Schließmuskels handelt — und feine volkstümlichen Namen „Stänker“, „Stink— marder“, „Stinkwieſel“ deuten genugſam auf den Duft hin, den er zu verbreiten weiß! Von den beiden Mardern, denen er an Größe faſt gleich— kommt, unterſcheidet ſich der Iltis (Fig. 52) nicht nur durch den 128 Fünftes Kapitel. kürzeren Schwanz und die geringere Sahl der Zähne, die nur 34 beträgt, ſondern vornehmlich durch die eigentümliche „Der- kehrtfärbung“ und die Lebensweiſe. Der Pelz, ein beliebtes, wenn auch nicht beſonders hoch (mit 2—5 M.) bewertetes Kauchwerk, iſt nämlich am Bauch am dunkelſten, einfarbig ſchwarzbraun, oben und an den Seiten dagegen viel heller, faſt roſtfarben. Im Gebirge wie in der Ebene, im Walde wie im Felde heimiſch, wählt er Erdlöcher, Fuchs⸗, Hamjter- und Kaninchen- bauten, Ritzen und Spalten im Geklüft, aufgeklaftertes Holz und Reiſighaufen im Walde, Dornhecken im Felde zum Schlupfwinkel Figur 52. Iltis, Putorius putorius L. (Aus Schmeil.) für den Sommer, im Winter kommt er gern in die Gehöfte und wohnt alsdann in Scheunen, auf Heuböden oder einſameren Gebäuden, ja ſelbſt mitten im Dorfe kann man ihn treffen. Wenn er auch kein eigentliches Waſſertier iſt und z. B. gejagt, in der Regel nicht ins Waſſer flieht, ſondern ſich auf dem Lande zu retten ſucht, ſo ſieht er es doch ſehr gern, wenn irgendwelche Gewäſſer in der Nähe find. In der Lebensweiſe ift er in- ſofern ein echter Marder, als er erſt abends auf die Nahrungs⸗ ſuche geht, doch wenn er auch auf dem Boden ziemlich gewandt erſcheint, ſo kann er ſich doch an Geſchicklichkeit nicht mit den beiden echten Mardern meſſen; das Klettern z. B. verſteht er wenig oder gar nicht, mindeſtens verfolgt er ſeine Beute nie— mals auf Bäumen, und nur wenn er nicht zu klettern braucht, nm Die Raubtiere (Carnivora). 129 kommt er gelegentlich in einen Geflügelſtall. Freilich, gelingt ihm dies, dann benimmt er ſich kaum viel anders als der Stein. marder! Hinſichtlich ſeiner Nahrung iſt der Ratz nicht gerade wähleriſch: er nimmt Beeren und Gbſt, und zwar jo gern, daß man ihn z. B. mit Backpflaumen ankirren kann, aber er hält auch jedes Tier, das er erwiſchen kann, für genießbar: Fröſche und Fiſche, Krebſe und Kerftiere, Schnecken und Würmer ver- zehrt er ebenſo wie Vögel und kleinere Säuger. Deshalb ſieht ihn auch der Weidmann als argen Schädling an, und oft genug mag er ſich wirklich an Wachteln und Nebhühnern, Faſanen und Haſen vergreifen, man muß aber doch anerkennen, daß er durch Dertilgen zahllofer Ratten und Mäuſe, Hamfter und Ka- ninchen zweifellos recht nützlich wird; ja, wer ſeinen Geflügel— ſtall gut verwahrt und von jenen gefährlichen Nagern beläſtigt wird, kann nichts beſſeres tun, als den Iltis ſchonen, und das gleiche gilt für Gegenden, in denen die Kreuzotter häufig iſt: gleich dem Igel frißt er das giftige Reptil „mit Haut und Haar“. Recht eigentümlich iſt die Gewohnheit unſeres Stinkmarders, in ſeinem Schlupfwinkel ſozuſagen Vorratskammern anzulegen, indem er dort oft eine Menge von toten und halbtoten Fröſchen, Mäuſen und ähnlichen Leckerbiſſen zuſammenträgt. Dann bringt er es fertig, tagelang ſeine Wohnung nicht zu verlaſſen, ſondern untätig und faul vor ſich hin zu dämmern: er ſchläft „wie ein Katz“ ſagt daher auch der Volksmund! — In feiner Fortbewegung faſt ebenſo kapriziös wie der Fuchs, zeigt er alle Übergänge vom typiſchen ſpringenden Hüpfen zur vollen Flucht; der einzelne Tritt iſt ſchwächer als bei den beiden Mardern, Ballen und Klauen drücken ſich jedoch ſchärfer ab. Die „Rollzeit“ tritt Ende des Winters, im Februar und März, ein, wenigſtens iſt dies die Regel, wenn auch gelegentlich ſchon in anderen Monaten ranzende Iltiſſe angetroffen wurden. Dann ſammeln fich mehrere der an Sahl beträchtlich überwiegenden Männchen um ein Weibchen, und man hört abends das Fauchen und Keifen der kämpfenden Nebenbuhler. Nach etwa 2 Monaten wirft das Weibchen 5—7, etwa 14 Tage blinde und anfänglich reinweiß gefärbte Junge in einem wohlverſteckten Neſt, das oft genug in der Scheune oder auf dem Heuboden angelegt iſt. Gelblichweiß gefärbt und rotäugig, dabei weichlich und gegen Kälte ſehr empfindlich iſt der Albino des Iltis, Hennings, Die Säugetiere Deutſchlands. 9 130 Fünftes Kapitel. Das Frettchen, Putorius furo L. Dieſer Todfeind des Kaninchens, der mit ihm aus Spanien zu uns kam und zum Austreiben des ſchädlichen Nagers aus dem Bau, zum ſog. „Frettieren“, verwandt wird, iſt ſchon ſeit langer Seit, ſpeziell für dieſen Sweck, einſeitig weiter gezüchtet worden. Freilebend kommt er nirgends vor, kreuzt ſich aber leicht mit der Stamm⸗ form, wodurch dann die „wildfarbigen“, ſog. Iltisfrettchen ent- ſtehen. 4. Der Nörz, Putorius (Vison) lutreola L. Wenn ſchon unſer Iltis gelegentlich ein ganz leidlicher Schwimmer und Fiſcher iſt, jo bildet vollends der Vörz einen Übergang zum Fiſchotter, und dieſe Swiſchenſtellung iſt auch vom Volke und von der Jägerei ſtets erkannt worden, wie die Namen Waſſerwieſel, Ottermink, Ottermarder, Krebs- oder Sumpfotter beweiſen. Freilich gilt 1155 Ähnlichkeit mit dem Fiſchotter nur für die Lebensweiſe, während er im Körperbau dem Iltis außer⸗ ordentlich nahe ſteht: faſt ſo groß wie dieſer und gleich ihm ein Gebiß von 54 Sähnen zeigend, wird er wohl oft genug als Iltis angeſprochen! Der Hauptunterſchied liegt einmal in den ſtark entwickelten Bindehäuten zwiſchen den Sehen, die auf das Waſſerleben hindeuten, und ferner in der Färbung: der ein koſtbares Pelzwerk abgebende Balg iſt langhaarig und glänzend, dicht anliegend und oben wie unten faſt gleichmäßig dunkelbraun. Heute hauptſächlich das öſtliche Europa bewohnend, war der Nörz einſt bei uns häufiger als in unſeren Tagen, ja nach Anſicht einiger Autoren zählt er überhaupt nicht mehr zur heimiſchen Fauna. Freilich, der Umſtand, daß über die Erbeu— tung von NVörzen in den letzten Jahren kaum noch etwas be- kannt wurde, darf bei der Leichtigkeit einer Verwechſlung mit dem Iltis wohl kaum als Beweis für ſeine gänzliche Ausrottung gelten, und ſo kommt ein guter Kenner des Tieres (Struck) zu dem Ergebnis, daß dieſe Gefahr noch nicht drohe, ſolange die rohrſumpf⸗ und bruchartigen Umgebungen unſerer Seen und Flüſſe nicht ſchwinden. Auf ſie iſt der Sumpfotter angewieſen, hier verbirgt er ſich im Gewurzel der Uferbäume, im Schilf, in Höhlungen des überhängenden Ufers ſelbſt. Er läuft ziemlich gut — ſeine Spur iſt kaum von der des Iltis zu unterſcheiden —, klettert wohl auch etwas, iſt aber vor allem ein vorzüglicher Schwimmer und Taucher. Dem Waſſer entnimmt er auch in Die Raubtiere (Carnivora). 131 der Hauptfache feine Nahrung: Sifche, Fröſche, Mufcheln und Krebſe, daneben verfchmäht er freilich auch kleinere Warmblüter nicht, ebenſowenig die Eier der Sumpf- und Waſſervögel. Über feine Fortpflanzung liegen bisher Beobachtungen kaum vor, doch wird man wohl nicht fehlgehen, wenn man die Ranz⸗ zeit auf den Ausgang des Winters annimmt; im Frühjahr, ge⸗ legentlich auch erſt im Sommer, findet man die Jungen im Bau. 5. Das große Wieſel oder Hermelin, Putorius (Ictis) erminea L. und 6. Das kleine Wieſel oder Hermännchen, Putorius (Ictis) nivalis L., die beiden kleinſten Vertreter der Marderfamilie, erweiſen zwar ihre nahe Derwandtfchaft mit dem Iltis durch ihr Gebiß und den wenig buſchigen Schwanz; auch ihr Tritt und ihre Spur iſt, abgeſehen natürlich von dem Größenunterſchied, denen des Iltis ſehr ähnlich; einen Gegenſatz zu ihrem größeren Gattungsgenoſſen bildet aber die außerordentlich geſtreckte, übermäßig ſchlanke Körperform: ſind doch Kopf und Schultergegend kaum breiter als der Hals, fo daß man in der Tat von „wahren Aalen in Säugetiergeſtalt“ ſprechen kann (Figur 55). Ein weiterer Unterſchied gegenüber dem Iltis liegt in der Farbe des Pelzes: im Sommer: kleid ſind beide Wieſel oben braunrot, unten weiß, wozu beim großen Wieſel oder Hermelin eine ſchwarze Schwanz ſpitze kommt. Dieſe größere Art — ihre Länge beträgt 27 bis 28 75 bis 6 cm — bietet nun dadurch noch beſonderes Inter— eſſe, daß ſie unter allen unſeren Raubtieren den größten Unter⸗ ſchied zwiſchen Sommer- und Winterfärbung zeigt; und dieſer zweimalige Farbwechſel iſt bedingt durch zweimaligen Haarwechſel: im Herbſt werden die roſtrot braunen Haare des Rückens ver⸗ drängt durch weiße, ſo daß das winterliche Kleid mit Ausnahme der ſchwarz bleibenden Schwanzſpitze weiß mit leicht gelblichem Anflug erſcheint. Im Frühjahr fallen die weißen Haare aus und an ihre Stelle tritt der Sommerpelz. Der Baarwechſel vollzieht ſich übrigens nicht bei allen Individuen zur gleichen Seit und geht bei den einen raſcher, bei anderen langſamer von ſtatten. — In der Ebene wie im Gebirge heimiſch, im Felde wie auch hauptſächlich an den Rändern von Gehölzen und Wäldern ſich aufhaltend, bedarf der Hermelin zu feinem Wohlbefinden geeig— 9 * 132 Fünftes Kapitel. nete Schlupfwinfel, wie fie ihm Steinhaufen, überhängende Böſchungen, hohle Bäume u. dgl. bieten. Bier kommen im Mai oder Juni, 8—9 Wochen nach der Ausgang des Winters ftatt- findenden Paarung, die Jungen zur Welt, die, 4—7 an der Sahl, bis zur ſechsten Woche blind bleiben und von der Mutter aufopfernd gehegt und genährt werden. Von feinem Schlupf- winkel aus unternimmt unſer großes Wieſel auch, meiſt bei Be- ginn der Dämmerung, ſeine Raubzüge, die allen Tieren gelten, — > 14 I. , , ZR III 2 1 Figur 55. Großes Wieſel (Hermelin) und kleines Wieſel, Putorius erminea L. und nivalis L. Das erſtere im Winterkleid. (Aus Schmeil, Leitfaden d. Z.) ſofern es fie nur bewältigen kann. Bei feiner Kletterfähigkeit, ſeiner Geſchwindigkeit und Gewandtheit iſt weder der brütende Star und die Meiſe, noch der Junghaſe in der Ackerfurche, noch auch Kaninchen und Hamſter in ihren Bauen vor ihm ſicher. Mäuſe fängt es zwar auch, doch kann es ihnen nicht in die Gänge folgen, und betreibt daher die Jagd auf ſie kaum eifriger als die anderen Raubtiere. Seine Beutegier und Mord— luſt verführt es, mehr zu würgen, als es zur augenblicklichen Sättigung bedarf, und ſo wird es als Vertilger ſchädlicher Nager außerordentlich nützlich, macht ſich freilich auch als Geflügelfeind und Jagdſchädling um ſo verhaßter. Daneben ſind übrigens Eier ſehr beliebt und auch Eidechſen, Fröſche, Käfer, ſowie im Herbſt das ſüße Gbſt ſtets willkommen. Hat man den Stand Die Raubtiere (Carnivora). 133 eines Hermelins ausfindig gemacht, jo wird man es auf dem An- ſtand auch bei Tage zu Schuß bekommen; der Balg unſerer heimiſchen Exemplare wird freilich viel niederer bewertet, als der der nordiſchen! Aber iſt es nicht oft vorzuziehen, das lebend gefangene Tier als Mäuſevertilger in die Scheune zu ſetzen d Dier kann es während des Spätherbſtes und Winters nur Nutzen ſtiften, während die Sahl ſeiner Feinde, auch ohne daß der Menſch ſich zu ihnen zählt, noch immer groß genug iſt! Hat es doch viel zu leiden unter den Nachſtellungen der großen Raubvögel, der Füchſe und Wildkatzen. — Den gleichen Verfolgungen ausgeſetzt iſt Das kleine Wieſel, auch Hermännchen, Mauswieſel oder kurzweg Wieſel genannt, das im großen und ganzen eine ver— kleinerte Ausgabe des Hermelins darſtellt. Ein großer Unter— ſchied freilich zeigt ſich in der Winterfärbung: der kleinere der beiden Vettern behält in den meiſten Teilen ſeines Verbreitungs⸗ gebietes das braunrote Kleid bei, nur im Norden, angeblich bis- weilen ſchon in Oſtpreußen, wird er im Winter weiß, wobei dann auch die Schwanzſpitze dieſe Farbe annimmt. Ein weiterer Unterſchied liegt darin, daß das kleine Wieſel nur ſchlecht klettert, dafür aber, eben ſeiner geringeren Körpergröße wegen — mißt es doch nur 12 bis I7 + 3 bis 4 cm! — den Mäuſen in ihre Gänge folgen kann und ihnen deshalb mit Vorliebe nachſtellt. Mit Recht ſieht daher der Landwirt das nützliche Tierchen gern, und wenn es auch gelegentlich einmal ſeine Kräfte an einem Junghaſen prüft, ſo müſſen wir es doch als eine hervorragende hilfe im Kampf gegen jene ſchädlichen Nager betrachten! Um ſo bedauerlicher ſind die eifrigen Nachſtellungen, unter denen das Tier leider vielfach noch zu leiden hat. — Seine Fortpflanzung erſcheint im Gegenſatz zum Hermelin nicht an beſtimmte Monate gebunden, den man findet tragende Weibchen, die übrigens ſtets kleiner und zierlicher find als die Männchen, faſt zu jeder Jahres- zeit; darauf iſt auch wohl die irrtümliche Anſicht zurückzuführen, daß das kleine Wieſel mehrmals im Jahre wirft: dem wider— ſpricht allein ſchon der Umſtand, daß die 5—8 Jungen bis in den Spätherbſt unter Führung der Mutter vereinigt bleiben. — Die IV. Familie Bären, Ursidae iſt nur durch eine Art, den braunen Bären, Ursus arctos L. in unſerem Vaterland vertreten — gewefen! In früherer Seit 134 Sechſtes Kapitel. im deutſchen Wald ziemlich allgemein verbreitet, noch in Sachſen zu Beginn, in Oſtpreußen ſogar noch zu Ende des 18. Jahrhun derts vorkommend, iſt Meiſter Petz heute innerhalb unſerer Grenzen nicht mehr zu finden. (Wohl aber noch in den Alpen, in Sfandina- vien und Rußland, in Siebenbürgen und dem übrigen Südoſteuropa.) Der Typus unſeres braunen Bären iſt allbekannt: vorn höher als hinten, am breitgeſtirnten Schädel eine ſcharf ab— geſetzte zugeſpitzte Schnauze und ein Gebiß aus 42 Zähnen, die fünfzehigen Füße mit der ganzen Sohle aufſetzend, erreicht das Tier eine Länge von 25 —2 m, eine Schulterhöhe von 80-100 cm und ein Gewicht bis zu 250 kg, wechſelt aber in ſeinen Körperdimenſionen, in der Farbe des bräunlichen Pelzes, ja ſogar in der Form des Schädels ſehr nach Alter und Wohn— gebiet. — Von den Gebirgswäldern, feiner eigentlichen Heimat aus, unternimmt er Streifzüge in die Umgebung, dabei als Paß⸗ gänger beim Gehen und Traben die Beine der nämlichen Seite gleichzeitig vorſetzend, wodurch ſeine Gangweiſe wie ſeine ganzen Bewegungen noch ungeſchickter erſcheinen, als ſie wirk— lich ſind. Wie ſchon das vielzähnige Gebiß und die ganze Entwicklung des Reißzahnes (Figur 24 e) beweiſen, ift der Bär kein ausſchließlicher Fleiſchfreſſer: auf der einen Seite ſehen wir ihn Gras und Getreide, Kartoffeln und Wurzeln verzehren, Gbſt— gärten und Weinberge plündern, Beeren und Honig naſchen; auf der anderen Seite aber zeigt er ſich als furchtbares Raub⸗ tier, das, begabt, wie das Sprichwort ſagt, mit 12 Mannes⸗ kräften, mühelos die größten Säugetiere, Pferd, Hirſch und Rind, als Beute erwirbt und ſelbſt dem Menſchen kühn entgegentritt! Gleich dem Dachs, mit dem er ja auch in der „gemiſchten Koſt“ übereinſtimmt, wird auch der Bär im Winter träge, ohne jedoch in einen eigentlichen Winterſchlaf zu verfallen; im Winter, um die Jahreswende, kommen auch die Jungen zur Welt, etwa ½ Jahr nach der ohne große Aufregung verlaufenden „Bärzeit“. Sechſtes Kapitel. Die Huftiere, Ungulata. Unter dieſem Namen vereinigt die moderne Soologie eine größere Sahl von meiſt pflanzenfreſſenden Säugetiergruppen, die trotz ihres verſchiedenen Baues doch in einem Punkt überein⸗ Die Huftiere (Ungulata). 135 ſtimmen: die Beine find zur ſchnellen Fortbewegung auf dem Erdboden geeignet, ſchließen aber Klettern, Graben und Greifen aus. Das bedingt in der Stammesgeſchichte dieſer Tiere einmal den Derluft des Schlüſſelbeins, zum andern und vor allem aber, daß die Mittelhand⸗ und Mittelfußknochen ſich ſehr verlängerten und die Sehen ſich vom Erdboden erhoben, bis ſie dieſen nur noch mit der durch einen Huf gefeſteten Spitze des dritten, letz— ten Sehengliedes berührten. Hand in Hand mit dieſer Aufrich- tung der Sehen ging auch eine Verminderung ihrer Sahl, die bei den heutigen Ruftieren höchſtens je 4 beträgt, indem ſtets mindeſtens die erſte Sehe fehlt; in einigen Fällen werden auch die zweite und fünfte rückgebildet, ja in einem Falle geraten ſogar ſämtliche Sehen bis auf die dritte in Verluſt. In der Art der Fortbewegung bedingt aber die Sahl der Sehen keine Be— jonderheiten: bei allen Huftieren finden wir die ſchon mehrfach erwähnten 5 Gangarten wieder, beim „Schalenwild“, wie das zu den Huftieren gehörige Wild genannt wird, benutzen wir freilich ſtatt der ſonſt üblichen Bezeichnungen die der Weidmanns⸗ ſprache und ſagen ſtatt Schritt gehen „ziehen“, ſtatt traben „trollen“ und ſtatt galoppieren „fliehen“. — Wirtſchaftlich haben die Huftiere unter allen Säugern die höchſte Bedeutung erlangt: ſchon in vorgeſchichtlicher Seit verſtand es der Menſch, eine Anzahl von ihnen zu Haustieren zu machen, und könnten wir uns unſere heutige Kultur vorſtellen ohne Pferd und Rind, ohne Schaf, Siege und Schwein? Ja was wäre der deutſche Wald ohne das deutſche Wild, Hirſch und Reh? Das Verhalten der Sehen iſt bei den Huftieren aber ſo verſchieden, daß man die heute lebenden danach in 2 große Abteilungen zerlegt, von denen wir die kleinere, für uns weniger in Betracht kommende A. Die Unpaarhufer, Perissodactyla zuerſt betrachten wollen. Bei ihnen iſt es die mittelſte, dritte Sehe, die allein, oder falls noch andere erhalten ſind, doch hauptſächlich die Laſt des Körpers trägt. In der Regel iſt dabei die Sahl der Sehen eine ungerade, doch kommt dieſe Sahl kaum in Betracht, da das Hauptmerkmal dieſer Tiere eben darin beruht, daß die Mittelachſe des Beines in der dritten, daher vollſtändig ſymmetriſchen Sehe verläuft („Mesaxonia“). Die 136 Sechſtes Kapitel. denkbar höchſte Stufe der Vollkommenheit erreicht dieſe Gruppe in der Familie der Pferde, Fange, bei welcher allein die dritte Sehe erhalten iſt, denn ſelbſt die „Kaſtanien“, unbehaarte verdickte Hautſtellen an der Innenſeite des Fußes, dürfen, wenn auch ihre Bedeutung noch unbekannt iſt, nicht als Reſte von Nebenzehen gedeutet werden. Das letzte, unterſte Glied der einzigen Sehe iſt vom Huf (f. Figur 5) umſchloſſen, und dieſer genügt den höchſten Anforderungen, die man an die Nagel— bekleidung am Fuß eines ſchnellfüßigen Tieres machen kann: er iſt ein ſchlechter Wärmeleiter, hat hohe Elaſtizität und bietet in⸗ folge der ungleichen Abnutzung ſeiner hornigen Teile eine ſichere Unterlage. — Das Gebiß zeigt alle 5 Sahnarten (nach der / Formel e die 3.1.67 Schneidezähne beſitzen auf der Kaufläche eine muldenartige Vertie⸗ fung, die ſog. Kunde oder Bohne, die mit zunehmendem Alter ſchwindet (nach ihr und dem Grade der Abnut- Figur 34. Wildpferd. zung der Kaufläche wird Nach einer ſteinzeitlichen Zeichnung. bekanntlich im Handel (Aus Schmeil, Leitfaden d. Z.) das Alter der Pferde beſtimmt); die Sckzähne ſind im männlichen Geſchlecht ſtets gut entwickelt, beim Weibchen weniger, und die Backzähne zeigen auf der Kaufläche gewundene Schmelzfalten. — Auf die überaus intereſſante Stammesgeſchichte der Pferde einzugehen, müſſen wir uns hier verſagen; von den zahlreichen Vertretern der Familie kommen nur 2 in Betracht, und auch dieſe nur als Haustiere: der Hauseſel, Equus asinus L., mit feinen langen Ohren, dem nur an der Spitze länger behaarten Schwanz und den auf die Vorderbeine beſchränkten Kaſtanien ein getreues Abbild des wilden afrikaniſchen Steppeneſels und wohl auch als ſein Ab— kömmling zu betrachten, und als zweiter das Hauspferd, Equus caballus L. mit kurzen Ohren und langer Mähne, einem bis zur Wurzel lang behaarten Die Huftiere (Ungulata). 137 Schwanz und mit Kajtanien an allen vier Beinen. Obwohl es fich mit dem Ejel fruchtbar kreuzt — der Nachkomme von Pferde- ſtute und ESſelhengſt wird bekanntlich als Maultier, derjenige von Eſelſtute und Pferdehengſt als Mauleſel bezeichnet — ſo iſt es doch zweifellos nicht von einem lebenden Wildeſel abzu— leiten, ſondern von dem zur Seit des Diluviums in Europa weit verbreiteten Wildpferd (Eq. cab. fossilis Cuv.). Dieſes war ſchon dem Urmenſchen bekannt (Figur 34) und diente ihm als Nahrung, auch für die alten Germanen war es ſicherlich noch eines der vornehmſten Jagdtiere — der „grimme Schelch“ des Nibelungen— liedes —; durch „Domeſti— kation“ wurde es zum Haus⸗ pferd oder wenigſtens zu deſſen weſtlicher (okziden⸗ taler) Grundform, zu der N das noriſche Pferd der Alpen, das germaniſche, flämiſche und das Percheronpferd ge- hören; die öſtliche (orientale) Grundform, das arabiich- perſiſche, mongoliſche und ruſſiſch-ungariſche Pferd, ſtammt wohl von einem aſiatiſchen Wildpferd ab. a b 2 d Figur 35. Fußfſkelette von Paarhufern. a) Schwein, b) Edelhirſch, e) Reh, d) Rind. B. Die Paarhufer, Artiodactyla haben eine gerade Anzahl Sehen an jedem Fuße, und, was wichtiger iſt, immer ruht das Körpergewicht auf den beiden gleich ſtark entwickelten Mittelzehen, d. h. der dritten und vierten (Paraxo- nia), während die beiden äußeren, die zweite und fünfte, zu After⸗ oder Nebenzehen zurückgebildet find. (Figur 55.) Der Hornhuf, die ſog. Klaue oder Schale, unterſcheidet ſich vom Pferdehuf dadurch, daß die das Sehenendglied ſeitlich umſtehende Krallen- platte hinten nicht oder nur wenig einbiegt: ſo grenzt der Sohlen— ballen direkt an das Sohlenhorn. Da natürlich zwiſchen den beiden Hauptklauen die Haut einer gewiſſen Reibung ausgeſetzt iſt, ſo beſitzen die Paarzeher oft an dieſer Stelle beſondere „Klauendrüſen“, um die beiden einander berührenden Hautflächen 138 Sechſtes Kapitel. ſchlüpfrig zu erhalten. — Die Spur unferer Haushuftiere bietet wohl niemals beſonderes Intereſſe, dagegen wird es dem Natur⸗ Figur 36. Tritt von A Edelhirſch, B Damhirſch, C Reh, D Wildſchwein. freund wie dem Jäger, dem Landwirt und dem Forſtmann oft genug darauf ankommen, die Fährte unſeres Schalenwildes ſicher anſprechen zu können, und ſo ſeien hier gleich die Unterſchiede Die Huftiere (Ungulata). 139 hervorgehoben, die fich in den Tritten zeigen (Figur 56): ſtets ſehen wir abgedrückt den Ballen und die „Schalenwände“, d. h. die ſcharfen Ränder der Klauen des dritten und vierten Fingers, nur ſelten aber auch die kleinen Hufe des zweiten und fünften. Sur Unterſcheidung der verſchiedenen in Betracht kommenden Wildarten genügt nun meiſt das Verhältnis der Ballen- zur ganzen Trittlänge, und dieſes Verhältnis beträgt beim Elch ½¼8, beim Damwild ½, beim Reh ½ und beim Edelhirfch 1/,; beim Wildſchwein, deſſen Fährte im allgemeinen der des Hirſches ähnelt, aber nie ſo lange Schrittweite hat, ſind die flachen Ballen weniger deutlich zu erkennen, dafür aber drückt ſich die Schalen⸗ ſpitze der Afterklauen auch bei ruhigem Gange ſtets mit ab, was bei den obengenannten hirſchartigen Tieren nur in der „Flucht“ geſchieht. Seigen ſich alſo die Paarhufer ſchon im Bau ihres Fußes nicht als derart vollkommene „Schnelläufer“ wie die Pferde unter den Unpaarzehern, ſo finden wir andererſeits hier, wenigſtens bei einer ganzen Reihe von Formen, die Ernährungsorgane in weitgehendſter Weiſe durch die pflanzliche Koft beeinflußt. Ja gerade nach dieſem letzteren Geſichtspunkt teilt man ſogar die Paarhufer in die „Wiederkäuer“ und die „Nicht Wiederkäuer“, eine Unterſcheidung, die um ſo berechtigter iſt, als ſie auch durch Derfchiedenheiten im Gebiß und im feineren Bau des Fußes bedingt wird. I. Die Gruppe der Schweineartigen, Suoidea, oder Nicht⸗Wiederkäuer, Non-Ruminantia, zeigt zwar, wenigſtens bei der einzigen für uns in Betracht kommenden Art, dem Schwein, Sus scrofa L., einen Magen, der in mehrere, durch die Struktur geſchiedene Abteilungen zerfällt, der aber nicht die Fähigkeit des Wiederkäuens beſitzt. Auch Gebiß und Fußbau ſtellen gleichſam urſprünglichere Suſtände dar: das erſtere zeigt einfache Backenzähne mit höckeriger Krone (Bunodonta) und an den Gliedmaßen iſt noch keinerlei Verſchmelzung oder Derwachfung eingetreten (Figur 55a); nur die beiden äußeren Sehen, die zweite und fünfte, ſind in gewiſſer Beziehung zurück⸗ gebildet, indem fie etwas hinter den Hauptzehen ſtehen und kürzer 140 Sechſtes Kapitel. als dieſe erſcheinen. Doch berühren ihre Hufe, die Afterhufe oder das „Geäfter“ der Weidmannsſprache, in jeder Gangart den Boden und drücken ſich auch, falls er nicht zu hart iſt, in ihm ab; außerdem ſitzt das Geäfter ſehr beweglich am Lauf und ſteht daher im Tritt ſehr weit auseinander (Figur 56): das ſicherſte Kennzeichen zum Anſprechen der „Saufährte“! Die Geſtalt des Wildſchweins, jagdlich „Schwarzwild“ oder einfach „Sau“ genannt, darf als bekannt vorausgeſetzt werden, iſt doch unſer Hausſchwein nichts anderes als fein wenig veränderter Abkömmling. Das Schwarzwild unterſcheidet ſich in der Hauptſache (Aus Schmeil, Leitfaden d. S.) nur durch den etwas längeren Schädel und im Gebiß — ſeine 3 143 a aA 44 durch die ſtärkere Entwick⸗ lung der (wurzelloſen) Eckzähne, der „Gewehre“ oder „Hauer“, die beim Männchen, dem Keiler, noch größer ſind als bei der „Bache“; bei erſterem iſt der obere Sckzahn (Figur 57) kurz und dick und halbkreisförmig nach oben gewunden; der untere, ebenfalls nach oben gerichtet und ſeitlich zwiſchen den Lippen hervortretend, beſchreibt nur einen flachen Bogen und ſchleift ſich, wenn das Tier das Maul öffnet und ſchließt, am oberen ab, jo daß er ſpitz und fcharffantig bleibt: eine gefährliche Waffe, die tiefe Wunden, ja ſelbſt den Tod bringen kann. Das Weib— chen fchlägt übrigens nicht wie der Keiler mit den Gewehren. — Außerdem ſei noch hervorgehoben, daß das Wildſchwein in der Färbung kaum abändert: die dicke Haut („Schwarte“ genannt) iſt mit langen ſteifen Borſtenhaaren bedeckt, zwiſchen denen im Winter feine krauſe Wollhaare ſtehen; am Rücken bilden die Borſten einen Kamm, die „Feder“, den das Tier, wenn es in Formel lautet Die Huftiere (Ungulata). 141 Wut gerät, ſträubt. Da ſich das Schwarzwild häufig ſuhlt und dann wieder an harzreichen Bäumen, den ſog. Malbäumen, reibt, ſo entſteht auf dem „Blatt“, d. h. dem Schulterblatt, oft ein förmlicher Panzer oder Schild aus Erde und Harz. Die Färbung des erwachſenen Tieres iſt in gelbgrauen, bräunlichen und ſchwärzlichen Tönen meliert, der „Friſchling“, das Junge im erſten Jahr, zeigt dagegen auf dunklem Grunde an den Körper: ſeiten ſcharf ſich abhebende lehmgelbe Streifen. In kultivierten Gegenden bevorzugt das Schwarzwild als Wohnort umfangreiche geſchloſſene Wälder mit Dickungen, in denen es tagsüber ruht, mit Sümpfen und Brüchen zum „Suhlen“ und mit Blößen ſowie angrenzenden Ackern, wo es ſeiner Aſung nachgehen kann. Raupen und Inſektenlarven, Würmer, Schnecken und Schlangen, Mäuſe und hilfloſe junge Tiere aller Art, wie die Dogelbrut, der friſchgeſetzte Haſe, ja ſelbſt Wildkälber — alles iſt ihm willkommen. Es findet ferner ſeinen Fraß auch an Pflanzen und Pflanzenteilen, wie Keimlingen und Wurzeln, Bucheln und Eicheln, Beeren und Getreide. Kartoffeln und Rüben „bricht“ es mit der Rüſſelſcheibe wühlend aus dem Boden, wie überhaupt ſeine „Erdmaſt“, d. h. die dem Boden entnommene Nahrung; das Getreide leidet wohl mehr unter dem Sertreten und Umwühlen, als daß es wirklich gefreſſen wird. Der Schade, den das Wildſchwein dem Landmann zufügt, iſt alſo ein außer— ordentlicher und übertrifft ſelbſt den Nutzen, den es durch Der: tilgen ſchädlicher Inſekten, wie der Raupen und Puppen von Kiefernſchwärmer, Kiefernipanner und Kieferneule, durch Der: zehren von Mäuſen und durch das eine natürliche Beſamung fördernde Umbrechen des Bodens dem Forſtmann bringt. Und auch dieſer hat nicht ſelten unter der Tätigkeit der „Sau“ zu leiden: ihm werden die Triebe der Kiefer und Buchenaufſchlag zerſtört, und mancher Malbaum geht durch Entrindung zugrunde! So ſind denn, dank der unabläſſigen Verfolgungen, denen es ausgeſetzt iſt, dank der Abſchußprämien, die vielfach gezahlt wer⸗ den, und der Verminderung ſeiner natürlichen Schlupfwinkel im Walde, die Tage des Schwarzwildes gezählt: zweifellos zum Vorteil des Landmanns, zweifellos aber auch zum Leidweſen des Jägers und des Naturfreundes, die in ihm ein Charakter⸗ tier der Heimat ſchwinden ſehen, ein Tier, das einft, das „ritter- liche“ genannt, zuſammen mit dem „edlen“ Hirjch das ganze Inter— eſſe der deutſchen Jägerei in Anſpruch nahm! 142 Sechſtes Kapitel. Im Gegenſatz zum Hausſchwein paart ſich das wilde nur einmal im Jahr — in Fällen, wo die Paarung öfter beob— achtet wird, liegt Miſchung mit dem Hausſchwein vor — und die „Rauſchzeit“, die beim einzelnen Stück 4 Wochen währt, fällt in die Monate November bis Februar. Dann werden heftige Kämpfe ausgefochten zwiſchen den werbenden Keilern, und ge— legentlich ließ ſich wohl früher der eine oder der andere mit der grunzenden Herde in einen Dorfſtall eintreiben! Die Bache trägt etwa 4 Monate und „friſcht“, meiſt im April oder Mai, 4-12 „Friſchlinge“; bei der Geburt bringen dieſe ſchon acht gebrauchsfähige Hähnchen mit zur Welt, nämlich jederfeits den dritten (äußeren) Schneidezahn und den Sckzahn. Das Hervor- brechen der Milch- und der bleibenden Zähne erfolgt mit einer gewiſſen Geſetzmäßigkeit und kann zur Beſtimmung des Alters dienen; das bleibende Gebiß iſt vollſtändig gebildet, wenn die Tiere etwa 1!/, Jahr zählen, und dann find fie auch geſchlechts⸗ reif, ihr buntes Jugendkleid verlieren fie ſchon im Alter von 6 Monaten. Das Bausfchwein, Sus scrofa domesticus, der zum Haustier gemachte Abkömmling des Wildſchweins, ift durch die Kunſt des Süchters im Sinne des Menſchen „verbeſſert“: kurz⸗ köpfig und feinknochig, breitrückig und faſt borſtenlos, haben die heutigen Schweineraſſen durch ihre erſtaunliche Frühreife und Maſtfähigkeit die alten, dem Wildſchwein noch viel ähnlicher ſehenden Landſchläge verdrängt, und dieſe haben ſich nur des- halb ſtellenweiſe noch erhalten, weil fie beſtimmten örtlichen Der- hältniſſen, wie z. B. rauhen Gebirgsgegenden, beſonders ange— paßt ſind. — Das zahme Schwein, das zweimal im Jahre wirft, verwildert übrigens ſehr leicht, und die Nachkommen zeigen dann ſchon nach wenigen Generationen in Ausſehen und Benehmen die größte Ahnlichkeit mit der wilden Stammform, mit der es ſich, wie ſchon erwähnt, auch fruchtbar kreuzt. II. Die Gruppe der Wiederkäuer, Ruminantia. Wohl jeder hat ſchon unſere paarhufigen Haustiere, Rinder, Siegen, Schafe, mancher vielleicht auch einen Dirfch, ein Reh oder ein Dam im Park beobachtet, wie ſie, in behaglicher Ruhe niedergetan, ſich dem wichtigen Geſchäft des Wiederkäuens hin⸗ gaben, wie ſie durch eine eigentümliche Bewegung einen kleinen Die Huftiere (Ungulata). 143 Futterballen den Schlund hinaufbefördern, ihn dann in ſeitlich mahlender Kaubewegung gründlich durcharbeiten und zum zweiten- mal verſchlucken. Dieſe Einrichtung ift in der ganzen Lebens- weiſe der Wiederkäuer begründet: ausſchließlich von pflanzlicher, alſo im Verhältnis zu ihrer Maſſe wenig nahrhafter Koſt leb end, müſſen fie, zumal fie wenig wehrhaft find und ihren weſent— lichſten Schutz vor Feinden in der Flucht erblicken, darauf be dacht ſein, ſchnellfüßig den Futterplatz zu erreichen, hier raſch ſich der zur Sättigung nötigen Nahrung bemächtigen und dieſe dann an ſicherem, verborgenem Ort in Ruhe verarbeiten. Beim Erraffen der Nahrung ſpielt übrigens die Zunge eine hervor- ragende Rolle: beweglich und weit vorſtreckbar, dabei meiſt auch an der Oberſeite durch Verhornung rauh, umfaßt fie Gras⸗ und Kräuter: büſchel, Blätter, Sweige u. dgl. und drückt ſie gegen den der Schneidezähne ent- i behrenden Oberkiefer; ein N= Ruck des Kopfes rupft dann 4 das Erfaßte ab. — Das Figur 38. Wiederkäuermagen. Wiederkäuen ſelbſt wird er⸗ eg N = magen, a p De möglicht durch die Viertei⸗ 8 wre 77 a lung des Magens (Figur 58): die nur grob gefauten Biſſen gelangen zunächſt in den ſehr großen, als Behälter dienenden und faſt drüſenloſen Panſen oder Wanſt (Rumen) (W); hier und im zweiten Abſchnitt, dem Netzmagen oder der Haube (Reticulum) (N), werden fie, während das Tier ruht, unter Sutun von Mikroorganismen einer Gärung unterworfen und alsdann durch eine Art Brechbewegung wieder in den Mund zurückbefördert. Jetzt erſt wird die Nahrung gründlich gekaut und gleitet dann abermals die Speiſeröhre (Sp) hinunter, um nun, geleitet durch die Schlundrinne (N), in die dritte Abteilung des Magens, den Blättermagen (Pſalter) (Omasus) (B), zu gelangen: ſeine zahlreichen rauhen Blätter zerreiben den Speiſe— brei noch weiter, ſo daß er fein zermahlen in den Labmagen (Abomasus) (L) tritt, wo die eigentliche (chemiſche) Verdauung vor ſich geht. Auf die engen Beziehungen zwiſchen Ernährung, Bezahnung und Gliedmaßenbau wurde ſchon hingewieſen, und ſo ſehen wir 144 Sechſtes Kapitel. denn auch die „Schnellfüßigkeit“, ſoweit dies überhaupt bei einem Paarhufer möglich iſt, im Fußbau zum Ausdruck gebracht (Figur 55 b, c, d): die beiden ſtark verlängerten Mittelhand- bzw. Mittelfußknochen des Hauptzehenpaares verſchmelzen zum ſog. Lauf oder Kanonenbein (Canon), der freilich durch eine mittlere Cängsfurche noch deutlich die Art ſeiner Entſtehung verrät. Im Gebiß fehlen, wie erwähnt, ſtets die oberen Schneidezähne und oft auch die oberen Sckzähne, ſo daß ſeine Formel lautet: nn im Unterkiefer pflegt ſich der Sckzahn in Stel- lung, Form und Tätigkeit den Schneidezähnen anzuſchließen, und ſcheinbar ſind daher 8 untere Schneide— zähne vorhanden; die Backzähne zeigen je 2 Paar ſichel⸗ oder halbmondförmiger Schmelzfalten auf der Kaufläche (Figur 59) (Selenodonta) (ſ. auch Tafel, Abb. 5). Die Haut der Wiederkäuer iſt reich an Drüſen, die ſich vielfach an bejtimm- ten Körperſtellen zu großen Drüſenkör— pern vereinigen, ſo an den Beinen die zwiſchen den Hufen gelegenen „Klauen— drüſen“, die wir ſchon kennen lernten, i ferner hinter den Ohren die „Öhren- Fee Backenzahn drüſen“ und andere unter dem inneren es Rindes. a a e e do (vorderen) Augenwinkel; dieſe letzteren ſchwarz: Schmelz, weiß: Dentin, liegen in einer Vertiefung des Tränen- e eee beins und werden infolgedeſſen oft fälſch— lich als Tränengruben bezeichnet, obgleich fie mit dem Tränen- apparat nichts zu tun haben. — Von beſonderer Bedeutung iſt ſchließlich noch die Fähigkeit der Wiederkäuer, auf der Stirn eigentümliche Fortſätze, „Börner“ und „Geweihe“, zu bilden, und gerade dieſe Eigenfchaft dient zur Gruppierung der zahl- reichen Arten. Für uns kommen freilich nur zwei Familien in Betracht, die „Hornträger" und die „Geweihträger“, die aber nicht ſo unvermittelt einander gegenüberſtehen, wie es faſt ſcheinen will: die afrikaniſche Giraffe (Camelopardalis) und die nordameri- kaniſche Gabelantilope (Antilocapra americana) bilden in gewiſſer Beziehung einen Übergang zwiſchen beiden! Die Huftiere (Ungulata). 145 I. Familie: Hornträger oder Hohlhörner, Cavicornia, Bovidae. Der weſentlichſte Charakter dieſer Familie iſt treffend in dem zweiten deutſchen Namen zum Ausdruck gebracht: im er- wachſenen Suſtand beſitzen die Tiere knöcherne, von geräumigen Höhlungen durchzogene „Hornzapfen“, Fortſätze des Stirnbeins, die von einer hohlen Scheide überkleidet werden. Dieſe „Horn— ſcheide“ iſt ein Produkt der Oberhaut (Epidermis), von horniger Subſtanz, deren Bildung nicht ſelten periodiſchen Schwankungen fh 77 A: M 7 75 i ‘ N N M unn, Mm. 5 N N N — a — Ir rn Figur 40. Schädel des Rindes. Das rechte horn vom Hornzapfen herabgenommen. (Aus Schmeil, Lehrbuch d. 3.) unterliegt und alsdann ringförmige Verdickungen aufweiſt; ja auch der Hornzapfen ſelbſt entſteht beim jungen Tier jederfeits als ein vom Schädel urſprünglich völlig getrennter Knochen in der Unterhaut („Cutisknochen“), der aber bereits ſehr zeitig mit dem Stirnbein verſchmilzt (der Hornzapfen ſtellt alſo im ana- tomiſchen Sinne eine „Epiphyjfe” des Schädels dar). — Meiſt beiden Geſchlechtern zukommend wachſen die Hörner (Figur 40), wenn auch oft langſam, von der Wurzel her beſtändig nach, werden aber — und das iſt der grundlegende Gegenſatz zum Geweih der Hirſche — niemals gewechſelt! Die großen, maſſigen Hornzapfen bedingen natürlich eine Vergrößerung des Stirnbeines, und fo erklärt ſich das eigentümliche breit⸗ und hochſtirnige Hennings, Die Säugetiere Deutſchlands. 10 146 Sechſtes Kapitel. Schädelprofil der Hornträger, das uns ſofort auffällt, wenn wir 3. B. einen Stier mit einem Dirfch vergleichen. Im Gebiß fehlt außer den oberen Schneide- auch ſtets der obere ESckzahn; an den Gliedmaßen (Figur 55d) geht die Verſchmelzung der ein— zelnen Knochen faſt noch weiter als bei den Hirſchen, denn die Afterhufe ſchließen ſich an eine Reihe unregelmäßiger Knöchel⸗ chen, die letzten Reſte ihrer im übrigen mit dem Kanonenbein verwachſenen Mittelhand⸗ bzw. Mittelfußknochen. Dem Soologen bereitet die weitere Einteilung dieſer Fa— milie und die Gruppierung ihrer zahlreichen, faſt über die ganze Erde verbreiteten Arten große Schwierigkeiten; auf Deutſchland uns beſchränkend haben wir nur die Rinder (Bovinae) und die Schafe und Siegen (Caprovinae) zu unterſcheiden, denen ſich, bald als Vertreter der großen Antilopengruppe, bald als Re— präſentant einer eigenen Abteilung aufgefaßt, a) Die Gemſe, Rupicapra rupicapra L. anſchließt, das von Alters her berühmte Alpenwild, der geſchick— teſte Kletterer, ſicherſte Springer, fühnfte und gewandteſte Berg- ſteiger, den unſere heimiſche Tierwelt heute aufzuweiſen hat! Und dem entſpricht auch der ganze Körperbau: der kurze, ge— drungene, hinten höher als vorn geſtellte Rumpf ruht auf ſtarken Läufen, die beſonders in der Feſſel kräftig entwickelt find und ſich nach unten zu einem ſpitzen, ſchmalen „Fuß“ verjüngen. Die Schalen find ganz eigentümlich, ſpitz⸗keilförmig geſtaltet, die Schalenwand tritt faſt ſchneidend ſcharf hervor, ſo daß auf feſte— rem Boden nur ſie allein, nicht jedoch die Sohle, auftritt. Mit dieſen Werkzeugen macht die Gemſe aber auch „Fluchten“ von 7 m Weite und ſchnellt ſich an ſenkrechten Wänden von 4 m Höhe empor! Und dabei iſt ſie durchaus nicht urſprünglich nur zwiſchen Felswänden, Gletſchern und Firnſchneefeldern zu Haufe. Heute freilich kennen wir fie nur als Bewohner der höchſten europäiſchen Gebirge, ſpeziell der Alpen; ſo aus Oberbayern und den öſterreichiſchen Alpenländern, während in der Schweiz die reichen Beſtände infolge der Jagdfreiheit und des planloſen Abſchießens ſo zurückgingen, daß die Regierung (1876) ſog. „Freiberge“ errichtete, auf denen durch planmäßige Schonung erſt allmählich wieder eine Vermehrung des Gemswildes ſtatt— fand. — Sur Eiszeit hatte die Gemſe ein zufammenhängendes Vorkommen in ganz Europa, und erſt den zurückweichenden Die Huftiere (Ungulata). 147 Gletſchern folgte ſie ins Gebirge, um ſchließlich, vom Menſchen bedrängt, auf die höchſten Höhen zurückzugehen. Wo ſie aber unter natürlichen Verhältniſſen lebt, dort zieht ſie den ſtarren Felsgraten entſchieden den darunterliegenden Waldgürtel vor, der ihr mehr Schutz und Aſung bietet, und ſo iſt auch das „Grattier“ oder die „Steingams“, die der Bergjäger überall vom „Waldtier“ oder „Waldgams“ unterſcheidet, ſtets ſchwächer im Wildbret. In der Färbung dagegen ſtimmen beide, abge— ſehen von individuellen Verſchiedenheiten, überein: im Sommer iſt das Hauptkolorit ein mehr oder weniger ins Graue ziehendes Lehmgelb oder ein lichtes Braungelb mit dunklem „Aalſtreif“ über dem Rücken, gegen den Herbſt hin wird die Farbe durch den Haarwechſel dunkler, bis ſie im Winter dunkelbraun bis tiefſchwarz erſcheint. Kängs der Rückenmitte find die Haare be— ſonders im Winterkleid ſtark verlängert und liefern den viel— begehrten „Gamsbart“. Die ſchwarzgefärbten Hörner der Gemſe, die ſog. „Krickeln“ ſtehen faſt ſenkrecht vom Schädel ab; in ihrem unteren Teil riſſig und mit ſcharfen Querfurchen verſehen, ſind ſie im oberen glatten Drittel ſcharf hakig nach hinten gekrümmt. Unſer „Krickelwild“ iſt ein ausgeſprochenes Tagtier: die Dickungen, die ihm nachts Schutz und Unterkunft bieten, verläßt es frühmorgens, um zur Aſung zu ziehen, und dieſe beſteht im Sommer aus Gräſern und ſaftigen Alpenkräutern; im Winter geht es ihm oft recht ſchlecht, und mit Rinde, Sweigen und Knofpen, ja mit Flechten und Mooſen muß es vorlieb nehmen. Spielluſtig und geſellig, halten ſich die Tiere meiſt in Rudeln zuſammen, mit Ausnahme der alten, ſtarken Böcke, die ein Ein: ſiedlerleben vorziehen, und erſt im Gktober ſich den Geiſen nähern; die Brunſt tritt im November ein. Dann ſchwellen die beiden hinter der Baſis der Hörner liegenden Brunſtdrüſen („Brunſtfeigen“), und ernſthaft, ja oft verhängnisvoll geſtalten ſich die Kämpfe zwiſchen den Böcken, die in dieſer Seit einen unangenehmen „Bocksgeruch“ ausſtrömen. Die Trächtigkeit währt etwa ein halbes Jahr, ſo daß die Setzzeit in den Mai zu fallen pflegt. Ein „Kitz“ iſt dabei die Regel, wenn auch zwei nicht ſelten vorkommen, und das Alter der heranwachſenden Jungen läßt ſich (nach Nitſche) ſtets gut nach den Sähnen be— ſtimmen. Das Gebiß iſt übrigens im allgemeinen dem der Siege recht ähnlich; die anſcheinend in der Achtzahl vorhandenen 10 * 148 Sechſtes Kapitel. Schneidezähne find untereinander weniger verſchieden als bei den Dirfchen. — b) Die Rinder, Bovinae ſind die größten und ſtärkſten Wiederkäuer, ausgezeichnet durch einen in Stirn- und Scheitelteil außerordentlich verbreiterten Schädel; ihm ſitzen die mit der Spitze aufwärts gebogenen, meiſt drehrunden, jedenfalls nie kantig gekielten oder geſchraubten Hörner auf, die beiden Geſchlechtern zukommen. Das ſog. Flotz— maul, d. h. die breite Schnauze mit breitem, nackt feuchtem Naſenfeld, der kurze, kraftvolle Hals mit vorn als „Wamme“ Figur 41. Wiſent, Bison bonasus L. (Aus Schmeil, Leitfaden d. 5.) loſe herabhängender Haut, der lange, dünne, am Ende ge— quaſtete Schwanz, das Fehlen von Klauen- und Tränenbeindrüſen ſind weitere Merkmale dieſer Gruppe, der zwei einſt über faſt ganz Europa verbreitete und bis vor wenigen Jahrhunderten auch noch in Deutſchland lebende Wildrinder angehören, Wiſent und Auerochs. Der europäiſche Biſon oder Wiſent (Bison bo- nasus L.) (Figur 41) bildet mit ſeinem amerikaniſchen, oft fälſchlich als „Büffel“ bezeichneten Vetter eine eigene Abteilung (Bisontina) innerhalb der Rindergruppe, die ſich durch kurze, weit voneinander abſtehende Hörner, große Mähne, und einen am Widerriſt ſehr hohen, nach hinten allmählich abfallenden Die Huftiere (Ungulata). 149 Kücken auszeichnet. Unſer Wiſent, das größte europäiſche Cand— tier von 1,80 m Schulterhöhe und 3,5 m Cänge, hauſte noch in hiſtoriſcher Seit, von Baumblättern, Rinde und Sweigen lebend, in den mitteleuropäiſchen Waldungen, wie ihn denn auch das Nibelungenlied kennt, und erſt 1755 wurde in Oſtpreußen der letzte erlegt. Heute ſchweifen „in freier Wildbahn“ nur noch einige vereinzelte Trupps im Kaufafus umher; außerdem werden noch einige hundert Stück in dem urwaldähnlichen Rieſen— forſt von Bjelowjesha des ruſſiſch⸗littauiſchen Bezirks Grodno ſorgfältig gehegt und auch dem Fürſten Pleß gelang es, in Figur 42. Auerochs, Bos primigenius Boj. Nach einem alten Bild. (Aus Schmeil, Leitfaden d. 5.) ſeinem oberſchleſiſchen Revier Meſerzitz eine kleine Kolonie zu halten: ſonſt iſt das gewaltige Tier jetzt überall verſchwunden! — Mit ihm darf nicht, wie dies leider häufig geſchieht, der Auerochs, Bos primigenius Boj. (Figur 42) ver— wechſelt werden, ein echtes Rind und als ſolches, im Gegenſatz zu den Biſonten, vorn und hinten gleich hoch geſtellt, mit flacher, aber ſteil anſteigender Stirn und drehrunden, nicht nur jeitwärts ſondern auch aufwärts gebogenen Hörnern. Auch dieſe zweite Wildſtierform, der Ur des Nibelungenliedes, ein mächtiges Rind von 175 cm Schulterhöhe, ſtarb erſt in hiſtoriſcher Seit, etwa um 1100, in Deutſchland aus; heute iſt es lebend überhaupt nirgends mehr anzutreffen, am längſten hielt es ſich, zuletzt frei- 150 Sechſtes Kapitel. lich auch nur noch in Wildparks, in Polen, wo die letzte Kuh 1627 endete. Aber der Auerochs lebt fort im Hausrind, Bos taurus L., dem wichtigſten und zugleich älteften aller landwirtſchaftlich nutzbaren Haustiere. Urſprüng⸗ lich wohl aus Gründen religiöſer Natur gehalten, dann ein— gewöhnt und gezüchtet, wurde das Hausrind bald das erſte und wichtigſte Arbeitstier des Menſchen, das außerdem noch Milch, Fleiſch und Leder lieferte. Als ſein Stammvater muß, wie ge— ſagt, der Ur angeſehen werden, wenigſtens gilt dies für die ſog. Primigenius⸗Raſſe des Rindes, d. h. für die Steppenformen Oſt— europas (Ungarn, Südrußland, Galizien) und die Flachlandformen Nordeuropas (Norddeutſchland, Holland). Die ſog. Brachyceros- Raſſe, zu der das engliſche, das einfarbige Alpen- und das ſüd⸗ europäiſche Rind gehören, ſowie aus der Vorzeit die ſog. Torf— kuh der Pfahlbauten und Moore, wird auch wohl von einer befonderen Stammform, dem Kurzhornrind (Bos brachyceros Rütim.) abgeleitet, das aber keine Spur von wildlebenden Ver— tretern aufzuweiſen hat und ſelbſt womöglich nur eine beſondere Abart des Auerochſen darſtellte; ja es kommen vielleicht gar in⸗ diſche Rinder für die Abſtammung der Brachyceros Raſſe in Betracht. (Keller.) Jedenfalls ſpielt, wie bei den anderen Haus- tieren, ſo auch hier beim Rind neben Iſolierung und planmäßiger Züchtung die Kreuzung eine große Rolle, und das gleiche gilt auch für die Haustiere der dritten, uns hier intereſſierenden Hornträgeraruppe, für die c) Ziegen und Schafe, Caprovinae. Ein Schaf und eine Siege, ſo wie ſie uns in unſeren hei— miſchen Kaſſen entgegentreten, ſind freilich leicht zu unterſcheiden; aber wenn wir die zahlreichen auch heute noch wild lebenden Arten — wir finden ſie hauptſächlich in der alten Welt — mit berückſichtigen, dann zeigt ſich, daß die beiden uns ſo verſchieden erſcheinenden Tiere durch manche Übergangsformen miteinander verbunden ſind, und alle ſind ausgeſprochene Gebirgstiere, allen kommen ſeitlich zuſammengedrückte Hörner, eine behaarte „Muffel“ und ein kurzer, flacher Schwanz zu! Im einzelnen ſind natür— lich Unterſchiede vorhanden, ſo zeigt das Schaf, Ovis, feingerunzelte, auf dem Querſchnitt dreiſeitige Hörner, die ſich nicht hoch über dem Kopf erheben, ſondern mehr nach hinten und außen gedreht erſcheinen; auch Die Huftiere (Ungulata). 151 beſitzt es deutliche Tränenbeindrüſen und an allen vier Füßen Klauendrüſen. Als Stammvater unſerer Hausſchafe, Ovis aries L. kommt z. T. das nordafrikaniſche gelbgraue, in beiden Geſchlechtern gehörnte Mähnenſchaf (Ovis tragelaphus Desm.) und vor allem das Muflon (Ovis musimon L.) in Betracht, ein kleines, im weiblichen Geſchlecht meiſt hornloſes Wildſchaf von rotbrauner Farbe, das heute vollſtändig frei nur noch in geringer Sahl auf Sardinien lebt. Die aſiatiſchen Bausſchafe und das zuerſt in Kleinaſien gezüchtete allbekannte ſpaniſche Merino müſſen wir wohl von aſiatiſchen Wildformen, beſonders dem Arkal (Ovis arkal Brat.) Turkeſtans und Perſiens ableiten. Übrigens iſt das bleibende Wollkleid, das dem Schaf ſeine große Bedeutung als Haustier verleiht, erſt durch die Süchtung ent— ſtanden; bei den Wildſchafen ſehen wir es nur im Winterpel; und auch dann noch in beſcheidenerem Maße entwickelt. Die Siege, Capra, entbehrt im Gegenſatz zum Schaf der Tränenbeindrüſen, und auch die Klauendrüſen ſind bei ihr höch— ſtens an den Vorderbeinen vorhanden; ihre oft zweiſchneidigen, nach hinten gebogenen oder ſpiralig gedrehten Hörner erheben ſich ſteiler auf dem Kopf und zeigen knotig verdickte Querwulſte. Unſere Hausziege, Capra hircus L., die ſchon früh, ja an— ſcheinend früher als das Schaf vom Menſchen gezüchtet wurde, ſtammt von der Bezoarziege (Capra aegagrus Gm.), einer urjprüng- lich über die ganze Gebirgswelt Südoſteuropas und Weſtaſiens ver⸗ breiteten, heute freilich nur noch auf unzugänglichen Höhen lebenden Wildform, die ihren Namen von den Bezoarſteinen hat: eigen— tümlichen feſten Abſcheidungen im Darm, die wir auch bei an— deren Wiederkäuern finden und die im Orient als Wundermittel galten. — Von Anfang an wurde von der Siege nicht nur Milch und Fleiſch, ſondern auch das Haar benutzt, und in neuerer Seit erlangte die Sucht feinvließiger Raſſen, wie der Angora— und Kaſchmirziege, die ſich wohl von indiſchen Wildformen ab— leiten, eine hohe Vollendung. Durch konſequent durchgeführte Sucht läßt ſich aber nicht nicht nur eine Verfeinerung des Haat- kleides erzielen, ſondern auch Hornloſigkeit, wofür die bekannte Schweizer Saanenziege ein gutes Beiſpiel iſt, eine kräftige, weiß— haarige Raſſe von großer Milchergiebigkeit. Trotz ihres wirt- ſchaftlichen Nutzens kann übrigens die Siege dort, wo ſie mehr oder weniger unbeaufſichtigt zur Weide geht, oft eine recht ver— hängnisvolle Rolle für den Wald ſpielen, iſt doch kein junges 152 Sechſtes Kapitel. Bäumchen ficher davor, feiner Rinde und Triebe beraubt zu werden; ja die Waldarmut Südeuropas iſt, zum Teil wenigſtens, auf ihr Schuldkonto zu ſetzen! — Su den Siegen gehört auch eine einſt leidenſchaftlich gejagte Wildform der höheren Gebirge Deutſchlands und der Schweiz, der Steinbock, Capra ibex L. Einſt, zu vorgeſchicht⸗ licher Seit, ſogar die Vorlande der Alpen bewohnend, noch zur Römerzeit zu Hunderten für die Kampfſpiele nach Rom gebracht, iſt er vor dem Menſchen immer mehr zurückgewichen, hat ſich aber infolge feiner ſchwachen Vermehrung und der ſteten Der- folgungen auch auf den kahlen Kämmen der Hochalpen nicht zu halten vermocht: heute lebt er nur noch — abgeſehen von den Pyrenäen und dem Kaufafus, wo nahverwandte Formen vor: kommen — unter dem Schutz des italienischen Königshauſes in dem franzöfifch-italienifch-fchweizerifchen Grenzgebiet der Gra— jiſchen Alpen! Das bis zu 1,50 m lange, 80 cm hohe Tier, das im Schmucke ſeiner ſchwach ſichelförmig gekrümmten, ſtark gewulſteten Hörner ein recht ſtattliches Ausſehen zeigt, trägt einen gelblich⸗ rotbraunen Pelz; im übrigen gilt alles, was über die Cebensweiſe der Gemſe geſagt wurde, gleichermaßen für das „Steinwild“, bei dem wir die gleiche Kletterfähigkeit, die gleiche Freude am geſelligen Leben und das gleiche Abſonderungs— bedürfnis der alten Böcke wiederfinden! 2. Familie: Geweihträger oder Birſche, Cervicornia, Cervidae. Schon die ftarfe Ausbildung der Tränenbeindrüfen, der Mangel der Gallenblaſe, die Kürze des Schwarzes und die wenigſtens meiſt vorhandenen oberen Eckzähne bilden einen Gegen— ſatz zu den Hohlhörnern, das auffälligſte Merkmal dieſer Familie aber ſehen wir in dem einem jährlichen Wechſel unterworfenen Geweih. Swar bilden auch bei ihm die beiden Stirnzapfen, hier „Roſenſtöcke“ genannt, den wichtigſten Teil, aber dieſe Stirnzapfen bleiben von der behaarten Kopfhaut überzogen und gehen von vornherein als ſolide Knochenzapfen vom Stirnbein aus (fie find alſo im Gegenſatz zu den anatomiſch als Epi- phyſen bezeichneten Hornzapfen der Hohlhörner Apophyſen des Schädelsl). Ferner iſt die Haupt- und urſprüngliche Aufgabe des Geweihes die, zur Brunſtzeit als Waffe im Kampf der Die Huftiere (Ungulata). 153 Männchen um den Beſitz der Weibchen zu dienen: daher ent- behren nicht nur die letzteren — mit Ausnahme des Rentieres — dieſes Kopfichmuces, ſondern wir finden auch einen Su ſammenhang zwiſchen dem Geweih und den Geſchlechtsteilen, dem „Kurzwildbret“ der Jägerſprache, und dieſer Suſammen— hang iſt ein ſo inniger, daß ein Geweih ſofort mehr oder weniger verkümmert oder mißgebildet wird, ſobald ſein Träger durch Derfchneiden oder eine Verletzung, z. B. einen Schuß, an jenen Organen eine Einbuße erleidet. — Wollen wir das Weſen und Figur 45. Geweihentwicklung der Hirfhe. (Nach Nitſche.) Werden des Geweihes verſtehen, jo gehen wir am beſten aus von dem ſog. „Erſtlingsgeweih“ irgendeiner Birfchart, das das junge Männchen im erſten Lebensjahr „aufſetzt“ (Fig. 45): An der Spitze des Roſenſtocks entſteht ein knöchernes Gebilde, das wir vorgreifend gleich „Stange“ nennen wollen und das an— fänglich ebenfalls von der Haut bedeckt iſt (). Die Haut, der ſog. Baſt, die einen faſt ſammetartigen Überzug feiner Woll— haare trägt, trocknet bald ein und wird nun, offenbar infolge eines Juckgefühls, an Baumſtämmen und Käſten abgerieben, das Geweih wird „gefegt“, wie der Jäger ſagt. Vun iſt die Stange ein bloßgelegtes Knochenſtück geworden (II), das ſich von irgend— einem anderen Knochen nur durch die braune Farbe — eine Folge des Fegens an gerbſtoffhaltigen Hölzern und des dabei 154 Sechſtes Kapitel. ſtets herausſickernden Blutes — unterſcheidet. Sur Brunſtzeit als wirkſame Waffe verwandt, kann das Geweih aber ebenſo— wenig wie irgend ein anderer frei zutage liegender Knochen auf die Dauer lebensfähig bleiben: nach der Brunſtperiode, wenn der ganze Organismus des Hirſches überhaupt ſtark an⸗ gegriffen und ſehr mitgenommen iſt, ſtirbt es ab; die Verbindung zwiſchen Roſenſtock und Stange lockert ſich, wird ſchließlich ganz gelöſt und die Stange fällt ab: das Geweih „wird abgeworfen“ (III). Die entſtandene Wundfläche überwuchert die Haut (IV), unter deren Schutz nun die Neubildung des Geweihs vor ſich geht. — Die älteſten ausgeſtorbenen Hirſche und auch einige noch heute lebende Formen bleiben zeitlebens auf der niederſten Stufe der Geweihbildung ſtehen, ſie bilden alſo Jahr für Jahr wieder ein Geweih, das einfach dolch- oder „ſpieß“ förmig iſt; die Mehrzahl der heutigen Hirſche, darunter alle für uns in Be— tracht kommenden, zeigt aber den „Spieß“ nur als Erftlings- geweih, 1 das zweite weicht in doppelter Beziehung vom erſten ab (V): am oberen Ende des Roſenſtocks, dort, wo die Neubile g 225 5 ſtattfindet, bildet ſich eine wulſtige Verdickung, die Roſe (R.); ſie trägt kleine knopfartige Hervor- wölbungen, Perlen int und wird jedesmal mit dem Geweih zuſammen abgeworfen, um mit jedem neugebildeten, d. h. von Jahr zu Jahr, ſtärker zu werden. Einen weiteren Unterſchied gegenüber dem Erſtlingsgeweih zeigt das zweite, dritte, vierte Geweih und alle folgenden dadurch, daß an der Stange große ſeitliche Hacken, die „Sproſſen“, auftreten. Von dieſen werden einige regelmäßig wiederkehrende mit beſonderen Bezeichnungen belegt: die unterſte, mehr oder weniger dicht über der Roſe ſitzende, nach vorn ragende nennt man den Augenſproß, ungefähr in der Mitte der Stange, dort, wo ſie eine deutliche Knickung nach hinten macht, zweigt ebenfalls nach vorn der Mittelſproß ab; meiſt kommt dann weiter oben, nach dem Ende der Stange hin, dort wo fie eine Knickung nach vorn macht, ein nach hinten abgehender Hinterſproß hinzu (vergl. ESdelhirſch, Fig. 44). Viel⸗ fach folgen die Geweihe in der Weiſe aufeinander, daß das zweite an jeder Stange einen Sproß trägt und die Stange dann „gabel: förmig“ erſcheint, das dritte alsdann 2, das vierte 5 Sproſſen uff., bis wenigſtens bei den meiſten Arten eine normale Höchſt— zahl der Sproſſen erlangt iſt; wenn dann aber mit dem Eintritt in das Greiſenalter oder durch ungünſtige äußere Einflüſſe, wie Die Huftiere (Ungulata). 155 Aſungsmangel, harte Winter und dgl. die Lebenskräfte des Hirſches beeinträchtigt werden, der Hirſch „kümmert“, fo kommt dies auch im Geweih zum Ausdruck, indem es an Stärke und Sproſſenzahl abnimmt; freilich, am Umfang der Hofe und des unteren Stangenendes wird der Kundige leicht ein ſolches Ge— weih als ein „zurückgeſetztes“ erkennen! Jedenfalls aber wird man nur mit größter Dorficht die Ausbildung des Geweihs zur Beurteilung des Alters benutzen dürfen: hierzu eignen ſich, wie wir noch im einzelnen kennen lernen werden, die Gebißverhält— niſſe bei weitem beſſer. Der Weidmann, dem ein edelgeformtes, ſproſſenreiches Ge— weih die ſchönſte Jagdbeute dünkt, hat eine Reihe von Aus- drücken geſchaffen, die hier kurz Erwähnung finden ſollen: „Spießer“ und „Gabler“ ſind ja nach dem oben geſagten ohne weiteres verſtändlich; die folgenden Geweihſtufen werden in der Weiſe unterſchieden, daß man die „Enden“ einer Stange zählt, wobei aber nicht nur die Sproſſen, ſondern auch das Stangen— ende ſelbſt mitgerechnet wird; die für eine Stange erhaltene Sahl wird dann einfach verdoppelt, man ſpricht alſo von einem 6-, 8⸗Ender uff., wenn die Stange 2, 5 uſw. Sproſſe aufweiſt. Und in der Tat findet man meiſt, daß die beiden Stangen die gleiche Sahl von Enden beſitzen; iſt dies aber, was gelegentlich auch vorkommt, nicht der Fall, hat z. B. die eine Stange 3, die andere aber nur 2 Sproſſen, ſo bezeichnet man trotzdem den Träger eines ſolchen Geweihs als „Achtender“ — obgleich er in Wahrheit nur 4-5 Enden im ganzen zeigt —, aber als einen „ungeraden Achtender“. Rein zoologiſch, vor allem in ſyſtematiſcher Beziehung, mindeſtens ebenſo wichtig wie das Geweih der Hirſche iſt ihre Fußbildung: wie bei allen Wiederkäuern ruht der Körper nur auf den beiden Mittelzehen der Füße, während die zweite und fünfte ſehr rückgebildet ſind; an den Hintergliedmaßen nun find die zu dieſen beiden letztgenannten Sehen gehörigen Mittelfußknochen völlig geſchwunden, an den Dordergliedmaßen aber find wenig— ſtens deutliche Reſte von ihnen erhalten, und zwar bleibt ent- weder ihr unteres Ende beſtehen, das dann natürlich auch die Verbindung mit den eigentlichen Sehengliedern der entſprechen— den Afterzehe beibehält (Fig. 550), oder aber nur das obere Ende, das alsdann keinen Sufammenhang mit den Sehenknochen mehr aufweiſt (Fig. 55b). Man hat danach die Hirſche ein— 156 Sechſtes Kapitel. geteilt in folche mit unterftändigen (telemetacarpalia) und folche mit oberſtändigen Afterklauenknochen (plesiometacarpalia), und fo künſtlich auch dieſe Einteilung erſcheinen mag, fo interefjante Streiflichter wirft fie doch auf die Derbreitungs- und Derwandt- ſchaftsverhältniſſe innerhalb der Hirfchfamilie. So hat z. B. die telemetacarpale Gruppe eine „langballige“ Klauenform, d. h. der langgeſtreckte Sehenballen dehnt fich bis in die Sohlenſpitze aus, während er bei den „kurzballigen“ Pleſiometacarpalen bereits im zweiten Drittel der Klauenſohle in das Sohlenhorn übergeht. Saffen wir die nur ganz gelegentlich einmal bei uns in Parks gehaltenen ausländiſchen Arten, wie den weißgefleckten Arishirfch (Axis axis Erxl.) und den japanifchen Sikahirſch (Pseud- axis sika Temm.) unberückſichtigt, und betrachten wir nur die in Deutſchland einſt oder noch heute lebenden, ſo ſehen wir, daß Elch, Reh und Rentier telemetacarp, Edelhirfch und Dam plefio- metacarp ſind. — An die Spitze wollen wir den a) Not- oder Edelhirſch, Cervus elaphus L. ſtellen, den nicht nur die poetiſche Jägerei zum „König des deutſchen Waldes“ erhebt, ſondern der auch vor dem kritiſch prüfenden Blick des Naturforſchers durch feine edle Geweih— bildung alle in⸗ und ausländiſchen Cerviden übertrifft und durch die Harmonie feiner Körperformen an der Spitze unſerer heimi— ſchen Tierwelt zu ſtehen verdient! Seine Geſtalt iſt ſo bekannt, daß eine ausführliche Beſchreibung kaum nötig wird: der wohl— gebildete Rumpf — er erreicht eine Länge von 2— 2,50 m und eine Höhe von 1,25—1,50 m — ruht auf hohen, fchlanfen Läufen und endet hinten mit dem kurzen „Wedel“; am Kopf bemerken wir die eirunden, ſehr beweglichen „Gehöre“, das nackte Naſenfeld und die lebhaften, braunen „Lichter“, ferner unter dem vorderen Augenwinkel eine Hautfalte, die Mündung der Tränenbeindrüſe: ſie liefert eine bräunliche, früher als Hirſch⸗ bezoar in der Heilkunde verwandte Subſtanz; das Gebiß beſitzt 54 Sähne, da auch im Oberkiefer Sckzähne, die „Hafen“ oder „Grandln“, ſtehen. Das Edelwild wechſelt zweimal im Jahr nicht nur die Farbe, ſondern auch die Behaarung; zum Frühjahr erhält es eine kurze, dünne, gelb- oder rotbraune Sommerdecke, im Herbſt die längere und reichlicher mit Unterwolle verſehene Winterdecke Die Hufttere (Ungulata). 157 von dunkelbrauner, etwas ins Graue fpielender Farbe; ſtets aber iſt der „Spiegel“, die Gegend um Wedel und „Weidloch“ (After) heller gefärbt, und er — nicht aber wie bei manchen anderen Säugetieren, der Schwanz — dient als Ausdruck der Gemüts— bewegungen, indem er in der Erregung geſpreizt wird. „Hirſch“ und „Tier“, wie Männchen und Weibchen genannt werden, unterſcheiden ſich namentlich im Winter etwas in der Färbung; außerdem bekommen die ſtarken Hirſche im Herbit eine prächtige Nalsmähne, die ihnen erſt das Majeſtätiſche verleiht, aber auch im Kampfe mit den Xebenbuhlern zur Brunſtzeit einen guten Schutz gewährt. Geiſtig hochſtehend und genau unterſcheidend, wer und was ihm Gefahr bringen kann, hat das Edelwild vor allem im Ge— ruch und Gehör zwei vorzügliche Sinnesorgane, während das Auge mehr zur Wahrnehmung von Bewegungen als zur Unterſcheidung unbeweglicher Gegenſtände geeignet iſt. Der Gang iſt für gewöhnlich ein ruhiger, aber weit ausgreifender Schritt: das Wild „zieht“, nach einer Störung trollt es raſch und bei wirklicher Gefahr wird es flüchtig: dann erſt kann man unſeren Hirſch in der ganzen Schönheit ſeiner Bewegungen kennen lernen, wenn er, das Geweih auf den Rücken nieder— gelegt, in gewaltigen Sätzen einherjagt, Büſche, Gräben, Ge— hege im Sprunge nehmend und ſelbſt ohne Beſinnen ſich ins Waſſer ſtürzend! Wie ſich der Tritt des Edelwilds von dem des anderen Schalenwildes unterſcheidet, haben wir ſchon kennen gelernt; wichtig aber iſt auch das richtige Anſprechen der Sdelhirſch— fährte in bezug auf Alter und Geſchlecht, und zur Blütezeit der hohen Jagd mußte der „hirſchgerechte“ Jäger nicht weniger als 72 derartige „Seichen“ kennen! Ihre Sahl iſt ſeither er- heblich eingeſchränkt worden und einige von ihnen mögen hier wenigſtens genannt fein: der „Schritt“ (ein guter „Sehner“ ſchreitet 80 cm, und ſchon der „Achter“ mehr als das Tier), der „Schrank“ (der Hirsch „ſchränkt“ 15 20 cm, das Tier weniger), der „Gberrücken“ (der beim Birfch anders als beim Tier aus- ſehende Abdruck der Nebenzehen in weichem Boden oder bei der Flucht), ferner der „Swang“, der „Burgſtall“, das „In— ſiegel“ u. a. (Lebensweiſe.) Stets bilden große, ruhige Waldungen der Ebene ſowohl wie des Gebirges, mit Dickungen, Blößen 158 Sechſtes Kapitel. und ſumpfigen Stellen zum Suhlen, mit angrenzenden Feldern und Wieſen, den Aufenthaltsort des Sdelhirſches; urſprünglich Standwild und faſt ganz Europa und ein gut Teil Aſiens be⸗ wohnend, zieht er ſich doch vor häufigen Beunruhigungen und Nachſtellungen zurück. Einſt, zur Feudalzeit, da nur der Lehns⸗ herr oder gar nur der Landesfürſt als jagdberechtigt galt, ſtand unſer Wild im Mittelpunkt des Intereſſes an ſo manchem Fürſtenhof! Doch die Blütezeit der hohen Jägerei iſt vorüber und ſeit durch die großen Umwälzungen Ausgangs des 18. und Mitte des 10. Jahrhunderts die Jagd der Land- und Forſtwirt— ſchaft untergeordnet worden iſt, ging unſer deutſcher Nochwild— ſtand derart zurück, daß er auf weite Strecken hin ausgerottet iſt, und daß wir das edle Tier nur noch dort finden, wo es ſeitens des Waldbeſitzers einen gewiſſen Schutz genießt. — Frei⸗ lich, das iſt ſicher: eine rationelle Feld⸗ und Waldwirtſchaft muß im Birfch einen argen Schädling erblicken! Den größten Teil des Jahres unter Führung eines erfahrenen „Alttieres“ geſellig in Rudeln lebend — von dem ſich nur die ſtarken Hirfche fern- halten — geht unſer Wild, wenn der Abend hereinbricht, auf Aſung aus, und dieſe ſucht es nicht nur im Walde, ſondern auch im Feld, ja hier um ſo lieber, je weniger der Wald ſelbſt ihm bietet. Auf den Feldern ſchadet es ſchon dadurch, daß es die Saaten und das in Ähren ſtehende Getreide zertritt: fo vernichtet es weit mehr, als es an und für ſich gebraucht. Außerdem aber wird die Saat ſelbſt verbiſſen, die reifende Rispe des Hafers abgeſtreift, Weizen und Roggen verzehrt, Kartoffeln und Rüben werden mit den Läufen aus dem Boden geſchlagen. Doch wenn auch die Erträge des Landmanns hierdurch arg geſchmälert werden können — der Jagdberechtigte iſt bekanntlich zum Er- fat; des Wildſchadens verpflichtet — größer faſt find die Der- wüſtungen im Walde: hier verbeißt das Rotwild alle Caub⸗ und Nadelholzarten, ſucht Kaſtanien, Eicheln und Bucheln ſogar in den Saatkulturen auf, reißt junge Pflanzen beim Aſen ganz aus dem Boden oder zertritt fie, und nimmt die Rinde von den Stämmen. Dieſes ſog. „Schälen“, das übrigens vor 100 Jahren noch ganz unbekannt war und wohl auf Nahrungsmangel oder den Einfluß der unnatürlichen Ernährung zurückzuführen iſt, beſteht im Sommer darin, daß die Rinde mit den Schneidezähnen durchſchnitten, feſt gefaßt und, meiſt nach oben, in großen Streifen losgeriſſen wird; Unregelmäßigkeit oder Unterbrechung des Die Huftiere (Ungulata). 159 Wuchſes, ja ſogar Fäulnis find die unliebſamen Folgen! Bei dem „Winterſchälen“ dagegen ſchaben die Tiere die zu dieſer Jahreszeit feſtſitzende Rinde mit den Sähnen ab und hinterlaſſen dabei deutliche Sahnſpuren. Sehr unangenehm bemerkbar macht ſich auch das „Fegen“, das auch noch lange nachdem das Ge— weih vom Baſt befreit iſt, fortgeſetzt und dann beſſer als „Schlagen“ bezeichnet wird: dieſer Gewohnheit fallen beſonders eingeſprengte Holzarten zum Opfer und weiß leuchten dann am Morgen die Stämmchen, an denen der Birfch feinen Übermut ausgelaſſen. Doch immerhin: mag der Landmann mit ſeinen Erſatz⸗ forderungen kommen, mag der Forſtwirt die zahlreichen zur Der- hütung und Verminderung des Derbeißens und Schälens emp— fohlenen Mittel anwenden: der Jäger, ja jeder Naturfreund wird ſich freuen, daß der Hirſch und mit ihm ein gut Stück Poefie noch nicht ganz aus dem deutſchen Walde geſchwunden iſt, daß noch nicht überall die Jagd rein vom wirtſchaftlichen Standpunkt, ſondern auch noch vom äjthetifchen betrieben wird, und daß unſer edelſtes Wild noch mancherorts unter großen Koften gehegt und gepflegt wird! Hierzu gehört nicht nur die Darbietung von Leckpulvern und wirkſame Fütterung, ſondern auch Blutauffriſchung der durch Inzucht zurückgegangenen Be— ſtände durch Einführen ſtarker (beſonders ungariſcher) Hirſche und — die Hege mit der Büchſe! Die Form des Geweihes ver— erbt ſich nämlich in ganz auffallender Weiſe — haben ſich doch im Lauf der Seit überall beſondere Raſſen oder Schläge ge— bildet — und ſo muß der Jagdbeſitzer darauf bedacht ſein, alle irgendwie von der normalen Form abweichenden Geweihe durch Abſchuß ihrer Träger möglichſt ſchnell auszumerzen. Ende Auguſt, kurz vor Beginn der bis in den Gktober währenden Brunſt, tritt der „ſtarke“ Hirſch, der fich bisher mehr für ſich oder mit wenigen ſeinesgleichen hielt, zum Rudel, hier ſchlägt er die „geringen“ Hirſche ab, treibt das Mutterwild zuſammen und läßt alsbald den lauten, drohen— den Brunſtſchrei, das mächtige, tiefe „Orgeln“ hören, eine Herausforderung an den Gegner, der ihm etwa das Rudel ſtreitig machen könnte. Naht ein ſolcher, dann ſetzt es erbitterte Kämpfe: prafjelnd und krachend fchlagen die Geweihe gegen— einander, bis der ſchwächere dem Sieger, dem „Platzhirſch“, das Feld räumt. Nicht allzuſelten endet der Kampf mit dem 160 Sechſtes Kapitel. Tode eines der Streiter und ein beſonders unglücklicher Sufall fügt es auch wohl, daß ſich beide mit den Geweihen unlösbar verſchlingen, „verkämpfen“, und dem Hungertode verfallen. — Iſt die Brunſt beendet, dann tun ſich die ſtarken Rirſche wieder vom Rudel ab, um ſich von den Anſtrengungen, während deren ſie nur wenig Nahrung zu ſich genommen, zu erholen; das „Tier“ ſetzt nach einer Tragzeit von etwa 7!/, Monat, meiſt Ende Mai oder Anfang Juni, ein, ſelten zwei Kälber, zierliche auf rotbraunem Grunde weißgefleckte Tierchen, die der Mutter ſchon nach wenigen Tagen folgen, von ihr bei Gefahr durch einen eignen, kurzen und lauten Ton, das „Schrecken“ oder Figur 44. Geweihſtufen des Edelhirſches. „Schmälen“, gewarnt und gegen Raubtiere mit wirklichem Mute verteidigt werden. — Bis zum Schluſſe des erſten Kalender- jahres nennt man das junge ESdelwild „Kalb“, und zwar Hirſch⸗ kalb oder Wildkalb je nach dem Geſchlecht, im folgenden Jahr dann „Spießer“ bzw. „Schmaltier“; nach dieſer Periode heißen die weiblichen Stücke einfach „Tier“ oder „Alttier“, während die männlichen entweder in ganz unbeſtimmter Weiſe als ge— ringer, jagdbarer, guter, kapitaler Hirfch oder nach dem Geweih als Gabler, Sechſer, Achter uſw. bezeichnet werden. In Wirk lichkeit bietet nun aber die Entwicklung des Geweihs kaum einen Anhaltspunkt für die Altersbeſtimmung: ſchon das Erftlings- geweih, zwei einfache glatte Spieße ohne Roſen (Figur 44a), tritt je nach den Aſungs-, Klima- und Bodenverhältniſſen ſowie nach der Konftitution des betreffenden Hirſchkalbes bald früher, etwa vom 7. Lebensmonat ab, bald ſpäter, bis zum 14. Lebens⸗ monat, auf; dieſe Spieße werden im Frühjahr des dritten Ka- Die Huftiere (Ungulata). 161 lenderjahres, d. h. im Alter von faſt zwei Jahren, abgeworfen. Auf der zweiten Stufe, d. h. im Juni des dritten Kalenderjahres, würde nun „geſetzmäßig“ die Gabel (Figur 44 b) folgen, bei der jede Stange einen Augenſproß zeigt; oft aber trägt der Hirſch entweder wieder Spieße — dann allerdings mit deut— licher Roſe — oder aber er ſetzt ſofort das Sechſergeweih (Figur 44c) (mit Augen- und Mittelſproß) auf, das normaler- weiſe erſt auf der dritten Stufe erſcheint. Auf der vierten, beim Achtender, kommt als neuer Sproß. der nach hinten abzweigende Hinterſproß hinzu, indem ſich gewiſſermaßen das Stangenende teilt (Figur 44d), und die fünfte Stufe kann auf zweierlei Weiſe entſtehen: entweder es tritt dicht über dem Augenſproß ein ihm ähnlicher, der Eisſproß, auf — wir ſprechen dann von einem „Eisſproßzehner“ (Figur 44e) — oder am oberen Ende des Geweihs entſteht ein dritter Sproß, der dann zuſammen mit dem Hinterſproß und dem Stangenende die „Krone“ bildet: „Kronenzehner“ (Figur 44 f). Der Swölfender (Figur 44 g) zeigt außer Augen-, Eis: und Miitttelſproß ſtets die dreiendige Krone. Bei den höheren Geweihſtufen findet die Vermehrung der Enden, deren Sahl noch um ein Beträchtliches ſteigen kann, nur durch neuauftretende Sproſſen in der Krone ſtatt; der Waid— mann freilich zählt außerdem Hervorragungen, Auswüchſe, Spitzen und Wülſte mit, die nicht in den weſentlichen Bauplan des Ge— weihes gehören: ſo kommt er zu den oft enorm hohen Sahlen, in denen er ja ſeinen Stolz erblickt! — Von Mißbildungen, „Abnormitäten“, deren hier nur kurz gedacht werden kann, ſeien wenigſtens einige erwähnt, wie der „Schadhirſch“, ein ſtarker jagdbarer Hirſch, der trotzdem nur ein Paar Spieße oder mäch— tige Gabeln trägt, der geweihloſe „Plattkopf“ oder „Mönch“, ferner drei⸗ und vierſtangige Hirſche u. a. Wie ſchon erwähnt, entſprechen nun aber die jagdlichen und jagdrechtlichen Kategorien, Entwicklungsſtufen des Edel- hirſches keineswegs den natürlichen, für deren Unterſcheidung (nach Nitſche) viel beſſer als das Geweih die Bezahnung ſich eignet! Hiernach muß man das erſte Stadium, während deſſen auch allein das gefleckte Jugendkleid getragen wird, bis zum September des erſten Kalenderjahres rechnen, d. h. von der Geburt, bei der die acht unteren Vorderzähne mit zur Welt gebracht werden, bis zum Alter von vier Monaten; das Gebiß iſt während dieſer Seit ausſchließlich das Milchgebiß. Das zweite Hennings, Die Sängetiere Deutſchlands. 11 162 Sechftes Kapitel. Stadium beginnt mit der Anlage des einfarbigen Haarkleides und dem Hervorbrechen der bleibenden Backenzähne und endet — im Alter von 15 Monaten — mit dem Verluſt der oberen Milch⸗Sckzähne und der mittelſten unteren Schneidezähne. Wäh— rend des dritten Stadiums, d. h. faſt bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres, fallen die übrigen Milchvorderzähne und die Milchbackenzähne aus; während des vierten, das etwa bis zum 35. Lebensmonat währt, wird das bleibende Gebiß voll— ſtändig gebildet. Damit iſt die eigentliche Entwicklung beendet: das fünfte Lebensjtadium zeigt uns den erwachſenen Hirſch bis an ſein Lebensende, regelmäßig im März⸗April abwerfend, im Juli⸗Auguſt das neugebildete Geweih fegend! b) Das Damwild, Dama dama L. (vulgaris Brooke). Dem Edelwild in den geiſtigen Fähigkeiten und der Lebens— weiſe naheſtehend, kann das Damwild doch weder an Schönheit und Sbenmaß der Form, nach an Größe — es erreicht eine Länge von etwa 120 cm und eine Schulterhöhe von 90 cm — ſich mit jenem meſſen! Einſt, in früheren Erdperioden, lebte es ſchon im jetzigen Gebiet Deutjchlands, wurde dann aber zur Eiszeit nach Süden verdrängt und erſt Ausgang des 16. Jahr⸗ hunderts aus dem Mittelmeergebiet über Dänemark wieder bei uns eingeführt, zunächſt als Parkwild, ſeitdem aber auch „die freie Wildbahn“ bevölkernd. Im Winter dichter und meiſt auch dunkler behaart als im Sommer, zeigt das Dam eine ganze Reihe ziemlich konſtanter Farbabänderungen, von denen beſon— ders die weiße, dunkelbraune und rotbraune mit weißen Flecken bei uns häufig iſt; alle drei paaren ſich fruchtbar untereinander. — Die Brunſtzeit fällt auch hier beim Dam in den Oktober oder den November, und nach faſt achtmonatlicher Tragzeit ſetzt das „Tier“ ein oder zwei Kälbchen, die in ihrem Kleid den Eltern faſt gleichen. ; Der Vorwurf einer gewiſſen Dummdreiſtigkeit und „Stegen: haftigkeit“, der dem Damwild oft gemacht wird, beruht wohl zum Teil darauf, daß es ſich in der Tat viel häufiger ſehen läßt als das Sdelwild und dann eine gewiſſe Vertrautheit und Gewöhnung an den Menſchen, ja ſogar eine große Neugier an den Tag legt: dabei handelt es ſich aber ſtets um Stücke, die in Parks oder Gehegen gehalten werden! Ganz anders be— nimmt ſich unſer Wild im freien Revier: hier iſt es nichts we- Die Huftiere (Ungulata). 163 niger als vertrauensſelig, vielmehr mißtrauiſch und ſcheu; und an— dererſeits macht ein „kapitaler“ Damſchaufler doch auch einen recht ſtattlichen Eindruck! Das Geweih, im Bildungsgeſetz mit dem des Sdelhirſches übereinſtimmend, d. h. ebenfalls mit Augen; Mittel⸗ und Hinterſproß, iſt nämlich dadurch ausgezeichnet, daß der Ninterſproß (nach anderer Auffaſſung die Stange ſelbſt) ſich allmählich im Laufe der Jahre zu einer breiten, vielzackigen Schaufel entwickelt, die freilich nicht vor dem fünften oder ſechſten Lebensjahr auftritt (Figur 45). Ein Bewohner der Ebene und der Hügel: ſowie höchſtens der Mittelgebirgs- landſchaften, bevorzugt unſer Damwild Laub- und Miſchwaldungen mit Blößen, mit angrenzenden Wieſen und Feldern: auf den letzteren ſchadet es in ähnlicher Weiſe wie der Edelhirfch, dem Walde aber wird es faſt noch gefährlicher als dieſer, da es die Untugend des Schälens in noch höherem Maße beſitzt; auch das „Fegen“ und „Verbeißen“ wird natürlich den Bäumen zum Verderben. c) Das Zieh, Capreolus capreolus L. 5 1 8 Hopf aan Nennen wir den Sdelhirſch prächtig (Aus Schmeil, Leitfaden d. F.) und ſtolz, ſo können wir dem Reh das Prädikat der Grazie und Anmut gewiß nicht verſagen! Liebens— würdig und ſtets zum Spielen geneigt, dabei munter und klug, wenn auch an Begabung dem Sdelhirſch nicht aleichfommend — verliert es doch, plötzlich überrafcht, oft die Überlegung und rennt planlos umher, ſtatt ſofort die Flucht zu ergreifen! — iſt das Reh von allem heimiſchen Schalenwild bei weitem das häufigſte und auch deshalb am bekannteſten, weil es die Felder im allgemeinen mehr liebt als den geſchloſſenen Wald, am Tage in ihnen umherzieht und ſo ſich der Beobachtung melt darbietet als Edel- und Damwild. Die normale Farbe unſeres, etwa 1— 1,25 m Körperlänge und 75 em Schulterhöhe erreichenden Tieres iſt im Sommer ein leuchtendes Gelb- oder Roſtrot, im Winter ein gelbliches Grau— braun, und namentlich in der letzteren Jahreszeit hebt ſich der 11% 164 Sechſtes Kapitel. „Spiegel“, die Gegend um den After und den äußerlich kaum erkennbaren Schwanz, durch ihre weiße Färbung ſcharf ab. Wie beim Hirſch dient übrigens der Spiegel als Ausdruck der Ge⸗ mütsbewegungen: bei Unruhe, Angſt uſw. wird er geſpreizt und erſcheint faſt doppelt ſo groß wie ſonſt. Farbabweichungen ſind beim Reh nicht gerade ſelten und beſonders weiße, geſcheckte und ſchwarze Individuen kommen lokal ziemlich viel vor. In unſerem Vaterland fehlt das Reh wohl nirgends, es iſt ein ausgeſprochenes Standwild und mit Ausnahme der höheren Gebirge ſtellenweiſe ſogar häufig. Warmes, fruchtbares Acker⸗ land in der Nähe von Feldgehölzen, Wieſen an den Wald— rändern und die Auen der Flußniederungen bilden ſeinen bevor— zugten Aufenthaltsort, im Walde ſelbſt findet es ſich in der Nähe der Schläge und kleinen Blößen, auf die es zur Aſung austritt. Die Nachteile, die es dabei den Feldern bringt, ſind im allgemeinen gering: was es an Raps, Klee uſw. abäſt, wird kaum bemerkt, höchſtens ſchadet es, indem es im Getreide um— herzieht und ſich hier und dort niedertut, wodurch viele Pflanzen niedergedrückt und an der normalen Fruchtbildung gehindert werden; doch dieſer Schade wird reichlich aufgewogen durch den Wert des Wildbrets: liefern doch die 200-250 000 Rehe, die jährlich in Deutſchland geſchoſſen werden, etwa 4 —6 Millionen Pfund Fleiſch! Im Walde kennt es zwar nicht die üble Ge— wohnheit des Schälens, doch verzehrt es Samen und Früchte und verbeißt alle Laub: und Nadelhölzer, und bejonders wird der „Bock“ durch fein Segen und Schlagen den kleinen Stämm⸗ chen, vorwiegend den eingeſprengten Holzarten, gefährlich. Die Setzzeit ausgenommen, halten ſich die Rehe in der Regel familienweiſe, in „Sprüngen“, zuſammen, denen nur die ſtarken Böcke fernbleiben: ſie geſellen ſich erſt zur Brunſtperiode, die von Mitte Juli bis Mitte Auguſt währt, den „Ricken“ oder „Gaiſen“ zu, die ſich alsdann durch einen eigentümlichen Caut, der wie „Fiep“ oder „Piäh“ klingt, bemerkbar machen. Be⸗ kanntlich ahmt der Weidmann dieſen „Fieplaut“ auf einem Blatte oder einem beſonderen Inſtrument nach, um ſo den Bock zu Schuß zu bekommen. Spiel- und kampfluſtig, wie der Reh⸗ bock überhaupt ift, wird er zur Brunſtzeit außerordentlich agrejfiv, und erbitterte Kämpfe zwiſchen zwei Böcken gehören keineswegs zu den Seltenheiten, führen ſogar gelegentlich zu ſchweren Der- letzungen eines der beiden Gegner. — Auffallenderweiſe iſt die Die Huftiere (Ungulata). 165 Entwicklungsgeſchichte des Rehs erſt in neuerer Seit geklärt worden: das im Sommer befruchtete Ei beginnt nämlich ſeine Entwicklung erſt nach vier Monaten, etwa im November: Dezember; dann macht ſich eine geſchlechtliche Erregung bei der künftigen Mutter bemerkbar, die ſich von dem ſtets bereiten Bock treiben, wohl auch — natürlich erfolglos — „beſchlagen“ läßt, und lange Seit hielt man die Winterbrunſt für die „wahre“, die ſommerliche für die „falſche“ Brunſt. — Nach etwa vierzig⸗ wöchentlicher Tragzeit ſetzt dann die Ricke im Mai meiſt zwei „Ritze“, zierliche, weißgefleckte Tierchen, die von der Mutter mit großer Aufopferung gehütet werden. Figur 46. Geweihſtufen des Reh. (Aus Schmeil, Leitfaden d. Z.) Auf ſeinen Bauplan hin betrachtet, hat das Geweih des Rehbocks — der Weidmann ſpricht leider meiſt vom Rehgehörn! — zwei Eigentümlichfeiten: die ſchnelle Entwicklung und das Fehlen des Augenſproſſes. Im allgemeinen entſteht im Xo- vember⸗Dezember des Geburtsjahres auf dem Nofenjtod ein winziges, meiſt „knopfförmiges“ Geweih (Figur 46a) von durch- ſchnittlich / —2 cm Höhe, das meiſt im Januar gefegt und im Februar abgeworfen wird. Unterſuchungen, die in jüngſter Seit mit Hilfe ſog. Wildmarken, im Ohr der Vitzböcke befeſtigter Erkennungszeichen, angeſtellt wurden, ergaben nun aber, daß die Bildung des Erſtlingsgeweihs, der „Knopfſpieße“, großen individuellen Schwankungen ausgeſetzt iſt: hiernach entſtehen im 166 , Sechſtes Kapitel. Saufe des erſten Lebensjahres, bald früher, bald ſpäter, die Roſenſtöcke mit darauf wachſenden „Knöpfen“ ohne Roſe, die nun entweder unter der Haut bleiben, oder durchbrechen, gefegt und abgeworfen werden. Das zweite Geweih entſteht manchmal ſchon im Berbft des erſten, manchmal auch erſt im Lauf des zweiten Lebensjahres; es zeigt ſtets deutliche Roſen und meiſt die Form einfacher Spieße (von 1½ 10 cm Länge) (Figur 46 b); ſelten iſt es gabelförmig, noch ſeltener ſchon ein Sechſergeweih; meiſt wird es im Herbſte des zweiten Kalenderjahres, alſo im 17.20. Lebensmonat des Bockes, abgeworfen. Der Gabler (Figur 460), eine Geweihſtufe, die beim Reh überhaupt ziemlich ſelten iſt, hat nun ein ganz beſonderes Gepräge dadurch, daß der Sproß nicht unten, ſondern etwas über der Mitte der Stange, dort wo ſie etwas nach hinten geknickt iſt, nach vorn abzweigt; er iſt deshalb auch nicht als Augen-, ſondern als Mittelſproß anzuſehen. Erſt beim dritten Geweih, das ſich meiſt als „Sechs— ender“ repräſentiert, treten die normalen Seiten des Abwerfens — November Dezember, Aufſetzens — im Winter, und „Fegens“ — im Frühjahr, ein, und zwar zeigt der „Sechſer“ außer dem Mittel⸗ noch den Hinterſproß (Figur 46d). Rein zoologiſch be— trachtet, erreicht das Geweih des Rehbocks nur ſelten mehr als dieſe Stufe — durch Gabelung des Hinterſproſſes kann der Achter und wenn außerdem das Stangenende ſich gabelt, der Sehner entſtehen — jagdlich aber werden auch hier alle Hervorragungen, ſtark entwickelte Perlen uſw. als „Enden“ gezählt. Eigentümlich und noch keineswegs genügend erklärt iſt der innige Suſammenhang zwiſchen Geſchlechtsorganen und Geweih— bildung, und ebenſo die Einwirkung auf die Entſtehung des Kopf: ſchmucks. Dieſe Erſcheinungen find zwar bei allen Hirſcharten zu finden, aber wohl bei keiner werden ſie häufiger beobachtet als gerade beim Reh. So führen die Verletzungen der Fort— pflanzungsorgane häufig zur Bildung fog. Perückengeweihe, un— förmlicher, dauernd von Haut überzogener und nicht abgeworfener Auswüchſe. Su den Abnormitäten muß auch die „gehörnte Ricke“ gezählt werden, eine oft „gelte“, d. h. unfruchtbare Rehgais, die ein Geweih aufgeſetzt hat. Infolge der großen individuellen Schwankungen, denen das Geweih des Rehbocks in ſeiner Entwicklung ausgeſetzt iſt, kann es ebenſo wenig wie beim Sdelhirſch zur Altersbeſtimmung dienen; eine ſolche iſt aber recht gut durch die Gebißverhältniſſe ermög— Die Huftiere (Ungulata).“ 167 licht. Das Ritz bringt die 8 unteren Dorderzähne mit auf die Welt und bekommt im Juni Juli oben und unten jederſeits 5 Backenzähne; damit iſt das Milchgebiß fertig. In welcher Weiſe dieſes allmählich durch das Dauergebiß erſetzt wird, iſt aus folgender Tabelle erſichtlich, in welcher jede arabiſche Sahl einen Milch-, jede römiſche einen bleibenden Sahn darſtellt (wo— bei natürlich wie bei allen Sahnformeln nur die Hähne einer Seite notiert ſind): Das Reh hat | Dorderzähne | Sake ee im Alter von (nur unten) | nee, ars a2, Be | == | 19 385 2—4 „ Juni, Juli, Auguſt) 1-2-3-4 os = | 1-2-3-IV 5 „ (September) F en g | 1-2-3-IV-V 69 „ (Oktober bis Januar) | 1:2-3-4% 5 i „ 1 10—12 „ ($ebruar bis April) . 1. II. III. 4 | u) en UN | e i eee, DES ET IRRE V Se ln I- II. III. IV. V VI 14 5 Si een I II III Im Reh lernten wir eine Hirſchart kennen, die im Gegen— ſatz zu Edelhirſch und Dam unterſtändige Afterklauenknochen beſitzt; zur gleichen Gruppe (der Telemetacarpalia) gehört ferner das Rentier (Rangifer tarandus L.) und der Elch. Das erſtere zeichnet ſich dadurch aus, daß beide Geſchlechter das eigentümliche, in der oberen Hälfte nach vorn gebogene Geweih tragen; einſt über ganz Mitteleuropa verbeitet und das hauptjächlichite Jagdtier des altſteinzeitlichen Menſchen, lebt es heut nur noch in der Nordpolar— zone beider Erdhälften und iſt hier z. T. zum Haustier geworden. d) Der Elch oder das Elen, Alces machlis Ogilby. bevorzugt überall, wo er vorkommt, die moorigen bruchigen Ur— waldreviere mit reichlichen, buntgemiſchten Laubhölzern. Ein 168 Sechſtes Kapitel. typiſcher Bewohner des Waldes und vorwiegend auch aus ihm ſeine Nahrung entnehmend — er äſt Sweige, Blätter und Rinde von den Bäumen, ſowie Kräuter und junge Pflanzen vom Boden — mutet uns das rieſige, etwa pferdegroße Tier mit dem mächtigen Kopf, der ramsartig gebogenen Naſe, dem hohen Widerriſt und dem bis auf die hellen Läufe dunklen Haarkleid ganz eigentüm⸗ lich „vorſintflutlich“, an, und das ſeltſame Ausſehen wird noch verſtärkt durch das ſchaufelförmige Geweih des „Hirſches“, das auf nach außen gerichteten Roſenſtöcken jederſeits eine breite, am Rand durch die „Enden“ gezackt erſcheinende Platte darſtellt (Figur 47). Meiſt läßt ſich an dieſer eine kleine, ziemlich wage⸗ Figur 47. Geweih des Elchs. recht nach vorn gerichtete Vorderſchaufel, entſtanden aus Der- breiterung und Verſchmelzung von Augen- und Mittelſproß, und eine größere, nach hinten und oben verlaufende Hauptſchaufel als Verbreiterung des Hinterſproſſes, unterſcheiden. Dieſe Schaufeln beginnen jedoch früheſtens beim Sechsender ſich ſchwach anzudeuten, ja man hat in den letzten Jahrzehnten häufig beobachtet, daß ſie überhaupt nicht zur Ausbildung gelangen, und die fog. „Stangen— elche“ bleiben zeitlebens auf der Stufe des Sechs- oder Achtenders ſtehen; freilich haben wir es wohl dann ſtets mit einer Degenera: tionserſcheinung zu tun, hervorgerufen durch ungünſtige Ernährungs⸗ und klimatiſche Verhältniſſe und dergl. In unſerem Daterlande lebt das Elen nur noch im äußerſten Oſten, am Kuriſchen Raff, wo die Regierung und verſtändige Großgrundbeſitzer ihm einen ausgedehnten Schutz zuteil werden laſſen, doch iſt er auch hier ſo zurückgegangen, daß bereits Zäblungen des Beſtandes veröffent— Die Huftiere (Ungulata). 169 licht werden! Früher war es anders: zur Eiszeit ſinden wir dieſe unſere größte noch lebende Birfchart als Gefährten des Mammuth, des Höhlenbären und anderer jetzt ausgeſtorbener Säugetiere, und noch in hiſtoriſcher Seit war der Elch über ganz Mittel europa verbreitet, kennt ihn doch z. B. auch das Nibelungenlied als Beutetier Siegfrieds bei der Jagd im Wasgau! Dort heißt es: Dar nach sluoc er schiere einen wisent und einen elch, starker ure viere und einen grimmen schelch. Dieſe Verſe unſeres Nationalepos bedeuten für uns ein trauriges Seichen für den allmählichen Rückgang der deutſchen Fauna, finden wir doch neben dem Elch hier auch Wiſent, Auer- ochs und Wildpferd aufgezählt, die wir alle heut vergeblich in unſerem Daterlande ſuchen würden! Und nicht nur fie, noch manch anderes Säugetier ſchwand aus unſeren Grenzen, wie die vorſtehenden Seiten zeigten, und andere wieder haben derart abgenommen, daß ihr völliges Schwinden nur noch eine Frage der Seit iſt! Alle haben ſie dem Menſchen weichen müſſen, und die wenigſten nur dem jagenden, ihres Fleiſches wegen ſie verfolgenden, die Mehrzahl dem kulturell fortſchreitenden! Seitdem der Vieh— und Geflügelzüchter die Raubtiere mit feinem Haß verfolgt, ſeitdem die Odländer urbar gemacht werden und der Wald zum Forſte ward, ſeit dieſer Seit ringt unſere Säugetierwelt in ſchwerem Kampfe um ihre Exiſtenz. — Mögen Landwirt und Forſtmann, möge der Fiſcher und der Tier- und Gbſtzüchter nach Kräften ſeinen wirtſchaftlichen Vorteil wahren, möge er aber nicht ſtets nur dieſen allein im Auge haben, ſondern auch bedenken, daß gleicherweiſe der Naturfreund ein Intereſſe hat an der Erhaltung unſerer deutſchen Tierwelt! Alphabetiſches Sachregiſter Alces machlis 167. Bovinae 146, 148. Allesfreſſer 25. Brandmaus 75, 77, 86. Alopecoidea 107. Breitflügler 30, 32. Alpenratte 79, 82. Büffel 148. Alpenhaſe 87, 92. Ameiſenigel 22. Camelopardalis 144. Antilocapra americana 144. | Canidae 100, 106. Antilopen 146. Canis aureus 111. Arctomys ſ. Marmotta. — familiaris 109. Arfal 151. — lagöpus 8, 107. Artiodactyla 137. e lupus 107. Arvicola agrestis 80, 82. L vulpes 111. — amphibius 79, 80. | Capra 151. — arvalis 80, 83. Capra aegagrus 151. — nivalis 79, 82. — hircus 151. — ratticeps 79, 82. — ibex 152. Arvicolinae 78. Capreolus capreolus (caprea) 163. Auerochs 8, 149, 169. Caprovinae 146, 150. Axis axis 156. Carnivora 96. Axishirſch 156. Castor fiber 69. Castoridae 59, 69. ar 8, 10, 18, 133. | Cavia cobaya 96. Bären 100, 133. L cutleri 96. Bartfledermaus 39. Cavicornia 145. Baummarder 123, 124. Oervicornia 152. Baumſchläfer 67, 68. Cervidae 152. Bezoarziege 151. ' Cervus elaphus 156. Biber 10, 58, 59, 69. Bilche 60, 66. Chiroptera 28. Citellus citillus 60, 64. Bison bonasus 8, 148. Cricetus cricetus 72. Biſon, europäiſcher 148. Crocidura aranea 49, 51. Bisontina 148. | — leucodon 49, 51. Blaufuchs 107. Crossopus fodicus 49. Bos brachyceros 150. — primigenius S, 149. Dachs 10, 18, 17, 180 — taurus 150. Dachſe 117. Bovidae 145. Dama dama (vulgaris) 162. Alphabetiſches Sachregiſter. Damhirſch 10, 138, 139, 156, 162. Digitigradi 18. Eber 15. Echidna 22. Edelhirſch 8, 10, 138, 139, 156. Edelmarder 10, 63, 123, 124. Eichhörnchen 60. Eisfuchs 8, 107. 8 156, 167. Elen 167. Elephas primigenius 8. Eliomys dryas 67, 68. quercinus 67, 68. Equidae 130. Equus asinus 136. caballus 136. fossilis 137. Erdmaus, gemeine 80, 82. kurzohrige 79, 84. Erinaceidae 43. Erinaceus europaeus 52. Feldmaus, gemeine 80, 83. Feldſpitzmaus 49, 51, 52. Felidae 100. Felis catus 102. domesticus 102, 103. spelaca 9. Fiſchotter 10, 117. Fledermäuſe 28 Fledermaus, lg 30 frühfliegende 37, 40. gefranſte 38. gemeine 31, 38, 42. gewimperte 38. großohrige 31, 39. nordiſche 33, 38. rauharmige 37. ſpätfliegende 31, 38, 41. zweifarbige 38. Foetorius ſiehe Putorius. Frettchen 130. Fuchs 10, 99, 111. Gabelantilope 144. Gartenſchläfer 67, 68. Gemſe 10, 146. Geweihträger 144, 152. Giraffe 144. 171 Großfledermäuſe 28 ne 38 Gulo luscus 8. Bafermäuschen 78. Halbſohlengänger 18. Hamaus 80. Hamſter 71, 72. Hafe 10, 58, 87, 88. Haſelmaus 67, 69. Hafen 59, 86. Bausefel 136. Haushund 18, 27, 97, 109. Hauskatze 102, 103. Bausmarder 123, 124. Hausmaus 75, 76. Hauspferd 136. Hausratte 74, 75 Bausrind 150. Nausſchaf 151. Hausfichwein 142. Hausfpigmaus 49, 51, 52. Hausziege 151. Hermännchen 131. Dermelin 10, 123, 131. Dirihe 16, 152. Höhlenbär 9, 169. Höhlenlöwe 9. Hörnchen 60. Hohlhörner 145. Hornträger 144, 145. Bufeifennafe 31, 35, 36. große 36, 39. kleine 36, 39. Auftiere 13, 18, 134. Hunde 100, 106. Hyaena crocuta 8. Hyäne 8. Hypudaeus glareolus 79, 80. Ictis ſiehe Putorius. Igel 20, 43, 52. Iltis 10, 123, 127. Insectivora 42. Kaninden 88, 93. zahmes 96. Katze 18, 19, 22, 26. Katzen 100. Kerfjäger 42. 172 Alphabetiſches Sachregiſter. Hleinfledermäuſe 28. Hrebsotter 130. Krickelwild 147. Lemming 8. Leporidae 59, 86. Leporides 93. Lepus europaeus (vulgaris) 87, 88. — timidus (variabilis) 87, 92. Luchs 8, 10, 101, 105. Lutra lutra 117. Lynx Iynx 101, 105. Macrochiroptera 28. Mähnenſchaf 151. Mäuſe 59, 71. — echte 73. Mammut 8, 169. Marder 100, 115, 123. Marmotta marmotta 60, 65. Mauleſel 137. Maultier 137. Maulwurf 44. Meerſchweinchen 96. Meles taxus 117, 120. Mesaxonia 135. Microchiroptera 28. Microtus subterraneus 79, 84. Mollmaus 79, 80. Mopsfledermaus 37, 40. Moſchusochs 8, 9. Muflon 151. Mulle 43. Muridae 59, 71. Murinae 74. Murmeltier 10, 60, 65. Mus agrarius 75, 77. — decumanus 74, 75. „ mnutus 75, 78. — museulus 75, 76. „„ (A W9. — Silvaticus 75, 77. Muscardinus avellanarius 67, 69. Mustela 123. — fagorum (foina) 123, 124. artes 123 71242 Mustelidae 100, 115. Myodes lemmus 8. Myoxidae 60, 66. Myoxus glis 67, 68. Nagetiere 15, 56. Nashorn 8. Nichtwiederkäuer 139. Nonruminantia 139. Nörz 123, 130. Ohrenfledermaus 40. Oryctolagus cuniculus 88, 93. Ottermarder 130. Ottermink 130. Ottern 117. Ovibos moschatus 8. Ovis 150. Ovis aries 151. „„ Io. — musimon 151. — tragelaphus 151. Paarhufer 137. Paludicola 79. Paraxonia 137. Perissodactyla 135. Pferd 19, 27, 136. Pflanzenfreſſer 26. Plantigrada 18. Plecotus auritus 37, 40. Polarfuchs 107. Pseudaxis Sika 156. Putorius 123. mine 123, ol, l A30! — tree 123130: — nivalis 124, 131. — putorius 123, 127. Rangifer tarandus 8, 167. Ratten 74, 86. Rat 123, 12 Raubtiere 19, 96. i Reh 10, 138, 139, 156, 163. Rentier 8, 9, 156, 167. Reutmaus 80. Rhinoceros sichorhinus 8, 9. Rhinolophus ferrum- equinum 36, 39. — hipposideros (hippocrepis) 36, 39 Rieſenhirſch 9. Kind 22, 26, 150. Kinder 146, 148. Rodentia 56. Alphabetiſches Rötelmaus 79, 80. Ruminantia 142. Rupicapra rupicapra 146. Saanenziege 151. Saiga-Antilope 8. Saiga tatarica 8. Sau 140. Schärrmaus 80. Schaf 26, 150. Schafe 146, 150. Schakal 111. Schalenwild 135. Schelch 137, 169. Schläfer 66. Schmalflügler 30, 32. Schneehaſe 87, 92. Schneemaus 79, 82. Schwarzwild 10, 140. Schwein 20, 139. Schweineartige 139. Sciuridae 60. Sciurus vulgaris 60. Selenodonta 144. Semiplantigrada 18. Siebenſchläfer 67, 68. Sikahirſch 156. Silberfuchs 111. Sohlengänger 18, 98. Sorex vulgaris 49, 50. minutus (pygmaeus) 49, 51. Soricidae 48. Speckmaus, große 31, 37, 40. Spermophilus s. Citellus. Spitzengänger 18. Spitzmäuſe 48. Spitzmaus, gemeine 49, 50. Stachelſchwein 20. Steinbock 152. Steinfuchs 107. Steinmarder 123, 124. Steinwild 152. Sumpfotter 130. Suoidea 139. Sus scrofa 139. — domesticus 142. Synotus barbastellus 37, 40. Talpa europaea 44. Talpidae 42. Sachregiſter. Teichfledermaus 33, 39. Thooidea 107. Torfkuh 150. Unguiculata 21. Ungulata 21, 134. Unguligrada 18. Unpaarhufer 135. Ur 8, 149. Ursidae 100, 133. Ursus arctos 133. spelaeus 9. | Vespertilio 37. Vespertilio bechsteini 31, 39. ciliatus 38. dasycneme 33, 39. daubentoni 39, 42. ae (myotys) 31, 38, 39, 42. mystacinus 39. nattereri 38. Vesperugo 37. Vesperugo abramus (nathusii) 38. discolor 38. leisleri 37. nilssoni 33, 38. noctula 31, 37, 40. pipistrellus 31, 37, 41. serotinus 31, 38, 41. Vesperus 38. Vielfraß 8. Vison s. Putorius. Waldmaus 75, 77. Waldſpitzmaus 49, 50. Waldwühlmaus 79, 80. Wanderratte 74, 75, 86. Waſſerfledermaus, gemeine 39, 42. Waſſerratte 79, 80, 86. Waſſerſpitzmaus 49. Waſſerwieſel 123, 130. Wiederkäuer 26, 139, 142. Wieſel 10, 99. großes 123, 131. kleines 124, 131. Wildkatze 10, 102. Mildpferd 8, 157, 169. Wildrinder 148. Wildſchwein 138, 139. 174 Alphabetiſches Sachregiſter. Wimperfledermäuſe 33, 38. Sehengänger 18, 98. Wiſent 8, 148, 169. Siege 146, 150, 151. Wolf 10, 107. Sieſel 60, 64. Wühlmäuſe 58, 78. Swergfledermaus, gemeine 31, 37,41. Wühlmaus, unterirdiſche 79, ‚S4. L rauhhäutige 38. wWühlratte, nordiſche 79, 82. Swergmaus 75, 78. Wurzelmaus 84. Swergſpitzmaus 49, 51. ERWIN NAGELE . QUELLE & MEYER LEIPZIG Dr. E. Zerneckes Leitfaden für Aquarien- und Terrarienfreunde Für die zweite Auflage bearbeitet von Max Hesdörffer, Berlin Dritte vermehrte Auflage besorgt von E. E. Leonhardt Mit 2 Tafeln und 185 Abbildungen im Text. 1907. 455 Seiten. Broschiert M. 6.—, gebunden M. 7.— Daß bei der großen Verbreitung der Aquarien- und Terrarienliebhaberei der Mangel eines praktischen und auf der Höhe der Zeit stehenden Hand- budies längst fühlbar war, bewies die begeisterte Aufnahme und die große Verbreitung, welche die beiden ersten Auflagen von Dr. Zerneckes Leit- faden gefunden haben. Das Buch zeichnet sich vor allen anderen ähn- lichen Werken dadurdi aus, daß es in knapper und übersichtliher Form alles das bringt, was jedem Besitzer eines Süß- oder Seewasseraquariums und eines Terrariums zu wissen nötig ist, um ihn vor Verlusten zu be- wahren, indem es in allen Fragen zweckmäßigste und tatsächlich erprobte Anweisungen gibt. Wissenscaftlidi botanische oder zoologische Details sind soweit vermieden worden, als es für das Verständnis einer Erschei- nung nicht dringend nötig war. Die praktische Seite für die Behandlung der einzelnen Abschnitte ist in erster Linie maßgebend gewesen. Exkursionsbuch zum Studium der Vogelstimmen Praktische Anleitung zum Bestimmen der Vögel nach ihrem Gesange von Dr. Alwin Voigt 4, vermehrte und verbesserte Auflage. 1906. 312 Seiten. In biegsamem Leinenband M. 3.— Das vorliegende Buch soll den Naturfreund befähigen, aus dem Ge- sange auf die efiederten Sänger unserer Wälder und Fluren, die teils hoch in den Lüften, in den Wipfeln der Bäume, oder dem Dickicht und den Büschen ihr Lied erschallen lassen, ohne dem Lauscher zu Gesicht zu kommen zu schließen und ihn vertraut machen mit den charakteristischen Weisen des Vogelgesanges. Der Verfasser hat sich auf die bisher übliche Darstellungsweise nur im Notfalle beschränkt. Um schnell nachfolgen zu können, findet der Leser zu Anfang des Buches eine Übersicht der verbrei- teteren Vögel, geordnet nach der Zeit der Ankunft, am Schlusse aber eine 8Seiten umfassende Tabelle zur Bestimmung unserer Waldvögel nadı den Stimmen. Auf den systematischen Teil folgt ein Abschnitt „Rat- schläge für Anfänger“, dann ein „Führer zu ornithologischen Ausflügen“ und zum Schluß ein alphabetisches Sachregister. 22 22 Prospekte unentgeltlich und postfrei. Q 2 N Derlaa von Quelle & Meper in Leipzig die Abstammungslehre Eine gemeinverſtändliche Darſtellung und kritiſche Über- ſicht der verſchiedenen Theorien. Von Dr. P. G. Buekers. 8°. XIu. 554 S. mit zahlr. Abbild. Broſch. 44,40. In Grig.⸗Leinenb. 4 5. Ein ſolches Werk, das * dem Naturfreund in dem auf dieſem Gebiete herr— ſchenden Wirrwarr wi⸗ derſprechender Meinun⸗ gen und Theorienzurecht- helfen ſoll, entſpringt ei⸗ nem oft geäußerten Be— dürfnis. Von ſeinem Freund, Profeſſor de Dries, unterſtützt, führt der Verfaſſer den Leſer ein in die heute im Vor— dergrunde des Intereſſes ſtehende Kontroverfe: Suchtwahl und Muta⸗ tion, und gibt an Hand zahlreicher Beiſpiele aus Tier- und Pflanzenwelt eine feſſelnde Darftellung vom heutigen Stande Pterodactylus ſpectabilis aus Buekers. der Evolutions- und Deſzendenztheorie. Aus dem Inhalt: Geſchichtliches. — Fortpflanzung. — Syſtematik. — Variabilität. — Sweckmäßigkeit und Anpaſſung. — Natürliche und künſtliche Sudtwahl. — Unzweckmäßigkeiten. — Die ſexuelle Huchtwahl. — Die korrelativen Variationen. — Die Nägeliſche Dervollfommnunastheorie. — Die Beſeelungslehre. — Die Germinal- ſelektion. — Kritik der Adoptionstheorie. — Die geſchlechtliche Der- mehrung und das Sterben vor Alter. — Beſchränkte Wirkung der Selektion. — Die Mutationstheorie. — Selektion und Mutation. — Ein Blick auf die Entwicklungsgeſchichte der lebenden Natur. Proſpekte koſtenlos und poſtfrei 1 * verlag von Quelle & meyer in Leipzig | Datupwissenschaftliche Bibliothek für Jugend und Volk Herausgegeben von Konrad Höller und Georg Ulmer.“ Reich illuſtrierte Bändchen im Umfange von 140 bis 200 Seiten. Dieſe Sammlung wendet ſich in bewußter Einfachheit an einen Leſerkreis, der klaren Auges und warmen Herzens Nahrung ſucht für ſeinen Wiſſensdrang und eingeführt werden will in ein ihm bis dahin entweder ganz verſchloſſen gebliebenes oder nur wenig bekanntes Land. Jeder Band behandelt ein in ſich abgeſchloſſenes Gebiet dem Stande der Wiſſenſchaft entſprechend aus der Feder eines berufenen Fachmannes. Die Sprache ift dem Derftändnis der reiferen Jugend und des Mannes aus dem Dolfe angepaßt klar, deutlich und ſchlicht. Fremdwörter und wiſſenſchaftliche Ausdrücke ſind vermieden. Beſonderes Gewicht wird darauf gelegt, den Leſer anzuregen, ſelbſtändig zu beobachten und zu, experimentieren. Die Illuſtrierung iſt reichhaltig, die Ausſtattung vor⸗ nehm und gediegen. So dürfte die naturwiſſenſchaftliche Bibliothek bald zu dem bevorzugteſten Geſchenkwerk gehören und ſollte in keiner Volks⸗ und Schulbibliothek fehlen. Bisher erſchienen: Das Aquarium. von C. Beller. 168 Seiten mit zahlreichen Abbildungen. In Griginalleinenband Mark 1.80 Das Bändchen iſt nicht nur ein unentbehrlicher Ratgeber für jeden Aquarienfreund, ſondern es macht ſeine Leſer vor allem mit den intereſſanteſten Vorgängen aus dem Leben im Waſſer bekannt. Die Beſchreibung der Tiere und Pflanzen iſt möglichſt kurz gehalten, es ſind immer nur die notwendigſten Merkmale angegeben. Auch iſt mit Abſicht keine ſpſtematiſche Einteilung der Aufzählung der Pflanzen und Tiere zugrunde gelegt. Sie find aneinandergereiht hauptſächlich nach Sweckmäßigkeitsgründen. Dabei iſt, ſoweit es angängig war, ihre ſyſtematiſche Sufammengehörigfeit berückſichtigt worden. Ein breiter Raum iſt der techniſchen Seite des Aquarienbetriebs eingeräumt und beſonders Wert darauf gelegt, einfache Einrichtungen zu beſchreiben und ſo zur Selbſtanfertigung anzuregen. Eine Sache gewährt immer eine dauernde de, wenn man ſie mit eigner Kraft geſchaffen hat, ſtatt ſie für Gele zu erſtehen. Dabei iſt auch ſtets Rückſicht darauf genommen, den Betrieb fo billig wie möglich zu ge— ſtalten, damit nicht der Geldpunkt als Hinderungsgrund auftreten kann. Proſpekte unentgeltlich und pojtfrei 176 S. mit zahlr. Abb. u. Taf. In Origimalleinenbb. a. a i - Derfaffer führt uns durch die Kiefernwälder des Oſtens, die Auen⸗ wälder der Elbniederung, durch den Spreewald, durch die Eichen Tannen- und Fichtenwälder unſeres Mittelgebirges, durch die urwelt⸗ 3 artigen Beſtände im Norden und Süden des Gebietes, ſelbſt bis in unſere - Kolonien und lernen Weſen und Wert des deutſchen Waldes verſtehen, ſeine Eigenart lieben und die Mannigfaltigkeit der Erſcheinungen beobachten. Überall iſt auf die Beziehung des Waldes zum Menſchen das Hauptgewicht gelegt. Wir werden in die Tätigkeit des Forſtamtes eingeweiht, ſehen den Köhler bei der Arbeit, wohnen dem Fällen, dem Transporte und der Verarbeitung der Bäume bei, bis uns ein Rundgang im Mannheimer Hafen die Bedeutung des deutſchen Ba zeigt £ Ds ee Don Dr. P. Krefft. 146 Seiler mit 3: zahlreichen Abbildungen. In Originalleinenband. AT. 1.80 Die Beobachtung des Tierlebens bildet eine unerſchöpfliche Quelle u ftilfer Freuden für jeden echten Naturfreund. Sie ift ihm eine will. kommene Erholung nach des Tages Saft und Mühen; fein B.. ſtreben wird alſo darauf gerichtet ſein, ſie ſich Tag für Tag ver- ſchaffen zu können. Hierzu dient das Terrarium. Um aber dauernd ſeine Freude an ſeinen kaltblütigen Pfleglingen haben zu können, bedarf es einer mehr als oberflächlichen Kenntnis ihrer Lebens⸗ gewohnheiten. Dieſe zu vermitteln iſt die Aufgabe unſeres Buches, das) uns eine Anleitung gibt für die Anlage und Einkichkung der - Behälter und der Pflege ihrer Inſaſſen. ei: Aus Deutichlands Urzeit. von G. Schw el 180 Seiten mit zahlr. Abb. In Originalleinenband Mark 1 80 =; Wie eine ſpannende Erzählung lieſt fich dies Buch, das uns unter BE - Derwertung der neueſten prähiftorifchen und anthropologiſchen Seh ſchung und unter Berückſichtigung der bisherigen Funde in leben # vollen Bildern die gewaltige Entwicklung vorführt, die unſere Dor- | fahren durchlaufen haben von dem erſten Auftreten des Menſchen in Europa überhaupt bis zum Eindringen römiſcher Kultur in Deutſchland. Wir lernen die Kulturen der Stein⸗, Kupfer⸗, Bronze 2% und Eiſenzeit kennen, durchwandern Jahrtanfende und fehen wie fih allmählich der Kelte und Germane aus einem unftäten Jäger zum ſeßhaften Aderbaner entwickelt. Die Darftellung hält ſich frei von allen unreifen Hypothefen und bietet nur das, was mit enge er von der nr erkannt ift. RE c t ENREIEEE ER ZRFEEEN T Einzeldarſtellungen aus allen Gebieten des Wiſſens Herausgegeben von Privatdozent Dr. Paul Herre Im Umfange von 130-180 Seiten Geh AM. Griginalleinenbd. 1.25 M. Die Sammlung bringt aus der Feder unſerer be⸗ rufenſten Gelehrten in anregender Darſtellung und ſrſtematiſcher Vollſtändigkeit die Ergebniſſe wiſſenſchaft⸗ licher Forſchung aus allen Wiſſensgebieten. 8 8 Sie will den Leſer ſchnell und mühelos, ohne Fach⸗ kKkenntniſſe vorauszuſetzen, in das Verſtändnis aktueller wiſſenſchaftlicher Fragen einführen, ihn in ſtändiger Fühlung mit den Fortſchritten der Wiſſenſchaft halten und ihm ſo ermöglichen, ſeinen Bildungskreis zu er⸗ weitern, vorhandene Kenntniſſe zu vertiefen, ſowie neue Anregungen für die berufliche Tätigkeit zu gewinnen. Die Sammlung „Wiſſenſch aft und Bildung“ will nicht nur dem Laien eine belehrende und unterhaltende Lektüre, dem Fachmann eine bequeme Suſammenfaſſung, ſondern auch dem Gelehrten ein geeignetes Orien⸗ tierungsmittel ſein, der gern zu einer gemein⸗ verſtändlichen Darftellung greift, um fih in Kürze über ein ſeiner Forſchung ferner liegendes Gebiet zu unterrichten. s Ein planmäßiger Ausbau der Sammlung wird durch den Herausgeber gewährleiſtet. & Abbildungen werden den in ſich abgeſchloſſenen und einzeln käuflichen Bändchen nach Bedarf in ſorg⸗ fältiger Auswahl beigegeben. 5 W die bisher erſchienenen Bändchen vergleiche Wittenfehaft und Bildung ERWIN NAdELE. QUELLE] & MEYER“ LEIPZIG AUS DER NATUR Zeitschrift für alle Naturfreunde Unter Mitwirkung von Prof. Dr. R. BRAUNS-Bonn, Prof. Dr. F. G. KOHL-Marburg, Prof. Dr. E. KOKEN-Straßburg, Prof. Dr. A. LANG-Zürich, Prof. Dr. LASSAR- -COHN-Königsberg, Prof. Dr. C. MEZ-Halle, Prof. Dr. PFURTSCHELLER-Wien, Prof. Dr. K. SAPPER-Tübingen, Prof. Dr. H. SCHINZ-Zürih, | Prof. Dr. OTTO SCHMEIL-Wiesbaden, Prof. Dr. STANDFUSS- Zürich, Prof. Dr. G. TORNIER-Charlottenburg herausgegeben von Dr: W. Schoenichen Monatlich 2 Hefte zu je 32 Seiten, mit zahlreichen Textbildern und mehr- farbigen oder schwarzen Tafeln. — Halbjährlich (12 Hefte) Mark 4.— Für den geringen Preis leistet „Aus der Natur“ wirklich Hervorragendes. Sie berücksichtigt alle Gebiete der Natur- wissenschaften mit Aufsätzen aus der Feder unserer best bekannten Gelehrten. Eine besondere Aufmerksamkeit wird erfreulicherweise den biologischen Fächern geschenkt. Mit dem gediegenen Inhalt verbindet die Zeitschrift ein vornehmes Äußere. Sie ist äußerst reichhaltig illustriert. So machen Aus- stattung und Inhalt „Aus der Natur“ zu einer auf das wärmste zu empfehlenden Zeitschrift. Bresl. Akad. Mitteil. 1906, Nr. 10. Eine Zeitschrift wie die uns vorliegende gehört in jede Lehrerbibliothek, sei dieselbe groß oder klein. Vor allem kann diese schöne, durchaus moderne Zeitschrift aber auch allen Naturfreunden, Zoologen, Botanikern und Mineralogen sowie | wissenschaftlichen Vereinigungen auf das angelegentlichste em- pfohlen werden. Wir sehen dem Erscheinen weiterer Hefte mit Er lebhaftestem Interesse entgegen. Chr. Sch. (Bayr. Lehrerztg. 1905, Nr. 20) Idi kenne keine andere Zeitschrift, welche bei aller Wissenschaftlichkeit und Gründlichkeit den wahrhaft volks- tümlichen Ton so zu treffen weiß, welche sich — trotz Anserer Zeit — vor spekulativen Naturbetraditungen so zu worsteht, welche zudem so prächtig und reichhaltig Tafeln!) ausgestattet, in Umschlag, Papier und Druck u ausgerüstet ist, wie gerade diese, von der ici kann, daB sie namentlich in Lehrerkreisen recht ung finden möchte. Barfod. >heft unentgeltlich und postfrei. (Die Heimat 1907, Nr. 1) 928288 elsichtung und Be von J. B 172 5. = mit zahlreichen Abbildungen. In Griginalleinenband M 80 Während bis ins 19. Jahrhundert Kienjpan, Gllampen und Kerze die einzigen Lichtſpender waren, Kamin und gemauerter Herd einzig als Heizanlagen in Betracht kamen, hat die Neuzeit eine Fülle der verſchiedenſten Beleuchtungskörper, eine Menge von vor— züglichen Koch⸗ und Heizapparaten hervorgebracht, an denen der Menſch der Jetztzeit nicht achtlos vorübergehen, die er nicht als etwas Sauberhaftes ihm Unverſtändliches betrachten darf. Ihre Bekanntſchaft will dieſes Buch vermitteln und den Leſer vertraut machen mit den chemiſchen und phyſikaliſchen Vorgängen], worauf moderne Heizung und Beleuchtung beruhen. Sie ſind deswegen eingehend betrachtet. Im Anſchluß daran werden die verſchiedenen Errungenſchaften der Technik vorgeführt, wobei die Koſtenfrage ſtets berückſichtigt iſt, um ſo ein Bild über die Wirtſchaftlichkeit der ein⸗ zelnen Anlagen zu gewinnen. Der aufmerkſame Leſer wird aber durch all das Neue und Anxegende in den Stand geſetzt, vorhandene Anlagen zu verbeſſern und wirtſchaftlicher zu hehandeln und bei Neuanſchaffungen das für ihn Paffende auszuwählen. Möge das Büchlein vor allem dazu beitragen, Beleuchtung und Heizung im Haushalt dadurch zu beſſern, daß alte Gewohnheitsſünden abgelegt werden, die Bedienung der Anlagen nicht rein mechaniſch, ſondern mit Bedacht und Sorgfalt den geltenden Grundſätzen gemäß erfolgt. F. Gansberg: Aus der Urgelchichte der Menſchen. Wanderungen durch Heimat und Wildnis, der Jugend erzählt. 112 Seiten mit zahlr. Abb. v. A. Skt ammer. In Origbd. geb. M. 1.25. Ein neues Experiment Gansbergs und zwar das originellſte, das je ein Reformator verſucht hat, und das gleich beim erſten Wurf glückte ... Das Buch iſt Kindern zur Erbauung und Erwachſenen zum Studium vollendeter Erzählerkunſt beſtens empfohlen. Schulblatt d. Prov. Sachſen 1908, Nr. 1. Das Büchlein iſt das Werk eines Schulmeiſters von Gottes Gnaden, in dem aber auch ein Dichter, zum mindeſten ein Geſtalter ſteckt. Huber, Bayer. Lehrerzeitung 42. Jahrg. Nr. 18. Der geheimnisvolle Zauber der Urgeſchichte hat ſchon wiederholt zur künſtleriſchen Geſtaltung geneigt — ich geſtehe, daß ich mit dieſem Büchlein zum erſten Mal befriedigt bin ... Gansberg hat ſich ſchon als feiner Derfteher der Jugend dokumentiert, hier geſchieht es wieder, und man darf ihm und ſeinem Buche dazu Glück wünſchen. Citerariſcher Handweiſer. Nr. 7/8 1908. Proſpekte unentgeltlich und poſtfrei — — — N Reset \ x i e eee EEE SMITHSONIAN INSTITUTION LIBRARIES 3 9083 00359539 4 nhmamm. QL728.G3H39 Die S?augetiere Deutschlands ;! 7 2 — tee BR