a Ta > Bi Sr dm Harn Yr14lo 5% Ag: R Allanthugen der schweizerischen palüontologischen Gesellschaft. Vol. XLI. 1916. —imIg2— Die Säugetiere des schweizerischen Bocaens. Critischer Catalog der Materialien von H. 6. Stehlin. Sıebenter Teil, zweite Hälfte: Caenopithecus — Necrolemur-Microchoerus — Nannopithex — Anchomomys — Periconodon — Amphichiromys — Heterochiromys — Nachträge zu Adapis — Schlussbetrachtungen zu den Primaten. Mit 2 Tafeln und 82 Figuren im Text. — — — — ee I - / FSU E77 ° Zürich Druck von Zürcher & Furrer 1916 Abhandlungen der schweizerischen paläontologischen Gesellschaft. Vol? xbl: 4916. Die Saugeliere des schweizerischen Kocaens, Critischer Catalog der Materialien von H. G. Stehlin. Siebenter Teil, zweite Hältfte : Caenopithecus — Necrolemur-Microchoerus — Nannopithex — Anchomomys — Periconodon — Amphichiromys — Heterochiromys — Nachträge zu Adapis — Schlussbetrachtungen zu den Primaten. Mit 2 Tafeln und 82 Figuren im Text. >D— Zap SSL [77 132 LE Nr ZUEIN 9167 Zürich x JUNI5 1927 w ManTe Zürcher por WV Druck von Zürcher und Furrer ATonar musst 1916 ON ITHSONIAN INSTITUTIO SM wra Phylogenetische Stellung von Caenopithecus. 1317 Phylogenetische Stellung des Genus Caenopithecus. Caenopithecus lemuroides ist vorderhand der einzige Vertreter seines Genus!) und nur in Egerkingen nachgewiesen. Die im vorigen Abschnitt hervorgehobenen Eigenthümlichkeiten seines Praemolar- und Vordergebisses lehren, dass sein Verhältnis zu Adapis kein sehr nahes sein kann; wir müssen zweifellos vom Lutetien eine geraume Strecke rück- wärts gehen, um auf einen Caenopithecusahnen zu treffen, der seinen Gebiss- characteren nach zugleich auch in die Ascendenz des letzteren Genus gehören kann. Immerhin scheinen die auffälligen Analogien, welche zwischen den beiden Genera im Bau der Molaren und des Schädels, vielleicht auch der Maxillarcaninen, bestehen, darauf hinzuweisen, dass wir uns die Verwandtschaftsbeziehungen der- selben nicht weitläufiger vorzustellen brauchen, als jene Differenzen erfordern. Von den im folgenden noch zu besprechenden Genera des europäischen Mittel- und Obereocaens könnte, nach dem Gebiss zu urtheilen, das leider gegen- wärtig nur unvollkommen characterisierbare Genus Anchomomys allenfalls noch etwas näher mit Caenopithecus zusammenhängen als Adapis. Wenigstens verhält es sich in der Praemolarformel, die um ein Element verkürzt ist und ın der Aus- bildung des obern P, weniger gegensätzlich. Allein die Anhaltspunkte sind zu spärlich, um hierüber ein einigermassen sicheres Urtheil zu gestatten. Alle übrigen mittel- und obereocaenen Formen Europas, voran die Necro- lemuriden, weisen odontologische Differenzierungen auf, welche sie weiter von Caenopithecus abrücken als Adapis. Von den Stämmen des europäischen Untereocaens ist jedenfalls Plesia- dapis nicht in nähere Verbindung mit Caenopithecus zu bringen. Die Reduction !) Gaenopithecus pygmaeus Rütimeyer von Egerkingen ist zweifellos generisch verschieden S, unten Anchomomys pygmaeus, Ines 1318 Stehlin, Eocaene Säugetiere. der Antemolarenformel ist hier schon im Untereocaen weitergediehen als bei Caeno- pithecus, die Praemolaren sind anders ausgebildet und die Vorderzähne haben eine Entwicklungsrichtung eingeschlagen, welche diesem offenbar durchaus fremd ist. Wir werden unten bei dringenderem Anlass näher auf diesen Theil der Organisation des merkwürdigen Genus eingehen. Hier sei nur hervorgehoben, dass auch die Structur seines Molargebisses, welche nach Rütimeyer wenigstens im Unterkiefer sehr nahe mit der von Caenopithecus übereinstimmen soll, gewichtige Abweichungen zeigt. Bei flüchtiger Betrachtung scheint die Übereinstimmung der Mandibular- molaren der beiden Genera allerdings gross; abgesehen von der Analogie des Grundplanes sind bei beiden im Vorderlobus zwei Innenhügel vorhanden; ausser- dem zeichnen sich die Plesiadapismolaren durch Schmelzfältelungen aus, welche sehr an diejenigen erinnern, die an den von Rütimeyer untersuchten Caenopitheeus- molaren zufälligerweise ungewöhnlich stark hervortreten. Allein eine genaue Prüfung lehrt sofort, dass die beiden vordern Innenhügel von Caenopithecus denen von Plesiadapis nicht homolog sind. ') Bei jenem handelt es sich, wie wir gesehen haben, um die innere Trigonidspitze (das „Metaconid‘“) und eine secundär entwickelte Hinterzacke derselben (das „Mesostylid“) — wie bei Plagiolophus oder Equus; bei a Figur CCCIN. Untere a - n E k t j Molaren von der Innenseite die innere Trigonidspitze — wie bei Anoplotherium, Das diesem um die vordere Trigonidspitze (das „Paraconid“)und gesehen, vergrössert. a von vordere. Element von Caenopithecus entspricht dem Plesiadapis, b von Gaeno- Düheeus hintern von Plesiadapis; das hintere Element von Caeno- pitheeus fehlt bei Plesiadapis, das vordere von Plesiadapis ist bei Caenopithecus bis zur Unkemntlichkeit verkümmert. Eine ähnlich trügerische Übereinstimmung besteht auch zwischen den Maxillarmolaren der beiden Genera.°) In der Ausbildung der Aussenwand, des vordern Zwischenhügels, des grossen Innenhügels, des Trigonumtrichters zeigen sie eine auffällige Übereinstimmung. Während indessen der hintere Innenhügel sich bei Caenopithecus deutlich als Derivat des Cingulums zu erkennen giebt, hängt er bei Plesiadapis aufs innigste mit dem vordern Innenhügel zusammen, aus dem er offenbar auch hervorgegangen ist. Somit zeugt auch die Molarstructur gegen eine nähere Verwandtschaft der beiden Genera. ')S. ausser Figur GCCII auch Figur GECLVI. 2)S. Figur GCCLV. Phylogenetische Stellung von Caenopithecus. 1319 Weit näher läge es, eine solche zwischen Caenopithecus und dem allerdings erst der Mandibel nach bekannten Genus Protadapis (p. 1232 ff.) zu vermuthen, da sich bei diesem die Ausbildung des Antemolargebisses in auffällig analoger Bahn bewegt (Wegfall von P,; Einwurzligkeit des P, bei Protadapis brachyrhynchus; sehr ähnliche Structur des P,; steile Einpflanzung des Caninen; sehr beengter Raum für Ineisiven). Allein einige Abweichungen lassen erwarten, dass sich die Divergenz bei vollständigerer Documentation doch als stärker erweisen werde, als sie auf den ersten Blick zu sein scheint. Der Mandibularcanin von Protadapis ist bedeutend stärker und weniger senkrecht eingepflanzt als der von Caenopithecus; nach seiner lateral compressen und etwas gebogenen Wurzel zu schliessen dürfte er auch eine ziemlich abweichend gestaltete Krone besessen haben. Die Symphyse ist noch bei Protadapis brachyrhynchus, der jedenfalls einem jüngern Horizonte als Caenopithecus lemuroides angehört, unverwachsen. Die Tendenz am vorderen Innen- hügel der Mandibularmolaren eine Hinterzacke zu entwickeln scheint dem Genus Protadapis fremd zu sein, da die eben genannte späte Mutation desselben noch keine Spur dieser Complication zeigt. Endlich steht Protadapis in Bezug auf das Verhalten der vordern Trigonidspitze der Mandibularmolaren zu Caenopithecus in demselben Gegensatz wie zu Adapis (p. 1283). Jedenfalls haben wir es also in Protadapis mit einem von Caenopithecus mehr oder weniger divergierenden Stamm und nicht etwa mit der untereocaenen Wurzel desselben zu thun. Im americanischen Eocaen glaubte Rütimeyer in Pelycodus, der primi- tivsten Entwicklungsphase der Notharctiden, eine besonders nahe Parallele zu Caenopithecus gefunden zu haben. Bei genauerem Zusehen beschränkt sich die Ähnlichkeit jedoch auf die Struetur der P, und P,. Im Antemolarenbestand zeigt Pelycodus dieselben Abweichungen von Caenopithecus wie Adapis, in der Molar- structur dieselben wie Plesiadapis.') Näher als mit Adapis hängt also Caeno- pithecus mit Pelycodus und den Notharctiden schwerlich zusammen. Seine Bezahnung weist überhaupt nicht auf ein näheres Verhältnis zu denselben hin. Sollte gleich- wohl ein solches bestehen, so müsste es in den Schädel- und Skeletmerkmalen zum Ausdruck kommen Was die Structur der Maxillarmolaren anbelangt, so liefern uns die Mixo- dectiden Olbodotes und Indrodon aus der Torrejonstufe das nächste ameri- 1) S. oben p. 1288 und unten das Capitel „Nachträgliche Bemerkung über das Verhältniss von Adapis zu den Notharetiden‘, 1320 Stehlin, Eocaene Säugetiere. eanische Analogon zu Caenopithecus.!) Allein diese Analogie ist offenbar nicht als Anzeichen einer nähern Verwandtschaft zu betrachten, denn die übrige Be- zahnung der genannten Formen zeigt keine Caenopithecusanklänge und das Vorder- gebiss derselben, mit seinem verstärkten Ineisivenpaar, erweist sich als fundamental abweichend differenziert. Neuerdings sind übrigens die americanischen Forscher geneigt, die Mixodecetiden überhaupt nicht mehr zu den Primaten, sondern zu den Insectivoren zu rechnen. °) Unter den unzweifelhaften Primaten des americanischen Eocaens lassen sich — in odontologischer Beziehung — viel eher als Pelycodus die allem Anschein nach nahe mit einander zusammenhängenden Genera Washakius”) aus der Bridger- formation und Shoshonius*) aus der Windriverformation mit Caenopithecus ver- gleichen. Beide haben blos noch drei Praemolaren, beide gewinnen den hinteren Innenhügel der Maxillarmolaren aus dem Cingulum und besitzen am vordern Innen- hügel der Mandibularmolaren eine Hinterzacke (Mesostylid) wie das europäische Genus. Bei Shoshonius entwickeln die Maxillarmolaren überdiess wie bei diesem ein Mesostyl. Allein in andern Beziehungen bestehen doch wieder namhafte Ab- weichungen, welche es zweifelhaft erscheinen lassen, ob diese Tierchen, die blos Necrolemurdimensionen erreichen, nähere Verwandte von Caenopithecus sind als Adapis. Das Vordergebiss — vorderhand nur an der Mandibel von Washakius nachgewiesen — besitzt zwei, wie es scheint nicht übermässig kleine, ITneisiven. Die Maxillarmolaren sind sehr stark in die Quere gezogen, haben einen deutlichen hintern Zwischenhügel, einen ungewöhnlich dominierenden vordern und einen nur sehr schwachen hintern Innenhügel. Die vordere Trigonidspitze der Mandibular- molaren ist wohlentwickelt. Die P, zeigen oben und unten eine progressive P,- ähnliche Structur und die P, sind nur mässig reduciert. Die Schmelzfältelung der Molaren ist bedeutend üppiger als bei dem europäischen Genus. )Man vergleiche Figur 29a, 33 und 34 bei Osborn, American Eocene Primates, Bull. Am. Mus. Nat. Hist. XVI, 1902. -— Nach Matthew ist das Genus Olbodotes zu Gunsten von Mixodectes ein- zuziehen. W. D. Matthew and W. Granger, A Revision of the Lower Eocene Wasatch and Windriver Faunas IV, ibid. NXXIV, 1915, p. 467. °) Wir werden unten bei anderm Anlass noch einlässlicher auf diese Formen zu sprechen. kommen. °)J. L. Wortman, Studies on Eocene Mammalia in the Marsh Collection. Part. II, Primates p. 244, Am. Journ. of. Sc. XVII, 1904. — Matthew in Matthew and Granger 1915 1. c. 453. *)W. Granger, Tertiary faunal horizons in the Wind River Bassin. Bull. Am. Mus. Nat. Hist, XXVIII 1910, p. 249. — Matthew 1. e., p. 454. 4 j \ 1 | f g 3 ; ee Phylogenetische Stellung von Gaenopitheceus. 1321 An den übrigen bis jetzt bekannten Primaten des americanischen Eocaens weist nichts darauf hin, dass sie nähere Beziehungen zu Caenopithecus als Was- hakius und Shoshonius haben könnten. Was beim gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse über die Stellung von Caenopithecus zur recenten Primatenwelt zu sagen ist, lässt sich in wenige Worte zusammenfassen. Die von Rütimeyer (1862) für die Maxillarmolaren, von Forsyth Major (1872) für die Mandibularmolaren desselben hervorgehobene structurelle Analogie mit Mycetes ist unleugbar ') und erstreckt sich auch auf die Praemolaren. Gleich- wohl ist angesichts der Reduction der Antemolarformel und der P, von Caeno- pithecus an einen directen Zusammenhang der beiden Genera gar nicht zu denken. Unter solehen Umständen bleibt aber die Frage, ob jene Analogie überhaupt als Anzeichen einer nähern Verwandtschaft interpretiert werden darf, besser so lange offen, bis die Palaeontologie einiges Licht auf die tertiaere Vergangenheit von Mycetes geworfen haben wird. Die nämliche Reduction des Antemolargebisses schliesst Caenopithecus aus der Ascendenz aller übrigen Affen aus — die ohnehin’ keine besondern An- klänge an ihn aufweisen — sowie auch aus derjenigen aller Lemuriden und Nyeticebiden, die ihm übrigens in der Molarstructur durchweg ferner stehen als Mycetes. Auch das Genus Öhiromys — dem ich aus Gründen, die sich in einem spätern Abschnitt dieser Arbeit ergeben werden, im System der recenten Primaten eine isoliertere Stellung als üblich ist, anweisen möchte — ist bestimmt nicht von einem eocaenen Vorläufer mit starken Maxillarcaninen, verwachsener Symphyse ete. etc. abzuleiten. Der einzige recente Primate, welcher eine Caenopithecus-artige Zahnformel besitzt, ist, wie wir oben schon festgestellt haben, Tarsius. Dass seine eocaenen Vorfahren zu Caenopithecus in einem nahen Verwandtschaftsverhältniss gestanden haben müssen, ist deswegen keineswegs gesagt. Jedenfalls kann auch von einer direeten Beziehung zwischen Caenopithecus und Tarsius keine Rede sein. Dagegen spricht schon der zu Gunsten der Eocaenform bestehende namhafte Grössen- unterschied, ferner das Vorhandensein von Differenzierungsmerkmalen, welche Tarsius abgeben, bei Caenopithecus (Mesostyl und hinterer Innenhügel an den ') Immerhin ist zu erinnern, dass den Mandibularmolaren von Mycetes ein für Caenopithecus eharacteristisches Differenzierungsmerkmal, die Hinterzacke am vordern Innenhügel, abgeht. + en Ba Er iR: ß R ® £ 1323 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Isa Maxillarmolaren; Hinterzacke am vordern Innenhügel der Mandibularmolaren un Necrolemur. 1323 Einleitende Bemerkungen zum Genus Necrolemur. Flower und Lydekker sowie Leche haben das Genus Necrolemur (Filhol 1873) zu Gunsten von Microchoerus (Wood 1846) eingezogen, während Schlosser die Berechtigung dieses Vorgehens bestreitet und auch Zittel, Forster-Cooper und Deperet die beiden Genera auseinander halten. Mein persönlicher Eindruck geht dahin, man könne sich ungefähr mit gleichviel Recht im einen wie im andern Sinn entscheiden. Es sind Differenzen vorhanden, aber sie greifen nicht so tief, dass eine generische Trennung unbedingt geboten erscheint. Wären die Formen noch unbenannt oder wäre der Filhol’sche Genusname der ältere, so würde ich vor- ziehen die Scheidelinie ungezogen zu lassen. Da es mir aber widerstrebt eine so viel genannte Bezeichnung wie Necrolemur zu unterdrücken, habe ich mich schliesslich für den Vorschlag von Schlosser entschieden. Auf die Differenzen, mit welchen sich die generische Trennung motivieren lässt, werden wir unten bei Mierochoerus zu sprechen kommen. Die grosse Hauptmasse des gegenwärtig in den Sammlungen liegenden Necrolemuridenmaterials stammt aus den Phosphoriten des Quercy. Es sind aus diesem Gebilde bis jetzt vier Necrolemurarten signalisiert worden. Davon scheiden aber zwei, Necrolemur Edwardsi Filhol und Necrolemur parvulus Filhol aus dem Genus aus. Der erstere ist ein Microchoerus, der letztere repräsentiert, wie wir unten sehen werden, ein neues Genus (Pseudoloris). Es bleiben somit von den vier Arten blos Necrolemur antiquus Filhol und Necrolemur Zitteli Schlosser übrig. Von dem letztern, sowie von Necrolemur Filholi Gaillard et Chantre aus dem Bohnerzgebilde von Lissieu wird anlässlich der Besprechung der Necrolemurreste von Egerkingen die Rede sein. Hier befassen wir uns also vorerst nur mit der Typusspecies des Genus, Necrolemur antiquus Filhol, die auch weitaus am reichlichsten belegt ist. 4 1394 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Filhol hat das Genus und die Species zunächst in einer Mitteilung an die Academie des sciences vom 10. November 1873 signalisiert.!) 1874 liess er eine einlässliche mit Abbildungen versehene Beschreibung folgen), die dann nahezu unverändert in sein Hauptwerk über die Phosphoritfauna übergegangen ist.°®) Das Typusfundstück, ein durch Quetschung ziemlich stark entstellter, hinten und vorn beschädigter Schädel, den auch Gervais*) studiert und abgebildet hat, vermittelte eine ungefähre Vorstellung der Schädelform, gab aber nur sehr mangelhaften Auf- schluss über das Gebiss, da die Mandibeln in situ erhalten waren und nicht los- getrennt wurden. Filhol°), Schlosser‘), Flower und Lydekker”), Leche*), Grandidier °) haben dann nach neuen Fundstücken die odontologische und craniologische Characteristik der Species vervollständigt und neuerdings hat Schlosser !") inter- essante Mitteilungen über eine Tibia gemacht, die wahrscheinlich auf Necrolemur antiquus zu beziehen ist. !') !)H. Filhol, Sur un nouveau Lemurien fossile, r&eemment deeouvert dans les gisements de phosphate de chaux du Querey. C. r. Acad. des sc. T. LXXVI, 1873, p. 1111. Abgedruckt in Gervais’ Journal de Zoologie T. II, p. 476. B ®)H. Filhol, Nouvelles observations sur les mammiferes des gisements de phosphates de chaux. Lemuriens et Pachylemuriens. — Bibliotheque de l’&cole des hautes etudes. Se. nat. T. IX, 1874, Pl. X, Fig. 1—5. °®)H. Filhol, Recherches sur les phosphorites du Quercey 1877, Fig. 213—217. *)P. Gervais, Zoologie et Pal&ontologie generales II, 1876, p. 32, Pl. VIII, Fig. 1—1a. °)H. Filhol, Caracteres de la dentition inferieure des Lemuriens fossiles appartenant au genre Necrolemur. Bull. Soc, philom. 18S2—1883, p. 13—14. — idem, Observations relatives au memoire de M. CGope intitule: „Helation des horizons renfermant des debris d’animaux vertebres fossiles en Europe et en Amerique“. Annales des sc. geol. XIV, 1883. — idem, Observations relatives au mode constitution des pr&@molaires et des molaires des L@muriens fossiles äppartenant au genre Necrolemur. Bull. soc. philom. 1885, p. 5l. — idem, Observations sur le m&moire de M. Cope intitule: Relations ete. Annales des sec. geol. XVII, 1885, Pl. VI, Fig. 1—4 (Zweiter Schädel und Oberkieferbezahnung). 6)M. Schlosser, Die Affen, Lemuren ete. I, 1887. \ ”)W. H. Flower and R. Lydekker, An Introduction to the Study of Mammals ete. 1891, p. 697, Fig. 332a (obere M;—P;). °)W. Leche, Untersuchungen über das Zahnsystem lebender und fossiler Haibaffen. Fest- schrift für Carl Gegenbaur 1896. °)G. Grandidier, Recherches sur les Lömuriens disparus ete. Nouvelles archives du Museum (4) VII, 1905. - 10)M. Schlosser, Beitrag zur Osteologie und systematischen Stellung der Gattung Neerolemur ete. Neues Jahrbuch für Mineralogie ete. Festband 1907, T. X, Fig. 3, 5. '!) Die vorliegende Arbeit war nahezu ‘druckfertig und speeiell der Abschnitt über die Necro- lemuriden schon seit fast zwei Jahren geschrieben, als Herr Dr. W. K. Gregory die Güte hatte mir zwei Studien betitelt „On the relationship of the Eocane Lemur Notharetus to the Adapidae and to other Primates“ und „On the classification and phylogeny of the Lemuroidea* im Manuseript mitzutheilen. Da sich die Untersuchungen Herrn Gregory’s auf Schritt und Tritt mit den meinigen Neerolemur, Zahnformel. 1325 Unter den Quercymaterialien der Basler Sammlung befindet sich eine be- trächtliche Zahl von Necrolemurresten, welche sich in den Dimensionen um Necro- lemur antiquus gruppieren, nämlich: ein unvollständiger, aber im übrigen tadel- los erhaltener Schädel (Q@. H. 470) S Oberkiefer- und 36 Mandibelfragmente. Ausserdem hat Herr Albert Brun die Güte gehabt, mir zwei dem Museum in Montauban gehörige Schädel (bezeichnet Montauban 9 und 10) zur Untersuchung anzuvertrauen, welche denjenigen der Basler Sammlung auf das vortheilhafteste ergänzen. Diese umfangreiche Documentation gestattet mir eine Reihe von Lücken in unserer bisherigen Kenntniss des Necrolemur antiquus auszufüllen und ver- schiedene Irrthümer richtig zu stellen. Sehr wahrscheinlich sind übrigens die aufgeführten Materialien nicht stricte homogen. Während nämlich Filhol für die Länge der mandibularen Molarreihe am Typusschädel von Necrolemur antiquus den Werth 0,008 angiebt, variiert diese Strecke an den obigen Mandibeln von 0,0072 bis 0,0095; und analoge Differenzen sind auch an den Oberkieferreihen festzustellen. Diese bedeutende Variationsbreite weist offenbar daraufhin, dass wir Reste mehrerer successiver Mutationen eines Phylums vor uns haben. Obwohl sich, wie gewöhnlich in solchen Fällen, keine scharfe. Grenze ziehen lässt, scheint es mir aus practischen Gründen empfehlens- werth neben dem typischen Necrolemur antiquus wenigstens eine Varietas major zu unterscheiden. Lassen wir diese die Individuen von mehr als 0,0085 Länge der untern Molarreihe umfassen, so fallen ihr von den mir vorliegenden Documenten der Schädel Q@. H. 441, ein Oberkieferfragment und sieben Mandibeln zu. Auf einige kleine morphologische Wandlungen an den Molaren, welche mit der Grössen- zunahme Hand in Hand gehen, wird bei der folgenden Beschreibung hingewiesen werden. Zahnformel. Filhol hat Necrolemur (1574 und 1877), auf Grund des Typusschädels von Neerolemur antiquus, sechs obere Antemolaren zugeschrieben, aber mit einigem berühren, konnte ich der Versuchung noch auf sie Bezug zu nehmen nicht widerstehen und da sie, wie mir Herr Gregory schreibt, bestimmt sind in der Gestalt, in der sie mir vorliegen, noch im Jahre 1915 im Bulletin of the Geologial Soeiety zu erscheinen, glaube ich diess, ohne eine Indiseretion zu begehen, so thun zu dürfen, wie wenn sie bereits gedruckt wären. Die zweite Studie theilt eine Reihe von Beobachtungen mit, welche Herr Gregory an drei Necrolemursehädeln gemacht hat und nimmt einige der Hauptresultate meiner eigenen Untersuchung vorweg. Ich darf indessen hoffen,. dass die folgende Analyse und besonders die ihr beigegebene Illustration gleichwohl nicht als über- flüssig beurtheilt werden wird. DR Fe Fe EN 1326 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Vorbehalt; die Existenz der beiden vordersten erschloss er aus den, wie es scheint, nicht in befriedigender Deutlichkeit erhaltenen Alveolen. Leche berichtet dagegen, die ihm vorliegenden Oberkieferstücke des Neerolemur antiquus „gestatten mit voll- kommener Sicherheit festzustellen“, dass derselbe sieben obere Antemolaren besass. Allein seine Figur 21, auf welche er sich für das Vorderende der obern Zahnreihe beruft, giebt nieht etwa eine intacte Intermaxillarpartie, sondern zwei ohne irgend welche, den Situs verbürgende, Knochenverbindung an einandergereihte Zähne wieder. Es liegt daher die Vermuthung nahe, Leche’s Material möchte zur Entscheidung der vorliegenden Frage doch nicht zureichend gewesen sein. Neuerdings hat Grandidier die Antemolarenzahl wieder, wie Filhol, auf sechs angegeben und seine Figuren 5—6 — obgleich zu undeutlich, um dem Leser eine Öontrolle zu gestatten — zeigen wenigstens, dass er ein Belegstück zur Verfügung hatte, welches zu einer solchen Feststellung geeignet ist. Die drei mir vorliegenden Schädel bestätigen durchaus die Angaben von Filhol und Grandidier. An Basel Q. H. 470 ist das vordere Kieferende völlig intact erhalten, an Montauban 9 und 10 nur ganz unwesentlich beschädigt. An allen dreien lässt sich mit Bestimmtheit feststellen, dass die Zahnreihe nach vorn mit dem bedeutend verstärkten Zahn, den Leche für den zweitvordersten hält, ab- schliesst. Die Zahl der obern Antemolaren beträgt mithin sechs und nicht sieben. '!) Ähnlich divergierende Angaben wie über die Zahl der Oberkieferzähne sind über die Zahl der Unterkieferzähne gemacht worden. Nach Filhol (1882—1883 und 1883 1.c.) besitzt Necrolemur fünf. untere Antemolaren, von denen der vorderste verstärkt und procliv, der zweitvorderste sehr reduciert ist. Allein Filbols Beobachtung bezieht sich auf Necrolemur Edwardsi, also auf einen Microchoerus, nicht auf Necrolemur antiquus. Für letzteren haben Schlosser (1857) und Leche (1896) übereinstimmend sechs untere Antemolaren angegeben, nämlich ausser den von Filhol beschriebenen noch einen rudimentären allervordersten, dessen Existenz sie freilich nur aus einem, von ihnen als Alveolus !) Welches die richtige Deutung der von Leche (l. c.) in Aussenansicht wiedergegebenen beiden Zähne ist, lässt sich nach der etwas schemalischen Figur nieht wohl beurtheilen. Der hintere der- selben scheint mit dem (auch in Leche's Figur 22 in situ wiedergegebenen) sechsten Antemolaren von Necrolemur nur eine vage Ähnlichkeit zu haben. Für den vordern kann ich im definitiven Gebiss von Necrolemur überhaupt kein Analogon finden. Es wäre zu prüfen, ob der eine oder der andere vielleicht zum Milchgebiss desselben gehört. Schwerlich sind sie so wie in Leche’s Figur an einander zu reihen. EL LEI N ee en En ee S SI Necrolemur, Zahnformel. 132 gedeuteten, Löchchen erschliessen. Beide Autoren stützen sich übrigens nur auf den Befund an je einer Mandibel. ') Unter den 36 Mandibeln der Basler Sammlung befinden sich neun, welche für die Entscheidung der vorliegenden Frage in Betracht kommen. An drei der- selben ist der Alveolarrand in der Umgebung des grossen Vorderzahnes durchaus intact; von diesen gehören zwei, an welchen der grosse Vorderzahn ausgefallen ist, zum typischen Necrolemur antiquus (Q. H. 458, Q. W. 624), die dritte, an welcher der genannte Zahn erhalten ist, zu der Varietas major (Q. H. 441; Figur CCCIV). An den übrigen sechs Fundstücken ist der Kieferrand etwas be- schädigt, aber so unbedeutend, dass der fragliche Alveolus fest- zustellen sein müsste, sofern er ungefähr die Bedeutung desjenigen gehabt hätte, welcher hinter dem grossen Vorderzahn folst. An allen diesen neun Man- dibeln ist nun mit Bestimmtheit zu Figur CCCIV. Necrolemur antiquus Filhol, var. major St. — Rechte Mandibel mit M,—(, von aussen; constatieren, dass an der kritischen C. m. Canalis medianus menti; Fx. Öffnung eines muth- Stelle — nämlich am Symphysal- masslichen Zweigkanals desselben. — Phosphorit von rand, vorn innen am grossen Ko Lamandine, Basel Q. H. 441. — */ı. derzahne — kein auch noch so kleines Zähnchen gestanden hat. Dagegen bemerkt man vor dem grossen Alveolus und auf der Aussenseite des Knochens, nicht am Symphysalrand, ein kleines Löchchen (Fx), welches die Öffnung eines vorn am grossen Vorderzahn emporsteigenden Canales darstellt. Wo der Alveolarrand etwas beschädigt ist, sieht man einen Querschnitt dieses Canales, welcher allenfalls einen winzigen Alveolus vortäuschen kann, obwohl die Stelle nicht diejenige ist, an der man einen Incisiven erwarten könnte. Wo dagegen der Alveolarrand intact ist, liegt das Löchchen deutlich etwas unterhalb desselben in der Kieferwand, sodass über seine Deutung nicht der geringste Zweifel bestehen kann. Wir haben es offenbar mit einem Gefässcanal zu thun. Sehr wahrscheinlich dient derselbe einer Abzweigung des Astes der Arteria sublingualis, welcher den unten zu besprechenden, bei Necrolemur sehr stark entwickelten, Mediancanal des Kinns durchzieht. An !}; Grandidier scheint keine Mandibel mit intactem Vorderende zur Verfügung gehabt zu haben. Er schreibt: „Les ineisives de la mächoire inferieure sont inconnues* und nimmt nach Analogie des Öberkiefers vorläufig an, es seien deren zwei vorhanden gewesen. Lydekker (Catalogue I, p. 10) schreibt die Mandibularzahnformel — offenbar ganz nur vermuthungsweise — J2, C1, P3, M3. 1325 Stehlin, Eocaene Säugetiere. der in Figur CCCIV wiedergegebenen Mandibel Q. H. 441 ist das Foramen vor dem Vorderzahn-Alveolus sogar doppelt entwickelt. In den vergrösserten Abbildungen, welche Schlosser von der Mandibel der Münchener Sammlung gegeben hat (Figur 34 und 47 1. e.), präsentiert sich das von ihm als Alveolus angesprochene Löchehen genau so wie der Querschnitt dieses Zweigcanales an denjenigen Belegstücken der Basler Sammlung, deren Kieferrand nicht ganz intact ist; es befindet sich vorn aussen, nicht vorn innen am grossen Alveolus. Unter solchen Umständen fällt es schwer die Vermuthung zu unter- drücken, der scheinbare Alveolus sei auch hier der kleine Canal; doch muss ich beifügen, dass mir Herr Schlosser auf eine schriftliche Anfrage hin mitgetheilt hat, er halte an seiner Auffassung fest. Etwas anders scheint sich die Mandibel der Stockholmer Sammlung zu verhalten, da Leche ausdrücklich sagt, der kleine Alveolus liege „an der Medialseite des © am Vorderrande des Kiefers“. Da dieses Fundstück nicht abgebildet worden ist, enthalte ich mich jedes Urtheils über das- selbe. Unmöglich ist es ja durchaus nicht, dass bei Necrolemur antiquus ein solches Zahnrudiment gelegentlich noch vorkommt; aber der negative Befund an den neun Belegstücken der Basler Sammlung lehrt, dass es normalerweise nicht vorhanden ist. Das definitive Gebiss von Necrolemur antiquus besteht mithin aus drei Molaren und sechs Antemolaren oben, drei Molaren und fünf Antemolaren unten. Reducierte aber gleichwohl geschlossene Antemolarreihen sind meistens schwer zu interpretieren. Auch die Deutung derjenigen von Necrolemur lässt sich nur bis auf einen gewissen Grad sicher stellen. Filhol und Grandidier haben die sechs obern Antemolaren als 2J 1C3P gedeutet; ebenso hat Leche den vierthintersten derselben als Caninen angesprochen. Diese Deutung ist durch die caninartige Verstärkung des eben genannten Zahnes nahegelegt und erscheint auch darum plausibel, weil sie sich anlehnt an die Ver- bältnisse bei Tarsius, dem einzigen recenten Primaten, dessen Gebiss — in seinem jetzigen Zustand ') — einige Analogie mit dem von Necrolemur zeigt. Ich kann noch ein neues Argument zu Gunsten derselben anführen. An dem einen der drei mir vorliegenden Schädel, Montauban 10, lässt sich die Intermaxillarsutur, wenig- stens im untern Theil ihres Verlaufes noch erkennen. Sie trifft den Alveolarrand am Vorderende des drittvordersten Alveolus, woraus sich ergiebt, dass die beiden vordersten Antemolaren, und nur diese, der Intermaxilla angehören, ganz wie bei Tarsius. ') Über die Vergleichbarkeit des Gebisses von Necerolemur mit dem von Chiromys s. unten. | i | Neerolemur, Dauergebiss. 1329 Dass der weggefallene Praemolar P, ist, erscheint nicht zweifelhaft, da die Reduetion einer geschlossenen Praemolarreihe immer am Vorderende beginnt!) und da P, inf. gleichfalls im Schwinden begriffen ist. Dagegen vermag ich keinen Anhaltspunkt namhaft zu machen, welcher gestattete den beiden Incisiven ihre Ziffer zuzuweisen. Leche deutet die beiden Intermaxillarineisiven von Tarsius als J, und J,, giebt aber keinen Grund für diese Auffassung an. Ich wäre a priori eher geneigt die beiden Zähne sowohl bei Tarsius als bei Necrolemur als J, und J, zu deuten. Filhol hat die untern Antemolaren als 2 J 1C 2 P beschrieben, aber die Möglichkeit eingeräumt, dass sie auch als 1C 4 P zu deuten sein könnten. Die übrigen Autoren sprechen übereinstimmend den grossen procliven Vorderzahn als Caninen an. Diese Auffassung, welche sich wiederum an die Verhältnisse bei dem — in der Mandibularbezahnung freilich weniger nahestehenden — Tarsius anlehnt, ist die weitaus plausibelste, sobald man die obige Oberkieferformel acceptiert. Der dritthinterste mandibulare Antemolar kann unmöglich der Canin sein, da er decidiert hinter dem Maxillarcaninen in die Öberkieferreihe eingreift und dass der rudimentäre vierthinterste Antemolar als Canin zu deuten sei, erscheint aus Analogiegründen gar zu unwahrscheinlich. Unser Ergebniss geht also dahin, die Zahnformel von Necrolemur antiquus sei 2 1 Bi) 3 R B\ J5 C7 Pi, M5 zu schreiben.’) Dauergebiss. Die Maxillarzahnreihe ist so eingepflanzt, dass ihr Aussencontour von M, bis P,, nach aussen convex ist, von diesem Zahn an aber etwas concav wird, also im ganzen eine S-förmige Curve beschreibt. Ihr Innencontour zeigt dieselbe Biegung aber, infolge des ungleichen Querdurchmessers der Zahnkronen in stark ') Leche nimmt, auf Grund von etwas zweideutigen embryologischen Anhallspunkten an, dass bei Erinaceus die Reduction, trotz der Geschlossenheit der Zahnreihe, den untern P,, nicht den P, getroffen habe. Eine mir vorliegende Erinaceidenmandibel aus dem Stampien, welche bei völlig erinaceusartiger Vertheilung der Kraftpunkte noch den unverminderten Zahnbestand aufweist, lässt keinen Zweifel darüber, dass. diese Auffassung irrig ist. Die zwei Praemolaren von Erinaceus sind P, und P,. (W. Leche, Zur Entwicklungsgeschichte des Zahnsystems der Säugetiere II, 1, p. 33. — Zoologica XV, 1902). = en aan 2 1 3 3 ha 2) Gregory (1915 II, 1. e.) schreibt die Formel Jo) TEN in, M--. Beobachtungen über die Zahnzahl, die nicht mit den meinigen im Einklang stehen, scheint er nicht gemacht zu haben, 1330 Stehlin, Eocaene Säugetiere. gemildertem Maasse. Die Kronenhöhe der Kauzähne ist gering, niedriger als z. B. bei Tarsius und nimmt von M, zu M, ab. Die Kaufläche steht etwas schief, d.h. sie steigt vom Labial- zum Lingualrand etwas an; sie zeigt auch eine Ansteigung an ihrem Hinterende, welche durch schiefe Einpflanzung und besonders geringe Kronenhöhe des M, bewirkt wird. M, und M, sind viereckig, breiter als lang und haben ungefähr den gleichen Kronenumfang. Aber der erstere ist in sagittalem, der letztere in transversalem Sinn etwas gedehnter. Auch steht der Aussencontour an M, etwas schräger zum Ra Figur CCCV. Necrolemur antiquus Filhol var. major St. — Rechter Oberkiefer mit M;—Js, (J,?2) und Alveolus von J, (J,?). — Phosphorit von Larnagol, Basler Sammlung Q. H. 470. — Shı. Vordereontour. Bei der Varietas major mögen beide Zähne sagittal eine Spur gedehnter sein als beim typischen Necrolemur antiquus, doch ist die Differenz sehr unbedeutend. Alle vier Kronenecken sind etwas abgerundet, am meisten die hintere Innenecke. Beide Zähne sind deutlich sechshüglig und stimmen auch in der Detail- structur nahe mit einander überein. Die beiden Aussenhügel, von denen der vordere den hintern an Stärke übertrifft, stellen ziemlich stumpfe Kegel dar. Der Ein- schnitt, welcher sie trennt, reicht nahezu bis an die Basis, sodass also kaum von einer Aussenwand die hede sein kann. Die Kante, welche in sagittaler Richtung über die Aussenhügel hinläuft, ist stumpf. Während die Aussenseite der beiden Necrolemur, Dauergebiss. 1331 Hügel eine glatte Beschaffenheit zeigt, ist ihre Innenseite mit etwas geschlängelt verlaufenden und von Individuum zu Individuum etwas verschieden ausgebildeten Verticalfalten versehen. Am vordern Hügel ist diese Fältelung in der Regel etwas stärker als am hintern. Die Basis der Aussenhügel wird von einem kräftigen Cingulum umzogen. Das Mesostyl fehlt gänzlich, das Parastyl ist schwach markiert, an M, etwas deutlicher als an M,. Der vordere Innenhügel erhebt sich auf ziemlich umfangreicher Basis und verlängert sich in ein Vorjoch, das gegen die Parastyl- ecke zu an das Vordereingulum anschmilzt. Vorn innen zeigt sein Abhang eine scharfe Biegung, die sich zu einer eigentlichen Kante verschärfen kann. Aus dem Vorjoch gliedert sich scharf und nach hinten beträchtlich vorspringend ein kräftiger conischer, aber etwas zur Halbmondgestalt neigender vorderer Zwischenhügel aus. Zwischen den vordern Innenhügel und den hintern Aussenhügel schieben sich zwei ausgesprochener halbmondförmige hintere Zwischenhügel, ein grösserer äusserer und ein kleinerer innerer. Der erstere ist an M, etwas stärker entwickelt als an M,. Ohne mit den benachbarten Haupthügeln besonders innig verbunden zu sein, schliessen diese Zwischenhügel den Trigonumtrichter nach hinten vollständig ab. Der hintere Innenhügel — an M,, der Umrissdifferenz entsprechend etwas stärker entwickelt als an M, — steht dem vordern an Basisumfang und Höhe nach. Er erscheint im Vergleich zu demselben etwas lingualwärts geschoben und ist bis in mehr als halbe Höhe innig mit ihm verwachsen, ganz im Gegensatz zu dem, was man bei Adapis und Caenopithecus beobachtet. Eine Kante läuft von Spitze zu Spitze und steigt hinten am hintern Innenhügel zum Schlusscingulum herab, in das sie sich fortsetzt. Ein Inneneingulum ist nicht entwickelt. Beide Zähne haben wie ge- wohnt zwei Aussenwurzeln und eine stärkere Innenwurzel von oblongem Querschnitt. M, variiert in seinen relativen Dimensionen etwas von Individuum zu Indi- viduum, ist aber immer ungewöhnlich stark reduciert. Besonders verkümmert erscheint seine Hinterhälfte, aber auch seine vordere Breite misst nur etwa drei Viertel der gleichen Strecke an M,. Der Aussencontour verläuft sehr schief und das Missverhältniss zwischen hinterem und vorderem Aussenhügel ist viel grösser als an M, und M,. Die Zwischenhügel markieren sich schwächer, die beiden hintern oft sehr unpraeeise. Der hintere Innenhügel wird blos durch eine Knickung in der Kante angedeutet, welche hinten am vordern Innenhügel absteigt und in das stumpfe, den Hinterrand der Krone umsäumende Schlusscingulum übergeht. Bei all’ dem ist das gesamte Kronenrelief niedriger als an den vordern Molaren. Zu einer Verschmelzung der hintern Aussenwurzel mit der Innenwurzel kommt es, in der Regel wenigstens, nicht. 4 2 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Verglichen mit denjenigen der bisher besprochenen Primaten des europäischen Eocaens haben also die Maxillarmolaren von Necrolemur ein recht abweichendes Gepräge, dessen Eigenart vor allem durch die Stärke, ja Verdoppelung des hintern Zwischenhügels und durch die innige Verbindung zwischen Trigonum und hinterem Innenhügel bedingt ist. Dieser letztere ist hier offenbar wie bei den Notharetiden ') als Verdiekung der hinten am vordern Innenhügel absteigenden Kante und nicht als Verdickung des Schlusseingulums, in welches diese Kante schliesslich übergeht, entstanden; er ist also ein Derivat des vordern Innenhügels. Eine kleine Differenz gegenüber“den Notharctiden scheint insofern zu bestehen, als bei Neerolemur die Ausgliederung durch eine Ausbiegung jener Kante nach der Lingualseite zu — wie man sie an M, beobachtet — eingeleitet wurde und schon in etwas grösserer Entfernung von der Hauptspitze ihren Anfang nahm. Der Vorgang bei Necrolemur steht insofern in etwas weniger extremem Gegensatz zu dem bei Adapis und Caenopithecns. Aber das wesentliche ist, dass bei Necrolemur wie bei Pelycodus- Notharctus die Innenhügel zunächst aufs innigste verbunden sind und sich nur nach und nach und sehr unvollkommen von einander loslösen, während sie beim Typus Adapis-Caenopithecus von vorneherein durch einen tiefen Einschnitt getrennt sind. Die obern P, und P, erinnern an ihre Homologa bei Nyeticebus und Tarsius. P, ist zweihüglig und dreiwurzlig, sein Kronenumriss quergedehnt, viereckig, nach innen zu wenig und manchmal überhaupt nicht verjüngt; der Aussencontour ist unregelmässig convex, der Innencontour fast gerade. Der Aussenhügel ist nicht nur, seiner ausgedehnten Basis entsprechend, stärker, sondern auch merklich höher als der vordere Aussenhügel der Molaren, im übrigen aber ähnlich ausgebildet, d.h. conisch, hinten und vorn mit einer stumpfen Kante versehen, aussen glatt und von einem Cingulum umzogen, innen mit einigen geschlängelten radialen Schmelzfalten versehen. Von diesen pflegt sich die vorderste stärker hervorzuheben ; sie umschliesst mit der Vorderkante des Hügels eine grubige Vertiefung. Die Spitze des Haupthügels liegt etwas hinterhalb der Mitte. Das Parastyl markiert sich schwach. Der bedeutend schwächere und niedrigere Innenhügel steht in der vordern Innenecke, zieht sich nach aussen in ein, sich bald im Cingulum verlierendes, Vorjoch aus und entwickelt auf der Hinterseite eine Kante, welche auf die hintere Innen- ecke zuläuft und dann als Schlusscingulum nach aussen abbiegt. Zwischenhügel sind nicht angedeutet, ebensowenig ein Inneneingulum. !)S. oben p. 128S; auch Hyopsodus ist vergleichbar s. Fig. LXXINX, p. 634, ee ee ee ee Necrolemur, Dauergebiss. 1333 P, ist kleiner und bedeutend weniger quergedehnt als P,, ungefähr gleich breit wie lang; sein Umriss, ist, infolge schrägerer Stellung des Vordercontours, nach innen etwas verjüngt; sein Innenhügel erscheint, wie überhaupt die ganze Innen- hälfte, geschwächt. Im übrigen gleicht er seinem hintern Nachbarn und hat wie dieser drei Wurzeln. P, ist dagegen einwurzlig und wesentlich einfacher gebaut, dazu kleiner; seine Krone besteht aus einem einzigen Hügel, der sich von länglicher, ovaler, nach vorn etwas zugespitzter Basis erhebt. Die Kronenbasis hebt sich nach vorn zu mehr vom Alveolarrande ab und hängt dort über die Wurzel hinaus. Die Spitze des Hügels liegt etwas vor der Mitte und sendet nach hinten und vorn stumpfe Kanten. Die Falte innen an der Vorderkante '), die mit ihr die grubige Vertiefung umschliesst, ist noch stärker entwickelt als an P, und P,. Aussen- und Innen- eingulum markieren sich hinten deutlich und verlieren sich nach vorn zu. Die Höhe des Haupthügels nimmt von P, zu P, ab. Nach Figur XX bei Leche (l. ce.) scheint es, dass dieser letztere zuweilen noch stärker reduciert ist als an den mir vorliegenden Belegstücken. Der obere Canin ist im Gegensatz zu Tarsius praemolariform, nach dem- selben Plane gebaut wie P,, etwas höher, aber nur mässig stärker. Seine Wurzel ist etwas schiefer eingepflanzt und seine Krone entsprechend mehr verzogen. Die Kronenbasis hebt sich nach vorn noch mehr vom Älveolarrand ab und hängt noch mehr über. Wie das Vorderende von P, sich über den hintern Kronenrand des Caninen schiebt, so schiebt sich das Vorderende des Caninen über den Hinterrand des stark reducierten zweiten Incisiven. Die Krone dieses Zahnes ist nicht spitzconisch und hoch wie bei Tarsius, sondern sehr niedrig, breiter als lang, knopfförmig; Spitze, Kanten und Aussen- ceingulum markieren sich, die Falte vorn innen nicht. Der unmittelbar an den zweiten anschliessende erste Ineisiv, welcher mir an dem Schädel Montauban 10 beiderseits in situ vorliegt, ist bedeutend weniger praemolariform als der Canin und übertrifft denselben an Kronenhöhe. Seine Wurzel ist fast doppelt so lang als die Krone und hat einen ovalen Querschnitt; sie ver- läuft fast gerade, nur am Ende biegt sie sich etwas nach hinten. Die Krone ist der Wurzel weniger schief aufgesetzt als diejenige des Caninen und erhebt sich r !) Man bemerkt diese Details auch an P, sowie an P, und C von Tarsius, welch’ letztere im übrigen von Neerolemur ziemlich stark abweichen. 1334 Stehlin, Eocaene Säugetiere. von weniger gedehnter Basis. Sie stellt einen hohen Conus dar, von stark con- vexem vorderem und schwach convexem hinterm Profileontour, mit einem schwachen talonartigen Basalansatz. Von der Spitze laufen zwei Kanten zur Basis, von denen die eine dem hintern Profileontour folgt, die andre auf der Innenseite schräg und geschwungen nach hinten verläuft. Durch diese Kanten wird eine etwas abgeplattete Hinterinnenfacette von einer stark convexen Vorderaussenseite abgegrenzt. Die erstere besitzt ein wulstiges Basaleingulum, welches der letzteren fehlt. Die Kronen- basis hebt sich nur schwach von der Wurzel ab. Durch die Beschränkung des Cingulums auf die Hinterinnenseite und durch seine ganze Modellierung weicht dieser Zahn beträchtlich von seinem Homo- logon bei Tarsius ab. Auch seine Einpflanzung ist eine andre. Die Alveoli der beiden J, liegen bei Tarsius satt neben einander, medialwärts von der Flucht der Backenzahnreihen; bei Neerolemur sind sie durch einen beträchtlichen Abstand von einander getrennt und liegen [ 3] ziemlich genau in dieser Flucht. Die J, von Tarsius sitzen fast senkrecht im Kiefer; sie berühren sich an der Basis, während ihre Spitzen etwas divergieren. Diejenigen von Necro- lemur sitzen schräg im Kiefer und convergieren mit den Kronenspitzen, ohne es ganz zur Be- rührung zu bringen. Die Stellung der untern Molarkaufläche entspricht derjenigen der obern, d.h. sie neigt sich ein weniges labialwärts und steigt hinten ü etwas an, infolge schiefer Einpflanzung des M,. Die Kronenhöhe nimmt wie im Öberkiefer Figur CCCVI. Necrolemur antiquus Filhol. — Rechter vorderer oberer Ineisiv a (J,?)von innen und von aussen. — Phos- und M, sind relativ breit, hinten etwas breiter phorite desQuerey, zu Schädel Montauban als vorn. Die Länge des M, im Verhältnis zur 10 gehörig. — ?/ı. von M, zu M, etwas ab. Die Kronen von.M, Breite ist beim typischen Necrolemur antiquus etwas geringer als bei der Varietas major. Die Höhendifferenz zwischen „Trigonid“ und hinterm Zahntheil ist auf ein Minimum reduciert, im Gegensatz zu Tarsius, Loris, Galago. Das Structurgepräge ist stumpf, bunodont wie das der Antagonisten. M, übertrifft M, etwas an Länge und hinterer Breite, auch diess im Gegensatz zu den eben genannten Formen. Der lange Vorderarm seines Vorderhalbmonds endigt vor dem vordern Innenhügel in einer wohlentwickelten Vorderspitze (Para- tn au Necrolemur, Dauergebiss. 1335 conid). An M, und M, sucht man vergeblich nach diesem Element; wir werden unten, bei Necrolemur cfr. Zitteli, sehen, dass es an diesen Zähnen mit dem vorderen Innenhügel verschmolzen ist wie bei Notharctus. Bei Tarsius hat sich die Vorderspitze an allen drei Zähnen erhalten, ist aber an M, am stärksten, an M, am schwächsten ausgebildet; bei Galaginen und Lorisinen ist sie im Gegentheil an allen drei Zähnen geschwunden. Im übrigen stimmen M, und M, von Necrolemur mit einander überein. Der vordere Innenhügel (Metaconid) besitzt auf der Hinterseite eine Kante aber keine Hinterzacke (Mesostylid). Der hintere Innenhügel ist klein und etwas niedriger als der hintere Aussenhügel, aber scharf ausgebildet und vorn mit einer nach der Kronenmitte zu gebogenen Kante versehen. Vorjoch und Nachjoch senken sich in der Mitte etwas ein. In letzterem ist durch eine Knickung, welche sich meistens mit einer kleinen Anschwellung verbindet, ein Zwischenhügel (Hypoconulid) an- Figur CCCVII. Neerolemur antiquus FiJhol, var. major St. — Linker Unterkiefer mit M,—C. — Phosphorit von Cajare, Basel Q. H. 442. — #/ı. gedeutet. Die dem hintern und dem vordern Thaltrichter zugekehrten Abhänge neigen zur Faltenbildung; alle Hauptelemente haben dort eine Rippe; am vordern Innenhügel, an der Vorderspitze von M,, an der Hinterseite des Vorjoches treten öfters noch weitere etwas unregelmässige Complieationen auf. Der Vorderarm des Hinterhalbmonds schwillt am Ende zuweilen knötchenartig an. Das Ausseneingulum ist continuierlich, das Innencingulum fehlt. M, zeigt in seinen relativen Dimensionen eine ähnliche Variabilität wie sein Antagonist, ist aber im ganzen etwas weniger reduciert als dieser; seine Länge, inclusive Talon, kommt in der Regel ungefähr der von M, gleich. Der Kronen- umriss ist vorn am breitesten, aber gewöhnlich auch hier schmäler als an M,; der Talon ist relativ breit, nicht zugespitzt. Die vordere Kronenhälfte stimmt structurell mit der von M, überein. Der hintere Innenhügel ist niedrig, aber meistens deutlich ausgebildet. Der stumpfkantige Wulst, welcher den Talon um- 336 Stehlin, Eocaene Säugetiere. zieht, erhebt sich in zwei schwach markierte Spitzen. Die den weiten hintern Thaltrichter umgebenden Abhänge neigen besonders stark zu Schmelzeomplicationen. Das Ausseneingulum verliert sich nach dem Talon zu. Von M, nach vorwärts steigt die Basis der Backenzahnkronen bei den kleinern Individuen (typischer Necrolemur antiquus) etwas an und hängt nach vorn über, sodass sich je das Vorderende des hintern Zahnes über den Hinterrand des vordern wegschiebt; ganz wie bei Tarsius. Bei den grössern Individuen (varietas major) verwischt sich diese Erscheinung im Bereich der Molarreihe; in der Praemolar- reihe ist sie immer deutlich ausgeprägt. Die Praemolaren sind kurz. P, hat zwei Wurzeln, die aber schon in einiger Distanz unter der Kronenbasis verschmelzen. Seine Krone hat einen dreieckigen Umriss; ihre hintere Breite kommt der Länge beinahe, manchmal sogar völlig, gleich. Sie besteht aus einem dicken, aussen convexen Haupthügel, einem kleinen an denselben angeschmiesten Innenhügel und einem sehr kurz bemessenen Talon. Der Haupthügel hat eine Hinterkante, die nach aussen gerichtet ist, sowie eine Vorderkante, welche ungefähr sagittal verläuft und, am vordern Kronenrand winklig nach innen umbiegend, in das Cingulum übergeht. Die Stärke des etwas zurückgeschobenen Innenhügels variiert; es liegen mir Exemplare vor, an welchen er mehr nur angedeutet ist (Q. U. 239, 240, 241). Aussen- und Inneneingulum sind continuierlich, das letztere am Innenhügel aber sehr geschwächt. P, und P, sind einwurzlig. Die Kronenbreite nimmt von P, zu P, ab, ebenso die Kronenhöhe, wenn man als solche den senkrechten Abstand der Spitze über der Basis betrachtet.‘ Zuweilen sind die Kronen von P, und P, besonders stark nach vorn oben verzogen, was ihnen einen etwas caniniformen Habitus verleiht (Figur CCCX). In solchen Fällen kommt der P, dem P, an Kronenlänge gleich, gewöhnlich ist er etwas kürzer; P, ist immer kürzer als P,. Der hintere Kronen- contour verläuft an P, und P, mehr schräg von vorn aussen nach hinten innen. An P, hat der Haupthügel zwei divergierende Hinterkanten; im Verlauf der innern derselben bemerkt man manchmal eine ganz schwache Andeutung eines Innenhügels. An P, verwischen sich diese Kanten, namentlich die innere. Das Inneneingulum ist an P, und P, im Ganzen besser entwickelt als das Ausseneingulum. Der rudimentäre P, hat eine rundliche, niedrige, knopfförmige Krone und eine stiftförmige ziemlich lange Wurzel. Er ist in der Flucht des äussern Randes der PÄ,—P, eingepflanzt und erscheint daher etwas aus der Reihe gedrängt. Der unmittelbar an P, anschliessende, starke Canin liegt mir zweimal in situ vor; ausserdem ist, wie oben bemerkt, an diversen Mandibeln der Basler Sammlung Necrolemur, Dauergebiss. 1337 sein Wurzelstumpf oder sein. Alveolus erhalten. Seine kräftige Wurzel hat einen ovalen nach hinten etwas verbreiterten Querschnitt. Die Krone ist der Wurzel etwas schief aufgepflanzt, ihre Basis springt hinten vorn und aussen etwas über den Hals vor. Ihr vorderer Profileontour ist convex, der hintere S-förmig, gegen die Basis concav. Zwei Kanten ziehen sich von der Spitze gegen die Basis, eine äussere und hintere, welche ungefähr dem Profileontour folgt und eine innere und vordere, welche auf der Innenseite in geschwungenem Verlauf das hintere Kronen- ende erreicht; an der Basis gehen sie in ein Inneneingulum über, welches beide verbindet. Am Übergang der Hinterkante in das Cingulum macht sich, als Rudi- ment eines einstigen Talons, eine kleine Anschwellung bemerklich. Durch die beiden Kanten wird eine Hinterinnenfacette umgrenzt, welche längs denselben concav, in der Mitte aber stark ausgebaucht ist. Die Aussenseite der Krone ist mässig convex und geht im Vordercontour durch eine Knickung in die mehr ab- geplattete Innenseite über. Im structurellen Grundplan stimmt der Zahn mit seinem Homo- logon bei Tarsius überein; durch die speciellere Modellierung und die Ein- schränkung des Cingulums auf die Hinterfacette erhält er gleichwohl einen ziemlich abweichenden Habitus. Figur CCCVII. Necrolemur antiquus Filhol, var. major St. — Rechte Mandibel mit M,—C, von innen. in der Einpflanzung. Die beiden Mandi- Man bemerkt am Caninen die vom C. sin. erzeugte Rei- bungsfläche und in der Symphyse den Canalis medianus menti mit den Öffnungen zweier Zweigcanäle. — steil, wenn auch nicht ganz vertical, Phosphorit von Lamandine, Basel Q. H. 441. — #ı. Noch grösser ist der Gegensatz bularcaninen von Tarsius sitzen sehr im Kiefer; ihre Spitzen divergieren etwas; ihre Alveoli sind durch das relativ noch ziemlich kräftige Incisivenpaar von einander getrennt. Die Mandibularcaninen von Necrolemur sitzen beträchtlich schiefer im Kiefer; ihre Alveoli liegen satt aneinander, sodass die Kronen sich, wie die in Figur CCCVIII sichtbare Reibungsfläche bezeugt, von der Basis bis zur Spitze berühren (vergl. Figur CCCXV). Aus den obigen Feststellungen ergiebt sich die nicht unwichtige Thatsache, dass der Mechanismus des Vordergebisses bei Necrolemur durchaus nicht so nahe mit demjenigen bei Tarsius übereinstimmt, als angenommen worden ist. Bei letzterem ist die Art, wie obere und untere Vorderzähne gegen einander wirken, im wesent- lichen die normale. Der steil gestellte Mandibularcanin greift beim Kieferschluss — RE 1338 Stehlin, Eocaene Säugetiere, von der Innenseite — zwischen dem Maxillarcaninen und dem zweiten Incisiven, welche zu diesem Zwecke durch eine kleine Lücke von einander getrennt sind, in die Oberkieferreihe ein; er bestreicht den erstern mit seinem Hinterrand, den letztern mit seinem Vorderrand, berührt aber den obern J, nicht. Der Antagonist des letztern ist der Mandibularineisiv. Bei Necrolemur dagegen, der keinen Mandi- bularineisiven mehr hat, wirkt der schräg eingepflanzte untere Canin mit seiner Spitze gegen den obern J,, mit seiner, infolge der Schrägstellung nach oben ge- kehrten, Hinterkante gegen den obern J, und wohl auch noch etwas gegen den Maxillareaninen. Dementsprechend zeigt diese Kante an der in Figur CCCIV und CCCVIII dargestellten Mandibel eine starke Usur. Eine Lücke vor dem Masillar- caninen ist unter solchen Umständen überflüssig. Die Spitze desselben trifft auf den kleinen P, inf. ') Es liegt auf der Hand, dass diese Einrichtung eine abgeleitete ist. Der eocaene Necrolemur hat also ein wesentlich differenzierteres Vordergebiss als der recente Tarsius. Milchgebiss und Zahnwechsel. Über das Milchgebiss von Necrolemur ist bisher nichts bekannt geworden. Mir selbst ist nur ein einziger Kiefer mit Milchzähnen zu Gesicht gekommen und auch diesen habe ich leider nur flüchtig prüfen können. Er befand sich im Besitze des bekannten Fossilienhändlers Rossignol. Dieses Belegstück war im Mandibelfragment mit M,—D,. Unter D, war der Keim des P, zu sehen. D, unterscheidet sich von M,, wie a priori zu erwarten, nur durch geringere Grösse, geringere Breite und geringere Höhe. D, ist ein sehr kleines Zähnchen von praemolarenartiger Gestalt. Ob er einen Innenhügel besitzt, habe ich nicht notiert. Auch in Bezug auf den Zahnwechsel kann ich nur eine einzige Beobachtung beibringen. In der Basler Sammlung befindet sich ein Mandibelfragment mit M, und den noch tief in den Alveolen sitzenden Keimen von P, und P, (Q. U. 242). D, und D, müssen postletal ausgefallen sein. Hinter M, sind die Alveolen von M, und M, ') Als Mechanismus lässt sich das Vordergebiss von Necrolemur eher mit dem von Erinaceus vergleichen, bei welchem indessen der verstärkte Vorderzahn nicht der Canin sondern der zweite Ineisiv ist. Necrolemur, Schädel. 1339 erhalten und die Beschaffenheit derselben lehrt, dass beide Zähne schon in Function gestanden haben. Aus diesem Befund ergiebt sich, dass bei Necrolemur, wie bei Adapis, der Ersatz von D,—D, durch P,—P, erst nach dem Durchbruch von M, stattfand. Schädel. Unsere bisherige Kenntniss des Schädelbau’s von Neerolemur beruht auf drei Documenten, nämlich auf dem Schädel, für welchen Filhol das Genus auf- gestellt hat und auf zwei andern, welche von Filhol 1885 und von Grandidier 1905 bekannt gemacht worden sind. Den erstern hat Filhol (1874 und 1877 1. ec.) in vier Ansichten (von oben, unten, links, vorn) wiedergegeben, die dann in der Handbuchlitteratur vielfach reproduciert worden sind. Ausserdem hat P. Gervais (1876 1. e.) eine Oben- und eine Profilansicht desselben publieiert. Dieses Belegstück ist dadurch bemerkens- werth, dass an ihm die Mandibeln in situ und auch die so zerbrechlichen Joch- bogen vollständig erhalten sind. Aber es ist durch Druck von oben nach unten entstellt, an der Schnauzenspitze und am Oceiput beschädigt und, wie es scheint, zum Studium der wichtigen Details in der Laerymalgegend und an der Schädel- basis wenig geeignet. Der zweite und der dritte Schädel scheinen sich in der eben genannten Be- ziehung günstiger zu verhalten; an dem letztern ist auch der Gesichtsschädel an- nähernd intact erhalten. Doch sind beide nur sehr summarisch beschrieben und in ziemlich mangelhafter Weise abgebildet worden (Oben- und Untenansicht bei Filhol; Profil- und Untenansicht bei Grandidier). ') Ich habe keines dieser drei Documente in Händen gehabt, dagegen standen mir drei andere Schädel zur Verfügung, einer aus aus der Basler Sammlung und zwei aus dem Museum von Montauban. ?) Der Schädel der Basler Sammlung Q. H. 470 gehört, wie oben schon be- merkt, zu der grossen Varietät von Necrolemur antiquus. Er umfasst linkerseits: die 1) Filhols Arbeit von 1885 ist übrigens von allen Autoren, welche sich seither mit Necrolemur befasst haben, übersehen worden. ?2)Herrn A. Brun, der mir diese Schädel mitgetheilt hat, spreche ich für seine Liberalität meinen verbindlichsten Dank aus. — Es existieren in den Sammlungen noch diverse Necrolemur- schädel. Ich habe deren zwei in der Sammlung der Facult& des sciences zu Marseille gesehen. Grandidier erwähnt weitere in Paris. Major und Gregory haben einen in London untersucht, der letztere Autor ferner je einen im Princeton University Museum und einen im Museum of comparative Zoology der Harvard University. Pay “ 1340 Stehlin, Eocaene Säueeliere. Intermaxilla mit J, und dem Alveolus von J,, das Nasale, den vordern Theil des Maxillare mit P, und © und den vordersten, an Orbitalrand und Nasendach betheiligten, Theil des Frontale; rechterseits den Gesichtsschädel mit M,—J, und Alveolus von J,, die ganze Orbitalpartie mit Ausnahme des der Gehirnkapselwand angehörigen Hinter- grundes, das Frontale mit Ausnahme der hintern innern Ecke, das Parietale mit Aus- nahme des den Scheitel bildenden medialen Randes, den Jochbogen bis kurz vor der Gelenkfläche. Die Gaumenfläche ist nur von der Intermaxsillaspitze bis P, ganz, sowie rechterseits längs der Zahnreihe in einem schmalen Streifen erhalten. Dieses Document zeichnet sich also nicht durch grosse Vollständigkeit aus. Dafür sind aber die vorhan- denen Theile in idealer Weise erhalten und durch keinerlei Druckwirkungen entstellt. Die beiden Schädel des Museums von Montauban gehören ihren Dimensionen nach dem typischen Neerolemur antiguus an. Sie sind weniger schön erhalten als der vorige, aber vollständiger. An „Montauban 9* liegt der Gehirnschädel in recht befriedigendem Zustande vor. Feine Sprünge durchziehen die zarten Knochen allerdings in grosser Zahl und da und dort haben längs denselben oder längs den Nähten kleine Verschiebungen stattgefunden; aber im ganzen sind die Entstellungen gering und leicht corrigierbar. Da die Matrix ein ziemlich weicher Bolus ist und auch die hie und da an der Knochen- oberfläche entwickelten cristallinischen Krusten keine grosse Härte besitzen, liessen sich eine Anzahl Structurdetails an der Schädelbasis leidlich praeparieren. Im Dach der Gehirnkapsel fehlt links ein grosses Stück des Frontale und ein kleineres des Parietale. Die Jochbogen sind grossentheils weggebrochen und der Gesichts- schädel hat bedeutend mehr gelitten als der Gehirnschädel. Rechterseits ist der- selbe, mitsammt der Orbita ganz erhalten, aber durch Quetschnng entstellt; auf der linken Seite ist dagegen nur die leicht beschädigte Intermaxillarpartie, das Nasendach, die Umgebung des Eckzahnalveolus und ein Theil der Gaumenfläche vorhanden. Der Gaumen ist in seiner hintern Hälfte eingedrückt, doch so, dass sein Hinterrand und die Pterygoidalpartie dadurch kaum in Mitleidenschaft ge- zogen worden ist. Das vordere Gaumenende ist annähernd intact. Von der Be- zahnung sind nur die M,—P, dext. erhalten. J, ist links und rechts durch einen Wurzelstumpf repräsentiert, P,—Ü und J, beiderseits durch ihre Alveolen. „Montauban 10“ ist noch vollständiger als Montauban 9. Es fehlen ihm nur einige kleine Stücke der Jochbögen, der Vorderrand der aufsteigenden Inter- maxilla rechts und von den Zähnen J, beiderseits und © rechts. Aber die Er- haltungsart des Documentes ist nicht erfreulich. Durch transversalen Druck sind die Gesammtschädelform, und im einzelnen das Oceiput, die Gehirnschädelbasis, Neerolemur, Schädel. 1341 die Bullae, der Gaumen, die Lacrymalgegend stark entstellt; eine harte Inceru- station, welche fast die ganze Unterseite und den Grund der Orbiten überzieht, verhindert überdiess die Untersuchung diverser Details. Ich habe in Figur GCCIX—CCCXII versucht auf Grund dieser drei Beleg- stücke die Stirn-, Profil-, Hinter- und Untenansicht eines unversehrten Neerolemur- schädels zu reconstruieren und glaube mit diesen Reconstructionen, die den Vorzug der Klarheit haben, dem Leser einen bessern Dienst zu leisten als mit einer Figur CCCIX. Necrolemur antiquus Filhol. — Re- eonstruclion der Obenansicht des Schädels nach Basel Q. H. 470 und Montauban 9. — Mbl. Mastoidblase. — Ve. Venenemissar. — 0. gr. Orbicularisgrube. — La. Laerymale. — ?lı. scrupulösen Wiedergabe Belegstücke selbst. Um die Schädel Montauban 9 und 10 mit Basel Q. H. 470 zu combinieren, war es nöthig sie etwas stärker zu ver- grössern als den letztern, wobei als Basis die Länge der Backenzahnreihe gewählt wurde. Es ist möglich, dass dieses Verfahren eine kleine Ungenauigkeit in der Proportion von Gehirn- zu Gesichtsschädel zur Folge gehabt hat. Dieselbe ist.aber - A Fran 2 A re a DC 0 0 „Sin a) SA fna Da a U a Te a Zi UWE Zu i 7.5 1342 Stehlin, Eocaene Säugetiere. jedenfalls so unbedeutend, dass sie in keiner Weise ins Gewicht fällt, so lange es sich nur um die Feststellung der Schädelform von Necrolemur im Vergleich zu andern Primatengenera handelt. Kommen wir einmal in die Lage die verschiedenen Neerolemuriden unter sich eraniologisch zu vergleichen, so wird selbstverständlich auf die Originalschädel zurückzugreifen sein. Für die Wiedergabe des Gesichtsschädels war Basel Q. H. 470, für diejenige des Gehirnschädels Montauban 9 massgebend. Montauban 10 ist nur bei Darstellung des Jochbogens und des Gehörgangs, sowie des J, in der Profilansicht beigezogen worden.') Während der Schädel von Adapis, mit demjenigen recenter Halbaffen von analoger Körpergrösse verglichen, sofort durch die Kleinheit seiner Gehirn- kapsel auffällt, verhält sich der Necrolemurschädel in dieser wichtigen Hinsicht — wenn wir nicht gerade den so überaus eigenartig differenzierten Tarsius zum Vergleich herbeiziehen — durchaus nicht aberrant. Seine Gehirnkapsel ist geräumig und relativ kaum kleiner als diejenige von Chirogaleus, Galago, Loris.”) Die Ein- schnürung hinter den Orbiten ist etwas stärker ausgebildet als ‘bei Galago°), aber schwächer als bei Chirogaleus, auch eher etwas schwächer als bei Loris, ungefähr gleich wie bei Hemigalago. Das Oceiput ist nahezu so stark wie bei Galago nach hinten geneigt, entschieden stärker als bei Chirogaleus. Desgleichen stellt sich auch die Ebene des Foramen magnum weniger vertical als bei letzterem, wenn sie schon mit derjenigen des Gaumens einen merklich weniger stumpfen Winkel bildet als bei Galago. Die Orbiten sind relativ etwas kleiner als bei Galago und Hemi- galago und besitzen ähnliche Dimensionen wie bei Chirogaleus und Opolemur®); die Neigung ihrer Öffnungsebene differiert dabei nur ganz unbedeutend von der bei Galago zu beobachtenden. Sie sind also etwas mehr nach vorn gerichtet als bei Hemigalago. Die Schädelphysiognomie im Ganzen hat ihre nächsten recenten Analoga entschieden unter den kleineren Galaginae, speziell bei dem spitzschnauzigen !, Nach der Mandibel zu schliessen ist in der Reconstruction der Profilansicht des Schädels die Lage der Gelenkfläche nebst Umgebung rücksichtlich der Zahnreihe wahrscheinlich um ein weniges zu tief angegeben. Ich bin dieser kleinen Incongruenz erst gewahr geworden nachdem das für den Gehirnschädel als Vorlage dienende Document schon wieder zurückgegeben war und habe daher darauf verzichtet sie zu corrigieren. 2) Es ist eine allgemeine Erscheinung, dass in diesem Punkte zwischen kleinen Formen des ältern Tertiaer’s und der Gegenwart ein geringerer Gegensatz besteht als zwischen grossen. ®) Unter „Galago“ verstehe ich im folgenden die Typusspecies des Genus, G. galago Schreber; unter „Hemigalago“ H. Demidoffi Fischer. *) Necrolemur wird wohl ein Nachttier gewesen sein, während Adapis eher die Lebens gewohnheiten von Lemur gehabt haben dürfte. Neerolemur, Schädel. ; 1343 Hemigalago, wozu eine nach Grad und Art sehr analoge Blähung des Mastoides wesentlich mit beiträgt. Wir werden auch bei der Beschreibung der Details häufig vergleichend an diese Formen anzuknüpfen haben. Figur CCCX. Necrolemur antiquus Fılhol. — A. Reconstruction der Profilansicht des Schädels nach Basel Q. H. 470 und Montauban 9. — So. Supraoceipitale. — Ve. Venenemissar. — Mbl. Mastoidblase; Oceipitalkante auf der Grenze von Mastoid und Squamosum über sie weglaufend und am Hinterrand der Ohröffnung in einem Höckerchen endigend, unter dem die Tympanohyale- grube liegt. — Co. Condylus oceipitalis. — B. Bulla. — Al. Alisphenoidaler Theil von Bullawand und Pterygoidalwand. — La. Laerymale mit Thränencanal. — Ogr. Orbicularisgrube. — B. Rechte Mandibel mit M‚—P,, von aussen. Phosphorite des Querey Basel Q. H. 239 — Die Wurzeln von P, und P, sind etwas aus ihren Alveolen herausgerückt. — ?/ı. Der praeorbitale Gesichtsschädel erinnert in Gestalt und relativer Aus- dehnung am ehesten an Hemigalago. Der Nasenrücken ist schmal und hat einen leicht convexen Profileontour, die vordere Nasenöffnung ist etwas höher als breit und nahezu vertical gestellt. 1344 Stehlin, Eocaene Säugeliere. Dabei ist aber die Intermaxillarpartie, der Stärke der Incisiven ent- sprechend wesentlich anders und normaler gestaltet als bei Galaginae, Lorisinae, Chirogaleinae. Sie verlängert den Alveolarrand um ein gutes Stück (ca. 3 mm an Basel Q. H. 470) über den Caninalveolus hinaus und ist an der Seitenwand des Nasenrohres mit einem ziemlich breiten Streifen betheiligt, während ihr ander- seits der für Loris und Hemigalago so characteristische, röhrenartige Verlängerung des Nasenrandes vollständig abgeht. Die genaue Gestalt der facialen Platte der Intermaxilla vermag ich nicht festzustellen, weil die Intermaxillomaxillarsutur — wie diverse andere ')— frühzeitig verwächst. An dem Schädel Basel Q. H. 470 ist dieselbe spurlos verschwunden, an Montauban 10 dagegen, wie schon bei Er- örterung der Zahnformel bemerkt wurde, in ihrem untern Theil noch soweit nach- weisbar, wie sie in unserer Profilansicht eingezeichnet ist. Der Vorderrand der facialen Platte nimmt einen schwach concaven Verlauf und zeigt, etwas oberhalb der Mitte zwischen Alveolarrand und Nasenbein einen kleinen eckigen Vorsprung. Das faciale Maxillare erinnert in seiner Modellierung, speciell auch in der Art und Weise wie der Jochbogen einfällt, sehr an Galago. Sein hinterer oberer Fortsatz gewinnt zwischen Lacrymale und Nasale einen schwachen Contact mit dem Frontale. Der Unterrand der Orbita liegt — der geringern Grösse der- selben entsprechend — um ein merkliches höher über dem Alveolarrand als bei Galago. Der Infraorbitalcanal öffnet sich über der Vorderwurzel von Pı, näher dem Orbitalrand als dem Alveolarrand. Das Perpendikel aus dem vordersten Punkt des ÖOrbitalrandes trifft, ähnlich wie bei Galago ungefähr die Mitte von Pı. Das Laerymale ist an Basel Q. H. 470 vorzüglich erhalten, seine ganze Umgrenzung sehr gut sichtbar. Die Fossa liegt wie bei Galaginae etc. entschieden extraorbital und ihr Boden wird grösstentheils vom Lacıymale geliefert; nur vorn oben betheiligt sich an derselben ein kleiner Vorsprung des Maxillare, das dagegen die Crista anterior und die untere Umgrenzung liefert. Oberhalb der Fossa besitzt das Laerymale eine nicht ganz unbeträchtliche faciale Ausdehnung. Es liefert die ziemlich scharf ausgebildete Crista posterior, die den vorderen Orbitalrand bildet Seine Pars orbitalis stellt einen schmalen, nach unten etwas breiter werdenden Streifen dar, der nahezu bis ins Niveau des Infraorbitalcanals reicht. Der Knochen als Ganzes lässt sich am ehesten etwa mit seinem Homologon bei Opolemur ') Ich stelle sie hiemit zusammen: Ganze Umgrenzung des Os planum, Maxillajugalsutur, Parieto- oeeipitalsutur, Suturen von Orbitosphenoid und aufsteigendem Alisphenoid, Squamosalsutur, Jugo- squamosalsutur, Vomersuturen, Supraoceipito-exoceipitalsutur, Necerolemur, Schädel. 1345 Thomasi!) vergleichen; der Flächeninhalt des intraorbitalen Theiles kommt dem des extraorbitalen, bei völlig abweichenden Umrissen, nahezu gleich. Ob Necrolemur ein os planum besitzt, vermag ich nicht mit völliger Be- stimmtheit festzustellen. Ungefähr in der Höhe des Unterrandes der Fossa läuft vom Hinterrand der pars orbitalis eine etwas geschlängelte Sutur nach hinten, von welcher dann etwa über M, eine Abzweigung nach oben entspringt, die sich bald verliert. Was unterhalb dieser Sutur liegt, ist zweifellos maxillares Gebiet. Ob was oberhalb derselben und zwischen der genannten Abzweigung hinten und dem Lacry- male vorn liegt, ein os planum ist oder schon zum eigentlichen Frontale gehört, bleibt unsicher, da sich eine Abgrenzung gegen das Frontale nicht nachweisen lässt. Immerhin erscheint es nach Analogie der recenten Galaginae und Lorisinae?) a priori nicht unwahrscheinlich, dass auch Necrolemur ein os planum besass und dass die fragliche Partie als solches gedeutet werden darf. Vorderhalb der Fossa lacrymalis und somit auf maxillarem Gebiet bemerkt man eine weitere Grube, die aber äusserst seicht und nur nach vorn zu durch ein schwaches Grätchen deutlicher umgrenzt ist. Sie entspricht offenbar derjenigen, welche wir bei Adapis (p. 1198; Figur CCLI p. 1192) an derselben Stelle beob- achtet und als Ansatzstelle eines nach rückwärts, zum Orbieularis palpebrarum ziehenden Faserbündels gedeutet haben. Man findet sie in von Form zu Form etwas wechselnder Ausbildung bei allen Lorisinen und Galaginen wieder und an einem Spiritusexemplare von Hemigalago Demidoffi habe ich feststellen können, dass sie in der That jenen Örbicularisfasern zur Anheftung dient. Die Sutur zwischen Maxillare und Jugale habe ich auf der Facialseite an keinem der mir vorliegenden Schädel erkennen können. An Basel Q. H. 470 glaube ich auf der Orbitalseite gegen vorn zu eine Spur derselben wahrzunehmen, der- zufolge das Jugale im Orbitalrand bis an das Lacrymale reichen würde. Doch kann dieser Befund nicht als sichergestellt gelten. Die Nasalien wurzeln etwas vorderhalb der Stelle, wo der obere Orbital- rand seine Schärfe verliert und in den vordern übergeht. Sie sind transversal etwas gewölbt, sehr schmal und auf dem grössten Theil.ihrer Erstreckung parallel- randig, wie bei Hemigalago. Ihr Hinterende ist schräg abgestutzt wie bei diesem, 1) G. J. Forsyth Major, On some characters of the Skull in the Lemurs and Monkeys. — Proc. of the Zoological Society of London 1901 p. 139 Fig. 37. 2) Major 1. c. p. 131. 1346 Stehlin, Eocaene Säugetiere. mit im medialen Rand gelegener Spitze. Das Vorderende, das nur um ein Weniges hinter der Oberkieferspitze zurückbleibt, endigt in einem leicht concaven Contour, der so angeordnet ist, dass die äussere, der Intermaxilla anliegende, Ecke etwas mehr vorspringt als die innere. Die Knochen des Schädeldaches sind dünn, wie bei den recenten Formen von gleicher Grösse; dis Muskeleristen tragen etwas mehr auf als bei diesen. Die augenfälligste Abweichung dieser Schädelpartie gegenüber Galago und Hemi- galago besteht darin, dass eine Sagittalerista zu Stande kommt. Unter den nächst- vergleichbaren recenten Halbaffen findet sich eine solche nur bei Otolemur und (nach Leche) bei Nyeticebus tardigradus var. cinerea, die aber beide beträcht- lich grösser sind als Necrolemur. Die Frontalien sind gut ent- wickelt und betheiligen sich ungefähr in gleichem Maasse an der Gehirnkapsel wie bei Galago und Hemigalago, also bedeutend ausgiebiger als bei Adapis. Die Stirnfacette ist in der Mitte sanft gewölbt. Die Augenbogen sind ungefähr in gleichem Grade wie bei Galago auf- geschlagen, aber etwas energischer modelliert. Die Temporalbogen sind Figur CCCXI. Necrolemur antiquus Filhol. — Reconstruction der Oceipitalansicht nach Montauban gleichfalls etwas kräftiger entwickelt 9. — Mbl. Mastoidblase mit Oceipitalkante. — B. Ss bei letzterem; sie wenden sich in Bulla, — Fm. Foramen magnum, darüber der ziemlich weitem Bogen nach hinten und Vermisvorsprung flankiert von zwei den Kleinhirn- er \ : a s NEN vereinigen sich erst hinterhalb der Mitte hemisphaeren entsprechenden Ausbauchungen. — €. Condylus oecipitalis. — ME. Mastoideo-exoccipital- des Abstandes zwischen Processus post- sutur (der Strieh ist nicht bis an sie heran gezogen). . Be orbitales und Occiput und ein merk- — Au. Gegend der Ohröffnung. — ca. ?/ı liches hinter der Coronalnaht zur Sagit- talerista. Diese ist also bedeutend kürzer als bei Otolemur, dessen Temporalecristen schon vor der Coronalnaht und in ganz geringer Distanz hinter den Processus postorbitales zusammentreffen. Die Parietooceipitalsutur ist an den mir vorliegenden Schädeln nicht mit Sicherheit nachzuweisen; es scheint mir aber kaum zweifelhaft, dass sie mit dem Oceipitalgrat, der bei Necrolemur scharf ausgebildet ist, zusammenfällt. Das Supraoceipitale participiert somit wie bei Otolemur und Loris nicht am Schädel- Neerolemur, Schädel. 1347 dach, während es bei Galago, wo „freilich die Grenze von Dach und Oceiput gegen die Mitte zu unscharf ist, mit seinem Vorderrande auf die Oberseite über- greift. An dem Schädel Montauban 9 fällt auf der Grenze von Supraoceipitale und Parietalien ein ziemlich grosses, annähernd symmetrisches Feld auf, von der Gestalt eines Fünfecks mit nach vorn gerichteter Spitze (in der Oeeipitalansicht ange- deutet). Es wäre als Interparietale zu deuten, wenn sich mit Bestimmtheit fest- stellen liesse, dass seine vordere und seitliche Umgrenzung von Nähten gebildet wird. Da aber die Umgebung von zahlreichen Sprüngen durchzogen ist und da es sich an dem Schädel Montauban 10 nicht wiederholt, neige ich zu der Ver- muthung, diese Umgrenzungslinien seien selbst Sprünge. Die Grenzen des orbitosphenoidalen und des alisphenoidalen Theiles der Ge- hirnkapselwand vermag ich nicht mit Sicherheit festzustellen. Desgleichen ist auch die Schläfenschuppennaht vollständig obliteriert; ein Punkt ihres Ver- laufes ist durch das Venenemissarium oberhalb der mastoidalen Blähung bezeichnet. Der an das Mastoid anstossende Theil des Squamosum ist wie bei Galago von der Pneumatisierung des letzteren mit ergriffen. Während aber bei Galago die Squamo- salsinus in der ganzen, hinter der Ohröffnung gelegenen Partie des Knochens bis an den Oberrand desselben reichen, dringen sie bei Necrolemur offenbar weniger weit vor, denn das eben erwähnte Emissar liegt um ein merkliches ausserhalb der geblähten Region. Der laterale Theil der Occipitalkante läuft wie bei Galago auf der Grenze von Mastoid und Squamosum über die Blähung weg nach dem Hinterrand der Öhröffnung, ist aber verwischter und nur eben noch fest- stellbar. Dagegen markiert sich die über dem Processus jugalis auslaufende Rinne, welche die Mastoidblase etwas von der Gehirnkapsel abgliedert, stärker als bei Galago; sie liest hier, der geringern Pneumatisierung des Squamosum entspre- chend, ganz auf diesem, während sie bei Galago den grössten Theil ihres Verlaufes ‚über parietales Gebiet nimmt. Der Jochbogen ist in seinem hostorbitalen Theil stärker und höher und namentlich — im Zusammenhang mit der geringeren Grösse der Orbita — relativ um ein beträchtliches länger als bei Galago. Der untere Orbitalrand kehrt (wie auch der hintere und obere) seine Kante weniger stark nach aussen als bei letzterem und infolge seiner höheren Lage liegt auch die ganze Jochbogenpartie etwas höher über dem Alveolarrand. Die Masseterfläche ist ähnlich beschaffen wie bei Galago, aber vorn schärfer umrandet. Der Processus postorbitalis des Jugale und der ihm entgegenkommende des Frontale entwickeln auf der Medialseite, ähnlich wie bei Galago ete., eine scharfe lamellenartig vorspringende Kante, in der sich 7 u Te! u ht ur a te ale De MT a neh an Sa Sb nr hr RE UER EN EWE EEFEE 2 ua, A NT TR N E 1348 Stehlin, Eocaene Säugetiere. eine gewisse Tendenz kundgiebt, die Orbita nach Affenart abzuschliessen. Die Sutur zwischen dem Processus jugalis squamosi und dem Jugale ist an dem Schädel Basel Q. H. 470, an dem mir diese Partie allein vorliegt, verwachsen, doch glaube ich ihren Verlauf so, wie in unserer Profilansicht angegeben, noch erkennen zü Figur CCCXII. Necrolemur antiquus Filhol. — Reconstruction der Untenansicht nach Basel Q. H. 470 und Montauban 9 — */,. — Erklärung siehe nebenstehend. können. Ein Foramen malare ist nicht vorhanden. Der hinterste Theil des Joch- bogens mit dem Kiefergelenk ist nur an dem Schädel Montauban 10 auf der rechten Seite einigermassen intact erhalten. Der Ursprung des Processus jugalis squamosi hat eine sehr ähnliche Ausdehnung und eine ähnliche Stellung zur Gehör- öffnung wie bei Galago. Die verticale Platte desselben ist massiver, aber zu- gleich niedriger und verticaler gestellt als bei letzterem und beginnt erst vor der Ohröffnung sich abzuheben. Die Gelenkfläche hat einen etwas mehr geradlinigen Vorderrand als bei Galago und stellt ein nach hinten verjüngtes Viereck dar; ihre Länge entspricht ungefähr ihrer Breite vorn; in sagittalem Sinn zeigt sie eine Neerolemur, Schädel. 1349 schwache Convexbiegung und hinten ist sie etwas vertieft, aber nicht so stark wie bei Tarsius oder Awahis. Im Ganzen genommen erscheint sie als ein Mittel- ding zwischen dem Gelenkflächentypus von Galago und dem von Tarsius, das sich dem letztern aber etwas mehr nähert als dem erstern. Ein eigentlicher Processus Erklärung zu Figur CCCXII. F.a.p. Foramen patatinum anterius. — P.a. Processus pterygoideus alisphenoidei. — F. pt. Fossa pterygoidea (ein kleines Grätchen trennt sie vom Tubatrichter). — T. Tuba. — Al. Alisphenoi- daler Theil der Bullawand. — Au. Knöcherner Gehörgang. — Th. Tympanohyalegrube. — F. ce. Foramen condylare. — M. Mastoidblase. — Co. Condylus oeccipitalis. — F. m. Foramen magnum. — Eo. Exoceipitale. — F. 1. p. Foramen lacerum posterius, unvollständig in zwei Hälften gegliedert. Un- mittelbar davor die isolierte Austrittsöffnung für den Sinus petrosus inferior. — F.ca. Foramen caroticum. — B. Bulla. — F. gl. Gelenkfläche. — C, (, äussere und innere Öffnung des Canalis Civinninii. — F. o. Foramen ovale. — Pt. Pterygoid. — P. p. Processus pterygoideus palatini. — ?/ı. postglenoidalis ist im Gegensatz zu diesen beiden recenten Formen nicht vor- handen, doch wird eine kleine Knochenbrücke, welche den knöchernen äussern Gehörgang an die Unterseite des Processus jugalis anheftet, als Homologon des- selben zu deuten sein. the MR a nr Da en en 1350 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Das niedrige und beträchtlich nach hinten geneigte Oceiput erinnert an Galago. Ein wesentlicher Unterschied besteht nur insofern, als die Oceipitalkante sich in ihrem mittleren Theil schärfer markiert und der Parieto-supraoceipital- sutur folgt, anstatt ganz im Gebiet des Supraoceipitale zu verlaufen. Wie bei Galago, Tarsius ete. ist das Relief des Oceiputs in ausgesprochenem Maasse durch die Oberfläche des Kleinhirns beeinflusst; eine wulstige verticale Vorragung über dem Foramen magnum (Bulla nuchae mediana) entspricht dem Vermis; zwei rund- liche Beulen, welche dieselbe flankieren, entsprechen den Kleinhirnhemisphaeren. Den seitlichen Abschluss bilden die mächtigen Mastoidblasen. Dem Vermiswulst ist in seinem obern Theil eine deutliche Crista aufgesetzt, von der man bei Galago blos eine ganz schwache Andeutung bemerkt. Die Mastoidblasen springen be- deutend mehr vor als bei letzterm. Das weite Foramen magnum entwickelt ob den Condylen eigenthümliche Ausbuchtungen, welche vielleicht durch eine besonders starke Entwicklung der Arteriae vertebrales bedingt sind, und besitzt infolgedessen eine weniger regelmässig gerundete Form als bei Galago. Die Sutur zwischen Supraoceipitale und Exoceipitale ist nicht mehr kenntlich, dagegen lässt sich die- jenige zwischen Exoceipitale und Mastoid, so wie sie in Figur CCOXII eingezeichnet ist, feststellen. | Die Gaumenfläche verjüngt sich nach vorn zu, der Gestalt des Gesichts- schädels entsprechend, und ist concaver als bei Galago und Hemigalago. Die zwischen den Alveolen der J, und vor den kurzovalen Foramina palatina anteriora gelegene intermaxillare Partie derselben bildet ein viereckiges Feldchen von sehr scharfer Sculptur. Über den Verlauf der Palatinomaxillarsutur und die Lage der Foramina palatina posteriora giebt das mir vorliegende Material in Folge von Be- schädigungen keinen Aufschluss. Der hintere Abschluss des Gaumens erfolgt in einer von Galago ziemlich stark abweichenden Weise. Zunächst liegt der Gaumen- rand nicht wie dort in einer Linie mit den Vorderenden der M,, sondern um ein merkliches hinter dem Zahnreihenende; auch verläuft er nicht in nach vorn con- vexem Bogen, sondern geradlinig. Sodann ist die Weite der Choane bedeutend geringer als die Breite des Gaumenendes, ähnlich wie bei Tarsius. An diesen er- innert auch die kleine Transversalleiste, die dem Gaumen, soweit er den Choanen- boden bildet, aufgesetzt ist; doch folgt dieselbe hier dem äussersten Rande, während sie bei Tarsius in einigem Abstand vor demselben verläuft. Die Incisur für den oberflächlichen Ast der Arteria palatina descendens!) ist seichter entwickelt als bei Adapis und bei Galago. 1) S. oben p. 1202. Necerolemur, Schädel. 1351 Die hintere Choanenpforte ist nicht nur schmal, sondern auch niedrig, was mit der äusserst geringen Knickung der Schädelaxe auf der Grenze von Ge- hirn- und Gesichtsschädel zusammenhängt. Über den Vomar giebt mein Material sehr unbefriedigende Auskunft, wesshalb er in Figur CCCXII auch nicht ein- gezeichnet worden ist. Die Pterygoidalwände — an Montauban 9 leidlich gut, wenn auch nicht ganz intact erhalten — stehen sehr gespreizt und verbinden sich hinten mit der Bulla, wie bei Adapis und bei Tarsius. Der vordere Theil derselben, vom Gaumen bis zu der Stelle, wo die Flügel auseinandertreten, ist sehr kurz, sein (dem Palatinum angehöriger) Unterrand massiv und breit, in etwas höherem Niveau als die Gaumenfläche gelegen. Die Fossa pterygoidea hat eine rundliche Gestalt und ist auffällig geräumig, nach vorn und oben tief eingesenkt, was auf eine starke Entwicklung des Pterygoideus internus hinweist. Unter lebenden Halbaffen zeigen nur die Indrisinae eine ähnlich starke Entwicklung dieser Grube, aber bei ziemlich stark abweichender Beschaffenheit der Umgebung. Das Pterygoid, das die innere Begrenzung der Grube bildet, entwickelt einen kleinen Hamulus. Seine Praesphenoidalsutur ist nicht mehr sichtbar, wohl aber — eine Strecke weit — seine Grenze gegen den Pterygoidalfortsatz des Palatinums. Seine sagittale Aus- dehnung ist gering. Um so besser ist der Pterygoidalfortsatz des Alisphenoides entwickelt, der für mehr als die Hälfte der Länge der Pterygoidalwand aufkommt. Er ist in seinem obern Theil zu Gunsten der Pterygoidgrube nach aussen gewölbt; sein etwas nach aussen umgeschlagener Unterrand verläuft erst nach hinten aussen und biegt dann in einer stumpfen Ecke nach innen und oben um, um den Contact mit der Bulla zu gewinnen. Dieser erfolgt nicht wie bei Adapis durch Verkeilung mit einem Fortsatz der vom Petrosum (oder vielleicht von einem Os bullae?) ge- lieferten Bullawand, noch auch wie bei Tarsius durch Anheftung an die Aussen- seite der letzteren, sondern im Gebiete des Alisphenoids selbst, da eine nach unten vorspringende Lamelle desselben, an welche sich das Ende des Pterygoidfortsatzes ansetzt, den ganzen vordern äussern, zwischen Tubaöffnung und Gehörgang gelegenen, Theil der Bullawand bildet.') Das Squamosum, welches sich bei Galago innen an der Kiefergelenkfläche mit !) Ich muss bemerken, dass Gregory (l. e. 1915 II), welcher Necrolemur speciell auf die Beschaffenheit der Schädelbasis untersucht hat, dieser merkwürdigen Eigenthümlichkeit nicht erwähnt. Vielleicht sind die von ihm untersuchten Schädel in dieser Hinsicht weniger günstig erhalten als Montauban 9. Dass ich mich durch Verwachsungen und Sprünge über die wahren Knochengrenzen habe täuschen lassen, glaube ich nicht. Da mein Objeet längst wieder in Montauban ist, bin ich gegenwärtig nicht in der Lage eine Nachprüfung vorzunehmen. -, Zune ante 2 EU) I Tb rt dann Fi ut er a nn Hin ul ı 1352 Stehlin, Eocaene Säugetiere. einer nach unten vorspringenden Lamelle an die Bullawand anlegt, ist unter diesen Umständen gänzlich aus dieser Gegend verdrängt und scheint satt unter dem Processus jugalis zu endigen. Die Pterygoidalpartie als Ganzes — zu deren Characteristicis noch der unten zu besprechende Canalis Civinninii gehört — zeigt somit ein sehr eigenthümliches Gepräge, für das sich bei keinem recenten Primaten ein Analogon nachweisen lässt. Die Betheiligung des Alisphenoides an der Umwandlung der Paukenhöhle erinnert an Insectivoren und Marsupialier, wo sie freilich unter wesentlich andern Begleit- umständen (Mitbetheiligung des Basisphenoids; theilweise Persistenz der häutigen Bullawand ete.) statt hat. Eine andere, schon von Filhol hervorgehobene, Eigenthümlichkeit der periotischen Region von Necrolemur besteht darin, dass sich der — allem Anschein nach vom Annulus gelieferte — knöcherne Gehörgang in ein zwei Millimeter langes Rohr auszieht, während er bei allen recenten Halbaffen, Tarsius inbegriffen, viel kürzer bemessen ist. Nach oben ist dieses Rohr, wie bereits bemerkt, ver- mittelst einer kleinen Brücke an die Unterseite des Processus jugalis squamosi angeheftet. Hinten legt sich ihm bis an den Rand die Mastoidblase an, welche beträchtlich mehr als bei Galago über die Bulla nach seitwärts vorspringt. Das Verhalten des Annulus tympanicus ist somit bei Necrolemur ein ganz anderes als bei Adapis. Die Bulla erinnert gestaltlich sehr an diejenige von Galago '), doch ist sie, zumal in ihrem hintern Theil, transversal mehr zusammengekneift; auch ist ihr vorderer abgeflachter, der Schädelbasis anliegender Divertikel etwas gedehnter, sodass er bis an die Basis des Pterygoides reicht. Nach hinten aussen zu ist die Bulla durch eine tiefe Einschnürung bedeutend schärfer als bei Galago von der anstossenden Mastoidblase abgegliedert. Ob die knöcherne Bullawand — vom alisphenoidalen Antheil abgesehen — durch ein Os bullae oder, wie es bei Galaginen, Lorisinen und Tarsius der Fall zu sein scheint), durch das Petrosum geliefert wird, lässt sich an dem erwachsenen Schädel, welcher mir vorliegt, natürlich nicht feststellen. Ebenso wenig bin ich in der Lage über die innere Beschaffenheit der Paukenhöhle und ihrer Nebenräume Aufschluss zu geben. %) Gregory (l. e. 1915 II) schreibt ihr in der specielleren Form grosse Ähnlichkeit mit Tarsius zu. Mit meinen Beobachtungen stimmt diess nicht überein. ®) P.N. van Kampen, Die Tympanalgegend des Säugetierschädels 1915, p- 664 ff. Neerolemur, Schädel. 1353 Die Basisphenoideo-praesphenoidalsutur liegt genau zwischen den Vorderenden der Bullae. Die Sutur zwischen Basisphenoid und Basioceipitale ist spurlos verwischt. Beide Knochen bilden zusammen einen nach vorn stark ver- jüngten Keil, dessen (vor den sofort zu besprechenden Foramina) ein Stück weit nach unten umgeschlagene Ränder sich an die Bulla anlegen. Die Sculptur dieses Keiles ist etwas praeeiser als bei Galago. In der Mitte seiner Erstreckung trägt er ein sehr scharfes Grätchen, das sich nach hinten zu, zwischen den Condyli, zu einem dreieckigen Feldchen verbreitert. Die Condyli sind sehr ähnlich beschaffen wie bei Galago und Hemigalago, aber in ihrem neben dem Foramen magnum am Oceiput emporziehenden Theil etwas weniger entwickelt. Wie bei Galago liest das Foramen magnum zum grössten Theil zwischen den Mastoidblasen und nur mit seinem Vorderende zwischen den Bullae. Der Hintergrund der Orbita ist an dem Schädel Basel @. H. 470 nicht erhalten. An Montauban 9 liess er sich linkerseits, wo der Jochbogen und das Hinterende des Öberkiefers weggehrochen sind, leicht praeparieren; er ist aber daselbst von Sprüngen durchzogen, längs welchen kleine Verschiebungen statt- gefunden haben. Das Foramen opticum ist intact. Hinten unten an demselben glaube ich mit ziemlicher Bestimmtheit zwei Foramina feststellen zu können. Der zweite Trigeminusast (N. maxillaris superior) besässe mithin bei Necrolemur, wie bei Lemur und Adapis, sein besonderes Foramen rotundum, während er bei Galago und allen übrigen recenten Halbaffen das Foramen lacerum anterius zum Durchtritt benutzt. Ob wie bei Adapis und Lemur ein Foramen cranioorbitale') vorhanden ist, lässt sich an den mir vorliegenden Schädeln nicht feststellen. Die Tubaöffnung befindet sich an ihrer gewohnten Stelle auf der Aussen- seite des vordern Divertikels der Bulla. Nach dem Foramen ovale sucht man in der Gegend, wo es bei Galaginae und Lorisinae liegt — nämlich unmittelbar vorn über der Tubaöffnung — ver- geblich; die vorhandene und sofort zu erwähnende Durchbrechung der Pterygoidal- wand ist auch nicht so angeordnet, dass sie, wie diejenige der obigen Gruppen, dem dritten Trigeminusast (N. maxillaris inferior), wenn er ob der Tuba aus- träte, dienen könnte. Das Foramen ovale liegt vielmehr, wie bei den madagassischen Halbaffen und bei Tarsius, ausserhalb der Pterygoidalwand und zwar auffällig 1) S. oben p. 1204, 1212. 354 Stehlin, Eocaene Säugetiere. weit vorn, ungefähr in der Flucht des Vorderrandes der Gelenkfläche. Es ist spaltförmig und ungewöhnlich klein. ') Zwischen Foramen ovale und Tubaöffnung wird der alisphenoidale Theil der Pterygoidalwand schräg von hinten aussen nach vorn innen von einem kurzen aber ziemlich weiten Canalis Civinninii durchbrochen, dessen vordere Öffnung in die Pterygoidalgrube mündet. Da dieser Canal nach seiner Richtung und nach der Lage des Foramen ovale unmöglich der Bahn des Nervus maxillaris inferior angehören kann, so erscheint es kaum zweifelhaft, dass er demselben Zweige der Maxillaris interna dient, welcher bei Adapis, Lemur etc. die Pterygoidalwand auf mehr transversalem Wege durchsetzt und zum M. pterygoideus internus zieht.°) Von einem Foramen lacerum medium vorn oder vorn innen an der Bulla wie bei Galaginae und Lorisinae findet sich keine Spur. Ob vorn an der Wurzel des knöchernen Gehörgangs im hintern innern Winkel der Gelenkfläche eine Öffnung vorhanden ist, die dem Foramen post- glenoidale entspricht, vermag ich nicht mit Sicherheit zu entscheiden, da die Stelle an beiden Schädeln des Museums von Montauban einer saubern Praeparation unzugänglich ist.”) Jedenfalls müsste sie bedeutend kleiner sein als das F. post- glenoidale von Galago. Der bei Necerolemur sehr verwischte seitliche Theil der Oceipitalkante, der über die Mastoidblase herabzieht, endigt, ganz wie bei Galago, am Hinterrand der Gehöröffnung mit einem kleinen Höckerchen, unter dem die Tympanohyalegrube liegt. Das Foramen stylomastoideum, das jedenfalls sehr klein ist, habe ich vergeblich gesucht. Ein arterielles Foramen, wie bei Adapis und Lemur, scheint in dieser Gegend nicht vorhanden zu sein. Das Foramen condylare liegt satt vor dem Condylus und ist sehr klein. Hinten innen an der Bulla liessen sich an Montauban 9 rechterseits in sehr klarer Weise drei Foramina freilegen, zwei auf der Grenze von Bulla und Oceipitale, !) Es wäre mir sehr erwünscht gewesen noch einen zweiten Schädel in Bezug auf Foramen ovale und rotundum untersuchen zu können. In dem Hauptpunkte, nämlich dass das Foramen ovale, im Gegensatz zu Galaginen und Lorisinen, nicht medialwärts von der Pterygoidalwand liegt, stimmt der Befund, den Gregory (l.e. 1915 II), mittheilt mit dem meinigen überein: „In front of the greatly inflatet bulla and on the outer anterior face of the enwrapped pterygoid wing of the alisphenoid are two foramina which by comparison of Tarsius appear to be the for. ovale and for. rotundum (respectively for the ramus mandibularis and ramus maxillaris trigemini). 2) S. oben p. 1205. °) Gregory (l. ec. 1915, II) war in diesem Punkte glücklicher. Er bemerkt: „A postglenoid Foramen is present“. - | | j | | Necerolemur, Schädel. 1355 das dritte in der Bullawand. Das hintere der beiden erstern — gegenüber dem Foramen condylare gelegen — ist gross, länglich, unvollständig in zwei Hälften gegliedert, also S-förmig. Das zweite ist rund und beträchtlich kleiner. Das dritte ist eine Spur grösser als das zweite und liegt direct unter demselben; der Ab- stand, der es von diesem trennt, kommt etwa dem Durchmesser seiner Öffnung gleich. Vor diesen Foramina legt sich, wie oben bemerkt, der lamellenartig nach unten vorspringende Rand des Basioceipitale an die Bullawand an. Die beiden Foramina in der Bullasutur sind offenbar so zu deuten, wie die in ähnlicher Lage bei Adapis') beobachteten, nämlich als getrennte Theile des Foramen lacerum posterius; das grosse 8-förmige, gegenüber dem Foramen condylare, wird dem IX, X und XI Nerven zum Durchtritt gedient haben, das kleinere unmittelbar davor gelegene die Ausmündungsstelle des Sinus petrosus inferior darstellen. Das Foramen in der Bullawand dagegen hat zweifellos einem arteri- ellen Gefässe gedient; es frägt sich nur, wo unter recenten Primaten wir das nächste Analogon zu der bei Necrolemur bestehenden Einrichtung finden. Da sich der Gefässverlauf an dem vorliegenden Necrolemurschädel nicht verfolgen lässt, können sich unsere Vergleichungen nur auf Lage und Grösse des Foramens be- ziehen. Bei Galaginen und Lorisinen entsendet die Carotis interna, nach Befunden von Winge und van Kampen?), ein feines Zweiggefäss nach der Paukenhöhle, welches entweder selbst die Arteria stapedia ist oder diese im Innern des Ohres abgiebt. Seine Eintrittsöffnung ist in Bezug auf das Foramen lacerum posterius ähnlich situiert wie das arterielle Foramen bei Necrolemur; sie befindet sich, je nach dem Genus, direct unterhalb oder etwas vorn unterhalb desselben in der Bullawand. Allein sie liegt bei allen diesen Formen zugleich nahe an der Mastoid- grenze, also gegen das Hinterende der Bulla zu, während das Foramen bei Necro- lemur durch einen beträchtlichen Abstand von der Mastoidblase getrennt ist. Man beachte ferner, dass das letztere, obwohl klein, doch einen weniger minimalen Durchmesser hat. Nehmen wir dazu endlich noch den Umstand, dass bei Gala- ginen und Lorisinen die Carotis interna selber vorn an der Bulla in die Schädel- höhle eindringt, durch ein Foramen lacerum medium, welches bei Necrolemur fehlt, so drängt sich der Schluss auf, dass das Foramen in der Bullawand von 2) p. 1207; Figur CCLXI, pag. 1208. arl2 e&p. 611. ) pP B 1356 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Necrolemur der Carotis selbst gedient hat und daher nicht als Äquivalent jenes fast capillaren Foramens bei Galaginae und Lorisinae zu deuten ist. Wir haben also das Analogon des Zustandes bei Necrolemur unter den- jenigen recenten Primaten zu suchen, bei welchen die Carotis interna selber in irgend einer Weise die Ohrgegend durchsetzt. Von diesen stehen in Bezug auf die Lage des Foramen caroticum die Lemurinen, die Indrisinen, Chiromys, Adapis und, wie wir neuerdings durch Gregory wissen, Notharetus!) Necrolemur ziemlich fern, denn bei allen diesen Formen liegt dasselbe hinten oder gar hinten aussen an der Bulla. Auch die Einrichtung bei Tarsius weicht beträchtlich ab; das Foramen befindet sich hier unten aussen an der Bulla, auf der Grenze der eigentlichen Paukenhöhle und ihres mächtig auf- geblasenen, für dieses Genus characteristischen vordern Nebenraumes. Viel nähere Vergleichsobjecete sind in diesem Punkte die Affen und unter diesen stellen sich wiederum die kleinen Platyrhinen, bei welchen die Bulla gebläht, die Carotis schwach und ihre Durchtrittsöffnung eng ist, in die vorderste Reihe. An einem Schädel von Hapale melanoura z. B. finde ich das Foramen caroticum sowohl in Bezug auf das Foramen lacerum posticum als auf die Mastoidgrenze sehr analog gelegen wie bei Necrolemur; es ist nur in der Bullawand etwas weiter nach unten geschoben und zugleich etwas grösser. Somit gelangen wir zu dem nicht uninteressanten Ergebniss, dass sich Necrolemur in Bezug auf die Art, wie die Carotis interna in den Schädel eindringt, weder an Tarsius, noch an die eine oder an die andere Gruppe der recenten Halbaffen, sondern an die Affen anschliesst. Es mag sein, dass, wenn wir die Untersuchung des Carotisverlaufes auf das Innere der Bulla ausdehnen könnten’), diese Analogie mehr zurück und diejenige mit Tarsius mehr in den Vordergrund treten würde; bis auf weiteres müssen wir uns mit der obigen Feststellung begnügen. Was die Blutversorgung des Gehirns im ganzen anbelangt, so sind offenbar bei Necrolemur wie bei Adapis und Lemurinen die Arteriae vertebrales in erster Linie für dieselbe aufgekommen. SE. N ®) Auch Gregory (l. ce. 1915 II), der sich in Bezug auf Lage und Deutung des in Rede stehenden Foramens in vollständiger Übereinstimmung mit mir befindet, hat an seinen Objeceten den Carotisverlauf im innern der Bulla nicht verfolgen können. Dass er denselben als tarsiusartig be- zeichnet, scheint mir unter diesen Umständen etwas vorschnell. Necrolemur, Schädel. 1357 Die Mandibel liegt mir in keinem einzigen ganz intacten Mekanläre vor; doch sind alle Partien derselben in der Basler Sammlung gut und mehrfach ver- treten mit einziger Ausnahme des Processus coronoideus. Ihre allgemeinen Umrisse erinnern an Lemur, Chirogaleus, Otolemur, Pely- codus'), am meisten aber an Galago. Im einzelnen sind folgende Differenzen gegenüber letzterem hervorzuheben : Der Raämus ascendens ist etwas kürzer und höher, sein Vorderrand verti- ealer gestellt. Der Condylus liegt höher über der Zahnreihe und springt mehr nach oben über die Ineisur, weniger nach hinten über den Hinterrand des Ramus ascendens vor. Dabei ist er nur unbedeutend breiter als lang und zeigt oben eine vorherrschend convexe Beschaffenheit mit nur schwacher Andeutung der bei Galago Figur CCCXIV. Necrolemur antiquus Filhol. — Rechte Mandibel, von innen. C M. Canalis medianus menti. — Phosphorite des Quercy, Basel Q. H. 239. — */ı. stark ausgesprochenen sattelförmigen Einsenkung. Jede dieser Abweichungen be- deutet eine Annäherung an die Indrisinen und an Tarsius, an welche, wie wir gesehen haben, Necrolemur auch in der Beschaffenheit der Fossa glenoidalis an- klingt. Was im speciellen die Convexität und den Längenbreitenindex des Condylus anbelangt, so halten dieselben ziemlich genau die Mitte zwischen Galago und Tarsius. Der Processus angularis ist ebenso stark ausgegliedert wie bei Galogo, zugleich massiver und mehr nach unten gerichtet, sodass der untere Kiefercontour 1) H. F. Osborn, American Eocene Primates. Bull. Am. Mus. Nat. Hist. 1902, p. 193. 1358 Stehlin, Eocaene Säugetiere. auf der Grenze von Winkel und Ramus horizontalis eine energischere Curve be- schreibt. Der Winkelrand bildet vorn eine deutliche Ecke und zieht sich hinten oben in einen nach innen abbiegenden Hamulus aus. Alle Kaumuskelansätze sind kräftiger sculptiert als bei Galago. Die Ansatzfläche des Masseter externus wird vorn von einer wulstigen Leiste begrenzt, welche dem Vorderrand des Ramus ascendens folgt und in halber Höhe des Ramus horizontalis in einem Höcker endigt; hinten-unten von einem feinern Leistchen, das dem Winkel, in einiger Distanz vom Rande, aufgesetzt ist. Die ziemlich tief eingesenkte Masseter-internusgrube wird nach hinten durch eine unter dem Condylus beginnende Leiste abgeschlossen, die den Hinterrand des Ramus ascendens ein Stück weit beträchtlich verbreitert und dann, nach vorn biegend, sich allmählig verliert; übrigens von Individuum zu Individuum etwas verschieden ausgebildet ist. Die Innen- seite des Winkels ist mit zwei bis drei, nach hinten oben concaven, in der specielleren Aus- bildung etwas variablen Leisten für den Ptery- soideus internus versehen; das mandibulare Ansatzgebiet dieses Muskels zeugt also wie das craniale für eine sehr kräftige Ausbildung des- Figur CCCXV. Necrolemur antiquus selben. Auch der Ansatz des Pterygoideus ex- Filhol var. major St. — Rechte und linke ternus, unter dem Condylus, markiert sich Mandibel an einander gefügt, von oben. as a 5 7 Be kräftiger als bei Galago. Der Temporalisansatz ee / wird wie bei Tarsius auf der Innenseite begrenzt durch eine sehr obtuse, schräg vom Alveolarrand gegen den Condylus empor- ziehende Kante, längs welcher der Processus coronoideus etwas nach aussen ab- geknickt ist. Hinter M, zeigt der Vorderrand des Ramus ascendens wie bei Adapis eine grubige Vertiefung, dem Buceinator-Ansatz beim Menschen entsprechend. Der Ramus horizontalis ist relativ etwas höher als bei Galago, aber sonst sehr ähnlich ausgebildet. Wie bei diesem und bei vielen andern Primaten erhöht er sich nach vorn zu etwas; doch ist diese Erhöhung bei manchen Indi- viduen minim. Sein Vorderende ist, in Correlation mit der abweichenden Differen- zierung des Vordergebisses, etwas anders beschaffen als bei Galago; die Symphysal- ebene hebt sich hinten weniger von der Innenfläche des Ramus ab und der Winkel zwischen den beiden Mandibeln fällt entsprechend spitzer aus. Das Kinn markiert sich weniger als bei Galago, da der grosse Vorderzahn von Necrolemur procliver eingepflanzt ist als die Incisiven des letztern. Necrolemur, Schädel — Skelet. 1359 Die Symphyse bleibt — im Gegensatz zu Adapis und Caenopithecus, aber in Übereinstimmung mit den recenten Halbaffen — zeitlebens offen. Sie zieht" sich längs dem untern Mandibelrand in einen langen Fortsatz aus, welcher unter P, sein Ende erreicht. In ihrer untern Hälfte ist die Symphysalfläche von einer sagittal verlaufenden Rinne durchzogen, welche mit derjenigen der andern Man- dibelhälfte einen unpaaren Canal bildet. Derselbe entspricht offenbar dem Canalis medianus menti, ‚welcher bei diversen Primaten nachgewiesen, auch beim Menschen gelegentlich beobachtet worden ist und nach Le Double!) einem Ast der Arteria sublingualis (gewöhnlich der linken) zum Durchpass dient. Er ist so weit, dass sich seine vordere Öffnung selbst in der Aussenansicht der Mandibel als ein bogenförmiger Ausbiss im Profilcontour bemerklich macht (Figur CCCIV). Da er den Alveolarcanal an Weite entschieden übertrifft, liegt die Vermuthung nahe, die Arteria sublingualis möchte bei Necrolemur einen Theil der Weichtheile (Kinn, Unterlippe) mit Blut versorgt haben, welcher sonst in das Areal der Arteria alveolaris inferior gehört. Im vordern Theil seines Verlaufes giebt der Mediancanal ein kleines Zweigcanälchen seitwärts ab. Ich vermuthe, ohne es beweisen zu können, es sei dasjenige, welches sich vorn am Vorderzahnalveolus öffnet und werde in dieser Vermuthung bestärkt durch den Umstand, dass es an Mandibel Q. H. 441, wo wir eine Verdoppelung des Foramens vor dem Vorderzahn beobachtet haben, gleichfalls doppelt ist (Figur CCCIV und CCCVIM). Nahe dem Unterrand des Ramus horizontalis läuft, vom Eingang des Mediancanales nach rückwärts eine Rinne, welche, allmählig seichter werdend, sich unter M, verliert. Sie wird wohl zu vorderst den Musculi genioglossus und genio- hyoideus, weiter hinten dem M. mylohyoideus zum Ansatz dienen. Es sind immer mehrere — bald zwei, bald drei — aber sehr kleine Formina mentalia vorhanden. Sie pflegen in einer Flucht, näher dem untern als dem obern Mandibelrand zu liegen und vertheilen sich über die Strecke vom Vorderende des M, bis zum Hinterende des Vorderzahnalveolus. Skelet. Das Extremitätenskelet von Necrolemur ist lange Zeit gänzlich unbekannt gewesen. Vor einigen Jahren?) hat Schlosser eine aus den Phosphoriten stammende 1) A. F. Le Double, Traite des variations des os de la face de l’'homme 1906, p. 319—322, 410. 2) 1907 1. p. 1324 e. 1360 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Tibia mit angeschmolzener Fibula abgebildet und ihrer Tarsiusähnlichkeit wegen auf Necrolemur antiquus bezogen. Ihren Dimensionen nach könnte dieselbe zwar auch zu dem unten zu beschreibenden Anchomomys Quereyi gehören; da aber Necrolemur antiquus in den Phosphoriten viel häufiger ist als Anchomomys und da Schlosser in demselben Sediment überdiess andre tarsiusartige Extremi- tätenknochen nachgewiesen hat, die in den Dimensionen zu dem mit Necrolemur antiquus so eng verwandten Microchoerus erinaceus passen, so scheint es in der That wahrscheinlich, dass es das Phylum Necrolemur-Microchoerus ist, welches sich durch diese tarsiusartige Differenzierung der Gliedmassen auszeichnet. Ich bin vorderhand nicht in der Lage unsere Kenntniss des Necrolemur- skeletes zu erweitern. Necrolemur antiquus. 1361 Necrolemur antiquus Filhol von Mormont. „Rongeur voisin des Spermophiles* Pictet 1855—1857, p. 87, Pl. VI, Fig. 15. „Erinaceus“ Pictet et Humbert 1869, p. 128, Pl. XIV, Fig. 2. „Insectivor“ F. Major 1873, p. 124, T. VI, Fig. 55. Durch ein Mandibelfragment von Mormont ist Neerolemur antiquus lange vor der Entdeckung der Knochenlager des Querey angekündigt gewesen. Es exi- stieren in der Litteratur drei Abbildungen dieses Fundstückes, zwei von Pictet, eine von F. Major. Pictet hat es 1855—1857 mit Vorbehalt auf einen Nager aus der Verwandtschaft von Spermophilus, 1869 auf einen Igel bezogen. F. Major hielt es für einen Insectivoren, bestritt aber die Zugehörigkeit zum Genus Erinaceus. Die Primatennatur des Documentes ist zuerst von M. Schlosser erkannt worden, der es 1884!) zunächst auf Adapis parisiensis, 1887?) aber berichtigend auf Necro- lemur antiquus bezog. Seit Pietet ist ein zweites Mandibelfragment dazugekommen. Lausanne L. M. 1261. Fragment der rechten Mandibel mit M,—P,. — Länge M,—M, 0,0073, M;—P, 0,009. — Pietet 1855—1857, Pl. VI, Fig. 15 „Rongeur voisin des Spermophiles“. — Pietet et Humbert 1869, Pl. XIV, Fig. 2 „Erina- ceus“. — F. Major 1873, Tab. VI, Fig. 55 „Insectivor‘“. Lausanne L. M. 1260. Fragment der linken Mandibel mit M‚—M,. — Länge M,—M, 0,005. Die Zähne sind intact mit Ausnahme des M, von L. M. 1261, der zwischen der ersten und der zweiten Bearbeitung durch Pictet eine starke Beschädigung erfahren hat. Major, dessen Untersuchung vor dem Erscheinen von Pictets zweiter Arbeit stattfand (s. Pictet 1869, p. 132), stellt ihn noch ganz dar. !)M. Schlosser, Die Nager des europäischen Tertiaers 1884, p. 67. ?2)M. Schlosser, Die Affen, Lemuren ete. 1887, p. 45, 47, 99, Mrbres 1362 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Beide Fundstücke stimmen in der Struetur vollkommen mit denjenigen us den Phosphoriten überein. Die Fältelung des Schmelzes erreicht an N, vo vo L. M. 1260 einen hohen Grad. Der Innenhügel von P, an L. M. 1261 ist a ausgebildet. und des untern Ludien geliefert hat. Necrolemur cefr, Zitteli. 1363 Necrolemur cf. Zitteli Schlosser von Egerkingen. Necrolemur antiquus Rütimeyer (nee Filhol) 1890 und 1891, Tab. VII, Fig. 4, p. 112. Necrolemur minor Rütimeyer 1890. Necrolemur Zitteli Rütimeyer 1891, p. 113. Seiuroides Fraasi Rütimeyer (nec Major) 1891 pro parte, scl. Tab. VI, Fig. 28, p. 90. - Forsyth Major hat schon 1873, anlässlich seiner Bemerkungen über die eben besprochene Mandibel von Mormont, darauf hingewiesen, dass das, damals allerdings noch nicht benannte und noch nicht richtig celassifiecierte, Genus Necro- lemur auch im Bohnerzgebilde von Egerkingen vorkommt.!) Rütimeyer citiert das- selbe von diesem Fundort erst in seinen letzten Arbeiten und zwar mit drei Arten, welche er 1890 als Necrolemur antiquus Filhol, Necrolemur Cartieri spec. n. und Necrolemur minor spec. n. bezeichnet, während er 1891 die letztere in Neerolemur Zitteli Schlosser umtauft. Dass die Materialien, auf welche Neerolemur Cartieri begründet ist, von einem Mouillacitherium herrühren, haben wir oben (p. 632) schon festgestellt; wirklich in das Genus Necrolemur gehören nur die auf Necrolemur antiquus und auf Necrolemur Zitteli bezogenen. Von den Belegstücken, die er zu Necrolemur antiquus rechnete, hat hütimeyer blos einen Öberkiefer, von denjenigen, die er dem Necrolemur Zitteli zuschrieb, überhaupt keines abgebildet. Doch ist, wie M. Sehlosser*) längst bemerkt hat, ferner noch die in Figur 28, Tafel VI von 1891 dargestellte und als „Sciuroides Fraasi“ bezeichnete Mandibel hieherzuziehen. Durch die Ausgrabungen des Basler Museums, insbesondere diejenigen in Aufschluss y, ist das Necrolemurmaterial von Egerkingen seit Rütimeyers Zeit 1) F. Major, Nagerüberreste ete. Palaeontographica 1873, p. 124. 2) M. Schlosser, Bemerkungen zu Rütimeyers „Eotaene Säugetierwelt von Egerkingen* Zoolog. Anzeiger 1894, p. 5 und Archiv f. Anthropologie Bd. XXIII, p. 139. 1364. Stehlin, Eocaene Säugetiere. noch etwas ergänzt worden. Die Belegstücke zeigen Grössendifferenzen, welche, wie wir sehen werden, vielleicht nicht ganz ohne chronologische Bedeutung sind, aber doch zu geringfügig erscheinen, um eine Vertheilung auf zwei Species zu rechtfertigen. Alle halten sich beträchtlich unterhalb der untern Variationsgrenze des Necrolemur antiqguus. Sie sind nur mit Neerolemur Zitteli Schlosser und Neerolemur Filholi Chantre et Gaillard vergleichbar, mit denen wir uns daher vorerst kurz zu befassen haben. Necrolemur Zitteli Schlosser beruht auf einem Mandibelfragment mit M,—P, aus den Phosphoriten des Quercy, das von Schlosser in den Figuren 36, 43, 46, 49 - seiner Tafel I von 1887 (l. p. 1324 c.) und neuerdings noch- mals in den Figuren 2 und 4 seiner Tafel X von 1907 (l. p. 1324 c.) abgebildet worden ist. Die Länge M,—M, beträgt an diesem Fundstück blos 0,006, während dieselbe Strecke bei Figur CCCXVI. Necrolemur efr. Zitteli Schlosser. — Necrolemur antiquus von 0,0072 Linke Mandibel mit M,—P, und Alveolen von P,—C, von bis 0,0085 variiert. Andre Ab- oben und von aussen. — Von Lissieu bei Lyon, in der Samm- weichungen hebt Schlosser nicht lung des städtischen Museums in Lyon (Typus von Neerolemur ’ y Filholi Chantre et Gaillard). — Länge M,—P, 0,0075. hervor; aus seinen Abbildungen ergiebt sich aber, dass die Molaren, insbesondere M,, relativ etwas kürzer sind als bei der grösseren Species. Wir haben oben (p. 1334) gesehen, dass die Mandibularmolaren des typischen Neero- lemur antiquus ihrerseits in derselben Richtung etwas von denjenigen der Varietas major abweichen. Necerolemur Filholi ist von Chantre und Gaillard 1897 auf ein Mandibel- fragment und einen isolierten Backenzahn aus dem Bohnerzgebilde von Lissieu bei Lyon begründet worden.!) Herr Gaillard hat die grosse Freundlichkeit gehabt !) E. Chantre et Cl. Gaillard, Sur la faune du gisement siderolithique &ocene de Lissieu (Rhöne) — C—r. acad. sc. 6 Dec. 1897. ; Necrolemur efr, Zitteli. 1365 mir die beiden Documente, sowie ein weiteres nachträglich hinzugekommenes Mandibelfragment, zur genauern Vergleichung nach Basel zu senden, wofür ich ihm hiemit meinen verbindlichsten Dank ausspreche. Dass der isolierte Backen- zahn nicht zu Necrolemur, sondern zu Seiuroides gehört, hat Herr Gaillard in- zwischen selbst erkannt. An dem Mandibelfragment von 1897, dem eigentlichen Speciestypus, sind M,—P,, und die Alveoli von P,—C erhalten; das andere trägt blos M.=—M, und ist vor dem letztern abgebrochen. Alle Zähne sind intact. M,—M, messen an beiden Fundstücken 0,056, die Dimensionen sind also nur un- bedeutend geringer als an der Typusmandibel des Necrolemur Zitteli. Die specifische Abtrennung der Form von Lissieu ist von den Lyoner Forschern damit motiviert worden, dass bei derselben, im Gegensatz zu Necrolemur Zitteli, M, grösser sei als M, und dass M, einen stärkern Talon besitze. Herr Gaillard, der 1897 seine Vergleichungen nur an Hand von Abbildungen vornehmen konnte, räumt heute, wie er mir schreibt, selber ein, dass diese Motivierung nicht genügt. In der Tat ist bei allen Necrolemur M, grösser als M, und andererseits M, so variabel, dass Differenzen in der Stärke seines Talon kein specifischer Werth beigemessen werden kann. Die Species Necrolemur Filholi müsste also anders motiviert werden, um Anspruch auf Giltigkeit zu haben. An den Molaren der Mandibeln von Lissieu fallen vier Abweichungen von Neerolemur antiquus auf. Zunächst sind die M,, minder deutlich auch die M, und M,, relativ kürzer. Sodann erscheint die Abnahme in der Kronenhöhe von M, zu M, merklich accentuiert. Weiterhin übertrifft der vordere Aussenhügel von M, denjenigen von M, in auffälligem Maasse. Endlich ist auch das Überhängen und die Hebung der Kronenbasen nach vorn zu, ihre Tendenz, sich über den Hinter- rand des nächst vordern Zahnes zu schieben, noch ausgesprochener. Die erste dieser Eigenthümlichkeiten ist, wie wir gesehen haben, auch bei Necrolemur Zitteli stark ausgeprägt; die übrigen dagegen sind zum mindesten in den Figuren bei Schlosser nicht hervorgehoben. Da indessen, nach den mir vorliegenden Materialien aus den Phos- phoriten und von Egerkingen zu schliessen, alle diese Specialitäten mit der Schwäche der Dimensionen correlativ sind und sich mit der allmähligen Zunahme derselben ebenso allmählig verwischen, möchte ich vermuthen, dass auch in diesen Punkten keine wesentliche Differenz zwischen Necrolemur Zitteli und Necrolemur Filholi besteht. An dem P, von Lissieu ist der Innenhügel nur ganz schwach angedeutet, an demjenigen des Necerolemur Zitteli dagegen gut entwickelt. In Anbetracht der oben (p. 1336) bei Necrolemur antiquus festgestellten Variabilität des Innenhügels wage ich auch auf diese Differenz kein Gewicht zu legen. 1366 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Die Alveoli von P,, P, und P, verhalten sich an dem Mandibulare von Lissieu ganz wie bei Necrolemur antiquus; der Canin war vielleicht etwas steiler eingepflanzt. Die Partie des Kieferrandes, welche über das Vorhandensein eines Ineisiven Auskunft geben könnte, ist weggebrochen. Der Ramus horizontalis er- höht sich nach vorn zu etwas, wie bei Necrolemur antiquus. In Bezug auf alle diese Punkte ist die minder vollständige Typusmandibel des Necrolemur Zitteli nicht vergleichbar. Differenzen, welche eine specifische Trennung verlangen, sind also zwischen den Materialien von Lissieu und der kleinen Mandibel aus den Phosphoriten nicht nachzuweisen. Aus stratigraphischen Gründen ist es vielleicht gleichwohl empfehlenswerth, die beiden Formen nicht kurzweg zu identificieren. Als ältestes Faunenelement der Phosphorite haben wir, beim Studium der in diesen Fragen leitenden Ungulaten, die Bar- tonienfauna ermittelt; es er- scheint somit wenig wahr- scheinlich, dass Necrolemur Zitteli Schlosser einem älte- ren Horizont als dem Bar- tonien angehört. Der Necro- lemur von Lissieu dagegen ist seiner Begleitfauna nach Figur CCCXVla. Necrolemur cefr. Zitteli Schlosser. — Rechte Mandibel mit M,—P, und Alveolen vom P,;—(, von aussen. — Egerkingen Eh. 601. — °/ı. zuweisen. Es kann sehr wohl zweifellos dem Lutetien zu- sein, dass die von Schlosser beschriebene Mandibel von einem rückständigen Individuum einer Bartonien- mutation herrührt, welche durchschnittlich etwas evoluierter ist als die Lutetien- mutation von Lissieu. Diesen Erwägungen und den Prioritätsregeln Rechnung tragend, ziehe ich Necrolemur Filholi zu Gunsten von Necrolemur Zitteli ein; bezeichne aber die Lutetienmutation, zu der auch die Materialen von Egerkingen gehören, als Necro- lemur cfr. Zitteli“. Maxillen. Basel Ef. 377. Fragment der linken Maxilla mit M,—P,. — Länge M,—P, 0,0092; Länge M, —M, 0,0056.—. Rütimeyer 1891, Tab. VIII, Figur 4 als „Neerolemur antiquus“. — Tafel XXI, Figur 1, 4. Necrolemur efr. Zitteli. 1367 Basel Ef. 378. Fragment der linken Maxilla mit M,—M,. Länge M,—M, 0,006.—. Tafel XXII, Figur 8. Basel Ef. 368. Fragment der linken Maxilla mit M—P,. — Länge M,—P, ca. 0,0035. Tafel XXIL, Figur 2. Basel Ef. 976. Fragment der linken Maxilla mit M,—P,. — Länge M,—M, 0,0055. Basel Ef. 974. Fragment der linken Maxilla mit M,»—M,. — Länge M,—M, 0,0055. Basel Eh. 743. Fragment der linken Maxilla mit P,—P,. — Länge P,—P, 0,0032. An M, in Figur 1 sind kleine Defecete des Schmelzbelages im Interesse der Deutlichkeit eliminiert. Die grössern Defecte sind in den Figuren blos linear er- gänzt worden. Ef. 976 und 974 sind stark beschädigte Exemplare. Ausser durch ihre geringeren Dimensionen unterscheidet sich die Maxillar- bezahnung von Necrolemur cfr. Zitteli durch folgende Eigenthümlichkeiten von der- jenigen des Necrolemur antiquus. Die Zahnreihe in toto hat einen etwas gedrungeneren Habitus, welcher da- durch bedingt wird, dass die Kronenumrisse, speziell diejenigen von M‚—P,, etwas kürzer sind im Verhältnis zur Breite. Zugleich haben die eben genannten Zähne etwas gerundetere Innencontouren. Bemerkenswertherweise weicht die Zahnreihe in Figur 8, welche von einem besonders starken Individuum herrührt, in diesen Be- ziehungen weniger von der grössern Species ab als die andern. Die Abnahme der Kronenhöhe von M, zu M, ist noch etwas accentuierter. Rütimeyers Angabe, dass M, weniger „voll ausgebildet“ sei und einen schwächern hintern Innenhügel habe als M,, kann ich nicht bestätigen. Das Ver- hältniss von M, zu M, ist dem bei Necrolemur antiquus beschriebenen durchaus analog. An Ef. 377 und Ef. 368 (Fig. 1 und 2) haben die M, und M, blos einen einzigen hintern Zwischenhügel, welcher dem äussern der beiden bei Necrolemur antiquus entwickelten entspricht; er ist voluminös und kann kaum als halbmond- förmig bezeichnet werden. An Ef. 378 (Fig. S) und an Ef. 974 ist vorn innen an diesem starken äussern Zwischenhügel als kleines Knötchen der innere angedeutet. Im übrigen sind die Structurcomplicationen, welche wir an Necrolemur antiquus beobachtet haben, so ziemlich vollständig’ nachzuweisen, wenn auch im Ganzen in etwas schwächerer Ausprägung. Am vordern Aussenhügel der Molaren hebt sich eine Falte vorn innen besonders stark hervor und zeigt eine Tendenz an der Basis mit dem vordern Zwischenhügel in Verbindung zu treten. Die Falte vorn innen am Aussenhügel der Praemolaren macht sich erst schwach bemerklich, dagegen 1368 Stehlin, Eocaene Säugetiere. ist hier eine andre weiter hinten absteigende sehr gut ausgebildet. M, und M, ent- wickeln am vordern Innenhügel ein mehr oder weniger deutliches Cingulum, welches sich bei Necrolemur antiquus völlig verloren hat. An Ef. 377 sind vor P, noch der Alveolus von P, und die Hinterwand des Caninalveolus zu sehen. Ein P, scheint auch bei Necrolemur cfr. Zitteli nicht mehr zur Entwicklung gelangt zu sein. Gaumenfläche und Jochbogenursprung, welche sich an diesem Belegstück gleichfalls auf eine gewisse Erstreckung erhalten haben, zeigen keine greifbare Abweichung gegenüber Necrolemur antiquus. Das Foramen infraorbitale liegt — auf die Zahnreihe bezogen — etwas weiter vorn als bei letzterm, über der Hinter- wurzel von P,. Entsprechend der Kürze der Backenzahnreihe wird auch die Schnauze etwas kürzer gewesen sein als bei der evoluierteren Species. Mandibeln. Basel Eh. 601. Fragment der linken Mandibel mit M,—P, und Alveolen von P,—C. — Länge M,—P, 0,008; M,—M, 0,0055. — Figur CCCXVI. Basel Ef. 371. Fragment der rechten Mandibel mit M‚—P,. Länge M,—P, 0,007; M.—M, 0,0057. — Tafel XXII, Figur 18. Basel Ef. 373. Fragment der rechten Mandibel mit M,—P,. — Länge M,—P, 0,007; M,—M, 0.0057. — KRütimeyer 1891, Tab. VI, Figur 28 als „Seiu- roides Fraasi Maj.?* — Tafel XXII, Figur 9, 20. Basel Ef. 350. Fragment der linken Mandibel mit M‚—M,. — Länge M,—M, 0,0038. — Tafel XXIL, Figur 7%. Basel Ef. 376. Fragment der rechten Mandibel mit M.—P,. — Länge M—P, 0,0044. — Tafel XXI, Figur 13. Basel Ef. 379. Fragment der linken Mandibel mit M—P,. — Länge M,—P, 0,0055. — Tafel XXII, Figur 10. Basel Eh. 759, 746; Ef. 374, 978, 980. Mandibelfragmente mit M,—P,. — Länge M.,—M, 0,005, 0,005, 0,0062, 0,0064, 0,0065. Basel Eh. 759; Ef. 375. Mandibelfragmente mit M,—M,. — Länge M,—M, 0,0058, 0,0062. Basel Eh. 745, 748, 747; Ef. 991. Mandibelfragmente M,—P, (Länge 0,005), M;—M, (Länge 0,0038), M,—M, (Länge 0,0035 und 0,003). An den Praemolaren in Figur 10 und 13 sind kleine Schmelzdefecte im Interesse der Klarheit eliminiert worden. Die Ergänzung der grössern Defecte an sr ee ee u a N nn m Necrolemur efr. Zitteli, 1369 M, und P, in Figur 10 ist linear angedeutet. Im übrigen sind die Zähne der ab- gebildeten Stücke intact. Der Kiefer Ef. 371 (Figur 18) ist hinter und vor M, von Sprüngen durchzogen, welche den Zusammenschluss der Zahnreihe etwas ge- stört haben. Die mandibulare Zahnreihe zeigt denselben gedrungenen Habitus wie die maxillare. Die oben gegebene Öharacteristik der Molaren an den Mandibeln von Lissieu passt Punkt für Punkt auf diejenigen von Egerkingen: M, ist relativ merklich weniger gedehnt als bei Necrolemur antiquus; die Kronenhöhe nimmt von M, zu M, stärker ab; der vordere Aussenhügel von M, ist voluminöser; die Kronenbasen hängen nach vorn mehr über die Wurzel hinaus und zeigen im aus- gesprochenen Masse die Tendenz sich über den Hinterrand des nächst vordern Zahnes zu schieben. Die kräftigsten Mandibeln (Ef. 978, Bf. 375) weichen wie die kräftigsten Maxillen etwas weniger von Necrolemur antiquus ab, ihre M, sind deutlich etwas gedehnter als die der übrigen, Im Reductionsgrad von M, herrscht eine Ähnliche Variabilität wie bei Necro- lemur antiquus. In den Schmelzfältelungen sind die Mandibularmolaren eher etwas rückständiger als ihre Antagonisten. An frischen Exemplaren von M, und etwas undeutlicher auch an solchen von M, (Tafel XXI, Figur 9) bemerkt man am Vorderabhang des vordern Innenhügels eine kleine Nebenspitze, welche offenbar das Homologon der Vorder- spitze von M, ist. An den entsprechenden Zähnen von Necrolemur antiquus ist dieses Element also nicht frei atrophiert wie bei Protadapis, sondern mit dem vordern Innenhügel verschmolzen. Die Praemolaren sind noch stärker übereinander geschoben als bei Necro- lemur antiquus, ihre Kronenbasis steigt nach vorn zu steil an. Den Innenhügel von P, finde ich an allen Egerkingermandibeln wohlausgebildet, im Ganzen ist er vielleicht etwas schwächer entwickelt als bei Necrolemur antiquus. P, ist schon ebenso reduciert wie bei letzterm; an Eh. 601 erkennt man seinen Alveolus, wie an der Mandibel von Lissieu; an mehreren andern Exemplaren lässt sich wenigstens constatieren, dass zwischen P, und © nicht mehr Raum für ihn vorhanden war als dort. Vom Alveolus des Caninen sind an Eh. 601 und Ef. 980 die Hinterwand und das Unterende erhalten. Auch an diesen Belegstücken, wie an demjenigen von Lissieu, gewinnt man den Eindruck, der Zahn sei etwas steiler eingepflanzt ge- wesen als bei Necrolemur antiquus, was übrigens mit dem Verhalten der Praemo- laren durchaus im Einklang stünde. 1370 Stehlin, Eocaene Säugeliere. Die Stelle, wo ein rudimentärer Ineisiv zu suchen wäre, ist an allen vor- liegenden Mandibeln weggebrochen. An Ef. 980 erkennt man vor dem Canin- alveolus deutlich den Querschnitt des bei Necrolemur antiquus beschriebenen Canälchens. Die hintere Partie der Mandibel ist am wenigsten unvollständig erhalten an Eh. 601 (Figur COCXVI). Sie scheint kaum von Necrolemur antiquus abzuweichen. Die Erhöhung des Ramus horizontalis nach vorn zu ist nur sehr schwach an- gedeutet. Symph$se und Foramina mentalia verhalten sich wie bei Necrolemur antiquus. Von den aufgeführten Belegstücken stammen die mit „Eh“ bezeichneten aus Aufschluss y, die Maxilla Ef. 368 sowie die Mandibeln Ef. 371, 373, 380 aus Huppersand, alle übrigen aus Aufschluss «. Die stärksten und progressivsten Individuen, welche sich in den Dimensionen an den Necrolemur Zitteli aus den Phosphoriten anschliessen oder noch etwas über ihn hinausgehen, sind durchweg in Aufschluss & gefunden, wo wir gewohnt sind dem jüngern Element der Eger- kingerfauna zu begegnen. Die schwächsten und primitivsten Individuen, welche sich in den Dimensionen an diejenigen von Lissieu anschliessen oder noch etwas hinter ihnen zurückbleiben, sind durchweg in Aufschluss y und im Huppersand gesammelt worden. Wie schon eingangs bemerkt, scheinen somit die beobachteten Grössendifferenzen — obgleich zu geringfügig, um eine specifische Trennung zu rechtfertigen — nicht ganz ohne chronologische Bedeutung zu sein. Soweit wir Necrolemur cfr. Zitteli bis jetzt kennen, erscheint er durchaus als eine Vorstufe des Necrolemur antiquus, charcterisiert durch schwächere Dimen- sionen (M,—M, sup. 0,0055 —0,006; M,—M, inf. 0,005—0,0065), kürzere Schnauze, gedrungenere Zahnreihen und eine Reihe primitiver Züge in Umriss und Struetur seiner obern und untern Molaren und Praemolaren. Seine grössten Individuen zeigen auch morphologisch eine deutliche Annäherung an die evoluiertere Mutation. Mierochoerus. 1371 Einleitende Bemerkungen zum Genus Microchoerus. Das Genus Microchoerus und die Species Microchoerus erinaceus sind von S. Wood für einen Oberkiefer mit beiden Zahnreihen und für eine dazu gehörige rechte Mandibel aus dem untern Ludien von Hordwell (Hampshire) aufgestellt worden. Die erste Notiz dieses Autors, von 1844, enthält blos eine kurze Er- wähnung!); eine zweite, von 1846, giebt eine einlässlichere Beschreibung an Hand «von Abbildungen.’) Leider ist diese wichtigere zweite Publication in einer wenig verbreiteten Zeitschrift erschienen, die ich mir nicht habe verschaffen können. Doch scheinen die Wood’'schen Abbildungen denjenigen zu Grunde zu liegen, welche Pietet in seinem Traite veröffentlicht hat.”) Einige Jahre nach der Bearbeitung durch Wood sind die Microchoerustypen durch Blainville, der sie sich nach Paris erbeten hatte, in der Osteographie neuerdings besprochen und abgebildet worden '); die an verstecktem Orte untergebrachten Figuren der Östeographie sind allgemein übersehen worden. 1885 ist Lydekker?) auf die Wood’schen Materialien — von denen die Mandibel inzwischen stark gelitten hatte — zurückgekommen und hat die rechte Oberkieferreihe wieder abgebildet. Endlich ist der Oberkiefer neuerdings von Forster-Cooper ®) noch einmal abgebildet worden. Eine Darstellung von obern M,—P,, welche Flower und Lydekker 1891’) publiciert haben, scheint sich nicht auf das Wood’sche Original, sondern auf ein 1!) S. Wood, Record of the discovery of an Alligator with several new Mammalia in the Freshwater Strata of Hordwell. Annals and Magazine of Nat. Hist. XIV, 1844, p. 349. 2) Charlesworth’s London geologieal journal 1846 I, p. 5, Pl. II, Fig. 1, 3. 3) F. J. Pictet, Trait& de Pal&ontologie. Deuxieme ed. 1853 t. I, p. 334, Pl. XIV, Fig. 4a, b. 4) de Blainville, Ostöographie, Anoplotherium, Pl. IX, p. 119 ff und p. 118. °) R. Lydekker, Note on the zoological position of the Genus Mierochoerus Wood ete. Quart. Journal of the Geological Society Nov. 1885, p. 529—531. 6) €. Forster-Cooper, Microchoerus erinaceus Wood. Annals and Mag. of Nat. Hist. (8) VI, 1910, p. 39. ; ?) W.H. Flower and R. Lydekker, An Introduction to the Study of Mammals 1891, Fig. 332 (eopiert in Zittels Handbuch). 10 1372 Stehlin, Eoecaene Säugeliere. anderes Belegstück von derselben Fundstelle zu beziehen. Das heute im British Museum und im Sedgwich Museum zu Cambridge liegende Microchoerus-Material von Hordwell ist ziemlich breit und ergänzt das Wood’sche in Bezug auf den Mandibelwinkel. Forster-Cooper hat ein Verzeichnis der Stücke mitgetheilt und ausser dem Typusmaxillare obere M‚»—M, und fünf verschiedene Mandibelfragmente abgebildet. ') Nachdem ältere Autoren allerlei mehr oder weniger unrichtige Muthmas- sungen über die systematische Stellung von Microchoerus erinaceus geäussert hatten, hat Schlosser?) zuerst die nahen Beziehungen desselben zu Necrolemur erkannt. Unter den Differenzen, welche das Thier von Hordwell von Necrolemur antiquus unterscheiden, springt vor allem seine bedeutendere Grösse in die Augen. Genaue Maasse finde ich in der (mir zugänglichen) Litteratur nicht angegeben; nach den Figuren scheint es, dass die Länge der obern M,—M, zwischen 0,0095 und 0,0115, diejenige der untern zwischen 0,0102 und 0,012 liegt. Sodann besitzen die obern M, und M, ein wohlausgebildetes und, wie Forster-Cooper hervorhebt, ' vom Cingulum isoliertes, kleines Mesostyl, von dem bei Necrolemur antiquus keine Spur zu bemerken ist. Nach den Figuren scheint ferner der untere Canin relativ etwas stärker und hochkroniger zu sein als bei Necrolemur. Lydekker hat aller- dings die Zuverlässigkeit der Wood’schen Figur in Bezug auf die vordere Hälfte der Mandibel angezweifelt; da ihm diese Partie aber nicht im Original vorlag und da die Wood-Pictet’sche Abbildung in der Wiedergabe des Caninen mit der offenbar von ihr unabhängigen de Blainville'schen übereinstimmt, scheint dieser Zweifel nicht berechtigt zu sein. Im übrigen ist den Figuren etwa noch zu entnehmen, dass der Abstand zwischen dem linken und dem rechten obern J, bei Mierochoerus relativ etwas grösser ist und dass die Umrissdifferenzen, welche schon die Backen- zähne der grössern Necrolemur von denen der kleinern unterscheiden, sich noch etwas accentuieren; insbesondere ist M, inf. bei Microchoerus so ziemlich gleich lang wie M, und die Vorderspitze des letztern merklich abgeschwächt. Die Awischenhügel und Falten lassen sich in den Figuren nicht mit derjenigen Schärfe erkennen, die zu einer Vergleichung mit Necrolemur erforderlich wäre. Da sowohl die Steigerung der Körpergrösse, als das Auftreten von Mesostylen und die übrigen genannten Eigenthümlichkeiten als Anzeichen fortgeschrittenerer Entwicklung zu beurtheilen sind, erscheint Microchoerus durchaus als ein phylo- ') S. auch R. Lydekker, Catalogue ete. Part V, 1887, p. 304. ?) M. Schlosser, Die Affen, Lemuren etc. III. Theil 1890, p. 66. Mierochoerus. 1373 genetisches Terminalstadium des Necrolemurstammes. Eben darum zweifle ich sehr daran, dass — wie vermuthet worden ist — die vorn nicht ganz intacte Mandibel einen vollständigeren Zahnbestand besessen hat als den erhaltenen, der mit Einschluss des rudimentären P, vollkommen demjenigen von Necrolemur ent- spricht.!) Wollen wir, aus dem oben (p. 1323) angegebenen Opportunitätsgrund, die Scheidelinie zwischen den Genera Microchoerus und Necrolemur aufrecht erhalten, so bleibt nichts anders übrig, als dieselbe, dem Beispiel Zittels folgend, in der Hauptsache durch das Vorhandensein eines Mesostyls bei ersterem und das Fehlen eines solchen bei letzterem zu motivieren.”) Die Motivierung ist, wie ich einräume, dürftig; aber sie scheint mir zur Noth hinlänglich. F 1880 hat Filhol ?) unter dem Namen „Necrolenfur Edwardsi“ einen Necrolemuriden aus den Phosphoriten des Querey signalisiert, der in der Grösse in ähnlichem Grade wie Microchoerus erinaceus über Necrolemur antiquus hinaus- geht. Es lag ihm zunächst nur ein Mandibelfragment mit M,—M, von dieser neuen Species vor; einige Jahre nachher konnte er dagegen nach einem voll- ständigern Belegstück die ganze Mandibularbezahnung bekannt machen, welche dieselbe Formel besitzt wie bei Necrolemur antiquus.*) Maxillarzähne aus den Phosphoriten, die analoge Dimensionen haben, sind erst durch Leche 1896 be- schrieben worden.°) Unter den Quercymaterialien des Basler Museums befinden sich ein Maxillarfragment mit M,—M, (Q. V. 422) und vier Mandibelfragmente von entsprechenden Dimensionen. An den letztern sind die Molaren und P, repräsentiert; zwei derselben zeigen die Alveolen von P, bis C. Ausserdem hat Herr Prof. Deperet die Güte gehabt mir ein Maxillarfragment mit M,—C und Alveolus von J, aus der Sammlung der faculte des sciences in Lyon zur Untersuchung anzuvertrauen, wofür ich ihm meinen verbindlichsten Dank ausspreche. ') Forster-Cooper will den mandibularen Zahnbestand nicht als OJ 1C &P 3M, sondern als 1J ıG3P3M oder als 2J0C 3P 3M deuten, begründet aber seine Ansicht nicht. 2) Deperet (Bull. soc. g&ol. (4) X, 1910, p. 925) betrachtet als entscheidende Differenz zwischen Necrolemur und Mierochoerus die mehr dreieckige Gestalt des obern M, bei letzterm. Nach meinen Erfahrungen an einem breiten Necrolemurmaterial kann ich auf kleine Differenzen im Umriss dieses Zahnes keinerlei Gewicht legen. Der M, sup. des Kiefers von Hordwell ist übrigens in jeder der publicierten Figuren wieder etwas anders wiedergegeben. °) H. Filhol, Note sur des mammiferes fossiles nouveaux provenant des phosphorites du Quercey. Bull: soc. philom. (7) IV, 1880, p. 124. *) H. Filhol, Observations relatives au M&moire de M. Cope etc. Ann. sc. geol. XIV, 1883. 5) W. Leche, Untersuchungen über das Zahnsystem lebender und fossiler Halbaffen. Fest- schrift für Carl Gegenbauer 1896. 1374 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Necrolemur Edwardsi ist nach unserer obigen Genusdefinition ein Micro- choerus, denn die Maxillen, welehe ihm ihren Dimensionen nach zuzuweisen sind, zeigen alle zum mindesten eine Tendenz an den Molaren ein Mesostyl zu ent- wickeln. Aber sie sind in diesem Punkte nicht alle gleich progressiv. An dem in Figur CCCXVII dargestellten Exemplar der Lyoner Sammlung (M,—M, = 0,0095; M,—P, 0,0163) verhalten sich M, und M, in der kritischen Partie noch ganz wie bei Necrolemur; an M, macht sich das Mesostyl als eine Anschwellung am Cingulum bemerklich, tritt aber noch nicht mit den von den Aussenhügeln absteigenden Kanten in Verbindung, welche wie bei Necrolemur einen geradlinigen und sagittalen Verlauf nehmen. Das Maxillarfragment Q@. V. 422 der Basler Sammlung rührt von einem progressivern Individuum her; sein M, hat ein stärkeres Mesostyl, das mit den nach aussen abbiegenden Aussenhügelkanten in Verbindung tritt und durch Figur CCCXVI. Microchoerus cfr. erinaceus Wood, var. — Linker Oberkiefer mit M;»—(C und Alveolen der J. — Phosphorite des Querey. Sammlung der Faculte des seiences in Lyon — */ı. Kerben hinten und vorn vom Cingulum losgegliedert ist. Ein etwas kleineres Meso- styl von analogem Verhalten besteht hier auch an M, und man darf demgemäss annehmen, dass bei diesem Individuum der nicht erhaltene M, gleichfalls in das Mierochoerusstadium eingetreten war, wie bei denjenigen von Hordwell. Ob nun eine so rückständige Structur wie die in Figur CCCXVII wiedergegebene noch im Bereiche der individuellen Variation des typischen Microchoerus erinaceus liegt oder ob sie ein etwas älteres Vorstadium desselben repräsentiert, lässt sich nach der bis jetzt vorliegenden Documentation nicht entscheiden. Und ob die von Filhol beschriebenen Mandibeln zu Maxillen vom Typus Figur CCCXVII oder zu solchen vom Typus @. V. 422 gehören, dürfte überhaupt kaum zu ermitteln sein. Infolge- dessen muss auch die Frage, ob Necrolemur Edwardsi genau dasselbe ist wie Microchoerus. 1375 Mierochoerus erinaceus, offen gelassen werden. Es scheint mir aber zur Motivierung einer specifischen Scheidelinie seien die Differenzen zu gering. Die rückständigen Individuen aus den Phosphoriten wären somit als „Mierochoerus cfr. erinaceus“ oder allenfalls als „Mierochoerus erinaceus var.“ zu rubricieren. Auffälligerweise finde ich beide mir vorliegenden Microchoerusmaxillen in der Entwicklung des inneren der beiden hintern Zwischenhügel rückständiger als Neerolemur antiquus. An derjenigen der Lyoner Sammlung markiert sich dieses Element etwa so wie bei progressiven Individuen des Necrolemur efr. Zitteli, an Q. V. 422 ist es nicht einmal angedeutet. Die verschiedenen Abbildungen der Typusmaxilla von Hordwell und diejenige einer Oberkieferreihe aus den Phosphoriten bei Leche geben über solche Details keine Auskunft. In der Figur bei Flower und Lydekker und in Figur 5 bei Forster-Cooper ist das Hügelchen, wenigstens an M,, deutlich in gleicher Form und Stärke dargestellt wie man es bei Necrolemur antiquus beobachtet. Die man- gelhafte Entwicklung des- selben ist also kein constanter Charakter von Microchoerus erinaceus. Immerhin contra- stiert die Variabilität dieses Figur CCCXVIMN. Microchoerus erinaceus Wood. — Linke Mandibel mit M;—M, und Wurzelstümpfen oder Alevolen von teren Form in befremdlicher P,—C; bemerkenswerth wegen starker Reduction der vordern Weise mit seiner Constanz bei Trigonidspitze von M,. — Phosphorit von Larnagol, Basel 0. H. 440. — ?ı. Elementes bei der evoluier- der ursprünglicheren. Viel- leicht liegt darin ein Fingerzeig, dass wir Microchoerus erinaceus nicht von Necro- lemur antiquus, sondern von einer primitiveren Mutation des Necrolemurstammes abzuleiten haben. Was die Schmelzfältelungen anbelangt, so mögen sie an den mir vorliegen- den Maxillarzähnen etwas schärfer ausgeprägt sein als bei Necrolemur; der Plan, nach dem sie sich ordnen, ist derselbe. Die Länge der drei untern Molaren variiert an den Mandibelfragmenten der Basler Sammlung zwischen dem von Filhol für „Necrolemur Edwardsi“ an- gegebenen Werthe 0,011 und 0,0115. Die Vorderspitze von M, finde ich an allen Exemplaren relativ schwächer und mehr an den vordern Innenhügel angeschmiegt als bei Necrolemur, was zur Folge hat, dass sich auch der Kronenumriss dieses Zahnes mehr dem seines hintern Nachbarn nähert, welcher seinerseits wiederum etwas gestreckter als bei Necrolemur antiquus major ist. An dem Exemplar @. H. 440 1376 Stehlin, Eocaene Säugetiere. (Figur CCCXVIM) ist die Schwächung der Vorderspitze besonders weit gediehen und der klaffende Einschnitt, der sie bei Necerolemur vom Vorderinnenhügel trennt, sehr unbedeutend geworden. Die Schmelzfältelungen sind an den Mandibularmolaren entschieden üppiger als bei dem kleineren Verwandten. Von einem Ineisivalveolus vermag ich an dem Fundstück Q. H. 439, an welchem die kritische Partie intact erhalten ist, keine Spur zu entdecken, was vollkommen mit dem Befunde von Filhol in Einklang steht. Die vor dem Caninalveolus aufsteigende Abzweigung des Canalis medianus menti scheint mir bier in einen dem vordersten Mandibelrand folgenden Halbeanal umgewandelt zu sein. Den Caninen selbst kenne ich nicht aus eigener Anschauung. Nach seinem Alveolus zweifle ich daran, dass er an den mir vorliegenden Mandibeln so schwach entwickelt war, wie ihn die — vielleicht nicht ganz zuverlässige — Figur bei Filhol (1883) darstellt. Der Mandibelknochen scheint vollständig mit Neerolemur übereinzustimmen. Endlich sei erinnert, dass Schlosser 1907!) zwei höchst interessante Ex- tremitätenknochen aus den Phosphoriten beschrieben hat, die ihren Dimensionen nach zu der vorliegenden Form zu gehören scheinen; nämlich einen Calcaneus, welcher in gemässigtem Grade die nämliche Differenzierung zeigt wie derjenige von Tarsius und ein Femur, welches gleichfalls bis auf einen gewissen Grad an dieses recente Genus anklingt. Ich bin nicht in der Lage diese osteologischen Daten zu vervollständigen. Mierochoerus erinaceus ist bis jetzt im schweizerischen Bohnerzgebilde?) nicht gefunden worden. Dagegen habe ich eine neue Microchoerusspecies von Mormont zu signalisieren. !) M. Schlosser, Beitrag zur Östeologie und systematischen Stellung der Gattung Necrolemur etc. N. Jahrbuch für Mineralogie ete. 1907. 2) Der Maxillarmolar von Egerkingen, den Kowalevsky, Anthracoth. Tafel VIII, Figur 491, unter der Bezeichnung „Mierochoerus“ abgebildet hat, gehört, wie schon oben (p. 611) festgestellt, zu „Dichobune cfr. robertiana‘. Mierochoerus ornatus. 1377 Microchoerus ornatus n. spec. von Mormont. Bei den Ausgrabungen, welche die Direction des Basler Museums im Mor- mont-Gebiet veranstaltet hat, ist 1902 ein Schädelfragment mit Oberkieferzähnen zum Vorschein gekommen, das eine neue, durch ausserordentlich compliciertes und zierliches Gebissgepräge ausgezeichnete, Microchoerusart repräsentiert. Ich nenne dieselbe „Microchoerus ornatus‘. Basel Mt. 552. Zerquetschtes Schädelfragment mit M,—P,. — Länge M,—P, 0,0155, M,—M, 0,009. — Tafel XXII, Figur 14. Der Kiefer war längs einem schrägen Sprung, der leider M, sehr in Mit- leidenschaft gezogen hat, entzweigebrochen. Die fünf übrigen Zähne sind intact erhalten. Vor P, bricht der Knochen ab; der Caninalveolus ist nicht kenntlich. In den Dimensionen hält die Zahnreihe die Mitte zwischen dem stärksten mir vorliegenden OÖberkiefer der grossen Varietät von Necrolemur antiquus (Q. H.468; M,—P, 0,0145) und dem im vorigen Abschnitt erwähnten Microchoerus-Öberkiefer der Lyoner Sammlung (M,—P, 0,0165). Mierochoerus ornatus ist also etwas kleiner als Microchoerus erinaceus. Die Umrisse der sechs erhaltenen Zähne sind im wesentlichen dieselben wie bei letzterer Species, nur ist derjenige von P, noch etwas eckiger. In der Detail- structur zeigen dieselben dagegen scharf ausgeprägte Specialitäten. M, hat wie bei Microchoerus erinaceus ein Mesostyl. Dasselbe ist kräftiger ausgebildet als an dem Kiefer in Figur CCCXVII, aber nicht wie an Q. V. 422 mit den Aussenhügelkanten verbunden, welche vielmehr noch einen sagittalen Verlauf nehmen. In die Fältelung innen am vordern Aussenhügel ist System gekommen; hinten und vorn hat sich je eine tiefe Kerbe entwickelt. Indem diese Kerben, anstatt direct auf die Spitze zuzulaufen, sich etwas unterhalb der- selben treffen, haben sie aus dem Innenabhang des Hügels einen halbmondförmigen 1378 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Secundärhügel mit besonderer Spitze herausgeschnitten. Der innen an diesen Secundärhügel anschliessende vordere Zwischenhügel ist schärfer vom Innenhügel abgekerbt und hat gleichfalls ausgesprochene Halbmondgestalt angenommen. Der innere der beiden hintern Zwischenhügel, den wir an den untersuchten Maxillen von Microchoerus erinaceus im Vergleich zu Necrolemur antiquus geschwächt ge- funden haben, kommt hier in der Stärke dem äussern gleich; beide sind sehr deutlich halbmondförmig. Endlich hat eine diagonal verlaufende Kerbe aus dem, in das Schlusseingulum übergehenden, Hinterabhang des hintern Innenhügels einen weitern Secundärhügel ausgegliedert. Die Krone besitzt also neun, oder wenn man Mesostyl und Parastyl mitzählt, elf Spitzen. Mit dem Luxurieren der Secundär- elemente sind die Haupthügel relativ etwas schwächer geworden. Nichtsdesto- weniger zeigen die Aussenhügel auf der Aussenseite eine etwas energischere Sculptur als bei Necrolemur antiquus. Auch scheinen sich noch weitere Complicationen vor- zubereiten. An der Innenseite des hintern Aussenhügels sind zwei ähnliche Kerben entwickelt wie diejenigen, die am vordern Aussenhügel zur Ausgliederung des Secundärhügels geführt haben; sie schneiden aber weniger tief ein und sind direct auf die Spitze orientiert. Der vordere Aussenhügel hat hinten innen noch eine Falte, der vordere Innenhügel an seinem dem Trigenumtrichter zugekehrten Ab- hang. Die von der Spitze des vordern Innenhügels auf den vordern Zwischenhügel zulaufende Vorjochkante schwillt an der Basis des letztern zu einem kleinen Knötchen an, das eine stumpfe Falte nach dem Trigonumtrichter sendet. Die erhaltenen Bruchstücke der Krone von M, gestatten festzustellen, dass sich derselbe in Bezug auf die Spaltung von vorderm Aussenhügel und hinterm Innenhügel und in Bezug auf die Grösse und Gestalt des vordern sowie der zwei hintern Zwischenhügel gleich verhält wie M,. Dagegen bleibt die Frage, ob er ein Mesostyl besitzt, offen. Die Krone von M, ist von einem Gehäcksel niedriger Erhebungen bedeckt, das nur vom vordern Aussen- und Innenhügel etwas überragt wird. Orientiert man sich an M, so lassen sich die Aequivalente des vordern Zwischenhügels und Secundärhügels, des hintern Aussenhügels und des einen hintern Zwischenhügels erkennen. Das Mesostyl ist nur sehr schwach angedeutet. Analoge Complicationen wie die Molaren zeigen auch die Praemolaren. An P, und P, hat sich aus dem Innenabhang des Aussenhügels, in ganz gleicher Weise wie aus demjenigen des vordern Aussenhügels der Molaren, ein Secundärhügel aus- gegliedert und durch eine Querkerbe ist aus dem Hinterabhang des Innenhügels eine Art hinterer Innenhügel herausgeschnitten worden. Diese beiden Zähne sind Microchoerus ornatus, 1379 also zunächst vierhüglig, eine Verdickung im Schlusseingulum scheint sich aber zu einem fünften Hügel entwickeln zu wollen. Endlich zeigt sich am Innenabhang des P, dieselbe Spaltungstendenz wie an demjenigen des Aussenhügels von P, und P,. Doch ist der Process hier noch nicht ganz so weit gediehen. In eraniologischer Hinsicht ist dem Fundstück wegen der starken Quetschung, die es erlitten hat, kaum etwas abzugewinnen. Höchstens lässt sich feststellen, dass die Schädelform sehr nahe mit der von Necrolemur antiquus übereingestimmt haben kann, was ja auch a priori zu erwarten ist. Das Document stammt aus dem Steinbruch von Entreroches, der nur Arten des obern Ludien geliefert hat. Microchoerus ornatus dürfte demnach dieser jüngsten Phase des Eocaens zuzuweisen sein, was ja auch völlig mit den terminalen Eigenthümlichkeiten seines Gebissgepräges im Einklang steht. - Mandibularmaterialien von Microchoerus ornatus liegen mir vorderhand nicht vor. Wir dürfen wohl annehmen, dass die luxurierende Kerbenbildung auch an den untern Molaren und Praemolaren zur Ausgliederung von Secundärhügeln geführt hat. 1380 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Verbreitung, Alter und Phylogenese der Necrolemuriden (Necrolemur und Microchoerus). Rein morphologisch betrachtet ordnen sich die im obigen besprochenen Arten und Varietäten des Genus Necrolemur des ungezwungensten in eine einzige lückenlos geschlossene phyletische Reihe, deren Ausgangspunkt durch die primi- tivsten Individuen von Necrolemur cfr. Zitteli und deren Ende durch die Varietas major des Necrolemur antiquus bezeichnet wird. Der Progress giebt sich in dieser Reihe kund in einer ganz allmähligen Grössenzunahme, begleitet (1) von einer ebenso allmähligen und nicht eben starken Dehnung des Gesichtsschädels und der Zahnreihen, die im einzelnen ihren Ausdruck findet in mehr oder weniger starken Wandlungen der Umrisse von M;—P, sowie in Veränderungen der Ein- pflanzungsart der Praemolaren und des untern Caninen; (2) von einer Verwischung alterthümlicher Merkmale an den Molaren (Innencingulum der M sup.; vorderer Trigonidhügel der M, und M, inf.) und von einer mässigen Accentuierung der secundären Structurcomplieationen (Fältelungen; zweiter hinterer Zwischenhügel der M sup.). Was wir vorderhand über die stratigraphische Vertheilung dieser Formen wissen oder mit einigem Grunde muthmassen können, steht mit dieser sehr einfachen “Auffassung ihres phyletischen Zusammenhangs nicht in Widerspruch, genügt aber vielleicht nicht ganz, um ihre Richtigkeit ausser Zweifel zu setzen. Die primitivsten Individuen des Necrolemur efr. Zitteli finden sich in Egerkingen inmitten einer Begleitfauna, welche darauf schliessen lässt, sie ge- hören dem mittleren oder untern Lutetien an und die mit ihnen überein- stimmenden Individuen von Lissieu können sehr wohl ebenso alt sein. Die etwas progressivern, zu dem typischen Necrolemur Zitteli überleitenden Individuen von Egerkingen repräsentieren die Mutation des obern Lutetien. Die Mandibel aus den Phosphoriten, für welche Schlosser die Species Necrolemur Zitteli auf- gestellt hat, mag der untern Variations-Grenze der Bartonienmutation entsprechen, die sich im übrigen zweifellos zu einem guten Theil mit dem decken wird, was wir als typischen Necrolemur antiquus bezeichnet haben. Ob aber unser Necro- Verbreitung, Alter und Phylogenese der Necrolemuriden. 1381 lemur antiquus, der ausser im Querey auch in Mormont-Entreroches nach- “gewiesen ist, ganz und ausschliesslich dem Bartonien darf zugewiesen werden, ist eine andere Frage. Die Bartonienfossilien sind in den Phosphoriten im allgemeinen recht schwach vertreten. Ich halte es daher bis auf bessere Belehrung für sehr wahrscheinlich, dass ein guter Theil der aus diesem Sediment stammenden Necro- lemur-antiquusreste, vorab die oben als Varietas major bezeichneten, bereits dem untern Ludien angehören. Durch einen Beleg aus dem stratificierten untern Ludien vermag ich diese Ansicht freilich nicht zu erhärten. Auf der evoluierteren Microchoerusstufe sind offenbar zwei etwas diver- gierende Zweige zu unterscheiden, repräsentiert durch den in den Dimensionen progressiveren, in der Gebissstructur rückständigeren Microchoerus erinaceus und den in den Dimensionen rückständigeren, in der Gebissstructur terminaleren Miero- choerus ornatus. Wenngleich der Zusammenhang dieser Mierochoeruszweige mit dem Necrolemurstamm keinem Zweifel unterliegt, ist die Frage, wie und wo sie sich an denselben ansetzen, gegenwärtig nicht ganz abzuklären. Microchoerus erinaceus ist zuerst im stratificierten untern Ludien von Hordwell- nachgewiesen worden. Neuerdings hat Deperet aus den, demselben Niveau angehörigen, Kalkmergeln von Saint-Hippolyte-de-Caton (= Euzet-. les-Bains) unter der Bezeichnung „Necrolemur Edwardsi“ unbedeutend kleinere Kiefer (M,—M, inf. 0,01) signalisiert, welche nach meiner Ansicht wie die oben besprochenen, vermuthlich gleich alten, Documente aus den Phosphoriten des Quercy höchstens als Varietät von dem Typus von Hordwell zu unterscheiden sind. Dass dieser Zweig auch noch im obern Ludien existiert hat, beweist das in Figur CCCXIX wiedergegebene Fundstück aus dem lignitösen Sand von Saint-Sa- turnin. Es zeichnet sich aus durch starke Dimensionen und sehr tiefe Einsenkung der Schmelzfurchen. Die Vorderknospe von M, (etwas beschädigt und in der Figur ergänzt) ist nicht besonders stark reduciert und besser von dem vordern Innen- hügel abgetrennt als an dem oben (p. 1375) erwähnten Mandibelfragment Q. H. 440 aus dem Phosphorit von Larnagol. Diese Mandibel mit einem besondern Species- namen zu belegen, liegt vorderhand kein hinreichender Grund vor. Wenn die evoluiertesten Necrolemur, wie wir zu vermuthen Grund haben, dem untern Ludien angehören, so sind sie Zeitgenossen des Microchoerus erinaceus gewesen. Diess — in Verbindung mit dem Umstand, dass Microchoerus erinaceus sich nieht in allen Punkten der Gebissstructur vor Neerolemur antiquus im Vor- !) Ch. Deperet, Le gisement de mammiferes d’Euzet-les-Bains. Bull. soc. geol. de France (4) X, 1910, p. 924. 1352 Stehlin, Eocaene Säugetiere. sprung befindet!) — lässt an die Möglichkeit denken, der erstere könnte sich in einem benachbarten Gebiet aus einer primitiveren Necrolemurvarietät entwickelt haben. Aber die Daten sind roch zu unsicher, um einen zuversichtlichen Schluss zu gestatten. Microchoerus ornatus ist vorläufig einzig durch das Schädelfragment von Mormont-Entreroches belegt und gehört, nach der Begleitfauna zu schliessen, dem obern Ludien an. In den Dimensionen schliesst er sich unmittelbarer an Necro- lemur antiquus major an als Mierochoerus erinaceus, in der Structur ist er dagegen durch einen beträchtlichen Hiatus, dessen Überbrückung mehrere Zwischenglieder erfordert, von demselben getrennt. Auch dieser Mierochoeruszweig darf daher nicht ohne weiteres als die geradlinige Fortsetzung der Reihe Necrolemur efr. Zitteli — antiquus major aufgefasst werden. Die folgende Tabelle resumiert diese Betrachtung: Oligocaen erloschen . ‘ * . Microchoerus ornatus Microchoerus erinaceus Oberes | von Mormont-Entreroches var, Ludien von $.-Saturnin | Aa { = | } (Querey p. p. ?) | - Neerolemur Micerochoerus erinaceus Unteres | antiquus major et var. . Ludien | aus (Juerey von Hordwell, St.-Hippolyte, Querey Br Necrolemur antiquus aus (Juerey, Mormont- | | | Eelepens. Bartonien | | ERBER Necerolemur Zitteli aus (Juercy | Necrolemur efr. Zitteli AR, von Egerkingen « Lutetien e 3 f von Egerkingen y etec., Lissieu !)Siehe oben p. 1375. Verbreitung, Alter und Phylogenese der Necrolemuriden. 1383 A priori hätte man erwarten können, dass die Primaten des Eocaens eine viel geschlossenere Gruppe bilden als diejenigen der Gegenwart. Statt dessen finden wir die beiden bis jetzt am vollständigsten bekannten Formen des euro- päischen Eocaens, Adapis und Necrolemur, ebenso divergent differenziert als etwa die recenten Genera Lemur und Galago. In odontologischer Beziehung con- statieren wir zwischen denselben einen starken Gegensatz in der Zahnformel und in der Einrichtung des Vordergebisses, verbunden mit sehr beträchtlichen Unter- schieden in der Ausbildung der Kauzähne; in eraniologischer Beziehung, um nur das allerwichtigste nochmals hervorzuheben, tiefliegende Divergenzen im Verhalten des Annulus tympanicus, im Aufbau der Bulla und in der Beziehung derselben zum Alisphenoid, sowie einen namhaften Unterschied im Verlauf der Carotis interna; am Skelet endlich einen beträchtlichen Gegensatz im Aufbau der Hinterextremität. Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass wir den gemeinsamen Ausgangs- punkt dieser zwei so weit von einander abweichenden Stämme tief unter dem Lutetien und jenseits der untern Grenze des Tertiaers zu suchen haben. Figur CCCXIX. Microchoerus erinaceus Wood. — Rechte Mandibel mit M,—P, und aus dem Situs verschobenem P,. — Lignitöser Sand von Saint-Saturnin, Vaucluse ; Oberes Ludien; Basel Db. 507. — */ı (M;—M, 0,012; M;—P, 0,0175). Nur nach den Molaren urtheilend, könnte man vermuthen, es bestehe ein näheres Verwandschaftsverhältnis zwischen Necrolemur und den americanischen Notharcetiden. Die wichtigen Aufklärungen, welche uns Gregory kürzlich über die Schädel- und Skeletmerkmale dieser Tiere gegeben hat, lehren jedoch, dass die analogen Structurzüge in dieser Gebisspartie von den beiden Stämmen separatim erworben worden sind und für die Beurtheilung ihres Verwandtschaftsverhältnisses nicht in Betracht fallen.') Die Notharctiden schliessen sich nach den Ergeb- 1) Dass auch die von früheren Autoren vielbetonte Ähnlichkeit der Maxillarmolaren von Necro- lemur mit denen von Hyopsodus genealogisch belanglos ist, . bedarf nach der fast vollständigen odontologischen und osteologischen Characteristik dieses Genus. die wir Matthew verdanken, keiner 1384 Stehlin, Eocaene Säugetiere. nissen von Gregory zweifellos viel näher an die Adapiden als an die Necro- lemuriden an.) Die unvollständiger bekannten Genera Caenopithecus und Protadapis verhalten sich in Bezug auf Zahnformel und Vordergebiss etwas weniger gegen- sätzlich zu Necrolemur als die Adapiden und Notharctiden. Aber die Summe ihrer ermittelten Merkmale weist doch entschieden auf einen näheren Anschluss an die letztern als jenen. Weit eher kommen gewisse kleinere, also Necrolemur auch in den Dimen- sionen nahestehende, Formen des americanischen Eocaens als eventuelle nähere Verwandte desselben in Betracht. Die einzige unter denselben, von der wir auch eraniologisch einige Kenntnis haben, ist Tetonius (olim Anaptomorphus) homun- eulus Üope. Der berühmte, aus der Wasatchstufe von (Wyoming stammende, schon von Cope und später wieder von Osborn?) abgebildete Schädel dieser Form ist unlängst vollständiger praepariert und von Gregory einlässlicher beschrieben worden.®) Eine neue, von Matthew vorgenommene, Untersuchung der schon von Osborn abgebildeten Mandibel hat eine genauere und nicht ganz erwartete Auskunft über die Vorder- bezahnung des merkwürdigen Tieres geliefert, welche die Ausscheidung desselben aus dem Genus Anaptomorphus — dessen Typus Anaptomorphus aemulus Cope aus der Bridgerstufe ist — unvermeidlich macht. Das Ergebnis der ganzen Revisions- arbeit wird veranschaulicht durch eine von letzterem Autor mitgetheilte Profil- ansicht von Schädel und Mandibel.*) Beträchtliche Grösse der Gehirnkapsel, vorgeschobene mehr basale als oceipitale Lage des Foramen magnum, Kürze der Schnauze und analoge Dimen- sionen der Orbiten verleihen dem Schädel von Tetonius eine ziemlich weitgehende Ähnlichkeit mit dem von Necrolemur. Allein diese physiognomisch am meisten näheren Begründung mehr. Hyopsodus ist zweifellos kein Primate. Malthew betrachtet ihn jetzt als einen Nachzügler der untereocaenen Condylarthren. — W. D. Matthew and Walter Granger, A Revision of the Lower Eocene Wasateh and Wind River Faunas II. Bull. Am. Museum of Nat. Hist. XXXIV, 1915, p. 311. 1)S. unten das Gapitel „Nachträgliche Bemerkungen ete.*. s ®)E. D. Cope, The Vertebrate of the Tertiary Formations of the Wesi. 1883, p. 245 ff. Pl. XXIVe, Fig. 1.°— H. F. Osborn, American Eocene Primates. Bull. Am. Mus. Nat. Hist. XVI, 1902, Fig. 23—25. — J. L. Wortman, Studies of Eocene Mammalia in the Marsh Collection. Part II Primates. Am. Journal of seience XVII, 1904, p. 211— 214. »)1915, Il. p. 1324 c. *)W. D. Matthew and W. Granger, A Revision of the Lower Eocene Wasatch and Wind River Faunas IV. — Bull. Am. Mus. of Nat. Hist. XXXIV, 1915, p. 459 ff. Verbreitung, Alter und Phylogenese der Necrolemuriden. 1355 in die Augen springenden Züge, die zum Theil unmittelbare Consequenzen der analogen Körpergrösse sind, fallen für die Beurtheilung des Verwandtschaftsgrades der beiden Stämme wenig ins Gewicht. Wichtiger sind einige von den ameri- canischen Forschern festgestellte Details. Das Lacrymale hat zwar keinen Contact mit dem Jugale, verhält sich aber im übrigen sehr analog wie bei Necrolemur. Der pterygoidale Fortsatz des Alisphenoides tritt auch hier irgendwie mit der Bulla in Verbindung und das Foramen ovale liegt aussen an der Pterygoidalwand. Die Bulla selbst ist leider beiderseits defect und die speciellere Art ihrer Verbindung mit dem Alisphenoid, wie es scheint, nicht festzustellen. Aus der Ähnlichkeit ihrer Anlage mit der von Tarsius glaubt Gregory schliessen zu dürfen, dass das Tympanicum bei Tetonius die nämliche Rolle wie bei diesem und mithin im Wesentlichen auch wie bei Necrolemur spiele; aber direct nachweisbar scheint diess nicht zu sein. Da ein Foramen lacerum medium fehlt, muss die Carotis interna die Bulla durchsetzt haben; wo sie in dieselbe eindrang, bleibt vorderhand eine offene Frage. Der Ramus horizontalis erhöht sich auch bei Tetonius nach vorn zu und die Mandibularsymphyse bleibt offen wie bei Necrolemur. Die wich- tigsten feststellbaren eraniologischen Differenzen gegenüber letzterem liegen darin, dass der Gesichtsschädel noch wesentlich kürzer — allem Anschein nach, wie bei Tarsius, secundär verkürzt — ist und dass das Mastoid keine oder nur eine ganz geringfügige Blähung zeigt. Das mandibulare Vordergebiss besteht, nach der Feststellung von Matthew, aus einem einzigen mässig procliven Zahn, offenbar dem Caninen, der vorderhand nur durch seinen Alveolus belegt ist. In diesem wichtigen Punkte steht also Tetonius wiederum in naher Übereinstimmung mit Necrolemur. Die obern Incisiven sind noch nicht bekannt. Es wird wohl ein ähnlich wie bei Neerolemur beschaffener vorderster, dahinter vielleicht ein reducierter zweiter, aber — bei der Kürze der Schnauze — schwerlich ein dritter zu erwarten sein. Der obere Canin sieht seinem Homologon bei Necrolemur ähnlich, ist aber stark reduciert. Als Praemolarformel hat Matthew = ermittelt; sie umfasst also oben und unten einen Zahn weniger als bei Necrolemur und die Grössenabnahme von P, — der selbst relativ stärker ist — nach vorn zu, accentuiert sich mehr. Die Backenzahnreihen !) zeigen im allgemeinen Habitus viele Übereinstimmung mit Necrolemur, im einzelnen aber allerlei Abweichungen. Dass an den untern !) Über die Mandibularbezahnung kann ich, dank der Liberalität von Herrn Prof. Osborn aus eigener Anschauung urtheilen, auf Grund eines Mandibelfragmentes mit M;—P;|. 1386 Stehlin, Eocaene Säugetiere. M, und M, die Verschmelzung der vordern mit der inneren Trigonidspitze weniger weit gediehen ist als bei Neerolemur cfr. Zitteli, dass der untere P, nur eine An- deutung des Innenhügels aufweist, dass die beiden Wurzeln des untern P, nur unvollständig verwachsen, dass der zweite hintere Zwischenhügel der Maxillar- molaren fehlt und dass der Schmelz völlig glatt ist, sind Züge, welche man mit ziemlicher Bestimmtheit auch bei einem mit Tetonius homunculus gleichzeitigen Vorläufer von Necerolemur erwarten könnte. Allein andere Specialitäten weisen — wie die Abweichungen in der Zahl und Grösse der Praemolaren — deutlich auf eine divergente Entwicklungsrichtung hin. Die Maxillarzähne, speciell M, und M,, sind stärker quergedehnt, wohl secundärerweise im Zusammenhang mit der Kiefer- verkürzung. Der schwache hintere Innenhügel der obern M, und M, ist ein Derivat des Cingulums wie bei Adapis und Caenopithecus, nicht des vordern Innenhügels wie bei Necrolemur. Die Kronen der Mandibularzähne sind höher als bei letzteren, und zwar ist es an den Molaren die Kronenbasis, welche erhöht erscheint. Die Abnahme der Kronenhöhe von M, zu M, ist schwächer und der Talon des letztern hat blos eine Spitze. Die bei Necrolemur gut entwickelten Cingula fehlen. Die » Mandibularpraemolaren stehen zwar sehr gedrängt, schieben sich aber nicht so stark wie dort über einander. Zwei weitere Tetoniusarten, Tetonius ambiguus Matthew aus dem Wasatch und Tetonius musculus aus dem etwas jüngern Lysithorizont des Wind-River- Beckens, sind bis jetzt blos durch Mandibelfragmente belegt. Sie stehen Necrolemur nicht näher als Tetonius homuneulus. Das Genus Tetonius ist also jedenfalls nicht als die Wurzelform der Neero- lemuriden, sondern als ein besonderer divergent entwickelter Stamm zu betrachten. Der gemeinsame Ausgangspunkt der beiden Stämme braucht nach den gegenwärtig vorliegenden Anhaltspunkten nicht sehr weit unter der Wasatchstufe gesucht zu werden. Dass das Verhältnis der Necerolemuriden zu Tetonius ein erheblich näheres ist als das zu Adapiden, Notharctiden, Caenopithecus, Protadapis erscheint kaum zweifelhaft. In ähnlichen Beziehungen wie zu Tetonius könnten die Necrolemuriden, so weit sich gegenwärtig urtheilen lässt, zu den Genera Absarokius und Uintanius stehen, die beide blos durch Kieferfragmente belegt sind.') Absarokius mit zwei Species — A. abotti Loomis aus dem Lysithorizont und A. noctivagus Matthew aus den Lost Cabin beds des Windriver Beckens — 1) Matthew 1915 1. e. g Verbreitung, Alter und Phylogenese der Neerolemuriden. 1387 schliesst sich in seiner Bezahnung im Ganzen sehr nahe an Tetonius an. Er scheint sich darin etwas weniger gegensätzlich zu Necrolemur zu verhalten, dass seine Maxillarmolaren überhaupt keinen hintern Innenhügel besitzen '), entfernt sich aber andererseits dadurch etwas mehr von demselben, dass sein mandibulares Vorder- gebiss, anstatt aus einem einzigen verstärkten, aus zwei mässig starken Zähnen, wahrscheinlich dem Caninen und einem Ineisiven, besteht und dass seine hintersten Praemolaren noch mehr verstärkt sind. Von Uintanius kennt man bis jetzt eine einzige Art, Uintanius turriculorum, welche aus der untern Bridgerstufe stammt und also mit dem Egerkinger Necro- lemur ungefähr gleichzeitig sein dürfte. Die Maxillarmolaren sind rein trigonodont und fünfhüglig, also nicht in einer von Necrolemur divergierenden Richtung differenziert. An den Mandibularmolaren ist der schon reducierte vordere Trigonid- hügel von M, und M, seiner Stellung nach der Atrophie, nicht wie bei Necrolemur der Verschmelzung mit dem innern verfallen. Im übrigen streifen diese Zähne aber näher an den Necrolemurtypus als ihre Homologa bei den vorigen Genera; sie sind niedrig und mit gut ausgebildeten Ausseneingulis versehen. Etwelche Schmelzfältelung scheint die Necrolemurähnlichkeit des Molargebisses zu erhöhen. Allein das Antemolargebiss zeigt bedeutende Abweichungen. Die beiden hintern Praemolaren sind mächtig verstärkt und nach hinten gelehnt, die P, und P, sup. haben dabei blos einen rudimentären, der P, inf. gar keinen Innenhügel, P, inf. fehlt ganz und das mandibulare Vordergebiss besteht, nach den Alveolen zu ur- theilen, aus einem schwachen Caninen und einem, oder vielleicht sogar zwei kleinen Incisiven. Ganz ähnlich scheint auch der Fall von Trogolemur myoides zu liegen, der demselben Horizont angehört und vorderhand blos durch eine Mandibel belegt ist.) Die untern Molaren sind hier ganz besonders necrolemurartig und die untere Praemolarreihe scheint nur dadurch von der des europäischen Stammes abzuweichen, dass sich die Grössenabnahme von P, zu P, mehr accentuiert und dass P, fehlt. Das mandibulare Vordergebiss besteht wie bei letzterem aus einem einzigen Zahn, der wohl auch hier als Canin zu deuten sein wird. Dieser aber ist bedeutend stärker als bei Necrolemur, sein Alveolus greift bis unter die Molaren und die Erhöhung des Ramus horizontalis hat — zweifellos im Zusammenhang mit dieser !) Ich entnehme diesen Zug der Figur. Matthews Text hebt ihn nicht hervor. 2) W. D. Matthew, The Carnivora and Inseetivora of the Bridger Basin. Mem Am. Mus. Nat, Hist, IX, 1909, p. 546, Pl. LII, Fig. 5. — id, 1915 1. c., p. 478, 12 1388 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Verstärkung — einen Grad erreicht, der weit über den von Necrolemur bekannten hinausgeht. Das Foramen mentale liegt dabei ungewöhnlich weit hinten unter der Hinterwurzel von M,.') Man könnte also fast versucht sein, Trogolemur als einen im Sinne von Chiromys weiter entwickelten Necrolemuriden zu beurtheilen; allein die Vergleichs- basis ist vorderhand zur Entscheidung der Frage, ob dieses Genus wirklich nähere Beziehungen zu dem europäischen hat als die vorigen, zu kümmerlich. Die übrigen bis jetzt bekannten Primatengenera des Eocaens stehen offenbar den Necrolemuriden ferner. Anaptomorphus (= Euryacodon), Washakius, Hemi- acodon, Omomys?) und das unten zu characterisierende europäische Genus Anchomo- mys haben durchweg blos drei untere Praemolaren und ein normales mandibulares Vordergebiss, bestehend aus einem eher steil eingepflanzten Caninen und zwei Incisiven, von denen der vordere bei Hemiacodon und Omomys sogar ziemlich stark ist. Shoshonius und Periconodon, deren untere Antemolaren noch nicht nachgewiesen sind, schliessen sich ihren sonstigen Merkmalen nach so nahe an Washakius resp. Anchomomys an, dass wir mit einiger Zuversicht erwarten dürfen, sie werden auch in diesem Punkte nicht stark von denselben abweichen. Keiner von diesen sieben Primatentypen nähert sich in der Structur seiner Kauzähne den Necrolemuriden mehr als die vorhin erwähnten, insbesondre spaltet keiner der- selben den hintern Innenhügel seiner Maxillarmolaren wie letztere von dem vordern Innenhügel ab. Immerhin ist zu erinnern, dass nach Matthew der necrolemurartig gestreckte Calcaneus, den Wortman seiner Zeit, vermuthungsweise auf Microsyops bezogen hat’), sehr wahrscheinlich zu Hemiacodon gehört. ') Da unter recenten Säugetieren eine so zurückgeschobene Lage des Foramen mentale nur bei Insectivoren vorkommt, hat Matthew Trogolemur vorläufig in die Insectivorenordnung gestellt, ohne indessen die Möglichkeit, dass er sich schliesslich als Primate erweisen könnte, im geringsten in Abrede zu stellen. Ich möchte für mein Theil, wie auch Schlosser (Grundriss 1911, p- 549) gethan hat, bis auf bessere Belehrung in den allgemeinen Habitus von Gebiss und Mandibel mehr Vertrauen setzen als in das Verhalten dieses Foramens. Der Gegensatz zu Necrolemur und andern Primaten würde übrigens wesentlich abgeschwächt, wenn sich in der, .am Typusfundstück defeeten, vordern Mandibelpartie noch ein weiteres Foramen mentale finden sollte, was mir nicht ausgeschlossen scheint. Über die Stellung der noch mangelhafter belegten Genera Apatemys, Uintasorex, Phenacolemur und Nothodectes, welche Matthew mit Trogolemur in eine Inseelivorenfamilie Apatemydae zusammen- fasst, enthalte ich mich jedes Urtheils. Die Beziehungen aller dieser Forınen zu Necrolemur sind allem Anschein nach wesentlich weitläufiger als die von Trogolemur. ?) S. Matthew, 1915 lc. — J. L. Wortman, Studies of Eocene Mammalia in the Marsh Collection II Primates. Am. Journ. of sc. XVI, 1903, XVII, 1904. ®) Wortman, ]. ce. Fig. 115. — Matthew 1915, 1. e. p. 451. Verbreitung, Alter und Phylogenese der Neerolemuriden. 1389 Aus der Ascendenz der recenten Lemuriden, Nyceticebiden, Tarsiiden und Affen sind die Necrolemuriden allein schon ihres stark und eigenthümlich differenzierten Vordergebisses wegen auszuschliessen. Daran vermögen weder die mannigfaltigen, im obigen hervorgehobenen, eraniologischen Anklänge an Galago und Hemigalago'), noch die mehr vereinzelten, aber möglicherweise tiefer liegen- den an Tarsius, an die Indrisinen?), an niedere Platyrinen etwas zu ändern. Der einzige recente Primate, dessen Vordergebiss ein necrolemurartiges Stadium durch- laufen haben kann und wahrscheinlich auch durchlaufen hat, ist Chiromys. Allein hier stellen sich Divergenzen in andern Punkten der Organisation wie z. B. dem ‚Aufbau der Bulla (Rolle von Tympanicum und Alisphenoid bei Necrolemur) und der Ausbildung des Tarsus dem Schlusse auf einen directen Zusammenhang entgegen. Es kann sich also für uns nur noch darum handeln zu prüfen, ob die ge- wonnenen Anhaltspunkte genügen, um den Neerolemuridenstamm in eine bestimmte Gruppe der recenten Primaten einzureihen und damit von den andern abzutrennen. Schlosser *) und neuerdings Gregory‘) haben sich mit grosser Bestimmtheit für die Einreihung der Necrolemuriden unter die Tarsiiden ausgesprochen. Der erstere Autor beruft sich dabei vor allem auf die Analogie in der Differenzierung der hintern Extremität. Mir scheint indessen gerade dieses Argument von recht fraglichem Werth zu sein. Bekanntlich zeichnen sich von recenten Formen ausser Tarsius auch Galago und Chirogaleus durch eine ungewöhnliche Dehnung von !) Gregory (1915 1. p. 1324 e.) hält einen direeten Zusammenhang zwischen Neerolemur und den Nyelicebiden für möglich, aber „at present somewhat improbable*. In diesem speciellen Fall scheitert die Hypothese doch wohl schon von vorneherein an der Differenz in der Zahl der untern Antemolaren (5 bei Necrolemur, 6 bei Nycticebiden). ?) Der Versuch Wortmans (l. c. p. 250), die Indrisinen von den Necrolemuriden abzuleiten, kommt mit der Antemolarformel nicht in Contfliet. -Es ist auch nicht zu bestreiten, dass gerade bei dieser Gruppe der recenten Halbaffen das Molargebiss einige auffällige Anklänge an Neerolemur- Mierochoerus aufweist. Die kantige Verbindung der Innenhügel an den Maxillarmolaren scheint an- zudeuten, dass der hintere derselben auf gleiche Weise wie bei den Neerolemuriden entstanden ist. Die vordere Trigonidspitze ist am untern M, im Gegensatz zu M, und M, erhalten geblieben. Der hintere Zwischenhügel der Maxillarmolaren persistiert. Es ist ein Mesostyl vorhanden wie bei Miero- choerus. Die Schmelzoberfläche entwickelt ein sehr ähnliches Faltensystem. Dazu kommt noch die oben hervorgehobene Analogie im Kiefergelenk. Andererseits setzt aber Wortmans Hypothese nicht nur in Bezug auf das Vordergebiss, sondern auch in Bezug auf den Schädel, speciell die Ohrregion, und die Hinterextremitäten Umwandlungsmöglichkeiten voraus, die ich für schlechterdings aus- geschlossen halte. ®)1. ec. 1907, p- 203 ff. *) 1915, II, 1. p. 1324 c. 1390 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Saleaneus und Naviculare aus. Galago ist aber zweifellos viel näher mit Perodictieus, der eine normale Hinterextremität besitzt, verwandt als mit Tarsius; und Chiro- galeus näher mit Lemur — der im gleichen Falle ist wie Perodieticus — als mit Galago und mit Tarsius.') Wir werden somit förmlich zu der Annahme gedrängt, dass diese drei recenten Genera ihre analoge Differenzierung unabhängig von einander erworben haben. Unter solchen Umständen ist aber nicht einzusehen, warum nicht andre, heute erloschene Stämme — wie Necrolemur und Hemiacodon — den gleichen Anpassungsprocess gleichfalls auf eigene Faust durchgemacht haben sollten. Es ist der Modus, nach welchem Angehörige der Primatenordnung das Problem der hüpfenden Fortbewegung im Geäst lösen, wenn es ihnen durch die Verhältnisse gestellt wird. Beweiskräftig für ein nahes Verwandtschaftsverhältnis zwischen Neero- lemuriden und Tarsius wäre die Analogie in der Structur der Hinterextremität somit nur in Verbindung mit einer Reihe von andern Übereinstimmungen. Nun haben wir ja oben einige solche festgestellt, vor allem im Verhalten des Tym- panicums, sodann in der Modellierung des hintern Gaumenendes und weiterhin — freilich vagere — in der Ausbildung des Kiefergelenkes, im Verhältniss der Ptery- goidalwand zur Bulla, in Verlauf der Carotis interna, in einigen Zügen des Gebisses und des allgemeinen eraniologischen Habitus. Ich stimme auch mit Gregory darin vollkommen überein, dass das Verhalten des Tympanicums ein plausibler Grund ist, die Necrolemuriden in nähere Verbindung mit Tarsius als mit den Lemuriden und mit Chiromys zu bringen und bin, wie er, sehr geneigt sie wegen ihres Carotisverlaufes — trotz allen Galagoähnlichkeiten des sonstigen Schädelbaues — Tarsius näher zu stellen als den Nycticebiden. Allein für die Beurtheilung der Frage, ob wir sie kurzweg als Tarsiiden rubricieren dürfen, kommen wohl noch einige andre Erwägungen in Betracht. Zunächst stimmen die Necrolemuriden im Verhalten des Tympanicums nicht nur mit Tarsius und den Nyeticebiden, sondern auch mit den Affen überein und für den Carotisverlauf derselben — soweit er bis jetzt wirklich festzustellen ist — hat uns die Affengruppe sogar die nächsten recenten Analoga geboten. Sodann haben wir in der Betheiligung des Alisphenoides am Aufbau der Bullawand von Necrolemur ein allem Anschein nach sehr tief liegendes Merkmal vor uns, das überhaupt in keiner recenten Primatengruppe vorkommt. Dieses allein schon !) Dass bei Tarsius die Speeialisierung der Hinterextremität ‚weiter fortgeschritten ist als bei Galago und Chirogaleus, thut der Richtigkeit dieser Erwägung natürlich keinen Abbruch, Verbreitung, Alter und Phylogenese der Necrolemuriden. 1391 scheint mir dafür zu sprechen, dass wir uns das Verwandtschaftsverhältnis von Necrolemur zu dem gleichzeitigen Tarsiusvorfahren unter allen Umständen als ein ziemlich weitläufiges zu denken haben und in diesem Schlusse sehe ich mich be- stärkt durch die vielen Entwicklungsunterschiede, welche zwischen Tarsius und den Necrolemuriden zu constatieren sind. Die letztern waren, wie wir gesehen haben, schon im Eocaen wesentlich differenzierter, als der letztere gegenwärtig ist: in der Einrichtung des Vordergebisses; in der Structur der Maxillarmolaren, welche einen starken hintern Innenhügel, einen zweiten hintern Zwischenhügel, bei Micro- choerus auch ein Mesostyl besitzen; in der Structur der Mandibularmolaren, welche die Höhendifferenz zwischen Vor- und Nachjoch nahezu ausgeglichen und die vordere Trigonidspitze an M, und M, eingebüsst haben; in der Entwicklung eines langen äussern Gehörgangs. Sie befinden sich auf einer, deutlich von derjenigen des Genus Tarsius divergierenden Entwicklungsbahn: in der Art, wie sie den hintern Innenhügel der Maxillarmolaren erwerben; in der Art, wie sie die vordere Trigonid- spitze der Mandibularmolaren reducieren; in der Blähung des Mastoides und in der Ausbildung der Bulla; vielleicht auch in der Durchbohrung der Pterygoidalwand durch einen Canalis Civinninii und in noch andern craniologischen Merkmalen. Dies alles in Rechnung setzend, gelange ich für mein Theil zu dem Schlusse, dass die Necrolermuriden allerdings noch am ehesten in -die Gruppe der Tarsiiden einzureihen sind, wenn sie durchaus in einer der für die recenten Primaten aufgestellten Öategorien untergebracht werden müssen; dass es aber wahrscheinlich dem wirklichen Sach- verhalt besser entspricht, wenn wir ihnen eine isoliertere Stellung im Systeme anweisen. 1392 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Nannopithex pollicaris n. gen. n. spec. von Egerkingen. In einem Bröckehen von verfestistem Huppersand, das in der Cartier’schen Sammlung lag, steckte — von der Wurzelseite sichtbar — ein OÖberkieferfragment von winzigen Dimensionen. Durch vorsichtige Manipulationen ist es mir gelungen die Zähne, die es enthält — M,, M, und die Hinterhälfte von M, — ohne Ver- sehrung bloszulegen. Ihre Structur weist äuf die Primatenordnung, passt aber in keines der bis jetzt bekannten Genera. Ich schlage vor, dieses Genus novum als „Nannopithex“ und die vor- liegende Species als „Nannopithex pollicaris* zu bezeichnen. Basel Ef. 369. Fragment der rechten Maxilla mit M,—M, und der Hinterhälfte von M,. — Länge M,—M, 0,0025, Länge M,‚—M, ca. 0,0042. — Figur CCCXX. Die Kronen von M, und M, sind sechshüglig wie bei Necerolemur und zeigen auch structurell | einige augenfällige Anklänge an dieses Genus, speciell an die Lutötienmutation desselben, Necrolemur cfr. Zitteli. Die Aussenhügel sind wie bei diesem durch einen tiefen Einschnitt von einander getrennt, also ER ER: 1 nur mangelhaft z in senwa zusammen- Figur CCEXX. Nannopithex > b zu einer ‘Aussenwand: zu pollicaris n. gen. n. spec. — geschlossen; die über sie wegziehende Kante nimmt M,—M, sup. dext. — Egerkingen a N einen analogen Verlauf; von einem Mesostyl ist keine f. 369. — °/ı. Spur zu bemerken und das Parastyl markiert sich schwach. Auf seiner Innenseite entwickelt der vordere Aussenhügel, ganz wie bei Necrolemur efr. Zitteli, eine starke Falte; eine obtusere Kante, die ebenfalls bei Nannopithex pollicaris. 1393 letzterm ihr Analogon hat, steigt von der Spitze des hintern Aussenhügels gegen die Tiefe des Trigonumtrichters ab. Necrolemurartig, d. h. mässig stark und etwas erescentoid ist auch der vordere Zwischenhügel entwickelt; wie bei Necrolemur cfr. Zitteli verbindet sich sein hinterer Halbmondarm mit der Falte an der Innenseite des vordern Aussenhügels. Namentlich aber erinnert die sehr starke Ausbildung des hintern Zwischenhügels an Necrolemur; als Verdickung in einer Kante, die der- selbe dem Innenhügel entgegensendet, ist sogar der für dieses Genus characteristische Nebenhügel markiert, ungefähr in gleicher Deutlichkeit wie bei progressiven Exem- plaren von Necrolemur efr. Zitteli und, wie dort an M, etwas stärker als an M,. Aussen-, Vorder- und Hintereingulum sind gut entwickelt, während das Innen- eingulum — wie bei den evoluierteren Necrolemuriden — fehlt. Allein mit diesen Analogien combinieren sich Differenzen im Verhalten des hintern Innenhügels und im Umrisse, welche den Kronen gleichwohl einen wesentlich andern Habitus verleihen. Der hintere Innenhügel ist wie bei Caenopithecus und Adapis durch einen tiefen Graben vom vordern getrennt und des deutlichsten als Derivat des Schluss- eingulums gekennzeichnet. Die Spitze des vordern Innenhügels sendet eine Falte nach hinten aus, die aber labialwärts am hintern Innenhügel vorbeizieht und sich verliert, ehe sie das Schlusseingulum erreicht. Eine zweite Falte desselben Hügels, die auf die Tiefe des Trigonumtrichters orientiert ist, verstärkt den Gegensatz dieser Kronenpartie zu der entsprechenden bei Necrolemur. Die Kronenumrisse sind beträchtlich mehr quergedehnt und dazu, aussen sowohl als namentlich auch innen, eckiger — wie bei andern Formen, welche den hintern Innenhügel aus dem Cingulum gewinnen (Adapis, Caenopithecus). Zur weitern Characteristik der Zahnreihe bleibt folgendes beizufügen. M, ist transversal etwas weniger gedehnt, aber allem Anschein nach sagittal etwas gedehnter als M,, wie in unserer Figur angedeutet. Sein Aussencontour verläuft sagittal, nicht schräg wie bei letzterm und sein hinterer Aussenhügel dürfte dem vordern ungefähr gleichwerthig gewesen sein, während derjenige von M, um ein merkliches niedriger ist als sein vorderer Nachbar. Der hintere Innenhügel ist an M, stärker als an M, und die hintere Innenecke “der Krone springt ent- sprechend mehr vor. M, ist in allen Dimensionen reduciert, wie bei Necrolemur; sein Aussen- contour sehr schräg gestellt und sein hinterer Aussenhügel sehr klein. Das Schlusseingulum liefert keinen Innenhügel und der vordere Zwischenhügel markiert sich schwach. An Stelle des hintern Zwischenhügels ist eine starke von der Er 1394 Stehlin, Eocaene Säugetiere. . i Spitze des grossen Innenhügels schräg nach hinten aussen verlaufende, si N j gabelnde Falte entwickelt. ; n Vom Kieferknochen ist gerade nur soviel vorhanden, als nöthig war, um ws die Zähnchen in situ zu erhalten. Das Fundstück stammt, wie bemerkt, aus dem Huppersand. Der Schme ist glänzend schwarz. Allem Anschein nach gehört Nannopithex pollicaris- ware e „345 ältern Element der Egerkinger Fauna. - .i EN ” r a I >53 2% > h PER 2 le SL "ab aa) van a Zara RE nn BE Zn Systematische Stellung von Nannopithex. 1395 Systematische Stellung des Genus Nannopithex. Pseudoloris parvulus Filhol. Nannopithex pollicaris ist vorderhand der einzige Repräsentant seines Genus und nur durch das eine Fundstück von Egerkingen belegt. Unsere Muth- maassungen über die systematische Stellung des Genus Nannopithex können daher gegenwärtig nur auf die Structur der eben beschriebenden drei Maxillarmolaren abstellen und haben unvermeidlicherweise sehr provisorischen Character. Ob Nannopithex in einem sehr nahen Verwandtschaftsverhältniss zu Necro- lemur steht, scheint mir, trotz allen Anklängen, fraglich, angesichts der abweichen- den Entstehungsart seines hintern Innenhügels. Diese erinnert viel eher an Adapis und Caenopithecus, sowie an die unten zu besprechenden Genera Anchomomys und Periconodon. Allein die starke Entwicklung des hintern Zwischenhügels setzt Nannopithex zu allen diesen Formen in Gegensatz. Von Caenopithecus weicht er überdiess durch das Fehlen eines Mesostyles, von Anchomomys und verwandten Formen, sowie von Adapis durch die Neigung zu Schmelzfältelungen ab. Ich denke daher nicht, dass irgend eines dieser Genera in engerem Zusammenhang mit ihm steht als Necrolemur. Eher könnte vielleicht eine nähere Beziehung zwischen Nannopithex und dem nordamericanischen Genus Washakius Leidy, aus der Bridgerstufe, bestehen.!) Washakius insignis Leidy, die einzige bis jetzt beschriebene Species dieses Genus, hat etwa die Grösse von Necrolemur antiquus, ist also beträchtlich grösser als Nannopithex pollicaris. Er besitzt oben und unten drei Praemolaren, einen steil eingepflanzten Caninen und zwei Incisiven, verhält sich somit in Bezug auf das Vordergebiss wesentlich primitiver und normaler als Necrolemur, zu dem er in keinem näheren Verhältniss zu stehen scheint. !) Litteratur s. oben p. 1320 Anm. 3. 396 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Die obern Molaren von Washakius stimmen in einer ganzen Reihe von Eigenthümlichkeiten mit denjenigen von Nannopithex überein. M, und M, haben einen vom Schlusseingulum gelieferten hintern Innenhügel, der an M, stärker ent- wickelt ist als an M,. Ihre Kronen haben quergedehnte, eckige Umrisse und sind aussen vorn und hinten von deutlichen Cingulis umgeben. Es ist sowohl ein vor- derer als ein hinterer Zwischenhügel vorhanden. Sogar eine Andeutung des Neben- hügels innen am hintern Zwischenhügel glaubt man in Wortmans Figur 145 wahr- zunehmen. Der Schmelz neigt sehr zur Faltenbildung. Die Aussenhügel sind un- vollkommen zu einer Aussenwand zusammengeschlossen und von einem Mesostyl fehlt jede Spur. M, ist reduciert und entbehrt des hintern Innenhügels. Es besteht somit in keinem der wesentlichsten Punkte der Molarstructur ein Gegensatz. Immer- hin fehlt es nicht an kleineren Differenzen. Vor allem ist der vordere Innenhügel voluminöser, der hintere Zwischenhügel beträchtlich kleiner als bei Nannopithex, der Innenabhang des vordern Aussenhügels weniger gedehnt und steiler. Sodann fehlen die Falten an der Innenseite der Aussenhügel, während andererseits die Schmelzfältelung sich am grossen Innen- hügel viel üppiger entwickelt und auch auf die Lingualseite desselben übergreift. — ‘Endlich verhalten sich die drei Molaren Figur CCCXXTI. PseudolorisparvulusFilhol. etwas anders zu einander. M, ist sagittal — Linker Oberkiefer mit M.;—M,. — Phosphorit der Umgebung von Caylux. — Basel Q. H.476 alı. grösser als M,, M, weniger stark redu- kaum kürzer und in toto entschieden eiert. Die bei Nannopithex sehr ausge- sprochene gradweise Abschwächung des hintern Aussenhügels von M, zu M, macht sich kaum bemerklich. Aber alles in allem stimmt die Molarstructur von Washakius entschieden näher mit der von Nannopithex überein als diejenige von Necrolemur. Das americanische Genus Shoshonius, das mit Washakius zusammenzuhängen scheint, steht schon etwas ferner. Unter den recenten Primatengenera sucht man vergeblich nach einem Analogon zu der vorliegenden Molarstructur. Systematische Stellung von Nannopithex; Pseudoloris. 1397 Eine gewisse Summe von Anklängen an Nannopithex zeigt endlich auch ein kleiner und wenigstens in seiner Maxillarbezahnung bisher nicht bekannter Primate aus den Phosphoriten des Querey, dessen Besprechung sich daher am ungezwungensten hier anschliesst. Ich schlage für dieses Tierchen den Genusnamen Pseudoloris vor aus Gründen, welche sich sofort ergeben werden. Es ist in der h. Figur CCCXXI. a. Linker Oberkiefer mit M‚—J,, von Loris gracilis, recent. Basel C. 1587. — .b. Linker Oberkiefer mit M,—J, von Galago galago, recent. Basel C. 1886. — ?/ı. Basler Sammlung belegt durch ein Maxillarfragment und fünf Mandibelfragmente. Die Annahme, dass Maxilla und Mandibeln zusammengehören, scheint mir gut gestützt durch die Übereinstimmung in den sehr ungewöhnlichen Dimensionen, in der relativen Stärke der sich entsprechenden Zähne und im allgemeinen strueturellen Habitus, 1398 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Als Genustypus ist das in Figur CCOXXI wiedergegebene Maxillare zu betrachten. Es zeigt M,—P, in vorzüglicher Erhaltung und eine Alveolarspur von P,. M,—M, messen 0,0038, also noch etwas weniger als bei Nannopithex pollicaris. Die Molaren sind quergedehnt, haben sehr gut ausgebildete vordere und hintere Zwischenhügel und scharfe Aussen- und Vordereingula. M, und M, entwickeln einen hintern Innenhügel, der nicht mit dem vordern Innenhügel in Verbindung steht und deutlich als Derivat des sich nach aussen rasch verlierenden Schlusseingulums gekennzeichnet ist. Die Aussenhügel sind durch einen tiefen Einschnitt von einander getrennt und der hintere nimmt von M, zu M, an relativer Stärke ab. Von einem Mesostyl ist keine Spur wahrzunehmen. Das Inneneingulum fehlt. Die Grundzüge der Structur sind also die nämlichen wie bei Nanno- pithex und Washakius; in der Modellierung bestehen aber sehr namhafte Ab- weichungen. Vor allem ist der Schmelz, wie bei dem unten zu beschreibenden Genus Anchomomys, vollkommen glatt und ohne jegliche Neigung zur Faltenbildung, während sich Kanten und Spitzen durch eine, Nannopithex, Necrolemur, Washakius fremde Schärfe auszeichnen. Das ganze Gepräge erhält dadurch einen ungemein praecisen Character. Der vordere Zwischenhügel ist nicht crescentiform, aber durch eine tiefe Kerbe auf der Hinterseite des Vorjoches scharf vom Innenhügel abgegliedert. Der hintere Zwischenhügel ist stärker als der vordere wie sein Homologon bei Nanno- pithex und Necrolemur, stellt aber im Gegensatz zu diesem einen sehr praecis geschnittenen Halbmond dar, dessen Arme die Basis des hintern Aussenhügels umfangen. Da sich die Spitze des Innenhügels durch scharfe Kanten mit beiden Zwischenhügeln verbindet, ist der Trigonumtrichter allseitig gut umgrenzt. M, übertrifft M, in Länge und Breite. Sein hinterer Innenhügel ist ziemlich kräftig und dadurch, dass der hintere Kronencontour labialwärts von ihm eine stark concave Linie beschreibt, in eigenthümlicher Weise vom alten Zahntheil abgegliedert. Zugleich nimmt die über die Aussenhügel wegziehende Kante einen besondern Verlauf. Sie ist im Gebiet des vordern Aussenhügels sagittal gerichtet, biegt sich aber dann im Gebiet des hintern sehr stark nach aussen, nach der hintern Kronenecke zu, die labialwärts vorgezerrt ist. Der hintere Aussenhügel nimmt sich infolgedessen aus, wie wenn er gewaltsam in der Richtung von hinten innen nach vorn aussen gedreht worden wäre; seine Basis stellt ein Oval mit diagonal gestellter Längsaxe dar, Pseudoloris. 1399 Diese Specialitäten erinnern in frappanter Weise an die recenten Genera Loris und Galago (Figur CCCXII), was ich durch den vorgeschlagenen Genus- namen andeuten möchte. An M, schwächen sie sich ab. Der hintere Innenhügel ist kleiner, der hintere Kronencontour nur wenig eingebuchtet, die hintere Aussenecke nur schwach labial- wärts ausgezogen und der hintere Aussenhügel mässiger gedreht. An M,, der dem M, an Länge wie an Breite nachsteht und keinen hintern Innenhügel besitzt, nimmt der Umriss ausgesprochen dreieckige Gestalt an; der Hintercontour zeigt keine Einbuchtung, die hintere Aussenecke springt weniger labialwärts vor als die vordere und eine Drehung des hintern Aussenhügels ist kaum mehr festzustellen. Die Kronenhöhe nimmt von M, zu M, merklich ab. Das Kronenrelief von P, besteht aus einem einfachen Aussenhügel und einem Innenhügel. Der erstere stellt einen spitzen, mit Sagittalkanten versehenen, auf der Lingualseite sehr stark convexen Kegel dar und ist aussen von einem scharfen Cingulum umzogen. Der letztere ist viel niedriger und gleichfalls mit zwei Kanten versehen, einer vordern, die rasch zur Kronenbasis absteigt und sich in das gut markierte Vordereingulum fortsetzt, und einer hintern, etwas gebogenen, die sich verliert, ehe sie die Basis des Aussenhügels erreicht. Zwischenhügel, Innen- cingulum und Schlusseingulum fehlen. Der Umriss verjüngt sich nach innen nur mässig, nimmt auf der Labialseite einen kreisförmigen Verlauf und buchtet sich hinten in ähnlicher Weise ein wie an M.. Auch dieser Zahn zeigt in seinem ganzen Habitus eine auffällige Über- einstimmung mit seinem Homologon bei Loris. Die Alveolarspur von P, lehrt, dass hintere Aussenwurzel und Innenwurzel dieses Zahnes getrennt waren und dass letztere etwas weiter von P, abstand als erstere. Ob die Krone dieses Zahnes, wie bei Loris, eine kleinere Wiederholung derjenigen von P, war oder ob sie einen mehr in die Länge gedehnten Umriss hatte, lässt sich nicht feststellen. Die Gaumenfläche wölbt sich in der Gegend von M, und M, von einer nahe am Alveolarrand verlaufenden Kante weg stark nach oben. Ihrem Hinterrand setzt sich, zwischen den M,, eine ähnliche Leiste auf wie bei Necrolemur. Auf der Wangenseite des Knochens sind der Jochbogenursprung mit einem Stück Orbital- rand und das Foramen infraorbitale erhalten. Das letztere befindet sich über P;. Der untere Orbitalrand liegt 2,3 mm über dem Alveolarrand; er ist sehr scharf und etwas nach aussen gerichtet. Das Jugale, das ihn liefert, spitzt sich in ähnlicher Weise wie bei Loris nach vorn aus und scheint das faciale Lacrymale — wenn 1400 Stehlin, Eocaene Säugetiere. 5 ‚überhaupt ein solches vorhanden war — nicht erreicht zu haben; infolge der Umschlagung des Orbitalrandes ist seine Aussenfläche etwas concav. Der Joch- bogen beginnt sich über M, vom Kiefer abzuheben; die vordere Umgrenzung des Masseteransatzes markiert sich nur undeutlich. Die fünf Mandibelfragmente der Basler Sammlung stimmen unter ein- ander sehr gut überein. Ich gebe das am wenigsten unvollständige, an dem Figur CCCXXII. Pseudoloris parvulus Filhol. — Linke Mandibel mit M,—P, und Alveolen von P,—C. — Phosphorit der Umgebung von Caylux. — Basel Q. H. 472. — ®/ı. M,— P, und die Alveoli der übrigen Ante- molaren erhalten sind, in Figur CCCXXIHI von oben, in Figur CCCXXIVb im Profil wieder und füge in Figur CCCOXXIVa die Profilansicht eines zweiten bei, an welchem wenigstens ein Theil von Ramus ascendens und Winkel zu sehen ist. Die Länge von M,— M, beträgt 0,0043 — 0,0045, wie nach den Dimensionen der Maxillarreihe zu erwarten ist. Die Zähne sind breit und erinnern in den Umrissen an ihre Homologa bei Necrolemur, Figur CCOXXIV. Pseudoloris par- unterscheiden sich aber auf den ersten Blick vulus Filhol. — a. Rechte Mandibel mit M,—M,, von aussen. Basel Q. H. 473. b. Linke Mandibel mit M;—P, von Kanten und Spitzen, durch die völlig glatte aussen. Basel Q. H. 472. Phosphorit der Schmelzbeschaffenheit, durch das Fehlen aller Umgebung von Caylux. — ca. ®/ı. von denselben durch grössere Schärfe aller Detailcomplicationen. M, ist auch hier etwas grösser als M,, aber die Differenz ist gering und, wie mir scheint, an andern Exemplaren weniger deutlich als an dem in Figur CCCXXIII wiedergegebenen. Der Vorderarm des Vorderhalbmonds verläuft zunächst sagittal und setzt sich dann, abrupt nach innen umbiegend, in einen niedrigen Transversalwulst fort. Pseudoloris. 1401 An M,, wo der Kroneriumriss sich zu Gunsten dieses Wulstes nach vorn ausspitzt, ist derselbe in der Mittelaxe der Krone mit einer kleinen Spitze versehen, welche in der Profilansicht (Figur CCCXXIV b) durch einen tiefen Einschnitt vom Vorder- halbmond abgegliedert erscheint; offenbar das Äquivalent der vordern Trigonid- spitze an M, von Necrolemur. Dieses Element ist also bei Pseudoloris schwächer entwickelt und weniger lingualwärts gerückt als bei letzterem. An M, und M, entwickelt der Wulst keine Spitze mehr; die vordere Trigonidspitze ist also an diesen Zähnen geschwunden wie an den entsprechenden von Necrolemur, aber offensichtlich nicht wie dort durch Verschmelzung mit dem vordern Innenhügel, sondern — entsprechend der centraleren Stellung, die sie an M, einnimmt — einfach durch Atrophie. Das Vorjoch ist so ziemlich gleich ausgebildet wie bei Figur CCCXXV. a. Linker Unterkiefer mit M;—J, von Loris gracilis, recent. Basel C. 18857. — b. Linker Unterkiefer mit M,;— J, von Galago galago, recent. Basel C. 1886. — ?/ı. Necrolemur. Das Nachjoch, das — ohne dass es zur deutlichen Markierung eines Hypoconulides käme — etwas nach hinten geknickt ist, senkt sich in der Mitte etwas mehr ein als bei jenem. Der schmale und kurze Talon von M, ist im Gegen- satz zu Neerolemur decidiert einhüglig. Die Kronenhöhe nimmt von M, zu M, weniger ab und die Höhendifferenz zwischen Vorjoch und Nachjoch ist — wenig- stens an M, — geringer als bei Necrolemur cfr. Zitteli. Im übrigen machen die drei Molaren einen ziemlich necrolemurartigen Eindruck ; sie haben ein continuier- liches Ausseneingulum und zeigen die Tendenz, ihr Vorderende über den Hinter- rand des vordern Nachbarn zu schieben. Der zweiwurzlige P, ist ganz nach dem Plane von Necrolemur gebaut, sein Innenhügel mässig detachiert. Ebenso herrscht vollständige Übereinstimmung in 1402 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Bezug auf die Alveoli der einwurzligen vordern Antemolaren. Vor P, folgen zu- nächst die unter sich annähernd gleichwerthigen von P, und P,, dann — ganz an den Aussenrand gedrängt — der winzige von P, und unmittelbar anschliessend derjenige des grossen Vorderzahnes, den wir bei Necrolemur als © gedeutet haben. Derselbe scheint ziemlich steil eingepflanzt gewesen zu sein wie bei Necrolemur efr. Zitteli. Die Vorder- und Innenwand des grossen Alveolus ist an keinem der mir vorliegenden Fundstücke intact erhalten, sodass die Frage nach der Existenz eines rudimentären JJ offen bleibt. Ich habe, wie bei Necrolemur cfr. Zitteli, den Eindruck, es sei kein solcher Zahn vorhanden gewesen. Der Ramus horizontalis wird nach vorn zu etwas niedriger, nicht höher. Sein Unterrand ist geschwungener, der Winkel noch energischer ausgegliedert als bei Necrolemur. Der Masseterhöcker markiert sich an dem in Figur CCOXXIVa dargestellten Exemplar so kräftig wie bei RO Dart 4 diesem, an andern etwas schlechter. Der Vor- derrand des Ramus ascendens neigt sich mehr nach hinten und schlägt sich etwas nach innen um, sodass eine Rinne für den Temporalis- Figur CCCXXVI. Pseudoloris par- ansatz entsteht. Es sind zwei Foramina men- vulus Filhol. — Linke Mandibel mit talia vorhanden, ein hinteres unter P,, ein M,;, — P, und Alveolen von P,;,—C, im Profil in natürlicher Grösse und von oben vergrössert. — Phosphorile des Querey. hält sich analog wie bei Necrolemur, aber das Gopie von Filhols Abbildungen des Typus- C S 2 mandibulare von „Necrolemur parvulus Zweiakenaleben dental siedenn ses Filhol“. vorderes unter P,. Die Symphysalpartie ver- vorn am Caninalveolus emporsteigt, scheint zu fehlen. Vergleicht man die Mandibularzahnreihe von Pseudoloris mit der von Loris (Figur CCCXXV), so ergiebt sich für M;—P,, wohl auch für P,, ein ähnlicher Grad der Übereinstimmung wie für ihre Antagonisten, d.h. man könnte, nur nach diesen Zähnen urtheilend, an einen näheren Zusammenhang der beiden Formen glauben. Allein die total verschiedene Differenzierung. des Vordergebisses lehrt des deutlichsten, dass wir es nur mit einem bemerkenswerthen Fall von Analogie zu thun haben, dass also das kleine Tierchen aus den Phosphoriten kein „Pro“-loris, sondern ein „Pseudo“-loris ist. Wir haben oben (p. 1323), bei der Besprechung von Necrolemur, den „Necro- lemur parvulus Filhol“ aus diesem Genus ausgeschieden. Hier ist nun der Moment auf diese Species zurückzukommen, denn die Mandibel, auf welcher sie beruht, zeigt eine weitgehende Übereinstimmung mit den eben beschriebenen. Da N A u a NUR Pi Systematische Stellung von Pseudoloris. 1403 Filhols Notiz !) in einer wenig verbreiteten Zeitschrift erschienen ist, reproduciere ich die ihr beigelegene Abbildung in Figur CCCXXVI. M,— M, messen an diesem Fundstück 0,004, also unbedeutend weniger als an den kleinsten der Basler Serie. Bei flüchtiger Betrachtung der Abbildung, die leider nicht sehr scharf und nicht genau von oben aufgenommen ist, glaubt man das nämliche Tierchen vor sich zu haben. Allein bei genauerem Zusehen stellen sich einige Zweifel ein. Von der Zuspitzung des Vorderendes von M,, die an den mir vorliegenden Mandibeln sehr in die Augen springt, ist in dem Filholschen Bild nichts zu bemerken. Auch soll dieser Zahn bei Necrolemur parvulus etwas kleiner sein als M,, während wir an jenem das Umgekehrte festgestellt haben. Die Wiedergabe von Umriss und Modellierung von P, stimmt nicht in befriedigendem Grade mit den Basler Originalien überein. Der Alveolus von P, ist, wie Filhol ausdrücklich hervorhebt „compris dans le rang alveolaire et non rejete en dehors de lui comme on l’observe sur les Necrolemur antiquus, Edwardsi“. Um zu entscheiden, wie viel Gewicht diesen Abweichungen beizumessen ist, wäre vor allem eine Überprüfung des Filhol’schen Originals erforderlich. Dass sie mehr als specifischen Werth haben, erscheint unwahrscheinlich, da die von Filhol gegebene Characteristik sonst vollkommen mit der obigen übereinstimmt. Bis auf bessere Belehrung neige ich vielmehr sehr zu der Annahme, sie werden sich bei genauem Zusehen auf einen Betrag reducieren, der sich auf Rechnung der individuellen Variation schreiben lässt. Was speciell die Differenz im Verhalten des P, anbelangt, so könnte sie vielleicht daran liegen, dass die von Filhol be- schriebene Mandibel von einem besonders schwachen Individuum herrührt. Ich bezeichne demgemäss das Tierchen der Basler Sammlung vorderhand als „Pseudoloris par vulus Filhol“. Für den Fall, dass sich die Annahme speci- fischer Identität später als irrig erweisen sollte, schlage ich vor die neue Species „Pseudoloris nanus“ zu nennen. Die von Filhol abgebildete Mandibel ergänzt das Basler Material in zwei Punkten: sie trägt noch den wie P, durchaus necrolemurartigen P, und zeigt die Umwandung des Caninalveolus unverletzt; nach Figur und Text scheint keine Spur eines rudimentären Incisiven vorhanden zu sein. Chronologisch fixieren lässt sich Pseudoloris parvulus vorderhand nicht; er wird wohl eher einem der eocaenen als einem der oligocaenen Horizonte, die in den Phosphoriten vertreten sind, angehören. !) H. Filhol, Description d’une nouvelle espece de Lemurien fossile (Necrolemur parvulus). — Bull. soc. philom. de Paris (8) II 1890, p. 39—40. 14 1404 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Wir haben vorderhand keine Veranlassung ein besonders nahes Verwandt- schaftsverhältnis zwischen Pseudoloris und Nannopithex anzunehmen. Die Structur- analogien, welche die beiden Stämme in ihren Maxillarmolaren aufweisen, sind entschieden schwächer als die zwischen Nannopithex und Washakius constatierten. Nach seinem mandibularen Praemolar- und Vordergebiss könnte man ver- sucht sein Pseudoloris in sehr nahe Verbindung mit den Necrolemuriden zu bringen. Aus den hervorgehobenen Eigenthümlichkeiten in der Structur seiner obern und untern Molaren glaube ich jedoch folgern zu müssen, dass er mit den- selben nur über einen Vorfahren zusammenhängen kann, dessen Maxillarmolaren keinen hintern Innenhügel hatten und dessen sämmtliche Mandibularmolaren noch mit einem vollentwickelten, unabhängigen vordern Trigonidhügel versehen waren. Vielleicht ist indessen der Zusammenhang der beiden Stämme ein noch weit- läufigerer. Hinsichtlich der Structur der Maxillarmolaren finden sich im americanischen Eocaen wesentlich genauere Parallelen zu Pseudoloris als im europäischen. Schon Absarokius und Uintanius'), die zwar keinen hintern Innenhügel, aber einen deutlichen hintern Zwischenhügel, ein scharfkantiges Gesammtgepräge und glatten Schmelz haben, stehen eher näher als Necrolemur, Nannopithex und das unten zu besprechende Genus Anchomomys. In die vorderste Reihe aber stellen sich in dieser Hinsicht die Genera Omomys und Tetonius!), bei welchen sich ein aus dem Schlusseingulum gewonnener hinterer Innenhügel und ein decidiert halbmond- förmiger hinterer Zwischenhügel mit einem scharfkantigen Gesammtgepräge und glatter Schmelzbeschaffenheit combinieren. Bei einer noch unbenannten Omomys- species, welche Matthew*) abbildet, bemerkt man an M, sogar deutlich etwas von dem für Pseudoloris characteristischen Lorisallüren der specielleren Modellierung. Allein gerade Omomys steht Pseudoloris in der Differenzierung des mandi- bularen Vordergebisses ziemlich ferne. In diesem Punkte verhält sich Tetonius und weiterhin auch Trogolemur®) conformer, während hinwiederum, was die Structur der Mandibularmolaren und im speciellen das Verhalten der vordern Trigonidspitze betrifft, wohl keiner dieser americanischen Stämme so nahe an den uns beschäftigenden europäischen streift als Uintanius. !) Matthew 1915, 1. p. 1384 c. ?) Matthew 1915, 1. p. 1384. c. Fig. 21, p. 449. ®) Matthew 1909, 1. p. 1387 e. SE | | | | Systematische Stellung von Pseudoloris. 1405 Das Genus Pseudoloris könnte sich also sehr wohl genealogisch näher an diese americanischen Genera, speciell an Tetonius, Absarokius, Uintanius als an Necrolemur, Nannopithex und Anchomomys anschliessen, obwohl es auch von ihnen allen durch Entwicklungsdivergenzen im einen oder im anderen Zug seiner Be- zahnung abweicht. Aus der Ascendenz aller recenten Primaten, mit Ausnahme von Chiromys, ist es — wie die Necrolemuriden — schon durch sein Vordergebiss ausgeschlossen und nichts deutet darauf hin, dass es zu Chiromys in einem näheren Verhältniss steht als die letzteren. Ob die structurelle Analogie seiner Molaren mit denjenigen von Loris und Galago eine, wenngleich indireete, so doch nähere Verwandtschafts- beziehung andeuten, bleibt vorderhand sehr unsicher. 1406 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Einleitende Bemerkungen zu Anchomomys gen. nov. — Anchomomys Gaillardi spec. nOV. Von verschiedenen Fundstellen des Eocaens liegen mir Reste kleiner Pri- maten vor, welche von Neerolemur, Nannopithex, Pseudoloris erheblich abweichen und allem Anschein nach nähere Beziehungen zu dem amerikanischen Genus Figur CCCXXVII. Anchomomys Gaillardi n. gen. n. spec. — Frag- ment des linken Oberkiefers mit M;—M,, von unten und von aussen. — Bohnerzgebilde von Lissieu bei Lyon. — Sammlung des städtischen Museums in Lyon. — °/ı. Omomys haben. Ich fasse diese Documente, die zweifellos mehrere Arten repräsentieren, unter dem Genusnamen Anchomomys zusammen. Als Genustypus wähle ich die am wenigsten unvollständig belegte dieser Formen. Es ist diess ein sehr kleines Tierchen aus dem Bohnergebilde von Lissieu bei Lyon, also aus dem Lutetien. Die beiden Fundstücke, durch die es vorderhand re- präsentiert ist, ein Mandibelfragment mit M, — M, und ein Maxillarfragment mit M,— M,, sind in Figur CCOXXVIL und CCOXXVII in starker Ver- grösserung wiedergegeben. Herrn Cl. Gaillard, der mir dieselben zur Bearbeitung mitgetheilt hat, spreche ich für seine Liberalität meinen wärmsten Dank aus. Anchomomys Gaillardi, wie ich die Species von Lissieu zu nennen vorschlage, hat — nach den Zähnen zu schliessen — ungefähr die Grösse von Necrolemur Zittel. Die Kronen der Mandibularmolaren sind im Gegensatz zu Pseudoloris auffällig schmal. M, und M, stimmen in den Dimensionen überein; ihr Kronenumriss ist hinten eine Spur breiter als vorn, M, erscheint etwas reduciert; seine Länge Einleitende Bemerkungen zu Anchomomys. 1407 inclusive Talon übertrifft diejenige von M, nur unbedeutend und seine Vorder- hälfte ist schmäler als die von M, und M,. Die Hügel sind spitz und das Structur- gepräge erinnert weniger an Necrolemur als an Pseudoloris und weiterhin an Adapis. Die wesentlichsten Differenzen gegenüber letzterem bestehen darin, dass das vordere Hügelpaar das hintere beträchtlich überragt und dass beide Hügelpaare nur an- deutungsweise zu Jochen verbunden sind. Die Vorderhügel sind durch einen tiefen Einschnitt von einander getrennt, entwickeln aber Kanten, welche sich in der e Figur CCCXXVII. Anchomomys Gaillardi n. gen. n. spec. — Fragment der linken Mandibel mit M;— M,, von aussen und von oben. — Bohnerzgebilde von Lissieu bei Lyon. — Sammlung des städtischen Museums in Lyon. — */ı. Tiefe dieses Einschnittes begegnen. Die Hinterhügel verhalten sich ähnlich, nur ist der sie trennende Einschnitt infolge ihrer geringeren Höhe weniger tief. Ihre, das Nachjoch markierenden Kanten verlaufen schräg nach hinten und treffen sich im hintern Kronenrand unter einem nahezı?® rechten Winkel, welcher die Stelle des sogenannten Hypoconulides bezeichnet; eine Anschwellung der Kanten am Vereinigungspunkte findet nicht statt. Der hintere Innenhügel von M,, wie üblich 1408 Stehlin, Eocaene Säugetiere. gegenüber dem hintern Aussenhügel etwas nach hinten geschoben, ist klein, aber wohlausgebildet wie bei Pseudoloris und Adapis parisiensis, der Talon kurz be- messen und aus einem spitzen Hügel bestehend, welcher sich durch scharfe Kanten mit den Spitzen der beiden Hinterhügel verbindet. Eine ebensolche Kante läuft an allen drei Zähnen von der Spitze der vordern zu der des hintern Innenhügels. Eine Hinterzacke am vordern Innenhügel ist nicht angedeutet. Der Vorder- arm des Vorderhalbmonds steht fast sagittal und biegt am vordern Kronenende winklig in das Vordereingulum um. Dadurch, dass sich seine Kante leicht ein- senkt — an M, deutlicher als an M, und M, —, wird sein vorderstes Ende etwas abgegliedert, als eine rudimentäre Vorderknospe. Das Trigonid verhält sich also im wesentlichen gleich wie bei Pseudoloris und Adapis und sehr abweichend von Necrolemur; sein Vorderhügel ist an allen drei Zähnen fast völlig geschwunden und zwar durch Atrophie, nicht durch Verschmelzung mit dem Innenhügel. Die vordere Kronenhälfte wird von M, zu M, relativ etwas kürzer und der vordere Kronencontour nimmt, wie aus Figur COOXXVIN zu ersehen, an jedem Zahn einen etwas andern Verlauf. Ein eigenthümlich geschwungenes Cingulum läuft vom vordern Kronenende bis an die Basis des hintern Aussenhügels. Ein Inneneingulum ist nicht entwickelt. Vor M, ist nur noch die Hinterwand des Alveolus von P, erhalten. Nach Analogie der sofort zu beschreibenden, A. Gaillardi offenbar sehr nahestehenden, Form von Egerkingen ist kaum zu bezweifeln, dass sechs in geschlossener Reihe eingepflanzte Antemolaren vorhanden waren, nämlich drei zweiwurzlige Praemolaren, ein ziemlich kräftiger Canin und zwei Ineisiven. Der Ramus horizontalis ist relativ hoch, sein Unterrand sanft geschwungen, unter den Molaren convex, am Uebergang in den Winkel etwas concav. Die Massetergrube ist tief und scharf markiert, aber ein Masseterhöcker wie bei Neerolemur ist nicht entwickelt. Die Maxillarmolaren sind durch lingualwärts stark verjüngte, also mehr oder weniger dreieckige Umrisse und ausgesprochen trigonodonte Structur aus- gezeichnet. An allen dreien übertrifft der Querdurchmesser die Länge der Aussen- wand. M, und M, sind ungefähr gleich gross; der erstere hat eine etwas längere Aussenwand, der letztere ist etwas stärker quergedehnt. M, erscheint in beiden Dimensionen reduciert; sein Umriss ist rein dreieckig; Spitzen und Kanten sind scharf und der Schmelz ist glatt wi® an den Mandibularmolaren. Das gesamte Gepräge erinnert, wie das der letzteren, an Pseudoloris und weit eher an Adapis als an Necrolemur. Einleitende Bemerkungen zu Anchomomys. 1409 Die Aussenhügel sind durch einen tiefen, aber doch nicht ganz bis an die Basis reichenden Einschnitt von einander getrennt. Die über sie wegziehende Kante verläuft von Spitze zu Spitze sagittal, ohne jede Andeutung eines Merostyls; vorn, wo sie in einem wohlmarkierten Parastyl endet und hinten biegt sie nach aussen ab. Die Aussenseite der Aussenhügel ist mässig, ihre Innenseite stark convex. Der hintere Aussenhügel ist an M, ungefähr gleich stark wie der vordere; an M, und M, wird er gradweise schwächer. Die Basis der Aussenwand wird von einem Cingulum umzogen. Der Innenhügel steht gegenüber dem Einschnitt zwischen den Aussenhügeln und entwickelt zwei scharfe Trigonumkanten. Die vordere dieser Kanten endigt an einem wohlentwickelten, an M, etwas abge- schwächten vordern Zwischenhügel, der sich seinerseits mit dem Vordereingulum und durch dieses mit dem Parastyl verbindet. Die hintere zieht sich am hintern Aussenhügel bis gegen die Spitze empor, sodass der Trichter allseitig geschlossen ist. Von einem hintern Zwischenhügel ist — in scharfem Gegensatz zu Pseudo- loris — keine Spur zu bemerken. Längs dem hintern Kronenrand läuft ein Schluss- eingulum und an den beiden vordern Zähnen schwillt dasselbe zu einem Hypo- conus an, welcher an M, etwas stärker als an M,, aber an beiden schwächer als bei Pseudolöris entwickelt ist. Der Kronenumriss von M, ist infolge der stärkern Markierung des Hypoconus etwas weniger ausgesprochen dreieckig, sein Hinter- contour etwas concaver. Ein Anklang an den Kronenhabitus von Loris und Galago ist also auch bei Anchomomys zu constatieren; aber er ist lange nicht so augen- fällig wie bei Pseudoloris. An der Basis des Innenhügels erleidet das Cingulum, welches die Krone sonst allseitig umzieht, eine Unterbrechung. Vom Kieferknochen ist nur ein sehr kleines Stück erhalten. Man sieht, dass der Jochbogen satt über dem Alveolarrand von M,—M, entspringt. Die vordere Umgren- zung des Masseterursprungs scheint weniger scharf markiert zu sein als bei Necrolemur. Gegen die Identifizierung dieser Maxilla mit der obigen Mandibel liesse sich allenfalls die Erwägung geltend machen, dass so auffällig schmale Mandibular- molaren weniger quergedehnte Maxillarmolaren voraussetzen. Allein die Gründe, welche für die Zusammengehörigkeit der beiden Fundstücke sprechen, scheinen mir gewichtiger: Die Provenienz ist dieselbe, der structurelle Habitus der Zähne ist äusserst analog, die beiden Zahnreihen greifen sehr gut in einander ein. Aller- dings rührt die Mandibel von einem etwas grössern Individuum her, aber die Differenz ist unbedeutend. Für den Fall, dass spätere Entdeckungen die Identifi- cation als irrig erweisen sollten, möchte ich die Mandibel als Typus von Genus und Species festhalten. 1410 Stehlin, Eocaene Säugeliere. Wie eingangs erwähnt, stimmt das eben beschriebene Tierchen odontologisch nahe überein mit dem americanischen Genus Omomys, das vor einigen Jahren durch Wortman!) näher characterisiert worden ist. Es sind bis jetzt sieben, zum Theil freilich erst mangelhaft belegte Species dieses Genus signalisiert, die sich auf den Zeitraum von der Wasatch- bis zur Bridgerstufe vertheilen. Die Genus- definition Wortmans beruht hauptsächlich auf der Typusspecies Omomys Carteri Leidy und auf Omomys pucillus Marsh, von denen man M,—M, sup., M,—P, inf., die Gestalt des Ramus horizontalis und, auf Grund der Alveolen, die mandibulare Zahnformel — 2J 16 3P 3M — kennt. Diese beiden Formen stammen aus der Bridgerstufe, sind also annähernd gleichaltrig mit A. Gaillardi. Neuerdings hat Matthew von zwei weitern Arten, Omomys spec. aus der obern Bridgerstufe und Omomys vespertinus n. spec. aus der Wasatchstufe Kiefermaterialien ab- gebildet, welche die Wortman’schen in Bezug auf die obere Praemolarreihe er- gänzen: dieselbe besteht wie die untere aus drei Zähnen, von denen der vorderste aber bisher nur durch den Alveolus belegt ist.) Von den Rigenthümlichkeiten, durch welche sich Anchomomys Gaillardi von diesen americanischen Formen unterscheidet, glaube ich folgende als generisch an- sprechen zu müssen: 1. Bei Anchomomys ist, wie wir gesehen haben, die vordere Trigonidspitze der Mandibularmolaren bis auf eine Andeutung an M, abrophiert. Bei Omomys besteht sie an M, noch in voller Entwicklung, nimmt an M, und M, gradweise an Stärke ab, ist aber an letzterem immer noch stärker als an M, von Ancho- momys. Allerdings ist diess nur eine Differenz im Entwicklungsgrad, nicht in der Entwicklungsrichtung, denn auch bei Omomys vollzieht sich der Schwund des Elementes, nach den vorliegenden Abbildungen, durch Atrophie, nicht durch An- schmelzung an die innere Trigonidspitze wie bei Necrolemur etc. Sie gewinnt aber an Bedeutung durch zwei Begleitumstände. Einmal sind die Omomysarten der Bridgerstufe mit Anchomomys Gaillardi gleichzeitig oder gar jünger. Der ame- ricanische Stamm verhält sich also in Bezug auf die vordere Trigonidspitze conser- vativer als der europäische. Sodann ist bei den Omomys der Bridgerstufe die Höhendifferenz zwischen Vor- und Nachjoch nahezu ausgeglichen, während sie sich !) J. L. Wortman, Studies of Eocene Mammalia in the Marsh Collection II Primates 1903 4, p. 235 ff. ®2) W. D. Matthew and W. Granger, A Revision of the Lower Eocene Wasateh and Wind Kiver Faunas. IV. Bull. Am. Mus. Nat. Hist. XXXIV, 1915, p. 448. : u Einleitende Bemerkungen zu Anchomomys. 1411 bei Anchomomys Gaillardi noch stark bemerklich macht. Es besteht somit über- diess zwischen den beiden Stämmen ein deutliches „chevauchement de speciali- sation“. 2. Bei Anchomomys fehlt der hintere Zwischenhügel der Maxillarmolaren, während er bei Omomys in gleicher Stärke wie der vordere entwickelt ist. Die übrigen Differenzen!) betreffen Details wie die Entwicklung des Innen- eingulums der Maxillarmolaren, die speciellere Gestalt der Kronenumrisse, den Reductionsgrad des M, und scheinen mir nicht mehr als speeifischen Werth zu haben. Überdiess muss ich beifügen, dass die im folgenden zu beschreibenden europäischen Arten Anchomomys pygmaeus und Quereyi in einzelnen Punkten etwas näher an americanische streifen als die Typusspecies des neuen Genus und dass andererseits die kleinste Bridgerspecies, Omomys Ameghinii Wortman, und namentlich die Wasatchspecies Omomys vespertinus Matthew in der ‘Höhe des Vorjoches Anchomomys Gaillardi näher kommen als Omomys Carteri, pucillus ete. Soweit wir bis jetzt urtheilen können, stehen also die Genera Anchomomys und Omomys einander sehr nahe. Ein untereocaener Vorläufer von Anchomomys könnte sehr wohl das Gebissgepräge der allerdings nur provisorisch im Genus Omomys untergebrachten Wasatchform, Omomys vespertinus, besessen haben. Die Abweichungen zwischen den mitteleocaenen Arten der beiden Continente scheinen mir aber doch gewichtig genug, um eine generische Scheidelinie zu rechtfertigen. Nach unseren Erfahrungen an Hufthierstämmen steht zu erwarten, dass sich dieselbe bei vollständigerer Belegung reichlicher wird motivieren lassen. !) Über die Möglichkeit, dass sich in der relativen Stärke der Mandibularineisiven, in der Gestalt des obern P, und einigen andern, für die Form von Lissieu bisher nicht belegten, Gebiss- partien weitere generische Differenzen herausstellen könnten, s. unter Anchomomys efr. Gaillardi von Egerkingen und Anchomomys (Juereyi aus den Phosphoriten. 14123 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Anchomomys cf. Gaillardi st. von Egerkingen. Durch die Ausgrabungen in Aufschluss y sind zwei Mandibelfragmente eines Tierchens zu Tage gefördert worden, welches Anchomomys Gaillardi jedenfalls sehr nahe steht. Einige Abweichungen lassen es immerhin zweifelhaft erscheinen, ob wir die nämliche Species vor uns haben. Ich gebe diesen Zweifeln Ausdruck, indem ich die Egerkingerform als „Anchomomys cfr. Gaillardi“ bezeichne. Figur CCCXXIX. Anchomomys efr. Gaillardi St. — Linke Mandibel mit M; —M, und Alveolen der übrigen Zähne, von aussen. — Egerkingen Eh. 748. — Ca. °%. Basel Eh. 748. Linke Mandibel mit M,—M, und Alveolen von M,, PR —J,. — Länge Ms—M, 0,004. Figur CCOXXIX, CCCXXX. Basel Eh. 749. Fragment einer linken Mandibel mit M,. — Länge M, 0,0023. Figur CCCXXXI SE Anchomomys efr. Gaillardi. 1413 Die Molaren stimmen in der Kronenlänge ziemlich genau mit denjenigen der Mandibel von Lissieu überein, sind aber relativ etwas breiter. In besonderm Maasse gilt diess für die Vorderhälfte von M,, welche die Hinterhälfte an Breite übertrifft. Die Vorderknospe markiert sich an M, und M, ungefähr in der gleichen Weise wie an denjenigen von Lissieu, ist dagegen an M, wesentlich deutlicher ausgegliedert. Der vordere Innenhügel ist weniger zurückgeschoben, das Vorjoch Figur CCCXXX. Anchomomys cfr. Gaillardi St. Linke Man- dibel mit M;—M, und Alveolen von Pı—J,.. — Egerkingen Eh. 748. — Ca. Sı. somit transversaler gestellt, was — wenigstens an M, und M, — sich auch im vordern Kronencontour geltend macht. Die auffälligsten Abweichungen zeigt die hintere Kronenhälfte der beiden vordern Molaren. Der hintere Innenhügel steht an denselben nicht wie bei der Form von Lissieu in der hintern Innenecke der Krone, sondern etwas weiter vorn. Zwischen die beiden Hinter- hügel schiebt sich im hintern Kronenrand ein niedriges, aber relativ stark entwickeltes, etwas eigenthümlich gestaltetes Zwischenelement, ein Hypoconulid, ein. Die @ >) von den Hinterhügeln schräg nach hinten laufenden Kanten gehen nicht direct in einander über, sondern durch Vermittlung eines transversalen Stückes Nachjoch- Figur CCCXXXT. An- chomomys efr. Gaillardi St. — M; inf. sin. — Eger- eine sagittale Kerbe ist das letztere in zwei Hälften kingen Eh. 749. — Ca. $ı. kante, welches über das „Hypoconulid“ läuft. Durch getheilt, von denen jede eine stumpfe Spitze hat. An M, ist diese Theilung sehr deutlich, an M, verwischter. Der hintere Innenhügel von M,, am Original beschädigt und in unserer Figur etwas ergänzt, scheint sich ziemlich gleich zu verhalten wie in Lissieu. Der Talon dieses Zahnes ist durch stärkere Einbuchtung auf der Aussenseite etwas mehr vom vordern Zahntheil abgegliedert. 1414 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Vor M, habe ich an Eh. 748 neun lückenlos an einander schliessende Alveoli praeparieren können, von denen der drittvorderste der geräumigste ist und offenbar dem Caninen angehört. Die vier hintersten, von welchen der zweithinterste noch einen Wurzelstumpf enthält, entsprechen zweifellos P, und P,. Die beiden folgenden scheinen mir eher auf einen zweiwurzligen P, als auf zwei einwurzlige Zähne (P, und P,) zu deuten. Nach den Alveolardimensionen zu urtheilen zeigen die Praemolaren von P, zu P, eine mässige Abnahme der Kronenlänge. Das Ver- halten des Vorderendes von M, lässt darauf schliessen, dass sie sich wie bei Necrolemur mit dem Vorderende etwas über den Hinterrand des vordern Nachbarn schoben. Der Längsdurchmesser des Caninalveolus entspricht ungefähr der Länge von P, und deutet somit auf einen mässig verstärkten Zahn. Die Alveoli der Incisiven, soviel sich bei der Beschädigung des vordern urtheilen lässt, unter sich ungefähr gleichwerthig, sind beträchtlich kleiner als der des Caninen, aber nicht besonders reduciert. Die Möglichkeit, dass das weggebrochene vorderste Stück des Alveolarrandes noch einen winzigen Alveolus für einen rudimentären dritten Ineisiven (J,) enthalten hat, lässt sich nicht direct bestreiten, scheint mir aber sehr wenig Wahrscheinlichkeit für sich zu haben. Während der Canin seinem Alveolus nach ziemlich steil eingepflanzt war, weisen die Alveoli der beiden Ineisiven auf proclive Zähne. Die mandibulare Zahnformel und die Einrichtung des Vordergebisses weichen somit beträchtlich von Neerolemur, Pseudoloris ete. ab; sie stimmen dagegen in allem Wesentlichen mit Omomys überein. Differenzen gegenüber den bis jetzt in diesen Punkten vergleichbaren Omomysarten bestehen nur darin, dass P, zwei- wurzlig ist und dass der zweite Incisiv dem ersten kaum an Stärke nachsteht. Der Mandibelknochen ist an Eh. 748 ziemlich vollständig erhalten. Von kleinen Beschädigungen am Condylus und am Vorderende abgesehen, fehlt nur das Ende des Winkels. Da das Fundstück äusserst zart ist und überhaupt nur durch umständliche Proceduren gerettet werden konnte, habe ich darauf verzichtet es ganz vom Steine loszupraeparieren. Die Innenseite des Knochens ist daher der Untersuchung nicht zugänglich. Gegenüber der Mandibel von Lissieu zeigt die vorliegende nur die eine Ab- weichung, dass der Ramus horizontalis um ein merkliches niedriger ist. Ausbildung des Masseteransatzes und Schwingung des Unterrandes stimmen überein. Bis zum Kinn, das sich ziemlich deutlich markiert, behält der Ramus horizontalis die Höhe, welche er unter den Molaren besitzt, bei, indem der Alveolarrand die leichte Biegung des Unterrandes mitmacht. Vom Kinn an steigt der Unterrand sehr Anchomomys efr, Gaillardi. 1415 schräg an, ähnlich wie bei Omomys.') Der Winkel, durch eine Einbuchtung des Unterrandes vom Ramus horizontalis abgegliedert, scheint ziemlich vorspringend gewesen zu sein. Der Ramus ascendens hat einen ähnlichen Sagittaldurchmesser wie bei Necrolemur und der Condylus liegt wie bei diesem um ein beträchtliches über der Zahnreihe. Der Processus coronoideus ist sehr hoch, sein convexer Vorder- rand etwas mehr nach hinten gelehnt als bei Neerolemur. Drei unter sich gleich- werthige Foramina mentalia liegen in halber Höhe des Ramus, das hinterste unter dem Vorderende von P,, das vorderste unter der Vorderhälfte von P,. Beim gegenwärtigen Stande der Documentation ist es schwer ein bestimmtes Urtheil über das Verhältniss dieses Egerkinger Anchemomys zu Anchomomys Gaillardi abzugeben. Dass beide Formen einander nahe stehen, scheint mir nicht zweifelhaft; dass aber den hervorgehobenen Differenzen blos individueller Werth zukommt, halte ich für unwahrscheinlich. Die deutlichere Markierung der vordern Trigonidspitze an M, und des Hypoconulides an M, und M, characterisieren das Egerkinger Tier als das weniger evoluierte von beiden. Ob es aber als ascendente Mutation von Anchomomys Gaillardi zu deuten ist oder als Vertreter einer etwas divergenten Nebenlinie, möchte ich vorderhand dahingestellt sein lassen, obwohl mir die letztere Möglichkeit mehr Wahrscheinlichkeit für sich zu haben scheint. Anchomomys cfr. Gaillardi ist in Egerkingen bisher nur in Aufschluss y gefunden worden und ist den Begleitformen nach zum ältern Element (mittleres oder unteres Lutetien) der Egerkinger Fauna zu rechnen. 1) Matthew, 1. c. Fig. 20. 1416 Stehlin, Eocaene Säugetiere, Anchomomys pygmaeus Rütimeyr von Egerkingen. (aenopitheeus pygmaeus Rütimeyer 1890. Caenopitheeus (?) pygmaeus Rütimeyer 1891, Tab. VIII, Fig. 3, p. 111. Mit einigem Vorbehalt reihe ich in das Genus Anchomomys einen weitern Primaten von Egerkingen ein, der die vorigen an Grösse um ein beträchtliches übertrifft. Leider ist er bis jetzt blos durch zwei Maxillarmolaren repräsentiert. Einer dieser Zähne ist derjenige, für welchen Rütimeyer 1890 die Species „Caeno- pithecus pygmaeus“ aufgestellt hat. Diese Species ist somit als „Ancho- momys pygmaeus Rütimeyer“ zu registrieren. Der andre Zahn gehört gleich- falls zum alten Cartier'schen Grundstock der Sammlung, ist aber von Rütimeyer nicht erwähnt worden. Basel Ef. 367. M, sup. dext. — Aussenwandlänge 0,0027, Breite vorn 0,0032. — Rütimeyer 1891, Tab. VIII, Figur 3 als „Caenopithecus pygmaeus“. — Tafel XXII, Figur 11. — Basel Ef. 372. M, sup. dext. — Aussenwandlänge 0,0025, Breite vorn 0,003. — Tafel XXII, Figur 14. Die beiden Zähne stimmen in den Dimensionen und im structurellen Habitus hinlänglich mit einander überein, um derselben Species zugewiesen zu werden. Sie zeigen aber kleine Differenzen, aus welchen man schliessen muss, dass ihre Stelle im Kiefer nicht die nämliche ist. Nach Analogie der Zahnreihe von Lissieu ist Ef. 367 als M,, Ef. 372 als M, zu deuten. Während an ersterem die beiden Aussenhügel ungefähr gleich stark sind, ist an letzterem der hintere entschieden schwächer als der vordere. Im Zusammenhang damit verläuft der Aussencontour der Krone etwas schiefer. Endlich ist auch der Hypoconus etwas schwächer ent- wickelt. Auf den Umstand, dass Ef. 372 in toto etwas kleiner ist, wage ich kein Gewicht zu legen, da die beiden Zähne, ihrem Erhaltungszustand nach, zweifellos nicht vom selben Individuum herrühren. Anchomomys pygmaeus. 1417 In der Ausbildung von, Spitzen und Kanten, im ganzen structurellen Habitus zeigen die Zähne die grösste Analogie mit denjenigen von Anchomomys Gaillardi. Im Einzelnen sind folgende Differenzen hervorzuheben. An M, sowohl als an M, ist der Hypoconus stärker entwickelt als bei der Form von Lissieu, was zur Folge hat, dass die Kronenumrisse eine weniger dreieckige, mehr viereckige Form an- nehmen. Das Ausseneingulum ist völlig verwischt. Der vordere Zwischenhügel ist etwas schärfer ausgegliedert und auch eher etwas kräftiger. Der hintere Zwischen- hügel fehlt nicht ganz, sondern markiert sich etwas in Form einer leichten Ver- diekung im Verlauf der hinteren Trigonumkante. Der Innenhügel besitzt auf der Trichterseite eine obtuse Rippe, von welcher an den Zähnen von Lissieu keine Spur zu bemerken ist. Endlich zieht sich das Vordereingulum an M, etwas mehr um den vordern Innenhügel herum und zeigt dort eine kleine Anschwellung.') An M, ist diese Stelle beschädigt, nach der Beschaffenheit des Bruchrandes scheint sie aber analog wie an M, ausgebildet gewesen zu sein. Dieses letztere Detail ist darum von besonderem Interesse, weil es diejenige Complication der Kronenstructur einleitet, welche das Hauptcharacteristicum des unten zu beschreibenden Genus Periconodon ausmacht. Da diesen Zähnen jede Spur eines Mesostyles fehlt, scheint mir die Ein- reihung derselben in das Genus Caenopithecus, an der übrigens Rütimeyer 1891 selbst nicht festgehalten hat, ungerechtfertigt. Näher läge die Vergleichung mit Adapis, zu dem aber die auch von Rütimeyer schon hervorgehobene schwache Ver- bindung der Aussenhügel nicht passt. Die nächsten Vergleichsobjekte unter den bis jetzt bekannten Formen sind zweifellos Anchomomys Gaillardi und weiterhin das Genus Omomys. Die Andeutung eines hintern Zwischenhügels rückt Ancho- momys pygmaeus noch etwas näher an das americanische Genus als die Form von Lissieu. Ef. 367 hat schwarzen Schmelz und stammt aus dem Huppersand. Ef. 372 zeigt die Erhaltungsart der Fundstücke aus „Bolus von aberranter Facies“. Ancho- momys pygmaeus scheint demgemäss wie Anchomomys cfr. Gaillardi zum ältern Element der Egerkinger Fauna zu gehören. !) Eine ähnliche Anschwellung schreibt Wortman 1. ec. p. 229 dem M, von Omomys Carteri zu, bringt sie aber in Figur 123 nicht zur Darstellung. Matthews Figur der Oberkieferreihe eines „Omomys spec.“ aus der Bridgerstufe (l. e. Fig. 21) lässt etwas derartiges an M, erkennen. 1418 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Stratigraphische Verbreitung und phylogenetische Beziehungen des Genus Anchomomys. Zu den im obigen besprochenen Anchomomysarten kommt noch eine weitere aus den Phosphoriten des Querey, für die ich den Namen Anchomomys Quereyi vorschlage. Sie ist in der Basler Sammlung repräsentiert durch das in Figur CCCXXXH wiedergegebene linke Maxillare mit M,—P\. Die Dimensionen der Zahnreihe sind intermediär zwischen Anchomomys Gaillardi und Anchomomys pygmaeus, kommen aber letzterm bedeutend näher als ersterem. Die beiden Molaren, M, und M,, stimmen mit Anchomomys pygmaeus in der fast völligen Verwischung des Ausseneingulums, mit Anchomomys Gaillardi im Fehlen eines hintern Zwischenhügels überein. In der Entwicklung des Hypoconus, der auch hier wieder an M, etwas stärker ist als an M, und in der Verjüngung des Kronenumrisses nach innen stehen sie Anchomomys Gaillardi etwas näher als Anchomomys pygmaeus. In einigen weitern Zügen treten sie zu den beiden andern Species in Gegensatz. Die Kronen sind weniger quergedehnt. Der vordere Zwischen- hügel ist nur ganz schwach angedeutet, als eine leise Anschwellung der vordern Trigonumkante. Das Vordereingulum markiert sich gar nicht und das Schluss- eingulum ist labialwärts vom Hypoconus weniger scharf. Der hintere Aussenhügel ist schon an M, niedriger als der vordere. An M, ist die Reduction desselben accentuierter als bei den beiden andern Formen. Die Aussenwand von M, verläuft wie bei Anchomomys pygmaeus etwas schiefer als die von M,. Im übrigen ist das Verhältniss von M, zu M, dasselbe wie bei Anchomomys Gaillardı. M, ist blos durch den Alveolus seiner vordern Aussenwurzel und die Vorder- wände der Alveoli seiner hintern Aussenwurzel und seiner Innenwurzel repräsentiert. Er scheint relativ reducierter gewesen zu sein und eine schiefere Aussenwand gehabt zu haben als sein Homologon bei Anchomomys Gaillardi. Der Aussen- contour der Molarreihe nimmt einen gebogeneren Verlauf als bei letzterer Species Stratigraphische Verbreitung von Anchomomys. 1419 Das Kronenrelief von P, besteht aus einem einfachen Aussenhügel, einem Innenhügel und einem kleinen Parastyl. Die Aussenwandlänge kommt der von M, gleich. Lingualwärts vom Aussenhügel verjüngt sich der Kronenumriss abrupt, wobei der concave Vordercontour einen etwas schrägern Verlauf nimmt als der gleichfalls concave Hintercontour. Der innere Kronenrand ist abgerundet, nach hinten etwas ausgebaucht. Der Aussenhügel — am Original etwas beschädigt, in unsern Figuren ergänzt ”— ist voluminös und erhebt sich von ovaler Basis. Er überragt den vordern Aussenhügel von M, um ein beträchtliches und hat scharfe Sagittalkanten. Das Parastyl ist etwas kräftiger als das der Molaren und die Para- stylecke springt infolgedessen ziemlich spitz vor. Der kegel- förmige Innenhügel ist bedeutend schwächer als der Aussenhügel imes B und nicht höher als derjenige der Molaren. Eine schwache Vorjoch- kante, die in das Vordereingulum übergeht, verbindet ihn mit dem Parastyl. VonZwischenhügeln, von einer hintern Trigonumkante, von einem Innen- und Hintereingulum, von einem Hypoconus ist keine Spur wahrzunehmen. Das Aussen- A eingsulum ist gegen vorn leicht Figur CCCXXXI. Anchomomys Quereyin. spec. — Fragment der linken Maxilla mit M;—P, und Alve- Von dem P, der noch un- olen von M,, P,— €. — Phosphorite des Querey, Basel benannten Omomysspecies aus der (.H. 470. — M,—P, 0,0065. angedeutet. Bridgerstufe, deren Maxillarzahn- reihe Matthew !) abbildet, unterscheidet sich der Zahn durch stärkere Dehnung des Aussenhügels, Schwäche des Ausseneingulums und durch das Fehlen einer Hinter- kante am Innenhügel. Vor P, folgen, satt gedrängt, vier Alveoli. Die beiden zunächst anschliessen- den rühren offenbar von P, her. Der hintere ist queroval und an seiner Vorder- !) Matthew 1915, 1. c. Fig. 21, 16 1420 Stehlin, Eocaene Säugetiere, wand mit einer Rippe versehen, der vordere rundlich und schräg nach oben ein- gesenkt. Der Zahn hatte also eine zur Teilung neigende Hinterwurzel und eine etwas von ihr abspreizende Vorderwurzel. Seine Krone war länger als die Aussen- wand von M, und bestand wohl aus einem einzigen Hügel mit talonartiger Aus- bauchung der Basis hinten innen. Nach P, zu schliessen dürfte dieser Hügel eine beträchtliche Höhe besessen haben. Vielleicht vermittelt uns der P, von Periconodon helveticus, Figur 3 und 6, Tafel XXII — von seiner geringern Länge abgesehen — eine ziemlich zutreffende Vorstellung von der Gestalt seines Homologons bei Anchomomys Quercyi. Bei Omomys stellt P, eine kleinere Wiederholung von P, dar!), er verhält sich also ziemlich abweichend. Möglicherweise ist dieser Differenz generischer Werth beizumessen. Der dritte Alveolus ist rundlich und annähernd gleich gross wie der zweite. Da er nicht dem gleichen Zahne wie der vierte gedient haben kann, ist er auf einen einwurzligen. stark reducierten P, zu beziehen. Von dem vierten Alveolus, welcher offensichtlich der des Caninen ist, sind blos Hinter- und Oberwand und ein Stück der Aussenwand erhalten. Er weist auf eine starke, vertical eingepflanzte Wurzel von länglichem, transversal etwas abgeplatteten Querschnitt. Die Krone welche dieser Wurzel aufsass, dürfte eher nach dem Plane von Lemur und Propithecus als nach demjenigen von Adapis oder Caenopithecus gestaltet gewesen sein. Anchomomys Quercyi hatte somit im Oberkiefer drei Praemolaren und einen verstärkten Caninen, wie Anchomomys cfr. Gaillardi im Unterkiefer. Sein stark reducierter oberer P, lässt indessen darauf schliessen, dass auch sein unterer P, — im Gegensatz zu letzterer Species, aber in Übereinstimmung mit Omomys Carteri, pucillus ete. — reduciert und einwurzlig war. Andererseits steht nach den auffällig starken Dimensionen seines oberen Caninen zu vermuthen, dass bei ihm hinter dem untern Caninen ein Diastema entwickelt war, während dieser bei Anchomomys cfr Gaillardi und den genannten Omomysarten unmittelbar an P, anschliesst. Die Gaumenfläche steigt vom innern Alveolarrand gegen die Sagittalsutur, die leider nicht mit erhalten ist, sanft an. Die Umgrenzung des Palatinums lässt sich nicht sicher nachweisen. Das geräumige Foramen infraorbitale öffnet sich über der Hinterwurzel von P,; sein Oberrand zieht sich stark nach vorn. Der Jochbogen setzt satt über dem äussern Alveolarrand ein, tiefer als bei Necrolemur !) Matthew 1915, 1. e. Fig. 21 und 23. u Phylogenetische Beziehungen von Anchomomys. 1421 antiquus; sein Ursprung ist sehr gedehnt und reicht etwa von der Vorderwurzel des M, bis in die Gegend des Foramen infraorbitale. Leider ist weder das Jugale noch der vordere Orbitalrand erhalten. Die Orbita scheint ähnliche Dimensionen wie bei Necrolemur besessen zu haben. Das Maxillare biegt sich vorn ob dem Foramen infraorbitale stark nach innen. Offenbar war der Gesichtsschädel niedriger als bei Necrolemur. Das Genus Anchomomys ist meines Wissens bis jetzt nur durch die im obigen besprochenen Materialien belegt. Anchomomys Gaillardi von Lissieu, Anchomomys efr. Gaillardi von Egerkingen und Anchomomys pygmaeus von Egerkingen gehören dem Lute- tien und zwar die beiden letztern wahrscheinlich eher dem untern als dem obern Theil der Stufe an. Anchomomys Quercyi aus den Phosphoriten des Querey ist jeden- falls jünger und wird dem Bartonien oder dem Ludien zuzuweisen sein. Seine Maxil- larmolaren mit ihren schwach quergedehnten Umrissen und ihrem verwischten vordern Zwischenhügel, sein einwurzliger P, kennzeichnen ihn deutlich als eine evoluiertere Mutation. Über den specielleren Zusammenhang der vier Formen wage ich vorderhand keine Meinung zu äussern. Das Verhältniss von Anchomomys zu Omomys ist, so weit möglich, schon im obigen präcisiert worden.!) Es kann, nach der Kenntniss, welche wir gegen- wärtig von den beiden Genera haben, ein sehr nahes sein. Vielleicht ist hier die Stelle, wo sich die mitteleocaene Primatenwelt Europas am nächsten mit der Nord- americas berührt. Mehr oder weniger auffällige Anklänge an Anchomomys in einzelnen Gebiss- partien fehlen auch bei andern Primatengenera des nordamericanischen Eocaens nicht; allein sie combinieren sich allenthalben mit stärkeren Abweichungen als bei Omomys. Nächst diesem stehen dem europäischen Typus wohl Hemiacodon und Anaphomorphus s. str. (= Euryacodon?)?) noch am nächsten, allein bei jenem accentuiert sich der Gegensatz doch beträchtlich durch Verstärkung der Zwischen- hügel, Entwicklung eines vordern Cingulumhügels an den Maxillarmolaren, Schmelz- fältelungen ete., bei diesem durch das Fehlen des untern P,, den gedrungeneren Habitus der Mandibularmolaren, die weniger analoge Stellung ihrer vordern Trigonid- spitze, das eigenthümliche Verhalten des Inneneingulums der Maxillarmolaren. 1) p. 1410 ?2) Matthew 1915 und Wortman 1913. 1422 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Europäischerseits scheinen, ihrer Bezahnung nach, Periconodon und Pronycti- cebus die nächsten Verwandten von Anchomomys zu sein. Von dem erstern werden die folgenden Abschnitte handeln. Das Genus Pronyceticebus mit der Species Pronycticebus @audryi ist von Grandidier!) 1904 für einen Schädel aus dem Phosphorit von Memerlein (Querey) und für ein dazu passendes Mandibelfragment von gleicher Provenienz aufgestellt worden. Von den Zähnen sind an diesen Fund- stücken die M‚—P, sup. und die M,—P, inf. erhalten; ausserdem sind C sup. und P,—P, inf. durch Wurzelstümpfe oder Alveoli, C inf. durch die Hinterwand seines Alveolus repräsentiert. Über das Incisivgebiss giebt das Belegmaterial keinen Aufschluss. Pronycticebus Gaudryi hat die Dimensionen kleinerer Adapis der parisiensis- Gruppe (M,—M, sup. 0,012; M,—M, inf. 0,017); er ist also ein beträchtlich grösseres Tier als unsere verschiedenen Anchomomysarten. Aber in den Gebiss- merkmalen schliesst er sich offenbar sehr eng an dieselben an. Die Differenzen, welche die generische Scheidelinie rechtfertigen, bestehen darin, dass (1) vor P, oben und unten noch ein einwurzliger, durch Diastemen iso- lierter P, vorhanden ist; dass (2) der obere P, Er ‘ eine quergedehnte, dem P, ähnliche Gestalt hat ie bei ä i my: Figur CCOXXXIIL. Pronyeticebus wie bei Omomys, während er bei Anchomomys Gandryi Grandidier. — Obere M;—€. Quercyi mehr längsgedehnt war und vermuth- sin. und untere M;—P, dext. — Phos- lich keinen oder nur einen rudimentären phorit von Memerlein (Lot.). — Copie der Figuren bei Grandidier. — Ca. */ı. Innenhügel besass; dass (8) die Wurzel des Masillarcaninen einen rundlichen, nicht trans- versal abgeflachteren Querschnitt besitzt und somit wohl eine anders als bei Anchomomys Quercyi gestaltete Krone getragen hat. Die übrigen Eigenthümlich- keiten wiegen nicht schwerer als diejenigen, welche die Anchomomysarten unter sich unterscheiden. Der obere P, ist, abgesehen von grösserer Höhe des Innenhügels, eine ziemlich treue Copie desjenigen von Anchomomys Quereyi. Die obern Molaren erinnern in den Umrissen an Anchomomys Gaillardi und vielleicht noch mehr an Anchomomys pygmaeus. Ihre Aussenhügel sind nach der Profilansicht bei Grandidier bis ins Niveau des Cingulums von einander getrennt. Die Zwischen- hügel scheinen sie ganz eingebüsst zu haben. M, ist deeidiert grösser als M, und M, ist relativ weniger reduciert als bei Anchomomys Gaillardi. Die Mandibular- !) G. Grandidier, Un nouveau Lemurien fossile de France, le Pronycticebus Gaudryi. Bull. Mus. hist. nat. 1904, p. 9. idem, Recherches sur les Lemuriens disparus,. Nouvelles Archives du Museum (4) VII, 1905, p. 27. Phylogenetische Beziehungen von Anchomomys. 1423 molaren zeigen, so viel ich sehe, auch keine wesentliche Abweichung. Ihr Vorder- lobus überragt den Hinterlobus. Die vordere Trigonidspitze ist an M, und M, geschwunden, allem Anschein nach wie bei Anchomomys durch Atrophie nicht durch Verschmelzung mit der innern; ob an M, noch ein Rudiment derselben fort- besteht, lässt die Figur nicht deutlich erkennen. Dass die Querjoche tiefer ein- geschnitten sind als bei Adapis, ist wenigstens für M, deutlich angegeben. P, ist oben und unten durch ein kleines Diastema von P, getrennt, dazu mindestens so stark reduciert wie bei A. Quercyi, aber noch zweiwurzlig. Die Praemolarkronen überragen wie bei Anchomomys die Molarkronen beträchtlich. Dass diejenige von P, am höchsten emporragt, ist ein Zug, der sich vorderhand für Anchomomys nicht feststellen lässt, aber von Wortman als Characteristicum von Omomys hervor- gehoben wird. In odontologischer Hinsicht haben wir also guten Grund ein nahes Verwandtschaftsverhältniss zwischen Pronycticebus und Anchomomys zu vermuthen. Ob die Osteologie diese Vermuthung bestätigt, bleibt abzuwarten.') Da in der Gegend von Prajous-Memerlein wiederholt Formen des Bartonien gefunden worden sind, haben wir vielleicht auch Pronycticebus dieser Stufe zu- zuweisen. Jedenfalls liegt kein Grund vor ihm mit Grandidier?) kurzweg oligocaenes Alter zuzuschreiben.?) Auch die Beziehungen von Anchomomys zu Adapis brauchen, nach den bis jetzt vorliegenden Anhaltspunkten, keine besonders weitläufigen zu sein. Seine Praemolarreihe ist allerdings um ein Element ärmer als die des letzteren, aber sein Vordergebiss ist — wenigstens in den allgemeinsten Zügen — nach demselben Plane eingerichtet und die Structur seiner Molaren und P, nur wesentlich primi- tiver. Ein untereocaener Vorläufer von Adapis könnte in diesem Theil seiner Organisation sehr nahe mit den mitteleocaenen Anchomomysarten übereingestimmt haben. Doch schliesst diess selbstverständlich nicht aus, dass der Schädel- und Skeletbau von Anchomomys möglicherweise beträchtlich von dem der Adapiden divergiert. !) Gregory schliesst in semer neuesten Arbeit (1915, IL 1. p. 1324 e.) Pronycticebus an Adapis an und trennt ihn weit von Omomys. Ich kaum blos constatieren, dass das Gebiss nicht für diese Auf- fassung spricht und dass die sehr summarische Charateeristik der Schädelmerkmale von Pronyeticebus, welche Grandidier gegeben hat, nichts enthält, was gestattete dieselbe entgegen dem Zeugniss des Gebisses zu begründen. 27.1904, 1. c. p. 1. ) Schlosser hat (1907) die Vermuthung ausgesprochen, Pronyteicebus könnte mit dem von ihm beschriebenen Gryptopithecus siderolithicus aus dem Bohnerzgebilde von Frohnstetten identisch sein, welcher vorderhand durch ein Mandibelfragment mit M;—M, nebst Alveolen von M, 1424 Stehlin, Eocaene Säugeliere. Noch etwas mehr als die Maxillarmolaren der wirklichen Adapis klingen diejenigen jener wahrscheinlich generisch neuen Form, welche ich oben (p. 1270) unter dem Titel „Adapis? spec. von Egerkingen“ besprochen habe, an An- chomomys an, zumal im Verhalten der Aussenhügel. Allein die Vergleichsbasis ist in diesem Falle viel zu klein, um irgend welchen noch so schüchternen Schluss aus der Übereinstimmung zu ziehen. Dasselbe gilt auch in Bezug auf Protadapis, der in der Praemolarformel genauer als Adapis mit Anchomomys übereinstimmt. Weiter als Adapis rückt — trotz der identischen Praemolarformel — Caeno- pitheeus in odontologischer Beziehung von Anchomomys ab, da er frühzeitig seine Mandibularineisiven preisgiebt und die Molaren durch Entwicklung von Mesostylen und Mesostyliden compliciert. Pseudoloris steht Anchomomys in der Molarstructur, wie wir gesehen haben, ziemlich nahe; er erwirbt den hintern Innenhügel seiner Maxillarmolaren und reduciert die vordere Trigonidspitze seiner Mandibularmolaren nach dem- selben Modus. Nur der starke, wahrscheinlich sekundär verstärkte hintere Zwischen- hügel der erstern weist in dieser Gebisspartie auf eine Divergenz der Entwicklungs- und P,, sowie durch einen hypothetisch damit vereinigten isolierten P, belegt ist. Mir scheint generische Identität der beiden Formen schon durch den M,-Alveolus der Frohnstätter Mandibel, der einen stark reduecierten Zahn anzeigt, ausgeschlossen. Sehr verschärft erscheint der Gegensatz zwischen denselben, falls der, den Molaren in der Gomplieation fast gleichkommende, P, zu Recht mit der Mandibel vereinigt worden ist. Aber auch die Ähnlichkeit der M, und M, kommt mir bei genauer Vergleichung der Figuren von Schlosser und Grandidier sehr vag vor. Die Rechtstitel dieses Primaten von Frohnstetten haben mir immer etwas fraglich geschienen, wesshalb ich denselben auch hier blos beiläufig erwähne. Allerdings ist schwer zu sagen, in welche Gruppe das Tier sonst einzureihen wäre. Am meisten Übereinstimmung — mit dem Hauptdocument, ‚nicht mit dem P, — habe ich bis jetzt bei einer Species aus den marnes blanches von Romainville gefunden, von der Munier-Chalmas der Sorbonnesammlung nam- hafte Theile eines Skeletes, worunter die Mandibel und der Gehirnschädel, einverleibt hat. Die Mandibel von Romainville, welche vollständiger erhalten ist als die von Frohnstetten, schien mir alles in allem am ehesten in die Carnivorenordnung zu passen. Doch weiss ich nicht, ob dieser Eindruck vor einer genauen Untersuchung der Schädelbasis und der ziemlich reichlich belegten Extremitäten Stand halten würde. Auch ist die Übereinstimmung der Molaren keine vollständige. — Cryptopitheeus macrognathus Wittich aus dem bituminösen Thone von Messel bei Darmstadt ist ein weiteres Problematicum, das nach meiner, durch Untersuchung des Gipsabgusses der Original- mandibel gewonnenen, Ansicht mit Crypthopitheeus siderolithieus gar nichts zu ihun hat. Seine Fund- schieht gehört auch nicht, wie früher ohne zulänglichen Grund angenommen wurde, dem oberen Oligacaen, sondern, wie neuere Säugetierfunde lehren, der untersten Basis des Lutelien an. — Vergl. M. Schlosser, Beiträge zur Kenntniss der Säugetierreste aus den süddeutschen Bohnerzen. Geol. und Pal. Abhandlungen ed Koken 1902, p. 16. — E. Wittich, Cryptopitheeus maerognathus n. spec., ein neuer Primate aus den Braunkohlen von Messel. Centralblatt für Mineralogie ete. 1902, p- 289. — O. Haupt, Propalaeotherium efr. Rollinati St. aus der Braunkohle von Messel bei Darm- stadt. Notizblatt des Vereins für Erdkunde und der grossh. geol. Landesanstalt zu Darmstadt 1911. ea dm Phylogenetische Beziehungen von Anchomomys. 1425 bahn. Die lorisartige Modellierung ist eine Specialisation, die — sehr leise aller- dings — auch bei Anchomomys anklingt und sich allenfalls bei dessen Nachkommen verschärft haben könnte. Nach den Molaren dürfte man also auf ein ziemlich enges Verwandtschaftsverhältniss zwischen den beiden Stämmen schliessen ; allein die necrolemurartige Differenzierung des Praemolar- und Vordergebisses von Pseudoloris lehrt, dass die Beziehungen weitläufiger sind. Nannopithex steht in der Molarstruetur Anchomomys wesentlich ferner. Überhaupt keine Anchomomysanklänge zeigt das Gebiss der Necrolemuriden und Plesiadapiden. Anchomomys zeigt in der Structur seiner Backenzähne ebenso auffällige Anklänge an das recente Genus Nycticebus als Pseudoloris an Loris.') Die kleinen Differenzen, welche sich in dieser Gebisspartie constatieren lassen (Proportionen der Molaren; Stärke des vordern Zwischenhügels und des hintern Innenhügels der obern; Verhältniss von Länge zu Breite an den untern; Innenhügel des P, sup.) sind derart, dass sie sich allenfalls im Laufe der Zeit herausgebildet haben könnten. In der Stellung des hintern Innenhügels der Mandibularmolaren erinnert Nycticebus speciell an Anchomomys cfr. Gaillardi von Egerkingen. Allein die Differenzierung der Vordergebisse stellt sich meiner Ansicht nach auch in diesem Falle der An- nahme eines directen Zusammenhanges zwischen fossiler und recenter Form ent- gegen. Der Mandibularcanin von Anchomomys ist seinem Alveolus nach verstärkt und caniniform, seine P, sind schwächer als ihre hintern Nachbarn und allem Anschein nach eher auf dem Wege der Reduction (Anchomomys Quercyi) als der Verstärkung. Dass aus einem so beschaffenen Vordergebiss noch ein so wesentlich anders eingerichtetes wie das der Nycticebiden und Lemuriden hervorgehen kann, halte ich, trotz der Übereinstimmung in der Antemolarenformel, bis auf bessere Belehrung durch Thatsachen, für ausgeschlossen. Aus demselben Grunde kann ich auch nicht an einen directen Zusammen- hang zwischen Omomys oder Prönycticebus einerseits und Nyeticebus oder Pero- dietieus andererseits glauben. Gerade bei Pronyceticebus, dessen Name eine solche !) Ich setze bei dieser Betrachtung voraus, Anchomomys pygmaeus und Quereyi stimmen in allen wesentlichen Merkmalen ihrer Mandibularbezahnung mit Anchomomys Gaillardi überein, 1426 Stehlin. Eocaene Säugetiere, Beziehung andeutet, machen die P, sehr entschieden den Eindruck von Zähnen, die der Verkümmerung und nicht der Verstärkung entgegengehen.') Eine andere Frage ist es, ob Anchomomys, Omomys, Pronycticebus vielleicht in ähnlicher Weise an die Nycticebiden anzuschliessen sind, wie wir oben (p. 1293 ff.) Adapis an die Lemurinen angeschlossen haben. Solange wir über die Schädel- merkmale derselben nicht vollständiger aufgeklärt sind als gegenwärtig, erscheint es kaum statthaft hierüber eine Meinung zu äussern. Die von Grandidier hervor- gehobene Ähnlichkeit der Schädelform von Pronyeticebus mit der von Nyeticebus und Perodietieus ist nicht zu bestreiten, aber sie bezieht sich auf etwas allgemeine Züge, denen nicht viel Beweiskraft zukommt. Über die entscheidendsten Merkmale, die an dem Schädel von Memerlein festzustellen wären — den Carotiseintritt und das Verhalten des Tympanieum —, giebt die kurze vorläufige Characteristik des genannten Autors keinen Aufschluss.”) Auch in die Ascendenz von Tarsius kann Anchomomys nicht gehören, aber aus etwas andern Gründen. Haupthinderniss für die Annahme eines direeten Zu- sammenhanges ist in diesem Falle der Umstand, dass bei Anchomomys, gleich wie auch bei Pronycticebus, die vordere Trigonidspitze der Mandibularmolaren schon völlig reduciert ist, während sie bei Tarsius noch fortbesteht. Das Genus Omomys, das neuerdings von Gregory (l. ce.) als muthmasslicher Vorfahr von Tarsius angesprochen wird, verhält sich, wie wir gesehen haben, in diesem Punkte conservativer als Anchomomys, scheint aber in anderer Beziehung wieder etwas von der Entwicklungsrichtung des recenten (renus abzuweichen: die Höhendifferenz zwischen Trigonid und hinterem Zahntheil ist bei ihm schon in der Bridgerstufe ausgeglichener. Matthew °) wird wohl recht haben, wenn er schliesst, Tarsius sei von keiner der bis jetzt bekannten Eocaenformen abzuleiten. Dass gerade Omomys und Anchomomys der eocaenen Wurzel desselben relativ nahe stehen können, soll damit durchaus nicht in Abrede gestellt werden. !) Ich befinde mich hierin in Widerspruch mit Gregory, welcher (1915, IL 1. p. 1324 e.) die An- sicht ausspricht, Pronyeticebus besitze diejenigen Structurmerkmale des Gebisses und der Schädelbasis, welche man bei den Vorfahren der Nycticebiden und der madagassischen Halbaffen zu erwarten hätte. ?) In der Untenansicht des Schädels bei Grandidier ist beiderseits vor der Bulla ein Foramen angedeutet, aber links an einer andern Stelle ais rechts. Dasjenige auf der rechten Schädelseite (links im Bilde) ist offenbar die Tubaöffnung; dasjenige auf der linken Schädelseite entspricht, der Lage nach, eher dem Foramen lacerum medium der Nyeticebiden. Gregory glaubt aus Grandidiers bildlicher Darstellung der Bulla den Schluss ziehen zu können, das Tympanicum verhalte sich wie bei Adapis. Ich habe vergeblich versucht mir Rechenschaft davon zu geben, welches in dieser Dar- stellung wiedergegebene Merkmal der Bulla zu einem solchen Schluss berechtigen könnte. ®) 1915, 1. c. p. 447. Phylogenelische Beziehungen von Anchomomys. 1427 Am wenigsten Entscheidendes lässt sich wohl vorderhand gegen die An- nahme eines directen Zusammenhanges von Anchomomys und Omomys mit den Affen geltend machen, wobei aus geographischen Gründen für Anchomomys in erster Linie an die Catarhinen, für Omomys in erster Linie an die Platyrhinen zu denken wäre. Die Vorderbezahnung der eocaenen Genera ist, den Grundzügen nach, der der Affen analog eingerichtet, ihre Antemolarenformel ist die der Platy- rhinen, welche zweifellos auch einmal den altweltlichen Affen eigenthümlich ge- wesen ist. !) Ihre Molarstructur hat unter den Affen zwar kein so genaues Analogon wie unter den Nycticebiden; sie weist aber kaum irgend welche Specialität auf, welche mit Bestimmtheit eine von derjenigen der Affen divergierende Entwicklungs- richtung anzeigte. Man könnte höchstens etwa darauf insistieren, dass die bei Omomys nach- gewiesene Verstärkung des vordern Mandibularineisiven ein den Affen fremder Zug ist. Andererseits ist aber des nachdrücklichsten zu betonen, dass uns noch sehr vieles fehlt, um die Annahme solcher Zusammenhänge ernsthaft zu begründen. Eine kleine Ergänzung der Belegmaterialien von Anchomomys und Omomys kann die Frage in ein ganz anderes Licht rücken. Auch steht vorderhand weder fest, dass die eocaenen Affenvorfahren sich in der relativen Progressivität der einzelnen Gebisspartien gleich verhielten wie diese Genera, noch dass sie bis ins Mittel- eocaen in einem Anchomomys- oder Omomysartigen Stadium beharrten. Die Funde im alten Oligocaen des Fayüm lassen, für die altweltlichen Affen wenigstens, eher auf das Gegentheil schliessen. Wir werden unten, in den geographisch- historischen Schlussbetrachtungen zu den Primaten, noch kurz auf diese Frage zurückkommen. !) Die Autoren, namentlich die Anthropologen, sprechen häufig und ohne nähere Erklärung von einem „Platyrhinenstadium“ der altweltlichen Affen. Soll damit nur ein Durchgangsstadium derselben bezeichnet werden, in welchem ihre Zahnformel die der Platyrhinen war, so ist die Be- zeichnung missverständlich; soll aber mehr damit gesagt sein, so greift sie der Forschung in einer sehr gewagten Weise vor. 1498 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Periconodon helveticus Rütimeyer von Egerkingen. Pelycodus ? Rütimeyer (nee Cope) 1888, Figur 12, 12a, p. 61; 1890. Pelycodus helvetieus Rütimeyer 1891, Tafel VII, Figur 1, p. 115. Ein den Anchomomys allem Anschein nach nahestehender, aber durch eine interessante Complication der Molaren von ihnen unterschiedener Primatentypus ist im Egerkingermaterial repräsentiert durch das Maxillarfragment, welches Rütimeyer unter der Bezeichnung „Pelycodus helveticus“ abgebildet und be- schrieben hat. Da das Tierchen, wie Schlosser!) schon gleich nach dem Erscheinen von Rütimeyers Arbeit festgestellt hat, mit dem Genus Pelycodus Cope nichts zu thun hat und auch in keinem andern bis jetzt beschriebenen Genus unterzubringen ist, schlage ich für dasselbe den neuen Genusnamen „Periconodon“ vor. Aus dem „Pelycodus helveticus“ wird somit ein „Periconodon helveticus“. Der Typuskiefer ist leider immer noch das einzige Belegstück, das von dieser Form vorliest. Basel Ef. 366. Fragment der linken Maxilla mit M,—M, und P,. — Länge M,—M, 0,005; Länge M;—P, ca. 0,0092. — Rütimeyer 1888, Figur 12, 12a als „Pelycodus?“. — KRütimeyer 1891, Tafel VIII, Figur 1 als „Pelycodus helveticus“. — Tafel XXII, Figur 3, 6. Der Kiefer ist in der Gegend des P,, dessen Krone abgebrochen ist, von einem Sprung durchzogen und längs demselben ungenau zusammengeleimt, was ich nicht zu corrigieren wagte. M,;, —M, nehmen sich aus wie entsprechende Zähne von Anchomomys pygmaeus, an welchen sich der Hypoconus noch etwas verstärkt und jene An- schwellung am Labialende des Vordereingulums°) zu einem regelrechten Hügel, einem vordern Gegenstück zum Hypoconus entwickelt hätte. Dieses neue Kronen- !) M. Schlosser, Litteraturbericht für das Jahr 1892 ete. Archiv für Anthropologie XXIII, p- 140. — id., Bemerkungen zu Rütimeyers „eocaene Säugetierwelt von Egerkingen“. Zoolog. Anzeiger Nr. 446, 1894. 2) p. 1417 Perieonodon helvetieus. 1429 element ist das Characteristicum unseres Genus novum. hRütimeyer hat 1891 (p. 138) für solche seltener auftretende Randhügel die Bezeichnung „Periconi* gebraucht‘); daher der Name Periconodon. Die Querdehnung der Kronenumrisse hat sich im Zusammenhang mit diesen Verstärkungen noch accentuiert, in besonders auffälligem Maasse an M,. Die Aussenwand von M, ist zugleich etwas kürzer und schräger gestellt als die von M,, sein hinterer Aussenhügel etwas schwächer. Das Aussencingulum markiert sich, namentlich an M,, ziemlich gut; der hintere Zwischenhügel ist in der gleichen Weise wie bei Anchomomys pygmaeus angedeutet, der vordere aber schwächer als bei diesem und an M, nur undeutlich ausgegliedert. Im übrigen ist die Model- lierung des alten Zahntheiles der von Anchomomys pygmaeus äusserst analog. Der vordere Randhügel, an M, etwas stärker entwickelt als an M,, steht dem Hypoconus an Stärke nach und schmiegt sich mehr als dieser an den Innenhügel an. Da sich seine Basis mit der des Hypoconus berührt, ist der Innenhügel ganz ins Innere der Krone gerathen. Der Hypoconus von M, ist an der Basis durch ein kleines Grätchen mit dem Trigonum verbunden und entwickelt auf seiner Lingualseite eine kleine Schmelzknospe, als ob sich hier ein Cingulum bilden wolle. An M, fehlen diese beiden Details. Die Innenwurzel dieser beiden Zähne hat auf der Lingualseite eine Rinne. Von M, sind blos die vordern Alveolarwände erhalten, welche erkennen lassen, dass seine vordere Kronenbreite geringer war als die des M,. P,, von dem die drei Wurzeln erhalten sind, wird wohl ungefähr die Gestalt seines Homologons bei Anchomomys Quereyi (Figur CCCXXXII) gehabt haben. Der Kronenumriss des P, stellt ein Dreieck mit gerundeten Ecken und schief zur Zahnreihenaxe gestellter Hinterseite dar. Auf dieser Basis erhebt sich ein spitzer, mit Vorder- und Hinterkante versehener und ringsum von Cingulis umgebener, die Molaren bedeutend überragender Conus. Der vordere Profileontour desselben ist etwas convex, der hintere etwas concav. Das Cingulum verdickt sich in der vordern Kronenecke, wodurch das Parastyl markiert wird. Die schwach ausgebildete Vorderkante verlässt gegen die Basis zu den Profilcontour und endigt hinten innen an der eben genannten Verdiekung. Die schärfere Hinterkante folgt genau dem Profilcontour und verschmilzt an der Basis mit dem Hintereingulum. Die Aussenseite des Conus ist mässig convex, die Innenseite stark convex. Ein Talonhügel ist nicht entwickelt. Ob die Krone auf drei oder auf zwei Wurzeln !) Seither hat Osborn (Evolution of mammalian molar teeth ete. 1907, p. 158) für den Randhügel in der vordern Innenecke der Maxillarmolaren die Bezeichnung „Protostyl“ vorgeschlagen. 1430 Stehlin, Eocaene Säugetiere, ruht, lässt sich nicht sicher feststellen; sollte letzteres der Fall sein, so ist die Hinterwurzel eine stark in die Quere gezogene Zwillingswurzel. Vor P, ist, unvollständig, noch ein unmittelbar anschliessender Alveolus erhalten. Sein quergedehnter Umriss lässt vermuthen, er habe der Hinterwurzel eines zweiwurzligen, nicht der einzigen Wurzel eines einwurzligen P, gedient. Das vorhandene Stück Gaumenfläche ist flach und lässt die Umgrenzung des Palatinums nicht erkennen. Eine eigenthümliche Beschaffenheit zeigt die leider sehr unvollständig erhaltene Wangenfläche. Der dem Ansatz des Jochbogens ent- sprechende Bruchrand zieht sich nämlich ungewöhnlich weit nach vorn, bis über P, und unter dem Foramen infraorbitale, das über P, liegt, durch. Er verläuft dabei um ein weniges höher über dem Alveolarrand als der Jochbogenansatz von Anchomomys Quercyi. Rütimeyers, auf etwas undeutliche Figuren bei Cope begründete, Ansicht, diese Egerkingerform stimme in allen wesentlichen Zügen der Molarstructur mit dem americanischen Genus Pelyeodus überein, erweist sich als durchaus unrichtig. Die Molaren von Pelycodus entwickeln überhaupt keine lingualen Cingulumhügel, weder vorn noch hinten; ihren hinteren Innenhügel gliedern sie, wie wir p. 1288 gesehen haben, aus dem Hinterabhang des vordern Innenhügels aus. Überdiess weichen sie von Periconodon durch den Besitz eines rudimentären Mesostyls und durch eine ausgesprochene Neigung zur Schmelzfältelung ab. Wir haben es also offenbar mit zwei beträchtlich divergierenden Entwicklungsbahnen zu thun. Major!) hat seinerzeit die Ansicht ausgesprochen die Structur der Maxillar- molaren der Lagomorphen sei auf einen Grundplan zurückzuführen, der sich sehr nahe an denjenigen der uns beschäftigenden Egerkingerform anschliesst. Nach seinen Worten zu schliessen scheint er einigen Verdacht zu hegen, diese selbst könnte sich als ein primitiver Duplieidentate entpuppen. Meiner Ansicht nach ist die Übereinstimmung von Periconodon mit sicher beglaubigten Primaten viel zu gross, diejenige mit dem odontologisch primitivsten bis jetzt bekannten Lagomorphen- Genus — Titonomys — viel zu vage, als dass ein solcher Verdacht berechtigt erscheinen könnte. Das Fundstück stammt aus dem Huppersand (Schmelz schwarz, Dentin und Knochen hellbraun) und scheint zum ältern Element der Egerkinger Fauna zu gehören. !) Vergl. F. Major, On some miocene Squirrels ete. Proc. zool. Soc. 1893, p. 193. — idem, On fossil and recent Lagomorpha. Trans. Linnean Soc. of London 1899, p. 449, Pl. 36, Fig. 3.. Systematische Stellung von Perieonodon. 1431 Systematische Stellung von Periconodon. Das Genus Periconodon ist bis jetzt nur durch die einzige Species Peri- conodon helveticus repräsentiert und diese vorderhand nur durch das eine Kiefer- fragment aus dem untern oder mittlern Lutetien von Egerkingen belegt. Soweit es gegenwärtig characterisiert ist, dürfen wir das Genus als einen weiter specialisierten Ableger des Anchomomysstammes betrachten. Infolge der Verwischung des hintern Zwischenhügels der Molaren schliesst es sich etwas näher an Anchomomys als an Omomys an, das im übrigen auch nicht fern steht. Unter den Primaten des americanischen Eocaens zeigen Hemiacodon!) aus der Bridgerstufe und Shoshonius”?) aus der Windriverstufe an M, und M, eine ähnliche Erweiterung des Kronenreliefs wie Periconodon.’) Aber die beiden Cin- gulumhügel sind hier — besonders bei Shoshonius — bedeutend schwächer ent- wickelt und berühren sich nicht; vielmehr schiebt sich zwischen sie ein ansehn- liches Stück Innencingulum ein. Da die Molaren dieser Formen ausserdem stark entwickelte hintere und vordere Zwischenhügel und gefältelten Schmelz, bei Shosho- nius ferner sogar ein Mesostyl besitzen, weichen sie im Gesamtgepräge viel mehr von Periconodon ab als die von Anchomomys. Ich neige daher sehr zu der An- nahme, das europäische Genus habe den vordern Cingulumhügel unabhängig von diesen americanischen Formen erworben. Auch die übrigen Primaten des americanischen Eocaens, wie Euryacodon (= Anaptomorphus s. str.?)*) mit dem eigenthümlichen Supplementärelement in der Mitte des Innencingulums der Maxillarmolaren, Tetonius, Absarokius, !) J. L. Wortman, Studies of Eocene Mammalia ete. II Primates 1903—4, p. 233 ff. 2) W. Granger, Tertiary faunal horizons in the Wind River Basin. Bull. Am. Mus. Nat. Hist. XXVIII 1910, p. 249. 3) Ausserhalb der Primatenordnung entwickeln bekanntlich diverse Formen des untersten Eocaens, wie Periptychus, Chriacus ete. einen Cingulumhügel in der vordern Innenecke der Maxillar- molaren. #) Wortman, 1. c. Fig. 133, p. 238. < 1432 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Uintanius,') Washakius klingen weniger an Periconodon an als Omomoys- Anchomomys. Desgleichen können europäische Formen wie Adapis, Caeno- pitheeus, Pseudoloris, Nannopithex nur durch Vermittlung einer Stammform, deren Maxillarmolaren Anchomomys nahestehen oder sich noch primitiver verhalten, mit demselben zusammenhängen. Unter den recenten Halbaffen zeichnen sich eine Art des Genus Micro- cebus — Microcebus minor — und, wie schon Rütimeyer hervorgehoben hat, mehrere des Genus Lemur durch den Besitz von Cingulumhügeln in der vordern und hintern Innenecke der Maxillarmolaren aus. Allein die speciellere Durchführung der Complication erinnert in diesen Genera im ganzen mehr an Hemiacodon und Shoshonius als an Periconodon. Bei Microcebus minor?) macht sich das Cingulum mehr geltend als bei letzterem und der vordere Supplementärhügel ist mehr nach hinten, auf die Lingualseite des grossen Innenhügels ge- schoben. Bei Lemur ist der hintere Hügel schwächer als der vordere, öfters blos ange- deutet. Offenbar haben wir es in beiden Fällen nur mit Differenzierungsanalogien zu thun. Frappantere recente Analoga zu der Molar- struectur von Periconodon finden wir in den Platyrhinengenera Ohrysothrix und Cebus. Figur CCCXXXIV. GChrysothrix sciurea, recent. Linker Oberkiefer mit Melle Basel 6939090 Länge Chrysothrix sciurea (Figur CCCXXXIV) sieht M;—P, 0,0125. den M, und M, der Eocaenform auffallend ähn- lich. Er weicht nur dadurch von ihnen ab, dass Der M, eines vor mir liegenden Schädels von er kein Aussenceingulum besitzt und dass sein vorderer Cingulumhügel etwas kleiner, unselbständiger, durch eine Zwischenwarze von dem hintern getrennt ist. Die Molarreihen als Ganzes differieren freilich mehr, da bei Chrysothrix, im Gegensatz zu Periconodon, eine sehr starke Abnahme der Kronengrösse von M, zu M, mit eonsecutiven Reductionen in der Hinterhälfte stattfindet; doch könnte sich diese Eigenthümlichkeit, ebenso wie die viel mehr P, -ähnliche Gestaltung des P,, allenfalls secundär herausgebildet haben. Bei Cebus ist, soweit mir mein Vergleichsmaterial ein 1) Matthew 1915, 1. e. ®) @. J. Forsyth Major, Über die madagassischen Lemuridengattungen Mierocebus, Opolemur und Chirogale. Novitates zoologicae I. 1894, Pl. II, Figur 14a, 15a. u Systematische Stellung von Periconodon. 1433 Urtheil gestattet, der vordere Cingulumhügel mehr nur andeutungsweise markiert.') Auch erleidet hier die Ähnlichkeit mit Periconodon dadurch eine Abschwächung, dass noch ein mehr oder weniger deutlicher hinterer Zwischenhügel vorhanden und dass der Trigonumtrichter hinten weniger scharf abgeschlossen ist. Bei so beschränkter Vergleichsbasis und über so weite Hiatus in Raum und Zeit aus diesen Anklängen auf einen directen Zusammenhang zwischen Periconodon und einem recenten Platyrhinen zu schliessen, wäre zweifellos mehr als voreilig. Aber die Analogie erreicht bei Chrysothrix einen Grad, der sie als solche sehr. be- achtenswerth erscheinen lässt. 1) Einer schwachen Andeutung dieses Elementes begegnet man gelegentlich auch im Genus Homo. 1434 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Amphichiromys europaeus Rütimeyer von Egerkingen. Calamodon europaeus Rütimeyer 1890, p. 346, Fig. 1 und 2; 1891, p. 126—131, Tab.VIII, Fig. 25—27 und 2 Textfiguren. Rütimeyer betrachtete als das wichtigste Ergebniss seiner Arbeiten von 1888, 1890 und 1891 den Nachweis, dass einige Genera, welche bis dahin nur aus dem Untereocaen von Nordamerica bekannt waren, auch im Bohnerzgebilde von Eger- kingen vertreten sind. Ich hoffe in früheren Capiteln') dieser Arbeit überzeugend dargethan zu haben, dass eine ganze Reihe dieser Formen — nämlich die als Phenacodus, Protogonia, Meniscodon, Hyopsodus, Pelycodus beschriebenen — anders und zwar mit Ausnahme des letztgenannten durchaus anders, als Rütimeyer an- genommen hatte, zu beurtheilen sind. Ein weiterer solcher Americaner war „Calamodon europaeus“, der erste europäische Vertreter der Cope’schen Ordnung „Taeniodontia“. Das Belegmaterial, ein unterer Vorderzahn, einige Fragmente von ebensolchen und ein Mandibelbruch- stück mit Alveolarresten des Vorderzahns und des letzten Molaren, hatte, wie tütimeyer 1891 berichtet, schon anfangs der sechziger Jahre, zu der Zeit, da die erste Arbeit über Egerkingen entstand, in der Cartier’schen Sammlung gelegen, war aber damals von ihm als völlig räthselhaft bei Seite gelassen worden. Erst Copes Ausführungen über die Taeniodontier Americas hatten ihn dann zu einer bestimmten Ansicht über die systematische Stellung dieser Problematica geführt. Rütimeyer hat sich über Calamodon europaeus mit ganz besonderer Zu- versicht ausgesprochen: Die Belegstücke seien jeder Missdeutung entzogen, ihr Vor- handensein sei ihm eine werthvolle Gewähr dafür, dass er sich auch in der Inter- pretation jener Spuren von andern americanischen Gruppen nicht getäuscht !) S. oben p. 632 ff. (Hyopsodus), 637. ff. (Phenacodus, Protogonia, Meniscodon), 1428 ff (Pelycodus). N Amphichiromys europaeus. 1435 habe. Selbst die Kritik der Fachgenossen, welche gegen seine Deutung dieser letztern sofort Bedenken geltend gemacht hat, wagte sich nicht an diesen Kron- zeugen. M. Schlosser schrieb in seiner Besprechung!) von Rütimeyers Schluss- arbeit: „Das interessanteste an der ganzen Arbeit ist der Nachweis von Tillodon- tiern in Europa“. Auch Wortman?) und Osborn°®) liessen die Annahme naher "Beziehungen des Egerkinger Tieres zu Calamodon gelten; nur in Bezug auf die Genusidentität äusserten sie einige Zweifel. Osborn im besondern machte darauf auf- _ merksam, dass die von Rütimeyer abgebildeten Vorderzähne ebensogut in das mittel- eocaene Genus Stylinodon als in das untereocaene Genus Calamodon gehören können, wobei er indessen das Mandibelbruchstück ausser Acht liess, an welchem der Alveolus eines zweifellos brachyodonten Backenzahnes erhalten ist, der noch weit weniger zu dem mit wurzellosen säulenförmigen Backenzähnen versehenen Stylinodon: passt, als zu Calamodon. Auch ich selbst habe in den ersten Jahren meiner Beschäftigung mit der Egerkinger Fauna Rütimeyers Urtheil für im wesentlichen zutreffend gehalten, bis mir eines Tages bei ganz zufülliger Betrachtung eines Chiromysskeletes die Ähn- liehkeit der Mandibel und der Vorderzähne dieses Tieres mit den Belegstücken des „Calamodon europaeus“ auffiel. Eine genauere Vergleichung zeigte alsbald, dass die Übereinstimmung der Egerkingermaterialien mit dem madagassischen Lemuriden viel weiter geht als diejenige mit Calamodon und seitdem war ich geneigt „Calamodon europaeus“ in die Primatenordnung zu verweisen. Die neue Interpretation des merkwürdigen Tieres ist dann durch die Herren Deperet‘) und Osborn?), denen .ich meine Wahrnehmungen mitgetheilt hatte, in die Litteratur eingeführt worden. Es erübrigt mir sie näher zu begründen. Das Belegmaterial von „Amphichiromys europaeus“, wie ich den einstigen Calamodon nunmehr nennen möchte, hat während langer Jahre gar keine Vermehrung erfahren. Um so angenehmer war ich überrascht, als 1912 gleich die 1) Archiv für Anthropologie, Bd. XXIII, p. 140. 2) J. L. Wortman, The Ganodonta and their relalionship to the Edentata. Bull. Am. Mus. of. Nat. Hist. IX, 1807, p. 88. °) H. F. Osborn, Correlation between tertiary mammal horizons of Europe and America. Ann. N. Y. Acad. Sei. VII, 1900, p. 12. *) Ch. Deperet, Les echanges de faunes entre l’Europe et l’Amerique du Nord aux temps geologiques. Proceedings of the seventh International Zoologieal Congress. Boston 1907 (erschienen 1912), p. 707. 5) H. F. Osborn, The age of Mammals 1910, p. 143. 18 1436 Stehlin, Eocaene Säugetiere. ersten Sondierungen in dem mehrfach genannten Aufschluss y') einen jener selt- samen Vorderzähne zu Tage förderten. Leider sind indessen die Hoffnungen, welche dieser Fund erweckte, im weiteren Verlauf der Ausgrabungen, wenigstens bis jetzt, nicht in Erfüllung gegangen. Es sind zwar noch ein weiterer Vörderzahn und einige Trümmer eines dritten zum Vorschein gekommen, aber dabei hatte es sein Bewenden. Somit kann ich die Charakteristik des Tieres nur auf diejenigen Theile basieren, welche schon Rütimeyer gekannt hat, nämlich auf die Mandibel und auf den jetzt etwas reichlicher belegten, mandibularen Vorderzahn. Am Schluss der- selben werde ich einige Molaren besprechen, welche möglicherweise zu Amphi- chiromys gehören könnten. Darunter befindet sich derjenige, auf welchen Rütimeyer 1891 seinen „Phenacodus minor“ begründet hat. Da die Bestimmung dieses Zahnes vorderhand durchaus unsicher ist, habe ich absichtlich den Namen, welchen ihm Rütimeyer beigelegt hat, nicht in die, diesem Capitel vorangestellte, Synonymik des „Amphichiromys europaeus“ aufgenommen. Vorderzähne. Basel Ef. 982. Rechter unterer Vorderzahn. — Länge, dem Vorderrand entlang 0,068; Sagittaldurchmesser unterhalb der Usur 0,017, einige Millimeter vom Proxi- malende 0,0178; grösste Dieke am Hinterrand des äussern Schmelzbandes 0,007. — Rütimeyer 1890, Textfiguren p. 346—347 der Octavausgabe. — Rütimeyer 1891, Tabelle VII, Figur 25—26. — Figur CCCXXXVa, CCCXXXVlIa, GCCXXXVIIa. Dieser Vorderzahn ist einer der beiden Typen des „Calamodon europaeus“. Dass er dem Unterkiefer angehört ergiebt sich aus dem Alveolus an der Mandibel Ef. 983. Rütimeyer hielt ihn für den linken untern?); nach Analogie von Chiromys deute ich ihn als rechten untern. Der Erhaltungszustand lässt in mehrfacher Hinsicht zu wünschen übrig. Die ganze Oberfläche ist durch Rollung angegriffen. Beide Schmelzränder sind be- schädigt, derjenige der Aussenseite mehr als derjenige der Innenseite; doch lässt sich ihr Verlauf noch deutlich erkennen. Die Dentinoberfläche hinterhalb der be- ). 1301, 1363, 1402. n der Erklärung der spiegelbildlichen Figuren von 1891 bezeichnet er ihn consequenter- weise als „Ineis. inf. dext.“ „Oberkieferzahn“ p. 128 l.c. Zeile 3 von oben ist, wie sich aus dem Zusammenhang ergiebt, ein Lapsus calami. )ı ya a u a 1 Amphichiromys europaeus. 1437 schmelzten Partie ist sehr unregelmässig und zeigt namentlich auf der Aussenseite starke Vertiefungen, die zum Theil vielleicht mehr durch Druck als durch Rollung bewirkt, jedenfalls aber nicht natürlich sind. Die von Rütimeyer mitgetheilten | Figur CCCXXXVY. Rechte untere Vorderzähne, Figur CCCXXXVI. Rechte untere Vorder- von aussen. — a. von Amphichiromys europaeus zähne, von innen. — a. von Amphichiromys euro- Rüt. Egerkingen Ef. 982. — b. von Chiromys mada- paeus Rüt. Egerkingen Ef. 982. — b. von Chiro- gascariensis, recent. Basel C. 2894, — !/ı. mys madagascariensis, recent. Basel C. 2894. — !/ı. Querschnitte, welche den wirklichen Sachverhalt in, vielleicht unwillkürlicher, Anlehnung an den Querschnitt des Calamo- ) donzahnes noch übertreiben, können daher nicht als zu- verlässig gelten. Der Schmelzrand der Innenseite war, wie Figur CCCXXXYII Querschnitte durch den Zahnes zeigt, überhaupt nicht über die anstossende Dentin- untern Vorderzahn von Amphichiromys u. Chiro- mys; Aussenseite rechts, schon natürlicherweise von einer Rinne begleitet, welche jnnenseite links. — Yı. sich an einer wenig beschädigten Stelle in der Mitte des fläche erhoben. Derjenige der Aussenseite war vielleicht jedoch nur sehr seicht gewesen sein kann. Auf Druckwirkung glaube ich auch die nicht ganz unbeträchtliche, in Rütimeyers Schmalseitenansichten (Fig. 25 1. e.) anschaulich gemachte Transversalbiegung zurückführen zu sollen, welche bewirkt, dass die Aussenseite der Länge nach convex, die Innenseite concav 1438 Stehlin, Eocaene Säugetiere. ist. Diese Entstellung steht offenbar im Zusammenhang mit einem System von feinen Quersprüngen, welche den Zahn’ in seiner ganzen Erstreckung durchziehen. Das Exemplar Eh. 602, auf das wir unten zu sprechen kommen, zeigt keine Spur einer solchen Transversalbiegung. Das untere Ende des Zahnes mit seiner weit offen stehenden Pulpahöhle ist verletzt. Es kann hier von den dünnen Rändern ein Centimeter oder noch mehr weggebrochen sein. Unter den eben dargelesten Umständen schien es mir zwecklos noch- mals Schmalseitenansichten des Zahnes mitzutheilen. Dagegen gebe ich in Figur GOOXXXV--CCEXXXVI eine neue Aussen- und eine neue Innenansicht und stelle denselben diejenigen des rechten untern Vorderzahnes von Chiromys gegen- über. Figur CCOXXXVIL giebt die zugehörigen Querschnitte. Die Ähnlichkeit der beiden Zähne springt in die Augen. Sie ist haupt- sächlich durch zwei Eigenthümlichkeiten bedingt, welche sie zu allen Nager- schneidezähnen in scharfen Gegensatz stellen: Ihr Querschnitt ist gedehnt, bedeutend länger als breit und das Schmelzband der Vorderseite greift bedeutend mehr auf die Aussenseite über als auf die Innenseite. Dass der Biegungsradius bei Amphichiromys grösser ist als bei Chiromys, versteht sich bei der verschiedenen Körpergrösse der beiden Tiere von selbst; er misst bei jenem für den Vorderrand 0,038, bei diesem 0,0225. Der Chiromyszahn ist durch eine ausgesprochene Spiraldrehung ausgezeichnet, welche bewirkt, dass, wenn man ihn mit seiner Innenseite auf eine Ebene auflegt, das Oberende seines Hinterrandes am tiefsten, das Unterende desselben am höchsten liegt. Auch diese Spiraldrehung wiederholt sich, wie schon Rütimeyer bemerkt hat, bei Amphichiromys, aber allerdings blos andeutungsweise; am vorliegenden Exemplare überdiess etwas verdeckt durch die oben erwähnte Entstellung durch Druck. Bei Chiromys hängt die starke Ausprägung dieser Eigenthümlichkeit offen- bar damit zusammen, dass der Zalın, um überhaupt im Kieferknochen Platz zu finden, in den ausserhalb der Backenzahnreihe ansteigenden Processus coronoideus eindringt; vielleicht dient sie zugleich auch dazu, die Spitze des linken Zahnes an die des rechten anzupressen, Da bei Amphichiromys der Zahn weniger tief, obwohl, wie wir sehen werden, in der gleichen Richtung in den Kieferknochen eindringt, ist die Differenz im Grade dieser Spiraldrehung wohlverständlich. Aus dem gleichen Grunde erklärt es sich auch, dass der Amphichiromyszahn nur etwas mehr als den Viertel eines Kreises, der Chiromyszahn dagegen beinahe einen Halbkreis darstellt. ee Me ee ce Dh g j 4 Amphichiromys europaeus. 143) . Endlich ist auch die Usur der beiden Zähne im wesentlichen analog, wenn- gleich sie bei Chiromys einen etwas bizarreren Ausschnitt erzeugt.) Die rinnen- förmige Vertiefung der Usurfläche, welche Rütimeyer erwähnt, ist an diesem Belegstück nicht zu beobachten. Weitere, aber allem Anschein nach auch nicht gar tief liegende Differenzen sind in der specielleren Form des Querschnittes, der Breite der Schmelzbänder und der Oherflächenbeschaffenheit des Schmelzes zu constatieren. Der Querschnitt hat bei Amphichiromys die Form eines comprimierten und etwas unregelmässigen Ovals mit etwas abgeflachterer Innenseite und grösster Breite an der Stelle, wo das Schmelzband auf der Aussenseite endigt. Bei Chiromys ist er schmäler und seine Seitencontouren verlaufen geradlinig und parallel. Die Breite des Schmelzbandes auf der Aussenseite verhält sich zu der des unbeschmelzten Theiles bei Amphichiromys wie 10 zu 9, bei Chiromys nur wie 5 zu 7. Das Innenseitenschmelzband ist dagegen bei ersterem relativ noch etwas schmäler als bei letzterem. Die Schmelzoberfläche zeigt bei Amphichiromys feine gekörnelte Längs- streifen. Bei Chiromys ist nur eine sehr leichte Andeutung dieser Streifung zu bemerken. Das Vorhandensein einer Querstreifung des Schmelzes, welches Rütimeyer bei Amphichiromys hervorhebt, ist an dem vorliegenden Belegstück nicht fest- zustellen. Ziehen wir nun nochmals die Cope’schen Figuren des unteren Vorderzahnes von Calamodon?) zum Vergleiche herbei. Es ist nicht zu leugnen, dass dieser Zahn in seinem längsgedehnten schmalen Querschnitt und in seiner Spiraldrehung auffällige Merkmale mit denjenigen von Amphichiromys und Chiromys gemein hat. Allein in zwei Beziehungen weicht er doch beträchtlich mehr von den beiden altweltlichen Formen ab als diese unter sich: Die Schmelzbekleidung greift nicht mehr auf die Aussenseite über als auf die Innenseite und der Querschnitt verjüngt sich hinter den Schmelzrändern be- trächtlich und ziemlich abrupt. Dabei ist bemerkenswerth, dass sich Amphichiro- mys in ersterem Punkte mehr von Calamodon entfernt als Chiromys. !) Die speciellere Gestalt dieses Ausschnittes variiert übrigens bei Chiromys beträchtlich, wie eine Vergleichung unserer Figur mit derjenigen bei Weber (Die Säugetiere 1904, Figur 543) lehrt. 2) E. D. Cope, Report upon the exlinet Vertebrata obtained in New-Mexico by parties of the Expedition of 1874. Washington 1877, p. 165, Pl. XLI, Fig. 13—16. 1440 Stehlin, Eocaene Säugetiere. “ Der mandibulare Vorderzahn von Amphichiromys hat somit structurell ent- schieden mehr Ähnlichkeit mit dem von Chiromys als mit dem von Calamodon. Er differiert auch in der Grösse bedeutend weniger von ersterm als von letzterm und im folgenden werden wir sehen, dass sich die Chiromysanalogie durch die Einpflanzungsart noch stark accentuiert. Basel Eh. 602. Rechter unterer Vorderzahn. — Länge dem Vorderrende entlang 0,066; Sagittaldurchmesser am Ende der Usur 0,015, am hintern Bruchrand 0,014; grösste Dicke 0,0062. — Figur CCCEXXXVINM. Der Sagittaldurchmesser dieses Exem- plares, das 1912 im Aufschluss p ge- funden worden ist, misst zwei Millimeter weniger als derjenige des vorigen, Gleich- wohl scheint es mir nicht zweifelhaft, dass er zum nämlichen Genus und sehr wahrscheinlich, dass er zur selben Species gehört. Für „Heterochiromys fortis“, von dem weiter unten die Rede sein wird, ist er viel zu stark. Solange nur Ef. 982 vorlag, war man versucht anzunehmen, dass der mandi- bulare Vorderzahn von Amphichiromys s eine persistente Pulpa besitze wie derjenige Figur CCCXXXVII. Amphichiromys euro- von Chiromys und wie die Schneidezähne paeus Rüt. — Rechter unterer Vorderzahn, von H £ aussen und von innen. — Egerkingen Eh. 602. der Nager. Das neue Fundstück bringt ir uns die wichtige Belehrung, dass diess nicht der Fall ist. Wie aus den Figuren zu ersehen, besteht es zum grössern Theil aus einer langgedehnten Wurzel. Da der Durchmesser dieser Wurzel auf ihrer langen erhaltenen Erstreckung nur ganz unbedeutend abnimmt, dürfen wir mit ziemlicher Bestimmtheit annehmen, ihr leider abgebrochenes Ende sei nicht zugespitzt, sondern in Anpassung an die Form des Alveolus quer abgestutzt gewesen. Wir haben hier also ein sehr interessantes Durchgangsstadium eines der Hypselodontie zustrebenden Vorderzahnes vor uns. Vielleicht sind die Nagerschneidezähne einmal — freilich in noch entlegenerer, mesozoischer Vergangenheit — durch ein ähnliches hindurchgegangen. Amphichiromys europaeus, 1441 Der Schmelzbelag reicht auf der Innenseite, allmählig schmäler werdend, bis 19 mm unterhalb der Spitze; auf der Aussenseite zieht er sich in einen langen Zipfel aus, der 37 mm von der Spitze und etwas hinterhalb des Vorderrandes sein Ende erreicht. Hier, an seinem Wurzelende, zeigt das Aussenseitenschmelzband kräftig markierte, spitzenwärts concave Querstreifen, während die gekörnelten Längsstreifen sich kaum mehr geltend machen. Betrachtet man den Zahn von hinten, so be- | | | merkt man sehr deutlich eine schwache Spiraldrehung | im Sinne des Chiromyszahnes. Von der Transversal- biegung von Ef. 982 ist, wie bereits bemerkt, keine Spur wahrzunehmen, was mich sehr in meiner Ansicht bestärkt, sie sei auf Druckwirkung zurückzuführen. Die Usur der Spitze verhält sich derjenigen an Ef. 982 sehr analog. Das Schmelzband der Innen- seite zeigt eine deutliche Reibefläche, welche darauf schliessen lässt, dass linker und rechter Vorderzahn sich mit den Spitzen berührten. An Ef. 982 ist diese Seitenusur nicht deutlich, vielleicht infolge der Rollung, | die der Zahn erlitten hat. Basel Ef. 986. Spitze eines linken untern Vorder- zahnes? — Figur CCCXXXIX. Dieses Bruchstück stammt aus der alten Cartier- FigurCCEXXXIX. Amphi- chiromys europaeus Rüt. — Spitze eines linken untern Vor- worden. Für Heterochiromys fortis wäre es zu stark. derzahnes, von aussen, von schen Sammlung, ist aber von Rütimeyer nicht erwähnt Bis auf bessere Belehrung glaube ich es als Spitze eines hinten-oben, von innen. — Von A bis B Usur; von B bis C Übergreifen des Aussenseiten- vorigen deuten zu dürfen. schmelzbandes auf die Innen- seite; bei B Talonspitze. — Egerkingen Ef. 986. — !/ı. eben erst in Gebrauch tretenden Zahnes vom Typus der So kümmerlich das Fragment ist, lohnt es sich doch es genau zu betrachten. Die Richtigkeit obiger Interpretation vorausgesetzt, giebt es uns einen weitern wichtigen Aufschluss über den mandibularen Vorderzahn von Amphichiromys. Die grösste Dicke misst am Bruchrand 0,0045 gegen 0,007 an Ef. 982; der Sagittaldurchmesser ebenda 0,01, also gleichfalls beträchtlich weniger als bei den %.. Exemplaren. Gleichwohl hat der Schmelzbelag der Aussenseite die gleiche Breite wie bei jenen; er bedeckt die Aussenseite fast ganz; nur gegen den 1442 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Bruchrand zu, bei ©, ist das Ende des sich spitzenwärts auskeilenden unbeschmelzten Streifens zu bemerken. Das Aussenseitenschmelzband zeigt seinem Rande entlang eine seichte Rinne und lässt die gekörnelten Längsstreifen sehr deutlich erkennen. - Der Schmelzbelag der Innenseite bildet wie bei den obigen Exemplaren ein schmales Bord. Die Krümmung des Vordercontours steigert sich gegen die Spitze zu. Diese trägt von A bis B eine kleine Usur. Im intaeten Zustande hat sie sehr wahr- scheinlich, wenn wohl auch nur auf ganz kurze Erstreckung, eine continuierliche Schmelzkappe getragen, denn unterhalb des Usurfeldes von B bis C biegt sich das Schmelzblatt der Aussenseite etwas um den Hinterrand auf die Innenseite über. Es ist ihm dort eine scharfe Kante aufgesetzt, welche auf dieser Strecke den Hinterrand der Krone bildet. Nach unten, bei ©, geht diese Kante in den Schmelz- rand über, Oben, bei B, erhebt sie sich in ein kleines Spitzchen, welches das Rudiment einer Hinterzacke oder eines Talonhügels zu sein scheint. Das Fragment Ef. 986 lehrt also — immer die Richtigkeit unserer Deutung vorausgesetzt —, dass der mandibulare Vorderzahn von Amphichiromys sich gegen die Spitze zu transversal verdünnt, sagittal auf Kosten des unbeschmelzten Theiles verjüngt, dass die Krümmung seines Vordercontours sich gegen die Spitze zu steigert und dass diese noch sehr alterthümliche Merkmale, nämlich ein Talonrudiment und sehr wahrscheinlich eine continuierliche Schmelzkappe besitzt. Peters hat in seiner Chiromysmonographie'!) in Figur 8, Tafel II den eben den Alveolus durchbrechenden mandibularen Vorderzahn eines jungen Chiromys in Aussenansicht dargestellt. In zwei Hauptpunkten stimmt der Befund bei letzterem vollständig mit demjenigen bei Amphichiromys überein: Auch bei Chiromys ver- jüngt sich der Zahn gegen die Spitze zu, auch bei Chiromys zeigt derselbe hier noch deutliche Rudimente einer einstigen normalen Krone. In andern Beziehungen sind Abweichungen zu constatieren. Der Krümmungsradius des Vordercontours verkürzt sich bei Chiromys spitzenwärts nicht oder kaum. Anstatt einer rudimen- tären Hinterzacke bemerkt man etwas unterhalb der Spitze eine eigenthümliche seitliche Anschwellung. Die Schmelzgrenzen sind in der Figur‘ nicht zu erkennen; leider habe ich — als ich vor zwei Jahren, dank gütigem Entgegenkommen von Herrn Prof. Brauer, das Peters’sche Original zum Studium der Backenzähne auf auf einige Zeit in Händen hatte — versäumt dasselbe auch auf diesen Punkt zu untersuchen. !) W. Peters, Über die Säugeliergattung Chiromys. Abh. der K. Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1866. Amphichiromys europaeus. 1443 Basel Eh. 773. Kronenende eines rechten untern (oder linken obern ?). Vorder- zahnes. — Länge dem Vorderrand entlang 0,035; Sagittaldurchmesser 0,0135; grösste Dicke 0,0065. — Figur GCCXL. Dieses Fragment, 1915 in Aufschluss 7 gefunden, rührt wie Eh. 602 von einem stark abgenützten Exemplare her; leider ist die Wurzel satt hinter dem Ende des Aussenseitenschmelzbandes abgebrochen. Unbedeutende Defecte sind in - der Figur ergänzt. Bei genauer Vergleichung ergeben sich einige bemerkenswerthe Abweichungen gegenüber Eh. 602. Die Biegung ist stärker, der Sagittaldurchmesser geringer, zugleich aber der Querdurchmesser etwas grösser. Ferner ist das Aussenseitenschmelzband um ein er- hebliches schmäler; es bedeckt an der Stelle, wo die Usur aufhört, nicht die Hälfte der Aussenseite, während es an Eh. 602 in entsprechender Distanz vom Ende noch immer etwa zwei Drittel derselben in Anspruch nimmt. Welche Bedeutung wir diesen Abweichungen beizumessen haben, ist beim gegenwärtigen Stand der Documentation schwer zu errathen. Stärkere Biegung, geringerer Sagittaldurchmesser, geringere Breite des Aussenseitenschmelzbandes sind Eigen- thümlichkeiten, welche bei Chiromys den obern Vorder- Figur CCCXL. Amphichiro- mys europaeus Rüt. — Rechter sich dort mit geringerer Dicke und wesentlich unterer Vorderzahn, von aussen zahn vom untern unterscheiden. Allein sie verbinden und von innen. — Egerkingen schwächeren Dimensionen im allgemeinen, sodass ich Br n 1. 773. — !ı. vorderhand nicht wage das vorliegende Belegstück mit Bestimmtheit als obern Vorderzahn von Amphichiromys anzusprechen, sondern mich mit diesem Hinweis begnüge. Dass bei Amphichiromys der untere Vorderzahn einen in den allgemeinsten Zügen ähnlich gebauten Antagonisten besessen hat, scheint mir sowohl nach der Usur, die er trägt, als nach Analogie von Chiromys und Nagern sehr wahr- scheinlich. Da die obern Vorderzähne sich im allgemeinen conservativer verhalten als die untern, dürfen wir vielleicht erwarten, dass dieser Antagonist noch etwas weiter von vollendeter Hypselodonsie entfernt war und in der Structur seiner Spitze noch etwas deutlichere Reminiscenzen aus dem brachyodonten Entwicklungsstadium 19 1444 Stehlin, Eocaene Säugetiere. festhielt. Man vergleiche in letzterer Hinsicht das Verhalten des intacten obern Vorderzahnes von Chiromys, den Peters (l. ec. Fig. 8, Tab. 2) wiedergiebt. Basel Ef. 985. Kronenende eines usierten linken untern Vorderzahnes. Rütimeyer 1891, Tab. VIII, Fig. 27, als „Calamodon europaeus‘. Basel Ef. 984. Fragment eines linken untern Vorderzahnes. — Rütimeyer 1891, Tab. VIII, Fig. 27,2 als „Calamodon europaeus“. Basel Ef. 988. Fragment eines untern Vorderzahnes. Figur CCCXLI. Linke Mandibeln, von aussen. — A. von Amphichiromys europaeus Rüt. — Egerkingen Ef. 983. — B. von Chiromys madagascariensis, recent. — Basel C. 2894. — !/ı. Ef. 985 rührt von einem Exemplare her, das in der Stärke Ef. 982 gleich- kam. Auf der Innenseite zeigt es die bei Eh. 602 erwähnte Reibungsfläche, auf der Aussenseite deuten einige spitzenwärts concave (Querrippen an, dass es aus der untersten Partie des beschmelzten Zahntheiles stammt. Die Usurfläche weist jene von Rütimeyer erwähnte Längsrinne auf, welche an den obigen Exemplaren fehlt. Ef. 984 und Ef. 987 sind kleine gerollte Bruchstücke ohne Usur und zeichnen sich dadurch aus, dass sie Ef. 982 an Dicke noch übertreffen (0,008 und 0 0 An Ef. 984 ist die Querrippung auf der Aussenseite sehr deutlich. Amphichiromys europaeus. 1445 Mandibel. 2 Basel Ef. 983. Fragment der linken Mandibel mit den Alveolen des Vorderzahnes und des letzten Backenzahnes. Rütimeyer 1891, Textfiguren p. 129, 131. — Figur CCCXLIa, CCCXLILa. Der an dieser Mandibel erhaltene grosse Alveolus und die oben besprochenen Vorderzähne Ef. 982 und Eh. 602 passen so gut zu einander, dass an ihrer Figur CCCXLII. Linke Mandibeln von innen. — A. Von Amphichiromys europaeus Rüt. — Egerkingen Ef. 983. — B. Von Chiromys madagascariensis, recent. — Basel (. 2894. — !Yı. Zusammengehörigkeit nicht wohl ein Zweifel aufkommen kann. Ich gebe nochmals eine Aussen- und eine Innenansicht dieses zweiten Typus des „Calamodon europaeus“ und stelle ihnen die entsprechenden Ansichten einer Chiromysmandibel gegenüber. Die weitgehende Übereinstimmung, welche das Egerkinger Fragment mit der so sehr speciellen Mandibelform von Chiromys zeigt, springt bei Betrachtung unserer Figuren sofort in die Augen. Dass an beiden Mandibeln der hinter der Zahnreihe gelegene Theil im ganzen und der Ursprung des Processus coronoideus 1446 Stehlin, Eocaene Säugetiere. im besondern 'sagittal sehr gedehnt sind, ist das wenigste. Viel schwerer fällt die Gemeinsamkeit folgender drei Eigenthümlichkeiten ins Gewicht: 1. Der Alveolus des grossen Vorderzahnes senkt sich bei Amphichiromys genau in gleicher Weise in den Kieferknochen ein wie bei Chiromys; wie bei diesem ist er auf den Processus coronoideus orientiert. 2. Der Condylarfortsatz wendet sich bei beiden Formen nach hinten, nicht nach oben und entspringt auffällig tief, in oder unter der Flucht der Backen- zahnreihe und nahe dem Unterrand der Mandibel. 3. Der Mandibelwinkel entfaltet sich bei beiden Formen nur sehr schwach und entwickelt einen eigenthümlichen, nach innen gebogenen Processus angularis von merkwürdig übereinstimmendem Zuschnitt. Man beachte ferner auch die Lage des Foramen alveolare und die Stellung des Zahnreihenendes zum Vorderrand des Processus coronoideus. Um diese Übereinstimmungen voll zu würdigen, muss man die Heerschaaren der Nager, Insectivoren, Marsupialer, Bruta, Primaten auf ihre Mandibelform durch- sehen. Die Orientierung des Vorderzahnalveolus auf den Processus coronoideus ist durchaus characteristisch für Chiromys. Man findet in der Nagergruppe diesen Alveolus auf sehr mannigfaltige Weise in den Kieferknochen eingebettet '); bei extremen Formen wie Geomys und Bathyergus dringt er wie bei Chiromys bis in den Ramus ascendens vor, aber er endet hier im Gelenkfortsatz; die Orien- tierung auf den Processus coronoideus ist den Nagern fremd. In Bezug auf die Gestalt des Kiefers und speciell des Winkels hat Rütimeyer seiner Zeit Phas- eolarctos und die „australischen Carnivoren“ als nächste recente Analoga zu dem Egerkinger Fossil genannt. Ein Blick genügt, um sich zu überzeugen, dass es sich dabei um eine überaus vage Analogie handelt, welche keinen Vergleich mit der zu Chiromys bestehenden aushält. Der Hinweis zeigt des deutlichsten, dass Rütimeyer überhaupt nicht auf den Gedanken gekommen ist, letzteres in den Bereich seiner Vergleichungen zu ziehen. Im einzelnen bestehen nun freilich auch hier wieder Differenzen zwischen der eocaenen und der recenten Form. Die hauptsächlichsten derselben sind die folgenden: 1. Der Alveolus des Vorderzahnes endet bei Amphichiromys unter dem Ende der Backenzahnreihe und dringt nicht in den Processus coronoideus ein wie !) Vergl. Nehring, Länge und Lage der Schneidezahnalveolen bei den wichtigsten Nage- tieren. Zeitschr. f. d. ges. Naturw. Band 45, 1878, p. 297. | d | : | Amphichiromys europaeus. 1447 bei Chiromys; entsprechend der noch unvollständigen Hypselodontie des Zahnes, dem er dient. 2. Der Processus coronoideus war bei Amphichiromys zweifellos höher und stärker entwickelt als bei Chiromys. Dass sein Hinterrand bedeutend steiler an- stieg, ist sehr deutlich zu sehen; aber auch sein Vorderrand kann sich nach dem vorhandenen Stumpfe nicht schon im Niveau der Alveolen abrupt nach hinten gewandt haben wie bei Chiromys. Ich habe mich daher in der linearen Recon- “ struetion dieser Partie mehr an Heterochiromys!) als an Chiromys gehalten. 3. Der Condylus hat bei Amphichiromys jedenfalls weniger stark nach hinten ausgeladen als bei Chiromys; die Knochenränder ober- und unterhalb seines Ursprunges lassen darüber keinen Zweifel. 4. Die Massetergrube ist bei Amphichiromys tiefer eingesenkt als bei Chiro- mys und im ganzen deutlicher, nur hinten über dem Processus angularis weniger scharf umrandet. 5. Der Unterrand der Mandibel nimmt bei Amphichiromys unter dem Masseteransatz einen geradlinigeren Verlauf als bei Chiromys. 6. Während die Wurzel des letzten Backenzahnes von Chiromys so ziemlich vertical in den Kiefer eingepflanzt ist, senkt sich der an dem Egerkinger Frag- ment erhaltene, kurzovale und ziemlich seichte Alveolus fast wagrecht nach aussen in die Wurzel des Ramus ascendens ein. Ein Theil dieser Differenzen wird wohl mit der verschiedenen Körpergrösse der beiden verglichenen Formen in Correlation stehen. Andre, wie insbesondre die ungleiche Ausdehnung des Vorderzahnalveolus, erklären sich aus dem verschiedenen geologischen Alter derselben. Es ist indessen sehr wohl möglich, dass sich auch solche darunter befinden, welche als Ausdruck einer Entwicklungsdifferenz auf- zufassen sind. Dass Amphichiromys nicht in die Ascendenz von Chiromys gehört, scheint mir durch die Abweichung in den Dimensionen ohnehin sichergestellt. Es kann sich für uns daher sowieso nur um die Frage handeln, ob die hervor- gehobenen Analogien der Ausdruck irgend eines Grades näherer Vetterschaft sind. Was den Kaumechanismus von Amphichiromys anbelangt, so scheint er nach dem starken Processus coronoideus, der auf einen kräftigeren Temporalis weist, zu urtheilen, nicht ganz der nämliche gewesen zu sein wie bei Chiromys. Die Anlage von Condylus und Winkel, die Ausbildung der Masseter- und Ptery- !) S. das folgende Gapitel. 1448 Stehlin, Eocaene Säugetiere. goideusansätze, die Usur des mandibularen Vorderzahnes lassen jedoch andererseits darauf schliessen, dass die Abweichung nur eine mässige ist. Vergleichen wir nun auch dieses Document noch einmal mit Calamodon. Hauptvergleichsobjekt ist immer noch jene Mandibel von Calamodon simplex aus der Wasatchstufe des Big Horn Basin, deren von Cope!) 1883 publicierte Abbildungen Rütimeyer so sehr frappiert haben. Wortman?) hat seither neue Figuren derselben mitgetheilt, die verschiedentlich reproduciert worden sind; eine in der Cope’schen Profilansicht störende Verschiebung des grossen Vorderzahnes ist in denselben eliminiert. Eine gewisse vage Ähnlichkeit zwischen den beiden Documenten ist ja zuzugeben. Sie beruht ausser auf dem Vorhandensein eines nagerartig verstärkten Vorderzahnes darauf, dass bei beiden der Processus coronoideus sehr stark ent- wickelt, der Ramus ascendens in toto sagittal sehr gedehnt und die Masseter- grube kräftig markiert ist. Das sind indessen, zumal bei alten Formen, sehr ver- breitete Eigenthümlichkeiten, die nicht als Characteristica einer bestimmten Gruppe gelten können. Sie verlieren alles Gewicht angesichts der Gegensätze, die in anderer Hinsicht zwischen den beiden Mandibeln bestehen. Vorerst ist wiederum daran zu erinnern, dass Calamodon simplex ein Tier von Tapirgrösse ist und somit von Amphichiromys in den Dimensionen weit mehr abweicht als Chiromys in entgegengesetztem Sinn, Sodann ist die Ausbildung der Winkelpartie und ihr Verhältniss zum Condylus bei den beiden Formen durchaus verschieden. Bei Calamodon liegt der Condylus hoch über dem Unterrand der Mandibel; unter ihm entwickelt sich ein nach unten und hinten bogenförmig ausladender Winkel mit abgeschrägtem Hinterrand. Bei Amphichiromys dagegen entspringt der Condylarfortsatz nur ein weniges über dem untern Mandibelrand, sodass unter ihm gerade noch Platz bleibt für den kleinen, medianwärts gebogenen, so sehr an Chiromys gemahnenden Processus angularis. Nicht minder gross ist der Gegensatz in Bezug auf die Stellung des Condylus zur Backenzahnreihe. Bei Calamodon schneidet die Verlängerung des Alveolar- randes mitten durch den bogenförmigen Mandibelwinkel; der Condylus liegt um ein beträchtliches über derselben. An dem Egerkinger Fragment ist nun allerdings ') E. D. Cope, The Vertebrata of the Tertiary Formations of the West 1883, Pl. XXIV b’ Fig. 1, 1a—d, p. 189. °) J. L. Wortman, The Ganodonta and their relationship to the Edentata. Bull. Am. Mus. Nat. Hist. IX, 1897, Fig. 22—23, p. 89. uf Amphichiromys europaeus. 1449 blos ein einziger Backenzahnalveolus erhalten, sodass sich über die genauere Richtung des Alveolarrandes und der Kaufläche streiten lässt. Man kann es so auf die — in ungefähr entsprechenden Dimensionen gehaltene — Figur der Calamodonmandibel bei Wortman auflegen, dass die Condyli einerseits, die vordern Ursprungsstellen der Coronoidfortsätze andererseits sich decken. Der Vorderrand des Coronoidfortsatzes der Amphichiromysmandibel steht dann senk- . recht zum supponierten Alveolarrand und die Verlängerung dieses letztern nach hinten zu schneidet den steil ansteigenden untern Mandibelrand unter einem Winkel von etwa 45°. Allein diese Orientierung des Fragmentes, ganz abgesehen davon, dass sie die Verschiedenheit in der Winkelpartie urgiert anstatt abschwächt, ist offenbar durchaus unrichtig. Der Verlauf des Alveolarrandes wird schwerlich viel anders anzunehmen sein, als ihn unsere Figuren andeuten, d.h. ungefähr parallel dem untern Mandibelrand. Denkt man sich das Fragment so ergänzt, so liegt der Condylus unter der Flucht des Alveolarrandes und der Gegensatz zu Calamodon tritt ebenso scharf hervor als die Analogie mit Chiromys. Ein wesentlicher Gegensatz zwischen Amphichiromys und Calamodon besteht offenbar auch hinsichtlich der Art, wie der verstärkte Vorderzahn dem Kieferknochen eingepflanzt ist; nur bin ich nicht in der Lage, ihn mit Sicherheit zu definieren, da die Figuren Copes in diesem Punkte eine etwas andere Auskunft über Calamodon geben als diejenigen Wortmans und da beide Autoren es unterlassen haben sich im Text mit der wünschenswerthen Bestimmtheit zu erklären. Bei Amphichiromys legt sich der grosse Vorderzahn, wie wir gesehen haben, ganz wie bei Chiromys vertical und parallel unter die Backenzahnreihe und zwar so, dass er, noch weiter rück- wärts verlängert, genau wie bei jenem in den Processus coronoideus eindringen müsste. Bei Calamodon sind die beiden grossen Vorderzähne, da wo sie aus dem Kiefer austreten, durch ein beträchtliches Stück Kieferrand, welches zwei ziemlich kräftige Ineisiven trägt, von einander getrennt. Nach hinten unten in den Kiefer eindringend, nähern sie sich — der Vorderansicht bei Cope, Figur 1b l. c. zufolge — einander fast bis zu gegenseitiger Berührung. Und da nun die Symphysalnahtfläche bei Calamodon nicht wie bei Chiromys dem Ramus horizontalis unmittelbar anliegt, sondern auf einem Fortsatz medianwärts geschoben ist, so scheint es — immer nach der Cope’schen Figur 1b —, die grossen Alveoli müssen medianwärts von den Rami horizontales am breiten Hinterrand der Symphyse enden. So hat offenbar auch Cope die Sache aufgefasst, da er in der linear ergänzten Oberansicht des Kiefers (Figur la ]. ec.) die, am Original in ihrer hintern Partie beschädigte, Symphyse bis zum zweitletzten Backenzahn reichen lässt, d.h. etwas über den 1450 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Punkt hinaus, bis zu welchem laut Text der Vorderzahn vordringt. Allein in der Oberansicht bei Wortman ist das Symphysenende beträchtlich weiter vorn, nämlich beim fünftletzten Backenzahn eingezeichnet, sodass der grosse Alveolus — wenn er, wie Cope angiebt, bis zum drittletzten Backenzahn reicht — unmöglich in der Symphyse endigen kann. Nach der Wortman’schen Figur hat es eher den An- schein, als ob die Alveoli, nachdem sie sich einander in der Symphyse genähert haben, vor dem Ende derselben wieder divergierten und in die Rami horizontales unter die Backenzähne eindrängen. Ein schwaches Divergieren der Alveoli gegen das Ende zu ist in der That auch in der Vorderansicht bei Cope angegeben. In diesem Falle stiesse aber dann die Verlängerung des Alveolus nicht in den Processus coronoideus vor, sondern auf die Backenzahnwurzeln oder allenfalls, nach Art mancher Nagerineisiven, auf die Aussenwand des Ramus horizontalis. Wie dem auch sein mag, jedenfalls ist die Einpflanzung der grossen Vorder- zähne bei Calamodon eine andere als bei Amphichiromys und diess ist für unsere gegenwärtige Betrachtung die Hauptsache. Endlich zeigen die Backenzähne von Calamodon schon in der Wasatchstufe einen recht deutlichen Anlauf zu hypselodonter Entwicklung, während diejenigen von Amphichiromys noch im Lutetien völlig brachyodont gewesen sein müssen. Es liessen sich noch allerlei kleinere Differenzen hervorheben. Allein diese grossen genügen vollauf, um zu beweisen, dass, was den Mandibularknochen anbelangt, die Analogie zwischen Calamodon und Amphichiromys äusserst schwach ist und nicht entfernt so tief greift als diejenige zwischen Amphichiromys und Chiromys. Es hätte auch keinen Zweck, die Vergleichung etwa auf Psittacotherium und andere Ganodontier oder auf Tillodontier und weitere erloschene Formen mit mehr oder weniger nagerartigem Vordergebiss auszudehnen. Überall ergäben sich nur ähnlich trügerische Anklänge wie bei Calamodon. Untere Backenzähne. Von grösstem Werthe wäre es mir selbstverständlich gewesen, die durch Vorderzähne und Mandibel nahe gelegte Hypothese, dass Amplichiromys ein chiromys- artig differenzierter Primate sei, durch das Zeugniss der Backenzähne bestätigt zu sehen. Die Ausgrabungen in Aufschluss y sind während der Jahre 1912—15 wesent- lich im Hinblick auf dieses Desiderat mit grosser Intensität betrieben worden leider ohne das gehoffte Ergebniss. Es ist überhaupt kein zweites Kieferstück von Amphichiromys zum Vorschein gekommen, weder ein bezahntes noch ein unbezahntes. Amphichiromys europaeus. 1451 Was ich über diese wichtige Frage gegenwärtig vorzubringen vermag, hat daher durchaus provisorischen Character. Es kann sich nur darum handeln zu prüfen, ob sich unter den zahlreichen isolierten Backenzähnen von Egerkingen solche befinden, die sich mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Amphichiromys beziehen lassen, Wir beginnen mit der Fahndung nach den Mandibularbackenzähnen, da das oben beschriebene Material uns für dieselben directere Anhaltspunkte bietet als für diejenige nach den Maxillarzähnen. Die Dimensionen der Vorderzähne und der Mandibel lassen darauf schliessen, dass die Backenzähne von Amphichiromys eher grösser waren als diejenigen von Adapis Rütimeyeri und Caenopithecus lemuroides. Der an der Mandibel erhaltene Alveolus sagt uns, dass sie niedrige Kronen hatten, wie diejenigen von Chiromys und die aller andern Primaten. Ob dieser Alveolus auf einen einwurzligen und somit stark reducierten Zahn oder auf die Talonwurzel eines nach Art der M, von Adapis etc. entwickelten zu beziehen ist, lässt sich nach seiner Beschaffenheit nicht sicher entscheiden. Für die erstere Annahme spricht der Umstand, dass er eine kurzovale, fast runde Form hat, während die Talonwurzel des M, von Adapis, Caenopithecus etc. transversal comprimiert ist. Für die letztere Annahme fällt seine nahezu wagrechte Einsenkung nach aussen ins Gewicht, welche sehr an das starke Abbiegen solcher Talonwurzeln erinnert. Die einzigen mir bis jetzt vorliegenden Fundstücke, welche den Anforde- rungen, die sich aus der Mandibel ableiten lassen, entsprechen und zugleich auch der Hypothese, dass wir es mit einem Primaten zu thun haben, nicht wider- streiten, sind die folgenden: Basel Eh. 742. M, (M,?) inf. dext. — Länge 0,0075, Breite vorn 0,005, hinten 0,0055. — Figur CCCXLIL. Basel Ef. 989. M, inf. sin. — Länge 0,009, Breite an der Basis der Hinterhügel 0,0055. — Figur CCCXLIV. Eh. 742 stammt aus Aufschluss y. Die Dimensionen gehen über die Varia- tionsbreite von Adapis Rütimeyeri und Caenopithecus lemuroides hinaus und fallen in diejenige des Adapis magnus. Die Structur weist in ihren Grundzügen bestimmt auf einen Primaten. Im Detail zeigt sie Kigenthümlichkeiten, welche auf ein neues, von allen, ihren Mandibularbackenzähnen nach bekannten, Formen verschiedenes Genus schliessen lassen. Der Umriss ist kürzer und gedrungener als bei Adapis magnus, hinten wie gewohnt breiter als vorn. Das Gepräge ist stumpfkantig und erinnert insofern am 20 1452 Stehlin, Eocaene Säugetiere. ehesten etwa an Protadapis. Der Vorderarm des Vorderhalbmonds verläuft zunächst, auf kurze Strecke. nicht nur sagittal, sondern etwas nach vorn aussen, um sich dann, spitzwinklig umbiegend, im breiten, geradlinig abgestutzten vordern Kronen- rand eingulumartig bis an die Basis des vordern Innenhügels fortzusetzen, wo er sich zu einem niedrigen, aber scharf ausgebildeten, vordern Trigonidhügel verdickt. Figur CCCXLII, Amphichiromys euro- paeus Rüt.?? M, (M,?) inf. dext., von innen und von oben. — Egerkingen Eh. 742. — /ı. Dieses Element ist also ähnlich wie am M, von Protadapis entwickelt, nur etwas stärker und etwas loser mit dem innern Trigonidhügel verbunden. Die Hinterseite des letztern ist vollkommen gerundet und entbehrt jeder Spur einer Hinter- zacke oder Kante. Innerer und äusserer Trigonidhügel sind weniger nahe zusammengerückt als bei Protadapis. Der nie- drige hintere Innenhügel steht, im Gegensatz zu dem eben genannten Genus und zu Adapis, aber ähnlich wie bei Ancho- momys efr. Gaillardi um ein beträchtliches vor dem hintern . Kronenrand und die, wie dieser letztere, schräg von vorn aussen nach hinten innen verlaufende Nachjochkante erfährt lingualwärts der Kronenmitte eine starke Kniekung. Etwas weiter innen und satt hinter dem Innenhügel schwillt die Kante zu einer kleinen accessorischen Knospe an. Ob wir die Knickungsstelle oder diese ganz auf der Innenseite der Krone stehende Knospe als Äquivalent des Hypoconulides aufzufassen haben, scheint mir schwer zu entscheiden. Die Höhendifferenz zwischen Vor- und Nachjoch verhält ' sich ähnlich wie bei Protadapis. Seiteneingula und Schluss- eingulum markieren sich nicht. Die Wurzeln sind ab- gebrochen; unter dem Hinterlobus ist nur eine einzige entwickelt gewesen; ob der Vorderlobus deren zwei Figur CCCXLIV. Amphi- besessen hat, lässt sich nicht feststellen. Wegen der deutlichen Ausgliederung des vordern chiromys europaeus Rüt.?? — e Ne a 4 M. inf. sin. — Egerkingen Irigonidhügels nehme ich vorderhand an, dieser Molar 3 « "SIR. 5 5 Ef. 989. — /ı. sei ein M,; aber die Möglichlichkeit, dass er ein M, sein könnte, ist nicht auszuschliessen. Der sehr eigenthümliche, durch seinen Talon als M, characterisierte Zahn Eh. 742 stammt aus der Cartier’schen Sammlung, ist aber von Rütimeyer nirgends erwähnt worden. Amphichiromys europaeus. 1453 In den Dimensionen und im stumpfkantigen Character des Structurgepräges passt er gut zu dem vorigen. Ob er wirklich von der nämlichen Tierart herrührt, ist indessen schwer mit Sicherheit festzustellen, da am Vorderlobus, dessen Detail- structur in dieser Frage vorzugsweise entscheidend wäre, leider die innere Hälfte fehlt. Der Hinterabhang des vordern Aussenhügels ist nicht ganz gleich modelliert wie an Ef. 989, aber der Vorderarm desselben nimmt den nämlichen characte- ristischen Verlauf wie dort — zunächst eine kurze Strecke nach vorn aussen, dann, spitzwinklig umbiegend, dem vordern Kronenrand entlang —, was mir ein ge- wichtiges Argument zu Gunsten der Zusammengehörigkeit zu sein scheint. Die hintere Hälfte der Krone ist breit, der eigentliche Talon sehr knapp be- messen. Der hintere Innenhügel markiert sich gut und steht relativ weit vorn. Der hintere Aussenhügel ist entgegen der sonstigen Regel niedriger als der Innenhügel und sehr verwischt. Der etwas nach aussen abgebogene Talon erhebt sich in einen einzigen Hügel, welcher seine Spitze nahe an den Aussenhügel heranschiebt und dem hintern Kronenrand einen gedehnten, convexen Rücken zukehrt. Die stumpfe Kante, welche vom Innenhügel über Talonhügel und Aussenhügel bis an den Hinterabhang des Vorjoches läuft und die centrale Depression umsäumt, beschreibt fast genau einen Kreis. Unter dem vordern Aussenhügel ist eine Wurzel von rundlichem Querschnitt erhalten, der Vorderlobus hat also deren zwei besessen. Die hintere Kronenhälfte ruht auf einer einzigen, mässig langen, transversal etwas abgeplatteten und stark nach aussen gebogenen Wurzel, welche gar nicht übel in den Alveolus an Ef. 983 passt, aber ihn allerdings nicht ganz ausfüllt. Die eigenthümliche Structur der hintern Kronenhälfte und die Spaltung der Vorderwurzel geben dem Zahne etwas Fremdartiges. Aber er lässt sich doch noch relativ leicht und ungezwungen von dem Typus des M,, wie er bei Adapis ete. vorliegt, ableiten, während jeder Versuch ihn in andern Ordnungen, etwa bei den Nagern, den Insectivoren, den Carnivoren unterzubringen, auf grössere Schwierig- keiten stösst. Ich nehme daher bis auf weiteres an, er rühre wirklich von einem Primaten her und halte es angesichts der Analogien in der Grösse, im Gesammt- gepräge und der Detailstructur .des vordern Aussenhügels für wahrscheinlich, dass wir ihn als den zu Eh. 742 gehörigen M, ansprechen dürfen. Bei der vielen Übereinstimmung, welche Amphichiromys in der Structur seiner Vorderzähne und seiner Mandibel mit Chiromys zeigt, liegt es nahe, die Backenzähne des letztern als Leitfaden in der Beurtheilung der Frage, ob die obigen Fundstücke ihm zuzuweisen sind, herbeizuziehen. Leider ist von dieser Seite nicht viel Licht zu gewinnen. Die Backenzähne von Chiromys erweisen sich, 1454 Stehlin, Eocaene Säugetiere. sowohl in ihren Kronenumrissen als in ihrem Relief als stark reducierte, in voller Degeneration begriffene Gebilde. Durch den Gebrauch werden die schwachen Er- habenheiten ihrer Kronen überdiess rasch eingeebnet. Dank dem freundlichen Entgegenkommen von Herrn Professor Brauer in Berlin!) kann ich in Figur CCCXLV die noch im Keimzustande befindlichen Molaren des seinerzeit von Peters in Figur 1—9, Tafel II 1. e. abgebildeten jugendlichen Schädels wiedergeben, an welchen das wenige, was von Structur noch zur Entwicklung gelangt, unversehrt zu sehen ist. Der untere M, ist viereckig mit gerundeten Ecken, sein vorderer Nachbar M, mehr dreieckig, indem sich die vordere Innenecke, welche auch an M, die stumpfste ist, kaum markiert. Das Relief be- steht bei beiden aus einem gerundeten, etwas unregelmässigen Randwall, der eine längliche, centrale Depression rings umgiebt und sich vorn innen etwas mehr erhebt als anderwärts. Durch nicht sehr tiefe radiale Kerben wird der Wall in Theilstücke gegliedert, in wel- chen man da und dort bekannte Elemente der Kronenstructur wieder zu erkennen glaubt; aber ein bestimmter Plan ist nicht herauszulesen, wesshalb ich auf eine einläss- L — | Figur CCCXLYV. Chiromys madagas- eariensis, recent. Keime der rechten obern M, (noch nicht verkalkt), M, und M, und der aus einem Structurplan, wie der an Eh. 742 linken untern M, und Mı. — Original im vorliegende, hervorgegangen ist, lässt sich Kgl. zool. Museum in Berlin. — /ı. lichere Beschreibung verzichte. Dass dieses Relief durch Verwischung weder beweisen noch bestreiten. Man kann höchstens sagen, dass sich Molarformen wie diejenige von Necrolemur oder die des unten zu beschreibenden Genus Chiromyoides vielleicht als hypothetischer Aus- gangspunkt desselben eher noch besser eignen. Der untere D, von Chiromys, den ich nicht abbilde, fördert uns in unserer Frage nicht weiter. Wider Erwartung zeigt er keine präcisere Structur als die Molaren; er stellt in allem Wesentlichen nur eine kleinere Wiederholung von M, dar. !) Ich bitte Herrn Prof. Brauer, der mir diesen Schädel für einige Zeit zur Untersuchung anvertraut hat, meinen verbindlichsten Dank für seine Liberalität entgegenzunehmen. | | | Amphichiromys europaeus. 1455 M, vollends ist auch in den Dimensionen so rudimentär, dass von vornherein kein Aufschluss von ihm zu erwarten ist; mit Ef. 989 hat er nicht die geringste Ähnlichkeit. Etwas mehr Gewicht darf vielleicht einem andern Zeugen beigemessen werden. Es ist diess das räthselhafte Mandibelfragment aus dem obern Lutetien von Buchsweiler, welches Gervais in Figur 14, Pl. 36 der Zoologie et Paleonto- logie frangaises unter der Bezeichnung „Heterohyus armatus“ und Blainville auf einer der nach seinem Tode ohne Text erschienenen Tafeln der Osteographie (Rongeurs, genre Arctomys) unter der Bezeichnung „Arctomys de Buschweiler“ abgebildet haben, Über die systematische Rubrieierung dieses Problematicums ist schon viel hin und her gerathen worden. Gervais bestritt mit Entschiedenheit Blainvilles Ansicht, dass es in die Nagergruppe gehöre. Er selbst war im Zweifel darüber, ob es den „Carnivores plantigrades“ oder den „Bisulques omnivores“ beizuzählen sei und führte es vorläufig im Anschluss an die Suiden auf. Schlosser!) hat dann zuerst die, jedenfalls sehr erwägenswerthe und wahrscheinlich richtige, Ansicht vertreten, wir haben es mit einem Primaten zu thun. Im einzelnen scheinen mir die Ausführungen dieses Autors freilich sehr anfechtbar. Sein in zwei successiven Äusserungen beharrlich festgehaltener Verdacht, der in den Abbildungen als P, figurierende Zahn sei ein, an falscher Stelle eingesetzter, vorderer Praemolar, er- scheint weder durch irgend einen Anhaltspunkt in diesen Abbildungen selbst noch durch Analogiegründe gerechtfertigt. Das Endergebniss, zu dem er nach Prüfung der verschiedensten Möglichkeiten gelangt, es handle sich um eine am Vorderende falsch ergänzte Adapis- oder Caenopithecusmandibel, steht sowohl mit der Dar- stellung der Molaren bei Gervais und Blainville, als mit den Angaben, welche der erstere dieser Autoren über die erhaltene Vorderzahnwurzel macht, im ent- schiedensten Widerspruch. Auch die Ansicht Zittels, Heterohyus sei wahrscheinlich mit Necrolemur identisch, ist schwer zu verstehen.”) Leider war der Gegenstand dieser Discussionen, als ich ihm vor einigen Jahren im Museum d’histoire naturelle zu Paris nachfragte, nicht mehr aufzufinden. Ich muss mich daher an die alten Abbildungen und an den Commentar, den Gervais zu der seinigen giebt, halten. Unsere Figur CCCXLVI ist eine Reproduction der Gervais’schen. 1) M. Schlosser, Die Affen, Lemuren etc. I. Beiträge zur Palaeontologie Österreich-Ungarns VI, 1887, p. 33 und III ibid. VIII, 1890, p. 66. 2) Handbuch IV, 1891—93, p. 699. 1456 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Heterohyus armatus ist sicher nicht das nämliche Tier wie Amphichiromys europaeus; das erhellt schon aus den stark abweichenden Dimensionen. Aus Gründen, die sich im folgenden Abschnitt (Heterochiromys) ergeben werden, glaube ich auch nicht, dass er demselben Genus angehört. Allein der Umstand, dass in dem hohen Ramus horizontalis der Mandibal von Buchsweiler die bis unter M, reichende, sagittal stark gedehnte, transversal abgeplattete Wurzel eines grossen Vorderzahnes eingebettet ist, giebt der Vermuthung Raum, wir könnten es mit einem Verwandten von Amphichiromys zu thun haben. Allerdings bemerkt Gervais „la couronne qui surmontait cette racine devait faire saillie au dehors et servir de defense a l’ani- mal“, was nicht ganz zu dieser Auffassung stimmen würde. Da indessen die GER Vorderansicht des Kiefers mit dieser Bemerkung y, in \ schwer in Einklang zu bringen ist, so scheint es mir nicht zu gewagt anzunehmen, Gervais könne sich in diesem Punkte getäuscht haben. Diess vorausgesetzt, wird man den Backenzähnen der Heterohyusmandibel einige Bedeutung für die Be- urtheilung der soeben besprochenen isolierten von Egerkingen einräumen dürfen. Was vor allem auffällt, ist eine weitgehende Übereinstimmung des M, von Buchsweiler mit Ef. 989. Sie scheint sich, soweit die Figur ein Urtheil gestattet, auf alle an diesem letztern erhaltenen Figur CCCXLVI. armatus Gervais. — Heterohyus Fragment der linken Mandibel mit M;—P, nebst Wurzelstümpfen des P, und des Vor- derzahnes. — a. Von und Theile zu erstrecken; eine greifbare Differenz von vorn, in natürlicher Grösse. — aussen b. Backenzähne von oben, vergrössert. — Oberes Lutetien von Buchsweiler. (Nach Gervais). bemerke ich nur in der Länge, die an dem Exem- plar von Buchsweiler im Verhältniss zur Breite etwas grösser ist als an dem von Egerkingen. Die vordere Innenecke der Krone ist, wie Gervais im Text ausdrücklich hervorhebt, auch an dem Zahne von Buchsweiler beschädigt. Der M, von Buchsweiler ist sehr defect. Vergleichen wir Eh. 742 mit dem M,, so springt zunächst in die Augen, dass dieser im ganzen, besonders aber in seiner Vorderhälfte bedeutend mehr gedehnt ist und infolgedessen einen ziemlich ab- weichenden Gesammthabitus besitzt. Im Detail sind gleichwohl Anklänge zu bemerken. Auch an dem Zahn von Buchsweiler ist die vordere Trigonidspitze deutlich und, wie es scheint, eher mehr dem Innenrand als der Mittellinie der Krone genähert; sie ist nur noch kräftiger und selbständiger als an Eh. 742. Ferner scheint der hintere Innenhügel wie an dem Egerkingerzahn etwas vorgeschoben und das Nach- Amphichiromys europaeus. 1457 joch ähnlich wie dort gebogen zu sein. Im ganzen ist allerdings die zwischen diesen beiden Zähnen bestehende Analogie vager als die zwischen den M, constatierte, Zu entscheiden vermögen diese Anklänge an die Molaren von Heterohyus die Frage nach der Zugehörigkeit zu Amphichiromys weder für Ef. 989 noch für Eh. 742. Aber sie verdienten immerhin bei der Erörterung derselben hervorgehoben zu werden.') Schliesslich habe ich beizufügen, dass unter den zahlreichen isolierten Mandibularbackenzähnen, welche mir von Egerkingen vorliegen, keine andern zu finden sind, die sich auf Amphichiromys beziehen liessen; auch dann nicht, wenn man die Forderung, sie müssen Primatenstructur zeigen, fallen lässt. Obere Backenzähne. Die einzigen bis jetzt herrenlosen, in der Grösse ungefähr zu Amphichiromys europaeus passenden Maxillarmolaren von unzweifelhafter Primatenstructur, welche mir von Egerkingen vorliegen, sind die oben, pag. 1270, unter der vorläufigen Bezeichnung „Adapis? spec.“ besprochenen (Ef. 390 und 389). In ihrem stumpfkantigen Structurgepräge harmonieren sie nicht übel mit den Mandibularmolaren Ef. 989 und Eh. 742. Ich habe indessen den Eindruck — der freilich irrig sein kann — ihre Umrisse seien für Antagonisten dieser letztern zu eckig. Die obern Molaren von Chiromys (Figur CCCXLV) zeigen eine trichter- förmige centrale Depresssion, welche rings von einem wulstigen, durch Kerben etwas gegliederten Wall umgeben ist. M, hat einen viereckigen, etwas trapezischen Umriss mit stark gerundeten Ecken. M, ist mehr dreieckig, indem sich die vordere Innenecke kaum markiert. Der Kronentypus, welcher diesen rudimentären Zahn- gebilden zu Grunde liest, war offenbar nicht mehr rein trigonodont, sondern durch einen hintern Innenhügel compliciert. Dieser hintere Innenhügel wird aber nach dem Typus von Necrolemur entwickelt und nicht aus dem Cingulum gewonnen gewesen sein, sonst wäre er wohl isolierter und die hintere Innenecke der Krone vorspringender geblieben. Auch die Molaren von Chiromys legen somit die Er- wartung nahe, diejenigen von Amphichiromys haben weniger eckige Umrisse als die obigen. !) Man könnte auch die Mandibularmolaren von Plesiadapis und Chiromyoides — zwei Genera, die, wie wir unten sehen werden, in Vorderbezahnung und Mandibel gleichfalls Anklänge an Chiromys und Amphichiromys zeigen — in den Bereich dieser Vergleichungen ziehen. Sie würden uns in der Entscheidung der obschwebenden Frage nicht weiter bringen. 1455 Stehlin, Eocaene Säugeliere. Mehr Analogie mit letztern zeigt der obere D, von Chiromys (Figur CCCXLVH), der eine präcisere Structur besitzt als die Molaren und als sein Antagonist und wohl in seinen Hauptzügen ein älteres phylogenetisches Durchgangsstadium der erstern festhält.!) Er hat einen symmetrisch dreieckigen Umriss und ein rein trigonodontes Relief. Aber die Anklänge dieses D, an die Egerkingermolaren betreffen so generelle Züge, dass sich aus denselben auch kein sicherer Schluss ableiten lässt. Bis auf weiteres hege ich starke Bedenken Ef. 389 und 390 zu Amphichiromys zu ziehen. Andererseits vermag ich indessen die Möglichkeit, dass sie ihm angehören könnten, auch nicht Figur CCCXLVI. Chiromys madagas- cariensis, recent. — durch ein entscheidendes Argument auszuschliessen. — D, sup..sin. — Ori- Abstrahieren wir von der Forderung, dass die Maxillar- ginalim Kgl.Museum molaren von Amphichiromys ausgesprochene und unzweifelhafte zu Berlin. — Ca. */ı. . . a N Primatenstructur besitzen müssen, so können allenfalls noch die folgenden, durchaus räthselhaften Zähne in Betracht kommen: Basel Ef. 990. M sup. dext. — Länge der Aussenwand 0,0083, Breite hinten 0,0075. — Rütimeyer 1891, Tab. VIII, Figur 23 als „Phenacodus minor‘. — Figur GCCEXLVIL. Basel Eh. 530. M. sup. dext. — Länge der Aussenwand 0,0065, Breite hinten 0,006. 1) Herr Professor Leche hat mich unlängst, auf Grund eines vielleicht nicht ganz glücklich formulierten Passus in meiner „Geschichte des Suidengebisses* als Gegner der Ansicht „dass das Milchgebiss ältere Zustände bewahren kann“ hingestellt. Diess ist ein Missverständniss. Ich bin vielmehr seit Beginn meiner odontologischen Studien davon überzeugt, dass sich der Fortschritt im Milchgebiss im allgemeinen langsamer vollzieht als im Dauergebiss und dass daher das Milchgebiss des Nachkommens mehr an den Vorfahren anklingt als sein Dauergebiss. Nur habe ich wiederholt betont — und betone hiemit gegenüber meinem verehrten Critiker aufs neue —, dass die atavistischen Anklänge im Milehgebiss des Nachkommens sich immer zunächst auf das Milchgebiss des Vor- fahren beziehen und daher nur auf dieses einen in jeder Hinsicht einwandfreien Rückschluss ge- statten. Im Rückschliessen auf das Dauergebiss des Vorfahren ist grosse Vorsicht geboten, weil das Milchgebiss öfters Zahngestalten enthält, welche ihm specifisch eigen sind und niemals ein wirkliches Analogon in einem Dauergebiss gehabt haben; so vor allem die D, sup. und D, inf. der Artiodactylen, die D, sup. und D, inf. von Rhinoceros, Chasmotherium ete., auch der D, sup.-von Adapis, wie ich oben (p. 1178) gezeigt habe. Um einen Rückschluss auf den Dauerzahn des Vorfahren zu gestatten, muss der Milchzahn, von dem man ausgeht, im Ersatzgebiss sein genaues functionelles Analogon besitzen. Diess ist bei dem obern D, der Primaten der Fall. Wir dürfen daher annehmen, dass der obere D, von Chiromys, abgesehen vielleicht von einer kleinen Ab- weichung im Umriss, die Gestalt festhält, welche in ältern Entwieklungsstadien des Phylums den Molaren eigen gewesen ist. Vergl. W. Leche, Zur Frage nach der stammesgeschichtlichen Bedeutung des Milchgebisses bei den Säugetieren II. Zoologische Jahrbücher 1915, p. 357, Anm, Amphichiromys europaeus. 1459 Ef, 990 ist das Document, für welches Rütimeyer 1891 die Species „Phena- codus minor“ aufgestellt hat. Was an diesem Zahn an „Phenacodus europaeus“, unser „Meniscodon europaeum“, erinnern sollte, weiss ich nicht. Ich habe ihn seinerzeit (p. 638) aus diesem Genus ausgeschlossen und die Bemerkung beigefügt, er rühre höchst wahrscheinlich von einem subursenartig differenzierten Carnivoren her. Auch gegenwärtig bin ich nicht überzeugt, dass diese Deutung unrichtig war; doch würde ich jetzt an Stelle von „höchst wahrscheinlich“ ein „viel- leicht“ setzen. Ein zufälliger Umstand hat mich schon vor längerer Zeit veranlasst die Frage zu erwägen, ob dieser Maxillarmolar nicht vom nämlichen Tiere herrühre wie der oben besprochene letzte Mandibularmolar Ef. 989. Ausser in den Dimen- sionen stimmt er mit demselben nämlich darin überein, dass sein Schmelz eine eigen- thümlich castanienbraune Färbung zeigt, welche sonst sehr selten vorkommt. Man ist daher sehr versucht anzunehmen, sie seien zusammen gefunden worden. In der Kronenstructur zeigt der vorliegende Zahn allerdings gar nichts specifisch Primatenartiges. Die Aussenwand besteht aus zwei an der Basis zu- sammenhängenden Aussenhügeln, von denen der vor- dere den hintern etwas überragt, und einem kleinen, niedrigen, aber scharf ausgegliederten und stark vor- springenden Parastyl. Die über die Aussenhügel Figur CCCXLVII. Unbe- weglaufende Kante macht sich am Vorderabhang stimmter rechter oberer Molar. — Typus von „Phenacodus minor £ Ei i H Rütimeyer*. — Egerkingen Ef. 990. der Aussenwand ist der Kronenumriss stark ein- _;/,, des vordern derselben kaum bemerklich. Innerhalb geschnürt. Gegenüber dem vordern Aussenhügel und dem Einschnitt, der ihn vom hintern trennt, erhebt sich auf breiter Basis ein Innenhügel, der sich durch ein niedriges Vorjoch — ohne Zwischenhügelspur — mit dem Parastyl verbindet. Auf der Hinterseite seiner Spitze besitzt er eine Kante, die sich indessen bald verliert. Der Trigonumtrichter ist nach hinten nicht abgeschlossen. Hinten und etwas innen an der Basis des grossen Innenhügels zeigt der Kronenumriss eine Ausbauchung, auf der sich ein kleiner niedriger Hypoconus erhebt. Nach aussen zu zieht sich derselbe in ein Cingulum aus, welches sich an der Basis des hintern Aussenhügels verliert, während sonst von Cingulis keine Spur zu bemerken ist. Ein besonderes Characteristicum des Zahnes besteht darin, dass sich die Kronenbasis oder, wenn man will, die Schmelzgrenze im Bereich des PA 1460 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Hypoconus mehr wurzelwärts zieht als im Bereich des alten K'ronentheils. Spitzen und Kanten sind stumpf, die Aussenwandlänge ist etwas grösser als die Breite. Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem D, von Chiromys ist auch diesem Zahne nicht abzusprechen. Sie geht insofern etwas weiter wie bei Ef. 339 und 390, als sich das Parastyl wie an dem Chiromyszahn gut markiert, während es an den letzteren offenbar sehr unbedeutend war. Aber die Analogie bezieht sich auf die Grundzüge des trigonodonten Urplans, denen man in allen möglichen Gruppen begegnen kann. Anklänge an die definitiven Molaren von Chiromys sind kaum zu entdecken, man müsste denn die Abstumpfung der vordern Innenecke des Kronen- umrisses als einen solchen an M, von Chiromys auffassen. Eh. 530 weicht structurell nur dadurch etwas von Hf. 990 ab, dass sein Umriss etwas breiter, die Spitze des Innenhügels entsprechend weiter von der des vordern Aussenhügels entfernt ist und dass der Hintercontour sich etwas weniger einbuchtet. Beachtenswert ist dieses zweite Exemplar deswegen, weil es aus Aufschluss 9 stammt, wo auch Vorderzähne von Amphichiromys gesammelt worden sind. In den Dimensionen bleibt es hinter Ef. 990 etwas mehr zurück als die kleinsten mir vorliegenden Vorderzähne hinter den grössten. Es könnte sehr wohl von einer andern Species herrühren. Dass es in ein andres Genus (Heterochiromys?) gehört, halte ich nicht für wahrscheinlich. Endlich ist beizufügen, dass alle andern isolierten Maxillarmolaren, welche mir vorliegen, mit guten Gründen aus dem Genus Amphichiromys auszuschliessen sind. Die Bestimmung aller dieser Backenzähne — der obern noch viel mehr als der untern — ist also von Zweifeln umgeben. Weder für noch gegen die Annahme Amphichiromys sei ein Primate, ergiebt sich vorderhand von dieser Seite her ein Argument. Halten wir uns an Mandibel und Vorderzähne, so ist Amphichiromys euro- paeus bis jetzt als ein Tier zu definieren, das in den Grundzügen seiner Mandibel- form, in der Differenzierungsrichtung und in der Einpflanzungsart seines nager- artigen, mandibularen Vorderzahnes und in der Brachyodontie seiner Backenzähne mit Chiromys madagascariensis übereinstimmt, aber sich von demselben unter- scheidet durch bedeutendere Körpergrösse, weniger extreme Hypselodontie des Vorderzahnes, kleine aber vielleicht zum Theil historisch bedeutungsvolle Ab- weichungen in der Structur desselben, weniger tiefes Eindringen des Vorder- Amphichiromys europaeus. 1461 zahnalveolus in den Kieferknochen, stärkere Entfaltung des Processus coronoideus und einige weitere, mehr untergeordnete Differenzen im Zuschnitt des Mandibel- knochens. Man wird vielleicht gegen meine Beurtheilung von Amphichiromys ein- wenden, die nachgewiesenen Chiromysanklänge, so frappant sie sind, seien doch nicht Grunds genug, um das Tier für einen Primaten zu erklären. Ich räume auch gerne ein, dass dem Schlusse etwas Hypothetisches und Provisorisches anhaftet, solange er sich nicht auf eine vollständigere Kenntniss des Tieres stützen kann. Jedenfalls aber liesse sich jede andre Rubricierung nur sehr viel mangelhafter motivieren. Auch glaube ich, wenn die vorliegenden Reste in ihren Merkmalen z.B. ebenso bestimmt auf die Nagergruppe wiesen, so würde kein Zoologe zögern sie in dieselbe einzureihen. Von den zuversichtlich zu Amphichiromys zu rechnenden Belegstücken sind Eh. 602 und Eh. 773 in Aufschluss y gefunden worden. Alle übrigen gehören zum alten Cartier’schen Grundstock der Sammlung. Ef. 987 hat schwarzen Schmelz und stammt aus dem grauen Huppersand. Die andern gehören in diejenige Categorie, welche ich in früheren Abschnitten dieser Arbeit als „aus Bolus von aberranter Facies“ bezeichnet habe; sie stimmen in der Erhaltungsart sehr nahe mit den Materialien aus Aufschluss p überein. In Aufschluss & und ß ist nie eine Spur von Amphichiromys gefunden worden. Amphichiromys ist somit zum ältern, vermuthlich dem mittlern oder untern Lutetien angehörigen Theil der Egerkinger Fauna zu rechnen, 1462 Stehlin, Eocaene Säugetiere, Heterochiromys gracilis und Heterochiromys fortis novum genus et novae species VON Egerkingen. Unter den alten Cartier’schen Materialien von Egerkingen befindet sich ein von Rütimeyer nirgends erwähnter Vorderzahn, welcher sich im grossen und ganzen wie eine stark reducierte Wiederholung desjenigen von Amphichiromys europaeus ausnimmt. Während langer Zeit habe ich die Frage erwogen, ob dieser Zahn vielleicht ein oberer Ineisiv von Amphichiromys sei, ohne jedoch zu einem sichern Schlusse zu gelangen. Der Umstand, dass er von den mandibularen Vorderzähnen von Chiromys und Amphichiromys durch einige Eigenthümlichkeiten abweicht, welche bei dem obern Vorderzahn von Chiromys wiederkehren, schien für die Hypothese zu sprechen. Allein die Erwägung, dass die beiden Antagonisten gar zu ungleiche Dimensionen hätten, liess mich nie rechtes Vertrauen zu derselben fassen. Schliesslich haben dann die Ausgrabungen in Aufschluss p die interessante Belehrung gebracht, dass in Egerkingen neben Amphichiromys noch ein anderer Säugetiertypus mit chiromysartiger Vorderbezahnung vorkommt und dass der fragliche Zahn zu diesem gehört. Dieser zweite Typus weicht erheblich genug von Amphichiromys ab, um einen eigenen Genusnamen zu verdienen. Ich nenne ihn „Heterochiromys“. Er ist durch zwei in den Dimensionen beträchtlich differierende Arten vertreten, für welche ich die Bezeichnungen „Heterochiromys gracilis“ und Heterochiro- mys fortis“ vorschlage. Da das kümmerlichere Belegmaterial von Heterochiromys fortis das voll- ständigere von Heterochiromys gracilis in einem wichtigen Punkte ergänzt, be- spreche ich beide Arten zusammen. Wie wir am Schlusse unserer Beschreibung näher feststellen werden, er- scheint es nicht ausgeschlossen, dass „Heterochiromys* und „Heterohyus Gervais“ sich als ein und dasselbe Genus erweisen könnten. Heterochiromys graeilis und Heterochiromys fortis. 1463 Mandibeln. Basel Eh. 757. Rechte Mandibel mit Vorderzahn und Alveolen der Backenzähne. — Nach den Alveolen geschätzte Länge von M,— P, 0,017. — Hetero- chiromys gracilis. — Figur CCCXLIX, CCCL. Basel Eh. 755. Fragment der rechten Mandibel mit Vorderzahn und Alveolen der Backenzähne. — Nach den Alveolen geschätzte Länge von M,— P, 0,017. — Heterochiromys gracilis. — Figur CCCXLIX. Heterochiromys gracilis n. gen. n. spec. — Rechte Mandibel mit Vorderzahn und Alveolen von M, — P, von aussen n.m und von innen. — Egerkingen Eh. 757. — ?/ı. An dem Belegstück Eh. 757, das ich als Typus von Heterochiromys gracilis betrachte, ist der Condylus defect und durch Corrosion entstellt, der Kieferrand vom Condylus bis zu einem Punkte, der unter der Massetergrube liegt, weg- 1464 Stehlin, Eocaene Säugeliere. gebrochen. Eh. 755, vorn unten und am Ramus ascendens stark beschädigt, er- gänzt Eh. 757, mit dem es in allen Theilen, welche an beiden erhalten sind, gut übereinstimmt, in zwei Punkten. Der Unterrand lässt sich einige Millimeter weiter nach hinten in den Bereich des Winkels hinein verfolgen. An den übel zerquetschten Ramus ascendens ist in verkehrter Lage ein Fragment mit leidlich erhaltenem Condylus angepresst, das mir von der zugehörigen linken Mandibel l —- Figur CCCL. Heterochiromys gracilis n. gen. n. spec. — Rechte Mandibel mit Vorderzahn und Alveolen von M,—P;, von oben. — Egerkingen Eh. 757. — ?/ı. herzurühren scheint. In dem Reconstructionsversuch Figur CCCLI sind, unter Zugrundelegung von Eh. 757, diese ergänzenden Daten mitbenutzt. Der Ramus horizontalis zeichnet sich durch eine weitgehende Übereinstimmung mit dem von Chiromys Figur CCCLI. Hetero- aus. Es ist zwar relativ etwas niedriger und hat chiromys graeilis n. gen. n. spec. — Rechte Mandibel, Recon- struetionsversuch nach Eger-- Kinn sich überhaupt nicht bemerklich macht, zeigt aber A ren D FI . . . kingen Eh. 757 u. Eh. 755. "1. dieselbe Compression, dieselbe Rundung des Unter- randes, dieselbe fast völlige Abplattung der Innenseite. einen gleichmässiger gebogenen Unterrand, indem das Die Symphysalfläche hebt sich so wenig ab wie dort; sie ist derart eingeebnet, dass sich ihr Hintereontour nicht mit Sicherheit feststellen lässt. Die Mandibeln müssen in der nämlichen losen Weise mit einander verbunden gewesen sein wie bei Chiromys. Der Vorderzahn — der unten nach isolierten Exemplaren einlässlicher beschrieben wird — lehnte sich mit seinem Vorderrande wie bei Chiromys an sein Pendant und ist dem Kiefer analog wie bei Chiromys und genau gleich wie bei Amphichiromys ein- gepflanzt; wie bei diesem endigt sein Alveolus unter dem letzten Backenzahn mit Orientierung auf den Processus coronoideus. Der innere Alveolarrand des Vorder- u nt en ee ee Heterochiromys graeilis und Heterochiromys fortis. 1465 zahnalveolus beschreibt so ziemlich denselben Bogen wie bei Chiromys; der äussere nimmt einen geradlinigern Verlauf als dort, etwas schräg von hinten unten nach vorn oben. Die Aussenwand des Alveolus ist dünn wie bei Chiromys, im Gegen- satz zu dem unten zu beschreibenden Chiromyoides. Es sind zwei Foramina mentalia vorhanden, ein grösseres unter der Grenze von M, und M,, ein kleineres unter P,; letzteres in halber Höhe des BRamus horizontalis gelegen, ersteres etwas höher. Von Chiromys abweichend verhält sich der Alveolarrand der Backenzahn- reihe. Er weist eine Reihe von acht Alveolen auf, welche vorn ziemlich unmittelbar an den Vorderzahn anschliesst und ihr Hinterende beim Vorderrand des Processus coronoideus erreicht. Von den acht Alveolen entsprechen die sechs hintern offenbar den drei Molaren, die zwei vordern P, und P,. Heterochiromys hat mithin noch zwei Praemolaren, gar kein oder nur ein ganz unbedeutendes Diastema und sein letzter Backenzahn wird in der Aussenansicht der Mandibel durch den Processus coronoideus nicht verdeckt; alles im Gegensatz zu Chiromys. Auch in der Form der Backenzähne muss Heterochiromys erheblich von dem recenten Genus abweichen, wie sich vorderhand aus folgenden Anhaltspunkten ergiebt. Die Alveoli der Molaren lehren, dass M, länger als M, und dieser länger als M, war. Der Vorderalveolus jedes der drei Zähne ist der kleinere und von querovaler Gestalt. Die Hinteralveoli von M, und M, sind rundlich, derjenige von M, relativ grösser und von längsovaler Gestalt, schräg nach hinten eingesenkt, aber (im Gegensatz zu Amphichiromys) nur ganz schwach aus der Flucht der andern nach aussen abbiegend. Offenbar hatte M, einen Talon. Der Alveolus von P, ist länglich und etwas S-förmig. Er weist auf einen senkrecht eingepflanzten Zahn mit unvollständig verschmolzener Hinter- und Vorder- wurzel, dessen Kronenlänge etwas geringer war als die von M.. Der Alveolus von P, ist etwas weiter und erheblich länger als der von P.. Er hat eine senkrechte oder eher nach vorn etwas überhängende Hinterwand und eine sich sehr schief gegen den Vorderzahn emporziehende Vorderwand. P, war also stärker als P,, einwurzlig und schief eingepflanzt; seine Krone zeigte ver- muthlich eine der schiefen Einpflanzung entsprechende Verzerrung. Die Länge von M,—M, misst 0,01, diejenige von P,—P, etwa 0,007. Der Alveolarrand nimmt einen nicht ganz gewöhnlichen Verlauf. Er hebt sich von seinem Hinterrand bis zu M, etwas und senkt sich dann bogenförmig, um sich gegen den Vorderzahn zu abermals zu heben. Vielleicht wurde diese Schwingung durch ungleiche Höhe der Backenzahnkronen mehr oder weniger kompensiert 1466 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Der Ramus ascendens ist gedehnt wie bei Chiromys und der Condylus liegt tief wie dort, sogar noch tiefer, entschieden unter der Flucht des Alveolarrandes. Aber im übrigen weicht die hintere Partie der Mandibel recht beträchtlich von der recenten Form und zum Theil auch von Amphichiromys ab. Der Processus eoronoideus ist im Gegensatz zu Chiromys sehr hoch und zugleich in einer sowohl Chiromys als Amphichiromys fremden Weise nach aussen abgeknickt, längs einer stumpfen, aber kräftig markierten Kante, welche sich auf der Innenseite der Mandibel vom Alveolus des letzten Backenzahnes, über dem Foramen alveolare weg, nach dem Condylus — also schräg nach hinten unten — zieht. Diese Abkniekung ist so stark, dass die Innenseite des Processus mit der- jenigen des untern Kiefertheiles einen Winkel von 130° bildet und bewirkt, dass die Massetergrube, welche nach vorn und vorn unten sehr ähnlich wie bei Amphi- chiromys umrandet ist, noch wesentlich tiefer ausfällt als bei diesem. Recht abweichend von Chiromys muss auch die Winkelpartie ausgebildet gewesen sein. An Eh. 755 sieht man, dass der untere Kieferrand etwas hinterhalb der Mitte der Massetergrube abrupt nach unten abbiegt. Der Winkel war also offenbar gut entwickelt und lud stark nach unten, vermuthlich auch etwas nach hinten aus. Ob er einen Processus angularis entwickelte oder zur Bildung einer Pterygoideusgrube nach innen umgebogen war, ist den mir vorliegenden Docu- menten nicht zu entnehmen. Endlich muss, wie schon an Eh. 757 zu sehen ist, der Condylus offenbar anders und normaler ausgebildet als bei Chiromys sein. Dürfen wir, wie ich glaube, das erwähnte an Eh. 755 angepresste Fragment hieher ziehen, so ist er ähnlich wie bei Lemur und Adapis in die Quere gedehnt, etwa 7—8S mm breit, 4 mm lang, über die Ineisur nach oben, aber wahrscheinlich weniger als der Winkel nach hinten vorspringend. Trotz der abweichenden Beschaffenheit von Processus coronoideus und Ge- lenkkopf muss der Kiefer bei Heterochiromys wie bei Chiromys einer beträcht- lichen Vor- und Rückwärtsbewegung fähig gewesen sein, denn auch bei ihm tragen, wie wir sofort sehen werden, die obern so gut als die untern Vorder- zähne ihre Usur auf der Hinterseite. Basel Eh. 753. Fragment der linken Mandibel mit den Alveoli der Backenzähne und dem Wurzelende des Vorderzahnes. — Nach den Alveolen geschätzte Länge von M,—P, 0,031. — Heterochiromys fortis. — Figur CCCLHI. (Wurzelende des Vorderzahnes). ri , Helerochiromys gracilis und Heterochiromys fortis. 1467 Dieses sehr baufällige Fragment, das nur unter umständlichen Vorsichts- maassregeln von der Umhüllungsmasse befreit werden konnte, ist als Typus von Heterochiromys fortis zu betrachten. Es umfasst den Alveolarrand und einen grossen Theil der Innenwand des Ramus horizontalis, sowie ein allseitig von Bruch- rändern begrenztes, in der Flucht des letzern liegendes Stück Ramus acsendens. Vom Stumpf des Vorderzahnes liegt die Aussenseite grösstentheils frei. Die Alveoli der fünf Backenzähne, welche sich gut präparieren liessen, verhalten sich in der Hauptsache analog wie bei Heterochiromys graeilis. Eine kleine Abweichung zeigt der von P,; er ist rundlicher und lässt darauf schliessen, dass das Wurzelpaar des Zahnes, dem er gedient hat, vollständiger als bei der kleineren Art verschmolzen war. Im Ramus ascendens ist die charac- teristische Kante, an welcher sich der Processus coronoideus nach aussen abknickt, ganz wie bei letzterer ausgebildet. Die Speciesdifferenz kommt, was den Kiefer anbelangt, nur im Grössenunterschied zum Ausdruck, welcher beträchtlich ist. Die Alveoli von M.‚—M, messen 0,019, diejenigen von P,—P, 0,011. Der grosse Durch- messer des Vorderzahnes misst am vordern Bruchrand des Wurzelstumpfes 0,0105. Auf diesen Wurzelstumpf, der in Figur CCCLIII von der Aussenseite skizziert ist, werden wir bei Besprechung der untern Vorderzähne zurückkommen. Backenzähne, welche auf diese Mandibeln oder auf die zugehörigen Ober- kiefer bezogen werden könnten, habe ich, trotz allem Suchen, bis jetzt nicht finden können; es müsste denn der, bei Amphichiromys erwähnte und für diesen etwas schwache, Maxillarmolar Eh. 530 von Heterochiromys fortis herrühren. Untere Vorderzähne. Basel Eh. 607. Linker unterer Vorderzahn. — Krümmungsradius der äussern Curve 0,015, Sagittaldurchmesser 0,006. — Heterochiromys gracilis. — Figur CCCLII. Basel Eh. 605. Linker unterer Vorderzahn. — Krümmungsradius der äussern Curve 0,015, Sagittaldurchmesser 0,0065. — Heterochiromys gracilis. Basel Eh. 603. Usierte Spitze eines linken untern Vorderzahnes. — Sagittal- durchmsesser am Bruchrand unterhalb der Usur 0,065. — Heterochiromys graeilis. Basel Eh. 604. Fragment eines rechten untern Vorderzahnes. — Heterochiro- mys gracilis. 135} [55 1468 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Eh. 607 und 605 sind beide an der Spitze und am noch weit offen stehen- den Pulpaende etwas beschädigt. Sie stimmen gleich wie auch Eh. 603 in der Stärke, im Krümmungsradius und in der Schmelzvertheilung vollkommen mit den an Eh. 757 und 755 in situ erhaltenen Exemplaren überein und dürfen daher mit Bestimmtheit als untere Vorderzähne von Heterochiromys gracilis angesprochen werden. Das Fragment Eh. 604 scheint die Spitze eines, noch nicht lange im Ge- brauch stehenden, Exemplares desselben Zahnes zu sein, ist aber durch Corrosion stark entstellt. Die Innenseite dieser Zähne ist ab- geplattet, ihre Aussenseite ziemlich ge- wölbt mit Wölbungsapex hinterhalb des Schmelzrandes, ihr Hinterrand abgerundet. Wenn man sie von hinten betrachtet, be- merkt man eine Spur der bei Chiromys so deutlich ausgeprägten Spiraldrehung. Der Schmelzbelag bildet auf der Innen- seite ein schmales Band von wenig mehr als ein Millimeter Breite; auf der Aussen- seite reicht er bis in die Mitte. In letz- terem Punkte stimmt Heterochiromys also noch etwas näher mit Chiromys überein als Amphichiromys. Das Schmelzbord der Innenseite ist nach vorn durch eine deut- Figur CCCLII. Heterochiromys gracilis liche Kante begrenzt, während sich das- n. gen. n. spec. — Linker unterer Vorderzahn, jenige der Aussenseite in sanfter Biegung von aussen und von innen. — Egderkingen bis an diese Kante um den Vorderrand Eh. 607. — ?/ı. x herumzieht. Der Schmelzbelag der Aussen- seite ist etwas uneben, gekörnelt und lässt gegen den Vorderrand zu einige schwache Längsrippen erkennen. Die Usurfläche ist analog wie bei Amphichiromys beschaffen. An Eh. 603 dehnt sie sich weiter wurzelwärts als an den andern Exemplaren und schneidet eine längere Spitze aus dem Zahnkörper. Basel Eh. 606. Fragment eines linken untern Vorderzahnes. — Krümmungsradius der äussern Curve ca. 0,022, Sagittaldurchmesser am untern Bruchrand 0,0095. — Heterochiromys fortis. Dieses Fragment, das an der Vordercurve gemessen eine Länge von 0,027 besitzt und durch Druck gelitten hat, rührt offenbar von einem Keime her. Die Pu Heterochiromys graeilis und Heterochiromys fortis. 1469 Spitze, vermuthlich in einer Länge von etwa 5 mm, ist abgebrochen; die Bruch- fläche, durch Rollung geglättet, lässt in der Mitte noch die Pulpahöhle erkennen. Am untern Bruchrand steht diese weit offen. Der unbeschmelzte Streifen der Aussenwand ist hier, wie an den obigen Zähnen, gleich breit wie der beschmelzte; spitzenwärts verjüngt er sich unter Verkürzung des Sagittaldurchmessers des Zahnkörpers. Das innere Schmelzband hat eine Breite von 3 Millimetern, ist also relativ breiter‘ als an den obigen Zähnen, was eine weitere Annäherung an Chiromys bedeutet. Die Kante, welche es nach vorn begrenzt, ist gut aus- gebildet. Der Schmelzbelag der Aussenseite zeigt die gekörnelte Längsstreifung sehr deutlich. Da die Dimensionen dieses Belegstückes die der vorigen erheblich über- treffen, kann es nicht auf Heterochiromys gracilis bezogen werden, es wird also wohl zu Heterochiromys fortis gehören; doch ist zu beachten, dass sein Sagittal- durchmesser um einen Millimeter hinter demjenigen zurück- bleibt, welchen der Wurzelstumpf an der Mandibel Eh. 753 an seinem vordern Bruchrand besitzt. Dieser Stampf (Figur CCCLIID), so kümmerlich er ist: ewäh inen interessan ı . Er verjüngt si gewährt uns einen interessanten Aufschluss. Er verjüngt sich Figur CCCLIN. He- nämlich gegen sein, nicht ganz intactes, Wurzelende zu be- terochiromys forlis n. spec. — Wurzelende des H > F linken untern Vorder- schnittes dort: nur noch etwa 0,007 misst. Die Pulpahöhle „uhnes von aussen. — steht noch offen, ist aber der Obliteration nahe. Der Schmelz- Egerkingen Eh. 753. Yı. trächtlich, so dass der grosse Durchmesser seines Quer- belag setzt an der Vorder- (oder Unter-)kante etwa in 1 cm Distanz vom Wurzelende aus, zieht sich jedoch auf der Aussenseite in einen langen Zipfel aus, der am Bruchrand sein Ende noch nicht erreicht hat. Er zeigt ganz ähnliche nach vorn concave Querbänder wie an dem mandibularen Vorder- zahne von Amphichiromys gegen das Wurzelende seiner Erstreckung. Der untere Vorderzahn von Heterochiromys fortis schliesst dem- nach sein Wachsthum auf wesentlich andre Weise ab als derjenige von Amphichiromys europaeus. Während letzterer nach beendigter Schmelz- entwicklung noch eine lange Wurzel bildet, die bis ans Ende oder bis nahe ans Ende annähernd den Querschnitt der Krone beibehält, spitzt ersterer sich wurzel- wärts aus und bringt die Schmelzentwicklung erst mit der Obliteration der Pulpa- höhle ganz zum Abschluss. Vermuthlich gilt, was wir bei Heterochiromys fortis feststellen können, auch für Heterochiromys gracilis. 1470 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Obere Vorderzähne. Basel Eh. 756. Linker oberer Vorderzahn. — Krümmungsradius der äussern Curve 0,013, Sagittaldurchmesser 0,0062. — Figur CCCLINV. Basel Ef. 386. Rechter oberer Vorderzahn. — Gleiche Maasse. — Tafel XXII, Figur 16. Eh. 756 hat eine wohlerhaltene usierte Spitze, ist dagegen an den Rändern der weit offen stehenden Pulpahöhle beschädigt. An Ef. 386 — dem eingangs erwähnten Zahn aus der Cartier’schen Sammlung — sind beide Enden abgebrochen ; das untere ist durch die Pulpahöhle gekennzeichnet. Die beiden Zähne haben ziemlich genau die gleiche Stärke wie die untern Vorderzähne von Heterochiromys gracilis. Sie zeigen wie jene eine schwache Spiralbiegung; legt man sie mit der Innenseite auf eine Ebene, so kommt das Oberende ihres Hinterrandes höher zu liegen als das Un- terende. Auch die Form des @Querschnittes ist im ganzen sehr ähnlich. Allein bei ge- nauerer Prüfung bemerkt Figur CCCLIV. Linke obere Vorderzähne, von aussen Man einige Sewıss nicht be- und von innen. — Oben von Heterochiromys n. gen., Eger- deutungslose Abweichungen. kingen Eh. 756. — Unten von Chiromys madagascariensis, recent, Basel C. 2894. — !ı. / Zunächst sind die vor- liegenden Zähne stärker ge- bogen; ihr Krümmungsradius misst zwei Millimeter weniger. Sodann ist ihr Schmelz- belag weniger ausgedehnt; auf der Aussenseite nimmt er nur ein Drittel der ganzen Breite ein, auf der Innenseite ist er gleichfalls etwas schmäler. Weiterhin markiert sich die Kante, welche das Schmelzbord der Innenseite nach vorn be- grenzt, weniger scharf. Ferner scheint der Zahn, soweit sich bei den Beschädi- gungen am Wurzelende darüber urtheilen lässt, ein etwas kleineres Kreissegment darzustellen. Endlich zeigt auch die Usurfläche nicht ganz die gleiche Beschaffen- heit; sie ist kürzer, weniger schief zur Axe des Zahnes gestellt und zieht sich hinten innen mehr wurzelwärts als hinten aussen. Durch dieselben structurellen Eigenthümlichkeiten unterscheidet sich der obere Ineisiv von Chiromys, dessen Aussen- und Innenansichten ich in Figur CCCLIV denjenigen des Egerkingerzahnes beigegeben habe, von seinem Antagonisten: kürzerer | | | | Heterochiromys graeilis und Heterochiromys fortis. 1471 Krümmungsradius (0,02 statt 0,0225), geringere Breite des äussern wie des innern Schmelzbandes, symmetrische Rundung des Vorderrandes. Es erscheint daher kaum zweifelhaft, dass wir in Eh. 756 und Ef. 386 obere Vorderzähne vor uns haben. Fraglicher bleibt es vorderhand, ob sie als solche zu Heterochiromys gracilis oder zu Heterochiromys fortis zu ziehen sind. Bei Chiromys ist der obere Vorderzahn erheblich schwächer als der untere. Beziehen wir die vorliegenden Belegstücke auf Heterochiromys gracilis, so wären bei diesem oberer und unterer Vorderzahn annähernd gleich stark. Beziehen wir sie dagegen auf Heterochiromys fortis, so ergäbe sich für diesen ein Stärken- verhältniss der Antagonisten, welches dem bei Chiromys bestehenden sehr nahe kommt. Allein es ist durchaus nicht gesagt, dass sich Heterochiromys auch in diesem Punkte dem recenten Genus analog verhält. Die Frage, welcher der beiden Species diese obern Vorderzähne zuzutheilen seien, lässt sich daher vorderhand nicht entscheiden. Ich habe oben in der Besprechung von Amphichiromys (p. 1456) schon erinnert, dass an dem räthselhaften Mandibelfragment aus dem Lutötien von Buchsweiler, welches Gervais unter der Bezeichnung „Heterohyus armatus“ beschrieben hat (s. unsere Figur CCCXLVTI), der bis ans Ende der Backenzahnreihe reichende Stumpf eines grossen, sagittal gedehnten, transversal abgeplatteten Vorder- zahnes erhalten ist, was der Vermuthung Raum giebt, auch dieses Tier könnte vielleicht ein chiromysartig differenzierter Primate sein. Dass Heterohyus armatus nieht mit Amphichiromys europaeus identisch ist, war an der beträchtlichen Grössen- differenz, welche zwischen ihnen besteht, leicht zu erkennen; viel näher liegt die Vermuthung, Heterohyus könnte mit Heterochiromys identisch sein. Die drei Molaren der Mandibel von Buchsweiler haben nach Gervais eine Länge von 8+ 7-5 — 20 Millimeter; an der in natürlicher Grösse gehaltenen Seitenansicht derselben messe ich für alle drei zusammen etwas weniger, 17 Milli- meter. Diese Dimensionen entsprechen denjenigen von Heterochiromys fortis, für welchen sich aus den Alveolen die nämliche Strecke gleich 19 Millimeter ergiebt. Vor M, ist an der Heterohyusmandibel ein, structurell an die unten noch näher zu beschreibenden Plesiadapiden erinnernder P, erhalten, der kürzer ist als M, und eine völlig einfache rundliche Wurzel besitzt. Diess stimmt genau zu dem, was oben über den P,-Alveolus an der Mandibel von Heterochiromys fortis bemerkt 1472 Stehlin, Eocaene Säugetiere, wurde. Vor P, steckt in der Buchsweiler Mandibel noch die Wurzel des P,, welche in den Figuren nicht gut zu erkennen ist. Gervais bemerkt zu derselben im Text „il est probable que cette dent etait inclinee“. Wir haben gesehen, dass auch der P,-Alveolus von Heterochiromys sehr entschieden auf einen schief ein- gepflanzten Zahn hinweist. Unmittelbar vor P, bricht die Heterobyusmandibel ab. Gervais’ Annahme, es seien noch mehr Praemolaren vorhanden gewesen, darf daher als unmaassgeblich betrachtet werden. Nach den Figuren erscheint es sehr wohl möglich, dass die Backenzahnformel von Heterohyus dieselbe ist wie diejenige von Heterochiromys und dass P, wie bei letzterem mehr oder weniger unmittelbar an den Vorderzahnalveolus anschloss. Der Vorderzahnstumpf ist bei Heterohyus ganz analog wie bei Heterochiromys fortis in den Kiefer eingebettet und scheint ähnliche Dimensionen und ähnlichen Querschnitt zu haben. Von einem Schmelzbelag ver- lautet nichts, woraus jedoch nicht hervorgeht, dass er fehlt. Ursprung und Vorder- rand des Processus coronoideus scheinen sich sehr ähnlich zu verhalten wie an den Egerkinger Mandibeln; ob derselbe in der, für letztere characteristischen, Weise nach aussen abgeknickt ist, lässt sich weder der Beschreibung noch der Figur mit Bestimmtheit entnehmen; nach der Stellung seines Bruchrandes möchte man ver- muthen, es sei der Fall. Die Massetergrube ist vorn unten weniger scharf um- randet als bei Heterochiromys gracilis; an der Mandibel von Heterochiromys fortis ist diese Partie nicht erhalten. Endlich besitzt die Buchsweiler Mandibel wie die | von Heterochiromys ein sehr weit zurückgeschobenes hinteres Foramen mentale; es liegt noch etwas weiter hinten als bei Heserochiromys gracihis, unter der Grenze | von M, und M,. Nicht mit Heterochiromys im Einklang steht eigentlich nur Gervais’ Bemerkung, dass der Vorderzahn „devait faire saillie au dehors et servir de defense A l’animal“; wir haben aber schon oben bei Amphichiromys constatiert, dass sie schlecht zu dem stimmt, was die Vorderansicht der Mandibel lehrt. Es besteht somit ein erheblicher Grad von Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Genus Heterochiromys mit dem Genus Heterohyus und die Species Hetero- chiromys fortis mit der Species Heterohyus armatus identisch ist. Solange wir nicht in der Lage sind entweder die Mandibel von Buchsweiler direct mit den- jenigen von Egerkingen zu confrontieren oder aber Backenzähne von letzterer Fund- stelle in den Bereich unserer Prüfung zu ziehen, halte ich es indessen für rath- samer, die Entscheidung der Frage noch aufzuschieben. Der Genusname Heterohyus hätte gegebenenfalls selbstverständlich die Priorität. Heterochiromys gracilis und Heterochiromys fortis. 1475 Die Diagnose des Genus Heterochiromys lässt sich vorderhand folgender- massen formulieren: Das Vordergebiss ist nach dem Typus von Chiromys eingerichtet. Obere und untere Vorderzähne verhalten sich structurell sehr analog wie bei Chiromys. Die untern (vermuthlich auch die obern) spitzen sich am Wurzelende schliesslich ‘zu und schliessen die Pulpahöhle; wobei sich aber der Schmelzbelag, im Gegensatz zu Amphichiromys, bis ans Ende fortsetzt. Untere Backenzahnformel 3 M 2 P. P, schief eingepflanzt und unmittelbar an den Vorderzahn anschliessend. Ramus horizontalis und Symphyse sehr ähnlich wie bei Cbiromys entwickelt. Gelenkkopf unter der Flucht der Backenzahnreihe gelegen, im Gegensatz zu Chiromys normal gebaut. Processus coronoideus hoch wie bei Amphichiromys, aber im Gegensatz zu diesem stark nach aussen abgeknickt. Winkel stark nach unten, wahrscheinlich auch nach hinten ausladend. — Heterochiromys stimmt in der Structur der Vorderzähne noch etwas genauer mit Chiromys überein als Amphichiromys, zeigt aber im hintern Theil der Mandibel weit bedeutendere Abweichungen von demselben. Dass das Genus mit Amphi- chiromys in einem näheren Verwandtschaftsverhältniss steht, erscheint kaum zweifelhaft. Wenn wir Amphichiromys in die Primatenordnung einreihen, so ist auch Heterochiromys in diese einzubeziehen. Ef. 356 hat schwarzen Schmelz, graubraunes Dentin und stammt aus dem Huppersand. Alle übrigen Documente sind in Aufschluss y gefunden worden. Heterochiromys gracilis und fortis scheinen demnach, wie Amphichiromys euro- paeus, zum ältern Element der Egerkinger Fauna (mittleres oder unteres Lutetien) zu gehören. 1474 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Phylogenetische Beziehungen der Genera Amphichiromys und Heterochiromys. — Plesiadapis. — Chiromyoides. — Necrosorex. Bevor wir an die Characteristik von Amphichiromys und Heterochiromys einige weitere Betrachtungen anknüpfen, ist die Thatsache zu würdigen, dass im europäischen Bocaen noch andre Primaten mit chiromysartiger Vorderbezahnung vorkommen. Characteristik des Genus Plesiadapis. Es handelt sich zunächst um das vielbesprochene Genus Plesiadapis. Dasselbe ist von Gervais 1376 in einer Notiz über Lemoine’s erste Funde aus dem Thandtien der Umgebung’ von Reims aufgestellt worden.) Als Typen des Genus und der Species „Plesiadapis triecuspidens“ sind daselbst ein Unter- kieferfragment mit M, und ein oberer Vorderzahn abgebildet. Im Laufe der Jahre hat dann Lemoine ein sehr ansehnliches Belegmaterial dieses merkwürdigen Tieres zusammengebracht: Schädelfragmente, welche über äussere und innere Beschaffen- heit der Gehirnkapsel sowie “über das Gehörorgan Aufschluss geben; eine Serie von Oberkiefern; diverse Mandibeln, darunter eine mit Ramus ascendens und Winkel, eine mit Milchzähnen; zahlreiche Einzelzähne; mehr oder weniger umfassende Fragmente der meisten Langknochen; einen Astragalus; Phalangen; Schwanzwirbel. Leider ist uns aber der Entdecker dieser Schätze die einlässliche, mit guten Ab- bildungen ausgestattete, Monographie, welche sie verdienen, schuldig geblieben. Was !) P. Gervais, Enumeration de quelques ossements d’animaux vertebres recueillis aux environs de Reims par M. Lemoine. Deuxieme note. Journal de Zoologie VI, 1876, p. 74—79. Plesiadapis. 1475 man in seinen diversen einschlägigen Notizen!) findet, sind einige Ansätze zur Vervollständigung der Genusdiagnose und zur Definition mehrerer Species, sowie einige Angaben über die stratigraphische Verbreitung. Über alles Detail, speciell über die Structur der Backenzähne erhält man nur sehr unvollständige Auskunft. Die hie und da beigegebenen Abbildungen vermögen auch bescheidenen Ansprüchen nicht zu genügen. Eine Mittheilung von Osborn, welcher Ende der achtziger Jahre die Lemoine’schen Materialien überprüft hat, ist insofern werthvoll, als sie einige der fundamentalsten Daten bestätigt; die derselben beigegebene Skizze der obern Backenzahnreihe scheint im Detail auch nicht emwandfrei zu sein.?) In der folgenden Genuscharacteristik halte ich mich zunächst an die Materia- lien von Cernay. Glücklicherweise erlauben mir einige Einzelzähne, welche die Basler Sammlung von diesem Fundorte besitzt, dieselbe wenigstens zum Theil auf eigene Anschauung zu basieren. Als Backenzahnformel von Plesiadapis geben Lemoine und Osborn überein- stimmend für Ober- und Unterkiefer drei Molaren und zwei Praemolaren an. Die obern Backenzähne sind wie bei Necrolemur so angeordnet, dass ihre Aussenwände einen Bogen beschreiben. M, ist grösser als M, und M.. Figur CCCLVA stellt einen der beiden vordern Maxillarmolaren dar, wahr- scheinlich M,. Er ist ausgesprochen trigonodont, hat aber ein starkes Mesostyl und beginnt einen hintern Innenhügel zu entwickeln. Die Aussenhügel, obwohl auch auf der Aussenseite convex, zeigen infolge der Schwingung ihrer Kanten einen crescentiformen Habitus. Der vordere Zwischenhügel markiert sich sehr scharf im Verlauf der Vorjochkante, welche die Spitze des grossen Innenhügels 1) V. Lemoine, Communication sur les ossements fossiles des terrains tertiaires inferieurs des environs de Reims, faite ä la societe d’histoire naturelle de Reims. M&moire a part avec 5 planches. S° Reims 1878 (mir nicht zugänglich). — idem, Communication sur les ossements fossiles des t.t. i. des environs de Reims. Association francaise pour l’avancement des sciences. Congres de Montpellier 1879. — idem, Etude sur quelques mammiferes de petite taille de la faune cernaysienne des environs de Reims. Bull. soc. geol. de Fr. (3) XIH, 1885, p. 203, Pl. XII, Fig. 31, 32, 48. — idem, Sur le genre Plesiadapis ete. C—r. Acad. Se. 17. Jan. 1887, CIV, p. 190—194 (einlässlichste Beschreibung). — idem, Considerations generales sur les vertebres fossiles des environs de Reims ete. C—r. des seances du Congres international de Zoologie. Paris 1889, p. 233—279; Fig. III, IV, V, VIII (passim). — idem, Etude d’ensemble sur les dents des mammiferes fossiles des environs de Reims. Bull. soc. geol. de Fr. (3) XIX, 1891, p. 263—290, Pl. X,XI (zahlreiche einschlägige Figuren). — idem, Etude sur les couches de l’&ocene inferieur remois qui contiennent la faune cernaysienne etc. ibid. (3) XXIV, 1896, pag. 333 —344. 2) H. F. Osborn, A Review of the CGernaysien Mammalia. Proc. Phil. Acad. Nat. Sc. 1890, p- 99—56, Fig. 1. 23 1476 Stehlin, Eocaene Säugetiere. mit dem kräftigen Parastyl verbindet. Der hintere Zwischenhügel bildet eine isolierte niedrige Warze und stellt sich ziemlich genau in die Linie, welche die Spitzen des grossen Innenhügels und des hintern Aussenhügels verbindet. Hinten am grossen Innenhügel steigt eine Kante ab, welche nach aussen umbiegend in das Schlusseingulum übergeht. In dieser Kante, nahe der Innenhügelspitze, macht sich eine Verdiekung mit Spitze geltend, welche den Keim des hintern Innenhügels darstellt. Die Complication hat, wie man sieht, bereits einigen Einfluss auf den Kronenumriss ausgeübt, der nicht mehr dreieckig, sondern subquadrangulär ist. Mit Ausnahme der hintern Innenecke wird die Krone allseitig von Cingulis um- - geben; stark ausgebildet sind das äussere und vordere. Der Schmelz ist, runzelt. Ich habe schon oben (p. 1318) hervorgehoben, dass Plesiadapis sei- nen hintern Innenhügel nicht wie Adapis und Caenopithecus als eine von vorneherein vom vordern Innen- are BARTSCH hügel unabhängige Verdickung des A. B. Cingulums entwickelt, sondern den- Figur CCCLY. A. Plesiadapis Gervaisi Lem., selben wie die Neerolemuriden und M, sup. dext., Basel Cy. 359. — B. Plesiadapis re- Notharctiden aus dem Hinterabhang mensis Lem., P, sup. dext., Basel Cy. 155. — Cernay- Ih des vordern Innenhügels aus- lez-Reims, Thanetien. — ?/ı. I gliedert. Das genaueste Analogon für den vorliegenden Zahn finde ich bei Pelycodus nunienus aus der Wind- riverstufe. !) Nach Lemoine hätte bei Plesiadapis nur an M, der Innenhügel „une ten- dance A se dedoubler“. Vermuthlich ist diese Bemerkung etwas übertrieben, denn unter den mir vorliegenden vordern Maxillarmolaren ist keiner, dem die Tendenz fehlt; aber wir können ihr entnehmen, dass M, sich etwas rückständiger verhält als M,.?) Von M, liegen mir nur beschädigte Exemplare vor, die sich nicht zur Abbildung eignen. Er besitzt keinen hintern Innenhügel und weicht im Umriss in analoger Weise wie sein Homologon bei Caenopithecus von M, ab. 1) Osborn, American Eocene Primates ete. Bull. Am. Mus. nat. Hist: XVII 1902, Fig. 20 B, p. 191. 2} Nicht zutreffend und wohi etwas der Theorie, dass der hintere Innenhügel immer aus dem Cingulum entstehe, angepasst ist die Bemerkung von Osborn: „the hypocone is still a eingule*. besonders am Innenhügel, etwas ge- Plesiadapis. 1477 Der in Figur CCCLV B wiedergegebene Zahn entspricht der Characteristik, welche Lemoine von dem P, sup. von Plesiadapis giebt.') Die Krone ist sagittal sehr kurz, transversal gedehnt; Hinter- und Vorderrand verlaufen transversal und parallel, Aussen- und Innenende sind gerundet. Die Usur des Aussenhügels zeigt deutlich, dass sich hinterhalb der Hauptspitze eine Nebenspitze auszugliedern be- gann. Zwischen Aussen- und Innenhügel steht ein auffällig voluminöser Zwischen- hügel. Parastyl und Hintereingulum sind gut markiert, Vorder- und Aussencingulum blos angedeutet. Trotz der Kürze der Krone sind die Aussenwurzeln unverschmolzen. P, liegt mir nicht vor. Er scheint transversal weniger gedehnt zu sein als P,, einen schwächern Zwischenhügel und weniger Neigung zur Spaltung des Aussenhügels zu haben. Vermuthlich ist sein Vordercontour schiefer gestellt. Figur CCCLVI © stellt einen Mandibularmolaren dar, den ich als M, deute. Das Trigonum ist noch unverkümmert; der kräftige Vorderhügel (Paraconid) steht Ar B. C. D. Figur CCCLVI. {[Plesiadapis remensis Lem. — A.—B. P, inf. sin., von aussen und von oben, Basel Cy. 159. — C. M, inf. dext., Basel Cy. 311. — D. M, inf. sin., Basel Cy. 1. — Cernay- lez-Reims, Thanetien. — ’/ı. vor dem Innenhügel (Metaconid) und beginnt mit ihm zu verwachsen. Der letztere entwickelt auf der Hinterseite eine Kante, aber kein Hinterzacke (Mesostylid). Der Hinterlobus ist merklich breiter und etwas niederer als der Vorderlobus. Das Nachjoch senkt sich gegen die Mitte etwas ein und zeigt dort eine Verdiekung (Hypoconulid), von der aus sich gegen die hintere Aussenecke zu ein Schluss- eingulum entwickelt. Die Basler Sammlung verdankt Herrn Osborn eine Mandibel von Pelycodus spec., wahrscheinlich Pelycodus trigonodus Matthew, aus dem Wasatch von Big Horn, deren M, mit dem vorliegenden auffallend nahe übereinstimmt; die kleinen t) Osborn |, e. stellt diesen Zahn ziemlich abweichend dar, 1478 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Differenzen, welche man bei genauer Vergleichung herausfindet, bestehen darin, dass an dem americanischen Zahn die triehterförmige Depression des Hinterlobus sich etwas mehr ausweitet, dass das Ausseneingulum sich der ganzen Krone entlang zieht, anstatt gegen hinien auszusetzen, und dass die Verbindung zwischen innerem und vorderem Trigonidhügel lockerer ist. An einem zweiten Exemplar, das von derselben Localität und, wie mir scheint, von der nämlichen Species herrührt, finde ich den Gegensatz in letzterer Beziehung sehr gemildert. Unter den europäischen Primaten liefert Necrolemur wieder das nächste Analogon. Bei Protadapis ist die Vorderknospe viel rudimentärer und ohne Tendenz mit dem vordern Innenhügel zu verschmelzen. Auf die noch grössern Abweichungen bei Caenopithecus und Adapis ist oben (p. 1318) schon hingewiesen worden. Aus Analogie mit dem unten zu beschreibenden nahe verwandten Genus Chiromyoides glaube ich annehmen zu dürfen, dass bei Plesiadapis, wie übrigens auch bei Pelycodus, von M, zu M, die Verschmelzung von Vorderknospe und Vorder- innenhügel gradweise fortschreitet und im Zusammenhang damit die relative Längs- dehnung der vorden Kronenhälfte sich gradweise verringert. Damit steht der in Figur CCCLVI D wiedergegebene, schon von Rütimeyer (1891, Tab. VIII, Fig. 22) abgebildete, untere M, in Einklang, an welchem die Verschmelzung beträchtlich weiter gediehen ist als an dem obigen M,. Der hintere Aussenhügel ist niedrig, aber gut ausgebildet und von conischer Gestalt; sein Vorderarm trifft etwas ausser- halb der Mitte auf das Vorjoch, während er an dem obigen M, auf den vordern Innenhügel orientiert ist. Der hintere Innenhügel macht sich kaum bemerkbar. Ein stumpfkantiger Rand umsäumt die seichte Talongrube vom hintern Aussen- hügel bis an die Basis des vordern Innenhügels; am quer abgestutzten Talonende erhebt er sich, wie bei Necrolemur, in zwei niedrige Hügel, von welchen der äussere der stärkere ist; auf der Innenseite zeigt er weiter nach vorn einige Kerben. Der Schmelz am Innenabhang des Aussenhügels und im Grund der Grube hat eine stark runzlige Beschaffenheit. Die weitgehende Analogie mit dem Pelycodus von Big Horn erstreckt sich auch auf diesen Zahn. Den in Figur CCCLVI dargestellten Praemolaren deute ich, nach Analogie mit Chiromyoides, als P, inf. von Plesiadapis. Die Krone ist breit und kurz, wird aber gleichwohl von zwei Wurzeln getragen. Sie erhebt sich vorn in einen völlig einfachen dicken Haupthügel, an dem weder deutliche Kanten noch ein Vorder- eingulum zu entdecken sind und schliesst hinten mit einem quer gedehnten Talon- wulst ab. Plesiadapis. 1479 Lemoine giebt 1887 in der Genusdiagnose eine Characteristik der P inf, welche vollkommen auf den vorliegenden Zahn passt. Allein in der Diagnose seines Plesiadapis remensis, ebendaselbst, hebt er hervor, der Haupthügel („promontoire“) dieser Zähne zeige — im Gegensatz zu Plesiadapis Gervaisi — eine Tendenz sich zu spalten. Ich vermuthe diese Tendenz sei nicht sowohl ein Speciescharacter, als vielmehr eine Eigenthümlichkeit, welche P, von P, unterscheidet. Leider lassen uns die Lemoine’schen Figuren in solchen Fragen völlig im Stich. Nach Analogie von Chiromyoides steht zu erwarten, dass der P, noch etwas breiter ist als der P,. Figur CCCLVII. Plesiadapis spec. — Linker unterer Vorderzahn, von hinten oben, aussen und innen. — Basel Gy. 4 — Cernay-lez-Reims, Thanetien. — °/ı. Für die untern wie für die obern Praemolaren von Plesiadapis vermag ich in der übrigen Primatenwelt des Eocaens keine so genauen Analoga nachzuweisen wie für die Molaren. Bei Pelyeodus haben diese Zähne einen recht abweichenden Habitus; Necrolemur steht näher. Die von Lemoine gefundenen Mandibeln tragen einen einzigen, verstärkten, endständigen und proclive eingepflanzten, von P, durch ein langes Diastema ge- trennten Vorderzahn. In der Basler Serie befinden sich drei mehr oder weniger beschädigte Exemplare desselben, von denen ich das vollständigste in Figur CCCLVII wiedergebe. 1480 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Die Wurzel ist etwas länger als die Krone (Lemoine 1891, Fig. 52) und hat einen langovalen Querschnitt. Die Kronenbasis hebt sich, ausgenommen am Hinterende, fast gar nicht von der Wurzel ab. Vorn aussen beginnt sich der Schmelz wurzelwärts zu verlängern. Der Profilcontour der Krone ist vorn convex, hinten econcav. Ihre Hinterseite wird zu einer Facette ausgegliedert durch zwei Kanten, von welchen die äussere dem Profilcontour folgt, die innere etwas mehr gegen den Vorderrand gerückt ist. An der Basis werden beide Kanten durch ein Cingulum verbunden, das einen der Dissymmetrie des Schmelzrandes entspre- chenden schrägen Verlauf nimmt. An dem Punkte, wo Aussenkante und Cingulum zusammentreffen, kommt es zu einer talonartigen Anschwellung, die sich freilich Figur CCELVIII. Plesiadapis spec. — Linker oberer Ineisiv, von aussen, hinlen unten und innen. — Basel Cy. 160. — CGernay-lez-Reims, Thanetien. — °/ı an den mir vorliegenden Exemplaren nur schwach markiert. Nach Lemoine ist sie gelegentlich bedeutend stärker entwickelt (1891, Fig. 52). Die Hinterfacette ist längs den Kanten etwas concav, in der Mitte etwas convex. Aussen- und Vorder- seite bilden eine einzige convexe Fläche. Gegen die abgeplattete Innenseite zu ist dieselbe durch eine Kniekung, welche sich nicht ganz zur Kante verschärft, ab- gegrenzt. Das scharfrandige Kronenende, am vorliegenden Zahn etwas beschädigt, beschreibt einen ogivalen Bogen. An einigen Exemplaren, die Lemoine abbildet, ist es gegen den Lateralrand zu etwas eingekerbt; die mir vorliegenden zeigen keine Spur einer Kerbe. An der Medialseite bemerkt man gegen die Spitze zu eine deutliche Reibefläche, welche bezeugt, dass sich der rechte und der linke Vorderzahn berührten. ee Fe Plesiadapis. 1481 In den structurellen Grundzügen stimmt dieser Zahn vollständig mit dem ver- stärkten mandibularen Vorderzahn von Necrolemur überein. Die Differenzen betreffen Detailpunkte. Bei Necrolemur ist die Wurzel rundlicher, die Krone deutlicher gegen die Wurzel abgesetzt, etwas anders modelliert (stärkere Convexität in der Mitte der Hinterfacette etc.), der Schmelz vorn aussen noch nicht wurzelwärts verlängert. Als obern J, von Plesiadapis hat Lemoine eine eigenthümliche dreispitzige Zahnsorte von Cernay angesprochen !), welche mir in der Basler Serie in drei mehr oder weniger beschädigten Exemplaren vorliegt. Figur CCCLVIII giebt das vollständigste derselben wieder; die Hauptspitze ist etwas ergänzt. Die Wurzel ist etwa anderthalbmal so lang als die Krone und hat einen ovalen Querschnitt. Die Krone gliedert sich in einen Haupthügel und einen Talon- hügel. Der letztere ist relativ stark entwickelt, spitz und spreizt in auffälliger Weise vom Haupthügel ab. Der etwas hackenförmige Haupthügel selbst ist tief eingekerbt und läuft infolgedessen in zwei Spitzen aus, eine höhere vorn innen und eine niedrigere etwas abspreizende hinten aussen. Seine Aussen- und Vorder- seite bilden eine convexe Fläche, welche vorn innen in sanfter Biegung in die mehr abgeplattete Innenseite übergeht. Von den beiden Spitzen laufen Kanten an die Basis des Talonhügels, welche eine flache, schief gestellte Hinterfacette um- schliessen. Auch die dieser Facette gegenüberliegende Vorderseite des Talonhügels ist flach und von zwei Kanten begrenzt. Der Schmelzbelag, hinten am Talonhügel etwas gefältelt, zeigt keinerlei Neigung sich wurzelwärts auszudehnen; die Kronen- basis hebt sich hinten und aussen deutlich von der Wurzel ab. Auf der Innenseite ist gegen die Spitze zu eine Reibefläche bemerkbar. Eine eigentliche Usur zeigen die mir vorliegenden Exemplare ebensowenig als die vorhin beschriebenen des mandibularen Vorderzahnes. In situ mit Backenzähnen ist nun freilich dieser Zahn bisher nie gefunden worden. Die Annahme, dass er als oberer Vorderzahn zu Plesiadapis gehöre, lässt sich indessen durch folgende Argumente, wie ich glaube, gut begründen: 1. Er entspricht in der Grösse und im Habitus — wenn auch nicht 'gerade in seinen structurellen Bizarrerien — den Erwartungen, die man a priori von dem Antagonisten des wohlverbürgten mandibularen Vorderzahnes hegen kann. 2. Er ist in Cernay ziemlich häufig, muss also einer der häufigern Species der dortigen Fauna angehören. Von diesen haben aber ausser Plesiadapis nur 1) P. Gervais hat 1. e. schon einen solchen Zahn abgebildet und auf Plesiadapis bezogen. Er deutet ihn aber als Caninen, was zweifellos ein Irrthum ist. 1482 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Pleuraspidotherium und Orthaspidotherium, auf welche er nachweisbarermassen nicht zu beziehen ist, entsprechende Dimensionen. Die meisten andern Tiere von Cernay sind zu klein, um einen solchen Vorderzahn zu besitzen. Dass er, etwa als J, sup., zu Arctocyon gehört, ist durch seinen sehr unsymmetrischen Bau und die Reibungsfläche an der Spitze so gut wie ausgeschlossen. 3. Er ist auch anderwärts als in Cernay in Begleitung von Plesiadapismolaren gefunden worden, nämlich in Bas-Meudon, wie ich mich bei der Durchsicht einer kleinen, von Herrn Prof. Vasseur dort gesammelten Documentenserie überzeugen konnte und, teste Lemoine, in den Teredinasanden von Epernay. Das Exemplar von Epernay, welches Lemoine (1885, Fig. 32; 1889, Fig. VIII, 4; 1891, Fig.-49) abbildet, unterscheidet sich allerdings von den Cernayexemplaren durch Reduction der beiden Nebenspitzen auf blosse Rudimente; es stimmt aber im allgemeinen Habitus so gut mit ihnen überein, dass ich keinen Anstand nehme, es mit Lemoine als Homologon derselben zu deuten. Übrigens steckt es noch in der Intermaxilla und zwar so, dass es durch den Situs deutlich als endständiger Vorderzahn characterisiert wird, was dem Verdacht die Cernayzähne könnten J, von Arctocyon sein, den letzten Boden entzieht. In der abgeleiteten Gestalt, in der er aus den Teredinasanden vorliegt, hat der Zahn eine unleugbare Ähnlichkeit mit dem grossen obern Ineisiven von Necrolemur. Die Grundzüge der Structur stimmen überein. Von den Neben- zacken der Form von Üernay ist allerdings an dem Necrolemurzahn nichts zu bemerken. Lemoine hat Plesiadapis ausser einem obern J, auch noch einen obern J, und einen rudimentären obern Öaninen zugeschrieben. Für die Annahme eines J, hatte er einen Anhaltspunkt. In der ebenerwähnten Intermaxsilla aus den Teredina- sanden steckt hinter dem J, noch ein weiterer Incisiv, ein kleines Zähnchen mit spitzconischer Krone. Dadurch war die Vermuthung nahegelegt auch die Plesi- adapis des Thanetien haben zwei Incisiven besessen. Die Existenz eines Caninen scheint er dagegen rein hypothetischerweise angenommen zu haben. Unter den Mandibelfragmenten, welche Lemoine in Cernay gesammelt hat, befindet sich eines, welches von einem jugendlichen Individuum herrührt und uns einen interessanten Aufschluss über Milchgebiss und Zahnwechsel gewährt (1889, Fig. VIII, 7; 1891 Fig. 69), P,, P, und der definitive Vorderzahn sind daran in Alveolis, M,, M, und D, in functioneller Stellung erhalten, während D, — wohl postletal — ausgefallen ist. Auch ein isoliertes Exemplar des letzteren: Zahnes (1891, Fig. 70) glaubte Lemoine gefunden zu haben. Die Structur dieser Milch- 2 mys und Amphichiromys anzuklingen. Plesiadapis. 1483 zähne ist leider in den Figuren so mangelhaft wiedergegeben, dass es sich nicht verlohnt bei ihnen zu verweilen. Die Arbeit von 1889 enthält die stark verkleinerte Abbildung einer, allem Anschein nach vollständigen, adulten Mandibel, welche ich — in Ermanglung von besserm — in Figur CCCLIX reproduciere. Wie aus der Wiedergabe der Backen- zahnreihe zu ersehen ist, haben wir es mit einer ziemlich rohen Skizze zu thun; man wird aber wohl annehmen dürfen, die Umrisse des Knochens seien wenigstens annähernd richtig wiedergegeben. Der Ramus horizontalis ist niedrig, die hintere Partie gedehnt, der Processus coronoideus stark entwickelt; der Condylus liegt hoch; der Winkel ist mässig entfaltet, springt nur schwach nach unten vor und zieht sich hinten unten in einen kleinen Processus angularis aus, der laut Be- schreibung (1887) nach innen abbiegt. Ein genaues Analogon zu dieser Mandibelform wüsste ich nicht zu nennen. Der niedrige Ramus hori- zontalis und die Lage des Condylus erinnern etwas an Necrolemur und Pelycodus (Osborn 1902, Fig. 21), aber der Winkel verhält sich wesentlich anders als dort. Figur CCCLIX. Plesi- Der Processus angularis scheint etwas an den von Chiro- adapis spee., rechter Oberkiefer mit angefügten Vorderzähnen = undrechteMandibel, von aussen. Über die sonstige Osteologie ist den Lemoine’schen _- Nach Lemoine 1889, Ori- Publicationen nicht viel präcises zu entnehmen. Der sinalien von Gernay, — Ga. Vs Schädel wird als niedrig und breit, mit starker Ocei- pital- und niedriger Sagittalerista geschildert. Der Humerus (1889, Fig. III, 18) soll ein Foramen entepicondyloideum, das Femur (ibid. Fig. IV, 11) einen dritten Trochanter,: der Astragalus (ibid. Fig. V, 10—11) einen langen Hals und eine Perforation besitzen u.s. f. Natürlich bedürfen alle diese Skeletknochen in hohem Maasse einer kritischen Prüfung auf ihre Hiehergehörigkeit. Der Astragalus sowie auch die Phalanx prima (ibid. Fig. III, 20) machen, soweit die primitiven Skizzen ein Urtheil gestatten, einen primatenartigen Eindruck. Plesiadapis ist ein Primate. Lemoine, dem ursprünglich auch Schlosser (1837) und Osborn (1890) gefolgt sind, hat Plesiadapis immer zu den Primaten gerechnet. In einer seiner ältern Publieationen (1880) präcisiert er sein Urtheil: „Les diverses modifications de forme des incisives du genre Plesiadapis offrent cet interet tout special qu’elles 24 1484 Stehlin, Eocaene Säugetiere. nous eonduisent insensiblememt jusqu’au type actuel du Chiromys Aye-Aye“. Es ist seltsam, dass der glückliche Gedanke Plesiadapis mit Chiromys zu vergleichen in der ganzen folgenden Diseussion nirgends mehr auftaucht. Lemoine selbst scheint ihn später völlig fallen gelassen zu haben. In den neunziger Jahren sind dann bekanntlich Schlosser!) und Forsyth Major?) mit vieler Entschiedenheit für die Ansicht eingetreten, wir haben es in Plesiadapis mit einem sehr primitiven Vertreter der Nagerordnung zu thun. Neuer- dings herrscht die Tendenz vor das Genus zu den Insectivoren zu verweisen.’) Meine eigene Ansicht kann ich folgendermassen zusammenfassen: Gegen eine Einreihung von Plesiadapis unter die Insectivoren spricht schon seine Molarstructur. Unter den recenten Insectivorentypen befindet sich keiner, der in diesem Punkte an ihn anklänge. Die mit ihm vergleichbaren Formen, wie Hyopsodus und allenfalls Mioclaenus, sind, wie mir scheint, mehr nur darum in die Inseetivorenordnung verwiesen worden, weil sie in jede andere recente Ordnung noch weniger passen; in Wirklichkeit sind sie wohl weder Insectivoren noch Primaten, sondern etwas drittes.*) Matthews Hinweis auf Mioclaenus scheint übrigens durch die Darstellung der Oberkieferzahnreihe bei Osborn veranlasst zu sein, welche, wie oben bemerkt, nicht einwandfrei ist. Die etwas vage Analogie zu gewissen recenten Insectivoren (Erinaceiden, Soriciden), welche man in der Vorder- bezahnung von Plesiadapis finden kann, genügt für sich allein nicht, um einen näheren Zusammenhang plausibel zu machen.’) Richtig ist dagegen, dass die Molaren von Plesiadapis einige bemerkens- werthe Anklänge an Nager darbieten; allerdings nicht an Duplieidentaten, wie Major will, wohl aber an alte Simplieidentaten, wie Sciuroides und Pseudoseciurus, auf welche Schlosser hingewiesen hat, und an Rütimeyers „Plesiaretomys Schlosseri“ (= „Ailuravus Pieteti Rüt.“). Allein in diesem Punkte stehen die Necrolemuriden ') M. Schlosser, Über die systematische Stellung der Gattungen Plesiadapis, Protoadapis, Pleuraspidotherium und Orthaspidotherium. N. J. f. Mineralogie ete. 1892, p. 288. \ ®) F. Major, On fossil and recent Lagomorpha. Trans. Linn. Soc. of London VII, 1899, p. 449, 470, °).M. Schlosser in Zittel, Grundzüge, 2. Auflage II 1911, p. 371. — M. Boule, L’homme fossile de la Chapelle-aux-saints. Annales de Pal&ontologie 1911, p. 256, Ann. — W. D. Matthew, Evidence of the paleocene Verbetrate Fauna on the cretaceous-tertiary Problem. Bull. geol. soc. America XXV, 1914, p. 39. ‘) Neusterdings verweist Matthew diese beiden Genera zu den Condylarthra. — Matthew and Granger, A Revision of the lower eocene Wasatch and Wind River Faunas. II. — Bull. Am. Mus, Nat. Hist. XXXIV, 1915, p. 311. °) Das Verhältniss zu Mixodeetes werden wir unten diseutieren, Plesiadapis. 1485 und namentlich die Notharctiden, welche gut legitimierte Primaten sind, doch noch viel näher und es ist nicht wohl einzusehen, warum wir in die entferntere Analogie mehr Vertrauen setzen sollten als in die nähere; zumal wenn die übrige Bezahnung dazu nicht die geringste Veranlassung bietet. Die Praemolarstructur zeigt gar nichts specifisch Nagerartiges'), verträgt sich dagegen ganz wohl mit der Einreihung des Tieres unter die Primaten. Die Structur der Vorderzähne fogt dem Grundplan derjenigen von Necrolemur. Unter solchen Umständen erscheint nun aber auch nicht die Gruppe der Simplieidentaten, sondern das Primatengenus Chiromys als das nächstliegende Analogon für die stark ausgesprochene Tendenz, das Vorder- gebiss auf ein einziges endständiges Zahnpaar unten und oben zu reduzieren und die Zahl der Backenzähne, von vorn nach rückwärts fortschreitend, zu ver- mindern. Übrigens giebt in dieser letztern Frage auch noch eine andre Erwägung den Ausschlag zu Gunsten von Chiromys. Bei den Simplicidentaten sind heute die Milchvorderzähne bis auf embryonale Andeutungen, die archaistischen Merkmale an der Spitze der definitiven Vorderzähne auf ein Minimum zurückgebildet. Die Gruppe ist im Lutetien schon reich differenziert; sie tritt uns schon im Ypresien (Lemoines Decticadapis und Plesiaretomys), ja, wie es nach isolierten Nagezähnen von Bas-Meudon?) und Orsmael’) den Anschein hat, bereits im Sparnacien in Ver- tretern entgegen, die im wesentlichen terminal entwickelt sind. Wir müssen, wie es scheint, bis ins Ypresien zurückgehen, um Vorderzähne von Simplieidentaten mit deutlichen Anzeichen einstiger Kronencomplication zu finden (Lemoine 1883, Fig. 38; 1891, Fig. 150). „Prosimplicidentaten“ mit so primitiven Nagezähnen wie die von Plesiadapis sind demgemäss erst tief im Mesozoicum zu erwarten. Chiromys dagegen entwickelt heute noch drei obere (2 JD und 1 CD) und zwei untere Milch- vorderzähne und zeigt an den Spitzen der Ersatzvorderzähne sehr deutliche Überreste von Kronencomplication (s. Figur CCCLX). Daraus dürfen wir schliessen, dass bei ihm die nagerartige Differenzierung des Vordergebisses bedeutend jüngern Datums ist als bei den Simplieidentaten, und möglicherweise im Thanetien noch in einem Stadium wie das durch Plesiadapis repräsentierte gestanden hat. 1) Da mir keiner jener Mandibularpraemolaren mit gespaltenem Haupthügel vorliegt, kann ich nicht sagen, ob die Spaltung nach Primaten- oder nach Nagerart (vergl. Wortman 1903, p. 217, Fig. 119) erfolgt. Nach den übrigen Gebisscharacteren hege ich die bestimmte Erwartung, dass das erstere der Fall ist. 2) Faculte des sciences in Marseille. 3) Museum in Brüssel. 1486 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Die Primatennatur von Plesiadapis erscheint somit nicht zweifelhaft. Es bleibt zu prüfen, was sich ausser dem bereits genannten Hauptargument etwa sonst noch zu Gunsten einer specielleren Beziehung zu Chiromys oder zu Amphichiromys und Heterochiromys geltend machen lässt. Dass die Backenbezahnung von CÖhiromys (Figur CCOXLV p. 1454) oben blos noch aus M,— P,, unten blos noch aus M,‚— M, besteht, dass sich der obere P, und der untere M, durch starke Reduction auszeichnen, sind Eigenthümlichkeiten, welche für die Frage nach einem eventuellen Zusammenhang mit Plesiadapis nicht ins Gewicht fallen, da sie sich sehr wohl erst seit dem Untereocaen herausgebildet haben können. Die Rückschlüsse, die sich aus der sehr verwischten Structur der M, und M, von Chiromys etwa noch auf den Grundplan, aus dem sie sich entwickelt hat, ziehen lassen, haben wir schon oben (p. 1453 ff.), bei Besprechung von Amphi- chiromys, zu formulieren versucht. Die Kanten und Spitzen werden von vornherein etwas stumpf, die Umrisse etwas gerundet gewesen sein und die obern Molaren scheinen einen hintern Innenhügel besessen zu haben, der aber wohl nicht aus dem Cingulum, sondern aus dem vordern Innenhügel hervorgegangen war und noch im innigsten Zusammenhang mit demselben stand. Man kann sagen, dass Plesiadapis diesen Anforderungen besser als manche andere eocaene Primaten entspricht, wenn auch etwas weniger gut als Necrolemur und Chiromyoides. Auch die lesbarere Structur, welche der obere D, von Chiromys (Figur CCOXLVII, p. 1458) bewahrt hat, widerspricht der Annahme eines Zusammenhanges mit Plesiadapis nicht. Von dem Genus Heterochiromys wissen wir vorderhand, dass es wenigstens in einer Eigenthümlichkeit seiner mandibularen Backenbezahnung, nämlich in der Zalhnformel, vollkommen mit Plesiadapis übereinstimmt. Sollte sich unsere Ver- muthung, Heterochiromys sei identisch mit Heterohyus, bewähren, so käme dazu noch eine sehr beachtenswerthe Ähnlichkeit in der Struetur der. untern Praemolaren (s. oben p. 1471); Anklänge in der Molarstructur (gute Ausbildung des Trigonides an M,, stumpfkantiges Gepräge) sind auch nicht zu verkennen, aber etwas vager Natur. Einige bedeutungsvolle Anhaltspunkte liefert der untere Vorderzahn. Wie wir gesehen haben, weicht derjenige von Plesiadapis u.a. darin von seinem muth- masslichen Homologon bei Necrolemur ab, dass sein Schmelz vorn aussen anfängt sich wurzelwärts zu verlängern. Diess zeigt eine Tendenz zur Hypselodontie an und steht vollkommen im Einklang mit der Schmelzvertheilung bei Chiromys ete., im speciellen aber mit dem, was wir bezüglich des Wurzelendes der Schmelzbedeckung Plesiadapis. an alten Amphichiromys- und Heterochiromyszähnen!) beobachtet haben.?) 1487 In der leichen Richtung weist die Längsdehnung des Wurzelquerschnittes. Endlich ist te} o- o- 1 auch die talonartige Anschwellung an der Kronenbasis bemerkenswerth. Sie erinnert mehr an die kleine Talonspitze am Vorderzahn von Amphichiromys als an die seitliche Expansion an demjenigen von Chiromys.”) Der obere Vorderzahn von Plesiadapis, der sich nach einer bekannten Regel weniger progressiv verhält als sein Antagonist, zeigt nur etwa in dem oblongen Querschnitt seiner Wurzel einen Anklang an diejenigen von Chiromys Vielleicht gekehrt in der eigenthümlichen Gestalt, welche die Krone und Heterochiromys. dürfen wir indessen um- des obern Milchvorderzahnes und die Kronenspitze des de- finitiven obern Vorderzahnes bei Chiromys besitzen, den Nach- klang einer Kronenstructur erblicken, welche derjenigen von Plesiadapis wenigstens nahestand. Wie aus nebenstehender, nach Peters‘) copierten Figur CCCLX zu ersehen ist, besitzen diese Zähne hinten aussen an der Hauptspitze eine niedrigere Nebenspitze, welche möglicherweise das Homologon des Talonhügels am obern Vorderzahn von Plesiadapis sein könnte; am Milchzahn markiert sich dieselbe sehr deutlich, am Er- satzzahn verwischter; an beiden steht sie allerdings, was nicht zu übersehen ist, mehr aussen, weniger hinten an der Hauptspitze. In funetioneller Hinsicht ist das Vordergebiss von Plesi- adapis nicht unmittelbar mit dem von Chiromys, Amphi- chiromys und Heterochiromys vergleichbar. Es stellt einen andern Typus von Schneideinstrument dar. Der untere und der”obere Vorderzahn differieren nicht nur gestaltlich, son- dern sie sind auch unsymmetrisch eingepflanzt; wie bei 1) p. 1440, p. 1469. 2) ur I, D - n > N Y Figur CCCLX. Chiro- mys recent. — Vorderbezah- nungeinesneugeborenen Individuums von vorn und von links. Man sieht oben beiderseits diezwei madagascariensis, Milchineisiven und zwi- schen denselben die Spitze des grossen de- finitiven Ineisiven, wel- cher den vordern der- selben ersetzt, in der Profilansicht ausserdem CD und D,; unten die Spitze des grossen Vor- derzahnes, davor den Milchzahn, welchen er verdrängt und dahinter zwei weitere Milchzähne. — Nach Peters 1866, " / 1. ?) Man kann aus diesem Detail ein weiteres Argument gegen die Annahme einer Beziehung zu den Simplicidentaten ableiten. An primitiven Simplieidentatenzähnen würde der Schmelz auf der Vorderseite wurzelwärts vordringen, auf der Aussenseite wie hinten und innen zurückbleiben. 3) p. 1442. 4) W. Peters, Über die Säugetiergattung Chiromys (Ayc-aye) Abh. d. K. Akad. Wissensch. Berlin 1866, Taf. II, Fig. 10, 11. 1488 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Neerolemur jener stark vorgelehnt, dieser steil. Allein wir werden sofort sehen, dass das nahe verwandte Genus Öhiromyoides in dieser Hinsicht wie in mehreren andern von Plesiadapis zu Amphichiromys, Heterochiromys, Chiromys hinüberleitet. Diese Verbindung über Chiromyoides ist für mich der Haupt- grund auch Plesiadapis zu den „Primaten mit chiromysartiger Diffe- renzierung des Vordergebisses“ zu rechnen. oO oO Stratigraphische Verbreitung und Speciessystematik des Genus Plesiadapis. Plesiadapis ist bis jetzt der einzige Säugetiertypus, den wir vom Thanetien durch das Sparnacien bis ins obere Ypresien verfolgen können. Aus dem Thanetien ist das Genus ausser von Cernay noch von zwei andern Localitäten der Umgebung von Reims, nämlich von Chenay und von Rilly signalisiert.') Den von Gervais für die ersten Documente aus diesem Horizonte vor- geschlagenen Speciesnamen „tricuspidens“ hat Lemoine von 1887 an zur Bezeichnung eines Subgenus verwendet, welches die Arten mit dreizackigem oberen Vorderzahn umfassen soll. Als solche werden zunächst genannt ein Plesiadapis remensis Lem. und ein Plesiadapis Gervaisi Lem.; 13591 kommt dazu noch — wie diese von Üernay — ein „Plesiadapis Trouessarti“, dessen Rechtstitel mir aber mehr als fraglich zu sein scheinen.?) Die Speciesdiagnosen von Plesiadapis remensis und Plesiadapis Gervaisi stellen in erster Linie auf eine Grössendifferenz ab. Im übrigen lauten sie aber etwas vag und 1891 nicht ganz gleich wie 1887. Von den mir vorliegenden Beleg- stücken verhalten sich die Vorderzähne uniform, während die Backenzähne in der Grösse Differenzen zeigen, ‚welche specifisch sein können. Der in Figur 0CCLVa wiedergegebene Maxillarmolar rührt von einem grössern -Tiere her als die ab- ‚gebildeten Praemolaren und Mandibularmolaren; er wird wohl zu Lemoines Plesi- adapis Gervaisi gehören, während die letzteren eher der Diagnose von Plesiadapis remensis entsprechen. Ob die Differenz, welche im Verhalten des Vorderarms des !) Gervais 1. c. 76. — Lemoine 1896, ]. c. p. 37, 38, 40. H °) Der Maxillarmolar, Fig. 61 1. c., hat einen starken hintern Innenhügel „appartenant au bourrelet“. Der kurze Talon des M, in der compilierten Mandibularreihe Fig. 66 1. e. stimmt auch nicht zu Plesiadapis. ; Plesiadapis, Chiromyoides. 1489 Hinterhalbmonds zwischen dem M, und dem M, oder M, in Figur GCCLVI besteht, specifischen Werth hat, muss ich dahingestellt sein lassen. Im Sparnacien, und zwar im Conglomerat an der Basis der argile plastique, sind Plesiadapisreste bei Bas-Meudon nachgewiesen. Schon Gervais erwähnt, dass sich unter der Ausbeute, welche @. Plante!) an dieser Fundstelle gemacht hat, hieher gehörige Zähne befinden. Unter den, von Herrn Professor Vasseur ebenda gefundenen und heute in der Sammlung der Faculte des sciences in Marseille deponierten, Materialien habe ich zwei untere M,, einen obern P, und zwei obere Vorderzähne bemerkt. Die letzteren sind dreizackig wie bei den Thanetienarten. Aus dem obern Ypresien der Gegend von Epernay (sables ä Teredina personnata) hat Lemoine 1880 zwei Species, Plesiadapis Chevillioni und Plesi- adapis Daubre&ei, eitiert. Später verschwindet die erstere spurlos aus seinen Listen und für die letztere wird das Subgenus „Subunicuspidens“ aufgestellt. Die Species- diagnose hebt blos die Reduction der Nebenzacken am obern Vorderzahn hervor, auf welche auch das Subgenus begründet ist. Nach der in unserer Figur CCCLXI nach Lemoine (1891, Fig. 68) wieder- gegebenen Mandibel, scheint sich diese Ypresienart ausserdem durch grössere Höhe des Ramus hori- Figur CCELXT. Plesiadapis zontalis, steilere Einpflanzung des Vorderzahnes und DPaubreei Lem. — Rechte Mandibel mit M‚—P, und Vorderzahn, von compliciertere Structur der Praemolaren von den „ussen. — Teredinasande der Ge- Thanedtienarten zu unterscheiden. Es kann sehr wohl gend von Epernay. oberes Ypresien. R - e — Nach Lemoine. 1891. — Yı. sein, dass sie Anspruch auf einen besondern Genus- h namen hat. Chiromyoides campanicus n. gen. n. spec. Ein günstiger Zufall hat mir vor einigen Jahren die in Figur CCCLXII-CCCLXIH wiedergegebene Mandibel in die Hände gespielt, welche beweist, dass im Thane- tien von Cernay neben Plesiadapis ein zweiter Primatentypus mit chiromysartig differenziertem Vordergebiss vorkommt. Ich schlage für denselben den Genusnamen „Chiromyoides“ vor. Die durch das vorliegende Fundstück belegte Species mag !) @. Plante, Sur les lignites inferieures de l’argile plastique de bassin parisien. Bull. soe. geol. de France (2) XXVII, 1869, p. 204. — Über die Altersdifferenz zwischen dem „conglomerat de Meudon“ und dem „conglomerat de Cernay“, welche von einigen Autoren bestritten worden ist, s, Deperet ibid. (4) VI 1906, p. 442, 1490 Stehlin, Eoeaene Säugetiere. „Chiromyoides ecampanicus“ heissen. Lemoine scheint diese Form, soweit seine Publicationen ein Urtheil darüber gestatten, nicht gekannt zu haben. Die mandibulare Zahnformel von Chiromyoides ist die von Plesiadapis und Heterochiromys: drei Molaren, zwei Praemolaren und ein Vorderzahn. Sämmtliche Zähne sind an unserem Belegstück — von einem kleinen, in Figur COCLXIL eli- minierten Defeect an M, abgesehen — tadellos erhalten. M,—P, messen 0,0125, M,—M, 0,0095. Gestalt und Gepräge der Backenzähne kommen Plesiadapis sehr nahe und lassen keinen Zweifel daran, dass die beiden Genera in einem nahen Verwandt- schaftsverhältniss zu einander stehen. Im Detail sind einige Differenzen hervor- zuheben. Die ganze Backenzahnreihe ist gedrungener als bei Plesiadapis, sie er- scheint, namentlich in ihren drei mittleren Elementen verkürzt.: Am meisten macht sich diess an P, geltend, dessen Querdurchmesser den Längsdurchmesser übertrifft. Aber auch M, und M, sind auffällig breit im Verhältniss zur Länge, besonders in Figur CCCLXII. Chiromyoides campanieus n. gen., n. spec. — Linke Mandibel mit M,—P, und Vorderzahn. — Cernay-lez-Reims, Thanetien. — Basel Cy. 153. — 3/ı. der Hinterhälfte. Das -Molargepräge ist stumpfer und etwas verwischter, was vielleicht, wie (p. 1486) bereits hervorgehoben, Chiromyoides noch etwas näher an Chiromys rückt. An M, und M, zeigt der Vorderarm des Hinterhalbmondes an seinem Ende eine knötchenartige Anschwellung wie bei Necrolemur. Auf die gradweise, von M, zu M, fortschreitende Verschmelzung von Vorder- knospe und Vorderinnenhügel und die mit ihr correlative Abnahme der relativen Länge des Vorderlobus ist schon bei Besprechung von Plesiadapis hingewiesen worden. In ersterem Punkte verhält sich Chiromyoides etwas progressiver als Plesiadapis, an seinem M, ist der Verschmelzungsprocess beendigt. Der hintere Innenhügel ist an M, relativ etwas kleiner als an M,. Die beiden Talonhügel an M, markieren sich nicht. Chiromyoides. 1491 P, und P, haben wie der oben beschriebene P, von Plesiadapis — und wie der P, von Heterohyus — einen völlig einfachen, Kanten- und basalbandlosen Haupt- hügel und einen Talon. Die beiden Wurzeln des stark verkürzten P, sind, so viel ich sehen kann, in ihrem obern Theil verschmolzen, dürften sich aber gegen das Figar CCCLXIII. Chiromyoides campanieus n. gen., n. spec. — Linke Mandibel mit M‚,—P, und Vorderzahn, von aussen und von innen. — Cernay-lez-Reims, Thanetien. — Basel Cy. 153. — ?/ı. Ende zu doch noch trennen. Diejenigen des weniger beengten P, spreizen gleich von der Krone weg auseinander. Die starke Inclination, welche ihn bei Hetero- chiromys auszeichnet, zeigt dieser Zahn bei Chiromyoides nicht. 3 A 1492 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Nach einem Diastema, das wenig mehr als einen Millimeter misst und somit bedeutend knapper als bei Plesiadapis bemessen ist, folgt auf P,, etwas medianwärts von der Flucht der Backenzähne, der Vorderzahn. In der Sceulptur folgt er dem Plane seines Homologons bei Plesiadapis, mit nur kleinen, dem abgestumpften Character der Backenzähne entsprechenden Modifiecationen: Von den Kanten auf der hintern Kronenseite ist die innere (gleich- wie auch das Cingulum) sehr stumpf, die äussere deutlicher aber sehr fein; die sie verschärfenden Rinnen in der Hinterfacette fehlen. Der Talonhügel ist da- gegen kräftiger markiert als an den mir vorliegenden Plesiadapiszähnen. In andern Beziehungen weicht der Zahn beträchtlich ab. Vor allem ist erim Verhältniss zur Backenbezahnung viel stärker. Sodann hat er an Kronenbasis und Wurzel einen bedeutend gedehnteren Querschnitt. Weiterhin ist der vordere Kronencontour stärker gebogen. Endlich ist die Einpflanzung steiler. Die bemerkenswerthe Annäherung an Amphichiromys, Heterochiromys, Chiromys, welche durch diese Modificationen bewirkt wird, springt klar in die Augen, wenn man unsere Figuren CCCLXIHla und b mit der Profilansicht der Plesiadapismandibel vergleicht. Der Querschnitt des Zahnes im Niveau des Alveolar- randes ist nun so ziemlich derselbe wie bei diesen evoluierteren Formen. Die starke Krümmung des vordern Kronencontours scheint das bogenförmige Auswachsen vor- zubereiten. Die Einpflanzung wird mit der des Antagonisten ungefähr symmetrisch sein, was darauf schliessen lässt, dass die Functionsart die nämliche war wie bei Heterochiromys und Chiromys. Bei all’ dem war aber auch bei Chiromyoides die Abnutzung gering und von einem allmähligen Nachrücken keine Rede. Die Krone zeigt, wie die der Vorder- zähne von Plesiadapis, keine Usur. Ihre Höhe dürfte ungefähr im gleichen Ver- hältniss wie bei diesem zu der der Wurzel stehen, welche sich nicht aus dem Alveolus ziehen lässt. Der Schmelzbelag ist auf der Aussenseite um den gleichen Betrag wie bei Plesiadapis wurzelwärts verlängert, aber nicht mehr. Eine Reibungsfläche an der Innenseite beweist, dass sich auch bei Chiro- myoides der linke und der rechte Zahn mit den Spitzen berühren. Die Mandibel hat einen etwas massiven Character, der besser mit dem kräftigen Vorderzahn als mit den kleinen Backenzähnchen in Einklang steht. Der Ramus horizontalis ist höher als bei Plesiadapis. Er erinnert sehr an denjenigen von Chiromys, übertrifft ihn aber an Dicke; sein Unterrand beschreibt eine ähn- liche S-förmige Curve, nur ist dieselbe energischer gebogen, was offenbar mit dem vergleichsweise unentwickelten Zustande des Vorderzahnes zusammenhängt, dessen & - 4 . Ghiromyoides, 1493 Alveolus dort, wo die Uonvexbiegung in die Concavbiegung übergeht, sein Ende erreichen dürfte. Das Kinn markiert sich in der Profilansicht ungefähr in demselben schwachen Grade wie bei Chiromys. Im Gegensatz zu letzterem und zu Hetero- chiromys ist die Aussenwand des Vorderzahnalveolus dick und am Alveolarrand abrupt, wie mit dem Stechbeutel, abgeschrägt, sodass sich der Zahn in situ fast wie ein, in seiner Hischhornfassung sitzendes, neolithisches Steinbeil ausnimmt. Unter den Praemolaren, in halber Höhe des Ramus, öffnen sich zwei grössere und einige kleinere Foramina mentalia, die letztern in grubigen Vertiefungen. Hinten ist die vorliegende Mandibel beschädigt, sodass wir über wichtige Punkte wie den Abschluss des Winkels, die Lage und Gestalt des Condylus, die Höhe des Processus coronoideus keinen Aufschluss erhalten. Man sieht, dass die sagittale Dehnung der hintern Mandibelpartie beträchtlich war. Nach unten lädt der Winkel stark aus, wie bei Heterochiromys und im Gegensatz zu Amphichiromys und Chiromys; sein Unterrand schlägt sich nach innen um, eine tiefe Grube für den Ansatz des Pterygoideus internus erzeugend. Der Processus coronoideus scheint stark entwickelt gewesen zu sein, wie bei Heterochiromys. Sein Vorderrand beginnt sich ziemlich weit unten und an einem Punkt der ungefähr der Grenze von M, und M, entspricht, vom Ramus horizontalis abzugliedern und steigt steil an. Er verdeckt in der Profilansicht der Mandibel den hintern Theil ‘des M,. Die Massetergrube ist vorn tief eingesenkt, nach hinten zu dagegen ausgeflacht und nicht deutlich umgrenzt. Die Symphyse war unverwachsen wie bei allen diesen Formen. Die Sym- physalfläche hebt sich nach hinten zu etwas von der Innenseite des Ramus hori- zontalis ab. Sie ist rauh,‘ nicht glatt wie bei Heterochiromys und lässt auf eine etwas weniger lockere Verbindung der Mandibelhälften schliessen. Ihr Umriss hat eine nierenförmige Gestalt, ungefähr wie bei Chiromys, indem sich an ihrem Hinter- rand eine Grube einsenkt, welche, nach Analogie mit dem Menschen, den Museuli genioglossus und geniohyoideus zum Ansatz gedient haben dürfte. Von dieser Grube aus dringt, wie bei Necrolemur'), ein Canalis medianus in die Symphyse ein, um sie, schräg nach unten gerichtet, zu durchsetzen. Eine Abzweigung des- selben verläuft, schräg nach oben, gleichfalls in der Symphysalfläche und verlässt den Knochen in der Höhe des vordern Alveolarrandes des Vorderzahnes; andre wenden sich seitwärts in den Ramus. Wie bei Necrolemur scheint das Areal der Arteria sublingualis beträchtlich auf Kosten desjenigen der Arteria alveolaris in- terior vergrössert zu sein. !) Siehe oben p. 1359. 1494 Stelilin, Eocaene Säugetiere. Unter der Symphyse ist durch eine Kante ziemlich scharf der Digastrieus- ansatz markiert, während sich eine deutliche Mylohyoideusrinne nicht feststellen lässt. Der scharfe Rand der Pterygoideus internus-Grube verlässt am tiefsten Punkte des Winkels den Profileontour, um auf die Innenseite des Knochens über- zutreten und sich unter dem Foramen alveolare abzustumpfen und zu verlieren. Die Umgebung des letzteren ist etwas beschädigt. Es liegt ziemlich tief und in beträchtlich geringerem Abstand hinter dem Zahnreihenende als bei Heterochiro- mys, Amphichiromys und Chiromys. Vom M,-Alveolus zieht sich, ähnlich wie bei Adapis und Necrolemur, eine, bei den eben genannten Formen fehlende, Leiste an der Innenseite des Processus coronoideus empor, welche mit dem Vorderrand des- selben eine Grube umschliesst (Buccinatoransatz?). Necrosorex Wuercyi Filhol, ein weiterer Primate mit chiromysartig differenziertem Vördergebiss? Ich kann nicht umhin in diesem Zusammenhang auf ein wenig beachtetes Tierchen aus den Phosphoriten des Quercy hinzuweisen, welches sich möglicher- weise als ein weiterer „Primate mit chiromysartig differenzierter Vorderbezahnung“ erweisen könnte. Es ist diess der 1890 von Filhol signalisierte Necrosorex Quereyi.!) Einziges Belegstück scheint bis jetzt der Typus, eine Mandibel mit M, und den Alveolen der übrigen Zähne zu sein. Da Filhols Notiz nur eine sehr beschränkte Verbreitung gefunden hat, reproduciere ich in Figur CCCLXIV die ihr beigegebenen Abbildungen. Die vorn beschädigte Mandibel weist auf ein Tierchen von etwas geringern Dimensionen als Heterochiromys gracilis und trägt vorn einen mächtigen Alveolus, in welchem noch der Stumpf des Vorderzahnes sitzt. Dieser Stumpf ist sagittal gedehnt, transversal abgeplattet, aber die Abplattung geht nieht so weit wie bei Heterochiromys; der Querschnitt erinnert eher an Chiromyoides. In der Structur des Mandibelknochens bemerkt man augenfällige Anklänge an Heterochiromys. Die Backenzahnreihe schliesst unmittelbar an den Vorderzahn an und besteht aus fünf Zähnen, drei Molaren und zwei Praemolaren; die Molaren sind zweiwurzlig, P, scheint ein halbwegs verschmolzenes Wurzelpaar zu besitzen, P, ist einwurzlig, grösser als P,, sehr schräg eingepflanzt — alles genau wie bei Heterochiromys gracilis. Die Analogie geht aber noch weiter, der Alveolarrand beschreibt dieselbe ') H. Filhol, Description d’un nouveau genre d’Insectivore. — Bull. soc. philom, de Paris (8) II, 1890, p. 174, Necrosorex. 1495 geschwungene Linie. Sehr heterochiromysartig sind ferner der ganze Zuschnitt des Ramus horizontalis, die Situation des Foramen mentale unter M,, die Lage des Condylus unter der Flucht der Backenzahnreihe, die Gestalt des Condylus, der Umriss des mächtigen Processus coronoideus. Auch die, für Heterochiromys characteristische, Abknickung des letztern ist, nach der Obenansicht zu schliessen, ziemlich ausgeprägt, obgleich Filhol sie im Texte nicht hervorhebt. Nieht mit Heterochiromys in Einklang steht der Winkel. Er ist bedeutend schwächer entwickelt und erinnert, besonders auch in der Art, wie sich der Pro- cessus angularis markiert, an Chiromys und Amphichiromys. Figur CCCLXIV. Necrosorex Quereyi Filhol. — Linke Mandibel mit M,, Alveolen von M;—P, und Wurzelstumpf des Vorderzahnes. Länge M,—P, 0,015. — a. Von aussen, in natürlicher Grösse. — b. Von oben, vergrössert. — c. Von vorn oben, vergrössert. — Phos- phorite des Querey. — (Nach Filhol 1890.) Der einzige an dem Necrosorexkiefer erhaltene Molar, M,, nimmt sich aus wie eine etwas bizarrere Modification desjenigen Typus, welcher durch den M, von Heterohyus (Figur CCCXLVI, p. 1456) und durch den bei Amphichiromys besprochenen Egerkingerzahn Ef. 989 (Figur CCCXLIV, p. 1452) repräsentiert ist. Seine Vorderhälfte erscheint unverhältnissmässig stark in die Quere gezogen, seine Hinterhälfte relativ schmal; sein Talon ist ganz kurz. Der Vorderarm des vordern Aussenhügels verläuft wie an jenen zunächst nach vorn aussen, um dann in den vordern Kronenrand umzubiegen. Die Innenhälfte des Vorderlobus, welche sowohl an dem Buüchsweiler-- als an dem Egerkingerzahne abgebrochen ist, besteht aus einem innern und einem direct vor denselben gerückten, ebenso starken, vordern Trigonidhügel; ihre Structur ist also ähnlich wie an dem M, Eh. 742, Figur CCCXLIIN p. 1452, nur insofern abweichend, dass hier die beiden Hügel gleichwerthig sind. Die hintere Kronenhälfte zeigt wie am M, von Heterohyus 1496 Stehlin, Eocaene Säugetiere. und an Ef. 989 eine centrale Depression, um welche die durch Kanten verbundenen drei Hügel einen fast kreisförmigen Wall bilden. Der hintere Aussenhügel scheint auch hier schwächer zu sein als der Innenhügel. Dass der, in der Figur schwer zu erkennende, Talonhügel, wie an Ef. 989, auf die Aussenseite geschoben ist, wird von Filhol ausdrücklich hervorgehoben. Sollte sich herausstellen, dass Heterohyus und Heterochiromys wirklich ein und dasselbe Genus sind, so würde also dieser Zahn für die Annahme eines nähern Verwandtschaftsverhältnisses zwischen Necrosorex und Heterochiromys sehr ins Gewicht fallen. Aber auch ohne dieses Argument scheint mir dieselbe viele Wahr- scheinlichkeit für sich zu haben. Die Abweichungen in der Ausbildung des Man- dibelwinkels und im Querschnitt des Vorderzahnes schliessen generische Identität aus, aber sie treten an Bedeutung hinter dem ansehnlichen Complex überein- stimmender Züge zurück. Jedenfalls liegt viel mehr Grund vor, den Anschluss für Necrosorex bei Heterochiromys zu suehen als mit Filhol bei Sorex. ') Welchem der verschiedenen Niveaux, die in den Phosphoriten vertreten sind, Necrosorex Quercyi angehört, lässt sich vorderhand nicht entscheiden. Da seine Affinitäten nach rückwärts weisen, so wird er wohl eher dem Ludien oder dem Bartonien als dem Oligocaen zuzurechnen sein.) In den folgenden Betrachtungen sehe ich von diesem Genus, dessen einziges Belegstück mir nur aus Filhols Abbildungen bekannt ist, ab. Zusammenhang der Genera Plesiadapis, Chiromyoides, Amphichiromys, Heterochiromys, Chiromys. Wir können die mandibularen Vorderzähne von Plesiadapis, Chiromyoides, Amphichiromys, Heterochiromys, Chiromys in eine Scala ordnen, deren Grade sich folgendermassen markieren: !) Das Compte-rendu sommaire der Societe philomatique bemerkt zur Sitzung vom 27. Juni 1890: „M. Filhol appelle l’attention sur un maxillaire inferieur fort curieux, qui pourrait eire rap- proche de celui deerit par Paul Gervais sous le nom de Heterohyus armatus“. Diese Bemerkung bezieht sich offenbar auf den Necrosorexkiefer. Warum Filhol dann in seiner gedruckten Mittheilung auf jeden Hinweis auf das Fossil von Buchsweiler verzichtet hat, ist schwer zu verstehen. 2) Beiläufig bemerke ich, dass in den Phosphoriten des Querey noch ein weiteres Tierchen vorkommt, welches in seiner Vorderbezahnung einen Anklang an Chiromys zeigt. Dasselbe ist in der Basler Sammlung durch einen nicht ganz vollständigen Schädel repräsentiert, der in Gestalt und Grösse an Talpa erinnert. Die sehr stark entwickelten Intermaxillen tragen zu vorderst ein hypselodontes Ineisivenpaar, das im Querschnitt eher mit Chiromys als mit Nagern übereinstimmt Pr: Zusammenhang der Primaten mit chiromysartiger Vorderbezahnung. 1497 1—2. Mandibularer Vorderzahn noch nicht auf starke Abnützung und auf Nachrücken nach Maassgabe derselben eingerichtet. Eigentliche Krone unver- kümmert. Tendenz zur Hypselodontie erst durch eine mässige Verlängerung des Schmelzbelages angedeutet. Beschmelzter Theil (eigentliche Krone) kürzer als un- beschmelzter (eigentliche Wurzel). Alveolus unweit hinterhalb der Symphyse endigend. 1. Querschnitt mässig länger als breit. Vordereontour der Krone schwach convex. Einpflanzung procliv, unsymmetrisch zu der des Antagonisten Plesiadapis. [%) In Übereinstimmung mit den folgenden: Querschnitt beträchtlich länger als breit. Vordercontour stark convex. Einpflanzung verticaler als bei obigem, symmetrisch zu der des Antagonisten Chiromyoides. 3—5. Mandibularer Vorderzahn nach Art von Nagerzähnen kreisbogen- förmig verlängert; auf starke Abnützung und Nachrücken nach Maassgabe der- selben eingerichtet. Eigentliche Krone verkümmert. Schmelz längs dem Vorder- rand in ein langes Band ausgezogen. Alveolus auf den Processus coronoideus orientiert. 3—4. Wurzelbildung findet statt, ist aber retardiert. Alveolus bis zum Ende der Backenzahnreihe reichend. 3. Wurzel lang, nicht verjüngt Amphichiromys. 4. Wurzel kurz, verjüngt Heterochiromys. 5. Pulpa persistent. Alveolus in den Processus coronoideus eindringend. Chiromys. Zu einer analogen, aber lückenhaftern und weniger sprechenden Stufenreihe liessen sich die obern Vorderzähne von Plesiadapis, Heterochiromys und Chiromys zusammenstellen. Diese Reihen geben uns einen ungefähren Begriff von der Ent- wicklungsbahn, welche die Vorderzähne von Chiromys durchlaufen haben mögen, aber sie stellen nicht selbst diese Entwicklungsbahn dar. Chiromyoides ist ebenso alt als die ältern Plesiadapis und kann nicht von ihnen abstammen. Heterochiromys ist ebenso alt als Amphichiromys; die in der und satt dahinter jederseits einen rundlichen Alveolus. Die rechterseits erhaltene Maxillarzahnreihe ist vom zweiten Ineisiven durch ein Diastema getrennt und besteht aus fünf Zähnen, welche sich — wie mir vorderhand scheint — am ehesten als M,—P, interpretieren lassen. Die Backenzahnstructur weist eher auf die Insectivoren- als auf die Primatenordnung. Ich werde dieses merkwürdige Fossil anderswo beschreiben, wollte es aber hier nicht ganz mit Stillschweigen übergehen. 1498 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Wurzelbildung des untern Vorderzahnes zwischen ihnen bestehende Differenz ist eher eine solche des Modus als des Grades. Beide mitteleocaenen Genera setzen wohl auch untereocaene Vorstufen mit evoluierterem Vordergebiss als das von Chiromyoides voraus. Ziehen wir die geschilderten Unterschiede in der Form der Mandibeln mit in Betracht, so wird es vollends evident, dass wir in den vier eocaenen Genera Repräsentanten von vier mehr oder weniger divergierenden Ent- wicklungsbahnen vor uns haben. Der als Necrosorex beschriebene Kiefer aus den Phosphoriten kündigt möglicherweise eine fünfte an und wenn Heterohyus sich doch nicht als identisch mit Heterochiromys erweisen sollte, so könnte die Zahl derselben auf sechs steigen. Plesiadapis und Öhiromyoides sind ohne Zweifel relativ nahe mit einander verwandt und mögen auf einen spätcretacischen gemeinsamen Ahnen zurückgehen; wir dürfen sie unbedenklich als „Plesiadapiden“ zusammenfassen. Amphichiromys und Heterochiromys divergieren stärker, sowohl unter sich als gegenüber den Plesiadapiden. Necrosorex scheint sich näher an Heterochiromys als an die andern anzuschiessen. Es ist möglich, dass alle diese Sectionen oder dass mehrere derselben die entscheidenden Schritte zur Specialisierung ihres Vordergebisses gemeinsam gethan haben. Vorderhand bin ich jedoch durchaus nicht davon überzeugt, dass dem so ist. Wenn Formen der gleichen Ordnung durch ihre Lebensweise vor analoge Aufgaben gestellt werden, reagieren sie oft in äusserst analoger Weise. Wir haben bei der Besprechung von Necrolemur-Microchoerus (p. 1389) der Thatsache gedacht, dass Tarsius, Galago, Chirogaleus ihre Calcanei und Navicularia unab- hängig von einander verlängert haben. Es ist oben (p. 1296) auf die Gründe hin- gewiesen worden, welche dafür sprechen, dass Lemuriden und Nycticebiden, sowie wahrscheinlich auch Lemurinen und Indrisinen die ihnen gemeinsame, so eigenthümliche Structur ihrer Vorderzähne unabhängig von einander erworben haben. Mit der übereinstimmenden Ausbildung des Vordergebisses bei Plesi- adapiden, Amphichiromys und Heterochiromys könnte es sich sehr wohl ebenso verhalten. In der ganzen obigen Erörterung habe ich darum nur von „Primaten mit chiromysartiger Differenzierung des Vordergebisses“ gesprochen und es sorgfältig vermieden, diese Formen vorschnell als „Chiromyiden“ in einen engern systematischen Verband zusammenzufassen. Die folgende Tabelle verzichtet demgemäss auf Bindestriche und deutet lediglich die stratigraphische Verbreitung der im europäischen Eocaen nach- gewiesenen Primaten mit chiromysartiger Vorderbezahnung an. Zusammenhang der Primaten mit chiromysartiger Vorderbezahnung. 1499 ? Necrosorex (Quercyi Ludien- Filhol Bartonien aus den Phosphoriten des (Quercy Amphichiromys Heterochiromys enropaeus Rüt. graeilis St. von von Egerkingen Egerkingen u. H. E> Lutetien N h fortis St.v. Egerkingen (? = Heterohyus ar- malus v.Buchsweiler) Plesiadapis Ypresien Daubreei Lem. von Epernay Plesiadapis spec. Sparnacien von Bas-Meudon Plesiadapis Chiromyoides remensis Lem. und campanicus St. Thanstien Gervaisi Lem. von von Cernay Cernay Spec. indet. v. Rilly, Chenay Welches ist nun aber das Verhältniss von Chiromys zu diesen Eocaen- formen mit mehr oder weniger analoger Differenzierung des Vordergebisses und der Mandibel? Bei der Grösse des Hiatus zwischen Eocaen und Gegenwart, bei der Grösse desjenigen zwischen Westeuropa und Madagascar, bei der Unvollständig- keit unserer Kenntniss aller der obigen Fossilformen, kann gegenwärtig jede Er- örterung dieser Frage selbstverständlich nur einen durchaus provisorischen Cha- racter haben. Die herrschende Ansicht über die Affinitäten des Genus Chiromys geht dahin, dasselbe sei enger mit den madagassischen als mit den übrigen Ordnungs- genossen verbunden, Sie stützt sich vor allem auf den Verlauf der Carotis interna 26 1500 Stehlin, Eocaene Säugeliere. und auf das Verhalten des Annulus tympanicus. Im speciellen wird ziemlich all- gemein angenommen, es bestehen nähere Beziehungen zum Stamm der Indrisinen. Für diese Auffassung werden Anklänge in der Structur des kurzschnauzigen Schädels und des Skeletes, neuerdings, durch Elliot Smith '), namentlich auch solche in der Structur des Gehirns geltend gemacht. In seiner neuesten, mir im Manuscript vorliegenden, Publication?) sucht Gregory die Hypothese eines beson- ders nahen Verhältnisses zu dem subfossilen Indrisinengenus Archaeolemur zu begründen. Sowohl nach Winge®), als nach Matthew ‘) und Gregory hätte Chiro- mys seine Differenzierung auf dem Boden der Insel Madagascar erworben, wie alle übrigen madagassischen Halbaffen. Gegenüber all’ dem ist vor allen Dingen zu betonen, dass die Vordergebiss- differenzierung von Chiromys, nach den zu Gebote stehenden Analogien, als das Ergebniss einer sehr langen phyletischen Entwicklungsgeschichte auf- gefasst werden muss. Haben wir auch bestimmte Gründe ’), ihre Anfänge weniger weit zurückzudatieren als diejenigen der Nagerdifferenzierung, so erscheint es doch nicht zweifelhaft, dass wir dieselben im ältern Tertiär zu suchen haben und gar nicht unwahrscheinlich, dass sie schon im Untereocaen deutlich waren. Der postulierte Zusammenhang mit den Indrisinen ist somit, chronologisch, unter allen Umständen ein sehr entlegener und wenn Elliot Smith eine frappante Über- einstimmung zwischen den Gehirnformen von Chiromys und Indrisinen constatiert, so beweist diess nur, dass Tiere einer Ordnung, welche schon seit recht langer Zeit in gewisser Beziehung stark divergierende Wege gehen, sich trotzdem in der Structur des Gehirns äusserst analog verhalten können. In irgend einer Gegend der Erdoberfläche müssen also zur Eocaen- zeit Vorfahren des Genus Chiromys gelebt haben, welche schon deut- liche Anfänge der ihm eigenthümlichen Vordergebissdifferenzierung zeigten. !) G. Elliot Smith, On the Form of the Brain in the extinet Lemurs of Madagascar, with some Remarks on the Affinities of the Indrisinae. Appendix zu Standing, Subfossil Primates etc. in Trans. Zool. soc. XVIII, 1908, p. 176. 2) ].p. 1324 c. °) H. Winge, Jordfundne og nulevende Aber (Primates) fra Lagoa Santa ete. E Museo Lundi II, 2 1895—96, p. 55. *) W. D. Matthew, Climate and Evolution. Annals N. Y, Acad. Sei, XXIV, 1915, p. 203, 216, °) S. oben p. 1485, Zusammenhang der Primaten mit ehiromysartiger Vorderbezahnung. 1501 Dass dieser eocaene Theil der Chiromysstammlinie mit einem der im euro- päischen Eocaen vorkommenden Phyla identisch ist, lässt sich gegenwärtig nicht nachweisen. Wir sind nicht einmal in der Lage festzustellen, dass er sich an das eine oder das andere dieser Phyla besonders nahe anschliesst. Vielmehr müssen wir bis auf weiteres zugeben, dass auch der Chiromysstamm die entscheidenden Schritte in der Gebissdifferenzierung unabhängig gethan haben kann. Allein andererseits lässt sich die Möglichkeit, dass Amphichiromys oder Heterochiromys oder Chiromyoides die engere Sippe, aus welcher Chiromys hervor- gegangen ist, repräsentieren könnte, nicht bestreiten. Sie verdient vielmehr des aufmerksamsten im Auge behalten zu werden. Die Chiromysanklänge in der Structur der Vorderzähne und der Mandibel, welche man bei Archaeolemur oder gar bei andern Indrisinen finden kann, sind unstreitig weit vagerer Natur als diejenigen, welche wir bei diesen Genera des europäischen Eocaens festgestellt haben; und ob diese letzteren im Verhalten des Annulus tympanieus und im Carotisverlauf von Chiromys abweichen, ist vorderhand eine offene Frage, da ja bisher keine der- _ selben auf diese Verhältnisse untersucht worden ist. ') Seitdem wir wissen, dass die Adapiden und die Nothartiden in diesen beiden sehr wichtigen Punkten der Schädelstructur demselben Typus wie die Lemurinen, Indrisinen und Chiromys angehören, erscheint es gar nicht unwahrscheinlich, dass dieser Typus einen grossen Theil der eocaenen Primaten umfasst hat. Der Umstand endlich, dass das europäische Eocaen drei oder gar vier solcher Primatengenera mit chiromysartiger Vorderbezahnung aufweist, ist nur geeignet, unsere Vermuthungen über die morphologische und damit auch die geographische Geschichte des Genus Chiromys in diese Richtung zu lenken. Dass die recente und subfossile Halbaffenwelt Madagascars ihre erstaun- liche Mannigfaltigkeit zu einem guten Theil auf dem Boden dieser Insel selbst erlangt hat, ist nicht unwahrscheinlich. Ob aber auch die Hauptsectionen, in welche sich diese Mannigfaltigkeit gruppiert, ob also die Lemurinen, Chiro- galeinenen, Indrisinen, Chiromyiden u. s. f. sich in Madagaskar aus einer gemein- samen Grundform differeneiert haben, ist eine andere Frage. Auf irgend eine palaeontologische Thatsache kann sich diese Hypothese bis jetzt nicht stützen; es scheint mir vielmehr, sie habe schon angesichts dessen, was uns Europa über die Vorgeschichte der Primaten gelehrt hat, einen schweren Stand; und 1) Wir haben oben (p. 1474) gesehen, dass vielleicht an dem von Lemoine gesammelten Plesiadapismaterial einschlägige Beobachtungen zu machen wären. 1502 Stehlin, Eocaene Säugetiere. was uns der africanische Continent über diese Vorgeschichte lehren wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls aber ist jene Grundform nicht, wie angenommen wurde, im mittleren Tertiär zu suchen, sondern viel tiefer. ') Weitere Verwandtschaft. Vor nunmehr zwölf Jahren glaubte Wortmann) die Stammsippe des Genus Chiromys im nordamericanischen Eocaen ermittelt zu haben. Ausser dem von ihm neu aufgestellten Genus Metacheiromys bezog er Copes Mixodectiden in die- selbe ein, welche Osborn®) kurz vorher — mit einigem Vorbehalt allerdings — als „Proglires“ an die Nager angeschlossen hatte. Inzwischen ist an diesen „Metacheiromyidae“ Wortmans scharfe Critik geübt worden. Auf Grund neuer Fossilfunde hat Osborn*) nachweisen können, dass Metacheiromys ein primitiver Vertreter der Ordnung Xenarthra ist und gar nichts mit den Mixodectiden Copes zu thun hat. Matthew) andererseits hat überzeugend dargethan, dass die beiden Sectionen der letztern — die Mixodectiden im engern Sinne und die Microsyopiden — im Grunde sehr wenig (remeinsames an sich haben und daher wahrscheinlich überhaupt nicht näher zusammenhängen. Er reiht beide unter die Insectivoren ein, ohne die Möglichkeit, dass sie sich schliesslich als Primaten erweisen könnten, auszuschliessen. Keiner der. drei Sectionen wird von den Autoren, welche sich seit Wortman mit ihnen beschäftigt !) Auch der Annahme Matthews (1915, 1. e. p. 216), dass Madagascar durch natürliche Flösse mit Halbaffen, Insectivoren, Nagern ete. bevölkert worden sei, kann ich nicht beipflichten, so sehr ich im übrigen mit der scharfen Critik einverstanden bin, welche dieser Autor an den Extra- vaganzen der „bridge-building school in paleogeography“ übt. Ohne die Annahme einer Brücke ist weder die frühe Besiedlung der Insel mit Halbaffen, Inseetivoren, Carnivoren, Nagern etc. noch die späte mit Hippopotamen und Potamochoeren zu erklären (vergl. Stehlin, Über die Geschichte des Suidengebisses 1899 — 1900, p. 471). Der exelusive Character der madagassischen Säugetierfauna, auf dem Matthew insistiert, kann sehr wohl durch die Vegetationsfacies der Brücke bedingt sein. Vielleicht ist auch mit nachträglicher Deeimierung des eingewanderten Bestandes zu rechnen. ?2) J. L. Wortman, Studies of Eocene Mammalia in the Marsh Collection II Primates, 1903— 1904, p. 197. ») H. F. Osborn, American Eocene Primates and the supposed Rodent Family Mixodeetidae. — Bull. Am. Mus. Nat. Hist. XVI, 1902, p. 209. 4) H. F. Osborn, An Armadillo from the middle Eocene (Bridger) of North America. — Bull. Am. Mus. Nat. Hist. XX, 1904. — Vergl. idem, The age of Mammals, 1910, Fig. 64, p. 164. 5) W. D. Matthew, The Carnivora and Insectivora of the Bridger Basin. Memoirs Am. Mus. Nat. Hist. IX, 4, 1909, p. 546. — W.D. Matthew and W. Granger, A Revision of the Lower Eocene Wasatch and Wind River Faunas, IV. Bull. Am. Mus. Nat. Hist. XXXIV, 1915, p. 466. — Vergl. auch H. F. Osborn, The age of Mammals, 1910, p. 522. a Weitere Verwandtschaft der Primaten mit chiromysartiger Vorderbezahnung. 1503 haben, eine Beziehung zu Chiromys zugeschrieben. Gleichwohl ist es vielleicht nicht überflüssig, sie kurz mit unsern „Primaten mit chiromysartiger Vorder- bezahnung“ zu confrontieren. Die Mixodectiden s. str.') finden sich im Torrejon und sind somit un- gefähr gleichaltrig mit den Plesiadapiden von Cernay. Von den beiden bis jetzt signalisierten Genera ist das eine, Mixodectes Cope (= Olbodotes Osborn), vor- wiegend durch Unterkiefer, das andere, Indrodon Cope, vorwiegend durch Ober- kiefer belegt. Der Unterkiefer von Mixodectes besitzt zwei, bisher nur in defeeten Exemplaren bekannte Vorderzähne, von denen der schwächere hintere durch seine Einpflanzungsart ziemlich deutlich als Canin charaeterisiert ist, während der stärkere vordere durch seine proclive Stellung und die Gestalt seiner Wurzel etwas an den Vorderzahn von Plesiadpias erinnert. Der Oberkiefer von Indrodon weist zwei ziemlich starke Incisiven und einen kräftigen Caninen auf, die bis jetzt gleichfalls nur in beschädigten Exemplaren vorliegen. Wir haben es also offenbar mit einer wesentlich anders orientierten Differenzierung des Vordergebisses als bei den uns beschäftigenden altweltlichen Formen zu thun. Auch die Backenzähne zeigen keine Merkmale, welche auf eine nähere Beziehung zu diesen schliessen lassen. Am ehesten noch sind Anklänge in der Structur der sehr einfachen Praemolaren zu finden, deren Indrodon oben drei, Mixodectes unten zwei besitzt. Allein die Hügel dieser Zähne, gleichwie diejenigen der Mandibularmolaren sind auffällig hoch, was gar nicht an Plesiadapis und noch weniger an Chiromyoides erinnert. Die Maxillarmolaren stimmen, wie wir oben?) festgestellt haben, nahe mit denen von Caenopithecus überein, sie gewinnen den hintern Innenhügel nicht wie bei Plesiadapis aus dem vordern Innenhügel, sondern aus dem Cingulum. Vagen An- klängen der Mandibelforen an diejenige von Plesiadapis kann unter diesen Um- ständen nicht viel Gewicht beigemessen werden. Alles in allem liegt, wie ich glaube, keinerlei Veranlassung vor zwischen den Mixodectiden und den Plesia- dapiden oder gar den jüngern altweltlichen Formen ein engeres verwandtschaft- liches Band anzunehmen. Die Mierosyopiden °), welche in der Wasatch- und Windriverstufe durch das Genus Cynodontomys, in der Bridgerstufe durch das etwas evoluiertere (Genus Microsyops vertreten sind, zeigen insofern mehr Analogie mit den europäischen 1) Wortman, 1903—1904 1. e.; Osborn 1902 1. e.; Matthew 1909 und 1915 1. e. 2) p. 1319. 3) Wortman 1903—1904 1. e.; Osborn 1902 1. e.; Matthew 1909 und 1915 1. e. 1504 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Formen, als bei ihnen das mandibulare Vordergebiss auf einen einzigen, schräg eingepflanzten und verstärkten Vorderzahn reduciert ist, welcher mit demjenigen von Plesiadapis im ganzen leidlich übereinstimmt, aber eine mehr zugespitzte Krone zu besitzen scheint. Der Antagonist dieses Zahnes und die Intermasilla, der er eingepflanzt war, sind nicht bekannt. Eine wesentliche Abweichung des Vordergebisses gegenüber Plesiadapis besteht jedoch insofern, als im Oberkiefer nahe hinter der Intermaxillarsutur ein allem Anschein nach, trotz seiner Zwei- wurzligkeit, als Canin zu deutender verstärkter Zahn folgt. Die Backenbezahnung, welche oben und unten aus drei Molaren und drei Praemolaren besteht, kommt in der Structur der Mandibularmolaren — von dem sehr knapp bemessenen ein- spitzigen Talon des M, abgesehen — den Plesiadapiden ziemlich nahe, zeigt aber im übrigen wenig Anklang an dieselben. Die Maxillarmolaren gewinnen den hintern Innenhügel aus dem Cingulum, die P, zeichnen sich durch eine sehr ausgesprochene Tendenz sich zu molarisieren aus, welche dem europäischen Stamme durchaus fremd ist. Es liegt also auch kein stichhaltiger Grund vor, die Microsyopiden mit den Plesiadapiden etc. in Verbindung zu bringen. Dass das, von Wortman aufgestellte, Genus Metacheiromys aus der Bridger- stufe weder mit unsern europäischen Formen noch mit Chiromys etwas zu thun hat, ist auch ohne die ergänzenden Mittheilungen, die Osborn über dasselbe gemacht hat, evident. Obwohl das Vordergebiss wie bei jenen auf einen einzigen Zahn oben und unten reduciert ist und die Symphyse eine ähnliche Beschaffenheit zeigt, muss der Gebissmechanismus dieses Tieres ein wesentlich andrer gewesen sein, da der untere Vorderzahn seine Usur an der Vorderseite des obern erzeugt. Im übrigen sind keinerlei Anklänge zu finden. Die zwei stiftförmigen Zähnchen, welche die auffallend niedrige Mandibel noch entwickelt, stehen unmittelbar hinter dem Vorderzahn, während der hintere Theil des Alveolarrandes, welcher den Molaren entspricht, völlig edentat ist. Die Vergleichung mit diesen angeblichen Chiromyiden Wortmans ist geeignet, die wirklichen Primatenaffinitäten unserer europäischen Eocaengenera erst recht ins Licht zu rücken. — Was den genauern Anschluss der letztern an die übrige Primatenwelt des Eocaens anbelangt, so könnten die Anklänge von Plesiadapis an die Necro- lemuriden ganz wohl Ausdruck eines näheren Zusammenhanges sein, da sie sich über das ganze Gebiss erstrecken und, soweit unsere gegenwärtige Kenntniss reicht, mit keinem stark hervorstechenden Gegensatz combiniert sind. Die functionelle Einrichtung des Vordergebisses ist die gleiche. Oben und unten dominiert in Weitere Verwandtschaft der Primaten mit ehiromysartiger Vorderbezahnung. 1505 beiden Stämmen ein einziges endständiges Vorderzahnpaar und zwar, wie es den Anschein hat, das nämliche,. Die obern Vorderzähne scheinen vom selben structu- rellen Grundplan auszugehen; die untern sind, bis auf kleine Detaildifferenzen, gleichgebaut. Die P, und P, von Plesiadapis sind denjenigen der Neerolemuriden wenigstens nicht sehr unähnlich. In der Molarstructur machen sich sehr auffällige Analogien geltend. Die Maxillarmolaren gliedern in beiden Stämmen den hintern Innenhügel aus dem Hinterabhang des vordern Innenhügels aus. Sie entwickeln bei den evoluierten Necrolemuriden (Mierochoerus) ein Mesostyl wie bei Plesi- adapis. Der untere M, verhält sich in Bezug auf die Vorderspitze in beiden Stämmen conservativer als M, und M,, mit dem Unterschied allerdings, dass bei den Plesiadapiden in dieser Beziehung eine gradweise Abstufung von M, zu M, stattfindet, während bei den Necrolemuriden M, ebenso progressiv als M, ist. Die Vorderspitze des M, ist bei Necrolemur ähnlich ausgebildet und situiert wie bei Plesiadapis. Der zweihüglige Talon des untern M, besitzt in beiden Stämmen einen sehr ähnlichen Habitus. Dazu kommt endlich die den Molaren beider Stämme gemeinsame Tendenz zur Entwicklung von Schmelzfältelungen. Die Mandibel scheint bei Plesiadapis wenigstens in der Gestalt des Ramus horizontalis noch ziemlich nahe mit Necrolemur übereinzustimmen. Auch an die zwischen Chiromyoides und Necrolemur bestehende Analogie in der Ausbildung der Symphyse und des Canalis medianus menti darf in diesem Zusammenhang erinnert werden. Allerdings kann das Verhältniss unter allen Umständen nur ein mittel- bares sein; das ergiebt sich schon aus der stratigraphischen Verbreitung der beiden Stämme. Auch ist es gemäss dem oben über das Verhältniss der chiro- mysartigen Typen unter sich Gesagten eine noch nicht spruchreife Frage, ob was für die Plesiadapiden gilt, auch für Amphichiromys, Heterochiromys, Chiromys zutrifft. Vorderhand sei nur daran erinnert, dass Necrolemur sich durch einige eraniologische Specialitäten (Partieipation des Alisphenoides an der Bullawand; starke Blähung des Mastoids; langer knöcherner Gehörgang; affenartige Anord- nung des Carotiscanales) auszeichnet, welche zum mindesten nicht geeignet sind die Annahme eines Zusammenhanges mit Chiromys zu stützen. Möglicherweise könnte das vorderhand erst durch eine Mandibel belegte americanische Genus Trogolemur!) aus der Bridgerstufe noch nähere Be- ziehungen zu den Plesiadapiden haben als Necrolemur. Die structurell nahe mit letzterm übereinstimmende Backenzahnreihe zeigt eine stärkere Tendenz, die vor- 1) S. oben p. 1337. 1506 Stehlin, Eocaene Säugetiere. dern Praemolaren zu reducieren und der sehr grosse, bis unter die Molaren reichende Vorderzahnalveolus erinnert an Chiromyoides. Auf die Form der Mandibel erstreckt sich die Analogie freilich nicht. Die Genera Tetonius!) und Pseudoloris, deren Vorderbezahnung dem- selben Plane folgt wie diejenige von Necrolemur, zeigen in der Molarstructur erheblich weniger Anklänge an die Plesiadapiden und für alle übrigen bis jetzt bekannten Primatengenera des Eocaens erscheint vorderhand ein näheres Ver- hältniss zu den letztern noch fraglicher. Die äusserst auffälligen Plesiadapis- analogien, welche wir in der Molarstructur von Pelycodus festgestellt haben, combinieren sich mit so ausgesprochenen Gegensätzen in der übrigen Bezahnung, dass man gezwungen ist, sie für genealogisch bedeutungslos zu halten. Auch das Genus Protadapis, das häufig mit Plesiadapis in Verbindung gebracht worden ist, scheint keine nähere Beziehung zu demselben zu haben, da die Einpflanzungs- art seines Mandibularcaninen auf die Existenz eines verstärkten Maxillarcaninen und somit auf eine durchaus abweichende Einrichtung des Vordergebisses schliessen lässt. — Dagegen ist in diesem Zusammenhang noch zweier rätselhafter, erst kürzlich bekannt gewordener Genera aus der Wasatchstufe Nordamericas zu gedenken, welche Matthew vorläufig zu den Insectivoren gestellt hat mit dem Vorbehalt, dass sie sich eventuell auch als Primaten erweisen könnten. Das eine derselben, Phenacolemur, ist durch diverse Mandibelfragmente und durch ein Maxillarfragment mit M, und M, belegt. Die Maxillarmolaren erinnern im Umriss und allgemeinen Habitus etwas an diejenigen von Necrolemur, haben aber weder deutliche Zwischenhügel noch einen hintern Innenhügel; sie lassen sich auch mit denjenigen primitiver Simplieidentaten vergleichen. Die untern M, und M, kommen in Umriss und Structur dem M, von Necrolemur recht nahe; der Talon des untern M, ist wie bei letzteren und bei den Plesiadapiden breit und zweihüglig. Vor M, steht in der Mandibel ein einziger Praemolar, der die Molaren überragt und in seinem sehr einfachen Bau an Plesiadapis erinnert. Auf diesen folgt nach einem Diastema ein starker, bogenförmig gekrümmter Vorderzahn von länglichem Querschnitt, von dem aber vorderhand nur ein Stumpf bekannt ist. Das zweite Genus, Nothodectes, ist blos durch ein einziges Mandibel- fragment belegt. Es weicht von Phenacolemur hauptsächlich dadurch ab, dass noch '!) S. oben p. 1384. Di ee Deulung der chiromysartigen Vorderzähne. 1507 zwei Praemolaren vorhanden sind, welche eine mehr necrolemurartige Structur besitzen. Ob diese Tierchen Primaten sind, vermag ich so wenig zu entscheiden als Matthew. Das einzige, was ich vorderhand über sie zu sagen wage, ist, dass ihre Merkmale uns mehr Anlass bieten, die Möglichkeit einer Beziehung zu den Plesi- adapiden in Erwägung zu ziehen, als diejenigen der Microsyopiden und Mixo- dectiden. — Deutung der Vorderzähne. Der obere Vorderzahn ist bei Chiromys und Plesiadapis durch den Situs als Incisiv gekennzeichnet. Es kann nicht wohl einem Zweifel unterliegen, dass er auch bei Heterochiromys, Amphichiromys, Chiromyoides in der Intermaxilla sitzt. Fraglich bleibt also nur, welche Ziffer wir ihm geben sollen. Da er bei Chiromys den vordern von zwei Milchineisiven ersetzt und da ihm bei Plesiadapis ein weiterer Incisiv folgt, ist es für diese beiden Genera sicher und für die übrigen höchst wahrscheinlich, dass wir ihn nicht als J, zu deuten haben. Schwerer fällt es zu entscheiden, ob er dem J, oder dem .J, eines unreducierten eutherischen Gebisses entspricht. Die erstere Auffassung erscheint durch Analogien besser ge- stützt als die letztere, aber ich sehe vorderhand kein Mittel, sie allen Zweifeln zu entrücken. Dem untern Vorderzahn der uns beschäftigenden Tiere habe ich in der ganzen obigen Erörterung keine bestimmte Bezeichnung beigelegt. Bei Chiromys ist er früher ziemlich allgemein als Incisiv angesprochen worden; Winge'!) und andre neuere Autoren halten ihn für den Caninen. Die Streitfrage ist schwierig und nicht ohne weiteres zu entscheiden. Das von Peters*) einlässlich untersuchte Milchgebiss von Chiromys scheint eher für die alte Auffassung zu sprechen. Es besteht oben aus fünf, unten aus vier Zähnen. Dass die beiden 'hintersten, durch ein beträchtliches Diastema von den übrigen getrennten, oben und unten als D, und D, zu deuten sind, versteht sich von selbst. Der erste und zweite obere sind JD, der dritte ist nach seiner Situation — nahe hinter der Maxillarsutur — ziemlich sicher als CD anzusprechen. Der 1) H. Winge, Jordfundne og unlebende Aber (Primates) fra Lagoa santa ele. E Museo Lundi II, 2 1895-96, p. 20, 54. 2) W. Peters, Über die Säugetiergattung Chirmoys. Abhandl. d. K. Akad. der Wissensch. 1865 (Berlin 1866). — Vergl. auch oben Fig. CCCLX, p. 1487, 37 1508 Stehlin, Eocaene Säugetiere. definitive Mandibularvorderzahn bricht zwischen den beiden vordern Milchzähnen durch; es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass er den vordern derselben ersetzt. Fassen wir ihn als © und somit den letztern als CD auf, so muss der zweite Mandibularmilchzahn als Backenzahn — D, oder allenfalls D, — gedeutet werden. Chiromys hätte somit oben zwei, unten drei Milchbackenzähne. Diess erscheint nun aber darum nicht recht wahrscheinlich, weil seine Praemolarformel 9 lautet und somit umgekehrt eher im Oberkiefer einen Milchbackenzahn mehr erwarten lässt als im Unterkiefer. Von der Backenzahnformel ausgehend ist man also eher versucht, den zweitvordersten mandibularen Milchzahn als CD, den vordersten als JD und damit den grossen Ersatzvorderzahn als J zu inter- pretieren. Allein entscheidend sind diese Erwägungen wohl nicht.") Bis auf weiteres glaube ich mehr Vertrauen in das Zeugniss der Kette Tarsius-Necrolemur-Plesiadapis- Chiromyoides-Heterochiromys-Chiromys setzen zu sollen, welche entschieden für die Ansicht Winges, der untere Vorderzahn sei als Canin zu deuten, spricht. ') Einiges Gewicht in der Abwägung der Möglichkeiten darf vielleicht dem Umstande bei- gemessen werden, dass sich bei Necrolemur — sehr wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem Rollenwechsel des Caninen — unten ein Praemolar mehr erhalten hat als oben. Es scheint mir nicht ganz unmöglich, dass Chiromys ein analoges Stadium durchlaufen hat und dass sein Milch- gebiss eine Erinnerung daran festhält. Primale incertae sedis. 1509 Primate incertae sedis von Verrerie de Roches. Trotz seiner Kümmerlichkeit glaubte ich das folgende Fundstück nicht über- gehen zu sollen. Es stammt aus der kleinen Bohnerztasche bei der ehemaligen Glashütte von Roches, aus welcher wir oben (p. 996, 1027) Reste von Pseud- amphimeryx Renevieri und Dichodon spec. signalisiert haben. Basel V.R. 15. Fragment der rechten Mandibel mit M,—M, und Spur von P,. — _ Länge M,—M, 0,0045. — Figur CCCLXV. Die äusserst brüchigen Zähnchen haben leider bei der Praeparation sehr gelitten, sodass unsere Figur eher einen Reconstructionsversuch als eine Abbildung darstellt. M, hat am Vorderarm des Vorderhalbmonds eine Vorder- spitze, die ähnlich entwickelt wie diejenige seines Homologons (A bei Necrolemur, aber etwas weniger weit lingualwärts geschoben Figur CCCLXV. Primate incerlae se- scheint durch Atrophie, nicht wie bei Necrolemur durch An- dis. — MM, inf. ist. M, hat dieses Element schon eingebüsst, aber wie mir schmelzung an den vordern Innenhügel. Im übrigen erinnert dext.— Verrerie de Roches V.’R. 15; die Modellierung der Hügel und die Art, wie sie sich zu judien. — ca. ö. Jochen zusammenschliessen, sehr an Neerolemur; ebenso eine, wenn auch nicht stark ausgesprochene, Tendenz zur Schmelzfältelung an den der Kronenmitte zugekehrten Abhängen. Aber die Kronenumrisse sind schmäler und eckiger; sie contrastieren in dieser Hinsicht besonders stark mit denjenigen der M, und M, von Necrolemur cfr. Zitteli, der den Dimensionen nach in erster ‘Linie zu vergleichen wäre. Auch ist die Höhe von Vorjoch und Nachjoch aus- geglichener als bei diesen. Ob das Ausseneingulum auf die Bucht beschränkt oder eontinuierlich ist, lässt sich nicht mehr mit Sicherheit feststellen. Eine Hinter- zacke am vordern Innenhügel, wie bei Washakius, ist nicht entwickelt. unterschieden. Vielleicht haben wir es mit einer weitern Species von ne R zu thun, vielleicht auch mit einem neuen Genus. ; er an Der dürftigen Begleitfauna nach scheint das Tierchen dem Ludien anzugehi re ah en Adapis priscus. 1511 Adapis priscus n. spec. von Egerkingen. Seit dem Druck der dem Genus Adapis gewidmeten Capitel vorliegender Arbeit!) sind mir aus Aufschluss p die folgenden beiden Documente zugekommen, welche eine zweifellos neue Adapisspecies belegen. Ich schlage für dieselbe den Namen „Adapis priscus“ vor. Basel Eh. 596. Mand. sin M‚—P,, Alveoli P,—P,. — Länge M,—P, 0,018. — Figur CCCLXVI, CCCLXVIL. Basel Eh. 758. M, inf. sin. — Länge 0,0045. Figur CCCLXVI. Adapis priseus n. spec. — Linke Mandibel mit M,—P, und Alveolen von P,—P,. — Egerkingen Eh. 596. — ®/ı. Die Zahnreihe Eh. 596 ist schon ziemlich usiert, der isolierte Molar Eh. 758 noch ganz frisch. Den Dimensionen nach stellen sich die Fundstücke an die untere Variationsgrenze der Adapis parisiensis- Gruppe; von Identität mit Adapis Rütimeyeri kann also nicht die Rede sein. Figur CCCLXVIL. Adapis priseus n. spec. — Linke Man- dibel mit M,—P, und Alveolen als die von Adapis parisiensis; insbesondere gilt diess von P,—P,, von aussen. — Egerkingen Eh. 596. — Yı. Die vier belegten Backenzähne sind relativ breiter von P, und von M,, dessen Längenbreitenindex deutlich !) Ich bemerke bei diesem Anlass, dass p. 1232, letztes Alinea, unter den Differenzen, welche vermuthlich im Bereich der individuellen Variation liegen, auch diejenigen im Verhalten des Sinus petrosus inferior (vergl. p. 1210) zu nennen gewesen wären. 1512 Stehlin, Eocaene Säugetiere. etwas kleiner ist als der von M,. Sie lassen Maxillarzähne von etwas stärkerer Querdehnung als diejenigen des Adapis parisiensis erwarten. Die Structur erinnert an Adapis Rütimeyeri. Auf der Hinterseite des vordern Innenhügels der Molaren ist — an Eh. 758 deutlich, an Eh. 596 nur sehr undeutlich — eine Kante entwickelt; von einer Hinterzacke (Mesostylid) ist keine Spur wahrzunehmen. An Eh. 758 lässt sich feststellen, dass die vordere Trigonid- spitze in analoger Weise wie bei A. parisiensis, aber nicht: sehr stark markiert ist und dass Vor- und Nachjoch in der Mitte mehr eingesenkt sind als an gleich frischen Zähnen der letztern Art, was an Anchomomys erinnert. Das „Hypo- conulid“ ist deutlich ausgegliedert und auch an den abgenützten Zähnen von Eh. 596, namentlich am M,, im Usurbild noch zu erkennen. Der hintere Innenhügel individualisiert sich an allen drei Molaren gut und nimmt an M, eine analoge Stellung gegenüber dem hintern Aussenhalbmond ein wie bei A. parisiensis. Der Talon von M, ist mässig entwickelt. Ein Cingulum umzieht den vordern Aussenhügel der Molaren, reicht aber nicht weiter nach hinten. P, differiert durch seinen kurzen, breiten Umriss in sehr auffälligem Maasse von seinem Homologon bei Adapis parisiensis; das Längenverhältniss zwischen Vorder- und Hinterhälfte ist dabei das gleiche wie bei diesem. Der vordere Innen- hügel ist weniger zurückgeschoben als dort und stelıt fast genau innen an seinem Nachbarn. Die sehr niedrige Hinterhälfte der Krone lässt deutlich den Aussen- halbmond mit transversal gestelltem Hinterarm und den an diesen anschliessenden kleinen conischen Hinterinnenhügel erkennen. Sie ist also differenzierter als bei Protadapis. Ein Hypoconulid ist nicht nachzuweisen, ebensowenig ein Innen- eingulum. Das Ausseneingulum markiert sich wie an den Molaren. Die Alveoli des P, lassen auf eine kurze und schief von hinten innen nach vorn aussen orientierte Krone schliessen. Die Praemolarreihe muss gedrängt und die Schnauze ziemlich kurz gewesen sein. Von P, ist blos die Hinterwand des Alveolus erhalten. Der Ramus horizontalis der Mandibel fällt auf durch geringe Höhe und namentlich durch geringe Höhenzunahme gegen hinten. Sein Unterrand ist nur schwach nach innen umgeschlagen und im Übergang zum Winkel nur mässig ein- gebuchtet. Der Ursprung des Processus coronoideus auf der Seitenfläche des Ramus horizontalis springt lange nicht so stark vor als bei Adapis parisiensis; die Massetergrube ist infolgedessen weniger tief, die Grube hinter dem Zahnreihen- ende überhaupt kaum markiert. Das Symphysenende liegt unter P,, also ziemlich weit vorn, das einfache Foramen mentale unter P,. ee A ee ee Adapis priscus 1513 Bei unsern Betrachtungen über die Phylogenese der Adapiden (p. 1275) vermissten wir einen zuverlässigen Beleg für die Lutstienvorstufe der Adapis parisiensis-Gruppe. Ein vorläufig im Anschluss an Adapis Rütimeyeri besprochener Mandibularmolar von Egerkingen (Ef. 404) war die einzige Spur, die sich allen- falls in diesem Sinne deuten liess. Adapis priscus, der zweifellos der parisiensis-Gruppe näher steht als der magnus-Gruppe, scheint — soweit wir ihn durch die obigen Fundstücke kennen gelernt haben — ganz geeignet, diese Lücke auszufüllen. Da er, nach seiner Begleit- fauna in Aufschluss y, wahrscheinlich dem untern Theil des Lutetien angehört, so bleibt ein dem obern Lutetien entsprechender Spielraum für eine Zwischen- form, welche zwischen seinem primitiven Gebissgepräge und dem, wie wir p. 1274 gesehen haben, schon recht evoluierten der Bartonienmutation aus dem Castrais vermitteln kann. Der Zahn Ef. 404 hält sich den Dimensionen nach ziemlich genau in der Mitte zwischen dem M, der vorliegenden Mandibel und den kleinsten M, von Adapis Rütimeyeri. Ich muss es dahingestellt sein lassen, ob er zu Adapis priscus zu ziehen ist. 1514 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Adapis sciureus n. spe. von Egerkingen. 7 Durch einen Maxillarmolaren und mehrere Mandibelfragmente aus Auf- schluss y ist für Egerkingen ein weiterer Primatentypus belegt, der bei Dimen- sionen, welche ungefähr denjenigen des Necrolemur antiquus major entsprechen, die mandibulare Zahnformel von Adapis besitzt. Da er sich auch structurell nahe an dieses (Genus, zumal an die Lutetienmutationen desselben, anschliesst, rubriciere ich ihn vorderhand als „Adapis sciureus n. spec.“. Es kann jedoch sehr wohl sein, dass eine vollständigere Documentation später nöthigen wird, ihm einen besondern Genusnamen beizulegen. Auch bin ich aus unten anzugebenden Gründen nicht ganz von der specifischen Identität der sämmtlichen mir vorliegenden Man- dibularmaterialien überzeugt. Basel Eh. 772. M, (M,?) sup. sin. — Aussenwandlänge 0,0028, Breite vorn 0,0035. Figur CCCLXVIH. Die Krone ist stark quergedehnt wie bei Adapis Rüti- meyeri und zeigt in structureller Hinsicht gegenüber den bisher beschriebenen Adapisarten einige structurelle Ab- weichungen im Sinne grösserer Ursprünglichkeit: der vordere Fig. CCCLXVII. B j : s , 3 Adapis seiureus n. Zwischenhügel ist schärfer ausgegliedert, die hintere Trigo- spec. — M, (M,?) sup. sin. — Eger- ® ? H # h R * ag hügel markiert sich sehr deutlich. Andererseits ist aber auclı kingen Eh. 772.— ?fı. © numkante hebt sich stärker hervor und der hintere Zwischen- der hintere Innenhügel überraschend stark entwickelt, sodass seine Basis wie bei Nyceticebus beträchtlich mehr lingualwärts vorspringt als die des vordern. Nach vorn zu schliesst sich an denselben ein nicht besonders kräftiges aber continuierliches Inneneingulum an. Das Ausseneingulum ist etwas unscharf wie bei Adapis Rütimeyeri. Adapis seiureus. 1515 Angesichts der übereinstimmenden Dimensionen, der structurellen Analogie mit Adapis und der identischen Provenienz scheint es mir nicht zweifelhaft, dass dieser Maxillarzahn von dem nämlichen Tiertypus herrührt wie die folgenden Mandibelfragmente. Basel Eh. 750. Fragment der linken Mandibel mit M,--P,, Stumpf von C und Alveoli von J,—J,. — Länge M,—P, 0,017, M,—M, 0,01. — Figur CCCLXIX und CCCLXX. Dr Figur CCCLXIX. Adapis sciureus n. spec. — Linke Mandibel mit M,— P,, Stumpf des Caninen und Alveolen der Ineisiven. — Egerkingen Eh. 750. — #/ı. Die Molaren unterscheiden sich von denjenigen des . : Baader et Adapis priscus structurell blos dadurch, dass das „Hypo- “SIR \ * ” ” - - ” ” ” ’ NER al conulid“ nicht ausgegliedert ist. M, ist relativ nicht breiter $ “ 2 PEN N S Figur CCCLXX. Adapis als M,, M, in Länge und Breite auffällig reduciert, ähn- seiureus n. spec. — Linke lich wie wir diess oben bei einer Varietät des Adapis MandibelmitM,—P,,Stumpf parisiensis beobachtet haben (Figur CCXLV, B, p. 1172). I er Stärker weicht P, ab; sein Talon ist sehr kurz Eh. 750. — !ı. bemessen und nur undeutlich differenziert, sein vorderer Innenhügel mehr zurückgeschoben. Er hat ein continuierliches Ausseneingulum und ein Inneneingulum, das bis an den Innenhügel reicht, Die Grössenabnahme von P, bis P, erfolgt gradweise wie bei Adapis pari- siensis, aber die Zähne sind kürzer als bei diesem und haben eine steiler gestellte Vorderkante ; sie erinnern daher gestaltlich mehr an das, in diesem Punkte primitivere, Leptadapis-phylum. Die Längsaxe von P, verläuft sagittal, diejenigen von P, und P, schräg von hinten innen nach vorn aussen. In der Detailstructur ist keine greifbare Abweichung von den früher beschriebenen Arten hervorzuheben., Das scharf markierte Innencingulum ist continuierlich, das schwächere Ausseneingulum in der Mitte sehr verwischt. Die Wurzeln von P, sind, wenigstens in ihrem obern Theil, verschmolzen. P, ist wie gewohnt einwurzlig. 38 1516 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Entsprechend der Kürze ihrer Elemente steht die Praemolarenreihe an Länge mehr hinter der Molarenreihe zurück als bei Adapis parisiensis. Vom Caninen ist blos ein schlecht characterisierter abgewaschener Stummel erhalten. Er ist auffallend vertical eingepflanzt und hat Dimensionen, die auf ein männliches Individuum deuten. Die Alveoli der beiden Ineisiven lassen Zähne von der proportionalen Stärke, welche sie bei andern Adapisarten haben, erwarten. Obwohl der Alveolarrand vorn und oben etwas beschädigt ist, glaube ich bestimmt versichern zu können, dass nur zwei Incisiven vorhanden sind. Der Ramus horizontalis erhöht sich nach hinten nur mässig, wie bei Adapis priscus; sein Unferrand schlägt sich etwas mehr nach innen um als bei diesem und ist im Übergang zum Winkel etwas stärker eingebuchtet. Der vordere Mandibel- rand ist auffällig steil gestellt und das Kinn markiert sich infolgedessen kräftig. Das Symphysenende liegt unter P,. Es sind zwei Foramina mentalia vorhanden, eines unter der Hinterwurzel von P,, das andere unter P.. Basel Eh. 754. Fragment der linken Mandibel mit M,—M,. — Länge M, —M, 0,0065. Basel Eh. 760. Fragment der linken Mandibel mit M,—M,. — Länge M, —M, 0,0065. Basel Eh. 770. Fragment der linken Mandibel mit M;—M,. — Länge M,—M, 0,0076. Basel Eh. 751. Fragment der rechten Mandibel mit M,—M, und Alveolen von P,Ä,—P,. — Länge M;—M, 0,0055. An allen diesen Fundstücken sind die Kronen der M, etwas kürzer im Ver- gleich zur Breite als an dem oben beschriebenen; auch macht sich in der Nach- jochkante ihrer M, und M, das Hypoconulid etwas bemerkbar. An den drei erst- genannten erscheint M, im Vergleich zu M, etwas weniger reduciert als an Eh. 750. Während Eh. 754 und Eh. 760 in den Gebissdimensionen ziemlich genau mit Eh. 750 übereinstimmen, ergiebt sich für Eh. 770 ein etwas grösserer, für Eh. 751 im Gegentheil ein etwas kleinerer Werth (M,—M, an Eh. 750 = 0,007; M,—M, = 0,0063). Am auffälligsten sind die Differenzen im Verhalten des Mandibelknochens. Die Höhe des Ramus horizontalis misst unter der Hinterhälfte von M, an Eh. 751 (das die kleinsten Zähne trägt) 0,0045, an Eh. 770 (das die grössten Zähne trägt) 0,005,-an Eh. 750 0,0063, an Eh. 764 0,007, an Eh. 760 0,0075. An den beiden letztern Stücken ist die Schwingung des Unterrandes und, soweit ihr frag- mentärer Zustand ein Urtheil gestattet, die Erhöhung des Ramus von vorn nach hinten accentuierter als an Eh. 750, während Eh. 751 und wohl auch Eh. 770 in Adapis seiureus, 1517 diesen beiden Punkten in entgegengesetztem Sinn abweichen. An Eh. 760, 764 und 750 ist auch die Massetergrube tiefer und nach vorn schärfer umrandet als an Eh. 770. ' An Eh. 770 sind Ramus ascendens und Winkel etwas vollständiger erhalten als an den andern, leider fehlt aber der Hinterrand mit dem Condylus und das Ende des Processus coronoideus. Man sieht, dass diese Kieferpartie sagittal ziemlich gedehnt war, dass der Condylus um ein beträchtliches über der Flucht der Zahnreihe lag und von dem Processus coronoideus, der einen leicht gebogenen und mässig nach hinten geneigten Vorderrand hat, noch bedeutend überragt wurde. Dieser Vorderrand hebt sich etwas weiter vorn als an den andern Exemplaren von der Aussenfläche des Ramus horizontalis ab und scheint auch schärfer zu sein, als er bei diesen war. Die Grube hinter M, markiert sich infolgedessen im Gegen- satz zu der Adapis priscus-Mandibel sehr stark. Trotz diesen, etwas über das gewohnte Maass individueller Variation hinaus- gehenden, Differenzen rechne ich bis auf weiteres auch die Mandibel Eh. 770 zu Adapis sciureus. Adapis sciureus ist bis jetzt nur in Aufschluss y nachgewiesen und scheint wie Adapis priscus zur Fauna des ältern Lutetien zu gehören. Im Anschluss an die eben besprochenen Species, aber ohne es in dieselbe einzubeziehen, sei das folgende Fundstück erwähnt: Basel Eh. 381. M, oder M, inf. sin. — Länge 0,004. — Tafel XXII, Figur 5. Am vordern Innenhügel ist in der Figur ein Schmelzdefeet ergänzt worden. Der Zahn stimmt im Umriss gut mit dem M, von Eh. 770 überein und weicht auch structurell nicht in greifbarer Weise von ihm ab. Er erscheint aber entschieden zu gross, um noch zu Adapis sciureus gerechnet und wiederum zu klein, um zu Adapis priscus gezählt zu werden. Da er aus Aufschluss « stammt, kündigt er vielleicht eine etwas evoluiertere, dem obern Lutetien angehörende Mutation des Adapis sciureus-Stammes an. 1518 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Nachträgliche Bemerkungen über das Verhältniss von Adapis zu den Notharctiden. Ich habe oben p. 1287 ff. auf die namhaften Differenzierungsdivergenzen zwischen den obern und untern Molaren und Caninen der Nothbaretiden und der _ Adapiden hingewiesen und daraus gefolgert, dass (1) die Adapiden jedenfalls nicht, wie Schlosser angenommen hat, von Notharctus abzuleiten sind (was auch schon aus chronologischen Gründen als unzulässig erscheint), dass (2) auch das Wasatch- stadium der Notharctiden, Pelycodus, nicht als Wurzel des Adapidenstammes gelten kann, da es allbereits deutliche Anfänge der Notharctidendifferenzierung zeigt und dass (3) die bisher vorliegende, wesentlich odontologische Characteristik der Notharctiden nicht genügt, um die Annahme einer nahen Beziehung derselben zu den Adapiden zu begründen, sondern die Möglichkeit offen lässt, dass die beiden Stämme „schliesslich ihren Platz an ziemlich weit von einander entfernten Stellen des Primatensystems finden werden“. !) Inzwischen hat Gregory höchst interessante Beobachtungen an Schädel und Skelet von Notharctus gemacht ?), aus welchen hervorgeht, dass der ameri- canische Stamm osteologisch sehr nahe mit Adapis übereinstimmt, Demgemäss dürfen wir die Notharctiden so nahe an die Adapiden heranrücken, als es die Gebissmerkmale irgend gestatten. :) Gregory resumiert meine Darlegungen unrichtig, wenn er mich kurzweg sagen lässt „that the Adapidae and the Notharetidae were rather widely separated families not more nearly related to each other than to other groups of Lemuroids“. ®) W.K. Gregory, Relationship ofthe Tupajidae and of Eocene Lemurs, especially Notharetus. Bull. Geol. Soc. Am. XXIV, 1913, p. 247. Idem, On the relationship of the Eocene Lemur Notharetus lo the Adapidae and to other Primates (Manusecript; s. oben p. 1324). Nachträgliche Bemerkungen über das Verhältniss von Adapis zu den Notharetiden. 1519 Gregory geht nun aber noch einen Schritt weiter und hierin kann ich ihm nicht folgen. Er versichert, die ältesten Pelycodus verhalten sich odontologisch so primitiv, dass „according to accepted principles of dental evolution‘ auch Adapis von ihnen abgeleitet werden könne. Da die Frage, ob Adapis sich auf eine americanisch-untereocaene Wurzel zurückführen lässt, von grossem Interesse für unsere Betrachtung ist, scheint es mir nicht überflüssig, genau hervorzuheben, warum nach meiner Ansicht Gregory mit dieser Behauptung zu weit geht. Der hintere Innenhügel von Pelycodus macht sich zuerst als schwache An- schwellung im Verlauf einer Kante bemerkbar, welche sich hinten am vordern Innenhügel gegen das Cingulum herabzieht (s. Figur CCCLXXI). Diese — nicht etwa mit der hintern Trigonumkante zu verwechselnde — Kante ist dem Genus Adapis in allen seinen Stadien vollkommen fremd; wir haben sie daher als ein Characteristicum der Notharctidenstructur zu betrachten. Bei der primitivsten Pelycodusspecies, Pelycodus | ralstoni ist, wie Gregory und Matthew versichern, zwar noch keine Andeutung des hintern Innenhügels zu bemerken; aber die Kante, in der er sich ausgliedert, ist, wie die soeben von Matthew publieierte Abbildung einer Oberkieferreihe dieser Form zeigt, ganz deutlich ausgebildet.!) Auch die Maxillar- ——— — molaren von Pelycodus ralstoni befinden sich somit allbereits Figur CCCLXXI. Pelycodus trigonodus Matthew. — M, sup. Ich habe ferner oben (p. 1288) auf namhafte Structur- dext. — Big Horn, differenzen zwischen den Mandibularcaninen der Adapiden und Wyoming; Wasatch. — Basel N. A. 15056. — ca. ı. im Entwicklungsgeleise der Notharctiden. der Notharctiden aufmerksam gemacht, wobei ich mich für letztere auf eine bei Leidy abgebildete Mandibel des evoluierten Notharctus tenebrosus beziehen musste. Der Mandibularcanin von Pelycodus ist nun freilich meines Wissens auch heute noch nirgends abgebildet. Aber in seiner neuesten Arbeit?) giebt Matthew denjenigen des Notharetus venticolus aus der Windriverstufe wieder, einer Species, die dem Genus Pelycodus noch sehr nahe steht und in diesem Zahne sicher nicht wesentlich von demselben abweicht. Der Adapiscanin lässt sich be- stimmt nicht von einem so oder annähernd so gestalteten Typus ableiten, sondern kann sich nur aus einer viel praemolarenartigeren Grundform entwickelt haben. ') W.D. Matthew and W. Granger, A Revision of the Lower Eocene Wasatch and Windriver Faunas IV. Bull. Am. Mus. Nat. Hist. XXXIV, 1915, Fig. 4 p. 436. — Am M, dieser Reihe ist übrigens die Anschwellung, aus der sich der hintere Innenhügel entwickelt, angegeben. 2) ]. c., Fig. 17, p. 443. 1520 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Diese Anhaltspunkte, so geringfügig sie scheinen mögen, genügen meiner Ansicht nach um festzustellen, dass auch der primitivste Pelycodus nicht primitiv genug ist, um als Ausgangspunkt der Adapiden in Betracht zu kommen.') Ich zweifle nicht daran, dass sich bei vollständigerer Kenntniss der ältesten Stadien beider Stämme bald noch andere Gründe, den Divergationspunkt derselben weiter rückwärts, als Gregory will, zu suchen, ergeben werden. Gregory glaubt die Structurdivergenzen, welche zwischen dem Adapiden- und dem Notharctidengebiss bestehen, beruhen auf Unterschieden im Kaumechanismus und meint, wenn ich mir hievon Rechenschaft gegeben hätte, wäre mein Urtheil über die Beziehungen von Adapis zu den Notharctiden anders ausgefallen. Diese Bemerkung meines geschätzten Critikers ist mir unverständlich. Welches auch der Grund jener Structurdivergenzen sein mag, sie sind nun einmal Thatsache, haben eine bestimmte Zeit gebraucht, um sich herauszubilden und sind bei der Reconstruction des Stammbaumes zu berücksichtigen. Die Divergenz der Stamm- linien muss unter allen Umständen bis an den Zeitpunkt zurückgeschoben werden, wo die Divergenz der Gebissstructuren deutlich wird. Das ist die sehr einfache Logik meiner Ausführungen und ich denke kaum, dass sich dagegen etwas Stich- haltiges einwenden lässt. Auf Gregorys Ansichten über den Zusammenhang von Kaumechanismus und Gebissstrucetur werde ich unten noch zurückkommen. 1) Gregory greift im übrigen auch fehl, indem er Protadapis als primitivsten Adapiden in diese Diskussion zieht. Vergl. oben p. 1284, 1289. Morphologische Schlussbetrachtungen zu den Primaten, 1521 Morphologische Schlussbetrachtungen zu den Primaten. Die phylogenetische Speculation erzielt ihre zuverlässigsten Resultate zweifel- los da, wo sie in der Lage ist, auf Grund einer wenigstens in odontologischer Hinsicht einigermassen vollständigen Documentation den Wandlungen der Structur durch eine Reihe unmittelbar auf einander folgender Horizonte Schritt für Schritt nachzugehen. In der vorliegenden Monographie, die sich mit einem wesentlich odontologischen, einer geschlossenen aber relativ kurzen Serie von Horizonten entnommenen Material befasst, hätte ich mich füglich darauf beschränken können, Schlussfolgerungen dieser Art zu ziehen. Allein die Frage nach den Fäden, welche die recente Primatenwelt mit derjenigen vergangener Epochen verbinden, ist für uns, aus naheliegenden Gründen, eine ganz besonders spannende. Sie wird immer wieder aufgeworfen werden, welches äuch der Stand der palaeontologischen Documentation sein mag. Dürfen wir auch mit Bestimmtheit darauf rechnen, dass dieser sowohl’ aus Europa und Nordamerica als aus Asien, Africa und Südamerica mit der Zeit noch viele und wichtige Er- gänzungen zufliessen, so ist es doch sehr unwahrscheinlich, dass wir jemals in die Lage kommen werden, alle die vielen Formenketten, welche einst dagewesen sind, auch nur ihren Gebissen nach Glied für Glied in unsern Museen wieder herzustellen. Man wird daher auch immer wieder versuchen, solche phylo- genetische Schlüsse zu ziehen, welche namhaftere Lücken der Documentation überspringen. Die grosse Divergenz der Meinungen in diesen kühnern Fragen der phylo- genetischen Forschung lehrt deutlich genug, dass das Rüstzeug, welches uns zur Begründung derselben zu Gebote steht, gegenwärtig noch ein höchst unvollkommenes ist. Es liegt indessen kein Grund vor an der Lösung der Aufgabe zu verzweifeln. 1523 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Durch sorgfältige Critik ist es vielleicht möglich dieses Rüstzeug allmählig so zu verbessern, dass wir auch solchen weiter ausgreifenden Schlüssen einen erheblichen Grad von Evidenz zu verleihen vermögen. In der Hoffnung hiezu etwas beizutragen, komme ich im Folgenden zu- sammenfassend auf einige Partien der Primatenstructur zurück, welche mir beim gegenwärtigen Stande der palaeontologischen Documentation vorzugsweise geeignet scheinen, Motive zur Begründung weiter ausgreifender phylogenetischer Schlüsse zu liefern. Es wird sich dabei Gelegenheit bieten, noch einige weitere Bemerkungen anzuknüpfen. Annulus tympanicus. Die recenten Primaten scheiden sich nach dem Verhalten des Annulus tympanicus in zwei scharf getrennte Sectionen. Bei den Affen, bei Tarsius und bei den nicht madagassischen Halbaffen tritt derselbe in solide Verbindung’ mit dem Bullarand und bildet einen Rahmen um die Gehöröffnung, der sich bald mehr, bald weniger, bald gar nicht in einen knöchernen Gehörgang verlängert. Bei den madagassischen Halbaffen dagegen verhält er sich passiv und hängt als freier Ring in der oben!) bei Lemur näher beschriebenen Weise im Innern der Bulla, mit dem Bullarand blos durch eine Membran verbunden, welche allerdings in einigen Fällen (Adapis, Megaladapis) nachträglich der Verknöcherung anheimfällt. A priori konnte man erwarten, die eocaenen Primaten werden uns Auf- schluss darüber geben, wie diese beiden Structurtypen mit einander zusammen- hängen. Allein bis jetzt hat sich diese Erwartung als eitel erwiesen. Von den drei eocaenen Genera, deren Öhrregion näher untersucht ist, reihen sich zwei — Adapis und Notharetus — entschieden an die madagassischen Halbaffen, das dritte — Necrolemur — ebenso entschieden an die andre Sektion an. Bis auf weiteres sind wir also hinsichtlich dieser spannenden Frage auf Hypothesen angewiesen. Gregory?) scheint anzunehmen, der Typus, dem die Nycticebiden, Tarsiiden und Affen folgen, habe sich aus dem Lemurtypus entwickelt. Mir scheint es viel wahr- schemlicher, dass keiner dieser beiden Typen auf den andern zurückzuführen ist, sondern dass sie von einem primitiveren Zustand aus divergieren, in welchem die 1) p. 1210 ff. ?) 1915 1. p. 1324 e., in der Discussion des Verhältnisses von Pronycticebus zu den „Lorisidae‘. Morphologische Schlussbetrachungen zu den Primaten. 1523 Bullawand noch häutig war wie bei Marsupialiern, Insectivoren und gewissen primitiven Artiodactylen. Dafür spricht zunächst die Erwägung, dass höchst wahrscheinlich ein solcher Zustand für alle Säugetiere der ursprüngliche ist, dann aber im speciellen die Thatsache, dass bei Megaladapis, wo der ganz nach Lemur- art situierte Annulus schliesslich doch noch eine solide Verbindung mit dem Bullarand eingeht, diese auf wesentlich andre Art erfolgt als bei Nycticebiden ete.') Endlich wird auch die bei Necrolemur constatierte Betheiligung des Alisphenoides an der Bullawand?) unter dieser Voraussetzung verständlicher als unter andern. In der genealogischen Speculation nehme ich demgemäss bis auf bessere Belehrung an, eine Primatenform, welche im Verhalten des Annulus dem einen der beiden Typen folgt, könne mit Formen, welche dem andern folgen, nur durch Vermittlung eines Vorfahren, welcher noch in jenem ursprünglichen Zustande beharrt, zusammenhängen. Dagegen wäre der Schluss, alle Formen, welche im Verhalten des Annulus ein und demselben Typus folgen, hängen unter sich näher zusammen als mit solchen, die dem andern folgen, offenbar vorschnell. Es ist vielmehr denkbar, dass verschiedene Stämme den Urzustand unabhängig von einander in derselben Richtung weiter entwickelt haben und es erscheint daher durchaus nicht ausgeschlossen, dass ein Stamm, der dem Typus A folgt, mit einem Stamme vom Typus B näher verwandt ist als mit andern Stämmen vom Typus A. So wird es sich wohl mit den Lemuriden und Nycticebiden verhalten, welche die Systematik aus plausibeln Gründen in eine Categorie höheren Ranges zusammen- fasst, während nach dem Verhalten des Annulus die letztern an die Tarsiiden und die Affen anzuschliessen wären. Ob die Vorfahren der Lemuriden und Nycticebiden, die wir nicht kennen, den Urzustand der Öhrregion länger festgehalten haben als die Adapiden, Notharctiden und Necrolemuriden, oder ob sie ihn schon ebenso früh wie diese modificiert haben, ist vorderhand eine offene Frage. Im letzteren Falle wäre ihr Trennungspunkt im Untereocaen oder eher noch tiefer zu suchen. Verlauf der Carotis interna. Wie im Verhalten des Annulus tympanicus bestehen innerhalb der Primaten- ordnung auch erhebliche Gegensätze in der Art und Weise, wie die Carotis interna von dem Punkte an, wo sie mit dem Schädel in Berührung kommt, ihren Weg in 1) S. oben p. 1215. 2) S. oben p. 1351. 1524 Stehlin, Eocaene Säugetiere. das Innere der Gehirnkapsel und zum Cireulus Willisii findet.!) Bei den mada- gassischen Halbaffen, mit Ausnahme einiger Chirogoleimen, dringt sie etwas inner- halb des Foramen stylomastoideum in die Bulla ein, durchsetzt dieselbe auf dem oben?) bei Lemur beschriebenen Wege und erreicht die Gehirnhöhle durch ein Foramen im lateralen Rand der Sella. Bei einigen Chirogaleinen und bei den Nycticebiden gelangt sie unter Umgehung des Perioticums durch ein vorn aussen am vorderen Bullaende gelegenes Foramen lacerum medium in die Gehirnhöhle. Bei den Platyrhinen — deren Plan mit relativ unbedeutenden Abweichungen auch die höheren Affen folgen — zieht sie durch einen längs der Wand zwischen Cellulae petrosae und Bulla verlaufenden Canal, dessen Eingang in der medialen Bullawand vorn unten am Foramen lacerum posticum liegt, während sich sein Aus- gang nach der Gehirnhöhle in der vorderen Spitze des Petrosum, auf der Grenze der Pars petrosa und der Cellulae befindet. Bei Tarsius endlich tritt die Carotis von unten aussen in die Bulla ein, durchsetzt dieselbe in einem Canal, welcher im Rande des Septums zwischen der Paukenhöhle und dem grossen vordern Nebenraum derselben verläuft und erreicht die Gehirnhöhle, nach van Kampen, an der Spitze der Cochlea. Auch in der Frage, wie diese verschiedenen Typen des Carotisverlaufes unter einander zusammenhängen, haben uns die Befunde an eocaenen Primaten bis jetzt keinen Schritt weiter gebracht. Adapis schliesst sich, wie wir gesehen haben, aufs engste an die madagassischen Halbaffen an und das gleiche gilt nach Gregory für Notharetus; Necrolemur dagegen verhält sich in Bezug auf die äussere Öffnung des Carotiscanales, welche bis jetzt allein festgestellt ist, wie niedere Platyrhinen. Allem Anschein nach liegt der Gegensatz zwischen den verschiedenen Typen des Carotisverlaufes weniger tief als derjenige zwischen den beiden Tympanicum- typen. Dafür spricht schon der Umstand, dass nach den Autoren®) die Familie der Chirogaleinae, ja sogar ein einzelnes Genus derselben — Microcebus — sowohl Arten, die sich wie die Nycticebiden, als solche, die sich wie die Lemuriden ver- halten, umfasst. Es liegt keine Nöthigung vor, die vier Typen auf einen fünften !) Für alle Details verweise ich auf van Kampen, Die Tympanalgegend des Säugetierschädels, 1905, p. 654 ff. 2)up., 1919: ®) Van Kampen |. e. p. 661. — Ich habe selbst nur Schädel von Chirogaleus Milii und Mierocebus pusillus untersuchen können und an denselben die nämliche Disposition der Foramina wie bei Nycticebiden festgestellt: ein ansehnliches Foramen lacerum medium vorn an der Bulla und ein winziges Löchchen in der Medianwand der letzteren. (Vergl. oben p. 1355). Morphologische Schlussbetrachtungen zu den Primaten. 1525 zurückzuführen, der primitiver als sie alle ist; vielmehr besteht eine grosse Wahr- scheinlichkeit für die schon von Gregory und andern ausgesprochene Ansicht, dass der Lemuridentypus, welcher sich am engsten an die Verhältnisse bei In- sectivoren anschliesst, den Grundtypus darstellt, aus dem sich die andern ent- wickelt haben. Affentypus und Nyeticebidentypus wären demgemäss zwei in divergenten Entwicklungsriehtungen erzielte Seeundärzustände. Der Tarsiustypus kann, bis auf einen gewissen Grad wenigstens, als ein Zwischenglied zwischen Lemuridentypus und Affentypus gelten. Die Veranlassung dieser Verlagerungen der Carotis ist bis jetzt nicht er- gründet. Ob dieselben einen physiologischen Vortheil bieten, erscheint sehr fraglich.") Jedenfalls aber ist bemerkenswerth, dass die Verlagerung sowohl bei den Nycticebiden als bei den Affen und Tarsiiden mit einer Erstarkung des Gefässes und damit wohl auch mit einer Schwächung der Arteria vertebralis, welche bei den Lemuriden fast die ganze Blutversorgung des Gehirnes besorgt, Hand in Hand geht. Bei den höheren Affen ist die Rolle der letztern eine noch untergeordnetere als bei den Lemuriden diejenige der Carotis interna. _ Fossile Formen, welche dem Lemuridentypus folgen, wären obiger Auffassung zufolge weder eo ipso aus der Ascendenz solcher recenter Formen, die einem andern Typus folgen, auszuschliessen, noch eo ipso in nähere Verbindung mit solchen zu bringen, welche den Lemuridentypus bis heute festgehalten haben. Andererseits aber gehören jedenfalls Formen, welche schon im Eocaen die Carotis interna im einen oder im anderen Sinn verlagert haben, nicht in die Ascendenz von solchen, die dem Lemuridentypus folgen. Auch ist wohl mit Bestimmtheit anzunehmen, dass Vertreter des Affentypus und Vertreter des Nycticebidentypus nicht in einem direeten Verwandtschaftsverhältniss zu einander stehen; wahr- scheinlich gehen solche auch nicht aus ein- und derselben enger begrenzten Stamm- gruppe hervor. Dagegen beweisen die recenten Chirogoleinae, dass Formen mit primitiver und Formen mit nach einer bestimmten Richtung abgeleiteter Anordnung des Carotisverlaufes in sehr naher Beziehung zu einander stehen können. Das lemurartige Verhalten der Carotis bei Adapis und Notharetus ist an und für sich nicht beweisend für einen näheren Zusammenhang mit den Lemuriden. Erst dadurch, dass es sich mit andern, in dieselbe Richtung weisenden, Anklängen combiniert, gewinnt es einige Beweiskraft in diesem Sinn. Necrolemur ist durch 1) Es ist wohl überflüssig darauf hinzuweisen, dass Wortmans Annahme (1903, 1. ec. p. 159), das Blut, welches die Arteria vertebralis liefert, stehe demjenigen, welches die Garotis liefert, quali- tativ nach, jeder Begründung entbehrt. 1526 Stehlin, Eocaene Säugetiere. seinen Carotisverlauf allein schon sowehl aus der Ascendenz der recenten Lemu- riden und Chiromyiden, als aus derjenigen der Nycticebiden ausgeschlossen. Da er seinen abgeleiteten Zustand selbständig erlangt haben kann, ist derselbe nicht ohne weiteres beweisend für ein näheres Verhältniss zu den Affen oder zu den Tarsilden. Sonstige Schädelmerkmale. Skelet. Viel schwerer ist es, Anhaltspunkte, welche ähnlich zuversichtliche Schlüsse wie das Verhalten des Annulus tympanicus und der Carotisverlauf gestatten, auch in andern Theilen des Schädelgerüstes zu finden; sei es nun in der Structur com- plexerer Partien wie Jochbogen, Kiefergelenk, Pterygoidalregion, Schnauzenspitze, sei es in der Umgrenzung einzelner Knochen wie Laerymale, Frontale, Man- dibulare ete. Analoge Anpassung kann hier gewiss oft überraschend analoge Erfolge haben. Andererseits kann aber auch gewiss nicht jede beliebige Modellierung aus jeder beliebigen andern hervorgehen. Vielmehr wird sich der Dollo’sche Satz „evolution est irröversible* auch in diesen Verhältnissen geltend machen; es frägt sich nur wie. Vorderhand sind wir in dieser Frage noch fast ganz auf ein subjektives Dafürhalten angewiesen. Zu einem bestimmt motivierbaren Urtheilen werden wir erst gelangen, wenn einmal die vergleichende Craniologie eine bedeutend gründ- lichere Durcharbeitung erfahren hat, als sie sie heute besitzt. Ein Hauptmangel der meisten einschlägigen Erörterungen, die neuesten nicht ausgenommen, scheint mir darin zu liegen, dass sie ein Gesetz, welches in der Differenzierung der Schädel- formen eine grundlegende Rolle spielt, gänzlich ignorieren; das Gesetz nämlich, demzufolge innerhalb eines Typus die Gehirnkapsel und in schwächerem Maasse auch die Orbita relativ um so grösser bemessen sind, je geringer die Körpergrösse ist. Eine beträchtliche Anzahl von Unterschieden der Schädelstructur, welche gemeinhin rein descriptiv behandelt werden, sind nichts anderes als Consequenzen dieses Gesetzes. !) Mit Differenzierungen von Rumpf- und Extremitätenskelet zu argumentieren giebt uns das Primatenmaterial aus dem europäischen Eocaen noch wenig Anlass. Auch .hier ist unser Urtheil über den Giltigkeitsbereich des Satzes von der Irre- versibität der Entwicklung noch sehr unsicher. Manche Gestaltungen von Gelenken ') Vergl. oben p. 1250 und p. 1342. Ferner H.G. Stehlin, Über die Geschichte des Suiden- gebisses. Abhandlungen der schweizerischen palaeontologischen Gesellschaft, 15899 —1900, p. 1250 ff. Morphologische Schlussbetrachtungen zu den Primaten. 1597 und Muskelansätzen, Dehnungen und Verkürzungen einzelner Knochen können ohne Zweifel unter dem Einfluss einer neuen Anpassung bis auf einen gewissen Grad wieder rückgängig gemacht werden. Dass diess aber z. B. auch für eine Dehnung von Calcaneus und Naviculare, wie sie bei Necrolemur und bei einem Primaten der Bridgerstufe festgestellt ist, zutrifft, möchte ich sehr bezweifeln. Vordergebiss. Sehr verschieden differenziert sind die recenten Primaten wiederum in ihrem Vordergebiss. Allen gemeinsam ist blos die eine Eigenthümlichkeit, dass sie oben sowohl als unten ein Incisivenpaar der eutherischen Formel eingebüsst haben. Man kann drei Typen unterscheiden. Bei den Affen ist der Zustand insofern ein „normaler“, als obere und untere Vorderzahnreihe in typischer Weise in einander greifen, die Caninen steil eingepflanzt, caniniform und mehr oder weniger verstärkt und die Ineisiven kleiner als die Caninen sind. Das Vordergebiss von Tarsius, das durch den Wegfall eines weitern mandibularen Ineisivenpaares und durch Verstärkung des vordern Inter- maxillarincisiven ausgezeichnet ist, kann als etwas specialisierter Fall noch unter diesen Typus rubrieiert werden. Das Vordergebiss von Chiromys dagegen ist durchaus aberrant eingerichtet und repräsentiert einen zweiten stark abweichenden Typus. Es besteht oben und unten aus einem einzigen permanent wachsenden Zahnpaar und nimmt sich aus wie eine — allerdings sehr freie — Variante zu demjenigen der simplicidentaten Nager. Wir haben oben gesehen, dass die untern Vorderzähne sehr wahrscheinlich als Caninen zu deuten sind, während die obern entweder den J, oder den J, der eutherischen Formel entsprechen. Die Mandibularcaninen haben also ihre normalen Antagonisten verloren und sind in Wechselwirkung zu einem Ineisivenpaar getreten. Auch das Vordergebiss der übrigen Halbaffen weicht weit vom normalen Zustande ab, aber in einer ganz andern Richtung. Es repräsentiert den dritten Typus. ‘ Die dicht aneinander geschlossenen untern Ineisiven und Caninen sind sehr schräg eingepflanzt und haben eigenthümlich pfriemenartig verlängerte Kronen, welche dadurch, dass sie den Wurzeln schief aufgesetzt sind, die Einpflanzung noch inclinierter erscheinen lassen, als sie wirklich ist und zusammen eine Art Kamm darstellen. Die steil gestellten obern Ineisiven besitzen dagegen kurze schaufelformige Kronen und erleiden häufig eine beträchtliche Reduction, die sich zu völligem Schwund steigern kann. Der vertical eingepflanzte obere Eckzahn 1528 Stehlin, Eocaene Säugetiere. ist mehr oder weniger verstärkt und hat eine comprimierte, meistens etwas säbel- förmige Krone. Er steht nicht in Wechselwirkung mit dem ganz anders gearteten untern Eckzahne, sondern hat seinen Antagonisten in dem, hinter ihm in die Oberkieferzahnreihe eingreifenden, vordersten Mandibularpraemolaren, welcher sich der Rolle eines Caninen durch beträchtliche Erhöhung seiner, gleichfalls compressen und scharfkantigen, Krone angepasst hat. In der Frage nach dem Zusammenhang dieser so weit von einander ab- weichenden Vordergebisstypen haben wir wenigstens einen vollkommen zuver- lässigen und allgemein anerkannten Leitfaden. Es ist diess der Satz, dass ein einmal preisgegebener Zahn nicht wieder auftritt. Die Consequenzen desselben liegen so sehr auf der Hand, dass es überflüssig wäre, sie im einzelnen zu for- mulieren. Aber sie führen uns nicht bis an unser Ziel. Zur weitern Ergründung der Frage stehen bereits eine Anzahl interessanter palaeontologischer Daten zu Gebot. Zunächst hat sich herausgestellt, dass der Affentypus des Vordergebisses unter den eocaenen Primaten sehr verbreitet ist. Americanischerseits gehören hieher die Notharcetiden, Anaptomorphus, Washakius und wahrschemlich noch einige unvollständiger belegte Genera. Auch Omomys und Euryacodon können als Varianten dieses Typus betrachtet werden, obwohl bei ihnen der untere J, den Caninen an Stärke übertrifft. Europäischerseits zeigen das gleiche Verhalten die Genera Pronycticebus, Anchomomys und Adapis; auch Protadapis und Caeno- pithecus können hier angeschlossen werden. Formen wie Adapis, deren sonstige Merkmale sie sehr entschieden in die Nähe der Lemuriden verweisen, lehren uns ferner, dass es durchaus irrig wäre, diesen Vordergebisstypus als ein ausschliessliches Characteristicum derjenigen Sippe zu betrachten, aus welcher die modernen Affen und Tarsiiden hervorgegangen sind; die Verbreitung desselben unter den Primaten des Eocaens ist offenbar grösser. Weiterhin hat uns die fossile Primatenwelt einige werthvolle Aufklärungen über den so stark specialisierten Chiromystypus gebracht. Wir kennen einerseits in Chiromyoides, Amphichiromys, Heterochiromys typische Vertreter desselben aus dem Eocaen, andererseits in Necrolemur, Pseudoloris, Tetonius, Trogolemur, Plesiadapis Formen, deren Vordergebisse einen allmähligen Übergang zwischen dem Affentypus und dem Chiromystypus herstellen; so dass sich die Hypothese der letztere sei ein Derivat des ersteren mit gewichtigen Argumenten stützen lässt. Keinerlei Licht werfen dagegen bis jetzt die palaeontologischen Urkunden auf die Entwicklungsgeschichte des Lemuridentypus. Nicht nur fehlt es im Hocaen u E u ee ni Morphologische Schlussbetrachtungen zu den Primaten. 1529 durchaus an terminalen Vertretern desselben, sondern man sucht auch in der ganzen, doch schon recht beträchtlichen Phalanx der europäischen und america- nischen Eocaenprimaten vergeblich nach Formen, deren Vordergebiss wenigstens einen unverkennbaren Differenzierungsanfang in dieser Richtung erkennen liessen. — Wir sind daher in der Frage nach der Herkunft dieses Typus vorderhand darauf angewiesen, mit etwas schwächern Argumenten zu operieren. Es erscheint durchaus begreiflich, dass unter solchen Umständen noch kein Consensus erzielt ist. Eine sehr verbreitete, man kann sagen die herrschende, Ansicht geht dahin, die caniniforme Ausbildung des Mandibularcaninen, welche innerhalb der Primaten- ordnung das Hauptcharacteristicum des „Affentypus“ ist, sei bei den Säugetieren im allgemeinen ein schlechthin primitiver Zustand. So urtheilt, in der uns hier im speciellen beschäftigenden Frage, zum Beispiel Gregory, wenn er das Vorder- gebiss von Adapis im Vergleich zu dem von Lemur kurzweg als primitiv hinstellt. Diese Ansicht stützt sich offenbar auf die Thatsache, dass caniniforme Ausbildung des Mandibularcaninen unter alten Säugetierenformen im allgemeinen und, wie wir gesehen haben, unter den eocaenen Primaten in besondern, eine sehr verbreitete Eigenthümlichkeit ist. Allein als ausschlaggebend in unserer Frage kann diese Thatsache durchaus nicht gelten. Es ist vielmehr sehr wohl möglich, dass alle jene alten Formen in ihrem Vordergebiss nicht primitiv, sondern früh- zeitig specialisiert sind. Um plausibel zu erscheinen, müsste sich die von Gregory vertretene Auf- fassung wenigstens auf die Analogie mit irgend einer wohlbeglaubigten Entwicklungsreihe berufen können, welche ebenso divergent ausgebildete Glieder enthielte wie der Mandibularcanin von Adapis oder Notharctus einerseits und derjenige von Lemur andererseits. Nun machen ja Zähne und besonders Vorderzähne im Verlauf der phylo- genetischen Entwicklung manchmal erstaunliche Wandlungen durch; ich erinnere z.B. an die Ineisiven der Proboscidier oder an die Hauer der Schweine, zumal die obern. Gerade bei letztern kann einem auf den ersten Blick der Gegensatz zwischen dem Ausgangsstadium, wie es bei dem weiblichen Palaeochoerus vor- liegt und dem Endstadium beim männlichen Sus ebenso erheblich oder erheblicher vorkommen als derjenige zwischen den Mandibularcaninen von Adapis und Lemur. Bei genauerer Prüfung stellt sich indessen ein sehr wesentlicher Unterschied heraus. Die Etappen, welche vom Maxillarcaninen des weiblichen Palaeochoerus zu demjenigen des männlichen Sus führt, reihen sich in gerader Linie aneinander, 1530 Stehlin, Eocaene Säugetiere. die Umwandlung erfolgt in einer bestimmten unveränderlichen Richtung. ') Auch da, wo der Hauer schliesslich verkümmert wie bei Sus major und Sus choeroides, findet keine Umorientierung der Entwicklungsrichtung statt; es schliesst sich nur an die Phase progressiver Entwicklung eine Phase regressiver Entwicklung an. Eine über den Mandibularcaninen von Adapis (Figur CCLXXII, p. 1243) zu dem von Lemur führende Entwicklungsreihe würde ein wesentlich andres Bild darbieten. Der Mandibularcanin des männlichen Adapis ist ja zweifellos nicht mehr ganz primitiv; das ergiebt sich ohne weiteres aus den Differenzen, welche er gegenüber dem weiblichen zeigt. Wir haben gesehen, dass dieser sich in Stärke und Structur näher an die Praemolaren anschliesst. Beim männlichen Tiere ist der Zahn erstarkt, er hat eine steilere Stellung angenommen, seine Basis und mit ihr die vordere Kronenecke haben sich gehoben, wodurch die fast wagrecht gestellte sagittale Schneide zustande kam.) Um von diesem Stadium zu dem Mandibularcaninen von Lemur zu gelangen, müssten wir eine secundäre Schwächung, verbunden mit einer Umorientierung der Differenzierungsrichtung, wie wir sie in der Entwicklungsbahn Palaeochoerus-Sus nirgends finden, annehmen. Analoge Schwierigkeiten würde auch eine Reihe Notharctus-Lemur bieten. Der Lemurcanin zeigt z. B. auf der Lingualseite tiefe Kerben, die sicher keine Neubildungen sind, da sie an den Praemolaren ihre genauen Äquivalente haben. Am Notharctuscanin fehlen sie. Ich bin durchaus bereit anzunehmen, dass Caninen wie diejenigen von Adapis und Notharctus verkümmern können bis auf Rudimente oder bis zum völligen Schwund, so gut wie die Stosszähne der Elephanten. Aber der Ansicht, dass ein Zahn einer Umorientierung der Entwicklungsrichtung, wie sie die Linien Adapis-Lemur und Notharetus-Lemur voraussetzen würden, fähig ist, kann ich mich vorderhand nicht anschliessen, da alle meine Bemühungen im Thatsachen- vorrath der Säugetierpalaeontologie auch nur einen sichergestellten Fall dieser Art zu finden vergeblich waren. Bis auf weiteres glaube ich, dass das Gesetz der Irreversibilität hier den Entwicklungsmöglichkeiten eine Schranke setzt. In meinen phylogenetischen Erörterungen habe ich demgemäss angenommen, die Caninen der Primaten seien ursprünglich nicht verstärkt und caniniform, sondern brachyodont und structurell ein Mittelding zwischen vordern Praemolaren und hintern Ineisiven gewesen. Sobald man sich auf den Boden dieser Annahme stellt, ı) S. H. G. Stehlin, Über die Geschichte des Suidengebisses, 1899—1900, p. 239 ff. 2) S. oben p. 1176. Morphologische Schlussbetrachtungen zu den Primalen. 1531 fallen alle die berührten Schwierigkeiten weg. Aus einer solchen Grundform lässt sich der Canin von Lemur so gut ableiten als diejenigen von Adapis und Notharctus. Es ist mir keine Thatsache bekannt, welche mit dieser meiner Auffassung im Widerstreit stünde; wohl aber lassen sich solehe namhaft machen, welche sie noch besser zu stützen vermögen. Vorerst ist von Belang, dass die von mir als ursprünglich betrachtete Ein- richtung des Vordergebisses nicht blos ein theoretisches Postulat, sondern schon thatsächlich nachgewiesen ist. Ich habe vorhin erinnert, dass der weib- liche Adapis noch sehr praemolariforme Caninen besitzt. Noch vollständiger entspricht den Vorstellungen, welche ich mir von dem Urzustande des Primatenvordergebisses mache, der von Schlosser beschriebene Parapithecus Fraasi aus dem alten Oligocaen des Fayum.!) Der Canin ist hier noch so wenig vor seinen Nachbarn ausgezeichnet, dass Schlosser — meiner Ansicht nach irrigerweise?) — die Formel der, wie bei altweltlichen Affen, aus acht Zähnen bestehenden Mandibularzahnreihe glaubte 1J1C3P3M schreiben zu sollen. Von diesem Vordergebiss von Parapithecus lassen sich ohne Schwierigkeit alle die verschiedenen in der Primatenordnung vorkommenden Vordergebisstypen ableiten, wenn schon die damit combinierte Backenbezahnung das Tier mit ziemlicher Bestimmtheit in die Section der alt- weltlichen Affen verweist und aus den verschiedenen Halbaffengruppen ausschliesst. Sodann fällt aber auch ins Gewicht, dass in den Ordnungen der Perisso- dactylen und der Artiodactylen gleichfalls „abnorme“ Vordergebisstypen vor- kommen und dass auch hier bis jetzt keine einzige palaeontologische Thatsache auf ein Hervorgehen derselben aus dem „normalen“ Typus hinweist. Der Zustand bei den Tapiriden, wo statt des obern Caninen der obere J, verstärkt ist, ist schwerlich aus dem „normalen“ der Lophiodonten abzuleiten ; vielmehr sprechen die oligocaenen Tapiridenfunde, wie ich oben ®) betont habe, sehr dafür, dass er direct auf einen 1) M. Schlosser, Beiträge zur Kenntniss der oligocaenen Landsäugetiere aus dem Fayum. 1911, Tab. IX, Fig. 3, 3a. 2) Solange die zugehörige Oberkieferbezahnung — welche sofort zeigen müsste, ob der dritte Mandibularzahn vor oder hinter dem Maxillarcaninen eingreift — nicht zu Rathe gezogen werden kann, ist allerdings für Meinungsverschiedenheiten in diesem Punkte einiger Spielraum vorhanden. Aber ein ernsthafter Grund, die von Schlosser befürwortete, sich an Tarsius anlehnende Inter- pretation der, durch die Backenbezahnung nahegelegten, dem’ Affengebiss conformen vorzuziehen, besteht nicht. Dass der Canin von dem zweiten Incisiven überragt wird, erscheint allerdings etwas seltsam, erklärt sich aber vielleicht daraus, dass der einzige bis jetzt bekannte Kiefer zufälligerweise von einem sehr schwach bewehrten Weibchen herrührt. Die beiden Incisiven zeigen übrigens in Form und relativer Stärke eine überraschende Übereinstimmung mit ihrem Homologa bei Hapale. 3)-p. 152. 30 1532 Stehlin, Eocaene Säugetiere. indifferenten Urzustand, wie der, den ich für die Primaten annehme, zurückgeht. Unter dem eocaenen Artiodactylen besitzt diese indifferente Einrichtung des Vorder- gebisses bekanntlich noch eine ziemliche Verbreitung (Anophotherium, Dacrytherium, Catodontherium, Xiphodon, Dichodon, Tapirulus, Amphimeryx ete.) und die anderen Vordergebisstypen, welche in dieser Ordnung vorkommen (Anthracotherien-, Oreo- dontiden-, Ruminantiertypus), lassen da, wo wir sie durch mehrere Entwicklungs- stadien verfolgen können, in absteigender Linie eine Annäherung an dieselbe er- kennen, welche anzudeuten scheint, dass sie auch hier die ursprüngliche ist. Endlich ist zu erinnern, dass die Milchvordergebisse, mit Ausnahme der seltenen Fälle, in welchen sie an besondre Bedürfnisse des Säuglings angepasst sind, sich durchweg so zu den Ersatzvordergebissen verhalten, wie es nach unserer Hypothese zu erwarten ist. Sind meine Vorstellungen richtig, so können Primatenstämme mit lemur- artigem Vordergebiss mit solchen, die ein affenartiges Vordergebiss haben oder, wie Necrolemur, Chiromys etc., durch ein Stadium mit affenartigem Vordergebiss hindurch gegangen sind, nur durch Vermittlung einer Stammsippe zusammen- hängen, deren Vorderzähne sich noch im primitiven Zustand befinden. Dass auch die lemuriforme Vordergebissdifferenzierung sich in verschiedenen Stämmen unabhängigerweise entwickelt haben kann, versteht sich von selbst. Wir haben oben, in den Betrachtungen über die systematische Stellung von Adapis !) schon darauf hingewiesen, dass diess sehr wahrscheinlich für die drei recenten Gruppen der Lemurinen, Indrisinen und Nycticebiden zutrifft. Die Nycticebiden können schon allein ihres Tympanicums wegen mit den beiden madagassischen Familien nur in sehr weitläufigem Zusammenhang stehen und die vielen erheblichen Diver- genzen, welche zwischen Lemurinen und Indrisinen, nicht zum mindesten auch im Gebiss, festzustellen sind, lassen darauf schliessen, dass auch diese beiden Sectionen seit sehr langer Zeit ihre eigenen Wege gehen. Einen besonders schlagenden Beleg für die selbständige Entwicklung des Vordergebisses bei den Indrisinen würden wir gewinnen, wenn sich nachweisen liesse, dass ihr zweithinterster Man- dibularpraemolar, welcher die Rolle des Caninen übernommen hat, wirklich — wie es bei Indris, Propithecus, Awahis den Anschein hat — der P, und nicht wie bei Lemurinen und Nycticebiden der P, ist; denn dann müssten wir folgern, dass in dieser Familie die characteristische Umformung des Vordergebisses erst statt- gefunden hat, nachdem die P, bereits hinfällig geworden waren. Da indessen 1) p. 1296, Morphologische Schlussbetrachtungen zu den Primaten. 1533 Ss bei Palaeopropithecus dieser caniniforme Zahn durch ein Diastema von seinem hintern Nachbarn getrennt ist, bleibt die Deutung desselben bis auf weiteres etwas zweifelhaft. !) Molaren. Es bedarf keiner umständlichen Nachweise, dass der Molarstructur der Primaten der „tritubereular-sectoriale“ Blauplan zu Grunde liegt. Bei den meisten Stämmen des Eocaens sind die Grundzüge desselben noch sehr deutlich erhalten, nur bei den neogenen Cercopitheciden finden wir sie völlig verwischt. Immerhin machen sich zahlreiche kleinere und grössere Modificationen des Urplanes schon im Eocaen geltend. Sie erfolgen wie bei den Artiodactylen nach stark diver- gierenden Richtungen und liefern uns für die Ergründung der Stammesgeschichte schätzenswerthe Anhaltspunkte, welche schon darum ein sorgfältiges Studium ver- dienen, weil ja nur gar zu viele Formen vorderhand ausschliesslich oder fast ausschliesslich durch ihre Backenbezahnung belegt sind. Im Structurplan der Maxillarmolaren wird besonders durch gelegent- liches. Auftreten eines Mesostyles, durch divergentes Verhalten der hintern Trigonidkante und des hintern Zwischenhügels und durch verschiedentliche Kronen- erweiterungen an der Lingualseite einige Mannigfaltigkeit hervorgebracht. Das Mesostyl ist immer eine secundäre Zuthat zum Urplan. Unter den eocaenen Primaten liefern uns die Stämme der Necrolemuriden und Notharctiden — in welchen die ältern uns bekannten Mutationen desselben noch entbehren, während die jüngern es erwerben — sehr schöne Belege für diese Thatsache. Schwund des Mesostyles ist meines Wissens noch nirgends beobachtet worden. Wir dürfen demnach annehmen, dass Formen ohne Mesostyl nicht von solchen mit Mesostyl abstammen können. !) Dass das merkwürdige Genus Archaeolemur, welches wie die Lemuriden drei gut ent- wiekelte Praemolaren oben und unten und einen als Ganin fungierenden P, inf. besitzt, zu den In- drisinen in näheren Beziehungen steht als zu irgend einer andern bekannten Primatengruppe, scheint mir nach den Figuren Standings und nach den Darlegungen von Smith und Gregory sehr wahr- scheinlich. Die Specialisierung seines Gebisses lehrt aber deutlich, dass sein genealogischer Zu- sammenhang mit dieser Familie tief im Tertiaer zu suchen ist. Als einen sicheren Leitfaden für die Deutung der Indrisinenzahnformel kann ich daher das Archaeolemurgebiss nicht gelten lassen. Vielmehr scheint es mir gar nicht unwahrscheinlich, dass auch der Archaeolemurstamm seine Vorder- bezahnung, welche ohnehin ihre besondern Eigenthümlichkeiten besitzt, selbständig specialisiert hat. Gregorys Annahme, der caniniforme Praemolar der Indrisinen sei der P,, lässt sich vorderhänd ebensowenig sicherstellen als die entgegengesetzte, er sei der P;. 1534 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Die vordere Trigonumkante oder das Vorjoch, d. h. die Verbindung zwischen dem grossen Innenhügel und dem mehr oder weniger deutlichen Para- styl, markiert sich immer deutlich, der vordere Zwischenhügel ist bei eocaenen Primaten nur ausnahmsweise (Anchomomys Quercyi) ganz verwischt. Bei einigen Formen, wie z. B. bei Pseudoloris und Hemiacodon scheint sich dieses Element eher verstärkt zu haben. Die hintere Trigonumkante und der hintere Zwischenhügel zeigen ein viel variableres Verhalten. Bei den evoluiertesten Adapis z. B. ist jene bis auf eine schwache Spur, dieser völlig geschwunden. Gerade am Adapisstamm lässt sich indessen sehr schön nachweisen, dass auch der hintere Zwischenhügel und seine kantigen Verbindungen mit dem grossen Innenhügel und dem hintern Aussen- hügel integrierende Bestandtheile des Urplanes sind. Bei dem primitivsten bis jetzt bekannten Adapiden, Adapis sciureus, ist der Trigonumtrichter nach hinten vollständig abgeschlossen durch einen wohlausgebildeten Zwischenhügel, von dem deutliche Kanten zu den beiden benachbarten Haupthügeln laufen. Formen, welche des hintern Zwischenhügels entbehren, gehören also sicher nicht in die Ascendenz von solchen, welche ihn besitzen. Bei einigen Stämmen wie Hemiacodon und Necrolemur scheint sich der hintere Zwischenhügel verstärkt zu haben; bei letzterm entwickelt sich zwischen demselben und dem grossen Innenhügel als besonderes Characteristicum ein weiteres kleines Element. In keinem Stamme der Primatenordnung wird der trianguläre Maxillar- molar durch Erstarkung des hintern Zwischenhügels in einen quadrangulären um- gewandelt wie bei den Euartiodactyla und den Perissodactyla. Auch der Fall, dass diese Wandlung durch Zurückschiebung des grossen Innenhügels und Er- starkung des vordern Zwischenhügels erzielt wird wie bei den Caenotheriden, ist bis jetzt an keinem Primaten beobachtet worden. Sehr häufig wird dagegen wie bei den Dichobuniden ein hinterer Innenhügel durch Verdickung des Cingulums gewonnen, also ein ächter Hypoconus entwickelt. Die meisten eocaenen Pri- matenstämme schlagen diesen Weg der Kronenerweiterung ein; ausserdem von den neogenen Stämmen die Platyrhinen, die Anthropomorphen und somit wohl auch die in diesem Punkte sehr evoluierten Cercopithecinen; ferner die Nycti- cebiden und von den Lemuriden und Chirogalemen alle diejenigen, welche nicht überhaupt im trigonodonten Stadium stehen geblieben sind. Auch Tarsius zeigt einen schwachen Anlauf zu dieser Art der Complication. Daneben kommt nun aber in der Primatenordnung noch eine andere Art den hintern Innenhügel zu entwickeln vor, welche bei Artiodactylen nicht be- Morphologische Schlussbetrachtungen zu den Primaten. 1535 obachtet wird), dagegen bei den simplieidentaten Nagern die herrschende ist. Sie besteht darin, dass sich aus dem Hinterabhang des grossen Innenhügels ein neues Element ausgliedert. Eingeleitet wird dieser Process immer dadurch, dass sich auf der Hinterseite des grossen Innenhügels und labialwärts von der hintern Trigonumkante eine weitere Kante entwickelt, welche an der Basis in das Schluss- eingulum übergeht; das neue Element macht sich zuerst als schwache Verdickung in dieser Kante bemerklich. So grundsätzlich verschieden von dem wahren Hypoconus wie der hintere Innenhügel der Euartiodaetyla und derjenige der Caenotheriden ist das in solcher Weise gewonnene Element nicht, denn die Kante, in welcher es entsteht, kann ja gewissermassen als eine Verlängerung des Schlusseingulums gelten, welches jenen liefert. Immerhin ist der Process nicht der gleiche und Formen, welche auf dem einen dieser beiden Entwicklungswege begriffen sind, können bestimmt mit solchen, welche dem andern folgen, nur durch Vermittlung von Ahnen mit rein trigonodonter Structur in Zusammenhang stehen, wie wir diess oben in der Dis- cussion der Beziehungen zwischen Notharctiden und Adapiden nachdrücklich betont haben.?) Es wäre daher vielleicht nicht unpassend, diesen Typus von hinterm Innenhügel als Pseudypoconus zu bezeichnen. Der Gegensatz zwischen Pseudy- poconus und Hypoconus ist um so schärfer, je näher an der Spitze des grossen Innenhügels der erstere sich auszubilden beginnt; die Notharetiden (Pelycodus) verhalten sich in dieser Hinsicht, wie oben) hervorgehoben wurde, extremer als die Neerolemuriden. Der Gegensatz schwächt sich ab, je selbständiger der Pseudy- poconus bei fortschreitender Entwicklung wird. Bei Telmalestes, dem evoluier- testen Notharctiden, dessen Maxillarmolaren meines Wissens noch nirgends ab- gebildet sind, scheint der Loslösungsprocess, der Beschreibung nach, sehr weit gediehen zu sein. Es ist sehr wohl möglich, dass sich der Pseudypoconus in seinem Terminalstadium ohne Kenntniss der Stammesgeschichte nicht mehr von einem wahren Hypoconus unterscheiden lässt. Der hintere Innenhügel der recenten Indrisinen ist vielleicht ein solcher terminal entwickelter Pseudypoconus; solange keine primitivern Vorstufen derselben bekannt sind, fällt es schwer, in dieser Frage ein sicheres Urtheil zu gewinnen. 1) D. I. nicht an den Molaren der Artiodactylen. Die complicierten P, von Diehodon ete. erwerben den hintern Innenhügel auf sehr ähnliche Weise wie die Neerolemuridenmolaren. 2) p. 1258 und 1519. ®) p. 1332. 1536 Stehlin, Eocaene Säugeliere. Dass sowohl der Hypoconus als der Pseudypoconus von verschiedenen Stämmen unabhängigerweise erworben worden ist, kann kaum einem Zweifel unterliegen. Der recente Tarsius zeigt z. B. den erstern erst schwach angedeutet, während ihn andre Linien schon im Eocaen zu voller Entwicklung bringen. Bei den Notharctiden beginnt sich der Pseudypoconus zu einer Zeit bemerkbar zu machen, da sie gewiss schon lange von den Necrolemuriden divergieren u. s. f. Einige Stämme mit Hypoconus erweitern die Krone ferner noch durch ein auf analogem Wege gewonnenes Element in der vordern Innenecke derselben. Auch diese Formen bilden offenbar keine natürliche Gruppe. Rückbildung solcher secundärer Innenhügel ist bis jetzt nirgends beobachtet. Wir dürfen daher Zähne, welche ihrer entbehren, als primitiv betrachten und die phylogenetischen Consequenzen ziehen, die sich daraus ergeben. Die Maxillarmolaren der Primaten sind wie diejenigen der Huftiere ur- sprünglich breiter als lang. In den Stämmen der Adapiden und Necrolemuriden lässt sich sehr schön nachweisen, wie sie sich nach und nach strecken. Besonders stark accentuiert hat sich die Streckung bei langschnauzigen Cercopitheciden. In einigen Stämmen scheint sich indessen die ursprüngliche Querdehnung secundär verstärkt zu haben. Man ist wenigstens sehr versucht, diess bei Formen wie Tetonius, Hemiacodon, Periconodon, Washakius, Shoshonius, Nannopithex, auch bei Tarsius, anzunehmen. Ob auf Längsdehnung wieder Verkürzung folgen kann, bleibt vorderhand fraglich; jedenfalls ist dieser Vorgang bis jetzt in keinem Pri- matenstamm nachgewiesen. Andre Divergenzen, welche sich an den Maxillarmolaren der Primaten herausgebildet haben, betreffen die Ausbildung der Kronenecken, die speciellere Modellierung der Hügel, die Beschaffenheit des Schmelzbelages, die Cingula, das Grössenverhältniss von M, zu M, zu M,. Auch in diesen Beziehungen sind bis jetzt keine Fälle von Abbiegung und Rückbiegung der Entwicklungsrichtung fest- gestellt. — An den Mandibularmolaren ist wie in andern Gruppen die vordere Kronenhälfte, das Trigonid, ursprünglich höher als die hintere. Mit der Zeit gleicht sich die Differenz aus; aber der Ausgleichungsprocess vollzieht sich in verschiedenen Stämmen in sehr verschiedenem Tempo. Der eocaene Adapis parisiensis verhält sich in diesem Punkte z. B. sehr terminal, der recente Tarsius noch ziemlich primitiv. Rückläufige Entwicklung kommt in dieser Beziehung gewiss nicht vor. Der Descendent kann also nicht eine weniger ausgeglichene Kronenhöhe haben als der Vorfahr. Morphologische Schlussbetrachtungen zu den Primaten. 1537 Von den Trigonidspitzen wird wie bei den Huftieren die vordere reduciert. In der Art und Weise, wie diess geschieht, herrscht ziemlich grosse Mannigfaltigkeit. Bei den einen Stämmen verschmilzt die vordere Trigonidspitze mit der innern, wie bei den Artiodactylen. Bei den andern schwindet sie durch Atrophie, d. h. auf dem Wege, auf welchem sie — vermuthlich — in einer sehr frühen, uns noch nicht bekannten, phyletischen Entwicklungsphase bei den Perissodactylen geschwun- den ist. Die zu letzterer Categorie gehörigen Stämme unterscheiden sich wieder- um nach der genauern Stellung der vordern Trigonidspitze und nach dem Verlauf der zu ihr führenden Kante (z. B. Protadapis und Adapis). Zu all dem kommen Differenzen im Verhalten von M,, M;, und M,. Es hat den Anschein, dass im Anfang des Reductionsprocesses überall M, vor M, und dieser vor M, im Vor- sprung war, ein Verhältniss, das sich an den Zustand bei Erinaceiden und Carni- voren anlehnt. Die Americanischen Stämme behalten, so viel ich sehe, durchweg etwas von dieser Abstufung bei. Bei den mitteleocaenen Necrolemuriden ist M, ebenso progressiv als M,, während M, zähe am primitiven Zustande festhält; die Carnivorenanalogie wird dadurch noch verstärkt. Bei den terminalen Mutationen dieses Stammes (Microchoerus) kommt dann die Reduction an M, doch noch in Gang. Bei einigen andern altweltlichen Stämmen, wie Adapis und Caenopithecus, ist sie an allen drei Zähnen gleich weit fortgeschritten. Bei Tarsius hat sich, vielleicht in irgend welchem Zusammenhang mit der extremen Schnauzenver- kürzung, das ungewöhnliche Verhältniss herausgebildet, dass M, etwas rück- ständiger ist als M,. Aus diesen Divergenzen ergeben sich eine Reihe von Anhalts- punkten für phylogenetische Schlüsse. Formen mit reducierter Vorderspitze können nicht in die Ascendenz von solchen gehören, bei welchen die Reduction weniger fortge- schritten ist; Formen, bei welchen die Reduction der Vorderspitze durch Anschmelzung erfolgt, können nur durch Vermittlung eines noch unreducierten Vorfahren mit solchen zusammenhängen, bei welchen die Reduction durch Atrophie stattfindet u. s.f. Bei einigen Primaten (Adapis, Caenopithecus, Shoshonius, Washakius; unter recenten Halbaffen Lepidolemur) besitzt die vordere Kronenhälfte noch ein weiteres Element, die Hinterzacke des vordern Innenhügels oder das Mesostylid. Es ist eine offenkundige secundäre Zuthat zum Urplan. Formen, welche dasselbe be- sitzen, gehen unter allen Umständen auf solche zurück, welche es nicht besitzen. Im Adapisstamme haben wir die Entwicklung dieses Elementes verfolgen können. Nachträglicher Schwund desselben ist bisher in der Primatenordnung nirgends nachgewiesen. Dass derselbe nichts Unerhörtes ist, haben wir an dem Beispiel der Palaeotherien gesehen. 1538 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Im Nachjoch der Mandibularmolaren beobachtet man da und dort einen Zwischenhügel, ein sogenanntes Hypoconulid. Dasselbe ist ein integrierender Be- standtheil des Urplanes; Formen, die es besitzen, können also nicht von solchen abstammen, die es nicht besitzen. Bei den Adapiden z. B. lässt sich, wie wir ge- sehen haben, das allmählige Verschwinden desselben sehr schön verfolgen. Weitere Differenzen, welche sich an den Mandibularmolaren herausgebildet haben, betreffen den Umriss, das Grössenverhältniss zwischen Vorder- und Hinter- hälfte, die speciellere Modellierung der Hügel, von denen insbesondre der hintere Innenhügel sich sehr verschieden verhält, die Ausbildung des Talons an M,, der bei einigen Stämmen zwei Hügel entwickelt, die Ausbildung des schüsselförmigen hintern Thals, die Ausdehnung der Cingula und die Beschaffenheit des Schmelzes. Auch in diesen Beziehungen sind bis jetzt keine Fälle auffälliger Abweichung von der geradlinigen Entwicklungsrichtung festgestellt. — Durch eine gewisse Binheitlichkeit des Stiles, die sich in der Höhe des Kronenreliefs, im Schärfegrad von Spitzen und Kanten, im Üppigkeitsgrad der Cingula und der Schmelzeomplicationen, in der Rundung oder Eckigkeit der Um- risse, in den Proportionsanalogien der Antagonisten u. s. f. kundgiebt, sind obere und untere Molarreihen, welche zusammengehören, immer ausgezeichnet. Aber haben auch jene mehr den Grundplan der Kronenstructur betreffenden Specialitäten, von welchen im vorigen vorzugsweise die hede gewesen ist, ihre bestimmten Correlate an den Antagonisten? Und lässt sich eine Abhängigkeit derselben von der Art des Kaumechanismus nachweisen ? In seiner Discussion des Verhältnisses der Adapiden zu den Notharetiden nimmt Gregory!) in sehr zuversichtlicher Weise Stellung zu diesen Fragen. Dass bei den ersteren der hintere Innenhügel der Maxillarmolaren aus dem Cingulum, bei den letzteren dagegen aus dem grossen Innenhügel hervorgeht, hängt nach ihm damit zusammen, dass bei den Adapiden der hintere Innenhügel der Mandi- bularmolaren schwach, bei den Notharctiden dagegen kräftig ist. Beides ist der Effect einer Verschiedenheit in der Kieferbewegung, welche auch bewirkt hat, dass bei den Notharetiden im Gegensatz zu den Adapiden die Aussenhügel der Maxillar- molaren etwas crescentiforme Gestalt angenommen haben und dass sich zwischen denselben ein Mesostyl entwickelt hat. Bei den Notharctiden soll die 1) 1915, 1. p. 1324 c, Morphologische Schlussbetrachtungen zu den Primaten. 1539 Kaubewegung mit stärkern seitlichen Excursionen verbunden sein’ als bei den Adapiden, Da ich keine Gelegenheit gehabt habe, das Kiefergelenk von Notharctiden zu untersuchen, kann ich mich nicht zu der Frage äussern, ob eine solche Differenz im Kaumechanismus besteht oder nicht. Im übrigen scheinen mir die Ausführungen Gregorys nicht nur rein hypothetisch, sondern sehr anfechtbar zu sein. Ich muss nämlich einwenden, dass nach meinen Beobachtungen jene von Gregory behauptete Differenz in der Stärke -des hintern Innenhügels der Mandi- bularmolaren gar nicht besteht. Wir haben oben gesehen, dass bei Adapis magnus, dessen Maxillarmolaren einen kräftigen Hypoconus haben, der hintere Innenhügel der Mandibularmolaren — offenbar secundärerweise — schwach entwickelt ist. Bei den ältern Mutationen des Genus aber ist derselbe durchweg gut entwickelt, bei Adapis priscus und sciureus z. B. sehr entschieden kräftiger als an den mehr- erwähnten, mir vorliegenden, Mandibeln von Pelycodus trigonodus. Gerade bei Adapis seiureus, dessen starker Hypoconus nach Gregorys Anschauung einen be- sonders schwachen hintern Innenhügel der Mandibularmolaren erwarten liesse, ist auch dieser sehr kräftig. Eine Correlation zwischen der Art wie der hintere Innenhügel der Maxillarmolaren gewonnen wird und der Stärke des hintern Innenhügels der Mandibularmolaren besteht also offenbar nicht. Auch der angenommene Zusammenhang zwischen seitlicher Kieferbewegung und Entstehung des Mesostyles scheint mir zum mindesten sehr fraglich. Die Necrolemuriden z. B. entbehren während des ganzen Mitteleocaens eines Mesostyles, erwerben aber ein solches im Obereocaen. Ich zweifle sehr daran, dass sich irgend eine Veränderung im Kiefergelenk nachweisen lässt, welche diese Complication provociert haben könnte. Wie grosse Vorsicht in der Formulierung von Schlüssen dieser Art geboten ist, zeigen auch folgende Betrachtungen. Wenn man sieht, dass die Stämme, deren Maxillarmolaren einen Pseudy- poconus entwickeln, also die Neerolemuriden, Plesiadapiden und Notharctiden, durchweg die vordere Trigonidspitze ihrer Mandibularmolaren durch Anschmelzung an die innere Trigonidspitze reducieren, während sich bei Adapis, Caenopithecus, Pseudoloris, Anchomomys, Pronycticebus, Omomys, Hemiacodon, Washakius, Shos- honius 'ein ächter Hypoconus mit Reduction der vordern Trigonidspitze durch Atrophie combiniert, ist man sehr versucht anzunehmen, es bestehe irgend eine Art von Correlation zwischen dem Modus wie der hintere Innenhügel oben ent- wickelt und die vordere Trigonidspitze unten reduciert wird. Allein bei dem Genus 31 1540 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Tetonius versehmilzt die vordere Trigonidspitze mit der innern, obwohl die Maxillar- molaren einen Hypoconus zu bilden beginnen. Die Regel ist also durchbrochen und ein bündiger Schluss lässt sich nicht ziehen. Die Kieferbewegung muss bei den Plesiadapiden, nach Vordergebiss und Symphyse zu schliessen, eine wesentlich andere gewesen sein als bei den Notharc- tiden. Gleichwohl besteht, wie wir oben constatiert haben, zwischen Plesiadapiden und Pelycodus eine auffallende Übereinstimmung in der Molarstructur. Wie kommt es ferner z. B., dass bei dem recenten Genus Lepidolemur der hintere Innenhügel atrophiert und das „Mesostylid“ so weit nach hinten gezogen ist, während die Maxillarmolaren jeglicher Neuerungen am Innenrand der Krone entbehren ? Und ähnliche Fragen liessen sich noch viele aufwerfen. Ohne weiteren Forschungen in dieser Riehtung vorgreifen zu wollen, glaube ich bis auf weiteres annehmen zu müssen, die Correlation zwischen den Structur- plänen oberer und unterer Backenzähne sei nur eine lockere und die Wandlungen der Gebissstructur werden vorwiegend durch andre Ursachen als durch Verän- derungen im Kaumechanismus bedingt. Zur Systematik der Primaten. Das von Winge 1896 vorgeschlagene System der Primaten theilt die Lemu- roidei in Tarsiidae und in Lemuridae ein und die erstern wiederum in Adapini mit Adapis und Tomitherium (= Notharctus) und Tarsiini mit Necrolemur, Anapto- morphus und Tarsius. Soviel ich sehe, hat diese Fassung des Begriffes Tarsiidae bei keinem der Autoren, welche sich seither mit den fossilen Primaten befasst haben, Anklang gefunden. 1902 stellte Osborn die Gesammtheit der eocaenen Primaten unter der, seinerzeit von Cope in etwas anderm Sinn gebrauchten, Be- zeichnung Mesodonta den verschiedenen Sectionen der recenten Primaten gegen- über und theilte sie in Hyopsodontidae, Notharctidae und Anaptomorphidae ein. 1903 erklärte sich Wortman mit einiger Lebhaftigkeit gegen diesen Vorschlag und stellte seinerseits ein System auf, in welchem die Affen — Anthropoidea ge- nannt — in drei Unterabtheilungen Arctopitheeini, Palaeopithecini und Neopitheeini eingetheilt werden. Die Arctopithecini umfassen blos die Hapalidae. Zu den Palaeopithecini werden neben den Tarsiidae mit Tarsius, die Anaptomorphidae gezählt, welche ihrerseits wieder die Omomyinae mit Omomys, Hemiacodon, Eurya- codon und die Anaptomorphinae mit Washakius, Anaptomorphus und Neerolemur Morpholögische Schlussbetrachtungen zu den Primaten. 1541 umfassen. Die Adapidae aber figurieren neben Cebidae, Cercopithecidae, Simiidae und Hominidae als Untergruppe der Neopitheeini. In seiner neuesten Arbeit übt nun wiederum Gregory an dieser Rubrieierung der Adapidae unter die Affen scharfe Critik. Er selbst reiht dieselben neben den Lemuridae, Indrisidae und Chiromyidae unter die Lemuriformes ein. Die Tarsiidae Wortmans behält er unter Verzicht auf die Unterabtheilungen Omomyinae und Anaptomorphinae bei, verweist sie aber aus der Unterordnung der Affen in diejenige der Halb- affen und coordiniert sie hier als Tarsiiformes den Lemuriformes und den Lorisiformes. Die Linne’sche Begriffshierarchie ist und bleibt ein unvollkommenes Mittel, um das natürliche System der Tiere, d. h. den Stammbaum, zur Darstellung zu bringen. Da wir sie, aus practischen Gründen, gleichwohl nicht entbehren können oder nicht entbehren wollen, sollten wir wenigstens darauf bedacht sein, sie so zu gestalten, dass sie die phylogenetischen Zusammenhänge nicht verschleiert und dass sie da, wo dieselben noch nicht klar gelegt sind, der weiteren Forschung möglichst wenig vorgreift. Das heisst mit andern Worten, wir sollten es ver- meiden, Rubriken aufzustellen, die sich nicht genügend motivieren lassen, oder aber Formen umfassen, von denen sich noch gar nicht nachweisen lässt, dass sie der Rubrikdefinition entsprechen. Rubriken dieser Art sind aber sowohl Gregorys Tarsiiformes als Wortmans Anaptomorphinae, Omomynae, Palaeopitheeini und Neopithecini, Osborns Mesodonta sowohl als Winges Tarsiidae. Ich zweifle nicht daran, dass ich damit den genannten Autoren nichts Neues sage. Sie haben gewiss alle ihre Vorschläge nur als provisorische betrachtet, welche der weitern Prüfung an den Thatsachen bedürfen. Ich mache die Fest- stellung nur, um daran einmal die, sich angesichts dieses ständigen Aufbauens und Niederreissens aufdrängende, Frage zu knüpfen, ob es denn unumgänglich noth- wendig ist, diejenigen Partien des Systems, für welche es uns noch an den Fundamenten gebricht, wenigstens so auszustaffieren, dass sie den übrigen ähnlich sehen? Da die Zahl der Möglichkeiten keine übermässig grosse ist, wird man ja gelegentlich auch einmal das Richtige errathen können. Aber diess ist ein recht fraglicher Erfolg. Der wirkliche Werth eines Vorschlages bemisst sich nach dem der Argumente, auf welche er gestützt wird. Vorderhand sind wir im Stande, in der Masse der eocaenen Primaten da und dort Gruppen wie die Adapiden, die Notharcetiden, die Necrolemuriden, die Plesiadapiden zu umgrenzen, denen man den Rang von Familien zuspreehen kann. Wir verfügen über beachtenswerthe Argumente, um den näheren Anschluss der 1542 Stehlin, Eocaene Säugetiere. einen oder andern dieser Gruppen an eine bestimmte Section der recenten Pri- maten zu motivieren, z. B. der Adapiden an die Lemuriden. Im übrigen aber ist noch sehr vieles unabgeklärt. Von manchen der im obigen erwähnten Genera können wir kaum etwas anderes mit einiger Bestimmtheit aussagen, als dass sie in die Primatenordnung gehören. Wäre es unter solehen Umständen nicht das rationellste, sich mit den gut motivierbaren Klammern und Bindestrichen zu begnügen und im übrigen den fest- gestellten Formenvorrath einfach unter dem Sammeltitel „Primates incertae sedis“ aufzuzählen ? Für mein Theil gebe ich dieser Auskunft vor allen andern den Vorzug. Sie verschleiert keine phylogenetischen Zusammenhänge, sie greift der weitern Forschung nicht vor, sie ist ohne alle Frage der adaequateste und ehrlichste Aus- druck für den Stand unseres Wissens. { Stratigraphische und tiergeographische Schlussbetrachtungen zu den Primaten. 1543 Stratigraphische und tiergeographische Schlussbetrachtungen zu den Primaten. Im Jahre 1362 fand Rütimeyer mit seinem Nachweis eines ersten eocaenen Primaten bei manchen Fachgenossen keinen Glauben.!') Heute sind allein von dem Fundort Egerkingen, der dieses Unicum geliefert hatte, vierzehn Primaten- arten belegt, welche ebensoviele Phyla repräsentieren und auf acht Genera ver- theilt werden müssen. Aus den verschiedenen Stufen des Eocaens vom Thandtien bis zum Ludien sind für das Gebiet von Nordamerica und Europa zusammen über sechzig Arten festgestellt, die eine durchaus nicht übermässig zur Aufsplitterung neigende Systematik in etwa fünfundzwanzig Genera gruppiert. . Offenbar hat also die Primatenordnung, welche einst als ein besonders spätes Schöpfungsproduct galt, im Eocaen schon eine lange Geschichte hinter sich. Wir können dem Schlusse nicht mehr ausweichen, dass sie mit einer Mehrheit von Wurzeln ins Mesozoicum zurückreicht. Ich stelle im folgenden die Primatenfaunulae der beiden Continente einander Stufe für Stufe gegenüber, in gleicher Weise, wie ich es p. 1155 für die Artio- dactylenfaunulae gethan habe°): 1) S. oben p. 1299. 2) Die Altersbestimmung vieler europäischer Formen ist, wie ich nochmals betone, nur eine vorläufige und approximative. Besonders in Bezug auf die Rubricierung einiger Quercyformen, deren praeeiseres Alter noch sehr unsicher ist, mache ich meine ausdrücklichsten Vorbehalte; ich musste sie hier auf gut Glück einem bestimmten Niveau zuweisen. In der Parallelisierung der Mittel- und Obereocaenstufen habe ich mich an das nämliche Schema wie bei den Artiodaetylen gehalten. Das Wasatch betrachte ich bis auf weiteres als Äquivalent von Sparnacien + Ypresien. Den Artenlisten für Nordamerica liegen diejenigen, welche Matthew 1909 (l. p. 1155 e.) mitgetheilt hat, zu Grunde; ich habe dieselben aber nach der, im obigen viel cilierten, neuesten einschlägigen Publication dieses Autors zu praeeisieren und zu ergänzen versucht. Wahrscheinlich ist der Versuch nicht in allen Punkten zur Befriedigung der americanischen Collegen ausgefallen, da es mir an den erforderlichen Anhaltspunkten zur Entscheidung verschiedener Identitälsfragen gebrach. 1544 Thanetien. Plesiadapis remensis Lem. Plesiadapis Gervaisi Lem. Chiromyoides eampanieus St. Sparnacien. Plesiadapis spec. Ypresien. Plesiadapis Danbrei Lem. Protadapis reetieuspidens Lem. Protadapis curvieuspidens Lem. Unteres und mittleres Lutetien. Adapis priseus St. Adapis seiureus St. Adapis ? spee. Caenopithecus lemuroides Rüt. Necrolemur efr. Zitteli Schl. Anchomomys pygmaeus Rüt. Anchomomys efr. Gaillardi St. Perieonodon europaeus Rüt. Nannopithex pollicaris St. Ampbhiehiromys europaeus Rüt. Heterochiromys graeilis St. Heterochiromys fortis St. (= Heterohyus armatus | Gerv. ?) | Oberes Lutetien. Adapis Rütimeyeri St. Adapis efr. seiureus St. Necrolemur efr. Zitteli Schl. Anchomomys Gaillardi St. Stehlin, Eocaene Säugetiere. Torrejon. Wasatech. Pelycodus ralstoni Matthew. Pelycodus trigonodus Matthew. Pelycodus jarrovii Cope. Pelyeodus frugivorus Cope. Pelycodus tutus Cope. Omomys vespertinus Matthew. Tetonius homuneulus Cope. Tetonius ambiguus Matthew. Windriver. | Pelyeodus spec. Notharetus nunienus Cope. Notharetus venticolus Osb. Omomys minulus Loomis. Shoshonius Gooperi Granger. Absarokius Abbotti Loomis. Absarokius noetivagus Matthew. Tetonius musculus Matthew. Anaptomorphus speyrianus Cope. Lower Bridger. Pelycodus spec. Notharctus tenebrosus Leidy. Notharetus rostratus Gope. Notharetus affıinis Marsh. Notharetus anceps Marsh. \ Omomys Carteri Leidy. Er \ Omomys pusillus Marsh. Omomys Ameghini Worten. Uintanius turrieulorum Matth. Anaptomorphus aemulus Cope. (= Euryacodon lepidus Marsh ?) - ar 5 „ni Bin hr Br ae a ri a a a u udn Sat Ham a u ie a nz a red aaa lm 4 } \ 3 5 > j \ Stratigraphische und tiergeographische Schlussbelrachtungen zu den Primaten. 1545 Bartonien. | Upper Bridger. Protadapis brevirostris St. Notharctus tyrannus Marsh. Adapis magnus Filh. var. Leenhardti St. Telmalestes crassus Marsh. Adapis parisiensis Bl. var. Notharetus an Telmalestes sp. div. Neerolemur Zitteli Schl. Hemiacodon graeilis Marsh. Necerolemur antiquus Filh. Hemiacodon pygmaeus Wortm. Anchomomys (uercyi St. Washakius insignis Leidy. Pronyeticebus Gaudryi Grand. Washakius spec. Pseudoloris parvulus Filh. Necrosorex Quereyi Filh. Unteres Ludien. Lower Uinta. Adapis magnus Filh. „Notharetus“ uintensis Osb. Adapis parisiensis Bl. var. div. Necrolemur antiquus major St. Microchoerus erinaceus Wool. Primate ine. sedis (von Roches). Oberes Ludien. Adapis parisiensis Bl. var. div. Microchoerus erinaceus Wood. Mierochoerus ornatus St. . Wir haben oben‘) aus der Differenzierung der Huftierstämme des euro- päischen Eocaens einige historisch-tiergeographische Schlüsse abgeleitet: Faunistischer Zusammenhang mit Nordamerica im Untereocaen; Abbruch dieser Beziehungen spätestens zu Beginn des Mitteleocaens, wahrscheinlich schon früher; starke, von einem nicht americanischen Centrum ausgehende Einwanderung zu Beginn des Lutetien; stetige, von Nordamerica unabhängige Entwicklung während des Lutetien, Bartonien, Ludien; Einwanderung aus einem nicht americanischen Centrum zu Beginn des obern Ludien; erneuter faunistischer Zusammenhang von Europa mit Nordamerica und beider mit einem dritten noch unbekannten Centrum zu Beginn des Öligocaens. Die Übersicht über die Primatenfauna des europäischen Eocaens, welche wir im obigen gewonnen haben, steht mit keinem dieser Schlüsse in Widerspruch, Aber sie liefert uns nicht für alle neue Stützen, !) p. 1152 ff, 1946 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Sehr deutlich bekundet sich auch in der Differenzierung der Primaten die faunistische Unabhängigkeit Europas von Nordamerica während des ganzen mittleren und obern Eocaens. Die von verschiedenen Seiten!) aus- gesprochene Vermuthung, gewisse (renera dieses Zeitraumes seien beiden Continenten gemein, haben sich als unzutreffend erwiesen. Die Anklänge von Anchomomys an Omomys, von Nannopithex an Washakius, von Pseudoloris an Tetonius etc. ge- hören in die gleiche Categorie wie diejenigen der Dichobuniden an Homacodon, d.h. sie werden durch die Annahme einer untereocaenen Verbindung hinlänglich erklärt. Auch für die, durch so viele Huftierstämme belegte, stetige Entwick- lung während des mittleren und obern Eocaens hat uns die Primaten- ordnung weitere Zeugnisse geliefert. An den Phylen Adapis s. str., Leptadapis und Necrolemur lässt sich dieselbe sehr befriedigend nachweisen. | Einen zuverlässigen Beleg für die Verbindung Europas mit Nord- america während des Untereocaens bietet uns die Primatenwelt dagegen vorderhand nicht. Die vom Thanetien bis ins Ypresien verfolgbare Familie der Plesiadapiden hat kein nahes Analogon in America. Wie eng die Beziehungen des erst aus dem Ypresien bekannten Genus Protadapis zu den Notharctiden sind, wird sich erst beurtheilen lassen, wenn vollständigere Überreste des- selben vorliegen. Deutlich macht sich aber hinwiederum die Lutetieneinwanderung in der Primatenfauna geltend. Wenigstens erscheint es nicht wahrscheinlich, dass die ganze Phalanx der acht Egerkingergenera noch im europäischen Untereocaen zum Vorschein kommen wird. Protadapis ist vorderhand das einzige sowohl im untern als im mittleren Eocaen Europas nachgewiesene Genus. Ob Europa nach dem Beginn des Lutetien, ob es speciell im obern Ludien, als die Anoplotherien einwanderten, noch weitern Zuzug an Primatenstämmen er- halten hat, lässt sich bei der Lückenhaftigkeit der Documentation noch nicht beurtheilen. Wir haben oben?) die Frage erwogen, ob etwa die Microchoeren als Einwanderer zu betrachten seien, ohne indessen zu einem Schlusse zu gelangen. Zu beachten ist dabei jedenfalls, dass das Genus Microchoerus schon vor den Anoplotherien, im untern Ludien, erscheint. !) W. Leche, Untersuchungen über das Zahnsystem lebender und fossiler Halbaffen 1896, p- 161. — Ch. Deperet, Les echanges de faunes entre l’Europe et l’Amerique du Nord aux temps geologiques. Proc. of the seventh International zoological Congress 1912, p. 707. 2) p. 1381—1382, Ah vi f N > e E Stratigraphische und tiergeographische Schlussbetrachtungen zu den Primaten, 1547 Wie die Perissodactylenfauna scheint auch die Primatenfauna Europas gegen Ende des Eocaens verarmt zu sein. Im obern Ludien sind, so viel wir wissen, nur noch Microchoeren und Adapis der Parisiensis-Gruppe übrig und gar nichts deutet bisher darauf hin, dass irgend ein Phylum das Ende dieser Periode überdauert hat.') Noch rascher scheint sich die Deeimierung des reichen mitteleocaenen Bestandes in America vollzogen zu haben; die letzte ganz ver- einzelte Spur eines Primaten, welche von dort bekannt geworden ist, stammt aus dem untern Theil der Uintastufe. Die oligocaene Wanderung hat weder in Europa ‘noch in America Er- satz für den Ausfall gebracht. Jenes dritte, vermuthlich asiatische, vielleicht auch nordische Centrum, das damals Huftiere an beide Gebiete abgegeben hat, scheint entweder durch Brücken, die für Primaten nicht gangbar waren), mit ihnen ver- bunden gewesen zu sein oder aber selbst keine solchen beherbergt zu haben. Für Nordamerica war der Verlust ein definitiver. In Europa erscheinen dann nach dem Oligocaen wieder einige Stämme, zunächst Anthropomorphen, dann vom Pontien an auch Cynomorphen. Allein sie sind nicht zahlreich, sondern nehmen sich aus wie die äussersten peripherischen Ausstrahlungen eines Entwicklungsherdes, während im Eocaen, im mittleren Eocaen wenigstens, Europa sowohl als Nordamerica eigentliches Primatenland waren. — Lange bevor der Primatenreichthum des nordamericanischen und des euro- päischen Eocaens in dem Umfang, in dem wir ihn heute kennen, bekannt war, haben sich einige Autoren zu dem Schlusse berechtigt geglaubt, diese beiden Gebiete seien als der eocaene Entwicklungsherd der Primaten überhaupt zu be- trachten. Solange wir über die eocaene Bevölkerung Asiens und Africas gar nicht, über diejenige Südamericas nicht erheblich vollständiger als gegenwärtig unter- richtet sind, ist diess sehr voreilig geschlossen. UÜberdiess erscheint das, was wir gegenwärtig schon positiv wissen, bei ceritischer Erwägung wenig geeignet die Annahme zu stützen. 1) Grandidier (1905, 1. e. p. 12) eitiert unter den Primatenfundorten des europäischen Palaeogens Ronzon. Mir ist weder aus der Litteratur noch aus den Sammlungen ein Fundstück von dort bekannt, das sich auf einen Primalen beziehen liesse. 2) Ich erinnere, dass nach Anhaltspunkten, welche die Artiodaetylenordnung liefert, dieses Gentrum nicht ganz ausser Beziehung zu demjenigen gestanden hat, von welehem die Lutetien- wanderung ausgegangen ist (s. oben p. 1159) und dass diese allem Anschein nach eine beträcht- liche Anzahl von Primaten nach Europa gebracht hat. 32 1548 Stehlin, Eocaene Säugetiere. Weitaus die meisten bis jetzt bekannten Primaten des nordamericanischen und europäischen Eocaens, die am vollständigsten belegten voran, gehören nach- weisbarermassen erloschenen Stammlinien an. Für Omomys und Anchomomys können wir vorläufig, wenn wir recht liberal sein wollen, die Möglichkeit einer directen Beziehung zu den Affen, für Chiromyoides und Amphichiromys die Mög- lichkeit einer solchen zu Chiromys zugeben. Allein diess sind alles sehr unvoll- ständig belegte Formen und von einer vagen Möglichkeit, ist noch ein weiter Weg bis zur Wahrscheinlichkeit oder gar zur Gewissheit. Für Lemurinen, Indri- sinen, Chirogaleinen, Nycticebiden sind wir nicht einmal in der Lage, solche „mögliche“ Ahnen namhaft zu machen. Nun ist freilich einzuräumen, dass wir wohl auch heute noch nicht die ganze Primatenwelt des nordamericanisch-europäischen Eocaengebietes kennen. Ich bin persönlich geneigt, mir den Zuwachs, zumal an kleinen Formen, den wir von unsern europäischen Fundorten noch zu gewärtigen haben, recht erheblich zu denken und glaube sogar, dass schon eine Durchsicht gewisser bereits in den Museen liegenden Aufsammlungen aus den Phosphoriten des Quercy einiges Neue zu Tage fördern würde.!') Aber nach bekannten Erfahrungen halte ich es für höchst unwahrscheinlich, dass uns diese künftigen Ergänzungen gerade das und alles das, was wir gegenwärtig vermissen, bringen werden. Das vorwiegend negative Untersuchungsergebniss an den bis jetzt bekannten Formen des nord- americanischen und europäischen Eocaens ist also immerhin ein triftiger Grund zu vermuthen, die Primatenordnung habe zur Eocaenzeit noch andre Entwicklungs- herde besessen. !) Ich weise bei diesem Anlass noch auf eine kurze Notiz Filhols „Deseription d’une nou- velle espece d’Adapis“ (Bull. soc. philom., septieme serie XII, 1888, p. 10—12) hin, die mir seiner- zeit entgangen ist. Das Fundstück, auf welches die hier beschriebene Species nova begründet wird, ist eine Mandibel mit M‚»—P, und Alveolen von P, und P,, welche sich vor allem dadurch aus- zeichnet, dass ihr P, den P, — wie bei 'Omomys — an Stärke und Höhe übertrifft und dazu eine etwas caniniforme Gestalt, sowie ähnlich wie bei Raubtieren gestreifien Schmelz besitzt. P; ist stark redueiert, P, nur mit einem schwachen Talon versehen. Die Molaren haben dieke Hügel und keine Mesostylide. In die mitgetheilten Maassangaben muss sich ein Fehler eingeschlichen haben. Am Anfang der Notiz werden den M;—M, und P,—P, Dimensionen zugeschrieben, welche denen eines starken Adapis magnus entsprechen; am Ende derselben den einzelnen Zähnen solche, die nur mässig über den Variationskreis der Adapis parisiensis-Gruppe hinausgehen.- Filhol nennt das Tier „Adapis angustidens“ und vergisst dabei offenbar, dass er das nämliche Beiwort früher schon zur Bezeichnung einer Mandibelvarietät des Adapis parisiensis verwendet hatte (s. oben p. 1228). Nach der obigen Characteristik erhält man den Eindruck, dieser angebliche Adapis repräsentiere nicht nur eine neue Species, sondern ein neues Genus, welches vielleicht eher zu Protadapis oder Pronycticebus in Beziehung zu bringen ist als zu Adapis. Aber ein bestimmtes Urtheil wird sich nur nach Prüfung des Originals abgeben lassen. Stratigraphische und tiergeographische Schlussbetrachtungen zu den Primaten. 1549 Einen noch deutlicheren Wink in dieser Hinsicht geben uns meines Er- achtens die höchst interessanten Affenreste aus dem Fayum, welche Schlosser vor einigen Jahren beschrieben hat. !) Wir können in unserer Betrachtung füglich von dem mangelhaft belegten Moeripithecus absehen und uns auf Propliopithecus und Parapitheceus, von welchen schöne Mandibeln vorliegen, beschränken. Obwohl diese Formen dem ältern Oligocaen, etwa dem Sannoisien, entstammen, schliessen sie sich in Structur und Habitus ihres Gebisses entschieden näher an die altweltlichen Affen ?), mit welchen sie auch in der Zahnformel übereinstimmen, als an irgend ein bekanntes Genus des europäischen oder nordamericanischen Eocaens an. Nach unsern Erfahrungen über phyletische Entwicklung der Gebisse steht zu erwarten, dass die obereocaenen Vorläufer dieser Formen ihnen schon recht ähnlich sahen und dass auch ihre mitteleocaenen Ahnen schon mehr von dem uns so neogen anmuthenden Structur- typus .an sich hatten als etwa Anchomomys und Omomys. Dazu kommt, dass Parapithecus jene eigenthümliche indifferente Einrichtung des Vordergebisses auf- weist, welche ich aus den oben) dargelegten Gründen als die ursprüngliche glaube betrachten zu müssen‘), während das Vordergebiss aller in dieser Hinsicht be- kannten Primaten des nordamericanischen und europäischen Eocaens schon stärkere Differenzierung erfahren hat. Im Gegensatz zu Schlosser halte ich es daher für höchst wahrscheinlich, dass diese Formen weder dem europäischen noch dem ameri- canischen, sondern einem dritten eocaenen Entwicklungsherd entstammen. Da Parapithecus und Propliopithecus im Fayum entdeckt worden sind, so liegt es natürlich am nächsten, die Heimath ihrer Vorfahren in Africa zu suchen. Sie kann sich sehr wohl dort befunden haben. Andererseits haben wir aber auch nicht das geringste Indizium, das uns abhalten könnte zu vermuthen, auch Asien habe zur Eocaenzeit Primaten beherbergt. Der Umstand, dass jenes, vermuthlich 1) M. Schlosser, Beiträge zur Kenntniss der oligocaenen Landsäugetiere aus dem Fayum. 1911. 2) Ich beschränke mich absichtlich auf diese für unsern Zusammenhang hinreichende sum- marische Feststellung. Sowohl Parapithecus als Propliopitheeus erinnern in odontologischer Hinsicht mehr an Anthropomorphen als an Cercopitheeiden. Allein das Gebiss der letztern ist, vom Besitz eines Talons am untern M, abgesehen, in allen Beziehungen differenzierter als das der erstern. Wir müssen daher gewärtigen, dass sich die Gebissstructur der Cercopitheeidenvorfahren dem Anthro- pomorphentypus umso mehr nähert, je älter sie sind. Altoligocaene Cercopitheeiden standen viel- leicht den gleichzeitigen Anthropomorphen odontologisch noch sehr nahe. Für Propliopithecus er- scheint allerdings der Gedanke an einen Zusammenhang mit Pliopitheeus in jeder Hinsicht als das nächstliegende. ®) p. 1530 ff. 4) Auch Prophiopitheeus zeigt übrigens im Vergleich zu Pliopitheceus und andern neogenen Affen eine deutliche Annäherung an diesen Urzustand, 1550 Stehlin, Eocaene Säugetiere. ’ o nordasiatische, Centrum, welches an dem oligocaenen Faunenaustausch zwischen Europa und Nordamerica mitbetheiligt ist, damals keine Primaten an diese Con- tinente abgegeben hat, ist zwar nicht geeignet, die Hypothese zu stützen, aber bei weitem nicht kräftig genug, sie zu widerlegen. Dass jene oligocaenen Verbindungs- wege nicht von Primaten benutzt wurden, lag vielleicht, wie bereits bemerkt, lediglich an ihrer besondern Natur. Aber auch wenn Nordasien zu Beginn des Oligocaens keine Primaten, oder keine Primaten mehr, besessen haben sollte, so ist damit noch nicht gesagt, dass das nämliche auch für den südlichen Theil des Continentes gilt, welcher mit der ihm vorgelagerten Inselwelt eines der grossen Primatencentren der Gegenwart bildet. Es kann ganz wohl sein, dass Africa oder Südasien oder alle beide’in der eocaenen Geschichte der recenten altweltlichen Primatenwelt eine viel grössere Rolle gespielt haben als Europa. Ich erinnere in dieser Hinsicht nochmals an jenes von Schlosser unter der Bezeichnung „Anaptomorphide? Mixodectide?“ be- schriebene Mandibelfragment aus dem Fayum, auf das ich schon in den Betrach- tungen über Adapis als auf ein bedeutsames Document hingewiesen habe.!) So dürftig es auch ist, es gestattet uns den. Schluss zu ziehen, dass die Primaten- fauna des aegyptischen Oligocaens — und somit wohl auch die Eocaenfauna, von der sie sich herleitet — neben Vorläufern der altweltlichen Affen auch niedrigere Primaten umfasst hat. Irgendwann in früheocaener oder voreocaener Zeit müssen diese tropisch- altweltlichen Primatencentren mittelbar oder unmittelbar mit dem europäischen und mit dem nordamericanischen in Verbindung gestanden haben. Aber praeeisere Vorstellungen von Zeit und Art dieses Zusammenhanges werden wir uns erst machen können, wenn einmal das Eocaen von Asien erschlossen ist. Endlich scheint es mir nicht unwahrscheinlich, dass auch Südamerica schon im Eocaen eine Primatenfauna besessen hat. Den direeten Beweis dafür ist uns die Palaeontologie bis jetzt allerdings schuldig geblieben. Festgestellt ist vorderhand nur, dass wenigstens ein Theil der Platyrhinen den Continent schon seit dem Santacruceho, d. h. seit der mitt- leren Tertiaerzeit bewohnt. Nach Bluntschli?), welcher kürzlich die von Amaghino in diesem Horizont gesammelten Primatenmaterialien einer Revision unterzogen hat, ist der, längst als Cebide im weitern Sinn erkannte, Homunculus — mit dem 2)p. 1298. °) H. Bluntsehli, Die fossilen Affen Patagoniens und der Ursprung der platyrhinen Affen. — Verhandlungen der anatomischen Gesellschaft 1913, Stratigraphische und tiergeographische Schlussbetrachtungen zu den Primaten. 1551 wir Anthropops möglicherweise zu vereinigen haben — ein schon sehr moderni- sierter Vertreter der Nyctipithecusgruppe, und Pitheculus eine vermuthlich nicht sehr weitläufig mit demselben zusammenhängende Form; während alles, was Ameghino sonst noch — aus dem Santacruzeio und andern Horizonten — auf Primaten bezogen hat, in andre Säugetierordnungen verwiesen werden muss. Offenbar wäre es indessen sehr voreilig aus dem Umstande, dass Süd- america bis jetzt keine eocaenen Primaten geliefert hat, zu schliessen, es habe keine besessen. Unsere Documentation ist gewiss auch hier noch recht unvoll- ständig. Zudem stammt sie ausschliesslich aus dem südlichen Theile des Con- tinentes, der sich vielleicht auch während der Tertiaerzeit weniger zum Wohnort für Baumtiere eignete als der nördliche. Die vereinzelten Primatenfunde aus dem Santacrucehio stützen diese Annahme eher als dass sie sie widerlegen; sie sprechen mehr dafür, dass Patagonien damals an der Peripherie eines Primatencentrums lag, als dass es selbst ein solches war. Und ähnliche Existenzbedingungen wie im Santacruceio können auch schon früher bestanden haben. Die stark divergierende Differenzierung, welche die verschiedenen Platyrhinen- stämme heute zeigen, muss schon sehr früh begonnen haben. Wie überall werden auch hier die Stammlinien, welche sich bis in die Gegenwart erhalten haben, früher von einem Schwarm von solchen umgeben gewesen sein, welche inzwischen er- loschen sind. Da man bisher weder in der alten Welt noch in Nordamerica fossile Primaten gefunden hat, . welche nicht ebenso gut oder besser an andre Sectionen der Ordnung angeschlossen werden können, so liegt es am nächsten, den Schauplatz der stammesgeschichtlichen Entwicklung der Platyrhinen in denjenigen Gebieten zu vermuthen, welche sie heute noch bewohnen. Irgend einmal muss auch diese südamericanische Primatenwelt mit der übrigen in Verbindung gestanden haben. In welcher Richtung wir ihren Anschluss suchen müssen, lässt sich gegenwärtig nicht mit Bestimmtheit entscheiden. Da mir aber vorderhand nichts für einen antaretischen oder gar, wie Schlosser!) an- nimmt, einen transatlantischen Zusammenhang derselben mit dem africanischen Entwicklungsherde zu sprechen scheint °), halte ich die von Wortman, Matthew u.a. rec. p..,102- 2) Auf die Unhaltbarkeit der Anschauungen von Standing, welcher Platyrhinen von Süd- america nach Africa und Madagascar wandern und dort zu Halbaffen degenerieren lässt, habe ich schon oben (p. 1291) hingewiesen. Da dieselben inzwischen von Gregory (1915 1. ce.) einer einläss- lichen Critik unterzogen worden sind, verzichte ich darauf, auf sie zurückzukommen. 1552 Stehlin, Eocaene Säugeliere. vertretene Annahme, die Platyrhinen seien aus Nordamerica eingewandert, für die weitaus plausibelste. Sollte dem so sein, so ergäbe sich daraus eine weitere Stütze für die Hypo- these, dass Südamerica schon im Eocaen eine Primatenfauna besessen habe. Da diejenigen Stämme Nordamericas, für welche man allenfalls Beziehungen zu den Platyrhinen vermuthen könnte, dort — nach unserer heutigen Kenntniss wenigstens — schon mit Ende des Mitteleocaens verschwinden, so kann auch ihre eventuelle Wanderung nach Südamerica nicht später als im Mitteleocaen erfolgt sein. Nichts zeugt andererseits dagegen, dass sie schon früher stattgefunden hat, Sehr weit von der Spruchreife entfernt ist vorderhand die Frage nach dem Urcentrum, von welchem aus sich die Primatenordnung über alle diese mehr oder weniger sicher feststellbaren eocaenen Wohngebiete verbreitet hat. Wahr- scheinlich ist allerdings, dass wir dasselbe in der nördlichen und nicht in der südlichen Hemisphaere zu suchen haben. Aber dass es gerade innerhalb des nördlichen Polarkreises gelegen haben muss, wie Wortman!) zu beweisen sucht, scheint mir keineswegs evident. Wir werden wohl besser thun, die Er- örterung auch dieser Frage zu vertagen, bis wir über Umfang und Art des An- theils näher unterrichtet sind, welchen der asiatische Continent an der Entwicklung der Säugetierwelt genommen hat. — !) J. L. Wortman, Studies of Eocene Mammals ete. 1901—1904, p. 177 ff., 192 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. SPEER 31. Tafel XXI. Caenopithecus lemuroides, M;»—M, sup. dext. Ef. 383 id., M, sup. dext. Ef. 387 Be Maxillarfragment mit M,»—P, und N colarsp ren von p, ud! C. Er. 382 ‚M, sup. sin. Ef. 395 i re Rütimeyeri, M; —M, sup. sin. Er. Pr, Caenopithecus lemuroides, M, inf. dext. Ef. 388 . Adapis cfr. Rütimeyeri et priscus, M inf. Ef. 404 . Adapis Rütimeyeri, Mand. sin. M,— P, Ef. 401 Caenopithecus lemuroides, P, sup. dext. Ef. 385 id., M, inf. dext. Ef. 397 id., M, inf. sin. Ef. 384 b : E Adapis Rütimeyeri, Mand. sin. M‚—P, Ef. 401 Caenopithecus lemuroides, M, sup. sin., von aussen Ef. 395 . Adapis Rütimeyeri, M, inf. sin. Ef. 407 Caenopithecus lemuroides, M, sup. sin. Ef. 393 Las Rütimeyeri, M, inf. sin. Ef. 414 ‚ D, sup. dext. Ef. 403 ; = Max. dext. P,-—P,, Alveolus P, Er. 400 Caenopithecus lemuroides, M, inf. sin. Ef. 399 id., M, inf. sin. Ef. 396. 3 Adapis Rütimeyeri, M, inf. sin. Ef. 413 nr P, sup. sin. Ef. 412 . ‚ M, sup. sin. Ef. 405 n Mand. dext. M,—P,, Alveoli > —C Er. 18 Caenopithecus lemuroides, M, sup. sin. Ef. 398 id., M, sup. dext. Ef. 394 ? : : Adapis Rütimeyeri, Max. dext. M—P, Ef. 415 a M, sup. dext. Ef. 408 ,‚ Max. sin. M.—P,, Alveoli M; u. P, Er. 410 nn P, sup. dext. Ef. 409 id., Max. dext. M‚—M, Ef. 411 1267 und 1301 1302 1301 1302 1262 1309 1513 1266 1302 1309 1309 1266 1302 1266 1302 1266 1265 1262 1309 1309 1266 1263 1263 1266 1302 1302 1262 1263 1262 1263 1262 Originalien von Egerkingen. Grosse Figuren im Maassstab ®/s, kleine in natürlicher Grösse. Abhandlungen der schweizerischen palaeontoloeischen Gesellschaft. > > Vol. XLI. Stehlin, Eocaene Säugetiere. Tafel XXI. H. G. Stehlin dir. M. Oser u. M. Müller del. A. Ditisheim repr. # in Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Pig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Das Original von Figur 12 ist von Mormont-Entreroches, N} o u eRNSHnMonm-Sennnnmumm Tafel XXTI. Necrolemur cfr. Zitteli, Max. sin. M,—P, Alveolus P;. Ef. 377 id., M‚—P, sup. sin. Ef. 368 Päricanodon! helveticus, Max. sin. M>;—M,, Alv chlls P,, PB, Alzenlıs P.. Necrolemur cir. Zitteli, Max. sin. M»— P,, Alveolus a Ef. 377 Adapis cfr. sciureus, M inf. sin. Eh. 381 Periconodon helveticus, Max. sin. Ms—M,, P, von aussen. Er. 366 Necrolemur cfr. Zitteli, Mand. sin. M,—M,. Ef. 380 id., M.;—M, sup. sin. Ef. 378 d., Mand. dext. M.;— P, Ef. 373 id., M—P, inf. sin. Ef. 379. : ; Anchomomys pygmaeus, M, sup. dext. Ef. 367 Microchoerus ornatus, Max. dext. M,—P,, Mt. 552. Necrolemur cfr. Zitteli, M,—P, inf. dext. Ef. 376 Anchomomys pygmaeus, M, sup. dext, Ef. 372 i Adapis parisiensis var., Mand. sin. M;—M, L. M. 1261 . Heterochiromys gracilis, Rechter oberer Vorderzahn Ef. 386 . Adapis Rütimeyeri, Mand. sin. Ma;—P,, Alveolus P, Ef. 416 . Necrolemur cfr. Zitteli, Mand. dext. M,—P, Ef. 371 Adapis Rütimeyeri, D, inf. dext. Ef. 391 : Necrolemur cfr, Zitteli, Mand. dext. M,—P, Ef. 373 Mormont-Eelepens; die übrigen sind von Egerkingen. Kleine Figuren in natürlicher Grösse. Ef. 366 Figur 12 ist im Texte infolge eines Druckfehlers als Figur 14 aufgeführt. 1366 1367 1428 1366 1517 1428 1368 1366 1368 1368 1416 1377 1368 1416 1236 1470 1266 1368 1268 1368 dasjenige von Figur 15 von Abhandlungen der schweizerischen palaeontologischen Gesellschaft. Vol. XLI. Stehlin, Eocaene Säugetiere. Tafel XXI. H. G. Stehlin dir. M. Müller del. A. Ditisheim repr. u; » ST a | SR... FE Sa e ; ie, 22 7 3 s ir R, i WR. LER 5 „N EA a UV ei 1; ß j7 u er a a FE NT