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.%

Die

Völker des Kaukaſus

und ihre

Freiheitskäͤmpfe gegen die Ruffen.

Ed x

Ein Beitrag zur neueſten Gefchichte des Orients | von

Friedrich Bodenſtedt.

„So gewiß ift es, daß ein Bolf vom Schickſale nicht verlaffen wird, fo lange es ſich ſelbſt nicht verläßt.“

Heeren, een ıc. HI. 522.

——

Mit ſie ben Caſeln Abbildungen und einer Vignette. J J

—— He

Frankfurt am Main. Berlag von Hermann Johann Kehler.

1818,

ı—/F/cFEo

Dem Berfafler der Fragmente aus dem Drient widmet diefed Buch als ein Beichen unwandelbarer Sreundfchaft

und Werehrung

dr. Bodenſtedt.

Vorrede.

Dieſes Buch iſt beftimmt, eine Lücke in der neuern Geſchichte auszufüllen, eine Reihe von Woölkerſchaften hiftorifch zu würdigen, deren Mehrzahl bisher in Europa faum dem Namen nach befannt war. &8 fdhilvert dieſe Bölfer in ihrem heimathlichen Leben, mit Bemerkungen über ihre Sprache, ihren Glauben, ihre Trachten, Sitten und Gebräuche, in den mannichfaltigen Abfchattungen, welche Natur und Gefihichte unter ihnen erzeugt haben, und zulest in ihrem Kampfe gegen das gewaltſam fich ihnen aufdrängende Ruſſenthum.

Ein geheimnißvoller, nur ſelten und nur theilweiſe gelüfteter Schleier umhüllt ſeit Jahrtauſenden den Kau- käſus und ſeine Bewohner. Die Gerüchte, welche ſeit dem Anfange dieſes Jahrhunderts von Zeit zu Zeit aus jener majeftätiſchen Gebirgswelt nach Europa herüberſchollen, klangen faft immer wie ein Nachhall der Mythen: des Alterthums. Man hörte, wie. die. Muften nach den ‘Ufern des Phaſis gezogen, um aus den immergrünen Wäldern

VIII

von Kolchis das goldne Vließ der Freiheit zu rauben; aus den Menſchenknochen, womit die kolchiſchen Fluren überſäet wurden, wuchſen gepanzerte Schaaren empor, fi) einander befämpfend und vertilgend. Prometheiſche - Berbannungsfeufzer erfchallen noch immer von den Felfen- geftaden des ungaftlichen Pontus; fchon viele Lichtbringer des Zarenreich8, unter welchen in neuerer Zeit Beſtuſhew (Marlindfy) und Lermontow als die beveutendften genannt werden müſſen, fanden dort ihr Grab...

Man weiß in Deutichland aus den Zeitungen, daß die Ruffen den Kaufafus in ein großes Heerlager umge: wandelt haben, daß bort feit Jahrzehnten ein biutiger Krieg geführt wird, daß ruffiiche Seftungen das Gebirge in allen Richtungen durchziehen; aber warum ber Kaifer alljährlich den Dagheſtan mit den Leichen feiner Krieger füllt, wann und mit welchem Rechte Rußland diejen unbeilyollen Kampf begounen, deſſen Ende noch unabjehbar ift über alles dieſes, Eurz über die nähern Umftänvde - des unfeligen Haders, weiß man in Deutfchland fo ziem⸗ lich gar Nichts. Die Löfung folcher und ähnlicher Kragen bildet den Mittelpunkt vorliegenden Buches...

Beſonders feit Fürft Woronzow mit faft Eöniglicher Vollgewalt nach den Ländern des Raufafus entfandt wurde, bat fih aufs Neue Aller Augenmerk dem Krieges ichauplage im Dagheſtan zugewendet. Mit banger Erwars tung fab man dem rfolge des erften Feldzugs entgegen. Die Kunde, daß ver: Zärk auf feinem Zuge die ſchuhenden Urwälber wit Fener una Mek;verlälge, um ben Truppen

IX

- on

freiern Spielraum zu gewähren, diente nur dazu, Die Be⸗ forgnig für die Bergvölfer zu erhöhen, und ald gar der Siegesruf der Ruffen vom Felfenfchloß Dargo erfcholl, wähnten Alle fchon den Untergang Schamyl’d und feiner Helden vorausfehen zu” können.

Wer da glaubt, daß ver Ausgang diefed Kampfes von der Zertrümmerung fteinerner Beften, von ber ers ftörung einzelner Wälder abhänge, hat dad Weſen des kaukaſiſchen Kriegs noch nicht begriffen.

Die Ruffen mögen mit ihren Heerfchaaren alle Län- der des Kaukaſus überziehen, alle Feftungen mögen fie fchleifen und alle Wälder verbrennen und mit dem euer ihrer Geſchütze felbft den Schnee der ‚wolfenüberragenden Gletſcher zerfehmelzen: und es wird damit dem umheil- vollen Kampfe noch kein Ende gemacht fein! Ja, fie mögen des Dagheitan verborgenfte Schluchten erfpähen, auf den zerträmmerten Wohnungen ber alten Heldengeſchlechter neue Hütten bauen umd der ‚Gehirgäländer ganze Bevöl⸗ ferung ausrotten mit Weib und Kind das Kriegsfeuer wird, fi ewig erneuend, fortlodern durch die Sahrhun- derte. Denn diefer Krieg iſt nicht bloß ein Kampf, wel chen Menſchen gegen Menfchen führen, es ift ein Kampf des Gebirgs mit der Steppe.

Die Bevölkerung des Kaufafus kann gewechfelt wer: den, die von feinen Bergen wehende Freiheitöluft wird inmer biefelbe bleiben. Gefräftigt durch dieſe Luft würden ſelbſt ruſſiſche Soͤldlinge zu freiheitbebürftigen Männern erftarfen, und ans ihren Rachfommen würde ein neues

X Helvengefchlecht erftehen, feine Waffen gegen dieſelbe Knechtſchaft Fehrend, für deren Verbreitung feine Väter einft als willenloſe Sklaven gefochten ...

Hiermit wäre meine Anſicht über den ruſſo⸗-kaukaſiſchen Krieg, fo wie dieſes Buches JZwef und Inhalt genugſam bezeichnet und es bliebe nur noch der Standpunkt anzu⸗ deuten, welchen ‚ich bei der Schilderung "ver verſchiedenen Bölferfchaften eingenommen.

Bor Allem war mein Beftreben darauf gerichtet, in leichten aber beftimmten Umrifien ein Gefammitbild des Kaukafus und feiner Bewohner zu geben. Bei der Man⸗ nichfaltigfeit und Neuheit der hier behandelten Gegen- ftände machte ich mir Klarheit der Darftellung zur erften Kürze zur zweiten Pflicht. Sorgfältig habe ich alles allgemein Befannte vermieden und ausführlih nur das in den Kreis meiner Betrachtung gezogen, was unmittel- bar mit eigenen Studien und Erfahrungen zufammenhing; naturhiſtoriſche Andeutungen find daher nur in fo fern eingeflochten, als folche zur Charakteriſtik eines Landes nothwendig waren; ich durfte mich in dieſer Bezie⸗ hung als Laie um fo Färzer faffen, da uns von den verfchievenen Naturforfchern, welche in den letztern Jah— ren den Kaufafus bereift haben, ohne Zweifel viele neue und ausführlichere Aufſchlüſſe bevorftehen.

Den ethnographifchen Schilderungen find, nach Maß- gabe der Bedeutung der einzelnen Voͤlker, mehr ober minder umfangreiche hiſtoriſche Skizzen vorausgeſchickt; bei ſolchen Völkern hingegen, welche noch keine Geſchichte

xi

haben, oder über deren Bergangenheit ein zu. großes Dunkel fchwebt, wurde blos die Gegenwart berüdfich- tigt. Denn bei der Betrachtung eines faft noch im Ra⸗ turzuftande begriffenen Volks handelt ed fich weniger um die bisherigen Erfolge feines Wirkens und Lebens, als um die zu Fünftigem Aufblüben vorhandenen Elemente; es frägt ſich bier nicht, ob das Volk ſchon Großes voll: bracht habe, ſondern ob und wie weit die in ihm ſchlum⸗ mernden Kräfte die Annahme rechtfertigen, Daß es im Stande fei, Großes zu vollbringen...

In meiner politischen. Anfchanungsweife theile ich bie Anficht Derer, welche glauben, daß die Gefahr, welche von Rußland aus den Often bedroht, auch für den Weiten nicht fern fei. Was der Fragmentiſt hierüber fo ſchön und eindringlich in feiner berühmten Vorrede entwidelt, hatte Göthe mit. Prophetenfingern ſchon lange vorherge⸗ fühlt: „Wir haben ung feit einer langen Zeit gewöhnt, unfern Blick nur nach Weften zu richten, und alle Ge⸗ fahr von dorther zu erwarten; aber Die Erde dehnt ſich auch noch weithin gegen Morgen: aus“ *). "

* * x

Die Materialien zu vorliegendem Werke ſammelte ich während eines fiebenjährigen Aufenthalts in Rußland und den Ländern des Kaufafus. Hochgeftellte vufjifche Dfficiere, denen ſelbſt daran lag, die Faufafifchen Zuſtände

*) ©. den Auffab: Spätere Berührungen mit Göthe in H. Luden’s „Rückblicke in mein Leben.“

xu

von einem Ausländer unparteiiſch beleuchtet zu fehen, fehr wohl wiflend, wie wenig man mosfowitifchen Be: richten bei und Glauben fchenft, gingen mir willig mit Rath und That zur Hand, und fo reihte fich im Laufe der Jahre ein Blatt zum andern, bis nach und nad gegenwärtiged Buch daraus heranwuchs.

Die Ausarbeitung der einzelnen Eapitel wurbe be: reits in Tiflis begonnen, unmittelbar nach meiner Rüd- fehr aus dem Orient in München fortgefegt, und im Sommer diefed Jahres zu Ende geführt in der ländlichen Stille des Schloffes Ejcheberg bei Kaflel, wo mir durch die Güte meines hochverehrten Freundes, des Herrn Kam⸗ merherrn von der Malsburg, eine reichhaltige Bibliothek zu Gebote ftand...

Die dem Werke eingeflochtenen Abbildungen werben dem Lefer hoffentlich eine erwünfchte Beigabe fein. Die Idee zu dem Titelblatte verdanfe ich einem größern Bilde ded Herrn v. Wachsmuth in Tiflis; die übrigen Blätter wurden nach meinem Sfizzenbuche von dem genialen Künstler Klimſch meifterhaft gruppirt und ausgeführt...

Sp möge denn died Buch munter feines Wege durch die deutfchen Lande ziehen, einem Bergftrom gleich, ver fih von den ewig in Schnee gehüllten Höhen des Kaufafus herunterftürgt, gefärbt von dem Blute der an feinem Ufer erſchlagenen Helden.

Gejchrieben am Lago di Como den 1. Nov. 1847.

Friedrich Bodenſtedt.

Hinfichtlih der Ausſprache

der vielen in diefem Buche vorkommenden Fremd⸗ wörter diene zur Bemerfung, daß ich bier, um einem größern Bubliftum verftändlich zu werben, von der unter Gelehrten üblichen Bopp’fchen Schreibweife orientalifcher Wörter abgewichen bin, und im Allgemeinen jedes Wort fo gefchrieben habe, wie ed audgefprochen werden muß. Ausnahmen von diefer Regel bilden nur ſolche Wörter und Eigennamen, deren biöher übliche Schreibweiſe gleich- ſam ſchon das Bürgerrecht bei und erhalten hat, wie z. B. Mirza (ſprich Mirfa), Sultan (fpr. Ssultan), Potemfin (pr. Patjomfin) u. f. w.

Der unferer Sprache fehlende fanfte Ziſchlaut wurde durch fh (zur Unterfcheidung von dem ftarfen Zifchlaut ch) angedeutet, dem. franzöftichen j in jamais, jeune u. f. f. entfprechend. Da es im Deutfchen üblich ift, das f zu Anfange eined Worted immer fanft auszufprechen, fo wurde dieſer Buchftabe immer verdoppelt, wo es nöthig war. In diefem Sinne fchreibe ich z. B. nicht Koifu fondern Koigu; nicht Samur fondern Ssamur u. ſ. f.

- Daß fi troß dieſer von mir Eonfequent verfolgten Schreibweife beim Drud eine Menge Fehler eingefchlichen

XIV

haben, fonnte um fo weniger außbleiben, da es mir wegen meiner weiten Entfernung vom Drudorte unmög- li war, die Correctur felbft zu übernehmen. ch darf in diefer Beziehung um fo mehr auf freundliche Nachficht hoffen, da der verftindige Leſer Drudfehler leicht von wirflichen Fehlern zu unterfcheiden wiſſen wird.

0

———

Inhaltsverzeichniß.

Vorrede Hinſichtlich der Ausſprache

Erſtes Buch. Der Kaukaſus und ſeine Bewohner

I. Der Kaukaſus. 1. Sebirgsfoiten . 2. Begetation . 3. Klima 4. Komniunifationen . 5. Die Flüſſe des Kaufafus II. Die Bewohner des Kaufafus. a. Kritifiher Weberblid . . b. Hiſtoriſch-ethnographiſche umriſe 1. Die Raçe Kartwel

2. Das Volt der Mispfheabi oder die Kitten:

tämme

3. Das Volk der Dido oder die gesahierfämme 4. Die Stämme türfifcher Race oder die Tata:

ren des Kaufafus

Das Ateſch⸗gah vder dag ewige Feuer, nnd

die Feneranbeter 5. Die armenifche Race -.

6. Die Bölfer zwifchen den Kuban und tem Echwar- zen Meere oder Die Abchafifchen und Tſcher—

feffifhen Stämme

7. Die Adigh& oder Die eigenttigen <fher:

feffen . 8. Die Kabarder 9 Die Dffeten 10. Die Kofafenftämme e. Statiltifche Notizen

Zweites Buch. Die Weifen des Kautafus und die Frei:

heitsfämpfe im Dagheſtan

.

xVI

Kap. I., in welchem ber Berfafler bie Stellung Rußland’s, gegenüber ben Bölfern bes Kaufafus zu veranfchaulichen ſucht, und zugleich einige befcheivene Bemerkungen über ein denſelben Gegenſtand behandelndes Werk einfließen läßt

Rap. II. Anfänge. Die Bifion des Hadis⸗Jsmail

Aap. IH. Die Sufi's und die Muriden, oder: Der Zufam- menhang des Suflsmus mit der neuen, im Dagheftan gebildeten Glaubengfefte .

Aap. IV. Mullah-Mohammeb, der Murſchid von 1 Sara; und feine Eriegerifchen Jünger. Arslan⸗Chan. -— Sermolow

Rap. V. Abberufung Jermolow's. Tod der Generäle Grekow und Liffanswitfh. Erftes Auftreten Ghaſi⸗ Mohammed's (Kaſi⸗Mullah's)

Kap. VI. Fortſetzungen. Tarku und Burn; ein Schlach gemälte . . .

Rap. VII. Die Schlacht bei Himry. gafi⸗Mullah's Tob Rap. VIH. Vorbemertungen. banſat⸗Vegae Leben und Tod ..

Kap. IX. Imam Schamyl . .

Bap. X. Kurze Ueberficht ber Rriegeoperationen bes Corys an der linken Flanke der kaukafijchen Linie unter den Befehlen des Generaladjutanten v. Grabbe. 1839 1840

Kap. XI. Schamyl als Gejeßgeber und Adminiftrator .

Map. XII. Fortfegungen der Kriegsoperationen von 1840 bis 1842. Hadfhi-Murad der Abref. Dſhelal⸗Eddin. Fürft Argutinsfy-Dolgorufy (Longimanus). Golowin. Abberufung Grabbe's vom Keulaſue

Anbang -.

Zur Geſchichte des tutafjgen wre | in den Suse 1840 bis 1842 .... . , . 1. Zur Drientirung .

2. Im Frühling des Jahres 1841

8 Im Sommer und Herbft des Jahres 1841

4. Blicke auf den reiten Blügel der Nordarmee . .

Schlußbetrachtung.

Neidhart und Woronzow zugleich als Ueberficht der fan: kaſiſchen Zuflände von 1842 bis auf die neuefle Zeit .

Seite

385 310

825

Erftes Bud.

Der Kaukaſus und feine Bewohner.

Sieh, fernher durch den Nebel fchimmernd, Im Schnee wie Diamanten flimmernd Der alte Kaukaſus fich zeigt...

Lermontow.

Mubipu.

Der Kaukaſus. | Gebirgsſyftem.

Von den Ländern der Oſtküſte des Pontus, wo die ritterlichen Stämme der Schapßuch und Adighs haufen, zieht fich die große Kette des Kaufafus auf zwei Meere hinabfchauend und zwei Welttheile von einander trennend in füböftlicher Richtung bis zu der in fchnabelförmiger Biegung fpig im Kaspifchen Meere auslaufenden Halb- - infel Apfcheron, wo die ewigen Feuer brennen und bie festen Jünger Zoroaſter's eine Zufluchtöftätte gefunden _ haben. |

Mit feinen Nebenzügen und Verzweigungen nimmt der Kaufafus, in defien Gebirgslagerung man drei Ketten

unterſcheidet, .eine Breite von durchfchnittlich 30 Meilen . ein. Im Süden hängt er, unfern des Schwarzen Meeres,

durch einen fefundären Gebirgszug mit der großen Kette des Ararat zufammen; im Norden verlieren fich feine Aus- fäufer in den Steppen Süd-Rußlands.

Bon diefen Steppen aus Fnüpfen wir unfere Be- trachtung der einzelnen bedeutendern Gebirgszüge auf das Naͤchſte und Natuͤrlichſte an den Beſchtau ober die

1*

4

„Berge von Pjätigorsf, welche gleichfam einen Borpoften der großen Kette bilden, fteigen alsdann zu dem alle andern Berge überragenden Elbrus hinauf, werfen von hier aus einen Blick auf die das öftliche Geſtade des Pontus entlang ftreichenden Höhenzüge, bleiben einen Augenblid bei der die große Kette mitten durchfchneidenden Militairftraße ftehen und wenden und endlich in ſüdöſt⸗ licher Richtung dem Kaspifchen Meere zu.

Der Befchtau (forrumpirt von Besch-dagh, d. 1. die 5 Berge) ift die alte Heimath der Tfcherfeffen, welche wir feßt mit dem Namen der Kabarder bezeichnen. Süd⸗ weftlich von Georgiewsk, auf dem Wege nad Kon- ftantinogoröf, erheben fich in geringer Entfernung von einander vier dieſer mit Wald umfleiveten Berge, deren Kette mit einem hohen Bergfamme, genannt der. Eſels⸗ rüden, zufammenhängt, folchergeftalt, daß ſich durch dieſe Bereinigung eine Feffelförmige Oeffnung bildet, aus deren Mitte der fünfte und höchfte Berg in Fonifcher Form ber- vorfteigt. Sein Gipfel ift faft fortwährend von Wolfen umhüllt und bildet ein fteil abfallendes Plateau von fo fleinem Umfange, daß faum zehn Menfchen darauf Pla finden würden. Bon den übrigen vier Bergen verdient hier nur der Mafchufa oder Metfchufa, an deſſen Fuße die berühmten heißen Schmwefelquellen entfpringen, befon- derer Erwähnung. Der Gebirgsarm, durch welchen ver Beichtau mit der großen Faufafifchen Kette zufammenhängt, läuft zwifchen der Kuma und dem Kuban hindurch füd- weftlich immer höher und höher. fteigend, bis er fich zu- legt mit dem Elbrus, dem höchiten aller Berge des Kaukaſus, verbindet.

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Der Elbrus (oder Elborus), das kühnſte und herr⸗ lichſte Gebilde der vulkaniſchen Kräfte, welche dieſen gigan- tiſchen Gebirgsmaſſen ihr Daſein gegeben, erhebt ſich ſelbſtſtändig aus den ihn umlagernden Vorbergen durch ein gegen 10,000’ hohes, von ſeltſam gezackten Felfen- maffen durchbrochenes und überragtes Längenplateau ; die ſteil abfallenden Felſen bilden eine Fraterähnliche Höhlung, . aus deren Mitte die beiden koniſch geformten, ewig mit Echnee bevedten Spiten des Elbrus emporfteigen, bei ungetrübten Himmel dem bloßen Auge fchon in einer Entfernung von 40 Meilen fichtbar.

Mannichfaltig, wie die wunderbaren Sagen, welche fih an diefen Bergriefen Enüpfen deflen Höhe auf 16,000° angefchlagen wird find auch die Namen, die man ihm gegeben. Bet den Berfern und Tataren heißt er Kaf-dagh, wovon der ganze Kaufafus feinen Namen erhalten; die Ruffen nennen ihn Schattgora oder Schatt- berg; bei den. Abchafen heißt er Orfi-Itub und bei den Adighé Oschga-Machua, d. h. der Berg der Ölüdfeligen; die allgemeinfte Benennung dafür unter den Bergvölfern iſt Dshin-Padischah (der König der Geiſter); denn ‚feine Schluchten bilden nad) der Sage den Eingang zum Dshinnistan oder Geifterlande, wo die Iuftigen, glüdfeligen Peris, die. Feen des Orients, wohnen, deren Schönheit ewig unverwäftlich ift wie ihre: Sungfräulichkeit.

Auf feinen, den Menſchen unzugänglichen Höhen hauft feit Jahrtauſenden Simurg, der greife Götterwogel, mit einem Auge die Vergangenheit, und mit dem an- dern die Zufunft durchfchauend. Wenn Simurg die Lüfte durchkreift, fo erzittert die Erde von dem gewaltigen

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Flügelfchlag und die Stürme heulen und das Meer wallt hoch auf und wedt durch fein Wogengerolle alle fchlum- mernden ©eifter der. Tiefe.

Zuweilen tönt e8 von Dem Iuftigen Throne des weiſen Prophetenvogels fhaurig herab wie Jammern und Weh- Hagen, dann ſchweigt der Gefang der Vögel in den Wäldern, die Blumen fenfen ihre Häupter, der Bergftrom brauft wilder einher und die Berge umhüllen trauernd ihr glanzumfloffenes Antlig mit dunklem Wolfenfchleier.

Oft aber auch flingt e8 von Simurg’s hohem Wolfen- throne wie Gefang der Seligen, wie der Klang von taufend Eymbeln. Dann wölbt fich der Himmel in unge: trübter Bläue, wie goldene Gedanken fpiegeln fich bie Strahlen der Sonne auf der weißen Stirne der Berge, das Raufchen des Bergftromd wird zu freubigem Gemurmel und aus den Blumen fteigen Wohlgerüche auf, Hip wie der Odem im Munde der Beris...

Died ald ein Tropfen aus dem uralten, aber an nährender Bergesbruſt ſich ewig verfüngenden Sagenquell des Kaukaſus. Wir müflen jetzt wieder bie ſchwindelnden Hoͤhen der Mythenwelt verlaſſen, um feften Schritte auf dem Boden der Wirklichkeit weiter zu wandeln.

In nordweſtlicher Richtung vom Elbrus, die Oſtkuüſte

des Pontus entlang, bilden der Pelaw⸗Tepeſch oder . bie Muͤtze von Saffar-Béy und der Oſchten in den - Rändern. der Abchafen und Abapfen, der Idokopas

und der. Schapßuch in den Ländern der Adighs die

höchſten Kuppen. Süpöftlich vom Elbrus, im Lande der Offeten, zuneben der georgifchen Militairftraße, erhebt fich der. etwa 15,400'

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hohe Kasbek, welcher gleichfum ven Mittelpunkt der großen Gebirgskette bildet. Folgen wir der von R. nah ©. O. den Kaukaſus in der. Mitte durchſchneidenden Militair- ſtraße einige Meilen weiter, fo gelangen wir zu dem mit ewigem Schnee bedeckten Krestowaja-Gora ober dem Kreuz. berge, an deſſen Fuße die Poſtſtation Kobi liegt. Etwa eine Meile von Kobi erreichen wir den berühmten Weiler Baidar, von armen Öffeten bewohnt, deren mühſelige Lebensanfgabe ift, bei Schneefällen oder Stürmen verirrten Reifenden beizuftehen. Etwas weiter ftuft fich Das Gebirge in fühlicher Richtung anfangs fteil ab und verliert ſich zuletzt in anmuthigen Hügelfetten, welche bis in's Herz Georgiend hinein Die geſegneten Thäler der Arag ua durchziehen.

Halten wir den Kasbef ale: Mittelpunkt cf und vers "folgen bie große. Kette nach ©. D. Bid. zur Halbinfel Apfcheron, fo finden wir zuerfi den die Schneelinie weit . überragenden Barbela in Lesghiften; dann den Schah- Dagh (Königsberg) in der Provinz Kuba; den Dost- Dagh ($reundesberg) und. ben Baba-Dagh GVaterberg) zwiſchen Schefi, Schirwan und Baku, und zuletzt hart am Kaspifchen Meere den ſich etwa. 3000' über dem Waflerfpiegel erhebenden Besch-Parmakj-Dagh oder Bin Ängerberg, deſſen Rame ganz feiner Geſtalt eniſpricht .

Vegetation.

Großartig und voll überraſchender Mannichfaltigkeit, wie das Gebirge ſelbſt, iſt auch Die Vegetation der Län- der, die ſeine Arme umſchließen. In den durch Lage, Boden und Klima bedingten Abſtufungen findet man hier

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in üppigfter Fülle die meiften Erzeugnifle des Gewächs⸗ reich® der beiden gemäßigten Zonen; während Tannen- und Fichtenwälder zitternd aus fchwinbelnden Höhen auf die lachenden Thäler hinabfchauen, fingt unten im Lorbeer baume die Nachtigall, ſchlingt fich der Weinftod hochauf- firebend um fchattige Ulmen, ragen fchlanfe Cypreſſen durch die Luft wie grüne Thürme des Waldheiligthums, fäufelt der Wind durch das Laub der Pinie, des Nuß⸗ baums, der Platane, des Tamaridfenftrauchs, blühen in wunderbarer Pracht und Größe Rhodedendron und Azalea pontica.

Dichte, unüberfehbare Waldungen, fruchtbares Acker⸗ land, üppige Weideplätze wechſeln überall mit einander ab; die Natur hat das Füllhorn ihres Segens über dieſe Länder ausgeſchüttet, aber fte ſchafft Hier für ſich allein, ohne daß der Menfch fördernd dabei mitwirfe. Voll urfprüng- licher Srifche und Kraft gleich den Bewohnern. diefer Gegenden unverebelt, aber auch unverborben durch die Hand der Kultur tft Alles, was hier die Erde her⸗ vorbringt; doch der Menſch zieht nur wenig Nutzen aus dem, was die Natur ihm ſo freigebig geſpendet, und noch lange Jahre werden vergehen, ehe Ackerbau und die Künſte des Friedens hier dauernde Wohnſtätte finden können. So lange die Raubfrallen des ruffifchen Doppelablerd ſich an den Felfen des Kaufafus feftflammern, wird aller Fortfchritt Hier nur ein Fortſchritt der Zerftörung fein. Statt der Pflugfchar durchfurchen Kanonen das Acker⸗ land, ftatt des Getreides werden Menfchenfnochen gefäet, ftatt der Sichel wird das biutige Schwert geſchwungen zum alljährlich fich erneuenden Erntefeite des Todes...

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Die Waldregion erreicht im Kaufafus durchfchnittlich eine Höhe von 7400’; weiter hinauf verliert fich das legte Krüppelgewächs in Grasmatten oder fteinichten Oeden. Die undurchdringlichen Wälder find ven Ruſſen bei der Verfolgung der Bergvölker eben fo hinverlich, als fie. Die fen bei ihren Weberfällen, Hinterhalten und auf der Flucht - trefflih zu Statten kommen. Wie aus den Zeitungen ber Fannt ift, haben die Ruffen feit einiger Zeit angefangen, die Wälder nieverzubrennen; doch ift ihnen bis jetzt noch fein befonderer. Ruben daraus erwachfen...

Die Langenplateaus und fanftgefchwellten Höhenzüge an der Oſtküſte des Schwarzen Meeres find mit dichter Urwaldung überfleivet; Buchsbäume, Ahorn (Platanus orientalis), Efchen, Ellern, Eichen, Nußbäume, wilde Obſt⸗ bäume aller Art erreichen bier eine Dide und Höhe, daß das Auge des Wanderer flaunend darauf weilt. In dem untern „Theile Oſſethi's findet man Eichen, Buchen, Ulmen und Erlen von riefiger Größe; befonders find die öftlich ftreichenden Schieferberge mit dichter Waldung bes fest. Daffelbe gilt von den Ländern der Kiften. Auch die Längenplateaus in den Provinzen des Dagheftan find nach allen Richtungen mit Wald überzogen; uralte Platanen, Pappeln, Buchen, Eichen und Linden bededen bier überall die unzugänglichen Höhen und erreichen unge- ftört den höchften Grad des ihnen von der Natur an- beraumten Wachsthums und Alters. Unter den Früchten verdienen beſonders die herrlichen Pfirfiche, Aprifofen, Nepfel, Birnen und Weichfelfirfchen Iobende Erwähnung.

Der Kaufafus ift das Vaterland der Rebe, die bier zu einer flaunenerregenden. Dide und Höhe gedeiht. In

t0

Tiflis zeigte man im Jahre 1843 eine Traube von 14 Pfund Gewicht. In den blühenden Thälern ded Kur, des Phaſis, des Alafau und der Jora wird der Wein⸗ bau mit Eifer betrieben. Beſonders iſt das geſegnete

Kachethi feines vorzüglichen Weines wegen berühmt. In den ruffifchen Brovinzen, namentlich in den frucht⸗ baren Thälern zwiſchen Scheki und Schirwan, betreibt man mit großem Nusen die Zucht des Maulbeerbaumes und der Baummollenflaude; fogar das Zuderrohr hat man. im Chanat. TZalifch mit-Erfolg eingeführt. - | As Audfuhrartifel nennen wir außer der hier in großer Menge gewonnenen Seide und Baumwolle noch Krapp, Safran, Wein, Reis, Hirfe, Gerfte, Mais, Waizen und Tabaf. Der Dagheftan iſt befonders in ben nörd- lichen Theilen reich an Getreide aller Art. Am ungünftigften sum Aderbau ift das Ehanat der. Awaren; daher auch bie drüdende Armuth der Bewohner dieſes Landes. Die Kafifumyfen und die Bewohner des Gebietes: von Seltffui. find vorzugsweiſe auf Viehzucht angewieſen..

Klima.

Es bedarf kaum der Erwähnung, daß die große Vers fehievenheit der Lage und natürlichen Befchaffenheit der Länder des Kaukaſus auch die auffallenpften Unterfchiede im Klima erzeugen muß. Während ein undurdhpringlicher Schnee⸗ und Eispanzer ewig Haupt und Rüden der Ge birge umfleidet, daß die Strahlenpfeile der Sonne macht⸗ 108 davon zurüdprallen, gehören in den tiefer gelegenen Gegenden Schnee und Eis zu den feltenften Erfcheinungen des Winters. Landftriche, welche durch ihre gefunde Lage

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und milde Luft mit den gefegnetften Blägen ber Erde wetteifern können, wechfeln ab mit Gegenden, die der Fuß des Wanderers nie ungeftraft betritt. Während der vor Kälte zitternde Reifende am Kreuzberge fi mit Mühe einen Weg durch den hohen, frifch gefallenen Schnee bahnt, blühen in den Gärten von Tits. fchon Rofen und Man- velbäume.®

In den Diefebenen herrſcht im Sommer eine ſo uner⸗ trägliche Hitze, daß die Bewohner gezwungen find, Schutz auf den Höhen der Gebirge zu ſuchen. Die Bewohner der höhern Gebirgsgegenden ſuchen ihrerſeits im Winter, wo die ftarfe Kälte und ber hohe. Schnee fie aus ihren leicht gebauten Hütten vertreiben, mit ihren Heerden Schutz und Nahrung in den Tiefebenen; befonvers find die, treffliche Weide bietenden, zwiſchen dem Alafan und Kur gelegenen und von der Jor a durchſtrömten Steppen Upadar und Karajoes *) alljährlich zur Winterzeit ber Sammelplag vieler Lesghier⸗ und Tatarenftimme, welche hier bis zum Anbruch des Sommers verweilen...

. Die Länder in der Nähe des Meeres find den Aus- pänftungen ver fumpfigen Ufer, jo wie ben fchäblichen Seewinden und. Nebeln ausgeſetzt, welche hier oft die Urſache gefährlicher Krankheiten, beſonders hartuaciger Fieber werden.

*) Die Steppe Karajoes (kara-gjös, d. i. Schwarzauge) hat ihren Ramen von ihrem ſchwarzen, fettigen Boden, welcher im Wins ter die vortrefflichfte Weide Liefert. Im Sommer ift die Steppe jedoch wegen ber erflidenden Hiße und der fchäblichen Ausbünftungen unbe⸗ wohnber.

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Am meiften ihrer ungefunden Luft wegen berüchtigt find die Thäler und Steppen zwilchen Schirwan und dem Chanat Talifch am Kaspifchen Meere, fo wie ber größte Strich der Oftfüfte des ‘Bontus. Es verfteht fich von felbft, daß der fchlimme Einfluß des Klima's fich weniger bei den Eingebornen als bei den Ruffen äußert, von denen Taufende jährlich in den Luzareth Mund Feld⸗ lagern dahinſterben. In der Feſtungslinie von-Redut- Kale bi8 Anapa muß die Befagung durchfchnittlich alle drei Jahre erneut werden; die Kugeln der Bergvölfer find bier weit weniger zu fürchten, ald die den größten Theil des Jahres hindurch graflirenden bösartigen Krankheiten. Die der Geſundheit am zuträglichften Landftriche bieten Georgien, Karthli, Imerethi, Mingrelten und der nördliche Theil des Dagheftan. Auch das am füb- weftlichen Abhange ver Faufaftfchen Vorberge gelegene Abchafien erfreut fi} einer herrlichen Temperatur, be⸗ fonders der fchmale, von üppig bewachfenen Hügelreihen durchichlungene Streifen, welcher fich zwifchen dem Meere und dem Gebirge. hinzieht. Doch felbft in den gefündeften Gegenden werden die feuchten, Falten. Nächte, fo wie der unvermeidliche plögliche Webergang von Hige zu Kälte, und umgefehrt, den fchlecht verforgten ruffifchen Soldaten oft Urfachen todtbringender Krankheiten. Die Ruſſen haben im Kaufafus drei furdhtbare Feinde zu befämpfen, deren erfter und grimmigfter das Klima if, das Gebirge iſt der zweite, die Bergvölfer find der dritte. Wie oft wird bier dad Auge des Reifenden getrübt durch den Anblick eines Truppe unglüdlicher, kranker Sölplinge, Die, ihren dumpfen Hütten entriffen, aus einer ungefunvden Gegend in eine

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gefünvere geführt werben, um ihr freudenlofes Dafein noch um ein Paar Jahre zu verlängern. Sie ſchwanken einher wie Schatten, und man weiß nicht, was grauer und kahler ausſieht, ob ihr bleifarbened Geftcht oder der grobe Mantel, der ihre welfen Glieder umhuͤllt. Stößt man hin und wieder auf frifche, Iebensfräftige Burfche, fo darf man überzeugt fein, daß fie erft wor wenigen Wochen aus Rußland angekommen find und noch feinen Sommer im Kaufafus mitgemacht haben; nur ein halbes Jahr Geduld, und ihre Wangen werden fo blaß und ihre Augen fo matt fein, wie die ihrer Brüder!

Es ergriff mich oft ein wehmüthiges Gefühl, wenn ich diefe neuangefommenen Opfer des Krieges und des Siechthums in Reih’ und Glied aufgeftellt fah. Sie willen nicht, warum man fie ihrer Heimath entrifien und Taufende von Werften weit her in dies fremde Land gefchleudert hat; ‚fie wiffen nicht, warum fie Fämpfen, noch gegen wen fie fämpfen; das Einzige, was fie wiflen, tft, daß fie ihre Heimath nie wieverfehen werben! Diefe traurige Gewißheit der ewigen Trennung von Allem, was ihnen theuer ift, dieſes bange Vorgefühl eines Fümmerl.- chen Todes fpricht fich, wie in ihren Gefichtern, fo auch. in ihren Liedern aus, die faft durchgehende von einer tiefen, ergreifenden Wehmuth burchweht werden. Der Soldat fingt gleichfam fihon bei Lebzeiten feinen eigenen Grabgefang, wiſſend, daß an feiner Bahre einft Niemand trauern wird, und man weiß nicht, was fchauerlicher Elingt, ob der Wind, der zur Nacht durch’8 Gebirge heult, over dieſe wehmüthi- gen Lievesweifen. Ihr Duft ift wie Leichenpuft; es jind Gefangesblumen, aus Blut und Thränen aufgewadhfen....

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. Kommunikatiouen. | | Das europätiche Rußland hat. zu Lande nur zwei

Kommunifationswege mit feinen transfaufafifchen Ber fisungen: die ſchon oben erwähnte georgifche Militair- firaße, welche mitten durch's Gebirge führt, und vie Kas⸗ pifche Straße, oder den Weg, welcher von Kisljar durch das Land der Kumyken und darauf dad Kaspifche Meer entlang nach Baku Iäuft. Diefe beiden Straßen werben durch einen von Jefaterinogradöfaja über Mosdok nach Kisljar laufenden Querweg mit einander verbun⸗ den, fo daß SIefaterinogradsfaja und Kisljar zugleich die Bereinigungspunfte der beiden von Rußland nach dem Kaufafus führenden Hauptlandſtraßen bilden,

wovon die eine bei Aſtrachan und die andere im Herzen

Rußlands beginnt. Die von Jekaterinogradskaja nach Georgien dem Herzen Zrandfaufafiend —— führende Straße zieht fi zuerft dem Laufe des Terek entgegen: zwifchen ber großen und Kleinen Kabardah Bin, wendet ſich dann von Nikolajewskoje in fünöftlicher Richtung nah Wladi- - kaukas, wo erft.die eigentliche Bergftraße ihren Anfang nimmt, welche zwifchen den Ländern der Ingufchen, Kitten und Oſſeten hindurch, die Ufer des vom Hochge⸗ birge flürgenden Ter ek hinauf, über Lars und Dartel*)

*) Dariel ber ſchon den. Alten unter dem Namen ver faufafis ſchen Pforten’ befannte Engpaß. Hier befand fich das flarfe Berg- ſchloß Cumania, befien Plinius Erwähnung thut. Der freundliche Lefer

wird es ums Hoffentlich verzeihen, wenn wir den gelehrten Streit über - die Etymologie des Wortes Dariel, welches bie Einen von Der-i-

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faft in gerader Linie bi6 zum Dorfe Kasbek*), Läuft. Bon bier aus windet fi der Weg, nachdem er unfern Kobi die Wafferfcheide zwifchen Teref und Aragua paſſtrt, vem Laufe des legtern Fluffes folgend, über Kais ſchaour, Duifchetb, Baffanaour, Ananur, Dus fheth, Zilikansky und Mtzzchethi wo fi die Aragua mit dem Kur vereint nah Tiflis. Diefe Straße ift die bei weiten wichtigfte und be-

. lebtefte, und wird vorzugsweiſe von den Ruffen-zum Her⸗ beifchaffen frifcher Truppen und Kriegsbedürfniſſe, fo wie zum Handelsverkehr benugt, obgleich ihre Pafſage oft un- fägliche Schwierigfeiten und Gefahren darbietet. An eini⸗ gen Stellen ragt fie weit über die Schneelinte hinaus, läuft bald über ſchauerliche Abgründe, fo tief und graufenerregend, wie fie der Wanderer in europäifchen Ge⸗ birgen vergebens fucht, bald unter Einfturz drohenden Bergvorfprüngen, bald zwifchen wilngezadten, hochaufra= genden Felfenmauern und Lawinen tragenden Kuppen da- bin. Zuwetlen wird bei ftarfem Schneefall oder durch eine berabgeftürzte Lawine aller Berfehr Wochen lang gehemmt. ‚Die von Kisljar nach Baku führende Straße läuft zuerft quer durch das Land der Kumyken bis zu ver am Söulaf gelegenen Feſtung Kafijurt, ſchlingt ſich von dort durch das Gebiet von Tarku hart am Meere binftreichend über Karabudachkent, Buynaf, Kaja-

Allah, oder Allah-Kapussi (die Pforte Gottes), die Andern von Dar- jol (der enge Pfad) herleiten, hier unentfchieden laffen.

*) Das Dorf Kasbek hat feinen Namen von dem Berge, an deſſen Fuße es liegt.

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fent und Welifent bis zur Stadt Derbend, wo die in öftlicher Richtung ftreichenden Gebirge von Tabaf- faran zwifchen ihren fchroffen Abhängen und dem Meere einen durch die Feftung von Derbend beherrfchten Eng- paß bilden, welcher fehon den Alten unter dem Namen der “albanifhen Pforten (Pylae Albaniae) bekannt war und deſſen auch bei den arabifchen Schriftftellern des Mit- telalter8 häufig unter dem Namen Bab-ül-Abwab (d. i. die Pforte der Pforten) und andern Namen Er- wähnung gefchieht. Das Wort Der-bend felbft bedeutet im PBerfifchen Engpaß.

Bon Derbend wendet fih die Straße, einen Theil des Tabaffaranfchen und Kurin’fchen Gebietes be- rührend, nach der Stadt Kuba, wo fie ein ſpitzes Ed bildet und dann wieder, dem Meere zugewandt, hart am Geſtade Hinläuft, bis fie, zulegt die Halbinfel Apfcheron durchfchneidend, Baku erreicht.

Bon Baku führt über Schemacha nad Tiflis eine Straße, welche bei Tſchemachlinskaja in zwei Arme zerfällt, in deren Mitte fich der Kur und die Jora hinziehen. Der eine Arm läuft über Nucha, Signad und Telamw, der andere über Elifabethpol. Dur verſchiedene andere Straßen, welche mit den oben befchrie- benen zufammenhängen, fteht Tiflis mit den beveuten- dern Plägen von Imerethi, Mingrelten, Achalzich, fo wie mit vem Dagheftan, den armenifchen und kas⸗ pifchen Provinzen in Verbindung.

_ Sowohl: auf dem Schwarzen, wie auf dem Kaspi⸗ fhen Meere wird von den Ruffen eine regelmäßige Dampf- ſchifffahrt unterhalten.

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-

Die Kommünifation unter den Feftungen an den Oft: füften des Pontus findet, wegen der Schwierigfeit und Unficherheit der Landwege, größtentheild zu Wafler ftatt, vermittelt fogenannter Barfaffe oder Fleiner Kriegd- fahrzetige, welche fowohl zum Segeln wie auch zum Rus dern gefchict find.

Indem wir uns hier auf dieſe furzen Andeutungen ‚befchränfen, welche hoffentlich zur vorläufigen Orientirung des Leferd genügen werben, behalten wir und eine aus⸗ führliche Darftelung des Kriegsfchauplages für den ge- fchichtlichen Theil dieſes Buches vor, da die Schilderung der Kriegsoperationen mit der Beichreibung des Terraing nothwendig Hand in Hand gehen muß.

990.

Die Slüffe des Anukafıs.

Kinder Hohen Bergesthrones,

An der Wolfen Bruft gefäugt;

Ewig mit des Erdenfohnes

Fremder Macht zum Kampf geneigt...

c Lermontomw.

Dapsı Tepexa.

Einen auffalfenden Gegenfag zu den gigantifchen Formen des Kaufafus bilden die größtentheild unbedeuten⸗ den Gewäfler, die fein Schooß gebiert. Kein einziger großer: Strom nimmt hier feinen Urfprung. Der Grund diefer _ Erfcheinung ift theild in der wilden Natur des Gebirges ſelbſt, veffen fehroffe Abhänge und ungethüme Felswände der Vereinigung der Flüffe wie der Menfchen fich hemmend _ entgegenftellen, befunderd aber in der Nähe der beiden Meere zu fuchen, denen die von den Höhen herabftürzgenden Gebirgswaſſer nach Furzem Laufe zuftrömen, ehe fie Zeit gefunden haben, fich zu fammeln und zu wachſen.

Aber eben diefer Mangel an großen Flüſſen im Kau- fafus ift ein Hauptgrund der Unüberwindlichfeit feiner Bewohner, da die zahllofen reißenden Gewäffer, ohne felbft Derbindungsmittel darzubieten, häufig noch durch ihr Üebertreten die Paſſage der Laudwege erfchiweren oder unmöglich machen.

. \ z 19 e . ..0000 Bon den wenigen theilmeife fchiffbaren Flüſſen Trans⸗ kaukaſiens, dem Kur, Rin, und Chopi, deren Ge—⸗

biete. fich JAmmtlich in den Händen der Ruſſen befinden,

entipringt der beveutenpfte, der Kur, nicht im Kaulaſus-.

ſondern in den Gebikgen von Kars.

Bei unſerer Schilderung der einzelnen Flußgebiete folgen wir der natürlichen, durch das Streichen und die Abvdachufg der Gebirge bedingten Eintheilung, der zufolge die Flüfle in die der nördlichen und die der fuͤdlichen Ab⸗ hänge der groß Kette zerfallen.

Die von den nördlichen Abhängen des Hochgebirges

erzeugten und genährten Hauptflüffe find ver Teref und der Kuban, welche erfterer dem Kaspifchen und lep-

terer dan Echwarzen Meere zuftrömend mie ſchützende

Waſſergrüben faſt die ganze Nordſeite des Kaukaſus une ziehen. Auf der andern Seite nimmt der im Kaspiſchen Meere mündende Kur die von den fühlichen Abhängen ſtürzenden Gebirgswaſſer in ſich auf.

Wir werden bier in der oben "bezeichneten Ordnung eine möglichit vollftändige Weberficht der Flüſſe des Kau kaſus „geben.

a) Be Se der linken oder Wordofi-Seite der großen Kette,

Der Terek.

®

r Terek bat Pine Quellen am Fuße des Kas?

def im Lande der Offeten,-läuft, durch die Schlucht

von Dakiel brauſcud, in nördlicher Richtung bis Wla⸗ difaufag, ſchlaͤngelt ſich dang wordweſtlich und folgt, die große Karbadaf von der Heinen trennend, bis

2*

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es Jekaterinogradsfaia genau dem Zuge der weiter oben befchriebenen Heerftraße. Unfern Jefaterinogradsfaja, wo er die Malfa aufnimmt, wendet er fich, „ein ftum- .pfes Eck bildend, Möglich nach Often, trennt die Feine Kabardah und Tſchetſchnja von den Mos dok'ſchen und Kisljar'ſchen Kreiſen, ändert bei der Feſtung Amirs Hadſchi-Jurt, wo ſich die Ssundſcha mit ihm ver- eint, feinen Lauf nah R. O., bis er die an det nörbli- Ben Grenze ded Kumykenlandes gelegene Kreisſtadt Kisljar erreicht, von wo er, wieder üdöftlich laufend und bis zu feiner Mündung das Kumpyfenland von dem Kisljarfchen Kreife abgrenzend, in mehrern Ar- men dem Kaspiſchen Meere zuftrömt.

Das Gefällt des Teref defien Lauf-nun dera 400 Werfte oder 57 geographifche Meilen beträgt wird auf _ 10,000° angefchlagen, was bei der Kürze ſeines Laufe enorm erfcheinen muß. Am malerifchften und wildeſten tft der Fluß von feinem Urfprunge bis zur Feſtung Wladi⸗ faufas; bald brauft er zwifchen wellentrogennem Ge- ſterne, bald durch fchauerliche Schluchten dahin, und bil- det eine Menge reizender Waflerfälle. Vom Mai bid zum Auguft erreicht fein Waffer in den Nieverungen eind Höhe yon 12 Fuß, Übertritt die Ufer und überſchwenimt große Streden Landes. Höher hinauf erhebt er fich felten über 5 Buß.

Der Terek, wie allg feine Neben⸗ und Zuflüfle, tft

arm an Fifchen; in den niedern Gegenden jedoch hegt er Haufen, Barben, Hechte und veſonders eine berühmte Gattung Clupea „gioelche geräuchert als Lederbifien unter dem Namen Schemaja (Hettfifch)in den Handel kommt.

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Zuflüfie des Terek.

In den Teref ergießen fidh:

In Dffethi: (1...) Der Kyfyl-Don;*) der Fijal-Don und der Ar-Don.

aIn der großen Kabardah: Der Uruch, der Lesghen und die Malka. |

Im Lande der Kumyken: Die Soundſcha und der Arai.

2 Unter biefen Flüffen find die bedeutenpften Die Malfa und die Ssundſcha.

Gsitege entfpringt am nörblichen Abhange des El— brus, nahe bei ven Quellen des Kuban und ver Kuma, bildet auf ihrem fchnellen Lauf nah N. N. O. die nörd- liche Grenze der großen Kabardah, nimmt den reißen- den Baran, den Tfcheref und Tfheghem auf und firömt. unfern Jekaterinogradskaja dem Teref zu.

Die Ssundſcha entfpringt unweit des Fortd Nas- ran im Gebiete der Ingufchen, empfängt eine Menge von den Schneegipfeln ftürzenver Flüßchen und Bäche, un- ter weldgen wir nur die Affa und den reißenden Argun nennen, nimmt ihrey Lauf anfangs nördlich, bildet dann fich norvöftlich fchlängelnd, Die Scheidelinie zwifchen der Fleinen und großen Tſchetſchnja und fällt unfern Amir-Hadſchi-Jurt in den Teref.

0. 2) Dom, bedeutet in der Sprache ber Dfeten Fluß.

+

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Der Kuban.

Der Kuban nimmt ſeinen Urſprung in den Süm- pfen der nordweitlichen Abhänge des Elbrus, zieht eine Menge reißenver Flüſſe und Bäche aufnehmend ans fangs gegen N. N. W. durch die Länder der Karatjchai und Baßchaghi, bildet die norböftliche Grenze des Lan⸗ ded der Nagat, wendet fi dann in plöglicher'Biegung ſüdweſtlich bis zur Kofafenftant Jekaterinodar, theilt fich weiter unten nach einem Laufe von 500 Werft (eirca 72 Meilen) in zwei Arme, wovon der eine in nordweſt⸗ licher Richtung dem Afom’fchen Meere zuftrömt, wäh- rend der andere, auf feinem Laufe nach Weiten Karafus ban (vd. i. der ſchwarze Kuban) genannt, fich durch den Liman von Kyſyltaſch in’d Schwarze Meer ergießt. Der Kuban fendet noch einen dritten Arm durch den Golf von Temrjuf dem Afow’fchen Meere zu und bildet mit dem Karafuban die Infel Taman, wo das berühmte Phana- . goria der Alten ftand. Den Kuban, die Malka und ven Teref entlang läuft die große Faufafifche Militair- linie, jene zahllofe Menge von Forts, Kofafenpoften und Wuiſchken *), welche fich in faft ununterbrodjener Reihe vom Aſow'ſchen und Schwarzen bid zum Kaspijchen Meere hinziehen. Die hier ſtehenden Kofafen heißen bie Lintenfofafen und zerfallen wieder in mehre Abtheilungen, welche wir fpäter genauer Fennen lernen werden.

*) Wuiſchka ein hohes, thurmähnliches hölzernes Gerüft, wo fortwährend Kofafenpoften flehen, um die Umgegend zu überwachen und die Forts vor plößlichen „Ueßerfällen zu fichern.

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Die Länder, weldhe der Kuban umzieht, begreifen das im Innern noch fo wenig befannte Gebiet derjenigen unabhängigen Bergvölfer, welche allgemein unter dem Na- men der Tfcherfeflen oder der transkubaniſchen Tſcherkeſſen, und einzeln unter ven Namen ver Schaͤpßuch, Adighe, Bſheduch Ubych, Abafech u. f. w. vorfommen.

Früher wurde alles zwifchen dem Kuban und dem Schwarzen Meere gelegene Land Furzweg Kuban genannt, unter welchem Namen es auch in den im fieb- zehnten und achtzehnten Jahrhundert zwifchen Rußland; der Pforte und ven Chanen der Krimm gefchloffenen Ver⸗ trägen vorkommt.

Der Kuban, welcher auf feinem ruhigen untern Strome Kleine, flachbodige Fahrzeuge trägt, hat weiter hinauf in den Bergen viele Stromſchnellen, ohne jedoch fo reißend zu fein wie der wilobraufende Terek. Im Frühjahr tritt er in feinen weftlichen Nieverungen regel- mäßig aus den Ufern, große Streden Landes überſchwem⸗ men.

Seine Ufer beftehen hier aus Sandhügeln, zwifchen welchen fih Sümpfe und Moräfte, Salzfeen, Naphta- quellen und fchilfbewachjene Wiefen hinziehen. Das linfe Ufer ift faft durchgehends üppig bewaldet und rei an fruchtbaren, "anmuthigen Thälern, während das rechte überall arm an Holz ift und auch ſonſt nur eine dürftige Vegetation bietet.

Der Fiſchfang an den Mändungen des auban macht den Hauptnahrungszweig der tſchernomoriſchen Koſaken aus.

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Buflüffe des Kuban.

In den Kuban ergießen ſich:

Im Lande der Nagai: (LU) Der Fleine Selentfchuf oder Kitſchi-Indſchik; der große Selentſchuk oder Ulu⸗Indſchik; ferner der Urup, wovon die durch Die: fen Fluß befpülte Feftung Urupsfy den Namen trägt, und die Laba, deren Zuflüfle das Land der Adighe durchichlängeln.

sm Lande der Adighe: Der Schagh-Bafcha,*) ber Schagh-Bifcha und der Ubin.

Im ande der Schapßud: Der Afipe.

Unter diefen Flüffen ift der beveutendfte die Laba, welche ihren Urfprung in den Gebirgen der Abadfa, im Gebiete der Schagir-Béy und Kyfyl-Bey bat, eine Menge Zuflüffe ımter welchen Wir nur den Fars (I. U.) und den Tfhamlyfcr. U) nennen aufnimmt und, das and der Schapßuch von dem Gebiete der Adighe trennend, in den Kuban fällt bei der Feſtung Uftlaba, welcher Name im Rufftfhen Kabamün- dung bedeutet.

Der Koißu.

Der Koißu, melcher feine Quellen in den Ausläus fen der großen Kette hat, bildet feinen Strom aus vier, den Dagheftan in norböftlicher Richtung durchziehenden Armen, genannt der Andiſche-, ver Awariſche-, der

% *) Auf den Charten des ruffifchen Generalftabs in Tiflis Schaug- wascha gefchrieben.

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Kara: und der Kaſikumykiſche-Koißu. In feinen untern Theilen, wo er in halpfreisförmigem Laufe das Land der Kumyfen von dem Gebiete des Schamdal von Tarfu trennt, bis zu feiner Mündung im Kaspi⸗ ſchen Meere wird er Ssulak genannt.

Von den übrigen zahlloſen Heinen $lüßchen, welche den Dagheftan und: die Provinz Kuba durchziehen, verdient bier nur noch der SsSamur befonderer Erwähnung.

Der Ssamur.

Der Ssamur, der reißendfte aller Flüſſe des Kauu⸗ Fafus, entipringt ebenfalld in den Ausläufern der großen Kette, durchzieht anfangs in öftlicher Richtung den nad) ihm benannten Ssamurfhen Kreis, grenzt dann, fich plöglich gegen N. N. O. wenvend, das Kurinifche Gebiet von der Kuba'fchen Provinz ab und fchlängelt ſich in mehren Armen dem Kasptfchen Meere zu.

" D) Die Slüffe der rechten odez Südefl - Seite.

Dem obern Xheile der fünöftlichen Abhänge des an einigen Stellen bis hart an den Pontus ftreichenden Ge- birges entquillen eine Menge veißender Slüfle und Gieß⸗ bäche, welche nach kurzem Laufe größteniheild in füd- weftlicher Richtung dem Meere. zueilen, vie meiften Flein, wie fie geboren, auch untergehend,

Wir werden davon nur diefenigen anführen, welche dadurch, daß fie die Forts der die Dftfüfte des Pontus umfäumenden Militairlinie befpülen, einige Bedeutung ge- wonnen haben.

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Kuſtenflüſſe des Schwarzen Meeres.

Der Tſémeß: fit in's Meer durch den Golf von Sudſchuk-Kalé bei der Feftung Noworoffyßk.

Der Pilao: mündet bei Nowotroigfoje.

Der Schapßuch: mündet bei Tenginsfoje.

Der TZuab:*) mündet bei Weljaminowskoje.

Der Pfifuape (PfefabNY: mündet bei Lafarem.

Der Schade oder Dagamfa: mündet bei Golo— winsky.

Die Ssotſcha: mündet bei Namwa- ginsfaja.

Die Mopfymtha: mündet bei Ar- biller.

Der Schéuadſach und die Ga- grindfaja: mündet bei Ga—

Gebiet der Schapßuch.

Gebiet der Ubych.

Gebiet

gra der Dichighetten. Der Bſyb: mündet unfern Pit— zunda. Die Gumiſta: mündet bei Ssuchum— Kale. _

Abchaſien. Der Kodor (Koraf): mündet bei Dranda. ao

Die Galidsga: mündet bei Ilori.

Der Ingur oder Ingori: mündet bei Anaflia und bildet die Grenze zwifchen Abchafien und Samur— ſachan.

») Auf den ruſſiſchen Charten Tugapße.

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Der Chopi.

Der Ehopi entfpringt auf den fünlichen Abhängen ber Gebirge, welche Suanethi von Mingrelien ‚tren- nen, bürchzieht letztgenanntes Land in ſüdweſtlicher Rich—⸗ tung, iſt in ſeinem untern Theile, wo er durch einen Arm mit dem Rion zuſammenhängt, ſchiffbar und ergießt ſich bei Redut-Kalé in's Schwarze Meer.

Der Nion.

Der Rion*) (der Phasis der Alten) hat feine Quel⸗ len in den ſüdlichen Ausläufern des Elbrus, durchzieht in der Richtung von Oft nad Weft die mit einer üppigen Begetation überfleideten, an großartigen Naturfchönheiten reichen IThäler von Radſcha in Imerethi, wendet dann feinen Lauf über Kutais, die Hauptſtadt diefer Provinz, nah War-Ziche over der Rofenvefte,.wo ſich die Quirila mit ihm vereint. Hierauf ftrömt er wieder nad) W. zu, empfängt an der nordöftlichen Spige von Gu⸗ riel ven Tzchéenis-Tzchalé oder Pfervefluß (Hippus) und fchlängelg ſich durch die fchönen Wälder Mingre- liens, bis er nach einem Laufe von nicht mehr ald 200 Werft bei der Feſtung Poti in's Schwarze Meer fällt. Der fiſchreiche Rion iſt nur von War-Ziche bis zu ſeiner Mündung ſchiffbar.

*) Bei Strabo heißt der Rion auf feinem Laufe 6 Kutais Glau- cus, während der alte Geograph unter dem Phasis den Nebenfluß Des Rion, die Duirila, verfteht.

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Zuflüſſe des Rion. Der Hippus.

Von ſeinen obengenannten Zuflüſſen, dem Tzché⸗ nie; Thale (r. U.) und der Dutrtla cl. U.) ent: fpringt erfterer an den fünlichen Ausläufern ded Elbrue und leßterer in ven Gebirgen von Achalzich.

Der Kurfirom.

® Der durch feine hiftorifchen Erinnerungen, feine Größe und feinen Fifchreichthum bedeutendſte Strom der Länder des Kaufafus: der Kur*) oder die Kura (der Cyrus der Alten), welcher das von der Ratur fo gefegnete Geor- gien in zwei faft gleiche Hälften theilt, nimmt feinen Urfprung in den Bergen von Kars, läuft zuerft weftlich durch eine etwa 40 Werft lange, malerifche Schlucht, welche in der Mitte eined hohen, faft fortwährend mit Schnee bedeckten Bergkammes liegt; wendet fich dann ge: gen Norden, auf feinem ſchnellen Laufe nah Achalzich ein ftumpfes Eck bildend; nimmt 5 Werft von dieſer Stadt den Ahalzih-Tihai**) auf und Ändert darauf feine Richtung nah N. O., wo er in der Nähe ver Fer

*) Die türkifchen und nach ihnen bie armenifchen Bewohner bes Paſchaliks Achalzich haben den Kurſtrom nach ihrer Weife verfchies bentlich umgetauft. So nennen fie ihn bei Achalzich Artahan-Ssu, nach ber Feſtung Artahan, welche er befpült. Weiter hinauf heißt er Gjoͤl-Ssu, nach dem Namen bes Sandſchaks, wohin man feine Quels len verfepte.

as) Die türfifchen Wörter Tſchai und Ssu (Klub, Wafler) entfprechen dem vfjetifchen Don.

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ftung Atzchur feine :Sluthen den wild burchbrochenen, maffenhaften Bergen zuwälzt, welche die Durch ihre Heil- quellen und alten Ruinen berühmte Schlucht von Bard⸗ fhom bilden. Aus dem Paſchalik Achalzich dem blüs henden Karthli zuftrömend, fließt der Kur bis zur Stadt Gori in nordöftlicher Richtung; von Gort über Tiflis der Provinz Karabach zufließend, ändert er feinen Lauf nah ©. O. Darauf macht er eine Feine Wendung gegen Norden und fpäter gegen Dften, bis er bei Dſhewat feine Fluthen mit denen des Arares vereint. Bon Her aus zieht er fich durch die Mugan’fche Steppe in ſüd⸗ öftlicher Richtung zum Kaspifchen Meere Hin, wo der Hauptſtrom nach einem Laufe von 800 Werft unterhalb Saljan mündet, während zwei Fleinere Arme von Sals jan in fünlicher Richtung dem Golf von Kyſyl⸗Agatſch zufließen.

Da er eine Menge ver beveutendften Fluͤſſe des Kauu⸗ fafus aufnimmt und, die Ebenen nur felten berührend, größtentheild zwifchen tiefen Bergfchluchten hinbrauſt, fo ift der Kur fehr woafferreich und bat überall -ein tiefes Bett, aber faft nirgends eine bedeutende Breite.

Die größte Ausdehnung nimmt er bei Dſhewat, wo feine Breite etwa 70° Klafter beträgt. _

Zuflüffe des. Kur.

In den Kur ergießen ſich: Im Paſchalik Achalzich Dicht unter Chertwis*(r. U.) der reißende und tiefe Taparowan-Tſchai, welcher fich unfern Ahalzich

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w

mit dem Hendoro-Tfchai ver&ht. Erſterer fließt aus einem gleichbenannten See und legterer verdankt fei- nen Urfprung dem See Changtlagisi. |

Dicht unter Afyinfa: Der Tſcheburot⸗Tſchai, welcher von ven dortigen Einwohnern Kodianis- Tzchalé genannt wird nach dem Namen des Gebir-

ges, dem er entquillt.

Im Sandſhak Achalkalaki (l. U.:: Der Changir- Dara, welder etwa 40 Werft von feiner Mündung fin der Scheivelinie der Sandſhaks Achalkalaki und Dſchadſcharak entipringt.

Die Potzchowka, welche in ven Potzchow begren- senden Gebirgen ihre Quellen hat, das ganze Sandſhak Achalkalaki durchzieht und, nachdem fie eine Menge Flüffe und Bäche in fich aufgenommen, 9 Werft von Achal zich in ven Kur fällt.

Im Sandfhaf Atzchwor: Die reißende, aber flache Zinus banfa, im Kaufafus durch ihren Reichthum an fchönen Forellen berühmt.

Alle bier genannten Flüſſe überhaupt find reißend und fifchreich; beſonders liefern fe eine große Menge %o- rellen und Meeräfchen.(Mugil cephalus), fo wie eine ung unbefannte Fifchart, von den Ruſſen Ussatschi gekantt,

In den Georgiſchen Diftrikten. . »

Sn Karthli: (. U) Die Liach wa entfpringt in dem Sochgebirge Oſſethi's und fließt in den Kur bei Gori. Der reißende Strom Kan; ferner die Aragua (Aragus), hat ihre Quellen im Hochgebirge unfern ver Quellen des Teref und vereint ſih mit dem Kur bei Mizchethi.

\ . 3

In Ssomchethi: Bye Kia ober der Ehrämentfpringt in den fchon oben genannten Bergen von Kodianie und ergießt fich in den Zur bei Krafiny-M ort, der. berühmten rothen Brüde unfern ber Poſtſtation Muganlindfaja.

In der Kaſachiſchen Diftanz: Die Artafa (Sando- banes) quillt aus den Gebirgen, welche den Ssewan⸗ ga oder ven Gjöktſcha⸗See umfchließen, und mündet im Kur unfern Artafinsfajia.

In Kachethi: Der Algfan (Alazonius) entfpringt, wie jein Nebenfluß die Jora, in den Bergen von Barbela, durchzieht Kachethi in ſüdöſtlicher Richtung und ver- aint fich mit der Jora furz vor feiner Mündung im Kur.

In Schirman: Der Arared nimmt feinen Urfprung in den Binghelfchen Bergen im türfifchen Armenien, durchzieht einen Theil des Pafchalif Kars und der

ruſſiſch-armeniſchen Provinz in ſüdöſtlicher Richtung,

. bi8 er den Ararat erreicht, von deffen Fuß an bie zur Fetung Kardulinsky der Araxes auf ſeinem halbfreisförmigen Laufe die Scheidelinie zwifchen Per⸗

fien und den ruffifhen Provinzen zieht und fpäter Die Mugan’fche Steppe abgrenzt, bis er fich bei Dich ewat mit. dem, Kurſtrom vereint.

Der Ärares ift in feinen untern Theilen fchiffbar. Unter ſeinen zahlreichen Zuflüſſen nennen wir nur den Karggu ESchwarzfluß), Arpa⸗Tfchai (Arpafus), Nahisfhewan-Tfhai und den Agar⸗Tſchai.

%

Die Bewohner des Kaukaſus.

e

a. Kritiſcher Ueberblick.

« Oeux qui repötent les ancienner fables, dans lesquelles l’origine de toutes les natibps 6st envelopp&e, peuvent ätre accuses d’une fai-

blesse commune & totis les auteurs de l’anti-

e . quite; ce n’est pas la mentirs ce n’est ‚que transerire des contes.

Il faut toujours se souvenir qu’aucune fa- tmille sur la terre ne connaft Son premier au- .. Ä teur, et que par consöquent aucun geuple ne peut savoir sa premiöre origine.

Vorraıse, Hist. de l’empire de Russie,” Chap. I.

-

Seit Güldenſtädt, dem großen Ethnographen des Kaukaſus, haben faft ale Reiſenden, welche vieſe Gebirgd- länder befuchten, fo verſchieden die befonderen Zwecke, die „fie dabei verfolgten, auch fein mochten, Ihren Reiferserken.

lange Abhandlungen über die Abſtammung und gefchicht- liche Bedeutung der bier hauſenden Völker als gelehrten Balliſt mit auf den Weg gegeben. Beſonders find die zwifchen denn Kuban und dem Schwarze Meere wohnenden Stämme, fo wie die „T eten im Hochge⸗ birge und die Kubatſchi im® Dagheftay Gegenftände endlojer Unterſuchungen geworden. * . .

«

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Die neiften diefer Unterfuchungen hätten eben fo’gut ungefchehen bleiben, Fönnen, ohne daß. der Wiffenfchaft ein Verluſt dadurch geworben wäre.

Die zahlreichen Schriften verbienftvoller Belehrten, eined Klaproth, Eichwald und anderer, welche einem größern Publikum, nur ihres ungenießbaren Styles wegen, verſchloſſeu blieben, wurden von ſpätern Kaukaſusreiſenden eben fo indiskret ausgebeutet als die Werke des ehrwür⸗ digen Hammer. von der ſchreibenden Touriſtenlegion des Osmanenreiches.

Aus den einzelnen Fäden, durch welche ſcheinbar die heutigen Gebirgsbewohner des Kaufafus mit berühmten’ Bölfern des Alterthums und der Gegenwart zufammen- hängen, hat man Gewebe von Hypotheſen gefponnen, welche vor dem Hauche gefunder Kritif zerwehen, wie Spinngewebe vor dem Hauche des Windes.

Bleiben wir, um dieſes Bild zu veranfchaulichen, einen YAugenblid bei. dem vielbefprochenen Stamme der Dffeten ftehen, einem Kleinen, unbeveutenden Völklein, dem man eine Wichtigkeit beigelegt hat, wovon es fich felbft nie etwas träumen laflen.

„Die Dffeten fagen die Einen ſind Nach⸗ kommen der alten Uſen, welche, im Jahre 1110 von den Rırflen am Don geſchlagen, Schutz in den Gebirgen des Kaufafus fuchten. Der Name Ufen oder Ghufen bebeutet,die Freien, wie man bei Constant. Porphyrog. und Ibn*Fözzlan findet; daher wurden fie auch, als fie ſich im Hochgebirge an den Quellen des Teref feftgefegt hatten, von den Ticherfeffen Kafach genannt, welches Wort einen freien Krieger der Steppe bezeichnet. Unter den Ka⸗ | ar

3

fach (gleichbedeutend mit Kofak) verftanden alſs die Tſcher⸗ fefien bie aus der Steppe gelommenen freien Krieger.

Bei den Reifenden der frühern Jahrhunderte heißen fie AS oder Aas; die Urbedeutung bes altnordiſchen Wortes AS ift befanntlich eine Stüße oder eine Säule. Wie aber im Altnordifchen fpäter mit dem Worte As ein Gott, oder ein mit göttlichen Eigenfchaften begabter Menſch be zeichnet wurde, jo konnte hier eben fo gut ein freier Kries ger, der fich gleichfam felbft eine Stüße ift, darunter verftanden werden.

In den ruffifchen Annalen fommen fie vor unter dem Namen Jaſſi; bei ven Georgiern heißen fie noch heute Oſſi, offenbar nur eine andere Form für uf i oder Ufen; daher auch die fpäter allgemein angenommene (und nur dem in Frage fiehenden Bolfe felbft unbefannt gebliebene) Benennung Dffen oder Dffeten.

Die urfprüngliche Identität der Wörter Ufi, Oſſi, Saffi, Kaſach, As und Aas, fpringt in die Augen.

Außerdem laffen ſich eine Menge uoch Heute bei den Dffeten gebräudliher Manndnamen anführen, wie: Itlar, Kitan, Urus, Saba, Katschin, Kunem, Kustok, u. f. w. welche fich fänmtlich bei den alten Ufen und Bolomzen wieberfinden: ergo find die heutigen Dffeten Rachfom- - men der alten Ufen oder Polowzen!“ |

„Das Alles ift Unfinn, fagt ein Zweiter denn: - Erftens konnten die Oſſeten nicht erft im zwolften Jahr⸗ hundert nach dem SKaufafus fommen, da die georgifche Gefchichte fie bier fchon lange vor Chrifti Geburt Fennt, und Zweitens fönnen fle nicht Nachkommen der Ufen

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oder Bolomwzen fein, da diefe Völker befauntlich türkis

fcher Abftammung waren, die Sprache der Offeten aber

nicht die mindefte Spur von Verwandtſchaft mit dem Zürs Ä Eifchen oder Tatariſchen zeigt. Drittens endlich, kann durch i die Aechnlichfeit der angeführten Namen nichts bewiefen | ‘werden, da fich dieſelben Namen bei ven Bogutfchemo- nen und andern Bölfern des fünlichen Kaufafus wieder- finden, welche mit den Dfleten eben fo wenig verwandt ; find, wie die Deutfchen mit den Kalmüfen. „Die Refte der nad) dem Kaufafus geflüchteten Ufen

haben ihren Namen wenig verändert beibehalten, und leben

fort in den riegerifchen Usden, den Vornehmen und Edlen der Tfcherfeflen, welche durch ihre Tapferkeit und ihren Frei⸗ Ä heitsfinn der Bedeutung der Wörter AS, Koſak u. f. w.” mehr entfprechen al8 die entarteten, dem ruſſiſchen Scepter ' unterworfenen Dffeten. _ „Die Endſylbe den in Usden iſt nichts als die tür- fifche PBoftpofition den oder” dan, der deutſchen Praͤpoſi⸗ tion von gleichbedeutend; Usden heißt demnach einfach: von den Ufen, d. i. die Nachkommen der Uſen.

„Die heutigen Dffeten hingegen over Jaffi find rein flavifchen Urfprungs, fie find identifch mit den Ja- zygen (Iagvuys;) ded Strabo. Die Analogie der Wörter Jassi, Jazyg ober Jasyg läßt fich nicht wegläugnen; daß aber die Jazygen Achte Staven waren, hat, außer mehren ruffifchen Schriftftellern, auch unfer Niebuhr*) ſchlagend nachgewiefen. Die Wurzel ihred Namens Jasyk, rufjifch asBir (die Sprache), entfpricht genau der Be⸗ deutung von Si6wo (CA10Bo, das Wort, die Rede), wo⸗

#) Kleine Schriften 1. 394. |

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von Siöwene, d. i. die Redenden, entgegengeſetzt den

Njemtzi (annMnu, die Stummen): ergo find die Oſſeten reine Slaven!®

„Die Dffeten fügt ein Dritter find weder tür⸗ fifchen noch flavifchen, fondern rein germanifchen Urſprungs. Sie find Nachfommen der germanifchen Alanen, welche, von den Hunnen gebrängt, zu wiederholten Malen in Ar- menien einfielen und fich fpäter im Kaukaſus feitfegten. Es find aller Wahrfcheinlichfelt nach diefelben, welche Di- onysius Periegetes *) als „ven roflereichen Volksſtamm der Alanen“ bezeichnet. Bei verfchiedenen frühern Reijen- den fommen fie vor unter dem Namen AS, welcher Name ficherlich mit den Afen zufammenhängt und die Tap- fern, die Trefflichen **, bedeutet. Sie ſelbſt wifien - freilich weder, daß fie mit den Afen verwandt find, noch daß fie Dffeten heißen; denn fie nennen fich in ihrer eigenen Sprache Iron oder Arier**), ein Wort, wenn auch nicht gleicher Abftammung, doch gleichen Sin- nes, mit As und Dffeten. Es leuchtet ein: die Oſſeten find reine Oermanen!« i

Ein Bierter geht noch weiter und findet in den Df- feten eine auffallende Achnlichfeit mit ven Thüringern.

Die Offeten fagt er bereiten ein bierartiged Getränk, die Thüringer brauen wirkliches Bier.

Die Offeten find ftarf und groß von Wuchs, die Thüringer. deögleichen.

2) I. c. p. 104. 0%) Obgleich die Dffeten nichts weniger als trefflich find. 20%) Daß fie fih auch Arier nennen, if eine ganz neue Ünt- deckung, wovon die Oſſeten ebenfalls nichts wiſſen.

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Bei Zen Oſſeten fleht man viele ideen: mit blauen Augen, bei Xen Thüringern nicht ‚minder.

Die Offeten legen im Winter Stroh in ihre Schuhe, eine Gewohnheit, welche fich -bei den Bauern in Thürin— gen ehenfall® findet: ern, ‚find vie: Aare ibentifch mit den Thüringern!

Pan fieht es, Scharfſinn und be 20 nichts unverfucht gelaffen, um bie a Kinder Oſſethi's zu erforfchen.:”

Auffallend bleibt e8 nur, daß noch Keiner auf den fo naheliegenden Einfall gefommen ift, die Offeten zu Ir⸗ ändern oder Iren zu machen. Die Wurzel des Namens beider Bolfer ift Ir; die Oſſeten feiern in ihren Liedern die Gaftfreunvfchaft ihrer Väter, daflelbe thun die Ir- länder in ihren Gefängen; bet den Offeten ift blondes Haar häufig, bei den Srländern nicht minder; eine Menge anderer Aechnlichkeiten ließe fich leicht auffinven,

und man Fönnte ohne großen Aufwand von Scharffinn .

eben. fo ſchlagend nachweifen, daß die Oſſeten Brüder der verwaiften Söhne Erin’s find, wie man fie zu Tür⸗ fen, Slaven und Thüringern gemacht hat.

Am meiften Anhänger hat die Hypothefe gefunden, welche die heutigen Offeten für Refte ver alten Alanen ausgiebt *), |

Selbft der eben fo taftvolle wie gelehrte Neumann**)

2) 5. Rlaproth, voyage au Caucase II. 437. Ze in fei: nem gehaltreichen Werke „Die Germanen und ihre Nachbarflämmeo. ©. 708 4.

#2) S. deflen treffliches Werk »Die Völker des füblichen Ruß⸗ lande.« ©, 40 41.

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befennt fich zu Diefer .Anficht, indem er fich -augenfchein- lich zu fehr auf die von Klaproth zuerft angeführte Stelle des Josafa Barbaro ftüßt, wo es heißt: la Alania & de- riuata da popoli detti Alani, liquali nella lor lingua si chiamano As *), Andern Drted **) gefteht der fcharffinnige Hiftortler doch felbft, daß er Alania mit Albania***), dem alten Ramen ver kaukuſtſchen Gebirgäländer für identiſch halte: „Den Alten find dieſe gebirgigen Gegenden unter dem Namen Albania oder Alania, d. h. Gebirgsland bekannt geweſen, und ihre Einwohner wurden ganz einfach Alba⸗ nier (oder Alanen), d. h. Aelpler, Bergleute genannt.“

Wir begreifen nicht, warum heute nur noch aus⸗ fchließlich von den Offeten gelten fol, was früher von allen Bewohnern des Kaukaſus galt.

Wie leicht bloße Zufälligfeiten bei folchen Gorſchun⸗ gen zu den feltfamften Irrthümern führen, kann ich Durch ein Beifpiel aud meiner eigenen Erfahrung erläutern. AS Rofen, der rühmlichft befannte Sprachforfcher, im Sommer 1844 das Land der Alanen aufzufuchen bemüht war, wurde ihm an ven bezeichneten Orten von den Ber fragten immer der Länderftrich jenfeitS der großen Kette angebeutet, bis er endlich zu der fich fpäter beſtätigenden

*) bei Ramusio II. 92. =) ©, Neumann’s Beurtheilung der „Beiträge zur Gefchichte der kaukaſiſchen Länder und Völker von Bernhard Dorna in den Münchener Gelehrten Anzeigen I. 1845, Nr. 84 ff. RR) Man kennt die feltfame Ableitung des Namens Albania „ab albis capillie“, wie man bei Plinius 1. 7. c. 2. und bei Gellius 1. 9, c. 4. findet.

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Bermuthung - kam, daß in ber Sprache jerter Berguölfer dad Wort Alan nichtd anderes beveute, als jenſeits der Berge. Hierdurch konnte ich mir felbft erft erflären, warum mit auf diefelde Frage in Ciskaukaſien immer die⸗ felbe Antwort geworden, wie in Trandfaufafien. Ohne biefe doppelte Berichtigung hätte ich wahrfcheinlich die Welt ebenfalld mit einer fcharffinnigen Hypotheſe über die Berwandtfchaft der Offeten mit den Alanen befchenft.

Auf ähnliche Weife möchten bei genauerer Kenntniß des Sprachenwirrwarrs am Kaufafus noch viele Räthfel der Art gelöft werden Fönnen.

Mir gehen noch weiter und behaupten, daß ein in jeder Hinſicht fo unbedeutendes Wölflein, wie dad ver Dffeten, "durchaus der Anftrengungen nicht werth ift, die man feinetwegen verfchwendet.

Sn Ser Gefchichte verdienen nur folche Völker mit- gezählt zu werden, welche fich durch eigene Kraft und Bedeutung einen Platz darin errungen haben. „Nur die Kultur fagt Rapoleon*) nur die Kultur fteigert den Lebenswert des Menfchen. Sie erft erhebt ihn zu einem Beftandtheile der Menſchheit.“ Ä

Was aber kann es nützen, fih um Namen und Urs fprung eines Voölkleins zu flreiten, das in der Menfchheit nie mitgezählt, bei dem Kunft und Wiſſenſchaft nie eine MWohnftätte gefunden, das weder Schrift, noch Gefchichte, noch Tradition bat und feine andern Vorzüge als folche, weiche ver Wilde Nordamerifa’s mit ihm theilt.

4) Novellen I. 6.

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Gern fteigt ver forfchende Geiſt Iahrtaufende zurüd in dad Dunkel der Vorzeit, um den Urfprung jener hei⸗ ligen Flamme zu ergründen, die gleich der Same im Often aufgegangen, die ewig wachſend fortleuchtet vor Gefchlecht zu Gefchlecht, Die Den Menfchen erft feines Namens würdig macht, ihn feiner hohen Beftimmung entgegenführt wab denen Freude und Segen bringt, die gläubig opfern auf ihren Altären. Gern auch fuchen wir die geweihten Stät- ten zu erforfchen, wo jene ewige Flamme am hellften ge> leuchtet; wir verfolgen gern den Weg, den fie genom- men, um zu und zu gelangen, und ſolches Streben fin⸗ det in ſich felbft Belohnung; aber wo ihr eigenes Licht den Weg nicht zeigt, da wird er und ewig verfchlofien bleiben. |

Wir verweilen noch gerne, wenn auch mit ftiller Wehmuth, bei den Völkern, wo fie nur im Votüberwan⸗ deln ihre Strahlen ausgegoflen; folche Lichtpunkte im Le⸗ ben diefer Völker jchimmern wie Sterne durch die Nacht ihrer Gefchichte; Völker jedoch, deren Nacht Fein einziger Stern durchleuchtet, wo wie bei den Dfleten und manchen andern Bolföftämmen des Kankaſus nichts den Schleier der Vergangenheit Tüftet, als die ſchwankende Hand der Vermuthung, ſolche Völker gehören ‚der Ges ſchichte nicht an und bleiben außerhalb des Bereichs unſe⸗ rer Forſchung.

In diefem Sinne halten wir um unfere Anficht durch ein Beifpiel zu erläutern Fallmerayer's Gefchichte von Morea für eine wichtige, folgenreiche That; alle ung befannt gewordenen Hhypothefen über ven Urfprung der Dfieten aber für nichts als gelehrte Spielerei.

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Hiermit deuten wir zugleich den Standpunkt an, welchen wir felbft bei unfern ethnographifchen und hiſto⸗ rifhen Schberungen eingenommen haben.

Wir haben es hier hauptfächlich mit der nenern Zeit und mit der Gegenwart zu thun. Erft feit dem Anfange dieſes Jahrhunderts, feit Rußland durch feine Befignahme von Georgien feften Fuß im Kaufafus faßte, ift Die Ge⸗ ſchichte dieſer Gebirgsländer- von allgemeinem Intereffe geworben. |

Die meiften der bier hauſenden Völkerſchaften Fennt man in Europa kaum dem Namen nach. Wir führen fie vor die Augen des Leferd in ihrem Leben und Treiben, in ihren gefellfchaftlichen Zuftänden, wie ſie die Gegen⸗ wart und zeigt. Die Vergangenheit foweit ſich auf den und davon überfommenen Nachrichten mit einiger Gewiß⸗ heit fußca läßt dient und nur als Leiter, auf deren Stufen wir zum Berftändniß der Gegenwart emporfteigen. Aber bier müflen wir, um jedem Mißverftänpniffe vor- zubeugen, gleich die Bemerkung hinzufügen, daß gerade diejenigen Länder, deren heutige Zuftände den Schilderun- gen der Alten am meiften entfprechen, und welche eben durch dieſe Uebereinftiimmung des Alten mit dem Neuen dem Gefchichtsforfcher am intereflanteften erfcheinen könn⸗ ten, in_unferer Darftelung nur eine untergeordnete Rolle fpielen, vorzüglich wohl deßhalb, weil ihr ftarres Fefthal- ten an dem Beftehenden fie zu jeder zeitgemäßen Neuerung und Ummälzung unfähig madht.

Demnach fondern wir von unferm Stanbpunfte aus die zahllofen kleinen Voͤlkergebiete des Kaufafus nad} der Berichtevenheit ihrer Organifation in drei ftrenggetheilte

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Sauptmaffen, zu deren Erfter alle viefenigen Länver ge⸗ hören, welche wie Georgien und die dazu gefchlagenen Provinzen dem ruſſiſchen Staate bereits vollkommen ein- verleibt find und mehr ober weniger ruffifche Intereſſen verfolgen.

Zu der Zweiten rechnen wir den größten Theil der zwiſchen dem Kuban und dem Schwarzen Meere haufen- den Gebirgevölfer, die Schapßuch, Adighé, Ubych, Diht- getten u. f. w., welche, obwohl unverföhnliche Feinde der Ruſſen und durch Freiheitsfinn und ritterliche Eigenichaf- ten allen Uebrigen voranftehenn, doch in Folge ihres alt» berfömmlichen Zerfplitterungsfpftemd ven Rufſſen weit weniger gefährlich find, als viefenigen Wölferfchaften, welche zu der dritten Hauptmaffe gehören und worunter wir alle Schamyl's Oberherrichaft anerfennenden Stänme begreifen.

Die weitere Ausführung dieſer kurzen Andeutungen finvet der Leſer in den hier folgenden hiftorifchen Skizzen. Wir bemerfen nur noch, daß bei der Gruppirung ber ein- zelnen Voͤlkerſchaften fo weit dies überhaupt möglich war, befonderd auf Stamm- und Spracdwerwandtichaft Nüdficht genommen ift.

D. Siftorifchsethuographifche Nınzlile,

Tous ces peuples ont le sang beau et le teint vermeil; on ne peut guöre voir d’hommes mieux falts, et pour ce qui est des ſemmes, elles sont estimdes les plus belles de l’Asie.

TAVERNIEB, les six voyages etc. I. 368. Ed. de Paris MDCLXXIX.

1. Die Race Kartwel. Dazu gehören a) Die Georgier. b) Die Imerier. c) Die Öurier. d) Die Mingrelier. e) Die Suanen (Suaneten).

Alle diefe Völker find Zweige Eines Stammes und. bildeten einft nebſt vielen andern, welche wir im Laufe unferer Schilderungen kennen lernen werben, einen gro⸗ pen Staatskörper, defien Haupt Georgien *) war. Ebenſo find die Sprachen, die fie reven, Töchter Einer Mutter, der georgijchen Sprache, welche nem tberifchen Sprach- - förper beigezählt wird und deren Herrſchaft ſtch während

*) Georgien (das alte Iberien und ein Theil won Albanien) führt in der Sprache des Landes den Gemeinnamen Karthli bei

ben Berferu und Tataren heißt es ol) 99 (Gjuͤrdſchiſtan). Die Türken nennen Land und Bolf furzweg FIOYP (Gjuͤrdſchi), worauns der rufſiſche Namen Gruſia korrumpirt iſt.

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der Furzen Blüthezeit Georgiens vom Schwarzen 158 zum Kaspiſchen Meere, vom Terek bis zum Arares erflgedte.

Die Unterſchiede, welche fich im Laufe der Jahrhun- derte unter den Völkern kartwel'ſcher Rage in Sprüche, Phyſtognomie und Sitte erzeugt haben, find das natür- liche Refultat der Verfchienenheit ihrer geographifchen Lagg; fo wie des Einfluffes, welchem fie bei ihrer fteten Berüh- rung mit den Eriegerifchen Nachbarftaaten ausgefegt waren.

Ihre Gefchichte ift eine faft ununterbrochene Reihen- folge von Bildern des Krieges und der Zerftörung, jo ‚daß Künfte und Wiffenfchaften nie dauernde Wohnung unter ihnen finden fonnten und nur vorüberwandelnd ihre ſchaffende Hand über Die Ufer des Kyros und des Phaſis ausftredten, wovon Die Trümmer verjährter Tempel und Paläfte, fo wie die Ueberbleibfel einer vor ihrer Reife verblühten Literatur noch Zeugniß tragen.

Daher die Armuth und Verwilderung dieſer Länder, obgleich die Natur über fie das Füllhorn ihres Segens audgefchüttet; daher der betrübende Kulturzuftand- ihrer Bewohner, obgleich der Baum des Chriftenthbums fchon feit mehr denn anderthalb Jahrtaufenben unter ihnen Wur⸗ zel gefchlagen.

Die Hauptquelle, für das Studium der georgifchen Geſchichte ift die große Chronik des in der legten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in Moskau verftorbenen "Königs Wachtang V. Diefe Ehronif ein Auszug der Archive ver beiden berühmten Klöfter Gelathi ® in Imerethi, und Mechethi*) in Karthli enthält in 70 Tangen

”) Bine ausführliche Schilderung diefer berühmten Klöfter findet

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u} Kapiteln die Traditionen über den Urfprung der Nation, fo wie die Reihenfolge und Gefchichte ihrer Beherrfchen

Güldenftädt und Klaproth haben in ihren be» kannten Reiſewerken Bruchſtücke daraus mitgetheilt und Broſſet der Jüngere, der verdienſtvolle Verfaſſer einer georgiſchen Grammatik, hat mit Glück die mühevolle Auf- gabe gelöft, eine franzöftfche Ueberſetzung der ganzen Chro⸗ nif zu liefern. " |

Die auf den fehwanfenden Füßen der Sage ruhende, ohne alle Kritik gefchriebene Chronif bildet, wie die mei- fien Geſchichtsbücher des Orients, ein feltfumes Gemiſch von Fabelhaften, Wunderbarem und Wahrem. Es geht der Gefchichte hier wie den jchönen Töchtern des Landes: ein blumiger Schleier verhält ihr Antlig, fie ift aufge: pust mit eigenem und erborgtem Schmud, mit faljchen und ächten Edelſteinen.

Um fo mehr Anerfennung verdient ed unter folchen Umftänden, daß Männer wie Frähn, D’Ohffon, Dorn und andere namhafte Drientaliften fi} dem mühevollen Gefchäfte unterzogen haben, die zerftrenten Nachrichten ber Perfer und Araber über Georgien und die übrigen Län⸗ der des Kaufafus zu fammeln und zu ordnen. Profeſſor Keumann*) verfpricht alle durch diefe Forſchungen ge: wonnegen Materialien zufammenzufaffen und diefelben mit

man in Dubois de Montp6reux: voyage etc. und in Eichwald's Reife in den Kaufafus. Lebterer theilt guch im zweiten Theil feines Reifewerfs betitelt: Alte Geographie des Kasp. Meeres ıc. die von Frähn überfegte arabifche Infchrift des eifernen Thorflügels zu Gelathi mit.

*) M. Gelehrte Anzeigen I. 1845. Nr. 85.

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2

—* den Angaben ber chineſiſchen, byzantiniſchen und armeni⸗ " ſchen Schriftfteller zu vergleichen, ein Unternehmen, aus welchem zweifelsohne viele neue Aufichlüfle und Derich- tigungen erwachſen werden .

Das fchöne Bolf der Georgier, ſtolz auf feine Abs funft, da alle übrigen Stügen des Stolzes gebrochen ſtnd, läßt feinen Stammbaum Jahrtaufende zuräd im Dunfel der grauen Vorzeit Wurzel fchlagen. "Hören wir, was ung König Wachtang über den Urfprung der Georgier erzählt:

„1792 Sahre nach Adam (man ſieht wie genau Alles berechnet iſt) lebte Thargamoss am Ararat 600 Jahre lang und war Vater von 8 Söhnen, dem Hhaoss, Karth- .loss, Bardoss, Mowakan, Lekoss, Heross, K'awk’ass und Egross. Diefe waren die Stammväter der Ssomächitha (Armenter), Karthultha (Georgier), Rantha (Schirwaner), Mowak’antha (Eriwaner), Lektha (Xeöghier), Megreltha (Mingrelier), Kawkasstha (Kaufafier), K’achethier und Imerier, die alle verwandt find.”

Die lange Reihe der Herrfcher von Karthlt, welche vielleicht nur in der chinefifchen Gefchichte ihres Gleichen findet, beginnt mit König Pharnawas, der um das Jahr 3233 nad) Adam zur Regierung gefommen fein fol, und endigt mit König Georg XIU., fchmachvollen An- denfens, der fein Land und feine Krone zu Anfange die- fe8 Jahrhunderts der Gewalt der Ruffen überlieferte.

Wir wollen die Geduld unferer Lefer nicht ermüden durch Wiederholung des endlofen Namensverzeichniffes der einftigen Herrfcher Georgiens; für eben fo überflüffig zu unferm Zwede ‚halten wir die Aufzählung der Wunder

u a. #7

und Thaten, welche der macedoniſche Alerander bier voll- bracht haben fol, deſſen Namen die Sage an die Grün- bung ober Zerftörung ber älteften Burgen und ‘Denkmäler bes Laudes Fnüpft und deſſen Andenken hier, wie in allen Iheilen des Orients glanzumſtrahlt fortlebt im Munde des Volkes.

Dagegen müſſen wir bei den zwei wichtigſten und folgenreichſften Momenten in der Geſchichte Georgiens: der Einführung des Chriſtenthums und der Regie⸗ rungszeit der Königin Zhamar oder Thamara, einen Augenblid betrachtend verweilen.

Georgien erhielt das Chriftenthum ſchon im Jahre 320, unter ver Regierung König Mirian D. Die Chronik erzählt, daß die heilige Jungfrau Nino, von Kon: ftantinopel nah Mtzchethi gefommen, in diefer alten Hauptftadt Gedrgiend zur Befehrung des Volks eine Menge Wunder gewirkt habe; unter andern wird angeführt, fie habe der todeskranken Gemahlin und dem Sohne König Mirian’d das Leben gerettet und dieſelben fpäter zum Chriſtenthum befehrt.

Kaifer Konftantin der Große fchidte auf Verlangen des Könige Mirian den antiochifchen Erzbifchof Eufta- thius nah Mizchethi, wo diefer die neue Lehre pre- digte und die Vornehmften des Hofes bewog, fich taufen zu laſſen. Das Volk folgte bald dem Beifpiele der Gro⸗ Ben und fo griff die fanfte Lehre Jeſu hier leichter um fih, al8 in andern Ländern, wo fte ihren Einzug über die Trümmer rauchender Städte und die zerftörten Denk⸗ mäler des Alterthums hielt.

Bemerkt muß hier werden, daß. Georgien zu jener

48 . Fu

" —* * * Zeit ein bedeutend größeres Reich bildete, wie jetzt: die Provinzen des Paſchaliks Achalzich, Imerethi, Bus rien, die Fürftenthümer von Mingrelien und Abcha— fien, das Sand der Suanen, die Bundesgenoſſenſchaft von Diharo-Belofani, ein Theil von Armenien und das Sultanat von Jeliſſui gehörten zu feinem Gebiete,

Die prächtige Kathedrale, welche bald nach ver Ein- führung des Chriftenthums in Georgien zu Mzchethi erbaut wurde, fteht heute noch ziemlich gut erhalten da und gehört zu den großartigften und ehrwürdigſten Rui⸗ nen Trandfaufafiene. . .

Unter Guram Bagration, dem Gkünder ver Dynaftie der Bagrativen, wurde Georgien, deffen Lebens- fräfte durch die feit dem Ende des IV. Jahrhunderts bei- nahe unaufhörlichen Vertheidigungsfriege gegen vie Per⸗ fer und die benachbarten Bergvölfer faſt effchöpft waren, zu neuer Wohlfahrt und Macht erhoben; aber ver Baum feiner Wohlfahrt follte nur Blüthen treiben, um fie, ehe fie noch zur Frucht gedichen, wieder verborren zu jehen; denn bald wurde das unglüdliche Land aufs Neue eine Stätte ded Jammerd und der Verwüftung.

Murwan Agartan, ver Feldherr Omars, des Nachfolger Mohammed's, durchzog mit der flegreichen Fahne des Propheten von Mekka die Schluchten des Kau⸗ fafus; Schreden ging vor ihm her und Verwüſtung be zeichnete feine Schritte; Georgien wurde nach Furzem Widerſtande erobert und Tiflis, die neue von Gurg- Arslan im Jahre 433 gegründete Hauptftadt, von Grund aus zerftört. Alle angrenzenden Länder wurden gewalts ſam zum Islam befehrt; nur die Armenier und der größte

49 Theil der Völker Fartwel’fcher Race blieben unwandelbar dem. chriftlicden Glauben treu.

Seit diefer Zeit wurde Georgien im Laufe zweier Jahrhunderte noch dreimal die Beute fremder Eroberer; es fah. fich gleichfam immer nur von einem Feinde be- freit, um in die Gewalt eined andern. zu fallen, bie 08 endlich nach fo vielen Drangfalen unter Davith II. (Aghma-Schenebeli), dem Erbauer (jo genannt, weil er alle zerftörten Städte des Reichs wieder aufbaute), neuen Auffhwung gewann. Mit Davith II. beginnt die eigentliche Blüthezeit Georgiens.

. Unter feinen Nachfolgern Dimitri, Davith und Giorgi that ſich beſonders der kriegeriſche Davith der Dritte dieſes Namens aus dem Hauſe der Bagrati⸗ den hervor. Er beſiegte die Perſer und Türken und ver— groͤßerte ſein Land durch bedeutende Eroberungen, ſo daß zu der Zeit, als Thamar die große Königin, eine Toch⸗

ter Giorgi's, den Thron beſtieg, Georgien ſchon zu einer Groͤße des Umfangs und der Macht gediehen war, wie es nie zuvor beſeſſen.

Mit Thamar welche, wie in vielen andern Stücken, der engliſchen Cliſabeth auch darin glich, daß ſie ſich gen die Jungfräuliche nennen ließ erreichte Georgien den Glanzpunkt feiner Größe. Sie iſt der glän- - zendfte Stern der durch die Nacht der Gefchichte dieſes unglüdlichen Landes leuchtet. Sie tft der goldne Ring, an "welchen die Völfer von Karthli ihre größten und herrlich⸗ fen Erinnerungen knüpfen. Gefeiert in den Sagen und verherrltcht in den Liedern ihres Volkes, ift fle von dem Weihrauch, den ihr Jahrhunderte geftreut, mit einem

.-4

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Schleier umhuͤllt, durch welchen es dem präfenden Blicke des Gefchichtfchreiberd fchwer wird, ihre wahren Züge herauszufinden, Aber gewiß muß der Kern, dem ein fol- her Baum des Nachruhmes eniwachien, ein guter Kern gewejen fein... .

Meber Thamar wurde vom Volke der Name ihres großen Ahnherrn Davith IH., des Wiederherſtellers ver Macht und der Städte Georgiens, faſt vergeflen. Ihr fehreift man die Gründung von Gori, der Haupiftadt ver heutigen Provinz Karthli, fo wie die Erbauung der meiften Burgen und Kirchen des Landes zu. Ste ver- breitete dad Chriſtenthum in den Ländern des Kaufafus und brach wenn auch nur auf kurze Zeit den Ein- fluß des Islam in dieſen Gegenden; fte fteuerte mit. fräf- - tiger Hand der in ihrem Lande eingeriffenen Sittenver- derbniß, beförderte Künfte und Wiftenfchaften, entwarf neue Geſetze, wirkte fchaffend und anregend nach allen Seiten hin; aus ihrer Zeit ſtammt Alles, was bie geor⸗ gifche Literatur je Bedeutendes hervorgebracht. Ihr hoͤch⸗ fted Lob Liegt ohne Zweifel in ver Thatfache, daß ihr Andenfen den Nachfommen - der feindlichen Bölfer, über die fie einft geherrfcht, nicht minder heilig ift, als ben Georgiern felbft. . .

Nach diefem glänzenden Zeitraume, der mit dem Ende des zwölften Jahrhunderts auch fein Ende erreichte, bricht wieder finftere Nacht herein über die Völfer von Karthli ud man muß ihre Zähigfeit und Ausdauer bewundern, die fie nicht untergehen ließ in den furdhtbaren Stürmen, von welchen fie Schlag auf Schlag heimgefucht wurden.

Seit dem Anfange des 13. Jahrhunderts knüpft fich

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die Gefchichte Georgiendg wenn wir die fegensreichen Regierungsjahre eines Alerander* und Roftom **) ausnehmen faft nur an die Ramen der wilden Erobe- rer, welche das unglädliöhe Land nach der Reihe verhee- rend durchzogen.

Im Sahre 1220 finden wir Tiflis von den Truppen Dſhingis-Chan's befeht; 1388 wurde es von Timur- Leng zerftört; zu Anfange ded 16. Jahrhunderts erober- ten e8 die Türken, die bald darauf wieder vertrieben, im Sabre 1722 unter Mohammed V. aufs Reue einbrachen und dreisehn Jahre lang über ©eorgien herrfchten. Ihrer Herrfchaft wurde ein Ende gemacht durch den furchtbaren Perferfönig Radir-Schah, welder im Jahre 1735 Tiflis eroberte und Teimuras, aud dem Gefchlechte der Bagratiden, zum Könige von Georgien, unter perftfcher Hoheit, einfegte.

Rühmliche Erwähnung verdient es, daß die Völfer von Karthli inmitten all diefer Drangfale und trog aller Gewaltmittel, welche angewendet wurden um fle zum Slam zu befehren, unwanbelbar ihrem alten Glauben treu blieben.

Ihren Eifer für die chefche Religion bewieſen die Georgier noch im Jahre 1795, als der Eunuch Aga⸗

*) Alexander, mit dem Beinamen ⸗der Wiederherſteller⸗, regierte in der erſten Hälfte bes XV. Jahrhunderts. Er vertheilte das Land unter feine Söhne und wurde durch dieſes Zerflüdelungs- ſyſtem die Haupturfache des fpätern Verfalles Georgiens.

*”) Roftom, welcher Tiflis durch eine Menge Bauten und be- fonders durch das jetzt noch beftehende große Karawanſerai verfchö-

nerte, lebte in ber erſten Hälfte des XVII. Jahrhunderts. 4

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Mehmed⸗Chan, der graufame Perſerſchah, das Land unterjochte, Tiflis mit Feuer und Schwerbt vermwüftete und die Einwohner gewaltfam zur Lehre Mohammed's befehren wollte. Kein einziger Georgier war troß der gräß- lichften Martern zu bewegen, dem Glauben feiner Väter untren zu Werden.

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Mir fehlteßen diefe Furze, aber, wie wir hoffen, zur Orientirung des Leferd genügende, biftorifche Skizze mit einer eben fo Furzen Charafteriftif der Völker Fartwel’fcher Rage, wie wir fie aus zweijähriger eigener Anfchauung fennen gelernt haben.

Unter diefen Völkern nehmen die Georgier, ihrer ge- fchichtlichen Beveutung wegen, den erften ‘Bla ein. Ihre Haupiftadt war, wie wir gefehen haben, von jeher die Zielfcheibe der fremden Eroberer und ift noch heute der Mittelpunkt und Sig der ruffifchen Regierung in Trans⸗ kaukaſien. Eine ftatiftifche Ueberficht der ruffifch-Faufaftfchen Provinzen, deren Herzpunft Georgien bildet, werden wir am Schluffe diefer Schilderung folgen laſſen.

- Die Georgier.

Das Volk der Georgier tft im Ganzen genommen unläugbar eines der fihönften Völker der Erde. Hohe, fraftige Männergeftalten, fchlanfe, hübfchgebaute Frauen mit regelmäßigen, oft edelgeformten Gefichtern und großen, fchöngezeichneten Augen findet man hier überall, und häu- figer als bei andern Völkern, die Tfcherfeffen, Armenier

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53 und Griechen etwa ausgenommen. Aber nach jener höhern Schönheit, wo Herz, Geift und Gemüth fi im Auge wiederfpiegeln, fucht man unter Männern wie Frauen hier vergebens; wie man überhaupt die höchfte Schönheit nur.bei einem auf einer böhern Kulturftufe ftehenden Volke finden Fann.

Derfelbe Unterfchien, welcher fich in der PBerfönlich- feit einer Georgierin im Vergleich mit einer Europäerin findet, herrfcht auch in der Toilette.

Eine Europäerin gewinnt an Reiz, je näher wir fie fennen lernen; das anfangs unfcheinbarfte Geficht Fann uns zuletzt bezaubern durch die ftumme Beredfamfeit des Auges, durch den feinen Ausdruck des Mundes, durch das ewig wechfelnde Mienenfpiel; ebenfo wie ihr einfacher Anzug und immer mehr gefällt, je tiefer wir in feine Detaild eingehen, wo wir überall Feinheit und Sauber- feit entveden. |

Bei einer Georgierin findet ganz das umgefehrte Verhältniß ftatt. Alles blendet von Außen und verliert bei näherer Unterfuchung. Das bemalte Geftcht und bie malerifche Kleidung Alles ift auf Effekt berechnet und man kann fich wirflich nichts Reizenderes venfen, als eine Georgierin in einiger Entfernung gefehen.

Beſonders großartig ift der Einprud, wenn man die Bewohnerinnen von Tiflis bei feierlichen Gelegenheis ten zu Hunderten beifammen fieht. Sie fchreiten einher ‚langfamen, feierlichen Schritted, die eine im furzen, far: benblendenden Sarafan, die andere in die lange, weiße, den ganzen Körper anmuthig umfchlingende Tſchadra gehüllt, welche fie jo Funftwoll zu halten wifjen, daß fich

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bei den Schönen die feine Taille und der ſchlanke Wuchs genau darin wiederzeichnet, und bei den Häßlichen alles die Augen Beleidigende darunter verftedt wird. Ihr einer Krone ähnliche. Kopfpup gibt ihnen das Anſehen von Königinnen; die Kleinen Füßchen jehen in den von weiten, rothfeidenen Beinkleidern überwallten, zierlichen Bantoffeln noch Heiner aus, und die natürliche Grazte Aller in Gang: und Haltung macht die Täuſchung volfommen. Nur muß man, wie ſchon oben bemerft, das blendende Schaufpiel etwas aus der Ferne betrachten.

Für Iemanden, der georgifches Leben und Treiben fennen lernen will, ift Gori, die Hauptftabt der zu Geor- gien gehörenden Provinz Karthli, der wichtigfte Punkt des Landes.

In Tiflis iſt das ruffifche Element fchon feit zu lan⸗ gen Jahren vorherrfchend geweſen, als daß Die georgifche: Bevölkerung diefer Stadt von feinem Einfluffe hätte frei bleiben können. In Gori ift dies weniger der Fall, weß- halb fich auch hier die Eigenthümlichfeiten und Sitten ded Volkes in größerer Reinheit erhalten haben.

Don Alters her find die Männer von Gort berühmt wegen ihrer Schönheit; und mit Recht. Befonderer Ers wähnung verdienen in dieſer Hinficht die Sprößlinge des weitverzweigten, fürftlichen @efchlechtes der Eriftaff. Außer einigen Zifcherkefienhäuptlingen habe ich feine fo herrliche Männergeftalten wie dieſe gefehen. Ihr ges ſchmackvoller, Eriegerifcher Anzug trägt freilich nicht wenig dazu bei, ihre Förperlichen Borzüge im glän- zendften Lichte zu zeigen: eine hohe, pyramidale Kopf- bevedung von ſchwarzem Schafpelz; ein dunkelſeidener,

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von filberwem Gürtel gehaltener Arheluf*), darüber ein vorn offenftehender, elegant zugejchnittener Waffenrod von. rothem oder blauem, fülbergeftidtem Sammet, mit fliegen- den Aermeln; weite, ſchwarze Pantalons, welche in an- muthigen Falten in feine, rothe, enganſchließende, bi8 über die Knie reichende Stiefeln fallen; Zicherfeflenfäbel, Dolch und Piftolen dies find ungeführ die Einzelnheiten, aus welchen ein folcher Anzug befteht.

Ich Halte mich fo lange bei der Schilverung ver Körpervorzüge und bunten Gewänder der Georgier und ihrer Fürften auf, da über ihre Geifteövorzüge leider wenig Lobendes zu fagen tft.

Ich babe Gelegenheit gehabt, längere Zeit hindurch den Unterricht junger Leute aus verſchiedenen Stämmen des Kaukafus beizuwohnen und habe überall gefunden, daß die Armenier durchgängig amt meiſten und die Geor⸗ gier am wenigften Fähigkeiten in der Erlernung von Spra- hen und Wilfenfchaften fowie auch im fchriftlichen Aus⸗ druck ihrer Gedanken an den Tag: legten.

Sm Gegenfag zu den aufgewedten, rührigen und verſchmitzten Armeniern ſcheint den Georgiern eine ange⸗ borene Geiſtesträgheit inne zu wohnen; fie leben ſorglos und gleichgültig in den Tag hinein, ohne auf die Güter

=) Archeluk ein kurzer, enganſchließender, vorn zugehakter Leibrock mit unter den Armen aufgeſchlitzten Aermeln.

Nach der Beſchreibung zu ſchließen, welche Homer (Od. XIX. 225 sqg.) von dem unter dem Mantel befindlichen Leibrock (XuT@v) bes Winffes macht, entfpricht Diefes Kleidungsftüd ganz dem kaukafi⸗ ſchen Archeluk. |

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der Erde großen Werth zu legen, oder regfam nach ihrem Befige zu fireben; der Handel des Landes befindet ſich daher faft ausfchlieglich in den Händen der Armenier.

Aber dagegen find die Männer von Georgien die bravſten und ehrlichften Leute der Welt; gaftfrei wie alle Völfer des Kaufafus, zuverläffig wie ihre Degen, flink und gewandt wie ihre Roffe, tapfer im Felde und freund- lich zu Haufe.

Die Sackli's oder Wohnungen der Georgier befte- hen aus unanfehnlichen, von Steinen roh aufgebauten, halb unterirdifchen Hütten mit platten Dächern.

Die einzigen werthvollen Gegenftände, welche man in den Häufern der Reicheren diefes Landes findet, find ſchöne Teppiche, Waffen und Kleivungsftüde. Beſonders auf legtere wird indgemein große Sorgfalt verwendet. Die Pracht der Kleider fteht in gar feinem Verhältniß mit den engen, ſchmutzigen, oft efelhaften Wohnungen. Man ift erſtaunt, aus den finftern Erdlöchern ſchmucke, in Sammt und Seide gehüllte Mävchen und rauen’ hervorfteigen zu fehen.

Wie bei den Weibern, fo ift auch bei ven Männern hier die Kleidung weit hübfcher und reicher, ald man es fonft unter den niedern Ständen anderer Völker zu fehen gewohnt ift. Der Grund diefer Erfheinung ift leicht aus den focialen Zuftänden der betreffenden Länder zu er- klaͤren.

Bei den meiſten europäiſchen Völkern, wo das ſociale Leben eine höhere Stufe der Entwickelung erreicht hat, ſpricht ſich die Pra⸗ den Wohnun⸗ den meiſten

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Ländern des Orients findet gerade das umgefehrte Ver: hältniß ftatt. Hier dienen die Wohnungen weder ald Ver⸗ einigungöpunfte häuslicher ©efelligfeit, noch als Gegen- ſtände zur Entfaltung der Prachtliebe ihrer Befiger. Wo die Frau nicht belebend und veredelnd mitwirft, ift wahre Geſelligkeit unmöglich.

Daher baut der Georgier fein Haus nur um eine fichere Lagerftätte für die Nacht, Schuß vor dem fchlech- ten Wetter und der Unbeftändigfeit des Klima's zu haben.

Bei fchönem Wetter fiten die Frauen fortwährend auf den Dächern der Häufer, wo fie in warmen Soms- mernächten fogar ihr Lager aufichlagen. Auf den Dächern werden Befuche gemacht, wird geſpielt, getanzt und ge- fungen. Nur das Dunkel der Nacht oder plögliched Un- wetter fann die fchönen Bewohnerinnen der Dächer in ihre ungaftliche Behaufung zurüdtreiben.

Die Imerier.

„Die Bewohner Imerethi's find groß und fchlanf wie das Volk von Karthli, aber noch fehöner von Antlig und gewandter in ihrem Benehmen, Die Bauern dieſes Landes "fehen aus wie Leute von vornehmer Abfunft.

„Sie halten auf Reinlichfeit und Ordnung; ihre Kleider, ihre Pferde, Waffen und Rüftungen find Immer im beiten Zuftande.

„Sie find lebhaft im Sprechen und Handeln, anmu⸗ thig in ihren Bewegungen, feurig, tapfer und Fühn, aber es fehlt ihnen an Ausdauer wie .im Gefechte, fo in Allem was fie unternehmen.

„Sie find freigebig und wenig bedacht Schäge zu

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fammeln; nur fir den Augenblick lebend ohne an die Zukunft zu. denfen; fie find Freunde des Gefanges uud

der Mufil, geſchickte Kalligraphen, und die meiften unter

ihnen haben eine fchöne Stimme. Ihr Glaube und ihre Sprache find die der Karthler. Ueber die fonftigen charaf- teriftifchen Züge dieſes Volkes fchweigen wir, da ftch- bet ber zu großen Berfchiedenheit Fein allgemeines: Urtheil darüber fällen läßt.“

Mit diefen Worten gibt und der Zarswitſch Wachuſcht eine treue Schilderung des Volkes von Imerethi, wie es im vorigen Jahrhundert war. Im Allgemeinen paßt dieſe Schilderung noch auf die Imerier von heute, obgleich: Die neue Verwaltung de& Landes, Die häufige. Berührung. mis den Ruffen und: befonders die drückende Bolfsarmuth eine Menge ungünftiger Veränderungen erzeugt haben,

So wird heute eben jo. wenig Jemand die Bauern Imerethi's in ihren Lumpen für Leute von vornehmer Abkunft halten, als idre Pferde, Waffen und Rüftungen im beften Zuftande finden. An Pferden und fonftigen Hausthieren herrfcht im Allgemeinen großer Mangel. Wein dagegen: findet man bier im Ueberfluß; nur läßt die Kultur der Rebe und: Die Zubereitung des Weines noch Vieles zu wünfchen übrig.

Das: Klima des Landes iſt bei. Weiten. ungeſunder, als in den benachbarten Provinzen. Die ſchwarze, fette Erde Imerethi's iſt dem. Gedeihen ver Pflanzenwelt eben fo. zuträglich, wie fie. den Menſchen nachträglich iſt. Die Imerier wiflen zudem fo wenig Bortheil. aus dem fruchts baren Boden ihres Landes zu ziehen, daß. der Ertrag ihrer

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Heer kaum zur Befrievigung ihrer dringendſten Bebürf- nifſe ausreicht.

Die Haupigetreidearten, welche hier gegogen werden, fine Der türfifche Waizen bier Ssimindi genannt und das Gomi (Panicem italicum), worand fie eine Art Kuchen beveiten, der fich Sabre lang aufbewahren laßt und ohne weichen ein Imerter nie feine Mahlzeit bejchließt. Auch der Walzen welcher erft durch den bekannten franzöftichen Conful Samba im Imerethi ein- geführt wurde gedeiht bier in üppigfter Fülle. Wegen des Mangels an Erwerböquellen in der Heimath, halten - ſich ſchon feit langen Jahren eine Menge Imerier in Tiftis auf, wo fie als Eaftträger ihren Unterhalt verbie- nen. Ihre Ehrlichkeit iſt ſprüchwörtlich ‚gemordem

Die Tracht der Imerier hält die Mitte zwiſchen ber georgifchen und perfifchen; doch tft die Armuth des Vol- kes heutzuinge fo groß, daß die Kleidung der Aermern fedfglich dem Zufall überlaffen bleibt. Ste hängen das - erfte befte Stück Zeug um, welches ihnen in die Hände fällt. Bei ven Türken heißen die Imerier Atschik-Baschi d. i. Bloßföpfe, welche ſeltſame Benennung ihnen in Folge ihrer eidenthümlichen Kopfbedeckung wodurch fie ſich von allen übrigen Völkern der Welt unterſcheiden zu Theil geworden iſt. Dieſe Kopfbedeckung die ſogenannte imeriſche Mütze beſteht aus einem einfachen Stück Filz oder Tuch von ſchwarzer Farbe, unterhalb mit Seide gefüttert und an beiden Seiten mit einem kleinen Ein» fehnitt verfehen, damit das Tuch fich befier an den Kopf ſchmiege. Die feltfame Müte welche bei den Reichern

“mit Silberftiderei verziert tft wird Durch eine um das

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Kinn laufende Schnur gehalten, da fie fonft beim leifeiten Windhauche vom Kopfe fliegen würde. Da dieſe Mütze aber, wie leicht begreiflich, im Winter nur wenig Schub gewährt, fo verwenden die Imerier eine befondere Sorg⸗ falt auf die Pflege ihres gewöhnlich dunkeln, üppigen Haupthaard. Viele pflegen dad Haar auch nach Art der Kyſylbaſchi roth zu färben, womit der immer ſchwarze, -wohlgepflegte Schnurrbart fonderbar Eontraftirt.

Die Hauptftadt. Imerethi's Kutaid (Kutatis) an bei- den Ufern des Rion gelegen, zeichnet fich durch ihre herr⸗ liche Temperatur, ihr gutes Waſſer und ihre anmuthige Lage aus. Sie bildet heutige& Tages den Sig eines ruſ— fifchen Kreishauptmanns. Die Einwohner find ein Ge- mifch von Imeriern, Armeniern, Juden und Ruflen; hin und wieder findet man auch einige Türfen und Griechen. Die Hauptermerböquelle der Stadt ift der Handel. Eine genaue Schilderung aller bier befindlichen Merkwürdigkei⸗ ten, Ruinen u. ſ. w. findet man in Dubois de Mont- pereux’s trefflichem Reifewerfe.

. Die imerifchen Häufer unterſcheiden ſich durchaus von denen der Georgier und nähern ſich mehr unſerm Geſchmack. Obgleich die Lage der Stadt reizend fit, bietet Kutais doch feinen fo großartigen Anblid dar, wie Gori, wo Alled jenen grauen, alterthümlichen Anftrich trägt,

„der gefällt ohne zu blenven, der zum Nachdenfen anregt und unwillfürlich Auge und Geift zurüdruft in dad Dun⸗ fel vergangener Jahrhunderte.

Der heutige, armfelige Zuftand Imerethi's bildet einen traurigen Kontraft mit jener Zeit, wo fich die Herr: ſcher des Landes nicht allein Mepe (König) nennen ließen,

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fondern noch den hocdhklingenden Titel: König der Kö— nige antahmen *).

Die erften Anfprüde der Ruflen auf den Thron Imerethi's datiren aus der Mitte des XVII. Jahrhun- dertS, wo König Alerander der Blödfinnige ſich und fein Land unter mosfowitifchen Schuß ftellte. Die ruſſi⸗ fhen Annalen **) erzählen darüber Folgendes:

„König Alerander von Imerethi, dem Beifptele der

übrigen chriftlichen Fürften des Kaufafus folgend, entfchloß fih der Krone zu entfagen und fein Land unter ruſſiſchem Schuß zu ftellen, wie jchon Alerander I., König von Kachethi, und deffen Nachfolger Theimuras, fo wie aud) Giorgi, der Herrfcher von Karthli vor ihm gethan hat⸗ ten. Zu dem Zwecke ſchickte er im Jahre 1649 eine Ge- fandtfchaft an den Zar Alerei Mihailowitfch, um diefem Fürften feine Unterwerfung anzutragen und bie dabei nöthigen Bedingungen feftzuftellen. „Alexsé6i Michailowitfch empfing die Gefandt- Schaft auf's gnädigfte, bewilligte daS Geſuch des Könige Alerander und ſchickte die beiden Bojaren Tolotfchanow und Jewlaw nach Imereihi, um vom SHerrfcher dieſes Landes den Eid der Treue und Unterthänigfeit entgegen zu nehmen.“

*) Le Roi d’Imerette se donne un autre Titre encore bien plus fastueux, dans les Lettres qu’il fait expedier. TI se qualifle Roi des Bois.

Chardin Voyages en Perse etc. etc. I. 122. Ed. Amster- dam MDCCKXI.

24) &, darüber: Tusanccrin Bsdomocmu 1832 To roda, Mscana »eBpanb.

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Aus dem über den Erfolg diefer Sendung ausgefer⸗ tigten Berichte der genannten Bojaren theilen wir in wört⸗ licher Ueberſetzung folgende auf den Entſagungsakt Bezug

habende Stelle mit:

„Im Jahr 7158 (1650 n. Ehr.) den 14. des Mo⸗ nats September hat der tmerifche Zar Alerander in ver Kathedrale zu Kutatis (Kutais) im Belfein der Bojaren folgenden feierlichen Eid gefchworen:

Ich, der Zar Alerander, füffe dieſes hei— lige und lebendig mahende Kreuz des Herrn unferd Heilandes, in Meinem eigenen Namen wie auch im Namen Meines Bruders, und in dem des Zaréwitſch (Königfohnes) und der Mutter, nnd des Zarewitih Bagration, und des Metropoliten, und des Erzbifchufs, und der Bojaren, nnd der Anaouri®), und aller Meiner Leute, und des ganzen imerifchen Kö- nigreidhes, um fomit ein für alle Mal fund zu tbun, daß Ich, der Zar Alexander, mit Bruder und Sohn und mit Meinem ganzen KRönigreidhe dem großen Herrfcher Meinem Zaren und Groß— fürften Alexéi Michailowitfh, Selbftherrfcher aller Reußen, Mich zu Willen und ewiger Leib— eigenfchaft ftelle für alle fommenden Jahrhun- derte; gu Gleihem verpflihte Ih Mich gegen bie Kinder, welche Gott dem Zaren, Meinem Herrfcher, fhenfen wird.

*) Soll heißen Asnaouri, d. i. Edellente.

Hieramf rief das ganze Boll:

„Gebe Gott dem moskowiſchen Herricher, dem Zaren und Broßfürken Ulerdi Michailowitid von Rußland Sefundheit auf viele Jahre, und möge er ung, feine Skla⸗ ven, immerfort feiner Herrſchergnade theilhaftig werden laffen, und wir werben des Herrfchers ewige Sklaven fein und für ihn, unfern Herrn, freudig unfern Kopf darbringen und unfer Blut vergießen!

Trotz diefer frühen Unterwerfung faßte Rußland, wie in Den übrigen - chriktlichen Staaten des Kaufafus, fo auch in Imerethi, erft zu Anfange diefes Jahrhunderts feften Fuß. | U Im Jahr 1820 empörten ſich die Imerier, aufgeregt durch die Geiſtlichkeit, gegen die ruffifche Regierung. Es mußten große Streitfräfte aufgeboten werden und viel Blut wurde vergoffen, ehe ed den Ruffen gelang, bie Ruhe wieder herzuftellen. _ |

Seitvem fcheint der legte Funfe der Empörung in Imerethi verglommen zu fein. Strengere Maßregeln, drüdende Armuth und wieberholte Hungersnoth haben nach und nach das Volf zu willenlofen Sflaven der Ruffen gemacht.

Die Mingrelier

find Refte der alten Kolchter, deren noch immer blühende Haine einſt Jaſon und feine Gefährten in ihrem Schatten. beherbergten. Ein Theil ded Landes wurde fpäter Lafi- ftan genannt; bei Mofes von Chorene fommt ed vor unter dem Namen Egeria. Das Land ftand in den leb- ten Jahrhunderten abwechfelnd unter georgifcher und tür-

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fifcher Herrichaft. Während Georgien unter dem Joche der Perſer feufzte, erhob ſich Mingrelien zu einem unab⸗ bängigen Staate. Gegenwärtig fteht es unter ruſſiſchem Schuge und erfennt Rußlands Oberherrfchaft an, wird jedoch von feinen eigenen Fürften regiert, welche den Titel Dadian führen und ihrer Angabe nach in gerader. Linie von David dem heiligen Sänger und Könige abftam- men *):

Diefe komiſche Sucht, den Urfprung ihrer Familie in's graue Alterthum hinaudzurüden, herrfcht bei allen chriftlichen Fürften des Kaukaſus, und man findet felten einen, welcher nicht einen Sohn Noah's, oder wenigftens - Salomo's, als feinen Ahnherrn nenne.

Das Wort Dadian, in feiner jegigen Bedeutung ungefähr unferm „Herzog“ entfprechend, ſtammt nach Ei- nigen **) aus dem Berftfchen und heißt wörtlich genom- men „Chef der Gerechtigfeit“. Nach Andern beveutet Da- dian (Dad-Jan) urfprünglid Obermundfchenf, und ed wurde immer demjenigen Hofbeamten der tberifchen Könige

#) Le Meppe et le Dadian se disent tous deux descendus du Roi et Prophöte David. Les anciens Rois de Georgie s’en disaient descendus aussi.

Chardin I. 254.

“%) IIs s’appellent tous Dadian, comme qui dirait Chef de la Justice, de Dad, mot Persien qui signifle Justice, d’oü la premiöre race des Bois de Perse a été appellde Pich-Dadian, c’est-ä-dire: La premißdre Justice; pour nous marquer que ce furent les premiere hommes que les peuples de ce grand pays 6tablirent pour leur administrer la justice.

Chardin. I. 263— 45.

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welcher dieſe Würde beffeidete, die Verwaltung des damals zu Iberien gehörenden Landes Mingrelien übertragen *).

Der jest regierende Dadian David tft Oberft in ruſſiſchen Dienften und thut fi) auf feine Würde und feine Uniform ungemein .vtel zu Gute. Auch Die übrigen männlichen Sprößlinge des fürftlichen Haufes haben fich unter das ſchimmernde Joch ruffifcher Epauletten gefchmiegt. Man follte kaum glauben, daß dieſe metallenen Schulter- befchwerer auch für Aeetes' ungefchulte Enkel fo unwider- ftehliche Lockmittel feien.

Der Hauptort des Landed und die Reſidenz des Fürften iſt Sugdidi, ein Ort, zu unbedeutend, um eine Stadt genannt werben zu können.

Die Reifenden der Ieptern Jahrhunderte ſtimmen in ihren Klagen über die wüften, ungeregelten Zuftänve überein, welche früher in Mingrelien herrfchten und welche heutzutage noch keineswegs verwifcht find. Der Dadian, welcher durch feine Erziehung und durch feinen häufigen Verkehr mit den Ruffen einen Anftrich von europäifcher Bildung erhalten hat, tft eifrig bemüht, eine geregelte Verwaltung in feinem Lande einzuführen, doch hat er in feinen Beftrebungen bei dem ftarr am Altherfömmlichen Flebenven Volke, welches allen Neuerungen abhold ift, mit unfäglichen Schwierigfeiten zu fämpfen, und es läßt ſich ohne beſondern Prophetengeift vorausfehen, daß Ruß⸗ land über kurz oder lang der Schattenherrlichfeit: des Dadians ganz ein Ende machen und fein Land in eitfen ruſſiſchen Diftrift verwandeln wird.

-*) ©. &ichwald 1. 277.

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Es Tiegt in der Politif des Kaiſers, den Grenz. ändern, welche durch ihre Lage geeignet find, eine Schug- mauer gegen feindliche Nachbarſtämme zu bilden, fo lange einen Schein von Unabhängigfeit zu laflen, bis er. die Fürften und Eveln des Volkes dur Mittel aller Art in fein Ne gezogen und das Volk felbit an ven Ge . danfen ruffifcher Herrichaft gewöhnt hat. Ratürlich fpte- len Dabei Rang» und Ordensverleihungen eine große Rolle; auch wird das Geld mit befonderer Freigebigfeit gefpenvet: das holt fich fpäter Alles wieder ein, wenn das Land erft einmal dauernd dem ruffifchen Staatöförper einverleibt ift.

Ueber die Kultur und Lebensweiſe der Mingrelier gilt mit wenigen unbeveutenden Abweichungen Alles, was wir oben über die ISmerier gejagt haben.

Die Gurier

bilden den Fleinften aber fchönften Zweig des Stammes Karthli; befonders find die Frauen wegen ihres fchlanfen Wuchſes, ihres üppigen Haares, ihrer großen, feurigen Augen und ihrer feinen, edeln Geſichtszüge alles Prei— ſes werth.

Wie das Volk feinen iberifchen Brüdern an Schön- heit voranjteht, fo übertrifft auch der herrliche Boden des Landes Alle Nachbarländer an Fruchtbarkeit. Hauptpro- dufte des Aderbaues find wie in Mingrelien und Ime— retbi Gomi, Maid und Wein.

Das blühende Gurten, welches fchon. feit 1810 des Kaiſers aufgedrungene Oberherrſchaft anerkennt, wurde

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im Jahre 13920 gewaltiam zur ruflifchen Provinz gemacht. Zrüher befand ſich das Land abwechſelnd unter iberifcher, imeretifcher und tärfifdjer Herrſchaft. Zu ſchwach, um fich auf die Dauer frei und felbftändig erhalten zu können, fland es faft immer unfreiwillig in der Gewalt over dem Schutze eines mächtigen Nachbarftaated. Die Herricher des Landes führen den Titel Guriel; doch ift ihnen feit dem Tode der lebten regierenden Yürftin Sophia (geft. 1829) Nichts als ihr Titel geblieben.

Die Snauen (Svaneu oder Svaneten).

Während wir der Imerier, Mingrelier und Gurier nur andeutungsweife Erwähnung gethan haben theild - weil uns der befchränfte Raum Kürze zur Pflicht macht, beſonders aber weil der Gegenftand in den Reiſewerken eines Eichwald, Dubois, Koch u. N. fchon zur Genüge behandelt worden if, werden wir bei der Schilderung der weniger befannten Sudnen und ihres Landes et- was ausführlicher zu Werke gehen.

Diefe Volk, welches ſich durch Sprache, Sitte und

Lebensweiſe auffallend von feinen Brüdern Fartwel’fcher Rage unterfcheidet, obwohl eine urfprüngliche Aehn— lichkeit überall unverkennbar durchichimmert, verdient unfere Aufmerkſamkeit nicht ſowohl feiner gefchichtlichen Bedeutung wegen, fondern vorzüglich weil es, durch feine von der Natur fchroff abgegrenzte Lage vor fremvem Ein- fluffe geſchützt, von allen Völkern iberifchen Stammes das einzige ift, welches die Grundzüge und Eigenthümlichkei⸗ ten feines Charafterd Jahrtaufende hindurch faft unvers ändert bewahrt hat.

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Es iſt gleichfam ein lebendiges Städ Alterthum, der Typus einer Art Urzuſtandes unſeres Geſchlechtes; die Betrachtung eines ſolchen Volkes muß daher für je⸗ den denfenden Menfchen von hohem Intereſſe fein.

Die zerftreuten Mittheilungen, welche wir bei’ ver- ſchiedenen Kaufafusreifenden und in der Geographie des Zarewitih Wachuſcht über Suanethi und feine Ber wohner finden, bieten zu wenig innern Zufammenhang und fcheinen zu fehr nach bloßem Hörenfagen niederge— ſchrieben zu fein, als daß fie uns, befonderer Beachtung werth dünften. Dagegen haben ruffifche Schriftfteller und befonder8 der befannte Fürſt Schach awskoy fowie der Protojeréy*) Kupiteladfe, ein Imerier von Geburt, höchft fchägenswerthe Beiträge zur Kenntniß der Suanen und ihres Landes geliefert; wir werben das Wichtigfte davon nad) forgfältiger Prüfung unferer Schilderung ein- verleiben.

Der von Nordweſt nach Südoſt freichende Faufa- fifche Alpenzug bildet bei der Kuppe des Elborus einen unregelmäßigen, nah dem Kuban zulaufenden Winkel, welcher mit einem andern von dem hohen Berge Pa- ſismta beherrfchten Winkel parallel liegt und nach N. W. Suanethi von dem Lande der Karatfchai trennt, während er in öftlicher Richtung zufammen mit dem legts bezeichneten Winkel nah N. O. Suanethi von ber großen Kabardah abgrenzt. Die ſüdliche Grenze bil det ein vom Pafismta nach Weften ftreichender Höhen» zug, welcher eine Scheidewand zwiſchen Suanethi und

*) Brotojereg, j

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Mingrelien zieht, während ein hoher Aft des Kaw⸗ kas⸗Dſchedslok, Suanethli gegen Welten von Ab⸗ chaſien trennt.

Solchergeftalt rings von hohen Bergmauern einge- fchlofien, bildet das Land eine tiefe, wild durchzadte Schlucht von etwa 110 Werft Länge und 50 Werft Breite, jo daß der ganze Flächeninhalt ungefähr 270 O Werft beträgt. Diefe Schlucht wird ihrer Länge nach von dem reißenden Ingur durchſtroͤmt, welcher hier 16 von den fuanifchen Gebirgsfämmen herabftürzende Ylüß- chen und Bäche aufnimmt.

- Suanethi ift eined der höchftgelegenen bewohnten " Thäler des ganzen Kaufafus, und obgleich von Mingre- lien aus zwei mühfam gebahnte Wege durch's Gebirge führen, fo ift die Paſſage doch immer mit großen Schwie- rigfeiten verbunden und im Winterhalbjahr, vom Öftober bis zum Mai, faft ganz unmöglich. Während diefer Zeit fann man nur von der großen Kabardah oder vom Lande der Karatfchai aus nach Suanethi gelangen. Doch felbft in der Sommerzeit und bei der günftigften Witterung find die bezeichneten Wege nur für Fußgänger zugäng- ih und auch für diefe noch mit großer Gefahr verfmüpft.

Bon dem Dorfe Churdan dem legten in Min- grelien bis Lachmida in Suanetht, auf einer Strede. von mehr ald 100 Werft, findet man fein anderes Ob: dach, ald zwei elende Sennhütten, und ver mühfame Fußpfad wird noch Häufig, bald durch reißende Gewäſſer, bald durch tiefe Abgründe oder ungethüme Feldmaflen unterbrochen. An manchen Orten ftredt fich nur ein mor⸗ [her Stamm oder eine Inorrige Baumwurzel als Drüde

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über eine bovenlofe Tiefe; oft können nur die Riefenfräfte der Führer umd ihre beifpiellofe Gewanpheit den Wans derer über die ſchwindelnden Abhänge geleiten, und wenn glüdlich eine Kuppe erftiegen ift, fo bereitet oft ein Wind- ftoß oder ein plögliches Schneegeftöber dem Schw anfens den fein Grab in der klaffenden Tiefe.

Es leuchtet ein, daß bei Diefer Unzugänglichfeit des Landes und der dadurch erzeugten ftrengen Abgefchieven- heit der Bewohner, die Sitten und Lebensweiſe Derjelben eine gang eigenthümliche, von fremdem Einfluffe nur ſel⸗ ten. berührte, aber niemald dadurch veränderte Richtung nehmen mußten; und da überall, wo die focialen Zuftände in ihrer urfprünglichen Einfachheit beftehen, ver Menſch mit der Erdſcholle, die er bewohnt, in enger und fteter Wechſelwirkung lebt, fo find auch die Beringungen bed Lebens, die Sitten und Gebräuche, die Tugenden und Lafter, wie fie fich feit Jahrtaufenden bei den Suanen erhalten haben, ganz der Natur des Landes, das fie be- wohnen, entfprechend. Die Aehnlichkeiten, welche man bei ihnen mit andern, auf gleich niedriger ulturftufe ftehennen Völkern findet, find eben das Ergebniß gleicher Bedingungen und Berhältniffe. |

Den Suanen ift die Oaftfreundfchaft heilig wie allen Völkern, wo der Verkehr mit Fremden felten ift; dieſe lieblichfte Blume im Kranze menfchlicher Tugenden muß verwelfen und untergehen auf den Zummelplägen des Lebens. |

Unter der Blume der Gaftfreunpfchaft windet fich bei ven Suanen wie bei faft allen im Naturzuftande lebenden Bölfern eine verheerende Schlange: die Blut»

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rache. Aber weit entfernt für ein Uebel gehalten zu wer⸗ den, ift die Blutrache vielmehr bier, wie überall wo fie berrfcht, durch Brauch und Sitte geheiligt, und der, wel- her fie übt, fteht in der Meinung des Bolfs geehrt, nicht gefchändet da. Und nichts ift natürlicher; wo das Geſetz den Menſchen nicht ſchützt, muß er Schuß. in fei- nem eignen Arme fuchen.

Es ift befannt, daß Die fchönften Stellen der ältern Dichtungen des Morgenlandes dem Lobe der Blutrache geweiht find.

In dem Gedicht des Mutallames Heißt es:

„Siehft du nicht, daß der Menfch dem allgemeinen Loos ber Sterblichen unterworfen ift!

»@r mag nun ben Bögeln zum Haube vorgeworfen ober ehrenvoll begraben werden.

»Darum ertirage Feine Beleidigung. aus Furcht vor dem Tode:

„Sondern ftirb edel und ungekränkt an Deiner Ehre!” *)

Jedenfalls erfcheint die Blutrache bei rohen Völkern verzeihlicher und natürlicher, al8 das Duell bei civilifir- ten Nationen. Denn das Leben hat für den Raturmen- fehen feinen Werch; für einen Mord bedarf er geringer Motive. Reiben wilde Stämme einander auf durch die Blutrache, fo erfüllen fie den Lauf der Natur. Die Thier- heit im Menfchen mag untergehen; daran verliert die Welt nichts.

Wenn aber edle Gefchlechter von höherer Weltbil- dung einander vertilgen, um einem Wahne zu huldigen,

*) S. Michaelis’ arabifche Chreſtomathie. p. 114.

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der tief im Volksleben begründet, fchon feit Jahrhunder⸗ ten forterbt, ſo ift eine folche Erfcheinung eine Tragödie der Menfchheit” ...

Suanethi**) zerfällt in drei Theile: in das freie am bern Ingur, unter der Benennung Leſhavkévi; in die Befigungen des Fürſten Taärtarchan Dadiſch— felian, weſtlich von dem freien Suanethi gelegen, und noch weftlicher, am Fuße des Elborus in das Gebiet des Fürften Zioch Dapdifchfelian.

Sechszehn befannte Gebirgsflüffe die Fleineren Gewäfler nicht mit inbegriffen, ftürzen fich, jever aus einer befondern Schlucht in den Ingur, uud bei ihren Mündungen in den Abplattungen ber Höhenthäler, wo fih etwas Raum für den Aderbau findet, liegen die Woh⸗ nungen der Suanen.

Das unabhängige Suanethi befteht aus 3000 Hö⸗ fen in 8: Schluchten; die Gefammtzahl der Gehöfte bei- der Fürften beläuft fih auf etwa 200. Früher war ganz Suanethi frei; die Herrichaft der Dadiſchkélianer hat fich erft nach und nach dur das Recht des Stärfern gebil- det, auf dieſelbe Weife wie urfprünglich alles Herrfcher- thum entftanden. Die Suanen leben ®patriarchalifch in großen Familien, und zwar fo dicht zufammengedrängt,

*) Napoleon Rovellen. I. 6.

“) Man leitet den Namen des Landes von dem georgifchen Worte Savane (die Zufluchtsflätte) ab. Die Sage erzählt nämlich, daß Surmad, ein Sohn des Pharnamwas, aus Georgien über Dfiethi und Kabardah mit feinem Stamm nach biefem Lande gekom⸗ men fei und an dem obern Ingur eine Zufluchtöflätte gefunden habe. Surmach if nach der Sage der Stammvater der Suanen.

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daß meiftens mehre zahlreiche Familien ein einziges Ge⸗ höft bewohnen, um bei den fortwährend im Lande herr: fchenden Streitigfeiten fich vereint beffer gegen die An⸗ fälle der feindlichen Nachbaren vertheivigen zu fünnen.

Diejenige Familie nun, welche im Laufe der Zeit fo ftarf und zahlreich wurde, daß fie gleichfam einen eig- nen Clan bildete, unterbrüdte. die fchwächern, und dauerte ein folher Zuftand lange, fo wurde er durch Zeit und Gewohnheit geheiligt. Auf dieſe Weife geftaltete fich nach und nach das jetzt unbeftrittene Herrfcherrecht der Das pifchfeltaner.

Immer wenn eine Familie zu groß und zahlreich wurbe, bildete fie einen eignen Glan und wählte den Zapferften und Erfahrenften aus ihrer Mitte zum Häupt- linge. Macht und Anfehen einer” Familie ftrebten aber auch nach Unabhängigkeit im Clan felbft, und eine ſich ftarf fühlende verweigerte oft dem Häuptlinge den Tribut.

Bei den freien Suanen herrfcht im Allgemeinen fein andered Recht, ald das der Waffen und der Kraft des Armed. Oft aber unterwerfen fie fi auch aus freiem Antriebe dem Schiedsgerichte der Aelteſten ihres Stam- med und eine foldhe Entjcheidung gilt für ehrenvoller, als jelbftverjchaffte Genugthuung. Jede Parthei wählt ſechs Greiſe; dieſe verfammeln fi in der Nähe einer Kirche, bereiten fich durch verſchiedene Geremonien zu dem feierlichen Afte vor und ihr Ausſpruch wird für heilig gehalten.

Bei beſonders wichtigen Fällen ereignet es ſich auch, daß Die ftreitenden Partheien zur Schlichtung ihres Haders

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fih an den Dadian von Diingrelien oder an die Färften Dadiſchkélian wenden.

In den Beltgungen der Dadiſchkelianer beſtehen eben⸗ falls Verſammlungen von Greiſen, welche über Streitende zu Gericht ſitzen, Strafen auferlegen, Tribut beſtimmen und Verordnungen aller Art ergehen laſſen; doch hängt die Beftätigung ihrer Entfcheivung immer von dem Fürs ften felbft ab.

Bei allen wichtigen Beränderungen im Familien⸗ leben, bei Heirathen, Chefcheidungen u. f. w. muß erft die Erlaubniß des Fürſten eingeholt und eine Gebühr dafür entrichtet werden; dieſe Gebühren, welche gleich den oft vorfommenden Strafen in einer Abgabe von Vieh und @erealien beftehen, bilden den größten Theil der Ein- fünfte des Fürſten.

Auch werden in Zeiten der Theuerung nach alther- koͤmmlich beftimmter Reihenfolge zum Beſten des Fürften und der Gemeinde, Mädchen und Knaben als Sklaven in’8 Gebirge verkauft. Der Kaufpreis für einen erwach⸗ fenen Knaben beträgt durchſchnittlich 300, und für ein hübfches Mädchen 200 Thaler nach unferm Gelbe.

Suanethi iſt, trog feiner hohen Lage, feines rauben Klima's und der fpärlichen Subftftenzmittel, welche ver undankbare Boden liefert, doch nach Verhältniß der Größe weit bevölkerter, als irgend ein anbered Gebirgdland des Kaukaſus.

Zu erklaͤren iſt dieſe Erſcheinung wohl hauptfächlich. aus der reinen, gefunden Luft des Landes, fowie aus ‚dem Umftande, daß die Bewohner, rings durch hohe Ge-

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birgewände gefchüßt, nicht den Verheerungen des Kriegs ausgeſetzt find, wie Die übrigen kaukaſiſchen Völker.

Aderbau und etwas Viehzucht bilden Die Hauptnah⸗ rungSquellen der Smanen. Der Winter fängt bier fchon zu Ende des September an und dauert gewöhnlich bis zur Mitte des Maimondes. In den übrigen Monaten mähen die Einwohner zweimal ein kurzes, aber fettes Gras, ernten im Auguſt ihr Getreide und fäen zu Anfang des September das MWinterforn aus.

Die Bebauung ded Feldes ift, der ungünfligen. Lage wegen, gewöhnlich mit den größten Schwierigkeiten ver⸗ bunden. Selten bat hier einer dad Glück, ein Stüd Land zu befiken, welche® Büffel mit einem Pfluge bearbeiten fönnten; größtentheild iſt das urbare Land nur dem Fuß⸗ gänger zugänglid und muß mit Hade und Spaten bes arbeitet werben. Daß unter folchen Umftänden der Ertrag der Aecker nur ein dürftiger fein kann, und für die ver⸗ hältmipmäßig große Benölferung nur knapp ausreicht, bedarf kaum der Erwähnung.

Der Menfh muß bier gleichlam feine Bedürfmiſſe

dem Boden gewaltfam abtrogen, er muß ringen und fäns yfen, um nur dürftig fein Leben zu friften, und wenn er im Kampfe mit der Natur das Nothpürftigfte nicht errin- gen fann, ift er gezwungen auf andere Weife das Fehlende zu erfegen. Daher der natürliche Hang dieſes Volfes zu Räubereien, deifen fchon het Brocop, fo wie bei allen fpä- tern Autoren, welche über bie Suanen gefchrieben haben, Erwähnung geichieht.

Daß dieſer Hang hauptſachlich in dem angeführten Umſtande feinen Grund hat, dafür zeugt ſchon die That-

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fache, daß die Räubereien in der neuern Zeit bedeutend feltener geworben find, feit fi den Suanen andere, fried- lichere Hülfsquellen eröffnet haben.

Unter den Produkten des Landes verdient beſonders der in Maffe gewonnene Salpeter Erwähnung, deſſen Er- jeugung und merfwürdig genug ſcheint, um bier mit ein paar Worten angeführt zu werden. Wenn man irgend einen Theil des Landes vor dem Einfluffe des Regend oder Schnee’8 bewahrt, fo bevedt. fich die ganze gefchüßte Oherfläche beim Beginn ded Frofted mit einer reichen, flaumartigen Mafle von Salpeter.

Am Fuße des Elborus graben die Suanen Schwefel und verfertigen Schteßpulver in großer Menge, welches fie an die benachbarten Bergvölfer verkaufen. Außerdem gewährt ihnen noch der Tranſithandel einige Vortheile. Die Suanen in Letſchgum Faufen ruſſiſche Callicots und baummollene Zeuge auf, tragen biefe zu den Karat- fhat, nah Tfcheghem, Chulam u. f. w., wo fie dieſelben gegen Filzdecken, Burken*) und Tcherfeöfen *) vertaufchen, diefe wiederum nad) Letfchgum führen und Salz, Eifen, Kleivungsftüde u. dgl. dafür einhandeln.

Der Charakter des Volkes ift im Ganzen genommen eben fo ſchwankend und unficher wie die Verhältnifie in welchen e8 lebt. Der Suane ift tapfer, feige, ehrlich, räu-

*5) Eine Burka ift ein kurzer, nach Außen mit Rauchwerk überzogener Filzmantel, eine allgemein gebräuchliche Tracht im Kaus kaſus.

as) Tſcherkeska heißt der bequeme, vorn zugehakte, von einem Gürtel gehaltene Tſcherkeſſenrock, auf welchem zu beiden Sei⸗ ten ber Bruſt die Behälter zu den Patronen zierlih ausgenäht find.

Ger

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berifch, Alles wie es die Umftände eben mit ſich bringen. Auf die natürlichfte Weife erzeugen fi bier die auffals lendſten Gegenfäge im Charakter des Menfchen.

Der Suane tft tapfer und fürchtet den Tod nicht, wo es gilt einem Feinde die Stine zu bieten, um Habe und Ehre in offenem Kampfe zu vertheibigen. Er {ft hin- gegen feige und Hinterliftig und greift fein Opfer nur aus ficherem Berfted an, wenn die Roth ihn zwingt auf Raub auszugehen um ſich und die Seinen vor dem Hun- gertode zu wahren.

Er ift ehrlich und friedliebend, wenn der Ertrag des fo mühſam beftellten Ackers zum Unterhalt der Seinen genügt, oder wenn der Taufchhandel ihm mäßige Vor⸗ theile bietet; nie geht er auf Raub aus um Schäße zu fammeln, fondern nur wenn die Noth ihn Dazıi treibt. Die Ratur hat den Suanen begabt mit auffallender Kör- perfraft, hohem Wuchfe und glüdlichen geiftigen Fähigfei- ten; er ift berebt, gaſtfreundlich, keuſch, ftolz, treu und zuverläffig, wenn nicht Roth und Unglüd entfittlicheno auf ihn einwirken.

Bon Jugend auf an Befchwerden und Mühfeligfei- ten aller Art gewöhnt und geftählt durch die rauhe Luft ſeines Landes, befigt der Suane eine Körperfraft und Gewandtheit die vielleicht nur bei den Tſcherkeſſen ihres Gleichen findet. In feinem unwirthlichen Lande, über Schneeberge und ſchwindelnde Pfade hinweg, auf welche der Reifende nur mit Zittern feinen Zuß ſetzt, wandert der Suane laftbelaven leichten Schritted 10 Meilen in einem Tage, ohne große Beichwer danach zu fühlen. Mäßig in feinen Genüffen, kann er zwei, drei Tage lang

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ohne Murren alle Speifen entbehren. Den langen Winter hindurch, während eine bide Eisdecke die Felder bedeckt und durch den hochliegenden Schnee aller Verkehr mit ver Nachbarfchaft gehemmt ift, bringt er die Zeit mit Jagen, Tanzen, Trinken und ritterlichen Spielen zu, wenn nicht Kampfſpiele ernfterer Art ihn zu den Waffen rufen. Denn wie fchon oben bemerkt, find nicht bios die Dörfer der Suanen, fondern auch Die einzelnen Familien unters einander in faft fortwährendem Hader begriffen.

Gewöhnliche Zwifte werden durch die Berfammlung der Greife beigelegt; Beleidigungen ernfterer Art aber muß der Mann felbft durch das Schwert rächen. Wie der Suam gleichfam von der Natur auf fteten Kampf angewiefen ift, um fein Leben zu friften, auf Kampf mit dem Boden und mit dem Meenfchen, fo wirbt er hier auch fämpfend um fein Weib, wern ihm die Mittel fehlen, ven vorgefchriebenen Brautpreis zu bezahlen. Denn hier, wie in den meiften Laͤndern des Kaufafus, kann der Bräutis gam die Braut nicht eher heimführen bis er den Eltern einen nicht unbeveutenden Kaufpreis dafür entrichtet hat. In Suanethi bezahlt man für eine Frau durchſchnittlich 60 Kühe, ein Preis, welcher außerordentlich erfcheinen muß in diefem Lande, wo die Viehzucht durch Flimatifche und örtliche Verhaͤltnifſe fo fehr beſchraͤnkt iſt. Daher gehört Weis berraub bier zu den gefährlichften Erſcheinungen und da nach altherfömmlichen Brauche die Familie, ver eine Toch- ter gewaltfam entführt if, fich für dieſen Schimpf rächen muß, fo tödten ich oft um eine einzige Frau ganze Ge⸗ nerationen Durch die Blutrache.

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Kur in feinem eigenen Haufe kann der Suane ſich vor der Rache des Feindes fichern, daher gleicht jebes Haus hier einer Feſtung und ift gewöhnlich mit 5 -— 6 Stock hoben Thürmen-verfehen. Dieſe Thürme haben nur Eingänge aus dem Innern der Häufer felbft, etwa nad) Art der Wohnungen der alten Grenzſchotten, wie fih denn überhaupt zwifchen dieſem Volke und den Suanen eine Menge ſchlagender Aehnlichkeiten auffinden laſſen. In einem einzigen ſolcher Häuſer wohnen oft 30-40 ſtreit⸗ bare Männer beifammen, theild weil Berwandtfchaft oder gemeinfame Suterefien fie verbinden, befonvers aber wohl weil bei der Befchränftheit ver Mittel nicht Jedem ver- gönnt ift, fi) ein eigenes Haus zu bauen. Oft befinden ſich einzelne Häufer Tage lang im Blodade » Zuftande und man feuert aufeinander, fo lange der Pulvervorrath bauert. .

‚Gelingt e8 die Kämpfenden zu verfühnen, fo beftimmen die erwählten Schiepsrichter den Blutpreis; es ereignet fich aber nicht felten, daß der, welcher das Blutgeld em- pfängt, bei irgend einer günftigen Gelegenheit feinen Feind tödtet und das Sühnegeld der Yamilie des Getödteten zus rückſendet.

Die Blutrache läßt den Suanen fo auf feiner Huth fein, daß mancher es kaum wagt, Die Grenze feined eige- nen Feldes zu überfchreiten, und während er mit ver Bes arbeitung deſſelben befchäftigt ift, überwacht ihn mit ge⸗ fpanntem Gewehr fein Bruder oder Better.

Diefe, ven Suanen überall umfchwebende Gefahr, Die ihm auf jedem Schritte folgt wie fein eigener Schatten, fo wie Die mannichfachen Schwierigfeiten mit welchen er zu

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fämpfen bat, um nur feine gemeinften 2ebensbenürfnifie zu befriedigen, find eben fo viele Urfacdhen, warum das Bolf nie ju einer böhern Kulturftufe ſich emporſchwingen fonnte und troß feines wiederholten Contaktes mit gebil- detern Rationen, den Armeniern, Römern und Georgiern, von jedem fremden Einfluffe ſich frei erhielt.

Die zerftreuten Rachrichten, welche wir über viefes merfwürdige Bolt bei den Byzantinern und befonders bei Brocop finden, unter deſſen Tzanen zweifelsohne die heutigen Suanen zu verftehen find, flimmen im Weſent⸗ lichen mit unferer Schilderung feiner gegenwärtigen Zu⸗ flände ganz überein.

Lange Zeit hindurch firitten ſich Römer und Perſer um die Herrfchaft von Suanethi; nie aber Fonnte es einer fremden Macht gelingen, hier dauernd feften Fuß. zu faßen. Auch konnte aus der Beſitznahme dieſes ungaftlichen Lan⸗ des den Eroberern kein anderer erheblicher Vortheil er⸗ wachſen als der, die zügelloſen Einwohner von ihren Raubzügen und Plünderungen in den benachbarten Län⸗ . dern abzuhalten. Um auf friedlichem Wege zu dieſem Zwecke zu gelangen, fandte ver römifche Kaifer wie Procop erzählt den Suanen fogar lange Zeit alljährlich einen - freiwilligen Tribut an Gold, wogegen fie fih durch Eide verpflichten mußten, allen Plünverungen, außerhalb ihres Gebietes, zu entjagen. Da aber die Suanen ihren Ber: pflichtungen nicht nachlamen, hörte der Tribut wieder auf und die Römer erzwangen durch Waffengewalt, was fie durch‘ frienliche Mittel nicht erreichen Eonnten. . .

Die prachtvollen Kirchen der Suanen, wovon ſich mehre bis heute trefflich erhalten haben, bezeugen, daß fie

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ehemald Chriften waren. Die Sage fehreibt die Er⸗ bauung diefer Kirchen der großen Königin Thamar zu, und die Suanen behaupten noch bis auf die heutige Stunde im Befige eined Eoftbaren Gürteld und einer Haar⸗ lode der georgifchen Semiramis zu fein, welche, wie wir weiter oben geſehen haben, mit ihrer Herrfchaft auch das Ehriftenthum über die meiften Länder des Kaufafus vers breitete. .

In den. Kirchen befinden fich noch unverfehrt eine Menge goldener und filberner Gefäße, fowie auch viele auf Pergament in der georgifchen Kirchenfprache gefchries bene Manuffripte und Bücher aufbewahrt; ficher ließen ſich hier viele intereffante Entdeckungen machen, wenn ber Zutritt zu diefen SHeiligthümern für den Fremden nicht mit fo großen Schwierigfeiten verfnüpft wäre. Bei der Fortdauer der gegenwärtigen Zuftände des Landes müflen die hier etwa zu findenden Perlen noch lange im Schlamm der Wildniß verborgen bleiben; doch iſt anzunehmen, daß die Pietät des Volks für alle Denkmäler der Vergangenheit, die räthfelhaften Schäße vor Zerftörung bewahren wird.

Das Land hat die Spuren des Chriftenthums er- halten, während im Herzen der Menfchen bier faft nichts davon übrig geblieben. Das Volk verehrt noch einige in den Kirchen aufbewahrte Heiligenbilver und fchreibt ihnen wunderthätige Eigenfchaften zu. Von eigentlichem Got- tesbienft ift Feine Rede; die Kirchen werden nur zumel- len von den Alten. befucht und auch von diefen nur an Gedaͤchtnißtagen oder bei befonders feierlichen Gelegen-

beiten.

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Die Defanofen oder Auffeher der Kirchen, deren Amt erblich ift, ftehen beim Volk in hohem Anfehen. Ihre

Perſon gilt für heilig und unverleglich; felbft vor dem

®

Banne der Blutrache find: fie ‚gefichert: Ihre Funktionen beſchränken fich lediglich auf Bewahrung der Heiligthü—⸗ mer und Vollziehung verfchiedener durch Brauch und Her- fommen geheiligter Geremonien bei Geburten, Heirathen Todesfällen u. f. w. Die bei einer Hochzeit zu beobach⸗ tenden förmlichfeiten beftehen in folgendem Furzen Pro⸗

zeſſe: Der Dekanos nimmt einen Zipfel vom Gewande

des Bräutigamd und fchlingt einen Knoten mit dem rech- ten Yermel des Brautkleides, wobei er die Worte aus⸗ fpricht: „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geiſtes!“ Nach einer Kleinen Pauſe fährt er fort: „Ruhm ſei dem Bater, dem Sohne und dem heiligen Geiſte!“ Darauf wünſcht er dem Brautpaar Glück und Segen und die Geremonie ift zu Ende.

Bielweiberei wird bei den Suanen nicht geduldet; doch kann ſich Jeder nach Belieben von feiner Frau tren- nen und eine neue dafür nehmen, vorausgefeht, daß er für den Unterhalt der Entlafjenen Sorge trägt. Nach dem Tode ded Mannes ift fein Bruder gehalten die Wittwe

zu heirathen. Iſt Feiner vorhanden fo erhält fie ihre Frei⸗

heit wieder.

Wie überhaupt bei diefem Volke Keufchheit im ftreng- ften Sinne des Worted geübt wird, fo gilt e8 dem Manne ſchon zur Schande ſich mit feiner Frau Sffentlich zu zei- gen, in Gegenwart Anderer mit ihr zu fprechen oder neben

ihr zu fiten. . .

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Bei einer Beerdigung fagt der Dekanos blos die Worte: „Ruhm fei dem Bater, dem Sohne und dem hei- ligen Geiſt!“ Die Reichen werden in Särgen begraben, die Armen hingegen in einfachem Todtenhemde in die Grube gefenft. . .

Die ganze Taufceremonie nach der Geburt eines Kin⸗ des befteht im Hermurmeln der oben angeführten Worte . und in- wiederholter Befreuzigung.

Wir haben nicht ermitteln Fönnen ob ed wahr ift, dag wie man im Kaukaſus erzählt die Suanen bei der Geburt einer vierten Tochter dem Kinde Salz in den Mund legen um es flerben zu machen. Ruſſtſche Schriftfteller behaupten man vertilge in Suanethi auch noch auf andere Weiſe den Veberfchuß des Gefchlechtes, damit die Weiber, welche weder zum Kriege noch zu har ter Arbeit gefchidt erachtet werden, den Männern nicht zur Laſt fallen.

Wir find umfoweniger geneigt diefer Behauptung Glauben beizumeflen da, wie fchon oben bemerkt, es jedem Suanen frei fleht feine Töchter oder Schweftern, fobald er nicht im Stande ift, fie zu ernähren, ald Sflavinnen zu verlaufen. . .

Ihre Gelübde und Eide legen die Suanen gewöhn- lich in Gegenwart des Dekanos vor einem Heiligenbilde ab, welchen fle eine Flintenkugel zumerfen, indem fie mit lauter Stimme die Worte fprechen: „Und breche ich die- fen Eid, fo toͤdte mich dieſe Kugel!” Der Defanos hebt die Kugel auf und fchleudert fie gegen den der geſchwo⸗ ren. Da das Bolf in höhem Grave abergläubiich ift, jo wird ein ſolcher Eidſchwur nur felten gebrochen.

6*

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Die Suanen glauben an Träume und Prophes zelungen; daher ftehen Wahrfager und Traumdenter bet ihnen in großem Anfehen. Bevor fie etwas Wichtiges unternehmen, fuchen fie immer erft nach einem Borzeichen als .Bürgfchaft für das Gelingen ihres ‘Planes. Gehen z. B. Mehrere zufammen auf Raub aus, fo verfucht erft jever Einzelne fein Glück mit einem Schuffe auf einen Vogel im Fluge. Verfeblt er fein Ziel, fo fehrt er refignirt nach Haufe zurüd, vollfommen überzeugt, daß fein Vorhaben erfolgloß bleiben werde. Uebrigens befigen die Männer eine ftaunenswerthe Gewandtheit im Gebrauche ver Waffen.

Auf ihren Märfchen um weder Regen, Schnee noch Gewitter herbeizuloden fprechen fie untereinander wicht. Einzeln und in einiger Entfernung von einander gehend, nach Art der nordamerifanifchen Wilden, ſum⸗ men fie heilige Liever vor fich hin, aber fo leife, bas Einer den Andern nicht hören Tann.

Die Suanen haben dunfle Begriffe von einer See- (lenwanderung. Bor einigen Jahren erkrankte ein Suane in Kutaid und ftarb im dortigen Hospitale. Bald darauf erfchienen feine Verwandten und baten um den Leichnam des VBerblichenen; ihrer Bitte konnte jedoch fein Gehör gegeben werben, da die Beerdigung der Leiche fchon ſtatt⸗ gefunden hatte.

Unter Iautem Wehflagen begab fih die Gefellfchaft nun zu dem Orte, wo der Landsmann geftorben war. : Bier, auf den Knien liegend und Trauerſprüche vor ſich hinmurmelnd, beweinten fie den Todten; gingen dann auf den Kirchhof hinaus zu feinem Grabe, gofien eine Flaſche Branntwein auf die Stelle, wo fein Haupt lag,

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wühlten vdafelbft ein Loch in die Erde und festen einen febendigen Hahn darauf. Nach einer Weile banden fie etwas von ber aufgeworfenen Erde in ein Tuch und fehrten fo mit dem Hahne nach Haufe zurüd,; indem fie fich auf der Tfchengjir*) zu einer Art Todtenklage begleiteten. Ihrer Meinung nach war die Seele des BVerftorbe- nen in den Hahn übergegangen; fie beeilten fich daher diefen der Mutter des Todten zu überbringen, um mit ihr die Todtenflage von Neuem zu beginnen. . . Ä Die Suanen find zum größten Theil blond und tragen ihr bis zum Naden herabwallendes Haar gleichmäßig ge- fchoren. Blaue Augen findet man häufig, wie bei Männern, fo bei Frauen. Ihre Kleidung gleicht. fehr der imerifchen. Ihre Sprache weicht unter allen kartwel'ſchen Dia- leften am meiften von der georgifchen Schriftfprache ab. Wir laſſen, um ein Kleines Beifpiel davon zu geben, das Baterunfer in fuanifcher Sprache folgen, müffen aber vorher bemerken, daß mit lateinifchen Buchftaben die ei- genthümlichen Gurgel» und Zifchlaute diefed Volks nur Schwach und unvollfommen angedeutet werden konnten. Muh gwilige, chedachari detzdshi, kzilian lesses jale isku, ankes linust isku, lesses nab isku chemalal detzdshi amdshi, igimdshi, diar nischk6 kunem muzre, lano na ladi i lansarvin na nischk6 ganar, chema na i schka lochsarvinised nischk6 mogdanas; noma anpuschd& na lakdeniteliska i laneschd na ka largas cholamchenkasch. Amdshi le isku lipust i kamscha i didab muss gesals i kzilian kwinns. Amin!

®

*) Gin einfaches Saiteninftrument.

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Das Volk der Mispfheghi oder

Die Kiftenflämme.

Beftimmt wird der Begriff von Land und Volk, es mag fi zufammenhalten, oder verfchiedene Oberherrfchaft erfennen, wenn man zu diefer Nation alle die Diftrikte rechnet, die fih in Anfehen, Verfaſſung und Sitten, und befonders in ber Sprache gleihen. Die leßtere wirb zwar in ver⸗ fihiedenen , art abweichenden Mundarten geredet, Doch Fann man bei allen eine gemein⸗ [haftlide Grundſprache nicht verfennen, Güldenftädt, Beſchr. d. Fauf. Länder, p. 148.

Zu dem oben. bezeichneten Volke rechnen wir:

Die Inguſchen.

Die Nasraner.

Die Galati.

Die Karabulafen.

Die Tſchetſchén oder Tſchetſchenzen, welche in die Bewohner der großen und der kleinen Tſchetſchnja zerfallen.

Die Kiſty.

Die Galgai.

Die Zori.

Die Acho.

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Die Schubufy oder Schatoi.

Die Dſhano⸗Butri.

Die Scharo oder Kialal.

Die Katſchilik oder die eigentlichen Mis⸗ dfheghi. |

Hierzu gehören noch eine Menge Fleinerer, felbft im Kaufafus kaum dem Namen nad) befannter Stämme. Die wenigſtens in zwanzig mehr oder minder abweichen- den Dialeften geredete Sprache der Kiften zeigt, nach den von verſchiedenen Gelehrten angeftellten Wörterfamm- lungen, nicht die entferntefte Verwandtſchaft mit ir- . gend einer andern ber vielen Sprachen des Kaukaſus. Eine Schriftfprache haben die Kiften nicht; wie die meiften von ihnen denn überhaupt noch in einer beflagendwerthen Rohheit und Unwiſſenheit leben.

Der größte Theil des Volks befonders die Be- wohner der Tſchetſchnija; befennt fih zum Islam ; während bei den Ingufchen und ihren Rachbarftämmen noch Spuren der chriftlichen Religion zu finden find, welche, wie die zerftreuten, theilweife gut erhaltenen Ruinen alter Kirchen, fowie eine Menge heiliger Geräthfchaften u. f. w. beurfunden, einft hier einheimijch geweſen ift. Doch war der Einfluß der verfchiedenen Völker, welche die Kiften zu wiederholten Malen unterwarfen, nicht ftarf und dauernd genug, um den alten Götzendienſt gänzlich auszurotten. Am längften und häufigften ftand das Land abwechſelnd unter georgifcher und Fabardifcher Herrfchaft; von den Georgiern wurde das Chriftenthum, von den Kabarden die Lehre der funnitifchen Sekte ver Moslim eingeführt. Sobald fih die Kiften von ihren Zwingherren befreit

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fahen, machten fie fich auch von dem ihnen aufgebrunge- nen Ölauben wieder los und opferten von- Neuem auf den Altären ihrer alten Gößen.

Die Iingufchen und ihre Nachbarftämme.

Als ein merkwürdiges Beiſpiel, wie ftarr dieſe Völf- chen an ihrem alten heidniſchen Glauben hängen ,. ver: dient die Thatfache angeführt zu werben, daß bie In- guichen, als fie fich im Jahre 1810 dem ruffifchen Scepter unterwarfen, den Eid der Treue bei ihrem Göten Gal- jerd fchwuren, und in dem bei diefer Gelegenheit ab> gefchloffenen Vertrage die ausprüdliche Beſtimmung ftell- ten, nach wie vor ihren herfümmlichen heidnifchen Bräuchen folgen zu dürfen. Seit 1820 ift e8 dem Eifer der ruſſi⸗ ſchen Miffionatre und befonders den pefuniären Opfern der Regierung gelungen, einen Theil der Ingufchen zur griechifchen Kirche zu befehren; doch ift die Bekehrungs⸗ fucht der frommen Väter merklich lauer geworben, feit fih unzweifelhaft herausgeftelt hat, daß die Ingufchen bei der heiligen Taufe weniger das Chriftenthum im Auge hatten, als die zeitlichen Vortheile, welche mit ver Ans . nahme deffelben verfnüpft waren.

Ueberhaupt haben die ruffifchen Befehrungsverfuche im Kaufafus häufig zu den feltfamften Borfällen Anlaß gegeben. Die Regierung wandte früher alljährlich große Summen auf, zur Belohnung derer, die da gläubig wur⸗ den und fich taufen ließen. Jeder, der zur griechiichen Kirche übertrat, befam außer einem Taufichein wels

cher ihm in den faufaftfchen Provinzen zugleich ald Ems -

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pfehlung und Geleitfchein diente einen. Silberrubel und ein neued Hemde zur Belohnung für den frommen Entſchluß. So gefchah es denn, daß allein bei dem in- tereffanten Bölklein der Dffeten in wenigen Jahren dreimal mehr Silberrubel und Hemden ausgegeben wur: den, ald die Statiftif Einwohner angiebt. Nimmt man nun durchfchnittlich die Hälfte des Volks ald befehrt au, fo ftellt fi) heraus, daß jeglicher Taufcandidat ſechs Mal dad heilige Saframent durchgemacht. Zu jener Zeit bes rechnete man die Frömmigkeit der Bewohner Oſſethi's nach Hemden.

Wir fönnten noch viele, nicht weniger ſchlagende Deifpiele ähnlicher Art anführen, wenn Died eine nicht vollfommen genügte, den Geift anzudenten, welcher dieſe Völklein bei ihren fogenannten chriftlichen Religions- übungen leitet. Ä

Wie gefagt, im Aeußern befennen fich die Inguſchen befonderd feit fie unter ruffifcher Oberherrichaft ſte⸗ ben zum Chriſtenthume, während fie insgeheim ver Verehrung ihrer alten Götzen unwandelbar treu bleiben. Außer Galjerd haben fie noch ein höheres Weſen, in ihrer Sprache Dailg genannt. Dem Dails zu Ehren werden alljährlich zwei große Faften gehalten, eines im Frühjahr und das andere im Herbft. Das Ende. diefer Faften wird nicht durch einen feftftehenden Zeitpunft be- fimmt, fondern hängt lediglich von der Entfcheivung des Zufalls ab. Der Opferpriefter tödtet mit eigner Hand ein. Schaf, und nad) dem Befunde der Eingeweide er- laubt oder verfagt er das Fleiſcheſſen.

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Die Priefter fliehen bei den Ingufchen in großem Anfehen, worauf fchon die Benennung, welche diefe ihnen geben: Zani-8tag, d. 1. der heilige Mann (ein forrums pirtes georgiſches Wort) hinveutet. Sie find zugleich Wahrfager. und Traumdeuter und üben dadurch einen wichtigen Einfluß auf das abergläubifche Volf aus, wel⸗ ches gleich den Suanen nichts von Belang unternimmt, wenn feine Auguren es nidyt durch Verheißung eines glüdlichen Erfolgs dazu ermuthigen.

Wie befanntlich bei allen chriftlichen Voͤlkern viele der fchönften. Gebräuche aus den Zeiten des Heidenthums datiren, fo flammen umgekehrt bei den heidnifchen In- gufchen und andern Kiftenftämmen viele heilig gehaltene Bräuche aus der Zeit, wo das Chriftenthum bier einhei- mifch war. Ste feiern den Sonntag und mehre Felttage _ der griechifchen Kirche, rufen die Namen chriftlicher Hei⸗ ligen im Gebete an, beobachten verſchiedene dem Ehriften- thume entlehnte Ceremonien u. drgl., ohne einen andern Grund anführen zu fönnen, ald daß es von Alters her bei ihnen fo Sitte gewefen.

Uebrigend gehören ihre Religiondbegriffe zu den dürfe tigften und mangelhafteften, und ‚tragen Zeugniß, daß die finnlichen, bandgreiflichen Lehren und Verheißungen Mohammeds ihnen mehr zufagten, ald die geiftigen des Chriſtenthums.

Sie glauben an Gott, an ein zukünftiges Leben im Paradieſe oder in der Hoͤlle, und an die Heiligen, welche auch bei ihnen chriſtliche Namen tragen. Ferner gelten ihnen gewiſſe Orte für heilig; ſie glauben, daß die Gu⸗ ten in jener Welt alle zu einer Familie ſich vereinigen,

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in fhönen Bärten fpazteren gehen, herrliche Speifen in Fülle genießen und. der Bielmeiberei pflegen werben mit ewig jungfräulichen Mäpchen, deren Schönheit mehr over minder groß ift nad) Maßgabe des Berbienftes derer, die fich ihrer erfreuen. Ste glauben ferner, daß der im . Kampf Erfchlagene feinem Feinde gegenüber in's Para⸗ died eintreten, und daß fein Feind gehalten fein werde, ihm zu dienen; daß endlich der Erfchlagene des benei⸗ denswerthen Vorrechtes theilhaftig werde, ſich nach Be⸗ lieben einen feiner Verwandten als Gefährten im Para⸗ diefe zu erfüren. Darum beflagen auch die Verwandten den Erfchlagenen nicht, fondern preifen fein 2008 glüd- fich und gehen felbft mit freubiger Erwartung ver Herr: lichkeit ded Paradieſes entgegen.

Bon der Erfchaffung der Welt haben dieſe Berg: völfer feinen Begriff; doch Tennen fie die Ramen der ers fien Deenfchen, Adam und Ame (Eva).

Die Tichetichen oder Tichetfchenzen.

Wie wir die Ingufchen gleichfam als Mittelpunft . der heidnifch-chriftlichen Stämme der Misdſheghi aufge- faßt und in ihre Schilderung ſummariſch Alles verpfloch- ten haben, was und von den Eigenthümlichkeiten biefer Stämme befonverer Beachtung werth fchien, fo Früpfen wir in demfelben Sinne unfere Betrachtung der islami⸗ tifchen Kiſtenſtämme an den mächtigften und hervorra- gendften von allen: das Volk der Tichetichenzen.

So unwefentlich im Allgemeinen die Berfchiedenheiten

deinen mögen, welche fich bei einem Bergleiche ber

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Moslim Fiftifchen Stammes mit ihren chriftlichen Brüs dern herausftellen, fo bedeutend ift in politifcher Bezie⸗ bung die Scheivewand, welche der Glaube zwifchen Bei- den zieht. Während die Ingufchen und ihre Nachbar: ftämme, welche fich mehr oder weniger zur chriftlichen Religion hinneigen, auch dadurch dem ruffifchen Einfluffe zugänglicher geworden und nach und nad) fämmtlich dem Slaven- und Sflaventhum verfallen find, dient den Tſchet⸗ fehenzen und ihren Glaubensbrüvern die Lehre Moham- med's als heiliged Unterpfand unauslöfchbaren Hafles gegen die Ruffen. Daher ift auch das Bild ver bereits unter moskowitiſchem Scepter ftehenden Völferfchaften nur von untergeorpnetem Intereffe, ba die charafteriftifchen Züge bveflelben einer nad} dem andern verwifcht werben mußten, indem mit dem Verluſt der Unabhängigkeit eines Volkes auch unaudbleibbar feine Eigenthümlichkeiten ver- loren gehen. Diejenigen aber, welche, wie die Tſchet⸗ ſchenzen, fich bisher männlich gegen die ruffifche Ueber- gewalt zu wahren gewußt haben, verdienen unfere Be⸗ achtung im höheren Grave, da fich bet ihnen Alles wie wir im Verlaufe dieſes Buches zeigen werden zu neuem Leben und zu neuer Größe geftaltet ... .

Das Land der Ticherfchenzen im N. durch ven Terek, im ©. durch das lesghifche Gebirge, im D. durch das kumykiſche Gebiet und einen Theil des lesghiſchen Gebirged und im W. durch die Fleine Kabardah begrenzt wird von der Sundfha in zwei- Theile gefonvert, ge: nannt die große und Feine Tfchetfchnia.

Durch die Aufnahme des Argun, des Arai, der Alfa und vieler anderer Gebirgswaffer, wird die Sund⸗

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fha fo tief und reißend, daß fie, befonders in ihrem un- tern Theile, nur auf Brüden und Fährten den Ueber⸗ gang geftattet, während die übrigen Flüſſe der Tſchet⸗ ſchnja auf Furten zu Pferde, oft fogar zu Fuß durch⸗ watet werben koͤnnen. | |

Diefer Waſſerreichthum ift eine Haupturfache ver üppigen Begetation und des gefunden Klima’s, wodurch fich die Tfchetfchnja beſonders auszeichnet." Obgleich fich die Ausläufer der großen kaukaſiſchen Gebirgsfette bis in den nördlichen Theil des Landes verlieren, und außer- dem. noch zwei Gebirgsarme faft parallel von O. nach W. daffelbe vurchftreichen, fo tft die Tfchetfchnia Doch größtentheils flach und felbft die gebirgigen Theile find leicht zugänglich.

Die vielen Landwege, welche dad Land nach allen Richtungen durchichneiven, find verhältnismäßig leicht zu paffiren und geftatten fogar den Gebrauch von Yuhr- werfen.

Die Fruchtbarkeit des Bodens ift fo groß, daß dad Geſtrüpp überall wuchernd um fich greift und an vielen Orten gleihfam undurchdringliche, zu Berfteden und Hinterhalten vorzüglich geeignete Mauern «bilde. Man findet bier im Ueberfluß Wild aller Art; befonders häu⸗ fig find: Hirfche, Rehe, Hafen, NRebhühner, Fafanen u. f. w., fowie in den gebirgigen Theilen: Wölfe, Bä- ren, Schakale, Füchfe u. f. w.

In den Thälern und auf den Hochebenen des Lan- des gebeihen in vorzüglicher Güte alle Getreivegattungen. Der Weinftod findet fih hier in ungewöhnlicher Größe und Dide; der Mais erreicht eine folche Höhe, daß ein

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Reiter zu Pferde ſich darin verbergen kann; ebenfo wächft das Gras überall in üppiger Fülle, weswegen auch die Viehzucht eine Haupterwerböquelle der Einwohner ift. Außerdem wird der Aderbau emfig betrieben, jo weit. Died überhaupt vie bier uoch herrfchenden Uranfänge der Kultur, ſo wie die ungünſtigen, kriegverwickelten Zuſtaͤnde des Landes geſtatten.

Die Bevolkerung der Tſchetſchnja beläuft ſich nach ruffifchen Statiftifen auf etwa 25000 (männliche) Seelen.

Die Tichetfchenzen wohnen in Aoulen*), deren manche von fehr großem Umfange find. Ihre Wohnungen befte- hen aus Sakli's, theild aus Erde aufgeworfen, theils aus Zweigen geflochten und mit Lehm .beftrichen, theils auch aus behauenem Holz oder Stein gebaut.

Ihre Nahrung wie die der meiften. Faufaftfchen Gebirgsvölker befteht größtentheild aus Hirfe, gekoch⸗ tem Maid und andern gewöhnlich, breiartig zubereiteten Getreidegattungen, nebft Hammelfleifch, Schaffäfe u. f. w. Sie trinken feinen Wein, find aber große Verehrer des Branntweins.

Die Tichetichenzen befennen fich zur funnitifchen Sefte ; ein großer Theil von ihnen tft jedoch bereitd dem modi⸗ ficirten Sufismus Schamyl's zugethan.

Sie werden durch Starſchini's regiert“), welche fie ſelbſt in jedem Dorfe aus ihrer Mitte wählen.

=) Befeſtigte Dörfer. Gewöhnlich findet man das Wort bei deutfchen Reifenden Aul gefchrieben. Die Bergvölfer fprechen ee aus A—ul, da fi der Doppellant au in ihrer Sprache nicht findet. ae) Aeltefte, Vorſteher.

B

Die Männer zeichnen ſich aus durch ſchlanken Wuchs, edle Haltung und Gewandtheit ded Körpers. Ihre Klei- bung ift die befannte tſcherkeſſiſche.

Die natürliche Anmuth der Frauen wird durch ihre maleriſchen, bunten Gewänder noch bedeutend erhöht. Sie tragen gelbe Babufchen*), weite rothſeidene Pantalons, einen kurzen, oben enganliegenden, die feine Taille genau zeichnenden Rod und darunter ein ſeidenes Hemd. Die Aermeln werden von zierlich gearbeiteten, filbernen Span- gen gehalten. Die Haare umflattern in üppigen Flechten den Naden; das Geſicht iſt gewöhnlich unverhüllt; ven Kopf ſchmückt ein großes, nach hinten fallendes Tuch, Die. Weiber wie dide Männer find etwas fehr Seltenes in diefem Lande.

Wie fchon oben bemerkt, find Aderbau und Viehzucht - die Haupterwerböquelle der Einwohner. Nebenbei verferti- gen fie Waffen, Tücher und Burfen.

Seit Jahrhunderten fteht Rußland auf Kriegesfuße mit den Tfchetfehenzen, hat aber das Volf nie dauernd unterwerfen können. Es ift zwar in der ruffifchen Ge⸗ fchichte zu wiederholten Malen von einer Eroberung der Tichetfchnija die Rede, doch mußten die Steger ihre er- rungenen Bortheile nie lange zu behaupten.

Wir Iefen unter anderm von einer Empörung der Tfchetfchenzen gegen die Ruffen unter Achmed-EChan, einem Sprößling aus ber ehemals im Lande herrſchenden Familie Turfan.

Am Jahre 1818 gelang es dem berühmten Jermo-

”) Zierlich geformte Pantoffeln.

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Low die freien Tfchetfchenzen dem ruffifchen Scepter zu unterwerfen und die neuerrungene Herrfchaft durch Ans legung ber Forts Grosnaja* und Umachan-Jurt zu befeftigen. | Jedoch in Folge mannichfacher Beprüdungen, welche das Land unter ruffifchem Regiment, befonderd während der Verwaltungszeit des verhaßten General Pullo zu erdulden hatte, fo wie aufgerüttelt durch die Muriden, die begeifterten Apoftel Schamyl's, erzwangen die Tſchet⸗ fhenzen im Jahre 1840 durch Waffengewalt ihre alte Unabhängigfeit wieder und fchloffen fid) dem neuen Pros pheten an, welcher aus der Tſchetſchnja eine Naibſchaft . bildete, unter dem Vorſitze feines in. diefen Blättern mehr- fach erwähnten Unterbefehlshabers Schuaib-Mullah

*) Grosnaja iſt ein ruf. Wort und bedeutet die Graufe, die Furchtbare.

Schamjl's Reiter von Lesghistan.

Lith-Anst Dogdert Frkti"m

‘..

Bas dolk der Bid ober

Die Lesgbierfämme.

„Les Lesghes (Lekzes) habitent les rôgions les plus 6lev6es des monts Cabokh (Caucase) et l’on peut - dire que ces peuples constituent sa force. .

»Ces Lesghes ind6pendants, nommes Doudanis, suivent des usages trös-singuliers dans leurs maria- ges et leurs autres transactions civiles, et se croient issusde Doudan, fils d’Essed, flls de Khazimet. «

Mass’oudi bei D’Ohsson : Des Peuples du Caucase etc. dans le dixiöme siecle, ou Voyage d’Abou-El- Cassim. p. 5.

Es ift eine feltfame Erfcheinung, daß die zerftreuten _ Nachrichten, welche wir bei den arabiichen Geographen ded X. und XI. Jahrhunderts über hie Lesghier finden, _ den heutigen Zuftänden dieſes Volkes noch in den meiften Stüden entfprechen, während die Schilderungen anderer, älterer und nenerer Reifenden und Autoren mehr dazu dienen die, Begriffe des Leferd über die Lesghier zu ver: wirren ald aufzuklären.

Sealiger nennt file: „Omnium mortalium pessima fide et excellenti immanitate. * Olearius dagegen fagt von ihnen fie feien „fanftmüthiger und gefchmeidi- ger als die andern, vielleicht weil fie unter den Ruffifhen Chriften wohnen und täglich mit ihnen umgehen.”

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Man weiß welch ein wirffames Mittel der Umgang mit den Ruflen ift, die Völfer fanftmüthig und ge» ſchmeidig zu machen.

Mer des ehrenfeften Olearii*) Befchreibung der les⸗ ghiſchen Weiber liest, wird darin nicht die entfernteſte Aehnlichkeit mit ven heutigeh Sitten der Frauen dieſes Lans des wieder erfennen.

Güldenſtädt fagt von den Lesghiern: **) „Sie find noch mehr als die übrigen Kaufafer, roh, unbändig, räuberiſch“ u. f. w. In demfelden Sinne drüdt fi Eichwald über fie aus, fo wie alle diejenigen Reifenven, welche das Volt vom rufftfchen Standpunkte aus beurtheilen und ihm feine Freibeitöliebe und feinen Haß gegen das Zarenthbum zur Sünde anrechnen.

Die Leöghier find eben, was die bewegten, jede höhere Entwidelung ftörenden Berhältnifie, in welchen fte feit Jahrhunderten leben, aus ihnen gemacht haben: ein Fries geriſches, freiheitliebendes, Fräftiges Volk, nicht mehr und nicht minder tugend⸗ und lafterhaft als die andern freien Gebirgsvölfer des Kaufafus, die edlen Stämme der Adi⸗ gh6 etwa ausgenommen, welche allen Uebrigen in ritter⸗ licher Tugend voranftehen.

Das Land, welches die in zahllofe Stämme gefon- derten Lesghier bewohnen, begreift den größten Theil des in neuerer Zeit fo berühmt gewordenen Dagheftan und entfpricht im firengften Sinne der Bedeutung dieſes Wors

#2) ©. „des weltberühmten Adami Olearii Berfianijche Reiſebe⸗ fchreibung.« Hamburg, MDCXCVL p. 890. **) Defchreibung der Kauf. Länder. p 156.

»*

tes, welches in turfomanifcher Sprache Gebirgsland beißt.

Eine mit der Weftfüfte des Kaspimeeres parallel fanfende Reihe hoher Bergfuppen bildet des Dagheftan öftliche Grenze. Diefe Kette hängt zufammen mit einer, Menge anderer Gebirgszüge, welche, ald die nördlichen Ausläufer der großen von RW. nah S.D. ftreichenven Kette, dad Land in allen Richtungen durchichneiven.

Kahle Kelten, von furchtbaren Abgründen und tiefen Schluchten unterbrochen, bieten den Einwohnern wenig Mittel zum Feldbau darz eben jo wenig kann bei dem gänzlichen Mangel an Weiveplägen die Viehzucht gedeihen. Aber wie der nimmerraftende Menfchengeift ſtets nach dem firebt, was zu. erringen ihm am ſchwerſten ift, fo. haben auch die Leöghier durch Kunft und Ausdauer ihrem uns wirthbaren Lande Schäge abzutrogen gewußt, welche es unter fcheinbar undurchdringlichen Selfenfruften und Steis nen verborgen hielt. Befonderer Erwähnung verdienen bier, die durch ihre fo mühſame wie Fünftliche Anlage zur Bewunderung hinreißenden Gärten dieſes Landes.

Sie beftehen nämlich aus ſchmalen, forgfältig mit fteinernen Mauern eingefaßten Zerraffen, und find fo eingerichtet, daß fie durch künſtliche Wafferleitungen aus den nahen Quellen und Bächen leicht bewäflert werben können. Diefe Terraflen werden auf das Sorgfältigfte und Fleißigfte bearbeitet; der Rand verfelben ift mit Frucht bäumen und Weinreben bepflanzt und in der Mitte mit Mais befäet, welcher hier gewöhnlich die Stelle anderer Getreidegattungen vertritt.

Shre Gärten bilden daher den Hauptreichthum der

7 *

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Lesghier, indem fie ihnen Brod, Holz zur Feuerung, fhmadhafte Früchte kurz Alles liefern, was dieſe genügfamen Bergbewohner zu ihrem Lebensunterhalte bedürfen. Man muß wirklich über die Kunftfertigfeit er- ftaunen, mit welcher dieſes ſonſt noch auf einer jo nied- - rigen Stufe der Kultur ftehende Volk die ungaftlichen Helfen feined Landes in blühende Gärten. umzuwandeln gewußt hat.

Von jeher den Verheerungen des Krieges ausgeſetzt, haben die Lesghier ſich in große Dörfer (Aoule) zuſam⸗ mengezogen, welche nicht ſelten mehre tauſend Einwohner zählen. Gewöhnlich find dieſe Dörfer an ſchwer zugäng- lichen Stellen erbaut, welche fchon durch ihre Lage fo gefhügt find, daß fie leicht in Feftungen umgewandelt werden können. Die durchſchnittlich mehre Stockwerke ho> hen, dicht zufammengedrängten, amphitheatraliich gebaus ten Häufer find häufig noch mit fteinernen Mauern und Thürmen umgeben.

Bertheidigt durch feine Friegerifchen Bewohner, deren wilder Muth und Gefchidlichfeit in der Führung der Waffen befannt ift, bildet gleichfam jedes einzelne Haus eine Feſtung; jeder Fußbreit Erde muß fo von den Ruf- fen mit Blut und Leichen erfauft werben.

Wir halten die Hauptmafle der Lesghier gleich den Adighe, Georgiern u. f. w. für Urbemohner des Kanfafus, welche, jo weit die über fie vorhandenen zer- freuten mangelhaften Nachrichten hinaufreichen, mit wer nigen Abweichungen immer unter denfelben Berhältnifien gelebt haben, wie wir fie heute noch finden. Abwechfelnd mit ven Eriegerifchen Tfchetichenzen waren ſie bis auf die

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neuefte Zeit das herrſchende Volk in den füdlichen Thei« len des Kaufafus. Obgleich häufig den Verheerungen des Krieges audgefegt und dauernd unter der Herrichaft fremder Eroberer (und befonders ver Berfer) ftehenn, hielten fie fich doch zu allen Zeiten rein vor der Ders . mifchung mit Fremden. und blieben unmwandelbar ihrer Sprache und ihren Sitten treu*). Sobald fich eine gün- ftige Gelegenheit dazu darbot, fchüttelten fie das verhaßte, ihnen von einem mächtigern Rachbarftaate aufgenrungene Joch wieder von fich, wozu die im Hochgebirge wohnen- den Stämme, welche ver Unzugänglichfeit ihres Landes wegen von aller Frembherrfchaft frei blieben,“ gewöhnlich die Beranlaffung gaben. Daß fie trogdem ihre Unabhängig- feit nie auf die Dauer zu behaupten wußten, und nach furzer Raft immer auf's nene die Beute fremder Eroberer wurden, hat feinen Grund hauptfächlich in ver feit Jahr- taufenden beftehenvden Zerfplitterung des Volks in zahl- loſe Fleine Stämme, welche felbft in beftindigem Hader untereinander lebend, fo wie auch durch die wilde Natur des Landes getrennt, jede dauernde Verfchmelzung zu einem großen Ganzen unmöglich machten, bis e8 endlich in den legten Jahren dem überlegenen Geifte und ber fräftigen Hand Schamyl's gelang, aus den zerftreuten Gliedern der Lesghierſtämme eine Völkerkette zu ſchmie-

9) Fremde Einwanderer, welche von außen gebrängt, Schuß in den an und für fich wenig zur Anſiedlung einladenden Gebirgen Lesghiſtan's ſuchten (wie z. B. die Kubatſchi, von welchen fpäter ausführlicher die Rede fein wird) vermiſchten ſich nicht mit den De: wohnern des Landes, fondern bildeten immer von biefen ſtreng ge: trennte Eolonien.

102 den, welche jept das gewaltigfte Bollwert det Macht des neuen Propheten bildet.

Durch dieſe fo lange herrfchende Zerfplitterung der Lesghier mußten nothwendig auch viele und beveutende Abweichungen in der urfprünglich gemeinfamen Sprache erzeugt werben ; daher jene zahllofe Menge verfchiedener . Dialekte, welche man bei den Stämmen Lesghiſtan's findet, und welche fich oft fo wenig untereinander ähn⸗ lich fehen, daß man große Mühe bat, fie als Töchter Einer Mutter wiederzuerfennen. Man unterfcheivet ſechs Hauptdialefte nach den verhältnigmäßig größeren Gebies ten, über welche fich dieſelben erftreden; Diele find: 1. der Dialeft von Awarien; 2. der von Dido; 3, der von Kaputſch; 4. der von Andi; 5. der von Akuſcha; und 6. der von Kaſikumyk.

Da die Leöghier Feine Schriftfprache haben und es demnach; ebenfo wie in Folge der Außerft fchivierigen Ausfprache, dem Fremden faft unmöglich iſt, fich die ver⸗ ſchiedenen Dialekte anzueignen, fo muß man, um fid überall verftändlich- machen zu Eönnen, entweder Tatarifch oder Arabifch fprechen, welche Sprachen bier zu Lande von den Häuptlingen, Prieſtern, Kaſi's u. ſ. f. faft durch⸗ gängig verftanden werden, wie denn das Tatarifche oder Zurfomanifche als Hauptfprache aller Länder des Kaus kaſus zu betrachten tft, die ihr Gebiet noch über Armes nien hinaus bis in das Herz von Perfien ausdehnt. Bon der chriftlichen Religion, welche zu verfchienenen Malen im Dagheftan eingeführt, aber nie recht einheis mifch wurde, find bei den Lesghiern nur wenige Spuren übrig geblieben. Der herrichende Glaube des Landes ift

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heutzutage der von Schamyl in neue Formen gegoffene muhammebanifche. So unterrichtet und theilmeife felbft aufgeflärt die Kaſi's und Mullah's find, welche. in leb⸗ hafterem Verkehr mit dem Imam over feinen Muriden ftehen, fo groß if die Unwiſſenheit und Rohheit ver Priefter derjenigen Stämme, welche durch die Lage ihres Landes, oder fonftige hemmende Umftände dieſem Ber- fehre ferner fiehen, oder ganz davon ausgefchlofien find.

Die Kunde, welche man über foldhe Stämme be figt, wo theils in Folge der Unzugänglichfeit des Landes, theild wegen des Mißtrauend der Bewohner, dem Reis ſenden jeder Zutritt unmöglich ift, kann natürlich ‚nur eine höchſt dürftige fein. Sie gründet fich lediglich auf die unbefriedigenden Nachrichten der Reifenden früherer Jahrhunderte, fowie auf die felten zuverläffigen Erzäh- lungen ruffifcher Gefangener, welche - das Schickſal in jene ungaſtlichen Gebirgsſtriche führte.

Da nichts geeigneter iſt, uns die innern Zuftände eined fremden Volkes lebendig zu veranfchaulichen, als ein der Wirklichkeit entnommened Bild, fo theilen wir bier in kurzem Auszuge ein von Marlinsky nad den Erzählungen eines bei den Lesghiern lange Zeit in ©efangenfchaft geweſenen Dffizierd aufgezeichnetes Bild mit, welches jedenfalls einen tiefern Blick in Die Zuftinde jener roheren, weniger befannten Lesghierftämme gewährt. Der Name ded berühmten Berbannten, welcher feine fchönften Lebensjahre im Kaufafus verlebte und mit Sprache, Sitte und Brauch der Bergvölker genau befannt wär, ift eine genügende Bürgfchaft für die Wahrheit ver Erzählung. |

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Der zur Förderung der Verbreitung des Ehriften- thums und andern Zweden von den Rufen im Kaufa- ſus eingeführte Branntwein. hat unter den Gebirgäbes wohnern nicht allein eine Menge Liebhaber gefunden, fondern man hat im Laufe der Jahre fogar angefangen, das ververbliche Getränk im Dagheftan felbft zu bereiten.

In dem Aoule, welcher dem gefangenen Offizier zum Aufenthalt angewiefen war, hatte fich ein Lesghier fo fehr an den Genuß des Branntweind gewöhnt, daß er, um feinen Hang befriedigen zu fönnen, nach und nad) all feine Waffen und endlich gar fein Theuerſtes: feine Flinte dafür hingegeben. Nichte war ihm übrig geblie- ben, als eine feifte Kuh, welche er fich zulegt ebenfalls entfchloß dem Branntweinverfäufer zu überlaffen, ſolcher⸗ geitalt, daß dieſer die Milch davon -ziehen und dem Eigen⸗ thümer dagegen täglich eine beftimmte Quantität Brannts wein liefern follte.. Eine Zeitlang dauerte das ſo unge- ftört fort; nach ein paar Monaten wurbe jedoch Die Eintracht der Contrahenten durch den dieſes Mal miß⸗ lichen Umftand -geftört, daß vie fragliche Kuh ein Kalb befam, welches zum Zankapfel zwifchen dem Berfäufer und dem Trinfer ded Branntweind wurde. ever der Beiden behauptete, dad Kalb gehöre ihm, und da man ſich nicht darüber verftändigen fonnte, fo wurde befchlofien, die geiftlihe und weltliche Behörde des Ortes in der

Geftalt eines feiften Mullah zum Schiedsrichter zu machen. | Hören wir, wie der Gefangene, welcher Zeuge ber fomifchen Scene war, diefelbe erzählt:

„Ich lag gerade vor der Mofchee, als die Bittfteller fi) dem Hochwürdigen näherten, der an der Schwelle

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faß und fo ſtarr den Mond betrachtete, ald wollte er ihn ganz verfchlingen: es war nämlich Faftenzeit, in welcher der Untergang der Sonne ald Speifefignal betrachtet wird. Beide fingen zu gleicher Zeit zu fprechen an: Der Eine erzählte, daß er feinem Rachbar nur die Milchpro- dufte der Kuh überlafien, aber nicht das Fleiſch; da aber das Kalb Fleiſch vom Fleiſche der Mutter, gehöre es alfo ihm.

Der Andere erwiderte, daß man in der Befisüber- gabe einer Kuh alle ihre Erzeugnifie mit inbegriffen, daß die trächtige Kuh Feine Milch gegeben, das Kalb alfo nur der Erfab des Milchverluftes fei, und enplich, daß fowohl er als der Eigenthümer beim eingegangenen Ber: trage diefen Umftand weder gefannt, noch voraudgejehen, die Geburt des Kalbed nur ein Segen Allah's wäre, den. er unmöglich von fich weifen Eönne!

Der Gegenftand war etwas kritlich. Der Mullah zupfte fich lange am Barte, rüdte feine orafelhafte Müse bald auf's rechte, bald auf's linfe Ohr, doch der Beſcheid faß in feinem Kopfe fo feft, wie ein Gründling im Schlamme.

Allah ekber! Muhammed ressül illa! fagte er endlich; berathen wir und mit dem Koran: in ihm ift niedergefchrieben, Alles was war, iſt, und fein wird.

Amin, Amin! fprachen die Bittfteler hören wir den Koran... . Der Prophet wird und fügen, wen das Kalb gehört.

Der Mullah z0g mit Gravität den Koran hervor, prummte: Allah bismallah! und begann ein Couplet aus dem aufs Gerathewohl aufgefchlagenen Buche abzufingen,

gar - ia, wie feine Zuhörer veritand.

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Habt Ihr es verftanden? fragte er fle endlich, Athem fchöpfend und fich bedeutungsvoll die Stirne reibend.

Die Bittfteller erklärten demüͤthig, daß fle feine Syibe verftanden:

So vernehmt denn, was im Buche des Brophes ten gefchrieben fteht, rief ver Mullah mit lauter Stimme aus: Du, Dshewat-Alissker bift ſchuldig vor Allah, weil du Branntwein brennt, ftatt der von mir nicht verbotes nen Buſa; Du bift noch ſchuldiger, daß Du Deinen Nach⸗ bar für den Tranf der Sünde eine Kuh abgelodt! Und du Amirastan - Kalabalai - Achmed - Ogli, Du bift ein großer Trunfenbold, fo daß Du Deine Flinte vertrunfen und zum Ruhme Allah's keinen Ruſſen mehr tödten fannft!.... Ihr feld Daher Beide nicht werth das Kalb zu bes figen und zur Vermeidung alles Streites befehle ich Euch, ed der Mofchee für arme Reifende zu weihen, und da bier in diefem Augenblide Teine vorhanden, e8 dem Mullah Saadi-Agraim-Kuli-Hadshi zu bringen; Allah min Allah bir!... Der Gott der Taufende tft ein einziger Gott! Amin! Befuchet mich heute um ed mit mir zu koſten; fügte der Mullah freundlicher hinzu.

Beide Bittfteler glotzten einander an, ließen die Ohren hängen und fragten fi im Naden.

Steht denn das Alles wirklich im Koran? fragten Beide ſchon halb überzeugt.

Wort für Wort; antwortete ernft der Mullah ihnen den Koran vor die Augen haltend. Der Engel Gas briel hat ed mit einer Feder aus feinem Fittiche nieders gefchrieben und wer nicht feiner eigenen Handfchrift Glaus ben fchenkt, der wird nie über die fchneidende Brüde

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El - Sirat eingehen: in's Paradies, fondern tn der Hölle braten, wie Euer ftreitiged Kalb!

Alleiſe und allgütig! fagten mit einem Seufzer bie Bittfteller, denen dad Kalb wie ein Sperling davon geflogen. Sie gingen nad Haufe und tröfteten fih das. mit, daß ein Engel von ihnen gefchrieben und noch Dazu mit einer Feder aus feinem eigenen Flügel.“

2. oo.

Bei den fo fpärlich fließenden Quellen außer Stande ein umfaſſendes Bild ded ganzen Landes und feiner Be- wohner ‚zu geben, befchränfen wir uns bier in furzen Umriffen eine Weberficht derjenigen Leöghierftimme folgen zu laſſen, über welche wir etwas Genaueres haben ermits teln können. Wenn wir es dabei für überflüfftg halten, die in unfern Tagebüchern vermerften Grenzbeftimmuns ‚gen eines jeden Stammes hier anzuführen, fo gefchieht dies vorzüglich deßhalb, weil dieſe Grenzbeſtimmungen eigentlich mehr in der Phantaſie als in der Wirklichkeit exiſtiren; denn wie der treffliche Marlinsky in ſeinen „Kaukaſiſchen Skizzen“ ſehr richtig bemerkt: „es iſt eine falſche Anſicht, daß die Gebirgsvölker für ihre Stämme, beſtimmte Grenzen haben. Niemand weiß wo ſich das Gebiet des Einen endigt und das des Andern beginnt, denn Niemand ſtreitet um die nackten, unfruchtbaren Berg⸗ rücken die den Kaukaſus in allen Richtungen durchſchnei⸗ den. Nur um Steine zwiſchen welchen ein kleiner Erdſtrei⸗ fen bebaut werden kann, oder um eine kleine Grasfläche finden blutige Kriege ftatt.“

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a. Ssalatan zählt”) etwa 6000 Einwohner. Der Hauptort Tfcher- Eey am Fluße Ssulaf gelegen, wurde 1841 vom Ober⸗ general Golowin eingenommen, welcher hier ein ftarfes, fteinernes-Fort mit einem Brüdenfopfe aufführen lied. Im Jahre 1844 wurden die Feftungswerfe noch verftärft und der Aoul faft gänzlich der Erve gleich gemacht.

Nördlich von diefem Fort und gleichfalls am Fluſſe Ssulaf gelegen, welcher die Grenze zwiichen dem Sa» Iataw’fchen und Schamchalfchen Gebiete bildet, befin⸗ det fih noch eine Feine Seftung mit zwei gemauerten Blockhäuſern zur Dedung der Flußpaffage, welche auf zwei fliegenden Brüden bewerfftelligt wird. Hart an den oben- genannten Xänderftrich grenzen:

». Gumbet. ec. Andi

Die Einwohner, etwa 22,000 an der Zahl, find Todfeinde der Ruflen, weßhalb wir über das Innere ihres Sebieted nur unzuverläffige Nachrichten haben.

d. Koißubu. mit 23,000, den Ruſſen ebenfalls feinvlich gefinnten Ein- wohnern. Der Hauptort ift Himri, wo Kafi-Mul- lab und Schamyl”*) geboren wurden und Erfterer aud) feinen Tod fand.

9) Bei der Schäbung der Einwohner find Weiber und Kinder nicht mit inbegriffen, wie denn überhaupt wenn in ruffiichen Sta⸗ tiftifen von Seelen Die Rede ift, nur Männer darunter verflanden werden.

4) Nach Bichwald (Reife I. en war unzukul (Umſſukul) der Geburtsort Kaſi⸗Mullah's.

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Koigubu hat feinen Ramen von dem Fluſſe Koißu, welcher das nach ihm benannte Land durchzieht und an defien Ufern die Feſtungen Himri, Unzuful®, BE. lofany und Juroni liegen, die fich ſeit 1843 fämmt- fi) in den Händen der Derguölfer befinden.

| ©. Das Chanat von Awarien

zählt 25,000 Einwohner. Chunſach, die oft, zerftörte Reſidenz der Chane, mit einer Citadelle, liegt jegt in Trümmern.

Die Amwaren”*) gelten für das tapferfte Volk lesghi⸗ fhen Stammes; ihr Land ift durch die unzugänglichen, hohen Gebirge, welche e8 von allen Seiten umgeben, natürlich gefchügt, während das Innere fruchtbare, von üppigen Wäldern durchfchlungene Ihäler in fich fchließt.

Der Hauptweg nach Awarien führt durch den Eng« pa von Belofany über Maffof und Satanyd, urfprünglich ruffifche, gegenwärtig in der Gewalt der Geinde befindliche Forts. Ein anderer Weg läuft über Gotfatl, ebenfalld ein ruffifches Fort, welches 1843 von Schamyl genommen wurde.

a) Bei Eihwald Umſſukul; bei Güldenflädt Onfetul und Anſokul.

**) Dieſe Awaren hängen in keinerlei Weiſe zuſammen mit dem in der Geſchichte der Voͤlkerwanderung eine ſo große Rolle ſpie⸗ lenden Volke der. Awaren, von welchem ſchon Neſtor der Altvater ruſſiſcher Geſchichte ſagt: „Alle find weggeſtorben und fein Awar iſt übrig geblieben, daher in Rußland noch das Sprüchwort bis auf diefen Tag: „fie find untergegangen wie die Awaren, fein Bets ter, fein Erbe ift mehr von ihnen da.« ©. darüber: Zeuß, die Gers manen und ihre Nachbarftämme. p. 741.

En sinn.

119

!. Das Gebiet von Mechtuli

mit %0,000 Einwohnern, regiert von ver Witwe Ach⸗

med⸗Chan's, Generallteutenant in ruffifchen Dienften, welcher während der Minverjährigfeit des Chand von Awa⸗ rien, der in Peteröburg erzogen wurde, Awarien unter mittelbarem Schuge Rußlands verwaltete.

0 €% Ssärcdhia.

Einwohnerzahl 8000; Lage größtentheils gebirgig. Flüſſe fehlen in dieſem Lande, welches jedoch durch eine Menge Quellen bewäſſert wird. Das etwas kalte Klima begün⸗ ſtigt das Gedeihen des Getreides, wie Waizen, Roggen, Gerſte u. dgl., doch reicht der Ertrag des Ackerbaues nur gerade für die Bedürfniſſe des Landes aus. Bei der hier herrſchenden Holzarmuth wird von den Einwohnern ges trodneter Schafmift (Kiftat) als Brennmaterial gebraucht. An Schafen findet fih hier ein großer Reichthum, wie überhaupt die mit Eifer betriebene Viehzucht eine Haupt- erwerböquelle des Landes ift: Die Regierung tft ähnlich wie in ver Tfchetfchnja; das Ganze wird durch einen Kadi verwaltet; und jeved Dorf wählt aus feiner Mitte einen Borfteher.

5 Die Bundesgenofjenfchaft von Dargo

befteht aus 6 Stämmen, unter welchen Afufcha ven erften Rang einnimmt. Die Zahl der Einwohner beläuft

ſich von 2024000. Der Boden ift fruchtbar; das Klima geſund. Die Haupterzeugniffe des Landes find Mais,

Hirfe, Reis, etwas Wein u. ſ. w., auch findet man Obft- und andere Bäume, jedoch nur in fehr geringer Anzahl.

111

Im Sabre 1818 - wurden Dargo und Seärchia durch General Jermolow den Ruſſen unterworfen, behielten aber ihre eigene Verwaltung unter dem Kadi Mohams med bis 1843, um welche Zeit fie Rußland furdhtbarer als je wieder feindlich gegenüber traten. Die nad vem Tode des General Neidhardt erfolgte neuefte Erftürmung von Dargo unter Fürft Woronzow, it den Lefern noch aus den Zeitungen in frifchem Andenken.

i. Ober⸗ und Iinter Kara: Kaitach.*)

(Raidagh.)

Einwohnerzahl 15,000, theild unterworfen, theils im Aufftande begriffen. Der friedliche Theil des Landes wird unter dem Schuge Rußland von Dſchamow⸗-Beg, Obrifts lieutenant in ruflifchen Dienften und letztem Sprößlinge der dur die Blutrache auögerotteten Familie der Uz⸗ méy regiert. Das Land ift fruchtbar und befonderd reich an durch gigantifchen Baumwuchs ausgezeichneten Wal⸗ dungen.

n. Das nördliche und ſüdliche Zabafleran *) wurde früher von Maißum beherrſcht, deſſen Abkömm⸗ ling Ibrahim-Beg noch jetzt den ſüdlichen Theil des Lan- des verwaltet, der nördliche iſt im Aufftande.

*) A une petite distance, au nord du Derbend, on entre dans la prineipaute de Khaitac, qui relöve du Khacan des Khazares. Celui qui rögne aujourd’hui (332—943) sur ce pays, est musulman ; on le croit arabe et descendant de Cahtar, etc. etc.

Mass’oudi bei D’Ohsson, p. 19.

as) Wir folgen bier der Schreibweife der Charten des ruffls .'

[hen Generalitabs. Bei den arabifchen Geographen des Mittelalters

wird das Wort Tabarßeran ( alu Js ) gefchrieben.

112

Das Land tft Außerft früchtbar; Hauptprodukte find Seide, Baumwolle und Getreide aller Art.

Der fürliche Theil von Tabaflaran zählt 4000 Häus- fer mit etwa 12,000 Einwohnern. Die Einwohnerzahl des nörblichen - Theile haben wir nicht ermitteln Fönnen.

1. Das Chanat von Kaſikumyk oder Kaſikumych

wird ſeit Arslan-Chan's Tode von deſſen Wittwe der Chanin Umi-Hülſum-Biké regiert; doch iſt die Herr- fchaft dieſer FBürftin, welcher man ihren Titel und ein | angemeflenes Einfommen gelafien hat, blos nominell; die eigentliche Verwaltung führt unter ruffifcher Oberherrfchaft Abdur-Rahman-Chan. Das Land hat ein rauhes Klima und eignet ſich weniger zum Aderbau als zur Viehzucht. Die Einwohner ſind fehr gemwerbfleißig; die hier verfertigten Tuche und Waffen*) find berühmt am Kaufafus; außerdem verfertis gen fie in großer Menge die ſchon mehrfach erwähnten Burka's oder Filzmäntel, fo wie Silberarbeiten aller Art. Wie bei mehren leöghifchen Stämmen herrfcht auch hier eine große Holzarmuth; dad gewöhnliche Brennma⸗

*) Schon Caswini erzählt in feiner Geographie von dem Ges ‚werbfleiße der Lesghier: „Les habitants sont propres, bienfaisants, charitables et hospitaliers. Ils exercent commundment la profession d’armuriers, fabriquent des cuirasses, des cottes de mailles et tou- tes sortes d’armes.“ Bei D’Ohsson p. 158.

- Nach der Genauigfeit der Befchreibung des alten Geographen folte man glauben, daß fich diefe Stelle befonders auf die Kaflkus myken beziehe, da auch die vorhergehende Schilderung des Landes dieſer Bermuthung entfpricht: „Il fait, dans ce pays, un froid ex- cessif pendant sept mois de l’annee. Il y croit une espdce de grain nomm6 sult; etc.”

—__

118 terial ift daher mit Stroh gemifchter, getrodneter Schaf: miſt (Kiſiak). Die Wohnungey find faft fammtlich von Stein erbaut. In Kumych,dem Hauptorte des Chanas tes, findet man ein Feldlazareth.

m. Das Kurin’fche Gebiet, -

zählt gegen 150,000 Einwohner und wird von Juffuff Beg unter ruffifcher Oberherrfchaft verwaltet. Viel Adler bau und Viehzucht; auch ift der Gewerbfleiß der Einwoh⸗ ner hervorzuheben. Die Induftrieprodufte find wie die in Kaſikumyk befchriebenen. In dem Hauptorte des Landes, Kurach, befindet fih ein altes Chan-Serat, welches die Ruflen in ein Hospital umgewandelt haben.

Mo Ssamur,

fo benannt nad) dem vom Hochgebirge quillenden Ssa⸗ mur oder Ssamura, iſt bereits in einen ruffifchen Bezirk umgewandelt und fteht direft unter ruffifcher Verwaltung. Das Land lehnt fich ſüdweſtlich an die große Faufaftfche Kette, wird von Ausläufern derſelben in verfchievenen Richtungen durchzogen und eignet fich deßhalb mehr zur Viehzucht ald zum Aderbau. Hauptorte find das Fort Achtinsfoje und der Aoul Rutul.

o. Das Sultanat von Selifini *) verdient, obgleich Klein an Umfang, daß wir einen Augen⸗

bli€ länger dahei verweilen, da fich an dieſes Ländchen

blutige Erinnerungen aus der legten Zeit knüpfen.

*) Ginige leiten den Urfprung diefes Wortes von Ulu-ssu (viel

W aſſer) her 8

a -

| |

114 Jelifſui bildet die öftliche Grenze der Bundesge⸗ noflenfchaft von Df haro und zieht ſich zwifchen vieler und der Provinz S che fi in einem fchmalen Landſtriche nordwärts in's Gebirge von Rutul hinauf. Die Gebiete von Selliffut, Dſharo und Bélokany ſollen früher

zu Kachethi gehört und fich erft fpäter Lodgeriffen und

unabhängige Staaten gebildet haben. Als erfter Herrfcher von Jeliſſui wird ein georgifcher Fürft, aus dem berühm- ten Gefchlechte der Eriftaw, genannt. Kachethi war: nämlich von jeher den räuberifchen Einfällen der benach- barten Lesghierſtaͤmme ausgefeht, und Fürft Eriftaw, wels cher als Statthalter des Fachetifchen Königs zu Kacht,

der Hauptſtadt des Landes herrfchte, fol mit den Les⸗

ghiern gemeinfchaftliche Sache gemacht und zur Belohnung dafür den Strich Landes befommen haben, welches oben als das Gebiet von Seliffui bezeichnet iſt.

Rußland, die Wichtigkeit der Lage dieſes Ländchens erfennend, fcheute Feine Opfer um die Herrfcher deſſelben für fein Intereffe zu gewinnen; auch waren in der That feit langen Jahren die Sultane von Zelifjui treue Vaſal⸗ len des ruffifchen Kaiſers gewefen, und diefer, der gros pen Dienfte eingedenf, welche ihm Jeliſſui als Triegerifcher Grenzſtaat der feindlichen Lesghier geleiftet hatte, fuchte fih auf alle Weife, durch Rang- und Ordensverleihungen, Penftonen u. dgl. erfenntlich dafür zu- erzeigen.

Um fo auffallender mußte es erfcheinen, als der

legte Sultan Daniel, ein funger, ſchöͤner Mann und Generalmajor in ruflifchen Dienften nachdem er einen

Theil des Winters von 1844 in Tiflis zugebracht hatte, wo ihn Schreiber diefes felbft zu wieverholten Malen auf

115

Bällen und in Geſellſchaften gefehen, plöglich im Früh— ſommer deſſelben Jahres die Fahne des Aufruhrs in fei- nem Sande erhob, dem Oberbefehldhaber feine Generals: epauletten, Ehrenzeichen. u. ſ. w. zurüdfchidte und fich offen als Feind der Ruffen erflärte. Ueber die Gründe welche Daniel-Beg zu diefem unerwarteten Gewaltfchritte bewogen, gingen im Kaufafus die verfchiedenartigften Ge- rüchte. Nach dem gewöhnlichen Dafürhalten empörte er fh in Folge wiederholter Kränfungen eines ihm beige gebenen ruſſiſchen Kreischefs.

- Die unter den Befehlen des umfichtigen General Schwarz eiligft herbeigerüdten ruffifchen Truppen fan- den alle Ortichaften des Landes auf das Hartnädigfte befeftigt; es entfpann ſich ein kurzer aber blutiger Kampf, in welchem die Rufjen Steger blieben; Seliffut, der Haupt ort des Landes wurde von dem tapferen Oberft Bel- gard mit Sturm genommen. Der Eroberung folgten von Seiten der Rufen Greuelfecenen, welche die Hand ſich firäubt aufzuzeichnen: fchwangeren Weibern wurde der Bauch aufgefchlist, Kinder wurden auf Bajonette gefpießt, Mädchen wurden auf offener Gafle von den rohen Söld⸗ Iingen gefchändet und nach gebüßter Luft dem Tode ge- opfert. . . .

Sultan Daniel flüchtete in's lesghiſche Gebirge und wurde von Schamyl mit offenen Armen aufgenommen. Seitdem iſt er unter Schamyl's Oberherrfchaft einer der gefürchtetften Anführer der Muriven.

Jeliſſui wurde nach feiner Flucht völlig den ruf ſiſch⸗kaukaſiſchen Provinzen einverleibt. Hart an Jeliſſui

grenzt: 8%

116

p: Das Gebiet von Ofharo oder Der Bezirt Bélokany.

Das unter letterm Namen gegenwärtig den rufftfchen Provinzen einverleibte Land gehört urfprünglich fünf Stäms men oder Gefellfehaften an, welche eine Art freie Buns deögenoffenfchaft bildeten und zu den Eriegerifchiten Bes wohnern des fünlichen Kaufafus gezählt wurden. Wir lafjen hier eine gedraͤngte Ueberficht diefer Stämme folgen:

1) Der Stamm Dfharo befteht aus 20 Aoulen, welche zufammengenommen etwa 1900 Häufer in fich faflen. Die beveutendften dieſer ftarf befeftigten Plätze find: Altabat, Almalo, und Ralalo, Ortfchaften deren jede über 300 Hofe zählt.

‚2 Der Stamm Belofany befteht aus den drei

Aoulen Belofany, Zablowany und Zandris

ſchewi, welche zufammen etwa 800 Häufer in ſich fchließen.

3) Der Stamm Taly zählt ſechs Aoule mit bei- nahe anderthalb taufend Häufern. Die bedeutendften diefer Ortfchaften find: Taly, Kargilu und Mus hanlo.

4) Der Stamm Muchach befteht aus drei Aoulen deren Häuferzahl fich auf 1040 beläuft. Der Haupts ort ift Muchach mit 800 Häufern.

5) Der Stamm Dſſhinich enthält vier Aoule mit etwa 900 Häufern. Hauptort: Dihinich.

Außerdem findet man noch etwa ein Dutzend unab- hängiger Aoule, welche feinem der oben aufgezählten Clans

117 angehören und wovon Mazechi und Katechi die be dentendften find, Beide zählen über 300 Höfe:

Noch während des erften Viertels dieſes Jahrhun⸗ derts gehörten die Stämme von Dfharo und Belofany indgeheim von den Türken und Perſern unterftügt zu den furchtbarften Feinden der Ruffen. Sie ftanden in lebhaften Handelsverkehr mit den Einwohnern ded Pa⸗ ſchaliks Achalzich; ver Bafar von Achalzich war der Markt wohin fie ihre Kriegsgefangenen verhanvelten. Als es je⸗ doch in den lebten zwanziger Jahren den ruffifchen Waf- „fen gelang den türkifchsperfifchen Einfluß zu brechen, fahen fih auch die Stämme von Dfharo gezwungen die ruf- fiche Oberhoheit anzuerfennen und Abgaben zu entrichten. Die Hanpterwerbögquelle der oben genannten Clans ift die Seidenzucht. Wie bedeutend diefe hier feit lange geweſen fein muß, geht aus der Thatfache hervor, daß fech® Aoule, von dem Fürften Zizia now unterworfen und gezwungen Beifeln zu geben, fich freiwillig zu einem jährlichen Tri— but von 250 Bud Seide verpflichteten.

Nach wiederholten Verfuchen ihre alte Unabhängig. feit wieder herzuftellen, wurden alle diefe Stämme von Pasfewitfch im Jahre 1830 unterworfen und völlig den übrigen Faufafifchen Befigungen Rußlands einverleibt. Doc) ift ihre fogenannte Treue und Anhänglichfeit eine blos durch Burcht und nicht durch Liebe erzeugte; es bedarf nur einer günftigen Gelegenheit und einer Stütze von Außen, um das Volf auf's Neue gegen die verhaßte Mos⸗ fowitergewalt in die Schranfen zu rufen.

In gleichem Sinne gehören die benachbarten Pſha— wen, Tufchen und Chewſſuren zu ben frieblichen

118 _

Stämmen des Hochgebirges, welche dem Kaiſer Tribut zahlen, weil ihr friedliches Verhalten dur die Natur ihres Landes bedingt wird. Im Winter nämlidh, wo fie bei der ftrengen Kälte in den ungaftlichen Gebirgen wer der Schutz noch Nahrung finden, ſind ſie gezwungen mit ihren zahlreichen Heerden in die etwa 300 Werſt ent⸗ fernten, von der Jora bewäſſerten Steppen Upadar und Karajoes zu ziehen, wo es ihnen unmoͤglich ſein würde ſich auf die Dauer gegen die Ruſſen zu vertheidigen.

Die Chewſſuren und Pſhawen wohnen im Hoch⸗ gebirge an den. Quellen und Zuflüffen der Aragua; die Tufchen hingegen haben ihren Sitz nach dem Alas fan bin, der zum Theil durch ihr Land fließt.

Die etwa 50 Aoule der Tufchen find auf einem ver- hältnigmäßig fehr Fleinen Slächenraum zufammengedrängt - und werden von den fünf Armen des Alafan bewäflert. Die Aoule der Tufchen, fo wie ebenfalls die der Piha- wen und Chemffuren werden von georgifchen - Aelteften regiert, veren Hauptgejchäft darin befteht, die Abgaben des Volkes (meiftend Himmel u. dgl.) einzufammeln und nach Telaw zu fenben.

Die Tufchen zeichnen ſich vor allen Nachbarftäm- men vortbeilhaft durch ſchoͤnen Wuchs, biederen Sinn und ritterliche Tugenden aus. Ihre Sprache bietet auf- fallender Weife nicht die entferntefte Achnlichfeit mit den Spiomen der umliegenden Clans; wenn man hin und wieder auf ein georgifched oder ruffsfches Wort ftößt, fo findet man immer bei näherer Unterfuchung, daß fich das⸗ felbe erft in neuerer Zeit mit dem dadurch bezeichneten Gegenſtand eingebürgert. . .

119

Außer den genannten giebt ed noch eine Menge mehr oder minder beveutender Leöghierftlämme: bie Dido ober Zunta, die Kaputſcha, die Anzuch, die Anfratl, bie Karad, die Achwach, die Bagulal und viele andere, über deren Land und Sitte im Allgemeinen das» felbe gilt, was wir von den oben gefdhilderten gefagt haben. |

Wir thun hier nur noch des durch feine zweifelhafte Abftammung und die darüber angeftellten Unterfuchungen berühmt gewordenen Stammed der Kubatſchi Erwäh- nung, deſſen Wohnpläge ſich fünlih an der Grenze von Dargo und Kaitach befinden.

Die Einwohner, welche unter den Gebirgsvölfern, befonders wegen ihrer Gefchidlichfeit in der Verfertigung von Scießgewehren und anderen Waffen befannt find, nennen fich felbft Fränfis und behaupten von Europäern abzuftammen. Ihre Sprache hat nicht Die entferntefte Achn- ° lichfeit mit irgend einem anderen Idiom des Kaukaſus, da ſie aber eben fo wenig Analoges mit den ausländifchen Sprachen bietet, fo ift erfter Umftand. noch Fein Beweis für ihre europäifche Abftammung. Man behauptet der Name - Kubatfcht oder Kubitfcht, wie ihn Einige fehreiben, fei forrumpirt von dem Worte Kuwäͤtſchi, welches im der Sprache des Landes Banzerjchmiede*) bevente.

*) S. Eichwald I. 140 41. Die älteften Nachrichten über bie Kubatfchi finden wir bei dem arabifchen Geographen Maflubi. S. Klaproth: Magazin Asiatique p. 285. 3. 1827.

Spätere Quellen find: Lerche, Lebens- und NReifegefchichten, p. 73. Reineggs, Reifen p. 107. Müller, Sammlung. ruffifcher Geſchichten ꝛc.

120

In den FTagebüchern eines verftorbenen Freundes, welcher im Jahre 1844 den Fürften Argutinsfy-Dols gorufy auf feinem Zuge durch den Dagheftan begleitete, - finde ich folgende Stelle in Bezug auf das in Frage ſtehende Völklein:

„Wir ſetzten unſern Marſch am 13. %. in aller Frühe fort und erreichten an vdemfelben Tage noch den Aonl Kubatichi, defien Einwohner bereit8 Tags zuvor Ab⸗ georonete mit Unterwerfungsanträgen und Gefchenfen an den General gefchidt hatten... . .*

„Ich untersuchte die Ruinen einer alten Mofchee, deren * Erbauung über ein Jahrtaufend zurüdverfegt wird; ein Beweis wie früh die Lehre Mohammed's hier einheimifch gewefen. Die Einwohner dieſes Stammed nennen fich Kubatfcht nach dem Namen ihres Aouled, (alfo nicht Kubitſchi oder Kuwätfchi) und es geht unter ihnen bie Sage, daß fie von Deutfchen (Nemtsche) abftammen, welche zu den Zeiten der Kreuzzüge fich hier niederließen. Ste befchäftigen fich lediglich mit der Verfertigung von Waffen; vorzüglich find die gezogenen Büchfen aus ihren Sabrifen, die beiten welche man im Kaufafus findet.“

„Sch hatte leider bei dem kurzen Aufenthalte unferer Truppen in Kubatfchi weder Zeit noch Gelegenheit mich zu überzeugen ob, wie man behauptet, in der Sprache der Einwohner Spuren germanifcher Mundart vorkommen. In ihren Zügen fand ich durchaus Nichts was dieſe Be- hauptung rechtfertigte. Eben jo wenig Fonnte ich in ihnen eine bejondere Aehnlichfeit mit den Griechen, wovon ſie Andere abftammen laffen, entveden. Mir fcheinen die Kubatſchi rein lesghiſchen Urfprungs zu fein. Sie find

121

eifrige Belenner des Islam, dabei aber fehr friebliche Menſchen und ſtehen in gutem Bernehmen mit allen bes nachbarten Stämmen.”

Die Gefammtibevölferung aller Lesghierſtaͤmme lußt ſich approximativ auf 400,000 Seelen anſchlagen, wovon 72,000 als dem ruſſiſchen Scepter unterworfen gelten.

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Die Stämme türkifder Race ober

Die Tataren des Kanklafns.

»Es bat aber ber große Zaar in Mußkau

diefe Völker mit Krieges-Madht ihm unter-

thänig gemadht , die feften Derther mit Ruf:

fen befeget, und läffet die Eyrcafien neben

denfelben in Flecken und Dörfern wohnen... Des Welt-berühmten Adami Olearii

Berf. Reifebefchreibung c. 19. p. 389.

Zu den Stämmen türfifcher Rage rechnen wir, außer den terefmenifchen, kumykiſchen und nagai'ſchen Horven, noch alle Diejenigen Völferfchaften mobammeba- nifchen Glaubens, welche im Kaufafus unter der irrthüm⸗ lihen Benennung Tataren vorfommen. Den damit bes zeichneten Völkern felbft tft diefer Name urfprünglich uns befannt, welcher von den Ruſſen unbeftimmter Weiſe nicht blos den eigentlichen theils ureinfäffigen, theild ein- gewanderten Türfenftämmen, fondern noch vielen andern, damit in Feinerlei Beziehung ftehenven, Faufaftfchen Voͤl⸗ ferichaften mohammedanifchen Glaubens beigelegt wurde. So fommen unter andern die zwifchen dem Kuban und dem Schwarzen Meere haufenden Stämme, die Schapßuch, Adighe, Ubych u. f. f. in den frühern Traftaten zwiſchen Rußland und der Pforte immer unter dem Namen ber Fubanifchen Tataren vor... So viel ald Andeutung über

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den falfchen Gebrauch dieſes Wortes, deffen Anwendung jedoch heutzutage auf die kaukafiſchen Völferfchaften rein türfifhen Urfprungs befehränft ift, welche den befonvern Gegenſtand dieſes Kapitels bilden.

Der Hauptmaffe nach zählen wir diefe Türfenftämme zu den älteften Bewohnern des Kaufafus, welche, obwohl leichter zur Vermifchung mit fremden Einbringlingen ges neigt, als die Georgier, Ledghier und die Tſcherkeſſen der Oftfüfte des Schwarzen Meeres, und häufiger als dieſe ber Gefahr ſolcher Vermiſchung ausgefeht, Doch zum großen Theile noch leicht nach dem Bilde wiederzuerkennen find, welches uns ältere Reifende und Schriftfteller von ihnen entworfen haben. Es find Theile derfelben Voͤlker, welche dei den Byzantinern und Arabern unter dem Geſammt⸗ namen Chafaren vorkommen und ihre Herrichaft einft, wie die georgifche Chronik erzählt, über den ganzen Kau⸗ kaſus ausbehnten. Der Name iſt feit lange aus der Ges ſchichte verſchwunden, aber das Volk, welches im Laufe ber Sahrhunderte feinen Namen oft gemechfelt, ift bis heute "dem Kerne nach daffelbe geblieben, obgleich vie Ueberſchwemmung der zu wieverholten Malen über ven Kaukaſus hereinbrechenden Nomabenhorden, fo wie bie häufigen, bi8 auf die neuefte Zeit dauernden Verheeruns gen und Eroberungen, welchen befonderd die Landſtriche am Kaspifchen Meere ausgefegt waren, nachhaltige Um⸗ wälzungen und Veränderungen in feiner politifchen Ge- faltung erzeugen mußten.

Wie die Wogen jener vier Mal den Kaufafus er- ſchütternden Wölferftröme bald trennend, bald vereinend auf die ureinfäffigen Stämme gewirkt, welche alte

1

Mafien fie davon losgeriſſen und welche neue Maflen fie hineingefhwenmt, wie aus den gewaltfam erzeugten chaotiſchen Zuftänden die einzelnen Völker ſich immer wie- ver felbftändig. fonderten und geftalteten, wie aus ber großen Mafle ein Volk nad dem andern als herrfchendes anftaucht,. und nach kurzer Herrfchaft wieder fpurlös in ber großen Maſſe untergeht, wie im Laufe der Jahrs hunderte neue Bölfernamen kommen und verfehwinden?.. Alles dies find Fragen, welche bis jetzt nur theilweife und mangelhaft gelöft find und wohl nie befriedigend gelöft werben fönnen. Durch die dankenswerthen Beftres bungen eines Frähn, D'Ohſſon, Hammer und ande rer ausgezeichneter Drientaliften ift und mancher neue Aufichluß über das Alterthbum dieſer Völker geworden, aber noch fließen die Quellen zu fpärlich, als daß es möglich wäre, ein gefchichtliched Ganzes daraus zu ger ftalten. Es gleichen. diefe Auffchlüffe einzelnen Fackeln, welche in Die Nacht der Gefchichte des Kaufafus hinein- leuchten, gleichfam nur um zu zeigen, wie dunfel es darin ifl. * * *

Das Doppelband, welches die weitverzweigten tata= rifchen, oder richtiger turfomanifchen Stämme des Kaukaſus zufammenhält, iſt grundgemeinfchaftliche Reli gion und Sprache. .

Die durch die Sekten Ali's und Omar's erzeugte Spaltung des Islam hat zwar auch im Kaufafus, wo ftetd Anhänger beider Parteien einander feinvlich gegen- über ftanden, zu häufigen und blutigen Kämpfen Anlaß gegeben; doch ift diefer alte Hader in leßterer Zeit einer

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anfcheinend dauernden Vereinigung, oder wenigftens Duld⸗ famfeit, beider Sekten gewichen. In den ruffifch-tatarifchen Provinzen war dies ein Ergebniß zarifcher Gewaltmittel, währen bei den Schamyl gehorchenden Völferfchaften die Bereinigung theild durch gemeinfamen Ruflenhaß, theils durch Die zeitgemäßen, eingreifenden Reformen des genias len Murfchiven erzeugt wurde. ..

Die urfprünglich gemeinfchaftliche Sprache diefer Voͤl⸗

fer, die rein türfifche, wird zwar heutzutage (befonvers bei den Nagaiern und Kumpfen) in verfchiedenen, theils ſtark abweichenden Dialeften : geredet, doch Finnen fich alle Stämme untereinander verftehen, und die durch Zeit und Abfonderung erzeugten Unterſchiede laſſen ſich leicht erflä- ten und auf ihre Quelle zurüdführen. Die fogenannten Faufaftfchen Tataren felbft nennen ihre Sprache die mufelmännifche oder türkifche, (mussulmandshe ja türkidshe) und die Achnlichfeit des ftambulfchen Zürfifch und des im Kaufafus herrſchenden turfo=tatarifchen Idioms ift in der That fo groß, daß fich ein dagheftan’fcher oder karabach' ſcher Tatar mit derſelben Leichtigkeit mit einem Türken unterhält, wie ein Nord⸗ deutfcher mit einem Süddeuiſchen. Die Grammatif beider Bölfer ift in der Hauptfache ganz übereinftimmend, fo daß ich mich bei Erlernung der turfostatarifchen Sprache ohne Störung einer türfifchen Orammatif bedienen konnte; wo fich Abweichungen fanden, waren dieſe immer nur eine Folge der höheren Ausbildung und Verfeinerung der türfifchen Sprache.

Wie fehr die Kaufafter dieſe Vorzüge des Idioms ihrer osmaniſchen Stammverwandten anerkennen und

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fchägen, geht aus dem. Umftande hervor, daß ein Tuͤrke oder ein der türfifchen Sprache Fundiger Reifender überall, wo das Zurfg-Tatarifche geſprochen wird, immer bejon- derer Auszeichnung fich zu erfreuen bat. O Padischahin dil danischir! Er redet die Sprache des Padiſchah's! fagt der kaukaſiſche Tatar und blidt mit Staunen und Achtung auf den für hoshgebilbet geltenden Gaft. Die Kadi's, Mullah's, Effendi's, Mirfa’s, über- haupt bie Vornehmern des Volks erhalten insgemein eine Art wiſſenſchaftliche Bildung und ſprechen außer ihrer Mutterſprache zum groͤßten Theile yo Perſtſch und Ara⸗ biſch. Auch- bat die turko⸗ tatariſche Literatur neuerdings in dem beſonders auf hiſtoriſchem Gebiete ausgezeichneten Abbas⸗Kuli-Chan von Baku einen nennenswerthen Vertreter gefunden.

Ueber die große Ausdehnung des Gebietes der turko⸗ tatariſchen Sprache haben wir ſchon früher Gelegenheit gehabt zu ſprechen.

Nach dieſen vorläufigen Notizen gehen wir zu der Schildernng der einzelnen bedeutendern Türfenftämme des Kaukaſus über.

a. Die Kamyken *) und die kumykiſchen Nagai. Das Land, welches dieſe Stämme bewohnen, grenzt weſtl., dem Laufe des Terek nach, an die Tſchetſchnja, nördl. an den kisljar'ſchen Bezirk, öſtl. an das Kaspimeer,

*) Au nord du Serir et à l’ouest du Khaĩdac est le pays mon- tagneux des Goumikss, peuple chrötien qui obeit à des chefs,

. 127

und fühl. an das Gebiet des Schamchgls *) von Tarfi, von welchem es durch den Fluß Ssulaf getrennt wird. Aderbau und Viehzucht” bilden‘ die Haupterwerböquelle der Einwohner, welche zahHofe Rinder- und Schafheerven beiten. Das Land ift größtentheild eben und in Folge ver vielen Flüfle, welche ed durchziehen, außerordentlich fruchtbar. In Bezug auf Begetadion und Produkte gilt bier vaffelbe, was wir von der” Tſchetſchnja gefagt haben. Der Handel befindet ſich wie faft in allen Faufafifchen Ländern in den Händen der Armenier, welche Hier in großer Anzahl zerftreut leben.

Der Hauptort des Landes tft Anderi oder End eri,'

ein umfangreicher Aoul mit dem von den Rufen erbaus ©

ten Sort Wnefapnafa **).

Ehemals einer ber. Stabelpläge des Sklavenhandels, hat Anderi auch jetzt noch einen für dieſe Gegenden nicht unbeventenden Handel init den benachbarten Berguölfern. Die Nähe des Kaspimeeres gibt den Kaufleuten Gelegen- heit, regelmäßig alle ruſſiſchen Ausfuhrprodufte zu erhals ten; fo findet man bier felbft beutfche und franzöftfche Meine, Porter u. f. w. Die Einwohner Ander’s gelten

für fehr gewerbfleißig.

mais n’a pas de roi... D’Ohsson, des Peuples du Caucase dans le X. siecle.

Hiernach zu ſchließen, wäre ber Islam hier weit fpäter eifges führt als in den Nachbarländern.

* Schamchal over Schemchal, Utzméy und Kadi bezeichnen Würden zweiten Ranges in der arabiſchen Hierarchie.

ac) Wneſapnaja heißt im Ruſſiſchen: die Plögli che, Unvers mutbete. |

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Außer dem genannten Orte findet man im Lande ‚ver Kumyken noch eine Menge mehr oder minder bedeus tender Aoule und Peftungen: Amir-Habfhi-Iurt, Taſch-Kitſchu, Koftek, Laſchtſchurinsky, Kam⸗ bufat, fo genannt nad dem Fluſſe, welcher das Fort beſpült, u. ſ. w.

Die Kumyken, im Ganzen genommen den Rufen | ziemlich ergeben, werben von Fürften regiert, welche der. Kaifer durch Verleihung von Rang, Orden und Penfto- nen für fein Intereffe zu gewinnen gewußt hat. Befon- „ders zeichnet ſich die Familie des Fürften Girei in An» dert, fo wie die Muſſah-Haſſein's in Taſch-Kitſchu durch ihre Anhänglichfeit aus. Das Haupt diefer Legtern war Generalmajor in ruſſiſchen Dienften, und übte zu Bunften Rußlands eineti großen Einfluß auf die ben Kumylken benachbarten Stämme aus. Sein Altefter Sohn hat längere Zeit in ber Garde in Petersburg gedient, und fich zite für fein Volk bedeutende europätfche Bil- bung angeeignet, welche er befonder8 dem berühmten Beſtuſhew, ald Schriftfteller unter dem Namen Mars linsky befannt, verdankt. Er fpricht und fchreibt außer einigen orientalifchen Sprachen, mit ©eläufigfeit Ruffifch und Franzöfifch, und hat fein Hauptftreben darauf gerich- tet, den Fanatismus feines Volkes zu mildern und dafs jelßr für abendländifche Eidilifatton zugänglich zu machen, wozu er freilich beffere Lehrmeifter, als die Ruſſen find, hätte wählen follen.

Unter den Kumpyfen zerftreut wohnen mehre taufenb Familien Nagater, Nomaden, welche hier früher in weit größeren Maſſen ihren Sig hatten, wovon aber fchon zu

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Anfang Des vorigen Jahrhunderts viele auswanderten und

fih in anderen Gegenden des Kaukaſus niederließen. Die Gefammtzahl der Kumyken und Ragater beläuft

fich nach ruffifchen Statiftifen auf 20,000 Einwohner.

». Das Gebiet des Schamchal's von Tarkn.

Die Grenzen viefed Landes weldhes vom Scham- Hal Abu-Muffelim-Chan, Generallieutenant in ruf ſiſchen Dienften, regiert wird, find im N. das Land der Kumpfen, im D. das Kadpiiche Meer, im W.: und ©. die Leöghierftämme von Ssalatau, Gumbet, Koißubu, . Dargo, das Chanat von Mechtuli und der Bezirf von Derbend.

Das Land ift größtentheils eben, hat guten Feld bau und vortreffliche Weideplätze, auf welchen früher die Heer⸗ den der benachbarten Bergvölker überwinterten.

Die Reſidenz des Schamchals iſt Tarku, an der Weſtküſte des Kaspimeeres. Es befindet ſich hier eine von den Ruſſen erbaute Feſtung Niſowoje, welche die Zus fuhr des Proviants für den Dagheſtan beſchützt.

Tarku iſt eine umfangreiche, terraſſenförmig am Ab⸗ hange eines hohen Berges gelegene Stadt, deren unan- jehnliche, platte, nach aftatifcher Weife roh aus Stein aufgeworfene Häufer fich bis zum Fuße des Berges ber- unterziehen und faft dad Anjehen haben wie unregelmäj- fig in Feld gehauene Stufen.

Nah Tarfu ift der wichtigfte Punkt im Schamchal⸗ ſchen Gebiete Temir-Chan⸗Schura, eine von den Ruſſen in den Jahren 1832—33 erbaute und 1844 neu⸗ verftärkte Feftung, zugleih Stab8- Quartier des Apſche⸗

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ron'ſchen Infanterieregiments. Man findet bier außer einer Borftadt und Militaircolonie auch ein Hospital, welches gegen 6000 Mann fafien kann. Von den übrigen Ort ſchaften des Landes nennen wir noch: Jangjurt, Tſchir⸗ jurt, Kum=Tarfale, Kaptfchugay, Karabudach— Kent und Buynaf. |

In früheren Zeiten batte das Schamdyalfche Gebiet die Hegemonie über die zahllofen Fürftenthümer und Clans des Dagheſtan; feit dem Anfang des XVO. Jahrhun⸗ derts Scheint jedoch die Macht des Schamchals ſchon im Sinfen gewefen zu fein. Hören wir was uns ber ehren- fefte Olearius in feinem fchon mehrfach erwähnten Reife: werfe über die damals hier herrfchenden Zuftände in er- göglicher Weife erzählt:

„Das Land (Dagheitan) hat unterfchiedliche Fürften, ja faft jegliche Stadt feinen eigenen, unter welchen das Oberhaupt Schemchal, von den Ruffen Schafkal genannt wird, ift gleich als ein König unter ihnen, welcher durch den Apffelmurff erwählt wird. Denn in ver Wahl müffen alle Myrsae oder Fürften in einen Crayß treten, dann wirfft der Priefter einen vergülveten Apffel unter fie, wel- chen er trifft der wird Schemchal. Der Priefter weiß aber wol, wen er treffen foll., Ein folcher Schemchal (oder Lumen) wie e8 in ihrer Sprache heift, hat zwar die Ehre und Anfehen, aber die andern Fürften gehorchen und ges trauen ihm doch nicht gar viel ıc.*

Heutzutage zählt das Gebiet des Schamchald etwa 60,000 Einwohner, welche fih zur Sekte ver Sunnah bekennen.

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ec. Der Diſtrikt von Derbend

rei gegen Norven an das Gebiet des Schamchals, ge⸗ gen Weften an Dargo, gegen Süden an Tabaflaran und wird im Oſten feiner ganzen Länge nad) von dem Kas⸗ piichen Meere befpült.

Die Hauptftadt Derbend, höchft malerifch am Ab⸗ hange eines Berges gelegen, ift ein ziemlich umfangreicher Drt mit unanfehnlichen Häufern und etwa 28,000 Ein- wohnern. Der größte Theil der Bevölkerung befteht aus Tataren fehiitifcher Sekte; doch findet man auch viele Su- den, Armenier und Ruflen. Das ungefunde Klima erzeugt in den Sommermonaten häufig gefährliche Krankheiten.

Für Altertbumsforfcher ift Derbend einer der merf- würbigften Pläge im Kaufafus. Unter den neuern Rei⸗ ſenden hat fich befonders der fchon oft erwähnte rufftfche Staatsrath von Eichwald durch feine genauen Berichte über Derbend, fo wie durch feine reiche Summlung von In- Ihriften fehr verdient gemacht. *)

Bet Derbend beginnt die jegt größtentheild in Trüm⸗ mern liegende berühmte Faufaftfche Mauer, welche einft das Kaspimeerr mit dem Schwarzen Meere verbunden haben fol. Die Alles in das Dunkel des Alterthums zu- rüdführende Sage fchreibt die Gründung diefer Mauer dem macedonifchen Aleranver zu. Wenn nicht fchon die Bauart diefes gigantifchen Bollwerks der erwähnten An- nahme widerfpräche, fo würbe der bloße Umftand, daß

?) S.Eichwald's Reife I. c. 6. p. 100 sqq., fo wie Frähn’s Erklärung der Infchriften im IL. Bande, enthaltend die „Alte Geo⸗ graphie des Kasp. Meeres.» p. 205.

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bei feinem griechtfchen und römifchen Schriftfteller der kaukaſiſchen Mauer Erwähnung gefchieht, dafür zeugen, daß ihre Gründung einer weit fpäteren Zeit angehört.

Die älteren arabifchen Geographen nehmen Keffra Nufhirman als den Erbauer an*); wir theilen eine hierauf Bezug habende Erzählung des Balazori mit, welche wenigitend das Interefie hat, daß ber ganze per- fifche Charafter mit al feiner Lift und Verſchmitztheit fich darin abfpiegelt.

„Rufchirwan hatte Frieden mit dem Könige der Tür- fen**) gefchlofien; um dieſen Frieden dauernd zu befefti« gen, bat er den König um die Hand feiner Tochter. Der Fürft zeigte fich nicht allein hiezu bereitwillig, ſondern wünfchte fogar eine doppelte Verbindung zu fchließen und felbft die Tochter Nu ſchirwan's zu heirathen. Diefer aber ſchickte ihm, ftatt feines eigenen Kindes, die Tochter eined Verwandten, welche er adoptirt und in feinem Pas lafte erziehen laffen hatte. Der Türke merkte nichts von dem Betruge, ließ feine Tochter zu Nufchirwan führen und hatte bald darauf mit dieſem eine Zufammenfunft in Berfelije, wo glänzende Fefte gehalten wurden und beibe Souveraine fich gegenfeitig viel Freundſchaft erzeigten.

„Eined Tags befahl der König von Perſien einigen feiner DOfficiere während der Nacht heimlich das Lager der

*) Ce fut pour garantir ses Etats des invasions dont ils étaiont sans cesse m@nac6s par les peuples au nord de ces montagnes, tels que les Khazares, les Alans, Serires, Turcs et autres Barbares, que Kessra Nouchirevan fit construire un mur à travers le Concase. . . chez D’Ohsson, p. 8.

#6) Es find damit die Chaſaren gemeint.

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Zürfen in Brand zu fteden. Der Befehl wurde vollzogen und der Zürfenkönig beklagte fi am- folgenden Morgen bitter über die Erneuerung der Feindſeligkeiten. Nufchir- war that ald fei ihm der Vorfall ganz unbekannt geblie- ben; wenige Tage nachher ließ er jedoch das Lager: der Türfen von Neuem anzünden. Der Herrfcher der Letztern wiederholte feine Beſchwerden und drang auf Genug: thuung ; e8 gelang jedoch Nufchirman ihn auch dieſes Mat durch Entfchuldigungen aller Art zufrieden zu ftellen. Dar- auf zündete aber der Perferfönig fein eigenes Lager an, welches blos aus Hütten und Rohrgeflecht beftand, und ald der Tag anbrady bejchwerte er fich bei dem Türfen und fagte: „Deine Leute verfehren täglich in meinem La- ger, ich kann nur fie in Verdacht haben über die be- gangene Frevelthat.” Der Türke fchwur, daß der Vorfall ganz wider fein Wiffen und Willen ftattgefunden. Nu⸗ Ihirwan entgegnete: „Mein Bruder, meine Truppen fo- wohl wie die Deinigen murren über unjern Frieden, wel- her fie des Ruhmes der Schlachten und des Vortheiles der Beute beraubt. Wenn diefer Zuftand fo fortpauert, wird er über furz oder lang eine Erneuerung der Feind— jeligfeiten zwifchen mir und dir herbeiführen und welche Früchte würden wir alsdann von unferer Verſöhnung ernten, welche wir erft eben durch eine doppelte Verbin— dung beftegelt haben? Du mußt mir, um ſolchen trauri- gen Folgen vorzubeugen, erlauben eine große Mauer zu errichten, welche hinfort unfere beiden Reiche von einan- der trenne. Sch werde eine Pforte darin anbringen laf- fen, welche Niemand ohne unfere Erlaubniß durchfchreiten ſoll.“

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„Der Türke gab feine Einwilligung dazu und Fehrte zuräd in fein Land. Darauf begann Nufchirwan die Grün- bung der Mauer und ließ darin eine Deffnung, welche durch eiferne Thore gefchlofien wurde; und Kosrois ver⸗ traute. die Bewachung dieſes Poftend hundert Reitern an, während früher fünfzig taufend Mann nöthig gewefen waren ihn zu vertheidigen.”

* % *

Peter der Große eroberte Derbend im Jahre 1722 und fegte den Naib Imam-Kuli-Beg zum Herrfcher darüber ein. Unter Nadir-Schah fiel die Stadt wieder in die Hände der Perſer. Nach dem Tode des berühmten . Eroberer (1747) herrſcht Mehmen-Haffan-Chan, der Sohn Imam-KHuli-Beg’s Über Derbend bie 1766, in welchem Jahre die Stadt mit ihrem Gebiete von Feth⸗ Ali, dem mächtigen Chane von Kuba unterworfen wurde. Während Feth-Ali's und feines Sohnes Achmed- Chan's Regierung ftand Derbend unter ruffifchem Schuge, neigte fich jenoch fpäter wieder auf die Seite ver Perſer, bis es endlich im Jahre 1796 vom General Balertan Subow dem eblinge Katharina II. aufs Neue erobert und fpäter völlig dem rufftfchen Reiche einverleibt wurde.

dd Der Diſtrikt vom Kuba Re hängt in feinem oberen Theile zufammen mit dem Fuße des Derbend’fchen Diftrifted; ein Ausflug des Sſsa⸗ mur, genannt die Salama, bildet hier die Scheibelinte. Außerdem grenzt Kuba im Weften an das Kurin’fche

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und Ss amur'ſche Gebiet, lehnt fich im Süden an die legten Höhenzüge der großen Kette und wird im Often der Ränge nach vor dem Kaspiſchen Meere befpült.

Die Hauptſtadt Kuba am Fluße Kubatfchi oder Kubatſchai (d. i. der Kubafluß) gelegen, zählt etwa 700 Feuerftellen mit einer entfprechenden Einwohnerzahl: Das wechſelvolle Schidfal des ſchon feit lange in einen rufii- ſchen Diftrikt umgemandelten Landes von Kuba war im Allgemeinen daſſelbe wie das ver übrigen Staaten des Dagheftan. Bolfreicher, größer und mächtiger als die be- nachbarten Ländchen, machte es zumeilem feinen Einfluß gewaltfam auf diefe geltend; fo herrfchte, wie wir weiter oben gefehen haben, Feth-Ali der Friegeriiche Chan von Kuba im vorigen Jahrhundert eine Zeitlang über Derbend und die angrenzenden Stämme. Wie ſchon be- merkt, ift Kuba der volfreichfte aller ven Ruſſen unters worfenen Diftrifte des Dagheftan; das Land zählt 292 Dörfer, während von den beiden daſſelbe norpweftlich und fünweftlich begrenzenden Diftriften Derbend und Baku Erfter nur ein Dubend und Letzter 40 Drtfchaften in fich ſchließt. Der Boden ift fehr ergiebig und Liefert Die man- nichfaltigften ©etreidearten und Früchte. Auch findet man treffliche Weideplaͤtze.

e. Der Diftrift von Baku

begreift den ganzen Umfang der fihon mehrfach erwähn- ten Halbinfel Apfcheron und bilvet das lebte Gebiet .ded den Ruſſen unterworfenen Militair- Arrondiffement des Dagheftan. Auf der Landſeite grenzt er im Weiten an Kuba und an bie transkaukaſiſche Provinz Schirwan,

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während ed auf den übrigen Seiten ringe vom Meere umfpült wird. Die hart am Meere gelegene, alte, bes rühmte Hauptftadt Bafu zählt etwa 5000 Einwohner und zeichnet fich durch fchöne Lage und ein fehr gefundes Klima aus. Merkwürdigfeiten find: die Ruinen des alten Schah⸗Palaſtes: ein berühmter, 45 Fuß tief in den Fels gehauener Brunnen; eine Menge alter Medſcheds, welche noch aus der Zeit der Türfenherrichaft datiren; ein aus grauem Alterthum ſtammender, gigantifcher Thurm, ge nannt der Mädchen Thurm, an welchen fih ein Menge fabelhafter Sagen Fnüpfen, und Reſte einer großen, unter⸗ irdiſchen Mauer.

Baku wurde im Jahre 1723 unter Peter dem Großen erobert. Später kam es gleich den benachbarten Provinzen unter die Herrichaft Nadir-Schah's. Völ⸗ fig dem ruffifchen Reiche einverleibt ift die Stadt erft feit 1806, in welchem Jahre fie von General Bulgafow un- terworfen wurde, kurz nachdem Fürſt Zizianow, ber damalige Oberbefehlähaber am Kaufafus, bei der Bela- gerung Baku's durch eine Hinterlift des legten Herrfchers Huffein-Kuli-Chan das Leben eingebüßt hatte.

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Das Atefch:gab | oder

das ewige Feuer, und die Feueranbeter.

Auf der Halbinſel Apſcheron, etwa drei Stunden von der Stadt Baku, befindet ſich das berühmte ewige Feuer, mit deſſen Flammen die Gebete der, hier heute nur noch in geringer Zahl angeftevelten, Guebern zum Himmel emporlodert. Den Mittelpunft des Feuerdienſtes bildet der innere Raum einer umfangreichen, blendend weißen Mauer, welche von vier thurmartigen Röhren überragt wird, aus deren Deffnung die vier größten Slammen in wunderbarer Pracht hervorbrechen. Befonderd zur Racht- zeit, wo dieſe Feuerſäulen den irrenden Schiffern auf dem Meere zugleich als Leuchtthürme dienen, ift der erhabene Anblick, welchen fie gewähren, von unbefchreiblich bezau- bernder Wirkung. Außer den vier Hauptflammen im In- nern ded Gemäuers fpringen rings um die Mauern ber in weiter Ausdehnung noch eine Menge anderer Slämm- chen, fo daß zu Zeiten die ganze Gegend in ein Feuer- meer umgewandelt erjcheint. Das Feuer wird befanntlich nicht. wie man in den meiften Reifebefchreibungen fälich- lich bemerft findet and Naphtha, fondern durch ein geruchlofes, brennbares Gas erzeugt, welches in der Tiefe ausgeſchieden, durch die Deffnungen des falfigen Bodens

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hervorbricht und fich bei- Annäherung einer Flamme alfo- “bald entzündet. Die ‘große, gleichlam einen Feuertempel bildende Mauer fchließt auch die Armlichen, fehmudlofen Zellen der ihre Zeit unter Beten und freiwilligen Ent. behrungen hinbringenden Indier in fich, dieſer lebendigen - Trümmer der alten Seueranbeter, unter deren Händen die. erhabene Lehre. Zerduſcht's im Laufe der Zeit zu eitlen Ceremonien, unnatürlichen Kafteiungen und entwürdigen⸗ dem. Göpendienfte herabgefunfen ift. Diefe dürren, hagern, faft ganz nadt umberwandelnden ©eftalten fehen aus mit ihren verzerrten Gefichtern wie fonnverbrannte-Oefpenfter; übrigens find es zwar vollfommen unnütze, aber auch eben fo unſchädliche Gefchöpfe, welche eigentlich Niemans . den etwas zu Leide thun als fich felber. Außer Wifchnu, ihrem KHauptgögen, verehren fie noch eine Menge anderer, theild Menſchen⸗, theild Thiergeftalten nachgeformte Goͤtzen⸗ bilder. Die Kuh gilt ihnen als daß heiligfte Thier, das zu tödten für die größte aller Sünden gehalten wird. Aus dem Harn der Kuh bereiten: die Priefter der Gue⸗ bern das heilige. Weihwaſſer. Ihr Goͤtzendienſt ift nach Auf- und Untergang der Sonne geregelt. Gewöhnlich hält jeder Einzelne feine Andacht für fich allein, da fie häufig durch Zwifte aller Art getrennt werden. Oft aber auch und befonderö bei feierlichen Gelegenheiten verfam- meln fie fich beim Oberpriefter, vergefien auf einen Augenblid ihren Hader und halten ihre Andacht in Ges. meinfchaft. | Die Geremonie beginnt mit langem Glodengeläute, während beflen der Oberpriefter das Weihwaſſer bereitet und baffelbe dann aus einer großen Mufchel in ein fil-

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berned Becken giebt. Darauf ftimmt die. ganze Verfamm⸗ fung ein lautes, mit vieler Andacht gehaltenes Gebet an, wobei die lebhafteften Geftifulationen und oft wiederholte Körperverbengungen fattfinden. Nach vollendetem Gebete werfen fich alle eine Zeitlang zur Erde ıtledex, worauf fle der Oberpriefter mit Weihwaſſer befprengt und jedem @in- zelnen noch etwas davon in die Hand gießt, während ein Indier einer gigantifchen Tritonsmufchel ohrengerreif- fende Töne entlodt ... . Hierin befteht im Wefentlichen der ganze Gottesdienſt. > >

Wir kommen jeht zu den transfaufaftichen d. h. durch die große Alyenfette vom Dagheſtan gefchiedenen Brovinzen mufelmännifcher Bevölkerung, weiche auf den Kharten des ruf. Generalftabs unter dem Geſammt⸗ namen „Die Kaspifche Herrichaft” bezeichnet And. .

£. Der Diſtrikt von Schirwen

bildet, indem er eng mit dem Baku'ſchen Gebiete zuſam⸗ menhängt, eine natürliche Fortfegung der obem gefchilder- ten Küftenfänder des Kaspifchen Meeres. Die Grenzen des Landes find: im N. die große Kette welche Schirwan von Kuba fcheivet; im DO. Bakn und das Kaspifche Meer; im W. Schefi und im ©. der Kurſtrom, welcher Schir- warn vom Karabach und von Talyſch trennt.

Schirwan fann fih an Fruchtbarkeit mit den ge fegnetften Ländern der Erde meſſen. Beſonders große Bor: theile bieten der hier mit Eifer betriebene Wein- und Seivenban.

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Die Hauptfladt Shemaha (au Schamachie das alte Samadjia) befteht aus hohen, fteinernen Gebäu- den, hat einen großen Bafar, merkwürdige, alte Mofcheen, and ift befonvers feit Jermolow's Zeit vielfach durch neue Anlagen und Bauten verjchönert. Unter den Gebäuden zeichnen fich infonderheit die reichen Seivenfabrifen aus, deren Zahl auf 200 angefchlagen wird. Schemacha war zu wieverholten Malen ein Opfer der Zerftörung. In der legten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts wurde ed von Bajafeth, vem Sultan der Türken, verwüftet. Im vorigen Jahrhundert zerftörte es der furchtbare Nadir⸗Schah, von deſſen Vernichtungdzuge durch die Länder des Kaufafus, beſonders im gefegneten Schirwan bis auf den heutigen Tag mannichfache Spuren übrig geblieben find.

Die Hauptbevölferung der Stadt befteht aus Tata- ren fchittifcher Sekte; doch findet man auch viele Arme- nier und Perſer. Schemacha zählt 2,250 Häufer und man fann die Einwohner etwa auf dad Dreifache dieſer Zahl anfchlagen. In einer Entfernung von etwa viertehalb Mei- len von dem eigentlichen oder Alt-Schemacda liegt Neu⸗Schemacha, ein unbedeutende Städtchen am Ak- Ssu (türfifh: Weißfluß). Von den übrigen Ortichaften Schirwan’s, deren Zahl auf 388 angefchlagen wird, nennen wir nur noch das wegen feined reichen Fifchfangd und feiner fchönen Gärten berühmte Ssaljan. Die das Ufer des Kurſtroms entlang laufende, weitläuftig gebaute Stadt gewährt trog ihrer ärmlichen, größtentheild aus Lehm roh aufgeworfenen Häufer, aus der Ferne einen herrlichen Anblick. Der Weinftod gedeiht in den Gärten von Ssal⸗ jan zu wahrhaft gigantifcher Höhe und Dide; auch fin-

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det man bier im Ueberfiuß herrliche Melonen und Früchte aller Art. Wie bedeutend der Fiſchfang in der Umgegend it, geht aus. dem Umſtande hervor, daß der Pachtpreis über 20,000 Dufaten beträgt. Uebrigens gehört Spaljan zu den ungefundeften Orten am Kaufafus, .

Der legte Herrfcher von Schirwan hieß Muftatpha- Chan; diefer Fürft, im Jahre 1820 von den Ruflen unter Sermolom aus feinem Lande vertrieben, fuchte zwar ſechs Jahre fpäter Schirwan, fo wie alle übrigen mufelmänntfche Provinzen gegen Rußland aufzuwiegeln, allein der Ver: fuch mißlang und das Land blieb nach wie vor unter moskowitiſcher Herrichaft.

Schirwan ift unter diefem Namen ſchon feit den Zeiten der Saflaniven befannt; die Statthalter des Lan- des heißen Schirwanfchahe. Der Islam wurde hier gleich wenige Iahre nach Mohammed's Tode unter dem Cha⸗ liphen Othman Selman ben Rebiah eingeführt.

g- Ber Chanat von Talyfch,

ebenfalld feit den zwanziger Jahren in einen ruffifchen Diftrift umgewandelt, bildet das letzte Glied ber. unter moskowitiſcher Herrichaft ftehenden Kette der Küftenläns der des Kaspifchen Meeres. Nördl. grenzt ed an Schir- warn, fünweftl. an Perſien und Karabagh und öſtlich an das Kaspineer.

Die Bewohner von Talyfch unterſcheiden ſich in Etwas durch Sprache und Phyſiognomie von den übri- gen Türkenſtaͤmmen Kaukaſtens. Klaproth läßt ſie von den alten Medern abſtammen, ohne jedoch einen haltba⸗ ren Grund für ſeine Behauptung zu haben. Wir ſind

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geneigt Re für eine ans perfifchen und tärfifchen Elemen⸗ ten erzeugtes Mifſchvolk zu halten. Ihre Sprache iſt reich an tatarifchen Wörtern, nähert fich jenoch noch mehr dem Neuperfiihen, fo daß ein Bewohner von Talyſch und ein Berfer fi) ohne große Mühe verflänpdigen koͤnnen; übrigens finden ſich auch andere, weſentlich von dem per⸗ ſiſchen Idiome abweichende Elemente darin vor, deren Urſprung bis jegt noch unerforfcht gebieben. . .

Ueber Klima und Erzeugnifle des Chanats haben wir fchon früher gefprochen.

Die hart am Meere gelegene, ftarf befeftigte Haupt⸗ ſtadt Lenforan gleicht in ihrer Bauart den oben befchries benen Städten der Faspifchen Provinzen und zählt gegen 3000 Einwohner.

Die Zahl der größtentheild unbedeutenden Ortſchaf⸗ ten ded Landes wird auf 235 angefchlagen.

h. Der Diftrift von Karabagh*)

wird durch den Araxes von Berfien und Talyſch durch den Kurftrom von Schirwan und Schefi getrennt, wähs rend im Weften Elifabethpol (Selifawetpol) und Radjit- fhewan feine Grenzen bilpen. |

Karabagh, die größte aller zur Kaspiſchen Herrſchaft gehörigen Provinzen, iſt verhaͤltnißmäßig ſehr gering bes völfert. Die Einwohner, deren Zahl ſich etwa auf 60,000 beläuft, zerfallen in ein Drittbeil Armenier und zwei Drittheile Tataren.

*) Karabagh türkiſch der ſchwarze Garten. Man begeg⸗ net dem Adjektiv kara, f chwarz, beſonders am Kaukaſus haͤufig in

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Die Bornehmfien der Armenier führen ben Titel Melich oder Melech,. ein Wort, welches urfpränglich einen Anführer oder König bedeutet. Heutzutage führt in Armenien felbft der Vorſteher eines Dorfes dieſen Titel. Die vornehmen Tataren theilen fih in Chang, Begs, Minbaſchis und Jusbaſchis. Min-baschi heißt im Zürfifchen ein Häuptling von Taufend; Jus-baschi ein Häuptling von Hundert. Die Nachfommen der Häupts Iinge, welche während der Herrfchaft der Chane wirklich ſolchen Dienft befleiveten, haben die jetzt nichtsſagenden Titel ihrer Vorfahren beibehalten.

Die Haupterwerböquelle der Einwohner ift die Vieh⸗ zucht, da dad von hohen Gebirgen durchfchlungene Land ſich im Allgemeinen weniger zum Aderbau eignet, ald bie benachbarten Provinzen. Doch wird in den Thälern auch Wein - und Seidenbau mit Erfolg betrieben. Die kara⸗

der Zufammenfegung mit Bölfer- und Ländernamen. Wir erinnern hier nur an die Wörter Rara-Kaitah; Kara⸗Palpak; Karas Tfcherfeß ꝛc. Die Bedeutung von Kara in den oben angeführ- ten Wörtern (mit Ausnahme von Kara-Palpak, welcher zweifelss ohne Schwarzmüßler bedeutet) wird fehr verfehieden angegeben. Die Einen wollen es auf die fette, ſchwarze Erde der betreffenden Laͤn⸗ der beziehen (und dieſe Annahme fcheint uns die natürlichfte); nach Anderen wären die dunklen Wälder damit bezeichnet; wieder Andere behaupten es bezeichne die Unterjochten oder Geknechteten, im Gegenfab zu Ak, weiß, welches auch frei, unabhängig bes deuten foll. Am eigenthümlichften ift jedenfalls die Erklärung Char- din’s, welche wir nicht umhin fönnen hier anzuführen: „Ces Cara- cherkess, comme les appellent les Turcs, c’est-ä-dire Circas- siens noirs, sont les Circassiens septentrionaux. Les Tures les appellent ainsi, quoique ce soit le plus beau peuple du monde, & cause des brouillards et des nuages qui couvrent sans cesse leur pays. Ils ont ste autrefois Chrötiens. Voyages, I., 122.

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bagh’fchen Pferde find ihres leichten, fchönen Baues, ihrer Schnelligkeit und Ausdauer. wegen im ganzen Rau- kaſus berühmt.

Die Haupiftadt des Landes tft Schuſ ha, mit etwa 6000 Einwohnern.

Karabagh ftand früher abwechfelnd unter armenifcher, tärfifcher und perfifcher Herrfchaft. Bei der letzten Erobe- rung Schufcha’s durch Die Perſer (1797) fand der graufe Shah Aga⸗Mehmed⸗Chan, derfelbe welcher Tif- lis zerftörte feinen Tod.

Schon im Jahre 1805, als noch der berühmte Fürſt Zizianow den Oberbefehl am Kaufafus führte, wurde das damald von Ibrahim⸗Chan beherrfchte Kara⸗ bagh den Ruffen unterworfen; fpäter neigte es ſich jedoch wieder auf die Seite der Perfer, bis es endlich im Jahre 1822, nach der Flucht feines legten Herrſchers Mechti- Kuli-Ehan, des Sohnes Ibrahim-Chan's, völlig zur ruffifchen. Provinz gemacht wurde.

1. Der Diftrift Scheti

ift in unferer Schilderung das legte der zur Kaspiſchen Herrfchaft zählenden Länder. Gegen R. lehnt fih Schefi an die große Faufaftfche Kette; gegen W. wird es von Jeliſſui und Elifabethpol begrenzt; ſüdw. trennt es der Kurfirom von Karabagh. Auf die etwa 95,000 betra⸗ gende Einwohnerzahl des Landes rechnet man 9000 Ars menier. Die Hauptſtadt Nucha zählt ungefähr 8000 Ein- wohne. *

Das Land wird in nördöftl. Richtung der Breite nach von drei parallel nebeneinander laufenden Bergzügen durch-

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fhnitten und bietet außer fruchtbarem Nederland auch treffliche Weivepläge. Im Sommer ift in den Thäfern die Luft ſo ſchwül und drüdend, daß die ruffifchen Soldaten wie Siegen dahin fterben. Nur im Winter ift das Klima einigermaßen: erträglich. Sonft herrfchen hier in Folge des häufigen Temperaturwechfels, der ſchneidenden Winde und des ungefunden Waflers fortwährend töbtliche Fieber, denen felten.ein Fremder entgeht. -

Schefi wurde. nach dem Tode feines legten Herr⸗ ſchess Ismail-Chan, des Sohnes Dſhafar-Kuli— Chan's dem ruſſiſchen Reiche einverleibt im Jahre 1820.

k. Der Diſtrikt von Gandſha oder

Eliſabethpol

grenzt ſüdöſtlich an Schefi und den Karabagh; ſüdweſtlich trennt es ein Arm des armenifchen Gebirges von Eriwan; weitlich grenzt es an die Diftrifte von Alexandropol und Tiflis, und nördlih an Kachethi und einen Theil des Bezirkes von Belofany.

Die Hauptftadt des Landes, Sand j ha oder Eliſa— bethpol (nach) der ruffifchen Ausſprache Jeliſawet— pol) zählt etwa 8000 Einwohner, ein Gemifch von Ta= taren ind Armeniern, fo daß Letztere etwa ein Drittheil der Bevölkerung ausmachen. Das alte Gandſha einer ber berühmteften Orte des Kaufafus erhielt in neuerer Zeit den, Namen Elifabethpol, weil die Stadt von den Rufen am Tage der*heiligen Elifabeth erobert wurde, Gandſha jtand früher, wie faft alle Städte diefer Länder,

abwechfelnd unter armenijcher, perjifeher und türkiſcher 10

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Herrfchaft, bis der ſchon häufig erwähnte Kürft Zizia⸗ nom ed nach einer blutigen, monatlangen Belagerung im Januar 1804 ‘eroberte, bei welcher Gelegenheit ver legte Herrfcher des Landed, Dſhewat⸗Chan ſelbſt das Leben einbüßte. Die Stadt ift fehr umfangreich, da ſich faſt hinter jedem Haufe ein Garten befindet. Die Haupt: erwerböquelle der Einwohner ift der Handel mit den Er- zeugniffen ded Landes: Seide, Wolle, Tuh u. |. fe Als Merkwürdigkeiten verdienen herorgehoben zu werden: die alte Feſtung, der fchöne neue Baſar und eine präch- tige, von Schah Abbas zu Ende des XVI. dahrhunderts erbaute Moſchee. 1. Der Diſtrikt von Alexandropol,

gebildet aus den tatariſchen Diſtanzen Bambak und Schuragel, gehört zum georgiſch-imeriſchen Gouverne- ment und bildet ven Schluß unjerer Schilderung der trans⸗ Faufafijhen Provinzen turfomanifcher Grundbevölferung und Sprache.

Die Grenzen des Landes find: im Weiten türfifche Provinzen; im Norden und Oſten das Bafchalif Achal- zich, die‘ Bortſchaliſche und Kafachifche Diftanz; im Süven | das ruffifche Armenien.

Die Hauptitadt Alerandropol, an Bedeutung etwa Schujcha entiprechenn, ift, feit fie ſich im Beſitz der Rufen. befindet, durch eine Menge neuer Gebäude ver- (hönert.. \

Außer den genannten findet man noch eine Menge fogenannter Tatarenftimme in Georgien und Arınenien, welche fämmtlich einen dem Stambul’fchen Idiom ſehr nahe kommenden Dialekt der türkifchen Sprache reven.

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m. Die Nagai und Karatichai.

Um unfere Schilderung ver -Faufafifchen Stämme türfifcher Rage zu vervollftändigen, müflen wir noch der Nagai und Karatſchai Erwähnung thun, welche Er- ftere zwifchen dem Kuban und der Laba, Lebtere an den Quellen des Kuban haufen. Die Nagai, gewöhnlich nogai- Ihe Tataren genannt, zerfallen nach ihren SHerrichaften in die Ragai-Manfur und die Ragai-Namwrus oder Raus rud, und find Refte der berühmten Wanverhorden von Indiffan, Indiſchkul, Dſhamboilyk und Ak— jerman.

Die Karatichai, welche nur aus ein paar hundert Familien beftehen, haben fich ſchon feit längerer Zeit unter ruffifchen Schuß geftellt; auch Die Nagai erkennen, man⸗ nigfacher Bortheile wegen, welche ihnen daraus entfpringen, die ruffifche Oberherrfchaft an, obgleich ſie fich heimlich mehr auf die Seite der feindlichen Bergvölfer neigen, deren Parthei fie auch gewiß ergreifen würden, wenn es einmal zu einem entfcheidennen Schlage kommen follte.

Sie gehörten früher zu den gefürdjtetften Feinden der Rufen, bis fie nach wiederholt erlittenen Riederlagen etwas friedlichere Gefinnungen annahmen. Noch heute feiern fie in ihren Liedern und Sagen das Andenken ihres berühmten Häuptlinge Murfa -Ardlan= Bey, deſſen Name mit blutigen Zügen in den Annalen der legten Hälfte des vorigen Jahrhunderts verzeichnet ſteht. Man ſchaͤtzt die Volkszahl der Nagai auf einige taufend Familien.

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Die armenifche Nace.

„Maitresse, autrefois, de tout le platean de l’Ararat, du bassin de l’Arax et de ces vall6es heureuses de l’Euphrate et du Tigre, les traditions placent le paradis terres- tre, la race armönienne perdit de bonne heure sa consistance politique.‘

Fonton,

La Russie dans l’Asie mineure, p. 170.

Wenn wir der Armenier über deren Land und Gefchichte Schon fo Vieles und Treffliches gefchrieben ift, daß ed ſchwer halten möchte etwas Neued von Belang hinzuzufügen, überhaupt hier befonverer Erwähnung thun, nachdem wir der zerftreuten Glieder dieſes Volkes fchon wiederholt andeutungsweife gedacht haben, fo ge- fchieht dies mur um in der begonnenen Weberficht ver transfaufaftfchen Provinzen Rußlands Feine Lücke zu laſſen.

Weit entfernt daher, unferer Schilderung Armeniend und feiner Bewohner lange Hiftorifche und antiquarifche Abhandlungen voraudzufchiden, werden wir und bier auf die Anführung folcher Facta befchränfen, welche theils ihrer folgenreichen Bedeutſamkeit wegen, theild auch weil manche davon bisher einem größern Leferfreife unbekannt geblieben, ein allgemeines Interefie in Anfpruch nehmen dürften.

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Und bier muß ald größtes und wichtigftes Creigniß, welches von Grund aus umgeftaltend auf vie Gefchichte Armeniend eingewirft, als ein Ereigniß, welches, fo befeligend feine Folgen auch für das Individuum gewefen fein mögen, die Nation ihrem politifchen Untergange ent- gegenführte, die Einführung des Chriſtenthums, zuerft genannt werden.

Bor dem fanften Hauch der Lehre Jeſu fchien das friegerifche Beuer des alten Volks der Haigf zu erlöfchen und einem großen Theile feiner Söhne blieb nur die - Wahl, vem neuen Glauben oder ihrer alten Heimath un⸗ treu zu werden; fie Ffonnten dem Einen nicht anhangen ohne Das Andere zu meiden. Wie die Kinder Israel's vom Schidfäle verfolgt und zerftreut wurben unter alle Bölfer der Erde, wie fie einheimifch wurden auf frem- dem Boden und Fremblinge in ihrer eigenen Heimath, weil fie Jeſum verläugneten, fo traf die Armenier ein gleicher Fluch, weil fie Sefum befannten und ihm an- hingen... .

Schon im Jahre 302, unter der Regierung ded Kö⸗ nigs Tiridates wurde das EChriftenthum von St. Gre⸗ gorius in Armenien eingeführt. Der König wurde für den Eifer, mit welchem er zur Verbreitung der neuen Lehre beigetragen, nach feinem Tode unter die Heiligen ver armenifchen Kirche aufgenommen. |

Diefer Tiridates, welcher in den letzten Jahren feines Lebens dem Chriſtenthum mit fo glühenver Be— geifterung anhing, war früher der fgnatifchfte Verfolger defielben gewefen. Man fchreibt die Graufamfeit, mit wel— cher der große Eroberer in den erften Jahren feiner Res

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gterung den Chriften nachftellte, vem Umftande zu, daß Gregorius, der zuerft das Chriftenthum in Armenien predigte, ein Sohn Anag's geweſen, deflelben, welcher im Auftrage Ardſchir-Babé⸗Chan's, des Gründers der Dynaftie der Saflaniden, im Jahre 233 Chosrew, den Vater Tirivates ermordete.

Die Gefchichte erzählt, daß Tirivates um den Top feined Baterd an dem Sohne des Mörders zu rächen, Gregor in einen tiefen Brunnen werfen ließ, wo berfelbe dreizehn Jahre hindurch bei elender Koft und unter Qua⸗ len aller Art fchmachtete*).

Im Jahre 406 wurde für die von dem Könige Wramſchambuch und dem großen Patriarchen Iſaak angeordnete und von Meßrop begonnene Bibel - Ueber- fegung ein neues Alphabet erfunden, oder richtiger ges fagt, das alte verbefiert und um fieben Buchftaben vers mehrt.

Das Chriftenthum blieb in Armenien, wie wir gleich jehen werden, nicht wie bei den Georgiern, feinen urfprüng- lichen Formen treu, fonvdern nahm im Laufe der Zeit eine wenn auch nur unbedeutend abweichende Ge⸗ ftaltung an.

*) Mach der Meinung St. Martin's (Memeires sur 1’Armenie) fol König Tiridvates erft duch den Einfluß Rom's und befunders durch die Bekehrung Konflantin des Großen bewogen, zum Chriften- thume übergetreten fein.

Da aber Konſtantin befanntlich erſt im Jahre 311 das Ehriften: thum zur Staatsreligion erhoben, fo Fönnte Demzufolge auch erft nach diefer Zeit das Chriſtenthum eine fefte Bafls in Armenien gewon⸗ nen haben.

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Um die lebte Hälfte des V. Jahrhunderts, wenige Sahre nach dem 451 gehaltenen chalcenonifchen Goncilium, fagten fich die Armenier feierlih von der griechifchen Kirche los, und bilden feit der Zeit eine befondere Kirche, welche glandbt, daß Ehriftus nur Eine Ratur habe, und daß der heilige Geift blos vom Vater audgehe, daß die Dualen der Sünder in jener Welt nicht ewig dauern werben; daß bei der Auferfiehung alle Menfchen in Seftalt von Männern erfcheinen werden, u. f. f. Taufe und Confirmation find bei den Armeniern verbunden und ed finden dabei eigenthümliche Gebräuche ftatt. Beim Ge- nuß des heiligen Abenpmahles bevienen fie fich unver- mifchten Weines mit gefäuertem Brote, welches in Wein getaucht herum gereicht wird, u. f. w.

% % »

Inm Gegenſatz zu den benachbarten Georgiern, welche feit der Annahme des Evangeliums alle herkömmlichen teligiöfen Gebräuche aus ihrem Gedächtniſſe verwifchten, behielten die Armenier verfchievene Elemente der alten Bolfsreligion die ein Gemifch der Lehren Zoroa- fter’8 und der Mythologie der Griechen war bei, und viele Spuren davon haben ſich bis auf Die heutige Zeit erhalten. |

Sp wird das. Felt, welches im Altertbum alljährlich zu Ehren der hohen Gottheit Mihr *) gefeiert wurde,

*) Mihr, d. i. bas einzige Feuer, oder bad Urfeuer, ar eine der vornehmiten Gottheiten ber alten Armenier. Nach ihrer Götterlehre war Mihr ein Sohn Aramaf's, des Vaters

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noch heute bei den Armeniern wenn auch in etwas veränderter Geftalt am Tage der Lichtmeffe mit gro- Ger Feierlichfeit begangen).

Die Ceremonie findet gewöhnlich auf einem nahe bei einer Kirche gelegenen Platze ftatt, oder auch, bei ungün- ftigem Wetter im Innern der Kirche felbft und beginnt damit, Daß, unter ftrenger Beobachtung der altherkoͤmm⸗ lichen Gebräuche, eine Menge gemifchter, brennbarer Stoffe in einer großen fupfernen Vaſe angezündet werben. Die zu diefem heiligen Opferfeuer vorgefchriebenen Materialien beftehen vorzugsweife aus Rebenftengeln, Lorbeerzweigen, verfchienenen Getreineförnern, einer Hand vol Weihrauch und Schafwolle, fo wie aus Eremplaren aller Blumen, welche die Jahreszeit eben hervorbringt.

Die Berfonen, welchen die Pflicht obliegt, das heilige Feuer anzuzünden und zu unterhalten, werden gemeinig- lich aus den erft im laufenden Jahre verheiratheten juns gen Leuten gewählt.

Der Bilchof der Provinz, oder deſſen Stellvertreter, begiebt fich in Begleitung der ganzen Geiftlichfeit, ver bet der Geremonie betheiligten Neuverheiratheten und des Volks

der Menfchheit und des höchften aller Götter. Er wurde ald Sym- bol des Feuers, nicht des verzehrenden, fichtbaren, fondern des dem Menfchen innewohnenden, geiftigen Feuers, des Urquells aller Thä- tigfeit, verehrt. In Armawir, Pakaritſch und anderen Städten Armeniens waren Tempel zu feiner Berherrlichung erbaut.

*) Siehe darüber: Me&moire sur le Gouvernement et la Religion des anciens Armeniens, par M. Cirbied. Extrait du Tome II. des Memoires de la Societ6 royale des Antiquaires de France. Pa- ris, J. Smith, 1820. p. 24 sqq.

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in feierlicher Prozeffion nach dem Orte, wo die geheiligte Vaſe aufgeftellt ift. Jeder aus dem Zuge trägt eine noch unangezündete Wachskerze *) in der Hand.

Die Priefter eröffnen die Feierlichfeit mit dem Ab⸗ ſingen der zum Feſte angeordneten Gebete; darauf neh— men ſie den jungen Eheleuten ihre Kerzen ab, zünden dieſelben an und handigen fie ihren Trägern unter Segensfprüden und neuen Gebeten wieder ein. Sodann . werden auf ein Zeichen des Bifchofd Die zum Opfer er- lefenen Brennftoffe von allen Seiten zu gleicher Zeit in Flammen geſetzt; Die zu diefer Handlung Auserforenen haben - zugleich für das Anzünden der Kerzen aller Um- ftehenven Sorge zu tragen. Hierauf wird von der Geiſt⸗ lichfeit und dem-Bolfe wieder fo lange gefungen und ges betet, bis der legte Funfen des Opferfeuers verglommen ift; dann ertheilt zum Beſchluß des Feſtes der Bifchof allen Umftehenden feinen. Segen und zieht ſich mit ver Geiftlichkeit in feierlicher Prozefſion zurück, während das Volk das heilige Gefäß umprängt, um ſich in die fegens dringende Afche zu theilen, welche von den gläubigen

„Armeniern als ein unſchaͤtzbares Heiligthum aufbewahrt und verehrt wird.

Eine andere Gottheit der alten Armenier, von wel⸗ cher Cirbied behauptet, daß ihr Kultus noch heute bei vielen feiner Landsleute heimlich fortbeſtehe, war Die Sonne, welche unter den in ihrer urfprünglichen Bedeu⸗ tung verfchievenen Namen Arek,. Arew, Arekagn und Ares verehrt wurde.

*) In früheren Zeiten wurben zu dieſem Zwecke Badeln benügt.

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Gewiß ift, daß auch bei den Armeniern, welche fich nicht zu den Arewortis oder Sonnenanbetern befeunen, der Name der Sonne häufiger genannt und heiliger ge- halten wird, als bet allen übrigen chriftlichen Völkern. Faft in allen heiligen Büchern und Kirchengefängen findet‘ man die Sonne als Symbol der göttlichen Önade und des Erlöferse der Menfchheit dargeftellt. Für unglüdlich wird der gehalten, welcher flirbt ohne fein Antlig ver Sonne zugewandt zu haben; nur bei Sonnenfchein begra- ben die frommen Armenier ihre Todten; wer außer der Kirche betet, hebt feine Augen zur Sonne empor, und wie Das Bett des Kranfen, fo wird der Sarg des Todten immer forgfältig gen Often gerichtet; die Neuvermählten müffen, _

wenn le zum Erftenmale das Ehebett befteigen, ihre Plide nach DOften wenden .

Die dritte Gottheit, von deren Berehrung bis auf unfere Zeit Spuren unter den Armeniern geblieben find, it Anahid, die Göttin der Weisheit und der Stärfe, Die Gründerin und Erhalterin des Volkswohls, die Beſchützerin der Frauen und der Urquell alles Erdenſegens. Ihre Tempel ſtanden zu Eriſa, Aſchdiſchad, Ardaſchad, Ani und Pakawan. Ihr zu Ehren wurde alljährlich zu Anfang des Sommers das heiterfte und fchönfte aller armenifchen Religiondfefte gefeiert, genannt Warthawar, der herrliche Roſenſchmuck.

An den feſtlichen Tagen wurden nämlich Tempel und Bilvfäule der Göttin mit Krängen und Gewinden von Rofen umfchlungen, als Embleme der Schönheit und ver ‚neuverjüngten Natur. Alle, welche Theil nehmen wollten am Feſte, mußten ebenfalld mit Rofen geſchmückt erfcheinen.

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—— ——

Die Feier dieſes fchönen Blumenfeſtes, welches mit wenigen Veränderungen noch heute unter feinem urfprüng- lichen Namen fortbefteht, wurde nad) der Einführung des Chriftenthums in Armenien auf den Jahredtag der Verklärung unferes Heilandes verlegt, und wie das zu Ehren der Göttin Anahid gehaltene Warthawar drei Tage lang dauerte, jo wird auch das Felt der Verklä⸗ rung Chrifti immer drei Tage hindurch mit großer Pracht und Feierlichfeit begangen,

. » .

Der mächtigfte und verberblichfte Feind Armeniens, welcher nicht blos den politifchen Untergang des Landes bereitete, fondern durch feinen fchädlichen und dauernden Einfluß auch entfittlichend auf das Volk einwirkte, war von jeher das benachbarte Perfien. In neuefter Zeit hat Rußland diefe Role übernommen und in Acht perfifchem Sinne fortgefpielt.

Wenn man in der Gefchichte Armeniens von der Sttteneinfalt, von der Biederfeit und Treue, kurz von all den ſchönen Tugenden lieſt, welche das uralte Volk der Haigk einſt zierten, ſo iſt es ſchwer nach ſolchem Bilde die Armenier von heute wiederzuerkennen; aber leicht ge⸗ wahrt man bei näherer Betrachtung, daß alle die entſtel⸗ lenden Züge, welche dieſe Unähnlichkeit erzeugen, dem ver⸗ derbten Perſervolke entlehnt ſind. Freilich muß man, um gerecht zu ſein, einen Unterſchied machen zwiſchen dem in der Ferne lebenden, handeltreibenden Armenier, welcher ſein Vaterland nur dem Namen nach kennt, und dem an

r

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Sie blieben dort noch al8 nach der Bertreibung der Zataren Aſtrachan und Kafan in ruffiiche Gouvernements . umgewandelt wurden, und erhielten im Jahre 1554 von Zar Swan Waffiljewitfch dem Graufamen die Er⸗ laubniß, freien Handel mit Moskau zu treiben und Kiederlagen in diefer Stadt anzulegen.*) Mit ihrem Reich⸗ thume wuchs ihr Anfehen und die Ausdehnung ihrer Privilegien. Im Jahre 1667 unter Zar Alerei Michai⸗ lowitſch finden wir fchon bebeutende armenifche Rieders -laffungen in den Städten Kafan und Moskau; die Ar⸗ menier blieben feitvem in fortwährendem, lebhaften Ver: kehr mit. der ruffifchen Handelswelt. Unter Peter vem Großen, welcher den Handel feines Reiches auf: alle Weiſe zu heben fuchte, wurde ihnen die Erlaubniß, Nie- berlafjungen p ganz Rußland anzulegen; die ihnen ge- währten Privilegien wurden noch vermehrt unter Baul J. "und feinen Rachfolgern. So haben fic die Armenier nad} und nach in allen Theilen ded weiten Zarenreiche aude gebreitet und in einigen Provinzen, wie 3. B. am ganzen Kaufafus fich des Handeld ausfchließlich bemächtigt. Auf den Bafars von Peterdburg und Moskau, fo wie auf ber Mefie von Mafariew (Niſhny⸗Nowgorod) trifft mar regel- mäßig ganze Karawanen von Armeniern aus Aſtrachan, der Krimm, Kisljar, Mosdok, Derbend, Tif- lis u. ſ. f*®, Obgleich ſie im Allgemeinen den Glauben, die Sitten und die Kleidung ihrer Vorfahren heilig hal⸗

*) Nach ruſſiſchen Quellen bearbeitet.

*x) Außerdem find die bekannteſten armeniſchen Niederlaffungen die in Perfien, Syrien, der Türkei, Polen, Galizien und Italien.

4

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‘und bis weit über den Kaukaſus hinaus Anflang und Rahahmung fand. Nur in Armenien bfieben vie lie⸗ bestollen, beraufchenden Töne der perfiichen Mufe ohne Nachhall. |

Dagegen haben die Armenier bei ihrem fcharfen Vers ande und glüdlihem Gedaͤchtniß eine außerorbentliche Leichtigkeit in der Erlernung fremder Sprachen.

Mit dem Bolfsunterrichte fieht es unter der ruffis . fhen Verwaltung leider jehr traurig aus, obgleich einzelne aufgeflärte Armenier, und befondets ber treffliche, ſtreb⸗

‚au Abowian, viel zur Bildung ihrer Landsleute beis u den. habe. Sole Männer verdienen um fo mehr * ri) Arkiche:: Aaerfeimung, da ihre Beftrebungen von. Seiten Rußlands auf ale Weiſe gehemmt werben; die ruffifche Regierung befigt weder die Fähigkeit no den Willen fih den geiftigen Bedürfniſſen eines Volkes anzufchmiegen; in Europa wie in Afien ftrebt fie nur dem einen Ziele nach: ihre Unterthbanen zu willenlofen Sklaven

au maden.

* %

Die Religiondverfolgungen, welche die Armenier von den Perfern zu erbulven hatten, veranlaßten fchon im V. und VI. Jahrhunderte n. Chr. zahlreiche und wiederholte Auswanderungen.

Sm Jahre 1262, nach der mongolo-tatarifchen Böl- ferüberfchwemmung, welche ihre verheerenden Wogen aud) über die gefegneten Länder des Ararat wälzte, ließen fih eine Menge Armenier in den Königreichen Aſt ra⸗ chan und Kaſan nieder.

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theile verbindenden Bölferfette des gigantifchen Mosfo- witerrihd.

Die Zahl aller in Rußland lebenden Armenier wird auf etwa 400,000 angefchlagen.

Das ruffifche Armenien zerfällt in zwei Diftrifte, wovon der Erfte

der Diftrikt von Eriwan

über 500 Dörfer zählt mit einer Einwohnerzahl von 70 bis 80,000. Die hier haufenden Türfenftämme-— nad) ihrer Gewohnheit fich den Bart mit Chna zu färben, Kyſylbaſchi, d. i. Rothköpfe genannt machen faft die Hälfte: der Bevölkerung aus. Die herrfchenden Spra- chen des Landes find die türfifch=tatarifche und die neu- armenifche, ein forrumpirter Dialekt ‚ber altarmenifchen Schriftfprache.

Die Hauptitadt Eriwan, an der Senghi oder Sanga in der großen Araresebene gelegen, foll nad) der Sage fchon im erften Jahrhundert unferer Zeitrech⸗ nung erbaut worden fein und ihren Namen von Ero- ‘want IL, dem Ufurpator tragen, welcher bier ein Schlacht verlor, wodurch feiner unrechtmäßigen Herrfchaft ein Ende gemacht wurde. Eriwan ift eine von Gärten durchſchlun⸗ gene, unregelmäßig gebaute Stadt mit unanfehnlichen Häufern und 7— 8000 Einwohnern.

Bemerfenswerthe Gebäude find die Ruinen des alten Palaftes der frühern Sardare von Armenien und eine prachtvolle Mofchee. Unfern Eriwan befindet ſich das be= rühmte Klofter Etfchmiadfin, der Sik des Patriarchen (Katholifos) und der Synode. Dicht mit dem Eriwan⸗ fchen Gebiete zufammenhängt:

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Der Diftrikt von Rachitfchewan mit 194 Dörfern und einer ſich etwa auf 20,000 Ein- wohner belaufenden Benälferung, wovon zwei Drittheile Tataren (Türken) fehiitifcher Sekte find. Das Land grenzt im Dften an den Diftrift von Karabagh und wirb füd- weftlich durch den Arares von Perften gefchieven.

Nachitſchewan, die Haupfftadt des Landes, ift an Umfang und Bevölkerung etwa halb fo bedeutend wie Eriwan. Der Name felbft fol bedeuten, daß Noah fi zuerft bier nievergelaffen. Auch zeigt man hier noch heut- zutage Das Grab des ehrwürdigen Stammvaters der nach⸗ fündfluthlichen Menfchheit.

Wir können unfere Ueberficht der Länder armenifcher Zunge nicht fchließen ohne bed den Nuſſen, durch den Frieden von Adrianopel zugefallenen Theiles des Paſcha⸗ lik's Achalzich Erwähnung zu thun, welches zwar ur⸗ ſprünglich eine georgiſche Provinz, doch der Mehrzahl feiner fehr gemifchten Bevölferung nach, armenifch ift.

Das Paſchalik Achalzich

grenzt gegen Norven an Karthli und Imerethi; eine hohe, waldige Gebirgsfette bildet hier die Scheidelinie; gegen Dften trennen es die kahlen Ausläufer der karth⸗ lifchen Gebirge von dem Theile des Bortfchalifchen Ber zirks, welcher früher die Namen Söomchethi und Tria⸗ lethi führte; im Weften und Süden wird es durch Die achalzifchen (oder meßchiſchen) Berge von Gurien und den in türfifchem Beſitz gebliebenen Provinzen getrennt.

So weit unfere Kenntniß der Gefchichte des Lans des hinaufreicht, finden wir Achalzich von Georgiern bes

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wohnt*). Trog der vielen Revolutionen und Berwäüftungen, deren Schauplag das Paſchalik feit den Alteften Zeiten bis auf unfere Tage war, troß der Berheerungszüge ber Tataren, Perfer und Türken, ift das georgifche Element bis zu ber neueften Einwanderung türfifcher Ars menier immer das vorherrfchende geweſen. Selbft uns ter den fich zum Islam befennenden Einwohnern ift der größte Theil rein Fartwel’fchen Urfprungs, wie fih aus Sprache, Phyfiognomie und Tradition des Volks klar nach⸗ weiſen läßt.. Auch würden, wie wir oft zu hören Gelegen⸗ heit hatten, die türfifchen Georgier augenblidlich wieder zur chriftlichen Religion übertreten, wenn nicht fonderbarer Weife unter dem Volke der Olaube herrfchte, der Beſitz ded Landes durch die Ruſſen fönne nicht von Dauer fein, die Zürfen würden über furz oder lang zurüdfehren und alle Abtrünnigen mit fehwerer Strafe heimfuchen... .

Im erften Jahrhundert nach Ehrifti wurde der Theil von Achalzich, welcher das obere Thal des Kur und des Potzcho Pos⸗kho) begreift, und in den alten Chronifen Semo⸗Karthli, d. h. Ober⸗Karthli genannt wird, von Er o⸗ want, dem Könige von Klein-Armenien, erobert und feinen übrigen Staaten einverleibt. Alle Verſuche des Volks das Joch abzufchütteln blieben lange Zeit fruchtloß; erft unter der Regierung David III. wurde die Provinz wie: der feft mit Georgien verbunden. . .

Die Statthalter, welche unter Oberberrfchaft der Koͤ⸗ nige von Georgien Semo-Karthli verwalteten, hießen Atta- Begs. Einer diefer Atta-Begs, genannt Kuarfare, erklärte fih im Jahre 1463 für unabhängig, und alle Berfuche

2) Nach Wachtang’s georgiſcher Ehronif.

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der Herricher Georgiend ihn und feine Rachfolger zur Bafallenpflicht zurüdzuführen, waren vergeblich. . .

Während der blutigen Kriege, welche die Perfer gegen die Türfen führten (in Folge ded Schisma der Schiiten und Sunniten) von 1553 bis 1580, wurde dad Land wieder ein Schauplag ‘des Gräueld und der Verwüftung und fiel endlich, nachdem es verfchievene Male erobert und wieder verlaffen war, durch den Traftat von 1587 dauernd den Türken in die Hände. Die Provinz wurde in Sandfhafs getheilt und durch einen unter türfifcher Ober- herrfchaft ſtehenden Pafcha von drei Ropfchweifen regiert.

Seit jener Zeit blieben die Türfen im ungeftörten Beſitz des Paſchaliks bis zum Jahre 1829, wo durch den Frieden von Adrianopel fünf Sandſhaks nebft der Haupt- ſtadt Achalzich dem ruffifchen Reiche einverleibt wurden.

Die verfchienenen Völkerſtämme welche das Bafcha- if Achalzich heutzutage bewohnen, beftehen aus Armes niern, Georgiern (theild mohammedanifchen, theils chriftlichen Glaubens), Griehen, Karapapaden, Kurden, Juden und Zigeunern.

a) Armenier. Bon den im Lande geborenen Ar⸗ meniern gehören die meiften der Fatholifchen Kirche an; von den aus Erferum fpäter Eingewanderten unterfchei- den fich Erftere befonderd dadurch, daß fie weniger ihre Mutterfprache als tatarifch und georgifch reden. Troß der . vielen fchlechten Gigenfchaften, welche ihr angeborner Krä- merfinn, der Lange türfifche Drud und der fpätere Eon- taft mit den Ruſſen in Ihnen erzeugt haben, find die Ar- menier doch unläugbar die aufgeflärteften, thätigften und

umgänglichften Bewohner ded Paſchaliks. 11%

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b) Georgier. Es iſt eine fonderbare Erfcheinung, daß, während man den Armeniern und Griechen erlaubte ihren Glauben beizuhalten, die Georgier durch Drangfal und Qualen aller Art von den Türfen gezwungen wur—⸗ den zum Islam überzutreten. Doch obgleich fie ihre Re⸗ ligion geändert haben, find fie den guten Sitten ihrer Väter treu geblieben und gleichen in jeder Beziehung, bie Kleidung ausgenommen, ihren Brüdern von Karthli.

c) Die Griechen machen den Fleinften Theil der Bevölferung aus und beftehen nur aus etwa 50 Fami⸗ lien; an ihnen ift nichts mehr griechifch, als ihr Name, da fie ihre urfprüngliche Sprache und Sitten faft gänz- lich vergeffen und fchmiegfam die der Türfen und Arme- nier dafür angenommen haben. Sie find liftig, habgierig, treulo8 und roh. |

d) Die Karapapadhen haben ihre Benennung von den hohen, aus ſchwarzem Schaffell verfertigten Mützen, welche fie tragen. Kara heißt auf turfomanifch fehwarz, und papach eine Mütze von oben befchriebener Form, daher die Benennung Karapapa hen oder Schwarzmügler.

Die Karapapachen find urfprünglich türfifch-tatarifche Romaden, welche zu Ende des vorigen Jahrhunderts aus dem Bortfchalifhen und Schamchal'ſchen Gebiete einmwanderten. Sie erhielten vom Paſcha bedeutende Län⸗ dereien, ohne Abgaben dafür zu entri**en; ihre einzige Verpflichtung beftand darin, gerüftet zu '\fcheinen, wenn ein Aufgebot zum Kampfe an fie er. ine Gie halten viel auf fchöne Pferde und Waffen, bieten früher Die befte Reiterei des Paſchaliks und waren wegen ihrer Ges wandtheit und wilden Tapferkeit vom Paſcha fehr gefchägt.

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Shr alter Hang zum Kriegsleben thut ftch noch heute in den häufigen Räubereten fund, die fie begehen.

Ganz das Gegentheil von diefen, vbgleich derjelben Abkunft, ift ein anderer Karapapachenftamm, genannt Die Semiraffanen, welche fchon lange vor den oben ge- nannten eingewandert fein follen.

Ihre Lebensweife und Sitten gleichen ganz denen. der Älteften Nomadenvölfer. Sie haufen größtentheils am linfen Ufer ded Kur, in den Ihälern und Schluchten des Sandſhaks von Chertwis. Alljährlich Anfang Mai verlaſſen ſie ihre ärmlichen Winterwohnungen, verfam- meln ſich unter ihren Akſakali's*) und ziehen mit ihren Heerden in's Gebirge, wo fie die heißen Monate des Sommers zubringen; erft im September fehren fie in ihre ſchmutzigen Saklis zurüd.

e) Die Kurden des Landes zerfallen in zwei ver: ſchiedene Stämme, wovon fich der eine zur armenifchen Kirche und der andere zum Islam befennt. Die arme: nifchen Kurden zeichnen ſich durch elegantere Körperfor- men vortheilhaft vor ihren wohlbeleibtern türfifchen Brü- dern aus. Die Gewandtheit der Kurven im Rofjebändigen und Waffenführen, ihr räuberifcher Sinn und ihre Gaft- freundichaft find befannt.

f) Die Juden des Pafchalifs gleichen, ihre Sprache und Kleidung ausgenommen, in allem Uebrigen auf’8 Haar der Ärmeren ißraelitifchen Volksklaſſe Europa’s.

g) Die Zigeuner oder Boſchi find hier eben fo verſchmitzt, arbeitöfcheu und diebiſch, wie die, welche bei

*) Aelteſten des Stammeg, wörtlid Weipbärte.

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uns zu Lande umherziehen. Sie wohnen -zerftreut in den Dörfern des Sandſhaks von Atzchwér, befennen ſich zur armeniſchen Kirche und reden einen korrumpirten Dialekt der armeniſchen Sprache.

a** * *

Die Hauptfladt des Landes, Ahalzich, liegt in einem von dem Potzchofluſſe, dem Kaja⸗Dagh und ven ‚Ausläufern der Gebirgszüge von Perſaat gebildeten Win- fel, wo ſich die unanfehnlichen, eng zufammengebauten Häufer in einem Umfange von etwa drei Werft ausdeh⸗ nen. Die Stadt zerfällt in drei Theile: die Beftung, die Alt- und Neuftadt, welche legtere zwei durch den Potzcho von einander gefchieden find.

Die Türken nennen die Feſtung Achißcha-Ka⸗ Lefii; die Georgier haben dafür den alten Namen Ach ale⸗ Ziche (d. i. Die neue Befte) beibehalten, wovon auch Stadt und Land ihren Namen tragen. Die Gründung der DVefte wird, wie alle großartigen Bauten des Landes, von dem Volke der Königin Thamar zugefchrieben. Uns ter den im Innern der Ringmauern befindlichen Gebäuden tft nur die fchöne, leider jegt auch halb in Trümmern daftehende Mofchee näherer Beachtung werth, deren Grüns dung dem türfifchen Paſcha Achmed, welcher zu Anfange des achtzehnten Jahrhunderts über Achalzich herrichte, zugefchrieben wird.

Unter den durchgängig unanfehnlichen Gebäuden der Stadt thun wir nur der unfern der Feftung gelegenen türfifchen Bäder, fo wie der Kirchen Erwähnung, deren man ſechs in Achalzich- findet: eine georgifche, eine katho⸗

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liſche, drei armeniſche und einen iſraelitiſchen Kahal nebſt Synagoge. Der früher ſo berühmte Baſar von Achalzich trägt jetzt ein höchſt armliches Gepräge.

Bon der ehemaligen Bevölkerung dieſer einſt fo volk⸗ reihen Stadt ift feit der Befignahme durch die Ruffen faum eine Spur übrig geblieben; von den türfifchen Ein- wohnern haben fich alle wohlhabenvderen nach der Türkei zurüdgezogen, und die übrigen leben zerftreut in den Dör- fern der angrenzenden Sandſhaks. Nur einen Türfen trafen wir bei unferer Anwefenheit in Achalzich, und die⸗ fer eine ift ein rufftficirter; er heißt Omar Effenpi und ift Lehrer der türfifchen Sprache in ruffifchen Dienften.

Die Hauptbevölferung der Stadt befteht heutzutage aus Armeniern, wovon die meiften erft feit die Türken Achalzich räumten, aus Erferum eingewandert find.

Die Zahl der Einwohner beläuft fich nach den neue: fien Angaben, mit Hinzuziehung des Milttairs, auf 12000, unter welchen die Eingeborenen kaum den fünften Theil ausmachen. Nach der im Auftrage der ruffifchen Regie- rung im Jahre 1832 abgefaßten Statiftif des Pafchalifs, zählte unter der Herrfchaft der Türken die Stadt allein 50,000 Einwohner, heutigen Tages zählt die ganze Pro⸗ vinz faum noch fo viele.

Wie die Bevölkerung ift auch Handel und Wohls ftand der früher fo belebten und reichen Stadt außer- . ordentlich gefunfen. Hiezu haben die Ruſſen felbft wohl am meiften beigetragen, indem ſie Achalzich der ruffifchen Mauth⸗ linie einverleibten und fomit den Verkehr der Kaufleute mit ihren anatolifchen Nachbaren faft gänzlich abfchnitten.

Das Pafchalif Achalzich ift fo arm an eigenen Er-

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zeugniflen, daß man bier Alles gleichfam mit Geld auf- wiegen muß. Die Landbewohner haben felten nöthig felbft zur Stadt zu kommen, da eine Menge jüpifcher Klein- händler fortwährend mit waarenbepadten Eſeln von Dorf zu Dorf ziehen und den Leuten die Sachen in’d Haus bringen. . . | |

Obgleich hier wie überall wo fich Armenier aufhal- ten, Handel ihre Hauptbefchäftigung iſt, fo zeichnen fich doch auch viele unter ihnen als geſchickte Handwerker aus; befonderd werden bie hier verfertigten Eifen- und Stahlinftrumente, fo wie Metallarbeiten überhaupt fehr gefchägt und weithin verfandt. Auch die Waffenfchmiede, deren Zahl in den letzten Jahren fehr zufammengefchmols- zen ft, verdienen lobende Erwähnung. Als bemerfend- werthe Ortfchaften des Paſchaliks nennen wir noch Achal⸗ Falafi, Afpinfa und Chertwis, ſtark befeftigte Städt» hen mit vorwiegend armenijcher Bevölkerung,

P [7

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Die Völker zwifchen dem Auban und dem Schwarzen Meere

oder

Die Abchafifhen und Tſcherkeſſiſchen Stämme,

Indem wir die Einheit des Menfchenges fchlechtes behaupten, widerfireben wir auch jeder unerfreufichen Annahme von höheren und niederen Menfchenragen. Es gibt bild⸗ famere, höher gebildete, Durch geiftige Cul⸗ tur veredelte, aber feine ebleren Volksſtaͤmme. Alle find gleichmäßig zur Sreiheit beftimmt zur Freiheit, welche in roheren Zuftäns den dem Ginzelnen, in dem Staatenleben bei dem Genuß politifcher Inftitutionen der Gefammtheit als Berechtigung zukommt. NAlerander von Humboldt. Kosmos I. 385.

Wir theilen die in der Ueberfchrift bezeichneten Stämme in zwei Hauptgebiete, welche wieder in verfchiedene Un- terabtheilungen zerfallen:

a) Das Gebiet der Abchafen*) oder Abafen;

b) Das Gebiet der Adighé**). |

Das Gebiet der Abchafen wird durch Die große Kette in zwei Hälften gefondert und begreift in

*) Zweifelsohne das Abasgia der Byzantiner. **) Das alte Zycochia oder Zicchia.

nn und

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der fünlichen Hälfte zwifchen der m ymtba und dem Ingur: u.*) Das Land von Samurſachan, zwifchen dem In⸗

u. fr. fr.

fr.

EFRFRRFR

gur und der Galidfa. Das eigentlihe Abchafien, zwifchen ver Ga— lidſa und dem Vſyb. | Das Land der Dſhighethi, zwifchen dem Bſyb und der Ssotſcha.

Das Land der Sasdenf, an den Duellen des Bſyb und der Moöſymtha.

Sn der nördlichen Hälfte:

Das Land der Baßchaghi und der geflüchteten Kabarder, zwifchen dem großen und Fleinen Selentfbuf.

. Das Land der Abadſa, zwifchen dem Urup und . dem großen Selentjhuf.

Das Land der Bafchilbey, an den Quellen des

großen Selentfhuf und des Urup.

Das Land der Kyſylbéy, Jan den Quellen der gro: » der Tamm, ßen und der kleinen ber Schagiren, | Fade u der Bagh, an den Quellen des Chods.

*) Der Kürze wegen bezeichnen wir mit u. (unterworfen) alle unter ruf. Schuge oder unter ruſſ. Herrfihaft ftehenden, und mit fr. (frei) alle freien und unabhängigen Stämme. Doch gilt nur die leß- tere Bezeichnung in ihrer wahren Bedeutung, während der Begriff, welcher fich hier an das Wort unterworfen fnüpft, ein durchaus unbeftimmter ifl. Völlig unterworfen ift den Ruſſen Fein einziger der vielen zwijchen dem Kuban und Pontus haufenden ‚Stämme.

u.

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Das Land der Barafat, an den Quellen des Gups.

Das Gebiet der Adigh, zwifchen der Ssot⸗ ſcha, der Laba, dem untern Kuban und dem 1 Schwar— zen Meere.

Dazu gehören:

TREBERS

. Das Land der Jegerukai,

. Das Land der Begliney, zwifchen vem Urup und

Eh ons.

. Das Land der Mochothi, zwifchen der Laba

und dem Kars.

an den Ufern der Laba und bes Kuban; an der nords weftlichen Grenze Des Landes ber Nagai.

u ber Ademi, #" der Temirgoi. „nu der Shans,

» der Satjufot, » der Bſheduch. „» ber Abaſech, grenzt im Weften an -das Land der Schapßuch; im Süden an das Land der Schapßuch und der Ubych ; in Often an die Schaoug⸗ wafcha; im Norden an das Land der Gatjukoi und ‚ver Bſheduch.

Das Land der Ubych, zwiſchen den Schapßuch und den Dſhighethi. | . | Das Land der Schapßuch, grenzt im Often an das Land der Abafech und der Ubych; im Welten an das Land der Natchofuadfch; im Norden an den Kuban; im Süden an den Bontus. | Das Land der Natchokuadſch, zwifchen Taman, dem Kuban, dem Lande der Schapßuch und dem Pontus.

zwiſchen der Schaougwas ſcha (Schagh =: Bafıha) und dem Afips.

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Die Karatfchai an den Quellen des Kuban. Die Nagai (Rogaier) bewohnen den großen Län- derftrich zwilchen dem Kubam und der Laba*).

Die Abchafen oder Abaſen

gehören zu den älteften, aber auch zu den allerroheften Bolfsftämmen ded Kaukaſus. Sie haben weder den rit- terlichen Sinn der Adighé, noch die Bieverfeit der Geor- gier, noch den Gewerbfleiß ver Lesghier, noch den poeti- tifchen Hang der benachbarten Mingrelier und Imerier fur; Feine der hervorftechenden Eigenfchaften wodurd die übrigen Gebirgsvölker fich mehr oder weniger von ein= ander auszeichnen.

Ihre Sprache läßt auf urfprüngliche Verwandiſchaft mit der von den Küſtenvölkern des Pontus in verſchie— denen Dialekten geredeten Sprache der Adighé ſchließen, während eine ähnliche Verwandtfchaft unter den beiden Hauptvölfern felbft, ſchwer nachzumeifen fein dürfte. Wie in ihren gefellfehaftlichen Zuftänden, fo auch in Phyfiog- nomie und Körperbau unterfcheiden ſich die Abchafen we- fentlich von ihren tfcherfeffifchen Nachbarvölfern. Bei dunk⸗ lerer Farbe und unregelmäßigen Zügen, hat ihr Geficht einen rohern Ausdrud; ihr Körper ift hager, gewöhnlich von mittler Größe. Sie find rachfüchtig, blutbürftig, die- biich und treuloe.

Ein halbwildes Volk, wie das der Abchafen, welches ſeit Jahrtauſenden in feinen rohen Zuſtänden vegetirt,

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®) S. darüber p.' 147.

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ohne einen wefentlichen Fortſchritt zum Befleren gemacht

zu haben, fann Feine Gefchichte haben, wenn man anderd

nicht die Verheerungszüge fremver Völker, veren Schaus play es war, oder die Aufzählung einer Reihe biutiger Kämpfe, an welche fich Feine andere Idee als Die des. Raubes und Mordes Emüpft, Gefchichte nennen will.

Es gleicht ein folches Land einer Schneewüfte, wo die Fußstapfen derer, die fie durchwanderten, die einzigen Anhaltspunfte zur Forſchung find.

Lange und zu wieberholien Malen ftand Abchafien unter der Botmäßigfeit fremder Eroberer. Die beiven Vol: ter, welche fih am längiten in der Herrichaft des Landes behaupteten, waren die Georgier und die Türken.

Schon unter Juftinian wurde burch griechifche Mifftionäre das Chriftenthum in Abchaften eingeführt; doch war ed bier nur wie ein ebled Neid auf den wilden Baum des alten Aberglaubens gepropft, das wieder ver- dorrte und abfiel che venn es Früchte getragen. Unter ver Königin Thamar, weldye Abchaften ihrem Reiche einverleibt Hatte, wurden die Einwohner auf's Neue zum Ehriften- thum befehrt. Heutzutage findet man feine andere Spuren mehr davon, ald die Ruinen der theild prachtvollen Tem⸗ pel und Klöfter, wo dad Evangelium einft gepredigt wurde. Solange die Herrfchaft der Georgier dauerte, waren die Abchaſen dem Namen nach Chriftenz unter der Herrfchaft der Zürfen wurden fie Mohammedaner und ficherlich wä- ven fie eben fo gute Juden geworden, ald fie Ehriften und Mohammedaner waren, hätten die Kinder Ierufcho- layim’8 einmal das Land erobert.

Heimlich blieben die Abchafen immer ihren alten Sit⸗

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ten und der Berehrung ihrer alten Goͤtzen treu, obgleich es nicht ausbleiben Fonnte, daß ſich Manches aus ber chriftlichen und mohammedanifchen Kirche mit ihrem Kuls tus vermifchte. Sp feiern fie mehre Feſttage, eſſen Schweine⸗ fleifch und halten das Kreuz heilig nach der Weiſe ver Ehriften; auf der anderen Seite halten fie Faften und Wafchungen und dulden Bielweiberei nach der Welle der Zürfen*). Die alten Kirchen. und Klöfter, obgleich ſte uns benügt daftehen, gelten dem Volke für heilig. Auf ihren Altären legten früher die Abchafen, wenn fie glüdlich von ihren Streifzügen heimfehrten, einen Theil der Beute als Opfer für ihre Götter nieder. So fand ich in dem bes rühmten Tempel von Pitzunda noch im Jahre 1845 eine Menge folcher Friegerifchen Opfer, beftehend in Rüftungen, Gewändern und Waffen aller Art, aufgefchichtet. Wie

Mefitcha, der Gott der Wälder, einer ihrer vornehmiten Götter war, fo haben fie noch heute eine große Vereh⸗ rung vor alten Bäumen und befonvers vor Eichen. Jeder Stamm beftgt eine folche auserforene Eiche, welche bei feierlichen Verhandlungen gleichfam als Zeuge angerufen wird. Bor jeder gemeinfam wichtigen Unternehmung und befonder8 por einem Feldzuge verfammeln fie fih um

*) Wir haben nicht mit Beflimmtheit ermitteln Eönnen, ob ein in der von Broffet überfegten Geographie des georgifchen Zaréwitſch Machufcht angeführter, feltfamer Brauch Heute noch bei den Abchafen fortbefteht. Wachufcht erzählt: „Au Heu d’enterrer leurs morts, il les revötent de leurs habits et de leurs armes, les enferment dans des boites et les exposent sur les arbres. Si le mort vient & siffler (peter), ils croient que son repos sera à jamais respectö par la d6- mon.“

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die ehrwürbigften Eichen de8 Waldes, fihmüden die Aefte mit Waffen und bunten Tüchern, berühren den Stamm mit ihren Schwertern und fprechen dabei ein auf ihr Vorhaben bezügliches Gelübde aus *).

In den der Hüfte näher wohnenden Stämmen, wo fich der Einfluß des Islam fchon mehr geltend gemacht, find die alten heidnifchen Gebräuche faft ganz verſchwun⸗ den, während fie im Innern der Hochgebirge noch in ihrer urfprünglichen Eigenthümlichfeit ortbeftehen.

» * |

Die Abchafen Iebten früher, wie die georgifche Ehro- nif erzählt, unter Königen, welche faft fortwährend mit den benachbarten Völkern im Kriege ftanden. Später, ald das Land felbft zu wiederholten Malen die Beute fremder Eroberer wurde, löfte fi das Königthum auf und das Volk Iebte Jahrhunderte lang unter Ähnlichen

*) Bei ven alten Slaven fanden ähnliche Gebräuche ftatt, wie man denn überhaupt in Kultus, Sitte und Brauch aller Völker in ihrer Kindheit, eine überrafchende Aehnlichkeit findet. In Bezug auf Die Verehrung der Bäume bei den flavifchen Völkern führen wir eine Stelle aus Karamfin (Meber die Sitten der Slavo⸗Ruſ⸗ fen insbefondere) an:

»Die Stavo-Ruffen weiheten auch den Bäumen (befonders den hohlen) ihre Verehrung und ſchmückten fie bei feierlichen Gelegen⸗ beiten mit Linnen und Tüchern ... Das Semik-Feſt und ber noch heute furtbeftehende Gebrauch des Volks die Zweige der Bäume

‚mit Bändern zu umfchlingen, find ebenfalls Reſte eines alten Aber:

glaubens, defien Ceremonien in Böhmen noch nach der Einführung des Chriſtenthums geübt wurden, fo daß Herzog Briatfchislaf, erzürnt darüber, im Jahre 1093 alle vorgeblich Heiligen Wälder feines Vol⸗ kes in Blammen: aufgehen ließ.«

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Verhältniſſen, wie wir fie heute noch bei den Bölfern der Tſcherkeſſen finden.

Die jebige Dynaſtie wurde von einem georgifchen Fürften aus der Familie der Scherwafchidfe gegrün- det; doch war der Einfluß der Fürften dieſes Hanfes von jeher ein fehr geringer; nur wenige Stämme gehorchten ihnen; der größte Theil des Volkes lebte in wilder Zü- gellofigfeit und ihm galt Fein anderes Recht ald das der Blutrache, fo lange das Land nicht von mächtigen Fein- ven bedroht war. Im Kriege aber wurde ber Fürſt im⸗ mer als erfter Anführer anerfannt und Alle e reihten ſich willig unter ſeine Fahne.

Der Grund, warum die Dynaſtie der Scherwa— ſchidſe in Abchaſien nie zu hohem Anſehen gelangte, iſt wohl vorzüglich in dem Umſtande zu ſuchen, daß ihr Herrſcherthum kein gewordenes, ſondern ein gemachtes iſt.

Abchaſien ſtand, wie ſchon oben erwaͤhnt wurde, lange Zeit unter georgiſcher Herrſchaft. Die Sage erzählt, daß ein Fürſt Scherwaſchidſe, von dem Geſchlechte der Eri⸗ ſtaff, aus Liebe zu einer ſchönen Abchaſterin (oder gleich⸗ viel aus welcher Urſache) das Land vom georgiſchen Drucke befreite, und daß ihm das dankbare Volk zur Belohnung dafür den erſten Rang unter allen Fürſten des Landes zuerkannte. Bei vorfallenden Streitigkeiten wurde er zum Schiedsrichter aufgerufen; ihm wurde die Vertheidigung des Landes anvertraut, wenn ein Feind die Grenzen be⸗ drohte. Das Anſehen des Vaters ging auf den Sohn über und die Herrſcherwürde wurde erblich im Hauſe Scherwaſchidſe, ohne daß jedoch die Freiheit des Volkes dadurch im Mindeſten geſchmälert worden wäre. Das

177. Anfehen der Fürften and dem Gefchleghte der Eriſiaff, den übrigen abchaſiſchen Häuptlingen gegenüber, erhielt ſich im Lande nur fo lange fie e8 mit dem Degen in der Hand zu behaupten: wußten; es fan, wenn ein Schwãchling zur Regierung kam.

Der jetzige Herrſcher, Michael Scherwaſchidſe, deſſen Macht ſich nur auf einen Fleinen Theil des Lan- des ausdehnt, hat unter den. Ruſſen einen Anflug von europäifcher Bildung erhalten, ift dem Kaiſer ſehr ergeben und bekleidet den Rang eines Generallieutenants in rufe ſtſchen Dienſten. Abchaſten wird demnach gewöhnlich als ben rufftichen Staaten bereits einverleibt angeführt, ob-

gleich fich Fein Ruſſe ohne Lebensgefahr im Innern des Landes fehen laffen darf. Uebrigens leidet es Feinen Zwei⸗ fel, vaß es dem Jaren bei feiner eifernen Geduld gelingen wird, ſich nach und nach des Landes in Wirklichkeit zu bemächtigen, wie er fich deffelben auf dem Papiere bereits bemächtigt hat.

Michael Scherwafchivfe ift den Ruffen dadurch ſehr nützlich geworden, daß er auf eigene Fauſt mehre glück— liche Streifzüge gegen die benachbarten feindlichen Staͤmme unternommen hat; beſonders durch ſeinen gefahrvollen Ver⸗ heerungszug gegen den im Hochgebirge wohnenden Stamm Pßchu hat er ſeinen Namen mit blutigen Zügen in die Annalen des Kaukaſus eingeſchrieben. |

Seine Anhänglichkeit an Rußland ift leicht aus dem Umftande zu erflären, daß Michael feine Macht, fo be- Ihränft diefelbe auch fein möge, lediglich den Ruſſen zu verdanken hat, welche ihn, um einen in ihrer Schule ge- bildeten Bundesgenoſſen zu haben, zum Nachtheil des

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ihnen weniger ergebenen rechtmäßigen Ihronfolgers, zum Herrſcher von Abchafien ernannten.

Den Grund zu Rußlands Erfolgen‘ in Abchaften, wie überall am Kaufafus, wo der moskowitiſche Einfluß fih nach und nach geltend gemacht hat, legte Fürft Zizianomw, ein Georgier von. Geburt, aber dem Kaifer - Alerander mit unmwandelbarer Treue ergeben; der feinfte Politiker und der gefchictefte Adminiftrator, welcher je-an der Spige der Verwaltung diefer Länder geſtanden.

Zizianow war ein Mann von impofanter Perfönlich- keit, durchdringendem Berftande, umfafienden Kenntnifſen und feltenem Tafte. Er führte mit gleicher Gewanbtheit Degen und Feder. Seine im Archiv zu Tiflis aufbewahrs ten Denffchriften, Broflamationen, Berichte u. f. f. find Meifterwerke der Diftion. Auf das Genaueſte vertraut mit Sprache, Sitte und Brauch der Länder, welche er verwaltete, wußte er die Bergoölfer mit ihren eigenen Waffen zu ſchlagen. Glücklich in feinen Friegerifchen Un⸗ ternehmungen, verftand er ed auch, pad Vertrauen und die Achtung der Beflegten zu gewinmen, indem er ihre Religion, Sprache, Gefege und Sitten unangetaftet Tieß, Seine Regierung war eine Zeit des Segens für Geors gien. Hätte Rußland feinen weiſen Rathichlägen auch fpä- ter immer Folge geleiftet, fo wären Hunberttaufende feiner Krieger weniger am Kaufafus gefallen. Schade, daß dies ſes eminente Talent feiner befferen Sache diente!

Zizianow hatte mit trauerndem Herzen den Unter⸗ gang feined Vaterlandes gefehen; er begriff die ganze Größe des Verderbens, das mit der rufiifchen Zwangs⸗ berrfchaft über Georgien hereinbrach, aber er begriff auch,

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daß, nachdem der verhängnißvolle Schritt einmal geſchehen, jeder unzeitige Widerftand das Verderben nur größer machen würde.

Er mußte, wie wenig bei feiner durch Fremdherrſchaft und Drangſale aller Art erſchlafften Nation, bei dem ſtolzen und ritterlichen, aber verarmten, einſichtsloſen und meinungszerſplitterten georgiſchen Adel auf kräftiges Zu⸗ ſammenwirken zu rechnen war, und er verzweifelte an einem ſchnellen Wiederaufſchwunge Georgiens.

‚Aber Thätigkeit war feinem ehrgeizigen und ftreb- famen Geiſte Bedürfniß; er mußte einen ſeinen Fähigkeiten angemeſſenen Wirkungskreis ſuchen und er trat in rufs ſiſche Dienſte; denn hier allein bot ſich ihm die Ausſicht dar, auch feinem eigenen Lande zu nützen.

Er kannte die fchlüpfrigen Wege der rufftfchen Ver:

waltung und die Verderbtheit ruffifcher Zuftände, aber er hielt das Uebel nur für ein vorübergehenves; der Tod Paul's des Wahnfinnigen belebte ihn mit großen Hoff nungen für die Zukunft. Er ſah mit den Beften feiner Zeitgenofjen in Aleran- der eine aufgehende Sonne, deren Strahlen Rußland aus jeiner Erftarrung weden würden; er fonnte nicht ahnen, daß Alerander der Katfer alle die glänzenden Hoff- nungen unerfüllt laffen follte, zu welchen Alerander der Menſch und Kronprinz berechtigte. Denn heutzutage herricht unter allen Sadjfundigen wohl nur Eine Stimme darüber, daß Alexander der befte Menſch und der ſchwächſte Herrſcher geweſen, der je auf dem ruffffchen Throne gefeflen...

Doch Tehren wir nach diefer Abfchweifung zum eigent- lichen Gegenftande unferer Betrachtung zurüd.

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„Die Abchaſen (fagt Eichwald I. 311), in deren Lande Such umkale liegt, halten fih für Abfömmlinge "der alten Aegypter oder wohl gar der Abyffinier, weil fie fich felbft Mbene nennen; Andere dagegen glauben, daß fie von den Armeniern abftammen.”

Mir haben und fchon früher darüber ausgefprochen, was wir von folchen grund=- und bodenlofen Anfichten haften, die um fo unfinniger erfcheinen müflen, wenn fie von Gelehrten herrühren, weldje, wie H. v. Eichwald, pie betreffenden Völker, doch aus eigener Anſchauung fen- nen gelernt haben. 2 |

Wir find durch mehrmöchentlichen Aufenthalt im Lande fetbft, fo wie durch ven Verkehr mit Beamten und Offi- cieren, welche ver Dienft Jahre lang an das Land feflelte, mit den abchafifchen Zuftänden ziemlich vertraut geworden und dürfen die Behauptung wagen, daß unter den Ein- geborenen, die ihr Vaterland nie verlafien haben, nicht ein Einziger ift, der die Aegypter und Abyffinier auch nur dem Namen nach fenntz diefenigen Abchafen aber, welche in Rußland erzogen find, wiflen von Den beiden erwähn- ten Völkern gerade ſoviel, ald ihnen ihre ruſſiſchen Schul- meifter davon erzählt haben; es leuchtet ein, wie abfurd vemnah die Behauptung erfcheinen muß, die Abchafen wähnten von den Aegyptern oder Abyffiniern abzuftammen.

Wenn fich in Sprache, Sitte und Körperbildung des Volks irgend eine Achnlichkeit mit den alten Aegyptern oder Abyſſiniern zeigte, fo könnte die entfernte Analogie des Namend Ayfua, (nicht Abene) wie fich die Abcha- fen in ihrer Sprache nennen, den Forſcher allerdings in der Annahme urfprünglicher Berwanptfchaft beftärfen; da

181. aber unter den in Frage ſtehenden Voͤlkern ſelbſt keine Spur ſolcher Aehnlichkeit vorhanden ift, fo muß auch das Analoge in der Benennung als etwas rein Zufälliges be- trachtet werden. Ein Gleiches gift in Bezug atıf die An- nahme ‚derer, Welche die Abchafen von den Armeniern ab— ftammen laffen.

Es dürfte hier vielleicht der Platz ſein aus unferm Tagebuche eine den fraglichen Gegenftand betreffende Etelle anzuführen, welche, ald ein dem Leben entnommenes Bild, den Leſer befähigen wird, fich felbft ein Urtheil über” die Belehrung zu bilden, die man aus der Unterhaltung mit ungefchulten Abchafen fchöpfen Fanın. |

„Auf ver Reife von Utſchamtſchuri, einem *ab- chaſiſchen Hafenplatze, nach Bambor, dem Standquar⸗ tier des Generalmajor's von Wrangel, traf ich mit Fürſt Lewan, einem nahen Verwandten des Herrſchers von Abchafien, zufammen. Er war, von einem: zahlreichen Ge⸗ folge. umgeben, i im Begriff, vem Fürften Michael Scher- waſchidſe in feiner Reſidenz Ssojuk-Ssu einen Be: fuch abzuftatten, ließ fich jedoch Durch meine und meiner Reifegefährten Bitten bewegen, auf ein paar Stunden unfer im Didicht des Waldes aufgefchlagenes Lager zu theilen und ein Glas Thee mit und zu trinken.

Sch benutzte mit Eifer die günftige Gelegenheit, meine Notizen über dad im Innern noch fo wenig befannte Land der Abchafen zu berichtigen und zu vermehren, fand aber bald zu meinen Bedauern, daß in diefer Beziehung aus der Unterhaltung mit Fürft Lewan wenig Bortheil zu ziehen fei.

Da er, wie die meiften Vornehmen des Landes, der

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tatarifchen Sprache mächtig war, fo Fonnten wir und ohne Dolmetfch verftändigen; aber alle meine ihm vorgelegten Sragen ſchienen ihm jo fomifcher Art, daß er ein lautes Gelächter nur halb, und fen Erftaunen gar nicht zu uns terprüden im Stande war.

Aus dem Beſcheid, welchen er mir über den Urfprung her Abchafen gab, merfte ich bald, daß feine Ideen über Ahftammung nicht weit über Vater und Mutter hinaus- gingen.

Eben fo wenig wußte er mir. über die Meinungs: verfchievenheit feines Volks im Punkte der Religion zu fagen. Er wußte nur, daß er felbft ein gläubiger Moham⸗ medäner ſei, und daß mehre abchaſiſche Stämme Schweine: fletfch Aßen und andere fündige Gebräuche hielten, darum habe fich aber Fein vernünftiger Menfch zu ‚befümmern, die würden ihre Strafe ſchon dafür befommen.

Am intereffanteften fchien mir, was er über die Hand- habung der Gerechtigkeit in feinem eigenen Stamme fagte, wo Montesquieu's kluger Cab: „I ne faut pas faire- par les lois de que l’on peut faire par les moeurs‘, noch feitie volle Kraft und Geltung hat. Daß unter einem Volke, für deſſen Sprache noch Feine Schriftzeichen erfunden find und wo außer einigen Mullah's und Häuptlingen, welche ſich der türfifchen Sprache bevienen, Niemand Iefen und fohreiben kann, auch feine gefchriebenen Geſetze eriftiren, verfteht fich von felbft.

„Wenn in meinem Stamme“ fagte Fürft Lewan „Semand eine Sünde begeht, wodurch er mir oder Ans dern fchadet, fo trifft ihn die verdiente Strafe dafür, zu feiner eigenen Buße und ‚zur Warnung der Uebrigen.

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Schadet er fich aber felbft nur damit, fo ift fein eigener Schade ihm Strafe genug; für das Uebrige wird Allah fchon forgen. Wenn mich ein Feind beleidigt, fo trinft mein Schwert fein Blut; dent Rache geziemt dem Manne. Wenn aber Jemand die vorgeſchriebenen Waſchungen nicht haͤlt, oder Schweinefleifch ißt, fo Eebt der Schmuß der Sünde und des Ungehorfamsd an feinem eigenen Leibe und er it fich ſelbſt fein Verderben; was geht's mich an? Keiner Houri Lippe wird feinen Mund berühren "und Das Feuer der Höle wird feinen Leib fchon rein bren- nen. Wer fünbigt, ift ein Kefir, ein Ungläubiger; denn ‚der, welcher den wahren Glauben hat, Fann. nicht fündi-

gen. Der Prophet hat gejagt: Wenn der Gläubige fraus

cheit, fo hält ihn Gott felbft bei der Hand zurüd!“ Hierauf fchlürfte Fürſt Lewan mit fihtbarem Wohl gefallen ein Glas Thee herunter und blied den Dampf feines Tſchibuq's in dicken Wolfen vor fih hin. Dem Glaubensbefenntniffe unferes Gaftes folgte eine kleine Pauſe, welche ich durch verſchiedene Einwendungen

auf feine Anſichten zu unterbrechen ſuchte; aber ich merkte

bald, daß er nur ungern auf den abgehandelten Gegen- fand zurüdfam, und gab deßhalb dem Gefpräche eine an— dere Wendung, indem ich die Geographie und Statiftik des Landes in’d Auge faßte.

In diefem Fache jedoch fchien der junge Fürft weni⸗ ger beredt und bewandert, als in dem Gebiete des Rech⸗ tes und der Religion.

Von den Bergen des Kaukaſus kannte er nur den Orfi-Itub (Elborus), den Aufenthalt der Glück— ſeligen, bei Namen; doch war feine Ausſprache dieſes

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Namens weit entfernt, unfererSchreibweife zu entfprechen, wie es denn überhaupt unmöglich ift, die Wörter der an feltfamen Zifch- und Kehllauten fo reichen Sprachen der Bergvölfer mit unfern Schriftzeichen auch nur andeutungs- weife richtig auszudrüden. Alle übrigen Berge hießen bei ihm Dagh, (Berg) fo wie er alle Flüſſe Ssu, (Waſſer, Flug) nannte.

Auf meine Fragen’ über Zahl, Umfang und Bedeu⸗ tung der Drtfchaften des Landes gab er mir, halb eritau- nend, halb lächelnd ob meiner Reugier, die überrafchende Auskunft, daß es in Abchaſien eine beträchtliche Menge Ortſchaften gebe, unter welchen die, wo viele Familien . zufammenwohnten, an Umfang größer, diejenigen aber, wo weniger Samilten hauften, an Umfang Fleiner wären. Eine Bemerkung, deren Richtigfeit Niemand bezweifeln wird!

Als ich nun gar um den Kelch bis auf die Neige zu leeren auch die Zahl der Einwohner des Landes wiffen wollte, brach Fürft Lewan mit feinem ganzen Ge⸗ folge in ein lautes Gelächter aus. Der liebendwürdige Prinz wußte nicht recht, ob er mich für dumm oder ver- rüdt halten follte. „Aber zählt man denn fagte er, mitleivigen Blickes den Kopf fchüttelnd zählt man denn bei Euch die Menfchen wie das liebe Vieh?"

Daß ich nach al Diefem auf die gelehtte Frage über die Adftammung der Abchafen von den Aegyptern, Abyfs finiern und Armeniern nicht wieder zurüdfam, wird der freunvliche Lefer begreifen und entfchuldigen.

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- Die anmuthig gelegene Refivenz‘ des Fürften von Abchaſien, Ss ojuk⸗Ssu, zählt ætwa 5000° Einwohner. Die übrigen (mehr durch ihre Vergangenheit als durch ihre Gegenwart) bemerkenswerthen Ortſchaften des Lan⸗ des find größtentheils Küftenpläge und befinden ſich ſaͤmmt⸗ lich im Beſitz ver Rifſſen. Seit den aͤlteſten Zeiten waren die Abchafen berühmt als Führe Seeräuber; auf eigen- thümlich geformten, fowohl zum Rudern ald zum Segeln. geſchickter Fahrzeugen, genannt Oledſ chkandar, welde won 100 bis 300 Mann trugen, machten fie Jagd auf fremde, beſonders gurifche und türfifche Schiffe, und fehrs ten gewöhnlich mit reicher Beute beladen heim. Die Seeräu« berei machte früher, wie Wachufcht erzählt, einen Haupt nahrungszweig des Volfed aus, dad darüber Aderbau und friebliche Gewerbe vernachläffigte. Anaklea, Dranda u. f. w. waren eben fo gefürchtete Piratenneſter an der Küfte von Abchaſien, als Modon und Parga an der Küfte von Al banien.

In neuerer Zeit iſt den Abchaſen von Ruſſen das Seeräuberhandwerf gelegt worden und ihre alten Sta⸗ pelpläge find in ruffifche Seftungen umgewandelt. Die Nas men dieſer Küftenfort$.,, welche ſämmtlich einen mehr ‚oder minder bedeutenden Baſar beherrichen, find: Ilori, Drafda, Souchnum-Kalé, Bambor und Pikunda. Unter dieſen verdienen vorzüglich die ehemaligen Biſchofs⸗ ſitze Dranda und Pitzunda (Bitſchwinta) wegen ihrer groß⸗ artigen Tempelruinen aus der alten Zeit beſonderer Er⸗ wähnung.

Ueber die Schönheit, Fruchtbarkeit und das geſunde Klima Abchaftens haben wir ſchon früher andeutungsweife

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gefprochen. Alle Füͤchte und Getreive-Arten gedeihen "hier in ftrogender Fülle, aber wild und unveredelt wie die Be- wohner ded Landes, welche gerade nur ſoviel Aderbau treiben, als nöthig iſt, um ihre dringendſten Bedürfniſſe zu befriedigen. Die Flüſſe find reich an Fifchen und die Wälder an Wild und Gevögel. Unter den Thieren müf- fen wir vor allen der großen abchaftfchen Ziege Erwäh- nung thun, die ihres edlen Wuchfes und feinen, langen - Haares wegen feit Alters berühmt iſt.

Unter den in den Handel fommenvden Produkten des Landes nennen wir befonders den abchaftfchen Honig, wo— von man große Niederlagen auf dem Bafar von Konflan- tinopel findet. Diefer Honig ein Produft der in ven, Spalten der Felfen bauenden wilden Biene hat die merkwürdige Eigenfchaft, nüchtern genoffen, einen fürms lichen Raufch zu erzeugen, weßhalb er auch bei ftreng- gräubigen Mohammedanern die Stelle geiſtiger Getränke vertritt.

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Wir fönnen unfere kurze Schilderung des Landes und Volkes der Abchafen nicht fchließen, ohne einige all⸗ gemeine, nicht blo8 für gegenwärtiged, fondern auch für alle vorhergehenden und kommenden Capitel geltende Be⸗ merkungen hinzuzufügen.

Bei dem ſeit Jahrtauſenden beſtehenden großen Voͤl⸗ ker⸗ und Sprachenwirrwarr im Kaufafus, wo man an einigen Orten auf einem Blächeninhalte von zehn Dua- dratmeilen faft eben fo viele wenn auch urfprünglidh- verwandte, doch in ihren heutigen Zuftänden mehr ober minder von einander abweichende Stämme zuſammen⸗

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gebrängt findet, ift ed unmöglich, für jenen Stamm und. Dialekt eine genaue Scheiveßnie zu ziehen. Es würde ein ſolches Unternehmen eben fo ſchwierig und unerquidlich in feiner Ausführung, wie nutzlos in feinen Refultaten fein.

Wir haben daher, um und wicht zu fehr in Einzel ‚beiten zu verlieren und .um eine leichtere Ueberſicht zu ge⸗ winnen, nur die größeren und befannteren Stämme einer. beſonderen Betrachtung gewürdigt, während wir bie übri⸗ - gen zahlfofen Clans nach ihrer theild erwiefenen, theils muthmaßlichen Sprach⸗ und Stammverwandtfchaft gleich" fam unter Eine Kappe gebracht und nach Völker und Sprachgebieten georbnet haben.

Da aber diefe Voͤlker⸗ und Sprachgebiete in den Kür ftenländern des Pontus weniger fcharf abgegrenzt find, als in.den übrigen Theilen des Kaufafus, fo hat man bier unfere allgemein gehaltenen Schilderungen vorzüglich auf den Kern oder die größere Mafle des in Frage ftehenven Bolfes zu beziehen, während die an den Grenzen haufens den Stämme nur ald vermittelnde Glieder zu betrachten find, von welchen man, wegen ihrer gemifchten Bevölfes rung, in Bezug auf Sprache und Sitte, oft nicht weiß, welchem Gebiete fie urfprünglich angehören.

So werden, um nur ein Beifpiel anzuführen, die zwifchen dem Bſyb und ver Ssotſcha haufenden Dfhi- ghethi von Einigen den Stämmen der Adighe und von Andern den abchaſiſchen Stämmen beigezählt, während Wachuſcht in feiner großen Faufafifchen Geographie die Dfhighethi als ein felbitändiges Volk aufführt.

Wir find bei der dieſes Capitel beginnenden Einthei⸗ lung der EZubano = pontifchen„ Bölkerfchaften den neueften

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rufßfchen Statiftifin gefolgt, welche, als ein Ergebniß aller bisher über den fraglichen. Gegenftand angeftellten Forfchungen, für den Augenblick als die befte Quelle be⸗ trachtet werben müſſen. Nach unferer eigenen Anftcht be⸗ trachten wir Die Dſhighethi ald einen urfprünglich abcha= fifchen, aber mit Ubychen und Abafechen ftarf gemifchten Stamm, welcher in Sprache und Körperbildung zwifchen den Abchaſen und Adighé fo ziemlich die Mitte Hält.

Wir geben hier, ver Vollſtändigkeit wegen, eine kurze Schilderung des kriegeriſchen Völkleins der Dfhighethi, indem wir das. von Wachufcht darüber Gefagte mit den unferm eigenen Tagebuche entnommenen Notizen ver⸗ gleichend zuſammenſtellen.

Die Dſhighethi.

„Das anf Apchaſeth (Abchaſien) folgende, weſt⸗ lich von der Kappétis-Tzchal (Biyb9) liegende Land wurde feit der Herrfchaft der Bagrativen bis auf unfere Tage Dſhigheth genannt. Diefer Name fommt in dem Leben Wahtang-Öurgarslam’sd gleichfalls. vor ale Bezeichnung des Landes, welches nördlich von dem oben- genannten, jenſeits der Centralgebirgsfette bi8 an’d Meer reicht. Das heutige Dihigheth aber hat als Grenzen: im Diten den Kappet (Bfnb), im: MWeften und Süden dag Schwarze Meer und im Norden‘ ven Kaufafus.

„Die Erzeugniſſe des Landes, die Begetation, das Thierreich, die Sitten und Gebräuche der Bewohner find ganz diefelben wie in Apchafeth: nur find die Menfchen : wo möglich noch roher und wilder. Bon dem Chriſten⸗

ihum, welches ehemals hier we SR: heutzatage fat

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feine Spur übriggeblieben. In ihren Waffen. ihrer. Klei⸗ dung, fo wie in ihrer Art, Krieg zu führen,. find Die. Ab- hafen und Dihighethi. ganz den Tſcherkeſſen gleich." Co - weit Wahufcht. Wir haben an der ſehr Furzen Schil⸗ berung nichtd weiter auszufegen, ald daß das Rohere und Wildere eher auf. die Abchafen als auf die Dihi- ghethi Zu beziehen wäre, e8 fei denn, daß man die Ab- “Hafen für friedfertiger halte, weil fie fich leichter unter ein fremdes Joch zu fchmiegen wiflen, und die Dſhighethi für wilder, weil Unabhängigkeit ihnen gleichſam Lebens⸗ bedingung iſt.

Zur Zeit meines. Aufenthaltes an der Oſtküſte des Pontus (im Jahre 1845) herrſchte große Theurung in allen Youlen der unabhängigen Tſcherkeſſen. Die Ernte des ‚vorigen Jahres war mißrathen, aller Vorrath' war aufgezehrt, der. Hunger raffte eine Menge Menjchen da- bin und nirgends bot fih Hoffnung, zur Verbefferung der tranrigen Zuftände dar; die ſchon mit dem Frühling des Jahres 1845 anbrechende große Dürre drohte das Vers derben nur noch größer zu machen.

Die Ruſſen knüpften an dieſe Zeit der Drangfal die. -frendigften Hoffnungen zur baldigen Unterwerfung der Küftenvölfer; niemals herrfchte, das ganze öftliche Litto— tal des Pontus entlang, fo ſtrenge Wache, wie in dieſer Unglüdsperiode; alle Zufuhr von der Meeresfeite her war ven Tſcherkeſſen rein abgefchnitten und von ver Landſeite fonnten fte eben fo wenig auf Unterſtützung hoffen. Trotz⸗ dem war von Unterwerfung feine Rede bei ihnen.

Niemals fah man die von den rufftfchen Küftenforts beherrfchten Bafars fo von Tſcherkeſſen wimmeln, als im

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Jahre 1845, Ste famen täglich in großen Haufen her⸗ beigeftrömt, um ihre Gefangenen, ihre entbehrlichen Waf- fen und Koftbarfeiten gegen Brot zu vertaufchen. Aber an Unterwerfung war nicht zu denfen, fo vortheilhaft fcheinende Anträge ihnen auch pon den Ruſſen in dieſer Beziehung gemacht wurden. 8:

Die koſtbarſten Waffen, Rüftungen und Riefbungs- ftüde Fonnte. man auf den Bafard um einen Beutel Salz oper Mehl an fich bringen; ich war felbft Zeuge, wie um einen fo geringen “Preis ruſſiſche Solpaten, welche feit langen Jahren in der Sefangenfchaft gefchmachtet hat- ten, auögelöft wurden. Auf dem Bafar von Shotfcha zog ein prächtiger Zfcherfeflenfäbel meine Blide auf fi. Ich bot ein Goldſtück dafür. „Sieb mir einen Beutel Mehl fagte der Eigenthümer und der Säbel ift Dein!“

Der Sommer rüdte heran und die Noth nahm zu. Die Ruſſen glaubten, der Hunger würde die Tſcherkeſſen fhon mürbe machen und fie zwingen, ſich ihnen in bie Arme zu werfen; täglich wurden lange Unterhandlungen mit den ftimmführenden Häuptlingen gepflogen, aber an Unterwerfung war nicht zu denfen.

Sch war oft bei ſolchen Unterhandlungen mit den Häuptlingen der Ubychen und Dſſhighethi zugegen und der Anblick diefer herrlichen Männergeftalten gab mir al den Enthuflasmus wieder, welchen frühere unangenehme Berührungen mit den Tſcherkeſſen mir genommen hatten.

„Laßt und fagte Berfef-Bey, der ftolzge Übychen- Fürft, zum General X. laßt und ehrliche Feinde fein! St ed männlich gehandelt, durch Hunger zu erzwingen, was Ihr durch Waffengewalt nicht zu erringen vermoch⸗

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tet? Der Hunger hat mich zu Euch getrieben; das Elend meines Volkes ging mir zu Herzen; aber ich bin nicht gefommen mid) zu unterwerfen, fondern um Cuch an uns fer Recht und an Eure Ehre, zu gemahnen” “_

„It das die gerühmte Stogmuth‘ Eures Padiſchah's, daß er und verhungern laſſen will, um über Todte zu herrfshen? Wir verlangen Euer Brot nicht wir ver langen nur die. Freiheit anderes zu Faufen. Ihr'zählt es und als ein Verbrechen zu, daß wir "den Zügel Eures Herrfchers nicht auf und nehmen wollen aber tft das ein gerechter Grund uns verhungern zu laffen? Läßt auch der Reiter ein Pferd verhungern, deß ungezähmte Kraft. ſich feiner Leitung nicht fügen will? Und wollt Ihr grau- famer gegen und fein als' gegen unverftändige Thiere?“

Hier hielt Berfel-Bey einen Augenblid inne. Der General antwortete auf feines kriegeriſchen Gaſtes ener- gifche Rede in fo würdevollem Tone, wie es irgend unter bewandten Umftänden möglich war. Er fuchte das ange- führte Bild von Roß und Reiter zum Bortheile der Ruſ⸗ fen zu benügen, indem er bemerfte, daß wenn ein guter Reiter fein wildes Roß auch nicht zu Tode hungern läſſe, er den Hunger doch wohl zumeilen ald ein erlaubted Mit tel betrachte dad Thter zu bändigen und es für den Züs> gel geſchickt zu machen, u. ſ. w. Er ſprach von den men- fchenfreundlichen und liebevollen Abfichten, welche ver mächtige Ruffenkaifer bei all fein Eroberungen verfolge von dem Glücke und "Üeberfluffe womit der Himmel alle Unterthanen Se. Kaiferl. Maj. überfchütte, Segnuns gen, welche auch ven Tſcherkeſſen zu Theil würden, wenn fie fich nur in das ſanfte Joch Rußlands fügen wollten u. |. w.

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Der General gehörte zu den Einſichtsvollſten und Evelften feiner Kaftez die Worte feines Mundes ftanden nothwenpig im feltfamften Widerſpruche mit den Regun⸗ gen ſeines Herzens; aber er kannte feine Pflicht und wußte ihr Genüge zu leiſten. Er wußte, daß er nicht nach dem Kaufafns geſchickt war um ſchön— fonbern um nah Vorſchrift zu handeln.

Ueber vier Stunden dauerte die don beiden Seiten’ mit großer Lebendigkeit geführte Unterhaltung, welche der General dem noch Ähnliche Debatten mit andern Häuptlingen bevorftanden endlich folgenvermaßen ſchloß: „Höre, Berfef-Bey, fagte er Du Stolz Deines Stammes, höre mein letztes Wort! Bis eine größere Ueber⸗ einftimmung unferer Anfichten günftigere Refultate unferer Unterhandlungen herbeiführen wird, will ih" Dir einen vermittelnden Vorſchlag machen. Die Zufuhr vom Meere muß. Euch verfchloffen bleiben, denn fo iſt es der Wille meines Herrn, des Kaifers. Damit Ihr aber nicht fagen könnt, daß wir Euch dem Hungertode opfern wollen, ftelle ich es allen Hungerleivenden unter Euch frei zu und zu fommen, um an unfern Feftungswerfen zu arbeiten; es fol ihnen Beföftigung und reichlicher Kohn dafür werben, und mein Wort fei Dir Bürge, daß Keinem ein Haar gefrämmt werden foll.“

Berfef-Bey danfte dem General und erwiderte werde den Vorſchlag ſeinem Volke mittheilen, doch ohne dafür noh Dagegen zu rathen. .

Tags darauf verließ ich die Feſtung wo dieſe Unter- handlungen gepflogen wurden, um nach einer zweimöchent- lichen, ftürmifchen Fahrt auf dem Schwarzen Meere nach

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demfelben Orte zurüdzufehren. Ich war neugierig Näheres über den Eindrud zu erfahren, welchen die Vorſchläge des Generald unter den hungerleidenden Bergvölfern her- vorgerufen. Die Dfhighethi ſowohl wie die Übychen hatten die Botfchaft Berſek⸗Béy's und der übrige Häuptlinge, denen ein ähnlicher Befcheid geworben, mit Entrüftung aufgenommen; nur ‚dreizehn Individuen waren heimlich aus den nächitliegenden Aoulen in die ruffifchen Feftun- gen geflüchtet und von diefen dreizehn wurden wie ich fpäter erfuhr fünf niedergemegelt und die übrigen acht, derer man nicht habhaft werden konnte, von ihren Stammgenofien auögeftoßen, weil fie ihren Feinden, ven Ruflen, beim Bau ihrer Feſtungen hülfreiche Hand ges. lieben.

In diefem Einen Zuge ſpiegelt ſich der ganze Cha⸗ rakter der Bergvölker ab..

Berſek⸗Béy, der ſtolze uͤbychenfürſ, iſt derſelbe, wel⸗ cher in dieſem Jahre (1847) an der Spitze der Krieger ſeines Stammes die wichtige Feſtung Ssotſcha erftürmte und die ganze Befagung über die Klinge fpringen ließ.

Mein Aufenthalt in Ssotſcha*) dauerte nur wenige Stunden, während mich Umftände zwangen in ber be nachbarten Feſtung Ardiller**) über eine Woche lang zu verweilen.

*) Das Fort Ssotſcha liegt an der Küfte des Landes der Uby⸗ hen und ift auf den meiften ruſſiſchen Charten unter dem Namen Nawaginskoje aufgeführt. '

**) Ruſſiſch: krepost sswätawo ducha, d. 1. das Fort bes heilis gen Geiſtes. 13

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Mehr als alle meine Fahrten in den Küftenländern des Pontus trug diefe eine Woche dazu bei mich über die heutigen Zuftände der Ticherfeflen aufzuklären und vorgefaßte irrige Meinungen abzuftreifen.

Der Kommandant der Feftung, Swan⸗Béy war, obgleich ein Dſhigheth von Geburt, Major in ruffifchen Dienften. In früher Jugend durch feltfame Fügungen des Schidfald in die Hände der Ruflen gefallen, hatte er in Petersburg eine militairifche Erziehung genoflen, war nach beftandenem Eramen als DOfficier nach dem Kaufas ſus gefchidt worden und im Laufe weniger Jahre zum Major avancirt. Er Hatte mit Auszeichnung gegen bie Zichetfchenzen und vie Bölfer des Dagheftan gefochten, war aber nie zu bewegen geweſen gegen fein Baterland zu fümpfen. Er wußte das Bertrauen der Rufien in fo hohem Grade zu gewinnen, daß man ihn zum Kommans danten der an der Küfte ded Landes der Dihighethi ge- legenen Feſtung Ardiller ernannte, Hier war fein Haupts beftreben darauf gerichtet, ein guted Bernehmen zwifchen Rufen und Dihighetten zu unterhalten und es gereicht jedenfalls zu feinem Lobe, daß er hei beiven Bölfern in gleich großem Anſehen fland.

Swan-Bey hielt verzeihlicherweife die Ruſſen für das größte, mächtigfte und aufgeflärtefte Volk der Welt, da er fein beflered kennen gelernt hatte, und in dieſer Weber- jeugung firebte er ehrlich danach feinen Landsleuten bie Segnungen mosfowitifcher Civilifation zu Theil werben zu laflen. Ich fügte mich natürlich gern in feine Anſich⸗ ten über das eine Land, um Aufflärung über das an- dere zu erlangen, und ich hatte die Freude dafür alle

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meine Fragen fo zuvorfommend wie ausführlich heantwor⸗ tet zu fehen. |

Die Feftungsarbeiten in Arbiller leitete zur Zeit mei- ned dortigen Aufenthaltes ein polnifcher Ingenteuroffizier, ein vieletfahrener und vielfeitig gebildeter Dann, ven fein verhängnißvolled Schidfal während eined Zeitraums von zwölf Sahren in die Länder der Abchafen und: der Adi⸗ ghe gebannt hatte, und der mir in Folge dieſes Tangen Erild manchen intereffanten Auffchluß über die Berg- völfer geben Fonnte, deren Sprachen er, nah Swan⸗ Boy's Berficherung, mit ftaunenswerther Geläufigfeit hand⸗ habte.

Capitain X. war weder der Erſte noch der Letzte ſei⸗ nes Volkes, den ich in prometheiſcher Verbannung am Kaukaſus kennen lernte; ich wußte mit Leuten feines Schlages umzugehen und hatte bald des mißtrauiſchen weil hartgeprüften Mannes ganzes Zutrauen gewon⸗ nen. Ich ſprach mit ihm vom Anfang bis zu Ende unſe⸗ rer Bekanntſchaft weder über fein unglückliches Schichſal, noch über Polen, noch von Kaifer Nikolaus, noch über irgend etwas, dad dem feinnafigften Spion hätte zum Arg- wohn Veranlaſſung geben können.

Gapitain X. wußte mir Danf für meine Zurüdhals- tung. Auch fagte fein dunfled Auge und feine gefurchte Stirn mehr, ald Worte hätten ausdrücken können. Unfer Gefpräch drehete fich daher faft ausfchließlich um den mich zunächft intereffirenden Gegenftand: Die Tfcherfeflen und ihre Zuftände. Seine Bibliothek umfchloß beinahe Alles, was von Altern und neuern Autoren über den Kaufafus

gefchrieben. war; an jeved Werf legte er ven Maßſtab 13%

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eigener Erfahrung und es gab gemeiniglich viel zu ſchich⸗ ten und auszuſcheiden..

Mir werden Gelegenheit nehmen im nächftfolgenven Capitel Bieled von dem, was wir der Belehrung Swan⸗ Bey’s und Bapitain 8. verdanken, auszubeuten und be- fchränfen uns hier. darauf, einige das Land der Abchafen im Allgemeinen und das der Dſſighethi insbefondere bes treffende Notizen einzufchalten. |

Die Bewohner von Abchaften und Dfhighetht nen- nen fich in ihrer eigenen Sprache Apsua und das an der Meeresfüfte gelegene Land Apsne. Ste zerfallen in Für- ften, Edelleute und Bauern. Die Fürften heißen noch von der Herrfchaft ver Georgier her Thäwädi; die Eveln Amysthä. Bon Gagra bis Ssotſcha nennen die Ein- geborenen ihr Land Chaleis, d. i. dies ſeits der Berge, im Gegenfab zu Alan; jenfeits der Berge.

Der Name Dshigheth iſt forrumpirt von dem Worte Dshigith, welche8 nah Swan-Béy's Erflärung in der Sprache des gleihbenannten Volkes einen kriegsgewand⸗ ten Reiter bezeichnet *).

Ardiller bat feinen Namen von dem fürftlichen Geſchlecht der Ardil, welches einft in dieſer Gegend haufte, feit dem Einzuge der Ruffen aber im Innern des Landes zerftreut lebt. Bon den Bergvölkern wurde der Name des alten Aouls für das neuerbaute ort beibehalten, wäh-

*) Die Ruffen haben aus biefem Worte zwei andere gebildet: dshighitowatj (/PKHTHMOBAmB) dshighitowka ( APKUTHMOBRA ). Erfteres bedeutet bei ben Linienkoſaken ebenfalls: mit Gewandtheit ein Bferd tummeln und Friegerifche Hebungen babei anftellen ıc., wäh: rend Lepteres als Kommandowort dient beim Berfolgen des Feindes.

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rend die Ruffen daffelbe, wie wir gefehen Haben, heutzu⸗ tage das Fort des heiligen Geiſtes nennen.

Der Fluß, welcher ſich bei Ardiller in's Meer ergießt, heißt bei den Eingeborenen Moſym; der Name Moſym— tha, unter welchem er fälfchlih auf den Charten anges geben tft, beveutet urfprünglid am Mpf ym oder das am Mofym belegene Land.

Die Bornehmeren der Dſhighethi befennen ſch zum Islam, während das Volk ſelbſt noch zum größten Theile aus Götzenanbetern befteht.

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Die Adighe oder die eigentlichen Tſcherkeſſen.

Das ureinſäſſige Volt der Adighe, defien einzelne Zweige wir fchon dem Namen nach Fennen gelernt haben, nimmt durch feinen ritterlichen Sinn, durch. die patriars chaliſche Einfachheit feiner Sitten, durch die Schönheit feiner Körperformen, unter allen freien Völkern des Kau⸗ kaſus unftreitig. ven Erften Rang ein.

Indem wir das Volf ein ureinfäffiges nennen, bes fennen wir und zu der Anficht Derer, welche annehmen, daß die Adighé, fo weit die Gefchichte hinaufreicht, immer diefelben Wohnpläte, wo wir fle heute noch finden, inne gehabt haben. Es find dieſelben, welche bei ben Byzantinern unter den Namen ber Ziechen, Zyecht und Zecchen vorfommen. Der dem betreffenden Volke felbft unbefannte Name Tſcherkeß oder Cirkaſſier ift neuern Urfprungs, nnd wird von Einigen nah Klaps roth, von dem türkiſchen Worte Tfcherfaß (Wegabfchnei- der) und von Andern nach Senkowski, von dem nen—⸗ perfifchen Worte Sserkeſch (Räuber, Anführer) abge- leitet. IUnferes Wiffens iſt Chalcocondylas der Erfte, wel- cher der Tſcherkeſſen unter einem ähnlich Füingenben Kamen (Tfdgraooı) Ernährung thut.

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Ohne die vorhandenen VBermuthungen über die Abs fammung ded Namens Tfcherfeß durch neue zu vers mehren, und ohne die größtentheild fabelhaften Berichte, welche die Reifenden früherer Jahrhunderte über dad Volk der Adighé Hinterlaffen haben, zu wiederholen, werden wir gleich in medias res fpringen und verfuchen, die Zicherfeffen zu fchildern, wie fie die Gegenwart ung zeigt.

Die Religion dieſes Volkes ift, wie die der Abchafen, ein Gemiſch von Chriftenthbum, Islam und Heidenthum. Das Ehriftenthum, wovon heute nur noch wenige Spuren unter den Adighé zu finden find, wurde hier fchon im V. Sahrhunderte eingeführt, und blieb mit kurzen Unter» bredjungen die herrfchende, d. b. die von den Fürften und - Edlen befannte Religion viefer Länder, bis zum Auftreten des berühmten Scheich Manfur, welcher in ber lebten Hälfte ded vorigen Jahrhunderts im Kaufafus eine ähn⸗ lihe Rolle fpielte, wie in unfern Tagen ver geniale Zeöghierhäuptling Schamyl im Dagheftan.

Scheich-Manfurs gefchieht in den Annalen des Kaus fafus zum erften Male Erwähnung im Jahre 1785. Die: fer fanatifche Apoftel, deſſen Name noch heute bei allen i8lamitifchen Völfern vom Schwarzen bis zum Kaspifchen Meere in geheiligtem Andenken fteht, war nach ruffis ſchen Angaben ein von den Türken befolveter und mit unumfchränfter Vollmacht verſehener Emiffär, berufen die Lehre Mohammed's im Kaufafud zu predigen und. Die Bergvölfer gegen die anderöglaubenden Ruffen aufzumiegeln. Etatt die fabelhaften und verworrenen Gefchichten nach— zuerzählen, welche über das Leben und die Thaten Scheidh- Manſur's im Umlauf find, theilen wir in freier Rach—

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bildung ein auf diefen Partheiführer Bezug habendes Shafel mit, welches wir einem und befreundeten Effendi aus Schirwan zu verdanken. haben:

„Scheich⸗Manſur, den flarfen Held des Glaubens, Singt mein Lied, das feinem Ruhm geweihte, Ihn, den Sämann auf dem Feld des Glaubens, Fleckenlos im Wandel, ſtark im Streite!

Allem Bolt bahnt er den Pfad des Glaubens Der Arighe, Dagheſtan's und Schirwan's;

Seine Zunge freut die Saat ded Glaubens

Und fein Bli erhellt die Nacht des Irrwahn’d; Seine Worte find der Rath des Glaubens,

Des alleinig heiligen und wahren

Und fein Schwert zeigt uns die That des Glaubens, Rettet und von Drangfal und Gefahren.

Alles fchaart fi) um den Held des Glaubens, Im Triumph von Land zu Lande zieht er,

Düngt mit Blut das heil’ge Feld des Glaubens, Mit dem Sündenblut der Moskowiter!

Ihre Brut tilgt der Prophet des Slaubens, | Und die Gläubigen führt er zum Siege

Bon Chafaris Meere *) weht des Glaubens Banner bi zum Lande der Adighé:

Drum zum Ruhm dem flarfen Held des Glaubens, Scheid-Manfur, vom Volke der Osmanen,

Sang dies Lied ein Sproß vom Feld des Glaubens, Kuli-Chan, vom Stamm der Arakanen.“

*) Das Kaspifche Meer.

u ———

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Am Jahre 1791 wurde der friegerifche Prophet bei der Erftürmung der Feſtung Anapa von den Ruſſen gefangen genommen und ftarb bald darauf elendiglich im Gefärngniſſe auf der Infel Ssolowetzkoy *). Seit Scheich-Manſur befennen fich die Fürften und Eplen der Tſcherkeſſen faft fämmtlih zum Islam und gehören der Sekte der Sunniten an, während die größere Mafle des Volkes der Verehrung feiner alten Götter treu geblieben tft. Die vornehmften diefer Gottheiten find: |

1) Schibls, der Gott ded Donners, des Krieges und der Gerechtigkeit. Zu ihm beten die waffentragenden Männer, ehe fie zur Schlacht ziehen; ihm opfern fie die beiten Schafe der Heerde, wenn der Ausgang des Tref- fens ein günftiger geweſen. Ein vor dem Gefechte aus- brechended Gewitter gilt ald Zeichen guter Vorbedeutung; der Baum, in welchen ver Blitz .einfchlägt, gilt für hei- lig, unter feinen Zweigen findet der größte Verbrecher eine fichere Zufluchtöftätte. In gleichem Sinne wird ein vom Blitz erfchlagener Menſch für heilig gehalten und mit außergewöhnlichen Ehren zur Erbe beftattet.

2) Tleps, der Gott des Feuers. Die Verehrung diefer Gottheit ift gleichfam ein verftümmeltes Bruchftüd des Feuerdienſtes der Guebern, wovon noch verfchienene Spuren unter den im Hochgebirge haufenben Stämmen übrig geblieben find.

3) Sseoßéres ESeozeros), der Gott des Waflers und der Winde. Ihm gehorchen dad Meer und die Wolfen.

*) Ein ruſſiſches Wort; könnte etwa überſetzt werden: Nach⸗ tigalleninſel.

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Er läßt die Lawinen von den eiserftarrten Kuppen rollen und Quellen aus der Bruft der Berge fpringen. Der Aderömann, der den Gott um Regen bittet, gießt ein Trink⸗ opfer auf das verborrende Feld; die Braut deren Gelieb- ter, die Frau deren Gatte, die Mutter deren Sohn auf dem Meere weilt, vertrauen ihre Opfer einem dem Meere zuftrömenden Fluſſe an, defien Wellen die heilige Botſchaft freudig weiter tragen bis zu dem in der Tiefe thronenven Gotte, der feine Antwort durch das Saufen der Winde oder durch das Ziehen ver Wolfen fund gibt.

4) Sekutcha, der Gott der Reifenden, waltet über die Wanderer und beſonders über folche, welche ſich auf einer frommen Pilgerfahrt befinden. Er belohnt die Gajts freunpfihaft mit Segen und Gedeihen in allen Häufern, . wo fie gern und uneigennügig vollzogen wird. Bei der Anfunft und der Abreife eined Gaftes bringt ver Haus⸗ berr dem Gotte der Reifenvden ein Trinfopfer.

5) Mefitcha, der Gott der Wälder, hat feine Vers ehrung im Schatten feiner eigenen Haine, wo auch allen übrigen Gottheiten befondere Pläge geweiht find, welche, jo weit das Laubwerk der erforenen Bäume reicht, eben fo heilig gehalten werden und dem Verbrecher ein eben fo ſicheres Aſyl bieten, wie einft die Tempel der Griechen und Römer. Unter den heiligen Eichen des Waldes figen die Alten zu Gericht, wenn über wichtige Fälle entſchie⸗ den wird; bier berathen fie fich über Krieg und Frieden; bier verfammeln fie fich, ehe fie zur Schlacht ziehen u. f. w.

Ueber vie Regierung und Gerechtigfeitöpflege ver Bergnölfer ift ed jchwer etwas Beſtimmtes zu fagen, da hier in Ermanglung gefchriebener Gefepe Alles größtentheils

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nach altherfömmlichem Brauch geregelt wird, wo fich denn in jedem Stamme mehr oder minder große Verſchieden⸗ heiten zeigen.

Bei ven Stämmen, wo der Islam die vorherrſchende Religion ift, ſtützt fich die Rechtspflege hauptfächlich auf den Koran, wird aber überall durch örtliche und herfömms liche Berhältniffe modificirt. In einigen Stämmen figen blos Die Aelteften und Ehrwürdigſten des Aoules zu Gericht, und ihrem Urtheile unterwirft fich Jeder ohne Murren.

Das monarchiſche Prinzip, wie es früher bei den meiſten Voͤlkern des Kaukaſus herrſchend geweſen, iſt den Tſcherkeſſen von jeher fremd und verhaßt geblieben. Das Familienleben, wovon das Leben in Stämmen nur eine vergrößerte Fortfegung, ein erweiterter Begriff if, hat fh Hier durch Umftände und Bepürfniffe im Laufe der Zeit .zu einem eigenthümlichen Feudalſyſtem ausgebildet, welches lediglich durch die Idee der Gegenfeitigfeit, die Trägerin aller menfchlichen Gerechtigkeit und Ordnung, aufrecht erhalten wird.

Die. freien Tſcherkeſſen erfallen in drei ſtreng geſon⸗ derte Stände: Fürſten, Edelleute und Bauern oder gemeine Krieger. Die Zahl der Geiftlichen ift zu gering, als daß Diefe einen befondern Stand bilden Fönnten; fie ftehen in Anfehen den Evelleuten, oft felbft ven Fürften gleich. Die sablreihen Sklaven im Lande find ſämmtlich Kriegs⸗ gefangene oder Ueberläufer, welche felten mit unter ‚die Reihen der Kämpfer aufgenommen werben, ſondern theile angewielen find das Feld zu bebauen, theild Dienfts leiftungen in den Häufern der Vornehmen zu verrichten.

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Die höchfte Gewalt im Staate ift der Bolföwille; Die Fürften und ihre Bafallen, die Uspen (Evelleute), find nur die Bollftreder diefer Gewalt und zugleich Anführer im Kriege. Jeder freie Tfcherfeß ift geborner Soldat und hat feine Stimme in den Bolföverfammlungen, wo über Krieg und Frieden. die beiden Punkte, um welche fidh hier Alles dreht entichieden wird. Obgleich, wie oben bemerft, jeder Zicherfeß von Jugend auf in der Führung der Waffen geübt fein muß, ergeht an den Aderömann doch nur in Fällen dringender Roth das Aufgebot zum Kampfe. |

Die Fürften und die Bornehmften der Uspen find bie eigentlichen Grundbeſitzer; von ihnen halten die Uebri⸗ gen Land zur Lehne, wogegen fie geringe Abgaben an Vieh und Gerealien entrichten müſſen. Uebrigens liegen Aderbau und Gewerbe bier eben fo barnieder wie bei den Abchafen; die Tſcherkeſſen leben nicht um zu arbei- ten, fondern fie arbeiten um zu leben. Ihre trefflichen Rinder- und Schafheerden machen ven Hauptreichthum der Bewohner des Landes aus.

Die Bauern find den Usdeén zu einer Art Frohn⸗ dienſt verpflichtet; ed können jedoch hievon Ablöfungen ftaitfinden und die Bauern von den Fürften ihres Stam- mes felbft zu Usden ernannt werben.

Als höchſtes Geſetz gilt den Tſcherkeſſen, wie allen freien Völfern des Kaufafus, die Blutrache. Zwar Tann fih die Familie des Erfchlagenen unbefchabet ihrer Ehre mit dem Mörder verföhnen, welcher in diefem Falle den vorgefchriebenen Blutpreid zur Sühne entrichten muß doch finden folche friedliche Ausgleichungen nur felten

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ftatt und werben noch feltener gehalten. Gelingt e8 aber dem. Mörder, ein neugeborenes Kind aus dem Haufe feines Todfeindes zu ftehlen und daſſelbe heimlich zu er” ziehen, fo ift er dadurch auf immer vor der Verfolgung der Blutrache gefchüst. Führt er das herangewachſene Kind in die Hände ded Vaterd zurüd, wird alle’ Feind- haft alsbald vergefien und ein ewiger Friede beſchworen.

Erfhlägt ein Usden abfichtlih oder zufällig einen fremden Bauer, fo muß er einen Barant (Sühne, Schar denerfab) von 9 Jaſſiren (Sklaven) dafür entrichten, ohne jevoh vor dem Banne der Blutrache dadurch gefichert zu fein. |

Wird Jemand des Diebftahld überführt oder dabei ertappt, fo hat er das Geraubte dem Eigenthümer am hellen Tage perjönlich zurüdzutragen, dem Fürften over Usdén aber, unter deſſen Gewalt er fteht, 2 Ochfen als Sühne zu liefern.

Dieſes perfönliche Zurüdtragen des Geraubten iſt die fchlimmfte Strafe, die einen freien Tfcherfeffen treffen fann, der dadurch zum Spotte aller Männer feines Aoules wird; nicht etwa des begangenen Diebftahld wegen, ſon⸗ dern weil er fo ungefchidt war, fich dabei ertappen zu laffen; denn in Tſcherkeſſien ift das Stehlen in demfelben Sinne erlaubt, wie e8 bei den alten Spartanern der Fall war. Der gewandte Dieb rühmt fich eined gelungenen Raubes mit demfelben Stolze, wie er fich feines Muthes und feiner Tapferkeit rühmt; nur der Ungeſchickte wird durch die öffentliche Verachtung beftraft.

Ueberhaupt laflen fich aus den Zuftänden und dem Volksleben der Ticherfeflen eine Menge Züge auffinden,

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welche lebhaft an die Sitten der alten Spartaner er⸗ innern.

Der Tſcherkeß baut ſein einfaches Haus nie aus Stein, ſondern lediglich aus Holz oder leichtem Flechtwerk, denn es dünkt ihn für einen Mann, der Vertrauen auf bie Stärfe ſeines Armed hat, ungeziemend, ſich hinter fteinernen Mauern zu verbergen.

Das Edlibat gilt für entehrend; wer In reffern Jah⸗ ren noch .unverhetrathet ift, wird überall vom Spotte feis ner Stammgenoffen verfolgt. |

Der Gatte entführt feine Auserforene mit Gewalt; er muß fie, wenn die Einwilligung der Eltern fchon erfolgt und der vorgeichriebene Kaufpreis entrichtet ift, mit den Waffen in der Hand (verfteht ſich nur zum Schein), von ihren Verwandten erfämpfen. Eine ähnliche Sitte herrfcht faft bei allen Völkern des Kaukaſus.

Die Achtung vor dem Alter geht durch alle Stände und wird felbft von den einzelnen Familiengliedern unters einander mit großer Strenge beobachtet. Der jüngere Brus der fteht auf, wenn der ältere eintritt, ſchweigt, wenn der ältere redet und fpricht felbft nur, wenn er dazu aufges fordert wird.

Mohlbeleibtheit gilt. als entehrend wie bei Männern, jo bei Frauen; überhaupt finden SKörpergebrechen, die Blindheit ausgenommen, wenig Mitleid bei den Bergudl- fern. Wohlbeleibte Leute und folche, deren Aeußeres zu Spott oder Tadel Veranlaffung geben fönnte, vermeiden ed daher, ſich bei öffentlichen Feften und Bolfsverfamms lungen zu zeigen.

Wiſſenſchaften und Künfte werben vernachläffigt, wie

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denn weder die Völfer des Kuban, noch die des Dagheftan je eine eigene Schriftiprache beſeſſen haben. Nur Poeſie und Muflf, die beiden Tröfterinnen der Menfchheit, haben ſich nicht verfcheuchen laſſen durch den Lärm der Schlach⸗ ten. und die großartige aber wilde Natur des Landes, wovor alle übrigen Künfte bisher erbangend zurüdflohen. Die Poeſie, welche, befonderd in ihrer Kinpheit, ohne

Muſik nicht gedacht werden Fann, ift dem roheften Natur: menfchen eben fo fehr Bebürfniß, wie dem gebilvetften Europäer. Man kann fich eben fo wenig’einen blühenden Wald ohne Singuögel denfen, wie ein Fräftiges Bolt ohne Poeſie.

Bei Raturmenfchen, wie die Tſcherkeſſen find, ift die Poeſie zugleich der Inbegriff aller Weisheit des Volks, die Triebfever zu großen Handlungen und die höchfte Richterin auf Erden. Sie wandelt durch die biutgetränks ten Schluchten und Thäler Cirkaſſiens bald wie ein lächelndes Kind, dad Kränze in den Lorbeerhainen des Landes windet und damit Die Stirne der Helden ſchmückt, bald wie eine ftrafende Göttin, welche die Fadel der Rache in ihren Händen trägt und damit auf das Antlik der Feiglinge und Miffethäter dad Brandmaal der Verachtung brüdt.- Diefer Gedanfe des Fortlebens im Liede, welchen fhon Homer mit fo fehönen Worten ausprüdt: „Er wird fein ein anmuthiger und fchredlicher Geſang bei ven Nach: fommen“ —*) begeiftert den Tfcherfeffen zu rühmlicher Kraft« Außerung und hält ihn ab von unwürdigen und gemeinen Handlungen. Die Poeſie fpielt bier dieſelbe Rolle, wie

*) Odyss. 3. 204. etc.

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einft bei den alten Griechen und Arabern, wie bet unfern eigenen Vorfahren *) und wie überhaupt bei allen noch in der erften Phafe der. Entwidlung fiehenden Völkern.

Wo die Poefte alfo gleichfam die Trägerin aller gei- ftigen Errungenfchaft des Volkes ift, bietet jedes Lied ein vergeiftigted Stüd Volksleben, und die Kenntniß eines einzigen derastigen Liedes ift für den denkenden Geſchichts⸗ freund wichtiger, als die Schilderung von hundert Schlach- . ten und Belagerungen. Wir laſſen in diefem Sinne bier eind der fchönften uns befannt gewordenen Tfcherfeflen- fiever in freier Nachbildung folgen und find überzeugt, daß der finnige Lefer eben ſo viel Vergnügen wie Beleh- rung über dad Volk, defien Bruft ed entklungen, Daraus fchöpfen werde. Eine profaifche Uebertragung deflelben Liedes findet man, mit wenigen Abweichungen, in Bell's befanntem Reifewertfe.

Tſcherkeſſiſche Todtenklage.

Es trauern die Männer von Dfhighe, Geſang tönt und Elagended Spiel:

Denn der Schönfte des Volks ver Adighe, Pſchugũi, der Furchtlofe, fill... .

Er war noch an Jahren ein „Knabe, Doch gli ihm Fein Mann im Gefecht Jetzt liegt er ſchon mobernd im Grabe, Der Legte aus feinem Gefchlecht!

*) 8. Tacitus, de moribus Germ. I. 2. 3.

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Pſchugũi, ver Held, iſt gefallen!

Sein Blut färbt die Erde nun roth

Er hörte ven Schlachtruf erfchallen

Und eilte zum Kampf und zum Tod’. ‚Kühn brach er durch Dampf und Geſchoſſe, Durch Lanzen und Schwerter ſich Bahn, Und fprengte auf wieherndem Rofie

Zum Häuptling der Moskow heran.

‚Sein Schlachtkleid von blutrothem Sammte Flamme’ hell in der Sonme Geftrahl', Doch Heller und furchtbarer flammte

Sein Aug’ und fein blutiger Stahl!

| Getroffen von Feindesgeſchoſſe

Sein Rappe todt uniet ihm bricht Er wechſelte dreimal die Roſſe: Doch ſein tapferes Herz wechſelt' nicht!

Es ſank von der Wucht ſeiner Streiche Manch rüſtiger Kämpfer der Schlacht Jetzt liegt er da ſelbſt ſchon als Leiche,

Und Wehgeſchrei droͤhnt durch die Nacht...

Dan weint um den glühenden Haſſer Von Moskow's gefnechteter Brut Doch die Thränen der Breunde find Wafler, Und die Thränen ver Schwefter find Blut!

Den Naden ver Schwefter umwallte Das weiche Haar dunkel und krtaus, Als die Kunde des Todes erfchallte, Da riß fie ihr Haar weinend aus ...

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210 Doch die Mutter Gebt troͤſtend vie Rechte: Dank Allah! fo bat er's gefuht

Mein Sohn fiel ein Gelb im Gefechte, Und nicht mie ein Dieb auf der Flucht!

Der Sänger greift trüb in bie Galten, Die Menge horcht fchauernd und bang, Und die Thraͤnen der Weiber begleiten Den jammernden Trauergefang

Es trauern die Männer von Dfbighe, Gefang tönt und klagendes Spiel:

Denn der Schönfte des Volks der Adigho, Pſchugũi, der Furchtloſe, ſiel!

Zwei Eigenſchaften gibt es, welche urfprünglich alle Völker mit einander gemein haben, zwei Blumen, desen Keime die Natur in jede Menfchenbruft gepflanzt hat und welche auch die Grundzüge im Charakter der Tſcherkeſſen bilden: Liebe zur Freiheit und Gaftfreundfchaft.

Die Liebe zur Freiheit theilt der Menfch mit dem Thiere, denn die Freiheit (in der Grundbedeutung bed Wortes) ift jedem naturgemäß entwidelten Gefchöpfe Be- dürfnig wie Eſſen und Trinken; die Freiheit in ihrer edleren Bedeutung ift zugleich Mittel und Zweck aller Givihfation.

Der Ticherfeß febt feinen Stolz in das Schwert, um feine eigene Freiheit zu wahren und fte feinen Kin- dern als ungefchmälertes Erbtheil zu hinterlaflen.

Die Schöne Tugend der Gaftfreundfchaft ift ver Urquell aller Gefelligfeit, der Edftein im Bau der menfchlichen

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Geſellſchaft; fie wird dem Auge immer weniger bemerk⸗ bar, je mehr der Bau, deffen Dach der Eigennup bildet, feiner Bollendung entgegen wädhlt.

Bei den Ticherfeflen, wie faft bei allen Naturvölkern, wird die Gaſtfreundſchaft ald eine heilige Pflicht ausge⸗ Abt. Der Wanderer, gleichviel ob arm oder reich, ob hohen oder niedern Standes, wird überall mit ungeheuchelter Freundlichkeit willkommen geheißen. Alles erhebt fich zu feinem Empfange, man weift ihm den Erfter Plag an, und der Wirth feßt fich felbft erft, wenn der Gaft dazu auffordert. Der Hausherr bürgt mit feinem eigenen Haupte für feines Gaſtes Sicherheit und würde jelbft feinem Tod⸗ feinde fein Haar frümmen, fo lange derſelbe im Schug des Haufes weilt.

Die Gaſffreundſchaft der taukaſiſchen Bergvoͤlker iſt ſchon ſo oft und ausfuͤhrlich geſchildert worden, daß es überfläffig erſcheinen koͤnnte, hier ein Mehres darüber zu ſagen.

Eine Tugend, welche unwillkürlich an die alten Ger⸗ manen erinnert und wodurch ſich die Tſcherkeſſen auffal- lend von allen übrigen Völkern des Kaufafus, fo wie auch von allen Moslim, unterfcheiden, ift Keufchheit und Ach» tung vor dem Weibe.

Während bei den meiften Faufafifchen Bölfern, und befonders bei den Türfenftämmen und den Georgiern, die zügellofefte Sittenverberbniß herrfcht und u. A. das Lafter der Pedraſtie ald etwas ganz Gemöhnliches und Natür- liches betrachtet wird (eine Anftcht, welcher auch die meiften Ruflen am Kaukaſus huldigen), würde ein Tfcherfeß durch

eine foldhe Entweihung feiner Manneswürde ſich harter 14%

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Strafe und der Beradhtung al feiner Stammgenofien ausfegen. '

Auch Polygamie gehört zu den feltenern Erfcheinuns gen unter den Stämmen ver Abighe; der Koran erlaubt fie zwar, aber die Sitte verbietet fe.

Bei ehelichen Verbindungen beobachten die Tfcherfeflen insgemein ftrenge &leichheit der Geburt; Braut und Bräutigam fönnen verfehievenen Stammes, müflen aber gleichen Standes fein. Bevor der junge Tſcherkeß feine Augerwählte heimführt, muß er dem üblichen Brautpreis (bei den Kubanern Kalym, bei den Dagheitanern Käbin genannt) dafür zahlen. Diefer Brautpreis, deſſen Werth ſich nach den Vermögensumftänden des Bewerbers richtet, befteht, nach getroffener Uebereinfunft mit dem Vater des Mädchens, in Geld, Pferden, Ochſen, Schafen u. dgl. Um fich diefe, oft bedeutende, Brautfteuer etwas zu ers leichtern, verfammeln junge, heirathöluftige Männer ihre nächften Verwandten und Freunde zu einer Art Ber- lobungsfeft; da will es denn die Sitte, Daß Jeder der Geladenen ein kleines Gefchent mitbringt. Tout comme chez nous! Der Eine treibt einen Ochſen herbei; der An⸗ dere fommt mit ein paar Schafen angezogen; ein Dritter bringt ein Hemde oder ein Stüd Zeug mit u. f. w.

Sind alle vorgefchriebenen Bedingungen erfüllt, fo hat der Bräutigam feine Auserkorene heimlich aus dem Eltern- haufe zu entführen. Durch Einverftändniß mit der Diener- ſchaft fucht er fih Eingang in das geweihte Gemach zu verfchaffen, wo bie Braut, in Eoftbare Gewänber gehüllt, und von Kopf bis zu Fuß mit der. blendend weißen Tſchadra umfchlungen, ihrer Erlöfung entgegenharrt. Jemehr fie bei

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der Entführung fich firäubt, jammert und fpröbe thut, für deſto reiner und fungfräulicher wird fie gehalten. Gewöhnlich fchreit fie beim Eintritt des’ Geliebten laut auf und ringt fo lange mit ihm, bis ihre Brüder oder Berwandten auf den Lärm herbeieilen; es entfpinnt fich dann ein kurzes Scheingefecht, wobei der Bräutigam von feinen vor der Thüre lauernden Freunden unterftügt wird, bis es ihm gelingt, fich der Foftbaren Beute zu bemäch⸗ tigen und auf muthigem Roffe mit ihr davon zu jagen. Bei den Heirathözeremonien hat jeder Stamm feine klei⸗ nen Eigenthüntlichfeiten; bei den fich zum Islam befen- nenden Tfcherfeffen wird eine Hochzeit etwa auf folgende Weile gefeiert: - Erft fingt der -Mulah wenn überhaupt ein folcher vorhanden ift einige Berfe aus dem Koran ab; dann werden den Brautpaare fowohl wie den anweſenden Berwandten Feftgefchenfe gemacht; darauf beginnt ein Schmaus, wobei die beraufchende Bufa ein angeneh- mes, aus Honig und Hirfe gemonnenes Getränf die erfte Rolle. fpielt. Nach vollendeter Mahlzeit werden krie⸗ geriſche Uebungen angeſtellt, welche jedoch ſelten ohne Heine Verwundungen ablaufen; es ereignet ſich ſogär zus weilen, daß in der Hitze des Gefechtes einer der Kämpfer todt auf dem Plate bleibt. Ein folcher Vorfall wird Immer ald ein böfes Omen für die Neuvermählten betrachtet.

Haben fich die rüftigen Burfchen müde getummelt, fo erfcheint auf hinkendem Roffe eine Art Polichinello in buntem Gewande, um durch taufend Schwänfe und Kunft- ftüdchen die Gäfte zu unterhalten.

Mit Sonnenuntergang wird im Ehrengemade

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ver Tanz eröffnet. Ein alter Sänger fplelt auf einem ber Balalaika Ahnlichen Saiteninfirumerte Iuftige Weifen und fingt Lieder zur Ehre des Brautpaares und der vornehm- ften Gäfte. Die jungen Leute beider Geſchlechter ftellen fih getrennt in zwei Reihen auf und tanzen unter an⸗ muthigen Bewegungen vor⸗ und rüdwärts, jeden Schritt und Sprung mit Händegeflatfch und lautem Geſange bes gleitend, Bald nähern fich die Tanzenden einander unter dem ‚ohrenbetäubenden Laͤrm des Alatfchens, Singens und Saitenfpield; bald tritt ein Einzelner vor und fucht fich ein junges Mädchen zum Tanze aus; dann ſchweigt Die Muſik, das Klatſchen und der Gefang, und aller Gäfte Augen wenden fi) dem rührigen, jungen Paare zu, das einen der Lesghinka ähnlichen Volkstanz aufführt.

Das Mäpchen lockt fchelmifchen Auges den Jüng⸗ king zu ſich ber, doch kaum kommt er herbeigehüpft und will ihre Hand faffen, fo entfchlüpft fie ihm und fpringt im Kreidlauf davon; er eilt ihr nad), um fle zu er bafıhen, aber fie weiß ch ihm immer unter anmuthigen Bernegungen zu entwinden. Sind die beiden Tänzer er müdet, fo treten ein paar andere auf und fangen dad Spiel von Neuem an. Oft wird auch dabei improvifirend ges fungen und am Ende jedes Verſes fällt die ganze Ge⸗ fellfchaft dann jubelnd im Chore ein.

Dei einigen Tſcherkeſſenſtaͤmmen herrſcht noch Die uralte Sitte, den Leib der jungen. Mädchen zwiſchen dem zehnten und zwölften Sahre in eine Hirfchhaut zu nähen, weiche fie jo lange tragen, bis der junge Gatte in der Brautnacht fie mit dem Dolche löst. Man will durch die- ſes Cinnähen die Haut weiß und fein erhalten und den

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Leib vor zu großer Ausdehnung bewahren; ed wird aber zugleich die Entwidhing des Buſens dadurch geftört.

Das häusliche Leben bei den Tſcherkeſſen regelt fich nach auffallend ftrengen Gefegen. Die gewöhnlichften Zärt- lihfeiten der Eheleute: ein Kuß, ein Haͤndedruck u. dgl finden nie in Gegenwart Anderer felbft nicht ver nächften Verwandten ftatt. Es gilt einem Manne fchon als Beleidigung, wenn man fi) bei ihm nach dem Ber finden feiner Frau oder feiner Töchter erkundigt. Selbft weibliche Verwandte der Frau würden folche Fragen nie in Gegenwart von Fremden thun.

Der Mann darf weder Theil nehmen °a an den Ge⸗ fellfchaften, welche die Frau empfängt, noch bie Frau an denen des Mannes.

Von der nach dem Koran erlaubten Scheidung wird nur äußerſt ſelten Gebrauch gemacht. Ebenſo gehört Treu⸗ bruch in der Ehe bei Frauen ſowohl wie bei Män⸗ nern zu den ſeltenſten Erſcheinungen; den Ehebrecher trifft die Verachtung all' ſeiner Stammgenoſſen. Uebrigens iſt jeder freie Tſcherkeß alleiniger und unumſchränkter Herr über das Leben feiner Frau und feiner Kinder; er darf fie nad) eigenem Urtheile ftrafen oder töbten, ohne daß ihm ein: Haar darum gekrümmt werde. Für Untreue des Weibes ift ſchon der bloße Verdacht ein Todesurtheil.

Es befteht eine eigenthümliche Sitte unter den Ticher- feffen und ihren Nachbarſtämmen, eine Sitte, weldhe in vielen Fällen dem Weibe das Recht giebt, zum Schuge eined Mannes aufzutreten. Der fliehende Feind, dem es gelingt, ficy in die Wohnung einer Frau zu retten und ihren Bufen oder nur ihre Hand zu berühren, fft, fo lange

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er unter ihrem Dache weilt, vor jeder Rache feines Vers folger8 ficher. Kein Streit, kein Kampf, Feine Strafvolls jiehung und am wenigften die fonft überall erlaubte Blut⸗ rache darf in Gegenwart einer Frau ftattfinden, fondern muß bis zu einer andern Gelegenheit verfchoben werben. Wenn die Frauen mit fliegenden Haaren und entjchleier« tem Antlig fich zwifchen die Kämpfenden werfen, fo hört alles Blutvergießen auf; doch Fommen dergleichen Fälle nur bei Zwiften unter den eigenen Stammgenoffen vor. Wenn e3 gilt gegen einen auswärtigen Feind und bes fonderd gegen die Ruffen zu fechten, fo feuern bie Ticherfeffenwöeiber ihre Männer felbft zum Kampfe an; fie mifchen ſich unter die Reihen der Krieger, tragen Lebens» mittel und Kriegsbedarf herbei und führen oft felbft das Schwert mit muthiger Hand...

Die Kinder, und befonders die Knaben, wachſen bei den ZTfcherfefien nicht im Haufe der Eltern auf, fondern diefe vertrauen ihre Sprößlinge, um fie vor Berweichlichung zu bewahren, immer fremden Händen zur Erziehung an. Ausnahmen von dieſer Regel finden nur bei Kindern armer Leute, überhaupt bei folchen flatt, welche mehr darauf angewiefen find, das Feld zu bauen, ald ein Eriegerifches Leben zu führen, _

Bei der Wahl eines Atalik (Erziehere) wird nicht fowohl auf Reihthum und vornehme Abkunft, ald vielmehr auf förperliche und geiftige Vorzüge, auf Tapferkeit, Bes . redtfamfeit, Gemwandtheit im Tummeln ver Roffe und in der Führung der Waffen, gefehen. Gewöhnlich find Die Ataliks der jungen Fürften und Usdeéne Leute geringer Herkunft; fie werden jedoch als die nächften Verwandten

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bes Hanfes ihres Zöglingd hetrachtet, ſobald diefer das Alter ver Mannbarkeit erreicht hat. Der Atalik empfängt feinen Zögling aus ven Händen ber Eltern oft gleich nad) der Geburt *) ded Knaben, over. fpäteftens ſobald derfelbe der Mutterbruft entwöhnt.ift. Don Stund an wird das Kind feinen: Erzeugern entriſſen, gewöhnlich um fie erft als Mann, und oft um fie gar nicht wieder zu ſehen.

Die Erziehung.ver jungen Tſcherkeſſen befteht haupt⸗ fächlich in kriegeriſchen Uebungen im. weitelten Sinne des Wortes. Mit Reiten, Fechten, Schießen, Jagen u. dgl. wird der größte Theil des Tages ausgefüllt. Alles zielt darauf ab, die Knaben Fühn, gewandt und verfchlagen zu machen. Es ift ihnen daher wie ſchon oben bemerft fogar der Diebftahl erlaubt, wenn: er heimlich gefchieht und nicht im eigenen Aoule ausgeübt wird. Gelingt es dem jungen Räuber, aus einem fremden Yaule ein Schaaf, ein Pferd, eine Kuh u. dgl. unbemerkt. berbeizutreiben, fo macht er dadurch feinem Atalik eine eben fo große Freude, ald wenn er ihm den Kopf eined mit eigener Hand erfchlagenen Feindes bringt.

Daß bei der Erziehung der jungen Zfcherfeflen von Kunft und Wiſſenſchaft Feine Rede ift, bevarf faum ber Erwähnung. Nur auf die Entwidlung etwaigen Redner⸗ talented wird ‚befonderer Werth gelegt. Der Atalif gewöhnt feinen Zögling. von frühefter Jugend daran, fich Eurz, ſchnell und gewandt auszudrüden, um ihn zu befähigen, dereinft im Rathe der waffentragennen Männer feines Stammes Sig und Stimme einzunehmen und mit Nach⸗

*) Gleich nach ber Geburt wird das Kind 24 Stunden lang der freien Luft ausgejekt.

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drud das Wort zu führen. Daher findet man oft bei Ifcherfeflen, welche weder leſen noch fchreiben fünnen, eine in Erftaunen fetzende Beredtſamkeit. Wir find häufig Zeuge langer Unterhandlungen zwifchen Ruſſen und Tſcherkeſſen gewefen, und in dem Revefluſſe ver Waffen- und Wort: gerüfteten Männer aus den Stämmen der Adighé floflen uns die Stunden’ wie Minuten hin. |

Unmillfürlich glaubten wir. uns zuweilen, beim An- ſchauen viefer Normalmenfhen uud beim Klang Ihrer feu- rigen Worte, unter die Helven Homer's oder Offlan’s verfest, fo genau paßten die Schilderungen der Sänger‘ auf die und vorübergleitenden Geftalten. Nur dad Das zwifchenfommen ruffifcher Grauröde verfcheuchte. jedes mal den Jauber der Traumbilder von zroja ı und Ini⸗ fihona.

- Hat der Atalik die Erziehung des. ihm anvertrauten Sünglings vollender, fo pflegt er ihm durch Betheillgung bei der Wahl und Entführung feiner zukünftigen Lebens: gefährtin ven letzten Liebespienft zu erweifen.

Die Rückkehr des jungen Ticherfeffen in das väter- liche Haus findet. immer unter befonderen Feierlichkei⸗ ten ftatt,

Der Bater bereitet ein großes Feſtmahl, wozu alle Berwandte und Freunde eingeladen werden, und welches durch Tanz, Muſik und Eriegerifche Spiele verherrlicht wird. Der Atalik wird unter vielen Ehrenbezeugungen Öffentlich ald Verwandter des Haufe anerkannt und. erhält ein angemeffenes Geſchenk in Waffen, ‘Pferden und dgl. beftehend. Sein Verhältnis zu dem entlaffenen Zög- linge bleibt gewöhnlich ein fehr inniges, da Dielen die

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Dankbarkeit natürlich mehr an den Atalik, als an den eigentlichen Vater feflelt.. Ä

Indem wir bier unfere kurze Schilderung ded Bol- fe8 der Ticherfeffen fchließen, verweifen wir die Leſer, welche fich näher über Einzelned unterrichter wollen, auf die Reifewerfe der befannten Engländer Bell und Long- worth, welche eine Menge intereffanter Bilder, aus den Ländern der Adighe liefern. Alle übrigen Bücher über die Tſcherkeſſen dürfen nur mit großer Vorficht benützt werden.

Die politifchen Zuftände diefer Voͤlker und ihr Ver- hältniß zu Rußland werden wir in einem diefem Gegen⸗ ftande eigends gewinmeten Kapitel ausführlich behandeln.

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Die Rabarder,

Hal Dir, berühmter Stamm! der Du Schuß Deinen Bundesgenvfien leifteft, wenn fle eine bunfle, unglückſchwangere Nacht befällt.

MOoALLAKAT, das Gedicht von Zoheir, B. 84.

Das Land, welches die Kabarder bewohnen, grenzt gegen R. an die ruflifchen Bezirke von Pjätigorsk und Mosdok; gegen D. an die Fleine Tſchetſchnja und weiter unten an offetifche Diftrifte; gegen ©. wird es durch die große Alpenfette von Imerethi und Suanethi getrennt,® während gegen W. abchaſiſche und Nagater-Stämme feine Orenzen bilden. Durch den Terek wird das Land der Kabarder in zwei Theile gefondert, genannt bie große und die Feine Kabardah *).

Güldenſtädt Täßt die Kabarder gleichen Urfprungs mit den Adighé fein und führt ihr Land als einen tfcher- fefitichen Diftrift auf. In der That if. die Aehnlichkeit in Phyflognomie, Sitte und Brauch zwifchen beiden Voͤl⸗ fern jo groß, daß der Annahme gleicher Abftammung fein anderes wefentliches Hinderniß entgegenfteht, als die auf⸗ fallende Berfchievenheit der Sprachen.

®) Chabarda heißt auf georgifch: zus Seite. Einige nehmen an, daß die Länder der Kabardah, welche durch den Terek getrennt werben (alfo zur Seite des Terek liegen) davon ihren Namen haben.

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MurzinsRogma, ein Fabarbifcher Zürft, welcher lange Zeit in der Faiferlichen Tſcherkeſſengarde in Peters⸗ burg diente, hat unter Mitwirkung ded Orientaliften Eharmot eine Grammatif und reichhaltige Wörterfamm- lung der kabardiſchen Spradhe herausgegeben und, da diefer eigene Schriftzeichen fehlen, fich dafür arabifcher Lettern bedient. Auf ähnliche Weife wurde, während meis ner Anweſenheit in SKertfch, dafelbft die Herausgabe einer Grammatif und eined Wörterbuchd des Idioms der Adighe vorbereitet, fo daß nunmehr Vergleichungen mit größerer Sicherheit vorgenommen werben fünnen, als bisher nach den eben fo dürftigen wie unrichtigen Wörterfammlungen eined Güldenftädt, Klaproth *) u. A. möglich war.

Die Fürften der Kabarder, deren Anfehen und Macht fich in demielben Maaße vermindert bat, wie fie an Zahl gewachfen find, follen arabifchen Urfprungs fein, und ſich des Negimented in der Kabardah einft auf dieſelbe Meife bemächtigt haben, wie weiland Rurif und feine Brüder das Herrſcherthum im Mosfowiterrgiche erlangten. Fremder Abftammung find die Altern Kürftenfamilien der Kabardah jedenfalls, da fie fich fchon Durch ihr Aeußeres eben fo auffallend von dem Wolfe unterfcheiden, wie Die polnifchen Evelleute von den polnifchen Bauern.

*) Es foll. damit den verdienfivollen Meifenden fein Vorwurf gemacht werden, da die Schwierigkeiten, welche fich dem Ausländer beim Niederfchreiben tjcherkeffifcher Wörter aufdräangen, eben fo groß wie zahlreich find. Wie fchon früher bemerkt, ift uns Fein Alphabet befannt, vermittelft deſſen die wunderlichen Kehl: und Zifchlaute Des Idioms der Adigh6 und der Kabarder auch nur anbentungsweife richtig wiedergegeben werben Tönnten.

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Ueber Sitte, Brauch und Lebensweiſe des Volkes gilt mit wenigen Abweichungen alles von den Tſcherkeſſen und Tfchetichenzen Gefagte,

Als uralter Wohnſttz der Kabarder wirb der Beſch⸗ tau (Piätigorsf) genannt, von wo ſie durch die Tataren und Ruflen verdrängt wurden und fich an den Ufern des Kuban, ver Malka und des Terek feſtſetzten. Unter allen mohammedanifchen Völkern des Kaukaſus wird der Kabars der am häufigften in den georgifchen und ruffifchen Chro⸗ nifen Erwähnung gethan; doch können wir ihre frühere Geſchichte füglich mit Stillſchweigen übergehen, da fi feine andere Idee daran fnüpft, als die des Blutvergies Bend und roher Kraftäußerung. Es kann uns gleichgültig fein zu wiſſen, wie viel Todte die Frimmfchen Tataren auf der Wahlftatt ließen, ald fie im Jahr 1708 von den Kabardern an den Ufern des Urup gefchlagen wurs den; oder wie viel Kabarder ums Leben famen, ald Ge⸗ neral Medem im Jahre 1770 fiegreich ihr Land durchzog. Durch die langen und blutigen Kriege, welche fte abwech- felnd mit den Georgiern, Ruſſen und den Tataren der Krimm führten, wurden ihre Kräfte zerfplittert und das ſtolze Volk, welches einft unter allen Völfern des Kau⸗ fafus den erften Rang einnahm, fah fih und fein Land fremden Eroberern zur Beute werden.

Am früheften und bis auf Die, neuefte Zeit am hart- nädigften fuchten die Ruffen ihre vorgeblihen Anſprüche auf die Kabardah geltend zu machen, mit welchem Rechte? wird aus einem fpätern Kapitel erhellen, in weichem wir Rußlande Stellung zu den Bölfern des Kaufafus ausführlicher beleuchten werden. Durch die uns

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günftige Lage ihres Landes, welches, das Ufer des Terek entlang, von der großen ruffiichen Wilitairfiraße durch⸗ zogen wird *), find die Kabarver häufiger, als die im Hochgebirge und im Dagheftan hauſenden Völker, ven Berheerungen des Krieges ausgefebt. Ihre religiöfen und politifchen Sympathien feflein fie an. Schamyl, während bie politifche Nothwendigkeit fie zwingt, Rußlands Ober⸗ herrichaft wenn auch nur dem Namen nah anzu⸗ erfennen, da fte zu ſchwach find, ihr von verjchiedenen Seiten leicht zugängliche Land dauernd. gegen bie ruſſi⸗ fche Uebermacht zu behaupten. r

Die Kabardah tft in verfchienenen Richtungen von ruffifchen Forts durchichnitten und umfäumt, und foburdy jeder Aufftand um fo mehr erfchwert, da leicht aus den benachbarten Provinzen Truppenverftärfungen berbeigezos gen werden können. Böte dad Land feinen Bewohnern mehr natürlichen Echug dar, fo wuͤrden fle fich Tängft unter Schamyl's Banner gefchaart und auf immer das ihnen in tieffter Seele verhaßte Mosfowiterjoch von ih . geichüttelt haben; fo aber find fle fortwährend von zwei Feinden bevrängt, und gezwungen, für den einen ober den andern Partei zu nehmen. Neigen fie ftch auf bie Seite der Tichetfchenzen und der Völfer des Dagheftan, fo verwüften die Ruffen ihre Aoule, treiben ihre Heerven weg, lafien fich Geiſeln geben, Tribut entrichten und was dergleichen Gewaltmittel mehr find. Schließen fe fich hingegen zu fehr den Ruflen an und ftelfen diefen wie fie oft Dazu gezwungen: werden Hülfstruppen, fo läßt

*) ©. p. 14.

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fe Schamyl von Zeit zu Zeit feinen rächennen Arm fuͤh⸗ len, überzicht ihr Land 'mit Schwert und Feuer und treibt Taufende ihrer Krieger gewaltfam mit fich hinweg.

Wir erinwern in biefer Beziehung nur an den benf- würdigen Berheerungszug, welden Imam Schamyl. im Frühfommer 1846 an der Spihe feiner lesghiſchen und tfchetfchenzifchen Reitertruppen in die Kabardah unternahm, und wovon zu .Anfang Auguft deflelden Jahres in der Beilage der Allg. 3. eine detaillirte Schilderung erfchien, deren ſich anfmerkfame Zeitungslefer vielleicht noch ent⸗ finnen werden. - | | Schon lange ‚vorher hatte Schamyl an die Bölfer der Kabardah einen, mit dem ihm eigenen rhetorifchen Schwunge abgefaßten, warnenden Aufruf erlaffen, wovon wir zur Zeit eine wortgetreue Veberfegung in der Beilage der Allg. Zeitung mitiheilten,

Dieſes Aktenſtück fcheint uns, fowohl feiner eigenen Bedeutung als feiner wichtigen Folgen wegen, merkwürdig genug, um bier eine Stelle zu verdienen. Es redet hin» länglich für fich felbft, um jedes Commentars entbehren zu fünnen. .

„IRmam Schamyl an die Yölker der Kabardah.“

Im Ramen Allah’ des Allbarmbherzigen, der ven Duell feines Worted vor ung fpringen (Ast, wie vor dem lehzenden Wanderer das Waffer in der Wüſte; der uns zu Stüßen ge- macht hat ded Tempels feines Glaubens und zu Trägern der Sadel der Freiheit.

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Ihr waffentragenden Männer ber großen und der Heinen Kabardah!

Zum lestenmal fende ich zu ‘euch, um euch eure Schwüre ins Gedächtniß zu rufen und euch anzufeuern zum Kampfe gegen die ungläubigen Moskowiten. Viele ſchon ſind der Boten geweſen, die ich zu euch geſandt, und der Worte, die ich zu euch geredet, aber ihr habt meine Boten höhnend. von euch gewieſen und meine Er⸗

mahnungen unbenchtet gelaffen Allah hat euch dafür den Feinden in die Hände gegeben und eure Aoule über- zogen mit Mord und Verwüftung, denn der Prophet bat gefagt: Die Ungläubigen, welche durchaus nicht glauben wollen, werden von Gott wie das ärgfte Vieh behandelt *).

Sprechet nicht: wir glauben und Haben die Lehren des Propheten immer heilig gehalten wahrlich, Gott wird euch zürnen ob folcher Lüge! Sprechet nicht: wir. verrichten pünktlich unfere Wafchungen und Gebete, geben Almofen und halten Faſten nach der Weifung des Koran wahrlich, ich fage euch, ihr werdet dennoch mit ſchwarzem Angefiht vor. Gottes Richterftuhl erfcheinen müflen! Das Wafler wird unter euren Händen zu Schmuß werben, die Almofen zu Sündengeld und die Gebete zu Läfterungen; der wahre Gläubige trägt den Glauben im Herzen und das Schwert in der Hand; denn wer ftarf im Glauben tft, ift auch ftarf im Kampfe.

Aber ihr ſeid verbammlicher noch als unfere Yeinde,

*) Alles mit durchſchoſſenen Lettern Gedruckte enthält Citate aus dem Koran. 15

226

denn die find unverftändig und wandeln in Finſterniß, aber euch ward das Licht der Wahrheit angegündet, und ihr ſeid ihm nicht gefolgt Sprechet nicht: die Feinde haben und überrumpelt und ums durch ihre große Ueberzahl in die Flucht gejagt. Wie oft ſoll ich euch die Worte des Bropheten wieberholen, wo er fpriht: Ihr Gläubigen, wenn auch. die Ungläubigen euch haufenweife entgegenfommen, fo Fehrt ihnen Doch nicht den Rüden zu, denn wer ihnen an demfelbigen Tage den Rüden zufehrt, ed fei denn, daß der Kampf felbft ihn wegziehe, über den fommt der Zorn Gottes und die Hölle if fein Aufenthalt. Wahrlich eine fchlimme Reife iſt's dorthin.

Warum habt ihr an der Wahrheit meiner Sendung geziweifelt, und den Drohungen der Feinde mehr Gehör gegeben ald meinen Ermahnungen? Gott felbR hat gefagt: Rege, o Prophet, die Gläubigen zum Kampfe an; denn zwanzig ftandhaft ausharrende von ench werden zweihundert befiegen, und hundert von euch werden taufend Ungläubige befiegen, denn Sie find ein unverftändiges Volk. Gott hat es euch leicht: gemacht, denn er wußte, daß ihr ſchwach feid; Hättet ihr euch unfenn Bunde angefchloffen, ihr wäret nimmer gu Sflaven ber Ungläubigen geworden und: ihre Berührung hätte euch nicht befubelt; fo aber iſt es ſchwer, den Schmutz wieder von euch gu wafchen.

War ich ed, ver die Stämme des Gebirges zufammen- fehmelzte, oder war ed die Kraft Gottes, die durch mich Wunder thut? Der Prophet fpriht: Hätteft du aud alle Schäße der Erde verfhwendet, fo bätteft

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bu doch nicht ihre Herzen vereinigen können; aber Gott bat fie vereinigt, denn er ift allmäch— tig und allweife. O Brophet, Gott und die Gläubigen, welde dir folgen, find bir hin- reichend genng.

Glaubet Doch nicht, daß Gott mit der Menge ift! Gott ift mit den Guten, und der Guten find immer weni- ger als der Schlechten. Schaut um euch, und wohin eure Augen bliden, werdet ihr die Wahrheit meiner Worte beftätigt finden. Sind der eplen Roffe nicht weniger als der fchlechten? Sind der Rofen nicht weniger als bes Unfrauts? Iſt des Schlammes nicht mehr als der Perlen? HM das Ungeziefer nicht zahlreicher als die nüßlichen Thiere? Iſt das Gold nicht feltener als das gemeine Metal? Und find wir nicht edler noch al8 Gold und Rofen, und Perlen und Noffe, und alle nüglichen Thiere zufammengenommen? Denn alle Schätze der Erbe find vergänglidh, aber uns iſt ein ewiges Leben verheißen.

Wenn aber ded Unfrauts mehr ift ald der Rofen, follen wir, flatt e8 auszugäten, dulden daß es die edlen Blumen wuchernd erftide? Und wenn der Feinde mehr find als wir, ſollen wir, flatt fie nieverzuhauen, dulden daß fle und fangen in ihren Schlingen? Sprechet nicht: die Feinde haben Tcherfei gebeugt, haben Achulgo erobert und ganz Amarien in Beil genommen! Wenn ver Blitz in einen Baumftamm einfchlägt, werben darum gleich alle andern Bäume ihre Häupter fenfen und umftürzen, aus Furcht, der Blitz Eönne auch fie treffen? D ihr Kleingläubigen, möget ihr am grünen Hol; ein Beifpiel nehmen! Wahrlich, die Bäume des Waldes würden. euch

15*

228 befchämen, wenn fle Zungen hätten und reden koͤnnten. Oder wenn die Würmer eine Frucht zernagen, werben darum gleich alle andern Früchte verfaulen, aus Furcht, das Ungeziefer könne auch fie freſſen?

Wundert euch doch nicht, daß die Ungläubigen fich fo fehnell vermehren, und immer neue Truppen ins Feld fhiden, wenn wir die alten zu Grunde gerichtet haben, denn ich fage euch: taufend Pilze und Giftpflanzen fchte- fen aus der Erde empor, ehe ein guter Baum zur Reife gedeiht! Ich bin die Wurzel ded Baums der Freiheit, meine Muriden find fein Stamm, und ihr feid feine Zweige; glaubt aber nicht, wenn ein Zweig verfault, daß darum der ganze Stamm zu Grunde gehe! Wahrlich, die faulen Zweige wird Gott abhauen und fie ind Höllen- feuer werfen, denn er iſt ein guter Gärtner!

So fehrt denn reumüthig um und laßt euch wieder aufnehmen in die Reihen der Streiter des Glaubens, und meine Önade und mein Schug wird .euer Theil fein.

Wofern ihr aber fortfahrt, den Lodungen der flachs⸗ haarigen Ehriftenhunde mehr zu trauen ald meinen Er- mahnungen, fo werde ich in Erfüllung bringen, was Ghaſi Mohammed (Kafi-Mulah) euch einft verheißen *): meine Heere werden wie dunkle Gewitterwolfen eure Aoule überziehen, um durch Gewalt zu erzwingen, was ihr der Güte verfagt; Blut wird meine Pfade bezeichnen und Schhreden und Berwüftung in meinem Gefolge fein, denn wo die Macht des Worts nicht ausreicht, da muß bie

*) Dies bat Bezug auf einen Aufruf Kaſi⸗Mullahs vom Jahr 1831, welcher fich ebenfalls unter meinen Papieren befindet.

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% That fördernd zur Seite ftehen! (Hier folgt ftatt der Un» terfchrift das Siegel Schamyls.) |

Dur den in dem oben erwähnten Briefe befchries benen Einfall in die Karbadah erfüllte Schamyl feine biutige Verheißung.

* *

Die Fünftige Stellung der Kabardah wird fich Immer genau nad) den überwiegenden Erfolgen Schamyls oder der Ruſſen richten. Kommt es einmal zu einem entichei- denden Schlage, fo darf Schamyl ficher auf die Hülfe der Kabarderfürften zählen, die nichts fehnlicher wünfchen, als durch ein plößliches Drehen des Schidfalsrades aus den fchwanfenden Zuftänden befreit zu werben, in wels chen fie feit mehr denn einem halben Jahrhundert leben.

Bleiben die Sachen noch lange wie fie heute bes ftehen, fo werden die Kabarder ſich dem größten Theile nach heimlich auf die Seite ded Imam neigen, öffentlich aber ded Zaren Oberherrlichkeit anerfennen, Geiſeln geben, Tribut entrichten u. f. w.; denn das Net, welches Ruß land durd feine alten und vielfachen Beziehungen zu der Kabardah um diefed Land gefponnen hat, ift zu feit, als daß ed anders wie Durch einen gänzlichen Umfchwung der Dinge zerreißen Eönnte.

- Schon in frühern Jahrhunderten, als die Kabarder noch eine gefürdhtete Macht bildeten, der Nichts fehlte al8 dauernde Einigkeit, fuchte Rußland durch das wirf- famfte und ficherfte aller Bolfövernichtungsmittel: durch Zerfplitterung, zerftörend und trennend auf dad un- glücliche Land einzuwirfen. Es fchleuderte die Fackel der Zwietracht unter die Stämme der Kabardah, und ſtand

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den fchwächern bei, um das Recht zu haben, die ftärfern zu befümpfen; es fuchte durch Geiſeln, Heirathen, Vers träge, geswungene und freiwillige Verbindungen die vor- nehmften Familien des Landes an fich zu fetten; es lic Feftungen bauen und diefelben mit ruſſiſchem Militair befegen, angeblich um die Kabarder gegen die feinvlichen Kachbarvölfer zu ſchützen, in der That aber, um felbft im Lande fefte Anhaltspunkte zu gewinnen; eine Menge junger Kabarder aller Stände wurden nach Petersburg gezogen, um fich dort in den Fluthen der Ueppigfeit und verweicheln⸗ der Sinnenluft des rauhen Kriegshandwerks zu entwöh- nen und bei der Nüdfehr in die Heimath ihren Lands⸗ leuten daS herrliche Leben anzupreifen, das man in der Haupt⸗ ftadt des Moskowiterlandes durch zarifche Breigebigfeit führe.

Daß trog aM’ folcher Opfer, Schlangenwege und Kunftgriffe, Rußland die Sympathien der Kabarder nie dauernd zu gewinnen gewußt hat, legt Zeugniß ab für den» gefunden Sinn dieſes Volkes, deſſen Kraft wohl zer- fplittert, aber noch keineswegs gebrochen if. Für den Augenblid würden die Kabarder durch einen allgemeinen Aufitand nur einem gewiflen Untergange entgegengehen fie find Flug genug, einen günftigern und entfiheidenven Zeitpunkt abzuwarten. Die Stunde der Rache wird einft fchlagen und, je länger fle hinausgefchoben wurde, nur um deſto furchtbarer und blutiger werben.

Die Rufen mögen ihr Feſtungsnetz immer Dichter und ftärfer fpinnen, es wird ihnen nie gelingen, das ftolze Volk der Kabarder dem an Körperfchönheit und ritters licher Tugend nur die evelften Stämme der Adighé ver- gleihbar ganz unter ihre Knute zu bringen.

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Wer einmal einer Verſammlung von Kabarderhäupt⸗ lingen beigewohnt und das Auge an diefen herrlichen Männergeftalten geweidet hat, der wird leichter glauben, ſolche Menfchen feien gefchaffen, die Erde zu beherrfchen, als fi an den Gedanken gersöhuen, die Kabarder fünn- ten Sklaven der Ruſſen Sklaven von Sklaven werden..

8 .

Unter den kabardiſchen Fürften, welche theild ges lodt durch Verfprechungen, theild gedrängt von mächtigern Nachbaren im verfloffenen Jahrhunderte fich unter ruffifchen Schuß ſtellten und auf rufftfchem Boden Ans fiedelungen gründeten, nennen wir befonverd ben ches maligen Beberrfcher der Heinen Kabardah, Korinas Kantfhofin-Chan,. ver, vertrieben von den Fürften der großen Kabardah, Über den Terek ſetzte, fich mit ſei⸗ nen Anhängern auf die Seite der Ruſſen ſchlug, die chriſt⸗ fiche Religion annahm und im Jahre 1763 am linken Terekufer die Stadt Mosdok gründete, gegenwärtig die Hauptftadt eines danach benannten ruſſiſchen Diftrifteß . ,.

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Die Difeten.

„We discover their rude population divided into jealous tribes, in perpetual battle with one another; they live in what Hobbes called the status Delli, with no notion of the meum and the tuum.“

J. d'ISRAELI, Amenities of Literature,

Das Rand : der Oſſeten grenzt norbiweftlih an die Kabardah und Imerethi; im Often trennt es der Teref von den Kiftenftämmen; gegen Süden wird ed von geors gifchen Diftriften begrenst.

Oſſethi zerfällt in eine Menge Bezirke, welche nad) den Schluchten oder Thälern des Hochgebirges, wo die Aoule der Offeten liegen, benannt find. Einige davon bil den einen eigenen Kreis oder Diftrift, unter der Verwal⸗ tung eines ruffifchen Kreishauptmanns; Andere find den übrigen ruffo-faufaftfchen Provinzen einverleibt.

So gehören 3. B. die Thäler von Walapfhir, Tagaour und Kartavul zum Gebiete von Wladi⸗ kaukas; die Thäler von Mamiß und Tib werden dem imerifchen Bezirf Radſha beigezählt; andere ftehen unter der Gerichtsbarkeit von Gori u. f. f.

Die Angaben über die Einwohnerzahl fämmtlicher ofetifcher Bezirke fchwanfen zwiſchen 40—50,000.

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Die Dffeten gehören zu den fogenannten friedli⸗ hen Bergoölfern, d. h. zu denjenigen Stämmen, welche, durch Waffengewalt gebändigt, bis auf glücklichere Zeiten Rußlands Oberherrſchaft anerkennen, obgleich fich Fein Ruſſe ohne ftarfe Bedeckung auch nur eine Stunde weit in ihre Berge wagen darf.

Unter den rufftfchen Anführern, welche fid am meiften bei der Unterwerfung des Landes hervorgethan, verdient befonders der treffliche General v. Rennenfampf genannt zu werden, derjelbe, welcher fpäter durch fein unglüd- fiches Schiefal zu einer traurigern Berühmtheit gelangte ®).

Wenn den Oſſeten, welche zu den allerroheften- und politifch unbedentendften- Volksſtämmen des Kaufafus ges hören, nicht ſchon deshalb ein fehr untergeorpneter Platz in der Reihenfolge unferer Skizzen gebührte, fo bürften wir uns dieſes Mal bei unferer Schilderung doch um

%) Benerallieutenant v. Rennenkampf wurde bekanntlich, eines für Rußland Höchft unbebeutenden Dienftvergehens wegen, im Winter 18% ],, degradirt und mußte als Deutfcher gleichjam alle Sünden feiner ruffifhen Kameraden büßen. Diefes unglückliche Ereigniß wurde eben weil e8 einen Deutſchen betraf und weil es galt, die Gerechtigkeitsliebe des Zaren zu illuftriren damals in allen be⸗ deutendern Blättern Europa's befannt gemacht. In Tiflis, wo ber General fehr beliebt war, erregte das gegen ihn ausgeübte Derfah- ren allgemeinen Unwillen, weil man dort ganz genau wußte, wie weit an bem Urtheile die Gerechtigfeitsliebe des Kaifers, und wie weit die Antipathien des Kriegsminifters gegen alle Deutfchen im Allgemeinen und gegen Rennenfampf insbefondere, daran betheiligt waren...

Wollte der Kaifer ein gleichfirenges Verfahren gegen alle hoch⸗ geftellten ruffifchen Officiere feiner Armee (den Fürſten Tfchernitfchem an der Spige) einleiten, fo würben wahrlich der Häupter feiner Lieben Wenige bleiben.

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fo mehr der Kürze befletßigen, da über Land und Volf der Oſſeten fchon fo viel gefchrieben ik, daß es ſchwer halten mörhte, etwas Neues von Belang hinzuzufügen.

- Bon den drei fahrenden Autoren, welche am meiften über biefe angeblichen Alanenreſte geichrieben haben: Klaproth, Kohl und Koch, hat nur der Letztgenannte, Profeſſor Karl Koch aus Jena, das Innere Oſſethi's felbft befucht, während die Aufzeichnungen der erftern beiden Herren. fich leviglich auf Hörenfagen gründen.

Koch's Schilderung der Offeten und ihred Landes {ft jedenfalls die ausführlichite und befte, obgleich der Reis fende Alles zu fehr durch die romantifche Brille betrady- tet, fich felbft zu oft in den Vordergrund gedrängt und fein Bild mit vielen Nebenfachen überladen hat, welche höchftens für den eigenen trauten Familienkreis, nicht aber für die Deffentlichfeit paſſen ...

Wir haben viel darüber nachgedacht, aber nie bes greifen können, wie man dazu gekommen ifl, die Offeten al8 ein vorzugsweife merfwürdiged Volk zu ſchildern; wir haben einen Theil ihres Landes aus eigener Ans fhauung fennen gelernt, wir haben fo ziemlich Alles gelefen, was darüber gejchrieben ift, aber wir haben Richts gefunden, wodurd dad Volk fich auffallend von feinen Faufaftfchen Nachbaren unterfcheide, oder wo fich einzelne Unterfchiede finden, gereichen folche immer zum Nachtheile der Offeten. Sie haben weder den Hang zur Poeſie, die Offenheit, ven ritterlichen Sinn, wodurch ſich die Adighe und Kabarder auszeichnen, noch den Glaubenseifer und die gebührende Freiheitöliebe, welche die unter Schamyl’s Banner Fämpfenden Schaaren bejeelen.

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Die Gaſtfreundſchaft der Oſſeten wird in den Him⸗ mel erhoben. Aber abgefehen. davon, daß ſich dieſelbe Tugend in außgedehnterem Sinne am ganzen Kaufajus findet, möchten: wir mit Marlinsfy *) bemerken: Erlaubt mir die Stage, ob, man fie oft. in Anfpruch nimmt? In diefem Lande, wo man bei jedem Schritte ſehr bequem den Hals brechen, oder einer Kugel. in den Weg. laufen fann, und wo Handelsverdindungen durchaus: nicht vor⸗ handen find, kann es natürlich weder fentimentale Meifende noch Commis voyageurs geben; die Bäfte beſchraͤnken ſich alfo Ieviglih auf Verwandte, Freunde and Raubgenofien. Höchſt felten nur kommt ein zitternder Hebräer oder: ein. geſchmeidiger Armenier in Die Berge, um Teppiche. und Burnuſſe einzuhandeln; doch Diele müſſen die ihnen zu Theil werdende unfreunplidye Bewirthung gewoͤhnlich theuer bezahlen. Es ift wahr, daß der Wirth unter feinem Dache dem Kunaf **) Fein Haar Frümmen läßt, doch ift er. jelbft bereit, wenu der Freund Das Haus verlaflen, ihn. wie einen Kirfchbaum auf offener Straße zu nlünnern...

An folchen Plägen, wo die Offeten häufiger mit Frem⸗ den in Berührung kommen und den Werth des Geldes kennen gelernt haben, fann man von ihren patriaxshaliichen Gefinnungen wenig rühmen. Die an der großen Gebirgs⸗ ftraße haufenden Oſſeten laſſen fich jeden Schritt, jede geringe Handleiftung mit Gold aufwiegen, und, ftehlen und betrügen ‚dennoch wo fie fönnen. Wer, jemals zur Winterzeit oder bei ftürmifchem Wetter den. Weg durch's

*) Skizzen ans dem Kaufafus. +) Kunak Gaſtfreund.

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faufafifche Hochgebirge gemacht hat und gendtiigt war, bei Oſſeten um Hülfeleiftung oder um Mittel zum Weiters fommen anzuflopfen, wird gleich uns die theuer mit Geld erfaufte Erfahrung gemacht haben, daß die Kalmüken und Bafchliren, verglichen mit dieſem Geſindel wahre Gentlemen find..

In Bezug auf die Religionbzuſtande ver Dffeten gilt im Allgemeinen daſſelbe, was wir von den Inguſchen ge⸗ ſagt haben. Gedrängt von islamitiſchen und chriſtlichen Voͤlkerſchaften, neigten fie ſich aͤußerlich immer auf die Seite der ſtärkern Partei, während fie insgeheim ihrem alten Götzendienſte treu blieben, von welchem ſich auch heute noch viele Spuren unter ihnen erhalten haben. In dem blutigen Kampfe, welchen hier Heidenthum, Islam und Chriſtenthum ſeit Jahrhunderten mit einander kaͤmpf⸗ ten, trug endlich durch die Ruſſen das, Letztere den Sieg davon. Daß hier vom Kerne des Chriſtenthums nicht die Rede fein kann, fondern blos die Formen der griechifchen Kirche darunter. verftanden werden, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Auf welche Weife die erhabene Lehre Iefu ihren Einzug in die Hochfihluchten Oſſethi's hielt, wie fie den Leuten gleichfam mit Hemden umgeworfen, mit Branntwein eingetränft und mit rufftfchen Silberrubeln bezahlt wurde, haben wir fchon weiter oben gejehen.

Sept hält ſich der Oſſete für einen Chriften, hat aber dabei wenn ed anders feine VBermögensumftände er- lauben unter mannichfachen VBorwänden und Benens nungen mehrere Weiber, fcheert das Haupthaar und nimmt MWafchungen vor nad der Weile ver Moslim; bei Begräb- niffen und Heirathen vollzieht er heidnifche Gebräuche,

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opfert feinen Goͤtzen auf den zertrümmerten Altären der alten Kirchen, die man noch zerftreut im Lande findet, und zu gleicher Zeit verehrt er den Erzengel Michael und den Propheten Elias, natürlich ohne etwas Anderes von Beiden zu fennen als den Klang ihrer Namen.

Diefe alten Kirchen find als das treuefte Bild der ofjetifchen Religionszuftände zu betrachten. Sie wurben einft aufgebaut aus den Trümmern der heidniſchen Altäre. Chriſtenthum und Islam ließen abwechfelnd Spuren an ihren Mauern zurüd. Hinter den Bildern der Heiligen und den Arabesfen des Koran hlieben die alten Götzen⸗ bilder verftedt, und oben darauf prangt fjeßt von Neuem das Zeichen des Kreuzeß.

Die Sprache der Offeten, welche dunfle Spuren von Verwandtſchaft mit den Idiomen indogermanifchen Stam- mes zeigt, ift der Gegenftand vielfacher Unterfuchungen geworden. Die neuefte und beite Abhandlung darüber ver- danfen wir dem. Dr. Georg Rofen, welcher eine ofjetifche Grammatif gefchrieben (wobei er ſich des georgifchen Alphabetes bediente) und die Klaproth'ſchen Woͤrierſamm⸗ lungen vermehrt: und berichtigt hat.

Rofatengrab in der Eteppe.

Unfer Bild der Bewohner des Kaukaſus würde ein unvollftändiges bleiben, wenn wir nicht auch den hier angefiedelten Kofafen welche, obwohl heute den Berg- völfern feindlich gegenüber flehend, doch Durch Bande des Blutes und der Gefchichte mit denfelben verwandt find einen Platz in der Faufafifchen Völkerſchau einräumten.

Es handelt fih bier nicht darum, durch Löfung etgmologifcher Räthfel die etwaige Identität des Wortes KRofak oder Kaſak mit den Wörtern Kaſachia, Kaffog, Chaſar, Tſcherkeß u. f. f. aufzufinden, und die Abs fammung des Namens auch für das Volk geltend zu

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machen, da wie wir ſchon früßer nachzuweiſen geſucht hatten durch die fcharffinnigfte und genauefte Ableitung der Benennung Kofafen wenig Licht auf die Gefchichte diefed Volkes geworfen werden kann, welches nicht Einer Duelle entſprungen, ſondern ein Meer ift, durch den Zus fammenfluß vieler Ströme gebildet,

Die gleichviel ob feheinbare oder wirkliche Ver⸗ wanbtfchaft der Ramen, Kann in vorliegendem Falle um fo weniger zu der Annahme gleicher Berwandtichaft der . Bölfer berechtigen, da ſich genau nachweifen läßt, daß zu verſchiedenen Zeiten jeder der oben angeführten Ramen zur Bezeichnung der verſchiedenſten Volfsftämme gebraucht wurde. So beviente man fich 3. B. des Wortes Tfcherfeg Jahrhunderte lang unbeftimmter Weife zur Bezeichnung bald der füdlichen, bald ber nörplichen Gebirgsbewohner des Kaufafus, fo daß, wenn bei Ältern Reifenden von Tſcherkeſſen die Rede iſt, eben fo wohl Lesghier, Kiften, Türken und Abchaſen, wie Perfer und Adighé darunter verftanden werden koͤnnen.

Das Reich der Ehafaren erfiredte ſich während fel- ner. Blüthezeit von den Küften des Kaspimeeres (einſt das Chafariihe Meer genannt) bis weit in die Steppen Sübdrußlands, und außer ven Völkern des Kaufafus waren noch eine Menge der verfchievenartigften Nationalitäten dem großen, von den Chaſaren beherrfchten Länders compler eluverleibt. Alle wurden gemeinfam nach dem Namen ihrer Befteger Chafaren genannt, fo lange fie unter ber Herrſchaft diefed gefchichtlich nur mangelhaft befannt ge⸗ wordenen Volkes ftanven.

Dieſes muthmaßlich von einem finnifchen Volks⸗

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flamme gegründete Ehafarenreich "begriff zur Zeit feiner größten Ausdehnung auch die Länder am Don, am Schwarzen und Afow’fchen Meere, wo die Wiege ber Koſaken war, in ſich; aber die Kofafen deshalb für Chafaren halten zu wollen, fcheint ung eben fo abenteuers lich, ald e& fein würde, die Ruffen von den Tataren ab⸗ ftammen zu lafien, weil ihr Land einft unter tatarifcher Botmäßigfeit geftanden. Auf gleiche Weife läßt fich die Annahme der Abflammung ver Koſaken von den Kaſſogen und den Kaſachen widerlegen. *.

Diejenigen, welche, an der Moͤglichkeit genauer Nach⸗ weiſung des Urſprungs der Koſaken verzweifelnd, dennoch die weit ausgedehnten Koſakenverbruͤderungen für Zweige Eines Stammes halten, indem fie ihre Beweife in der Achnlichkeit der Sitten und Gebräuche der Friegerifchen Steppenbewohner fuchen, vergeffen, daß eine ſolche Achn- lichfeit in Gegenden, wo die Natur des Landes den Haupt- charakter der Sitten hervorruft, ein fehr unficherer und trügerifcher Beweis der Stammähnlichkeit if *).

Die Benennung Kofaf oder Kaſak, ald Gegenfag bes Bürgers, bezeichnete urjprünglich einen herumſtreifenden, freien, unabhängigen Krieger. Und wie oft die Gleichheit der menfchlichen Borftellungsweife bei den verfchieden- artigften Bölfern zu derfelben Erklärung gleicher Erſchei⸗

nungen führt, unabhängig von jedem fichtbaren, äußern Zufammenhange, fo finden wir umgefehrt feit den Alteften Zeiten häufig gleiche Benennungen für Stämme oder Bölferfchaften, welche unter gleichen Berhältnifien lebten,

*) ©, Humboldt Kosmos I. 492.

se

af ohne daß dadurch eine Gleichhäit der Abſtammung voraus⸗ gejeßt wurde.

Der Begriff, welchen das Wort Kofak in fich ſchließt, war urſprünglich ein eben fo allgemeiner als derjenige ift, - welcher fi) an das Wort Nomade fnüpft.

Wenn daher in den alten ruffifchen Chroniken von

Koſaken die Rede ift, fo wirb nicht ein befonveres Volk:

darunter verftanden, fondern es find Horden damit gemeint, welche ein dem Begriff des Wortes Koſak entiprechendes Leben führten.

Sp weit die Gefchichte Hinaufreicht, finden wir bie endlofen, zwifchen dem untern Don und den Dujepr fich ausdehnenden Steppen von bunt zufammengewürfelten Romadenftämmen und Räuberhorben durchzogen, welche feine feften Wohnpläge hatten, fondern in Zelten hauften und ein. Zeben führten, dem ähnlich, wie wir es noch heute bei den Arabern der Wüfte und den zwifchen Dem Kaspimeere und dem Nralfee herumftreifenden Völker⸗ fchaften finden. |

Diefes Völkermeer welches für den Gefchichtd- forfcher zu einem Meere unauflösbarer Räthfel geworden it hatte feine Stürme, feine Ebbe und Fluth, und wechfelte im Laufe ber Jahrhunderte häufig feine fich weit umbherwälzenden Wogen. Es wäre ein eben fo nutzloſes als unerquidliches Beginnen, fich hier an einzelne Namen feftflammern zu wollen, um mit ordnender Hand die Ele mente zu fondern, aus welchen diefes Chaos gebilbet war.

Wie die Völferwogen der Steppe wechſelnd Tamen und verfchwanden? wie fle theils untereinander ſich

aufrieben, theild andern Ländern zur'Befruchtung dienten, 16

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und theils gewaltſam mit fortgefchwemmt wurden von fremden Eroberern? Alles dies find Fragen, auf welche die Gefchichte Feine Antwort hat.

Für die Gefchichte find diefe Völfer tobt; aber als Zeichen ihres einftigen Dafeins erheben fich zerftreut in den Steppen noch eine Menge merfwürdiger Denfmäler; hohe Grabhügel (Kurgane), von ungefchlachten, feltiam geformten Götzenbildern überragt, welche dad Volk mit dem noch feltfamern Namen Baba *) bezeichnet.

Die Refte der Völker, von welchen diefe Denkmäler Zeugniß tragen, bilden gleichfam die Grundlagen des weit- verzweigten Kofafenfyftems. |

Die Grenzen des alten Rußlands erfiredten ſich im Süden nicht weiter als bis zur Mündung der Sula (linkes Dnjepr-Ufer) und des Pruth (rechtes Ufer). Bon dort an begannen die Zelte der damaligen Steppenbewoh- ner, welche in den alten Ehronifen unter den Namen der PVetfchenjägen, Polowzer und Chafaren vorkommen. Seit Rurik's Zeiten bis zu Ende des XI. Jahrhunderts waren diefe Völfer gefürchtete Nachbarn der Ruffen, welche ven häufigen Streifzügen und Plünderungen, womit fie ihre Dörfer und Städte heimfuchten, nur zuweilen durch frei- willigen Tribut Einhalt zu thun vermochten.

Um das Verhältnis diefer Räubervölfer, den ruſſi⸗ fhen Fürſtenthümern gegenüber den einzigen angebaus ten Ländern, welche‘ die Urfteppen begrenzten richtig

darzuftellen, iſt es nöthig, zuvor einen Blid auf das

*) Baba (6264) heißt die Großmutter, oder überhaupt jedes alte Weib.

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Innere biefer Länder zu werfen, deren Mittelpunfte bie Groden ) bildeten, d. h. große, durch Wälle und Grä- ben gefchägte Burgen, welche den Fürften felbft oder ihren Statthaltern zum Aufenthalte dienten.

| Zwiſchen diefen Burgen zogen ſich aus zerftreut ge- fegenen Hütten beftehende Dörfer, . Ehutoren ober Meiereien bin, wo das Bolf den Winter zubrachte, und von wo es fich bei Ueberfällen feinplicher Horden in die Groden flüchtete. |

Oft auch führten die Fürften, nach Art der deutfchen Raubritter des Mittelalters, ſelbſt Kriege unter einander, und die Sieger hauften dann fchredlich im Gebiete der Befiegten. Der Landmann fand bei feiner Rüdfehr, ftatt der verlaflenen Hütten, nur Schutt und Trümmer; Ader- - bau und Gewerbe ſtockten; das gefellichaftliche Leben konnte ſich nicht entwideln, und das Bebürfniß größerer befeftig- ter Plätze wurde immer fühlbarer.

Kur in den Groden, welche nad) Maßgabe der Bes völferung fich erweiterten und zu kleinen Städten herans wuchfen, war noch Sicherheit zu finden... Am bedrängs teften wurde der Zuftand ber ruffifchen Fürftenthümer feit dem Einfalle der Tataren. Jetzt war nicht mehr an Ader- bau zu denken; die Felder lagen wüſte, die Wohnungen ded Landmanns wurden von den Horben ber wilden Er⸗ oberer geplündert und der Erbe gleich gemacht.

Die Groden aber vermochten nicht mehr alle die Tauſende von Flüchtlingen, die, ihres Haufes und Herdes

*) Brod, Grad, davon das rufflfche Wort Gorod (TOpPoAR) Stadt. 16*

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beraubt, rachebürftend das Land durchzogen, in ihre fchüßen- den Mauern aufzunehmen. Der verlaffene Landmann, dem feine gefnechteten Fürften feinen Schug mehr bieten konn⸗ ten, mußte fich felbft zu ſchützen fuchen, und um fein Leben zu friften, mit dem Schwerte wieder erringen, was das Schwert ihm genommen hatte. Die Pflugichar wurde zum Rachefchwert und der Aderömann zum Krieger.

Diefe ruffifchen Flüchtlinge, zur Bezeichnung ihrer friegerifchen, unftäten Lebensweife Kofafen genannt, vermehrten fich von Tage zu Tage, und wuchfen unter der Leitung waffenfundiger Führer zu einer gefürchteten Macht heran. |

Sp bildeten ſich zu jener Zeit, feit dem Einfalle der Tataren, zwei Stände: der ded Bürger oder Stadt- bemohners, und der des Kofafen oder bewaffneten Land⸗ bewohners. In den noͤrdlichen ruſſiſchen Fürſtenthümern, welche, gleich allen übrigen, vor dem Schwerte der Tataren ſich beugen mußten, wo dieſes aber die beſtehende Ordnung nicht zerftörte, behielt der Stand: der Bürger die Ober⸗ hand, und die Staatöverfaffung blieb in ihren urfprüng- lihen Formen. Der Stand der Kofafen nahm feinen Urs fprung in den ſüdlichen Provinzen, wo die Yürften mit ihren Bojaren vertrieben oder umgefommen waren, wo die chriftliche Macht gefunfen war, wo die Horden der Zataren fich feftgefeßt hatten und die Städte mit ihren zertrümmerten Mauern unvertheidigt daftanden inmitten der wüften Felder. |

Aber ihre von Feinden überſchwemmte Heimath fonnte den Friegerifchen Beutezüglern nicht auf die Dauer Schuß

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und Nahrung bieten; das ganze Land von der Wolga bis zum Dniepr war den Tataren unterworfen; felbft ber Theil der großen Steppe, wo früher der Bolomez fein Zeit auffchlug, war ihrer Herrfchaft einverleibt. Sie unter- jochten oder verbrängten alle Nomadenftämme, denen fie auf ihren Raubzügen begegneten. Kanew, eine befeftigte Grenzftadt, von ven Ruflen gegen die Einfälle der Polowzer erbaut, war in der Gewalt der Tataren.

Um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts fielen alle diefe Länder in die Gewalt anderer Herren; aber die Zuftände blieben diefelben, obgleich die Perſonen wechlel- ten. Digerd, Großherzog von Litthauen, verjagte Die Tataren von den Ufern ded Dujepr. Seine Statthalter herrichten über Kiew, Tſchernihow und Nowogorod⸗ Sewersk.

Es blieb den Flüchtlingen fein anderer Zufluchtsort übrig, ald das Land am Don, unfern des Aſow'ſchen Meeres, und die wüften, hinter, ven Wafferfällen des Dnijepr, nach der Seite des Pontus zu, gelegenen Gegenden.

Hier war die Wiege der heutigen Kofafen. Doch fanden die Flüchtlinge der unterjochten ruffifchen Fürften- thümer in diefen Schugorten fchon Ältere Bewohner vor, welche theils aus Nachkommen ureinfäffiger Stämme, theild auch aus Eingewanderten beftanden. Seit langer Zeit wachten aflatifche Söldnerhorden, Türfenftämme, worunter in den alten Chronifen befonders die Kara- Kalpafen genannt werden, über die Sicherheit ver Gren⸗ zen Altrußlands. Sie waren unabhängig, dienten für Geld, und behielten ihre aftatifhen Namen bei. Nur Wenige unter ihnen nahmen die chriftliche Religion an.

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Diefe Horden wurden von den Rufen Brodnifi *) ges nannt, ein Wort, deſſen Begriff der Lebensweiſe der damit Bezeichneten entſprach.

Außer dieſen Brodnifi fanden fich in den oben ge- nannten Schugorten Bagabunden von allen Nationen zu⸗ fammen: die durch die Tataren verdrängten Polowzer, Ticherfeflen vom Kaufafus, Kalmüfen, Ruflen und Litthauer fuchten bier ihre Zuflucht. Aus aM dieſen verfchieden- artigen Elementen geftaltete fich im Laufe ver Zeit ein großed Ganzes, welches bald in zwei Theile zerfiel: in den des Don und den des Dnjepr. In dem Erften war das aftatifche Element vorherrfchend, während der Zweite mehr flavifcher Natur war.

Aus dem Borhergehenden laſſen fich alle fo aufe fallenden Verfchievenheiten in Sprache, Phyfiognomie und Charakter erklären. -

Und doch finden wir alle dieſe verfchiedenen Stämme von dem Doppelbande, der ruffifhen Sprache und der griechtfch = Fatholifchen Religion umſchlungen!... Der Grund diefer merkwürdigen Erfcheinung ift leicht zu finden.

Bon jeher war Kiew allen andern ruffifchen Fürften- thümern an Bildung überlegen; ‘die von dort aus in großer Menge dem Joche der Tataren entichlüpften Flücht⸗ linge mußten natürlicherweife einen mächtigen Einfluß auf ihre roheren Waffenbrüver ausüben; zudem ward der hriftlide Glaube Allen zum Unterpfand gemeinfamen Haſſes gegen ihre Unterbrüder.

Allen wurde der Rame Koſak beigelegt, ein Wort,

*) Bon OpOAHmb, herumſtreichen.

247 welches noch heutiges Tages einen unabhäugigen Krieger bezeichnet.

Der Trieb, fih zu rächen und Ihre Unabhängigkeit zu befeftigen, war das natürliche Refultat einer fo mühes voll errungenen Sicherheit. Der. Reiz der Freiheit, die reiche Beute, die wachfende Macht und endlich der eigene Herd, ließen die armen Flüchtlinge das neue Leben liebe gewinnen und reizten Andere, fich- ihnen anzufchließen.

Und in der That mußte der Stand des Kofafen einen mächtigen Zauber aufı Alle, pie ihm angehörten, ausüben... Sie, die früher als willenlofe Sklaven unter dem Schwerte der Tataren zitterten, verachtet und ver- aͤchtlich, ſchwangen jest felbft dad Schwert gegen ihre frühern Unterdrüder und flogen einher. auf muthigen Rofien, frei wie der Wind der Steppe, gefeiert in deu Liedern ihres Volkes.

Das fchönfte Mädchen, das er im Kampfe gefangen, ward des Koſaken Weib; aus reichften Stoffe, den er dem Feinde genommen, bereilkte er feine Kleiver; er ſchmückte ſich mit den erbeuteten Waffen feines Gegners. Seine Kinder wuchfen auf bei Schwerterflang und Kampf- gewühl; Hoͤrnerſchall und Schlachtlieder waren ihre Wiegen- gefänge; mit der Muttermilch) jogen fie den Haß gegen

ihre Unterdrüder ein... e

Nach diefen wenigen Zügen, welche zu vermehren und weiter auszuführen und der befchränfte. Raum und Plan diefed Buches nicht geftatten, werden wir noch an- deutungsweife der bedeutendften Stämme des weitverzweig- ten Kofafenvolfd Erwähnung thun, einzelne folgenreiche, geihichtliche Momente hervorheben und Daran Furze

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Betrachtungen über den politifchen Untergang der Koſaken fnüpfen.

Wir haben gefehen, daß fchon feit den Alteften Zeiten bewaffnete Horden, zur Bezeichnung ihrer Lebensweife ebenfalls Kofaten genannt, die Steppenwüfte des öftlichen Europa's durchzogen. Diefe Horden find wohl zu trennen von dem durch Sprache und Religion engverbrübderten Volke, welches den Gegenftand . vorliegender Schilderung bildet. Den Anfang dieſer großen Koſakenverbrüderung fann man erft um die Mitte ded XII. Sahrhunderts feftfegen; von der Zeit an bis zur Mitte des XV. Jahr hunderts währt die Bertode ihrer politifchen Organtfation.

Um die Mitte ded XV. Jahrhunderts erfcheinen die Koſaken von Rjäſanj. Noch früher erwähnen die Ehro- nifen der Kofafen von Ordinj, ald Nachbarn der Zataren. |

Die Organtfation neuer Zweige dauerte ununter- ' brochen fort. Gegen Ende des XVI. Jahrhunderts bildeten ſich Truppen Yon Kofafen in Litthauen. Die be- waffneten Horden, welche unter der Anführung Liſſows⸗ ky's Rußland während der Unruhen verheerten, die Der Auflöfung der Dynaftie der Waräger folgten, hießen Liſſowtſchiks, und durchzogen unter diefem Namen Deutfchland zur Zeit des Wreißigjährigen Krieged. Zu Ende des XV. Jahrhunderts erfcheinen die Kofafen von Aſow, welche in Eurzer Zeit zu einer anfehnlichen Macht beranwachfen. Um diefelbe Zeit ungefähr bildet der be- rühmte Netfchai aus dem Stamme der Donifchen Ko- fafen die de Jaif oder Ural’d; Jermak organifirt die fibirifchen, und fein Waffengefährte Andreas die

249 greben’fchen *) Koſaken, heute die gefürchteiften Nachbarn ber Tſcherkeſſen und an Körperfchönheit und rinerlichem Sinn allen übrigen Koſaken überlegen. :

Der Rame Jermak's fpielt eine zu wichtige Rolle in der Gefchichte Rußlands, als daß wir es unterlafien dürf⸗ ten, bier kurz die Umftände anzuführen, in Folge welcher der fühne Räuberchef zu gefchichtlicher Berühmtheit gelangte. Er haufte mit feiner, 700 Mann ftarfen, Bande am Fuße des Uralgebirges, wo die Vorfahren ver jehigen Grafen Strogonow, damald reiche Kaufleute, ihre großartigen Beſitzungen hatten.

Bon dem graufen Zar Iwan Waſſiljewitſch in contumaciam zum Tode verurtheilt, ließ ſich Jermak leicht von den Strogonow's deren Güter fortwährend den Plünderungen der benachbarten fibirifchen Völker⸗ ſchaften ausgefegt waren bewegen,. gegen angemeffene Belohnung die ränbekifchen Nachbarftimme zu züchttgeh und über die Sicherheit der St ggonowſchen Beſitzungen zu wachen. Durch den glücklichen Erfolg ſeiner erſten Un⸗ ternehmungen ermuthigt, wagte er an. der ESpitze feines tollfühnen Kofafenfchwarmes einen Streifzug in das Ins nere Sibiriens, und unterwarf fih das ganze Land. Mit 700 ſchlecht bewaffneten Wagehälfen volkprachte der fühne Abenteurer die Eroberung dieſes unermeplichen Reiches!

*) Diefes Wort ift abgeleitet von TpPeÖeHb, der Kamm, ber Bergrücken; es find damit die am Saum des Faufafifchen Gebirges baufenden Kofafen bezeichnet. Die Hauptſtanitza greben’fchen Kofaken iſt Tfherwlonnaia, am linken Ufer des Terek.

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Darauf entfandte Jermak einen feiner alten Raub⸗ geführten, fegt zum Genoſſen feines Ruhmes geworden, mit der Botfchaft an Iwan Waſſiljewitſch: Er lafle dem graufen Zar Land und Herrfchaft von Sibirien anbieten, falls er felbft (Jermak) dadurch für fich und feine Waffen- brüder Berzeihung der alten Verbrechen erwirke. Solcher- geftalt fah fih Iwan IV. (Waſſiljewitſch) verfelbe, welcher der Herrfchaft der Tataren ein Ende machte und uerft den Titel „Zar aller Reußen* annahm (1547) durch eine Handvoll Räuber mit einem Königreiche be fchenft, das feine eigenen Staaten weit an Umfang überragte,

Seltfame Fügung des Schickſals! Ein feiner Bers brechen wegen flüchtiger Räuber eroberte das Land, wel- ches noch heute allen Räubern und Verbrechern des Kaiſer⸗ reiches zur Verbannungsſtätte dient, und fchenkte es einem Fürſten, der ebenfalls feiner Verbrechen wegen, fchon zu feinen Lebzeiten, den Deigamen „der Grauſame“ erbielt!...

Es war von jeher die Politik der ruffifchen Herrfcher, die wachtende Macht der Koſaken zu zerfplittern, nm fie fo minder furdhtbar für Rußland zu machen; daher die Menge zerftreuter. Kofafenfolonien, welche wir felbft in den entfernteften Theilen des Katferftaates finden. Doni- fhe Auswanderer legten den rund zu den Kofafen von ver Wolga, von Aftrachan, von Mosdok und der fau- fafifchen Linie an den Ufern des Teref und Kuban. Be⸗ ſonders bei den Iebtern, den fogenannten Linienkoſaken, werden wir fpäter einen Augenblid betrachtend verweilen müffen.

Man kann alle Altern, oder Mutterflämme der heu-

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tigen Kofafen, in zwei große Theile fondern; den Mittel» punft des einen bildeten die untern Ufer des Don, und den ded andern der Dujepr. Dem Erften entfproffen ver⸗ ſchiedene Verzweigungen im Dftenz der Zweite war der Keim des Volkes der Kleinruffen oder der Ufrainer:

Die ritterliien Saparofchzen *) waren als. der eigentliche Kern der urfrainifchen Koſaken zu betrachten. Ihr Sitfch **) lag anfänglid) auf der Infel von Chortiz (berühmt durch die Schifffahrt der Waräger) und wurde fpäter nach einem durch die Mündung des Bafulaf in den Dnjepr gebildeten Schlupfwinfel verlegt.

Die urfrainifchen Kofafen lebten in Yamilien; die Saparofchzen hingegen mußten das Gelübbe der Keufch- heit ablegen, Nie betrat ein Weib ihre Kuränis ***) Sie blieben bis zum XVIH. Jahrhunderte der Typus der Kofafen vom Dnfepr.

Die wiannichfachen Unterfchiede, welche man in Be⸗ zug auf Sprache, Phyſiognomie und Charakter bei den Kofafenftämmen findet, find theild das Refultat der Vers ſchiedenheit ihrer organifchen Elemente, theils durch Die Natur ihrer Wohnpläte bedingt. Ihr leichter Sinn und ihre an’d Wunderbare grenzende Schmiegfamfeit befähigen fie, fich fchnel allen Himmelsftrichen und Lebensverhält- aiffen anzupaflen. Bon Urfprung ein Miſchvolk, find fie

*) Saparofchzen bedeutet die hinter den Wafferfällen (des Dujepr) Wohnenden. ”R) Sitſch wahrfcheinlich von dem bdeutfchen Worte Si hieß das befeftigte Hauptlager der Kofafen. v***) Kuränj hieß bei den Saparofchzen ein Dorf, Mies 100-500 Koſaken in ſich faßte.

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auch heute noch leicht zur Vermiſchung mit fremden Böl- fern geneigt. Sie nehmen von der Lebensweiſe und Sitte des Landes, wohin das Schiefal ſie fchleudert, immer fchnel das an, was den augenblidlichen Verhältniffen am meiiten entfpricht. So gleichen 3. B. Die Faufafifchen Linienkoſaken in Lebensweife, Kleidung und der Art, Krieg zu führen, auf's Genauefte ihren ritterlichen Gegnern, denen fie auch an Muth, Ausdauer und Gewandtheit nicht nachftehen. In gleichem Sinne tragen alle übrigen: Kofakenftimme immer gleichfam einen Anfſnich des Lan⸗ des, welches ſie eben bewohnen.

Dieſes merkwürdige Reitervolk von einem geiſt⸗ reichen Engländer mit Schäferhunden verglichen, die bei der Ueberwachung fremder Heerden ihre eigene Knecht⸗ ſchaft vergeffen bildet heutzutage den Kitt, welcher den Zändercompler ded gewaltigen Zarenreiches zufammenhält. Durch einen allgemeinen Kofafenaufftand würden die Glie- der des ruffifchen Koloſſes aus ihren Fugen getrieben, und der Geſchichte Europa’d neue Bahnen vorgezeichnet werden. Die am Kaufafus haufenden Kofafen allein wären fchon hinreichend das ruffifhe Reich in feinen Grundveſten zu erſchüttern; ſie bedürften nur einer über⸗ legenen, leitenden Kraft, und alle kaukaſiſchen Bergvölker würden ſich um ihre Banner ſchaaren und das Schwert für ſie ziehen, das ſie bis jetzt gegen ſie "gekehrt haben.

Aber eben eine folche leitende, einem beftimmten Ziele zuftrebende Kraft, hat den Koſaken von jeher gefehlt und in dieſem Mangel eines höhern, belebenden Prinzips ift der Grund iger Zerfplitterung, ihres ſchnellen politifchen Unterganges zu fuchen. Unter Kampf und Schlachtgetöfe

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aufgewachfen, war ihnen ein Ertegertfche® Leben zum Bes dürfniß geworden; aber fie fämpften nur um zu fämpfen, ohne ein höheres Ziel dabei zu verfolgen; daher dienten fie felbft häufig im Solde ihrer gehaßteften Feinde, blos um Gelegenheit zum Kampfe zu haben; fie beburften fteter Anregung zur Kraftäußerung, um nicht in träger Ruhe unterzugehen, wie die entarteten bonifchen Kofafen, denen ihre ruffifchen Orden und Epauletten zu Aushänge- fhildern ihrer Schande geworben find. Ein gleiches Schid- fal bat: Alle betroffen, welche den Ruhm, den ihre Väter darin fanden, fortzuleben in den Sagen und Liedern der Barden ihres Landes, jetzt in ruſſtſchen Orden und Epau⸗ letten fuchen. | Seit die Kofaten aufgehört haben, ein felbftftändiges Volk zu fein, fcheint der ritterliche Sinn der alten Sa⸗ parofchzen und Ufrainer nur unter den am Kaufafus un- geftevelten Stämmen noch fortzuleben. Befonders find es bie Lintenkofafen, welche ven Kern der ruffifchen Heeres- macht in den Faufafifchen Provinzen bilden. Ohne fie hätte der Kaiſer feine Eroberungspläne in diefen unwirthbaren Zändern, wo alle europäifche Taktik gegenüber dem wil⸗ den Muthe der Bergvölfer und den fie ſchützenden Felſen⸗ mauern, zu Schanden wird, längft aufgeben müflen. Sie find eben fo gewandte Reiter wie treffliche Schügen, und, theild durch ihre Häufige Vermifchung mit im. Kampfe erbeuteten Tfcherfeffinen, theils durch ihre ganz faufaftfche Tracht und Lebensweife, find fie den Bergvölkern fo Ahn- lich geworben, daß ein ungeübtes Auge fie nicht von Dies fen zu unterfcheiden vermag. Mit Verachtung und Stolz ſehen fie auf ihre donifchen Brüder herab, aus welchen

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in der That der Friegerifche Geiſt ihrer Väter gänzlich entwichen zu fein fcheint.

Die Gefammtzahl der am Kaukaſus angefiebelten, ( waffenfähigen Koſakenbevoͤlkerung läßt fih etwa auf | 12,000 Mann anfchlagen, wovon gewöhnlich Die Hälfte im Felde fteht, während die Uebrigen als Reſervetruppen dienen. Sie wohnen mit ihren Familien zerfireut in Staniten*), welche, nach Art der Aoule der Bergvölker, befeftigt und mit Gräben und Wällen umfäumt find.

Diefe Mannſchaft tft in neun Hauptmaffen vertheitt, wovon jede einen befondern Namen führt, welcher theils von dem Flufle, der ihre Stanigen befpült, theild von ihren heimathlichen Strömen, theild auch von den Gentral- punkten ihrer Kolonien abgeleitet if.

An der linken Seite der Linie ftehen:

1) Die Koſaken von Kisljar, fo genannt nach der gleihbenannten Stadt am linfen Ufer des Teref.

2) Die Bemeinifchen Kofafen, bewohnen die Stanigen Borosdinskaja, Dubowskaja und Kargalinsfaja. .

3) Die Greben’fchen Koſaken, deren Stanitzen find: Kurdukowskaja, Starogladkowskaja, Nowogladkowskaja, Schtſchedrinskaja, Tſcherwlomaja.

4) Die Koſaken von Mosdobh, vertheilt in den Sta⸗ nitzen: Kalinowskaja, Mefensfaja, Naourskaja, Iſchtſchors⸗ kaja, Kalugajewskaja **), Stoderewskaja.

5) Die Mosdok'ſche Bergmiliz.

6) Die Wolgsky oder Wolgaloſaken, in ven Stanitzen:

*) Stanitzu Koſakendorf. 66) Auf einigen Charten auch Galjutſchajewskaja.

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Jekaterinogradskaja, Pawlowskaija, Marjewsky, Geor- giewskaja, Alexandrowskaja.

Auf der rechten Seite der Taufaflfchen Linie, am rechten Ufer des Kuban, ftehen:

1) Die Kofaten vom Kuban, in den Stanitzen: Worowskoleskaja, Protſchnorkpskaia, Temnoleskaja, Gre⸗ goriopolskaja, Temiſhbergskaja, Kawkaskaja.

2, Die Kawkasky over kaukaſiſchen Koſaken, in den Stanitzen: Kafansfafa, Tifliskaja, Ladoſcholaja, Uſt⸗ Labinskaja, Woroneſchskaja.

3) Das Regiment Chopersky, vertheilt in den Sta⸗ nitzen: Donskaia, Moskowskaja, Stawropolsfaja und Ssewernaja.

Außer den oben genannten, welche ſeit langen Jah⸗ ren ſchon feſte Wohnſitze in dieſen Gegenden haben, liegen noch eine Menge Koſaken der verſchiedenſten Stämme, vom Don, vom’ Ural, von der Wolga, vom Schwarzen und Afowfchen Meere u. f. f. in den Städten und Forts . de8 Kaufafud vertheilt; Doch vermögen wir über ihre Zahl, welche nach den Umſtänden bald fällt, bald fteigt, nicht8 Genaueres zu beftimmen. Diefe fremden Regimens ter haben nur eine gewifle Reihe von Jahren im Kau⸗ fafus zu dienen und fehren dann zufammengefchmolzen in ihre Heimath zurüd, um durch neue Truppen erfeht zu werden.

Mit diefer, in leichten Umriffen hingemorfenen Skizze der Kofakenftämme, fchließen wir unfere faufafifche Völker⸗ ſchau, nicht ohne Beforgniß allzuwelt Binter dem vor-

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gefteften Ziele zurüdgeblieben zu fein, doch mit dem Bewußtſein redlichen Strebens das Ziel zu erreichen.

Eine Wanderung durch das Gebiet der Faufaftfchen Geſchichte gleicht einer Wanderung durch das Gebirge felbft. Hier wie dort giebt ed nur wenig angebahnte Pfade, und forgfam und prüfend muß der Wanderer feine Schritte Ienfen, um nicht in einen Abgrund von Fabeln zu ftürzen.

Wir bevurften bei unfern Schilderungen mehr des Zügels als des Sporns; denn bei der Manniächfaltigkeit der zu behandelnden Gegenſtände war Kürze unſere Erſte Pflicht, um ſo mehr, da dieſes erſte Buch gleichſam nur als Mittel zum Zwecke dient, indem es beſtimmt iſt, das nähere Verſtändniß der im zweiten Buche enthaltenen ‚Aufzeichnungen erläuternd vorzubereiten.

Wie die Gefchichte manches Einzelnen der bier mit wenigen Zügen gezeichneten Völker, hätten wir auch vie Geſchichte der Koſaken zu einem vidleibigen Bande aus⸗ dehnen fünnen, wenn ed und vergönnt gewefen wäre, dieſes Volk mit dem Maßſtabe ſeiner ganzen politiſchen Bedeutung zu meſſen.

Wir hätten zeigen können, wie die Koſaken einſt die Wage bildeten, auf welcher das Schickſal Polen's und Rußland's gewogen wurde; wir hätten die lange und glänzende Reihe ihrer Helden vorführen kön— nen, daran fich die blutgetränften Fäden ihrer Gefchichte knüpfen.

Wir hätten zeigen können, welch' eine Stütze die Koſaken einſt den Polen waren und bis auf den heutigen Tag geblieben wären, hätten die Könige und Magnaten

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dieſes Volks immer im Geiſte des umfichtigen und edlen Batori gehandelt, ſtatt durch ihr unkluges und ſtolzes Verfahren die Herzen der ritterlichen Ukrainer ſich zu ent- fremden und mit dem van der Kofafen ihren eigenen Ball vorzubereiten.

Wir hätten Bilder aus jenem unglüdfeligen Blau: benöfriege entroffen- fönnen, welcher, durch die Firchlichen Neuerungen Pabft Clemens VIII. angeregt, fechzig Jahre hindurch die Steppen Südrußland's und Polen's mit Blut und Leichen düngte.

Wir hätten endlich zeigen können, wie die Zaren Rußland's einft vor denſelben Kofafen zitterten, welche jest ihre willenlofen Sklaven geworden, obgleich der alte Haß gegen die Rufen, der von jeher das Erbtheil der Kofafen gewefen, noch immer unter der Afche fort- glimmt, und von gefchicter Hand leicht wieder zur hellen Flamme angefchürt werden fönnte...

Aber ed war und nicht vergönnt, al’ der wichtigen Momente hier auch nur andeutungsweife Erwähnung zu thun; wir hätten dadurch unferm Plane untreu werden und die enggezogenen Grenzen dieſes Buches: überfchreiten müflen. Bon unferm Standpunfte aus durften wir die Bedeutung der Koſaken nur nach ihren Beziehungen zu den Völfern des Kaufafus meffen. Doch behalten wir es und vor, die Gefchichte dieſes merfwürdigen Reiter: volfes einmal felbftitändig und gründlich in einem beſon— dern Werfe zu .behandeln und wir hoffen darin nach— weifen zu fönnen, daß man die Reſte mancher in der Gefchichte verfchollenen Völferfchaften nicht in den Hoch

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gebirgen des Kaufafus, fondern unter den buntgemifchten Kofafenftämmen zu fuchen bat *).

*) Das biefem Kapitel voranftehende Bild ſtellt ein Koſaken⸗ grab aus der Zeit des im Terte erwähnten fechzigjährigen Religions- frieges dar. Man findet dergleichen Grabmäler noch hin und wieder in der Steppe zerfireut. Bon dem hölzernen Kreuze flattert cine weiße Fahne, deren zeitverwifchte Infchrift den Namen des Begrabenen und das Jahr feines Todes enthält. Die weiße Fahne full auch zugleich als Zeichen dienen, Daß der gefallene Held ein Kämpfer des Glau⸗ bens war.

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Statiſtiſche Motizen. *)

Eine vollftändige Statiftif der Länder des Kaukaſus zu fchreiben, würde ein Unternehmen fein, gegen deſſen glüdliche Löfung die zwölf Arbeiten des Herkules nur Kinvderfpiele zu nennen wären.

Bei den unabhängigen Bergoölfern haben Echägungen - niemald vorgenommen werben fönnen, und felbit in Be— zug auf die unter rujlifcher Herrfchaft ftehertven Provinzen find die Angaben fo fchwanfenn und unficher, daß man bei der Benutzung derfelben nur mit größter Vorficht zu Werfe gehen darf. Trotzdem thut der fremde Reiſende, ber einen Blick in die ftatijtiichen Verhältniſſe diefer Lati⸗ der werfen will, wohl, den gedruckten ruſſiſchen Quel- len mehr Glauben zu fchenfen, ald den mündlichen Angaben ruffifher Beamten, felbft foldher, deren Stel- lung ihnen gleichfam eine genaue Kenntnip der innern Zuftände ded Landes zur Pflicht macht. Denn für Die

2) Durch ein Berfehen beim Ordnen der Manuffripte find diefe Blätter, welche vom Berfaffer beftimmt waren, ven Schluß der Schile derungen ber Bölfer Fartwel’fcher Rage zu machen, früher ausgelaffen worden. Indem ich den Lefer wegen biefer kleinen, durch die Ent: fernung des Hrn. Berfaffers vom Drudorte erzeugten Unordnung, um freundliche Nachficht bitte, verfehle ich nicht, die betreffenden Blätter bier nachträglich einzufchalten. Anm. d. Verlegers.

17%

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ächten Ruffen giebt e8 Feine größere Genugthuung, als wenn ein fremder Schriftfteller recht viel Unfinn über ihr Land zu Marfte bringt; aber die Wahrheit fcheuen fie, wie die Eule das Licht: fie würden fterben wie der Baftlisf, wenn fie fich felbft zu fehen befämen. Daher trägt jeder Rufe von gutem Ton revlich fein Scherflein Dazu bei, die Begriffe de Neifenden zu verwirren und die Wahr: beit fo viel ald möglich aus dem Spiele zu laflen.

Wie vergnügt reiben fich die Herren dann die Hände, wenn fie Irrthümer entdeden, die fie felbft erzeugt! Wel⸗ chen Jubel gab’8 in den Bojaren-Salond, als Herr v. Arlincourt mit feinem Etoile polaire all’ den Unfinn und die verjährten Babeln, welche man ihm in Mosfau und Petersburg aufgebunden hatte, in den Buchhandel brachte, So viele falfche Zahlen aufzufinden! und fo viele falfche Namen! Und der. Fabeln fo viele, und des Wah⸗ ren fo wenig! nd die rufftfche Gefelffchaft fo verkehrt und doc fo duftig gefchildert, als hätte ver Verfaffer mit der Feder eined Gimpels gefchrieben und die Tinte dazu aus Roſenknospen gepreßt!

Kurz, ed war ein befeligender Triumph; e8 war der Sreude zu viel, für eine rechtgläubige Mosfowiterbruft! Daß der Kaiſer den edlen Vicomte für das unfchuldige Vergnügen, welches diefer. durch fein ſauberes Werf den frangöftfchredenden Unterthbanen Er. M. bereitet hatte, mit einem Orden belohnte, war nur billig.

Aehnliche Fälle, wo Reifende, nach bloßem Hörenfagen, ungeprüft Alles niederfehrieben auf ihrer Fahrt durch's weite Zarenreich, fönnten wir noch viele anführen, und in&befondere eines federgewandten Touriften Erwähnune

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thun, der in einem Jahre mehr Bücher zu Markte bringt, als andere Schriftfteller ihr ganzes Leben hindurch, und der aus entſprechenden Gründen in den Oſtſeeprovinzen - allgemein unter dem Namen „das gläubige Frage» zeichen” befannt ift.

Daß wir unter ſolchen IUmftänden, dur Erfahrun- gen fowohl Fomifcher wie ernfter Art gewisigt, in Allem, wo und authentifche Quellen mangeln, etwas vorfichtig zu Werke gehen und lieber zu wenig als zu viel fagen, wird der billigbenfende Lefer begreifen und entfchulbigen.

Die verfchiedenen Angaben über die (männliche) Gefammtbevölferung des Kaukaſus ſchwanken zwiſchen 1 und 1, Millton.

Wenn wir nad Vergleihung der vor und liegenden Statiftifen die Bevölkerung der befanntern Länder in runden Zahlen angeben, fo ftellt fich etwa folgendes Re⸗ ſultat heraus:

Auf die Race Kartwel kommen”. . 300,000 m. €.

Armenir . » ....135,000 u Türfenftinme u. Berfer 350,000 u -Reöghier . . 350,000 5,

Abchaſiſche und Tſcherkeſſenſtämme 150,000

Mechnet man dazu noch die Kiftenftämme, die Oſſe⸗ ten und andere faft gänzlich unbefannte Völferfchaften, fo dürfte die Annahme einer Oefammtbevölferung von 1'/,, Million nicht zu hoch erfcheinen. In welch auffallend geringem Verhältniß hier die Einwohnerzahl zu der Größe des Landes fteht, bedarf Faum der Erwähnung...

Wo fich bei unferer Schilderung der einzelnen Völ—

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ferfchaften mit einiger Sicherheit ftatiftifche Bemerkungen einflechten ließen, tft dies forgfältig gefchehen...

Um dem Leſer einen Begriff von der gemifchten - Bevölkerung der unter ruſſiſcher Herrfchaft ftehenden Län der zu geben, laflen wir bier eine kurze Ueberficht der Einwohner desjenigen georgifchen Kreifes folgen, wo ſich das geörgifche Clement am reinften erhalten hat.

. Der Telaw’fche Kreis zählt ald Gefammtbevölferung 88,830 Bewohner *) bei⸗ derlei Gefchlechts. Darunter find: Georgier . . . 48,500 Armenter.. . . 18,000 Tataren . . . 2,800 Tuſchen .. . . 7,600 Pichawen . . . 5,700 PChewßuren . . 5,500 Rift. ..... 730.

Auf den Wunfch ded Gouvernements eine Weberficht der Größe und Einwohnerzahl einiger Dörfer zu haben, wurde der in der Anmerfung erwähnten ftatiftifchen Notiz folgende Tabelle von fünf Telaw’fchen Dörfern beigefügt:

"Bewohner, welche feite Wohnfitze haben.

Nomadenftämme

Namen der Dörfer. Häuſerzahl. Seelenzahl. maͤnnl. weibl. Gurdſchany . .. 38 . . 1214 94 Kurdgelaoury . . 350 . . 1064 1044 Shalhumy . . 17... 882 57 Shaun . . . 8 ...203 1 Aſchtſchany... 26.. 92 8.

e) Nach einer im Auftrage ber Regierung im Jahre 18423 vor- genommenen Schäpung.

Zweites Buch. Die Weifen des Anukafus und die

Sreiheitskämpfe im Dagheflon.

Zeigt Du mir am Ziele die Weisheit, Nimmer dünfet zu rauh, nimmer zu weit mir ber Weg.

Herder.

Jamais ou chef, ou citoyen Ne concut un projet aussi grand que le mien. Ma secte 6löve l’äme et la rend. intrepide, Ma fol fait des heros...

VOLTAIBE, Mahomet.

Erfies Eapitel,

in welchem ber Berfafler die Stellung Rußland’s, gegenüber ben

WVolkern des Kaufafus, zu veranfchaulichen fucht, und zugleich

einige befcheidene Bemerkungen über ein: denfelben Begenfland behandelndes Werk einfließen läßt.

Zwei Begebenheiten ſind es, welche, beſonders ſeit den letzten Jahren, die Aufmerkſamkeit Europa's in hohem Grade beſchäftigen: die Kämpfe der Franzoſen in den Raubſtaaten Afrika's, und die Kämpfe der Ruſſen mit den Voͤlkern des Kaukaſus. Durch ihre Hartnäckigkeit und unabſehbare Dauer, ſo wie durch die Ströme von Blut, welche dabei gefloſſen, und die wichtigen Folgen, welche daraus erwachſen fönnen, find dieſe Kämpfe in der That zu einer Bedeutung gelangt, welche fie näherer Beachtung würdig mat.

Während Perfien und das geivaftige Osmanenreich ihrer politiſchen Erſtarrung entgegenſanken, und die Macht des einſt welterſchütternden Halbmondes faſt gebrochen ſchien, ſahen wir erſtaunt zwei lebensfriſche Völkchen, welche bis dahin in der Geſchichte nicht mitgezählt, aus dem Schoße des Islam ſich erheben und mit gewappne- ter Hand zweien der mächtigften Staaten Europa's Trog bieten. Durch ihre Kühnheit erregten damals diefe Völfer

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unfer Erftaunen; durch ihre Kraft und Ausdauer erzwin- gen ſie jegt unfere Bewunderung.

Man bat häufig den Krieg der Sranzofen mit den Arabern, und den der Ruſſen mit den Tfcherfefien von Einem Gefichtspunfte ans beurtheilt; doch ift das Ana loge diefer beiden Kriege nur in den heutigen Zuftänven, nicht aber in ihrem Entftehen zu fuchen. _

Bei der Eroberung von Algier kannte Jedermann fo ziemlich genau die Zwede, welche Frankreich bei fei- nen Operationen verfolgte, und die Gründe, welche Diefe Zwede rechtfertigten. Die Akten Tagen gleichfam aller Welt zur Einficht offen, und man fonnte jeit dem Entftehen des Krieges bis auf den heutigen Tag die Ereigniſſe mit einiger Gewißheit verfolgen.

Ganz anders iſt ed mit dem ruffo- tfcherfeffifchen Kriege. Ueber den eigentlichen Urfprung deflelben weiß man in Europa fo ziemlich gar nichts, und von feiner Entwidlung und feinen jebigen Zuftänden ift nur das befannt, was einzelne Reifende, größtentheils nach Hören- fagen, darüber veröffentlicht haben.

Wenn Frankreich von Eivilifationsplänen fpricht, fo begreifen wir das, denn wir alle find ‚bei den Franzofen in die Schule gegangen, und daß wir nicht mehr von ihnen gelernt haben, ift wahrlich nicht die Schuld unfe- rer Schulmeifter gewefen.

Wenn aber Rußland fchon die Völfer unter feine Zuchtruthe nehmen will, fo ſchaudern wir zürnend zurüd vor folch’ graufenerregendem Bilde, und unwillfürlich preßt fih das Wort aus der Bruft: Wehe denen, die verdammt find, Schüler: folcher Xehrer zu werden.

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Was bemog die Ruffen, mit. ihren Heers fhaaren die Länder des Kaufafus zu überzies ben? Welche Zwede verfolgen fie dabei, und wodurd werden dieſe Zwede gerechtfertigt?

Rußland felbft bat in neuerer Zeit das Bedürfniß gefühlt, zu eigener Rechtfertigung feiner Gewaltfchritte Antwort auf obige Fragen zu geben; unfere Unterfuchung wird lehren, wie weit diefe Antwort genügend if.

Herr. Felix. Fonton, ein Diplomat non Fach, Ritter. vom St. Annen- und vielen andern Orden, hat im Auf- trage des Kaiſers ein Werf*) gefchrieben, welches bis auf den legten Buchftaben von ruffifhem Geifte durch⸗ weht, und beftimmt ift, in feden Umriffen die Stellung anzubeuten, welche Rußland den Völkern Aflens gegen- über einzunehmen fich berufen fühlt.

Das unläugbar mit Fleiß und Sachfenntniß aus- gearbeitete Werk des Herrn Ritters Yonton führt uns die ruffiiche Politif in der blendenden Maske vor, welche fie feit vem Untergange des Haufes Romano **) getragen,

——

*) La Russie dans l’Asie mineure etc. etc., par Felix Fonton, Chevalier des- Ordres de Sainte-Anne, de Saint-Vlad. etc. Paris 1840.

=) Der Untergang des Haufes Romanow datirt feit dem Tode Peter IE. (dem Sohne Anna Petrowna's und Friedrich's, Herzog von Holftein-Gottorp). Jeder Unterrichtete in Rußland weiß heuts zutage, daß Paul fein Sohn Katharina’s, fondern ein einer tudt- geborenen Tochter dieſer Fürſtin fubftituirter Waifeufnabe war.

Wenn man in Rußland die Nachkommen Paul's noch für Spröß- linge der Romanow ausgiebt, fo gefchieht das Iediglih um dem Bolfe zu fchmeicheln, welches fich nimmer mit dem Gedanken verfüh- nen würde, von deutſchen Fürſten beherrfcht zu werben.

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und womit ſie Europa glauben machen will, daß es ihr wahres Geſicht ſei.

In dieſem Sinne d. h. als der von kaiſerlicher Hand ſanctionirte Ausdruck moskowitiſcher Politik, tft das Buch des Herrn Fonton für und von der größ- ten Bedeutung; wir werden daher zum Nuten unferer Lefer und der guten Sache ein Weilchen betrachtend dabei ftehen bleiben, die wichtigften Punkte herausheben und hin und wieder erläutern ein befcheivenes Wörtlein hin- zufügen.

Nachdem uns der Berfafler zuvor die großen Thaten der ruffifchen Armee kurz in's Gedächtniß gerufen, drüdt er jein Bedauern aus, daß von den Ruſſen jelbft jo wenig zur gefchichtlichen Würdigung derſelben gefchehen; „wie bei allen jungen Bölfern fährt er fort nimmt hier in der Mitte und in der rafchen Folge der Begebenheiten die Gegenwart ausfchließlich die Geiſter in Anfprud). Jeder neue Tag verwifcht das Andenken der vergangenen Zeiten. Der Name einiger berühmten Orte: Pultawa, Kagul, Ismail, Rimnif; fo wie noch hin und wieder gefungene Volfd- und Kriegslieder find die einzigen Spus ren der großen Thaten ded verfloffenen Jahrhunderts. Während bei andern, gegen den Nachruhm minder gleich— gültigen Völkern der Gefchichtfchreiber gleihfam aus dem Schoße der Gefchichte geboren wird, läßt der Ruſſe, viel- leicht mit zu großem Vertrauen in die Zufunft blidend, die Fluthen der Zeit feinen Nationalruhm überſchwemmen.“

Um nun diefem Uebel für die Folge vorzubeugen, und die Welt für die Sorglofigfeit der ruffifchen Gefchicht- fehreiber In der Aufzeichnung der Helventhaten ihres Vol⸗

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kes zu entfchäbigen, hat e8 Herr Zelte Fonton übernom- men, die in ihren Folgen fo wichtigen, neuen Feldzüge der Rufien in Aften durch feine Fever einer ftaunenden Nachwelt aufzubewahren.

Die Grundidee, welche ſich durch das ganze Werf zieht, läßt ſich Furggefaßt etwwa folgendermaßen ausdrücken: Der Kaufafus ift von jeher, fo weit unfere Kenntniß der Gefchichte dieſer Länder hinaufreicht, der Schauplak blus tiger Kämpfe zwifchen Aften und Europa geweſen; im Zerftörungsfchritte des Jahrtaufende überragenden Trauer: fpield haben nur von Zeit zu Zeit die handelnden Per- fonen gewechfelt, ver Gang der Ereigniffe und die Rolfen find immer diefelben geblieben. Seit Jahrhunderten hat fih Rußland auf die ihm vom Scidfale angewiefene Rolle vorbereitet, und als es endlich, durch die Macht der Ereigniffe getrieben, mit Waffengewalt in die Schluch- ten ded Kaufafus eindrang, erfüllte es nur den Lauf fei- ner unmwandelbaren Beftimmung.

Sp lautet kurz zufammengefaßt das fcharffinnige Ar- gument ded Herrn Felir Fonton, welches, wenn ed damit feine Richtigfeit hat, für ganz Europa von der bedroh⸗ lihften Bedeutung fein muß; denn wo ließe fich wohl ein Land aufweifen, welches, fo weit die Gefchichte hin⸗ aufreicht, nicht der Schauplab oft wiederholter, blutiger Kämpfe gewefen? Und wer Fann vorher wiffen, zu wel- chen Rollen fich Rußland von der Vorfehung noch beru- fen fühlt und wohin feine Heere noch durch die Macht ber Ereigniffe getrieben werben?

Unter den in der Gefchichte zählenden Bölfern waren Griechen und Berfer die Erſten, welche um ven ‘Preis

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des Beftted diefer Länder rangen; ihren Verheerungszü⸗ gen folgten die mörberifchen Kämpfe der Römer und Parther; den dritten Act dE8 biutigen Dramas füllten jene welterfchütternden Barbarenhorden aus, welche, von Mittelafien fich herbeiwälzend, Schreden und Verderben bis in’8 Herz von Europa trugen.

Das zu Anfang des vierten Jahrhunderts in Georgien und Armenien eingeführte Chriftenthum, ftatt durch fanf- ten Liebeshauch den Funken der Zwietracht auszulöfchen, fchürte ihn zur hellauflodernden Flamme des Verderbens an. Statt der Liebe brachte ed Haß, und Rache ftatt der

Berfühnung. Seine Anhänger oder vielmehr die An⸗

Hänger der Secten, die fich aus feinem Schoße erzeugten, Iteferten eine Fortſetzung der Gräuel, welche die heidni- fchen Barbaren begonnen hatten. Der Geift der Eintracht wurde endlich den ftreitenden Parteien nicht durch den Liebesodem des Chriſtenthums, fondern durch die gebie- terifche Nothwendigfeit zugeweht, in ftarfem Bündniß einem neuen gewaltigen: Feinde entgegenzutreten.

Mit der Thronbefteigung Ardſchir⸗Babé⸗Chan's, des Gründers der Dynaftie der Saffaniven, beginnt eine lange Periode des Ungläds und der Verfolgungen für die chrift-

lichen Völker des Kaufafus, die in den Befennern der

damals in Perſten neuen Auffchwung gewinnenden Lehre Zoroaſters Fampfluftige, unverföhnliche Feinde ihres Glau⸗ bens fanden.

Und als dad Reich der Saflaniven, durch Innern Hader zerfleifcht, feinem Untergange entgegen fchwanfte, und der aus blutgetränktem Boden aufgewachjene Baum des Chriſtenthums in Kolchis und Armenien fefte Wur⸗

271 zen gefchlagen hatte, brach mit der flegreichen Fahne des Propheten von Meffa ein neues Ungewitter über die umfonft nach, Ruhe lechzenden Länder herein.

Die den Glanzpunkt der georgifchen Gefchichte bils dende glorreiche Regierung David's IL. und feiner großen Nachfolgerin, der gefeierten Thamar, fehlen den Fampfes- , müden Völkern nur deshalb die Furzen Segnungen des Friedens zu gewähren, um die bald darauf wieder her- einbrechende Zeit des Schredens und der Verwüftung defto [chmerzlicher und fühlbarer zu machen. Die Horden der Mongolo-Tataren, gleichfam bie furchtharen Nach⸗ zügler der großen Völkerwanderung, wälzten ſich brennend und mordend herbei, und hielten dritthalb Jahrhunderte lang die Länder vom Kyros bis zum Boryſthenes in ihren eiſernen Banden.

Wir übergehen mit Stillſchweigen die Schilderung der hartnäckigen Kämpfe und Gräuelſcenen, welche ſpäter durch das Schisma der Secten Ali's und Omar's er⸗ zeugt wurden, und beeilen und zum punctum saliens unferer Betrachtung zu fommen, nämlich zur Prüfung ver wichtigen Ereigniſſe, welche Rußland zwangen, mit ber waffneter Hand im Kaufafus einzufchreiten. Hören wir, was Herr Fonton in dem diefem Gegenftande gewidmeten Eapitel: Apparition de la Russie, p. 72. darüber fagt:

„Nachdem das Großfürftenthum Moskau das Joch der Tataren von fich gefchüttelt hatte, und ſodurch Repräfentant der rufiosflanifchen Macht geworden war, unterwarf e8 Kafan (1553), eroberte vier Jahre fpäter Aſtrachan, und vernichtete von Grund aus die nad) legterer Stadt benannte Horde. Der Ruhm feiner hohen

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Thaten war ſchon bis über den Kaukaſus gedrungen und es hatten ſich in Folge deſſen Handelsverbindungen auf dem kaspiſchen Meere angeknüpft. Herrin des ganzen Gebietes der Wolga, bemächtigt ſich Rußland ebenfalls der unteren Mündungen des Terek und Koißu, und unter⸗ wirft Die Herricher von Tumen *). Zn gleicher Zeit war ed in den günftigften Umftänven, um mit Vortheil gegen die Chane der Krimm zu kämpfen und ſich einen Weg bis zum Schwarzen Meere zu bahnen ıc.. 20.”

Diefe Säbe forechen für fich felbft und bedürfen faum eines Fommentars. Wenn Rußland, weil es Her- rin der Wolga ift (ein Strom, der fich befanntlich in's Taspifche Meer ergießt), fich berechtigt glaubt, auch Herrin des Teref und Koißu zu werden, da diefe fich ebenfall® in's Faspifche Meer ergießen, wenn es ferner bie Herrfcher von Tumen unterwirft, um feinen Handels⸗ verbindungen im Dagheftan eine größere Ausdehnung zu geben, und wenn es, nachdem diefed gefchehen, ſchon damald Luft zu der erft fpäter ausgeführten Eroberung ber Krimm zeigt, fo erfennen wir darin einfach das allezeit lebendig geweſene Streben Rußland's, ſich nah allen Seiten hin auszubreiten und zu vergrößern, aber ver- gebens fuchen wir dabei den Drang der Ereigniffe,. der e8 zu diefem Umfichgreifen getrieben hätte, noch finden wir es bei feinem gewaltthätigen Verfahren von einem andern Rechte geleitet ald von dem Rechte des Stärkern. Herr Fonton, welcher felbft wohl fühlen mag, daß feine Gründe nicht ftihhaltig find, fucht, da er den Berftand

*) Tumen if der alte Name für das heutige Tarki oder Tarku.

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nicht zu überzeugen vermag, das Herz der Leſer gleichfam durch Thränen zu gewinnen, indem er eine lange, rüh—⸗ rende Erzählung der graufamen Berfolgungen giebt, denen bie Ghriften Georgiens früher von den ungläubigen Moslim ausgefebt waren; und um jeden Verdacht des Eigennutzes und der Herrſchſucht von Rußland abzumwens den, erfchöpft er aM’ feine Beredtſamkeit, um zu beweifen, daß Rußland nur aus chriftlicher Liebe und langem, wieder: holtem Flehen von Außen, feinen Glaubensbrüdern in Georgien zu Hülfe geeilt und fpäter von feinen Schüg- lingen jelbft gezwungen wäre, Scepter und Thron von Georgien anzunehmen.

Seite 79 leſen wir: „Weberzeugt, daß ihr grenzen- Lofes Unglüd endlich das Herz ihrer Glaubensgenofſſen rühren werde, hörten die Georgier während eines ganzen Jahrhunderts nicht auf, durch ihr Wehflagen und Jam⸗ mern die Hülfe der Ruflen zu erflehen. Die Archive Rußland's, fo wie die Grabesinfchriften der in Folge ver Berheerungen der Türfen und Perſer (9) in Mosfau geftorbenen kartwel'ſchen Fürften, find gleichfam erfchüt- ternde Trauergefänge der langen Leiden, welche die chrift- lichen Völker des Kaufafus decimirten. Ohne fich durch ihre wenigen und langfamen Erfolge entmuthigen zu laffen, kehren fie immer mit unerfchütterlicher Standhaf⸗ tigkeit zurüd.... Wirklich merkwürdig ift Die Hartnädig- keit, mit welcher diefe Völker, ihr Ziel unermüdlich vers folgend, Rußland nah und nach in ein Gewebe von diplomatifchen Stipulationen verwideln und es endlid zwingen, ihnen die Stüge feines Armes zu leihen.“

Wir wollen die Geduld unferer Lefer durch Wieders

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holung der endloſen Tiraden nicht ermüden, welde Hr. Fonton anführt, um gu beweifen, daß Rußland, fern von allen eigennüpigen Rebenabfichten, fich enplich rein aus chriftlicher Liebe bewegen läßt, Georgien feinen Beſitzungen einzuverleiben.

Nur zuweilen laßt Herr Fonton wenn es fich um Thutfachen handelt, die für Niemanden mehr Geheim- niß find die Kralle der Habfucht aus dem Mantel der ruſſiſchen Ehriftenliebe hervorbliden, aber dann wendet er gleich wieder all’ feine Beredtiamfeit auf, um und ans fchaulih zu machen, daß Rußland, wenn ed einem Lande Gutes that, vollfommen berechtigt war, fih an einem andern Lande dafür zu entichädigen.

Sp gefteht er und (S. 82), daß Peter der Große, nad einem mißlungenen Verſuche, fich der Oftfüfte des Schwarzen Meeres zu bemächtigen (mit welchem Rechte? hat Hr. Fonton vergeflen zu bemerken), feine ganze Auf: merffamfeit dem Befige Indiens zugewandt habe, eine Idee, an deren Verwirklichung ihn leider ein zu früher Tod verhinderte, welche er aber als ein heiliges Bermächt- niß feinen Nachfolgern hinterlaſſen habe.

„Der Gedanfe, Verbindungen mit dieſem fo reichen Lande anzufnüpfen (heißt es S. 82) befchäftigte Beter I. vor allen andern. Im Jahre 1717 fanbte er eine Armee unter den Befehlen des Fürften Bekowitſch Tſcherkasky nah Chiwa, um fich diefed wichtigen Platzes zu bemäch⸗ tigen. Die Erpedition mißlang. Der Idee folgend, welche ihm. beherrfchte, wandte Peter feine Aufmerkfamkeit auf's Reue dem kaspiſchen Meere zu. Ganz Rußland konnte bier, vermittelft feines großen Netzes von Kanälen und

Flußverbindungen, deren belebende Ader die Wolga iſt, einen Ausgangspunkt finden. Die Herrſchaft über das kaspiſche Meer ſetzte Rußland in Stand, dieſe wichtigen Küften zu feinen Stapelplägen zu machen, und mit unzu⸗

- berechnendem Bortheil jenen alten Handelsweg nach Indien wieder berzuftellen, welchen einft abwechfelnd Griechen

und Römer ausbeuteten.*

Diefe einzige Stelle genügt unfered Erachtens, Die wahren Abfichten Rußland's, denen das alberne Geſchwätz von Mitleid und Ehriftenpflicht nur als Dedimantel dient, anfchaulich zu machen.

- Die Gründe, welche Rußland bewogen, fich in die Angelegenheiten der Voͤlker des Kaufafus zu mifchen, find dieſelben, welche einft Philipp von Macedonien be⸗ wogen, fich in die Angelegenheiten von Hellas zu mifchen. Aber die Löfung der Frage, ob auch die Erfolge dieſelben fein werden, bleibt noch der Zukunft anheimgeftellt.

Rußland gewährte einem Lande Schu und Bei⸗ ftand, um das Recht zu haben, ein anderes zu befrie- gen; daß es feine Schüglinge nicht unter den Befennern des Islam, fondern unter den chriftlichen Stämmen des Kaukaſus fuchte, lag in der Natur der Sache.

Durch eine Reihe von Intriguen und Machinationen der empörendften Art, durch Beitechungen und Gewalt- thätigfeiten gelang es endlich der mosfowitifchen Politik zu Ende des vorigen Jahrhunderts, Georg XIIL, den fhwächften aller Fürften, welche jemals über Georgien geherrfcht, zu bewegen, feiner Würde und feiner Krone für fih und feine Nachfolger, zu Gunften Rußland's, zu entfagen. Das merkwürdige Altenftüd, welches dieſe

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Beftimmungen enthält, wurde noch zu Lebzeiten des Kals ferd Paul, am 28. September des Jahres 1800, aus⸗ defertigt.

„Im Laufe des ganzen achtzehnten Jahrhunderts fagt Hr. Fonton S. 84 überfchritt Rußland die Gren⸗ zen des Kaukaſus nur Außerft felten, und immer mit Zaubern und Bedenklichkeit; trog feiner unläugbaren Er⸗ folge zog es fich immer wieder aus den Gebirgen zurüd; erit als die Menfchlichkeit fowohl wie die Politik es ihm zur Aufgabe macht (ce n’est enfin que lorsque l’humanite autant que la politique lui impose cette charge), erft als ed die chriftlichen Völker dieſer Länder ‚von der Gefahr bedroht fieht, ihre Unäbhängigfeit und Religion zu vers lieren, und Rußland nur die Alternative bleibt, entweber - feinen fo wichtigen Befigungen an den Küften des kaspi⸗ fehen und fchwarzen Meeres zu entfagen, oder von Neuem das Waffenglüd in Transkaukaſten zu verfuchen; erft in diefer fehwierigen Lage entfchließt ſich Rußland endlich, das Vermächtniß der Könige von Georgien anzunehmen.“

Traurig genug, daß Rußland im Laufe ded ganzen achtzehnten Jahrhunderts dem Flehen der georgifchen Nation Fein Gehör gab und feine Hülfe erft dann anbot, als alle Hülfe ſchon zu fpät war! Es fah ruhig zu, als Land und Volk von Georgien dreimal nach einander den Zürfen und Perfern zur Beute wurben; es ließ die Vers heerungdzüge Mohummed V. und Nadir-Schah’8 ohne Widerſtand gefchehen, und als es felbft nach der Zers ftörung von Tiflis durch Aga⸗Mehmed⸗Chan, mit Waffen- gewalt in Georgien einfchritt, gefchah das nur, um den vierten Aft des blutigen Drama's zu fpielen.

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Für. die erzwungene Entfagung Georg XII. ward feinem Andenken ver Fluch und der Haß aller Edlen des Landes zu Theil. Die Königin ſelbſt war auf's Aeuperfte empört über den feigen Aft ihres blöbfinnigen Gemahls; und das Benehmen diefer hochherzigen Fürftin, ale fie auf faiferlichen Befehl gewaltfam nach Petersburg gefchleppt werben follte, kann als der klarſte Ausdrud der Geſin⸗ nungen ihres Volks gelten.

Der zur Ausführung des Gewaltſtreiches beauftragte Oberſt Laſarew trat in Begleitung eines Dolmetſchers unangemeldet in das Gemach, wo die Königin auf dem Diwan zuneben ihren fchlummernden Kindern ſaß. Es ift befannt, wie heilig im Orient die Gemächer der Frauen gehalten werden, und man wird es leicht begreiflich finden, daß die Königin, damals noch ein fchönes, junges Weib, den trogigen Eindringlingen laut ihr Erftaunen und ihren Zorn ausdrüdte. Der Oberft zeigt, ftatt aller Entſchuldj⸗ gung, feine Papiewe vor, und befiehlt der unglüdlichen Herricherin ihm auf der Stelle zu folgen. Die ftolze Maria, die nicht glauben wollte, daß ihr folche Schmach mit Vor⸗ wifien des Kaiſers angethan werden fünne, wiberfegt ſich entrüftet dem Befehle des Oberften und weiſt ftatt aller Antwort auf ihre fchlafenden Kinder hin. Da ergreift Laſarew, dem dad Ding zu lange dauert, den Fuß ber Königin, um fie mit Gewalt zum Aufftehen zu bewegen. Zornentflammt fpringt fie auf, zieht ihren Dolch aus dem Bufen und durchbohrt damit das Herz ihres Belei⸗ digers, der auf der Stelle leblos zu Boden finft. Doch in demfelben Augenblide ftürzt der Dolmetfcher über fie ber und bringt ihr mit dem Säbel mehre gefährliche

2378 Wunden bei. Sie hätte unter feinen Streichen verbluten müſſen, wäre nicht auf den Lärm der Kämpfenden und das Sören der Kinder plöplich Hülfe in's Zimmer gedrungen..

Kaum war die heldenmüthige Fürſtin etwas herge⸗ ſtellt, als ſie, von einem andern Officier begleitet, zuſammt ihren Kindern nad) der Hauptſtadt Rußland's abgeführt wurde, wo ſie erft vor wenigen Jahren ihr. verhängniß- volled Leben befchloß.

Schreiber dieſes hatte Gelegenheit, die Königin Maria in ihrem befcheidenen, faft ärmlichen Landhäuschen, Furz vor ihrem Tode fennen zu lernen und fich zu überzeugen, baß fie.den Haß gegen den Räuber ihrer Freiheit und ihres Thrones mit in’d Grab genommen.

Daß die Schmach der Königin Maria ihrem Volke in furchtbarem Gedächtniß geblieben ift, davon tragen bie verfchiedenen Revolutionen, welche fpäter in Georgien aus⸗ brachen, das lebendigfte Zeugniß, Ehen fo dient die ge- ſchichtliche Thatfache, daß die georgifchen Fürſten felbft die Hülfe ihrer alten Feinde, der Perſer und Türken anflehten, um bie Nuffen wieder aus ihrem Lande zu vertreiben, als befter Beweis, wie verhaßt den Bölfern von Kartwel das mosfowitifche Joch war.

Prinz Alerander, Sohn des Königs Heraflius von Georgien, konnte den Gedanken nicht ertragen, den Thron feiner Väter den Händen der Rufien überliefert zu fehen, Er zog es vor, mit den Bergvölfern gemeinfchaftliche Sache zu machen, nachdem er vergeblich verfucht hatte, die Gro⸗ pen Georgiens zur Schilderhebung gegen Rußland zu bewegen. Diefe wollten fih nur zu offener Empörung

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verftehen, wenn eine auswärtige Macht ihre Hülfe zu fagte. Was vermochten aud die Stämme von Kartwel, deren ganze Bendlferung fich Taum auf ein paar hundert» taufend Einwohner beläuft, gegen die überlegene Macht Rußlands? Georgien war befonderd durch den lebten Berheerungszug Aga⸗Mehmed⸗Chan's zu fehr gefchwächt und zerrüttet, ald daß es den Einwohnern möglich gewe- fen wäre, fi auf die Dauer der Gewalt des nordiſchen Koloſſes zu widerſetzen.

In dieſem Umſtande allein und nicht in den angeb⸗ lichen Sympathien der georgiſchen Fürſten für Rußland "muß man die Urſache des Mißlingens der Pläne des friegerifchen Zarewitfch Alexander fuchen. Aller. andern Mittel beraubt, geſellt er fich den Bergvölkern zu, um in diefen alten Feinden feines Vaterlandes eine Stübe für feine Unternehmungen gegen Rußland zu gewinnen. In Perſien ſowohl wie in der Türkei, wohin er zuerft geflüch- tet, um einen Aufftand gegen den Zaren zu veranlaflen, waren feine Pläne gefcheitert, denn bei beiden Völfern lebten die ruffifchen Waffen noch in zu frifchem Andenken und beide waren noch zu ſehr erfchöpft von den lehten Kriegen, als um aufs Neue das unfichere Loos der Schlachten zu wagen.

In Shufha von Ibrahim Chan, dem Herrfcher von Karabagh, gaftfreundlich aufgenommen, wandte Aleran- der all’ feine Kräfte dazu an, die Saat der Empörung unter den Bergvölfern auszuftrenen. Gleicher Ruſſenhaß befreundete ihn mit Omar, dem gefürchteten Awaren-Ehan, und er war die Triebfeder verſchiedener folgenreicher Unternehmungen dieſes mächtigen Fürſten, deſſen ſieg⸗

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reicher "Fahne die meiften Voͤlker des Dagheſtan ſich an⸗ ſchloſſen.

Der Herbſt des Jahres 1800 war. von Alexander und Omar-Ehan zur Ausführung eines entfcheidenden Schlages auf Georgien beftimmt. » Gegen: 20,000 Mann, deren Hauptmafle die trefflicden Reiter von Lesghiſtan bildeten, flanden unter Omar's Befehlen. Da Alerander zumal einen bedeutenden Anhang unter ven Großen Geor⸗ gien's hatte, ſo wäre das Land für die Ruſſen verloren geweſen, wenn ſte nicht frühzeitig Kunde von den Rüftun- gen des Awaren⸗Chan's erhalten hätten.

General Lafarew, an der Spige eined neuangekom⸗ menen großen Armeecorps, gewann an den Ufern ber Sora eine blutige Schlacht über die Bergvölfer (befonders durch die Wirkung feiner zahlreichen Artillerie) und legte dadurch den Grund zu der kurz nachher erfolgten Eins verleibung Georgien’d an Rußland.

Die fpätern, häufig wiederholten Verſuche Alerander’s, die Ruffen aus Georgien zu vertreiben, fanden zwar immer beim Bolfe, welchem das ruffifche Regiment in der Seele verhaßt ift, lebhaften Anklang, blieben aber der erbrüden- den Uebermacht des norbifchen Koloffes "gegenüber ohne dauernden Erfolg.

Eine weit um fich greifende Verſchwoͤrung des georgi⸗ ſchen Adels fand noch im Jahre 1832 ſtatt; ſie wurde jedoch in ihrem Keime unterdrückt, die Raͤdelsführer es waren Darunter Sprößlinge der berühmten Häufer Tſchawtſchewadſe, Eriftaw, Andronifow, Tſchalekaiew u. v. A. fchredlich bes ftraft, und die ſtrengen Maßregeln der Ruffen machten Tpäter« bin den Georgiern neue Berfuche zur Empörung unmöglich.

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Nach diefen wenigen Andeutungen, welche wiy, wenn ed der Raum geftattete, zu einem ganzen Bande vermeh- ren und ausdehnen könnten, glauben wir den Lefer genug fam vorbereitet, ein felbftändiges Urtheil über vie bier folgenden, hochtrabenden Derlamationen fällen zu können.

In dem Kapitel überfchrieben: Etablissement de la Russie au-delä du Caucase, fagt Herr Ritter Yonton (p. 94):

„Als der. Kaifer Alexander durch fein Manifeft vom 12. September 1801 zur Annahme des ihm vermachten Thrones von Georgien fich erflärte, gehorchte er einem evelmüthigen Zuge feines Herzens.

nicht um unfere Streitfräfte zu vermehren (fagte er in feiner Adreſſe an die georgifche Nation), nicht aus Abfichten des Eigennußes, oder um .ein Keich zu vergrö« Bern, deflen Grenzen fich fchon fo weit ausdehnen, neh⸗ men wir die Bürde des Thrones von Georgien an; das Gefühl unfjerer Würde, Die Ehre, die Menſch— lichfeit allein haben uns die heilige Pflicht auf- erlegt, den Jammerrufen, die Eurem Schoße entichollen find, Gehör zu leihen, von Euren Häuptern die Uebel abzuwenden, die Euch nieverbeugen, und in Georgien eine Fräftige Regierung einzuführen, welche fähig ift, die Ge⸗ rechtigkeit unparteiifch zu hanvhaben, Das Leben und Gut eines Jeden zu bejhügen und über Alle die Aegide des Geſetzes auszubreiten.“«

Und um jeglichem Mißverſtaͤndniß vorzubeugen, fügt Herr Fonton ergänzend hinzu: Ces assertions n’dtaient pas de vaines declamations !

Wenn Rußland nur eine einzige der oben ange

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führten Berfprechungen erfüllt hätte, fo wollten wir ihm alle vorhergehenden, zur Beilgnahme von Georgien füh- renden Gewaltthaten verzeihen, denn die Kraft treibt zur Herrfchfucht und alle Herrfchfucht ift gewaltthätig. Wenn fih in der Gefchichte nur ein einziges Beifpiel fände, daß ein moskowitiſcher Herrfchaft anheimgefallenes Land blühenver, und feine Bewohner befier geworden wären, fo Eönnte man die Srage: ob Rußland den Thron von Georgien mit Recht oder Unrecht an ſich gebradht? ganz bei Seite ſtellen, denn nie hat etu mächtige Volk feinen Lebenslauf auf Erden vollendet, ohne irgend eine Unbill oder Gewaltthat gegen fihmächere Nachbaren verübt zu haben, und überall, wo das Recht des Stärfern zum Wohle ded Schwächern ſich gelten» machte, warb es vor dem Richterfluhle der Gejchichte anerfannt und geheiligt:

Wo aber wie. das bei den Ruflen der Fall it die Kraft ihre Wirkung nur Außert, zu unterbrüden fatt zu ftüßen, zu. zerflören ftatt aufzubauen, Verderben zu bringen ftatt des Segend, da trifft fie der Haß aller Revlichgefinnten, und es ift Pflicht eines Jeden, den Zufall oder. Yorfchungsgeift auf die Stätte der Verwüſtung geführt bat, fein Scherflein dazu beizutragen, daß dem Umfichgreifen des verheerenden Stromes Einhalt gefchehe, wozu klare Erfenntniß des Uebels der erfte und wichtigfte Schritt ift...

Doch kehren wir zu der begonnenen Weberficht des vor und liegenden Buches zurüd,

Nachdem uns Herr Fonton die beruhigende Verſiche⸗ rung gegeben, dad oben angeführte Manifeft Alexander's fei feine.bloße Deflamation, gibt er, um feine Bes

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hauptung zu begründen, eine kurze Schilderung der Durch innere Zerwürfnifie und langjährige Kriege fowohl, wie durch die Machinationen der ruffifchen Politif allerdings traurigen und verwirrten Zuftände Georgien’s. Statt aber der Wahrheit gemäß hinzuzufügen, daß diefe Innern Zer« . wäürfnifje und traurigen Zuftände des Landes den Ruflen zur Berfolgung weiterer Zwede durchaus erwünfcht gewe⸗ fen, ja größtentheild durch fie felbft herbeigeführt worden feten, fährt er, auf die Leichtgläubigfeit ded Leſers bauend, fort: „Wahrlich bedurfte es der Selbfiverläugnung, es bedurfte eined mächtigen Armed, um Ordnung in Diefed moralifche, phyſtſche und politifche Chaos zu bringen. Menn Rußland dieſe ſchwere Bürde auf feine Schultern . Iud, fo ift es billig, daß man die Opfer, welche ed dabeh brachte, anerfenne, daß man nicht dem Ehrgeize noch dem Durfi nad Eroberungen eine Ausdehnung jez ner Grenzen zufchreibe, welche ed immer als excentrifch betrachtet hatte -und welche e8 nur durch Waffengewalt bewahren zu fönnen wußte.“

Wir führen dieſe SteWe nur an, um zu beweifen, wie weit ZJarengunft und Orden die Unverfchämtheit des Herrn Fonton zu treiben im Stande waren. Oder ift es nicht eine Unverfchämtheit, Behauptungen, wie die oben angeführten, zu wagen? und von moskowitiſcher Selbſt⸗ verläugnung zum Beften fchwacher Nachbaren zu fpre- hen? und überreden zu wollen, daß , wenn Rußland feinen Eifesarm um den Naden der Bölfer fchlinge, fo gefchehe das blos aus chriftlicher Liebe und Barmherzig- feit, mit Hintanfegung aller irvifchen Gelüfte und zeitli- chen Vortheile? uns Anerfennung der Opfer abzuzwingen,

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die Rußland bringt, wenn e8 die ſchwere Bürde eines neuen Beſitzthums auf feine Schultern laͤdt?

Man Fönnte, nicht unpaflend, die, ihre Raubzähne unter dem Mantel der Religion verhüllende, ruffiiche Poli⸗ tif mit jener in Mosfau wohlbelannten Dame vergleichen, welche das dicht beim Kremel befindliche, wunberthätige Muttergottesbild zum Erbauen aller Umftehenven fo in- "brünftig füßte, daß ihr der Foftbarfte Diamant des ganz mit Evelfteinen umfäeten Bildes im Munde fteden blieb *).

Nach der Beſitznahme Georgiens folgten die Ruflen - bier ganz dem Beifpiele Potemkin's, ald er durch feine fhändlichen Intriguen die Chane der Krimm ohne Schwert- ftreich dem ruffifchen Scepter unterworfen hatte. E& wurbe eine Art Reuniondfammer errichtet, deren Aufgabe war, alle geographifchen und BHiftorifchen Nachrichten einzuzies ben, geeignet Rußland's Anfprüche auf die angrenzenden Länder zu unterftügen **). Bei dieſem Verfahren hatten,

1

—2) Die Sache kam fpäter aus, und Schreiber diefes war Telbf

zugegen, als die Dame eine rufflfche Generalin vor dem ent:

. weihten Heiligenbilde, Angefichts des Volks, Abbitte thun mußte. Bei dem Berhör full die gnädige Frau zu ihrer Entfchuldigung anges führt haben: fie fei lange Iahre hindurch immer fo fromm gemwefen und habe das fragliche Heiligenbild immer fo anbächtlich geliebt und verehrt, daß fie ſich gewiflermaßen berechtigt geglaubt, eine Eleine Belohnung dafür entgegennehmen zu können!

**) Der fachkundige Verfaſſer der Außerft wichtigen Scrift: Anecdoten zur Lebensgefchichte Potemfin’s ıc. ꝛc. bemerkt in dieſer Beziehung fehr richtig: „Wie wenig Recht mächtige Fürften nöthig haben, um etwas mit Recht zu verlangen, läßt fi) aus ber merf- würdigen Theilung Bolen’s wahrnehmen. Hunderttaufend bezahlte Kuechte können alles Unrecht in Recht, und alles Recht in Unrecht verwandeln. Kurz, diefe niedergefeßte Commiſſion brachte durch ihre

-

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wie fich von ſelbſt verfteht, die Ruffen vollfommen freien

Spielraum, folange ſich Feine europäifche Macht in ihre

Angelegenheiten mifchte; denn, den in Geographie und

Geſchichte ungefchulten Bergvölfern, gegenüber Eonnten fie

beweifen, was fie wollten, ohne eines Irrthums geziehen

zu werden. |

Wie gerecht ihre Anfprüche und wie bündig ihre Beweife waren, wollen wir verfuchen durch einige Bei⸗ fpiele zu erläutern.

1) Die Rufen behaupten ein Recht auf den Beſtitz der Kabardah zu haben. Diefed Recht fügt ſich auf fol gende Gründe:

a) Zar Iwan Waffilfewitfch, der Graufame, hatte bie Tochter Temrufs eines Fabarbifchen Fürſten, zur Frau, woraus hervorgeht, daß die Kabarder fchon damals in freundfchaftlichen Verkehr mit den Ruf fen flanden.

p) Eine im Jahr 1717 von den Ruſſen gegen den

Chan von Chima unternommene Expedition wurbe

von Bekowitſch Tſcherkaski, einem kabardiſchen

Geſchicklichkeit und durch Unterredungen mit dem geweſenen Chan,

den fchändlichen Grunpfägen Potemkin's gemäß, die unwiderfprechs lichſten Gerechtfame auf alle Länder, Die man begehrte, an’s Licht. Die Zaren von Karthli und Kachethi, mit einem Worte ganz Georgien, Beffarabien und die Landfchaften am Krdan, wurden als Reiche und Länder angegeben bie zur Krimm gehörten.“

Mir können die oben angeführte Schrift (Freiſtadt am Rhein, im Aten Jahre der Freiheit, 1792), in welcher eine Menge merf- würdiger Aftenftücle mitgetheilt find, bem über ruſſiſche Zuſtaͤnde Aufs ſchluß begehrenden Leſer nicht dringend genug empfehlen.

Fürften, befehligt, welcher eine Schaar feiner Lande-

Iente mit ſich führte, ein Beweis, daß fchon damals

Kabarder unter ruffifchen Fahnen kämpften: folglich

hat Rußland ein Recht über die Kabardah zu herr-

ſchen! (p. 74. 82.)

Wir gevuldigen Deutfchen mögen uns bei Zeiten vor- ſehen, daß die Ruſſen nicht einft auf den Beſitz unferes Baterlandes ähnliche Rechte aus ähnlichen Gründen gel tend machen.

Welch' eine Menge deutfcher Prinzeffinnen find an ruffifche Fürften verheirathet! . Wie viele deutfche Feld⸗ herren haben unter ruffifchen Fahnen gefämpft!

Doch fahren wir in der Aufzählung weiterer An⸗ fprüche der Ruffen fort:

2) Rußland behauptet Anfprüche auf den Beſitz der Provinzen am Faspifchen Meere zu haben, weil dort fhon zur Zeit Peterd des Großen ruſſiſche Niederlaffun— gen gegründet ſeien.

Mit welchem Rechte Beter der: Große bie durch Waffengewalt erzwungenen Niederlaffungen gründete, ha- ben wir fchon weiter oben gefehen: „Weil Rußkınd Herrin der Wolgamündung war, wollte es auch die Mün- dungen des Teref und Koißu beberrfchen!* (p. 72.)

Die Küftenvölfer, welche in ihrer Einfalt die mos⸗ kowitiſchen Syllogismen nicht recht begreifen fonnten, fuchten bei der erften günftigen Gelegenheit durch Waffen⸗ gemalt wieder zu erringen, was ihnen Durch daſſelbe Mit- tel entriffen war. Sie verjagten die ruffifchen &oloniften aus Schemacha, megelten nieder, was ihnen Widerftand leiftete, und vereitelten fomit eine Zeit fang bie weitauds

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fehenden Handelsprojecte ihrer Feinde. Peter der Große, ergrimmt über die ſchweren Berlufte, befchloß blutige Rache an den Bergvölfern zu nehmen und ihre Länder feinem Scepter für immer zu unterwerfen, „nit wie Herr Fonton erläuternd hinzufügt nit um fein Reich durch ercentrifhe Eroberungen zu vergrößern, fondern lediglich um zu zeigen, mit welcher Leichtigkeit Rußland feften Fuß an den Hüften des Kaspi- meeres fallen Fönnte, ferner um feinen Einfluß zu confos lidiren, die verwirrten Zuflände der verfchiedenen Staaten zu ordnen, und enplich um, unter feiner mächtigen Yegive, der Entwidelung und Ausdehnung des ruffifchen Handels eine fefte Bafls zu geben. Ohne daran zu denfen, Ruß- land aus feinen gigantifchen, ihm von der Natur vor⸗ gezeichneten Grenzen hinauszubrängen, es gleichfam hülf⸗ .108 in die Mitte eines faft gänzlich unbekannten Landes zu fchleudern (wie rührend!), wollte er feinem Reiche mit dem Degen die Stellung vorzeichnen, welche es bes rufen war einzunehmen. So dachte Peter der Große! .. .“ (p- 83.) |

Da haben wird! Herr Fonton fagt es und mit Deuts lichen Worten: Rußland wollte blos Scherz machen, ohne dabei einen böfen Gedanken im Hintergrunde zu haben; es fpielte nicht, wie wir irrthümlich meinten, den Wolf im Schafspelze, fondern das Schaf im Wolföpelze! Der Zar fhidte feine „Heere nach dem Kaufafus, nicht um Länder zu erobern, fondern blos um die Leute etwas einzufchüchtern, um zu beweifen, welch’ ein leichte Stüd Arbeit es für die Rufen fein würde, ſich der Küften- länder des Kaspimeered zu bemächtigen! (Afin.de prouver

la facilit6 qu’aurait la Russie de prendre pied sur le littoral de la mer Caspienne). Ban fieht es, Herr Fonton "beweist aufs Bündigfte die Wahrheit des Satzes, daß die Sanftmuth bei dem Starken fei.

Wir haben vorhin gefehen, wie Rußland, aus Furcht, des Eigennutzes geziehen zu werben, über ein Jahrhun⸗ dert lang allen Bitten und Thränen widerſtand, bevor es ſich entfchließen Fonnte, die Bürde des Thrones von Geor⸗ gien anzunehmen; erft ald die Menfchlichkeit es ihm zur Aufgabe machte, that es den ſchweren Schritt.

Wir haben ferner gefehen, aus was für unfchäplichen, edelmüthigen Abfichten Rußland die Gebiete der Berg- völfer mit feinen Heeren überzog; nach all’ diefem wird gewiß der freundliche Lefer Herrn Fonton Recht geben, wenn er behauptet: ed fei billig, daß man weder dem Ehrgeize noch der Eroberungsfucht eine Ausdehnung der Grenzen zufchreibe, welche Rußland immer als ercentrifch betrachtet habe! (MI est juste que l’on n’attribue pas & P’ambition, & la soif des conqu&tes, une extension de limites que la Russie avait toujours regard6e comme ex- centrique. p. 95.) Wer hat auch jemald von ruffifchem Ehrgeize, von rufſiſcher Eroberungsfucht gehört? Wer hat jemald geglaubt, daß Rußland die Abficht gehabt habe, fich zu vergrößern, außer wenn Menfchlichfeit und Ehriften- liebe es ihm zur Pflicht machen?!

Wie glänzend. widerlegt Herr Fonton burch feine Beweisführung ruffifcher Uneigennüsigfeit den Ausfpruch eines großen Hiftorifers, welcher fagt:

„Aus allen Handlungen ver Gerechtigkeit aller Staaten, aller Orte und aller Zeiten kann man auch

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nicht eine einzige anführen, die mit Befeitigung alles Eigennuges in ver Tugend allein ihre Duelle hätte. Es tft vielmehr unwiderleglich dargethan, daß die öffentlihe Gewalt nur dann gerecht ift, wenn fie von Außen es zu fein gendthigt wird. Gerecht und milde find nur die Schwachen; und auch diefe nicht länger als bis fie ftarf genug find, um ihrerfeit6 unges recht zu fein und Schutzloſe zu unterdrücken.“ *)

Wie fchade, daß die freiheitliebenden Bergvölfer des Kaufafus die menfchenfreundlichen, uneigennügigen Ab- fichten nicht begriffen, welche den ruffifchen Verheerungs⸗ zügen zum Grunde lagen! Wie ſchade, daß fie durch ihren heldenmüfhigen Widerftand al’ der beneidenswerthen Segnungen verluftig wurden, weldje ihnen unter dem fanften Mosfowiterfcepter gewiß zu Theil geworden wären!

Aber, wie Heeren in feinem berühmten Werfe über die Bölfer des Alterthums fagt: „Nichts ift argwöh— nifcher als die Fretiheitsliebe; und leider! hat die Erfahrung nur zu fehr gelehrt, daß fie Urfache dazu hat!“ **)

Wir müßten diefe Blätter zu einem dickleibigen Buche ausdehnen, wollten wir al’ der Gemwaliftreihe und Unge- rechtigfetten, welche Rußland nach der Beſitznahme Geor⸗ giend gegen die benachbarten Völker verübte, auch nur andeutungsweife Erwähnung thun. In der Hoffnung, daß die oben angeführten Fälle genügen werben, um den Lefer in Stand zu feßen, felbft zu beurtheilen, auf welche Rechte

=) Fallmerayer, Gefchichte von Morea. T. I. p. 38. *0) Heeren, Ideen ıc. T. III. p. 267. 19

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die Unternehmungen der Ruffen gegen die Bewohner des öſtlichen Kaufafus gegründet find (constamment dégagé de tout desir de conquäte, wie Kaifer Nikolaus wieder holt in feinen Manifeften fagt), wenden wir und, mit Uebergehung einer Menge Fälle ähnlicher Natur, zu ven eigentlichen Tſcherkeſſen, den ritterlichen Küftenvölfern des Schwarzen Meeres, deren glorreiche Kämpfe gegen bie überlegenen Mosfowiter in demſelben Grade unfere Ber wunderung verdienen, wie die Kämpfe der Griechen gegen die Heere des Xerxes und Darius.

Rußland's Anſprüche auf die Herrichaft über die pontiſchen Küftenlänver ftügen fi auf den bekannten Traftat von Adrianopel (1829), in welchem der Sultan alles zwifchen dem Kuban und dem Schwarzen Meere gelegene Land an die Ruffen abtritt *).

Kun iſt es aber eine auf's Genaueſte nachzuweiſende Thatſache, daß die Tſcherkeſſen niemals, auch nur dem Namen nach, unter fürfifcher Herrfchaft geftanden haben, und daß der Sultan nicht das mindefte Recht hatte, nach feinem Wohlgefallen über ihre Länder zu verfügen. Die Tſcherkeſſen der Mehrzahl na Mohammedaner fo wie die angrenzenden Küftenvölfer: Schapßuch, Ubychen, Dihighethi ıc. haben zu dem Sultan nie in einem andern Verhältniffe geftanden, als dasjenige ift, in welchem alle tömifchen Katholiten zum Papſte ftehen: fle betrachteten und verehrten ihn als das Oberhaupt ihrer Kirche, waren ihm jedoch in weltlicher Beziehung eben ſo wenig unter⸗ ‚than als die römiſch⸗katholiſchen Völker Europa's dem Papſte unterthan find. |

*) Bon der Mündung des Kuban bis zum Forte St. Nikolas.

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vr

Die Frage: ob ver Sultan jemals Herrichergewart in Eircaffien geübt und demnach zu einer Ceffion dieſes Landes berechtigt war? ift in Folge der befannten Ges fangennehmung des Viren ſchon einmal im Jahre 1838 - der Gegenftand heftiger Debatten im engliichen Parlamente - gewejen, und Herr Bell, der Eigenthümer des Viren, hat in feiner Selbftvertheivigung unmiderleglich” dargethan, daß bie Ticherfeffen weder de jure noch de facto jemals unter türfifcher Botmäßigfeit geftanden haben, und daß daher auch die Anſpruͤche der Ruſſen auf das in Frage ſtehende Land null und nichtig find ®.

„Es ift ohne Zweifel nur zu wahr,” bemerkt Herr Beil in diefer Beziehung, „Daß wenn der Kaiſer im Stande gewefen wäre, Bircaffien nicht. blos auf dem Papiere, fondern in Wirflichfeit feinen Staaten einzuverleiben, es jegt vollfommen unnüß fein würde, ſich nachträglich über die Unrechtmäßigfeit eines folchen Aftes aufzuhalten, oder durch Argumente zu beweifen, daß dus Land ihm nicht gehöre. Aber eine einfache Proflamation, durch welche der Souverain eines Landes ein fremdes Gebiet als feinen Staaten einverleibt erklärt, ohne im Stande zu jein, die That dem Worte folgen zu laflen, läßt dad Recht der Sonverainität genau fo wie ed vor- ber gewejen.“ **)

Jedermann weiß Heutzutage, daß Traftate gewoͤhn⸗ lich nicht das Papier werth find, worauf fle gefchrieben, ba die Mächtigen den Schwächern gegenüber ch nie ein

#) Siehe den Appendix zu Bell’s befanntem Werke: Two years’ residence amiong the Olreassians.

“*) T. II. p. 339. ‚0

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Gewiſſen daraus machen, ihre heiligſten Berträge zu bre⸗ chen, vorausgeſetzt daß fie dies ungeftraft thun Fönnen; das Schiefal Krakau's Liefert den neueften, obwohl gewiß nicht den lebten Beweis zu diefen Behauptungen.

Hier handelt es fich zunächft darum, den Beweis zu liefern, daß Rußland, troß der vom Sultan erzwungenen (verfteht fich nur auf dem Papier) Abtretung Circaſſtens durchaus nicht das mindefte Recht auf diefes Land Habe, “da die Einwohner niemald unter der Botmäßigfeit des Sultans geftanden. |

Um diefen Beweis führen zu fünnen, find wir ge⸗ zwungen, auf ältere, dem Traftate von Adrianopel vor- hergehende und demſelben gleichlam als Grundlage die- nende Verträge zwifchen Rußland und der hohen Pforte, Bezug zu nehmen; jedoch werden wir und bei den Citaten und Beweisftellen der größtmöglichen Kürze befleißigen, da jeder Leſer, dem an genauerer Kenntniß der betreffen- den Aktenſtücke liegt, diefelben in dem befannten „Recueil de Traites, de Martens“ felbft nachlefen fann.

Sm Jahre 1774 wurde zwifchen Rußland und der Türfei, nad) Beendigung eines hartnädigen, von beiden Seiten mit abwechfelndem Erfolge geführten Krieges ein Traktat gefchloffen, der unter dem Namen des Traftats von Kutfchuf- Katnarbfhi befannt ift, und deſſen britter Artifel folgendermaßen lautet:

aAAlle tatarifchen Völker, die der Krimm, von Bugine, vom Cubau *), von Yetiffan, von Giambinluc, von Sedicul,

*, Zu bemerken iſt bier, daß unter den Tataren vom Kuban aud blos „die Kuban, over die Kubaner“ genannt Die eigentlichen Tſcherkeſſen verfianden werden, welche übrigens niemals, wie man

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ohne irgend eine Ausnahme, werden gegenfeitig von den beiven Reichen als freie, gänzlich von jeder fremden Macht unabhängige Nationen anerfannt (comme nations libres, entirement ind&ependantes de tout puis- sance Etrangere), ald Nationen, welche unter der unmits telbaren Herrichaft ihres eigenen Chans, aus dem Ges ſchlechte Dſchinghis⸗Chan's, ftehen, der unter allgemeiner Zuftimmung der tatarifchen Bölfer gewählt und beftätigt wird, und gehalten ift, diefelben nach ihren herfömmlichen Eitten und Gebräuchen zu regieren, ohne jemals irgend einer fremden Macht irgendwie” verantwortlich zu fein; (sans jamais rendre aucun compte à aucune puissance etrangdre;) in Folge deſſen wird fich "die ottomanifche Pforte auf Feine Weife weder in die Wahl noch in die Einfegung "des obengenannten Chanes mifchen, eben fo wenig wie in feine häuslichen, politifchen, bürgerlichen und innern Angelegenheiten; fie wird im Gegentheil die genannte tatarifche Nation in ihren bürgerlichen und politifchen Verhältniffen betrachten und anerkennen, als

etwa aus dem obigen Traftate fchließen Fönnte, unter der Herrfchaft des Chanes der Krimm geflanden haben. ©. hierüber bie ſchon oben erwähnte Schrift über Potemkin, ©. 153, wo es heißt:

„Die Cuban begreifet dasjenige Land, was an dem Gaucaflfchen Gebirge zwifchen dem Mäovtifchen Pfuhl und dem ſchwarzen Meere Aſow gegen Süren liegt. Die Völker, die fie bewohnen, find Achte Tataren; und ba ihre Niederlaffungen längs dem Strome Cuban bin fi erſtrecken, ſo führen fie auch daher den Namen Eubanifcher Tataren. Diefes Volk ift weder dem türfifhen Kaifer noh dem Chan der Krimm im eigentlihen Berflande unterworfen gewefen.«

Obiges wurde gefchrieben im Jahre 1792, alfv achtzehn Jahre nach Abfaſſung des Traktates von Kutſchuck⸗Kainardſhi.

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allen übrigen Mächten gleichgefteltt, welche fich ſelbſt regie⸗ ren und nur von Gott abhängen (qui se gouvernent elles-m&mes et ne d&pendent que de Dieu). Die kirchlichen Geremonten werden da diefelben mit denen der Moslim inentifch find, und Seine Hoheit der Sultan der höchfte Caliph des Mohammenismus ift nach den Vorſchrif—⸗ ten ihrer Religion geregelt, ohne jedoch ihrer politifchen und bürgerlichen Freiheit. im Minveften Eintrag zu thun.“

Aled Hierauf Folgende dient nur zur Bekräftigung und Betätigung des Vorhergehenden, und der Artikel fchließt mit den Worten:

„Die Hohe Pforte verpflichtet fih und verſpricht feierlich, nach dem Beiſpiele Rußlands, in Zukunft keine Garniſon oder bewaffnete Macht in die genannten Städte, Feſtungen, Länder und Wohnpläge einzuführen oder darin: zu unterhalten, ferner in das Innere diefer Staaten feinen Gouverneur oder Officier, unter welcher Benens nung dies auch fein möge, einzuführen; fondern die Tas taren in vollfommener Freiheit und Unabhängigkeit zu laffen, wie dies von Seiten Rußlands gefchieht,“

Aus den angeführten Punkten geht auf das Deuts lichfte hervor, daß Rußland ſowohl wie die Türfei die in Frage ftehenden Länder als pon jeher und für alle fommenden Zeiten frei und von Gott allein abhängig anerfennen.

Solite dem Lefer über den Sinn diefer Worte noch der mindefte Zweifel übrig bleiben, fo wird die Mitthet- hung der wichtigften Punkte eines andern, mit dem Trafs tat von Kutſchuk⸗Kainardſhi genau zufammenhängenven Aftenftüdes, die legten Spuren etwaigen Zweifels ver:

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wifchen. Im Jahre 1775 wurde zwifchen Rußland und ver Pforte eine fogenannte „Convention explicative* aus- gefertigt; deren Entftehung durch den Inhalt des Aften- ſtückes felbft genugfam motivirt wird, um und jeder weis tern, darauf bezüglichen Erflärung zu überheben. In ber Einleitung diefer Convention heißt es:

„Seit dem Abfchluffe des von Kutſchuk⸗-⸗Kainardſhi den 10, Julius 1774 (1188 der Hedſhra) datirten, beftändigen Friedensvertrages zwiſchen Rußland und der Hohen Pforte, haben ſich über einige der, Artifel diefed Vertrages, bezüg> lich der Tataren der Krimm und anderer gleich ihnen frei und unabhängig erflärter Völker, die Gott allein ald Oberherrn anerkennen, verfhiedene Zweifel und Mißver- ftänpniffe erhoben, welche fo weit um fich griffen, daß die Einwohner der betreffenden Länder dadurch der Früchte des, Sriedend, der Ruhe und der Sicherheit beraubt wurden.

„Um folchen Aörenden Hinberniffen, welche zu Haber und Feinpfeligfeiten zwifchen ven beiden Mächten Anlap geben Fönnen, für die Folge vorzubeugen und denſelben ein für allemal ein Ende zu machen, find die Bevollmäch- tigten der beiden Reiche freundfchaftlich übereingefommen, eine neue Negociation in Conftantinopel anzufnüpfen, in der einfachen Abſicht, bie vorwaltenden Zweifel aufzuklä— ren und zu erörtern, ohne den erwähnten Vertrag von Kainardſhi im Minveften zu ändern oder zu beeinträdh- tigen.o

Art. I dieſer Convention lautet: |

„Der zu Kainardſhi gefchloffene Vertrag beftändigen Sriedend wird Durch gegenwärtige Konvention in all’ ſei⸗

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ner Kraft beftätigt, und zwar in allen Punften ohne Ausnahme, jeder Punft nach feiner buchftäblichen Bedeu⸗ tung, folchergeftalt, ala ob der befagte Vertrag Wort für Wort in feinem ganzen Umfange 'hier eingefchaltet wäre, mit Ausnahme derjenigen Artikel, welche.in den Artifeln der gegenwärtigen Convention genau und beſonders her⸗ vorgehoben und erläutert find.

Art. II der Convention enthält genauere Beftimmuns gen des Art. III des Traftates von Kainardſhi, deren wörtliche Wiederholung und hier zu weit führen würde, weßhalb wir und begnügen, den das punctum saliens bildenden Schluß herzufegen;

„Die Hohe Pforte, welche ſchon durch den Frieden von Kainardſhi allen zeitlichen Rechten über ſämmtliche tatarifche Horden, Stämme und Ragen entfagt hat, vers pflichtet ſich durch dieſe Convention aufs Neue, nie- mals, unter welchem Vorwande ed aud fein möge, auf diefe Rechte wieder Anfpruh zu _ machen, vielmehr die genannten Völkerſchaf— ten als eine freie und unabhängige Nation zu betrachten und anzuerkennen, in Uebereinftimmung mit dem dritten Artifel ded oben erwähnten Vertrages.“

Es wäre, unſers Erachtens, überflüffig, einen Com⸗ mentar zu den bier mitgetheilten Aftenftüden zu liefern, weiche in den wefentlichen Punkten fo klar und verftänds- lich abgefaßt find, daß es faft unmöglich erfcheint, daran zu drehen oder zu deuteln. Wie die Ruſſen hiezu dennoch) den Berfuch machten und den Knoten, welchen fie trog ihrer gefchmeidigen Diplomatenfinger nicht Löfen Fonnten, mit Ge⸗ walt zerhieben, werden wir bald an geeigneter Stelle fehen.

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Die Türken hielten ihre Verträge mit einer Treue und Beftändigfeit, welche ihnen, den trügerifchen Mosko⸗ witen gegenüber, zur Ehre gereicht, wofür fie jedoch fpä- ter, ftatt belohnt zu werden, auf das Bitterfte büßen mußten, wie die Gefchichte denn leider unzählige Bei- fpiele ähnlicher Natur Liefert, wo fchwachen BVölfern, ſtaͤrkern gegenüber, bie Gerechtigkeit als Thorheit ange⸗ rechnet wird.

Kaum waren vier Jahre verfloſſen, als die Kaiſerin Katharina, mit empoörender Verlegung des Traktates von Kainardſhi, angeregt durch ihren eben‘ fo characterlofen wie ehrgeizigen Günftling Potemfin, eine Armee nad) der Krimm ſchickte, um fich durch Liſt oder Gewalt dieſes fruchtbaren ‚Landes zu bemächtigen. Wir können es nicht unterlafien, hier eine auf dieſen Berrätherftreich Bezug habende Stelle aus der fchon mehrfach erwähnten Schrift . über Potemfin *) amzuführen, in welcher die Gefchichte dieſes berüchtigten Staatsmannes eben fo wahr wie aus⸗ führlich gefchildert wird. .

„Sahin-Giuerat, letzter Chan der Krimm, als er ſich durch die Nänfe der Abgeordneten Potemkin's in der Anßerften Noth fah, und Diefe ihm ihre Hülfe und Bey⸗ ftand anboten, verließen ihn feine Großen und hielten ihn für einen Verräther, der es mit ihren Erzfeinden den Ruſſen hielte; fie zwangen ihn zu fliehen und fein Seil bei ven Ruffen zu fuchen. Jever kann fich Teicht vorftellen, von welcher Höhe ein Potemkin auf dieſen von ihm felbft betrogenen Chan herabfah, und welche Bedingungen er

*) p. 148—49.

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ihm vorfchrieb. Alle Einwendungen waren vergeblih. Der Ehan konnte fich durch Fein anderes Mittel retten, als durch feine Unterfchrift in feinem und feiner Nachkommen Kamen die Herrichaft der Krimm gegen eine jährliche Penſton von 100,000 Rubeln an Rußland abzutreten 9. Kaum war diefe ſcheinbar freiwillige, in der That aber erzwungene Abtretung der Krimm unterzeichnet, als Potemkin, im Namen der Kaiferin, Beſitz von derfelben nahm. Nicht nur diefer Halbinfel, fondern auch allen darin befinvlichen Seehäfen und Städten gab er ihre alten griechifhen "Ramen wieder, damit die in der Türfel zerftreuten Griechen, von der Liebe zum Alterthume ges reizt, fich mit ihren Gütern und Vermögen in vie ehe⸗ maligen Wohnftäpte ihrer Voreltern begeben möchten. Er begnügte fich nicht, die Krimm mit Rußland vereinigt zu

haben, fondern als ein großer Staatdmantt, das heißt

zuweilen ein.großer Räuber, trachtete er auch die angränzenden Länder, unter dem Vorwande, daß fie ehemals zur Krimm gehört, theils den Türken, theils andern Bölkern gu entreißen ic. ıc.*

Zu den Ländern, nach deren Beſitz Potemfin unter dem nihtigen Borwande, daß fie ehemals von

der Krimm abhängig gemwefen, tradhtete, gehört

*) Der Titel, welchen die ruffifchen Herrfcher dem Chane der Krimm gaben, ift: Dei gratia Magnae Hordae Crimensis Dominatus fratri nostro N. N. Majestati amicam salutem.

Dieſer Titel, in welchem bes Landes zwifchen dem Kuban und Schwarzen Meere mit feinem Worte Erwähnung gethan wird, dient als ein neuer Beweis der Wahrheit unjerer Behauptung, baß Die Diefes Land bewohnenden Völkerfchaften, d. 1. die Tfcherfefien, niemals unter dev Herrſchaft der Erimmfchen Chane geflanden Haben.

auch »das „zwifchen dem Kuban und Schwarzen Meere gelegene Land der Tcherfeffen, und es verbient wahrlich unfere Anerkennung und Bewunderung, daß dieſes Bolf während feine ihm an Zahl weit überlegenen Nachbaren fampfmübe den zäben Klauen des ruffifchen Doppeladlers zur Beute wurden bis heute allen Bajonetten, Ins triguen und Beftechungen feiner Erbfeinde ſiegreith wider⸗ ſtanden und feine Freiheit unbefleckt bewahrt hat ..

Durch die Entthronung des krimmſchen Chanes Sahin⸗Gerai und durch die Beſitznahme ſeines Landes, deſſen Freiheit und Unabhängigkeit die Kaiſerin nicht allein feierlich anerkannt, ſondern auch für alle Zufunft zu wahren verſprochen hatte, brach fie buchſtäblich alle ihre mit der Türkei geſchloſſenen Verträge, deren einzelne Punkte, wie wir geſehen haben, jo klar und verſtaͤndlich abgefaßt waren, daß ein Drehen und Deuteln daran unmöglich ſchien.

Der Leſer, welcher weiß, daß ſelbſt die offenbarften : Gewaltthätigfeiten der Mächtigen immer auf einen Schein des Rechtes fich fügen, wird neugierig fein zu erfahren, wie Katharina es anfing, ihre Worte mit Ihren Hand» ungen in Einflang zu bringen.

Sie veröffentlichte ein vom 8. April 1781 batirtes Manifeft, worin es_heißt: daß der Hauptzwed des Trafs tates von Kainardſhi und der Daraus hervorgegangenen Convention explicative Aufrechterhaltung eines dauernden Friedens zwifchen Rußland und der hohen Pforte ger wefen fei, daß man demnach durch Anerfennung der Frei heit und Unabhängigkeit der Krimm, der Urfache häufigen Mipverftänpniffes und Haders zwifchen Den genannten

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Mächten, alfen Streitigfeiten für ‘die Folge vorzubeugen geglaubt- habe; daß fich die Kaiſerin jedoch in ihren Ers wartungen getäufcht gefühlt und zu andern Mitteln ihre Zuflucht habe nehmen müflen; „deshalb, (wir faflen hier den Schluß des merkwürdigen Manifeſtes in. wortgetreuer Ueberfegung folgen): „deshalb, befeelt von dem aufrich- tigen Winſche, den letzten ‚mit der Pforte gefchloffenen Frieden zu beftätigen, feitzuftellen und zu erhalten, indem wir dem, durch Die Angelegenheiten der Krimm fortwähs rend erzeugten Hader vorzubeugen fuchen, erforvert es fowohl unfere Pflicht gegen uns felbft, wie die Sorge für die Erhaltung ‚ver Sicherheit unfered Reiches, daß wir den feften Entfchluß faflen, den Unruhen der Krimm ein für allemal ein Ende zu machen; zu biefem Zwecke vers einigen wir mit unferm Reiche die Halbinfel der Krinm, „die Infel Taman und alles zwifchen dem Kuban und dem ſchwarzen Meere gelegene Land, als eine gerechte Entfhädigung der Berlufte und Koften, welche wir zur Aufrechterhaltung des Friedens und Gebeihens der befag- ten Länder erlitten haben.“

Die Tataren der Krimm verbienten ihr fchmachvolles Schickſal, da fte fich fo leicht darin zu fügen wußten, denn jedes Volk, welches ein fchimpfliches Joch gleich: viel ob eigener oder fremder Tyrannen geduldig er⸗ trägt, tft feines befieren Looſes werth. Die Ticherfefien aber haben, allen Manifeften und Heerzügen ber Ruffen zum Trotz, mit den Waffen in der Hand bewielen, daß fie der Freiheit würdig find, die feit undenfbaren Zeiten ihr Erbtheil gewefen und, fo Gott will, für alle Zukunft bleiben wird... .

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Herr Fonton thut wohlmeistich in feinem Buche ber oben theilweiſe angeführten Verträge mit keiner Sylbe Erwähnung, fondern betrachtet Die Rechtmäßigkeit der ruſſiſchen Anfprüche auf die Herrfchaft über Gircafften als eine Sache, die fich von felbft verfteht und durchaus feines Beleges bedarf. Er ftelt und die Tſcherkeſſen dar als. eine Horde von Wilden, deren einzige Befchäftigung Raub und Mord ſei; ; die Ruſſen dagegen ſchildert er ung. als ein Wolf, wo die Gerechtigkeit und alle Tugenden ihre Wohnftätte aufgefchlagen haben, und wenn der Kais fer verlangend feine-Arme nach allen Nachbarſtaaten aus» firede, fo thne er das nur, um auch Diefe in den Zauber- freis der Segnungen und Wohlthaten zu. ziehen, deren fih alle unter ‚feiner Herrichaft ftehenden Völker zu er⸗ freuen hahen. Die unwiflenden Bergvölfer wollen das nicht einfehen und mülfen daher mit Gewalt zur Einficht gezwungen werben. Was kann natürlicher. fein?

„Unter ſolchen Umftänden fagt Herr Fonton

124—25 find die Aufreizungen von Außen ein wahres Unglüd; wir wollen ihnen nicht fo viel Gewicht zugeftehen, wie fie fich felbft beimefien, aber fo ſchwach fie auch fein mögen, haben fie ihren Grund doch weniger. in den Gefühlen der Menfchlichfeit als in dem politifchen Hafle gegen Rußland. Oder kann man anders Darüber urtheis len, wenn man Individuen, welche durch Abfichaffung des Sflavenhandeld geehrten Nationen angehören, in dem Be- fireben begriffen fieht, den fchändlichen Sklavenhandel zu begünftigen? denn ihre Aufreizungen können zu feinem andern Refnltate führen.”

Wenn es nicht ſchon an und für fich lächerlich wäre,

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——

ein Volk, wie das ruſſtſche, welches ſelbſt aus lauter Sklaven beſteht, gegen daſſelbe Uebel, welches der giftige Wurm am Baume ſeiner eigenen Wohlfahrt iſt, bei an⸗ dern Völkern das Wort führen zu fehen, fo würden wir uns die Mühe geben, durch eine Menge Beifpiele dars zuthun, daß Rußland auch außerhalb feiner eigentlichen Grenzen den Sklavenhandel nicht allein duldet, ſondern fogar begünftigt, wo es der Vortheil erheifcht. Wir braus chen in diefer Beziehung nur an den aller Welt bekann⸗ ten, im Herbft 1845 gefchlofienen Vertrag zwifchen Fürft Woronzow und den Küftenodlfern des Schwarzen Meeres zu erinnern, in welchem die Ruffen den Tfcherfeffen un- umfchränfte Freiheit des Sklavenhandels zugeftehen. Durch diefes ſchmachvolle Aktenſtück, welches als ein. Schanpfled in der Gefchichte des neungehnten Jahrhunderts bafteht, haben die Ruffen über fich felbft den Stab gebrochen und den letzten matten Schein des Rechtes zerftört, womit fie bis dahin vor der Welt ihre Gewaltſchritte zu ent . ſchuldigen ſuchten. |

Zugleich find dadurch Herrn Fonton’d Argumente, welche in dem vorgeblichen Beftreben Rußlands, dem Sklavenhandel Einhalt zu thum, ihren Hauptſtützpunkt hatten,- zu elenden, abgeihmadten Declamationen ge worden.

Wird der Lefer anderd darüber urtheilen, wenn er die Schlußbetrachtung lieft, welche Herr Sonton in Bezug auf die ruffifch-Faufaftfchen Kriege macht ? |

„Bas will frägt er naiv (p. 126—27) was will und was thut Rußland 7”

„Schon hat es giebt er zur Antwort dem

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ſchaͤndlichen Sklavenhandel auf immer Einhalt gethan; jest firebt es danach, die Macht ber Bergvoͤlker zu brechen. Die Bhilantropie und das politifche Intereſſe gebieten dies: die Erftere um graufamen Berheerungen und einem fortdauernden Kriege ein Ende zu machen; das Lebtere um feinen transfaufafifchen Beſthungen eine feſte Baſis zu geben..

„Eine geit wird. kommen, wo bie fchönen Küften Abchaſiens der civilifirten Welt gehören werben, wo ver europäifehe Wanderer diefe herrliche Ratur, diefe üppige Begetation bewundern, und dort Völker finden wird, Die im Schoße des Ueberſtuſſes die Hand fegnen, welche fie der Finfterniß der Barbarei entrifien. Dieſes find Die Refultate, welche Rußland feinen Nachfommen binterlaflen wi, und win hegen die feite Weberzeugung, daß feine heute verfannten Beftrebungen einft die Anerkennung einer unpartelifchern Nachwelt finden werben.“

Nach viefem prophetifchen Erguffe fei ed uns vers gönnt, den Ausſpruch eined mindeftens eben fo fachvers Händigen Mannes, wie Herr Fonton, über denfelben Ges genſtand zu wiederholen, eines Mannes, der zugleich Ruffe und naher Verwandter des General Golowin (welcher befanntlich mehre Jahre den Oberbefehl im Kau⸗ fafus geführt), wohl gerechte Anſprůche auf unſer Zu⸗ trauen haben dürfte.

„Der Krieg im Kaukaſus (ſagt Iwan Golowin in feinem Werke über Rußland p. 487—88) *) iſt unter den vorwaltenden Umftänden ein durchaus fruchtlofer Krieg,

#) La Russie sous Nicolas I.

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und die Hartnädigkeit, mit welcher die ruffifche Regierung

auf Fortführung deſſelben befteht, wirb nichts ald unnützes Blutvergießen und gefteigerten Haß zur Folge haben, und

jede dauernde Annäherung unmöglich machen. Rußland follte vor Allem feinen eigenen Beamten den Krieg erflä= ren, welche feine größten Feinde find und welche, nach⸗ dem fie felbft den Streit hervorgerufen, venfelben in ſei⸗ ner Fortvauer fo ververblich machen, indem fie ohne Barm⸗ herzigfeit plünvern und ftehlen. Sie opfern ihrem eigenen Vortheile den Vortheil des Landed auf und verfaufen den Feinden fogar Waffen und Bulver. Sie verheimlichen _ die Zahl der Getöbteten, und mit der Verpflegung Des Faufafifchen Armeecorps fieht ed fo traurig aus, daß man in den Hospitälern auch nicht ein einziges chirurgifches Apparat findet, welches diefen Namen verdiente. Die Generäle ihrerfeitd ziehen den Krieg in die Länge, um fich fo auf immer eine‘ Duelle ded Gewinns und der Beförderung zu fichern; fo lange enblich die Soldaten nicht fchießen gelernt haben, wird der Verluft immer auf der Seite der Ruſſen fein, da ihnen ihre Artillerie in dieſem durchaus unregelmäßigen Kriege von wenig oder gar feinem Nugen tft. u

Doch genug der Beweisftellen und Eitate, die wir zu Ddidleibigen Bänden ausdehnen könnten, wenn uns der fpärlich zugemefiene Raum nicht Kürze zur Pflicht machte. Wir hoffen, daß das* Gefagte genügen. werbe, die Wahrheit unferes zu Anfange diefer Blätter aufge- ftellten Satzes zu befräftigen: daß die Ruffen bei ihren Eroberungen und Berheerungszügen im Kaufafus und in den Küftenländern des Schwarzen Meeres von feinem

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andern Rechte geleitet wurden, ald von dem Rechte des Stärferen. Das einzige Ziel, welches uns bei unferer Unterfuchung vorfchwebte, war eine möglichft ungeſchmückte Darftellung der Thatfachen, denn wir wiflen fehr wohl, daß die bündigften Beweife und Argumente Gefchehenes nicht ungefihehen machen können. Wir gehen noch weiter und geftehen, daß für mehre ver Völfer, welche ven Räu- berfrallen des ruffifchen Adlers zur Beute wurden, fogar unfere Sympathien erlofchen find, denn wir wiederholen ed: jedes Volk, welches ein fchimpfliched Joch geduldig erträgt, ift Feines befleren Looſes werth. Unfere Sym⸗ pathien gelten den Völkern, welche, allen Anftrengungen der Ruflen zum Teotz, bis jest ihre Freiheit zu bewah- ren gewußt haben, fo wie denen, welche fich nothgebruns gen vor der Uebermacht beugten, aber ihre Feffeln mit Unwillen tragen, und nur den günftigen Augenblid erwar- ten, um fie rächen von fich zu fchleudern, wie der Stahl unter dem Drude der Hand fich nur biegt, um mit deſto größerer Kraft wieder: aufzufchnellen. Diefe Völker ver- dienen die Freiheit, weil ſie glühend danach ftreben, fie zu befiten. Den Tſcherkeſſen des Schwarzen Meeres ift fie eine liebende Mütter, die fie geboren und großgefäugt hat an ihren Brüften; den Zicherfeffen des Dagheftan ift fie eine geliebte Braut, um die fie Fämpfen und werben.

In der That, man könnte fich fein traurigered Schau- fpiel denken, als dieſe Fräftigen, lebensfrifchen Wölfer unter dem Gifthauche rufftfcher Eivilifation verfiechen zu fehen. Es müßte fchwer fallen, in ver ©efchichte der Ge⸗ genwart zwei Nationen aufzufinden, welche fi in ihren

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..-..

charakteriſtiſchen Eigenſchaften einander ſo ſchroff gegen⸗ über ſtehen, wie die geknechteten Moskowiter und die ritterlichen Bergvoͤlker des Kaukaſus. Die Ruſſen find, ſeit Peters des Großen Eiſenfauſt ihnen den erſten Stoß gab, um ſie aus der Nacht der Barbarei aufzurütteln, noch in einer Uebergangsperiode begriffen, und bilden ein Chaos, deſſen Elemente ſich erſt ſondern und laͤutern müſ⸗ ‚fen, um ein ſicheres Urtheil moͤglich zu machen, aber darin flimmen alle unparteiifchen Reifenden überein, daß vier Lafter gleichfam vier Zweige eined und beflelben Baumes : Betrug, Lüge; Diebftahl und Voͤllerei ſich in Rußland häufiger und in höherm Grabe finden,. als in allen übrigen Ländern Europa’s *).

Im Gegenfage zu diefen Laftern find nach dem Zeugs niffe aller Kaufafusreifenden: Ehrlichkeit, Wahrheitsliebe, Treue und Mäßigfeit, hervorſtechende Eigenſchaften der Zicherfefien. Wären ſolche Tugenden, zuneben dem höch- fien Gute des Menfchen: ver Freiheit, nicht ein zu hoher Preis für den Segen des „Menschheit fhändenden Mo kowiterregiments“? **)

Wahrlich, wenn es nicht fehredlich wäre, fo Tönnte man e& lächerlich finden, daß ein Volk, wie das ruſſiſche,

*) Siehe hierüber das ſchon mehrfach erwähnte Werk Golowin’s: La Russie sous Nicolas I.:

Une disposition fächeuse et malheureusement trop fröquente chez ce peuple, c’est la fourberie. p. 84.

La’ fllouterie est poussde à un si haut degré en Russie, qu’on dirait vraiment qu’elle est dans le sang. p. 86.

Nulle part l'ivrognerie n’est aussi röpandue qu’en Russie. p. 87.

*“) Ballmerayer Dorrede zu den Fragen,

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welches felbft ſeit fenem Beſtehen nie Recht noch Gerech⸗ tigfeit gefannt hat, fich fchon berufen fühlt, andern Völ⸗ fern Geſetze vorzufchreiben.

„Willkür und Raubſucht fagt Golowin in feinem fchon mehrfach erwähnten Werke p. 113 find die Grund⸗ züge der rufftfchen Regierung. Nie hat fie begreifen fün- nen, daß man herrfchen könne ohne zu unterbrüden, daß Milde das Glück des Volks und die Sicherheit der Macht fefter begründe, denn alle Graufamfeit, welche man in Rußland gerechte Strenge nennt, gleichwie man dort die Tyrannei mit der Gewalt vermwechfelt.”

„Die rufftfche Regierung weiß fehr genau (p. 123), daß alle Gewaltthaten, in welchen fie fich gefällt, nur unter dem Schuße der gröbften Unwiſſenheit und fittlichen Verderbniß ungeftraft verübt werben fönnen; daher kommt ed denn, daß das hauptfächlichite Geheimniß ihrer Politik Entfittlichung und Verdummung des Bolfes ift.“

Und dieſes Volk, deſſen Herrfcher, wie die Eulen, ſich nur im Sinftern wohl fühlen, deſſen ‘Politik ſich wie ein Hemmfchuh an jeden Fortfehritt zum Beflern hängt, dies ſes Bolt, welches die Schattenfeite Europa’s bildet, follte von der Borfehung beftimmt fein, die Badel der Aufflä- rung in andere Länder zu tragen? Wehe den Völkern die verdammt find, Schüler folcher LXehrer zu werben! Wehe den Ländern allen, wo der ruſſiſche Doppeladler fhon fein Neft gebaut! Wehe denen, wohin er feine vers heerenden Flügel noch fchwingen wird! M

Wir wiſſen leider nur zu gut, daß bloße Worte und wenn man mit Feuerzungen redete nicht im Stande find, dem Verderben, das, einer verheerenden Peſt gleich,

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über die Völfer des Kaufafus hereinbricht, auch nur im mindeften Einhalt zu thun, aber weit entfernt, deßhalb furchtfam zu ſchweigen, wollen wir dem Schlechten dad wir nicht ändern fönnen, wenigftens die blendende Hülle entreißen und ed in feiner graufenerregenden Nadtheit an den Pranger ftellen. Das Reden wird hier um fo mehr zur Pflicht, da alle Zeichen der Zeit darauf hindeuten, daß die Gefahr, welche den Often bevroht, auch für den Weſten nicht fern iſt.

Die Gefahr vermehrt oder vermindert fich im umges fehrten Verhältniß zu der Aufmerkffamfeit, welche man ihr ſchenkt, denn die Geſchichte lehrt, daß die bedeutend⸗ ften Ummälzungen, wie firchliche fo politifche, gemöhnlich nur deßhalb gelangen, weil man fte in ihrem Urfprunge zu geringer Beachtung würdigte. Die Beherzigung diefer Wahrheit ift beſonders unfern lieben Deutfchen zu wün- fchen, welche die fich hin und wieder Außernven Beforg- niffe über die Pläne unferes großen Freundes im Norden, immer noch für Träume phantaftifcher Köpfe halten.

Die Tfcherkeffen Fennen glüclicherweife den ganzen Umfang der Gefahr, welche ihnen bevorfteht, denn viele der Stämme, welche heute unter Schamyl’8 Bahnen käm⸗ pfen, haben fchon einmal die Segnungen der Mosfowiter- herrfchaft empfunden, und eine bedeutungsvolle Erfcheinung ift es, daß gerade dieſe Stämme die erbittertiten, bie unverfühnlichiten Yeinde der Ruffen find.

Schamyl feinerfeit8 giebt, durch den unbefchränften Einfluß, welchen er über feine Kampfgenofjien ausübt, fo wie durch die Feftigkeit und Umficht, womit er die Kriegs⸗ operationen leitet, gerechten Anlaß zu der Hoffnung, daß

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die Beftrebungen der Ruffen nie einen andern Erfolg haben mögen, ald die Schluchten des Kaufafus mit ven Leichen ihrer erfchlagenen Krieger zu füllen.

..* eo

Die in den folgenden Capiteln enthaltenen Aufzeich⸗ nungen über den Anfang der Religionskriege im Dagheſtan verdanken wir der Mittheilung ſachkundiger, uns befreun⸗ deter Ulema und Officiere, welche die an Ort und Stelle gefammelten Materialien und zu beliebigem Gebrauch überliegen. Die Grundlage dieſer Aufzeichnungen bildet ein in ruſſiſcher Sprache abgefaßtes, in Tiflis in vielen Abſchriften verbreitetes Manuſcript, welches einen hoch⸗ geſtellten Officier zum Verfaſſer hat, der in ber vorjährt- gen dagheſtan'ſchen Erpebition als Opfer des Krieges fiel. Außerdem wurden Marlinsfy’s, des berühmten Ber: bannten, Briefe aus dem Kaufafus, fo wie eine Menge officieller Rapporte zur Bergfeichung und Berichtigung zweifelhaft fcheinender Stellen benußt.

Daß unfere Aufzeichnungen dennoch der Vollftändig- feit entbehren und eigentlich mehr Gefchichten ald Ges ſchichte enthalten, war bei den fo fpärlich fließenden Duel- len nicht zu vermeiden. Vieles des hier Mitgetheilten hätte füglich ausgefchieven werden Fönnen, wenn nicht nach Maßgabe der Unbefanntheit des Gegenſtandes auch das fmaft Geringfügige an Bedeutung gewänne.

Der verfländige Lefer wird den Geift fchon heraus» ‚finden und den Kern von der biumigen Hülle zu fonvdern wiflen.

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Bweites Cäpitel. Anfänge. Die Viſion des KHabier Ismail.

Ja rach ift ein aus fleinernen Häufern gebauter be- feftigter Bleden, oder, wie die Bergudlfer ed nennen, ein Aoul im Kurin'ſchen Gebiete, einer blühenden und volfreichen Landichaft des Dagheftan. Die Einwohner treiben vorzugsweife Aderbau und Viehzucht; doch find fie auch von Alters ber wegen ihrer Gefchidlichkeit im Derfertigen von Waffen und Panzerhemden berühmt.

Um die Zeit, wo unfere Erzählung ihren Anfang nimmt (1823), hatte fich Jarach noch einer befondern Aus⸗ zeichnung zu erfreuen, denn es barg in feinen Mauern den berähmteften der Ulema (Gelehrten, Wellen) des Dagheitan, den weisen und tugenphaften Muflah-Moham- med, welcher mit feiner Würde als erfter Prieſter ver Gemeinde auch das Außerft einträgliche Amt eines Ridh- terd (Kaſi) vereinte.

Nah altherkömmlicher Landesſitte befchäftigte fich Mulah-Mohammen nebenbei damit, junge Leutz von Talent für den Stand der Uldma heranzubilden, und da der Ruf feiner Gelehrſamkeit ſich weithin verbreitet hatte, fo war es nicht Seltenes für die Einwohner von Jarach, Sünglinge aus fernen Ländern herbeipilgern zu fehen, um

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den Unterricht des weifen Mullah zu genießen. Unter feinen Jüngern that ſich in leßterer Zeit infonderheit ein junger Bochar, Namens Chad-Mohammen, hervor. Der alte Alim *) Hatte den wißbegierigen, durch ungewöhnliche Fähigkeiten ausgezeichneten Jüngling fo lieb gewonnen, daß er ihn fieben Jahre Lang mit wahrhaft väterlicher Sorgfglt in feinem eigenen Haufe verpflegte und unter- - richtete. _

Nach Berlauf biefer Zeit faßte Chas⸗Mohammed ven Entſchluß, nach Bochara, feiner ſchönen Vaterſtadt, zu⸗ rückzukehren, da er bereits ſolche Fortſchritte in der ara⸗ bifchen und perſiſchen Literatur gemacht hatte, daß ihn Mullah-⸗Mohammed für reif erklärte, die Weihe eines Alim zu empfangen. Chas-Mohammen hatte fich durch fein freundliches und befcheidenes Weſen bet allen Ein» wohnern des Aouls Jarach fo beliebt zu machen gewußt, dag fi} am Tage feiner Abreife eine Menge Volks vor dem Haufe des Kaſi's verfammelte, um dem Abreifenden das Geleit Zu geben, Mit gerührtem Herzen nahm er Abſchied von feinem ehrwürbigen Lehrer und Wohlthäter, der ihm als Geleitfpruch **) die goldenen Worte aud dem - Rofengarten des Saadi mit auf den Weg gab: „Der

#) Gelehrter, der Plural yon Alim iſt Ulsma.

anu) Im Orient iſt es Sitte, vor Beginn einer Reife oder irgend einer wichtigen KHandlung, einen Vers aus dem Koran vder aus einem großen Dichter als Gedenkſpruch mit auf den Weg zu nehmen. Ein folcher Bers, defien Wahl immer lediglich dem Bufalle übers laffen bleibt, wird von den Drientalen, einem Orafelfpruche gleich, heilig gehalten. In Berfien und im Dagheſtan bedient man fich zu diefem Zwecke gewöhntich des Hafis oder Saudi.

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ſchlimmſte unter den Menfchen ift ein Gelehrter, - ver mit ſeiner Gelehrſamkeit keinen Nutzen ſchafft.“

So zog er denn aus Jarach und pilgerte über Kuba und durch das Land Schirwan dem geſegneten Bochara zu. Faſt ein ganzes Jahr war ſeit Chas-⸗Mohammeds Abreiſe verfloſſen. In Jarach ſo wie in den übrigen kuri⸗ niſchen Aoulen hatte ſich inzwiſchen Manches geändert. Unter den Einwohnern, welche bis dahin noch keinen An⸗ theil an den kriegeriſchen Bewegungen der übrigen Völker des Dagheſtan genommen hatten, zeigte ſich ein alle Ge⸗ müther beſeelender, immer wachſender Ruſſenhaß. Es wurden Gerüchte laut von Grauſamkeiten, welche die Ruſſen, unter Anführung des Generals Madatow, in Kara⸗Kaitach, einem benachbarten, das Gebiet von Derbend begrenzenden Ländchen, begangen haben ſollten. Man er- zählte fich viel von Mißhandlungen der Weiber, von Ent- weihung der Bethäufer der Gläubigen und andern an- geblih von den Mosfowiten begangenen Gräueln. Adel⸗ Chan, der Herricher von Kaitach, hieß es, ſei aus feinem Lande vertrieben worben und habe fein Leben nur da- durch gerettet, daß er Schuß bei dem Sultan von Amarien gejucht, in deſſen Gebiete er jebt in Elend und Dürftig- feit lebe. Noch vieled Andere, deſſen Wiederholung und zu weit führen würde, erzählte man fich, geeignet, den unter dem Bolfe glimmenden Haß gegen die ungläus bigen Ruffen zur hellen Flamme anzufachen.

Mulah-Mohammen mußte. oft al’ feine Beredtſam⸗ feit und Geifteögegenwart aufbieten, um die unruhigen Bewohner feined Aould zur Ordnung zurüdzuführen. Eines Abends Fehrt er ganz erfchöpft vom vielen Reden

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aus einer flärmifchen Volksverſammlung nach Hauſe zu- rüd und will eben in fein Harem watfcheln, um im Kreife der Seinen- auszuruben, als ihm wer befchreibt fein Erftaunen! aus der Ede des Selamlifs *) fein ferngeglaubter Schüler Chas-⸗Mohammed entgegen tritt.

„Beim: Barte ded Propheten! rief der erftaunte Kaſi bift du es, der vor’mir fteht, oder iſt e8 dein . - Ferver?**) oder hat mir Allah Dred in den Kopf ge blitzt ***), daß meine Augen nicht ſehen?“ Eine kurze Erflärung Chas⸗Mohammeds führte bald zu näheren Verſtändniß. Er habe fih, fagte er, um Auffehen im Aoule zu vermeiden, auf Seitenwegen in den Garten und von dort in’d Haus gefchlichen.

„Aber was, im Ramen Huffeins! fragte.der Alte weiter was führt dich fo fehnell wieder zu und von Bochara? Hat der Chan dir nach dem Leben geftelt? Haben die Ulsma, dir. die Aufnahme verweigert? Haft du Händel mit dem Kulu-Beg }). gehabt?" „Nichts von alledem enigegnete Chas⸗Mohammed Hülle Did) einen Augenblid in den Mantel der Geduld, und ich will das Feuer deiner Neugier löfchen mit dem Duell meines Wortes."

Er erzählte nun umftändlich alle Schidfale und Er⸗

*) Selamlit Begrüßungszimmer. .

**) Server Genius, eigenes Borbild. Nach Zarathuftras Lehre, wovon ſich noch viele Spuren im Dagheſtan finden, find dieſe Fervers ‚aus Ahuramazao's Lichtwefen hervorgegangen,

++), Eine gewöhnliche Redensart der Tataren.

+) Der Bolizeiminifter, damals eine überaus mächtige und all: gemein gefürchtete Perſon in Bochara.

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febniffe, welche ihm feit. feiner Abmwefenheit von Jarach widerfahren; um den freundlichen Lefer aber nicht zu er- müden, werden wir nur das Wichtigfte aus Chas⸗ Mohammeds Erzählung wiederholen.

Auf feiner Wanderung durch das Land Schirwan hatte ihm ein pilgernder Derwifch fo viel Rühmens von . der Weisheit und Freifinniäfeit eined im Aoule Kurdomir haufenden Alims, Namens Hadie- Ismail, gemacht, daß er fich entichloß, ven nahegelegenen Aouf zu befuchen, um einige weife Lehren des gepriefenen Alims mit auf den Weg zu nehmen. Bei näherer Befanntfchaft mit Hadis⸗

Ismall fühlte er fich jedoch fo fehr durch defien Umgang

und Unterricht gefeflelt, daß er feine Rüdfehr in bie Heimath: auf unbeftimmte Zeit verfehob und das ganze Sahr hindurch im Haufe feines neuen Lehrers vermweilte.

Hier erft, fagte er, felen ihm die Schuppen von ben-

Augen gefallen, bier habe er zum erftenmal leuchtende Blige aus den Wolfen der Gelehrſamkeit hervorſchießen fehen; al?’ fein früheres Wiflen ſei ihm nur wie ein den Ader feined Geiftes befruchtender Dünger gewefen, aus dem jest die Blume, der Erkenntniß aufgeblüht.

„Selbft ohne Geld und Gut fo endigt er feine Rede habe ich dich bisher, theurer Lehrer, für deinen Unterricht und deine liebevolle Pflege nicht belohnen kön⸗ nen und bin daher jegt in dein Haus zurüdgefehrt, um dich fchöpfen zu laflen aus der Duelle der Weisheit Hadis⸗Jsmails, die dir bis auf diefen Tag noch ver- Ihlofien gewefen, dir, dem Weifeften in den Ländern des Dagheſtan!“

Voll Erſtaunen ob ſolch' ſeltſamer Rede, bittet der

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Mullah Chas⸗Mohammed, ihm ferne wunderbaren Geheim⸗ niffe zu erfchliefen; diefer aber antwortet feinem Lehrer, daß er ihn ohne die Weihe und den Segen des Alims von Kurbomir nicht zum Genoſſen feiner Wiſſenſchaft machen könne. Er fchlägt ihm vor, gemeinfchaftlich in das Land Schirwan zu ziehen, wo der Aoul Kurdomir liegt, der Wohnort Hadis⸗Ismails *), von defien Segen bie Einweihung in die hohen Myſterien abhänge. Mullah⸗ Mohammen zeigt fich fogleich zur Annahme des Vorſchlags bereit; er ladet zu dem Ende noch eine Menge wißbegie tiger. Furinifcher Mullahs ein, und in ihrer und Chas- Mohammeds Geſellſchaft macht er.fch auf den Weg zum Aoul Kurdomir im Lande Schirwan.

Hadis-Iamail befand ſich eben im Garten, als "ie furiniichen Säfte bei feinem Haufe Halt machten. Der Zug nahte fich ihm in feierliche Prozeſſton, ven ortsfun- digen Chas⸗-Mohammed an der Spitze. Alle fahen mit Erftaunen, wie der Alim befchäftigt war, junge Reifer und Zweige von den Maulbeerbäumen zu hauen: eine hoͤchſt Aräfliche und frevelhafte Handlung für jenen Bes kenner ded Islam, und um fo fträflicher in den Augen der gottesfürchtigen Mullahs, denn es ſteht gefchrieben: „Dem fol Fein Heil widerfahren, der mit frevelnder Hand die jungen Sproſſen vernichtet, der die Bäume ihrer Zweige beraubt oder die Erde ihrer Sprößlinge.”

Als Hadis-Ysmail feiner Säfte anfichtig wurde und bemerfte, daß Chas⸗Mohammed unter ihnen war, ging

”) Hadis⸗Jsmall lebt noch 9 heute in der aflatifchen Türkei im Dorfe Siwis.

316 er alsbald den Kommenden entgegen, und fi zu Mullah- Mohammed, dem Ehrwürdigſten von ihnen, wendend, fprah er: „Ich Fenne eure Gedanken und errathe euer Erftaunen. Ihr wundert euch, daß ich die Zweige von den Maulbeerbäumen baue? Ich thue dies, um meine Seidenwürmer zu ernähren, die mir dafür ihr Foftbares Geſpinnſt liefern, das einzige mir zu Gebot ſtehende Mit- tel, meine Bamilie zu unterhalten. Riemanden wird Scha- den dadurch zugefügt, und auch Die Bäume-verborren nicht deßhalb, fondern grünen fort und tragen Frucht wie frü- ber; mir.aber ermwächft reicher Nuben daraus, und ih glaube, daß wir immer im Geifte Gottes und feines Pro⸗ pheten handeln, wenn wir auf unfern Bortheil bedacht find, ohne Andern Schaden dadurch zuzufügen.”

Hadis⸗Ismaĩl fprach diefe Worte langfam mit. feter- licher Stimme; Feiner der Umftehenden wagte etwas darauf zu erwidern. Mullah- Mohammed ging auf feinen neuen Gaftfreund zu. und Füßte ihm ehrerbietig die Hand; alle Uebrigen folgten feinem Beifpiele. Inzwiſchen hatte fich eine große Menge Volks um den Garten verfammelt; viele waren, wie das im Dagheſtan üblich ift, unaufge- fordert zur Bedienung der. fremden Gäſte herbeigeeilt; Zeppiche wurden ausgebreitet, Kaffee; Scherbet und ‘Pfei- fen berbeigetragen, und die ehrwürdigen Pilger ließen fich nieder, um auszuruhen.

Die eifrigen Gefpräche, welche der Weife von Kur- domir im Laufe des Tages mit Mullah-Mohammen pflog, waren befonderd ded Inhalts, daß der Glaube der Mu- felmanen allfeitig tief erfchüttert und in falfcher, bedroh⸗ licher Richtung fei, daß die guten alten Sitten aus den

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Bekennern des Islam gewichen und Lüge, Diebftahl, Be⸗ trug und Böllerei an ihre Stelle getreten, daß bei der immer fteigenden Rohheit ver Völker nicht ſobald Beffe- rung zu erwarten fei, da nur Wenigen unter ihnen das Scharyat *) befannt wäre, und die heiligen Borfchriften des Tarifats vollends ihnen bei den jegigen Zuſtaͤnden ganz unzugänglich bleiben würden. Es ſei daher eine ernfte Pflicht der fchriftfunnigen Weifen des Volks, aus allen Kräften dahin zu ftreben, ihre Mitbrüder auf den

Meg des Rechten zurüdzuführen und zu einer böhern

Erfenmtniß vorzubereiten. „sch felbft fügte Hadis⸗Ismall wandelte lange Zeit in Irrthum und Finſterniß; ja, ich war einer ber

BVerftodteften unferer Sekte, Mit Hermurmeln der üblichen

Gebete, mit pünftlicher Verrichtung der vorgejchriebenen Wafchungen, mit Flüchen gegen die Anhänger Omar’s, glaubte ich, fei Alles gethan; aber Allah Hat durch ein Wunder meine Augen erleuchtet und den Strom feiner Gnade über mich ergoffen und mich gefäubert vom Schmuge des Irrthums. In einer langen, ſchweren Krankheit, die mich dem Tode nahe führte, gelobte ich im -Fall der Ge⸗ nefung eine Walfahrt zur Kerbélah **). Und fiehe da, ich genad; der Engel des Lebens fiegte über den Engel des Todes, und frohen Muthed trat ich meine Wanderung an. Die wunderbaren Erlebnifle auf diefer Wallfahrt find der Schfüflel zum Verſtändniß meiner neuen Lehre. Doch du und deine Gefährten find erfchöpft von den

*) Eine Erklärung diefer Ausdrüde wird weiter unten folgen. **) Zum Grabe Huflein’s, unfern Bagdad.

318 Mühen des Tages; ich fehe die Diener die Speifen auf tragen, laßt uns nieberfiten, um und zu ftärfen, nach dem Eifen follt ihr meine Erzählung hören.“

Die frommen Mullahs wufchen ihre Häube, welche im Orient bekanntlich die Stelle-der Gabel verfehen, und thaten ver reichlich bejeßten Tafel gebührende Ehre an, ohne viel Worte dabei zu machen. Nach Tifche hielt man eine Furze Sieſta; darauf wurden wieder Pfeifen und Kaffee gereicht, und alle Gäfte fahen mit feierlicher Er- wartung dem Augentlid entgegen, wo Hadis⸗Ismaĩl das Siegel des Schweigens breihen würde. Diefer ſchien in tiefes Nachvenfen verfunfen zu fein und feine anwefenven Gaftfreunde gar nicht zu bemerfen. Er ließ ven Kopf auf die Bruft berabbängen, das Geſicht war augenfcheinlich bleicher geworden und die Augen rollten unſtät umher. Plöglich fchien er fich zu fammeln; er wifchte den Schweiß von der Stirne, fehlürfte haftig eine Schale Kaffee hin⸗ unter, und darauf begann er langfam mit lauter Stimme die Erzählung feiner Wallfahrt zur Kerbélah.

„Es war. am Ende eined drüdend heißen Tages, als die Karawane, mit welcher ich reiſte, neben einer baumumfchatteten Fontaine Halt machte. Ich ſetzte mich nieder im Schatten eines laubvichten Nußbaums, zog den Koran aus der Tafche und fing an die „Sure von ber Spinne“ zu leſen, welche-mit den Worten beginnt: „Glau⸗ ben wohl die Menfchen genug’ gethan zu haben, wenn fie fagen: wir glauben, ohne Beweife davon gegeben zu haben? Wir prüften auch die, welche vor ihnen leb⸗ ten, um zu erfahren, ob fie aufrichtig oder ob fie Lüge ner find.“

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„Es durchzudte mich, gleich als ob ich mich Durch die Worte ſchmerzhaft getroffen fühlte. Und ich hob meine Augen empor vom heiligen Buche der in feltener Schöne untergehenden Sonne zu, und dachte nach über den Sinn defſen, was ich gelefen. Und als ich noch fo tieflinnig faß und fchaute und fann, fiebe,. da verfinfterten fich plößlich meine Blicke und. ich verfiel in einen tiefen Schlaf. Und im raum ward ich hinweggetragen in ein großes blu- menreiches Thal. Es war aber das Thal von waldbe« wachfenen Bergen umfchloffen, deren Gipfel fo hoch aufs ragten, daß fie das Gewölbe des Himmels zu tragen ſchienen. Blumen blühten zu meinen Füßen in fo wun⸗ derbgrer Farbenpracht, daß ich meinen Schritt nicht weis ter zu feßen wagte, aus Furcht, die fchönen Blümlein zu gertreten.” '

„Dunfelbelaubte Pinien, fchattige Balmen und fchlanfe Cypreſſen wiegten ihre Zweige über meinem Haupte; Wohlgerüche, füßer als die Myrrhen von Bochara und Samarband und der Mofchus von Choton, fliegen aus der Erde. empor und umwehten mich betaumelnd, wie der. Hauch, der aus dem Munde: der Houris duftet. Nachtis gallen durchflöteten Die windbewegten Rofengebüfche, aus den Bergen fprangen Quellen, filbernen Beuerftrömen gleich, und durchraufchten die blumigen Auen nach allen Seiten bin; ich glaubte mich in die waflerreichen Gärten des Paradiefes verfegt, die der Prophet feinen Gläubigen ver- heißen. Und immer neue Wunder tauchten auf vor mir, wohin ich mein jtaunendes Auge wandte. In der Mitte des Thales fand ein Tempel von blendend weißen Marz mor gebaut, umjchlungen von dunklem Epheu und üppigen

820 Blumengewinden; eine durchfichtige Yenerfäule ftieg von der goldenen Kuppel der -Mofchee bis zur Sonne empor, die ihre Strahlen in fo umfangreicher Fülle herunter leuchten: ließ, ald wollte fle mit goldenen Armen die Erde zu fich heraufziehen. Im Borhofe der Moſchee fprang plätfchernd eine Fontaine, und rund umher faßen auf weichen Zeppichen, fo fehön geftict, wie fie yie.der Fuß eines Padiſchah betreten, angethan mit ſchimmernden Ges waändern, die Gläubigen von Irak und Rumeli 9, die einen in blendend weißem Turban, die andern in ſchwarz⸗ gefräufelten Müsen. Der Anblid nahm mich Wunder. Und al’ des Schönen um mich her vergeflend, ergrimmte ich und fprach zu mir felber: Wie kommen die gottver- dammten Anhänger Omar's in die waflerreichen Gärten ‚der Seligen? Haben die Weifen unferes Volfd nicht ge- redet, dad Höllenfeuer werde einft ihre Wohnung werden jur Strafe für ihren Unglauben? Wer hat fe hierher geführt? «

„MS ich noch zweifelnd ftand und rürnte, fiehe, da flieg von ferne eine ſchwarze Rauchfäule auf, der Him⸗ mel ummwölfte fich und die Berge swiverhallten von Kriegs- geſchrei und Trommelfchlag. Dichte Kriegerfchaaren famen vom Gebirge herbeigezogen, mit eben fo grauen Gefichtern, ftumpfen Naſen und zottigen Haaren, wie die gottläftern- den, Ungläubigen, welche unfere Aoule beſetzt halten. Die an der Bontaine Sigenden erhoben fich, riffen junge Lor⸗ beerftämme und Feigenbäume aus der Erde und machten Keulen daraus, um fich zu rüften gegen die heranrüdenden

*) Perſiens und ber Türkei,

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Krieget. Doch Fonnten die wenigen Kämpfer dem zahl- Iofen Schwarm der Feinde nicht lange widerſtehen; fie flüchteten in die Mofchee und ſetzten dort mit erneu- ter Wuth den Kampf fort; fie brachen die goldene Kups pel und die marmornen Wände ein und fohleuberten die zermalmenden Stüde auf die. Köpfe der andringenden Feinde, bis fie alle getödtet waren bis auf ven legten Mann.” |

„Groß war meine Freude über dad Verderben der Feinde, aber größer noch war mein Zorn ob des zerftör- ten Heiligthums, denn der Tempel bed Herrn lag in Trümmern da und feine Marmorplatten waren den Uns gläubigen zu Grabfteinen geworden. Iſt es nicht befier, rief ich zürnend, daß der Menfch umfomme, ehe denn er mit frevelnder Hand den Tempel des Herrn antaftet

„Da wurden meine Augen plöglich geblenvet von wunderbarem Glanze; eine Lichtgeftalt ſchwang fich herab zu mir und rief mir die Worte zu: „DO du Thor, du irrender Thor! du in Finfternig Wandelnder! Thoͤricht find deine Gedanfen und fträflich deine Worte. Du bift verftodter noch als die Ungläubigen, die dort erſchlagen liegen! Erft ftaunft du und fluchtt, die Kinder von Rus meli in Gemeinfihaft mit den Gläubigen von Irak zu ſehen; aber ich fage dir, Gott ift nicht ungerecht gegen feine Diener,.er beſtraft wen er will und belohnt wen er will nach feinem Wohlgefallen. O Hadis⸗Ismall! gehörft du auch zu jener blinden Rotte, die am Worte Flaubt, ohne den Geift zu erfennen, deſſen Gewand es it? Wo fol der Friede von Außen herfommen, fo lange die Des

fenner des Propheten fich felbft untereinander verfolgen? | 21

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Ihr ruft den, Fluch. des Himmels herab auf die Häupter der Sunnahs, und die Sunnahs fchleudern den Fluch auf eure eigenen Häupter. Wehe, wehe euch, wenn Gott eure Gebete erhörtel Ewige Verdammniß würde euer Theil ſein!“

„Ich ſah den Grimm in deinem Herzen, als die Streiter Gottes die jungen Bäume aus der Erbe riſſen und die Mauern des Tempels abbrachen zum Verderben ihrer Feinde; aber wahrlich, ihre That war beſſer als dein Zorn! Ehe mögen alle. Wälder verbrennen und alle Tempel in Trümmer fallen, ald daß ein Gläubiger feis nen Feinden zur Beute werde; denn die Erde treibt täg- lich neue Sprößlinge, und die Tempel können wieber auf “gebaut werden von Menfchenhand, aber ver Tempel des Glaubens in euern Herzen ift Gotted Werk; wer den zerftärt, der zerftört fich felbft mit und. fpottet frevelnd des Schöpfere, der ihn gemacht hat; und wenn er alle Schäße der Erde befäße, er könnte dieſen Tempel nicht wieder aufbauen. Darum laß deinen thörichten Zorn und nimm dir ein Beifpiel an dem, was du gefehen, und was .ich zu Dir geredet habe. Schmach über dich umd dein Volk, Schmach und Wehe, fo lange euch die Schlingen der Ungläubigen gefangen halten! Schmach über euch, fo lange eure Tempel entweiht werden von den flachshaari⸗ gen Dienern der Moskowitengötter!“

„Wahrlich e8 wäre befler, daß ihr eure Tempel nieverriffet, um die Oottesläfterer unter den Trümmern zu begraben! Jever Stein, womit ihr, das Haupt eines Uns gläubigen zermalmt, wird ein Denkmal zum Ruhme Allah! Es ift befler, daß ein Gläubiger feinen Arm aufs

,

323 .

hebe zum Todſchlag, als daß er fein Ohr leihe zur Ber- ſuchung, denn die Verfuchung tft fchlimmer noch als ver Todſchlag.“

„Laß, o Hadis⸗Ismall, deine Pilgerfahrt zum Grabe Huſſeins und kehre zurück in deine Wohnung, um den. Weiſen deines Volks zu verkündigen, was ich zu dir geredet habe. Wallfahrten ſind Werke der Heiligung, aber der Kampf für den Glauben iſt heiliger noch. Jeder Schritt, den der Gläubige feinen Feinden entgegen geht, iſt beffer als eine Wallfahrt zur Kerbelah; jedes Wort, das ein Priefter zur Ermuthigumg der Streiter des Glau⸗ bens fpricht, tft beffer ald ein Gebet zu Gott.”

Hier endigte Hadis-Jsmall erſchoͤpft ſeine Erzähe

lung und verſank wieder in tiefes Nachdenken, ſcheinbar unbekümmert um den Eindrück, den feine Flammenworte auf dad Gemuͤth der Anweſenden hervorgebracht hatten. Die Zuhörer aber faßen ftaunend und fchmeigend da und wußten nicht wie ihnen gefchehen. Eine ſich durch bie feltfamften Zeichen kundthuende Aufregung fchien fich Aller bemächtigt zu haben. Der Eine fuhr fich mit der Hand durch den Bart, als ob er Gedanken herauszuffen wollte, der Andere rüdte unrubig..feinen dien Turban hin und . her, ein Dritter fchlug mit der Pfeife auf den Boden, daß der Kopf zerfprang und die Afche ftäubend umher: flog kurz, die Bruft der frommen Mullah8 war augen: fcheinlich von Gefühlen ganz eigener Art durchweht; Jeder fhien nur auf den andern zu warten, um der allgemei- nen Aufregung. Stimme zu leihen.

Endlich unterbrah Mullah-Mohammed das Still

fchweigen, und fi) zum Weifen von Kurdomir wendend, 21*

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fprach er: „Sch verftehe dich, Hadis⸗Jomall! Die Saat deiner Worte bat Keime gewonnen in meinem Geifte. Was Mlah in meinem Alter diefem Arme noch an Kraft und diefer Zunge an Beredtfamfeit fchenkt, fol dem gro- fen Werfe, das wir beginnen werben, geweiht fein.“

Ueber den fernern Aufenthalt der Ulema von Jarach in Kurdomir, fo wie über den Verlauf der Unterhaltun- gen Hadis-Ismalls mit feinen Gäften, ſchweigt mein Berichterftatter Chas-Mohammed. Man muß annehmen, daß einige Blätter verloren gegangen find, denn die fol genden Aufzeichnungen beginnen erft wieder in Jarach, wo und Mullah-Mohammed in einem neuen Wirfungd- Freife vor Augen geführt” wird. '

Ehe wir jedoch in unferer Erzählung ‚fortfahren, müſſen wir, um dem Lefer das Verſtändniß des Ganzen zu erleichtern, mit einigen Worten der neuen im Dagheftan geprebigten Lehre Erwähnung thun, welche durch Habis- email angeregt, durch Mullah-Mohammen gegründet und durch deſſen Nachfolger, Kaſi⸗Mullah, Hamſad⸗Beg und Schamyl, weiter ausgebreitet und befeſtigt wurde.

Drittes Eapitel.

Die Sufl’s und bie Muriden, oder: Der Iufammenhang des Sufls- mus wit ber neuen, im Dagheflan gebildeten Glaubensſekte.

Es ift im Verlauf diefer Blätter ſchon wiederholt darauf Hingedeutet worden, welch’ eine wichtige Rolle das religiöfe Element in der Gefchichte der Dagheftan’fchen Sreiheitsfämpfe fpielt. Das religiöfe Element ift in ber Geftaltung, welche e8 von der geweihten Hand Kaſi⸗ Mullah's und Schamyl's empfangen, zu einer Bedeutung emporgewachien, die es fchon jebt eines Platzes in ber Gefchichte würdig macht. Es iſt zum. Feuer geworden, von deſſen Gluth die heterogenften Elemente geläutert zufammengefchmolzen, zum Mörtel, der die durch Sitte, Glauben und angeerbten Haß zerfplitterten Volksſtaͤmme des Dagheftan dauernd verband, und endlich zur ge⸗ waltigften Triebfever gemeinfamer Kraftäußerung dieſer Völker.

Seltfamer Weiſe ift dieſes frifche, auf den verwil- derten Baum des Islam gepfropfte Glaubensreis bisher

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ganz ohne ‚Beachtung geblieben. Man hat uns Vieles und Buntes yon den Thaten der Bergvölfer erzählt, ohne des zeugenden Princips zu gedenken, welches dieſe Thaten in’$ Leben rief, gleichwie der flüchtige Wanderer oft am raufchenden Bergftrome vorübereilt, ohne der hohen Duelle -zu gevenfen, welcher der Strom entquillt.

Alles von den verſchiedenen Berichterftattern in Be⸗ ang auf das fo Außerft wichtige religiöfe Moment im Dagheſtan Mitgetheilte Läßt fih auf die wenigen Worte rebueiren: Schamyl hat eine neue Sekte gebildet, deren Anhänger Muriden heißen, welche zur Auszeichnung weiße Müpen tragen, während die pelzverbrämten Mühen der übrigen Sreiheitsfämpfer braun, blau oder gelb find. Was unter diefer weißen Mütze verborgen ſtedt, hat man vergefien zu bemerfen. Wir werben verfuchen, dieſe Rüde wenigſtens theil⸗ weiſe auszufüllen, indem wir das religiöſe Element, wel⸗ ches den Mittelpunkt aller Bewegungen im Dagheſtan bildet, auch zum Mittelpunkt unſerer Schilderungen machen.

Bor dem Auftreten Kaſi⸗Mullah's war der größte Theil des heute im Aufftande begriffenen Dagheftan ven Rufen unterworfen, Jermolow, nächft Zizianow der tüch- tigfte aller Heerführer, welche je den Bergoölfern gegen- überftanden, hatte die theils durch Slaubensfpaltung, theild durch die Blutrache, theild durch verjährte Feind» ſchaft einzelner Stämme untereinander erzeugten wirren Zuftlände des Dagheftan geſchickt zum Bortheil Rußland's zu benügen gewußt und unter den Bergvölfern ein An- fehen gewonnen, wie es feiner feiner Vorgänger und Nachfolger beſeſſen.

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In Schönheit der Geſtalt, in Tapferkeit, zäher Aus- dauer und ritterlihem Sinn den ftattlichften Tſcherkeſſen⸗ fürften vergleichbar, war Sermolow Allen durch europätfche Bildung und ruffifche Gefchmeidigfeit überlegen. Die unterworfenen Stämme behandelte er mit gemwinnenver Milde, die feindlichen Hingegen mit einer an Graufamfeit _ grenzenden Strenge. Ruffe von Leib und Seele, voll Ber geifterung für den jungen Ruhm feines Baterlandes, be- trachtete er jedes Mittel als heilig, das den Vortheil Rußland's zum Zweck hatte. Er ſchleuderte die Fackel der Zwietracht unter die feindlichen Stämme und ſtand den fhwächern gegen Lie ftärfern bei, um die erftern zum Danf zu verpflicdten und die Iegtern zu unterwerfen. Nie hat ein Sieger fchredlicher gehauſt im Gebiete der Bes fiegten, und doch nie ift eines Siegers Name in fo furcht⸗ barem und zugleich fo ehrenvollem Andenken ver Feinde geblieben, al8 der Name Jermolow's bei den Volfern des Kaukaſus.

Solchem Geiſte gegenüber bildete Laſt⸗Mullah den Anfang feiner Macht; die Fußſtapfen des großen Rufſſen⸗ feloherrn wurden die Burchen, in welche pie Murſchiden des Dagheſtan die Saat des neuen Glaubens ſtreuten.

Dieſe Doktrin, offenbar nur ein nach den Bedürf— niſſen des Augenblicks modificirter Sufismus, war be⸗ ſtimmt, alle Zwietracht und Glaubensſpaltung auszuföhs nen, das furchtbare Ungeheuer, die Blutrache, zu befämpfen und alle Völfer des Dagheftan zu gemeinfamen Streben zu verbinden.

Zur Begründung unferer Anſicht über den engen Zuſammenhang des Sufismus mit der dagheſtan ſchen

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Doftrin, theilen wir hier eine auf lebtere Bezug habende Stelle aus ber früher erwähnten rufftfchen Schrift mit, welche beftimmt -war, der Regierung. die Wichtigkeit des religiöfen Moments im Dagheftan vor Augen zu führen. Die Stelle lautet in der Ueberfegung folgendermaßen:

„Die vagheftan’fchen Philofophen nehmen an, daß im Menfchen drei genau zu unterjcheidende Elemente vors handen feien: das phyſiſche, das geiftige und das ftttliche,

„Bon diefen drei Elementen, welche fämmtlich bei vereint wirkenden Kräften gleicher Ausbildung fähig find, nimmt das phyfifche den unterften Platz ein, kann jedoch, wenn das geiftige und fittliche, vernadlaͤſſigt, erfchlaffen, über beide die Oberhand gewinnen. Da aber in Folge unferer angeborenen Unvollfommenheit das phoftfche Ele ment nur zu oft fich zum herrſchenden in uns ausbildet, fo find die Menfchen, um den daraus entfpringenden, fchlimmen Folgen vorzubeugen, übereingefommen, daſſelbe gewiffen, von den Beſſern und Weifern ausgehenden Ge- fegen zu unterwerfen, um feine Kraft dadurch in den nöthigen Schranfen zu Halten und jedes Weberfchreiten verfelben ftreng zu ahnden. Diefe Sammlung von Gefegen wird von den Moslim das Scharyat genannt.

„Dem phnftfchen Elemente folgt das geiftige, welches Berftand, Vernunft und die hiedurch bedingten Fähigkei⸗ ten im Denfchen wedt und nährt. Jedoch auch daß geiftige Element bedarf des Zügeld und der Mäßigung, wenn ed nicht zum Tyrannen des Menfchen ausarten fol; bie Moslim haben deshalb ein anderes Buch, welches dieſem Elemente feine Bahnen vorzeichnet und in ber heiligen Sprache das-Maarifat genannt wird.

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„Das ſittliche Element endlich, das dritte und höchſte, lehrt die Leidenichaften befämpfen und mäßigen, und führt alfo laͤnternd und veredelnd den Menfchen feiner hohen Beftimmung entgegen. Alles, was gefchrieben tft zur Ver⸗ edlung unferer Gefühle, zur Heiligung unferer Gedanken, zur Erweiterung ber Erfenntnig des Allwaltenven, kurz ‚alled und zur Vollkommenheit Leitende ift enthalteh in

den Buche, von den Moslim das Tarykat genannt.“

(Hier findet ſich am Fuße der bezeichneten Schrift folgende Anmerkung):

„In Folge der herſchiedenen Auslegungen der Lehren des Propheten durch die islamitiſchen Philoſophen bilde⸗ ten ſich wie dies überhaupt in der Entwicklung jeder Religion unvermeidlich iſt ſchon frühe von einander abweichende Sekten oder Schulen, wobei es denn nicht ausblieb, daß der Glaube Mohammed's von herrſchſüch⸗ tigen Prieſtern zu politiſchen Zwecken mißbraucht wurde. Am meiſten machte dieſer politiſche Einfluß ſich geltend in der Auslegung der Sittenlehre oder des Tarykat's, welches, obwohl die Dogmen des Koran ald Grundlage fefthaltend, eine völlige Umgeftaltung erhielt und in dies fer neuen Form zuerft und zumelft bei dem perfifchen Bolfe zu Einfluß und Macht gelangte. Unter dem Namen Tarykat begreifen wir alfo im Allgemeinen: die mit poli- tifchen Tendenzen gemifchte Sittenlehre ver fich zu der erwähnten Sefte befennenden Moslim.

„Die Häupter der neuen Schule wurden Murf his den genannt und ihre Anhänger heißen Muriden. Wie groß der Einfluß war, zu welchem die geiftliche Macht durch diefe Doftrin gelangte, fehen wir aus dem Beifpiele

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des Murſchiden Mohammed, welcher im Jahre des Pro⸗ pheten 906 (nach unferer Zeitrechnung 1528) den Thron der Schah's von Perfien beftieg. Wie er anfänglich nur feiner Religion lebend, bei wachſender weltlicher Macht auch immer mehr weltliche Zwecke verfolgte, fo gab ſich auch der in umfern Aufzeichnungen genannte. Murſchid Mullah⸗Mohammed lange nur rein religiöfen Beitrebun- gen hin, welche jedoch fpäter, befonders von feinen Nach⸗ folgern, Kafl-Mullab und Hamſad-Beg, zu politiichen Zweden mißbraucht wurden.“

So weit unfer ruffische Autor. & fehildert uns bie Sache, ohne, wie es fcheint, Ihren Namen zu Fennen. Die im Wefentlichen richtige, in den einzelnen Theilen jedoch mangelhafte und irrige Darftellung läßt auf nur ober flächliche Befanntfchaft des Berfafferd mit dem Gegen- ftande fchließen. Wientel von dem Mitgetheiltemmmftf Die Muriden des Dagheftan. anzuwenden ift, vermögen wir um fo weniger mit Beftimmthelt zu fagen, als hier bis jegt nichts Adgefchloffenes, Vollendetes vorliegt, fondern Alles noch in einer theilweife durch gebietertfche Umftände bedingten. Entwidlung begriffen tft. Wir können den Su- ſismus nur als die Duelle andeuten, aus welcher Kaſi⸗ Mullah und Schamyl die Orundelemente zu ihrer neuen Doktrin gefchöpft haben, und in dieſem Sinne fei ed und erlaubt, einen Augenblick betrachtend dabei zu verweilen.

Der verfchiedenen Erklärungen über den Urfprung der Sufi's und das Wefen ihrer Lehre find gerade eben ſo viele, ald der Erklärer. Nach der Meinung de Sacy's und Schmölvers’ tft diefe Sefte nicht, wie Tholud*) bes

®) Suſismus, sive thoosophia Persarum pantheistica, Berolini 1821.

331 hauptet, dem Schoße des Islam entſprungen, ſondern hat die Keime zu ihrem Entſtehen den Weiſen von den Ufern des Ganges zu verdanken.

„Der Sufismus ſagt Schmölders in ſeinem trefflichen Werke über die philoſophiſchen Schulen bet den Arabern iſt eben fo wenig ein philofophifches Syitem, wie eine religiöfe Sefte zu nennen; auch hat ihn nie ein Mufelmann für das Eine noch. für das An⸗ dere gehalten; der Sufismus, vielleicht am paſſendſten ‚mit irgend einem Klofterorden zu vergleichen, ik im Grunde . genommen nichts als eine Art befchaulichen Lebens.

„Der Sufi nimmt an, daß die göttliche Wahrheit unmittelbar dem danach firebennen Menfchen ſich offenbare, wenn vderfelbe zurückgezogen von der Welt und aller irdi⸗ fhen Leidenfchaften. fich entäußernd, fein Leben ausſchließ⸗ lich der Betrachtung weiht. Da aber diefe Art der Bes tradytung rein individuell ift und es Lediglich mit Dingen zu thun hat, welche ihrer Natur nach außerhalb unfers Gefichtöfreifes und unferer Sprache liegen, fo leuchtet ein, daß niemals ein wifienfchaftliches Syftem daraus erwach⸗ fen konnte. Die Araber reden allerdings von einer Wiſ⸗ fenfchaft ded Suflemus und haben felbft eine enge Bücher hinterlafien, worin dieſelbe bargeftellt ift; allein biefe Werfe enthalten theild nur die Vorfchriften, welche man befolgen muß, um zu einem befehanlichen Leben zu gelangen, theild Definitionen derjenigen philoſophiſchen Begriffe, welche zur Betrachtung höherer Dinge unent⸗ behrlich ſind, theils endlich die Erflärung der vielen tech⸗

*) Essai sur les dooles philosophiques chez les Arabes, p. 206 sqq-

332 niſchen Ausbrüde, welchen man fo häufig in den Schrif- ten der Sufl’8 begegnet.”

„Wenn behauptet wird, daß ver Sufismns ohne alle wiſſenſchaftliche Unterlage ſich gebildet habe und ſei⸗ ner Natur nach aus fich ſelbſt, ohne jedwede fremde Ein⸗ wirfung,, die zu feinem ortbeftehen nöthigen Sträfte fchöpfen könne, fo ſoll damit keineswegs gefagt fein, daß er wiſſenſchaftlichem Einfluſſe gänzlich fremd geblieben. Doch bilden die philofophifchen und -theologiichen Ele⸗ mente, welche ſich im Laufe der Zeit Damit verwebt haben, gleichſam nur die ſtets wechſelnde Hülle des Sufismus, währenn der Kern feinem urfprünglichen Geiſte nad; ewig unveräaͤnderlich bleiben muß.”

Wir laſſen bier zu näherm Verſtändniß einige der Hauptpunfte der fuftfchen Doktrin, wie fie Schmölvers, nah Tholuck und de Sacy, zufammengeftellt hat, in der Meberfegung folgen:

„Der legte Zwed des befchaulichen vebens beſteht darin, die Offendarung Gottes, die engſte Vereinigung mit der Gottheit zu erlangen... Dieſe "Bereinigung if dad Refultat der vollfommenen Erfafe. . Die Erftafe in ihrer höchiten Potenz erzeugt im Menfchen eine voll ftändige Apathie und Gefühllofigfeit; ja fie zerftört fogar während ihrer Dauer das Bewußtſein feiner eigenen Exi⸗ ftenz... Hat der Menfch bis zu biefer Stufe ſich empor. geſchwungen, jo bedarf er weder der Handlungen noch Pflichten mehr. Auch die Religion wird alsdann gleich. gültig, eben weil alle Gebote des Geſetzes dem Ich und Du entfließen, welche dann gleichfam in Nichts zerrons nen find. Wer fagt der Dabiflän nicht anerkennt,

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daß es gleichgültig ift, Mufelmann oder Chrift zu fein, der bat fich noch nicht zu der Wahrheit emporgeſchwun⸗ gen und fennt das wahrhafte Wefen nicht.“

„Das Zeichen der Offenbarung ift Bernichtung des (ſinnlichen) Menfchen... . Jeder Menſch fagt ber Gülſhen⸗ruz deſſen Herz von feinem Zweifel mehr bes wegt wird, weiß mit Gewißheit, daß es Fein Weſen giebt außer dem einzigen. Das Ich fommt nur Gott zu, weil er dad der Phantafte und dem Gedanken verborgene Geheimniß iſt. In Gott ift Feine Eigenfchaft; in feiner göttlichen Majeftät fucht man das Ich, das Wir, das Du vergebens. Ich, Wir, Du und Er find ein und daffelbe; denn in der Einheit kann es feine Berfchteden- heit geben. Jedes (finnlich) vernichtete und gleichſam von fich felbft getrennte Wefen hört außer fich diefe Stimme und Died Echo erfchallen: Ich bin Gott; ed bat eine dauerhafte, ewige Eriftenz, ift in ver Zeit nimmer ver- nichtbar...“ |

Der Moment des Entzüdend und der dadurch be dingten Offenbarung wird von den Sufi's h’äl genannt, welches Wort. „Zuftand“ bebeutet; doch darf dieſer Aus⸗ drud nicht in der bei uns üblichen Bedeutung genommen werben, da berfelbe hier etwas zwifchen Sein und Nicht: fein, zwiſchen Wirklichkeit und abfoluter Negation in der Mitte Liegendes bezeichnen fol.

Indem der Suft nämlich durch Entäußerung alles Sinnlichen, durch Unterdrückung alles vefien, was ihn an's Leben bindet, fi der Erde entfchwingen, und jo vermittelt der Exftafe zu höherer Anfchauung gelangen fann, ift er während derſelben gleichjam tobt für alles

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Zroifche; fein. fleiſchliches Auge iſt. geſchloſſen und das innere, geiftige geht ihm auf. Diefe momentane Vergeiſti⸗ gung, diefe vollfommene, obwohl nur kurze Trennung der Seele vom Körper, dieſes Schweben zwiſchen Sein und Nichtfein ift der Mittelauftand, welcher von-den Sufs h’&l genannt wird.

Da e8 keincewegs im Plane unſers Buches liegt, eine erſchöpfende Abhandlung über das Weſen des Suſismus zu geben, und Andeutungen darüber nur im fofern bieher gehören, als dieſelben erläuternd auf das Verſtändniß der folgenden apitel vorbereiten, fo - hoffen wir, die obige Skizze werde genügen, dem Leſer die Grundidee der fufifchen Methode zu veranfchaus lichen.

Eine ausführliche Geſchichte des Sufismus fehlt uns überhaupt noch, obgleich die Werke eines Graham, Hammer, Malcolm, de Sacy, Schmoͤlders, Tholuck u. A. treffliche Notizen darüber enthalten. Diejenigen, welche ſich über den intereſſanten Gegenſtand näher unterrichten wollen, müſſen wir auf die genannten Quellen ver⸗ weiſen.

Doch liegt uns zur nöthigen Vervollſtändigung der oben gegebenen Skizze noch eine kurze Darſtellung der vier Stufen des geiſtigen Lebens ob, welche die Sufi's nach ihrer Lehre zu durchlaufen haben, um zur hödhiten Anſchauung der Gottheit zu gelangen. Diefe Darftellung muß um fo wichtiger für uns fein, da ihr Inhalt der Born ift, aus welchem die Eriegerifchen Ulema des Daghes ſtan ihre Begeiiterung und ihre neue Doktrin gefchöpft haben.

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Stufen des geikigen © vebens nach der Lehre der

Sufi's *).

1) ÄXL % Scharyat das Außerliche Geſetz und Beobachtung veffelben nach allen feinen Borfchriften über Gebet: z 4 (salät); Almoſenſteuer: a6) | (zekat) ; Faften: ( yo (säum) ; Wallfahrt: (hadshi); Reinigungen: 5, (charety; nebſt den Beftimmungen über alle ‚rechtlichen Verhält⸗ niffe. Das wifienfchaftlihe Syftem al’ dieſer

Beftimmungen heißt 250) ] lo Glmulfikh) Juris⸗ prudenz. |

2) Während diefe erfte oder wiſſenſchaftliche Stufe für alle Moslim gleich verbindlich iſt, eröffnet ſich für die tiefern Geiſter, welche ſich zur Gottheit in ein näheres Verhältniß zu ſetzen fähig und bedürftig find, nach dem ſufiſchen Syſtem ein Pfad zur Voll⸗ kommenheit: Aa, „be Taryfat (Weg, Pfad) bes fteht darin, daß der Menfch im Gegenfag zur Beob- achtung ber Außern Ceremonie, durch geiftige Kraft und Tugend zur geiftigen und innerfichen Gotted- verehrung ſich erhebt. Diefe geiftige Kraft fleigert fich. durch fortgehende Berfenkung in die Natur und unmittelbare Erkennt niß des Weſens der Dinge, zu übernatürlicher Er-

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#) Nach de Sacy, Pendnameh, 169. Malcolm, history of Persia II. 386. Graham, Bombay transactions I. 94.

fenntniß, erftaftfcher Anſchanung, und führt zum dritten Grabe, d. b. zur Gaxkyxkat) Wahrheit ®).

4) Diefer Zuftand fublimirt fih immer mehr, bi8 end» lich der Menſch in unmittelbare, reale Vereinigung mit Gott tritt; dies ift der letzte und höchſte Grad

der Erfenntniß, genannt I (maarifat).

Die Zuftände einer Perſon, in dieſen vier Stufen heißen: _ 1) Nasüt Menfchhelt. . 2) Melküt Geifterreich. 3) Dshebrüät Allmacht. 4) Lahftt Gottheit. Embleme oder Typen dieſer Zuftände find *®):

hart, Fleiſch, Knochen, Mark. Naſe, Zunge, Ohren, Augen. Körper, Athen, Sinn, Seele. Erde, Waſſer, Licht, Feuer. Nacht, Sterne, Mond, Sonne. Schiff, Meer, Muſchel, Perle.

Halten wir zu beſſerm Verſtändniß das letzte Emblem als erlaͤuterndes Beiſpiel feſt. Hier iſt das letzte Ziel des Muriden ***), die Wahrheit, mit einer Perle verglichen, mit ber Here der Erfenntniß. Wer die Perle Raben wid,

a) Malcolm nennt. die dritte Stufe maarlfat und Die vierte hakykat. “R) Nach Graham. Vergleiche darüber: De Sacy in ben Notices et Extraits des Manuscrits de la Bibliothöque du Roi. T. XII. FOR) Murid heißt im Arabifchen ber Strebende.

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muß zu Schiffe gehen; das Schiff fährt auf's Meer hin⸗ aus; auf dem Grunde des Meered liegt die Mufchel, welche die Eoftbare Perle in fich fchließt.

Menden wir die Zuftände der nach Wahrheit ringen- den Menfchen in den vier Bhafen, welche fie zu durch⸗ laufen haben, auf Schamyl und feine Untergebenen an, fo ftelft fich folgendes Bild heraus:

Auf der erften oder unterften Stufe fteht die große

Maſſe des Volks. Hier bedarf es noch eines Zügels, einer höhern Leitung. Hier muß auf firenge Beobachtung des Scharyat's oder Außerlichen Geſetzes gehalten werden, da bei mangelnder Erkenntniß die innere Stimme nicht immer das Rechte gebietet. Die zweite Stufe nehmen bie Muriden ein, welche - aus den Beſſern des Volks hervorgehen. Ste bedürfen des Zügels nicht mehr; für ſie iſt das äußerliche Geſetz überflüffig; denn jeder wahre Murid, jeder wirklich nad Wahrheit Strebende ift gut, weil er weiß, daß nur die Tugend zur Wahrheit führt. Er trägt feinen Lohn und feine Strafe mit fih. Er giebt Almofen, nicht weil das Scharyat ed vorfchreibt, fondern weil e8 ihm wehe thut, die Armen leiden zu fehen. Er hält feine Wafchungen, nicht weil der Koran es gebietet, fondern weil Reinlich- feit ihm Bedürfniß ift, weil er weiß, daß nur in einem reinen Körper eine reine Seele wohnen kann u. f. f.

Die dritte Stufe nehmen die Naibs, die Statthalter Schamyl's, ein. Bon ihnen gilt in noch höherm Sinne alles über die Muriden Gefagte.

Auf” der vierten und höchften Stufe endlich fteht Schamyl allein. Er fteht in unmittelbarer, realer Berbin-

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bung mit der Gottheit. Seine Worte find Gottes Worte und feine Befehle find des Herrn Befehle. Er ift die Sonne, wovon feine NRaib’s, die Moude, ihr Licht empfan⸗ gen und, umgeben von ihren Sternen, den Duriden, bie Nacht des Volks durchleuchten.

Wenn Allah nicht ſchon längſt die Feinde Schamyls, des Lichtes und des Glaubens von der Erde vertilgt hat, ſo geſchah das blos, weil er langmüthig iſt und voller Geduld.

Viertes Eapitel.

Mullah- Mohammed, der Murfchid von Sarach, und feine kriegeriſchen Jünger. Arslan Chan. Jermolow.

Nach ſeiner Rückkehr in die Heimath wandte der begeiſterte Kaft alle ihm zu Gebote ſtehenden Mittel an, um feine Landöleute nah und fern für feine weitausfehen- den Plane zu gewinnen, deren Zweck der aufmerffame Lefer längft errathen haben wird. Er gab Gaftmähler und Schmaufereien, hielt häufig große Berfammlungen, furz, er unterließ nichts, um die Leute berbeizuloden und die Zahl feiner Anhänger zu vermehren; auch hatte er ſich bei feinen Beftrebungen des günftigften Erfolgs zu erfreuen, denn fein Anhang vergrößerte fi) von Tag zu Tag mit reißender Schnelle.

Eined Tags, als ſich das Volk in angewöhnlich großer Anzahl vor der Wohnung des Kaſi verſammelt hatte, redete es Mullah⸗Mohammed folgendermaßen an: „Ich bin ein großer Sünder in den Augen Allah's und

des Propheten. Ich habe bisher weder unſeres Gottes 32%

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Willen verftanden, noch Mohammed's feines Gefandten Verheißungen. Erft jet find mir durch des Höchften Gnade die Augen geöffnet, und ich. fehe ven Quell ver ewigen Wahrheit mir entgegen rinnen, bligenden Dias manten gleich. Alle meine Handlungen ver Vergangen- heit liegen wie eine fchwere Sündenlaſt auf meiner Seele. Ich habe mich genährt von den Früchten eures Feldes, ih habe mich bereichert mit eurem Butt; aber es ziemt dem Priefter nicht, den Zehnten zu nehmen, und der Rich- ter foll feines Amtes pflegen, ohne andere Belohnung, als. die ihm Allah, der Einige, verheißen. Das habe ich nicht gethan, und darum klagt mich mein Gewifien der Sünde an. Doch ich will meine Schuld fühnen, Gottes und eure Vergebung erflehen und Alles zurüdgeben, was id) genommen habe. Sehet da: alle meine Habe fol euer feyn! Nehmet und theilet fie unter euch!”

Alfo ſprach Mullah- Mohammed, der Kaſi. Aber das Volk erklärte einmüthiglich, daß er fein Haus und feine Habe behalten folle, und daß jeden unter ihnen harte Strafe treffen werde, der es wage, feine Hand daran zu legen.

Und weiter ſprach Mullah-Mohammed zu dem fich immer dichter fchaarenden Bolfe: „Ich Tönnte Feinen beffern Augenbli wählen und feine günftigere Stimmung in euch hervorrufen, als die jetige, um euch die heiligen Wahrheiten der Geſetze unfered Propheten zu verfinn- lichen. Wie wir jest leben, find wir weder Mohammedaner, noch Chriften, noch Gößenanbeter; der Menfch aber foll fefthalten an Einem, was er für das Befte auf Erden erfannt hat, und dieſes Eine, unfer höchſtes Gut, ift der Glaube unjerer Väter. Das erfte Oefe aber dieſes Glau⸗

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bens ift Sreiheit in jeglicher Beziehung. Kein Mufel- mann foll des Andern Unterthan oder SHave fein, und am wenigften in der Knechtfchaft fremder Voͤlker eben, welche, ſtatt unfere Religion zu Fräftigen und auszubrei- ten, nur dahin ftreben, fie zu unterbrüden.“

„Das zweite Geſetz ift dem erften gleich, denn es fann das eine ohne das andere nicht. beftehen: viefes Geſetz aber heißt Krieg gegen die Ungläubigen und Bollziehbung des Scharyat’d. Wer das Scharyat nicht hält und nie das Schwert gegen die Ungläubigen ge- fhwungen, dem wird das Heil nimmer blühen, das uns Allah durch feinen Propheten verheißen. Wer aber die Gebote des Scharyats wahrhaft erfüllen will, der muß allen irdifchen Gütern freudig entfagen fönnen, Gut und Blut auf's Spiel fegen zur Ehre feines Gottes, Haus, Weib und Kind verlafien, um dem Rufe ver Schlachten "zu folgen. Nur alfo wird er ein dem ewigen Gotte wohl⸗ gefälliged Leben führen und über die fchneidende Brüde El⸗Sirat eingehen in's Paradies, wo ewige Belohnung feiner wartet. So lange aber irgend ein Ich fei es der Gläubigen oder der Ungläubigen auf uns laftet, müſſen alle unfere Thaten .und Gedanfen zu Schanden werden, denn der Sklaven Gebet wird nicht erhört, es fei denn, fie bitten um Befrefung, und erfämpfen mit ftarfem Arme, was fie bitten mit ſchwachem Munde. AM eure Wohlthätigfeit gegen die Armen, all’ eure Wafchun- gen und Gebete, al’ eure PBilgerfahrten nach Mekka, all' eure Büßungen und Opfer eure heiligſten Handlungen find fruchtlos, fo lange das Auge eines Moskowiters darauf fleht. Ia, felbft eure Ehen find ungültig, ver hei⸗

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ige Koran wird euch zum Buche des Verderbens, eure Kinder werden zu Baftarden, fo lange Moskowiter unter euch weilen. Wer kann Allah dienen, fo den Rufen dient? denn ich fage euch: der Gott der Gläubigen kennt feine Kinder und er prüft fie und er ftraft fie nach feinem - Wohlgefallen; aber feine ‘Brüfungen find Hart und feine Strafen find ſchrecklich.“

„Ihr Männer von Jarach und aus den kuriniſchen Aoulen! Höret wohl was ich ſage! Wollt ihr der flüch⸗ tigen Genüſſe der Erde wegen auf bie Verheißungen des Himmels verzichten? Hier find die Stunden unferes Da- feind gezählt wie die Stunden des Tages; dort oben aber iſt unfer Leben ewig. Und dort oben auch ift unfere Heimath; denn hier auf Erden find wir nur Fremblinge, irvende Wanderer, die nicht wiflen wohin und woher, wenn und der Ruf des Propheten nicht leitet. Dort oben ift Jedem fein Haus bereitet, aber nicht Jeder wird es bewohnen; fcehwarzäugige Houris mit Augen wie Sonnen ımd mit Armen wie Schwanenhälfe werben und anlächeln, aber nicht Jever wird fie umfangen; Brunnen fprudeln dort aus milchweißem Marmor mit Waffer wie Diamanten, aber nicht Jeder wird fich laben an ihrer Brifche; ſchlanke Cypreſſen und laubdichte Platanen fächeln und Kühlung enigegen, aber nicht Ieber wird ausruhen in ihrem Schatten; denn der Prophet fpricht: „Ihr follt Haus, Weib und Kind verlaflen, um meine Lehre in der Welt zu verbreiten, um der Ungläubigen Macht gering zu machen. Wer für mich iſt, für ben werbe ich fein, und ich verjpreche ihm in jener Welt den Ruhm der Heiligen und die Seligfeit der Auserwählten.”

„Ihr Männer von Sarah, ımd Ale, die ihr um mich verfammelt feid, gehet hin und -reiniget eure Seelen von dem Geiſte der Knechtichaft, der euch umfangen hält, gehet Hin in die Mofcheen, fallet nieder vor dem Ange ſicht des Höchften, weinet, heulet und betet in Reue und Zerknirſchung, laßt den Schlaf von euren Augen bleiben und die Speife von ‚euren Lippen, und Allah wird Barm⸗ berzigleit an euch üben und euch zurüdführen auf den Weg des Rechten, und euch wappnen mit Kraft gu dem großen Werke, das ihr vollbringen follt. Wenn aber bie Stunde fchlägt, die zum Kampfe ruft, fo haltet euch räftig und bereit; Mlah wird mir ein Zeichen geben und ich werde es euch verfünven. Bis dahin weinet und betet!“

Nach dieſen Worten zog ſich Mullah⸗Mohammed in ſeine Behauſung zuruͤck, wo er einen beſondern Platz in Form eines Grabes hatte einrichten laſſen, um feine Ge bete und Waſchungen zu verrichten.

*

Das "Gerücht von Mullah⸗Mohammed und ſeiner Lehre durchlief mit Bligesfchnelle den ganzen Dagheftan; von allen Seiten famen Pilger und Reugierige nad) dem Aoule Jarach, um den Kafl zu fehen und feine Lehre zu vernehmen. Alle die fich für ihn begeiftert fühlten, feines Unterrichts und feines Segens theilhaftig wurden, erhiel- ten den Namen Muriden. Bon Tag zu Tage ver- größerte fi) die Zahl der Anhänger der neuen Lehre; viele Priefter und Gläubige verweilten ganze Wonate lang im Aoule Jarach, um den Lebenswandel Mullah⸗Moham⸗

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med's in der Nähe zu beobachten. Der Kafi brachte feine Zeit lediglich mit Leſen des Koran, mit Faften und Ge bet hin, und wurde wegen feiner Frömmigfeit in Worten und Handlungen von Allen ald ein Heiliger verehrt.

Im Sahre 1824 fing das Geheimniß der neuen Lehre an offenbar zu werden. Die Muriden des Aoules Jarach hatten ſich hölzerne Schafdhfen *) gemacht, welche fie‘ als Unterfcheivungsgeichen trugen ; zudem war im Winkel des Haufes eine Art hölzerner Altar errichtet, vor welchem fie mehreremale des Tages ftehen blieben, mit der Schaſchka darauf fchlugen und, dad Geſicht gen Often wenvend, laut riefen: „Moslem, Krieg gegen die Ungläubigen! Krieg gegen die Ungläubigen! Haß und Vernichtung den Giaurs!“ Diefed Gefchrei hörte man den ganzen Tag hindurch in allen Straßen, auf allen öffentlichen Plätzen, überall mo Muriven fich bliden ließen.

Wie ein Lauffeuer wälzte es fich von Aonl zu Aoul, und bald befand fich das ganze Eurintfche Gebiet in jenem Zuftande der Unruhe und Verwirrung, welcher jedem Bolksaufftande vorhergeht. Sogar im nördlichen Daghe⸗ itan, wo fi} gerade. General Jermolow mit einer Trup- penabtheilung befand, wurde das Feldgefchrei der Muri den gegen die Ungläubigen laut. Der General ließ nach Kuba, feiner zeitweiligen Reſidenz, Arslan = Chan, ven Herrſcher der Kaſikumycken fommen, um fich mit ihm über die Urfache des Aufftandes und die Mittel zur fchleunis gen Unterdrückung beflelben zu befprechen.

In Folge dieſer Unterredungen begab fich Arslan-

) Schaſchka, ein langer, wenig gebugener Tſcherkeſſenſaͤbel.

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Chan nad) dem Aoule Kaſſim⸗Kent, wohin ebenfalls Muf- lah⸗Mohammed, fo wie die meiften Mullahs, welche ſich der neuen Lehre angefihloflen hatten, befchieden wurden. Arslan⸗Chan befragtee Mulah-Mohammed über den Grund und Inhalt feiner neuen Lehre und machte ihm Vorwürfe, daß er durch feine Neuerungen den Häuptlin- gen des Volls, fo wie auch der rufflfchen Regierung Aergerniß gebe. „Kennſt du führt er fort die Macht und die Stärfe der ruffifchen Heere nicht, und weißt du, weiches Unglück durch deine aufrührerifhen Plane ‘über die Stämme des Dagheftan hereinbrechen Tann?“ - „Wohl weiß ih antwortet: Mullah⸗Mohammed daß die ruffifche Macht der unfern weit überlegen ift, aber ich weiß auch, daß Allah gewaltiger ift denn ber. Ruſſenkaiſer mit aM feiner Macht, und mein Werk ift Allahs Werk, meine Gedanken fleigen auf zu Ihm, von dem fie gefommen; was ich thue, thue ich zu feiner Ber» berrlichung. Wir wandelten in Sinfterniß, des Urquelld der Wahrheit vergeflend ; unfere- Gedanken waren zu, Sün⸗ den geworden und unfere Handlungen zu Miſſethaten; die Fackel, die Er felber einft angezündet durch feinen Bropheten, um und zu leuchten auf den Irrgängen des Lebens, war ausgelöfcht, dad Gebäude des Glaubens war in Trümmer gefallen und ein Abgrund hatte fich gezogen zwifchen uns und der. Seligfeit. Ich bin gefom- men, den Abgrund auszufüllen, ven Tempel des Glau⸗ bens neu aufzubauen, die erlofchene Fackel wieder anzu- zünden, bie irrenden Bölfer zur Wahrheit zurüdzuführen, und wieder helle zu machen, was dunkel war, zur Ehre

Allahs des Einigen.”

„In dieſem Beſtreben will dich Niemand ſtoͤren entgegnet Arslan⸗han aber du ſollſt mir Rede ſtehen, warum deine Muriden gewappnet von Aoul zu Aoul ziehen, alle Schluchten und Wälder durchſtreifen, die Wan⸗ derer auf ihrem Wege anhalten und, das Geficht gen Dften wendend, überall ihr wildes Kriegegefchrei ertönen laffen und zum Kampfe gegen die Ruflen auffordern? Meine Muriven erwidert Mullah-Mohammer. find nur die blinden Werkzeuge eines höhern Willens, Obgleich ſie ſaͤmmtlich ſchon eine hohe Stufe der Erkenntniß errungen haben und, meinem Beifpiele folgend, al’ ihr Den- fen und Streben darauf richten, die Herrlichkeit und Größe Allahs zu erforfchen und Seinem Willen nachzukommen, ohne auf der Menfchen Meinung zu achten, noch ihre Strafen: zu fürchten, fo wiſſen fie doch ſelbſt nicht, was fie thun. Ste wandeln noch in jenem Zuftande der Schwär- merei, welcher der wahren Erfenntniß vorbergeht, und And deßhalb unfchuldig an dem, was fie thun. Doch fcheint es mir, daß ihre Handlungen deutlich genug zeigen, was wir thun follten. Aud dir, o Chan! möchte ich rathen, weltlihem Ehrgeize und Gelüften zu entfagen und Allah zu gehorchen, flatt ven Menfchen zu gebieten. Es giebt Fein Heil und feine Größe in dieſer Welt, wir follen hier nur den. Weg fuchen, welcher zu jener Welt führt, und wir können diefen Weg nimmer finden, ohne Befolgung der Gebote des Tarykats, worin des Höd)- ſten heiliger Wille gefchrieben ſteht.“

„Ich befolge das Tarykat entgegnete Arslan⸗Chan wie die heiligen Bücher es vorfchreiben.” „Du irrft dich, Chan erwiberte ernft Mullah⸗Mohammed

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fannft du das Taryfat der Gläubigen befolgen, fo lange du ein Sklave der. Ungläubigen bift? Ä Eine dunkle Zornwolfe überflog des Zürften Antlig bei dieſen Worten, und er verfegte in feiner Aufwallung dem Kaft- einen Fauſtſchlag in's Geſicht; allen übrigen Mullahs aber befahl er, nad) Art der Freifenden Derwifche zu tanzen, die größte Beichimpfung, welche er ihnen an» thun Fonnte. Eine ganze Stunde lang überließ er fi fo feiner Wuth und die Mullahs ihrer Strafe; dann aber kehrte er zu ruhigerer Beſinnung zurüd und fchämte fih der wilden Ausbrüche feines Zornes. Die Wahrheit der Worte bed Kafi hatte ihn getroffen, aber er war noch nicht ſiark genug, um gleich zu einem feſten Entichluffe zu gelangen, und fein Eigennug erlaubte ihm nicht, alle bie fchweren Opfer zu bringen, welche der Uebertritt zu der neuen Lehre erheifchte. Sich zu: Mullah⸗Mohammeh wendend, fprach er: „Vergib mir die Beleidigung, welche ih dir in unbevachter Aufregung angethan, aber erfülle auch die Bitte, welche ich zu Deinem und meinem Belten an dich richte: Befiehl deinen Muriven, ſich rubig zu verhalten und das Volk nicht ferner zur Empörung aufs zumwiegeln. Der ruſſtſche Satrap wird mich fonft auffor- dern, dich ihm auszuliefern, und ich werde feinem Willen gehorchen müflen; doch ich fürdyte Die fündige Handlung, einen fo großen Alim, wie du bift, den Händen der uns gläubigen Ruſſen zu überantworten. Stelle ich mich aber ganz auf Eure Seite, fo werden die Ruſſen mir mein Land und mein Erbe nehmen und mich aus meiner Heimath, aus dem Schoße meiner Familie, vertreiben.“ „Die Beleidigung, welche du mir angethan ants

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wortete Mullah⸗Mohammed wird bir Allah vergeben; auch im Uebrigen ließe fich, fcheint mir, zu unferem beider⸗ feitigen Beften, ein Mittelweg ausfindig machen. Kannft bu nit für ums fein, fo fei auch nicht gegen uns; willſt du deinen Unterthanen die Annahme der neuen Lehre nicht erlauben, ſo laß wenigſtens den übrigen Be⸗ wohnern des Dagheſtan Freiheit in ihrem Glanben und Handeln. Sei ſcheinbar der Ruſſen Freund, um dich ſicher zu ſtellen und ung zu nügen. Es wird bald zu einem blutigen Kampfe zwifchen und und den Ungläubigen fom- men, aber in feinem Falle fann deine Sicherheit dabei gefährdet werden. Bleiben wir Sieger, jo ſchützen wir dih und dein Land; neigt fich der Sieg .auf die Seite der. Feinde, fo werden fie dich als ihren alten Kunaf wie bisher mit Ehrenbezeugungen und Auszeichnungen überhäufen.

Arslan-Chan verfprach dem Rathe Mullah⸗Moham⸗ med's zu folgen und ſchied als Freund vom Kaſi, dem er noch vor der Abreiſe durch reiche Geſchenke fein Wohl: wollen und feine Gunft ausdrückte; den übrigen Mullahs aber wurde zum Schein eine leichte Strafe auferlegt, und der Chan fehrte zurüd zum General Jermolow mit ver Berficherung, daß es feinen Bemühungen „gelungen fei, allem Hader zu ſteuern und die Ruhe wieder herzuftellen.

Mullah-Mohammen hielt bei feiner Rückkehr dem ver⸗ fammelten Volke eine lange Rebe und verbot auf's Strengfte das Rufen ‚auf den Straßen und das Umherlaufen mit den Schaſchken; e8 werde bald die Stunde fchlagen, bie zum Kampfe rufe, und dann follten fich Alle bereit halten, bis dahin aber aus weiſer Borficht ruhig fein.“

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Wenige Tage darauf trafen eine Menge ausgezeich- neter, bis dahin. noch unbekannter Säfte im Aoule ein: SHafi-Mohammen *%) aus Schich- Schaban in Awarien, Mullah⸗Hadſhi⸗Juſſuf aus dem Aoule Hiügdel im fcham- chaliſchen Gebiete, Mullah-Dfhelal-Epvpin aus dem von Ardlan- Chan beherrfchten Lande der Kafiftumyfen, und Schuli-Mullah-Chan-Mohammen aus Tabaffaran.

Der Murſchid Mullah-Mohammed theilte feinen Säften mit, daß das Furinifche Chanat in den Händen der Ruffen fet, daß bereits im“ Aoule Kurach rufftfche Truppen ftänden, daß Arslan-Chan aus Furcht und Eigens nug nichts Entſcheidendes gegen die Ungläubigen zu uns ternehmen wage, und daß fein Land für den Augenblid nothgedrungen dem Beifpiele des Fürften folge. „Aber. eure Ankunft fpricht -er weiter waffentragende Männer von Awarien und Tabaffaran, ift mir ein Zeichen des Himmels. Im Namen des Propheten befehle ich euch: fehrt zurüd in eure Heimath, verfammelt die Mannen eured Stammes, verfündigt ihnen meine Lehre und ruft fie zum Kampfe auf, zum heiligen Kampfe gegen bie ver- haßten Mosfowiten! Die Unterdrüdten ſollen fich frei machen und die Freien die Sflaverei von fich abwenden! Sch rede zur euch, auf daß ihr zu eurem Volke redet in meinem Namen. Wenn wir feft halten im Glauben an Allah und an die Verheißungen feiner Propheten, was fürchten wir und dann vor den Menfchen und ihren - Drohungen? Für uns kann es Fein Schredniß geben als bie Sklaverei, und feine Schande als lebendig ben

N

*) Bekannt unter dem Namen Kaſi⸗Mullah.

ungläubigen Chriftenhunden zur Beute zu werden. Alſo Top oder Sieg! Hier lodt uns die Freiheit und dort das Paradies; eines oder das andere muß unfer Theil werden; was zaubern wir noch zu wählen? Kämpft, und ihr feld frei, fterbt, und ihr ſeid felig! Duͤnkt euch ver Kohn nicht ſüß? Freiheit ſei euer eriter Gedanke, Haß gegen die Ungläubigen euer legter! Haß und Vernichtung! Lapt die Leiber eurer erfchlagenen Feinde zu Stufen werben, auf denen ihr emporfteigt zu den Freuden des Paradieſes; denn fo fpricht der Prophet: Wer einen Ungläubigen tödtet, deß Name fol gepriefen werden, wer aber im Kampfe für meinen Glauben fällt, deß Herrlichkeit fol groß fein“ |

„Wartet noch ein Kleines, und die Heere unferer Feinde werben wie bunfle Gewitterwolfen unfere Aoule überziehen; fie werben unfere Kinder ald Sklaven weg⸗ führen, unfere Jungfrauen werden fie fehänden und unſere Wohnungen der Erde gleich machen; unfere heiligen Tem- pel werben wüſte ſtehen oder entweiht werben von den flachshaarigen Dienern der Moskowitengoͤtter, und Allah wird zürnend und flrafend auf feine Kinder herabfehen ob der Schmach, die fte ihm angethan, und er wird euch verfluchen, und Sklaverei hienieven und ewige Verdamm⸗ niß dort oben wird euer Theil- fein!“ |

„Doch ich thue euch Unrecht, ihr tapfern Männer vom Dagheftan; nie werdet ihr foldye Schande dulden; ich weiß, ed ift Feiner unter euch, der fich fürchtet vor den Ruflen, noch vor ihren großen Flinten *), Feiner,

*) So nennen die Tfcherkeffen die Kanonen.

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von den mau einft fagen koͤnnte, die Feinde hätten ſei⸗ nen Rüden gefehen. Schwert gegen Schwert und. Auge gegen Auge! Laßt die Zahl unferer Feinde auch groß fein, fie .müflen uns doch unterliegen. Ihr wißt, es ift ein alted Wort unter und: Ein Gläubiger gegen zehn Ungläubige ; denn der Blaube macht flark, aber der Unglaube madht feige. So geht denn und kehret zurüd zu euren Stäm⸗ men und fagt ihnen wieder, was ich euch geredet habe, und fprecht und handelt im Geifte deſſen, der fich uns durch neunundneunzig Namen *) geoffenbart hat.“

Seit der Zeit wurde es immer lebendiger und un- ruhiger in den Thälern und Schluchten des Dagheitan; überall bildeten fich geheime Geſellſchaften zur Verbreitung der neuen Lehre und zur Bermehrung der fanatijchen Murivenfchaarz mit gefpannter Erwartung fah Jeder dem Augenblide entgegen, wo der Schlachtruf erfcehallen würde zum großen Kampfe für Freiheit und Islam.

General Sermolow, auf's Reue von diefen Vorgängen benachrichtigt (1825), gab fofort Ardlan-Chan Befehl, ſich der Berfon des Unrubftifters Mullah- Mohammed zu ver- fihern und ihn gefangen nach Tiflis führen zu laflen. Arslan-Ehan beauftragte feinerfeit den in rufftfchen Dien- ften ftehenden Horul-Beg **), ven Befehlen des Generals nachzufommen. Mullah-Mohammer ließ fich gefangen nehmen, ohne den geringften Wiverftand zu leiten; er

*) Allah hat nach dem Glauben der Moslem eigentlich hundert - Namen, aber nur neunundneunzig find davon offenbar; den hundert⸗ ften erfährt jeder erft nach dem Tode.

**) Gr verwaltet jet das kuriniſche Ehanat unter ruffticher Hoheit. |

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wurbe nach dem Aoule Kurach, dem Hauptquartiere der Rufen, gebracht, von wo man ihn unter ftarfer Bedeckung weiter nach Tiflis zu fchaffen gedachte. Diefer Plan wurde jedoch Durch die plögliche Flucht des Kaft vereitelt. Ob durch eigene Lift, ob durch Mitwiflen feiner Wächter? hat nicht ermittelt werben können; genug, er entkam und fand eine Zufluchtöftätte in den Hochichluchten von Tabaflaran, wo feine Lehre ihm fchon einen mächtigen Anhang gebil- det hatte. Die leichte Art feiner Gefangennehmung und feines Entfchlüpfens führt zu der Vermuthung, daß Arslan-Chan heimlich feine Hand dabei im Spiele gehabt habe, | . |

. Sünftes Eapitel.

Abberufung Jermolow's. Tod der Generäle Grekow und Liffanes witſch. Erftes Auftreten Ghaſi⸗-Mohammed's (Kafl-Mullah’s).

Im Zahr 1826, kurz nach dem Einfalle ver Berfer in das ruffifche Gebiet, wırrde befanntlich General Jermolow *)

*) Weber die plößliche Abberufung Jermolow's gingen damals and gehen noch jest die feltfamften Gerüchte im Kaufafus. Am meiften Anklang fand die Behauptung: die unzeitige Quiescirung des berühmten Feldherrn fei nur ein rächender Akt Nikolaus des Kai⸗ fers gewefen, motivirt durch eine freimüthige Arußerung, welche ſich Sermolow einft gegen Nikolaus den Großfürften erlaubt Habe. Wir theilen dies nur als Gerücht mit,. ohne dafür noch dagegen zu fprechen. Als Thatfache ſteht Folgendes fe: Es waren in Peters: burg gegen Iermolow Anklagen erhoben worden und befunders bes fchuldigte man ihn falfcher Rechnungsführung über die ungeheueren Summen, welche der Kampf dem Staate alljährlich Foftet. Der Kaifer beorderte demzufolge einen feiner Generalabjutanten nad) dem Kaufafus zur Unterfuchung diefer Angelegenheit, und bejonders zur Revifion der Rechnungen. Die Wahl hatte zufällig Diebitſch, einen perfönlichen Gegner Jermolow's, getroffen. Obgleich nun funft wohl ähnliche Befchuldigungen und Unterfuchungen in Rußland häufig genug gegen die oberſten Offieiere nicht eben grundlos geführt wers ben, fo macht duch eben Jermolow, nach dem allgemeinen Zeugniß, durch feine anerkannte Ehrenhaftigfeit eine rühmliche Ausnahme. Er fühlte fi} demnach auch im Innerſten gefränft, ließ zwar die Unter: fuchungen ruhig bis zu Ende geveihen, ſchickte jedoch nach Beendigung

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vom Kaukaſus abberufen, und die Aufmerkfamfeit feines Nachfolgers Pasfewitfh mußte durch die darauf begin-

derfelben einen Gourier direkt an den Kaifer mit einem Entlaffungs- gefuche, in welchem die empfundene Kränfung wohl mandjes harte Wort veranlaßt Haben mochte. Früher war bereits der Bericht des General Diebitfch über die, veranftaltete Unterfuchung eingelaufen und hatte, troß der perfönlichen Mißhelligfeiten zwifchen dem Bericht: erftatter und Jermolow, die Grundlofigkeit aller Befchuldigungen und Anklagen dargethan, ja ſogar vielfache Anerfennung der Verwal⸗ tungöweife des Generals nothwendig gemacht. Der Kaifer verfügte demnach die Abfafjung eines Belobungsfchreibens, und bereits harrte der Gourier, welcher daffelbe mit der Unterfchrift des Kaifers beför- dern_follte, feiner Abfertigung entgegen, als jener Courier Jermolow's anfommt. Das perfünlich an den Kaifer gerichtete Schreiben wird fogleich in deffen Hände gegeben. Diefer liest es, fühlt fich beleidigt und hält das Belobungsfchreiben zurüd, läßt dagegen denſelben Gourier, welcher diefes überbringen folkte, mit der alsbald abgefaßten, zienlich ungnädigen Bewilligung des Entlaffungsgefuches abgehen. Auf ſolche Weife gefchah die Entfernung Jermolow's aus feinem Poften, aus dem Staatsdienfte überhaupt:

Später Iebte er befanntlih als Privatmann in Moskau. Die Anerfenntnig des Bublifums für feine Verdienſte äußerte fi in den faft faiferlichen Chrenbezeugungen, welche ihm erwiefen wurden. So 3- B. grüßte man ihn auf der Straße, indem man ftehen blieb; bei feinem Eintritt in das Theater erhob fich jedesmal die ganze Ver: fammlung von ihren Sigen u. f. w. Diefe große Bopularität wurde in Petersburg bemerft und erfchien für Die unbeningte Alleingeltung alles vom Kaifer Ausgehenden, wenn nicht gefährlich Doch förfam. Bald nachher ward Iermolow zu einem Manöver in Woßneßensf eingeladen und vielfach ausgezeichnet. Nach Beendigung der Uebungen befilirten Die Truppenabtheilungen am Kaifer vorbei, neben welchem fich Jermolow befand. Als jene Batterie vorüberging, bei welcher ver General feinen Militärdienft begonnen hatte, wendete fih der Jar mit den Worten an ihn: „Ich gratulire Dir zum Gefchenfe biefer Batterie. Das Eaiferliche Geſchenk ließ fich nicht zurückweiſen. Jermolow mußte die abgelegte Uniform wieder anziehen. Die Popu⸗ larität war mit einem Schlage verloren.

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nenden blutigen Kriege mit den Perſern und fpäter mit den Zürfen vom Dagheſtan abgelenft werben.

. Unter ſolchen Umftänden fonnten die Lehren Mullah⸗ | Mohammed's bier Teichter Wurzel faffen und die Vorberei⸗ " tungen zu einem allgemeinen Aufftande der Bergvölfer gegen die Ruffen ficherer betrieben werben. Mullah⸗Mohammed erhielt fogar von Arslan-Chan die Erlaubniß, frei nach Sarah zu feiner Familie zurüdzufehren.

Die letzte Waffenthat Jermolow's im Kaufafus war ein Verwüſtungszug gegen die Völker der Tfchetichnja, - welche, angefeuert durch die Muriden Mullah-Mohammed's, den Ruſſen auf tollfühnen Streifzügen mehrere empfind- liche Berlufte beigebracht hatten. Einer von diefen Streif- zügen, welcher beſonders Beranlaffung zu der Expedition Jermolow's gegeben hatte, war in feinen Folgen zu be- beutend, um bier mit Stillſchweigen übergangen werben zu Eönnen.

Ein Trupp Tſchetſchenzen hatte ſich zuſammengerottet, um die wichtige, an der Linie gelegene Feſtung Amir- Hadſhi⸗Jurt mit Sturm zu nehmen. Durch Ueberläufer von dem bebrohlichen Anfchlag in Kenntniß gefept, er⸗ theilte Brigadegeneral Grefom von der etwa 50 Werfte entfernten Feſtung Wach⸗Tſchai aus dem Kommandanten

von Amir⸗Hadſhi⸗Jurt Befehl, die nöthigen Bertheidi- gungdmaßregeln zu treffen.

Ob der vielleicht zu forglofe Kommandant dem Be⸗ fehl Folge geleiſtet oder nicht, müſſen wir dahin geftellt fein laſſen; die Tſchetſchenzen, welche wabrfcheinlich von ber Botjchaft des Generald Kunde erhalten hatten, fuch- ten dieſelbe, ſtatt ſich dadurch abſchrecken zu laſſen, zu

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ihrem eigenen Vortheil zu benutzen. In der Stille der "Nacht fehleichen fie durch den Amir⸗Hadſhi⸗Jurt begren- zenden Wald bis an die Mauern der Feftung; ein ver ruſſiſchen Sprache kundiger Tichetfchenz ruft der Wache zu: „Deffnet das Thor! Der General rüdt heran mit Berftärfung.“

Dem Aufruf wird alsbald Folge ‚geleiftet und im Nu ift die ganze Beftung von den wilden Bergfühnen überfchwenmt. Ein blutiges Gemetzel begann. In weni— ger ald einer Biertelftunde war die Befagung nieverge- hauen bis auf den letzten Mann, und die Banner des Halbmondes wehten von den Zinnen der Vefte. Kein einziger Rufle war dem rächenden Schwerte der Tſchet⸗ ſchenzen entkommen.

General Grekow, von dem kühnen Streiche unter⸗ richtet, ſchikkt Eilboten nach allen Seiten aus, um Ber: ftärfungeni herbeizuziehen; feine Brigade wird augenblidlich in Marfch gefegt, von Georgiewsk aus verbindet fich Generallieutenant Liſſanéwitſch mit ihm, und die alfo zu einer Kleinen Armee angewachjenen Truppen erreichen in Eilmärfchen die eroberte Feſtung. Es entfpinnt fich ein” moͤrderiſcher Kampf. Die Tfchetfchenzen vertheinigen fid) hartnädig, fo lange ihr Vorrath an Pulver dauert; dann ftürzen fie fich, den Säbel in der Fauft, aus der Feftung, bahnen fi unter wildem ©efchrei einen blutigen Weg durch das Dichtgefchaarte Ruffenheer und fliehen ven fchügen- den Wäldern zu, ohne daß ein Einziger von ihnen den ftürmenden Feinden lebendig in die Hände gefallen. wäre. Ueber rauchende Trümmer und die Leichen ihrer erfchlagenen Brüber hielten pie Ruffen ihren Einzug in Amir⸗Hadſhi⸗Jurt.

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Die Truppen waren fo fehr zufammengefchmolzen und ed fanden fich der Berwundeten und Berftümmelten fo viele, daß die rachedürſtenden Feldherren vor der Hand nichts Entſcheidendes zu unternehmen wagten. General Grekow hielt e8 nach vielem Hin- und Herfinnen für das Rathſamſte, zu Unterhandlungen feine Zuflucht zu nehmen, um für den Augenblid dem Blutvergießen ein Ende zu machen und Zeit zu neuen Rüftungen zu gewinnen.

Er entbietet zu dem, Ende die Häuptlinge und Helteften der feindlichen Stämme durch Sendfchreiben nach der fchon oben erwähnten Yeftun Wach - Tfchai. Etwa 200 Tichetfchenzen finden ſich ein, einen begeifter- ten Mullah an ihrer Spige. Grefow will den Ab- geordneten die Thore der Feſtung öffnen, aber der beforgte General Liffanewitfch, der Blutfcenen von Amir-Hadfhi- Jurt eingebenf, widerfegt fi) dem hartnädig und beiteht darauf, daß der wortführenne Mullah allein vorgelafjen werde, um im Namen feines Volks zu unterhandeln.

Der furdhtlofe Tfchetfchenz erfcheint in ver That ohne Begleitung. in dem Gemache, wo die beiden Generäle mit ihrem Gefolge verfammelt find. „Warum bat dein Bolt beginnt Grekow feine Anrede warım hat dein Volk feine Verträge gebrochen und auf's Neue zu ven Waffen gegriffen?“ „Weil ihr zuerft eure Ber: träge gebrochen habt und weil mein Volk dich als feinen Unterprüder haßt“ erwiderte der Mullah. l

„Schweig, Berräther! fällt zornig der General ein ſiehſt du nicht, daß du hier von. deinen Dienern verlaflen und in meiner Gewalt bit? Ich werde Dich auffnüpfen laffen und dir die lügnerifche Zunge aus dem

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ihrem eigenen Bortheil zu benugen. In der Stille der

Nacht Ichleichen fie durch den Amir⸗Hadſhi⸗Jurt begren⸗ zenden Wald bid an die Mauern der Feflung; ein ver rufiifchen Sprache Fundiger Tſchetſchenz ruft der Wache zu: „Definet dad Thor! Der General rüdt heran mit Berftärkung.“ .

Dem Aufruf wird alsbald Folge 'geleiftet und im Nu ift die ganze Feſtung von den wilden Bergfühnen überfchwenmmt. Ein blutiges Gemetzel begann. In weni=.

- ger ald einer PViertelftunde war die Beſatzung niederge- hauen bis auf den legten Mann, und die Banner des Halbmondes wehten von den Zinnen der Veſte. Kein einziger Rufle war dem rächenden Schwerte der Tſchet⸗ fchenzen entfommen.

General Grefow, von dem Fühnen Streiche unter- richtet, fchiet Eilboten nach allen Seiten aus, um Ber: * ftärfungen herbeizuziehen; feine Brigade wird augenblidlich in Marfch gefegt, von Georgiewsk aus verbindet fich Generallieutenant Liſſanéwitſch mit ihm, und die alfo zu einer Heinen Armee angewachfenen Truppen erreichen in Eilmärfchen die eroberte Feſtung. Es entipinnt fich ein“

moͤrderiſcher Kampf. Die Tichetfchenzen vertheidigen ſich hartnädig, fo lange ihr Vorrath an Pulver dauert; dann ſtürzen fie fich, den Säbel in ver Fauft, aus der Feftung, bahnen fi unter wildem Gefchrei einen blutigen Weg durch das dichtgefchaarte Rufjenheer und fliehen ven fchügen- den Wäldern zu, ohne daß ein Einziger von ihnen ven ftürmenven Feinden lebendig in die Hände gefallen. wäre. Ueber rauchende Trümmer und bie Leichen ihrer erfchlagenen Brüder hielten die Rufen ihren Einzug in Amir⸗Hadſhi⸗Jurt.

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Die Truppen waren fo fehr zufammengefchmolzen und es fanden fich der Berwundeten und Berftümmelten viele, daß die rachedürſtenden Feldherren vor der Hand nicht8 Entfcheidended zu unternehmen wagten. General Grekow hielt e8 nach vielem Hin- und Herfinnen für das Rathfamfte, zu Unterhandlungen feine Zuflucht zu nehmen, um für den Augenblid dem Blutvergießen. ein Ende zu machen und Zeit zu neuen Rüftungen zu gewinnen.

Er entbietet zu dem, Ende die Häuptlinge und Melteften der feindlichen Stämme durch Sendfchreiben nach der ſchon oben erwähnten Feftun Wacı - Tfchai. Etwa 200 Tſchetſchenzen finden fich ein, einen begeifter« ten Mullah an ihrer Spige. Grefow will den Ab- georpneten die Thore der Feftung öffnen, aber der beforgte General Liffanewitfch, der Blutfcenen von Amir-Hadfhi- Surt eingedenf, widerfegt ſich dem hartnädig und bejteht darauf, daß der wortführende Mullah allein vorgelaflen werde, um im Namen feined Volks zu unterhandeln.

Der furchtlofe Tichetfchenz erfcheint in ver That ohne Begleitung: in dem Gemache, wo die beiden Generäle mit ihrem Gefolge verfammelt find. „Warum bat dein Bolt beginnt Grekow feine Anrede warum hat dein Bolf feine Verträge gebrochen und auf's Neue zu den Waffen gegriffen? „Weil ihr zuerft eure Ber: träge gebrochen habt und weil mein Volk dich als feinen Untervrüder haßt“ erwiberte der Mullah. il

„Schweig, Berräther! fällt zornig der General ein fiehjt du nicht, daß du hier von deinen Dienern verlaffen und in meiner Gewalt bift? Ich werde Dich auffnüpfen laſſen und dir die lügnerifche Zunge aus dem

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fchränfen, welche ftch am meiſten burch Kürze und eigen⸗ thümlichen Inhalt auszeichnen.

Kafl-Mullah wurde in feinen Beſtrebungen auf's Eifrigfte von feinem treuen und beredten Anhänger Mullah-Schamyl, einem jungen Beiftlichen aus Himry, unterftügt. Beide hatten in ihrer Heimath die erfreulichfte Aufnahme für fi und ihre Lehre gefunden, und machten fih daher etwa fieben Monate nach ihrer Rüdkehr von Sara in Begleitung vieler anderer Muriven, auf den Weg nach dem reichen und mächtigen Aoule Tiherfii, um auch hier dad Volk zur Annahme ber neuen Lehre zu bewegen. |

Sie befolgten dabei ganz baffelbe Verfahren, wie wir oben fchon wiederholt angedeutet haben, hielten ven Leuten lange Strafpredigten, drohten mit Tod und Ver⸗ dammniß und "bezeichneten, als das einzige Mittel zur Heiligung und Seligfeit, die von ihnen verfünbigte Lehre, deren Hauptftüd hieß: Haß und Krieg gegen die Ungläu- bigen! Nach ver erften langen Rede, welche Kafi-Mul- lab folchergeftalt vor dem zahlreich verfammelten Volke gehalten, nahm einer der Welteften von Ticherfst das Wort und fprach zu ihm:

„Predige und das Scharyat und lehre uns feine heiligen Borfchriften befolgen; wir beugen und-vor dei⸗ ner Weisheit und verfprechen, daß wir und beftreben wollen, der Völlerei, dem Raube und al den Laftern, die du und vorwirfft und die wirflich unter und berrfchen, zu entfagen; deinem Berlangen aber, gegen die Ruffen zu Tämpfen, koͤnnen wir nicht Gehör geben. Durch dieſe Feinde haben wir fehon zu viel gelitten, ald daß es rath⸗

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fam wäre, uns durch neuen Aufruhr in noch größeres Ververben zu ftürzen. Die Ruflen bewachen unfere evelften Männer als Gelßeln in Anprejewa *), unfere Heerden weiden auf: ruffifchem Gebiete, von allen Seiten find wir von Feinden umſtellt, und die Macht der Ruſſen ift fo zahlreich, daß alle unfere Verfuche, ihr Joch von und zu fchütteln, vergeblich fein würden.”

„Es iſt unſerer Lehre nicht zuwider antwortete Kaſi⸗Mullah daß ihr euch. foheinbar den Ruflen unters werft und ihnen Geißeln gebt, fo lange ihre Macht ſtär⸗ fer ift al die unfere; aber die Zeit wird kommen, wo ein anderer mächtiger Herrfcher des Orients, zur Ehre des Korand, das Schwert ergreifen wird gegen die Mos⸗ fowiten, um ihre Gewalt zu Schanden zu machen. Dann wird der Doppeladler heulend feine Schwingen einziehen, und der Halbmond wird wieder glänzen über den Aoulen des Dagheftan **). Wenn aber die Stunde fchlägt, fo follt ihr mitziehen zum heiligen Kampfe und euch nicht auf bie Seite der Ungläubigen neigen. Bis dahin thut, was euch gut dünkt.“ Die Tfcherfejer gelobten, zu thun, wie ihnen geheißen war, jchwuren ftrenge Befolgung des Scharyats und bejannen gleich damit, daß fie vor den Augen ihrer Bekehrer allen vorräthigen Wein weggofien und die zum Trinfen nöthigen Gefäße zerfchlugen.

Die kriegeriſchen Evangeliften fegten ihre Bekeh—

*) Sin von der ruffifchen Feſtung Wnefapnaja beherrfchter Aoul.

22) Es hielten ſich zur Zeit eine Menge perſiſcher und türfi- ſcher Agenten im Dagheſtan auf, um vie Bergvölfer zur Empörung gegen Die Ruſſen anzureizen, indem fie ihnen Eräftigen Veiſtand von Seiten beider Reiche verſprachen.

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rungöreife unter den Gebirgsvöltern fort und hatten fich überall des günftigften Erfolgs zur erfreuen. Der Ruf Kaſi⸗Mullah's, welcher von dem Volk für einen gottge- fandten Propheten gehalten wurde, Hätte fich bald fo ver- breitet, daß der neue Prophet zu Anfang des Jahres 1829 eine Botfchaft von dem. alten, ſchon feit lange als Gene»

- rallieutenant in ruffifchen Dienften flehenden Schamchal⸗

Mechti von Tarfu erhielt, welcher glaubte, durch Die Lehre Kaſi⸗Mullah's fein allen Laftern ergebened Volk zu grö- erer Sittenreinheit zurüdführen zu können. Kaſi⸗ Mullah begab ſich fofort. nach Praoul, der damaligen Reſidenz des Schamchals, hatte mit diefem eine lange Unterrevung und erhielt von ihm die Erlfaubniß, dem Volf feine neue Lehre zum predigen.

Der alte Schamchal-Mechtt war feit fange als ein treuer Anhänger der Ruffen befannt gewefen; Kaſi⸗Mullah ließ daher, um ficherer feine Zwecke zu erreichen, in der Unterredung mit dem Alten die politifche Tendenz feiner Lehre unberührt, um, von oben herab unterftügt, deſto nachhaltiger auf das Volk wirken zu können. Bald darauf unternahm der Schamchal eine Vergnügungsreife nad) Peteröburg und ftarb, als er, nach einem Furzen Aufent- halt dafelbft, nach der Heimath zurüdfehren wollte Nun hatte Kafl-Mullah um fo freieren Spielraum. In Furzer Zeit gelang e8 ihm, die beiden, nach dem Beifpiele ihres Fürften, ven Ruſſen ergebenen Aoule Groß⸗ und Klein- Kaſaniſchtſcha für feine Sache zu gewinnen. |

Troß des großen Anhange, welchen folchergeftalt der neue Prophet überall, wo er fich zeigte, gewann, begannen doch nach und nach eine Menge Feinde, befonders Prie⸗

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fter, gegen ihn aufzutreten, indem ſte feine Auslegungen und willführlichen Zufäge zu der urfprünglichen Lehre des Koran mißbilligten, ihn hinter feinem Rüden al& einen Gottesläfterer verfchrieen und das Bolf gegen ihn aufzuwiegeln fuchten: Diefe Unzufrievenen trieben ihr Wefen befonders in den Aoulen Erpeli und Karantfchai. Kafi-Mullah, welcher davon hörte, eilte fogleich mit fei- nen Anhängern nach den beiden genannten Aoulen und wußte bald durch die Bewalt der Waffen und Beredfam- feit die Einwohner wieder auf feine Seite zu bringen; um ſich jedoch ihrer Treue auch für die Folge zu vers fichern, nahm er von den Angefehenften unter ihnen Geißeln, welche er nah Himm in fichern Gewahrfam bringen ließ: %* . * * Es lebte zu jener Zeit im Aoule Arakan der bejahrte

Lehrer Kaſi-Mullah's, Sahid-Effendi, der älteſte und wein

ſeſte Alim des Dagheſtan. Dieſer Greis ſtand unter den Bergvölkern wie unter ven Ruſſen in gleich. hohem Anfehen, und war letztern befonders Durch die große Ach⸗ tung und Aufmerkfamteit, die man ihm bezeigte, befannt geworden. Sahid-Effendi hatte die Lehren des neuen Propheten geprüft und verworfen, und feine fich bald darüber unter dem Volke verbreitende Meinung fing an verberblich für die Beftrebungen Kaſi⸗Mullah's und feiner Sünger zu wirfen.

Lesterer, fehr wohl den großen Einfluß fennend, welchen der alte Weife auf feine Umgebung ausübte, fann auf ein Mittel, ihn unſchädlich zu machen. Er bringt unvermuthet zur Nachtzeit mit feinen Anhängern in die Wohnung feines ehrwürdigen Lehrers. Kaum hat Sahid⸗

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Effendi noch Zeit zu entkommen, ald er fein Haus hinter fi in Flammen aufgehen fieht; aW feine forgfältig auf- bewahrten Schriften, die Erfahrungen und Erzeugniffe eined ganzen Menfchenalters enthaltend, werden ein Raub der Flammen; er allein rettet fi) und nimmt feine Zu⸗ flucht zu Ardlan-Chan. | Nach der Vertreibung Sahid⸗-Effendis hatte Kaft- Mullah feinen Nebenbuhler und Widerfacher mehr zu fürchten, und brauchte bei der Verbreitung feiner Lehre - nicht mehr fo behutfam wie bis dahin zu Werfe zu gehen. Er ftellte den fchwanfenden Einwohnern von Arakan das Beifpiel Sahids vor Augen und drohte ihnen, fie fammt ihren Hänfern mit Feuer und Schwert zu vertilgen, falle fie fich der Annahme der neuen Lehre widerfegten. Auf diefe Weife wurden die Bewohner gläubige Anhänger Kaſi⸗Mullahs, welcher fich jedoch mit ihren Schwüren - und Berfprechungen nicht begnügte, fondern zu größerer ° Sicherheit dreißig Geißeln als Unterpfand ihrer Treue nahm. | *

Nach einem zwanzigtägigen Aufenthalte in Arafan pilgerte der neue °Brophet mit feinen Anhängern nad) Unzuful und von dort nach denjenigen foißubulifchen Dörfern, wo fein Evangelium noch nicht, geprevigt war. Ueberall hatte er fich des günftigften Erfolgs zu erfreuen; wo Güte und Ueberredung nicht ausreichten, mußten Drohungen und Strafen helfen. So nahm der feltfame Zug immer mehr ein Friegerifched Gepräge an; wo immer Kafi-Mulah den mindeiten Zweifel über die Aufrichtigfeit ber Gefinnungen der Neubefehrten hegte, ließ er fich eine beliebige Menge Geißeln außsliefern.

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Schon war der größte Theil des Dagbeftan zu ihm übergegangen; die Stämme von Gumbet, von Andi, fo wie alle Amwarier hatten ihm Treue geſchworen, nur in Chunſach fand feine Schaar Widerſtand und zwar zuerft im Aoule Achaltfcht, wo fich die Herrfcherin des Landes, die Chanin Pahu-Bife, Mutter des jungen Awaren- Chans Abu⸗Nunzal, damals aufbielt.

Die Chanin Pachu-Biks ſchickte Abgeordnete an Kafl- Mullah und ließ ihn bitten, außerhalb der Grenzen ihres Landes zu bleiben; die Umftände erheiſchten dieſes Ver⸗

fahren, obgleich die Chanin felbft die größte Achtung für

Kaſi⸗Mullah hege, fich auch erbiete, zur Beurfundung ber Wahrheit ihrer Worte, ihm einen ihrer eigenen Söhne als Geißel zu ſenden.

Kaſi⸗Mullah nahm jedoch die vorgefchlagenen Be- dingungen nicht an, fondern rüdte mit feinem um biefe Zeit (1830) bereitd 8000 Mann ftarfen Heere in Chun⸗ fach ein.

Die Einwohner der Stadt, denen ein Fräftiger An- führer fehlte, da fie fich wenig auf den jugenblichen, faum den Kinderfchuhen entwachjenen Chan Abu-Nunzal verlaffen Eonnten, wollten fich, überrafcht von dem plöß- dihen Andrang der furchtbaren Muridenſchaar, ohne Widerſtand unterwerfen; aber da ergriff Pachu-Biké zorn> entflammt ein Schwert und rief dem Bolfe zu: „Seht zu Haufe, ihr Männer von Chunſach, und gürtet die Schwer- ter euren Weibern um, euch ziemt ed nicht, Waffen zu tragen!" Beichämt. und. angefeuert durch das Beijpiel ihrer Fürftin, griffen Alle zu den. Waffen und flürzten ſich wüthend auf ihre Feinde, welche auch bald der Ueber⸗

366 zahl und Tapferkeit der Angreifenden weichen mußten, Auch ver junge Chan Abu⸗Nunzal hatte fich bei dieſer Gelegenheit auögezeichnet und Kaſte Mullah eine Wunde am Kopfe beigebracht.

Kaiſer Nikolaus belohnte die Einwohner x von Chunſach für ihre bei dieſer Gelegenheit bewieſene Treue mit einer Ehrenfahne und machte noch außerdem der Chanin und ihrem Sohne prachtvolle Geſchenke.

Kaſi⸗Mullah, welcher feit der Schlappe von Ehiinfach fehr in der Meinung ded Volks verloren hatte, fuchte den Unfall dadurch zu bemänteln, daß er feinen Anhän- gern Mangel an Glauben und Furcht vor dem Tode zum Vorwurf machte. Trotzdem fonnte er nicht verhindern, daß ihm mehrere Stämme wieder untreu wurben, welche Ers fcheinung auch wohl theilweife eine Folge der von rufr fifchen Agenten überall im Dagheftan auögeftreuten Ge⸗ fchenfe und Verſprechungen war.

Als daher im Sommer veffelben Jahres General⸗ lieutenant v. Roſen mit einem Heere gegen Himry an⸗ rückte, kamen ihm aus allen koißubuliſchen Aoulen die Aelteſten und Vornehmſten entgegen, um im Namen ded Volks den Schwur der Treue gegen Rußland zu leiten. Der General, hiedurch überrafcht, hielt e8 nicht für nöthig, fich Himry’d zu bemächtigen oder Truppen dafelbft zurüd zu laffen, und zog ohne weitere Operationen mit feinem Heere wieder ab. Kaſi⸗Mullah wußte diefen Vorfall auf eine Weile zu feinem Vortheil zu benugen, wie e8 wohl nur unter den gläubigen Gebirgsvölkern möglich war.

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Er verfammelte alle Mullahs und Nelteften der koißubuliſchen Aoule und fehte ihnen auseinander, wie in dem Borgefallenen auf's deutlichſte Allah's Fingerzeig zu erfennen fei. Die Ruffen hätten, obgleich fich ihnen freis willig und ohne Schwertftreih alle Thore geöffnet, doch nicht gewagt in Himry einzubringen, denn Allah habe ihre Blicke verfinftert, auf daß fie ihren Vortheil nicht fähen und Angefichts feiner Gkäubigen zu Schanden würden, ie er durch feinen Propheten gefprochen: „Mit Blind- heit will ich fie fchlagen !“

Kaſt⸗Mullah, welcher fah, daß feine Worte einen tiefen Cindrud auf das Gemüth feiner wanfelmüthigen Zuhörer hervorgebracht, fuchte nun auch den mißlichen Borfall in Chunfach mit Hülfe Allah’ zu feinen Gunften zu erklären. | \

„Wißt ihr nicht, ihr Ungläubigen fuhr er fort daß der, welcher einft ven Mond, in zwei Hälften ge- heilt, Durch die Aermel des Gewandes feines Propheten gleiten Ließ*), auch heute noch große Dinge that an denen, die ihn befennen? Aber er ftraft die Kleinmüthigen - amd wendet fein Angeficht von den Zweiflern; darım ließ er euch vor dem Schwerte eines Weibes fliehen und zum Spotte der Männer von Ehunfah werden! Wer den Rücken feiner Feinde gefehen, ver hat eine Stufe im Himmel erflommen, wer aber feinen eigenen Rüden den Feinden zeigt, auf den fehen die Seligen mit Verachtung. - Und warum flieht ihr? etwa weil ihr den Tod fürchtet? Der Tod ift nur den Zweiflern und Beiglingen jchredlich,

*) Beanntlich eines von den Wandern Mohammed's.

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den Tapfern und Gläubigen aber ift er ver Eingang zur ewigen Herrlichfeit! So hat und Allah durch feinen Pro⸗ pheten geredet, und wenn ihr an ihn glaubt, warım fürchtet ihr euch? Wo die Kraft ift, da ift der Sieg, wo aber der Glaube ift, da ift auch die Kraft!“

Dur foldde und ähnliche Reden wußte ber Eluge Kafi-Mullah, welcher die Triebfedern menfchlicher Krafte änßerung wie Wenige kannte, das Volk dermaßen für fich zu gewinnen, daß alle abgefallenen Stämme wieder zu ihm übertraten. Bald follten fie eine Gelegenheit finden, die Wahrheit feiner Worte zu erproben. Er berief durch Boten und Sendſchreiben alle Anhänger der neuen Lehre zu einer großen VBerfammlung nach den Wälvern von Tſchunkeskan im fchamchalifchen Gebiete. Die allges meine Aufregung, „welche Dadurch erzeugt wurde, ließ die

Ruſſen ernfte Folgen befürchten.. Fürſt Bekowitfch Tſcher⸗

kaſſty wurde daher mit einem Detaſchement ausgeſchickt, um Kaſi⸗Mullah's Pläne zu vereiteln. Es fam zu einem bintigen Treffen, in welchem, troß der hartnädigen Tapfer⸗ feit der Ruffen, Kafi-Mullah mit feinen Muriden Sieger blieb. Fürft Bekowitſch mußte fein Heil in der Flucht fuchen. |

Durch diefen Sieg wurde die neugewerte Zuverficht der Muriven noch mehr entflammt und ihr Führer wußte den günftigen Augenbli zu benugen, um Borbereitungen zu noch entfcheidenderen Schritten zu treffen.

Nah allen Aoulen des Dagheftan fandte er Laufe zettel in arabifcher Sprache, des Inhalts: Die Stunde der Erlöfung fei gefommen; Allah habe ihn auserwählt, feinen Willen zu verfünden und fein Volk aufzurufen

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zum Sampfe gegen die Ungläubigen; auch feien fchon viele Zeichen und Wunder gefchehen zur Beruhigung ver Gläubigen und zur Aufmunterung der Zweifler und Klein» müthigen. ‚Eine große feindliche Armee fei Angeſichts des Volks durch Allah's Zorn gelihmt und ohne Schwert- fireich zum Nüdzuge gezwungen worden. Eine zweite Armee habe er (Kafl-Mullah) in ven Wäldern von Tfchun- fesfan vernichtet. Abernoch bedürfe ed großer Anftreng- ungen, um dad glüdlich begonnene Werf zu vollenden; er rufe daher alle Belenner des Islam zum Kampfe auf gegen die Ungläubigen, um. die Perle der Freiheit aus dem Schlamm der Knechtfchaft zu ziehen. Wer jebt den günftigen, von Allah felbft offenbarten Augenblid unge: nuͤtzt vorübergehen lafle, dem werde er nimmer wieder- fehren, und Sklaverei hienieven und ewige Verdammniß dort oben werde fein Loos fein.

Der Aufruf hatte den gewünfchten Erfolg. Nach und nach verfammelten fich die Fühnften Männer des Dagheitan unter Kafl-Mullah’8 flegreichen Fahnen. Zu den einfluß- teichften von Ihnen gehörte Iraſy, ein Neffe des Schamchals von Tarfu und ehemaliger Herrfcher von Kaſaniſchtſcha; fein Beifpiel bewog eine Menge Tſchetſchenzen, fih Kafi« Mullah's täglich wachſender Heerfchaar anzufchließen.

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Sechſtes Capitel.

Vvortſetzungen. Tarku und Burnaja; ein Schlachtgemaͤlde.

Tarku *) (auf den meiſten Karten fälſchlich Tarki geſchrieben), der Hauptort einer gleichbenannten Landſchaft an der Oſtküſte des Kaspimeeres, iſt eine umfangreiche, teraffenförmig am Abhange eines hohen Berges gelegene Stadt, deren unanfehnliche platte, nach aflatifcher Weife roh aus Stein aufgeworfene Häufer ſich bi8 zum Fuße des Berges herunterziehen, und faft das Anfehen haben wie Foloffale, unregelmäßig in den Feld gehauene Stu- fen. Die obern Häuferfchichten find theilmeife von riefigen Tannen und Eichbäumen überfchattet, welche in- mitten der regello8 aufgethürmten Steinmaffen einen äußerft malerifchen Anblid gewähren. Cine üppige Vegetation umkleidet die Flanfen des fteil aufragenden Berges, auf deſſen Gipfel eine von Sermolow erbaute, über Meer und Land hindrohende Feftung prangt, genannt

*) Tarku, eine ehemals fehr bedeutende, jebt gefunfene Stabt, hieß früher Semender, fpäter Derefoll-(d. i. Thaldecke), woraus ber Name Tarku gebildet if. (v. Fraͤhn, Ibn-Zozzlan, p. 65.)

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Burnaja oder „die Stürmifche.” Das Fort erhielt diefen Namen wegen der häufigen und anhaltenden Stürme, welche auf der Bergfuppe toben und oft große Verwüſtungen anrichten. on

Auf diefe, die Stadt Tarfu beherrſchende, dem An- fhein nach uneinnehmbare Feftung hatte Kafi-Mullab ſchon feit Lange. ein Augenmerk gewandt; der Beſitz von Burnaja und Tarfu war das nächfte und größte Ziel fei- ned Chrgeizes ;-fpäterhin gedachte er Derbend zu erobern und fich dann nach und nach aller bedeutenden Pläße der faspifchen Meeresfüfte zu verfichern.

Der Murfchid begann feinen denfwürbigen Zug gegen Tarku um die Mitte des Maimondes 1831. Kaum . noch eine Tagreife von ‚der Stadt entfernt, hatte Kaft- Mulah in den Schluchten des Aoules Atlaba (Atly-Buiny) mit den in Eilmärfchen herbeigezogenen Truppen des ©eneralmajors v. Taube ein hartnädiges Gefecht zu ber ftehen. Die Muriven erfämpfen einen glänzenden Sieg, erobern den Aoul, und Baron Taube muß fich, gefchlagen, zurüd ‚nach der Linie flüchten. Es bedarf faum ver Erwähnung, wie ermuthigend diefe Vorgänge auf Die Kriegerfchaar Kaſt⸗Mullah's wirken mußten, welche bereits in der Nacht auf den 26. Mai flegreich Ihren Einzug in Tarku hielt. Und nun folgt eine Reihe von Tagen fv vol des Mordend und Blutvergießens, daß felbft die graufen Annalen ded Kaufafus wenige Beifpiele ähnlicher Art darzubieten vermögen. Nur einige Scenen des furchtbaren Schaufpield werben wir, verfuchen in leichten Umriffen andeutungdweife hervorzuheben.

Burnaja liegt," wie wir eben befchrieben, auf dem

24%

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Bipfel des Reilen Berges, an deſſen Abhange die Stabt Tarku erbant if. Ein enger, von einer flarfen Mauer gedeckter Weg führt zu der einzigen am Fuße des Berges fpringenden Quelle, aus welcher die Befagung ihren Wafferbebarf jchöpft. Etwa in der Mitte des Weges wird die Mauer von zwei ſchuͤtzenden Seitenthürmen überragt; dicht daneben befindet fich der Bulverfeller, Kaſt⸗Mullah's Plan nach der Eroberung von Tarku war, fich vor Allem der Quelle und des Pulverkellers zu bemächtigen, um fo die in der Feſtung eingefchloflenen Feinde ohne Waffen⸗ gewalt zur Webergabe zu zwingen.

Die Rufen, denen Alles daran liegen mußte, diefen für fie fo verderblichen ‘Plan zu vereiteln, machten drei verzweifelte Ausfälle gegen die mit wilden Gefchrei auf die Quelle zuſtürzenden Bergvölfer, wurden jedoch jedes⸗ mal mit großem Berlufte zurüdgefchlagen. Troß des ohne Aufhoͤren von der Feſtung unterhaltenen Kanonenfeuers und der zermalmenden elsblöde und Steine, welche ganze Reihen der ftürmenden Tſchetſchenzen zurüd in die Tiefe Ihleuderten, hatten ſich letztere Doch in kurzer Zeit des Pulverkellers bemächtigt und waren eben befchäftigt, ſich in den für fie Eoftbaren Bund zu theilen, als plöglich eine von der Feſtung aus geworfene Granate unter bie beute- frohen Bergföhne fprang. Das Pulver fing Feuer und in demſelben Augenblide erfolgte eine Erplofion, welche die Stadt und den Berg und die Feflung darauf erzittern machte, als drohten fie felber zufammenzuftürzen. Es don⸗ nerte und frachte, als wäre die ganze Erde aus ihren Fugen gegangen; NRiefenflammen und Rauchfäulen, vers mifcht mit Belsftüden und zerfchmetterten Leichen, ſchoſſen

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durch die Luft wie Auswürfe eines feilerfpeienden Ber- ges. Hunderte von Kriegern fanden ihren Tod in dem felfenzerfprengenden Flammengifcht.

Die Bruſt des Berges hatte das Feuermeer erſchüt⸗ tert, aber Kaſi⸗Mullah's ſtarke Bruft erfchütterte es nicht. Mit erneuerter Wuth feste er die Belagerung fort; die ganze Nacht hindurch wurde ein Iebhaftes Feuer unter- halten. Am folgenden Tage, als der Waffermangel in der Feſtung anfing fühlbarer zu werden, wagten die Belager- ten einen legten, verzweifelten Kampf um den Beſitz der Duelle. Das Blut floß in Strömen, aber ed wurde fein Waſſer daraus; Die Quelle blieb in den Hänven der Zichetfchenzen, und die vor Durft verfchmachtennen Sol: daten mußten fih aufs Neue gefchlagen in. ihre oͤden Feſtungsmauern flüchten.

Schredlih war das Echaufpiel und das Gefrach des in die Luft gefprengten Pulverkellers geweſen, aber fchred- licher noch war das Heulen und Wehllagen ver lechzen- den Menfchen und Thiere in der Feſtung Burnaja. Der dritte Tag brach an und die Roth erreichte ven höchften Gipfel; die einzige Hoffnung, welche den Muth der Be lagerten noch aufrecht hielt, war die Ausſicht von dem mit einem ftarfen Detafchement berbeirüdenden General Kachanow bald entfegt zu werden. Einige glüdlih der Wachſamkeit der Tfchetfchenzen entfchlüpfte Boten hat- ten dem General einen Zettel vom Kommandanten über- bracht, der mit wenigen Worten Die unglüdliche Lage der Beſatzung ſchilderte.

Schon hielt Kaſt⸗Mullah alle Höhen rings um Burnaja befegt und war eben auf dem Punkte, das Fort mit Sturm

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zu nehmen, ats Trommelfchlag und Kanonendonner die Nähe der anrüdenden Ruffen verkündete. Die Feſtung war ge- rettet; aber noch eineö miehrtägigen furchtbaren Kampfes bes durfte es, ehe ed der Uebermacht der Feinde gelang, Kaſi⸗ Mullah aus Tarku zu vertreiben; und als die Ruffen ihren Einzug in die halb in Trümmern. liegende Stadt hielten, fanden fte die Straßen buchftäblich mit Leichen gepflaftert.

Der Muth der Berguölfer war durch die Kämpfe von Tarku nur gewachfen, nicht gefunfen. Ste hatten ihre Kraft einem mächtigen Feinde gegenüber erprobt, und folgten willig ihrem Führer zu weitern Unternehmungen. Nach einer Raft von wenigen Tagen brach Kaſi⸗Mullah wieder auf, durchzog das tarku'ſche Gebiet und unterwarf im Siegesfluge alle am Fluſſe Sulaf gelegenen Aoule. Die unterworfenen Stämme wurden gezwungen, fich feinem Zuge anzufchließen, fo daß der bei dem Sturme von Burnaja erlittene Berluft bald wieder erfegt war. Inzwifchen hatte General Emanuel eine bedeutende Truppenabtheilung zus ſammengezogen und lieferte Kaſi-Mullah eine Schlacht, in welcher Letzterer jedoch Sieger blieb, und mit reicher Beute beladen nach den Wäldern non Tſchunkeskan zurüdfehrte.

Die eben erzählten Ereigniffe waren im Auguft des Jahres 1831 vorgefallen. Es ging damals das Gerücht von neuen Feinpfeligfeiten der. Perſer, und. die rufftfchen Truppen verließen eiligft ihre Stellungen im füolichen und mittlern Dagheftan, um nach Schirwan zu marfchiren; nur einige Bataillone der Derbend'ſchen Garnifon blieben zurüd.

Kafi-Mulah ließ dieſen günftigen Zeitpunft nicht unbenugt vorübergehen. Er erfcheint mit feiner Schaar auf den Bergen von Sfamsfeh, dem Orte der gemein-

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Siebentes Cayitel.

Die Schlacht bei Himry. Kaſi⸗Mullah's Lob.

In wwiſchen war Generalmajor Kachanow von ſeinem Poſten abberufen worden und Oberſt Miklaſchewski an feine Stelle getreten. Kaſi⸗Mullah, welchen Familien⸗ - “angelegenheiten nach Himry riefen, übergab, während feis ner Abwefenheit, ven Oberbefehl feinem treuen Waffenge⸗ fährten Hamfab-Beg. Der tapfere Miklaſchewoki, die Abweſenheit des Imam benutzend, überfiel Hamſad⸗Beg unverfehens in feinem Lager von Tſchunkeskan, mußte jedoch feine Kühnheit mit dem Leben büßen; feine Sol» daten aber, wuthentflammt über den Tod ihres geliebten Führers, Fämpften fo lange fort, bis der Feind aus feis ner Stellung vertrieben war. Das war das lekte namhafte Gefecht im Sahre 1831. Der mit Heftigfeit hereinbrechende Winter machte auf eine Zeitlang die Kampf: fuft der Streiter des Glaubens erftarren und überzog mit feinem weißen Tuche die bintgefärbten Schluchten und Berge des Dagbeftan, einem ehrfurchtgebietenden Greife gleich, der, dem Feuer der Jugend längft entfremdet, ploͤtz⸗ lich in die Mitte aufgeregter, lärmenver Kinder irit und

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alsbald durch fein Erfcheinen den Lärm verftummen macht. Raum hatte jedoch das Sächeln ver Frühlingsfonne die Schneefrufte hinweggefchmolgen von der Bruft der neuverjüngten Erde, ald mit dem Zwitfchern der Vögel auch das Getümmel des Kriegs wieder laut wurbe in den Aoulen der Muriden. |

Kaſt⸗Mullah wandte fi dießmal mit feinen Schaa- ren der Faufafifchen Linie zu und erfocht glänzende Siege zwifchen den Städten Kisljar und Wladikaukas. Immer furchtbarer für die Ruflen wurden. die Streifzüge ber Muriven, fo daß der Oberbefehlöhaber, Generaladjutant v. Rofen, es für nöthig fand, einen entfcheidenden Schlag zu ihrer Bernichtung zu wagen. Er flellte ſich felbft an die Spite des rufftfchen Heeres, durchzog plündernd und verwüftend das Land der Tfchetfchenzen, überfchritt den Seulaf, nahm die Feſtung Myjutlach und drang über Temir-Ehan-Schura gegen Himry vor. Ihn begleiteten auf diefem Zuge Generallieutenant Weljaminow, Fürft - Dadian und der tapfere Kluke von Klugenan.

Himry Liegt dem Aoule Erpeli gegenüber, auf einem - fteilen, ungugänglich ſcheinenden Felſen am Koißu. Der Meg dahin ift, befonderd vom Lande der Tichetfchenzen aus, mit unfäglichen Schwierigfeiten verbunden. Nachdem man vom Aoule Kharapat aus einen mit ewigem Schnee bevedten Bergrüden überftiegen, gelangt man auf einen fchmalen, in den Fels gehauenen Yußfteg, welcher ſich etwa eine Stunde weit neben fchroffen Bergwäuden und tiefen Abgründen hinzieht, füch fpäter mit der Straße von Erpeli vereinigt, und in einen Engpaß ausläuft, ver zu dem mit einer dreifachen Mauer umgebenen Himry führt.

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Sechs Tage, vom 11. bis 17. Oktober, dauerte der mühe- volle Zug. Nach verzweifelten Kampfe bemächtigten fich die Ruffen des Engpafles und des -benfelben beherr- ſchenden Yeldrüdens, wo Weljaminow das ſchwere Ges ſchütz aufpflanzte und ein mörberifches Feuer auf Himry eröffnete.

Kaſt⸗Mullah's auf den legten Zügen ſchon bedeu⸗ tend zufammengefchmolzene Schaar wurbe von den Trups penmaffen der andringenden Beinde buchftäblich über- ſchwemmt und verminderte ſich noch von Stunde zu Stunde. Biele, welche, nur der Gewalt weichenn, feiner Prophetenfahne gefolgt waren, wurden ihm untreu und gingen zu den Ruſſen über. Selbſt Hamfad-Beg, der mit feinen Kriegern bei dem Aoule Irhane fland und auf defien Beiftand er am meiften gehofft Hatte, fagte ſich von ihm los; feinem Beifpiel folgten noch mehrere andere Unterbefehlöhaber *).

Nur fein treuer Gefährte Schamyl und die tapfern Männer von Himry blieben ihm zur Seite in ver Stunde der Roth. Mit viefem Keinen Häuflein wagte er e8, dem unüberfehbaren Ruſſenheer zu trogen. An Sieg war nicht zu denken, dad wußten Alle bis auf den letzten Mann,

#68 muß hier bemerkt werden, daß die Ruffen ſchon feit lange fräftig dahin gewirkt hatten, den Ruf bes neuen Propheten beim Bolfe zu fohmälern und jeine Beflrebungen in’s Lächerliche zu ziehen. So ließen fie unter anderem eine Dienge in arabifcher Sprache und nad Kafl-Mullah’s Weife abgefaßte Sendfchreiben verbreiten, welche nothwendig widerfprechende Gefinnungen beim Volke, das den Betrug nicht ahnte, erzeugen mußten. Selb Hamſad-Beg wurde eine Zeitlang durch ein folches, serie bearbeitete, falſches Send⸗ ſchreiben getäufcht.

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und Flucht war auch unmöglich, denn rings umber hiel⸗ ten die Feinde alle Päſſe und Anhöhen befekt. Es blieb feine andere Wahl übrig, als ſich dem Feinde zu ergeben oder Fämpfend zu flerben. Die Helvenfchaar wählte das Iestere. Eine Abtheilung der Muriden hatte fich in den die Mauern beherrfchenden Thürmen feftgefebt, wo fie, Berfe aus dem Koran fingend, fich mit beifptellofer Aus⸗ dauer vertheipigten, bi8 fie unter den Trümmern der von der ruffifchen Artillerie in wenigen Stunden zerftörten Feftungswerfe begraben wurden.

Am Morgen des 18. Oktobers hielten die Ruffen ihren Einzug über Die rauchenden Trümmer von Himry; aber noch hatten fie ein furchtbares Handgemenge zu bes ftehen, dad mehrere Stunden hindurch mit unbefchreibli- her Wildheit wüthete. Die kahlen Felſen von Himry, die vor Kurzem noch goldig fchimmerten im Glanze der Mor⸗ genröthe, wurden jest roth gefärbt vom Blute ihrer ers fchlagenen Kinder. Kaſi⸗Mullah fiel, umgeben von fechzig feiner "treueften Muriden. Ihre Feinde tragen Zeugniß, daß fie ald Helden gefallen. Ruffifche Officiere, welche dem Gemetzel vom Himry beigewohnt, erzählen noch jetzt mit Bewunderung von der Kaltblütigfeit, dem Helden⸗ muthe und der Umficht, die Kaft-Mullah in der Hiße des Gefechts entwidelte. Und als er fterbend niederfanf, da waren feiner Treuen fo wenige geblieben, daß fie den Körper ihres erfchlagenen Führers nicht mehr zu retten vermoch- ten. Sie drängten ſich wüthend heran durch Die Kugeln und Bajonette der Feinde und fielen bis auf den letzten Mann. Schamyl fanf zu Kaſi⸗Mullah's Füßen nieder, von zwei Kugeln durchbohrt; er wurde für tobt auf der

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Wahlſtatt gelaffen; wie er fpäter entfommen, ift eben fo

räthielhaft, als fein Entweichen aus dem Belfennefte von.

Achulgo.

Die Ruſſen fanden den von vielen Kugeln durch⸗ bohrten Leichnam Kaſi⸗Mullah's in einer Lage, welche die rohſten Krieger mit. Ehrfurcht und Scheu erfüllte. Mit ver linfen Hand hatte er feinen langen, fchönen Bart

- umfaßt, mit der rechten, hoch ausgeftredten Hand gen

x

Himmel weijend. Das Gefiht trug den Ausorud einer fo großen Ruhe und Heiterkeit, ald ob er nicht im Ges tümmel der Schlacht, fondern inmitten eines ſchönen

Traumes geftorben. Er hatte ſich nämlich, ſehend daß.

Alles verloren war, betend auf die Knie geworfen. und mit der rechten Hand nach Dften gewiefen, ald ihn bie tödtende Kugel traf.

Fu . % %

Mit der Erftürmung von Himry und dem Tode Kaſi-Mullah's glaubten die Ruffen den Kriegen im Dagheftan auf immer ein Ende gemacht zu haben. Der fiegeöfrohe General. v. Rofen erließ. daher unverzüglich folgende Proflamation an die Völker des Dagheſtan: „Die Gerechtigkeit und die Strafe Gottes haben den Ruheſtörer und Ketzer Kafl-Mullah erreicht. Er, die vor⸗ nehmften feiner verblendeten Anhänger und eine Menge der von ihm betrogenem Menfchen find von der Erbe vertilgt. Die fiegreichen rufftfchen Waffen haben bie bis» ber für unerfteigbar gehaltene Schlucht von Himry ers ftürmt. Die Bewohner dieſes ruchlofen Aouled fagten zwar, daß die Rufen nur mit dem Regen zu ihnen ge-

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langen fönnten, aber fle vergaßen in ihrer Verblendung, daß auch Steine von ven Felfen herabrollen und daß Donner und Blitz die Böfewichter vertilgen.“

„Möge dieß den Keinden der Ruhe ein Beifpiel fein; mögen fie reuevoll zu der mächtigen Regierung Rußlands ihre Zuflucht nehmen, und fie werben von der gewohn- ten Güte des erhabenen Monarchen Berzeihung erhalten. Aber folte es in Zukunft noch Jemand wagen, die Uebel⸗ gefinnten wieder aufzuregen und die Ruhe zu ftören, fo wird unausbleibliche Strafe ihn ereilen. Nicht Berge noch Wälder, nicht Schluchten noch Klüfte werden ihm Zuflucht bieten; überall werden die Aufrührer und Verräther von unfern fiegreichen Truppen erreicht und beftraft werden. Das Schickſal ver Galgai, der Tfchetfchenzen und vieler anderer Stämme, und zulegt das 2008 der Bewohner von Himry ift euch ein Beweis für die Wahrheit meiner Worte. Wer Ohren hat, der höre und begreife.“

* % 2.

Kaſi⸗Mullah war gefallen; aber der Tod des Hel- den follte feinen Feinden verderblicher werden, als ihnen fein thatenreiches Leben geweſen. Die Ruflen trugen frobs lodend feinen Falten Leichnam zur Schau umber, um ven Schaaren, die einft unter ihm gekämpft hatten, zu zeigen, dag mit ihm ihre legte Hoffnung: der Freiheit geftorben fei. Als aber die abtrünnigen Stämme ihren erfchlagenen Führer in der ehrfurchterweckenden Stellung fahen, wie wir fie oben gefchildert haben, ſchwanden alle ihre Zwei⸗ fel über die Wahrheit feiner Lehre und vie SHeiligfeit feines Waltens auf Erden. Er hatte ja fein Wort mit

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feinem Blute beftegelt; er war gefallen als ein Helb in der Männerfchlacht gegen bie Unterbrüder feines Glaubens, fterbend noch dahin deutend, wonach er im Leben geftrebt, nach dem Urfige der Freiheit und bes Lichtes. Das Ge- bet hatte ihn zum Kampfe gerufen, und der Kampf zum Gebete, und er wurbe als ein Heiliger verehrt von Allen, die ihn überlebten, Sein Tod hatte die eiferien Herzen der Männer des Gebirged weich gefchmolzgen, und an der Stätte, wo noch eben der Schlachtengott. feine Blige und Donner fchleuderte, da erfchallte jeßt ‚Heulen und Wehklagen.

Der dichte Pulverdampf ſtieg, ſich allmählig zerthei⸗ (end, in weißen Woͤlkchen zum Himmel auf, die im Glanze der untergehenden Sonne durch die Lüfte hinfchwebten, lichtumfloffenen Geiftern gleich, als ob es die Seelen der Erfchlagenen felber wären, derweilen unten-im Abend- fehimmer die feuchtrothen Felſen von Himry ſich audftred- ten wie biutlechzende Zungen der Erde.

Mit Kafi-Mullah’8 Tode endet die erfte ‘Periode der Religiondfriege im Dagheſtan.

Achtes Eapitel.

Borbemerkungen. Hamſad⸗Beg's Leben und Top.

Die folgenden Schilverungen in ihren Grund- zügen ebenfalls dem fchon mehrfach erwähnten, ruffifchen Manuferiptg entnommen bilden eine gevrängte Zufam- menftelung der Aufzeichnungen Habfhi *)-Murad's und dagheftan’fcher Mullah’s, welche, für das ruffifche Intereſſe - gewonnen, thätigen Antheil an den damaligen Bewegun⸗ gen nahmen. Daher der Umftand, daß ihre Mittheiluns gen ganz von ruffifchem Geifte durchweht find und uns die Schattenfeiten im Charakter der Bergnölfer mit den grelfften Farben malen. Aber eben deßhalb haben wir es vorgezogen, das uns überfommene Material nur zu ord- nen und finngetreu zu verbeutfchen, ohne in der Haupt- fache die mindefte Aenderung vorzunehmen, was zu Gun- ften der Bergvoͤlker Leicht hätte gefchehen fönnen. Es wird

©) Hadfhi Heißt der Pilger; Jeder, der eine Pilgerfahrt nach Mekka, over auch nur zur Kerbslah gemacht, befommt das Wort Hadſhi als ehrenvolle Aupgeiguung feinem Namen vorgefept.

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durch unfer Verfahren die Sache von allen Seiten belench: tet und ‚jedem Vorwurfe parteiifcher oder einfeitiger Auf: faffung vorgebeugt. Die Thatſache, daß Hadfhi-Murad, nachdem er das ruffifche Regiment acht Jahre hindurch erprobt hatte, reumüthig zu Schamyl überging und feit- dem des Imam's erfter Raib und Bertrauter ift, fpricht lauter zum Nachtheile der Ruflen, als alle Worte thun könnten.

- Der Murſchid Mullah- Mohammed war auf bie Schreckenskunde von Himry fogleich nach Irhana geeilt, um ben betroffenen Hamſad⸗Beg *) durch feinen ‘Priefter- fegen zum Radhfolger Kafi-Mullah’8 zu weihen. Doch fchien feit dem Tode des tapfern Führers alle Bewegung im Dagheftan aufgehört zu haben, denn im Laufe Des Jahres 1833 wurde die Ruhe weder von Seiten Ruß- lands, noch der Bergvölker geftört.

Die Ruſſen glaubten ihre Feinde genugfam gedemü⸗ thigt und fie aller Luft zu künftigen Empdrungen beraubt zu haben; fle dachten nicht daran, daß fich die Bergvöl⸗ fer nur die nöthige Ruhe gönnten, um unter Hamſad⸗ Beg's Leitung Vorbereitungen zu einem neuen und furchts barern Aufftande zu treffen.

Der Eindrud, welchen Kufi-Mullah’8 Heldentod auf die Rachgebliebenen hervorgebracht, war zu tief und feiers lich, ald in einem Jahre verwifcht werben zu Fönnen;

*) Die Wörter Beg und Béy (etwa dem deutfchen Worte Fürft entfprechend) find dem Sinne nach gleichbedeutend und nur in der Ausfprache verfchieden. Im Dagheſtan fagt man Beg, in den Ländern am Schwarzen Meere hingegen Bey.

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386 Hamfad-Beg bedurfte daher mehr des Zügels, als des Sporns bei denen, welche zu feinen Bannern gefchworen hatten: Durch feine Klugheit gelang es ihm, fogar eine Menge ruffifcher Soldaten für fich zu gewinnen, und ba er alle Ueberläufer, welche Zuflucht bei ihm fuchten, mit befonderm Bertrauen und Freundlichkeit behandelte, fo vermehrte fich Die Zahl derfelben von Tage zu Tage. Sogar Dffictere gingen zu ihm über und unterftügten ihn durch ihre Kenntniffe bei den Feftungsarbeiten und der Organifation feiner Truppen*). Es Flingt feltfam, if aber eine erwiefene Thatfache und fehr bezeichnend für den Charakter Hamfad-Beg’s, daß er aus ruffifchen Sol- daten feine Xeibwache bildete, welche er durch: dad unum- fchränfte Vertrauen an fich zu fetten wußte und die ihn niemals, weder im Felde, noch zu Haufe verließ. Er muß ein großer Kenner des menfchlichen Herzend gewefen fein, daß ed ihm gelang, in rufftfchen Soldaten, welche von jeher nur wie das liebe Vieh behandelt: worden, das Be⸗ wußrfein ihrer Menfchenwürde und Treue und Ehrgeiz zu weden. Hamſad-Beg benußte, wie fchon gefagt, fait das ganze Jahr 1833 zu Vorbereitungen für das fol- gende Jahr. Nur einen einzigen Ueberfall wagte er gegen den Aoul Chergow im mechtulinifchen Gebiete. Seine Gegner waren Achmed-Chan von Mechtuli, Abu⸗Muſſelim (der jegige Schamchal) und ver Kadi von Akufcha. Die

2) Wir erwähnen bier nur den bekannten Branowsky, welcher fpäter wieder von den Ruffen gefangen genummen und nach Sibirien verbaunt wurde. Die hierauf Bezug babenden Bupiere befinden fich im Ardive des Statthalters zu Tifie.

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drei Gegner wurden geſchlagen und Hamfad-Beg trug einen glänzenden Sieg davon. Diefer Sieg belebte das Vertrauen der Truppen zu ihrem Feldherrn, und galt ihnen ald glüdliche Vorbedeutung für bie Unternehmun- gen des folgenden Jahres. Mit Anbruch des Frühlings 1834 hielt Hamfad-Beg bei dem Aoule Gotfatl ein Heer von 12,000 Mann ver: fammelt. Diefer in Amwarien, etwa 18 Werft öftlich von Chunſach gelegene Aoul enthielt zu ver Zeit gegen’ 40 Gehöfte mit durchgängig reichen Einwohnern. Hamfad- Beg hatte diefen Ort zu feiner einftweiligen Reſidenz oder zum Goncentrationspunfte feiner Streitfräfte auserfehen ; er konnte von hieraus bequem nach allen Richtungen des Dagheftan bin operiren, und-zugleich Im Fall der Noth leicht eine Zuflucht in den amarifchen Gebirgen finven, wenn ihm die überaus günftige Lage des Ortes nicht Schuß genug mehr gewährte. Die Befeftigungsarbeiten wurden demnach ohne Zögern mit allem Eifer begonnen und ausgeführt. Doch bald erfannte Hamfad-Beg, daß er zur Sicherung feiner Macht vor Allem darauf bedacht fein "müßte, fih ganz Amwarien zu unterwerfen, ehe -er zur Ausführung feiner Pläne gegen die Ruffen fchreiten könnte. Seine erfle Unternehmung war gegen Chumach gerichtet, jenen volfreichen Aoul, der uns fchon durch Die Niederlage, welche Kafi-Mullah einft hier erlitt, befannt ift. Alle Felder und Dörfer, welche er auf feinem Schredend- zuge berührte, wurden der Verwüſtung preißgegeben. An- gefichts der alten Refivenz der Herricher von Awarien ſchlug er fein Lager auf, und ſchickte Abgeordnete an den jungen Chan, Abu-Nunzal, welchen er auffordern ließ, 25%

388 fih zu unterwerfen oder Die neue Lehre anzunehmen, und mit. den Religionsfämpfern gemeinfchaftliche Sache zu machen.

Obgleich der junge Chan die Unmöglichfeit einfah, der überlegenen Macht Hamſad-Beg's zu widerftehen, und obgleich fich ihm nirgends eine Ausficht auf fremde Hülfe darbot, ſo war er Doch nicht zu bewegen, ven An- forderungen der Abgeordneten Folge zu leiften.

Die Chanin Pachu⸗-Biké, die Mutter Abu⸗Nunzal's, biefelbe, welche, wie wir oben gefehen haben, im Jahre 1830, die Schafchfa in der-Hand, ihr Volf zum Siege führte, beſchloß dieſes Mal, ftatt Widerſtand zu leiften, ihren Sohn in's Lager Hamfad-Beg’s zu fchiden, um Frievensunterhandlungen anzufnüpfen.

Abu⸗Nunzal machte Schwierigkeiten, fih dem Auf trage feiner Mutter zu fügen.

„Mein Sohn fagte diefe zu ihm wenn Du zu feige bift, Dich unferm Yeinde gegenüberzuftellen, oder zu ftolz, um die Rolle eined Unterhändlerd bei ihm zu fptelen, fo werde ich mich felbft zu Hamſad⸗Beg in's Lager begeben und ihn um Frieden bitten.“

Abus Nunzal’d jüngerer Bruder, Omar-Chan, ein Süngling von 16 Jahren, endigte den Streit damit, daß er fich erbot, den Auftrag feiner Mutter zu vollführen, und faum hatte er die Zuftimmung der Chanin erhalten, als er fich unverzüglich zu Hamfad-Beg in's Lager begab.

Schon war ein ganzer Tag verfloffen, feit Omars Chan Ehumach verlaflen hatte, und vergebend erwartete man feine Rüdfehr. Die Chanin wurde durch die lange Abwefenheit ihres Sohnes beunruhigt. Sie beftürmte Abus

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Runzal mit Bitten, feinem Bruder zu folgen und zu fehen, was aus ihm geworden fel.

„Sag’ Hamfad-Beg redete fle zu ihm daß er uns in Ruhe laffe, und unfer Gebiet verfchone! Ich gebe ihm mein fürftliches Wort, daß ich feinen Kämpfen - gegen die Ruffen Feine Hinderniffe in den Weg legen, auch indgeheim für ihn wirfen werde, fo viel meine Kräfte vermögen, nur kann ich nicht offen mit ihm gegen die Ruffen gemeinfchaftliche Sache machen. Er weiß felbft fehr wohl, daß wir feit langen Jahren Bundesgenofien der Ruffen find und daß unfere Haupteinfünfte aus den Geldern und Gefchenken beftehen, welche der Kaifer ung fendet. *

„Ich gehorche Dir, Mutter erwiderte der junge Ehan Du Fennft die Treulofigfeit Hamſad⸗Beg's nicht! Es if Dir nicht genug, einen Sohn feiner Gewalt geopfert zu haben, Du willſt auch den andern verlieren. Aber ich gehorche Dir und gehe!

Entfchlofien ließ Abu-Nunzal flugs 200 feiner fühn- ften Reiter auffigen und jagte mit ihnen Hamfab-Begs Lager zu.

Die Reiter hatten ſchon die Hälfte des Weges zu- rüdgelegt, als ein plöglich ausbrechendes, furchtbares Ungemitter fie zwang, umzufehren. So heißt ed in dem und vorliegenden Berichte. Wir glauben indeß annehmen zu dürfen, daß ed weniger das Ungemwitter war, welches Abu⸗Nunzal bewog, Befehl zur Rückkehr zu geben, als der in ihm bei ruhiger Ueberlegung aufgeftiegene Gedanke, es fei weder Flug noch vorfichtig gehandelt, begleitet von 200 bewaffneten Reitern, im Lager Hamſad-Beg's zu

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erfcheinen. Zu offenem Wiverftande dad mußte ihm einleuchten war diefe Schaar zu, Elein, und als bloßes Gefolge zu groß. Auch nahm der junge Chan, ald er fich nach wenigen Stunden wieder auf den Weg machte, Died Mal nur acht Nufer *) ald Begleiter mit. Ohne weitere Hinderniſſe fam er im Lager an. Hamfad-Beg empfing feinen fürftlichen Gaft mit_fo tief unterthäniger Freund⸗ lichkeit und fulchen Beweiſen von Chrerbietung, wie fie im Orient fonft nur der Sflav feinem Gebieter erzeigt. AS die üblichen Begrüßungen und gegenfeitigen Schmeichelreden vorüber waren; Iud Hamfad-Beg feinen jungen Gaft ein, ihm in fein Zelt zu folgen, um Die Friedensunterhandlungen zu beginnen; insgeheim aber gab er feinen Leuten Befehl, Abu-Runzal fammt den acht Rus fern zu ermorden. Der treulofe Weurivenhäuptling trat, ald ob er etwas anzuordnen hätte, einige Schritte zurüd, und in bemfelben Augenblide donnerte ein Regen von Kugeln auf Abu⸗-Nunzal und feine Begleiter nieder. Tſcho⸗ nan⸗Beg, ein Neffe Hamſad's, warf fich wie ein Raſen⸗ der auf den, in Folge ded Lärms, aus dem Zelte herbei⸗ geeilten Omar⸗Beg; beide feuerten zu gleicher Zeit ihr Piftol auf einander ab, und beide fanfen getroffen nieder. Omar-Chan war auf der Stelle getöbtet; Tſchonan-Beg lebte noch” einige Minuten. Abu⸗Nunzal, obwohl von 2 Kugeln getroffen, war nur leicht verwundet; fchäumend vor Wuth ob des fchändlichen Verrathes, zieht er feine Schafchfa, wirft fih auf die Muriden, tödtet und ver: wundet mehrere, und fucht aus dem Zelte zu entkommen.

*) Nuker bewaffnete Reiter.

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Aber am Eingange fteht ein Einwohner von Chunfach, Machmed, der Sohn Hadſhi-Jaf's, eines alten Muriden Hamfad-Beg’d. Machmed verfeßt dem fich durchdraͤngen⸗ den Chan mit der Schaſchka einen furchtbaren Hieb über's Geſicht. Der junge Chan ſucht mit der vorgehaltenen linken Hand dem dick hervorquillenden Blutſtrome Einhalt zu thun, und wirft ſich, die Schaſchka in der Rechten, wüthend um ſich hauend, auf den Haufen feiner Feinde.

Ueber 40 Muriven fol Abu Nunzal in jenem vers zweifelten Sampfe' theild getöbtet, theils ſchwer verwundet haben. Diefe. Angabe, obgleih von vielen Augenzeugen betätigt, muß europäffchen Ohren etwas fabelhaft Elingen; bedenft man aber die Seltenheit ded Falle, daß Aſiaten gegen herrfchende Fürſten das Schwert ergreifen, und die tiefeingewurzelte Ehrfurcht, welche beſonders die Völker des Dagbeftan von jeher für ihre Begd und Chane heg- ten, fo begreift man, daß die wilde Tapferfeit, welche Ehan Abu-Runzal in diefem Todeskampfe entwidelte, feine Gegner mit Schreden und Scheu erfüllen mußte, und ihren Arm gleichſam lähmte. Bon diefer Seite betrachtet, gewinnt die Sache an Wahrfcheinlichkett.

ALS der junge’ Held noch fo wüthete und der Schre- den umd die Verwirrung am größten geiworden war, trat plötzlich Mulah-Schamyl, Hamſad-Beg's Unterbefehls⸗ haber und erſter Murid, unter die Menge und rief den Weichenden mit höhniſcher Stimme zu: „Feiglinge! Ihr ſeid ausgezogen gegen das zahlloſe Heer der Rufſſen zu kämpfen, und ein bartlofer Knabe jägt euch in die Flucht? Schande über euch!“ In demfelben Augenblide um— praffelte ein Hagel von Kugeln des jungen Abu-Nunzal’s

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Haupt und der Ungiüdtiche ſrürzte todt zu Boden nieder. Faſt ohne allen Widerſtand hielt nun Hamſad⸗Beg feinen Einzug in Chunſach, die alte Hauptftapt von Awarien. Der erfte Schritt, welchen. er in ver neu unter- worfenen Stadt that, war, den Befehl zur. Hinrichtung der 6Ojährigen Herrfcherin Pachu-Bife zu geben. Der ſchönen Helena *), Gattin des gefallenen Abu-Nunzal- Chan, welche zu der Zeit fohwanger ging, wurde das Leben gefchenkt, unter der Bedingung, daß fie einwillige, nach der Entbindung, Hamfad-Beg’s Gattin zu werden. Am folgenden Tage erfchten bei Hamfad-Beg Der, den ruffifchen Oberfttitel führende Sſurchai⸗Chan, in der Hoff- nung, von dem Muridenhäuptling zum Chan von Amarien eingefegt zu werden. Sfurdat war Dſhanka aus dem Gefchlechte der Chane von Awarien, und erhielt durch General Jermolow's Bermittlung den Titel Chan und Oberftenrang. Der verfchmigte Hamfad-Beg, welcher die Gründe der Anwefenheit Sfurchai-Chan’s fehr wohl kannte, fragte ihn anfcheinend aufmunternd: „Sfurchai, willft du Chan von Awarien werden ?" „Wenn deine Gnade mich folcher Stelle für würdig hält, antwortete Sſurchai, fo nenne mich Chan von Awarien und ich werde dein treufter Sklave fein." „Du ftrebft zugleich nach dem Göchften und Niedrig⸗ fien wandte Hamfad-Beg ein Herrfcher und Die- ner fein, wie läßt ſich das vereinbaren? Haft du wohl

: =) Sie ift eine Schwefter des jetzt noch lebenden Schamchals Abu-Muſſelim.

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gefehen fuhr er fort wie ich deine Brüder um's Leben gebracht habe?”

„Sch habe e8 gefehen entgegnete erzwungen lächelnd Sfurhai und du Haft recht daran gethan, denn fie haßten dich und waren deine Feinde. Allah hatte ihr Leben in deine Hände gegebet und du haft ed genoms men.” Hierauf fprach finfter Hamſad⸗Beg:

„Db fie meine Feinde waren oder nicht, konnte Dir gleich gelten, aber fie waren deine Brüder, und wenn nur ein Funke von Ehrliebe und Muth in dir gewefen wäre, fo hättet du fie gegen ihre Moͤrder vertheidigen müffen. Und ein fo ehrlofer und feiger Schurfe wie du, will über Awarien herrfchen und unter meinen Fahnen kämpfen!“

Und nad diefen Worten befahl Hamfad-Beg einem feiner Muriden, Sſurchai den Kopf vom Rumpfe zu tren⸗ nen, ohne ihm jedoch feine Waffen abzunehmen.

Tſchonan⸗Beg, derfelbe, melcher Omar-Chan getödtet hatte, war, in Bolge feiner Wunden, eben dem Verſcheiden nahe, al8 er feinen alten Bater auf ſich zufommen ſah. „Bater, Vater! rief der Sterbende ich habe meine Hand gegen einen Menfchen aufgehoben, welchen wir zu den Herrfchern unferes Volks zählten, aber Allah hat es fo gewollt und meinen Arm geführt. Eine Bitte noch babe ich an dich, ehe ich von Hinnen gehe, und du wirft mir troß meiner Verbrechen die Gewährung diefer legten Bitte nicht verfagen. Mich ängſtigt das Schidfal des unglüdlichen Bulatſch⸗Chan *); du haft Feinen Sohn mehr,

a) Bulatſch⸗Chan der jüngfte Bruder Abu-Nunzal:Chan’s war ein Milchbruder Tfchonan:Beg's, und zu der Zeit, wo er in unferer Erzählung auftritt, etwa 11 Jahre alt.

394 wenn ich fterbe, nimm Bulatfch-Chan an Sohnesftatt zu dir, daß er nicht feinen Feinden in die Hände falle. Nimm ihn zu dir und erziehe ihn, daß er einft tüchtig werde, den Thron der Herrfcher von Awarien zu befteigen. Berfprich mir meine Bitte zu erfüllen, und ich werde rubig fterben im Vertrauen auf Allah's Gnade, und du wirft in Bulatfch-Chan eine Stüße deines eigenen Glückes pflegen.“ Der Greis verfprach dem letzten Wunſche feines fterbenden Sohnes zu willfahren, nahm Bulatſch⸗Chan unter feinen Schug und entfam glüdlich mit ihm nach dem Aoule Gotſatl. Nach der Ermordung der greifen Ehanin Pachu⸗Biké fiel ganz Amwarten ohne Schwertftreich in die Hände des Imam Hamfad-Beg. Doch war damit feinen diesjährigen kriegeriſchen Unternehmungen noch keineswegs ein Ziel geftedt. Nach einer kurzen Raft brach er mit einem Heere von 5000 Mann in den Stamm Andi ein, in der Abficht, dieſes Gebiet dem Chanat von Amarien einzuverleiben. Die Einwohner von Andi jedoch, welche auf feinen Angriff vorbereitet waren, festen ihm fo’ tapfern Widerſtand entgegen, daß er unverrichteter Sache wieder abziehen mußte. Zurüdgefehrt nach Chunfach, verftärfte der Imam fein Heer auf 15,000 Mann und brad damit nach dem Aoule Kuba, im Zudufarifchen Kreife, auf. Der Aoul wurde nach Furzer Gegenwehr ge: nommen und Hamſad⸗Beg fchidte darauf einige feiner . vertrauteften Muriden an die Häuptlinge des Stammes von Akuſcha ab, um diefe auffordern zu laſſen, fich mit ihm zu verbinden und gemeinfchaftlih gegen die Ruffen zu Fämpfen, widrigenfall® der Imam fich offen als ihr Feind erklären, ihre Aoule verwüften, ihre ftreitbaren

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Männer tödten und ihre Weiber in die Sefangenfchaft führen würde, auf daß dieſe mit feinen Kriegern Kinder erzeugten, denen Freiheitsſinn und Ruſſenhaß angeboren.

In Folge dieſer Botfchaft beriefen Mohammed, der Kadt von Afufcha, und Aſſlan *), der Kadi von Zudukar, die Melteften ihres Volkes zur Berathung, und Kadi Mohammen eröffnete die Berfammlung mit folgenden Worten:

„Ihr Ulema, Mullah's und Wortführer der waffen: tragenden Männer von Dargo! Hamfad-Beg, der Imam, bat zu und gefandt, um und zum Aufftande gegen unfere Freunde, Die Ruſſen, zu reizen und und zu zwingen, mit ihm gemeinfchaftliche Sache zu machen. Er drohet ung, unfere Aoule zu zerftören und unfere Weiber in die Ges fangenfchaft zu führen, falls wir feinem Begehren nicht Gehör geben wollen. Ihr Einwohner von Dargo! Ihr wißt, daß im Dagheitan Fein Volk zu finden, welches ung an Macht und Anfehen gleichzuftelen ſei; der Ges ringfte unter euch ift mehr als jener Dihanfa-Hamfad, der ed wagt, uns durch feine fehimpflichen Drohungen zu beleidigen und mit und zu fprechen, wie ein Herr mit feinen Knechten. Sollen wir ſolche Schmach dulden und und, diefem Aufiviegler zu gefallen, dem zermalmenden Zorne des großen Kaiſers, unferes Schusherrn, ausſetzen, unter deſſen fehüitender Gewalt wir im Frieden und Ans» fehen leben und Geld und Gefchenfe vollauf haben? Sollen wir uns ohne Schwertftreich dem Empörer unter-

*) Wird eigentlih Arslan gefchrieben, im Dagheflan aber « Afflan ausgefprochen. Arslan heißt im Türfifchen der Löwe. |

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werfen, um alfo vor allen Bölfern des Dagheftan zu Schanden zu werden? Wir müflen das Schwert ergrei⸗ fen, denn die Gefahr iſt nahe, aber nicht für Hamſad, fondern gegen ihn wollen wir es führen. Ruft alle Männer eures Stammes zum Kampfe auf gegen Hamſad⸗ Beg; Allah wird euch im Himmel dafür lohnen, und der - große Padifchah der Ruffen auf Erden!“

Durch folche und Ähnliche Reven wußten die Kadis und Wortführer von Dargo und Zudukar, welche fämmt- ih Ereaturen der mit Ehrenbezeugungen und Gefchenfen im Kaufafus fehr verfchwenderifchen Ruflen waren, das Bolf, im Intereſſe der Legtern, zum Aufftande gegen Hamfad-Beg aufzuwiegeln. Alles griff zu ven Waffen, und der Imam wurde, obwohl mit nur geringem Verlufte, nach Chunſach zurüdgefchlagen. Ohne ſich durch dieſen erften mißlungenen Verſuch abfchreden zu laffen, bereitete fit) Hamfad-Beg in Chunſach zu einem neuen, nachdrück⸗ lichern Angriffe gegen Afufcha und das Gebiet des Schamdald von Mechti vor. Er glaubte mit feinem neu ausgerüfteten Heere in Furzer Zeit alle Länder des Dagheftan unterwerfen zu Fönnen, und ahnte, in der Mitte feiner weitausfehenden Pläne, nicht, welch’ ein furchtbares Un- gewitter fich inzwifchen drohend über feinem Haupte zufammenzog.

Zwei Brüder: Ofiman und Habfhi-Murab *), wo⸗ von der erfte 22 und lepterer 20 Jahre alt war, Mildy- brüder des von Tichonan-Beg erfchlagenen Omar-Chan,

=) Derfelbe, von welchem ein großer Theil dieſer Aufzeichnungen herrühtt.

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hatten ſeit längerer Zeit. als Muriden im Heere Hamſad⸗ Beg's gedient, und durch oft bewieſene Tapferkeit und Geiſtesgegenwart in hohem Grade das Vertrauen des Muridenhaͤuptlings erworben.

Als ſich eines Abends Oſſman und Hadſhi⸗ ⸗Murad, in Gegenwart ihres ſechzigjährigen Vaters, ſelbſtzufrieden von ihren Kriegszügen und kühn ausgeführten Streichen unterhielten und ſich gegenſeitig ihrer Tapferkeit rühmten, unterbrach ſie ernſt der Alte mit den Worten: „Ihr folltet Euch fchämen von Thaten zu ſprechen, die Euch und Eurem Gefchlechte zur Schande gereichen, und Euch unwürdig machen meine Kinder zu heißen.” Die Söhne fahen erftaunt den zürnenden Bater an und Eonnten nicht begreifen, womit fie feine bittern Vorwürfe verdient hatten.

„Sultan Achmed fuhr der Alte fort war einer der edeliten Fürften, die je über dieſes Land ge- herricht haben. Er vertraute mir feinen Sohn Omar zur Erziehung an und ich wurde des jungen ‘Bringen zweiter Bater. Ihr aber wurdet zu Brüdern des jungen Ehan’s erhoben und alfo Sultan Achmed's fürftlichem Gefchlechte gleichgeftelft. Und weit Ihr etwa nicht, daß Hamſad-Beg, defien Anhänger Shr ſeid, verfelbe ift, der Omar-Ehan erichlagen? Und ftatt nad) Männerfitte ven Erfchlagenen zu rächen, ven Ihr einft Bruder genannt, entblövet Ihr Euch nicht, mit den Thaten zu prahlen, die Ihr im Dienfte deſſen vollbracht, der Eures Bruders Mörder war! Ich bin alt und ſchwach geworben in Gram, und mein Arm vermag kaum noch den. Kinfhal*) zu führen, aber ich

*) Kinſhal Dold.

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ſchwoͤre bei Allah, noch ehe Euch der Vogel des Morgens zum. zweiten Male weckt, wird ſich Diefer Arm rächend gegen Hamfad erheben; dann mögen fie mich binden und fortführen und tödten, verweilen Ihr Euch Eurer Helden- thaten rühmt und, gleich den Weibern des Imams, in Frieden und Eintracht unter einem Dache mit ihm lebt.“

Die Worte des Alten brachten einen tiefen Eindruck auf die Söhne hervor, und ihre fenerfprühenden Augen füllten fih mit Thränen an.

„Bater riefen Beide wie aus. Einem Munde wir wälzen den Rachefchwur von Deiner auf unfere Seele; morgen fällt Hamſad⸗Beg durch unfere Hand, und wenn uns Allah das Leben fchenkt, fo werden wir nicht anders ald mit weißem Antlige *) vor Dir erfcheinen.“

Höchlich lobte der erfreute reis das Vorhaben fets ner Söhne, und begleitete die ſich Entfernenden mit fei- nen Segenswünfchen.

Es gelang den vereinten Beftrebungen Ofiman’s und Hadfhi-Murad’s, 40 Männer, theild Verwandte,

*) Mit weißem Antlige d. h. alsdann wird der Schandfled, welcher auf ung liegt, getilgt fein. Nach den Worten des Koran werden auch nach dem Tode die Geſichter der Seligen weiß, und Die der Berdammten fchwarz fein.

©. 3te Sure: Die Familie Amran’s (Amran heißt bei Moham- med Jofeph, der Vater der Maria):

An jenem Tage werden Einige weiße, Andere ſchwarze Geſtch⸗ ter haben. Zu denen, welche ſchwarze Gefichter haben, wird Gott fagen: Seid Ihr Ungläubige geworden, nachdem Ihr Gläubige ge: weien? Nun fo nehmet hin die Strafe Eures Unglaubens. Die aber, deren Gefichter weiß find, werden die Gnade Bottes genießen und zwar ewiglih.

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theil8 Freunde, auf ihre Seite zu bringen und zu Theil⸗ nehmern ihres gefährlichen Vorhabens zu machen. Im Haufe des Baterd der beiden Brüder fand die Berfamm- lung und Berathung ftatt. Nachdem der Greis fie Alle in einer ernften Rede zur Beharrlichkeit: in der Ausfüh- rung ihres Vorhabens ermahnt, nahm er den Koran und ließ fle beim Buche der Bücher ſchwoͤren, Niemanden ihr Geheimuig zu verrathen und nicht eher zu ruhen, bis Hamfad-Beg nicht mehr unter den Lebenden wandle. Die Ausführung des Mordanfchlages wurde auf den Dſhuma (Freitag), ald den zweiten, dem Abende der Berathung folgenden Tag verlegt, an welchem Tage Hamfad-Beg zur beftimmten Stunde die Mofchee zu befuchen pflegte.

Zu der Zahl der 40 Verfchworenen gehörte auch der und and dem Vorhergehenden ſchon bekannte Murid Mohammed⸗Hadſhi Jaf, ein Vetter Ofiman’d und Hadfhi- Murad’&, derfelbe, welcher bei jener Schredensfcene im Lager Hamſad⸗Beg's dem. jungen Chan Abu-Nunzal den tödtlichen Hieb in's Geftcht verfegt hatte. In der Nacht, welche der Berathung folgte, ſchlich der Treulofe, unein- gevenf feines Schwured, zu Hamſad⸗Beg, wedte ihn, um ihn vor der über des Imams Haupte ſchwebenden Gefahr zu warnen und ihm Alles bis auf ven Flein- ften Umftand mitzutheilen, was er von dem Sergange der Verſchwörung wußte. Der forglofe Hamfad-Beg, ein- gedenf der Dienfte Oſſman's und Hadſhi-⸗Murad's und der vielfachen Beweife von Anhänglichkeit, welche fie ihm gegeben, hörte Mohammed-Hadſhi-Jaf's Erzählung an, ohne ihr Glauben beizumeffen, entließ den Muriden und fchlief ruhig wieder ein.

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Am Morgen des verhängnißvollen Tages erfchien der beforgte Anfläger auf’d Neue beim Imam, warnte ihn nochmald mit ernften Worten vor der immer näher ‚ziehenden Gefahr und befchwor ihn beim Koran, an dem Tage nicht die Mofchee zu befuchen.

Noch immer wollte Hamfad-Beg den Worten des Muriven feinen Glauben fchenfen, und beftand darauf, in die Mofchee zu gehen; als aber Mohammeb-Hapfhi- Jaf immer heftiger in ihn drang, verfprach der Imam, zu feiner Beruhigung, beim Befuche der Mofchee foldye Borfichtsmaßregeln anzuwenden, daß fein Leben auf kei⸗ nerlei Weife gefährpet werden fönne. Er ließ einen Be⸗ fehl durch ganz Chunfach ergehen, daß fein Einwohner wagen folle, an dem Tage bewaffnet in der Moſchee zu erfcheinen; wer dieſem Befehle zuwider handle, fei dem Tod verfallen. Am Eingange der Mofchee waren zuver- läflige Schilowachen aufgeftellt, um jeden Eintretenden einzeln zu unterfuchen. Der Imam felbft umgab ſich mit 100 feiner treuften Muriden, welche Befehl hatten, auf ein gegebene Zeichen (während des erften Gebetes) Oſſman, Hadſhi⸗Murad und ihre Mitverfchwornen nie- derzufchießen, falls fie. in der Mofchee erfcheinen follten.

Schon aus dem Befehle Hamfad-Beg’d, Niemand folle bewaffnet in der Mofchee erfcheinen, mußte den Vers fhworenen flar werden, daß ihr Vorhaben entvedt fei. Aber wer war. der Berräther? ever hielt den Andern dafür, und aus Furcht vor des Imam’d Rache fagten fich Alle ohne Ausnahme von Oſſman und Hadſhi⸗Murad, den Anftiftern der Verfcehwörung, 108. Beftürzt eilen vie beiven Brüder nach Haufe, um ihren Vater von der

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Berrätherei in Kenntniß zu fegen und fich mit ihm über ihr weiteres Verhalten zu berathen.

„Schande, Schmach über die feigen DVerräther, die Gotteöläfterer! rief zornig der Alte aus aber ich hoffe, meine Kinder, Ihr ſeid Männer genug, den heilis gen Schwur zu halten, ven Ihr mir gefchworen habt. Daß Euch, wenn wir Abfchien nehmen, meine Augen nicht wiederfehen, bevor Ihr den Mörder meines Omar getödtet!" Ald um die Mittagsftunde ver Muezzim vom Minaret herab die Gläubigen zum Gebete rief, prängte fi dad Volk von allen Seiten in fo dichten Haufen durch die offene Pforte der Moſchee, daß die zu beiden Seiten derfelben aufgeftellten Schildwachen Mühe hatten zu un⸗ -terfuchen, ob die Kintretenden mit oder ohne Waffen erſchienen.

Als Oſſman und Hadſhi⸗Murad ſich zu ihrem ver⸗ haͤngnißvollen Gange rüſteten, reichte ihnen der Alte ein Panzerhemde, welches er ſelbſt einſt in ſeiner Jugend ge⸗ tragen. Hadſhi⸗Murad, der Jüngere von Beiden, wollte das ſchützende Stahlgewand feinem Bruder Oſſman ab- treten, dieſer aber warf es Hadſhi über mit den Worten: Nein Bruder, nimm Du es! ich habe zwei Jahre länger gelebt als Du; wenn einer von uns ſterben muß, ſo iſt es gerecht, daß mich das Loos treffe. Darauf verbargen beide in den Hintern Faltenwürfen der Tſchucha *) Dolch und Piftolen, warfen eine Burka **) um und gelangten,

fih unter das zum Gebete eilende Volk mifchend, in die

“) Tſchucha tatarifches Oberkleid. *a) Kurzer Bilzmantel mit Rauchwerk auf der Außenfeite. 26

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Mofchee. Der Imam war noch nicht angefommen. Die Brüder ließen fich in der Mitte der Mofchee nieder, gerade der großen Pforte gegenüber, durch welche der aus dem Serai der Chane kommende Hamfad-Beg feinen Weg nehmen mußte. Als der Imam von feinen auf Botfchaft ausgeſchickten Murivden erfahren hatte, daß Oſſman und Hadſhi ohne Waffen erfchienen ſeien, begab fich ver ge⸗ fürchtete Murfchide, umringt von einer zahlreichen, bewaff⸗ neten Murivdenfchaar in den Tempel des Propheten. Unter denen, welche ihm zur Seite gingen, machte fich durch feine ſtolze Haltung, fein ernfted Geſicht und feinen Feuer⸗ blick befonders Einer bemerkbar: Diefer Eine war Scha⸗ muyl oder, wie er von den Ruffen genanntwird, Schamyl, der Lieblingdmurivde und Rathgeber des bei Himry geful- lenen Murfchiven Kafi-Mullah. Zwei Muriden eröffneten den Zug mit gezogener Schaſchka; alle übrigen trugen ein fcharfgeladenes Gewehr in der Hand. Kaum war der Imam in dad Haus getreten, als fich Offman erhob und zum Volke gewendet laut und vernehmlich die Worte fprach: „Was folgt Ihr nicht meinem Beifpiele und erhebt Euch zum Zeichen der Ehrfurcht! Seht Ihr nicht, mit welch’ Friegerifchem ®epränge der große Murfchid Hamfad-Beg feinen Einzug hält in das Haus des Pro⸗ pheten? «

Betroffen über dieſe Kühnheit ließ Hamſad die beis den Brüder vor fih kommen und fragte mit drohender Stimme: „Ihr Verräther habt Euch verfchworen, mich zu ermorden? Aber ich fenne Eure Anfchläge, und werde Euch zu ftrafen wiffen !“

Oſſman und Hadihi -antworteten beide wie aus

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Einem Munde: „Wir haben gefchworen und halten unfern Schwur!“ und in demfelben Augenblide feuerten beide ihr Piſtol auf den Imam ab, welcher auf der Stelle todt niederfanf. Ein dumpfes Schweigen folgte Diefer Scene, "der Schwuͤle zu vergleichen, welche einem Gewitter vor: hergeht. Berwirrung und Unentfchloffenheit malte ſich auf allen Gefichtern. Doch kaum hatte fich der Pulverdampf verzogen, der wie eine ſchützende Wolfe die beiden Brü- ber umhüllte, als des Gefallenen Muriden ſich von allen Seiten herjudrängten und ihre Piftolen auf die Mörder abfeuerten. Oſſman fiel von mehreren Kugeln durchbohrt; Hadſhi-Murad aber blieb am Leben, welches er theils feinem ftarfen Panzer, theild der Behendigfeit zu ver: danfen hatte, mit welcher er fich gleich nach dem Ab» feuern zur Erde niedergeworfen, fo daß die Kugeln über feinen Kopf wegpfiffen.

Die Mofchee der Chane von Awarien, obgleich im Aeußern allen übrigen Mofcheen ded Dagheftan gleich, ift im Innern von eigenthümlicher Bauart. Wir werden verfuchen, eine Eurze Befchreibung davon zu geben. Man denfe fih ein fchmales, langes, vierediges, malfived Gebäude mit glattem, fteinernem Dache und Stuffatur- arbeit von innen wie außen. Der einzige Schmud der innern Wände find fchön gemalte Sprüche aus dem Koran. Die Mitte der Mofchee ift der Länge nad) von zwei Reis ben niedriger Säulen durchfchnitten, welche die von den Wänden auslaufenden, hochgewölbten Bogen tragen. Diefe Bogen find fo groß und folgen fo dicht aufeinander, Daß fie die Mofchee gleichfam in’ zwei dunkle Galerien theilen,

wo das Tageslicht nur fpärlich durchdringen kann. Man 2%

404 wird demnach leicht folgern Fönnen, weldhe Dunfelbeit hier berrfchen mußte, als die an und für fich ſchon fo büftern Räume durch den in diden Wolfen aufſteigenden Pulverdampf noch mehr verfinftert wurden.

Koch fanden Alle verwirrt und betäubt da, daß Haus des Herrn fo plöglich in einen Kampfplag umge: wandelt zu fehen. Hadſhi-Murad benugte den günftigen Augenblick, mifchte fich unter das Volk und rief: „Ihr Männer von Chuwal! Hamfad, Euer Zwingherr, liegt erfchlagen da von meiner Hand, auf und fteht mir bei, auch die verhaßten Muriden, feine Anhänger, zu tödten!” “Da erhob fich ein allgemeines Gefchrei unter dem Volke: „Nieder mit ven Muriden!“ Verborgen gehaltene Waffen alfer Art funfelten unter den ſchwarzen Burfen und fals tigen Gewändern hervor, blanke Dolche glikerten durch den Pulverdampf, wie Blitze durch die Wolfen, und bie weiten Räume ded Tempels hallten graufig wieder von wildem Gefchrei und Piſtolengekrach. Auf allen Seiten entfpann fich ein verzweifelted Handgemenge, und ftatt des Mullah's feierlichem Gebete erfchallte ringsum Todes⸗ röcheln, Stöhnen und Kampfgefchrei; das Haus des Herrn wurde roth gefärbt mit dem Blute feiner erfchla- genen Kinder. Die, Müriven wehrten ſich wie Helden, _ aber die meiften von ihnen fielen von der Wuth und der Uebermacht des Volkes von Chunſach, deſſen Haufen ſich von Minute zu Minute vermehrten. Nur dreißig Muri⸗ den kamen mit dem Leben davon und retteten ſich in die Burg der Chane, entſchloſſen, ſich dort bis auf den letzten Blutstropfen zu vertheidigen. Das Volk drängte ſich wüthend nach und verſuchte die Burg zu erſtürmen, welche

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jedoch, obgleich großentheild aus Holz; aufgeführt, ihrer günftigen Tage wegen faft uneinnehmbar war. Die Schwie- rigfeiten wurden noch vermehrt durch den verzweifelten Widerftand, welchen die Belagerten den Stürmenden ent» gegenfegten. Da rieth Hadſhi⸗Murad feinen Gefährten, die Burg zu fprengen ober in Brand zu ftedfen, und die Muriden lebendig darin zu verbrennen. Der Vorſchlag wurde mit allgemeinem Jubel angenommen und in weni- gen Stunden fchlugen die‘ Flammen lichterloh aus den Zimmern der alten Burg der Chane von Chunſach empor. Die Murivden fielen theild im Gefechte, theild gaben fie fich felbft deg Tod, indem fie ſich aus den Fenftern ber Burg herunterftürzten; nur zwei blieben am Leben: ber erfte und furchtbarfte, Imam Schamyl, der wie durch ein Wunder immer allen Gefahren zu entrinnen fihien, ents fam unbemerft; der andere, der treulofe Mohammeb- Hadſhi⸗Jaf, derfelbe, welcher Hamfad-Beg das Geheimnif der Verfchworenen verrathen hatte, fiel, ſchwer verwundet, den Stürmenden in die Hände.

„Das iſt unfer Bruder fchrie rachedürſtend Hadſhi⸗ Murad derfelbe, welcher auf den Koran gefchworen, Hamfad zu tödten, und ftatt defien und an den Tyrannen verrathen hat! Nehmt und verbrennt ihn lebendig, daß feine ſchwarze Seele im euer geläutert werde!” Das . raſende Volf nahm den unglüdlichen Mohammed-Hadfht- Jaf und warf ihn in die Flammen, wo er bald unter furchtbaren Martern verſchied. So war dad Ende ber Herrfchaft des Imam Hamfad-Beg in der Hauptitadt der Chane von Amarien!

Als Hadſhi-Murat nach Haufe zurüdgelehrt war,

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smarmte ihn fein Bater unter Thränen und fagte: „Ich danfe Dir, mein Sohn, für dad, was Du gethban; Du haft mich wieder jung gemacht! Der Mörder Omar’s ift gefallen dur Deine Hand; eine neue Burg wird iwie- der aufgebaut werden in Chunfach, und ein frifcher Zweig aus dem Heldenftamme der alten Sultane wird wieder herrichen über Awarien! Ich beflage den Tod meines Sohnes Ofiman nicht, er ift eines fchönen Todes geftor« ben; er ift gefallen wie ein Held im Kampfe für die Rets - tung jeined Baterlandes, Angeſicht zu Angeficht feinen Feinden, wie ed den Männern vom Dagheftan geziemt.“

Hadihi- Murad bemächtigte ſich einfingeifen, unter Zuftimmung des Volks, der Herrfchaft von Awarien. Er ließ es feine erfte Sorge fein, alle von Hamſad⸗Beg geraubten, der Familie der ermordeten Pachu-Bife gehö- rigen Koftbarfeiten in Sicherheit zu bringen. Darauf fchidte er zu allen der Herrfcherfamilie von Awarien befreunde« ten Fürften: zu Arslan-Chan von Kaſikumych, zu dem Schamchal von Tarku und zu Achmed⸗Chan von Mechtuli, um fie von dem Vorgefallenen in. Kenntniß zu fegen; zu- gleich fandte er einen genauen Bericht über Alled an die ruffifche Oberbehörde ab.

Hadfhi-Murad forderte Die obengenannten, fhmmtlich dem erfchlagenen Abu-Nunzal-Chan verwandten Yürften auf, einen aus ihrer Mitte zu wählen, um fortan vie Herrfchaft in Ehunfach zu führen; aber Feiner wollte fich dazu verftehen, fo fehr hatten feit Pachu⸗Bike's Ermor- dung die Schredfensereignifie in Chunfach Aller Gemüther mit Furcht erfüllt.

Er wandte fih daranf an die ruffifche Behörde und

bat um Hälfstruppen, um Gotfatl zu entfegen und das immer noch zahlreiche, obwohl zerftreute Heer Hamſad's zu verjagen allein auch bei den Ruflen fand er feine Hülfe. Während folchergeftalt Hadſhi⸗Murad die Ordnung wieder herzuftellen ſuchte und fich bei allen befreundeten Stämmen vergeblich nach Unterftügung umfah, waren bie Monate Mai und Juni ohne weitere Ereignifie von Ber lang verftrichen. Inzwifchen hatte fich der Imam Schamyl _ an die Spihe der zerfirenten Schaaren Hamſad⸗Beg's geftelt und rüdte gegen Chunſach an, um die Stadt mit Sturm zu nehmen. Doch fand er bier fo fapfern Wider: fand, daß er fh gezwungen fah, unverrichteter Sache wieder abzuziehen. Er verftärfte fein Heer bis auf 6000 Mann und unternahm einen zweiten, nachdrüdlichen An- griff, und diesmal wäre der Sieg in feinen Händen ge- weien, wenn nicht Hadſhi-Murad durch beifpiellofe. per- fönliche Tapferfeit und Geiſtesgegenwart die weichenven Einwohner wieder in's Gefecht geführt hätte; Schamyl mußte fich mit einem Berlufte von 90 Dann zurüdziehen. Doch auch Hadſhi⸗Murad's Verluft war bedeutend gewefen, und die Unmöglichkeit einfehend, fich. länger gegen ven fich zu einem dritten Sturme rüftenden Schamyl zu behaupten, fchidte er einen Eilboten zum damaligen Oberbefehlähaber, Baron v. Rofen, mit der Nachricht, daß ganz Awarien in die Hände Schamyl's fallen würde, wenn nicht unver: züglich. ruffifche Hülfstruppen einrüdten. Der Oberbefehls- haber traf augenblidlich die nöthigen Anftalten, um dem Begehren Hadſhi⸗-Murad's zu willfahren. Bald hatte Schamyl durch feine Spione die Kunde erhalten, vaß ein ſtarkes ruffifches Heer im Anmarfch gegen Gotſatl

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begriffen fei; er läßt fogleich den Bater des jungen Tchonan-Ehan, deſſen wir weiter oben Erwähnung ge⸗ than, zu fich Fommen, und befiehlt insgeheim einigen Muriden, in Abweſenheit des Alten, deſſen Adoptivſohn Bulatfch-Ehan zu enthaupten und den Kopf des Unglüd- lichen in den Koißu zu werfen. Der Alte hatte, als Schamyl ihn zu fich rufen ließ, ein Vorgefühl der Dinge, die da fommen follten, und empfahl beim Abfchiede fei- ner Frau beforglich, den jungen Bulatfch- Chan ja nicht außer Acht zu lafjen, ihn 100 möglich an irgend einem verborgenen Drte in Sicherheit zu bringen. Aber troß aller Borfichtsmaßregeln der Pflegemutter gelang e8 bald den Muriden, den Aufenthalt des jungen Chaned aus« findig zu machen und fo Schamyl's Mordbefehlen 'nach- zufommen. Hadſhi-Murad, welcher, wie fehon oben bes merkt, in vielen Stüden unfer Berichterftatter gewefen, behauptet, von mehrern Zeugen des Todes des jungen Chand gehört zu haben, daß der kaum zwölfjährige Bulatfch feinen Mördern die Worte zugerufen: „Ihr habt meine Mutter getödtet, Ihr Habt meine Brüder erfchlagen, Ihr. habt unfer ganzed Haus ausgerottet, lapt mich wenigftens am Leben! ich bin noch fo jung, laßt mich noch ein paar Jahre leben; Arslan-Chan von Kaſikumych wird Euch fürftlih dafür belohnen.“ Aber die Mörder hörten auf das Flehen des Knaben nicht, fchnitten ihm den Kopf ab und warfen ihn in den Koißu, nach Schamyl’s, des Murfchiden, Befehle. Mit Bulatjch- Ehan farb der legte Sprößling des alten Haufes der Chane von Awarien; nur die hochfchwangere Wittwe Abu⸗-Nunzal's war noch am Leben.

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Mit der Herrichaft Hamſad⸗Beg's enbigt die zweite Periode der Religiondkriege im Dagheftan.

Hamfad-Beg war von den drei „Hauptperfonen bed großen Dramas, defien Grundzüge wir auf dieſen Blät- tern feftzubalten verfucht haben, die unbedeutendſte. Er befaß weder den Glaubendeifer und den Geift ſeines Vor⸗ gängers, Kafl-Mullah, noch den unbeugfamen Stolz und das Genie feines Rachfolgers Schamyl, welcher, obwohl in unferer Gefchichte im Regiment ver Lebte, durch feine . Thaten der Erfte ift.

Hamſad⸗Beg's Herrfchaft war eben fo Furz in ihrer Dauer, wie ungünftig in ihren &rfolgen zur Verbreitung der neuen Lehre. Seinem frühzeitigen Tode und dem fräftigen Auftreten Hadſhi⸗Murad's allein haben es die Ruſſen zu verdanken, daß fie wieder feftlen Fuß faßten in den Hochſchluchten des Dagheftan.

Wäre Kafi-Mullah ein Jahr länger am Leben ges blieben, oder hätte Imam Schamyl ein Jahr früher das Scepter geſchwungen, welches er feitvem mit fo Fräftiger Hand führt, fo würden die zeitherigen reigniffe im Dagheftan eine ganz andere Wendung genommen haben. Co aber drang auf Hadſhi⸗Murad's Hülferuf ein zahl⸗ reiches ‚ruffifches Heer in Awarien ein, alle Schluchten und Engpäffe ringsumher wurden befegt, alle einigers maßen günftigen Pläge zur Anlegung von Beftungen und Wachthäuſern benugt, und die ruffifche Diplomatie wußte durh Drohungen, Gefchenfe und Berfprechungen aller Art, eine Menge der Eriegerifchften Stämme des Dagheftan auf ihre Seite zu ziehen. Der Tod Hamfad-Beg’d und der Abfall Hadſhi-⸗Murad's hatten eben fo fehr ven Muth

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der Anhänger des gefürchteten Murſchiden gebeugt, als den feiner Feinde erhöht und gefräftige.

Die Schwierigkeiten, mit welchen Schamyl deſſen Lebensgefchichte und Herrfchaft die dritte Periode und dad Ende unferer Aufzeichnungen bilden wird zu Fimpfen hatte, waren unüberfehbar.

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&

Heuntes Eapitel.

Imam Shamyi.

Menn wir” jo lefen wir in dem Tagebuch eines der auögezeichnetften ruffifchen Officiere, welcher lange Jahre im Dagbeftan im Getümmel des Krieges gelebt, mit Sprache, Sitten und Gebräuchen der Völker jenes wilden Gebirgslandes auf's Genauefte befannt war, und deffen Mittheilungen wir die Grundlage gegenwärtiger Blätter zw verdanken haben „wenn wir mit Auf merffamfeit und unparteitfchem Blide den Kriegöbegeben- heiten im Dagheftan folgen, den Vortheil der günftigen Stellung auf der einen, und den Vortheil einer über- legenen Disciplin und Truppenmadht auf der andern Seite betrachten, kurz alle Vortheile und Rachtheile der Ruſſen und der Bergvölker gegeneinander abwägen, und dabei die Thatfache im Auge behalten, daß wir regel- mäßig im Laufe weniger Jahre in diefen blutigen Krie- gen mehr Menfchen geopfert haben, als je unter Schamyl’6 - Befehlen geftanden, fo müflen wir bewundernd zu dem

® *) Die eigentliche Ausfprache des Namens it Schamuyl.

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genialen Feldherrn emporbliden, der an der Spitze eines Häufleind von bunt zufammengewürfelten Kriegern, im Kampfe mit einer jo unendlich überlegenen Macht wie die unfere, fih acht Jahre *) hindurch nicht allein zu behaupten, fondern noch von Jahr zu Jahr fein Anfehen und feine Macht zu erweitern gewußt hat, und immer furchtbarer hervorging aus jedem neuen Gefecht.“

„Wie von des Hammerd Wucht erfchüttert Sich Eifen ftählt, doch Glas zerfplittert." **)

Schamyl, der Prophet, wie ihn feine Friegerifchen Muriden nennen und wie fein Name hundertfach wieder⸗ flingt in den Volksliedern des Dagheftan, wurde geboren zu Ende des vorigen Jahrhunderts (1797) in dem Aoule Himry, im Gebiete der Koigubulinen, wo auch fein großer: Borgänger Ghafi-Mohammen (Kaſi⸗Mullah) fein Leben und feinen Tod fand.

Schon in frühefter Jugend zeichnete ſich Schamyl, fo erzählen die Greife von Himry, durch ein ernfled, vers ſchloſſenes Weſen, unbeugfamen Sinn, Wißbegierve, Stolz und Herrfchfucht auffallend vor feinen Spielgenofien aus. " Seinen von Natur zarten und fchwächlichen Körper fuchte er durch Leibesübungen aller Art zu fchmeidigen und zu ftählen. Wenn bei den im Dagheftan üblichen Kampf—⸗ fpielen der Yugend im Schießen oder Wettrennen ein an⸗ derer den Preis davontrug, fo verzerrte ſich unwillkürlich krampfhaft fein ©eficht, und er ließ ſich dann oft wochen-

*) Diefes wurde zu Anfang des Ja; 18423 gefchrieben. >) Aus Puſchkin: Bultawa.

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lang auf den öffentlichen Plägen nicht fehen, vor Scham und Ingrimm, daß er feldft nicht Steger gewefen. Bon den vielen Gefchichten, welche man fih im Dagheftan aus dem Jugendleben unfered Helden erzählt, möge bier nur eine ihre Stelle finden.

Er war: fchon ald Kind ein begeifterter Verehrer von Raturfchönheiten, und pflegte bei günftigem Wetter allabendlih gegen Sonnenuntergang die kahlen Yelfen von Himry zu erflimmen, deren wilde Pracht einen mäch- tigen Zauber auf ihn ausübte. Zuneben dem höchften diefer Felfen, welcher in wunderbaren Formen gezadt, trotzig inmitten eined unabfehbaren Urwaldes aufragt, dehnt fich eine öde, gleichſam verbrannte Fläche aus, im Dagheftan dur eine Menge alter, fchauerlicher Sagen, die fih daran Fnüpfen, befannt und geheiligt. Die Ein- wohner des Aoules erzählen, daß hier oft zur Nachtzeit aus der Erde lohe Flammen aufiteigen und hoch über die Felfen von Himry emporleuchten *). Dann jchwingt, nad) der Sage, Simurg, der feit Jahrtaufenden im Kaf- Dagh (Kaufafus) thronende weiße Riefenvogel Salomo’s, feine raufchenden Fittige nach diefen Felſen, daß es wie Heulen und Wimmern durch die Luft zittert von dem gewaltigen Flügelfchlag. Und die Peris, die feligen Be » wohner Dihinniftans, des Feenlanded, tanzen in luftigen Reihen um die weithin leuchtenden Flammen her. An diefem heiligen Drte, den fonft nach Sonnenuntergang

=) Einen natürlichen Grund diefer Sage Eünnen wir nur in dem Borhandenfein vieler Naphtaquelien in ber bezeichneten Ebene und Umgegend finden.

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niemand zu betreten wagte, pflegte ſich Schamyl oft bis tief in die Nacht hinein einfam feinen Phantaflen und Träumereien: zu überlaflen. Einſtmals batten fich einige feiner Gefpielen, von ihm durch hochfahrenve, ſpoͤttelnde Reden beleidigt, verabrevet an ihm Rache zu nehmen. Ste paßten ihm zu dem Ende an einem verborgenen Orte auf, wo er,. von feiner gewöhnlichen Wanderung zurüd- fehrend, vorbeifommen mußte, und fielen, fobald fie feiner anfichtig wurden, tobend über ihn her; es entſpann fich ein heftiger Kampf, in welchem natürlich Schamyl der Uebermacht weichen mußte und außer. mehreren Beulen am Kopf und Arm eine gefährliche Verlegung am Unter- feib davontrug. Bon dem großen Blutverluft ermattet, fam er zu Haufe an, verband feine. Wunden fo gut er fonnte, ließ ſich heimlich von einem alten Weibe heilende Kräuter bringen und blieb mehrere Wochen frank auf feinem Lager, ohne jemand auch nur ein Wort von dem wahren Hergang der Sache zu jagen. Er fchämte fich zu geftehen, von andern gefchlagen zu fein. Nur fein ehrwür⸗ diger Lehrer, der weiſe Mullah Dſhelal⸗Eddin erfuhr auf eifriged Nachforfchen die Urfache der Krankheit des jungen Schwaͤrmers. Diefer gelehrte Mullah, welchem Schamyl bie Grundlage feiner umfaſſenden Kenntniffe in ver ara⸗ biſchen Literatur zu verdanken hat, fpielt eine wichtige Rolle im Leben des Helden unferer Gefchichte. Er war der Einzige, dem gegenüber Schamyl fich gehorfam und fchmiegfam zeigte, der Einzige, der ſich rühmen Eonnte, des jungen Starrfopfs unbedingtes Vertrauen zu befigen. Er wußte den ftrebenden Eifer feine® Zöglings zu benügen, um ihn ſchon früh für das Studium des Korand und

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der arabtfchen Philofophen empfänglich zu machen; durch feine Erzählungen aus dem Leben der alten Helven des Jolam fuchte er feines Schülers Sinn für große Thaten _ zu entflammen. Selbft ein eifriger Anhänger des Sufis⸗ mus, fchmeichelte es feiner Eigenliebe, einen Schüler zu befigen, welcher zum Sufi gleichfam geboren war, und er beftrebte ſich, Schamyld natürlichen Hang zu jener weitverzweigten Secte immer mehr Zeftigfeit zu geben.

Dſhelal⸗Eddin lebt heute noch in hohem Alter, und wird. von Schamyl ‚mit wahrhaft rührender Ehrerbietung behandelt.

Schamyl iſt von mittlerem Wuchſe, hat blondes Haar, graue Augen, von dichten, ſchön gezeichneten Brauen überſchattet, eine regelmäßige, edelgeformte Naſe und einen kleinen Mund. Sein Geficht zeichnet ſich von denen ſei⸗ ner Stammgenoſſen durch eine beſondere Weiße der Farbe - und Feinheit der Haut aus. Eben fo auffallend iſt die elegante Form feiner Hände und Füße. Die ſcheinbare Unbeweglichkeit feiner Arme beim Gehen deutet auf ſei⸗ nen verichloffenen Charakter hin. Sein Auftreten tft durch⸗ aus edel und würdevoll. Er ift vollfommen Herr über fich ſelbſft, und übt eine ſtille Herrfchergewalt aus über alle, die in feine Nähe kommen. Eine unerfchütterliche, marmorne Ruhe, welche fich felbft in den Augenbliden der größten Gefahr nicht verläugnet, umfchwebt feine Züge. Er fällt ein Tovesurtheil mit derfelden Ruhe, wie er nach blutigem Gefecht feinem tapferften Muriden den Ehren-

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fäbel überreicht *). Mit Verräthern- oder Verbrechern, deren Tod er einmal befchloffen hat, unterhält er fich ohne das mindefte Zeichen des Zorned oder der Rache zu äußern. Er betrachtet fich gleichfam felbft nur als ein Werkzeug. in der Hand eines Höhern, und hält nach der Lehre der Sufi's alle feine Gedanken und Entichlüffe für unmittel- bare Eingebungen Gottes. So einfchüchternd und ehrfurdht- gebietend ſchon feine äußere Erfcheinung tft, fo begeifternd und hinreißend tft der Strom feines Worted. „Er fprüht Flammen aus feinen Augen und freut Blumen aus fei- nem Munde,” fagte Berfel-Bey zu mir, welcher ihn nad dem Falle von Achulgo einige Tage beherbergte, wo ſich Schamyl eine Zeit lang bei den Fürſten der Dſhighetten und Ubychen aufhielt, um die Stämme am Schwarzen Meer gegen die Rufen aufzumwiegeln. Schamyl if jet 50 Jahre alt, aber immer noch vol Frifche und Kraft; er fol jedoch, wie man verfichert, feit einigen Jahren an einem bartnädigen, ſich immer mehr verfchlimmernden Augenübel leiden. Die Zeit, welche ihm von feinen Ber- waltungsgefchäften übrig bleibt, bringt er mit Leſen des Korand, Faſten und Gebet hin. Selten und nur bei wich⸗ tigen Fällen nimmt er feit den legten Jahren perjönlich Theil an den Gefechten.

Schamyl ift trog feiner faft übermenfchlichen Thätigs feit Außerft fireng und mäßig in feiner Lebendweife. Wenige Stunden Schlaf genügen ihm; zuweilen durchwacht

*) Der Ehrenſaͤbel, welcher auf der rechten Seite getragen wird, während die gewöhnliche Sfchafchfa an der linfen Seite hängt, erfehte früher bei Schamyl die Stelle der Orden. Seit einiger Zeit find auch dieſe bei ihm eingeführt,

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er ganze Nächte, ohne deßhalb am Tage die geringfte Spur von Müpigfeit zu zeigen. Er ißt wenig, und fein einziges Getränk it Waſſer. Seltfamer Weife hat er fich von ruffifchen Veberläufern ein zweiftödiged Haus ganz im ruſſiſchen Gefchmad bauen laſſen. Nach mufelmän- nifcher Sitte hält er mehrere Frauen; im Jahre 1844 hatte er deren drei, worunter feine Favoritin, die foges nannte Dur Haremen (die Perle des Harem), eine Arme- nierin von auögezeichneter Schönheit war. |

Gleich beim erften Auftreten Kaſi⸗Mullah's war Schamyl einer feiner eifrigften Muriven, und genoß das unbedingte Bertrauen des begeifterten Häuptlings. In dem berühmten Gefechte bei Himry, wo Kaſi⸗Mullah fei- nen Tod fand, war Schamyl fein ungertrennlicher Be- gleiter. Er focht noch an feines Führers Seite, ald der Sieg fchon für die Ruflen entfchienen war, er vertheidigte ihn, indem er ihm gleichfam als Bruftwehr diente, und Kaſi⸗Mullah fiel erft, als Schamyl felbft von einer Kugel und einem töbtlichen Bajonettftich getroffen, bewußtlos zu den Füßen des Murfchiven niederfanf. Wir wiflen, daß Kaſi⸗Mullah nach feinem Heldentove vom Volke wie ein Heiliger verehrt wurde; ein großer Theil diefer Verehrung ging auf Schamyl, ded Murfchiden vertrauteiten Freund über, der ihm im Leben und im Tode treu zur Seite geftanden.

Wir haben gefehen, daß der erfte Murfchid Mullah- Mohammen den aus Ootfatl in Amarien ftammenden Hamfad-Beg zum Nachfolger Kafl-Mullah’8 falbte. Auch unter Hamſad⸗Beg's Herrfchaft war Schamyl's Wirken und Einfluß von großer Bedeutſamkeit; er ſoll ed geweſen

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418 fein, welcher Hamſad⸗Beg den Rath zur Ausrottung der raffifchegefinnten Familie der Chane von Awarien gab.

(Da Hamfad-Beg nur fo kurze Zeit an der Spitze der Muriden ftand und feines. Namens heute felten mehr Erwähnung geſchieht, fo wird gewöhnlich Schamyl irr- thümlicher Weife ald Kaſi⸗Mullahs unmittelbarer Nach» folger genannt. Es hat ſich demzufolge im Kaufafus die Sage gebildet, Schamyl fei nach dem Kalle Kaſi⸗Mullahs von zwei Kugeln getroffen ebenfalld tobt zur Erde ge⸗ - funfen. Aber Allah habe ihm neues Leben eingehaucht, und als nach der Schlacht die geflüchteten Muriden zum erftenmal wiever zu Rathe gefeflen, um einen neuen An- führer zu wählen, fei plöglih Schamyl unter ihnen er- fehienen, habe das Obergewand von ſich geworfen und mit der rechten Hand auf die Faffenden Bruſtwunden hingedeutet; und obgleich die Kugeln tief in's Fleiſch eingedrungen, fei aus den Wunden fein Blut mehr ges flofien. Und Alle hätten darin einen Fingerzeig Allah’s erfannt, der ihren Berathungen ein Ende gemacht, indem er Schamyl von den Todten zurüdgerufen, auf daß er herrfche über die Lebendigen.)

Der Murſchid Mullah⸗Mohammed ftarb in hohem Alter, noch" ehe Hamfad-Beg ald Opfer der Verfchwörung Oſſman's und Hadſhi⸗Murad's gefallen war, und es lebte jegt Fein Murſchid mehr, um einen neuen Anführer zu wählen und zu falben. Die Wahl mußte in diefem fchwie- rigen Falle lediglich dem Volke überlaflen bleiben. Unter den vielen ehrgelzigen Muriven, welche fich um die Nach⸗ folge in der Herrfchaft ftritten, waren die mädhtigiten und gefürchtetften Nebenbuhler Schamyl und Taſchaw⸗

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Hadſhi. Lepterer hatte durch feine Gewandtheit und fein: einſchmeichelndes Wefen den größten Theil der Krieger “auf feine Seite zu bringen gewußt; Schamyl aber zählte zu feinen Anhängern den ehrwürbigen Mullah Dfhelals Eddin, deſſen Rathfchläge im Dagheftan für Orafelfprüche galten, und der es durch feinen Einfluß leicht dahin zu bringen wußte, daß Schamyl, fein Schüler und Liebling, einftimmig zum Feldherrn erforen wurde. Auch war un⸗ fireitig der thatfräftige Schamyl der Würdigfte das Scep⸗ ter zu führen, und feinem Nebenbuhler, trog deſſen Fähig- feiten und Kenntniflen, in jeder Hinficht unendlich übers legen. Demungeachtet entipann fich eine hartnädige Feind⸗ fchaft zwifchen den beiden Prätendenten, wodurch dem Siegeswagen der Berguölfer auf lange Zeit ein Hemm⸗ ſchuh angelegt wurde, bis endlich im Jahr 1837 Taſchaw⸗ Hadſhi öffentlich Schamyl's Oberherrfchaft anerkannte. Wie wir im Verlaufe unferer Gefchichte gefehen haben, hatte fih Hadihi-Murad, ald Hamfad-Beg durch feine Hand gefallen war, einftweilen des SHerricheramtes in Awarien bemächtigt, und nach Wieverherftellung der Ruhe die ruffifche Behörde aufgefordert, fchleunigft einen Statt- halter nach Chunfach zu fchiden, der Awarien im Namen des Kaiſers regiere. Der damalige Öberbefehlähaber, Baron von Rofen, beauftragte mit diefer Sendung den Senerallieutenant Laßkoi, welcher zugleich Befehl erhielt, alles zwifchen Temir-Chan-Schura und Ehunfach gelegene Land von Feinden zu füubern. Im Detober des Jahres 1834 rüdte der General mit einer bedeutenden Truppen- macht gegen Himry; der Aoul, welcher bei feiner Fleinen Einwohnerzahl nur fchwachen Widerſtand leiften Fonnte, | 97%

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wurde ohne Schwierigkeit genommen, und Laßkoi berei- tete fich fchon zu weitern Unternehmungen vor, als plößs lich Schamyl mit feinen Muriden beranzog, Himry mit Sturm nahm, die Rufen zurüdichlug und ihnen, trog ihrer überlegenen Truppenmacht, eine bedeutende Nieder lage beibrachte. Auf die Nachricht diefer Schlappe eilte fhleunigft Klüfe v. Klugenau*) aus Temir⸗Chan⸗Schura herbei, drang. bis Ootfatl in Awarien vor, verftirkte feine _ Truppen durch die Flüchtlinge Laßkoi's, zerflörte alle Aoule, welche ihm Widerſtand leifteten (Gotſatl ſelbſt wurde ein Raub der Flammen), und hielt flegreich ſeinen Einzug in Chunfach, wo er den jungen Chan Achmed⸗ Mohammer-Mirza, ven Sohn Arslan-Ehans von Kafl- kumych, zum Herrfcher (unter ruſſiſcher Botmäßigfeit) ein⸗ feßte. Nachdem auf folche Weife die Ruhe wieder herge- ftelt war, z0g Klüfe v. Klugenau nad feinem Stand- quartier Temir-Chan-Schura zurüd. Seit der Zeit find die Rufen im ununterbrochenen Befige von Amarien ge= blieben, welches von Außerft wichtigem Einfluffe für ihre übrigen Kriegsoperationen im Dagheftan war; fie hielten feltvem eine Menge ihnen bis dahin unzugänglicher Schluchten und Engpäffe befegt und ficherten und erleichters ten ihre Communicationen mit den ihnen fchon früher unter: worfenen Theilen des Dagheftan. Die Wichtigfeit des Beſttzes von Amarien wurde damals von den Ruſſen nicht gehörig gewürdigt; erft jeit wenigen Jahren haben fie angefangen, die Vortheile, welche ihnen daraus erwachfen, einzufebhen.

”) Klüfe v. Klugenau, einer ber tapferften Generäle im ruſſiſch⸗ kaukaſiſchen Heere, ift-ein Dellerreicher von Geburt.

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Die Ruhe, welche nach dem Zuge Klüke v. Klugenau's in Awarien herrfchte, hatten die Ruflen weder Mohammed⸗ Mirza noch feinem Nachfolger Achmed⸗Chan von Mechtuli zu verdanken, fondern lediglich dem ihnen damals unwan⸗ delbar treu ergebenen Hadſhi⸗Murad, welcher ihnen fteben Jahre hindurch mit feltenem Eifer und Glück diente und ihre Intereffen auf alle Weife zu fördern fuchte *).

Gleich feinen Vorgängern verfolgt auch Schamyl hart- nädig den Blan, fi) Awariens zu bemächtigen, um vie zerfireuten ihm ergebenen Stämme auf einem ausgedehn⸗ ten Terrain vereinigen zu können und den Ruffen die Communication mit ihren Befigungen im Dagheftan zu erfihweren. Er machte daher, troß feiner wiederholten Un- fälle und trog des Schredens, welchen das plötliche Er⸗ fheinen Klüke v. Klugenau’8 im Dagheftan verbreitet hatte, im Jahr 1835 einen neuen Berfuch, Amwarien zu unterwerfen. Er eroberte den neu aufgebauten, ſtark be- feftigten Aoul Gotfatl und drang flegreich bis Chunfach vor, wurde jedoch von dem fchleunig mit einem zahleichen Heere berbeirüdenden General Reout zum Rüdzuge ge: zwungen, und mußte alle erfämpften Bortheile wieder aufgeben. Ein im Jahr 1836 neu unternommener Ers oberungsverſuch Schamyl’8 auf Awarien mißglüdte auf ähnliche Weiſe, befonders in Folge des tapfern Wider⸗ ftande®, welchen er von Seiten der Awarier unter der An⸗ führung Habfhi-Murad’8 fand. Die Awarier, welche den ihrem Herrfcherhaufe widerfahrenen Schimpf nicht vergeflen

*) Seltfame. Fügung des Schickſals: Hadſhi⸗Murad if jetzt Schamyl's erfter. Naib und der erbittertfte Feind der Rufen.

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fonnten, hatten Schamyl und feinen Muriden unaud- löfchlichen Haß gefchworen, und alle Berfuche, fle durch Lift oder Gewalt auf feine Seite zu bringen, blieben fruchtlos. Die Haupturfache des damaligen Mißlingens der Pläne Schamyl’s tft: in der fortwährenden Uneinig- ‘keit, welche unter feinen Truppen herrfchte, zu ſuchen. Taſchaw⸗Hadſhi, welcher feine Anſprüche auf die Ober berrfchaft noch nicht aufgegeben hatte und mit neidiſchem Auge auf die wachfende Macht feines gehaßten Neben⸗ bubterd fah, ftrebte aus allen Kräften dahin, Schamyl's Einfluß bei den Truppen zu fchwächen und feine Pläne zu vereiteln. Erſt im Jahre 1837 wurde dem unfeligen Hader durch Taſchaw⸗Hadſhi's freiwillige Unterwerfung ein Ende gemacht.

Zwei wichtige Ereigniffe waren es, welche beſonders zur Wiederherſtellung der Einigkeit unter den Truppen und zur Vergrößerung des Anſehens und Einfluſſes Schamyl's beitrugen: das erfte war die furchtbare Niederlage, welche er dem gegen ihn ausgeſandten Grafen Iwelitſch bei Aſchiltach beibrachte (wobei der Graf felbft das Leben eins büßte), und das zweite die amwarifche Expedition des Generallteutenant Feſi. Ä |

General Feſi räcdte mit acht Bataillonen regulärer Trup⸗ pen und etwa 12,000 Mann Bergmilizen aus den rufltfch- dagheftanifchen PBrovinzen, von Derbend aus dutch das Ge⸗ biet von Dargo nad) Ehunfach vor, errichtete dort eine Cita⸗ delle, ließ eine ftarfe Befagung zurüd und warf fich mit feinem Heer auf den Avul Aſchiltach und das Felfenfchloß Achulgo, wo ber tapfere Häuptling Ali-Beg mit einer auderlefenen Schaar Muriden ftand. Doch die Zahl, der Legtern war

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zu Fein, um dem andringenden Heere ver Feinde lange wiberftehen zu koönnen; nach mehrtägiger, bartnädiger Bertbeidigung mußte Ali-Beg das Feld räumen, wenn er fih nicht mit feinen Kriegern dem Hungertode preis⸗ gegeben -fehen. wollte, da ihm die Ruflen ringsumber alle Communifation abgefchnitten hatten. Er fchlug fich mitten durch dad Heer der Feinde und fegte fich in dem Aoule Afchiltach feft, wo er fich mit unerhörter Tapferkeit gegen die Uebermacht der Feinde behauptete *). Achulgo fiel den Ruffen in die Hände, welche die Häufer in Brand fted- ten und bie Feftungöwerfe fchleiften.

General Feft ftand noch vor Afchiltach, als ihm die Nachricht zufam, daß der Oberft Butſchkiew, welcher mit einem Detafchement gegen den Aoul Tilitlä angerüdt war, von Schamyl gefchlagen fei und der gänzlichen Auf- löfung feiner Truppen entgegenfehe, wenn er nicht fchleu- nig Derftärfung erbielte. Der General hob unverzüglich die Belagerung von Achiltach auf, um dem Oberſt Butfchfiew zu Hülfe zu eilen. Das alfo vereinte ruffifche Heer verfuchte den Aoul Tilitlä, wo ſich Schamyl inzwi- ichen feftgefebt hatte, mit Sturm zu nehmen; doch leitete Schamyl, trog feiner geringen Mannfchaft, die Bertheis Digung mit fo viel Umſicht und Tapferfeit, daß nur die Hälfte des Aouls von den Ruffen genommen wurde. Der Verluft, welchen Lebtere bei der Erſtürmung erlitten

=) Es darf nicht überfehen werden, welchen unendlichen Bortheil die Ruffen durch ihre grobes Gefchüß hatten, das den Berguölfern das mals noch gänzlich fehlte. Erſt in den legten Jahren hat ſich Schamyl, lediglich aus den Kanonen, welche er den Rufen im Gefechte genom⸗ men, eine Fleine Artillerie gebildet.

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hatten, war fo bebentend gewefen, daB es ber General für rathfam hielt, ven Kampf für's erfte einzuftellen und fih in dem eroberten Theile des Aouls zu befeftigen. Schamyl that ein Gleiches in der von ihm behaupteten Hälfte. | |

Die Muriden waren eben fo begeiftert, wie Die Ruflen beftürzt über die Kühnheit Schamyls, mit weldjer er es wagte, AngefichtS des Heeres feiner Feinde, und nur Durch wenige Häufer von ihnen getrennt, fein Lager aufzufchlagen.

Zu derfelben Zeit wurden Gerüchte laut, daß fich in Folge ded immer weiter greifenden Einfluffes Schamyl's, in Kuba eine Berfchwörung gegen die Rufen gebildet babe, ferner: daß Kaitach, Tabaffaran und das Eurinifche Gebiet im Aufftande begriffen feien; alles dieſes, fo wie auch das Herannahen der Falten Jahreszeit beftimmte General Feſt, den diesjährigen Feldzug zu beendigen und fih mit den Trümmern feines Heeres in die Winter: quartiere zurüdzuziehen. _

Um jedoch nach fo herben Berluften nicht ganz er⸗ folglo8 das Feld zu räumen, knüpfte er mit Schamyl Unterhandlungen an und drohte ihm mit augenblidlicher Erneuerung der Yeindfeligfeiten, wofern er- fich nicht willig zeigte, auf die ihm vorgefchlagenen Bebingungen einzugehen.

Schamyl war feinerfeits ebenfalls in einer zu be drängten Lage, um nicht willig auf jede Art von Unter- bandlungen einzugehen, vorausgeſetzt, daß dadurch fchleu- nige Entfernung der Ruſſen, feiner Erxbfeinde, bezwedt wurde. && genügte feinem Stolze, daß der Vorfchlag zum Frieden von Seiten der Feinde Fam, welche, trog ber

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vielen Berlufte, die er ibnen beigebracht, feinem Häuflein Helden immer noch an Zahl unendlich überlegen waren.

Die vorgefchriebenen Bedingungen Iauteten wie folgt:

General Feſt verlangte: Schamyl folle in feinem und feiner Muriden Namen dem Kaiſer Unterwerfung geloben und zum Unterpfande feiner Treue Geißeln geben. Schamyl willigte ein unter dem Vorbehalt, daß Fein Ruſſe und Fein Muride bei. dem Schwur der Unterwers fung zugegen ſei. Der General mußte fi, um dem Dinge ein Ende zu machen, gern oder ungern in diefe Gegen⸗ forverung Schamyl’s,.fügen, und fchidte als feinen Stell- vertreter den uns ſchon aus dem Verlaufe diefer Gefchichte befannten Mohammed-Mirza, den Sohn Arslan-EChan’s. Auf dem hoͤchſten Punfte des Aouls, welcher das ruflifche Heer von dem der Muriven trennte, ging ber feierliche Alt vor fi. Somit endete die große Dagheftan’fche Erpedition von 1837.

Wir brauchen für den aufmerffamen Lefer wohl faum erläuternb hinzufügen, daß die oben befrhriebenen Unter: handlungen, von Seiten Schamyl's fowohl, wie von Sei⸗ ten der Ruflen eine bloße Comödie waren, aus welder den Ruſſen fcheinbarer Ruhm und den Bergnölfern wirf- licher Bortheil erwuchs. Diefe Comödie Hat fich feit der Zeit im Dagheftan faft alljährlich wieberholt. Immer wenn die Ruffen durch Gewalt nichts weiter ausrichten konn⸗ ten, fo fingen fie mit den Bergvölfern zu unterhandeln an, fehr wohl vorberwiflend, daß Schamyl ihnen (die er ald Halbmenfchen, ald Werkzeuge des böfen Geiftes, ale ungläAubige Sünder betrachtet) bereitwillig in einem Tage hundert Eide der Unterwürfigfeit. ſchwört und auch zur

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Noth ein paar Geißeln opfert, vorausgeſetzt, daß fle ihm dafür weit genug vom Leibe bleiben und ihm freien Spielraum zu neuen Rüftungen laſſen. Durch folche noth- gedrungene, augenblidliche Zugefländniffe verliert ver Imam Angefichts feiner Gläubigen, den ungläubigen Mos⸗ fowiten gegenüber, nicht im Mindeften an Anfehen. Die Ruſſen werfen den Bergsölfern weil letztere wiederhoft ihre Verträge gebrochen haben, und ihr Leben nur, wenn ed Roth thut, auf's Spiel fegen Treulofigfeit und Feig⸗ beit vor. „Die Tſcherkeſſen, fagen fie, greifen uns immer nur aus dem Verſteck an, tödten uns einzeln durch Hinter: liſt oder durch unvorhergefehene Veberfälle, und wagen nur dann eine regelmäßige Schlacht, wenn fein anderes Rettungsmittel übrig’ bleibt; findet fich aber ein Ausweg, fo balten fie e8 für feine Schande, zu entfliehen.“ Allerdings, wenn die Friegerifchen Stämme des Dagheftan alle von ihren Bergen herunterftiegen, und ihre dichten Wälder und Schlupfiwinfel verließen, um ſich den Feinden im freien Felde gegenüber zu ftellen, fo wür- den ihnen die Rufen mit ihrer trefflichen Artillerie bald den Garaus machen und durch wenige Schlachten einen Preis erfämpfen, nach welchem ſie unter den bisher herr- fehenden Zuftänden feit einem halben Jahrhundert ver- gebend gerungen haben. Aber wenn Schamyl forgfam feine .Schaaren zufammenzuhalten fucht, vorfichtig jedem unnügen Scharmügel ausmweicht, und fih nur dann auf ein offenes Gefecht einläßt, wenn dringende Gefahr ihn dazu nöthigt oder er einen fichern Vortheil dadurch ers ringen fann iſt er deöwegen feige zu nennen? Wenn die Ruffen ein Heer verloren haben, fo fteht ſchon ein

477 anbereö bereit, e8 zu erjeben; ihnen wachlen, auf des mächtigen Selbſtherrſchers Geheiß, ihre ſchwammigen Sol daten wie Pilze aus der Erde hervor; fie brauchen bie Hunderttaufende nicht zu zählen, die in den klaffenden Schluchten des Dagheſtan fchon ihr Grab gefunden haben und noch finden werden. Und wahrlich, fte zählen fle auch nicht! Schamyl aber hat nur ein Heer zu verlieren; wenn dieſes Heer dahin ift, fo. ift Alles verloren; und er hat nur eine fleine Spanne Erbe, die er fein eigen nennt, und wenn ihm diefe Spanne Erde genommen wird, fo hat er nicht mehr, wo er fein Haupt hinlege. Das ganze Land, wo die kriegeriſchen Bergvölfer haufen, ift von ruſſiſchen Militärftraßen durchzogen und mit ruffifchen Feftungen befäet. Die großen, das kaspiſche Meer beherr- fehenden Städte des Dagheftan find in den Händen ber Rufen. Es leuchtet ein, welch' ein’ unenbliches Ueber gewicht legtern aus all’ den angeführten Vortheilen ers wachen muß. Dazu kommt noch, daß es den Berguölfern faft fortwährend an-Kriegsmaterial gebricht; die Ruffen fiegen durch ihre Flinten und Kanonen, die Tſcherkeſſen fönnen ihre Siege nur mit dem Degen in der Hand er⸗ fämpfen. Es ift überflüfltg, alle die mannichfaltigen Bor: theile einzeln herauszuheben, welche die Ruſſen, durch die Schatzkammern ihres drei Welttheile umftridenden Reiches gedeckt, dem Häuflein ihrer Beinde gegenüber haben. Und iſt der Dann, welcher dieſes Häuflein mit dem Schwerte in der Hand vor den Europaverbunfelnden Fittigen des rufftfchen Doppeladlers fchon feit einem Jahrzehend zu wahren gewußt hat, ein Feigling zu nennen? Schamyl it viel zu klug, als nicht eben fo gut zu wiflen wie wir,

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daß den Ruflen oft ein großer Vortheil auf dem Papier lieber ift ald ein Fleiner Bortheil in Wirklichkeit. Er läßt feinen Feinden gern den Ruhm, wenn er nur den Bortheil dabei hat. Er kaͤmpft nicht um Rangerhöhung oder Ordensverleihung, auch nicht, um eine. Stegesnadh- richt Durch die Zeitungen in Europa auspofaunen zu Fün- nen; er Fämpft lediglich, um bie Freiheit und den Glau⸗ ben feines Bolfed zu bewahren und um Rache zu nehmen an feinen Feinden

Bleiben wir, um das oben Gefagte etwas näher be⸗ leuchten zu Eönnen, einen Augenblid erläuternd bei dem den Feldzug von 1837 beendigenden Bertrage zwoifchen den Ruſſen und Bergoölfern ftehen.

General Feſt, welcher, wie wir gefehen haben, durch Gewalt der Waffen gegen Schamyl nichts Entfcheidendes ausrichten konnte, hätte ohne jenen Bertrag, bei Anbruch des Winters, unverrichteter Sache wieder abziehen müflen, und fein Bericht an den Oberbefehlshaber würde dann mit kurzen Worten etwa folgendermaßen gelautet haben: Ih habe im Verlaufe dieſes Feldzuges mit bedeutenden Opfern verfchtenene befeftigte Pläge und Dörfer erobert, welche ich leider aus Mangel an Lebensmittel und Munition wieder verlaflen muß, um mit meinen tapfern Soldaten nicht Hungerd zu fterben ober von den Feinden auf gerieben zu werben ıc.

Dann hätte der Oberbefehlshaber diefen Bericht etwas verfüßt und befchnitten nach Petersburg zum Kate fer gefchickt, und der Kalfer hätte die Stirn gerungelt und gefagt: der General Zelt iſt ein unbrauchbarer Mann, der von der Kriegsführung nichtd verfteht; den muß man

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penſtoniren ober als @urator an irgend eine Univerfität ſchicken ꝛc.

Und der General wäre dann gezwungen geweſen, noch in. feinen alten Tagen eine gelehrte Carridre zu machen *). Dem wußte er jedoch vorzubeugen, indem er, in %olge feiner viplomatifchen Unterhandlungen mit Schamyl, dem Berichte eine ganz andere Wendung gab.

Sn dem Rapporte an den Sberbefehlähaber fagt General Feſt über den Erfolg des Feldzuges von 1837: er babe in Chunfach eine Feftung gebaut, in ganz Awarien bie Ruhe bergefiellt, eine Menge früher unbezähmbarer Bergftämme unterworfen, viele ihrer Aoule und befeftig- ten Plaͤtze zerftört, Tilttlä, das Hauptquartier der Muriven, mit Sturm genommen, und Schamyl felbft fo in die Enge getrieben, daß derſelbe Ruhe und Anerfennung der Obers berrfchaft des Kaiſers auf ewige Zeiten delobt und feier- lich beſchworen habe. Zum Zeichen ver Bündigfeit dieſes Vertrags und der Treue feiner Gefinnungen habe Schamyl auf Verlangen ded Generals Geißeln gegeben ıc.

Hierauf zog fih General Felt mit den Trümmern feines Heeres über Chunfadh, Belofany und Kafanifchtfchn wieder nach Kuba zurüd*).

In Tiflis und Peterdburg glaubte man, in Folge der Gerüchte über die Demüthigung Schamyl's und feiner Muriven, den ganzen Dagheftan ſchon in der Taſche zu

*) Faſt alle Univerfitäts-Guratoren und Gyumaflaldirectoren in, Rußland find invalide Generäle und OÖberften.

“#) Einen nähern Weg konnte er nicht nehmen, da ihm von ben auf dem Papier unierivorfenen Böllern der Rüdzug entjeßlich ers ſchwert wurde.

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haben, und General Feſt, der dies große Werk vollbracht, wurde gebührlih mit Orden und Belobungsfchreiben belohnt. .

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Der einzige wirkliche Vortheil, welcher den Ruſſen aus der Expedition von 1837 erwachſen war, beftand darin, daß fie durch ihre vielen Kreuz⸗ und Querzüge auf feinplichem Gebiete eine genauere Terrainfenntniß erworben hatten, die ihnen für die Zukunft von großem Nuten werden konnte.

Schamyl aber hatte feinerfeitö Durch die über Die Ruffen erfämpften Siege und die gefchicte Vertheidigung von Tilitlä den Muth und das Vertrauen feiner Krieger auf's Höchfte gefteigert.

Nach dem Abzuge des General Feft erließ ber Imam, die günftige Simmung benugend, folgenden, in vielen Abfchriften verbreiteten Aufruf an fein Heer, fo wie an alle Völker des Dagheftan:

Im Ramen Allah's, des Allmächtigen, Barm- herzigen!

Lob ſei Ihm, der uns den Weg ſeines Lichtes führt und uns ſtark gemacht hat jn ſeinem heiligen Glauben! Der die Berge zum Fundamente ſeiner Macht geſetzt und uns zum Schutze, zum Horte unſerer Freiheit; der unſern Arm geſtählt hat zum Verderben unſerer Feinde und un⸗ ſere Zunge beredt gemacht, daß ſie Seine Lehre verkünde Allen, die Ihn bekennen; der Seinen Segen in den Re⸗ gentropfen auf uns herabträufelt, daß Liebe aus den Sternen auf uns niederleuchtet, und deſſen Gnade unend⸗ lich iſt für Alle, ſo an Ihn glauben!

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Ihr waffentragenden Dlänner vom Dagheftan!

Als der Herrfcher der Ruflen im Monat Schewal feinen Aufruf an Euch erließ, um Euch abtrünnig zu machen in Eurem Glauben an die Wahrheit meiner Sen⸗ . bung, da entitand ein Zweifeln und Murren unter Euch, viele von Euch wurden untreu und verließen mich. Und ich ergrimmte und fprach in meinem Herzen: Die MWanfelmüthigen! es geht bei ihnen in Erfüllung, wie der. Brophet geredet hat: „Gott zeigt Euch -feine Wunder, auf daß Ihr weife werdet; aber Euer Herz ift verhärtet wie Stein, ja viel. härter noch; denn die Steine aus einigen entſprin- gen Bäche; andere fpalten fi und es riefelt MWaffer daraus; andere ſtürzen um aus Furcht vor Gott, aber wahrlih, Gott tft Euer Thun nicht unbefannt!” *) |

Und mit den Wenigen, die mir treu geblieben, zog ich aus gegen die Ungläubigen, tödtete Ihren Anführer **) und fchlug fie in die Flucht. Als Ihr nun fahet, daß Bett mit mir war, da kehrteꝰ Ihr reumüthig um und verlangtet wieder aufgenommen zu werden in die Reihen der Streiter, und ich nahm Euch wieder auf und führte Euch von Siege zu Siege, und verhieß Euch Gottes Verzeihung, wenn Ihr ausharrtet im Glauben, nach den Worten des Propheten, wo er ſpricht: Die aber um— kehren und kämpfen für die Religion Gottes,

*) Alles mit durchſchoſſenen Lettern Gedruckte enthaͤlt Citate aus dem Koran. - *#) Den Grafen Iwelitfch.

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bie dürfen feiner Onade gewärtig fein, denn Gott ift verfähnenn und barmberzig.

Ihr habt gefehen, wie Fein die Zahl unferer Krie- ger war im Bergleich mit den Schaaren der Zeinde, und fie mußten uns doch unterliegen, denn die Stärfe iſt mit den Gläubigen. Die Rufen haben Ychulgo genommen und die Mauern der Veſte gefchleift. Allah ließ das zu, um Euch für Euren Unglauben zu züchtigen, denn Er weiß, wad Ihr denkt, und kennt alle Eure Vorfäbe. Aber ich fpottete der Macht unferer Feinde und vertrieb fie aus Aſchiltach und ſchlug fie bei Tilitlä *) und machte alle ihre Berfuche zu Schanden. Als darauf der Bafhah **) mit feinem großen Heer nad Tilitlä herbeizog, die Ge⸗ fhlagenen zu rächen, und ed ihm gelang, trog unfers tapfern Widerſtandes, ſich der Hälfte des Aoules zu bes mächtigen, fo daß wir täglich des Testen, entſcheidenden Kampfes gewärtig waren da lähmte plöglic Allah feinen Arm und verfinfterte feine DBlide, daß er feinen Bortheil nicht benugen konnte und eilig wieber abziehen mußte befielbigen Weges ® welchen er gefommen war. Kiemand jagte die Feinde, als ihr boͤſes Gewiſſen; ihr Unglaube flößte ihnen Furcht ein und ließ fie die Flucht ergreifen, weil fte nicht weilen konnten in der Nähe der Gläubigen. So ftraft Gott die, welche nicht auf feinen

‚Wegen wandeln! Aber zu uns hat er durch feinen Pro⸗

pheten gefagt: Wer für mich einen heiligen Krieg

“unternimmt, den will ih auf meinen Wegen

*) Unter Oberit Butfchkiew. “*) Beneral Bell.

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führen. Wahrlich, Gott ift mit denen, die gute Werke thun! Ihr habt gefehen, die Zahl der Ungläubigen mag noch fo groß fein, fie müſſen und immer unterliegen. ALS fie zu Hamſad-Beg fchidten und ihn aufforverten, fih zu unterwerfen, da ſagten fie: Ergib Dich, aller Widerſtand ift vergeblich; die Heere, welche wir gegen Di fchiden, find zahllos wie der Sand am Meere! Und ih antwortete ‚ihnen in feinem Namen: Unfere Heere aber find wie die Wellen des Meeres, die den Sand binwegfpülen werden! Ihr habt gefehen, daß meine Worte in Erfüllung gegangen. Die Blide ‘ver . Ruſſen find Falſchheit, und ihre Worte find Lügen; wir ‚müffen ihrer Hände Werk zu nichte machen, uud fie um- bringen, wo wir ſie antreffen, ob zu Haufe ober im Felde, ob Durch Lift oder durch Waffengewalt, auf daß ihre Brut von der Erde vertilgt. werde, denn fie vermeh- ren fich wie das Ungeziefer, und fie find giftig wie die Schlangen, die in der Steppe Muhan Eriechen. Ihr habt gefehen, daß Gottes Zorn mit ihnen ift.

Gott der Allmächtige fpricht: „Wer für die Reli- gion fireitet und ausharrt, dem iſt Gott der Bergelter und Erbarmer!“

Und weiter hat er zu und geredet: „Saget nicht von denen, welche für die Religion Gottes ge— tödtet werden: „Sie ſind todt“, ſondern „ſie ſind lebendig“; denn das verſteht Ihr nicht.“

So beherzigt wohl, was ich Euch geſagt habe, und ſeid ſtark und haltet zuſammen wie die Gebirgsmauern, die über uns aufragen, und vergeßt nicht die Worte des

Propheten, wo er ſpricht: 23

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Tödtet für den Weg Gottes ver: treibet fie, von wo fie Euch vertrieben, denn die Verſuchung ift Schlimmer noch ald der Todt⸗ ſchlag. Amin.

‚Der Aufruf verfehlte feine Wirkung nicht, Es war die Folge deflelben, daß Taſchaw⸗Hadſhi, welcher fah, daß er Schamyl’8 immer wachfendem Einfluß nicht länger widerftehen konnte, fich dem Imam, Angeſichts ded gan⸗ zen Heeres, unterwarf und ihn als Herrfcher und erften Murfchiven anerfannte. Biele Stämme, welche bis dahin in Zwiefpalt unter einander gelebt, oder auf der Seite der Ruſſen gefochten hatten, vereinigten fich und gingen zu Schampl über, defien Namen und Thaten jetzt hun⸗ dertfach wiederhallten in den Reben der Priefter und den Liedern der Barden. Schamyl, der Prophet! fcholl «8 ringe im Gebirge, und der Gatte ließ die Gattin und der Bräutigam die Braut, und Alles drängte fich heran, um den gottgefandten Murſchiden zu fehen, von dem es hieß, er habe durch fein bloßes Wort, ohne Schwertfiteich, das große Heer der gefürchteten Ruſſen bintveggefcheucdht aus dem Aoule Tilitlä. Nie hatten ſeit Radir-Schah’s völferbändigendem Verwüſtungszuge die Länder des Daghe⸗ ftan wieder ein fo furchtbares Heer in's Feld gefchidt, als Schamyl jest. unter des Halbmonds leuchtendem Ban ner vereinte. Ein blutig Gericht der Rache ward vollzogen an den Ruffen von den Männern des Gebirged. Schamyl ließ es an wiederholten Aufrufen und begeifternden Reden nicht fehlen. Der Schreden, welchen die immer wachfende Macht des Muridenhäuptlings im Kaufafus verbreitete, war unbefchreibli. Mehrere im Frühling 1838 unter

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nommene Berfuche der Rufen, vie ihnen entriffenen Pro- vinzen wieder zu erobern, mißglüdten fo vollkommen, daß fie im Verlaufe des ganzen Jahres nichts weiter zu uns ternehmen wagten, und ſich damit begnügen mußten, in der Stille Vorbereitungen zu dem berühmten Feldzuge von 1839 zu treffen, deſſen Schilderung -den Inhalt des nächftfolgenden Kapitels bilden wird.

Schamyl bemupte den Sommer bes Jahres 1838 zur MWieverherftellung der von den Feinden zerftörten Feftungen und Aoule; hejonderd wurde das gefchleifte Felfenfchloß Achulgo furdhtbarer als je befeftigt. Dann fuchte er feine Macht im nördlichen Theile des Dagheftan auszubehnen; noch vor Anbruch des Winters hatte er bereitS, theils durch Ueberredung, theild durch Waffen- gewalt, Andi, Gumbet, Ssalatau, Koißubu und einen Heinen Theil der Tſchetſchnja unterivorfen..

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Behntes Kapitel.

Kurze Ueberficht der Kriegsoperationen des Corps an der linfen Blanfe der Faufafifchen Linie unter den Befehlen bes General⸗ abjutanten v. Grabbe *). 18391840.

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Die Vorbereitungen zu der große Hoffnungen erres genden Erpebition Fonnten, trog aller Vorſicht, ruffifchers feit8 nicht geheim genug betrieben werben, um den Berg: völfern verborgen zu bleiben. Schon im Frühjahr 1839 erſcholl im Dagheftan, in der Kabardah und Tfchetichnia die Kunde von der Zufammenziehung eines ftarfen Trup- pencorps an der linken Flanke. Schamyl hatte daher alle Zeit, fich zu einem hartnädigen Widerſtand zu rüften. An

*) Wir entnehmen diefe Schilderung den Tagebüchern eines verftorbenen Freundes, welcher lange Jahre Hindurch den verzweifel= ten Kampf ver Ruffen gegen die Bergoölfer mitgefäimpft. Aus biefem Umftande erklärt fi die etwas ruſſiſche Färbung feiner Berichte. Wir machen bei legtern nur den Dolmetfch; wir haben die zerfireus ten Blätter ordnend zufammengeftellt, Weberflüffiges ausgefchieden, Mangelndes Hinzugefügt, im Wefentlichen aber nichts daran geäns bert; fogar ihre ruffifche Färbung haben wir ihnen gelaffen. Etwaige Wiederholungen mandyes fchun früher Gefagten werben Hoffentlich, flatt den Lefer zu langweilen, nur dazu dienen, das Frühere dem Ge⸗ bächtniß defto befier einzuprägen.

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Mitteln dazu gebrach es micht. Der Tſcherkeſſenfeldherr *) war von einer Schaar fanatifcher Muriden umgeben, mächtigen Säulen jener den Ruffen verderblichen, von Kafi-Mulah gegründeten und von Hamfad-Beg, fowie von deſſen Nachfolger Schamyl weiter ausgebreiteten Lehre, welche, wie ein gewaltiger Kitt, alle Völker des Gebirgs untereinander zufammenhält, bie beterogenften Elemente zu amalgamiren weiß, fte gleichſam als ftarfe Glieder zu einer eiſernen Kette benugt, geſchmiedet von Freiheitsſinn und Ruſſenhaß.

Auf dieſer Lehre, deren fanatiſche Apoſtel die Mu⸗ riden find, gleich den Kerntruppen ver alten Perferfönige, die Unfterblicden genannt, beruht Schamyl’8 Macht und Einfluß. Sie .opfern ihrem Führer, den fie für einen gottgefandten Propheten halten, freudig Willen und Leben. Durch Blutsfreundfchaft mit allen Aoulen des Dagheſtans und der Tſchetſchnja verbrüpert, find die Muriden mäch- tige Werkzeuge in den Händen Schamyl’8, durch welche er unbebingte Gewalt über alle Gebirgsftämme ausübt, denen ed an felbfiftändiger Kraft und Einheit fehlt, fich feinem Willen zu wiberfeben. Die neue Lehre, weldhe fich beſonders in den legten drei Jahren mit reißender Schnelle im Kaufafus verbreitet hat, mußte um fo mehr. Anhän-

*) Mir bedienen uns Ddiefes eigentlich unrichtigen Ausdrucks nicht aus Unfenntniß, fondern weil er der in Europa allgemein angenom⸗ mene und verfländliche ift. Die eigentlichen Tfcherkeffen, welche fich in ihrer Sprache befanntlih Adighe, d. h. die Edlen, nennen, fo wie die Ubychen und Dfchighetten an der Oftfüfte des Bontus, haben mit den Kämpfen im Dagheftan nichts zu thun, und flehen nicht unter Schamyl's Befehlen.

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ger unter den Mannen der Berge finden, da fte ihrem natürlichen Hange zur Unabbängigfeit, fowie ihrem ans gebornen Ruffenhafle fchmeichelt. Auch iſt fein Stamm, fein Aoul in den Gebirgen des Dagheftan, in welchem fie nicht Theilnehmer hätte; ſelbſt in der großen Tichetfchnia, im Thale des Argun, bei den Aouchen, den Itſchkerinern, den Sfalatauern und andern Stämmen hat fie Wurzel geichlagen.

Befonders find die Sfalatauer eifrige Anhänger ver neuen Secte, da fie gänzlich von Tſcherkéi abhängen, viefem blühenden und volfreichen Aoule, welcher alle Kräfte aufbieten muß, Schamyl zu unterflügen, wohl füblend, daß die Befeftigung der rufflfchen Macht am Ssulak und am Koißu dem Handel und dem Einfluß feiner Bewohner Vernichtung drohen, und fie der Ein fünfte berauben würde, welche fie jegt als politiſche und mercantilifche Zwifchenhändler von den benachbarten Volks⸗ ftämmen ziehen:

Es unterliegt feinem Zweifel, daß die Mehrzahl der Gebirgsvölfer vorgezagen hätte, fih, den Ruſſen und - Schamyl gegenüber, neutral zu verhalten, ftatt die Partei des legtern zu nehmen. Aber Schamyl's ‘Pläne waren zu weitjehend, und feine Mittel, fih Anhang zu verfchaffen, zu wirffam. Es galt, fein Freund oder fein Feind zu fein, dad Werkzeug oder das Opfer feiner Rache zu werden. Er benugte die faft in allen Aoulen herrfchende Uneinigfeit, und wußte durch den Einfluß der ihm erge- benen angefehenften Bewohner die Menge für feine Pläne zu gewinnen. Er ſandte feine vertrauteften Muriden von Aoul zu Aoul, um feine Treuen im Gehorfam zu erhal:

439 \ ten und fich der Wanfenden durch von den einflußreichern Bewohnern genommene Seißeln zu verfichern. Alle Stänme, welche fich widerſetzten, gemeinfchaftliche Sache mit ihm zu machen, wurben ihrer Heerden beraubt und ihre Dör- fer. ver Erde gleich gemacht.

Durch folche umd ähnliche Mittel befeftigte Schamyl feine unbegrängte Gewalt über den ganzen. gebirgigen Theil des Dagheftan und einen großen Theil der Tſchetſchnja. Wenn auch nach unfern Begriffen folches Berfahren un- gerecht: und graufam ericheinen muß, fo fönnen wir Doch. unfere Bewunderung einem Manne nicht verfagen, wel- cher, ohne durch Geburt zu feiner hohen Stellung beru- fen zu fein, fich durch eigene Kraft das Scepter erſchwun⸗ gen bat, daſſelbe unter den ſchwierigſten Verhältnifien zu führen und zu ftählen weiß, indem er fich ſelbſt vie Mit- tel fchafft, die zu feinen Zweden führen, dad Vorhandene mit Klugheit benust und feine Zwecke auf dad Beharr- lichfte verfolgt.

Wir fehen aus dem Gefagten, daß ed die Ruſſen mit feinem gemeinen Gegner zu thun- haben, und wir begreifen, wie feit fo langen Jahren die Friedens» und &roberungspläne Rußlande immer zerichellten an des ZTicherfeffenfürften eiferner Stirn.

Zu den größten Vortheilen Schamyl's, feinen Fein— den gegenüber, ift natürlich der wilde Charakter des Lan- des zu rechnen, wo ſich der Schauplag des Krieges befin- det. Alles Land, welches die Gebirgskaͤmme von Sfalatau> Betly und Himry umfchließen, ift nach allen Richtungen von Reihen hoher, fteiler und felfiger Berge, unzugäng- lichen Abgründen und tiefen Schluchten durchzogen, fo

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daß es im höchften Grade die Bertheidigung begünftigt und auf jedem Schritt Engpäfle varbietet, wo ein Dugend Magehälfe einer bedeutenden Truppenmacht Widerftand leiften können. Selten ift e& möglich, diefe Bäfle zu um⸗ gehen. Die Wege find hier nichts als enge, ſich zwifchen fteilen Felfen und Bergen hinwindende Fußftege, welche die Bewohner felbft nur zagend und vorfichtig beireten.

Es bedarf feiner weitern Erläuterung, welche Schwie⸗ rigfeiten fich in diefen Fahlen, öven, aller Vegetation be⸗ raubten Gebirgen dem Marfch und der Verpflegung der Truppen darbieten. | |

Beſonvers drei Pläße find es, welche fich durch ihre trogige Lage und Unzugänglichkeit auszeichnen: Arguani, Himry und Achulgo. Lebtered infonderheit ift. ein wah⸗ red Spiel der Natur, aber ein grauenhaftes, riefiged Spiel, ein wilnlauniger Teufelsgedanke, dem Gott Form gegeben und ihn in Stein gehüllt, ven Menfchen zum Schreden. Keine Befchreibung tft im Stande, von dem graufigen Anblick und der Schwierigkeit des Zugangs zu dieſem von feiner Umgebung völlig abgeriſſenen Felſenhorſte einen Begriff zu geben.

Hier häufte Schamyl eine Menge Kriegsbedarf und Lebensmittel an. Sodann befeftigte er die genannten Fel- fenfhlöffer mit einer Sachfenntniß, welche einen euro: päifchen Ingenieur Ehre gemacht haben würde. Polniſche Heberläufer und die Wirfung ruffifcher Gefchüge waren die Lehrer der Bergvölfer in der Befeftigungsfunft ge⸗ wefen.

Statt der hohen, wenig Schug gewährenden, bald einjtürzenden Thürme, welche fie zur ‘Zeit Kafl-Mullah’s

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zu bauen pflegten, fingen fie ſchon im Jahr 1837 an . Erpfehangen' aufzuwerfen, Schlupflöcher in die Erde zu graben, bedeckte Wege, Trancheen und tiefe fteinerne Saflis.*) zu bauen. An folchen Stellen nur, welche nicht dem Feuer der Artillerie ausgeſetzt waren, legten fie Ver⸗ ehaue an. Mehrere ver fehwierigften Punkte, gegen welche im Jahr 1837 der Angriff gerichtet wurde, waren von ihnen durch alle BVerfchanzungsmittel verftärkt; alle Zu- gänge lagen unter dem furdhtbarften Kreuzfeuer, während die Feinde, ungefehen und unerreichbar in ihren Höhlen figend, vor den Wirkungen der ruſſiſchen Kanonenfugeln und ®ranaten ficher waren.

In dieſen fcheinbar unzugänglichen Schlupfwinkeln fanden die Familien der Muriden einen Zufluchtsort; hier verbarg Schamyl alle von den koißubuliniſchen, gumbetfchengund andiſchen Stämmen genommenen Geißeln. Mit andern Bölferfchaften trat er in enge Ber- bindung, und traf geheime Anftalh, daß alle auf den erften Schlachtruf fampfbereit feiner harrten. Ungefähr

*) Safli ein von Steinen. roh aufgeworfeneg, oft halb, oft ganz unterirdifches Haus. Gewöhnlich wählt man zur Erbauung die⸗ fer Saflis von der Natur befonders begünftigte Stellen. Am Gin: gauge von Felfengrotten, Höhlen ꝛc. werden Steine aufgethürmt, und die Sakli ift fertig. Man kaun in der Dunkelheit über ein aus fol: hen Saflis beftehbendes Dorf Hinwegreiten, ohne Menfchen noch Häufer zu fehen. Es bedarf wohl kaum einer Erwähnung, daß die Bauart der Saklis fi) immer genau nach den Bebürfniffen der De: wohner richtet, und in Friegbebrohten Gegenden einen ganz andern "Charakter trägt als in friebebeglüdten, wie z. B. in Tiflis, wo. bie Saflis der vornehmeren Grufier gleihfam nach und nach aus der Erde hervorwachfen, ihre urfprünglich rohe Form abftreifen, und von Jahr zu Jahr wohnlichen Häufern ähnlicher werben.

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15 618. 20,000 Mann, theils zu Buß, theils zu Pferde, gehorchten blind feinem Willen. Alle ſchwuren den feier: lihen Schwur: ihre legten Kräfte zur Vertreibung bey Ruften anzuwenden, over für die Freiheit zu flerben. So lauten des Feldherrn eigene, feinem Aufruf an die Berg- völfer entnommenen Worte. |

Als Schamyl aus dem -Zufammenziehen einer bedeu⸗ tenden Truppenmacht in: Wnefapnafa und den großen Zuräftungen, welche dafeldft gemacht wurden, erfannte, daß die Ruffen fich zu einem Hauptichlag vorbereiteten, entwarf er folgenden Plan: die Tfchetfchenzen follten die linke Flanke der Linie mit Diverfionen bedrohen, ſobald das ruffifche Detafchement in’d Gebirg gebrungen fein würde, um entweder daffelbe durch Abſendungen von Re: jerven in die Feftungen zu fehwächen, oder ihm das weis tere Bordringen gänzlich unmöglich zu nggpben. In dem Hal jedoch, daß es den Rufen gelingen werde, fich weis ter durchzufchlagen, Pllten ſte bei dem Aoul Buturnay den erſten Widerſtand finden. Hier wollte Schamyl ſelbſt die Feinde aufhalten, während 3000 Tſcherkejer und andere Sfalatauer dief elben beim Riederfteigen in Die tiefe Schlucht - von Termengul im Rüden sinfallen follten. Der unbedeu⸗ tendfte Unfall der Rufen wäre das Zeichen zum Aufftand aller bis dahin neutralen oder halb unterworfenen Stämme gewejen.. Im Fall die Bergvölfer eine Niederlage erlitten, bliebe diefen noch eine zweite ftärfere Poſition bei Arguani, welches fie, nicht zufrieden mit feiner natürlichen Unzu⸗ gänglichfeit, im Lauf des Jahres noch durch alle Mittel der Kunft befeftigt hatten. Nach Arguani follte der Ueber: gang über den reißenden Koißu die Ruſſen aufhalten,

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bi8 endlich ihre Kraft und ihr Muth an den Belfenfpigen von Achulgo, dem legten Zufluchtsort Schamyl's, zer⸗ ſchellten. Letzterer war ſo feſt von einem günſtigen Erfolg überzeugt, Daß er am weitere Vertheidigungsmittel gar nicht gedacht hatte.

So klug auch im allgemeinen feine Pläne angelegt waren, ſo ungünftig war, in Folge der. Unzuverläffigfeit ber Tſchetſchenzen, das Refultat davon: Seine Soffnungen in Bezug auf die projectirten Diverftonen in der Tfchetfchnia gingen nicht in Erfüllung. Die fünftägige Expedition der | Ruſſen gegen die Stichferiner (vom 9. bis-14. Mai), bie Zerftärung der beiden ‚Befeftigungen feines Unterbefehls⸗ habers Taſchaw⸗Hadſhi, die Verheerung voneneun feindlichen Aoulen und ähnliche Mipftände bewogen Die Tſchetſchenzen, auf ihre eigene Sicherheit bedacht zu fein, ftatt Angriffe auf die Linie zu machen. Die Folge davon - war, daß fih Schamyl in der Stellung von Buturnay nur zwei Stunden, in Arguani zwei Tage und enplich in dem lebten Zufluchtsort Achulge zwei Monate hielt.

Das rufftfche Detafchement, welches urfprünglich aus ſechs Bataillonen: und zehn Geſchützen beftand, ließ. nicht allein Feine Referven in den Forts an der Linie zurüd, fondern verftärfte fich noch durch drei Bataillone des Apfcheron’fchen Regiments und fteben Geſchütze, weiche General Grabbe aus dem Dagheſtan herbeirief, um feine Kraft an dem Punkte zu vereinigen, wo er den Feinden einen entfcheidenden Schlag beizubringen gedachte.

Auf dem geraden Weg nad Tſcherkéi vordringenp, traf General Grabbe bei Buturnay auf 4000 Tſcherkeſſen. Der fchnelle und entfchlofiene Angriff diefer Stellung ließ

444 Schamyl nicht zur. Beflnnung fommen, und er nahm nach furzem Widerftand die Flucht. Die Tſcherkejer kamen mit ihrer Hülfe zu fpät, und die Sfalatauer fahen fich genö- thigt, fich bis zu einer günftigen Wendung des Waffen- glüds den Ruſſen zu untermerfen.

Ein Bataillon im Fort Udatſchno, einem wichtigen firategifchen Punft am Abhang ded Kammes von Sauch⸗ Balak, zurüdlaffend, griff General Grabbe den Feind ein zweitesmal bei Arguani an. Schamyl hatte unterbefien Zeit gewonnen, alle feine Kgäfte zu fammeln, und. zählte. etwa 10,000 Dann unter feinen Befehlen. Das Gefecht dauerte zwei Tage (den 30. und 31. Mai) Schamyl wurde gefchlagen, und verlor gegen 1500 Mann an Tobten und Bermundeten. Niemals, bis zum Sturm von Achulgo, hatte man ein fo blutiges Gefecht gefehen, und es wuͤrde in einer gewöhnlichen Expedition ein ſolcher Erfolg das Schickſal des Feldzuges entſchieden haben, aber die Lesghier fahen, daß es fich diesmal um ihre Freiheit oder um voll- fommene Unterwerfung handle und daß fie daher alle Kraft zur Aufrechthaltung ihrer Unabhängigkeit aufbieten müßten. Alle ihre Parteiführer, die verwegenften Vor⸗ Fämpfer, alle, die durch geiftige Weberlegenheit ober Tapfer⸗ keit einigen Einfluß auf ihre Stämme ausübten, eilten auf Schamyl's Ruf in fein fchügendes Felfenfchloß, um bier tobt oder ald Sieger zu bleiben, denn an ein Ent- fliehen von dort war nicht zu denken. |

Der Sieg von Arguani hatte feine Früchte getragen und Furt und Schreden in den Aoulen des Gebirgs verbreitet, deffen Bewohner mit banger Erwartung dem Ausgang dieſes legten und enticheidenden Kampfes zwifchen

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Schamyl und den Moskowiten entgegenfahen. Zwar ver- fuchte e8 der Abret Achwerdü Mohammen mit etwa 6000 aus den entfernteften Dörfern aufgebotenen Bergbewoh- ‚nern ‘die Belagtrer im Rüden anzugreifen, allein es war bei diefem Unternehmen -nur zu deutlich die Furcht und Unentjchlofienheit der Feinde zu erfennen, da drei und ein halbes ruſſtſches Bataillon hinreichte, fie aus ihrer verfchang- ten Stellung zu vertreiben und. gänzlich zu zerfireuen. In⸗ zwifchen hatten ſich die Ruffen, ohne bedeutenden Wider⸗ fand zu finden, ‚Tfcherfei’8 und des rechten Ufers des Koißu bemächtigt.

Ein Ueberblid der Veſte von Achulgo überzeugte General Srabbe von der Unzugänglichfeit verfelben; er entſchloß fich aljobald zur Blokade, und ließ die nöthigen Belagerungsarbeiten. treffen, in der Hoffnung, die Feinde durch Hunger zur Uebergabe zu zwingen. Diefe Blokade dauerte vom 12. Juni bis zum 23. Anguft, alfo faft dritthalb Monate! Man muß diefe furdhtbaren Ab- gründe, trogigen Steinmaffen und Fahlen Feldwände mit, eigenen Augen gefehen haben, um fich einen Begriff von den unfäglichen Mühen und -Gefahren machen zu können, welche die Natur hier, vereint mit der verzweifelten Ge⸗ genwehr Schamyl’3 und feiner, wilden Rotte, vem Muth und der Ausdauer ver Belagerer entgegenfegte. Nach Maß⸗ gabe der Verengung des Kreifes der Belagerung mußten neue Batterien für dad Gefchüs angelegt, Wege zur Fort⸗ fhaffung deſſelben in den Selfen gehauen, Schutzwehren durch fchnell aufgeworfene Echanzlörbe und Steinmanern errichtet werben. Jeder Punkt mußte möglichft ftarf beſetzt werden, da zwifchen den Poften unter einander, felbit bei

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der geringften Entfernung, feine Verbindung und wechſel⸗ feitige Unterftätung möglich war. Acht Batalllsne, aus welchen dad Detafdyement anfänglich beſtand, - reichten faum zur nöthigen Befegung ber Poſten bin, Diefeiben Truppen, welche am Tag bie -Belagerungsarbeiten vers richteten, bezogen des Nachts die Borpoften, plänterten ohne Unterlaß .mit den Belagerten und wurben babel häufig durch Ausfälle beunruhigt. Die Berforgung der Truppen mit Lebendmitieln und Kriegsbedarf war mit großen Schwierigkeiten verbunden; ed mußten Wege nach Unzuful und dem Berge von Betly angelegt werben. Die Anlegung diefer Wege fo wie anderer über Tſcherkéi und Arguani durch bisher unzugängliche Drte kann als ein wefentlicher Nuten der Erpebition betrachtet werben.

Unter folgen und ähnlichen Arbeiten verging ver ganze Junius und die Hälfte des Julius; die Belagerer - waren in der Zelt bis zu einem Felſenvorſprung vorges prungen, welcher ihre Stellung von dem alten Schloß .ſchied, und hatten den vorvern fogenannten Thurm von Surchai mit Sturm genommen. Diefer Thurm gab durch feine günftige Lage der Stellung ver Belagerer eine uns gemein weite Ausdehnung, indem er zugleich die Ans legung von Zugängen hinderte Das immer mehr zu- fammenfchmelzende Detafchement wurde durch zwei Batail⸗ fone des Apfcheron’fchen und drei Bataillone des Grafen Paskewitſch'ſchen Regiments, fo wie durch neun Gefchüge verftärft.

Obgleich die Lage der von allen Seiten eingefchlof- fenen Ticherfeffen eine fehr mißliche war, obgleich fie täg» kich durch die Wirkungen des ruffifchen Geichüges bebeu-

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tende Berlufte erlitten und mit Entbehrungen affer Art -

zu kaͤmpfen hatten, war doch bei ihnen von Uebergabe feine Rede. General Grabbe, immer mehr vie Lleberzeus gung gewinnend, daß er durch Die Blofave.allein fein Ziel nicht erreichen werde, entfchloß ſich, Achulgo mit Sturm .zu nehmen. Der Angriff vom 16. Julius miß- lang vollfommen, trog der Tapferkeit, welche .vas Graf Paskewitſch'ſche Regiment dabei entfaktete, und der Selbft- aufopferung der Dfficiere, die großentheils. im Gefecht fielen. Indeß verminderte diefe Niederlage keineswegs bie Zuverficht der Truppen, welche in Erwartung eines neuen Sturms mit Eifer die Belagerungsarbeiten -fortfegten. General Grabbe aber, durch den erften Berfuch vor: fichtig gemacht, wollte erſt größere: Vorbereitungen treften laſſen und einen günftigern Augenblid abwarten, ehe er einen zweiten Sturm gegen die Mauern- von Achulgo wagte. Die Sappeurs brachten unter dem Schutz ber In⸗ fanterie einen bedeckten Weg zu Stande, welcher bis zum Fuß des neuen Schlofies führte. Die Artillerie beſchoß ohne Unterlaß die feindlichen Verſchanzungen, und fuchte

bie Belagerten zu verhindern, fich mit Waſſer zu verſehen.

Schen waren viele yon Schamyl's treueften. Anhängern gefallen. Gr mußte das DVerzweifelte feiner eigenen Lage einfehen, da es ihm nicht verborgen bleiben Fonnte, die Rufien würden alles daran fegen, feinen lebten Zufluchts- ort in ihre Gewalt zu befommen. Es kam fo weit mit ihm, daß er fich entichloß, feinen Eid: ald umverjöhnlicher

Feind der Ruſſen zu flerbem, zu brechen. Er ſchickte einen

Bertrauten mit Frievensvorfchlägen an General Grabbe ab. Diefer erwiederte: er werde nicht eher die Befchießung

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einftellen, bis Schamyl feinen eigenen Sohn ala Geißel und Bürgen der Aufrichtigfeit- feiner Gefinnungen in’s ruſſtſche Lager ſchicke. Da der. Belagerte fich weigerte, diefer Forderung zu genügen, fo blieben die Unterhand- lungen für's erfle ohne weitern Erfolg. Die Arbeiten wurden eifriger als je betrieben, bis endlich am 17. Auguft das Hauptvorwerf von Neu⸗Achulgo mit ſtürmender Hand genommen wurde. Ein Regiment faßte fogleich feften Fuß darauf und machte dadurd die Anlegung neuer Wege zu weiterem Vorbringen möglich. Died war der Anfang. eined viertägigen mörberifchen Kampfes, welcher den Aus⸗ gang der Expedition entfchied.

General Grabbe fah, daß es Schamyl nicht Ernft mit der Unterwerfung fei*), da er die Bedingniſſe vers werfe, welche allein die Sicherheit des Landes verbürgen fönnten. So begann denn am 21. Auguft der Kampf mit erneuter Wuth. Die-Tfcherfeflen waren von Verzweiflung .entflammt, und die Ruffen von der lockenden Hoffnung des nahen Sieges, fo wie von Rachewuth ob der vielen blutigen Opfer ihrer ‚gefallenen Brüder. Der lebte Kampf war ein. kurzer, aber mörberifcher. Bon Seiten der Bes lagerten: fowohl, wie der’ Belagerer, wurde eine Todes⸗ Verachtung und Tapferkeit entfaltet, wie man in europäts fchen ‚Kriegen. wohl felten, deögleichen gefunden. Auf den Zinnen der Veſte von Achulgo, an ftsilen Felsabhängen, ftanden in flatternden Gewändern die Weiber der Tſcher⸗ fefien, Heldinnen, wie fie fein anderes Land erzeugt, die Schufchfa und das Gewehr in der Kleinen Hand, ihre

*) So lautet fein Bericht.

eu

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Männer zum Muthe anfenernd, die Weichenden gewalis fam in's Gemebel zurädtreibend, und ſelbſt Fämpfend Verderben um fich her verbreitend. Nie habe ich in mei- nem erlebnißreichen Leben ein fo furchtbar fchönes Schau⸗ fpiel gefehen, wie den Sturm von Achulgo, und wenn mir jetzt meine Phantafie al’ die biutgefärbten Erin« nerungen jenes Tages wieder vor die Seele führt, fo durchriefelt e8 mich mit geheimem Schauer.

Ich begreife jeht nicht, wie mir damals alles fo ge wöhnlich, fo natürlich fchien. Aber die Feigften unter und waren wild, wie die Tiger der Wüfte in jenen Augen⸗ bliden, es flammte and den Augen der Menschen fürcht- barer ald aus den Feuerſchlünden unferer donnernden Ge⸗ ichüße. Wir badeten uns in Blut, wir Hletterten über Leis chen, Röcheln der Sterbenden war unfre Schlachtmuſik. Ich fah alles, aber fühlte nichts nach menfchlicher Weile, wie ich fonft wohl fühle, denn der Gott in mir war todt für den Augenblid und nur der Teufel lebte...

Unter allen Bildern, weiche damals an meinen wir: ven Augen vorüberfchwanden, ift mir befonderd noch eins lebendig im Gevächtniß geblieben. Es war Furz vor dem Ende des Kampfes, ald ich dem Hauptmann Schulz ”), dem Tapferſten unferer Tapfern folgend, an der Spipe der Trümmer meines Bataillons, einen fteilen Abhang erflommen hatte. Das Geſchützfeuer oben hatte aufgehört; der Wind zertheilte die dichten Dampfwolfen, welche fich, . einem Vorhange gleich, zwifchen uns und der Befte hin-

zogen, und über mir fah ich auf einem engen, von hinten

*) Jetzt Oberfl.

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gedeckten Felſenplatean, an einem fchauererregenden Ab⸗ grunde, eine Menge Ticherfeffenwetber ftehen. Das immer färfer werdende Anpringen unferer Truppen verfünbete ihnen nur zu gewiß ihren nahen Untergang; aber feft .entfchloffen, nicht lebendig in unfere Hände zu fallen, fpannten fie ihre letzten Kräfte zum Verderben ihrer Feinde an. Bon dem, je näher wir famen, immer lichter werben den Bulverdampf umhüllt, fahen fie aus wie wolfenent- ftiegene Racheengel, die vom Berge herab Schreden und Entſetzen trugen. Ste hatten in der Hige des Gefechte thre Oberkleiver abgeworfen, und das lange dichte Haar flatterte in wilder Unordnung um den halb entblößten Nacken und Bufen. Bier Frauen rollten mit übermenſch⸗ licher Anftrengung einen ungeheuern ‚Stein herbei und fchleuderten ihn auf und herab. Der Stein rollte ein paar Schritte weit an mir vorüber und riß mehrere mei- ner Soldaten mit fi. Ich fah eine junge Frau, welche bis dahin ftarren Blicks müßige Zufchauerin des blutigen Schaufpield geweſen war, plöglich ihr fich an ihrem Kleive feſtklammerndes Feines Kind auf die Arme nehmen, ich fah, wie fle mit gewaltiger Kraft den Kopf des armen Geſchöpfs an einem hervorragenden Feksblocke zerfchmet- terte, es fchreiend in die Tiefe hinabſchleuderte und ſich dann felber nachftürste. Mehrere andere Frauen folgten ihrem Beiſpiel.

Mir zittert die Hand bei dem Aufzeichnen der Erin⸗ nerungen jenes blutigen Kampfes, den ich ohne zu zittern mitgefämpft. Ohne zu zittern... Es ſoll darin Fein Lob noch Ruhm für mich liegen; über folche Eitelkeit bin ich längft hinaus. Auch wäre es ja lächerlich, mich vor mir

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felber zu loben, denn was ich fchreibe, ſchreibe ich blos für mich. Und follten diefe Blätter nach meinem Tode dem einen oder dem andern in die Hände fallen, fo fann ed mir hoͤchſt gleichgültig fein, von ihm für einen Yelg- fing oder einen Helden gehalten gu werden. Wenn ich im

Gefecht nie der lebte geweien, fo war es weder Tapfer- keit noch Ehrgeiz, was mid in’6 Feuer trieb: ich ſuchte ven Tod, ohne gerade zum Selbſtmörder werden zu wol⸗ fen. Die, welche gefallen, haben ihn nicht gefucht, und ich, der ich ihn fuchte, habe ihn nicht gefunden. Wie viele meiner Gameraden babe ich in der Schlacht ald Helden fallen fehen, die von Haus aus- die größten Feiglinge “waren! So fonderbar es Flingen mag, fo wahr ift es, daß ein ungeübtes Auge nirgendd weniger als in ber Hibe des Befechtes, ven angeborenen Muth eined Menfchen beurthetlen Fann.

Doch ich will zurückkehren zu meiner unterbrochenen Schilderung. Adyulgo wurde genommen. Taufenve von Leichen bevedten das biutgetränfte Schlachtfeld. Nach officielen Angaben, denen man indeß faum zur Hälfte Slauben beimeffen kann, fanden fih von Seite der Ticherfefien 1300 Todte und 900 größtentheils verwundete "Gefangene. Die Ruflen zählten an Todten: 1 Staböoffieier, 9 Dberofficiere und 255 Gemeine; an Berwundeten: 1 Stabsofficier, 21 Oberofficiere und 511 Gemeine *).

Die Veſte war genommen, aber Schamyl war

*) Dieſes kann ſich nur auf den letzten Tag des Kampfes be⸗ ziehen, denn während der ganzen Belagerung blieben viele Tauſende. 20* *

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nicht darin zu finden. Mehrere Offieiere behaupteten ihn im Gefecht, umgeben von feinen weißbeturbanten Muriden, gefehen zu haben. Alle Zugänge waren während der Belagerung von unfern Truppen befeht geweſen; fo weit das Ange ſpähte, war fein Ausgang zu-fehen, durch welchen er bätte entfommen Eönnen. Der General ließ das Innere der Feſtung, alle Schluchten, Höhlen und Schlupfwinfel auf das Genauefte unterſuchen: aber Schamyl war nicht darin zu finden. Wie er ent- fommen, ift bi8 jetzt noch ein Räthfel geblieben. Es gingen anfangs über feine Flucht verfchiedene unbeitimmte Ges rüchte. Er fol nach der Niederlage feined Anhangs mit vier Muriden vier Tage lang in einer unterirbifchen Höhle verborgen und dem Hungertode nahe, ſchon im Bes griff geweſen fein, ſich dem General Grabbe zu ergeben, als ſich ihm unverhofft eine Gelegenheit zur Flucht dar⸗ bot. Schamyl beftrebte fich, unter den Bergoölfern das

Geheimniß zu bewahren, um feiner Ylucht dadurch den

Anftrich eines Wunders zu geben. .

Die erfte beftimmte Nachricht von feinem Leben und Aufenthalt gab der kumykiſche Priftam (Borfteher) Major Alpatow, welcher zweimal, am 4. und am 7. September, offizielle Anzeige machte, daß Schamyl fich in dem itich- ferinifchen Dorfe Sfiaffan aufhalte, und von dert aus ihn (den Priftam) durch einen Kumyken babe bitten Laflen, dem Befehlöhaber der ruffifchen Truppen anzuzeigen, daß er nicht alfein bereit ſei, fich zu unterwerfen, fondern fich auch erbiete, die übrigen ‘Barteiführer, Taſchaw⸗Hadſhi und Schwaib-Mullab, zur Unterwerfung zu bewegen Er werde zur Sicherheit der Ruffen die vornehmften Häupts

In

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linge der Jtjchferiner, fo wie zwei feiner eigenen Söhne als Geißeln ſchicken. Auf diefen Antrag entgegnete General Grabbe: daß er ihn erft dann annehmen könne, wenn Schamyl ſich entfchlöffe, feinen Aufenthalt in einem der unterworfenen Aoule zu nehmen, welchen zu- beftimmen er (Grabbe) fich felbft vorbehalten müſſe. Dann forderte er von den Stfchferinern außer den ebenfalls von ihm zu beftimmenden Geißeln noch ein gutes Geroähr von je zehn Saklis.

Das Detafchement unter Grabbe's Befehlen war bie zum 30. Auguft in Achulgo geblieben, und hatte fich wäh rend dieſer Zeit mit Auffuchen ver Leichen und Zer⸗ ftörung der Befeſtigungswerke befchäftigt. Am 30. Auguit brach der General nah Temir-Chan-Schura auf, feine Richtung Über Unzuhul nehmend. Schon am 1. Septem- ber traf die rechte Colonne in Himry ein. Die Bewoh⸗ ner dieſes volfreichen, ftetd zum Aufruhr geneigten Dor⸗ fe, waren fchon feit den Zeiten Kaſi⸗Mullah's und Hamfad-Beys fanatifche Anhänger der'neuen Lehre ge- weſen. Seht aber, wo die meiften ihrer Bundeögenoffen gefallen waren und fie allein dem Anbrange der Feinde nicht widerftehen fonnten, famen fie den Ruflen mit Salz und Brod *) entgegen, und gelobten Gehorfam und Unter: werfung.

“) Mit Salz und Brod bedeutet hier ungefähr dafjelbe wie in Europa die Meberreichung der Schlüffel einer Feſtung oder Stadt. Im Allgemeinen ift befanntlic Salz und Brod im Orient das Sinn: . bild ver Gaftfreundfchaft. In dem eigentlichen Rußland, fowie auch in den aftatifchen Provinzen, erhält man bei jevesmaligem Wohnungss wechfel von feinen Zreunden Salz und Brob zugeſchickt.

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Schamyl verhielt fich inzwiſchen rahig und dem An⸗ fihein nach theilnahmlos in den itjchkerinifchen Bergen, in der Hoffuung, die ruſſiſche Regierung werbe auf fein bloßed Berfprechen der Unterwürfigfeit, vierzig Familien feiner nächften Angehörigen und eifrigften Anhänger, aus der Gefangenfchaft frei geben. ©eneral Grabbe hatte hundert Ducaten auf feinen Kopf geſetzt: mehr, meinte er, fei Schamyl beim damaligen. Stand der Dinge nicht werth, wo fein Verrath an der eigenen Sache und an der feiner Anhänger feinen ganzen Einfluß vernichtet habe. Hierin bat fih General Grabbe fehr geirrt, wie der Ber-

folg unferer Schilderung zeigen wird. | Am 9. September brach das Detalchement von Temir- Chan⸗Schura nach Ticherfei auf. Im Thale des Sfulaf angelangt, famen dem General die Aelteften des Dorfes mit Brod und Salz entgegen, und bezengten ihm die Unterwürfigfeit, fo wie vie Bereitwilligfeit ver Bewohner, allen feinen Forderungen nachzukommen. -

Die Vorhut, beitehend aus drei Bataillonen des Apfcheron’schen Infanterieregimentd, war inzwifchen unter den Befehlen des Generalmajord Klüke von Klugenau über den Sſulak gegangen. Von dort aus führte ver Meg durch ein enges, zu beiden Seiten von Gärten bes

gränztes, DefilE nach dem von dem Fluſſe benamten

Dorfe. Hinter diefem Dorfe erhebt fich- ein leicht zu ver- theidigender Berg, auf welchem die Ruffen ihr Lager auf zufchlagen gedachten. Schon hatte die Spige der Avantgarde die erften Saflid erreicht, als plößlich von beiden Seiten ber ein beftiged euer auf die Truppen eröffnet wurde. Das Unerwartete des Angriffs brachte bei der Bor-

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but, welche fih im Nu von Feinden umzingeli und vom Gros abgefchnitten fah, einige Verwirrung hervor; es srfolgte ein unordentlicher Rückzug, wobei eine Bergfanone in die Hände der Feinde fiel, Kaum hatten vie Ylürhts linge wieder über die Brücke des. Sfulnf gefebt, als Diele von den Tſcherkejern in Brand geſteckt wurde. General Grabbe, welcher inzwilchen mit dem Haupteorps heran- gerüdt war und am rerhten Ufer des Fluſſes feine Stel: Inng eingenommen hatte, ließ vie Abgeſandten vor ſich fommen und machte ihnen Vorwürfe wegen der Tre tofigfeit ihres Venehmens. Sie aber beiheuerten, daß fie von dem unerwarteten Angriff eben fo überraicht jelen wie die Rufen felbft; daß diefer Aufſtand lediglich das Wert von etwa 200 die Rache ver Ruffen fürchtenpen Muriven fein könne; daß die ‚übrigen Einwohner (etwa 409 au der Zahl) durchaus Feinen Theil daran genpm- men hätten. Die Sache war fehr glaublich, da Die Ab⸗ geſandten und ein großer Theil der angefehenften Bewoh⸗ ner Tſcherkéi's fich im Lager des Generals, alfo in ven Händen des Rufen, ‚befanden. Nichtsdeſtoweniger glaubte General Grabbe fie Dafür zächtigen zu müſſen, daß fie ihren Einfluß nicht angewandt, das fträfliche Unterneh- . men zu bintertreiben. |

Am 10, September ſetzte ſich daher dad Detafchement in der Richtung nad) Miaki in Bewegung, um von dort über den Sfulaf zu ſetzen. Ungeachtet der doppelten fliegeu- ven Brücke, welche hier ven Uebergang begünftigt, brauchte man Doch noch drei Tage dazu.

Am 14. September ſchlug Grabbe in Intfchsche fein Luger auf. Schon auf dem Wege dahin waren Abgeord-

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nete von Tſcherkei beim General eingetroffen, welche auf den Knieen Verzeihung für ven legten Borfall erflehten, der ohne ihr Willen und Wollen ftattgefunden habe. Sie brachten die erbeutete Kanone zurüd und erklärten fich bereit, jede Strafe zu ertragen, welche der rufflfche Be- fehlshaber ihnen auferlegen würde, fo wie auch willig jede feiner Forderungen zu erfüllen. "

Der ritterliche General, zornentwaffnet durch die Reue und Unterwürfigfeit ver Bewohner Tſcherkéi's, nahm An⸗ fand, Diefes reiche und gewerbthätige Dorf zu zerftören, deſſen Weingärten fi in einem Umfange von 110 Werft erfireden, und gewährte die erflehte Berzeihung unter folgenden Bedingungen: er verlangte erftens die Aus⸗ lieferung aller Abrefen *)-Muriden; zweitens die Ablie- ferung von 40,000 Stück Schafen, aus 180,000, welche zum Dorfe gehörten. Ein Theil diefer Schafe folkte unter die Mannfchaft vertheilt und der Reſt an der Linie ver- fauft werden; drittens Räumung eined zur Anlegung einer ruffifchen Feſtung beftimmten Platzes (wobei ein großer Theil der Weingärten der Verwüftung preiögegeben werden mußte) und SHerbeifchaffung ded zum Bau der Feftung nöthigen Materials. Diefe Bedingungen wurben, fo ftreng fie auch lauten mochten, ohne Widerrede von den Tfcherfejern. angenommen, welche im Fall einer Weigerung, die Zerftörung ihres ganzen Dorfes zu befürdh- ten hatten. Somit endete die lebte Operation des Feld- zuges von 1839.

Die außerorventlihen Mühen und o Beben, welchen

*

e) Ahrek Ueberlaͤufer.

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die Truppen den ganzem Sommer hindurch ausgeſetzt ges wefen waren, machten ihnen Ruhe nöthig. Die Jahreszeit war zum Beginnen der Feſtungsarheiten bereits zu weit vorgerüdt.. Die Pferde, und die der Artillerie insbeſondere, waren bei dem Mangel an Grasfutter großentheifs aufs gerieben, und die übrig gebliebenen nicht im Stande, den Gebirgsfrieg länger auszuhalten. Die um dieſe Zeit. fo häufigen Regengüfle fingen an, die Gebirgswege ungang- bar zu machen; den Truppen ward baburch ein weiteres Bordringen unmöglich.

General Grabbe entließ daher das Detafthement am 237. September. Die neunzehnte Diviſion und ein Theil der Artillerie, unter Klüfe von Klugenau’d Befehlen, kehr⸗ ten nad) Temir-Chan-Schura zurüd; die übrigen bezogen die Winterquartiere an der Linie.

Die Einnahme Achulgo's, dieſes furchtbaren Felſen⸗ neſtes, welches bis dahin von den Bergvpoͤlkern für. uns nehmbar gehalten wurde, erſcheint in den Annalen des Kaukaſus als ein außerordentliches Ereigniß. Der Kaiſer war ſo überzeugt von der Wichtigkeit dieſes Sieges und von dem beruhigenden Einfluß, welchen derſelbe auf die Gemüther der Bergvölker ausüben werde, daß er zur Verherrlichung des denkwürdigen Tages eigens eine Me⸗ daille ſchlagen ließ, zur Vertheilung unter die Truppen, welche dem Sturm von Achulgo beigewohnt. Auch muß man geſtehen, daß die ausdauernde Tapferkeit der ruffi- fhen Krieger in dem bier achtmal wiederholten Kampf gegen die Riefenkräfte der Menfchen und ver Natur wirf- lich eine folche Auszeichnung verbiente; wenn gleich, wie wir fpäter fehen werden, die Folgen dieſes Sieges

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den hochgeſpannten Erwartungen der Rufen nicht ent- ſprachen. Und bier me wir einen Blid der Bewunderung auf ven Zfcherkeffenfeloheren Schamyl werfen, und ver Klugheit Gererhtigfeit widerfahren laſſen, mit weldger er ein Ereignis. zu feinem Vortheil zu wenden wußte, wel: ches beftimmt fihien, ihm auf immer Macht und Einfluß bei den Gebirgspölkern zu rauben. Fünfzehnhundert feiner treueften Anhänger. waren bei ber Vertheidigung vou Achulgo gefallen; neunhundert. Gefangene zählten bie Feinde. Der Schreden vieler Niederlage hatte fich mit Blitzes⸗ ſchnelle Durch Die Berge verbreitet; viele Staͤmme unterwmarfen ſich Den Rufien freiwillig und ſtellten Beißeln; andere erwar⸗ teten nur das Eirfsheinen der Feinde, um ein Oleiches zu thun. Schamyl ſelbſt wor, wie wir gefehen haben, zu ben Stichlerinern geflohen, yon wo ans er der ruffifchen Re gierung feine Unterwerfung antrug. Ob dieſe Friedens⸗ vorſchlaͤge ehrlich gemeint waren, oder ob dieſelben nur als Deckmantel feiner verrätherifchen Abfichten dienen foU- ten, wie fie ſich ber dem Ueberfall von Ifrherfei Eund- gegeben, it ſchwer au beſtimmen. &ben fo wenig laflen fi) die Mittel angeben, durch welche es ihm gelang, fein verlorenes Anſehen wieder herzuflellen. So viel ift gewiß, daß, als er im März des folgenden Jahres in ber Tſchetſchnja erfchlen, die Vornehmſten der meiſten Tſchet⸗ ſchen zen⸗Dorfer ſich beeilten, ihm ihre Unterwürfigkeit zu bezeugen. Viele fogar, welche ſchon lange unter den ruf- fifchen Fahnen gedient hatten, ſandten das für Auszeid- nung im Gefecht erhaltene Georgskreuz zurüd und fchloffen ſich Schamyl an.

u

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Gewigigt durch den Sturm von Achulgo, hatte Dies fer befchloffen, wieder den Parteigängerfrieg anzufangen, wie ihn Kaſi⸗Mullah und Hamfad-Beg fo lange Jahre hindurch mit Glück geführt hatten. Die Ruſſen Hingegen wollten der Kette ber Forts an der Sumdſha noch drei Glieder durch den Bau drei neuer Feſtungen hinzufügen.

Schamyl benutzte das ‚Spätjahr 1839 und den An- fang des Jahres 1840, um die Völfer des Kaufafus von - Neuem gegen die Ruflen aufzumwiegeln. Er .felbft zog von

Aoul zu Youl, und fandte feine vertrauteflen - Muriden aus, um feine ‘Plane zu verfolgen. Wo die Macht des Fanatismus und der Ueberredung feinen Eingang fand, ließ-er gewaltfam Geißeln nehmen, Die Heerden, Das ein⸗ sige beiyegliche Gut der Leute, hinmwegtreiben, oft auch "drohte er den Dörfern mit Verwüſtung. Die Sfalatauer, und unter dieſen befonders die Bewohner von. Ticherfei, blieben den Rufſen gehorfam, und machten fogar Anftalt, Schamyl ernften Widerſtand zu leiſten; allein man konnte deutlich jehen, daß es ihnen mehr darum zu thun war, ihre Heerben, welche im Lande der Kumhlen, auf ruffl ſchem Gebiet, weideten, in Sicherheit zu bringen, und daß fie nur des günfigen Augenblids harrten, um fi Schamyl anzufchließen.

Schon am 5. März erfchien letzterer in ver Nähe von Grosnaja in den tichetfchenifchen Aoulen; ein gro- Ber Theil der Bepoͤlkerung ſchlug fich gleih auf feine Seite; die Bewegung unter den Uebrigen zeigte deutlich genug, daß fie bald ein Gleiches thun würden. Hiezu kam noch Die Unzufrievenheit des Volks über die Erpreflungen und Ungerechtigfeiten eines ruſſiſchen Beamten, veflen

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Name ich verfchweige, da er fpäter durch Berluft feiner Stelle hart genug geftraft wurde. Bereits am 6. März war ein Detafchement unter ven Befehlen des Chef ver Iinfen Flanke, Oeneral Bullo, im Feld erfchienen. Er trieb Schamyl von Aoul zu Aoul, da diefer fich noch gu ſchwach fühlte, ven Ruflen in offener Schlacht die Stirn bieten zu Tönnen. Inzwifchen hatte General Golofejem den Bes fehl über die agirenden Truppen an der linfen Flanfe und im nördlichen Dagbeftan übernommen, und war am 1. April in Grosnaja angelangt. Deffen ungeachtet erlaub- ten die Umftände nicht, die Operationen fogleich zu bes ginnen. Die Wintererpebition hatte den Truppen, vorzüg- lich den Koſaken, zu flarf zugefebt; zudem erforderte Die Berforgung der Truppen mit Proviant und Munition längere Zeit. Die vor der Hand zum Zug beftimmten Truppen waren fo vertheilt, daß fie Die wichtigften Punfte befegt hielten und zugleich, im Fall der Noth, an einem Punkt concentrirt werben fonnten. In der Feſtung Gros⸗ naja flanden: 4 Batalllone des 8. .fehen Regiments, 2 Geſchütze von der 20ften leichten‘ Infanterie⸗Brigade, 2 Geſchütze von der 12ten Koſaken-Infanterie⸗Brigade zu Pferd und 44 Linien-Kofafen. In der Feſtung Umadhan- Jurt: 1 Bataillon des K.-Regimentd und 75 Linien- Kofaken. In Taſch-Kitſchu: 1 Compagnie des 10ten Lintenbataillions. In GerfelsAutl: das Ifte und 2te Bataillon des Apfcheron’fchen Infanterieregiments, 1 Com⸗ pagnie des 10ten Linienbataillons, 40 Linien- Kofaken, 100 Dann der kumykiſchen Miliz zu Fuß und 5 Gefchüpe. In der Feftung bei Starian-Jurt: 40 Mann des K.⸗ Regiments und 75 Linien-Kofaten. In Amir: Hapdfhi-*

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Surt: 30 Mann des K.-Regiments und 80 Linien- Kofaken. In Wnefapnaja: 2 Compagnien des 10ten LZinienbataillone. | |

Zur Sicherung der Linie mußten die drei Koſaken⸗ Regimenter: das MospoPfche, Grebenski'ſche und Kislar'⸗ ſche, etwa 600 Linten-Kofafen, ſich zur Verfügung des Commandanten von Wladikaukas fteflen. Ehenfo wurde ven Chefd der Linken Flanke und des Gentrums aufgetragen, eine beftimmte Zahl von Milizen zu heben, welche, vereint mit den. Kofafen, in die verfchtedenien Feſtungen am Teref und an der Sundiha.vertheilt werden follten. Das bei Umachan dislocirte 3te Bataillon des K.- Regiments hielt jenfeit8 der Sundſha, nahe dem frieplichen Tfchetichenzen- dorf, in einer Art improvifirtem Brüdenkopf. Zur Beobach⸗ tung ded Stammes der Aouchen, welcher Neigung zeigte, mit Schamyl gemeinfchaftliche Sache zu machen, ward das von Temir-Chan-Schura auf dem Marfch hierher befinvliche Zte Bataillon des Apfcheron’fchen Regiments beordert. Es erhielt zugleich den Auftrag, die Verbindung gwifchen den beiden’ Forts Gerfel-Aul und Taſch-Kitſchu zu unterhalten, zu welchem Behuf demſelben noch 50 Dann Milizen und 1 Officer zugetheilt wurden. Der in Amachan- Jurt befehligende Major Pullo ſollte fich dem Apfcheron’- fchen Bataillon gleich anfchließen, fobald Schamyl's Ab⸗ fichten, in Bezug auf die Aouchen, fich deutlicher auöfprechen würden. Auf diefe Weife konnten nöthigenfalls unverzüg- ih 4 Bataillone und 7 Gefchüge vereint werben, um das Land der Kumyken zu deden und zugleich Schamy! von feinem Unternehmen gegen die Youchen- abzuhalten. Nebſtdem war eine kleinere Abtheilung, unter den Befch-

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fen des Oberſten Neſtorow, in der Umgegend von Wia⸗ dikaukas aufgeftellt, theils zur Dedung ver grufifchen Militärftraße, theils um die Völferfchaften in ver Nähe testerer Stadt tn Gehorfam zu erhalten und fie gegen feindliche Angriffe zu fchügen. Diefes Detafchement follte, in Berfolg*der Operationen in der Tichetfchnfa, mit dem Hauptvetafchement gemeinfchaftlich agiren. Endlich wurden noch im Lauf der Erpedition zu wiederholtenmalen fleine Abtheilungen aus einem Theil der in Grosnaja ſtehenden Truppen, unter den Befehlen des Generals Pullo und bed Oberſten Breitag*), gebildet. Ueber die Stärfe ber bei diefer Erpedition thätigen Truppen läßt fich, bei ver fortwährenden Veränderung ihrer Stellungen, nichts Be- ſtimmtes fagen.

Im Beginn der Erpebition waren folgende Truppen zur Verfügung bes Generallieutenants Goloféjew geftellte 9 Bataillone vom Apfcheron’fchen, Fürft Paskewitſch'ſchen und K.-Regiment, nebſt 22 Geſchuͤtzen **), 500 Linien- Kofafen, 200 Mann berittener Bergmilizen und 200 Sap⸗ peurd. Das Sundfha’fche Detafchement, welches in ber Gegend von Rasran agiren follte, beſtand aus 1 Bataillon des Tiflifer Regimentd und 1 zufammengefehten Com⸗ mando von 300 Mann mit 8 Geſchützen. Dazu fommen noch 100 Kofafen des Bergregiments nebft 300 Mann Milizen. Nebftvem war es General Bolofejew anheimge⸗

=) Seht Generallieutenant.

=0) In dem Bericht ift im Detail angegeben, zu welchen Artillerier brigaden dieſe Geſchütze gehörten, wie viel Zwei⸗, Bier, Zehn: Pfünder ꝛc. darunter waren, was wir, nebſt andern Ginzelheiten über die Truppentheile ꝛc. hier weglafien.

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ftellt, fein Detafchement durch das Ate Bataillen des K.⸗Regiments zu verftärfen; auch konnte die Zahl ver Bergmiliz bis auf 600 Mann erhöht werden. Zur Dedung der grufifchen Militärftraße follten aus Transkaukaſten noch 4 Compagnien zugezogen werden. Inzwifchen erhiel⸗ ten die Truppen am Kaufafus, in Folge eines kaiſerlichen Befehls vom 1. Mat folgende, Verftärfungen: 24 Com» pagnien des 6ten Infanteriecorps 6044 Mann, die Res ſervediviſton des Zten Infanteriecorps 4652 Mann, 6 dont: fche Kofafenregimenter, zufammen 4500 Mann. Die zweite Batterie der donifchen Kofafenartillerie mit 8 Gefchügen.

Rah dem vom Kaifer beftätigten Entwurf der Erpe- bition von 1840 follten drei Befeftigungen zur Sicherung des Kumpfenlandes, fo wie des Gebietes des Schamchals von Tarfi errichtet werden, und zwar zuerft bei Tfcherfä und Gerfel-Aul. Der inzwifchen ansgebrochene Aufſtand der Tichetfchenzen zwang General Goloféjew, den vorge- -fehriebenen Plan etwas zu modificiren; um jedoch dem allerhöchften Befehl wenigſtens nach Möglichfeit entgegen zu fommen, brach er am 19. Mai von Grosnaja nah Gerfel-Aul auf, und begann den Wiederaufbau der Feſtung, die bereit früher hier befanden.

Der Bau, obwohl nur aus Erdwällen mit fleben Baftelen und einem fteinernen Thurm beftehend, ging fehr langſam von ftatten, da bie nöthigen Truppenabſendungen zur Herbeifchaffung des Gefchüges, Baumaterial, Pro⸗ viants ꝛc. die Zahl der Arbeiter bedeutend verringerte. Zudem fah fich der General gendthigt, zweimal felbft mit dem größten Theile der Truppen eine Bewegung zu uns ternehmen, das erftemal zu den Aouchen und dad andere

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mal zu den Efalatauern, welche, aufgehegt durch Die Gegenwart einiger Muriden, aufs Neue Miene machten, fich zu empören. Ueber diefen Unternehmungen und fort gefegten Beftungsarbeiten vergingen mehr als zwei Mo- nate. Schamyl war indefien auch nicht müßig gewefen. Eingedenk des ſchlechten Erfolges feines vorjährigen Zuges und befonder8 des ungeheuern Verluftes, den er bei der Einnahme von Achulgo erlitten, ergriff er jegt eine neue Art von Kriegführung. Er theilte feine Macht in verſchie— dene Parteien, unter Anführung feiner Unterbefehlshaber Achwerdũ⸗Mohammed *), Schwaib-Mullah **), Taſchaw⸗ Hadſhi, Dſchewad⸗Chan u. a. m. So machte er abwech⸗ felnd Einfälle in das Land der Kumyfen, bebrohte bald die Linie, bald die Militärftrage von Kisljar, bald Awa—⸗ rien und das Land des Schamchals. Um feinen Anhang zu vermehren, verbreitete er überall dad Gerücht: Ihrahim- Paſcha ziehe mit einer bedeutenden Macht zu feiner Hülfe herbei, Durch folche und ähnliche Mittel gelang es ihm, beis nahe die ganze Tfchetfchina und die ganze Tſchetſchnia und den größten Theil der Berguölfer des Dagheftan an fich zu ziehen; felbft in der Kabardah entftand eine beveu- tende Gährung, welche jedoch durch Einfchreiten der Rufs fen nicht zum Ausbruch Fam.

Endlich, am 28. Julius, traf General Golofejew mit dem Detafchement in Grosnaja ein, und begann am

1848 Bei einem Ueberfall gegen ausgezeichneten, den Ruflen

19 des Jahres 1844 in der

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29. feinen Zug in die Tſchetſchnija. Sein Zweck dabei war vorzüglich die inzwifchen reif gewordenen Saaten und die Dörfer der abtrünnigen Tfchetfchenzen zu ver: heeren, um die Einwohner dadurch zur Unterwerfung zu zwingen. |

Der erfte Zug fand wenig Widerftand ; beim zwei⸗

ten aber hatten die Truppen einen heftigen Strauß zu beſtehen. Der härtefte Schlag jedoch, welcher vom Feinde feit längerer Zeit vorbereitet war, um das weitere Vor: dringen der Truppen zu verhindern, traf die Ruflen beim Flüßchen Valsrik. Die Tfcherfeffen hatten mit großem Kraftaufwande im Waldesdickicht und das Ufer des Flüß- chend entlang Verhaue angelegt, und fich fo zu verbergen

gewußt, daß die Ruffen fchon eine Menge Leute verloren _

hatten, ehe fie noch einen Feind zu Geſicht befamen. Es entfpann fich ein mörderiſches Handgefecht, in welchem zwar die Ruffen Meifter blieben, aber gegen 350 Mann an Getödteten und Verwundeten verloren. Die Truppen, welche an diefem Gefecht Theil nahmen, beftanden aus 2 Compagnien Sappeurs, 6 Bataillonen Infanterie (4000 Mann) und 1400 Kofafen. Die Zahl der Gefchüse belief fih auf 14. Am folgenden Tage ſtieß Goloféjew auf.das Detafchement des Generald Labinzow, beftehend aus 3 Bataillonen Infanterie, 6 Geſchützen und ungefähr 600 Koſaken. Es tft zu beflagen, daß die Bewegungen der . beiven Detaſchements nicht beffer eombinirt gewefen, und weder, dad eine, noch das andere von den vorbereiteten Hindernifien Kunde erhalten Hatte. Den Ruffen hätte dadurch ein großer Verluſt erfpart und den Tſcherkeſſen ein ververblicher Schlag beigebracht werden fünnen. Es 3

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war dieß ein neuer Beweis, wie fchlecht das Spionwefen rufftfcherfeitS noch beftellt if.

Inzwifchen hatte Schamyl, fein Hauptaugenmerf ſtets auf Amarien und Dagheftan richtend, in erfterm Lande bereit8 feiten Fuß gefaßt. Eilf Aoule waren aldbald zu ihm übergegangen, und auch der übrige Theil Amariens, aufgeregt durch den Uebertritt Habfhi-Murade, neigte ſich ftarf auf die Seite Schamyls. Diefer beprohte nun aud) Dagheftan und das fchamfchalifche Gebiet; Doch eine ber beutende Niederlage, welche ihm General Klüfe von Klu- genan am 10. Julius beibrachte, zwang ihn zu den Sfalatauern zu fliehen, die, fo wie die Tfcherfejer, ſammt⸗ lich zu ihm übertraten. Auf die Rachricht.von dem Er- fcheinen Schamyl’8 im Dagheftan rüdte General Golo- féjew fogleich mit feinem Detafchement nach Temir⸗Chan⸗ Schura; da er aber hier Feine Gefahr fah, begnügte er fich, Klüfe von Klugenau durch zwei Bataillone zu ver: ftärfen, und kehrte wieder in die Tfchetfehnia zurüd, um die dort angefangenen Feſtungsbauten fortzuführen. Hieran wurde er jedoch durch gemefjene Befehle des Oberbefehls- haberd verhindert, welcher ihm den Auftrag gab, fi einzig und allein mit der Beftrafung der aufrührerifchen Tſchetſchenzen zu befchäftigen.

Aus verſchiedenen Urſachen und beſonders in Folge einer erhaltenen Wunde, war Schamyl abgehalten wor⸗ den, den Zichetfchenzen thätigen Beiftand bei dem erften Angriffe auf ihr Land zu gewähren. Diefe, unzufrieden darüber, fingen an in ihrer Treue gegen ihn zu wanfen. Sie fandten mehrere ihrer Aelteften zum Oberbefehlsha— ber nach Tiflis, boten. Unterwerfung an, und baten zu

467 gleicher Zeit um Abbülfe einiger Bedrüdungen, die fe von. ihrem Chef erlitten hatten.

Schamyl aber, von ihrem Vorhaben in Kenntniß gefest, erſchien alfobald perfönlich in der Tſchetſchnja und wußte durch ſeine Gegenwart alle Gemüther wieder für ſich zu gewinnen.

Die, Folge davon war, daß die von General Golo⸗ win erlaffene Broclamation, in welcher den Tfchetfchenzen ‚vollftändige Amneftie angeboten war, ohne Wirfung blieb. Da fich auf dieſe Weife alle Unterhandlungen zerfchlagen hatten, fo brach am 27. September General Golofejew mit feinem neu verftärften Detafchement auf, um bie ab» gefallenen Tſchetſchenzen durch Zerftörung ihrer Dörfer und Wintervorrätbhe zu beftrafen, und um mit feinen Ka- nonen ihrer wiederholt geäußerten Neigung, fich zu unter- werfen, zu Hülfe zu kommen. Schamyl jedoch, deſſen Zwed weniger war, das Land der Ifchetfchenzen zu ſchützen, als deſſen Anterwerfung zu verhindern, fam den Ruffen _ durch mehrere Beifpiele graufamer Beftrafung der ihm Adtrünnigen und das Zufammenziehen eines Haufens von 2000 Mann Sfalatauer, Andier und Lesghter zuvor. Ge- neral Golofsjew nahm, nachdem er eine Menge Dörfer zerftört hatte, eine fefte Stellung bei dem Aoul Jerment- fchuf ein, wo er auf einer durch das Flüßchen Dſchalka gebildeten Halbinſel eine Wagenburg aufführen ließ. Diefe Befeftigung follte, unter Bedeckung eines Bataillons, dazu dienen, das ſchwere Gepäd, die Verwundeten u. f. f. aufzunehmen, während mit der Hauptabtheilung Die-Streif- züge in der Umgegend, zur Verheerung ver feinhlichen

Dörfer, unterhalten wurden. Obgleich die Tichetfchenzen 30*

unverhohlen ihre Unzufriedenheit mit Schamyl zu erken— nen gaben, wegen der anſcheinenden Unthätigkeit, mit wel⸗ cher er die Zerſtoͤrung ihrer Dörfer und der bedeutenden Wintervorräthe zuließ, fo wagten fie doch nicht, fich ven Ruſſen zu unterwerfen, aus Beſorgniß, die Rache des gefürchteten Imams auf ſich zu ziehen. Auch General Grabbe, welcher am 14. October in Grosnaja angekom⸗ men war und, den Oberbefehl felbft wieder übernehmenp, zwei Züge. in die Tſchetſchnja machte, fonnte, trog der bedeutenden dabei eingebüßten Mannfchaft Fein befriedi- gendes Refultat erlangen, und. endigte daher am 20. No⸗ vember den Feldzug dieſes Jahres, deſſen einzig wichtiger Erfolg die Erbauung der Vefte von Gerfel:Aul war. Die Erbauung einer elenden Feſtung mit dem Blute fo vieler taufend Menfchen erfauft *)! Nach den offictellen Berichten wurden im Laufe des Feldzugs von 1840 ruffifcherfeit8 11,344 Artilleriepatror nen und 1,206,575 Gewehrpatronen verfchoffen!

*) In einem Aufruf Schamyl’s an die Bergvölker fullen die Worte fiehen: Die Ruffen bauen ihre Feſtungen aus Dienfjenfnochen, . and Blut dient ihnen als Kitt.

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Elftes Capitel.

Schamyl als Geſetzgeber und Adminiſtrator.

Aus dem Vorhergehenden haben wir nur Schamyl, den Krieger und Häuptling, kennen gelernt als einen jener ftarfen, unbeugfamen Charaktere, die jeder Freiheitskampf erzeugt, wie gewitterſchwangere Wolken den Blitz; als einen jener ſtarken Charaktere die, hohen Felſen gleich, aus den Fluthen des wogenden Völkermeeres emporragen.

Schamyl iſt aber nicht nur Krieger und Heerfuͤhrer, er iſt zugleich Prieſter, Geſetzgeber und Reformator. Um⸗ ſichtig in der Wahl und glücklich in der Anwendung ſei⸗ ner Mittel, klug das Vorhandene benuͤtzend und ſchoͤpferiſch das Fehlende ergänzend, hat er den Grund zu einem Staatsbau gelegt, deſſen Vollendung denn die Nach— welt urtheilt nur nach Erfolgen ſeinem Namen einen glänzenden Platz in der Geſchichte ſichern wird. Das Volk, an deſſen Spige er heute fleht, ift erft durch ihn zum Volke geworben, und dieſes Umfchmelzen der heterogen- ften Clemente zu einer einzigen unauflösbaren Maſſe, diefe Bereinigung einer Menge durch Sitten, Tradition

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und angeerbten Haß getrennter Stämme war nicht weni«- ger ſchwer auszuführen, als es fein würde, ein einiges Deutfchland herzuftellen. Er mußte, um fein Ziel zu errei- chen, die Macht zahllofer, friegerifcher Häuptlinge brechen und, ein Mann des Volks, über Fürften zu Gericht ſitzen; er mußte den Haß confeffioneler Parteien verföhnen, welche fih feit Jahrhunderten feinvlich gegenüber ſtanden; er mußte, wie einft Theſeus den Minotaurus, das furchts barfte aller Ungeheuer, die menfchenverfchlingende Bluts rache befämpfen, der jährlich die Edelſten des Volks als Opfer fielen; er mußte, was mehr ift denn alles dieſes, Neues an die Stelle des Alten feen, mit der einen Hand ſchaffend, wo er mit der andern zerftörte. Er wirkte nach allen Seiten hin, und überall wußte er feinem Wirfen den Stempel des Genie's aufzubrüden; in Allem, was er that, beurfundete er, daß er ein Herrſcher fei von Gottes . Onaden. Die Neuerungen, welche Schamyl eingeführt, find nicht, wie bei den Türfen, von außen verfuchsweife angepaßte, die. mit engen Hofen und Jacken anfangen und mit dem Ruin des Staates aufhören: es find durch die Nothmendigfeit des Augenblidd erzeugte, aus ben innerften Bedürfniſſen des Volkes erwachſene und feinem ©eifte entfprechende Neuerungen. -

Durch Gründung einer neuen Doctrin, gleichlam eines frifchen, auf den alten Baum des Islam gepfropfr ten Glaubenszweiges, verfühnte er den glühenden Haß der fich bis dahin-feindlich befämpfenden Secten Omar’d und Ali's, und umſchlang fo bie zerftüdelten Stämme des Dagheftan mit dem ftarfen Bande gemeinfamen Glau⸗ bend. Hiemit war der erfte und wichtigfte Schritt gethan;

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denn der gemeinfame Glaube wurde bald allen das Unter: pfand gemeinfamen Haffes gegen die Ruffen.

Durch einige glüdlich beendigte Kriegsunternehmune gen erhöhte und. befeftigte Schamyl das Vertrauen und den Muth der ihm gehorchenden Stämme. Inmitten ber Wirren ded Krieged fand er noch Zeit, ein neues Geſetz⸗ buch zu fchaffen, ein ftehended Heer zu gründen und durch Einführung einer neuen Berwaltung feiner Macht eine ſichere Bafis zu geben. Wir werben verfuchen, hier in geprängtem Auszuge ein Bild der Organifation des von Schamyl gegründeten Staates zu liefern, doch müſſen wir entfchuldigend bevorworten, daß bei den wenigen _ fichern Quellen, welche uns zu Gebote ftehen, dieſes Bild ein mangelhafte und unvollfommenes fein wird, um fo mehr, da ed nur. Die Anfänge eines Staatögebäudes zeigt, defien Vollendung wir noch, entgegenfehen müſſen.

Alles Schamyl unterrwworfene Land wird in ‘Brovin- zen und. Naibthümer *) (Statthalterfchaften) eingetheilt ; die Zahl der Aoule, aus welchem ein Naibthum befteht, ift verfchieden und hängt von der Beitimmung des Mur⸗ fhideri ab. Je fünf Naibthümer, deren jeded von einem Naub (Statthalter) regiert wird, bilden eine Provinz. An der Spitze jeder Provinz fteht ein Oberbefehlshaber, der weltliche und geiftliche Gewalt in fich vereint. Die Namen der zur Zeit der Aufzeichnung” diefer Blätter beftallten Dberbefehlöhaber waren: 1) Achwerdü⸗,Mahoma;

*) Der Raumerfgarniß wegen iſt Die Aufzählung der einzelnen Naibthümer, deren Zahl ſich auf einige zwanzig beläuft, hier weg— gelaflen.

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9 Hadſhi-Murad; 3) Kidit- Mahoma von Ti- litlä; 4) Daniel Sultan von Jelißui. Die Namen der vornehmften Naibs find: Nur-Mahomed, Ali, Tfehaga- Hadſhi, Ulubey, Haflan von. Burtugai, Abufar- Kabdi, Kaſi-Jaf, Abdurachman-Debir ıc. *).

Die Pflichten eines Naib8 beftehen darin, das ihm anvertraute Gebiet ftreng zu verwalten, die vorgefchriebe- nen Abgaben einzutreiben, Recruten auszuheben, auf firenge- Erfüllung des äußerlichen Geſetzes (Scharyat's) zu fehen, Streitigkeiten zu fchlichten, der Blutrache Grän- zen. zu feßen ıc.

Nicht alle Oberbefehlähnber und Naibs find mit gleicher Macht befleivet; Achwerdü - Mahoma, Hadfhis Murad, Ulubéy⸗Mullah und Nur-Mahomed, die treueften und bemährteften, genießen nicht nur in beſonders hohem Grade das Vertrauen Schamyl's, fondern unterfcheiven fih auch noch durch äußere Ehrenzeichen von den andern. Zudem haben fie unumfchränkte Vollmacht, nad) eignem Gutachten zu richten und zu ftrafen, Togar Todesurtheile fönnen fie eigenmächtig fällen. Die übrigen Naibe find beichränkter in der Ausübung ihrer Amtspflichten, dürfen nichts Wichtiges ohne Schamyld Zuftimmung unterneh- men und müſſen ihm alle Verbrecher von Belang aus⸗ liefern. Jever Naib hat einen, ihm an Rang gleichftehen- den aber von ihm abhängigen Gehülfen ; außerdem befindet fich in jedem Aoule ein Richter oder Aelteſter, welcher gehalten ift, dem Naib über alle beveutenderen. Vorfälle regelmäßig zu berichten. Diefem Richter liegt außer der

*), Debir-⸗-Kadi.

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Aufrechterhaltung der Ruhe, Schlichtung der Streitigfei- ten, Auslieferung der Verbrecher ıc. noch die Pflicht ob, die vom Imam oder den Raibs fommenden Befehle und Prorlamationen auf's Schleunigite in feinem Bezirk be- fannt zu machen; auf ein gegebened Zeichen” verfammelt ſich alles Volk auf dem öffentlichen Plate, und ver Xeltefte oder ein Mirfa verlieft mit lauter Stimme das ihm zuge- “- fommene Schreiben. _

Ale waffentragenden Männer haben zu beitimmten Stunden ded Tages Zutritt zu den Häufern der Aelteften und Raids. Ä |

ever Naib muß 300 berittene Krieger unterhalten, bei deren Aushebung Folgendes beobachtet wird: Je zehn Häufer eines Aouls ftelen einen Krieger; die Yamilie, welcher vderfelbe angehört, ift, jo lange er lebt, von allen Abgaben frei; die Ausrüftung und Unterhaltung des Sols daten fällt den übrigen neun Samilien zur Laft. Die Krie- ger dürfen nie, felbft nicht während fie ſchlafen, ihre Waffen ablegen, um bei jevem Aufrufe gleich zum Kampfe

gerüſtet zu fein. Die ganze berittene Miliz Schamyl’s belief fih im Jahr 1843 etwa auf 5000 Mann.

Doch müflen außer den ftehenden Truppen auch die übrigen männlichen Einwohner jedes Aouls vom fünf: zehnten bis zum fünfzigften Jahr im Tummeln der Roſſe und in der Führung der Waffen geübt fein, um bei un- erwarteten Weberfällen ihre Häufer felbft vertheidigen und in Zeiten brängender Gefahr Schamyl’d Heer verftärfen zu können. In folchen Fällen führt jeder zu den ftehen- den Reitertruppen zählende Krieger den Befehl über die Mannfchaft der zehn Häufer, aus welchen er gewählt

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wurde. Bon Echamyl bis auf den leuten Anführer herab wird auf die firengfte Ordnung und pünftlichfte Befols gung ver gegebenen Befehle gefehen; der geringfte Unge- horfam wird nach Umftänden oft mit dem Tode beftraft.

Schamyl felbft ift ftetd von einer auderlefenen Leib- wache umgeben, deren Glieder Murtofigatoren *) genannt werden. Bei der Wahl diefer Krieger wird die größte Vorſicht beobachtet; nur Leute von unzweifelhafter Tapfer- feit und Treue, welche von der Heiligkeit der Lehre des Murfchiden durchdrungen find, werden dazu genommen. So fchwierig und mißtrauiſch Schamyl bei der Wahl diefer Leute tft, fo unbegrängt ift wiederum fein Vertrauen zu ihnen, wenn fie einmal der Zahl feiner Auserwählten angehören. Doch müffen die Murtofigatoren das hohe Anfehen, in welchem fie vor allen übrigen Kriegern ftehen, auch durch ſchwere Opfer erfaufen. Sie fagen fi, fo lange fie ein Glied der Kette bilden, welche ſchütend bie geheiligte Berfon ded Murfchiden umgiebt, feierlich von allem, was fie fonft an's Leben feffelt, los; die Unvers heiratheten müſſen ledig bleiben, und die Verheiratheten dürfen während ihrer Dienftjahre in Feinerlei Verbindung mit ihrer Familie ftehen. Sie müffen, dem Beifpiel Scha- myl's folgend, allen übrigen Kriegern in gewiffenhafter Bollziehung des Scharyats, in Mäßigfeit und Enthalt- famfeit vorangehen. Ihr ganzes Streben muß auf die Ausbreitung der neuen Lehre -gerichtet fein; fe find wil- lenlofe Werkzeuge in den Händen Schamyl’d, der die geringfte Wiverfeglichfeit mit dem Tode beftraft. Die Zahl

mu

”) Die Murtofigatoren bilden die Blite der Muriden.

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der Murtofigatoren beläuft fi auf etwa 1000 Mann. Ihre Eintheilung ift ganz- nach dem Decimalſyſtem: je sehn von ihnen haben einen Anführer, zehn folcher Ans führer haben wieder ihren Chef u. f. f. Daffelbe. gilt von der Reitermiliz der Raibs. Diefe Anführer haben große Borrechte, tragen Abzeichen zur Andentung ihrer Würde und ftehen in hohem Anſehen bei ihren. Untergebenen. Nur Leute, welche fi) durch Tapferkeit und Bildung auszeichnen, werden dazu erwählt. Jeder Murtofigator erhält von Schamyl eine Löhnung von etwa drei Gulden monatlich, und hat außerdem einen beftimmten Theil an der Beute. Jeder Aoul, wohin Murtofigatoren gefandt werden, muß biefelben unentgeldlich unterhalten; die Hochs achtung, welche der Leibwache des Imam's .gezollt wird, geht fo weit, daß es fich jeder Aoul zur Ehre anrechnet, Glieder der auserlefenen Schaar in feinen Mauern zu bewirtben. |

Nie Hat fih ein Verräther unter den Murtofigatoren gezeigt. Sie find dem Imam mit unwandelbarer Treue und Anhänglichfeit ergeben, und von fo Friegerifchem Geiſt befeelt,-daß ihnen der Tod im Gefecht als fihönftes Ziel des Ervenlebens gilt. Sie find der Schreden ver ruffifchen Heere und die Stüge und Zuverfiht Schamyl’s und feiner Krieger.

Sie fechten mit einem Muthe und einer Kaltblätig- feit, wovon die ruflifchen DOfficiere mit Bewunderung erzählen. Man bat Fein Beifpiel, daß ein Murtofigator feinen Feinden lebendig in die Hände gefallen wäre. Sie find die. Pfeiler der Herrfchaft Schamyl’s, wie im Kriege fo im Frieden, und unferer Beachtung um fo wuͤrdiger,

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da fie fich nicht bloß durch rohe Tapferkeit und Todes— verachtung- auszeichnen, wie wir das bei ven Arabern ver Wiüte ebenfalls finden, fondern auch durch ein höheres, geiftiged Band zufammen gehalten werben. Wie zur Kriegs- zeit die Vorfämpfer im Gefecht, find fie zur Zeit Des Frie⸗ dens die begeifterten Apoftel der Lehre Schamyl’8 und die Vollſtrecker feiner Geſetze. Obgleich felbft ohne Ver⸗ mögen, haben fie ftetS über bedeutende Summen zu ver: fügen, welche fie nach eignem Gutachten zur Verfolgung ihrer Zwecke verwenden Fönnen. |

Sie bilden zu gleicher Zeit die geheime Polizei Scha⸗ myls; überall haben. fte ihr wachſames Auge; wer von ihnen angeflagt ift, wird ohne weiteres gerichtet. Vor ihren Späherbliden find felbft die Priefter und Richter nicht fiher, fie find der Kitt, welcher die Steine, aus welchen. Schamyl die Veſten feiner Macht aufgeführt, zufammenhält.

Die Einfünfte Schamyl’s, fo wie auch feiner Vors gänger Kaſi⸗Mullah und Hamfad-Beg, beftanden früher bauptfächlich aus der im Kriege gemachten Beute, wovon nach herfömmlicher Sitte dem Anführer der fünfte Theil zukam; das übrige wurde nach gefeglich beftimmter Ord⸗ nung unter bie Krieger und Unterbefehlöhaber vertheilt. Nebeneinkünfte waren die für jede Uebertretung der Vor- jchriften des Scharyatd eingeführten Strafen. In der neuern Zeit, ald die Herrfchaft des Murfchiven fich immer mehr ausbreitete und befeftigte, war Schamyl darauf bes dacht, durch geregelte Strafgefege und andere Verfügungen feine Einkünfte zu mehren und zu fichern.

Folgendes ift der Hauptinhalt der zu dieſem Zwede erlafienen Verordnungen:

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1) Die Raidfchaften Gumbet und Andi bezahlen jähr- lih einen Silberrubel Kopffteuer für. jede Familie; die übrigen Stämme, wo das Geld feltener ift oder auch wohl ganz mangelt, liefern für ven gleichen Werth Erzeugniffe des Feldes over ihrer Inpuftrie.

2) Alle Stämme liefern den Zehnten von ihrer Ernte.

3) Alle vie beveutenden Abgaben und Gefchenfe, welche früher den Mofcheen und Walfahrtsorten, zum - Bortheil eined Heeres von Pfaffen und Dermifchen, zu- fielen, fließen jest in die allgemeine Kriegskaſſe. Die Priefter werden zur Entſchädigung beſoldet, die ftreitbaren Derwifche aber unter die Miliz geſteckt und bie übrigen fortgejagt.

4) Wenn ein Krieger im Gefecht erſchlagen wird und feine Nachkommenſchaft hinterläßt, fo fällt-fein bewegliches und unbewegliched Gut der allgemeinen Kriegsfafle zu. Auf Seitenlinien der VBerwandtfchaft wird feine Rüdiicht genommen.

Dieß find die Grundzüge und Hauptverordnungen über das Finanzweſen Schamyl’d. Ohne Zweifel beftehen noch eine Menge andere daneben, wir haben jedoch darüber feine genaue Auskunft einziehen Eönnen.

Alle Gelveinfünfte müflen direkt vem Finanzverwalter Schamyl's überliefert werden. Die Eintreibung ver aus Korn, Früchten ac. beftehenden Abgaben. fällt der Sorge - der Naibs anheim. _

Der Imam wird häufig der Habfucht und eines über- triebenen Geizes geziehen, da es befannt ift, Daß er an verſchiedenen fichern Plägen, in Andi und den Itſchkerini⸗ ſchen Wäldern, Schäge von Gold, Edelſteinen und andern

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Koftburkeiten verborgen hält. Diefe Beſchuldigung erfcheint und eben fa ungegründet wie ungeredjt. In feiner Lage ift die gewiffenhaftefte Sparfamfeit. eben fo flug wie noth- wendig. Schamyl bedarf großer Hülfsmittel, um im Rampfe mit den fich ſtets erneuenden Streitfräften des gewaltigen Ruffenzaren nicht unterzugehen, und um fein großes Ziel, pie Gründung eines neuen Reiches im Bagheftan, zu verfolgen. Zudem betrachtet er die gefammelten Schäte nie ald perfönliched Eigenthbum. Wie er in Mäßigfeit und Einfachheit der Lebensweiſe dem gemeinften feiner Krieger ald Mufter dienen kann, fo ift er auch in allem, was feine Berfon betrifft, bis zum Geize fparfam; aber wo es gilt, eine tapfere That zu belohnen, einen mädh- tigen Stamm auf feine Seite zu bringen, und in ähn- lichen wichtigen Fällen, ift er freigebig bi8 zur Verſchwen⸗ dung. Während die ruffifchen Dffictere ihre mit Blut er- rungenen Orden auch noch mit fchwerem Gelde bezahlen müſſen, hat Schamyl einen Orden für Tapferfeit und fchwer Verwundete geftiftet, welcher dem Inhaber drei Silberrubel monatliche Penſion fichert. Aus al’ dieſem leuchtet ein, daß feine Sparfamfeit nicht gemeiner Art ift.

Mit dem Wachfen ver Macht und des Einfluffes Schamyl's, fo wie mit der Einführung. einer geregelten Anminiftration vergrößerte fi) auch der Kreis feiner Thätigfeit, und vermehrten fi) die Beziehungen, in wel« chen er zu feinen Naĩbs und fonftigen Untergebenen ftand ; es waren deßhalb obgleich fein Wille heilig geachtet und ohne Säumen vollzogen wird doch zur Beſchleu⸗ nigung des Gefchäftöganges eine Menge neuer Einrich- tungen nöthig. Zu Ende des Jahres 1842 legte Schampl,

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nach dem Vorbilde der Ruflen, eine fogenannte fliegende Poft an, vermittelft welcher alle Nachrichten und Befehle mit unglaublicher Schnelligfeit befördert werden. In jedem Aoule muß fortwährend eine Anzahl der: beften Pferde sur fchleunigen Beförderung durchkommender Eilboten gefattelt bereit ftehen. Die Eilboten find zu ihrer Legiti- mation mit geitempelten, von Schamyl oder feinen Naibs unterzeichneten Freiſcheinen verfehen. Wo ein Eilbote fol chen Sreifchein vorzeigt, wird ihm augenblidfich ein fris fche8 Pferd nebft einem wegfundigen Führer angewiefen. ft der Courier durch Erfcehöpfung oder irgend einen Un⸗ fall außer Stand gefegt, feinen Auftrag zu vollziehen, fo wird er von der Gemeinde verpflegt und ver Vorſteher des Aouls wählt fchnell einen andern an feiner Stelle ꝛc.

Leider haben wir nichts Genaued darüber ermitteln fönnen, wie zu Ghaſi⸗-Mohammed's und Hamſad-Beg's Zeit die Inneren Zuftände der dem Murfchiven gehorchen: den Stämme waren und worin die Befoldung der Unter: befehlshaber und fonftigen Angeftellten beftand. Ehe Scha- myl fein neues Verwaltungsſyſtem in's Leben gerufen hatte, pflegte er die ihm erwiefenen Dienfte mit Gefchenfen, beftehend in Pferden, Waffen, Hämmeln, Kleidungsftüden, und oft auch mit Geld zu belohnen. Dreißig Silberrubel vom Imam empfangen zu haben, wurde als eine große Auszeichnung - betrachte. Mit dem Jahr 1840, nach der volitändigen Drganifation der Murtofigatoren, wurden verfchiedene Orden eingeführt, über deren Werth und Be⸗ deutung wir hier mittheilen werden, was davon zu unferer Kenntniß gekommen ift. |

Die erfte Decoration befteht aus einer runden, filbernen

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Medaille, welche nur einem Jus-Baſchi (Anführer von 100) zu Theil werden kann, wie aus der Infchrift felbit hervorgeht, welche Die Worte enthält: „Dem Jus⸗Baſchi *** für Tapferkeit.“

Die zweite Decoration beſteht aus einem breiegigen Orden, welcher nur einem Ütſch-Jus⸗Baſchi (d. i. Chef von 300) zu Theil werden kann. Das Anſehen, —* dieſer Orden verleiht, iſt eben fo groß wie feine Erthei⸗ “lung felten. Nur audgezeichnete Tapferkeit kann zum Beſitz deſſelben führen, wie auch die Infchrift befagt: „Dem *** für ausgezeichnete Tapferkeit.

Die dritte und: höchfte Auszeichnung find filberne Epauletten und eine Degendrottel-von demfelben Metall. Diefe Decoration verleiht fürftliched Anfehen und ift neben- bei noch mit großen pecuniären Bortheilen verfnüpft. Nur Beſch⸗Jus⸗Baſchi's (Chefs von 500) kann diefelbe zu Theil werden. Diefe Epauletten -unterfcheiden ſich von ven ruffifchen dadurch, daß ſie nicht aus Silberdraht, fondern aus gefchmiedetem Silber beftehen.

Zu Ende des Jahres 1842 fing Schamyl an, in feiner Armee eine gewiffe Rangordnung nad) eurspäifchemn Borbilde einzuführen. Die drei vornehmften Naibe: Achwerdü-⸗Mahoma, Schwaib-Mullah und Ulubey-Mulfah erhielten den Chrentitel General; den übrigen Raibs, fo wie verjchiedenen Anführern der Murtofigatoren, wurde ver Titel Capitän beigelegt.

Die zur Würde eines Generals Erhobenen erhalten, ald Merkmal ihrer Auszeichnung, zwei Silberftüde, in Form eines halben Sternes, welche zu beiden Seiten ber Bruft getragen werben. Der ruffifche Fürft Orbeljanow,

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welcher lange bei den Bergvölfern in Gefangenfchaft ge- wefen, behauptet auf der Bruft Schwaĩb⸗Mullah's zwei fünfzadige Sterne geſehen zu haben. Alle übrigen Naibs, fowie Diejenigen, weldje den Titel Kapitän führen, tragen zur Andeutung ihrer Würde eine Heine Silberplatte von opaler Form. Die Stellvertreter der Naibs, fowie die Richter oder Aelteften der Aoule, tragen ald Auszeichnung eine Fleine Silberplatte, an Form dem Schlüſſelblatte an unſern Thürfchlöffern ähnlich.

Noch müſſen wir eines Merfmald der Auszeichnung Erwähnung thun, wovon bis jegt nur ein Eremplar vor- handen ift, welches Achwerdü-Mahoma, der Liebling des Murſchiden, trägt. Es ift dieß-eine große filberne Medaille mit der Inſchrift in-arabifcher Sprache: „ES gibt feinen zweiten Helden gleich Achwerdü-Mahoma, und feine zweite Schafchfa gleich feiner Schaſchka.“

Außer den hier aufgezählten Decorationen bedient fich Schamyl noch-vieler anderer Mittel, um den fich durch Zapferfeit Auszeichnenven öffentliche Anerfennung zu ge- währen. Als in dem denfwürdigen Feldzuge von 1842 mehrere Stämme im Kampfe fich befonders hervorgethan. hatten, wurden den Naib8 derfelben zur Belohnung fchön geſtickte Ehrenfahnen überfandt. Bei der Eroberung des £urinifchen und des Fafttumychifchen Gebietes wurden den Ticherfeffen zwei rufftfche Fahnen zur Beute, welche der Kaifer den genannten Stämmen für ihre frühere Anhäng- lichkeit an Rußland gefchenkt hatte. Eine derfelben erhielt Schwaib-Mullah und die andere Wubey-Mulah, zur Be- Iohnung ihrer Thaten in den Wäldern von Stichferi, wo

die beiden Naibs, wie wir weiter oben gefehen haben, 3

482 u das von Grabbe befehligte Heer zurüdfchlugen und fomit feine Pläne, Dargo zu erobern, vereitelten.

Eben fo mannichfaltig, wie feine Belohnungen, find auch die Strafen, welche Schamyl eingeführt hat. Yür das Heinfte Vergehen gegen die Borfchriften des Scharyats oder bie. Befehle des Imams wird eine Gelpftrafe -einge- trieben. (Wenn Fein Geld vorhanden ift, fo muß eine ver feftgefeßten Summe an Werth entfprechende Menge von Feldfrüchten dafür geliefert werben.)

Die Straffummen werden verdoppelt oder gefteigert, nach Maßgabe ver Größe des Vergehens. Wer z. B. bei einem Diebftabl ertappt wird, muß das Doppelte des geftohlenen Gutes erfegen. Die eine Hälfte davon fällt dem rechtinäßigen Cigenthümer und die andere Hälfte der Kriegskaſſe anheim.

Wer im Gefechte‘ fich Feighett hat zu Schulden kom⸗ men laſſen, dem wird als Zeichen der Schande ein Stück Woilok (grober Filz) um den rechten Arm gebunden; wer dem Feinde in der Schlacht den Rücken zukehrt, dem wird ein ſolches Stück Woilok auf den Rücken genäht; dieſe .entehrenden Kennzeichen der Feigheit können nur durch mehrfache Beweife von Tapferfeit wieder entfernt werben. Den filztragenden Kriegern ift ftreng aller Umgang mit grauen unterfagt; fie bilden gewöhnlich die fogenannten „enfans perdus“ im Gefechte.

Die feltfame Strafe des Filztragens erinnert an eine alte perſiſche Sitte, derzufolge die ber Feigheit beſchul⸗ digten Krieger, weß Ranges ſie auch ſein mochten, in Weiberkleider geſteckt wurden. Es wird fogar erzählt, daß, zur Zeit des Königs Abbas, der Statthalter von Choraſan,

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Ali⸗Kuli⸗Chan, weil er in einer Schlacht gegen Theimuras, den Fürſten von Georgien, die Flucht ergriffen, einen ganzen Tag in Weiberkleidern zum Spotte der Soldaten im Feldlager umhergehen mußte. Auch im Gjüliftan des Saadi (Bierted Capitel) fommt eine auf obigen Ger brauch Bezug habende Stelle vor, wo es heißt: „hr tapfern Männer folgt mir und ftreitet frifch, daß man euch nicht weiblicher Kleidung würdig achten muß.” _

Do fahren wir in der Aufzählung der Grundzüge des von Schamyl entworfenen Strafgefegbuches fort.

Ueber Leute, welche fich bedeutendere Vergehen haben zu Schulden fommen laſſen, wird außer der Geldbuße noch Kerferftrafe verhängt. Bon der Graufamfeit Diefer Kerferftrafen, wo die Arreftanten nur eben hinreichende Nahrung erhalten follen, um vor dem Hungertode gefchüßt zu fein, haben die Ruſſen viel gefabelt; wer indeß die abfcheuliche Menfchenfchinverei in den mosfowitifchen Ge- fängniffen gefehen, der wird mit und darin übereinftims men, daß die Ruffen in dieſem Bunfte ſchwer zu erreichen - und unmöglich zu übertreffen find. Zudem möchte dem Murfchiven Schamyl, der über ein Häuflein zügellos auf- gewachfener Burbaren herrſcht, übermäßige Strenge bei Beltrafung von Berbrechern eher zu verzeihen fein, ale dem mächtigen Ruflenfaifer, ver fein Banner in drei Welt: theilen wehen läßt und fein Volk zu den gebildeten Völ⸗ fern Europa’s zählt.

Die Todeöftrafe, welche auf Mord, Verrath und Treubruch geſetzt ift, befteht in der Hinrichtung mit dem Schwert und zerfällt in zwei Elaffen, genannt das Ehren⸗ gericht und das Schandgericht.

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Der zum Ehrengericht Berurtheilte feßt ſich nad mufelmänntfchem Brauche mit untergefchlagenen Beinen auf die Erde, entblößt mit eigner Hand Hals und Bruft, beugt nach verrichtetem Gebet feinen Kopf vorwärts und empfängt fo den tödtenden Hieb.

Dem, zum Schandgericht Verdammten wird der Ober⸗ theil des Körpers von Henkershand entblößt, und ver Kopf auf einem Block abgehauen.

Eine dritte Art der Hinrichtung, und die graufamfte von allen, ift das Erfchießen oder Erdolchen. Diefe Strafe ift jedoch Außerft felten und wird nur ausnahmsweiſe an Muriden vollzogen, welche der Verrätherei überführt find.

% x *

Schamyl herrfcht über die ihm unterworfenen Stämme des Dagheitan und ver Zfchetfchnja als unumfchränfter Gebieter und hat, wie wir im Verlauf diefer Blätter ge- feben, jein Hauptbeftreben darauf gerichtet, aus den vielen - vereinzelten Stänmen ein neue, unabhängiges Reich zu bilden. Die Ausführung dieſes großen ‘Planes ift jedoch mit faft unüberſehbaren- Hinberniffen verfnüpft. Eine Menge Stämme, unter welchen wir befonderd Karadı, Andi, Gumbet, Sfalatau und Andalal hervorheben, ge- horchen dem Imam mehr aus Furcht ald aus Anhäng- lichfeit, da die Ruffen, die Wichtigkeit des Beſitzes dieſer Länder wohl würbigend, al’ ihren Einfluß anwenden und ‚weder Gefchenfe noch Berfprechungen fparen, um die Ein- wohner auf ihre Seite zu bringen. Sollte jedoch Schamyl nur noch einige Jahre im ungeftörten Befig diefer Länder bleiben, fo ift anzunehmen, daß es ihm bei feiner ftetd

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richtigen Wahl der Mittel. auch gelingen ‘werde, fie mit feinen übrigen Beflgungen dauernd zu verfchmelzen.

Die Schwierigfeiten, gegen welche der Imam zu fämpfen hat, erfcheinen um fo größer, je näher man bie Zuftände der Länder des Dagheftan in's Auge faßt, wie fie vor’ ihm waren. Nicht aus den ritterlichen Mannen der Adighe, Ubychen und Schapfuch bildet er fein Heer; Stämme, wovon einige durch langjährige Sklaverei ent- würdigt, andere unter Raub und Plündern groß geworz den waren, aus deren Herzen habfüchtige und unwiſſende Priefter alle Scheu vor der Religion vertilgt. hatten, Die feine andern Geſetze Fannten als die herfömmlichen Ge- bräuhe und ihren eignen Willen dieß waren zum großen Theil die Glieder, aus welchen Schamyl den furchtbaren Körper bildete, defien Seele er ift. Die Meiften _ Fümpfen aus. reiner Yreiheitsliebe, Viele hingegen, wie das nicht anders zu erwarten ift, aus weniger edlen Ab⸗ fihten; die einen lockt Hoffnung auf Beute, die andern das Feuer der Worte oder Furcht vor der unausbleib— lichen Rache des Imams; aber das Ziel Aller ift: Ver⸗ treibung der Ruffen aus dem Dagheftan.

In früherer Zeit waren die Tfchetfchenzen gewiffer- maßen das leitende Volf im Oſten des Kaufafus; ihnen ſchloſſen fich vie Lesghier und Amarier immer an, wenn ein Heereszug gegen die NRuffen unternommen werden foltte; feit aber Kaſi-Mullah und Schamyl unter den Lesghiern aufftanden, nahmen die "Zuftände eine andere Geftalt an; die Lesghier befamen die Oberhand, und bie ZTichetfchenzen haben feit der Zeit in einer unwillig ge— tragenen Abhängigfeit von ihnen geftanden. Schamyl hat

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feine Refivenz freilich in den Hochgebirgen ver Tfchetfchnia, ift aber immer von Lesghiern umgeben; ein Gleiches gilt von feinem Lieblingsnaib, Achwerbü-Mahoma. Als im Jaähr 1841 die Nasraner durch einen Ueberfall heimgeſucht wurden, berief Schamyl Hadfhi-Murad mit 500 lesghiſchen und awarifchen Kriegern zu ſich, weniger zur Berftärfung der agirenden Truppen als zur Cinfchüchterung der Zfchetfchengen, welche wiederholte Beweife von Unzufrie- denheit gegeben hatten. Diefe Unzufriedenheit der ftolzen Bewohner der Tſchetſchnia hat ihren Grund nicht nur in der verfchiedenen Abftammung dieſes Volkes, fondern ift auch noch aus dem geringern Glauben veflelben an die Göttlichfeit der Sendung Schamyl’3 zu erflären. Uebri⸗ gens ift fein Einfluß und Anfehen unter ven Tfchetfchenzen mehr im Steigen ald im Sinfen begriffen, und übers haupt weiß von den vielen dem Imam gehorchenden . Stämmen eigentlich feiner, wer ſich am meiften feiner Gnade zu erfreuen hat; er ſchreckt und beftraft die einen durch die andern, um fie fo allefammt in Furcht umd Gehorfam zu erhalten. 2 | Um ſich ein größeres „Anfehen zu geben, erhält - Schamyl feine Muriden in vem Wahn, er ftehe in fort- währendem Briefivechfel mit dem türftfchen Sultan und dem Pafcha von Aegypten. Die Ruffen behaupten, daß er zu diefem Zwede häufig fingirte Briefe fchreibe, des In⸗ halts, als ob ihm die genannten Fürften Berficherungen ihrer Sreundfchaft und baldigen Hülfe machten, daß er ferner diefe fingirten Briefe den Kadi's und Prieftern zu⸗ fende mit dem Befehle, fie in den Mofcheen und Bolfs- verfammlungen vorzulefen.

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Seine angeblichen Unterredungen mit Allah und dem Propheten läßt er wohlweislich nur ein-, höchftens zweimal jährlich ftattfinden, und gewöhnlich zu einer Zeit, wo ed fih um Ausführung irgend eines großen Unter: nehmens handelt.

Unm ſich zu dem feierlichen Afte vorzubereiten, begibt er fi) entweder in eine verborgene Höhle, oder er ver- fchliept fih in feine Gemächer, wo er drei Wochen mit Saften, Gebet und Lefen des Korans zubringt. Während. diefer Zeit wird das Haus auf's Strengfte bewacht und Niemanden der. Eintritt geftattet. Am Abend des leuten Tages feines Einſiedlerlebens verfamnielt er die vornehm- fien Anführer und Geiftlihen um fih, und verfündet ihnen mit feierlicher Stimme, daß Mohammed der Prophet ihm erfchienen fei in Geftalt einer Taube, ihm Befehle ertheilt, hohe Geheimniffe offenbart, und ihn ermahnt habe beharrlich fortzufahren im heiligen Kriege u. f. f. Hierauf zeigt er fich dem in unabfehbaren Haufen das Haus um⸗

ringenden Volke, ſingt einige Verſe aus dem Koran ab und hält dann eine lange eindringliche Rede vol Glau- benseifer und Ruffenhaß. In dieſer Rede wird zugleich dem Bolfe das Wichtigfte aus der neuen Offenbarung mitgetheilt, und darauf von der ganzen Berfammlung eine feierliche Hymne angeftimmt; alle waffentragenden Män- ner ziehen ihre Dolche, erneuern den Eid der Glaubens⸗

- treue und des Ruffenhaffes und zerftrenen ſich unter dem Ausrufe: „Bott iſt groß, Muhammed iſt fein erfter Prophet und Schamyl fein zweiter !“

Die Kadis und Mullahs Fehren in ihre Aoule zu: rüd, verkünden allem Bolf die Wunder, die fie gefehen

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488 und gehört haben, und im ganzen Lande folgt eine Woche allgemeiner Keftlichfeit und Freude der langen Yaftenzeit des vergötterten Imams.

Bei feiner firengen Handhabung der Gerechtigfeit, welcher fogar fchon einige feiner nächiten Verwandten zum Opfer geworden, fonnte es nicht auäbleiben, daß fich Schamyl unter -Lesghiern fowohl wie unter Tfchetfchenzen eine Menge mächtiger Feinde machte; auch wäre er längft durch das Schwert der Blutrache gefallen, wenn er nicht in der Wahl feiner Umgebung fo Außerft vorfichtig zu MWerf ginge. Niemals zeigt er fih allein; der Zutritt zu feiner Perſon ift für alle, die nicht zu feinen Vertrauten gehören, mit großen Schwierigkeiten verbunden. Auch hält er auf ftrenge Befolgung des vorgefchriebenen Geremonielld; wer ihm naht, muß fi ohne Unterfchied des Stan⸗ des und Ser Perſon bis zur Erde verbeugen und den Saum feined Gewandes küſſen.

Sein Haus ift Tag und Nacht von zahlreichen Wachen umgeben; verläßt er feine Wohnung, fo wird er immer von einem Gefolge feiner vornehmften Murtofigatoren begleitet. Bei größeren Reifen in folchen ‘Provinzen, von deren treuer Ergebenheit er überzeugt ift, beläuft fich fein Gefolge auf 5001000 Reiter ; in der Tiehetfchnia aber und andern Ländern, wo die Beftechungen der Ruffen nicht ganz ohne Wirkung geblieben find, ift er immer von 2—5000 Mann umringt.

Mebrigens thut man Schamyl gewiß Unrecht, wenn man diefen Gebrauch lediglich feiner Furcht zufchreibt; "man weiß, daß das Gefolge afiatifcher Fürften europäl- jhen Augen immer unverhältnigmäßig groß erfcheint.

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489 Dem Europäer fann man auch durch die größte Einfach- heit, dem Aſiaten aber nur durch Glanz und Gepränge imponiren. | Auch die Statthalter Schamyl's find ftetd von einem nach Verhältniß ihres Ranges mehr over minder großen Gefolge umgeben. |

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Bwölftes Capitel.

Fortſetzungen der Kriegsoperationen von 1840— 18423. Hadfhi-Murad der Abr«k. Dfhelal:Epvin. Fürft Argutinsfy-Dolgurufy (Longomanus). Golowin. Abberufung Grabbe’3 vom Kaufafus.

Das Ende des Sohred 1840 wurde durch ein für die Ruſſen ververbliches, obwohl durch ihre eigene Schuld herbeigeführtes Ereigniß bezeichnet.

Hadfhi-Murad, der Liebling des Volks der Awaren, der gewandteſte Reiter und tapferfte Krieger im Dagheftan, derfelbe, welcher aus Liebe zu feinem Bater und um Rache zu üben für feinen Milchbruder,- Tichonan-Beg, Hamfad-- Beg, den Murfchiden, erſchlug; Hadfhi-Murad, der fieben Jahre hindurch mit feltener Treue und Umſicht über Awarien geherrſcht, der zweimal Schamyl von den Mauern von Chunſach zurüdgefchlägen, dem die Ruffen, ſeit Hamſad⸗Beg's Tode, al’ ihre Erfolge im Dagheftan zu verdanken hatten: Hadſhi⸗Murad war auderforen, als Opfer ruffifcher Beſtechlichkeit und Berrätherei zu fallen!

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Aber, er wußte den Schlingen der ruſſtſchen Tſchi⸗ nowniks zu entgehen, noch ehe das dunfle Loos an ihm erfüllt ‘wurde, das ihm die Knute zum Lohn für feine Thaten, und Sibirien ald zweites Vaterland beſtimmt hatte. Er entfam glüädli aus Chunfach und entfandte einen Boten an Schamyl mit einem Briefe diefes Inhalts:

„Ich bin gefallen durch. den Undank Derer, vie ich erhoben. Sch, der noch vor Kurzem über Awarien herrfchte, zum Ruhme der gottverfluchten Ruſſen, ich irre jet um⸗ ber ein Flüchtling auf heimifcher Erbe.

„Allah hat, die Bürde feines Zorned auf mich ges wälzt, daß ich meinen Arm den unglänbigen Ruften lieh, - zum Verderben der Streiter feines Glaubens. Sch fliehe von meinen falfchen Freunden zu Dir, meinem furchtbar ften Feinde, und .biete Dir meine Rache und meinen Arm an. Du haft die Stärfe meined Armes erprobt, als ich gegen Dich focht bet Chunfach, willſt Du fie noch ein» mal erproben, jest da ich Fomme für Dich zu fechten?«

Die Antwort Schamyl's lautete:

„Ruhm fei Allah, dem Allbarmherzigen, dem Aller barmer! * Ä | Gott führt irre wen er will, und er leitet auf den rechten Weg wen er will! Du haft in der Sinfterniß gewandelt und bift gefommen, zum Lichte zurück⸗ zufehren: unfere_Thore follen Dir offen ftehen, und un⸗ fere Hände fich ausftreden, Dich zu empfangen.

Gott hat uns feine Zeichen verfündet, und an Dir tft in Erfüllung gegangen, wie der Brophet geredet hat: Wenn ver Gläubige ftrauchelt, fo hält ihn Bott jelbft bei der Hand zurüd: Wahrlich, die Zeit wird

uw

fommen, wo die ſchwarzen Fittiche des ruffifchen Dop⸗ peladler8 verbrennen werden am Halbmonde, dem leuch- tenden Banner der Gläubigen!

Beide Schreiben wurden in dem nächften Aufrufe . Schamyl's, mit - vielen Citaten und Zufägen vermehrt; den Völkern des Dagheftan mitgetheilt, um ihnen bie Berworfenheit der Ruffen und die Gnade Allah's, der die irrenden Gläubigen wieder auf den rechten Weg führt, anfchaulich zu machen.

Hadſhi⸗Murad's Flucht brachte allgemeine Unruhe und Verwirrung in Amwarien hervor. Ein Theil des Lan- des ging zu Schamyl über, welcher Hadſhi-Murad mit einem Detafchement abgeſchickt hatte, um den günftigen Augenblid zu benugen, dad Volk auf feine Seite zu brin- gen. Doch waren auch die Rufen, denen Alles daran lag, fih in dem ihnen fo wichtigen Beſitze Awarien's zu bes haupten, nicht müßig geblieben. Mit überlegener Heered- macht zogen fie gegen Habfhi-Murad aus, -verdrängten ihn aus dem Gentrum des Landes, wo er fich feſtgeſetzt hatte und zwangen ihn, fich nach dem Aoule Ihoch, am Koißu, im Andifchen Gebiete zurüdzuziehen.

Aber obgleich die Ruffen durch die fchleunige Ent- fernung Habfhi-Murad’8 der Sache für den Augenblid eine unverhofft günftige Wendung gegeben hatten, ſo war der Einfluß, welchen ver Naib*) auf das Volk hatte, doch zu groß, ald daß fein Abfall nicht von nachhaltenden Folgen geweſen wäre. Wo er mit feinem Häuflein durch offene Waffengewalt nichts erringen konnte, mußten ger

*) Schamyl hatte Hadſhi⸗Murad zu feinem erften Naib ernannt. _

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heime Unterhandlungen aushelfen. Er hatte e8 lange Jahre hindurch zu ehrlich mit den Ruſſen gehalten, als daß ihr verrätherifher Undanf nicht feine ganze Seele mit Haß und glühender Rachfucht angefüllt hätte. Die ver- berblichen Folgen dieſes thatfräftigen Haſſes zeigten ſich bald." Kaum glaubten die. Ruflen die Ruhe im Innern ded Landes wieder. hergeftellt zu haben, als fich plotzlich einer der mächtigften awarifchen Häuptlinge, Kibit-Ma- boma*) von Tilitlä, öffentlich von ihnen losſagte, und eine Menge anderer Stämme bewog, feinem Beifpiele zu folgen. Bergebens boten die Rufen alfe ihre Streitkräfte auf, die abgefallenen Stämme wieder zu unterwerfen; fie fanden überall den hartnädigften Wiverftand und mußten ſich unverrichteter Sache zurüdziehen; Schamyl’d Macht und Anfehen vergrößerten fih von Tage zu Tage; die wiederholten Schlappen, welche er den NRuffen beibrachte, fteigerten den Muth und das Vertrauen der Seinen auf's Höchfte; wie groß der Antheil war, welchen Habfhi-Murad an diefen Erfolgen hatte, leuchtet aus der Thatſache her- vor, daß fich fett feinem Abfalle Schamyl's Gebiet in wenigen Monaten um das dreifache vergrößert hatte. Seine Herrfchaft dehnte fich ſchon nach Norden bis zu- den Feftungen Georgiewsk und Kisljar, und gen Süden bis zu der Feſtung Ssamur aus.

In Tiflis machten die bedrohlichen Fortſchritte der Waffen des furchtbaren Murfchiven die Iebhafteften Be⸗ forgniffe rege. Die Ruſſen trafen fchleunigft Anftalt zu

*) Mahoma, Mehmed, Mahomed, find häufig vorfommende Ents fellungen des Namens Moöͤhammed.

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einem leuten entſcheidenden Zeldzuge gegen Schamyl. Große BVerftärfungen von Gefchüg und Mannfchaft wurden aus Rußland herbeigezogen, eine zahlreiche Milig wurde aus Beorgiern,. Armeniern, Zataren und Tufchen gebildet und der Sardaar ?), General Golowin, welcher dem Baron Rofen im Regiment gefolgt war, fiellte ſich ſelbſt an die Spike feiner Truppen. Die Expedition nahm ihren Ans fang im Lenz; des Jahres 1841.

Schamyl hatte durch feine Spione frühzeitig Kunde won den beprohlichen Rüſtungen der Rufen erhalten und ließ es auch feinerfeits an Vorbereitungen zu hartnädiger Begenwehr nicht fehlen; aber die Schwierigfeiten, welche fh ihm dieſes Mal hindernd entgegenftiemmten, waren größer und bevenflicher, ald ale Diejenigen, mit welchen er früher zu Fämpfen gehabt hatte. Das Gerücht, daß der Sam mit feiner großen Heeresmacht perfönlich gegen fie zu Felde ziehe, Hatte Schreden und Beſtürzung . unter den Männern des Gebirgs verbreitet. Der bloße Titel Sardaar war ihnen feit Jermolow's **), des ruſſiſchen Teufels, Zeit, der felbft jede Erpedition befehligte, in furchtbarem Gedächtniß geblieben. Schamyl mußte feine ganze Beredfamfeit und Gewaltmittel aller Art anwenden, um bie wanfelmüthigen Stämme im Gehorfam zu erhal ten. Der erfte Angriff der Ruflen war auf den durch

*) Sardaar Oberbefehlshaber. h 2) Moskow⸗Scheitan, ber ruffifche Teufel, it der Beiname, welchen die Bergvölker bem General Jermolow gegeben haben. Den jebigen Statthalter am Kaufafus, Fürſt Worunzom, nennen De Ticherkefien Jarim⸗Krall (den halben König) zur Bezeichnung der großen Gewalt, mit welcher er ausgerüftet if.

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feinen Handel und Reichthum fo bedeutenden Aoul Tſcherkéi gerichtet, von deſſen wichtiger Lage ıc. wir fchon in unferer Schilderung des Feldzuges von 1839-40 ausführlicher gefprochen haben. So wichtig auch für Schamyl der Beſttz des ihm neuerdings unterworfenen, mehr Durch Die In⸗ duſtrie, ald den Friegerifchen Geift feiner Bewohner bedeu⸗ tender Aouls fein mußte, jo hielt er e8 Doch nicht für rath⸗ fan, fich hier hbemmend dem Strome der ruffifchen Trup⸗ pen entgegenzuftemmen; er 309 ed vor, ven Platz ohne ale Bertheidigung den Ruffen zu überlafien, um nicht gleih zu Anfange der Expedition feine Streitfräfte an den ehernen Fronten der ruffifchen Batterien zu zerfplit- tern. Wir haben fchon zu wiederholten Malen im Ber- lauf unferer Gefchichte gefehen, daß Schamyl gejchidt jedem größern Kampfe ‚mit feinen Feinden auszumweichen fucht, und nur in Momenten unausbeugbarer Nothwen⸗ digfeit feine ganze Truppenmaffe der überlegenen Macht

‚ver Ruffen entgegenftellt. Sein Heer befteht größtentheils

aus bunt zufammengemwürfelten Stämmen, welche früher felbft untereinander in ftetem Hader lebten, biß fein ftar- fer Arm fie zu einem gewaltigen Ganzen vereinte. Gr

muß diefe Schaaren fortwährend in dem Wahne erhal-

ten, daß er ihr Führer, der gottgefandte ‘Prophet und unbefiegbar fei, und daß jede Niederlage nicht feinem eigenen Mangel an Kraft, fondern dem zürnenden Finger Allah's zuzufchreiben fei, der fie hin und wieder für ihre Zweifel und ihren Unglauben züchtige. Er weiß fehr wohl, daß durch eine entfcheidende Niederlage, gleich zu Anfange einer Erpedition, das ganze Gebäude biefed Glaubens sufammenftürzen würde, und ift daher vorzüglich darauf

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bedacht, das Heer der Ruſſen durch Rückzüge, Einräu- mung von Feſtungen (welche er ſpäter doch einzeln wie- der erobert), fo wie durch einzelne Anfälle zu serftreuen und zu fchwächen.

Befonderd in der Erpedition von 1841, wo zum Erftenmale der Sardaar perſönlich gegen ihn zu Felde zog, mußte Schamyl -außerorbentlich vorfichtig zu Werke ‚gehen; er fah voraus, daß, dem gefürchteten Sardaar gegenüber, in den Augen .feiner Murivden der Hleinfte Sieg fein Anfehen mehr fteigern, und die Fleinfte Niederlage daffelbe mehr ſchmälern würde, ald alle frühern Siege und Niederlagen zufammengenommen. Das Ende - ver Erpedition beweift, wie Hug er Alles berechnet hatte und mit welcher Umficht und Thatkraft er die Ausführung feiner Bläne verfolgte. Er opferte ven Ruffen ohne Schwert- ftreich Tifcherfei, erftend weil er einfah, daß eine hart- nädige Vertheidigung dieſes Aouls ihm unnüge Zeit und Menfchen geraubt haben würde, und zweitens weil die angrenzenden Stämme der Nouchen, Sfalatauer, Gumbe- ter und Andier eben diejenigen waren, auf deren Erge- benheit er am wenigften bauen Fonnte. Erft kurz vorher hatte er den Kaft von Andi enthaupten laffen, weil der- - felbe auf das Gerücht ded Anzuges ber rufftfchen Armee heimlich Unterhandlung mit dem Sardaar gepflogen und . den Ruſſen Unterwerfung gelobt hatte. Der Kaſi aber hatte eine Menge mächtiger Freunde und Verwandte unter den Stämmen von Andi und Gumbet, welche aus Rache ihren Einfluß benußten, das Volk gegen Schamyl auf zuwiegeln, und den Ruffen zum Zeichen ihrer Unterwer- fung Geißeln mit Brot und Salz zu fchiden. Die alfo

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vereinzelten Stämme der Aouchen und Sfalgtauer, welche dem Verheerungszuge der Ruflen zunächſt ausgeſetzt waren, folgten, um ihre Heerden und Häufer zu retten, dem Bei- fpiele ihrer Nachbaren, fchidten Geißeln und gelobten Un- terwerfung. Die Ruffen rüdten mordend und brennend in dad Gebiet der Aouchen und Sfalatauer ein, alle Fel- der, die fie paffirten, wurden verwüftet, die Heerden geraubt, die Häufer geplündert und den Flammen preis- gegeben... Die in ihren Erwartungen getäufchten Ein- wohner fammelten fich wieder und fochten wie Verzwei- felte gegen ihre verrätherifchen Unterjocher, aber ihre Zahl war zu Klein, und fie mußten der Uebermacht unterliegen. Biele von ihnen flohen in die Berge von Itfchferi und der großen Tichetfchnja und. riefen Schamyl zur Hülfe herbei; mehrere hundert Familien, welche den Ruſſen in die Hände fielen, wurden zur Berftärfung der Militair⸗ eolonien an der Linie nach den Ufern ded Kuban und Terek gefchleppt. Kaum Hatte Schamyl die Kunde von dem Berheerungszuge der Feinde vernommen, ald er unverzüglich mit dem Kern feiner Truppen herbeieilte, und den Ruflen eine Niederlage nach der andern bei- brachte. Er unterwarf im Fluge Andi und Gumbet, er: oberte das Gebiet ver Aouchen, verjagte die Rufjen aus Sfalatau und drängte fie bis zu dem inzwifchen ftarf befeftigten Aoule Tſcherkéi zurüd. Jede fpätere Unterneh- mung der Ruſſen in Diefem Jahre blieb ohne allen Erfolg, und die Einnahme von Ticherfei war das einzige Refultat des fo große Erwartungen rege machenden Feldzuges von 1841.

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So fehr die Ruſſen durch dieſen fchlgefchlagenen Feldzug in den Augen der Bergvölfer an Furchtbarfeit ‚verloren hatten, fo fehr war Schamyl an Macht und Anfehen geftiegen. Er hatte Die Feinde fammt ihrem Sar⸗ daar and dem Felde gefchlagen, und fomit war das Ber: trauen der Bölfer ded Dagheftan zu ihm auf immer befeftigt. Alle abgefallenen ZTichetfchenzenftämme kehrten reumüthig unter feine Herrichaft zurüd; bie zu beiden Ufern des Koigu gelegenen, dad Gebiet der Kaſikumychen begrenzenden Stämme Karad) und Andalal, welche bie dahin unter ruffifchem Schutze geftanden hatten, ſchickten Abgeorpnete zu Schamyl und trugen ihm Unterwerfung an; die dort anfäffigen Ruffen wurben theild getöbtet, theild verjagt, und das Land von Schamyl in Beſitz ge- nommen. Man fieht hieraus, daß die Vortheile, welche dem Murſchiden durch die Vergrößerung feined Gebiets erwuchfen, die Rachtheile, welche er durch vie Aufopferung ded Aoules Tſcherkéi erlitten hatte, bedeutend überwogen. Zudem lebte zu Ende der Erpevition ein ganz anderer Geiſt unter feinen Truppen, als zu Anfange derjelben. Der Titel Sardaar hatte nichts Furchtbares mehr für fie. Sie hatten den Rüden ihrer Feinde gefehen und wußten jest, daß es nicht der alte Löwe Jermolow war, der gegen fie fämpfte. Tie Stämme der Efalatauer und Aouchen, welche unter den Fahnen der Ruffen Schutz und Eichers heit zu finden geglanbt hatten, fonnten ed den Feinden nicht vergeflen, daß fte jo fihredlich in ihrem Lande ge⸗ bauft, ihre Felder verwüftet, ihre Heerden geraubt, ihre Weiber gefchändet, ibre Aoule verbrannt und hunderte von Familien gefangen varongeführt hatten. Der Schreden,

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welchen ver Sardaar bei feinem Anzuge um fi} her ver- breitet hatte, war gewichen, und Haß und Rachfucht dafür an die Stelle getreten. Gerade Die Stämme, auf deren Hülfe Schamyl früher wenig oder gar nicht rechnen -Tonnte, waren jegt die furchtbarften Werkzeuge der Rache in feis ner Hand geworben.

* * *

Um den 2efer auf das nähere Verftänpniß des Fol- genden vorzubereiten, müſſen wir hier einen Augenblid auf den fehon mehrfach in diefen Blättern erwähnten Mullah Dihelal-Evvin, den alten Lehrer Schamyl's, zu- rüdfommen. Diefer Dfhelal-Edpin ift derfelbe, welcher, wie wir zu Anfange unferer Gefchichte gefehen haben, zu⸗ fammen mit Kafi-Mullah, Schaban, Juffuf und Chan- Mohamed, im Jahre 1824 von Mullah⸗Mohammed von Sarah, dem erften Murſchiden des Dagheftan, die Weihe zum heiligen Kriege und zur Verkündigung der neuen Lehre empfing.

Während feine Weihgenoffen predigend und fechtend die Aoule des Dagheftan durchzogen, lebte Dſhelal-Eddin dem Anfcheine nach rnbig, aber in Wirklichkeit nicht mins der thätig, al8 die andern, im Gebiete der Kaſtkumychen. Er unterhielt eine lebhafte Correfpondenz mit den ange: fehenften Häuptlingen und Mullah's der angrenzenden Länder, und verwandte feine ganze Thätigfeit darauf, nach allen Seiten bin Haß und Abſcheu gegen die Ruffen anzufachen.

Befonderd nüslich wurde er den Anhängern der neuen

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Lehre, als er fpäter zum Mirza *) Ardlan-&han’s ernannt (welcher befanntlich mit den Ruflen gemeinfchaftliche Sache machte), im Stande war, feine Freunde immer auf Das Genanefte von den Plänen und Borbereitungen der Ruf- fen zu unterrichten. Sein Einfluß fleigerte fich noch unter der Regierung Nunzal-Chan’s, des Nachfolgers Arslan's; am wirkfamften wurde jedoch feine Thätigfeit, als vie Ehanin Hülfum-Bike, die Wittwe Arslan-Chan’s, an die Spige der Verwaltung trat. Er wußte diefer Fürftin durch vie Weberlegenheit feines Geifted und feiner Kenntniffe fo zu imponiren, daß fie nichts ohne feinen Rath und Willen zu unternehmen wagte. Dfhelal-Eodin war der Hebel der Bolfemeinung in dem Furinifchen und Fafifumyihifchen Gebiete, und das lebendige. Drafel aller Stimme des Dagheftan. Dſhelal⸗Eddin iſt noch jebt der Einzige im Dagheftan, vor dem felbft der gefürchtete Imam Schamyl dad Haupt beugt, ihm ehrerbietig die Hand füßt und geduldig und folgfam auf feinen Rath hört. Er ift ver Einzige, der durch fein ehrfurchtgebietendes Aeußere und durch feinen firengen Lebenswandel bei allen Mufelmän- nern ded Dagheftan im Rufe der Heiligfeit fteht, wie bei denen, die für die Ruffen find, fo bei denen, welche gegen fie kaͤmpfen. In tieffter Seele Murid, von dem glühend- fien Fanatismus begeiftert, ein eingefleifchter Feind aller

#) Hier in der Bedeutung von Geheimfchreiber oder Sekretär. Sonft heißt Mirza fowohl Fürft als Schriftgelehrter, je nachdem es einem Namen vor⸗ vder nachgefeht wird. So hieß z. B. mein Lehrer der orientalifchen Sprachen in Tiflis: Mirza-S chaffi. Wäre er fürftlicher Herkunft oder mit fürſtlichem Range bekleidet gewefen, fo würde fein Name gelantet haben: Schaffi-Mirza.

501 Auffen, war Dfhelal-Evdin, obgleich von jeher alfer Fries gerifchen Thätigfeit fremd, zu den höchiten Stufen des Anfehend im Dagheftan emporgefttegen. Unermüdlich fuchte - er den Kreis feines raftlofen Wirfens immer mehr aus— zubreiten, und verfolgte mit Umficht und Yeftigfeit das vorgeftedte Ziel: Verbreitung der neuen Lehre, Belebung des Haſſes gegen die Ruffen und Verringerung ihrer Gewalt. Und leichter als irgendwo fonnte er diefed Ziel in den kaſikumychiſchen und Furinifchen Landen erreichen, über welche dad den Ruffen fcheinbar ergebene, in der - Seele aber feindlich gefinnte Gefchlecht Arslan⸗Chan's herrfchte. Trob des. wiederholt ergangenen ftrengen Ber= boted der Ruffen ſtanden die Kafitumychen in fortwäh- rendem Handel und Verkehr mit allen den Muriden unter . worfenen Aoufen; über achtzig Kaufleute hatten Schug- und Geleitbriefe von Schamyl erhalten. Machmud⸗Beg, der Mitregent der Chanin Hülfum-Bife, wußte und tole- rirte nicht allein alles dieſes, ſondern war (wie die Ruſſen behaupten) ſelbſt in Verbindung mit Imam Schamyl, und ſuchte deſſen Pläne heimlich zu unterſtützen und zu beför- dern. Wenn einer der Handelöleute aus dem kaſikumychi⸗ fchen Gebiete von den Muriden geplündert worden war, jo hatte er fih nur an Machmud-Beg zu wenden, und das Geraubte wurde unverzüglich zurüderftattet. Auch die . Kuriner waren in ftetem Verfehr mit den Muriven; Blei, Brot, Waffen, Tulupas*), Zeuge aller Art, oft fogar Gelb führten fie ihnen zu, nicht ohne Vorwiſſen ihres Hert-

*) Tulup ein kurzer, pelzgefütterter, vorn durch Hafen ge: haltener Rod.

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ſchers, welcher ſich jedoch ftellte, ald ob ihm das Alles unbefannt fei, und wenn er zuweilen von den Ruflen des Gegentheils überführt wurde, fo wußte er fich ſtets durch allerlei Ausflüchte aus der Schlinge zu ziehen... Die eigentliche Triebfeder biefer ftets fchwanfenden Zuſtände war Dſhelal⸗Eddin, des Murfchiven geheimer Helfer und Ratbgeber...

Die bedeutende Ausdehnung, welche die Herrfchaft ber Muriden in Folge des für die Rufen fo ungküdlich abgelaufenen Feldzuges von 1841 befonderd durch Schamyl's Beſitznahme von Andalal, Kara, und des foigubulinifchen Gebiets erhalten hatte, bewog den Ober⸗ befehlshaber Golowin, der immer mehr um ſich greifenden Macht der Feinde dadurch einen Damm. zu fegen, daß er dem mit dem Terrain genau befannten Senerallieutenant Heft die Verwaltung aller Dagheftan’fchen Provinzen und den Oberbefehl fämmtlicher dort ftehenden Truppen an⸗ vertraute. Diefe Truppen follten noch von Eis-Kaufaften aus verftärkt, und Felt Dadurch in Stand geſetzt werben, eine enticheivende Wintererpebition gegen Schamyl zu unternehmen, um die von Letzterm eroberten Brovinzen, und befonders die durch Hadſhi⸗Murad's Thätigfeit von Amarien abgefallenen Stämme wieder zu unterwerfen. Den Berlauf dieſer Erpedition, welche, wie gewöhnlich, zum Boriheile der Ruffen anfing, und zu ihrem Nach— theile endigte, werben wir in wenigen Worten zufammen- zufaffen juchen.

Die Ruflen begannen ihre Operationen mit ver Er⸗ oberung des awarifchen Aoules Gergebil, und ließen dort eine bedeutende Beſatzung zurüd, welche die Aufgabe hatte,

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Schamyl an feiner projeetirten Oecupation Awariens zu verhindern. Hierauf wandte fi) General Feſi mit dem Kern feiner Truppen nad Andalal, um ben dort befind- lichen, fehwach vertheidigten Aoul Tſchocha zu befegen, deffen begüterte Einwohner, aus Furcht vor dem Vers heerungszuge der Ruffen, ihre Heerden und Häufer zu verlieren, Abgeordnete mit Unterwerfungsanträgen gefchiet und um ruffifhen Schuß gebeten hatten.

Kaum hatte Schamyl von den Bewegungen des Beindes Kunde erhalten, als er fchleunigft 'mit feinem Heere herbeizog, Tſchocha entfegte, ein furchtbares Blut: bad unter den Ruſſen anrichtete, und fie fammt und ſonders über die Oränzen von Andalal zurückdrängte. Die Einwohner von Tſchocha wurden für die Bereitwil: ligfeit, mit welcher fle den Feinden die Thore geöffnet, mit einem ſchweren Strafgericht heimgefucht.

Hierauf rüdte Schamyl in Cilmärfchen nach. Kaſi⸗ kumych vor, wo das Volf durch Dſhelal⸗-Eddin's Beftre- bungen ſchon einigermaßen anf fein Erjcheinen vorbereitet war. Die Refivenz der Chane wurde ohne große Schwie⸗ rigfeit. genommen, und in wenigen Tagen war das ganze Rand von den Muriden erobert. Die Chanin nebft ihrem Mitregenten, Machmub-Beg, Omar, der Bruder Arslan⸗ Chan's und der ruffifche Kreischef, Obriftlieutenant ©..., welche fich in Kaſikumych aufbielten, fielen ſämmtlich in die Hände Schamyl’e.

Der Imam vertraute die Verwaltung des Chanats son Kaflfumych dem Chan Hadfhi-Iagwia, dem Bruder Gorin's anz er jelbit aber zog mit den Gefangenen und der gemachten Beute nach Awarien.

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Die Ruſſen erhielten für den Verluft von Kafſikumych einigermaßen Erſatz Durch das ihnen zugefallene Koißubu, welches General Feſi unterworfen hatte, während Scha- myl mit feiner neuen Eroberung befchäftigt war. Doch wurde, feit ihnen das für fie Außerft wichtige Gebiet von Kaſikumych entriffen war, ihre Stellung im Dagheftan

‘eine fehr ſchwierige; fie mußten den Aufftand aller zwifchen

dem Ssamur und Teref gelegenen Stämme erwarten ; auch fonnten fie keineswegs auf die Dauer der Freundichaft der Bundedgenofienfchaft von Dargo rechnen; erft vor Kurzem hatte diefelbe auf die Aufforderung Schamyl's, fih ihm anzufchließen, geantwortet: „fle würbe auf feine Borfchläge eingehen, wenn er zuvor Kaſtkumych, Kurach und Achtali eroberte, biß er dieſes vollbracht, wuͤrden bie Etämme von Dargo weder für noch gegen ihn Fämpfen.“ Er hatte bereitd die Hälfte der Bedingungen erfüllt, und

die Vollbringung der andern Hälfte war vielleicht nicht

ferne. Nur das plögliche Vorbringen der ruffifchen Trup⸗ pen verhinderte Schamyl an der augenblidlichen Ausfüh- rung feiner Pläne.

Sp ftanden die Sachen beim Anbruch des Jahres 1842. Das ruffifche Heer war in den wenigen Monaten wieder fo zufammengefchmolzen, daß General Feſi erft neue Berftärfungen erwarten mußte, ehe er an weitere Unternehmungen venfen fonnte. Doch noch ehe der Früh: ling die blutgetränften Felder wieder mit feinem blumigen Mantel überfleivet hatte, waren von den Ruffen ſchon wieder Rüftungen zu einer neuen Expedition getroffen, welche noch furchtbarer werden follte, als vie beiden vorigen gewefen waren. | -

05

Der Plan, welchen die Ruſſen dieſes Mal verfolgen wollten, war, in die Tſchetſchnia, den nördlichen und gebir- . gigen Theil des Dagheftan, einzurüden, Dargo, die Reſi⸗ denz Schamyl's, mit Sturm zu nehmen, ıtnd ſodurch dem Muridismus mit Einem Schlage ein Ende zu machen. Diefed Mal hatten die noch Fampfermatteten Bergoölfer mehr ald je Urfache, auf ihrer Huth zu fein und Fräftig zufammenzuhbalten, venn die Ruſſen ftellten ein Heer in's Feld, fo zahlreich, wie der Dagheftan feit einem halben Sahrhundert Feind gefehen hatte, und an der Spitze dies ſes Heeres ftand mit unbefchräntter Vollmacht und Ge⸗ walt General-Apjutant Grabbe, feit Jermolow der tüdh« tigfte aller kaukaſtſchen Befehlshaber und der gefürchtetfte Feind der Tſcherkeſſen, veffen eiferner Arm ihnen noch von der Erftürmung von Achulgo her in furchtbarem An⸗ denfen geblieben war, Eine Eleinere Armee rüdte unter den Befehlen des Fürften Argutinsfy-Dolgorufy nach dem mittlern Dagheftan. vor, zu dem Zwecke, dad yon Schamyl in Beftg genommene Chanat Kaſikumych wieder zu erobern und die angrenzenden, zum Aufruhr geneigten Länder in Ruhe zu erhalten. Die. Kunde, daß Grabbe den Oberbes fehl über die große ruffifche Armee führe, erfüllte alle Stämme des Dagheftan mit Schreden und Beflürzung. Nur Schamyl blieb unerfchütterlich. Sobald er Durch feine Spione Nachricht über die Pläne der. Feinde eingezogen hatte, traf er unverzüglich Die geeigneten Maßregeln zur Bertheidigung. Die Unmöglichkeit vorherſehend, Dargo auf die Dauer gegen das furchtbare Ruffenheer verthei- digen zu Eönnen, verlegte er feine Reſidenz nach Andalal, in der Abiicht, von dort aus feine Herrſchaft Aber die

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zwiſchen dem Ssamur und dem Koißu gelegenen Länder auss zubehnen. Seine, fo wie feiner vornehmften Unterbefehlsha⸗ ber, Familien und Koftbarfeiten wurden in der Eile nebft den tn Dargo gefangen gehaltenen Rufen nach Andi gefchafft, yon wo er diefelben, im Fall einer Niederlage, in vie Gebirge von Gumbet in Sicherheit zu bringen gedachte, wo er fchon einen durch Natur und Kunft gefchügten Zufluchtöort bereitet. hatte. Schamyl beichloß, mit feinem vertrauteften Rampfgenofien Achwerdü-⸗Mahoma die Bes wegungen der. Muriden perfönlich zu leiten.

Die erften Operationen (von Seiten ver Ruffen) wurden eröffnet durch die Avant-Garde des Ssamur’fchen Detafchements. Das Gefecht am Ritfcha-Tfchai, in welchem (nah ruffifhen Berichten) 300 Soldaten mit wenigem Geſchütz, unter der Anführung des Artillerie-Capitains Orbelianow eine Schaar Tſcherkeſſen unter Hadſhi⸗Jagwia befiegten, und wobei legtere gegen hundert Todte und Gefangene einbüßten, verfeste die Kaflfumychen in den größten Schreden und den ganzen Dagheſtan in dad größte Erftaunen. Die gleich darauf von Fürſt Argutinsfy- Dols gorufy unternommene Belagerung und Einnahme von Tichirach entfchied die angrenzenden Stämme zu den Waf- fen zu greifen und gemeinfchaftlichde Sache mit Schamyl zu machen. Eine binlängliche Bejagung im Aoule Tſchirach zurüdiaffend, wandte fih Fürft Argutindfy mit dem Kern feined Heeres nach dem ſchwach vertbeivigten Kumych, welches auch nach furzem Widerſtande in feine Hände fiel

Sept rüdte Schumyl heran mit feinen Naĩbs Achwerdũ⸗ Mahoma, Hadſhi-Murad, Kibil⸗Mahoma von Tilitlä, Abdu⸗Nachman, Hadſhi⸗Jagwia, und vielen andern nam⸗

haften Hänptlingen, umging dur eine eben fo Flug berechnete, wie gefchidt ausgeführte Bewegung dad Ssa⸗ mur’fche Detafchement und fuchte durch feine Stellung legtern alle Communication mit Derbend, Kuba and Achtali .abzufchneiden. Während Schamyl fo feine Opera⸗ tionen gegen das mittlere Dagheſtan erneuerte, rüdte General Grabbe in den feinnlichen Theil der Tſchetſchnja ein, wo der Naib Schwaib befehligte. In den Wäldern ven Itſchkeri wurde eine bintige Schlacht gefchlagen, in welcher beide Theile eine große Menge Menſchen einbüßten; der Sieg blieb unentjchieven. Schwaib fuchte hartnädig Das Vorbringen‘ ver Ruflen zu verhindern, aber .einfehend, daß er trog :aller Tapferkeit: auf die Länge von dem am Zahl fo fehr überlegenen Feinde aufgerieben werben würde, tehichte er. einen Eilboten nach dem andern an Schamyl um Hülfez als jedoch nach Verlauf mehrerer Tage die gewünfchte Hülfe nach immer ausblieb,. fchrieb er an den Murfchiven: daß ihn, wenn Schamyl nicht fchleumtgit mit Hülfstruppen herbeirüdte, nur die Flucht vom gewifien Untergatige retten könne; ſchon fet General Grabbe im Anzuge gegen den YAoul Schuana, und wenn e8 ihm ges kinge, ſich dieſes Blages zu bemädhtigen, fo würde in Kurzem bie ganze Tjchetfcehnia und Audi eine Beute Der Ruſſen werden. Der Imam, weicher nach mehreren ben Ruſſen beigebrachten Niederlagen eben auf dem’ Wege war, ihnen auch Kumych wieder zu entreißen, wurde durch den Hülferuf des Raib für den Augenblid von der weitern Berfolgung feiner Pläne abgezogen, und eilte unverzüglich nach ven Wäldern von Itſchkeri, um Dargo und Schuana vom Untergange zu retten. Er fam noch

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zur rechten Zeit an, um Grabbe's Eroberungspläne ver⸗

eiteln zu können. Zum erſten Male ſeit Achulgo's Fall

ſtanden ſich hier die beiden gefürchteten Feldherrn wieder perfönlich gegenüber. Der Ausgang der mörderiſchen Schlacht, welche durch dieſes Zuſammentreffen bedingt wurde, mußte über Schamyl's Schickſal entſcheiden. Blie⸗ ben hier die Ruſſen Sieger, ſo war die Macht der Mu⸗ riden auf immer gebrochen. Schamyl wußte das ſehr wohl, und machte auch feinen Truppen kein Geheimuiß daraus. Ale Naĩbs mußten auf den Koran ſchwören, hier zu fiegen ober. zu fterben. Die Schlacht in den Wäldern von Itſchkeri war eine der furchtbarften und blutigten, die je im Kaukafus geichlagen. Schamyl erföcht bier einen glän- enden Sieg. Ein Theil des ruffifchen Lagers, eine Menge Geſchütz und Gefangene fielen den’ Muriven als Beute in die Hände, und nur durch einen fehleunigen, meifter- haft berechneten Rückzug ficherte Grabbe fein Heer vor. gänzlicher Vernichtung. u

Dargo war gerettet, und ein großes Siegesfeft wurde gefeiert, ald Schamyl dort feinen feterlichen Ein⸗ zug. bielt.

. Während dies in den Wäldern von Jiſchkeri vor ſich ging, hatten ſich die Ruſſen, Schamyl's Abweſenheit be⸗ nutzend, im Gebiete von Kaſikumych feſtgeſetzt, die bis⸗ herige Regierung geſtürzt, und den ihnen ergebenen Abdu⸗ Rachman (den Sohn Omar's, des Bruders Arslan⸗ Chan’s) zum Chef der Verwaltung ernannt.

General Grabbe, um fih für die in den Wäldern von Stichkert erlittene Riederlage zu rächen, unternahm von Iemirs@han-Schura aus, wo er fein Heer neu vers

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ftärft hatte, einen letzten furchtbaren Zug gegen Igali. Zum zweiten Male kam es zwifchen ihm und Schamyl zur offenen Feldſchlacht, und zum zweiten Male mußte Grabbe unterliegen, trog der verzweifelten Tapferkeit, mit welcher die Ruflen, dem DBeifpiele ihres Führers folgend, fochten. Der General zog fich, in fletem Kampfe mit den nachjegenden Muriden, gefchlagen nach Temir⸗Chan⸗ Schura zurüd; der Verluft, welchen er an Todten, Berz. wundeten und Gefangenen erlitten batte, war fo groß, . daß er auf alle weiteren Unternehmungen für dieſes Jahr verzichten mußte. Doch auch Schamyl batte, obgleich er fiegreich aus allen Gefechten hervorgegangen, feine Triumphe mit dem Tode von Taufenden feiner Tapfern erfaufen müflen. |

Mit der Erpepition von 1842 endigte auf immer die friegerifche Laufbahn ded General v. Grabbe; er wurde bald darauf größtentheild in Folge des nicht befonder8 guten VBernehmens, in welchem er mit dem Ober- befehlshaber, General Golowin, ftand zu frieplicherm Wirken nach Petersburg qurüdberufen. Doch ift, unge- achtet der beiden entfcheidenden Siege, welche Schamyl bei Stfchferi und Igali über ihn erfämpfte, fein Name unter den Voͤlkern des Dagheftan in demſelben ehren- vollen und furdhtbaren Andenken geblieben, wie der Name des alten Löwen Jermolow. -

Selbſt Schamyl der ritterlich feine Feinde zu ehren weiß, wenn fie es verdienen gefteht, daß Grabbe fein gefürchtetfter Gegner gewefen, und daß die Kunde der Entfernung des Generals vom Kaufafus ihm mehr Freude bereitet habe, als alle Stege, die er über ihn erfochten...

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Der Befehlshaber des Kleinen Detafchement, Yürft Argutinsky⸗Dolgoruky, felbit aftatifcher Herkunft und mit ver Art ver Kriegsführung im Kaufafus vertrauter, hatte, wie wir gefehen haben, den günftigen Augenblick benugend, ohne große Verluſte fih des laſilumochiſchen Chanats bemachtigt.

Die Wiedereroberung dieſes Landes, und die dadurch bedingte Aufrechterhaltung der Ruhe im mittlern Dagheſtan . war den Ruſſen jedenfalls ein kleiner Erſatz für ihre im Laufe dieſes fo unglüdlichen Feldzuges gebrachten Opfer.

Durch die legten überaus günftigen Erfolge, welche Schamyl überall erfämpft hatte, wo er perfünlich die Bes wegungen feiner Truppen leitete, wurde die Macht und das Anfehen des Murfchiven unter ven Bergvölfern um fo mehr gefteigert, ald er es dieſes Mal mit einem fo furchtbaren Gegner zu thun gehabt hatte. Der Muth und das Vertrauen der Tſcherkeſſen war in eben dem Grade geftiegen, als das der Ruſſen gefunfen war.

a ubang

0 O ¶—

Si Ton s’est trop appesanti sur quelques details de combats et de prises de villes qui ressemblent à d’autres combats et à d’autres siöges, on en demande pardon au lecteur philosophe; et on n’a d’autre excuse sinon que ces petits faits, 6tant li6s aux grands, marchent neces- sairement & leur suite.

VoLTAIRE, Hist. de l’empire de Russie, p. 14.

Der aufmerffame Lefer wird bemerft haben, daß vie Schilverungen des zweiten Buches, in ihren Anfängen etwas von poetifchem Nebel umhüllt, in ihrer Entwicklung immer farbenbeflimmter werben und beutlichere Umrifie zeigen, je mehr fie der Gegenwart ſich nähern. Diefe Erſcheinung entipringt. aus der Natur der Sade; fie rechtfertigt fich durch fich felbft und bevarf Feiner weitern Entfchuldigung. Bei den Tſcherkeſſen giebt es feine Archive auszubeuten, feine offictellen Rapporte zu excerpiren; der Gefchichtfchreiber findet hier Feine andern Quellen ald die zerftreuten Aufzeichnungen einzelner Ulema und münpliche Ueberlieferung. Erftere bieten nur ſubjektio aufgefaßte Fragmente des großen Ganzen, ohne innern Zufammen- bang, während legtere immer dunfler wird, je weiter fie in die Vergangenheit zurüdreicht.

Es leuchtet ein, wie groß die Schwierigfeiten waren, aus diefen zerfireuten Nachrichten ein georpneted Ganzes zu bilden, und man darf erwarten, daß der billige Leſer das Lückenhafte der Darftelung weniger dem Berfaffer, als den fchwierigen Umftänden, unter welchen verfelbe arbeitete, zur Laft lege. Je weniger bier aber von der einen Seite geboten wurde, um defto mehr mußte das auf der andern Seite Vorhandene benügt werden, fofern ed aus lauterer Quelle floß. In diefem Sinne laflen wir

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hier eine von anderer Feder herrührenve, ung freund fchaftlichft zu beliebiger Benugung mitgetheilte Darftellung, der Kriegsereignifle in den Jahren von 1840—42 folgen, welche unfern Schilderungen theild zur Ergänzung und in manchen Punkten vielleicht auch zur Berichtigung die⸗ nen kann. Während wir aus wiederholt entwidelten . Gründen vorzugsweife den Dagheftan, ven eigentlichen Herb des Krieges, in's Auge faßten, ift in folgenden Skizzen auch auf den weftlichen Theil des Kaufafus be- fondere Rüdficht genommen. Bier Generäle: Golowin, Grabbe, Saß und Fürft Argutindfy-Dolgorufg, welche ſaͤmmtlich in Oppofition unter einander flanden, leiteten zu jener Zeit die Kriegsoperationen in Kaufaflen. Wäh- rend wir nun unfere Mitiheilungen theild nach offlciellen Rapporten, theild nad den Aufzeichnungen bochgeftellter Dfficiere der einen Parthei bearbeiteten, fchöpfte der Verfaſſer ver folgenden Skizzen aus den Berichten ber andern Parthei, fo daß der Gegenftand zu richtigerm Berftännniß von beiden Seiten beleuchtet wird. Die bin und wieder in’8 Einzelne gehenden Schilderungen werden nicht wenig dazu beitragen, den im Erften Buche dieſes Werks gelieferten Umriſſen einer Länder: und Bölferfchau

des Kaufafus Leben und Farbe zu geben. Der Name des.

Verfaſſers *): Aurelio Buddeus, überhebt uns jeder weitern Erörterung.

2) Wir machen bei diefer Gelegenheit auf ein äußerſt wichtiges Werk veffelben Berfaflers, welches fo eben unter dem Titel ⸗Halb⸗ ruffifches« (bei Otto Wigand in Leipzig) die Preſſe verlaßt. auf⸗ merkſam.

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Bur Geſchichte des kaukafifchen Arieges in den Jahren 1840—1842, .

——

1. Zur Orientirung.

Bekanntlich war urſprünglicher Zweck des Tſcher⸗ keſſenkrieges nur Abwehr räuberifcher Einfälle in das neu⸗ erworbene ruffifhe Beflsthum. Wie andere Zwecke im Lauf der Zeiten durch die politifchen Berhältniffe Rup- land's zur Zürfei und zu andern Mächten den Plan des Kampfes umgeftaltet haben, ift eben fo allgemein befannt. Ein Urtheil über die Rechtmäßigkeit diefed Krieges in feiner jetigen Form abzugeben, ift bier nicht der Drt. Er wurde zuerft zu einem wirklichen Offenfivfrieg, und trägt eigentlich erft wieder feit 1834 die jeßige Geftaltung und fein heutige Gepräge, das einer Offenſiv⸗Defenfive. Der Plan zu der jegigen nur im vergangenen Jahre mit Verluſt aufgegebenen Kriegsführungsweiſe ſoll vom Fürften Paskewitſch herrühren, obgleich ein Brief des Generald Toll, den dieſer von feinem Sterbebett an den Kaifer gerichtet hat, dieſes DVerbienft ganz andern PBerfonen zutheilen foll. Wer mag über Wahrfcheinlichkeit und Unwahrfcheinlichfeit folcher Gerüchte bei der geheim-

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nißvollen Haltung Rußland's entſcheiden? So viel iſt ficher, daß man ſich in oft erneutem und oft unterbrochenem Kampfe überzeugt hatte, daß die Macht und der ewige neue Kriegsmuth, faft Uebermuth der Tfcherfefien, nur durch Abfchneidung aller Zufuhr an Lebend- und Kriegd- bebürfniffen zu Meer und zu Land gebrochen werben fönne. Deßhalb ward das Abfchließungsfyitem als oberfte leitende Idee feftgehalten. Und außer den Kriegsmaterias lien fucht nun Rußland vor allem die Einbringung von Salz in ven Kaufafus zu verhindern. Dieß ift, trog ihrer außerorbentlih wenigen Bebürfniffe, den Gebirgsvölfern der empfinblichfte Mangel. Denn Vieh und Getreide giebt ihnen ihr Land, Kleider weben und nähen ihre Weiber, die Materialien zu Waffen, Pulver und Kugeln verleihen ihre Gebirge; aber Salzquellen finden ſich nirgends und das Seeſalz des fchwarzen Meeres ift faſt ungenießbar.

Das ruffifche Kriegsheer zerfällt bekanntlich in zwei Hauptabtheilungen: in eine nördliche und eine fübliche. Erftere hält die Gränze längs des Kuban und Teref be- fest, letztere zieht fich längs des füblichen Gebirgsabhanges vom ſchwarzen bis zum Faspifchen Meer. Im Jahr 1841 commanbdirte General Golowin bad gefammte Heer des faufafifchen Krieged und vorzüglich den transkaukaſiſchen Theil. Er hatte feinen Sig in Tiflis. Dem General Grabbe war bie nördliche Armee untergeben; fein Hauptquartier war Stawropol.

Diefe Heeresabtheilung findet bier vorzüglich ihre Berüdfichtigung. In ihrer Eigenichaft ald Cordonlinie war fie unter verſchiedene Commandeunre geftellt. Die äußerfte Flanke des rechten Flügeld, welche Sch um bie weftlichiten

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Orängen des Faufafifchen Gebietes herum nach dem ſchwar⸗ zen Meer herabzicht, befehligte General Anrepp in Kertich, nur wenige Werft weitwärts von Yenikale entfernt. Bor allem war ihm die Beobachtung der Kubanmündung über- tragen, fo wie die Bejagung der Seeveften Tmutarakan, Anapa und Supfchuffaleh (nicht zu verwechfeln mit Sufhumfaleh) unter jeinem Befehl ftand. Von der Kuban- mündung bis zum ort Uft-Labinsfata, d. i. bis zum nördlichften Ende der meitlichen Gränze des Landes ber Tichernomoröfifhen Koſaken, beherrfchte der Kofafen- attaman Sawadoffsky die kuban'ſche Linie. Seinen Sig

hatte er in Defaterinodar. Bon da, alfo ungefähr vom

Einfluffe der Laba in ven Kuban, bis zur Feſtung Kißlowotzk, welches eine vom Elbrus nach Norden gezogene Linie ges

rade durchfchneiden würde, eritredte fich die Macht des

vielbewunderten Generals Saß. Er felbit bewohnte

Protſchny⸗Okop (d. i. fefte Burg), ganz nahe. der Eins

mündung des Urup in ven Kuban. So verfchieden wie die Nationen der Bergvölfer ift auch das Terrain, welches vor dem rechten Flügel ver Faufaftfchen Armee fich aus⸗ breitet. Denn das Land gegenüber der Linie der tfcherno- mordfifchen Kofafen ift durch eine Menge größerer und fleinerer Flüffe zerfchnitten, unter denen die Belaia oder Schahadgaſchah (der „weiße Fluß") am wichtigften und befannteften. Alle diefe Gewäſſer ftürzen aber mit wilder Haft von den fchwarzen Gebirgen des Weſtendes des Kaufafus herab, die ihre Ausläufer ebenfalls nahe an die Linie hinausfchieben. Zwar beginnt bier, dem Kuban zu> nächſt, bereits die Steppe; aber noch ift ihre Breite un bedeutend. Die gefährlichften Gebirgsvölker dieſes Militär- L

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biftriftes find die oftgenannten wilden Echapfughen, und ihnen an Macht überlegen,.an feinvfeliger Gefinnung gleich, die Tfcherfefien, von denen man fälfchlich den Kamen für alle faufafifhen Rationen entlehnte.

Am breiteften, kaum hier und da in Heinen Hügeln emporwachfend, dehnt fich die Steppe jenfeitö der Laba bi8 zum Urup vor der Linie aus. Bon Protſchny⸗Okop aus betrachtet, breitet fie fich wie ein grünes weites Meer, aus dem die Stanizzen und Aouls wie Feine weiße Kreis derelfen auftauchen. Einige prächtige Eichenwälber in ihr zerftreut erfcheinen nur wie niederes Gebüfch. In weiter Berne bildet die Küfte dieſes Miefenmeered ver Zug der fchwarzen Gebirge, und. noch weiter im Hintergrunde, filber- glänzend von der blauen Luft fich abfcheidend, ragt ber Elbrus, der König ded Kaufafus, der Vater ded Kuban, mit feinem fattelförmigen Gipfel über alle8 hinaus. Im Ganzen ift hier das Terrain nicht fehr coupirt, auch nennt fih der größte Theil der Steppenbewohner friedlich biß fie irgend ein unvorgeſehenes Ereigniß wieder in Feinde verwandeln wird. Diefe friedlichen Nationen ge> hören meiftens zum Stamm der Nogaier; ihre noch feind⸗ lichen Stammgenofjen bewohnen mehr die Vorberge des Kaufafus, während die Ubych und vor allem die Abaflechen " (Abaffinen) im Haupigebirg ihre Wohnſitze haben, ſich jenfeitö deſſelben bi8 an die Meereöfüfte ausbreitend. Letztere haben, gleich den Tſchetſchenzen (gegenüber dem Iinfen Flügel), eine rein republifanifche Verfaffung. Dieſe bietet ven ruſſiſchen Verſuchen, fie frienlich oder doch neu⸗ tral zu machen, die größten Hinverniffe. Denn jeder Ein-

jelne findet Gelegenheit, ſich durch hervorſtechende Krie⸗

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gertugenden oder Feldherrneigenſchaften eine bedentfame Stellung zu erringen. - Und dazu fehlt es ihnen eben fo wenig an Fähigen, als irgend einer andern kaukaſiſchen Nation. Aber außerdem daß diefe Völfer durch ihre Krie- gerzahl an und für fich gefährliche Gegner Rußlands find, werden fie ed noch mehr durch ihren Einfluß auf die übri- gen Nationen. Aehnlich wie unter den alten Hellenen einft die Athener und Lacenämonier üben auch fie eine Art von Prineipat über die Adighen, wenn aud) folches Berhältniß, der geringern politifchen Ausbilvung zufolge, bier nicht fo klar ausgefprochen und fo gefeftet als dort ericheint. Jede Gebirgswölferfchaft, unter welcher ein tüdh- tiger Kriegsoberft erfteht, vermag es, fich zu diefer Stel- fung aufzufchwingen. So war früher unter den SKabar- dinern Aslan-Bire, unter den Tfchetfchenzen Kafi-Mullah aufgeftanden. Unter den Abaflechen aber glänzte Omat, der Abref (d. i. Ueberläufer), ald Rußlands heftigfter Feind. Er war um fo beveutfamer, ald er mit ver glü— henpften Liebe für Heimath und Freiheit die Kenntniß europäifcher Geſittung und europätfcher Kriegdfunft ver: einte. Denn als Kind in türkifche Gefangenfchaft gerathen, war er an den Pafcha von Aegypten verhandelt worden. Diefer erfannte feine feltenen Fähigkeiten, und fandte ihn, nachdem er zum Süngling herangewachſen, zu fernerer Ausbildung nad Paris. Dort lebte er mehrere Jahre lang als Schüler des polgtechnifchen Inſtituts, nachdem er vorher Südfrankreich durchreift hatte. Als aber enplich ver Befehl zur Rückkehr nach Aegypten ankam, wendete fib Omar an die ruffiiche Sefandtichaft, hoffend, durch deren Vermittlung der Sflaverei entfliehen und in Die

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kaufafifche Heimath rückkehren zu können. Was er ge wünfcht hatte, geſchah. Ohne Berüdiichtigung der Rechte Mehemed Ali's verkhaffte man ihm die Mittel zur Reife nach dem Faufafifchen Kriegsfchauplag. Man hatte geglaubt, ' fih in dem europäiich gebildeten Afiaten einen wichtigen Berbündeten zu erwerben und verlieh ihm Officiersrang. Aber Baterlandsliebe und Freiheitsdrang liegen ihn die Bildung und alle verfeinerten Genüfle Europa’ aufopfern. Heimlich entwich er und Fehrte zu den Brüdern zurüd. Deshalb erhielt er ven Beinamen „ver Abref“. Im kau⸗ £afiichen Gebirg ward er, was er ift; denn noch, glaube ich, lebt und wirft er.

Bom Urup bis zum Teref, oder noch genauer, vom Einfluß des Zelentfchuf (vder Indſchik) in den Kuban bis zur angedeuteten Gegend ift dad jenfeitige Land Außerft gebirgig und wiederum von einer Menge reißen- der Gebirgswaſſer durchichnitten, welche, dem Nordabhang des Elbrus und feiner Umgebung entfpringend, ftrahlen- förmig fich ausbreitend, wefhwärtd dem Kuban, nord- wärts der Kuma, oſtwärts dem Terek zuftrömen. Abaf- fechen, Altifeffefen und Kabardiner öftlid) vom Elbrus wohnend ftehen bier den Ruſſen gegenüber. Das Prin- eipat, wenn man's fo nennen darf, behaupten hier die Kabardiner. Denn abgefehen von ihrer überwiegenven Kriegerzahl und ihrer hervenhaften Tapferkeit, iſt Diele Kation unter den Gebirgsvölfern die gebildetſte und mit - Törperlichen Borzügen am reichften begabte. Sie wird von verjchiedenen Fürſten beherrfht und nimmt unter ihren Stammgenoſſen ungefähr jene Stellung ein, wie fie Eu- ropa noch vor wenigen Jahrzehnten den Yranzofen zuge

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ftand, wie diefe felbft fie noch heute den Bewohnern von Paris anzuweifen gewohnt find.

Der linke. Flügel ver kaukaſiſchen Armee dehnt ſich bei weitem weniger lang aus, als der rechte. Er erftredt fih ungefähr von der Umgebung von Wladikawkas bis an die ruffifchen Küftenlande des nörplichen Dagheftan. Das Hauptquartier war und iſt die Feſtung Grotfchnoi an der Sundfha (oder Soltſch), etwa 25 Werft füdlich von Tfcherwienna gelegen. Im Jahr 1841 reſidirte dort als Kommandeur des linfen Flügeld General Alſcheffsky, und der feitvem an feine Stelle getretene General Freitag war noch Oberſt. Grotfchnoi lag damals ziemlich iſolirt in Feindesland. Denn obfchon früher die Völferfchaften zwifchen der Sundſha und dem Teref unterworfen und friedlich gewefen waren, hatten fie fich doch in neueſter Zeit wieder feindlich erffärt angeftadjelt durch Schamyl, begünftigt von der Befchaffenheit des Landftriches, welchen fie bewohnen. Es iſt auch wirklich ſchwer ein für bie Bertheidigung durch Eingeborne günftigered, für den Ans griff durch Fremde ungünftigeres Terrain aufzufinden. Die Ausläufer des Kaukaſus fpringen hier nämlich, nord⸗ öftlich von der Tiflifer Norpftraße, unter dem Namen ber Belanticha= und Arefgebirge wild in das Land herein; nah Oſten aber, bid zum nördlichen Dagheſtan, laufen auch Borberge des Kaufafus, die mächtigen jchwarzen . Gebirge feines Oſtendes. Der Alfai und der furchtbar reigende Koißu durchſchneiden das Flüftige Land; Tau⸗ fende von fleineren Gebirgswäſſern ftürzen von allen Eeiten beiden Flüffen entgegen, und Die Gumbeten, Leöghier, Awaren, Kaſikumychen horften dazwifchen unerreichbar in

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ven Felsgipfeln, Tauern hinter. den Klippen, fprühen Tod und Verderben auf das ruffifche Heer herab. Näher der Nordſtraße, fünlich von der Sundfha dagegen, wohnen vorzüglich die oͤſtlichen Stämme der Kabardiner, die In⸗ gufchen, die Karabulafs und die vielgenannten Tichet- fchenzen. Das Land der legtern zerfällt in die große und Heine Tſchetſchnja: erftere weftlich, letztere oͤſtlich, beide fünlich von Grotſchnoi gelegen. Der. Argun (Nebenfluß der Sundſha) bildet gewiflermaßen die Grenzſcheide zreifchen beiden Landestheilen. Die Tſchetſchenzen führen das Principat im öftlichen Kaukaſus.

Es ift fchon erwähnt, daß die Tſchetſchenzen eine rein republifanifche Verfaſſung ‚haben, und wie früher Kaſt⸗Mullah, fo ift jetzt Schamyl *) ihr Hauptanführer. Beide Männer find früher Briefter ihres Volkes geweſen. Se mehr nun bei den Gebirgsvölfern im Lauf der Zeiten den urfprünglichen Beftrebungen zur Erhaltung ihrer Un⸗ abbängigfeit das religiöfe Element hinzutrat, je mehr fie fi) aus bloßen Baterlandsvertheidigern in fanatifche . Koranftreiter verwandelten, befto bebeutenvderen Einfluß mußten natürlich auch ihre Priefter erlangen, wenn fie fich gleichzeitig als tüchtige Krieger offenbarten. Diefer Einflug des Mohammeranismus und daher auch, feiner Priefter auf die feinplichen Rationen tritt aber im Dften des Kaufafus noch heute weit flärfer hervor als im Weſten. Die weftlichen Völker haben noch heute vor allem die Unabhängigkeit im Auge, die öftlichen zwar dieſe nicht minder, doch vor allem und über alled Bewahrung des

*) Schamyl if bekanntlich Lesghier von Geburt.

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altangeftammten Glaubens. Viel häufiger, als im kauka⸗ fiichen Weften, fieht man daher hier, felbft bei den Flei- neren Gefechten, einzelne :Briefter, ven Koran in der einen, die Schafchfa in der andern Hand ſchwingend, geiftliche Lieber fingend, und den Kämpfern die Seligfeiten des Paradieſes verheißend, an der Spige der Gebirgsbrüder auf die Ruſſen einftürmen. Lebhaft wird man bei ſolchem Anblick an die ähnliche Bewegung in der chriftlichen Kirche während der Kreuzzüge erinnert, und Helventhaten, Herven- muth, gläubige Todesfreudigkeit find wahrlich heute unter dieſen Mufelmannen nicht feltener, ald damals in den hriftlichen Schaaren. Ueberhaupt, je länger man biefen Feinden gegenüberfteht, deſto höher lernt man fie achten; in je nähere Berührung man mit ihnen kommt, deſto inniger muß man ihre Tugenden ehren. Bis in die Hleinfte Faſer find fie ritterlich, Acht und fich felber treu. Was man ihnen fo oft vorwirft, die ungemefjene Habgier und Raubfucht, find nur Erzeugnifle eines noch unkultivirten, aber urfräftigen Charaftere, Man überblide alle beveu- tenden Kriegernationen des Morgen» und Abendlandes, und man nenne eine einzige, bei welcher dieſe Eigen: fchaften in der Periode ihrer Unfultur nicht eben fo über- wiegend hervorgetreten wären.

Doch kehren wir zu Kafl-Dullah und Schamyl zu⸗ rück. Erſterer nahm alſo urſprünglich eine höhere geiſtliche Stellung unter den Tſchetſchenzen ein. Bald aber verließ er den Tempel und benutzte ſeine geiſtliche wie geiſtige Macht die Läffigen anzuſtacheln, die Lauen anzufeuern, die Friedlichen aufzureizen, die Unthäthigen anzuſpornen, vor allem aber die zerſtreut und einzeln fechtenden Ge⸗

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birgönölfer zu gemeinfamen Plänen, gemeinfamen Kämpfen zu vereinen. Auf ſolche Art ward er unter den Tfchet- fchenzen eine. Art Dictator, einer der angefehenften und einflugreichften Heerführer des ganzen Faufaftfchen Oſtens. Aus feinen Standedgenoffen erfiefte er Schamyl als den tüchtigften Unterfeloherrn. Daher trat diefer, eingeweiht in feine Pläne, auch an feine Stelle, ald jener auf dem Feld der Ehre geblieben war. Schamyl hat fich faft eine noch größere Bedeutfamfet als fein Vorgänger errungen. Unermüdlich bald hier, bald da berathend, anfpornend, anführend, vorfämpfend, entzündet er allüberall von Neuem bie erlöfchende Kriegsflamme. Dabei ift er felbft von ver unüberwindlichften Klugheit und voll todverachtender Kühnheit. Bon beiden mag folgendes Beifpiel den Ber

weis liefern.’ Dei einer Expedition nach dem nördlichen Dagheſtan im Jahr 1839 hatte General Grabbe den Schamyl mit feinen Genoſſen in dem befeftigten Aoul Achulgo am Sulaf völlig eingefchloffen. Jede Zufuhr von Munition, wie jedes Entkommen fchien unmöglih. Es wurde be fhloffen, die Aftaten auszuhungern. Als man erfahren, daß die Noth unter ihnen bereitö den höchften Grad er- reicht habe, wurden bie Belagerten mehrmals aufgefordert, fich zu ergeben. Umſonſt; Schamyl gab fogur die Ant- wort, er werde den nächften PBarlamentär auffnüpfen laſſen. Grabbe ſetzte alfo die Einfchliegung des befeftigten Aouls fort, und fundte, des Gelingens feines Unterneh⸗ mend gewiß, einen Courier mit der Nachricht nach Peters⸗ burg: Schamyl ſei dießmal todt oder lebendig, jedenfalls unbedingt, in feine Hand gegeben. Nun hing aber nach

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der Sundfha hin das Felswerk der Veſte weit über die Wellen hinüber. Diefen Umftand bemupten die Einges fchloffenen. In der nächſten dunfeln Sturmnacht. ließen fie dort zwei Kähne an Striden in das Wafler hinab. Diefe Fahrzeuge waren völlig bededt von den aus Schafs fellen zufammengenähten tfcherfefftichen Burkas; darunter verborgen lagen Schamyl und einige feiner getreueften Begleiter. Vor den in der Dunkelheit auf fie von ruffis ſcher Seite gefandten Kugeln durch die Schaffellvede gefhügt, ruderten die Tollfühnen. haftig über den Fluß, fhlugen ſich bier glüdlich durch die Wachtpoften und Bifets, ehe‘ diefen. noch der durch Allarmfignale aufge- rufene Succurs zur Hülfe herangefommen war, und ent» fchlüpften trog aller Rachftellungen in dem coupirten Ter- rain und der dichten Finfternig. Am nächften Morgen ergab fich zwar Achulgo, aber die Sieger fanden nur einige tödtlich Verwundete und vor Hunger Halbtodte. Schamyl überflel unterdeffen mit nen zufammengeraffter Mannfchaft das ruffifche Gebiet im Rüden Grabbe’s. Iſt im Vorhergehenden verfucht worben, eine Dar- ftellung des nördlichen SKriegsfchauplaged zu geben, fo follen bier nur noch wenige Worte über bie fpecielle Auf- gabe für das Jahr 1841 nachfolgen. Auf dem rechten Slügel waren die Erpebitionen in Peindesland, einzelne Streifzüge audgenommen, faft niemals weiter ald bis zur Belain (weißer Fluß) vorgenrungen. Doch waren bereits die friedlichen Aouls der Steppe ‚mit Stanizzen unter- mengt, und General Saß hatte in den Jahren 1839 und 1840 durd Aufhebung von mehr als tauſend arme- nifchen Familien, denen er unter ven Augen von Brotfchnys

526 Dfop ihre neuen Wohnflge angewielen, jehr viele der gefährlichften heimlichen Feinde des Gelingens unfchäd- lich gemacht. Diefe nomadifchen Armenier nahmen nämlich im Gebirg diejelde Stellung ein, wie ungefähr in Polen die Juden. Sie waren und find denn noch erifliren deren viele im Kaukaſus Schmuggler, Haufirer, Pro- fitmacher bei den Ruffen wie bei den Adighen. “Daher find fie auch die gefährlichiten Spione und wiffen die Gebirgsvölfer wie die Ruffen durch falfche und wahre Nachrichten von beiden feindlichen Hesren zu Unterneh: mungen und Wagniflen zu veranlaflen, bie felbft troß der genaueften Auflicht des Cordonchefs häufig genug Rußlands Intereflen feindlich durchkreuzen. Seht waren nun alle wmilitärifchen Unternehmungen dieſes Ylügels fo weit gebiehen, daß man den Plan faffen Fonnte, die Linie achtzig Meilen füplicher, 6id zur Laba, vorzu⸗ rüden, welche ziemlich parallel mit dem Kuban läuft fo lange er von Dften nad Werften fließt und fi erft unterhalb feiner Wendung nad) Süden mit ihm bei Uſi⸗Labinskaia vereint. Ein eben ſolches Borrüden der Linie auf dem linfen Flügel vom Teref bis zur Sundſha war projectirt. Zwar waren bier an der Sundſha fchon Grotſchnoi und andere Fortd früher angelegt worden; aber oben wurde bereit erwähnt, wie diefe nach dem Abfall der Bölferfchaften des Diftriktes zwifchen beiden Slüffen nunmehr ziemlich tfolirt hingeſtellt geweſen waren. Die Gründung einer Feftungdfette längs der Sundſha, deren Glieder hier im Gebirg natürlich weit enger aneins andergefügt werden mußten, ald auf dem rechten Flügel, fowie die Zerflörung der wichtigften feindlichen Pläge in

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ver Nähe der neuen Linie, ward alfo Hauptaufgabe des Jahres 1841.

2. Im Frühling des Jahres 1841.

Vorzüglich durch Schamyl's raftlofe Bemühungen waren im Jahr 1840 eine Menge ver friedlichen Völker⸗ fchaften in der Nähe der nördlichen Linie wiederum feind- lich geworben. Dieß gilt vom Weften wie vom Often. Doch hatten ſich am Terek, ver Sundfha und längs des Koißu die Verhältniffe, begünftigt durch das Terrain und Schamyl's dort noch unbedingteres Anfehen, für Rußlands Waffenherrfchaft auch weit ungünftiger geftaltet, al8 in dem flachen Steppenlande des Kuban und ber aba. Ges neral Grabbe's perfönfiche Anwefenheit war aljo auf dem linken Flügel der Nordarmee vor allem nöthig. Bon allen Seiten her liefen in Grotſchnoi Nachrichten vom Abfall friedlicher Aould und frieblicher Stämme ein. Die Ans ftrengungen langer Jahre erfchienen nunmehr faft nutzlos. Schon ward erwähnt, daß Grotfchnoi rückwärts von der Linie des Terek durch den Abfall der Tichetfchenzenftämme (zwiſchen Sundſha und Terek) geviffermaßen abgefchnit- - ten war; auch aus den friedlichen Aouls der feinen und großen Tſchetſchnja hallten neue Kriegörufe, felbft jenfeits des Koißu erhoben filh einzelne Aouls und unter. den Kumyfen, zwifchen dem Theil des Koißu *), welcher fich

°) Wie der Teref in den alten und neuen, fo fyaltet ſich der Koißu nahe feiner Einmündung in’s Faspifche Meer in zwei Arme, deren einer den alten Namen beibehält, während ber andere Sulaf oder Agrufhan genannt wird.

norboftwärt6 wendet, und dem Ende des Terek entſtan⸗ den gefahrdrohende Bewegungen.

General Grabbe reiſte alſo im Frühling 1841 mit einem Theil feiner Stabsofficiere und andern militäriſchen Begleitern von Statwropol nad) Tſcherwlenna am Teref. Er hatte den Befehl erhalten, unbefümmert um die ringsum fih erhebenden Stämme, direct in das noch unabhängige Land der Tichetfehenzen einzudringen, und vor allem -Sfeherfei am Koißu zu erobern und zu zerftören. Tfcherkei war nämlich als Haupthandelsplatz des nördlichen Daghe⸗ ftan den Bergvölfern von außerorbentlicher Wichtigkeit, und in fo fern gewann auch für die Ruſſen deſſen Befts große Bedeutung. In Tſcherwlenna follte die Mannfchaft von verfchievenen Punkten der Linie zufammenkonmen, und überhaupt wurden hier alle Vorbereitungen zum bes porftehenden Feldzug getroffen. Diefe Stantzze beiteht fehon fett -der Regierung Katharina’8 II. Damals wurde fie nämlich von einem aufrührerifchen und deßhalb bier- her geſchickten Cavallerieregiment erbaut, Als fi num jene Soldaten dieſen Wohnſitz gegründet hatten, unters nahmen fie einen Sabinerinnenraub, d. 5. fie machten Einfälle in die Lande der Tfchetfchenzen und flahlen deren Frauen; Die Urenkel und befonvers Die Urenfelinnen dies fer wildgemifchten Ehen find jest als der fchönfte Men⸗ fchenfchlag des rufftfch-faufaftfchen Gebiets berühmt. Die Frauen haben altangeftammte Sitte und Tracht beibehal- ten nur den Schleier laſſen fe fallen und die Män- ner Ticherwienna’s lernten viele Sitten der Tſcherkeſſen beobachten. Rechnet man dazu, daß jeßt alle Linienfofafen und auch fehr viele Officiere ver übrigen Heeresabtheilungen

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die bequeme tfcherkefftfche Tracht mit der in diefem Klima unerträglichen Uniform vertaufcht haben, fo Fann man in Tſcherwlenna faft glauben, fi in einem Aoul der Ges birgswölfer zu befinden. Die Tſcherwlenna⸗-Koſaken haben überdieß, wie natürlich, viel phyſiognomiſche Aehnlichkeit mit den Aftaten, deren Fehler und Tugenden fie auch in vielfacher Hinficht theilen. Nur fcheint ihnen die aftatifche Eiferfucht noch fremd. Wenigftend dürfte der lange Aufents halt vieler unbefchäftigten ruffifchen Herren in. dieſer Stanizze, ald deſſen Vorwand einige fehr unbeveutenbe Bäder der Umgebung dienen müffen, auf ganz andere Berhältniffe zu deuten fein. Schamyl dagegen fcheint noch bis heute, wenigftens für feine Perſon, die Reprefialien gegen jenen tfchetfchenzifchen Frauenraub nicht aufgegeben zu haben; denn fein Harem befteht großentheil® aus ges ranbten rufftfchen Chriftinnen, und nod vor wenigen Jahren entführte er auf einer verartigen Razzia die Gat⸗ tin eines Kaufmanns aus Mozdof. Leider waren die wenigen Tage unferes Aufenthalts in Tſcherwlenna von zu vielfachen Gefchäften ausgefüllt, ald daß über all’ diefe Umftände nähere Unterfuchungen anzuftellen niöglich ges weſen wäre. Längs des linken Terefuferd ging der Zug nach Schtſchedrinskaja. Dort ftieß noch mehr Mannfchaft zu der Erpeditionsarmee, der Teref und Afai ward über- fchritten, dann füpöftlich der Weg nach Andrejew fort gefebt. Dort überrafchte und die Rachricht, wie General Golowin von Tiflis auf der großen öftlichen Militärs communicationsſtraße bis Tarfi gerüdt, von hier aus ges rade weitlih durch das nördliche Dagheftan bis zum 34

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Koißu vorgegangen fei, und Tſcherkei, ohne General Grabbe davon zu benachrichtigen, auf eigene Hand von der Fluß⸗ feite angegriffen habe. Dieß erfchten um fo befrempender, als die Leitung diefer Expedition dem Kommandanten ver Rordarmee ſchon nach der Lage Tfcherfei’s zufam. Aber derartige Ereignifle gefchehen wohl mitunter im Kaufafus. Denn natürlich mußten bei der großen Selbftftänvigfeit der einzelnen Commandirenden häufige Mißhelligfeiten zwifchen ihnen auftauchen, deren Folge dann Rivalitäten waren, bei denen gewöhnlich Niemand litt ald die Sol: daten, welche ihr Leben in die Schanze ſchlagen mußten. Und doch ift, Rußland im Kaufafus zu fo ungeheuern Menfchenopfern gezwungen, daß. jeder unnüg geopferte Menfch hier doppelt fehwer wiegt. Dießmal war die Uns ternehmung des Generald Golowin mißglüdt, denn eben gegen ben Fluß bin war Tfcherfei durch Felsmaſſen, in welche die ZTfchetfchenzen ihre Schießfcharten und Bruft- wehren gehauen, vollfommen gefchügt; ver Fluß felbft, obgleich noch ſchmal, aber in furchtbar wilder Strömung durch die Felfen brechend, Fonnte weder befahren werben, noch war ed möglich. eine Brüde zu ſchlagen. Selbft. die Anlage einer fliegenden Brüde war mißglüdt. Nachdem General Golowin mehrere Tage lang die Felſen Ticherfei’s nutzlos beſchoſſen hatte, von den Ruflen aber viele durch die aus fiherm Verſteck ausgefandten Tichetfchenzenfugeln getötet worden waren, erfannte er die Unfruchtbarkeit feines Bemühend. Gleichzeitig war ihm unfer Herannahen befannt worben, und fo ließ er nur eine fleine Belage- rungsarmee unter General Vegeſack vor-dem Plag liegen, während er felbft im Nordende des Dagheftan bei Kozdek

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den Koißn überfchritt und fich mit Grabbe's Heer zu ver⸗ einen fuchte. Wir waren unterdeſſen unter fortwährenden Scharmägeln mit den in den Felfen und Wäldern lauerns den Feinden von Andrejew ſuͤdwärts gezogen und trafen am Indſchkeh (Nebenfluß des Koißu), nahe am Engpaß von Kubar (oder Kuwar), mit Golowin’s Truppen zus fammen. |

Eine Kampficene, welche ven Charakter der Adighen ald Krieger und Berbündete recht Far erfennen läßt, hatte ih auf dem erwähnten Marfch von Andrejew bis hier⸗ ber zu beobachten Gelegenheit. Sechs berittene Tfchetfchenzen nämlich waren von unfern Soldaten im Wald umzingelt, Fechtend hatten fie fich immer mehr zufammengedrängt, und endlich einen einzigen mafeftätifchen Baum als Rüden ſchuß erreicht. Unterbeffen drängten von allen Seiten immer mehr Ruflen heran; jene erfannten, daß der Sieg un⸗ möglich. Dennoch nahmen fie den angebotenen Pardon nicht an. Ploͤtzlich rüden fie näher an einander und fuchen fich Bahn durch die umgebenden Feinde zu hauen. Um⸗ fon. Nur einer durchbricht den Kreis und will davon fprengen, Die übrigen fünf haben ſich von den ‘Pferden geworfen und biefe nach Gewohnheit nievergeftoßen: denn ed galt nur noch fo viel Feinde als möglich mit in's Ververben zu ziehen. Da gewahren fie ihren fliehenden Gefährten. Sie rufen ihm zu. Augenblidlich reißt er fein Pferd herum, baut fi Bahn bis zu den Freunden, hat blitzſchnell den Dolch in die Bruſt des Roſſes geftoßen und fämpft mit ihnen. Alle blieben. Sole Männer bil den die Schugwehr des Kaufafus!

Der Engpaß bei Kubar iſt der einzige Zugang zu

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dem Theil der feinplichen Sande, in welchem, vieffeits des Koißu, Tſcherkéi gelegen if. Allein daß diefer Weg, bes ſonders in jebiger Jahreszeit, von einer rufftfchen Armee . gewählt werden möchte, war den Tfchetfchenzen felber fo unmwahrfcheinlich erfchtenen, daß fie ihn unbewacht gelaffen hatten. Wie ein tiefer enger Spalt ift biefer Durchgang in die nördlichen Vorberge des öftlichen ſchwarzen Gebirs ges eingeflüftet, und Dichter Wald zieht fich von beiden. Seiten bid an den Weg von den Berggipfeln herab. Oben aber, auf den höheren und waldfreieren Spigen der Ges birge, lag noch tiefer Winter; dort fchienen Schnee und Eis jeden Uebergang unmöglich zu machen. Eben ald wir vor dem Beginn des Felfenpaffes Halt machten, um bier dad Nachtlager aufzufchlagen, fam die Nachricht, daß Schamyl aus Tfcherfei in Eilmärfchen mit 8000 Mann heranziehe, um den Paß zu befegen. Ihm noch zuvorzus fommen, war bei feiner Nähe, bei der Ermattung ber Soldaten völlig unmöglich. Dazu vermochte die einfinfende Nacht die furchtbare Hitze des verflofienen Tages voller Kampf und Strapagen nur wenig zu Fühlen. Ein beller Sternenhimmel verhieß einen eben fo heißen folgenden Morgen, und das Geräufch, welches verworren und ums deutlich aus dem Waldberg zu und herüberfchwirrte, vers fündete wenige Stunden fpäter die Ankunft der Tſchet⸗ ſchenzen jenfeitö der erften und gefährlichften Strede des Engpafied. Wie immer, hatten auch dießmal die Muriven den furdhtbaren Schamyl begleitet. Diefe Muriden bilden ihm eine Art Garde. Aus den edelften Beichlechtern ent fprofien, haben fie fih um den Führer gereiht und fidh ſämmtlich zur Bertheivigung des Vaterlandes wie bes

933 Koran dem Tode geweiht. Sie geben und nehmen feinen Pardon. Ihre Müse iſt zur Auszeichnung von weißem Tuch, während die andern Krieger dazu andere Farben _ zu wählen pflegen. |

In der Nacht entwarfen nun die Generale Grabbe und Golowin gemeinfchaftlich den Plan für den folgen- den Tag. Diefem zufolge wurde dad gefammte Operations heer in drei Colonnen zerfällt. Die beiden Seitencolonnen, deren linfe General Klugenau, die rechte Oberft Labinzoff anführte, follten über die den Weg flanfirenden Berge ziehen, dadurch den Wald von Feinden reinigen und auf folche Weife für die auf der Straße zwifchen ihnen nach—⸗ folgende Artillerie und den Train fichern Durchgang. ers zwingen. "

Koh war’d völlig nachtvunfel im Thale, als die Signale zum Aufbruche riefen. Doch oben in den höhern Bergen dämmerte bereits der Morgen, und glühend hingen die erften Lichter des Morgenrothed jenfeitd der nächften Höhen an den ſchneebedeckten Felögipfeln. ‚Während bie - Armee ſich in tiefer Stille ordnete, erflang aus dem nahen Wald der eintönige Gefang der Tfchetfchenzen fehauerlih zu und herüber. Es war ihr Morgengebet und ihr Todes⸗ gruß, mit deſſen Tönen fie ihre Vorbereitungen zum Wiber- ftande begleiteten. Indem fie kleine Schießfchanzen auf: warfen, konnten wir bisweilen ihre Gewänder durch die Bäume leuchten fehen, erblidten wir zwifchen den Felſen ihre geifterhaft hindurchſchlüpfenden Geftalten. Der Marfch begann. Noch war Fein Schuß gefallen. Aber.fo wie bie Berge fteiler zu werben anfingen, fnallten auch die erften Schüſſe. Mit jedem Schritt warb das Terrain auf der

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rechten wie liafen Colonne fehwieriget. Bald war ich felbft gezwungen, mein Pferd zum Train zurüdzufenden und zu Fuß von der einen zur andern Golonne herüberzuflettern. Bald waren die auffteigenden Soldaten genöthigt, fich der Waffen als Stügen zu bebienen. Rur an Bäume an- gelehnt, vermochten fie den von oben herabgejendeten Kugeln zu antworten. Und je höher fie unter unfäglichen Anftrengungen emporflimmten, befto heftiger ward das Feuer der Tſchetſchenzen, defto gefährlicher fchlugen ihre Fleinen Kugeln Mr die Körper unferer Krieger. Aber je ftürmifcher der Tod in deren Reihen wüthefe, defto erbit⸗ terter wurden diefe. Immer toller, immer todtverachtender fürmten fie, al’ ihre Kräfte jufammenraffend, dem Bergs rüden entgegen. Auf jedem Schritte drohte faft unvers meidliches Verderben. Bald vollen Laufes vordringend, bald zurüdgeworfen, bald geſchützt durch Bäume, bald ben feindlichen Kugeln ganz preiögegeben, focht jeder nicht nur für den Uebergang, fondern mehr faft für pas eigene Leben. Und während jo oben im Walde, rechts, links, vorwärts, rückwärts der Tod auf beiden Seiten reiche Ernte bielt, während, bald einzelner, bald gebrängter das Kleingewehrfeuer praflelte, die Säbel fauften, die Bajon⸗ nette Flirten, brach in den finnebefangenden Lärmen jept von Anten, aus dem Hohlwege felbft, ver Donner ver Gefchüge dröhnend Herein, furchtbar im Gebirg nachhallend. So ward am Morgen und am Nachmits tag; dazu glühte eine tropifche Sonne am woltenlofen Himmel. Bon tichetfchenzifcher wie von ruffifher Seite gefhahen Wunder der Tapferkeit. Dennoch waren erft mit dem finfenden Abend die gefährlichiten, weil fteilen

et

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und bichtbewalbeten Vorberge überwunden. Endlich die Sonne. war ſchon längft verſchwunden kamen unfere Zruppen auf einer lichten Hochebene an. Der Wald hörte gänzlich auf, und jenfeit3 in ben Klüften und Spalten ber noch zu überfteigenden Höhen verſchwanden die fliehen» den Reiter. Werige Zeit nachher fahen wir Schamyl feldft mit feinen Muriven ‘oben über die Felswege dahin siehen, feinem Aoul im tiefern Gebirge entgegen.

Am ganzen Tage waren nur anderthalb Werfte zu- rüdgelegt worden. Und felbft die Nachtruhe ward uns durch eine unleidliche Hitze verfümmert, welche fich bier über dem von neuen Bergen rings umgebenen ‘Plateau gefangen hatte. Wiederum bergauf, oft genedt von den . Schüffen ‘ver Tfchetfchenzenguerillas, ging am folgenven Tage der Zug unſeres Heeres bei beftigftem Sonnen- brande den Schneeregionen des Gebirges entgegen. Bald ward das Terrain von neuem fo jchwierig, daß Die Kameele und der ganze Zrain hinter der vorjchreitenden Infanterie weit zurüdblieben. Dazu erhob fich nun in der Nähe der fchneebededten Berge plöglich ein fiharfer Wind, und endlich umtanzte und das winterlichfte Schneegeftöber. Früh noch vor Hitze faft erftidend, traten wir jest in - Schnee und fanfen bald nachher bis zu den Knieen darin ein. Die Mäntel und alle andern Grwärmungsmittel waren. theils deim Train, theild gar in Tſcherwlenna zu= rüdgeblieben. Der Train aber und die Artillerie vermoch⸗ ten nicht vor dem Anbruche der Nacht und nachzukommen; fie lagerten alfo mehrere Werfte rückwärts, während die Sol- daten oben auf den höchften Berggipfeln, durchnäßt, durch: fältet, hungernd, dürſtend, dazu bis zum Sterben ermatz

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tet, die Nacht zuzubringen gezwungen waren. Es war eine entſetzliche Nacht. Doch die Ermüdung ließ ſie ihre Leiden ˖ weniger empfinden, und endlich flieg ein klarer reiner Morgen empor. Dieß Tageslicht bot dem Blick eine Runbficht dar, deren Pracht jogar den gemeinen, von ihren Körpernöthen leidenden Soldaten laute Bewun⸗ derungsrufe entlodte. Denn während einzelne nördliche Seitenzweige der öftlichen Ausläufer des Kaufafud mit ihrem prachtvollen Waldgrim, und. den -röthlichhraunen Spitzen fih faft zu unſern Füßen Hinzogen, aus denen bier und da wie einzelne große Kryftallitüde, die Gebirgs⸗ wafler, vom Morgenroth überhaucht, emporbligten, und wieder an andern Stellen dünne Nebelmaflen empor⸗ fteigend fich zu einzelnen Wolfenbällen verbichteten, lich⸗ tete fich mit dem Auffteigen der Sonne auch das Land jenfeitö der Berge, das nördliche Dagheftan mehr und mehr. Wälder und Auen, durchzogen von röthlich ſchim⸗ mernden Flüſſen, dehnten fich weiterhin; einzelne Aouls und Stanizzen leuchteten mit ihren weißen Kalfwänden daraus hervor, und am Horizont endlich breitete ſich ein hellglängend, filbernes Band das kaspiſche Meer aus. Zur . Zinfen, norböftlich, lag das flachere, von Flüſſen vielfach durchichnittene, und mit reicher Vegetation geſchmückte Land der Kumyken. Rechtöhin, wie rüdwärts, aber verlor fi der Bli in den theils freien, theils bewaldeten, theils fchneebededten, taufendfach geftalteten Gipfeln des Gebir- ges, deren einer hinter dem andern befonderd zur Rechten fi) bervorhob, bis fie am Horizont in Ent fernung und leichten Morgennebeln verfchwammen.

. AS wir fpäter in die Ebene hinabgeftiegen, Fam ung

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hinter Kabar bereit3 die Nachricht, dag Ticherfäi von den Tichetfehenzen dem Fleinen zurüdgelaffenen Belagerungs- heer übergeben worden ſei. Dieß war folgendermaßen ge- fehehen. General Begefad, ald er erfahren, daß Schamyl, mit dem größten Theile der Beſatzung die Stadt verlaffend, ‚und entgegengeeilt fei, hatte dieſen Moment der Beftürs zung unter den Bedrohten benußt, unterhalb der Stadt feine Truppen, wenn auch langfam, über den Koißu ſetzen zu lafs fen, und dann hatte er die Beſchießung von der Lanpfeite her begonnen. Nach einigem Widerſtande Hatte die ſchwache Beſatzung ſich genöthigt gefehen, den Platz unter der Be- dingung freien Abzuges zu übergeben. Leider befand ſich : aber General Begefad felbft unter den Opfern des Kampfes.

Unfere Unternehmung - war dadurch geendet; denn Ticherkei’8 Eroberung follte den Schluß der erften Expe⸗ dition des Jahres bilden. Nachdem daher den ermatteten Soldaten einige Rafttage vergönnt worden waren, mar- fhirten wir, nur wenig von Feinden beunruhigt, auf dem alten Wege nach Tſcherwlenna zurüd. Hier blieb General Grabbe einige Wochen, um nachher nach Grotſchnoi ab⸗ zugehen, damit die Anlage. von Feſtungen auf der neuen Linie laͤngs der Sundſha beginne.

3. Im Sommer nud Herbſt des Jahres 1841.

In Grotſchnoi angefommen, ließ General Grabbe fogleich den Bau der Feſtung Safan-Jurt beginnen. Die⸗ fer Plap liegt etwa zwanzig Werft wetlich von Grosnaja an der Sundſha. Ald wir dortbin kamen, fanden wir das jenfeitige Ufer des Hier noch nicht breiten Fluſſes

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mit dichtem Wald bedeckt. Und biefe Gelegenheit benutzten die Tſchetſchenzen, allen Wachtpoſten und Streifpatrouillen zum Trotze, vortrefflich. Während unfere Soldaten dieſſeits die Erdarbeiten begannen, feuerten jene, gefchügt- von dem dichten Laubwerf, am ganzen Tag ihre Flinten auf bie Arbeitenden ab. Und befanntlich zielen die Aſiaten fo vortrefflich, daß. wir bald zu ernſtlichen Maßregeln gegen diefe tödlichen Nedereien und gezwungen fahen. Ehe alfo noch zum Häuferbau gejchritten wurde, gingen Streifzüge an das jenfeitige Ufer des Fluſſes ab. Während ein Theil der Mannfchaft die Feinde nach allen Seiten hin befchäf- tigte, fie von der Sundſha landeinwärts drängend, fällte ein anderer Theil die Bäume, welche zunächſt am Fluß⸗ ufer ſtanden. Auf, folche Art ward ver Wald gelichtet, das Berftel der Tfchetfchenzen zerfiärt, und uns felbft wenigitens für die Tageszeit. einige Ruhe gefchaffen. Allein nunmehr entftand ein um fo befchwerlicheres Rachtplänkeln. Denn während vorher die Tfchetfchenzen uns am Abend unbehelligt gelaflen, fchlichen ſie jetzt bei Nacht an unfere Schildwachen, VBorpoften, Pilets heran und fchoflen die feinen Feind. Ahnenden nieder. Auch von der Landfeite her gefchahen einzelne derartige Angriffe, und bald. ward jedes Licht in den Lagerzelten zum Ziels punkt der ſchlauen Gebirgsföhne. Die Verftärfung der MWachtpoften und Pikets, fo wie die zahlreich ausgefand- ten Patrouillen vermochten diefe ewigen Angriffe faum zu vermindern, und eben fo wenig Nutzen brachte unſer Gegenfeuer. Endlich ward befohlen, ven Schüſſen durch: ans nicht mehr zu antworten. Eine Zeit lang fnallten zwar am erften ber Abende, als man diefen Plan befolgt

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hatte, die Schüffe wie in’ allen vorhergehenden Nächten. Allein bald nachher ſchwiegen fie und: durch die Stille der Nacht ſcholl eine Frage: weßhalb wir nicht entgegen- fchöffen? Db wir fie etwa verachteten? „Wir wollen ſchla⸗ fen, geht auch ihr in's Bett!“ antwortete man ihnen. Da lachten, lärmten und ſchimpften die Tſchetſchenzen zwar noch eine Zeit. lang fort, doch fiel Fein fernerer Schuß. (Ob wohl irgend ein hochkultivirter Feind mit eben folchem Adel gehandelt haben würde, wie dieſe „rohen Aſiaten“7) Es wäre jedoch lächerlich gewefen, zu erwarten, daß diefes nur auf den moralifchen Charakter ver Tſche⸗ tfchenzen bafirte Vertheidigungsmittel für längere Zeit ausreichen werde, befonders da wir unfererfeitd unterbeflen, unbefümmert um die ſeltſame Hochherzigkeit des Zeindes, unfer Zwinguri weiter aufzuführen fortfuhren. Deßhalb ward nach Beendigung ded Baues von SafansIurt behufs der Säuberung des dem Fluſſe nächften Landes eine Ers pedition in die kleine Tichetfchaja unternommen. Sie lies ferte nur unbedeutende Refultate. Ein paar Would wurs den zerflört, einige Heerden erbeutet, einige Tſchetſchenzen gefangen genommen. Doch kam ed nirgends zu einem bedeutenden Gefecht.

.„ Zurüdgelehrt von diefer Unternehmung wurde der Bau. der zweiten Feftung der Sundſha, Raghanturt, wie, derum etwa zwanzig Werft wehtlich von Safan-Jurt, in Arbeit genommen und ohme bedeutende Störung von Seiten der Feinde bis zum Ende Septembers beendet.

Unterdefien war ans St. Peteröburg der Befehl zu einer beveutendern Erpebition in die große Tſchetſchnia angelangt, deſſen Ausführung noch in den legten Sep-

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tembertagen begann. Derartige Unternehmungen find fchon fo Häufig gefchflvert, und die Art des Kampfes im allges meinen gleicht fih auf den verfchievdenen Bunften des Faufaftfchen Theaters fo vollkommen, daß es überflüffig fein würde, bier eine detaillirte Befchreibung unfers Zus ges folgen zu laffen. Auch kam es dießmal wiederum zu feinem einzelnen bedeutfamern Gefecht, objchon aus der Höhe und Tiefe, aus Wald und Buſch unaufhörlich Kriegsgeſchrei und Schüfle hervorfcholfen. Nur bei den einzelnen Aouls, die unfer Zug zerftörenn berührte, ge- ftaltete ſich -biswellen ein lebhafteres Schlachtgetümmel. Wie ein großed Schiff, durch dad Meer fahrend, hinter fih eine länger fichtbare Furche Hinterläßt, während vorn und zur Seite die Wellen fich brechen, weichen und doch wieder zufammenfließen fo fuhr üunfer Heerzug durch die Lande der Tſchetſchnija. Wo er eben ging, befanven fih feine Feinde; aber vorwärts und feitwärts nedten fie unaufhörlich, und hinter dem Heere flofien fte, kaum getheilt, wieder zufammen. Die Expedition hinterließ unter ihnen feine bemerfbaren Spuren. Rur bier und da wehte aus den Untiefen ihres Waldmeeres eine rufftfche rothe

Signalflagge ein brennendes Aoul. Einige Gefangene

und manche Vichheerde bildeten unfere Trophäen. Vielleicht mochte Diefer Zug vom St. “Beteröburger Gefichtöpunft aus folgenreicher erfcheinen, ald er in der That war. Die Richtung des Weges war folgende. Von Gros⸗ naja ging der Zug fünofiwärts bis zum Beginn des Gebirges, länge deſſen Ausläufern er fich hierauf oftwärts bewegte, einige Fluͤſſe paflirte, Berge überfletterte, Wäl⸗ der durchivanderte, bis er endlich, das linfe Ufer ver

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Kasba (oder Akstaß, eined Rebenfinffes des Teref) nord⸗ oftwärts verfolgend, gegen Ausgang des Octobers zwiſchen Andreiew und Mamatiurt wieder das ruſſiſche Gebiet erreichte. Unter fämmtlichen feinplichen Aouls zeichnete fih nur ein einziges Dadurch aus, daß es faft ganz- aus fteinernen Häufern erbaut war. Zwar fanden wir es völlig verlaflen, doch waren beinahe in allen den leer ſtehenden Wohnungen chirurgiſche Inftrumente und bedeu⸗ tende Kräuterfammlungen zurüdgeblieben ein deutliches Zeichen, daß das Dorf vorzüglich von aflatifchen Aerzten bewohnt geweien fein mochte. Hätten unfere Chirurgen die Benugung diefer Kräuter verftanden, fo wären biefe wahrfcheinlich die werthvollſte Beiite der Expedition gewe⸗ fen. Denn die Aerzte der Bergvölfer befigen in Behand: fung der gefährlichfien Wunden durch Verbände, weiche mit Aufgüffen, Abfochungen u. f. w. der nur ihnen bes Tannten Gebirgspflanzen befeuchtet find, ein fo unläug« bares Uebergewicht über die ruflifchen Wundärzte, daß fogar dieſe ihnen hierin den Borrang nicht beftreiten. Auch in Führung der Iuftrumente, befonders aber in Sondirung und angenblidliher Erkenntniß der Beſchaf⸗ fenheit einer Wunde find fie wunderbar gefchidt. Leider ift es fehr fehwer fie zu beivegen, hülfeleiftend herüber in dad ruflifche Lager zu kommen, und ihr pharmakologifches wie chirurgifches. Wiffen halten fie gegen die Europäer ängftlich verborgen. Nur fo viel ift ficher, daß faft jeder, der im Kaufafus gefochten, Fälle zu erzählen weiß, bei denen unfere Aerzte an der Heilung verzweifelten, wähs rend die ticherfeflifchen Chirurgen meiftend ohne bedeu⸗ tende Operationen in furzer Zeit diefelbe zu erzielen

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wußten. Aehnliche Erfahrimgen machten die NRuffen au febon früher im perfifchen Feldzuge.

Kur noch wenige Werfte von Anbreiew entfernt, fand “das Erpevitiondheer viele Tauſende von Heufchobern, welche die Tichetfchenzen bier zufammengetragen hatten, um zu einem wie die Folgezeit lehrte beabfichtig- ten Einfall in dad Land der Kumpfen den Proviant für die Pferde in der Nähe zu haben. Diefe Heumaflen wur. den angezündet. Da war’d denn ein herrlicher Anblid, als dieſe faft unzählbaren Keuerfäulen in ber ftillen Nacht boch emporflammten und die ganze Umgegend in fchauers lichem PBurpurfchein erglühen ließen. Allerdings mag bie confequente Zerftdrung der eroberten Aouls, dieß Ber: nichten der Ernten, dieß Wegführen der Heerven, wie «8 von rufftfcher Seite geübt wird, dem ganzen Faufafifchen Krieg einen Anfchein von Graufamfeit verleihen. Aber man muß (abgejehen davon, daß die Franzoſen in Algier es um kein Haar beffer machen, und die brittifchen Kriegs⸗ zäge in Indien gauz ähnliches aufweifen) niemals unbe- rädfichtigt laſſen, daß zur Erreichung des vorgeftedten Zie- les, nämlich der Schwächung und dadurch endlichen Be⸗ zwingung ber Tfcherfeflen eine audere Sriegführungsweife in feiner Hinficht genügend ericheint. Eine faft Hunderts jährige Erfahrung hat im Gegentheile dargethan, daß vie eben zurüdgeichlagenen und von ihren Wohnſitzen nur ‚verbrängten Feinde Feinen Augenblid den Kampf ruhen laſſen, fonvern ihre Freunde entbietend, die ruſſiſchen Trup⸗ pen nur mit um fo größerer Wuth beunrubigen, angreifen, überfallen. Indem man aber die Aouls zerftört, die Felder

wernichtet, die Heerden wegtreibt, zwingt man für den

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Augenblid einen Theil der Streiter, vom Kampfe fern zu bleiben, weil. diefer befchäftigt if, tiefer im Gebirge neue Wohnungen, neue‘ Felder, neue Heerven zu gründen. Unterdeſſen gewinnt das ruffifche Heer ‚Zeit, fich irgend- wie am neueroberten Plage feftzufeger. Allerdings läßt fih nicht Täugnen, daß das Berfahren nicht Rußlands, fondern einzelner ruffifchen Officiere in dieſem Krieg die Grenzen nothivendiger Strenge mit. roher und eigenmäch- tiger Härte häufig überfchreitet. Ie gewifienhafter man einerfeitö die notwendige Strenge anerkennt, deſto firenger darf man auf der andern Seite die gewif fens loſe Graufamfeit tadeln.

Nachdem nun die Expedition durch ˖ die große eſche⸗ tſchnja beendet war, zerſtreute fich die verfammelte Mann⸗ ſchaft wieder nach ihren MWohnftsen längs der Linie, und General Grabbe eilte nach Stawropol zurüd: Das Mili⸗ tärjahr 1841 ſchien beendet. Allein Schamyl hatte unter deſſen bereits wieder im Lande der Gumbeten eine Armee

verfammelt. Unter Androhung einer Strafe von einem’

Silberrubel oder fünfzig Kantfehufchlägen für die Nichts erfcheinenven hatte er alfe waffenfählge Mannſchaft der großen wie der Kleinen Tſchetſchnja aufgeboten, und auf . folche Weife ein Heer von 15,000 Kriegern zufammen- gebracht. Mit Biigesfehnelle war er dann in das Land der Kumyken eingedrungen, überrafchte hier die den Ruffen verbündeten Einwohner, brannte ihre Dörfer nieder, machte fie felbft zu Gefangenen, trieb ihre Heerden zuſammen und bedrohte fogar Kisljar. Unüberlegt geht ihm der dort commandfrende Oberft mit nur hundert Mann und zwei Kanonen im freien Feld entgegen. Im Nu find daher

*

auch die Soldaten von der Uebermacht bewältigt, und größtentheild werden fie niedergehauen, Die beiden Kano⸗ nen aber fortgeführt. Die Commandanten ver Feſtungen Grosnafa (General Alfcheffsty) und Tfcherwienna (Oberft Moinaroffsty) haben unterbeffen Kunde von den Unglüds- fällen erhalten, und eilen aus ihren feften Plägen in ver Abficht hervor, fich im Rüden des Feindes vereinend, diefem den Rückweg abzufchneiven. Aber auch Schamyl hatte von ihrem Plane Nachricht befommen und mit feis nem Heere bereitd den Rüdzug angetreten. Nur noch etwa zwei Werfte find die Truppen Alſcheffsky's und MWoinaroffly’s von einander entfernt, ald Schamyl plöß- lich berbeieilend .fein Heer Feilförmig zwiſchen ihre Züge ſchiebt, plößlich * daflelbe auch in drei Colonnen theilt, eben fo raſch rechts und links die Ruflen angreift und in Kampf verwidelt, unterdefien aber 40,000 Stück er- beutetes Bieh und die Kanonen auf. dem freien Wege zwiſchen jenen beiden nach dem Gebirg entführt.

Diefer Heerzug ward weniger in feinen unmittelbas ren als in feinen mittelbaren Folgen von höchfter Wich⸗ tigfeit für die Geftaltung des Faufaflfchen Krieges der ' Gegenwart. Abgefehen davon, daß jene. beiden Kanonen bie erflen waren, welche an die Ticherfeflen verloren gingen (die bei dem Ueberfall der Seeforts in frühern Jahren von den Abafechen erbenteten „Biftolen des Kai⸗ ferö", wie fie die Gefchüge nennen, können in ber Feld» fchlacht nicht gebraucht werben), gab diefer Einbruch Schamyl's in dad Kumyfenland auch die nächſte Verans faflung zu der unglüdlichen Erpebition des naͤchſten Jah⸗ res in das Land der Gumbeten, wobei General Grabbe

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mehr als 1000 Mann und über 100 Officiere einbüßte. Es ift aber befannt, daß dieſer Unfall von feiner Abberu⸗ fung gefolgt war, und eben fo befannt ift, Daß dieſe . Abberufung die Enthebung Golowin's von feinem Poften, ſowie General Saß's Beurlaubung auf unbeftimmte Zeit veranlaßte. Diefe großen Beränderungen in ver oberften Leitung des Krieges rief wieverum das unfelige Defen- ſioſyſtem des Jahres 1843 hervor, deſſen Schlußact die großen Verluſte Rußlands im November und December bildeten. Und ſehr wahrſcheinlich dürfte, nach den Rüftun- gen der Gegenwart zu fehließen, anftatt der biöher befolg- ten Offenſtodefenſive, dad Syftem der reinen Dffenfive an die Spige des Faufafifchen Kriegsplanes treten. Unabfeh- bar find aber die Collifionen Rußlands mit den übrigen Mächten Europa’, wie fie ſich dann und eben daraus entwickeln moͤgen.

4. Blicke auf den rechten Flügel der Nordarnee.

Wie auf dem. linken Flügel an der Sunpfha, ſo waren auf dem rechten Flügel an der Laba bereits vor dem Jahr 1841 einige Feftungen aufgebaut worden. Be- fonder8 aber war General Saß in den verfloffenen Jah— ren bemüht gewefen, theild durch Beftegung der Tſcher⸗ fefien am Urup, theils durdy Anlage einzelner Forts und Stanizzen,. dort eine Demarcationdlinie gegen die Feinde in dem bier aus der Steppe emporwachlenden Hochland zu ziehen. Bereitd 1838, wenn ich nicht irre, entitand daher Georgiewskoje am rechten Ufer des Urup, etwa 80 Werfte von Protſchny⸗Okop entfernt. Serofsky, nahe an

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dem Urſprunge des Tſchamlyk, einem Nebenfluſſe der Laba, ward der Mittelpunkt des Linientheiles, welcher ſich vom Urup ſüdwärts nach dem Labacordon herabziehen ſollte, und lag bereits im beginnenden Gebirg. Dort aber, wo die Laba, nahe dem Achmedberg, mitten im Urwalde ſich in ſechs Arme ſpaltet, war der Uebergang über dieſelbe durch Aushauen der Väume zu beiden Seiten des Weges ſelbſt für kleine Truppenabtheilungen gegen ploͤtzliche Ueber⸗ fälle ziemlich geſichert. Ueberdieß ward an dieſer Stelle, oder vielmehr auf der die Umgegend beherrfchenden Höhe, no im Jahr 1839 - eine für uns fehr wichtige Feftung aufgeführt. Länge der Labaufer felbft aber, und von der bezeichneten Gegend ausgehend, wurde 1840 die Grün- dung ruffifcher Anfievelungen (Stanizzen) begonnen. Eine zweite wichtige Militärcommumicationsftraße über die Laba beftand auch oberhalb des Einfluffes des Ehops und von bier aus liefen ebenfall® ruffifche Anbauten am rechten Slußufer hinab, Jedoch wie quf dem linfen Flügel, fo hatten auch hier auf dem rechten die großen Bewegungen der Sabre 1840 und 1841 unter den Bergoölfern den energifchen Fortfchritt derartiger Unternehmungen fehr ge hemmt. Faſt alle friedlichen Aouls des Gebirges, Telbft fehr viele der Steppe, traten nad) und nach den Ruflen wieder feinblich gegenüber, und ſo mußte die Zeit, welche der Fortjegung des Baues der Linienfette beſtimmt war, größtentheil® zu Erpebitionen verwendet werden, welche, obgleich in ihren einzelnen Erfolgen meiftentheild glän- zend, doch hinfichtli des allgemeinen großen Plancd weniger günftige Refultate als während der frühern Kriegs⸗ jahre lieferten. Ob vieß mun als Folge des Vertraut⸗

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werdens der Afiaten mit der europaͤiſchen Kriegsführungs⸗ weiſe zu betrachten ſei, ob es ein Erzeugniß der durch Schamyl zur Ueberzeugung gebrachten und früher vorzüg- lich dur den Engländer Urgubart unter den Adighen angeregten Idee von der Nothwendigkeit eines Gemein⸗ kampfes war wer mag dieß entfcheiven? Die Thatfache ‚bleibt immer diefelbe. | Dennoch ließ ſich nicht leugnen, daß General Saß unter den Bergvölfern abfolut der gefürchtetfte rufftfche Heerführer blieb; und die Nachrichten von feinen im Ein- zeinen faft fabelhaften Erfolgen klangen eben fo durch den Kaufafus, wie fle nach Europa herübergefchallt find. Nachdem ich alfo bereitd meine Papiere in der Tafche batte, um nach dem eurspäifchen Rußland zurüdzufehren, benußte ich die freie Zeit zu einem Ausfluge nach Protſchny⸗ Dfop, damit ich nicht den Kaufafus verlaffe, ohne den General geſehen zu haben. Manchmal begünftigt uns das Glück und fo auch dießmal mich in fo fern, als ich eben noch zu rechter Zeit in Protſchny-Okop anfam, um an einer Erpedition des General Saß Theil nehmen zu koͤn⸗ nen. Dieß war um fo weniger zu erwarten gewefen, als wir und im SIanuarmonat des Yahrs 1842 befanden einem Zeitpunft, während deſſen meiltend beide Barteten von den Mühen ver milden Jahreszeit auszuruhen und neue Kraft zu neuen Kämpfen zu fammeln pflegen. Wir faßen am Abend meiner Ankunft eben beim Theetifch, als ein frienlicher Häuptling die Nachricht brachte, daß bie Abafechen einen Ueberfall auf die Außerfte rechte Flanke der Saß’fchen Corvonlinte zu machen im Begriff fländen.

Sogleich ließ der General die Pferde fatteln, und wenige 85*

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Minuten nachher ward der Zug mit 400 Mann Kofafen und drei Kanonen angetreten. Längs ded gefrornen Kuban reitend, erreichten wir noch in der Nacht Ladoſhskaja. Aber hier war alles ſtill, blieb alles ruhig.” Ringsum ‚nicht die geringfte Spur eines nahenden Feindes. MWäh- rend des ganzen Tages, die ganze folgende Radıt bins durch, wie am zweiten Tage ftanden die Pferde gezäumt und gefattelt, harrten wir ungeduldig eined Zeichens zum Aufbruch. Endlich tief in der zweiten Nacht kommt abers mals ein frieplicher Tſcherkeſſe mit der Rachricht, die Feinde feien 8000 Mann ftarf im Anzuge und der Linie ſchon ganz nahe. Alles ift bereit, jeder fteht bei feinem Pferd, die Kanonen find fertig. Koch immer geſchieht nichts. Endlich gegen vier Uhr Morgend vernimmt man zwei Schüfle weitlich in der Gegend von Uftlabindfaja. In jagendem Roffelaufe werden nun vierzig Werſte bins nen nicht völlig drei Stunden zurüdgelegt. Immer näher, immer deutlicher hört man den Lärmen des Gefechtes. Endlich befinden wir und an der Grenze der Saß’fchen Linie; das Gefecht ift jenſeits derfelben, ‚noch jenfeits Uftlabinsfaja. Saß aber ruft: „Man muß aud den Nachbarn helfen.“ Und damit flürmt der Zug wieber vorwärts.

Die überfallene Stanizza war Wafturinsfoi*). Schon droht die Uebermacht der Feinde den tapfern Linienkofafen den Untergang, als Diefe unfern Zug nahen hörten. Ein Jubelruf unter den Ruſſen, ein Schredensruf unter ven Aftaten erflingt’d: „Saß fommt.” Und augenblidlich be

*) Worneſchskaja?

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N

ginnen die Feinde den Rückzug über den gefrornen Fluß, die Beute mit fich führend. Saß vereint fich raſch mit den Kofafen der angegriffenen Stanizze und ſetzt ven Feinden nach. Gefchredt vom Namen des Generals fliehen

. die Abafechen unaufhaltſam, troß dem daß unfere "ganze

.

Macht nur aus etwa 700 Mann mit fechd Kanonen beftand. In der Hitze der Verfolgung jagten wir dem Feinde ungefähr fieben Werfte weit nah. Da wird es völlig Tag. Plötzlich, wahrfcheinlich unfere geringe Zahl erfennend, halten die Abafechen an und ftellen ſich gegen uns auf. Mitten in der Steppe, ohne Rüdenfchus, ftau- den wir ihnen fo gegenüber; ein Entfliehen, obſchon räth- lih, war unmöglich. Untervefien haben vie Feinde fich in drei Colonnen gefpalten. Ihr Centrum fteht unbeweg- lich, während die beiden Flügel und zu umreiten begin- nen. Auch der General hat Front machen laffen, und commundirt jet, die feitlihen Bewegungen des Feindes nicht beachtend: „Marfch, marfch.” In geftredtem Trabe geht ed auf das feindliche Centrum los, während deſſen Seitencolonnen vor ſolch überrafchender Bewegung un— fchlüfftg ftugen. Nur etwa zweihundert Schritt von den Gegnern entfernt, läßt General Saß unfere Linie nach rechts und links abfchwenfend Front machen und aus der Lücke hervor donnert eine Salve der ſechs Kanonen. Die Wirfung in dem feindlichen Mitteltreffen ift bei fol her Nähe graufenerregend. Dadurch wanft dieſes und wendet fich zur Flucht. Wührend nun die Schüffe „ber Pijtolen des Kaiſers“ den Flüchtlingen nachgefendet wer- den, wirft fich gleichzeitig unfere Mannfchaft in heftigem Stoß auf die überrafchten Seitenflügel. Auch fie fliehen.

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Der Sieg ift entfchieven. Dießmal jedoch ward die Vers folgung vorfichtigermeife nur noch ungefähr eine halbe Werft fortgefegt. Am Nachmittage fehrten wir nad Was furinsfoi zurüd, und traten noch während der Nacht den Rückweg nach Protſchny⸗Okop an. Mit Schilderung dieſes glänzenden Erfolge Saß ſcher Waffenführung mögen auch die vorliegenden Skizzen ihr Ende finden.

Schlußbetrachtung.

Durch den Tob großer Männer, biefen fehmerzlichen Preis, erfauft man das traurige Recht frei von ihnen zu fprechen. Auf der einen Seite wir böfe Gefinnung bie Kritik nicht der Schmeichelei befchuldigen; auf der andern Seite wird die Furcht die gereizte Cigenliebe zu beleidigen, den Todten nicht des verdienten Lobes berauben.

Aus Derſchawin's Nekrolog.

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Reidhart und Woronzow; zugleich ale Heberficht der kaukafifchen Buflände von 1842 bis auf die neuefte Beit.

Zu Ende des Jahres 1842 wurde bekanntlich der Oberbefehlshaber des kaukaſiſchen Armeecorps, General⸗ adjutant Golowin, von ſeinem hohen Poſten abberufen und durch den Generaldjutanten von Neidhart erſetzt, nachdem kurz zuvor der gefürchtete Kriegsminiſter, Fürſt Tſchernitſchew, im Auftrage des Kaiſers eine fogenannte Infpeetionsreife nach dem Kaufafus unternommen hatte, um fich perfönfich von den dort eingeriffenen Misbräuchen zu überzeugen und Mafregeln zu ihrer Befeitigung zu treffen. Wie unpolitifch um nicht einen ftärfern Aus- druck zu gebrauchen Fürft Tſchernitſchew fich bei dieſer Miſſion benahm, wie fehr er feinem und dem ruffifchen Anfehen in Georgien dadurch fihadete, mit einem Worte: wie wenig er in jeder Hinficht dem Zwecke feiner Sen» dung entfprach, feheint höhern Dries nicht genugfam be⸗ fannt geworben zu fein, obgleich die vielzüngige Fama des Kaufafus noch lange nachher ziemlich ungenirt darüber berichtete... .

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Die Abberufung Golowin's hing auf das Genaueſte zuſammen mit der Quiescirung des General Grabbe und wurde gleichſam durch dieſelbe bedingt. Ewige Mißhellig⸗ keiten zwiſchen Beiden Grabbe commandirte ſpeciell die Nordarmee und Golowin hatte neben dem Oberpräſidium in allen Eaufafifchen Angelegenheiten ſpeciell die Süb- armee unter feinen Befehlen hatten ewige Neibungen hervorgerufen. Dabei waren, wie wir im Verlauf dieſes Buches gefehen haben, die Jahre 1840 und 1841 unter Berhältniffen verfloflen, welche den Occupationsplänen der Rufen in den. öftlichen Provinzen des faufafifchen Gebiets nichts weniger als günftig gewefen. Dagegen vermochte General Saß aus ven weftlichen Theilen fortwährend neue Refultate zu berichten, und es war natürlich, daß fih dadurch für ihn in St. Petersburg eine gänftigere Stimmung als für jene Beiden, infonderheit für Grabbe, bedingte. Allein zu offenbaren Beweiſen des Mißfallens gegen Diefe lam es erft, ald im Herbſt 1841 Schamyf einen gefährlichen Einbruch in das Land der Kumpfen gemacht und fogar Kisljar bedroht, überdies den Ruffen bedeutende Berlufte an Mannfchaft und Kanonen zugefügt hatte. Das Kriegsjahr 1842 ward zur Auswetzung Diefer Scharte vom General Grabbe mit einem Zug in’d Land der Gumbeten eröffnet; der unglüdliche Erfolg diefer Er- pedition wird dem aufmerffamen Lefer noch in frifchem Gedachtniß fein. Der nördliche Dagheftan, die Ufer des Koißu, das weftliche Ufer des Terek erfchtenen dadurch zweifelhafteres ruſſiſches Beſitzthum als jemals; und Ge neral Grabbe ward num zur perfönlichen Verantwortung nad) Peterdburg beordert. Im Lauf der Unterfuchungen

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ſchien ein Theil der Schuld an den ruffifchen Unglücks⸗ füllen mit auf Golowin zu fallen. Deßhalb ward auch diefer von feinem Boften nach Petersburg abberufen, und einzig General Sag blieb noch ans jener frühern Zeit von dem hadernden Felpherrnfleeblatt am Kaufafus. Unter- defien hatten aber Grabbe und Golowin einen großen Theil der Schuld am Mißlingen ihrer Pläne cbefonderd im Lande der Tfchetfchenzen) dieſem General zuzufchieben geftrebt. Vorzüglich hatten fie darzuthun verfucht, wie er mehrmals trog erhaltenen Befehls, feinen Suceurs zur bes flimmten Zeit und nach den beftimmten Orten gejendet, Das Kriegsminifterium war alfo nach foldhen Angaben . gezwungen, auch ihn behufs der Unterfuchung nach Peters- burg zu ziehen.

General Saß fam und wies in den einzelnen vor⸗ gelegten Fällen nach, daß er alſo gehandelt, nachdem er erfannt, wie die Befolgung der Befehle nur unnuͤtz Trup⸗ pen geopfert haben würde, weil deren Vereinigung mit denen Grabbe's zur beftimmten Zeit unmöglich herzuftellen gewefen fei. Jene wandten ein, wie der Brigadegeneral dem Befehl des Corpsgenerals unbedingt nachzufommen habe, und fuchten alfo durch diefe Beſchuldigung alle An⸗ klage vom eigentlichen Punkt von der eigenen falfchen Ausführung anbefohlener Operationen abzulenfen, da- gegen auf das Feld der Subordinationdverlegung hinüber: zufpielen. Saß berief fih auf die im Kaufafus abgeän- derten Geftaltungen diefer DVerhältniffe, da Hier jeder Eordonchef unbefchränfter und bevollmächtigter daſtehe, als dies in andern Kriegen möglich fei. So gingen Be- fehufdigungen, Einwände, Entgegnungen und Entfchul-

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bigungen herüber und hinüber; der eigentliche Zielpunft der urfpränglichen Anflagen ward dabei aus dem Geficht verloren ; Nebendinge, ganz abfeitöliegende Fragen, wur⸗ den in den Vordergrund gefchoben, und das Miniftertum ſelbſt mochte die Unzulänglichkeit der bisherigen Cinrich- tung der kaukaſiſchen Commandos für Erlangung bedeu⸗ tenderer Erfolge einfehen. Kurz, Alles verlief ſich im Sande: man ließ died und das fallen; die Unterfuchung blieb unentſchieden ſchwebend und einziges Nefultat war, daß Grabbe und Saß vorderhand geſchäftslos find und ‚vieleicht immer bleiben werden, während Golowin gegen- wärtig die Stelle eines baltifchen Generalgouverneur® bekleidet.

Als General Neidhart die oberſte Leitung der fau- fafifchen Angelegenheiten übernahm, waren die wichtigern Poften in der Armee folgendermaßen befegt: General Hurko, der Nachfolger Grabbe's, befehligte die Nordarmee und hatte feinen Sitz in der ciskaukaſiſchen Hauptſtadt Stamwropol; General Trapfin*), der Nachfolger des treff- lichen General von Kopebue, war Chef des Generalſtabs in Tiflis; von Kertſch aus beherrfchte General Anrepp (fpäter durch den ritterlichen General Budberg erfeßt) Die Teftungslinie an der Oftfüfte des Schwarzen Meeres **);

*) Früher ein Liebling des Kaifers; unter Woronzow's Regiment fiel jener General Traßkin in Ungnade und fungirt jegt als Gurator der Univerfität zu Charfow.

**) Da die Namen diefer Beftungen häufig entftellt in den Zei: tungen vorkommen, fo dürfte e8 manchem Lefer vielleicht erwünfcht fein, Hier eine richtige Weberficht derfelben zu finden:

Im Lande der Natchokuadſch: Anapa.

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fonftige Unterbefehlshaber von einflußreicher Stellung und, erprobter Züchtigfeit waren die Generäle: Freitag, Klüde von Klugenau, Fürſt Argutinsfg-Dolgorufy, Schwarz, Kaslainow, Paſſech und der (unter Woronzow zum Ges neral beförderte) Oberft Neftorow, der tapfere Comman⸗ dant von Wladikaukas. General v. NRöhrberg in Tiflis war Chef der Artillerie... Warum andern trefflichen Benerälen, wie 3. B. dem durch militärifches Verdienſt wie durch umfaflende Kenntniffe gleich ausgezeichneten

Am Lande der Schapßuch: Noworoffufft, Kabardins— toje, Gelendſhik, Nowotroigfoje, Tengins— foje, Welljaminowskoje, Kafarew, Golowinsfy (oder Soubaſchi). |

Im Lande der Ubych: Nawaginskoje (oder Sootſcha).

Sm Lande der Dfhighethi: Ardiller (over Ssw. Duda). Gagra.

In Abchafien: Pitzunda, Bombor (im Kreiſe Bſyb). Ssuchnum-Kals, Drandy (im Kreiſe Adfhub).

In Samurſachan: Ilori.

In Mingrelien: Redut-Kalé“, Poti.

Sn Gurien: Sew. Nikolaja.

Dieſe Feſtungslinie iſt im vier Divifionen getheilt, welche zur Zeit meines Aufenthalts an der Oftküfte des Pontus (1845) folgender> maßen vrganifirt waren: Die erſte Diviflon reichte von Anaya bie Gelendſhik und fand unter den Befehlen des Contreadmirals Ssöres brafow; die zweite Divifion von Gelendfhif bis Golowinsky, unter ben Befehlen des Generalmajors Graf Oppermann; die dritte Divifion von Golowinsky bis Ilori unter den Befehlen des General: majors v. Wrangell; die vierte Diviflon vun Slori Bis zur türkis Then Grenze unter ben Befehlen des Oberſt For ſten. Die Befapung ber ganzen Beftungslinie wurde zu jener Zeit auf 16,000 Daun ans gefchlagen. Außerdem befand fich in jedem Fort noch eine Fleine Ab» theilung Koſaken zur Unterhaltung der Poſten und der Kommunikation zu Waſſer und zu Lande,

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General v. Brotenhielm, fein beventenderer Wirkungskreis angewiefen war, ift nicht unfred Amtes zu unterfuchen....

Ueber Herrn v. Neidhart's Stellung und Wirken im Kaufafus find fo viele theild höchſt einfeitige, theils ganz falfche Gerüchte durch die Zeitungen in Umlauf gefegt worden, daß wir bei etwas genauerer Kenntniß der Dinge es für unfere Pflicht halten, bier ein berich- tigended Wort darüber zu fagen, um fo mehr, da jene Gerüchte meistend ſehr kleinliche Motive zur Unterlage hatten.

Den Ruhm eines gefchidten Apminiftratord, eines mafellofen Charafters, einer gediegenen Bildung, gepaart mit einem durchdringenden Berftande fonnte man dem greifen General nicht nehmen, denn feine Werfe zeugten für ihn; man mußte ihn alfo von einer andern Geite angreifen und man verfiel darauf, ihn der Unfähigkeit als Feldherr zu zeihen, obgleich er fich bereits in dem ruffosfrangöftfihen Kriege und fpäter in dem blutigen Kampfe gegen Polen nicht gemeinen Ruhm ermorden. Allerdings find unter Neidhart's Führung die Fortſchritte der ruffifhen Waffen im Kaukaſus nur unbedeutend ge- wefen, aber will man, ftatt Die Urfache diefer geringen Fortichritte in den fchwierigen Berhältnifien zu fuchen, unter welchen der ververbliche Krieg geführt wird, nur des Feldherrn militärifche Untüchtigfeit daraus demonftri- ren, fo muß billigerweije feinen Nachfolger fowohl wie alle feine Borgänger, bis auf Iermolow, ein gleicher Tadel treffen.

Wenn letztgenanntem General der Ruhm gebührt, welcher ihm in dieſen Blättern reichlich gezollt ijt, fo darf

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man deßhalb das Verdienſt feiner Nachfolger nicht zu. gering anfchlagen, ohne ungerecht zu fein; man darf nicht unbemerkt laſſen, daß feit Jermolow's &ntfernung bie Zuftände am Kaufafus durch Die ſchnelle Ausbreitung Der Lehre Kafi-Mullah’8 eine ganz andere Geftaltung gewonnen haben und bei weiten fchwieriger und verwidelter geworben find als fie früher waren. Eine indirecte Rechtfertigung Neidhart's fowohl wie aller frühern Oberbefehlshaber des kaukaſiſchen Krieges Tiegt in dem Zugeſtaͤndniß einer faft unumfchränften Dietatur, wie man fie mit dem Beginn ded Jahres 1845 dem Fürften Woronzow verliehen bat.

Neidhart leitete, troß feines vorgerüdten Alters, per: fönlich die mit großem Truppenauſwand geführte Erpe⸗ dition von 1844, und Alle, welche unter ihm gekämpft haben, ftimmen überein in der Anerfennung feines Muthes, feiner Umficht und feiner Geiſtesgegenwart, Eigenfchaften, welche feinen Nachfolger, ven Bürften Woronzow, in gleich * hohem Grade zieren, und doch hat. derfelbe bei weit grö⸗ ferer Machtauspehnung ‘und weit beveutendern Streit- mitteln *) bis jest noch Feine erheblichern Kefultate zu erzielen vermocht.

Mer nur ein wenig mit dem Geifte der Striegführung im Kaufafus vertraut tft, weiß, wie unweſentlich die Vor: theile find, Die aus der Erftürmung einer Veſte, wie Dargo, oder der Eroberung eined Aould, wie Ssalta, eutipringen, Wortheile, welche die Taufende ver dabei geopferten Menfchenleben bei weiten nicht aufiwiegen.

*) Nach den neueften mir zugelummenen Nachrichten (vom Sep:

. tember 1847) beläuft fih gegenwärtig die Geſammtzahl der im Kau⸗ kaſus fliegenden Truppen auf 200,000 Mann.

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Bekanntlich wurden in Folge des_unglüdlichen, vom General Grabbe geleiteten Feldzuges des Jahres 1842, wo Schamyl mit feinen tapfern Raids Achwerbi-Mahoma, Kibit⸗,Mahoma, Hadſhi⸗Jagwiä u. A. den Rufen in den Wäldern von Stfchferi ein fo furchtbares Blutbad bereis tet hatte, vorberhand alle Streifziige ‚gegen die Bergvölfer eingeftellt; der Oberbefehlöhaber erhielt die Weifung dem Feinde alle Kommunikation abzufchneiden, fonft aber ein bloßes Defenfiofoftem zu befolgen, jo daß ven Ticherfeflen alle Zeit gelaffen war, die Ernte. in Sicherheit zu bringen und bedeutendere Rüftungen als je vorher zu treffen.

Die traurigen Folgen diefes Cernirungs⸗ und Defenftv- ſyſtems werben mit-:Unrecht dem General Reivhart ‘zuge: fchrieben, welcher nür der VBolffireder des Willend des in Rußland allmächtigen Kriegsminifterd war, auf den der größte Theil der Schuld des Mißlingens der Operations- pläne -von 1843—44 zurüdfallen muß, da dieſe Pläne lediglich von ihm ausgingen.

Neidhart war, fo lange er fich ver wohlerworbenen Gunft feine Katfers zu erfreuen hatte, dem mächtigen Ziehernitfhew ein Dorn im Auge, und der Fürft rubte nicht eher, als bis fein Gegner gekürzt war. ever mit den ruflifchen ‚Hofintriguen nur einigermaßen Vertraute weiß, daß die perfönlichen Antipathien des Kriegsminiſters mehr Unheil über ven Kaukaſus gebracht haben, als ganze Jahre des redlichſten Beftrebens wieder gut zu machen im Stande find. Es genügt, in Rußland des Kaifers Vertrauen und eine einflußreiche Stellung zu be= figen, um den Haß und die Eiferfucht Fürft Tſchernitſchew's zu erweden. Diefer Haß, diefe Eiferfucht treffen den edlen

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Woronzow in-eben fo hohem Grade wie feinen unglüd- lichen Vorgänger, irur mit dem Unterfchiebe, daß fie bei Erfterem von minder verberblicher Wirkung find, da der mächtige Statthalter, kraft der ihm verliehenen faft koͤnig⸗ lichen Bollgewalt und im Genuß eines unermeßlichen Vermögens freier und unabhängiger bafteht.

> % *

General Neidhart befleidete, ald der verbängnißvolle Ruf an ihn erging, den Oberbefehl der kaukaſtſchen Trup⸗ pen zu übernehmen, feit dem Tode des Fürſten Galizin interimiſtiſch die Stelle eines Generalgouverneurs von Moskau, und er hatte ſich in dieſer Stellung durch ſei⸗ nen ehrenhaften Charakter, durch feine ſtrenge Hand⸗ habung der Gerechtigkeit, durch Abſtellung unzähliger verjährter Mißbraͤuche die Berehrung und Liehe der Wohl⸗ geſinnten aller Claſſen der Bevölkerung erworben; ſelbſt feine Gegner fanden nichts Anderes an ihm zu tadeln, ald daß er einen deutſchen Ramen trug,

Die allgemeine Anerkennung, welche Neidhart's fegend« reiches Wirken in Moskau gefunden, foll (denn wer ver mag in Dingen folcher Art mit Beitimmtheit zu fprechen ? ben Kaiſer vorzüglich besvogen haben, bei der Wahl eines neuen Sberbejehlöhabers am Kaufafus fein Augenmerk, auf ihn gu richten, denn beſonders in adminiftrativer Beziehung gab ed in Georgien einen Augiasſtall zu reinigen, .

Der General überfah auf den erften Bli die zahl:

lofen Schivierigfeiten, welche bie ehrenvolle, aber gefährs

liche Stellung ihm bereiten würbe;ger wußte, wie mans 86

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cher fonft fledfenlofer Ruf in. ven Schluchten des Kaukaſus ſchon fein Grab gefunden, und er zögerte lange, ehe er fich entfchließen Eonnte, den hohen Poſten zu betreten; aber ver Kaiſer wünfchte e8 und der Wunfch des Kai⸗ fers ift in Rußland Befehl...

Unter ſolchen Auspicien trat der greife Feldherr in- mitten der ftrengften Winterfälte mit ſchwerem Herzen feinen verhängnißvollen Zug nach dem Kaufafus an, um bei feiner Rüdfehr nachdem er den Kugeln der Berg- völfer glüdlich entgangen zum Lohn für zwetiährige, raftlofe Beftrebungen: des Kaiferd Ungnade und ſein Grab zu finden..

Der General iR jetzt todt und der, welcher des Todten Rechtfertigung Abernimmmt, hat Feinen andern Danf dafür zu erwarten, ald den. Haß feiner Gegner, ein Haß, der in Rußland um fo zäher und dauernder ift, wenn er einen beutfchen Namen trifft; aber dies fol ans nicht abhalten, den Act der Pietät zu vollziehen, welchen der deutſche Autor einem deutfchen Namen ſchul⸗ det, ver ſich im Strudel ruffifcher Ververbniß fo rein und mafellos bewahrt hat, wie der Name des General Neidhart. In diefem Sinne, aus freiem Antriebe und mit firenger Unpartbeilichfeit wollen wir die begonnene Skizze zu Ende führen.

‚Außer dem oben widerlegten Vorwurfe feiner Un- fähigkeit ald Feldherr, waren es befonders drei Beichul- digungen, welche man häufig über den General laut wer⸗ den Heß: Erftend behauptete man, er bevorzuge im Dienft die Deutſchen mit Hintanſetzung der gleichberechtigten Ruften; zweitens: ew zerjplittere feine Kräfte in Fleinlicher

r J

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Thaͤtigkeit und vernachkäfflge darüber wichtigere Sachen,

und drittens zieh man ihn einer übertriebenen, Beige

ähneinden Sparſamkeit.

Die erſte Beichuldigung ift fo. vollfommen grunblog, daß fie kaum einer Wiverlegung bedarf, da fich Fein einziger Fall nächweifen läßt, daß Herr v. Neidhart im Dienft mit Hintanfegung gleichberechtigter Ruflen die Deutichen bevor» zugt hätte. Die Befegung der wichtigern Poſten lag außer dem Machtbereich des Oberbefehlshabers, welcher ſonſt in aller Wahrfcheinlichkeit einige ganz andere Wah⸗ len getroffen haben würde, ald das Petersburger Mini- ſterium ihm vorfchrieb; unter den vorhandenen gab ed allerdings unfähige und böswillige Subjefte, welche ſich wie Hemmfchuhe an die Räder der Verwaltung‘ hingen, und hier fönnten wir Bilder der Verderbniß entrollen, die den Lefer mit Entfegen und Erſtaunen füllen würden; aber wir wollen den Schleier ungelüftet laffen, venn und felbft wären folche Geheimniffe verfchloffen geblieben, wenn man und nicht gaftlich die Pforte dazu geöffnet hätte und wir ehren die Gaftfreundfchaft auch im Haufe des Räuberd. Ueberhaupt thun Namen einzelner Berfonen bier nichtö zur Sache, und unfere Meinung über das Weſen der ruffifhen Zuftände haben wir im Verlauf die- fer Blätter Klar genug ausgefprochen. Doch fehren wir zu dem in Frage ſtehenden Punkte zurüd. Es gab allerdings einige einflußreiche. Beamten, deren Wahl dem Ober befehlshaber überlaflen blieb, nämlich ſolche, welche er, nach rufftfcher Redeweife, zu befondern Aufträgen verwandte.

Diefe vom General feldft gewählten Beamten, welche

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zugleich einen Theil feiner naͤchſten Umgebung bifveten, waren fämmtlich Ehrenmänner von unbefäholtenem Rufe; der, Mehrzahl nach. waren die Beamten für befonvere Aufträge Ruffen, nur zwei deutfche Namen befanden fich darunter: die Herren Fr. v. Kobebue und v. Krufen- ftern, welche beide das ihnen vom General gefchenfte Bertrauen durch ihre Tüchtigfeit und. ehrenhafte Gefin- nung in hohem Stade verdienten.

Beſonders Kogebue war fo vertraut mit den Zuftläns den des Landes und handhabte die rufftfche Sprache mit einer Gewandtheit, daß ihm zu jener Zeit vielleicht nur ein Rufe in Tiflis der einer glänzenden Laufbahn zu früh entriffene, treffliche Kanzleibirecter Wafillowolr darin gleichkam.

Ueberhaupt muß man, wenn hier von Deutſchen die Rede iſt, nicht etwa Fremdlinge, eingewanverte Aus⸗ länder darunter verftehen, fonvdern in Rußland geborene, und erzogene Deutfche, größtentheild Sprößlinge baltifcher Ritterfamilien, welche auf rufftichen Inftituten gebildet und darauf angewieſen, Rußland als ihr Vaterland zu betrachten, auch folglich zu gleichen Anfprüchen berechtigt find, als die eigentlichen Ruflen, von welchen fie fich nur durch anderöffingende Namen und gemeiniglich auch Durch ehrenhaftere Gefinnungen unterfcheiden...

Wir kommen jebt zu ber zweiten Beichulbigung, welche Herrn v. Reidhart getroffen: er babe feine Kräfte in. kleinlicher Thätigfeit gerfplittert und wichtigere Sachen darüber vernachläfftgt.

Was den Laien Eleinlich erfcheint, kann nichtödefto- weniger in feinen Folgen von ber größten Bedeutung

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fein. Wenn eine Mafchine in Stodung gerathen, fo ges

nügt oft dad Wegfellen des überhandnehmenden Roftes um ben geregelten Gang des Ganzen wieber herzuſtellen; das Hinverniß aber muß aufgefucht werden in allen Thei⸗ fen der Maſchine, und man darf felbft den kleinſten Stift nicht dabei unberüdfichtigt laſſen. Jener Roft:nun, welcher. fich feit Jahren aufgehäuft und den geregelten Gang der ruſſo⸗kaukaſiſchen Staatsmtafchine gehemmt: hatte, war die alle Klaſſen durchdringende ruffifche Beftechlichkeit, und wenn Neidhart bei feinen Beitrebungen zur Ausrottung diefed Uebels etwas in's Ertrem ging, fo geſchah Das eben, weil ihm ein anderes Extrem feinvlich gegenuͤber⸗ ftand. Daß er dad am ganzen ruffifchen Staatöförper sagende Uebel in feinem Machtbezirke . unermüdlich aufs fuchte und bekaͤmpfte, das nennen die Ruffen Zerfplitte- rung feiner Kräfte in Eeinlicher Thätigfeit, weil ihnen dadurch die Gelegehheit genommen ‚wurde, nach landes⸗ üblicher Sitte im Trüben zu fifchen. „Was helfen fagt Petronius in feinem Satyrieon was helfen alle Geſetze, wo blos das Geld regiert?” *)

Der General befaß eine unbegrenzte Ausdauer. und

Ihätigfeit; felten gönnte er fich mehr als vier Stunden

Schlaf, und bei feiner ftrengen Orbnungsliebe, bei feiner,

practifchen Eintheilung der Geichäfte fand er täglich ein Stündchen Zeit, fih auch um anfcheinend geringfügige Dinge zu befümmern; daß dieſes jedoch eine Vernachläf- figung wichtigerer Angelegenheiten zur dolge gehabt habe, iſt arge Berläumbung.

*) Quid faciant leges, ubi sola pecunia regnat?

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Was endlich den dritten Bunft: den Vorwurf einer übertriebenen Sparſamkeit anbelangt, fo iſt verfelbe, wenn auch im Grunde ungerecht, doch leichter zu erflären und zu entichuldigen. g

Den Statthaltern am Kaukaſus ift neben ihrem Dienft- einfommen noch eine bedeutende Summe für außers ordentliche Ausgaben zur Verfügung geſtellt. Diefe Summe wurde von den Vorgängern Neidhart's großen theils auch für Diners, Bälle u. dgl. Vorkommniſſe, kurz im weitern Sinne des Wortd, zum Beften der Tiffer Geſellſchaft verausgabt, während Neidhart, bei einer viel- leicht zu großen Wengftlichfeit im der Erfüllung feiner Pflichten, die Koften folcher Vergnügungen aus feiner Privatfchatulle dedte und in der Verwaltung der ihm anvertrauten Gelber fo bedachtſam zu Werfe ging, daß er im Stande war, jährlich einige hunderttauſend Rubel zum Beften der Staatsfaffe zu erübrigen. Da aber Neid» hart’8 Privatmittel fehr befchränft waren, fo gefchab es, daß die Bälle und Dinerd während feiner Regentichaft minder zahlreih und glänzend ausfielen, als in frühern Sahren, ein Umftand, wodurch unter der Mehrzahl ver Beamten und Officiere große Unzufriedenheit erzeugt wurde.

Wenn wir nun auf der einen Seite zugeben, daß bie Beamten und Dfficiere in der angedeuteten Beziehung nicht ganz ohne Grund unzufrieden waren, um fo mehr, da fie wußten, daß in Rußland Erfparniffe folcher Art doch felten wieder an die rechte Quelle gelangen, fo muß auf der andern Seite auch Herr v. Neidhart Entfchuldis gung finden, wenn er in feiner Gewiſſenhaftigkeit etwas

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in’: Ertvem ging. Jedenfalls iſt es ehrenwoller, bei ber Berwaltung fremden Gutes einer zu ‚großen Gewiffenhaf⸗ tigfeit, ald des Gegentheils geziehen zu werben...

| EEE Zu

Man erinnert ſich noch der. großen Erwartungen, weiche die Ernennung Woronzow's zum Statthalter Kau⸗ faftens, nicht bloß in Rußland, fondern in ganz Europa rege machte. Alle Journale hallten damals wieder vom Lobe des neuen Regenten; man pries die Borzüge feiner Perfönlichkeit, feine militäriſchen Talente, feine Tüchtig⸗ feit als. Adminiftrator; am gemäßigſten in ihrem Urtheil benahm fich die deutſche Preſſe, weil fie durch die Mit theilungen fachtundiger Correfpondenten zu einer richtigern Auficht befähigt war, während: franzöftiche Blätter propker zeiten, daß die Sendung Woronzow’s. nach den Faufaft- fchen Ländern eine. neue Epoche in. der Gefchichte der raffifchen ‚Berwaltung bilden. werde, ja, dieſe Aus» rüftung mit fo außerordentlichen Bollmachten, welche faft eine Stellvertretung der Souveränetät find, war mit der Theilung des vömifchen. Reichs ‚unter Reichsgehülfen. ver- glichen worden, wie fie Durch Diocletian und bie ‚folgen- den Kaifer gefchah.

Weit entfernt, die Verdienſte und Talente des neuen Sardars zu fehmälern oder zu läugnen, haben wir ung felbft in der Allg. Zeitung zu wienerholten Malen aner- Tennend barüber ausgefprocdhen, ohne jedoch fo. glänzenve Hoffnungen darauf zu bauen, iwie andere Berichterftatter, welche mit den Schwierigkeiten der Stellung Woronzow's weniger vertraut waren. Wir fahen voraus, daß. feine

Unabhängigkeit nur eine fheinbare fein werke, und der Erfolg hat unfere Bermuthung beftätigt.

Drei Jahre find jetzt hald verflofien, feit der Fürſt feine Statthalterfchaft antrat, und alle Welt weiß, wie ‚wenig die biöher gewonnenen Refultate den frühern hoch⸗ gefpannten Erwartungen entiprechen. Der größte Theil der Hinderniffe, welche Herrn v. Neidhart's Thtigkeit hemmten, ift mweggeräumt, bie Streitfräfte ſind um ein Bedeutendes vermehrt, dem Kürften ift in der Wahl feie ner Unterbefehlöhaber und Beamten vollkommen freie Hand gelafien, und doch flieht Schamyl an der Spipe feiner Muriven Heute . mächtiger den Ruſſen gegenüber, als je zuvor. | Die glaͤnzendſte Waffenthat der ruffifchen Truppen unter Woronzow’d Befehlen: der berühmte Zug gegen Dargo wurde, wie wir aus ficherer Quelle wiflen, ganz gegen des Statthalter Willen, aber auf ausdrückli⸗ chen, oft wiederholten Wunſch des Kaifers unternommen.

Es lag urfpränglich im Plane des Fürften, das Jahr 1845 ohne alle Dffenfiomaßregeln verftreichen zu laflen, um dad Terrain erft genauer Eennen zu lernen, den brin- gendften Mipftänden in den ruffosfaufaftfchen Provinzen abzuhelfen und friedliche Annäherungen zu verfuchen. Der Kaifer hingegen (oder vielmehr ber Durch den Kaifer wir⸗ ende Kriegdminifter) glaubte durch die gewaltige, unter Woronzow's Befchlen ſtehende Heeresmacht Schamyl's immer wachſender Herrſchaft mit Einem Schlage ein Ende machen zu können; es wäre dies zugleich eine glänzende Rechtfertigung feined unwürdigen Betragens gegen Reid hart gewefen.

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Ein Courier nach dem andern wurde von Peters— burg nach Tiflis entfendet; Fürft Woronzow wurde gleich- fam mit. Depefchen beftürmt, und nur gezwungen Durch Taiferlichen Wunfch unternahm er die für Die ruffifchen Truppen verhängnißvolle, für Schamyl hingegen ohne wichtige Folgen gebliebene Expedition gegen Dargo ®). Bezeichnend find in diefer Beziehung des Fürften dama⸗ lige Kriegöberichte, deren Anfang immer dem Sinne nad folgendermaßen lautete: „Die in Folge ausprüdlichen Wunfches S.M. des Kaifers begonnene Expedition u. f. w.“

* * *

Die zwei wichtigften Momente ver bisherigen Ne- gentfchaft des Fürften Woronzow bilden unftreitig erſtens das im Sommer 1845 ausgefertigte Aftenftüd, laut wel⸗ chem den Tſcherkeſſen ver Oftfüfte des fohwarzen Meeres Freiheit des Sklavenhandels geftattet wird, und zweitens der im December 1846 erlaffene Faiferliche Ufas, demzu—⸗ folge alle den Ruffen unterworfenen transfaufafifchen Länder, welche früher in eine Menge durch Verfaffung und Einrichtungen verfchiedene Herrfchaften und Bezirke zerfielen, für die Folge in vier gleichmäßig organifirte Gouvernementd eingetheilt werden follen, um die Verwal: tung zu vereinfachen und einen geregeltern Gejchäftsgang

*) Bon den vielen im Laufe ber Expedition gefallenen Obers offleieren verdient hier vor allen ber tapfere General Paſſech beſon⸗ berer Erwaͤhnung; von den ſchwer Verwundeten Graf Stenbock, ber ehemalige Chef der ritterlichen &reben’fchen Koſaken.

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einzuführen. Die Ramen dieſer vier neugefchaffenen Gou— vernements find: 1) das Gouvernement von Derbend;

2 u ä „Schemacha; 3) " Kutais ; 4) Tiflis der Bentral-

punft des Ganzen und der Sig des GStatthalters...

Ueber den erften Punkt, die Oeftattung des Skla⸗ venhandeld, haben wir fchon in dem dieſes Buch einfels tenden Capitel gejprochen, und wenn wir hier noch ein- mal fur; darauf zurüdfommen, fo gefchieht dies blos um die anfcheinend fo graufame Gewohnheit der Ticherfeflen ihre Kinder den Türfen als Sklaven zu verfaufen,-etwas näher zu beleuchten.

In der Türkei fpielt ver Sklav eine ganz -andere Rolle, ald in den Ländern, wo der Negerhandel getrieben wird; der Weg zu den höchtten Ehrenftelleu im Staate fteht ihm offen und es ift befannt, daß von jeher eine Menge der erften Würdenträger des Osmanenreichs aus ticherfeffiichen Sklaven hervorgegangen find. Währenp ſol⸗ hergeftalt durch Ueberfienlung nach dem Türkenlande ven Söhnen der ärmern Volksklaſſe Cirkaſſiens häufig der Weg zu Auszeichnungen immer aber eine fichere Ver⸗ forgung geboten wird, finden auf gleiche Weife die hülfe- bedürftigen Mädchen ein, nach dortigen Begriffen, ehren- volles Unterfommen. Denn da die Ticherfefiinnen bie türfifchen Frauen gemeiniglic an Schönheit weit überra- gen, fo fpielen fie auch faft immer in den Harems ver Großen die Rolle der Herrin, und die Geſchichte des Drientd liefert mehr ald ein Beiſpiel, daß ein junged

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Zicherfefienmädchen, als arme Sklavin an ven Ufern des Bosporus verhandelt, zur Beherrfcherin wurde des Herr fcherd der Gläubigen. _ 0 Das die Rufen ven ticherfefliichen SHavenhandel

nicht freigaben, um den Kindern ihrer Erbfeinde Mittel zum Wohlftand und Emporkommen zu bieten, auch nicht um das erichlaffte Türkenvolk durch Vermiſchung mit kaukaſiſchem Heldenblute neu zu Fräftigen und zu beleben, wird ‘der Lefer ohne langes Nachdenken begreifen. Die Ruſſen machten blos gute Miene zum böfen Spiel; ihr Zugeſtändniß war ein nothgebrungenes; durch Erlaß jened Altenftüdes geftattete ver Kaifer nur, wad er trog aller Gewaltmittel nicht verhindern Eonnte, denn felbft zur Zeit der ftrengften Abiperrung der Oſtküſte des Pontus hatten die Tſcherkeſſen immer ihren Weg nach Trapezunt und Stambul zu finden gewußt. Da aber die ruffifche Politik durch. Anerfennung eines Berfahrens, welches fie früher als ein barbarifches befämpft hatte, in Widerfpruch mit fich felbft gerieth, fo mußte man, um den Schein zu wah- ven, dem Dinge einen andern Namen geben. Der Sfla- venhandel wurde geftattet, dem Betrieb deſſelben jedoch eine Form vorgefchrieben, in welcher die Spipfindigfeit der ruffiichen Politik fich in ihrer ganzen Blöße zeigte. Den Tſcherkeſſen follte ed nämlich unverwehrt fein, ihre Kinder den Türfen zu verfaufen, allein der Händler dürfte fie nicht ald Sklaven, fondern müßte fie alö freie Paſſagiere nach Konftantinopel einfchiffen and zu biefem Ende jeden mit einem ruffifchen ‘Baß verfehen. Das Res fultat wäre meinte dad Journal des Debats daß die ticherfefltichen Sflaven, felbft in Konftantinopel, ſtets