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Wiffenfdyaften

neunzeönten Jahrhundert, ihr Standpunft und Die Refultate ihrer Forſchungen.

Eine Rumdſchau

zur Belehrung für das gebildete Bublikum. Sernußgegeben von einem Verein von Gelchrien, Münftlern und Cechnikern

unter der Rebaction

von

Dr. J. A. Romderg.

Bierter Band.

——schidn

Sondershanfen. Berlag von ©. Neufe. 1859,

Vorwort.

Auch in dem mit vorliegendem Hefte beginnenden vierten Bande verfolgen „die Wiſſenſchaften im 19. Jahrhunderte” ihr ſich ſelbſt geſtecktes Ziel unver⸗ bruͤchlich und treu. Wie ſie bisher die bedeutendſten wiſſenſchaftlichen Fragen, das geiſtige und materielle Streben der Gegenwart zu berühren, zu löſen und zu fräftigen fuchten, fo werden fle unermüdlich fortfahren, manchen Einblid in ein wifienfchaftliches Feld von überrafchender Ausdehnung zu eröffnen, die Summe des Wiffend durch Verallgemeinerung zu vermehren und für die ſchwie⸗ rigen Arbeiten der Gelehrten, Künftler und Techniker immer größere Sympatbien zu erweden.

Kein Gebiet des denkenden und forfchenden Geiftes wird im Laufe der Zeit unberührt bleiben, da dieſes Werk fort und fort die Schäße des Willens unjerer tüchtigften Köpfe ſammeln und fie in anziehender Form behandeln wird. Was das Unternehmen bis jegt gebracht, Davon mag das nachftehende Inhaltöverzeich- niß der erften drei Bände Zeugniß ablegen und für die Fortſetzung mögen fols gende Artikel einftweilen ſprechen: Bechſtein, Die Kreimauerei, die Dicht⸗ funft und ihre Form; Köppe, Deutſchlands Bankweien; Dr. Karl Müller, die infelbildende Koralle, das Leben auf der Tiefe des Meeres; Löſche, Ver⸗ breitung der Wärme an der Oberfläche. der Erde; Wachler, die Rechtözuftände aller Völker; dag Drama, feine Gefchichte und Aufgabe ıc. x.

Der Band erfcheint auch ferner in 12 Heften zu dem Preife von 3 Thle,

Die Redaktion.

Inhaltsverzeihniß des erften Bandes,

Som Geite ueberii der in der Geſchichte Pe a | Die Glagmalerei, ihre Geſchichte, ibre hervorragenden Rünfler und ihre Teömit —— . 3 Die Planeten, von Dr. G. A. Jahn. ar Sa ae Das Bergweien FE 7 | Die Bildung der menfhlichen Etimme zum Belang, von Dr. 2. diadebaq "0:0 = ID Die neuem Maffen und deren Staus auf die aan. von ETRENDEONR: . F . 1586 Die Belplage Deutihlande, . || Die Steinfoblen, von Yrof, Dr. @ein 228

Die Bolfstranfbeiten, Bolfsfeuhben (Cp demien), Geudien unter dem Thieren (@piyootien) and die Arankbeiten der Eulturpflansen, von Dr. Rieke. Die Eoune, ven Dr. ®, 9. Zahn.

. . 0 . 0 Die permanenten Befeitiz m. —* Hauptmann von Abendroth, - & . ; R ; . 2713 Licht und Karben, von @. i .... et en Leffing’# Berbienfte um das rnit ee von 9. GSdoͤne. 37 Seſchichte der Oper bis auf Gluck, von Dr. J. Schladebach.. . 361 Die Rückgratsverkrümmungen, von Dr. med. F. Flemming a 44221

Dad Barometer und feine Anwendung ale Wetterglas, Don Dr. ®. 9. Jahn. 0.0.0. 40 Die Bauart der Schiffe, vom Enifbaranetien €. 8. en non: A en tt A

Die en Induftrieausftelungen. a er |; Die Geldbefchigungen, vom Hauptmann von Abendroth. . . a . » ; . : 512 Zur Geſchichte der Spielfarten, vom Hofrath Dr. Gräße. R R . x —— . . 50 Ueber Sagenverwandiſchaft, vom Hofrath Dr. Grähße.. . 566 Das Enflem der Geſangkunſt nach vhyfiologifchen Geſetzen, von Dr. phil. ® . Ehman, . 600 di Geſchichte des Puppenfpield und der Automaten, vom Hofratb Dr. Or äße. R . 6235 te geſchichtliche Entwidelung der heutigen Zelegraphie, von * Se .. 6176 eber Getreidehandel und Geireidetheuerung. . 6865 De Bulfanismus, von Brof. Dr. E. 9. Roßmäßler. . 722

Ueber Raum» und Aggregatöveränderung durch die Warme, von prof. Dr. E. Lofſche. Tr

Inhaltsverzeihniß bes zweiten Bandes,

Borwort. Seite

gemeine Grimndlaagen für Armeen und gEricgfübrung, von Mbenbrotb. 0.00. . 41 ie Korm in der Mufif, von Prof. Dr. A. 8. Marx. . 221 arbenſymbolit. vom HSofrath Dr. Graße. ... 40 eſchlechts leben der Pflanzen, von Prof. Dr. M. Biltomm. |

Die nenere Heiltande, von Ur. Gari Mecdam. . | | Der Mond, fein Einfluß auf die Erbe, ron Dr. ©. a. Jahn. . 116 Der Beifter- und Beipeniterglauben im Maffiihen Altertbum, vom Sofranh Dr. Brite. . 0.18 Geſchichte der Garicatıır. vom Hofratb Dr. Gräße.. . 154 Ueber &trablung und Leitung der Wärme. von Prof. Dr. E. Loſche .. 16866 Zur Geſchichte des europäiſchen Ordensweſens, vom Appellationsrath ®. Ndermann. . . . 186 Die Gehaltung der Oper feit Mozart, von 2. Melikab. . . Fr 7 Die Organffation und Gimtbeilung der Armcen, vom Hauptmann von Abendroth. 02002 206 Entftebung, Dauer und Untergang der Blaneıenmelt, von Dr. &. A. Jahn. . . . . . 335 Das Net und feine Quellen, von Brof. Dr. 9. Höd. . 353

Neue Veweife für die tägliche Umdrehung der Erde um ihre Achfe, von Dr. 8. Birabaum. . . 387 Ueberſicht Ber engliiben Literatur des 19. Jahrhunderls, von r. Julian Schmidt. . . . 31 Die Theorie und Praxis der allgemeinen Kochkunſt, von Dr. ©. ®. edartau. FR ee 7; |

Das Blut, Blutarmuth und Bintreichtbum, von Dr. M. Zlinzer. . 492 Die Verbreunung der drnnttofte obne Baud und die böhmöglihe Benngung der ergeugten Birne, von Dr. ®. Scharlau . 506 Ueber deu Einfluß der beiden Ratur, befonders der Begetatton ‚an des Bodens, auf bie für verliche und geiftige Befähigung der Dienfhen, von Prof. Dr. M. Willkomm. . . 559

Der heutige Standpunkt der Geologie, von Dr. G. H. Dito Bolger. ee 588 Die Seefahrt, don Th. Niebour. Mit 14 Holzfhniten. . Das Auge im geluuden und franten Zuftanve, von | Dr. M AR. glinzer. . Heber 5 riſche Niederſchlaͤge, von AH Dr. eofde. . . Iogranhit, vou Dr. 3. ©. Ern ne. . Die Pd olik der Edelfleine, vom Sofas r. Gräfe. oo.

. . . . 664 . . . ® 698 ® . . [2 128 . 7158

Inhaltsverzeichniß des dritten Bandes.

Die Taubſſummen, von Dr. M. Flinzer. . . . 4 Dab Töum der Telegrapben Drähte, von v. Blmbaum. . ee ee. 13 Afteriömus, von Dr. ©. 9. Dtto Bolger. oo. ne Beräufderungen der Lufttemperatur, von Dr. @. edſqhe. ..öö 259

Bom’Magnetidömus, von H. Bolze.. . . . . . . . . . 8 Bauberet bei @rieden und Römen, von Dr. Gräße. >. . . . . . .. . a Ueber Düngung und Dungmittel, von Dr. Edarlau. . . FE Die milros op de Aflangenweit l., von Brof. Bültomm, oo. oo. . . . . 110 Die Hühnerzudt, von R. Dettel. .. FE } | Skrophein uud Zuberkein, von Dr. finger. ee ne 14 Geſchichte der Maͤrchen, von L. Bechſtein. . en . . 19 Erzeugung und &igenihaflen der Berlen, von Dr Döbue > e 1 Symbolik der Blumen und Bflangen, von Dr. Oräbe. . . . ee. 0. 1% Bom Bernftein, von 5H. Bolze . . . . . . [ . . . 193 Autograpbenfammlungen, An 2. Bchftein. . . . . . . . . . . . 213 Die paur von Dr. Rn inzer. . . . . . . . . . . . ... 39 Der Diamant, von G. Bad. . ee. . 20. . 25

eK Stufonie und ibre Form, von J. Scquch bt . . afanen und Tbierleben der Polarwelt, von Dr. 8. Düller. . Greta der Srauen, von Dr. ©. Forſter.. . 343 ihte des Kinefiichen von Dr. Bräße. . . . . . oo. . . 375 en löfonsırie und Eocialiömus, von Dr. Köpre. - . 2. . . Behandlung der deutſchen Bolfdjage, von 2. Berlin. > On Materlaligmus und Idealidmus, von J. eaudit. ne JA Der Stoffwechſel, nah Johnſton. | Bürgertbum und Staͤdteweien im Mittelalter, von Baltber, ..424817 Sombolik der Tbiere, von Dr. Gräße.. oo.

Die mitrostopifhe Bilanzenwelt II., von Dr. Biltomm. . . ee. . . 526 Die Parteien in der Kunfttritif, von I. Schucht.. . . . . . . . 0.58 Sqhwaben während der Juraperiode, von 1 Loͤlle. 20.0. 58 Das Weltall ein Bernunftreih, von Oefe. . . De a... . 6400 Das deutſche Schulweſen. von Brof. Ehrhardt. ee 686 Die Sinnorgane. von Brof. Dr. Weber en ee 68 Die Getränfe, die wir durch —— bereiten i. C..70900

Helchichte, Heift und flaatliche Aus- hreitung der Freimaurerei. Iadwig

Viel und Vieles wurde ſchon über Die Freimaurerei geſchrieben, umd ſie bildet in den Enchelopädien umfaſſende Artikel. Sie hat eine eigene, reichhal⸗ tige Literatur hervorgerufen ; fie nimmt, in der ganzen civilifirten Welt verbrei⸗ tet, einen feflen und ficheren Stantpunft ein, und wie fie fich felbft eine „könig⸗ liche Kunſt“ nennt, fo wird das Studium ihrer Entftehung, ihres inneren Weſens und ihrer Berbreitung über den ganzen Erdkreis zu einer eben fo ernften als würdigen Wiflenfchaft. Aus einfachen Anfängen hervorgegangen, hat fidy bie Sreimaurerei zu einem Weltbund erhoben, doch machte keine fociale Verbindung fo viele merkwürdige Phaſen und Wandlungen durch, Feine nur etwa die de fuiten ausgenommen erlitt fo viele üble Nachrede, Verfolgung und in vielen Ländern entjchiedene Unterdrüdung wie fie, jedoch feine ging geläuterter aud allen Brüfungen hervor , Feine .ftieß mehr Lie Schladen aus, die unlautere Elemente ihr beigemijcht hatten. So viel nun aber auch gefchichtliches Material, die Frei⸗ maurerei betreffend, zu Tage liegt, fd viel und mandherlei Irrthumer walten.nod) ob über biejelbe, find noch allverbreitet und allgeglaubt. Dies bat in dem Um⸗ ftande feinen hauptſaͤchlichen Grund, dag jo häufig ein Schriftfteller der anderen nachſchrieb, und darin, daß es jchwer ift, über die Freimaurerei zu ſchreiben, weil der Richt Wiffende nicht gründlich zu berichten im Stande ift, der Wiflende aber in vielen Zällen die Hegel beachtet, daß Heben Silber, Schweigen Gold jei. Durch das maurerifhe Geheimmiß wurde der Leichtgläubigkeit ein wei⸗ tes Feld eröffnet; man fuchte es überall, man flieg in die tiefften Schachten ber Geſchichte der Menfchheit und fand endlich nichts als die Phrafe: „Die Yrti- maurerei tft jo alt wie die Welt. Wie alt aber die Welt ift, weiß Keiner zu fagen, jo viel auch Zahlen von Iahrhunderten und Iahrtaufenden aus dem Runde und den vedern der Bhpfifer ftrömen.

Mag fi), wie Manche wollen, das Menſchenthier zumächft und allmaͤlig aus einem wohlgebildeten Affenpaare entwidelt, und Jahrhunderte hindurch höhere Eulturfiufen wie Die heutigen Reger in manchen heilen Afrika's nicht

IV. \

2 Culturgeſchichte.

erreicht haben, oder mag aus der Hand der ſchaffenden Allmacht nach dem bibli⸗ ſchen Mythus der erſte Menſch rein und vollendet, ein Bild Gottes, hervorge⸗ gangen ſein, weder jenes noch dieſer konnten Freimaurer ſein, und Adams Schurz von Feigenblaͤttern war ſicher kein Maurerſchurz.

Indeß man liebt es einmal, von einer „mythiſchen“ Geſchichte der Frei⸗ maurerei zu reden, und als Mythe, in welcher namentlich gewiſſe Symbole” Zei⸗ chen und Geräthichaften, deren man fich in den Logen bedient, wurzeln, mag denn immerhin die Annahme gelten, daß das maurerijche Element bereitö in den Geheimniſſen der aͤgyptiſchen Priefterkaften, in den Myfterien, welche zu Eleuſis begangen wurden, in dem griechifchen Vhilofophenbunde der Pythagoräer u. A. vorgebildet, folgliä; vorhanden gewefen ſei. Mit gefchichtlicher Gewißheit wird aber dieſe Annahme nie begründet werden können. Daß die Breimaurerei bie Gewohnheit angenommen hat, flatt der Jahre nach Chrifti Geburt, wie die Ju⸗ den nach Jahren der willkürlich angenommenen Weltihöpfung zu fhreiben, bes weift auch nichts, und am wenigften, daß beim Salomoniſchen Tempelbau bereitd eine Art Maurerbund beftanden habe. Es bleibt immer hriftliche Datirung,

ob man 1859 oder 5859 fchreibt, und fomit annimmt, daß die Weltſchöpfung

genau 4000 Jahre vor Ghrifti Geburt begonnen habe, was doch jebenfalld ein auf der Hand liegender großer Irrthum ift.

- In weiteren Sekten, fo wie Priefterfaften und SPBriefterbündniffen einer frühen Vorzeit die Entflehung des Maurerthums, und namentlich die Grund⸗ elemente des heutigen Maurerthumd zu fuchen, ift eben fo zweck⸗ als erfolglos. Allerdings Laffen fich Aehnlichkeiten und Symbole finden, jo 3. B. bei der jübis ſchen Sekte der Eifäer, nicht nur Außerliche, fondern auch innerliche; wie unter den erfteren die weiße Gewandfarbe, ein Schurz, die Zahl Sieben, dad Dreieck, fo unter den legteren die geläuterte Sittenlehre, die Gleichheit, Die Bruderliche (auch Chriſtus ſoll dem Bunde der Effäer angehört haben) aber auf Maurerei, nämlih Werfmaurerei, deutet nichts bei den Effäern hin. Eben jo wenig ers innern bie Berhältniffe Ber ägyptifchen Therapeuten-GSefte an Freimau⸗ zerei; die Therapeuten lebten in anachoretijcher Weife in einfamen Zellen und in Ausübungeiner firengen Askeſe; ihr Reich war nicht im höheren Sinne bie

‚ganze Welt, die Menfchenwelt, fondern die abgefchloffenfte Einſamkeit.

Auch im Sabäismus hat man Analogien zur Freimaurerei gefucht und gefunden, nämlich im Sonnencult und der Lichtlehre der alten Parſen. Eine tief durchdachte aftronomifche Bilderfchrift und Symbolik liegt in letzterer. Dort flirbt ein Gott und erfleht zum neuen Leben, hier wird ber Meifter erfchlagen, gefucht und gefunden und auferwedt durch jombolifche Worte und Formen. Dort ift alldurchfizahlendes Licht, und Licht ift allerdings ein Schibolerh im Maurerthbum. Uber dennoch ift und war daffelbe niemald Sabäismus, und eben. fo wenig war daſſelbe Gnoſis, oder hatte in ihr feinen Urfprung. Die Onp- ſis (Erkenntniß), der die nach ihr benannten Gnoſtiker anhingen, war eine aus Parſismus und wohl auch zum Theil aus indifchen Elementen hervorgegan⸗ gene philojophifche Lehre, welche ein Theil jüdischer Weltweifen angenommen hatte, und die auch dem jungen Chriftenthume nicht fremd blieb. Strenge Sitt⸗

Geſchihte, Geik un: Unkneitung der Frrimantere. 3

Tichkeit war einer der Grundpfeiler dieſer Lehre, im Ganzen warf: fie aber doch fo ſtarke Schatten, daß die katholiſche ſirche fie J ‚Anfang des 5. Jahrhunderts verdammte.

Man ift nicht beim Drient fliehen geblieben, um der Freimaurerei eine mythiſche Begründung, d. h. Entſtehung in fernliegenden, dem Alter der Mythe ganF oder faft noch angebörigen Zeiträumen zuzufprechen. Man fuchte und fand diefe auch im kelto⸗galliſchen Druidenthume, von dem der Nachwelt ungleich mehr Babeleien als Wahrheiten überliefert wurden. Die Brieftergilde der Druiden hatte, wie jede ähnliche, verfchiedene Grabe und fland unter einem Dberpriefter. Die Gewandfarbe war blau. Da nun die Freimaurerei auch in Grade fich abtheilt, und der Großmeifter eines Logenbundes, wie jeder hammer⸗ führende Meifter einer Cinzelloge im Sanctuarium derſelben gleichfam ein Prie fterthbum ausübt, fo follte das druidiſch fein, iſt e8 aber fo wenig, ald wenn man ihn mit einem altperuanifchen Sonnenpriefter vergleichen und im Schooße der Inka⸗Theokratie das Maurerthum entdecken wollte, etwa weil die Tempel in Peru auch längliche Vierecke bildeten , deren Altar im Often ftand, und ber ganze Cult ein Lichteult war.

Es begegnet in der hiſtoriſchen Forſchung über Die Freimaurerei ganz bie gleiche Erſcheinung, welche bei den Korfchern der Mythe überhaupt wahrgenom⸗ men wird. Was mancher derfelben fchen und finden will, das fucht und fin- bet er, das wird behauptet und als unumftößlich hingeſtellt, und wer entgegen geſetzter Anficht ift, wird verfegert und für unberufen erklärt. Und obfchon nach altem Spruch nicht aus jedem Holzklgg ein Merkur wird, jo haben die Mythen⸗ forfcher Doch ſchon gar manchen Block zu einem Gott geftempelt.

In den Mythenfreis der Maurerei⸗Geſchichte gehört auch noch die an- und vorgebliche Beziehung, reſp. Abflammung von fogenannten Culdeern, (Culto- res Dei) in Großbritannien und Irland, doch zeigt fich hier fchon ein Uebergang in das chriftliche Mittelalter, in dad Ordens» und Nitterbundeöwefen.

Die Euldeer bildeten eine chriftliche Glaubensvereinigung, welche fich gegen dad römifche Papſtthum und jede Abhängigkeit von dieſem firäubte, keineswegs aber einen Geheimbund. Fanden fie, wie man fagt und annimmt, für ihre Firch- lichen Sittenlehren Einigung und Anhang in den Bauhütten, namentlich in Schottland, Wales und Irland, fo geht daraus noch Feine eigene maurerifche Berbindung hervor; indeß blühte auch der Culdeismus im 6. Jahrhundert ab.

Das Mittelalter begann, und mindeſtens in ihm follte nun ein früher rund und Boden ded Weltbaumed der Breimaurerei gefunden werden, und zwar im Schooße des Templerordens.

Zu den längft beftehenden geifldichen oder Mönchsorden (von ordo: Ord⸗ nung, Satung) waren zur Zeit der Kreugzüge die Nitterorben getreten, deren Mitglieder aber geiftliches Reben annahmen und mönchifcher Regelung ſich unter« warfen. Die 3 bebeutendften diefer Orden waren bekanntlich die Templer, die Jo⸗ banniter und die Deutfch-Ordengritter, jeder in feiner Art mächtig, einflußreich, großartig in feiner gefchichtlichen Erfcheinung. Der tragifche Ausgang, den. der Templerorden nahm, das furchtbare Unrecht, das an ihm verübt wurde, unwoh

\s

4 ' 0 Mulbwegeflichte,

{hn mit einer Martyrerglorie. Gin geheimniſiwoller ſymboliſchet Eult, den die Templer geübt haben ſollen, mag Anlaß geworben fein, das ebenfalls geheimniß⸗ volle Symbolik übende Freimaurerthum auf jemen Orden zurüdzuführen, und eine fpätere Zeit, in weldyer wirkliche Sreimaurer dies allen Exrnftes und mit Ab⸗ ſicht thaten, half darüber bei den Laien die Begriffe nur verwirren, hen die alten Zempelritter mit den neueren Templern im Schooße des Maur verwechfelten, oder für gleichbedeutend hielten.

Der einem Baugewerfe entleente Rame: Maurerei, nicht minder zu Sombolen erhobene Werkzeuge jenes Gewerkes: Hammer, Richtfeheid, Senk⸗ blei, Kelle, Eirkel, Winkelmaaß u. dergl. deuten augenfcheinlich das unwiderleg⸗ bar richtige an, daß der Freimaurerbund feinen Boden im Schooße des alten Gerwerkes der Steinmegen, Maurer, habe, von denen die Begabten und an der Spige ftehenden zugleich Baumeifter, Architekten waren. Dies zugebend, hat man auch bier geglaubt, nicht tief genug in die Gefchichte greifen zu fönnen, und hat die Entftehung des Maurerbundes mindeftens bei den Römern finden wol fen. Der weile Numa Bompiltus hatte die Bevölkerung Roms in Zünfte (Col- legia) getheilt, von denen eines das Collegium der Bauleute bildete‘, das fh - durch feine Kennmifle, Bildung und KHunftfertigkeit rühmlichſt außzeichnete. Roc in ihren großartigen Trümmern predigen die Prachtbauten des alten Rome von der hoben Einficht, vom gewaltigen Geift ihrer Erbauer. Daß auch nad anderen Rändern römifche Baufünftler berufen wurden, daß fte ſich dort als Cor⸗ poration eng aneinander ſchloſſen und zuſammenhielten, ift begreiflih. Unter dem.Römerfeldheren Cäfar kamen deren auch nach Gallien wie nach Britannien, andere folgten fpäter nach, blieben im Lande ſeßhaft, und fo mag es wohl ge- fommen fein, daß gewiſſe Regeln und Satungen vornehmlich in den Bauhütten feftgeftellt und trenfich von den Verbundenen gehalten ,-wie geübt, aber zugleich auch von ihnen vor den Nicht-Rundigen geheim gehalten wurden.

Es ift etwas Großes um den Zauber, den das Geheimniß auf das menjchliche Gemüth übt: dies haben Viele wohlerwogen und unendliche Vor: theile dadurch erlangt. Der Beſttz eines Beheimniffes verleiht gleichfam eine vſychiſche Herrichaft jenes Beſitzenden über die Nichtbeflgenden, und zu allen Zeiten, unter allen Völkern, jelbft bei ziemlich rohen Ratur- und Eulturzuftän- den tritt die halbſcheue Verehrung zu Tage gegen den ober die Träger des Ge⸗ heimniſſes. Ein Beifpiel ftatt vieler fei angedeutet in dem Hebergewicht, das auf die rothhaͤutigen Weftindier ein fogenannter „Medicinmann“ ausübt. Des Geheimniſſes auch theilhaft zu werben, felbft unter Entfagungen, Opfern, Un» terwerfung firenger Prüfungen, Unterziehung harter Pflichten, ift der große Wunfch, der Durch jo viele Herzen pulft, IM ein Seelenzug, der im Wefen ter ganzen Menjchheit durchklingt. Diefer Seelenzug verbürgt auch der Freimaurerei ftete unumftößliche Dauer, denn ihre große Bruder- und Bundeskette kann eben fo wenig durch eine Macht der Erde gelöft werden, als fie ſich felbft jemals wie⸗ der löſen wird,

Die Bauverbruͤderungen, Baugefellfeyaften, Baucorporationen oder wie man dieſelben fonft nennen will, erhielten fich In Britannien auch nach Einfühs

Geſchichte, Geift und Analreitzag der Freimaurerei. 5

zung des Chriſtenthums, und da dieſelhen nicht an einen Ort für immer gebun⸗ den waren, da nach Beendigung irgend eines bedeutenden Baues die große An⸗ zahl der Werkleute anderöwo neue Beichäftigung fuchen mußte, fo ſchlugen fie bald da, bald dort, in dieſem ober jenem Lande ihre Hütten wieder auf, Die be ſonders dort von großer Wichtigkeit waren, wo bie erbabenften Bauwerke erriche tet Arden, herrliche Dome und Kathebralen, vor denen noch die Nachwelt ſtau⸗ nend und bewundernd, ſteht. in großer jchaffender Geiſt ſpricht aus dieſen Tempelbauten; bier ift mehr als bloße Meifterjchaft des Werkmaurers, der

Stein anf Stein zufammenfügt, hier reden und zeugen die Steine von bligenden:

fühnen Gedanken, vom tiefflen Srommfinn, vom Schwung der Phantafle, von hoher Andacht, vom Durcdhdrungeniein des jchöpferifchen Gotteögeifted. Hat doch Die. Sprache fein höheres und bedeutungsugliexe® Wprt zu erfinden vermacht, um das Weltganze zu bezeichnen, als Weltbau, den Bau der Welt, des Alls mit feinen ewigen Sonnen, feinen freifenden Globen , und herrlicher fonnte das

Weſen Gottes kaum bezeichnet werben, ald wie dir Breimaurerei nach Pythagorae

Vorgange Bott nennt: den großen, allmächtigen, ewigen Baumeifter aller Welten.

Wie die Aftronomie die erhabenſte Wiſſenſchaft, jo ift tie Archi⸗ teftur die höchſte Kunft.

Dieſe Betrachtung überhebt, weitläuftig zu werden über Die Gejchichte der.

Entwidlung ber Baucorporationen in den verjchiedenen Ländern, zumal in den früheften Zeiten, da ſich aus dieſer Gejchichte immer noch nicht mit unumftöß- licher Gewißheit der Urfprung der Freimaurerei in ihrer dermaligen Geftaltung nachweifen läßt. Es ift fat unmöglich, mindeſtens biöher unmöglich geweien, in Diejer Beziehung Dichtung und Wahrheit gründlich zu fcheiden, obwohl es unendlich ſchön und befriedigend wäre, wenn ed gelänge, Das vom Hauche der Boeite und Phantafle jo jchön auf die Tafel gezauberte Lichtbild feftzubalten; denn da, wo die Geſchichte der Freimaurerei beginnt, wirklich Geſchichte und nichts weiter zu werden, wird fie fat trocken, mindeftend erjcheint fle fo in den meiften ihr gewidmgen Schriften.

Aller wirklichen Geichichte Grund find Urkunden, N h. neben metallenen

und ſteinernen Denkmalen und Gedenktafeln von unbezweifelbarer Aechtheit und Gleichzeitigkeit Briefe und Siegel, auch Documente geheißen, vom lateini⸗

ſchen Worte Documentum: ein Beweis. Beweisführend ſollen und müſſen ächte Urkunden fein; gar Viele nennen Urkunde, was im archivalen Sinne dies fen Ramen gar nicht verdient.

Aber allerdings haben fich ächte und wirkliche Urkunden, Sapungen alter Baugewerke enthaltend, vorgefunden, welche fo gedeutet werten Eonnten und io ausgelegt worden find, daß fie der Breimaurerei einen Urfprung im Mittelalter begründen, theils lapidare, theils ſchriftliche. Zu erfleren gehören gewiſſe Zei- chen und ſymboliſche Embleme an großen Bauwerken, jowohl des gothifchen als auch des romaniichen Styls, und an Öurten und Gefinifen der Außenmauern, wie der Thürme, welcher zum Theil, aber auch nur zum Theil, die Freimaurerei fich

bedient. Diefe Zeichen find vorzugsweiſe das Dreicd und das Heralpha, A und

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68 iſt für den, der eifrig fucht, nicht ſchwer, zu finden, wie ſchon oben ans

gedeutet ward, Will man aus Einzelheiten ein Ganzes hinſtellen, fo laſſen ſich Beſtimmungen

allerdings in den Steinmetzordnungen finden, welche auch in der Imaurerei Geltung gewannen, allein es findet fich dergleichen auch ſchon in den Ritterbundniſſen des

Mittelalter.

Die alte Straßburger Steinmegenordnung geht nicht höher als bis zum Jahre 1459 hinauf, eine Torgauer Ordnung datirt vom Jahre 1462, Verfaſſer diejes hat in dem maurerifchen Taſchenbuche Afträn, Jahrgang 16, 1851/52 das Statut eines fränfifchen Ritterbündniffes mitgetheilt, das überrafchend Ein- richtungen vor Augen legt, die ſich im maurerifchen Sinne deuten faffen,, wenn man biefelben alfo zu deuten und audzulegen geneigt ift.

> Jenes „Mitterbündniß mit Vorbildern maurerifcher dans ift vom Richaelistage 1387 | ‚if folglich 77 Jahre älter als &ie aͤlteſte deutjche Etrßbärger) und thut dar, wie wohl durchdacht, ftreng

gegliedert und jetbft ſittlich Hocftehend ſolche enge Berbindungen des Mittel- alters waren, Immer aber erreicht jene Satzung nicht die ethiſche Höhe der Sagungen des heutigen Maurerthums, und man würde irre gehen, wenn man behaupten wollte, daß nun diefe die ächtefte und Ältefte Urkunde der Freimau— verei im Deutfchland fei, während andere fpätere runden’ ft Hiefelße'ansätge- ben wurden, die es eben jo wur ‚Denn Die Heutige maurerifche eigentliche Spmbolik und Bilderſprache fehlt beiden Doeumenten. Um Sefern, die der Schreibwelie des Mittelhochdeutſchen nicht Eundig find, nicht mit zum Theil schwer verftänblichen Ausdruͤcken Läftig zu fallen, follen Hier nur die begiehungs- reichen Beflimmungen ber Urkunde in heutiger Schriftipradhe mitgerheilt werden.

Der Ritterbund, welcher diefe Statuten aufrichtete, zählte unter feinen Mite gliedern die Hedeutendften Grafen und Edelleute des Franfenlandes, jo unter

"anderen Grafen von Henneberg, Caſtel, Rieneck, Wertheim, und aus theil® er⸗

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Geſchichte, Geiſt und Ausbreitung der Freimanrerei, 7

loſchenen, theils noch blühenden jetzt freiherrlichen Geſchlechtern, Glieder aus: den Haͤufern der von Bibra, Aufſeß, Heßberg, Truchſeß, Rotenhan, Lichten⸗ ſtein, Waltershauſen, Voit von Salzburg, Marſchalk, Muͤnſter, von der Thann, vom Stein, von Wenkheim, Streitberg, Veſtenberg und viele Andere.

Diejenigen Satzungen, welche im fpäteren Maurerthum einen Wiederhall ſinden, ſchreiben vor: Uebereinſtimmung in der Bekleidung, einen König und 2 zu Rathe, auf Jahresfriſt gewaͤhlt; das waͤren der Meiſter vom Stuhl und der erſte und zweite Aufſeher, welche die Zufammenfünfte berufen. Es werben all⸗ jährlih 2 Gapitel gehalten (2 Jahresfeſte). Jahresbeiträge find feftgeftellt. Guter Ruf jedes Angehörigen foll durch die Bundesgenoſſen forglich über» wacht werden. Anklagen werden im Gapitel vorgebracht und erledigt. Wer fich den Beichläflen des Capitels, (an defien Stelle nur das Wort Loge zu ſetzen wäre) nicht fügt, „sol die gesellschaft ahtun“ wenn ihm das vom König und deſſen Zugeorbneten geboten wird, und in feiner anderen Gefellichaft Aufnahme und Zutritt erlangen. - Demnach Dedung und Ausfchluß.

Gernere Beftimmungen für die Bundedangehörigen waren: brüberliche Treue und gegenfeitige Hülfeleiftung unter fh, vor allem Gehorſam eines jeden: gegen feinen rechten Herrn, und will Die Geſellſchaft keinen in feiner Dienftpflicht- irren oder hemmen. Alljährliche Neuwahl des Königs (Meiſters). Frauen der Verbündeten follen bei einem Hofe (Feſte) Zutritt Haben, was an die Schwe⸗ fterlogen wohl erinnern könnte. Der König fol felbft die ihm zugeordneten beiden Beamten wählen, „doch mit Wiffen und Worten‘ (Zuflimmung) der Ges - jelichaft.

Weiter lautet ein fehr wichtiger Artikel der Urkunde, „der König und die Zweie follen gleich gemein fein, Grafen, Herren, Ritter und Knechte, als fie das erkennen auf ihre Treue und Gefellfchaft dem Reichen wie dem Armen in allen Sachen, und follen auch der König und die Zweie darin Eeinerlei Vortheil fuchen”. Alfo auch hier die völlige brüderliche Bleichheit, ganz wie im Logen⸗ bunde. Doch nur im erften Jahre, dem der Bundesbegründung, wurde die Aufe nahme neuer Mitglieder dem König und feinen Zugeordeten anheimgegeben, fpäter follte darüber das Capitel entfcheiden, was jedenfalls durch Abftimmung geſchah. Der König jollte den Stiftungsbrief aufbewahren und bei ten Stif⸗ tungöfeften zum Vortrag bringen. Nach feiner und der beiden Vorfteher An⸗ ordnung foll zum Gedaͤchtniß verftorbener Bundesangehöriger ein Trauer⸗Capi⸗ tel verfammelt werden (Trauerloge).

Söhne der Berbündeten Eonnten nach zurüdgelegten 18. Lebensjahre, wenn Die Gefellichaft befand, daß fle zu ihr „gut und nütze“ jeien, aufgenommen werden, ein Artikel, der lebhaft an den Zutritt der maurerifchen Luftons erinnert. Bei der Aufnahme ward dem Könige „mit handgebender Treue’ gelobt, feit an der Sagung und am Bunde zu halten. Für pünktliche Zahlung der Geldbeiträge war ebenfalld Sorge getragen, und wer die vorgefchriebene Kleidung im Gapitel anzulegen vergaß, hatte 1 fl. Strafe zu entrichten. Ohne vorherige Meldung an den König und ohne deſſen und der Vorſteher Zuftimmung Eonnte Keiner audtreten. Entfernung aus tem Lande auf mehr ald Jahresfrift und Rachwei-

8 Si Gulturgefchichte.

fung eines oder des anderen der 4 Rothhaften durch Waſſer, Feuer, Gefängniß oder Krankheit befreiten den Einzelnen von dem @eldbeitrag, oder von der Er⸗ Iegung von Strafgeldern.

In äußerer Einrichtung zeigt demnach dieſe Urfunde ungemein viele Achn- lichkeiten mit heutigen Logenfahungen auf, allein Symbolik, Feierlichkeit, Ge⸗ beimnig, Ceremoniell bei Aufnahmen, Grade u. j. w. find ganz und gar nicht im ihr enthalten, und man kann auch fle Feine eigentliche Freimaurerurfunde nennen. Die Cõlner Urkunde, vom Jahre 1535, gilt jegt für ein Falſum.

Nicht Urfprung, wohl aber Begründung der Breimaureret läßt fich aus den alten Steinmegen- und ähnlichen Bündniflen nachweiien; fchliegen und folgern läßt fich aus denfelben, daß ganz allmählich von denen, welche die Idee’ eines fittlich hoben, geiftig gewichtigen Männerbundes zuerft im begeifterten Ins nern trugen, alles vorhandene irgend brauch- und annehmbare geprüft und Das von das Beſte behalten wurde. ‚Nur langfam reifet die Kraft, nur allmälig dämmert das Licht im Often. Biel zu irrig und viel zu lange bat man die Geſchichte der Bangefellfchaften und die der Freimaurerei für identifch genom⸗ men, nicht den Kern von der Schaale gefchieden. Ohne den alten Baucorpora⸗ tionen nur im entfernteften zu nahe treten zu wollen, fo war doch ihre hand⸗ werfömäßige Sinrichtung, ihr zunftmäßiges Geheimthum nur die Schaale, in welcher langſam reifend der Kern des Maurerthums fich entwidelte, um als ein Saamenforn zum Baum zu erwachien, der feine blüthen⸗ und fruchtvollen Zweige nun über fünf Erdtheile ausbreitet.

Wie angenehm ed immer für den deutjchen Patriotismus wäre, den Urs fprung der Freimaurerei für Deutfchland beanfpruchen zu Eönnen, fo würde dad Doch ein Verhältniß ergeben, gleich jenem, wenn Holland Deutfchland gegenüber die erfte Wiege der Erfindung der Buchdruderkunit zu fein fich aneignet. Die Freimaurerei wurzelt ein für allemal in England, wenn auch der angelſächſiſch⸗ deutſche Geiſt ihre Elemente vorbildete, und Ehre fei und bleibe dem Genius des englifchen Volkes, das ja der Welt auch den größten dramatijchen Dichter ſchenkte, die urfprünglicdye Heimath der Töniglichen Kunft zu jein.

Schon der Rame: Freimaurer begegnet ald Free Masons zuerft in England, und verftand unter diefer Benennung diejenigen Werkmaurer, welche freiftehente Quadern bearbeiteten; e8 war aljo mit diefem Worte vorerft weder der Begriff einer fittlichefocialen, noch einer politijchen Freiheit verknüpft. Wenn bei diejen von „‚befonderen Erfennungszeichen‘‘ die Rede ift, fo find dad die ur- altüblichen Steinmetzzeichen geweſen, die zahllos an allen Bauten des Alterthums angetroffen werden, und an benen nichts weiter erfannt wurde, aldö ter Rame ihres Arbeitere. Da es fehr lange gedauert bat, dieſe Zeichen in den Bereich geichichtlicher Forſchung zu ziehen, was erft in neucrer Zeit gejchab, jo gewannen jene Zeichen den Anhauch von etwas Geheimnißvollen, Unerklärbarem, Myſti⸗ fhem. Sie find und waren aber nichts, ald cine oft runenähnlich geftaltete Beichenfchrift ohne alle tiefere Bedeutung. Der Meifter erfannte bei der Abrech⸗ nung mit den Gefellen und Lehrlingen an jenen Zeichen deren Arbeit. Ob jene Free Mafons unter ſich noch geheime Verbindungen unterhielten, die über die

Geſchichte, Geiſt und Ausbreitung der Freimaurerei. 9:

Grenzen dea Zunftmaͤßigen hinausgeſchritten, weiß Niemand mit Gewißheit, und es iſt ſehr zu bezweifeln, daß es im Sinne bed wahren Maurerthums der Fall geweien. Gefellenbünpnifle, wohl auch geheime, hat ed immer gegeben und giebt es noch, es find aber jchwerlich unter ihren Theilnehmern ächte Freimaurer.

Indeß der Freimaurerbund nennt fich nach der Werkmaurerei, er hat au: berfelben fombolifche Bilder entiehnt, einen Tempel, einen Tempelbau, Steine umd Werkzeuge zur Bearbeitung des Letzteren. Das ift geichehen, indem be gabte Männer zu einem Bunde zufammentraten, ber den Kern von des Schaale,. den bebauenen Stein vom rohen, das Handwerk vom Beiftwerk fonderte und: fihied, und das technifche Kunſtwerk zu einem idealen erhob. ee

Aber wann und wo diefer neue geiftige Maurerbund zuerft geichloffen wurbe, und wer feine Orüuder waren, das weiß Niemand, vielmehr leiten jelbft die gründlichften Forſcher immer wieder zu den Bauhütten zurüd, in denen Doch: hauptfächlich die Kunſt der Architektur das fpätere belebende Princip abgab, wo⸗ bei ſelbſtverſtaͤndlich die mathematische Wiffenfchaft auch im allgemeinen zur Geltung Fam, und die phyfifalifche nicht minder, denn dieſe mußte Mörtel und. Farben bereiten Ichren und mit Mechanik wie mit Hydraulik Hand in Hand gehen. Da ergaben ſich gar bald durch Erfindung mandherlei Kunſt⸗Geehe i m⸗ niffe, die nicht jedem offenbart wurden, und der Saamenflaub aus der Blüthe des Geheimniffes fiel befruchtend in die Rarbe der Zukunft.

Die zum Theil heute noch üblichen Zeichen und Symbole der Freimaurerei folfen erft oder auch bereits 1649 eingeführt, und um diefelbe Zeit follen auch.

3 @rade: Lehrlinge, Gefellen und Meifter feflgeitellt worden fein.

Aid ein bedeutender Rame an der Spige der englifchen Bereinigung, welche ich: den Ramen Freimaurer beigelegt, und fi) des Schutzes König Karld Il. zu er» freuen batte, tritt zuerft der von Chriftoph Wren hervor, ded berühmten Er⸗ bauerd der neuen Paulskirche in Kondon, (nach Dem Vorbilde der Pereröfirche za Rom) der Stephandfirdye, des Wertminfterfchloffes und anderer großartiger Bauten. Er war nach dem großen Brande von London 1685 an die Spige aller Baugewerfe getreten und benugte vorgefundene Elemente zur Weiterausbildung: großer: umfaffender, moralifcher und geiftiger Ideen. Mit ihm erft tritt daB heutige Freimaurerthum wahrhaft und fehl begründet in die Gejchichte, wenn auch bereit8 vor ihm ſchon etwas vorhanden war, das man Logenthbum oder LXom: genwefen nennen konnte. Wren reformirte diefe Einrichtungen und wurde, nach⸗ dem ee Großaufſeher, dann dreimal deputirter Großmeiſter geweſen war, 1685 wirklicher Großmeiſter, was er bis 7 Jahre vor feinem Tode blieb. Er ftarb im boben Alter als Yljähriger reis im Jahre 1723. Unter Wren gehörte ſelbſt König Wilhelm III. von England ven Maurerbunde an, deshalb nannte fich Die Freimaurerei eine Königliche Kunft, und ed wurde unter demfelben Könige die erfte Großloge in London begründet. Schon gab ed der Kogenverbindungen viele, und jede legte jich auch einen Eigennamen bei, wahrfcheinlich zuerſt nach den Schilden der Häufer, in denen fie ihre Berfammlungen hielten. Bier Logen Londons vereinten ſich im Jahre 1716 zur Begründung einer neuen, höchſten Großloge, und wählten, da Wren wegen feines hohen Alters den Großmeiſter⸗

10 nrasamıy Cuilturgeſchichte. ae nen⸗

Gamust derſelden micht ſahien dennn, 117; Autaa Saur für: deſeo ic —— iiber wer me aa ne rn A er

die Großloge begründet hatten an rn and. Daffelbe erfchien unter dem Titel: The :onstitution of the Free-Masons, London 1723, warb fpäter umgearbeitet, wie vermehrt, und ging in Ueberfegungen faft in alle Sprachen der Länder über, in denen Kogen errichtet wurden, da das Werk als Grundftatut ber Maurerei ber

ee Vorrecht älteften Beſie- hens in Anſpruch nahm, ja ihr Alter auf die in Mork ſchon ſeit alten Zeiten be— fanden Habende Bauhütte bis auf eine bafelbft im Jahre 926 ftattgehabte maſoniſche Verſammlung zurücführte. Auch in diefer Großloge war die Werk- maurerei geiftig gehoben und verflärt worden, beide Großlogen waren im Prin= zip miteinander völlig einverftanden, allein es lag doch eine Spaltung in ber Natur der Sache, indem das Nitnal beider Großlogen verfchieden war, und die Morker ihre altüberkommenen Gebräuche nicht abändern wollte. So entftan- ben zwei Spfteme, das altenglifche oder horker, und das neuenglijche oder Ion=

doner; man wechjelte Parteijchriften gegen einander und fuchte fich nach außen

Anhang zu gewinnen. Gine Anzahl älterer Logen hielt fich zum horker Syftem; die Logen Irlands verbanden ſich 1730 zu einer vom beiden englifchen unabhän- gigen Großloge in Dublin, die ein auf das Anderſom ſche begründetes Gon- ftitutionsbuch durch Pennel beforgen ließ. Die ſchottiſchen Logen begründeten 1736 eine ebenfalls unabhängige Großloge zu Edinburg, und Anfehen, wie Einfluß des fchotrifchen Logenthums wurde ungemein bedeutend. Die Politik

blieb den Logen Großbritanniens und Irlands jo wenig ferm, wie denen in

Franfreich, wo fich, nachdem ſchon im 17. Jahrhundert dort Verbindungen unter —— worden waren, doch erſt 1725 die erſte eigentliche Loge zu

Paris begründete. Cine Loge unter dem Namen Glermont'fches Hochkapi— tel nahm ein nach ihr benanntes, von den übrigen vorhandenen völlig unabhän⸗ giges Syftem an. Die maureriſchen Geſchichtforſcher behaupten, Daß an Errich- tung dieſes Capitels die Jefuiten weientlichen Einfluß gehabt, und daß dieſe es auch geweſen ſeien, welche zuerft bie Breimaurerei zu einem Nachklang des er- loſchenen Templerordens, zu wie deffen Erbin geftempelt hätten,

Das lebhafte Element im Charakter der Franzoſen überließ fich nur zu gern phantaftiihen Eingebungen und trug dergleichen in den Ernft des Maurerthums. Es wurden Grade auf Grade gehäuft, von den einfachen urfprünglichen 3 Gra⸗ ben ſtieg man auf 3 mal 3, auf 33, und zulegt auf 3 mal 30, Eine Fülle von

Gefchichte, Geil und ‚Ausbreitung ber Freimaurerei. 11

Ceremonien, Inſignien, Karben, Bändern, Chargen, Aemtern x. kam auf, eine merkwuͤrdige Sucht nach Decorationsprunk blendete Die Neulinge und ſchmeichelte der Eitelkeit, und dieſem Geiſt und Einfluß iſt es hauptjächlich zuzuſchreiben, daß im Mafonenbunde noch fo mancher, wenn das Wort Freimaurerorden außgefprochen wird, nicht an die alte Ordo, bie Segel, denkt, fondern an bie fo mannigfachen Zeichen und Sterne, die an bunten Bändern um den Hals, auf. der Bruft oder im Knopfloch getragen werden. Auch eine Menge franzöftfche Worte neben einigen englifchen fegten fich in auswärtigen Logen, und namentlich in deutichen feſt, Folge des Uebergewichts, das bie franzöftfche Sprache fich ge⸗ wann, Worte die man niemals abzulegen und mit deutfchen zu vertaujchen ges: fonnen fcheint. Die Ausprüde Majonerie und Loge errangen in deutſcher Sprache das Bürgerrecht, Bijou nennt man noch immer den maurerifchen Schmuck, als ob man nicht das ungleich edlere, höheren Sinn ausbrüdenbe deutfche Wort Kleinod dafür hätte, u. f. w.

Jegliche Schwärmerei und Gauflerei fand und findet jederzeit in Frankreich fruchtbaren Bpden, jo die politifche, Die alchymiftifche, die theofophiftifche und die Myftagogen flanden fich dabei vortrefflich, indem fle trugliftig den Reophiten unter dem Deckmantel ber Freimaurerei das Geld aus dem Sädel ſtahlen, indem ſte deren Reichtgläubigfeit und den oben erwähnten Drang in der Menjchenfeele, deren Zug nad) Erfenntniß des Gcheimnifles und Einblick in dafjelbe ſchlau be= nußten, Wunderdinge und Offenbarungen vorfpiegelten, irdiſches Beſitzthum und überirdifche Macht über die Geifterwelt in Ausjicht ftellten, und durch viel und mancherlei Hocuspocus darthaten, wie ſchwach im Ganzen das menfchliche Ge⸗ müth ift, und wie dad uralte „mundus vult decipi“ von einem Jahrhundert In das andere herüber feine Macht bewahrt und bemahrbeitet.

Da einmal von Frankreich die Mede ift, fo ftehe gleich Hier, daß die Kreis maurerei in diefem Lande, wo fie fich fo zahlreiche Anhänger gewonnen, auch nicht ohne Verfolgung blieb. Ludwig XV. verbot fie zu Drei verfchiedenen Malen ganz, und Staat und Kirche fuchten fie zu unterdrüden, ja Bapft Benebict XIV. fchleuderte im Jahre 1751 eine Bannbulle gegen diefelbe. Das vermochte nun allerdings nicht, die immer flärfer werdende Verbreitung des Logenlebens in Frankreich zu hemmen ober gar zu unterbrüden, aber in diefem Leben felbft ent» landen für lange Zeit dauernde trübe Spaltungen, welche der Sache der Maus rerei nachhaltig fehadeten. Doch auch diefe Wolfen fchwanden ; in der napoleoni⸗ fhen Zeit flieg das franzöflfche Maurertbum zu hoher Blüthe. Parid allein umfapte im Jahre 1812 nicht weniger ald 130 Logen, in ganz Branfreich zählte man deren gegen 2000, und noch gegen 100 Feld» oder Militairlogen. Ia felbft die Marine blieb nicht unbetheiligt, und manche SapitainsGajüte wurde zur Loge umgewandelt.

Die bedeutendften Zogen Frankreichs: der Grand-Orient, die Grande Loge, ber Supr&me-Conseil blieben demohngeachtet im gegenfeitigen Zwieſpalt, ber ſich noch in daß vierte Jahrzehend des Inufenden Jahrhunderts fortfegte. Die Iefuiten, früher am Bunbe betheiligt, verfolgten ihn lebhaft, und im Jahre 1845 wurde

durch den Marichall Soult dad Verbot der Betheiligung ber Armee an ben Logen erieften, was aber nöllig erfolglos. blieb.

Don Frankreich aus wurde die Freimaurerei eifrig. nach anderen Ländern, Gin verbreiter, und wie biefelbe von England aus nach den vereinigten Staaten, nad Wehtindien, nad St. Helena, nad) dem Caplande, nach Oftindien u. f. w. übertragen worben war, fo kam fle durch Frankreich in deſſen überfeeifche Colo⸗ nieen, nach der Infel Bonrbon, nach Guadeloupe, Martinique, Guyana und nach Algerien, naͤchſtdem daß zahlreiche Logen in Belgien, in der Schweiz, in Dfindien und auf Eeylon, in Senegambien, im Gaplande, wie auch in Weſtin⸗ dien und in den vereinigten Staaten Rordamerifad unter dem Grand- Orient Frankreichs ftehen und arbeiten.

Im Rutterlande der Sreimaurerei, England und Schottland, blieb man ſteis eifrig thätig für deren Weiterverbreitung auf dem europäiichen Feftlande und in den übrigen Welttbeilen, blieb aber auch nicht ohne innere Kämpfe, welche indeß durch den edlen Geift, der das Lebendelement des Maurertbums bilden foll, großartiger Verföhnung entgegengeführt wurden, die im Jahre 1813 unter den beiden fürftlichen Brüdern, dem Herzoge von Suſſex, Großmeifter der Modern-Masons , und dem Herzoge von Kent, Grofmeifter der Ancient-Masons Start fand, worauf nun die jegige vereinigte große Loge der alten eng- liſchen Sreimaurerei unter der Großmeiſterſchaft des Herzogs von Suffer gebildet wurbe, welche nach einem einfach edlen Rituale arbeiter und 1815 ihr neues Conſtitutionsbuch veröffentlicht hat.

In Schottland Hatten ſich die Logen des Streited der englijchen über An- cient- und Modern-Masons enthalten, daflelbe fcheint .auch in Irland der Fall geweſen zu jein, und fo blüht in der Gegenwart auf dem britiichen Infelreiche unter dem Scepter und Schirm einer weifen und herrlichen Königin das Mau rerthum gleich einer Sonnenroje, die nach allen Weltpunkten Hin ihre Strahlen- radien wirft, fie blüht im Gefühle des edelften Freiheitbewußtſeins, des Gehor⸗ ſams gegen die Geſetze, des Wohlthätigkeitfinnes, der Bruderliebe und der wahren Menjchheitvereblung.

Ehe in diefem Ueberblic zur eigentlichen flatiftiichen Verbreitung der Frei« maurerei über die ganze Erde gefchritten wird, ziemt es, die Gefchichte ihrer Verbreitung zunaͤchſt im deutjchen Baterlande in das Auge zu faffen, und auch einiges über das innere Wefen der Freimaurerei, des eigentlichen Maurerthums zu fagen. Die erite deut ſche Loge wurde von England aus im Jahre 1733 in Hamburg begründet, feheint aber langen Beftand nicht gehabt zu haben, ba nähere Rachrichten Über diefelbe mangeln. Im Jahre 1737 entfland dort eine Provinzialgroßloge, aus welcher die noch beftehende Großloge von Hamburg und Riederſachſen hervorging. Abgeordnete jener erften Logen aber waren es, welche im Jahre 1733 zu Braunfchweig den Kronprinzen von Preußen, nachmaligen König Friedrich U. in den Maurerbund aufnahmen, wodurch für letzteren ein Grundſtein von unberechnenbarer Dauer für Preußen nicht nur, fondern für ganz Deutichland gelegt wurde. Denn nachdem Kronprinz Friedrich 1740 König geworden war, wurden Zogen in ganz Preußen begründet, und zwar war deren

Geſchichte, Geiſt und Ausbreitung ber Freimaurer. 13

wichtigfte zunächft die im beinfelben Jahre zu Berlin begrändete St. Johaumis- 'toge auı troix glabes, bie fi 1744 zur großen Rationalmutterloge erhob. keider mußten Damals und nech Tange nathher aus leidiger einjeitiger Borliebe der Hoch⸗ und Höchfifiehenden für die franzöfliche Sprache auch die Namen der Logen franzöftich ausgefprochen werden. Es gab eben damals noch fein deut⸗ ſches Selbſtbewußtſein. Im Jahre 1752 wurde ebenfalld in Berlin die Loge „Boyal-York zur Fteundſchaft begründet, welche im Jahre 1798 zur Großloge erflärt ward, während die 1770 gegründete ,‚Bandesloge von Deutfchland’ bereits 1773 zum Großorient erhoben worden war. König Friedrich II., ber Große und Ginzige, war jelbft Hammerführender Meiſter. Ban fpricht von einer tief niederfchlagenden Erfahrung, welche der König Durch den Verrath eines Bruders gemacht haben foll, und welche ihm Veranlaffung warb, den Hammer niederzus legen und aus dem Bunde zu fcheiden, Doch habe feine große Seele dad letzterem wicht entgelten laffen. Es ſcheint aber dieſe Erzählung viel fagenhaftes Element zu enthalten und nidyt unbedingt glaubhaft.zu fein. Der Maurerbund biieb in Preußen in fletö fortichreitender Thätigkeit; auch König Friedrich Wilhelm 11. war Maurer, und König Friedrich Wilhem III. fprach das bedeutende babe Königdwort: ‚Die Freimaurer find meine getreueften Unterthanen,“ und geftat« tete gern, daß fein zweiter Sohn, Friedrich Wilhelm, Prinz von Preußen, Protector des Maurerbundes im ganzen Königreiche wurde, was auch König Sriedrih Wilhelm IV., nachdem diefer 1840 den Thron feiner Väter ber fliegen hatte, gern und willig beflätigte. Lind der erhabene Protector des Maus serbundes in Preußen, ber jeßige Prinz Regent, bat am 5. November drö Jahres 1858 unter Zuziehung von Abgeordneten der 3 Berliner Großlogen Höchſtſeinem Sohne, dem Prinzen Friedrich Wilhelm Höchftfelbft die Weihe des Maurerthumd ertheilt, und vorher es in geüffneter Loge audgeiprochen, „daß defien Zufunft dem Orden für lange Zeit eine Bürgichaft für den Fräftigften Schug dann fein werde, wenn der Orden feine reine Lehre unverbrüchlicy ber wahre und aufrecht erhalte”. Es geichah dies in derfelben großen Landesloge, in welcher Se. Königl. Hoheit der Prinz von Preußen Höchftfelbft das maurerifche Licht empfangen hatte, und zwar führte Se. König. Hoheit der Prinz von Preu⸗ Sen denfelben Hammer , mit welchem vor mehr als hundert Jahren der unſterb⸗ liche Ahnherr, König Friedrich IT. feine Kogenarbeiten leitete, nächit dem, mit welchem der König von Preußen jelbft die Weihe für den weltumfaflenden Bru⸗ derbund empfing. Hochbedeutungsvolle Worte fprach bei diefer hehren Feier der durchlauchtigfte Protertor des preußiichen Logenbundes zu Höchſtſeinem neu⸗ aufgenommenen Sohne, Worte, welche werth find, in Marınor und Erz gegra⸗ ben zu werden, fo unter anderen: „Es fehlt nicht an lauten Stimmen, die außer⸗ halb des Ordens ftehen und fidy bemühen, denjelben zu verdunkeln; wie Ich Kiemand ein Recht zugeftehen kann, über den Orden abzuiprechen, der ihn nicht kennt, fo werde Ic auf Grund der Mir gewordenen Erkennmiß nie folchen Stimm ein Gehör ſchenken,“ und ferner: „Sei und werde Du alfo dem Or⸗ den ein ftarfer Echug, dann wird nicht allein Deine eigene Zukunft eine geflcherte fein, Tondern Du wirft überhaupt das herrliche Bewußtſein in Dir tragen, dahin

14 iin 29 Gulturgefäichte. Fr ah ng

gefirebt zu Haben, bad Wahre und Gute um Dich verbreiten zu wollen. Es ift faum eine der bebeutenberen Städte bed Königreiches Preußen bermalen ohne eine Loge, wo berem nicht mehrere find, und in allen ift im Hinblick auf ein ſolches Protectortum, einen folgen Schuß, eine folche erhabene Bruberge- finnung, ein freubiges und erhebendes Maurerleben ſichtbar. |

Anders hat fi im großen Kaiferftaate Defterreich das Leben ber Frei- maurerei geftaltet, nachdem biefelbe allerdings bereit8 1744 dort Boden gewon- nen hatte. Maria Iherefla, die Feindin König Friedrichs des Großen, war auch eo ipso eine Feindin des Maurerthums, weil fie daſſelbe nie nach feinem wahren Weſen Eennen lernte. Daher ihrerfeits ſtrenge Verbote, dann doch wieder durch den Gemahl, Kaifer Franz I., dann unter Jofeph II. Anerkennung und fogar Gründung von Großlogen zu Wien und Prag. Leider fchien diefe Sonne nur kurze Zeit und die alte Urnacht flieg wieder Alles verfinfternd herauf. Die Kai⸗ fer Leopold II. und Franz II. erneuten die frühere Unterbrüdung, ja Franz II. beantragte dieſelbe bei allen deutichen Höfen, welche jedoch nicht darauf eingin- gen und den Antrag ablehnten, zumal die Sefandten von Preußen, Hannover und Braunfcweig.

Die Freimaurerei wurde in Oefterreich verboten, und jedem Staatsdiener namentlich eiblich auferlegt, dem Bunde nie anzugehören.

Bayernhatfich ebenfalls der Freimaurerei weniger. angefchlofien; ald Mann beim noch bayerifch war, wurde bort, bereit8 1737, eine der erften Logen errich- tet, und das Maurerthum wäre vielleicht im nachherigen Rönigreiche treulich forte gepflegt worden, wenn nicht der durch Profeflor Adam Weishaupt 1776 zu Ingolftabt geftiftete Orden der Berfectibiliften, fpäter Jlluminaten ge nannt, durch großartige Phantaftereien jenem gefchabet hätte. Weishaupt war ein befähigter, aber unruhiger Kopf, Iefuit geweſen, Hatte jedoch Dem Orden ent- fagt und fehwärmte für Menſchen⸗ Staaten= und Weltverbeflerung. Er war nicht Freimaurer, gab aber dem Orden, den er gründete, maurerifche Kormen, und fuchte endlich die Freimaurerei mit demfelben ganz zu verfchmelzen und in ihm aufgehen zu laſſen; auch den ſchottiſch maurerifchen Ritus mit höheren Gra⸗ den als den gewöhnlichen der St. Johannislogen nahm Weishaupt in fein Or- densſyſtem auf, und von zweien diefer höheren Grabe, dem Illuminatus major und Illuminatus dirigens wurde dem neuen Orden der Rame Illuminaten zu Theil. Dies alles Hätte immerhin fein mögen, wenn ber Orden in der Bes folgung und Verbreitung rein ethiſcher Grundfaͤtze geblieben wäre und auf Men- fehenvereblung und brüderliche Liebe hingewirkt hätte, allein Weishaupt ging viel weiter und allzuweit. Er führte Myfterien ein, ertheilte einen Prieftergrab, einen Negentengrad, fchuf einen Magus und einen Her, wollte feinem Orden Einfluß in Staatdangelegenheiten gewinnen, und nebenbei, was Haupt⸗ fache, auch die Staatsämter mit guten Einkünften, gerade das, was die Frei⸗ maurerei nicht zu erſtreben fuchen foll und will, und e8 gelang dem Ordens» gründer in der That einige taufend Mitglieder zu gewinnen und felbft Regenten von Flarem Blick, wie Herzog Ernſt I. zu Sachſen⸗Gotha, für feine hochfliegen« den Ideen einzunehmen, der ihn fpäter auch ſchuͤzte und fchirmte, ihn mit Titeln

Gefchichte, Geiſt und Nupbreituäg der Freimaurer. 15

beehrte und ihm eine. Benflon gab, obſchon der Herzog feine von dem Orben, bem er felbR unter dem Ramen Timoleon angehörte, gebegten Grwartungen nicht befriedigt gefunden Batte, aber mancherlei Berirrungen von Ordensange⸗ hörigen dem Begründer nicht entgeiten ließ. Durch Iefuiten und ErIefniten verleitet, erließ der Kurfürft Karl Theodor von ber Pfalz und Bayern tn ben Jahren 1784 und 85 mehrere firenge Ebdicte gegen den Orden, und Weishaupt wurde auf eine Weiſe perfönlich verfolgt, die in keinem echte begründet war; viele Ordendglieder wurden zum Theil ihrer Aemter entfegt, eingekerkert, andere bed Landes verwiefen, und fo mit dem Illuminatenorben zugleich auch bie Kreis maurerei gewaltfam unterWädit, fo daß noch heute Fein Staatsbeamter im Koͤnig⸗ reich Bayern Freimaurer ſein darf. Nur in den an Bayern 1807 von Preußen abgetretenen fraͤnkiſch⸗ brandenburgiſchen Provinzen Ansbach und Baireuth duͤr⸗ fen Logen fortbeſtehen. Baireuth befigt eine ſolche bereits ſeit 1740, welche zur Großloge erhoben iſt, und es bluͤhen unter ihr mitten im Druck um ſo freudiger und hellleuchtender die Töchterlogen zu Rürnberg, Fürth, Erlangen, Hof und Frankenthal. Außerdem hat auch Regensburg eine ifolirte Loge.

Auch in Würtemberg wurden 1784 die Logen durch die Staaieewalt unterdrüdt, aber 1836 wieder ohne Beſchraͤnkung geöffnet.

Im Königreih Sachſen wie in den ſaächfiſchen Herzogthümern fand vie Sreimaurerei ebenfalls frühzeitig Fingang. In Dredden, Leipzig, Baugen, Raumburg, Rofien sc. bildeten ih Logen, ebenfo in Weimar, Jena (eingegangen), Eiſenach (desgl.), Meiningen 1741 und 1774, Gotha 1793 und 1806, Alten⸗ burg 1742, Hildburghauſen 1787, Coburg (dort erſt ſeit 1816), zu denen in ber Neuzeit noch zahlreiche Oriente kamen. Es iſt bekannt, daß in der Loge Ernſt zum Compaß in Gotha der regierende Herzog zu Sachſen Koburg · Gotha ſelbſt hammerführender Meifter iſt.

Die große Lantesloge von Sachſen in Dresden vereinigt mit Aus⸗ nahme zweier Logen zu Leipzig in fich alle Logen des Königreidyes und Die Loge der berzoglichen Refidenzftadt Meiningen.

Im Großherzogthum Baden belchte fi nach dem Anfalle Mannheims an daſſelbe in diefer Stadt die unter bayerischer Oberherrſchaft gefchloffene Loge wieder, und wurde dafelbft ein Broßorient errichtet. Im Jahre 1813 nochmals unterdrüdt, wurden gleichwohl 1846 und 1947 die 2X. zu Mannheim und Karlsruhe wieder aufö Neue eröffnet.

Im Kurfürſtenthum Heffen, wo früher unter verfchicdenen Sand- grafen und felbft unter der fpäteren franzöſiſchen Gewaltherrichaft das Logen⸗ leben geblüht hatte, ift Dermalen Das maureriſche Licht unter den Scheffel geftellt. Anders. dagegen ift e8 der Fall in dem flanımveriwantten Großherzogthum Heffen, wo drei Xogen, In Darmfladı, in Mainz und in Sranffurt a. M. im Jahre 1846 eine noch beftchende neue Großloge zu Darmſtadt errichteten. Braunfhweig und Hannover pflegten Die Breimaurerei vom Anbeginn der Zeit, in welcher tiejelbe in Deutichland Boten gewann; treffliche Bürften traten dort felbit an die Epige des Bundes, und es war fein unwichtige® Zeichen der Anertennnung, daß vor wenigen Jahren der jetzt vegierende König von

I6 oo mntun 0 2 Miltngefdhichte, m

Gamtiovesr dem Bunde beitzat und nun bei der Großloge in der Reftbengftabt Kanuover den Großmeiſterhammer führt.

In den Sroßherzogehümern Medlenburg Schwerin und Mecklen⸗ burg⸗Strelitz blühen mehrere Logen, ein gleiches ift der Fall in den Fleineven Staaten, von denen nur ſehr wenige ganz ohne Logen And, und auch da, wo ‚deren feine find, loben body Maurer, halten fich in treulich brüberlicyer Genoſſen⸗ schaft zu einander, und dann zu den ihnen am naͤchſten gelegenen Logen anderer Ränder.

Es beſtehen noch Zogen in Arolſen, Bernburg, Gera u. f. w. Bon den freien Städten zählt Hamburg eine Broßloge, im Groß⸗ und Brovinzialloge und 12 apdere, Kranffurt bat die Groploge des efleftiichen Bundes und noch 5 andere, Darunter 2 Juden⸗Logen. Leber Logen von Richtchriſten wird unten noch einige gejagt werden. Bremen bat nur 1 Loge, Läbeck deren 2. Im Ganzen blühten fchon vor 10 Jahren in Deutfchland über 250 Logen, deren Anzahl fich indeß eher gehoben ald verringert hat, darunter 9 Großlogen. Die Loge zu Altona arbeitet unter der Großloge von Kopenhagen, die eine jüdifche Loge zu Frankfurt gehört der Großloge in London an, die zweite urfprünglich Tochterloge des Grand-Orient de. France hat fih der Großloge zu Hamburg. angefchloffen.

Bevor die ftariftifche Verbreitung de Maurerthums in Europa und ben übrigen Erdtheilen überfichtlich vorgeführt wird, möge ein Wort über den @eift und das Weſen der Freimaurerei bier feine Stelle finden.

Was die Maurerei it, lehrt ihre gefchichtliche Entwidlung. Gin großer Bund freier Ränner, frei von Vorurtheilen, von Geiftesbefchränfung, vor Geiſtesverſinfterung, von Unduldſamkeit u. |. w., ein Bund für gemeinfame Förderung der erhabenen Zwede des Bruberfinnes, ver Bruderliebe, des Wohl- thuns, der inneren geifligen Beredlung, der Gefammtbildung der Menfchheit, und alles edlen Menfchenthums überhaupt, nicht nur gegen Angehörige des Bundes ausgeübt und bewiefen, fondern bie gefammte Menjchheit umfaflend. In diefem Sinne hat der Bund Unglaubliches erzielt und geleiftet, ex hat zahle - loſe Wittwen- und Waifenthränen getrodinet, er hat Wohlthätigkeitsanftalten, Schulen, Unterrichtd- und Bildungsitätten begründet, er hat als eine moralifche Macht auf Einzelne fittigend, beſſernd, rettend eingewirft, und für alle das da und dort den Lohn der Welt: Verfennung und Undanf reichlidy geerntet, ja mehr ald das, Verfolgung und Unterdrüdung Nur lafien fich moralifche Mächte nicht Leicht unterdrücken, und bie Pfeile der Verfolgung der Maurerei prallen ab am Panzer ihres guten Bewußtjeind. Auch da, wo man dem Maurertbume Schranken jegt, Befleln bietet, Bernichtung droht, läßt fich immerfort jagen: Masonia ‚pressa sed non suppressa.

Das Maurerthum ift, wie ſchon Leffing fühlte und ausſprach, aus dem Schooße der gefelligen Bildung des Menſchenthums naturwüchflg entflanden, als eine urſpruͤngliche Rothwendigkeit. Es ſtellt fich ſymboliſch dar als ein geiftiger Tempelbau für die höhere Anfchauung, für die höhere Richtung des Gemüthes, für Ablegung beengender Vorurtheile, für allumfaſſende Menſchenliebe, und zwar,

Geſchichte, Geiſt und Miniigeitang der Freimaurer. 13

ba kein Bauwerk des Geiſtes formlos fein kann, unter feſtbeſtimmten Formen, unter Gliederungen und ſymboliſthen, durchaus ſitlichen Gebraͤuchen. eVel Gegner nennen dieſe Formen veraltet, und darum völlig überflüffig und nicht mehr in das Leben und Streben der Gegenwart paſſend, allein es ift immerhin gut, wenn eine Sache ober Einrichtung im geichichtlichen Boden wurzelt. Man reißt Dome wicht nieder, weil fie alt find, nein, man baut fie Sieber aus, wenn le. des Außbauend bedürfen; man rüttelt auch felten ungeftraft an den Formen des Staates, wie der Kirche. Dies ift mit ein Grund, weshalb die Freimaurerei fich nicht Damit befaßt, in Staat und Kirche Einfluß zu gewinnen und Aenderungen hervorzurufen zu juchen. In feiner Weiſe aber wirkt fie ſtaatlichen und kirch⸗ liegen Einricgtungen entgegen, vielmehr ehrt fie die Gefege und behrt ihren An⸗ gehörigen Gehorfam ‚gegen das Geſetz, und ebenjs ehrt fie die Meligion, wie be Blauben jeded Einzelnen, macht feine Proſelyten, fodt Keinen zum Abfall vom. Gott. Da bad Maurerhum an fich ein Ideal ift und dem Ideale der höchſten Menjchenveredlung zufirebt, fo fann ed dem Realismus und dem Materialidnnb. nidyt huldigen. Die Logen find nicht dazu da, um Börſenſpiele zu treiben, fe beobachten nicht ängftlic) dad Steigen und Fallen der Marktpreife, fie rüſten eine Handels ſchiffe aus, fle bilden Beine Actienvereine oder Banken, um davon Gewinn zu ziehen.

Wenn dem Maurerthume Angriffe von Seiten politiſcher Parteiungen zu fommen, denen dafjelbe nicht freifinnig und wurzelwühlerifch genug, vielmehr allzu beharrlich und altanbänglich ericheint, fo machen ihm derartige Angriffe mr Ehre, denn in dem Sefthalten des einmal für wahr und recht und gut Er⸗ fannten wird eine Bürgfchaft für flete Dauer geboten. Das Maurerifum will nicht in Politik machen, und foll dies nicht wollen, es fol fich rein und frei hal⸗ ten von jeder Parteiung im Großen und Ganzen, ohne aber die freiheit des Denkens und der Gefinnung jeded Ginzelnen feiner Angehörigen zu befchränfen, oder polizeilich zu überwachen.

Ueberall, wo dad Manrerthum von biefem Grundfag abwich, ift «8 ihm zum Echaden gebiehen, und fo auch widerſtrebt, wenigſtens Dem Deutichen Geifte,. offenes pomphafted zur Schautragen von Abzeichen, Schurzen, Fahnen u. bel. in Aufzügen und Bafjebetheiligung hei Wahlen dgi., wie dies in Amerika ſo häufig der Fall ift.

Ein Berhälmiß von zarter Art iſt zu berühren: die Aufnahme von Richt» Chriften in den Maurerbund. Es ift unabläugbar, daß die Freimaurerei aus chriſtlichen Grundformen hervorging, daß ihr höchſtes Ziel: Die allgemeine Bru- derliebe,, eine Lehre ift, Lie Jeſus Chriſtus zuerft aufftellte, daß endlich bet der Aufnahme in den Bund und in ben Logen gewiſſe Zeichen und Symbole rein chriſtlicher Ratur ind eben jo unabläugbar aber it, daß juft jene chriftliche Lehre von der allgemeinen Bruderliche biefe nicht auf das chriftliche Glaubensbekenntniß beichränkt, fondern die geſammte Menjchheit umfaßt, und eben jo wenig wird Jemand läugnen wollen, daß nicht auch im Buſen zahlreicher Juden, Muhamedaner, Hindus, Ehinefen x. Herzen fchlagen, die empfaͤnglich find für jeden Hochſinn, jede Edelthat, jedes reinmenjchliche of bie folglich

IV.

18 Selzasliic, Gulturiſchichte. 2:

innerlich volltommen befähigt find, dem Maurerbunde anzugehören. Man hat nun in biefer Beziehung mancherlei Wege eingefchlagen, theild das chriftliche Brinzip in den Logen feitzuhalten, theild Richtchriften legtere nicht geradezu zu verfchließen. In manchen Ländern und auch noch in Preußen, iſt Israeliten der Butritt verfagt, andere Logen, wie z. B. der ſaͤchſiſche Logenbund, nehmen Inden nicht auf, feinedivegd aus religlöler Unduldfamfeit, jondern weil der Jude, fo lange er folcher bleibt, unmöglich mit gutem Gewillen einen Eid auf die ganze Beilige Schrift alten und neuen Teftamentes leiften Fann, und die juridifche Klauſel eines fogenannten Ju den ei des in den Logen noch nicht Einführung fand, auch nie finden wird, da mehr und mehr zu Tage tritt, wie die heutige Gerech⸗ tigkeitspflege das Volk fo recht eigentlich Dazu bindrängt, in dem Eide nur eine leere Formel zu erbliden und mit ihm zu jpielen, wie die taufendfachen Anflagen auf Meineid beweilen. Dagegen erlauben jene Logen I6raeliten, die fich als irgendwo anders in gerechten und vollflommenen Logen aufgenommene Breimaurer beglaus bigen, gern den Zutritt al8 „befuchenden Brüdern,“ wodurch der Geift des Bundes und zugleich das Geſetz gewahrt wird. In England, wie in Frankreich, Belgien und Rordamerifa fteht Juden der Zutritt offen, und eben fo haben Iſra⸗ eliten, vom @eift und Streben des Maurerthums befeelt und durchbrungen, ſelbſt Logen für den Kreis ihrer Olaubensgenoffenfchaft begründet, wie fich aäͤhn⸗ liche® auch bei den Bekennern der Echte Muhameds, und bei ben Anhängern des Fo und Gonfutfe findet.

Dieſe verbreiten das Maurerthum unter fly, unbeirrt durch die Frage, ob Deutfche Logen die ihrigen anerkennen, oter nicht anerkennen, benn dad wahre Maurertfum ficht fo hoch über dem Logenthum, wie das wahre Chriſtenthum über den Blaubend-Epaltungen innerhalb jeine® Schooßes.

Und weil es fo ift, Darum flüchten jo Viele in die ftillen Zufluchtsftätten bes Maurerthumd, dort den @eift der Die ganze Menjchheit umfaſſenden Bruder⸗ liebe au atbmen, ſich und andere geiftig zu erheben und erheben zu laffen, fich ftttlich zu Fräftigen,, der Geiſtesverfinſterung, wie und wo fie fich zeige, entgegen gu arbeiten, nicht minder aber auch ber Freigeifterei und dem lUnglauben denn nie wird ein Gotteslaͤugner ein guter Maurer fein nach innerer Wahr⸗ heit und Klarheit immer mehr zu fireben, der Welt des Gemüthslebens mehr als dem geräufchvollen Treiben der Alltagd» und Verkehrswelt anzugehören, und nach beiten Kräften alljeitöhin Thaten des Wohlthund und der Menichenlicbe auszuüben. \

Der reichhaltigen Literatur, welche Durch die Breimaurerei hervorgerufen worden ift, kann bier kaum anteutend gedacht werben. Sie mehrt fich alljähr- lich anſehnlich und gewährt cin anziehendes Studium. Die freimaurerifche Bibliographie umfaßt Einzelwerke über die Geſchichte des Maurerthuns, Werfe für, Werke gegen daffrlbe, Werke über Geſetze, Cinrichtungen, Formen, Berfaffungen ac. der Freimaurerei; Logenreden, Kogengefangbücher, maurerifche Gedichtſammlungen, maureriſche Katechismen, Werfe über Ordensweſen im Allges meinen und Beſonderen, Die zum Iheil den Maurerorden mitberübren, oder ihm falſche und fabelhafte Abftammung anweilen. Dahin gehört auch Die oben noch

Geſchichte, Geik und. Husbpeitung. der Freimaurerei. 19:

wicht erwähnte, lange gegfaubte Fabel, daß dad Maurerthum im Rofentreus: zerorden feinen. Urfprung geivonnen habe. Dieter theofophifchmyftifche Or⸗ den, begründet auf ein phantaftifched Buch, das fchon 1459 geſchrieben worben fein fol, und der bereits 1597 ‚in feinen Anfängen erfcheint, pflegte vorzugs⸗ weife ein Schooßkind feiner Zeit: Aichymie, Goldmacherei und Suchen nach dem Steine der Weifen. Er gebar aus feinem uͤberfruchtbaren Schooße fo viel uͤber⸗ ſchwaͤnglichen Unfinn, wie nie eine menfchliche Berbräderung, doch die Freimau⸗ rerei gebar er keineswegs. Wohl aber verfuchten üäberfpannte Maurer erft in ber Mitte des 18. Jahrhunderts die Rofenkrenzerei in die Breimaurerei hereinzuzie⸗ ben und anf den edeln Stamm ein fchlechted Reis zu pfropfen. Dabei lief viel "Relgung zu Trug und Täufchung unter, und Ausbeutung Krüberlicher Leichte gläubigkeit für eigenfüchtige Zwecke. In Frankreich, wo man ſich gern an geheimniße volle Formen anlehnt, fpielt noch immer „der fouverain Prince Rofecroir als Hochgrad feine Rolle. Das deutſche Maurerthum bat ſich von dieſem Aufak frei gemacht. | |

Ferner giebt es Raurer-Biograpbien, maurerifche Enchelopädien, maurerifche Zeitfchriften und Tafchenbücher, auch. eine maurerifche Rumismatit. Selbft die ſchöne Wiſſenſchaft benugte das Maurertfum zur Grundlage vieler Oxrdensromane, Ordensſchaufpiele u. f. w., von denen freilich Die Mehrzahl der Verfafler arg im Dunkel ſchwebte und manches entftellte Bild Lieferte, wenn nicht gar der unwür⸗ dDige Zweck zum Grunde Tag, bie Freimaurerei lächerlich zu machen, wie es bei manchen diefer Stüde der Fall if.

Das letztere verdient aber eine über die ganze Erde verbreitete Genoſſen⸗ ſchaft, welche die edelſten Kräfte und die wirdigften Männer unter ihre Bundes« glieder zählt und unentlich viel Gutes ftiftete, am allerwenigfien, und wer es Dennoch verfucht, zeigt fich jehr Flein am Geift und fehr arm am Herzen.

Ueber die Verbreitung der Brelmaurerei durch die Staaten und Länder der Erde, unter allen Zonen, follen nun die nachflehenden Erörterungen ein treneß, bis zur neneften Gegenwart reichended Bild aufrollen, gleichjam den ſymboliſchen Zeppich, auf den der maurerifche Tempelbau gezeichnet ift, ber bie ganze Erde, die ganze Menfchheit in ſich fchließt.

Spanien und Portugal empfingen das maurertjche Licht durch Frank⸗ reich und England. Bereits im Jahre 1726 wurde von London aus bie erfte Loge zu Liffabon begründet; doch in beiden Ländern reichten alte Baubüttenfagen weit hinauf in der Zeiten Frühe, die man nicht unterließ, freimaurerifch auszu⸗ deuten. In beiden Ländern aber auch trat der geiftliche Fanatismus durch bie Inquifttion dem Maurerthum auf das feindfeligfte entgegen, und in beiden Läns dern fehlt es Tegterem nicht an einer Zahl blutig hingeopferter oder auf Scheiter- Haufen verbrannter Martyrer. Beichultigungen ber widerfinnigften Art wurden gegen die Freimaurerei gehäuft, dennoch gewannen nächft Liffabon auch Goimbra, Porto und andere Orte Logen, ja 1805 ward eine Großloge zu Liffabon errich tet, und 1807 fand das Logemveſen durch den Einmarſch franzöflfcher Truppen eine bedeutende Stüge, Dagegen blieb auch fpäter neue Verfolgung nicht aus. Doc; auch dieſe behielt feinen Beftand, und es beftehen jegt in Portugal 4 Große

2*

2 en NA OD

er fepte fich fort. » Hohe Blürhe und warmes Leben unter Iojeph Napoleon ; kalter Froft und Tod unter Kerbinand VII, wieder Blüthe unter den Gortes, 1820; neue Verfolgung bid zur Bogelfrei-@rflärung aller Freimaurer 1826. Das Jahr 1827 ſah das Martyrertfum von 7 Gründern einer Loge in Granada; aber immer wieder verjümgt ſich auf feinem Scheiter⸗ baufen ‚der, alte Phönir, und könnte man aud) im Bezug auf die Freimaurerei ET elarior in —— nehmen und behaupten. Rama nn nt:

Inder Schweiz begann maureriiche® Reben bereite 1737 au Gef, wo 1786 ein Großorient erricdytet wurde. Viele Logen, manche von England aus begründet, manche von Franfreich and, arbeiteten unter Großlogen dieſer Läne ber; manche gingen ein, andere bauten fich neu, jo daß es eine Zeit gab, in welcher die Stade Genf allein 20 Logen umſchloß; nicht minder lebhafte Bes tbeiligung am Maurerthum fand im Canton Waadt Statt, wo Lauſanne allein 7 Bauhütten zählt, und außerdem jeder größere Ort minbeftens eine, Im Gans» ton Reuenburg beſtehen 3 Logen. Im Ganton Bern wirkte vorzüglich an⸗ regend die Loge zur Hoffnung und begründete, indem fie unter dem Große oriente vom Frankreich arbeitete, Zogen in Lauſanne, Baſel und Solotburm, Letzterer Canton ift ganz Fatholifch, und die dafelbft begründete Loge befteht nicht mehr, Im Ganten Aargau befteht feit 1811 die Loge zum Wilhelm Zeil, jezt zur Brudertreue genannt, Im Canton Zürich bat hicht nur die Hauptſtadt, ſondern auch Winterthur eine Baubütte; zu Zürich gründete ſich 1844 der ee un een ſich angefchloffen haben.

Der anton Gt. Baklen pattefek 1816 cine. dog; * daft das vorwaltend katholiſche Element dieſes Cantons und feiner Gaupaftadt auch bier feindlich entgegentrat ; die Loge Goncordia befand nur jehu Jahre und dedte

Ben

Geſchichte, Geil unk ;Unsbreitung der Freimaurerei. 21

bar. Aehnliches war im Ganten Graubünden ter Fall, wo die 1817 u Ghur gegründete Boge zur Freiheit und Eintracht nach faſt 20jäheigem:Weftchen ihre Arbeiten einftellte. Der 1844 begründete Großorient Alpina zählt nun jest 16 Logen in dem Oriente von Zürich, Bern, Bafel, Neuenburg, Aarau, Winterthur, Lauſannt, la Ehaur de Fonds, Locle, Ber, Vevah, Aubenne, Genf (2), Rolle und Aigle. Hoffentlich ift auf lange Zeitdauer die politifche Wirrniß in der fhönen, freiem und treuen Schweiz vorüber, und das Bruderleben der freien Maurer geht in diefem Lande freier Maͤnner ohne Trübung und fegensusll mit allem Acchten und Guten Hand in Hand.

Bon Italien wird Riemand umfaflende Berichte über Andobreitung der Freimaurere i erwarten. Man nannte in dieſem Lande die Freimaurerri urfprünglich nach ihrer erſten Begründung im Jahre 1738, die zu Florenz durch Lord Sadville, Herzog von Middleffer erfolgte: Cacchiära oder die Mau- rerkelle. Daß die Maurerei in Italien verboten wurde, erſcheint gleichſam ſelbſtverſtaͤndlich, und e8 gingen in Reapel geftiftete Logen ebenſo wieder ein, wie die in Sicilien begründeten. Auch in Rom, Benedig und Verona vermochte das Logenthum nicht, fich zu erhalten, und das neue Leben, welches es unter Murats Regierung gewann, war von nur allzukurzer Dauer. Wie die zum Schutz des Papftes nach Rom entjandten franzöftfchen Truppen e8 halten, ob fie den, zu deſſen Schug und Schirm fle berufen find, fragen, ob er ihnen maureriſche Ar⸗ beiten geftatten wolle, oder ob fie ihn nicht fragen? ift nicht befannt geworden, höochſwahrſcheinlich aber dürfte fein, daß fle ihn nicht fragen.

Ein trübes Spiegelbild der Kreimaurerei, Doch nur vom Standpunkte eines Geheimbundes auß, ohne geiftige Tiefe, ohne Höhere Menſchheitzwecke, ohne von einem Ideal getragene Idee bildeten in Italien Die durchaus politischen Ber eine der Barbonari, zu deutſch Kohlenbrenner. Weil die Maurerei aus Baubätten entflanden, wollte die Carbonaria aus Köhlerhütten entftanden fein, und ed wurde ſelbſt von ſchott iſchem Urfprung gefabelt. Gigentlich tauchte dieſe Koͤhlerei erft im Jahre 1820 auf, ahmte die Freimaurerei nach, ſprach aber nur in Bildern und Symbolen, die dem armfeligen Köhlerleben entnommen wurden, und machte in Revolutionen. Mit Recht wurde died hochverrätherifche Buͤndniß, das noch Dazu nicht einmal zu irgend einer erheblichen Geltung gelangte, befeitigt, und die Freimaurerei hat nichts mit demfelben gemein und zu ſchaffen, „da es nie ihre Aufgabe war und jein kann, dad wälfche politische Banditenthum, wie daflelbe noch immer bei Mazzini und Eonforten zu Tage tritt, zu begünftigen oder zu fördern. Da fein Unfinn anſteckender ift, als nächft dem religiös⸗ſchwaͤr⸗ menden der politifche, fo gab e8 auch Weiber in Italien, welche unter der Bes nennung von Gärtnefinnen ſich geheimbündelten, und nun die Garbonari nachäfften. Auch diefer Verwirrung des politiichen Fanatismus in Italien und der Lombardei wurde durch Defterreich ein Ende gemacht.

endet fih der Bli nach Belgien, jo begegnet er in diefem Lande eben⸗ falls dem Mißbrauch der Freimaurerei zu politijchen Zwecken, aber nidyt in jo niederreißendem Sinne, wie in Italien. Der Grand-Orient Belgique huldigte allzu hervortretend der demofratijchen Bewegung und ftrebte der Sreimaurerei durch

2 2 wann, Mur: ira

Phrafen von Fortſchritt in flaatlicher, kirchlicher und gefelliger Beziehung neue Wege zu bahnen, während fein Maurer. dem. wirklichen Fortſchritt im GStaats⸗ und kirchlichen Leben und ber gefeglichen und vernünftigen Freiheit ab- hold fein wird. Diefer wühlerifche Grundftoff im Weſen der belgijchen Maurerei fonnte daber in Deutfchland nicht ohne Widerfpruch bleiben, und es hoben dar⸗ :auf bedeutende Großoriente in Deutichland alle und jede Verbindung mit dem Großorient von Belgien auf, denen ich auch die Großloge in Stodholm zuge ſellte. Es ift dies indeß wieder eine ganz andere Art von entichiedener Gegen⸗ verwahrung, als jener Ein- und Widerjpruch, den die Fatholifche Klerifei Bel⸗ giens gegen die Freimaurerei jene® Landes dauernd erhebt, der tie wachfende Ausbreitung des Maurertfumd dort, und deſſen für Das Volk unverkennbar wohlthätige Wirkjamkeit ſtets ein flechender Dorn im Auge ift.

»* Holland, bi 1830 noch mit Belgien vereinigt, überfam die Freimaurerei von London aus bereitd 1731, und zwar wurde die erſte Bauhütte im Haag aufe gefchlagen; dort wurde Kranz Stephan, Herzog von Lothringen, in den Bund aufgenommen, und es fchlug dann fpäter in ihm doch ein Maurerherz auf dem Ihrone der deutfch-öfterreichifchen Kaifer. Gleichwohl wurde 1735 der Maurer band durch die Generalftaaten verboten, und Kaijer Karl VI. fäumte nicht, das Berbot auch auf die Provinz Flandern und bie k. k. öfterreichifchen Niederlande zu erfiredien. Die Furcht flieht überall ſchwarz und erträumt Gefahren, wo feine find. In Aniſterdam unterfagte der Magiſtrat die Berfammlungen der dort im Jahre 1735 gegründeten Loge und lich die oberften Beamten derfelben verhafs sen. Diefe forderten den Magiftrar auf, eined feiner Mitglieder in den Bund aufnehmen zu laſſen, das ihm dann treulichen Bericht erflatten werde. Died ge⸗ ſchah und der Bericht fiel fo aus, daß faft alle Rathsmitglieder zur Loge traten. Seitdem blüht der Bund in Holland und ben Niederlanden ungehenmt fori, er gründete bedeutende Wohltbätigkeitsanftalten,, verbreitete da8 Maurerthum auf feinen oftindifchen Colonieen und Sandelsplägen, in Surinam, St. Euſtache und St. Martin, und e8 nahm im Jahre 1816 Prinz Friedrich Wilhelm Karl die Würde eines Rationalgroßmeifters aller Logen Hollands und der Rieder⸗ Sande an.

Ju den drei ſcandinaviſchen Königreichen nehmen Schweden und Ror- wegen ein hohes Alter der Einführung der Maurerei für fih in Anſpruch. Jedenfalls drang fle früher in diefe Reiche, ald nach Dänemark, entichieden bereitö 1736, und zwar aus England. König Friedrich I. verbot fie 1738 und zwar bei Todeöftrafe, allein fpäter jah das Schwediſche und Rorwegifche Maurer« thum den König felbft an feiner Spige.

Xeider blieb auch bei den „Franzoſen des Nordens,‘ wie jemand die Schwe⸗ den genannt bat, das franzöfliche Schwärmerweien nicht fern, und es wurden Grundſtoffe in die Maurerei eingetragen, die in diefelbe nicht gehörten. Dahin ift der Einfluß der Schwebenburg’jchen Theofophie und Myſtik zu rechnen. Et⸗ was Emanuel von Swebenborg, etwas Chriſtian Roſenkreuz und etwas mehr Weishaupt als Weisheit bildeten das mixtum compositum im Schmelztiegel des ſchwediſchen Syſtems, dem es gelang, für eine kurze Zeit in England, in Ruß⸗

Geſchichte, Geiſt wer. .Mnähreitung der Freimaurerei. 23

land und ſelbſt in dem hellſehenden Preußen Anhang und Anklang zu finden, nachſtdem, daß das ſchwediſche Maurerthum auch feine politiſchen Phafen unter König Guſtav HI. durchlief, deſſen Sekretair Blörnrom und der Hofſekretair Karl Adolf Anderſon Bohemann, letzterer Haupt der „aflatifchen Brüder‘ nicht ermangelten, ihren nicht juft fr das wahre Maurerthum fürderlichen Ein- Auf geltend zu machen. Auch Diefe aftatifchen Brüder, ein 1780 in Defterreich aufgetauchter Geheimbund mit Roſenkreuzer'ſchen Ideen und Symbolen waren nicht frei von myſtiſch⸗theoſophiſch⸗kabbaliſtiſchen und alchymiftifchen Träumereien, die dem Maurerthum bei. Elaren Denkern und Menſchen lichtuollen Verftandes nur ſchaden fonnten und gejchadet haben, auch Viele in der falfchen Annahme beitärkten, dad Weſen der Maurerei beftche in gebeimnißvollen Künften und zum Theil metallurgifchen Wiſſenſchaften. Diefem Wahne ift e8 zuzufchreiben, wenn fi) im gemeinen Volke der hie und da wohl auch Durch die Geiftlichfeit katho⸗ liſcher Länder wiffentlich verbreitete Wahnglaube feftjeßte, die Freimaurer feiern eitel Zeufeldbanner oder Teufeldbündner, Goldmacher und Hexenmeiſter.

Polen, ein in allen Dingen und leider vielfach durch die eigene Schuld feiner Benölferung unglüdliches Land hatte auch mit der Freimaurerei fein Glück. Diele fand dort 1736 von England aus Eingang, aber Papſt Siemens XII. warf auch dorthin gegen fie feine Bannbullen. Gleichwohl entftanden 1742 bis 1749 wieder 3 Logen, und 1769 wurde eine Örofloge zu Warfchau gegründet. Die Theilung Polens, welche die Landeshanptftadt unter ruſſiſches Scepter fellte, vernichtete bie polnischen Zogen mit Ausnahme des an Preußen gefallenen Antheils. Wenn indeß Rußland in den Kortfchritfen, den dort in neuefter Zeit die ges fellige Bildung nimmt, bebarret, fo wird auch in Polen das Maurertbun aufs Reue erwachen und frijchen Aufichwung gewinnen.

In Rußland wurde zuerft 1731 durch Die Großloge von England eine Loge in Moskau gegründet, die große Kaiferin Catharina fchügte diefelbe gleich ihrer Borgängerin Unna Iwanowna, ed entflanden in Petersburg und anderen Städten des Czaren-Reiches Logen, welche indeß Paul I. aufhob. Doch blühte der Bund im Geheimen fort, und Kaifer Alexander I. trat demſelben jelbft bei, wurde deſſen Beſchützer, und St. Peteröburg erhielt eine Großloge. Diefer Schuß hatte Beitand bis 1822, in welchem Jahre ein Ukas Kaifer Aleranders ihn zurücdnahm und den Bund verbot. Gleichwohl gewann im Jahre 1857 die Sreimaurerei wieder neuen Boden, indem Kaiſer Alexander II. diefelbe wieder duldet und zur Erweckung eine befleren Geiſtes in der Beamtenwelt und einer treuen Anhänglichkeit an die Regierung viel von ihr Hofft.

In der Türkei drang das Maurerthum ebenfalld durch England 1738 zuerfi ein, und in berjelben wohnende chriftliche Maurer errichteten Xogen in Gonftantinopel, in Smyrna und in Uleppo, welche aber dem Drude der türfi« ſchen Regierung erlagen. Allein mittlerweile haben einfichtvolle Muſelmaͤnner felbft dad Weſen der Maurerei begriffen, fich über defien Gehalt und Formen unterrichtet und Logen begründet, in denen fie chriftliche Maurer als Brüder zu⸗ laſſen/ Die Angehörigen diefes Buntes enthalten fich grundfäglich der Vielweiberei und üben namentlich durch das Loskaufen von Sklaven Werke der Barmherzigkeit.

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ber m nenne en nen wieder eine neue Loge: zur Treue, (Fidelity) in Darjeling begründet, In Madras ‚arbeiten drei Logen, wie auch mehrere in Bombay, in Ballary (Provinz Fa⸗ Hagbanı) IM In Singapore am öfttichen

Ende der Meerenge von Malakka blüht Logenleben; auch Bondichery hateine Bauhütte. Die Logen in den niederlaͤndiſch- oftindifchen Beſttzungen arbeiten unter der großen Randesfoge des Orientes SGravenhaag, (Haag im Königreich

der Niederlande), Auf Java arbeiten Logen zu Batavia, zu Samarang und zu Surabapa, meift in höheren Graben und rg —— Auf der Inſel Ceh lon in Colombo, wie in Tranquebar blühen Logen.

Beh der gewaltigen Miſchung und Strömung verſchiedener in jenen fernen Ländern iſt es nicht wohl möglich, das chriſtliche Religionsprin⸗ ‚gi, jo wie in Deutfchland, im Maurerthum faft ausſchließlich feſt zu Halten und

die Aufnahmefragen ſchließen die eine nad) dent Meligiond- oder Glaubensbe—

kenntniß des Aufzunehmenden aus. Eine Loge in Madras beſteht nur aus Brama-Anbetern, Mufelmännern und Parſen.

In Ehima hat Hong- Kong eine Loge, bie zwar meiſt aus Engländer ‚gebildet ift, aber feinen anderen Volkoſtamm ausſchließt. Nicht minder befteht bie Loge Royal-Suffer in Canton aus den angefehenften enropäijchen Einwoh- ‚mern und befindet ſich im blühendften Zuftande. Selbſt in das entlegene und ——— Japan er Maurerthum und befinden ſich Bogen da⸗ ſelbſt.

Was den Welttheil Afrika barit fo wurde oben ſchon erwähnt, * nach dem Caplande, von England und von Frankreich aus, das Maurerthum gelangte, wo daſſelbe in der Capſtadt in 5 Logen noch immer fortblüht. Nicht minder finden ſich Logen in der Sierra Leona, in Port Louis, St. An- br&, auf ber Infel Bourbon und in Senegambien, Einefpätere Beit ließ auch durch Frankreich die Maurerei im Algerien Boden gewinnen, und Algier, wie Blidah, Borna, Budfcha haben Logen, die ihre Verbindung

nach aufen zum Theil nicht blos auf den Oroforient von Paris und auf Frank⸗ reich beſchraͤnken. Zu Batharſt in Gambia arbeitet eine Loge unter der Grof-

Geſchichte, Geiſt ms Antineitug der Freimaurerei. 25

Lage von: Eugland. Ja ſelbſt im Negerſtaate Liberia, au Afrika's Weiltüfle, zu Bowsorim. fteht eine Loge von Europhern und farbigen Eingebornen im hohen Kor. I Nichtet ſich dev Blick nach Amerika, fo findet ex dort dad regſte Logru⸗ Seben entwickelt, über weiches fich ſehr weitlaͤnftig werdrn ließe. Im 18 der be⸗ dentendſten Städte. Rordamerikas beſtehen Großlogen, unter denen zahltriche Tachterlogen arbeiten, deren Gefammtzahl weit über 1000 angeſchlagen wirk. Im Jahre 1843 wurde eine General⸗Großloge zu Washington zu errichten von den fänmmtlichen Groß⸗Logen der Bereinigten Staaten beſchloſſen. Deutfche Logen zählt allein Rew⸗York 5, eben fo Befinden ſich foldye noch in andeven Städten, Unter dem Ramen Maſonia beftcht ein Logen-Berein zu Rrw dert, ver fi much mit Deutichland in Verbindung geſetzt hat. Viele, theild engliſche, teils deutſche Beitichriften find außjchlieglich maurerifhen Angelegenheiten. ges widmet, bie Bahl ber wieder eingegangenen und noch beſtehenden Beitfchriften veicht nahe an 50.

Bei vielem Licht fehlt «8 in den Maurerthum der Bereinigten Staaten auch nicht an Schatten, denn was nügt alle Pflege bed Maurerthums, wenn das Men⸗ ſchenthum mit Küßen getzeten wird?. Haß und Verachtung gegen. bie Far bu⸗ gen, bie eben fo unmenfchlich, wie ſündlich und unchriftlich Rab, find fo tief gewurzelt, daß Fein Barbiger daran zu denken wagen darf, in den Logen ber Ein- gebernen jemals Zutritt zu erlangen.

Daher haben die freien Farbigen, Menfchen amd Chriſten, fich ſelbſt Logen begründet und es beſtehen deren auf Hayti, in Maſſachuſets, in Pen⸗ fyIvanien, im Ohio-Staate, in New-Merfay, in Maryland, welche unter einer Großloge von Rorbamerifa arbeiten. Den Danfees und zumal den Sklauenhaltern gelten diefelben freilich nur als Winkellogen, denn trog dem prahlerifchen Zurſchautragen ihrer fogenannten Freiheit find jene noch fo unfrei von unaustilgbaren Borurtheilen und fo unbefeelt von chriftlicher Menſchen⸗ und Brubderliebe, daß fie die Farbigen, mögen fie fo edel und achtungswürdig fein, wie fie wollen, verabicheuen und fich gegen dieſelben jede Kränkung erlauben. Wenn man bie wiederholten Richtöwürbdigfeiten lieſt, welche, bis zum Lynchen außichreitend, in Amerika felbft gegen freie Männer gerübt werden, die nur irgend den Farbigen das Wort reden, oder fich ihnen geneigt zeigen, in ihnen den Menſchen mindeflend geachtet, wiffen wollen, fo erfchrickt man vor der Rohheit, die in jenem Lande fund zu geben die Stantd« gewalt geftattet; man erſchrickt vor einer Freiheit, die Thaten der empörend« ſten und unerträglichften Tyrannei ausübt. Doch eine andere Beit wird kommen, wenn auch nach großen Völferfänpfen und nach vielem Blutvergießen, welche die Sflavenhalter zwingen wird, ihre Arbeiter ald freie Männer zu halten und zu bezahlen, oder ihre Arbeiten felbfteigenhändig zu verrichten, und wenn fie beides nicht wollen, fich andere Zweige des Erwerbes zu fuchen. Es wird darum doch nie an Zuder, Tabak und Baumwolle mangeln, und ber Berluft, den die Sflavenhalter erleiden, wird der Menfchheit, der Menichlichkelt und dem edlen Menfchenthbume, das man mit einem Fremdwort Humanität

- 2% ungen ulturgeſchichte.

zu bezeichnen liebt, zu Gute kommen. Bor allen aber wird das europkifche Maurerthum auch die Logen der farbigen Mitbrüder anerkennen, und ihnen da⸗ durch für immer das Heiligthum eröffnen, das feinem fich verfchließt, der nach Chriſti Ausfpruh: Gott fürchtet und recht thut.

In Merico beſtehen 20 Logen unter einer Großloge, nachdem früher mancherlei zweckloſer politiicher Hader das Logenleben in jenen Staaten getrennt und getrübt und noch dazu das Pfaffenthum e8 verfolgt hatte. In Texas zählte man bereitö im Jahre 1842, 15 thätige Logen.

Es bleibt noch ein Welttheil, Auftralien mit Polynefien. Auch ihm ging das maurerifche Licht in glänzender Weile auf. Zweihundert Logen, unter den Großlogen von London arbeitend, blühten dort bereitö ziemlich Lange, namentlich in Südwales, in Weft und Sübauftralien, felbft auf Bandiemens Land ihrer fünf; in Melbourne arbeiten zwei, eben fo find mehrere in den Diggins (Anftedelungen) verteilt. Unter dem Großmeifter von Reu-Süd- Wales arbeiten Logen zu Bakaorut, Eaftlemain, Landhurſt, Berhworth und Gee⸗ long. Auftralien Kolainnig arbeitet unter ſchottiſcher, Lauenſton unter irifcher, und eine Loge auf Ban Diemensland unter englifcher Leitung. Zu Adelaide in Renauftralien blüht auch ſchon die Roſe des Maurerthums.

Die Sandwich-Infel Woahu befigt eine 1842 begründete Loge zu Hana⸗ ruru, und der König berjelben gehört ihr an.

Diefes ift der große unzerflörtere BundesRing bed Maurerthums, Glied an Glied, Hand in Hand, Gerz an Herz.

Liebes⸗Ketten fchlingen fonder Ende, Um den weiten Erbball Bruberhände.

Die Bankfrage und das Rankweſen in Deutichland. Bon Dr. $. Aöppe.

J.

Streit über dad Bankweſen. Staatsbanken oder Privatbanken? Teu— denz und Einfluß der preußiſchen Bankpolitik. Vorurtheile gegen die Banken. Vorſchlaͤge zur Hebung des Bankweſens: Binführung der Peelſchen Bankakte. Durchführung des Prinzips der Deffentlichkeit. Staatskontrole oder eigene Sorge des Publikums? Natur der Ban ten. Sie find Geldhändler. Unterfchied zwiſchen dem Gelde und den Geldfurrogaten. Praktifhe Folgerungen. Cinlösbarkeit der Bank. verbindlichfeiten. Baardedung der Noten. Rachtheile des Syftems großer alleinherrfhender Staatsbanken. Vorzüge der Konkurrenz unter Meinen Privatbanken.

Das Bankweſen ift in den letzten Jahrzehnten der Gegenfland wichtiger prin- zipieller Streitfragen geworden, von deren Entfcheitung großentheilß die Zukunft unferer wirtbfchaftlichen Entwidelung abhängen wird. Den Kernpunft, um wel- chen dieſe Fragen fich drehen, bildet die Stellung des Staates zu den Banken. Soll der Staat unbedingte Bankfreiheit gewähren, auf jede Einmifchung in die Leitung der Banken verzichten und feine Kontrole auf dasjenige Maaß bes fchränfen, welches durch das öffentliche Interefle geboten ift ? Mit anderen Wor- ten: foll ed Privatperfonen oder Aktiengeſellſchaften geftattet fein, Banken zu er⸗ richten, und unter welchen Bedingungen und Garantien? Oder ft ein mit dem Monopol zur Betreibung von Banfgefchäften ausgerüfteted Staatdinftitut den wirtbichaftlichen Bebürfniffen der hantels und gewerbetreibenden Klaffen dien- licher und deshalb einem Eyſtem Eleiner Eonfurrirender Aktien» und Privatban⸗ fen vorzuziehen? Es handelt ſich aljo zunächft um Zeftftellung derjenigen Grund⸗ fäße, welche für die flaatliche Beaufjichtigung der Banken maßgebend find. Daneben wird aber ‘auch fortwährend geftritten über einzelne Zweige des Bank⸗ weſens, jo namentlich über die Rotenausgabe, über die Zulaffung und Beichrän- kung derjelben, ſowie über die Garantien für die Einlösbarkeit. Das in Preußen ergangene Verbot der Zahlungsleiftung mittelft fremder Banfnoten und bie drüdenden Befchränfungen der preußifchen Privatbanfen haben den Streit von

28 Rationaldtonomie,

Neuem angefacht, und es iſt noch gar nicht abzufehen, wie ein Meinungskampf endigen wird, in welchem alle möglichen Anfchauungsweifen, von ber alten un- ausrottbaren, monopoliftifchen an bis zur entichieden freibändlerifchen herab, chaotiſch durcheinanderwogen. Indeſſen darf man wohl hoffen, daß das Gewicht der Gründe, welches die zahlreichen Anhänger einer vernünftigen Banffreiheit in die Waagfchale zu werfen vermögen, zulegt den Ausſchlag geben und unfer noch fehr im Argen liegendes Bankweſen in bie Bahn wirthſchaftlicher Bejeg- lich keit Anuhalaen werde.

Bor nicht gar zu langer Zeit war noch unter unſeren Staatsmaͤnnern und in den weiteren Kreiſen des Vablikums die Anſicht vorherrſchend, daß bie Staatsverwaltung allein oder doch vorzugsweiſe zu einer richtigen Leitung des Bankweſens befähigt ſei. Man glaubte allgemein, -die Kolliſionen zwiſchen den fogenannten Bankpflichten der Regulirumg des Geldumlaufs, Unterftügung des Handelöftandes, Sicherflellung der Banf und ihrer Gläubiger, Fluͤſſig⸗ erhaltung der Depoftten auf ihr geringfted Maß zurüdzuführen, wenn man die Banken zur Staatdanftalt machte. Die vielgeäußerte Beforgniß, daß fle in den Händen der Staatsregierung leicht zu einer Finanzanſtalt des Staated wer⸗ den koͤnne, ward unzeitiged Mißtrauen gefcholten. Man fchien zu vergeiien, daß ſaͤmmtliche europäifche Staatsbanken fallirt Haben. Kurz, Deutichland war auf dem beiten Wege, das unheilvolle Soſtem außichlieglich priviligirter National⸗ oder Siaatsbanken von dein franzoͤſiſchen Nachbar zu entlehnen. Zum Süd hat unfer natlonales Erbübel, der Mangel an politifcher Einheit, und vor biefem wie vor anderen wirthſchaftlichen Mißgriffen bewahrt. Die deutfche Kleinftaaterei ge» flattete eine freiere Entfaltung des Bankweſens, als fie in den einheitlichen Staa⸗ ten des europäijchen Feſtlandes und felbft in Preußen möglich war. Neben den privilegirten Staatb« und Quaſiſtaatsbanken erhielten wir ein „Stuͤck Banffrei- heit,“ daß freilich in feiner jeigen rohen Geſtalt noch ſehr viel zu wänfchen übrig läßt. Aber am fo mehr iſt es unfere Pflicht, die noch unentwidelten Keime des Outen zu pflegen, um dereinſt den praftifchen Beweis liefern zu können, daß die Konkurrenz unter Eleinen Aftien- und Privatbanken die befte Barantie für Die richtige Leitung einer Bank iſt. Freilich eime ſchwierige, ja man kann wohl fagen eine unerreichbare Aufgabe, fo Tange bie preußiſche Bankpolitik ihren reſtriktiven Charakter beibehält, fo Tange fe nicht aufhört, die natürliche Entwidelung des Bankweſens zu hindern und zu flören. Durch diefe Politik des entfchiedenften Mißtrauens und der Ängfllichften Bevor⸗ mundung iſt das deutſche Banfıweien von vornherein in eine faliche Richtung ges drängt worden. Die Befchränkungen und Verbote auf der einen Seite haben zu unnatürlichen Auswüchfen und Mebertreibungen auf der anderen Seite geführt, und fo bat man denn freilich Teichted Spiel, Der Menge, welche nur nach dem äußeren Schein zu urtheilen pflegt, die Gefaͤhrlichkeit des Vankweſens zu demon⸗ ftriren. Hätte Preußen die Gründung von Banken nicht gehindert oder maßlos erfchwert, wäre nicht durch drückende „‚Rormativbedingungen‘‘ das gedeihliche Emporkommen der Privatbanfen vereitelt worden, fo würde der Unternehmungs« geiſt fich nicht in daB „deutſche Ausland’* geflüchtet haben, um dort Banken zu

Deutihlanht Baulınöfen. 20

genden, die in Preußen ihr Kanptaeſchaͤft treiben und den Hauptwarkt für ihee Reten Anden ſollten. Die kleineren Deutichen Staaten ihrerſeits verſtießen for lich gleichfalls gegen die wirthſchaftlichen Geſetze, indem fie umfangreiche Brivi» Iogien gewährten und Banken Eonzefflomieten,, deren Betriebbihaͤtigkeit offenbar füp die größeren Staaten bevechnet mar. Diefe Banken, unter Verhaͤltmiſſen entſtanden, die ihnen den Stempel der Unregelmäßigfeit aufdrückten, hatten ihre Heimath nicht da, we fie ihren Geſchaͤftskreis ſuchten. Dieb war eine wirt" ſchaftliche Anomalie und folglich die Duelle großen Unheils. Die Banken wur⸗

burch verleitet, ihre Rotenemilflon übermäßig huszudehnen. Ihren Zet⸗ tein fehlte gerade in Preußen, wo fle maſſenhaft Eurfirten, die volle Garantie der. faktiſchen Eimlößbarfeit, indem Die Auswechslung an dem entlegenen Site den Bank, gewöhnlich einem Plage von geringer oder gar keiner Bedeutung flr Handel und Verkehr, mit vielen Schwierigkeiten und Weitlaͤufigkeiten verbunden wer. Der Rotenumlauf wurde daher nicht Durch jeme regelmäßige Rückſtrömung geregelt, Die bei einem natürlich entwidelten Bankweſen zu jeder Zeit das Ueber⸗ ſchreiten des richtigen Maßes verhindert. Kein Wunder, daß diefe mit dem, Pri⸗ vilegium der Rotenemilfion‘ ausgeflatteten Banken nicht immer Maß zu halten verftanden! Es wird geflagt, fle hätten im Jahre 1856 durch mißbräuchliche Ausdehnung des Krebitgeichäfts Die Ueberfpefulation befördert und bie Darauf folgende Binanzfrifid wenigſtens in ihren primären Uirfachen mitverjchulbet. Aber man follte auch nicht vergefien, Daß es gerade Die Borbeugunge- und Verhaͤnunga⸗ meßregeln einer falſchen Bankpolitik waren, die zu den gerügten Unregelmäßig⸗ feiten und Nußfchreitungen führten. Eine Wandlung biefer Volitik dürfte wicht eher eintreten, «ld bis die im Handels» und Gewerbeſtande herrſchenden Borurs theile gegen daß Bankweien geichwunden find und das Publifum ſich gemähnt bet, daſſelbe als einen naturwuͤchſigen und integrirenden Beftandtheil des Ver⸗ kehrolebens aufzufaſſen. Die thörichte Furcht vor den Zertelbanfen, welche bie Phantafte des Volks mit daͤmoniſchen Zauberfräften auszuſtatten liebt, der ver⸗ haͤngnißvolle Glaube der Geſchaͤftswelt an die wirthichaftliche Allmacht einer Staatsbank, die deutiche Bequemlichkeit und der Mangel an Selbfigefühl waren nad find bis auf den heutigen Tag die mädjtigften Stügen des ſtaatlichen Ein⸗ miſchungs⸗ und Bevormundungsſyſtems.

In der Zeit des fogenannten „BVankſchwindels,“ als die Zettelbanken und Kreditanftalten pilzartig emporfchoflen, konnte man deutlich fehen, wie wenig die Anfichten über das Banfweien entwidelt find. Daſſelbe Publifum, welches An⸗ faugs, von einem raſenden Spekulationsſieber forsgerifien, Durch Börſenſpiel und Ygiotage ohne Mühe reich zu werben getrachtet hatte, goß nach dem Fehlſchlag feiner Hoffnungen tie volle Schale feined Zornes ohne Unterfihieh über Kredite anftalten und Zettelbanfen aus, Den letzteren warb vorgeworfen, daß fie die Welt wit ihren Roten überichwenumten und dadurch eine allgemeine Steigerung ber Waarenpreiſe herbeiführten. Man fabelte son einer Berrüttung des Geld⸗ weiend und propbezeite den Ruin aller Verhaͤltniſſe, wenn ben Banken die Ro« tenausgeabe nicht unterfagt würde. Selbſt die Preſſe ſtimmte mit ein in die un« finnigen Klagen bed Bublitums. Gleichzeitig immchte der alte Vorſchlag wieder

en ſich erde ei EEE TERN

Abtheilung der Bank übertragen. Diefem Vorfchlage gemäß ward die Bank in zwei Departements getbeilt, in ein fogenannte® Issue department (Abtheilung ‚für die Bettelausgabe) und ein Banking department. Nur das erftere Darf dem Publitum oder dem Banfoepartement Noten zur Verfügung ftellen unter Bebin« gungen, welche das Geſetz vorschreibt. Mittelft Diefer Trennung der Banf wollte man aljo die gleichförmige Ab- und Zunahme der Notencirkulation und der Bankfonds, mit einem Worte die Selbftregulirung der Zettelmenge durchfegen, Diefer Zweck iſt jedoch nicht erreicht worden und konnte nicht erreicht werden, weil die Maßregel auf einer falfchen Theorie beruht, welche das Geld nur als Taufchmittel auffaßt. Die Akte bat fich in der Praris nicht bewährt und die Beuerprobe der Handeld- und Geldfrifen ſchlecht beſtanden. Durch die Trennung der Banffonds der Bank ift zwar die Sicherung der Noten erreicht worden, aber nur auf Koften der Depoftten. Dieſe erfcheinen jedesmal gefährdet, wenn in Folge einer ungünſtigen Handelsbilanz eine ungewöhnlich ftarfe Metallausfuhr ftattfindet, oder wenn in Eritifchen Zeiten die Hegiagd nach Baarmitteln beginnt. Gerade in einem folchen Moment wäre ed die Pflicht der privilegirten engliſchen Nationalbank, der hereinbrechenden allgemeinen Kreditloſigkelt, die fie ſelbſt ge— wöhnfich mitverfchulder bat, durch ausgedehnte Darlehnagewährung einen Danım entgegenzufegen. Daran aber hindern fie regelmäßig die Beftimmungen ver Akte,

Dentfchlands Baukweſen. 31 und fo bleibt denn im Augenblick der hoöͤchſten Gefahr nichts weiter übrig, als bie Alte zu fuöpendiren. . Zweimal bereits, in den großen Kriſen von 1847 und 1857, bat man zu dieſem fchten Rettungömittel greifen müflen. Beweis genug, daß es nichts tft mit aller gefeßgeberifchen Weisheit in Dingen, die num: einmal eine flantliche Einmifcyung nicht vertragen. Die nachtheiligen Wirkuns gen ber Akte haben endlich dahin geführt, daß man ernfllich an ihre Abichaffung denft. Und dennoch will man und jet die Wiederholung eines: Grperhments: zumutben, das in England Eläglich gefcheitert iſt!

Richt die Irrthuͤmer, wohl aber die gefunden Grundſaͤtze der Peelſchen Ge feßgebung follte man und zur Annahme empfehlen. Es find Died vor Allem bie Prinzipien des Seffgovernments, der Kontrole des Bankweſens durch Bas Publikum, der möglichſt uneingefhräntten Deffent- lichkeit in allen Berbältniffen der Banken. Wegelmäßige und ſpe⸗ zielle Beröffentlichungen über die Lage einer Bank ſind befiere Garantien für Die wirtgfchaftliche und rebliche Verwaltung derſelben, als alle Einmifchungen des Staats in ihre Grfchäfte oder willfürliche Beſtimmungen über Rotenausgabe, Baarbefland u. f. w. Der Staat würde daher für die Interefien der BVankeigen⸗ thümer und des Publikums am Beſten forgen, wenn er ſich Hauptfächlich darauf beichränfte, jene Grundfäge durch Anordnungen ber die regelmäßige Bere öffentlichung eines möglichft fpeziflzirten Banfftatus, über die perfönliche Ver⸗ antwortlichkeit der Direktoren für die Nichtigkeit derſelben, ſowie über die jähr- liche Rechnungsablage ins Leben zu führen. Es giebt in Deutichland noch immer Banken, die fich beharrlich in ein vornehmes Schweigen hüllen und nur felten einmal aus dem Dunfel hervortreten. Wir brauchen wohl nicht ausein⸗ anderzufeßen, wie verderblich eine folche lichtſcheue Heimlichkeit den Banken ſelbſt und. dem betheiligten Publikum werden Tann. Aber felbft unter denjenigen, bie fich nicht grunbfäglich der öffentlichen Kontrole entziehen, find nur fehr wenige, welche Hinlänglich betaillirte und wirklich brauchbare Berichte veröffentlichen. Die meiften begnügen fich mit der Publikation monatlicher eberfichtstabellen, worin Poſten erfcheinen, welche völlig unverftändkich find, weil fle ganz Verſchie⸗ denartiged aufammenfaflen.

Der eigentliche Zweck diefer Veröffentlichungen iſt Daher gewöhnlich verfehlt, fie ſchaden mehr, als fie nügen. Diefer Tadel trifft namentlich die Statuspubli« Fationen der meiften Kreditanftalten, worin gewöhnlich das Effektenkonto, alfo gerade derjenige Poſten, aus welchem die Lage jolcher Inflitute einigermaßen zu erkennen wäre, in myſtiſches Dunkel gehüllt bleibt. Manche Banken glaub auch wohl den Anforderungen der Oeffentlichkeit zu genügen, wenn fte ihre Bi« lanz in 2ofalblättern befannt machen, Kurz es fehlt in Deutfchland noch immer an dem genügenden Material für die Beurteilung und bie praftifche Kontrole der Banken. Hier alfo hat die gefeßgeberifche Thätigkeit noch ein weites Feld, welches fie zum Heil unferer wirthſchaftlichen Zuſtaͤnde, beſſer als es bisher ges ſchehen, anbauen mag.

An die Stelle des ſtaatlichen Bevormundungsſyſtems muß eben die öffent⸗ liche Kontrole treten, damit unſer Bankweſen auf naturgemäße Weiſe fich ent⸗

der, daß —— ‚Händler ſind. Die Banken handeln, d. d. fie kaufen und verkaufen gewerbomaͤßig und mit ber dem Handel wejentlichen Abſicht des Gewinns.’ Es ift daher in hohem Grade lächerlich, wenn fie in gar een mit edeln Zweclen wie „Börberumg der

haft“ oder ähnlichen hochtrabenden Re—

Schwierigeiten ; —— ee —— —— geſchaͤften verbunden find, wenn möcht zu bejeitigen,, doch wenigſtens zu verrin⸗ gern. Es wurden Beranftaltungen getroffen, um denen, die mit Gelde verkehren, das Gejchäft der Einfaffirung und Auszahlung abzunehmen, wobei ſich noch der Vortheil ergab, daß Geldſummen, welche zwiſchen Perſonen, die ſich derſelben Anſtalt bedienten, hin» und hergehen ſollten, in der Kaffe der Anſtalt gänzlich

unberührt blieben und nur in deren Büchern ſchriftlich von dem einen Beſitzer auf den: anderen übertragen wurden, Solche Anftalten entitanden zuerſt in den mittelakterlichen Gandelörepubliten Venedig und Genua und verbreiteten fich von dort in mehr oder minder vollfommener Form über ganz Europa aus. Nach dem Mufter der Bank von Genua ward im Jahre 1619 die Hamburger Giros banf errichtet, die nach dem klaſſiſchen Ausdruck des trefflichen Buͤſch „die Dienfte einer gemeinen ſicheren Kaffe thut,“ Ihren Zweit, die Geldgejchäfte zu erleichtern und zu vereinfachen, erreicht bie Girobank dadurch, daß fie jedem Depomenten ein Blatt in ihren Büchern, ein Kredit und Debet eröffnet und Zahlungen unter: ben einzelnen Deponenten durch einfaches Ab- und Zuſchreiben vermittelt. Sie t durchaus Feine Geſchäfte für eigene Rechnung und bezieht nur von dem

ten bie zu ihrer Unterhaltung unumgänglic; norbwendigen Gebühren,

0 Urfprünglid waren alſo die Banken nicht anderes als Depofitare, Die jich eins Praͤmie für bie ihnen zur Aufbewahrung anvertrauten Kapitalien zahlen ließen. Wit biefen handelten fie nicht, wın für ſich einem Gewinn zu erzielen. Die Girobanfen dienten, wie noch jegt Die Sparkaſſen umd Leihhäufer , die man wohl 2. Banken ald Mittel zur —— eines höheren

—⏑— J

——

Derfkuutb Barinkien. 83

voltswirthſchaftlichen Zweckes, der ſtets mit ihrem befonberen Keben⸗ zwech zuſammenftel. Dadurch unterſcheiden He fd; weſenitlich von unſtren moder⸗ nen Banken, Die ihrer ganzen Entwidelung und ihrem Charakter nach „zunächft ſich [eis Zuſeck und erſt in zweiter Linie, wenn auch von einem Höheren Ge⸗ ficrayunkte aus, Mittel zur: Erreidyung gewiſſer volkswirchfchaftlicher Zwecke ſind.“) Was man auch gegen dießſe Entwickelung einwenden mag, gewiß wir man einräumen, daß „nicht mehr die Aufbewahrung von Geldern, ſondern deren Benuyung der Zweck, nicht die Zahlungen im Laufe der @efchäfte zu ver- mitteln, ſondern ſelbſt' Geſchaääfte zu machen, die Hauptaufgabe der Banken geworden iſt.“*) Folglich wird man unferen Banken auch diejenige Freiheit der Beivegung zugefteher müſſen, welche zur Benwkung der ansertrauten Gelben, zur Betreibung von Sandelögeichäften unumgänglich nothwendig HR. i Die Waare, mit der die Vanken handeln, ift das Geld, welches «als Ver⸗ ſtanlichung und als Maß der in den Dingen enthaltenen Kaufbefähigung Went.***) Wir unterfcheiben fogleich zwei Funktionen des Geldes: einmal er- füyeint es als Umlanfö- oder Taufchmittel, und ſodann ald Werthmeſſer, 48 .allgemeined Breismap. Man kam eigentlich nur Diejenigen Dinge Selb nermen, welche zugleich Bretömap und Eirtulattonsmittel find, alfo Metallgeld und uneinlösliches Papiergeld. Die fogenannten Geldſurto⸗ gate (einkösliches Papiergeld, Banknoten) find nur Umlaufämittel, An⸗ weifungen auf Geld. Sie vertreten das Geld in der Cirkulation, weil md fo lange die Ueberzeugung herrſcht, day das Geld audgezahlt wird, welches fie res piafentiven: Div prinzipielle Unterfchied zwiichen dem Gelde und den Geldſur⸗ rogaten liegt alſo darin, daß erſteres die beiden Funktionen des Geldes vollkom⸗ men ſelbſtſtaͤndig erfuͤllt, während die letzteren nur vermöge des in ihnen Anthaltenen Verſprechens einer Geldzahlung befaͤhigt find, als Tauſchmittel zu fengirem. Sie müſſen irgend einmal eingelöſt werden, und „dieſe Rothwendigkeii der ſchließlichen Zahlung bezeichnet Die wahre Grenze der Krebitumfäge, ben charalteriſtiſchen Unterfchted zwifchen Kredite und Geldeirkulation.“ +) :: Die Unterſcheidung zwiſchen Geld, weiches zugleich Breismaf und Taufihmittel, und Gefdjurrogaten oder Geldzeichen, die nur Umlaufs⸗ mitte! fein koͤnnen, iſt nicht etwa blos in theoretifcher Hinficht, ſondern auch im praktiſchen Leben von großer Wichtigkeit. Die Nichtbeachtung dieſes Unter⸗ ſchiedes hat unter Anderem dahin geführt, dag man das Münzregal auf die Geld⸗ furrogate austehnt und ihre Ausgabe von der ſtaatlichen Erlaubniß abhängig macht. Die Anfertigung und Ausgabe von Geld, d. b. von ſolchen Dingen, welche ala Umlaufsmittel und zugleich als Preismaß dienen, bifdet ein unbe⸗ Reittenes Hoheitsrecht des Staates. Daraus aber dürfte ſchwerlich eine aus- ſchließliche Berechtigung des Staates zur Ausgabe won einldslichen Noten

*) 9. Wagner, a.n. O. ©. 32. **) Otto Hübner, die Banken. Leipzig, 1854. I. 28. #8) A. Banner, a. n. D..&. 34 und 35. +) J. Sullarton, on tbe regulative of: eurrencies.. London, 1854, p. 37. IV, 3

34 .. Nationalökonomie.

oder Seldfcheinen, die nur als Umlaufsmittel dienen, Herzuleiten fein. Man Zönnte fonft folgerichtig auch behaupten, daß dem Staate allein das Recht zuſtehe, Beldverfprechen, Schultverfchreibungen, Wechfelbriefe auszuftellen und in Ver⸗ kehr zu fegen. Dennoch hat man in neuefter Zeit fein Bedenken getragen, bie Ausgabe von Geldfurrogaten dem Staate zu vindiciren, und Preußen flügt be⸗ kanntlich fein Verbot der ausländiichen Banknoten auf das Münzhoheits- recht *). x Die wichtigen Schlüffe, welche neuere Defonomiften aus dem prinzipiellen Unterfchiede zwifchen Geld und Geldiurrogaten ziehen, würden und zur Theorie des Geld» und Bankweiend führen, welche jenfeitd der Grenzen unferer Aufgabe liegt. Es ift Hier nur noch Darauf hinzuweiſen, daß Banknoten, weil fle eben nicht unmittelbared Geld, nicht Werthmeſſer an fich, fondern nur Zahlungsmittel find, vom Preife des Geldes nicht abweichen können, fo lange ihre Einlösbarkeit gefichert ift. Diefe wird unter allen Umftänden den beiten Regulator des Zettel- umlaufs bilden, und von einer Zuvielausgabe kann feine Rebe fein, wenn bie Roten jederzeit eingelöft werden. Dies allein genügt freilich nicht, fie müffen auch mit Leichtigkeit präfentirt werden können. In dieſer Beziehung haben e8, wie jchon oben gerügt wurde, die meiften deutſchen Banfen an den nöthigen Veranftaltungen fehlen laſſen. Bis zum Erlaß des preußifchen Bank⸗ notenverbot3 war es die Regel, daß eine Auswechslung nur an der Centralſtelle flattfand, während die Roten auf dem ganzen Zollvereinsgebiet Kurs hatten. Es bedurfte erft noch der königlich fächitichen Verordnung vom 30. Mai 1857, wo⸗ nach der Verkehr mit ausländifchen Roten in Sachfen geftattet ift, wenn die Aus⸗ fteller in Leipzig und außerdem an denjenigen Orten, wo fle Agenturen oder Zweiggeichäfte unterhalten, Gelegenheit zur Auswechslung bieten es bedurfte diefer weilen und dankenswerthen Anordnung, damit die durch die preußiiche Maßregel bereitö mürbe gewordenen Bankverwaltungen endlich ſich bequemten, wenigflend in Sachſen Einlöjungsfaflen zu errichten. Dies aber war dad Aeu⸗ Berfte, wozu man ſich verfiand, und nur wenige Banfen haben an den Orten ihrer Agenturen außerhalb Sachſens Anftalten getroffen, um die Einlöfung zu erleichtern. Roch weniger find die Manipulationen zu billigen, mittelft welcher die Banken ihren Rotenverfehr auszudehnen fuchten. In ter jchon erwähnten Denkſchrift der preußiichen Meglerung wird ihnen unter Anderem vorgeworfen, daß fie durch Agenten an den Börfen Wechſel zu einem erheblich niedrigeren, mitunter zwei Procent billigeren, al8 dem allgemein üblichen Zinsfuße unter der Bedingung gefauft, daB der Betrag in ihren Roten angenommen werden müßte, Sie hätten, wird ferner behauptet, Darlehnsgeſchäfte gegen bloge Hinterlegung von Drei⸗Monats⸗Accepten unter der nämlicyen und gewöhnlich noch unter der ferneren Betingung gemacht, daß das Darlehn nicht in der ausgeliche- nen Roten, fondern in preußiſchem Grade zurüdzuzaplen fei. Agenten, welche für Die Unterbringung der Roten Brovijion erhielten, böten dies

*) Vergl. die preußiſche Denkſchrift uͤber das Notenverbot und bie Rede des Hans delsminiflere 9. d. Heydt vom 20. April 1857.

Deuntſchlando Bankweſen. 35

felben zu folchen Geſchaäften durch Zeitungsannomcen und Girkuläre aus. Auf den Reflen würden die Roten geradezu als Waare verfauft. Dies find in der That ſchwere Veſchuldigungen, und follten ſte gegründet fein, fo müßte man bie deu fündigenden Banken ertheilte Lektion eine wohlverdiente nennen, befonder8 wenn man erwägt, daß die durch kuͤnſtliche Manöver in Verkehr gefehten Roten wegen mangelnder Einlöfungsanftalten nicht regelmäßig zurückfirämen können. Aber ſelbſt dieſe fchreienden Mißbräuche beweifen nichts gegen die Banffreiheit, und mit vollem Recht behauptet Wagner, daß fle bei freier Konkurrenz der Banken gar nicht vorfommen könnten. ‚Denn es würde im Interefie jeder Bank liegen, die alſo ausgegebenen Roten einer anderen Banf zu fammeln und ihr fofort zur Einzahlung zu präfentiren. Die Konkurrenz unter den Banken felbft wäre die befte Kontrole auch Hier, indem fle bewirkte, daß fich die Banken gegenfeitig fireng auf die Finger fähen und jeden Mißbrauch fofort entdeckten und rügten, und wie beim fchottifchen Austaufchfyflem bewirften, daß eine in Folge zu leich⸗ tee Disfontirung gefchehene Mehrausgabe von Noten der betreffenden Bank als⸗ bald in flörendfler Weile fühlbar gemacht würde. Jede Banf würde ſich bei Banffreiheit bald einen Rotenrayon bilden, über welchen hinaus ihre Roten nicht fommen würden, ohne fogleich wieder an fie zurückzuſtrömen.“

Es ift das große Verdienſt der königlich fädhflichen Regierung, daß fle mit dem Erlaf der Maiverordnung den erſten bahnbrechenden Schritt zu einer Re⸗ form der deutfchen Banfgefeggebung im freihändlerifchen Sinne gethan hat. Je⸗ denfalld wird durch gefegliche Anordnungen über die Einlößbarfeit ter Bank⸗ verbintlichleiten weit beſſer für die Banfen und für die Interefien des betheiligten Publikums gejorgt, als wenn der Staat fich in die Leitung und den Betrieb der Geſchaͤfte einmifcht. Die Statuten unferer deutfchen Banfen firogen von abſtrak⸗ ten und willfürlichen Beftimmungen, die nicht nur gegen die Grundſaͤte einer rationellen Geld» und Bankwirtbichaft verſtoßen, ſondern auch die Leiter der In⸗ flitute verhindern oder fie wenigftend der Mühe überbeben, eigene Beobachtungen anzuftellen und auf diefe Weife jene praftifchen Erfahrungsfäge zu gewinnen, bie ihnen bei allen ihren Operationen allein zur Richtfcehnur dienen follten. Die Statuten bilten das Ruhekiſſen, eigener Sorge und Aufmerkjamfeit erachten Die Banken fich entbunden. Ramentlich find es die Vorſchriften über das Verhaͤltniß der Baarbededung zum Rotenumlauf, bei denen die Verkehrtheit und die Rach- theile des flaatlichen Reglementirens fogleich in die Augen fpringen. Gewöͤhn⸗ lich find die Banken verpflichtet, einen Baarfond von der Höhe eines Drittels der umlaufenden Roten zu halten, und man beruft ſich dabei auf einen angebs lien Erfahrungsiag der Bank von Enzland. „Es giebt nichts Willküͤrlicheres, fügt Wagner *), als die Herübernahme dieſes Erfahrungsſatzes der Banf von England in die Statuten unferer unter fo gänzlich verfehiedenen Verhältniffen operirenden Banfen, oder gar die Befchränfung diefer Baarbedeckung auf 33/3 Procent des Rotenumlaufd.” Deffenungeachtet it die Drittelbefimmung ein förnliched Dogma geworden und fie findet fich in den Statuten der meiſten neue⸗

*) A. a. O. S. 177 3*

36 | ‚Matisse dcoro uiu⸗o

ver Banken. : dar eainigen nehmen. Die: folidere,: freilich. eben ſo willfürliche Be⸗ Bimmung:eiuns ZwchtritebfBaarfonds auf, um ſie banu:bort deriräften Meneral⸗ Verſemmlung umfloßen zu laſſen und Ach gleidfalls mit dem üͤblichrw einde Dritiel zu begnügen. Andere forderten ſogar ODrckung zum vdllen Betraze der umlaufenden Roten, wie z. B. die. Meinitiger Kreditanſtalt, aber auch hier kam Bio: General⸗⸗Verſammlung zu Hülfe. und: ermaͤßigte den urſpruͤuglichen Sag auf: ein Drittel. Die Leipziger Bank hat:pvei Drittel Baardrdedaug, während die Staruten- der: Daierſchen, Deſſauer, Braunſchweiger, Khüringet, Lübecker Bank nus-ein Viertel nerlangen. Ic Eleiner der Staat, um jo geringer die. Baar⸗ ſchaft! ſcheint hierbei maßgebendes Prinzip. zu ſein. Die dfterreichiiche Rational» Bank IR Die einzige, deren Statut eine vernünftige Beftimmung über ven Bank fond enthält, namlich die, Daß ed der. Direktion obliegt, von Zeit zu Zeit ein ſol⸗ ches Verhaͤliniß der Notenemifiton zum Muͤnzſtande feftzufegen, welches bie volle ſtaͤndige Erfüllung biefer Verpflichtung: zu fichern geeignet if. Alle übrigen Banken, die königliche Hauptbank in Berlia obenan, haben die Drittelbeftimr. mung, und fie finder fi auch in den Rormativbedingungen für die preußiſchen Propinzialbanken. Wie wenig ſie ſich praktiſch bewährt, zeigt das erfte beſte Weis ſpiel aus der Geſchichte ber preußiſchen Bank. Diefes folide verwaltete und wohl! affrebttinte. Inſtitut genießt bekanntlich des Privilegiums der unbeſchränkten Notenemiſſion und iſt Dabei nur an die Verpflichtung gebunden, ſtets ein: Drittel des umlaufenden Notenbetrags in banrenı Gelde oder Silberbaaren, zwei Dristel! in bankmaͤßigen Wechſeln vorräthig zu halten. :: Beim Ausbruch der Geldkriſts im September 1857. betrug Daher Die vorichriftämäßige Baardeckung der Roten: 33°/, Brocent, während tie übrigen DVerbindlichkeiten in Folge einer flarketi‘ Herausziehung bee bei der Bank ftchenten Kapitalten nur noch zu circa 4 Bros cent durch Baar gedeckt waren! Hatte damals eine weitere plötzliche Verminder rung ber Depofiten ſtattgefunden, ſo wäre der Bank nichts übrig geblieben, als die Drittelbefimmung zu ſuſpendiren. Eine ſolche Maßregel würde aber ben: Kredit der Noten erichüttert haben, der trag der offiziellen Fuͤrſorge feſtſtand⸗ Zum Glück gelang «3 der Bank, im Kaufe des Oktober und November Ihren; Banrvorrarh um ſechs Millionen zu vermehren, wenn auch wur mit einem Kelten aufwande son 148,000 Thalern.

Wir haben oben ben Geld handel ald die eigentliche Aufgabe der Bars ten bezeichnet. Ihre Mittel find, außer dem eigenen Stammkar ital, die Depoflten und Roten, und was nach Abzug des zur Deckung der beiden legteren erforder⸗ lichen Baarfonds davon übrig bleibt, ift das Kapital, mit welchen fie Gofchäfte machen. Die Größe ded Baarvorraths kann nicht im Voraus und ein für alles mal beſtimmt werben, ſondern es ift Sache jeder einzelnen Banfuerweltung, durch eigene Beobachtung des Geſchaͤftsverkehrs das ratienelle Berhältniß Des Ginlöfungsfonds zu den Banfrerbindlichfeitn zu finden. Jeder Banker muß durch Die Erfahrung lernen, wie er es anzufangen habe, um jederzeit und ſelbſt unter den ungünftigfien Verhaͤltniſſen die Anſpruche ſeiner Glaͤnbiger befriedigen zu fönnen. Der Staat hat bei den Banken nur darauf zu fehen, daß fie dem Publifum fo viel als möglich Gelegenheit zu einer leichten amd. Eoftenfreien

Deut Muantiueſen. &7

Rotentuitmacköiung; bieten): Es diegt..wie oir ſuhen in: Ber Mine dr avdernen Banken, dep ıfiibie eikpfangenen Bapitalier wicht Aungenügt: Uegen Laffen, ſondern ıdansit ihändcie, ; Beichäfte: mächen, ſpekuliremn Cie können baher die Werpflich⸗ tung zur Gindäftung: ſtutsa oben Enssfälliger: Berbindlichkeiten nur unten: Dd' Moe ‚auöiegungrüberuchnen, daß nicht alle Gläubiger -anf einmal, fandert tmimer mim sin nach der Wahrfepeinlichkeit: zu berechnender Shell derfelben Anfprikche: au Pe machen werde. Tritt einmal der außerordentliche Ball ein daß ehren Bike gleſchzeitig :alle Roten. präfemtiet‘ oder alle Depoſtten entzogen. wetben, fo auß ſte ſich freilich zahlungsumfähig erklären, aber ſutrußt wicht die Schuld die ſes Bankerotts und: es Tann fle in einem ſolchen Falle kern Vorwurf teefßen;: wort fie ſich niemals: verbindlich gemacht Hat, einen dem: vollen Barrage: Ahr Maſſtona Heichtemumenden Baarvorrath zu "halten. Man ſollte doch nie vergeffen, "Du eine Bank: wicht das Brinzip ber abfoluten Gewißheit, ſondern nur‘, wie jeder andere Händler ,:dir Wahrſcheinlichkeit zur Richtſchnur ihrer Betriebocha sizfeit:nehmen kann. Bon :unjeren Banken verlangen; daß fie Die Erflilkn ihrer Zahlungdveriprechen für alle Bälle, auch für den: Fall eines run“ ‚'eitte® allgemeinen Sturmes auf Die Bauf ficher flellen, Heißt ihren ſpezifiſchen Charakter zerflören und die mittelalterlihen Girobanken wieder ind Daſein rufen. Glaubt man der umermeßlichen Bortheile deß modernen Bankweſens entrathen zu können‘ fe möge man gleich auf unfere ganze Kultur verzichten:, Das Dampftoßwiedet wit: dem Kirrnergaul vertauſchen und den elektriſchen Telegraphen: durch dh Botenfrau erſehen. am)

. Lber ſich von den alten, im Bublikum immer noch herrſchenden Ant uber DaB Bankweſen nicht: getreunt hat, wird vielleicht unſere Auſchauungswetſt Gedenflich finden oder uns gar vorierfen, daß wir: das. gefanmnte Bankcheſen/ mil ben ‚‚moberuften Muswüchlen/beffeiben, den Mobiliartreditanftalsen;: merwerh: ſeln.“ Dagegen: müſſen wir ums ernfllic, verwahren, um fo mehr ‘aid wir den deutſchen :Baftandgähnen:: des: franzöftichen Credit mobilier durchaus micht den Gharakter , ja nacht einmal den Ramen von Banken zugeftchen.:: Die Arebitans Kalten: handeln und fpefuliren zwar auch, aber ihre: Dyerationen find von!der rt, daß ſte unfehlbar zu Grunde geben würden, wenn fie vie eigentlichen Bunt, geſchaͤfte regelmaͤßig betreiben wollten. Sir benutzen ihre Mittel zu Boͤrſenſpe⸗ tulationen ‚: fe betheiligen: ſich an induftriellen Unternehmungen, an &tnatsans keiten, kurz ae. wagen entweder ihre Kapitalien oder legen fle ſo an, Daß Diefelben längere Zeit engagirt bleiben. So lange fie mit ihrem eigenen Stanımkapitad operisen, haben fie felbft oder ihre Aktionäre das Riſtko zu tragen. Wenn fie ober durch Annahme von Depoflten, twrch Ausgabe von Schüldſcheinen ar Noten, die jederzeit realifirbar find, und: weldge: He bei der erften Gelegenbels nicht einlofen können, fich Die Mittel.zu thren Spelulationsgeſchaͤften verfchaffen; fe gefaͤhrden ſie nicht allein ihre eigene Eriſtenz / ſondern die unbermeidlichr Ent⸗ werthung ihrer Verbindlichkeiten würde. auch. den Marin der Tuuſende von: Ven ſttzern ihrer Obligationen und Roten nach ſich slähen, Es: Tenchtetiauf den erſten Blick ein, daß eine Kreditanſtalt, welche Geſchaͤfte der erwähnten Art macht, gar- nicht im Stande ift, die Summe ihrer -et&s oder-Zurzfälligen: Verbindlichkeiten

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werben, ee unter en —* Baarworrathe zu der Rotenausgabe und den Rontoforrent ſaldi aufrecht zu er» Autoritäten*) ftimmen nun aber darin überein, dal Roten und Depofiten nur ala fündbare Darlehne emittirt werden bür- fen, alfo vornehmlich gegen Sicherheit von Wechfeln oder von Linterpfändern, denn jeder Ankauf einer nicht fündbaren Schuld, z. B. eines Staatspapierd, jegt die Bank der nicht nur möglichen, fondern in hohem Grade wahrjcheinlichen Gefahr aus, weniger beim Verfauf dafür wieder zu erhalten. Und weil bie

Bank ihre eigenen Verpflichtungen jederzeit oder in Furgen Terminen erfüllen muß Jo dürfen auch die Darlehne, welche fie gewährt, nur von furzer Dauer jein: Daher ift bie Disfontirung von Wechſeln, welche nur eine Furze Zeit lau⸗ fen, und. die Beleihung von Pfändern mit beitimmten Kündigungsfriften und kurzen Bälligfeitöterminen das eigentliche Geſchaͤft derjenigen Banfen, welche Dbligationen und Roten auögeben. Dabei müffen fie ſich möglichft von dem Hũbner ſchen Sage leiten laffen, feinen anderen Kredit zu verkaufen, als dem fie empfangen haben, Es kann ihnen jedoch auch geitattet, ja unter Umftänden ſo— gar zu empfehlen fein, einen fleinen Theil ihrer Fonds aus dem Depojiten- und Rotengefchäft in fiheren zindtragenden Wertbpapieren anzulegen, die in Eritifchen Zeiten, wenn die Lombarddarlehne nicht eingezogen werden können oder ein gros per Theil der Wechſel unbezahlt bleibt, auch ihre Dienfte leiften, Bor Allem aber müffen fie es fich zum Gejeg machen, jederzeit mach dem Modalitäten ihrer eigenen Berbindlichfeiten das gegemfeitige Verbältnig der Banfaftiva, der Sichere heiten und ded Baarfonds zu regeln. Halten fie bei ihren Operationen an Dies jem Bundamenralprinzip feft, auf welchen die ganze Kunft des Bankers beruht, jo erfüllen fie Alles, was man vernünftiger Weife von ihnen verlangen kann, nämlich daß fie die Einlösbarkeit ihrer Berbindlichfeiten für gewöhnlich, und für alle einigermaßen berechenbare Fälle ſichern. Anlangend die auferordentlichen und unberechenbaren Eventualitäten,, jo pflegen diejelben nicht urplöglich einzu⸗ treten. Politiſche oder kommerzielle Krijen werfen ihren Schatten vor ſich her, a re ſich

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Deutfihlands Bankwefen. 39

vorzufehen und die Bank aufs Trockene zu bringen, ehe der Sturm losbricht.

Wir haben oben die Streitfragen berührt, welche fi um das gefammte Bankweſen drehen. Wir ſahen, daß dad eigentliche Lebendprinzip der Banken, die freie Bewegung, zum Zankapfel der fireitenden Parteien geworden iſt. Eini⸗ gung fcheint kaum möglich und eine befriedigende Löſung der Banffrage noch in weiter Berne zu liegen. Indeflen darf man die Hoffnung nicht aufgeben, daß mit der Zeit eine entfchieden freihändlerifche Richtung auch in der Bankpolitik durchbrechen werde. Die Anſichten der bewäßrteften Theoretifer und Praktiker ſtimmen laͤngſt darin überein, daß die Konkurrenz unter kleineren Banken bei Weiten den Borzug verdiene vor einem Syflem großer alleinherrjchender Staats⸗ banfen. Wenn die legteren audy wirklich, wie man vorgiebt, eines ungleich größeren Kredited genießen, jo mißbrauchen fie denfelben dafür um fo ftärfer und anhaltender, wirfen in gefährlicherer Weile auf den Geldmarkt und die Spekulation ein und tragen durch ihr Gebahren nicht wenig dazu bei, daß die großen periodifch wiederkehrenden Handelskriſen, unter deren Faktoren fle jelbft figuriren, mehr und mehr einen bösartigen Charakter annehmen und immer größere Berheerungen anrichten. Man braucht nur einen Zlid auf die Gefchichte der großen Rational» und Staatsbanken zu werfen, um die Ueberzeugung zu ges winnen, baß jle regelmäßig in den fogenannten Epefulationd- und Schwindel« perioden ihren Kredit mißbraucht und unfägliches Unheil über das ganze Ge— meinwefen verbreitet haben. Wir wollen die alten Bankgeiſter Rußlands, Schwedens, Dänemarks, Hollande, Frankreichs und Oeſterreichs nicht citiren und nur an die legte große Geldkriſis erinnern, die ohne die vorhergegangenen Kreditmißbräuche und die Darauffolgenden eben fo mißbraͤuchlichen Reſtriktionen der großen privilegirten Staats⸗ nnd Quaſiſtaatsbanken einen milderen Charak- ter und einen günjtigeren Verlauf gehabt hätte.

Wir übergeben die zahlreichen Einwendungen, die man vom rein politifchen Geſichtspunkte aus gegen die Staatöbanken geltend macht. Sie find oft genug wiederholt, aber niemald widerlegt worden. Wer kann Täugnen, dag die Staatd- "verwaltung der Verfuchung ausgefegt iſt, Die ihr anvertrauten Banffapitalien zu frembdartigen Zweden zu verwenden und in ber Befugniß der Notenausgabe zu weit zu geben? Dieje Gefahr ift in Kriegäzeiten und in Perioden allgemeiner Kalamität, wo diefe Roten dann das Schidfal des uneinlösbaren Staatspapier- gelbes theilten, zum Verderben des Gewerbes und Handelöftandes nur zu oft ein« getreten. Uber ganz abgejehen von dieſen gefährlichen Folgen ift e8 überhaupt noch fehr die Frage, ob der Staat durch feine Anftalten in die Gefchäfte der Unterthanen eingreifen und mit ihnen Tonfurriren darf. Der gefammte Kredit der Ration würde durch ein Syftem alleinherrfchender Staatsbanken in die Hände der Regierung oder unter Die ſpezielle Kontrole der oberjten Verwualtungsbehörbe fommen. Außerdem ift die Verwaltung von Staatöbanfen zu Eoftipielig, zu ſchwerfaͤllig, zu ängftlih und überhaupt den Faufmännijchen Geſchaͤften ſchon darum fremd, weil ſie ein willkürliches Reglement und nicht die durch eigene Bes obachtung gefundenen Erfahrungsfäge zur Richtſchnur ihrer Betriebsthätigkrit ,

40 n Naiaval cauanic2

nimut. Mit einem orte; Die zun Gedethen bed Bankweſend erforderliche fies heit der Bewegung iſt mit dem Syſtem monopoliſirter Staatsbanken unyertinbap, wie dies auch Die königlich ſaͤchſiſche Regierung bei Gründung der. Leipziger Dank erklärt Hat. Sollen Banken tiefe Wurzeln fchlagen, Den Verkehr Dawerınd beleben und allen Stürmen widerſtehen, jo mäflen fie vom Publikum außgeben, deſſen Intereſſen ſie auf's Eugſte ‚berigren und. beilen- Kontrolle die beſte Gq⸗ zantie für ihre richtige Leitung if. In einem folgenden Artikel werben wir-auf Dad Weſen und die Bedeutung unſerer großen Stantd- oder Quafiſtaatabanken stwaß näher eingehen und an einigen praktiſchen Beiſpielen die Ungukönnelichr feiten und die Urbelftände erläutern, zu welchen die centsalifirte Kapitalmach gefuͤhrt hat. Die. Vorzüge der Konkurrenz unter kleineren Vanken ſpringen fofort in Nie Augen, wenn man den Blick auf das ſchottiſche Bankweſen richtet. Die Gegner der Bankfreiheit werfen zwar ein, daß die Vortheile ber ſchottiſchen Banken nicht aus deren Einrichtung, fondern aus Dem Charakter der Schotten und dem Dies fen ihres Handels, fowie daraus entipringen, daß jme Einrichtung gerabe für Schottlant die natürliche und angemeſſenſte ſei. Allein es ift gar nicht einzu⸗ jehen, weshalb ih Deutichlaud mit ähnlichen Einrichtungen nicht daſſelbe exrticht werden Fönnte, was die ſchottiſchen Banken leiften. Die Konkurrenz würde bier eben fo jehr wie in Schottland dazu beitragen, die für ben Verkehr erforberliche Rotencirfulation auf dad Minimum zurüdzuführen, und zwar aus denielben Gründen wie dort, Die Praris- der fchottifchen Banken, wonach fie Zinſen für Depofiten, jelbft für ganz geringe Beträge gewähren, treibt alle bracheliegenden ‚Selber in der zwiejachen Abſicht des Nupend und der Sicherheit in die Banken, und je mehr Banken ober Agenturen entfiehen, deſto mächtiger wirfen diefe Ruͤch⸗ fihten. Sie leiften ferner mit jeltenen Ausnahmen alle Zahlungen in ihren eigenen Roten. Und weil das Notenaustauſchſyſtem unter ihnen ftreng befolgt wird, fo muß jeder Derjuch einer Bank, ihre Roten über die wirkliche Nachfrage des Publikums Hinaus zu verbreiten, augenblicklich icheitern. Die ſündigende Bank wird gezwungen, ihre Differenzen in Schagfammerjcheinen, Wechſeln auf London x. zu bezahlen, was nur durd) Verringerung ihrer realifirbaren Sicher⸗ heiten geichehen Tann. Eine „Zuvielausgabe“ raͤcht fich alſo auf der Stelle durch Verluſt. Jede Bank weiß, daß fle fich eines Theils ihrer Betriebömittel beraubt und ihren Kredit gefährdet, wenn fie das Durch die Verkehrbedürfniſſe bedingte Map der Rotenaudgabe überjchreitet. Mittelft dieſes Austauſchſyſtems wird alfo erreicht, daß die umlaufende Zettelmenge ſich ftetd auf deu Niveau dea wirk- lichen Bedarfs erhält, aber zugleich werden dadurch der Kreditgewährung Keil- fame Schranken gejegt. Denn daß leichte aber gefährliche Mittel einer willfür- Jichen Vermehrung der Rotenrirkulation ift den Banken abgeichnitten, fie müfjen ſich vielmehr nach den Vorrath der nugbaren Bonds richten, Die von Tag zu Zage fällig werden. Sollten fie einmal in ber Orfälligfeit gegen ihre Kunden gu weit geben, fo fönnen fie Died nur auf Koften der Sicherheiten, alfo mit Ge fahr für ihre eigene Sicherheit wagen. Keine Staatsbank, welches au ihr Verwaltungsſpyſtem und ihre Gaif

Deutſchlands Bankweſen. 41

ſfionsbefugniſſe ſein mögen, kann ſich fo vollkommen den Bebürfniffen bes Geſchaͤftsverkehrs anpaſſen und ſich fo genau nach den Schwankungen des Geldumlaufs richten. Ein Syſtem von kleineren Banken, welches gleich dem ſchottiſchen auf dem Prinzip der Selbſtverwaltung beruht und nur durch die öffentliche Kontrole, durch die ſtrikte Einlösbarkeit der Bankverbindlichkeiten und den gegenſeitigen Austauſch der Roten in Schranken gehalten wird, ein ſolches Syſtem würde gewiß auch uns Die volkswirthſchaftlichen Vortheile

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Die korallen-hildenden Poſipen und die Aorallen-Kiffe.

Bon Dr. Aarl Müller.

Unter den Taufenden von merfwürdigen Thierformen, welche der unermeßliche Ocean im feinem Schooße birgt und erhält, ift ohne Zweifel eine der merfwür- Digften jene Eleine Sippe von niederen Thieren, welche wir als die Schöpfer und Erbauer von ganzen Infeln und Feftländern kennen: die Sippe der infelbilbenden Korallen und Madreporen. Denn wenn ed anerkannte Thatfache ift, daß die wenn auch noch fo langfam vor fich gehende, über die größten Zeiträume ſich beinahe unbemerfbar ausdehnende Veränderung der Erdoberfläche den nambafteften Eins fluß auf die Gefchichte der Menjchheit ausübt, jo wird auch anzuerkennen fein, daß ein Gefchöpf, welches eine faft unfchägbar große Maſſe bewohnbarer Erdfefte aufgebaut Hat und noch zu Stande bringt, ein ſpecielles Intereſſe des denkenden Menſchen verdient. Bon feinem anderen Thiere der ganzen Schöpfung fönnen wir behaupten, daß es in gleichem Maaße zur Veränderung und Umge⸗ ftaltung unfrer Ertoberfläche beitrage, denn die Zahl und der Umfang der Ko« rallenriffe, und ihre Ausdehnung über unfern Erdball ift ungemein groß, zumal zwifchen den Wendefreifen. Der ganzen Rordfüfte von Reubolland parallel zieht ſich ein concentrifches Korallenriff von mehr ald 3000 Meilen Länge hin. Sehr außgedehnte Infelgruppen der heißen Zone beftehen aus ringförmigen Korallen- Infeln, jogenannte Atolls, fo namentlich die Gruppen der Malediven, der &arolinen, der Marichalle-Infeln ; und viele Taufende von kleineren Infeln der Südſee. Länglichte, geſtreckte Korallen⸗Riffe, welche fih eng an die Küfte an⸗ ſchließen, finden fich in Menge im Rothen Meere, im perfifchen Meerbufen, im indifchen Meere, längs der Oftfüfte von Afrika, an den Küften von Madagascar, Sumatra, den Philippinen u. f. w., ferner an den Küften der Antillen. Der am weiteften vom Aequator entlegene Bunft, wo noch Korallenriffe vorfommen, find die Bermudas Infeln; und wenn einer unferen bedeutendften Forſcher auf Diefem Gebiete, Darwin, Recht bat, fo ift mit Zug anzunehmen, daß der gefammte flache Meeresboden in der Aequinoctialzone zwijchen dem 32° nördl. und dem 29° ſüdl. Breite auf fehr große Streden hin von derartigen, noch im Fortbau

Die Forallen-bildenden Polypen. :43

begriffenen Korallenbildungen, fogenannten lebenden Wiffen, überzogen ift, fowie daß laͤngs der ganzen tropifchen Weſtküſte von Amerika auf dem Meeresboten ſich noch tiefliegende Niffe finden, welche vielleicht die Beftimmung haben, in , Berlauf von Jahrtaufenden das Feflland nad) jener Richtung Hin durch Bildung von Strandriffen und allmählige Ausfüllung Des Kanals zwifchen diefen und ber Küfte zu erweitern, Ä

Die korallenbildenden Bolypen gehören eigentlich nur jehr wenigen Fami⸗ lien an; fo nach Dana die meiften den Afträiden und Radreporiden; fer- ner minder allgemein den Bungiden, Carvophylliden, Gemmipori— den, Favoſiliden, und Poriliden. Am reichten an Eorallenbildenden Arten ift die Sübfee; außer den Wendekreifen Eommen von den Eorallenbilden« den Bolypen beinahe nur nody Garyophylliden vor. Man kennt bis jegt etwas über 430 Species von Korallenpolnpen, die an Größe und Umfang ebenfo fehr von einander verfchieden find, als an Geſtalt. Die bauliche Einrichtung eines lebenden Korallenſtocks zeigt eine der fchönften und wucherndſten Geftaltungen der Natur, wie eine der Eoloflalften Anhäufungen von thierifchem Leben auf ver⸗ Kältnigmäßig geringem Raume. Korfter fah auf der Schildfröten«Injel Koral⸗ Ienftlämme von fünfzehn Fuß Höhe, drei Fuß Stammesdide und einer Krone von achtzehn Fuß Breite. Dana fpricht von Afträen von zwölf Fuß Höhe-mit unge faähr hunderttaufend Individuen, und von Poriten von zwanzig Fuß Höhe mit mehr als fünf Billionen lebender Individuen. Diefe wenigen einleitenden Andeutungen dürften Hinreichen, um die Aufmerkjamfeit unferer Lejer auf das vielfache und hohe Interefie hinzuweiſen, welches diefer Gegenftand für ben Freund und Beobachter der Ratur bietet. Es erichließt fich hier dem denkenden Forſcher eines der interefianteften Gebiete der Raturfunde. Beginnen wir mit dem natürlichften Ausgangd- Bunfte, jo müfjen wir zunächft dem Kleinen korallen⸗ Hildenden Polyp einige Aufmerkſamkeit ſchenken. Jeder unferer Lefer kennt jeine weientlichften charafteriftifchen Merkmale, wenn auch nur aus Abbildungen in irgend einem naturgejchichtlichen Bilderwerke: den Eleinen becherförmigen ges Satinöfen Sad, fo wie den ausgezadten Rand von franfenähnlichen, um fich grei⸗ finden, zappelnden Tentafeln oder Fangarmen, welche feinen Flaffenden Mund oben umgeben. In feiner Weife fo hoch begabt und fo reich audgeftattet, wie die In⸗ fetten, mit welchen der Polyp (nach dem gemeinen Sprachgebrauche) am nächften verwandt ift, erweiſt er fich als eines der einfachften organifchen Wefen, und doch feltjamer Weife als eines der mächtigften Agentien zur Ausführung großer phy⸗ flicher Veränderungen. Alle die riefigen Geſchöpfe der Vorwelt, mit welchen ung die Geologie befannt gemacht hat, zufammengenommen, ſammt all den Walen, Haien und den zahllofen anderen großen Kijchen, welche von Adam's Zeiten bis auf den heutigen Tag den Ocean bevölferten, haben für die Umgeftaltung des Charakters der Erdoberfläche weit weniger gethan, als bie lange Reihe auf ein» anderfolgenden Generationen dieſer Korallen-Bolypen, welche ſeitdem in aller Stille in jenen heißen Gewaͤfſern thätig gewefen find. Wir greifen unferer Dar⸗ flellung zwar vor, aber wir können und bier der: Bemerkung nicht enthalten, daß die ungeheuern Bauwerke, welche dieſe Eleinen @eichöpfe aus den allertiefften

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Die Gorafen-6ildenden Pofgpen: und die Aorallen-Riffe.

Bon Dr. Kerl Müller.

Unter den Taufenden von merfwürdigen Thierformen, welche der unermeßliche Ocean im feinem Schooße birgt und erhält, ift ohne Zweifel eine der merkwür⸗ digften jene Eleine Sippe von niederen Thieren, welche wir als die Schöpfer und Erbauer von ganzen Infeln und Keftländern kennen: die Sippe der infelbildenden Korallen und Madreporen. Denn wenn ed anerkannte Thatfache ift, daß die wenn auch noch fo langſam vor fich gehende, über die größten Zeiträume fich beinahe unbemerfbar ausdehnende Veränderung der Erdoberfläche den namhafteſten Ein fluß auf die Gejchichte der Menfchheit ausübt, jo wird auch anzuerkennen fein, daß ein Gefchöpf, welches eine fat unfchägbar große Maſſe bewohnbarer Erpfefte aufgebaut Hat und noch zu Stande bringt, ein fpecielles Interefie des denfenden Menſchen verdient. Von feinem anderen Thiere der ganzen Schöpfung fönnen wir behaupten, daß es in gleichem Maaße zur Veränderung und Umge⸗ ftaltung unfrer Erboberfläche beitrage, denn die Zahl und der Umfang der Ko⸗ rallenriffe, und ihre Ausdehnung über unfern Erdball ift ungemein groß, zumal zwifchen den Wendefreifen. Der ganzen Rordfüfte von Reubolland parallel zieht ſich ein concentrifches Korallenriff von mehr ald 3000 Meilen Länge hin. Sehr ausgedehnte Infelgruppen der heißen Zone beftehen aus ringförmigen Korallen= Infeln, jogenannte Atolls, fo namentlich die Gruppen der Malediven, der &arolinen, der Marſchalls⸗Inſeln; und viele Taufende von Fleineren Infeln der Südjee. Länglichte, geſtreckte Korallen⸗Riffe, welche ſich eng an die Hüfte an- ſchließen, finden fih in Menge im Rothen Meere, im perflichen Meerbujen, im indischen Meere, längs der Oftfüfte von Afrika, an den Küften von Madagascar, Sumatra, den Philippinen u. |. w., ferner an den Küften der Antillen. Der am weiteften vom Aequator entlegene Bunft, wo noch Korallenriffe vorfommen, find die Bermudas = Infeln; und wenn einer unferen bedeutendften Korjcher auf biefem Gebiete, Darwin, Recht bat, fo ift mit Fug anzunehmen, daß der gefammte flache Meereöboten in der Aequinoctialzone zwifchen dem 32° nördl. und dem 29° füdl. Breite auf fehr große Streden bin von derartigen, noch im Kortbau

Die Forallen-bildenden Polypen. 43

begriffenen Rorallenbildungen, fogenannten lebenden Riffen, überzogen ift, fowie daß laͤngs der ganzen tropifchen Weſtküſte von Amerifa auf dem Meeresboten ſich noch, tiefliegende Niffe finden, welche vielleicht die Beflimmung haben, in . Berlauf von Jahrtaufenden das Feflland nad) jener Richtung bin durch Bildung von Strandriffen und allmählige Ausfüllung des Kanals zwifchen diefen und ber Küfte zu erweitern, |

Die Eorallenbildenden Bolypen gehören eigentlich nur jehr wenigen Fami⸗ kim an; fo nad) Dana die meiften den Afträiden und Madreporiden; fer- ner minder allgemein den Kungiden, Carvophylliden, Gemmipori— den, Bapvofiliden,und Boriliden. Am reichften an Eorallenbildenden Arten ift die Sübdfee; außer den Wendekreifen kommen von den Eorallenbilden- den Bolypen beinahe nur nody Caryophylliden vor. Man kennt bis jegt etwas über 430 Speried von Rorallenpolnpen, die an Größe und Umfang ebenfo ſehr von einander verfchieden find, ald an Geſtalt. Die bauliche Einrichtung eines lebenden Korallenſtocks zeigt eine der Ichönften und wucherndflen Geftaltungen der Ratur, wie eine der Eolofjalften Anhäufungen von thierifchem Leben auf ver⸗ Hältnigmäßig geringen Raume. Forſter fah auf der SchildfrötenInjel Koral- Ienflämme von fünfzehn Buß Höhe, drei Fuß Stammesdide und einer Krone von achtzehn Fuß Breite. Dana fpricht von Afträen von zwölf Fuß Höhe-mit unge fahr Hunderttaufend Individuen, und von Poriten von zwanzig Fuß Höhe mit mehr als fünf Billionen Ichender Individuen. Diefe wenigen einleitenden Andeutungen dürften hinreichen, um die Aufmerkjamfeit unferer Leſer auf das vielfache und hohe Interefie hinzumweifen, welches dieſer Gegenftand für den Sreund und Beobachter der Ratur bietet. Es erjchließt fich Hier dem denkenden Korfcher eines der interefianteften Gebiete der Raturfunde. Beginnen wir mit dem natürlichfien Audgangd- Punkte, fo müfen wir zunächft dem Eleinen forallen- bildenden Polyp einige Aufmerkjamfeit ſchenken. Jeder unferer Leſer kennt jeine weientlichften charafteriftifchen Merkmale, wenn auch nur aus Abbildungen in irgend einem naturgefchichtlichen Bilderwerke: den Eleinen becherförmigen ges Satindfen Sad, fo wie den audgezadten Rand von franfenähnlichen, um fich grei⸗ finden, zappelnden Tentakeln oder Fangarmen, welche feinen Elaffenden Rund oben umgeben. In feiner Weife jo hoch begabt und fo reich ausgeſtattet, wie die In⸗ fetten, mit welchen der Polyp (nach dem gemeinen Sprachgebrauche) am nächften verwandt ift, erweiſt er fich als eines der einfachften organijchen Weſen, und doch jeltfamer Weife als eines der mächtigften Agentien zur Ausführung großer phy⸗ licher Veränderungen. Alle die riefigen Geſchöpfe der Vorwelt, mit welchen und die Geologie befannt gemacht hat, zufammengenommen, jammt all den Walen, Haien und den zahllofen anderen großen Kifchen, welche von Adam's Zeiten bis auf den heutigen Tag den Ocean bevölferten, haben für die Umgeftaltung des Charakters der Erdoberfläche weit weniger gethan, als die lange Reihe auf ein« anderfolgenden Generationen diejer Korallen⸗Polypen, welche ſeitdem in aller Stille in jenen heißen Gewaͤfſern thätig gewefen find. Wir greifen unferer Dar⸗ ſtellung zwar vor, aber wir können uns Hier der: Bemerkung nicht enthalten, daß die ungeheuern Bauwerke, welche dieſe Eleinen Geſchöpfe aus den allertiefften

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Mkyrimben;des. Meexeche herauf aufführen ,::uash ihrem gangen Charakter in der nſthat weit menkwuͤrdiger /ſiad; als Die: meiſten Menfchen ahnen. : Die :allgenpein nperbreitete Vorſtellung, bie Kenalle feirein bloßes Wefüge, ine Zufammenhäufeeig en ‚Bellen, welche die Korallenthiere für:fich ſelbſt zus Wohnung bereitet haben, riſt einer: jener neifäthündlichen Miggriffe, eine: jener: allgemein verbreiteten: frvigen Vorftellungen, weldye Tängit bätten befeitigt werden follen. -- &8& iſt eine total inrige Anſicht. Dienkleinen ſternförmigen Anhaͤufungen zurter Blästchen, welche” man an einem gewöhnlichen Stückchen Riff-Koralle ſehen kaun, find ebenſo wenig die Seiten: oder Wände einer Zelle, worin der Korallen⸗Polyp lebte, als Die Kno⸗ sehen. eines Hundes die Maͤnde von Bellen ſind, worin der Hund lebt. Sie find nielmehr die echten inneren Skelette oder feſten Gerüſte der Korallen⸗Polypen, tunddie ganze Koralleinafie iſt nichts andres, als eben fo viele uͤber einander AIlegende Kleberziagei, oder Schichten, oder Ablagerungen jener individuellen ein⸗ qzelnen Skelette. Dies mag fonderbar. Elingen, iſt aber nichts deſto weniger voll⸗ sögmmen wahr, bie ganze Maſſe von geſteinartigem Stoffe, welcher den Zweig ‚von ‚einer: gewoͤhnlichen riffbil denden Koralle bilder, iſt innerhalb, im Innern dar ESubſtanz ver: Polypen gebildet wotden, weiche ihn erzeugt: haben, und jeden ein⸗ gzelne ſternförmige Klumpen ‚von. Plaͤttchen iſt lediglich nur das abgelegte heſte Geruſte oder: Skelett eines einzelnen Polypen. Aus dem fo chen Geſagten binrfte- num: deutlich hervorgehen, daß das Korallentbierchen tie Koralle widgt macht, wenigſtens nicht im wörtlichften Sinne... Die gewöhnliche Vorſtellung, Daß bie ſteinige Mafie eines Riffs Stückchen für Stückchen in Ber Weiſe aufge baut werde, wie die Biene ihre Waben zufammenfügt, daß: alfo:die Koralle Far das: Thier etwas Aenßerliches ift, und in Folge einer freiwilligen oder inftink- #inen; aber jedenfalls abſichtlichen Thätigfeit geichaffen werde, ifl ein eutſchirdenet Mißgriff. Mir Haben’ berrits auseimandergeiekt, daß die Gefteinmafle innerhalb der Sabſtanz des Polyps erzeugt werde, und man wird daraus erichen, daß ſte eigentlich gar nicht gemacht werden: kann, weil ſte wäch ft gerade jo wie unſer xeigenes Knochengerüſte waͤchſt, daß ſie ebenſo unabhängig von dem Willen des Bolyps ſeibft. Alles was daher behauptet irnd gedichtet und gefaſelt worden: if won dem Scharffinne des Tleinen Polhps als Baumeifter. von Zuſeln und Erde feflen ; non jeinem „Fleiß““ und feiner rührigen Geichäftigfeit, Töft fich «ben fin hochtönende hohle Phrafen auf... Das Korallentbhierchen iR fo wenig ein Ar» (Ayiteft:ald eine Auſter, und die: Bereitung der Koralle kann in Feiner. Weiſe als eine Arbeit von ihm ‚betrachtet werben. u. „Die wahre Natur bes Korallenbildungen wird weit verftändficher werben, werm wir einen Augenblick näher ias Auge faſſen, in welcher Lage und Be Ichaffenheit ſie gefunden werden ; fo lange jie noch anf dem Meeresgrunde fort wachſen. Setzen wir aljo den Ball, wir haben auf irgend eine Weiſe, Durch irgend eine Beliebige Vorkehrung ein Stud lebender Koralle von der Vank oder Site eines: Rorallenwiffd empotzuheben vermocht, und haben diefes etwa in einem Bimmer⸗Mquarium vor Augen —- 'wad werben wir da ſehen ? Zunaͤchſt wütben wir wahrnehmen, daß die ganze Maffe mit einem Ueberzug von gelatinöſem Sleiſch: bedeckt iſt, welches Die Harte: ſteinige Koralle vollſtandig verſteckt ober uͤber⸗

Die korallen -silbentien Polypen. 46.

kleiden . Belt genaueren: Unterfuchung winrden wir ſogar bemerken ; dahß dieſer fleiichige Ueberzug nichto andres iſt / als eine Ansdehnung den gelatindſen Suba: franz der Bolgpen; womit die: gänze Oberflaͤcht· des abgeloſten Korallenftuckt/ dicht befept:ift, ſo wie, daß Die ganze Kolonie nlde blos in Beziehnug auf: den Hama!’ dicht: zuſammengedraͤngt iſt, ſondern Da: uebſtdem auch sine höchſt imnige'orges: niſche Verbindung zwiſchen ben einzelnen⸗ Theerchen beſtehe, Jeder Pole Hatı zwar / allerdings ſeinen eigenen: befonbrren. Mund: und‘ feine eigenen Rrusafeln,) wie feinen eigenen Magen; allem ;über dieſe hinaus Hat eu: wenig: Anſpruch Dabsı auf, als An unabhängiges Weſen betrachtet zu werden. Ieber, weicher eine Maſſen lebeuder Aralle in der geſchilderten Weiſe zu betrachten im Stade wäre, würde: hierdurch vom ſelbſt zu Dem Schluſſe gelangen, daß der ganze: Zoophyt eigentlicht nicht für: einen Verein: oder eine Geſellſchaft von einzelnen Indieiduen angefehen⸗ werden basf, ſondetn für ein gemeinſames, zuſammengeſetztes Weſen, welches nur: durch eine Virlheit von abgefonberten- Maͤulern und: Maͤgen ernaͤhrt wirdeMDied iR: ohne: Zweifel der einzig. richtige Begriff von dirſen Kovallenmaſſen, und nur auf. eine derartige Annahme Hin: und auf Grund eines ſolchen Ausgangopunktes laſſen ſich die Einzelheiten de8. thieriſchen vbauohane der korallenbildenden Poly⸗ ven ercumn Pag Ba it. 44 Er en; Um es algenıein auszubräden; iſt daB gefaumte Innere einer Korallenmaſſon bieße todte, mineraliſche Materie, beftehend aus den Skeletten früherer Bentras; tionen von Korallen⸗Polypen. Beiden gewöhnlichen. Madveporen oder veraͤſtel⸗ ten baumartigen Korallen iſt die Maſſe im friſchen lebenden Zuſtande nur: etwa bis auf die Tiefe von ’/; Bol hinein lebendig / und ſelbſt im ven ſehr großen halba kutel⸗oder Tugelförmigen Maſſen von Hirnſtein (M. derebrum) und anderen aͤtzslichen Korallen erfireden ſtch die lebenden Polypen: felten weiter, als. bis zu! eines Tiefe vow einem halben ‚Boll: oder drei Viertelszollen. Die eigentliche Art Des Wachdthums wechſelt bei Den verfchtedenen Arten von Korallen Bolypen bei’ beten»; allein bei ſaͤmmtlichen Avten gleichmäßig ‚beginnt jebe:nene Generation ! ide. eigenes Daſein und legt das Fundament ihrer eigenen Steingerüfle nur auf! die:ausbauernden Truͤmmer ober Skelette ihrer Borgänger. Bei. all biejew Ras) ratlerraſſen beſchraͤnkt ſich daher die Region der Bitalitaͤt, ber Bezirk der eigente: lichen Lebeusthaͤtigkeit, nur: auf einen dünnen Ueberzug oder eine Art Schleim⸗ Ham: anf der. Oberfläche einer Maſſe todtm vegungslofen Mineralſtoffs. Auf: diefe Weiſe fchlägt ſich eine Schicht um die andre auf dem einmal: vorhandenen Korallenſtock nieder , Diefor wächft. nach außen und nach oben, und nicht ein eine! ziger: Polyp tritt mitten Der zahlloſen Maſſen von Individuen eines ſolchen: Korallenſtockd ind Leben, ohne feinen eigenen Antheil zu’ dem allgemeinen Haufen’ zu fhgen. - Baflen wis dieſes Geſez fortwährender Bermehrung und wmaufhörs: lichen Wachsthums bei den Korallen⸗ßoophyten und die unermießliche Anzahl der‘ Individuen ind Auge, von weichen das Meer zwiſchen den Wendekreiſen winmmelt: wit haben fchon oben angedeutet, daß oft vier bis fünf Dilltonen ſolcher We⸗ fen 'gleichgeitig an einem einzigen Korallenftode gefimden werden, fo werben: wir um fo leichter begreifen, wie es konnnt, daß dieſe ſoſchwachen und jo kleinen Geſchöpfe dennoch im Stande find, dad Material jener Außer ordentlichen. und‘

46 wi: Zoologie. 7

unermeßlichen Korallenriffe herzuftellen, welche zu ben überrafchendfien Phaͤno⸗ menen im Bereich des Oceans der Tropenländer gehören.

Gehen wir jet auf den Charakter und das Ausfehen diefer eigenthümlichen Bauten über, welche wir näher in's Auge faffen wollen, fo müflen wir und zu⸗ vörberft erinnern, daß fle unter einer Menge von Umftänden vorkommen, weldye mehr oder weniger mit Elimatifchen oder Tofalen Bedingungen und Urfachen zu⸗ _ fammenhängen, fo daß eine überfichtliche Einteilung derfelben nach ihrem Cha⸗ rakter eine ziemlich mühevolle und umfländliche fein würde. Man hat fie daher oberflächlich in drei oder vier verfchiedene Arten Flafflficirt, welche im Allgemei⸗ nen ohne große Mühe von einander unterfchieden werben fönnen. So unterfchied man denn fogenannte Atolls, ringförmige oder Lagunenriffe, Barrieren- oder Einichliegungdriffe, innere Riffe und Küften- oder Strand» riffe (&ranfenriffe). Jede von diefen vier Klaffen hat in den meiften Fällen ſehr markirte und entfchiedene eigene Charaktere und Battungsmerfmale, allein in einigen Fällen bietet fich auch eine foldy nahe Verwandtichaft der (Charaktere der einen Klaſſe mit denjenigen einer anderen oder mehrerer dar, daß daraus klar hervorgeht, wie am Ende alle Klaffiication und Syſtematik ihre Unvollfommen- heiten hat, die fich auch Hier geltend machen; denn die von und angeführte Ein theilung mag zwar in fo fern gemeinnügig fein, als fle die genauen Anbaltspunfte zur Unterfcheidung ber verfchiedenen Arten von Rorallenriffen darbietet, allein es foll damit durchaus nicht geiagt fein, daß fle irgend einen wefentlidyen Untere fehied in ihrem Charakter bezeichne. Wenige Dinge überrafchen den Reuling zur See, vermöge ihrer Eigenthümlichkeit und ihres Intereffes in foldy bohem Grade, als die Äußere Erſcheinung eined Atolls oder einer ringförmigen Koral⸗ Ien-Iniel, wenn man fie zum erftien Mal vom Verdeck eined gegen fie heranfah⸗ renden Schiffes aus entdeckt. Anfangs Täßt ſich nur ein Streifen von bunflen Punkten unterfcheiden, der fich gerade über dem Horizont erhebt. Bald darauf taucht jener Streifen höher aus den Wogen und man erfennt in ben dunflen Bunften die geficderten Gipfel von Palmbäumen, und längs dem Waſſerſpiegel laͤßt fi) ein grüner, hie und. da unterbrocdhener Strich unterfcheiden. Kommt man noch näher, fo gewahrt man, daß der grüne Streifen von einem fchmalen Gürtel ded Bodens herrührt, welcher nur einige Fuß hoch aus dem Meeresſpie⸗ gel emporragt, fich in Geſtalt eines Ringes ausdehnt, und einen flillen Fleinen See, einen Rapf, eine Lagune, einfchließt. DieBrandung fchlägt laut und fchwer längs dem ganzen Rande diejes Infelftrantes an und bietet einen feltfamen Kon⸗ traft zu tem weißen Korallengerüfte diefer Humusſchicht, zudem maſſigen Grün des PBalmenwaldes und dem friedlichen fanften Spiegel des eingehägten Seced mit ſei⸗ nen Eleinen, allmählig heraufwachſenden Eilanden. Es ift ein eben fo intereffantes al8 anziehendes Schauipiel, welches den wißbegierigen Veſchauer unwiderftehlich zu einer genaucren Unterjuchung feiner Befchaffenheit auffordert, und den kun⸗ digen Forſcher mit einem fieberhaften Eifer und bezaubernden Raufche erfüllen muß. Wenigftend find alle reifenden Raturforjcher, welche die Region des fo- ralleninfel= beherbergenden Weltmeered unter den Tropen beiuchten, einmüthig in der Schilderung der bezaubernden Wirkung, welche der erſte Anblid und das

Die korallen bildenden Polypen. 47

Betreten einer ſolchen Korallen Infel auf fie ausübte. In, einigen wenigen Fällen haben dieſe Atolls auch. nech Sporen oder Ausläufer, welche ſich wie Landzungen am ihren Seiten hinaus erſtrecken; und im Archipel der Marſchalls⸗ Infeln gibt es Atolle, welche durch ein in mebr oder weniger gerader Richtung verlaufendes Miff unter einander verbunden find, wie 3. B. bei der Injel Ment» . ſchikoff, welche ungefähr 12 geographiſche Meilen lang ift und aus drei ſolchen unter einander verfchlnngenen oder verbundenen Ringen befteht. Allein weit aus in den meiften Hüllen beſteht ein Atoll nur aus einem einfachen verlängerten, mehr oder minder tollfommen gerundeten Ring, mit ziemlich regelmäßigen lin riffen. Der Ring ſelbſt ift ein fchmaler Streifen oder Hand von Korallenriff, meiftens nur einige hundert Schritte breit und an manchen Theilen fo niedrig, dag er unter dem Drud des Windes noch vom Wogenfchlag überfluthet wird, und die Deining bie in Die Lagune hereinſchlaͤgt. In anderen Faͤllen ſtrotzt der Ring vom reichfien ſatteſten Grün der tropifchen Vegetation, wenn auch nicht eben in einer großen Mannigfaltigfeit der vorkommenden Pflanzenfpeciee. Das von Korallen gebildete Land, worauf diefe Vegetation wächft, if nur in einigen wenigen Sällen um die ganze Lagune herum zufammenhängend ; es ift vielmehr, um es allgemeiner auszudrüden, in Kleine Eilande zertheilt, welche von einander durch abwechfelnde Zwilchenräume von nadtem Korallenriff gefchieden find, und in einem oder mehreren dieſer Zwifchenräume find. die Lüden fo tief, daß fle Oeff⸗ nungen oter Kanäle bilden, mittelft deren der Reiſende aus dem betäubenden ofen und Anprallen der. brantenden Wogen, welche fi in Schaun und Giſcht an der Außenwand des Miffd brechen, in die rubigen fanften Gewäfler ber ge ſchützten Lagune einläuft. Der engliſche Raturforfcher Jukes fchiltert die Schönheit eines Korallenriffs der Suͤdſee, wo er an ber Windfeite ded äußeren Riffes einen verborgenen Winfel fand, weldyer von Leben ſtrotzte, folgendermaßen: „Dichte Mafien von Maeandrina und Astraea fontraflirten mit laub= und becherfürmigen Ausbreitungen der Erplanarien und vielfach verzweigten Madreporen und Ges riatoporen, bie theils finger-, theils ſtammartige Aefte, theil8 die zierlichften Vers zweigungen hatten. Das Barbenfpiel war unübertrefflich: lebhaft Grün wechjelte mit Braun und Gelb, mit reichem Purpurjchatten, vermifcht mit blaffem Rothe braun durch Blauroth bis zum tiefften Blau. NRulliporen, hellroth, gelb und pfirſichblüthfarb, überfleideten die abgeftorbenen Maſſen und waren wieder durch⸗ woben mit perlfarbenen Flächen der Cocharen und Reteporen, bei Ichteren einem Elfenbeinſchnigwerke ähnlih. Grau und carmin ſchillernde oder phantaftifch gelb und fchwarz geftreifte Fiſche fpielten um ihre Aefte gleich Vögeln in den Baumfronen. Hier ſah man den reinen weißen Sand des Orundes, dort Dunkle Schluchten, Srotten und überhängende Felſen, Alles vom Elarften Wafler bedeckt, das rubig kraͤuſelnd mit Licht und Schatten fpielte”.

Bevor wir ausführlicher auf den Bau dieſer Zagunenriffe oder Atolls ein⸗ gehen, wird es gerathen fein, einen flüchtigen Blick auf den allgemeinen Charak⸗ ter der Barren» oder Schranfenriffe zu werfen, welche die zunächft gewöhnlichſte Art der vorfonmenden Korallen-Kormationen bilten. Man merke ſich zuvörderſt: die Barrierenriffe unterjcheiden ſich von den Atolls bauptfächlich darin, daß fle

—— —— —— in es nur ein ſchunuler Sieden von ⏑⏑—⏑— Korallen, welche ihm in rin. vers ſchlungenes Dieicht von Geftein, in ein Labprimth gleichjam- verfleinerter Ge⸗

büfche von Knieholz berwandeln. Sodann ſindet man wieder im anderen Fällen, daß das Riff bezüglich feiner Geftalt und Ausdehnung in Form eines fortlau⸗ fenden Ringes um die eingeſchloſſene Infel anlegt und nur hier und ba einen Kanal ‚oder ein Fahrwaſſer zwiihen dieſer und ſich ſelbſt Täßt. Wiederum tn anderen Fällen umſchließt ————— ——— mehrere Inſeln gleichzeitig, fd nur eim einziged gemeinfames Riff —2 gtaphiſchen Meilen haben, Neu⸗Caledonien hat längs feiner ganzen Wefttite, anf eine Entfernung von wichr als fünfzig geographiſchen Meilen, ein Barremtif, welches fich ſogar noch mehr als dreißig Meilen weit über die Injel hinaus nach Norden erſtreckt Das große Barrenriff vor der Norboftüfte vom Auſtrallen ift ebenfalls mehr ald zweihundert geographiiche Meilen lang und. hat zwiſchen ſich und dem Lande einen Kanal oder: eine Meerenge, welche am einzelnen Stellen fünfzehn Meilen breit iſt umd eine Tiefe vom ſechzig bis zu dreihundert Fuß hat, Dieje angeführten Beiſpiele zeige, daß die Barrenriffe eigentlich in zweierlet Arten zerfallen, naͤmlich in Riffe, welche eine Inſel mehr oder weniger vollſtan⸗ dig umgeben: Freisförmige, umbägende Riffe, und in ſolche, welche blos auf eine

Die korallen⸗bildenden Polypen. 49

Pürzere ober langere Sttecke mit einer Küfte parallel laufen, ohne dieſelbe irgend⸗ wie im eigentlichen Sinne zu umgeben. In ihrem Eharakter ift allerdings Fein weientlicher Unterſchied zu entdecken, und man kann fie, wie die oben geſchilder⸗ tem Atolle füglich alle ale Beiſpiele von berielben großen Klaſſe von Korallen» Bilvungen betrachten, die ſich vielleicht nur durch bie verfchiedenen Stadien ihres Fortſchreitens und ihrer Entwickelung von einander. unterfheiden. | Behalten wir die eben gefchilderte Thatſache fer im Auge, jo können wir und nun daran machen, den Gharakter dieſer eigenthümlichen Bauten mehr in feinen Einzelnheiten zu betrachten. Hier muß zunächft heroorgehoben werben, daß einerjeits der Meeresgrund auf der Außenſeite der Korallenbant fleil zu beis nahe unergründlicher Tiefe abſtürzt, fo anderjeitd Die Gewaͤſſer der Lagune oder bes eingefchloffenen Meeresarınd innerhalb des Riffs meiftens fehr feicht find. Im Allgemeinen findet mar, daß das Riff an feiner Außenfeite auf eine Strede von mehreren hundert Fußen fich in allmäliger Böfchung abfchrägt, dann aber jenfeit diefer Grenze fich jählings abflürzt, als ob die ganze Maffe wie eine un⸗ geheure fenfrechte Mauer von Korallenfels fich aus dem Meeresgrund erhöbe. In einzelnen Faͤllen, wie 3. ®. bei mehreren Atollen unter der Infelgruppe der Malediven, fällt das Fundament diefer Korallenbänfe fo fteil ab, und iſt bie Waſſertiefe außerhalb des Riffes fo groß, daß ſchon in einer Entfernung von dreißig bio vierzig Baden (Klaftern) vom Rande der Korallenbanf ein Senfloth mit einer Leine von zweihundert Faden feinen Boden mehr findet. Faſt das ein- zige Beifpiel, wo diefe vafche Zunahme der Meerestiefe fich nicht vorfand, ergab ſich in dem Fall des Atolls der Weihnachtö-Infel, welche jübwärts von den Sand⸗ wichs⸗Inſeln liegt, und bei welcher das Meer fich ſo allmälig abſenkt, daß feine Tiefe in einer Entfernung von etwa 2200 Schritten vom Lande noch zwifchen zwanzig und vierzig Baden wechſelt. Hoͤchſt merfwürdiger Weiſe ift gleichzeitig der Streifen Land, welcher die Lagune dieſes Atolls umgibt, an einer Stelle nicht weniger al& drei englifche Meilen breit. Es ergibt ſich hiernach aus dem excep⸗ tionelleg Charakter dieſer Infel in beiderlei Hinficht, dab eine Art nothwen⸗ digen Bufammenhangs zwifchen der Hier vorkommenden zufammengezogenen Breite des Gürtels dieſes von Korallen gebildeten Landes und dem fo fehr all⸗ mäligen Abfchrägen des Miffe® an feiner äußeren Seite beiteht, fo wie, daß bei den übrigen Korallen -Infeln von fehmäleren Landfeſten ebenfalld eine gewiſſe Berbindung zwifchen diefen und dem plöglichen jähen Abfturz der Außenſeite des Riffs flattfindet. Die Senkung des Riffs gegen die Lagune oder die eingefchlof= jene Meerenge oder den Kanal hin iſt Dagegen beinahe unwandelbar immer ſehr allmaͤlig, und die bebeutendere Tiefr des eingefchlofienen Waſſers hängt gewöhn« Hd von der Ausdehnung und dem Ylächenraum ab, welche baffelbe einnimmt. Zwiſchen dem vorerwähnten Barrenriff von Auftralien und der Küjte erreicht, wie wir bereits gefehen haben, das Meer bereitd eine bedeutende Tiefe. Diefelbe Thatſache macht fi auf beiden größeren Arollen geltend, wo die Gewäfler ber Lagune fo ziemlich daffelbe Ausfehen haben wie der Ocean, und ebenfo, wiewohl nicht in gleicher Stärke, vom Winde gefräufelt und aufgewuhlt werden, Der Anblick, welchen diefe Lagunen gewähren, iſt ebenſo eigenthümlich als interefjant. IV. 4

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5 3, Saelagie.7

Ein Beobachter, welcher am nördlichen Geſtade ber Lagune von Raraka, eines der Riff⸗Eilande des Paumotus-Archipels, ſteht und. nach Süden ausblidt, kaum. nicht unterfcheiden,, als blaues Waſſer. Wendet er ſich aber nach. der Rechten oder nach der Linken, fo ift er im Stande in großer Entfernung etliche ſchwache Pünktchen zu unterjcheiden, welche ſich, wenn Das Auge weiter umberfchweift; allmälig in Streifen von Balmbäumen und anderem Grün verwandeln und ver größern, bis fie fich, in der naͤchſten Nähe, als deutliche Wälder: und wellenför« mige Gebüfche von Laubwerk daritellen. Auf der: Dechants⸗Inſel (Dean Ialand), einer anderen der Paumotus⸗Gruppe, fo wie auf vielen der Sarolinen, if bie Aehnlichkeit zwijchen der Lagune dund dem Ocean noch vollfländiger. Die La⸗ gune ift in Wirklichkeit nur ein Bruchftüd oder Bruchtheil vom Ocean, von.biefem abgefchnitten durch eine unterbrochene Mauer von Korallenriff, das fich als eine fortlaufende Reihe Fleiner, von grünem Pflanzenwuchfe überragten Eilande dar⸗ flellt. Die größeren Korallen Infeln beftchen gewöhnlich auf diefe Weile aus einer langen Kette Eleiner, längs ber Linie eincd Korallenriffd aufgereihten Ei⸗ Iande. Daher führt der König der Malediven, welcher gewilfermaßen bie Anzahl der unter feinem Scepter ftehenden Territorien diefer Art feiern zu wollen ſcheint den hochtrabenden Zitel: „Sultan Ibrahim, König der dreizehn Atolle und ber zwölftaufend Inſeln.“ Die Korallen-Infeln fommen in jeder Verfchiedenheit und Abftufung von Größe und Geflalt vor, von den ausgedehnteſten dieſer ringe ® förmigen Riffe mit gewaltigen, meereöähnlichen Lagunen an, bis zu ganz Eleinen Eilanden herab, bei welchen die Lagune allınälig aufgefüllt worden ift und keine Spur von ihrem früheren Dafein hinterlafien hat, als eine leichte Cinſenkung des ganzen Innern des Eilandes, durch welche die urfprünglichen Umriſſe der einſti⸗ gen Lagune bezeichnet werden. In Lagunen von mäßigem Umfang bilden bie Waſſer einen ftillen See, welcher inmitten feiner Unfriedigung von Balmen ſich rubig hinbreitet und kaum von Den Sthrmen gefräufelt wird, Die den umgeben- den Ocean zu haushohen Wogen aufwühlen. In diejen gefchügten Lagunen wach⸗ fen dann die zarteren Arten der Korallen» Zoophpien in der größten Bollfom- menbeit und bieten dem Erforſcher der unterfeeiichen Korallengärten und Tandichaften die herrlichften Schaufpiele. Die Oberfläche der Lagune und des Kanald oder richtiger des Meereögrunds in denſelben ift gewöhnlich befäet mit kleinen Kämmen, Streifen oder Flecken von wachiender Koralle, deren herrliche Klumpen und weitveräftelten Stöde man ebenfalld durch das ruhige regungslofe Wafler fehen ann, wie fie fi) über die leicht geneigten Innenfeiten des Riffs und über den weißen Sand des jeichten Orundes verbreiten. Die verfchiedenen Arten von Korallen» Zoophyten ſchlagen nämlich nach einander ihren Wohnftg auf diefen Bänfen auf und zeigen ihr berrliched buntes Farbenſpiel und bie Mannigfaltigkeiten ihrer Geſtalten. Die Formen, weldye die verfchiedenen Arten von Korallen annehmen, find nämlich außerordentlich zahlreich und capriciös, gleichen aber in ihrer überwiegenden Mehrheit den Gebilden der heutigen Pflan« zenwelt und bilden auf diefe Weije bald wirres Gebüſch, bald fchilfs oder bin« fenähnliche Buͤſchel, feltfam geftaltete Cacteen, Beete voll Nelken, geficberte ges kraͤuſelte Mooſe oder Sormationen, welche täufchend den an Felſen wuchernden

Die korallen⸗bildenden Polypen. 51

Flechten gleichen , oder endlich und deren ift Legion ten mancherlei Pilzen md Schwammen In ihren Taunenhaften, an Abwechslung fo reichen Formen. Da und dort erheben fit Mabreporenfiöde in ftattlichen Maflen zu einer Höhe von ſechs bis adır Fuß über die anderen Kormen und Arten, zeigen baumähnliche herrliche Gebilde mit anmuthiger Verzweigung, und find auf der ganzen Ober- fläche mit Korallen⸗Polypen wie mit einem Ausfchlage bedeckt, welche gleichfam die Stelle von Blättern und Bluͤthen vertreten. Neben dieſen trblidt man zier⸗ lich gemodelte Bafen, wovon manche drei bis vier Fuß im Durchmeſſer Haben und aus einem Netwerk von Zweigen, Zweigchen und blüthenartigen Büſcheln befieben. An anderen Stellen erheben fich große Halbkugeln von Koralle, zehn und fogar zuwellen zwanzig Buß im Durchmeffer, gleich Kuppeln zwifchen den Bafen und dem Gebüſch, und zeigen fich auf ihrer ganzen Oberfläche gar praͤch⸗ tig bedeckt mit Polgpenfternen vom reichften Purpur und reinften Smaragdgrün. Mit diefen Karben wechieln Gelb und Braun und andere Schattirungen von Hellroth und Purpur bis zum dunfelften Blau. Hellrothe, gelbe und pfirfich⸗ blätHfarbige Milleporen befleiden die abgeftorbenen Ueberbleibſel anderer Polv⸗ penarten und zeigen fich wiederum von perlfarbigen Meteporen Turchflochten und durdywoben, welche an feine® durchbrochenes Schnigwerf aus Elfenbein ober mattgebeizte Filigran- Arbeit aus Silber erinnern. Wie Vögel durch8 Gezweige des Waldes flattern, jo tummeln fich bier Kifche in prächtigen Farben zwiſchen diefen Korallenbäumen und Gebüfchen im Elaren Wafler, Seeigel, Seefterne und feltfam geformte Mufcheln haften am Grunde und Myriaden anterer fremdarti⸗ ger Geſchöpfe des Meeres, für welche nur die Wiflenfchaft Namen hat, krabbeln, kriechen, gleiten, ſchwimmen in den Gewäflern der Lagune umber und beleben fe mit einem traumartigen, feenhaften, märcjenartigen Thierleben. Pan wird geſtehen müſſen, daß diefe unterfeeifchen Korallen Wälder und Gebüſche fir da Auge: des Künſtlers und des Naturforſchers eben fo viel Genuß ala Anregung und einen unvergehlichen Anblid darbieten müflen.

Man hielt es Tange Zeit fir eine der ſeltſamſten und räthielhafteften Er- ſcheinungen in der NRaturgefchichte der Korallen Bolypen und ihrer Gebilde, daß man zwar daB Korallengeftein bis zu den größten Tiefen des Dceand hinunter reichen fant, dagegen lebende Polypen und im Wachsthum begriffene Korallen nie⸗ mals in größerer Tiefe wahrnahm, als etwa einhundert und fünfzig Buß unter der Oberfläche des Meere. Es jchien ganz räthfelhaft, unbegreiflich und uner⸗ Mörliy, dag man die Rorallenbildungen folcherweife in fo bedeutenden Tiefen fand, während die Iehenden Polypen auf einen jolch engen Verbreitungsbezirk nach unten bin befchränft erfchtenen. Diefer ſcheinbare Widerfpruch verwirrt aber, wie wir fogleich fehen werden, den wiffenfchaftlichen Erforfcher der Koral- Tenbauten nicht mehr, und wir wollen unfere Leſer gerade an diefer Stelle und in dieſem Zuſammenhange auf diefe Thatfache hinweiſen, eben um fle vor dem gäng und gäben Irrthum zu verwarnen, wenn fle etwa daraus fchließen follten, daß die geſammte Korallenmauer, fo wie ſie dem offenen Meer die Stirne bietet, von ih— rer tiefften Grundlage an bi8 herauf und auf allen ihren Theilen mit Ichenden und im Wachsthum begriffenen Zoophyten bedeckt fein. Diefe Vorſtellung iſt

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52 Zoologie.

zwar allgemein verbreitet, aber eine ganz irrige. Unter ber Region ber lebenden Polypen beſteht das ganze Riff, bis zu welcher Tiefe es auch hinunterreichen mag, natürlich. nur .ausichließlich aus todtem Korallenfels; allein oberhalb dieſer Grenze ift es durchaus nicht gleichförmig mit lebenden Zoophyten bedeckt. Diele find im Gegentheil nur auf das feichte Wafler um das Riff herum beichränft und auf defien abfallenden Rand, über melden fie ſich bis auf etwa einen Fuß breit unter dem Riveau des Waflerflandes der tiefften Ebbe ausdehnen. Zuweilen kom⸗ men fie ſogar nur ſtrecken⸗ und ftellenweife über weite Gelder von Korallenſand und abgeftorbene Bruchftüde hin vor, wie einzelne Fleckchen Raſen und anderen Pflanzenwuchſes in einer jandigen Ebene. Trotz dem ſchweren Wogenichlag der Brandung ift der obere Theil des äußeren Randes oder Abfall vielleicht im Alle gemeinen weit zahlreicher und Dichter mit lebenden KRorallen-Bolypen bejegt, alb alle anderen Theile des Riffs, und manche der haͤrteren, zäheren ober derberen Zoophyten gedeihen hier mir bejonderer Ueppigkeit, nermuthlich weil ihnen hier die Mellen mehr Rabrungdftoff oder Baumaterial zuführen, die in den kalkhalti⸗ gen Salzen des Meerwaflerd befteben. In einer Entfernung von ungefähr fünf« zehn bis dreißig Ellen vom oberften Theil des Abſturzes abwärts finder man das "Riff gewöhnlich von Löchern und zerflüfteten, gewundenen Riffen und Spalten burchzogen , welche einen trefflicyen ficheren Aufenthalt abgeben für die Krabben, Seeigel, Seeiterne, Sees Anemonen und ähnliche Geichöpfe, jo wie für die verſchie⸗ denen Weichtbiere, von welchen ed bei ruhigem Waſſer auf der Oberfläche des Abhangs winımelt, und die zur Belebung und zur fchönen Wirkung der Seene . 10 wejentlich beitragen. Auf diejem Theil des Riffs ſieht man auch Häufig die ziefige Bivalve, Tridacna (Chama) gigas, die größte aller befannten Muſcheln, welche man jo häufig in Sammlungen oder als Zierrath in künſtlichen Grotten oder Bartenipringbrunnen fieht. Sie findet fich gemeinhin mehr als zur Hälfte im Geſtein des Riffs begraben, wo fie faum Raum genug bat, ihre fchwere um fangreiche Mujchelichale zu öffnen und ihren prachtvoll gefärbten Mantel vor dem Wafler auszubreiten. Es liegt ſomit Flar am Tage, daß die Seeſeite eines Ko- rallenriffs zu jeder Zeit eine Scene des reichiten rührigften Lebens und voll des größten Intereſſes ift. Bei ruhigem Wetter überjchaut man dajelb feine Koral⸗ lenwaͤlder mit ihren taujenderlei ſchönen Formen von lebenden Weſen, welche zwiſchen und unter denjelben fi im Elaren ftillen Wafler ſpielend herumtum⸗ mein; in ſtürmiſchem Wetter und bei heftigen Stürmen dagegen gewahrt man dort eine lange impofante Linie von hoch aufgethürmten Wogen ter Brandung, welche fich dort dem ganzen Geſtade entlang in all ter Großartigkeit der Äußere ften Dede bricht. Der oberfte Theil des Riffes beftcht beinahe immer aus einer breiten ebenen Plattform von Korallengeftein, weldyes übrigens eine ſehr anebene Oberfläche bat und an manchen Stellen mit dicken Schichten von ins kruſtirenden Korallinen überzogen iſt, die ihm eine bunte Schattirung von Nor jenroth bis Burpur geben. In den meiſten Fällen erhebt fich dieſe Plattform gerate hoch genug, um bei niedriger Ebbe theilweiſe wafjerfrei gelafjen zu werten. Es gibt jedoch ein ſehr merkwuͤrdiges und außergewöhnliches Beiipiel, Dad der Chagos⸗Bank, etwa zehn Grade füblich von den Malebiven-Infeln, weiche

Die Eorallen bildenden Polypen. 63

eigentlich nur ein großes ringförmiges Riff von etwa 19 20 geographiſche Wellen in der Länge und 15 geographiſche Meilen in der Breite bildet, deſſen oberfier Theil zwifchen fünf und zehn Faͤden tief unter dem Waflerfpiegel Tiegt, noch merfwärdiger und eigenthümlicher aber ift e8, daß dieſer ganze untergetauchte Atoll, (denn für einen ſolchen farm man ihn füglich betrachten) gänzlich von lebenden Korallen entblößt zu fein fcheint. Diefe Iegtere thatiächliche Erſcheinung macht fich übrigens auch bei gemöhnlichen Wiffen bis zu einer bedeutenden Flaͤche der Ausdehnung ihrer Plattform geltend, da deren Oberfläche meiflens keine lebenden Zoophyten mehr zeist, ausgenommen in den jeichten Rachen derſel⸗ ben oder in den zerfläfteten Kandlen nach ihrem äußeren Rande zu, wo fie übet« zeich vorhanden find. Am inneren Ende diefer zu Tage ſtehenden Randfefte oder Uferplattform, wie man fie genannt hat, erhebt ſich der fteile Strand von Koral⸗ lenlies und Sand, der allenthalben Die echten Korallen-Injeln einfaßt, wo fie fi auch immer gebildet Haben mögen. Diefes flache Geſtade gewährt, wenn man es bei ruhigem Wetter vom Verdeck eines gegen die Infel heranfegelnden Fahr⸗ zeugs aus betrachtet, einen ganz eigenthümlichen und merkwürdigen Anblick. Bermöge feiner weißen Färbung und des Kontraftes, welchen es mit dem darüber auftretenden dichten Laubwerk bildet, kann man feine Boͤſchung nicht einmal aus geringer Entfernung wahrnehmen und der flache Strand gleicht feiner ganzen Länge nach gewifiermaßen einer vertifalen Mauer oder Eindeichung, welche pa» rallel mit der Küfte läuft. Dana erzählt: „Als die amerifanifche Expedition @ fich dem Eilande Elermont» Tonnerre, einer der erſten der auf jener Fahrt bes ſuchten Rorallen-Infeln, näherte, und die Eingebekten mit ihren Speeren in bet Hand dem oberen Theil des Geſtades entlang ftanden, hielten viele Leute an Bord dieſe Eingebornen für Schildwachen und Patrouillen auf den Wällen einer fürms fichen Befefligung. 88 ift vieleicht von Intereffe, bevor wir weiter geben, bier anmführen, daß das Geſtein des Riffs an allen Stellen, wo es zerbrochen oder fein Gefuͤge getrennt ift, die ungmeidentigften Beweiſe dafür zeigt, daß ed aus Koralientrümmern und Sand, welche durch eine Art Cement jchön verbunden find, gebildet worden if. In manchen Fällen find die eingelagerten Korallen» Maſſen von bedeutendem Umfang, allein nur felten findet man fle in ber urfprüäng« lichen Lage ihres Wachothums; dagegen kommt es weit häufiger vor, daß bie Treinnmer fowohl Hein als auch durch die Einwirkung der Wogen flark zerbrv⸗ chen und abgerieben worben find, bevor fle unter einander vereinigt wurden. Weltaus die gemöhnlichfte Form von Geſtein, in welches die Erdfeſte des Riffs vorkommt, ift jedoch die eines feften, dichten weißen Kalkſteins von eben jo ſchoͤ⸗ nem Gefüge und feinem Korn, als irgend welche ferundäre Kalkfleine von ztemlich großer Härte, fo daß fle unter dem Schlag eined Hammers mit einem hellen metallifchen Ton Elingt. Die Art und Weife, auf welche die urſpruͤnglich Ioderen und unzufammenhängenden Trümmer, der Iofe Schutt des Korallenriffe folchermaßen in eine harte und compacte Maſſe verdichtet wurde, ift vollkommen unserfländlich und nicht zu erflären; und der überzeugendfte Beweis von feiner jüngeren Bifpung und feinem noch neuen Urfprung wird durch die Thatſache bei⸗ gebracht, daß ſich darin die Ueberreſte verfchiedener Gefchöpfe eingelagert vorfinden,

welche das Riff noch immer bewohnen, und eben deshalb jogar gelegentlich auch iehr bedeutende Spuren oder Dentzeichen des Menſchen jelbft und feines Haus⸗ haltes. Das aufgetauchte, über den Waflerjpiegel hervorragende Land, welches die _ Subftanz der Korallen-Infel bildet, wo fie Die breite Plattform des Riffs über- zagte und von dem bereitd erwähnten Geſtade eingefaßt ift, befleht aus Blöcken son ähnlichem Material wie dasjenige, welches die Mafle des Riffs jelbft bildet. In feinem früheften Stadium der Bildung, wenn es ſich noch faum über die Grenze der Gezeiten erhebt, hat ed das Ausfehen eined ungeheuren Trümmerfel⸗ des, denn es liegen eckige und Fantige Maflen von Korallengeftein, deren Dimen- fionen von einem bis zu hundert Kubikfuß wechfeln, in der größten Unordnung und wildeften Verwirrung über einander aufgehäufl. Ban erfennt dann unter diejen durcheinander geworfenen Maflen manche leicht ald Theile einzelner Kos rallenftöde; allein beinahe ſaͤmmtliche größeren Blöcke haben den gewöhnlichen Gonglomerat-Eharafter des gemeinen Riffgefteind und find unverfennbar davon abgeriffene Theile, welche durch die Ihätigkeit der Wellen nach ihrer jeßigen Ruheſtaͤtte geichafft worden find. Den Einflu der freien Luft, welcher fie aus geießt find, und ein hierdurch hervorgerufener leichter Verwitterungs⸗Prozeß, fo wie in einzelnen Fällen die Einwirkung von Blechten, welche ſich darauf nieder» laſſen, geben den Haufen bald eine andere Bärbung und hiedurch, je länger deſto mehr das Ausſehen eines Haufens vulfaniicher Schlade.

Im naͤchſten Stadium ‚hat dad gemeinfame Spiel von Wind und Wellen die Zwijchenräume der einzafigen Blöcke theilweiſe mit Korallenjand ausgefüllt; die soranjchreitende Verwitterung hat einzelne Kanten und Eden zerbrädelt und dem Banzen ein mehr homogenes Gefüge und eine leichte Bededung von ſandi⸗ gem Boden gegeben, welcher dann die nothdürftigfte Nahrung abgibt für einige Stauden⸗Gewaͤchſe, Schling- und Kriech- Pflanzen, welche ihre grünen Blätter über die rauhen zerriffenen Blöcke ausbreiten und der Scene viel von ihrem un« fruchtbaren und öden Ausſehen benehmen. Die Verweſung dieſer dürftigen Pflanzendecke Hilft die humushaltige Erde allmälig vermehren, und zur Humus- bildung auf den noch nadten Flächen oder Haufen der Niffe trägt urfprünglidy vielleicht auch der Roth der Meeresvögel bei, die fich bald auf dem zu Tage ftehen- den Ringe feiten Landes einfinden, Durch ihren Auswurf entfteht vielleicht von vornherein oder allmälig eine Dünne Schicht Dammerde, in welcher zuerft Eleinere, dann größere Bilanzen gedeihen, endlich Bäume, fo daß das neue Land allmä⸗ lig zum Aufenthalt des Menfchen vorbereitet und qualificirt wird.

In ihrem legten oder vollfommenen Stadium erhebt fich Die Korallen-Injel acht bis zehn Fuß über das Niveau der höchften Fluth und zeigt einen herrlichen Kranz vom wuchernöjten Grün, wo über eine faftige, farbenreiche Pflanzenwelt von niedrigen und flrauch» oder bufchartigen Gewächien die Brodfrüchte, Der Bandanusbaum ,, Die Kokosnußpalme und verfchiedene andere Palmen oder zier⸗ liche Baumfarne ihre majeftätiichen Häupter erheben, Die Oberfläche beficht aus einer dünnen Schicht von Korallenboden, die nur wenige Zolle mächtig ift und dann einem beinahe seinen Korallenjand oder Kies Plag macht; einen bis zwei

Die Forallen-bilbeuden Polypen. oo.»

Fuß tiefer, nimmt fodann die Waffe wieder ihren Gharakter eines mehr oder minder dichten Korallengeſteins oder Felſens an, und zwar ber Thatfache zum Trotz, dag das Land mit dem wucherndflen Grün einer ziemlich zahlreichen Flora bedeckt fein mag. Bei Infeln, welche in der Längenachfe oder Grundlinie ihres Riffs Häufig durch Zwiichenräume oder Kanäle unterbrochen find, trifft man ſo⸗ gar fehr häufig Beifpiele von jedem diefer Drei Stadien innerhalb eines ziemlich befchränften. Raumes, fo daß fich dem Auge des Befuchers gleichjam auf einen einzigen Blid die ganze Bildungsgefchichte einer Korallen-Infel vorführt. Wenige Worte dürften Hinreichen, um bie weientlichen Unterfcheidunge merkmale der inneren Miffe und Sranfen- oder Dammriffe hervorzu⸗ heben, und dann wollen wir auf eine andere Klaſſe von Korallen⸗Formationen übergehen, deren wir feither noch nicht erwähnt haben. Innere Niffe führen ihren Ramen daher, daß fle in eingefchloflenen Gewäflern vorkommen, fei es nun in dem Kanal innerhalb eines Guͤrtelriffs, oder innerhalb des Flaͤchenraums einer Zagume. Bilden fte fich in ruhigem Waſſer, fo find ſte meiſt weit reichlicher mit lebenden Zoophyten bedeckt, ald dies Bei Riffen der Fall, welche allem Ungeftüm und Anprall der offenen See auögefegt find, und man kann dann auch als allges meine Regel annehmen, dag fie fich weit fanfter und allmäliger nach dem tiefen Waſſer abvachen. Wie bei den Äußeren Riffen befteht jedoch die große Mafle der Korallenbant aus conglomerirtem Korallenfels, welcher häufig ein ebenfo ſchönes feines Korn und gleichartige® @efüge zeigt, wie der gewöhnliche Kalfflein. Dere hauptſaͤchlichſte Unterfchieb in dieſer Beziehung befteht vielleicht darin, daß bie Inneren Riffe weniger aus zerbrochenen Korallentrümmern, al8 aus mehr oder weniger vollfländigen Zobphyten beftehen, welche in der urfprünglichen Rage ihres Wachsthums in die Maffe eingebaden find. Franſen⸗ oder Strantriffe find Ko- rallenbänfe, die fich im ſeichten Waffer in der Nähe von Land bilten, und führen ihren Ramen daher, daß fie eine Art Damm oder franjenähnliche Umwallung der Küfte bilden, an welcher fie ſich niedergelafien haben. Sie kommen biöweilen in der Umgebung von. Küften vor, welche durch Fein Gürtelriff geſchuͤtzt find, zu⸗ weilen aber auch an Küften, welche vollftändig von Guͤrtel⸗ oder Barrenriffen eingefreift find. Wäre es möglich, ein ſolches mit doppelten Riffen umzogenes Ciland aus der Meerestiefe emporzubeben, fo. würde man finden, Daß die beiden Korallenbänte auf den unterjeeifchen Böfchungen ftünden wie mafflve Bauten von künſtlichem Manerwerk: dag das Dammriff eine breite flache Plattform bilder, eine Art Keifte oder Sandbank, welche ſich in der Rühe der Waflerlinie der Küfte rings um das Land zieht; daß Dagegen daB Äußere Riff aus bem tiefer untergetauchten Theile fich emporbebt und jenes in einiger Entfernung umgibt, wie ein ungeheurer, ſeewaͤrts ftehender Dammwall oder Wogenbrecher. Wenn man früher große Mühe hatte, fi) das Vorhandenfein von KRorallenfelfen in ſolch umentlich bedeutenterer Tiefe unter derjenigen Region der lebenden Poly pen, worin diefelben heutzutage noch gefunden werden, zu erflären; fo fand . man nicht geringere Schwierigkeiten in der Erklärung der Entftehungsweife einer ganz entgegengefehten Gattung son KRorallen-ormationen, welche noch hentzu⸗ tage hberall vorkommen, naͤmlich der Bildungdweife von Infeln aus gewöhn-

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lichem Korallenfels, welche weit über. ven Bereich der allerhächften nur irgend möglichen Sprinpfluthen emporragen. Derartige hohe Korallen» Infeln. Ad derchaus nicht jelten, ſondern finden fich im flillen Ocean in Menge und in den verfchiedenften Graben der Erhebung über den Meereäfpiegel, von folchen an, welche nur um wenige Fuß über die gewöhnlichen Niff-Eilande emporragen bis zu anderen, welche eine Höhe von zwei» bis dreihundert Kuß und mehr über dem Meereöfpiegel erreichen. Metia oder die Anrora-Injel, eine Infel der weftlichen Paumotus⸗Gruppe, if ein Eiland der hierher gehörigen Gattung. Es iſt etwa 3a geographifche Meilen lang und eine halbe Meile Breit, und beficht aus einer Maſſe von dichtem Korallen - Kalkftein, welcher fich in Beljenwänden und mehr oder weniger fenkrechten Klippen zu einer Höhe von zweihundertundfünfzig Zuß erhebt. Diefer Kalkftein ift gleich dem Geſtein der gewöhnlichen Niffe zum größe ten Theile von eben fo dichtem und gleichförmigere Gefüge, wie jefundarer Mar⸗ mor; allein bier und da deuten Maſſen von darin eingelagerten Korallen oder die Ueberrefle von Muſcheln und Schalthieren jolcher Arten, welche noch heutzutage im benachbarten Meere vorfommen, ganz klar und bezeidmend auf die Natur and das neuere Datum feines Urfprungs Hin. Gin anderer Bunt, worin fih das Geſtein dieſer Injel und die Kormationen des älteren Kalkfteind gleichen und übereinflinnmen , tft das Vorhandenſein audgebehnter Höhlen in erſterem. Im einigen ſolchen Höhlen und Grotten fann man große Stalaftiten, bis zum Durch⸗ mefler von ſechs Fuß, von der Dede berunterhängen fehen. Aehnliche Höhlen fommen nach der Schilderung des britifchen Mifftonärs John Williams in dem hohen Korallenfelfen von Atiu, einer Infel der Hervey⸗Gruppe, vor, worunter eine von folch .beträchtlicher Ausdehnung, daß jener Garährämann zwei Stun den lang darin umherwanderte, ohne an dad Ende ihrer Krümmungen und Win⸗ dungen gelangen zu können. Die Inſel Tongatabu iſt ein weiteres Beifpiel die fer hoben Korallen-Eilande. Sie ift allerdings an manchen Stellen niedrig und eben, erreicht dagegen an anderen eine Erhebung von hundert Fuß und beflcht aus Korallenfels, welcher deutlich die durch die Einwirkung der Gezeiten in ihm verurfachten Aushöhlungen und Unregelmäßigkeiten zu erfennen gibt. Ein noch merfwürtigered Beifpiel ift Mangaia, eine der Cook⸗ und Auftral-Infeln; diefes Eiland ift zum Theil vulkaniſch, beinahe dreihundert Fuß hoch, und bietet in jeder Hinficht dad Ausſehen eined emporgehobenen Atoll oder ringfürmigen Riffs dar. Sein ®ipfel ift größtentheild eben, aber im Mittelpunkt befindet ſich eine weite Vertiefung, auf deren Oberfläche einzelne Streifen, Flecke ober Kindling® Hlöde von Korallenfels zerfireut umherliegen, wovon manche zu einer Höhe von vierzig Buß emporgehoben find und durch ihr Ausſehen und ihre Beichaffenheit den Beobachter jogleich an die einzelnen Kuppen, Hügelchen und Eleinen Riffe in der Lagune eines Atolls erinnern. Wir haben nun die hauptſaͤchlichſten Klaſ⸗ fen von Korallen-Formationen gejchildert und uns bemüht, fo meit es unfer ber ſchraͤnkter Rahmen möglich machte und thunlich erfcheinen ließ, eine anfchauliche, are und deutliche Darftellung von ihrem Bau und Ausſehen zu geben. Es tft natärlich nicht möglich, in einem fo. engen Raume wie derjenige, welcher uns bie für vorgeitedtt wurde, auf Einzelheiten einzugehen, umd wir möäfjen daher

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Die Eorallen- bildenden Polypen. 57

Diejenigen umierer Leſer, welche grünblichere Studien und Forſchungen über die- fen Gegenſtand auftellen wollen, anf bie Specialwerke über dieſen Gegenſtand, ‚namentlich auf das. nerbienfioplle herrliche Werf von Dr. Charles Darwin, verweiſen. Wir glauben aber Solchen in dem Borangehenden eine gute Vorſale für dieſen interefianten Zweig der Raturfunde gegeben und auch dem größeren Leſerkreis einen Flaren und anregenden Ucherblid über biefen Gegenſtand ver⸗ fehafft zu Haben. Der Raum, welcher und noch übrig bleibt, Toll rinex kurzen Ueberficht über die Theorie gewidmet fein, welche Darwin über die eigen thuͤnliche Bildung der Korallenriffe aufgeftellt Hat und mittelft deren er ſich Die Entſtehung derfelben zu erklären und Die fcheinbar widerjprechenden Thatſachen, womit und ihr Studium befannt macht, in Einklang zu bringen verſucht. Zum Schluſſe fei es und ſodann vergönnt, noch einige Worte über die weite Ausdeh⸗ nung der Geſichtspunkte, welche Diele Theorie in ſich begreift, und über den denk⸗ würdigen Zufammenhang hinzuzufügen, welcher zwifchen der Thätigfeit der Kos rallen⸗ Bolgpen und anderen wichtigen Kräften und Agentien der Ratur, die fämmtlich auf denſelben Zweck hinwirken, beſteht.

Es bat nicht an mancherlei Hypotheſen gefehlt, um die eigenthümliche Struktur und Conformation der Korallenriffe zu erklaͤren, allein dieſelben waren oft ſo bizarrer oder barocker Natur, ſo ſehr bei den Haaren herbeigezogen, daß nur eine einzige derſelben die vorurtheilsfreie Prüfung der Wiſſenſchaft erfolg⸗ reich beſtehen und allen Anforderungen empiriſcher und ſpekulativer Betrachtung Genäge leiſten konnte, und dieſe iſt die von Dr. Charles Darwin aufgeſtellte Theorie, welche nun allgemein anerkannt iſt. Dieſe geiſtvolle ſcharffinnige Hy⸗ votheſe gründet ſich auf die Annahme, daß der Meeresgrund des Oceans in den⸗ jenigen Regionen, wo Korallen-Riffe vorkommen, große und in manchen Faͤllen fogar wiederholte Veränderungen feines Niveaus erlitten habe; dab gewiſſe Theile deffelben fich allmälig in große Tiefen hinabgeſenkt und dann in einzelnen Bei⸗ fpielen in der Folge wieder weit über ihr urjprüngliches Riveau erhoben haben. Es if eine wohlermittelte und feftgeftellte Thatſache, Daß noch Heutzutage derar⸗ tige oßcilfatorifche Bewegungen und Riveau» DBeränderungen des Meeresgrundes Rattfinden, und es darf Darum wohl auch mit gutem Grunde angenommen wer- den, daß folche auch in vergangenen Beitaltern ſich ereignet haben; und dieſe Annahme ift vielleicht um fo mehr gerechtfertigt, als es kaum möglich ericheint, fich die Hei der Bildung der Korallenbänfe fich geltend machenden Phänomene durch irgend eine andere Suppofltion zu erklären. Da die Korallen⸗Polypen nur innerhalb einer gewifjen befchränften Entfernung von der Meeresfläche Ieben, fo dürfte hieraus erfichtlich fein, daß fie in allen Fällen jenen Bau im Großen, Durch welchen die Riffe entflanden, in Gewäflern begonnen haben müflen, deren: rund noch innerhalb der ihnen jpeziell zuträglichen Tiefenregion lag. In tie fen Meere fonnte dies nur in der Rachbarfchaft des Landes gefchehen, und wenn das fragliche Land eine Infel war, fo ift Elar, dag ed mit einer Wafler-Zone oder einem Bürtel von diefer geeigneten Tiefe umgeben fein mußte, fo wie, daß die Breite dieſes Guͤrtels ſich natürlich nach der Abdachung der Küften der Juſel richtete, refp. von biefer beſtimmt ward, Da aber kleinere Infeln, die fich aus einem

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tiefen Ser erheben, meift an ihrem Saum ſehr fleil gegen ben Meeresgrund ab⸗ fallen, fo mußte der für dad Leben und Gedeihen ber Korallen⸗Polypen geeignete Bereich des Waſſers um deren Küften herum notwendig verbältnigmäßig ſchmal fein und dadurch bie relative Breite der Fünftigen Korallenbank bedingen, wäh- end zu gleicher Zeit von der mehr oder minder regelmäßigen Geftalt der Infel auch die Seftaltung der gefrümmten oder beziehungsweife ringförmigen Contour ber Riffe abbing, welch Iegterc für die Korallen-Bormationen fo charakteriſtiſch iſt. Darwin's Theorie nimmt daher an, die Korallen-Riffe feien indgefammt anf diefe Weife in den jeichten Gewäflern in der Nähe von Injeln begonnen wor⸗ den, indem die Korallen» Polnpen ihre Thätigfeit auf den unterfeeifchen Abhaͤn⸗ gen der Injel anhuben, und die Korallenbank fich allmälig immer höher und höher erhob, bis fie das Riveau der tiefften Ebbe erreichte, wobei fie zugleich ent⸗ weder um Die ganze Infel oder nur um einen Theil derfelben herum weitergeführt wurde, je nachdem drtliche Urfachen die fortgefegte Arbeit diefer zahllofen Poly⸗ penfchaaren begünftigen oder bintertreiben mochten. Es wird nun in die Augen fallen, taß die Korallenriffe, welche fich auf dieſe Weije dicht In der Nähe bes Zandes bildeten, mehr zu der Klaſſe der Dammriffe gehören mußten, als zu ber der tolle und Barrenriffe. Rimmt man aber an, der Meeresboden habe, nach⸗ dem die Korallenbanf fo ringe um die Inſel herum gebildet worden war, begon⸗ nen, ſich mit der ganzen Maſſe der auf ihm ruhenden Infel faktiſch und körper⸗ lich auf ein tieferes Niveau hinabzuſenken, fo daß der oberfte Theil des Riffs nun wieder unter Die Grenze der tiefften Ebbe gebracht worden ſei, fo mußten bie Polypen Hiedurch in den Stand gejegt werden, wieder weiterzubauen, nach oben zu wachfen, neues Mäterlal zu verarbeiten, welches ihnen der Wogenfchlag zuerft . mführte, dann nad; feiner Verarbeitung zertrümmerte, zufammendrüdte, verdich⸗ tete, in den Zurifchenräumen ausfüllte, und daß hierdurch endlich das Riff von den Polnpen ftet3 an der Oberfläche des Waſſers erhalten wurbe, troßdem daß das Fundament ihrer Bauten fortwährend In weitere Tiefen verjant und durch Losreißung größerer Blöcke und Trümmer fich erweiterte, fo haben wir auch für dieſe Hypotheſe und die fie bedingenden Zuftände eine plaufible ExrFlärung. Wir können und vergegenwärtigen, daß wenn diefe langſame Senkung

ber Infel ſich andauernd über lange Zeitperioden erftredt hat, und das Riff in« zwiſchen unabläffig höher und höher gebaut worden ift, um immer auf einem be⸗ ſtimmten Niveau zu bleiben, mit der relativen Stellung und Größe der beiden‘ Körper auch eine ſehr wichtige Veränderung vor fich gegangen fein muß. Das Riff Tiegt nun nicht länger unmittelbar an ber Küfte, denn die Infel ift ja in demfelben Verhaͤltniß Fleiner geworden, als ihre fanft oder fteiler abfallenden GSeitenflächen unter das Meer verjunfen find, und es ift nun ein weiter Kanal zwifchen dem Reſt der Injel und der Korallenbank geblieben ; diefe ſelbſt aber iſt auf dieſe Weife aus dem Zuflunde eines Damm ober Franſenriffs in denjenigen eines Barten« oder Guͤrtelriffs übergegangen , welches man jolchermaßen als das zweite Stablum einer Korallen⸗Inſel auf ihrer fortfchreitenden Entwidelung zu ihrer volllommenen Form betrachten kann. Hierans ergibt fich aber deutlich, daß wir uns biefen Prozeß nur als fortlaufend denken dürfen, fo daß alfa Die Infel

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immer tiefer ſaͤnke, das Riff auf demſelben Rivenu fich erbielte, bis endlich nach und nach. auch Die legte Bipfelipige der verſchwindenden Infel unter den Meeres⸗ fplegel hinabgeſunken und aus der Korallenbanf eine vollfommene Korallen-Infel geworden, um und auch die. Bildung eines Atolls erklären zu können, denn dad nun vorhandene Korallen» &iland muß ja vollkommen ringförmige Geſtalt mit einer Lagune in: der Mitte haben, und repräfentirt nach diefem Syſtem oder diefer Theorie fodann bie vollkommenſte Stufe der Injelbilbung durch die Thä- tigfeir der Korallen« Bolgpen. Wir haben nun feinen Raum mehr, um im Einzelnen: nachzuweiſen, wie vollftändig dieſe fcharffinmige und body einfache Theorie die verſchiedenen Bhänomene erklärt, welche wir an den Korallengebilben wahrnehmen. Allein es dürfte um fo weniger nothwendig für uns fein, auf das Detail der Darwin’fchen Theorie bier einzugehen, da wir ja dem Leſer genügen- bed Material geboten zu haben glauben, um ſich felber Hiermit zu befaflen. Es Heifcht nur wenig Nachdenken und Aufmerffantfeit, um einzufehen,, daß es feine einzige unerflärliche Thatſache mehr gibt, weldye einen erheblichen Zweifel in bie Blaubwürbigleir der Hypotheſe fegen Eönnte, wenigftend in foweit als diefe die gewöhnlichere Form von Korallen-Infeln betrifft. Im Beziehung auf diefenigen, welche body über den Meeresſpiegel ſich erheben, fünnen wir mır fupponiren, daß bei ihnen die Einfintung des Meeresgrundes nur während einer gewiſſen Periode andauerte, dann aber innehielt und flatt ihrer eine Bewegung nach oben eintrat,

alfo eine Hebung „. welche vielleicht viele Jahrhunderte anbielt und eventuell die Korallenmafle auf ihre jegige Höhe erhob. Es finden fidy in ber That in ber Ratur Beifpiele genug daflır, Daß eine Derartige Bewegung nach oben noch heu⸗ tiges Tages bei mehreren Korallen-Infeln vor ſich gebt; und Lie Thatjachen, welche wir weiter oben hinfichtlicy der Iufel Mangaia, in der Gruppe der Cook⸗ und Auftral-Injeln, angeführt haben, reichen vollfommen zum Beweiſe bin, daß eine ſolche Hebung. fchom jeit ſehr langer Zeit vor ſich geht.

: Die Beobachtungen neuerer Forſcher geben fogar Anhaltspunkte zur Beur⸗ theilung des Maaßſtabs des Wachsthums bei Korallenbänten, weldye ohne Zwei⸗ fel noch bedeutend vervollſtändigt werden, wenn erſt genauere Verſuche die Eumme tes Einfluſſes lokaler und klimatiſcher Urſachen auf die Korallenbildung naͤher kennen und ſchaͤtzen gelehrt haben. Soviel iſt gewiß, daß in heißen Mee⸗ ren die Korallenbildung fehr rajch vor fi geht. Darwin z. B. fand im indie fen Ocean den Kupferbeſchlag eines geflrandeten Schiffes fchon nach zwanzig Monaten mit einer zwei Fuß diden Korallenſchicht bedeckt. Auf einigen bewohns ten Atollen der Suͤdſee hat man deutlich eine Erweiterung, reſp. eine fichtbare Zunahme der Landfeſte nad) innen und ein Seichterwerben wie eine Verkleinerung der Lagune innerhalb eines Zeitraums von zehn bis zwölf Jahren bemerft*).

*, Hieran reihen wir vielleicht unferen 2efern zu Dank die anmuthige Schilde⸗ rung des Wertens einer folhen Korallen: Infel’ tur Adelbert von Chamiſſo, einem faftifchen Befucher tiefer wunterbaren Kerallengebilde der Suͤdſee. „IR das Riff“, fagt er „bis zur Höhe gelangt, daß es bei niedrigem Waflerftand zur Zeit der Cbbe faſt trocken wird, fo hören die Korallen ıthiere) auf, höher zu bauen. Mufchels fhaalen, Rorallenbruchftüde, Seeigelſchaalen u. |. w. vereinigt die Brennende Sonne

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Genf Gnffemneg; Me Geingabatın. Der caef ini goßa len uch tusdhragenen Bär umgehen Babe. britiſchen Halbinſel iſt ohne 31 9; und der Umftand,

Br dieſer Anficht einen hohen Grad-von Wahre ſcheinlichteit, während fich anderſeits mur jehr wenig Erhebliches dagegen einwenden läßt. Die Idee iſt jedenfalls aufmerfjamerer Prüfung und Beachtung werth, und ann, wenn fie ſich ale richtig bewährt, uns einen merfiwürdigen Ein-

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Kaltſand, der durch Berreibung jener Schaale u einem A ee gang Amsheyr, Ei ar

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Die Eorallen -bildenden Polypen. 61

tien zu einem und demfelben Zwecke der Ratur geben. Auch würde die Richtig- ftellung und Bewährung diefer Annahme für die Geognofle von ungeheurem Werthe fein, denn nichts erleichert und das Berftändniß der Vorgänge in den Zeiten ber Urwelt fo ſehr, ald wenn wir an analogen oder ganz übereinftimmen- den Ericheinungen im Bereiche unferer gegenwärtigen Schöpfung nachzuweiſen vermögen, wie fonftant und unumftößlich gültig, wie ewig Die Geſetze der Natur find. Die Lebenschätigkeit winzig Meiner Bolypen, die zerflörente Gewalt des Wellenſchlags im Ocean, das Walten chemiſcher Verwandiſchaft, Die großen vhnanriſchen Reſultate des Feners in unferem Erbämeren, und Die aͤußerordentkiche Enwickelungsfaͤhigkeit alles vegerabiliſchen Lebens, welche in ihrer Combination und in ihrem Zuſammenwirken die unerſchöpflichen Vorraͤthe von Steinkohlen und Kalt, diefer beiden großen Förderungsmittel menfchlicher Civiliſation erzeug- ten fie alle thun fichtlich dar, daß die Erde von Anbeginn an dazu auserfehen war und darauf vorbereitet und zugerichtet wurde, dem Menfchen zum Aufs enthalt zu dienen.

Das unermeßliche Gebiet der Südfee ift ganz befäet mit unzaͤhligen Koral- len⸗Inſeln in jedem Stadium der Entwicelung im Sinne der Darwin' ſchen Theorie. Die Euͤdſee gibt ber fühlichen Erdhaͤlfte den Charakter der vorwiegen- den Waflerfefte unferes Erdballs, aber die neuere Wiſſenſchaft belehrt uns, daß Be die nicht von Anbeginn war, fondern daß wir im Stillen Ocean das Grab eines gewaltigen Kontinentes jchen müflen, welcher langſam und allınafig einſank, während dieſer großartigen Einfinfung in nächfter Rähe ebenfo bedeutende all⸗ mälige Hedungen gegenüberftehen, indem Südamerifa, die Küften Afrika's und die Infeln des Sunda⸗Archipels fich noch fortwährend im Zuftande einer lang» famen Erhebung aus dem Meere befinden. Die Korallen » Infeln der Südjee fiheinen mit ihren Zwijchenräumen den Umfang bes verfinfenden Fefllandes zu bezeichnen, weldyes nach der Ausdehnung, welche jene einnchmen, fich über einen tolofialen Flächenraum erſtreckt haben muß. Vielleicht fcheinen dieſe Gebilde winziger Polypen dazu berufen, dieſe Landfeſte vor gaͤnzlichem Verſchwinden zu bewahren und ſie wenigſtens nach ihren Endpunkten und Umriffen zu bezeich⸗ wen. ‚Sollte daher in Zukuuft einmal die Reihe der Hebung durch eine Rich⸗ tung&» ober Ortd-Beränderung der vulkaniſchen Thaͤtigkeit unferd Erdinneren an die Region kommen, welche die Korallen-Infeln bezeichnen, fo würde die Ko⸗ sallen-Kormation fi gleichmäßig und vielleicht fortlaufend über viele Taufende von Dundrarmeilen dieſes emporgehobenen Kontinente® verbreiten. Die gewal⸗ tigften Agentien und Raturfräfte unſeres Erdballs, welche ſich in der Hebung und Senkung. der Theile der Erdrinde offenbaren, verbinden fich Hier mit dem Ergebnig der inftinktiven Lebenötbätigkeit winzig Fleinee Organismen, durch deren gemeinjamed Wirken in unzähligen Milliarden und währen? vieler Millio« zen Jahre nun unabfehbare Landfeſten vor jpurlofen Untergang durch Verſin⸗ ten. bewahrt werden, indem dieje Ihierchen in eben demſelben Verhaͤltniß, wie dieſer Kontinent einfinkt, auf jeinen höchften Spigen weiterbauen und in der uns abiehbaren MWaflerwüfle eine Unzahl einer Wohnpläge für den Menfchen ſchaf⸗ fen und erhalten.

Aeber die Verbreilung der Wärme auf der Oberfläche der Erde.

Bon Profefior Dr. Eduard Köfce.

Nothwendigkeit yon Sonnenklimaten. Einfluß der geograpbifchen Breite. Ungleiche Theilung der Erde in Blimatifcher Beziehung durch den Aequator. Klimatiſche Scheidelinie der nördlichen und füblichen Erdhalbkugel. Einfluß der Höhe. Einfluß der geographiſchen

Ränge in Folge ded Wechſels der Oberflächlichendefchaffenheit. Land

. und See, Gebirge. Luft: und Wafferſtröme. Frühere Leiſtungen über die Wärmevertheilung. Humboldts Jahrediſothermen. Zfothe- ren und Iſochimenen. Dove's Monatsiſothermen und Geſetze Der Bertpeilung. Thermiſche Anomalie. Iſanomalen. Ungleihe Warme beider Halbkugeln. Werbreitung der Wärme in den einzelnen Zonen. Aenderungen in der allgemeinen und befonderen Waͤrmevertheilung.

Den periobiichen Beränderungen der Wärme, die jeder Ort in der Zeit nad einander eintreten flieht, entfprechen im Raume neben einander nicht weniger gleichzeitige Abweichungen und Gegenfäge. Obaleich beide Reihen von Unterſchieden auf diefelben allgemeinen und befonderen Urſachen zurüchneifen, und felbft einzelne Glieder der einen mit Vorficht zur Erläuterung der anderen verwendbar ſind: muß doch in jedem Bilde der irdifchen Wärmevertheilung bie eine wie Die andere fich wiederfinden. Theils im Anfchluß an eine früher vers ſuchte Darflellung bes periodiichen Wärmewechfeld (Bd. 3, S. 30), theilß zus Erweiterung mehrerer dort geöffneter Anfichten, mögen die folgenden Worte der Temperaturunterichiede der Erde in ihrer räumlichen DBerbindung erläutern. Der Berlauf der Betrachtung wird zeigen, daß dieſe Unterfchiede, trog aller Ver⸗ wickelung, zwar gefegmäßige find, daß aber die Anerkennung jeber Orbnang weniger durch daB unmittelbare Anfchauen*) der gefammelten Tihatjachen als

*, Deshalb Mind au erläuternde Karten weggelaſſen. Soll durch fie für den vorliegenden Gegenſtand etwas genupt werden, fo werten fie zahlreicher und in größerem Maaßſtabe gefordert, als fie hier gegeben werden können. Wo es auf einzelne Werthe .für beflimmte Orte und Zeiten ankommt, wird man immer auf die Himatolegifchen Hauptwerke zurüdgehen müflen: auf die Tabellen und Gharten in Dove's Abhandlungen über die nicht periodifchen Aenterungen der Ternperaturvertheis

Dertliche Verbreitung der Wärme. 83

durch eine Erkenntniß des Zufammenbanges zwiſchen Erfolg und wirkſamen Elementen gewonnen wird. Daher möge es geſtattet ſein, bier ein geringeres Gewicht dem großen Reichthume einzelner Erfahrungen, ein höheres ber Auf⸗ Uärung jenes Zuſammenhanges zu geben und bie. allgemeinen Büge der Waͤrme⸗ vertheilung nicht blos um ihrer ſelbſt willen darzubieten, fondern zugleich als hervorragende Beifplele bereits erfannter, gefegmäßiger Abhängigkeit.

Die Zeit ift für die Erde laͤngſt vorbei, zu welcher die eigene innere Wärme die Temperatur der Oberflaͤche überwiegend beherrſchte. Seht iſt ber wärmenbe Einfluß der Sonne das maßgebende Element. Gr iſt dieſes nicht ewwa dadurch, daß er felbft größer ober der Planet für ihn in entfpredhendem Grade empfäng- licher geirorben wäre,: ſondern weil die allmälig angewachfene Stärke der Erd⸗ kruſte Die Wirkung des Erdinneren nady außen mehr und mehr befchräntt Hat. Es ift unmöglich,. dieſe Sonnenwirfung für die weientlichfle Urſache der ober- flaͤchlichen Erdwärme zu. erkennen und ſich zu erinnern, wie verſchieden die einzelnen. Oberflächentheile der Erdkugel gegen die einfallenden Wärmeftrahlen geftellt And, ohne zugleich die Rotivendigkeit von Sonnenflimaten ein

Die gleichmäßige Umdrehung der Erde um eine. fehr nahe parallel zu fich ſelbſt bleibende Axe ſcheint eine Vereinfachung in das Bild zu Bringen, welches von ber Waͤrmevertheilung an ihrer Oberfläche Erfahrung und Schlüfle uns geben jollen. Wie mänslich immer biefe Bertheilung fein möge: wir find geneigt, fie beiberfeitd vom Aequator nach ten Polen bin. gleich geordnet zu erwarten und diefelbe Linie, welche Die Rugeloberfläche halbirt, auch als Grenze gleichwer« tiger. und fich entfprechender Wärmegebiete anzunehmen. Ban möchte, wegen des jährlichen Sonnenlaufes, zwar einen gleichzeitigen Gegenſatz dies⸗ und jen⸗ ſeits zugeftehen, aber dieſer Begenfag müßte in halbjährigem Wechfel eine genaue Umkehrung erleiden. Damit zufammenhängend Liege fich vermuthen, daß die Geſammtwaͤrme, welche auf ber. ganzen Erbe gleichzeitig merfbar wird, immer eine unyeränderliche Summe bilde, infofern bie periodifch: wechfelnde Sonnen- Göhe und Zageslänge doch nur eine allgemeine Berjchiebung derſelben Wärme zuftände auf andere Gegenden veranlafie und die von einem Erdſtriche zuruͤckge⸗ zogene Wärme einem anderen zufließe. Es iſt von Wichtigfeit, daß diefen Vorausjegungen die Wirklichkeit entgegen iſt und entgegen fein muß. Nicht blos um der Sache ſelbſt willen, da die Abweichung bedeutend gefunden. wird, fondern noch mehr den Urſachen gegenüber, bie eine folche Ungleichheit veran⸗ Iaffen. Es wäre in lepter Beziehung ungerecht, dieſelben Elemente, wie es ge= ſchieht, für Heinere Erdräume vechtmäßigerweife in Rechnung zu bringen, dage⸗ gen ihre Macht da zu verfennen, wo es es einen Gegenſatz beider Hemifphären gilt. Obgleich es noch lange nicht Die Hauptſache bildet, kann hierbei nicht ver⸗ ſchwiegen werden, daß nicht einmal in Bezug auf ben fcheinbaren Sonnenlauf

lung, deſſen Witterungsgefchichte des legten Jahrzehnts, Temperaturtafeln, Verbr. d. Märme auf der Oberfläche d. Erde, Verbr. d. Wärme in d. nördl. Hemifphäre, Elis matologifchen Beiträgen. Over auf die Fürzeren Darftelfungen in Berghaus Atlas, 3. Müllers kosmiſcher Phyſik und. ven Erläuterungen zu Humbold's Kosmos.

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frch8 Grabe, in der Cüdfee beinahe ———— vom Aequator gezogen werden. Aber der Gang der Paffate ——— dehnitr freier Seefläche ein freier. Weite Continente, wie Afrika, oder Meeres⸗

ann rg * an Ort und Stelle den Paſſat

tee. (80.2.6717) Im folchen Zweifels- - fällen entjcyeidet der jährliche Gang des Luftdruckes, verglichen mit dem der Wärme, ob fe dem nördlichen oder füdlichen Erdſyſteme anzufchliehen find. Es daß beiderſeits eine breite Zone um die Aequatoriallaͤnder

Barometerftand zur Zeit ihrer höchften Sonnenwärne, cin Sins fen gegen diefe Periode, ein Steigen von ihr aufwärts als unterfcheidendes Mert- mal bat. Dieſe wejentliche Drucdveränderung zeigt ſich dort nicht allein, wenn von dem Geſammtdrucke, den das Barometer giebt, d. h. dem vereinigten Drucke der Luft an ſich und des begleitenden Wafferdampfes, der Antheil des lehzteren abgezogen wird, jondern fogar an jenem Geſammtdrucke ſelbſt. Das tft ein er⸗ men nimmt der alleinige Druck der teodenen Kuft überall, wenn auch nicht nad) gleichem Gejege, gegen die heißere Jahreszeit hin ab, die Elafticität des Waffer- dampfes Dagegen zu. Dadurch wird für unfere Gegenden der Toralerfolg ein —* daß der Geſammidruck vom April bis zum September Tangfam waͤchſt.

en überbietet in den früber er ichen der fommmerliche Dampf⸗ Eat Bde Kl Ye eure Me der dab er eine Erhebung des Barometers in der heißen Jahreszeit veranlapte. Da die verſchie⸗

Dertlibe Berbreitung ber Wärme, 65

dene Volhähe der Orte diefe Periode auf verichiebene Monate bringt, muß ein Vergleich mehrerer Orte, einerſeits nach geograpbifcher Breite, andererfeits nach der Vertheilung jener phyſtkaliſchen BYurftände, erweilen, ob legtere jener ent» fosechend fich Andern, ober ob jle nördlich und füblicy unſymmetriſch um den Aequator vertbeilt, eine gemeinfame Beziehung auf diefen „‚Erbgleicher‘‘ verleug- nen. In der That lehrt Die Beobachtung dad Letztere und beftätigt durch die Art der Abweichung die anderweit fchon gewonnene Wahrheit, daß die Elimatijche Gh eidelinie einer nördlichen und füblichen Erphälfte nördlich vom geo- graphiſchen Aequator Liegt.

Ihrem ganzen Verlaufe zu folgen, verhindert augenblicklich noch der Mangel binreichend eng gereihter Beobachtungspunkte. Doch genügt dad Vorhandene voflauf zur Fefifiellung der Thatfache. Selbft das Aquatoriale Afrika, ſonſt To wenig wifienjchaftlichen Unterfuchungen günftig, hat in der legten Zeit ein Bei⸗ fptel gefiellt (Gondokoro), dag noch mehr ald vier und einen halben Brad nördlich vom Aequator klimatiſche Verbältnifie beftehen , wie fie die entſchiedene Süudhalbkugel cyarakterifiren.. Daß jene Linie nicht ein Kreis, fondern vielfach gekruͤmmt fein werde, alfo nicht mit Angabe einiger weniger Punkte Alles abges macht fei, ift leicht einzufehen, wenn auch die übrigen Elemente, von denen bie MBärmevertheilung abhängt, berüdfichtigt werden. Diefe felbft follen jofort zur Befprechung fommen. Um aber vorläufig gleich Alles zu vereinigen, was gegen den Aequator als Elimatifche Grenze fich erhebt, mag noch der anderen Erwar« tung widerfprochen fein, daß die Befammtwärme ber Exde eine unveränderliche umd Rord- und Eüdhalbkugel im Allgemeinen gleich warm fein. Das Gegen- teil, wie die Erfahrung es lehrt, wird ſich bald ale eine nothwendige Forderung erkennen laflen.

Es ift nicht erſt zu beweifen, daß ein Auffteigen nad) der Höhe ebenio alle Alimate durchlaufen läßt, als ein Kortfchreiten von dem Aequator gegen bie Bole, aber der phuflfalifche Grund davon muß erläutert werden. Wie durch⸗ ſichtige Stoffe nur wenig felbft aufleuchten, wenn fie einem Strahlenzuge ausge⸗ fegt werben, fo werden die Mittel, welche für Wärme durchläffig find, nur wenig . ſelbſt wärmer, wenn Wärmeftrahlung fie Durchdringt. Sie müffen, um leichter ſich erwärmen oder erfalten zu Lafien, in Berührung mit foldyen Oberflächen ge⸗ fegt werden, die einen eigenen Heerd der Wärme bilden, weil fie der Waͤrme⸗ ſtrahlung große Hinderniffe entgegenftellen. Ein ſolches Verhaͤltniß beflcht zwijchen Atmofphäre und Erde. Was die Luft von den durchgehenden Sonnen- ſtrahlen an Wärme empfängt, ift ein aͤußerſt kleiner Bruchtheil der Temperatur, welche ihr der ftärfer erhigbare Boden gibt. Aber man erinnert fid) Doch, der eigenthümlichen Kortpflanzung der Wärme in allen Slüffigfeiten und Luftarten, deren ausnahmslos fchlechte Wärmeleitung, werm von dem einzigen Queckſilber abgejehen wird, durch die Beweglichkeit der Theilchen theilweiſe compenfirt wird ? Wenn die Luft über dem Boden fich erhigt, muß fie auffteigen, da fie leichter ges worden: alfo follte fie in der Höhe wärmer fein. Hier ift zu bedenken, daß aller Stoff ungleich heizbar iſt, je nach der Dichtheit, Die er befigt (Bd. 2, ©. 179.).

Je dünner wir ihn bildeten, deſto weniger jchlägt ein gegebened Wärmequantum IV. 5

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“an, um ihn auf eine verlangte Temperatur zu bringen. Ober, wenn ihm eine gewifie Wärme gegeben wird und er unterliegt darauf einer Verdünnung, fo ges nügt jene nicht mehr zur Erhaltung feiner Ausgangdtemperatur: er wird Fälter. In diefer Lage den Wärmefräften gegenüber ift die atmofphärifche Luft, die. vom Boden nach Gegenden geringeren Drudes auffleigt. Sie dehnt ſich aus und er⸗ Taltet wieder.

Das Geſetz der Wärmeabnahme nach der Höhe ift nicht überall baffelbe: eben fo wenig gilt e8 für alle Zeiten, für Tag und Nacht, Winter und Sommer, Es ift aber zu bedenken, daß der Höheneinfluß nur ein Element der verfchiedes nen Temperirung und dad Wirkungsmaaß jedes Elemented vielfachen VBerändes zungen durch die Thätigkeit der übrigen unterworfen ifl. Selbft wenn die Erd» oberfläche eine völlig gleichmäßige wäre, ohne Abwechfelung von Höhen umd Tiefen, feften und flüffigen Theilen, eine Kugel aus gleichem Stoffe, würde ber Gegenſatz höherer und niederer Breiten und der Umfchwung ded Planeten Luft firöme veranlaffen und das Wärmegleichgewicht der ruhenden Lufthülle ſtören. Berner liegt der heizende Boden felbft in ſehr verichiedener Höhe, und fo verſchie⸗ den die Form des Anſteigens, jo ungleich ift auch die Ausdehnung der gehobenen Ländermaflen. . Mit der Größe der Wärme abgebenden Yläche wärhft aber bie Menge übertragener Wärme, oder richtiger, die Menge erwärmter Lufttheile. Während einzelne, fchmal aufragende Gipfel oder Kimme von einer fo beſchraͤnk⸗ ten Luftmaſſe umgeben find, daß jeder geringe Wind fte gänzlich unter die heran» getriebene mengt und abfüuhlt, gleihen ausgedehnte Hochebenen einer zugleich ausgiebigen und Fältenden Einflüffen widerfläntigeren Wärmequelle. Mögen ihre Nänder leichter einer von außen ber Eommenden Temperaturfenfung erliegen, in ihrem Inneren erhält fich gefchügter ein höherer Wärmegrad. Die Ausbrei⸗ tung des Menfchengefchlechted und das Gedeihen feiner Arbeiten, die in nächfter Beziehung zur Natur des Klimas fichen, bat mehr als ein Beifpiel folcher Abhängigkeit geboten. In der größeren Civiliſation und der Eultur edlerer Ges wächfe Laffen die Hochebenen von Thibet, der chineftfchen Tartarei und Peru den Einfluß vortHeilhafter Bodengeftaltung ebenfo Iefen, als in der höher gelegenen Schneegrenze ihrer Beragipfel. In den Hochländern des Äquatorialen Amerika bat v. Humboldt die Erhebung um 15000 Fuß mit einer Abnahme der mittleren Wärme von 20 Graden Reaumurd verbunden gefunden, durchſchnittlich alfo eine Senkung von einem Grade auf 750 Fuß. In gemäßigteren Orten ift fie, nad) der Ratur der Umgebung, im Allgemeinen größer angetroffen worden, aber veränderlich, und der Beobachter, welcher im Luftſchiffe aus freier Tiefebene em⸗ porftiege, müßte abermals ein andered Gefeg erkennen.

Sieht man hiernach in der verfchiedenen Erhebung des erwärmten und ers wärmenden Bodens eined der wirfjamften Elemente klimatiſcher Verhaͤltniſſe, fo werden die folgenden Betrachtungen weiter Ichren, daß die Höhe der Länder nicht blo8 beim Geben, fondern auch bei dem zeitweiligen Verändern ſchon gegebener Temperatur von hohem Einfluffe iſt. Der Boden kann nicht immer eine Wärmes quelle gleicher Art fein, da er nicht ſtets gleiche, überhaupt nicht ftetd neue Wärme empfängt und feine vorhandene Temperatur nur durch Die fehr zuſammengeſetzten

Dertliche Berbreitung der Wärme. 67

Vorgänge. von Einfisahlung und Begenftrahlung, von Zu⸗ und Wegleitung ges orbnet wird. Es Fanıı aber hiervon bloß jo.weit die Rebe fein, als Die gleich⸗ zeitige Temperaturvertheilung an verfchiedenen Orten eine Berückſichtigung er⸗ heiſcht, da bereit an einer anderen Stelle (Bd. 3, ©. 30.) die Wichtigkeit ſolcher Wechſel für einen und denfelben Ort dargethan ward,

Wir nähern und der Betrachtung einer Folge Elimatifcher Elemente, welche, durchaus von zufammengefegterer Wirkung als die beiden aufgeführten, geo⸗ grapbiiche Breite und Höhe, im Gejammtrefultate den mächtigften Einfluß üben. An ihnen: liegt e8, daß fo oft das gefegmäßige Wirken der erfleren geftört, das beißt durch hinzugebrachte Verwidelungen unfreier und verfledter wird. Ran Fann fie alle zufammen als Element der geographifchen Länge zufammen- faſſen. An und für fich hat diefer Ausdruck nichts Tadelnswerthes, fofern nur der richtige Sinn daran gefnüpft und an Alles gedacht wird, was weder auf. Rechnung ded Aequatorabitandes noch der Seehöhe kommt. Dann wird durch die Geſammtheit diefer Elemente jede weitere Urſache Dargeftellt, die einem auf demfelben Parallelfreife, in gleicher Höhe fortfchreitenden Beobachter örtliche Wärmebifferenzen finden läßt. Mögen diefelben Urfachen audy dem nach Höhe und Breite ſich fortbewegenden Unterjchiede ergeben: bier tretin fie nimmermehr: fe auffallend und rein hervor, weil ſie mit den charakteriftiichen Elementen jener Richrungen fich combiniren. Aber ganz gegen die Wahrheit würde e& fein, joll ten dieſe Unterfchiete auf den Bogenabfland von einem gewiſſen noch überdies willfürlihen Meridiane gefchoben und die Wärmevertheilung nad) Oſt und Welt als Funktion der Längengrade gedacht werden. Weil die Erde ſehr ungleich ges bildet ift, fallen nothwendig auf verſchiedene Meridiane auch ganz verjchiedene Zuftände der Oberfläche, die freilich für dieſelben charakteriftiich aber nach feinem Durchgreifenden Gejege georbnet find. Etwas Anderes wäre ed, wenn von einer gewiflen durch Die Erdare gelegten Durchſchnittsebene aus ein geregelter Fort⸗ ſchritt phyſikaliſcher Unterſchiede zu finden wäre.

In diefe Klaffe von Elementen gehören theild jolche, welche an dem phyſi⸗ Talifchen Zuftande des Ortes haften, theils ſolche, welche aus einer Wechſelwir⸗ Tung verjchiedener Orte erwachſen. Allen Anderen ſteht voraus der große Unterfchied des Feften und Flüjfigen. Ihm fehließen ſich an die bejontere Zu⸗ fammenjegung, wonach die Fähigkeit, Wärme zu verjchluden und auszuftrahlen, taufenfältig ſich Andert; der verfchiedene Grad Per Feſtigkeit des Bodans und feine Feuchtigkeit; für Eleine Erftredungen auch jeine hemifche Zuſammenſetzung; in bejonteren Fällen jelbft feine Farbe. Es mag weiter bedacht werben, in wel« her reichen Mannigfaltigfeit alle Hiernach möglichen Abwechjelungen neben ein⸗ ander Liegen, im Kleinen, wie im Großen: wie der Ort mehr oder weniger leicht eines feitlihen Wärmeumtaufches fähig ift: wie Gebirge diefen Umtaujch lenken oder abſchließen. Dazu endlich Die Beweglichkeit und ftete Bewegung alles Flüͤſ⸗ figen und Luftförmigen, die Luft und Waflerftröme, das jchwimmende Eis, Wie dieſe einzelnen Elemente wirken, ift am beften bei einer Darftellung ihres Gejammterfolged, das heißt bei Schilderung ber wirklichen Wärmevertheilung zu lehren. So gewinnt das Eine durch das Andere: Die Unterſuchung ber

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68 Klimatologie.-.

phyſtkaliſchen Urfachen durch eine fofortige Verwendung des Mefultates: die Schilderung des verwidelten Beftandes durch feine Erklärung und den Rachweis inmerer Nothwendigkeit.

Zuvor möge aber der Hauptepochen gebdacht fein, welche die Gntwidelung biefer Lehren bezeichnen und der weientlichften Richtungen, nach welchen die Wiſ⸗ ſenſchaft ausgeſchritten iſt. Ein Bild der Wärmeverbreitung auf der Erdober⸗ fläche zu entwerfen, iſt zwar nicht erft eine Aufgabe der neueren Belt geworden, aber von den zwei denkbaren Mitteln, Züge für eine ſolche Darftellung zu ge⸗ winnen, fonnte das eine, was zur Wahrheit geführt hätte, früher nicht in Beine» gung gefeßt werden, da es feldft nım unzulänglich zu Dienften ftand. Das andere Dagegen, über welches fich Leichter gebieten ließ, gab immermehr die wahren Züge. Jenes erfte Mittel if die Vereinigung eines genügenden Beobachtungs⸗ materiald, von fo vielen paſſend vertheilten Orten, als überhaupt möglich und aus einer hinlänglich Iangen Jahresreihe, um vorübergehende Extreme fich aus gleichen zu Laffen. Es konnte dieſes Mittel nicht Dargeboten fein vor einer Zeit, zu welcher an das immer enger werdende Ne euroyälicher Stationen Rußland, England und Rordamerika mit einander verbundene Fäden um den ganzen Erbe kreis geichlungen haben. Unter dem zweiten Mittel verſtehen wir die Ableitung “einer idealen Wärmeverbreitung aus allgemeinen phyſikaliſchen Geſetzen. GES mußten natürlich, um nicht blos Verhältnißwerthe zu gewinnen, eine gewiffe Summe vorhandener Erfahrungsdata zu Grunde gelegt werden. Es mag erlaubt fein, den Ausdrud zu gebrauchen, daß aus ihnen die Gonftanten der Gleichungen beflimmt werden follten, die den Zufammenhang zwiſchen geographifcher Lage und Wärıne auszudrüden beflimmt waren. Ban hatte fchon einige ſolcher Er⸗ fabrungsrefültate und an einer Behandlung derfelben im Geifte Achter Natur⸗ forschung hat ed zum Theil nicht gefehlt. Seit Halley, Ende des 17. Jahrhun⸗ derts, den erften Verſuch dicfer Art gewagt hatte, tragen die nachfolgenden Arbeiten ähnlicher Richtung mehr al8 den Ramen eines bedeutenden Mannes ar ihrer Stirn: Mairan, Euler, Tobiad Mayer, Lambert, Kirman waren Halley'& Nachfolger. Durch die Behandlungsmweife, welche die Meiften der Sache anger beihen liegen, fällt aber gerade das aus den geivonnenen Hefultaten heraus, was man als weientlich und charafteriftiich erhalten und fogar als nothwendig abge⸗ leitet wiffen will. Geht man auf einem Barallelkreife fort, fo trifft mar wech⸗ felnde Temperaturen: man nehme aus den vorhandenen Beobachtungen, je mehr, je beſſer, einen Mittelwerth, fo erhält man begreiflich die Zahl, um melche Die Betimmungen für die einzelnen Orte hin⸗ und herſchwanken. Auf ähnliche Wejſe gelangte man zu der Mittelmärme eines Meridians. Noch allgemeiner könnte man berechnen, wie mit veränderter Sonnenhöhe und Tageslänge der Sefammterfolg fich verändern müßte, wenn man 5108 die verfchiedene Stellung der Wärmequelle ald wefentlich gelten Taffen will. Es würde eine Aufgabe aͤhn⸗ licher Art fein, als follte die Lichtftärke der verſchiedenen Länderftriche beftimmt werden. ber die wahre Wärmenverbreitung iſt das gemeinjame Reſultat einer im Raume und felbft in der Zeit wechſelnden Empfänglichkeit der erwärmten Erde für die erwärmenden Einflüffe. Man will nicht als Hauptſache die Waͤrme⸗

Dertlihe Verbreitung ber Wärme. 09

vertbeilung kennen lernen, wie fie fich anf einer idealen Erde finden würke, der man eine keftimmte, gleichmäßige Oberfläche giebt und von welcher man Alles hinwegdenkt, was Land und Meer jo wechſelnd und abweichend geflaltet Kat. Wan fordert vielmehr bie Dorkkellung des Borhandenen, jenes gemijchten Erfol- ges von allgemeinen und taufend örtlichen Urſachen, behaftet mit allen wechfel- feitigen Beziehungen, allen Verwickelungen, wie die ſehr ungleich gebaute Ober Bäche der wirflichen Erbe fie mit fich bringt. Iſt dieſe Darftellung gewonuen, fo werben Vergleiche ed möglich machen, den Einfluß einzelner Elemente nach Art und Maß feflzuftellen. Es wird gelingen, die Wirkung der befonderen Destlichfeit getrennt aufzufaflen und zu fagen, wie die Dinge fein würden, wenn jene anders wäre. So von dem Befonderen auffigigend, mag endlich die Unter fuchung, auf einem anderen und ficheren Wege, ſelbſt zu jener idealen Vertheilung gelangen, ohne die Individualität der Länder dabei fallen zu laſſen. Hat ſie fi zulegt, unter beſtimmten Vorausfegungen bezäglich der idealen Erooberfläche, eine ſolche Vertheilung abgeleitet, fo ſieht fie in den vorhandenen Abweichungen son ihr ebenfo viel gejegmäßige Störungen ihrer idealen Wärmeverbreitung, als fie in den Unterf&ieden der wirklichen und der gedachten Erdoberfläche gejeg- mäßige Störungen ihrer idealen Erbe findet.

Was wir jetzt über bie wirkliche Wärme fehr vieler Orte willen, iſt bie Frucht weientlich des gegenwärtigen Jahrhunderts und bejonderd feiner legten Jahrzehnte. ES bleibt nicht weniger in dankbarem Andenfen, und felbft theil- weiſe in Benugung, was die verdiente Manheimer Gefellichaft, wa Landreiſende und Seefahrer früherer Zeiten geleiftet haben. Vieles freilich wiſſen wir jeßt befier: Dank jei es der Sorgfalt, die auf Herftellung, Erhaltung und Verglei⸗ ung der Inftrumente, auf Methoden, Zeiten und Redaktion der Beobachtungen gewendet wird. Die Gulturvölker des Alterthums Faunten verhältnißmäßig einen zu geringen Theil der Erdoberfläche, um auf jehr große Unterjchiede in der Ten peraturvertheilung, oder auf unerwartete Abweichungen aufmerkſam gemacht zu werden. Um die Küften des Wittelmeered, in den anliegenden ihnen bekannten Ländern von den Säulen des Herkules bis nach Afien hinein entwideln fich freis lich nicht unbedeutende örtliche Wechjel: aber es fehlen die Ertreme. Der Lieber- gang in nördlichere Gegenden nady Germanien, nad) Britannien erweiterte ihre Kenntniß Elimatifcher Unterfchiede und ließ fie ſelbſt eine wichtige Thatſache fin- den, daß nämlich nicht allerwärtd ein nörbliches Bortfchreiten auf Fältere Gegen⸗ Yen führe. In dem gemäßigteren Klima Englands ward das erfte, freilich nicht ſofort erklärte Beifpiel der mildernden Meeresnaͤhe erfannt. Es iſt aber in ber hat der Zeit nach ein großer Sprung, bis die Beobachtung ſich Wärmeverhält- uifien gegenüber ſah, die gar nicht zu den einfachen bereits feftgeftellten Geſetzen vaßten und ganz im Großen darauf binwiefen, daß die geographiicye Lage nicht das allein Beftimmende fei. Sogar bie ausgedehnten Entdeckungen der Seefah⸗ zer waren noch keineswegs hinreichend. Theils beftätigten fle nur das Bekannte, dine Wärmezunahme nach dem Aequator, theils Eonnten fie wirkliche Ahweichune gen davon noch nicht hinreichend würdigen lafien. Dazu gehört nicht ein kurzer Beſuch einer Gegend, nicht eine einmalige Wahrnehmung: dazu wird eine Keunt⸗

70° Alimato logie.

ig des Landes nach der jährlichen Vertheilung ſeiner klimatifchen Verhältnifie :ebenfo notwendig vorausgeſeht: ein längeres Verbleiben an der zu vergleichen- den Station. Die befte Lehre über ungleiche Wärmevertheilung, fo weit fle mit auffallenden Verwickelungen und Gegenfägen behaftet iſt, empfingen die Europäer, "welche ſich an den Oſtkuͤſten des neuen Continentes niederließen. In gleicher geographiſcher Breite mit heimathlichen Laͤnderſtrichen, deren Temperaturverhaͤlt⸗ niffe wohl bekannt und von Niemand gefürchtet waren, ſchreckte eine ſolche Win⸗ terfälte zurücd, ohne Vergütung durch einen entiprechend heißeren Sommer, daß die Mehrzahl der Anfledelungsorte viel weiter jüdlich, ald dad Vaterland gemäßlt Wurden. Landeinwärts fanden flch im Allgemieinen die Verhältnifie theils nicht beffer, theils fchlimmer. Diefe ungewohnten Zuftände, zu deren Erklärung ſelbſt Halley eine Berrüdung der Erdare vorausſetzte, find allerdings fpäter noch ander» weit wiedergefunden worden. Nordamerika aber hat das Interefie, welches es Im Gegenfaß zu Europa durch feine Elimatifchen Verbältniffe frühzeitig in Anfpruch nahm, fpäter nicht verloren. Es ift um fo lehrreicher geworden, fe weiter die längere Bekanntſchaft mit ihm und ein wachjendes Beobachtungsmates rial der Köfung der von ihm gegebenen Räthfel entgegenführte.

Bon den zeitlichen Wärmeäntberungen iſt anderweit berichtet worden, daß Die Befammtwärme, welche während eined Jahres derfelbe Ort zeigt, alfo auch die Durchichnittäwärme eines mittleren Tages, nur wenig wechſelnde Werthe gibt, wenn beliebige Jahrgänge mit einander verglichen werden. Daher waren dieſe Jahresmittel unter allen Elementen der Wärmevertheilung zuerft, das heißt auß den fürzeften Beobachtungsreihen zu gewinnen. Sie find befanntlich bie Werthe, welche angeben, wie warm e8 immerfort gewefen wäre, hätte man bie gefammte Wärme gleichmäßig auf alle Stunden des Jahres vertheilt. Diefe Zahlen waren natürlich die erſten, an welche die Hoffnung geknüpft werden konnte, eine Unfchauung der Wärmevertheilung zu gewinnen. Sie mußten nur auf eine paffende, beſonders überfichtliche Art benubt werden. Von einem ge= wifſen Christophorus Burrus erzählt Kircher [Magnes S. 443: der Köllner Aus⸗ gabe von 1643], dag er die Magnetabweichungen, wie er fle auf Reifen nach Indien beobachtet, in eine Karte eingetragen und die Punkte gleicher Abweichung durch Linien verbunden habe. Es iſt nicht ohne Interefe, bei dieſen Anfängen einer graphiſchen Methode zu verweilen, welcher die neuere Zeit in Angelegenhei⸗ ten der vergleichenden phyſikaliſchen Erdkunde die ausgedehntefte Anwendung zus geftanden und von welcher fle überall den größten Rutzen gezogen dat, wo ein Zufammenhang zwifchen gegebenen Zahlenwerthen und geographifcher Lage auf⸗ zuflären if. Ausgedehnter hatte dieſes Mittel zuerft Halley benußt, um für's Jahr 1700 eine Darftellung der magnetifchen Deklination zu geben: fpäter zeich« nete man ebenſo magnetifche Reigungsfarten. Der biöherige glückliche Erfolg eines folchen Verfahrens ließ für die Wärmelehre Außerordentliche erwarten, al8 1817 A. v. Humboldt die Punkte gleicher Jahreswaͤrme durch feine Iſo⸗ thermen, d. h. Rinien gleicher Jahreswärme, verband. Die berühnte Dar⸗ ftellung in den Memoiren der Société d’Areueil (abgedruckt in feinen „Kleineren Schriften‘ 1.206), eröffnet die Reihe neuerer Leiftungen, gegen welche alle

Dertliche Berbreitung der Wärme. 71

früheren Berfuche verfchwanden. Die Beichnung dieſer Eurven in ber Ebene der Gharte macht es wünjchenswerth, daß der Einfluß der Höhe abgerechnet werde, injofern fich auf jeder Ebene die dritte Dimenflon, weniger hervortretend wiedergeben laͤßt. Ban kann eintragen, wie biefe Linien nach Nord und Süd, nach Oft und We verlaufen, aber ihr Auffteigen und Fallen kann man nicht zeichnen. Dazu kommt noch, daß der beſonders große Einfluß, welchen die Höhe bezüglich der Wärme ausübt, nicht in einem allgemeinen Bilde ebenfo zurädtritt, wie auf der Charte eines Welttbeild Höhen und Tiefen gegen die feitlichen Di« menſtonen verfchwinden. Deshalb rebucirt man bie Mittelmärme jedes Ortes auf den Meereöfpiegel, das heißt mam bringt ihn mit einer folchen, allezeit grö⸗ feren Wärme in Anſatz, wie er fie zeigen müßte, wenn er in dem gemeinfamen Riseau unferer Meere läge. Diefe Reduction fegt, wie man fteht, zweierlei vor⸗ aus: Lie Kenntnig der Seehöhe des Ortes und eine wenigſtens annähernde Bekanntſchaft mit dem Geſetze, nach welchem daſelbſt wachſende Höhe und fallende Bärme zufammenhängen. Der Sinn einer Ifotherme muß aber noch allgemei- ner aufgefaßt werden. Man denke fich an einen willfürlichen Ort und kenne jeine Jahreswaͤrme. Es ift Far, daß man, um andere Punkte gleicher Jahres⸗ wärme zu finden, nicht blos auf der Erbe fich fortzubewegen braucht, fondern daß man folche auch unter der Erde angeben Tann, jo weit der Wärmewechfel nach unten befannt ifl. Auch über der Erbe werden Punkte gleiches Zuſtandes getroffen werden, wenn man im Allgemeinen etwas füblicher fortrüdt. Diefe mendliche Menge von Punkten gleicher Mittelmärme bilden alfo, aneinanderges ſchloſſen, eine. iſothermiſche Flaͤche. Die iforherme Linie enthält nur eine lineare Folge derfelben, nämlich Die auf das Meeresniveau fallenden : ſie ift nichts als der gefrümmte Zug, in welchen bie ifotherme Yläche die Kugeloberfläche ſchneidet. Die Ifothermen Humboldt's, fchon im erflen Entwurfe durch einen außerordentlichen Anfchluß an die Wahrheit ausgezeichnet, aber noch lange nicht . fo vollftändig gezogen, als wir fie gegenwärtig Eennen, brachten einem einzigen Blicke zur Anfchauung, wie verſchieden die Jahreswärme vertheilt fei. Wo eine Gurve, deren beigefchriebene Gradzahl die auf ihre giltige Mittelmärme bezeich⸗ net, einen converen Scheitel gegen höhere geographifche Breiten ftredit, ba ift ausgedruͤckt, daß Hier zwifchen Fälteren Räumen ein wärmerer polwärts greife. Wo dagegen die Ifothermen den Polen einen concaven Theil zuwenden, da ift ein Herabreichen niederer Temperatur in geringere Breiten angezeigt. Am über- fichtlichften werden die Ifothermen fo gezeichnet, daß jede folgende einem Forts fchritte um einen beftimmten und beibehaltenen Wärmewerth entfpricht, etwa dem Wachsthum der Mittelwärme um je 5 Grabe. Je enger oder weiter, quer zu ihrem Zuge, fie Hinter einander liegen, defto rafcher oder langſamer ändert fi) die Wärme. Regulirte nur die geographifche Breite die Wärmeabnahme, fo wären alle Iſothermen concentrijfche Kreije, mit Breitenkreifen felbft zuſam⸗ menfallend. Der Begriff der Iahreswärme ergibt fofort, daß durch die Tage einer Iſo⸗ therme von gewiſſem Werthe durchaus noch nicht darüber ausgefagt ift, wie dieſes Mittel zu Stande gekommen ei, wie man aljo die Bertheilung ber Ge⸗

72 Klimatologie.

ſammtwaͤrme auf bie einzelnen Jahreszeiten und Monate zu denten habe. Offen⸗ bar fönnten unendlich vielfache Vertheilungen derſelben Durchſchnittszahl emt= ſprechen. Es ift aber nicht blos die binlängliche Kenntniß des Klimas, die eine beftinnmte Belehrung darüber vorausſetzt: jedem Urtheile uber die Erfolge des Klima's muß eine foldye voraudgehen. Das innere und äußere Gedeihen der Menichheit, die Formen und Entwidelungsdauer der organiichen Ratur fallen an⸗ ders aus, wenn diefelbe Waͤrmeſumme einmal fo, einmal anders zugetheilt wird. Es war daher ein wichtiger Zug gleich in der erften Arbeit über die Ifothermen, . daß auch diefer möglichen Ungleichheit Rechnung geſchah und Daß ald zweite Gharafteriftif eines Ortes, in Bezug auf Klima, bie Feſtſtellung der Winter- „ud Sommertemperatur verlangt wurde. Alle Linien auf der Erdoberfläche, welche die Punkte gleicher Sommermärme an einander reihten, erhielten den Namen der Iſotheren: die, welche durch Orte gleicher Winterfälte gelegt waren, wurden Jjochimenen genannt. Auf der erfteh Karte von Humboldt’s waren indeſſen dieſe Linien noch nicht eingetragen. Es verfteht fich von ſelbſt, daß der Verlauf beider Syſteme mit dem Zuge der Jahresiſothermen durchaus nichts Gemeinfames bat. Rur fo viel läßt fi im Allgemeinen von ihnen fagen, daß fie oftweftlich gerichtet, wie jene, die Erde umziehen, aber mit anderen Ab⸗ weichungen, anderer Lage und Geflalt der hervortretenden oder eingebogenen Scheitel: keinesfalls den Breitenkreifen parallel.

Mit der Einführung dieier Linien war die gefegmäßige Bewegung ber oberflächlichen Erdwärme anerkannt und dargeſtellt. Wie weit man fernerhie diefer Bewegung während Eleinerer Zeitabichnitte werde folgen können, blieb ab⸗ bängig von dem weiteren Erwerbe und der Sichtung immer vermehrten Mate rials. Man kann deshalb ver Klimatologie Feinen Bonwurf machen, daß fe ihre Fortfchritte an den Gewinn immer neuer linterlagen knüpft. Erftena befaßt fie ſich nicht damit, nur dieſes Material um ſeiner felbftwillen aufzubewahren und fich jeiner, ald ihres wejentlichen Inhaltes, zu rühmen. Was fte aus inne» ren Mitteln zu diefem Materiale noch hinzugibt, iſt größer und höher als jene® und zwifchen allen Beobachtungen und Klimatologie noch eine mächtige Kluft. Dann ift zu bedenfen, daß, fo viel der Orte find, an welchen dad Zuſammen⸗ wirfen der Naturkräfte verfolgt werden foll, fo viel auch verfchiedene Verbin⸗ dungsformen allgemeiner und bejonderer Urſachen vorliegen.

Diefe beionderen Formen, die.mit der Oertlichfeit fih ändern, voraus beitimmen wollen, heißt nichts Anderes, ald die genauefte Kenntniß der betrefs fenden Oertlichkeiten felbft vorausjegen und um die taufendfältige Wechſelwir⸗ fung wiffen, in die fle, thärig und empfangend, mit der näheren und ferneren Umgebung treten. Dazu fommt noch, im gegenwärtigen Balle, dag mit Vers Eleinerung der Zeitabjchnitte, innerhalb welcher der Bewegung der Wärme nach⸗ gegangen werden fol, der Antheil fich verkleinert, den jeder Jahreslauf an der Feſtſtellung der gefuchten Werthe nimmt. Daher find die Mittelzaplen der Jahreszeiten jpäter als Die des Jahres und noch fpäter die der Monate gefunden worden, Kür viele Punkte find letztere noch nicht von vorübergehenden Ein⸗ flüffen Hinreichend befreit: für manche find fie auch wieder verloren gegangen,

Dertlihe Berbreitung der Wärme. 73

da man ſie früher zu nichts gut achtete, ald zur Ableitung der Jahrs⸗ oder Jahrszeitömittel.

Ueber dreißig Jahre waren nach dem Gricheinen der Abhandlung Hum⸗ Solbt’& verftrichen, als eine Leiftung vom gleicher Richtung einen neuen Fortſchritt dee Wiſſenſchaft bezeichnete. Im Jahre 1849 erhielt die Klimatologie durch Dove eine Darftellung der Monatsiſothermen. Was durch die Linien gleicher Sommer» und WBintertemperatur jchon angezeigt war, daß nämlich die Differenz der Mittelmärme zweier Orte gänzlich verfchieden jei von ihren ſehr wechielnden Wärmedifferenzen während einzelner Jahresabfchnitte, das konnte jegt nach Art und Maaß, felbft innerhalb der einzelnen Jahreszeiten, weiterhin verfolgt werben. Schon nach drei Jahren geftattete die fortgeführte Diecuffion tbeil® früherer, theild neu hinzugewonnener Beobachtungdrefultate eine weſent⸗ liche Bervollftändigung und weitere Ausführung. In diefer Schrift von 1852, „die Verbreitung der Wärme auf der Oberfläche der Erde’ hat Dove die allge meinen Ergebnifie feiner bisherigen Uinterfucdyungen niedergelegt und die Behand⸗ Iung der Klimatologie einzelner Zonen theild bereits folgen laffen, theils für Die Bolge zugefagt. Den Zug der Ijothermen für die einzelnen Monate anzugeben, gelingt nicht in einer kurzen Darftellung mit wenigen Worten ober one Hinzu nahme einer entfprechenden Anzahl von Charten, Deren jede für einen einzelnen Monat entworfen if. Denft man ſich zu einem beliebigen Termine alle Punkte der Erboberfläche, welche gleicyzeitig Diejelbe Temperatur befigen, Durch eine Linie verbunden, fo wird ſchon in der nächften Zeit dieſe Linie auf andere Orte weiter gerät jein, aber mit gänzlich veränderter Geſtalt. Zu gewiſſen Zeiten des Jah⸗ res können felbft Iſothermen von einer beftimmten exceſſiven Gradzahl neu hin⸗ zukommen, welche fonft nirgends getroffen werden. Dieſe unabläjftge Bewegung und Geflaltöveränderung ber iſothermiſchen Curven während eines Jahres bezeich⸗ net Dove ſelbſt dadurch, daß er von Alten jagt, dieſe Linien verichieben fich in diefem Welttheile am meiften nord» und ſüdwärts: die im Winter nach Rorden eoncaven Scheitel verwandeln jich im Sommer in convere. In Europa dagegen dreben fich die Iſothermen am flärkften: in Amerifa verichiebt fich die ſuͤdwärts gerichtete Ginbiegung aus dem Inneren des Sontinented nach den Ditküften, ſo⸗ bald vom Winter gegen den Sommer fortgegangen wird. Im Spätfommer und Herbſt Dagegen verringern ſich wiederum mehr dieſe Gegenfäge: Die Gurven find im Often und Weiten dann weniger abweichend gebogen. Das heißt aber nichts Anderes, als dag Aften kalte Winter und heiße Sommer, Europa weniger aus⸗ einanderlaufende Extreme, Nordamerika ftrenge Winter und ein Faltes Fruͤhjahr bat. Im Sommer nähern fich feine flimatifchen Verhältnifie mehr ald zu ande» zen Jahreszeiten den europäijchen und im Herbſte iſt e8 Europa vorzuziehen.

Nachdem jett die irdijche WWärmeverbreitung ungleich genauer und einges bender dargeftellt war, als irgend eine frühere Zeit vermochte, war Die Hoffnung gegeben, jenen zu früh gewagten Entwurf einer idealen Wärmevertheilung, mit fachgemäßen Aenderungen, wieder zu verſuchen. &8 handelte ſich nicht mehr um die Verbreinung der Wärme auf einer idealen Erde: es galt vielmehr die Ab⸗ weichung der einzelnen Orte von dem Bittelwerthe zu beftimmen, den die Erfah⸗

74 2. Klimatolsgie.

rung für die Geſammtheit aller geographifch entſprechend gelegenen Punkte er⸗ gibt. Man wird hiernach am natürlichften folche Punkte vergleichen, die auf demfelben Parallelkreife Tiegen, weil die Sonnenwirfung, zwar nicht das einzige, aber doch das mächtigfte und das allgemeinfte der Flimatifchen-&femente iſt. In diefer Abficht beftimmte Dove zunächft die mittlere Wärme jedes zehnten Breiten⸗ grades aus der Menge vorhandener Beobachtungen. Für die höheren Breiten und den Pol mußte einer etwas anderen Ableitung gefolgt werden: auch reichen bie Unterlagen für die füdliche Halbfugel weniger weit als für die nördliche. Diefe Mittelmärme des Breitenkreiſes, die um fo genauer gefunden fein wird, je mehr Orte zu ihrer Beflimmung auf ihn und um ihn herum berüdfichtigt werben fonnten, ift offenbar die Waͤrme, welche jeder Punkt diefes Kreifes Haben würbe, wäre die gefammte Wärme der einzelnen Kreispunkte ringsum gleichmäßig ver» teilt. Sie ift die Rormalmärme des Parallels. Jeder Ort, der eine höhere oder tiefere Temperatur zeigt, iſt vergleichungsweife zu warm ober zu kalt: der Unterfchied feiner wirflichen Wärme und ber mittleren feines Parallels giebt feine thermifche Anomalie. Für die Rormalwärme bes Aequators folgte 21.2 Grade Reaumurs, für den zehnten, zwanzigften bis achtzigfien nördlichen Brei⸗ tengrab ter Werth von 21.3, 20.2, 16.5, 10,8, 4.3, 0.3, 4.2, 71, 11.2, für den Pol 13.2. Tagegen ergaben ber zehnte biß vierzigſte Grab füblicher Breite: 20.4, 18.7, 15.5, 10.0. Don diefen Zahlen, welche für das ganze Jahr gelten und welchen ein Zeichen vorgelegt ifl, wenn fie Grade unter dem Nullpuntte bezeichnen, wird fofort eine nügliche Anwentung genonmen werden. Wie Dad ganze Jahr, fo bat auch jede Jahreszeit, jeter Monat auf den einzelnen Parallelen eine ſolche Rormalwärme ergeben. Der Unterfchieb der wirklichen Wärme eines Ortes gegen Den betreffenten Normalwerth des Parallels gibt wicherum feine Anomalie bezüglich des einen oder anderen Zeitabſchnittes. Auch Hier wird man durch Linien die Vereinigung aller Punkte bemerkftelligen, die gleicher Anomalie zu gleicher Zeit unterliegen. So folgen Shfteme von Iſa⸗ nomalen des Jahres, der Jahreszeiten, der Monate. Anderfeits wird e8 aber an Orten nicht fehlen, die genau die mittlere Wärme ihres Parallels heftigen. Diefe Tiegen nicht unregelmäßig zerftreut zwifchen den übrigen, fondern von ihnen wachfen nach beiden Eeiten hin die Anomalien im entgegengefegten Sinne: nach ber einen liegen Punkte, die immer mehr und mehr zu Talt find, nach der ande ren Orte, die fortfchreitend immer mehr die Mittelmärme ihres Breitenkreijes überbieten. Eine Berbindungslinie folcher Punkte ijt eine thermifche Rormale, fle ſcheidet das Gebiet zu Balter und zu warmer Gegenden. Verfolgt man end⸗ lich die Sjanomalen jo, daß man zu Linien immer größerer Abweichung übergeht, fo muß man Stellen erreichen, welche die relativ Fälteften und wärmften find. Durch die Zufügung dieſer neuen Curvenſyſteme ift das Bild der Wärmevertheis lung nicht etwa verwidelter geworden: im Gegentbeil fchließt fie Da8 Verwandte ftetig aneinander und läßt eine leichtere Vergleichung der verjchiedenen Ränder firiche zu. So zeigt der Verlauf der Iſanomalen und der thermijchen Normale des Januar, daß biefer Monat an den Nordweſtküſten Nordamerika's und noch mehr an der Weftfüfte Europa's verhältnigmäßig viel zu warm iſt, Dagegen an

Dertlihe Berbreitung der Wärme. 75

den Oftküften jenes Welttheils und in feinem Inneren, ferner im inneren Aften, befonders in Sibirien, viel zu kalt. Das ganze Europa iſt za warm, doch in imme? geringerem Grabe, je weiter öſtlich. in anderer ift der Ausfchlag im Juli. Ein großer Theil der norbamerifanifchen Oſtküſten iſt auch noch fo kalt, an den Weflfüften verläuft die Grenze des Rormalen und eined weiter weftlichen, abermals zu falten Gebietes: das Innere erhebt fh etwas über das normale Mittel der einzelnen Breitenkreife. Europa zeigt gleichfalld dann einen Ueber⸗ ſchuß, aber feinen bedeutenden, Aften einen größeren.

Alle Zuftände in der Natur find überhaupt Durchgangsformen von voran⸗ ‚gehenden zu folgenden Zuſtaͤnden. Dem fcheinbar Unveränderlichen leihet mur die Langſamkeit der Umwandlung, das heißt das ungimftige Verhältnig zwifchen ber Größe der Veränderung in einer gegebenen Zeit und der Empfindlichkeit und Wachſamkeit unferer Sinne den Charafter des Vefländigen. Allein das Gefek der Veränderung, welches in allgemeiner Kaffung die fletige Reihe wechjelnder Buftände umfaßt, ift ein bleibendes und mit ihm der Mittelwerth,, um welchen Dad Maaf tes zeitlichen und örtlichen Wechſels ſchwankt. Die thermifchen Linien der Ertoberfläche ftellen die unabläffige Veränderung der Wärme nicht blos ale ein Wechſelndes dar, jontern fie laſſen jeden einzelnen Ball ald Uebergangsglied einer geiegmäßigen Reihe eingeordnet erkennen. Sie leiften aber noch mehr, in» dem ihr Verlauf die Urſachen der ungleichen Wärmeverbreitung, die wahren Störungsgründe eines Fortſchreitens nach geographifcher Breite finden läßt. Was IR es doch, daß die Iforhermen fo auffallende Beftaltveränderungen erleiden, wo fie von Meeresflächen auf Kontinente übergeben, und dag die Verſchiebung ber Monatdcurven einen allgemeinen unzweideutigen Zufammenhang zeigt mit der Bertheilung des Feſten und Flüſſigen? Was ift e8 ferner, wodurch entgegenges fegte Küftenländer jo weit durd, ihren Flimatifchen Charakter getrennt find? Die vorher beifpieldweife benußten Unterjchiede zwiſchen den Küften und dem Inneren von Amerika und Europa, der theilweife Gegenſatz beider Welttheile, die Flima- tifchen Extreme Eentralaftend find ſchon hinreichend, um eine Anfchauung der Verbältniffe zu geben, die auch anderweit ähnlicherweije ſich wiederfinten. Man kann dabei jagen, daß alle Abweichungen von einer Waͤrmevertheilung, die der geographifchen Breite entipräche, wiederholte Lehren find, Die Vertheilung der Läntermafien und die gegenfeitige Wechjelwirkung durch Luft und Waflerftröme zur Löfung ded NRäthfeld zu befragen.

Ueberall treibt Das Land zu Ertremen: das Wafler mildert die Gegenfäge. Der fefte Boten erhigt ſich ftärker, ſtrahlt aber auch wieder reichlicher Die Wärme aus, als ter flüfftge Spiegel. Mögen die oberflächlichen Waflertheile erfalten, fo finfen fie und die unterliegenden, zur Zeit noch wärmeren, treten an ihre Stelle. Mögen fte fich erwärmen, fo geht ein Theil derfelben in Dampf über und bindet einen AntHeil empfangener Wärme. Dazu ift noch zu erwägen, daß wärmeres Waſſer nach Fälteren, erfalteteö nach heißeren Gegenden fortfließt. Man wird Hiernach die Echroffheit des Continentalklimas, feine heißeren Tage und Sommer, feine fälteren Nächte unt Winter, dagegen Die geringere Veraͤnder⸗ tigkeit der Eeeluft nicht bewundern, fondern erflärt finden. Diefe Abgleichung

76. EAlimatalogie.

macht das See» und Kuͤſtenklima wicht nothwendigerweiſe ſtets warm: ſie kann es auch kuͤhl werden laſſen. Sie läßt es blos verhaͤltnißmaͤßig wärmer bleiben, während das benachbarte Land größerer Erkaltung entgegengeht, und kuͤhltemehr, wenn das Land daneben größere Wärme aufnimmt. Das Eigenthümliche eines continentalen Klimas tritt bei demſelben Flaͤchenraume der Laͤndermaſſen ungleich hervor, je nach ihrer Geſtalt. Ein mehr gerundeter Umriß, der Mangel vieler Buchten und Halbinſeln, überhaupt eine verhältnigmäßig geringe Geſammtlaͤnge der Küften fleigert die Wirkung des Feſten. ine geſtrecktere Geftalt oder eine sielfache Theilung durch eindringende Meerestheile mildert die Gegenfäge. Die entfchiedenften Beifpiele für Beides, Afrika und Europa erfennen einerfeitg ein wefentliches Sörderungsmittel, andererjeitö ein Hinderniß menfchlicher Entwide- Jung in diefer watürlichen Geſtaltung. Selbſt in Europa führt das Fortſchrei⸗ ten nach ber aflatijchen Grenze immer mehr dem continentalen Charakter en⸗⸗ gegen. Bei Aften, obwohl feine Küften mannigfaltiger geitaltet find, als die afrifanifchen, bleibt in Kolge feiner Größe eine fo mächtige Eentralmafle, daß bier continentale Begenfäge der fchroffiten Formen fähig werden. Nur Afrika und zum Theil Rordamerifa erinnern an Aehnliches, doch nicht Gleiches. Unter gewifien Umftänden kann ein großes Ländergebiet einen Theil des Jahres ſich ber einen, während der übrigen Monate der entgegengefegten Form des Klimas anfchließen. Dazu gehört, daß feine Oberfläcdye periodiſch fich wefentlicy ändere, Große Wafferflächen in folchen Himmelsſtrichen, daß fie des Winterd gefriegen, erhalten der Oberfläche im Sommer die VBortheile die Seeklimas. Dagegen Tigt während der fälteren Monate ihre feſte Decke den continentalen Charakter het⸗ portreten.

Auf Grund folcher Unterlagen gelingt es nun leichter, die bejondere Ver⸗ theilung der Wärme in einzelnen Exrdgebieten zu erläutern. Zunächfl möge man fi der befannten Ungleichheit erinnern, welche die Vertheilung der Continente und Meere im Großen auszeichnet. Wir können eine Land⸗ und eine Waſſer⸗ anficht der Erde unterjcheiden, wenn von dem überwiegenden Theil die Benen⸗ nung bergenommen wird. Beide Erdanjichten find aber nicht ſymmetriſch gegen die Umdrehungdare des Planeten gelegt, ſondern bie Mitte der Kandanficht fällt nahe in die Gegend von London, während die andere ungefähr zu ihren Mittel punkte die Antipodeninfel bei Reufeeland hat. Kann ed Hiernach anders jein, als daß beide Erbhälften ungleiche Wärme zeigen müſſen, und daß der Aequator Fein Theiler in Elimatifcher Beziehung ift? Auch der andere Punkt, der früher biergegen erinnert wurde, findet jet feine Erklärung, daß nämlich Die Geſammt⸗ wärme ber Erde nicht während des ganzen Jahres eine unveränderliche Größe ift. Die Wirkung der Sonnenftrahlen theilt fich zu einer doppelten Zeiftung. Ein heil der empfangenen Wärme wird verwendet zur Temperaturerhöhung aller Stoffe, welche ihren Aggregatözuftand nicht ändern. Er wird merklich für Om fühl und Thermometer, ald freie Wärme. in anderer Theil gebt für das Eine wie für das Andere verloren, indem er beim Verdampfen des Waflerd und beim Schmelzen des Eifed gebunden wird. Wäre das Feſte und Flüſſige gleichmäßig nördlich und ſuͤdlich vom Aequator vertheilt, fo würde während

Dertliche Verbreitung der Wärme. 77

unfere8 Sommerhalbjahres ein ebenſo großer Antheil von Wärme gebunden wer⸗ den, als zur Beit der füblichen Sonnenabweichung in den anderen ſechs Monaten. Da aber auf der Suͤdhalbkugel das Meer äberwiegt, fo wird die Sonne bei ihrem nördlichen Kortrüden über Erbtheile gelangen, wo ein geringerer Bruchtheil der Gefamietwärme im Schmelzungs⸗ und Verdampfungöprozeffe gebunden, das Weißt für Die freie Temperatur verloren wird. Es ergibt ſich fomit als nothe wendige Folge, welche Dove bereitö im Jahre 1845 aus der umgleichen Wirkung und Vertbeilung vom Lande und Meer ableitete, daß die Sefammttemperatur der Erde eine jährliche periodifche Aenderung zeigt. Das Marimum diefer Ge⸗ fammtwärme fällt auf die Zeit der nörblichen Abweichung der Eonne, das Mis nimum wird bei füblicher Deklination, während unferes Winters erreicht.

Die Wärmeverhältniffe der Sudhalbkugel And einfacher als die der nörd⸗ lichen, die thermifchen Curven daher auch weniger mannigfaltig geftaltet, weil DaB Meer füdwärts immermehr überwiegt. Rings um die Erde Täuft zu allen Jahreszeiten ein mittlerer Gürtel, deſſen Wärme höher ald 20 Grade (M.) iſt. Mit dem fcheinbaren Sonnengange verſchiebt fich periodiſch diefe Zone höchfter Temperatur, unter gleichzeitiger Veränderung ihrer Geftalt. Diefe Bewegungen Bezeichnet Die Bewegung feiner Brenzen: der Iſothermen von 20 Brad im Rorden and Süden ded Aequatord. Im Inneren erhebt fich theilmweife die Temperatur zu noch höheren Graden. Wenn bie fteil auffallenden Sonnenftrahlen den zu⸗ fammenhängenden Ländermaffen von Mittelafrita, Arabien und Vorderindien ihre Heißefte Jahreit bringen, gleichen diefe Gegenden Wärmepolen von 24 und 26 Braten, fo fern es erlaubt ift, die Bezeichnung eines Poles auf ausgedehnte Släyenräume und Stellen veränderlicher Lage überzutragen. Auch ein Theil von Südamerifa, die entfprechend gelegenen Räume der Südſee, des Oceand zwifchen Afrika und Amerika und das Meer im Süden von Indien, nehmen zeit weife an einer Mitteltemperatur von 21 und 22 Graden Theil. Die nördliche Grenze jenes Sürteld hebt fich im Allgemeinen auf den Gontinenten während unferer wärmeren Jahredzeit nordwaͤrts: zur Zeit unfere® Winterd verläuft fle dagegen weniger gebogen oder zieht fich felbft mehrmals fünlich Hinab. Im Juli überfchreitet fie den vierzigften Brad nördlicher Breite: im Januar reicht fle nir⸗ gends Über den zwanzigften empor. Die fübliche Grenze iſt den größten Theil des Jahres durch noch mehr Krüummungen charafteriftrt al& die dieffeitige. Sie fommt aus der Südſee in flarfem nördlichem Anfteigen gegen die Weſtküſte Suͤd⸗ amertfa’3. Ihr nördlicher Scheitel fällt theild auf weftlichere Meerestheile, theils auf jene Küfte ſelbft. Durch den Norden Südamerikas fortjchreitend zieht fie ich ſüdlich, erhebt fich die meiften Monate wieder im Meere weſtlich von Afrika, am dann auf den afrikanischen Kontinente mehr oder weniger wieder nach Süden einzufallen. Ihre Biegungen weiter nach Auftralien Hin, welches fie allezeit jchmeidet, find zwar geringer als jene, aber fle entfprechen nicht weniger ben Porausfegungen, welche die DVertheilung des Feſten und Flüffigen nebft ber Werhſelwirkung der Luftmaſſen ungleich temperirter Erdgebiete ftellen lafſen. Den Zug irgend einer Ifotherme genau und erflärend verfolgen, ift nichts Andes res, ald Rechenfchaft ablegen von der Sefammtwirfung aller allgemeinen und

78 . , Klimatologie.

befonderen Elimatifchen Elemente und von den Beziehungen jedes Punktes auf ihr zur näheren und ferneren Umgebung. Die fübliche Grenze des genannten wärmjten Grögürtel® erreicht oder überjchreitet norbwärts den Aequator zwiſchen Mai und December. Südlich geht fle während unſeres Winterd nur wenig jen⸗ feit8 des dreißigften Grades füdlicher Breite, als ihren entlegenften Wendepunkt. Der Erdraum, welchen die erwähnten Iſothermen von 20 Brad einfchließen, zeigt in feinem centralen Theile einfachere Verhaͤltniſſe des Klimad als irgend eine andere Zone. Zwijchen den Wendefreifen wechfelt dort nach befannten Ge jegen und mit weit geringeren Extremen ald unfer Sommer und Winter, die trodene Jahreszeit und die Zeit der Regen. Ihrem gejegmäßigen Eintritte und den Eimatifchen Verhaͤltniſſen, die ihnen Entflehen und Begrenzung geben, find wir bei einer Schilderung der atmofphärischen Nieberichläge bereitö gefolgt. (Bd. 2. ©. 698). Aber es muß zur Charakteriſtik der heigeren Himmelsſtriche noch eines eigenthümlichen Ueberganged ber Form gedacht werden, welche die Sahresifothermen an den äußeren Grenzen der PBafjate zeigen. Died» und jen- ſeits diefer Grenzen nehmen jene größere Biegungen an, mit der Annäherung an den äußerfien Rand der Paſſatzone verflachen fie fiy Dagegen, wie fonft nir⸗ gends, von Rorden und Süden her. Auch Hier liegt wieder die Urjache in dem ungleichen Verhalten des Feſten und Fluͤſſigen gegen erwärmende -Einflüffe. In der heißeren Zone giebt nämlich das Land ein höheres Jahredmittel, als das Meer: in den gemäßigten und Falten Zonen fchlägt der Erfolg gerade um. Es muß alfo der Kortjchritt von den Aequatorialgegenden zu größeren geographi⸗ fen Breiten jedenfalld durch einen Raum führen, wo übergangöweiie Rand und See gleichwerthig find, wo es gleichgiltig ift, ob der Grund der Atmofphäre Waſſer oder Continent ift, wo aljo auch der Wechſel von beiten Oegenfähen den Zug der Jahresiforherme nicht ändert, den ihm allgemeinere geographiiche Ele» mente ertheilen. Rur Meereöftröme geben örtliche Abweichungen.

Der Uebergang in die gemäßigten Zonen führt in ein Gebiet, wo die Ver⸗ widelungen der Wärmeertheilung durch den gegenieitigen Verkehr höherer und niederer Breiten anjehnlich wachſen. Zwar find Die heißeren Klimate ähnlichen Beziehungen nicht entnommen, aber die Folgen dieſes Verfehres, die Zuftftröme, folgen dort einem einfacheren Gefeße, befonders auf dem Meere. Man erinnere ſich des einfachen Ganges der Paflate und ded anfangs audy noch wenig ver⸗ änderlichen Weges, den der Abzug der aufgeitiegenen erhigten Luft al& oberer Baffat (Bd. 2. ©. 718.) einjchlägt. Dann verfolge man die Anziehungen, welche große Eontinente auf jene „beſtaͤndigen“ Winde üben und jehe an ihre Stelle die „veränderlichen‘‘ oder Muffone treten. Auch fei nicht vergeflen, daß ein Fall folcher Anziehungen felbft unfer Europa trifft, wenn die flark erhigte und ver⸗ Bünnte Luft Eentralajiens auffteigt und dieſe Laändermaſſe au einem Mittelpunfte wird, gegen welchen die Luft der näheren und ferneren Fülteren Meere dringt; felbft des atlantifchen Meeres über unjeren Welttheil hinweg. Weiter wird man im Bortjchreiten nach höheren geographijchen Breiten bie polwärtd abfliegende, obere, heiße und dampfbeladene Luft in breiten Strömen durch Die untere herab⸗ brechen jeben, Wärme und Rieberfchläge den Gegenden bringend, in Die fle eins

Dertlihe Verbreitung der Wärme. 79

dringt. Wie ſolche herabkommende Ströme durch Gebirge geleitet oder abgehal⸗ ten, wie bie Winde von - veränderter Wirkung gefunden werden, wenn fie von ber Ser auf das Land treten oder bereits über Länderfireden gezogen find, wie hier⸗ durdy bie Waͤrmeertheilung zeitlid; und räumlich geordnet und verändert ifl, da⸗ son find der Belege mehrerer gegeben werden, als der zeitlichen Temperaturwech⸗ fel und- der. Riederfchläge gedacht wurke. Bine befonbere Bedeutung gewinnen folche Gebirge, welche nahezu quer die Meridiane Freuzen, wie mehrere größere und Fleinere Züge ber alten Welt, während Amerika die Meridianrichtung her⸗ sortreten läßt. Um diefe Bedeutung jener Gebirgsrichtung zu verftehen, ift nur zu erwägen, daß gerade bie Halbkugel, deren Wärmeaustaufch ausichließlich durch Winte gegeben ift, nämlich die Landhalbkugel, jene Querrichtung zeigt und die Winde von nörblichem und norböftlichem oder ſüdlichem und ſüdweſt⸗ lichem Gange die größten Temperaturbifferengen hervorrufen. Die höhere Tempe⸗ ratur der Weftküften Europa’s weit und auf die warme Luft Weſtindiens zurüd, wenn auch das atlantifche Meer ſelbſt Durch eine warme Strömung mehreren Küften als ein eigener Wärmequell gegeben ifl. Europa überhaupt, obgleich nur eine weftliche Fortſetzung der großen aflarifchen Ländermaffe, verdankt diefen ware men Luftfirömungen feine bevorzugte Flimatifche Stellung. Ganz anders Aften. Im Süden diefes Welttheild hat die Tropenzone große Ländermaffen nirgends aufzuweiſen, wie Afrifa füblich von Europa. Die aus Süden anfommenden Winde find Seewinde von einer verhältnigmäßig weniger als Land erhitzten Waſſerflaͤche. Den ſuͤdlichen Theilen des Kontinente vermögen fie alfo feine we⸗ fentliche Temperaturerhöhung zu bringen, den nördlichen Fönnen ſie nicht bei⸗ Iommen, da hohe Gebirge fie aufhalten. Die Erhipung, die Aflens Boden ges winnt, ift der Erfolg der auf ihn felbft geworfenen Wärmeftrahlen. Dagegen ift Aften nördlichen und öftlichen falten Winden ausgefegt: fein Continent ragt weiter gegen hohe geograpbiiche Breiten hinauf, als irgend ein Theil Europa’: ſelbſt die feinem Norden gefpendete Wärme wird in größerem Maße als dort durch das Thauen ded Eifes getilgt. Nordamerika's Berhältniffe ſchließen fich in einiger Beziehung fo eng an die Zuflände der großen Polarwelt, die ſich in feinem Norden entwidelt, daß weiterbin jeiner gedacht werben wird. Auch vom Korden Aſiens wird da noch ein Weiteres zu berichten fein. Amerika's Oftküfte entbehrt der günfligen Verhältniffe ded gegenüberliegenden Europa’s, da ſie Feine ähnlichen Suͤdweſtwinde aus fo warmen Seegegenden, fontern fältere Landwinde empfängt. Von ˖ Oſten her wird fie erfaltet Durch nordifche Meercöftröme. Der Bolfftrom kommt nicht ihr, fondern den europäifchen Meeren und Küften bis zum Rorbfap ald Wärmebringer zu Hülfe.

Es haben nur einige Beifpiele herausgehoben werden können für jene Ab⸗ weichungen und Gegenjäge, welche die allgemeine Verbreitung der Wärme an nahe verwandten Erdftellen zeigt. Wenn ein Ort einen Sommer bat, wie Rom, und einen Winter, wie Copenhagen, wenn eines anderen wärmere Jahreözeit an Baris erinnert und jeine Falten Monate denen in Peteröburg gleichen: fo find Dies Fälle, die, wie jede Ähnliche auffallende Thatſache, aus der Tage des Ortes und der Art und dem Maße der wirkfamen Elimatijchen Elemente heute nicht

so N imatologe

genannt wird, 4 wintern, Im Jahre 1774 blühte dort eine Agave, die 28 Jahre geftanden, ohne im Winter bedeckt zu werden, und Orangenbäume am Spalier werden nur durch Marten gefthügt. Zu einem ähnlichen Rufe find ſuͤdlicher die Küften von Nizza, der Normandie und Bretagne gekommen, Sinkt im Departement Finiäterre auch die Kälte zuweilen 8 Grade unter den Thaupunft mit einzelnen nachtommenden Spärfröften bis in ben Mai, jo zeugen Granaten, Lorbeerbaͤume und Juccen wiederum für die allgemeine Gunft des Klimas. Auch kann, in befehränkterer Erſtreckung, der Gegend zwiichen Leuk und Martigny, im walliftfchen Rhonethale, nicht vergeffen fein. ine Sechöhe von mehr als anderthalb Tauſend Fuß und die Nachbarfchaft von Hochgebirgen, wo eine mäßige Stundenzahl über die letzten Glieder der Alpenflora hinaus zu den ewigen Firnen führt, heben den Gegenſatz ge DE

ed)

" Die Reihe vom Befoieen unglejch vertheiler Wärme möge geihloffen fein ut cken hen on tg ‚Gebiete der Falten Zonen, wo bie legten Unterneh⸗ nungen ebenſo hülfreich für die Löſung phyſikaliſcher Probleme, ala den Inter effen der Erdkunde förderlich geworden find. Im den nördlichen Bolargegenden entwickeln ſich zur Zeit des dortigen Winter Kältegrade, wie fie für Feine ame deren Bunkte der Erde gelten. In höheren geographiichen Breiten fcheimt die jübliche Halbfugel Dadurch der nördlichen entgegengefegt zu fein, Daß die Wärmes abnahme zulegt langſamer fortfchreitet. Abermals ein Zeugniß, welches die Ge—⸗ genfäge eines feften und flüffigen Grundes hervorhebt. Allerdings fallen die höchſten, bis jet einmal beobachteten, Kältegrade auf Aften. Das polare Ame- rifa giebt aber im Parry ſchen Archipel Jahrestemperaturen, welche bie Mittels wärme ber fülteften Orte Aftens noch nicht erreichen. An mehreren Punkten finft die mittlere Zemperatur bort bis 14 Grade unter dem fogenannten Eis— punkt, an keinem fteigt fle über 12 Grabe unter Null. Auf dem alten Gontinente ift nur ein einziger Ort befannt, Uſtjansk in Sibirien, an der Mündung der Dana, wo zwar das Kältemittel noch unter 12 Grad berabreicht, doch wicht bis auf 15 fällt. Der Auffchluß hierüber Hegt in der fchon anerfannten Thatſache, daß zwifchen der Mittelmärıme und der Art und Weife, wie diejelbe auf das Jahr

Dertliche Verbreitung der Bärme. 81

vertheilt ift, ein allgemein beftimmbarer Zufammenhang nicht beftcht. Die gro» fen Kältemittel für ein Jahr des Parry'ſchen Archipels find nämlich nicht allein durch die niederen Wintertemperaturen veranlaßt, jondern auch durch die gerin- gete Sommerwärme im DBergleich mit Sibirien. Man hat in den Rordpolarlän« dern zwei Kältepole unterfchieben, einen in Sibirien, ben anderen im nördlichen Amerika. Die Dove’fchen Unterjuchungen über bie Veränderung der Monatd« iſothermen haben aber erwiefen, daß jenen eine Bewegung zufomme, während ber amerikaniſche nur wenig fich verrüdt. Während des Sommers weicht jener nach dem anderen bin, da fich dann in Aflen höhere Temperaturen entwideln, wie Rordamerika in gleichen Breiten fie nirgends Eennt. Diefelbe Auszeichnung: wegen höherer Kältegrade verdient Nordamerika auch noch in geringeren Breiten: da jene Gegenden, wo ein großer Theil der Gefammtoberfläche von großen Seen eingenommen wird, während des Winters gänzlich einen continentalen Charakter annehmen. Die Milderung der Extreme durch die frühere Waflerfläche ift einer- Shhärfung der Winterfälte über feſtgefrorner Dede gewichen. Nordamerika's niedere Temperatur wird um fo jhroffer, wenn fie mit den günftigeren Verhaͤlt⸗ nifjen Groͤnland's verglichen wird. Groͤnland's Weftküfte bleibt aber wärmer, weil ihr entlang ein wärmerer Meereöftrom nördlich auffleigt, während die Baf⸗ finsbay den füdlichen Abflug des amerifanifchen Polarmeeres leitet. Zwar geht auch an der grönländijchen Oftfüfte ein Falter Strom herunter und doch iſt auch diefe Küfte weniger kalt. Gier ift jedoch ein Meer gewonnen, über welches weite bin der Golfſtrom eine wärmere Luft verbreitet. Zwiſchen beiben Ertremen liegt Grönland inne,

Bei allen diefen Thatfachen ift es unwahrſcheinlich, daß der geographiſche Pol der kaͤlteſte Punkt ſei und die Kälte bis zu ihm hinaufwachſe. Ein Begleiter von Kane hat in der Iegten Zeit die Hoffnung ausgeiprochen, jeden Sommer im Bolareife ein offned Meer zu finden. Zu biefer kühnen Zuverficht Teiteten ihn eine von Rorden fommende Waſſerſtrömung, die zwei Grad wärmer war als die Temperatur der Luft und zahlloſe Bogelzüge, die über Grönland nad) Rorden

Beränderungen in ter jegt beftehenden Wärmeverbreitung betreffen, fo viel wir wiſſen, nur höchſtens Streden von fehr untergeorbnneter Größe. Selbſt von ihnen ift e8 noch nicht erwiefen, ob fle nicht richtiger der wohlbefann- ten Reihe derer anzufchließen find, wo ein unveränderlicher Mittelwerth fich aus veränderten Monatd= und Jahreszeitötemperaturen zufammenfegt (Bd. 3. ©. 49). Ein großer Theil dieſer Abweichungen ift den Eingriffen gefolgt, weldye die Cul⸗ tur in den natürlichen Lauf ber Dinge gethan hat. Sie hat nur dad Maß Himatifcher Elemente verändert: an dem Geſede ihrer Wirkungen kann fie fi nicht vergreifen.

Die deutſche Philologie. | Dr. Meinjon Beäfein.

Die deutſche Philologie. Jakob Grimm. Vorgeſchichte der deutſchen Studien. Die deutfge Grammatil von Jacob Grimm. Andere gram- matife Arbeiten. Etymologie und Lexicographie. Studien der Yeutigen Munderten. Geſchichte der deutſchen Eyrade. Deutſche Riteraturforfgung. F. Y. von der Hagen. Perioden und Zweige ber deutſchen Literatur. Das Nibelungenlied und der Nibelungenftreit, Kritik. Karl Lachmann, Literaturgefhiäte. Bibliographie. Auf gaden und Hoffnungen für die Zukunft.

Die jüngfte der Wiffenfchaften, gepflanzt und aufgeblüht im neunzehnten Jahr⸗ hundert, iſt die deutſche Philologie. Wenn auch in früherer Zeit beutfche Sprache und beutfche Literatur Gegenflände der Beichäftigung, ja felbft des eifrige ſten Beſtrebens waren, fo gehörte doch Alles, was früher in dieſen Dingen ges ſchah, immer der Liebhaberei, dem Dilettantismus, oder auch bloßen praftifchen Müdfichten mehr an, als der ernflen Forſchung und ber fizengen Wiſſenſchaft⸗ lichfeit. Das deutſche Volk kann ftolz fein auf die Leitungen feiner Gelehrten auf diefem heimischen Gebiete. Denn gleich wie ed den Naturwiſſenſchaften ver⸗ gönnt war, fo ift auch dieſe junge Wiſſenſchaft in einer kurzen Zeit zu den übers tafchendften Ergebniffen gelangt. Aber noch ift an einen Abfchluß, an ein em reichtes Ziel nicht zu denken. Die deutſche Philologie ift eine junge und zugleich eine jugendlich frifche Wiſſenſchaft. Mit jedem Tage wählt der Stoff und mit ihm mehren fich die Arbeitskräfte.

. Der eigentliche Begründer der beutfchen Philologie ift, wie bekannt, Jacob Grimm, noch heute ihr rüfliger Baumeifler. Und ihre Grundmauern bilbet feine deutſche Grammatif, bie Hiflorijche Grammatik. Alle Werke dieſes Mannes, die umfangreichen ſowohl wie bie Fleinften Abhandlungen, wer ben in ber Gefchichte der Gelehrſamkeit unfterblich fein. Sie alle zeugen nidyt allein von der tiefften Gelehsfamkeit, jondern auch von hoher Achtung vor der Geſchichte, vor der Gefchichte überhaupt und indbefondere vor der Gefhichte uns ſeres deutſchen Volkes und von einer warmen Liebe für Poefle und volksthüm⸗ liche Raturwüchfigkeit, Einen treuen Gefinnungs- nnd Arbeitögenofien fand Jacob Grimm in feinem Bruder Wilhelm. Viele Werke wurden von beiden gemeinjchaftlich herausgegeben und jeber förderte den anderen bei den eigenen

Die dentfche Philologie. 83

wifienfchaftlichen Beftrebungen bush Rath und That. Dem Brüberpaare fchloffen ſich beim Erwachen der ernfleren Richtung auf diefem Gebiete manche Freunde des deutjchen Alterthums an und wirkten felbft wieder bahnbrechend und maß⸗ gebend ein. Dies find vor allen: Friedrich Heinrich von der Hagen, Johann Andreas Schmeller und Karl Lachmann, Dem raftlofen Streben des erſteren und feinem Korfchergeifte und Sammlertalente verdanken wir die Ver⸗ öffentlichung fo mancher geiftigen Schäge unferer Borzeit. In Schmeller fan⸗ den die Mundarten, biefe reiche Quelle der Sprachforfchung,, Den Fundigften Bes arBeiter. Lind Lachmann ſchuf für die Wieberherftellung der alten beutjchen Iexte eine durch Klarheit und Scharffinn bewunderungswürdige, philologifch- kritiſche Methode, welche allgemein angenommen wurde und bis auf den heutigen Ing ihre Sültigfeit erhälten Hat. Mit folchen Kräften an der Spike waren bie deutſchen Studien balb zur Wiſſenſchaft erhoben. Sie gelangten auch an bie deutfchen Hochſchulen, für® erſte wenigflend an die größeren. Der genannte von Der Hagen war der erfte akademiſche Lehrer der deutfchen Literatur und Sprache. So mußten die Vertreter der anderen Wiffenfchaften,, befonbers aber die Vertreter der altklaſſiſchen Philologie, welche anfänglich mitleidig, miß⸗ trauiſch und hochmůthig auf diefe nach ihrer Meinung fchöngeiftigen, keineswegs aber wiſſenſchaftlichen Beftrebungen blickten, durch die hervorragenden Arbeiten, Me geliefert wurden, zumal wenn biefe zum Theil von Männern berrüßrten, welche ſelbſt auf altklaſſiſchem Gebiete Borzügliches geleiftet hatten, zur Achtung und Anerkennung getrieben werden. Der Kreis der beutichen Philologen erweiterte ſich immer mehr und heutigen Tages hat faft ohne Ausnahme eine jede deutſche Univerſitaͤt einen Lehrſtuhl für deutfche Sprache und Literatur aufzumweifen.

Wenn ein Bild entworfen werden foll von dem wifjenfchaftlichen Leben, von den Aufgaben und von den Leiftungen in der deutſchen Philologie, fo geſchieht dies am zweckmaͤßigſten, wen die einzelnen Zweige, in welche fich jede Wiffen- ſchaft naturgemäß theilt, im Einzelnen betrachtet werden. Häufig gefchicht «6, daß wir einem und demfelben Manne hie und da begegnen, weil feine Thaͤtigkeit füh auf verfchiedene Faͤcher zugleich erſtreckt.

Obwohl mit Mecht die Gefchichte der deutfchen Philologie vom Ericheinen des erſten Theild der deutfchen Grammatik an gerechnet wird, fo ift e& doch nöthig, auch auf die einfchläglichen Leiſtungen der früheren Beit, gewifiermaßen auf bie Vorgeſchichte dieſer Studien, mit einigen Worten Bedacht zu nehmen. Dem wenn auch Grimm vollftändig Neues fchuf, fo flieht er doch nicht außer allem Bufammenhange mit Ähnlichen Unternehmungen, er mußte angeregt werden und Vorſtudien und Stoffe vorfinden, ehe er tm Stande war, fein Werk zu begin- nen. Gerade die Verfaſſer der deutſchen Orammatifen, welche ihm vorausgingen, waren es nicht, welche einflußreich auf den Schöpfer der hiſtoriſchen Grammatik einwirken. Vielleicht nur in negativer Beziehung, indem fie zeigten, wie dad nene Werk nicht befchaffen fein follte. Vielmehr fand jener feine Anregung durch die Männer, welche die norbifche, angelſächſiſche, gothifche und altdeutfche Lite⸗ ratur an das Licht gebracht und zum Theil grammatifch zu bearbeiten verfucht Hatten. Den Einfluß war ferner das erwachende Studium ded Sandfrit und der

6%

84 Sprachwiſſenſchaft.

vergleichenden Grammatik. Bon der allerhöchſgen Wichtigkeit für die deutſche hiſto⸗ riſche Grammatik aber iſt das Gothiſche. Diefes ift in der That der Grund, auf welchem ſich die deutiche Sprachforfchung, die geiammte beutiche Philologie aufgebaut hat. Hier fand Grimm ſchon bie trefflichflen Vorarbeiten. Einer der erften Kenner biefer Sprache war der fchwedifche Kanzleirath und Profeſſor zu Upfala, Johann Ihre (geb. 1707, geft. 1780), defien Werke über Ulphilas und die gothifche Sprache von Buͤſching 1773 herausgegeben wurden. Sehr verdient machten fi auch um dad Sothifche Friedrich Karl Fulda und Wil- helm Friedrich Hermann Reinwald (Schillers Schwager). Bon der altdeut- ſchen Literatur war jchon mancherlei zur Kenntniß gelangt; natürlicy geſchah Die Bekanntmachung nicht kritiſch, wie wir es heute gewohnt find, fondern man be= gnügte ſich mit bloßen Tertedabdrüden und oft genug waren dieſe nichts weniger als urkundlic, getreu und genau. Die erften, welche auf die längft in Vergeſſen⸗ heit gerathenen und von dem fogenannten guten Geſchmack der vorigen Jahrhun⸗ derte nerurtheilten Dichtungen des Mittelalterd das größere Publifum wieder aufs merfjam machten, waren Bodmer und Breitinger, indem fic 1748 Proben der alten ſchwaͤbiſchen Poeſie des 13. Jahrhunderts herausgaben. Cpäter ließ Bodmer Fabeln aus den Zeiten der Minnefänger folgen und beide zujammen vereinten fich zu einer größeren Audgabe dev Minnefinger (die fogenannte Ma neſſiſche Sammlung), weldye hundert und vierzig Dichter enthielt. Die erfte Ausgabe des dem deutſchen Volke jpäter fo theuer gewordenen Ribelungen« liede8 rührte von Bodmer her. Freilich gab er nur ben legten Theil, ben er „Chriemhilden Rache” nannte, nebſt der Klage heraus. Das ganze Gedicht ließ dann. über zwanzig Jahre fpäter Ehriftoph Heinrich Myl ler abdruden. Der Herausgeber eröffnete damit eine ziemlich reichhaltige Sammlung teutfcher Ge⸗ dichte bes Mittelalters, unter denen fich unter anderen Parcival, Triſtan, Freie dank, der arme Heinrich und Iwein befanden. Es begegnete dem Herausgeber, legtesen Namen nicht Iwein, fondern Twein zu lefen. ine weitere Sammlung altdeuticher Gedichte hatten von der Sagen und Büfching veranftalte. Georg Sriedrih Benede gab 1810 Beiträge zur Kenntniß der altdeutfchen Sprache und Literatur heraus, deren zweiter Theil ziemlich fpät, erſt im Jahre 1832,

erſchien. Außer dieſen Quellenfammlungen brachten Beitfchriften und Miſch⸗ fammlungen neben Abhandlungen über Literatur und Sprache auch Kleinere und. größere altdeutjche Stüde. Die Ältefte Zeitichrift für Diele Richtung war:

„Bragur, ein literarijched Magazin der deutfchen und nordifchen Vorzeit”, here ausgegeben von F. D. Oräter im Verein mit Ch. ©. Böckh und J. H. Häs⸗ lein. Ganz ähnliche Zwede verfolgten die von Gräter fpäter herausgegebenen

Zeitichriften Obina, Teutona, Iduna und Hermode. Wenn fie auch manches brachten, was heute jeine Guͤltigkeit eingebüßt bat, fo bleibt deſſen

ungeachtet dad Verdienft ber Herausgeber ungefihmälert. Ohne Zweifel haben

gerade dieſe nicht ungeſchickt redigirten Zeitichriften mächtig zur Theilnahme am

Studium ber alten vaterländifchen Literatur angeregt. In gleicher Richtung

waren 3. Cp. Freiherr von Aretin, Bernhard Joſeph Docen, Buͤſching

und Bernhard Hundeshagen thätig. Die Gebrüder Grimm jelbft ließen

Die deutfche Philologie. 85

1813, 1815 und 1816 eine fehr reichhaltige Sammlung von altbeutfchen Terten (viele derfelben mit Erflärungen) und Abhandlungen erfcheinen, welcher fie den Titel „altdeutfhe Wälder” gaben. Die meiften älteften der altdeutſchen Stüde, Die althochdeutfchen, waren von Johann Schilter in feinemthesaurus antiquitatum teutonicarum, ecclesiasticarum, civilium, litterarium vereinigt; dieſes Werk gelangte aber erft fange nach Schilter® Tode zur Herausgabe. Ohne Zweifel das wichtigfte Stud diefer Sammlung ift Otfrieds Evangelienhbarmonie,

Aus den concreten Spracheigenthümlichkeiten,, wie fle in biefen Schriftiwere Ten zu Tage treten, fchuf nun Jacob Grimm feine Grammatif, aus den Vor⸗ tommnifjen abftrahirte er Befeg und Hegel. Die erfte Ausgabe des erften Theils der deutfchen Grammatik erfchien im Jahre 1819. Sie ift jet ein ziem- lich feltened und viel begehrte Buch. Won befonderer Schönheit und reich an treffenden Gedanken, die gewifiermaßen ein wifienfchaftliches Glaubensbekenntniß ansdrücken, ift die Widmung an Savigny. Auf Bieler Wunſch wurde fle in der dritten Ausgabe des erften Theiles 1840 wieterholt. Im diefer erften Auss gabe vom Jahre 1819 finden fich auch noch deutfche Leitern, während fihon die zweite Ausgabe wie faft alle jpäferen Werke Grimms bekanntlich mit Tateintfchen Lettern und durchgängig Tleinen Anfangsbuchftaben (natürlich mit beflimmten Ausnahmen) gedruckt find. So geringfügig dieje Aeußerlichkeit an fich fein mag, fo bezeichnend ift fle Doch für den Entwidelungsgang des Grammatifers. In rein wiffenfchaftlicher Beziehung, vom jegigen Standpunkte aus, hat diefe erfte Ausgabe nur befchränkten Werth. Sie war der erfle Anfang, ein Verſuch. Gar manches wurde fpäter umgeſtoßen, verbeflert und ergänzt. Dagegen in geſchicht⸗ lich wiffenfchaftlicher Beziehung war diefed Buch eines der einflußreichiten, epoche⸗ machendften, man Eönnte fagen wiffenjchaftlich rabicalften, die je gefchrieben wurden. Und was serlich dem Werfe foldye Bedeutung! Dies wird erkannt werden, wenn wir zuſehen, wie früher die Grammatik betrieben wurde und wel⸗ ches die Anfichten waren, die über die deutiche Sprache und deren grammatifche Bebandlungsweife herrfchten.

Die beiden vorigen Jahrhunderte Haben eine reiche deutſch⸗grammatiſche Literatur aufzwweifen. Eine Darftellung biefer grammatijchen Beftrebungen gab ' €. K. Reichard in feinem „Verſuch einer Hiftorie der deutichen Sprachkunft” Samburg 1747: ein Buch, welches nicht ohne Werth ift, welches aber Anflchten vertritt, die wie die Anflchten in den Werfen, welche e8 befpricht, den heutigen geradezu entgegengefeßt find. Cine vortreffliche kurz und beſtimmt gefaßte Ge- ſchichte der deutfchen Grammatik finden wir in Rudolfvon Raumers Werke: „der Unterricht im Deutſchen.“ Die deutfchen Grammatiken der früheren Zeit verfolgten ſaͤmmtlich nicht wiffenfchaftliche, fondern praftifche Zwecke, fie waren Schulbücher und hatten immer nur die gegenwärtige Schriftiprache vor Augen. Beſonders aber war e8 die Rechtfchreibung, deren Grundjäge vorgetragen wur» den. Schon hierin zeigt fih der Gegenfag zu dem Grimmifchen Werke. Bür den Unterricht war dieſes Werk nicht beſtimmt, von Regeln über Rechtichreibung findet fich nicht da8 geringfte und gerade das Neuhochbeutiche ift im Verhaͤltnifſe zu den anderen und früheren beutfchen Sprachen gering bedacht. Mit der Zeit

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vergleichenden Grammatik. Bon der allerhöchtgen Wichtigkeit für Die deutſche hiſto⸗ zifche Grammatik aber iſt das Gothiſche. Diefes ift in der That der Grund, auf welchem ſich die deutfche Sprachforfchung, die geſammte deutiche Philologie aufgebaut hat. Hier fand Grimm jchon die trefflichften Vorarbeiten. Einer der erften Kenner diefer Sprache war der fchwebifche Kanzleirath und Profeſſor

zu Upjala, Johann Ihre (geb. 1707, geft. 1780), defien Werke über Ulphilas und die gothifche Sprache von Büfching 1773 herausgegeben wurden. Sehr verdient machten fi auch um das Gothifche Friedrich Karl Fulda und Wil- helm Friedrich Hermann Reinwald (Schillers Schwager). Von der altdeut- fen Literatur war ſchon mancherlei zur Kenntniß gelangt; natürlich geſchah die Bekanntmachung nicht Eritijch, wie wir e8 heute gewohnt find, fondern man bes gnügte fich mit bloßen Tertesabdrüden und oft genug waren dieſe nichtd weniger als urkundlich getreu und genau. Die erſten, welche auf die längft in Vergeſſen⸗ heit gerathenen und von dem fogenannten guten Gefchmad der vorigen Jahrhun⸗ derte verurtheilten Dichtungen des Mittelalter das größere Publifum wieder aufe merfjam machten, waren Bodmer und Breitinger, indem fie 1748 Proben der alten ſchwaͤbiſchen Poeſie des 13. Jahrhunderts herausgaben. Spüter lief Bodmer Fabeln aus den Zeiten der Minnefänger folgen und beide zujammen vereinten fich zu einer größeren Ausgabe der Minnejinger (die fogenannte Ma» neffifche Sammlung), weldye hundert und vierzig Dichter enthielt. Die erfte Ausgabe des dem beutjchen Volke Ypäter jo theuer gewordenen Nibelungen Liedes rührte von Bodmer ber. Freilich gab er nur den Iegten Theil, den er „Ghriemhilden Rache” nannte, nebfl der Klage heraus. Das ganze Gedicht ließ dann über zwanzig Jahre fpäter Ehriftoph Heinrich Myller abdruden. Der Heraudgeber eröffnete Damit eine ziemlich reichhaltige Sammlung Leutfcher Ges dichte des Mittelalterö, unter denen fich unter anderen Barcival, Triſtan, Frei⸗ dank, der arme Heinrich und Iwein befanden. Es begegnete dem Herausgeber, legteren Ramen nicht Iwein, ſondern Twein zu lefen. Cine weitere Sammlung altdeuticher Gedichte hatten von der Hagen und Büfching veranftalte. Georg Friedrich Benede gab 1810 Beiträge zur Kenntnig der altdeutfchen Sprache und Literatur heraus, deren zweiter Theil ziemlich fpät, erſt im Sabre 1832, erfchien. Außer dieſen Quellenfammlungen brachten Zeitfchriften und Miſch⸗ fammlungen neben Abhandlungen über Literatur und Sprache auch Eleinere und. größere altdeutſche Stüde. Die ältefte Zeitfchrift für dieſe Michtung war: „Bragur, ein literarijched Magazin der deutſchen und nordifchen Vorzeit”, her» ausgegeben von F. D. Gräter im Verein mit Ch. ©. Böckh und I. H. Häs- lein. Ganz ähnliche Zwede verfolgten die von Gräter fpäter herausgegebenen Zeitichriften Obina, Teutona, Iduna und Hermode Wenn fie auch manches brachten, was heute feine Gültigkeit eingebüßt hat, fo bleibt deflen ungeachtet das Verdienft ber Herausgeber ungefchmälert. Ohne Zweifel haben gerade dieje nicht ungeſchickt redigirten Zeitfchriften mächtig zur Iheilnahme am Studium der alten vaterländifchen Literatur angeregt. In gleicher Richtung waren I. &p. Freiherr von Aretin, Bernhard Joſehh Docen, Büſching und Bernhard Hundeshagen thätig. Die Gebrüder Grimm jelbft ließen

Die deutfche Philologie. 85

1813, 1815 und 1816 eine jehr reichhaltige Sammlung von altbeutfchen Terten (viele derfelben mit Erflärungen) und Abhandlungen exfcheinen, welcher ſie den Titel „altdeutfhe Wälder’ gaben. Die meiften älteften der altbeutichen Stücke, die althochdeutfchen, waren von Johann Schilter in feinemthesaurus antiquitatum teutonicarum, ecclesiasticarum, civilium, litterarium vereinigt; dieſes Werk gelangte aber erft lange nach Schilter8 Tode zur Herausgabe. Ohne Zweifel das wichtigfte Stud diefer Sammlung ift Otfrieds Evangelienharmonie.

Aus den concreten Spracheigenthümlichkeiten,, wie fle in diefen Schriftwer« ten zu Tage treten, ſchuf nun Jacob Grimm feine Grammatif, aus den Vor⸗ kommniſſen abflrahirte er Gefey und Megel. Die erfte Ausgabe des erften Theils der deutfchen Grammatik erfchien im Jahre 1819. Sie ift jegt ein ziem⸗ lich feltened und viel begehrte Buch. Won befonderer Schönheit und reich an treffenden Gedanken, die gewiffermaßen ein wiffenfchaftliches Glaubensbekenntniß ansdrücken, ift Die Widmung an Savigny. Auf Bieler Wunfch wurde fie in der dritten Ausgabe des erften Theiles 1840 wieterholt. In diefer erſten Auss gabe vom Jahre 1819 finden fich auch noch deutfche Lettern, während ſchon bie zweite Ausgabe wie faft alle jpäferen Werke Grimms bekanntlich mit Tateinifchen Lettern und durchgängig Tleinen Anfangsbuchftaben (natürlich mit beflimmten Ausnahmen) gedrudt find. So geringfügig dieje Aeußerlichkeit an fich fein mag, fo bezeichnend iſt fie Doch für den Entwidelungdgang ded Grammatifers. In rein wiflenfchaftlicher Beziehung, vom jegigen Standpunkte aus, hat diefe erfte Ausgabe nur befchräntten Werth. Sie war der erfle Anfang, ein Verſuch. Gar manches wurde fpäter umgeſtoßen, verbeflert und ergänzt. Dagegen in geſchicht⸗ lich wiffenfchaftlicher Beziehung war dieſes Buch eines der einflußreichiten, epoche⸗ machendſten, man könnte fagen wiſſenſchaftlich radicafften, die je gefchrieben wurden. Und was verlieh dem Werke folche Bedeutung? Dies wird erkannt werden, wenn wir zuſehen, wie früher die Grammatif betrieben wurde und wel⸗ es die Anftchten waren, die über die deutſche Sprache und deren grammatifche Bebandlungsweife herrfchten.

Die beiden vorigen Jahrhunderte Haben eime reiche beutfch= grammatijche Literatur aufzuweiſen. Cine Darftellung diefer grammatijchen Beflrebungen gab €. K. Reichard in feinem „Verſuch einer Hiftorie der deutjchen Sprachkunft‘‘ Samburg 1747: ein Buch, welches nicht ohne Werth ift, welche aber Anflchten vertritt, die wie die Anflchten in den Werfen, welche e8 befpricht, den heutigen geradezu entgegengefegt find. Eine vortreffliche kurz und beſtimmt gefaßte Ge⸗ ſchichte der deutfchen Grammatik finden wir in Rudolfvon Raumers Werke: „ber Unterricht im Deutſchen.“ Die deutfchen Grammatifen der früheren Zeit verfolgten fämmtlich nicht wiffenfchaftliche, fondern praftifche Zwecke, fle waren Schulbücher und hatten immer nur die gegenwärtige Schriftiprache vor Augen. Beſonders aber war es die Rechtfchreibung, deren Grundjäße vorgetragen wur⸗ den. Schon hierin zeigt fich der Gegenfag zu dem Grimmifchen Werfe. Für den Unterricht war dieſes Werk nicht beſtimmt, von Megeln über Rechtichreibung findet fich nicht das geringfte und gerade das Neuhochdeutiche ift im Verhaͤltnifſe zu den anderen und früheren deutfchen Sprachen gering bedacht. Mit der Zeit

86 Sprachwiſſenſchaft.

mußten die deutſchen Grammatiker ſich Rechenſchaft geben über die Art, das Weſen und die Entftehung der Schriftfpradye, des Hochdeutichen. Die Antwor⸗ ten auf folche Fragen lauten oft ſehr verfchieden. Im Allgemeinen aber und zwar fchon in ziemlich früher Zeit wird angenommen, daß die deutſche Haupt⸗ und Reichöfprache im Meißnijchen Lande am vollfommenften zu finden ſei. Es ift nicht zu Teugnen, daß an diejer Behauptung, deren volle Wahrheit noch weit bis in dieſes Jahrhundert Hinein nicht im mindeften bezweifelt wurde, etwas wahres ift, in dem unfer NReuhochdeutich, eine Sprache, die im Grunde hochdeutſch zugleich auch niederdeutſche Elemente in fich faßt, zum Iheil durch den Ein⸗ fluß der ebenfalls gemifchten mitteldeutfchen Sprache, zu welcher ja auch bie Meißniſche gehört, entitanden iſt. Ein zweiter Grundgedanke, ver ſich durch die grammatifchen Arbeiten hindurchzieht, ift der, daß die deutſche Sprache erſt jest, das heißt immer zu den Zeiten, zu welchen der Orammatifer lebt, zur Voll» fommenheit gebracht worden fei. Dieſe Ueberfchägung der Eprache des eigenen Zeitalters findet ihren Gipfelpunft in Gottſcheds und Adelungs Anflchten. Obgleich beide nicht ohne Kenntniß der älteren deutfchen Literatur, fo wie auch der gothifchen Sprache waren, jo fehlte ihnen doch der hiſtoriſche Sinn, den ‚Entwidelungsgang der Sprache herauszufinden und die Vollkommenheiten ein- zufehen, welche bie ältere Sprache vor der gegenwärtigen voraus hat. Ja bei . Adelung geftaltete fich dieſe Richtachtung des Hiftorichen zu einer förmlichen Ver⸗ achtung der deutfchen Vorzeit in Literatur und Sprache. Ihm ift wie jeinem Vorgänger Gottfched das zweite Viertel des achtzehnten Jahrhunderts das gol⸗ bene Zeitalter des deutſchen Geiſtes. In ihm hat nach feiner Meinung die deutſche Sprache ihre Vollfommenheit erreicht, wogegen bie ältere deutfche Sprache ihm unvollkommen, roh und ungefchladht gilt. Solche Anftchten, welche die eigene glorreiche Zeit in das hellſte Licht ſetzten, waren leicht volksthuͤmlich gemacht und waren in der That ſchon vorher anerkannt und weit verbreitet. So urtheilt auch ber genannte Reichard in feiner Geſchichte der deutſchen Sprachfunft. Gleich im Eingange heißt e8: „Es ift ausgemacht, daß in den erfleren und mittleren Zeiten die deutfche Sprache noch fehr rauh und unvollkommen und von ihrer jegigen - Schönheit weit entfernt, ja von ber heutigen gewifjermaßen verjchieden geweſen.“ Am entichiedenften aber zeigt fich bei Adelung der Mangel alles hiſtoriſchen Sin- ned in feinem Urtheile über Luthers Sprache. Während die Grammatifer des jechzehnten und flebzehnten Jahrhunderts auf biefer Sprache fußen, nimmt Botts ſched ald Ausgangspunft der vollfommenen deutfchen Sprache die Schreibart von Martin Opig an. Und Adelung hat den Muth, Luthers Sprache, weil fie der gegenwärtigen Meißniſchen nicht in allen Stüden entfpricht, grammatiſche Richtigkeit und überhaupt Clafftcität abzufprechen. ALS wenn Luther hätte wiflen fönnen, wie bie Sprache fich einft geftalten würde! Adelung hatte fih fo in feine Anflcht verrannt, daß er gar nichtahnte, wie durch Luthers Sprache, welche befanntermapen in ganz Deutichland maßgebend einwirkte, die gegempärtige erft möglich wurde.

Adelungd Schriften genoffen ein bedeutendes Anjehen. Seine beutiche Sprachlehre für Schulen erfchien im Jahre 1816 in jechiter Auflage, war dem⸗

Die bentſche Philologie. 87

gemäß noch ein neues und gültiges Buch, als Die deutſche Grammatik von Jacob Grimm erfchien. Jene deutſche Grammatik von Adelung und dieſe welch ein Unterfchieb! Bolllommen neu war ed, daß vom gegenwärtigen Sprachſtand⸗ punkte nicht audgegangen wurde, vollfommen neu war in einer „deutſchen“ Grammatik dad Gothiſche, das Althochdeutfche und Das Mittelhochdeutfche. In der Widmung an Savigny hieß es ausbrüdlich, daß auch in der Grammatik die Un⸗ verleglichkeit und Rothwendigkeit der Sefchichte anerkannt werden müffe. Und son Geſetzen, wie man die gegenwärtige Sprache behandeln folle, findet fich feine Spur; nur Die Gefege werden aufgeftellt, die fich aus den gegebenen und befannt gewordenen Dentmälern ergeben. Ja es erklärt fich fogar der Verfafler der neuen bi» ſtoriſchen Grammatik gegen jede Bejeßgebung anf jprachlichem Bebiete: eine Anficht, welche die pedantifchen Sprachkuͤnſtler auf's höchfte ftaunen machen mußte. Lind wie wird über den Werth der alten deutfchen Sprache geurtheilt, die für unvollkom⸗ men, rauh und ungejchlacht galt, da fie nicht jo glädlich war, Sprachlehrer und Eprachlehren zu befigen? „Vor 600 Jahren,‘ Heißt dieſes Urtheil, „hat jeder gemeine Bauer Vollkommenheiten und Beinheiten ber deutfchen Sprache gewußt, d. h. täglich ausgeübt, von denen fich die beften heutigen Sprachlehrer nichts mehr träumen laſſen; in den Dichtungen eines Wolframs von Eſchenbach, eines Sartmannd von Aue, die weder von Declination noch von Konjugation je gehört haben, vielleicht nicht einmal leſen und fchreiben konnten, find noch Unterfchiebe Beim Subftantivum und Verbum mit folcher Meinlichkeit und Sicherheit in der Biegung und Setung befolgt, die wir erſt nach und nach auf gelehrtem Wege wieder entdecken müfien.” Und was bier behauptet wurde, das fand in der Grammatik ſelbſt feine Beftätigung. Auf den erften Bli konnte erkannt wer⸗ den, daß bie ältere Sprache reicher an Biegungen in Deflination und Conjuga⸗ tion, reicher an Stämmen, überhaupt mannigfaltiger und grammatifch genauer in jeder Beziehung als die neue war. Wie ſtimmte das zu der vermeintlichen Noheit der älteren Sprachen und zu bem niedrigen Bildungszuſtande der älteren Volker und befonderd des deutſchen Volkes? Aber auch nach anderer Seite Hin gab Grimms Werk mancherlei zu bedenken. Die mit Eifer betriebenen alt» deutſchen Beftrebungen waren, beſonders da bie politifchen Verhältniffe dies be⸗ fürderten, von manchen Seiten aus Patriotismus übermäßig bevorzugt worden, ohne jedoch Dadurch wiſſenſchaftlich Höher gebracht worden zu fein. Grimm mahnt daran, daß es nicht fromme, Die geretteten Denkmaͤler eilfertig in den Drud zu geben, fondern dag man fich zu befleißigen habe, fie in ihrer urfprünglichen Ge⸗ Ralt wieder herzuftellen. Wie er aus der gegebenen Sprache der Denfmäler feine Srammatif conftruirte, fo verlangt der Grammatifer umgefehrt, die Ergebnifie der Grammatik auf die Denkmäler felbft zu übertragen. Mit anderen Worten: philologifche Kritik wurde gefordert. Bald follten ſich in Benede und Lach⸗ mann bie rechten Männer finden, weldye Diefen Anforderungen entiprachen.

Bei diefem DVerfuch einer deutfchen Grammatik, wie fie Grimm ſelbſt bes zeichnet, jollte e8 nicht bleiben. Nach drei Jahren im Jahre 1822 erſchien die die zweite Ausgabe des erften Theils. Selten wohl Bat ein Schrififteller in fo kurzer Zeit folche Fortſchritte gemacht, wie fie fich bier aus einer Vergleichung

88 Sprachwiſſenſchaft.

beider Ausgaben ergeben. Dieſe zweite Ausgabe erhielt vollſtaͤndige wiſſenſchaft⸗ liche Guͤltigkeit, bis ein Theil derſelben, die Lehreswon den Vocalen und unter diefen vornehmlich die gothifchen, Durch den Berfafler eine Umarbeitung in der dritten Ausgabe des erſten Theiles vom Jahre 1840 erfuhr. Diefer erſte Theil enthält in zwei Büchern die Lehre von den Buchflaben (d. h. den Lauten, Vocalen, Diphthongen und Gonfonanten) und die Lehre von der Wortbiegung, Derlination und Eonjugation. Bedacht wird genommen auf jänmtliche beutjche, oder wie es deutlicher ausgebrüdt'wäre, auf fämmtliche germanifche Sprachen. Grimm bat aber in diejem Falle den Ausdruck „deutſch“ für, germaniſch“ vor⸗ gezogen. Cr konnte died mit um fo größerem Rechte, als ed wohl ein deutſches Volt in engerem Sinne gibt im Gegenfage zu unjeren Stammverwandten, ben Dänen, Schweden und Engländern, aber keine einheitliche deutſche Sprache. Die deutfche Sprache zerfällt in zwei große Gruppen, in die hochdeutfche und im die niederdeutfche. Dazu kommt, day es in der Grammatik auf die gefchichtliche Entwidelung, auf die Perioden der Sprache hauptfächlich anfam und fomit der Ausdruck, deutſch“ (im weiteken Sinne für germanijch) nicht mit dem Ausdruck „deutſch“ (im engeren Sinne) zufammengebracht und verwechjelt werden Eonnte. Diefe deutſchen Sprachen find nun folgende: das Gothiſche, das Althochdeutſche, das Mittelhochdeutfche, das Reuhochdeutiche, das Altjächfliche (oder das Altnie⸗ derbeutfche), dad Mittelniederdeutjche, das Reuniederbeutfche (dad Platt ift feine, Sprache, fondern nur eine Rundart, weshalb es unberüdfichtigt blieb), das Mit telniederländijche, das Neuniederländifche, das Angelfächfliche, das Engliſche, das Zrieftfche, das Altnordifche, das Schwediſche und das Dänifche. Schem: nach vier Jahren erichienen der zweite und ber dritte Theil, welche die Lehre von: der Wortbildung und Die Lehre vom Genus behandelten. Der vierte und letzte Theil, die Syntar, erichien im Jahre 1837.

Bon befonderer Wichtigkeit find die neuen nunmehr ſeſtftehenden Kunftaude drücke der hiſtoriſchen Grammatik. Zuvörberft verdient bemerkt zu werben, daß Grimm die einmal beftehenden grammatifchen Benennungen, die ja bekanntlich ben Grammatiken des Altertfums entnommen find, beibehielt, fie nicht aus übers. triebenem Baterlandögefühle überfegte, wie e8 damals fchon vielfach geichab. „Vocal“ blieb bei ihm „Vocal“ und wurde nicht zu „Selbfllaut‘ ober „Selbſt⸗ lauter.‘ Dagegen mußte er für ſolche Erfheinungen, Die ſich nach und nach ergaben, bie alfo vollitändig neu waren, grammatijche Ausdrüde finden, Manche derfelben, wie 3.8. „Umlaut“, waren fchon im Gebrauch, hatten aber eine weitere Bedeutung, als Grimm fie ihnen beilegte. Man bat an Ausbrüden wie Althochdeutſch, Mittelhochdeutfch, Lautabſtufung, Lautverfchiebung vielfach berumgemäfelt, allein mit Unreht. Orammatifche Kunftausdrüude werden nie an fich ganz genau und Klar fein, es genügt, wenn fie nur halbweg der Sache entfprechen. Wenn jemand nicht weiß, was Vocal, Diphthong oder auch die deutfchen Benennungen Selbftlauter und Witlauter bejagen wollen, ber Name allein fagt es ihm wahrlich nicht. Hält man Dies feft, fo zeigt ſich, dag die von Grimm gewählten Ausprüde kurz und zwedentfprechend, alſo vortreff⸗ Tich find. Dan hat ſich allgemad an fle gewöhnt, fie find geläufig geworben,

Die deutſche Philologie. 89

ja ſelbſt das groͤßere Publikum findet Benennungen wie Althochdeutſch, Neu⸗ hochdeutſch nicht im geringſten ſchwierig.

Sehen wir nun auf den inneren Werth der Grammatik, ſo tritt uns zu⸗ nachſt eine ſtaunendwerthe Fülle des Stoffes entgegen, der nur von der beharr⸗ lichten Ausdauer und von einem überaus klar fichtenden Berflande auf folche Weiſe bewältigt werden konnte. Ja diefe Hülle des Stoffes, welche e8 zu Feiner eigentlichen Darftellung , zu feiner Befprechung über den Gegenſtand kommen läßt, dieſe unendlich vielen Belege, Die ganze Seiten füllen, dabei eine fcheinbare Unüberfichtlichkeit, diefer geringe typographifche Schmuck: dies alles ſchreckt an« fänglich zurüd und macht beflommen. Jeder ahnt, wenn er nur einen Blid in das Buch wirft, daß bier vom Lejer Arbeit, tüchtige Arbeit gefordert wird. Aber dieſe Arbeit wird auch reichlich belohnt. Durch die Klarheit, die überzeugende Ruhe, die nichts beweifen will, fondern nur concrete Beweife vorführt, gewinnt der anfänglich troden erfcheinende Stoff warmes Leben. Lind außer dem Ler« nen, außer dem wiflenchaftlichen, dem gelehrten Gewinne Tann aus der Gram⸗ matik, wie überhaupt aus Grimme Werken, Liebe zu unferer Sprache und Liebe zu unjerem Baterlande gefogen werben.

Richt allein der Schöpfer der deutichen hiſtoriſchen Grammatik ift Iacob Grimm, jondern auch der Gründer ber vergleichenden Grammatik, indem er dies fom erwachenden Studium fefte Stüßpunfte verlieh. Eines feiner Hauptverdienfte beſteht darin, Daß er das Geſetz der LZautverfchiedung fand und wiflenjchaft« lich begründete, welches fchon vorher der Grammatiker der nordifchen Sprachen Rasmus Raſtk geahnt Hatte. Dieſes Geſetz ift ähnlich einer mathematifchen Gleichung: die alten Sprachen verhalten fi} in Hinficht der Stummlaute zu dem Gothiſchen und zu den Sprachen, welche mit dem Gothiſchen auf einer Stufe ſtehen, wie diefe zu dem Hochdeutichen.

Im erften Theil der Grammatik find jelbftverftändlich einzelne Abtheilungen bevorzugt, wenn fie fprachlich wichtiger als andere find und eine reichere Litera⸗ tur in ihnen vorhanden ift: fo das Bothiiche, das Althochdeutiche und vor allen das Mittelhochdeutiche, die Sprache, in der die vorzüglichften Dichterwerke des Pittelalter8 gefchrieben iind. Auffallend auf den erften Blick, beſonders im Gegenfage zu den Grammatiken der vorhergehenden Zeit, iſt ber geringe Um⸗ fang, welcher dem Neuhochdeutfchen eingeräumt if. Bedenkt man jedoch, daß Die Granmatik Fein Schulbuch, fondern ein wiffenfchaftliches Werk fein follte, fo war eine genaue Darlegung des neueren Sprachzuftandes nicht nothwendig. Ohne Zweifel dagegen ift zwifchen dem Mittelbochdeutichen und dem Neuhoch⸗ deutfchen eine empfindliche Kücke gelaffen, in welche die Entwidelung der neu⸗ hochdeutichen Schriftfprache fällt. Grimm ſelbſt Hat dieſe Lücke zugeftanden und gerechtfertigt. Sie auszufüllen ift wegen der Schwierigkeit der Aufgabe, welche . alle anderen Schwierigkeiten überftieg, felbft ihm nicht möglich geweien. ine Gefchichte des Reuhochdeutichen und befonders deſſen VBorgefchichte kann nur dann erft ermöglicht werden, wenn umfafjende und bis ins Einzelne hinein fich erſtreckende Vorarbeiten geliefert werden. Gerade die neuefte Zeit ift fich dieſer Aufgabe bewußt und beginnt an ihrer Löſung zu arbeiten. Hauptſaͤchlich wird.

90 Epradqwiſſenſchaft.

zum Gelingen bie Veröffentlichung der Reichstagsakten beitragen, welche, wie allgemein gehofft wird, nun endlich ind Werk gefegt werben fol. x

Das grammatiſche Werk Jakob Grimms war in feiner Ausführung fe bedeu⸗ dent und vollendet, daß es fchwierig erfcheinen mußte, ihm ein anderes ähnliches an die Seite zu ſetzen. Alle grammatijchen Arbeiten Eonnten demgemaͤß nur Einzelnes weiter ausführen oder die Darftellung Grimme im Auszuge und in leichter faßlichem Gewande mittheilen. Im Allgemeinen aber wurde von den deutfchen Philologen die Grammatik gerade am wenigſten gepflegt und weni⸗ ger als e8 hätte gefchehen follen. Grimm felbft Hat diefen Umftand beklagt. In dem erften ‚Hefte des erſten Jahrgangs der Germania, einer Bierteljahrsfchrift für deutfche Alterthumskunde, herausgegeben von Franz Pfeiffer 1856, nimmt ve Gelegenheit. e8 geradezu audzuiprechen, daß beutiche Grammatik unter und nur Jäffig betrieben werbe.und daß die meiften ſich an den jegigen Ergebnifien ‚genü« gen lafien und nicht weiter forfchen: ein Urtheil, welches feine Liebe zur Sache und zugleich feine edle Beſcheidenheit auf das Linzweibeutigfte kundgibt.

Wie vor der deutichen Grammatik das Gothiſche verhaͤltnißmaͤßig am meiften bearbeitet war, fo hat es auch nachher Die beporzugtefte Beachtung gefun⸗ den. Unabhängig von Grimm waren auch in Italien dur Angelo Mai und Graf Saftiglione gothifche Studien eifrig betrieben worden. In Deutfehland war es vor allen Hans Ferdinand Maßmann, der ſich nach diefer Seite Hin Verdienſte erwarb. Reuerdings bat diefer fleißige Gelehrte ſaͤmmtliche gothiſche Sprachdenkmaͤler in einer fehr brauchbaren Ausgabe vereinigt. Die ausführ- lichfte gothifche Grammatik, welche im Einzelnen äfters von Grimms Darfiel« lung abweicht, findet fich in der großen Ausgabe des Ulphilas von Babes leng und Löbe 1836 46. Eine treffliche Unterfuchung über das Vechaͤltniß des gothifchen Alphaber8 des Ulphilas zum Runenalphabet befigen wir von Julius Bacher, Im vorigen Jahre (1858) erſchien eine fehr fleißige, außer den wiſſen⸗ ſchaftlichen auch ‚praftifche Zwecke verfolgende, Feine Schrift über die Ausfprache des Gothiſchen zur Zeit des Ulpbilas von Wilhelm Weingärtner.

Das erwähnte von Grimm gefundene wichtige Gefeg ber Lautverfchiebung in Verbindung mit der Afpiration machte Rubolf von Ranmer zum Gegenftande einer eigenen aͤußerſt gediegenen fprachlichen Abhandlung 1887. Es if zu Se Flagen , daß nicht noch mehr derartige Einzelichriften über geammatifche Fragen unternommen worden. Wilhelm Wadernagel behandelte in monographifcher. Weiſe die mittelhochdeutiche Regationd » Partikel ne in Hoffmanns Kundaruben, fo wie er auch über Conjugation und Wortbiegung durch Ablaut im Deutfchen, Griechifchen und Lateiniſchen Unterfuchungen anfellte. (Diefe Ietere in einer nicht überall zugänglichen Zeitfchrift erfchlenene Abhandlung iſt mir bis jet un⸗ befannt geblieben.) Die meiften Eleineren grammatifchen Arbeiten finden ſich in gelehrten Beitichriften, beſonders in den fachwifienichaftlichen für das deutſche Alterthum.

Cine größere Arbeit, welche ſich zur Aufgabe flellte, jene in Grimms Grammatik gelaffene Luͤcke auszufüllen , lieferte Iofeph Kehrein in feiner deut fen Grammatik des 15.—17. Jahrhunderts. An Fleiß hat es der Verfafler

Die deutfche Ppiloingie. A

nicht fehlen Lafien, allein es fehlt feinem Buche an Klarheit, es trägt bloß ben Stoff zufammıen, ohne ihn gehörig zu verarbeiten. Cine Grammatik der Sprache jener Jahrhunderte bleibt troß des Verſuches von Kehrein wie biäher eine noch zu löfende Aufgabe.

Groß ift die Anzahl der Auszüge aus dem Grimmiſchen Werke, welche vor⸗ zugöweife für den Unterricht beftimmt jind. Selbftverftändlich berüdfichtigen fie meift den elementaren, den etymologifchen Theil. Am verbreiteften ift Vil⸗ mars (des bekannten Literarhiftorifers) deutfche Grammatik geworden. K. A. Hahn behandelte jämmtliche deutiche Sprachperioten mit Einjchluß der gothis fen. Sehr brauchbar und auch höheren Anforderungen entiprechend ift feine mittelhochbeutiche Srammatif, welche in zwei Abtheilungen die Laut» und Flexionslehre und die Wortbildung enthält (1842 und 1847). In mittelhoch⸗ beutfchen Lefebüchern find öfters kurze Anweifungen zur Formenlehre gegeben, wie 3.3. im altdeutichen Lejebuche zum Gebrauch bei Borlefungen von Karl Simrod 1851. Grimms Brammarit hat wohlthätigen Einfluß auf die Behandlung der neuhochdeutichen Grammatik und befonderd der Schulgramma- tik gehabt. Freilich find auch eine Menge Bücher erfchienen, die den früheren Schlendrian auf’8 treulichfte fortgeſetzt haben.

Einer der wichtigften und zugleich anziehendften Theile der Sprachforfchung ik die Etymologie; ihr Zweck ift, wie ed Grimm ausdrüdt, die Mannigfal« Ggfeit der gereiften Sprache auf anfängliche Einfachheit der Bormen und Bes griffe zurüdzuführen. SPraftifche Geltung gewinnt die Etymologie durch bie Lexicographie. Aus der älteren Zeit zeichnet fich durch Gründlichkeit und

*Scharffinn das Deutich- Lateinifche Wörterbuch von Johann Leonhard Friſch ans, welches heute noch fehr gut zu gebrauchen ift und felten im Stiche läßt. Das lexicaliſche Hauptwerk für die althochdeutiche Sprache ift Graffs althoch⸗ deutſcher Sprachichag. Leider wird der Gebrauch bedeutend erfchwert, «da die Ordnung nicht alphabetiich ift, und zugleich Durch die vielen Abkürzungen, welche die Quellen bezeichnen, dem Gedächtniffe zu viel zugemuthet wird. Um die mit- telhochdeutſche Lericographie hat fich befonderd Benecke verbient gemacht, indem es feinen Ausgaben mittelhochdeutjcher Gedichte vortreffliche Gloſſare hinzufuͤgte. Wufterhaft in jeder Beziehung ift jein Wörterbuch zu Iwein gearbeitet. Den mittelhochdeutſchen Sprachfchag ftellte Adolf Ziemann in feinem mittelhoch⸗ deutichen Wörterbuche zum Handgebrauche 1838 zufammen: ein Werk, weldyes wirklich einem dringenden Zeitbedürfnifie abgeholfen hat, wenigſtens vorläufig. Die Arbeit war fein geringes Unternehmen, und wenn fie auch mit Vorſicht bes nugt fein will, jo gebührt doch dem Verfafier Dank und Anerkennung. Im fol genden Jahre 1839 erjchien das Wörterbuch zum altdeutichen Lefebuche von Wilhelm Wadernagel. Dieſes Wörterbuch ift eine der vortrefflichften Ar⸗ beiten, welche auf dem Gebiete der deutjchen Sprachforfchung je geliefert werden. Befonderen Wersh erhält e8 Dadurch, dag die Etymologie, auch die „auf Verglet- chung der alten Sprachen beruhende“ nicht außer Acht gelaſſen ift. Gegenwärtig noch nicht zum Abjchluffe gelangt ift das mittelhochdeutiche Wörterbuch, welches die beiten Profeſſoren Wilhelm Müller in Göttingen und Briedrih Zarnde

92 Sprachwiſſenſchaft.

in Leipzig herausgeben. ine derartige Arbeitärheilung Tann bei einem ſolchen Fleiß und Zeit erfordernden Unternehmen nur förderlich fein. Die bereitö vor⸗ liegenden Theile geben ein rühmliches Zeugniß von der Gediegenheit der Arbeit. Aehnlich wie bei dem Graffifchen Wörterbucye ift die Ordnung nicht fireng alphabetifch, fondern nah den Wortlämmen eingerichtet; es gehören ale ſchon gewiſſe Vorkenntniſſe dazu, ehe das Lericon benutzt werden kann. Benede, der verdiente Lericograph, Hatte den Plan, ein derartiges mittelhochdeutfche® Wörterbuch zu verfaflen. Seine Vorarbeiten fanden fi) unter feinem Nachlaß und gaben Wilhelm Müller die nächfte Beranlaffung,, jenen Plan auszuführen. Man bat fich aber vor Ueberfchägung dieſes Nachlafjes zu hüten und es iſt eine Berkennung des Thatbeflandes, wenn man das neue Wörterbuch als ein Wert von Benede anfteht, welches nur von den genannten Gelehrten an's Licht gebracht ſei. Das bedeutendfte lexicaliſche Werk, an welchem in unferen Tagen rüflig gearbeitet wird, deſſen Vollendung aber in weite Berne gerüdt ift, ein Werk, welches nicht allein den Gelehrten, fondern dem ganzen deutichen Volke gewidmet wird, ift das deutfche Wörterbuch von Sacob und Wilhelm Grimm. Der genauere Titel wäre: neuhochdeutſches Wörterbuch, wenn er nicht einen etwas pedantifchen Klang hätte. Der gegenwärtige Wortfchag mit Ausfchluß dee offenbaren Fremdworte und der Eigennamen findet in diefem Werfe feine Deus tung in fprachlicher und etymologifcher Beziehung und feine Würdigung in Hin⸗ ficht des Gebrauches in der Literatur. Jedes einzelne Wort wird gefchichtlich bis an fein erftes Vorkommen verfolgt, zu feiner näheren Beftimmung werden ver. wandte Sprachen berbeigezogen, feine Bedeutung wird durch Belege aus ben’ maßgebenden Schriftftellern dargethan. Cine Fülle gelehrten Apparate ſcheint das Werk für Nichtgelehrte unzugänglich und unbrauchbar zu machen, aber dies ift in der That nur feheinbar. Wer es über fich gewinnt, die gelehrte Hülle unbeachtet zu Lafjen, der wird aus demjenigen, was feinem Wiffen und Verſtehen angemefien ift, nicht allein Belehrung ziehen, ſondern auch reichen Genuß im ihm finden. Denn, um e8 zu wiederholen, der Brüder Grimm Wörterbuch I ein Werf für gelehrte und für gebildete Lefer. Zu vollem Verſtaͤndniſſe und zu gerechter Würdigung wird eine genaue Lektüre ber überaus klaren, verfländigen und gemüthvollen Einleitung von Jacob Grimm verhelfen, welche den beften Einblid in das Weſen der deutfchen Philologie und in die geiftige Werkftätte ihres Altmeifters gewährt. Es liegt in der Natur der Sache, daß ein folches Werk nur durch Mithülfe zu Stande kommen fann. Ausgezeichnete Kenner der deutfchen Sprache und Literatur unterflügen die beiden Herausgeb Wenn auch im Einzelnen manchmal fich durch Die verfchiedenartigen Arbeitäfräfte Uns gleichheiten.ergeben, fo ift Doch im Allgemeinen die Form eine einheitliche, von einem Geiſte erfüllte. Während im ganzen Vaterlande fich für das vaterlän« difche Werk begeifterte Stimmen erhoben, haben fich auch gegnerifche Stimmen vernehmen lafien. Am leidenfchaftlichften, rudfichtölofeften und zugleich am uns gerechteften trat ein Profeffor Wurm in München gegen die Herausgeber auf, obwohl einzelnen Theilen feiner Kritik die Berechtigung nicht abhing. Die befte Beurtheilung fand das deutfche Wörterbuch durch Rudolf von Raumer in der

Die dentiche Philologie. 9 Zeitſchrift für die öfterreichiichen Gymnaſien (auch in einem befouderen Abdrude erſchienen). Bon Iericalijchen Hülfsmitteln hat bis jegt nur die hochbeutfche Sprache eine genügende Zahl aufzuweiſen. Weniger günftig fleht es um das Niederbeutiche. Man muß deshalb immer zu dem immerhin verdienftuollen, aber in mancher Beziehung veralteten bremifch-nieberfächfifchen Wörterbuche feine Buflucht nehmen, welches die Bremifche deutfche Sefellichaft in fünf heilen 1767 1771 erfcheinen ließ. In letzter Zeit ift von mehreren Seiten dieſem fühlbaren Mangel abzubelfen verjucht worden: fo neuerdingd von Georg Schambach. Eine befondere Gattung des Wortichages, welche gewöhnlich in den Wörterbüchern wenig oder nicht berüdfichtigt wird, bilden die Perſo⸗ nennamen. Ihre Erforichung iſt eine Der anziehendflen Aufgaben der Ety⸗ mologie. Aber auch in Eulturbiftoriicher Beziehung gewähren die Berfonennamen | wichtige und anziehende Momente. Zwei vortreffliche Arbeiten über diefen Ge⸗ genftand feien erwähnt: von Wilhelm Wadernagel im Schweizerifchen Mufeum für hiſtoriſche Wiffenfchaften 1837 und von dem leider zu früh verftorbenen Dito Abel in einem bejonderen Schriftchen: die deutfchen Berfonen-Ramen 1853. Lange Zeit wurde ein Wörterbuch diefer deutfchen Perfonennamen ver⸗ mißt. Ernſt Förſtemann hat fid, deshalb durch fein „altdeutſches Ramen- buch,“ deffen erſter Theil eben die Perfonennamen enthält, großes Verdienſt er werben. Der zweite Theil, an dem rüftig gearbeitet wird, enthält vie Ortsnamen.

Die Fremdwörterbücher verfolgen fämmtlich praktiſche Zwecke; es fehlt bis jegt ein größeres gelehrtes Werk, welches diejenigen fremden Worte, welche ſich vollſtaͤndig eingebürgert haben und vollftändig deutfches Gewand zu tragen jcheinen, wie 3. B. die durch das Chriſtenthum eingeführten Kirche, Briefter, Pfarrer u. a. m. alphabetifch anfammengeftellt. In einem folchen WBörterbuche müßten auch diejenigen Fremdworte, die ihre ausländifche Abkunft auf den erſten Blick verratben, geichichtlich verfolgt und ihre Anwendung in ber Literatur, wie ed im Grimmiſchen Werke bei den einheimifchen Worten gefchieht, durch Stellenanführung und Eitate belegt werden. Lange Zeit wird nod hin⸗ gehen, che ein ſolches Werk unternommen werden kann. Bür jet genügt das Srembwörterbuch von 3. Ch. A. Heyſe, herausgegeben von feinem Sohne KR. 8.2. Heyſe, volllemmen.

Ein wichtiger und befonder8 in unferen Tagen eifrig gepflegter Zweig der Sprachwiſſenſchaft ift die Erforfchung der Rundarten. Unübertroffen und als Vorbild auf diefem Gebiete fteht I. Andreas Schmeller da. Leiſtete er in feinem erften Werke „die Mundarten Bayerns grammatifch dargeftellt 1821” ſchon Vorzügliches, fo wurde dies doch weit überboten durch fein wahrhaft klaſ⸗ ches bayerifches Wörterbuch, 4 Theile, 1827—1837. Bor ihm hatte fi) Sranz Joſeph Stalder durch feine beiden Werke „Schweizeriſches Idiotikon 1812 und „Schweizeriſche Dialektologie 1819 hervorragend verdient gemacht: dieſe beiden Werke hat Grimm zu feiner Grammatik vielfach benugt und ange» zogen. Die Literatur der Idiotiken und der mundartlichen Gedichte und Brojaftüde ift eine jehr reichhaltige. Zujammengeftellt wurde fie von P. Trö⸗

u Evbrachwifſeuſchaft.

mel und dieſe Zuſammenſtellung findet immer in Frommans Zeitſchrift für dentjche Munbarten durch Kortfegung und Ergänzung neuen Zuwachs.

Eine verdienftvolle reichhaftige Sammlung von mundartlicden Spradipres ben wird gegenwärtig von Joh. Matt. Firmen ich veranflaltet unter dem Titel‘: Germantens Völkerſtimmen, Sammlung ber deutſchen Mundarten in Dichtungen, Sagen, Märchen, Volksliedern u. ſ. w. Ein fruͤher oft vermißtes, auf den Forſchungen Srimms und Schmellers fußendes Organ für die Pflege ber mundartlichen Studien befigen wir feit einigen Jahren in der von Karl From⸗ mann herausgegebenen Beitfährift: „die deutſchen Mundarten, eime Monatsſchrift (feit vorigem Jahre Vierteljahrfchrift) für Dichtung, Borfchung und Kritil,. Begründer wurbe das Unternehmen von Joſ. Anf. Pangkofer, der Sur; nach dem Erſcheinen der erften Hefte der Brechruhr erlag So Bew dienſtvolles auch der Begrämder geleiftet hat, jo iſt doch zu bezweifeln, ob er bie Beitichrift auf die Hoͤhe des wiffenfchaftlichen Werthes gebracht hätte, welche fie unter der Nedaction des al® tüchtigen deutſchen Philologen bekannten Karl Frommann einnimmt. Gerade in fegiger Zeit, in welcher durch bie leichten Verkehrsmittel dad Landvolk landlaͤufig wird und die Volksmundarten wie die Bolkätrachten ſchwinden, gerade jegt ift ed noͤthig, die fich noch bietende Gelegen⸗ heit der Sammlung der mandartlichen Eigenthünrlichfeiten zu wugen. Mit des Beit, wenn erft ver Stoff aus unferen Tagen aufgefpeichert ift, werden wohl auch die älteren Mundarten mehr berüdfichtigt werten. Die jchwierigfte, aber auch wichtigfte und lohnendſte Aufgabe der Mundartforfchung beficht darin, den Ein- fluß nachzuwetferr, welchen die Mundarten auf die Enhridelung ber neuhochdeut⸗ ſchen Schriftfprache gehabt Haben. Nach diefer Seite Hin wird erft in Bukunft die erwähnte Beitfchrift gebeihlich wirken können.

Die Geſchichte des deutſchen Sprache Ichrt am anſchaulichſten Grium⸗ Grammatik. Eine Darſtellung ber Sprachentwickelung, wie in ber Literatuss gefchichte die Literatur behandelt wird, if bis jetzt nicht geliefert worden. Ge⸗ wöhnlich wird in ber Literaturgeſchichte auf Die Sprachgefchichte Rüdficht genom⸗ men. . Und dies tft offenbar jehr zweckmaäßig. Im früherer Zeit vor Orimm wurde die Befthichte der deutſchen Syrache Sehr oft befprochen. In Hinſicht des Reubochdeutigen darf die Sprachgefchichte nicht von der Geſchichte der Sram. matif getrennt werden. Wir befiten zwar eine Geſchichte der deutſchen Sprache von Jacob Grimm, allein dieſes Höchft wichtige und inhaltreiche Merk enthält Doch gar viele Dinge, welche unter jenem Titel nicht vermuthet werden. Dieſe Gefchichte ber deutfchen Sprache verfolgt an der Hand der Sprache forfchung die Geſchichte und Kulturgefchichte der alten deutfchen Volksſtaͤmme. Zugleich wird in ihm der Sprachorganismus nach feinen einzelnen Theilen und Erjcheinungen beiprochen und zwar im gefchichtlichen Zuſammenhange, während die Grammatik ſelbſtverſtaͤndlich nur einzelne beftimmte und abgefchlofiene Sprachzuftände berüdfichtigen kann. Die Geſchichte der deutfchen Sprache führt alſo den in der Grammatik begonnenen Bau weiter aus. Dabei wird eben des gefchichtlichen Zufammenhanges willen auf Die verwandten Sprachen vorzüglich Bedacht genommen und ſomit ift dad Werk ein fprachvergleichended, In feinem

Die deutſche Philelogie. 95

Buche son Grimm iſt wohl mehr Gelehrſamkeit aufgewendet als in diefem, Feines läßt aber auch die Liebe des Berfaffers zu jeinem Gegenflande mehr durchblicken. Sreilich hat man dieſem Werke auch eine gewiſſe Unfertigkeit zum Vorwurf machen wollen. Dem mag fein wie ihm wolle, die Geſchichte der deutſchen Sorache ift dennoch eines der herrlichſten Erzeugnifle ded großen Mannes, Befonders findet ach in ibm jene unter gelehrrem Apparate verſteckte und wie Sonnenblide her⸗ vorbrechende Poefle Grimms, die in feinen Einleitungen und Borreden fo herr⸗ lich zu Tage tritt, ihren Ausdruck, Gedanken, deren Tiefe unausiprechlich ift und deren Form bezaubert. In ihnen wird Die Sprache und ihre Geſchichte fo klar wor Augen geführt, daß über ihr Weſen und ihre Bedeutung fein Zweifel mehr fein fann. Erinnern wir uns, wie Meinlich eine vergangene Zeit von der Sprache ud inobeſondere von der Deutfchen Sprache dachte. Und fegen wir ben gegen⸗ über einige Gedanken aus Grimms Geſchichte der bemtichen Sprache: „Es gibt ein lebendigered Zeugniß über die Bölfer ald Knochen, Waffen und Gräber, und Das find ihre Sprachen. „Sprache ift der volle Athem menfchlicher Seele, ws fie erichallt oder in Denkmaͤlern geborgen ift, fchwindet alle Uinficherheit über bie Berhältuiffe des Volks, das fie redete, zu feinen Nachbarn. Fuͤr die Altefte Geſchichte kann te, wo um8 alle anderen Quellen verfiegen oder erhaltene Ucher- Bleibfel in unauflößberer linficherheit laſſen, nicht® mehr austragen als jorgiame Erforſchung der Berwandtichaft oder Abweichung jeder Sprache und Mundart 58 in ihre feinſten Adern und Faſern.“ „In allen Sprachen findet Abfteigen son leiblicher Bolltommenheit ſtatt, Auffteigen zu geifliger Ausbildung. Glück⸗ lich Die Sprachen, welchen dieje fchon gelang, als jene nicht zu weit vorgefchritten war: fie vermählen dad milde Gold ihrer Boefte noch mit der eifernem Gewalt iheer Proja.“

-.. Bon befonderer Wichtigkeit für die Geſchichte unſerer Sprache iſt der Reim. Grimm führt an, daß ohne den Meim faft Feine Gefchichte unferer Sprache mög» lich wäre. Im ihm treten die Eigenthümlichkeiten der Laute am fehärfften und nzweifelhafteften hervor, wenn auch die Handſchriften aud viel jpäterer Zeit ſtammen, als das Schriftwer£ entflanden if. Denn die Schreiber hatten immer das Beſtreben zu moberniftzen, fie brachten inımer die Sprache ihrer Zeit oder bie Mundart ihres Landes zur Geltung. Der Reim iſt fomit nicht allein für bie Grammatik die ficherfle Orumblage, fondern auch der feftefte Mapftab für die Kritik. Raͤchſt ihm lehrt Die Metrik, befonders in Hinficht der Duantitätövers haltnifſe, am treueften die Befchaffenheit der Sprache. Die Kritik, deren Aufe gabe es ift, die alten überlieferten Terte zu reinigen von ben Zuthaten und Will⸗ Eürlichkeiten der Schreiber und fie in möglichfter Urfprünglichfeit wieder herzuſtellen, hat natürlich die Sprache und die Grammatik zunächft im Auge. Dennoch ift e8 wohl zweckmaͤßiger, über fie eingehender nicht bier, jonbern bei Gelegenheit der Betrachtung der Literaturforfchung zu fprechen.

Schließlich fei noch eines wichtigen Ergebnifjes gedacht, zu welchem bie Sprachforſchung in neuerer Zeit geführt und welches außerhalb der Grimmifchen Grammatik ſteht: es ift dies die wiffenfchaftliche Begründung einer eigenen im Nittelalter galtigen mitteldeutſchen Sprache. Dad Syſtem dieſer Sprache,

06 Syragwifenfiaft.

welche dem Gebiete Mitteldeutichlands angehört und naturgemäß Glemente der hochdeutfchen und der niederbeutfchen Sprache vereinigt, wurde zuerſt von Franz Pfeiffer in feiner Ausgabe der deutfchen Myſtiker aufgeftell. Auch Wilhelm Grimm bat in der Ausgabe von Athis und Prophilias die Laui⸗ Ichre diefer gemifchten Sprache betrachtet. Jacob Grimm aber bat deu ge wonnenen Ergebniſſen in einem Auffage in Haupts Zeitfchrift für beutfches Altertum, überfchrieben: „über den fogenannten mitteldeutfchen Bocaliemus“ feine Zuftimmung verfagt. Franz Pfeiffer aber flegte in dieſem wiſſenſchaftlichen Kampfe. In feiner Ausgabe der Deutfchordenschronif von Ricolaus von Jerofhin, einem Werke, welches weniger wegen ſeines dichteriichen Werthee als wegen feiner fpradylichen Eigenthümlichkeit Höchft wichtig if, widerlegte er Grimm durch unzählige Belege aus den Reimen auf das entichiedenfle. Und feitvem fteht die mittelbeutiche (genau ausgedrückt mittelmitteldeutfche) Sprache gegenüber dem Wittelbochdeuifchen und dem Mittelntederdeutichen als ein drittes und verbindendes Glied unzweifelhaft da. Im Grunde gehört fie zur hochdente ſchen Sprache, in dem ihr Conſonantismus Hochdeutich ift, ihr Vocalismus das gegen fchließt fich enger an das Niederdeutiche nm. Im neuefter Beit wird DaB Ergebniß im Einzelnen vielfach weiter verfolgt. Franz Pfeiffer hat ſich durch diefe feine Forfchung ein bedeutendes Berdienft um bie beutfche Grammatik und Sprachgefchichte erworben.

Nachdem wir fo die grammatifchen Beftrebungen innerhalb ber Deuts ſchen Philologie betrachtet Haben, gehen wir zu dem anderen Haupttheile, zur deutfchen Literaturforihung über. Durch bie leichter zugänglichen

v Hülfsmittel ift dieſes Gebiet bei weitem mehr, als es bei der Sprachforfchung der Ball fein ann, zur Kenntniß der Gebildeten gelangt. Doch find die Arbeiten und Leiflungen oft fo ausschließlich fachwiſſenſchaftlicher Art, daß bie Literature geſchichte, die für weitere Kreije beftimmt ift, auf fe weniger Bebacht nehmen kann, als es in unferer Darftellung nothwendig ift.

Die Veröffentlichung der älteren deutfchen Literatur, deren im Eingange gebacht wurde, hatte erfreulichen Kortgang. Das meifte Verdienſt in dieſer Hin⸗ fiht erwarb ſich Friedrich Heinrih von Der Hagen. Er vor allen hat zus Erſchließung der in Handfchriften und alten Druden verborgenen Schäge weſent⸗ lich beigetragen. Er war ein unermübdlicher Sammler und er war glüdlich in feinem Sammeln. Durch angeborened Talent fowie durch fortgefeßte Uebung erlangte er eine wahrhaft ſtaunenswerthe Fertigkeit im Xefen alter Handſchriften. Ueberaus reich war fein Willen und wenn in feiner Anfchauung des Mittelalters auch etwas Romantik mitunter floß, fo wird man doch in feiner Auffaffung bie gefchichtliche und Eulturgefchichtliche Wahrheit nicht verfennen können. Dagegen ein Kritiker, ein eigentlicher Philologe das war von der Hagen nicht. Seine Leiftungen nach diefer Richtung hin wurde von Anderen weit überboten. Man hat ihn wegen dieſer ſchwachen Seite oft unterfchägt und feinen Beftrebungen Dilettantismus vorgeworfen. Aber mit vollem Unrecht. Einer fann nicht Alles. Von der Hagen war in feiner Weife groß. Ich behaupte geradezu: wäre ein folder Mann nicht zu rechter Zeit gefommen, die deutjchen Studien hätten: nis

Die dentſche Philologie. 97

mermehr ſolchen Aufichwung nehmen koͤnnen. Wie oben kurz erwähnt, hatte von der Hagen ſchon vor dem Erfcheinen der deutſchen Grammatik feine Thaͤtig⸗ keit auf diefem Gebiete entfaltet. Er gab 1808 im Vereine mit Büfching deut- ſche Gedichte des Mittelalters heraus. Der zweite Band biefer Sammlung, von ihm und Aloyfius Brimiffer veröffentlicht, erfchien in den Jahren 1820— 25. Er führte auch dem Titel; „der Helden Buch.“ Wir werben von der Hagens Ramen bei Betrachtung der einzelnen Battungen der Literatur öfters begegnen. Die Herausgeber alter Quellen hatten theild eine beiondere Sprachperiobe im Auge, theild veröffentlichten fle überhaupt mittelalterliche Schriftwerke. Vom Gothtſchen Haben wir nur ehr wenige Denkmäler und darum hat es auch weniger Werth für die Literatur als für die Grammatt® Eine gute althoch⸗ deutſche Duellenfammlung beforgte K. Lachmann : specimina linguae francicae in usum auditorum 1825. Aehnlichen Zwed verfolgte Graff in jeiner „Aus⸗ wahl aus althochbeutfchen Denkmälern.“ Maßmann gab Denkmäler deutjcher Sprache und Literatur aus den Handfchriften des 8. bis 16. Jahrhunderts her⸗ aus 1828. Diefe Sammlung, von der blos ein Heft erfchien, follte fich an Graffs Sammlung Diutiska anfchließen, im welcher Denkmäler beutfcher " Sprache und Literatur theild herausgegeben , theils nachgewiefen und befchrieben wurden. Hattemer ließ „Denkmale des Mittelalters 1844 erfcheinen, Th ˖ s.Rarajan „deutiche Sprachdenfmale des 12. Jahrhunderts 1846 und 3. Diemer gab ‚‚Eleine Beiträge zur älteren beutfchen Sprache und Literatur 1851 heraus. Sehr wichtig für die altdeutfche Literatur find Heinrich Hoff- mannd „Fundgruben für Gefchichte deutſcher Sprache und Kiteratur.” Der Seraußgeber iſt der unter dem Ramen Hoffmann von Fallersleben allbe— ' kannte und allbeliebte Dichter. Gar Mancher weiß es nicht, daß der Sänger fo vieler füßer Lieder und Weiſen auch auf diefem gelehrten Gebiete heimiich und hier einer der tüchtigften und unermüblichften Forſcher iſt. Eben von Hoffmann von Fallersleben und von Morig Haupt wurde gemeinfchaftlich eine ähnliche Gammlung, betitelt: „‚altdeutfche Blätter‘ veranftaltet. Diefe und ähnliche Unter⸗ nehmungen, die natürlich nicht alle angeführt werden Eönnen, gewannen dadurch, daß fe heftweife- erfchienen, gewiſſermaßen den Charakter von Zeitfchriften. Die erſte und gediegenfte der ‚eigentlichen‘ Beitfchriften, die aber felbftverftändlich wicht 6108 einen ephemeren, fondern einen bleibenden Werth hat, die vollfländig einem Buche, einem gelehrten Werke gleich kommt, ift Haupts „Zeitſchrift für dentſches Altertbum. ine jolche Zeitfchrift verfolgt, wie ſchon der Titel bes fagt, nicht blos den Zweck, alte Terte mitzutbeilen, fondern fle umfaßt dad ganze dentfche Alterthum, fie behandelt grammatifche Kragen und befpricht auch Tite- . ratur» und Fulturhiftorifche Dinge. Ja e8 wäre gerade für diefe fo wichtige Zeit⸗ ſchrift von Vortheil gewefen, wenn in der Mittheilung von Terten mehr Maß gehalten worden wäre und eigentliche Abhandlungen über gegebene Stoffe ben Borrang erhalten hätten. Leider iſt fie in Iegter Zeit in's Stoden gerathen. Aus welchen Gründen kann nicht ohne Weiteres entfchieden werden. Materielle Gründe, die oft auf dem deutſch⸗philologiſchen Gebiete felbft den beften Unter» nehmungen bindernd in den Weg treten, find es gewiß nicht, da der Zeitjchrift IV. 1

98 Eprachwiſſenſchaft.

von Seiten des preußiſchen Staates erwünichter Vorſchub geleiſtet wurde. Dau- kenswerthes leiſtete auch „der Anzeiger fie Kunde des deutſchen Mittelalters von v. Aufſeß, ſpaͤter herausgegeben von dem Begründer und Fr. Joh. Mone und zuletzt von Mone allein. Der jetzige „Anzeiger für Kunde der deutſchen Vorzeit,“ herausgegeben von v. Aufſeß, v. Eye und Frommann ift Organ be$ germanifchen Muſeums zu Rürnberg und hat als ſolches die Aufgabe, befonder$ zur Erforfchung ber deutfchen Geſchichte beizutragen und if fomit nur theil⸗ weife eine Duelle für die deutiche Philologie; doch find jeine Gaben immer von Werth und Bedeutung. Geit einigen Jahren bat Kranz Pfeiffer eine Zeit fchrift für deutfche Alterthumskunde unter dem Ramen „Sermania‘‘ begründet, welche, da Haupts Zeitſchrift nicht mehr fo regelmäßig erfcheint, gegenwärtig als das einzige Organ für die deutſch⸗philologiſchen Studien anzujeben if. Die Bermania bringt Terte, urfunbliche oder auch Fritijch behandelte, nur dann, weg fle wegen ihres Alterthums, ihrer Seltenheit oder wegen ihres fprachlichen und Dichterifchen Werthes den Abdruck verdienen. Dagegen wird ein Hauptaugen⸗ merk auf „Abhandlungen“ gerichtet, mögen diefe nun der Grammatik, der Kri⸗ tif oder fonft einem Theile der Wiflenfchaft angehören. Auch werden neue Er⸗ fjeinungen befprochen und beurtheilt, während in Gaupts Zeirichrift Recenfiouen grundfäglich ausgefchlofien waren. Wünfchenswertb wäre e8 und einem fach⸗ wiffenfchaftlichen Organe in hohem Grade entſprechend, wenn ſaͤmmtliche nene Erſcheinungen wenigſtens in einer bibliographifchen Lieberficht mit Eurzer Angabe des Inhaltes und des Zweckes zur Kenntnig gebracht würden. Außer folgen Sammlungen und Zeitfchriften werden Gegenftände aus der deutfchen Literatur- geichichte öfters auch in Schul Programmen, Akademieabhandlungen und Zeit- ſchriften vermifchten Inhaltes mitgetheilt.

Zwei größere Unternehmungen, bie ältere beutfche Literatur befannt zu machen, verdienert befondere Erwähnung. Die eine ift Die von dem Buchhändler Bajfe in Quedlinburg im Jahre 1835 begründete und bis heute fortgefeigte „Bibliothek der gefammten deutſchen Rational⸗Literatur von ber Altes ſten bis auf die neuere Zeit.” Die andere find die „Publicationen bes literarifchen Vereins“ in Stuttgart. Gegen daß erftege Unternehmen wer man anfänglich etwas mißtrauifch, jedoch entfprechen bie meiften ber im Sammelwerke gegebenen Ausgaben den Anforderungen der Wiflenfchaftl. Der Titerarifche Berein veröffentlicht nicht allein Dichtungen des deutſchen Mittelalters, ſondern auch gefchichtliche Werke, Eorrefpondenzen u. f. w. Wenn auch vorzugäweife deutſche Erzeugnifie zur Veröffentlichung gelangen follen, fo find doch aud somanifche Quellen nicht außgefchloffen, infofern fle zu der deutſchen Literatur in Beziehung fiehen. Während im der Bibliothek der Rationalliteratur meiſt kritiſch beſorgte Ausgaben zu finden find, beabfichtigt der Titerarifche Verein mehr urkundlich treue Abdrüde. Seine Bublicationen kommen nicht in den Buche Handel. Da in diefen beiden Sammelwerken die einzelnen Theile bandweiſe und unter befonberem Titel erfcheinen, fo find fie auch als felbfifländige und ab⸗ gejchloffene Bücher anzuſehen.

Wir gehen über zur Betrachtung ber Erforfchung, Erichliegung und Rup-

Die dentſche Philolegie. oo

harmachung ber einzelnen Gattungen und Zweige ber deutſchen Literatur. Es iſt hinlaͤnglich bekannt, daß es die Philologie vorzugsweise mit der National⸗ Literatur, nicht mit ber geſammten Literatur zu thun hat. Die Erforfchung ber Alten Rechiöquellen zum Beifpiel wird felbftverfländfich zunächft der Rechtowiſſen⸗ ſchaft zufallen; die Philologie hat an ihnen nur in fo fern Interefje zu nehmen, als fle ſprachlich und Eulturgefchichtlich wichtig find, während der juridifche In⸗ Salt Der genannten Fachwiſſenſchaft überlaffen bleibt. So aud) in anderen Ge⸗ bieten des Literarijchen Thätigkeit. Wie überhaupt Die deutiche Philologie im Begenfage zu den früheren pebantifchen Befirebungen auf die geiftige Entwicke⸗ Jung bed Volkes in feiner Geſammtheit, nicht bloß einzelner fogenannter bevorzugter Krelfe ihr Augenmerk richtet, fo iſt es im Gebiete der Literatur die Brtenniniß der Volkspoeſie, welche mit befonderem Eifer erftrcht werden mug. Bei allen Völkern ift e8 befanntlich das Epos, das erzählende Gedicht, welches zuerft unter den Dichtungdarten gefchaffen wird. Für die ältefte beutfche Kiprachperiode ift das wichtigfte Denkmal dad Hildebrandslied. Entdeckt „ber vielmehr feiner Bedeutung nad erkannt wurde es von den Brütern Brimm; ein getreues uud muſterhaft audgeführtes Facſimile veröffentlichte Milhelm Srium 1830. Sehr oft bat ſich die Kritik an diefem wichtigen Denkmale verſucht; jo Lachmann, Wilhelm Müller, Keußner, U. Bollmer und Konrad Hofmann. Troß folch vielfacher Bemühung wird das Hildebrandalied immer noch Begenftand des Studiums bleiben werden und wählen. Um die anderen althochteutichen der Volkspoeſte angchörenden Stüde: wei Zauberſprüche und das jogenannte Weifobrunner Gebet machten Bi beſonders die Grimms, Mapmann und Wackernagel verdient. Das anter dem Namen Mufpilli befannte Gedicht, welches trogbem, daß es einen Briflichen zum Verfaſſer hat und chriftliche, alfo für die ältefte Zeit nicht volks⸗ hämliche Anſchauungen Fundgibt, wegen ber vielen heidnifchen Züge recht gut hierher gezogen werden kann, wurde in trefflicher Weiſe durch Schmeller mit« geiheilt. Neuerdings hat Karl Bartfch in der Bermania bem Gedichte eine Saflung und Deutung zu geben verfucht, welche feinen Werth um Vieles erhöht. Bedeutend umfangreicher als die volkäthümlichen hochdeutichen Denkmäler iſt das von dem Herausgeber Schmeller „Heliand‘ benannte altniederdeut⸗ ſche (oder altfächftfche) Gedicht, welches, den Inhalt der Evangelien zuſammen⸗ feflend, das Leben des Heilands verherrlicht. Die altnordifche Volkspoeſte ent⸗ halt die fogenaunte „Ed da“ in ihrem eriten, älteren Theile. Diefe wurde von Gämundar zuerft berauögegeben, fpäter von Rask, von den Brüdern Grimm und son v. d. Hagen. Das angeljächjtiche Heldengebicht Beowulf bat, weil es der engliichen Literatur näher Liegt als ber unferigen, durch beutjche Ge⸗ Jehrte noch wenig Beachtung erfahren. Cine Ueberfegung gab der im Angel⸗ fäcuiishen wohl bewanderte Ludwig Ettmüller. In allen biefen älteren Dichtungen befteht die dichteriſche Form, abgefehen von Rythmus und Versmaß in der Alliteration, in dem Stabreime Während in den nordifchen Landen diefe Form bis weit in’d Mittelalter hinein gültig blieb, irat fchon im neunten Jahrhunderte in Deutfchland und zwar in bem oberen an ihre Stelle

100 Sprachwiſſenſchaft.

Der in der modernen Welt allgemein uüͤbliche Reim, deſſen Einführung auf bie gereimten lateiniſchen Kirchendichtungen zurädzuführen ift. Unterfuchungen über die Alliteration beftgen wir von: Rast, Schmeller und Lachmann. Das wichtigfte ältefte Kunftepo® iſt Die Evangelienbarmonie von dem Mönche Otfried zu Weißenburg. Herausgegeben wurde e8 öfters; wie oben erwähnt, bildet es eine der Hauptftüde in Schil ters „Theſaurus.“ Diefe Ausgabe wurde mit Anmerkungen von Scherz verfehen, welche für ihre Beit (1726) höchft beachtenswerth find. Die befte Ausgabe rührt von dem, um daB Althochdeutfche Hochverdienten Graff ber, welcher dem Gedichte den Namen Krift gab. In diefem Gedichte hat fchon der Reim vollftändige Geltung ge» wonnen. Bon befonderer Wichtigfeit ift außer diefer neuen Ericheinung das in Otfrieds Gedichte beobachtete Verägefeg, über welches Lachmann in einem vortrefflichen Auffage „uͤber althochdeutfche Betonung und Verskunft’' (Berliwer Alademiehandlung 1832) gehandelt Bat.

Aus der fpäteren Beit befigen wir ſchon eine größere Anzahl Denkmäler und diefe wachfen in der mittelhochdeutichen Periode zu einer Taum überfehbaren Fülle an. Auf fle alle Rüdficht zu nehmen, kann nicht unfere Abſicht fein, ſelbſt wenn es möglich wäre. - Es kommt hier vielmehr auf die hervorragenden: Gegen ftände und auf die bedeutenden gelehrten Leiftungen an. Denn viele beiden Moe mente ſtehen immer in Wechfelbesiehung.

Die Uebergangszeit von der althochdeutfchen zur mittelhochbeutfchen Periode bedarf noch der eingehenden Beichäftigung. Beſonders ift e8 der Sübdoſten Deutfchlands, in welchem fich eine lebendige Titerarifche Tihätigkeit entfaltet. Im übrigen Deutfchland fchweigen faft in diefer Zeit die Dichter. Vor allen Gaben fich zwei öſterreichiſche Gelehrte um die Erforfchung und Bekanntmachung jener Literatur verdient gemacht: S. Diemer und Th. v. Karajan. In der mittelhochbeutfchen Beit nahm bie deutfche Dichtung einen folchen Aufſchwung nach allen Seiten hin, daß nicht nur die frühere und jpätere Beit, fondern auch unſere zweite dichteriſche Blütheperiode, Die Zeit Leſſings, Schillers und Gothet, nicht an diefe Höhe Heranreicht. Mit Ausnahme des Dramas, deffen Ausbil⸗ Dung erft der modernen Zeit vorbehalten blieb, haben alle Dichtungsarten ges blüht: das Volksepos, das Tunftmäßige und das echt volksthümliche, das

„Kunftepoß, die Lyrik, die Didaktik.

Unjere höchfte Theilnahme nimmt das herrlichfte Erzeugniß der deutſchen Dichtung in Anspruch, Das Ridelungenlied, unfer Rationalepos. Keines hat aber auch in der That die Gelehrſamkeit bis in unfere Tage mehr angeipornt. Der Ausgaben gibt es fehr viele. Von den Älteren, die fämmtlich jet veraltet find und einen mehr bihliographifchen Werth haben, wurden fchon zwei erwähnt, die von Bodmer und von Myller. Es ift vielfach befannt, daß der letztere feine Sammlung altdeutfcher Gedichte, welche durch die Ausgabe des Ribelun«- genliedes eröffnet wurde, Sriedrich dem Großen. widmete und für diefe Aufmerk⸗ famfeit einen Höchft charakterftiichen Brief erhielt, in welchem der große König feine Abneigung gegen derartige Literaturerzeugniffe offen ausfpricht. Wir müfe jen uns freuen, daß ber Geſchmack im Laufe der Zeit eine andere und beffere

Die deutihe Philologie, - 101

Wichtung genommen bat. Und bier iſt es nun vor allen von der Hagen, ber ich die Belanntmachung und Nutzbarmachung des Gedichtes nach populärer und gelehrter Seite hin angelegen fein ließ. Die beſte feiner Ausgaben ift die dritte vom Jahre 1820. Hauptfächlich Liegt ihr die äußerlich ſchöne St. Galler Bandſchrift zu runde, doch wurden auch eine Anzahl anderer Handfchriften und Bruchftüde benugt. Auch diefe Ausgabe, deren Werth für die damalige Zeit gewiß fehr groß war, ift jegt veraltet. Erwähnt zu werden verdient die ein⸗ gehende Recenfion in ber Jenaer allgemeinen Literaturzeitung,, welche Lachmann über fie verfaßte; es ift dies eine ber beften und lehrreichſten Beurtheilungen, die je gefchrieben wurden. Im folgenden Jahre 1821 erfchien eine neue Ausgabe des Ribelungenliedes durch den für altdeutjche Kiteratur begeifterten Freiherrn von Laßberg in dem vierten Bande bes „Riederfaals.” Sie war ein urs fundlich getreuer Abdruck der in feinem Befige fich befindlichen Eoftbaren Hand⸗ ſchrift. Einzelne Lüden wurden aus der St. Galler Handſchrift ergänzt. Da der Liederſaal nicht in den Buchhandel kam, fo war es danfenswerth, daß O. F. S. Shönhuth verſchiedene Ausgaben nach derjelben Hanbſchrift beforgte. Die erfte wahrhaft Eritifche Ausgabe des Gedichtes überhaupt die erjte wahr⸗ Haft Fritifche Ausgabe eined mittelhochbeutfchen Werkes rührte von Karl Lachmann ber 1826. Er legte feiner Ausgabe eine dritte und zwar eine we⸗ niger fchöne und jüngere Handichrift, die Hohenems» Münchener 34 Grunde. Rach, dem Schlußverfe in dDiefer Handfchrift wurde das Gedicht vom Herausgeber „der Ribelunge Roth” genannt, Lachmann hatte fi), angeregt durch Wolfs Unterfuchungen über die Entjtehung der homerijchen Gedichte, eine eigen⸗ thümliche Anficht von der Entſtehung unferes Epos gebildet, über deren Werth oder Unwerih hier natürlich nicht zu fprechen ift: nach feiner Meinung find alte Lieder die Grundlage der jegigen Geſtalt, zu welcher das Gedicht nach und nach durch die beſondere Geſchmacksſsrichtung, durch Zuthaten, Ausſchmückungen, Ver⸗ Anderungen ber Schreiber gelangte. Demgemaͤß mußte die kuͤrzeſte Handſchrift, gleichniel, ob Außerlich jchön und correct oder durch Altertbümlichkeit audgezeich« net, diejenige fein, welche der alten Geſtalt am nächflen Fam. Und dieſe ift eben die von Lachmann herausgegebene. Sie felbft aber beflgt noch lange nicht Die urfprüngliche Geſtaltung, indem audy fie nach dem Bebürfniffe ber Lejewelt ver⸗ ändert wurde. Aufgabe der Kritit mußte es aljo fein, Die eigentlichen Beftande theile herauszulöfen. Hierzu mußten beſtimmte kritiſche Brundfäge aufgeftellt werden, nach welchen ſich das Verfahren zu richten harte. In Lachmanns zweis ter Ausgabe vom Jahre 1841 wurden die Lieder äußerlich kenntlich gemacht, in⸗ dem ſie als der echte Theil mit gerader Schrift gedruckt wurden, das Unechte aber urfiven Drud erhielt. Dieſe Lachmannifche Ausgabe blieb nun lange als die wahrhaft vollendete in Anfehen und Gebrauch. Die Liedertheorie fand feſt, Nies mand hegte Zweifel, man nannte wohl das Gedicht nod) dad Nibelungenlied, allein die Ribelungennoth nach Lachmanns Kritif galt ald das vollfommene Urbild. Vor einigen Jahren aber wurden gegen die Anficht Lachmannd durch Adolf Holygmann Zweifel erhoben und der Beweis zu liefern gefucht, nicht Die von Lachmann herausgegebene Handſchrift biete den echten Text, ſondern bie des

Die dentſche Phllslogie. 103

gänzungen, Wiederholungen, Verbeſſerungen nach Höflfchem Stile bedeutend mehr, als in A fundgegeben. Und mad B begonnen, das vollendet C. In C haben wir vollftändig das formuollendete, feine, aber auch abgeblaßte Gedicht, wie es dem Geſchmack bes dreizehnten Jahrhunderts angemeflen war; bei aller Anerkennung der Vorzüge hat C den geringften volfsthümlichen und alterthuͤm⸗ lichen Charakter. Gerade entgegengejegt urtHeilt nun Holgmann. Nicht A, ſon⸗ dern C bietet nach ihm den beften und urfprünglichften Text; B bleißt eben- falls in der Mitte und gilt als Mittelfiufe. Die Schreiber haben nicht hinzuge⸗ fügt und verbeſſert (in gewiſſem Sinne), ſondern fie haben weggelaſſen aus Be- quemlichfeit und anderen Urjachen, fie haben verichlechtert, weil mit der Zeit der höflfche Geſchmack und die Höfifche Kunft fanken und die Gedichte auch für die untere Klafje des Volkes zurecht gemacht werden mußten. Die alterthümliche meifterhaft gefchriebene Handſchrift C wurde‘ auf ſolche Weiſe ſchon in B ver- feglechtert und noch mehr in A, welches viele ſpaͤtere bänkeljängerifche Züge ent- Halt. Wenn nun C die echte oder wenigftend dem Original zunächft ftehende Gandſchrift ift und der Werth nicht nur, fondern auch die Alterihümlichkeit des Textes von A in Frage geftellt wird, fo fällt folgerichtig auch Die ganze Lieder⸗ ibeorie zufanmen. Dies in Turzen Worten Gegenfland und Inhalt des Streites. Der erſte, welcher Holgmann beiftimmte, war Friedrich Zarncke. In einem Bortrage, mit welchem er feine Profefiur in Leipzig antrat, Iegte er feine Ans ſichten bar und gab einzelne Andeutungen, die gegen Lachmann's Annahme aller- dings bedeutende Zweifel erregen mußten. Bon befonberem Gewichte war feine Erklärung, daß er durch eigene felbfländige Unterſuchungen, die er bis jet noch nicht der Deffentlichkeit übergeben, auf Daffelbe Ergebniß gelommen fei. Diefer Bortrag erſchien bald darauf im Drude: „zur Nibelungenfrage.” Zarnde hatte den Gegenfland mit großer Ruhe behandelt, während Holgmann gegen Lachmann ters eine Leidenfchaft und Erbitterung kundgab, welche auf's höchfte befremden mußte. Es konnte nicht fehlen, daß die Lachmann'ſche Anflcht Vertheidiger fand. Mar Rieger verfuchte fie in einem Schriftgen „zur Kritik der Ribelunge“ zu halten; doch erfchäpfte er den Gegenſtand nicht. Eingehender behandelte ihn Karl Müllenhoff in der allgemeinen Monatsfchrift für Wiſſenſchaft und Lite- ratur (auch in einem beionderen Abdrude erfepiemen ‚zur Geſchichte der Ribe- unge Roth‘). Blickte in der fehr einfach und mäßig gehaltenen Schrift von Rieger jchen hie und da gegen Holtzmann eine gewiſſe fttliche Entrüflung durch, fo trat diefe In dem zweiten Theile des Buche von Müllenhoff mit folcher Leiden- ihaftlichkeit und perjönlicher Erregung gegen beide Gegner hervor, daß bie Sache ſelbſt um nicht® gefördert wurde. Denn über dem zweiten Theile wurde nur zu leicht der erſte Ichrreiche und wiffenichaftlich fördernde vergeſſen. Dazwi⸗ ſchen erfchien wieder ein Kleines Schriftchen von Holgmann, ‚Kampf um ber Ribelunge Hort gegen Lachmann's Rachtreter,” in welchem nicht allein das Lach- mann eigenthümliche dictatorifche Weſen fcharf getabelt, fondern auch befonderd feinen Anhängern, bie fich feinen Ausſpruͤchen und Forſchungen ergaben und feiner Autorität fügten, bittere Vorwürfe gemacht wurden. Die legte und unbe ſtritten die beſte Schrift, welche im Sinne Lachmanns die fragliche Sache ein⸗

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der Handſchrift nach der Zeit und der Mundart bes Schreibers geftaltet waren, verändert worden; es wurde ind Mittelhochdeutfche umgefchrieben, freilich geſchah dies allzuſehr nach den idealen Regeln ber Grammatik. Dagegen benugte der Serauögeber getreu ben ganzen in der Handfchrift gebotenen Stoff. Ettmüller aber und Müllenhoff und Wilhelm von Plönnies fchieden in ihren Auge gaben verichiedene Theile und Strophen aus, die fie für unecht hielten. Am weiteften ging hierin Müllenhoff; bei ihm fchrumpft daß ziemlich umfangreiche Gedicht auf einen fehr Eleinen Theil zufammen. Sehr empfehlendwerth iſt die Ausgabe von Plönnies, man mag über das Eritifche Verfahren des Heraus⸗ geberd denken, wie man will. Cine gewandte Uebertragung in die heutige Sprache ift dem Originalterte gegenüber gebrudt und eine eingehende Analyie belehrt über das Weſen und die Bedeutung des Gedichtes. Reben dem Volks⸗ epos, welche durch die feine höfljche Dichtungsweife verfchönt und veredelt wurde und welches hauptiächlich in den höheren Kreifen der Geſellſchaft Aufnahme fand, beftanden auch echt volfäthümliche, in fchlichten, Eunftlofem Gewande, an derben Bügen reiche Volksepen. Mit der Zeit gewannen dieſe, als die Höfifche Kunft in Berfall gerieth, die Oberhand. Diefe Gedichte finden fich zumeift in Quel⸗ lenſammlungen, wie in v. d. Hagens Heldenbuche, und in Zeitfchriften, weniger dagegen in befonderen Ausgaben. Gerade für biefes fo wichtige und anziehende Gebiet ift in kritiſcher Beziehung noch nicht fo viel gethan worden, als es noth⸗ wendig und wünfchenswerth wäre, Immen bleibt in Hinficht des Inhalte diefer Gedichte, der wie in allen Volksepen „die Sage” if, Wilhelm Grimms gebiegenes und [charffinniges Buch: „die deutiche Heldenfage” das Hauptwerk für diefen Theil der Literaturgefchichte.

Die Kunſtepen ber mittelhocydeutichen Zeit haben außer dem Ribelungen« liebe die bevorzugtefte Würdigung gefunden. Faſt ohne Ausnahme find fie in ein zelnen Ausgaben zugänglich gemacht. Manche freilich mögen nur in Bruchflüdge befannt geworben fein, allein dann verdienen fie auch eine vollſtaͤndige Bekannt⸗ machung nicht. Ja es wäre vielleicht nicht befonder8 nachtheilig geweien, wenn einzelne folcher erzählender Dichterwerke ungedruckt geblieben oder doch wenig- Rene nur in Auszügen mitgetheilt worden wären. Das hauptfächlichfte hierher gehörende Denkmal ift der Parcival des Wolfram von Efchenbad. Wahrhaft bewunderungswürdig ift bie Ausgabe dieſes Gedichtes von Lachmann. Kein einziger mittelhochdeutſcher Dichter bietet folche Schwierigkeiten, feines Eprache ift fo reich an mundartlichen Befonderheiten bei allee Strenge eines ge= wiflen Stiles. Die meiften Jünger der deutſchen Philologie Haben auf diefem Gebiete gearbeitet. Don den älteren außer Lachmann vor allen Benede, Wil Helm Grimm, ferner Ettmüller, Pfeiffer, Haupt, Wilhelm Müller, Sahın u. a. Vorzugsweiſe rühren befanntlich dieſe Gedichte von füdbeutichen Dichtern ber, und wenn ed auch nicht an niederdeutfchen fehlt, fo bleiben fie Doch hinſichtlich des Werthes weit zurüd. Auch iſt ihre Srache niemald ganz rein niederdeutſch und darum erfchweren fie den Herausgebern die Arbeit bedeutend, Gine vortreffliche Ausgabe ver Werfe eines niederbeutfchen Dichterd wurde vor Kurzem veranftaltet durch Karl Bartfch: „Berthold von Holle’ 1858. Unter

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oder faſt ſammtliches Material vereinigt, find von der Hagens „Minttefin- ger“: ein Werk unfäglichen Fleißes und tro feiner Fritifchen Mängel im Einzel nen geradezu unentbehrlich. Es beftcht aus vier tüchtigen Quartbaͤnden, von denen bie brei’erflen ee enthalten und der

Die dentſche Phulslogie. 107

Gegenftänbe dient. Verdienſtvoll find die durch bem Titerarifchen Verein zu Gtuttgart (beforgt von Franz Pfeiffer und F. Fellner) veranftalteten Publicatio⸗ nen der Weingartner und der Heidelberger Lieberhandfchriftl. Da fle genan um kundlich find, fo werden fle allen jpäteren Herausgebern einzelner Dichter die Handſchrift erfeßen. Der Hervorragenbfte unter allen Minmefängern ift, wie bekannt, ‚Walther von der Vogelweide“. Und die hervorragendſte kritiſche Arbeit iſt Lachmanns Ausgabe von Waltherd Gedichten, vielleicht überhaupt die Hefte Ausgabe, welche diefer Kritiker geliefert Hat. Die lyriſchen Gedichte Wolframs von Eſchenbach, deren es fehr wenige gibt, finden ſich in Lachmanns großer Ausgabe faͤmmtlicher Werke Wolframs. Hartmanns von Aue Gedichte wurden von Haupt herausgegeben: „die Lieder und Büchlein von Hartmann von Aue, 1842. Ebenfalld von Haupt ift Die Ausgabe der Lieder Gottfrieds von Rifen (Reifen), 1852. Sehr willkommen war die noch nicht Tange erfolgte Beröffentliyung ber Gedichte der früheften Minnefänger in Eritifcher Weiſe, weiche Lachmann immer zurüdgehalten hatte, burch Morig Haupt: „des Minne fange Frühling.“ Außer diefen beiden Kritifern find von nur wenig Anderen BRinnelieder herausgegeben worden: Ettmüller beforgte eine Ausgabe des Johans Habloup und des Frauenlob und Ludwig Bechftein nahm in feinem großen Werke über Otto von Botenlauben auch befien Lieder Pritifch berichtigt auf. Da dieſes Werk (Prachtwerk, in nur 100 Exemplaren gedrudt) wenig zu⸗ gaͤnglich ift, fo würde fich eine befondere Ausgabe der Lieber jenes gefühlvollen Sängers wohl verlohnen. Die andere Sattung der Lyrik, die volksthümliche, das Volkslied, entwidelt fih, ba in Altefter Zeit das Volksgedicht Immer epiſch iſt, erft nach und nach. Hier nun iſt e8 vor allen der dem deutſchen Volke fo theure Dichter Ludwig Uh land, der das Wefen und den Werth des Volksliedes erfennend fich bedeutende Berdienfte erworben hat. Eine fehr reichhaltige und gute Gammlung ift die unter dem Ramen „des Knaben Wunderhorn“ von Achim son Arnim und Elemend Brentano Gerandgegebene. Da fle mit der Zeit ſehr felten wurde, war e8 von dem in der muflfalifchen Welt wohl befannten- Ludwig Erf verbienftlich, fte nochmals herauszugeben (als leyter Band der ſammt⸗ lichen Werke Arnims). Auch Büfching und v. d. Sagen veranftalteten eine Sammlung deutfcher Volkslieder. |

Die Didaktik Hat im Mittelalter eine, wenn auch nicht hervorragende, doch timmerhin reiche Pflege’ gefunden. Einzelne Erzengniffe gehören zu dem Schön- fien, was die deutfche Dichtung hervorgebracht hat. Leber bie Entſtehungsge⸗ ſchichte der lehrhaften Poefte fomie über die Einflüffe der antiken und auswärs tigen Quellen find noch Unterfuchungen anzuftellen. Die erhaltenen Denkmäler haben zum größten Theile eine vortheilhafte Behandlung gefunden. Unbeſtritten oben an fleht in Hinſicht des poetifchen Werthes das „der Winsbecke und die Winebeckin“ genannte Gedicht, welches Lehren eines Vaters und einer Mutter an Sohn und Tochter enthält. Vortrefflich Herausgegeben wurbe e8 von Haupt. Bon befonderem Werte ift auch Die unter dem Ramen „Fridanks Beſchei⸗ denheit (d. 5. des Freidenkers Lehre oder Weisheit)” bekannte Spruͤchwoͤrter⸗ fammlung. Der Herausgeber derſelben, Wilhelm Grimm, bat unter dem

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* ——— —* —* wäre, jene beiden Anfhten zu vereinen, wurde eine, wenn auch

befannt gewordenen äl |

* dog. Mittelalters. 1846. nachtsſpiele Hat A. Keller in großer Anzahl mit gediegenen Anmerkungen bee, ———— ließ ——

weiches qurrfb in usfundlicher Weife-durd) Stephan in feinem; neuen, Stofflie

Die bentfge Philologie. 109

ferungen für die deutſche Geſchichte u. f. w. bekannt gemacht und fpäter noch ein⸗ mal von LudwigBechftein herausgegeben wurde, der den Beweis zu liefern fuchte -und in der That überzeugende Beweiſgründe vorbringt,, Daß dieſes Spiel es iſt, : welches den Landgrafen Briedrich von Thüringen fo erfchltterte, Daß er darüber in Schwermuth und in Siechthum verfiel. Nach den Berichten der thüringifchen Ghroniften geſchah dieſe verhängnißvolle Aufführung durch die Predigermönde ‚gu Eifenach den 24. April 1322. Die Sprache des Stückes iſt die alte thüringi⸗ ſche und vertient ganz befondere Beachtung. In der Ausgabe von Bechftein wird - weniger auf die Herftellung und kritiſche Berichtigung des Terteß geachtet als auf den zu liefernden Beweis, auf den Inhalt der alten Kirchengefänge (Refponforien u. f. w.) und bauptfächlich auf die Uebertragung in die heutige Sprache, welche das in mehrfacher Beziehung wichtige und anziehende Stück auch weiteren Kreiſen zugänglich macht. Mehrfach wurde ſchon auf die Art der Ausgaben, auf urfunblich beforgte Abdruͤcke und auf Eritifch berichtigte Texte hingewieſen. Jetzt iſt e8 nöthig, eben auf dieſe Art und Welfe der Befanntmachung näher einzugehen. In der erften Zeit wurden naturgemäß die alten Denkmäler abgedruckt, wie fle fich in den Hand⸗ ſchriften vorfanden. Später aber Eonnte ſolch ein Verfahren nicht mehr genügen, da erftens die Schreiber von einander felbft abwichen und zweitens jeder einzelne GSchreiber eine einheitliche Rechtichreibung nicht vollftändig durchführt. Auch erlaubten fi die Schreiber Aenderungen, Zufäge und Hinweglaſſungen im Gro⸗ Gen wie im Kleinen, überhaupt Willfürlichkeiten aller Art, fo dag ein bloßer Abdruck durchaus fein wahres Bild von der urfprüunglichen Beichaffenheit des GSprachdenkmals gewährt. Ift vollends die Sprache einer Zeit fo feft ausgeprägt, "daß fie über der Mundart eines Schreibers fteht, Hat fle wie das Neuhochdeutſche den Charakter einer Schriftfprache, fo werben bloße Abdrücke noch weniger ihrem Zwecke entſprechen. Daß das Mittelhochdeutfche eine ſolche Sprache war, das mußte natürlich von unferem großen Grammatiker zuerft erfannt werden. Er “war ed auch, der fich gegen die wohlfeile Art, alte deutfche Terte mitzutheilen, ‚querft entfchieden erklärte. Seiner in der Widmung an Savigny ausgeſproche⸗ nen Mahnnng wurde ſchon gedacht. Der Mann, welcher auf die bewunderunge« ‚würdigfte Weiſe die alten Terte in ihrer urfprünglichen Geſtalt wieder Herftellte, -Karl Lachmann, war von demfelben Gedanken befeelt, noch ehe er thatſaͤchlich . den Beweis Tieferte, wie das Verfahren zu gefchehen habe. In der Necenflon der für jene Zeit Eritifchen Ausgabe des Nibelungenliebes (1820) durch von der Hagen fpricht er in folgendem Sate den Grundgedanken über die NRothwendig⸗ keit und dad Wefen einer berartigen Ausgabe aus: „eine Eritifche Ausgabe fol dem 600 Jahre jüngeren Xefer nicht die Gewandtheit anmuthen, die ein ungelehrter Schreiber bei‘ feinen Zeitgenoflen vorausfegen durfte.” Eingehender ſpricht Jacob Grimm in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Grammatik über dieſen Punkt. Es iſt jedenfalls am zweckmaͤßigſten, wenn die bezügliche Stelle solftändig mitgetheilt wird: denn Elarer, kürzer und treffender kann e8 nicht ges fagt werden. „Die Borderungen, welche man jetzo (fchon im Jahre 1822!) an einen Herausgeber mittelbochdeutfcher Gedichte zu machen hat, find nach

1.40 FEprachwiſſenſchaft.

und nach geſteigert und verſtaͤndigt worden; ich glaube, daß bald darüber kein Zweifel mehr obwalten wird. Sorgloſe Auflagen nach ſchlechten Handſchriften und mit halber Sprachkenntniß fruchten nichts; diplomatiſch⸗aͤngſtliches Wieder⸗ geben guter Handfchriften reicht nicht aus und kaun nur in ſeltenen Fällen ge⸗ boten fein. Wir fordern alſo Eritifche Ausgaben, Feine willkürliche Kritik, eine durch Grammatik, Cigenthümlichkeit des Dichters und Vergleichung der Handſchriften geleitete. Es ift und weniger zu thun um bie Schreibweife eines noch fo auögezeichneten Gopiften, als darum, allerwaͤrts bie echte Lesart des Ge⸗ dichteö zu haben und biöher kenut man wohl verſchiedene Handichriften mit ver⸗ züglich gutem Texte, Feine, bie einen tadelloſen lieferte.‘ Alſo die Gramma-⸗

tie, Die Cigenthümlichkeit des Dichters und ‚die Vergleichung der Handſchriften

find die drei Hauptmomente für dieſe Kritik, wie ſie es in ber alten Philologie von jeher waren. Steht blos eine einzige Handichrift zu Gebote, dann fällt das legtere natürlich hinweg. In erfier Reihe ſteht immer die Grammatik, die ur fprüngliche. Sprache ded Denkmals. Doch darf nicht außer Acht gelaffen werben, daß jene Heußerungen nur mittelhochbeutjche Gedichte betzeffen, welche in einge fchrift- und flilgemäßen Sprache abgefaßt find und von welchen wir faſt immer eine genügende Anzahl Handichriften befigen. Iſt dies nicht der Fall, dann Hat ber Herausgeber auf bie zartefte und fchonendfle Art zu verfahren, ja Dann recht⸗ fertigt ſich das getreue Wiedergeben der Quelle. „Auf Denkmäler ber althoch⸗ deutſchen Periode ift diefe Kritik fchon unanwendbar,“ fährt Grimm fort; „theils verlangt das höhere Alter ber im Ganzen forgfältigeren Handichriften ge» Bere Achtung und Unverlegbarkeit, theils Liefert der ſparſamere Fluß der Quellen Die Ungebuntenheit ber profalfchen, der freie Reim ber gebundenen dem Kritiker weit weniger Mittel in die Hand.’ Auch für bie jpätere Zeit, in weldjer Die Eprache janf und die Mundarten Rärker hervortreten, werben bis jegt urkundliche -Abdrüde bevorzugt, obwohl eine ſolche Behandlungsweiſe oft zu peinlich if. Mit der Zeit, wenn erft die Grammatik für bie jpätere Sprachperiobe mehr. ey» forjcht und feftgeftellt jein wird, können quch feftere Normen für die Herausgaße der fpäteren Sprachdentmäler gefunden werben. Einen wichtigen Schritt ‚het bierin Friedrich Zarnde in feiner fchon erwähnten Ausgabe bes Rarrenfchiffes von Brant gethban. Bor allen Dingen iſt es alfo die mittelbochdeutfche Periode, deren Erzeugnifie einer philologifch-Fritifchen Methode unterworfen wurden. Na⸗ tuͤrlich war es, daß Jünger ber altklaſſiſchen Philologie Die Wege zeigten. Als der erfte, der mit großer Sachkenntniß und feinem Takt Eritifche Ausgaben mit⸗ telhochdeutſcher Gedichte beforgte, iſt Benede zu nennen. Doch haben fie nach nicht die vollendete Beftalt, zu welcher fie durch Zasy man gelangten. Sie fonnten auch füglich noch nicht zur Vollkommenheit gebracht werden, ba Jacob Grimms zweite Audgabe der Grammatik nicht erfchienen war, In Lachmanns erſter Ausgabe der Ribelunge Roth haben wir aun ein Mufter bentfch- philologi⸗ ſcher Kritif und zwar Das erſte gültige Mufler vor und. Die Laute, die in ben Handſchriften oft verwechfelt werben, erhalten nach dem Vorgange der Gramma⸗ tik ihre ganz beftimmte Bezeichnung; bie Duantität welche Durch bie Schreiber entweder gar nicht oder wenigſtens höchſt unvollfommen ausgedrückt wurde, wird

Die deutiche Philologie. 111

bei den reinen Vocalen durch Accente und bei den getruͤbten (oder umgelauteten) Jared verſchiedene Schreibart äußerlich Eenutlich gemacht. - Dabei aber wirb immer die größte Ruͤckſicht beobachtet gegen bie überlieferte Mechtichreibung , wie Ha in den beſten Hanbfchriften vorliegt, Hauptſächlich dient dev Reim zur Be⸗ Riwmung ter Laute und der Formen. Und außer ben Reime ift es die Metrik, aut welcher in jprachlicher Beziehung fee Anhaltepunfte gewonnen werben. Uimgefehrt muß ber Kritiker Die Reime und das Verömaß, bie in ber mittelhoch- Deutfchen Zeit mit einer Feinheit, Megelrechtigkeit und Fünftlerifchen Schönheit ausgebildet waren, an welche Die Leitungen neuerer Dichter nicht im entfernteften Jeranreichen und bie deshalb außer der Berichtigung des Inhaltes und ter fprache Uchen Reinigung eine wefentliche Beachtung verdienen, fowohl aus der Brammatif, als auch aus ben fich darbietenden Geſetzen in Die ihnen gemäße Form zu bringen fuchen. Eine ſyſtematiſche Behandlung diefer Kritik hat bis jegt noch Rie- wand verfucht. Die Aufgabe würde auch unermeßlich jchwierig fein. Am beften gewähren die Vorreden, die Ledarten und die Anmerkungen in den befieren Aus⸗ gaben Belehrung über das einzufchlagende Verfahren. Im Großen und Ganzen IR die Kritik, mit welcher die antiken Texte behandelt zu werben pflegen, durch Lachmann auf die Deutichen übertragen worden. Und dadurch erft find die beut- ſchen Studien zu einer wahren Wiſſenſchaft, zu einer Philologie geworden. Daß gesabe ein Mann von fo Elar durchdringendem, echt philologifchem Verſtande wie Zach mann fich der neuen Richtung zuwandte, iſt als ein großes Glück zu be⸗ srachten, Im Ginzelnen mögen. feine Anfishten, feine Verbeilerungen, Aen⸗ derungen, überhaupt fein kritiſches Verfahren, einer nachprüfenden Kritik zu Smeifeln und zu entgegengefegten Meinungen Anlaß geben, feine Methobe bleibt deshalb immer gültig und unantaflbar. Lachmann war ein jo entichieben mögebilbeter Charakter, dag er entweber begeifterte Anhänger und Freunde ober Begner , ja fogar Beinde haben mußte. Deutlich hat fich Dies in dem beſproche⸗ nen Ribelungenfampfe gezeigt. Wie die beutjche Philologie auf der altklaffifchen ſich aufbaute, fo hat umgekehrt diefe aus den deutjchen Beftrebungen viel gelernt ꝓder wenigftens lernen Tönnen, was freilich manche Jünger der alten Philologie aicht Wort haben wollen zu ihrem eingenen Schaden. _

Zu der Literaturgefchichte, zu der zufammenfaflenden und entwideln- den Darflellung des geiftigen Lebens, wie es ſich in den Schriftbentmälern kund⸗ . gibt, werden wir durch die Lefebücher, durch die Werke, in welchen „Pro⸗ hen“ aus den verfchiedenen Perioden nach ber Zeitfolge mitgetheilt werden, über- geleitet. Obenan ſteht unbeflritten das Lefebuch von Wilhelm Warernagel. Wir müffen hier natürlich nur deſſen erſten Theil, welcher Stüde aus der alt- dentſchen Literatur darbietet, im Auge Haben. Sämmtliches ift mit großem Bes Dachte ausgewaͤhlt: alle Gattungen der Poeſte find vertreten, auch an Projaftüden fehlt ea nicht. Der Herausgeber hat da, wo er gute Ausgaben vorfand, ſich an Mefe gehalten; wo bieje fehlten oder wo ihre Bejchaffenheit unpollfommen war, Hat er ſelbſt die Verbeiferungen der Texte beforgt. Zu der zweiten Audgabe Hat Wackernagel ein Glofſar gegeben, deſſen Vorzüglichfeit ſchon erwähnt wurde. Das Leſebuch ift auch in dieſer zweiten Auflage vollfländig vergriffen ; mit Unge⸗

ln Sm = ur swuxhı> we ——

teten | ——— deutſchen Kurchenliedes. Das audeutſche Drama hat mit Ber

stehung auf feine lebendige Verwirklichung ne Devrients Geſchlchte ————

Theaters von Prup. 4 Jan male . If Ti“

'ra "Bon ben älteren Riteratungefchichten —— Anker zu wer⸗

den, Recht brauchbar iſt Koch 8 „‚Gompenbium der beutfchen Literaturgeſchichte von dem älteflen Zeiten bis auf Leffings Tod 1790 95”, Die deutfche Litera-

tur wurde, abgefehen von der etwas forcirt geiftreichen Weife, von Friedrich

Schlegel im feinen Vorlefungen über die alte und neue Literatur nach dem

Die deutſche Philolsgie. 113

damaligen Zuſtande des Wiſſens und der Erkenntniß (1812) in recht vortheilhafter Weiſe beiprochen.

Höheren Anforderungen genügte zuerfi ber Grundriß zur Geſchichte der deutichen Rational» Literatur von Auguſt Koberftein, wenn er auch nur zus nächf zum Gebranuch auf gelehrien Schulen entworfen wer. Noch wichtiger bei» nahe, als die Darftellung ſelbſt, find in dieſer Schrift die in den Anmerkungen gegebenen Nachweiſe. Die erſte Ausgabe vom Jahre 1827 ift ein dünner Band ven 299 Seiten und jegt liegt und dad Werk in vierter Auflage in vier Bänden er, fo day man aus ihm, wie aus feinem anderen, die fortwährend neuen For» füpungen und Entdeckungen erfehen kann. Aehnlich, Doch fich nicht allein auf die Rational- Literatur beichränfend, ijt Die Geſchichte Der Deutfchen Riteratur von Bilpelm Wadernagel. Dadurch, daß in Wadernageld Buche Der Etoff licht⸗ voller gruppirt iſt und die Sprachgefchichte beſonders eingehend beiprochen wird, gewinnt es vor dem Koberfleinifchen Werke den Vorzug. Und dennoch bat auch dieſes wieder Vorzüge vor jenem voraus, die natürlich hier nicht näher ausein⸗ andergejegt werden können. In beiden ift die Darftellung, der Stil etwas ſchwerfaͤllig, was die Fülle des Stoffes, Die auf verhältmigmäßig engem Raume unterzubringen war, wie auch die lehrhafte Abficht erklärlich machen. In beiden Werten find die Anmerkungen , der gelchrte Apparat zum Belege und zum Rad weife für die Darftellung von der allerhöchſten Genauigkeit. Warernageld Buch) ift bis jet noch nicht vollendet. Hier läßt ſich am beften ein Buch an» reiben, welches Den bibliographifchen Theil noch mehr als die beiden eben genann⸗ tem Werke berudfichtigt und von der Literaturgefchichte nur in wenigen, aber bes ſtimmt ausgeprägten Zügen ein Bilb entwirft: „der Grundriß zur Geſchichte der deutſchen Dichtung” von Karl Gödecke. Beſonders hat der Berfafler auf die fpätere bis jegt noch weniger beachtete Zeit jein Hauptaugenmerk gerichtet und entfaltet Hier eine bibliograpbiiche Kenntniß, die wirklich in Erftaunen fegt. Ein fleißigeres Wert ift fett Jahren nicht geliefert worden. Weniger ausſchließlich für gelehrie Kreiſe, ala für jämmtliche Gebildete unſeres Volkes beflimmt, find die beiden [Werke über Die Deutiche (poctifche) RationalsLiteratur von Gervinus und Vilmar. Cingehender über beide fehr wichtige Erzeugnifle kann bier nicht geſprochen werben, boch dürfen einige Andeutungen nicht fehlen. Beide Werte haben einen bedeutenden Erfolg gehabt. Die Literaturgefchichte von Gervinus ft neuerdings erweitert und mannigfach umgeändert in vierter Auflage erfchienen umd Bilmard Literaturgeichichte erlebte fech® Auflagen. Beide Schriften haben einen tendenziöjen Charakter. Gervinus Buch ift im Grunde ein yolitifches Bud, Vilmars Buch aber will das fein, was ed iſt, eine Darftellung unſeres geiftigen Lebens im Schriftthume. Weide zeugen von großer Begabung, von geiftreichen Gedanken ihrer Verfaſſer, doch ift bei Servinus das Element des Berftanded überwiegend, bei Vilmar das des Gemüthes. Gervinus Eritifirt, während Bilmar mehr bewundert. Für die ältere Zeit hat Gervinus fein Herz, Darum verfteht und erfaßt er fie auch nicht; er Icgt allzujehr fremde Mapftäbe an fie und darum wird er oft ungerecht. Nur dad Berfinndeögemäße, vor allem die Satyre des Mittelalters, findet bei ihm gerechte Würdigung. Ie mehr jeine

I. 8

118 AÆvrachwiſſeuſchaft.

Betrachtung der neuen Zeit naht, deſto beſſer wird fle._ Umgekehrt bei Vilmar. Der zweite Theil feines Werkes erreicht bei weitem nicht die Größe des erſten, indem er die neue Zeit ebenfalls mit fremden Mapfläben bemißt, die fhr das Mittelalter ganz ungemeflen waren. DBom-deutfch“pbilologifchen Standpunkte aus verdient Bilmars Buch unbedingt den Borzug. Vilmar hat auch durch ans dere Arbeiten bewiefen, daß er in die Schule Grimms gegangen iſt. Faſt immer find feine Urtheile und Auffaflungen bie wahren, während fie bei Gervinus nur mit großer Vorficht angenommen werden dürfen. Vilmars Literaturgeſchichte it beſonders geeignet, zur Theilnahme an den Schägen ber: altdeutichen Dicht⸗ Zunft anzuregen. Des Berfaferd Darftellungsweife ift überaus geſchmackvoll, fie belebt, erwärmt und begeiftert. ine wahre Perle des Buches ift die Erzähe Iung des Ribelungenliedes ein Kunftwerf über ein Kunflwwerl. Es find außer biefen Literaturgefchichten noch eine Menge Schriften über benfelben Gegenftand erfchienen. Auch fur; gefaßte Brundriffe zum Schulgebraudge wurden vielfach herausgegeben. Mecht brauchbar ift der von Karl Guſtav Helbig (4. Aufl, 1850) eingerichtet. =

Unter den Literaturgefhidhten mit Proben, weldye auch in grö⸗ erer Anzahl vorhanden find, verdient vor allen „die beutfche Dichtung im ‚Mit- telalter“ von Karl Goͤdeck e genannt zu werden. Doch iſt das Werk. immer mehr ein „Leſebuch“ als eine Literaturgefchichte. Einen befomberen Werth erhält es dadurch, dag alle Quellen und Hülfsmittel angeführt werben und ein genaues Verzeichniß der Handjchriften der einzelnen Dichtungen vorausgefchidt ‚wird. Die eigenen Urtheile Gödeckes find meift fehr fein und: zeugen von Achten Ver⸗ ſtaͤndniſſe des Mittelalters. Eine zweite fehr verbienftuolle, auf weitere Kreife berechnete Literaturgefchichte mit Proben rührt von Heinrich Kurz der. Zahl⸗ reiche und gut ausgeführte Holzfchnitte zieren dieſes Buch, welches verdiente, von recht Vielen gelefen und benußt zu werden. In der Wittheilung der Texte hätte der Verfaſſer allerdings erwas firenger und Eritifcher verfahren follen.

Bibliograppifche Hülfsmittel finden wir in den Anmerkungen zu ben größeren Literaturgeichichten, beionderd aber in den beiden Werken von Karl Göſdecke. Selbſt Auctiondkataloge können öfters recht gute Dienſte Teiften, Einer Erwähnung werth ift der „von der Hagens Bücherfchag betitelte Auctiondfatalog, in welchem die meiften wichtigen Werke aus ber beutfchen Phi⸗ Iologie enthalten find und weldyer fich auch Durch eine gute Anordnung auszeichnet. Das Hauptwerk, welched den gefammten Stoff bibliographifch nach wiſſenſchaft⸗ lichen Gefihtöpunften zufammenftellt und ſondert, ift „bie deutſche Philologie im Grundriß, ein Leitfaden zu Vorlefungen von Heinrih Hoffmann (von Ballerdleben): ein Werk, welches wegen feiner Genauigkeit und feiner vortreff⸗ lien Gruppirung das höchfte Lob verdient. Da nun feit dem Erfcheinen beffel- ben (1836). über zwanzig Jahre dahin gegangen find und gerade in dieſer Zeit jo unendlich viel in der deutfchen Philologie gearbeitet und geleiftet worden ifl, jo wäre es fehr erwünjcht und Hoffmann würde fich gewiß Alle zu großem Dante verpflichten, wenn er ſich zu der verdienfivollen, freilich auch ſehr mühfeligen Arbeit entfchliegen wollte, eine neue vermehrte Ausgabe zu veranflalten.

)

Die dentfche Philologie. 115

Somit haben wir nun das Gebiet der deutfchen Philologie durchwandert. Nicht jede einzelne Erfcheinung konnte genau erörtert, nicht eine jede Arbeit konnte felbft erwähnt werden. Wollte man auf fänmtliche Leiftungen näher eingeben, ganze Bände würden erforberfich fein. Dennoch wird aus unferer Betrachtung erkannt worden fein, welch einen reichen und dankbaren Stoff die junge Wiſſenſchaft in fich faßt und wie bedeutend ihre Aufgaben und Leiftungen find. Sichere Ziele haben wir erreicht, aber Dennoch dürfen wir nicht müßig ſtehen bleiben; nur bebürfen wir ihrer als ficherer Ausgangspunkte für neue Biele. Der Wille ändert fih mit den Erfolgen. Im Anfange der zwanziger Jahre mußten die Beftrebungen vielfach anders geftaltet fein, als fle e3 heute find und Beute fein muͤſſen. Blicken wir deshalb auf die ſchon im Vorbeigehen manchmal berührien Aufgaben der Gegenwart. Sie eröffnen zugleich einen Bild auf zus Fünftige Leiflungen und Ergebniffe. In der Grammatik ift vor allen anderen Dingen die Erforſchung der neuhochdeutfchen Schriftfprache und ihrer Gejchichte nothwendig. Ferner bedarf die zwar im Ganzen feftftehende Lautlchre der alten mitteldeutfchen Sprache noch weitere Begründung dur Denkmäler aus ver fehiedenen Theilen des mitteldeutfchen Ländergebiete. In dem Studium der Rundarten, das fich jegt einer fo eifrigen Pflege erfreut, wird noch Tange ge- fammelt und geforfcht werden müffen, wenn das einmal begonnene Werk wahr- Haft nugbringend werden fol. Auch diejenigen Theile der Grammatif,, die meift als adgejchloffen betrachtet werben, find ber Nachprüfung und der Weiterfor- [hung gar wohl bedürftig und werth. Die Vollendung dreier größerer Werke verbeißt und die Zukunft, nämlich des deutichen Wörterbuch8 der Gebrüder Grimm, des mittelhochdeutfchen Wörterbuch von Müller und Zarnde und des altdeutfchen Ramenbudy8 von Förſtemann. Die Zeitfchrift Germania hat er- freulichen Kortgang und gewinnt und fördert neue Kräfte. In dem Gebiete der Literatur iſt man in letzterer Zeit glücklicher Weife firenger und wählerifcher ge- worden. Die Quellen find zwar ſchon mit der Zeit verfiegt ober fließen wenig« ſtens fparfamer und dennoch hat nicht jedes Denkmal, das noch ungedrudt ver borgen liegt, Anfpruch auf völlige Bekanntmachung. In Eritifcher Beziehung Hat das volksthümliche Volksepos des dreizehnten Jahrhunderts noch die Bear- beitung nöthig; auch einzelne Lyriker nicht aber alle find einer forgfältigen Beachtung werth. Bor allem aber da8 Drama. In der Literaturgefchichte gibt es noch viele einzelne Theile, die lohnende Stoffe für befondere monographifche Arbeiten darbieten.

Unfere Betrachtung hat die deutfchen Studien als firenge Wiſſenſchaft im Auge gehabt. Wie fle nach den Zeiten der Uinterdrüdung in dem wieder auf Iebenden beutfchen Bolksthume ihren Keim und ihren Boden fanden und in der Folge durch die Strömung einer neuen Weltanfchauung getragen wurden, fo haben fie nicht allein auf andere Wiffenfchaften, fondern auch auf den Volfägeift wiederum eingewirft. Die gebildete Welt Eonnte, wenn fe auch der Wiſſenſchaft fern blieb, doch dem Afthetifchen Inhalte der deutſchen Studien ihre Theilnahme nicht verſagen. Wie nach diefer Richtung hin die Ueberſetzer mehrerer älteren

Gedichte Simrod an ihrer Spitze und einzelne Literaturbiftorifer an⸗ ge

116 Eprachwiſſenſchaft.

regend und belehrend eingewirkt haben, kann Hier. nur angedeutet werden. Und die Schule mußte, wenn anders fie nicht auf unverantwortliche Weiſe zuruckblei⸗ ben. wollte, Nückſicht nehmen auf den Unterricht in altbeutfcher Sprache und Literatur. Wie bemerkt, find viele Lefebächer und Literaturgefchichten für. Höbene: Schulanftalten Heraudgegegeben worden. Noch aber it in manchen Ländern nicht fo viel geichehen, als es nothwendig und wünfchenswertt; wäre. Aber es if doch ſchon viel gefchehen, und wir hegen die freudige Hoffnung, daß der Einfluß der deutichen Philologie auf die allgemeine Bildung des deutichen Volkes mehr und mehr wachien wird,

geilt und Charakter in der Tonkunfl.

Bon 3. Schucht.

Die denkende Kunſtbetrachtung ald Wiſſenſchaft. Charakteriſtik der antiken Tonkunſt. Welt. und Kirchenmuſik im Mittelalter. Katho⸗ liſche und proteſtantiſche Kirchenwerke. Dpern⸗ und Inſtrumental⸗ muſik bis zur klaſſiſchen Periode. Die Tondichtungen des neunzehn⸗ ten Jahrhunderte.

Die philofophiihe Kunftbetrachtung hat feit Baumgarten’8 Aeſthetik erſt in neuefter Zeit ihre vollendete wiffenfchaftliche Geſtalt erhalten, um in ausführ- lichen Syſtemen bargeflellt werden zu. können. Anflchten und Megeln über ge wiffe Kunſtgattungen ftellten fchon Plato und Ariſtoteles auf, aber die Fonnte nur in vereinzelten Ausfprüchen geichehen. Nachdem aber wieder ein zweitau⸗ fendjähriger Bildungsgang in Kunft und Wiſſenſchaft ftattgefunden hatte, ver mochten bie. denkenden Geifter des vorigen Jahrhunderts zu den aufgeftellten Maximen der alten Griechen über das Drama, fo wie über die Epik und Lyrik, nene Regeln und Anftchten beizufügen, die mit der Productivität der Dichtkunſt immer zahlreicher wurden und zulegt in foftematifcher Korm von Hegel und Biſcher zur Wiſſenſchaft geordnet und in Iogifcher Darftellung vereinigt wur⸗ den. Hierdurch wurde aber audy die denfende Kunftbetrachtung in den anderen Künften weientlich befördert, Winfelmann, Gerber, Schiller, Sean Paul u. v. a. durchdrangen mit philofophifchem Forſchergeiſte das innerfte Weien der Kunſt⸗ werte aller Völker, um fodann eine Charakteriſtik ihres Geiſtes geben zu können, Hierbei entdedten dieſe Männer, daß das Geiſtesleben aller Culturvoölker fich am treueften in naturwahrer Geftalt durch die großen Meifterwerfe der Künfte audgefprochen und veranfchaulicht habe, daß und aljo das Studium der Kunſt⸗ produete nebft dem Hochgenuß auch zugleich den Geiſtescharakter jener num laͤngſt ins Grab geſunkenen Völker kennen lehre. Denn die Weltanſchauung fo wie das geſammte Denken und Empfinden ber Hellenen erforſchen wir gründlicher beim Studium ihrer großen Dichter, als beim Leſen der Geſchichtswerke, die uns die Staatshandlungen berichten. Eben fo ſpeciell wird uns die Geiſtesſtim⸗ mung des chriſtlichen Glaubensalters durch die großen Heiligenbilder der alten Maler vorgeführt, fo wie uns die alte katholiſche Kirchenmuſtk ganz in die Si⸗ tuation des damaligen Seelenlebens verjegt.

Alfo auch die Werke der Tonkunſt geben uns den Charakter des Geiſtes,

118 Muſik.

der die Völker beſeelt und belebt, aber dem Element der Muſik gemäß, in ber Form des tönenden Empfindens. Nicht Begriffe und abftracte Gedanken, auch nicht Schilderungen äußerer Zuftände und Begebenheiten vermag die Tonkunft gut und ſchön darzuftellen, fondern das tief innerliche Empfindungsleben der Seele ift ihr eigenthümliches und wahres Lebendelement. Hierin fteht fle allen anderen Künften gegenüber groß da, benn felbft die Poeſte vermag nicht audzufprechen, was die Tonfunft vollbeingt, ‚Denn Alles was den : Menfchen- geift ergreift und zum Mitgerühl bewegt‘ im ſchmerz⸗ und Iuftreichen Erden- leben, fein flehendes Bitten zum ewigen erbarmungsmilden Wefen, fein Gott vertrauen und Danfgebet im weithin tönenden Hymnus bed Lobgefanges zum Preife der Gerechtigkeit Gottes, fo wie auch jein irdiſches heißes und inbrün« flige® Lieben zum inniggeliebten Srauenbild, all dieſes Schnen, Hoffen und Ver- langen mit der triumphirenden Freude der errungenen Kiebesluft wird und in den Werken der genialen Tondichter zur Darftellung gebracht. Wenn das Gefühls⸗ leben am höchften gefteigert iſt, fo daß Worte nicht mehr zu fagen vermögen, waß uns die Bruft durchſtroͤmt, da wird es laut in Tönen und in wonnenollen Ton⸗ gebilden fpricht es fich aus, was Geiſt und Herz fo gewaltig befeelt und er⸗ haben begeiftert.

Viele Schriftfteller haben ſich theils in Biographien großer Tondichter, chells in Geſchichtswerken und aͤſthetiſchen Abhandlungen bemüht, den Geiſtescharakter der Tonwerke in Worten zu ſchildern, jo treu als es die Sprache orrmag; aber eine gründliche Geſchichte des Ideals in der Tonfunft hat noch Fein Schriftfieller veröffentlicht. Nachdem uns die. philofephifchen Aeſthetiker eine folche in. der Poeſie gegeben haben, ift Died für Die Tonfunft auch leichter ausführbar gewor⸗ ben. Ich habe demzufolge zuerft eine Eleine Skizze in der Berliner Muſtkzeitung von 1850 gegeben und eine etwas weiter audgeführte Abhandlung in den Ham⸗ burger literarifchen und kritiſchen Blättern. non 4857 veröffentlicgt; hier gebe ih eine ziemlich ausführliche Darſtellung über den Geiſt und Charakter der in den großen Meifterwerken der Tonkunſt aller Gulturvälker zum Ausdruck gelangt ift. Hierbei werde ich auch zugleich die Eigenthümlichkeiten der nerfchie- denen Stile, ald Ausbrudöweifen der Geiſtesſtimmung, fchilbern und manche irrthuͤmliche Anſichten darüber widerlegen und berichtigen. je

Die wahre Gefchichte der Mufif, within auch die Gefchichte: ihres Geiftes, beginnt erft im Mittelalter. Alles was wir von der Muſik der alten Kultur völfer willen, beruht mehr auf Sagen, denn es find uns feine Tonwerke aus der früheren Zeit überliefert und erhalten worden. Es werden und Wunder berichtet, welche die alten Sänger wie Orpheus, Amphion, König David und viele Andere burch ihre wunderbar jchönen Lieder hervorgebracht haben umd nach den über kommenen Gefängen zu urtheilen, müflen ihre Vorträge auch fehr ergreifend ge⸗ weien jein. Da faft alle diefe Rieder ertemporirt und nur von der höchſten Ben geiſterung ber Dichter erzeugt wurden, ſo erklärt fich hierdurch auch ihre große Wirkung, welche die.gefchäftige Sage noch mehr vergrößerte und der Nachwelt überlieferte, während die Lieber felbft, wenigſtens ihre Melodien, ganz in bie Bergefienheit janfen. Das höchſtſtehende Eulturvolf im Altertum waren die

Geiſt und Charakter in der Tonkunft. 119

Griechen, die auch der Nuſtk fehr Teivenfchaftlich ergeben waren, und ihre Phi- Jofophen und Pädagogen betrachteten fie als das wichtigfte Bildungsmittel für ‚den Menfchengeif. Daher wurde gefeglich der Mufifunterricht für die Jugend ‘geboten und in vielen Staaten wurden die Befege dem Volke vorgefungen, auf daß fie fich Hierdurch dem Gedaͤchtniß tiefer einprägten. Auch die großen epifchen, lyriſchen und dramatifchen @ebdichte ihrer Poeten wurden durch recitirenden Ge⸗ fang vorgetragen. Die Pythagoräer eröffneten ihre philofophifchen Studien mit Geſang, auf daß der Geiſt harmoniſch und empfänglich für alles Wiffenswürbige geftimmt werden follte und nach vollendeter Tagesarbeit mußte abermaliger Ge⸗ fang den Geift wieder zur Ruhe keiten. Nach dieien gefchichtlichen Thatſachen glaubten nun viele eifrige Briechenfreunde unferer Zeit, daß die Muflk im Helles nenthum auf einer eben fo hoben Stufe geflanden Hätte, wie die Poeſte. Ja einige Enthuflaften, wie Herr von Drieberg und Andere, gingen fo weit, zu be» haupten, die Muſik der Griechen hätte in höherer Vollkommenheit geftanden als bie unfrige. Um dies zu beweifen, bat Drieberg Bücher gejchrieben, er wurbe aber hinreichend von vielen Gelehrten zurecht gewiefen und belehrt, daß er nicht hinlängliche Kenntniffe befige, um in dieſer Brage mitfprechen zu können. Durch : Blato’8 Schriften wiffen wir, daß die Hellenen das unvollfommenfte Rotenfyftem ‚hatten und dazu einer Maſſe Zeichen bedurften, die fich auf mehrere Taufende beliefen und dad Gedaͤchtniß fehr beſchwerten; be&halb verlangt er, daß Die jungen Leute nicht fo viele Jahre mit dieſen Gebächtnißfchwiertgkeiten aufgehalten wer- ‚ben follen. Bon dem Syſtem der Sarmonielehre, der Rhytmik und des Perio- denbaus, wie wir es heute in der vortrefflichen Gompofttiondlehre von Prof. Lobe beſthen, Hatten die Griechen gar Feine Ahnung. Ihre Melodien beglei- teten fie ganz auf zufällige Art mit ihrer noch mangelhaften Lyra und anderen . noch unvollkommeneren Inftrumenten. So mag dann und wann auch wohl eine : exträgliche Harmonie entflanden fein, aber wohlgeordnete Harmoniefolgen konn⸗ . ten bierbet nicht vorfommen.

Hiernach muͤſſen wir fchließen, daß die Muſik der alten Völker noch auf der allerniebrigften Bildungsſtufe geftanden hat, die wohl einige jchöne und gefühl- : solle Melodien zu erzeugen vermochte, aber boch Teine großen Kunftwerfe her⸗ vorbringen konnte, wie es die Zondichter ber Reuzeit vermögen. Ich habe auch . fon in mehreren Artikeln nachgewiefen, daß das ganze Beiftesleben der Hellenen ‚und der anderen alten Culturvölker gar nicht die fchöpferifche Macht beſaß, bie

Kunft der tief innerlichften Subjectivität zu erzeugen. Das ganze Leben der alten Völker war noch fo objectiv, erfreute ſich an der äußerlichen Welt, an der ſchö⸗ nen Umgebung. Cie litten zwar auch unfagbar tiefe Schmerzen und flürzten fich in bachantifche Belage, tobten ſich in wilden Lüften aus, aber fle veflectirten hierbei fo wenig auf ihre Gefühlsfituntionen, fie nahmen fle nicht fo zum Object, .um darüber zu denfen umd wieder Über die gedachten Gedanken zu empfinden, : wie es die Völker der Neuzeit thun, welche über ihre Gefühle und Empfindungen : gelehrte Werke fchreiben und fle in Romanen zur Darftellung bringen. Daher haben auch die alten Dichtungen jeme plaftifchen Abgrenzungen und maßbalten- : ben Formen, während die Dichter der Gegenwart: gern ins Maßlofe hineinftär-

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Get und Chbaralter in der Tonkunſt. 121

ganzen Tönen beftcht, ald eine Diffonanz. Wir müflen darüber erflaunen, denn Die große Terz e bildet für und bie allerfchönfte Conſonanz, welche mit Hin⸗ C

qufügung ber Quinte g bie wohlflingendfle Harmonie verurfacht, Die in ung e c

das befeligende Gefühl der behaglichen Ruhe und harmoniſchen Zufriedenheit er⸗ zeugt. Doch ift ed Hiflorüich gewiß, daß die frommen Möndye die große Terz aus den heiligen Kirchenhormonien ganz und gar ald eine unheilige Diffonanz verbannten. Dan muß fich diefe Sonderbarfeit aus der religiöjen Geiftesftim- mung, welche die damaligen frommen Mönche befeelte, erklären. Denn das ganze Leben diefer Männer beftand ja nur in Beten, Kafteien, Baften und Buße thun. Cie hatten fletd nur die Bilder des gefreuzigten Heilandes und der Maͤr⸗ tyrer vor Augen und erinnerten ſich immer an ihre unausfprechlichen Todedquas Ien; fie hielten es für jünphaft, fich den Weltfreuden hinzugeben und es erſchien ihnen als ein Gotteöfrevel, fich zu freuen und fröhlich zu fein, nachdem bie edel⸗ fen Menjchen und felbft der auderwählte Gottesſohn den fchmerzlichften Kreuzes⸗ tod erlitten hatten! In einer ſolchen düfteren religiöjen Seelenftimmung Flang ihnen die große Terz zu weltlich heiter, es ſprach ſich in ihr zu viel Heiterkeit am Dafein aus, während fie Die Erde doch nur als ein Janımerthal und als eine irdiſche Brüfungsflätte betrachteten. Deshalb jollte die heiter und fröhlich Elin- gende Terz nicht in ihren geheiligten Tempeln ertönen. Wer diefe von mir gegebene Erklärung bezweifeln möchte, den erinnere ich an joldye Situarionen feineß Lebens, wo er Durch den Verluft eines heißgeliebten Weſens in eine jolcy trofts Ioje Melancholie und Todesjehnjucht verjegt wurde, dag ihm das Leben dieſer Grdenwelt ganz unerträglichen Schmerz veruriachte. In Dielen jchmerzenreichen Trauerfunden ift und jede Sröhlichkeit, ja fogar jedes heitere Geſicht, ganz ver» haßt; ertönt eine freudige Melodie an unjer Obr, vernehmen wir heitere und Jebensluſtige Geſaͤnge, fo möchten wir aus lauter Kummer und Gram ſogleich in die Erde finfen , während fanft Elagende Trauergefänge mit ſchmerzlich duͤſte⸗ zen Rollascorden unferen herbften Oram lindern und in fanfte Wehmuthöthränen auflöjen. Wer jemals foldye Situationen erlebt hat, der wird auch gewiß meine oben gegebene Erklärung als Wahrheit anerkennen.

Die weltliche Muftl vom 10. bis zum 15. Jahrhundert ertönte in Minne⸗ Hedern aus, worauf dann die Meifterfänger mit ihren ftädtifchen und ländlichen Liedern folgten, welche oft eine fehr fchalkhafte Sröhlichkeit athmeten; jeboch Tamen auch innige Gefühle der Liebe durch fie zum Ausdruck. Aber alle diefe Heinen Melodien wurden nur in einer augenblidlichen Geiſteoſtimmung erzeugt und durch Ueberlieferung weiter verbreitet, und da fie felten aufnotirt wurden, fo fanten auch fie in Vergefienheit. Demzufolge find nur wenig Tonweifen jener Zeit erhalten worden, bei denen e8 noch zweifelhaft bleibt, in welchem Jahrhundert fie entflanden find. Alſo die ritterlichen Minnelieder und bürgerlichen Meifter gefänge bilden die Periode der damaligen Weltmuſik, welche noch ſehr mangel» haft war und fich fat nur durch Traditionen fortpflanzte. Von den frommen

122 on Mut,

Paters wurben aber diefe weltlichen Gefänge gehaßt, fle betrachteten fie nur als unheilige, der Welt und Lebensluft fröhnende Lieder, . welche vernichtet werben müßten. |

Im 14. und 15. Jahrhundert jedoch erhielt die Kirchenmuſik eine höhere Vollendung durch die Auffindung und Annahme neuer Accorde. Denn bie Eomponiften nahmen jet die Eleine Terz in ihre Harmonien auf und brachten dadurch den Dreiflang zur Herrfchaft, wodurch die Mollaccorde vorzugsweiſe zur Sarmoniflrung und zur Begleitung der Melodien erwählt wurden. Diefe Zeit gibt eigentlich die erfte Hauptperiode der katholiſchen Kirchenmuſik ab. Die Grundharmonien der Uccordfortfchreitungen waren folgende: ' cedchaada aaage fe efeecde

ADAEADA

Um einen Begriff von diefen Harmoniefolgen zu erlangen, iſt es nöthig, daß die hier angegebenen Accorde langſam choralartig gefpielt werden müflen. Diefe Accordfolgen wurden auch mit Vorhalten angefüllt, wodurch fich die Moll- harmonien noch düfterer und fehmerzlicher trübten. Die Eleinen Tonwerfe diefer Beit Motetten und Palmen find in einfachem würdevollem Choralſtil ges ſchrieben; es find und nur eine Fleine Zahl davon erhalten. Bald aber verfudhe ten ſich die Somponiften in den Eunftreichiten Ausfchmüdungen der Melodien; die einfachen Chorallieder wurden mit vielem Berzterungen, Trillern und melis« matifchen Figuren umfpielt; dabei geftalteten fich auch die Accordfolgen mannig⸗ faltiger, indem noch neue Accorde eingeführt und fehr oft in andere Tonarten modulirt wurden. Man ließ die Stimmen nicht mehr alle gleichzeitig fingen, fondern einige pauflren und dann auch wohl die vorgetragene Melodie nachahmen. Hierdurch wurden oft die kunſtvollften Rachahmungen gebildet, die zuletzt eine große Herrfchaft in der Kirchenmufſik erlangten. Aber faft alle Tonwerke biefer Zeit haben noch zu wenig pinchologifchen Gehalt; e8 find Probucte, die mehr durch den Falt denkenden Verſtand gebifbet find, nicht aber durch das gefühlvolle Seelenleben einer begeifterungsvollen Phantafte. Nachdem aber diefe neu erfun⸗ denen Accorde und die Eunftreichen Melodienwendungen immer mehr beherrfcht und dem Geifte zu eigen wurben; und nachdem das ganze Geifteöleben der Men- fchen fich immer mehr verinnerlichte, bie zarteften Wandlungen des Gefühle die Bruft durchbebten und den ganzen Organismus in Refonanz verfehten, -fo wurden auch in Kolge dieſer tiefer erregten Seelenftimmungen die Tondichter mädh- tig befähigt, in Tönen auszufingen, was das fühlende Menfchenherz zum Ieiden- den Mitgefühl belebt und bewegt. Uber zuvor mußte auch ein höherer Bildungs- zufland in fänmtlichen productiven Geiftern flattfinden ; dies gefchah Durch daß Studium der Schriftfteller aus Hellas und Roms Culturperiode, welche damals aufgefunden und überfeßt wurden. Denn das bloß muſikaliſche Studium, ohne wiffenichaftliche und poetijche Beiftesbildnng, vermag feine Epoche machenben Tondichter hervorzubringen. Alſo erft feitdem die Werke der antiken Dichter und bie der großen Italiener Dante, Arioſt, Taffo, Petrarka u. v. a. gründlich

Geiſt und Charakter in der Tonkunſt. 123

ſtudirt und geiftig affimilirt wurden und die Tondichter fich Durch das Anfchauen ‚der großen Heiligenbilder von Angelo, Fiefolo, Corregio, Rubend und Raphael :zur erhabenften Gotteöbegeifterung flimmten, feitdem gewannen auch die Tondich⸗ ‚tungen eine tiefere Geiſtesbedeutung, indem ſich jet erſt das Geiſtesleben burch fie objectivirte, wodurch fle zum Ausdruck einer geiftigen Seelenftimmung wurden. :Diefer tiefere Bildungsgang des Geifted vom 14. bis zum 16. Jahrhundert er⸗ zeugte endlich einen Tondichter, der nach feinen großartigen erhabenen Tongebil- ben als der Zürft der heiligen Tonkunft benannt wurde, es war der ehrwürbige Balefrina. Er flellte fich die große Aufgabe, die Worte und Situationen ber heiligen Gefänge treu und wahr in den Zondichtungen zur Darftellung zu bringen, fo daß die Melodien und Harmonien zum tief ergreifenden Ausdruck der Geiftesftimmung wırden. Alle muftkalifchen Formen betrachtete er nur als Mittel zu diefem heiligen Zwei. Viele feiner Borgänger und Beitgenofien be= mühten fi) nur, die Eunftreichften contrapunftifchen Wendungen mit den com⸗ plicirteften Melodien in ihren Werken anzubringen, um hierin ihre Virtuofltät zar Bewunderung zu zeigen. Da aber diefe Kunftprobucte keinen heiligen Cha⸗ sakter zur Darftellung brachten und die Priefter nur weltliche Muſik zu hören glaubten, fo famen fe auf den Gedanken, diefe unkirchliche Tonkunft von dem Gultus auszufchließen. Aber der fromme Paleftrina bat die ehrwürdigen Väter um eine Krift, innerhalb welcher er Motetten componiren wolle, die zum Dienfte ber heiligen Religion würdig wären. Und als feine Tondichtungen zur Auffühs sung famen, ba wurben bie hoben Prieſter auf's tieffte ergriffen von ber hei⸗ ligen Macht diefer wunderbaren Tonwirkungen und fie befchloffen darauf, die Tonkunſt folle auch fernerhin zum Cultus verwendet und Paleftrina mit dem Auftrag zur Compofltion mehrerer Kirchenwerke betraut werden.

Der Stil diefer Tonwerke tft einfach und feierlich erhaben; in würbevoll ernfler Stimmung bewegen fich die Melodien und Sarmonien, ohne in Fünftliche Berzierungen außzuarten. Die Grundtonarten find die 6 griechifchen Tonarten, welche wir jetzt auch ald Kirchentonarten benennen. Auf c ift die jonifche Ton« art gebildet, d die dorifche, e die phrygiſche, £ die lydiſche, g die myrolibifche und auf a die Aolijche, welche durch F und b manche Berwandlungen erlitten. Die Septimen-Accorde wurden faft gar nicht angewendet oder nur in Borhalten; ber Dominantfeptimene Accord f durfte aber niemals eingeführt werden, denn

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8 er lang ihnen zu wollüftig, eher ließ man die Mollfeptimen-Uccorde wie © u 2 f | | j D

ertönen, welche mit dem Heiligen Ernft und dem düfteren Schmerzgefühl ange- mefjener harmonirten. Die Dreiflänge mit großer Terz wurden aljo jet von

den Theosetifern und Componiften zum Gebrauch für würdig erachtet. Die weltliche Muſik Eonute in jener langen ‚Zeit nicht zu einer höheren

124 Nuss En NR a

wenn er is zum. Tode betrübt it? Nur Seelengufländen zu erzeugen, Wenn die er fer betrachten, wie ich ſie angebeutet habe, jo wird uns auch der Geift und Cha- rakter ihrer Kirchenmuſik erflärlih. Dieſe Periode der klaſſtſchen Kirchenmufit umfaßt das 16. und 17. Jahrhundert; die größten Tondichter biejer Zeit find außer Baleftrina: Allegri, Searlatti, Laſſo, Leo u. A. Italien war der Haupt⸗ fig, doch Haben audy Franfreich, die Niederlande und Deutjdland einige bedeu- tenbe Kirchencomponijten hervorgebracht. In ten 3 Jahrhunderten, som 15. bis zum 17., wurden vorzugsweiſe Pfalmen, Motetten, Requiems und Miferere'® geſchaffen, in denen das ganze Gefühld- nnd Empfindungsleben ber ſchlagenden Menſchenherzen pulſirt. Denn in den großartigen Werken des Paleftrina und Allegri ging die mächtig erregte fubjective Geiſtesſtimmung in die Objeetivität über und wurbe dadurch ald verkörperte Tongeftalten den fommenden Menjcyenges fehlechtern erhalten, auf daß auch fie in die Seelenftimmuug der num durchlebten und entichwundenen Glaubensanfchauung eingeführt werben können, um bier» durch jenes tiefempfundene religiöfe Xeben nadızuempfinden, wie es die damaligen Chriſtusgemeinden in befeelender Begeifterung durchlebten, Dieje ganze Reli⸗ ‚gionsftimmung manifeftirte fich vorzugsweije in den Dur⸗ und Mollaccorden mit den Fleinen Dreiflängen und den fchmerzausfprechenden Vorbaltögeftaltungen. Da fchreitet ſtets ein Dreiflang wieder in den anderen, Dur nah Moll, und Moll in Moll oder wieder nad) Dur, je nachdem es bie Geifteöftinmung bedingte

ei Unausſprechlich fummervolle Sehnfucht einer

Pa it ph und ihren Gemelnhen;: jeher wid:

Geiſt und Charakter in der Tonkunft. 127

Stils ift der genannte ehrwärbige Bach. Er beherrſchte diefe fchwierigfien For⸗ men. in. den complieirtefien Toncnmbinationen mit einer Birtuofität der Meiſter⸗ fihaft, wie feiner feiner Borgänger und fein Nachfolger es vermocht hat. Und dadurch, dag er jo heimiſch war in dieſem wunderbaren Tonlabyrinth und bie verwickeltſten Melodienfolgen und arabesfenartig verichlungenften Accordgeſtalten mit ficherer Leitung zum hoben Ziele führte, dadurch wurden fie ihm zum ganz saturgemäßen Ausbrudömittel feiner tief religiöjen Geiſtesſtimmung, die er in ihnen auf wunderbare Weife austönen ließ. Cr felbft war ein ſehr frommglaͤu⸗ biger Proteftant, der von der gerechten Weltregierung der heiligen Gottheit über- zeugt und aufs mächtigfte erfüllt, fich nur ihrem Heiligen Cultus widmete. Faſt alle Werke, die er fchuf, feine Präludien, Zugen, Cantaten u. v. A., athmen bie heilige Begeifterung und fromme Geſinnung bed gläubigen Chriften.. Kein Ton⸗ dichter hat Die fchwierigften und Eunftreichiten Fugen mit ihren contrapunftiichen Berwandlungen fo zum pfichologifchen Außdrud einer begeifternden Seelenſtim⸗ mung zu gebrauchen vermocht, wie diefer Kirchencomponift aus tem Lande Thü⸗ ringen. Aber eines feiner größten Werke if die hohe Paſſion, welche bie Leidenßgeichichte des gefreuzigten Gottmenfchen gleichfam zur dramatiſchen Dar⸗ ſtellung bringt. Wir hören bier im Chorus dad wildaufgeregte Gefchrei des Volkes, das ihn zum Kreuzestod verurtheilt; dann. vernehmen wir bie Worte der Liebe des. edlen Dulderd und die fchmerzlichen. Klagen feiner treuen Jünger ; aber auch Die lezten Todesfeufzer ertönen zu und vom Kreuz herab. Obgleich dieſes Werk, vermöge feined Sujets, die Leiden und den furchtbaren Todes⸗ ſchmerz zum Hauptinhalt der Darftellung hat, und diefe martervollen Kreuzes⸗ fhmerzen bed erhabenen Dulders auch in mächtig. erjchütternden und ſchmerzlich ergreifenden Tongebilden zum Ausbrud gebracht werben, fo verirrt ſich aber den⸗ noch dieſer Todesjchmerz niemald in ein maßlofes Aufichreien, niemals wird eine wahnfinnige Verzweiflung in fchneidenden Diffonanzen geſchildert, fonbern ſtets wird auch die größte Todesqual von. dem denkenden Geiſte beherrſcht und dadurch das Afthetifche Geſetz der Schönheit als maßgebend. beachtet. Der fich feiner Macht bewußte Geift har in feinen fchmerzlichften Reiben ſtets bie zuver⸗ fichtliche Ueberzeugung, daß er fie bald überwinden und endlich ganz beflegen wird ttoß dem Hohn und Geſpött feiner böfen Beinde. Diefe Geiſtesſtimmung iſt das Grundthema in allen Kirchenwerfen von Bach und feinen BZeitgenofiem, welche einen gleichen Standpunft einnahmen oder ihn doc, wenigftend am naͤch⸗ fien flanden, wenn fle auch feine Geiſtesgröße nicht erreichten. Die Tonwerfe diefer Männer bieten und noch eine merkwürdige Cigenthümlichfeit dar. Sie Haben zwar fein fortwährendes Lamento und düſteres Dolorojo zum Hauptine balt, aber auch niemals eine heitere Kröhlichkeit, wie die Producte ber neueren Gomponiften 3. B. von Haydn, fondern das Seelenleben ift ernft, ſanftklagend und zuweilen ſchwermüthig und büfter; aber dennoch kömmt Fein troftlofed Dex zagen zum Ausdrud, denn faft alle Tonwerke, die in einer Molltonart begonnen und ſich durch das ganze Zonftüd nur in Mollharmonien bewegt haben, führen zum Schluß in den Zroft und Frieden ausfprechenden Dur Accord gleichiam an« dentend, daß ber Eummerreichen, viel Duldenden Seele endlich Doch der heißerſehnte

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mit Mimik aufführen fünnte. I feinem Mefflas wird bie-Gehurt —— wit hören dann die Chöre der Engel im erhabenen Lobgeſang: Ehre ſei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menfchen ein Wohlgefallen. Dann folgt die Keidensperiode mit Tod und Grab; aber der Geift überwindet Tod und Grab durch feine Auferfichung und jein Erheben in das heilige Geifterreidh; unendlich erhabener Triumphgeſang bildet den Schluß dieſes großen Werkes. Auch in biefer Tondichtung werden die fchmerzlichiten Leiden und Qualen des Kreuzes- todes auggefungen, aber ſtets nur in maßvoller Selbſtbeherrſchung; der denfende Geift herrſcht umd waltet auch durch Die unermeßlichſten Todesſchmerzen mit

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Geil und Charakter in der Tonkunſt. 1%

verficht von der überwindenden Macht des Geiſtes, der durch fie geläutert zum ewigen Frieden und zur heiligen Wahrheit eingeht. In diefer maßvollen Bes herrichung ber wahrhaft tief tragifchen Darftellung der gewaltigften Seclenfchmer- zen kann man die Werke von ©. Bach und Händel nur mit den Elaffifchen Tra⸗ gödien des Aeſchylus, Sophofled und Euripides vergleichen.

Das Emporkommen der proteftantijchen Kirchenmuſik, nebft der weltlichen Tonkunſt ald Oper, brachte auch die Durtonarten und hiermit unfer gegenwär« tiged Tonſyſtem zur weit audgebreiteten Herrſchaft. Jetzt wurden auch die Sep« timenaccorde, vorzugsweiſe der Dominantieptimenaccorb, ſehr oft eingeführt und zu allen Modulationen, die nun viel mannigfaltiger wechjelten, verwendet. Waͤh⸗ rend die katholiſchen Kirchencomponiſten noch im 18. Jahrhundert faft alle ihre Werke in den alten Kirchentonarten componirten, fchrieben bie Proteftanten fchon im 17. Jahrhundert in unjerem heutigen Tonſyſtem mit feinen Dur» und Moll⸗ tonarten. Der Charakter der alten Kirchentonarten mit Ausnahme der jonifchen, weldye mit unierem C-Dur identijch ift, Hat ſchon durch den Harmonienwechfel ihrer vielen Mollaccorde eine fehmerzlich düflere Stimmung, welche durch bie Einführung der Vorhalte noch mehr gefteigert wird. Unſer jetziges Tonſyſtem biete Dagegen eine größere Mannigfaltigfeit, durdy den Wechjel der Durs und Mollaccorde dar, welche nun ganz nad) der pihchologifchen Situation des Textes verwendet und ald geiſtiges Ausdruckomittel eingeführt werden, wie es die Sees lenſtimmung hervorruft. Auch hierdurd, wird meine gegebene Schilderung über den verjchiedenen Beiftescharakter der alten Kirchenmufif Elar und verftänds lich einleuchtend werben für Diejenigen, die keine Studien in der Harmonielehre und Gompojition gemacht haben, aber ſich Doch dieſe Accorde auf dem Pianoforte vorjpielen Tonnen. Deshalb Habe ich die Eigenthümlichkeit beider Tonſyſteme geichildert.

In der kalholiſchen Kirche erfianden , wie ſchon gefagt, die größten Ton⸗ dichter im 16. und 17. Jahrhundert; Dieje Zeit war die eigentliche Blüthenpe⸗ riode der heiligen Zonfunft; im 18. Jahrhundert wurden zwar auch noch einige klafſiſche Werke von hoher Vollendung erzeugt, aber es manifeftirten fich in ihnen ſchon die heiteren Klänge des wach gewordenen Weltlebens. Der große ftteitende Slaubendeifer in der Reformationgzeit hatte in feiner Gotteöbegeifterung auch die gehaltvollften Kirchenwerfe geichaffen, denn in ihnen wurden ja alle Heiligen Eeelenftimmungen der gläubigen Chriften außgefungen. Ihre tief innerliche Religioſität, welche ſtets in der Iebhafteften Glaubensbegeifterung ſich in Gefän- gen objectivirte, mußte auch ganz naturgemäß jolche tief ergreifende religiöſe Ton⸗ Dichtungen erzeugen, denn fie waren ja nur die wirklich gewordene Geiſtesſtim⸗ . mung ihred ©laubenseiferd. Als aber die Firchlichen Streitigfeiten und bie heftigen Neligionsfriege verjchwunden waren und die Menfchheit fich wieder durch die Genüſſe des Lebens erheiterte und eine allgemeine Welt» und Lebend» luft die Gemüther zur Zufriedenheit flimmte, da wurde auch dieſe Seelenftimmung in Tongebilden audgejungen, wodurch die weltliche Muſik zu einer höheren Vol⸗ lendung emporgebildet wurbe und bald ihre weitaußgebreitete Herrſchaft über alle gefühlvollen Menjchenherzen erreichte. . Hierdurch wurde die Kirchenmuflf

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Thblsſſtuationen, weld 5 chriltlichen Cultus wirdia fint S W e een ..

—— ren he die efige von da an immermehr verweltlicht und zuletzt gang im weltlichen Styl verwan⸗ delt. Händel ſelbſt Hatte ſich in feinen jüngeren Jahren der Operneompofition ah ee

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Nellener bei ihrer Lebensluſt —— rung über den erlebten Schimpf zog er ſich in die Einſamkeit zurück und ſann hier über neue Tondichtungen nach; feine religiöfe Geifteöftimmung dietirte ihm

den ne ———— ſeiner ——— Durn Begeifterte er Die gotteöfürchtigen Engländer zur höchften Berehtung.: u@le aur- den efeetriftet durch diefe Gottesbegeiſterung in Tongebilden und wußten dieſe Werke fo zu würbigen, tie felten ein Bublikum; ſie verſtanden dieſe Geiſtes- größe, bie fie vor ſich hatten und verliehen dem geborenen Deutſchen die Natu— ralifation; die funfverftändigen Briten waren ſtolz darauf, dieſen Tondichter als ihren Landsmann feiern und beivundern zu können. Hierdurch erflärt es fi, weshalb ſchon in Händel's Kirchenwerken die weltlichen Tonweiſen erflin- gen; ja ſelbſt in feinen beften Schöpfungen, wie im Mefjtas,; Fommen oft ganze Perioden hindurch nur weltliche Melodien und opernhafte Goforaturen vor. So tief umd mächtig einwirkend war ſchon dazumal die weltliche Geiſtesſtimmung der Menjchheit, fie erzeugte die Weltmuſik in der Production der Opern und

Geift und Eharakter in der Tonkunft. 131

Sinfonien. Ich beſpteche jebi dieſe Runftgattung, zuror erlaube ich mir aber eine Bemerkung.

Die vorigen, ſo wie die nochfofgenden Schilderungen des pſychologiſchen Charakters der Tondichtungen kann ein Mann, der wenig Ruſik hört und viel⸗ leicht auch zu wenig mufifalifches Gefühl in fich ausgebildet hat, für etwas über⸗ trieben oder, wie man zu fagen pflegt, für ertravagant, für überfpannt halten. Aber Dagegen muß ich fagen, Daß fa jede erregtere Geiſtesſtinmmung einen Gegen⸗ fag bildet gegen die alltägliche Gemüthsſtimmung, in der wir unfere profaifchen Geſchaͤfte verrichten. Jedes bemegtere Gefühlsleben und jedes höhere Stadium des leidenschaftlich gefteigerten Empfinden contraftirt mit unſerer gewöhnlichen Seiftesfituation. Wollen wir aber ein Gedicht, ob in Worten oder in Tönen, verſtehen und von deſſen Geiſtesleben befrelt werden, fo ift hierzu das erfte Haupt⸗ exforderniß., daß wir und durch Geiftesthaͤtigkeit in die geichilderte Stimmung verfegen. So muß der Lefer auch meine Darftellung wärbigen ; die ausgeſpro⸗ chene Kunftanficht ift das Nefultat meiner vielfachen Studien in dem Geiſtesleben der Völker, das ſich in den Werken der Kunft, Wiffenfchaft und Religion kund⸗ gegeben hat. Daß die Muſik Die Geiftesftimmungen, dad Gefühls⸗ und Empfin- dungsleben zur Darftellung zu bringen vermag , wird doch Hoffentlich heutzutage Niemand Ieugnen! Denn hören wir nur zwei verfchiedene Melodien von zwei Jungen auf der Straße pfeifen, fo vernehmen wir fchon Durch tiefe fait ganz unmufllaltfche Ansdrudswelfe den verfäyiedenen Charakter beider Melodien.

Ich Habe ſchon oben angedeutet, wie frühzeitig die weltliche Muflf begann und in was für Tongebilden fich die Geiftesftimmung objeetivirte. Nebft ben Dinne- und Meifterliedern,, den Gefängen der Troubadours vom 11. bis zum 15. Jahrhundert, bildeten fich auch Singſpiele in Italien, Frankreich und Deutfchland, weiche Welt⸗ und Liebesgefchichten zur Därftellung brachten. 1240 wurde Adam de la Hale zu Arras in Frankreich geboren, der, von dem heiteren üppigen Leben feiner Baterftadt befeelt, mehrere Singfpiele ſchrieb, die noch mit Iert und Muflt in Der franzöftichen Bibliothek aufbewahrt find. Das bedeu⸗ tendfte darunter iſt Robin und Marion, welches einige gut rhythmiſirte gefällige Melodien in dem: kleinſten Tonumfang bringt. Es iſt eine Liebesgeſchichte, in ber die Liebenden gluͤcklich vereinigt werden. Ein tief greifendes Seelenleben amt: darin nicht zum Ausdruck. Es haben ſich im Verlauf der Jahrhunderte hierin viele Verſuche wiederholt, da fie aber alle von Der ganzen Geiftlichkeit ver⸗ dammt und auch die gefelligen Spiele nur gar zu oft durch wilden Kriegslaͤrm und blutiges Schlachtgemeßel auf lange Zeit wieder verdrängt wurden, fo erlang- ten diefe Dichtungen vor der Reformationszeit Feine Hohe Ausbildung. Bei den Beftipielen der Hoffelerlichfeiten wurden vorzugsweiſe meythologifche Sagen ger - wählt und zu allegorifcher Bedeutung verarbeitet. Im 14. Jahrhundert wurden fie mit Deflamatton,, Pantomime, Tanz und glänzenden: Dekorationen zur Auf führung gebracht, wobei die Chor» und Einzelgefänge mit mehr oder weniger Inftrumenten oft in Unifono und Octavenverdoppelnngen begleitet wurden, in welche wohl zufällig auch einige Uecorde mit bimeintönten. Ich erwähne hier noch einige der wichtigften Werke, die in Italien ergeugt wurden. Politanus

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Geiſt und Charakter in der Toukunſt. 135

Stoffe, wie Orpheus, Alcefte u. ſ. w., Died wäre.ein Verſtoß gegen bie guten Sitten. Aus diefem Factum erfieht jeder, daß die Beiftlichen für die Weiten bildung dieſer Kunflgattung ſtets die größten Schranfen und Feſſeln Iegten. Aber die freudige Lebensluft der Menjchenherzen war mächtiger als diefe Priefter- berrichaft und beflegte endlich ihre Schranken und fung ſich aus in lieblichen Werfen und wonnevollen Tongebilden, die ſich zur kunſtvollen Oper geftalteten.

Der Furfürftliche Kapellmeifter Schüg hatte feine Compoſitionsſtudien in Venedig unter Sabrieli gemacht und ſowohl den Kirchenftil wie den neuen welt lichen Stil gründlich erlernt. Gr widmete ſich mehr der Oper und führte da- durch den stilo concertante in Deutjchland ein, der hier zwar nicht ganz neu war, denn er hatte jeine Vorbilder an den deutfchen Minne= und Meiftergefängen und an den Volksliedern jener Zeit, aber er fam hierdurch in größeren Werfen zur berrichenden Geltung. Deshalb hat man Heinrich Schü ald den Vater der deutichen Oper benannt. Rächſt Dresden war es vorzugsweife Gamburg, wo Die Oper cultivirt und weiter ausgebildet wurde. 1637 componirte H. Scheer für das Stadttheater ein Schäferfpiel, „Daphne. Es wurden auch Zeitfragen in Singfpielen behandelt. Johann Rift fchrieb 1647 ein „Friede wünfchendes Deutſchland“ als Singfpiel, 1649 ein „Friede bejeligte8 Deutfchland und 1653 das „Friede jauchzende Deutſchland.“ Diefe jehr beachtungswürdigen Stüde gaben wieder die Beranlaffung, daß Die Dichter und Gomponiften ferner bin mehr Stoffe aus ihrer Zeit zu Opernterten wählten. Bei dieſen Productie- nen fam aber gar zu bald die Ausartung in prahlerifchem Lurus der Deforatio« nen und Koflüme zum Vorſchein. Es grenzt and Fabelhafte, was uns die Schriftfleller jener Zeit Darüber berichten und was in den Texten vorgefchrieben ſteht. Eben jo ausartend waren die Berwandlungen der Maſchinen. Kunft« ftüde wurden audgeführt, die oft mehr Lachen ald Staunen und Bewunderung erregten; große Schiffe fliegen zum Himmel empor und verwandelten fich zu Sternbildern. Auch das Ballet wurde in der Oper angewendet und führte nicht felten. zu Mißbraͤuchen. Die echt dramatifche Darſtellung wurde durch alle dieſe Spielereien ſehr beeinträchtigt; die Dichter mußten mehr auf ſolchen Unſinn Denken ald an ein Drama mit wirflichen Charakteren.

Wie groß und allgemein verbreitet die Tanzluſt in jener Zeit wear, geht Daraus hervor, daß die Dichter und Gomponiften nicht blos einzelne Balleticenen in den Eingfpielen einführten, ſondern ſelbſtſtaͤndige Ballets componirten, bie mehrere Acte enthielten. Auch hierbei wurden größtentheild antike Stoffe wie „Paris und Helena” u. f. w. gewählt; die ganze Mythologie von Griechenland und Rom wurde zu Theater- und Balletſtücken bearbeitet und alle möglichen BZauberfünfte ald Augenweide vorgeführt. Die Muflf war zwar immer noch ſehr gering in ihren Darftellungsmitteln, fo daß nur felten tief ergreifende Gemütho⸗ fimmungen durch fie zum Ausdrud famen; aber es geichahen in ihr doch die ber deutendfien Fortſchritte zur Höheren Ausbildung durch die Einführung und freiere Anwendung ber Septimenaccorde, Vorhalte und anderen biffonirenden Accord» geftalten. Es erfolgte eine Befreiung von ben alten befchränfenden Regeln über den Gebrauch diefer Tonverhältnifie, Dem Dilettanten in der Muflf, der nicht

Geiſt und Charakter in der Tonkunſt. 137

tüfterne Zweibeutigfeiten waren nicht felten die Würze des Publikums. Doch traten auch .edlere Geifter mit fittlicyeren und bumaneren Gefinnungen gegen dieſe Unwürbdigfeiten in Die Schranfen, um fie mit Rath und That ganz zu ver⸗ drängen. Am Schluffe des 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts erhielt bie deutſche Oper einen jehr genialen Tondichter an Reinhart Kaifer, der in jener Zeit durch feine Werke fo Epoche machend wurde wie W. Mozart am Schlufle des 18. Jahrhunderts und Meperbeer in unierer Zeit. Ein folcher hochbegabter Geiſt mußte eine nothwendige Erfcheinung fein, wenn diefe Kunflgattung auf eine höhere Stufe der Vollendung fommen follte. Denn die Werke feiner Vorgänger waren eklektiſch und fchülerhaft zufammengeftellte Producte, in denen weder Geiſt noch Gemüth zur Darftellung famen; nur einzelne Scenen enthielten zuweilen einen brgeifternten Aufſchwung mit einem tiefer erregten Seelenleben. In dergröße ten Zahl diefer Werke manifeftirt ſich weder Geiſt noch Charakter. Denn ed waren ja nur die Studien und Verfuche des produeirenden Geiſtes, der fich eine höhere . Kunftgattung erichaffen wollte. Rur die Werke des Hannöverſchen Kapellmeifters Steffani haben eine größere Bedeutung und gaben Reinhart Kaifer nachahmungs⸗ würdige Mufter , die er bald durch höhere Vollendung übertraf. Steffani’8 Des flamation und Inftrumentarion erhob fich weientlich zum echt pſychologiſchen Aus⸗ drud. Schon feine Quverturen waren kunſtvoller gearbeitet, als die der früheren Componiften. Er beginnt fle mit einem Maeftojofage,, welcher in ein bewegteres Allegro überleitet, in dem die erfte Geige dad Hauptthema zuerft vorträgt, was dann von den anderen Infltumenten nachgeahmt und zulegt gemeinfchaftlich durch⸗ geführt wird; hierzu verwendete er nebfl dem Streichquartett noch Flöten, Oboi, Fagott und hatte dabei die bemußte Abficht: die Gefühle und Empfindungen der Seele durch die verjchiedenen Tonverhältniffe und Klangfärbungen ber Inſtru⸗ mente zue fchildernden Darflellung zu bringen. Auch führte er öfterer als fchre Borgänger Arien, Duette, Terzette, Recitative und Chöre in feinen Opern ein. Nach diefen: producisten Werken. nun trat R. Kaijer als wahrer Reformator und zugleich als Vollender dieſer Kunſtgattung auf, denn Durch feine Werke wurde gleichjam der Grundtypus für bie Oper und ihre Formen ‚in höherer Vollkom menheit vargelegt und allgemein angenemmen, worauf dann eine viel beſchleu⸗ nigtere Weiterbildung erfolgen konnte. '

Kaifer hatte an den Bewohnern Hamburgs, die ihn zum Kapellmeifter ers wählt Hatten, ein fehr intelligentes, gebildetes und funftempfängliches Publikum, das feine Geiiteöproducte zu verftehen und ehrenvoll zu würdigen vermochte, 1694 befam er in Hamburg die reichlichfte Unterſtützung zur Bildung einer deut» fehen Opernbühne. Er engagirte die beften Künftler und erzeugte in Turzer Zeit über 100 Opern, bie er mit ihnen zur Aufführung brachte.

Eine ſolch große Productivität hat auch noch Fein Componiſt entfaltet. wie Kaifer; jein Melodienreichthum fchien ganz unerfchöpflich zu fein, denn er pror ducirte fortwährend die rührendſten, tief gefühlvollſten und ſchönſten Melodien. Alle feine Opern enthalten die zaͤrtlichſten Gedanfen der hingebendſten Liebe, die eiferfüchtigen Leidenfchaften des verlegten Herzens und bie jubelndſte Lebenslußt

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Geiſt und Charakter in der Toukunſt. 189

die der Situation des Terted am nächflen verwandt war und fie am naturwahr⸗ ſten zum Ausdruck brachte.

Außer dieſen ſchrieben auch noch Mattheſon, Lelemann and viele Andere zahle zeiche Opern, die aber fat alle nur einen Kleinen Erfolg erlangten und fehr bald wieder vergefien wurden, weil ihre Schöpfer nicht die geniale Broductivität Kai⸗ ſers befaßen. Faſt alle Opern der Italiener und Deutfchn im 17. und noch zu Anfang ded 18. Jahrhunderts behandelten mehr feriöfe und fehr oft tragiſche Sujets; eine heitere Komik fam hierbei felten zum Durchbruch. Ja fogar Kal⸗ ſer's komiſche Opern, wie die „Leipziger Mefle”, der, Hamburger Jahrmarkt“ und die „Hamburger Schlachtzeit'’, erlangten keinen dauernden Beifall, und bee hohe Rath ber Stadt Hamburg fah ſich fogar veranlaßt, Diefe Stüde zu verbies ten, weil in ihnen nur ehrliche fleißige Bürger verfpottet würden. Solche Er⸗ etgniffe verdrängten die Komik wenigſtens auf viele Jahre gänzlich von der Bühne. Auch. war die Geifteöftimmung jener Zeit noch fehe gedrückt, um in behaglicher Zuft an ſolchen Späßen Wohlgefallen finden zu können; denn unter den Pro⸗ teftanten erlangte der Pietismus eine große Ausbreitung und gewaltige Herrichaft über die Gemüther, wodurch das Kunſtleben mit feiner Weltluft ſehr beſchraͤnkt wurde, und in ten katholiſchen Rändern dominirte die Geiſtlichkeit mit ihrer Welt: und Religionsanfchauug, welche noch forwahrend das Verdammungs- wort über die ſinnlichen Operndarſtellungen ausſprach.

In Italien erſchien nach Monteyerde ein ſehr genialer Componiſt durch Giacomo Caxiſſimi; er ſchrieb viele Oratorien und Cantaten, in denen er ge⸗ fällige Melodien mit gediegener Harmoniſinung und charakteriſtiſcher Inſtrumen⸗ tirung entfaltete. Gr brachte dadurch auch in den ſtrengen Kirchenſtil eine ba⸗ weglichere Melodik mis kleinen Goloraturen. Died veränderte aber den Stif ala Paleſtrina jehr weientlich, und ice behaupte, daß es der erſte Schritt zur Ber» weltlichung war, in welche Die Kirchenmuſik fpäter. verfiel. Die weltliche Muſik erhielt Hierdurch eine Bereicherung ihrer Ausdruckomittel und: wurde Demzufolge zu einer: höheren Vollkommenheit geführt ; ‚aber: der Grundcharakter der katholi⸗ chen Kirchenmuſik profanirte ih immer mehr, je haͤnfiger in ihr die melodiſchen Esioraturen erflangen und je öfterer fle die ganze bewegficye- Rhythmik in ſich aufnahm. Als Operncomponift erlangte Alleffandro Scarlatti um jene Zr einen weltberühmten Ruf, auch er bat über 100 Opern, 400 Cantaten und viele andere Gompofttionen gefchrieben. Ex jchuf im Kirchenftil des firengen Con⸗ trapunkta hoch bewunderungswürdige Werke und componirte dabei die rei⸗ zendfien Melodien Arien und Rrcitatinen des weltlichen Geile. Auch für-bie Inſtrumente ſchrieb er fehr effectvolle Soloftellen und inftrumsentirte dad Orcheſter mitunter obligat. Er hinterließ Schüler wie Gasparini, die auf der begonnenen Bahn weiter firebten. Der Goloraturgefang, aberbaupt die ganze Geſangsvir⸗ woſitaͤt, erreichte im 17. Jahrhundert einen Höhenpunkt, wie er noc nie Dages weien war. Um fchöne und Eunftvolle Beiangsftinnmen zu erhalten, verlegten die Menfchen in ihrer Thorheit die heilige Organifation der Schöpfung, fle be⸗ gingen den ſchaͤndlichſten Frevel, die größte Sünde und verſtuͤmmelten arme un⸗ gluͤckliche Knaben zu Kaſtraten! So weit verirrte ſich die Wahnverblendung

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| * ———— , ———— fommen. Ein kleines Lied ſingt der Menſch leicht heraus nach einer individuellen Geiſtesſtimmung, fein erregtes ge⸗ fuͤhlbolles Herz dietirt ihm ne * aber große Ecenen einer

Bee Sr Anufttaftichen: Ausorud realifiete. Hierdurch bildete fich die Oper zu einer höheren Kunſtſtufe empor. Die erſte bedeutende franzöſiſche Oper brachte Robert Cambert 1660 auf die Bühne, fie hieß la pastorale und erhielt großen Beifall; eine folgende Oper, „Pomone*, wurde noch günftiger aufgenommen, fo daß fie acht Monate hinter einander gegeben werden mußte. Die größte Epoche machte fodann Lulli mit feinen Werfen, zu den ihm der Dichter Quinault die Texte ſchrieb. Er compo—

Geiſt und Charakter in der Tonkunſt. 141

nirte bis zu feinem Tode 1687 achtzehn Opern, die ein Jahrhundert hindurch einen folchen Ruhm erlangten, daß fle auf allen Bühnen zur Aufführung kamen. Seine Melodien waren ſchön und gefühlvoll, ſie bewegten fich ſelten in fchnellen Coloraturen und anderen Kunftfertigfeiten der Sänger, fondern mehr in Dem kirchlichen Tempo der Pſalmen und Motetten, wobei aber oft der Rachtheil ent⸗ ſtand, daß fie nicht genug beweglich und tief erregend waren, um die energifchen Leidenschaften hinreichend fchildern zu koͤnnen. Auf dieſer begonnenen Bahn bildete Rameau weiter und erzeugte viele Werke (bis zu feinem Tode 1764), Dir man ald die eigenen auf franzöſiſchem Boden entfproffenen Opern betrachten muß. Auch der Belgier Gretry fchrieb ganz national= franzöfliche Opern, Richard Löwenherz ift fein Epoche machendftes Werk. .

In England wurde ſchon an: den Höfen der. Maria Stuart und Gifaberh Die italienifche Mufif bevorzugt; italienische Sänger und Componiften erhielten dort glänzende Stellungen und reichliche Belohnung. : Uber dennoch. kam dort Dad Schaufpiel, emporgehoben durch den großen. Shafefpeare, früher zur höheren Ausbildung ald Die Oper. Im 17. Jahrhundert vermehrten ſich die Italiener noch mehr und hatten alle Runftinflitute in ihren Händen. Aber auch der Frans zoje Cambert brachte 1673 in London feine Opern zur Aufführung und. erlangte großen Beifall, den aber die Italiener zu ſchmaͤlern ſuchten und auch zulegt jeine Werke von der Bühne verdrängten. Daſſelbe Schidjal witerfuhr, wie ſchon ges fagt wurde, unferem Sändel. Die deutfche Oemuüthötiefe der. Empfindung fonnte fich nicht neben den füß einichmeichelnden Melodien der Italiener Buononcisi und Attilio auf der Bühne erhalten: Die italienischen Componiſten behielten mit ihren Werken die SBriorität und die Herrichaft auf der Bühne zu Xondon. Des engliiche Volksgeiſt bat einige der ‚größten Dichter der neuen Zeit erzeugt; deren ‚geniale Beifteöthaten allen Nationen als Ideale dafichen für ewige Zeiten; dieſer englische Volksheiſt erfand auch die größten bewunderungswürbigften Mas ſchinen und hob alle Induftriezweige zu einer nie geahnten Höhe empor, aber geniale Tondichter wurden dort bi jegt nur wenige erzeugt; Henry Burcell, geboren 1658, und Th. Arne, geb. 1710, find in jener Zeit Die Epoche machend⸗ fien Gomponiften in England. Sie führten in ihren Opern fehr viel Volkslieder ein, vorzugäweife die tief gefühluollen elegiichen Lieder dev Schotten; hierdurch beförderten fie wejentlich das nationale Geiſtesleben und brachten es in den Kunſt⸗ werfen zur Darftellung. : Da ben Engländern ein, fehr tief empfindendes Ge⸗ mütböleben als weientlicher Eharakterzug zu eigen if, .jo haben fie audy in der Liedeompofition Producte erzeugt, Die den roheften Menjchen mit wunderbarer Kraft ergreifen und bewegen. Ich erinnere hier nur an bad in neuefter Zeit von Flotow entlehnte Lied, die legte Roſe, und an die jchottifchen Lieder, welche Beeihoven bearbeitet hat.

Das 18. Jahrhundert Hat unter allen europiiſchen Nationen die höchſtbe⸗ gabteſten Geiſter in Kunſt und Wiſſenſchaft erzeugt. Das freiergewordene Welt⸗ leben, das nicht mehr fo despotiſch von ſinſteren Schwärmern beeinflußt und bes herrfcht wurde, jo wie die längeren Friedensperioden, in denen die zerflörende Bwietracht der Glaubensfpaltungen nicht mehr alle Gemüther zu Haß und

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lien, * gen ſuchten. Sie Haben uns alle in ihren hen ul veich an inniger Gefühlstiefe und Zartheit der Empfindung bewunderungswüͤrdig blei⸗ ben für viele Jahrhunderte; auch ihre Harmontſirung und Inftrumentation ift einfach dem pfbchologiichen Charakter gemäß erdacht. Es ertönen zuweilen einige melodiſche Phraſen, die ung jetzt als veraltet Klingen, aber diefe Zahl ift

nicht groß. Wo fie gute Terte, oder wenigſtens einige vortreffliche, poetiſche Scenen zu componiren hatten, die fie zu begeiftern vermochten, da haben fie auch dramatifch-wahre Tonfituationen gefchaffen,. die die ausgeſprochenen Gefühle der Dichtung malend fchildern; wo aber die Boeten nur alte millionenntal abgedro= ſchene Nedendarten aus der Mythologie oder ans dem Alltagsleben brachten, da fann man die Tondichter nicht verdammen, wenn ehe sau ten im Widerfpruch fand. 00 po In der Mitte des ee

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Geiſt and Charakter in der Zoukunſt. 143

virtwofenhafte Kongeflingel in feiner Geiſtloſigkeit fehr mißflel; er ſelbſt ſchrirb erſt viele Opern in dieſem ſchimmernden Stil der Geſangsvirtuoſttät und erntete auch großen Beifall, aber in ber Länge der Zeit entſtand in ihm der Gedanke, baf dies nicht Die rechte Bahn der Kunſt fei, fondern ein Abweg der Geiſtesver⸗ irtung. Das gründliche Studium der großen Tragödiendichter Briechenlands beſtaͤrkte ihn in feiner Anficht und er befchloß, die falfche Bahn zu werlaffen und ben zu geben; der zur echt dramatiſchen Wahrheit führt. Jeder Leſer

wird ſchon ahnen, daß ich Hier den hochderehrungewindigen Chriſtoph Gluck be⸗ zeichne.

Wie aber alle falſchen Geiſtesrichtungen im der Culturentwidelung der Bölker ſtets das Gutt veranlaſſen, daß nach ihrer Ueberwindung durch beſſere Einſichten die Irrthuͤmer um fo klarer erkannt und von der reinen Wahrheit gefonbert werden, fo brachte auch der Bildungsgang der Oper durch die falichen Abwege ein gleiche® Mejultat hervor, denn als Gluck in der Vorrede feiner Oper feine Srundfäge einer richtigen und wahren Kunſtanſicht ausfprach und Diefe Theorie praktifch durch feine Werke als Wahrheit bewies, da wfannten fle alle intelligenten Männer als ſolche an, zollten ihm reichlichen Beifall und be⸗ Hagten e8, daß noch fo viele Componiſten dem geiftlofen Virtuoſenthum als kleinliche Sclaven huldigten. Aber doch hat auch biefes Virtuoſenthum ber Sänger das größte Bildungsmittel für das muflkalifche Drama abgegeben. Rachdem e8 erkannt worden war, daß die Virtnoſenkuͤnſte der Sänger nicht vor⸗ zug@weife die Hauptaufgabe für die Oper fei, kam man aber auch zu der richti⸗ geren Einficht und befieren Erfenntniß und bemerkte, daß biefer Reichthum ber Birtuofltät in Coloraturen, Trillern und Baffagen aller Art uns zahlreiche Mittel zum höheren bramatifchen Zweck darbieten. Der Eluge und intelligente Eomponift muß alfo diefe vielfach gebotenen Mittel richtig verwenden und jede eigenthämliche Goloratur nur da einführen, wo file von ber Seelenftimmung gleichſam durch fich felbft heraußgeboren wird, wo aljo die vom Dichter geichils derte Situation ganz unwillkürlich Diefe Tongebilde fingend erzeugt; nur dann find fie das richtig wahre pſychologiſche Austrudsmittel. Dies hatte Gluck exe kannt nach vielen Jahren der Irrung, und als ihm im. Breifenalter die Wahre beit offenbar wurbe, da verließ. er den Irrweg und erſchien ald Reformator.

Schladebach Hat in feiner Geſchichte der Oper im 1. Bande diefes Werkes Seite 416 Gluck's Kunftanficht ausführlich mit feinen eigenen Worten citistz dort findet der Leſer Die Geiſteaklarheit des Wollend ausgeſprochen und er hat in den fpäteren. Opern ausgeführt, was er fich zum Biel gefegt hatte, nämlich, die Oper zu einem wahren Drama zu geftalten, in dem die Muſik die Gharaftese und deren Gefühlsleben in Tönen mit logiſcher Raturwahrheit ſchildert. Man denfe nur an den hochbedeutungsvollen Ausſpruch Glucks: „Niemals Habe ih auf Die Erfindung eines neuen Gedankens Werth gelegt, wenn er nicht von der Situation felbfi herbeigeführt und dem Ausdrude angemeffen war.”

An dem Dichter Gafalbigt erhielt Gluck einen Poeten, der ihm ein wahr⸗ haft lyriſches Drama durch Die „Alceſte“ ſchuf, in dem die Sprache des Herzens

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daß es nicht noch höher werden fann. Die Nachfoiger und Nach⸗ Ma BE u a tar, nichts weſentlich Neues. Es verhält ſich hier ganz jo, wie in der Poefle.

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einen neu errungenen Ideengebalt. 4. Or rer ee Auch in der Tonfunft erfchien wieder ein neues Ideal nach den Klafjikern; Mozarı!d Don Iuan enthält hiervon ſchon die Ahnungen; es ift das romantüjche Ideal, was bie Geifterzüge in dieſer Oper andeuten. Bevor ich zu Diefer Kunft- geftalt übergehe, ſchreibe ich aber mod) einige Bemerkungen. über das klaſſiſche RE NEE REN "au nina burn

Die Inftrumentalmufif kam im Verlauf der Kunſtentwickelung gleichzeitig ait:dep Weiterauäbifbung. der Oper zur höheren Vollendung, Die Duveriure

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Darſſellung bringt, Hört, fo Menf Dice munerbare Ruf Es iſt nur wenigen Tondichtern ähnliche Situationen zu An Ha nen! © Aber micht alle Tondichter Dee Set Beraten Die Xrrnaungslelden * med blühen ja noch fo viele andere ſchoͤne Erdenblumen, die unſeren ae eg —— immelöfreuden —— der in der Reftaurationdgeit, wo bie gedruͤctten Menſchen wieder frei aufathmeten, dieſe erfteulichen roh 1 Dit ‚wundervoll; ärtfichen unb-Kiebreichen Melodien. mit ihrer füblichen Gefühlägluth beyauberten alle Menfchen jung und | Hn{RHIeGen Wer eVePL mit ihrer, ——

gramvollſten Melancholiker von ihrem ſtummen Schmerz

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* dnseerpieuchdeguen tan der deutſchen Nation ausgefingen Marfehner's und Lindbaintner's Geifter-Opern erhielten auch günftige Erfolge, befonders ber Hans Selling und Bampyr, er De ee Dies war ber Zeitgeiſt/ der ſich im er ten Muſik während der fogenannten Meflaurationggeit In den 36 Jahren kommen noch andere Situationen des Lebens durch die Tonkunſt zum Ausdruck Der allgemeine Weltſchmerz, der ſich fo vieler Geiſter bemaͤchtigte, und die zahlteichen individuellen Herzensſchmerzen über getäuſchte Hoffnungen nnd vergeblich erſtrebte Ziele, ſtlmmten viele Dichter und Componiſten immer trüber und rüber zur Traurigkeit und Tovesjehnfucht: Vincenz Belkin jang im tiefge⸗ fühlsollen Klagen und elegiſchen Trauergeſängen diefe Seelenfieder in feinen Opern aus; Romeo und Julie, Norma und die Unbefannte ſchildern uns die iehmerzlichen Leiden der unglücklichen Liebe, die Über Das Grab hinausreicht und Aus deren Funmervollen Thränen die Trauerblumen der Etinnerung emporblür ben. Die Sentünentalität wird jege eine wahrhaft hertſchende Geiftesftimmung in allen europhifcpen Ländern, Sanartine, Lenau, Chopin und R. Schumann

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J —— jene Erſchelnung in der Opernmuſit ſeht mächtig hervor, die ich ſchon oben beim 17. Jahrhundert beſprochen

Geiſt und Eharatterin der nt. 11

eeliienm: Bebanken zur Darftelläng bringen. Alle Wiederholungen ber Worte Vewie Die Geſtaltung ber früheren Arbten, hören. u. f. w. find nach Wagneris Anſicht der dramatiſchen Wahrheit hinderlich. Die früheren Opern wären m issre Maradeſtuͤcke für Die Sänger. Im Drama der :Beifunft, wie ex durch steht Wende Hegründen will, müffe der Birtuofenunftnn der Sänger verſchwinden, Fe follen nur. die Worte: deutlich und klar deklamiren, wie e8-bie alten Wriechen in aihren Tragödien thaten. In Diefem Zukunftodrama müßten alle anderen Miarſte nur Dienerinnen werden und als Sonderkuͤnſte in ihrer Sonderſtellung verſchwinden. Auch das biäherige recititende Schauſpiel werde als eine unnolle lonmmene Kunſtgattung durch fein Znkunftödrama con der Bühne ‚verdrängt werden. Er ſpricht noch andere Anſichten aus, Die und ax feine geſunden Menſcherver ſtandezweiſeln laſſen; ich will die unfinnigen Phrafen,,: womit ar wvinigen :termtniglogen Mufifeen: imponirt hat, hier micht citiven. Ein Kunſtlri⸗ sißen fagte neulich: wenn doc; Wagner nur lieber: componirte als ıfehriftflelierte, dadrüch würde. Boch :wenigftend nicht fo wtel: Unſiun in Die Melt geſprochen. "it Wagners Leitungen: als Xondichter: And loft Gowenwerungäwürbig genial, wdies ſollten auch. feine Todfeinde anerkennen ; haͤne er weiter nichts als Dic Ouver⸗ diren zu Rienzi und zum Tannhaͤufer osmpenist, jo wurde 1er ſich ſchon unſeve Vochachtaug erwerben haben. Aber die Prinzipien, die er für iſein Hukunfto⸗ braune dr ſeinen Schriften aufftellt, ſind unſtenig und das Brobuft einer falſchen Weite und Kunſtauficht, die er ſich durch ein ungruͤndliches Leſen un? Misnen- ſehen angeeignet hat. Seine geveizte Mhautafle hat bei hm. das ruhig klare Ruüuchdenken und das Iogiſche Urtheilen ganz abſorbirt; Daher wird ed erklaͤrlich, daß ·diefer Mann nebst fo vielen edlen und guten Ideen auch eben: fo viel unftes ige and Lütheriche PBiyantnömen ıaußgefprochen hat.

.MWaguer will alle Coloraturen, ald Die dramatiſche Wahrheit Abrend, em Operugefung verbannen, und doch laſſen fich hunderte von Brifpielen citiren, wo Ae anjere wählen Tondichter ald bad einzig wahre dramatiſche Ausdrucko- wittel verwendet Haben; eben fo verhält es fich mit den Wortwiederholungen. Kenn einem Menſchen weiter nichts ‚geblieben iſt, alsb eine angethanue Schmach ywırädyen und er bernuſcht ſich nun in dirſen Rachegefühlen bis zur höchſten lei⸗ Denſchaſtlichen Gluth, fo wird er gewiß nicht anderd. fingen, al: „die Mache if fo. füß ‚ja die Nade, Rache, Nache ift fo ſüß. Würde a dieſes Gefuͤhl der triumphirenden Mache einfach derdeflamiren ohne Wortwiederholung, wie 28 MWagnuer verlangt, jo würde es nur eine-ganz gleichgültige und gefühllofe Phrafe werden; die Leidenfchaft kaͤme nicht zum wahren Ausdruck, wenn Daß Orchefler ſich auch in den tobendſten Figuren erginge. Ich frage jeden vernünftig Denken» De: wäßiwärde er von einem folchen Menſchen Halten, der die triumphiremben Muchrgefünhle nur einmal einfarh deflammtorifch herfagt Würde Died nicht bie tügenhaftefte und fadeſte Bhraje werden! Da diefer Menfc nur in diefen Ge⸗ fühlen lebt und athmet, da fich fein ganzes Sein und Denfen nur in dieſen triumphirenden Rachegefühlen concentrirt und ex feine ganze Individualität opferm will, um die furchtbar fchimpfliche Schmach rächen zu könnnen, fo muß er dieſe Ssidenichaftliche Seelenſtimmung auch. nur in solchen ‚wilden: trummphicenden

und-biefe ankchtigerogte Grfenfimmnung)engießt- nr in ein-einpigea on „Gnade!“ ſie hat weiter feinen Gedanken und fein anderes Wort, als i I ee

Geiſt und Eharafek-in ber Tonkunſt. 255

Bus fanfte P- dur ergießt. MoBert will ſich nicht erbitten Taffeh ;“ er muß Mare, MatE und uwerbitttich bleiben, darum ſpricht er feinen Willen air in dem einzigen anbarmhetzig Takten :Rein! Mein! Rein! aus. Daher wurden dieſe Arie To VEpoche muchend:und weliberuͤhent; died iſt doch der beſte Beweis fuͤr Die Wahrhelt des Prinzips. Nach Wagners Poſtulat laßt ſich abet eine ſolche Situation nicht eoinpoſniren. Man kannnicht leugnen, daß er In: feinen’ Letzten Opern die Tick Mrinde Geſangsform oft mit bewinderungswuͤrdiger Meiſtetſchaft zur dra⸗ matifchen- Darſtellung verwendet hat; aber trotzem kommen zei viel -Tange und langweilige Situationen vor, die die Künftler und Laien ermüben, während fie der Sanger verwirnſhi weil er nicht finger Tann and darf, fordern: mır in den hochſten wie: in den Nefſten Tönen ſprechen muß: und: war: ſo auftrengend, Daß wei den Dertaft feimee Gtiamme befürchten mif. Deshalb will ſeine eigene Nichte, Johanna Wagner, die Partien: ſeiner Oyern: nicht gern! uͤhernehmen. Abe das kümmert Wagner und jeine blinden Verehrer nicht, denn fle haben ja ſchon feit vielen Jahren gepredigt, daß die gegenwärtige Befangsart und Geſangs⸗ methode eine ganz faljche fei; und für das Zufunftätrama müßten auch die Sän- ger und Sängerinnen eine ganz andere Ansbildung erhalten, dann nur würden fie zur recht wahren Darftellung diefer Werke befähigt werben.

Die Wahl feiner Sujets aus den alten Sagen kann ich nicht gut heißen und um fo weniger, ba er doch für das Volk fchreiben will und dies fogar als eine Hauptaufgabe betrachtet; feine Dramen follen auch dem Ungebildetften Ins tereffe und Genug gewähren und er foll fie beim Aufführen verſtehen können, was doch noch weniger möglich ift, da ja dieſes Sagengebiet fo manchem kennt⸗ nißreichen Banne fremd iſt! Ich will hier Wagners Prinzipien und feine Werke nicht fpecieller kritiſtren und nur als meine Befammtanflcht auöfprechen : daß er eben fo viele Hochbewunderungswürbige Tongebilde in feinen Opern gefchaffen, wie er in feinen Schriften Irrthuͤmer auögefprochen hat. Aber dennoch iſt unfere Beit reich an großartigen Werfen, troß den vielen Verirrungen unklarer Köpfe, die ja früher noch häufiger waren als in der Gegenwart. Das alte Lamento über den Verfall der Tonkunft ift ganz lächerlich und muß gar nicht beachtet wer» den. Linfere befjeren dramatifchen Opern bieten uns einen Reichthum von Ideen und Gedanken in ben ebelften Schönheitöformen dar, wie ſie Feine frühere Kul⸗ turperiode fah. Das romantifche Ideal, als Nachfolgerin des Flafflichen, - hat das ganz unermeßlich weite Gefühls- und Gedankenleben der Menichheit durch die Tondichtungen zur Darftellung gebracht. Hierdurch wurde jene fchöne Pla⸗ ftif des klaſſiſchen Ideals, das durch Haydn's und Mozart's Werke feine höchfte Vollendung erhielt, überfchritten, denn der Geift der Neuzeit fehnt fich in die Unbegrenztheit und erftirbt nur in raftloß thaͤtigem Streben ; aber e8 wurde durch dieſe Ueberſchreitung ein viel tieferer und weitumfaflenderer Ideengang und reiche res Befühl&leben ausgeſprochen, welche in der früheren Periode nicht vorhanden waren. So mußte diefe mächtigere Geifteöftrömung auch die alten abgegrenzten Formen erweitern und zu neuen Geftalten umbilden,, auf daß auch biefer roman⸗ tifche Geifteßgehalt in neuen ihm angemeffenen Formen erfcheinen konnte. Denn jede neue Geiſtesſtimmung bildet fich auch ihre eigenthümlichen Ausdrucksweiſen.

Daß aber dieſer ungefefjelte welsftürmnde Kampf colloſſaler Leidenſcheften ich auch zuweilen in unaͤſthetijchem Toben auswüthet, laͤßt ſich nicht Jeuguen; denn «8 ift ſehr ſchwer in den aufgeregteſten Seelenſtimmungen den Grenzpunkt zu be⸗ Rimmen, ber nicht überfchristen werben darf. Maß und Biel zu Halten, auch in pen tobeuditen Sturmen ber Leidenſchaften, iſt eine der wichtigen Aufgaben für jeden Tondichter. Nur wo ber denkende Geiſt die braufenden Wogen der Ge⸗ fühle und Empfindungen auch in ben wüthendſten Stärmen ber wilden Leiden⸗ ſchaften beherrſcht, wie ‚ver kundige Steuermann Das Ruder in-den flürmenden Meereswellen, nur da wird ein meiſterhaftes Kunſtwerk erzeugt, welches Jahr⸗ tauſende hindurch klaſſiſchen Werth Für-alle kommenden Menſchen bat und auf hie Bildung Ber Sitten veredelnd einwirkt. Denn dem hohen weltgefchichtlichen Mldungsgang der Monſqiheit zu befordern und bie Sitten gu veredeln, If die hoͤchſte und winbigfle Beſtimmung für die Tonkunſt.

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rn ar hen a ſche Nationalbantin Wien und die & Hauptbanfin Berlin. Wir beginnen mit der erftern, auf welche ‚gerade im jegiger Beit die Blicke der deut» ſchen Gefchäftöwelt gerichtet ſi 1m v9 m mn

Die dfterreihifche Nationalbank ward im Jahre 1816 von der Staatsregierung gegründet, bie dabei zunächft den Zweit im Auge’hatte, das im

Werthe gefunfene Stantöpapiergelb: (die jogenannte Wiener Währung) aus dem

Verkehr zu ziehen und. den Geldumlauf durch Ausgabe gut fundirter und, jeder» zeit einlößbarer Notem zu regeln. Die Bank jollte alfo einerjeits ald Requlator des Geldmarftä wirken, andererſeits aber der Staatsverwaltung ald Werkzeug

zur Wiederberftellung des durch die Kriege zerrütteren öffentlichen Kreditweſens bienen. Diefe doppelte a ee —— Charal · der Bildung des Banffapitals. er fl. in Wiener Währung und 100 fl. in Silbermünge eingegahlt werben. Die Papier» geldbeträge. zog die Negierung ein und ftellte dafür der Bank 2'f2-progentige Staatöfchuldverfchreibungen aus. Diefe Obligationen bildeten das Stammka- pital der Bank. Die Einlöfung bed Staatäpapiergeldes gegen Banfnoten dauerte mit einer einzigen Unterbrechung (18171820) bis auf den heutigen Tag fort, und wurden auf diefe Weife die alten Scheine bis auf einen geringen Reſt aus dem Verfehr gezogen,. Die Bank erbielt dafür: theils 4 prozentige, tbeild

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Miet wefetihärenieigpenii Din She 1856 belief ſich das eingezahlte Ka⸗ pital auf 103,126 Millionen Gulden. In demfelben Jahre vergrößerte die Bank wiederum ihren Wirkungokreis durch Gründung einer befondern , mit 40 Millionen Gulden dotirten Abtheilung für den Gypothekarkredit, welcher bie Ausgabe von Pfandbriefen bis zum Berrage von 200 Millionen Gulden peftat- tet iſt. Die Baareinlöjung ber Noten, welche im November v. 3, begonnen hat und am 3. Januar zur vollendeten Thatſache geworben iſt, wird allmälig die ee und dem Silber wiederherftellen. Die Haupt

gkeit der Valutenregulirung beſteht indeflen in der Erſehung der einen ee ea Silber, weil eine Konkurrenz der uneinlöäbaren alten Noten mit den einlösbaren nenen ganz unmöglich, eine Herbeiſchaffung der zu jener Erfegung nöthigen Silberſummen durch die Nationalbank vorläufig unausführbar iſt. Die Finanzverwaltuug hat daher / unterm 26. Dezember vers ordnet, daß Die auf Konventionsmünge Tautenden; Noten zu 5,2 und I fl. durch nene 1 fl. Noten öfterreichiicher Währung erjegt: werben, welche jo Lange ben Dienft der Ausgleichung im Kleinverfehr vermitteln, bis Silber genug im Vers kehr sein wird, um ditſes Bedürfniß zu befriedigen. Die neuereit fL-Noten haben Zwangskurs und müffen vonder Banf jederzeit auf Verlangen gegen Sil⸗ nung vom 30. Auguft v. J., daß der dritte Theil des umlaufenden Betrages

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BR. darın ale —— —— * ei definitive Auseinanderfegung zwifchen ihr und dent Staate > der lehtere feine Schuld * den aan —*

tgensr ee Fe ee —* archie eingewirkt haben, die volle Gewähr eins geordneten X ed ch fenicen Gries wma nur der Staat durch ganzliche San: y ber Borberungen der Banf zu geben. Und auch dann erſcheint es och im mer ſeht fraglich, 06 e8 der Vant in Zufunft möglich fein wird, ‚die Je‘ —————— iſt nicht allein der Staatsberwaltung durch manıhafte ; we. und anderweitige finanzielle Bermittelungen zu Huͤlfe —— fie | v Zeit der politifchen Wirren, ae ee öfterreichiihen Handels und Gewerbeſtande mehrfach außerordentliche Unter igun, ng gemibrt. Auch, diefe Vorſchuſſe find bereits bis auf den Reſt von d. Gulden zurüdbezahft worden. Die Natlonalbank Hat ferner der im ——— rt

Deutfchlands Bankweſen. 163

meine deutfche Bünzvertrag ind Leben getreten, und es ſteht nun eine weitere Konſolidirung der Verhältmiffe zu erwarten.

Im Anweifungsgefchäft, das Hauptfächlich durch ten Verkehr ver Sauptfladt mit den Kronländern hervorgerufen wird, betrug der Umfag des Jah⸗ res 1848 über 63 Millionen Gulden. Nach Unterbrechung des Verkehrs mit Ungarn im Jahre 1849 ſank der Umſatz auf 34/4 Millionen Gulden herab, flieg aber feittem ununterbrochen bis zum Jahre 1855, wo er die enorme Summe von 154 Millionen Bulden erreichte. Dann folgte eine raſche Abnahme; im Jahre 1856 ging er auf 109 Miltionen und 1857 fogar noch weiter zurüd.

Dagegen erfcheint ta8 Estomptegefchäft im fletiger und ſtarker Zus nahme begriffen. Es ijt dies bekanntlich derjenige Gefchäftäzweig, von deſſen Entwidelung und Ausbreitung Dad Gedeihen einer großen Kreditbank vorzugd« weife abhängt, der die eigentliche Grundlage ihrer Eriftenz bildet. Die Dis Tontothätigfeit der Rationalbant hat fi nun aber in den legten zehn Jahren mindeftend verdreifacht. Sie war freilich zunächft durch die für dieſen Geid,Afts- zweig verfügbar bleibende Summe bebingt, da bei Dem von der Rationaltant feit dem Jahre 1833 feftgehaltenen niedrigen Zinsfuß von 4 Prozent die An⸗ forderungen an die Leiftungsfägigkeit der Bank die Möglichkeit ihrer Befriedi- gung gewöhnlich überftiegen. Die disfontirten Summen erhielten ſich daher in den erften fech® Jahren (1848— 1853) ziemlich gleichmäßig auf der Höhe von 200 bis 230 Millionen, und erhoben fich erft in Folge der beträchtlichen Vers mehrung des den: Wechfelgefchäft gewidmeten Fonds und der Errichtung von Filial⸗Eokompte⸗Anſtalten im Jahre 1854 auf 325, im Jahre 1855 auf 414 und 1856 auf 436 Millionen Gulden. Wenn man die diskontirten Central⸗ kaſſenanweiſungen in Abzug bringt, fo hatte Die Nationalbank einen Wecyjelvor- rath von 24 Millionen Gulden zu Ende 1848, von 86° Millionen zu Ende 1855 und von 79 Millionen zu Ende des vergangenen Jahres. Demnach wa⸗ ren diefem Gejchäft zu Ende 1848 etwwas über 10 Prozent, Ende 1855 beinahe 23 Prozent und Ende 1856 etwa 22 Brozent des Betrages der umlaufenden Banknoten gewidmet. Das Wechfelportefeuille der Bank ift fonach jeit dem Jahre 1848 auf das Dreifache geftiegen.

Daß die Bank erſt 1855 im Drange der Umftände ſich entfchloffen hat, ihr Aktienkapital zu vermehren und Filial-Estompte-Anftalten zu errichten, ſcheint und ein fchlagender Beweis von der Kurzſichtigkeit und Schätlichfeit des Bank⸗ monopols zu fein. Denn gerade diefer Vergrößerung ihres Geſchaͤftokreiſes ver- dankt die Nationalbank den großen Aufſchwung ihrer Diskontorhätigkeit und Die fleigenden Lieberfchüffe des Geſchaͤftsertrags. Andererfeitd kann man nicht um« bin, fich über die verhäftnigmäßig geringen Fortichritte zu wundern, welche daß Eskompte⸗Geſchaͤft am Gentraljige der Bank gemacht hat. Bei dem Aufſchwung der Wiener Verkehröthätigkeit ift es kaum glaublich, daß die Anſprüche an das einzige Kreditinftitut nicht riefenhaft zunehmen follten. Wenn deffenunges achtet die Leiſtungen des Wiener Disfonts beinahe ftationär bleiben, fo muß offenbar ein Theil der Anfprüche zurücgewiefen, b. b. dem Publikum ein Theil der Dienfte, die ed von dem privilegirten Inftitute erwartet, verweigert werben,

11*

Deutſchlanbe Bankwefen. 165

fotberlichen Summen zur Verſtaͤrkung des Gefervefonds und zur Vertheilung unter die Wetionäre beſtimmt if, belief ſich im Sabre 1848 auf 5/3 Million, erhob ſich bid zum Jahre 18506 auf 6"4 Million, verminberte ſich in den Jah⸗ zei 1832 und 1953 um beinahe 2 Millionen und erreichte in Folge des gewal⸗ tigen Auffchwungs, den bad Kreditgeſchaͤft mit den ermelterten Betriebsmitteln nahm; im Jahre 1956 die Höhe von 7,571,490 Gulden. Die an die Aktionäre gezahlten Disfbenden betragen in den Jahten 1848 Bis 1852 regelmäffig 10°/6 Present, in ben folgenden drei Jahren 11*/s bis 14/6 Prozent, im Sabre 1855

16% Prozent und endlich 1856 8%/5 Prozent.

Ser vorſtehende kurze Abriß ver Geſchichte und Wirkſamkeit ver öfterreichte ſchen Natlonalbank zeigt wenigſtens fo viel, daß an die Srelle des früher drlicketiden and verwickelten Berbältnifies ded Staates zur Bank in neuerer Zeit eik mehr gevrdneter Zuſtand getreten ift. Seit ihrer Reugeftaltung , befonterd aber trach Beendigung bed orientalifchen Kritges, bat die Bank fich mehr und mehr efner regelmäßigen Geſchaͤftothätigkeir gewidmet. Gelänge es ihr, nad Ablauf bed euer, am 26. Dezember v. I. geſchaffenen Proviſoriums mit ten in Ausſicht geſtellten Mitteln die Echufd des Staates leidn und fchmefl zu reali⸗ ſtren, ſo wäre ſie fofort der prekaͤren Lage entriffen,, in der fle fich nun ſchon cin Jahrzehnt hindurch befindet, Angenommen aber auch, biefer guͤnfrige Fall träre witklich in nicht gar zu ferner Zuknnft ein, fo waͤre daburch die Heilumg dr& Kexboſchadens, am weichen das öftertrichtfche Ktebitweſen leidet, wicht im Ge⸗ ringften erleichtert. Was Oeſterreich zu feiner ſmanziellen Geſundung bedarf, ifl, um es kurz zu fagen, die Dezentralifation des Bankwefens. Das Monopol der Nationalbank iſt ed gemeien, welches die Möglichkeit und den Wet; bot, das öſterreichifche Geldweſen dadurch zu ruiniren, daß Staatsſchulden in ver verbluͤmten Form von Bankaoten kontrahitt, die Adern des Verkehrs matt meintööllbem Papiergeld überfüllt und des Edelmeialls entleert wurden. Bad Monvpol jener Bank iſt es jetzt, welches die Wiederaufnahme der Vaarzahlumgen und die Wiederherſtellung der Valntenverhaͤlmiſſe zu vinem eben ſo gewagten, als koſtſpirligen Unternehmen macht. Die nenetn öfterreichiſchen Bank⸗ umb Finanzreformen haben in anderer Hinficht ſehr viel, in diefer gar nichts gethan; ſte haben ſogar ein zwrites Monopof, das der Kreditanſtalt, geſchafftn, welches zwar dem der Ralonalbauk in mancher Beziehung Konkurrenz machen mag, ti Weſentlichen ſich jeboch auf einem ganz arberen Gebiete berhätigt. Eine Entmv⸗ nopolfttung und Dezentraliſirung des Bankweſens fr Oeſterreich iſt der drin⸗ gend nothwendige Schritt, der zur Vervolffländtigung der wirthſcherftlichen Re⸗ formen in jenem Stante tiber kutz oder lang getdan werden muß.

Die preußiſche Bank Hat fich aus beſcheidenen Anfängen zu einer große Artigen, mit weitreichenden Privilegien und Bitten ausgeftatteten Eentralanſtalſt entwickelt. Bon Friedrich II. im Jahre 1763 gegründet, diente ſte in der erſten Zeit ihres Beſtehend als reine Swatsanſtalt den Aufgaben der flaatlichen Wirth- ſchafts⸗ und Finanzpolitik, bie, wie man damals annahm, ihren eigentlichen Be⸗ ruf Hilteten. Sie erſchien ald ein Zweig der Efrarövermaltung und theilte das der deren Schickſal, als nach der Kataſtrophe von Jena ber Feind verheetend ind

1 gegen 8 Mill. im November 1955, die Wechſelbeſtaͤnde 607° mn in Ban der Notenumlauf 68 00 Eee

28. Januar Hatte offenbar feinen anderen Zweck, als bie

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DEE nr ee des Vertrags vom 28. Januar, namentlich die manlofe Ausdehnung des Notenprivilegs und die weitere Erhöhung des N en

drichs des Großen zu einer ſchrankenlos fchaltenden und weithin herrichenden Nationalbank ich ausgebildet hat, Die von der Staatöverwaltung ihre Tendenz und von dem betbeiligten Publikum ihre Kapitalfraft empfängt, Das vielge— priejene Schup und Monopolfsften iſt alſo auch int Preußen, To weit hier vie merfansilen Verhaͤltniſſe es zuliehen, auf dem Gebiete Des Bankweſens zur Herr fihaft gelangt. Es tritt und bier mit der engelreinen Diene eines Wohlthäters entgegen ;-indeffen werden wir, eingebent bes Biblijchen Gebois, üm feinen Früch⸗ tem zu erkennen ſuchen, weſſ Geiſtes Kind es iſt. Sehen wir daher zu, wie die Bank ihre mächtige und einflußreiche Stellung benuht hat, um den Geſdumlauf wa regelt, Handel Weir) G lsrfnitigen arte

oh BEER iR und bit Wechfelfnrfe de’ Barifland‘ weit äßee

Deutfepunts Dauueſen. 169

fihritten: ‚Dennoch behielt bie Bil den ulebtigen Diekonto von d Prozent bet, während derſelbe In Paris und Zudem V Pretzent beerug and in Hamburg vom übergfhend ſogar auf 6% Prozent fig. Erſt am 7. Rovencber ırhößte bie Daut ihren Sup, abes mm um Ya Prozent. Den fſorthauernden Silberabfluch wud ber durch die Frirdensausſichten gewediien Gyekulatiensluft zu begegnen, ſchritt fie endlich au 7. Januar 1856 zu einer weiteren Didtentserhöhung, die - jedoch wirverem tur !/a Peogent betrug umb daher olme Erfolg blieb. Wahrend tiefer Zeit. behaupteten die Wechſelkurſe ihren hohen Stand, ein untrüglichte Zeichen, daß die Hanbelöhilan; fi ungünſtig ſtellte. Die Bank, follte man meinen, hätte ſich dadurch nesanfapt fehen nkffen, ihre Gorfkdtemahregein Bf Zeiten gu treffen und ben Unternehmungsgeift in Schranken zu halten. Sie zog 08 indeſſen ver, die gefährliche Richtung zu begünfiigen, in weicher der allgeimete GStrom fich bewegte. Durch allzuleichte Darlehnögewährung ſpornte fie den Eifer des Syehulesion, Matt ihn abzielählen,, und legte fewmit die erſten Keime zu dar naigfelgenden Krifls, Der willkuͤrlich niedrig gehaltene Ziasfuß erzeugte eine Ueppigheit des Geldnarktes, bie in ber Agivtage und in den flunloſeſten Aus- ſchweifungen Saͤttigung fuchte. Dies war indeſſen nur das Vorſpiel der ver⸗ heereadru Hriſio, weiche bie preußiſche Vant, wenn an unbewußt und unabfidyte sh; herbeifuͤhren half.

- Mit dem Frieden kehrte dab Bertsauen auf die Zakunft wirbt, eine neue Epoche des Gluͤcks und des allgemeinen Aufihwungs fchien fich dem Unternch⸗ mungöpeift zu eroffnen, Der: Drämg nach dan lange entörhrten Gewinne führte das Hürifige Napital In Das Unger der Spefulation, bie ich fofert wir friſchen Ruiften: in eine Strudel son Umernehmungen flürzte, um der Agiorage kınarer mac Nahrimg zugufichren. Die Bapterkurie, underfchteoeioh in die Oohe gerthes ben; fltigerten momentan die Raufbefühlgung des Markees und welsten die Kauf⸗ MR 26 Publikuma. bes ungeachtet der anicheinenden Lrichtigkeit, imit welcher ed de Syelulntion gelang, eime zihllofe Menge neugeſchaffener Quittungebogen und Allienpromeſſen auf den Markt gu werfen und mit anjelmiichem Gewinn letzaſchlagen, Sagen doch Die Elemente eines. finanziellen Krifis uns Dem ige“ weinen Syvttulationoſcwindel wie Feuer unten ber Aſche verborgen, wnd-iıt De Maße, als der Heitpunkt des Einzahlungen herannuher, vermehren fich duch Die Beldverlogenheiten.. Die Mehrzahl der neuen Umernehmcungen berichte nicht auf verilea Kapitalbeſitz, fondern wurde von den Spekulanten nut Ind Werk ze⸗ fee, um den fegeannten Gründerlohn einzuſtreichen und am Agto Ju verdienen: Die wesen Papietläufer jpefulirten gleichfalls nur auf die Hauſſe, und da das Publilkum in dem Wahne befangen wat, daß hinreichended Kıpizal zu den neuen Unternehmungen vorhanden ſei, ſo folgte es blindliags den Lockyfrtſen der Spe⸗ lulamten. In dieſer gefaͤhrlichen Taͤuſchung warb eb leider darch Die Michregeln der Banf benärkt, die lediglich auf Grund ihrer ımbefchtäntten Befugniß, Noten m emittiren und als ſiheinbares Kapital in Umlauf zu ſetzen, während dieſer ganzen Periode einen niedrigen Zinofuß auftecht erhielt. Für ein Organ dei Ruatlihen Wirthſchaftopolitik, und ein ſolches Foll ja Die preußifche Bank fein giebt es, jolkte man meinen, keine wichtigere Aufgabe, ale ben Kriſen durch eine

Shaler ren —* nur ber Befit mächtiger in den —— —2—2———

einzuwirken. a ea year erden a

17T „DI Sn Anfang a den Benfica

| ——* | der Banf vermehr⸗

—⸗ 14 Millionen, die Rombarbdarlehne um Da Mill,, beide zus fanımen innerhalb fünf Monaten um 25 bis 26 Millionen Thaler, und in dem⸗ jelben Maße ſtieg der Notenumlanf. Die Spekulation benutzte natürlidy die fo bereitwillig dargebotenen Mittel der Bank, um fo lange als möglich bie Kurſe zu halten. Die Börjenftimmung ward indeffen mit jedem Tage flauter, bie Haufe erlahmte, ein Stillftand trat ein, und bald begann ein allgemeines Sinken —2 Die gedrückte Lage des Geldmarlis bereits im Juli an ganz unzwei⸗

nee AT Die Disfontoerhöhung, dieſer ſchon längft von der Klugheit gebotene Schritt, wäre

DentſchlauBarlwefen. in

noch im. Mai oder Juni ein Verbengungsmittel geweſen eder Hätte wenigſtens Die. Crploſon befchleunigt und dadurch her Krifie den Eharakter ‚eines akuten, ſchnell verlaufenden. Kraukheit aufgeprägt..: Im September Dagegen kam bie: Maßregel viel. zu ſpaͤt und hatte keine anders Wirkung, ald daß fie das Uebel verſchlimmerte, deſſen Fortwuchern eine verkehrte Bankpolitik begämftigt hatte. Man jah die Maßregel nur ala: eine Vorlaͤuferin ähnlicher uud weiter greifender Maßregeln an, die Bahn zu einem täglich wachienden Mißtrauen war geöffnet, umd wie e8 gewöhnlich bei folchen Belegenheiten.geht, man-fiel con einem Ex⸗ trem in das andere. Alle Dörjenpapiere, ſelbſt Die volleingezahlten Aktien alter bewährter Eifenbahnen- ober Bankinſtitute wurden wit deu Promeſſen und Quit⸗ tungsbogen der neugegrünbeten Aftiengefellfchaften im eine Kategorie geworfen. Die Bant fügte endlich ihren bisherigen Verfäumeniffen und Mißgriffen noch den weiteren Fehler hinzu, daß fie im Oktober, alfo gerabe in einer. fchweren kriti⸗ fügen Periode, ihre Sicherheiten betraͤchtlich vernrinderte. Wir haben bereits in unferem: erfien Artilel darauf aufmerkſam gemacht, daß .fie durch dieſen unliber- legten Schritt geradezu die Gefahr einer NRotenentwerthung beraufbeichwor, und bei dem damaligen Staude der Dinge reichte ſchon die Möglichkeit- einer folchen Kalamität voflfommen bin, um fofort eine allgemeine. Kreditloſigkeit und den Ruin aller Geldoerhaͤltniſſe herbeizuführen. : Südlicher Weiſe gelang es der Bank noch in der elften: Stunde, durch koſtſpielige Silberbezüge ihren Fehler wieder gut zu machen. Die befchräntenden Maßregeln, welche ſie nach und nach aber immer zu. Maͤt ergriff, ‚um der Krifis, bie ſie ſelbſt in thren primären Ur⸗ ſachen mit verſchuldete, heumend entgegemgutreten, hatten gerabe bie entgegenges fegte Wirkung. Sie flörten den ruhigen Verlauf der Kriſts, vermehrten bie Beftigken und Büsertigkeit ihres Charakters und trugen bie giftigen Wirkungen ber. Krankheit anf Theile des gejellfchaftlichen Organismus Aber, bie von ber Anftedtung frei geblieben waren. Die Bankrefiriktionen äbten in Verbindung mit der berrfchenden Geldnoth einen wahrhaft laͤhmenden Einfluß auf Handel und Gewerbe aus. . Die Schläge, weldye die Bank anstheilte, fielen fonach mit doppelter Härte auf diejenigen, welche mit bem Aktienſchwindel nichts zu thun gehaht und nun doch den Druck der Umflände zuitragen hatten oder wenigften® empfinden mußten,

. Betrachtet man unbefangen Das Benehmen der preußiſchen Bank wahrend der Spelulationaperiode von 1866, ſo muß man geſtehen, daß die Bank ihren Zweck, als Leiter der kommerziellen und induſtriellen Bewegung zu dienen, nicht erfüllt hat. Durch ihre Privilegien und ihre Verbindung mit der Staatsregie⸗ rung zu falichen und unzeitigen Maßregeln verleitet, erhöhte fie die Kaufbefähie gung bed Geldmarktes über Gehahe und machte ſich dadurch einer Beförderung des Ueberfpekulation ſchuldig. Dann, um bie Einlößbarkeit ihrer Verbindliche kellen aufrecht zn erhalten, nahm fie plötzlich zu einſchraͤnkenden Rapregeln ihre Zuflucht, das heißt, fie forgte für ihre eigene Sicherheit auf Koften der öffentlichen Intereffen, die der Staat bei Ertheilung des Privilegiums ihrer Sorge anver⸗ traut hatte. Sie vermochte nur Kredit zu geben, während man jegt Kapital bedurfte, um die unter ihren Auſpizien gegründeten Unternehmungen ausführen

| kennzeich⸗

men. Mit den fremden Banknote warb ein ZHCALEB Mirbited.der preußhihen

Kauflente und Fabrifanten des vandes verwieſen, ein Thell der ansmwärrigen

Kundſchaft der einheimifchen Produktion eatzogen. Die vom der Maßregel be

troffenen Banfen mußten, um bie plöglich maflenbaft zurückſtrömenden Noten

a nenn betraͤchtliche Baarfırmmen aus dem Verkehr ziehen und ihre Kredite außerordentlich,

einfehränfen. "Der Schlag, welcher die lonturritenden mit doppelter Härte auf Preußen zurüd.

ungeſtraft zu

Arm verwundete der fie ſchwang. Die Verkehreflimmungen , welche dad Bers | bot gerade in einer Eritiichen Zeit Herbelführte, vergrößerten mar das Uebel, dem fle borbeugen ſollten, und verfchärften die Ausbtüche der großen Hanpelstrifts von 1857. Dem preußiſchen Verkehr wurden mir einem Schlage nngerähr 30 Milltonen Thaler erirgogan)' Diefen Ausfall ſuchte die preußtſche Bant badurch zur decken, daß fle don Ihren Emiſſtonsbefugniſſen cimen ausgedehnten Gebrauch mochte. Ihre zirtullrenden Noten vermehrten ſich binnen wenigen: Monaten

Deutialandk Baulnefen. 189

ungleich flärfer,, als die ſaͤmmtlicher deutſchen Banken in den leizten Jahren zus furnaugeworfen, Dieſen Banlın- hatte die preußiſche Meglerung onrgonerien, daß ihre Noten die Aufrechthaltung der Gilkerwährung gefähebeien. Der Wor⸗ wurf fiel jetzt mit der Wucht einer Dusch Thenſachen exwieſenen Beichulbigung auf Die preußiſche Bank zuxck, Die durch waſſenhefte Rotenausgeke hie Silber⸗ onsfuhz weſentlich srleidmente, je geradezu heförderte. Das Nebel erichien nun fa aräßer und gefahrdrohender, ala jetzt Die ungeheure Mafle son lnlaufsmisseke, welche der preußiſche Verkehr erforbert, faß ausſchlieñlich auf sim Ainzigeh Vank⸗ iiumt bafırt war, Bekanntlich, lehrt die Geſchichte des Bankweſend, daß große menppolifirte Centralbanfen untar ben heftigen Stoͤßen eruſtlicher Geldfriſen zwammanbrachen, weil fle denſelhen iſeline gegenüberſtehen. Die preußiſche Bank iſt yanı zwor auß ber letzten Kriß unverſchrt herpaxgegangen, aber fc Het Gitsere Erfahruugen gemacht und herbe Verluſte gelitten. Durch den Zuſam⸗ menſturz in den Mereinigten Staeten Rordamerikas, durch bie furchebaren Aus⸗ brüche der Handelskriſe in den nordiſchen Reichen und in Hauburg geweant, griff ſie noch dm Iepten Augenblick zu drackenden, einſchneidenden Meßregeln, um die Kinlääbarfels ihzrer Vorbindlichkeiten ſicher zu Rellen. Sie erreichte zwar di⸗eſen Aweif, aber nur auf Koſten ihrer Deyoſiten und mit Gefährdung ter ihrer Gerar übertragen Inteneflen des preußiſchen Gnnbeldr und Memexbeſtaudes. Werſen wir nun nach einem Plick auf die Bilangen der Wank, um ihr des bahren während ber Handelakriſe von 1857 würhigen zu Fianen Hier iR 26 nor Allem wieder die riefige Ausdehnung des Kreditgeſchaͤſta, bie umjere far fghitelnde Verwunderung srregt. Wem 31, Mei 1856 biB 30. Septeuher 1887 flieg das Mechſelportefeuille von 84,493,600 Thaler auf 70,113,008 Thelex. Im Dliobes begann Die große Daubelälriie. Die Vank perwinderte wahrend derſelhey ihren Votenumlauf um 8,51 Millionen Thaler. Ihre Kredie⸗

gewährungen waren } am Al. Deshr, 1856 30, Juni 1857 20, Sept. 390. Mon. Mill, Wu. Bu Mi. Mechſelheftaͤnde 44,18 62,94 DD 6224 Lombarddarlehne 13,36 11,18 10,06 10,06 Zuſamman: 57,5: 74,41 Bl,os 73,85

Cie verminderte fonach ihre Kredite im Wechſel⸗ und Lombardgeſchaͤft num Ta Millionen Thaler, und zwar zu einer Zeit, als hie unter ihren Auſpizien gegründeten Aktien⸗ und Kommanditgeſellſchaften des Kredites am uingenbiien beburften. Ihren Zinsfuß, ber nom März His Auguſt 5 Prozent betrug, erhöhte fie am 19. Auguſt auf 6/3, am 39, Sentember auf.6, am 3. Oktober anf 6%/z, am 7. Rohnembar auf 7’a Mrszent. Alſo gerade in Den ſchlimmſten Zeit ber Kriſis, ala Handel und Gewerbe ſich verzweifelnd an bie Bank klammerten und von ihr Rettung ans der Gafahr der ‚allgemeinen Krehitlefigkeit eriwaristen, ſchlug fie mit Diakontocchöhungen und Krediteinſchränkungen um fih. Mit ihren Einfchränfungen des Roteuumlaufs und ber Srekitgewährung trafen aber ungluͤcklicher Weiſe Die gleichartigen Maßregeln der deutſchen Banken zufammen. Nameutlich waren es bie kleinen, dicht an her preußiſcher Qrenze errichteten

de den veſc⸗ rüngen ihre‘ Zuflucht nahmen. fahen fi

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Rem —* ng nie pe enden her geftwttet, —** Hingegen ihnen gaͤnzlich unterſagt. Es liegt auf der Hand, wie wenig mit ſolchen von Angft und Mißgunſt dittirten Concefſtonen der Entwickelung des Bankweſens und den volkswirthſchaftl

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Deutfhlands Beuöiln. 1

Mitteln und Befugniffen diefer Anflalten ſtehen. Mehr durch oͤrtliche oder ein⸗ heimiſche Bebürfniffe bedingi erſcheinen die Bauken zu Weimar, Braunſchweig, Darmſtadt und Gotha, wiewohl auch bei ihrer Grünbug ud Ausſtattung bie Rückſtchtnahme auf den auswärtigen deſchaſtotemriet beſendere Rart ine Ge wicht gefallen iſt.

.Die Deſſauer Landesbank, die alteſte unter allen N andeutſchen Zettel⸗ Santen, warb im Jahre 1845 mit einem Aktienkapital son: 2. Million Thalern gegründet, und erhöhte daſſelbe ungeachtet des drohenden Rusenverbots im Sabre 1855.auf:4 Millionen. Die Anfalt; hart an der preußifihen Grenze, fo zu fa gen vor den Thoren Berlin gelegen und ringe von preußifchem Gebiet unge ben, enpfand den vollen Druck der preußiſchen Maßregeln, die in beſchwerlich⸗ fer Weife auf ihre gefammte Befchäftsthätigbeit Hörend und laͤhmend einwirkten. Ihe Rotenumlauf, der im Jahre 1856 ben Höhepuntt von 8,750,000 Thaler erreichte, ging raſch bis auf ein paarmalbunderttaufend Thaler herab. Die Harte Abnahme ihrer Geſchaͤfte und Ihres Gewinns, zum Theil freilich durch die Geld⸗ und Handelskriſto veranlaßt ; ‚wird. früher odet ſpater eine Reduktion des Stammkapital nothwendig machen.

‚Die. Geraer Bank, im Rovemiber 1855 mit 4 Willionen Thaler Aktien⸗ kapital conceffiontrt, erfreut fich bes Privilegiums der unbefchräntten Rotenaus« gabe und ift dabei nur an bie Bedingung gebunden, ein Drittel Baarfchaft für bie außgegebenen Roten, fo lange dieſe das eingezahlte Kapital nicht überfchreiten, und die Hälfte für. den Mebrbebarf ſtets vorrätig zu Gaben. Schon im erften Jahre ihres Beſtehens vermochte fle. ihren Rotenumlauf bis zur Höhe von 2,678,000 Thaler. auszudehnen und ihren Aktlonären eine Dividende von ie Prozent zu zahlen. Durch die Handelskriſis ward fle indeſſen veranlaft, bie Rotenzistulation möglichft zu beſchraͤnken und ihre Baarfonds anſehnlich zu ver⸗ ſtaͤrken.

des Jahres 1856, iſt mit einem Aktienkapital von 3 Millionen Thaler ausge⸗ flattet und mit der Befugniß, Noten bie zur Höhe des eingezahlten Kapitals aus- zugeben. Dagegen ift fle verpflichtet, Kapitalien bis zumi Betrage von 750,000 Thaler an inländifche Srundbefiger gegen Hypothek zu A Prozent Zinfen zu leihen. : Ihr Rotenumlauf betrug bereite-.im Grändungsjahre 2, 120,000 Thaler und die Dividende 6 Prozent. Die Handelskriſe und das Notenverbob haben

jedoch dieſem vorzeitigen Blüthezuftand ein ſchnelles Ende gemacht, und eine ans °

gemeflene Reduktion des Stammkapitals, obſchon von der Verwaltung energifch befämpft, fcheint auch bier Dusch die Umſtaͤnde gedoten.

Die Mitteldeutfche Kreditbant in Meiningen, welche bekannilich auch auf die Notenausgabe privilegirt iſt, betreibt dieſes Geſchaͤft mit einem be⸗ ſonderen „Realiſationsfond'“, ber zu zwei Dritteln in Wechſeln und zu einem Drittel in Baarfchaft iſt. Da jedoch dieſer Fond nicht als ein von der Bank ges trennte Subject und Object von Bermögendrechten anzufehen ift, fo würben bie Roteninhaber bei eintretender Infolvenz der Bank vergeblich den Anſpruch er» heben, vor den übrigen Glaͤubigern und ausſchließlich aus biefem für bie

Die Thüringifche Banf zu Sonderäfaufen, eine ehflingefeögfung

+

T, ‚Die Internationale Banf zu Luremburg if im Mir; 1856 mie 40 Millionen Franken Kapital conceſſionirt, und darf es Durch drei weitere As tienemijfionen auf 100 Millionen Franken erhöhen, Sie: betreibt neben den ee are alſe namentlich den Gffek- ienbandel. Ihre 3 |

Ann dieje für dem auswärtigen Geichäftäbetrieb brrechneden ‚&renbanten“ ichfiegt ſich noch Die Riederſächſiſche Bank zu * * —— Notenemiſſion privilegirt if.

' Unter denjenigen ileindeutſchen Zettelhaufen Die ehe auf normale ie ensfanben find ab bauptiächlich Die y einheimischer Verkehrsbedürf⸗ nifle zum Zwecke hoben, zeichnet ſich namentlich bie Me imarifpe Bank durch umſichtige Leitung und ſolide g aus. Sie iſt im Jahre 1954 mit einem Aktienkapital non 5 Millionen Thaler und mit der Befugniß, Noten bis zu dieſem Betrage auszugeben, gegründet worden. Sie hat in Preußen, in Sachſen und in den thüringiichen Staaten Agenturen erwichtet, welche and ühre Noten einlöfen, je weit es der Kaſſenvorrath geſtattet. Diefe Einlöſung, unbe- dimgt möthüg, den Kredit und bie Verbreitung der Banknoten zu ſichern, war mit ziemlich namhaften Opfern verbunden. Die Banf dehnte zwar in den erften acht Monaten des Jahres 1856 ihre Geſchaͤfte erheblich aus (der Rotemunlauf et» reichte im Auguft die Höbe son nahezu 4’/a Million Thaler), doch zeigt ihr Status feine plöglichen und beionders beichwerlichen Einjchränfungen während und nad) dee Kriſis. Sie bat folglich ungleich vorſichtiger operirt, ald die preu—

Denträtumdt Baukweſen. 177 giſche Bank. Die langſame aber Fetige Ertiohkelang der Geſchüfte und die ba⸗ durch bedingte nimälige aber regelmäßige Strigrtung det jaͤhrlichen Geträgntffe, von der bie Geſchaͤftsberichte ber Weimartfchen Bank Benytig geben, ſcheint uns ber beſte Beweis für die gefande Lage und die Soliditaͤt dieſer Anftält zu frin.

Die Braunſchweigiſche Bant tft unter ben miren, Zettelbanken die jenige, deren Gefchäftöttyitigfeit ſich am ſchuellſten ausgedehnt hät. Ahr Kapital, das fich im erſten Jahre (1858) nur auf 1'/ Million Thaler Heltef, mußte All- mälig bis auf 5 Millionen Thaler erhöht werben. Zu einer Zertelausgabe von 5 Millionen Thalern berechtigt, hat fle im Eritifchen Jahte 1856 ihren Noten» umlauf nur bis auf 2" Million Thaler gebracht, alfo keineswegs über Gebühr gefteigert. Dieſes maßvolle Gebahren drückt ſich auch in dem vegelmäßigen An⸗ wachien der Diskontothaͤtigkeit und der Dividende aus.

Die Bank für Sübdentſchland in Darmftadt wurde Im Rosem- ber 1858 eonceſſionirt mit einem Aktienkapital von 20 Millionen Gulden chen. Davon übernahmen die Gründer 8 Mill., die Bank fr Hamdel und Induſttie in Darmſtadt 5 Mill. die heſſtſche Ludwigsbahn 4 Mill., die heſſtſche Regierung 8 Millionen. Diefe ſonderbare Art der Aktienemifflon, von DO. Hübner *) aufd Schaͤrfſte gerügt, hatte keinen anderen Zweck, uls den viet zur Akttenübernahine berechtigten ‘Parteien bie Agiotäge zu etlrichtern. Rüchden fle einen Theil ihrer Aktien mit Proſtt losgeſchlagen harter, machten fle, als der Kurs ſich unter Pari fiellte, von ihter Berechtigung, fo weit dies nicht geſchehen war, feinen Gebrauch. Der Aktionaͤr, welcher vielleicht mit hohem Agio im Vertrauen auf das Statut die Altien gefauft Hatte, ſah fich daher gleich Anfangs betrogen.

Durch das Statut zu einer Rotenemiifton berechtigt, welche dem doppelten Betrage des einbezahften Aktienkapitals entſpricht, begann bie Bank Anfangs Deyember 1856, überflieg bereit Ende dieſes Motiats 1 Million und brachte ihren Notenumlauf bis zum April 1857 auf 4'/s Million Gulden.

Die Gothaer Privatbank wurde im Ium 1856 hit A Mill. Thaler gesrundet and begatın int Herbſte ihre Gefcyäfte. Die Rotenausgabe darf nie den Betrag der diskontirten Wechfel Abetichreiteit und außerdem map ein Drit⸗ tel durch klingende Münze gedeckt fein. Ihr Zettelumlauf etrteichte Bereits ti April 1857 bad Narximum von nahezu 4 Millionen Thaler.

Zu den anderen deutfchen Zettelbanken übergehen, erwähnen wir zu af der bayerſchen Wechſel⸗ und Hypothekenbank, bie, obſchon bei ihr dae Hupothettngefchäft den Hauptzweck bildet, Roten 618 zuin Betrage von 8 Millionen fl. rhein. emittiren darf. So fehr auch atıd yrinzipiellen Gränden der Ausſchluß des Ghpothekengefchaͤfts ats dem Thaͤtigkeitskreiſe der mit fletd« oves kurzfaͤlligen Vetbindlichkeitent opetitenden Handelsbanken zu wuͤnſchen iſt, jo erſcheint doch die Verbindung nicht zuſammengehoͤriger Geſchaͤftszweige durch Die eigenthuͤmliche und exceptionelle Stellung det bayetſchen Bank gewiſſetmaßen bedingt und gerechtfettigt. Uebrigens macht biefe Bank einen ſehr maͤßlgen ty vorſichtigen Gebrauch von ihrer Vefugniß zur Zettelausgabe. Im Jahre 1856

*), ©, deſſen Jahrbuch von 1857, ©. 197. W. | 12

178 Rationaloͤkonomie.

hatte ſie von ihrem Rotenvorrath nicht mehr als A’/s Million Gulden in Um⸗ lauf gefeßt, während die Baarbeftände ji) auf 3 Millionen Gulden beliefen,

Ein gleichfalls folide verwaltete und wohlaffreditistes Inflitut ift die Leipziger Bank, deren Gefchäfte feit dem Jahre 1855 außerorbentlidy zuges nommen haben, hauptjächlich wohl in Zolge der Erhöhung des Aktienkapitals auf 3 Millionen Thaler und der Vermehrung der Roten auf 12/2 Mill. Thaler; im Sabre 1856 waren tavon etwa 4/2 Mill. Thaler in Umlauf.

Die Landſtändiſche Bank zu Baugen, Deren weientliche Bellini mung das Hypothekengeſchaͤft ift, hat gleichwohl dad Recht, Roten bis zum Be— trage von 1 Million Thaler audzugeben. |

Die Frankfurter Bank, auf eine Rotenemifjlon von 10 Millionen fl. rhein. concejjtonirt, hat vor und während der Krife mit einer mufterhaften Vor⸗ ficht und Solidität operirt. Während der sranffurter Privatdisfonte vom März bid Anfang September 1856 faſt ununterbrochen 3°/a Prozent betrug, erhöhte fle bereitd im März ihren Zinsfuß auf 4, am 8. September auf 5 und am 25. auf 6 Prozent. Ihr Rotenumlauf, der vor der Krije zwifchen 5 und 6 Mill ſchwankte, jtieg nach derjelben auf 7 Millionen und erreichte beinahe das höchſte

erlaubte Map erft nach dem Ausbruch der großen Handelöfrifis. " Die Bank zu Rofod, mit einem Aktienkapital von 1 Million Thaler gegründet, darf Roten bis zu diefem Betrage ausgeben. Diefelben find in Med lenburg jo begehrt, daß die Banf zuweilen fein Stüd in Kaffe hat.

Die Hannoverſche Banf, im Mai 1856 auf funfzig Jahre conceffio- nirt mit einem Kapital von 12 Mill, Thaler in 48,000 Aktien à 250 Thaler, wovon die Hälfte audgegeben wurde, iſt auf bie engſten Grenzen des den Zettel⸗ banken gewöhnlich geitatteten Gefchäftöbetriebs beſchränkt. Die Notenausgabe darf das einbezahlte Kapital nicht überjchreiten, ein Drittel ded Betrages muß in baarem Gelde, zwei Drittel in Baluten vorhanden fein, die innerhalb drei Monaten leicht realifirbar find.

"Die Bremer Bank wurde Ende Januar 1856 mit einem Kapital von 2"2 Mill. Thlr. Gold concejflonirt und erhöhte dafjelbe im vergangenen Jahre auf 5 Mill. Thaler Gold. Sie Hat die Befugniß, Geld⸗, Wechſel⸗ Giro», Ins caffo= und Darlehns⸗, fo wie Depofitengefchäfte zu machen und Roten bie zur Höhe des einbezahlten Kapitald auszugeben.

Die Lübecker Privatbank ift mit einem Aftienfapital von 1 Million Mark Courant (— 400,000 Thaler preuß.) gegründet und zu einer Notenaus⸗ gabe gleich dem dreifachen Betrage des einbezahlten Kapitald berechtigt.

Die Kredits und VBerfiherungdbanf inXübed, im Mai 1856 unter Mitwirkung der Leipziger Kreditanftalt mit 3 Millionen Thaler Aktienka- pital gegründet, darf neben den regelmäßigen Banfgejchäften auch Die unregel« mäßigen eincd Krebitmobilicr betreiben. Rur Differenzgejchäfte, jo wie Kauf oder Beleihung der eigenen Aktien find ihr verboten. Der Betrag der audges gebenen Roten darf das eingezahlte Kapital nicht überfchreiten, und wenigſtens ein Drittel der Circulation muß ſtets durch Baarjchaft getedt fein. Xrop alle dem wachen wir auch hier das prinzipielle Bedenken geltend, daß die Uebernahme

Deutſchlaude Baukweſen. 179 non Berfiherungsgefchäften und die Spekulanten in induftrielen Unternehfmun- gen mit der Rotenemiſſion völlig unvereinbar iR. Diefed Bedenken fcheint auch der Grund gewefen zu fein, weshalb man bisher von ber Rotinansgabe Abſtand nahm. Der Berwaltungsrath bat indeffen bereits Schritte gerhan, welche eine Aufhebung oder Befchränktung der ſchaͤdlichen, die Rotenemifflon hindernden Be⸗ fagniſſe der Bank in Ausficht ftellen. Auch ift die Reduktion des Atienkapitals auf die Hälfte beantragt. | nn

Zu diefen Banken, welche fämmtlich die Befugniß zur Zettelaudgabe ‚ber figen,, kommt noch eine Öferreichtiche zu Trieſt, die im verflöffenen Jahre mit einem Aftienfapital von 10 Rillionen Gulden errichtet warb und in ihren Ge ſchaͤften den bei Zettelbanken üblichen Beichrärfungen unterliegt. Wir hätten demnach in Defterreich 2, in Preußen 11, im übrigen Deutſchland 20, im Gan⸗ zen 33 Zettelbanfen, davon 27 tm ollserein. In Deſterreich leg der Noten⸗ unmlauf von 150 Mill. im Jahre 1851 auf 258 Mill. Thaler im Jahre 1356, und in dem übrigen Deutjchland während: defielben Jeitraums von 3A auf Si Millionen Thaler. Was den Umfang der Kreditgewaͤhrung der deutſchen Zet- telbanten anlangt, fo betrugen die Wechfel- und Lombardforderuitgen an einem gegebenen Tage des Jahres 1856 in Defterreich 114%: Million Thaler-gegen 42%), Mill. im Jahre 1851, und in dem übrigen Deutfchland 125810 Mil. im Jahre 1856 gegen 42% Mill. Ihaler im Jahre 1851. Kein Unbefangener wird leugnen, daß dieſe ungeheure Steigerung der Rotencittulatton und der Kre⸗ ditgefchäfte in dem kurzen Zeitraume von fech6 Jahren den verberblichen Aktien ſchwindel und die tolle Gpefulationswuth des Jahres 1856 mächtig gefördert und die Darauf fplgende Kataſtrophe wenigftend in ihren primären Urfachen nrite verfchuldet hat. Vor allen waren es, wie oben an einigen Veifpielen gezeigt wurde, die großen privilegirten Staatäinftitute, die durch hartnädiges Feſthalten eines niedrigen Zineſatzes und durch ungebührliche Ausdehnung ihrer Kredite auf Direfte und indirefte Weife zur Ueberſpekulation verleiteten. Die Krebitges währung der neuen Banken trug dann freiftch auch nicht wenig Dazu bei, daß eine Menge fommerzieller und induftrieller Unternehmungen ins Werk gefegt und dadurch ein berrächtlicher Theil des umlaufenden Kapitals in ſtehendes ver⸗ wandelt wurde. Dieſes Gebahren ter Banfen war eben deshalb jo gefährlich, weil es die Spekulanten fortwährend zu nenen Unternehmungen reizte. Die letzteren wurden mit Rückſicht auf den zu erlangenden Kredit gegrändet, und da biefer fpäter aus naheliegenden Gründen, zum Theil auch wegen des preußiſchen Rotenverbotd, nicht in dem erwarteten Umfange gewährt werden Fonnte, fo mußte nothwendig ein Zufammenfturz erfolgen. |

Wir wenden und nun zu denjenigen Banken, welche ſich nicht mit der Row | tenemiffton befaffen. Bon reinen Depofitenbanten haben wir in Deutfchland nur erſt unbedeutende Anfänge. Die meiften hierher gehörigen Banken haben fich einen weiteren Geſchaͤftskreis gezogen. Viele von ihnen find reine Kredite anftalten, auch wenn fie dieſen Namen nicht ausbrüdtich führen. Mit Kückficht auf die Art und Weife, wie fle ihre eigenen und die ihnen anvertrauten Kapitas lien benugten, Tönnte man drei Kiaffen unterfcheiden: Depofitenbanfen,

12*

| Mast Bauen, MR vtzRE me m mi Wie Ark na se mie asmijcten Infisuren, weite yanmisgend Bic-cigemlicen Banfneichäfte, Daneben aber Die des Kreditmobiliers betrieben, gehören: Der zu rege zu Berlin.

Be fuhr gebe Rage Deo Gar, inenbmie An u nam —— |

n genechtfertigt, we Be 1356 mit einen: | . Mark Bance,, zeichnet ſich Durch dem ungewöhnlich der. ihre Gejchäftsrhätigfeie unter einer trefflichen und: re ‚Siem ‚Ihre Kreditgewaͤhrung, Die bes zeit Iren A i⸗ Beſtehens 7 Mill. M. B. betrug, erreichte bis zum

Den chiund Muhtlßefen. 48

Dftobet 1857 Die Höhe von Beinchde 16 !/a AH. RD. Hirten wirt eittitte. Yaflimt Hat zur Zeit der leten Kaudelstriſe, ven die Gakdinität der diheiiieineh Krebitlofigteit Aber HKambarg Kevchibräd, dem Hambarget und ſornit Dem ge⸗ fauınitten beuitichen Handel bie: erſprießlichſtes Dienfte gekeiſtet

Es bleiben nun noch Die eigentfichen weiten der Kredit» möbiiters übrig. Dahin gehireri:

Die Wllgemietne dſterreichiſche aredit aa tatt zu ik (1988 auf 90 Jahre conceſſtonirt mit einem Kapital non’ 100 ll. Gulden).

Die Bantfür Handel und Induflirbe zu Darinſta dr (mit nen Kapital von 50 Mill. ſt. ch.). '

DE Allgemeine deurſhe Ar Enten zu Letpytg Cini im Air; 1856 mit einem Aknienkapfeal Von DE More Thuer in Aklien 3: 160 Thaler, vom weichen‘ zumaͤchſd Vie Salfre Mogegeden wurde):

Die Krebitanfteli far Gawdel: uay Fävufttie je Deffat kib

ceſſionirt im März: 1856 wilt einem Rabtee Kor 8 IR Thaler in Aktien . 4 100 Maler, auf weiche bis jege 78 Pevzent eingezahlt hd!

Die Koburg⸗Gothaiſche Aredungeſelvſchaft zu Kobutg (ge

gründes in Mad 1856 und zu’ Anien Eulen vor 1% RR: Thaler in 150,000 Aktien berechtigt; von woigen die Bene viher ie 1, ‚700, 008 Thaler begeben haben).

Die Berliner Hanvelsgsfertfäaft zu werten Jeetne Tonnianbn. gefellſchaft, gegrͤndet im Fu 1856 vom vrn erſten auſern Bertins, uk durch Agio bei Begehung. ver’ Autheilſchetae Gewotiun zii nicichen. "Bas Kup tal von: 15 Mill. Thaler wurde zus Hälfte son den Gründern here, zus andrren Hälfte mit 10 Prog Aglo zum Spanıtiagen Sutb ſreiption geffelliy.

Der Schleſiſche Bantweretn zu Bresfat ek Yahre: 1956 at Conmanditgeſellſchaft mit 6 SM: Vhaler Krpital gegründet)

Die Magdeburger HKandelskompagnie zu Magdeßurg (eberk falls eine Commanditzeſellſchaft mir 5" Reh: Thalrr Antheilſcheine, wurde Ah Juli 1856 gebildet und vereinigt mit den allgemeinen Gefchaͤften eines Kredit⸗ mobilier die einer Tauſchbank nach dem Bonnaddihen Enftent):

Die Preußiſche Hanbelsgefeltichaft zu Kortgeberg.

Endlich die Metteldeurjaft Kreditbank zu Meiningen und dit Krepit- und Verfiderungs Shan zu Lübeck. Diefe beiden zur Roten» außgabe berechtigten Anflalten Rad ſchon oben unter den Zettelbanken mitaufb geführt worden.

Die finanzielle und gefchäftliche Lage, in welcher die Mehrzahl der deutichen Kreditmobiliers fich befindet, darf im Allgemeinen als hinlänglich befannt vor⸗ auögefegt werden. Die Gründe ver wenig erfreulichen Verhältniffe diefer An⸗ ftalten liegen zum Theil darin, daß fie von Anfang an ihrer Gefchäftsthätigkeit eine zu weite Grenze geftedtt und daß bie von ihnen begonnenen induftriellen Unternehmungen in der Regel als unvortheilhaft ober verfehlt ſich erwieſen ha⸗ ben, vorzüglicy aber in der Unmöglichkeit, Männer zu finden, bie viele oder alle Inbuftries und Handelszweige fo zu überfehen und zu beurtheilen verftchen, daß

182 Retiogaldlonontie.

Se die Gründung und Leitung verfehiedener Etabliffements gewinnreich durchzu⸗ führen vermögen. Diefe Aufgabe aber haben fidy die Kreditanſtalten geftellt. ©ie betreiben neben den eigentlichen Bankgefchäften alle möglichen Spefulation®- und Börfengefchäfte, in denen ein Mann in feinem ganzen Leben nicht auslernt. Sie betheiligen ch bei den werjchiebenartigften Induftriellen Unternehmungen, ſie gründen Spinnereien, Brauereien, Del-, Spigen-, Gigarren-, Cattun- und Ma» fchinenfabrifen. Wenn fe ſelbſt den technifchen Betrieb dieſer Anftalten Leiten, fo müffen fie unbedingt Verluſte erleiden, weil eine Ueberſicht und einheitliche Verwaltung der heterogenften Gefchäfte- und Induſtriezweige fchlechterdings un⸗ möglich ift, fo gefcheidt und kenntnißreich die Spezialbireftoren fein mögen. Gründen fie aber dieje Unternehmungen nur in der Abſicht, um bie Aktien mit Profit zu verkaufen, jo werfen fie fich zum Bormund des Publikums auf in Dingen, die fie nicht verſtehen und eine foldye Handlungdweije wird unfehlbar große Rachiheile für die Induftrie, deren Förderung fle ſich zur Hauptaufgabe gemacht haben, und ſchwere Verlufte für die Aktionäre herbeiführen. Wenn fie den leßteren in beſonders günftigew Börienjahren wirklich. hohe Dividenden zu zahlen vermögen, ‚fo ſind biefe Ertraͤgnifſe doch keineswegs die Früchte einer re- gelmäfigen ud probuftigen Geicgäftöthätigfeit, ſondern beſtehen größtentheils aus zufälligen Börfengewinnften, entſpringen ſomit aus einer völlig unproduc- tiven und fchädlichen Mutation der Kapitalien, und find daber, wie M. Kurth *) treffend bemerkt, einer Uceife vergleichbar. Durch diefe Mutation wird daB viel⸗ leicht in gut-rentirenden. Geſchaftszweigen angelegte Kapital diefen entzogen und minder gut rentivenbden, weil erſt zu begruͤndenden, zugeführt, das verberbliche Börfenfpiel mächtig befördert und der Privatkredit zum größten Nachtheil für die Handel» und. Gewerbetreibenden allmälig umtergraben. Wer fich das We⸗ fen und die Bedeutung der Kreditmobiliere nur einigermaßen Elar gemacht hat, wird gewiß der Anſicht Newmarch's und Tode!s**) beipflichten, daß biefelben ſich mehr dem Charakter der Law'ſchen Unternehmungen nähern, als irgend eine äbnliche, feit jener Zeit profektirte oder begründete Anflalt.

*) Geſchichte der Handelskeifen.

**) History of prices, Vi., 133. „The Credit Mobilier, seeking to obtain large proßts by exciling violent fits of Stock Jobbing, and to obtain large fonds by the issue of obligations practically not payable in specie, approaches in design and ma- ehinery nearer than any institution of recent tines to the modes afforded by Law’s Bauk of 1716, and the Compagnie: des Indes of the three following years.“

Der Kreisfauf des Blutes

und

. die Srankheiten des Derzens. Bon

Dr. SA. Slinzer.

Anatomie des Herzens und der Gefäße. Darſtellung des Kreislaufes. Die Bewegungen des Berzend. Herzſtoß Berztöne. Kreislauf unter dem Mikroſskope. Wewegung ded Blutes im Gefäßrohre. Conti. nuirlige Blutkrömung; Puls. Druck des Blutes in den Gefäßen. Krankheiten des Herzens, deren Erkennung, Bedeutung und Be- handlung. ,

Wie in dem Entwickelungsgange der Völker einzelne Entdeckungen hervorra⸗ gen, die den Ideenkreis der Menſchheit ploͤtzlich umgeſtaltet und auf Jahrhun⸗ derte hinaus dauernd verändert und erweitert haben, fo zeigt Die Geſchichte einer einzelnen Wiffenfchaft gleichfalls Entdedungen, mit denen und von denen aus tie betreffende Wiffenfchaft plöglich auf einen neuen Standpunft erhoben und eine neue Geftaltung angenommen hat; Entdeckungen, die einen Wendepunft in der Gefchichte bilden, ein neues Beitalter beginnen. Eine der wichtigften und folgereichften Entdeckungen für die mebicinifchen Wiflenfchaften war bie Entdeckung des Blutfreislaufes. Im Jahre 1619 war ed, wo der engliſche Arzt und Naturforfcher William Harvey feine Lehre von dem Kreislaufe des Blutes öffentlich vortrug und damit den erften und wichtigften Echritt zu einer rationellen Bearbeitung ter Phnflologie that. Wie alle bedeutungsrollen Ent- deckungen, welche die Vorurtheile, die durch Jahrhunderte genährt und feftgchal- ten wurden, an ihren Wurzeln erjchüttern, angegriffen werden, fo erging es auch der Lehre Harvey's vom Kreislauf des Blutes, aber dieſe Anfechtungen dienten ' nur zu einer um fo fefteren Begründung diefer Lehre; die von Harvey aufgeftell- ten Grundfäge gelten im Wefentlichen noch heute, wenngleich troß der zahlreich- ften trefflichen Forſchungen und Beobachtungen vieled Einzelne auch gegenwärtig nicht zu einem in jeder Hinficht befriedigenten. Abſchluß gelangt ift. Wenn wir im Folgenden verfuchen eine Schilderung der Lehre vom Blut⸗ Treisfaufe zu geben, fo kann dies felbftverfländlich nur in furzen, die Hauptfa= chen kerührenden Umrifſen gefcheben; tiefe und beweifend vorgehende Darftellun-

184 Medicin.

gen müffen den Fachwerken uͤberlaſſen bleiben. Um nun eine klare Anſchauung von der Blutbewegung zu erlangen , ENTER fee Eee

————— des Röhrenſyſtem, in welchem es eingeſchloſſen iſt, zu allen Organen des Kör- pers Ar nn

en bie Kelle, ie Ami zu x allen —— HL RER er

elle aufzuldfen; aus er ——— bilden —* wiederum zuſammentretend, größere Aeſte, Blutadern oder Venen, die zu mehreren großen Stämmen vereinigt in das Herz einmünden, Die Arterien führen das Blut vom Herzen ee brin-

eben nambaft gemachten Sauptobfehnitte defelben unter ſich in einen unmittel⸗ baren, ununterbrochenen Zuſammenhange. Nachdem wir bie allgemeinſten Umriſſe des Gefaßſoſtems Kennen. geln

Das: Herz, der Mittelpunft. des, Gefäßſhſtemes und „Gipisegufater ber Blutbewegung bildet einen hohlen, unregelmäfig kegelförmigen Musfel, der. eine, Lage zum größten Theile in der —— einem kleineren Theile auch noch in die rechte Hälfte hereinragt. Der kegelförmigen Geftalt entipres end unterfcheidet man am Herzen die-Spißt (Big. 1.d) und, die Bafis, fo wie

Er drei Flächen, eine vordere,

Fig. 7. untere und bintere. Das

Herz wird zunächjt von, einen

häutigen Sade, dem Henz=- beutel, rings umſchloſſen, in den cd gewifjermaßen hin · eingeftülpt iſt wie der Kopf in. eine, Müge. Da, imo die großen. Gefäße, vom Herzen abgehen, ſchlaͤgt ſich ein Theil des Herzbeutels, das joger nannte innere Blatt deſſel ben, auf das Herz um, indem ed. die, ganze äußere, Obere fläche,deflelben-überzicht. Cs

Kreislauf des Blutes und Krankheiten des Herzens. 195

bleibt biet zwifchen den beiben Blättern des Herzbeutels ein freier Warum, in dem fh das Herz frei banegen kann und in welchem eine geringe Menge einer waͤſſe⸗ rigen Blüffigkeit, Liquas bes Herzbeut ld, eingaſchloſſen ik. Der Herp beutel iſt durch Zellgewebe an bie benachbarten Iheile befeftigt ; das Gerz abes if ſchwebend am dey großen Gefäßen aufgehängt, ruht unten auf dem Zwergfelle; an den Seiten umgeben e8 die Zungen fe, daß von. feiner vorderen Flaͤche nur ein geringer Theil die Bruſtwand unmittelbar berührt, nach hinten liegt das Herz nahe der Wirbelfäule von dem vierten bis achten Bruſtwirbel.

Auf der äußeren, glatten. Oberfläche des Herzens, die wie bereitö bemerkt, gan dem inneren Blatte des Herzbeutels überzogen wird, bemerkt man eine Zöngd- und eine Querfurche ſFig. I. c und e], die ſich untereinander ſo⸗ wohl an der vorderen als hinteren Kläcge Ereuzen, und bie in Inmeren bes Here zens beftchenden Trennungen auch äußerlich anzeigen. Der innere Raum des Herzens iſt nämlich durch eine Längsicheidemand ſFig. 2 E] zunäͤchſt in zwei + Übtheilungen getheilt, die beim erwachfes -

nen. Menſchen vollfändig von einander. ge-. ſchieden find ; man kaun ſonach da s Herz als au: zwei felbfifländigen, nur anein⸗ ander liegenden Herzen beftsheud, betrach⸗ ten; hab rechte Herz nennt man auch dad, Lungenherz, das linfe das Rörper- herz. Jedes dinſer beiden Herzen wird wieder durch eine querverlaufende Scheide⸗ mand in zwei. Abtheilungen geſchieden, von deuen bie oberhalb, der Scheidewand, an des Baſis des Herzens liegende Abtheilung, Vor hof oder Borfammer [Fig. I. und UI. A die rechte, B die linfe Borfammer] , die andere, nad) des Spige des Herzens zuliegende, Her z⸗ kammer oder. Bentritel [Fig. I. und II., C und D] genannt wird, Wir ere balten jo im. Inneren Des Herzend vier, Höhlen, zwei Vorkammern und zwei Hauptkammern, je eine rechts, eine Links, die Vorhöfe oberhalb der Querſcheide⸗ mand am der. Grundflaͤche bes Herzens, die Herzfammern unterhalb der Quer⸗ ſcheidewand von, da bis zur Spitze des Herzens reichend. Während rechtes und linkes Herz nicht, mit einander in Verbindung ftehen, communieirt eine jede Vor⸗ kammer mit dem Ventrikel unmittelbar durch eine in der Scheibewand befindliche Deffnung, die Vorhofs mündung [fig. II. d und h]; eine zmeite Oeffnung; bie arterielle Mündung [Big. U. fund g] führt aus dem Ventrikel in die Arterie. Die Geftalt der Vorhöfe ift eine rundlichsvieredige, außerdem beſtyt jeder Vorhof noch einen ohrfürmigen Anhang, dad Herzohr [Fig. J. u. II. au.b], Die Wände der, Borhöfe find. dünn und fhlaff, ihre Muskelſubſtanz if nur par ſam entwidelt, am:meiften. noch. in den Herzohren, we fie fich ald netzförmige Bündel, Sammmuskel, darfiellem Die Scheidewand, weiche beibe Vorhöfe trennt, ift gleichfalld tünn;, in. derſelben befindet fich eine eiförmige Grube, an.deren Stelle fi beim Fötus ein eifärmiges Loc) befinder, durch wels ed beide Vorhöfe mit einanker in Verbindung fieben. Rady. der Geburt ſchließt

i6., nn Medien.

ſich tiefe Oeffnung nach und nad}, an ifrer Stelle bleibt die elfärmige Grube zurück. Eine weſentlich verſchiedene Befchaffenheit zeigen die Herzkammern. Ihre Beftalt nähert fich der eines Kegels, deſſen Spite nach unten gerichtet iſt; Ihre Wände find beträchtlich Did, mu8fılds, mit dem eigenthümlichen Verhalten, daß die Wände des linken Ventrikels noch dreimal dicker find, als Die des rech« ten; eine ebenfalls dide muskulöſe Scheidemand trennt beide Kammern. Auf der Innenflädhe der Kammern erheben fich die Muskelfaſern zu neßförmig ver« einigten Bündeln, den fogenannten Fleiſchbalken, die beſonders ſtark in der Nähe der Vorhofsmündung entwidelt find; auf diefen Fleifchbalken fiten wieder Heine Warzenmuskeln [fig. II. e] auf, fogenannt wegen ihrer einer Bruſt⸗ warze ähnlichen Geftalt, die in die Höhle der Kammern frei bereinragen. In die beiden Vorhöfe münden nur Venen ein, aus den Herzfammern entfpringen nur Arterien. Der rechte Vorhof nimmt die Venen des Körpers auf, die zu zwei größeren Stämmen vereinigt, als die obere und untere Hohlader [Fig. 1. 1 und 2 und Fig. 1., 1] in den Vorhof von oben und von unten ber eintreten; der linke Vorhof erhält Die Zungenvenen, vier an der Zahl, ſFig. J. 9 und Fig. II. 10] die das Blut der Lungen jammeln. Aus der rechten Herzkammer entfpringt die Zungenfchlagader [Fig. 1., 6 und Fig. H., 7], die ſich bald nach ihrem Urfprunge in zwei Aeſte, einen rechten und einen Tinten [Big. 1., 7 u. 8; Fig. D., 8u..9] teilt, die für Die entfprechenven Lungenflügel beftimmt . find; der Tinte Herzventrikel ift die Urfprungsftelle der großen Körper« fhlagader, Aorta, [Fig. J., 3; Fig. II., 2) die nach ihrem Abgange vom Her⸗ zen fich bogenförmig umbiegt, Aorta-Rogen[Yig.l., 4; Big. II, 8] und einen großen Hauptflamnı, die abfteigende Körperſchlagader zu den unteren Dartieen des Körpers fchidt; die oberen Theile des Körpers erhalten ihr Blut durh drei aus Dem Aortenbogen entfpringende Stämme [%ig. II., 4,5 u. 6). Noch müflen wir eines eigenthuͤmlichen, höchft wichtigen Appa⸗ rats im Herzen gedenfen, des Klappenapparags. Wie bereits erwähnt, trennt eine dünne Scheidewand jeden Vorhof von feiner Kammer; diefe Scheidewand wird nun in jedem Vorbofe Durch eine weite, rundliche Deffnung durchbohrt, die eine unmittelbare Nerbindung des Vorhofes mit der Kammer bewirkt. An jeder dieſer beiden Vorhofsmuͤndungen liegt nun ein eigenthümlicher, fegelförmiger Klappenapparat, Der im rechten Vorhofe aus drei, im linken as zwei Zipfeln beftebt ; man nennt diefelbe baber die Dreizipfligeund zwmeizipflige Klappe ſFig. 1. du. h], Teßtere auch Mitralklappe, megen ihrer Achnlichfeit mit einer Ritra. Dieſe Zipfel, entſtanden durch eine Berboppelung der die Innen- fläche des Herzens überziehenden Haut, find einerfeitd an der Vorhofsmündung fo befeſtigt, Daß fle frei in Die Herzfammer bineinragen; an ihrem unteren Ende aber werden fie durch dünne, fehnige Fäden anf den Warzenmusteln des Ven⸗ trikels befeſtigt. An den Liriprungsfteflen der Arterien aus dem Herzen befin= det ſich ebenfalld ein Klappenapparat, der bei der großen Körperichlagader, wie ter Zungenarterie Diefelbe Bildung zeigt, indem er aus drei neben einanderlie⸗ genden halbmondförmigen Tafchen befteht, deren Orffnungen nach der Arterie gerichtet find ſFig. I. fu. eg]. Bor ter unteren Hohlvene befindet fich

Kreislauf des Blutes und: Krankheiten bes Herzens. 187

an ihrer Mündung in dem Vorhof eine Meine, fichelförmige Kalte. Die Beden- tung des Klappenapparatd für das Herz liegt in der Beſtimmung derielben, die einzelnen Höhlen des Herzens nach den Umfländen vollftändig von einander ab⸗ fchliegen zu können; ein Vorgang, auf befien Wichtigkeit und Einzelheiten wir fpäter zurüdfommen.

Wie alle übrigen Organe des Körpers hat auch das Herz eigene zu jeiner Ernährung beftimmte Gefäße, die Kranzarterien und Kranzvenen (Big. I., 10 u. 11], die vorwaltend in ten feichten Furchen bed Herzens verlaufen; Die Kranzarterien entfpringen aus der Aorta, die Kranzuenen münden, zu einem grös Beren und mehreren Fleineren Stämmen vereinigt, in den rechten Vorhof, woſelbſt vor der großen Kraͤnzvene eine.Eleine halbmondförmige alte befindlich if. Zahl- reiche Nerven verforgen gleichfalls die einzelnen Theile des Herzens. Die Haupi⸗ mafje des ‚Herzens bilden quergeftreifte Muskelfafern von ganz gleicher Beichafe fenheit wie in den übrigen willfürlich beweglichen Mudfeln des Körpers. Diefelben durchkreuzen fich theils regelmäßig, theils in einer wenigſtens fcheinbar unregelmäßigen Anordnung ; fie bilten faft ausfchlieglich die Wände der Herzfam- mern, während fle in den Borböfen nur in ſchwachen Lagen fich finden. Auf ber äußeren Oberfläche des Gerzend befindet fich der vom Herzbeutel gebildete Ueberzug ; die Innenfläche wird vollftändig von einer weißlichen Haut, tem En- docarbium, überzogen, die in alle Unebenheiten und Vertiefungen eindringt, durch ihre Verdoppelung an den namhaft gemachten Stelle Kalten und Klappen bildet und auf die innere Fläche ber Gefüge unmittelbar übergeht. Was bie Größen und Gewichtöverhäftniffe des Herzens anbetrifft, fo zeigen ſich bei den einzelnen Individuen die zahfreichften noch innerhalb der Breite der Geiundheit liegenden Verſchiedenheiten. Bei den Weibern ift die Größe und Tide des Her⸗ zend in der Hegel eine geringere ald bei den Männern; bei tem neugeborenen Kinde iſt das Herz in Beziehung zur Größe des Körpers größer ald beim Er- wachfenen. Das Gewicht beträgt.bei Männern im Durchſchnitt 19 Loth, bei Meibern 17 Loth.“ Merfwürkig ift e8, daß das Herz in feinem Wachsthume ziemlich unabhängig von dem Wachsthume des übrigen Körpers ift, ja nad Vollendung der körperlichen Entwidelung noch fortwächft. Das rafchefte Wachs⸗ thum findet in ter Zeit vom fechäzehnten bis dreißigften Lebensjahre ftatt.

Die Puls- oder Schlagadern, Arterien, bie Gefäße, welche dad Blut von dem Herzen zu den Theilen bes Körpers leiten, ftellen colindriſch ge= formte Röhren dar, die fidy nach ihrem Urfprunge aus dem Herzen in immer Heinere und £leiner werdende Zweige baumförmig theilen. Sie liegen geſchützt mehr in ber Tiefe zwijchen den Theilen des Körperd und gehen nur wenig Ver⸗ bindungen unter fi ein. Die Wünde der Arterien find did; wenn man flc durchichneidet, jo fallen fe nicht zujammen, fondern Elaffen. Die Dide ber Pulsadern kommt auf Rechnung der mittleren Haut, die elaftifch ift, und da ihre Faſern kreisförmig zum Durchmefler des Gefäßes laufen, Ringfajerhaut genannt wirt. Die Elaſticität der Arterienwände bewirkt die bekannte Erſcheinung des Pulſes, die wir noch jpäter zu erörtern haben werden. Nach dem Tode find die

Kreislauf des Blutes und Meankpeiten des Derzend. 189

Blutbewegung und finden ſich theils im arteriellen, theils im venäfen Theile des Gefäßfotemes eingefchaltet; fo beim Aale an dee Schwanzvene, bei vielen Fischen an den Arterien. Bon nicht geringem Intereſſe find Me Wunder⸗ aetze, Netze von Befägen, die dadurch entitehen, Daß ein Blutgefäß ſich plötzlich in ein Büfchel von zahlseichen, vielfach untereinander zuſammenhaͤngenden Aeſten theilt. Solche Wundernetze finden wir in der ausgezeichnetſten Weiſe bei den Kifchen, jo 3. B. bei den Delphinen, Ihunfifchen, Karpfen, Bechten u. f. w., aber auch bei einigen Säugethierm ; bei dem Menſchen fehlen fie. Auch bei den niederen, wirbellofen Tihieren bietet das Gefaͤßſyſtem eine große Aehnlichkeit im Baue dar. Bei vielen ſindet fich ebenfalls ein die Stelle des Herzens vertre⸗ Tender Abfchnitt des Gefäßſyſtemes, das nach ſeiner Lage jogenannte Nücken⸗ gefäß, ein comtractiler Theil des Gefäßfuftens, jedoch ohne Sonderung in Höhlen. Bon bier treten die Arterien auf, ſich in den Theilen bes Körpers verzweigend, fle gehen jedoch bei vielen Tieren nicht in ein Gaargefkpiuftem über, fondern ergießen ihr Blut frei in bie wanbungslofen Bieifchenräumen des Körpers, die fogenannten Zacunen. Bel einzelnen Thieren hat man endlich ein Gefaͤßſyſtem Aberhaupt noch nicht nachweiſen können, ſo bei den Mäberthies von, bei einzeltten Würmern.

Nachdem wir fo die allgemeinften Umrifſe des Gefkgfuftemes kennen gelerns Saben , wollen wir un& eine Auſchauung von dem Wege, den das Blut anf ſei⸗ nem Raufe durch den Körper nimmt, zu verfihaffen fuchen. Halten wir und ba» ' bei der Einfachheit und Ueberfichtlichkeit halber an bie beiſtehende, ſchematiſche Zeichnung, die und Fig. 3 verfinnlicht.

W⸗⸗ —— IM INN IA DON iR OL IR 999 c RES NY 9 SITZ re 7

Wie daa Gefuͤßſyſtem einen. geichloffenen Roͤhrencirkel bilder, ſtellt auch bie Figur einen ſolchen dar; die beiden engſten Gtellen dieſes Möhrencanats a u. b, enifprechen dem beiden Herzon, nun liegen biejelben Bier neben, nicht an einander; und zwar entipricht a dem dungenherzen, b dem Körperherzen. Wir erhalten fa zwei größere Halbeiskel, gch und edf, die den beiden Kreidldufen im menſch⸗ lichen Körper entipvechen, nämlih gch den Eleinen oder Lungenkreis⸗ Lauf, durch den das Blut aus dem Herzen zu den Lungen und wieder zum Her» zen zurädgefüßes wird, und edf dem groß en oder Rörpertreistanf, der das. Bhu Busch alle Theile des Körpers: Hin und vom dieſen wieder zu dem Herzen zurüdlleitet. on jedem Herzen geht eim das Blut wegführendes Gefäß, gw. P ' and, das ſich in ein Haargefäͤßſyſtem, e u. d, aufläft, welches wiederum in zwei Gefäpftänme e u. R zum Herzen zurückkohrt. Aus dieſer Darflellung ergiebt fich

AD arm. 0.0.0.0 Mediein.

ſchon, daß man irrthümlich von zwei Kreisläufen fpsicht; beide bilden zuſammen

en Kreislauf, jeder für fih, der große wie der kleine, einen Halbkreislauf. Verfolgen. wir. nun ein Bluttheildden in der Richtung, bie die Pfeile andeuten, son a, dem rechten Herzen, aus, fo gelangt dafjelbe Durch das wegführenne Ge fäß g in dad Haargefäßſyſtem c, und von diefem aus durch das zuführende Ge⸗ fäß h zu dem linfen Herzen, b, von wo aus es durch das Gefäß f in das Gapil- larſyſtem des Körpers, d, geleitet und durch das rüdführende Gefäß e zu jeinem Audgangspunfte a, dem rechten Herzen, zurüdgelangt; es bat fomit das Blut⸗ theilchen feinen Weg beendet. Wenn wir nun die hier gegebene Auseinan⸗ derfegung auf das menfchliche Herz anwenden, fo erhalten wir für den Lauf des Dlutes folgenden Weg: Gehen wir von ber rechten Herzkammer [a in Fig. III] aus, fo gelangt dad Blut zunächft Durdy Die Rungenarterie ſg] in die Lungen, Durch den rechten Aſt der Lungenarterie in Die rechte, durch den linken Afk in die linke Zunge. Wit der weiteren Iheilung ber Lungenarterie geht das Blut in das Haargefaͤßſyſtem der Lungen über und wird von da durch die vier Lungen⸗ venen [in der Figur durch einen einfachen Stamm h dargeftellt] zum linfen Vor⸗ baf geleitet... Diejer Lauf bildet den oben erwähnten Eleinen ober Lungenkreis⸗ lauf, Vom linken Vorhofe gelangt dad Blut zunächft in die linfe Herzfanmer fb], und. wird von bier durch die Aorta [f], die fich fort und fort theilt, zu den fänmtlichen Körpertheilen in dad Haargefäßſyſtem derfelben [d} geleitet. Aus diefen Haargefäßen wird es durch zwei große Stänme, bie obere und untere Hohlader [e] wieder zum vechten Herzen, und zwar in deſſen Borhof zuruͤckge⸗ führt und tritt von da aus in bie rechte Kammer, feinen Ausgangspunft ein.

Ein eigenthümliches, hier wenigftend kurz zu berührendes Verhalten zeigt der Blutlauf der Unterleibsorgane. Das Blut der größeren Anzahl der im Un⸗ terleib eingeichlofienen Organe muß nämlich nicht wie das Blut der übrigen Körpertheile ein, jondern zwei Haargefaͤßſyſteme pafitren. Rachdem nämlich Die die Verdauungsorgane verjorgenden Arterien zu einem Haargefäßſyſteme zer⸗ fallen find, tritt aus diefen das Blut in eine große Vene, die Bfortader, die in die Xeber eintritt, ſich in derielben in Korm einer Arterle verzweigt und wies derum zu einem außerordentlichen dichten Haargefäßnege fih auflöſt, aus dem fodann erſt'das Blur durch die Lebervenen gefammelt und-zu ber unieren Hohl⸗ aber geleitet wird. Bei einigen Thieren giebt ed außer dem Pfortaderſyſteme in der Leber, noch ein zweites in den Nieren.

Die Bavegung der im Gefäßiyfteme vorhandenen Blutfäule gejchieht vor⸗ nehmlich durch dad muskulöſe Herz, das hierbei in Form eines Pumpwerkes wirfend das in feine Höhlen eingefchloffene Blut fortwährend in einer einzigen Richtung vorwaͤrts treibt, indem es Dabei gleichzeitig den ihm ewutgegenftchenden Widerſtand Durch feine Thätigfeit überwindet. Innerhalb eines gewiflen Zeit⸗ raumes zieht fich das Herz zufammen und erfchlafft wieder, wodurch es das Blut in Bewegung jet. Diefe Zuſammenziehungen und Erfchlaffungen des Herzens

« wiederholen fich in regelmäßigen Zeiträumen. Während der Erichlaffung füllen fi die Herzhöhlen mit einer Blutmenge, während der Zufammenziehung treiben die Höhlen eine gewiſſe Quantität Blut vorwärts, Das Surüdtreten des Blutes

Kreiblauf des Blutes und Krankheiten des Herzens. 191

nach der einen, wie nad) der anderen Seite wird durch Bentile, die Klappen ver⸗ bindet. Die eigentlichen Pumpwerke find die Herzlammern, die Vorkammern dienen nur als Blutbehälter,, ald Reſervoires, dazu beflimmt, die Kammer flets hinreichend mit Blut zu verforgen. Bei den Menjchen und bei ben höheren Wirbeithieren And zwei Pumpen, d. h. zwei Herzen vorhanden, die jedoch ſtets gleichzeitig und in gleicher Weile in Thätigkeit find.

Nach diejer allgemeinen Darftellung gehen wir nun etwas genauer auf die Vorgänge bei der Bewegung des Herzens ein, Die Bewegung des Herzens er⸗ folgt durch abwechjelnde Zufammenziehungen und Erſchlaffungen der einzelnen „Herzabtheilungen. Die Zuſammenziehung, auch Syſtole genannt, iſt ein activer Vorgang, das on; verkleinert fich Dabei und entleert fi von feinem Inhalte; die Erfchlaffung oder Diaftole gefchieht pafflo durch Erweiterung der vorher zufammengezogenen Theile. An bes rechten und linfen GHerzhälfte gefchehen die beiden Vorgänge ber Syſtole und Diafkole gleichzeitig in gleicher Weiſe ſtets fo, daß, wenn ber eine Vorhof ſich contrahirt, auch ber andere fich zuſammen zieht, wenn ber eine erichlafft, auch der. andere in ten Zuſtand der Er⸗ weiterung übergeht; ebenjo verhalten ſich die Herzkammern. Die einzelnen Abe theilungen bed Herzens bewegen ſich nun in folgender Reihenfolge: Zuerſt ziehen ſich beide Borhöfe zufammen, unmittelbar hieran fließt fich die Zuſammenzie⸗ hung der Herzfammern. Während die Kanımern im Zuftande der Eontraction find, fangen die Vorkammern an zu erichlaffen und bleiben, während die Bentri- fel unmittelbar nach ihres Zufammenziehung ebenfalld fich wieder erweitern, gleichfalls im erfchlafften Zuftande, jo daß eine kurze Zeit, die. man als Pauje in der Bewegung bezeichnet, fowohl Vorhöfe ald Herzkammern gleichzeitig erwei⸗ tert find. heilen wir alfo den Gang der Herzbewegung in drei Momente, fo find dieſelben folgende: 1. Die Vorböfe contrahiren ſich, die Ventrikel find er⸗ ſchlafft; 2. Die Herzlammern ziehen ſich zufammen, die Borfammern find ericylafft; 3. Beide, Vor⸗ und Herzfammern find erichlafftl. Einen fol- hen einmaligen Ablauf der Bewegungderfcheinungen am Herzen bezeichnet man als Herzſchlag; dieſe Thätigfeit des Herzens erfolgt chyrhmijch. Die Zeit, die ein Herzichlag in Anfpruch nimmt, entipricht dem Zeitraume zwifchen zwei PBulsichlägen. Nehmen wir ald Maaß dieſes Zeitraumes eine Secunde an, fo vertheilt fich dieſe Zeit auf Die einzelnen Vorgänge der Gerzbewegung annähernd in der Weife, daß die Bontraction der Vorhöfe den dritten, die Gontraction der Herzkammern die Hälfte, der Zuftand der Paufe, in der Vorhöfe wie Kanımern erichlafft find, den fechften Theil einer Secunde ausfüllt.

Wenn wir unjere Finger in ben Zwijchenraum zwifchen der jechften und fiebenten linfen Rippe etiwad nach innen und unten von der Bruftwarze auflegen, fo fühlen wir eine Erfchütterung der Bruftwand, die ſich in regelmäßigen Zeit» abfchnitten im gleicher Weife wiederholt, Diefe Erfcheinung, der Herzftoß, wird ebenfalld durch die Bewegung des Herzens herangebracht. Bei der Zufame menzichung der Syſtole verkleinert fih das Gerz nicht blos und wird dabei praller und fefter, ſondern es bewegt fich zugleich Hebelartig jo, daß ſich die Spitze des Herzens der Bruftwand fehr nähert und an biefelbe anfchlägt; diefe Erſchei⸗

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bedingte Blutbewegung. erſchlaffen, Arömt Da fat au de ben Sat

Drude; 6 dt Sim nr De Beam oTane un ec u, ste Rheine een 2 Soſtole der Vorlammern beginnt, frömt das in ihnen enthaltene Blut dahin, wo ihm Fein Widerftand entgegenfleht; es tritt fo ein geringer Theil im bie bohl⸗ und Lungendenen zurück, die Sauptmenge aber fhrömt durch bie Vorhoſs

Ft, e hier dem

zwei Wege zum Ausweicher offen, einmal kann daſſelbe er male treten, anderentheild durch die arteriellen Oeffnungen in Me großen Gefäßfkimme enktbeidjen;, mb: fb Hot teiften Berttritef\außlin' Me Rungenarterie, om Inken

im bie große Körperfchlagader gelangen. Das Blut kann aber

Weg in die großen Gefäße nehmen, rn ee

ee reihe am den Borhofsmändungen befindlichen Klappenfegel, im Vens

trifel hinter Die Dreipflige) im finfen hinter die a een

Kreitlanf des Blutes unb Krankheiten bed Herzens. 193

entrollt, daß biefelben die genannte Deffnung vollſtaͤndig verfchließen und ein Zuruͤckfließen des Blutes nach ben Borhöfen Hin unmöglich machen; das Um⸗ ftülpen der Segelventile felbf in den Vorhöfen hinein aber wird durch die Seh⸗ nenfäden, mittelft deren fie an die Warzenmuskeln der Herzkammern befeftigt find, verhindert, Wenn nun die Kammern wieder erfchlaffen, fo würbe das von denjelben in den Anfang ber großen Gefäße eingepumpte Blut in den Ventrikel zurüdftrömen, wenn es fich nicht ebenfalls dieſen Ruͤckweg baburch ſelbſt vers ſchloͤſſe, daß es hinter die am Anfange der Lungenarterie und Aorta befindlichen halbmonbförmigen Taſchen träte, diefe aufblähte und fo die Oeffnung zu einem vollſtaͤndigen Verſchluß brachte. Man kann ſich von den hier befchriebenen Vor⸗ gängen eine Anfchauung dadurch verfchaffen, daß man an einem ausgefchnittenen Herzen 3. B. durch die Aorta mittelft einer Röhre Wafler in den Ventrikel lei⸗ tet; betrachtet man dann den Teßteren vom Vorhofe aus, fo flieht man, wie mit dem Einftrömen bes Waſſers die von der Vorbofsmündung befindlichen Segels klappen ſich entrollen und die Deffnung fo verfchließen, daß ſelbſt bei Bewegun⸗ gen das Wafler dennoch, nicht in den Vorhof tritt. Die Zufammenziehungen ber Kammern find viel flärker, ald die der Vorhoͤfe; die Kammer überwindet nicht nur den Drud, den das In den Gefäßen enthaltene Blut ausübt, fondern treibt auch das ganze in Ihm enthaltene Blutquantum in die Arterie hinein. In der bier bejchriebenen Weiſe wieberbolt fich die Blutbewegung bei jedem Herzſchlage.

Bei dem Foetus fo nennt man den noch Innerhalb des mütterlichen Leibes lebenden Menfchen In den legten Monaten dieſes Lebens bei dem Foetus iſt die Blutbewegung im Herzen eine andere. Wie bereitö früher erwähnt, ftehen bei dem Foetus die rechte und linke Vorkammer mit einander durch daB eiför⸗ mige Loch in einer unmittelbaren Verbindung; das eiförmige Koch aber ift vom linken Vorhofe aus durch eine halbmondförmige Klappe fo verfchloffen, daß das Koch bei den Eontractionen der Vorhöfe faft vollftändig verfchloffen werden Tann, Außerdem befteht aber noch eine Verbindung ber Rungenarterie mit ber Aorta durch einen weiten Gang, den man nach feinem Entdecker den Botalli’fchen Gang (Big. 1., 5] nennt. Wenn nun bei der Erfchlaffung des rechten Vorhofes dab Blut aus den Hohlvenen in den rechten Vorhof dringt, fo tritt dafjelbe noch während der Diaftole durch das eiförmige Loch zum Theil in den Linken Vorhof tiber, die zurücgebliebene Blutmenge aber bei der Eontractidn des Vorhofes in den rechten Ventrikel; zugleich fchließt fich dabei die Klappe des eifärmigen Loches, verhindert fo den Mücktritt bed Blutes aus dem linken in den rechten Vorhof und zwingt das Blut in die linke Herzkammer einzutreten, Wenn fich nun die Herzkammern contrahiren, fo tritt das Blut zwar ebenfalls zugleich in die Lun⸗ genarterie und in die Aorta, firdmt aber auch alsbald aus der Lungenfchlagaber durch den Botalli'ſchen Bang in die Aorta, mit deren Blute es fich vermifcht. Rack der Geburt wird durch den Eintritt der Athembewegungen eine allmählige Aenderung in diefer Blutbahn bewirkt; indem zunächft das eiförmige Loch fich immer mehr und mehr verkleinert und fich ganz fchließt, verengert ſich zugleich der Botalli’jche Bang und veröbet allmaͤhlig ganz zu einem ftrangartigen Bande,

IV. 13

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bis in dad mittlere 2 ‚x bleibt fie auf der oben angegebene Mittelzahl vor 10 Si 60 Goläge Arten, um im. Greifenalter bis auf 60, ja 50 Schlä in der Minute heraßzufallen, Die Gerzichläge nehmen ferner an Häufigkeit z Biskup ee ʒeim plögl ——— ee

welches Gnwicht von u nu m An wird, iſt jelbft Laien genugſam befannt. Intereffant ift es wenigfteng im Allgemeinen die zahlreichen Variationen in der Frequenz des Gerzlchlages bei den Thieren hier angubeuten. So hat man bei diſchen 20 bis 24, beim Froſch gegen 60, bei den Vögeln von 100 bis rg Kagen 110, bei Gunden 95, beim Echanf 60 —— —— utugeborenen Pferden und Rindern 100 bis 120, bei enden Samen ſelben Art 32 bis 40 Herzſchläge in der Minute beobachtet.

Was bie Menge des Blutes anbetrifft, welche bei Jeder Ele de Ran mern in bie Arterien eingetrieben wird, ſo iſt dieſelbe nicht ganz genau befannt,

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Kreitlauf des Blutes und Krankheiten ded Herzens. 109

einen Druck anf die von ihhnen umfahleffene Biutfäule ausüben, ber gleichmaͤßig nach allen Geiten, alſo auch nach bes» unb rudwärts erfolgt, ſomit bie Blue Rrömung nach der Stelle, mo bes wenigfte Druck flaitfindet, nach den Benen bes fördert. Da die Bentrifelcontrattionen nur periodifch erfolgen, jollte man glame ben, daß die Strömung bes Blutes ebenfalls nur eine zeitweife, Leine fortwährenbe fein könnte; ba jedoch bie Dur die Gontraction erzeugte Druckdifferenz wegen ber Enge bed Arterienrohres und feiner vielfachen Zertheilung in zahlloſe klei⸗ nere und Eleinfte Zweige fiih nicht jchnell genug ausgleichen Tann, bevor nicht eine neue Bentrifelcontraction und damit eine neue Berfchiedenheit des Druckes hervorgebracht wuͤrde, fo erfolgt die Strömung continuirlich, wicht periodifch. Die Geſchwindigkeit der continuirlichen Strömung, oder mit anderen Wor⸗ ten die Beit, die ein Bluttheilchen braucht, um wieder an feinen Ausgangspunkt zu gelangen, bat man wenigftens-annähernd theils durch bie direkte Beobachtung, theils durch Experimente beſtimmt. Betrachtet man ben Kreislauf unter dem Mikroskope, fo kann man hierbei direkt die Zeit beffimmen, die ein gewiſſes Blutkörperchen braucht, um eine beſtimmte Strecke Weges zurüdzulegen und bie jo gefundenen, durch zahlreiche Beobachtungen unter Berüdfichtigung aller Ver⸗ haͤltniſſe feftgeftellten Werthe zu einer mittleren Zahl, die die Stromgeſchwindig⸗ feit bezeichnet, vereinigen. Man hat die Dauer eined Kreißlaufes noch in an⸗ - berer Weife jo zu berechnen verfucht, daß man in bie geöffneten Halsvenen ber einen Seite eines Thieres eine durch fichere Reactionen ſchon in den geringften Mengen leicht zu erfennende Flüſſigkeit einfprigt und zugleich aus der ebenfalls geöffneten Halsvene der anderen Seite Blut in Fleinen Paujen von wenig Se eunden entnahm und mit demfelben Reactionen auf die eingefprigte Fluͤſſtgkeit anftellie. Aus dieſem Verſuchen Hat fich ergeben, daß im Mittel der Kreilauf in der Zeit einer halben Minute beendigt if. Dabei iſt jeboch im Auge zu bes halten, daß die Bahn eines Bluttheilchens eine verjchieben lange-fein muß, je nachdem der Körpertheil dem Herzen näher oder ferner liegt; im erfteren Falle it der Kreislauf fchneller, im Iegteren fpäter vollendet. Außerdem iſt auch Die Gefchwindigkeit der Blutbewegung an ben verfchiedenen Gtellen des Gefäßcirkels eine jehr verfchiedene, wie dies nicht blos aus phyſtkaliſchen Gründen, fondern auch aus der mikroskopiſchen Beobachtung hervorgeht. Am langjamfien ift die Blutſtrömung in den Haargefäßen, in denen man fie mit bloßem Auge kaum wahrnehmen würde; am beträchtlichften in dem großen arteriellen Gefäßen, von wo an fie entfprechend ber immer fortidweitenden Theilung bes Arterienrohres in zahliofe Heine Aeſte abnimmt bis zu den Haargefäßen; in dem Wenenſyſteme aber in umgelehrter Richtung mis der bier allmählig eintretenden Erweiterung des Gefäßrohres zunimmt, jedoch niemals die Geſchwindigkeit des arteriellen Blutfivomes erreicht. Auch die Schwerkraft wirkt auf die Geſchwindigkeit der Blutfirömung ein; das Blut wird in den Füßen, wo es ber Schwerkraft entge- genwirkt, langſamer fließen, ald vom Kopfe aus abwärts nach dem Herzen. Daß dad Blut in dem Gefaͤßſyſteme ſtets unter einem gewiflen Drucke ſteht. und daß diefer Drud in den Arterien ein viel Beträchtlicher ift, als in den Venen, laßt ſich durch Verſuche auf das Wefinumiefte nachweiſen. Durch ſiunreiche aus⸗

B. wird der Blutdruck durch den Puls um Yg, bei den Hunden um Hr erhöht, bei den meiften anderen Thieren ift die Erhöhung eine noch geringere; während der Erjchlaffung des Herzens finkt die Blutfäule wieder um fo viel, als fie ſich bei der Syſtole erhöht hatte. Die Erhöhung des Blutbrudes durch die Puls— welle fällt natürlich in EEE Eee geringer aus ba, wie

tragend; er iſt in den dem Herzen näberliegenden Benen geringer —— den

Anfangozweigen; bie nee demiſelben

baren Veraͤnderungen hervor. en

* Auer ben biöher nahtihaft gemachten Berhältniffen. üben nach pahfeeie andere einen mittelbaren oder unmittelbaren Einfluß auf den Blutkreislauf aus,

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man 3. DB. eine Fleine Arterie dem Strome eined magnet selcctrifchen Apparates aus, ſo verlleinert ſich dieſelbe allmaͤhlig bis zum dritten Theile ihres Durch»

beſonders ausgezeichneter Weiſe an den Pulsadern finden.) auch jene unter dem Namen Tonus bekannte Erſcheinung am Gefäßſyſteme herdor.

Kreidlauf des Blutes und Krankheiten deö Herzens. 201

6 Tonus bezeichnet man nämlich jenen hwpothetiſch angenommenen Buftand mittlerer Gontraction, in welchem fich die Gefäße fortwährend befinden follen. Diefer Tonus oder befländige Spannungszuftand der Gefäße wechfelt unter zahlreichen Einflüffen weientlich, fo daß dadurch Veränderungen in ber Bertheilung der Blutmafie, bier bald Vermehrung, bort wieder Verminderung der Blutmenge hervorgebracht werben. Andere Veränderungen bes Gefäß. ſyſtems, das plögliche Erröthen oder Erblafien, die Befchleunigung des Pulſes bei freubigen Erregungen, wie die Berlangfamung bei nieberbrüdenven Ge⸗ müthszufländen zeigen nicht minder auf’6 Deutlichfte, welchen wichtigen Einfluß auch die Seele auf den Zuftand des Gefäßſyſtems auszuüben vermag; zugleich ein Beweis für die innige Wechfelwirfung der Seele und des Körpers,

Auch die Athembewegungen find von Einfluß auf die Bluteirculation, doch erſtreckt fich diefelhe nur auf die in den Bruftfaften eingefchloffenen Gefäße. Beim Einathmen, wo fi die Brufthöhle gleichmäßig ausbehnt und erweitert, ziehen die Gefäge das Blut aus den außerhalb der Brufthöhle Tiegenden Gefäßen an fi; beim Ausathmen findet das umgekehrte Verhältniß flatt. Es gleicht fich jedoch Liefer Einfluß der Athembewegung aus, da die hier angegebenen Berhältniffe nur für das Venenſyſtem Gültigkeit haben; in dem arteriellen Rohre findet das entgegengefeßte Verhalten flatt, bier wird beim Einatmen das Blut aus der Aorta und der Lungenfchlagader nach dem Herzen zurüdgezogen, wodurch es alfo dem Kreislaufe entgegenwirft und ten Einfluß, den die Athembewegung auf die Venen ausüben, ausgleiht. Bei jedem Einathmen wird zugleich der Drud des Blutes, befonders in den dem Herzen naheliegenden Gefäßen vermin« bert, bei jedem Ausathmen vermehrt, wie man dies an dem periodifchen Ballen und Steigen der Quedfilberfäule im Sämodynamometer fo nennt man das zum Meffen des Blutdrudes beſtimmte Inftrument deutlich fleht.

Welchen Einfluß auch körperliche Bewegung auf den Kreislauf übt, zeigt die Beobachtung, daß beim längeren Gehen die Zahl der Pulsfchläge mit ber Zahl der Schritte in einer Minute fleigt und fällt. Jede Muskelbewegung muß eine Veränderung in ber Blutfäule durch Drud auf bie Gefäße hervorbringen. Bei den in der Tiefe, geſchützt zwifchen anderen Theilen verlaufenden Arterien ift Dies viel weniger merflich, ald bei den Venen, die wegen ihrer oberflächliche- ten Rage und ihrer jchlafferen Wände äußeren mechanifchen Einwirkungen einen weit geringeren Widerftand entgegenzufegen vermögen. Um nun ben nachthei⸗ ligen Einfluß, den die Bewegungen auf die Denen ausüben würden, unſchaͤdlich zu machen, find in den Venen zahlreiche Klappen vorhanden, die fo geftellt find, daß fle in normalem Kreidlaufe ganz ohne allen Einfluß auf denfelben find, fich aber fofort entfalten und dem Blut den Rücktritt nach den Haargefaͤßen zu ver⸗ fperren, fobald ein Außered Hinderniß die regelmäßige Blutcirculation unterbricht. Außerdem ift noch durch die vermehrte Theilung des Venenſyſtems in mehrfache Stämme, wo bie Arterien nur einen haben, durch das gleichzeitige Vorhandenſein von oberflädglichen und tiefliegenden Denen, wie durch zahlreiche Verbindungen, welche die Venen unter jich eingehen, dafür geforgt, daß, wenn 3. B. die Gircu-

Kreislauf des Blutes uub Krankheiten des Derzens. 283

lange fortſetzt, ba ſonſt ſchwere Zufülle, ja der Aob eintreten kann. Das: Halten des Athems allein vermag keineswegs die Herzbewegungen gu unterdrücken, ja es wird ſelbſt die Zahl. der Bulsichläge Hierbel’ nicht bedeutend verringert, woron men ſich leicht an ſich ſelbſt überzeugen kann. Blanche Menfchen find jedoch im Stande durch Inhalten des Athems im Zuſtande ber Cinathmung derch dabei :ansgeübten Drud: den Puls an ber Vorderarriſchlagader zum Vers ſchwinden zu bringen.

Wir haben biöher nur bie Art uud Weile der Herzbemegungen ins Auge gefaßt, bie Urſache feiner rhythmiſch und umwilllürlich erfolgenden Gontractie- ‚nen aber außer Acht gelafien. Daß die Urfachen: ber regelmäßigen Bewegungen des Herzens im Hergen felbft zu fuchen find, geht aus der. merbwärdigen That⸗ ſache hervor, dag auch das ausgefchnittene. Herz nach Längere Beit rhythmiſch ſich fort bewegt. Läge die Urfache ber Herzbewegungen in ben großen Central⸗ orgauen des Nervenfoftemd., dem Schirn und Rückenmark, ſo mußte nach Ent- fermng des Herzens aus dem Körper, da hierdurch dieſer Einfluß aufgehoben wuͤrde, auch das Gerz flillfieben. Genaue Unterfuchungen haben in dem Herz fleiiche einen Rervenapparat, der als das Gentralorgan für die Gerzbewegung angeſehen werben muß, dargethan; das Herz trägt die Organe, don denen aus die Erregung feiner Bewegung erfolgt in fich ſelbſt. Durch weitere forgfältige Berfuche hat man ermittelt, daß das Frofchherz 3. B. zwei Nervencentra in fich beherbergt, vom denen das eine im Vorhof, das andere im Ventrikel, dem Vor⸗ hofe nahe liegt; das erftere dient der chythmifchen Bewegung des ganzen Ger zend, während die im Ventrikel liegende Rervenmafle nur bie Bewegungen des Dentriteld auf Reizungen befielben 3. 8. bei Berührungen vermittelt. —— Früher hielt man das Blut für den Erreger der Herzcontractionen, allein bieje Annahme if eine'unrichtige, da ſelbſt das blutleere Herz fortfährt ſich zufammenzuzichen. Aeußere Reize haben ebenfalld keinen unmittelbaren Einfluß auf Die periodifchen Herzbewegungen, indem auch bei Entfernhaltung aller äußeren Reize gleichwohl die Contractionen fortdauern. Waͤrme befördert die Herzbewegungen auffallend, wena man z. B. ein audgefchnittenes Froſchherz, deſſen Pulſationen anfangen nachzulaffen, nur einige Male anhaucht, fo beginnen feine Gontractionen alsbald von Reuem Heftiger.

Auf die Bewegung des Herzens hat gleidywohl auch das Gehirn durch fein zehnte Nervenpaar, den Lungenmagemerven oder den herumſchweifenden Ner⸗ ven, wie man ihn ſeines eigenen Verlaufs wegen nennt, einen weſentlichen und höchſt eigenthümlichen Einfluß. Durch den genannten Nerven werben naͤmlich die Herzcontractionen ihrem Rhythmus nach beſtinmt, indem er bei feiner Er⸗ regung die durch das Herznervengeflecht bedingten Gontractionen periobijch un» terbricht; ein Verhalten, welches dem aller übrigen Bewegungsnerven gerade entgegengefegt ift, indem diefelben durch ihre Erregungen Contraetionen bedingen. Zu diefer intereffonten Entdeckung ift man durch die galvaniſchen Reizungsuer- fuche, die man mit den herumfchweifenden Nerven anflellte, gelangt. So wie man bein Srofche 3. B. beide Lungenmagennerden durchfchreidet, beginnt. das Gerz alsbald ſchneller zu ſchlagen; fegt man bie Nerven ber. Wirkung eines con⸗

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| Körpers (Blejfimerer) einen wefentlichen verfchiedenen Ton in dieſer Art der Untere fuchung, dem Beflopfen, der Pereuffion, einen Weg gefunden, wodurch man fidy eine klare Anſchauung von der Größe, wor auch von ber Lage und ben Umriſ-

und. die an St Seine Su fe un a and Ga

Im, vr HET en nA EHE 69 "Diefe Art ee den beiden letzten Jahre zehnten in ausgezeichneter Weife geübt und gepflegt wurde, hat in der That zw überrafchenben Hefultaten über die Krankheiten des Herzens geführt. Sie hat

Kreitlanf des Blutes und Krankheiten des Herzens. 207

namentlich zunächft dargethan, dab Erkrankungen und Deränderungen des Her⸗ zens fich in weit häufigerer Menge finden als man dies früher glaubte. Diefe feitgeftellte Thatſache Hat hier wiederum dazu beigetragen, daß man ſeit jener Beit mit um fo größerer Sorgfalt bei jeder Unterfuchung die Aufmerkſamkeit auf das Ser; und defien Verhalten richtete, fo immer von Reuem die Häufigkeit der Herz krankheiten beflätigt fand und zugleich biefe eractere Unterfuchumgömethobe weiter verbteitete und ausbildete.

Weiter verdankt man biefem Unterfuchungsverfahren die überaus wichtige Watſache, daß die mannigfachflen Störungen de8 Herzens und feiner Thätig- feit vorhanden fein können, ohne daß der Kranke irgend welche Ahnung von fels nem Leiden bat. Diefer Umſtand wird wichtig ſchon dadurch, daß er bei jedem irgend erheblichen Krankheitsfall auffordert, die Aufmerkfamteit auf das Berz zu vichten und baffelbe genau zu unterfuchen. Der überaus große Werth dieſer Watſache für den Kranken Liegt aber darin, daß demfelben durch ein frühzeitige® Erkennen feiner Krankheit die Möglichkeit geboten wird, alsbald das geeignete Verhalten zu ergreifen, durch welches dem weiteren Umfichgreifen der Krankheit mit ihren Folgen nad Möglichkeit Schranfen gefet und das Leben fo verlän- gert wird.

Gegentheils bat man aber auch bie nicht minder wichtige und intereffante Erfahrung gemacht, daß die zahlteichſten Beſchwerden des Kranken am Herzen, als da find Drud, Schwere, Spannung, Schmerz daſelbſt, Herzklopfen u. f. w. vorhanden fein fünnen, ohne daß das Herz auch nur die geringfte Eranfhafte Veränderung Darböte, eine für den Arzt wie für den Kranken gleich wichtige Thatſache. Weiter hat fich gezeigt, wie der Verlauf der meiflen Erkrankungen des Herzens ein langſamer, fich über viele Jahre Hinziehender if; wie troß eines Herzfehlers ein erträglicher Zuftand während des Lebens beftehen und dieſes ſelbſt lange Zeit erhalten bleiben kann. Liegt hierin eine Ernuthigung für die Kran- £en, fo richtet diefer Umftand zugleich eine firenge Mahnung an den Arzt, nicht mit der Diagnofe einer Herzkrankheit fich zu begnügen und dann ben Kranfen feinem Schicfale zu überlaffen, fondern ihn vielmehr mit um fo größerer Sorg⸗ falt und unausgeſetzt zu behandeln, womit jedoch Feinedwegs gefagt fein foll, daß man den Kranken beftändig mit Arzneimitteln füttern folle. Dieier legte Erfolg der neueren Mebicin, eine vernünftige Behandlung chronifcher Herzkrankheiten, für die Praris zugleich der wichtigfte, iſt nicht das fchlechtefte Verdienſt, welches bie neuere Schule errungen.

Einflußreich find ferner die Erfahrungen, in welch außerosdentlicher Häu⸗ figfeit die Krankheiten des Herzens mittelbar oder unmittelbar Durch andere Er⸗ krankungen des Organismus hervorgerufen werden, wie andermtheild ſchwere Erjcheinungen in anderen Organen durch Störungen am Herzen einzig und als lein bedingt fein können.

Wir übergehen bie Entzündungen, bie ſich am Herzen unb feinen Theilen fo gut, wie an anderen Organen finden, laſſen auch die Erfranfungen bes Herz⸗ beutelö, die Herzbeutelwaſſerſucht und zablreiches Andere unberührt, um bie im

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Kreitlanf des Blutes un: kanfheiten des Herzens. 209

In analoger Weiſe kann man ſich bie Verhälinifie bei anderen Klappenfeh⸗ Sera. durch Bergegenwärtigen der phyſiologiſchen Verhaltniſſe verſinnlichen. . Iſt die Störung des: Herzend: fine maͤßige, fo Tann auch das Geſammtbe- Anden nicht oder nur fehr unbeträchtlich geſtoͤrt erſcheinen und eine wenigſtens retative Geſundhoit ſich längere Zeit erhalten. Fruher oder ſpaͤter, um fo eher, je beträchtlichen der Fehler ausgebildet, treten wellere ind ſchwerere Erſchrinun⸗ gen, tiefere. Störungen des Befamnitbefindene ein. Dieſelben find je nach dem Einzelfalle verſchieden, zeigen fich aber. mehe oder weniger in allen Organen. Neiſt nimmt das Ausſehen ber. Herzkranken etwas eigenthümliches an; wfele zei⸗ ‚gen ein bluͤhendes Ausichen, mit ruſchem Wechſel der Farben derbunden. andere find anhaltend. bleich and: blaß, hanftg zeigt. die: Geſichtsfarbe wie die Naͤgel einen Sta ind blauliche, das Geflcht erfcheint gedunſen; noft ſtellen ſich art: verſchiede⸗ nen Stellen: leichte waſſtrſuchtige Anſchwellungen ein,“ die wieder vergehen, um nach längerer: odet kuürzerer Friſt von Neuem zu erſcheinen, fo an den Weinen, Handen, an ben Augenlibern; im weiten Berlanfe ſtellon ſich meiſt auch waſſer⸗ füchtige Ausſchwitzung ia die Köeperhöhlen, den Unterleib, die Bruſt ein, Herz⸗ kranke find meiſt ſehr tehzbar, zum Erſchrecken und großer Amgftlichfeit geneigt; "häufig lriden fie an Schwindel: und anderen krankhaften Erſcheinungen des Gehir⸗ nes. Sehr..aft: inet ſich ein immer. wiederkehrendes Kaſenbluten; Blutungen aus den Lungen, chronifche Gaturrbe:u. ſ. w. derſelben find ganz gewoͤhnlich.

Jene eigenthämliche, früher als Wlaufucht. befchriebene. Krankheit, deren wichtigfte Erſchetnung / eine Serrächtliche Blaue Hautfärbung iſt, beruht meift auf einem angeborenen Herzfehler und zwar auf einem Offenbleiben des. eifdrmigen Loches, wodurch, wenn die Deffnung: beträchtlich, eine Verwiſchung des Blutes der rechten mit der linken Herzkammer bedingt wird.

Außer dieſen Klappenfehlern des Herzens * A; haufig auch anfeche

Verdickungen oderHypertrophten dre Herzens. entweder mit gleichzeitiger Aus⸗ dehnung dee Herihöhlen aͤder ohnedieſelben. Die: Folgen dieſer Herzverdickun⸗

gen beſtehen zunächfb in einem vorſtäͤrkten, die Vruſtwand beträchtlich erichättern-

"dem Herzſtoße, verbuaden mit zeitweiſer Unregelmaͤßigkeit der Hetzbewegungen, geinveiſe eintretendeni Herzklopfen, dabei Vorwölbung dev Herzgegend bei Außbeh- nung der Herzbämpfung: mit meiſt veränderter Lage. Much bei: dieſer Störung

kann ſich ein leidliches Befinden Tange: erhalten. :-Meift-bilden fich jedoch hierbei -feeuntär Klappenfehler aus, die matürlich den Zuſtand beträchtlich verſchliumern.

Der Verlauf iſt wie bar ben‘ Mlappenfehfern, mei ein langſamer/⸗ Aber. Sabre

quögebehnter. Ä Gewiß haben Ziele h von unferen geſern von Ho" ‚yoigpen vedem. Hören, ohne eine Idee von dem zu haben, was man darunter verſteht. Als Kergpolds '

pen bezeichnet. man nämlich faferftoffige Gertunfel des Blutes, die ſich in irgend

‚einer Abteilung des Herzens. gebildet haben .umd die man in außergeamöhnlicher

Häufigkeit in Leichen findet. Sie find meiſt von untergeordneter Wichtigkeit, :da fie gewöhnlich erft in den letzten Stunden:ded Lebens fi bilden, Häufig exit

nach) den Zode entftanden find. In frügeren Zeiten: fpielten- fie, im einen ge⸗ heimnigvollen myfliſchen Schleier gehültt, eine große Rolle in der Medicin. Die IV. 14

ähnlichen 2 *8* Ale Ken in en u Kr z

Fol Ci ar Ye ſehr gewöhnlich in der Kante

Kreiblauf des Blutes und Krankpeiten des Herzens. 211

Weije durch einen früßzeitigen Verfall der Kräfte. Hauptaufgabe bleibt es, wei⸗ tere Störungen zu vermeiden und neu auftretende nach Möglichkeit zu bekämpfen. Es eröffnet fich Hier für den forgfamen Arzt ein weites Feld, und es zeigt wie auch bei an ſich unheilbaren Krankheiten eine gute Behandlung für den Kranken don größten Werthe wegen Ermäßigung der Beſchwerden und zur Erhaltung bes Lebens ift. Die nächte Hauptaufgabe beſteht in der Grhaltung einer mög⸗ licht dem Normalen ſich nähernden Blutcireulation. Die Diät verdient eine befondere Vrachtung, fe’ foll Lietter. ofen Berhklinifen zunb in allen Perioden ber Krankheit eine ſtrenge fein, namentli find geiftige Getränke und reizende Speifen am beften ganz zu vermeiden oder doc mit großer Vorficht zu genießen. Namentlich muß man auch darauf achten, nicht zu viel Nahrung auf einmal zu fi) zu nehmen. Bei fehr gefchwächten Kranken muß natürlich ein ftärfendes Verfahren angewendet werden. Geiflige Anftrengungen, ebenfo gemüthliche Er⸗ zegungen find ganz zu vermeiden, ba fie. busch Iinsegelmäßigfeiien des Heß. ſchlages vom nachtheiligftien Ginfluffe find. Große Aufmerkſamkeit verdienen Eörperliche Bewegungen; fle find keinesweges gamz zu vermeiden, aber auch nie gu. weit zu treiben ; jede anfisengende Bewegung, Bergeiteigen, Laufen, Zangen u. ſ. w. iſt ganz zu unterlafien, Alle nöthigen Borfihtömapsegeln, Die der Arzt angerathen, müfien mit Gonſequenz durchgeführt werben, Die ganze Lebenaweiſe eine fireng geregelte, dem Gingelfalle angepaßte fein. Jede noch jo unwichtig, ericheinende andere Erkrankung bei einem Herzkranken maß wit des größten Sorgfalt behandelt werben,

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Der Parafitismus im Chierreich. : RE Bon _ | J en Dr. Georg Binmenbadh. Bine der merkwärtigften und befrembendften Erfchelnungen, welche uns die Ra⸗ Yargefcichte des Thierreichs darbietet, ift ber Paraſttiomus, d. h. das Vorhan⸗ denſein von Schmarotzerthieren, ober von ſolchen Geſchoͤpfen, die in und auf anderen Thieren leben und ihre Nahrung aus ihnen ziehen. Die Ausdehnung, weiche derartige Gejchöpfe in der Thierwelt einnehmen; iſt unendlich größer, als e8 auf den erften Anblick erfcheinen möchte, denn es iſt vielleicht nicht Ein “„Ihier, gleihviel welche Stufe es auch Immer in der Reihe der Ssebebten Wejen einnehmen mag, gany-frei von ihnen; ja mande Thiere find von der Natur förmlich beftimmt, verfchiedenen Arten berfelben zum Aufenthalt und zur Rabrung zu dienen, während andere dagegen nur von einer oder höchſtens von etlichen Arten derartiger Weſen heimgefucht werden. Sa, wenn man der Behauptung eined Engländer Glauben fchenfen wollte, der neuerdings wieder den alten Wahn auffrifchen möchte, daß unfer Erbball felbft nur ein ungeheures rieſiges organiſches Weſen oder, wie der große Keppler träumte, ein Riefenthier fei, fo könnte man, geſtützt auf die neueften mikroskopiſchen Un⸗ terfuchungen , behaupten, dad ganze Reich der Schöpfung, der befebten wie ber unbelebten, beftehe nur aus einer Ineinanberjchachtelung von Schmarogerweien, die fich bis ins Unendliche verfolgen lafſe. Faſt fein Theil des thierifchen Körpers iſt von ihrem Befuche frei; jeder bat beſtimmte Klaffen folcher Thiere, welche ihn entweder nur vorübergehend heimſuchen oder fi zum fteten Wohnorte nehmen. Manche halten fich auf dem Haupt, im Haar, in den Federn oder in den anderen Materialien auf, mit wel⸗ hen der thieriiche Körper bedeckt ift; graben bort Neſter für ſich in den verfchie- denen Stoffen oder wiflen fich auf andıre Weife ein paflendes Unterfommen auf den äußeren Theilen des Körpers zu verfchaffen, Eine ganze Thierzunft, bie ber Entozoen oder Binnenwürmer, lebt im Innern des thierifchen Kör⸗ pers, im Gehirn, der Leber, den Gedaͤrmen, Eurzum beinahe in allen Theilen der Eingeweide und ift häufig die Urfache ſchwerer und oft töbtlicher Krankheiten. Ja, dad Eyſtem des Echmarogerlebend im Thierreiche wird manchmal fo um⸗ fangreich und verfettet, Daß wir zahlreiche Beifpiele kennen, in welchen ein Schmarogerthier auf dem andern Icht, und jened wieder einem dritten, dieſes

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Der Parafitiämus: im Thierreich. 218

dritte vielleicht einem vierten zum: Aufenthalt dient, fo daß: wir diefelbe Erſchei⸗ nung durch vier verfchiebene. Stufen verfolgen können und den Beweis vielleicht noch weiter gu führen vermöchten, wenn und bie Hülfsmittel unſerer Sehkraft, die Vergroͤßerungsglaͤſer, nicht jenfeit gewiſſer Grenzen im Stich ließen.

In manchen Fällen find wir nicht im Stande, uns einen genauen Begriff von ben Zweden zu machen, welchen biefe.Befchöpfe zu dienen beflimmt find; in anderen tritt dieſer Zweck mehr zu Tage, und in ſehr vieler Faͤllen erkennen wir fogar deutlich, daß: die weile Abſicht des Schöpferd eine befondere gute. Abſicht mit ‚der Schöpfung dieſer Schmaroperthiere verbunden: hat! Viele der Racen der fogenannten niedrigen Thiere, z. B. der Infeften, vervielfältigen fich auf übers aus furchtbare Weife; es macht fih in ihnen ein, Befireben geltend; fich über Gebühr zu vermehren und die Grenzen zu überfchreiten , welche ihnen im Hause halte der Natur geſteckt worden find. .Vermittelft diefer Schmarogerthiere, welche unter. den eben. angeführten Thierklaſſen weitaus am zahlreichſten find, wird ‚eine Reihe. von Gegenwirfungen and Hemmungen ‚bergeftellt, um dieſe uͤberwuchernde Sruchtbarfeit einzudämmen und ein vaſſendes Gleichgewicht unter den verfchie⸗ denen Thierracen zu erhalten. Die Rasur. felbft if ſtets der beſte Arzt für bie Gebrechen, welche fie wirflich mit gich bringt ;. die Weisheit des Schöpfers hät:in dem Kreißlauf.des organiſchen Kebens jchon im Voraus dafür geforgr, daß daB hewundernswerthe Maaß, die erhabene Garmonie des Ganzen, nirgends geſtoͤrt, daß bie überwuchernde Kraft und das überwuchernde Leben überall eingedaͤmmt werden, damit alle Kräfte: ſich gegenſeitig das @leichtgewicht halten. Wie im Leben der Menſchenrace die Geſchichte und: nachweiſt, daß Kriege und Seuchen jo oft zur rechten Zeit die allzu dicht gefäcte Bevölkerung gelichtet und den Ente. wickelungogang der Civiliſation zwar auf Augenblicke durch Kriege u. dgl. ſchein, bar gehemmt, nach deren Beendigung. aber mit Rieſeuſchritten wieder gefördert haben, mie wir in den räuberifchen: Macen der Wirbelthiere ebenfalls ein: Mittel ſehen muͤſſen, überwuchernden Leben ber auderen Thiere entgegen zu arbeiten, ſo ſind die Schmaroterthiere ein zwar unſcheinbares, aber darum ie minder wirkſames Mittel. zu dem gleichen wel. .. ".:: Z

Man unterſcheidet untes ben Schmarotzerthierenve ch te und uneste Bas rajiten,. . Echte nennt: man ſolche, ‚Die ſich gewöhnlich auf fremden Thierkör⸗ pern aufhalten und ſich auf dengelbenfortpflanzen wie z. B. die mei⸗ fien Milben, wahre. Läufe 26., gu: den. unerhten: gehören diejenigen, welche nur einen zeitweiligen Aufenthalt: auf dem Thierkörper nehmen und ſtch nicht af demielben fortpflanzen, wie * B. mehrere Drenfen, Bieekiaen: bangen, AR kitos, manche Flöhe u. dgl. Fe

Wenn wir oben fagten, daß fein thieriſches Geſchoöͤpf dicſer Plage Teig cd, 1 jo beginnen wis billigerweiſe unfere Betrachtung an dem Menſchen ſelbſt, als der Krone und Spige der ganzen organiſchen ˖ Natur. Es iſt ein feltfamer aber une verfennbarer Fingerzeig des Schöpfers, daß gerade der Menfch, den feine Otiſtes⸗ vorzüge, die Bielfeitigfeit feiner Ihätigfeit und Kähigfeiten, der wunderbare Bau und Mechanismus feined ganzen Körpers fo unendlich hoch über alle anderen. Thiere jtellen, beinahe am meiſten Schmarotzerthiere auf und in feinem Körper :

fähls an oma —— —— ee eift und Gemüch gebilde ta Me *

——— beim geſucht wird? daß der Menſch, je mehr'er verthiert/ deſto mehr feinen n Ungeziefer aller Art bewohnt und allmälig zerftört werden

——— Worten der Schrift und der Be⸗ fimmung ber Borfehung nach dem Tod zur Nahrung dienen foll. Im jugend⸗ lichen Alter ift der Menſch hauptſaͤchlich von zwei Eingeweidewürmer Heimgefucht, dem Spulwurm (Asearis lumbricoides) und dem Madenwurm (Oxyuru vermicularis),, welche oft jo fehr überhand nehmen, daf fie Frankhafte Zufälle erregen. Im reiferen Alter ift er vom Peitſchenwurm (Trichocephalus dispar) Kg, din de gönnen Me ee ; Lauſeſucht ſollen a N Tee Seren, aretina, 2 —— Be Dictator 9. alfer * an und Philipp der zweite von Spanien geſtorben ſ fein E. anni, ml AD

Der Parafititegub in Thierreich. "215

Spiralwurm (Trichima spiralis) ;: &er : ur :eine'halbe Linle lang ik und zwiſchen den Bafern der willfhrlichen Muskeln reihenweiſo Huufı-: FIm menfchlichen Anne fommen nidyt wewigen als -dreierlei. Würmer vor, Deinen man neuerdings die Ur⸗ fache.der Staaverblindung deffelben beilegt, obwehl:es noch nicht gehörig. darge⸗ than ift, ob diefe nur im ftaarblinden Augen worfominenden Würme Urſache oder Folge der: erlahmten Tätigkeit dieſes wichtigen Sinneswerkzeuges find. Bekannter ift das Vorkommen: des Baunbwwrmwes im feinen verſchiedenen Ab⸗ arten, an welchen einzelne Menfchen 20-30 Jahre lang Kitten’ und von dem manche Stände, 3. B. Kochinnen, Schlächter, Schneider vorzugsweiſe heimge- fucht, manche Länder dagegen ganz frei find, : :Mertiuhrdig ift, daß der Bands wurm der Schnepfe, dev Hauptbrflandegeil Des. fegenannten Schnepfendrecks von manchen Menſchen für einen. beſonderen Leckerbiſſen gehalten wird. In tropifchen Gegenden: find die Eingebosenen ‚Häufig ben Angriffen eines rieflgeri Schmarogerthierd ausgefegt, der unter. dem Namen de Guineawurms., Res ger⸗ oder. Rervenwurms (Filaria medinensis) bekannt iſt. Diefer dunkel braune Fadenwurm von 2—3 Fuß Länge und einer. Biertellinie Dicke graͤbt ſich unter die Haut der Fuͤße ein und bleibt manchmal Jahre fang dort unbemerkt, weil er nur felten oder nur nach Magbgabe des Orte an dem er ſich eben beſtn⸗ det, Schmerzen verurfacht. Er kommt auch an den Händen und unter der Bindehaut des Anges vor, iſt am haͤufigſten in Afrika: bei Negern und Euro⸗ päern, befonders am Senegal, erfchelnt aber auch in Europa und Anterika Doch meift nur.bei Perfonen, - welche felbft. in Afrika geweien oder mit Afrifanerw in ein. näheres Verbältniß: gedommen find. Dus Weibchen iſt oft mit vielen lebendigen Jungen angefhtlt, bie ich auch in den Eiter der Befchwüre vorfinden, aus denen ber Wurm nad, Außen ausgeſtoßen wird. Bei manchen Regern; bes fonders foldden, die zur Settleibiglelt geneigt And, foll der Nervenwurm eine Länge von 10 Fuß und. die Dicke eines Taubenkiels erreichen und nicht anders abgetrieben werben Söunen, als dadurch, daß der Matient geduldig abmwartet, bis ein Theil vom Körper de Wurms Durch Die Haut zu Tage kommt, an welchen er ihn dann ergreift und -langfam und. verfichelg herauszieht, wobei er jedoch jehr auf feiner Hut fein. muß, daß er das feingebaute Thier nicht zerreißt. Won den Flöhen iR der Sandfloh: (Pulex penetrans, Chique) der. Hekgem- Länder wett fchmerzhafter für den Menſchen, ald fein: verwandter Bruder, der: gemäßmfiche Floh (Palex irretans) ‚der kälteren Regionen; denn. das befruchtete . Weibchen jenes Flohs gräbe ſich Menfchen und Thieren in die Fuße ein, befunders unter: die Nägel der Fußzehen, wo es dann ſehr anfchwille und eine große-Blafe bildet, weiche die Eier enthält. Wenn die Jungen ausſchlüpfen, ſo veranlafſen fie hef⸗ tige Geſchwuͤre, bie ſehr ſchmerzhaft, ſchwer zu heilen und oft toͤdtlich And, wer fle in Brand übergeben. ı Sudamerifn,, die Grimath: des Sandflohs, beherbergt: noch ein. anderes für’ den Menſchen ‚gefihrliches Thier, nänilidy die Menſchen⸗ bremfe (Oestrus hominis), welche nach Merander v. Humboldt ihre Eier unter die Haut des Menichen legt und ihre Jungen durch die natürliche. Wärme derſel⸗ ben ausbrüten laͤßt.

Die meiſten der vorerwaͤhnten Saohethicre rommea PEN auch

webe und puifchen den Muöfelfaiern bed —**— vorfommt und oft die Gröfe eines Fingerohutes erreicht. Die Finne wird auch Häufig bei Menſchen im Ge—

Der Paraſitismus im Thierreich. MT

hirn, den Nieren, der vorderen Kammer und ber Binbehaut der. Augen u. ſ. w; angetroffen. Ein anderer Blafenwarm iſt die Leberfinne ber Grafen, wi die Franzoſenſeuche unter .dDiefen Thieren veranlaßt.

In des ganzen Zunft der Schmaroperthiere ift vielleicht Fein einziges für den beoßachtenben Raturforfcher fo merkwürdig, als die. Bunft Der Bremfer oder Biesfliegen, von welchen die Pferbewürmer herrühren. Dieſe Mücken⸗ art iſt etwas größer als die gewöhnliche Schmeißfliege und von gelhlichbrauner Farbe. Das Weibchen iſt mit einem röhrenförmigen Apparat verſehen, welchex ſich in-einen Hafen endigt und zum Eierlegen dient. Hat naͤmlich bie weibliche Miesfliege ſich das Pferd ausgefucht, den fie ihre Rachkommenſchaft anvertrauen. will, fo jet fle ſich an die Sihulter oder an den Fuß deilelben mit einem Ei in dem feinen Gäfchen, das am Ende jeiner Afterröhre Liegt und fegt dieſes Ei an ein Haar, woran es mittelft eines gallertartigen Stoffe oder feinen -Leinis hängen bleibt, womit das Ei bekleidet iſt. Hat fie auf dieſe Weiſe ˖ſich aller ihrer Eier entledigt, ſo glaubt die Biesfliege Ihre Mutterpflicht erfüllt zu haben, fliegt da⸗ son und: überläßt das Ei allen Wechſelfaͤllen, die es noch befallen mögen. Die. Eier müffen durch die Hautwärme und Ausdünflung bed Pferdes ausgebrütet werben, was fchon nach wenigen Tagen geichieht. Die Fleinen Larven verure. ſachen dem Pferde ein unangenehmes Juden auf der Haut, und. es beledt nun bie empfindlichen Stellen. Dadurch gelangen fie an die Zunge und in Die Munde’ höhle des Pferdes. Zu diefem Behufe legt die Bremfe ihre Eier auch nur auße- ſchließlich am die Vorderfüße und die Schulter des Pferdes, wa dieſes mit dem Maule um fo leichter zu kann; aber ſelbſt wenn djes nicht der Fall maͤre, fe: gehen die Maden der Biesfliege nicht verloren, de die Pferde einander abzulecken pflegen und auf dieſe Weiſe rin Pferd, das noch nicht an. Moßwuͤrmern leidet, ſolche von einem ‚anderen bekommen Tann. Die in Ma Mundhöhle des Pferdes gelangten Maden der Biesfliege werden mit: ben Nahrungsmitteln verſchluckt und gelangen in deu Magen, der oft von: ſolchen Würmern ganz hepflafiert erſcheint, ohne daß dies jedoch ber Geſundheit der Bferde Eintrag tbäte. Im -Magen endx wideln ſie ſich bis zur: Größe son Dattelfernen, laſſen dann los, jobald fie aub⸗ gewachſen find, gehen mit dem Miſtdurch alle Windungen des Danmkanals ah und: fallen mit den Roßaͤpfeln auf bie Erbe, rin welche ſie ſich einbohren und .nere ı puppen, menn fie nicht zuvor von den verſchiedenen Schmeißvogeln herauegeholt werben, welche nech diefer Speiſe fehr Lüftern find. Wer mollte in dem Inftinkt, : in dem gebieterifchen Raturdsange, welcher diefe kleine Fliege auf foldye Weiſe für ihre Rachkommenſchaft zu forgen gelehrt hat, bie unvergleish. weile und gütige Schöpferabfiht Gottes .vertennen? Komm’ ber, armieliges Menfchlein, das du Dich fo gerne befonnft in dem winzigen Lichtlein deiner Vernunft und wage Ans geſtchts ſolcher Wunder noch von Zufall zu reden! . -

Die Made der Pferdebremſe iſt auch ganz geſchaffen für ben Rebensuet, ber. ihr in den Eingeweiden des Pferdes vorgefchriehen if. Sie. if etwa drei Biertel-Zoll lang, dunfelbraun, Fegel« oder birnförmig (etwa in der Geſtalt eines Tupfernen Bulverhorns), ohne Kopf, mit zwei nad) unten gebogenen, parallelen Hornhäfchen, womit fie fich in der Magenhaut fefthalten kann; an den Rändern

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en nennen re Schmarotzern gehört, iſt die bekannte Zecke (Ixodes rieinns), welche beſonders N Bean in vn Dr el ynae era main ver urnis

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Der Paraftibinns im Thierreich. 218

Sthmaropertbiere müßten von entfprechendem Umfange und bebeutenter Größe fein. Allein dies ift keineswegs ober wenigften® nicht in auffallenterem Grabe der Fall. Eines der befannteften Schmarogertbiere der Wale ift die ſogenannte Walfiſchlaus (Oniscus ceti), ein feltfames Erebsartiges Thier mit laͤnglichtrun⸗ dem Körper, der aus neun Ringeln oder Segmenten befteht, mit acht Yüßen, die in einer ſtarken Klaue endigen. Sie find auf einzelnen Walfifchen fo häufig, daß je dieſe ſchon von weitem durch Die weiße Farbe Eenntlich werben, welche fle dem Waffer mitteilen, wenn fie, um zu atmen, an bie Luft fommen. Weißt man fie hinweg, ſo findet man gewöhnlich die Haut unter ihnen ganz weggefreffen und bie oberflächlichen Theile mehr ober minder verliebt. Sie legen ihre Gier in eine Art fchaliger Tafche unter dem Schwanze, worin biefe bleiben, bis fle ausgebrütet find. Selbſt Die Jungen werden noch eine Zeit lang in biefem Be⸗ hälter mitgetragen, was an Die Beutelthiere Auftraliens erinnert. Es gibt meh⸗ rere Spielarten der Gattung Cyamus, worunter die oben erwähnte auch an der Makrele gefunden wird. Die Wale ber Sädfee und der oftinbifchen Gemäffer haben ganz andere Arten, als die der nördlichen Meere. Die liebften Stellen am Walftiche find ihnen die unter den Kloffen und an den Weichen, in der Nähe des Schwanzed. Zwei Weichthiere aus der Gattung der Meereicheln leben ebenfalls als Ungeziefer an den Walfijchen und werben von den Matrofen irr, thümlich gleicherweiſe Walfifchläufe genannt. Es find dies Coronula balaenaris und Diadema halaenarum, wovon erftere auf und in der Kopfhaut, letztere an Bruſt und Floſſen der Walflfche anhaften. Die größte Plage der Wale ift aber’ die fogenannte tonnenförmige Walfiſchlaus (Tübieinella balaenarum) ;' biefe eichelartigen, aus mehreren Ringen beftchenden Gliederthiere fenfen ſich 618’ zum letzten Ring in die Haut der Walftfche ein, und bedecken diefe buchftäblich an manchen Stellen. Die Zahl der Ringe bezeichnet tie Altersgrade diefer Cirrho— poden, wechfelt daher fehr häufig. Auch mehrere Arten von Meerafieln leben als Schmaroger auf den Walen, wie denn überhaupt Fein größeres Neerthier ganz frei von ſolchem fogenannten Ungeziefer iſt.

Auf die Echmaroger der diſche und Schildkröten werben wir noch zu ſpre⸗ chen kommen.

Ein nach Geſtalt und Faͤhigkeiten ſehr intereſſantes paraſttiſches Thierchen iſt die Fledermausmilbe (Pteroptes, auch Gamarus vespertilionis), beſonders ausgezeichnet durch eigenthuͤmliches Ausſehen und audnehmende Geſchwindigkelt feiner Bewegungen. Es gehört zu den Milben oder ungeflügelten Inſekten, gleicht aber von Beftalt mehr einer Epinne. Da diefe Milbe auf dem Flügel der Fle⸗ dermaus Tebt und zwar hauptfächlich auf dem ganz kahlen Theil deffelben in der Nähe der Klaue, mittelft der dieſes Thier fich aufzuhängen pflegt, fo könnte ſehr Teicht abgefchüttelt oder von der Stelle gerädt werden; um es daher in den Stand zu fegen, fich feftzuhalten, befindet fidy an jedem feiner Füße ein Tleine® Bläschen, das es ald Sauger anwenden kann. Um ihm ferner die Moͤglichkeit zu geben, feine Stellung wieder einzunehmen, wenn e8 verrückt worben iſt, beftgt‘- ed die Kähigkeit, jeine Füße ſogleich aufmärtö zu drehen und fo zu fagen auf dem- Rücken zu geben. Ja das Thierchen kann fogar, wenn ed nur will, nur einen

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Der Parafittämik im Thierreich. u

Baues do bis jet noch nicht häufig befchrichen worden fin, Ein beſonders merkwuͤrdiges Thier (Achtheris percaruni) ans der Klaſſe der Krebſe, lebt an den Floſſen und an den Kiemen des Flußbarſches amd Sanders; es iſt etwa 2— 222 Linien lang und fein Körper beftcht aus zwei’ Theilen, deſſen fürzerer von Kopf und Vorderbruſtſchild, die nicht einmal durch eine Naht getheilt find, deſſen längerer aber aus jech® Ringeln gebildet wird; am Bauchſchild befinden ſich zwei Eierbeutel, welche mit einer fchr zahlreichen Brut gefüllt find. Das hier Tebt Häufig im Munde des Barſches freilich ein ſehr gefährlicher Auf⸗ enthalt wo es nicht nur Gefahr laͤuft, von den’ Zähnen zermalmt, fondern auch mit den verichlebenen Nahrungsmitteln dieſes Thieres gefaut: und "Durch deſſen Magen ‚abgeführt - zu- werden. Das hier braucht daher einen Apparat, mit dem es ſich an einem beliebigen Orte anheften kann, und dieſes Werkzeug, das. bei ihm wirklich vorhanden ift, ift fo ſinnreich, daß es füglich näher beſchrie⸗ ben zu werden verdient. An dem Hinteren Theile des Bruſtſchildes diefes winzi⸗ gen Krebſes entfpringen nämlich zwei, fe von einer Seite ausgehend, armför- mige Inorpelige Anhängfel, welche vorwärtd gebogen find, bis fie gerade vor dem Kopfe zufammentreffen; genau auf ihrem Vereinigungspunkte ift ein becherfäre miger Saugapparat angebracht, mittelft deffen ſich das Thier in der Schleimhaut und den Zellgewebe des Fiſches feflfaugt und fo- gewifiermaßen gegen jeden ' Sturm gefichert vor Anfer liegt. Bei der flarfen Bewegung der Kiemen bed Barſches wäre fein einziged Anhaftungsmittel To ficher und fo zweckentſprechend, als diefes, um fo mehr, als es für Maul und Kopf des Meinen Krebfed die un⸗ bedingtefte Freiheit und Beweglichkeit zuläßt. Zwei ähnliche Thierarten (Tra- cheliastes polycolpus und maculatus und Brachiella impudica, fommen ebenfalls noch an Fiſchen ver und zwar erftere beide an: Floſſen und Schuppen verſchiede⸗ ner Karpfenarten, dad lehtere an den Riemen der Scheilfiiche! Die verſchiedenen Karpfenarten und Brachjen find außerdem noch von dem fogenannten Fiſchband⸗ wurm {Caryophyllaeus mutabilis) heimgejucht, der manchmal über einen Fuß lang wird. Der Kappenwurm (Cuculanus elegans), vier bis ſechs Linien lang, lebt im Darm vom Hecht, Barfcy und Wels, beſteht aus einer blafigen Kappe von röthlicher Farbe und daran hängendem Schwanze, der beim Maͤnnchen mit einer Seitenfloffe verfehen, beim Weibchen aber ſtumpf if, und gebiert lebendige Junge, die man ſchon in den Eiern’ innerhalb der Mutter fich bewegen: fehen fann. Gin anderer Fleiner Krebs aus der Familie der Lernaeoeeren von adht Linien Länge, Icht auf Karauſchen, ein anderer im Sie des Se, ‚im dritter im Auge des Herings.

Die Karpfenlaus (Argulas foliscens), ebenfalle ein Meines krebs artiges Thier, wird auf verſchiedenen Suͤßwaſſerſiſchen Mitteleuropas ge⸗ funden.“ Ihr Körper iſt mit einem beinahe kreisrunden Schild bedeckt, der oben abgeflacht und durchfichtig if. Das Thier Bat, wie die meiften anderen Echildfrebfe und Fifchläufe, zwölf Fuͤße, bie alle bis auf das erfle Paar gefiedert und beflopt find, jo daB das Thier fehr leicht ſchwimmen kann, wenn es feinen Aufenthalt zu wechfeln verlangt: Das erfte Fußpaar ift in Sangarme verwandelt, eined der gewöhnlichflen und wirffamften Anhaftungs⸗

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wittel unser: biefen Thiexklaſſen. Des Mand iſt in einen ipigigen Schnabel ver- „wandelt, ven das Thier in ben Körper des Fiſches einbohrt, um deſſen Blut -sin- " ;awiaugen, ſohald es feine Saugarme angeheftet hat. Alle Bemaͤhungen des Fiſches, dieſe Schmarotzer loq zu werden, ſind vergeblich, und ber. arme Fiſch wird oft das Opfer des Blutdurſtes eines ſolchen winzigen Paxaſiten. Die NHarpfenlaus konunt übrigens auch auf Stichlingen, Schleien, Fröſchen, Forel⸗ ‚Jen, Kaulquappen x. vor und erſieht ſich vorzugöweiſe junge Fiſche zum Opfer. Manche andere Arten von Fijchläufen, Schildkrabben ac. kommen auf Fluß⸗ und „Meerfiichen nor, und faum-ein Körpertheil des Fiſches iſt vor ihrer verheerenden Mier ficher.. Bejonders fcheinen fie es auf Die Kiemen gbgejehen zu haben. Cine Spielart, Tristome coccineum, etwa einen Zoll breit und feuerroth, jet ſich an Die Kiemen des Schwertfifches; ber Cecrops an die des Steinbutt und Thun⸗ Hiſches; eine andere, die Störlaus (Wichelesthium sturionis) an die Kiemen bed Störs und Hauſens. Die merkwürdigſte Gricheinung unter den Schildfrebjen .Äft. die Hummerlaud (Nicothoe astaci), nur eine-halbe Linie lang, und drei s@lmien Breit, welche in den Kiemen des Hummers hängt, ‚ber einzige befannte Fall, wo ein Krebö auf bem anderen lebt. Alle dieſe Thiere können ſich nur ver- mitielſt ihrer Saugerorgane befefligen. Cine wurmartige Gruflacee Lernaea bran- chialis, hat mehrere verzweigte Hörner um ihren Mund, mittelſt deren fie fich in : den Kiemen bes Kabliauß und Schellfijches befeſtigt. Eine andere Lermäenart, dr Schwertfilchwurm, Penella philosa, von beinahe Spannenläuge, mit ‚gerader Pergamentröhre, bohrt ſich mehrere Zoll tief ins Fleiſch ber Schwert⸗, Ihun⸗, und Kugelfiſche und anderer größerer Meeresbewohner ein und verur⸗ ſacht ihnen großen Schmerz. Es ift beachtungswerth, Daß bes Schwertiid Hekanutlich einer ber gefräßigften und gefährlichiten Raubfiſche ganz beſonders ‚non Schmurogerthieren heimgeſucht zu werden ſcheint, und die Thatſache, daß aan ſo häufig-Sremplare von. ihm geſtraudet finder, hat auf die Vermuthung „geführt, das Thier werde vielleicht manchmal von jeinem Ungeziefer jo fehr ge wꝓlagt, daß eB feine Qual nicht mehr Länger ertragen Eoune und jich felbit-auf „den Strand werfe, um der Duälgeifter und des Lebens zu gleicher Zeit los zu werden. Bekanutlidy ift Die Klaſſe der Kifche unter allen Thieren beinahe noch „am wenigiten bejchrieben, baber kennen wir auch noch jehr viele der Cingeweide⸗ thiere und Außeren Parafiten der Fiſche noch nicht; jo viel aber il gewiß, dab bie Bahl der ſchon jept bekannten Schmarotzerthiere der Fiſche in die Tauſende läuft. : Die Klaffe der Infekten bildet, wie wir im Obigen dargethan haben, weitaus die Mehrzahl ver Schmarogerthiere. Dieje haujen, wie wir gefehen ha⸗ „sen, in und auf einer geoßen Anzahl verjchiedener Thiere und zwar in eben jo serfchiedener Weiſe. Gleichwohl aber entgehen auch fie dem großen Raturgejeße nicht, wornach jedes Thies beitimmt ift, andere zu verzehren und wieder von jols chen verzehrt zu werden; und auch fie, fo Klein fie manchmal auch find, muͤſſen Hier wiederum Gejchöpfe beherbergen, die vom Lieberfchuß ihrer Lebenskraft zeh⸗ zen. Die größeren Injekten und befonderd die Käfer werden von jenen Baden würmern heimgefucht, die zum Gejchlechte der Waſſerkaͤlber (Gordius) gehören. Dies find ganz eigenthümliche jaitenförmige Würnichen mit flarrer Haut, fpannen-

Der Parafisiienus, im Thierreich. 298

‚Jap, Wind und. After. an den entgegengefehien Körperenden, die ſich dunch Cigr „foriaflangen und ſowehl ins Treien, ols much. im thieriſchen Körper Ichen Tünmge. Ebenſs find: die größeren Käfer: häufig mit nenfihiedenen Milben behaftet; Agr große Roß⸗ oder Stinfläfer. (Searabaens. atarcorarius) iſt heſondere mis Solegegı

‚Angeplefex: behaftet uud man Tann ihm häufig ‚bei warmes heiter ganz fraftlos nd rathlog wegen dieſer Urſache am Wege liegen ſehen. Die fleißige, mögliche „Biene muß. nicht nur ihre angeſammelten füßen :Schäpe. durch andere Thiepe Ylümdern laſſen, iondern..wizb ſelbſt noch von einem Schmarotzerthigre heinge⸗

ſucht, das in das Geſchlecht der. Milben gehört und ein ganz eigemhämlichtes ‚Ansehen hat... Die Bienenlaus (Braula.coeca, nicht ber ſanſt exwaͤhnte Padicy- Ins meliszan) hat einen braunen glängentem Körper, ber and zaͤher Lederhaut, he⸗

ſtehn Sie iſt ganz blind und Feine Spus.pom Augen: bis jet daran zu enibenfen

geweſen; hie Stelle der feptexem ſcheinen ein Paar Fühlhoͤrner zu vertreten. „Des ‚andere Fußgelenke der Bienenlaus. ift nicht mit Klauen verſehhen, wie Bei. ber Mehrzahl ſolcher Geſchöpfe, ſondern mit siner querliegenden Reihe: verſchiedener Haken und Widerhafen, welche weit mehr geaignet Bub, das Thier in Dewm.fei-

nen Haar feſtzuhalten, womit bee Körper bey Biens überkleidet il. Das Vor⸗ kommen dieſes Schmarotzerthieres iſt der Biene offenbar fehr unbehaglich, ham

‚ie wird ausmehmend unruhig uud jchwärmt in. allen Richtungen unher, als ſuche fie Ruhe oder die Mittel, ihren Feind las zu werben ; wird gar bie Königin von Laufen befallen, fo legt fie Feine Eier. mehr und zeigt. jede Spux non Unbe⸗ bagen. Die. Bilapzenmilbe (Uropoda vegetans) hängt ſich in Unzahl an verſchie⸗

dene Infeftenarten an, mittelft einer langen feinen Faſer, die aus dem Ende

ihres Körpers hervorragt, und ſaugt burch dieſe feine Röhre die Säfte an ſich,

: die ihr zur Nahrung dienen. Auf biefe Weife werden manche Inſekten, bie:fich ‚vom Blute anderer Thiere nähren, durch eine Urt Wiebervergeltungäprozeß,ge- zwungen, einen Theil ihrer eigenen Lebenskraft an andere Ihiere-abzugehen,

und diejenigen Menichen, welche von Sterhfliegen und Müden geplagt wer⸗

ben, beſonders aber die armen Reiſenden, welche im. ben Tropenländern ben

ſchmerzhaften Aberläffen der Muslitos ausgelegt geweien find, werden mit einer

zu veihtfextigenben Schadenfreude vernehuen, daß ihre biutbürfligen Quaͤlgeiſter

‚unter derſelben Bein leiden ,.vie fe serusfuchen; denn auch fie muͤſſen ihrerſeits ‚einem winzigen Gegner zur. Nahrung dienen, der auf ihrem Körper hauſt. Viel⸗ leicht die merkwurdigſte Beobachtung über das Schmarotzerſyſtem in der organi⸗

ſchen Natur, die wir kennen, rührt von dem berühmten ſchwediſchen Entomoſo⸗

gen de Geer ber. Ex ſah eines Tages einen Haufen kleiner Milben auf dem

Körper eines Miffäfers (Lepture) und brachte diefen daher unter ein Vergräͤße⸗

rungsglas, um das Treiben. diefer Schmarotzer zu beobachten; da fah er nun,

daß der Käfer nicht mehr gehen konnte und durch bie Verdrehung feiner: Füße

Schmerz beurfundete. Die Urfache davon ließ fich bald erfennen, denn eing her

Milben Hatte ihren Sauger an ben Käfer angefegt und ſog feine Säfte herauf;

an dieſe erſte Milbe hatte ſich im gleicher Moficht eine zweite gehängt, an die

zweite eine Dritte und fo ging es in lauger Weihe fort, bis zu einer ziemlich he⸗

Deutenden Anzahl, indem bie Milben durch die Frichterfürmigen Röhrchen feit

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—B benstheile der Raupe zu verletzen, arena een wider Willen gerade

Der Paraſitismus im Thierreich. 225

noch lange genug Iebt, um bie Schmaroger in den Stand zu fegen, ihre voll⸗ fommene Reife zu erreichen. Dieje fuchen ſich dann entweder einen Ausweg und puppen fh am Boden ein, oder jene Veränderungen finden ebenfalls innerhalb der verfchrumpften Haut der tobten Raupe flatt.

Selten vertrauen die Schlupfwespen ihre Nachfommenfchaft den Körpern teifer oder fogenannter vollkommener Infekten an, und dies ſteht volllommen im Einklang mit der ihnen angewiejenen Pflicht, der überwuchernden Vermehrung anderer Infektenzünfte zu fleuern. Diejenigen Infekten, welche der Vegetation. am.gefährlichften find, find die Schmetterlinge, Rachtfalter und Motten, und dieſe müfler daher zunaͤchſt innerhalb beflimmter Grenzen der Vermehrung gehalten werden; nun pflegen die Weibchen biefer beiden Infeltenzünfte ihre Gier bald nach ihrer Verwandlung in Schmetterlinge zu legen und dann binnen Kurzem. zu fterben, als hätten fie den Zweck erfüllt, um deſſen willen ſie die volllommene: Geftalt angenommen haben, Den Zwed nämlich, die Fortpflanzung ihrer Art zu fihern. Diefelbe Erjcheinung bemerfen wir mehr oder minder bei den meiſten In⸗ fetten. Würden Daher Die Schmarogermüden ibre Eier nur auf vollfommene In« jekten legen, jo läge bie Wahrſcheinlichkeit und in den meiften Fällen die Gewißheit vor, daß diefe Inieften dadurch nicht am Eierlegen verhindert werden würden; ihr fchneller Tod aus natürlichen Urjachen würde vielmehr nothgedrungen auch den Tod des Schmarogerd bedingen. Doch finden wir and) Beweiſe vom Ge⸗ gentheil: die gemeine Schabe (Blatta orientalis) 3. B., welche beſonders in Bäderhäufern jo häufig ift, wird oft das Opfer einer Heinen Schlupfiwespe, von höchſt ſeltſamen Ausſehen, weil bei ihr der Hinterleib, der gewöhnlich ten augen- fälligften Theil des Körpers diefer Thiere bildet, Hier nur zu einem winzigen dreiedigen Stück verfleinert und mit dem Körper durch einen langen jchlanfen Stiel verbunden ift, fo daß diejer Hinterleib eher einem zufälligen Anbängfel, als einem fo wichtigen Organe gleicht. Auch die Eier von Inſekten, beſon⸗ ders die der Schmetterlinge und Nachtfalter, werben oft zum Aufenthalte für Schmaroger gemacht: die winzige Kleinheit der legteren mag auch aus der cigen« thümlichen Thatjache wahrgenommen werden, daß ein einziged Ei, das faum dider war als ein Stecknadelkopf, nach genauen Betrachtungen mehre derielben bervorgebracht Hat. Ebenſo find die Puppen von Schmetterlingen, Nachtfaltern und Holzweöpen belichte Heckneſter und Erziehungshäuſer für die Brut ber Schlupfivespen , welche durch ihren harten Bohrer in den Stand geſetzt find, die falfhaltige Schale folcyer Puppen zu durchbrechen und ihre Eier in diejelben zu legen. Hier zeigt fi) auch wieder, aus welchem Grunde die Schöpferweißheit Gottes dieſen Legeſtachel Per Schlupfwespe fo lange gemacht hat und von welch wejentlichem Nutzen derſelbe in folchen Fällen dem Thiere if; denn terartige Puppen find meiftens im Grunde von Spalten und Erbrijien, im Innern von Pflanzen, unter Blättern, in Boden und an anderen Schlupfwinfeln niederge⸗ legt, welche ein. kuͤrzeres Werkzeug nicht erreichen könnte. Man kann dieſer That⸗ ſache nicht gebenfen, ohne im Höchften Grabe und voll ehrfurchtönollem Staunen fi über den merfwürdigen Inftinft dieſes Thieres zu wundern, das jelbft in ſolchen Verſtecken, von denen wir mit unferen vollfoınmenen Sinnen nicht die

IV. 15

26 . FE DR Bee Boslogie. en.

geringfte Wahrnehmung baben, den Gegenftand jeiner Nachforſchung zu entdecken vermag. Ein glaubwürbiger Raturforicher Hat gefehen, wie eine ſolche Schlupf⸗ wespe Die Stengelröhre einer grasartigen Pflanze genau auf dem Punkte durch⸗ bohrte, wo eine Puppe im Innern verborgen war; und doch ergab nachher auch die genaueſte Unterfuchung biefer Stelle durch den Beobachter nit den minde- ſten Unterfchied zwiſchen ihr ımb den anderen Theilen des Stengels. Dieie Thatfache und andere Wahrnehmungen ähnlicher Art beftätigen Die Vermuthung, daß diefe Gefchöpfe noch mit einem eigenthümlichen Sinne oder einer Geiſtes- fähigfelt außgeftartet find, der wir und bie höheren Thiere nichts gleiches an bie Seite ſehen Fönnen, und von der wir daher auch uns feinen entfprechenden Be⸗ griff zu machen vermögen. Manchmal wird nur eine einzige Larve der Schlupfe wespe in einer Puppe aufgezogen, wie 3.8. in’ der Puppe der gewöhnlichen Bafferjungfer, der Eintagäfltege 30.; manchmal aber muß eine Buppe einen gan⸗ zen Schwarm folcher Larven beherbergen, wie 3. B. die Larven des gewöhnlichen Kohlweißlings. Inbdeß fprechen mancherlei Vermuthungen und Gründe dafür, daß Die Larve ded Ichhneumond, wenn fie auch, wie im letzteren Falle, erft aus einer Buppe ausichlüpft, Doch fchon im Körper der Raupe niedergelegt worden fein dürfte, und dies fcheint befonder8 dann allgemein der Fall zu fein, wenn man mehrere Ichneumonslarven in einer und derfelben Puppe antrifft. Nehmen wir nur einmal den Fall an, die Haupe ſei fchon ihrer Werpuppung nahe gewe⸗ fen, al8 tie Schmarogereter in ihr niedergelegt wurden, fo mögen fle volllommen mit in die Puppe übergegangen und erft in diefer zur Meife getommen fein, oder aber ed können, wenn die Eier auch noch in der Raupe zu Larven verwandelt wur- den, bie Biffe der winzigen Thierchen noch nicht fo ſchmerzhaft geweien fein, daß fle Die Umwandlung jener in eine Buppe Hinderten, obwohl diefe dann auf kei⸗ nen Ball dieſen Zuftand ihrer Entwidelung überlebt. Gin Beiſpiel diefer Art; und fo häufig, Daß e& von Jedermann beachtet werden kann, Tiefert der Micro- gaster glomeratus, der in der Raupe und Puppe des gemeinen Koblweißlings vorkommt; wenn diefe Raupen an Wänden, in Schuppen und manchmal fogar in Wohnhäufern hinaufgekrochen find, was fle in Abflcht auf ihre bevorſtehende Einpuppung thun, fo findet man fle oft todt oder im Verenden auf einem Klümp- chen Fleiner ovaler Körper, die aus einer fchönen gelben Seide beftehen. Dies find die Cocons des Mikrogafter und gefponnen, nachdem ie Larven deffelben fit} durch die Haut der Raupe hindurchgefrefien haben; fie bleiben nun da lie⸗ gen, bis die reifen liegen ſich aus ihnen entwideln und ausfchlüpfen, was Dadurch geihicht, daß fe ein Fleined rundes Stud an einem Ende des Cocons, dad nur leicht an dem Tegteren befeftigt ift und einem Drud von innen nachgibt, ungefähr wie der Deckel einer Schnupftabadshofe, aufftoßen. Die Fliegen jind etwa 2 Zinten lang, am Körper glänzend fchwarz, an den Beinen gelbroth, bie Blügel fptelen hübfch in den Regenbogenfarben, haben nur wenige Nernaturen und je auf der Mitte des Vorderendes einen dreiedigen ſchwarzen Punkt. Ehe man die Art und Welfe genau kannte, in welcher ſich biefe Befchöpfe entwickeln und fortpflanzen, erregte ihr Ausſehen unter den Raturforfchern viel Aufſehen, und es ift unterhaltend nachzulefen, auf welche Weiſe die früheren Entomologen ſich

Der Varafititmns im Thierreich. 27

bie Thatjache zu erklären fuchten, daß ein Schwarm vierflägeliger Nücken aus einer Puppe ausjchlüpfte, von der man doch nach aller naturgefchichtlichen Er⸗ fahrung hätte erwarten jollen, baß fle einem Schmetterling bad Dafein gebe. Der Eine vermuthere, die Natur ändere ihren Vorfag und bringe, wenn fie aus Schwäche oder irgend einem Mangel eine Raupe nicht in einen Schmetterling umzuwandeln vermöge, aus einer Buppe eine Anzahl Infekten von Pleinerem Umfang und minderer Bolllommenheit des Baues hervor, damit nur inzwifchen der Stoff nicht verloren gehe. Ein Anderer, und zwar der geſchickteſte Beobach⸗ ter feiner Zeit, gerieth bei einem ganz gleichartigen Kalle mit Gallwespen auf den Einfall, Diefe jeien durch eine gewifle pflanzliche und empfindiame Schöpfer kraft hervorgerufen worden, welche in der Pflanze felber liege. Diefe und ähnliche ebenfo feltfame und abenteuerliche Begriffe mehr waren im Schwange, bis fi das interefiante Phänomen auf ganz natürliche und unzweifelhafte Weiſe erfiä- ren ließ. Die Menge der Inſekten, befonder® von fchädlichen Arten, welche dieien Heinen aber hartnädigen Feinden zum Opfer wird, iſt größer, als es anf den erſten Blick erſcheint. Es iſt gewiß keine allzufühne Behauptung, daß e6, ohne dieje Heilfame Gegenwirkung, welche in der Ratur felber liegt, dem Men⸗ ſchen trog all feiner Umficht, Erfindungsgabe und feines Verſtandes doch rein un⸗ möglich wäre, viel von den Ernten zur Reife zu bringen, von welchen hauptſaͤch⸗ lich fein Unterhalt abhängt. Man denke nur an den im Banzen unberechenbaren Schaden, welchen jeit etwa einem Jahrzehnt die Larven des Froftnachtfalters und einiger Spanner und Widler am Ertrag unferer Obfigärten verurfacht ha⸗ ben. Man denke an den bedeutenden Schaden, den eine einzige Brut ded Korn wurms auf einem Speicher zu verurſachen im Stande iſt. Es iſt befannt, daß da8 Ueberhandnehmen einer Schabenart (Blatta germanica) auf Schiffen, die für längere Seereiſen auögerüftet waren, ſchon häufig Hungersnoth hervorgerufen hat, weil dieſes Inſekt fich auf fabelhaft ſchnelle Weiſe vermehrt und auf Schiffen weder durch Singvögel, noch durch andere Infekten in feiner übermuchernden Vervielfältigung geftört wird. Cine Schabenart, die Getreidefchnafe (Cecido- myia tritici), kaum fo groß, daß man fle ohne Vergrößerungsglas deutlich be⸗ merft, würde bei ihrer Breßbegier und ungeheuren Vermehrung aller Wahrſchein⸗ Sichkeit nach binnen Kurzem eine ganze Waizenernte zerſtören wenn nicht went» ger als drei verfchiedene Schmarogerarten die Bortpflanzung dieſes Thieres innerhalb gewifler Grenzen Hielten*). Eine andere Gallenmüde, die fogenannte Heſſenfliege (Cecidomyia destructor), die gefährlichite Feindin des amerikaniſchen

*) In diefer Beziehung verdanken wir dem Forfcherfleiß eines engliichen Gelehr⸗ ten das intereflantefte Reſultat einer Unterfuhung, welche diefer über die verhältniß- mäßige Menge der Larve ter Waizenichnafe in einem beftimmten Maße angeftellt hat, Der Brofeflor Henslom in Bambridge wollte genau erfehen, wie viel derartige Lars ven mit dem Kom von verheerten Feldern eingeheimft werden, verfchaffte fih daher ein beſtimmtes Maß voll Spreu und Epreuftaub, zählte die darin enthaltenen Larven und besechnete das Zahlenverhältuiß, welches etwa auf ein engliſches Buſhel kommen würte. Gr fand in einem Balle ale Ergebniß feiner Berechnung 131,616, in einem anderen 173,376, in einem dritten gar 406,944. Siehe die Zeitfchrift der königlichen Ackerbaugeſellſchaft in England. Band II. '

15 *

welche —— unter den von mir geſammelten Larven Tee Dieſes Verhaͤltniß iſt vielleicht das durchſchnittliche im großen Ganzen der In— feftenentwirtelung. Die verberbliche Raupe des Spanners Arches wird von nicht weniger ald vier Arten zweiflügeliger Schmarogerfliegen und fünf Schlupf- weöpen, verfolgt, und dieje vereinten Angriffe und Nachftellungen thun der Ver- breitung dieſes Thierchens fo jehr Eintrag, daß es nicht nur in den meiften Ge— taten fondern ſogar felten geworden if. Wenn daher ſolche Schmarogertbiere ihre Berheerungen immer angeflött fortfegen könnten, jo würden fie in manchen Bällen jene Thiergattungen ganz ausrotten, denen fie nachftellen. Daher hat die Natur für derartige Zerſtörun⸗ gen ein eigenes heilfames Gegengewicht aufgeftellt und das Schmarogerleben jo weit ausgedehnt, daß das erjte Schmarogerthier felbft wieder das Opfer eines anderen wird. "Hiervon wollen wir mur ein einziges Beijpiel unter den vielen anziehen, welche bier geltend gemacht werden fönnten. Jedermann kennt ja bie Verbeerungen, welche die Aphiden oder Vlartläufe an unferen Bierpflangen- und Gartengewächfen anrichten, weil fie ſchaarenweiſe beifammen leben, ſich an Sten- gel, Blätter, Blattſtiele, Blumenkelch und Blüthenbodeifber Pflanzen, anfegen, den Pflanzenfaft ausfaugen und durch ihre große Anzahl und unerfättliche Ge— fräßigfeit die Geſundheit der Pflanze zerftören und. ihr. ein höchſt unſcheinbares, ja oft efelhaftes Ausjehen geben, Diefe Feinde des Pflanzenlebens werden nun zwar von manchen mäÄchtigeren Gegnern verfolgt, wie z. B. von den Ameiſen, der gefährlichfte Feind aber ift ein Eleiner Ichneumon, der fogenannte Aphidius rapae. Da bieje Fliegenart ſich fehr ſtark vermehrt und in einem einzigen Som⸗

Der Parafitiömus im Thierreich. 229

mer mehrere Generationen berborbringt, fo find fle die furchtbarften Verfolger der Blattläufe; die Ratur aber, die in jedem ihrer Werke, im Kleinften wie im Größten, jene Waage der Gerechtigkeit und des Ebenmaßes handhabt, welche Harmonie und Ordnung im ganzen Weltall erhält, hat der gänzlichen Ausrot⸗ tung der kleinen fchwachen Aphiben dadurch vorgebeugt, daß die Larve jenes Ich⸗ neumons felbft wieder von zahlreichen Keinden und Schmarogern verfolgt und dadurch ihrem allgugroßen Ueberhandnehmen vorgebeugt wird. Die Aphidii find ſolch befländige Gaͤſte auf den mit Blattläufen behafteten Pflanzen, daß man nur felten einen derfelben ohne die hornigen Schaalen der todten Blattlauß trifft und häufig in Gewächähäufern eben fo viel ſolcher Jchneumone als Blattläufe findet. Die Fliegen, welche die Maden ber wohlgenährten und erwachfenen Aphiden zerflören, find Tauter Hautflügler; fie flattern beftändig herum und fuchen nach Blatfläufen, und fobald fie eine entdeckt haben, die fchon eine Made des Aphidius rapae enthält, jo durchbohren fie die bereitö wieder verhärtete Schaale und legen ein Ei hinein. Sobald diefes nun ausfchlüpft, fo nährt jich bie junge Larve von der Made des Schmarogerthiereö oder noch wahricheinlicher ven der rubenden Puppe. Anftatt daß alio ein Aphidias aus der abgeflorbenen Blattlaus ausfchlüpft, brechen drei oder vier verfchiedene Schmarogerthiere ihre Belle, und dieſe tönen num ihre Gattungen in feiner anderen Weiſe fortpflan⸗ zen, als indem fie denfelben Prozeß wiederholen. So hat alfo die Ratur bag Uebel und das Gegengift dafür neben einander gelegt, wie-fie uns in der ganzen Einrichtung und Organtfatton der Schmarogerthiere ein bewundernswuͤrdiges Beifpiel von der Kunft gegeben bat, eine beinahe geenzenlofe Menge und Ram nigfaltigkeit lebendiger Wefen zu unterhalten, und diefe zugleich innerhalb derje⸗ nigen Grenzen der Vermehrung und Fortpflanzung zu beichränfen, weiche nur mit der allgemeinen Wohlfahrt bes Ganzen verträglich find.

Plick auf den Entwickelungsgang der. deuffchen Sprache. Bon . Dr. Reinhold Pechſtein.

X Zu wahrer Würdigung unferer Mutteriprache können wir nur. dann gelan⸗ genn, wenn wir ihre geichichtliche Entwidelung verfolgen und zugleich Bedacht nehmen auf das verwandtfchaftliche Verhaͤltniß, in welchem fe zu anderen Spra⸗ Gen ficht. Eine ſolche Sprachbetrachtung kannte die frühere Beit wicht ımb deshalb find faſt ohne Ausnahme die früheren grammatifchen Beſtrebungen für und mehr oder minder werthlos.

Die deutſche Sprache iſt ein Zweig eines großen Sprachfiammes, der ſich mit feinen Aeften faft über ganz Europa und einen großen Theil von Aflen vet» Breitet und deſſen Wurzeln in Indien zu ſuchen find. Man nennt dieſen Sprach⸗ ſtamm befanntlich den indo-germaniichen. Die Benenmung genügt in fofern nicht ganz, weil fie nicht allgemein, nicht umfafjend genug tft. Beſſer fcheint Die von dem Sprachforfcher Bopp rorgejchlagene: indoseuropäifch. Denn die Bewohner von Europa, welche nicht zu jener Sprachfamilie gehören, find faum zu rechnen im Vergleiche mit der großen Anzahl der ſprachverwandten Nicht- Germanen. Durch jened Ergebniß, welches wir der vergleichenden Sprachforſchung verdanken, folgt unmiderleglich, daß Europa nicht von Einge- borenen bewohnt war, fondern von Aften ber bevölkert worden if. Sämmtliche indoseuropäifche Sprachen find der Theorie nach auf eine allgemeine Urjprache zurüdzuführen, wenn wir diefe auch nicht aus Schriftdenfmalen kennen.

Das Sanskrit, das Altindifche kommt unter allen Sprachen diejer Ur» fprache am naͤchſten, aber es ift nicht Die Urſprache felbft, wie manchmal fälfch- lich angenommen wird. Es ift die Mutter ter heutigen in Indien lebenden Volfömundarten, der fogenannten Brafritfprachen. Obwohl das Sangfrit eine todte Sprache iſt, fo bat ed doch noch ald die heilige Sprache der Indier hohe Bedeutung und wird noch von den Brahmanen wiffenichaftlich betrieben. Wegen feiner Reinheit und Uriprünglichfeit und wegen feines Reichthums dient das Sanskrit der Sprachforihung als Hauptflügpunft. An das Indifche ſchlie⸗ Gen fich in Aften die ariichen Sprachen an, unter ihnen das Perfiſche. Einen hohen Werth für uns hat das Zend, Die heilige Sprache der Verſer.

Entwidelungägeang des deutfihen Sprache. 33

In Europa beſtehen außer dem indo-europäifchen Sprachflamme noch zwei Sprachgruppen. Zuerft die hochaſiatiſche ober tatarifche: zw ihr gehören bie Finnen, die Ungarn und die Türken. Es muß befonders darauf aufs merkſam gemacht werden, daß Die Ungarn feine Slaven find, alfo nichts mit den Auffen, Polen und Böhmen gemein haben, wie vielfach geglaubt wird. Die zweite nicht indo⸗europaͤiſche Sprache in Europa ift die iberijche,, welche fi in Rordfpanien und in Südfrankreich als Volksmundart findet.

Der indoseuropäijche Stamm in Europa tbeilt ſich in vier große Zweige. Den Süten hatten die Beladger inne, den Often die SIaven, den Welten die Kelten und den Rorden die Germanen. Obwohl die Völkerwanderung mannigfache Veränderung der Völkerwohnſitze veranlaßte, können wir doch von der urjprünglichen Geftaltung ausgehen.

Die pelasgijche Sprache zerfällt wieder in zwei Hauptgruppen, in bie griechiſche und in die lateiniſche. Das Griechische thrilte fich anfäng- lich in verfchiedene Dialecte, unter denen ſich der jonifche und ber äolifche in den verfchiedenen Landjchaften verjchieden ausbildete. Vom Iegteren zweigte fi ſchon frühe der dori ſche ab, aus dem joniſchen entwidelte ſich der at» tifche, welcher zur höchſten fprachlichen Berfeinerung ald Schriftfprache ge= langte und dadurch zu allgemeiner Geltung kam. Das heutige Neu⸗Griechiſch bat fich wahrfcheinlich nicht organifch aus der alten Volksſprache entwidelt, ſon⸗ dern aud dem Kirchen⸗Griechiſch. Die heutigen Griechen find nicht die reinen Sprößlinge der alten Hellenen, fondern ein zufammengewürfeltes Miſchvolk. Das Latinifche, die Sprache ded alten Latium oder, wie es jetzt bei und heißt, das Lateinifche, war Anfangs gleich dem Oskiſchen und Sabinifchen eine Mundart; fpäter erhob es fich mit dem Emporblühen Roms zur Sprache, zur Bücher» und Literaturfprache. Mom wurde die Beherricherin der Welt und fo gelangte das Lareinijche zu der Würde einer Weltſprache. Und noch heute tft es bekanntlich ald Sprache der Fatholifchen Kirche und der Gelehrſamkeit vom Bedeutung. Wie neben unjerer Schriftiprache noch Volfömundarten beftehen, fo auch im römischen Reiche. Aus dieſer lingua rustica, aus ber Bauerufprache, welche in den verichiedenen Ländern verichieden war, bildeten fich Die ſogenann⸗ tm romaniſchen Sprachen, fieben an der Zahl: das Italienifche, dad Wala⸗ hifche, dad Spanifche, dad PVortugiefifche, das Rhätiiche, das Provenzaliiche und das Rordiranzöftiche. Heutigen Tages zühlen wis nur fünf romanijche Spra⸗ hen ald Echriftiprachen. Das Rhaͤtiſche hat Feine eigentliche Bedeutung mehr, wenn auch noch heute eine Kleine Xiteratur in ihm vorhanden if, und das Pros venzalifche oder das Suͤdfranzöſiſche, im Mittelalter zu einer Kiteraturjprache in einem hoben Grade ausgebildet, wurde durch dad Nordfranzöſiſche oder. Durch das Franzöſiſche jchlechthin verdrängt. Auch das Englijche ift zu einem Theile eine romanijche Sprache; da es jedoch der Hauptſache nach deutſche Elemente in ſich faßt, jo ift es befler unter die germanifchen Sprachen zu zechuen.

Der ſlaviſche Sprachflamm begreift Hauptjächlich folgende drei Literature fprachen in fich: das Mufflfche, das Polnifche und dad Böhmiſche. An das Ruſſiſche ſchließen fich an: das Siovenijche oder Illyrifche, das Serbijde, das

Entwidelungdgang der beutfähen Sprache. 233

Sprache it, wird fpäter noch zu fprechen fein und baher möge auch fpäter das ganze Geſetz in feinem Zuſammenhange erörtert werben.

Das Gothiſche iſt nicht, wie manchmal angenommen wird, die Butter unferer deutjchen Sprache, fondern es ift ein Dialect, welcher auf derſelben GStufe ſteht, wie das Deutſche in engerem Sinne als ein Dialert des Germani⸗ ſchen. Dieſes alleraͤlteſte Deutſch, welches in feinem ſchriftlichen Denkmale auf uns gekommen iſt, hat die theoretiſche Bezeichnung „Urdeutſch“ erhalten, Dieſes Urdeutſche nun iſt die Mutter aller deutſchen Sprachen, der hochdeutſchen ſowohl wie der niederdeutſchen. Das Gothiſche kennen wir abgeſehen von ei⸗ nigen kleinen Ueberreſten nur aus einem einzigen, aber hochwichtigen Denkmal; aus ber Bibelüberſetzung des gothiſchen Biſchofs Ulfilas. Sie iſt das ältefe deutfche Schriftſtuͤck, welches wir befigen. Die beiden Gothenſtaͤmme, die Oſt⸗ und Weftgotben verliehen in Folge der Völkerwanderung ihre heimathlichen Sitze; fie drangen in romanifirte Länder ein, und obſchon fie Iange Beit fefthielten an ihrer Mutterfprache, fo mußte diefe doch mit der Zeit der roͤmi⸗ fhen Zunge erliegen. Cine gefchichtliche Gntwidelung bat fomit das Gothi⸗ ſche nicht gehabt. |

Dom Nordifchen oder, wie e8 in Rückſicht auf die ältere Zeit genanut wird, vom Altnordifchen flammen bie früheften fchriftlichen Aufzeichnungen erſt aus dem zwölften Jahrhunderte; die Sprache aber iſt offenbar viel älter. Es unterliegt feinem Zweifel, daß in der Alteflen Zeit der Rorden nur eine gemein» fame Sprache befaß, wenn auch mundartliche Eigenthümlichfeiten in den verfchte denen Landſtrichen nicht gemangelt haben. Später fchieden fi ſolche Mundarten fchärfer von einander und bildeten fich zu felbftändigen Sprachen aus. Go ents ftand das Schwedifche, das Norwegifche, das Dänifche und das Is⸗ länpifche. Heute gilt in Norwegen hauptſachlich das Daniſche als Literatur⸗ und Umgangsſprache der Gebildeten.

Mährend ſonſt die Sprache nach dem Lande, in welchem ſie geſprochen wird, und nad; dem Volke, welches fie ſpricht, ihren Ramen erhält, führt wahrſchein⸗ lich das deutfche Volk feinen Ramen von feiner Spradye. Die altdeutfche Form für dDeutfch war thiudisc oder diutisc, d. 5. was zur thiuda, zum Volle gehört, volksthümlich. Den alten Ausprud haben wir vollfländig verlosen, während fih das Eigenſchaftswort „deutſch“ erhalten hat. In der Blürhezeit der mittels alterlichen Dichtung wird das Wort in der Form diet noch fehr Häufig gebraucht. Die varende diet hieß das fahrende Volk der Sänger und Gaukler. Zunächft wurde im Segenfage zum Latein der Gelehrten die Sprache des Volkes deutſch genannt, fpäter auch im Gegenſatze zum Romaniſchen, welches germanifche Völe . fer angenommen hatten. Bon der Eprache wurde dann der Ausdruck auch auf das Volk ſelbſt übertragen.

Die deutfche Sprache war in der von und genannten „urdeutſchen“ Zeit ebenfall® eine einheitliche im Großen und Ganzen. Mundarten werden natüre . lich wie überall und zu allen Zeiten vorhanden gewefen fein. Nach ber Völker⸗ wanberung aber, etwa im fünften Jahrhunderte, trat eine vollftändige Trennung ein. Sie gefchah nicht plöglich und mit einem Male, fondern nach und nad,

-

a3 nah VDurachwiſſenſchaft. DE RT

An dem einen Rande früher, in dem anderen jpäter. Es ſchied fich nämlich der füddeutiche, oberdeutiche oder hochdeutſche Dialect von tem norddeutichen ober

niederdeutſchen, und zwar fo, daß die niederdeutfchen, Die fächflichen Volksſtaͤmme

die alten Rautverhältnijie bewahrten, die fübbeutichen, die ſueviſchen Volksſtaͤmme dagegen die gothiſche oder. urbeutiche. Stufe verließen. und einen Schritt weiter gingen ganz in derfelben Weife, wie früher die germanischen Völker in ihrer Ge ſammtheit jich von den übrigen ſtamm⸗ und fprachverwandten Nationen getrennt batten. Diele Umwälzung in der Spracdhgefchichte wird, wie bemerkt, mit dem Ramen der „„Lautverichiebung‘‘ begeichnet.. Gauptiächlich werten bei Betrach⸗ tung derfelben die beiden velasgiſchen Sprachen unter den indo⸗ europäiichen Sprachen, welche auf der urfprünglicyen Stufe ftehen geblieben find, berückſichtigt, weil fie uns näher liegen ald tie aflatiichen, das Slaviſche unt das Keltifche, und unter den germaniichen ift dad Gothiſche wegen feines Alters berborragend wichtig. Was aljo von dem Pelasgiſchen gilt, gilt auch vom Sanskrit, vom Bend, vom Slavifchen und vom Keltiichen. Und wenn ein Beifpeil im Gothi⸗ ſchen angeführt wird, fo finder fich dieſes in allen germaniichen Eprachen wieder außer in der hochdeutichen. Ausnahmen aber und Abweichungen von dem all» gemein gültigen Geſetze ſind deshalb nicht von vornherein geleugnet, nur dürfen Be nicht irre machen und zum Zweifeln an der ganzen Erfcheinung veranlaflen. Dad Geſetz der Lautverfchiebung läßt fich in kurzen Worten etwa fo guiem- menfaflen: in den verfchiedenen Abflufungen der fiummen Gonfonanten verhält ſich das Pelasgifche zum Gothijchen wie Diefes zu dem Hochbeutichen. Das Go» thiſche aljo ſteht zwiſchen beiden in der Mitte. Stumme Gonfonanten gibt es dreierlei nach den drei Sprechorganen, nad) Zippen, Zunge und Kehle. Lind jede dieſer Eonfonantenart zerfällt wieder in weiche (medise), harte (temues) und geigärfte (aspiratae) Laute. Wo in den alten Sprachen ber weiche Laut ſteht, findet ſich im Gothiichen der harte und dieſem entfpridht im Hochdeutſchen der eichärfte. Die Orbnung: weich, hart, Icharf, bleibt immer diefelbe. Auf die Tennis im Pelasgiichen folgt die Aspirata im Sothifchen und die Media im Hoch⸗ Deutichen; der Aspirata im Peladgiichen, die Media im Gothiſchen und die Teuuis im Hochdeutfchen.

Polasgiſch: Gothiſch: Kochdeutſch: Media. Tenuis. Aspirata. Tenuis. . Aspirata. . Media. Aspirata. - Media. Tenuis.

Obgleich wir es bei Betrachtung der deutichen Sprache nur mit der zwei⸗ tem Lautverjchiebung zu thun haben, möge Doch ein Beiſpiel den ganzen Stufen- gang neranfchaulichen. in ſolches bietet ſich und recht geeignet in dem Perſo⸗ nalpronomen der erften Perfon. In den alten Sprachen. heißt es ego, im

Gothiſchen ik, im Hochdeurfchen ich. Alſo zuerſt g, der weiche Laut, dann k,

der harte und zulegt ch, der geichärfte. Für Die zweite Lautverſchiebung noch einige Beifpiele! Gerade im Wechjel des gothifchen harten Rauted und Des hoch⸗ deutichen geſchaͤrften zeigt ſich wie bei ik und ich das Verhaͤltniß am deutlichften. Wie der Gothe, fo fagt noch heute ber niederdeutiche Bauer ik. Unſer Wort

Entwidelungögang: der. dautfihen Syprade. | 238

Echiff“, welches von allem Anfang in der hochdeutſchen Eptache fo. lautete, beißt im Oothiſchen skip, tm heutigen Platt noch immer dem Gothiſchen ent» fprechend ‚schipp.: Des ‚gothifche Zeitwort aitan wurde im Alchochbeutfchen ‚zu sizan, unfer „sitzen“. Hier in ber neuen Geſtalt der gefchärfte Jungenlaut, dort der harte. Zu bemerken if, daß im Deutfchen z die Aſpirata der T-Lauie iſt, da wir ein th nicht haben. Oefters ift für das gothifche t nicht = im Hoch⸗ beutfchen eingetreten, fondern 6. Beide Laute 5 und's find nahe nerwandt; der eine ift der afpieirte, der gefchärfte, Der andere ber fanfende, der Hauchlaut, Die ‚Spirand. Unſer das, dass (ehemals gejchrieben daz mit einem Laut, der zwiſchen x. und s in der Mitte ſtand, woraus unfer ß, sa) hieß im Gothifchen thata; ber gemeine Mann in Rorbdeutichland jagt nicht das, fendern da. Der Sap zum Beifpiel: „ich fehe Das Schiff’ lautet im Gothiſchen ik saihva thata skip und ins Riederdeutichen ik sehe dat schipp. Diefe kurze Andentung wird den Un⸗ terſchied des hochdeutſchen und tes niederdeutjchen Dinlectes ber vaupiſache na verſtaͤndlich gemacht haben.

. Außer diefer Durchgreifenden Verſchiedenhen hat jeder der beiden Dinlecke feinen bejonderen Charakter; der gewiß fchon in der früheften Zeit außgeprägt war und vielleicht die Trennung der Sprachen, wenn nicht veranlaßt, Doch ber günftigt hat. Der füddentfche, hochdeutſche Dialect iſt ber gedrungenere, härtere; auch rauhere, der norddeutſche, niederdeutiche dagegen ber breitere, meichere, mil» dere, oft auch fadere. Dex erfte beichäftigt mehr den Gaumen und die Kehle, der andere. mehr die Lippen und die Zunge. Der Süddeutſche Hat im Allgeme nen eine fchwerere Zunge als der Norddeutſche; er ift deshalb penöthigt, mehr mit Bruftflinemee zu fprechen, während hiefer den Mund hauptiächlich arbeiten läßt. Darum wird auch in Süddeutſchland langſamer gefprochen, wenn auch die Gedanken des Rorddeutichen nicht an Lebendigkeit voraus haben. Die Verſchiedenheit der beiden Dialerte bat zum Theil ihren Grund in Örtlichen und klimatiſchen Berkältniffen, weldye einen bedeutenden Einfluß auf die Sprach- werfzeuge ausüben.

Die Grenze zwifchen dem niederdeutſchen und dem bochdeutfchen Dialecte wird im Anfange diefelbe geweſen fein wie noch heute.‘ Im. Allgemeinen Tau der nördliche Abhang ded Harzes ald die Sprachicheide angenommen werben; Nördlich vom Harze herrſcht die nieberdeutiche Zunge, füblich die hochdeutſche. Das Gebiet bes Hochdeutichen Dialecteß if alfo nicht allein Suͤddeutſchland, ſon⸗ dern audy der Theil unſeres Vaterlandes, der mit dem Ramen „‚Witteldertich® land“ bezeichnet zu werben pflegt. Es liegt in ber Ratur der. Sache, daß Die jenigen Volksſtäͤnme, welche in der Nähe der Sprachgrenze ihre Wohnſthe haben, Elemente beider Dialecte vereinigen. Die Hefien und Die Thüringer, auch Die heutigen Sachſen, welche von den alten, im Rorden Deutichlands ſeßhaften Sachfen wohl zu untericheiden find, gehören zum hochdeutſchen Sprachgebiete, im Einzelnen aber findet. fich in ihren Mundarten eine Menge niederbenticher Worte und Formen. 00m

Aus dem bisher Geſagten wich ed Klar geworden fein, welche Bebeutung „hoch“ in „hochdeutſch“ har. Es gefchieht nur zu häufig, daß es als ein Werth⸗

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836 nun @peahwilenfhaft.

begriff in der Bedeutung hochſtehend, erhaben im Begenfage zu ber Mundart bes niederen Volkes aufgefaßt wird. Wenn auch mit ber Zeit bie Bezeichnung „Hochdeutſch“ für Schriftbeutich in Gebrauch am, eben weil ber hochdentſche Dialect ſich zur Literaturfprache ausbildete, To bleibt denmoch jener Begriff ein localer. Hochdeutſch if gleich Oberdentſch. Hochdeutichland gleich Oberdeutſch⸗ land im Gegenfage zu niederdeutfch ‚und Rieberdeutfchland. Jetzt freilich wird ſchwerlich mehr Hochbeutfchland für Oberbeutfchland gefagt werben ; zur Zeit des breißigjäßrigen Krieges iſt aber noch vielfach in Acten, Urkunden und Cor seipondenzen vom bochdeutichen Kriegsvolk die Rede. Würden die ZBorte „hoch“ und „nieder in „bochdeutich" und „‚nieberdeurich”‘ als Beitimmungen des Wer⸗ thes angenommen, fo wäre dies eine feltfame Ungerechtigkeit gegem bie nieder⸗ laͤndiſche Sprache, welche doch eine reiche Literatur aufzuweiſen bat. Daß bie ©prache, die von dem oberdeutichen Volksſtamme ausging, über die Sprache der uördlichen Stammedgenofien flegte, iſt tief in der Geſchichte begrundet. Allein die Sprache an und für fich trägt Feinedwegs den Grund ihrer allgemeinen Ver⸗ breitung in fih. Bel anderen Berhältniffen hätte ed auch ander& kommen fün- nen. Haͤtte das ſächſiſche Kaiſerhaus länger regiert, hätte bie Hanfa weitere Macht gewonnen, Hätte Luther jeine Bildung nicht in Mitteldeutſchland, jondern in Rorbdeutichland empfangen und was jolcher gewagter und unmöglicher Vor⸗ ausfegungen mehr find, fo hätte es Leicht Eommen können, dag unfere Schrift- fprache fich auf den nicderteutichen Dialeet gründete und Schwaben, Baiern, Schweizer und Oefterreicher Niederdeutfch Iernen müßten, wie der. norddeutſche Bauer jet Hochdeutſch lernen muß, wenn er feine Zeitung verfichen will. Ganz aͤhnlich war das Verhaͤliniß der Sprachen in Frankreich, nur mit dem Inter ſchiede, daß dort der Rorden über den Süden, über die Provence flegte.

Der niederdeutfche Dialect theilt ſich ſchon in früher Zeit in mehrere Sweige: in das Altfächiliche, Angelſächſiſche, Frieſtſche und Riederländifche,

Das Altſächſiſche, welches eben jo gut dad Alıniederbeutiche ge

nannt werden könnte, erhob fich einft zur Schriftfpradgde. Das wichtigfte, für Literatur, Sprache und Kirchengefchichte hochbedeutende Werk if die altfächfliche Evangelienharmonie aus dem neunten Jahrhunderte, welche gewöhnlich in ber 2iteraturgefchichte mit dem Ramen „Heliand“ bezeichnet wird. Die Tochter bes Altſaͤchſiſchen ift das Niederbeutfche, welches in dem fpäteren Mittelalter wohl . auch noch Bücherfprache war, aber ſolche Beltung nie erlangte wie feine Schwe⸗ ſter, das Hochdeutfche. Heute beſteht das Niederdeutfche auß verichiedenen Volks⸗ mundarten; die Bezeichnung für dieſelben ift Bekanntlich. Plattdeutſch ober ſchlechthin Platt. Die Gebildeten in Rorddeutfchland haben durchaus die hoch⸗ beutfche Sprache angenommen, wenn ſie auch bisweilen recht gerne die Volks⸗ mundart gebrauchen.

Das Angeljächfifche wurde von den fächfifchen Volksſtamme der An⸗ geln, die in Jütlaud ihre Sitze hatten, nach Britannien verpflanzt. Nach ihnen erhielt das eroberte Land jeinen Ramen: Angelland, Engelland. Die angel» fächftichen Sprachdentmale gehören mehr der englifchen als der deutſchen Litera- tur an. Das Heutige Engliſch iſt die Tochter des Angeljächflichen. Des

Entwidelungbgang der deutfihen Eyrade. 237

somanijchen Elementes, welches durch die Rormannen in bie engliiche Sprache gelangte, wurde fchon gedacht. Es iſt bezeichnend, daß alle diefenigen Worte, weiche der Ratur und dem Volkaleben angehören, deutichen Urſprungs find, die Ausbdrüde aber, welche eine feinere Cultur voraußfegen, auf romaniſche Wur⸗ zen zurüdgehen. Auch Eeltifcge Stämme finden fich in der englifchen Sprache, wenn auch nur in geringer Anzahl.

Dad Sriefifche oder genauer bezeichnet dad Altfrtefifche ift und nur in wenigen und in verhältnißmäßig ſpaͤten Dentmalen erhalten. Es bildet eine Art Mittelglied zwifchen dem Rordifchen und dem Riederbeutfchen. Zu einer Blüthe iſt das Frieſiſche nie gelangt und Heute iſt ed nur noch Volksmundart.

Dagegen bat das Niederländifche im Mittelalter eine reiche Literatur aufzuweifen, und wenn in Belgien in unferen Tagen dad Franzöſiſche ale Sprache der Gebildeten die Oberherrſchaft erlangt hat, fo if boch das Rieder» laͤndiſche ober, wie es gewöhnlich genannt wird, das Mlämtjche Bolkaſprache und auch von den Bebildeten gekannt und geliebt. Die Tochter des alten Nieder⸗ laͤndiſchen, das Hollaͤndiſche, ficht im vollen Beftge feiner Bad als allgemeine Schrift⸗ und Volkäfprache.

Der hochdeutſche Dialect hat von n Anfang an bis auf die heutige, Zeit das günflige Schickſal gehabt, eine Literaturjprache.der Deutichen zu fein. Die älteften Hochbeutfchen Schriftdenkmale ſtammen aus dem ficbenten Jahrhunderte: Diele Zeit bis in die Mitte des zwölften Jahrhunderts wird als die erſte Periode des Gochdeutichen die althochdeutfche. genannt. Die zweite, die mittels hochdentjche reicht von der Mitte Des zwölften Jahrhunderts bis in den An⸗ fang des ſechzehnten. Die gute, klaſſtſche mittelhochdeutiche Zeit umfaßt einen fehr geringen Zeitraum, etwa fleben Decennien, ungefähr von 1180 1250. Bom Anfange des jechzehnten Jahrhunderts beginnt die dritte hochdeutſche Pe⸗ riode, die neuhochde utſſche, welche noch nicht abgeichloflen ift. In ihr ſiegte der hochdeutjche Dialect vollftändig über den nieberdeutfchen, fo daß wir füglich das Wort „hoch“ hinweglaſſen könnten, wenn wir von unferer Schriftfiprache reden. Das Wort „hochdeutſch“ hat freilich noch im Begenfage zum niederdent⸗ ſchen Dialecte feine urfprüngliche Bedeutung.

Es ift bekannt, daß innerhalb des hochdeutſchen Sprachgebiets fich verfihter dene Mundarten abfondern, welche wenig oder gar nicht von der Schriftfprache berührt werden. Man kann vier hochdeutfche Mundarten annehmen, Zwei von ihnen find eigentlich oberbeutfch oder ſuͤddeutſch, nämlich die alemanifche, zu welcher die Schwaben, die Schweizer und die Bewohner des Elfafied gehören, und die baterijche, welche die Baiern, die Tyroler, die Defterreicher und bie Steiermärfer haben. Die beiden anderen gehören Witteldeutfchland an; bie fränfifche, welche den nördlichen Theil des heutigen Baierns umfaßt und Die angrenzenden Gebiete, ift noch ziemlich rein hochdeutſch und von entfchleden aus⸗ geprägter Sigenthümlichkeit. Dagegen mannigfaltig und buntfchedig und voll von niederbeutichen Beftandiheilen find die eigentlichen mitteldeutſchen Mundarten, welche nicht gut zu fondern ſind. Dahin gehört die heſſtſche Mund⸗ art, die thüringijche, Die meißnifche, die ofterländifche und bie fchlefliche. Cine

298 ma. Ts peahwifenfaft. - - :- vi.

jede Mundart zerfällt wieder in befondere Mundärten und Spielarten und fo geht es fort bis auf einzelne Dörfer... - -

Somit wäre eine Ueberficht über ſaͤmmtliche indoseuropälfche Sprachen und Dialecte gegeben. Es wurde zugleich das Verhaͤltniß angedeutet, im welchem die gesmaniiche Sprache zu den übrigen und innerhalb der germantfchen Gruppe wieterum das Hochdeutſche zu feinen Schweftern lebt. Das Hochdeutſche bat vor allen ımjere Theilnahme in Anjpruch zu nehmen. Sein geſchichtlicher Gang würde mit wenig Worten berührt, Ehe wir auf die einzelnen Perioden in ber

Entwickelung des Hochdeutfchen' etwas näher eingehen, möge zum Schluffe der

allgemeinen Betrachtung auf einzelne Punkte hingewieſen werden, durch welche die Berwandtichaft ber indo⸗ europaͤiſchen Sprachen unter einander klar her⸗ vortritt. |

Es if Hinlänglich bekannt, daß De Sprachen, welche zu einem engeren Sprachſtamme gehören, überrafchende Achnlichkeiten mit einander haben , daß alfo unjer Deurfch mit dem Holländifchen und mit den ſtandinaviſchen Oprachen, trotz aller VBerfchiedengeit in Vocalen und Gonfonanten..vielfach übereinftimmt. Auch die Benvandtfchaft mit dem Englifchen fpringt ſchnell in Die Augen. Nicht minder it bekannt, daß Lie romaniſchen Sprachen, die Töchter des Lateinifchen, ihre Abſtammung nicht verleugnen. Und wer Griechiſch und Lateinifih treibt,

wird zwifchen beiden überall Gleichheit und Uebereinftimmung gewahten. We⸗

niger augenscheinlich tritt ſchon die Verwandtſchaft der germanifchen Sprachen mit den pelaßgifchen hervor, und das Sandkrit wird zu wenig betrieben, al& daß Einzelnes allgemein bekannt wäre. linleugbar aber wird der Zufanmenhang des Deutfchen mit dem Slaviſchen geradezn in Zweifel gezogen. Deutfche und Slaven! Zwei ganz verfchiedene Nationen! Kann die an Gonfonanten jo reiche Sprache der Slaven mit unferem Deutfchen oder gar mit den vocalreichen roma⸗ niſchen Sprachen, mit dent Spanifchen oder mit dem Italieniſchen nur im Ge⸗ ringſten verwandt fein? Und dennoch ift es fo.

Im Allgemeinen befteht die Berwandtichaft in der Gemeinſamkeit der Wurzeln, in dem übereinftinmenden Syftem der Wortbiegung, der Bufammen- fegung und der Wortbildung. Und ber Umftand, daß die indo-europäiichen Böker dad Derimalſyſtem haben, wenn auch nicht burchgehends und ausſchließ⸗ lich, zeugt gewiß son einer tiefen Uebereinſtimmung dee Vorftellungen.

Zunächſt muß e8 auffallen, daß die Namen für die Glieder der Fami⸗ lie, Bater, Mutter, Bruder, Schwefter, Tochter faft durchgehendg aͤhnlich lan⸗ ten. Hauptfächlich kommt es bei folcher Achnlichkeit nicht fowohl auf die Vocale als vielmehr auf die Gonfonanten an. Die Vocale düxfen deshalb nicht. irre machen. Es wird genügen, wenn wir die Bezeichnungen für die Häupter ber Familie Bater und Mutter in den verichiedenen Sprachen betrachten. Im Sanskrit heißt der Bater: pidri, im Zend pata, im Perſiſchen pader, im Grie- chiſchen narne (patär), im Lateinifchen pater; im Gothiſchen beißt der Vater: atta, das zu Bater gehörige Wort muß wie im Altfächftfchen fadar lauten, das vorkommende Gigenfchaftewort väterlich Heißt fadrems. Im Althochbeutfchn und im Mittelhochdeutſchen haben wir vatar und vater, daS neuhochdentſche Wort

Entwickelunegang der Deuffihen Syrache. 260

Hat langen Vocal erhalten: Vater. Die flavifchen Sprachen befigen ein well Rändig anderes Wort. Dagegen theilen fie mit und die Wurzel von Mutter. Altflavifch mati, im heutigen Bohmiſchen und Volntfchen matka. Im Sanskrit heißt das Wort mätri, im Zend mäta, im Perflichen mäder, im Griechiſchen ateno (mätär), im Lateiniſchen mäter. Im Oothiſchen fehlt das Wort. Im Althochbeutfchen und im Mittelhochdeutfchen fteht muotar und muoter; im Rewe Hochdeutfchen mir verfürztem Bocale Mutter.

Die Berfonal- und Boffefiopronomen ſtimmen auf aberraſchende Weiſe zuſammen. Rur ein Beiſpiel ſoll angeführt werden. Das Pronomen der zweiten Berfon hat überall im Anlaute, tm Anfange des Wortes einen Zungen laut. Im Sanskrit Heißt es tvam, im Send tum, im Lateinifchen, im Litthaui⸗ ſchen und im Lettifchen tu, in den flaviichen Sprachen ty, im Gothiſchen tin, in den hochteutfchen Sprachen du. Das Griecifche Hat s-Laut: ad (st). . Do ift Hier zu erinnern, Daß s und t nahe verwandt find. Im alten boriichen Dias leete heißt das Pronomen auch nicht oo, fondern To (tt). - .

Die Berneinung wird außer dem Griechifehen in allen Sprachen durch den Buchſtaben n ausgedrückt. Doch beſttzt Das Griechiſche neben der gewöhn⸗ lichen Regation ov (ou, ü) eine andere, welche einen dem n fehr aͤhnlichen Laut bat, nämlich zer; (mi). |

Schließlich ſei noch auf die dritte Perfon Singularis des Praͤſens vom Hülfsserbum fein aufmerffam gemacht. Im Hochdeutfchen heißt die Form iſt im Riederbeutfchen mit abgefallenem t-Xaut is oder es, im Lateiniſchen est, im Griechiſchen Zorl (esti), im Altflavifchen iesti, Im heutigen Polniſchen jest, im Böhmifchen gest, im Perftichen gleich dem Lateinijchen est, im Sanskrit findet fich die reinfte Form astıi.

Die ſprachlichen Verhältniffe der urdeutichen Periode kennen wir ans feinem zufammenhängenden fchriftlichen Denkmale. Wie aber war die Eprache unjerer Urväter befchaffen, wie haben die Germanen des Tacitus geiprochen? Manche Anhaltspunkte gewähren Eigennamen und einzelne von römilchen und griechiichen Schriftftellern erwähnte und verzeichnete Worte. Beſſeres bietet und die gothiſche Sprache, die Schweſter des Urdeutichen. Wie wir auf das Bothis fche zuruͤckgehen muͤſſen, jo auch alle anderen germantichen Völker, wenn fie fich ein Bild von den gefchichtlichen Anfängen ihrer Sprachen machen wollen. Ulflas’ Vihefüberfegung hat für den Dänen, für den Schweden, für den Eng» länter denjelben Werth wie für uns Deutiche.

- Das Gothiſche ift der Orund, auf welchem fich Die deutſche Sprachfor⸗ ſchung, die gefammte deutiche Philologie aufgebaut hat. Dusch das Gothiſche erft ift der alte Wahn ein für allemal vernichtet worden, als jei die Sprache unferer Väter ein rohes, barbariſches Kauderwelich geweſen, als werde erft eine Sprache durch die fogenannte Girilifation und durch Grammatifen und Sprache Tünftler zur Schönheit und Vollkommenheit gebracht. Die Gelehrten des vordr gen Iahrhunderts, vor allen Gottſched und Adelung, waren beſonders gefangen - in der Ueberſchaͤtzung des Sprachzuſtandes ihrer eigenen Beit. Durch eine Bed gleichung der heutigen Sprache mit den früheren Denkmalen, deren früheſtes

2340 ' Ze Sprachwiſſenſchaft.

eben Ulfilas' Wibelüberfegung iſt, gelangen wir gerade zu den entgegengefegten Ergebniſſen. Ie jünger und urfprünglicher eine Sprache ift, deſto mehr Schönheit und Vollkommenheit befigt fie. Schönheit einer Sprache aber iſt finnliche Schoͤnheit, wie die Muſik, fofern fie aus Tönen befteht, etwas Sinnliches ifl. Bolltommenheit beruht in dem Reichthum an Worten, in der Fülle und Beweg- lichkeit der Formen. Die finnlichen Schönheiten und die formalen Bolllommen- heiten verwifchen ſich mit der Beit; die Sprache wird ärmer an Stämmen und erfegt den Ausfall meift durch abftracte Neubildungen ; die Sprache wendet ſich wie dad Volt von dem urkräftigen finnlichen Leben ab, fle vergeiftigt fich, nimmt Elemente des Verſtandes, der Reflerion in fich auf, ihr Bang wirb ebenmäßiger, glätter. „In allen Spraden”, wie Jacob Brimm in der Geſchichte der beutfchen Sprache fagt, „findet Abfeigen von leibliher Vollfom- menbeit ftart, Auffteigen zu geiftiger Ausbildung.

Die höchſte Schönheit und die bebeutendflen inneren Mittel beflgt unter den indoseuropäijchen Sprachen das Sandfrit. . Auf einer fehr hohen Stufe ſteht auch das Griechifche, weniger ſchon das Lateinifche, obwohl es ini Einzel⸗ nen manches vor dem Griechiſchen voraus hat. Die romaniſchen Sprachen, vor allen das Franzöſiſche, Haben viel von dem grammatiſchen Reichthume des Latei⸗ nifchen verloren. Das Gothiiche kommt in der Geflalt, in der es uns vorliegt, allerdingd den peladgifchen Sprachen nicht gleich, doch übertrifft e8 in der Rein⸗ heit der Laute dad Griechifche und hat Formen aufzuweiſen, welche das Lateini- ſche vermißt. Das Bothifche zeigt ſchon manche Einbuße an innerem Vermögen, es wird aljo in früherer Zeit noch größere Vollkommenheit und noch höheren finnlihen Reiz befeflen haben. Die Schönheit des Gothiſchen beruht zum großen Theil in den vollen, ungefchwächten Formen. Das farblofe, eintönige Endung&e, an welchem unfere und felbft ſchon die mittelhochbeutiche Sprache fo reich ift, Eennt das Gothiſche nicht. ES Heißt nicht „Bruder, Erbe, Name, filben‘‘, fondern „.brothar, arbi, namd, sibun.“ Tas a, der wohltönentite und edelfte Laut, hat eine befonders weite Ausdehnung. Getrübte Vocale wie ö und a find im Gothifchen noch nicht vorhanden. Kurze und lange Bocale und Sil⸗ ben wechjeln harmoniſch mit einander ab. Das Kräftige, Markige der gothiſchen Sprache ift Die Folge des Reichthums an-Eurzen Bocalen in den Stämmen und Wurzeln, wogegen unjer Reudeutich an einem Ueberfluſſe an fchleppenden Laͤn⸗ gen leidet. Groß find die VBolllommenheiten der gothifchen Granımatif, Romis nativ, Accuſativ und Vocativ können unterjchieden werden, es iſt ein Dualis vorhanden, es bedarf zur Bildung zweier Tempora des Paſſtvums feines Huͤlfs⸗ zeitworts, auch Spuren eined Mediums jind vorhanden: alles dies find Voll- fommenheiten, deren die fpäteren deutjchen Sprachen verluftig gehen.

Die althoch deutſchen Dentmale bieten keine einheitliche, vollfommen ausgeprägte Sprache dar. Zeit und Ort der Abfaffung kommen in Betracht. In den älteren Zeiten ift die Sprache voller, formenreicher; je mehr fich ein Schhriftftüct der mittelhochdeutfchen Periode nähert, deſto größere Abgeſchliffen⸗ heit und Farblofigfeit wird es zeigen. Die mundartlichen Eigenthümlichfeiten der Schriftfteller treten auffallend hervor. Der Baier fehreibt anders als ber

Entwidelungdgang der bentfihen Sprache. 241

Schwabe, und der Schwabe anders als ber Franke. Manche Schriften bieten eine aus verfchiedenen Mundarten gemifchte Sprache bar. Die alemannijche Mundart hat am früheften und am entſchiedenſten das Geſetz der Lautverfchie- bung durchgeführt, weshalb fle in der Grammatik ald das Streng-Althochteut- ſche bezeichnet wird. Außer der Lautverfchiebung, die fchon faſt überall ein- getreten ift, zeigen ſich im Althochbeutichen bie erſten Anfänge einer fprachges fchichtlich wichtigen Veränderung. Die Trübung ber reinen Bocale, der Umlaut, wie bie Grammatik diefe Wandlung nennt, beginnt. Noch aber ift es zunächfk aur ein Vocal, nämlich das furze a, welcher diejem Wechſel unterliegt. Durch Einfluß eines folgenden i wird a zu e (= 4). Das Gothiſche hat, wie bemerkt, nur reine, ungetrübte Bocale. So Heißt zum Beifpiele der Plural von balgs, bes Balg, die Haut, der Schlauch: balgeis; der Boral ded Stammes bleibt in ber Biegung unverändert. Dagegen lautet im Althochdeutfchen der Plural von palk nicht palki, fondern pelki (== pälki), neudeutſch Bälge. Im Gothijchen gab es nur zwei lange Borale .e und 6. Jet wird die lange Betonung auf fämmtliche Vocale ausgedehnt. Meicher ift das Althochdeutiche an Diphthongen ; e8 befigt deren fieben, drei mehr als das Sothifche. Das Althochdeutiche hat noch volle, ungefchwächte Kormen in großer Anzahl und: feine Fähigkeit in der Zlerion und in der Wortbildung ift bedeutend. Wenn auch lange Vocale übere band genommen haben, fo finden fe ihre Stelle meift in den Endungen; die Stämme aber bewahren ihre urfprünglichen Kürzen. Alfo gerade umgekehrt wie heute. ‘Die organifchen Kürzen find zu großem Theile in Rängen verwandelt und die Endungen haben kurze, tonloje Silben. An innerer Vollkommenheit hat ‚das Althochdeutiche ſchon mandherlei eingebüßt, jo das Paſſivum, den Dualis, den Bocativ. Dagegen bat es einen Caſus aufzuweiſen, welchen das Gothiſche nicht befigt, aljo ſchon verloren hat, und von dem ſich fpäter im Mittelhochdeut⸗ ſchen nur einige Trümmer erhalten haben, nämlich einen Inftrumentalis, welcher ungefähr dem Ablativ im Lateinifchen entipricht. Aus diefem Caſus erhellt, daß das Althochdeutiche und überhaupt. das Hochdeutſche nicht die Tochterjprache des Gothiſchen fein kann. |

Die mittelhoch deutſche Periode vom Beginne bed zwölften Jahrhun⸗ derts bis zu Ende des fünfzehnten Hat wie die althochdeutſche verſchiedene Ab⸗ ſchnitte. Wir unterfcheiden eine Zeit der Vorbereitung, eine Zeit des Glanzes und der Vollendung und eine Zeit bes Verfalles. In die erfte Zeit, im dag zwölfte Jahrhundert fällt die Eräftige, ungefünftelte Poeſie der fahrenden: Leute, die Spielmannspoefie. Die althochdeutjchen vollen Formen find ſchon abge fywächt, dennoch hat fich manches Alterthümliche erhalten. Der Umlaut greift weiter um ſich, jo daß die Sprache reicher an Vocalen wird, zugleich aber auch. an Schönheit und an edlem Klange einbüpt. Die mitteldeutiche Sprache, welche zum bochdeutfchen Gebiete gehört, aber dennoch als ein felbftfländige®, Hoch⸗ deutfch und Niederdeutſch verbindendes Mittelglied dafteht, Hat ſich am laͤngſten von der Trübung der Vocale rein erhalten. Bon Ende des zwölften Jahr⸗ hunderts, das dreizehnte hindurch und ein Theil des vierzehnten blüht das Mits telhochdeutfche als allgemeine Bücherfprache und als Sprache der Höfe, Der vor⸗

IV. 16

eprachwiſſenſchaft ·/

deutſche. | ieh 6 ru Ha‘ "7 "Bi Sun u Or Amen ii m

ber Reime, welche unfere neuen Dichter befhämen muß, ift 8. bie Fälle des —— —— und die martige Kraft der Worte, durch welche ſich das

Geyöntei: nicht Aberegen ännen; fo’Hat daß feinen guten Grund. So lange man das Mittelhochdeutfche, und Dies gilt namentlid) von den Schulen und Univerfiräten, ausfchließlich des Inhaltes der in ihm verfaßten Dichtungen treibt, fo lange nicht der Ausfprache mehr Beachtung gefchenft wirb als es bis jet ge⸗ ſchehen, jo lange man das Mittelhochdeutſche nach unferer verderbten Rechtichreis bung neudeutſch und nicht mittelhochdeutſch Lieft und ausfpricht und den mittels hochdeutſchen Ders, das Schönfte, was wir in metrifcher Beziehung haben, mißhandelt, fo Tange wird auch die ee ag als Sprache für die meijten eine unbefannte Sache bleiben. ni

Im vierzehnten Jahrhunderte beginnen Sprache ———

Beides geht immer Hand in Hand. Die Munbarten,

ern Sc m Erg bereit, am el mittel⸗ Rebe des Neuhoch deutſchen ber

a *8* n) rn anıi 1 * Atthochdentichen finnliche Schönheit, und innere Volllkommenheit eingebüßt

* fe doch, in Jeißliher und geifiger Bepiebung vor vielen europäir * Spraßen den Vorzug. ‚Und eine hat fie.sor ihrer Mutter, *—*

fo mancher im Beben. an ber angeflammten. trauficpen Mundart. feſthaͤlt, welche ihn mit RE PIE IRDNR ‚an die Heimath Fnüpft, fo befigt.er doch in der

Entwidelungsgang der dentfhen Sprache. 245

Schrift einen geiftigen Hort, der ihn dem großen Vaterlande vereint. Freuen wir und, daß es jo gefommen! Der Sieg der hochdeutichen Zunge hat die Tren⸗ nung der Dialecte unfchädlich gemacht. Die Scheidewand zwifchen Norddeut⸗ ſchen und Süddeutſchen oder, wie ed im Mittelalter hieß, zwifchen Sachfen und Schwaben ift gefallen. Wir find jetzt Ein Volk, einig in Sprache und einig in Bildung, wie wir Eines Stammes find. Das mag uns tröften über fo manche Zerriſſenheit, welche die politifche Befchichte herbeigeführt hat. Man hat oft behauptet, die Reformation habe das beutfche Volt gefpalten. O nein! bie Sprachgefchichte lehrt uns ein anderes: die Neformation bat das deutſche Volt vereinigt! Zweimal ward unferem Volke das hohe Gluͤck zu Theil, die deut⸗ ſche Dichtung in voller Blüthenpracht zu fehen, und wenn auch Die zweite Glanzzeit, die Zeit eines Schiller und Böthe, in vieler Beziehung von ber erften, von der Zeit eines Wolfram von Eſchenbach und Walther von ber Vogelweide, übertroffen wird, das hat fie gewiß vor biefer voraus, dem gefammten Deutihland anzugehören!

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Kreislauf deb Waſſers. 247

und Bewegungen fein wollen, in welche das Wafler eingeht, oder an welchen es heil nimmt. Sie hat fih an die allgemeinften Beziehungen und den Zuſam⸗ menhang zwifchen’den einzelnen Thatfachen zu halten, wenn fle dem Stoffe folgt, der bald fichtbar vor Jedes Augen, bald ber Anjchauung entzogen, hier in blei⸗ bendem Verbande feiner Urfloffe, dort aus feinen Elementen fich bildend, oder in fie zerfallend, überall ift und nirgends bleibt.

Mo eine durchaus zufammenhängende und in ſich zurücklaufende Folge ton Bewegungen gegeben iſt, da läßt fich an jeder Stelle einer fo gefchlofienen Kette der Ausgangöpunft der Betrachtung wählen. Indeſſen feheint es am angemeſ⸗ ienften, den ®ebanfenzug zuerft gegen jene Bewegungen zu richten, welche durch die Größe der bewegte Maſſen Aller Blicke auf ſich ziehen, dann ihn weiter zu Ienten zu ben Fällen, in denen die Thätigfeit des Waſſers fich in eine immer tiefere Berborgenheit zurüczieht und zulegt anzubalten, wo nur der aufmerk« famfte und durch vorbereitende Kenntniffe unterflügte Beobachter feiner gem wahr wird.

Die Meere betheiligen ſich an bem allgemeinen Kreislaufe des Waflers in dreifacher Weiſe. Theils find e8 Ortöveränderungen der flüjfigen Waflermaffen, felbft weit über jenes Maaß hinaus, bis zu welchen die Winde von äußerſter Stärke, Ausdehnung und Dauer das leicht ſich rührende Slement bewegen: wahre Meeresftröme über, unter und zwifchen ruhenden oder anders bewegten Gewäjlern: mehr ald einmal Hunderte von Meilen lang. Theils entzieht fich ber Inhalt der Meere auf feinen. ferneren Wegen der unmittelbaren Anfchauung, nachtem er aufgehört bat, flüffig zu jein. Was die See ald unfichtbaren Dampf in veränderlicher Menge der Luft abgab, je nachdem dieſe niedriger oder höher temperirt, mehr oder weniger feucht, fchwächer oder flärfer bewegt war, führen die Winte in weit entlegene Simmeldftriche. In welche Form dieſes Waffer feine unabläjfige Wanderung in der irbifchen Ratur fortfegt, ob es fernerhin luftför⸗ mig der Atmoiphäre beigemengt bleibt, oder ald Dunft und Wolken, als Regen und Schnee wieber verdichtet und fihtbar wird, hängt von den Bufländen ber Zufträume ab, im tie es weiterhin übergeht, von ihrem Waärmegrade und der Menge bed dajeldft jchon vorhandenen Wafferbampfes.. Ein letzter Antheil enb« lih geht, wichtige phuflfalifche und chemifche Veränderungen einleitend und durchführend, in die feften Subftanzen über, welche die See ald Unterlage und Ufer begrenzen ober dient dem Gntwidelung&progefie einer nach Zahl und Form faft unendlichen Pflanzen» und Thierwelt.

Wir bedenken hier nicht weiter jener Beiwegungen der See, welche als Ebbe und Fluht der Erfolg einer Anziehung von Mond und Sonne find, Obwohl fle mit alle den Verwickelungen, welche die wechjelnde Stellung jener beiden Himmelöförper, noch mehr die vielfache Geftaltung der Gontinente in ihren Verlauf bringen, einen wichtigen Zug im Bilde bed Oceanes bilden: fo ift dennoch - das Kortlaufen der Fluhtwelle, die Hebung, Senkung und feitliche Verſchiebung der Gewäfler nicht mit jenen Strömungen zum vergleichen, die aud einem Klima in ein anderes fich erſtrecken. Ran kann in ihnen nicht in gleichem Sinne einen Kreislauf des Waflerd erkennen. Auch ſei jenet Bewegungen nur im:

ac un une Yankee ker cn im Orc fh ef

des Waſſers verdampft. Dies ——— an ——— gleich, Mag er aber

Beobadtung, ber @efammtauffejlag nicht zweifelhaft, - Oertlich, doch-qunneifen in großer Erftredung, ift die Zunahme an Salzgehalt noch höher getrieben, wo,

ſchwimmenden Wiefen gleich, zufammenhängende Maffen von Seetang-die Ober⸗ fläche überziehen, wo Sonnenwärme und Luft auf diefer Bedeckung eine Art na= löften Salzes rüdwärtd in die See der gemäßigten Zonen durch den reichlicher dort fallenden Regen und Schnee, In den Polarmeeren endlich concentrirt ſich bas ungefroren bleibende Waffer, weil in das meifte, pres ernsten. Feen —⏑ —ü⏑ü⏑0

Man ſieht fchon hiernach, "Daffried am barchenden Kräften im Meere nicht fehlt, da ungleich fchwere Klüfftgfeiten nicht neben einander in gleihem Niveau beftehen fönnen. Bon den Stellen aus, wo die erwähnten Unterfehiede am größe ten find, wird den flüffigen Maffen beiderſeits ein Antrieb gegen bie Orte entge⸗ gengefegter Beichaffenheit gegeben und zwar, nur wechjelnd an Stärfe mit der ungleich vertheilten Wärme, während eines Jahreslaufes, ein beftän«

Kreißlauf deb Waſſers. 249

diger Antrieb. Allerdings werben ſich die dichteren Maſſen in einem tieferen, die leichteren in einem höheren Strome anſchicken, das geftörte Gleichgewicht zwi⸗ ſchen weiten Fernen wieder herzuſtellen. Aber dab angeſtrebte neue Gleichgewicht wird zu feiner Zeit vollkommen erreicht, weil diefelben Kräfte Immer fort wirken, Denen die ungleiche Schwere der Meerestheile zuzufchreiben iſt. Diefelben Waſ⸗ ſermaſſen, weiche warm und jalgreicher polwaͤrts drängten, müflen Dem entge⸗ gengefegten Zuge folgen, fo bald fie wieder erfaltet md mit anderen gemiſcht find. Zurückgekommen auf den früheren Ausgangspunkt ober eine ihm gleich⸗ artige Stelle, gewinnen fie die früheren Eigenjchaften wieder und treten abermals den Weg an, auf welchem fle, in einer Art von beweglichem Oleichgewicht, die Ausgleicher entgegengefegter Buflände und Antriebe, die feyligenden Vermittler zwifchen dies⸗ und jenfeits wachfender Ueberfüllung ober Armuth an Wafler und Salz werden. Ein echter Kreislauf im volllommenften Sinne tes Wortes!.

‚Aber e8 laͤßt fich noch weiter geben. Nicht blos bie allgemeinen Urjachen Der Meereöbewegungen find hierdurch großentheild aufgedeckt, ſondern auch fo manchem unerwartetem Zuge in der großen Berwidelung ber vceanifchen Ströme tft jein Anjchein eines. Widerſpruches genommen und er felbft, wie bei fogenannten Störungen im einfachen Laufe der Ratur gewöhnlich zu geichehen pflegt, gerade als ein nothwendiger Erfolg der allgemeinen Ordnung befunden worden. Fürs Erſte kann wicht verborgen bleiben, daß Wärme und Salzgehalt in entgegengefegtem Sinne bewegend wirken, da jene leichter, dieſer ſchwer macht, Diefelbe Meeredgegend aber, welche bie eine fleigert, vermehrt auch den anderen und fließt fomit zwei einander befämpfeude Elemente ein. Es wird daher für Den Erfolg erſt darauf ankommen, welche von beiden Wirkungen in einem gege⸗ denen Falle und wie weit hinaus fie die überwiegende iſt. In den Abflüflen ber Eismeere unterftlügt fi Dagegen aus angegebenen Gründen Beides im Sinne einer größeren Schwere des Waflerd. Während hier durchaus kein Zweifel über den Ausſchlag zugelafien ift, kann zwar für bie wärmeren Meerektheile vorläufig ein folcher bleiben... ‘Aber deshalb in jenen Elementen bewegende Urfachen dort verfennen zu wollen, wäre nichts Anderes, al6 an bie mindeſtens unwahrſchein⸗ liche Vorausſetzung ſich binden, daß im Allgemeinen beide entgegengefete Ur⸗ fachen nahezu ober völlig einander aufheben. Mag einmal das Meerwafler irgend einer Stelle aus dem einen Grunde um biefelbe Größe ſchwerer, ald aus dem anderen leichter geworden fein, wenn e8 mit ben Gewaͤſſern eines entfernten Ser⸗ gebietes verglichen wird: fo wäre dies immer nur ein einzelner Fall unter einer großen Zahl anderer, wo die Differenz der beiden @inflüffe noch einen merklichen Werth behält, alfo jedenfalls noch eine hinreichende Beavegungsfraft übrig bleibt. So lange nicht überall eine ſolche Gompenfation in der Art gegeben iſt, daß an jeber Stelle des Meeres das Wafler gleich dicht und ſchwer iſt, wird es ber For⸗ derung, maſſenweiſe zu fließen, nachkommen mäffen.

Einem weiteren Bedenken ift infofern zu begegnen, als die ungleiche Dichte heit und Schwere des Meerwafjers zwar als bewegendes Element zugelaflen, da⸗ gegen gefragt werben tönnte, ob dadurch veranlaßte Bewegungen zwiſchen fernen Merreötheilen lange beftehen, ob ins Beſondere weit hinaus Ströme eined waͤr⸗

ber Einfpruchgurüdtgen | närten’Reeredfirömen’einnachhaltiges; Befonderten pen uf ihten flüffigen- Ufern: zugeftanden werben.: ron gb won une are

| Vielen Fre een thun und weiter im Einzelnen zu ordnen, was in ihrer beſonderen Macht liegt. Der Nachweis einer bewegenden Kraft, ber aus allgemeinen Gründen folge, iſt offenbar nicht Daffelbe, als die zergliedernde Erklärung einer gegebenen Bewwes gung aus ihren individuellen Elementen. Die weiteren Bedingungen , die noch hinzutreten, find theils allgemeineren Herfommeng ; aber auf jeder anderen Stelle

—— chen Fluſſes noch lange nicht au 0 hr ann Mer Herb. Seine abe,

daf ein an feiner Grenze fegelndes Schiff zur einen Seite den Anblick der ge- wöhnlichen See, zur anderen das ganz verſchiedene Bild des Golfitromes Hat. .

Selöft bet zuhigfter See iſt ſeine Oberfläche nicht überall eine einfache Ebene.

Strom nad) rechts, der wie eine Hinabpängenne flfige, aber undurchbrochene Mauer, zwiſchen beiden Gebieten Hegt. Hört mit herannahenden Sommer bie Uefa DeB ueberdrucee auf/ —— Strom ge

- sat merrim

zurük. Denn oma Ba ach, wog ——

Kreitlauf des Waſſerd. 208

dert würde, ſondern um bie Selbſtſtaͤndigkeit und; den individuellen Charakter ber großen Meereöftröme an einem Beiſpiele erfennen zu laſſen, wurden einige Büge aud dem großen Bilde des Stromes entlehnt, der, nach dem Urtheile der Erfahrenften, das größte Wunder des an Außerordentlichem fo reichen Dceanes zu heißen verdient. Es giebt aljo eine Girculation in der Geſammtheit der Meere. Indem den Strömen Gegenftröme, freilich nicht allemal unmittelbar zur Seite, entfprechen, find alle dauernden Gleichgewichtsſtörungen eine Un⸗ möglichkeit. Aufgehboben muß allerdings dad Gleichgewicht fein; damit ein Strom fich entwidele, aber in dem Strome und Durch ihn flellt es fich ebenjo un⸗ abläjfig wieder her, als dauernde Kräfte es unabläfftg aufs Neue aufheben. ES - war ſchon mehrfach Gelegenheit, dieſer einen Rolle zu gedenken, welche die Mer⸗ reöftröme im Haushalte der irbifchen Natur jpielen. Sie müflen dieſe fpielen, ba fie von ihrem Entſtehen und ihrem Beflande untrennbar ift: die Rolle von Ausgleichern zwifchen entfernten Meeren. Bon weiterer Wichtigkeit werben fie für die Vertheilung der Wärme auf der flüffigen und felbft einen Theile ber feften Erboberfläcdye; für den Witterungsgang nicht bloß der ausgedehn⸗ ten Blächen, die fie einnehmen, ſondern zugleich einer weiteren Umgebung. Dem Meere find fie daſſelbe, was für die Luft die Winde find, Doch verfolgen fie einen mehr gleichbleibenden Lauf. Es find natürlich die oberflächlichen Strömungen, das heißt in der Mehrzahl der Bälle, Die wärmeren, welche die größte Macht auf dad Klima äußern, während die weiften fälteren einem unterjeeiichen Verlaufe folgen. Dem reichen und vielgeftaltigen Leben des Oceand werden fie theils breite Wege zur Ausbreitung feiner Organismen, theild ziehen jie ihm Li⸗ nien beftimmter Begrenzung, über welche zahlreiche Arten, gleich den Walfiſchen,

welche den Golfſtrom meiden, nicht hinwegiegen. Endlich kann nicht verborgen bleiben, in wie mannigfaltige Beziehungen die Meeresftröme zum Menfchen treten, der fich zum Herrn des Meered gemacht hat. Zwar ift heut zu Tage ben Mitteln, die geographijche Länge und Breite zur See zu beitimmen, eine ſolche Bollfommenheit gegeben, daß die Schiffe im Allgemeinen nicht mehr anderer Er⸗ innerungen bedürfen, um zw wiflen, wo jie find. Bei ihrer wenig ober Doch pe⸗ riodijch und regelmäßig wechjelnden Lage, gewährten die Merreöftröme. früher allerdings oft folche verwünfchte Erinnerungen, wo fie durch Richtung, Stärke und Temperatur erfannt wurden. Rod) fernerhin bleiben die Angaben des Ther⸗ mometerd dem Seefahrer aus einem anderen Grunde von Werthe, infofern fle ihm die Annäherung an Untiefen, um welche die Wärme des Waſſers zu finfen pflegt, und die Rachbarjchaft einer Strömung verrathen. Aber die entfcheidendfle Bedeutung hat die Strömung gegenwärtig für ihn als eine bewegende Macht. Auf gewiſſe Strecken ifb fie dem Laufe des Schiffes günftig, daß fich ihr freiwil« lig überläßt. Ein oder das andere Mal führt fie daſſelbe endlich noch mit leide lichem Slüde aus einer bedenklichen Lage, wie fie Die amerifanifchen Fahrzeuge, welche 1850 noch Iohn Franklin juchten, jammt dem Eiſe, in welchem fie feſt⸗ gefroren waren, aus dem Mellingtonfanal mehrere Hundert Meilen fübwärts trieb. In der größeren Zahl der Bälle dagegen haben die Schiffenden von ber Nähe einer Strömung Kenntniß zu nehmen, um ſich vor Verlängerung bes

Here ——— ſich loͤſt. Aber in feiner‘ Beriebiint rauchen jene Waffen verdampften Waffers eine Vergleichung zu fcheuen, Die deren Fortzlehen mir unter

abeite,owweldhee fh an eine vermeintliche geringere: Größe der Sewegten Maffen beim Vergleiche ftößt, bie mn "feine Zurüdfegung geflatten würde, einer Beranlaffurig zum Niederfchlage begegnen. Man hat mit Recht, um die Veränderungen zu erläutern, welche ein großer Theil des Waſſers durchläuft, den Vergleich mit einem fünftlichen Dampfapparate gebraucht. Die Meere der heißen Zonen wis ren der Keffel, die tropifche Sonne das Feuer: die Bahnen der Luftſtröme ftell- ten die dampfleitenden Kanäle vor und in der fühleren Luft der gemäßigten Kli— mate fänden fich Die dampfverdichtenden Räume. Was an dem Beiſpiele allein vermißt wird, ift ein Bild für die bewundernswürdige Veränderlichfeit, theils periodifcher, theils nicht periodifcher Art, eine Veränderlichfeit, die willfür- licher Freiheit ähnlich ſehen fönnte, wenn nicht die feften Gefege Durchleuchteten, nach welchen die Bewegungen im taufendfältigen, notwendigen Wechſel ſich ergehen. Der Kreislauf des Waſſers durch unferen Luftkreis geht weit über das hinaus, was unmittelbar in die Augen fällt, Die Wolfen find zwar ihrer Höhe, Maffe, Form und Richtung nach der ſichtbar getvordene Ausdruck viel- leicht Länger ſchon eingeleiteter, jedenfall fo eben geſchehender und in Bortjegung begriffener Progeffe ber Atmofphäre: aber fle bezeichnen nur einzelne Stellen in

den Bahnen der freifenden Waffermaffen. Atmofphärifches Waſſer bewegt fich auch durch die Rüfte mit Winden, die Feine Wolfen führen, wenn nur die Luft

-Kreitlauf des Waſſers. 255

noch nicht mit Dampf gefättigt iſt. So Tange die Wolfen für niedergefchlagene Dampfmafien gelten, welche in dieſer Form immer fortgeführt werben, ſofern fie nicht niederfallen: fo lange mur hier und nicht ebenfo unter dem freien Him⸗ meld-Blau Waſſer geſehen wird, welches nur einer angemefienen Temperaturfen« kung wartet, um Woltengeftalt oder die Borm irgend eines anderen Riederſchla⸗ ge8 anzunehmen: fo lange endlich Wind und Wetters für fo launiſch und geſetzlos gehalten werden, als das Sprüchwort von ihnen außfagt: fo lange kann der atmofphärifche Kreislauf des Waſſers nicht begriffen werden. Wenn aber der Erfahrung gedacht wird, daß die Luft nie abfolut troden fich zeigt, ein Nieder- ſchlag aber bei gegebener Dampfmenge einen beftimmten Drad und eine bes flimmte Temperatur vorausfeßt: wenn weiter die Bewölkung als ein in beftän- digem Werben und Vergehen Begriffenes, als eine Form von immer anderem Inhalte, gleich dem Schaumberge über einer Gervorragung des Flußbettes, er» fannt worden ift: dann erfl treten für bie Anfchauung der fichtbar und der unfihtbar Ereifende Antheil des amofphärifchen Waſſers in das richtige Verhaͤltniß zu einander.

Es wäre hier am rechten Orte außeinanderzufegen, wie die Circulation Dies ſes Waſſers, wie Lufiftröme, Verbunftung und Niederfchlag von dem jährlichen Gange der Wärme und von allen jenen Elementen georbnet werben, welche Die Zemperatur und ben Beuchtigfeitögehalt aller Luftſchichten beftimmen. Gtatt dahin einfchlagender Betrachtungen, weldye nur bei verwandten Begenfländen bereitd Beiprochened in eiwas anderer Form zu wiederholen vermöchten*), ſollen einige phuflfalifche Folgerungen erwogen werden, die mit dem vorliegenden Ob⸗ jekte in nahem Verbande fiehen. Der Kreislauf des Waſſers in der Aimofphäre hat noch einen anderen Sinn, als den einer Bewegung der Maffen in immer anderer Vertheilung über die Erde und eines unabläffigen Ueberganges zwifchen feftem,, flüffigem und Iuftförmigem Buftande. Alle MWechfel letzterer Art gehen befanntlich nicht vor fih, ohne daß der Umgebung eine gewifie Menge bisher merkbarer Wärme entzogen oder eine zuvor nicht frei vorhanden geweſene zuräds gegeben wird. Um das ganze Gewicht biefer Thatfache für die Temperatur« verhältniffe der Erbe richtig zu fchägen, If zu bedenfen, daß jenes Wärmemanf gerade beim Waſſer ein Höchft bedeutendes if. Wenn ſchon das Ei im Moe mente des Thauens eine Wärmezufuhr beanſprucht, um eben nur ein fläfflger,; . aber nicht den Fleinften Bruchtheil eined Grades wärmerer Stoff zu werden, Die‘ hinreichend wäre, daſſelbe Thaumafler von der Schmelztemperatur auf etwas mehr ald 79 hunderttheilige Grade zu erhigen, fo ift die beim Verdampfen ge⸗ bundene Wärme fogar noch bedeutender. Im Großen und im Kleinen geben folche Bewegungen und alle ihre Kolgen ununterbrochen an uns vorüber, ohne daß immer der Grund erfannt und unter unfcheinbaren Berwandlungen bie‘ ebenfo einfach al8 gewaltig wirkende Kraft entdeckt würde. Es iſt an einer an⸗ deren Stelle berichtet worden, wie die Rord⸗ und Südhalbkugel der Erde wicht ganz gleiche Temperatur befigt und die Gefammtwärme der Luft einer jährlichen

*) Giche Band II. Seite 68. B. Ill. & 30. 3. 1V. €. 62.

| | Waſſers

—— mich ehe i.der Gleftrieität die Urfache faſt jeder Bewegung fucht, für die ein anderer annehmbarer Grund nicht fofort Deute lid) wird und vielmehr darüber ſich geeinigt hat, daß fie Öfteren da Folge iſt, wo fie früher als erregende Kraft angenommen wurde: ſchwebt doch über der Duelle ber atmoſphaͤriſchen Elektricitaͤt noch immer ein wenig gelichtetes Dunfel, Ber dampfung des Waſſers kann nicht die Urſache fein: Dies fegt der Verſuch außer allen Zweifel... Dagegen weifen die mächtigen Entladungen der Gewitterwolken auf die Vermuthung hin, daß die elektrifchen Kräfte rege werden, wo ein rajcher und maflenhafter Niederichlag fich begiebt. Mag der auffleigende Luftitrom bie Dämpfe. der Tiefe in kalte Höhen führen, oder sin Falter Wind in eine warme, ein warmer und Dampfreicher in eine kalte Luft einbrechen, oder mögen in der Rauch - und Dampfjäule eines thätigen Vulkanes Blige bie Größe der eleftri= ihen Spannung verfündigen: immer; knüpft fich die mächtigfte Entladung, die —* ————

Zeit. eh I amisamınıı ’Z u 1a NT a

Die Betrachtung , joweit wir fie bigher geführt haben, hat und von den. Meeren im den Luftkreis und durch jeine Niederjchläge wieder zur Erde geführt.

Kreidlauf des Waſſers. 257

Indem wir einen britten Theil bed Meerwaflers., welcher an ben Veränderungen von Meeresgrund und Meeredufer fih betheiligt, fo wie den in bie organificte Welt des Oceanes eingehenden weiterhin au geeigneter Stelle zu erwägen geden⸗ fen, könnte jept leicht der Uebergang zu den auf der Erdfeſte rinnenden Wäflern gewonnen werben, wenn nicht eine wichtige Uebergangsform zwifchen den Rie- derfchlägen in Schneegeftalt und dem flüffigen Waffer noch einen Anhalt geböte. Nicht aller Schnee nämlich durchläuft eine fo einfache und verhältnigmäßig kurze. Reihe von Veränderungen, wie in den Gegenden, denen er nur eine vorüberges hende Erfcheinung if. Wo bie Luftwärme einen Theil des Jahres unter den thermometrifchen Nullpunkt, die übrigen Monate nicht hoch oder wenigſtens nicht andauernd um eine größere Zahl von Graben über denfelben fällt, tritt er eine Folge anderweit theils ungefannter, theild unbedeutend entwidelter Verwand⸗ Iungen an. Solche Bedingungen find gegeben in ‚ben Ländern nahe an ben Erdpolen und, über eine gewiſſe Höhe hinauf, felbft in den gemäßigten und hei» sen Simmelöftrihen. Wo dieſe Bedingungen nicht fehlen, da fiellen ſich zwi⸗ ſchen Schnee und endliches Schmelzwaſſer der Firn und der Gletſcher. Seitdem die Entwickelung der Firne und Gletſcher, ihr mit dieſer zuſammenhaͤn⸗ gender Bau und ihre Bewegungen erkannt worden find, haben fie aufgehört, nur als Schnee und Eismaſſen zu gelten, welche den höheren Bebirgen ein Schmuck, ihrer Umgebung ein Heerd von Kälte, den tieferen Ländern eine Urſprungsſtaͤtte ihrer Klüffe, dem Menfchen ein Gegenftand des Staunens, dabei nicht felten eine Duelle von Gefahr und Schaden find. Das ausgedehnte und tiefe Studium, welches die neuere Zeit ihnen zugewendet hat, ift reichlich belohnt worden. Richt, 5108, daß überhaupt Damit einige neue Gegenflände naturwifienfchaftlicher Kennt⸗ niß gewonnen oder über andere bie früheren Anfichten aufgeklärt und erweitert worden wären, Vielmehr ift auf den Rachweid des Zufammenhanges Gewicht zu legen, der unter den einzelnen Gliedern des Verwandlungsprozeſſes in einer ſehr allgemeinen Beziehung befteht: auf die Anerkennung der Bebeutung, welche ten Kirn und Gletſcher ald Vermittler zwiſchen den immerfort fallenden feften Nicderfchlägen und ihrer Auflöfung und Abführung zufommt. In diefem Sinne baben jene Zwijchenformen einen ſolchen Werth für Die Phyſik der Erde erlangt, daß, wo der Kreislauf des Waffers in Erwägung fommt, ihrer nur ungerechter Weiſe vergefien fein könnte. Um im Allgemeinen einzufehen, wie fie in dieſen Kreislauf eingehen, bedarf es weder ber Worausfegung noch der Beibriugung vieler einzelnen Kenntnifje über Firn und Gletſcher. Es reicht Hin, dem Vor⸗ gange der Umwandlung in feiner vollendetiien Form zu folgen. Sind die wirk⸗ famen Kräfte bier erfannt, fo wird fich bald finden, daß ed auch am Verſtänd⸗ niffe ter unvolllommneren und des Sinneß, den fie haben, nicht mangelt. Entwidelter und, im VBerhältniß zur Geöße bed eingenommenen Länderges biete8, ausgedehnter find wohl nirgends die Birne und Gletfcher ald in den europäijchen Alpen. Daß dies feine nothwendigen Gründe und welche Urfachen. e8 habe, wird fich bald ergeben. In den Gochalpen find die atmofphärijchen. Riederfchläge überhaupt viel feltener. Zwar ift dort bis gegen 12000 Fuß über der Meereöfläche Regen geſehen worten, aber gewöhnlich fällt nur ein feiner IV. 17

Ereislauf des Waffert. 258

fich nicht wieder durch das Anfrieren des Schmelzwaſſers, vielmehr nimmt dieſes die Geftalt von Körnern an. Die ganze Maffe wird förnig_und zerfällt durch Wärme in einen groben Grus. Es IR von ſelbſt einleuchtend, daß der Ueber⸗ gang aus dem lockeren Schnee in die zufammenhängende Maſſe des Firnes kein plöglicher iſt. Es giebt ebenfo gut einen noch wenig feften, feinen Hochſtrn, als einen bichteren,, verſchmolzenen Tieffirn und felbft ein Firneis weiter unter der Oberflache, wo ein Zurüͤckhalten des eingebrungenen und gefrierenden Waſſers nebit dem Druck der überlagernden Laften ein Gefüge veranlaßt, was zwar noch wicht auf ächtes Eis deutet, aber noch weniger an Schnee mehr erinnert. Wenn im Winter in den Tiefländern der Schnee während des Tages öfters anfchmilzt und die Racht wieder gefriert, entwidelt ſich nicht felten eine dem Firn ganz ähn- liche Maffe im Kleinen. In den Firnmulden der Hochalyen aber, gewoͤhnlich einem Reiche von manßlofer Oede, bleibt dauernd keine andere Decke des Erd⸗ Bodens: Lockerer Schnee wird dort nur nach frifchem Falle gefehen, oder wäh« end bes Winters, wo das Anthauen wegfällt.

Das Iepte Glied in der Reihe von Formen, welche mit dem lockeren Hoch⸗ ſchnee beginnt, ift da8 Gletſchereis. Die Eörnige Zufammenjegung, wie fle bisher war, ift endlich verloren gegangen. Die Menge eingejchloffener Kuft ift im günftigften Kalle auf etwa ein Viertheil von ber des Firnes gefunfen und verhält fi im Eife nur in Geſtalt nicht unter einander zufammenbängender Bläschen. Eine Menge feiner Abfonderungen und Spalten in unregelmäßigem Verlaufe läßt dieſes Eis immer vom gewöhnlichen Waffereis unterfcheiden. Obe gleich fle in der Kälte nicht fichtbar find, treten fle bei mäßig warmer Luft, ſchon durch die Einwirfung des Hauches, hervor. Gefärbte Flüffigkeiten ziehen ſich in ihnen weiter, nicht blos nach unten in Folge der Echwere, ſondern auch ſeit⸗ lich und aufwaͤrts. Wenn fle Teer, das heißt mit Luft gefüllt find, geben file dem Eife ein mattes oder weißliches Anfehen: Hat fie Dagegen Wafler durchdrungen, fo ift aus bekannten optifchen Gründen da8 Ganze durchfichtiger und von dunk⸗ lerem Anfehen. Dieſes weiße und blaue Eis unterfcheibet fich zugleich weſentlich durch die Menge der eingefchloffenen Luft, die im klauen nur fehr gering, im weißen dagegen fo groß für Gletſchereis, als überhaupt möglich gefunden wird. Mit demfelben feinen Spaltenfoflem, ober den Haarfpalten, fteht die Bildung eined unregelmäßigen, ftumpfedigen Gletfcherfornes im Verbande. eine ein- zelnen Theile find gleichjam in einander eingelenkt And werden fichtbar beim Zerfchlagen und beim Zerfallen durch die Wärme. Es find nur diejenigen Ei⸗ genthümlichkeiten am inneren Baue des Firnes und Gletſchers bisher berührt worden, an welche zu denken nöthig ift, um der merfiwürdigen Uebergänge inne zu werben, Die den gefallenen feften Nieberfchlag der Höhe von dem abrinnenden Waſſer der Tiefe ſcheiden. Dagegen Liegt e8 außerhalb ber gegenwärtigen Auf⸗ gabe den äußeren Bau dieſer Schnee» und Eismaffen zu jchildern und aus ein- ander zu fegen, mas über die Bewegungen berfelben im Einzelnen erforſcht wurde. Daß fle aber fich bewegen, dag Alles, wa8 von dem Schnee der Hochges Birge nicht auf andere Meife Hinweg fommt, in Iangjameren Schritten der Tiefe ſich nähert, um an der wärmeren Luft endlich fich zu Löfen, iſt einer der weſent⸗

‚17%

Kr | ! ot Kam ur ara te ig aenigt, ſich where ee po: In mye ig u Bde N Een N er —* —— era

—— tes —*2* ——— dungsſtaͤtten zu beſchraͤnkt, an welchen ein wirklich vorhandenes Material den Formwechſel anzutreten hätte, ohne den das Hinabrüden in die Thaltiefen unmög- Tich iſt. Je weiter dagegen bie Firnfelder, defto mächtiger und länger der Glet— ſcher. Dieſe Thatfachen laſſen Far werden, warum die Alpen bad bevorzugte Land der Firne und Gletſcher find. Anderweit naͤmlich fehlen eine oder mehrere ‚jener allgemeinen Bedingungen, Den Pyrenien geht die maffenhafte Erhebung ‚des Hochgebirges ab: weniger und Fleinere keſſelſörmige Räume über der Linie

des ewigen Schners, mehr einzelne Gipfel und freie Kaämme. Auf den-übrigen Gebirgen Spaniens, von denen einige hoch genug wären, ift dieſer Mangel’ noch fchärfer ausgeſprochen. Um in den gemäßigten und beißen Zonen andere geeig- nete Gegenden zu’ finden, wird man den Zügen der Hochgebirge meift ebenſo ver- geblich folgen, Der Ararat und der Kaufajus, noch mehr-die Gebirge der Tar- tarei, Mongolei und deren Umgebung vermiffen nicht blos die vorauszufegende Geftaltung, jondern find, vermöge der trockneren Quft, zugleich ärmer an Nieder» ſchlaͤgen. Günftiger zwar find alle Verhaͤltniſſe in mehreren Theilen des Hima⸗ laha. Im vielen Fällen zeigen fie Gleiches mit den Alpen, Aber mag auch man-

Kreislauf des Waſſers. 263

ſtrecken Dagegen und Gebirge vermehren aus bekannten meteorologiſchen Grün⸗

ven örtlich Die Menge der Niederjchläge. Erftere im Beſonderen, inten fie den Boden vor ter Einwirkung der Sonnenftrahlen fhügen und feine Temperatur zur beißen Jahreszeit niedriger erhalten, fichern das aufgefogene Wafler vor rafcher Verdunſtung. Alle Länder, in welchen die Bodencultur fich weiter über bie Wälder verbreitet, machen alljäprlich hierin übereinſtimmende Erfahrungen. Mo die Anerkennung des Vortheils fehlt, Den in diejer, wie in verwandten Rück⸗ fichten Gebirgswaͤlder bringen, ift wenigitend der Drud der Rachtheile fühlbar, Die auß ihrer Verdrängung erwachfen. Wir fehen alfo wohl, wie der Kreislauf des Waflerd dahin geregelt ift, Daß die Menge des auf und in dem Erdboden ent⸗ baltenen und von ihm weggenommenen flüffigen von ber Atmofphäre gewährt wird, Wir brauchen den Waffergehalt der Erdrinde bis zu feiner Anfammlung in Quellen nicht überall dem Drude der Gewaͤſſer zuzuſchreiben, bie oft erft in mächtigem Abftande Fluͤſſe und Meere füllen: noch weniger einer alljeitigen Auf⸗ faugung von diefen aus, nach Art fein poröfer Körper. Wie died Zufammen- ziehen des aufgenommenen Waſſers geichehe, iſt eine ganz andere Frage, bie wes nigflend noch nicht da zur Entjcheidung gegeben ift, wo c& fich allgemein um den Urfprung handelt. Auch ift es, um andere in Gang gebrachte, aber wieder ver⸗ geffene Erklärungen zu verfchweigen, nichts Annehmbares, im Gegentheile aus unbefannter Erdtiefe ein Auffteigen von Waflerbämpfen anzunehmen, die in den oberflächlichen Theilen fich verdichten follen. Welche Nolle das Wafler in vul⸗ kaniſchen Oegenden fpiele, wird bald Gelegenheit fein, zu erwähnen. Gier mag zugeftanden werben, daß allerdings gelegentlicy Durch eine Art Deftillation Waſ⸗ fer fich ſammeln kann, gleich den oft angeführten jalzfreien Quellen auf Pantel« laria und Stromboli, in dampfreichen Grotten oder auch auf dürrem vulka⸗ nijchen Geftein, wo eine Speifung durch gefammelte Niederfchläge nicht zu denken if. Große und rajche Ergüffe der Quellen Haben wiederholt das Staunen in ſolchem Maaße erregt, daß von einem Aufthuen der Tiefe und einer Entleerung unterirbifcher Behälter, wie von einer außgemachten Sache, die Rede war. Trog ter Reben vom gleichzeitigen Erdbeben und anderen gewaltfamen Raturbewegun« gen, die bei ungewöhnlichen Begebenheiten ſtets zu Hilfe gerufen werden, bat Die genauere Unterfuchung ber meteorologifchen Vorgänge in Nähe und Kerne unzweifelhaft dargethan, daß die Fluhten aus den Wolfen Tamen.

Wir haben bi8 jegt günftigen Falls einen mit Wafler, deſſen Urfprung wir fennen, durchzogenen Boden, aber noch Feine Quellen: zwar ein zufammen- hängentdes feuchtes Netzwerk durch den ganzen Grund, aber noch Feine fließenten Waſſeradern. Zu Iegteren bebarf es einer Sammlung, welche einen Wider⸗ fland gegen das Weiterdringen, eine mehr oder weniger waflerdichte Begrenzung vorausſetzt. Wo lockere Sand⸗ und Geröllmaffen, oder undichte Sandfteine, noch mehr gewiffe durch und durch zerflüftete Kalkfleingebirge die Erdoberfläche bilden, da verjchwindet jeder Tropfen der atmojphärifchen Niederfchläge faſt fpurlos. Glüclicherweife für die Erhaltung des Waſſers in den oberflächlichen ‚Schichten befteht Durch die Erbrinde eine große Abwechjelung der Geſteinsarten. Unter tief:n find für das Aufhalten und die Leitung der eingedrungenen Ges

Kreislauf bed Waſſers. 265

ftröme wieberzufinden, welche, oberhalb Spezzia her@bfliegend, Tich in einen Schlund flürzen, ehe fle das Meer erreichen. Auffallender dagegen ift das Vor⸗ fommen von Quellen auf beträchtlichen oder einzeln Tiegenden Höhen. Man war früher fehr geneigt, folche Quellen von anderen noch höher gelegenen Stel- Ien abzuleiten und, wo ſolche vom Auge ringsum nicht erreicht werden konnten, fich durch Die Entfernung nicht ſchrecken zu laſſen. Don den fernen Gebirgen follten die Gewaͤſſer auf undurchläffigen Unterlagen in die zwifchenliegenden Thaltiefen finfen, von den tiefften Punkten aber, wo fie aufgehalten werden, fer⸗ nerhin aufwärts in alle communicirende wafjerdichte Wege fich veräften und mit anderen verbinden, Natürlich würde es fo an einem Austritte des Waflers nicht fehlen, wenn auf jener hodggelegenen Beobachtungäftelle eines Der waſſerdichten Lager zu Tage ginge, vorauögefegt, daß dieſes Ausgehende noch nicht das Niveau der fernen in unterirdifchem Wafjerverbande flehenden Gebirge erreicht. In Nüdjicht auf die hydroſtatiſchen Geſetze laͤßt fich Nichts einwenden, überhaupt die Möglichkeit nicht abjprechen, daß in einzelnen Fällen wirklich ein folcher Zu⸗ fammenbang beftehe. WMeiftentheild aber wird wohl nicht hinreichend bebacht, was dabei gefordert it, fobald die Entfernung fehr beträchtlich wird. Richt etwa ein ganz außerorbdentlicher Wafferreichthum auf jenem entlegenen Gebirge, da ja das Waffer gar nicht von dort, jondern nur aus den nächfter tieferen Umgebun⸗ gen zu fommen braucht: vielmehr die fehr weite, in fich zufammenhängente Ver⸗ bindung der gefammten Waflerabern, die voraus gejettt werden muß, erregt Be⸗ denfen. Wären ſolche Meilen weit gehende Eirculationen fo Häufig, fo müßte man ſich in der That betroffen fehen, wenn dieſe nicht viel häufiger und auch an« derweit ihre Wirkungen erfennen laffen. Man mußte zumal erwarten, daß die Gewaͤſſer tieferer Gegenden öfterer mit größerem Drucke zu Tage gefördert wür- den, als er thatfächlich fich Außert. Wo nicht, um e8 kurz zu fagen, ein folche8 ums gefchrtes Heberſyſtem beiteht, Fann auf dem Gipfel eines getrennten Berges, dieſe Bezeichnung im firengften Sinne des Worte genommen, hoͤchſtens eine Lache oder eine fumpfartige Anfammlung von Waller fich bilden, aber Keine Duelle. Gftüdticherweife braucht man zu jenem Heberſyſteme feine Zuflucht nicht fo oft zu nehmen, wenn vor allen Dingen die Bälle abgezogen werten, wo die Duelle nicht auf, fondern richtiger an dem Gipfel entfpringt. In der Regel empfängt die Oberfläche von Nebeln und Nieberichlägen Wäfferung nachweislich genug, dag in geringer Tiefe unter dem. Gipfel eine an Ort und Stelle gebildete Waſſerader zufammenfließt, wenn nur fonft die nöthigen Bedingungen nicht fehlen.

So fern die Quellen unleugbar aus der Atinofphäre gejpeift werden und nicht Anderes find, als der von allen Seiten gefammelte, der zufammenhängend und dauernd fließende Meft der Riederfichläge, die nicht von der Pflanzendecke eingefogen, nicht von den lockeren Schichten der Ertrinde aufgenommen und zu⸗ rüdgehalten wurden: fo darf die Meinheit auffallen, mit der fie meiſtens zu Tage treten. Auf den vielfachen Umwegen follte das Waller mit einer beträchtlichen Menge gelöfter und mechanifch fortgeriffener Beſtandtheile beladen fein. Dagegen iſt zu erinnern, daß unter gewöhnlichen Umftänten der Quellenlauf ein unver«

Kreiblauf des Waſſers. 267

Iuftförmiger Geſtalt gewonnen ward, liegt offen vor Aller Augen. Nicht jo offenkundig ift das Geſetz ihrer Anordnung auf der feften Erdoberfläche. Theils find es geologijche Elemente, theils Elimatologifche, welche jened Geſetz beſtimmen. Iene beherrſchen vorzugsweiſe den Verlauf und den Umfang des Strongebirteß ; diefe, ſelbſt wieder von der allgemeinen geographijchen Lage und den beſonderen Ortöverhältniffen, Höhe über ber See, ebener oder gebirgiger Umgebung und anderen Umftänden abhängig, regeln die Menge bed ergoffenen Mafferd. Um die Sejegmäßigkeit zu durchſchaueu, muß aller Orten Maag und Wirfungsart biefer Elemente erwogen werden. Dann fallen die größere Häufigfeit großer Ströme auf ben Feſtlaͤndern der nördlichen Halbkugel, Die Abweſenheit felbft mittelmäßiger Fluͤſſe auf gewiſſen ausgedehnten Länberfirichen, die veränderliche Waſſermenge und bie Wiederkehr beftimmier Zeiten des Hochwafjerd nebſt allen fonftigen örtlichen und zeitlichen Eigenthümlichkeiten als bejondere Fälle und nothwendige Gonjequenzen unter einen allgemeinen Zuſammenhang. Wie fie Durch bie gegebenen Berhältniffe gerade fo bedingt werden, als fie wirflich find, werden bie Flüſſe andererjeitö felbft die Bedingungen ausgedehnter phyfikaliſcher Erfolge. Abgeſehen davon, daß fie an all den Bewegungen fich betheiligen, die überhaupt im Gefolge alles fliegenden Waſſers geichen werben, fällt Da8 Gewicht ihres Einfluffes auf Die Atmofphäre um fo jchwerer aus, je größer fie find. Für die Verdunſtung liefern fie nicht allein ein reiched und ſtets bewegted Material im Kleinen, wie die Meere im Großen, fondern durch Die Aggregatsveraͤnderun⸗ gen ihres Inhaltes geben ſie zugleich in den gemäßigten und kälteren Zonen bie Stätten ab, an denen große Wärmemengen frei und, was noch mehr auffällt, ge⸗ bunden werden, Der Aufgang bed Eifes über weit erfiredte Slußgebiete kann eine Bedeutung für die Temperatur felbft eines größeren Umfreifes gewinnen. Sb in den Erdtiefen beftändig größere Anfammlungen von Wafler vorhanden find, ob beſonders ein Verband der Unterwelt mit den Gewaͤſſern bed Meeres beficht, oder wenigftend bei Erdumwälzungen gelegentlich ein folcher ver⸗ mitielt würde, ift bis jegt weder Gegenftand Direkter Beobachtung geworben, noch fonft ein allgemein giltige& Urtheil darüber durch fihere Schlüffe zu gewinnen gewefen. Zu jenen gedachten Wafferbehältern Fönnen nicht die Kleinen Seeen und Flüͤſſe gezählt werben, die am meiften in höhlenreichen Kalfgebirgen, wie in den unterirdijchen Mäumen des Karſtes, Aller Bewunderung auf fich ziehen. Dies find Wafjerläufe, Die, im Wefen ganz bem oberirbifchen entjprechend, in der geöffneten Tiefe vollzogen werden. Wo mehrere Syſteme folcher Höhlungen übereinander bekannt find, da ift theilweife jelbft wahricheinlich gemacht, daß ber Zug ber Gewäfler früher den oberen Etagen gefolgt und dann in bie tieferen hinabgejunfen ſei. Die eigentliche Unterwelt ift für den Menfchen im Allgemei- nen ſtumm. Die einzigen Laute, die wir von dorther empfangen, find die Bots fchaften, die und aus großer Tiefe Eommende Quellen und die Geſammtheit der vulkaniſchen Erjcheinungen bringen. Die Quellen der oberflächlicheren Schich⸗ ten nehmen meiftens während des längeren Verweilens ihrer Gewäfjer in diejen Schichten die eigene Temperatur derfelben an. Sie find mit gehöriger Vorficht ein brauchbares Mittel zur Beſtimmung der Bodentemperatur geworden. Waͤh⸗

Kreislauf des Vaſſers. 271

nen die Farbe der herrſchenden wiſſenſchaftlichen Schule zu tragen und zu wech⸗ fen. Rachdem die Chemie einen lenkenden Einfluß auf grologiſche Epeculatios en getvonnen hat, tft die Ueberzeugung befeftigt worden, daß manches Geftein, dem man, wie es vorlag, einen durchaus feurigen Urfprung zufchrieb, unzweifel- Hafte Wafferwirfungen zeigt. Bälle von gleichem Sinne mehren ſich ununter- brochen und fchaffen den burchgreifenden Umwandlungen auf naffen Wegen immer größeres wiffenfchaffliches Gewicht. Indeſſen iſt das Fein geologiicher Reptunismus in der früheren Geftalt. Niemand wird die Lehren fallen laffen, welche über den Urfprung ber Gefteine die Lagerungsverhältniffe und damit zu« fammenhängende Beziehungen gegeben haben. Was diefe Lehren enthalten, fo weit die Ratur richtig gedeutet worben tft, bleibt ein für fich Beſtehendes und unberührt von den Anſichten, die wir und über bie fpäteren Veränderungen bil⸗ den müffen. Die Kräfte, welche dieſe beherrfchten, find nicht nothwendig dieſel⸗ ben, denen das Geſtein in feiner erfteren Form fein Dafeln verdankte.

Don den Bewegungen bes Waſſers, wie fie, theils durch die Mächtigkelt ihrer Maſſen, theils durch ihre Stetigfeit und vielfache Verbreitung ausgezeich net, In der unbelebten Ratur bewundert werben, ift ber nächfte Schritt zu dem Kreislaufe des Waſſers in der belebten Welt. Das Waffer ift der allgemeinfte Beſtandtheil ber pflanzlichen und thierifchen Säfte. Ueber die Bewegung der Säfte in den Pflanzen pflegt man ſich gewöhnlich deshalb eine durchaus falfche und viel zu einfache Vorftellung zu machen, weil man eine gewiſſe Achnlichkeit mit den Blutbewegungen im Thiere vorausfegt. So wenig e8 überhaupt erlaubt ift, die Deutung eines Prozeffes im, vollfommenen Thiere auf einen für entſpre⸗ chend gehaltenen in der volllommenen Pflanze überzutragen: fo menig zuläjftg ift ganz beſonders der Vergleich im gegenwärtigen Balle. In fich zurücklaufende Bewegungen in gefchloffenen Räumen kommen allerdings in Pflanzen vor, aber weder in jedem Gewächd noch in großer Ausdehnung. Ste befchränten ſich auf die einzelne Zelle, innerhalb deren fe von Statten gehen, wenn auch oft auf eine größere Reihe von Zellen. Sie find daher durchaus ein Gegenſtand mikroskopi⸗ fher Betrachtung. Nicht der gewöhnliche Helle Zellenfaft bewegt fich in foldyen häufig äußerft vielfachen und verfchlungenen Bahnen, fondern das Plasma, eine mit jenem fich nicht mifchende Flüfftgkeit, die beim Wachsthume der Zellen vor Allem zum Wichtigften gehört. Die zahlreichen koͤrnigen Theile, welche biefem Plasma nie fehlen, laſſen über die bald langſamere, bald rajchere Strömung kei⸗ nen Bweifel. Die fogenannten Gefäße der Pflanzen find zwar Tanggeftredte Elementarorgane, aber der Leitung einer Eirculation können fle nicht vorftehen. Sie entſtehen in früherer Zeit aus hintereinanderliegenden Bellen, deren Quer⸗ wände allmälig verſchwinden und find Anfangs mit Säften gefüllt. Cpäterhin enthalten fle Dagegen Luft. Selbſt die Milchfaftgänge, in welchen man eine Zeit lang eine echte fortfchreitende Bewegung vorausfegte, find fein communicirendes Roͤhrenſyſtem: die neuere Anatomie der Pflanzen hat fle als Baftzellen anerken⸗ nen müffen. Was in bie Pflanze aufgenommen werden ober in ihr fi von Zelle zu Belle bewegen fol, muß durch die aller Deffnungen entbehrende Zellenhaut Hinturchdringen. Was dann und wieviel herüber⸗ und indherueinat (Entıd%»

Kreiblauf des Wafferb. 275

ginnt oder aufhört, ift e8 nicht ohne Aufenthalt möglich, ben Einn einer jolchen Segenfäglichkeit oder Aehnlichkeit fo zu erläutern, dag die Erffärung wiffen- Schaftlich genügte. Es mag daher, was hier Hinreicht, nur an den allgemeinen Unterjchieb erinnert fein, der in Salzen zwifchen der Säure und tem anderen Beſtandtheile, der fogenannten Bafls, gegeben iſt. Zwei Stoffe, wie etwa Kali und Ratron, deren einer den anderen vertreten kann, wenn ein Salz gebildet werden foll, find einander natürlich verwandter als der mit beiden verbindbaren Säure. Ebenſo zwei Säuren, die einer und berfelben Baſis gegenüber ausge⸗ wechfelt werben koͤnnen. In phyſikaliſcher Beziehung ift dieſer Gegenſatz noch dadurch weiter ausgedrückt, daß, wenn durch eleftrifche Ströme überhaupt eine Berjegung der Verbindung erhalten und der eine wie der andere Beſtandtheil nicht ſelbſt fofort weiter zerlegt wird, der als Bafis angefprochene an tem einen, bie Säure an dem anderen Ende des Raumes audtritt, innerhalb deffen ver ‚elektrifche Strom zerfegend wirkt. In dieſer Bedeutung dad Wort genommen, hat man zu fügen, daß das Waffer ſowohl als Baſis ala auch als Säure Ver- bindungen eingehen kann, je nach dem anderen Körper, mit Dem es ſich vereinigt. So it e8 in der waflerhaltigen Echwefels oder Eſſigſaäure die Vaſis, im Aetzkali oder im gelöfchten Kalke die Säure. Daß dies fo fei, folgt einfach Daraus, daß es fich dort durch eine anderweitige, unzweifelhafte Baſis, Hier durch eine von Jedem als ſolche anerkannte Shure erfegen laͤßt. Wenn das Waffer gelegentlich jo entgegengefegte Rollen ſpielen kann, fo. möchte man wohl vermuthen, daß es ſich in feiner von beiten als beſonders ftark bewährte. Bür die Mehrzahl ver Fälfe ift ter Schluß Fein verfehlter. Nur wo es fid mit einer fehr flarken Säure oder Baſis, dad Heißt einer folchen vereinigt hat, welche Die größere Zahl anderer Säuren oder Bafen aus Verbindungen austreiben und fich felbft an ihre Stelle jegen Tann, find tie Vereinigungen fefter. Weiter begründet wird jene Ver⸗ muthung noch durch den Umftand, Daß die Verbindungen, man kann fagen bie Ealze der Säuren und Bafen mit baſiſchem oder andererfeits ald Säure gelten- dem Waſſer weniger ihren fonftigen Eigenfchaften und Wirfungen nach von den⸗ ſelben freien Euren und Bafen abweichen, als wenn flatt des Waflers cin an⸗ derer Stoff von gleicher Rolle in ter Verbintung enthalten if. So findet man noch eine große Achnlichkeit zwifchen waiferfreiem und mit Waffer verbundenen Kali, während etwa der gewöhnliche Salpeter, der ſich von Tegterem dadurch un« terfcheitet, Daß er Ealpeterfäure ſtatt Waffer hat, merklich andere Eigenichaften zeigt, als das freie Kali. Ebenſo befteht zwifchen einer wafferhaltigen und ter waſſerfreien Echwefelfüäure noch Feine fo geringe Uebereinftimmung, als zwijchen der ungewäfferten Schwefeljäure und dem ſchwefelſauren Kalfe, dem Opps. Nach ter Schärfe, mit der man im gewöhnlichen Leben Lie Unterjchiete verwandter Stoffe zu nehmen pflegt, wird man oft den Zus oder Austritt des Waſſers nicht turch das Zukommen oder Verfehwinden überaus auffallenter Merkmale bezeich- net fehen. So bringt es die ziemlich intifferente Natur dieſes Körpers mit fich, die ſich um fo mehr bemerklich macht, wenn das Maffer mit anderen, in chenti= ſchem Sinne ihm analogen, Stpffen verglichen wird. Dennoch geht häufig die Vildung von Wafferverbindungen, oter, ıwie man jagt, Hydraten nicht in 18*

76 Phyſikaliſche Erdkunde.

ganz unmerklicher Weiſe vor ſich. Gemeiniglich begiebt fich dabei eine ſchwaͤchere oder flärkere Erwärmung, wie beim Löſchen des Kalkes oder Miſchen von Schwe⸗ felfäure und Waffer, bei einigen ſelbſt eine Exrplofion, bei vielen irgend eine Verminderung in Geftalt, Dichtheit, Farbe. Das Kupferoxyd ift ſchwarz, die Bleiglaͤtte gelb oder roth: dagegen die Waflerverbindung von jenem blaugrün, von Liefer weiß. Es ift faum zu erinnern, daß, wie bei jeder chemiichen Ver⸗ bindung der hinzugetretene Theil, bier das Wafler durchaus nicht fernerhin mehr als folches in der neuen Bereinigung wahrgenommen werden fann. Bis in die Eleinften Teilchen hinein haben fich die zufammiengegebenen Stoffe an einander geichloffen, durdy Feine mechanifche Gewalt von einander trennbar. Die Ent- ziehung chemifch gebundenen Waſſers endlich ſtößt auf einen fehr ungleichen Widerſtand. Meiftentheild erfolgt fle in höherer Wärme. Daß das Wafler fihon bei gewöhnlicher Temperatur wieder davon weicht, ift ein eben fo ſparſam beobachteter Fall, al8 daß ed, wie beim Kalihydrat, den höchften Higegraden trogt. Dagegen find Körper von flärferer Anziehung gegen bie mit ihm verbun⸗ denen Stoffe, als es ſelbſt gegen dieſe äußert, ein allgemeines Verdraͤngungs⸗ mittel.

Ein ungleich weitered Feld, reicher an Zahl der Erfcheinungen und auffal« Ienter mit feinen Bewegungen wird betreten, wenn wir die Bildung des Waf- fer8 aus feinen Elementen, fei e8 im großen ange ber freien Natur, fei e8 im Bereiche menjchlicher Tätigkeit, verfolgen. Aus feinen frei vorhandenen Ele⸗ menten es fich bilden zu laſſen, bleibt nur dem chemifchen Experimente vorbehal« ten, da es zwar an dem einen wejentlichen Beftandtheile, dem Sauerftoffe, faft nirgends fehlt, da8 andere Erforderniß aber, freier Waſſerſtoff, nur ganz örtlich und vorübergehend und in fehr Eleinen Mengen gefunden wird. Dagegen ift Wafferftoff ein fehr verbreitete Element in chemifchen Verbindungen, welche alle unter günftigen Umfländen, dad heißt bei Gegenwart anderer geeigneter Stoffe, oder auc) ohne dieſe unter günftigen äußeren Verhältniffen, zumal einer höheren Temperatur, oder endlich bei gleichzeitigem Vorhandenſein beider dieſer Bedin- dungen zerfeßbar find. Sein ausgedehntefted Vorkommen tft in den Produften ber organischen Ratur, naͤchſt dem Kohlenſtoffe. Obgleich es waflerftofffreie Verbindungen diefed Urſprunges giebt, fehlt er doch den meiften nicht. Was aus dieſem Wafferjtoffe beim Zerfällen der Verbindung wird, hängt nicht allein - von der Natur derjelben und den übrigen beigegebenen Elementen, fondern auch von der Art des Zerjegungäprozeffed ab. in Theil geht mit Kohlenftoff zu mandyerlei Kohlenwaſſerſtoffen zufammen, ein anderer mit Stidftoff zu Amo- niaf, Heinere Mengen vereinigen ſich mit Schwefel zu Schwefelwaiferftoff, be⸗ trächtliche Qualitäten, für ben vorliegenden Fall die wichtigften, werden zu Waſſer. Es ift ein Gefeg, daß zujammengefegtere Stoffe, wenn fie fich zerlegen, im Allgemeinen in einfachere Verbindungen übergehen: die organijchen in folche, welche der anorganifchen Natur angehören. Unter diefen endlichen Produften fehlt Waffer fo leicht nicht, wenn es nur nicht an dem nöthigen Sauerftoff man⸗ gelt. Beiſpiele folcher Prozeſſe find das Verbrennen und mehrere Formen der Bihrung. Auch im thierifchen Körper gelangt ein Theil des Wafferftoffes aus

Kreislauf ded Waſſerd. 277

den Rahrungsmitteln entfprechender Weiſe zur Waflerbiftung. Nebft dem in Kohlenfäure verwandelten Kohlenfloffe der Nahrung ift er eine Quelle von Wärme, die bei jeder chemifchen Verbindung entwidelt wirb.

Zerlegt im @egentheile wird gegebenes Wafler, wo e8 mit Stoffen in

Wechjelwirfung tritt, deren Beſtandtheile eine beträchtliche Zugkraft auf feine

Elemente üben. NRirgends liegt dieſe Anziehung offener und einfacher zu Tage, als bei einer Zahl Metalle, die auf Koften des Sauerjtoffgehaltes des Waſſers fich oxydiren, während Waflerftoff frei wird. Theils geht diefe Zerſetzung unter den gewöhnlichen Umſtaͤnden umd ohne weitere Zuthun von Statten, theils wird eine feine Bertbeilung des zu oxydirenden Stoffes oder höhere Temperatur ver⸗ langt. In anderen Fällen bedarf es der Gegenwart einer dritten Subftanz, ges wöhnlich einer Säure. Die rafcherte Berfegung diefer Art ergiebt fich bei den orgdabelften Metallen, dem Kaltum und Natrium, wovon jenes auf Wafler ſchwimmend unter Beuerfcheinung ſich zu Kalt, dieſes, zwar gleichfalls fehr ges ſchwind, aber nur auf heißem Wafjer mit Licht und Wärme, zu Ratron verwan- delt. Man wird fo ertreme Fälle aber nicht in ber freien Ratur beobachten wol« fen, da e8 bier nie zur freien Anfammlung diefer nur in ganz fauerftofffreier Umgebung baltbaren Stoffe kommt. Weiter folgen, unter Fünftlichen Bedin⸗ gungen, al8 einzelne Beifpiele,'die Oxydation des glühenden Eifens durch Waſ⸗ ferdämpfe und die befannte Darftellung des Waflerftoffgafes aus Wafler durch Zink oder Eifen mit Schwefelfäure. Es müflen aber nicht nothwendigerweiſe Metalle, überhaupt nicht allein Elemente fein, welche dad Waffer zerlegen. In diefem Sinne mag, um wertiger allgemein befannter Berbindungen nicht zu erwähnen, ber Berfegung der Schwefellebern,, das heißt ber Vereinigungen von Kalium oder Ratrium oder verwandten Metallen mit Schwefel gedacht fein. An der Luft nehmen ſie Wafler und Kohlenfäure auf. Das Wafler zerlegt ſich: fein Sauerftoff wird gegen den Schwefel der Schwefelleber ausgetauſcht. Das mit dem Sauerftoff zufammengetretene Kalium oder Ratrium geht mit ber Koh- Ienfäure zufammen, ‘Botafche oder Soda bildend. Der Schwefel verbintet ſich mit dem Waflerftoffe des Waſſers zu Schwefelmaflerftoff, der dem Geruche wahr» nehmbar entweicht. Unter den zabllojen Faͤllen verwidelterer Art führen wir nur noch das Entftehen einer großen Zahl ftidftofffreier Pflanzenprobufte auf, in welche der Wafferftoff des zerlegten Waſſers aufgenommen wird. Wir fchlies fen mit diefen ausgehobenen Beiſpielen die Ueberſicht über einen Kreidlauf, ver, mag er in unfichtbarer Form verlaufen, oder gleich den Plasmaftrömen mi- £roöfopifcher Pflanzenzellen nur dem gefchärften Blicke ſich offenbaren, oder Allen kenntlich unausgeſetzt mächtige Bluhten bewegen, einer der bedeutungs⸗ volliten Ausdrüde des allgemeinen Erdlebens ift.

Wenn die Beobachtung des Gejchehenden, oder wenigftens der Gedanke an das Mögliche den Durchgang verfolgt, welchen die Theilchen und felbft ie Ele⸗ mente des überall verbreiteten Waſſers durch die verfchiedenften Formen und die getrennteften Räume nehmen, fo bietet felbft eine kurze Zeit eine überaus Tange

Reihe von Berwandlungen. Aber wie unermeflich dehnt ſolch ein Kreislauf

fih aus mit wachfender Zeit vor- und rüdwärts! Mag die heiße Sonne Weſt⸗

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278 Phyfikaliſche Erdkunde.

indiens aus den tropiſchen Meeren die gewaltigſten Dampfmaſſen heben und der weſtliche Luftſtrom ſie bis über unſeren Welttheil hinwegführen, die Fältere Luft unſerer Himmelsſtriche wird Schritt für Schritt, den die Luftſtrömung weis ter gelangt, immer weitere Niederfchläge aus ihr herausfaͤllen. Schlage weiter dieſe atmofphärifche Zluht an die hohe Mauer der Alpen und zwinge Stauung und Auftrud in ältere Gegenden noch mächtigere Laften von Waſſer zur Aus⸗ ſcheidung. OB diefe als Regen und Schnee Quellen und Fluͤſſe füllen, oder Firnen und Gletſchern einen neuen Reichthum bildenden und umzubildenden Materiales zuführen: ob fie, im unendlich verzweigten Laufe aller Gewäfler, Maſſen und Elemente ber Erdoberfläche bewegen: ob fe, wieder aufgehoben Durch die Wirkung der Wärme, unſichtbar die Luft anderer Länder als ihre frühere Urſprungsſtaͤtte durchdringen oder eingehen in bie flilleren Bewegungen ber or⸗ ganifchen Körperwelt: fo vielfach als möglich mag bie Vertheilung, fo fremd⸗ artig eine der anderen bie neue Form, fo aus einander weichend Maaß und Ziel der Kräftwirfungen gedacht werden. Was ift dieſes Bild mit allem feinem Reichthume von Stoff, mit aller Mannigfaltigkeit von Geftalten und Bewegun- gen gegen das Bild, welches Jahrhunderte und Jahrtaufende, welches, um ſo⸗ gleid) zu dem Aeußerſten der Zeitdauer überzugehen, bie unmeßbar langen Pe- rioden der Entwidelung unferes Erbballes faben! Das ift fein Bild von einförmiger Wiederholung berjelben Züge. Derfelbe Stoff, in immer wechjelnde Formen eingefleidet, jchreitet Durch eine unendliche Fülle von Prozefien hindurch, welche fo vielfach durchgeführt und geendigt werden, als die Art und das Maaß ber gegebenen Bedingungen verfchieden find. Und biefe Prozeſſe jelbft der Bil Dung, Verwandlung und Auflöfung alles Körperlichen find nur als Gegenſtand menſchlicher Betrachtung von einander trennbar: fle ſchließen Retig an einander im zufammenhängenden Laufe der Ratur, deren nicht unwefentlichfler Zug bie Erreihung vielfacher Erfolge durch eine verhaͤltnißmaͤßig geringe Zahl von Kräfs ten und materiellen Elementen ift, eine Durchführung derſelben Maſſentheilchen durch die verfchiebenften Einzellörper der unbelebten und belebten Schöpfung: ein beftändiger Fluß allen Stoffes: deſſelben Stoffes feit Andeginn ber Welt.

Das deutſche Drama. 28t

erfolgen kann. Was dagegen Einheit des Ortes und der Zeit anlangt, fo ſin⸗ ten wir biefelbe durchweg auch bei Euripides beobachtet, obwohl im Gegenthefl Aeſchylus ſich Abweichungen von denfelben erlaubt hat. Was endlich die Ver Müpfung und Verflechtung der tragifchen Handlung angeht, fo ift diefe wie natürlich bei Aeſchylus noch eine einfache, feine Charactere find ſtets fo feft be⸗ flimmt ausgeprägt, daß man die Kataftrophe, wie fle fommen muß, ſchon im Vor⸗ aus vorher beftimmen ann, geſchicktere Schürzung des dramatiſchen Knotens und größere Verfchlingung der die Kriſis herbeiführenten Fäden der Handlung ges wahren wir bei Sophofles, allein bei Euripides ift der dramaturgifche Plan ein Erfagmittel für die ihm mangelnde Kraft und Beſtimmtheit feiner Charactere, daher auch feine Geſchicklichkeit, eine ſpannende Entwidelung herbeizuführen, eine größere iſt. Rur in einer Hinficht hat ſich Eurtpides Feine bebeutendere Neues rung erlaubt, dies ift im Chor. Man Hätte bei feinem ſtets berechneten drama⸗ tifchen Plane erwarten follen, daß er den Chor, ber offenbar den Gang ber Handlung aufhält, da er nie jelbftändig in denſelben eingreift, ganz abgefchafft hätte, allein dies war unmöglich, denn fo lange bie griechtfchl Tragödie noch einen religtöfen Zweck Hatte, Die Verberrlichung und Ausſchmückung der Diony- flen oder des Bacchußfeftes, fo Fonnte derfelbe, der ja eigentlich allein noch an diefe urfprüngliche Abſicht erinnerte, nicht wegbleiben. Bei Aeſchylus Hat er aller- dings eine noch viel größere Bebeutung, weil diefer Dichter jener Epoche, welche die Tragöde in ihren Anfängen gefchaffen hatte, noch weit näher fland; daher genießt er bei ihm noch die ganze Geltung des Schauſpielers und befpricht ſich oft ganze Scenen hindurch mit den verfchiedenen auftretenden Perfonen, nimmt überhaupt an der Handlung ſelbſt den regften Antheil, fo in den Sichen vor Theben, den Danaiden, Eumeniden und Perfern. Bei Eophofles und Euripi⸗ des dagegen tritt er immer nur als Nathgeber, Warner, mit reflectirendem und fpeeulatinem Elemente auf und flört offenbar nicht felten den Eindrud, welchen ter vorhergehende Dialog auf den Zuhörer oder Lefer gemacht hatte. Letztere heiten Dichter Haben aber vor Aeſchhlus noch etwas Anderes voraus, was Arts ftoteles als den höchſten Zweck der Tragödie Äberhaupt Hinftellt, nämlich Die Rei⸗ nigung ber Leidenſchaften, d. 5. nicht gerade moralifche Befferung, fondern Liu terung unferer Einflchten, und zwar nicht etwa blos in religidd«flttlicher Hinflcht, fontern auch in Beziehung auf die Politik. Denn c8 ift Fein Zweifel, daß Me tragifchen Lichter Athens es ſich bewußt waren, welchen Einfluß fle Bei der all- gemeinen Thellnahme aller Stände an Ihren Erzeugniſſen und bei der ehrenvollen Stellung, welche fle unter ihren Mitbürgern einnahmen, auf die Erhaltung und Hebung bes patriotifhen Sinnes derſelben autüben konnten! Wir fehen dieſes ganz deutlich aus der Wahl einzelner ihrer Stoffe und aus einzelnen politifchen Anfyielungen bei Sophokles und ganz befonders bei Guripites, ob wir gleich nicht innmer mehr im Etante find, dieſelben nachzuweiſen. Mit dem Beginne der Ochlofratie in Athen kam jedoch ein neues Element in die Tragödiendichtung. Als nämlich nunmehr die öffentliche Beredtſamkeit den Gipfel der Blüthe und Bedeutung erflieg, und als tie Sophiſtik eine völlig ausgebildete Technik des Ausdrucks und Styls Kerftcllte, da verdruͤngte nach und nach auch die Rhetorik

Das deutſche Drama. 283

Borbilber, daß fie es fogar verfehmähten, Stoffe aus der römijchen Heldenzeit zu bearbeiten, ja eigentlich wohl oft faum mehr als freie Meberfegungen lieferten. Reben diefen beftand aber in Rom ſchon längere Zeit vor Gäfar ein Theater, wo griechifche Stüde von griechiſchen Schaufpielern aufgeführt wurden, ja Römer ſchrieben jelbit Trauerfpiele in griechifcher Sprache, und es muß dies geradezu Modefache geweſen fein, ſonſt würde der jüngere Plinius (Briefe VII. 4.) fi nicht geradezu Tamit habe rühmen Eönnen, daß er ichon im Alter von 14 Jahren ein folches verfaßt habe. Wie jedoch die Aufführung dieſer griechiichen Tragö⸗ dien beichaffen war, darüber ift man fehr im Dunkeln, man weiß nur, daß von einer Orcheftra in einem römijchen Theater feine Spur zu finden ift, und daß man aljo gerade für griechifche Tragödien eine ſolche hätte erbauen müflen, wenn man nicht vielleicht die Chorgeſaͤnge ganz wegließ und die Chormitglieder ihren Pla auf der Bühne bei den übrigen Schaufpielern fanden. In der Kaijerzeit jcheis nen bie meiften ber in derfelben gefchriebenen Trauerſpiele zum Vorlefen in einem gewählten Kreije von Zuhörern beftimmt gewejen zu fein, jebenfall8 war dies mit denen des Seneca, die wir allein noch übrig haben, der Ball und daher beweift auch der Uniftand, daß fich in ihnen Chöre vorfinden, durchaus nichts für das Vorhandengeweſen eines eigentlichen römijchen Chores. Ihr Zweck war jedenfalld mehr durch Redeſchmuck und Reflexion, jowie durch Gelehrſamkeit Bewunderung zu erregen, als durch gut durchgeführte Charactere, geichidte Ver⸗ wickelung und dramatifche Anlage zu feſſeln. Allein auch bieier lediglich rheto⸗ rijche Zweck friftete der römifchen Trauerfpieldichtung nur sin fümmerlicyeö Le⸗ ben, denn man vernimmt nach Rero nur noch wenig von einer jolcyen, und wie bie Pantomimen, Mimen und tellanen die Tragödie überhaupt von der Bühne verdrängt hatten, fo mögen ähnliche Beluftigungen ihnen zulegt auch ihre Zwit⸗ tererifteng im Salon geraubt haben, denn ſchon unter Hadrian konnte man bie Darfteller der Atellanen zu fi) ind Haus fommen und fidy dort von ihnen ihre Pofſſen vormachen laſſen (Ael. Spartian., Vita Hadr. c. 26). Im fünften Jahr⸗ hundert hatte man jedoch auch die Pantomimen wiederum jatt, und wir willen beſtimmt aud Gaffiodorus (Ep. Var. IV. 5.), daß in denjelben Ehorgejänge unter Begleitung verfchiedener Inftrumente vorgetragen wurden. Gleichwohl ijt das Lortbeftehen der dramatiſchen Vorſtellungen im Laufe ber naͤchſten Jahrhunderte eigentlich durch nichts conftatirt, denn weder ift der noch vorhandene Dialog zwifchen Terenz und einem Schaufpielunternehmer *) wirklich der Prolog eines im 7. Jahrhdts. dargeftellten Stüdes, jondern vermuthlich nur eine philofophiiche Declamation gegen das alte Theater, noch Fann der Streit zwijchen Frühling und Winter (Conflictus veris et hiemis) **), den man bald dem Beda bald den AUlcuin beigelegt hat, und der möglicher Weife von zwei Masken, deren eine in Grün, die andere in Stroh gefleidet war, vorgetragen ward, noch endlich die öftere Er⸗ wähnung des Wortes histrio, unter dem man ſich aber nicht Schaujpieler in unferem Sinne, ſondern Poſſenreißer zu denken hat, hierhergezogen werten.

*) Abgedruckt von Magnin in der Bibioth. de l’Ecole des Chartes Vol. I. p. 254 **) Mei Wernsdorf Poctae latini minores Vol. II. p. 739,

Das deutfhe Drama. 285

der h. Jungfrau, dem Chore und Volke beſteht, die ſich einander anfingen und antworten.*) Auf diefen Uriprung der geiſtlichen Schaufpiele deutet audy eine Stelle der Verordnung der Diöcefe Worms, vom 3. 1316 hin, wo ausdrüdlich Das Wort mysterium vom Kirchendienft verflanden wird **), wie denn auch eine große Anzahl von Älteren Kirchenhymnen unzweifelhaft dialogifche Form hat, Daß man dazu die Kirchen wählte, Tag aber einfach in der Gelegenheit, da man dergleichen Stüde eben nur an hohen Kirchenfeften, wie zu Weihnachten, Palm» fonntag, Oſtern aufführte, und in der Localität, da eine Kirche natürlich fchon ihrer Bauart wegen eine große Menge Volks aufnehmen Eonnte und man bier fehr wenig Vorbereitungen bedurfte, denn man erbaute lediglich ein Geruͤſte (podium, puys, Borg genannt), das oft fo niedrig war, daß der Schaufpieler, welcher den Prolog agirte, Die Anweſenden bitten mußte, feinen Gollegen zum Auftreten Play zu machen. Ueberdieß hatte die Beiftlichkeit ein großes Interefle Daran, daß dieſe Vorftellungen fleißig befucht wurden, fle follten das Volk von profanen Vergnügungen abhalten. Um dies aber nachhaltend zu, können, mußte man möglichit dafür forgen, daß fie das Volk ergögten und feine Neugierde und Phantafle erregten. Während daber die älteften Myſterien nichtd als eine Infcene- fegung der Liturgie mit völlig lyriſchem Character geweien waren, gingen fie nach und nach immer mehr zur epiichen Korn über, man theilte die darzuftellende Geſchichte nicht bloß in einzelne Scenen und Xcte, jondern in verichiedene Tages werfe ein. Dies war vorzüglich in Frankreich der Fall, wo man im Jahre 1536 zu Bourgeß ein Mystöre des Actes des Apötres aufführte, das AO Tage zu feinem Abſchluß verlangte. Daß natürlich Hierbei feenifcher Prunk und Majchinerie der fonderbarften und complicirteften Art nöthig waren, um die Aufmerkjamfeit rege zu erhalten, verfteht fich von ſelbſt. Allerdings bediente man fich Anfangs und auch noch lange Zeit nachher ber Iateinifchen Sprache, allein fowohl in Italien, als Sranfreich, England und Deutfchland findet fich ziemlich frühzeitig auch ſchon die Anwendung der Nationalfprache. Auch hiervon laͤßt fich der Urjprung auf die Kirchenhymnen zurüdführen, wir wiflen, daß jchon im 10. 11ten Jahr- hundert in den franzöflichen Kirchen häufig fogenannte hymnes oder proses far- cies ertönten, von denen fih noch eine ziemliche Anzahl erhalten haben. ***) Auch zu diefer Neuerung hatte die Beiftlichfeit einen ganz guten Grund, fie fah ein, daß die lateiniſche Sprache auf die Länge die Zufchauer nicht feffeln Eonnte, alſo geftattete fie neben einzelnen fomifchen Epifoden und mehr weltlichen Stoffen endlich audy die Einführung der deutfchen Sprache. Daher finden wir in einem Dfterjpiele von der Paſſion in einer Benedictbeurner Handichrift des 13ten Jahrhunderts bereits deutſche Stellen.) Hier tritt nämli Maria Magdalena nit Jungfrauen auf, geht zu einem Kaufmann und fingt erſt Kolgentes:

*) Nach 4 Hpichr. des 15. Jahrh. mitgetheilt von Daniel Thesaurus hyınnologicus. **) Statuimus, ut resurrectionis mysterium ante ingressum plebis in ecclesiam peragatur. **e) Dei Zubinal, Mysteres inedits Vol. I. p. X -XIV. 356-389. Lebeuf, traitd hist. sur le cbanı eccles. p. 117—138. Raynouard, Choix des po6sies des Troubadoars, Vol. I. p. 146—151. +) Abgedrudt in den Carmina Burana. Stuttg. 1847. 8. p. 95 sq.

286 Literaturgeſchichte.

Mihi confer, venditor Si quid habes insuper Species emendas Odoramentorum Pro multa pecunia Nam volo perungere Tibi jam reddenda Corpus hoc decorum. Der Raufınann antwortet ihr ebenfalls in Iateinifcher Sprache alfo: Ecce, merces optimae! Haec suni odoriferae Prospice odorem Quas si comprobabis Haec tibi conveniunt Corporis flagrantiam Ad vultus decorem Omnem superabis. Allein nun refpondirt Magdalena deutſch und zwar ziemlich weltlich alfo: Chramer, gip die varwe mir Minnet, tugentliche man, Diu min wengel roete, Minnekliche vrauwen! Da mit ic) die iungen man Minne tuet eu hoch gemuet An tr danch der minnenliebe noete Unde lat euch in Hohen eren ſchauwen Seht mich an Seht mich an ıc. Jungen man! '

Lat mich eu gevallen

und jo wechfeln dann noch öfter Tateinifihe und deutſche Verſe mit einander ab. In demſelben Stüde fommt auch bereit8 eine fpäter Häufig wiederfommende deutfche Scene, Marienklage benannt, vor, und nun dauert e8 nicht mehr lange, daß die Iateinifche Sprache der deutſchen gänzlih Plag macht. Wir haben aus dem 14 ten Jahrhundert ein Leben Jeſu, eine Kindheit Iefu, eine Marienklage, eine Himmelfahrt Mariä, eine Dorothea, ein Fronleichnamfpiel, eine Auferftchuug und Himmelfahrt Chriftt, ſaͤmmtlich in deutſcher Sprache, gedruckt übrig und im t5ten Jahrhundert mehren fich natürlicher Weije diefe Stücke immer mehr, befonders die Paiftonsfpiele. Einzelne derfelben hatten große Berühmtheit erlangt und müſſen mit wahrhaft dramatijchen Elementen außgeftattet und ziemlich bühnenge⸗ recht geweſen fein, jonft haͤtte z. B. ficherlich das noch in deutſcher Sprache ung vor⸗ liegende, von den Dominifanern zu Eiſenach aufgeführte Spiel von den zchn Jungfrauen (im I. 1322)*) dem Landgrafen Briedrich dem Zreudigen von Thü⸗ ringen, durch die Larin vorfommende Behauptung, Daß die Fürbitte der h. Junge frau und der Heiligen den Menjchen ohne wahre Buße und Meue nichts Helfen fönnten, nicht jo zu Herzen gehen können, daß die Folge davon fein Tod war. Dad Lateintjche blieb In dieſen Spielen nur noch in den rein bibliichen Worten und in dem fogenannten Ordo d. h. dem eigentlichen Spielprogramm, deſſen ſich der Leitende oder Actor bediente, um die Reihenfolge der auftretenden und reden ben Berfonen in Ordnung zu halten und den Gang der Darftellung nicht aus dem Concept bringen zu laſſen. Daß natürlich geiftliche Stoffe verwendet wurden, davon lag der Grund theild darin, daß die Dichter Geiftliche waren, theils daß die Stüde zur Erbauung beftimmt waren und das dulce cum utili verbinten jollten.

Eine Abweichung hiervon und den Verfuch einer Verbindung geiftlicher und weltlicher Elemente erlaubte fich zuerft der Meßpfaffe Theodoricus Schere

*, Herausg. v. 2. Bechſtein. Hulle 1855. 8.

Das beutfche Drama. 287

berk zu Mühlhaufen, in jeinem 1480 verfaßten und noch im Drud vorhandenen Spiel der Frau Jutten, *) worin die berüchtigte Scandalgefchichte von der Päpftin Johanna dramatifirt wird. In dieſelbe Kategorie gehört auch ein anderes gleich- zeitiges Spiel, des Entkriſt Vasnacht betitelt**), denn auch hier flegt das böfe Princip, infofern der Antichrift feine Gegner beflegt, Todte zum Glauben an feine Macht erwedt und ein Reich des irdiſchen Genuſſes aufrichtet. Uebrigens wurden biefe, fpäter zum Theil auch zu politifchen Zwecken benugten Auffuhrun- gen wie in Kranfreich auch in Deutfchland nicht immer in Kirchen, fondern auch an andern Orten gehalten.

Reben diefen geiftlichen Spielen, die immer noch bet ihrer großen Armfelig« feit eine Art Kunſtform repräfentiren, entwickelten fich nun aber bie rein welt lichen Faſtnachtsſpiele, zum größten Theil wohl urfprünglich von herumzichenden fleinen ımd größeren ®efellichaften, von jungen Tieberlichen Bummlern, die ſich sermummten und in Frauenkleider ſteckten und ihre meiſt furchtbar zotigen und fäutfchen, gewöhnlich dem täglichen Leben entnommenen, bialogijchen Poffen tn Häufern vor verfammelten Geſellſchaften vortrugen, ertemportrt. Aus der großen Anzahl der noch vorbandenen ***) geht hervor, daß fle bald recht beliebt waren, und aus demfelben Grunde erklärt e8 fich, wie es kam, daß fle nach und nach anftändiger wurden und anfingen fich dramatiſcher auszubilden, was beſonders das Verdienſt des Nürnberger Wappendichters Hans Roſenpluͤt und des Meiſter⸗ fänger8 und Barbiers derſelben Statt Hans Folz war. Am hoͤchſten warb jedoch biefe Dramatifche Dichtungsart gehoben durch den berühmten Rürnberger Schuh⸗ macher Hans Sachs (1494 1560), ben reichbegabteften Dichter der Mefor- mationßzeit, denn feine Faftnachtöfptele ftehen fo Hoch über allen ähnlichen früheren und gleichzeitigen Arbeiten an Wit, Geſchmack, Erfindung, Sprachreinheit, Ver⸗ ſchlingung und dramatifcher Anlage des Sujets, daß Jeder, der fle einmal ge= Iefen Hat, gern wieder zu ihnen zurückkehrt. Er ift es auch, der bereitö größere Tragddien (d. 6, Stüde, in denen gekämpft wird) und Gomöbdien (nicht Luſt⸗ fpiele in unferem Sinne, fondern mehr Schaufpiele) in dem epifchen Stufe feiner Zeit dichtete, die freilich noch Himmelweit von dem Ideale verſchieden find, wel⸗ ches wir und von einem derartigen bramatifchen Gebilde entwerfen, aber doch als Erftlingsverfuche Des deutfchen Dramas, in dem auch ſchon ordentliche Liebes⸗ intriguen vorfommen, alle Beachtung verdienen. Freilich foll damit nicht gefagt fein, daß das Neformationgzeitalter nicht auch noch andere Stüde von Bedeu⸗ tung hervorgebracht habe, im Gegentheil, die Zahl der in dieſe Zeit fallenden

*) Abgedr. bei Gottſched, Nöthiger Vorrath. Br. I. &, 81- 183 und bei Keller, Faftnachtfpiele No. 111. ©. **) Bei Keller No. 68. “er, Faſtnachtsſpiele aus bem 15. Jahrh. gefammelt ven N. Keller. Stuttg. 1883. 3 Bde. 8. Nachleie ebd. 1858. 8. +) Wir theilen am Echluffe das Programm eines foldhen, welches bisher noch von feinem Literaturhiftorifer gefannt und benugt, von Gottſched, Noth. Vorrat Th. 11. S. 191 ſelbſt für ein Drama gehalten worden ift, feiner höchft merkwuͤrdigen . Defonomie und feines Inhaltes wegen aus einem Druck der Dresdner Bibliothek writ:

288 Literaturgefchichte.

dramatifchen Probucte ift fchr groß, allein jo berühmt wie Hand Sachs ift Fein anderer dramatifcher Dichter geworben und an Fruchtbarkeit Tann überhaupt Riemand mit ihm verglichen werden. Wohl aber ift bie Tendenz des größten Theils diefer Arbeiten bier für uns bejonderd wichtig, denn obwohl meift auf biblifche Stoffe und geiftlichen Hintergrund baſirt, wirkten fle seformatorifch, und durch ihre fcharfe Satire auf die Beiftlichen und den Papſt zugleich politifch. Manche freilich waren nicht zum Aufführen beflimmt, allein die ungleich größere Zahl war ed doch und wie großen Anklang fle fanden, gebt ſchon daraus hervor, daß man fie nad) der Aufführung gewöhnlich druckte und fie fo in ganz Deutfchland verbreitete. Daß fie bier aufs Eifrigfte gelefen (zeviefen) und gewiſſermaßen zu Volksbüchern wurden, geht aud der jeßigen Seltenheit und dem ſchlechten Zu- fand der meiften noch vorhandenen Exemplare hervor, wie wir dieſelbe Bemer⸗ fung bei dem Heldenbuch und den alten Volldromanen machen können.

Wir finden dergleichen in der Schweiz, wo fie am freieften und jelbfiflän- digſten auftraten und freie Bürger die Darftellung nicht blos beforgten, fondern auch jelbft die Dichter waren, in NRiederjachien, mo jedoch meift Poflen gedichte wurden, in Thüringen, der Lauſitz, Sachjen, Heſſen, Schwaben, den Rheinlan⸗ den, Brandenburg, Bommern und Preußen, Schleften und Oeſterreich, wo Die Verfaſſer Schulmänner und Geijtliche waren und die Darftellung durch Schüler bejorgt ward. In ter Schweiz, wg in der zweiten Hälfte des 16 ten Jahrhun⸗ derts auch Katholiken Dichteten, waren die bebeutendften Dichter Pamphilus Gengenbach, Sirt Birk und Johann Kohlrod zu Bajel, Ricolaus Manuel und Jacob Ruof zu Bern, in Sachſen Joachim Greff, Paul Rebfun, Mar tin Heyneccius, in Thüringen Cyriak Spangenberg, Martin Rinfart u. A., in Schwaben Leonhard Eulman, Sebaftian Wild, Jacob Frifchlin, der aber eigent« lich unter die lateinifchen Schaufpicldichter gehört, Thomas Bird, Georg Maus ritius, im Elſaß der Romanfchreiber Jörg Widram und Jacob Frey, in Preußen Henricus Enuftinus und der fruchtbare Georg Pfund (oder Pondo), im Wolfen- büttelfchen Georg Dedekind, der Tuflige Dichter des Grobianus, und im Medlen« burgiichen Franciscus Omichius.

Eine neue Aera für die Geſchichte des Schauſpiels beginnt in Deutſchland mit ben Comödianten, die aus England nach den Niederlanden und von da nad) Ober⸗ und Niederbeutfchland zogen und aus ihrer Kunft ein Gewerbe machten. Bid Hierher nämlich waren meift Bürger oder Schuler die Darjteller biblifcher und. einheimijcher Stoffe in gebundener Rede geweien, jegt brachten jene profane und aus fremden und weltlichen Novellen gefchöpfte, in Broja gejchrichene Schaujpiele zur Aufführung, nahmen ungewöhnliche Rüdjicht auf Koſtüm und Decoratio⸗ nen und genirten fich igggücjichtslojer Daritellung freier Sujet nicht im Geringe ſten. Hatte Died auf der einen Seite größeren Beifall und Erfolg, jedenfalls auch beſſeren Geſchmack zur Folge, jo Eonnte Dagegen auf der anderen Verachtung der Schaujpieler von Seiten des Publicums nicht außbleiben und von dieſer Zeit fchreibt fi auch die noch jegt Im Volke bejtchende üble Meinung von der Ge» finnungsfoftgfeit und Unmoralität der Schaujpieler oder Comödianten her. Bon dergleichen Leuten wurden denn auch Die im Ganzen nicht ohne Talent geſchrie⸗

übertragen, allein dem den Be zufagen, an mat one ao 6%

Eomöbdien enthalten waren. Freilich beging er darin einen großen Fehler, daß er um feinen Zwech, das claſſiſche Altertum wieder zu erwecken, zu erreichen, nicht die elaffifchen Mufter ſelbſt überfegte und feinen Landsleuten vorführte, fondern nur ihre befangenen Nachahmer, die Branzojen. Dadurch begründete er, ohne es ſelbſt zu wollen, die Herrſchaft der frangöntfehen, mit Unrecht elaſſiſch genannten Poeſie und verbaute ſich jelbft den mit vielem Verftande wohl ange bahnten Weg zum Befferen. Dieſes Verfennen der Wichtigkeit der griechiſchen Originale für eine Neformation der deutichen dramatifchen Dichtung war jeden« falls auch die Urfache, daß er einen urfprünglichen Plan, als erſten Band feiner Deutihen Schaubühne eine Ueberfegung, Erklärung und Nuganwendung der Voetik des Ariftoteles zu geben, aufgab, um feine geſchmackloſe Ueberſetzung des Bavleſchen Wörterbuchd anfertigen gu können. Gleichwohl gelang es ihm die claſſiſch⸗ franzöſiſche Richtung auf den Deutſchen Bühnen einzubürgern, und wenn auch die Heberfegungen bie felbitftändigen Arbeiten, die übrigens auch meift nur Nahahmungen franzöfiicher Vorbilder waren, gänzlich uͤberwucherten, jo war doch immer die gegebene Anregung danfenswerth genug, und die Bemühungen‘

Dab deutiche Drama. 29

einzelner dramatiſcher Dichter, die Erfüllung der von dem dramatifchen Parnaß an der Erine aufgeftellten Regeln zu bewerftelligen, verdienen alle Anerkennung, ganz abgejehen Davon, daß einige unter ihnen fich von biefem Joche emancipirten und zu den Alten ſelbſt unmittelbar zurückkehrten, wie ber Rector zu Gelle, Johann Heinrich Eteffend (1784), der ſchon 1746 einen Oedipus in Verſen, nach dem Gophofles eingerichtet, publicirte. In Folge diefer Ueberfchüttung der beutichen Bühne mit fremten Arbeiten ward jedoch die Oper, deren Bejeitigung Bott- ſched's Hauptfireben gewefen war, außerordentlich in den Hintergrund gebrängt, und vielleicht wäre in auberer Hinſicht noch mehr für das Schauipiel gejchehen, Hätte nicht das Schaͤferſpiel fich einen großen Autheil der früheren Anziehungs- kraft des Singfpield zu erobern gewußt.

Leider blieb auch bei ten Echau- und Trauerfpieldichtern jeiner und ber unmittelbar nach ihm folgenden Zeit der franzöftfcye Einfluß vorherrſchend, wie- wohl man bin und wieder eifrige, aber fruchtlofe Bemühungen fich gegen bie Regeln der franzöflichen Dramatiker in Bezug auf Einheit des Orts und ber Beit aufzulehnen, erfennen kann. Gellerto Schaufpiele enthalten in biefer Art nichts Bemerkenswerthes, allein fchon Johann Elias Schlegel, der Ucherfeger der Eleftra des Sophokles, erhebt ich zuweilen über das Gewöhnliche, des Frei⸗ bern von Cronegk Codrus, und Joach. W. v. Brawe's Freigeiſt, haben fchen manche Stellen, die eine beſſere Zukunft des deutſchen Dramas ahnen Laflen, und der fruchtbare Chr. Felix Weiße verräth trot aller feiner , wohl größtentheils in feiner Schreibfeligkeit Tiegenden Fehler, doch dann und warın Dramatifches Talent, was auch dem liederlichen Abenteurer Brandes nicht ganz abzujprechen iſt, wie er denn auch fpäter Durch Leſſing awf eine andere Bahn gebracht ward; allein der feiner Zeit viel beliebte Wiener Dichter, Corn. Herm. von Ayrenhoff (1733 1819), ein ächter „Koſtebeutel“, der Leſſing vor fich hatte, kann doch nicht zu der Schule defjelben gezählt werben, denn feine Tragik geht auf Stelzen und der franzöftfche Gottſchediſche Zopf und der Corporalſtock er war hoher Militär find feft mit feinen Helden verwachſen. |

Bei diefen Zuftänden und Anfichten über das Weſen tes Schau- und Trauer» fpiel8 dürfen wir und nicht wundern, daß ſelbſt ber größte deutſche Kunftrichter, ber jemals gelebt hat und Ieben wird, Gotthold Ephraim Leifing (1729 81) anfangs noch unwillfürlich dem franzöflichen Geſchmack huldigte (ex überſetzte befanntlich Diderots Theater, 1760), und trogdem daß er Die Bedeutung Shakespe⸗ are’3, der durch Wieland's Lieberjegung allgemeiner bekannt ward, anerkannte und würdigte, ihn doch nicht nachahmte. Dies fehen wir aus jeinen Luſtſpielen, ziemlich leichten Arbeiten, zu denen ihn wohl Weiße's Vorbild aufgemunterr hatte und die fih auch durch einen lebendigen Dialog vor allen gleichzeitigen Leiftungen diefer Art, wenn auch nicht durch Erfindung hervorthun. Bald aber bewirkte fein eminentes Forſchertalent, fein kritiſcher Skepticismus, daß er nicht mehr mit tiefen Muſtern zweiter und drittes Hand zufrieden war, fondern zu den Alten jelbft zurückkehrte. Er zeigte in den von ihm mit Chriſtl. Mylius zu⸗ jammen herausgegebenen Beiträgen zur Hiftorie und Aufnahme bes Theaters (Stuttg. 1750. St. L—IV.), vor Allen aber in feiner unfterblichen Samburgi»

19 L x

unſer Klopſtock, den Verſuch machte, das deutſche Drama aus der franzöftfehen Schnürbruft zu befreien, allein Teider konnte er ſelbſt nicht der Führer einer neuen befferen Richtung fein, denn feine bibliſchen und patrios

tiſch germanischen Dramen find bodenlos langweilig und erinangeln lung und dramatiſchen Lebens / ſo daß alſo ſein —— Di ge

er U a et pP re Me

Eine andere Bahn hatten übrigens auch jchon vorher zwei der oben von genannten Trauerſpieldichter eingeſchlagen, naͤmlich die Engländer <opirtz dieſe waren Weiße und Brawe, dieſer im Brutus und jener im Atreus und Thyeſtes und ren —— ihnen das nöthige

quserheben ;- eher <Ebünen sole Bzaor'a:Fräljeiß,

Das dentſche Drama. 923

dieſes Lob estheilen. Die drei anderen unbebingten Nachahmer Leſſing's ins bürgerlichen Zrauerfpiel find H. W. von Gerftenberg (+ 1823) mit feinem einer Eyifode aus Danted Hölle entlehnten Ugolino (1798), einer mit einzelnen Schönheiten ausgefchmüdten Ausgeburt einer tollgäußlerifchen Bhantafle, 3. A. Leifewig (F 1806) mit feinem einer befieren Anerkennung würtigen Julius von Zarent (1776) und A. M. Spridmann mit feiner langweiligen Eulalia (1777). Was jedoch ein Talent in diefer Beziehung leiften konnte, fehen wir aus zwei Meifterwerken unferer beiden größten Dichter, aus Göthe's Clavigo und Schiller's Kabale und Liebe, zwei Stüden, an denen jede einzelne Scene unendlich mehr werth ift als Hunderte der neueren Bamiliendramen oder Intriguenftüde nad franzöfiichem Mufter. Dieb erfannte auch der geläuterte Geſchmack des deut» ſchen gebildeten Bublicums an, und darum fonnte ein untergeorbnetes Talent, Fr. W. Gotter (F 1797), ber bei folgen Vorlagen immer noch für bie ſteiſen Tragddien ber Franzoſen ſchwaͤrmen konnte, mit jeinen Bearbeitungen Voltaͤri⸗ cher Arbeiten keine Beachtung finden. |

Wir müflen jegt um einige Jahre zurückgehen unb ein Stüd nennen, wel⸗ ches auf die deutjche Jugend einen ungeheuren Eindrud machte, weil es Das Intereffe derſelben an einem. freilich damals zur Ruine gewordenen großartigen Bau, dem deutfchen Reich, mir einer Lebendigkeit und jchöpferifchen Kraft anregte, Die wir jener Zeit fernſtehend jetzt kaum mehr begreifen Finnen, dies war Göthe's Goͤtz von Berlichingen (1771, 1773), ein Werk, das allerdings in feiner Anlage und Ausführung, in Form und Ausdruck manches Rohe und Formloſe enthält, keineswegs aber,allen Geſetzen der äfthetlichen Schönheit jo Hohn fpricht, wie es manchen Kritilern zu behaupten beliebt hat. Das vorzüglichfte Griterium für feine Vortrefflichkeit Liegt wie bei den gleich zu erwähnenden Räubern Schiller's darin, daß Die gefammte deutfche Jugend ſich dafür begeifterte, bie in einer Le⸗ bensepoche fland, wo eine Jeden Herz noch warm für alles wahrhaft Bute und Edle fchlägt, wo ihm dad Schlechte, fei es unter welcher Geftalt es fei, ala Häß- lich und verwerflich erfcheint und ihm der Egoismus und Eigennug faft ohne Ausnahme noch fern ſteht, wo es jedem feiner Rebenmenfchen noch das Befte zus traut und noch nicht durch fchlimme Erfahrungen und graufame Enttäufchungen das Richtige jeiner Ideale erfannt hat. Wenn talentlofe Stünper freilich auf bie außerorbentlichen Erfolge des Götz ſpeculirten und deshalb bie leidigen Ritter flüde, deren Ungeheuerlichkeit ein „geſchundener Raubritter” auf der Winfelbühne einer deutſchen Reſidenz noch heute nicht unglüdlich parodirt, ind Dajein riefen, fo kann deshalb die Schuld nicht den Dichter deſſelben treffen, noch den Werth des Stückes verringern, der nur deshalb auf der heutigen Bühne unwirkfamer, als bei jeiner Entftehung jein wird, weil wir den Geiſt, der bei jeinem Erfcheis nen in Deutfchland herrfchte, eben fo wenig begreifen ald uns der Boden fremd ift, auf dem er fich bewegt. Daß I. M. Reinhold Lenz (+ 1792) und Br. Mar v. Klinger (F 1831), Exflerer mit feinem Öofmeifter (1774), Letzterer mit ſei⸗ nem Gonradin, in den Zwillingen, den Metern und dem berüchtigten Sturm und Drang zwar auch nur bie Fehler des Götheſchen Götz nachahmten und Trauer ipiele dichteten, wie fie nicht fein follten, dafür kann ihm chen fo wenig eine

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Bühne zu bringen und die ganze Scheufftchkeit dieſes Treibens in der sornehe men Welt ınit jo unendlichen Freimuth offen darzulegen, Hatte noch feiner ge= wagt, und jo erklärt ſich die Begeifterung, welche auch dieſes Zeitbild erregte. "Man hat dieſen Nahahmungen Göthe's Ausſchweifung in der Kraft vorge worjen, wir wollen jegt aber die Namen zweier Dramatiker nennen, von denen der eine jegt noch auf dem Repertoit des Familiendramas ſteht, denen man ein ans beres Extrem, Ausſchweifung in der Schwäche Schuld geben fan. Dieſe find A. W. Iffland (+ 1814) und A, Fr. Ferb, von Kohebue (+ 1919). Lehzterer harte fonder Zweifel weit mehr Talent ald Erſterer, allein leider verzettelte er daſſelbe durch Bühnenfünfteund Effecthaſcherei, es gelang ihm auch eine Zeit lang, das Pur blicum für fich zu enthufiasmiren und fein berühmtes Werk „Menſchenhaß und Neue entlodte manchem Auge, das jonft nichts rührte, fünftliche Grocodilsthräs

Das dentſche Drama. 297

bat, und in welchem ex jene Klippe, an der fo Viele gefcheitert find und noch fcheitern werden, einem Drama faft ohne alle Unterlage einer Liebesintrigue doch von Anfang bis zu Ende das Immer fleigeende Interefie der Zuſchauer zu erhal⸗ ten, aufs Gluͤcklichſte umfchifft hat. Seit diefen zwei Koryphäen unferer Litera⸗ tur if} die dramatifche Voecfte immer nur rückwaͤrts gegangen, zwar haben einzelne Stücke vorübergehenden Beifall gefunden, allein niemals als Ganzes, immer nur wegen @inzelbeiten, micht zu vergeffen, daß das heilloſe Eliquenweien , wel- ches theilweile jchon von den Romantikern gehegt, befonders feit der Entftehung des jungen Deutichlands auf wahrhaft entjegliche Weiſe überband genonnnen hat, und die Reclame jede geſunde Kritik fo zu fagen von vorn herein gänzlidy unmöglich gemacht haben.

Wir wollen nun nod eine kurze Stiggze der Tragiker ſeit Schiller und Goͤthe folgen lafſen. A... Schlegel ſchloß ſich in feinem von Goͤthe empfoh⸗

lenen Ion noch weit mehr als dieſer an das Antike an, fand aber eben fo wenig

Beifall als fein Bruder Fr. Schlegel mit dem Alarcos, worin daß fpanifche Drama mit dem Shafeöpearefchen, uralte und moderne Formen und Ideen, mit einander amalgamirt werden follten. Etwas mehr Slüd Hatten die Romantiker, wenn auch gerade das Haupttalent unter denjelben, 2. Tied mit feinen bramatifchen Märchen, worin er die Shakespeareſche Ironie des Sommernachtötraums als fünfte lerifche8 Element zur Geltung zu bringen juchte, durchaus feinen Erfolg erzielte, weil dieſe Art Stüde nun eben dem deutichen Character nicht zufagen. Der ritterliche Don Quixotte Sonqus hat in feinen Stüden (3. 8. im Sigurd) ein⸗ zelne gute Stellen, allein im Ganzen ift er gefchmadlos, Hölzern und unnatür« lich fentimental, Arnim und Brentano find durchweg barock und formlos, allein Heinrich von Kleift Hat fi im Kätichen von Heilbronn, dem fein Prinz von Homburg nacıfleht, trog einzelner Ueberfchwänglichkeiten als einen talentvollen Dichter, der möglicher Welfe ein Volksdramatiker im beflen Sinne des Wortes hätte werden können, gezeigt. Gerade das Begentheil des letzteren iſt der ſoge⸗ nannte Maler (Fr.) Müller, feine Igrijchen Dramen (Riobe, Genofeva, Adonis sc.) enthalten viel Schönes, allein fle werden nur von Wenigen verflanden wer den und find ins eigentliche-deutfche Volt niemals gedrungen, der Däne Oehlen⸗ fhläger gehört, genau genommen, auch nech zu dieſer Schule, allein feine Tra⸗ gödien find troß ihrer glatten, f Sprache unwirkſam, denn es fehlt das wwahrbafte Dramatifche Leben und MEBeidentchaft, daher find fie falt und froftig wie jein Vaterland. Freilich aber find fte immer noch befier als Die manierirten Schickſalstragödien des phantaflereichen und Fräftigen Zacharias Werner, bed phraienreichen und lächerlich pathetiichen Müllner, des ſeichten Schönrebners Houwald und des nicht talentlofen, aber leider falſch geleiteten Grillparzer. Joſeph von Gollin, Apel und am allerunglüdlichftn Seume kehrten wiederum zur antifen Manier zurüd, allein daß folche mittelmäpige Talente aus ihr nichts machen fonnten, darf fein Wander nehmen. Eichendorff’8 Ezzelin von Romano ift ein kraͤftiges Werk, das fhöne Hoffnungen erregen durfte, die es leider nicht erfüllte, Ed. v. Schenk hat im Beliſar, der auch als Köfung des Problems, ein Drama ohne Ricbeöverhältniß zu dichten, Anerfennung verdient, und ber Krone

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vecberpen. 3.0 Balıit mb 3... rg nicht ohne einzelne tragiiche Momente, allein ihre Stüde riechen gar zw fehr neo daß fie ſelbſt aͤſthetiſch ſchön fein Fönnten. Der Lyriker Julius Mofen verfuchte ſich auch im hiſtoriſchen Drama, allein bei einzelnen gelungenen poetiſchen Stellen und ſelbſt gut durchdachten Characteren haben feine Arbeiten doch gar fein dramatis ſches Leben und deshalb machten fie eben jo wenig Effect wie die Tragödien von M. Prus, in denen die politische Tendenz Hauptſache und Die eigentliche Fabel umd bie thurn heute noch zu reden, iſt nur Darum geftattet, um mit ihr Frau Birchs Pfeifer zu

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S “= n | An Fe == Scyiller Rau⸗ | ae Uriel Arofta - hat mn aan e morgen Gubfow's u —— gefehen aber elemnhkeme Ridkee gen gb = aber Sir Gen a ber, Maria Stuart oder Wallenfteins Bedhter

Das dentſche Drama.’ 301

nannten Ruftern möglich if, kann kaum fraglich fein, nur muß ſich ein Jeder fragen, humeri quid valeant, quid ferre recusent, wie einft der große Meiſter Horaz in feiner Dichtkunft den angehenden Poeten zurief. Schließen wir mit dem finnreichen Bergleiche, den A. W. Schlegel in Bezug der antiken Tragödie und dem romantischen moternen Drama aufgeftellt hat. Er fagt, es ähnele jenes einer plaftifchen Gruppe, in der, wenn die Figuren dem Character und Die Grup» pirung derjelben der Handlung entfprechen, das Ganze abgefchloffen ift, dieſes aber einem großen Gemälde, wo außer der Geflalt und Bewegung in reichern Gruppen auch noch Vorder⸗ und Hintergrund und Alles unter einer magifchen Bes feuchtung dargeftellt jet, zwar werde ein folche8 Bild weniger vollkommen begrenzt fein als die plaftiiche Gruppe, allein dafür könne und folle der Maler auch durch die Ginfaffung des Vordergrundes, durch das gegen die Mitte gefammelte Licht ‚und andere Mittel den Blick fefthalten, zwar könne ferner in der Abbildung der Geſtalt die Malerei nicht mit der Plaſtik wetteiferen, weil jene fle nur durch eine Zäufchung und nicht aus einem einzigen Geſichtspunkte auffäfle, allein dafür ertheile fie ihren Nachahmungen mehr Kebendigfeit durch die Farbe, die fie bes ſonders zu den feinften Abftufungen des geiftigen Ausdrucks in den Geſichtern zu benugen wiffe, fle laſſe durch den Blick, den die Plaſtik doch immer nur un- vollfommen geben Tann, weit tiefer im Gemüthe leſen und deſſen leiſeſte Regun⸗ gen und Gefühle vernehmen, und endlich Tiege Liefer eigentliche Zauber darin, daß fie an körperlichen Gegenfländen fichtbar mache, was am wenigften jichtbar ist, Licht und Luft, mit einem Worte wirkliches Leben. Ob dieſer Bergleich auf die Göthe- Echillerichen Dramen paßt, diefe Frage wird Jeder ſich Teicht beant- worten fönnen und ebenfo dürfte es nicht ſchwer jein aus ihm tie Aufgabe,

welche ein Dramatiker fich zu ftellen hat, herauszufinden, vorausgeſetzt, Daß ihm überhaupt die übrigen nothwendigen Erforderniffe eines Dramas, höchfte Objece tivität, characteriftifcher und rajch fortichreitender Dialog, wahrhaft dramatifcher Stoff, Einheit ter Handlung (aber nicht Einheit der Zeit, des Ort3), Vereini⸗ gung der inneren und Äußeren Handlung, treu Lurchgeführte Charafteriftil bei einem hervortretenden Hauptcharakter, um den fich das ganze dramatiſche Inter- eſſe concentriren muß, einfache Durch innere oder äußere Nothwendigkeit bedingte Berwidelung, natürliche und durch die Haupthandlung, den Character und die Verhältniffe der Perjonen motivirte Entwidelung, die aber niemald aus der ganzen Anlage des Stücks gleich anfangs fichtbar oder auf der anderen Seite ges waltiam Durch einen Deus ex machina herbeigeführt werden darf, und endlich jene Bedingung, daß jede Tragödie an fich ſchon tragifch fein muß, (daß naͤm⸗ lich der Gegenſatz menfchlicher Kraftanftrengung mit den Gejegen einer höheren Weltordnung zur Anſchauung gebracht werde) d. h. daß in jeder Tragödie Die Idee ded fogenannten Schickſals Far hervortrete, völlig klar find. Daß natür« lich die antike Tragödie, vorzüglich Sophokles feiner großen Klarheit, Einfach heit und innerer Würde halber ſtudirt werden muß, verftcht jich von jelbft, allein außer ihm mögen Schiller und Göthe, nur Shakespeare ausgenommen (Galderon paßt nicht für den deutichen Character), die einzigen Ideale fein, nad) denen fich ein angebender deutſcher Dramatifer zu bilden bat; fich ihnen müs u

DaB deutſche Drama. 308

bet, ward hyhn groffen eren erhalten auff das fie ehn ſolchen mann nit Kür feyndt⸗ ſchafft bewegten, den fie fur eynen kunfftigen vorfechter jrer fax *) ynn haben verhoffen. Nach volgende, was ein gemanpenter man zu gegen, der andh an ſey⸗ nem gemüt und leyb ſtehelen was, ber ſtellet fich als balde yn myttel dyſer vor⸗ ſamlunge, vnnd ward der von Hutthen geheyſſen, der ertzergtt Durch ſeyne hor⸗ nige rede gang ein hornigk gemuͤt, vornichtet diſe erliche vorſamlunge tzum höchſten, und fagt, wyr haben byßher ewer werck gun merglychem nachtebl ge⸗ meyner Chriſtenheit geduldet, vii als er den Bapſt fur ein Antichriſt, verwuſter, verdorber, der gantzen Chriſtẽ heyt, mit offentlichen worten außſchreyg, Gyng er um fewer das der alt mann zuuor etlicher maflzen auffgedackt het, gerſtrawet dye darauff gelegte aſchen, vnd erweckt mit auffblafunge eyns blaßbalges dye hytze des fewers gan krefftiglich. Alſo auch das dye gantze vorſamlunge von groſſem wunderlichen ſchrecken erſtummet, vnd als er ſoͤlcher geſtaltt, das fewer auffblyße, und mit Korn gantz bewegt, iſt er yhm ſelben nyder gefallen und thot bleybẽ, durch dyſes gefchicht, Hat dye freude den ſchrecken dyſer vorſamlung nyder gedruckt, vfi iſt der vorſtorben von dañen getragen, vnd nicht mit groſſem ge⸗ brenge begraben.

Auff das letzt gynge yn dem Safe eyner **) ynn eynem narren kleyde, nemlich eyner Muͤnchskappen, den man ten Lutther nennet, der auch eynn grofſze burde holtz gleych dem Iſaac auff ſeyner achſeln truge, der ſagt. Ich wyl dyeßes fewer das eynwenygk ſchehnet, alſo antzuͤnden, das es der ganhenn welt ſolt leuchten, durch euch (Redet er wehter gu der ſitzende vorſamlunge) iſt chriſtus fachen un. dergangen, durch mich fol dye, vor mittelft götlicher hulffe, wider euwern willen wider auffgericht werden, Gyenge darmit Sum’ kolfewr, vnd warff das holtz auff dye glühende Eulen, damit der flamme des fewrs Frefftiglichenn ober fich gunge, Alfo daB es den ganken Sale erleucht (Welches aber das geringft iſt) ja dye gantze weltt erleucht, und do mit flael fich dyeſſer wunderlih Münch auf dem Saell. Als balde thradt der Senath, angetzeygter vorfamlunge der fur ſchrecken ſchher gar vorgyng Hu famen, von dyſer ſelgamen givenffenlichen fachen gu radt⸗ fchlagen, und fing der Bapft nach gebothnem ſtylſchweygen an eyn folche mey⸗ nunge gu reden.

#4) Ir menner, end sr Ineben brüder, was dyfſz wund’liche gefchichte, wa® auch dyßes wunderliches ferne bedeut, weys ich nit, Dan alleyne das vnßer ſchand in der gangen welt aufgededit wyrdt, vnd e8 feh dan, DaB wyr dyeßem jrfal Gew gegen, werden wyr gar in grund und boden gehen, dan, wan der fchehn unfer genftlifent dem gemehn man eyn mal offenbar wurde, und wor alfo beichwert werden, wor yn eyn ordenung gedrungen, und dogu ber name gottes, des flatt« halter ampt wur bis ber auff erden getragen habe, von wu vns genommenn, wur auch folch ampt, dad wyr yr nit gern wolten, nymmer meher oberfomen, derhal⸗ - ben ermanen bitten wyr euch durch den heyligenn Bepftlichen Etuel, vmb

*) Hier ſteht am Rande: „Huttenus“ und ein Holzfchnitt ihn verfellent. * ) Hier flieht am Rande ber Name: ‚Luther‘ und ein Holzichnitt ihn vorftellend, se.) Hier Recht am Rande das Wort: „Bapfſt“ und ein Holzſchnitt ihn vorſtellend mit einem Stabe in ter aufgehobenen Hand.

Das dentſche Drama. 805

left dyſes element des fewers vormaledeyen, auff das es durch fehne genomene Trafft nicht noch weiter erwachße. Dan wor wyſſen furwar, das keynn Element, under dem bymmel ift, das durch deyne gewalt, und gebot nicht zergehe. Dyr iſt das reych yjm hymel und erden beuolhen, Alfo dz auch das fegfewer, dye ver- ſtorben ſelen, deyns gefallens peynigen, adder frey geben müß, Darumb wolleſt dyſes fewr mit gewonlicher vormaledeyungen angreyffen, Auff das wyr nicht aller welt gu ſpot, und gu ſchanden werden*), der Bapſt nahet foch zum fewer, und fagt verflucht und vormaledeyet fey der fo dyſes fewr angegündt Hat, dych füllen alle finſternys, und’ der ſchauin des todtes veiplenden, dich fol die finſternys vbergehenn, dye nacht beſttze Dich, auff das keyn lyecht mer ſcheyn, und alle dye ſo dych eſſen, und trincken werden vonn got mit den krankheyten vnd plagen der Egiptziger geſchlagen, und deyn hynbdern dyr rrudich, vnd ſchebich, alſo das du daran nymmer mögeft hehll werden, der herr plagt hn mit chaubheyt, vnſinnig⸗ keyt, blyndtheyt ſeynes gemüͤts, das ehr gum myttentage vmb ſich tappe, wye ein blinder in ber finſternis. NIS der Bapft dyſe wort vollendet‘, vnnd befand, das fein vormaledenunge gu ihdertruckung des fewrs nichts wirden wolt, Auch das man yne eynn falfchen Radt ynn dem mytgeteylt bat, als ob che auch uber bye Element gewalt haben folt, ift ehr alfo mit gosn bewegt, das ehr ſeynen geyſt auff geben Hat, Derhalben nach volleubunge deeſes it, vedermen gelache bewegt wordenn x. **)

*) Hier flieht das Wort: „Vewaledeiung und der. obige Selrfäpitt om wapſt nur daß dieſer hier keinen Stab, ſondern die Hand aufgehoben hat.

»29) Obige Comoͤdie, d. h. das Programm einer ſolchen, wenn uͤberhaupt dieſelbe je aufgeführt ward, Liegt mir im zwei verſchiedenen Ausgaben der Koͤnigl. Bibl. zu Dresden vor. Beite haben 4 BI. doch hat die ältere 35, vie Iehtere 34 Zeilen auf - der vollen Seite, erfiere bat wie bemerkt Heine Holzidmittdhen im Terte und einen großen die Hälfte des Titelblattes einnehmenden Holzſchnitt auf BI. 1°, bie letztere dagegen bat die Heinen Bildchen gar nicht, dagegen nimmt der große Titelholzs ſchnitt faſt das ganze Blatt ein, und während auf jenem außer dem Papfte nur 6 Gars. näle, Biſchoͤfe sc. gezeichnet find, fipt terfelbe auf diefem umgeben von je 3 Cardinälen und 3 Moönchen (alfo 12 im Ganzen) auf jeder Seite. Endlich ik auch der Dialect ſelbſt verfchieden.

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Die Wafferheilmethode. .. Bon . | Dr. It. Putzar, Director der Waflerkeilanftalt Königabrenn.

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Daßfelbe Schidjal, von welchen alle Erfindungen, bie jemals ben Menſchen mit größerem ober geringerem Ruben gedient haben ; betroffen worden find, "hat mit ihnen in hohem Grade auch die Waflerheilmethiode getheilt, das Schickſal der Verkennung, Verachtung und Anfeindung eimerfeitd und das der Ueber» ſchaͤzung andererfeitd. Immer war es fo und immer wirb es fo bleiben, denn Die Mängel neuer Erfindungen in ihrem Anfang, der Kampf alter Gewohnheiten mit dem fich neu Aufdrängenden, die Unkenntniß des Reuen und fchlimmer noch die Illuftonen Teicht erregbarer Geiſter, denen die Eritificende Ruhe und Bejon- .

nenheit fehlt, die, um mit Kogebue zu reden „heute lernen gehen und effen,

morgen wollen Sterne meffen und den Mond berumterziehen‘‘ muͤſſen ebenſo Berdächtigungen und Anfeindungen neuer Erfindungen verbreiten, als anderer- ſeits unerfüllbaren Illufionen die Brüde fchlagen, auf welcher fle in das Reich der Phantafle auswandern und welche wiederum den Zweiflern neue Waffen in die Hände liefern, und doch gehen Erfindungen Hierdurch nicht zu Srunde, ihre Gutes bleibt und ihre Ausbildung gebt meift um fo rafcher und ſicherer vor⸗ waͤrts, je mehr und je heftiger fie von Außen befämpft werben, da Begenfäge immer Flären, und nur die Ueberfchägung wiegt neue Erfindungen am leichteften in den Schlunmer der Selbftgefälligfeit und Trägheit ein und erhält fie am laͤng⸗ ften in ihrer Kindheit; fie ift deren ärgfte Feindin.

So war ed auch und ift e8 zum Theil noch mit der Wafferheilmethode: Un⸗ fenntniß auf der einen, Ueberfchigung auf der anderen Seite, wodurch fie gleich zeitig in ihrer nothwendigen weiteren Ausbildung aufgehalten wurde, haben ihr

" Heute noch die Stellung ald Heilmethode nicht gefichert, die ihr mit voller Bes

rechtigung gebührt, ift doch ſelbſt Heute oft noch unter Aerzten und Laien von einer Methode die Rede, bei der nur Ealtes Waffer und cine feftfichende Form zur Anwendung kommt. Wie einfeitig dieſe Auffaflung ift, wird fpäter noch in Erwägung gezogen werden und es mag mir erlaubt fein, vorerft noch wenige Worte über die fogenannte Erfindung diefer Heilmethode zu fagen. Wenn ber geniale Priesnig als Erfinder derWaſſerheilmethode betrachtet wird, fo geichicht

Die Waſſerheilmethode. . 307

das mit einer gewiſſen Berechtigung, indem berfelbe von bereits früher vorge tommener Amvendung des reinen Waſſers als Heilmittel wahrfcheinlich keine Kenntniß Hatte, obgleich ohngefaäͤhr 40 Jahre vor ihm bie beiden D. D. Sahn in Schlefien, demnach in derſelben Begend, eines gewiffe Waflerheilmethobe mit vielem Erfolg ausübten und ein Werk darüber edirten, und er ſomit für fi und unterftügt durch Die Beobachtungen feiner erften Patienten, das reine Wale fer als Heilmittel erfand und hierdurch eine alte, wahrjcheinlich fogar die Altefle Heilmethode, einer unverdienten Vergeſſenheit entriß. Es wird aber hierbei nicht unintereffant fein, einen Burgen Raebtid auf frühere Anwendung d des Waſſers als Heilmittel zu werfen.

Schon Herkules wurde als der göttliche Protector der Bäder verehrt und man findet auf defien Steinbiſdern oft einen Löwen aus beffen Rachen ein Be- ſerſtrahl auf ihn herabfällt.

Die Altefte ärztliche Autorität, der griechifche Arzt KHypoerates, empfiehlt die Anwendung bes reinen Waffers in vielen feiner Schriften.

Kerner war e8 in ben erſten Zeiten Noms Sitte, daB junge Leute gymma- Rifche und militärifche Uebungen machen und ſich dann durch Ealte Bäder wieder flärfen mußten. Ebenſo findet man die Anwendung des Waſſere im Nibelun⸗ genliede erwaͤhnt.

100 Jahr v. Chr. wirkte befonbers Asclepiades durch Bäder ale Ant in Rom.

44 v. Ehr. rettete Antonius Mufa das Reben des Raijers Auguftus vun kalte Bäder und Heilte auf diejelbe Weiſe den Horaz von einem Tangjährigen Lungenleiden. 23 n. Chr. war Gelfus ein begeifterter Verehrer des falten Waſſers, ebenfo Aretäus und Herodot 100— 117 n. Ehr., ferner Lälius Au relianus 230 n. Ehr., Aetius 543 n. Chr., Alexander v. Tralles 550 n. Ghr., Paul v. Aegina 670 n. Chr., Rhazes in Egypten 923 n. Ehr., Avicenna 1036, Gratavolus und Cordanus 1500, Ryff in Straßburg 1544, Baccius und Kallopio 1561, Joh. Günther in Andernach 1574, Joh. Bechiu in Bologna 1597, Heinrich v. Hiers 1608, Ludw. Settula und F. Hildanus 1633, Herrm. v. d. Heyden 1643, zur felben Beit Friedr. v. Helmont, Floher 1714, Boerhave 1738 und Husham 1768. Endlich viele Aerzte aus dem legten Dritttheil des vorigen Jahrhunderts unter denen befonderd v. Schwieten, bie beiden Bahn, Unger, Fr. Hofmann in Halle, Tiffot, Soon, Neuß, Cullen, Eurrie, Pitſchaft, Hildebrandt in Wien, Hartmann und Andere zu nennen find.

Die Wafferheilmethode ift Demnach eine neue Heilmethode, nur gelangte fle früher niemals zu der fhftematifchen Ausbildung, die fie bis jegt erreicht bat, wahrfcheinfich aus dem einfachen Grunde, weil vordem bie gefftigen Verfchre« mittel der Nationen weit feltener und befchräntter waren. Sie wurde nur durch Priesnitz der Vergeſſenheit entriffen, zur Kenntniß der Nationen gebracht und einer foftematifchen Auffaſſung und Ausbildung entgegengeführt, auf der fie noch immer fortjchreitet und ſich bald zur vollen Berechtigung einer wiſſenſchaftlich begründeten Heilmethode erheben wirb trotz der Anfeindungen, die fie noch von manchen Nerzten erfährt, denen fie wahrſcheinlich nicht einmal bekannt ift, trog

20 *

Jane he —— felbft entgegengeepter Mt, die wir ald Heibvirfungen in Krankheiten benugen können, und wir können durch dieje verjchiebenen Heilwirfungen alle die Methoden realifiren, bie von ber Heilkunde ald in den verjchiedenen Krankheiten nothwendig, aufgeftellt werben. Nehmen wir die entzündungswidrige Methode an, fo ift es eine alte bekannte Erfahrung, daß kaltes und mäßig kaltes Waffer das fouveränfte Mittel ift, be⸗ bürfen wir ber beruhigenden Methode, fo ift es ebenſo thatſächlich, Daß locale ober allgemeine lauwarme und warme Bäder und Umichläge die beruhigende Wirkung meift viel befjer realifiren ald Narcotica und ähnliche Dinge, wogegen Narcotica oft noch Gefahr im Gefolge haben können, wie z. B. warme Sitzbäder und Umſchlaͤge, ſelbſt in Genitals und Blaſenkrankheiten meift beffer und anbal- tender berubigen ald Campher. Nichts aber kann den Organismus fo erregen als falte ober heiße Baͤder, Uebergiefungen, Douchen, Wellenbäder ze., fie übers

Die Waſferhellmethode. 309

treffen felbft den Noſchus an ausdauernder Kraft und demnach kaun hierdurch auch die erregende Methode in hoͤchſt möglicher Botenz erzielt werden.

Die aufldjenden und ausfcheldenden Methoden, die von der Heilkunſt af gefordert werden und wozu biefelbe ich oft einer [ehr großer Menge von Mitteln und oft fehr tünftlicher Mittel bedient, können fie wohl Geffer realifirt werden, als durch vermehrte Zuflhrung von Flüffigkeiten in das Blut, wodurch daſſelbe am leichteften einer limbilbung zugeführt werden kann, Durch erhoöhte Waͤrme und Schweiße, in welche man den Organismus verfegt und durch ſtarken Teuwera⸗ turwechſel, durch kalte Baͤder s., indem hierdurch bekanntlich ein erhöhter und vermehrter Stoffwechfel im Organitmns entfteht, der felbft bis zur Fiebererre⸗ gung gefteigert werden kann, wodurch chromifche Leiden In den urfprünglichen acuten Zuftand zurüdigefährt werden und wodurch beren Heilung oft nur allein noch möglich iſt? Es waren beſonders biefe Thatſachen, durch welche zuerſt bie Waſſerheilmethode Geltung erlangte, und es giebt heute noch. viele Berfonen, bie nur Diefe Heilwirfungen von The erwarten, mit Unrecht, wie wir bereits bemerkt haben und weiterhin noch fehen werden.

Roc giebt es eine Aurmethode, die in neuerer Zeit beſonders einen großen Einfluß gewonnen hat, es iſt die erpestative, die abwartende Methode, und fle iR in der That bisweilen die befte. Die intelkigenteften Uerzte unferer Beit jahen ein, dab der Gebrauch von Medicamenten in Krankheiten oft feinen Erfolg Hatte, oft fogar nachtheilig, verfchlimmernd wirkte, fie machten ebenfo die Erfahrung, daß Arzneien überhaupt oft gat nicht fo wirkten, als man von ihnen erwartet und bes hauptet hatte, und mußten Hierdurch felbfiverftändlich dahin kommen, fo wenig als möglich oder gar keine Arzneien anzuwenden, und bier ftellte ſich nun nicht felten der überrafchende Erfolg Heraus, daß die Krankheit eher und leichter heilte als bei dem Gebrauch son Medicamenten, und fomit mußte fich diefe Kur⸗ methode bald große Provinzen im Rriche der Heiltumft erwerben. Um aber eine ſolche Heilmethode durchzuführen, bebarf es ebenfowenig der eigentlichen Waſſer⸗ kuren als der Medicamente, wohl aber Mätetifcher Verordnungen, die mit Um⸗ ficht die Einwirkungen frank machender Potenzen verhindern und ausſchließen und andererjeitd die Funktionen des Organismus zu regeln und zu befördern fuchen, was auf fehr mannigfaltige und oft jehr einfache Weife gefcheben kanu. In derartigen Fällen potenzirte Waſſerkuren anzınvenden, würde ebenfo verfehrt und umwiffenfchaftlich fein, als der Gebrauch von Medicamenten. Veberhaupt möchte man doch bei allen Kuren bedenken , daß der Organismus oft Ruhe bes darf und zwar der kranke noch mehr wie Der gefunde, weil legterer ohnehin Durch Krankheit fortwährend irritirt und oft ſchon abgefchwächt wird, und daß jede einigermaßen potenzirte Kur ein Stüd Arbeit für ihn it, und wenn Kuren vom Organismus nicht gehörig verarbeitet werben, helfen ſie nicht.

Ich Habe mit Abficht nicht von Rärkenden Wirfungen der Wafferheil- methode geſprochen, obgleich die ſogenannten Staͤrkungskuren durch Waſſeran⸗ wendung beim Publikum eine große Rolle ſpielen und oft fo weit excutirt wer⸗ den, daß ſie eine gänzliche Umwandlung des Organismus, eine neue Schöpfung hervorbringen follen, es tft hierüber wiel gefabelt worten und Kaufentie hahen

———— —*

Etwas, das Ahern De N? Te + wei Factoren find ed aber bejonter®, wodurch allgemeine und mannigfal« tige Heilwirkungen wermittelft der Waſſerheilmethode

nen, der, Eine derjelben if bereits fehr belannt und tbatfächlich nachgewieſen und Organismus und zwar

—— ——S—— wre ee bedarf noch vieler forgfältigen Beobachtungen, es ift.der abgeinderte Austauſch der elektriſchen Verhaͤltniſſe zwiſchen dem Organismus und der Außenwelt, der jelbftserftändlich. bei dem, durch die Waſſerluren oft und raſch hervorgebrachten TJemperaturwechſel ein anderer fein muß, als unter gewöhnlichen-Verbältmiffen, So iſt es demnach thatſaͤchlich begründet, daß die Waſſerheilmethode im Verein mit anderen biätetifhen und mechaniſchen Hülfsmitteln und eine Geile methode darbietet, die ſich mit Berechtigung den anderen Heilmethoden mindeftend zur Seite ftellen kann, indem fie alle dieſe Poſtulate erfüllt, Die von anderen Heilmethoden aufgeftellt werden, und indem ſie ſich aller dieſer Hilfsmittel be— bient; Die ebenjo von anderen Heil methoden benupt werden, obgleich ‚fie ſtatt der Arzneien nur reines Waffer in ‚Gebrauch zieht. / Anal ini au Aan Sy} Wer tann es und aber verargen, wenn wir wenigftend bei den meiften Krankheiten unfere Heilmethode dem anderen vorzichen, weil, um nur wenig zu fagen, reines Waſſer, KEINER jo un ſicher, jo gefährlich ift, wie es Medicamente oft find. nn nn Iſt ferner auch ein Grund vorhanden, daß ſich M daß ch Medicin-Xerzte und Waffer

ba Beminberung, ba 8——

Gina et. Kin | 1 Dre Bor raatı: 2 in den Händen unbe Lan,

unferer vorgüglichften Phofiologen, kann bei zweifeln fönnen, fo iſt Durch diejelben Dargethan, daß die Haut nur fehr ſchwer einjaugt, wenn Died nicht durch ſtarkes Frottiren begünftigt wird, und jomit er-

ſcheint das Eingehen der, Mineralien in den Organismus durch die Haut, jehr unficher, faſt illuſoriſch, und es Tiegt die Annahme jehr nahe, daß aud in ben Mineralbätern nur Die Temperatur des bes Waffers und andere Umflände als Heilwirkungen auftreten. Ausgenommen von diefer Annahme find mit Be»

techtigung gemäß: ‚de Xsinffuten.und. diejenigen Bäder, Die reichlich freiwerdende

Kohlenſaure entwideln, indem die erſteren eine gewiffe Einwirkung auf die

Schleimhäute und die letzteren auf die äußere Haut und die Lungen äußern. Wenn nun die Frage abgethan ericheint, daß die Wafferheilmethode eine

ſehr wirfjame und berechtigte üft, jo wid hieran in Be

ale Zufionen und Anmafung bahin, da ale eilbaen Kranffeiten durd fe

313 a 7. . Wu

geheilt werden künnen, mit alleiniger Ausnahme derjenigen, we nur die expeeta⸗ tie Methode zur Anwendung kommen darf und baber patenzirte Kuren feiner Art fiättfinden dürfen, wir bürfen ſogar hinzuſegen, daß durch bie Waſſerheil⸗ methode biäweilen noch Krankheiten geheilt werden, Die durch Medicamente, Mi⸗ neralbaͤder ıc. nicht geheilt und vom ben Aerzten aufgegeben worben waren. Diefe Präponderanz der Waſſerheilmethode macht ſich beſonders in chronifchen Rsankheiten geltend und berußt vorwaltend darauf, daß wir, wie bereits oben erwähnt durch dieſelbe eine Art Fieber, d. h. eine Erhebung des Organisusut erreichen können, woburch.berfelbe bie Srankheit auf Ihre urfprünglichen Stadien zurückführen und dadurch leichter in. den Kreis der Funktionen bineinzichen und fomit befeitigen kann. Gin ſolches Fieber kann ſelbſt wiederholt hervorgerufen und, wenn es ansjchreiten follte, Leicht gezügelt und befeltigt werben.. Es iſt viel geſagt und behauptet worden in dieſen Zeilen und doch nd es Thatjachen, vom denen wir feine Kreichen können, da wir fie nachzuweiſen im Stande find.

Daß aber Waſſerkuren nicht überall anzuwenden find, habe ich fchon unter ber Rubrik der expectatisen Methode erwähnt, daß ſelbſt in manchen Fällen ber Debrauch ſpeciſticher Mittel (Mineralwaſſer x.) vorzuziehen, iſt unbeſtreitbar, Daß aber wirderum in gar vielen Fällen die Waſſerheilmethode durch alle dieſe Geräten Mittel, Quellen und Bäder nicht zu erfegen tft, iſt ebenſo eine unge ſchmiedete Wahrheit, . Die noch viel zu wenig anerkannt wird, daß ferner aber auch unangemeſſene zu lange fortgejete und zu exceſſiv angewandte Waſſerkuren ſchaden und in welcher Weife fie ſchaden können, Habe ich in allen meinen Schriften unumwunden erklärt und nachgewieſen. Alſo nicht immer Waſſer⸗ Kuren, nicht Waſſerkuren auf Leben und Tod, am wenigften bloße Kaltwaſſer⸗ kuren, muß bie Loofung auch des Waſſerarges fein, bie. ſchreibe ich nach Er⸗ fahrungen von 14 Jahren mit ruhiger nnd. befonnener Ueberzeugung nieder und doch Halte ich Die Waſſerheilmethode für bie Eurenzeinfte im Reiche ber Heil wiflenfchaft, es liegt Fein Widerfpruch darin, Salomo hat Recht, jedes Ding bat feine Zeit. 00. Ä .

Aeber den Einfluß der Naturwißfenfchaf- ten auf das Hecht und die Kechtspflege.

Bon "Dr. Aarl Wachler.

Ueberall, ſoweit daB Auge der Geſchichte reicht, finden fd deutliche Spuren des Einfluffeß, den die Eroberungen im Neich der Ratur auf Bildung und Eitte und damit auf das Recht und die Rechtöpflege audgeübt haben. Es wäre gewiß von großem Intereffe, dieſe Spuren Schrin für Echritt zu verfolgen und einmal gründlich zu unterfuchen, wie der Menſch vermoͤge der fortfchreitenden Erkenntniß feines eigenen Weſens und ber Ihn umgebenden Ratur in feiner gei⸗ ftigen und flttlichen Bildung von Stufe zu Stufe höher geftiegen ift, und wie dieſes allmälige Enworſteigen auch in rechtlicher Beziehung nicht ohne Einfluß bleiben konnte. Uns ift es aus naheliegenden Gründen verfagt, bier eine Dar flellung dieſes Eulturgeichichtlihen Enwicklungkprozeſſes zu geben. Es gemäge, auf das Rejultar hinzuweiſen, das jich, dem Auge jedes denkenden Menſchen leicht ertennbar, in dem Charakter unjerer Gefeggebung und In dem ganzen mo⸗ dernen Nechtözuftande ausgeprägt findet. Wem tritt es nicht fofort ver bie Seele, wenn wir an die Gotteßurtheile, die Herenprozefle, die Kolter, am all Die barbariihen Etrafen eines finfteren, giüdlicherweile nun verſchwundenen Belt» alters erinnern? Wer Hätte nichs von ben Ummälzungen gehört, welche Die Ges feggebung und bie Rechtöpflege durch bie gründlicheren Forſchungen auf dem Gebiet der Anatomie und Chemie, der Piychologie und Phyſitologie erfahren Haben? Durch fie ift zuerft der Schleier gelüfter worden, der Jahrtauſende hin⸗ durch die Geheimniffe der Menſchennatur bebedte; fe haben den Urwald des menjchlichen Aberglaubens gelichtet, beffere Einflchten und Ideen über die Wile Iensfähigkeit und Willensthätigfeit des Menfchen auögeflreut und damit den Grund zu einer vernünftigen Theorie der Strafbarkeit, zu einer humanen Krimi⸗ nalgeleggebung und Kriminalpraris gelegt. Wenn heutzutage jelbft die Mäch- tigen der Erde ich ehrfurchtsvoll vor der Menſchennatur beugen, wenn Geſet⸗ gebung und Obrigkeit in dem Beſtreben wetteifern, Das Leben, die Geſundheit, die Ehre und das Eigenthum der Unterthanen gegen jeden Angriff zu ſchützen, jo find dies Hauptfächlich die Srüchte jener Korfchungen. Ä

er .

ELLE Tan a5 Us >12 L INnI2 | c— * fe * I neh eh | * cr Dal fin re mi Ban

en ee er und Mächtigen, ber mußte nothwendig zu einer höheren Achtung der Menjchens watur gelangen und die Sicherheit ded- Lebens und Eigenthums Aller» ohne Un— terſchied zum Zielpunft feiner Gejege nehmen.“ Ha Yun rd Ren

Zweck anerkannt, worauf alles Uebrige

und als beſondere Disciplin für bie ſpeziellen Rechis- zwecke zu bearbeiten, Dies geſchah durch die Mediein, die das perſönliche Das fein des Menjchen bezweckt, wie die Mechtäwiflenfchaft das ſittliche. Veide find aus derjelben Wurzel, hervorgewachſen, aus der allgemeinen Naturwiſſenſchaft, die den ganzen Menfchen umfaßt. Beiden Alten waren daher ſowohl die Rechts- wiſſenſchaft ald die Mebiein in der Bhilofophie enthalten, und der wahre Philos ſoph war, weil er das Ganze bejaß, zugleich Gefeggeber, Arzt und Mechtögelehrs ter. Dieſer Zuftand konnte nur fo lange dauern, als es dem Menſchen vergönnt war, in dem Sinne des Ganzen zu leben. Ueber dieſen Zeitpunkt hinaus haben

Einfluß-der Naturwiſſenſchaften auf das Reät. 315

fi die Wiffenfchaften im ihren wahren Einheit unp weientlichen Verbindung nicht weiter entwidela Sönnen. Schon in der Philojopbie ter Griechen ift das Zehen im AU, das eigentliche Prirfterifum der Raturgottheit, zu Grunde gegan« gm und der Weltgeift verkörpert worden. In der fpäteren Beit wurde auch ber Leib, die „schlechte Wirklichkeit”, auseinander geriffen. Die einzelnen Theile der allgemeinen Wiflenichaft verlosen mehr und mehr ihren Inneren Zufammenbang, und standen zulegt völlig vereinzelt ba... Befonders war es die Rechtawiſſen⸗ ſchaft, Die außer aller Verbindung mit ihrem wahren Dudl, der Anſchauung des Menſchenlebens in feiner Totalität und fortfihreisenden Entwidlung, ſich blos mit dem Gewordenen und Gegebeuen begnügte und ‚dadurch zur bloßen Nechtögelehriamkeit hinabſank. Die Geſeggebung veriihwand babei entweder vor dem Mechtögebraud; , oder fie erfihien als Dienerin der befonteren Zwecke und Abfichten der Herrfcher. Ihr Gegenſtand Hlieb imbeflen immer berfelbe; naͤmlich der Menſch in der Geſellſchaft, auf den nothwendig die Geſetzgebung und die Mechtöpflege fich bezichen mußten. Weder ber Gejeggeber nach ber Richter fanden aber auf ihrem Gebiete die Kenntniſſe, deren ſte in Beziehung auf diejen Gegenftand zu ihres Wirkſamkeit beburften, und fie mußten deshalb zu ben Aerzten, welche die Wifjenfchaft vom Menfchen in einem eminenteren und allge meinen Sinne gepflegt und ſich dadurch) auch jene Kenntnifje, welche die Aus⸗ übung ber öffentlichen Gerechtigkeit forderte, erworben hatten, ihre Zuflucht neh⸗ men. Sie fragten baber die Aerzte lange vorher um Rath, che es eine Aerichtlidye Medicin gab, und diefe, um ihnen die Hülfsmittel zu reichen, die jene nicht mehr bejaßen, faınmelten und orbneten aus ihrer Wiſſenſchaft das für Die Rechtszwecke Röthige und vereinigten es zu einem Ganzen. So entftand bie fogenanpte öf⸗ fentliche oder gerichtliche Medicin, deren Aufgabe es ift, deu Einſtuß der Ratur- und Heilfunde auf Das Recht zu vermitteln. Ein Rückblick auf den Entwickelungsgang beider wird und erkennen laſſen, wie diejer Einflup mit der forsfchreitenden Kultur geftiegen und endlich ein weſentliches Element der Geſetz⸗ gebung und Rechtspflege geworden iſt.

Es iſt ſehr zu beklagen, daß aus jenen fruͤheſten geiten, aus denen geſetz⸗ liche Beſtimmungen einzelner Völker bis zu uns gekommen find, die Nachrichten von ihren Raturfenntniffen fich nicht gleichfalls erhalten haben. Was hin und wieder davon gefabelt wird, beruht auf unverbürgten Behauptungen oder poeti» ſchen Erfindungen und verdient daher feinen Glauben. Ohne Zweifel waren diefe Kenntniffe aur wenig enwickelt und nicht ein Gemeingut des Volks, jon« vern das Eigenthum einer.befondern Kaſte oder einzelner Perſonen, die fie durch Ueberlieferung empfangen hatten. Selbſt da, wo bie Geſchichte anfängt, von den gefellichaftlichen Verhaͤltniſſen beſtimmter Völker, die eine welthiftorijche Rolle geipielt. haben, um von ihrem Rechtszuſtande Kunde zu geben, bleibt doch das Maß ihrer Raturfenntniffe mehr oder weniger in Dunkel gebüllt. Es fehle uns mithin ein ſicheres Kriterlum zu beurtbeilen, wie groß in ‚jener Zeit ber Ginfluß der Ratur- und Heilkunde auf die Rechtöverhältnifie und deren Beſtim⸗ mung hätte fein Tönnen, Auf ber anderen Seite aber willen wir aus den Schriften der Elafflfchen Autoren, daß bie alten Völker gar nicht Daran gÜatıı

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ni) um nihnn he Zuerſt alſo gelangten —— ernennen

iffe auf Die & get | übung anzuwenden, ja fie benugten auch in der That dar manche derfelben, doch nur infofern, als le dem ſchlichten Verftande unmits mittelbar ei us dem Kreife der Wiffenfhaften, zu denen fie

war ee als —— —— vor Allem der mangelhafte Zuſtand der Medicin, Zudem war es auch in Kris minaffällen dem Kläger weniger darum zu thun, die That zw beweifen, ala viel mehr den werbrecherifchen Vorſatz, indem das Korneliiche @efeg nicht ſowohl

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Einfiuß der Ratuzmiffenfäunften anf das Acht. 317

jene, ald-harusrfächlich dieſe mit Strafe belegte. Ban einer gerichtlichen Medicin Bonnie Daher: bei Den Mömern keine Mebe fein, man miete denn bie. Brivatzeug« wiffe der Mebicinalperfonen "für die erſten Unfänge dieſer Wiſſenſchaft erflären. ' Die Leichen Erſchlagener wurden nid kunſtgerecht beſichtigt, und ebenfomenig fand in Vergiftungsfällen eine ärztliche Unterſuchung flat. Wenn Antiftius nad) dem Zeugniß des Sueten nur reine von den drekundzwanzig Wunden des Zalins Eifer, nämlich Die dritte Bruſtwunde, fir tödtlich erflärte, fo handelte es ſich in diefem Fall um ein bloßes Privatgutachten, keineswegs um das Mefultet einer gerichtlichen Reichenbefichtigung. Genug, es barf als erwiefen angenom⸗ men werden, dab die Römer eine der unferigen ähnliche gerichtliche Arzneiwiffen⸗ Schaft weder gefannt noch geübt haben. | Gegen das Ende der Mrpublif trat nun aber, wie f in allen Dingen, fo auch in ben ärztlichen Verhältnifien befonderd in Folge der griechiſchen Einwanderung ein gewaltiger Umſchwung ein. Das Bürgerrecht warb jetzt auch den Aerzten eetbeift, und die Ausübung der Nedicin brachte ihnen fortan Ehre and Gewinn. Die Kaifer fuchten Ihre Leibärzte durch Ehrentitel auszuzeichnen. und überfrugen ihnen gegen gewifle Vorrechte und Einkünfte die Aufſicht über andere Aerzte. Späterbin Bildeten die anerfannten Aerzte in allen größeren Städten des römt- ſchen Reihe. odentliche Kollegien, deren Mitglieder vom Stante befoldet wurden. Trotz dieſer Einrichtung, welche die Entſtehung ber gerichtlichen. Medicin offen» bar beatinftigte,, kam eine folche auch jetzt nicht zu Stande, fo fehr das Berürf niß nach dem Gutachten der Kunftverftändigen und nach "mebieintfägen Kennt niffen überhaupt von den Mechtögelehrten ſelbſt gefühltwarb. Das Haupthinderniß war noch immer der Zuftand der Medicin und ihrer Hülfäwifienfchaften. Hatte fid auch diefer gegen früher weientlich verbefiert, fo war doch noch zu viel Wi. deriprechendes in den verfchiebenen Anfldyten der Aerzte, und ihr Wiſſen beruhte noch zu wenig auf erfahrungsmäßiger Raturerforfchung, ald daß man zu ihren Ausſprüchen rechted Vertrauen baben konnte. In Krankheitdfällen und in der Todesgefahr nahm man wohl zu ihnen feine Zuflucht, indem man dabei auf eine geheime Wunderfraft zerhnete, bie der Bollöglaube ihnen zuſchrieb, abır bei ruhigen Berbandlungen über Necht und Beſttz mochte mar. fich ihnen nicht an» vertrauen. Ueberdies waren gerade bie Fähigkeiten und Kenntniffe, welche zur Unterfuchung gerichtlächer Bälle erforderlich find, in jener Zeit noch am wenige ften audgebildet, und man durfte ſich daher von foldyen Uinterfuchungen nicht viel verfprechen. Hierzu fam, daß die Mechtewifienfchaft bei aller Ausbildung und Vervollkommnung die alten Prozeßregeln forgfältig beibehältl. Mit dem römiichen Anklageprozeß war nun aber eine gerichtliche Medicin an und für ſich unvereinbar. Aerztliche Kenntniffe, Zeugniffe und Gutachten konnten wohl zur Beweißführung dienen und wurden vermuthlich auch dazu benupt; die Wichtig. feit. unferer gerichtlichen Arzueiwiſſenſchaft Eonnte indefien ein folcher Einfluß der Aerzte, welcher der höheren gefehlichen Autorifation und des Charakters der Deffentlichkeit entbehrte, unmöglich erlangen. Einem Volke, das die Zerglicbes rung ber Leichen ald ein Verbrechen verabfchente, war es überhaupt wicht gege⸗ ben, die gerichtliche Medicin ind Dafein zu rufen. Mußte doch felbft Galen,

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Kine Anm Dt 20 Bapft Yanscen; gerichtliche Mediein

een 8 ——— ſtanden und in Gebrauch gekommen iſt. v I: SA nir® naar mn‘

Mit der Entftehung und Ausbildung eines peinlichen Unter-

fuchungsverfahrens war auch der Anſtoß zur Fortentwicklung der gerichte Te erlangten zuerjt in Italien einem gewiſſen Grad

ollfommenheit. Kenntnig des klaſſiſchen Alterthums, alter volköthüm— pen italienifche Gelehrſamfeit bewirkten hernach, daß in ber Bambergiſchen Halsgerihtsorbmung umd in der fpäteren pein li⸗ ben ÖGerihtöorbnung Kaifer Karls des Fünften vom Jahr 1533 die Fälle genauer beſtimmt wurden, in denen das Gutachten der Aerzte, Wund- Ärzte und Hebammen vor Gericht follte eingezogen werden, Eine wiſſenſchaft⸗ liche gerichtliche Medicin gab es indeffen damals noch wicht, ja es mangelte nicht jelten ſelbſt an den nöthigen Kenntniffen, den Forderungen jener Gejegbüdher Genuͤge zu leiſten. Zergliederung von Leichen wegen rechtlicher Zwecke fand mie mals ftatt, und nur in einzelnen feltenen Fällen eine Unterfuchung der Wunden durch Ginfchneiden und Erweitern, Die erften gerichtlichen Leichenfeftionen wurden in Jtalien vorgenommen, | Dort entftand auch am Ende des ſechszehn⸗ ten Jahrhunderts die Wiſſenſchaft der gerichtlichen Medicin. Von Italien und Frankreich verbreitete fie fich mach Deutfchland, wo fie un fo leichter Gin gang fand, ala das Bedürfniß des Rechts nach medicinifchen Kenntniſſen von den Gejegbüchern ſelbſt anerkannt wurde. Schon in der zweiten Hälfte des ſechszehnien Jahrhunderts ift nicht blos von der Leichenbefichtigung, ſondern auch von der Geftion der Wunden Getödteter ald von einem zur Unterfuchung des Mordes nothtvendigen Mittel die Rede, umd im ſiebzehnten Jahrhundert wird die Bergliederung bed Leichnams ausdrüdlich gefordert. Fortan’ jehen wir die ge⸗ richtliche Medicin unabläfftg bemüht, die naturwiſſenſchaftlichen Borfchungen für

Einfluß der Naturniffenſhaftci auf das Hecht. 519

ihre Zwecke auszubeuten. Bereitwillig winmmtbie Rechtswifſenſchaft auf, was ihr die für ihr Bedürfuiß entandene geriihtliche Medien darbletet und ſicheren Ganges ſchreitet fie wie den neugewonnenen Hälfomttteln worwärte. Damit folk indefien keineoweges geſagt ſein, Daß fie die Ratustviffenfchaften in ber Aus- Dehnung und mit dem Bertrauen zu Mathe gegogen Gabe, wie es der Zweck der Geſetzgebung und die Intereffen des Gemeinwohlls fordern. Dies iſt aus ver⸗ ſchiedenen Gründen nicht geichehen, und noch immer verfchmäht es eine große Zahl derjenigen, welche die Fortentwicklung des Rechts für ihren eigentlichen Beruf erklären, die Refuftate der natunviffenfchaftlichen Forſchungen für bie Ge⸗ feßgebung und das Recht zu verwerthen. Trotz des Widerſtrebens eines Theile der Mechtögelchreen, trotz aller natärlichen und künftlichen Hemmungen: ift es den Obſkuranten doch nicht gelungen zu verhindern: daß die naturwiſſenſchaft⸗ fichen Forſchungen und Entdeckungen bei der Entſcheidung rechtlicher Verhält⸗ nüffe mit jedem Tage ſchwerer ind Gewicht fallen. Vergoͤnme man. und, durch einige Beijpiele den befonderen und unmittelbaren. Einfluß zu erläntern, ben fie auf das poſttive Recht und auf die Rechtpflege ausgeübt Haben. Der fogenannte. Fruchtzuſtand des Menſchen kam na den früher Darüber geltenden NRechtögrundfägen unter Anderen ba in Betracht, wo es fi um die Benrtheilung ber Lehensfähigkeit einer Leibesfrucht handelte. Bei den Roͤmern ward er in biefer Beziehung allerdings nur ſehr wenig berückſichtigt, indem bie Abtreibung der Leibeöfrucht nicht für ein Verbrechen galt, fordern je nach den Umftänden entweder als Beleidigung des Vaters ober als eine gegen. die Mutter verübte Gewaltthätigkeit beftraft wurte, oder, wenn keiner diefer beiden Fälle vorlag, wohl gar nur zum Schabenerfag verpflichtete. Cine Schwangere, bie felbft ihr Kind abtrieb, blieb, wenn fein Dritter dadurch beeinträchtigt war, ganz ungeftraft. Raͤhere Veranlaffung zur Berüdfichtigung des Iruchtzuftandes gaben die Alteften Gefege mehrerer germaniichen Volksſtaͤmme, in denen bie Strafbeftimmungen über die verjchiedenen Berbrechen fi nach dem Schaden richteten, der dadurch verurfacht werden war. In diefen wird nun die Abtrei⸗ bung der Leibesfrucht durchgehende für eine Handlung angefehen, woraus ein Schaden erwachle, für ben eine Buße zu bezahlen fei, und um biefe genau be⸗ fimmen zu fönnen, ift darauf Rücklicht genommen, ob man das Befchlecht einer abgetriebenen Frucht ſchon erfermen könne, und nach dem baterifchen Rechts⸗ buche, ob die Frucht ſchon gelebt babe, oder nicht. Das Fanoniiche Recht, welches nach Maßgabe diefer altgermanifchen Beftimmungen zwifchen einer aus⸗ gebildeten und einer nichtansgebildeten Frucht unterfchied, nahm an, daß der Embryo erft nach einer beflimmten Zeit belebt und befeelt werde, und erklärte, wahrjcheinlich durch eine falſche Ueberſetzung der Gloſſe hierzu der⸗ leitet, die Zeit von vierzig Tagen nad) der Empfängniß für dem Zeitpunft: der Belebung und Befeclung. In der Abtreibung einer fchom belebten und befeel- ten Frucht erblidte e8 daher die Täbrung eines werdenden Menfchen, wodurch; nad) der Anficht der Kirchenväter, deften Seele der chriftlichen: Taufe und deren Folgen entzogen wurde, und beſtimmte nach diefem Kritertum die Strafbarfelt. Diefer Auffaffung des Tanonijchen Rechts folgte auch die peinliche Halsgerichts⸗

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—————————2 jene, die mit folchen: Tbeilen um Organen in engerem phyſiologiſchen Zufammenhange ftehen, gehörig geprüft

werben, gewährt in ihrer heutigen Anwendung und in Verbindung mit der Une terfuchung aller übrigen phyſiologiſchen Erſcheinungen an der Kindesleiche dem Richter ein ganz anderes, ungleich befieres Beweismaterial, als das alte Verfah— ren, umd nur wer beide im altem und neueren Gerichtsaften mit einander vers gleicht, vermag den fteigenden Einfluß —————— den —Sä———— in den beiden letzten Jahrhunderten erlangt bat. 9940000 nm Durch ihre Mitwirkung. bei Den Birfeigeng ber Oasen: des Verbrediene ift fie zur unentbehrlichen Kührerin des Kriminalrichters geworden, und wad fit heutzutage in diefer Beziehung leiftet,, ftreift bisweilen nahezu an das Märchene

bafte, Sie hat gelernt, den alten, vertrockneten Blutötropfen aus den Kleidern

bed Mörder, aus dem Stahl jeined Meſſers, aus dem ſchmutzigen Fußboden der Hütte wie aus den Mahagoniparkets ber Palaͤſte mit feinen Haarröhrchen zu: heben, und mit Hülfe des Mifrosfops vermag fie nicht blos ein wahrhaftiges Zeugniß über das Vorhandenſein von Blut abzulegen, fondern fogar zu entſchei- ben, ob dad Put von Menſchen oder Thieren berrührt: Im dem halbver⸗

Mörder, * ne ten ————— durch die Flucht dem ſtrafenden Arme der Gerechtigkeit zu entziehen, ſo ſenden fie auf den Drathen des Telegraphen, den fie der Menſchheit geſchenkt haben, das Bild des Thäterd diefem nach und ereilen den Klüchtigen. Das find die Dienfte, welche fie der Gerechtigkeit und en Ar

leiften. Auf der anderen Seite lehren fie aber auch d Ric in deim Verbreder die Menfehenmatir zu refpeftiten. Die neuere Straf: uftig, welche den humanifirenden Einfluß der Natur» amd Heihwiffenjchaft in

vollem Maße erfahren Hat, will'Befehränkungen der Freiheit und der Nahrung ald Strafe mur infoweit eintreten Taffen, als fie der Gefundheit nit nachtheilig find. Sie verlangt deshalb, daß die Strafanftalten, obſchon fie dem Verbrecher als eine Laſt erfcheinen ſollen, doch jein phyſiſches Wohlſein nicht gefährden. Sie flellt den Arzt als Sachverftändigen auf, um Arreftlofale, Koft u. f. w. zu überwachen, das richtige, der Gefundheit zuträgliche Maß zu be- , flimmen; und die Wiffenfchaft bietet dem Gefängnißarzt volltommen hinreichende Anhaltöpunfte, der Anforderung des Gefeges Genüge zu leiten. Die neuere Phyſiologie fagt ihm genau, wie viel Rahrungsftoff, wie viel Luft der Menſch bedarf, wie viel Brauchbares dieſes oder jenes Nahrungsmittel enthält, wie viel ohne Geiundheitsftörung von dem Gewohnten entbehrt werben kann. Urfprünglich find wohl die Sträfen, wie fo viele menjchliche Einrichtungen, IV, 21

922 khak tue —— rd tsiaiß ee Ver Gnihung, de Bett

nnd Sana 3 B. in der Tortut. die audger

endung. Mit Der made hen elle. und mit der Ausbildung Heilwiſſenſchaft verſchwanden die barbariichen Zuchtmittel nebjt

dem-ganzen Apparat von Marterwerfeugen, und aus den Trümmern. einer rohen Bene bie Prügelftrafe in die Gegenwart hinein. Aber felbft 2 en wo dieſes Strafmittel noch in Anwendung fommt, ging das

‚von. bem erwähnten humanen Brinzip aus; es wollte der

idhe ſchaden, es wollte nn "Sit fin Desfahım für gehtenig Dun Erfahrung und filljchweigende Zuftimmung der Mebiein, Diefe Wiffenfehaft iſt

F eben ‚bedeutend. vorwärts geſchritten; pathologijche Anatomie, Chemie und Mifrometrie haben ihren Sehtreis erweitert, und fie-äfk jet zu der Finflcht —— daß die Prügelftrafe etwas der Geſundheit abſolut Schaͤdliches iſt. Dank dieſer beſſeren Einſicht iſt denn —A— pflege aus den neueſten Gejgebüchern geſchwunden. erhalt

Ueberblickt man die Reihe natunwiffenfchaftlicher nthebnugen.n welche nothwendig waren, um die gegenwärtige Stufe, der Geſittung und Bildung zu gewinnen, fo erfennt man bewundernd.die Macht und Größe des. menſchlichen Forſchergeiſtes. Was hat er gearbeitet und gerungen, um die Geſetzggebung und Rechtspflege aus den finfteren Abgründen ber Barbarei und des Aberglaubens zu ben lichten Höhen wiſſenſchaftlicher Naturfenntnig hinaufzuführen! Welt furchtbare Verfolgungen hat er erbuldet, welch glorreihe Schlachten geichlagen feit jener Zeit, wo man den des Giftmordes Verdächtigen in das Waſſer ver⸗ ienkte, oder feinen nackten Fuß auf ein glühendes Gifen ftellte, um zu unterſuchen, ob er das Verbrechen wirklich verübt habe, bis heute, wo der Chemiker das Gift, welches er aus ber Leiche bervorgefucht hat, vor bie Banf der Geſchworenen bringt und die Vergiftung über allen Zweifel erhallt! Wie herrlich ift den Ra— turwiffenichaften ihr Menſchheit exlöfendes Werk gelungen! Die Geſchichte hat mit ehernem Griffel. auf jeder ihrer Seiten das fteigende Gewicht des Einfluffes * den ſie auf die rechtlichen und deren —— aude geubt haben, |

Der Tabak, . fein Berbraud, feine Wirkungen und fein Anbau. Bon

3. 4. W. Iohnften.

Ausgedehnter Verbrauch des Tabaks. Verſchiedene Urten bed Tabaks. Verwendung des Tabaks in verſchiedenen Seſtalten. Wirkungen des Tabatd. Chemiſche Beſtandtheile, Julſchung und Anban deſſelben.

Dem berauſchenden Fluſſigkeiten, Bier, Wein, Branntwein, welche wir verbrau⸗ chen, verwandt ſind die narkotiſchen mehr oder weniger betaͤubenden Stoffe, die wir genießen; und wenn der erſteren Geſchichte in ihren Verhaͤltniſſen zu den jorialen Zuftänden fchon eine Fülle von traurigem Intereffe bietet, erſcheint bie Geſchichte der letzteren noch weit nberrafchender und in ber That außerordentlich. Wohl kann man behaupten, daß für den ökonomiſchen Statiſtiker nicht weniger als für Phuflologen und Pfychologen die Betrachtung des Menfchen mit den in den verfchiedenen Ländern in gewoͤhnlichem Gebrauche befindlichen narkotiſchen Subſtanzen eines der wunderbarſten Gapitel aus feiner ganzen Wiflenfchaft bilder.

Indem der Menſch vollfländig feinen natürlichen Bedürfnifien und Reigun- gen nachlebt, hat er nacheinander drei Stadien zu Durchwandern.

BZunädhft wird dem Bebarfe feiner materiellen Natur genügt. Rindfleiſch und Brot repräfentiren die Mittel, durch welche in allen Ländern dieſer Zweck erreichbar if. Und unter den zahlreichen Formen animaler und vegetabiler Nahrung, welche verfchiedene Rationen anfatt jener beiden Hauptftoffe des eng⸗ liſchen Lebens benügen, ift eine wunderbare Aehnlichkeit bezüglich der chemifchen BZufammenfegung bemerfbar. Genau derjelbe Kleber, diejelbe Stärke, dafielbe Fett werden in allen Rändern und in gleichen Verhältniffen dem Körper zugeführt, fo daß wir den fo zu fagen univerfellen Inftinet zu bewundern genöthigt find, nach welchem unter fo mannigfach verfchiedenen Bedingungen des Klimas und der natürlichen Vegetation die Erfahrung des Menfchen überall ihn dahin ges führt hat, in genaueftem Maße die chemifche Befchaffenheit der hauptſaͤchlichen

Stoffe feiner Rahrung den chemiſchen Bebürfnifien feines Iebendigen Leibes an

zupafien. " 21*

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Br il Bu ng pe aan an nn —2 ae Rn Be Een WO

a ah, er a he sie. ge ee m A Ay Malzes oder die Mitch der tartarifchen Stute in jeden Alkohol bezeichnete Sube ——

JJ felen es einheimiſche ober zugeführte beſitzt; dergeſtalt daß der allgemeine Inſtinet des Menfchenge- ſchlechtes auf die eine oder EEE friedigung des erwähnten Beduͤrfniſſes geleitet hat. jun Dar Ang 2

Rollen und, verträumten ihr. Reben unter ‚dem Dufte des Zabaffrautes, lange bevor die Coloniſten des Sir Walter Raleigh es in das Bereich des Hofes ber _ Königin Elijaberh einfübrten. Das Gocusblatt, jegt die Stärkung und: der Troſt des peruaniichen Maulthiertreibers, wurde in den frübeften Zeiten und: in venfelben Gebirgen auf gleiche Weife, wie es von ihm geſchieht, von den: India⸗ nifchen Stämmen -gefaut, aus deren Blut er entftammt. Der Gebrauch bes Opiums, des Hanfes und ber Betelnuß ‚unter den Bewohnern des öſtlichen Aſiens reicht hinauf, bis zu den Zeiten des jagenbaften Alterthbumsd, - Dafjelbe ift wahrfcheinlich der Ball mit den Pfefferpflanzen auf den Suͤdſee⸗Inſeln und im Indiſchen Archipelagus, ſowie mit den Stechäpfeln unter den Bewohnern der Anden und auf den Abhängen des Himalayagebirges, während im, nördlichen Europa der Hopfen. und in Sibirien der ———— licher Zeit in Benutzung waren. sodTeinmien 1m myuan ran! ei 7 Weich wie in verfchiedenen Grpeuben: der -Welt Re arte das beraufchenbe Lieblingägerränt gewonnen wurbe, ebenfo wurde der vorzugs— weife beliebte narkotiſche Stoff von verſchiedenen Menſchenracen aus verſchiede⸗ nen Bilanzen gezogen. Aber zwiſchen dieſen beiden Claſſen menfchlicher Be— dürfniſſe herrſcht der bedeutende Unterjchied, daß, während in. allen gegohrenen Slüjfigfeiten, wie erwaähnt, der gleiche Alkohol oder berauſchende Geift wirkt, jedes narkotiſche Mittel hingegen feine eigene befonders wirkende Kraft enthält; Aus welcher Duelle auch gewonnen, der gegobrene Saft erzeugt überall denſel⸗

Si Sabre Teva fe Gotular Ir —— rauchend, und gleiche Begegnung hatte fpäterhin Gortez, als er nach Merico vor« drang. ne Senken nn a am rn anne

——— Braunſchweig, die vereinigten Staaten, Mexico, bie weſtliche Küfte bis zum 40° füblicher Breite, ee ee

Eghpten und Algerien, ‚anf Den: canarifihen: Infekn, die weffiche-Rüßte entlang, am Gap ber guten Hoffnung und auf zahlreichen Diftrieten im Innern’ bed Feft- et een anne den und bildet gegenwärtig ein wichtiges landwirthſchaftl duct in Ungarn, Deutichland, den Niederlanden umd Frankreich. "In Aten hat der Tabakbau ſich verbreitet über die Türfet, Perfien, Indien, Thibet, China, Japan, die Phi⸗ livpiniſchen Infeln, Java, Geylon; er wird ferner gebaut in Auftralien und Neu» jeeland. Unter den narfotifchen Gewächjen nimmt Der Tabak in der That eine ähnliche Stelle ein, wie die Kartoffel unter den Nabrungäpflangen. Er wird am ausgebehnteften gebaut, ift am wenigften empfindlich, verträgt vielmehr am leichte ften Veränderungen in Witterung ‚Höhe des Terrains und überhaupt in allen Flimatijchen Beziehungen. Vom Aequator an bis zu dem 50. Breitegrade kann der Tabak ohne Schwierigkeit gezogen werben, obgleich er am beften gedeiht in- nerhalb 35° Breite auf beiden Seiten des Aequators. Die ſchönſten Sorten werben —————⏑——— und dem 35°

(Latakia in Syrien. win EN

396 undn ne in 3

Urban vn. den Fluch Bulle; ER in Rußland verboten und die erfte Neberfchreitung mit der Knute, Die zweite mit dem Tode bedroht. Anfechtung und Verfolgung vermehrte nur noch die allge⸗ meine Beachtung ber Pflanze, erweckte Si a en Menſchen, ihre Wirkung zu erfahren. AN VUERTO - So erflärten im Orient Priefter und Suftane der Türken nd Berfer das Rauchen Für eine Sünde gegen ihre Heilige Religion; 1. find Türken unb Perferdie fleißigften Raucher der Welt geworden. a Den Mund der Türken verläßt Die Pfeife faſt nientaf6, In Indien rau chen alle Claſſen der Bevölkerung und beide Geſchlechter. Die Siamefen kauen mäßig, Aber rauchen beftändig. Die Birmefen jedes Nanges, beiderlei Geſchlech- ted und jedes Alters, bis herab zu dreijährigen Kindern, rauchen Gigarren,) (Crawford). In China iſt die Sitte des Rauchens To allgemein, daß jedes weibliche Weien vom 8. bis 9. Jahre an als Zubehör ihrer Toilette eine —* ſeidene Taſche trägt, um Tabak und Pfeife darin zu bewahren. · WVon dem audgebreiteten Vorwalten der Uebung des Rauchens in Afien und befonders in China folgerte fogar vor Tängerer Zeit Pallas, daß der Ge brauch des Tabaks zum Rauchen über die Entvetung Amerikas zurücteichen möffe. „Unter den Chineſen“ ſagte er, „wie unter den mongoliſchen Stämmen, welche mit jenen den lebhafteſten Verkehr unterhielten, herrſcht die Sitte des Nauchens fo allgemein in fo ausgebildetem Maaße und ift fo fehr zum unentbehr⸗ lichen Iururiöfen Bedürfnif geworben; der Tabatsbeutel an demGürtel hängend bildet einen fo nothwendigen Beſtandtheil des Anzugs; die Geftalt der Pfeifen, nach welchen die Holländer Modelle genommen zu haben ſcheinen, ift fo originell; ſchließſich Die Zubereitung der gelben Blätter, welche nur zu Stüdfen gerieben

* "Die im China gef kleiner noch, ald bie vorber ——— Meer 7 u W —*

6. Worleche Ganaliercon rede. el. Botaniſche Geographie (Ray Society) 1846, pl.

328 ‚anda® Marlene. ı1G

jhen 4 anegme Bafe ni Velden Golan im Sahın, 1689 ausgeführte Duantit.nuc:4120,090 Bien Während der ſeitdem verfloffenen 170 Jahre ift die Production dieſes Küften- ar a rg ern ati“ Tue) ah ng, zu. ber en Lande der Tabafver-

Millionen. Pfund beläuft! Eo war. die für, inländifgpen Summe Ya een Aal ‚im Jahre 1851, * 28,062,341 Du, (pad ai * "ut uk. mal ‚1852 157 "28,558,133.. > #5 wun is N may 20 737,661 wenn a Diefen Zahlen muß.no rg un ann gelten Kabafs,, zu deren Einführung, in der drüdenden Steuer von 3. &h; pro- Pfund hinreichende Veranlaffung lag. - veerarit Aası Daß der Verbrauch bei und. noch Rets.im Bunehmenbegrüfen dfnexhellet, aus obigen Summen; doc; Elarer noch geht ed aus folgender Tabelle hervor, welche die in den * —— conſumirten Quantitäten vergleichen läßt: uhr, Sejammt-Gonfumtion, Bevölkerung. Durchſchnitts-Conſumtion

XX | u Hm a 1521 > 15,598,152 B.. 21,282,960 mM. us ‚44,71 Unzen ne yi 1831 .: 19,533,8341 024,410,439 = 1280 1010 90. 1841 4 22,309,360 On .27,019,672 an.G Su 13,21. »F ri 1861 ..28,062,841 #... .27,452,682 = 16, 86, 1 re

Dieſe Zahlen beweiien, daß während bes legten ber vorbezeichneien zehnjähe rigen Intervalle der Verbrauch von Seiten, des vereinigten Königreichs um Aa, oder von 1342 auf 17 Unzen für den Kopf geftiegen iſt. Doch dieſe Zahlen, ftellen in Wahrheit nicht genau den Verbrauch nach Verhältnig unſerer 2 Tafeln

*) Bergl. einen intereffanten Nachweis bei in Dam tin Statiſtiſchen Geſellſchaft. VL. p. 50:

& eine noch grd-

ET re ı daran sur Dr. Crawford ſchatt demnach das Mittel-Conſumo von Tabak durch das ngeſchlecht an den Kopf,

i . Der Zägrlich: für die Vefrieb Banner + nal: wa —*———* er Ku Te a rn ahrbuch 1854, v1 in a rohr!

tem Gehant" vesfomente."

—* =. 1850

* ERBE pn van un bh rn ra re ae Bon dem virginifchen Tabak (N. tabaceum) werden mindeftend acht Varic— täten Br Tabak (N. rustica) namentlith unters

jchieden. len, A Sue aba a Hd ren Alan )am una Dieſe —⏑— chemiſches, als auch bota⸗ niſches Intereffe; denn einerſeits verändert ſich die Qualität des an einem beſtimmten Orte und unter beſtimmten Verhältniffen gezogenen Tabaks je nach ber Verfchiedenbeit der gebauten Pflanze, und andrerfeits find auch die Verbält« niffe BE ee ee je nad) der Speeied oder Spielart verſchieden. ll 222] TE Andere Umftände üben gleichfalls Einfluß kenn den Tabak auszeich- nenden erregenden Gigenjchaften. Das Klima, der Boden, die Culturart, die Düngungsweife, der Zeitpunkt des Blätterpflüdens, das Verfahren beim Trock—⸗ nen und Behandeln der Blätter, Die Dauer von deren Aufbewahrung, die Ent fernung,, in welcher fie zu Markt geführt werden*) und der Prozeß ihrer: Zubex reitung zum Verbrauch alle diefe Umftände üben einen wohlbefannten Einfluß auf die Qualität des Blatted, Bei der Mannigfaltigfeit dieſer Voraus— jegungen kann es begreiflicher Weife nur wenige Orte geben, in denen für Die Erzielung ausgezeichneter Erndten Ales günftig zuſammentrifft. Daher find, gleich wie beim Weine oder den Theer und Kaffeepflanzen, diejenigen Oertlich⸗ feiten, welche den vorzüglichften Tabak liefern, nicht nur gering: m Tor bern im Allgemeinen auch der Ausdehnung nach jehr beſchränkt.

In Amerika wird ber feinfte Tabak auf der Inſel Cuba gezogen, Der Sabatder

*) Gut verpadter Tabal gewinnt, glei tem Weine, durch ——— Wahrend deffelben erleidet er eine Art von Ghhrung, dur mildert mir. Guropäifcper Tabat ſoll in Amerifa weit Beffer ais im beim

zopa ih rauchen laffen. de

Der Tabak, fein Berbrauch und Anben, 851

Zufel Luzon, unter den Vhilivpinen, von welchem die beruͤhmten Ranitla-Eigan sen gefertigt werden, Tonmmt dem ber Infel Cuba ziemlich gleich. Ein feiner aber ſtarker Tabak wird in ber Provinz Gadoe auf Java erzeugt, woſelbſt er auf einem von Natur reichen Boden abwechfelnd mit Reid und ohne Düngungsmittel wäh. In Gindoflan wird ein unter dem Ramen Bilfah bekannter guter Tas bak in der Brovinz Ralva, eine andere feine Sorte Namens Kaira in der Pros vinz Guzerat gezogen. Alle Diefe Arten find das Product der Nicotiana tabacenni, In Gentral-Aften ift der gelbe Tabaf von Ehina und Thibet beſonders mild und angenehm, obfchon wahrfcheinlich zufolge feiner Seltenheit der geringere indijche Zabaf auf dem Markte von Lhuſſa für den ſehr hoben Preis von 30 Schilling pro Pfund verwerthet wird. (Hooker). Im weftlichen Afien ſind die gefuchteften Tabake die won Latakia (dem alten Laodicen) in Syrien und von Schiras ik Perfien. Den erfteren bildet gleich dem chineflichen Tabak das Blatt der N. ru- stiea, den letzteren das einer Speeirs, N. persica genannt. Gelchergeftalt hat ber feinfte Tabak eine weite räumliche Verbreitung, während die Difiricte, auf denen ex gedeihet, allerwärts wie gefagt fehr befchräntt find. Ein warmer Som⸗ mer fcheint für die Gewinnung eines wohlſchmeckenden Blattes erforderlich zu fein. Das Blatt der mäßigen und Falten Regionen ift in der Regel rauh und fireng, als wenn e8 die narkotifchen Ingrebienzen, auf denen das Gharakteriftiiche be® Tabaks beruht, im Uebermaße beſaͤße. Wie ſehr verichteden der Berfauftwerth des Tabaks aus verfchiedemen Ländern von einander iR, kann nach den Preiſen beurtheilt werden, welche bie meiftbelannten Sorten auf dem englischen Markte erzielen; nämlich ungefähr wie folgt:

Ganada 4 den. pro Pfund Türfifcher 8 den. pro Bund

Kentuch 6“ = . Columbia 10 = a

Birma 7 on sm. Cuba 1 &. 6 - - —.

Maryland 9 so “5 Havan⸗

Dominde 8 - .- nh.3 - -

Die Handelögefdyichte des Holländifchen Tabaks ift eigenthümlich. In dem Thale von Geldern, die „DBelnwe‘ genannt, werben etwa 2 Billionen Pfund Tabak gezogen. Hiervon wird fat die Hälfte von ber franzöſtſchen Megierung - fär den Verbrauch in Frankreich gekauft. Im bdiefem Lande wird er theild zu Eigarren, theild zu Echnupftabaf verarbeitet. Der Reſt des Geldern'ſchen Ta⸗ baf3 wird nad Rort-Amerifa und felbft nach Cuba nerfendet. Die Reinheit des Blattes, und daß ed von ftarfen Rippen frei ift, fleigent den Begehr nach demfelben für die äußere Dede von Gigarren. In diefem Falle bleibt der Marfte preid ded Tabaks unabhängig von feiner allgemeinen Qualität oder feiner chemis ihen Zufanmenfegung. Ghinefifcher Tabak wird ebenfalld zu Cigarrendecken verwendet.

Tabak wird in fah allen Rändern in jeder der drei Richtungen, zum Kauen, Nauchen und Schnupfen benutzt. Die erfte diefer Gewohnheiten ift in mehrar⸗ tiger Beziehung die unangenefmfte und wird heut zu Tage in England nut fels ten noch anderswo ald unter Scefahrern angetroffen. Am Bord des Schiffes tft das Rauchen immer gefährlich und wird oftmals uerbaten, wären don

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ER und: fofent; bio Die lafche ihren: Eigenthümer | wieder erreiht*) et Pan rn aut er

Die in diefer Stelle befchriebene Dofe ift nichts ald eine Hochländer Horte büchfe, von denen nad) neuerer Mode nur in der Geftalt etwas abweichend. Der Höcländer bringt ben pulverifirten Tabak in einer Fleinen Schaufel nach der Nafe; der Isländer ſchuttet ihn, wie vorerwähnt, unmittelbar aus dem Hals der Flaſche hinein. Unter den Gelto-Scandinaviern ded nördlichen Britaniend aber berricht diefelbe Vorliebe für pulverifirten Tabak, als in Island und im nörb« lichen Scandinavien, ſowie bie gleiche Traulichkeit im Gerumreichen ber Dofe als im urfprünglichen Island, Sind das nicht fchwache Reliquien ähnlicher forialer Sitten, weldye noch hindeuten auf die vormalige Einheit und den ge» meinjchaftlichen Urfprung der drei num gefonderten Wölfen)? Die Gewohnheiten des Schnupfens foll in England nady der Reftauration aufgefommen und zwar bon Frankreich aus eingeführt fein. Der Name: Rappe, ben wir unſerem feudjren Schnupſtabak geben, ift'fidyenframgöftfepen Wefprumge, u 5 mine delta > ur Ya Tre ö Mad. Preiffers Reife noch getan. Bond. Ausg. p 17 Rn nm ** Nicht unerwähnt mag ich eine Anwendung. des Tabaks laſſen, Pen ich. jedoch faum sollen. Glauben ſchenken kann, —7 fell, einigen Gegenden Englands zur Berfälihung des Bieres und durch * ler zur —— des Porters verwendet erden. Der Landarbeiter, Eid an einem Abend nicht mehr ais ein einziges Glas Bier ſich zu erſchwingen vermag, ee fein weniges Geld Etwas befommen, was nicht nur feinem Gaumen ſchmackhaft if, ſondern auch in fühlbarer Weife fein Gehirn affieirt: Binige gg Art des Hopfens behandelt jollen dem Bier und ein wenig —— ge verleihen. Mehrere glaubwürbige Perfonen nen verſichern kp (ih * Gebrauch des Tabafs durchaus nicht —— ſel. gi iſt es men gegen Betrüger zu ſchützen, die er durch ein franfhaftes Geräte day die für ihn beſtimmte Waare zw werfätichen?

ee EEE E Dies giebt ihnen einen angenehmen: ätherijchen Geruch und die wohlbefannte prickeliche Eigen: ſchaft des Schnupftabafs, Rappe’s ober feuchte Tabake werden in der Regel von bem weichen Theile der Blätter gefertigt. Trockne Tabake, wie Die fchottifchen und Wallifer, werben son den Adern oder Rippen bereitet. Die erfteren erhal⸗ ten Bufäge in verfchiedenartigen Gerüchen , um fie dem Gefchmad der Gonfus menten anzupaflen. mr Im ee bie au a mai al n men a Abe eg beiden Gährungsproceffe, durch den Wärmegrad, unter welchem die Blätter getrocknet oder für duͤrre Tabaksſorten geröftet werben, und durch den Zeitraum, während deſſen fie ſolcher Hige auögefegt bleiben. Die Art des durch die Gaͤhrung und das ——s ſich Herauöftellen, nachdem die Eigenſchaften derjenigen ' ‚erörtert fein ww

Aue en u nad Men Be ID EDIT ZT · —* mb 36 0) Ammoniak ift cine Gasart, welche ———— Ammoniak) feinen Geruch giebt und aus welchem ebenfalls die im andel vorfommenden viedpendem: Sale Dafilbe

(foblnfauree Ammoniak) egeuge werten. enthält zwei ah und Waflerflofigag, = - wol Jam de Dina Aa a Marken

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allgemeines Zittern, Taumeln, franfafte Gricheinungen, Lähmung, Siarrſucht und Tod. Man erzählt Faͤlle von Perſonen, welche Dadurch ſich tödteren, daß fie 17 bis 18 Pfeifen hintereinander ohne Unterbrechung rauchten. und MWanche Gonftitutionen lernen das Rauchen nie wohl vertragen; doch Dr. Pereira jowohl als Dr. Chriſtiſon in feiner Abhandlung über Gifte find darin einverftanden, daß biöher „keine üblen Folgen mit Sicherheit, als aus dem täge a ge nachgewiejen zu werden vermochten.“ - Dr Bront, ein audgezeichneter Chemiker und ein Arzt vom ausgedehnter Erfahrung, den feine wiſſentſchaftlichen Zeitgenoffen ſämmtlich in Hoher Achtung hielten, war verfchiedener Anficht. Doch aud) er drückt ſich darüber nur unbes er he a Ne mr

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Pe ARE TE DET | et ————— en Be men * ondere X mir es ſcheint, aſſimilation des Zuderfloffes. Irgend eine giftige Fehde maßlich von ber Natur einer Säure, wird in manden Individuen durch den 7 mäßigen Gebrauch des Tabafs erzeugt, und durch kränkliches Ausſehen, ſowie durch die dumfele amd häufig gelbgrüne Färbung bes Speichels verrathen. Die heftigen und eigentbümlihen Symptome geſchwaͤchter Verdauung, welche durch anhaltendes ſtarkes Schnupfen hervorgebracht werden, find wohl befannt und mehr als einmal babe —⏑ —— endigend geſehen. Starfe Raucher und beſonders diejenigen, welche ſich kurzer Pfeis fen ——— ſollen zuweilen frebsartigen Afftetionen der Lippen aus: gelegt fein. Dod geht es mit dem Tabak wie mit den fchäplihen Nahrungsmitteln ;

auß.iheen-cigenen' Erfahrung verfichern, daß Der Tabak jene Wirfungen erzeuge. Sin Gifuß fein alrtinge abe Bedeuend Durch Die Gonfttuien un a6

men, de Bande de abet Eger

er #8 A rung a Abe ang un wie _— —— die Starken ——— —* ee we dien und zur Krankheit Dieponirten als Opfer ihrer giftigen Wirkung unterliegen, Wenn man den Geboten der Vernunft Herrichaft gönnte, fo müßte eim der Gefund- heit jo ſchaͤdlicher und in aflen Arten des Te ‚erleiden, 4

"Die Bernunft aber iR micht’io flher-auf-Dr. Bronts Seite, kode 3 B.fagt: „Brod oder Tabak möchte vernachläſſigt fein, fo bee Gebrauch, und Gewohnheit macht ihn angenehm.‘

leichten Mafe erheiternd und gleichzeitig beruhigend, ſowie frei von. ben durch den Wein erzeugten nachtheiligen Wirkungen , bildet der Tabak einen zureichen⸗ den Tururiöfen Genuß für Viele, die ohne denfelben, und fei es auch Lediglich zum Beitvertreib, zu beraufchenden Getränken ihre Zuflucht nehmen würden.“ Mr. Layard, deifen Verkehr mit den orientalifchen Volksſtaͤmmen ein ſehr aus— gebreiteter war, bekennt ſich zu derſelben Anſicht; während Mr. Grawford, wels cher gleichfalls viel vom ten Sehen gefehen Hat, 8 faft für ungweifelhaft ers achtet, daß der Tabaf im einem gewilfen Grade zu der Nüchternheit ber aftatifchen und europäifchen Volksſtaͤmme beigetragen habe***). Dieſe entgegengejegten Facta gewähren wiederum ein xbonelogiſchet Studium. *** N sur ee LUFT “7 Yen ru) VI InRußfand) verabfeiruen: die en eine ſehr tugendhafte Difeniens aue der griechifchen Kirche, den Gebrauch des Tabals (De Lagııy). “+, Biel in ber Iriſchen Form zweideutiger Zuſtimmung zu einer zweifelha uptung enthalten; „Wahr für bich'‘, d. en öde ————— u. hal nhlibbme np a ne. "*, Journal der ftatiftiihen Geſellſchaft (Engl). März 1959, p. 527 u 0

Der Tabea, fein Verbrauch und Anban. 237

Amerika erzeugt das Tabaksrauchen einen übermäßigen Genuß alkoholhaltiger Subflangen ; in. Aflen verminder 6 den Verbrauch beraufchenbet Getraͤnke ins dem es deren Stelle yertritt. : Wie verwickelt find die Urſachen, aus: desien’biufd verſchiedenen Wirkungen entfpringen! Kllına, Temperament, Körpertonſtitu⸗

Lebenöweile, Sitte und StantBelnrichtimigen bedingen und reagiten auf “einander, und je nach dem befonderen Zufammenwirfen aller diefer Vorand⸗ fegungen in dem einen ober anderen Lande übt dieſelbe narkotiſche Subſtanz auf die. Maſſe der Desditrung e Amen. wohlthatigen, unſchadlichen oder verderblichen Einflup! u u.a

Im Allgemeinen. kann von dem vbrſiologiſchen Wirtaugen des Tabaks auf bie große Maſſe des Menfchengefchlechts, und abgefehen von dem moraliſchen Einfluß, als charakteriftifche Unterſcheidungezeichen von anderen narkotiſchen Ri teln betrachtet werben :-

1. daß .fein nächfter und bedentenderer Erſolg darin beftcht, den Ave organismud zu befänftigen, lindernd und beruhigend einzuwirken;

. 2: daß fein weniger ‚berbortretender Rebenerfolg darin beftcht, zu erregen: und zu fräftigen und zugleich Dauer und Sntenfoität der geiftigen Thaͤtigkeit Bw verleihen. '

Welcher befonderen Thätigkeit feiner chemiſchen Beſtandtheile auf Gehirn und Nerven die beruhigende Wirkung und die allgemein anerkannte wohlge⸗ . fällige Traͤumerei zugeſchrieben werden muß, können wir nur errathen. Rach Dr. Madden beſteht das Vergnügen des durch den Genuß der Pfeife bedingten Träumens in einer periodifchen Vernichtung der Verflandesthätigkeit. - In der hat hören manche Leute zu denken auf, fobald ſie lange Zeit hindurch geraucht baben. Oefters frug ich Türken, was fle während ihres langen träumerifchen Rauchens gedacht haben, und ihre Antwort war: „Nichts“.

Richt einen einzigen Gedanken konnten jene zurüdführen, der inzwifchen ihren Geiſt befchäftigt hatte. Im der Beobachtung des türkifchen Charakters giebt ed feinen interefjanteren Umftand im Bufammenhalt mit ihrer moraliſchen Berfaflung. *) \

Bildet ed wirklich eine Tigenthlimlichteit des tuͤrkiſchen oder mufelmännte [hen Temperamented, daß Tabak den Geiſt in Schlaf Iullt, während der Kör- per wach und lebendig fich erhält? Daß dies nicht des Tabaks allgemeine Wir⸗ fung in Europa ift, bezeugt bie Stubierftube faft jedes deutſchen Schriftſtellers. Mit der Pfeife, die unabläffig ihr geliebte Aroma um ihn verbreitet, arbeitet: der deutſche Philoſoph die umfaſſendſten Refultate feines tiefften Rachdenfens aus, Abwechſelnd denkt und träumt er; doch während jein Leib beruhigt und, unthätig ift, bleibt fein Geift beſtaͤndig erweckt. Rach den Reden folder Maͤn⸗ ner fönnte man faft glauben, fie hätten in ihrer Erfahrung ein Mittel entdeckt, um den Geiſt von den Feſſeln des Körpers zu befreien und ben Gedanken einen mächtigeren Klug und ungeftörtere Freiheit der Bewegung zu verleihen. Ich bedauere, daß ich folche Wirkung niemald an mir felbft erfahren konnte.

*) Reifen in der. Türfel. Bol. Ip. 16... en IV. 2⁊2

zien beruhen die te und wichtigen Cigenejaften manher unferer Fräftigften Seilmittel. n en mE ar are

bs Das flühtige Alkali. Wenn Tabaksblätter mit leicht ſchwefel- ſauerem Waſſer getränkt werden, und dieſer Aufguß nachgehends mit gebrann- tem Kalk deftillist wird, jo entwidelt fich, mit dem Waffer vermiſcht, eine Fleine Duantität einer fluͤchtigen, öligen, farblojen alkalihaltigen Flüffigfeit , welche ſchwerer iſt ald das Waſſer und mit dem Namen „NRikotin'“ bezeichnet wird, Sie hat den Geruch Des Tabaks, einen ſcharfen, brennenden, lang nachhaltigen Ta- baksgeſchmack und beſitzt narkotiſche, ſowie in hohem Grade giftige@igenichaften- In lehterer Bezichung ſteht das Nikotin kaum der Blauſäure nach, Dasein einzi⸗ ger Tropfen hinreichend iſt, um einen Hund zu tödten. Sein Dunſt iſt ſo ge⸗ waltig angreifend, daß das Athmen in einem Jimmer ſchwer wird, in welchem ein einziger Tropfen deſſelben ſich verflüchtigt bat. Das Verhältnifi dieſer Sub⸗ Rang in dem trodenen Tabaksblatte ſchwankt zwijchen 2 bis 8a.)

+ Soweit Beobachtungen hierüber angeftellt worden find, enthält der Tabak von Havanna und Maryland 2P/o, der von Kentucky 6, der von Birginien faft7- und. der franzöfliche zwiſchen 6 und 8/0. Selten‘ jedoch geben 100 Pfund‘ trodener Blätter mehr als 7. Pfund Nikotin. Daher tönnen beim Rauchen von 100. ®ran (einer viertel Unze) Tabak 2 Gran und darüber von einem der feinften unter allen bekannten Giften zu dem Munde des Maucherd geführt wer« dem ' Denn da es beir492° Fhr. ſiedet und bei einem Wärmegrad verdunſtet, welcher bedeutend hinter dem des brennenden Tabaks zurüdbleibt, fo ift diefe oiftige Eiubtang in chen wur ‚argemärtig- a

*) Der Beier wird ad —6 ARE LEARN 1851 durch den Prozeß ded Grafen Borarıme zu Mong und feine darauf folgende Hinriche fung wegen Bergiftung feines Schwagers mitielft Nicotins entflanden warı

Der Tabak, fein. Berbrauch und Anban. 239

langſam brennenden Birginiatabats hat Melfen nicht weniger als Ya Gran’ Ri- kotin audgesogen; und das Verhaͤltniß verändert ſich je nach Verſchiedenheit des Tabaks, Mafchheit des Verbrennungsprozeſſes, Geftalt und Länge der Pfeife, des Stoffes, aus dem fle gefertigt ift, jowie nach manchen anderen Umfländen.

e. Das brenzliche Del. Außer vorermähnten beiden flüchtigen Sub⸗ Ranzen, weiche fi in dem Tabaföblatt fertig vorfinden, wird noch ein anderer Stoff öliger Ratur durch das Deftilliren des Tabaks in einer Retorte oder durch defien Berbrennen in einer Pfeife erzeugt. Dies Del gleicht dem auf ähnliche Weiſe aus den Blatte des giftigen Fingerhutes (Digitalis purpurea) gewonnes nen. Es iſt ſcharf und von unangenehmen Geſchmack, narkotiich und giftig. Ein einziger, auf die Zunge einer Kae gebrachte Tropfen veranlaßte: Krampf zudungen und bewirkte in 2 Minuten ten Tod. Die Hottentotten follen Schlan⸗ gen toͤdten, intem fle denfelben einer Tropfen: ſolchen Oeles auf die Zungen ſpritzen. Hieran ſterben genannte Thiere fo raſch, als wären ſie von einem electriſchen Schlag gettoffen. Es ſcheint ziemlich gleichartig mit Blaufäure zu wirken.

Dieſes Del beſteht aus mindeſtens zwei Subſtanzen. Wenn es nit Eſſig⸗ fäure getraͤnkt wird, verliert es feine giftige Eigenſchaft. Es enthält demnach ein unfchäpliches Del und einen giftigen, altaltfchen Stoff, welchen Effigfänre zu neutralifiren vermag. Die Natur und chemifchen Eigenſchaften dieſes alkali⸗ ſchen Giftes find Biäher noch nicht entdeckt. Daſſelbe Del ift muthmaßlich des „serwünfchten Bilſenkrautes Saft’, welchen Shakſpeare als «in pharmaceuti⸗ ſches Decoet bezeichnet *).

So vereinigen drei thätige chemifche Eubſtanzen ihre Wirkſamkeit, um die merkbaren Folgen hervorzubringen, welche mann während des Tabaksrauchens em» pfindet. Alle drei naͤmlich ſind in verſchiedenem Verhaͤltniß in dem Rauche der brennenden Pfeife enthalten. Geſtalt und Conſtruction bedingen, wie ſchon ge⸗ ſagt, neben anderen Umftänden dad Verhaͤltniß, in welchem der Rauch dieſe In⸗ gredienzien enthält. Die türkiſchen und indiſchen Pfeifen z. B., in welchen das

*) Die wirklichen oder eingebildeten Folgen dieſes Saftes werten ſolzendergehalt beſchrieben:

Als ich ſchlief im Garten. Wie ich gewohnt war nach dem Mahl zu thun, Beſchlich dein Oheim meine ſichre Skuͤnde, Den Saft verwünſchten Bilſenkrauté im Fiafchchen, Und goß mir in des Ohres Oeffnung dies Auseſchwaͤrende Gebraͤude, deſſen Wirkung Eo mit des Menſchen Blut verfeindet iſt, Daß wie Queckfilber hurtig es durch alle Kanaͤl und Gaſſen unfres Körpers laͤuft, Und, ſauern Tropfen in ter Mitch vergleichbar, Mit plöglicher Gewalt gerinnen macht Das Tünne, frifhe Blut. So ging e8 meinem; Und Ausſatz überzog mir augenblicklich, Wie einem Lazarus, mit ſchnöder, eller Krufle Den glatten Leib.

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tas Rervenfolem ‚bed re ſtattfinden. —— es nicht verwundern, daß diejenigen, welche an das Cigarrenrauchen und zwar beſonders von ſtarkem Tabak gewöhnt find, jede andere Pfeife als die neuerdings unter paſſionirten Rauchern wieder in Aufnahme gekommene, kurze, ſchwarze Cutty“ zu weichlich und gleichgültig ſchmeckend finden. Solche Leute leben faſt fortwährend in einem Zuftand narkotiſcher Betäubung, welcher ſundheit nothwendig angreifen muß. ‚2 mer D wi Der Tabakskauer fann, wie aus: obiger Befcherißung verftänblich, die Wirs fungen des beim Verbrennen bes Blatted erzeugten giftigen Oeles nicht erleiden. Das natürliche flüchtige Del und das Nifotin find die auf ihn wirkenden Sub- ſtanzen. Durch die Menge, welche er von denjelben umwillkürlich verfchludt und abforbirt, jchwächt er feinen Appetit und benachtheiligt nach und nad) feine REGINE Dieſelben Bemerkungen find auf den Schnupfer anwendbar, wiewohl wer * ber gemilderten Eigenſchaften des von ihm verwendeten Produktes in noch vermindertem Grade als bei dem Hauer, Während ber erſten Gaͤhrung, welcher dad Blatt, um für die Fertigung des Schnupftabafs vorbereitet zu werden un= terliegt, und ebenſo während der zweiten Gährung nach feiner Zerreibung ent» weicht ein bedeutender Theil von Nikotin oder wird zerjeßt. Das während ſol⸗ cher Gährungen erzeugte Ammoniak iſt zum Theil das Mefultat dieſer Zer— jegung. *) Werner wird ein Theil des natürlichen flüchtigen Oeles ſowohl, als auch eine weitere Portion des natürlichen flüchtigen Alkali oder Nikotin Durch das Trocknen oder Röſten der Men, bei der trockenen

*) Nicotin iſt einer derjenigen ‚fräftigen vegetabilifchen Stoffe, Belle gleich dem Therin bes Thees und Kaffees reich an Stickſtoff Gehalt find. Bon dieſem Blement enthält jenes 17 Brocent. Bon dieſem Stiditoff entwickelt ſich das Ammoniak wähs rend der oben, beichriebenen Zerſetzung.

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ten, obfon gewößnic vn de ren sie un gefertigt, als fertiger Schnupftabak nur 2 %/0 von br Sa

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2 n, oben bezeichneten wirkfamen Ingredienzien; und

—** er ee wie unter deß Gpeniters Händen die Wiffenfepaf ausreichende Gründe für die Fängftbeftehenden Entfcheidungen des Geſchmackes beſchafft. So Hat er nachgewieſen, daß Das natürliche flüchtige Del in dem friſchen Blatt nicht eriftirt, fondern erft während des Trocknens ſich erzeugt; dies der Grund, weshalb die Art des Trocknens und Einlegens auf die Stärke und Qualitär des dürren Blattes Einfluß übt. Er Hat ferner gezeigt, daß das Ver⸗ häftniß giftigen Nifotind in dem beften Havannablatt am Kleinſten am Srößten hingegen in den virginiſchen und frangöfifchen Tabatem

"Dies der natürliche und vernünftige Grund für den Vorzug, —— von den Cigarrenrauchern gegeben wird, da Lehztere, wie wir wiſſen, fänuntliche aus dem brennenden Blatte entweichenden, die Subftanzen unmittelbar in den Mund erhalten. Schließlich haben durch den Nachweis, daß beide giftige In— grebienzien bes Tabafs flüchtiger Natur find, daher darnach ftreben, langſam in die Luft zu entweichen, die Chemiker erläutert, weshalb das zubereitete Blatt und die fertige Gigarre durch Aufbewahrung an Werth gewinnen und daher gleich gutem Weine im Verhäftnig ihres Alters im Preife fteigen. Was bie kleineren Unterſchiede des Geſchmacks anbetriffi, wodurch gewiſſe Tabaksſorten eine Auszeichnung erhalten, ſo hängen dieſe muthmaßlich son der Gegenwart anderer duftgebender Ingredienzien ab, welche ihrer Natur nach micht gleich wirf» fam und dem Blatte nicht fo wejentlich eigen, wie die vorerwaͤhnten find, Hin⸗ ſichtlich ihres Geruches werden die Blätter der Pflanze: leicht von mannigfachen Umftänden influirt, inöbefondere aber durch die Gattung des Bodens, auf wel _ chem fie wählt und durch die in Anwendumg gebrachte Düngungsart. Selbſt den gröberen Sinnen und der weniger feinen Beobachtung der Europäer iſt es 3: B. bemerkbar, daß Schweinemift als Düngungsmittel feinem Geruch dem mit folder Düngung gewonnenen Tabak mittheilt. Die feineren Organe und bie ausgebifdetere Unterſcheidungsgabe der Drufen und Maroniten am Libanon ers kennen fofort aus dem Geruch des Tabaks die verfchiedenen, für feinen Anbau benugten Dungungsmittel. Darum werden auf den ſyriſchen Gebirgen sjowie in anderen Gegenden ded Orients diejenigen Tabaksſorten am höchſten gefchäßt, deren Wachsthum durch Düngung mit Ziegenkoth gefördert worben ift. In ſolchen Gegenden aber,) wo hohe Zölle eine Beriuguang an irren Im-

342 or er Agrienktnechemie, 757 7

han er en vermag? TEE ee EN Fälfchungsmittel, denen bie zum

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Sn Ya ——— grüße u a Inn MAT mM te NE Te a eo werden Hi Sifkim (Hindoftan) die Blätter einer Tupistra, „‚Purphiok* genannt, welche einen füßen Saft geben, gefammelt, zerſchnitten und unter den Tabak gemifcht (Hoofer). Andere Surrogate für echten Tabaf werben im anderen Gegenden , theils aus Mangel der echten Pflanze, theils aus Licbhaberei verwendet. Anſtatt des Schnupftabafs z. B. werden in Indien bie pulverifirten dürr gewordenen Blätter des Rhododendron campanvlatum, in den vereinigten Staaten von Nord- Amerika der blaue Staub verwendet, welcher an die Blattſtiele der Kalmie und des Rhododendron ſich anfegt. Alle dieſe ala Surrogate benügten Pflanzen beſitzen narkotiſche @igenfchaften. Die Otomafs, einer der robejten Stämme in Süd-Amerifa, bereiten ‚gleichfalls eine Art Schnupftabak aus ten zerftoßenen Hülſen ber Acacia niopo. Dieſer Schnupf⸗ tabaf verjegt biefelben im einen mehrere Tage dauernden, an Tollheit grenzenden Buftand der Berauſchung. So lange fie umter jeinem Einfluß fich befinden, werden Sorgen —— ch —— inet und ia ſelten ſurch. bare Verbrechen verübt. Di u Noch ein, wenn auch von ——— Binuf auf das menſchlich⸗ Koͤrperſyſtem unabhängiger Punkt der chemiſchen Geſchichte des Tabaks duͤrfte Erwähnung verdienen, An anderem Orte habe ich erörtert, daß, wenn begetar biliſche Stoffe in der freien Luft verbrannt werden, ſie einen Theil won Minerals ftoff oder Aſche zuruͤcklaſſen. Die Blätter der Pflanze find insbeſondere reich an biefer unverbrennbaren Afche, und unter allen gebauten Kräutern erweiſt ſich Tabak in diefer Beziehung am reichften. Das getrodnete Tabaföblatt giebt bei gr vr ers Aigen * im win nn geben: jede

I my 1.)

* WERFEN 3. Aug 6 1427,

Der Tabak, fein Berbraud und Andan. 343

4 Pfr. vollkommen trockenen Tabaks 1 Pfd. unverbrennbaren oder Mineral« ſtoffes. Diefer bilder die Afche unferer Tabaköpfeifen und Eigarren.

Nutzlos würde es jein, bier die Zufammenjegung diefer Afche befonders zu beichreiben; doch erinnern darf ich den Leſer daran, daß alle darin enthaltenen Subftanzen von dem Boden gewonnen wurden, auf welchem bie Tabaföpflanze gedieh, und daß diejelben zu derjenigen Klaffe von Körpern gehören, welche zu⸗ gleich für Die vegetabilifche Entfaltung aͤußerſt nothwendig, und felbft in fruchte barem Boden ziemlich wenig zahlreich vorhanden find. Im DVerhältnig zu dem Gewicht der gefanmnelten Blätter. muß danaadı bag Bohnten Viefer den Boden entzogenen Subftanzen geftanden haben. Lind da jede Tonne vollftändig trodes ner Blätter 4 bis 5 Centner dieſes Mineralftoffes dem Boden entzieht, d. 1. gleich der in 14 Tonnen Weizen enthaltenen Ouantiät fo ift es felbft für die welche wenig mit landwirthſchaftlichen Einrichtungen vertraut find, genugfam einleuchtend, dag der Tabakbau eine ſehr bodenerſchoͤpfende Kulturari bil⸗ den muß.

Wir werden hierin einen n Hauptgrund erkennen, weßhalb Zabekpflanzun⸗ gen in vergangenen Zeiten nad) und nach ſo erſchoͤpft wurden, daß ſte in vielen Faͤllen nicht laͤnger mit Rugen bebaut werden konnten, weßhalb vormals frucht⸗ bare Landſtriche jetzt wuͤſt und verlaſſen ſind, und weßhalb das Vermögen des Tabakspflanzers, ſelbſt in den von Natur begünſtigten Gegenden, allmälig mit der abnehmenden Fruchtbarkeit ſeiner ausgeſogenen Pflanzungen geſchwunden iſt.

An den Geſtaden des atlantiſchen Oceans in den vereinigten Staaten Rordamerifa’3 werden die bekannteſten Beweiſe von. den Folgen dieſer zehrenden Tabakscultur gefunden. Es bildet einen Theil des Ruhmes für die Chemie des gegenwärtigen Jahrhunderts, daß ſie feſtgeſtellt hat, wie viel das Land bei ſol⸗ cher unvorſichtigen Behandlungsweiſe verliert, welcherlei Erndten auch gewon⸗ nen werden, welches demnach die Urſache der daſſelbe heimſuchender Unfrucht⸗ barkeit, Durch welches Verfahren die frühere Fruchtbarkeit wieder hergeſtellt wer⸗ den kann, und wie demzufolge von NReuem bedeutende ‚Vermögen ı aus denſelben alten Boden gewonnen werben mögen.: :

Die Pocken und die Impfung. Dr. AR. An |

Einleitung. Die Poden im Allgemeinen. Die Menfchenpoden; Ge⸗ ſchichte derſelben; Krankheitsſtizze; Ausgänge; Nachkrankheiten. Das Pockencontagium und feine Eigenthümlichkeiten. Pockenepidemien. Dte Pocken ber Thiere. Impfen und Impfverſuche im Allgemeinen. Bariolimpfung. Gedichte der Rubpodenimpfung; Ienner. Vortheile . der Impfung. Maflenimpfung. Die Gegner ber Impfung; Bekaͤm⸗ pfung derfelben. NRevaccination. Die Impfoperation; Regeln, die dabei zu befolgen. Allgemeine Zwangsimpfung. Die Spitzpocken.

Männer, denen es gelingt, Mängel aus ter Shöyfung Lügen aus unferem Gedäctuifle und Entbehrungen au unferer Ratur gu vertreiben, Zu i find im Reiche ver Wahrheit das, was die Heroen se Ver Babel für die erſte Weit waren ; fie vermindern " . Me Ungeheuer anf Erden. Herder.

Maßßenhaftes gleichzeitige Auftreten einer und derſelben Krankheit in einer Gegend oder über größere Ländercomplexe verbreitet, bat von frühefter Zeit an die Aufmerkfamfeit der Aerzte erregt und bie Menfchen in Scyreden veriegt. Seuchen nannte man und nennt man noch heute die in diefer Weife auftreten« den Krankheiten; Epidemie nennt man eine Seuche, wenn fie auf eine Stadt oder Gegend befchränkt bleibt, Bandemie, wenn fle ſich über große Laͤnder⸗ ſtrecken ausbreitet. Die meiften und gefürchtetften epidemifch herrſchenden Krankheiten find die, welche ſich durch Anftedung, durch ein Contagium verbreiten, welches fich von dem erkrankten Individuum audfcheidet und andere Individuen, Die mit jenem in Berührung fommen, ergreift und fle in gleicher Weiſe erkranken laͤßt. Mit Necht zählt man die Seuchen zu den ſchrecklichſten Geißeln des Menſchengeſchlechtes, da fie Die Menfchen meift in graufamer Weiſe verheert haben; um fo ſchrecklicher find fle, als die Urfache ihres Auftretens faft ſtets unbefannt ift und wir ihnen mehr oder weniger ſchutzlos anheim fallen. Es war, es ift heute mehr denn je, eine der wichtigften Aufgaben der Heil⸗ Funde, jenen Seuchen mit allen Mitteln der Wiffenfchaft entgegenzuarbeiten, ihre Ausbreitung nach Kräften zu verhindern, ihren gefährlichen Charakter foviel

die unter den Namen der Boden oder Blattern allgemein befannte Krankheit. le ala un nee nn ern m

Fo te Menfafenhode, Vario

Variolois, die von den Kühben auf VeniWenfgenukbertiägene

Bode, Vaccina, und die Spitz oder Wall erpocke, Varieella. ea | find

Poden ober Bariolen bezeichnen werben. wir. seen Ivan? —— Wann und wo die Poden TR: jetzt noch micht mit Sichereit ermittelt. Während einige Borfcher behaupten, ana pocken feien ſchon im jüdijchen und und lange vor der chriftlichen Beitrehmung im Indien, China und Japan einheimiſch gewwe- fen, verlegen andere das Auftreten ber Blattern im bie nachchriſtliche Zeit: Am wahrfcheinlichften, weil am begrünbdetten, ift dieAnnahme, daß die Pocken zuerft im Jahre 572 n. Chr. ©. in Afrika , und namentlich in Aethiopien aufgetreten

nicht unmittelbar, fontem gebt eine wiederum einige Tage anhal-

——

ide * rd ‚Tages ber VBorboten beginnt der Ausichlag in Form einer kleinfleckigen Röthe, die zuerft im Geſicht zu bemerken iſt und ſich von da aus ſchrittweife über-die anderen Theile des Körpers in der Richtung von Oben nach Unten auöbreitet. Auf den reiben, liniengroßen Flecken erheben ſich alabald kleine Knötchen, ‚Die an Umfang zunehmend, ſich zu einem Bläschen umgeſtalten, Das einem anfangs hellen, fpäter trüben Inhalt und in feiner Mitte eine Einziehung, Delbe oder Nabel genannt, erfennen läßt und nunmehr das Darftellt, was man als eigent- liche Pockenpuſtel bezeichnet; eine ſolche Puftel erreicht iſolirt die Größe einer halben Erbſe. Mit dem Auftreten des Ausſchlages mindert ſich in vielen Faͤl- len das Fieber, wie bie übrigen Symptome. Am 3. bis 4. Tage iſt im Ge— ſichte die Buftelbildung Schon vollendet und am 8. Tage der Ausfchlag auf ſei⸗ nem Höhepunkt angelangt. Gegen den. 6. Tag röthet fid) die Haut in der Um ‚gebung der Pocke von Neuem, fie f an, zugleid) vergrößert fich die Pocke und wird, indem die Delle erfchwindet;; balbfuglich,, der Inhalt der Pufteln nuͤbt ſich mehr und mehr und gejtaltet fich zu Eiter um, ein Vorgang, der wie derum vom einem mit ermeneter Heftigkeit tobenden Kieber, dem ſogenannten Girterumgsfieber, eingeleiter und begleitet wird. Meift ſtehen die Pocken am einzelnen oder mehreren Stellen, gang gewöhnlich im Geſicht Dichtgedrängt und flieñen zufammen, Gin Läftiger Speichelfluß tritt auf der Höhe der Krankheit ein, Es erfolgt nun, in der Regel um den neunten ober. zehnten Tag, dad Eintrock⸗ nen der Puſteln in der Weife und Reihenfolge, wie diefelben entftanden find, und dauert fünf bis fieben Tage. Allmälig, meift fpät erft nach zwei bis brei Wochen erfolgt dad Abfallen der ſchwarzen Kruften, an deren Stelle noch längere Zeit fhmugigebräunliche Flecken und eine Fleicnartige Abſchuppung der Oberhaut zurüdbleiben, die nah und mad) mehr oder weniger entftellende Darben, allgemein ald Blastergruben befannt, hinterlaſſen.

. Die Pocken und bie Impfung. 847

Bon diefem in-feinen Hauptzugen dargeſtellten Verlaufe der Boden finden ich zahllreiche Abweichungen. Diefelben hängen bald von dem ſharakter der einzelnen Epidemie in der Weiſe ab, daß das eine Mal alle oder doch die mei⸗ ften Fälle auffallend mild. umd gut verlaufen, das andere Mal eine beſondere BöBartigkeit der einzelnen Erkrankungen underfennbar iſt. Am ſicherſten wirt der Verlauf des Borken durch Die Impfung verändert in ber Weile, daß man früher tie nach ‚erfolgter Impfung auftretenden Blattern als eine eigene. Art anzufehen geneigt: war; wir fommen im Zolgenden ausführlicher auf letztere - Zorm der Blattern zuräd, Der Tod tritt bei den Mentchenpoden nur felten während der Vorboten,, beögleichen felten währent bed Ausbruches, häufiger fhon während der Eiterungsperiode in Yolge des heftigen Ficbers ein, ‚oft find den Verlauf complieirende Erkrankungen innerer Organe oder fidh nach dem Ab- Heilen auſchließende Rachkrankheiten die Todesurſache. Bleibt der ven den Boden befallene Menſch am Leben, fo behält er in der Regel mehr oder weniger, oft in der ſchrecklichſten Weiſe entftellende Narben, oft aber if der Verluſt der Augen oder Des Gehoͤres zu beflagen; oder es bleiben Steifigkeit oder Laͤhmun⸗ gen einzelner Glieder, Berfrüppelung, befonder& der Arme u. f. w. zurüd, Da ber der Ausſpruch von La Gondamine, daß die Borken früher ein Zehntel der Menſchen tödteten, ein andered Zehntel verfilümmelten, feine volfommene Bes rechtigung bat. Wer Blindenanftalten zu bejuchen Gelegenheit gehabt hat, kann fich leicht die Gewißheit verfchaffen, daß die Hälfte Ter dort untergebrach⸗ ten Blinden durch Die Blattern das Licht Der Augen verloren bat. Die unter den Ramen der [hwarzen Pocken im Volke bekannte und mit Recht fehr gefürchtete Form iſt von beionderer Bösartigkeit; die Puſteln zeigen bier früh ſchon einen dunkelrothen Inhalt, der Durch ausgetretenes Blut entſtanden ift; meift finden fich auch noch Blutungen aus anderen Organen, and den Lun⸗ gen, Magen, Darm u. f. w., ein und faft ſtets beſchließt der Tod frühzeitig das Leben der in diefer Weiſe befallenen Kranken.

Selbſt bei milden, günftig endendem Verlauf bilden die Boden eine höchſt läftige, die mannichfachiten Beſchwerden barbietende Krankheit. Reiſt liegen die Kranken mit dick gefchwollenen, verfchloffenen Augenlidern da; Schlingen und Sprechen ift, da fih auch im Munde und der Naſe Puſteln bilden, erichwert, ein beträchtlicher Speichelftuß beläftigt Den Kranken; anfangs iſt ed Die Span« nung, fpäter ein unerträglicheö Juden der Haut, welches den Kranken martert, dem er aber, wenn er nicht mit tief entftellenden Rarben, langwierigen @efcdywit- ren und Brand einzelner Theile es büpen will, Teine Folge geben darf. Ueber⸗ dem drohen Gefahren von allen Seiten und zahlreiche Nachkrankheiten find Die gewöhnliche Helge. |

Die Boden entfliehen in allen Fällen nur durch ein eigenthümliches fpeci» fiſches Contagium, das Bodencontagium, das von einem Individuum auf das andere übertragen wird; ein felbfiftändiges Entitehen der Blattern ohne Wirkung und Hülfe eines Gontagiums iſt gegenwärtig wenigſtens im höchſten Grade unwahrfcheinlid. Bon weicher Natur das Pockencontagium ift, iſt zur Zeit noch gänzlich unbefaunt, da man es bis fcht weder witrontanisn, vnia,

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durchfeuchtes Individuum ganz ficher Boden hervorrufen

gift iſt aber auch Aälftigee Rat und feheint in den Arrsdünftungen des Krate fen enthalten zu fein, da man zahlreiche Fälle der in diefer Weife erfolgten Ans ſteckung beobachtet, Bis zu welcher Entfernung hin durch Die Ausdünftung Anſteckung erfolgen könne, iſt nicht mit Sicherheit ermittelt, doch ſcheint die Wirkung auf einen ziemlich engen Raum befchränft. In anderen Theilen und Ausſcheidungen des Kranken wie im Speichel, im Harn und Kothe, ebenfo im Blute ſcheint das Pockengift nicht enthalten zu fein, da Die Verfuche durch Ucher- tragung dieſer Theile, Pocken bersorzurufen, bis jet fehl gefehlagen find. Es iſt ferner befannt, daß das Gontagium fidy ſehr Tange erhält und eine große Wi- derftandafähigkeit beſitzt. Wenn man es vor ftörenden Einflüffen ſchützt, Tann

man es obne große Schwierigkeit ſelbſt durch Jahre aufbewahren; natürlich hat man diefe Verſuche nur mit dem an den Pockeninhalt gebundenen, firen Conta- gium gemacht, Durch Eintrocknen erleidet es keine Veränderung, doch zerſeht es ſich, wenn ſchon langſam, an der atmosphärffchen Luft; am ſchnellſten wird es durch hohe Wärme zerftört. Aus unbefannten Gründen ift die Wirkung des Porengiftes im den einzelnen Fällen eine verſchieden mächtige, bald fehr ftarf, bald ſehr mild; von einigem Ginfluß fcheint hierbei Die Menge der Poden- puſteln zu fein, ſo daß ſich mit der Zahl der Puſteln auch bie Stärke ber Wir fung fleigert. Obſchon ficher bei jedem Pockenfalle das Gift ſich entwickelt, ſo ift ed doch, namentlich in ben vereinzelt vorfommenden Fällen in feiner Wirk⸗ famfeit fo ſchwach, daß andere Individuen davon gar nicht oder nur, wenn fie befonders disponirt find, davon befallen werden. Intereffant ift, daß das Eon tagium ber Puſteln wicht zu jeder Zeit und unter jedem Verhältniſſe gleiche Wirkjamfeit änfert; durch zahlreiche Verfuche ift fo feftgeftellt, daß namentlich ber Grad der Emtwicelung der Bodenpuftel einflußreich und beftimmend für die Kraft des Giftes ift; die ftärffte Wirkſamkeit befigt daſſelbe, wenn es von ten

ste REN:

wiffen Zeitraums. wieder und dauern dann eim bi ein und ein halbes Iahr-an; ſe treten B. in Berlin, * en an ee

fallend mild. und Todeafälle find felten, —* en tar tödtlicher Ausgang wird auffallend haͤufig beobachtet; auch hiervon kennt man zur Zeit ben Grund nicht im Entfernteften. Am beſten beurtheilt man die Bösartigfeit nach den Todesfällen, hier zeigen ſich auffallende Verſchiedenheiten. Während 3. B. in Schweden in den Jahren 1821 bis 1823 je ll —* und 37. Todesfalle vorfanten, ſtarben 1824 560 am den Blattern.

Kein Alter, kein Stand, Feine Menjchenrace giebt es, geſchuͤtzt wäre, die Dispoſition an den Boden zu erkranken, ſcheint eine ganz allgemeine. Man hat unzweifelhaft Fälle beobachtet, wo das Kind im Mutter-⸗ leibe von den Borken der Mutter angeftet wurde und mit: ee pufteln zur Welt kam. Im dem früheften Alter bis zum zweiten Jahre find die Inte Dee Faire küufagn; erden |

pe fonber ter ef auf ie wien unfeer Gandiioe eis wirft und hier ef Die, abgeſehen von den Mo- ten, in allen Sauptpunfen ben Pocken der Mens

bie jept’einein Boctenausfchlag nicht beobachtet. ° Dagegen follen fidh Poctenibei unferem Federvich, Gänfen, Enten, Tauben, Truthühnern finden; dody ſind die— jelben noch nicht genauer bekannt. Am verbreiterften und Häufigften finden

wichtigften die Boden der Kühe, JEPE TE 07 IE AETI ZN” Die Schaafpoden gleichen ah een poden ſehr. Sie find ſeit Ende des ſechszehnten Jahrhunderts bekannt, ent⸗ ſtehen namentlich in Frankreich, wie im Ungarn, Bolen und Rußland originär und’ werden nach Deuiſchland meift durch Anſteckung verfchleppt; jetzt find ſie auch bei uns häufig genng. Sie treten meift in größeren oder kleineren Epide- mien auf, bald mit qutartigem, bald mit fchr bösartigem Werlaufe. Das Con» taglum befigt eine fehr beträchtliche Dauer, haftet an Allem, was mit dem franz fen Thiere in Berührung gekommen ift, wird ſehr leicht verfchleppt, kann fich aber auch durch die Luft auf benachbarte Heerden verbreiten. Es geben fat immer eine beträchtliche Anzahl vom Thieren einer an den Pocken erkrankten Heerde zu Grunde. Laͤmmer können im Mutterleibe von der Krankheit durchſeucht und: dadurch ſpaͤtet unempfänglich für viefelbe werden, Auch hat man bei ein⸗ zelnen Zämmern Poskenausfchläge zugleich mit Boden des Mutterthleres geſehen. Bon der größten Bedeutung ift für uns die Kuhpocke, variola vareina, Sie finder ſich urfprünglich nur bei den Kühen an den Strichen oder Zigen des Euters; bei dem männlichen Rindvich entſteht fie nur durch Anſteckung. Wo—⸗ durch die Kuhpocken entftchen, ift nicht ficher bekannt, man befchuldigte theils die Maufe der Pferde, theils die Menſchenpocken, ohne beide Annahinen ftreng bes weijen zu fönnen, doch hat die leptere Vermuthung neuerdings mehr Wahrſchein-⸗ lichkeit erlangt. Die Kuhpocken entſtehen gewöhnlich und am bäufigiten ohne

Die Polen uud Me Impfung. 351

bekannte Urſache, finden ſich befonders im Frühjahr in den Monaten Mai und Juni, nur bei weiblichen Thieren , vorzüglich Jugendlichen, namentlich gerel neumelfenden. Ya ihrer Bildung gleicht Die Kubpode ſehr der Pockenpuſtel des Menſchen; fie entwidelt fi Tangfam und regelmäßig, typlih, und gelangt in⸗ nerhalb acht bis zehn Tagen zur Neife, die Kruften bleiben oft ein bis zwei Wochen zurüd; bie Puſteln zeigen im Innern ebenfalld eine fücherig-zellige Struktur, fo daß fle beim Anſtechen nicht zufanımenfallen, fondern nur einen heil ihres Inhaltes der anfangs klar und Didflüfflg, foäter eitrig ift, ergießen. Sie firllen für die befallenen Thiere eine leichte, von ſelbſt vergehende Kranke beit dar, Ä

Unter Impfen, Inoculiren verficht man die mit Abftcht künſtlich vor⸗ genommene Ucherpflanzung einer Krankheit, bezichendlich des die Krankheit ent⸗ haltenden Körpers auf ein gefundes Individuum, wodurd, wenn Die Impfung als eine gelungene oter mögliche anzufehen fein fol, in dem geimpflen Indivi⸗ duum bie gleiche Erkrankung hervorgebracht wird und zum Vorſchein konmmt. IR eine ſolche Impfung gelungen, fo ift Damit Die contaglöje Ratur einer Kranke heit ganz entjchieden dargetban. Wir haben die Boden beftimmt als eine con⸗ tagiöfe Krankheit bezeichnet; fe iſt e8 auch, da mit den Boden tie mannigfals tigften und gelungenften Impfuerfuche vorgenommen worden find. Bur nähern Erläuterung mögen nachfolgende Beobachtungen Lienen. Echon oben haben: wir erwähnt, daß man die echten Menfchenpoden am ſicherſten dadurch übertra« gen könne, daß man die in der Puftel enthaltene Flüſſigkeit in einen Hautriß eines gefunden Menſchen einftreicht ; Dies ift eben eine Impfung. Man hat biefe Berfuche weiter ausgedehnt und das Pockengift des Menfchen auf Kühe geimpft und dadurch Kuhpocken erhalten, ja man Hut Die fo erhaltenen Kuhpocken wieder auf den Menſchen zurüdgeinpft und bierauf Schuzpocken erhalten. Ebenfo hat man mit deu beften Erfolge Kuhpoden auf Schaafe und von dieſen auf Menfchen übertragen durch Impfung. Trägt man bie bei der Maufe der Dferde fi abfondernte Flüſſigkeit auf Kühe und auch auf Menſchen über, fo erhält man ebenfalls Boden. Ebenſo laffen ſich Kuhpocken auf faſt alle unfere: Hausthiere übertragen, wenn ſchon fic dabei zum Theil ihre charaktrriſtiſchen Eigenthümlichkeiten einbüßen. Auf Federvieh ift eine Ucbertragung ter Kuh⸗ poden biso jegt nicht gelungen. Haben nun diefe Impfungen die contagiöje Ratur ber Polen ganz außer Zweifel geftellt, fo dienen fie zugleich der oßen ausge⸗ ſprochenen Behauptung zu weſentlichen Etuͤtzen, daß Die verſchiedenen Boden, ferner nur Unterfchiede des Grades, nicht der Art darftellen. Dies geht auch baraud hervor, Daß tüchtige, mit Pockenkranken viel beichäftigte Aerzte den Ueber⸗ gang und das Uebertragen einer PRodenform auf ein anderes Individuum in der Weile, daß ſich aus Varioloiden wirkliche Blattern, aus wirflichen Plattern Va⸗ rioloiden bilden, in ganz unzweifelhafter Weije beobachtet haben. SEelbſt bei den Epigpoden findet ficher eine Uchertragung flatt und fönnen in einzelnen Bällen durch diefelben wahre Blattern zum Ausbruch kommen. CErwaͤhnenswerth iR noch, daß man in Indien neuerdings unter dem Rindvieh epizootlich herr ſchende Boden zugleich mit cmidenijch herrſchenden Menſchenpocken beobachtet hat.

352 nuntumt Nediein. u

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che —— ar har re

Jahren LTLI— 1740 in London 658,383 Menfihen an den Poren farben, kamen nach der allgemeineren Einführung der Variolinoenlation 1771—1800 immer noch 57,268 Todesfälle durch Pocken vor, Mit Recht ift daher dieſes Impfoerfahren gegenwärtig ganz verlaffen, da ein anderes, ficheres, Leichtered und unſchadlicheres Impfen an feine Stelle gefegt worden ift. —— Die geſchichtliche Bedeutung der Variolimpfung Hoch genug anzuſchlagen. Es iſt im frühern flüchtig erwähnt worden, daß für den pocken eine bejondere Bedeutung haben. Die eminente Wichtigkeit der KuhpockenTiegt in dem Umſtande, daß diefelben, aufden Men— ſchen geimpft, mit großer Sicherheit einen aufden geimpften Drtbefhränften Pockenausſchlag hervorbringen, durch wel⸗ hen das geimpfte Individuum dor. ben Menfchenbla tterit ges hät iſt. Auf diefer wichtigen Erfahrung beruht die jept zum Geile der Menichheit faſt überall ausgeführte Kuhpocken- oder Schukpodenimpfung , Die wir im Bolgenden kurz nur ald Impfung bezeichnen wollen. 00.000 ‚Dem englijchen Arzte Edward Jenner, geboren 1749 zu Berkeley in Glou⸗ cefterjbire, geflorben 1323, war e8 vorbehalten, bie wichtige Ihatfache vom bein Schutze der Kuhpocken gegen Menſchenpocken, wenn ſchon nicht aufzufinden, fo doch näher und umwiderleglich zu begründen und diefelbe zur allgemeinen Geltung und Anerfenmung zu bringen. Es ift ganz unzweifelhaft, daß ſchon vor Jenner Die Schugfraftider Rubpoden: befannt: war, wie dieſes Verbältniß schon im Jahre 1763 von dem Landprebiger Heim im Stoltz ausgeſprochen wurde; ſchon

Die —— in Be gan

Landlenten dieſet —8* war. der Glaube verbreitet, Daß die Menfchen, ‚bie ſich beim Melken der pofenfranfen Kühe Kuhpocken zugezogen hätten, was ziemlich leſcht geſchieht, vom den Menfihenblattern befreit blieben. Jenner war mit diefem Olauben fehon feit dem Jahre 1770 befannt 202, den Grund oder Ungrumd diejer Behauptung in Der forgfältigiten Weile vorurtbeild« frei zu prüfen, Seine Beobachtungen find von um fo größerem Werthe, ald er allein arbeitete, da es ihm nicht gelingen wollte, andere Aerzte Dafür zu Änterefit» ven; fie find um fo geiftvoller und ſcharfſinniger, als die Kuhpocken ſelbſt in jenen mit Mindvichzucht fich fa allein beichäftigenden Gegenden keineswegs häufig find, noch feltener aber die Poden gerade in jenem Buftande zur Beob» achtung zu erhalten find, we fie einen mit Erfolg impfbaren Inhalt darbieten,

Wie jelten im Allgemeinen felbft gegenwärtig noch, wo bie allgemeine Aufmerk- ſamkeit darauf gerichtet if, Kuhpocken zur Beobachtung kommen, ergiebt ſich unter Anderem daraus, daß z. B. in Wiürtemberg innerhalb eines Zeitraumes von zehm Jahren mur 69 Bälle von Kuhpocken vorgefommen find. Lebert in Zürich verſtchert trotz forgfältiger Bemühung im den an Rinbwichzucht reichen Schweizerlandſchaften noch Feine reinen, zur Impfung necigueten Boden bei Kühen gejeben zu haben. Bei feinen Forſchungen fand Ienner bald, daß jenes Gerücht von der Schupkraft ber Vaceinablattern allerdings, jcdoch nur theil- weile wahr fei; feine forgfäktigen Verſuche zeigten nänlich, dad nur echte Schutz- pocken eine wirklich hhgende Eigenichaft befigen und daß ſelbſt die normalen Kuhpocken nicht während ihres ganzen Brrlaufes, ſondern nur innerhalb: eines kurzen Zeitraumes Die Schupfraft an ſich tragen. Hiermit hatte er im Jahre 1788 die wichtigfte Grundlage feiner Entdeckung errungen, Es blieb noch ein großer, ſehr weſentlicher Widerſtand zu überwinden, Bei ber Seltenheit der Kubporten im Allgemeinen, wie beöjenigen Zuftandes, in welchem fie ſich zur Impfung eignen, Eomnte von einer Schutziupfung in großem Manpftabe nicht

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eher ‚Jahre die Impfung bereits in Deutfchland ausgeübt ; fie verbreitete fich ee erden * Staaten Europa's wie der ganzen eivilifirten Welt ausgeübt. Doch for und friedlich, wie hienggeichildert, fand die Kuhvpockenimpfung nicht

Es ging der Entdeckung Jenner's nicht anders, als allen anderen großen ur einflußreichen Entdeckungen. Bald nad et ner's erhoben ſich Einzelne gegen die Richtigfeit der Anfichten und Einführung der Maßregel und ſuchten die ganze Lehre mir oft unglaublich wir derfinnigen Eimwänden zu bekämpfen. Dod von Tag zu Tag liefen neue Be— ätigungen der‘ Jennerſchen Lehre ein, Die Thatfachen ſprachen deutlich und um- widerleglich, die Einwände waren fo Teicht zu bejeitigen , daß ‚bie Gegner bald verflummten. &8 iſt zu bedauern, daß ſich neuerdings in den lehten Jahren der Geift des Widerfpruches abermals erhoben, fih eine Menge abfurder und gehaftlojer Einreden geltend gemacht, und hierbei leider bei dem im ſolchen Dingen nur. zw leicht zu falfchen Urtheilen zu verleitenden Vublieum ziemlich zahlreiche Anhänger gefunden hat. Es war namentlich ber franzöſiſche Artil- lerieoffizier Carnot, ber gegen die Impfung in heftiger Weije anfämpfte; ihm ſchloſſen ſich andere Laien, leiter auch bald genug Aerzte, wenn gleich nur ver» einzelt, am. Die Sache griff in der Weiſe um fich, daß neuerdings angeregt durd) Dr. Simon das englifche Parlament, beziehendlich der General Board of Health, einzelne die Iupfung betreffende, befonders wichtige Fragen zur Beant- wortung aufftellte, die audy, und zwar zu Gunſten der Vaccination , bereits ihre Erledigung gefunden Haben. „Einer der wüthendften, dabei aber auch einer der unfläthigften und finnlofeften Kämpfer gegen die Impfung iſt ein gewiffer Dr. Rittinger in Stuttgart, der mit einer daͤmoniſchen Wuth gegen die Impfung, zu Felde zieht und mit einem einer befferen Sache würdigen Gifer daht für + san he Akne na 23

Vi

jübtreichen Ucbergängen und Mittelformen. "68 AR Died um ſo mehr zu beto- nen, bamit Lalen, wie dies fo Leicht gefehicht, fich nicht verleiten Taffen,, Krant- heiten als etwas ganz feft begraͤnztes, unwandelbares anzujehen, DieVorboten find bei den Pocken, wie bei den Varloloiden gleich, ja bei letzteren jogar häufig in mit dem Ausbruche Der Blattern auf der Haut erlifcht Das Fieber milden Blättern, während «8 bei Den echten mehr oder weniger Heftiger anbanert; Wei den Variofoiden find die Bufteln an Zahl meift gerin- gen, oft finden ſie ſich mur ganz wereingelt z fie ließen nicht, oder nur an iveni- ger beſchrankten Stellen zufammen; der Verlauf und die Ennvidelung der ein- genen Pufleln gleicht zwar anfangs dem ber echten Pocken, aber geſchieht rafcher, bie pieite entzündliche Periode und damit das Fiterungsfieber, was bei den wah- ren Poren fo gefährlich wird, Fehlt; das Eintrocknen ver Bufteln geht fhneller. bor fich und Die Kruften füllen ab, ohne Narben in ver Haut zu Hinterlaffen,

wenn ſie wicht durch eigene Unvorfichtigfeit des. Rranfen, Miß handlungen einzelner Stellen, Kragen sc. hervorgerufen werden, Nachfrankheiten finden ſich nur felten. Kodesfülle gehören bei den Barioloiden zu den größten Seltenheiten, während fie bei den echten Pocten ſelbſt im gutartigen Epitenien eine beträchtliche Pro- eentzahl ausmachen, Für legtere Behauptung geben de forgfältigiten ftarifti- ſchen Reſultate aus Älterer und neuerer Zeit Belege, gegen deren überzeugende Bewelskraft nur Geiſtesſchwache ſich fräuben Fönnen. Nach, den Beobachtun- gen zu Kopenhagen während der Epidemlen von 18211824 flarben von 659 geimpften Pockenkranken nur 5, von 158 nicht geimpften Pockenkranken . aber 35. Noch ungünftiger ftellte ſich das Verhältnif bei einer im Jahre 1927 m Digne beöbachteten Epidemſe, wo vor 478 geimpften Blatterfranfen mur einer, von #62 nichtgeimpften aber 93 flarben. Bon 530 Podenfällen, die

gemein ausgeführt wird. * a Alm —* | * IT » * Durch eine im geregelter Weife susgefäben, atgemeins Impfung wird nothwen dig jedes auftretende

after gemildert. Es leuchtet dem ſchlichteſten Verſtande ein,

Boden überwiegend nicht geimpfte Individuen auftreten können, ſo bald die Bewohner der ergriffenen Gegend größtentheils durch Impfung geichügt find. Es iſt eine unleugbare Thatſache, daß in der neueren Zeit ſchwere, bösartige Pockenepidemien inmer localer geworden find, und eigentliche Pandemien in Gegenten, wo bie Vaccination im allgemeinen auöger führt wird, kaum noch vorkommen. Dabei ift zugleich Der Charakter der Krank heit nicht nur bei den Geimpften, jonderm im Allgemeinen meiſt ein milderer geworden. Die Poden gehörten vor dem Einführen der Schugihipfung: zw.

Rab Duinfe machten in Preußen im den Jahren 1776 bis 1780 bie an Boden Geftorbenen den zwölften Teil aller Todesfälle aus, im Anfange des neungehn- ten Jahrhunderts nur den 38,, ja von 1816— 1830 nur den 156. Theil fännmt- licher Todeöfälle aus. In Schweden betrug die Sterblichkeit an den Bosten im vorigen Jahrhundert im Durchfehnitte 12— 15,000, während ſie nach Einfüh- zung der Impfung nicht mehr ein Taufend im Jahre erreichte. Während in Ber» lin in dem Jahren 1781— 1805: bon 292 Lebenden einer.an ben Boden farb, äne berte jich das Verhälmiß in den Jahren 1810—1818 fo, daß von 1795 Men- ſchen nur einer Durch Pocken getödtet würde; in ben Jahren 1818—L831 Fam auf 10,000 Lebende ein Todesfall durch Pocken, 1832—1847 auf 5588 Lebende einer. Noch heutzutage decimiren Die Poden in jenen unelvilijirten Gegenden, in denen die Impfung noch unbekannt-ift, die Bevölkerung in Entſetzen erregen⸗ der Weife; mit derjelben Befllmmtheit ſchwindet auch an biejen Orten die An—⸗ zahl der Todesfälle, wenn die, Maffenimpfung durehgeführt wird, Engliſche

den Boden ergriffen, und. von Befe.qof Rarben sie; 00n.3824 Geimpften wurden 27 von den Pocken befallen, von denen aber: keiner farb. Aber die Geimpften ind auch, wenn fle von Blattern befallen vor den Ungeimpften da- durch jehr im Vortheil, daß fie die Form der Blattern mit milderen Verkaufe befommen, daß Todesfälle zu den großen Seltenheiten gehören und meift von “anderen zufälligen Umftänden abhängen, ſchwaͤchliche oder ſieche Individuen bes treffen; daß fle auch Nachkrankheiten, Samen hessen Aare ee 1 mE ned a may]

"Auf die Zhatfoce, daß bin und wieder Gsimpfte dennoch anıben Blatern ertranfen, ind die Aerzte ſhon jeit 1805 aufmenffam geworben. » Man hat ge funden, daß der Schu, den die Impfung gewährt, nur auf eine gewifle Reihe von Jahren ſich erſtreckt; in unferen Klima erlifcht derjelbe in derftegel 15 bis 20 Jahre nach der Impfung. Warum dieſes Erlöſchen in- dem einen: alle früher, In:dem —— een eb

nun auch nad) dieſer Zeit vor. den Menſchenpocten gejchligt zu bleiben, Hat —— eine erneute Impfung, Revaceination, nach Ablauf eines gewiſſen Zeitraums dem beiten Erfolge vorgenommen, indem Rebaccinirte faſt nie fen. Karen au were engeren —— t —— er Mrd a re Zgän n

‚Ein zweiten, ee Die-Moafopaale’fallenne & liegt in ber Behauptung, daß die Menſchen durd die Impfung the |

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dereien zu. halten, gelgt die bielfach gemachte Erfahrung, daß von den natürlichen Blatt Dune Menfepi hauſtg king am vote arteanten who ſelben erliegee. a Ta N) KENNE "Ndzt minder innglüctiäp haben ae hei re dere fit, als Urſache der aflatifchen Cholera die Impfung "Dit Name der Krankheit deutet dem Laien am, —— ſprung hat; es find dies Gegenden Aſiens, in denen die Impfung‘ tannt war, als die Krankheit ſich zeigte, wo Die Impfung ſelbſt heute 'n * tentheils ihrer Ausführung entgegenſiehht. Daß die Cholera ohne allen inter ſchied mit gleicher Heftigkeit und Bösartigfeit unter einer geimpften, wie unge tft ®Belferung ne, (ffen Dee Beyer ebenfale umbeae, DK wi in I

ee der Borwurf daß bie neh fogenannten Kinderkrankhelten, Mafern, Scharlach, Keuchhuſten ſich nach Eine Impfung in viel bösartigeren und mörderiſcheren Epidemien ge— zeigt. Bu allen Zeiten kommen gutartige, zu allen Zelten bösartige Epidemien bon Mafern, Scharlach u. ſ. w. vor; das Verbältnif der letzteren gu dem erfteren iſt ſelt Einführung der Vaccination ein ungünftigere® worden. Wenn man auch zugeben muß, daß gegenwärtig mehr Kinder an Mafern und Scharlach flerben als früher, fo Legt dies einfach darin, daß durch die Impfung taufende von Kin⸗ bern, die früher durch die Pocken dabingerafft wurden, jet am Leben bleiben und die Zahl der Todesfälle im einer Scharlachepidemie deshalb, weil mehr Ins Dioiditen, die daran erfranfen Fönnen, vorhanden find, größer jein muß; die

ohne Weiteres überzeugt ſein, daß auch Diefer Ginwand das Ziel gang verfehft. Bundaft if weter eine Gleichheit, mod) auch Verwandiſchaft diefer Rranfheit mit den ee —⏑⏑1—— ' ſelben ſchon lange vor ber * dr Er⸗ * namentlich der Zuberfein, weiter und in Bofge beffen zu rinem Häufige

ten, und wenn wir auch in unferen Hoffnungen und Gritartungen Hierbei nicht zu ſanguiniſch fein wollen, müſſen wir doch auf dieſe Thatſache aufmerkfam

machen, wie fie e8 verdient. Es geht daraus namentlich hervor, daß das Be ſtehen derartiger chroniſcher Leiden die Inn fung Feineswegs verbietet. An einer ſtrengen Beweisführung bei der obigen Behauptung Haben es natürlich unfere Gegner gänzlich fehlen laſſen und mit fo blind in Die Welt Hinauspo- faunten Behauptumgen ift es doch Bein wichtigen Berhälmmiffen vom Gegner einen ſtrengem Beweis verlangen

muß, verſteht ſich vom ſelbſt; —— * —** pwingendſten Logik vergebene, lm MT AR Tim dry DB

Man ift noch weiter we —— Dreift- und beſinnn daß

das ganze Menſchengeſchlecht ſeit der Impfung ein in koͤrperlicher Hinſicht ſchlech⸗ ters und elenderes geworden fel, In diefer Beziehung find namentlich die Aeuße⸗ rungen des schon einige Male genannten Nittinger intereffant, der im einer ſei⸗ ner Schriften gegen die Impfung über dad Würtemberger Volk wörtlich äußert: „Der Ausſpruch wird nimmer zu hart Flingen, daß Das wirtemberger Land zu einen allgemeinen Kranken⸗, Zucht und Armenhaufe geworden ſei, über deffen innere Faͤulniß eine innere Windſtille koſet,“ Natürlich Alles in Folge der Ims pfung. Nach des fcharfiinnigen Nittinger Anficht fieht: „‚unferem ſchönen Ges ſchlechte der Koth der Impflauche aus dem Geſichte Heraus," und „Die Mehrzahl” der Menſchen ſcheint ihm Über den ganzen Körper mit einem fepmmugigen Grüns gelb bis Bronze gebeizt zu fein.” Wir Haben ‚im Intereffe der guten Sache

2

Temeıer 7,

ee ee ee end ſophilttiſche, feropbulöje oder andere conftiturionelle Krank beiten übertragen würden. oder doch könnten, hat man ebenfalls

als Einwand erhoben, Die Schwere und Bedeutung dieſes Einwandes ift vom den Impfärzten alsbald anerkannt worden, und da die Möglichkeit einer jolchen Uebertragung im Voraus nicht unmittelbar „beitritten werben konnte, durch eigene Verſuche, wie, durch zahlreiche zufällige Beobachtungen geprüft worden. Die-Refultate waren nur günftige, ja man kann jagen glänzende. Man hat zur Erörterung, und die Wichtigkeit der Sache rechtfertigt Dies vollfommen, unmit- ielbar von beftimmt an Syphilis Franken Kindern, ebenjo auch von Kräpfranfen abgeimpft, ohne auch nur die geringften übeln Folgen danach wahrzunehmen, Die genannten Krankheiten find aber gerade ſolche, Die erfahrungdgemäß am allerleichteften übertragen werden Fünnen, Cs verfleht fich von ſelbſt, Daß man mur-aus einer wohlgebildeten echten Kuhpocke impfen und diejelbe nicht mit Ause fcehlägen ganz anderer Naturwerwechjeln darf; benn wenn mam freilich aus einer jophilitifchen Buftel impfen wollte, würde unzweifelhaft eine Anſteckung erfolgen, Solche Irrthumer find, da das Impfen eben nur von Sachverſtaͤndigen betrie> ben werden darf, heutzutage große Seltenheiten, ja unmöglich, und went fie je vorfämen, kann man fie nur auf Rechnung einer Nachläffigkeit des Arztes, nicht ber Impfung ftellen.. Daß überhaupt von Eranfen Kindern nicht geimpft were den foll, verfteht jich von ſelbſt, und kommen wir hierauf fpäter zumüd. =... Wir haben eben die Behauptung ausgeſprochen, daß jeit Einführung der Baceination die mittlere Lebensdauer der Menſchen fich verlängert habe. Gegen dieſe von den verſchigdenartigſten Beobachtern aufgeftellte Thatſache, deren Miche tigfeit man micht wegläugnen fonnte, ift namentlich von dem Franzoſen Garnot geltend gemacht worden, daß diejer Beobachtung im Wefentlichen nur eine Vers rũckung der Sterblichkeit zu Grunde liege, indem nur für Die dugend und das fpätere Mannes⸗, wie das Greifenalter bie Sterblichfeitsverhältniffe günftiger geworden feien, dagegen gerade in dem Alter von 20 bis 40 Jahren, im ber zu⸗

—— Ne ii ee feien feit der Impfung überhaupt felten worden, niemals wieder in ernſteren Epidemien aufgetreten und hierauf gründe ſich der jcheinbare Nugen: der) Inı- pfung. Es wäre Died allerdings eine bequeme Art und Weife die unangenehme Gegnerin, die Baceination, mit guter Manier los zu werden, wenn man nur dieſen jo plaufibel erjcheinenden Grund nicht eben jo ſchnell entkräften könnte, wie die übrigen Durch ben einfachen Beweis der Unrichtigfeit. Jedem Atztt ift

nen, es ift dies aber der Impfung zu verdanken und es | geſehen, einer ihrer wejentlichiten Vorzüge, der allein ſchon —— regel als eine der nothwendigſten und heilſamſten erſcheinen zu laſſen. Im Uebrigen haben: dieſe vereinzelten Pockenepidemien jedes Mal gezeigt, daß ſie noch dieſelbe Bödartigkeit der früheren Jahrhunderte haben und dargerhan, daß gerade die Ungeimpften am gefährlichſten von den Pocken heimgeſucht werden. Es fei und erlaubt Hier noch) einigeRefultate mitzurheilen, die auf's unwiderleg⸗ lichſte darthun, in wie weit günftigeren Verbältniffen bei Pockenepidemien ſich die Geimpften befinden. Im der nee —— Auguſt 1831 ſtarben von der nicht allgemein geimpften Bevölkerung von 101,962 Menjcben 1169, unter den geimpften Soldaten -v0n.2299 Bann nur zwei an den Blattern. Im einer fpäterem Epidemie ebendaielbft von 1838 1839 flarben von 105,456 Bewohnern 686, von 2186 geimpften Soldaten feiner. Mit welcher Heftigfeit und Toödtlichteit die Blattern gegenwärtig in Gegenden, wo man die Impfung noch an en | ee Berichte ber englifchen Aerzte in Indien. I | Auch am anderen Ginwürfen hat lg doch-fiubbiefelbengn 108, als daß wir nöthig hätten, hier weiter Eh jelkmahhapn fagen, wenn man bie Impfung deshalb für verwerflich erklärt, weil dem Men- ſchen dabei etwas thieriſches eingeimpft werde? Ober für unzuläffig, weil man

Wedicin.

rtheit IE MB ur * * > b eine ſehr einfache, Ran mat

tion felöß AR befanntlid

des, meift in der oberen Hälfte des Oberarms, einige —— einer feinen Lanzette, einer Impfnadel u, f. w., die nur eine leichte gen. In dieſe Hautwunde trägt man nun ben entweder unmittelbax aus einer Fersen den in getrocknetem Zuftande aufbewahr- ten Impfſtoff einfach ein. 2 in furger Zelt beendigte Operation, is —— | © Der Berl de in Dee Ze ingeimften ußode iR in Are folgen der: In den erften Tagen bemerft man an der geimpftem Stelle in | e gar feine Veraͤnderung. Am dritten Tage zeigte ſich eine leichte Röthung, auf der ſich bald Knötchen entwickeln, die ſich mehr und mehr in Form eines Blas— hend erheben und ſchon am fünften Tag nach der Impfung einen flüfftgen In» halt erkennen laffen. Bis zum achten Tage hat fich die Puftel vollftindig ent⸗ wickelt und ftellt alsdann wine halbfuglige, in der Mitte mit einer Vertiefung verfehene, von einen leichten rothen Saume umgebene Blaje von perfweißer Barbe mit einem Klaren zäbflüffigen Inhalt dar, der in einem zelligemafchigen Gewebe enthalten iſt, weshalb Die Puftel beim Anftechen nur einen Theil des flüffigen Inhaltes ergiecßt und nicht zuſammenfällt. In den naͤchſten beiden Tas gen nimmt Die Röthe in ber Umgebung der Bufteln an Umfang zw, fo daß fie einige Zoll im Umkreiſe erreicht, Die Farbe wird dunfler, die Haut ſchwillt an, gleichzeitig Füllen fich die Puſteln mehr, der Nabel gleicht ji aus; der Inhalt truͤbt fich und wird eitrig. Nach weitern zwei Tagen verſchwindet Die Röthe von der Peripherie aus und die Puſteln beginnen einzutrodnen, bilden eine dunkel⸗ braune Krufte, die nach Fürzerer oder längerer Friſt abfällt und an ihrer Stelle eine weiße, mäßig tiefe, vielfach ſich durchkreuzende Narbe zeigt, Während der rothe Hof ſich ausbreitet, bemerft man u leichte, fich jedoch —* verlierende * berbewegungen.

Schon aus der des Verlaufes ergiebt ſich, —* die mation eine leichte, ganz gefahrloſe Operation iſt, Die ale folde bei der Beurrbeilung der Impfung ganz außer Rech— nung gelaffen werden darf. Wenn von Eingelnen geltend gemacht wurde, daß die Impfung ſelbſt öfters von bedenklichen Symptomen begleitet ſei, üble Nachkrankheiten mit fich führe, ja den Tod zur Folge haben könne, fo find bie hierbei angezogenen Erfahrungen fo eminent jelten, daß fie gegen die Millio— nen von Impfungen, bie ganz gefahrlos vorübergehen, gar nicht in Be—

Kragen u. fe wi und Hält den Impfling in den Tagen der Ficberbrwegung and Vorſicht im Zimmer; find Die Fiebererſcheinungen gering ‚fo kann man ihm bei günftigem Wetter ganz unbedenklich den Genuß der freien Luft vergönnen, >

Bei der Impfung ſelbſt Hat man gunädfi darauf zu ach⸗ ten, db man nu v9 utt Lomphe re EEE

Vorwurf, etwaige zufällig nach der Impfung auftretende Kranfbeiten verſchuldet zu haben, GBwar iſt, wie früher erwähnt, ſicher nachgewieſen, daß Krankheiten bei einem vorſichtigen Impfen nicht übertragen werden, das Befolgen obiger Regel aber um fo zweckmaͤßiger, ald ed unferem natürlichen Gefühle und unjeren

ganzen Anſchauungen wiberflreitet, von einem franfen, elenden inte einen Stoff zu entnehmen und auf einen anderen Menjchen zu übertragen. Im Uchrigen fommt ein derartiges Verfahren heut zu Tage kaum nod) vor und wird nament⸗

lich dann, wenn man die Kinder in Gegenwart der Eltern impft, von der Icpte- ven ſelbſt gewiß nicht geflatiet werten. Der in vielen Gegenden weit verbreitete Glaube, das Abimpfen fei nachtheilig für die Kleinen, ift ganz irrig; ber Schuh iſt derfelbe; ja ſelbſt wenn man die Vodenpuftel vor ihrer vollfommenen Aus- a a

> ——

ntonate, Alle dieje Rüdfichten jegt man hintenan, TE Poceenepidemie herrſcht; es ift alsdann einzige Aufgabe, alle vorhandenen Indi viduen fo ſchnell als möglich mit Kubpodencontagium: dem Umſichgreifen der Epidemie Schranken zu fegen. Kleine Uebelſtände, die hierbei die Impfung im Gefolge haben könnte, können nicht beachtet werden, ja ‚fie Dürfen es nicht im Intereſſe des Einzelnen, wie der geſammten Bevölkerung. Auch die Art, wie man die Impfung vornimmt, ift nicht gleichgültig; - Die ne tree en h. jene Methode, wo man

Pode von dem Arme eined Kindes ben

Es vereinigt dieſes Jmpfoerfahren alle Vortheile, es iſt ſchnell und leicht auszuführen, es giebt die größte Sicher- heit für einen regelrechten Verlauf und dadurch auch für den Schuß; zugleich Haben dabei die Angehörigen die beſte Gelegenheit, ſich durch den Augenfchein son der Wahl des Impflings zu überzeugen. Leider läßt es ſich jeborh nicht he paar und man muf dann eingerrodnete Lymphe benugen.

"Nur regelmäßig verlaufende, gut gebildete und in nicht Anzahl vorhandene Kuhpocken gewähren den ger impften Individuen einen ausreihenden Schuß gegen bie Menfchenblattetn. Es ergiebt ſich hierand die Nothwendigfeit, den Ver— lauf der Impfung genau zu verfolgen und nur ſolche Kinder für geimpft zu er⸗ klaͤren, bei denen die Entwickelung der Boden eine regelrechte war. Namentlich foll man die Aufmerkſamkeit auf die im Verlauf der Boden auftretende peripbe- riſche Rörhe richten; von vielen Eltern wird biefelbe irrthümlicher Weife für ſchaͤdlich gehalten, da dieſelbe vielmehr neben guter Entwidelung der Blatterm ale das ficherfte Zeichen der erfolgten Durchſeuchung angeſehen werden muß; -

——— —— des Lebens im Mutterleibe, durch Blättern, —— aberſtanden Hatte, ——

unempfängfich worden find.

achtungen, nach denen mie fen and nn amd fein ſcheinen und ohne geimpft zu fein, trotz eines fortge» fetten Tebhaften Verkehrs mit Vockenkranken dennoch frei bl

ch "Sei folgen Inbiötduen- mod anfehlägt. <= Wenn Kinder-an fogenannten Gefägmälern (Teleangiectasia) leiden, impft man zweckmäßig auf ae um ſie dadurch zum Verſchwinden zu bringen. een Men Die allgemeine Durchführung der Impfung tft es, die wir zum Schluß a Näher betrachten müflen. Die Nothwendigkeit einer allgemeinen Impfung bier in Breite auseinanderzufegen, haben wir nicht nöthig, —— ee zur Genüge ergiebt. nt uni run "De Befinmmtgeir muß man Ah dafür-entfeiden; bafdie Impfung von —— und zwangsweiſe durchgeführt werde. Nur dadurch kann der Erfolg einer möglichſt bollſtändigen Durchſeu⸗ hung aller Individuen und damit eine immer engere Begrenzung der Pocken⸗ evidemien erzielt werden. Die billigen Declamationen, mit denen man noch heut» zutage gegen bie wangsweiſe durchgeführte Impfung ankämpft leider iſt man in manchen Staaten noch immer nicht zur Annahme eines Zwangsverfahren ges fommen, indem man diefelbe als eine Bejchränfung ber perfönlichen Freiheit eng Servern einge wenn we daß; eben in

beſchweren, wenn fir dazu gezwungen werden, ba Fein Staatsbürger das Recht hat, und dadurch ſich nicht nur, ſondern feine Miburger

Oben. &o gu a nit ya et

Baschfüßnen: eine frhwiligen Auupfung erſchwert; ſolche Mens ſchen wollen es nicht anders, fie müffen gezwungen werden, nach dem bekannten Otundſatze wer dumm iR, muß geprügelt werden. Daß die wangeinpfung übrigens ohne große Schwierigkeiten überall ansführbar it, davon geben ung viele Staaten, in denen dieſelbe unangrfochten feit einer längeren Reihe vom Jahren befteht, Zeugniß; fie hat Hier Die glängendften Mefultate geliefert. Im - einzelnen Staaten, 5. B. in dem fonft auf feine Intelligenz mit Recht fo ſtolzen Sachſen, harrt fie troß vielfacher Mahnung immer noch der Erfüllung, Dem Staate erwaͤchſt Hierbei auch Dir Aufgabe, für ſtets vorhandene gute Lomphe zu forgen; dies geſchieht meiſtens durch befonders für dieſen Fweck errichtete Impfe inſtitute, die nebenbei die Aufgabe haben, den Gegenſtand wiſſenſchaftlich weiter zu verfolgen, für Erneuerung der Lyinpbe durch Rückinwfung auf Kühe, wie died z. B. in Berlin geichleht mn, ſ. w., Sorge zu tragen. In einigen Staaten erhalten die Beiger von pockenkranken Kühen, die Davon —* Prämien,

Die Bwangeinpfung muß, wenn fie den richtigen Erfolg: gmeäfrn fl, tn‘ Mindehalter audgrführt werden. Man erreicht Dadurch den ungeheuren Vor⸗ theil, dag man bie Zabl derjenigen Individuen, bie bei einer zum Ausbrud, Foms menden Pockenepidemie ergriffen werben, auf Die möglichft kleinſte Zahl reducirt und jo der Anbahnung des legten Zieles, der gänzlichen Ausrottung ber Boden, immer näher Eommt, Außerdem hat die Beobachtung nelehrt, daß im Findlichen Alter die Kuhpocken ſich am Fräftigften entwickeln, den argefrachteften Valau⸗ haben und jo den ſicherſten Schug gewähren.

Wie bereitd erwähnt, Dauert der Schuß, den bie Snpfung gilt, nur eine gewiffe Zeit hindurch an und erlifcht in der Regel mach 10 bis 20 Jahren, Die Dauer diejed einen ſicheren Schug gemährenden Zeitraumes iſt in den ein⸗ zelnen Fällen eine verſchiedene umd die Gründe diefer Differenz noch nicht gen

Die Hoden: > De Impfung. 868

bekannt, obſchon fie häufig nicht auf einer indiniduchlen Dispefttion beruhen Man hat daher ſchon feit.ungefähr dreißig Iahren eine Wiederholung ber Tun’ pfung nach Ablauf eines gewiſſen Zeitraumes vorgenommen und hierdurch Re fultate erzielt, Die der Bornahnee der Renaccination, wenn nicht im Allgemeinen, Doch hei jeder auftretenden Vockenepidemie auf die eindringlichfle Weiſe Das Wort reden; Fe ift in ſolchen Faͤllen ſtets bei allen Individuen, bie bereits vor längerer Beit geimpft werben find, vorzunehmen. Ob noch deutliche Narben son der früheren Impfung vorhanden find, ift bigrbei ganz gleichgältig,-da das Borhandenfein ber Narben durchaus nicht für die Fortdauer des Schutzes ſpricht. Die ‚Zeit, in der man bie Revaccination, wenn man fie methodiſch betreibt, vor⸗ nimmt, ift in der Regel dab zwanzigſte Lebendjahr; in jenen Fällen, wo bei der. en fen Impfung nur wenige Puſſeln ſich entwidelt Hatten, thut man wohl, ſie ſchon frühen vorzunehmen. Die Repacrination darf nur mit frifcher, unmittelbar der Buplel entaommener Lymphe ausgeführt werden, be fie ſonſt Leicht mißlingt. Ein: Schaden ift durch eine einmal oder mehrmals. audgeführte Revaccination niemals zn befürchten; if das Inbivibuum noch geichüt, jo bleibt natürlich Die Impfung: ohne Erfolg und alle weiteren Bolgen des Operation fallen damit hinweg.

Die allgemeine Impfung hat durch beſonders zu dieſem Zwecke ver⸗ pflichtete Impfärzte, und alsdann nur von dieſen zu geſchehen. Dadurch, daß man bie Impfung eines Diſtrictes einem Arzte zur Pflicht macht, erleichtert max namentlich den Armeren Claſſen, denen eine Entichädigung bed Arztes nicht an« gefonnen. werden darf, die Impfung, nicht minder auch deren leichtere und fichers Ausführung dem Arzte. Ob und in welchen Fällen die Bornahme der Im⸗ pfung auf eine fpätere Beit zu verfchleben, muß dem forgfältigen Ermeflen des Arztes Tıberlafen bleiben. Die weiteren Einzelheiten, die bei der zwangsweifen Durchführung der Impfung zu beobachten find, Liegen außerhalb ber dieſem Auf⸗ fage gezogenen Grenzen, da fie nur rein Arztliches Interefle haben.

Wenn, wie mit Grund zu hoffen ift, eine allgemein durchgeführte Impfung mehr und mehr Play greifen, wenn namentlicdy auch die Mevarsination Sich mehr Anhänger und Freunde erfämpft haben wird, dann wirb auch ber Zeitpunkt nicht mehr fern fein, wo die Aerzte ſich mit Stolz rühmen können, einer fürch⸗ terlicden Seuche den Boden unter den Füßen weggenommen, fie von der Erde verbannt zu haben. Mag auch noch manches Jahr bis zur Erreichung dieſes Zie⸗ les verftreichen, fo kämpfen wir doch muthig fort, indem biefe Hoffnung auf end⸗ liche Erfüllung als ein glänzendes Geſtirn an unferem Himmel leuchtet. &8 bleibt zu erwarten, ob. die Dankbarkeit kommender Jahrhunderte dem haben Verdienſte, das fi) der Entderfer der Impfung um bie Menjchheit erworben, jenen Tribut nachträglich zahlen wird, den er in befcheibener Weiſe biöher nur in dem kleinen Kreife feiner Bachgenoflen gefunden hat.

Wir wenden uns ſchließlich noch einmal auf die Menſchenblattern zuruͤch um die Behandlung derfelben, nachdem ſie bei einem Individuum audgebrochen, zu berühren, foweit dies hier non Intereſſe. Vielfach bat man verfuckt, nach einer vermutheten Auſteckung. ja nach dem theilmeifen Unsbruche der Boden ei

IV. 24

hei Bodenfranfen mit Erfolg eintrat, —— der Behandlung in der beſten Weiſe ſich bewährt hat und von Kranken dabei Erleichterung

tauſende ihrer Qualen gefunden haben, muß man es

een, wie in vielen Fällen die Podentranten

a αασνα „we 6} Wo es angeht, ift alsbald nad) dem Ausbruche der Blattern, der davon Brfalemenah Möglichkeit zu iſoliren, namentlich find nur ſolche, die gehörig vaceinirt, beziehendlich revaceinirt And, zu demjelben zu Taffen. Wo möglich find bei geeigneten Rocalitäten anzuordnen und dieſe durch mehrere Wochen inne zu Halten; es bezieht ſich die Jſolation des Kranken nicht blos auf die wahren Pocken allein, fondern auch auf die Varioloiden und mit Recht Hat man neuerdings darauf aufmerkfam gemacht, auch bei den Spigpoden vorfichtig zu verfahren. Bei den Kuhpocken ift das Verfahren überflüfflg, da diefe ſich nur durch unmittelbare Uebertragung fortzupflanzen feinen. An Stellen, wo die Poren beſonders gefährlich werden fünnen, hat man im neuerer Zeit mit Gluͤck verfucht , die Ausbildung der Pufteln Hier zu verhin⸗ dern, Wenn dies ftattzufinden hat, mit welchen Mitteln u. f. w., richtet fidy nach der Individualität des Falles und hat der Arzt allein zu beurtheilen, Wir erwähnten 8 hier nur, um darauf aufmerffam zu machen, daß dutch ein ſolches en —— regieren a ee

ten Luz Zum Schluß ICE fogenannten Spig> ober Wafferpoden, die Baricellen. Sie gehören zu den Pocken, da fie ebenfalls durch Gontagion ſich fortpflangen und von ihnen aus, wie mit großer Wahrfcheinlichfeit nachgewiefen worden , auch die übrigen Formen der Boden entſtehen können. Die Spigpoden ftellen eine ganz gefahr» Iofe, ebenfalls meift in Epidemien herrſchende Krankheit dar, die mit einem leichten Fieber, das feiner Leichtigkeit wegen Häufig-überfegen wird, verbunden iſt, die Pufteln entwickeln ſich viel unregelmäßiger und ſchneller, fie ftehen meift ſehr vereinzelt, bilden ſchon oft am zweiten Tage ſich zu Bufteln aus, die im In- T 7

Die Hoden und die Impfung. 371

nern nicht fächerig gebaut find und daher beim Anftechen, indem ſie ihren ganzen Inhalt ergießen, zufammenfallen, fe Hinterlaffen bei vorfichtiger Behandlung Teine Rarben. Gefährliche Zufälle können nur bei großer Vernachläffigung und Einwirken anderer ſchaͤdlicher Momente auftreten. Eine Behandlung im enges ren Sinne des Wortes ift bei den Daricellen unnöthig, man beichränkt fich auf Einhaltung eines geregelten Lebensweife und Vermeiden aller Schädlichkeit. Einen Schuß vor den wahren Boden geben die Spikpoden nicht, fle machen daher die Impfung keineswegs überflüffin.

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Die Rahrungsm td and teen n Arten.

ber ift nicht minder mannigfaltig als die Er⸗

werbung derſelben durch Jagd und Fiſchfang, Viehzucht und Aderbau; fie iſt bei Thier- wie bei den Pflanzenftoffen immer eine doppelte, einmal für ben augenblidlihen Gebrauch, dann für die Verwahrung zum’Vorrath auf kürzere oder längere Zeit.

Je tiefer die Gulturftufe eined Volksſtammes, defto einfacher, deſto mehr auf augenblicklichen Genuß gerichtet ift die Vereitung des Nahrungsftoffes, der bier vornehmlich der Thierwelt entnommen ift,

Die Bewohner der Urwälder von Amerika verzehren Fleine und große In— fecten, bie fie in ber unmittelbarften Umgebung, ja an ihrem Leibe finden, augenblicklich und unmittelbar nach dem Fange; auch ahmen jie das Beifpiel des Ameiſenbaͤrs nach, indem fte einen Stod in einen Ameifenhaufen fteden und bie Thiete an demjelben in ihren Mund laufen laffen. Infectenlarven, die fie im faulen Holze finden, halten fie jedoch erft ein wenig ans Feuer, che fie diefelben verzehren. Größere Thiere werben zuvor ausgeweidet, dad Haar am Feuer ab⸗ geiengt, darauf Die Haut reingefchabt und jodann das Stüd an einen Stod ges ſpießt fchräg gegen das Feuer geftellt. Kaum ift das Thier ein wenig durchbra- ten, jo wird es zerriffen und Alles bis auf die ganz großen Knochen zerfaut; vom Anta wird die Haut mitgegeffen, von anderen das an den Därmen entbal= tene Bett zwijchen ben Fingern gefammelt,

Eben fo einfach ift die Kochfunft der Auftralier, die alle Eleineren Infecten roh verzehren und größere Thiere nur notbdürftig am Feuer gar machen, Die armen Pefcheräh eſſen ihre Schalthiere und Fiſche roh, To wie das bereits in Fäulrtß übergegangene Fleiſch der Thunfiſche, Walen und Robben, der Land« tbiere und Vögel, das fie finden. Die Bufchmänner, deren liebfte Rabrung ebenfalls Fleiſch ift, effen daffelbe nur ein wenig angefengt und Schlangen, Heus ſchrecken und Ameifen werden roh verzehrt, Eben jo machen es die Galifornier.

Die Nahrungsmittel. 373

Das find num allerdings die niedrigften Stufen menſchlicher Eultur, auf * faum von einer ſchirmenden Wohnftätte die Rede iſt und das Familien⸗ leben nur in den erſten Embryonen erfcheinte

Die ſchon in Familien und Stämmen beifammen wohnenden Jäger und Fiſcher entnehmen den wejentlichen Theil ihrer Nahrung wie ihrer Reibung, die in diefer Beziehung bei allen Völkern Hand in Hand gehen, dem Thierreiche.

Die Jägernationen Amerikas Hatten noch zu Anfang dieſes Jahrhunderts

genug Spielraum zur vollen Entwidelung ihrer Gigenthümlichteiten in- den Ländern, die gegenwärtig von den wilden Ausläufern der europäifchen Givilifation mit Beſchlag belegt find. Sie find feitdem theils verdrängt, theils durch Elend und Krankheiten außerordentlich zuſammengeſchmolzen. —* noch haben ſich die Ureinwohner von Mittel- und Südamerika erhalten, Dieſe Jagerſtaͤmme nähren ſich vornehmlich von der Jagd; fie Haben für diefen Zweck ziemlich ausgebildete Waffen, ihre Hütten ind zweckmäßig einge richtet, die Kleidung der nördlichen iſt jehr zweckmaͤßig und dauerhaft, Bei den füblichen wird fie großentheils durch überaus ſaubern Schmud erfegt. Das Familienleben ift geordnet, auch der gegenfeitige Verkehr der Stämme zeigt ger orbniete Formen. Und dem allen entfpridt denn auch bie Bereit» tungsweife ihrer ee ——— Pflanzenſtoffe benutzt werden. IM mn?

Die größeren Thiere werden ſtuͤckweis, bie RER an Stäbe geftecht, die gegen das Feuer geneigt find; das ift namentlich auf Jagd⸗ zügen die gebräuchlichfte Methode, Eine andere, inNordamerifa umter den India⸗ nern fehr gewöhnliche ift, die Kohlen glübend aus dem Feuer zu nehmen und das Bleifch darüber zu röſten, wobei es fauber und appetitlich gehandhabt wird,

en se. ſchon im 16. ———— * den ——

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374 | Culturwiſſenſchaft.

ſchen Völkern und dem Indianern von Florida die Fleiſchbereltung durch Bur- taniren, d. b. man pflanzte vier ſtarke Holzgabeln in die Erde, die etwa 3 Fuf von einander —— ———— ————

Dieſe Stämme ſuchen überaus emſig alle efbasen Zhlerorten.ifrer-Umge- sung auf und bringen fie mit in ihre Hütten, während die Ureinwohner vom Surinam und ber enraibifchen Infeln vornehmlich den Amphibien und Fiſchen nachjtellen und BUN DIAERER TED AUROE bereiten, wozu —— durch bie Frauen angefertigt werden.

Während nun die Männer durch Jagd und Sifcfang für Die. Biete forgen, haben die Krauen der nord» und mittelamerikanifchen Stämme in den Pflanzen nicht minder ſchaͤzbare Nährftoffe entdeckt und wir dürfen, wenigftens in Dem genannten Bezirke, die Frauen nicht blos als die Pfleger, fondern ala die Erfinderinnen ber Anfänge des Aderbaues bezeichnen. Sie pflangen und bereiten die Maniocwurzel, fie pflanzen das Indianerforn oder den Mais, fie fertigen die Töpfe, in denen es gekocht wird, und bereiten auch ben Pfeffer« topf, in welchem der mit ſpaniſchem Pfeffer MEHRERE gekochte ala koſtbares Gewürz aufbewahrt wird, u,

0% Die Bolarvölfer an den Küflen des Eismeeres find faft ausfcgfiefid auf tbierifche Nahrung gewiejen, bie abermald von denen der füblicher gelegenen Laͤn⸗ und thranteich zu fein pflegen. Einen eigenthümlichen Charakter erhält ihre Küche noch dadurch, daß das Brennmaterial nicht aus dem Pflanzenreiche ge nommen werden fann, jondern lediglich dem Thierreich abgewonnen werden muß, Die fterile Küfte des Eismeeres bringt nur eine ephemere Begetation ; es fehlen größere Yhume und Sträucher, alles Holz, was vorhanden, en bie See, bie 2 gen ı Sibirien nach Grönland bri wen es

ı ein koſtbares Material | —— Inn

Schnee um denſelben durch Fänlnif und Froft ee Die

Die, Bahrungömittel, 375

Nippenflüde trocknen fle an ber Lufl,. Größere Fifche, wie Lachfe und Kabel» jaue, werben in lange Streifen gefchuitten und ebenfalld an der Luft getrocknet. Die Fleinen Häringe werben in Menge gefangen und an ber Luft gebörrt, benn fie bilden das ganze Jahr hindurch das tägliche Brod. Andere mittelgroße und Heine Zifche fo wie Vögel werben in etwas Serwafler in dem Keffel über der Lampe gefocht. Wenn fie einen Seehund erlegt haben, fo verftopfen fie die Wunde, um das Blut zu erhalten, das fie in Klöße ballen und zur Bereitung ber Suppen aufheben. Die Eingeweide ber Thiere werden, um das Fett zu ges winnen, zwifchen ben Bingern durchgezogen. Die Magen der Rennthiers und Bögel fammeln fie und die darin befindlichen Speiferefte bewahren fie als eine befondere Delicateffe auf, die mit Thran gemijcht verzehrt wird. Friſche, ange» brütete und faule Eier werden mit Kräbenbeeren, Angelica und Thran vermengt ebenfalld in einem Sad als befondere Lederei aufbewahrt. Der Speck der Sei Hunde erfegt ihnen die Butter, ſowohl frifch ald ausgeſchmelzt; fie feuchten bie getrodneten Häringe damit an. Die Vögel und Fiſche nehmen fie mit den Hän«- den aus dem Keſſel und zertheilen fle auch damit, ohne andere Werkzeuge, wie denn ihre ganze Bereitung der Speiſen nach unferen Begriffen überaus unrein« lic) iſt.

In ähnlicher Weife war die Einrichtung der Küche bei den Stälmenen und Ureinwohnern von Kamtſchatka, bevor die Ruſſen das Land in Beſitz nahmen. Sie aßen die meiften Speifen Ealt, auch diejenigen, die fie am Feuer bereitet hat⸗ ten, nicht eher als bis fe erfaltet waren, und zwar ohne ihren ſtets lebhaften Appetit an eine gewille Tagesftunde zu binden. Sie Tochten das Fleiſch ber Landthiere und Fiſche auf eigenthümliche Art, jo lange fie Eeine metallenen Keffel hatten. Sie befaßen einen Trog von ausgehöhltem Holze, legten das Fleiſch oder den Fiſch hinein, übergoffen es mit Waller und warfen glüßend gemachte Steine hinein, bis es kochgar war. Dann ließen fie dad Gericht an der Luft serfühlen, che fie es verzehrten. Sie bereiteten niemals das Fleiſch an ber hellen Flamme, wandten auch durchaus Fein Salz an, deſſen Annehmlichkeit fie erft von den Koſaken kennen lernten, die überhaupt eine vollkommene Umwäls zung ihrer Sitten hervorbrachten. Sie ofen, was ihnen vorfam, mit Aus⸗ nahme der Hunde, Mäufe und Amphibien. Doch bereiteten fie ſchon zuſam⸗ mengefeßte Gerichte. Der Triumph ihrer Kochkunft war die Selaga, die bei allen Feſtmahlen den erflen Rang einnahm. Sie fliegen nämlich mehrere Bee⸗ ren, Erdnüffe und Wurzeln in einem hölzernen Troge zufammen, mengten Die Maſſe mit ihren Händen zu einem Teige und Fochten fie mit Seehund, Wallfifch und Fiſchfett. Als Brod diente ihnen Weiden- und Birkenrinde, die fie mit Fiſchrogen anwürzten. |

Die Kurilen machen aus Fiſchen ein eigenthümliches Gallertgericht, indem fie Die Haut des Kradnariba fo lange unter befländigem Umrühren kochen, bis fie ſich in eine durchfichtige Mafle verwandelt, der fie geflampfte Gedernüffe zu⸗ fegen und die fie jodann in hölzernen Schalen verfühlen und feft werden laſſen.

Die Koft der Hirtenvölker if ſchon etwas mannigfaltiger, ſchon da⸗ dur, daß fie die Milch der Thiere in den Bereich ihrer Rahrungdmittel gezo⸗

gen haben, Allerdings drüden die Polarfifcher die Brüfe der Sechunde und Wallroſſe aus, die fie —— —— genießen; dieß iſt aber pre ur | vorkommende Leckerei, nicht aber

u) we yo Frist a win wi

Rs a6 ven Ken dem vornehmiten 5

Reijch, währen des Wine, in Steben aenttn, tr Ginitung der Luft umgeftalten. NER 4 sn I iu DM Tu a ul wae tenn nen. gets en noch eine andere Bereitungsart, die auch den Lappen nicht fremd iſt. Sie wer- fon Anfangs September die gefangenen Fiſche in Erdgruben, wo ſie in Faulniß übergehen, aus einander fliehen und ein pikantes Gericht geben, FOREN man ausfrieren und genießt fie fo dm Winte.. ‚Die Iakuten ſchneiden oft das Fleiſch, wenn viel vorhanden ift, in Eleine

Stuücke und fpießen dieſe auf Holzftäbe,

In braten ER

" Die geiößntichfle Bersktung des Bleifihes iR: Jedoc das Ablochen in ſe— dendem Waffer. und. im dem meift eiſernen Keſſel. So kochen die Lappländer und Zungufen das Fleiſch der Renntbiere, Vögel und Fiſche, die Samojeden das ber Hunde, Bären, Hermeline, Vögel und Fiſche ziemlich durchgängig ohne Salz, öfter aber mit den Wurzeln, die wir bereits kennen lernten, Verweſtes Fleiſch wird von feiner Polarvölferfchaft verſchmaͤht, das der Amphibien⸗ In⸗ ſeeten und Würmer aber niemals genoffen, |

Das Blut der Thiere wird gefammelt und BEN zu Muß nr gekocht, oder in Gedaͤrme gefüllt und geforten.

] ee TR N Re werbin mei vo ae *

Die Milch der Rennthiere bilder einen ſehr weſentlichen Theil de u fie wird ſowohl friich getrunfen, ald auch in feite Geftalt gebracht und ges geffen. Die Lappen gießen die Mennthiermilc in große Gefäße, laſſen fie aus— frieren und theilen fie dann in regelmäßige Stüde. In der milden Jahreszeit wird fie in einen großen eifernen Keffel gethan, Laib aus dem Rennthiermagen dazu gejegt und fo ein Käfe bereitet, der in Fleinen Mulden feine Form erhält, Dieje Käje find hochgelbe halbzolldicke Kuchen mit fehr harter Minde und von fügem Geſchmack. Man genießt fte cheils roh, theild am Feuer geröſtet. Büt-

Die Habrungsmittel. 377

ter machen bie Lappen ſeltener; fle iſt feſt wie Talg und wird ein wenig ge⸗ ſalzen.

Die Rinder beſttzenden Jakuten machen öfter Butter, die ſodann im Win⸗ ter in Gefäßen aus Birkenrinde unter der Erde oder auch gefroren aufbewahrt wird. Die Jakuten genießen dieſe Butter vo in Menge; fle übt zuweilen eine beraufchende Wirkung auf ſie.

So haben wir denn in Butter und-Käfe aus Milch ein Rabrungsmittel, das den Fortfchritt vom Jäger- und Yifcherleben zum Hirtenzuftande charak⸗ teriffrt.

Mir fanden allerdings bei den Jaͤger⸗ und Bifegernationen bereitö die Bes nugung der Pflanzen zur Ergänzung wie zur Würze der Fleifchnahrung. Der Hirt wird aber durch feine Thiere aufmerkſamer auf die epbaren Pflanzen, und fo finden wir denn bei allen Girtenvöllern die Nahrungsmittel durch die Er⸗ zeugnifle der ‘Pflanzenwelt bei weitem reichlicher vermehrt.

Die Lappländer und Tunguſen benugen eine Menge Kräuter, Stengel, Beeren und Wurzeln, deren Ramen wir bereitö kennen Ternten und bie fie theils " rob, theils geröftet, gemahlen, gekocht für ſich oder zu ihren Fleiſchſpeiſen ges nießen. Die Zufammenftellung der gefuchteften Pflanzen findet der Xejer in meiner Gulturgefehichte (HI, 23), wo auch jend*efelhaften Berichte angegeben find, welche die Tungufen als Leckerei beſonders Tieben.

Die afritanifchen Hirtenvölker paſſiver Rafie haben das Rind und das Schaf ald die Grundlage ihres Lebensunterhaltes. Die Südafrikaner halten vornehmlich zahlreiche Rinderhterden, die weftlichen Neger ziehen nächfidem auch Schafe, Schweine und Gühner. Beide aber vermehren ihre Nahrungsſtoffe durch den Anbau von Getreide und die Benutung ber Baumfrüchte. In der gemäßigten Bone von Aflen halten die mongolifchen Stämme nächfidem auch) noch dad Kameel und das Pferd als Heerdenthiere; Die graßreiche Steppe giebt ihnen indeffen weniger Anlaß zum Aderbau, und eben das Steppengras, das ben Heerden die einzige Nahrung bietet, iſt Urſache, daß fle fortwährend auf der Wanderung begriffen find, während jene Afrikaner durch den Aderban fefter an den Boden gebunden werden.

Die mongolifchen Stämme leben fo ziemlich ausfchlieplich von animalifcher Kofl. Zur Erhaltung einer Familie reichen zehn Kuͤhe mit einem Stier oder acht Stuten mit einem Hengſt aus.

Die Kalmyken, die in den wafferreichen Riederungen wohnen, halten das - Mind; man rechnet funfzig Kühe auf einen Zuchtſtier. Die Kühe werben täg- lich zweimal gemolfen und deßhalb läßt man die Kälber nur des Nachts bei den Kühen, die übrigens nur in Gegenwart ihrer Kälber fich melken laſſen. Wider⸗ ipenfligen Kühen, welche die Milch an fich halten, treibt man einen Kolzpflod in den Raftdarm und nöthigt fle fo, die Milch abzugeben. Gäufiger al die Kühe werben Pferde gehalten, weldye bei den Kalmyken in Heerden von Taufenden angetroffen werden. Es find leicht gegliederte, flüchtige, gutartige Thiere, die mit geringem Futter zufrieden find und gar keiner Pflege berürfen. An der Wolga zogen ehedem Kalmyfen umher, deren mancher 3—4000 Stud Pferde befaß.

Um Butter zu machen, läßt man eine. Menge Rufe, oder Scyafmildh eine geraume Zeit im Keffel kochen und dann allmälig anjäuern. Darauf wird bie Maſſe in einen Trog gefchüttet und mit einem Stode gejchlagen. Die Butter maſſe fchwimmt num oben auf und wird ſodann in Lebergefäße oder trodene Thiermagen gejchöpft und darin aufbewahrt. Iſt die Butter aul Dirt Aranns nicht vollfommen ‚jo wird fie nochmals gekocht, orluhn ed ums

Alle Mild wird gekocht und in den großen —** Milchſchlauch gefüllt, der niemals gereinigt wird und daher Be Olmzung denelben heil bewerkitelligt, Auch Brannwein wird daraus bereitet. IS ui BET Cie 2 2

Das Fleiſch ber Thiere, Reffelrüben. dem gekocht, dabei jedoch nichts weniger als reinlich nach unſeren Begriffen verfahren, wie denn auch nie ein Geſchirr gerei⸗ nigt wird, Das Fleiſch wird mit allem Schaum aufgetragen, mit den Fingern zerlegt und die aufgeſchlagenen Markknochen zum Ausſaugen und Belecken herumgereicht. Den Ueberfluß an Fleiſch man in ſchmale Riemen und trocknet dieſe an der Luft oder am Rauchfeuer der Hurten und Zelte. Das Blut wird in Daͤrme gefüllt und ſomit auch Wurſt geſotten. nahmsweiſe das Fleiſch am Spieße gebraten. um

Alles, was die Steppe an efbaren Bilanzen, baxbietet, wird An gelefen und ald Gemüfe oder roh ald Aufauf genoſſen. ATI T

Mannigfaltiger ift die Küche der Afrikaner beftellt. Hottentotien Kaffern un Betjuanen balten zahlreiche Heerden trefflicher Rinder, ‚die ſie forgfältig, pflegen, in ihren Gehöften des Nachts halten und am Tage, in ben grasreichen Öefilden weiben laſſen. Sie jhlachten nur jelten und nur bei befondern Feier- lichkeiten ein Mind. m | mn 1 pad him ma) wa)

Die Nahrungémittel. 379

Die Milch wird in einen, ziemlich unfauberen Topf gemolken, felten aber frifch getrunfen und meift mit Wurzeln zufammen gefotten,, auch Butter daraus bereitet. Um Butter zu machen, fehüttet man die Milch in einen inwendig noch mit den Haaren verjehenen Lederſack, deſſen obere Oeffnung dicht verfchnürt wird. Run faſſen zwei Perſonen den Sad an beiden Enden und fchätteln bie Milch fchnell und fo lange Hin und her, bis fe fich zu Butter geftaltet, die in einem Topf aufbewahrt wird. Wit der Buttermilch werben die jungen Kälber und Lämmer gefüttert oder fie wird auch von den Menſchen getrunfen.

Kuhmilch ift Allen geflattet, Schafmilch dürfen die Männer nicht trinken. Alle Milch wird in dicht geflochtenen Körbchen, in denen Mefte der früher darin bewahrten Mildy anfleben, bingeitellt. Hier gerinnt fie gar bald und nimmt einen fänerlichen Gefchmad an. Ban bewahrt fie auch in Lederfchläuchen. Die geronnene Milch bringt man mit einem Pinfel zum Munde, der aus einem zoll» ſtarken Pflanzenftengel mit aufgefafertem Ende befleht.

Das Fleifch der Thiere wird durchgehende gekocht, eben jo dad Blut derjelben.

Das Schwein wird in Loanda, an der Goldkuͤſte und bei den Aſchauti gehalten und bei Ieteren mit Abgängen von Menjchenfleiich fett gemacht.

Hühnerzucht haben die Kaffern und die meiften Regerflämme. Sie werben nur mit Infecten gefüttert.

Wie erwähnt, treiben die fämmtlichen Kaffer» und Negerſtaͤmme Feldbau. Die Hottentotten fammeln fleigig Wurzeln und Zwiebeln und efien fie gekocht. Die Neger der Sierra-Leonafüfle bauen Ignamen, Dams und Maniocwurzeln an, aus denen die Ouineaneger viele Berichte, beſonders aber ihr Brod berei= sen. Die Fulah baden aus den Kernen von Rhamnus lotus ein wohlſchmecken⸗ des Brod.

Die Mandingos und Bulahneger bauen Neid, die Kaffern und Betjuanen das Kafferforn, eine Art großförniger Hirfe, in ziemlich regelmäßiger Weile. Sie fchneiden die reifen Aehren mit den Spigen ihrer Haffagayen ab und bes wahren die Körner ſtets unzerftoßen auf. Die Frauen müflen dann den Bebarf zur täglichen Speife in Holzmörjern zerſtoßen und darauf zu einem Brei berei⸗ ten, den die Mandingo oft mit getrodneten Fiſchen vermifchen.

Die Kaffern bauen neben dem Waſſermelonen, die fie frifch, zerichnitten und getrodnet genießen, außerdem aber auch Bohnen, die ebenfalld getrodnet aufbewahrt werden.

An der Regerfüfte wird die Frucht der guineafljchen Palme (Elais guin.) gefammelt und aus der Ruß ein Del und eine Butter bereitet , die ſehr gefchägt if. Der Butterbaum liefert aus feinen olivenartigen Früchten, die man zer ftößt und abwäflert, einen talgartigen Stoff.

Mir Iernten bereits oben die Blätter, Stengel und Früchte kennen, bie von den afrifanijchen Völkern zur ferneren Ergänzung ihrer Nahrungsmittel aufgefammelt werben.

Die Nomaden activer Naffe, die Araber, nähren ſich vornehmlich von ber Milch ihrer Kamerle und von dem Datteln ihrer Palmen in höchſt einfacher

380

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ven act deren nähere Betrachtung u ne nn Drew one Er "77 ar ren at ern eh an der Suͤdſee und des indijchen Archipelagus der Fall üft, auf denen größere Land» thiere nicht einheimiſch find. Auf den Injelm der Gübee iſt nur Die Ratte

Die Bereitung der Speifen ift fehr manmigfaltig. diſhe und Benfepenfleifg wird in erhigten Gruben gebaden. Man gräbt für dieſen Zweck ein Loch im den Boden und belegt daſſelbe mit Steinen, die man burch Beuer erhitt. Rachdem man Die Orubegerenig, legt man. Das zu hacmbe Steinen, Aſche und Kohlen. Rad Anger Zeit wire dr Gut nmegerum

geröftet. Auf den Peleminjeln verfteht man die diſche ſogar für den foiteren

Gebrauch aufzubewahren. Sie werden nämlich forgfältig ausgenommen, ges wafchen und gefhuppt, Darauf legt man eine paar dünne Spähne Holz ber Länge nach, um den Fiſch gerade ausgeſtreckt zu erhalten, und widelt etliche breite Blätter darum. Dann wird ein Geftell mit vier Füßen gemadyt, 2 Fuß hoch über der Erbe, und ber Fiſch darauf gelegt, Darunter aber ein Feuer anges macht: Auf dieje Art wird der Fiſch durch Hige und Rauch in wenigen Stun⸗

ben vollfommen ausgetrocknet und für mehrere Tage wohl az ba hun reitet, daß er fofort gegeffen werden faın.

Manche Fiſche und Serfrebje werden auf denſelben —— im gekocht und gleich fo gegeſſen. Kleinere Schalthiere, auch die Gienmuſchel, wer⸗ den roh gegeffen und nur ein wenig mit Gitronenfaft gewärzt; Fleinere Bifche verzehrt man ebenfalld roh oder man vo fie vorher von den ea wenig abmürben,

Die Pflangenftoffe a. auf mannigfache Art zubereitet, —— bed Brodbaumes, die wir ſchon oben kennen lernten, wird in Gruben geſäuert und läßt ſich dann lange one Die a nz und Teig gemacht.

Durch Vermiſchung ** Pflanzenſtoffe wre man —— in bie tägliche Koſt zu bringen, Man miſcht Taro⸗ mir Yaswurzeln, Banas nen und Cocosnuß. Auf Tonga bädt man aus dem von der Mohomwurzel bes reiteten Meble und gefchabter Cocosnuß einen fchmadhaften Lederbiffen, wie denn bie Köche diefer Infel einen hohen Grad von Gefchiclichkeit entwideln.

Auf den Infeln der Südfee find mehrere zuderreiche Grasarten, barımter auch das Zuderrohr vorhanden. Die Bewohner lieben die Süßigkeiten und bedienen ſich ihrer auch meift an der Stelle des Salzes, das fie nicht germ ges

welche den Speifen —— e a Sr OB

ee er a Hal En E, der Knoblauch umd bie ee ſondern nur mit Se if ya Bubnhng Krytfun np) on fe Kraft und ihren angenehmen Geſchmack behalten ſollen · ·/·· Wir beginnen die Betrachtung der Gewürze mit dem Salz, das in ber Küche aller Gulturvölfer die unentbehrlichſte Zuthat zu allen dem Thierreiche wie der Pflanzenwelt entnommenen Nahrungsmitteln ift. Das Salz tft in fefter Geſtalt, als Salzftein, 5. B. in Salzburg und Wilizfa, dann als Salzwaſſer in den Binnenländern, jo wie in der unermeßlichen Waſſermaſſe des Weltmeeres vorhanden; es wird bergmännifch gebaut und auf die bekannten Arten genießbar gemacht. Das Salz wird feit uralter Zeit als ein Foftbared Geſchenk der Gott- heit betrachtet, daher es denn bei den Opfern nebft dem Getreide ſymboliſch zur Widmung der Opferthiere angewendet wurde. Auf dem Hausaltare, dem Herde der Römer, ftand ein Salzgefäß; bei Abſchluß von Bündniffen wurde nament- lich im Orient Salz verabreicht und dieſe Ueberreihung wie ein Eid betrachtet. In Rupland pflegt man noch jegt vornehme, zumal fürftliche Berfonen, bie zum Beſuch in ein Haus freten, mit der Uebergabe von Salz und Brod zu begrüßen, In den Evangelien werden die vom Herrn Auserwählten das Salz der Erde ger nannt, um ihren Werth und die Wichtigkeit ihres Berufes zu bezeichnen. Der alte römijche Dichter Plautus nennt Salz das befte aller Gewürze, Ein alter deutfcher Diätetifer, Hieronymus Vock, preiſt in feiner „Teut⸗ ſchen Speißfammer” (Straßburg 1555, BI. 37) das Salz als das Köftlichfte, was man zu allen Speifen brauche, und er berichtet auch über die medieiniſche Wicunaten Des Satzes mac den Anfihten feines Zeitalter, 0 Das Salz ift überall in China wie in den europäffchen Staaten ein Re- ge. In Rom ward ſchon im Jahre 506 dv. Chr, der Salzhandel vom Staate

DET fine Berfung And der Bertrieb bfelben

Die Nabrungsmitltl. 383 gewähren ganzen Land» und Küftenfirichen ben Lebensunterhalt, und der Salz- verkehr ſetzt jährlich mermeßliche Summen in Umtauf (f. Sof. Satin, Handb. der Statiftit des öfterr. Staates, II, 209).

Trotz der großen Verbreitung des Salzes über die Erboberfläite finden fich Doch Gegenden, die des Salzes entbehren und deren Bewohner bis zur Ankunft der Europäer mit dem Gebrauche des Salzes gänzlich unbelannt waren (f. Azara, voyage dans l’Amerique meridionale. L 54). 8 fcyeint überhaupt, daß bie paffive Rafje weniger dad Bedürfniß des Salzgemufles Habe ald die active, eine Bemerkung, deren nähere Unterjuchung ſich wohl burc) intereflante auf That⸗ ſachen gebaute Reſultate belohnen dürfte,

Das Salz wird in: der Küche der Cultarvölter ziemlich jeder Speiſe von vornherein zugefeht,, dem Brodteige ſowohl wie dem Fleiſche, ten Salaten wie ben Gemuͤſen und den Suppen. Außerdem findet man daffelbe auf den Tiſchen der Armen wie ber Reichen in Eleinen Vorräthen aufgeftellt, um dem augen- blicklichen Beduͤrfniſſe nachzubelfen. Das einfache Gericht ift Salz und Brod, von dem dad Eprichwort fagt, es mache die Wangen roth; von einer wenig Iohnenden Arbeit heißt es: daß fle nicht das Salz zum Brode eintrage.

Das Salz ift eind der beiten Erhaltungsmittel des Fleiſches, wie denn fchon die alten Aegypter die Zeichname damit zu Mumien machten. Ban erhält durch Einjalzung das Fleiſch der Säugethiere und Vögel, namentlich aber auch das der Fiſche. Um Gemuͤſe, befonders Kraut und Bohnen, für längere Zeit aufzubewahren, Iegt man fie in Salz ein. |

Raͤchſt dem Salze find die. Säuren zu nennen, bie zur Würze ber menſch⸗ lichen Speifen gebraucht werben und welche die Ratuz im Mineralreich wie in ber Pflanzenwelt reichlich darbietet. Die metallifchen Säuren, wie fie 3. B. das Kupferoryd enthält, find offenbar der menfchlichen Natur feindlich und fchädlich, und wo fle angewendet werden, aͤußern fie Tranfhafte Folgen. Wan färbt die Mfefferbohnen und Surfen mit Grünfpahn, und der römifche Weinſchenke wirft oft Eupferne Bajocchi in fein Weingefiß, um dem Landwein einen angenehm fäuerlichen Geſchmack zu geben. Rinder fchädlich find die Säuren, welche die Pflanzenwelt in den Eitronen, Schlehen, Berberigen, Ampfern darbietet; fie dienen in beißen Klimaten zur Erfrifhung und Kühlung. Gewiſſe Speifen, namentlich die Salate, dann auch einige Gerichte werben mit Säuren angemacht, und man bereitet deßhalb fanre Slüffigfeiten, wozu die Ratur in ber fauern Gaͤhrung mehrfache Anleitung giebt, und Hält fie in Vorrath in ben Speiſekam⸗ mern und Kellern als Eſſig.

Der bereits erwähnte Hieron. Bod giebt Anleitung, wie ı man aus gutem Mein Eſſtg machen foll, wie man die Saͤurung durch Zuſatz von gequetjchtem Pfeffer und anderen Pflanzen beichleunigen, wie man mit zerftoßenen Trauben- fernen, Weinftein, Brodteig, Bier, Honigwafler und Feigen Effig herftellen Tann. Er weift and) den Nutzen des Eſſigs nach, den die chemiſchen Unter⸗ fuchungen (Molefhott, Lehre v. d. Nahrungsmitteln. S. 179) der Reueren bes flätigen.

Ehedem wurde der Eſſig in den Weinlaͤndern, namentlich in Frankreich,

tig das Fabrikat der Bienen und ihrer Verwandten, der H

die am früheften benugt wurde, um die Speifen zu würgen, Seit: alter. Belt

wird die Bienenpflege betrieben und in ben Schriften der Landwirthe umnftände

Lich behandelt. In Europa findet fid) neben dem Honig kaum ein Gewächs, das

man vor dem Emporblühen der Chemie als ſüßes Gewürz benugt hatte Man

brauchte bis in den Anfang-des 16. Sahr hunderts den Gonig · damuls warde bie betrieben, da man außer dem

vem 15. Jahrhunderte behenn- ie wie oben fahen, er Zuter allgem am u eg 2 oma ımn 4 ‚\ ar 1omme/b write

In Bot d.Speißtanmer vom Jahre 1555. iſt —*2* noch ganz in "Ehren. Allein des; Autor fagtz "Inden

Teutſchland ift fein Ding gemeiner braͤuchlicher als der Zuder; darauf Fochen und machen fie vielerlei Latwergen, Syrupen, Julep, Eondita, Gonjersas, Con» feet, Täfelin, Mareipan und dergleichen ohnzalbare Ding. In den Küchen aber müffen ihunder alle fpeiß und teachten, alle geträndt mit zuefer gefalgen und - abbereit werden ; wie gefunb aber ſolche fpeiß und getränd feien laß ich ein jeden erfaren, Bei mir acht ich folche ſpeiß und getränd ſtets gebraucht für unges fund, oßnangefehen, daß ein fprichwort ift (vielleicht in der Füchen gemacht) Das laut man könne fein fpeiß mit zuder verberben. u) nn en Wir fahen bereits oben, wie fehr der Zuckerverbrauch in Europa zugenom+ men und wie man demnächft in Afien wie in Europa auch anderen Pflanzen nachgefpürt hat, um den in ihnen enthaltenen Zucker zu gewinnen. Auch in der Zuderherftellung hat die Chemie wefentliche Aenderungen hervorgebracht und Stoffe (Stärke, Lumpen, Harn) nachgewiefen, aus welchen Zuder gewonnen werden fan.

®

Die Raprungbmittel. 385

Wir wenden ums num zu den Gewürzpflanzen, bie durch ihre Schärfe zur Kräftigung der Speijen beitragen. Mehrere fhärfehaltigen Pflanzen Bilden ein ſelbſtftaͤndiges Gericht, mie Retlig, Meerrettig, Kreſſe; andere aber werden als Zuthat anderen Speifen beigegeben, wie unſer Knoblauch, Zwiebel, Raute, Schafgarbe, Pferdefraut. Zum eigentlichen Gewürz wird aber zunächft der Senf umgeftaltet, der zu gewiffen Berichten, 3. B. Rindfleiſch, auf feiner Ta⸗ fel fo wenig wie das Salz fehlen darf. Bon der Senfpflanze werden die Sa⸗ menförner gefammelt, mit Wein, Moft oder Bier zerrieben und, nunmehr Mo⸗ ſtrich genannt, in fleinernen oder gläfernen Flaſchen oder Käßchen in den Handel gebracht. Defterreich Liefert in dem Kremfer Senf, Frankreich in dem von Di⸗ jon und Chalons die beften Arten. Rächftdem werden auch die Senfförner un- zerſtoßen verfendet und dann in den Haushaltungen oder von den Händlern ge⸗ mahlen und bei Tifch erft mit Eſſig, Zuder und anderer Zuthat angemacht. Man benupt Ten Senf häufig zu Saucen, Salaten u, dergl. und Focht ihn auch mit Roſinen zu eigenen Gemüfen. |

Unter den ausländifchen fehärfenden Gewächfen fteht feit alter Zeit obenan der Pfeffer; der ſchwarze Pfeffer wird von den Sträuchern unreif abgenommen, der weiße von den gereiften Beeren gebildet. Der Pfeffer war fchon den Gries chen und Römern befannt und werth ald Gewürz. Er wurde durch die Araber aus Indien geholt und über Aegnpten nach Europa gebracht. Dusch Europder, befonders durch die Holländer , wurde der Pfefferftrauch nach Java und anderen Infeln des indifchen Meeres verpflanzt. Gegenwärtig werden alljährlich 50 Mil⸗ lionen Pfund Bfeffer in Iava erbaut, von tenen 16 Millionen nach Europa gehen. Durch die Römer Fam der Pfeffer nach dem nörtlichen Europa, wo er bald in den Küchen großen Verbrauch fand, wie die Kochbücher des 15. und 16. Jahrh. mit ihren mancherlei Pfefferbrühen und Pfefferfüchlein beweiſen.

Der fpanifche Pfeffer (Capsicum annuum) wächſt in Oſt⸗ und Weftindien, ift auch in Afrika zu Haufe und wurde zuerft and Benin nach Portugal gebracht, fpäter aber von Weitindien aus fogar nach Südeuropa verpflanzt. "Die Schote wie die Körner übertreffen den inbifchen Pfeffer Bei weitem an Echärfe, vor allem die oflindifchen und zwar dann, wenn fie noch grün find. In den füblichen ' Ländern ift der fpanifche Pfeffer ein Lieblingsgewürz; im Norden legt man den« ſelben meift erſt in Eſſig, um die brennende Schärfe zu mildern. Auch trodnet man die Frucht, zerſchneidet und zerreibt fe zu Pulver, dad man mit Mehl oder Sauerteig zu Brödchen Fnetet, die im Dfen gebacken werden. Dieje werben dann abermals zerrieben und fomit ein Pfefferpulver Hergeftellt.

Der Jamaicapfeffer (Amomum spurium) befteht aus glänzend ſchwarzen Beeren, die unreif verfender und Allerleigewürz genannt werden, auch gelinder ald der gewöhnliche und der ſpaniſche Pfeffer find.

Die Enbeben (Poivre & queue) fommen von Eehlon, Java, der Mala- barfüfte und der Infel Bourbon. Die Beeren find größer als der gemöhntiche Pfeffer und haben einen dünnen Stiel. Ehedem überzog man fie mit Buder und brauchte fie, als Mittel wider den Schwindel, daher fie auch Schwindel⸗ oder Hauptförner genannt wurden. IV. 25

WR Soare itım ITHan anne AT ferö angewendet werden... 0 r iſche t wien ni: SE *

Ehedem war der Handel damit ganz in

ai Su. dm Kante “ui ‚ups ee m —* Hr rn Annan am Aare Wurzel einer bereits er |

Geplon; auf der Mafaberfäfe und; in Jamaica wich und friep yon: den Dnbiern, gegefien wird. Die getrodnete benugen fie, wie wir, als Orwürz. Zu uns kommt ee oe —— auch in Yuder, geſotten. ‚Die «Römer

dem Könige von Ternate überall ausrotten liefen und nur auf Amboina anzu- bauen geftatteten. ——⸗ deren jeder 125 Bäume hatte, die jährlich je 2 Pfund Nägelein lieferten. Der Fruchtbaum gleicht dem * en Pe» 2— —⏑—⏑—⏑—⏑—⏑—

Der tmmt ot cannei iR eben fafräßshefannt.und D aut feine Sci

IDEE ze 1,77 520 Ein indiſches Gewürz, welches aber nicht nach Europa Eingang gefunden hat, iſt der Betel, das Blatt von Piper betele L., der an Geftalt und Farbe mit dem Ephen zu vergleichen iſt. Die Hindu und Malapen pflanzen den Betel |

Eben ſo Beliebt iR die Au der Aretapalme, an hen -@

rg er Borrath- in Loflbaren Gefähen Weil ee u ei

———— ns—2 Un ee Gewürze, welche Europa

Die Gewuͤrze, liefert, An inder ig aa ib mer

—— werden die Beeren des Braten der wilden Schweine, u ln IN Wa und, A re Gin ect europüfihes, vorzugemeife deu ſches Gewürz if der Küimel, Der eRRFhmieh (Cara darsi); © Der aus Thüringen und Franken wird für den Seften gehalten; der geringfte iſt der polnifche. In Polen, Lithauen und Rufe land wird viel Kümmel verbraucht, Man bädt ihm im die Brode, was auch Hier und da in Deutfchland der Ball if. Kümmelkörner thut man an Suppen, an Gemüje, namentlich Kartoffeln, und an Brühen. Im der Volfsfüche ſpielt er eine große Rolle; auf feinen Tafeln ift er jeltener anzutreffen. Der Garten: kuͤmmel, auch wälfcher Kümmel’genannt, wächſt im Aeghpten und Paläſtina wild und wird in Südeuropa, in Sicilien und Malta, in Gärten gebaut, An Getudf und Saſchuat Reh er = nörbfien nach ne en u n _ “dur rd

—— —— Italien wild, * uns in Gärten wachfend; wird ind Brod und in Kuchen gebacen ka reiner ana * eine Zeit lang für ſchaͤdlich.

Der Anis, der in Aegypten und Syrien ——— In, Won in Thüringen und Franken, häufig auf den Beldern gebaut;

ganze Pflanze, beionders aber die einen Samenkörner zeichnen ſich durch ne Tieblich gewuͤr zhaften Geruch und Fräftig fühen Geſchmoc aus. Die Dolden werden zum Einlegen der Gurfen verwendet. Den Samen baͤckt man in das Brod und die Kuchen und fegt ihm auch anderen Epeifen bei: Er wird überzurfert und ald Genäfch verzehrt, auch zu theeartigen nn nugt und für Magen und Lungen fehr heilſam gehalthen.

Der Fenchel bietet in der Wurzel wie in feinem Samen heilfame und würzbhafte Speifebeigaben. Letzterer wird ins Brod gebaden und mit Zuder überzogen als Nafchwerf verzehrt. Die Blumen legt man mit Gurken ein, bie

gel verwendet men in Italien, wo die Pflanze allerdings ftärfer und noch

omatifcher ift, nachdem man fie gefchäft, mit Eſſig und Del zu Salat, Der Dill, im Portugal und Spanten wild, wird bei uns in Gärten ges * ie aucht man wie Anis und Fenchel, die feharfen Samen-

m i j Be Kubfäfe, dem Pötelfeifeh und den Würften bet. Die tter wer 1 mit manchen Fifchen und mit Fleiſch gefocht. | Der Salbei liefert im feinen Blättern ein treffliches Gewürz für Dani braten und Schinfen, Aal und Fleiſchbrühen und an manchen Or⸗ ten mit Eiern in der Pfanne gebacken. ee ee Der Majoran wird dem Fleiſche und Fiſche, —— den Blut⸗ wuͤrſten hier und da zugeſetzt, auch zu eigenen Brühen verfotten, "Der Thymian

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Kane area nen ben Bohnen ale Gewürz zus geſetzt. 4* ern Eime u Ben ——

aber feiner und ſauber —— ——*—— dem Hunger Bun den Wohlge- ſchmack berückſichtigt. Die höheren Stände endlich, bei denen der Hunger weni- ger häufig eintritt, ja bei denen er oft erjt Durch Speifen wenigſtens ald Appetit gereizt werben muß, haben auch eine bei weitem größere Auswahl von Speifen. In ihren Küchen wurde die Bereitung der Speijen zur Kunſt ausgebildet. Demnaͤchſt ift die Küche wiederum in dieſen drei Ständen nach den Bes ſchaͤftigungen gegliedert. Der Schmied bedarf fräftigerer Nahrung als der We- ber; der Bauer, der Bergmann, der Holzhacker und Waldarbeiter wird auf nabrhaftere Koft halten als der Schneider und Cigarrendreher. Die Landleute begnügen ſich meift vorzugsweije mit vegetabiliſcher Koft. Mehr Fleiſch kommt in die Küchen der Städtebewohner. Der ruſſiſche und polnifche Leibeigene lebt faft nur von Grüße und, Kraut, der Obererzgebirger und der Oberfchlefier fat nur,von Kartoffeln; nur felten kommt ein wenig Sped ober Wurft zu dieſen. Der Fleine Landmann im ſächſiſchen Elbthal ift im Sommer nur höchſt jelten und nur an den Befttagen Fleiſch. Eben jo jelten hat der neapolitanifche Ma- tinaro Fleiſch, er lebt meift von Maccaroni, Kürbifjen ul Dinngens; * erlangt er das Fleiſch der Seethiere. Eu nd Die Speifen der Landleute wie der niederen * mittfen laſſen die Hausfrau oder in wohlhabenden Bamilien die Stellvertreterin berfelben in der Küche, die Köchtn. Nur in den höchſten Kreifen der Geſellſchaft Hat der Mann die Direction der Küche übernommen, ber Koch, ber dann allerdings bie Auf- gabe in ganz anderer Weiſe auffaßt und vor —— in Herſtellung der Speiſen zu entfernen bemüht iſt. Ludwig XV, war ber Anſicht, daß ine Köchin nie das leien fönne, was ein Koch zu leiften vermöge. Er batte diefen Sag, ben id) übrigens auch aus dem Munde einer ald ausgezeichnete Küchenfennerin anerkannten Dame mehrfach wiederholen hörte, der Madame Dubarry jo oft vorgetragen, daß diefe den Ver- fuch zu machen bejchloß, ihren fürftlichen Liebhaber durch Die That eines anderen zw belehren. Sie ließ in ganz Frankreich die geichichtefte Köchin auffuchen und unterrichtete fie dann genau über die Lieblingsgerichte Des Königs und feinen eigenthümlichen Geſchmack. Sie veranftaltete darauf ein Ybendeffen,, deffen

gemachte neue Entdeckung entgehen und benugen fle mit Befeitigumg des überflüffgen urus in bem Kreife ihres Hauswefene. 0 Endlich treten im Leben ber Samilien und: Wölter Bälle ein welche eine

—— ons! in den Fahrten durch wüfle Gegenden und durch die hohe See der Fall ift, wo er frifcher Speifen entbehrend von mit« genommenen Vorräthen oft längere Zeit fein Leben friften muß. Im belagerten Städten und Feſtungen muß ber Soldat wie der Bürger oft zu den widerwär- tigften Dingen feine Zuflucht nehmen, um dem dringenden Hunger zu entgehen, Da wo eine größere Anzahl Menſchen zu gemeinfamen Zwecken in einem abge- ſchloſſenen Raume beiſammen wohnt, in Klöftern und Kafernen, wird ofr eine eigenthumliche, von den Geboten der Sparfamfeit ober anderweiten Vorſchrif⸗ ien geregelte Koft ſich geftalten. Endlich ftebt auch die Küche vieler Nationen unter ben Geboten der geiftlichen Obrigkeit, die ihr, wie bei den Brahmanen und Buddhiſten, Inden und Mohamedanern, gewiſſe Rahrungsmittel für alle Beiten geradezu verbietet oder, wie in der römifchen und griechiichen Kirche, die Bereitung ber Fleiſchſpeiſen für gewiffe * er und fie auf die Faſtenſpeiſen anweiſt. N

Nach diefer vorläufigen Bemerkung wenden ir Speiſen bei den Culturvölkern der activen Raſſe, die im Laufe der Jahrtauſende fänmtliche Erzeugniffe des Thier- wie des Pflanzenreiches durchgefoftet und auf alle nur erdenfbare Weife en in die Bereitung derſelben —* haben.

Eis fühen; wietie Maufihen Maſſe aüf den nieder Gikisfhufen zwar überall bereits im Befige des Feuers find, dennod aber gewiſſe Thiere, namentlich Schalthiere umd Infeeten, vor allem aber Pflanzenftoffe rob ver zehren, wie fie dann das euer ——— erg ie bes Fleifches anwenden.

Die Völker der acriven Raſſe ——— auch ecke aD, nugen die vom der paffiven Raſſe gemachten Erfahrungen und wenden wie dieſe

Luft, Rauch, Feuer zur Bereitung der Nahrungsmittel und zw deren Erhaltung

Die. Naprungsmitlzl. | 391

an ‚abet fie verbolltomimten biefelben auf Das forgiamfte, wie fle benm auch Die Grwerbsarten, Jagd, Fiſchfang, Viehzucht und Aderbau, wefentlich weiter fördern. Speifen aus dem Thierreiche. Das Fleiſch der ſchmackhaften Schalthiere, das die paifiven Geeanwohner meiſt roh verfchlingen, namentlich das der Aufter, wird allerdings auch von den chineflichen und europäifchen Gourmands roh genofien, allein fie geben bemfelben durch Gitronenfaft und Dfeffer eine Würze, die bafjelbe dem Geſchmacke bei weitem zufagender macht. Die Aerzte haben ſich bemüht nachzuweiſen, welches die zwedtmäßigfte und der Geſundheit heilfamfte Art fei, Auftern zu genießen; manche haben fie gepriefen, manche für ſchaͤdlich erklärt und auch die Aufternfreunde find noch nicht ganz einig, wie fle am beften ſchmecken, und namentlich, welches Getraͤnk dazu das beſte ſei. Demnächft aber bat die Kochkunft feit uralter Beit verfucht, bie Auftern zu wohlfchmedenden Gerichten zu verwenden. Ban hat fie gebraten, marinirt oder auch frijch gewiffen Gemüfen, Salaten, Pafteten u. ſ. w. beigefegt. Der Mainziſche Mundkoch, M. Rumpolt, gab im Jahre 1580 in feinem Koch⸗ buche genaue Anleitung zu fech8 verichiedenen Aufterngerichten, worunter auch gefochte Auftern vorkommen. Endlich verfiehen es wirthliche Hausfrauen, aus Kalbshirn, Kreböfleifh und anderen Beigaben ihre Säfte zur ungewöhnlichen Jahreszeit mit einem Gericht zu überrajchen,, das den grillirten Auſtern in Ge⸗ ſchmack und Anfehen ähnlich if. Minder allgemeine ESchalthiere werden meift zu den Salaten verwendet.

Das Volk der Krebfe und Krabben ift Köchen und Köchinnen ein willkom⸗ mener Stoff, den fle vor allen Dingen durch Abſieden genießbar machen und friſch wie alt, jelbftfländig und gemifcht, in Suppen, Gemüfen und Salaten, Bafteten und Brühen tafelmäßig zurichten. M. Rumpolt bereitete fchon ſechs⸗ undzwanzig verjchiedene Krebsgerichte. Auch die Fröſche Ichrte er bereiten.

Gewiſſe der See entftammende Gerichte, wie die indianischen Bogelnefter, die in der chineflichen und indifchen Kochfunft von beionderer Bedeutung find, bat die europälfche Küche nicht im Allgemeinen auf und angenommen, fo wenig ald die Heufchreden und Amelfen, die von der pafftven Raſſe fo gern gegeſſen werden.

Dagegen bat fie den unumfchränfteften Gebrauch von dem reihen und uns ermeßlichen Vorrathe der Fluß» und Seeſiſche gemacht, namentlich in denjenigen Ländern, denen die Kirche auf kürzere oder längere Zeit den Genuß des Fleiſches unterfagt bat.

Die Fifche werden theils friſch, nachdem fle gereinigt, mit Beilag von Zwiebeln, Wurzeln, Gewürzen, Betten, in Waſſer gekocht find, in Begleitung son Gemüſen oder Salaten und Brühen auf den Tiſch gebracht und warm ober kalt verzehrt, theils Täpt man fie, wenn fie namentlich in bie e Ferne verfendet werden follen, eigens dafür zubereiten.

Der Stodfiic kommt zu uns in lufttrockenem Zuftande und muß baher in Kalkwaffer aufgeweicht werden, ehe er durch Kochen oder Schmoren mit Fleiſch⸗ brühe oder Fett geniehbar gemacht und mit den dazu geeigneten Gemüſen auf bie

euer ee aber den Hecht, von. pet

Rumpolt vierzigerlei Gerichte, herzuftellen ‚vermochte. Man fertigte ans ben

—* gg mit Gemüfen, Compoten, Salaten auf. Die-Wurft vom

Va und ſaltz ihn nicht-diel... Nimm kein Ejfig dazu und ſeudi ihm an die ſtatt, zeuch ihn aus auf ein Bret und laß kalt werden. Rimm als⸗ dann das weiß Fleiſch vom Hecht und llaub die Gräten heraus und hacks gar Elein, nimm darnach ein Reißmehl oder,ein Krafftmehl und Mandelmilch treib das Mebldarmit ab, daß fein glatt und Diinn wirt, ſetz es darnach auff ein Glutkeſſel und rür es umb, biß auffjeudt, und ſiehe, daß dur es nit anbrennft; iſt es Diet, fo mad) es wieder dünn mit Mandelmilch, thu den gehackten Hecht darein uud —— auffieden, rürs wieder umb, biß daß auffſendt, thu arein ein ſchönen weiſſen Zucker, der fein klein geſtoſſen iſt, auch friſche Maps | auffſieden, und wenn du es ſchier wilt vom Feuwer nehmen, jo geuß Roſenwaſſer Darein, [aß Darmit ein Subt-auffe tbun, und wenn du ibn abbebit, jo thu ein wenig Salz darein und rürs um, bi das Salz darein kommt. Und wenm du es anrichteft, ſo befträu sd mit weißem Zuder. Alſo mache man ein Manjcho Blancko.“ Derſelbe unftreiche Kücherrmeifter kochte außerdem feinen Hecht weiß und gelb, auch blau, trug ihn auf mir Meerrettig, mit grüner Salfe aus Brunnkreſſe und Beterfilie, machte ion auch ſchwarz ein; er fertigte won Hecht Hatteln, Priſeindel, Gaperbatti, Rumbel, trug ihn geräuchert, geſpickt, ganz gebraten, gefüllt auf und-fegte Magen und Leber gejotten ober gebraten jeinem Herrn vor. Vom Haufen machte Rumpolt zweiundzwanzig, von Stören und Aalen elf, von Schaiden vierzehn, von Salmen ſiebzehn, von Forellen achtzehn, son Karpfen fünfunde zwanzig, von Stockfiſch zwölf Trachten und ——* aus * ſtand er neunerlei zu bereiten. nn) nadenm Der Hecht ſcheint der Richtige auch im 17.Sabehunbert,alif-ben deut⸗ ſchen Tafeln geblieben zu fein. Das volljtändige Nürnberger Kochbuch vom. Jahre 1691 giebt Anleitung zu ſiebenundſechzig verſchiedenen Gerichten , die

aus dem Hecht durch Sieden, Braten und Salzen mit Mifchung son verſchiede⸗ nen Pflanzen» und Thierftoffen bHerzuftellen find, während vom Karpfen nur feihsundzwanzig Gerichte namhaft gemacht werben. Lachs Tommt nur gebörrt vor, Stockſiſch aber in zwölf Gerichten, In den Seeflädten ift natürlich der Seefifch jehr Häufig auf den Tafeln zu finden und bie Bereitung defielben ninmt in den Kochbüchern terjelben, 3. DB. dem von Hamburg, Mitau, einen bebeuten- den Raum ein, wobei denn manche Eigenthümlichkeit entwidelt ift.

Im Allgemeinen ift die Fiſchkoſt an den europäifchen Küften, namentlich an den nörblichen, ſehr vorherrſchend und auf den Infeln der Rordfee oft die ein⸗ zige, wie denn in Island fogar die Schafe damit fürlieb nehmen müflen. Aber auch in den nordifchen Reſidenzen Kopenhagen, St. Beteröburg und Stockholm werden gar häufig Fiſche aufgetragen und ſelbſt in England verzehrt Arm und NReich große Mengen derfelben alljährlich.

Außer dem Fleiſche werden auch die Eier einiger Fifcharten dur Speife be» reitet und ald Caviar auf die Tafeln gebraht.

Der Caviar, ruſſiſch Ikra, beſteht aus eingefalgenem Rogen vom Stör, Haufen, Sterlet, Beluga, Sewrjuga, der aus den großen jährlichen Kifchereien in der Wolga, "im fchwarzen und kaspiſchen Meere in Menge gewonnen und nach Europa verjendet wird. Man reinigt den Rogen von den Häuten mit einem hölzernen Meſſer, ſalzt ihn einige Zeit in einer Lauge ein und legt ihn, wenn er feinen Saft mehr von ſich giebt, indem man ihn mit den Fingern zer» drüdt, auf dichte Siebe, um die Feuchtigfeit ablaufen zu lafien. Alsdann wird er in fpige Beutel gefüllt und vollends darin von der Feuchtigkeit befreit, in⸗ dem.man fie außringt. Endlich wird er in Faͤſſer eingetreten; dieß ift der Sad- caviar von Aſtrachan. Untere Arten werden flüfflg und marinirt in Käfler ges Schlagen und verfendet. Wan fertigt auch Saviar in Perflen, der Türkei und in Italien, macht felbft in Deutjchland, namentlich in Hamburg und Magdes burg, Caviar aud den großen Fiſchen und bereitet endlich aus dem Rogen der Karpfen den jogenannten rothen Caviar. Der Caviar fcheint vor dem Anfange bes vorigen Jahrhunderts nicht in Deutfchland allgemeiner bekannt geweien zu ° fein, indem er in den Altern Kochbüchern nicht angeführt wird. Doc findet er bereitö in dem Leipziger öfonomifchen Lerifon vom 1731 eine Stelle mit fol« genden Worten: „Caviaro heißt eigentlich der eingefalzene Rogen von einem Stör, welcher in Moskau zubereitet und von dort aus in großer Menge verführt wird. Er ift von jchwarzgrüner Farbe und Hat einen ganz thranigen Geſchmack, deſſen ungeachtet foll er in Stalien eine Delicatefie machen. Er wird troden, wie auch flüffig in Bäpchen dahin gebracht. Die Zurichtung befteht in Baumoöl und Eſſig, jammt ein wenig kleinen darein gefchnittenen Zwieben und darunter gelegter geröſteter Semmel. Ban hat nach diefer Art ven Hecht» und Karpfen- Rogen, der von angenehmer Farbe und Geſchmack und von den Italienern zum Unterjchied deö vorigen, fo Caviaro negro heißt, Caviaro rosso oder rubro ges nannt wird, zubereitet und eingefalgen. Es ift aber feine Art von allen beiden bei und in Oberbeutichland in große Eonflderation gekommen. Zu Anfang dieſes Iahrhundertd wurden jchon große Maſſen des jeitbem fo be⸗

von Augenzeugen berichtet winde. . © Unter den Vögeln, die auf feine Tafelm aufgetragen werden, find bie Leip⸗ iger Lerchen, die Krammetsvögel und bie Ortolanen zu nennen, Daran ſchließt ſich bang ———

—— —— und Reber und Ein⸗ nen Die Kärabtnget RBLe aber gab- ih Sa 1691 eine

- ‚Werne

4 ‚Dat Keen Bee anfgehn, as haſlhuhn jur ndiß bie ungen, zahmen Hühner zu dreiundzwanzig, die alten zu zweiundzwanzig Ge- richten ; aus dem Gapaun aber verftand er nicht weniger als vierundolerzig Spei- fen und Trachten barzuftellen. Zur wilden Ente hatte er funfzehn Mecepte, zur Gans neunundzwanzig er Hieferte fie gebraten, gefotten, geräuchert, Fricaffirt, in Geftalt von Pafteten, Knödeln, Würften, Eingemachtem. Die wilde Gans gab achtzehn Gerichte, der Pfau aber nur drei. Diefer edle Vogel, der ganz von unferen Tafeln verbannt ift, hatte bei den Alten einen befonderen Werth. Die Römer lobten den Geſchmack feiner Zunge, Rumpolt trug ihn auf, warm ger braten oder Falt, dann in Pafteten eingemadht und kalt, endlich Falt abgebraten. „Pfannen, fagt er, „mit einer Gallrat zugeriht, in einer Gallrat die fein geftchet, famt den Kedern, fo ift es gut zu effen und ift ein fchönes Schauweſſen. und taunft auf einem Pfauwen vielerlei Speiß machen und zurichten. Das erwähnte Nürnberger Kochbuch giebt (S.254) Anleitung zur Bereitung des Pfauenbratene wie folgt. „Man nimmt ein halbes Seidfein oder halbe Maß Weineſſig, gießt ſelbigen dem Pfauen in den Hals, daß er erfticht, und rupft dann ſelbigen bis an den Hals und Kopf, welche befedert bleiben. Nach dieſem

Die Raprungömittel, 8505 wird er vier Tage fang eingebeizet, dann ſowohl aus⸗ als abfonderkich einwendig mit Ingber, Pfeffer, Regelein, Zimmet und Muscatenbläth wohl eingewuͤrzet und auf das fleifigfte zugedeckt und verwahret und über Nacht fm Keller ober einem anderen fühlen Ort aufbehalten; wann er nun gebraten werben ſoll, laͤßt - man ihn zwei Stunden lang im Salz Tiegen und fiedet Ihn dann an (d. h. den Bratfpieß), verbindet den befederten Hals und Kopf mit einigen Tüchlein ober Papier, daß fle nicht verbrennen. Indeſſen fegt man einen Wein zum Feuer, würzet ion mit Ingber, Pfeffer und Negelein, thut ein wenig Bachichmalz Darein, macht es fledend, betreifft den Pfauen damit und Täßt ihn alfo ſechs Stunden lang braten.”

In ähnlicher Weife wurde der Reiher und der Kranich gebraten und warm oder kalt in einer Schüffel ftehend mit feinen Federn aufgetragen; fo ift es, fagt Rumpolt, ein herrlicher Vogel.

Dom Faſan Tieferte derfelbe Küchenmeifter zweiundzwanzig, von der Stein» benne ſechs, vom Birkhahn fünf, vom Auerhahn aber nur drei Gerichte, doch mußte diefer ebenfalls in feinem Federkleide auf der Tafel erſcheinen. Den in⸗ dianifchen Hahn, unferen Truthahn, brachte er in zwanzig verſchiedenen dormen auf die Tafel.

Daß der Adler ehedem eine nicht verachtete Speiſe war, zeigt Rumpolt ir den neun Gerichten, die er daraus berftellte. Er gab ihn gebraten und einge madıt, in Ballrat und Bafteten.

Das gemeine Hautgeflügel, welches auf unjeren mittleren und höheren Ta⸗ feln erfyeint, find Tauben, Hühner, Enten und Gänfe, welche Tehteren fich durch ihre Eier und Federn, fo wie ihr reichliches Fett die befondere Gunſt der Haudwirthinnen erwerben.

Tauben find ein Gericht für Kranke und Kinder, und die Kochkunft muß fie gang befonders zubereiten, fäuern, würzen, füllen, wenn fle einer gebildeten Zunge munden follen. Defto ausgiebiger und ſtets gern gefehen iſt das junge Huhn oder der emporfprofiende Hahn, wenn er zwedimäßig bereitet wird. An⸗ gelehener ift der Capaun und der Truthahn, den ein Frefſer für einen albernen Vogel erklärte, weil einer zu wenig ſei und zwei zu viel für feinen Appetit; - derfelbe hat fich den Ehrennamen bes Gonftftorialuogel® erworben. Der Trut⸗ hahn, in ven norddeutfchen Seeprovinzen Kalkuhn genannt, wird dort befon- derd gern gegeffen und auch ald Ragout aufgetragen.

Die Vögel nüten aber, gleich vielen Fiſcharten, nur im weientlich höheren Mafftabe, den Menfchen auch durch ihre Eier. Alljäprlich werden Millionen an dem Strande der Infeln der Rordſee eingefammelt und als Wintervorrath bewahrt. Nicht minder werden Millionen in den Entenfchiffen der Ehinefen und den Hühneröfen der Negypter auögebrütet. In Europa werden Millionen Eier jahraus jahrein frifch zu Gemüfen, Suppen, Backwerken verwendet und außerdem warm und weich oder Hart gejotten fofort verzehrt oder den Salaten als Zierde beigegeben oder auch in Salz gelegt und als Zufoft zu Brod ober Butter verzehrt. Aus Eiern bereitet man zahlreiche Faftenfpeifen. Die Koch⸗ und Kellermeiftereb , die im Jahre 1584 in Branffurt am Main gebrudt wurbe,

Ks kn ——

—— * ——— gebachene Eier oder Ochſenaugen, bie noch heutiges X felben Namen in Nürnberg ge⸗ a al Boten Be don ir el |

Waͤmmlein, —* oder Knödlein. Wir finden ferner: Ein Gras-Göcker oder verlorenes Hühnlein, Eier-Platz, Gier-Käs, Eier- Käs-Dorten und Eier-Cülzen. Eee Die moderne Mitauer Küche wann (Mitauer Kochbuch 1844) hat aufer den weichen Eiern Rührei, gebastene und verlorene Eier, Eierkuchen, gefüllte Gier u. dergl, Daft jede Provinz des namentlich katholiſchen Deutſchlands hat ihre eigenthümlichen Giergerichte, wenigſtens egentGämlihe Ramen für and weit befannte Speiſen, deren Hauptbeftandtheil das Hühnerei iſt. Im Allgemeinen ißt man die Eier theils weich, theils hart * zum „theils mehrartig und, mit anderen Stoffen gemiſcht Mittags als Suppe —— weis auch zum Abendörode mannigfad, als Gehäd tet, r . “ri IT TUNG Unter. allen Eiern Sehält das Shhneren den Vorzug vor-den übrigen, mag auch das Straufenei in Afrika unb das Gänfeei bei und ausgiebiger fein. Ki— bigeneier haben allerdings einen. feinen Gefchmad, find aber im Ganzen doch ig als daß wir. Re, unter bie gangbaren Speifen aufn Önnten, 9— Im Allgemeinen iſt zu bemerken, daß die Vögel, mit, Ausnahme der * ben und Hühner, in ber Regel gebraten aufgetragen werden und unſtreitig ge— braten auch am ſchmackhafteſten und zuträglichften ſind. Sie wurden früher allgemein am Spieße gebraten und nur die Ärmere Klaſſe, wo die Haus frau feine Zeit oder feine Dienftleute hatte, weldye den Spieß dreben und den Braten beaufjichtigen fonnten, bat das Braten in, der Pfanne und im Badofen hervorgerufen. In M. Rumpolt's Küche ift weder ein Brat- noch ein Kochofen zu bemerken, Auf dem geräumigen Herde brennt ein gewaltiges Feuer, neben welchem. fich ber Bratſpieß mit Geftell und Gewichten befindet, Um das Beuer fiehen die Töpfe und bin umd wieder hängen die Pfannen und

Die Raprungsmittl. . 397

Gafferolen mit dem langen Stiel, die er felbft nebſt feiner wohlgenäßrten Kuͤchen⸗ magd handhabt. Erſt fpäter Fochte man in ärmeren Haushaltungen auch im Dfen unt dann entftanten, namentlich ſeit das Brennmaterial Foftbarer zu wer: den begann, die Sparfochapparate, bie nicht ohne wefentlichen Einfluß auf bie Geftalt der Kochgefchirre blieben. Das Altefte Kochgefchirr iſt der Kefiel, den wir aus Stein bei den Grönländern und aus Metall bei den Tungufen fanden, Der Kochkefiel wurde von den Soltaten feit uralter Zeit mit ins Feld genom⸗ men. In Sranfreich ift er, eben fo wie in den weftfälifchen Bauerhäufern aus Stroh, fortwährend im Brauch und an eiferner Kette über dem offenen Herd» feuer aufgehängt. Der pot-A-feu nimmt das zu kochende Fleifch und Gemuͤſe auf, welches die Familie zu Mittag zu eſſen beabſichtigt. Das Kochen im Dampf in dem verfchloffenen papinianifchen Topfe hat troß feiner großen Zweck⸗ mäßigkeit in den beutfchen Küchen der Privatleute noch wenig Eingang gefun- den. Defto mehr haben fich die Kochherde und Winter und Sommermafchinen wegen der großen Reinlichkeit, die fle ermöglichen, immer allgemeiner ver breitet.

Das Fleifch der Bierfüßer bietet nun den eigentlichen Kern der menſch⸗ lichen Rahrung in den civiliſtrten Staaten und zwar das Fleiſch der auf dem Lande erzogenen Thiere, namentlich das der Rinder, der Schweine, ber Schafe und der Ziegen.

Die jagdbaren Thiere nehmen um fo mehr ab, je mehr der Menfch ihre Heimath, den Wald, die Moräfle und die Oeden, in feine Pflege nimmt. Noch im fichzehnten Jahrhundert Tieferte die Jagd außerordentliche Waffen des Eöftlichften Fleiſches auf die Tafeln der Fürften und des Adels; ja ed fehlte in Städten, zu deren Beſitzthum Forften gehörten, durchaus nicht an Wild für die Küchen der Beamten und der wohlhabenden Bürger, und Hafen« und Rehbraten wurden aus ben bedeutenden Vorrätben ber fürftlichen Jagdhaͤuſer oft zu ſehr billigem Preife an die Bürgerfchaft verfauft. Konnte doch König Friedrich Wilhelm I. von Preußen manches Jahr über 3500 Stüd Wildſchweine in feinen Korften erlegen, wovon er eine namhafte Anzahl ven Berliner Juden zum Kaufe anbefahl, Die fie aber bei Strafe nicht wieder ver- fanfen durften (f. Gramer zur Gefchichte Friedrich Wilhelm's I. und Friedrich's Il. ©. 165). .

Unter dem Wilde von Mitteleuropa nimmt der furchtfame Hafe, der all» jährlich feine Durch Schrote und Schlingen gelichteten Reihen mit großem Eifer aufs Reue zu füllen bemüht ift, eine geachtete Stellung ein. Meiſter Rumpolt bereitete denfelben auf zweiundzwanzigerlei Art zu. Er verarbeitete das Gehirn zu Poveſen, wie man fie vom Kalbshirn macht, er Fochte das Vorbertheil mit Zwiebeln und Aepfeln, aus der Leber und ben Lungen fochte er Muß, in bie Därme füllte er das zerhadte Hintertheil als Wurſt, er lieferte Karmenada und Hattele und briet den Haſen auf gewöhnliche Art. Die Nürnberger Koͤchin em» pfiehlt befondere Sorgfalt auf Die Vorberläufe zu wenden, wenn fle den Hafen am Spieße briet; dem Braten felbft Half fie durch flarf gewürzten Roſen⸗ und Hollereffig nach. Junge Häslein trug fle gefüllt auf. In ben deutfchen Haus⸗

einen Sammelrüden, den fie durch —* in Ermangelung des ächten Rehbratens darzubringen. LS TE Das Dammmwild liefert einen nicht minder polt führt e8 unter dem Namen Dendelwildpret auf-und:verftand. es, an dreißig Speifen und Trachten aus dieſem trefflichen Material herzuftellen. Er bereitete. die Obren und Die noch weichen Gchörne, das Maul, die Zunge, - die er ebenfalls räuchern ließ, die Leber, auch als Wurft, den Magen, den Griff, die Milz, die Lunge, die Nieren, Kuttelflet, Euter, Ziemer, Füße auf pifante Art zu. Große Sorgfalt empfichlt er auf den Speck zu wenden, womit der Braten zu: ſpicken ift, und denſelben ja recht Flein zu fehmeiden. Er gab den: Braten mit wohl geyfefferter faurer Brühe oder mit Salh. Der Hirsch wurde von Numpolt zu fiebenunddreißig verjchiedenen Spei= jen verarbeitet. Den Hirſchkopf jort er in einem Keffel, behandelte ihn wie den Schweinskopf und teug ihn mit dem Geweihe auf die Tafel. Dann lieferte er gepreßten Hirſchkopf, dem er ald ein ſehr vornehmes Gericht darftellt, das wür= * ‚fer, auf der Tafel von Kaiſern und Königen zu erſcheinen. Gin nicht min- der koſtbares Gericht wird aus den jungen fproffenden Hirſchgeweihen gemacht, die in Waffer, Eſſig und Salz gekocht, in dünne runde Scheiben zerfchnitten, aufgetragen wurden, Vom Hirſch wurden ferner Maul, Zunge, Lungen und andere Theile, die auch vom Meh zubereitet wurden, aufgetragen. Zuletzt bringt Rumpolt ein ganz eigenes Gericht: „Laß Dir das nicht ſeltzam fein, daß vom einen, ſtuck Wild, das gefangen ift worden, und ein Kalb in ihr gehabt, das auch nicht recht zeitig ift geweſen, ich von Stund an hab herauß genommen und. flugs das Häutlein herabgezogen, in einem falten Waſſer ausgewaſchen und alſo ganz auf ein Tiſch geben. Alſo Hab ichs vor die jungen Herren von Oeſterreich

Die Bppungänikke. 299

zugericht. Es würde wol mancher fchlechter Bauwr nicht darvon effen, würbe beſorgen, ex freß den Todt daran. IR aber ein gute herrliche Speiſe, wenn man fle recht zurichtet, kanns einer faft mit Kleifh und Beinen eſſen, fo mürb iſt e8.'.

In Scandinavien, Preußen, Lithauen, Sieffand uub Kurland wird noch jetzt das Glenn gelagt und fein Fleiſch gern gegeſſen. Da es jedoch etwas grob ift, jo muß daſſelbe ſtark geflopft und dann mit Zwiebeln, Pfeffer und anderem Gewürz, Lorbeerblättern und etwas gequetfchten Wachholderbeeren in Gifig gelegt werden. Hat ber Braten etwa jechE Tage in dieſer Beize gelegen, fo wird er geſpickt, mit berfelben Beize in verbedter Pfanne aufs Feuer geſetzt, langiam gefchmort. IR die Brühe allmälig eingefocht, jo giebt man. ein gut Stüd Butter dazu und läßt den Braten darin braun werben (Mitauer Kochb. 1844, ©. 201). Das Fleiſch der jungen Thiere wird fehr geichäßt, das ber alten wird auch für den Winter eingefalgen. Rumpolt behandelte daſſelbe wie den Hirfch.

Nennthierfleiſch kommt höchſtens auf den Tafeln von St. Petersburg wäh- send der Wintermonate ver, wo die Tihiere von den Samojeden herbeigeſchafft werden.

Selten iſt gegenwärtig auf feinen Tafeln von Ritteleuropa das Eichhorn, obſchon fein Fleiſch weiß und zart if und in Scandinavien gebraten und ges focht, auch in Suppen gern gegeilen wird. Marx Rumpolt rühmt es als wohl« ſchmeckend und brachte es gebraten und in Paſteten in mancherlei Geſtalt auf die Tafel,

Der Bär wurde, fo lange er in Deufchland noch vorkam, ald Braten wenig geachtet und nur feine Füße und der Kopf gleich dem des Wildichweind benugt. Der Auerochs, deſſen Fleiſch nach Rumpolt größer a als das des zah⸗ men iſt, ward ebenfalls gegeſſen.

Das Fleiſch des Igels rühmt Rumpolt als brauchbar zum Braten, Gin machen und als Paſtete, eben jo das des Stachelſchweins. Den Dachs über geht er mit Stillfchweigen, wie auch ben Fuchs, der nus hier und da im Win ter von armen Leuten gegeflen wirt, wenn er fi von Weinbeeren genährt hat. Die Jäger machten, als das edle Waidwerk noch im Gange war, aus den ge⸗ hadten Därmen, Herz, Lungen und Leber des Fuchſes gemijcht mit Salz, Inge wer, Kümmel und Pfeffer Würfte und festen fle mit auf die Tafel nach ter Jagd. Hatte nun Siner aus der Gefellfchaft eine ſolche Wurft ergriffen und verzehrt, fo ward er audgelacht, die Jäger bliefen auf den Hüfthörnern und beil» ten wie Hunde und Füchſe.

Das Murmeltbier, das im Winter fehr fett wird, bereitete Marx Rum⸗ polt zu ſechs Gerichten und irug es gekocht, gebraten, geräuchert mit allerlei Saucen und Kohl auf. In den Ulpenländern wird: e8 noch jetzt fo gegeflen. Das Fleiſch ähnelt dem des Schweines.

Dom Biber man nur den Schwanz, den man gleich dem Karpfen zu⸗ bereitete. Doch lehrt Rumpolt auch die Küße in Pfeffer und Mandelgeicharb

zurichten.

dreiundachtzig Speifen Herfelie,, neimunbfunfzig ihm liefente Das Mindfleife) wird gekocht, gebraten; gedüun⸗ ftet, am Spieß, auf dem Roſt, in der Pfanne gebraten, eingepöfelt und gerät chert und zwar vornehmlich die Zunge genoffen und bilder bei den germanifchen Völkern die tägliche Grundlage der Mittagskoſt aller fleifcheffenden Klaffen der Eeſellſchaft. Es wird mit füßen wie fauern und falgigen, mehr oder minder gewürgten Brüben und Gemüfen genoffen und alle Theile des Thieres werden benugt. Rumpolt trug den Ochſen⸗ oder auch den Stierfopf gany mit vergol⸗ deren Hörnern auf, preßte denfelben, machte aus bem Gehirn Muß, benutzte Augen, Maul, Zunge, Ohren, Milz, Magen, Nieren, Schlund, "Füße und Eingeweide zu einer Menge Gerichte, von demen noch manche bis auf dem heute gen Tag ſich in dem Küchen als bewährt erhalten Haben und die in dem fpäteren Kochbücdhern eier 1 ober mit‘ ng —* = 14 m aaa

Naͤchſtdem bietet * die Milch rer nahrhaftes als ge⸗ —8 Getraͤnk, wird aber ebenfalls nicht allein zu Butter und Käſe, ſondern auch zu vielen Suppen und Gemüfen allgemein benutzt. N⸗

Die Rindviehzucht bildet daher namentlich in ganz Deutſchland und Eng · land, vornehmlich aber in den germanifchen en ame wur wichtigen Bes fandtheil der Landwirtbfhaft. Tv

Die Herſtellung der Butter ift eins ber in der Defonomie und e& wird namentlich in Nieberbeutfchland, in dem mitteldeutfchen Gebir⸗ gen, dem Erz» und Miefengebirge große Sorgfalt darauf verwendet und theild und bei weiten häufiger zur Bereitung des Wleifches, vornehmlich

DU Snbsungtadtä. wi aber Der Gemäfe und Barberie verwendet. Rau en Pe. wit und ohne AR. th zu —66 In Island if Die Baker son befönberer Wiceighrit Kar Hate dort ehedem hei. den Bitchoföftgen große Berrarhöhäufer mit Butter, ans Denen: fm Beiten ber Roth die Menſchen verforgt warden. Uebrigens licht man Hier bie faure, ungefalgene Butter, die man zu ten getrockneten Fiſchen ißt, denn fie swerbreitet nach dem GBenuffe eine angenehme Waͤrme über den ganzen Körper. Ein nicht minder wichtiges Erzengniß ift der Käfe, der, je mehr Wild fett an dem eigentlichen Käfeftoff gebunden ift, um fe fchmadhafter wird (f. Mo⸗ leſchott, S. 171 über feine chemiſchen und biätetifchen Eigenfchaften). Den Kite fanden wir bereits bei den pafiiben Volkern. Griechen und Römer kann ten und aßen benfelben und bei allen germaniichen Rationen wird er ebenfalls feit after Zeit gemacht, obſchon fein Raute der römiichen Sprache, wie Der der Butter der griechiſchen entlehnt if. Im 16. Jahrhundert waren, nach Bode Gpetbfammer (31.25), die beften Käfe die Der. Alpen, des Schwarzwaldes, des Weasgaues, Münſterthals, Die von Hornbach, Buttlingen ; nächft dieſen rühmte man die Höllänvdifchen und Partaefankäfe. In Sachſen und Braunfchweig, auch in Thöringen und Brandenburg macht man bie mngeren, wit Rümmel gemifchten Kife. Roc in der erſten Hälfte biefes Jahrhunderts wurden wiele Käfe aus Holland bezogen und zwar Sußmilchkaͤfe, Texelſcher, Epamer oder weflfriefticher und Leydener; man führte auch Texler grüne Kaͤſe, greene Kaas, aus. Naͤchſt⸗ dem lieferten Limburg, Oſtfrieslaud, Holftein, Mecklenburg und Danzig vor⸗ zugliche Kaͤſe. Später brach fich der böhmiiche und Taufiger Kettläfe Bahn. Der Schweizerfäfe erreicht meift ein Gewicht von 60 100 Pfund und wird bis Franfreich und Italien ausgeführt. Von Samen und Gryers wurden in ber erften Hälfte dieſes Jahrhunderts jährlich 80,000 Eentner über Genf nadı Frank⸗ reich verſendet. Die Käfe aus dem Emmenthale im Kanton Bern find berühmt. Der grüne Schabzieger und der Kräuterkäfe kommen aus dem Kanton Glarus und werden beide mit grünem Steinflee gewürzt. Salzburg und Oberpinzgau Hefern mehrere Käfeforten für den Handel, Das Kronland Salzburg Liefert jährlich 35— 40,000 Centner Käfe, von denen bie geringfle Sorte mit 5 BL C.⸗M., die befte mit 20 Fl. C.⸗M. für den Gentner bezahlt wird. Die Sorten heißen guter, fetter und halbguter Schweizerkaſe. England erzeugt gleichfalls feit Tanger Zeit vorzägliche Käfe, die jedoch wenig ausgeführt werben, Die be⸗ rühmteften find der Gloceſter⸗ Cheſter⸗ und GStiltonläfe. Der Stradyino- und Parmeſankaͤſe wird in Lande friich gegefien, auögeführt aber vorzugsweiſe zur Würze von Suppen und Mehlfpeifen angewendet. In Frankreich werden in Languedoc, Auvergne und: Dauphins die berühmteften Käfe gefertigt, unter denen dem von Roquefort der Preiß zuerfannt wird; fie wiegen 6—8 Pfund und haben feit uralter Zeit ihren Ruf erhalten. Gefchägt find die Käfe von Brie und Marolles.

Schaf und Biege, die zu den Käfen fo wichtigen Beitrag liefern, find nicht minder durch ihr Fleifch vor großer Bedeutung für die Küche. Bam ſchlachtet Laͤmmer und gemaͤſtete Hammel. Vom Lamm machte. Rumpolt acht⸗

IV. 26

nur ven Sandmann. ame N r

Gegen’ (Ende des-vorigen Safırhunderts> erhobensfidh mebrfache Bedenken gegen den Genuß des Schweinefleifches, Die aber nicht den geringften Einflug übten.

Das Fleiſch der Pferde und Ejel, deren Mildy bejonders heilkväftig für Brufifranfe ift, kann jo wenig in den Kreis der europäifchen Nahrungsmittel gerechnet werben ald das Hunde, Hagen und Ratten. Die Speifen aus dem Pflanzenreiche dienen vornehmlich zum nn werden urn auch richte genoſſen. er I AL ZI Rob a8 Obſt deſſen Anbau weh Sid» und Mitteleuropa mit großer Sorgfalt betrieben wird. Das beliebtefte Obſt der Völker dieſſeits der Alpen befteht in den zahlloſen Arten der Kirſchen, Pflaumen, Aprikojen und Pfirfichen, der Birnen und Aepfel. Dazu kommen die Him⸗, Erd», Johannes und Stachelbeeren,, die Weintrauben , Heidelbeeren und Mispeln. Alle diefe Obftarten werden mehrfach gekocht, eingefotten, ge würzt, geläuert für den Winterbedarf und für den Nachtifch zubereitet. Jenſeits der Alpen bilden Limonien, Orangen und Feigen trefflihen Obftgenuß, Von Nüffen benugt der Europäer die Wallnuß und Haſelnuß, feltener bie Pimpernuß und Buchnüffe und Eicheln zum PR Die —— kommt nur als Curioſum auf europaiſche Tafeln. 1 Die Ananas iſt immer nur eine Delicateffe für Wehlhabende Er Die Blänter, Stengel und Blürhen vieler Gewächje, namentlich ‚die ver fletenen Krauts und Koblarten, verfehen den Tiſch aller Stände mit reichlichen Gemuͤſen, unter denen das Sauerkraut und der Kohl hier und ba zu den Nar

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tionalgesichten gehören. Andere wie ker Galat und manche junge Blätter wen⸗ ben mit Eſſig und Del alt Zuſpeiſe zu Braten und kaltem Fleiſche genoſſen.

Schr ergiebig find vie Wurzeln für Die wuenichliche Küche, indem fie iheils roh, theils mit Brühen gekocht, theils mit Eiflg und Del genoffen werden, wäb- send aus anderen, wie ber Maniocwurgel und ber Kartoffel, ein nahrhaftes Mehl gewonnen wird.

Demnaͤchſt And auch die Pflanzen zu nennen, bie Dem Menſchen das Del oder vegetabile Fett gewähren, womit er viele feiner Speiſen ſchmackhaft macht, Es ift dieß jenfeltö der Alpen der Delbaum, dieſſeits aber der Lein, der Hanf, ber Raps, der Mohn, die Sonnenblume und die Wallnuß. Kür Mitteleurepa iR. der Rays von eben fo hoher Bedeutung wie ter Delbaum für den Süden.

Endlich abes wenden wir und gu Dem Getreide, weldes das Brod. zur täglichen Wahrung darbietet. Die Getreidepflanzen des Drients find Durrha, Weizen und Weiß, bie ber neuen Welt ber Mais, die der Küfenländer bes Mite telmeeres die. Gerſte und ber bieffeitigen Alpenländer der Roggen. Neben dem Roggen werben noch andere Betreibearten, wie Hafer, Haidekorn, Hirfe gebaus, bie zur Ergänzung des Mehlvorraths dienen, wozu auch noch das Mehl der Wurzeln, uamentlich der. Karteffel, ja im Rorden Baumrinden verwendet werden. -

Das Pflanzenmehl ‚dient feit uralter Zeit als weientlicher Robrungöfoff für die niederen Klafien des Volkes in ganz Europa in Geſtalt von Brei und von Brod, es barf aber auch als Brod, Gebaͤck, als Mehlſpeiſe, ald Kuchen nicht auf den Tafeln der wohlhabenden und höheren Klaſſen der Geſellſchaft fehlen.

In der älteſten Zeit genoß man in Rom und Italien das Getreide täglich frifa) gemahlen und gekocht ald Buls, deſſen Abkömmling die in Italien noch übliche Polenta it, die gegenwärtig aus Maismehl bereitet wird. Nächfidem hatte man auch das Brod, Panid, welches von ten Frauen gemahlen und im 2 Zoll dicken vieredigen Kuchen gebaden wurde, bis die wachiende Volksmenge der Stadt im. Jahre 580 .derfelben audy Müller und Bäder hervorrief. Man hatte mehrere Sorten: aus Weizen, Gerfle, Dinkel und auch Eleine gewüͤrzte Brode. Gegenwärtig hat man in Italien durchgängig weißes Brod, welches überhaupt den romanifchen Nationen eigenthbümlich zu fein fcheint, wie denn auch in Frankreich überall Weißbrod gebaden wird. .

In Süddeutichland ift meiftentheild noch das Weißbrod vorherrſchend. Man hat aber auch noch neben dem eigentlichen gewöhnlichen Weißbrode feinere Gebaͤcke, Weden genannt, die gar mannigfache Geſtalt annehmen und bald einem Schiniten, bald einem Knoten, einer Schleife, einem Hörnchen u. ſ. w. gleichen. Faft jede größere Stadt hat ihre eigenthümlichen Kormen für dieſe feineren ®ebäde, die durchgehends ungefäuert find. -

In Rorbdeutichland, Polen und Rußland ift gefäuertes jchwarzed Roggen brod zu Haufe, welches gemeiniglich die Weißbrode an Umfang übertrifft und eine nahrhafte aber ſchwere Koſt abgiebt. In Sachien if es weniger ſchwarz und ſchwer als in Wefifalen, Pommern und Holſtein, wo man das Getreide

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ee Pumpernickel ähnlich ift und je eine Portion für zwei oder mehr Tage aud- mh. Mia mwartid Tor wmrmwoyldan ri mei ee

Für Feldzüge und für die Seereijen bädt man aus weißem Mehle zollftarfe runde oder bieresfige Bode son 4-6 Zoll Durchmeſſer, Schiffszwiebad

genannt, aus denen alle Feuchtigkeit entfernt wird und die ſich für längere Heit nr net —— 4* nv uns Yan a

nm een bädt man den Brobdteig in’ dünne platte Scheiben, bie in der Mitte durchbohrt find, das Kinäfebrop, ie gereiht in den ee lange aufbewahrt: wir end ann nd neu Meben dem Schwarzbrod bädt man —— und weißes, meift zum Fruͤhſtück zum Gebrauch in der Küche und für feinere Tafeln, Das ganz weiße Brod, meift in Geftalt Tanger Cyhlinder, wird Sem⸗ mel genannt und vornehmlich in den Saͤdten, felten auf dem Lande gebaden. Nuaͤchſtdem giebt es zu gewiffen Iahreszeiten an manchen Orten gewiſſe Gebaͤcke, wie z. B. in Sachſen und Thüringen die Faſtenbrezeln ans Weizen- mehl, die vom hoben Neujahr bis zum ——— app Alt und Jung im den Städten verzehrt werden. von ( Das Prod aber ift ſeit alter Beit als ER een Beim Nachtmahl brach Ehriftus Das Brod. Gieb uns unfer tägliches Brod, Heißt +8 im Gebete des Herrn; fein Vrod fuchen, finden, Haben, find täglich wie mit Fuͤßen treten; in Sachjen legt Die Braut ein Stückchen Brod zu dem Kranze,

den fie ald Braut vor dem Altare getragen. „Schneide das Brob glei, fo wirft du reich,’ empfiehlt dad Spridiwort. '

Das Brod wird von gewifleniofen Bädern ofe zum Racytheil der menfege Küchen Gefunbheit verfälfcht und bie EBehlfahrtäpeizei hat daher daſſelbe zum Gegenſtande fertwährender Aufmerkſamkeit gemacht.

Anfer den Getreidearten liefern auch noch mehrere Wurzeln Rehl, unter denen von den Europäern krine mehr benut wirb als die Amtoffel. Diefes Burzelmehl wird indeffen weniger zu gewößnlicken Brob als zu feinerem Gebe und zur Bereitung von Suppen, Breien und Bemüfen benupt.

NRachdem wir nun die Stoffe zu den Speifen fo wie Die Bereitungdart der⸗ selben kennen gelernt haben, betrachten wir bie Bormen der Speifen, in weichen fie bei den civilifirten Völkern, namentlich Yon Europa, auftreten,

- Die Kochfunft verändert nicht allein den Geſchmack, fondern namentlich auch das Äußere Anfchen, Geſtalt und Farbe der in der Küche verwendeten Rab sungsfloffe aus der Pflanzenwelt durch mechanifche wie durch hemifche Mintel. Der Koch benugt von einigen Rahrungöfloffen, namentlich der Pflanzenwelt, nur den fluͤſſigen Saft, den er anderen feflen Aörpern beifept, yon anderen ben Barbftoff, wie z. ®. den bes Safran und der Heidelbeere, andere wählt er wm ber ihnen eigenthümlichen Schärfe, Säure und Güßigfelt willen, wieber andere braucht er, um loderen oder flüffigen Stoffen feſte Geſtalt zu geben, wie z. B. Hauſenblaſe und andere Gallerte. Das Getreidelorn and bie Wurzel wird ganz und gar entfaltet und zu Rehl zerrieben, aus welchem der Kuͤchenmeiſter fefte Körper bildet, wie wir fle in Kuchen, Torten und Bafteten fehen, ja die er ale Eonditer zur Herſtellung kuͤnſtleriſcher Bebilde, Statuen von Menfchen und Thieren, von ardyiteftonifchen Darftellungen, Blumen und Kränzen anwendet. Manche Rährftoffe erhalten ſchon, bevor fie an den Koch abgegeben werben, wie 3. B. das Brod, die Butter, das Del, der Käfe und andere zur Bereifung von Speifen nothwendigen Stoffe eine andere Geſtalt. Manche Speifeftoffe dagegen werden in ihrer natürlichen Geſtalt aufgetragen , wie namentlich das Obſt, Vie Eier, die Auflern. Wieder andere fucht man, wenn man auch ihr Inneres und ihren Geſchmack wefentlich verändert hat, doch in möglich natürlicher Form amf die Tafel zu bringen. Dieß gilt namentlich vorzugäweife von den Fifchen und Krebfen. Einige Bögel, beſonders der Echwan, Pfau, Auerhahn und Faſan, wer⸗ den mindeften® in den Äußeren Umriſſen mit Reſten des natürlichen Kleides auf bie Tafel gebracht, während von den größeren Ihieren, vom Stier, vom Sirich, vom Eber der Kopf in möglichft natürlicher Geſtalt, wenn auch in anderer Faͤr⸗ bung, aufgetragen wird. Der größte Theil der Nahrungsmittel kommt aber, und dieß fchon fett Altefter Beit, in ſehr veränderter @eftalt auf die Tafel. Wir nähern und biefen Formen und beginnen die Betrachtung, wie wir unfer Diner beginnen, mit der Suppe.

Wenn wir beachten, wie in den Trümmern der römijchen Belt auf ttalie- niſchem wie auf deutfchem Boden durchaus Teine Speifelöffel gefunden werben, jo ſcheint e8, als fei das Eſſen der Suppen nicht allgemeiner Brauch gewefen. Wir fehen allerdings aus Apicius, daß man mehrfache Bruͤhen und flüjfige

“2 ) all a - Er ge * £& rw tan * u | - * erberen lewten ſolch ſuppen geben an faſttagen jo: ſee zucker darauf vnd heiſſe viſch darbey alſo trucken.“ ON Zi u wm woran ⸗⸗

Mare Rumpolt tritt im Jahre 1581

Datteln, Melonenferne, aus denen er bie managen Suppen : zufant» menjebte, daz SThannin ZH shit RT TIER ——— Das Nürnberger Kochbuch som: Jafrc-1891 giebt Anleitung gu hundert- undſiebzehn verichiedenen Suppen, wird aber von dem Salzburger (Augsb. 41717, 4 Bände. 4.) bei weitem überflügelt, welches zweihunderteinundachtzig Fleiſch⸗ und hundertſechsunddreißig Baftenfuppen barzuftellen Tehrt, ° . Winder reich find die modernen Kochbücher, z. B: dad Mitauer vor Jahre muß oft eine nur mit Salz gewürzte und mit Schwarzbrod geflärfte Wafferfuppr der Suppe aus Mildy, Fleiſch, Fiſch bereitet oder mit Obftfaft, Bier, Wein, Ghocolade ſchmackhaft gemacht wird. Meise und Sagogräupchen und grüne Kräuter, Erbſen und Kartoffeln bilden den gewöhnlichen Kern der Suppen in der Hausmannskoſt, während auf den feſtlichen Tafeln ber norddentſchen Kauf leute die gebaltreiche Aal- oder Schildfrötenfuppe (Mock turtle) mit Behagen verzehri wird.) 104 a 1) le ee Im Sommer genießt man in ben Kaltfchalen ans Waffer, Wein, Bier

mit Bei sen bi

und mit der Sifchtelle aus der Schüffel auf den. Soll görad mie „Rs Eigenthümliche Geftaltungen —— * und Faltblüti-

—AOVV——

zumeiſt aus Frankreich. T Sleiſch wird auch öfters al ng rer und namentlich, bie Fuͤße Schweine, | |

denen mehrere ſich jet unter dem Titel von Puddings öfters darftellen‘ Die Purées der Franzoſen And nicht Anderes. Die Breie machen gemeiniglich, wenn fe ans Grüge, Erbſen, Kartoffeln gefocht find, die Liehlingsipeife ver Kinder und Landleute and; auf deren iſch ſie namentlich waͤhrend des Winters faſt taͤglich ee BEE Ar aa une ae Sa

Die Salate werden aus grünen Kräutern, namentlich den Kactufen und Lattichen, die man daher auch Salat nennt, mit Salz, Eifig und Del, Sped, faurer Mil), Pfeffer oder Zucker bereiter und Bilden namentlich zum Braten, tolten Fleiſch, Fifch und Wurft eine belichte Zufoft. Anftatt der Salarblätter nimmt man aud) Kartoffeln, Gutfen, Rapunticawurzel, Spargel, Bohnen ‚Enz divien, Kreffe, Sellerie. Marr Numpolt hat bereits funfzig verſchiedene Salate. Er beginnt mit: Endivien-Salat mit Del und Eifig angemacht und mit Sal Er nennt ferner: „Weiß Kopffel Salar im Waffer gequellt und wieberumauss gefühfet mit fig, Del und Salz angemaht, weiſſer Bucter, der geflohen iſt darüber gegoffen, iſt auch gut.” Dann folgen andere Zufammenjegungen mit rothen Rüben, Kapern ; dann Salate aus Brunnenfreffe, gejottener oder gebra⸗ tener Zwiebel, Rapunzel, Hopfen, Spargel, Gichorien-Rraut und Wurzel; Mo⸗ merangen, Aepfeln, Sauerampfer, Gitronen, Neffeln, Rüben, Artiſchocken, rothem Kraut, Kürbis, römifchen Widen, Bohnen, Borei, Rettig, auch: „Kollis Fioris iſt ein Spanischer Salat, kann man auf allerlei Manier zurichten.“. Zulegt fole gen zwei große Recepte, wovon das eine Nr. 49 mitzutheilen ft: „Nimm weiifen Salt, der geqnellt iſt/ reib ein weiſſen Wert und Barmefanfäs, ſchneid Muss eatenmüß darunter, Nimm Gierdotler und frifche Butter, die ungerlaffen iſt, ſchneid ochſenmark datumer und thu den Salat darunter und ein wenig geſtoße- nen Ingwer, fo it es ein Herrlich und gute Fuͤll; nach · ein Teig mit lauter

Eiern, arbeit ihn wohl, treib tha fein dänn aus, weile ehr Schteier, daß er ih dutchſicheig iſt, ſchlag die Faͤll darein und nimm ein jegliches Viertheil von Bactuca, ſchlagẽ in ben Teig ſammt der Füll und mach Krapfen daraus. Rimm ein gute Rtupfleifchbräh und. ein wenig ganz Muscatenblüthe, ſetz auf Kohlen, und laß auffleden, thu die Krapfen nach einander hinein und laß gemach ſieden. Alſo wacht man Schlidfrapfen von Yactuea, iR ein Föftlich gut Eſſen.“

Das Rürnberger Kochbuch vom Jahre 1691 widmete der Zubereitung ber Eſſige, Salate und Salſen einen beſonderen Abſchnitt. Es lehrt zunaͤchſt einen guten Hauseſſig aus faͤuerlichem Bier oder Wein machen und daraus mit Hilfe von Rosmarinblüthe, blauen Biolen, blauen Kornblumen, Noſen, Naͤgelein, Hollunder, Gitronen, Weinbeeren oder Korintben, Erbbeeren oder Weichfel⸗ kirſchen verſchiedene avomatifche Effige darſtellen. Darauf folgen neunundvier⸗ zig Salate, wozu ziemlich biefelben Beflandtbeile genommen werben, welche Aumpelt für feine Salate in. Anwendung bringt, außerdem aber noch Gitronet, Aprikofen, Sellerie, Gurten. Gier finden wir auch bie Lehre von der Ein machung von GOurken und Bohnen.

Die moderne Küche trennt die Salate in foldye, die zu weißen Braten, Huhn, Buter, Kalb gegeben werden, und in jelbftRändige Salate, die entweder

ale Voreſſen beim Diner oder aber befonders beim Souper gegeben werben. Sin -

neuer Saftrolog, Eugen Baron Vaerſt (Baftrofophie oder bie Freuden der Te fel. Lpz. 1851. 2 Mde. 8.) widmet dem Salat ausfährliche Betrachtungen. Er giebt zunächft eine Lieberficht über Die zur Bereitung befielben geeigneten Fruͤchte wobei er den Lattich, die eigentliche Salatpflanze, obenan ſtellt, die durch Die Cultur zu mannigfaltiger Form gediehen if, wozu die Kranzofen weientliche Beiträge geliefert haben. Er theilt Dad Verzeichniß der Kopflattiche, Sommer» und ZWBinterlattiche, Schnittlattidye, der dreizehn Arten von Laitue romaine oder Chicon mit. Diefe Lattiche foll man nie waichen, fondern nur mit einem trock⸗ nen Tuche abwifchen. Außer dieſen eigentlichen und Achten Salat verwendet die moderne Küche drei Gichorienarten, dabei Die Endivien, Rapünschen, welche die Engländer vorzůglich fchägen und fle nebſt Madischen als Zugemüfe auf den Tiih bringen, Sellerie mit rothgeflreifter EBurzel, Die jungen Frühjahrspflan⸗ zen der Gartenkreffe, Brunnenkrefſe, die bei Baris, namentlich bei St. Denis von Bauffter mit neun artefifchen Brunnen gezogen wird. Außer dieſen Pflan⸗ zen nimmt man zur Kournitüre des Salats gehadt und mit andern gemiſcht Raute, Mangold, Portulack, Löwenzahn, Kerbel, Boretſch, Kraufemünzge, Dra⸗ gun, Ranunfeln, Rapunzel, Löffelkraut, Spargel, Paſtinak, Valeriana locusta, Seorzonere und Hopfen. In der deutfchen Küche wird auch bie Kartafirt und die Gurke als Salat gegeben.

Auper.diefen Salaten, die als Zufpeife zu den. Braten gegeben werden, trägt man noch Sleifchfafate auf, in deren Darftellung Köche und Köchinnen eine außerordentliche Mannigfaltigkeit entwideln. Zur Salade de volaille gehören fette Hühner, Bafanen und Nebhühner, von deren Fleifch man dünne Scheibchen von den Knochen ablöfl. Auf den Boten der Schüffel gehört Lattich, außerdem werben einige Sarbellenfchnitte und Fleine Stückchen Pfeffergurfen beigegeben.

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dergl. Die Gemüfehändler geben of EEE niture würde der Koch dem Verkäufer an den Kopf werfen, weil Gras nur bie

Hunde freien. 00° rn re * en Der Salat fpielt auf der Tafel eine große Rolle, wenn er bajelbft auch ann Benin

reichgefbiette Börfe. 9 Kunf; einen geichsaduolen Salat gubereiten, Arm vorzugsweiſe aus Italien, wie ſchon der Name andeutet, und die älteren italienie ſchen Kochbücher, wie 5. B. das von Bartolomeo Scappi, dem Mundkoch Paul's I, geben Anleitung zu deſſen Gerftellung. Dann wurde Galat vor- nehmlich in Frankreich gepflegt und durch den „großen Gauder‘ fein Cul- tus nach England übergeitedelt. Gaudet jloh zu Anfang der franzöſiſchen Meup- lution mad) England. Er —— Anweſenden ‚ter bekanntlich erſt unmittelbar vor dem Auftragen des Bratens gefertigt werden darf, nach franzöſiſchen Orundfägen zu bereiten. Sein Salat fand ungetheilte Bewundes zung und er erhielt feitdem fortwährend Einladung auf Einladung, das Ges ſchaͤft der Salatbereitung an den erften Tafeln zu übernehmen. - Bald fuhr er im eigenen Cabriolet von Diner zu Dinengund fein Glück war gemacht. In dem letzten Viertheil des vorigen Jahrhunderts war Die beruͤhmteſte Salarkünft- Terin von Berlin die Wirthin zur Stadt Rom, Frau Drafe, die mit -aufierorbent- licher Anmuth und Würde das wichtige Geſchaͤft beiorgte, das an der Tafel König Friedrich Wilhelm's 1. von dieſem öfters eigenhändig verrichtet wurde. Ic) verweife Den Leſer auf die Gaftrofophie ded Barons Vaerſt, wo er (BI, ©. 142) das intereffantefte Detail über das reiche Eapitel des Salats finden wird. - Nächft dem Salat, ber fletö den Begriff von Salz und Säure in fi fchließt, wenden wir und zu den falten Zugemüjen, deren belebendes und erhal« tendes Princip der Zuder bildet, au. den Gompot& oder Eingenachten , deren ber furmainzifche Mundkoch bereitö neungehnerlei Arten anführt und wozu er Nuß, Amarellen, Birnen, Citronen, Bomeranzen, Ingwer, Onitten und Pfir- ſichen vornehmlich anwendete. Das Nürnberger Kochbuch, das Salzburger und das der Tochter ded berühmten Gonring, der Frau Schelhammer, haben bereitd mehrere andere Fruͤchte in den Bereich ihrer Kunftfertigkeit gegogen, na⸗ mentlich die verfchiedenen Ribes-Arten, Weinbeeren, Pflaumen, Hagebutten, Miöpeln, Galmus,; Wegwart u. f. w., bie denn auch die neuere Zeit gu vermeh⸗

Banjepo-Bianıto Au ieh Wehen) dorman in jepfic | Quderheftrent.”. —— ————

4 Wir finden ferner bei Rumpolt (BI. 137),Gollopotrida zu * BEE BE machen mit pen Küchenboden

Din im le ‚lad ad er ee - Im der Älteren Küche waren Die Salfen Gegenftand forgfältiger Bearbei⸗ tung, die denn andy im der franzöflichen Küche noch jegt eine große Rolle ſpie— len, Die Rürnbergerin verwendete dazu Senf, Gitronen, Obft, Mandeln, Ruf, Hagebutten, Löffelkraut u. ſ. w. und brachte an zwanzig Arten damit zu Stande, Derartine Sauren hatten bereits die alten Römer in dem Garum, das folgen» bergeftalt bereitet wurde, Man nahm kleinere Salzfiiche ein Maß umd that fie in drei Maß guten Wein, mit welchen man fie im einem chernen Keſſel bis zur Hälfte einkochte. Darauf wurde die Brühe durchgefelht, bis fie Far war, und auf eine Glasflafche.gefüll, Man nahm dazu Mafreelen und andere Fiſche die beite lieferten die Kleinen in Seewaſſer aufgelöften Thunfiſche, die aus Spas nien famen. Man verichärfte das Garum auch noch mit Effig. Das delica⸗ tefte Garum war das Garum Sociorum, wie es bie een Generalpächter in, Spanien bereiten ließen. mu 6 ehe ana ae Auch die oft« und ſuͤdaſiatiſche Küche hat —— bie man den Fleiſchſpeiſen, bejonderd den Fijchgerichten ala Würze beigiebt. Es ift die Spia, bie aus den Kernen der Sojabohne (Dolichos) mit etwas Weizen ges kocht und jodann in Stüdte zerfehnitten wird. Diefe gähren dann, nachdem fie der Sonnenbige audgejegt worden find, und werden dann im Süden ausge preßt., Der braune jalzige Saft kommt aus Japan in kleinen hölzernen

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Nuter ben &lteyen. krangöffgen Saucen war —— la Robert —* 9 von Nabelais beſonders geferert. Friedrich der Große Lichte die Saucen ſehr und fen Koch Rosi: verſtand ſich vorzüglich auf Die Bereitung: Verfelbenn Eine namhafte Reihe Saucen finden wir. in dem Caisinier Imperial des A. Biarb; Baris 18066, wo'wir. Sauce à l’aurore, à. la-d’Orltens, à ia Grimand, & la Piuche, à la Portugaise, à l’Allemande usb. verfchiedene andere antreffen, zu denen die neutren Kochbucher der Franzofen reichliche Nachtraͤge liefern. ‚Die Sauren,” ſagt Baron Waerſt I, 206, „find Die Klippen ber Köche: fie erfordern grüändliche Ammninig der Chemie.“ An die Seucair fchließen ſich die Jus und Gouls ; letztere dienen in der Küche, Die Saucen und Votsgen körperlicher und Damit geniehbaren und geſchmackvoller zu machen, wozu man elbleiſch Gi nerfleiſch, Ghampignend, Linfen und Krebie anwendet. 0 5 Die Paſteten Bamımen ‚ebenfalls aus Ralien. I umpoirs Bucr finden wir jechäundviersig Paſteten aus: Fleiſchwerk und Gevogel und zwanzig ans Fiſchen. Das Rürnberger Kochbuch vom Sabre 1691 Kat ebenfallo vier⸗ undfunfsig Resepte dag... Die moderne Kochkunſt leiſtet in Frankteich wie in Kurlaud Hierin ſehr Worzuͤgliches, obſchon fie: auch darin nche dem Ginfachen fich zuwendet als die aͤltere. A— ———— * sen

langer Beit einm beraten Ramen schalten, nn... :.: Ä | Aus England flammen die Buddinge, die eigentlich mit den —* Kloͤßen im Weſentlichen üͤbereinſtimmen und arſprünglich kaum enwaßAnderes find als die Polenten der Südeuropäer. Der Name Pudding kommt reſt is dieſem Jahrhundert auf dem Continente vor. Wir finden denſelben vornehm⸗ lich in der norddeutſchen Küche und es iſt demſelben im Mitauer Kochbuche ein namhafter Raum gewidmet.

In der füddeutfchen Küche vertraten denfelben in früher Zeit die Wfl und Eierfpeifen, welche die fübdeutfche Küche, namentlich in den Eatholifchen Ländern, in vorzüglicher Auswahl und großer Büte lieferte.

Sie bilden den Uebergang zu dem Sebadenen, wovon Rumpolt ſechs⸗ undfiehzig Arten bereitete und wobei gemeiniglich Mehl und Eier den Kern bil⸗ deten und wozu er Obſt, Mandeln, Zeigen, Weinbeeren, Gewürze, Rofenwafler, Rüfle u. f. w. verwendete. Dad Nürnberger Kochbuch widmet dem „Gebache⸗ nen’ einen ganzen Ubfchnitt von einhundertfünfundneungig Abtheilungen und lehrt Küchlein, Schnitte, Trauben, Kränglein, Schneeballen, Badhütlein, Hirfch« geweih, aufgelaufene Thierlein, Kräpflein, Pfaffen-Schläplein, Pfeffer-Rüblein, Spigweden, Wespen⸗Neſt, Scheiterhaufen, Gogelhopfen zubereiten. Ein eigen» thümliched Gebaͤck waren die in der füddeutfchen Küche gewöhnlichen Ronnen- fürzchen.

Die Torten, Bi, wie wir faben, im 16. Jahrhundert ſchon beliebt wa⸗ ren, haben fich bis auf den heutigen Tag erhalten. Im Nürnberger Kochbuch finden wir dreiundfechdzig Arten. Der berühmte Stangenkuchen, Baumfuchen, dann die Marcipane und Lebkuchen gehören ebenfalld, Ießtere wohl als Vorläu-

414 ‚GEulturwiffestiäaft.

fer, hierher. In den Hemigreichen Wäldern von Preußen, Bolen, Rußlaud, verwendete man feit alter Zeit den Bienenzuder zur Gerftellung jener Lebkuchen, die noch jegt in Danzig, Koͤnigoberg, Thorn und in ganz Rußland, fo weit das ſinniſche Element vorherrfcht, gemacht werden. In Nürnberg, bad in der Mitte bed Bienengarten des heiligen römifchen Reiches gelegen war, bat fich die Ma⸗ nufactur des Lebkuchens bis heute erhalten. Der Zeig muß fehr lange aufbe» wahrt werben und erlangt durch das Alter eine befondere Güte. ine Abart find die Pfeffertuchen in Sachſen und Thüringen, bie Freiberger Bauerhaſen, dad Tyrolerbrod umd äbmliche füße und gewürzte Backwerke aus Brobteig.

Endlich werden als Nachgerichte noch mancherlei andere Mifchungen von Betten, Zuder, Gewürzen, Meblen u. dergl. aufgetragen. So raähmt Rumpolt jeinen Mandeltäfe, dem er eine beſonders forgfältige Schilderung widmet. Dazu gehören die Gelses und Cremen und enblich auch das Eid, Pas ſeit etwa dreißig Jahren ſich fo allgemeinen Eingang verfchafft Hat und wovon die älteren Kochbücher gar Feine Rotiz nehm. Doch hat bereits das Pariſer Kochbuch (Straßburg 1752) eine Andeutung. In dem Klima von Neapel ift bafielbe Beduͤrfniß; urjprünglich bebiente man fich defien. mehr, ‚um bie Getränke und Brüchte darin zu Tühlen. Später jedoch ‚behandelte man. daſſelbe ald einen Kör⸗ per, defien kühlende Gigenfcheften man durch Zufag von allerlei Süßigkeiten, - Sruchtfäften und Gewürzen zu heben ſuchte. Dazu nimmt man vornehmlich Banille, Mandeln, Himbeeren, Citronen, Erbbeeren, Ananas, Kaffee und. Cho⸗ colade. a

Dieb find denn die vorzäglichften Beftalten, in welche die Rabrungdmittel der Menichen gebracht werben.

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416 Ppiloſophie.

Wir haben das Wort Aberglauben hier als einen wohlbekannten Aus. drud gebraucht, aber behufß einer näheren Unterſuchung darüber wird es nöthig fein, den Sinn deſſelben näher zu beſtimmen. Dabei wollen wir gelegentlich den Einwand abweifen, ald ob der Aberglaube jegt aus der ganzen aufgeflärten Melt fo vollfändig ausgerottet fei, daß es nicht mehr der Mühe verlohne, noch von demfelben zu jprechen. Jeder wird Leichtgläubigfeit und Aberglau- ben zu unterfcheiden wiſſen. Riemand wird Den des Aberglaubens befchuldigen, der zu einigen falfchen Nachrichten Vertrauen faßte, die an und für fich Feine Ungereimtheiten hthieften;-wnhn wird: itzr höchflens leichtglaäusig nennen. Selbſt wenn er fich ganz unwahtfeheinfiche Dinge einreden ließe, 3. B. daß es ein Land gebe, wo. Die gewshiclichhe Grahl ver Menſchen gu ih, amd deren Alter tau⸗ fend Jahre betrüge, würde man feine Leichtgläubigkeit blos Tächerlich finden, fle aber nicht mit Aberglauben verwechſeln. Wer fidy Dagegen einbilten läßt, dap Etwas in der Natur anderd ald nad) Raturgeiegen wirken kann, den nennen wir abergläubifch. Wenn z. B. Iemand glaubt, daß ein krankes Tier Durch Beſprechung mit Bauberformeln zu heilen if, ‘der nimmt ohne Zweifel an, daß gewiſſe Worre rine Wirkung Haben, die fie nach den Geſeten der Ratur nicht haben können, Ich will ein Paar andere, hiervon ganz verfchledene Beifpiele anführen. Manche Leute glauben, daß der, welcher von einem Hunde gebiffen worden, der im Augenblid des Beißens noch völlig gefund war, von Wafferfcheu befallen werden kann, wenn der Hund nachher diefe Krankheit bekommt, obgleich diefe beiden Dinge, den Raturgefegen nach, in feinem Zufammenbange fteben. Die nicht feltene Einbildung, daß es gefährlich oder Doch ein unglückliches Wahr- zeichen fei, mit Dreisehn zu Tifche zu flgen, jet voraus, daß eine beftimmte Zahl Wirkungen hervorbringen, oder auf irgend eine Weiſe mit Wirkungen in Bere bindung fiehen fann, welche den Raturgefegen durchaus fremd find. Richt, weil folche Einbildungen etwas Naturftreitiges annehmen, bezeichnen wir fle als aber« gläubifch denn fonft müßten wir audy Die Meinung abergläubifch nennen, daß ed ein Menſch vertragen könnte, Scheibewafler flatt Branntwein zu trinken, fondern darum, weil fie mit Bewußtfein, wenn auch mit nur dunflem, anneh⸗ men, daß in der Natur Etwas gegen die Naturgefege gefcheben kann. Es Ifl nicht unfere Abſicht, Hier von allerlei abergläubiichen Neigungen zu fprechen; nur von dem Hange, ſich übernatürliche Dinge ald in den Bang der Natur ein⸗ greifend zu denen, wollten wir reden. Diefer Hang, diefe abergläubifche Denk⸗ art, bleibt oft Leuten eigen, die durch ihre Erziehung gelernt haben, allen Aber» glauben zu feheuen. Ich habe z. B. vor Jahren einen franzöftichen Emigranten gekannt, der es als Beleidigung angeſehen haben würde, wenn man ihm Glau⸗ ben an Geſpenſter zugerrant hätte, der fich aber von Freimaurern verfolgt glaubte und ſich einbildete, Daß die Londoner Maurer auf ihn einwirften und ihm Nachts durch thierifchen Magnetismus Krämpfe beibrachten, wiewohl er in Kopenhagen war. Ich weiß ganz wohl, daß einige Raturforfcher hiermit verwandte Wirkuns gen annehmen, und daß Einige von ihnen fid, vorftellen, der thierifche Magne⸗ tismus Fönne feine Wirkungen welt in den Raum hinaus verbreiten, gleichwie das Licht, die Cleftricität und der Erdmagnetismus. Aber bei jenem Emigran«

Aberglaube und. Unglaube. 417

ten war die angenommene Meinung, wie bei manchen fogenaunten Magnetifeurs, eine Einbildung von übernatürlichen Wirkungen. Auch wenn jemals wirkliche Naturgeſetze entdeckt würden, wonach eine menfchliche Willens» und Nervenwir⸗ kung fich in bie Berne verbreiten Fönnte, werden doch immer Diejenigen, welche ' dergleichen Wirfungen für übernaturliche gehalten haben, fich ded Aberglauben® fiyuldig machen. Man muß Dergleichen ber Einbildung gleichachten, daß Je⸗ mand Durch Zauberei feine Meinung in einem Ru Mitbrüdern zu erfennen geben Tann; die Entdedung der eleftromagnetijchen Bernichrift Sönute ſolchen Wahn nicht vernünftig machen. Gin anderer Franzoſe Außerte mir einmal die Mei⸗ nung, Rapoleon habe nur mit Hülfe der Freimaurer ſoviel auögerichtet. In jenem erfteren Kalle wurde alfo angenommen, daß eine Törperliche Wirkung außer» balb der Ordnung der Ratur hervorgebracht werben Tönne, im lepteren, daß natürliche Wirkungen eines Weſens in welchem große Faͤhigkeiten vereinigt waren, von einer Gemeinwirkung anderer Kräfte berrührten, welche nach den Geſetzen der geiftigen Ratur unmöglich das Nämliche bewirken konnten. Wil man bergleichen Irrglauben auch nicht als Aberglauben bezeichnen, jo wird man doch die nahe Berwandtichaft damit nicht in Abrede ftellen können. Anders muß man dagegen abergläubifche Meinungen anfeben, welche nicht im Gifte bes Aberglaubend aufgefaßt werden. Ich Eannte 3. B. im vorigen Jahrhundert fromme Leute, welche nie von religiöien Zweifeln berührt worden waren, aber von Geſpenſtern, an welche damals noch allgemein geglaubt wurde, fagten, daß fie deren Dafein zwar nicht geradezu abläugnen dürften, daß fie ihreraber nicht achteten, weil fie ja ohne Gottes Willen nichts ausrichten könnten. Allein der Wille Gottes ift ja der religiöfe Ausdrud für Die ewigen Geſetze des Dafeins, und folglich dachten jene frommen Menfchen fich auf ihre, freilich unwiſſenſchaft⸗ liche Weife das Uebernatürliche dem Ratürlichen einverleibt. Bu der nämlichen Zeit Fannte ich einen Mann, der oft mit großer Robheit feinen Unglauben in Religionsſachen betheuerte und fich doch fürchtete, bei Nacht über einen Kirche hof oder an einem Hochgerichte vorüberzugehen. . In der That! das war ein echtes Mufter von abergläubifcher Denkart! .

Um die Bedeutung des Hier Aufgeftellten richtiger zu faſſen und damit einige darin vorfommende Aeußerungen nicht mißperftanden werden, müſſen wir und das Weſen der Raturgefege näher vor Augen ftellen. Obgleich wir bereit willig gefleben, daß die Raturwiflenfchaft, in Vergleich mit ihrer endlofen Auf⸗ gabe, noch fehr unvollfommen ift, fo dürfen wir doch fagen, daß fie vollkommen hinreicht, um darzutbun, daß die Raturgefege ewige Vernunftgefege find; fie fennen, beißt ven Vernunftzufammenhang der Natur, diejenige Vernunft ken⸗ nen, welche das ganze Dafein durchdringt und beherrſcht, dad leibliche wie das förperliche Dafein. Die Ratunwiffenfchaft ſtimmt völlig mit der Religion über- ein, die da lehrt, daß Alles von dem göttlichen Willen hervorgebracht ift, her⸗ vorgebracht und .beherrfcht wird. Irgend Etwas im Laufe der Dinge überna« türlich nennen, heißt alfo, es als gegen die Vernunft und den Willen Gottes ftreitend bezeichnen. Ich weiß zwar, daß Manche den Wahn hegen, die ewig ſchaffende Kraft könnte es doch wohl mitunter nothwendig finden, Ausnahmen

IV. 27

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cben ſowenig undenfhar alß erfabrungeftreitin; unfere Nnerachung

ſich nur einer Menfehen, deſſen Begriff von der Natur auf bieunmitteinefle finnliche Gegenwart befchränkg iſt. Wir ihn iſt nicht allein das Geiftige etwas Uebernatürlides, fondern ihm ſind es alle Gegenftände in der körperlichen Nas tur, die feine Gedanfen nicht im Ginklang mit dem Gewoͤhnlichen zu bringen vermag. So tft ihm z. B. der Sternenhimmel etwas Uebernatürliches, ſodaß

er in ſeiner Unkunde von den Geſetzen, wonach derſelbe regiert wird, man bie widernatitrlichften Einwirkungen auf menſchliche Dinge zuſchteiben kann. Ein etwas mehr entwickelter Begriff ift doch oft noch mit vielen Irrthümern beladen, die ihrem inneren Weſen nach zur nämlichen Klaffe gehören. Dies ift der Wall mit Denen, bie ihre Vorftellungen von der Natur bei Erwägung der Verſchie⸗ denheit des Körperlichen und Geifligen fo davon feſſeln laſſen, daß fie die Ein- heit der Vernunftgefeggebung, die das AM umfaßt, nicht gewahren. Allen, die fo befchränfte Begriffe von der Natur haben, tft es möglich, fich einen aͤbernatür⸗ lichen Eingriff in diefelbe vorzuftellen , ohne die Vernunftwidrigkeit des Gedans Feng ſelbſt gewahr zu werben. Solche Menſchen leben, ohne es zu willen, im Widerfpruch mit dem Dafein, und mäflen bei jeder kräftigen Gedankenregung dahinfommen, es zu fühlen; fie verbleiben im einem traurigen, die Seelenkraft

Aberglaube und Uinglaube. 419 unterdrücdenden Gefühle der Verwirrung und Entfernung vom ewigen Lichte, “wenn nicht etwa jenes geiftige Streben fie foweit bringt, daß der Widerſpruch mit hinreichender Klarheit vor fle hintritt, um fle über denſelben hinauszufuͤhren. @in folder Zuftand kann bei einigen Menfchen, wie es in einem gewiflen dunflen Beitalter häufig vorfam, zum äußerfien Berfinfen in geiftige Kinfternig und zu daraus folgendem Vernunfthaß und zu Gottlofigkeit ausarten. Sollte Dies viel- leicht Manchem beim erften Blid eine überfpannte Anwendung von Brundfägen ohne wahre Liebereinftimmung mit der Wirklichkeit zu fein fcheinen? Wäre Dem wirklich fo, ich würde jelbft die ſtarken Ausdrüde haflen und mid) fcheuen, fie zu gebrauchen; allein Hoffentlich wird man fie nad) näherer Erörterung ber Sache gerechtfertigt finden.

Dem Aberglauben iteht als entgegemgejegte Entartung der IInglaube gegenüber. - Dies ift ein Hang, alle unmittelbare Gewißheit, die nicht von finn- lichen Eindrüden herrührt, zu verwerfen, und alle Ueberzeugung nur auf bieje und auf die Audfagen des Verflandes zu bauen. ,

Aberglaube und Unglaube haben ſich unter dem Menfchengefchiechte “in der Gemeinfchaft entwidels, in welchen bie Gegenjäge, die immer wechjeljeitig einander hervorrufen, ſich nothwendig offenbaren müflen. Wir wollen baher ſuchen, und einen Ueberblid über die Entſtehungs⸗ und bie Entwidelungsart Beider zu erwerben. |

Das Menjchengejchlecht beginnt, gleich dem einzelnen Menjchen, feine Kennt» niß mit der unmittelbaren Uuffaffung. Der Kindheitszuſtand, worin Mas eigent- liche Denken ſich nur noch wenig entwidelt hat, und die Bearbeitung, welche bie Sinneneindrüde davon erhalten, nur noch fehr geringe ift, biltet in ber Ente . widelung des Geſchlechts ein langes Zeitalter. Dad Bewuptjein des Menfchen vom eigenen inneren Zuflante bekomut hier einen bewältigenden Einfluß auf die Weltauffofjung ; er legt fein eigenes Fühlen und Wollen, jein Borftellen, in die finnliche Ratur; Alles um ihn ber ift lebendig, ift fühlend und wollend wie er. Die innere Welt, welche der Menſch fich auf diefe Weiſe bildet, iſt eine Welt Der. Dichtung, fehr verjchieden non derjenigen, die das Denken ihn weiterhin Tennen lehrt. Da aber die wahre Wirkung, welche im Denken mit Bewußtjein handelt, alle unfere Seelenäußerungen durchdringt und ihre Form bildet, jo erhält dieſe tindliche Weltauffaflung eine eigenthümliche Uebereinftimmung mit ber in ber Katur herrſchenden Vernunft, und dadurch das unſerem inneren Sinne ſo ver⸗ ländliche Bernunftgepräge, worin das Weſen des Schönen befleht, Das niemals verfehlt, uns für fich einzunehmen. Könnte Der Menfch fich in Diejer Dichtungs⸗ welt erhalten, jo würde fein Leben ein harmoniſches Ganzes fein; aber feine MWeltauffafiung würde alsdann nur eine ahnende, halb träumerijche jein. Der Bernunftzufammenhang, Die Offenbarung der göttlichen Vernunft im Dajein, würde feinem Bewußtjein nicht Elar aufgehen. Durch langen Kampf muß Das Beichlecht daher auf den Standpunkt geführt werben, wo die Grundeinheit in unferem ganzen Bermögen und allen unjeren Auffaſſungsweiſen und klar gewor- den, und Denken und Dichten nicht mehr in Streit mit einander liegen. Kür dieſes Ziel ift in der ganzen Einrichtung des Dajeind gejorgt worden.

27*

Ei Ppiloſophie.

ſtigten Weltgegenden einen großen ——

wird. In den fälteren Grofrien ich ey ra en nn

A ' R f 1, und bieje Kundigen werben * der Menge als mit ee

thaͤter der Menfchen geehrt; mittels ihrer Weisheit werden die Vrrrichtungen möglich, wozu Vorausbeftimmungen nöthig find, wie beim Ackerbau, bei religiö—

jen Berfammlungen, bei großen Geerzügen u. dgl. Nicht eben die große Menge wird dadurd zum bejonderen Nachdenfen gewedt; allein in den Kreifen von Eins geweibten, wo Kenntniffe gepflegt und bewahrt werden, ficht man bald ein, daß die Vorftellungen, welche ſich das Bolt von den Himmelsförpern ald von felbft- berrichenden Göttern macht, deren Mildthätigfeit man die Wohlthaten des Jah— res zu verdanfen hat, nicht zu den Geſetzen pafjen, wonach Die Begebenheiten ſich

bie Einwirtungen: Der Außenweit:geRaten ‚eb nicht fir.bringendö

richten müffen. "Dadurch entftchen denn, zufolge der menfchlichen Natur, zwei

einander entgegengejegte itigfeiten; bei Einigen ein Zweifeln an die Bor ftellungsweife der Menge im Allgemeinen, und fomit auch an die Wahrheiten, bie in einem mit vielen groben Irrthümern untermijchten, jedoch in feiner Grund⸗ lage richtigen Glauben enthalten find; bei Anderen Dagegen die Furcht vor einem Wegphiloſophiren alles Göttlichen in den Dingen durch zu vieles Denken. Wih- rend der erfien Entwickelung jener Einfichten werden doch dieſe beiden: Richtun- gen kaum zu einer entſchiedenen Einfeitigkeit ſich binaufarbeiten; der Gedanke wird fich vielmehr wie in Schwingungen zwifchen den beiden Ertremen bin und ber bewegen und der Menfch es fühlen, daß jein Gedanke den Boden diefer Tiefe nicht zu erreichen vermag. Uber Die nämlichen Gedanfenricdytungen werden fich allmälig weiter ansbilden, und zwar um foviel mehr, je größer die Zahl Derer anwächft, welche ſich einige Kenntniſſe von den Himmelögejegen erwerben, die doch bei den Meiften nur ſehr oberflächliche wurden. Dies wird namentlich der Ball jein, wenn Greigniffe am Himmel, welche Die Menge biöher mit Schredten betrachtete, als gefahrloſe Folgen der Weltgefege verkündet werben. Man denke fid) das Grauen, welches die Menfchheit überfallen müffe, wenn fie beim Anblick

der Leitung der Natur umfaßte. Aber nachdem man num von Fe vor der Natur gelernt hatte, daß ſie grundlos fei, folgte von ſelbſt die weitere Brage, ob nicht daſſelbe von unzähligen anderen gelte, und hei Vielen blieb es natürlich nicht bei der bloßen Frage.

Der hier erwähnte Fall, fo bedeutungövoll und gebantentwedtnb derſelbe auch fein mochte, konnte freilich nicht an und. Re re flug Haben, aber er ift auch nur ein aus einer Unendlichfeit herausgeg Beifpiel. Denn der Gedanfe wird unaufhörlich geweckt durch den Gir tup be umgebenden Welt auf den Menfchen, und fo oft er einer Urfache, einem Zi menhange auf die Spur fommt, geräth er im Wiberforuch mit Der alten der Einbildungskraft. Die freieften und felbftthätigfien Geifter werden * ſolchen Fortſchreitens nicht dabei ſtehen bleiben, eine eben ertaunte Sermein zu verwerfen, fondern werden ſich durch den gemachten Fortjchritt angetrieben fühlen, Alles zu verwerfen, was irgend eine Aehnlichteit mit dem emtdeeten Se thum hat, Die Mehrheit von Denen, welche ſich die neue Gedanfenrichtung angeeignet haben, wird indeffen leicht hingeriffen werben, bie Verwerfu g über die rechten Grenzen hin auszudehnen, und ſo auch in Gefahr lommen⸗ Bahr heiten zu verwerfen, die mit Itrthuͤmern vermiſcht find. Ihnen gegen ſtehen Diejenigen, welche ſich von den alten Vorurtheilen nicht losreifen fönnen. Einige berjelben geleitet vom einer tiefgefühlten Ueberzeugung derjenigen ver- meintlichen Wahrheiten, die man nun verwerfen will, Andere, und ihrer ift bie große Mehrzahl, verhärtet gegen alles Reue durch Stumpfheit des Denkens. Die Männer des Kortfhritts, erfüllt: von Freude über die gewonnene Ausficht in eine neue Gedanfenwelt, werden mun über diefen feigen Widerftand entrüftet werden und ben alleinigen Grund dazu in geiftiger Schwachheit finden wollen, während auf der gegnerifchen Seite Furcht und Erbitterung entſteht, weil. bie Anhänger am Alten die Weltanfchauung bedroht fehen, womit ihr Gottbewußt- fein verwachſen ift. Diefer Kampf zwifchen zwei widerftreitenden Einfeitigfeiten ift jedoch jo wenig als irgend ein anderer. ein ununterbrochener, denn bald. ge⸗ winnt die Gedankenerweckung das Uebergewicht Durch abermalige neue Entdeclkun gen, bald tritt eine Zeit der Ruhe ein, in der man Gelegenheit findet, bie Gre ‚gen, welche die rafche Gedankenbewegung allzuweit hinausgerüct hat, enger

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m —— ntniſſen anzueign welche die Denfer dem Gefchledte vorben oh RE De —9 nd, AA

de —— Jndeſſen wird. auch bei den roferen

Nach durch die Bligfunfen höherer Gedanfen erweckt, Ser fie verbreiten. Noch manntgfaltiger iſt die Wirkung aller ber Früchte des Denfens, welche den Menfehen als das fiets wachfende Erbe ber

mit jedem neuen Menſchenalter mehr Nachdenten erfotdern. Aber das Denken, welches dadurch erweckt wird, kommt bei der Mehr- beit nicht zu der Entwickelung, daß es frei, feiner eigenen Natur gemäß, wirken hu; ee Menge genöthigt, unter der Herrſchaft

der Ginbildungsfraft un, ſoweit möglich, in ihrer Welt zu wirfen. Man will mit ben begreifen, und den für Diefe unverdaulichen

verarbeiten, die ſchon im demfelben Maße, worin

fle fi * und mehr ehe verwirrter und ſelbſt widerfprechender wird. Während dieſes Zuftandes entfleht denn ein fonderbates Gersebe von Gefchöpfen der alten Dichterwelt und der Maffe von Kenntniffen, wozu man nun gelangtift. Man würde fich tÄufchen, wenn man glauben wollte, dieſe Gebilde in den Dich- terwerfen eines folchen Zeitalter in entichiedenem Gepräge wiederzufinden; in dieſen fleht man nur, was der Schoͤnheitsſinn ſich davon answählte und umge- ſtaltete. Im den geſchichtlichen Werken, welche große Begebenheiten erzählen,

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Wollte. man asgen Das srdende Zeugnif: der Weltgefihichte hier den Ein- wand geltend machen, daß eine ſolche Gottlofigfeit im Mitielalter nicht häufig fein Fonnte, wo die Religion fo hoch in Anſehen ftand, fo muß ich darauf erwi⸗ dern, daß eine unparteitiche Betrachtung der damaligen Religionsübungen zeigt, wie auch dieſe voll von Uberglauben waren, Der Gott, den man verehrte, follte zwar der vom Chriſtus verkündete fein, in ihrer wirklichen Vorftellung war er aber ein ganz Anderer, Dan dachte ſich ihn als einen hochmächtigen Ober- fönig, nicht ald den Geiſt, der in Ehrifto und in der Wahrheit angebetet werben joll, Einzelne zerſtreute Ausnahmen weichen fo ſehr von ber bamaligen allges meinen Sandlungsweife ab, daß fie nicht ald Gegenbeweife angeführt werden Eönnen. Die unter der großen Menge herrfchende Meinung war, daß fie ihre

|

Biel ‚große Rufb Haben, zu vergefen. Man wird entgegen, wie biefe Meinung vom Mittelalter ſchon oft, und zwar in den ſtaͤrkſten Worten, verbanımt worden pr non ee Ich kenne dieſe

ondern wir mäffen die Augen:öffnen und zufehen;; wie bie Menſchen jener va— ten wirklich dachten. —— wahren Bilde vergan⸗ er mis.) DENE Es verſteht ſich, Daß bel der-Bebantenrictung, die wir bier verfolgten, unfere Aufmerffamfeit ausfchlielich auf bie Cihattenfeite des Mitelälter6 gerige tet fein mußte. Aber nachdem dies geſchehen, geziemt es fih, uns jelbft daran zu erinnern, daß Fein Irrthum irgend eines Zeitalter fo berrfchend war, um nicht auch dem Wahren und Guten großen Einfluß zu geftatten. Was ich alſo darthun wollte und für gewiß Halte, das ift, wie der Aberglaube im Mittelafter

einen weit größeren Einfluß auf das Reben und die Denfart hatte, als die mei-

ſten neueren Schilderungen beffelben dies vermuthen Taffen, und daß derfelbe in dem Maße, worin er zur Herrichaft gelangte, in nen Gottlofigkeit offenbarte,

Daß die Religiom jelbft nicht ſchuld an Diefen Irrthümern war), ——

kaum erft gejagt zu werden. Aber wir haben hier eins der zahlreichen Beiſpiele,

wie verjchieden bie Meligion von den Menjchen aufgefaßt wird, je nach dem un⸗ gleichen Grade ihrer Kenntniffe und der verfchiedenen Entwickelung ihrer Bähig- keiten. Das Menſchengeſchlecht Hat zum wahren Verftändniß der chriſtlichen Religion erft erzogen werben müffen, und biefe Erziehung ift zwar von Stufe zu Stufe fortgefchritten , ſchein aber von Der Vollendung noch weit entfernt

zu fein.

Der Aberglaube: ftreitet * nur gegen die Religion, ſondern areift auch verwirrend in das Leben ein. Um bies recht zu würdigen, müſſen wir ung in eine Zeit verfegen, wo der Aberglaube vorberrichend war. Beigte fich eine Sons

nen⸗ ober Mondfinfternif, fo entftanden Befürchtungen, es möchten das ſchlimme Vorbedeutungen ſein, und dieſe Furcht erhielt ſich viele Jahrhunderte hindurch,

ja wohl mehr als ein Jahrtauſend, nachdem die Wiſſenſchaft den Grund der Ver⸗ finfterungen aufgefunden hatte. Erſchien gar ein Komet, fo war die Beängfli-

Aberglaube. und Unglaube. 425

gung noch größer. Im fünfzenten Jahrhundert befahl fogar ein Papft, da auf Beranlafiung eines erjchienenen Kometen in allen Kirchen geläutet werden follte._ Bei großen linternehmungen befragte man die Sterndeuter und ließ fi von ihrem Mathe beftimmen. Ob man zur Aber laſſen dürfe, oder ein inne res Mittel brauchen müffe, ja ob es dienlich fei, ſich die Haare fcheeren zu Laffen, bedurfte es der Anfrage bei dem Himmel. Die Bedeutung, welche man in Zah⸗ len zu finden meinte, die aus ganz willtürlichen Annahmen entfliehen , verjchaffte der Furcht, daß die Welt im Jahre 1000 vergehen werde, einen umfaſſenden Ein⸗ fluß in der gangen Ghriftenheit. Das blinde Bertrauen zu Wahrfagungen rich⸗ tete fpäter oft große Verwirrung an. In Krankheiten nahm man nicht felten feine Zuflucht zu Männern und Weibern, denen man übernatürliches Wiſſen zutraute, und erhielt bald nügliche, bald ſchaͤdliche Rathgebungen von ihnen. Wurden in einem Haufe Menjchen oder Vieh von Seuchen befallen, oder es er» eignete fich fonft ein Uebel dort, jo mußte es von böfen Menfchen oder von ande ren böfen Weſen angethan fein, wodurd man dann, außer dem Uebel, auch noch die Furcht vor böfen Mächten zu tragen hatte. Eelbft die Beränderungen, denen das menfchliche Gemüth unterworfen ifl, wie z. 3. der Uebergang von Liebe in Meberbruß oder Abneigung, ſchrieb man fehr häufig ber Zauberei zu und fuchte übernatürliche Hülfe dagegen, wobei denn nicht felten ein abfcheulicher Zaubertrank als Arznei gereicht ward. Das Dunfel war mit Schreckniſſen an- gefüllt: in den Wäldern, in den Bergen, in wüjten und felten Gefuchten Gemä- ern, um Kirchen herum hauften Hexen, Kobolde, Berggeifter und Beipenfter; Wärwölfe und Todtenrofle liefen nun auf den Straßen, und fogar im Innerften des Hauſes konnten böfe Mächte das unfchuldige Kind in der Wiege vertaufchen. Ich habe begreiflicherweije hier nur einige Züge fammeln fönnen ; wenn man fie aber der Aufmerkfamkeit werth Hält, fo wird man leicht einfehen, daß ihr Ein- fluß kein geringer gewefen. Will man dagegen einwenden, daß alle dieſe Dinge fo dicht aneinander gereibt feien, wie fie im wirklichen Leben es niemals gewefen fein fönnen, fo geftehe ich das augenbliclich ein. Allerdings gab es nicht we⸗ nige Menfchen, welche fich, vermöge eined natürlichen Hanges dazu, foldyen Ein⸗ bildungen ganz befonderd hingaben, und für dieſe mußte das Dafein dadurch zu " einer Art Hölle werden. Uber bei den gewöhnlichen Leuten müfjen die zahlrei- hen und verftärften Eindrüde, welche fie von der wirklichen Welt empfangen, jene Einbildungen überbieten und dämpfen, ſodaß fie bei Einigen nur’eine viel fach unterbrochene, bei Einigen eine nur geringe Wirkurtg binterlaffen. Im Ganzen fanden aber dieſe Phantaflegebilde den Lebensverhältgifien jener Zeiten weit näher ald die dichteriſch⸗ſchönen Züge, welche fo viele Schriftfteller fait aus⸗ fchließlich anführen, wenn fie und ein Bildodes Mittelalter geben wollen. Es fteht ſomit feft, darf ich fagen, daß der Herrfchende Aberglaube das Leben der Menichen im Mittelalter mit einer Unruhe, einer Verwirrung, oft mit einem Schrecken erfüllte, welcher unferer Zeit fremd ift, obgleich fie fich noch nicht ganz von dem beichämenden Ioche des Aberglaubend befreit hat.

Roc muß ich eine Meinung vom Aberglauben berühren, die ihn zum Schooß⸗ finde mancher Gebildeten macht: man fagt, er fei poetifch und klagt darüber,

für folche

Mann, der, ald © Ewalds „Baldurs Id“ hatte, fragte: wo wohnte denn „Nanna?“, und darauf die fehr pafiende Antwort erhielt: „in der Chri⸗ Renbernifoverftraße,“.*#) Id) weiß fehr wohl, daß einige ausgezeichnete Dich« ter in ihren Werken Perſonen eingeführt haben, Die lächerlich gemacht werben,

weil ſie nicht an übernatürliche Weſen glauben wollen. Uber wo eine ſolche Darftellung als gelungen angefchen werben foll, da kann fie nur gegen Diejerti- gen gerichtet jein, welche übermatürliche Wejen auch aus, der Dichterwelt vertrie- ben ſehen möchten, weil fie die dichteriſche Wirklichkeit derjelben mit der proſai⸗ ſchen, die ihnen der Aberglaube beilegt, verwerbfeln. Infoweit der Dichter dies anders meinen follte, verfällt er in einen proſaiſchen Irrihum. Daß ein ſolches Mipverfländnig jogar höchſt begabte Dichter irregeleitet hat, iſt indefjen nicht zu läugnen. Es gab eine Zeit, da der Gedanke ſowohl in Deutjchland als fpäter in Dänemark bei manchen geiftreichen und in gewiſſen Nichtungen bochgebildeten Menſchen Eingang gefunden hatte, daß man Durch Wiedereinführung des Aberglaubens der Religion und der Poeſie einen Dienft erweifen würbe. Diefes Streben gewann bejonders dadurch Leben und Kraft, daß es ald Gegenjag und Kampf gegen eine damals herrſchende proſaiſche Denk weije auftrat. Die Zeit, worin dieſes Streben fich geltend machte, ift nun vor⸗ über, aber die geiftigen Kräfte, womit ber Streit bier und da für den Aberglau-

Fon i er nicht

1 ae /

*Der Leſer denke hierbei nur an Schillers Götter Griechenlande ®*) Gine ber jämmerlicften Gaffen Kopenbagens: *

Aberglaube uud: Maglaube. 437

fondern es wird derfelbe noch befländig dadurch erneuert, daß er ums in Werken aus: dammligen Zeiten aufgehoben ift, die wegen ihres bichterifchen Werthes fort- während Lefer finden. Ich will am lichften ein großes Veifpiel davon anfüh- ven. Der Dichter Tie gehörte in feinen jüngeren Jahren zu Denen, weldye mit großer Kraft die Damals herrſchende proſaiſche Denkweiſe angriffen, und er ‚that dies mit einer Gejchicklichkeit und einem Wige, welche ſtets ein Begenfland ber Bewunderung bleiben werden; aber man darf auch nicht vergeflen, wie er ſich eine Zeit lang fo von diefem Streben beberrfchen ließ, daß es ihn über die Gren⸗ zen ber Wahrheit hinausführte. ES Liegt in einigen feiner Dichterwerke ein unverfennbares Trachten, der Aufklärung zu tragen. Dies tritt beionders in feinen Märchen und anderen Volkserzaͤhlungen hervor, in welchen er alte Fa⸗ deln auf's Innigfte mit dem Alltagsleben verfnüpfte, und zwar in fo £larer und einleuchtender Darftellung, daß das Uebernatürliche darin fich eine andere Wirk⸗ lichkeit ala die dee Dichterwelt gleichſam ertrogte. Leſen ober, noch beſſer, hören wir, was den Stoff ausmacht im „blonden Eckbert“, dem „Runenberge“, den „Elfen‘, in der unmittelbau auffafienten Weiſe der Volksſagen erzählt, der jede Gedanfenentwidelung fremd ift, fo werden wir dadurd in eine entiprechende Stimmung verjegt, wo die inneren Wideriprüche und Der ungeheuere Streit des Stoffes mit dem ganzen Dajein nicht allzu ſtark hervortreten; aber wenn bie Begebenbeit auögemalt und bei der Anpafjung an bie und wohlbefannte Wirk⸗ lichkeit in unzählige Berührungen mit dem Nachdenken gebracht wird, jo fühlen wir den Widerfpruch, ſelbſt wenn die Schönheit der Dichtung uns hintert, und dies fogleich Klar zu machen. Eine ſolche Dichtung macht ald Ganzes einen Eindruck, ald ob die Welt von den Mächten der Finſterniß regiert würde, und der Menſch ein Spielzeug in ihren Händen wäre. Indem man ſich dem Ein- drucke vecht Hingibt, wird man von einem unausiprechlichen Grauen ergriffen, und wenn man fich denfelben nochmals zurüdruft, fühlt man fich fo unheimlich, ald wenn man in einer Welt des Wahnwiges eingeiperrt geweien wäre, wohin fein Schimmer der göttlichen Vernunftregierung über das bedrohte menſchliche Dajein hätte dringen können. Es iſt feine ausreichende Rechtfertigung des Dich- terwerkes, daß der Urheber defielben mit wohlbedachtem Borfag handelte, und mit Geift und Geſchicklichkeit jenes Grauen erweckt bat. Seine Dichterpflicht wäre es gewefen, und in eine Welt des Schönen zu verſetzen; dieſe ſchließt ein erjhütterndes Grauen gewiß nicht aus, allein fie giebt nicht zu, daß Die Mächte der Finſterniß über das Licht berrichen. Bei Bekämpfung deö Irrihums, daß die Dichtfunft eine Dienerin von außer ihr liegenden Zwecken jein dürfe, hat man fidh nur zu oft verleiten laſſen, ihr .eine ungebundene Freiheit einzuräumen und uneingedenf zu fein, daß ſie nicht im Geiſte ihres wahren Weſens handelt, wenn fie ſich darauf befchräntt, in gewifien Schönbeitöformen vor und aufzutre- ten. Uber es giebt eine ganze Schönheltöwelt, deren Geſetze Feine Dichtkunſt übertrtten darf: wenn fie denſelben huldigt, fo tritt fle aus eigemer freier Kraft auf einmal in den Dienft der Religion, der Moral und der menfchlichen Geſell⸗ ſchaft, deren inneres Weſen gleichen Urquell wie die Welt des Schönen hat furz, fie kommt alddann in Harmonie mit des ganzen Wirklichkeit, jo, wie bie-

——— fle, die da meinen, Die Gäce Bildung am bin Lug gu Sehe gen, wenn fie Die Uieberrefe jener Pos Schau Rellen, wihrend fie fi in

mung zu gute hun. {pt dar man ie Ich habe mich oft daß einige geiftreiche Männer ſich im Ernft über das Verfchwinden des Aberglaubens beklagt und gewünſcht haben, ihn auf's Neue zu einiger Bedeutung bringen zu fönnen. un ches Streben bat den Fehler, daß es Niemandem rechter Ernft damit ift, weder Denen, die aus einer Art Hinneigung die Sache des Aberglaubend vertheidigen, noch Denen, die Ienen nachfprechen. Man kann ganz füglich von ſolchen Leu— ten fagen, daß fie nur zu meinent meinen, und daf ihre Beftrebungen, ohne daß fie ſich ſelbſt deffen klar bewußt werben, ra das uw richtigfeit und der Verſtellung auszubreiten. l "8 if übrigens wicht meine Abflcht, In Abrebe ſchaft einige von den Vorſtellungen des Aberglaubens in einer Weiſe vernichtet hat, daß ſie ſich nur noch unter ganz beſonderen Umſtänden in Dichterwerken unſerer Zeiten gebrauchen laſſen. So iſt z. B. die Einbildung, daß ein Drache die Sonne verſchlingen wolle, daß wir aber durch Gebete und Opfer, oder durch Lärmen, ihm davon verſcheuchen können, weit dichteriſcher, wenigſtens nach unſe⸗ ren bisher angenommenen Vorſtellungsweiſen, als die Kenntniß, daß der Mond zwifchen und und die Sonne tritt. Wer aber fonnte fo wahnbetbört fein, jene falfche Einbildung durch Aufopferung einer jo großen und fruchtbaren Wahr- beit in Anfehen halten zu wollen! Ich weiß wohl, daß Mancher ich durch ein verwirrendes Spiel, das mit den Worten poetiſch und projaifc getrieben ift, hat irreführen laſſen. Bekanntlich bezeidynet das Wort profaifch urfprüng- lich nur den Unterfebied der Rebe vom Verſe, und erft fpäter hat man es auch ganz paffend auf Alles angewendet, das dem dichteriſchen Geifte feindlich ift: alfo gebraucht, bezeichnet es etwas Niedriges und Geiftlofes. Später hat man es ungernünftig und verwirrend auch zur Bezeichnung alles Deſſen gebraucht, das nicht dichteriſch ift, wodurch die tieffte Einficht und gründlichites Wiſſen zu etwas Projaifchem werden, Bon Wahrheit und Wirflichfeit hört man nun oft ala von profaifcben Dingen reden, die vor der Poefle aus dem Wege gehen müffen, Mer eine folche Sprache führt, täufcht ſich felbft mit dem grundfaffchen Gedan⸗ fen, daß die Auffaffung des geiftigen Inhalts des Dafeins, welche im Gedichten eine jo fprechende Ausdrucksform findet, ausfchließlich diefer Korm angehöre, Und während man ſich doch micht verbergen Eonnte, daß fich die erhabenften Ideen auch in den Wiffenjchaften ausgedrückt, ja oft herrlich ausgedrückt finden, fiel man auf den verzweifelten Gedanken, Alles von diefer Art für poetifch zu erflä- ren, gleichwie man mitunter gewifle eifrige Breimaurer erklären hört, daß alle Moral Freimaurerei, und alle guten Menjchen Freimaurer feien. In diefem

W

Aberglaube. und Wunglanbe. 429

Geiſte behauptete ein audgezeichneter deutſcher Schriftfieller, Friedrich von Schlegel, Spinoza fei weber poetifch neck prafaifch ; der höchſte Aufichwung des Geiſtes gehört weder Poeſie noch der Brofa ausfchließlich an. Dem Heilige thume des Geiſtes die Bezeichnung „poetiſch“ vorbehalten wollen, ift ein verberblicher Mißbrauch der Sprache.

Es kann aljo der Raturwifienfchaft nicht zum Vorwurfe gereichen, wenn fle einigen. Stoff vernichtet, der biöher den Dichtern diente, und wir tragen jo« gar fein Bedenken hinzuzufügen, Daß fle auch andere der Dichterwelt einver- leibte Irrthünmer zerftörte, welche nicht Überglauben genannt werben fünnen. Ein neuerer Dichter wird daher gar nicht, oder doch nur mit großer Einfchrän« fung ‚Gebrauch machen können von Borflellungen, wie 3. B. die vier Eden der Welt, der Kern der Erde, die Weite des Himmels u. d. m., infoweit nämlich ſolche falfche Vorſtellungen nicht als Bilder des Richtigen angewendet werben fönnen, wie es Dagegen mit manchen anderen geichehen Tann, z. B. mit dem Aufgang und Untergang der Sonne. Wenn aber die Dichterwelt auch einen sollen Erfag für alle folge Einbußen erlangte, fo würden Klagen darüber doch übel angebracht fein. Denn Hauptſache bleibt es Doch, dag unfer geiftiges Da- fein durch Einfichten veredelt und erhöht werde. Alle Dergleichen Verluſte wer den indeflen für den wahren Dichter nicht wiel zu bedeuten haben, mögen in⸗ befien peinlich fein für Verehrer dev Dichtkunſt, die da meinen, einen an fi, "unbedeutenden Gedanken poetifch gemacht zu haben, wenn fle ihn in Pracht flüde aus der postifchen Rüftfammer entfchwundener Zeiten einkleiven. Es gibt ganz gewiß Soldye, welche etwas Großes gejagt zu haben glauben, wenn fle un serfichern, wie fie dieſen ganzen Erfolg nichtöfagend finden. Sch muß ihnen aber hierauf antworten, daß, wer fo redet, damit feine Unfähigkeit ausfpricht,

über eine Einficht geiftige Freude zu empfinden, und wie e8 5. B. feinem geiftie gen Zuſtande unbegreiflich ift, daß wir mit einer fo ‚beivundernswürbigen Klare heit die Weltmechanik überfchauen und Weltverhältniffe Eommender Jahrhun⸗ derte voraußjehen können. Möge Solchen gefagt fein, daß es an ihrer eigenen Erichlaffung liegt, wenn ihnen die Freude der Einficht benommen ift, ob fie ſich auch anfehnlicher Fähigkeiten in anderer Hinficht rühmen Eönnen. Sie find entweder von Ratur, oder mehr nody durch eigenes Verfchulden von einer Weihe außgeichlofien, welche allemal Den mit hoher Freude erfüllt, der ihrer theil- haftig wird.

Da e8 der Herrlichkeit der Wiflenfchaft geziemt, ihr Anſehen durch das eigene Wefen zu behaupten, fo wurde biäher vorausgeſetzt, daß fie nur durch Verleihung von Cinfichten, nicht aber dadurch, daß fie der Dichterwelt felbft ein Geſchenk macht, reichen Erfolg gewährte für das derfelben Genommene. Etwas davon hat die Dichterwelt ſchon Längft in fi aufgenommen, z. B. die Kugel geftalt der Erde, zu welcher Kenntniß die Wifjenfchaft ſchon in alter Zeit geführt hatte. Nicht blos für.das Denken, fondern auch für den Schönbeitsfinn hat dieſe Borftellung etwas viel mehr Befriedigendes ald die Annahme, daß bie Erde flach und vieredig oder fcheibenförmig geftalter fein follte. Die dichterifche Auffaffung hat fich auch dann und wann auf die großen Wahrheiten geworfen,

zeigt uns, wie forsgefgte Entivicanien Größere Banken Sieh ſchon die Grenzen derſelben zu bezeichnen anfängt; fie ſtellt ung die fernere Ente wickelung des Pflanzen: und Thierreichs dar und hält und Die wunderlicyen Ges ftalten vor Augen, weldje die Erbe allmälig hervorbrachte, tödtete und begrub, wahren Re beftänig eine ——— vorbereitete. Eine Unendlichteit in die Dicterwelt EEE ®. der Magnet, die Sonnen⸗ flecken, das erborgte Mondlicht, die Geſchwindigkeit Des Lichts, die Blitzablei⸗ tung, das Athmen der Pflanzen, Die unfichtbaren Thiere im Waflertropfen, bie MWeingährung u. f.w. Das Verhaͤltniß, im welches der Menich als Entdeder der Geheimnifie der Natur zu ihr, zum ganzen Menſchengeſchlechte und zu ſich ſelbſt tritt, iſt von der Poeſte nur noch wenig benugt worden. Sollte es nicht auch für einen Dichter ein würdiger Gegenſtand fein, den geiftigen Buftand des Mans nes zu ſchildern, der fich zuerft in den wiſſenſchaftlichen Beſit eines Fernrohrs gejegt bat, und damit zuerft die Monde eines fernen Planeten, die Berge im Monde u, ſ. w. entdeckte? Sollte fein weiterer und bellerer Blick in das Dafein, die Ueberzeugung, mim der Sterndeuterei und manchem anderen mit den Him— melöverhältniffen zufammenhängenvden Irrihume den gewifjen Untergang berei« ten fünnen, micht etwas Anzichendes für ven Dichter haben? Sollte es ſich nicht verlohnen, den Menfchen die innere eier zu zeigen, welche in dent Geifte berrfchen mußte, der jo große Geheimniffe zum erftenmale entjchleierte und sorausfah, welche großen Brüchte feine Entdefung dem Menſchengeſchlechte bringen werde? Etwas Aehnliches würde an allen großen und umfaffenden Entdeckungen zu finder fein, wenn auch nicht bei allen gleich anjchaulich; aber ſelbſt die anſchaulichſten find für die dichteriſche Darftellung nur felten benutzt

Aberglaude und Unglaube. 431

worden. In diefer Art auffallend ift es auch, daß bie Entdeckung ber elektri⸗ fehen Natur des Gewitters feinen großen Dichter zu einer begeifterten Darſtel⸗ lung ermuntern konnte. Die Entdedung felbft war die Frucht wiffenichaftlichen Denkens, aber eingeführt in die Belt wurde fle durch eine Heldenthat; denn ter Entdeder leitete das elektriſche Feuer der Gewitterwolke durch eine Handlung zur Erde herab, die fein Leben in Gefahr brachte, und fein Behülfe dabei war fein junger Sohn. Man vente fi alfo feine innere Spannung vor dem un⸗ ternommenen Verfuche, des Sohnes unfchuldige, oder muthvolle Theilnahme, das Siegedgefühl nach gelungenem Verfuche! *) Was die Theilnahme des Sohnes betrifft, fo Hätte der Dichter hier die Wahl, ob er vorausjegen wollte, ' daß der Bater ihm-gar nichts von der Gefahr gelagt, ober aud ihm davon ge⸗ fagt,, aber, um ihn auf die Probe zu ftellen, nichts von den Vorkehrungen mit getheilt Hatte, die getroffen waren, um ihn zn fichern, während der Vater felbft fich notwendig der Gefahr audfegen mußte. Ban benfe ſich nun noch daß vielfach wiederholte Geſchrei der vom Borurtheil Befangenen gegen die Blitzab⸗ leiter, aber auch das Verſchwinden beffelben, als die Sache ihre volle Befläti- gung durch die Erfahrung fand. Die Wirklichteit bietet Hier überdies einen Bug dar, wie ihn Fein Dichter gelungener erfinden könnte. In Siena mar der Kirchthurm oft vom Blige befchädigt worden. Die Kirchenvorficher ließen daher einen Bligableiter an demſelben anbringen, worüber alle Sklaven Bes Aberglaubens ein Geſchrei erhoben und den Bligableiter eine Kegerflange fchal- tn. Da z0g ein Gewitter heran; der Blig fuhr in den Thurm. Nun lief das Volk Herbei, um zu fehen, ob der Ableiter die Kirche beſchuͤtzt Habe, und fiehe da, er hatte feine Macht fo vollfommen geübt, daß nicht elumal das Gewebe, welches eine Spinne daran befeftigt Hatte, von den Blitzſtrahl beſchädigt wor den war.

Es ift fo natürlich, daß Derjenige, der fich gleichſam in die alte Auf⸗ faffungsmeife Hineingelebt Hat, in der neuen feinen befriedigenden Erfaß für das Berlorene findet, und noch weniger wird er geftehen wollen, daß biefer Erſatz unendlich reich und feinen Berluft hundertfältig aufzumiegen geeignet fei. Cine folche Ueberzeugung läßt fich vielleicht vorbereiten, aber nicht durch einzelne, wenn auch gewichtige Beifpiele ausbilden. Erft nach und nach wird fich Dies felbe außbreiten nnd endlich flegen, je nachdem die Raturmiffenfchaft fich fo weit verbreitet, daß fie nicht bloß eine Sache für den Verftand wird, fondern audh die Einbildungskraft befruchtet. Nur nach einer ſolchen Entwickelung wird Rich der alten Dichterwelt gegenüber eine neue öffnen, die vielleicht von wicht gerin- gerer geiftiger Bedeutung werden kann, als es die Entdeckung eines nenen Welt⸗ theil8 der fogenanten alten Welt einſt wurte.

Diefe Entwidelung wird dann ihren gefegmäßigen und gewiß großen Ein⸗ fluß auf die Anwendung der alten Dichterwelt nicht entbehren müffen, und es wird fich dadurch auch ein feinerer Taft gektend machen für eine Vernunfthar⸗ monie, wie fie, wenn auch dem Auge der Menge nicht ſichtbar, felbft in der

*) Bedarf es Hier der Nennung des Namens „Franklin?“

432 BE esse

tungen entfpringt Daraus eine Berwerfung aller Religion, eine

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lagen Mei von Wenfärnaltern Binden die Jeribüuner ded Ab

felsan.Die-gange Gxfenntnißast, Die.fo Zweifel geht leicht über in Mißtrauen, und dieſes wiederum bei Vielen in einen

‚Hang zum Verwerfen, Hierzu kommt ein erhöhtes Gefühl; ven der Allgewalt bes Denkens, das in ſich ſelbſt fo herrlich ift, aber bei Manchen in Uebermuth ausartet, Das Freipeitsgefühl, das durch jo vielfältige Erlöfung vom Naturzwange entſteht, artet micht minder ‚bei Anderen in eine wilde Frel⸗ heitöluft aus, die aller Schranken fpottet. Je nach den Graben *—

eingebildete Weisheit, welche ſich über die Begriffe von Tugend und Pflicht erheben zu kön— nen glaubt, obgleich man ed gar gern ſieht, daß andere, jchwächere Geifter ſich darnach richten. Daß bei einer ſolchen Auffaflung die Poeſie nicht ‚blühen fönme, begreift man leicht. Die Anhänger des Unglaubens werben oft in ihrem Irrthume ſehr durch den Unverjtand beftärkt, den ihnen die Freunde des Aber- glaubens entgegenfegen; dieſer geht Leicht in Verfolgung über, welche dem Irr— thum ein gewiſſes Gefühl von hoher Würde verleiht, nicht blos Darum, weil der Verftand alle Gewalt verachten muß, die anftatt der Ueberzeugungsmittel aufe treten, jondern eben jo ſehr durch das Bewußtfein, um der Wahrheit willen zu leiden. Es gibt ein gewiffes Stadium der Entwidelung, auf weldyem Die ber gabteften Beifter zugleich Diejenigen find, welche am Fräftigften gegen den Aber glauben eifern und fich dadurch zu gewiffen Ueußerlichkeiten hinreißen Laffen, die zwar jelbft fein Werk ded Unglaubens find, aber doch leicht Veranlaffung geben, daß ſolche Männer in den Zeitwirren und Parteifimpfen als Verfechter des Unglaubens erfheinen. Wenn aber der Unglaube in einem Zeitalter das Uebergewicht erlangt, fo gebt er feinem Verderben entgegen, Alsdann wird bie

Aberglaube uud Unglaube. 33

Eiutichteit untergenben und fartan gering geachtet, alle geheimen Bande, weiche Familie und Staat zuſammenhalten, werben aufgelöft, alles Hellige wird ven fpettet. Der Unglaube erzeugt alſo für ſtch einen Geiſt ver Verfolgung, wie ter Aberglaube den feinigen hatte; denn dieſer Zuſtand trägt deu Keim zn feinem Untergange in ſich. Wenn tie eigenen Kräfte ihn nicht zu heben vermögen, findet er fein Ende durch große Umwälzungen und Wirdergeburten der Geſell⸗ shaft, Die indeflen von fo ſchweren Geburtswehen begleitet zu fein pflegen, daß er billig als ungeheuere Stwafgerichte über die Ausartungen angefchen werben &num.

Du einer ansichließlichen Herrſchaft gelangt doch weder der Aberglaube noch ber Unglaube in irgend welchem Zeitalter. Denn die unferem Weſen inne wohnende Vernunft umd bie belehrende Einwirkung der ganzen Umwelt af uns bewirken im Verein, daß die Mehrzahl der Menfchen fidy feiner von den Heiden Simfeitigkeiten ganz hingibt, wenn audy nur Wenige die Kraft Sefigen, ſich voll» tommen frei davan zu erhalten. Und fo ift denn burch eine Höhere Raturein- eichtung dafür geforgt, daß das BVöſe feine unumfchränfte Dbergewalt erlangt, fondern daß immer noch Keime zu neuen und edieren Entwidelungen ücbrig bleis ben, auch dann nach, wenn dad Böſe zu einer Macht gelangt, bie große Umwäl⸗ gungen nsthig macht.

Eo ſcheint, daß die Meiften den Einfluß, den die Raturwiffenfchaft auf bie Ausrottung des Aberglanbens bat, vorzugsweiſe darin fegen, daß fie aber- Mäubifche Meinungen verwichtet. Diejer Dienft ift zwar ungemein wichtig, Doch wicht der einzige, den bie Raturwiflenfchaft uns leiftet; ich würde jagen, daß er nicht einmal der wichtigfte fei, wenn er nicht der Ausgangspunkt für alle ande⸗ sen wäre. Man erkennt leicht, daß die Handlung des Unterfuhungsgeiftes, wodurch eine abergläubifche Meimung ausgersttet wird, nicht allein den Gewinn mit fi führt, daß eine folche befondere Einbildung verſchwindet, ſondern aud) den anderweitigen, ein Nachdenken zu wecken, das und mißtrauifch gegen andere verwandte Irrthümer macht. Diefe wichtige Bolgewirkung tritt meiſtens nur in geringem Brade durch die Bernichtung nur einer abergläubifchen Cinbildung hervor, wird aber durch das Bufanumenwirfen mehrerer Entdeckungen in einem ſtark anwachſenden Verhältniffe vergrößert. Man denke fi z. B. den uch erwähnten Aberglauben verbannt, daß eine Sounenfiuſterniß andeuten ſolle, ein Drache wolle die Sonne verichlingen. Died wird dann ficher feine Wirkung auf das Nachdenken Bieler Haben, aber bei ber Mehrzahl wird ber Eindrud Halb verſchwinden und fich nicht zum forigefegten Nachbenfen erweitern. Der Aberglaube hat einen Sonnengott, der jeden Abend hinter dem Meere zur Ruhe geht und am nächflen Morgen feine Bahn von Neuem beginnt. Die Wiflen- ſchaft lehrt dagegen, daß die Erde eine Kugel it, um welche das Tageslicht alle Tage einförmig von Oft nad) Weit ringsum verbreitet wird. Der Aberglaube nimmt die Möglichkeit an, daß der Feuerwagen des Sonnengotted die Erde au» zünden Eönne, wenn er ihr zu nahe käme. Die Wiflenichaft Ichrt, daß bie Sonne weder ein Feuerwagen it, noch nac Willkür geleitet wird, noch ber Erde zu nahe kommt. Der Überglaube hatte feine Mondgöttin, die chenfalle

IV. 28

434 Philoſophie

allerlei Wirkungen auf die Erde uͤbte. Die Wiſſenſchaft lehrt, daß ber Mond ——— geh "Die Bernihtung: Sp eur Olmaf ——— ——— welche Himmelsbegebenheiten vorausſetzten, Die aus dem will⸗

kurlichen Willen der Götter entſprangen, von ſelbſt wegfallen mußten. Ehe ich weiter gehe, will ich ein Mifverftändniß unmöglich machen, das freilich allem Vorhergehenden nad) ganz unberechtigt fein würde. Ich will näm- lich bemerken, daß es nicht die Dichterifche Bedeutung der beſprochenen mytholo⸗ giſchen Borftellungen ift, welche ich hier ald Aberglauben bezeichne, fondern bie im Wahrheit projaifche Auffaffung , welche jonft von biefen Dingen im Alltags- leben herrſchte. Nacy dieſer vielleicht überflüffigen Erinnerung Erinnerung fahre ich in An a. Tann ee re Der Gedanke, daß die Himmelsereigniffe nad) Seftimmten Geſchen vor-fih =. kam nicht ſogleich zu vollem Umfang, ſondern blieb viele Jahrhunderte hindurch innerhalb einer engen Begrenzung fteben , bie große un ließ, jo daß z.B: ſelbſt Diejenigen, welche den ten, noch von Kometen in Schrecken gefegt wurden, ne derthalb Jahrhunderte ber, daf die Wiffenjchaft die Aufgeklärten von dieſem Schreden befreite, ber erſt weit fpäter aus dem Bewußtjein einer größeren Menſchenmaſſe vertrieben wurde, als man nämlich zur Kenntniß davon gekom⸗ men war, daß das Wiederfehren eines Kometen glücklich vorausgefehen wurde, und zwar über 75 Jahre, ehe er erjchien. Lange alaubte man, daß das Schickſal eines Menjchen nach der Stellung der Geftirne bei feiner Geburt vor⸗ hergejagt werben könnte; Die vollfommene Gewißheit, daß die Planeten Hime

melokugeln find gleich der. Erde und die Firfterne Sonnen, ftellte diefen Wahn

im feiner ganzen Lächerlichfeit dar. In dieſen Beifpielen: liegt eine Belehrung über die Art, wie die Wiffenfchaften gegen den Uberglauben wirften. Nicht blos die Gewohnheit, mancherlei abergläubifche Meinungen vernichtet zu ſehen, war es, bie am flärfften dem Aberglauben entgegemwirfte, fondern weit mehr bie Verbreitung der Kenninig bei Einigen ald Einftcht, bei der Menge als Nady richt daß der Lauf der Himmelskörper durch Naturgefege beſtimmt werde, Dieſe Wirkung flieg zu einer immer wachjenden Höhe, je nachdem man zu voll ftändigerer Einficht in die Einheit der Naturgefege gelangte. Die flare Auf faffung des wahren Weltſyſtems machte es unmöglich, ein oder gar mehrere fefte Himmelsgewölbe anzunehmen, wie Dies früher jo gefchehen war. Dadurch fielen aber vielerlei bisherige Vorftellungen vom Himmel oder von den Himmeln weg, welche bei vielen Menfchen mit ihrer Neligion verwachjen waren, jedoch mit Uns recht, da die körperliche Bedeutung der Ausfagen über den Sig der Gottheit und die Wohnung der Seligen nun jedenfalls doch) verworfen, und nur eine geiftige als gültig angenommen werden mußte. Endlich mußte aber die von Newton begründete Einficht im die Naturnothiwendigkeit der himmlifchen Bewegungs geſetze in noch bedeutenderem Maße die Ueberzeugung ftärfen,, daß bie Weltbes wegungen Feine willfürlichen Veränderungen erlauben, denn man erfannte mm,

Aberglaube und Unglaube. 435

daß alle diefe Geſetze Vernunftgefege und wiel höhere find, - als fie unfer Geiſt hätte erfinden können, göttliche Bernunftvorfchriften vielmehr, die wir jo glüd- ich find, begreifen zu können.

Diefe Ueberzeugung bat in ber That auch ein unwiderſtehliches Gewicht dadurch, daß fie auf einer Einfidht beruht, worin Gedanke und Anfchauung aufs Innigfte miteinander vereint find. Ich habe diefe zufammenhängende Reihe von Beifpielen eben darum gewählt, weil fie vielfältige Glieder aus der Wirkungs⸗ weife der Raturwiffenfchaft wider den Aberglauben aufhellt, wie fie nämlich zu- nächft dadurch thätig ift, daß fle abergläubiiche Ginbildungen vernichtet, dann eine Gewohnheit herbeiführt, abergläubiiche Meinungen in Zweifel zu ziehen, ferner dadurch, daß fie eine große Anzahl von Raturwirfungen als nach Gejegen - geordnet hinftellt und fpäter die Ginheit, den Zufammenhang und unbeſchraͤnk⸗ ten Umfang derjelben nachweiſt, endlich, indem fle die Nothwendigkeit der Letzte⸗ ren und daß dieſe eine Bernunftnothwendigfeit, ein Bottheitäwille ift, darthut. Dies Alles kehrt in den übrigen Wirkungsweifen der Raturwiflenfchaft wieder, obgleich es jchwer fein dürfte, eine andere, fo leicht zu überfehende Reihe von Beifpielen zu finden. Diefe eine Reihe wird aber zum Theil auf die folgenden Beiſpiele das erforderliche Licht werfen.

Zu den Ereigniffen, worin Die Menfchen fo geneigt geweien find eine Aeuße⸗ rung der menfchlichwillfürlichen, ich könnte verfucht fein zu fagen, launenhaften Machtvollkommenheit der Gottheit zu finden, gehören die Abwechfelungen in der Witterung. Daß Gott Regen oder Dürre, Unwetter oder Stille verordnen jollte, wie ein irdifcher Monarch Wohlthaten oder Strafen austheilt, iſt eine Einbildung, bie ſich bis auf den heutigen Tag bei der Menge erhalten hat und ſchwerlich ſo bald verſchwinden wird. Es zeigt ſich aber bei jedem weiteren Fortſchritte, den wir in der Kenntniß der Luftereigniſſe machen, daß Wetterver⸗ änderungen nach allgemein gültigen Raturgeſetzen erfolgen. Die Wärme kann in einer Gegend nicht ungewöhnlich groß werden, ohne in anderen Gegenden abzunehmen; die Richtung, weldye der Wind in einem Lande nimmt, it abhän« gig von denen, welche in allen anderen Ländern herrſchen; biefelbe Verände- rung, welche einem anderen Landftriche Dürre bringt, gibt einem anderen Ueber- fluß von Regen. Je vollfommener nun die Allgültigfeit der Geſetze, nach welchen alles Diefes erfolgt, eingefehen wird, und je mehr Die Kenntniß davon fich ver- breitet, defto mehr wird auch jene abergläubifche, der Gottheit unwürdige Mei- nung von willfürlicher Austheilung jener Raturwirkungen verfchwinden.

Unter dem Aberglauben diefer Art hatte zu den verfchiedenften Zeiten bie Einbildung, dag Gott feinen Zorn in Donner und Blig äußere, eine große finnliche Wirfung gehabt. Die Entdeckung der elektriichen Ratur des Bliztzes, und befonders die Erfindung der Leitung des Blitzſtrahls, zerftörte den Wahn fräftigft, doch in gewiffen Richtungen Iangfam genug; denn gleich der Electrici- tät beivegt der Gedanke fich nur mit Bligesfchnelle in den Leitern. Doch fowie die Wirfung der Bligableiter fich bald Hier, bald da in gehöriger Naͤhe der ſtum⸗ pfen Menge zeigte, mußte ihr Vorurtheil dagegen erjchüttert werden. In einem von den oben angeführten Fällen muß die Begebenheit wie ein Wunder auf

28*

436 ui Philoſophie. Eee a ee man fagen —* rate ur —*

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—— Velrede oe 9 die fogenannten Blutflecken —— vorkamen, Die unter Dach waren, wo alfo Fein Regen hinkommen konnte, und daß ein Scywerm von Inſekten die Flecken abjegte. Wie befannt, hat man ſich noch weir öfter zu ähnlichen Ginbildungen durch andere Wunder

verleiten Taffen und z. B. rothe, vom Regen zeingefpülte und | | Saubarten für Wirfungen eines Blutregens angejehen ein Irrthum, der von Naturkundigen aufgeklärt worden ift, Ebenjo haben natürlich; die Steinzrgen bäufig Veranlaffung zu abergläubifchen Einbildungen gegeben. Die Natur wiſſenſchaft hat freilich noch micht alle erwünfchten Aufklaͤrungen über dieſes Luftereigniß gegeben, aber fie hat doc genug gerhan, um dajfelbe dem Aber- glauben zu entziehen, indem fie einige der Geſetze, wornach das Greiqnif er» folgt, aufweift und und belehrt, daß die Steinregen faft durchgehende lichen Beſtandtheile haben.

Einen wichtigen Theil ihrer Kraft legt die Naturwiſſenſchaft dadurch 7 den Tag, daß ſie in die vielen Künfte des Gewerbfleißes eingreift und bier oft zur Bejeitigung abergläubifcher Meinungen und noch mehr zur Stärkung des Nachdenfens beiträgt. Wie fehr war nicht der Aberglaube mnter Bergleuten verbreitet! Ihr Gefchäft führte ſoviel Unerklärliches, Dunkles, Geführliches mit ſich, Daß der Aberglaube bei ihnen Teicht zu Macht kommen konnte. Ohne nun in Abrede zu ftellen, daß noch jet mancher Aberglaube unter Bergleuten herrſcht, befonders unter den geringeren Klaſſen derjelben, Die nur einzelne Rejultate der Wiffenfchaft annehmen, und auch diefe erft nach vie⸗ len Devenklichkeiten, fo mußte doch das Licht der Erfenntnih, welches die Mar tunwifjenfchaft mehr und mehr über den inneren Bau der Berge und alle Theile der Behandlung von Erzen und Metallen verbreitet, eine bedeutende, allem Aberglauben feindliche Einficht verbreiten, zumal bei Bergarbeitern, Die nicht mehr auf der niebrigften Stufe ihres Faches ftehen, Aber felbft auf Diefe müffen die Entdeckungen der Wiffenfchaft einen Lichtſchimmer haben fallen Laffen. So war es ehedem Glaube bei Bergleuten, daß boöhafte Geifter fie bisweilen während ber Arbeit niederwarfen und erftidten, oder ein Enallendes verheeren⸗ bed Feuer in den Stollen anzündeten. Die Naturwiffenfchaft hat durch Aus— breitung von Kenntniffen über die dem Arhemzuge fchädlichen Ruftarten und über Kuallluft, aber noch mehr dadurch, daß fie dem Bergmann felbft die Sicher- heitölampe in die Sand gab, der alten Gefpenfterfurdht Eräftigft entgegengewirft.

Wie unvollfommen umjere Einfichten in die Natur der Gährung auch noch genannt werden mögen, ſo hat dad; die Kenntnif, welche wir ung bon ben Ra turgefegen ber Gährung erworben Haben, vieles Dunfel jerfleut and grofe Beutan ic Die Enorabägpge, trick Dadurch hat diefe Kenntnif nothwendig Eingang bei Bierbrauern, Branntwein- brenner u. U. finden müffen, und Viele derfelben find fo, eben um des Inter effes willen, veranlaßt worden, ſich einige Kunde von den Natunviffenfchaften zu erwerben. Außer dem Nachdenken, das dazu nöthig wurde und welches

Meinungen ner Jugend, daß Peute, die Brennerei trieben und viel Unglück damit gehabt hatten, dies einer feindfeligen Herenkunſt zufchrieben und ihren be&halbigen Berbacht auf namhafte Perfonen warfen. Jetzt, wo man mit den Gefehen die- fer Art Gährungen fo wohlbefannt geworden iſt und gemeinfaßliche Vorfchriften für die Berfahrungsweife hat, welche die verjchiedenem Umſtaͤnde erfordern, wird man im ben meiften Bällen dergleichen Unglücköfällen entgehen, und wenn doch dergleichen vorkommen follten, den Grund dazu aufzufinden wiffen. In Iange verfchloffen geweſenen Kellern gab es vordem Bafllisfen, die Niemand ſehen Ffonnte, bie aber einen Menfchen burdy ihre Blicke töbten Fonnten, Seitdem ed allgemeiner befammt geworben tft, daß durch Gährungen eine micht einzu— athmende Luft erzeugt wird, welche fich mach dem fpeeififchen Gewichte an niedri» gen Stellen ſammelt, weiß man, wer der ſtuhere Wörter war und vertreibt ihn durch Auslüften.

In umferen Tagen bat die vielfältige Amwendung der Dampfmafchtne in fo manchen Rahrungszweigen, in der Schifffahrt, im den Eiſenbahnbeförderun⸗ gen, bert gemeinen Mann, und noch mehr die Werffeute, zu unendlich vielem Nachdenken geweckt. Die zahlreichen anderen Maſchinen, welche mehr und mehr die Funftvollften Arbeiten ausführen, müffen biefelbe Wirkung machen. Der eleftromagnetifche Zelegraph hat die Aufmerkſamkeit ded gemeinen Mannes felbft in Ländern erregt, wo berfelbe nur noch dem Namen nach befannt war. Neben allen übrigen Wirkungen haben dieſe vielen Erfindungen bie Menfchen daran gewöhnt, zu fehen, wie das Wunderbare durch Vernunftgebrauch hervorgebracht werben kann. Aber nicht blos biefe großen Unternehmungen waren e8, bie zur Geiſteentwickelung des Menfchengefchlechts beigetragen haben, es läßt ſich faft fein Erwerböjweig mehr nennen, in welchen die Wiffenfchaft nicht eingegriffen und gedankenweckend darin gewirkt bat, Diefer erweckte Denfgeift ift nahe ver- wandt mit dem Unterfuchungsgeifte, den die Wiffenfchaft ausbildet und auf welchen wir ein befonberes Gewicht legen müffen, weil er überall hin feine wohls thätigen Folgen verbreitet und zur Vertilgung des Aberglaubend wejentlich beiträgt.

Die abergläubifchen Meinungen, welche in einigem Zufammenhang mit der Natur ſtehen, unter anderen bie, welche auf einer mißverftandenen Auf—⸗ faffung von etwas wirklich Vorhandenem beruhen, kann tie Raturwiſſenſchaft meiftens widerlegen: in einem anderem Berhältniß ftcht fie Dagegen zu folchen,

438 Pbiloſophie N

vermeintliche Gefahr als Dreizchnier gu Tiſche zu gen. Der Umfl beim Abendmahl Ehrifli Kane ee re ua zu einer ſolchen Meinung abgeben. Mancher beruft ſich rung, und fragt man ihn dann, was er erfahren habe, jo beſteht es darin, ‚daß * zu dreizehn zu Tiſche geſeſſen hat, und daß darnach binnen, Jahres- —— ur —— ech Aber was kann eine —— gemadit fäte, Nmäke.Bie Unterfudhungstunfbrhoch micgt finden, daß darin ein Beweis läge, Sie würde jagen: die vereinzelt daſtehende Erfahrung eines Einzelnen kann im Sachen dieſer Art keinen Beweis liefern; nein, dazu bedarf es der während mehrerer Jahre ununterbrochen aufgezeichneten Erfahrungen vieler Menſchen über die Anzahl von Tifebgäften in mancherlek Gefellfchaften, und über die in eimem Jahre nach der Zufammenfunft davon Geftorbenen. Man würde da eine Mittelzgahl erhalten, ‘die barthäte, daß, je zahlreicher die Tifchgäfte waren, je mehr von ihnen im einem gewifjen Zeitber- Taufe ftarben. Wer aber einen lebendigen Sinn für Naturgefege“bat, wird nicht einmal folche Enticheidung verlangen, denn er weiß, daß die befagte Meile nung nicht mit ben Naturgefegen übereinftimmt. Aber, höre ich manchen geifte vollen und hochgebildeten Mann fagen, ich will gerade nicht behaupten, daß bie Furcht unter dreizehn mit zu Tifche zu figen, gegründet ift, ‘Doch meine Einbil- dungskraft ift nun einmal mit diefem Gedanken beladen; laßt mich dieſen une jchuldigen Irrtum behalten! Das ift etwas Anderes; das läßt ſich einigers maßen hören. Und Anderen geziemt es, dieſe Eigenheit zu dulden; allein gez ziemt es fich für irgend Jemand, ſie an ſich felbft zu dulden? Würde es nicht Hübfcher fein, wenn ein Solcher feine unvernünftige Furcht vor den Richterſtuhl ber eigenen gefunden Bernunftıberiefe und ihr das Leben abjpräche? Der Irre thum ſelbſt iſt unbedeutend genug, allein der Einfluß, den man einer fo falfchen Vorftellung einräumt, gewährt einer ihäblichen Seelenanlage Nahrung. Wenn wir an irgend einem Organ unſers Körpers eine Anlage zu Krankheit entdecken die wir zu heben wiffen, fo werben wir und gewiß nicht bedenfen, es zw thun, Jede abergläubifche Einbildung aber ift ja eine Kranfheitsanlage in unſerem gei« ftigen Wefen , follten wir und denn nicht beftreben, fie zu unterbrüden®? x Was von einem einzigen Fall gejagt ift, das läßt fich leicht auf viele andere anwenden, Wir wollen und nicht dabei aufhalten, dieſe durdhzugehen ; denn Alles, was man mehr von ihnen ald vom oben erwähnten einen fagen Fönnte, würbe Die Wirfung doch nur wenig vemehren. Die noch zerftreut vorbandenen Ueberrefte des Aberglaubens werden ihren Einfluß auf die Einbildungstraft erft allmälig verlieren burch den Unterfuchungägeift, den die immer wachſende Anz wendung der Natumwiffenfchaft verbreitet fich auch über Solche, die fie ſich nicht jelbft aneignen, fondern nur vom deren mannigfaltiger Anwendung auf bie

Aberglaube und UAnglaube. 439

menſchlichen Lebensverhaͤltniſſe berührt werben. Aber dieſe Wirkung iſt doch nicht mit derjenigen zu vergleichen, welche die rechte Pflege der Raturwiſſenſchaft mit ſich führt. Sie entfaltet im Menſchen eine ganze innere Welt, die nicht bios ald etwas einmal Empfangenes und im Gedächtniß Bewahrtes vor ihm ' fteht, fondern als ein ich nnaufhörlich erneuertes Dafein, in welchem man ein allumfaffendes Wirken der avig lebenden Vernunft erblickt, und wo alfo fein Raum für den Aberglauben übrig bleibt.

Vielleicht wird man bier als Einwand hervorbeben, daß einige Raturfor« ſcher vom Aberglauben nicht frei gewefen find. Wir müflen aber felbftverftänd- (ich jedes derartige Beifpiel zurüdtweifen, das in Feiner Beziehung zum Entwicke⸗ lungsgange der Raturwiffenfchaft fleht, denn obgleich diefelbe nur Eine ift, bat fte fich Doch in mehrere Zweige theilen müflen, bie. fich nicht alle gleich ſchnell entwideln fonnten. Wahr ift e8, daß jede diefer-untergesrdneten Wiſſenſchaf⸗ ten von Anfang an gegen ben Aberglauben zu wirken fuchte; aber ed dauerte lange, ehe Died nur in gewiflen Richtungen gefchehen konnte, während es in anderen beim Alten blieb. Die Sternenfunde, dieſer Zweig der Raturwifienfchaft, der fchon beim Austreten des Menfchengeichlechte aus dem Alter der Kindheit jo manche abergläubijche Vorftellung verfcheuchte, vermochte doch in einer langen. Reihe von Jahrhunderten nicht, ſich von den Thorbeiten der Sterndeuterei los⸗ zureißen, und e8 ward ihren Jüngern erft dann ganz unmöglich, ſich der Aftro- logie zu befreunden, als das Zeitalter Rewtons die Griege der Himmelobewe⸗ gungen in einem Bufammenhange daraeftellt Hatte, der Niemand mehr. geftattete, diefe Lehre anzunehmen und doch abergläubifche Borftellungen in feine Himmels⸗ kunde zu mifchen. Das Beifpiel der Aftronomie wird hinreichend fein, gleiche Einfprüche mit Rüdficht auf andere Zweige der Naturwiſſenſchaft zu rechtferti⸗ gen. Gefährlicher für unſere Meinung dürfte ed werben, wenn man Beifpiele von Männern anführen Eönnte, welche fi große Kenntnifle in einem ſehr aud« gebildeten Theile der Naturwiſſenſchaft erworben hatten und doch nicht frei vom Aberglauben waren. Ich weiß nicht gewiß, ob es dergleichen Beifpiele gibt, doch glaube ich e8.*) Man könnte die Wirkung derſelben ſchon durch bie Be merkung aufheben, daß Verlündigungen gegen bie firenge ®edanfenfolge ſchon in den menschlichen Verhaͤltniſſen liegen. Aber in den meiften Zällen, vielleicht in allen, wird es fich ergeben, daß Niemand abergläubifch Hinfichtlich bes Faches ift, worin er tiefe Einflchten beflgt, vorausgeſetzt, daß dieſes Fach ſchon zu einem hohen Grade von Zufammenhang ausgebildet if. Dagegen kann es wol vor⸗ fommen, daß Iemand, ber eine bedeutende Meifterfchaft in einem Fache erlangt hat, dies auf eine fo einfeitige Weife übt, daß er nicht von ber. Ueberzeugung durchdrungen wird, wie die ganze Natur unter eben fo ſtrengen Gefegen fteht ald der wiffenfchaftliche Theil, womit er fich vertraut gemacht hat. Ich würde es fomit für unmöglich halten, daß Iemand, der. im Beflge des aſtronomiſchen

*) 8. B. Tycho Brahe, der wieder umkehrte, wenn ihm beim Ausgehen zuerfi ein altes Weib begegnete, weil er ein ſolches Zufammentreffen ale ein böfes- Omen für den Tag anfab.

440 Phbiloſophie.

Wiſſens unſerer Zeit iſt, den geringſten Aberglauben hinſichtlich der Himmels⸗ bewegungen hegen könnte. Dagegen möchte ich es nicht als ganz unmöglich an - fehen,, obgleich ich nur mit Vorficht daran glauben würde, wenn mir Jemand erzählte, es hege ein fonf tücptiger Afxonom: einen Mberglauben in Dingen, bie feine Wiſſenſchaft nicht berühren, Doc, ich thue vieleicht nicht recht daran einem Einwande entgegenzutreten, wozu es mur jo ſchwache Beranlaffungen gibt.

Wir haben ſchon gefehen, wie die Naturwiſſenſchaft in ihrem gange Veranlaſſung zum Unglauben gibt. Wir vermeilten befonders bei ber Be— trachtung, daß die fich jo häufig erneuernden Fälle, bei denen man Borftellungs- weifen und Meinungen widerlegt ſieht, die man gewöhnt war mit ben heiligſten Urberzeugungen zu verknüpfen, diefe oft erſchüttern oder wol gar vernichten muf- ten. Es ift leicht einzuſchen, daß bie Naturwiſſenſchaft felbft dem Zweifel und der übermüthigen Verwerfung tiefer Wahrheiten, bie fie wider ihre Abſicht her⸗ vorgerufen hat, entgegenarbeitet. Denn indem ſie unabläffig fortfährt, Kennt- niffe zu reinigen und zu Flären, wird fie manchen falſchen Einwand befeitigen, der au einer minder vollfommneren Kenntnifi entfprang; indem fle ihre eigenen Irrthümer widerlegt und berichtige, übt fie den Unterfuchungsgeift in Unters fcheidung bes Wahren vom Falſchen, und während fie uns fühlen läßt, wie feicht wir fehlen können, ea nen Urtheilen ein. Ta

Handelt es fich blos um jene, jo zu jagen zufällige Vergänftigung, * der Unglaube den Naturwiſſenſchaften entnahm, jo würde die Widerlegung hiermit ichon gegeben. Allein die Naturwiſſenſchaft hat Durch ein zu ihrem eigenem Wefen gehörendes Streben, bei Manchen einen gefährlichen Gedanken erweckt, der, wenn er einfeitig verfolgt wird, zur Oottesläugnung führt. Indem ſie mämkich zeigt, daß alle Wirkungen in der Natur nad; Gejegen geſchehen, und daß diefe Gejege nothivendig, underaͤnderlich, ewig find, hat fle Viele dahinge- bracht, fich dieſe Alles durchdringende Nothwendigkeit als eine blinde Nothivene digkeit zu denken, welche gleichſam der Natur felbft angehört, aller Vernunft voramgeht und aljo unabhängig von ihr fein muß, Dieſe Auffaffung fegt als Grundlage des ganzen Dafeins eine von Ewigkeit her vorhanden geweſene, un⸗ befeelte Materie mit gewiſſen nothwendigen Gigenichaften voraus, Aus der Wirkungsart diefer Letztrren follte Dann alles Dasjenige, was wir das Geiſtige nennen, hervorgegangen und felbft unfer Denfen mur eine Folge der Eigen ſchaften und Bewegungen der Eörperlichen Theile fein. Jeder wird das Troft- Iofe fühlen, das in einer folhen Auffaffung liegt, und würde bie Naturwiſſen⸗ ſchaft fürchten muͤſſen, wenn fle nur zu dieſer führte,

Die naͤchſte Erwiderung hierauf ift Die wohlbefannte Wahrheit, daß der größte Theil der Jünger und Verehrer der Raturwiſſenſchaft einem entgegenge⸗ festem Gedanken huldigt und in der Natur bie bewunderungswürdigſten, weifen Anlagen zu vernunftgemäßen Zweden nachgewieien bat, fo daß 'man von den weiſen Einrichtungen der Natur einen Beweis für ihren Urfprung aus einer allmächtigen Bernunft herzunehmen pflegt. Damit würde genug gefagt fein, wenn wir und mit einer fich an das Aeußere haltenden Vertheidigung begnügen

dann ebenfalls werden müffe. Aber deſto auffordernder bliebe dann der unver jöhnte Widerfpruch mit aller Daraus entfpringenden Unrube, mit jedem Zweifel und jeder Möglichkeit des Unglaubens noch daftchen! Laſſen Sie uns darum die» jenigen Wahrheiten a a ee ee Te Sache geeignet find! ] . | T wa «It BI En Auch ohne alle Ruͤckſicht uns von den Zwecken in der Natur und der Weisheit lehrt, die ſich in der Erreichung derſel⸗ ben offenbart, werden wir durch die Betrachtung der Naturgefege in ibrer gan« zen Nothwendigkeit zu der Neberzeugung geführt, daß bie Natur eine Vernunfts einrichtung iſt. Denn die Wiſſenſchaft ſtellt und die Naturgeſetze als Bernunft- geiege dar, Die unfere im mannigfaltigen Einfchränkungen befangene Bernunft zwar micht ohne hulfe ber Natur auffinden fonnte, aber oft durch eben dieſe Hülfe wirklich findet, Das Ergebnif aller über die Naturgejege angeftellten Berrach- tungen ift, daß fle alle zufammen eine unendliche Bernunfteinheit ausmachen. Die Notbwendigkeit hört nicht auf, aber fie zeigt fich als eine Vernunftnothwen⸗ digkeit, Wollte man dagegen den Eimvand aufftellen, daß dieſe Vernunftnoth⸗ wendigfeit ſelbſt eine Naturnothwendigkeit, und unfer ganzes geiftiges Weſen ein Erzeugniß derfelben jei, fo daß fie wohl deshalb mit der Natur jtinmen müffe, fo könnten wir antworten, daß dies weder abgeläugnet werben kann, nod) abge laͤugnet werten ſoll, daß es aber nicht einmal ein Eimvand if. Denn Die Rothe wenbigfeit hört auf, eim blindes Schickſal zu fein, wenn fie als eine Vernunft⸗ nothwendigkeit befunden wird hier dad Wort in dem Sinne genonimen, daß es nicht blos ein Etwas bezeichnet, welches für unfere Vernunft als eine Noth- wendigkeit anzunehmen ift, jondern ganz befonders ein Etwas, das nothivendig: iſt, gemäß einer Vernunft, aus welcher alle Raturgefege entfpeingen. Dieje Antwort wird doc; noch nicht ganz befriedigen, fo lange man fich die Materie ala Grundlage der ganzen Natur, nicht blos ala einen Theil ihres Weſens denkt. Es ift ein uraltes, man könnte jagen ein urſprüngliches Vorurtheil des Mens ſchengeſchlechts, das Einzelne und Unveränderfiche im Körperlichen , als einem: Solchen, zu juchen. Bei geringftem Nachdenken erkanute man freilich, daß alle Körper vergänglich find, allein man nahm feine Zufludyt zum Stoffe, Es ift wahr, biejer erweiſt ſich alle Erfahrung hindurch ala unvergänglich, doch wohl zu merken, nicht die mannigfaltigen ungleichartigen Stoffe, ſondern nur dad wäge bare, raumerfüllende Etwas, das allen Stoffen gemein ift, mit anderen Worten: bie Materie ald das Allgemeine in den Körpern, Gin uraltes Syſtem Tieß bie Materie jelbft aus unfäglich Heinen Körpern von ungleidyer Größe und Gefalt, aber von unbegrengter Härte beſtehen. Diefe Vorſtellungsweiſe hat zwar häu-

442 ee

Befehe.äfene Birtianbeikufein, Mlectfam Dife nistennung-vrrköofts nie

der Stoff ift Fein für fich beſtehendes todtes Sein, fondern er beftcht in Wirk- ſamkeitsaͤußerungen, die bon den Alles Durchdringenden Näturgejegen beſtimmt und begrenzt werden. Das Grundwirffame und das Ortnende im Dajein find alſo nicht zwei getrennte Dinge, ſondern ein Iebendiges, unaufhörlich ſchaffendes und ordnendes Bernunftganges, eine unendlich Iebente Vernunft Gott!

ESchließt aber, nicht all! dieſe Rothwendigkeit den Gedanken an Sud un Weisheit and? Keineswegs, wenn wir nur den himmelweiten Unte ſchen der unendlich vollfommenen Vernunft und der, welche bei endlichen Wejen fattfinden kann, feſthalten. Schon bei jeglicher Anwendung der Vernunft, fei es zur Beurtheilung einer Maſchine, einer Staatdeinrichtung oder eined wiſſen⸗ fchaftlichen Werkes, wird man allemal eine defto vollfommenere Harmonie aller Theife finden, je richtiger der Grundgedanke darin vorkommt. ine Karmonie, bie allein aus der folgerichtigen Anwendung bes Grundgedanfens entipringt, tritt uns oft fo entgegen, ald ob eine bejondere Anlage zu ihrer Grwirfung ges troffen wäre, ‚obgleich es die eigene Sarmonie der Vernunft ift, die dies erzeugt. In der Vernunft jelbit, der Vernunft ohne Einjchränfung, ift jedoch jede ein⸗ zelme Aeußerung eine Folge ded eigenen Wefens der Vernunft, und daher Mittel und Zweck zugleich. Beifpiele werden dies mur unvollfommen aufklären, aber doch nicht unfruchtbar fein, wenn man fich ihren Inhalt nur recht aneignet und rechte Anwendung davon macht. Man ftelle fich jegt zuerft als Gedanfenver« ſuch vor, daß Alles, was wir von der Kugel wiffen, noch unbefannt wäre, und daß ein Künftfer eine Figur erfinden wolle, die von allen Seiten den nämlichen Anblick darböte, dad Gleichgewicht babe, wie man fie auch auf eine wagerechte Fläche ftellte, und von ſolcher Oberfläche wäre, daß fie einen größeren Raum umfaßte als irgend eine andere Figur von gleicher Größe, wel" unfäglicyes Hinz und Herdenken würde dazu micht erforderlich fein! Wer dabei aber von dem Orundgedanfen ausginge, einem Raume, der von einer Oberfläche begrenzt wird, bie überall gleich weit von einem Mittelpunfte darin entfernt ift, der würde bei der nothwendigen Entwidelung des Gedankens alle jene und noch mehr ſchöne Gigenfchaften finden, wie fie ein bloßes Streben nach Zwed entweder gar nicht, oder nur auf vielen Umwegen gewähren könnte. Wenden wir ung num an die Natur felbft, ftellen wir und ald aus der Idee des großen Weltgangen den Ge—⸗ danfen ausgefchleden vor, welcher Die Herborbringung einer unendlichen Mannig⸗

Aberglaube und Unglaube. 443

faltigkelt von Sein und Leben befagt, und wozu erforderlich ift, daß ber eine Gegenſtand dem anderen nicht binderlich wird, wie Fönnte man fich dann wohl einen weiferen Plan dafür denken, als die ganze Mafle der Welt in unzählige bewohnte Kugeln zu theilen, von welchen eine jede ihre eigenen Tages» und Jah⸗ reszeiten, jede ihre eigenthümliche Wärme, ihre eigene Dichtigfeit u. ſ. w. hätte?! Wie follte man weiter etwas Weiferes erfinnen können, ald einer großen Anzahl folcher Weltkugeln Licht und Wärme von einer Sonne, ihre Tageszeiten durch Umdrehen um die eigenen Aren, ihre Jahreszeiten durch die Bahn einer jeden um ihre Sonne zu geben Aber alle biefe und unzählige andere’ damit zuſam⸗ menhängende Zwede folgen als Rothwendigfeit aus den Befehen, wonach die Theile der Materie, Anzichung und Bewegung fich richten. In der endlichen Betrachtung fehen wir Zwed und Mittel ald getrennt, im Wirflichen und Gan⸗ zen find fle Eins. Betrachten wir nun umfere eigene Kugel, fo fehen wir, daß die heilfamften Einrichtungen, wie der Tages⸗ und Jahreszeitenwechſel, ihren Urfprung von allumfaffenden nothwendigen Sefeßen haben. Anerfennen wir mit Rüdficht auf den Rutzen die Bewegung , welche dad Meer durch Ebbe and Fluth erhält, fo mäffen wir auf. der anderen Seite geftehen, daß fie nach jenen nämlichen allgemeinen Geſetzen erfolgt. ‘Breifen wir die AUbwechjelung und Ausgleichung, welche die Wärme in den verſchiedenen Erdſtrichen durch vielfäl» tige Windftrömungen erhält, fo finden wir wiederum, daß fie Folgen jener all⸗ gemeinen Gefeße im Verein mit der außdehnenden Kraft der Wärme ind. Era weitern wir nun ben Gedanken von diefen Beifpielen zu dem ganzen unenblichen Umfange defjelben, fo fehen wir, daß Die Lieberzeugung von dem eich der Zwecke in der Natur nicht Die Nothwendigkeit und Die Nothwendigkeit nicht bie Zwecke

ausjchliegt, jondern dag Mittel und Gier in der Ratur, wie der Dichter tagt;

einander umarmen. Und fo bleiben denn von der wahren Naturwiſſenſchaft ſowohl der Aber⸗ glaube als der Ungfaube ausgefchloffen !

Blanerenbahnen gegen die Efliptif find mit nur eilichen Ausnahmen ſehr flein, La Place ftellte die Behauptung auf, wie es vor ihm ſchon mehrere gethan, daß diefe merfwürbigen Eigenſchaflen auf eine dad Planetenſoſtem völlig umfaſſende gemeinſchaftliche, beim Eutſtehen bed Syftems wirffam geweſene Kraft hinzudeu- ten feinen; er meinte zugleich, daß man aus der Kenntniß biejer Kraft danu jedenfalld auch den Urfprung der Planetemvelt auf die wabrjcheinlichite Weife werbe erklären fönnen. Der berühmte franzöftfche Geometer bat dies felbit auf eine finnreiche Weife verjudyt, wobei er dann auf ein Spftem binausgefommen, das den carteſtſchen Wirbeln außerordentlich ähnlich iſt. Alſo bedarf das News ton’jche Gravitationdioftem, das fo fiegteich und überzeugend alle Hinder niſſe überwindet und zu dem glängendften Entdeckungen geführt hat, noch eines ander ren Epftemd, um einige unerflärte, aber überaus wichtige allgemeine Eigenichafe ten unferes Sonnenſyſtems zu erklären, Wie ſchon gefagt, hat das Syſtem des berühmten Geometer La Place die größte Aehnlichkeit mit der Carteſiſchen Wir- beicheorie. Aber ſchon lange vor Carteſius hat Kepler, noch ehe er Die Rotation ber Sonne fannte, erflärt: wenn die Sonne ſich um ihre Are drehen follte, fo könnte dadurch die Bewegung der Planeten hervorgebracht fein. Da it ſchon bie erfle Idee eined Wirbel. Bekanntlich hat Carteſtus, Da er das Bedürfniä fühlte, Die Bewegungen ber Weltkörper auf eine allgemein verftändliche Weiſe zu erflären, Die Wirbel aufgeftellt, die auch zu ihrer Zeit mit dem allgemeiniten Beifall aufgenommen worden, jegt aber mit Recht ganz der Vergeffenheit verfal- len find. Zulegt nım bat bejonders La Place, der ſich um Das Newton'jche Gravitationsſyſtem fo verdient gemadjt, auch wieber eine Wirbeltheorie, anders tann man fie doch nicht mennen, aufgeftellt und damit fein Bes dlenft zum die Gravitationälehre wieder verbunfelt,

Da nun eine mehr oder weniger beuflich ausgefprochene Birbeftheorie jeit Kepler bis auf La Place öfters in dem legten zweihundert Jahren wieberfehrt, und zwar durch die außgegeichnetften Denker und Mathematiker wieder und im⸗ mer wieder undfelbft neben dem unvergleich erhabenen Gravitations ſyſtem hervor- gehoben wird, jo muß es doch allgemeines Bebürfniß jein, die wichtigen eben angeführten allgemeinen Eigenſchaften ded Sonnenſyſtems zu erklären, die auch das Gravitationsſyſtem zu erflären unterläßt, und die eben nur ben eine Wir⸗ beitheorie erklärt werden fünnte.

Woran mag ed denn liegen, baß diefe Theorie jo hartnädig wieberfehrt ? Jean Paul fagt: ein Syſtem fällt nicht durch Angriffe auf daffelbe, jondern durch ein neues, das fich kühn daneben erhebt. Bei dem Gravitationäfhfteme bat es fich herrlich bewährt. Durch Newton's Genie ift es aufgebaut, durch feine Nady» folger zu den herrlichiten Entdeckungen angewandt, und bie Gartefijchen Wir⸗ bel find längft vergeſſen.

Doch nein! Sie find noch nicht gang vergefien. Nachdem das Newion ſche

Gravbitationsſyſtem ſchon allgemein bekannt und als wahr anerkannt war, haben

noch Wiedeburg und Kant an die Wirbel erinnert, und am Anfange dieſes Jahr⸗ hunderts bat ber berühmte Geometer La Place es als unumgänglich nöthig er— achtet, auf eine der Carteſiſchen Wirbeltheorie jehe ähnliche zurückzukonnnen, um

446 ee ns 0

uvam och wu au arm ————— ee in die Wiſſenſchaft zuruͤckkehten, was giebt ihnen viefe Bähigkeit, dieſe Fähigkeit wieder aufguleben? Das iſt um fo wunderbater, als feiner von Allen die Wirbel mit allen ——

fach erklaͤrte wenn die Sonne ſich um ihre Are drebte, fo fönnte die der Planeten dadurch erflärt werden. Er zes * als die * —— —7 |

wegung eines Wirbels ————— ohne anzugeben, welche von dieſen Bewegungen er als die Urſache anſehe. Auch Carteſius iſt in Feine Einzelnheiten eingegangen, und da iſt es denn ganz zweifelhaft geblieben. Der umſichtige La Place endlich, um nicht von Anderen noch zu ſprechen, hat ſich den ganzen Raum des Sonnenſh⸗ ftemd als cine Atmojphäre der Sonne gedacht, die, ſobald Die Sonne zotirte, nach und nach ebenfalls rotiren müßte. Hier tritt alfo wieder die Sonne durch ihre Rotation: ald erſte bewegende Urfache auf, die die Freifende Bewegung ber Himmelsförper hervorgebracht haben ſoll, aber auch wieder, ohne auf die mög · lichen. damit verfnüpften Umftände und Verhältniffe Nüctjicht zu nehmen. ; Um nun bie Wiederkehr diefer Wirbel, die bei dem beſtehenden und alle Erſcheinun⸗

gen auf’8 Herrlichſte erflärenden Gravitationsſyſtem ganz überflüffig ind; gründ- 1 uni su made, müßte, in alle Einzelnheiten eingehend, unterfucht werben , ob jolche Wirbel überhaupt entitehen Unnen; und wenn bied möglich ift, auf welche Weiſe es geſchehen Fann. | MET, 70 MPlateau in Gent bat ein merfwürdiges Brain das auch fpäter von dem berühmten Baradey ausgeführt worden, angeftellt,. welches den Urſprung und die Bewegungen unferer Planctenwelt auf eine fehr deutliche und intereffante Weiſe zu verfinnlichen vermag, aber zu deſſen Gelingen eine gewiſſe Geſchicklich⸗ keit und Aufimerkjamfeit gehört. Es wird nämlich ein Glas mit einer Miſchung aus Alfohol und Waffer gefüllt und hierauf. eine geringe Quantität Olivenöf, welches mit der Miſchung genau diejelbe Dichtigkeit hat, hinzugegoffen. Nun ſteckt man durch das Glas eine jenfrechte Are eim, die eine Kleine Scheibe fo trägt, daß deren Mittelpunkt mit Dem der Oelfugel, die als eine von der Schwere unabhaͤngige Flüffigfeit zu betrachten, derfelbe ift. Seht man gedachte Are in Bewegung, jo wird dann auch die Oelkugel rotiren, fowie auch die Mifchung aus Alkohol und Waſſer, und man hat eine deutliche und Flare Einſicht von der Abplattung der rotirenden Kugel, von der wirbeinden Bewegung der Mi- jdung, und wenn bie Notationsgefchwindigkeit ſchnell genug ift, auch von ber Bildung eines Minges. Diefer Verſuch ift angeflellt, Gauptfächlich um die Ro— sation eines Weltförpers, der durch den Oeltropfen dargeftellt ſowie die Bildung eines Ringes zu veranſchaulichen.

Wollte man dagegen nur die Entſtehung und bie vollſtaͤndige Ausbildung eined Wirbeld ftudiren, fo könnte man mit einer Mifhung aus Alkohol und

Die Notation deu Weltkörper. | 447

Waſſer erperimentiren oder auch einfach mit Waſſer allein, oder mit Weingeiſt, oder auch mit jeder anderen Fluͤffigkeit. Rur möchte dad Experiment in einem weiteren Gefäße vorzunehmen fein. Stellte man dann in die Mitte des mit irgend einer Fluͤſſigkeit angefüllten Gefäße eine Axe, die eine Fleine Scheibe oder auch eine Kugel trägt, und fegte man die Are in Bewegung, jo würde diefe Bewegung der ganzen, im Gefäße enthaltenen Klüffigfeit durch die rotirende Ku⸗ gel mitgetheilt werden. Wäre das mit der Klüffigfeit angefüllte Gefäß weit genug oder auch die an der Are rotirende Kugel nicht jehr groß, fo würde man man beobachten Fönnen, wie die durch die rotirende Kugel der Flüſſigkeit mitge⸗ theilte Bewegung fich immer in- größerer Entfernung von berfelben ausbreitet, bis fle in einer Entfernung von der Kugel, die wahrfcheinlich dem Halbmeſſer derielben, fowie der Motationsgefchwindigkeit entipricht, ganz aufhört, fo lange die Kugel auch mit der einmal angenommenen Gefchwindigkeit rotiren möge. Betrachtet man nun bie in der Slüfftgkeit entflandenen Wirbel genauer, jo wird man finden, daß die zunächft der Kugel befindfiche Schicht der Flüſſtgkeit ſich mit derjelben Geſchwindigkeit, wie Die Oberfläche. der Kugel ſelbſt ſich bewege, dag die Gefchwindigfeit aller folgenden Schichten nady und nach Kleiner wird und endlich in dem angegebenen Punkte ganz verfchwindet. Sonach ſtehen die Geſchwindigkeiten der einzelnen Schichten in irgend einem umgekehrten Verhaͤlt⸗ niffe mit ihrer Entfernung von der Oberfläche der rotirenden Kugel. So nur allein könnte ein Wirbel als entftanden feine Erflärung finden. Das Umge⸗ febrte, daß durch einen fchon vorhandenen Wirbel ein in feiner Mitte befinde licher Körper in rotirende Bewegung verjegt werden könnte, ift durch Feinen Verſuch darzuftellen und höchſt unwahrfcheinlich.

Dergleichen Berfuche find fchon fehr oft angeftellt und auch der aͤberro⸗ ſchenden Aehnlichkeit der wirbelnden Bewegung mit den Bewegungen der Him⸗ melskörper wegen darauf hingewieſen worden, daß die Bewegungen der Weltkör⸗ perſyſteme, und namentlich unſeres Sonnenſyſtems, da man dieſes am genaueften fennt, auf eine Ähnliche Weije entftanden fein müßten. Es wird zwar gelehrt, dag die durch einen rotirenden Körper in einer Flüſſigkeit entſtehenden Wirbel mit der Zeit nach und nach mit derfelben Gefchwindigfeit fich bewegen follen, wie die Kugel felbft, fo dag der ganze entftandene Wirbel in der Fluffigfeit mit der feften Kugel, als Kern, fich wie eine einzige zufammenhängende Kugel bewe⸗ gen fol. Das ift indeß nicht möglich, weil die Schichten der Fläffigfeit nicht durch fefte Linien zufammenhängen, ſich alfo ununterbrochen über einander ſchie⸗ ben, was auch durch einen Verſuch fehr Leicht bewiefen werden Tann.

Das ift nun fein begründeter Einwurf, und die Achnlichkeit der Wirbel im Erperiment mit den Bewegungen der Himmelöförper ift und bleibt außeror⸗ dentlih, aber die Gefchwindigfeiten der einzelnen Schichten der Flüffigfeit im Experiment nehmen mit den Entfernungen von der Oberfläche der rotirenden Kugel ab bis zu einem beftimmbaren Äußerften Punkt, in welchem die Bewegung ganz aufhört, fo daß die der Kugel zunächft befindliche Schicht fich mit der Ge⸗ fchwindigfeit der Kugel ſelbſt bewegt; das ift nun ein limftand, der bei den Him⸗ melöförpern nicht ftattfindet, Die Sonne rotirt bei weitem Tangfamer ald ber

DE 7—

en Weltförpern.

V "06 Biefe offenhare Gigkeit. ei aller jonftigen Aehnlichkeit nicht zu erklären wäre. pre diefem Ende zu unferem oben angegebenen Experimente zurück. Die Geſchwin- digfeiten der Schichten ber Flüffigfeit nehmen mit der Entfernung von der Kugel ab und fiehen in irgend einem umgefehrten Verhaͤliniſſe mit ihrer Entfernung von der Oberfläche der rotirenden Kugel, Kenut man nun Die, mit welcher ein Punkt des Aequators der rotirenden Kugel einmal um die Ure läuft, fo muß ja ein Gefeg gefunden werden fönnen, nad) welchem die Gejchwins digkeit jeder gegebenen Schicht in bekannter Entfernung, in Halbmeſſern ber Kugel ausgebrüct, berechnet werden kann. Und umgekehrt, wenn die Gefchwine —— einer Schicht, ſowie ihre Entfernung von ber Oberfläche der Kugel befannt it, jo muß nad ee Kugel gefunden werben können. Zr | “mn Se Das iſt doc) unlengbar und metpematifi gewiß: Angenommen, daf eine Rugehtiue lange; lange Beit, mit der wir gar nicht zu geigen brauchen, denn es können Sahrtaufende, fowie Jahrmillionen fein, die und nur bei unſerem Erpe- rimente zu verwenden nicht geftattet äft, rotirt hätte, und einen Wirbel, der doch beffer eine Wirkungsjphäre genannt werden fönnte, um ſich gebildet hätte, der dann weder mehr an Ausdehnung, noch auch an Geſchwindigkeit der cinzelnen Schichten defjelben zunähme. Würde dann die Rotationsgeſchwindigkeit Der Kugel plöglich verzögert, jo würde deswegen Doch der entftandene Wirbel in jeder einzelnen Schicht defielben mit der einmal erhaltenen Geſchwindigkeit ſich fortbewwegen, weil nach einem bekannten Gejege der Phyſik ein jeder Körper im feinem Zuftande der Ruhe oder Bewegung verharrt, jo Innge nicht eine Kraft diefen Zuftand ftört, und weil eben deshalb die Schichten des Wirbels ſich mit mitgetheilt erhaltener Geſchwindigkeit fortbewegen, da fie nicht durch feite Linien mit der (Gentral-) Kugel verbunden find, 17 Das wäre nun ein Fall, in weichem fich die und näher befannten Weltför«

per befünden. Urjprünglicy hätten fie, mit viel größerer Geſchwindigkeit als ges genwärtig rotirend, ſich ihre Wirkungsiphären (die ſie umgebenden Wirbel) gebil- det, ihre Geſchwindigkeit wäre dann wahricheinlich zu wiederholten Malen und in Zwifchenräumen von Iahrtaufenden und Iahrmillionen allmälig bis auf die jegige Zeit verzögert, während die Wirfungsfphären (die von ihnen gebildeten Wirbel) noch mit ihrer urjprünglichen Geſchwindigkeit fich fortbewegen, und alle in benjelben befindlichen Körper mit ihnen. Wenn damit and) gar nichts für die Naturwiffonfchaften gewonnen wäre, jo wäre das jchon ein großer Gewinn, daß der anfänglich den Weltkörpern einzelm ertbeilte, ganz bupotbetiiche und problematifche Stoß, der denfelben nach der Tangente in alle Ewigkeit fortbewes gen follte, jegt durch eine allen Körpern eines und defielben Syſtems gemein- ſchaftliche Bewegung mütgerheilt erſcheint, dieſes einzig hopothetiſche in der ganzen

en ne enge mathematifche Grunbfäge bei Beurtheilung derjelben anzuwenden. ne Bis dahin wire Dir Eopeigänggußiunb: —— fenfchaftliche Widstigfeit gewinnen, wenn es nur möglich wäre, am irgend einem Weltkörper mir einiger Wahrfcheinlichfeit machzumeifen,, daß er fich einſt mit „größerer Geſchwindigkeit al8 gegenwärtig um feine Are gedreht (rotirt) haben müffe. Wie wäre e8, wenn man darüber den ums am beften befannten, viel von uns bewohnten Weltkörper, die Erde, darüber befragte? Vielleicht giebt er dar über einigen Aufſchluß, der uns abgebt, um Die Iventität eined im Erperiment en TEEN * wenn a me nachzus LEE DT oT mn Via ser 443 ee man 03, eine allen —— * Rıtürforferh Befatite Kite als Ausgangspunkt bei der in dieſer Hinſicht anzuftellenden Betrachtung anzunehmen. Dieſe Thatſache iſt die, daß pie Erbe ſich 17 Mal ſchneller um ihre Are drehen (rotiren) müßte, wenn ein unter dem Noquator der Erde im bie Höhe geworfener Stein nicht mehr zur Erde zurückfallen follte, fondern durch ben erhaltenen Schwung wie ein Trabant fich un die Erde bewegen müßte: Vermittelſt des Schwunges bei 17 Mal ſchnellerer Notationsbewegung ber Erde ift alfo die Wirffamfeit der Schwere, die bei gegenwärtiger Rotationsgeſchwin⸗ digkeit die im bie Höhe geworfenen Körper an die Oberflaͤche Der Erde zurück⸗ führt, wie es fcheint, aufgehoben geweſen. Daſſelbe ſcheint noch gegenwärtig mit unferem Monde der Ball zu fein; erfällt nicht zur Erde, weil er Durch den in feiner refp. Entfernung von der Oberflädie der Erde erbaltewen Schwung vom Ballen in der Richtung der Schwere verbindert wird. Wie wäre ed mum, wenn dee Mond fich noch mit feiner urfprünglichen Geſchwindigkeit bewegte und aus jeiner genenwärtigen Gefchwindigfeit und feiner befannten Entfernung von ber Oberfläche der Erde Die urfprünglicye Notationsgefchwindigfeit der Letzteren abgeleitet werden fönnte! Hierbei hätte man gar nicht nöthig, nach dem Gejege ſich umzuſehen, nach welchem die Nechnung auszuführen wäre, ba das Ite Kepler'ſche Geſetz ſchon vorhanden ift und uns den berrlichiten Auffchluß geben könnte. Nennt man nämlich nach diefem Gefege die Entfernung des Mondes von der Erbe =D, den Halbmeffer der Erde = d, die Revolariongzeit des Mon- bes T, die zu ſuchende urfprüngliche Notationggeit Der Erde t, fo verbält fich der Würfel der Entfernung des Mondes zu dem Würfel des Halbmeſſers der Erde, wie das Quadrat der Nevolationäzeit des Mondes zu dem Quadrat ber (urfprünglichen) Motationdzeit der Erde, oder D; d— 72.6, und führt man die Rechnung aus, fo fommt man zu dem überrafchenden Nefule tate, daß bie fich hier ergebende urfprüngliche Notationdgefchwindigfeit der Erde allerdings 17 Mal fchneller ald die gegenwärtige geweſen fein muß, nämlich 1" 42°. Das ſcheint es denn wenigſtens höchſt wahrſcheinlich zu machen, daß die Weltkörperwirkungsſphaͤren eben fo wie die Wirbel im Erperimente ent⸗ ftanden fein müffen, daß ebenfo wie diefe, nachdem die Rotationsgefchwindigkeit IV. 29

450 Phyſik.

der Kugel verzögert worden, mit einmal erhaltener Geſchwindigkeit fortwirbeln,

auch die Weltkörperwirkungsiphären mit der ihnen eingeprägten Geſchwindigkeit ſich mit allen in ihnen enthaltenen untergeordneten Körpern ungeflört fortbewe= gen, wenn auch die uriprüngliche Rotationdgeidnwintigfeit Des Centralkörpers

bedeutend verzögert worden. Daß ſpeciell unſere Erte in ihrer Rotationsge⸗ ſchwindigkeit ganz ungemein verzögert, ift aus Vorftebentem mehr ald wahricheins. li, da der Mond ſich noch gegenwärtig mit derielben Seichwindigfeit nach dem Bten Kepler'ſchen Geſetze bewegt, mit weldyer im Verhaͤltniß die Erde rotiren

müßte, damit ein unter dem Aequator ber Erde in die Höhe geworfener Stein

nicht mehr zur Erde zurückfallen jollte können. Ob diefe Berzögerung der Rotation

der Erde mit einem Male, mit einem Rud flattgefunden, oder ob die Verzögerung,

wie fie ſich jet herausſtellt, zu verfchiedenen wiederholten Malen vorgefommen,

RR natürlich jegt durchaus nicht nachweisbar. Indeß ift das Letztere wahrſchein⸗

Hd und müffen dann jedesmal auf der Erde außerordentlich große Revolutionen

flattgefunden haben. Die Ereigniffe, die folche Verzögerungen verurfacht haben

können, find ſchon oft beiprochen, und es tft auch manches Wal auf fie hingewie⸗

fen worten. Sie bier genauer zu unterfuchen, wäre viel zu weitläufig, da fie

einen eigenen Artifel verdienen. Hier genüge es, die Thatfache feftzuhalten, dag

Die Rotationdgeichwindigfeit der Erde, fowie wahrfcheinlicy aller uns näher bes

kannten Weltförper, verzögert iſt, dag durch dieſe Thatfachen die einzige Hypo»

theie aus der genialen Sravitationdiheorie des großen Rewton vom urfprünglis

en Stoße, den die Weltkörper erhalten haben follen, befeitigt ift, und daß viel»

leicht nicht unwichtige Blicke für Geologie, limatologie und verwandte Rature

wiffenfchaften aus Liefer Entdeckung hervorgehen möchten.

Die Auartettmufik.

Bon 3. Schucht.

Dad Etreihquartett und feine Form. Die Elaffiter, Romantiker und die Werle der Neuzeit.

Der großartige Geiſtesaufſchwung in der zweiten Hälfte Des vorigen Jahrhu dert, in der unfere vorzüglichften Denfer und Dichter ihre bedeutendfien Mei⸗ fterwerke gefcbaffen , erzeugte auch in der Tonkunft ein klaſſiſches Zeitalter, im welchen die edelften und jchönften Werfe producirt wurden, die wir noch heute wegen ihres Ideengehaltes und der wundervollen Harmonie zwifchen Form und Inhalt verehren und bewundern. Wahrhaft Epoche machend für die Muflf wurde dieſes Zeitalter Dadurch, daß mehrere geniale Tondichter erfchienen, welche ganz neue Tongebilte in viel größeren und weit außgeführteren ald den biäher gebräuchlichen Formen fchufen. Vorzüglich waren e8 die Sonate, das Trio, Duartett, Quintett, Sertett, Septett, Dctett, die Ouverture und Eymphonie, welche durch Haydn, Mozart und Beethoven eine ganz andere Seftalt erhielten. Schon im fechözehnten und fichenzehnten Jahrhundert hatten die Tondich- ter 2 Biolinen, 1 Viola und Baß bei Orcheſtermuſiken und Eingipielen verwen. det; hierbei fanden fie ſich oft genöthigt, von dem Streichquartett die wichtige ften melodifchen und harmonifchen Tongebilde ausführen zu laſſen, weil fle nur hierdurch am vollfommenften erecutirt wurden. Dies führte fie bald auf die Idee, felbffländige Muſikſtücke dafür zu componiren, welche fich zuerſt nur-auf eine fleine Taktzahl befchränkten, die aber im Verlauf der Zeit immer mehr vergrößert wurde. Aus einem Praͤludium, Hauptthema und Schlußfage beſtan⸗ den faſt alle Tommerfe der damaligen Zeit. Im fichenzehnten Jahrhundert fügte man zu dem erften Thema noch ein zweiteß hinzu, worauf dann der Schlußſah folgte. Sehr bald genügte aber auch diefe Form nicht mehr für alle Muſtk werfe; e8 wurden demnach Tongebilde gefchaffen, die aus zwei Sägen mit ver⸗ ſchiedenen Tempos beftanden, und beide bildeten für fich beſtehende Mufkftäde, die durch eine höhere Geiſtesverwandtſchaft mit einander verbunden waren. Als Joſeph Haydn als Zondichter aufzutreten vermochte, fand er ſich bewogen, eine 29 *

452 Muſik.

ſchönere Mannigfaltigkeit mit einer höheren Einheit dadurch zu erzielen, daß er eine Trias von Tongebilden ſchuf. Seine erften Sonaten, Ouartetten und Sym⸗ phonien beftanden aus einem ernft gehaltenen Allegro, gewöhnlich HasZaftz hier⸗ auf folgte ein Adagio oder Andante, und ſodann ein leichtes ſcherzhaftes Allegro als Schlußjag. Saͤmmiliche drei Säge bildeten für ſich beftchende jelbftftändige Mufttjtüce, waren aber durch bie Wahl der Tonarten und Durch den Geifteäge- halt mit einander verwandt. Der erfte Sag ertönte in der Tonifa C-dur, der weite auf der Dominante G-dur und der dritte wieder in ber Tonifa, Bei Ton—

gebilden aus Moll M Tonifa, | zweite aber nur felten auf der Dominante, fi un PRr —1 und der dritte wieder auf der Tonika, aber als Durtonart; z, B. erſter Ent in C-moll, zweiter Sag in Es-dur, dritter Sat C-moll, gebraͤuchlicher C-dur, An DieferForfatten die Tondichter Gelegenheit, ernfte und majeftätifde Gedanken im erften Allegro zu bringen, das Andanto oder Adagio ſprach die fanfteren Gefühle des Liebenden Herzens aus, und das Finale erging ſich in feuriger Luft ober im fchergbaften Spielen und fröhlichen Neckereien. Nur ein Lebenselement fehfte hierbei noch, man vermißte den allbelichten deutſchen Tanz, den Walzer oder bie Menu

Haydn war der erfte Tondichter, der die Menuet zwiſchen das Adagio b ‚Quartetten

als dritten Sag feinen Werfen eimreibte. Seine fpäteren Sonaten, und Symphonien enthalten faft alle mit wenigen Ausnahmen vier ſelbſt⸗ ſtaͤndige, für ſich beftehende Säge. Die Quartetten und Symphonien erbielten vorzugsweiſe durch Haydn ihre Bormerweittrung , aber auch zugleich ihre höhere Kunftvollendung. Ja man Fann mit vollem Recht jagen, daß dieſe beiden groß⸗ artigen Kunftgattungen nur von biefem arınen Bauernfohne gefchaffer wurden, denn die Werke feiner Borgänger kann man nicht einmal als Miniaturbilder mit den jeinigen weil ſie in ganz we wejentlich —— Form auftraten. Una Daß Haydn reine große Anzahl Werte für das —— ein geſchah deshalb, weil der Tondichter Durch dieſe Inftrumente den größten Ideen» reichthum, die fchönften Melodien und ergreifendften Harmonien und die wun⸗ berbariten Toncombinationen mir den complicirteften contrapunftifchen Grftalten zur Darftellung zu bringen vermag. Dies konnte aber auch nur in der Quar- —* verwirklicht werden, wie fie und Haydn durch ſeine Werke gegeben hat; denn bie früheren Kunftformen waren hierzu nicht geeignet: Grwägt man nun noch, daß in den reichten Paläften wie in den befcheidenften Buͤrgerwohnungen ein ſolches Streichquartett zufanmentreten kann, um im ruhiger Mufeftunde dieſe Werke zu Gehör zu bringen, ſo wird es und erflärlich, daß dieſe Kunftgattumg den allgemeinften Beifall erhielt und: überall Nahahmer fand. Künftler und gebildete Dilettanten erfreuten ſich gleichmäßig an der Aufführung dieſer Quar⸗ tetten und erhielten durch fie ſtets Die edelften Hochgenuüͤſſe. In ber That find’ es auch wahrhaft begeifterungsreiche und weihevolle Stunden, die wir in kleinen vertenulichen Grjellfchaftäzirfeln bei dem Anhören diefer Tonwerke durdyleben, Die Wahl der Infirumente war faft innmer 2 Violinen, 1 Viola und Bios Ioncello, : Ebenfo wurte auch die Form in vier Sägen bis auf die Neuzeit

Quartetimufik, 453

mit wenigen Mobificationen beibehalten, Die gebräuchliche Modulatione- form für die vier Säße war: 1. Sat Tonifa C-dur, 2. Sag Dominante G-dur, 3. Sag Tonifa oder Mediante E-moll, 4. Sag Tonika, Nicht felten wurde auch folgende Modulationsordnung eingeführt: 1. Sag Allegro auf der Tonika C-dur, 2. Sag Adagio Es-dur oder E-moll, 3. Sag Menuet in G-Aar, Finale C-dur. Dieſe Modulationsordnung wurde: von allen Gomponiften der bamali- gen Zeit, ſowie von ihren Nachfolgern und den Tondichtern der Neuzeit beibe⸗ halten und nur felten eine Abweichung eingeführt, weil diefe Anordnung der Tonarten durch die Natur der Tonverhältniffe begründet ift. Nur muf ich be— merken, daß nicht jedesmal C-dur * Grundtonart zur Tonika —— ſondern auch die anderen Tonarten.

für die 1. Sat Allegro ih A-moll, 2. Sit Andante C-dur, 3. Sag Menuet (fpäter zum Scherzo umgeftul- tet) E-dur, 4. Sag Finale in A-moll oder A-dur, Jedoch wurde auch biefes Scyema nicht ſterrotyp beibehalten, fonderm erlitt mancherfei Mobificationen, . B. 1: Sag A-moll, 2. Sat F-dur, 3. Sag A-dur, 4, Satz A-moll. Der: 1. Sag A-moll, 2. Sag E-dur oder E-moll, 3. Sag C-dur, 4. Sag A-moll mit ben Schlußiage in A-dur. Auch noch andere Tonorbnungen wurden einge führt; ich will fie hier nicht anführen, fondern verweife die Lefer an bie Ton- werfe, denn nur davon erhalten fie die bejte FRE bon ben verſchie⸗ denen Anordnungen der Tonarten.

Auch für die Modulationsordnung jedes J— Satzes ſtellte ſich ein Schema feſt, das ebenſo noch heute mit wenigen Abweichungen befolgt wird, weil es durch die Natur der Zonverhältniffe und Tonordnung geboten wird. Ja man kann fagen, die Geſetze der Logik haben dieſe Modulationdordrrung fo genau beftimmt, daß fie nicht ohme Nachteil verlegt werden dürfen, Cie find durch das logiſche Denfen der Phantafie fo naturgemäß gebildet, wie die Regeln der Nhetorif und Grammatik. Ed muß allen gebildeten Kunftfreunden und Künft- fern erwünfcht fein, wenn ich die Schemata für die einzelnen Saͤtze Gier darlege, weil das. klare VBerftändniß der Tonwerke hierdurch beffer erreicht wird,

Der erfte Sag beginnt oft mit einer kleinen Ginleitung, welche auf das arſte Hauptehema führt, das ſich ſtets auf der gewählten Orundtonart Tonika entfaltet umd im einen modulatorifchen Heberleitungejag geht, wel ſehr oft nach der Dominante oder Mediante führt, worauf dann ein zweites Ge⸗ fangsthema erfcheint, dem ein kleiner Schlußfag folgt. Hiermit iſt der erfle Theil bes erſten Saged zum Abfchluß gebracht. Der zweite Theil ergeht fich in zahlreichen Dwrchführungen der Motive beider Themata, oft werden auch mit neue Gedanken verfmüpft, Im dem Modulationswechſel finter die q Mannigfaltigkeit ftatt, in die entfernteften Tonarten wird modulirt und darin die Motive thematiſch durchgeführt; die kunſtvollſten contrapunftifchen Com | tionen werden hier zur Anwendung gebradyt. Daher iſt der zweite Theil auch Die ſchwierigſte Bartie, an ber fo viele Componiſten fcheitern. Denn nur ber Zondichter von genialer Geifteöfraft und gründlichen Studium wird hier fein wahres Feld finden und die reizendften Tonblumen in wunderbarer Korm der

454 Wuſik.

Arabeslenverſchlingung geben koͤnnen; während der weniger Begabtere und nur zufammengerechnete Toncombinationen vorführt, die weder Poeſie, noch pſycho⸗ logiſchen Eharafter zur Darftellung bringen, Kür die Modulation und then tijche Durchführung iſt Hier der weitefte Spielraum gegeben, ohne gejegliche Bes fränfung. Nur die Geſehe der Aeſthetik und das Schönheitägefühl entjcheis ben, was zuläffig ober unzuläfftg iſt. Nach der Beendigung aller thematifchen Bearbeitungen modulirt der zweite Theil wieder zurüd auf die Tonika der Haupttonart des Quartetis und hierauf beginnt ber dritte Theil des erften Sages, welcher das erfte Thema oft ganz getreu wiederholt, zuweilen auch einige Veränderungen einführt und ſodaun durch einen Modulationdfag ıuf Das zweite Thema leitet, dieſes aber auch auf der Tonika mit wenigen Modifi.ationen wie⸗ derholt, worauf dann der Schlußfag in der Grundtonart erfolgt. Die Zwiſchen⸗ füge umd Leberleitungsjäge des dritten Theils moduliren in die Unterdominante Unterquinte vom Grundton und berühren auch noch andere Tonarten, jedoch ift hier Die Haupttonart vorherrſchend. Ich gebe hier in kurzer Bezeich- nung das Schema für die Dur und Molltonart des erften Satzes. Es ift von Haydn in feinen Duartetten und Symphonien gegründet und wird noch von ben Tondichtern der Neuzeit befolgt, weil man es als ein Naturgefeg betrachtet, f —— nei ER erleitungsfag im das zweite Thema, Furzer G-dur

Fer Modulationsfag leitet auf die dominante ya

lußſab— Durchführung der Motive und Xemata, Zurütfeitungsfag.auf —— Abichlußaufß. Freie Modulation in allen Tonarten, Modulation nach d RIRTEBNRN ENG das zweite Thema, Schlußſat. | F-dur C-dur. ° Modulation in bie Unterdominante und Nüdfehr zur 3 ‚Für die Molltonart ergibt ſich folgende Ordnung:

= ef Zpema, Ueberlsitungsjag in das zweite Thema-

Tonika, Mobdulationsfag na: der Mediante zum Abſſcuge A-inoll. (EAur nach Edur. | ea her der Motive und Themata, Zurüefeitungsfag auf das * Modulation durch alle Tonarten, Modulation nach der Tonifa A-moll. Neberfeitungefag auf dad zweite Thema, Uebergang zum Schluß. | Modulation in die Unterdominante, zurück zur Tonika, Modulation zur$ oder Dur-Toni D-moll, A-moll oder A-dur, Das Adagio oder Andante bat felten folche complieirte Formen, wie ber erfte und letzte Sag, in einfaches liedartiges Thema beginnt auf der Tonika und modulirt durch einen Ueberleitungsfag auf die Dominante oder Mediante, hierauf führt ein Eleiner Modulationsfag wieder zurück zur Tonika, worauf das

uaztettmufi. 06

erſte Thema wieder erfcheint, dem jodann ein Schlußſatz folgt; mitunter wird auch wohl noch einmal an das zweite Thema erinnert oder ein neues hinzuges fügt, und dann erft

Ruͤckfuhrungsſatz zum erſten.

Der dritte Satz, als Menuet bei Haydn und Mozart, bat Feten mehr nie drei Kleine Theile, die gewöhnlich 16 oder 24: umd mitunter auch wohl 32 Takte enthalten, Die erften beiden Theile ertönen auf der Tonika, und der Dritte, ald Trio benannt, erfcheint auf der Unterdbominante. Die erften Theile enthalten era han ee worauf dann bad * ruhig ge⸗ ——— ZI eTTT

Beethoven hat aber. britten Sape nicht- Die-alte Menuer mit. ihrem gewählt, ſondern ein lebhaftes Scherzo, das zwar auch oft nur aus drei oder vier Theilen beſteht, welche aber ſo lang ausgeſponnen ſind, daß fie nicht ſelten mehr als hundert Takte zählen. Hier bringt er num wieder bie complieirteften Formen des Gontrapunftes und fchaltet Darüber mit einer Gewandt⸗ heit und Herrfchaft, die ewig beiwunderungswärdig bleibt, Der vierte Sat hat faft ganz diejelbe thematiſche und modulatorifche Form wie der erfte Sab.

+ Daß nun diefe Formen jehr zahlreicher Modificationen und Variationen fühig find, wird Jederman erflärlich finden; denn es können in thematifcher und modulatorischer Hinſicht Die mannigfaltigften Abweichungen ftattfinden, wenn nur der Grundtypus beibehalten wird, und dies iſt un ſeit zur Gegenwart vollbracht worden.

Ueber dieſe Formen haben ſich vielfache Streitigkeiten entſponnen, ſowohi unter den Künſtlern, wie unter den Kunſtgelehrten. Die eine Partei, die Stür— mer und Dränger dev Neuzeit und Zukunft, wollte fie ganz aus der Zufunftämus= fit verbannen, weil fie Durch die Tondichter der Vergangenheit zu oft gebraucht und daher veraltet ſeien. Unſere Gedanfen und Ideen der Neuzeit, bemerften ſie, könnten nicht in den alten abgelebten und oft verbrauchten Formen zur. an« gemeffenen Darftellung gelangen; ein neuer Geift und neuer Ideengehalt ſchaffe ſich auch neue, ihm adäquate Formen. Die orihodoren Claſſiker erwiderten hier auf: Dieſe Formen, welche der gejchichtliche Entwickelungsgang der Kunft im Verlauf der Zeit hervorgebracht hat, find gleich den Naturgejogen zu achten und

zu. befolgen; fie. dürfen eben fo wenig verlegt ober zerflört werden, wie Die Regeln * Geſetze der Logik und Grammatik. Der Tondichter kann, ohne Verletzung dieſer Kunſtformen, dennoch ganz neue Gedanken erzeugen und ſie in. dieſen feſt— beſtimmten Formen zur Darſtellung bringen; denn wie die Denker und Dichter niemals die Logik und Grammatik negiren, ſondern ihren Inhalt in und nad) dieſen geſetzlichen —— At und muͤſſen es auch

die Tondichter können. era —— wur yigg : ui

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dem. ic die. Wanblangenaufjeige, ‚aber auch darlege, wie in dem Wechſel und Wandel ftets ein beharrender Grift herrſcht. Die Schüler und jungen Anfänger in der Gompofttion müflen ſtets Das feſtgeſetzte Kormenfchema vor Augen haben und ihre Ideen danach ordnen umd in die beftimmten Geſtalten bringen; font gerathen fie leicht im eine Bormloftgkeit, ihre Werke werden unklar, unverſtänd⸗ lich, und find oft ganz zufammenhanglofe Gombinationen, denn es fehlt ihnen die organijche Einheit. Aber nur der Meijter kann und darf Die Bormzerbres chen mit weifer Hand zur rechten Zeit, Jedoch auch bei Diefem wahren Auss ipruche muß man bedenken, daß die Formen der Tondichtungen gar keine Achnz lichkeit mit den Metallfornıen befigen, daß fie überhaupt in der Wirklichkeit gar fein Vorbild haben, fondern nur ein Erzeugniß des denfend-fchaffenden Geiſſes find, Man darf daher ſolche Analogien wicht aufiuchen und noch weniger Ber- gleiche Damit machen. In der Muſik ift der Inhalt zugleich Form und die Form der Inhalt felbft; denn man kann gar feine Theilung und Scheidung zwifchen beiden Verhaͤltniſſen vornehmen, Gin jchlechter und unflarer Inhalt manifeftirt ſich auch ftetd in einer ſchlechten Form; beides ift unzertrennlich. Aber dennoch gibt ed gewiſſe Normen in thematifcher und mobulatorifcher Hinficht, nach denen ſich der Ipeengebalt richtet; «8 find Die oben angegebenen Formenichemata, Verlangen num die orthodoren Claſſiker, daß dieſe ftereotyp beibehalten und fo gebraucht werden follen, wie es Haydn und Mozart that, daß die Perioden und Ucberleitungsfäge ganz jo geordnet und in der Geftalt gebracht werben jollen, wie e8 in den Werfen jener Meifter geichiebt, fo ift Died eine yes dantiſche Lächerlichkeit; denn jeder Gomponift, der dieſe Formen jo gewiffenhaft bis auf die Taftzahl nacheonſtruirt, wird nur mittelmäfige und oft unvellfonts mene Producte ſchaffen. Treten dagegen einige Bamatifer unter den Zukunft mufifern auf und verlangen, der Tondichter der Neuzeit folle fich an gar keine althergebrachten Formen binden und fich nur feinen Ideen überlaffen, feinem Inhalt Die gemäßen Formen fchaffen ; polemijiren fie auch dabei noch gegen den alten Schlendrian der Zopfzeit, wo Alles regelrecht fteif geordnet werden mußte, wo Periode und Mcherleitungsiag wieder in eine Veriode führte, und wo gang ficherlich gewiß auf C-dur die Dominante G-dur folgte; ich fage, wenn fle dies Alles Lächerlich zu machen fuchen und ganz befeitigen wollen und dem Tondich⸗ ter zumutben, er folle das erſte Thema des Quartetts in C-lar und die Gantis

und kindiſch. in Chaos von Zomnellen ohne -sfthmiice Glieterung; ohne wohlgeordnete Säge, Perioden und Modulationsgruppen wird ſtets ein unges nießbared Product bleiben es gleicht jenem Chaos der Natur, das fein würde, wenn die Materie nicht zu Weltförpern fyitematifch geordnet wäre, fondern das ganze Univerfum in Dumflform erfüllte, In ſolchen wilden Tonſtrömen herricht noch weniger Logik, ald in den Stürmen des Meeres, Id) betrachte jeht den pfochologiichen Charakter der Quartette und werde mit Haydn's Werken be- ginnen und der Zeitfolge nach bis zu den Producten Der Neuzeit fortichreiten. Hierbei will ich auch zugleich zeigen, wie die Wandelung des pſychologiſchen Ideenganges auch eine Wandelung in der Orftaltung der Formen hervorbrachte und Inhalt und Form in organifcher Geftalt ſich wechfelieitig erzeugten. Ich habe ſchon in zahlreichen Abhandlungen nachgewieſen, wie ſich der Gei— ftescharafter der Nation jeberzeit auch in der Muſik und Poeſie manifeftirte; ſchon in bew Artikeln über „die Eymphonie” im dritten Bande Diefes Werkes und in Geiſt und Eharafter in der Tonkunſt““, 2. Heft des 4. Bandes, gab ich bier» über ſtizzenhafte Andeutungen. In diefer Abhandlung will ich das dort Geſagte ergänzen, Wer meine fchriftftelleriiche Thätigkeit auf mufifalifchem Gebiet ver⸗ folgt hat, weiß, daß ich diefen Gegenftand ſchon feit gehn Jahren im vielen Zeit» fchriften bearbeite und hierin „Gefinnungstreu‘' geblieben bin. Die Claſſiei— tät ber Werfe von Haydn und Mozart habe ich ſchon im Jahre 1848, faſt noch als Knabe, gegen jene Partei vertheidigt, die damals ſchon die Werke Epohr's und Mendelsjohn’d zum überwundenen Standpunfte zählte, weil im ihnen (mie fie in der Neuen Zeitſchrift für Muſik ſchrieben) nicht die Volfägefinnungen der Gegenwart auägrfprochen freien, fondern nur alte, ſubjective, ariſtokratiſche Em⸗ pfindungen, Wem dies unglaublich ericheint, der nehme den Band der Neuen Beitfchrift für Muſik vom Jahre 1849 zur Hand. Jept bat dieſe Bartei ihre Anſicht hierüber modifitirt und zollt auch den Glaffifern Die gebührende Anere kennung. Ich will nun bier zugleich darlegen, wodurch ich vorzugäweije Die claſſiſchen Werfe der Neuzeit von Denen ber Vergangenheit unterfcheitem, Denn nur hierdurch wird eine beffere Würdigung beider Kunſtrichtungen möglich; daß ich diefes aber nut —— „a, liegt in der Begrens - jung meiner Aufgabe. u” 1 ar In faſt allem feüperen Abhandlungen Habe idy einen Factor ei’der- Bios buetiwirht der Tonbichter nicht beachtet oder doch nur beiläufig erwähnt: Näms» lich den Einfluß des Charakters, ded Temperamentd, überhaupt die Einwirkung

‚hoben wird. Im diefer Geifteöfituation verſchwindet jein perfönliches Leid und

458 Muſik.

ber Indloidualitat auf bie ſchöpferiſche Thaͤtigkeit ber Tondichter und fomit auch auf ihre Werke, IA habe nur immer dargelegt wie Die Geiflesfiimmung der ers nainer ——— unbe means anne der Werte nur: al8: einen Ausfluf Res indivituellen Yemperaments betrachten. Sie jagen, der Melancyolifer ſchreibt faft lauter Tonſtücke Roll rum buch, fie feine Melandyofie auszuſprechen. Der Sanguinifer bringt uns beitere und lebensluftige Melodien, weil er die —— Ich will dieſe Raiſonnements hier nicht ausführlich eitiren und nur noch bemerken, daß fie aus einer gaͤnzlichen Ins kenntniß der Vroduetivität der Tomdichter entitanden find und auch beweiſen, daß en ———— N ————— en —* ar AU

——— nur * u —* wenn ex in Begeiſterung verſetzt iſt. Dieſe Begeiſterung iſt eine höhere Seelenſtimmung, in der jeder Menſch ber ſein Temperament, über feine per fönlichen Berhältnifje, ja ich möchte jagen, über feine ganze Individualität ers

feine Luft, er denft nicht-an feine Schmerzen und vergißt feine ganzen individuellen Beziehungen. Er gleicht faft der Sonambule und jenen. in Ertafe verfegten Menfchen, die ihrer wirklichen Lage enthoben find und in einem ganz eigenthünts lichen Geiftesftadium neue und ungeahnte Erſcheinungen haben, dabei Berbälts niffe und Dinge erfchauen, die fie beim gewöhnlichen Lebenszuftande nicht ers bliden, Im diefer höheren Begeifterung der Zondichter ertönen ihnen Melodien und Sarmonien, Die fie dann auf dem Papiere firiren. So kann der Menſch melancholifch und tief betrübt fein über harte Schickſalsſchlägge und dabei doch beitere Tonweiſen jchaffen ; ebenfo findet das umgekehrte Berbältniß flat. Hieraus geht ſchon hervor, daß das Zemperament und die individuelle Seelen⸗ flimmung wenig und fehr oft gar feinen Einfluß auf den höhergebildeten Ton— dichter andüben. Es ift von Göthe befannt, daß er viele feiner individuellen Erlebniffe durch Dichtungen objeetivirte und fi dadurch von feinen Scelen- ſchmerzen befreite. Es würde jich Leicht zeigen laffen, daß die ſo entftandenen Dichtungen nicht zu feinen vorzüglichhten Meifterwerken gehören. Aber abge⸗ fehen davon, iſt e8 hinreichend befannt, daß er feine Erlebniſſe erſt dann im fich nun wieder idealiftiich in Die Durchlebten Situationen hineinverſetzte. Und hierüber Spricht ſich auch Schiller fehr wahr aus, daf der Dichter nicht in der Situation bed Leidens, nicht im Moment des Schmerzes ‚dieje Seelenftimmuns gen als ein Kunftwerf zu geftalten vermöge, fondern erft dann, wenn er ſie durchlebt und hinter fich habe und fie mun durch bie denfende Ihätigkeit der Phantaſie reprodueire, Aber wie wiele Dichter fchildern Beiftesftimmungen mit größter bewunderungswürdiger Naturwahrbeit, Die fie nie ſelbſt erlebt haben! Hat Shafefpeare alle Seelenftimmungen feiner dramatiſchen Perfonen felbit er= [ebt? Unmöglich! nur feine benfende Phantaſie erzeugte fie. Hier verfchwin«

Duartetianfit, 459

bet alſo jedes Temperament und jede individuelle Herzensregung des Dichters, fondern er flellt Menfchen dar, die nach ihrer Geiſtesſttuation und ihren Ver⸗ hältniffen leben, tenten und handeln. Ueberhaupt find die Temperamentöper fehiebenheiten, die individuellen Herzensregungen und alle Gemüthswandlungen nur Bei angebildeten Perfonen fo vorherrſchend, daß fie weientlichen Einfluß im Leben und Denfen bervorbringen. Nur der Raturmenjch wird von feinen Leitenfchaften und Gemüthsbewegungen beberrfcht und in feinem Leben und Denfen beflimmt, nicht aber der höher gebildete Geifl. Denn alle höhere Gei⸗ ſtesbildung Ichrt den Menfchen feine Affeete zu beherrichen und zu befämpfen. Hierüber habe ich mich fchon im dritten Bande dieſes Werkes in der Abhand⸗ lung über Idealismus und Materialismus ausgefprochen und erörtere deshalb dieſes Thema nicht weiter. Nur bemerfe ich noch, daß Haydn eine kummervolle und jorgenreiche Jugend durchlebte und auch in feiner Ehe unglüdlich wurde, (feine Battin verbrannte oft jeine Manufcripte) und dennoch fpricht fich in fei- nen Tondichtungen jene heitere Geiſtesſtiimmung, jene Zufriedenheit am wonne⸗ vollen Dafein aus, wie fie die. damalige Menfchheit befeelte. Und ein Tondich⸗ ter der Reugeit, L. Spohr, hat die forgenfreiefte Jugend duschlebt, wurde ale Nann ein hochgeehrter, reicher Künftler und ein glüdlicher Gatte, und doch ertönen und aus der größten Zahl feiner Werke nur elegiiche Tonweiſen ent gegen, obgleich er im Leben werer melandholifch noch traurig geftimmt iſt. Ein Beweis, daB die edlen Dichter und Künftler von höheren Ideen inſpirirt wer ben, als von indivituellen Temperamentöwandlungen. Nur ter Geiftescharat- ter der Zeit, der die edelften und beften Denker, Dichter und Künftler beſcelt and belebt, begeiſtert fie zu ihren Werken und: gelangt durch fie zur objectiven Erfcheinung.

Wenn man nun biergegen erwidert, daß dieſer Geiſtescharakter der Zeit doch nur von den Individuen erzeugt werde, daß er ohne fie gar nicht exiſtire und nicht zur Erfcheinung komme, daß er nur von den Indieidualitäten und ihren Temperamenten beftimnt werde; fo muß ich bierauf jagen, jene Gedanken und Ideen, welche unfere Denfer und Dichter zum Schaffen und Handeln bes geiftern, haben nichts mit der gemeinen Individualität und ihren Gemüths⸗ Bewegungen gemein, Diefe empirifchen Zufälligfeiten verfchwinden dabei und nur die Gedanfen und Ideen, welche die Weltgefchichte zum Borwärtsichreiten bewegen, find es ganz allein, wovon die Dichter, Denker und Künſtler beſeelt und begeiftert werden und die fie in ihren Werken zur Gricheinung bringen, Und nach diefer Kunſt⸗ und Weltanficht müffen auch ihre Werte beuntheit und gewürdigt werben.

Betrachten wir nun das Zeitalter, in dem. Haydn erfchien und feine Werte erzeugte. 1832 in einem: fleinen Dorfe geboren, aber frühzeitig nach Wien gelangt, fiel feine Jünglingszeit in jene Periode als das geiſtige Leben in faſt allen curopäifchen Ländern einen höheren Aufichwung nahm und in Deutichlaud ein wahrhaft claffiiches Zeitalter der Porfle und Muſik hervorbrachte. Er war ein fehr Iernbegieriger und ftrebfamer Süngling, ber die größten Entbeh⸗ rungen duldete, um ſich nurin Kunſt und Wiſſenſchaft vervollklommnen zu kön⸗

460 Muſik. fehienen; Maria Thereſia und Joſeph I. Hatten überall geiſtige Bildung, Huma⸗ —— und +8 bläßten eine, große Zebl edln Geier ee Meifterwerke’produeisten.; Dieſe gehobene Geifted- ſtimmung erzeugte in allen Gemüihern Heiterkeit umd am febönen Dafein dieſer Erbenwelt. Hatten auch die Menfchen mancherlei irdifche Leiden und Sorgen zu ertragen wie Haydn und viele feiner Kunfk genoſſen fo lebten fie doch in harmoniſcher Zufriedenheit, denn fie hatten ſich ja durch ihre Gedanken und Ideen ein geiſtiges Paradies gegründet, Sie lebten mebr in ihrer ſchönen Ideenwelt als in der Wirflicyfeit und machten bie Erfah» rung, daß der Menſch nur in Kunft und Wilfenfchaft ein edleres Daſein auf dieſer Erbe durchlebt. Dieſes Höhere Ideenleben werflärte ihre Gemüth und veredelte ihren ganzen Charakter und fo wurden fie zum Herold ihres Zeitbe- wußtfeind und fprachen die Ideen und Gedanken ihrer Zeit in ihren Werfen aus, Dieſe beferligende Geifteöftimmung begeifterte unjeren Joſeph Haydn zur Probuetivität, und demzufolge componirte er am Morgen herrliche Quartett-⸗ fäge , unbefümmert darum, daß er nicht wußte, womit er gegen Mittag die Be» dürfmiffe feines Magens ftillen follte, und wo er Wohnung finden könne, wenn die Miethszeit vorüber war. Und hatte er nun wirklich ein Opus glüdlidy voll endet, fo wollte es fein Verleger gratis druden, am das Honorar zahlen dachte man gar nicht. Ach das waren gar trübfelige Zeiten für den armen frommen Haydn, und Doch verzagte er nicht und ſchuf immer neue Werfe und blieb dabei fo bejcheiden wie ein gutes Kind. ı Wenn in fpäterer Zeit der größte jubelnde Beifall über die Vortrefflichkeir und Schönheit feiner Werfe ausbrach, da fagte er, mit einer Handbewegung gen Himmel zeigend, es kommt Alles von oben; hiermit wollte er andeuten, daß nur der göttliche Geift ihm zu feinen Werken be⸗ geiftere, Wenn bie Tondichter ſich im der gewöhnlichen Alltagsftimmung, gleich anderen Menjchen befinden, jo verwundern fie fidy soft darüber, wie es möglich ift, daß fie ſolch vortrefflich ſchöne Ideen erzeugen können, wenn fie in Degeifterung verjegt find. Daher entjtand früher die Anficht, daß fie vom ab⸗ foluten Gotteögeifte zu ihren Werfen infpirirt würden. Hierdurch wird es er⸗ klaͤrlich, wenn Haydn fagte: es kommt Alles von oben; denn auch er glaubte, ber fterbliche Menfch fei nur das Organ, wodurch fich ber allmächtige Geift der Welt offenbare, Mit der Lehre des Materialismus harmonirt dieſe Ans ficht freilich nicht; nach ihr it die Begeifterung der Denker und Dichter nur eine erhöhte Botenz des chemifchen Proceſſes, hervorgebracht durch eine gute Vers bauung und Blurbildung. Sie bedenken aber dabei nicht, daß die) größten Denfer und Dichter oft fehr wenig oder doch ganz Unbedeutendes zu verbauen und zu aſſimiliren hatten. Und ich verweiſe auch in diefer Hinficht noch einmal auf meine Abhandlung ——— und gerne im dritten Bande dieſes Wertes, N iv au

Die fchönften Werte ſchuf Babdu in jener Periode: al6-bie deutfchen Die ter in allen Gasen Deutjchlands ihre Lieder anſtimmten. So arm wie fle oft

waren unb fo unbebeutend ihre Stellung im Staats« und Geſellſchaftöleben auch fein mochte, fo waren fle doch Heiter und froh. Sie danften Gott und priefen fh glücklich, daß fle vor allen anderen Sterblichen bevorzugt ‚wären, weil Ihnen die hoͤchſtbegluckende Babe des Geſangs verlieben ſei. "Sie betrachteten wicht (wie einige Halbunvernünftige Dichter der Neuzeit) die Dichterbegabung als einen Kainöftempel, ald Brantmal und Ungläd für den Menfchen,, fondern fie fhäpten He unendlich hoch, als die edelſte Gottesgabe, die dem flerblichen Er⸗ benfohne verliehen werden könne. In dieſem Slauben fchufen fie mit heili⸗ ger Begeifterung ihre Meiſterwerke und mit ihnen ein claffliches Beitalter für Poeſfie und Muſik.

Sören wir nun die herrlichen Hahydn'ſchen Quartette; was für eine Gei⸗ ſtesſtimmung ertoͤnt uns aus ihnen entgegen! Stets die harmoniſche Zufrie⸗ denheit des Geiſtes mit ſich ſelbſt, die innerliche Heiterkeit über die Exiſtenz feines Weſens und das freudige Wohlbehagen am Daſein dieſer Welt. Sie iſt ja jo wunderbar fchön, dieſe im Horentanz kreiſende Erde mit ihren wohlduften⸗ den Blumen und dem roflgen Sonnenichein. Aber die edelften Hochgenüſſe gewährt uns das Leben in der Ideenwelt bier unten in grünenden Fluren und fhattigen Wäldern. Es find zwei Freundinnen und zwei Freunde, bie in Gaydn's Onarterten ſich im Mofengarten der Liebe ergehen und im befeligenden Ideenaudtauſch ein ſchönes Wechfelleben führen. Ach wie glüdlich tönnen doch die Menſchen leben, wenn fie Sreundfchaft und Liebe pflegen und ſich nicht ges genfeitig in Haß und Zwietracht befämpfen und verfolgen. Das Leben fei nur lauter Liebe und Freundſchaft, jo wird das Paradies auf Erden gegründet, was und Ehriftus von Razareth verfündet und für das er gelcht und gelitten bat. Ja, auch Haydn befaß ein folches Herz voller Menfchenliebe, das niemals aufs bört zu lichen, mag es ſich auch unzähligemal getäufcht Haben. Dieſe innigfte Beilige Liebe zur gefammten Menfchheit, welche nur die edelften Geiſter auf Er⸗ den befeelt, fprach er in feinen wunderbaren Tongebilden ans, wie ed der Dich⸗ ter durch Worte nicht vermag. Diefer beitere Frohſinn niit feiner freundlichen Jugend des Geiſtes, erinnert und an jene alten Götterſagen, die den feeligen Göttern ewige Heiterkeit und nie alternde Jugend des Geiſtes als weſentliche Eigenſchaft ihres Lebens beilegten. Bei Haydn find es aber die Kinder der Erde, Die in ihrer befeeligenden Geiſtesjugend ſich den fröhlichen Unterhaltungen an Spielen und Schergen überlaffen, dabei aber ntemald aus: der Sphäre des höheren Gedanken⸗ und Iteenlebens heraudfchreiten , fondern ſtets die Wirklich⸗ Zeit mit den Ideen der Poefle veredeln und verfchönern. Wohl greift auch der Schmerz in diefes Menſchenleben und reißt oft mit unerhitterlicher Strenge das heiß gelichtefte Weſen von unferer Seite, fo daß ſich das Herz in bit tere Klagen ergießt und unzählige Thränen ausweint, welche in’ den elegifchen Melodien des Adagios austönen und fanft verhaflen im leiſen Genfer der Weh⸗ muth. Da ertönen die Glocken ded Doms, fromme Gefänge erfchallen zum Simmel empor und mie die heiligen Töne in Schwingungen des Aethers fort ziehen und dem Ohr der Denfchen verhallen, fo entſchwinden die Schmerzen und Klagen der Eranfen Bruft und himmliſcher Friede und duldende Ergebung bes

bb. Griedendiendet; Dennmie fünıttiche Dishanmoniensifte hans

moniſche Löjung finden, fo im und in der Tonkunſt. Dies iſt das abjolute Geſetz des Univerſums. ot Inne na a Wenn etwa ein nie ber die Tonwerle nur als Nechenerempel betrachtet, nach meiner pſychologiſchen Schilderung: ſpöttiſch fragte: ob man den wirklich das Alles aus der Muſik heranshören kann, was ich vorhin geſagt babe; jo muß ich dagegen folgende Erwiderung miederfchreiben,

Wer das ganze geiftige und geſellige Leben bes vorigen Jahrhunderts ſpe⸗

eiell durchſtudirt hat, weiß, daß Die oben gejchilderten Seelenftimmungen vorzugs- weife zu Haydn's Zeit dominirten und Dichter und Künſtler zu ihren Werken begeifterten, Und wenn ex dann mit empfänglichem «Herzen für Muſik Haydın's Ouartetten hört, jo wird er gewiß mir beiftimmen, daß die von mir gezeichnete Geiftesfitwationen der Hauptinhalt und das Grundthema jeiner Werke, find; Daß hierin aber auch nody ganz andere Seelenitimmungen zum Ansdruck kom⸗ men, verſteht fich Durch fich ſelbſt. Wollte man fie alle annähernd ſchildern, ſo müßte man uͤber jedes Onartett einen befonderen Artifel ſchreiben und dazu ift bier der Raum nicht geftattet. Bon Haydn Fann man auch jagen, erkannte bie Sehnſucht nicht, ſondern fühlte ſich glücklich und befriedigt im Dieſſeits. Dies manifeitint ſich in allen feinen Tonwerken. Ich geb jegt zu feinem näͤchſten Beiftesverwandten und Zeitgenoffen W; A. Mozart über und betrachte deſſen Duartetten. Braten und Haydn's Quartette Deutiches Geiſtes lehen mit deut⸗ ſcher Oemürhlichfeit zur Darftellung, jo gab ung hiergegen Mozart bie Stimmen ber eusopäijchenBölfer und wurde Kosmopoli..... m mm

Duartettenfit. 463

Bei biefer Ausſage muß man aber ſtets an bas Höhere Ideenleben ber Bäl- ker denken und nicht an die engen yarticulariflifchen Sonberfiimmungen der Individualisätn. Es war der freie und kühne Geiſtesauſſchwung, der zwar immer noch in den gefeglichen Schranfen ber Aeſthetik blieb und niemals gegen das wonnevolle Dajein ber Wirklichkeit grollte, aber dennod) bie geheimnißvolle Ahnung einer anderen Welt und eines ſchöneren Lebens in fi trug Diele Geiſtesſtimmung bewegte damals die höheren Denker und Dichter und prägte fh in ihren Werfen aus. In ter Tonkunft wurde Mozart der Hauptrepraͤ⸗ fentant diefer Seelenflimmung. Er, als geborner Deutfcher, durchreifte Italien, Frankreich und England; fein zartes Senjorium, dad von jeder Geiſtesfituation erregt wurde, durchlebte alle Seelenflimmungen ter Nationen und brachte fie in Zongebilden zum Ausdrud. Durch feine Werfe ersönte eine ‚ganz neue Ton⸗ weile hindurch; eine Teije Ahnung von einem Ideale durchzieht dieſe Tongeſtal⸗ ten und verklaͤrt ſich in Schnfucht zu fanfter Wehmuth, tenn es iſt in der Wirklichkeit nicht vorhanden. - Wohl ift fie wunderfchön - diefe Erde mit ihren reizenden PBaradiedgärten voller Blumen und Brüchte, Die mit: duftenden Wohl⸗ geruch uns in Gimmelöjeligfeit eimwiegen. Und ach! das höchſte irbifche Er⸗ denglück, ins Arm der Liebe zu ruhen, nach des Lebens Stürmen und Kahrten, läßt alles Leid vergeſſen und verſchwinden, denn wahrhaft glücklich iſt Dex Menſch, wenn treu geliebt er. durch das Leben wandelt. Aber durch alle dieſe höchſte GErdenglüdjeligkeit, durch dieie irbifche Zuft mit ihren jubelnden Sreuden und Liebedwonnen ertönt-ftetö in leiler Wehmuth das Theme: „unſer wahres Leben iſt nicht auf Erden, ſondern im Himmel.“

Heilige Schauer und geheimnißvolle Ahnungen durchziehen die Bruſt im fanften Es-dur Adagio des Mozart'ſchen Quartetts. Die hellaufjauchzende Le⸗ bensfreude des erſten Satzes iſt verfiummt, denn der Menſch verweilt jetzt im heiligen Hain der Gottheit und ſendet ein frommes Gebet zu ihr empor. Wal⸗ desrauſchen durchweht die Gedanken der Ahnung und Sehnfucht nach einer höheren Geiſteswelt; und wie die Tonmellen im ‚blauen Sinmelsäther. zitternd verhallen, fo möchte die Serle hinfchwinden ins Senfeit einer nur geahnten, aber nie gefannten Region des höheren Geiſterlebens. Aber noch iſt das dul- dende Menfchenharz nicht gebrochen, noch ift die Trennungsſtunde nicht erſchie⸗ nen, die und dem Erdenthal enthebt; drum laßt uns heiter und fröglich fein, laßt uns fchaffen und werfen, fo lang es Zag ift, denn es kommt bie. Zeit der Ruhe nach des Lebens Mühe und Qual; fo.ertönt es aus der Menyet entgegen, in der das Leben fich wieder zur Freude und zum Tanz geflalter und in heiteren Rhythmen dahin eilt, wie die Sterne im Sphärentanze des Weltalld. . Auch ber vierte Sa ergeht ſich in Taͤndeln und Echerzen, im Spielen mit Käfjen und Herzen. Die Mahnung bed Todes, die mitunter leife anflingt, wird ſtets durch liebliche heitere Melodien hinweggefüßt ; denn fchön lebt ſichs hier oben im roſi⸗ gen Lichte, wo heilige Liebe dem Menichen bie höchſten Paradieſeswonnen ver⸗ leiht und in füß ſchwelgender Binmieleſeligteit die Geiſter für bie Ewigten verbindet.

Dieſe zeſchilderten unb noch vielfach andere Geifteöftnationen estönen und

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MR: Wort glauben. 2 gießen

rallele zwiſchen Hahdn's und Mozart's Werfen, Im Haydn's Quartetten ers

tönt noch die ungetrübte Eubjectivität in voller Heiterkeit und Lebensfriſche der

ni een ie jereeipi ——— Wolfen, die an der Das

Erben Hier Ute de ne aus feinen nn EZ Eine Feine Modification diefer Srelenftimmung erſcheint uns aber fehon in Mozart's Werfen, obgleich beide Tondichter Beitgenoffen waren nur var Haydn der Frübergeborne und begann auch feine Künftlerlaufbahn früher als der fpäter geborene Mozart. Zwar jind auch im Mozart'8 Quartetten die Dur⸗ tonarten der ungetrübten Fröhlichfeit fo vorberrfchend, wie in den Haybir’fchen, und auch durch fie zieht fidy daſſelbe Grundthema der heiteren Behaglichkeit am wonnesollen Erdenleben; aber es erfcheint doch auch Fehr oft eine gehelm⸗ nifvolle Mahnung an Tod und Grab, und ein ſchauerliches Geiſterreich ertönt nicht felten in die fröhlichen Lebensweiſen hinein. Dann überfönmt den Men+ feben eine Ahnung und ein wehmuthsvolles Sehnen durchzieht die Bruftz elf Sehnen nach einem ungefannten Ideal und nach einem oft geſuchten aber'nie gefannten Rande fpricht jich in elegiſchen Tonmeifen aus, bie aber durch Die er er ee —— * Wie UNSERE SEN ſchenbruſt verdrängt werden, | | wer Im Ion Durch diefe ee —— und Accorde in den Werken beider Meiſter. Mozart modulirt ſchon bfterer nach den Molltonarten und ſchreibt auch ganze Werke in Moll, während Haydn fie nur borübergehend berührt, Jedoch nebraucht auch Mozart die Molltonarten und diffonirenden Accorde nicht fo Häufig, wie die Tondichter der ſpäteren Zeit Aber auch ihr Satz - und Periodenbau mit ihren modufatorifchen Ueberleitunges gruppen erflärt fich aus ihrem Geiftescharafter. Das gefellige Leben der dama⸗ ligen Zeit bewegte ſich ſtets in wohlabgemeffenen Formen des Anſtandes und der Eitte, die wirklich mit foftemafifcher Negelmäßigfeit ftreng befolgt wurden. Alle heiteren Bergnügungen des Spiel® und Tanzes ergingen fch nur im dieſen abge⸗ zirkelten Schranken der Conbenienz. Seid fröhlicy und luſtig, aber Alles in

Duattettikufit. 465

feommer Sitte und Ehrbarfeit, war der Wahlſpruch jener Menfchen, die ſtets nur den langfamen Walzer, die bedächtig einherfchreitente Menue und noch andere Tänze in bemfelben gemäßigten Tempo tanzten. Alle $reuben ber Le⸗ bendluſt, alle Jubelflänge des froh erregten Herzens fprachen fich immer nur im Moderato wohlabgemefjener Rhythmen aus und ergingen fich niemals in wilds Rürmender Bachantenluft. Niemals iobten ſich die Menjchen in Teidenfchaft- lichen Orgien aus (wenigftend nicht der hochachtbarc deutfche Bürger» und Bauernftand), denn bie ungezügelte Weltluft mußte von Anſtand und Sitte be- herrſcht werden. Uber auch alle Seelenfchmerzen mit der höchften Verzweiflung fonnten und durften fich nicht in der LUinbegrenztheit des Schmerzenausbruchs verlieren, denn dad Ertragen und Dulden der Erdenfchidiale mit frommer Er⸗ gebung in die göttliche Yügung der gerechten Weltregierung war ein Haupts dogma der damaligen Religiondanficht. Der Krater wildftürmender Leidenfchaf- ten, wie fle fpäter bei den Staatsunnwälzungen zum Durchbruch famen, war noch nicht vorhanden, oder wenigſtens noch nicht fo tief im innerften aufgewühlt, daß er fich in ſolch furchtbaren Tonftürmen, gleich dem Donner des Weltmeeres er» gießen konnte. Ueberall in Freude und Luft, wie in Leid und Schmerz war ber ſelbſtbeherrſchende Geift, die ordnende und regulirende Macht, welche ftet8 Die Affecte in den Schranfen des Anſtandes erhielt, die niemals Hberfchritten und Hierdurch für die Tonkunft zu Gefepen der Uefthetil wurden. Bedenkt man dieſe Brifteäfituationen mit ihrem Gefühlsleben fehr genau und verfolgt man ihre Manifeftationen im Leben, in der Kunft und Literatur, fo wird ed uns einleuchtend, daß fie fich nur in folch ſchönen abgegrenzten plaftifchen Tonfor⸗ men zum Ausdrud bringen Fonnten.

Betrachten wir die Säge, Perioden, Weberleitungsgruppen mit ihren Ac⸗ cord⸗ und Modulationswechfeln in Haydn's und Mozart's Duartetten, fo er⸗ blicken wir überall eine fymetriiche Abzirkelung dieſer Formen, wie fle in den Merken der fpäteren Tondichter nicht wieder erfcheint; es ſei denn bei denjeni⸗ gen, die fie eflektifch nachahmen, nicht aber bei den originellen fchöpferifchen Geiſtern. Die einfachen Säge vereinigen fich zu einfachen Perioden, ohne An⸗ hängfel oder Zmwifchenfäge und überfchreiten felten die fechzehntaktige Anzahl. Die erfte Periode führt in den modulatorifchen Ueberleitungsſaz, der in ein zweited Gefangsthema Teitet, worauf fodann ein Fleiner Schlußfag erfolgt. Aber alle diefe Perioden, Säge und Ueberleitungsgruppen geben eine ſolch durchſich⸗ tig Fare Anordnung, cine Plaſtik des Ebenmaßes und eine überfichtliche Vers fländlichfeit, daß felbft die Laien alle Abgruppirungen biefer Tonformen wahr« nehmen. Wir erfehen alfo hieraus, daß das in Afthetifchen Geſetzen ſich Außernde Gefühlsleben jener Zeit, auch ganz die ihm angemeſſenen Formen fhuf, in denen es ſich austönte. Die abgemeffene Wohlanftändigfeit aller Ges fühldäußerungen, die ſtets fich regelnden Lufl- und Schmerzendergießungen er» tönten auch nur in ſolch abgezirfelten Saß- und Periodenfornien. Und da das Gefühlsleben nicht in unbegrenzten Regionen herumfchweifte, fich niemals in maßlofen, ungefeffelten Xeidenfchaften erging, fondern ſtets von der benfenden Selbfibeherrfchung in den Formen der äfthetifchen Schieklichfeit gehalten wurde,

IV, 30

denn der Geifeögefaft hat ſich feine nur ihm angemeffenen und eigenthümlich angehörenden Formen erzeugt, in benem er ſich objectivirend zur Erſchei⸗ nung Fam, a

Neben Sayen und Mogart Haben zwar auch noch viele Tonbichter Quar⸗ tetien gefchaffen, aber fte waren nicht von Epoche m deshalb auch vergeffen worden, Pleyel's Dunetettent Haben noch die größte Wer“ breitung erhalten und wurden auch lange Zeit gefpielt, aber auch fie enthalten nicht das Rebendelement, das uns and den Werken obengenannter Meifter ent gegen tönt. Es find aut gearbeitete Compoſitionen, aber es fehlt ihnen bie hohe Genialität des Geiftes, wie ſie den Hauptrepräfentanten des klaſſiſchen Beit- alter8, Haydn und Mozart, zu eigen war, Ich befpreche daher Die Compoſttio⸗ nen diefer Männer nicht, denn fie gehören nur der Muftfgefchichte an, ſondern fchreite jegt zu den Tondichtern der nächftfolgenden Zeit, bie durch ihre Epoche machenden Werke cine ganz neue, von ber eben gejchilderten, wefentlich vers ichiedene Periode der Tonfunft erzeugten.

Der naͤchſtfolgende Tondichter von Aufſehen erregender Bedeutung war Beethoven. Sein Bildungsgang und die Erzeugung feiner erſten Werke fiel im die Blüthenzeit des Haybn’-Mozart'fchen Zeitakterd; daher tragen nicht nur feine Quartetten aus diefer Periode die Geiftesftimmung jener Zeit, ſondern auch feine anderen Jugenbarbeiten, Sie jtnd oft den Werfen jener Meifter fo ähnlich an In⸗ halt und Form, daß man fie mit feinen fpäteren verglichen für nicht Beeths⸗ venifch hielt; denn vielen wollte e8 unmöglich dünfen, daß ein Tondichter in feinen fpäteren Werfen einen foldy heterogenen Charakter zur Darftellung bringen fönne, ber fi von dem Geiftesleben ber erften Zeit jo wefentlich unterfchelbe, Die tiefer Blidenden deuten dies Verhältniß anders; fie fagen, in der Anfangs periode war er Nachahmer und Eklektiker jener Meifter, doch ſpaͤter arbeitete er ſich zur Selbftftändigfeit empor und producirte nur feinen, eigenthlumlichen Ideengehalt in neuen und erweiterten Formen. ve.

Zum Theil ift dies wohl richtig, denn jeder junge Componiſt wählt ſich bie Werke eines Meifters zum Mufter, nach denen er feine erften Verſuche bil⸗ det, aber ald abfolut wahr, darf man es nicht behaupten; denn ed frage ſich nicht nur, wie der Tonbichter darauf kömmt, wejentlich verfchiedene Kormen, als die feiner Vorgänger zu fchaffen, fonderm auch, wie und wodurch biefe ganz neue, von ber vorangegangenen weientlich verſchiedene Geiſtesſtimmung ent⸗ Nanden ſei, bie in dem Tondichtungen ber neueren Beit zum Ausdruck

Quorietimuſit. 467

gelangt. Und dieſe Frage wird um jo wichtiger, wenn wis bemerken, daß in einem einzigen Geiſte ſich dieſer totale Bruch mit der Vergangenheit vollzieht und durch ihn ein ganz anderer Ideengehalt zur Darſtellung gebracht wird. Dies Senn auch nicht ein bloßes Reſultat der individuellen Stimmung und ihrer Um⸗ wanblung fein, ſondern eine ganz andere Geiſtesmacht muß dieje Evolution in den Individuen bewirken. Diefe höhere begeifterude Macht, welche bie Derker und Dichter zu ihren Werken begeiftert, ift der Ideengang der Weltgefchichte, der Äch in und durch die höherbegabten Menfchengeifter vollbringt. Ich habe es ſchon oft gelagt, daß dieſer weltgejchichtliche Ideenproceh einen neuen Geifted« gehalt durch die protuctiven Geißer in das Leben einführt, wodurch ihre Werfe ſich von denen der früheren Meifter wefentlich unterfcheiden. Ich habe ſchon in vielen Abhandlungen, unter anderen auch in der über Geift und Cha⸗ rakter in Der Zonfunft im 3. ‚Hefte dieſes Bandes ©. 146 nachgewieſen: wie bie geoße Evolution des geiftigen Lebens am Schluffe des vorigen und zu An» feng des jepigen Jahrhunderts auch auf die Tondichter eingewirkt und neue Stelenftimmungen erzeugt bat. Daſſelbe that ich audy in der Abbanklung im beiten Bande, „die Symphonie und ihre Form.“ Ich legte dar, wie die don⸗ nergewaltige Revolution mit den Kriegäftärmen in ihrem @efolge auch in Beetho⸗ new 8 Symphonien und Spontini’d Opern ihren Eriegeriihen Ausdruck im Tongebilden erlangte, und wie die großartigen Forſchungen und Refultate der Wiffenfchaften mit den neu entdeckten Werfen der Poefle aus Indien, Perfien und Arabien alle Dichter elektrifirten und zu neuen originellen Schöpfungen begei⸗ ferten. Deshalb verweife ich die Leſer auf jene Abhandlungen und ſchildere dieſe Geiſtesevolution hier nicht weiter, fondern beipreche jet den Geiftesgehalt der Beethoven'ſchen Quartetten.

In der erften Periode ſeines Schaffens freuete er ſich mit Haydn und Mo⸗ - zart an der Ideenwelt und lebte in vergnügter Zufriedenheit über das herrliche fehöne.Dafein diejer Erbeuwelt. Seine Zondichtungen befingen das harmlofe Glü guter Menſchen, weldye in Liebe und Slaube ein frommes Leben führen, Gott loben und preifen und janft dahin fcheiden, wenn der Tod fie ind höhere Geiſterreich führt.

Aber diefe harmloſen Erbenfreuden werben von dem ernft mahnenden Geiſte bed neuen Jahrhunderts verdrängt und vergefien. Gin höheres Geifterreich folk ſich der Menſch auf diefer Erde gründen, heilige ®erechtigkeit und mildihätige Menſchenliebe foll auch dem Aermſten in der Eleinften Hütte zu Theil werten. Und diefer ernft mahnende Geiſt der neuen Zeit treibt die Menschheit zu raftlofer Thätigleit, zu nie ruhendem Streben, zum Hoffen und Yürchten; ber Geiſt erfüllt die Bruft mit Schnfucht nach höheren Idealen und treibt wie der Cherub Die Menfchen mit dem flammenten Schwerte aus bein Paradieſe Der Freude hinaus in die weite Welt, ins wilde flurmbewegte Leben zu raftlojer Arbeit und nie ruhender Thätigkeit. So fah Beethoven die alte Welt zerichellen, das gemüthliche Dafein verichwinden und mit ihr verfchwanden auch feine Le⸗ bendfreuden mit ihren heiteren Spielen und Scherzen im roflgen Sonnenfchein beglüdender Xiebe,

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N if auf den Infeln des Weltmeerd, Dies ber bat Beh fr ut aus de veiten

vermag. In auch ihm vergehrte bie: Gehnfudht nach immer bäheren: @eißäflehe, bie nur den edelſten Menſchen zu eigen iſt. Auch er hatte das innige Glüct jener befeligenden Liebe geahmt und gehofft; aber bittere, kum ſchung trieb ihn aus feinen Hoffnungen hinaus in die Welt des Su Strebens, um irgendwo jene heilige Liebe des Hergend zu finden, geneſen könne zu neuem Leben der Erde.

Faft alle mufifalifchen Schriftfteller haben den aa niffen Beethoven's einen wefentlichen Einfluß auf feine Productivität beige · meſſen und behauptet, fie hätten jene Seelenſtimmung erzeugt, die Werfen durch jo wunderbar ſchöne Melodien und Harmonien Fundgibt, Er ich) will dies nicht ganz ableugnen, aber dennoch darf man hierbei nicht ſo weit gehen und ben individuellen Negungen des Herzens mit den Selbfterlebniffen Alles zuſchreiben, was in dem Geiſte jened Tondichters lebte und wirkte. Und ich erinnere hier noch einmal daran, daß der fchöpferifche Geift in feiner höheren begeifternden Seelenftimmung über feine individuelle Lage weit emporgeboben wird, daß er all feinen Kummer und Gram, alle Schmerzen- feines getäufchten Herzens, aber and) jein böchftes individuelles Glüd vergißt und in einer idealeren Megion lebt, deren Gedanfen und Ideen ihn zum Schaffen begeiftern und ſich dann im feinen Werfen ausfprechen. Wer dies Befagte etwa bezweifeln will, der kann es leicht im geringeren Grade am fid) felöft erleben, wenn er fi Durch Gedichte oder Mufitwerke zu einer höheren Scelenflimmung begeiftert.

Wohl ift es das fehmerzlich traurigfte Geſchick im Menſchenleben, wenn’ die innigjte heiligfte Liebe edler Herzen durch gemein denfende und miederig han— delnde Menjchen zerftört wird. Der unendlich qualvolle Kummer und Gram, ber hierdurch die edelften und beften Menſchen am tiefften erfaßt und fie in bie Arme des Todes führt, diefer zehrende Seelenſchmerz unglüdlicher Liebe wirft auf den Dichtergeift viel mächtiger und zerftörender ein als auf die anderen

Quartettmuſik. | 469

Menſchen, weil nur ex aus vollfter Herzenstiefe und mit allen feinen Geiſtes⸗ neigungen das heißgelichte Weſen mit der innigften Liebe umfaßt und es nie und nimmer zu laſſen vermag, und wenn die Welt in ein ewiges Chaos der Nacht verſaͤnke.

Aber dennoch ift die Begeifterung ber. höheren Iteenregion viel mächtiger wirfend als alle Körperfchmerzen und indivituellen Seelenleiden; fie hebt ben Dichter und Denker in eine Beiftesfphäre und in eine Aetherregion empor, in der es ber Förperlichen Schwere entbunden und ſomit auch ihren Schmerzen ent⸗ hoben wird. In diefer Region des Geiſtes verbleibt chen nur das höhere Geis ſtesleben der irdijchen Liebe; und dieſes Ideenhafte, dieſes Beiftige in der Men- ſchenliebe ift ed, was fih in den Kunftwerfen zum Ausdrud und zur fchönen Erfcheinung in der Darftellung bringt.

Bon dieſem pfochologifchen Standpunkte betrachtet, hat auch die Liebe Einfluß auf die Künftler und Kunftproducte; aber nicht als individuelle ſinn, liche Reigung, fondern ald höhere Geiſtesliebe; und diefe ideenhafte Geiſtesliebe gelangt auch in Beethoven's Duartetten zum tief ergreifenpften Ausdrud und ver- zaubert uns in noch nie empfundene Seelenflinmungen, von denen ter blos rechnende und Falte Verftandesfopf gar Feine Ahnung und feinen Begriff hat, Wer alfo diefe Geiftesfiimmungen mitempfindend durchleben will, der muß nicht nur ein empfängliches Herz dafür haben, ſondern auch eine höhere Geiſtes⸗ bildung beflgen, die nur dadurd, erworben wird, wenn der Menfch durch wifjen- ſchaftliche und Fünftlerifche Studien auf eine höhere Stufe des Ideenlebend ge- hoben und jomit die harmonifche Ausbildung feiner Seelenthätigkeiten begrüns det wird.

Die zahlreichen Berfuche, alle Geiftesfituationen der Tonwerke durch Worte zu ſchildern, Tönnen und müſſen ſtets deshalb fo Lürftig ausfallen, weil es ja eben nur das Geiſtige in allen Gefühlen und Empfindungen ift, was bie Tondichtungen zur Darftellung bringen, Alſo nicht die individuellen Reigun- gen mit ihren Antipathien und Sympathien, wodurch fich Die Menfchen von einander fcheiden und fondern und fich unverfländlich werben, ſondern das Gei- ſteselement der Seelenftimmungen fchildern die Zongebilde, wie e8 Worte niemals zu fagen vermögen; und diefe @eiftesfprache aller Gefühle, Empfindungen und Gedanken, wie fie durch die Tonwerke zum Ausdrud fommen, ergreift alle ge= bildeten Menfchen und erregt fie zum Mitgefühl, denn die Geiftesfprache der Tonkunſt wird unter allen Rationen der Erde verflanden.

Nach den gefchilderten Geifteöfituationen der Beethoven'ſchen Quartetten wird es fchon Jedermann einleuchtend geworben fein, daß fie fich nicht in den Formen der Tongebilde einer früheren Zeit austönen konnten. Diefed raftlofe Sehnen und Suchen nach neuen Idealen erweiterte die früheren einfachen Perio⸗ ben zu Tangen complicirten ®eftaltungen, bie oft mehr den modulatorifchen Ueber⸗ führungsfägen gleichen al8 den ruhigen Perioden mit verweilender Geſangscanti⸗ Iene. Die ruhig beharrende und behagliche Freude am Dafein zu Haydn's und Mos zart's Zeit hatte nicht jenes raſtlos firebende Lebengelement in ſich, das immer weiter in die Ferne eilt, fondern das ruhige Verweilen am Gierfein, das innige

fondern die Spieler müffen auch aufs tieffte diejen Geiftesgehalt erfannt und fich ſelbſt hinein gelebt Haben; nur dann werben fie durch ihren Vortrag das ———— zum Mitgefühl bewegen und das Verſtandniß biejer geheimmißvollen Ideenwelt bewirken. Beethoven bat uns alfo durch a des geiftigen Lebens gegeben. Genügendes Beharren und heitere Fröhlichkeit am gegebenen Dafein dieſer Erdenwelt mit ihren hei— teren Gedanken⸗ und Ideenleben. Hinausſchreiten in das unbegrenzte Weltall mit nie rubendem Streben und Schnen nad) idenleren Regionen, Und gänz- liche Rückkehr zu fich ſelbſt mit Abwendung von allen irdifchen Erdenfreuden; zeined Leben und Denken im Ideenreich des Geiftes, mit totaler Ausſchließung aller Gefühlsjchwelgereien, und ungetheiltes Innenleben mit gänzlichem Vergeſſen der Außenwelt. Die erfte Phaje, noch dem Haydn⸗Mozart' ſchen Zeitalter ange hörend, überjchritt er jehr bald und gleidyeitig mit dem Untergang ber alten Staatd- und Gejellfchaftäzuftände., Im der zweiten Phaſe verweilte er länger; fie begann im Anfang unferes Jahrhunderts, wo alle edlen Geifter beſſere Bu- flände des Lebens und ein neues Ibeenreich zu gründen ſuchten. Die britte Phaſe begann in den zwanziger Jahren, als die allbefannte finftere Reaction jede eble Geifteörichtung zu vernichten drohte, Dieſe Ereigniffe und feine Selbit- erlebniſſe ſtimmten auch feinen Geift zur Infichkehr in fein eigenes Ideenleben mit gänzlicher Abwendung von den finnlichen Freuden ber genußfüchtigen Men- ſchenkinder. Ein Zeitgenoffe Beethoven's von höherer Bebeutung war Franz Schubert, Auch er hat einige Meifterwerfe der Quartettmuſik geſchaffen, die denfelben Ideengehalt und die gleiche Kormgeftaltung haben. Ja er ſchweift mit feinen Sägen, Perioden und Ueberleitungsgruppen noch weiter ald Beethoven ; fie fpinnen fi immer länger und größer aus, führen immer wieder in neue Säge oder Mobulationsgänge; alle modulatorifchen und thematifchen Durchfüh- rungen werben durchlaufen und oft jeheint es, als fünnte und würde er nie und nimmermebr den Hafen der Nube und ſomit das frieblidye Ende erreichen, Aber alle diefe Babrten auf dent unermeßlidyen Ocean der Harmonien und Melodien mit ihrem Labyrinth von contrapunktiſchen Fotmen vollbringen ſich im feuriger Jugendkraft. Man benfe an das D-moll-Diuartett, Es ſprudelt in ihnen nicht jene ungebrochene Heiterkeit und fröhliche Zufriedenheit am Dafein , wie bei Haydn und Mozart, aber es waltet ein feurig ftrebender Jugendmuth mit ernfter Geifteöftimmung in Schubert'8 Werfen als Hauptinhalt vor. Seine ‚großartige C-durSymphonie bildet hierzu das würbigfte Seitenftüd, Aber

EEE ni

behandelt, die fi) aber doch dem Hößeren Ganzen

fo. in Shi der Ocdanfen und Ideen, alfo cin wahrer |

und Durcführung gebracht. „Man Hat diefe Ar —— n phonen Styl gehalten find, oft mit einem gothifchen Dome verglichen, an bem viele. einzelne ſelbſtſtändige Figuren und Gebilde zu einen großen Ganzen und damit zur höheren Einheit vereinigt find, Jede Fleine oder große Bigur fiel einen felbfiftändigen Gedanfen für fich allein dar, aber alle dieſe Ginzelgebanken

alſo das Hauptganze, ‚bie, ee ihre ’yerfchiebeneh ; * ale er 7 NYWim | RN vat b Dieſer Vergleich iſt nicht ganz —— nur muß ich noch hinzufügen,

* in den polyphonen Quartetten nicht jede Stimme nur „Einen Gedan-

tem“ des Ganzen zur Darftellung bringt, wie beim gothifchen Dom ; fondern,

wie ſchon gefagt, fammtliche Stimmen führen wechfelweife „alle Gedanken”

des Werkes durch und bringen fie jede nach ihrem Stimmcharakter zur Darſiel- lung und vollenden hierdurch das höhere Ganze zur organijchen Einheit der

Idee, So verhält ſich's aber nicht mit den —— wie ſie Spohr in

hoͤchſter Vollendung geſchaffen hat. u. ve

‚Bei den Soloquartetten ift die ——— allein führt ſtets die wichtigſten melodiſchen Gedanken aus, die zum Theil aus getragenen Cantilenen, zum Theil aus glänzenden Bravourpaſſagen beſtehen. * alle * concertartigen Paſſagen find ſtets in wohllautenden ſchönen Ge— ſaugẽcoloraturen gehalten. Die anderen drei Stimmen bilden hierzu bie Be— —* Diefe Begleitung ift aber immer fo Funftvoll durchgeführt, daß fie gleichfam ein polpphonifche® Gewebe um die Hauptftimme abgibt, Es werben

Duarteiaufit. 473

in ihr melodifche Motive wechfelfeitig durchgeführt und auch Die. Harmonien mar⸗ nigfaltiger geſtaltet. Niemals, oder doch nur Außerft ſelten werben die beglei⸗ tenden Stimmen als bloßes, Harmonie tragendes Material verwendet; immer ergehen fie fich in intereflanten Rhythmen und fchönen melodifchen Gebilden, aber fie ordnen fidy Dabei der Soloſtimme unter und treten niemals felbſtſtaͤndig auf. Ganz befonders fchön wirb das Gello behandelt. Als Bapftimme fchreitet ruhig und würbenoll einher, während die Soloftimme die jchnellften und kunſt⸗ reichften Geſangscoloraturen ausführt. Oft wird ein Baßcontino durchgeführt, der, wie beim Mittelfag in Spohr's H-moll-Quartett, eine ſelbſtſtaͤndige Melo« bie in Biertelbewegung mit unterbrechenden oder abfürzenden Achtelpaufen wel ter leitet, während die erfte Geige in den oberen Octaven eine tief gefühluolle und lang getragene. Gantilene in halben, dreiviertel» und mitunter auch wohl in ganzen Roten enthält, die fi dann jpäter wieder in Die mannigfaltigften: Color raturen ergießt; der Baß fchreitet hierbei unbefümmert jeinen gemeflenen Gang weiter, aber beharrt bei feinem gemählten Motiv, als wollte er es zur herrſchen⸗ den Geltung bringen. Linübertrefflich fchön find dieſe Seenen durchgearbeitet und gewaͤhren den wonnevollſten Hochgenuß.

Hiermit habe ich den formellen Unterſchied der Soloquartetten von den durchcomponirten Quartetten dargelegt und wende mich nun zur Schilderung des pischologifchen Inhalte. Spohr ift in feinen Quartetten und audy in allen anderen Werfen mit wenigen Ausnahmen ein elegifcher Tondichter. Ele⸗ gie, Sentimentalität, fchmerzliche Melancholie, die fich fehr oft zum heroiſchen Kampfe fleigert, find vorzugsweiſe die herrfchenden Serlenftimmungen in feinen Werken. In ihnen hüllt fich die ganze Natur in ein Trauergewand, und ein tie fe8 Seelenweinen mit ſchmerzlich elegifchen Klagen ift der Hauptinhalt feiner Tongebilde. Man denke nur an die elegifchen Geigenmelodien in jeinen Quar⸗ tetten voll duldend fchmerzlicher Trauer; ein unfagbares Sehnen und Hinſchmach⸗ ten eines kranken Geiſtes, der fich der Erdenregion entiwinden möchte, ertönt und aus jedem Takte entgegen. Niemals oder doch nur Außerft felten tritt er aus feiner wehnutbövollen Trauer heraus; und wenn er fich doch einmal in das fröh⸗ liche Weltleben hinein begibt und beitere Lieder fingen will, fo drängen fich ſtets ganz unmillfürlicy Thränen der Wehmuth hervor. |

Die Molltonarten find bei ihm vorwaltend, faft alle feine Quartetten find im Moll gehalten; mir ift nicht ein einzige® in einer Durtonart bekannt. Und wie er componirt, fo geftaltet er fich auch feine Umgebung fagte ich in der Neuen Berliner Muftfzeitung im 11. Jahrgang 1857. Als ich vor mehreren Jahren in Kaſſel anfam, wanderte ich durch die Promenaden und Gartenanlagen hin» ter der Stabt und gelangte endlich in fpäter Abendſtunde an die Nähe eines Friedhofs. Lange Thränenweiden ließen ihre Trauerzweige bis zur Erde neigen; ringsum ftanden blühende Blumen und Blüthen tragende Obfkbäume, in deren Zweigen die Rachtigallen ihre klagenden Abendlieder ertönen ließen. In ſchmerz⸗ lihe Wehmuth verfunfen, börte ich fernher Elingende Geigentöne, welche aus einem Fleinen Gartenhaufe mit Begleitung des Bianoforte herüberwehten, als ob fe eine Elegie der hier begrabenen Todten wären. Es waren Grabedtöne,

rare nn rin u —— J Br ara

Eine andere ehrwurdige Erfcheinung tritt uns durch den Meifter Lonis

Spohr entgegen; er wurde der Schöpfer des Soloquartettd. u# —— Die Quartetten von Haydn, Mozart,

beichäftigt

he weiter fpinnen, jo daß ein Seftänbiger Weshfe der Gedanken und Ideen, alſo ein wahrer Ideenaustauſch ftattfindet. Hierbei werben alle canonijchen, contrapunktiſchen und Bugenformen zur Anwendung und Duryführung gebracht, Man hat diefe Art Kunſtwerke, welche im poly⸗ phonen Stol gehalten find, oft mit einem gothifchen Dome verglichen, am dem viele, einzelne felbftftändige Figuren und Gebilde zu eincm großen Ganzen und damit zur höheren Einheit vereinigt find, Jede Fleine oder große Bigur ftellt einen ſelbſtſtaͤndigen Gedanfen für fich allein dar, aber alle diefe Einzelgedanken find zu der höheren Einheit einer großen Idee vereinigt. Dieſe große Idee tft aljo dad Hauptganze, die, wie ee Kurz: Einzelgedanken enthält.

Dieſer Wergleich iſt nicht * oe) Pe ia 24 Ginpefügen; dab. in den polyphonen Quartetten nicht jede Stimme nur „Einen Gedan—

fen’ bed Ganzen zur Darftellung bringt, wie beim gothifchen Dom ; fondern, wie jchom gefagt, faämmtliche Stimmen führen wechfelweife „alle Gedanken“ des Werkes durch und bringen fie jede nach ihrem Stimmeharafter zur Darftels lung und vollenden hierdurch das höhere Ganze zur organifchen Einheit der Ihe, » So verhält ſich's aber nicht mit den nn wie fie * in

*5* Vollendung geſchaffen bat. "3Bei en Sofoquartetten: IR: Die erfte Geige dominirenbe «Sauptflimme; fie allein führt ftet die wichtigſten mielodijchen Gedanken aus, die zum Theil aus ‚getragenen Gantilenen, zum Theil aus glänzenden Bravourpaſſagen befteben. Aber alle. diefe concertartigen Paſſagen find ſtets in wohllautenden ſchönen Ge« fangscoloraturen gehalten. Die anderen drei Stimmen bilden hierzu Die Bes gleitung. Dieſe Begleitung ift aber immer fo kunſtvoll durchgeführt, daß fie gleihfam ein polyphonifches Gewebe um die Hauptflimme abgibt, Es werben

Duarteinufit. 473

in ihr melodifche Motive wechfelfeitig durchgeführt und auch Die Harmonien man⸗ wigfaltiger geſtaltet. Niemals, ober doch nur äußerſt felten werben die begleis tenden Stimmen als bloßes, Harmonie tragendes Material verwendet; immer ergehen fie fich in interefianten Rhythmen und fchönen melodifchen Gebilden, aber fle orbnen ſich Labei der Soloftimme unter und treten niemals felbſtſtaͤndig auf. Ganz befonders ſchön wird das Gello behandelt. Als Bapftimme fchreitet ruhig und würdevoll einher, während die Soloftimme die. ſchnellſten und kunſt⸗ reichften Geſangscoloraturen ausführt. Oft wird ein Baßcontino durchgeführt, der, wie beim Mittelfag in Spohr's H-moll-Quartett, eine ſelbſtſtaͤndige Melo⸗ bie in Biertelbewegung mit unterbrechenden oder abfürzenden Achtelpaufen wei⸗ ter leitet, während die erfte Geige in den oberen Dctaven eine tief gefühluolle und lang getragene Gantilene in halben, dreiviertel» und mitunter auch wohl in ganzen Noten enthält, die fi) dann jpäter wieder in bie mannigfaltigften: Colo⸗ raturen ergießt; der Baß fchreitet hierbei unbefümmert feinen gemeflenen Gang weiter, aber beharrt bei feinem gewählten Motiv, als wollte ex es zur herrſchen⸗ den Geltung bringen. Unübertrefflich fchön find diefe Scenen durchgearbeitet und gewähren den wonnevollften Hochgenuß. "

Hiermit habe ich den formellen Unterſchied der Soloquartetten von dem durcheomponirten Quartetten dargelegt und wende mich nun zur Schilderung des pischologifchen Inhalte. Spohr ift in feinen Duartetten und auch in allen anderen Werfen mit wenigen Ausnahmen ein elegifcher Tondichter. Ele⸗ gie, Sentimentalität, fchmerzliche Melancholie, die fich fehr oft zum heroiſchen Kampfe fteigert, find vorzugsweije die herrſchenden Seelenftimmungen in feinen Merten. In ihnen hüllt fich die ganze Ratur in ein Trauergewand, und ein tie fes Seelenweinen mit fchmerzlich elegifchen Klagen ift der Hauptinhalt feiner Tongebilde. Man denke nur an die elegifchen Beigenmelodien in jeinen Quar⸗ tetten voll duldend fchmerzlicher Trauer; ein unfagbares Sehnen und Hinſchmach⸗ ten eines Eranfen Geiftes, der fi) der Erdenregion entwinden möchte, ertönt un aus jedem Tafte entgegen. Niemals oder doch nur Außerft felten tritt er au feiner wehnuthsvollen Trauer heraus; und wenn er fich doch einmal in das fröh⸗ liche Weltleben hinein begibt und beitere Lieder fingen will, fo drängen fich ſtets ganz unwillfürlich Ihränen der Wehmuth hervor.

Die Molltonarten find bei ihm vorwaltend, faft alle feine Quartetten find in Moll gehalten ; mir ift nicht ein einzige8 in einer Durtonart befannt. Und wie ex componirt, jo geftaltet er fi) auch feine Limgebung fagte ich in ber Neuen Berliner Muflfzeitung im 11. Jahrgang 1857. Als ich vor mehreren Jahren in Kaffel ankam, wanderte ich durch die Promenaden und Gartenanlagen hin⸗ ter der Stadt und gelangte endlich in fpäter Abendflunde an die Nähe eines Friedhofs. Lange Thränenweiden ließen ihre Tranerzweige bis zur Erde neigen; ringsum ftanden blühende Blumen und Blüthen tragende Obfkbäume, in deren Zweigen die Rachtigallen ihre Elagenden Abenplieder ertönen Tießen. In ſchmerz⸗ lihe Wehmuth verfunfen, hörte ich fernher Flingende Geigentöne, welche aus einem Fleinen Gartenhaufe mit Begleitung des PBianoforte berüberwehten, ale ob fie eine Elegie der bier begrabenen Todten wären. Es waren Grabestöne,

| fondern war woblhabend und mungen, jo daß er ſich einen haͤuslichen Heerd zu gründen vermochte. Mit ſei— ner erften Gattin lebte er das fühefte Wechjelleben, und als fie ihm durch ben Tod entriffen wurbe, wählte er fich wieder eine bochgebildete

gefährtin, mit ber er ebenfo ein gleiches Dafein voller Harmonie und Liebe führt und in befeligenber Eintracht große Werfe ſchafft. Und dennoch waltet in ſei⸗ nen Tondichtungen nur Elegie, Seelenſchwermuth und grollendes Ringen und Kämpfen gegen die Unterdrüder der Geiftesfreiheit, Denn jeine ſchöpferiſche Thaͤtigkeit begann mit jener traurigen Periode unferer deutſchen Geſchichte, bie fidy von 1816 batirt, wo der ſchaͤndlichſte Wortbrudy und ber binterliftigfte Ber- rath die Heiligften Güter der Menſchheit entzog und ihre Vertheidiger in die fin- fterften Kerker verbannte, Alle Dichter und Sänger verſanken in Weh und Trauer, fle befangen in fchmerzlichen Elegien die Leiden ihrer Brüder und bes trauerten den Untergang der Geifteöfreibeit. Dieſe Situationen brachten auch die höher gebildeten Tondichter in ihren Werfen zur Darftellung, und Spohr ift ber erfte große Sauptrepräfentant des elegiſchen Weltſchmerzes. Was die Didh- ter feiner Beit in Worten audfprachen, befang er in Tongebilden. Aber nicht nur der bittere Schmerz und Groll, die thränenreiche Wehmuth und Trauer über dad getrübte Erdenleben, fondern auch die unendliche Schnfucht nach ibealeren Negtonen, gelangt in feinen Quartetten zum tief ergreifenden Ausbrud, Ja, diefe wehmuthövolle Schnfucht wird hier ganz zur permanenten Geiftesjtimmung, fie it Das Hauptthema, das in allem Modulationen ertönt und alle Difjos nanzen bed Kummerd und Gramd durchwandelt. In Beethovens Werken war fie nur vorübergebende Sitwatiom, aber in Spohr's Quartetten ift fie Die berr- urn aan und bildet die trauervolle Grundtonart por aller *

| nn die wie bie arifterhafs ten Harmonlen der Aeolöharfe auf dem Strome der Flagenden Lüfte dahinie—

Quarkettmuſik. 476

Gen wit ribenden Wolten über Länder und Meere. Kan Tondichter vor umd wech ihm Hat fo wie ex alle nur nidglichen Region der Modulatienen und At⸗ chebe durchwandelt. Auf jedem Melodieton ertönt auch ein anderer Accord, wenn dad Tempo nicht gar fo ſchnell dahingleitet; bei lͤnger gehaltenen Melo⸗ Dietönen wechfeln oft drei und noch mehr Accorde, und ebenſo wird Dub Reich alter mur möglichen Vorhalte uud aller anderen Diffenanzen durchwandelt. Da er ſtets nut Molltonarten gewählt hat, habe ich ſchon oben bemerkt; wo er aber nach Dur medulirte oder ein ganzes Werk in einer Durtonart ſchuf, drängen id doch die Mollareorde, Borhalte und alle anderen Diffonanzen fo zahlreich ein und werden fo durchgebends berrichend, dag die Dartonart ganz vom Schmerz getrübt und zur elegiichen Trauer verwandelt wird. Die Heitere Dur tenart wird durch die häufigen Mollaccorde und Diffionanzen ganz zur klagen⸗ den Molltonart geſtimmt, ober eine Mittelgattung zwiſchen Dur und Moll ge bildet.

Spohr wurde Hierin wahrhaft Epoche machend, denn er bat unzählig neue Modulationen und Accordfolgen gefchaffen. Er wandelt in den Harmonien ver Sehnfucht durch alle nur denkbaren Wegionen der Accorde, macht überall neue Entdeckungen und ſchifft weiter, nach unbekannten Sphären ſuchend, um endlich landen und ruhen zu können son dem fehmerzlichen Sehnen, daß wie kranke Bruſt durdyieht. Noch tiefer Flagend als Bei Beethoven ertönt und aus Spohr's Duartetten der in allen Molltonarten variirende Ausruf des heimath⸗ Iofen Wanderers: Wo biſt du, heißgeliebtes Land, das ich jo oft geahnt, erfehnt, gefucht und nie gefannt?!

Die große Meifterfchaft dieſes Tondichters bewährt ſich auch noch in ber Höcft kunſtreichen Führung dieſes gewaltigen Sarmonienflromes. Er modulirt oft am fchnellften in die entfernteften Tonarten, ergreift die fremdeſten Accorbe und ergebt fich in den diffonirendflen und verfchlungenfien Vorhalten mit einer natürlichen Gewandtheit, die Bewunderung und Staunen erregt. Dabei beſitzt er das Geheimniß, andy den frembdeften Accordfolgen und härteften Diffonanzen das Selle und Schroffe zu benehmen, indem er durch geichidte Legung der ein» zelnen Accordtöne und durch eigenthümliche Stimmenführung die heterogenften und fchrillften Accorbwechfel zu mildern und in harmoniſche Schönheiten zu ver⸗ wandeln vermag.

In Hinftcht der thematifchen Formen bewegt er ſich auf dem neuerrunge⸗ nen Standpunfte Beethoven’8 und Ir. Schubert's; aber nicht gtwa als Nachah⸗ mer oder Eflektifer, fondern als frei waltender und Neues fchaffender Geiſt, der alle Formen unbefchränft beherrfcht und feinen Ideen dienſtbar macht. Da mir der Raum hier nicht geftattet, fie näher zu befprechen und zu charafterificen, fo fchreite ich jegt zu Spohr's Beifteöverwandten.

George Onslow, ein geborener Engländer, iſt es, der in feinen Quartetten Beethoven und Spohr würdig zur Seite ſteht. Er bat lauter Durcheomponirte Duartetien gefchaffen,, die fich oft in einer Erbabenheit und Großartigfeit des polsphonen Styls entfalten und das tieffle Dramatifche Leben zur Darfiellung bringen, fo daß man fle ald wahre. Symphonien betrachten fann. Mit Spohr

—“⸗ | —— > aus Onslow's Quartetten entgegen. Ja, man kann mit Recht ſagen, daß er

Die Italiener und Franzoſen haben trete ee tettcomponiften erzeugt, der aber auch zugleich beiden Nationen angehört, Es ift dies der in Italien geborene Cherubini, der aber früßzeitig nach Paris über fiedefte und dort fein Leben beſchloß. Ich babe von diefem Tondichter nur einige Quartetten Fennen gelernt, die unftreitig zur ben größten Werfen der Neuzeit ger hören. Sie find mehr Beethoven's Werfen aus der zweiten fowohl an Geiftesinhalt, als in ber Bormgeftaltung. Aber auch 1 man nicht an Nachahmung denken, denn diefelbe Geiftesftimmung der Va Menschheit, welche Beethoven zu feinen weitausgeführten bilden begeifterte, animirte auch Die anderen Tondichter zur

licher Werke, Die romantifchen Geiftesfahrten aller Dichter nach idealeren Me» gionen, das unbegrenzte Ringen und Streben mit ber jehmerzlichen Sehnfucht im Tiebefranfen Herzen, erfüllte auch fämmtliche Tondichter und ſprach fich in ihren Werfen aus, alfo auch im dem Duartetten Eherubini’# und Onslow’s, Fauft’8 Leben und Streben war es, das ſich in der Poeſie und Muſik ausprägte, denn dies geiftige Streben befeelte die ebelften Denker und Dichter. Und bie unerfreuliche Wirklichkeit, in der eben dieſe Denker und Dichter verleumbdet und verfolgt wurden, weil man im ihnen nur ftaatsgefährliche Individuen erblicte; diefe finftere Verfolgungsſucht fteigerte jene Geifteaftimmung noch mehr und ent⸗ zweite fie total mit dem Erdenfeben, das ihnen nur ſchmerzliche Diffonanzen gab, Hierdurch nur wird es erflärlich, wie dieſe Geiftesfituationen in Borfie und Mus fit jo allgemein berrfchend und permanent werden mußten. Man benfe hierbei nur an bie fehmerzlichen Ereigniffe, die ſich feit 1816 bis auf die neuefte Zeit begeben haben und hauptfächlidy in Deutfchland, Italien und Frankreich ihren Scyauplag hatten. Denn nicht nur arme Künftler, Dichter und Denker wınden von den geiftfofeften Machthabern verfolgt, fondern auch edfe Fürftenfamilien. beraubte man ihrer Rechte. Daß ſolche Zuftände den mächtigften Einfluß auf Kunft und Wiffenfchaft ausüben und überall nur Schmerz und Trauer hervors

Dnartettmufit. 477

bringen mußten, wird gewiß auch nicht einmal der ideenloſeſte Kopf, ber nur in alten Traditionen und Vorurtheilen lebt, ableugnen wollen.

Ich Habe jchon oben gefagt, hierdurch der tragifche Weltfchmerz in Poe⸗ fle und Muſik entfiand. In den dreißiger und vierziger Jahren wurde er noch herrſchender und fleigerte jich zur Melancholic, zum verzweiflungsvollen Schmerze und verzehrte fich in Todesſehnſucht. Alexander Feska, Felix Mendelsfohn und Robert Schumann find die Hauptrepräfentanten diefer Geiſtesſituation.

Unter den Quartettcomponiften diefer Zeit hat fich der deutfche Feska durch feine Werke einen Ehrenplag errungen. Sein F-moll-Quartett ift und bleibt ein Meifterwerk für alle Zeiten und fleht den größten Werfen Beethoven’s eben» bürtig zur Seite. Es ift in polyphonem Styl gehalten und als durchcomponir⸗ te8 Quartett zu bezeichnen. Spohr bat in feinen Soloquartetten noch feinen Rachfolger gehabt, fondern fieht einſam und -allein mit feinen Werfen. Die ſchwachen Verſuche einiger Componiſten wie 2. Maurer u. A. find zu unbedeu⸗ tend. Das durcheomponirte Duartett gelangte auch mehr zur Herrichaft und allgemeinen Verbreitung, und in dieſer Gattung find noch böchft vortreffliche Meifterwerke gejchaffen worden.

In Hinfiht der Form und thematifchen Durchführungen fleht Feska mit feinen Quartetten auf Beethoven’! Standpunkte, aber auch in voller Selbftflän- Digfeit des Gebrauchs und der Bearbeitung. In feinen Seiftesfituationen (vor⸗ zäglich in dem F-moll-Ouartett) pulfirt das tief erregteite Gefuͤhlsleben in den zarteften ätheriichen Wallungen und fleigert ſich zur fchmerzlichften Leidenfchaft und zum verzweiflungövollen Kampfe empor, bis fich ein tragifcher Heroismus entfaltet, der das tief innerlichfte Sein des Menfchen ergreift und fchauernd durchbebt. Es ift der gigantifche Kampf des jchmerzerfüllten Geiſtes mit jenen finfteren Mächten um Sein und Nichtfein, der Streit um die Eriitenz des Lebens. Ermattet und gebrochen finft er nieder und im fanft Elagenden Adagio fleht er um Zroft und himmlifche Stärkung, um nicht Dem «Heer der Feinde zu erliegen, die alles Erle und Gute zu vernichten drohen. Wie Geifterharmonien ertönen jeine Accorde, und als ob himmlifche Weſen fich dem Eranfen Sterblichen nahes ten und ihm befeligenden Troft und Frieden fpendeten, jo ericheint es dem Hörer diefer wunderbaren Sphärenmufif. Und fo beginnt er neu geflärkt den gewal- tigen Rieſenkampf des fturmbewegten Lebens und ermattet nie und nimmer bis an das Ende feines Dafeind. Großartige Ideen, Fühner Lebensmuth mit glüs hender Leidenfchaft und durchgehende Originalität der Erfindung und Bearbei⸗ tung find Feska's Duartetten vorzugsweife zu eigen.

Eine ganz neue Erfcheinung trat und in Felix Mendelsſohn entgegen, Der Liebling der Niren und Elfen und anderer Märchengeifter bat zuerft daß Iuftige Leben diejer Weſen in Tönen gefchildert, wie es bisher noch fein Componiſt ver⸗ mochte. Nicht nur im Sommernadhtötraum führt er uns in jene Märchenwelt der Phantafie, fondern auch in feinen Quartetten. Wir werben in flillee Mon⸗ deönacht auf grünende Wieſen am Waldedfaum verfegt, wo um die Mitternachtö« flunde die geheimnißvollen Tänze der Nixen beginnen, wie fie die Eindliche Phan⸗ tafie fo oft im Traum gejchaut, Es find fchöne liebende Weſen diefe ätherifchen

Blumen- und Waffergeifter; die Liebe zu oft zu fchmerzlicher Sehnſucht. Mit Unausfyretlicer Graie neigen feige den Sterblichen; in Liebender Umarmung mit himmliſcher Zärtlichkeit wollen fte ihn Himwegführen in die Iuftige Region ihres Geifterreichd; aber im Augenblick Ver HhoBan Ba mbar. Din ade Den Anmmmnngpune- jenen aufiihe Kobolde fürmen herbei, verjagen bie Niren aus den Urmen der Menſchenkinder und mit Sturmeöeile Eehren fie in das Meich der Schatten zurüuck. Dieſe Scenen brachte Mendelsfohn in den Werfen feiner Jugend zur Dar— Schmerz ber Zeit und geftaltete fi in jeinen Tondichtungen zur Elegie und ſchmerzlich Hagenden Trauer. So haben wir auch an diefem Tondichter wieder ein Beifpiel, wie wenig die indiwiduelle Lage auf die Schöpfungen einwirft. Auch Mendelsfohn hatte nicht, wie viele andere Künftler und Gelehrte, mit Nahrungs forgen zu kämpfen ; er war reich und wurde jchon ald Knabe hoch gefeiert, bewun⸗ dert umd allgemein geliebt. Und: dennoch erfaßte ihn ſpäter ber Weltſchmerz über die unerfreuliche Wirklichkeit, wie fie war und nicht fein follte, jo gewaltig und tief, daß dieſe Geiftesftimmung in feinen Werfen vorberrichend wurbe und ihn ſelbſt aus der Blüthe der Jugend in die Arme des Todes führte. Unter ben funftliebenden Bewohnern Leipzigs fand er gebildete und liebevolle Freunde und durchlebte mit ihnen bie edelſten Geifteögenüffe und fhönften Stunden jeie nes Lebens; aber er hatte ſchon den Todeskeim zu tief in feiner Bruft, der ale fehmerzlicdy nagender Gram die Organe des Lebens zerftörte. Ans feinen ſpä- teren Quartetten ertönt und jener romantijche Weltſchmerz in fanftklagender Stimmung entgegen; wohl fteigert ſich dieſe trauernde Klage jehr oft zur ftür- menden Leidenſchaft empor, finft aber auch bald ermattend zurück und ergeht ſich nur in zarten Touweiſen voller Thränen und Seufzer. Iener großartige Heroid« mus des fchmerzlichen Lebenskampfes, wie ihn Beethoven, Spohr und Fesfa durch ihre Tongebilde zur Darftellung brachten, ift in Mendelsſohn's Quartetten nicht vorhanden. Es ift ein ſauftes Gemüthsleben mit duldender Ergebung, das ſich nur jelten in die wildbewegten Stürme der Friegführenden Barteien begibt, um zu fiegen oder verblutend zu ſterben. Rur ein tröftender Hoffnungs- ſtrahl durchſcheint zuweilen dieſes falbe Trauergewand und bringt der kummer⸗ vollen Seele die Ahnung nach idealeren Regionen eined höheren Geifterreichs, in das auch fie dereinft nach der Vollendung ihrer Bilgerfahrt im thränenreichen Erbenthal erhoben wird, Aber der nagende Zweifel treibt nur zu bald dieſen ſchwachen Troftesftrahl aus dem hoffenden Geifte und erfüllt Die Seele mit Nacht und bis die nahende Pforte des Grabes ol Arie und Frieden

* endeloſobn acheht ſich noch in denſelben Formen, * fie Veethoben geſtaltet hat, aber er nimmt ſich Dabei ſtets die größte Freiheit der —— in modulatoriſcher und thematiſcher Hinſicht. So complicirt ſeine Säge, Ber rioden und lcberleitungsgruppen auch find, und in welchen contrapunftifchen Verſchlingungen fie ſich geftalten mögen, immer läßt ſich das oben angegebene Formenſchema, wie es Haydn begründete, Mozart und Beethoven weiter bildete,

Dnarksttnfit. 479

Geransfinden und als Grundthpus in alten Kormuerinderungen nachweiien. Anders aber verhält fich’E mit Mobert Schumann. Diefer Sigant, ber den Simmel erflürmen möchte, weil er den Frieden ber Erbe verlor; biefer fühne Beltenftärmer durchbricht alle Kormen als hinbernde Schranken und verlegt faft üßle Gelee der Harmonielehre. Betrachten wir erſt den Beifteßgehalt, den er zur Darfiellung bringt; danadı wird uns erfidytlich, wie ſich auch hier wieder bie Seeleuſtimmung ihre eigenthümliche Form erfchuf, in ber fie zur Erſchei⸗ nung Mm.

Als junger Mann flürmte Schumann frei und wohlgemuth in’s Leben Hinein, um zu wirken, zu fchaffen und ein edles Ziel zu erringen. Nicht achtend die Schranken, die ihn überall umgaben, geringfchägend den Widerſpruch und die feindlichen Entgegenwirkungen, die fich ihm von allen Eeiten kundgaben und feine raftlofe Thätigkeit zu hindern fuchten, ging er ohne Heuchelei und Schein» heiligkeit auf der offenen Straße der Bubliciftif in geradem Wege dem hoben Biele einer Reformation und Reugeburt der Tonkunſt entgegen. Alle Nachah⸗ mer und Eflektifer wurden in jeiner neuen Zeitſchrift geringfchägig behandelt, die Lobhudler und Anbeter der Claſſtker auf Koften der jungen Gomponiften gehörig zurecht gewiefen und an Die jungen Tondichter die Forderung geftellt, wahrhaft Neued und Gutes, ohne Nachahmung des Alten, zu fchaffen. Aber mit der Reformation der Kunft follte auch eine Reformation im Leben der Künft⸗ fer und des Publicums eintreten; Died zu erftreben und zu bewirken, war er ald Tondichter und Schriftfleller vom früheften Morgen bis in die Racht hinein tha⸗ dig. Sein Hoher idenliftiicher Charakter, fein edler Keuereifer, überall Schönes und Gutes zu fliften, und feine unübenwintliche Antipathie gegen alle gemeinen Menfchennaturen brachten ihn fehr bald in Konflicte aller Art; und bie niedrige Xebensprofa, die ſich ihm ſtets auf feinen Wegen aufdrängte, die gemeinen Den⸗ fungsarten und faljchen Befinnungen, bie er fo oft bei Höhergeftellten wahr« nahm: alle diefe Exrbärmlichfeiten und gemeinen Sandlungen erbitterten jein leicht reizbares Gemüth und flößten ihm den größten Widerwillen und den ver achtungsvollfter Haß ein gegen dieſe Schattenflede im Geifteäfrben der Menſch⸗ heit. So iſt er audy in feinen exfien Tondichtungen der jugenderäftige Kämpfer für Freiheit und Recht und für alled Edle und Schöne im Erdenthal. Mit un« gebrochenen Geiſteskraft eilt er fühn in die Wirren des Lebens hinein, über Län- der und Meere fchweift jeine nie ruhende Phantaſte, überall edle und gute Men⸗ ſchen fuchend, um mit ihnen das hinmlifche Geifterreich auf Erden zu gründen. Die feindlichen Entgegenwirkfungen gemeiner Menfchen, die rohen Handlungen, die Hinterlift, der Verrath und Wortbruch in den heiligften Angelegenheiten der Menſchheit, ſtimmen fein leicht erregbare® Senforium zur höchften Energie, umb fo ſtuͤrmt er mit colofjaler Niefenfraft gegen alle diefe Schandthaten der Men⸗ fehen an, als wollte er fie in einen unermeßkichen Abgrund flürzen, ung nie wie der im Lichte des Tages erfcheinen zu Fünnen. Wber er iſt ein Menſch; auch fen Organismus wird durch dieje gewaltigen Geiftesfämpfe erfchüttert; und bie vielen ®emeinheiten, die ihm überall höhnend entgegen treten, die vergeblich er» firebten Ziele, die begrabenen Hoffnungen und die peinliche Roth um’s tägliche

zes und ber Trauer über fo viel Erdenleid begruß und dieſen Erdenſchmerz in allen feinen Dichtungen zur Darftellung brachte, jo auch Nobert Schumann, Und fo wie Lenau zulegt von diefem gewaltigen Schmerze germalmt wurde, ſo erging «8 auch unferem Tondichter, defien Organismus durch diefe Seelenleiden erlag. In beiden Maͤnnern war RP a En

druf. Solch ein Schmerzenslaut waren beide Männer ann Ende ihtea Rebend; bis er ſich in ben Briedendaccord der Todesruhe am ftillen Grabe auflöfle. Dieſer Geiftesfitwation zufolge hat auch Schumann bei feinen fpäteren Werfen faft lauter Molltonarten gewählt; und wo er in einer Durtonart bichtek, da Hufen. fich Die fhmerzauffchreienden verminderten Septimenaccorde, Fleine Nonenaccorde und die fehneidendften Vorbalte jo zahlreich, daß hierdurch der Charakter ber ſchmerzlichſten Molltonart entfteht. Durch die vorwaltenden Moll accorde und zahlreichen Diffonangen verwandelt er gleichlam die heiteren Dur: tonarten zu leidflagenden Molltonarten, und noch öfterer, ald Spohr es that; Dies geichieht nicht nur in feinen Duartetten, fondern auch in allen größeren Werken. In feiner Symphonie in E bewegt fich der ganze erfte Theil des Scher⸗ 308 ınit Ausnahme der Schlußarcorde nur in verminderten Septimenac« corden, und bie folgenden Theile fchreiten aus verminderten ——— in Molldreiklaͤnge und vice versa, A Den Nichtkennern der Sarmonielehre —** ich bier, * der sinn —— aus lauter kleinen Lerzen beftehend: d TE u h os

Nr | | Gis 4 ben größten Aufſchrei des Schmerzes ausdrückt; dies kann Jeder durch Anſchla— gen am Piano vernehmen,

Aber diefer ungefeffelte Schmerzenädrang feines Gemütbs kann auch in feiner Tonart länger verweilen ; nur felten bleibt er acht Taete in der Grundton⸗ art, oft nur vier; dann fpringt er von G-dur nach Es-dur, H-dur, E-moll, F-dur, Ges-dur oder Moll; und felbit innerhalb fo weniger Zacte wechfelt er mit zahl» reichen Accorden und Vorhalten, fo daß oft nicht bie vier Tacte in einer und

Quartettiuuſik. 481

derſelben Tonart ertönen. Die frühere Regel, daß das erſte Hauptthema eines Tonſtuͤcks in der Grundtonart erfheinen mäffe, um dieſe erſt feſtzuſtellen, beach⸗ tet er niemals ober aͤußerſt ſelten. Hiernach geſtalten ſich aber auch feine ige und Perioden. Selten entfpinnt ſich bei ihm eine Cantilene in periodifcher Form, die in einer Tonart beginnt und darin abfchließt, fondern hier find vie Säge und Perioden nur modulatorifch weiterftrebende Neberleitungsgruppen, bie raftlos durch alle möglichen Accorde und Tonarten dahinſtürmen wie die braufenden Wellen des Oceans. Oft find in einigen feiner größten Tonwerfe gar feine abgegrenzten Perioden zu entdecken. Denn der Teivenfchaftlich erregte Geiſt eilt durch modulatorifche Meberleitungsgänge fortwährend durch alle Ton- arten hindurch, ohne auch nur in einer einzigen in abgeichloffener Geſangsform rubig verweilen zu können.

Bei diefer Eharakteriftit meine ih Schumann's Iegte Werke, die er kurz por dem Beginn feiner Krankheit fchrieb, und wo ſich der ungefeflelte Seelen- ſchmerz nicht felten zu Ausbrüchen der tobenden Verzweiflung und des Wahn⸗ ſinns fleigert, fo daß man fragen muß: find hier nicht Die Geſetze der Aeſthetik verlegt? Ich Habe hierüber ſchon in den Hamburger Viterarifchen und Eritifchen Blättern von 1857 gefagt: Wohl ift auch der wildefte, fich bis zum Wahnftnn fleigernde Seelenfchmerz berechtigt, in den Kunftwerken zu erfcheinen, wie dies fhon Homer, Arioft, Servantes, Shafefpeare u. A. in ihren großen Dichtungen und gezeigt und bewiefen haben, weil ja alle Situationen der Menfchheit und jomit auch das Häßliche zur Darftellung des Schönen verwendet werben müflen; aber ein Kunſtwerk, das fortwährend nur in einen maßlofen Stürmen und Xos ben feine Eriftenz hat und demzufolge das Häßliche (denn wilde, wahnfinnige Leidenichaften find in ihren Aeußerungen fehr häßlich) gleichfam zum Sujet er⸗ mwählt ift: ein folches Product kann nur ein ungenichbarcd widriges Zerrbild abgeben. Doch darf man Schumann’8 B-dur-Symphonie und viele andere Werfe aus feiner früheren Zeit nicht in diefe Categorie ftellen, fondern nur in ben VProducten der legten Lebensjahre waltet, wie ſchon gejagt, die geſchilderte Gei⸗ fteöftimmung vor und bildet dad Grundthema. |

Seit Schumann’8 Tode hat noch fein Tondichter in der Quartettcompoſi⸗ tion wieder Epoche gemacht. Es find wohl einige Werke hier und da erfchienen, ohne jedoch große Verbreitung und Anerfennung zu erlangen ; fie waren auch zu unbedeutend, als daß fie fi neben den Producten der genannten Meifter einen Ehrenplag hätten erringen können. Ich habe zwei Quartetten von einem jungen Tondichter Namens Veit gehört und näher fennen gelernt, Die fich wirklich durch Genialität der Erfindung und meifterhafte Bearbeitung auszeichneten. Auch ein Quartett von Richard Wüerſt wurde mir befannt, daß fich ebenfo durch ſchönen melodifchen und harmonijchen Gehalt, wie durch höchfte Vollendung thes matifcher Durchführungen wärdig macht, in die Neihe der claſſiſchen Werfe ges ftellt zu werden. Leiter muß ich offen fagen, daß dieſe drei Producte auch nur die einzigen find, Die ich hier ehrenvoll erwähnen konnte. Died darf und aber nicht auf den Gedanken bringen, als ob nun die Tegten Quartetten gefchrieben feien und in dieſer Kunftgattumg nichts Neues mehr gefchaffen werben könne;

IV. al

482 Muſik.

leben. Und fo wie Franz Liszt durch feine Symphonien wieder Neues und Scho⸗ nes geſchaffen und ganz neue, noch unentdeckte Bahnen eröffnet hat, fe werben auch. wieder junge Tondichter erfcheinen, die in der Quarteitmuftt originelle Werke erzeugen und auch diejes Gebiet ihnen ER thbümlichen Bormgeftaltungen bereichern, Mm u... a ee

Ueberbliden wir nun noch einmal den ‚gefchichtlichen Entvidehungegang in der Tonkunſt, ben wir durch diefe Betrachtung der Quartettmuſik näber fen= nen gelernt haben, ſo ergeben ſich und drei charafteriftijch verſchiedene Hauptpe- rioden, die fich durch Inhalt und Form der Tonwerfe wejentlid von einander ünterfcheiden. Haydn und Mozart repräfentiren bie erfte Periote, Beethoven und Franz Schubert eröffnen bie zweite und Robert Schumann bie dritte; ‚bie harafteriftiichen Unterſchiede diefer drei Phaſen habe ich zur Genüge dargelegt. Durch vielmaliges Hören und gründliches Partiturenſtudium Diefer Werke wirb mir jeder Ginfichtövolle zugeftehen, daß meine Abhandlung wenn andy nur jfizzenhaft wahrbeitögemäß den Geift und Charakter diefer Tondichtungen geichildert hat: Daß man Die erfte Periode als claſſiſch bezeichnet und dem ſpä— teren Werfen dieſes Prüdicat nicht beilegt, ift ganz falſch, wenn man unter: dem Worte „claſſiſch“ das höchſt Vorzügliche, zur erften Claſſe Gehörige verſteht, und daher die Werfe jüngerer Gomponijten als nicht elaſſiſch, mithin ald weni« ger meifterhaft bezeichnet. Beethoven, Spohr, Mendelsfohn, Schumanı u. U, haben eben fo clafjtfche (d. b. vollkommene) Werke geichaffen wie Haben und Mozart, Soll aber hiermit nur eine Unterfchiedöbegeichnung ohne Wertbaerings Ihägung der Neueren gemeint fein, fo fann man diefe Benennung wohl gelten laffen. Ich erlaube mir hier eine andere Bezeichnung vorzufchlagen, wir können die Habbır= Mozart’jche Periode als das Zeitalter der Naivität benennen, benn ihre Werfe tragen durchgchends ben Eharafter der findlichen, naiven Seelen» fimmungen, Dit Beethoven's und Schubert's Producten beginnt die roman tiiche Sehnſucht und fomit die Periode der Romantik und des dichterifchen Welt» ſchmerzes. Die Phaje, welche R. Schumann eröffnet hat, läßt fi in der Ge— genmwart noch nicht beftimmt bezeichnen, weil fie noch feinen Entwidelungsgang und mithin auch noch feinen Abschluß erreicht hat. Es kann auch wohl fein; daß er der legte Nomantiker war, im beffen Werfen die romantifche Sehnſucht und der Weltfchmerz fein allerhöchſtes umd fomit auch letztes Stadium erreichte, weil er ſich oft zur grenzenlofen Verzweiflung und zum Wahnſinn fteigerte, fo daß der Schöpfer ſelbſt zulegt in dieſe Krankheit verfallen mußte, die feinen Tod zur Folge hatte, Möglich ift es, daß nun wieder eine neue Phafe beginnt, in der andere Geiftesfituationen zur Darftellung fommen, weil die Region des Schmerzes in feiner ganzen unermeßlichen Scala der Gefühle und Empfindungen hinreichend erfhöpft und in den Tondichtungen zum Ausdruck gebracht ift. Aber

Duartettmufit. 483

ein Heraußtreten aud dem Stadium des Weltfchmerzed kann nur dann flattfin« den, wenn fich unſere flaatlichen und gefelligen Berhältnifie ſtets wohl organiftren und die Menfchheit zu heiterer Zufriedenheit flimmen. Wie e8 fich auch ver- halten foll, mag Schumann ber legte Sänger des tragijchen Weltfchmerzed oder der Repräfentant einer neuen Kunftperiode fein; unfere jungen Tondichter müfs fen der Quartettcompofition gründliche Studien und viel Zeit zum Schaffen wid⸗ men, um in diefer Gattung wieder neue Werke produeiren zu fönnen. Denn bie gediegenen Vorträge guter Streichquartette gewähren und die ebelften Gochges nüffe der Tonfunft. |

Daß diefe Kunftgattung auch von den Birtuofen fehr oft benußgt wurbe, um in ihre Werke zu fchaffen, die mehr den Zwed hatten, die Virtuofität auf einem Inftrumente zu zeigen, ift allgemein befannt. Die beften Werfe in diefer Hinficht Haben außer den oben genannten Tondichtern Erommer, Romberg und Louis Maurer gefchaffen; ihre Producte werden noch Häufig gejpielt und mit Beifall aufgenommen. Die Trio's, Quintetten, Sertetten, Septetten, Octetten und Ronnetten haben auch faft alle die Form des Quartetts, nur werden durch bie mannigfaltigere Inftrumentirung wefentliche Unterfchiede hervorgebracht. Ihnen muß ein ganzer Artikel gewitmet werden, fle können nicht fo fEizzenhaft befpro« chen werden und laſſen ſich nicht fo aphoriftiich behandeln. Ebenfo müflen auch die Männerquartette und die von Frauen nnd Männern gemifchten Quartetten in befonderen Abhandlungen befprochen werden. Hier bemerfe ich nur, daß fie fich ganz von den Streichquartetten durch Inhalt und Form unterfcheiden, wie ſchon der Laie fogleich wahrnimmt.

Was das geiftige Verftändniß der Streichquartetten betrifft, fo ift dies nur einem Kleinen höhergebildeten Bublicum zugänglich, und diejem erft nach oftma⸗ ligem Hören, weil die complicirten contrapunftijchen Gedanken ſich ſtets fo ara» beöfenartig in einander verichlingen, daß nur bie aufmerffamften Hörer den Ideengang verfolgen und Elar verfiehen können. Werden aber die Werke ganz im Geifte des Tondichterd nieifterhaft vorgetragen, fo ergreifen und begeiftern ſie auch jedes mufifliebende und empfänglicye Publicum, wenn es auch Feine muſikaliſche Bildung befigt. Das höchſt Vollendete Teifteten die Gebrüder Müller und das Pariſer Streisyquartett der Herren Maurin, Chevillard, Mas und Sa⸗ battier. Wer von dieſen auögezeichneten Künftlern die Beethoven’fchen Ouar⸗ tetten gehört hat, der wird gewiß zum erften Mal im Leben empfunden haben, was für ein Eöftlicher Schag der Poeſie in diefen-Werfen liegt. Der Harmoniekun⸗ Dige hat es jchon durch das Partiturenftudium erfannt und durdy das Hören der Aufführung beftätigt gefunden. "Und welche Geifter haben die größten Werke in dieſer Runftgattung gefchaffen?! Deutfche Männer waren ed, die und dieſe Ideenwelt erzeugten; nur deutfche Tondichter fchufen und die höchſt vollendetften Kunftproducte, die noch in fpäten Jahrhunderten die Menfchheit erfreuen und zu einen neuen und höheren Ideenleben begeiftern werden.

31*

Perlenfifcherei und Perlenhander, 485 Die kleinen Bänfe Chilaw gegenüber, auch am ber Weftfüfte Eeylons, 742°

N. Br., trugen ein: Pur: 1 im Jahre 1803 BALL 15,000 Pfd, Sterl, ner

in m 1804 OT. zu men „ww

un 1806 MB on

De 7} 1808 90,000 nn, r: WITT N

„» „1809 25,000 “al

1814 64,000— er

Die Berlenfifäherei war damals eine ber reichften Quellen * Colonial⸗ gouvernementd. Man rechnet, daß, wenn jede Bank alle 7 Iahre zwanzig Tage befijcht wird, ein jährlicher Neinertrag von 14,000 Pfv. übrig Bleibt. Die reichften Perlenfperulanten waren gewöhnliche indifcye Kaufleute vom Feſt— Iande oder Ugenten von Käufern aus Madras. Nach Berrolacci Tebt die Perlmuſchel 6 bis 7 Jahre. Die größten Berlen Cehlons lieferten die Fiſche—⸗ reien von 1796, 1797 und 1798, Die wichtigſten Bänke liegen nad Bertolacei’8 Karte ungefähr zwifchen 30° und I’N, Breite. Cordiner giebt an, daß fie fich gegen 6 Meilen von Norben nach Süben und gegen 5 Meilen von Oſten nach Weften erftreden. Sie liegen drei Meilen von ber Küfte, fo daß der Hügel ber Infel Kabiremalai, ein Kauptfig der Perlen- ſiſcherei, von ihren aus fel6jt wie eine Inſel erſcheint. Die werthvollften Mu— ſcheln ruhen in einer Tiefe von 3 6i8 15 Faden auf Korallenriffen, die, am einigen Stellen beinahe die Oberfläche erreichend, ihmen Schuß gegen den N.-D. Monfun gewähren. 1830, 1840, 1841 wurden auch Perlen an der Oftfüfte bei Trinfomali, Aripo gegenüber, gefifcht, doch ohne großen Gewinn.

Die Fifcherei findet in den Monaten März und April ftatt, wo die See am rubigften if. Schon im November werben bie Bänfe durch Sachverſtän— dige unterfucht, und nach der Mufchel-Probe Ort und Ausdehnung durch bie Regierung in Eolombo beftimmt und durch die Zeitungen öffentlich befannt ge— macht. Im den vierziger Jahren war Kondatjchy die Hauptflation der Boote, bie ſich mit Perlenfifcherei befchäftigten, obgleich die Stationen a et Manaar oter Aripo benannt werben.

Im Jahre 1833, dem legten guten, waren 1250 Taucher auf 125 Booten befchäftigt, 1100 von den indifchen Küften unb nur 150 von Geylon, Die Perlmuſchel von Ceylon ift unvollfommen oval, dünn und durchfcheis nend, bie Innenfläche von fchönem Perlmutterglanz. Ihre Perlmutter fcheint wenig werth zu fein und findet fich nicht unter dem Schalen bed Handels, Die Zahl der Mufchelm, die eine einzige Fiſcherei ihrem Elemente entreißt, iſt fehr bedeutend, 300 Boote, bie in den guten Zeiten fiichen, Fönnen circa 120 Mil⸗ lionen Mufcheln erobern. Icdoch war 1845 bid 1853 der Ertrag jehr gering, da durch den früheren Gouverneur von Geylon, Sir W, WUNTE EN Er zu ſehr auögebeutet, faſt ruinirt waren,

Die Perlenfifcherei im perfifhen Meerbufen war den bekannt, dort find es perlenreichen Bahreininfeln, welche eine gute Aus—⸗ beute liefern. Zwiſchen den Inſeln Kharak und Gorgo nordweſtlich von

486 Handels wiſſenſchaft.

Abuſchir, an ber perfifchen Küfte, werben auch in großer Tiefe gute Perlen gefiſcht. nn NEE

Wilſon ſchaͤtzt dem Werth der Perlen, die jährlich in Babrein von indie ſchen, arabifchen und perſtſchen Häufern gefauft werben, auf 300,000 bis 350,000 Pfb. Sterl. Eingeborne Kaufleute nehmen einen fechömal fo großen Ertrag an, Die meiften Perlen (a nad Wellſtedt) geben über Maskat nah Bombay, von wo aus die Hauptkäufer, die reichen Parſen, fie nach China ſen—⸗ ben, Ein anderer Theil gebt über Badra ind Innere von Aften,

Die Perlenmufcheln des perfifchen Golfs find Doppelt fo groß wie die cep= fonifchen; die Schalen dicker und außen glatter, ihre Epidermis iſt grünlich und mit dunklen Streifen von Ma! Zoll Breite durchzogen. Die Perlen find nicht fo. weiß wie bie eeyloniſchen, Tondern haben einen gelblihen Schein. Viele der Eleinen Perlen dienen in Aften zur Darftellung von Pillen, denen gang bes fondere Wirkungen zugefchrieben werden. Die reichen Ehinefen ‚verwenden fie aud) ftatt gemeinen Kalkes zur Bereitung koſtbaren Betel.. mn Im rotben Meere werben Perlenmujcheln bei ber Injel Dabalaf ger fiicht, gegenüber Maffaua an der abyffinifchen Hüfte. Dahalakelkebir if eine flache, aus Korallenfchichten gebildete Infel, wetöftlich 6 Meilen lang und in entgegengefeßter Richtung an manchen Stellen 2 Meilen breit, deren Beböls ferung die Perlenfiſcheret als Hauptbeichäftigung treibt. Die Muſchelbaͤnke liegen gewöhnlich 6—1O Rlafter tief und werden nicht jedes Jahr ausgebeutet, um die Vermehrung der Muſcheln zu begünſtigen. Die Perlen werden mad) Ge— wicht verfauft. Gegenwärtig wird bie Infel periodiſch von einigen inbiichen und perflichen Handelsleuten befucht, welche feine Perlen anfaufen. 21%

Die Perlmuſchel von Dahalaf (hier Bereber genannt) ift gegen 3 Zoll lang und 23/4 Zoll breit; die Scyale ift dünn umd unter dem Schloſſe ziemlich ftarf gewölbt; vom Wirbel laufen außen deutliche belle Streifen ſtrahlig nad) dem Rande; innen ift fie unter dem Schloffe und um den Musfeleindrud weiß, am Mande gelb, perimutterglängend. Sie wird über Üben und Serie Europa verſchifft. md ae

Dahalak gegenüber giebt bie Berlenfiftiere, welche bei u era infeln betrieben wird, der Stadt Dſchiſan, die Ehrenberg 1825 beſuchte, eini⸗ ged Leben, An ber Elippenreiche Küfte von weiter po gewinnt man roſenrothe Perlen.

Die Perlenmufchel ſcheint durch das ganze rothe Meer —— ſein, mit Ausnahme des ſüdlichſten Theiles deſſelben. Die Perlmutterſchalen wan⸗ dern über Suez den Nil hinab nach Alexandrien, von da werden fie nach Ham—⸗ burg und ben übrigen europälichen Häfen verladen. Außerdem werben noch afrikaniſche Perlen bei ven BazarutasInfeln, füdlic von Sofala im Mes fambifsfanal, gefiicht, Auch über dem ganzen inbifchen Drcan und feine Bufen find Perlmuſchelbaͤnke ausgeftreut.

China erhielt fehr viele Berlen von den Sulu⸗Inſeln, einer Neibe von Eilanden zwifchen Borneo und Mindanao. Die Perlen fiehen den indifchen an Schönheit nicht nah, Sie geben faft immer über Manila nad China und

Berlenfifcherei und Perlenhandel. 487

werben nach ihrer Größe, Form und Farbe mit Preiien von 5 Dollars, die größten mit 800 Dollard bezahlt. Die eineren, fogenannten Samenperlen werben in Manila das Tael, dort zu 548 Braind Troy berechnet, mit 3—4 "a Dollars gekauft.

Die Perlmutterſchalen der Sulu⸗Inſeln zeichnen fich ſowohl durch ihre Größe, wie audy durch die Reinheit und den Glanz der Perlmutterjchicht aus⸗ Ihr Gewicht beträgt durchſchnittlich Ya Pfo., fie find flach, ihr Rand ift gelb- lih. Alle auf den Sulu-Infeln gefifchten Perlmutterſchalen finden ihren Weg, nach Manila.

Erportirt wurden von Manila:

11848 1849 1850 1851/1862]1853]1854 1855 1856

nach Europa .-| 936,3322) 1663|1411/2736 1379 18821 133 1984 | |

| |

nach ben | | | Pereinigten Staaten . . . 2937 81) 77 98 536| 71211538 51) 806 _ | | |

es m sy ——

Peculs à 140 Pid. engl.. 1112209 3403 1740 1500 3272 2001 3420 1183 2700 Die Preiſe der Perlmutterſchalen find in Folge ihres größeren Conſums außerordentlich geſtiegen. Fruͤher wurden 140 Pfd. engl. für 8 Dollars und weniger in Manila getauft, während jet 28 Dollars dafür gezahlt werden. 5 Unter dem Ramen SulusInjeln pflegt man gewöhnlich die Tawi⸗Tawi— Gruppe mit zu begreifen. Hier wird ergiebige Perleffiſcherei zu jeder Zeit betrieben. Alle Seftade der Mindora- und Sulu⸗See ſcheinen Perlen- bänte zu begen. Zwiichen Palawan und Borneo, bei der Eeinen Infel Ba⸗ labak, flieg Belcher im Rovember 1844 auf Perlenflicherei an den Riffen, die ſich mehrere Seemeilen weit in das Meer erfireden.

Hamburg erhält die PerImutterfchalen erfter Qualität über Singapore und Holland unter dem Namen Mafaffar- Schalen. Sie find groß und durch⸗ fehnittlich 1 Pfd., feltener 2 Pfd. ſchwer; ihre Perlmutterſchicht iſt fehr Did, son fchöner Weiße und berrlihem Glanze. Diefe Mufchel ſtammt wahrfchein- lich aus der Sundafee. In den holländifchen Handelsberichten find weder Per⸗ Sen noch Perimutterfchalen aufgeführt: mwahrjcheinlich Tiegen fle unter dem phö- niziſchen Schleier „Naturalien“ verborgen, der bort große Summen deckt.

Bekanntlich wird auch auf den bolländifchen ArusInfeln, gerade weſt⸗ lich von der großen Neu-Guinea⸗Inſel (7° ©. Br., 135° 0.8. v. Gr.), Per⸗ Ienfijcherei betrieben; fte ift mühlam, und der vielen Haifiſche wegen Iebendges fährlich.

An der Küfte von Neu⸗Guinea treiben die Papuas Handel mit Berlen, die ihnen die Chinefen abnehmen. Weſtlich von Neu⸗GOuinea werden Perlen bei O bei gefifcht.

Der ganze große Ocean ſcheint überall mit Perlmuſcheln belebt zu ſein. An den meiſten Inſelküſten ſuͤdlich und nördlich der Linie, von Neuholland bis nach Amerika, treiben die Inſulaner Perlenfiſcherei.

Perlmuſcheln leben ſüdlich vom Aequator bei folgenden Inſelgruppen des ſtillen Oceans: Salomons⸗Archipel, Geſellſchafts⸗Inſeln, Pos

488 0 Hanbelöwilienihaft Pr;

motu-Arhipelund Marqueſas-Inſeln. Seit einigen Jahren Hat fich die Perlenfijcherei im flillen Ocean ſehr ausgedehnt, Auf Matten, 20 Sec⸗ meilen öftlich von Tahiti, wird ſchon lange Perlenhandel betrieben. Die Tahi- ter kamen mit Eiſenwaaren dorthin, um Perlen dafür einzutanfehen. 4% Die Tahiti-Schalen find etwas gehöhlt, ziemlich) kreisrund, im Durch- fehnitt Ya Pfund ſchwer, bie Perlmutterſchicht ſchwaͤrzlich und. von ſchönem Glanze. Sie geht meiftens über chileniſche Häfen nach Europa, Ihr ähnlich iſt die fogenannte ſchwarze Spdney-Schale, nur mehr abgeflacht und oval. Diefe wiegt bis Pfd. und bei den Auſtralien näher lie

genden Injelgruppen gefammelt. Fr X

I) Teer Archipel und bei ben Marianen vor. Di Sandwidhs-Injeln haben Süßwaſſer-Perlmuſcheln. | >

Am Oftgeftade des großen Oceans flegen an ber Küfte von Eentral« amerifa entlang ausgedehnte Perkmufchelbänfe. Seit Anfang des 17. Jahr hunderts rivalifirten die Perlen von Galifornien mit den Schägen Banamas, Gegenwärtig bat die californiiche Bifcherei der Perlmuſcheln einen großen Ver— breitungäbezirf, Die Schalthiere leben ſelbſt an Stellen der Weſtküſte der Halbinfel und werben auch nahe bei Mazatlan angetroffen. ı er.

_ Die Mufehellager ind. am Häufigften in der Bai von Geralbo und bei ben Injeln Eſpiritu⸗Samto, San Joſé und Santa-Gruz, dort liegen die Mufcheln 3—4 Faden tief, Die fiihenden Norbamerifaner und Franzoſen haben die Preife der Perlen fo ſehr gefteigert, daß man fie um 70— 80 Procent höher als ſonſt bezahlen muß. Die Schalen von La Paz haben eine weiße Berkmuts terfchicht mit geblichem Rande, die Nonatlan·Schalen on etwas wen als die erfteren. ne j

An der Küfle von Eoflarica wirb Perfenfifcherei im: Dulm, ein. eoHa mit gutem Erfolg betrieben. Auch foll Die Bai von Fonſeca Berk mufcheln enthalten. Auch im Golf von Banama find bie Küften und Un— tiefen des aus 43 Infeln beftehenden Archipeld Del Rey und Tab oga reich an Perlmuſcheln. Gegenwärtig. jollen 300—400 Taucher dort befeätig fin, um auch dieſe Bunborte mehr als ſonſt auszubeuten.

Die Panamaſchale, eine der geringeren Sorten des Sandels if dic und concan, mift 3—5 Zoll, und ihre fonft * —— iſt am Rande etwas dunkel.

An der Gagira⸗Kuͤſte, zwiſchen Rio Saca * Maracaibo lumbien, werden Perlen gefiſcht, die ſich durch ihren ſchönen Glanz auszeich⸗ nen. Der amerikaniſche Perlenhandel blieh in den Händen der Spanier bis zur Befreiung ihrer Colonien im Anfange unferes Jahrhunderts, Hamburg trat 1822 in directen Berfehr mit Mexico und 1825 ſah man ſchon beifen Blagge ander Weftfüfte Amerikas wehen, weiche jegt fehr bedeutende Sen- dungen von Berlmutterfchalen und Perlen nad) Europa erportirt. Das weite tefte und freiefte Feld der Perlenfiicherei ift der große Oeean mit feinen Taus fenben auögeftreueter Infeln, deren Küften reich an Perlmuſcheln find; dort er»

Perlenkigerei und Perlenhandel. 488

fcheinen jegt nordbameritanifche, englifche, franzöſiſche und ham⸗ burgiſche Schiffe, um Wufcheln und Perlen. zu fammeln.

Unter den Einfuhrliften der handeltreibenten Nationen fucht man meiftens vergeblich nach Perlen, da fie fait überall zollfrei eingehen. Hamburg erbob bis Ende 1856 "2 Procent Zoll von eingehenden Juwelen, ber die Ein« fendung Eoftbarer Geſchmeide an die Sumeliere zur Anficht verhinderte.

Rad den Tables generaux du commerce wurden In Frankreich Perlen ein-

geführt:

Werth Jahr. Dr | Gramm. ruhe Grammes. in France. 1837 | 28300 | 486,000 1838 50,300 1,006,000 1839 15,520 310,400 1840 18,372 367,440 1841 15,540 310,800 1842 35,220 704,410 1513 157421 1,148,420. 1844 37,000 152,000 1845 72,000 1,440, ‚000 1846 33,590 | "671.800 1847 49,873 997,460 1848 4,755 611,325 1849 27,600 | 414,000 1850 69,700 1,045,500- 1851 103,100 1,546,500 1852 19,100 1,266,000 1853 | 716,700 2,205,000 1854 12,500 1,087,500 18555 | 162,200 | 2,433,000

In diefen 19 Jahren wurden mithin 980,791 Gr. Perlen, die den Werth bon 18,803,585 Francd haben, in Branfreich eingeführt. Die Länder, woher fie famen, waren England, Engliich Oftindien, Aegypten, Deutichland, die Schweiz, Belgien, Toskana, Rußland und Neapel. Paris iſt jeht der euro» päifche Hauptmarkt für Perlen.

Nach den Anual Statements of the Trade and navigalion of the United Kingdom wurden nad} England für folgende Summen Berlen eingeführt:

Woher. 1853. | 1854, | 1855. £ £ I %$

Aegypten . . oo. 34,207 19,332 9,660 Britiſch Oſiindien oo. 2,230 3,500 Britiſch Weftindien . . Frankreich -. oo. 2,040 1,718 Neu:Öranata. . . . 11,479 6,000 550 Sonduras . . 2»... 1,300 Mexico..... 1,445 2,000 St. Thomas . . . 6,219 9,751 18,360 Antere Gegenten . . 1,7125 418 188

Eumme in £ | 60,735 | 41,001 | 34,476

In Hamburg if die Berlenimportation nicht unbedeutend, da oft Partien 10—20,000 Mark Bco, verkauft werden und biöwellen für 70 bis

490 Sandelswiſſenſchaft.

80,000 Marf Bro. eingegangen ſind. Wahrſcheinlich ſtammt der größte Theil derfelben von der Weflfüfte Amerikas und von ben Sübfee-Infeln und wird en nach Frankreich abgefeht.

Die Perlen von Neu-Granada wurden meiſtens via Ghagred;- im Allge⸗ meinen our ofle Drtion, ausgeführt. Angegeben

wurdennn w "re wre ER ninnik in 1843 —44: 32312 Ungen * 65,625 Dollars: se 1844—45 ; 528 TEE, X An Verlmutterſchalen wurden im Frankreich eingeführt: | 1850 1851 ,, 18520 9 185390. 1854 1855 Kit. 554,780. 524,590. 140,364. 128,136. 953,507, 782,186. in Samburg: 1850 1851: 1852 1853 1854 1855

Gtr. 2,815. 5,610, 11,131, 8,928. 14,241, « 13,430, Merth im Marf Bo, x...» 176,440, 252,800. . 235,120. Durchſchnittswerth eines Zoll-Eentners-

nach Hamburger Börfenpreis + 109 Ir IA 8 Igr IE 2 Ip.

Die im Jahre 1855 in Frantreich, England und Hamburg eingeführ« ten Perlmutterſchalen mögen nad dem Durchſchnittsgewicht einer Schale, berechnet aus der Schwere ber in Hamburg eingegangenen Sorten, wentgftend 6 Millionen Thieren das Leben gefoftet haben.

Das gebräuchliche Perlengewicht ift das Karat in der holländifchen Norm 0,250894 Gramm, Die englifche Norm iſt 0,20530253 Gramm, doch wird im Handel das englijche dem holländifchen gleich genommen, Das jelbe gejchieht mit dem Hamburger Karat, welches 0,205858 Gramm ſchwer ift. 1 Loth Hamburger Banfgewicht hält 71 Karat, 1 Karat 4 Gramm.

Die Durchſchnittspreiſe geftalten fich für Perlen im Hamburger

1) RundeLothperlen, das Loth zu 71 Karat gerechnet, Enthält 1 Loth 200—300 Stüd, jo koſtet es 100 Ahlr. l 7 600—700- ',, mir uan sd 2 2) Barofperlen, d. h. unregelmäßige höderige Perlen, 2 Ein Loth von 1000—900 Stüd koſtet 5—8 Thlr. 8005700 fer, 187 600—50 „U 50400 26 1) Ve ar 300-8300 ul 50 1) Kr A | u F 100 80 1 90 „, 40— 20 „140

3) Der Werth großer Shöner Perlen wirh im Allgemeinen nad dem Quadrat der Schwere beſtimmt.

Vollkommen runde Perlen foften einzeln etwa:

2 Gran fhwer ı . 05 + Ps 11% Thlr.

Berlenfifcherei und Perlenhandel. | 491

3 Gran fhwr . . ..3 31 Ihlr.

1 Karat „, 0... 4 5 J

2) nn. 6,

3 ne rt... be 40,

4 . 0.0. 50

Eine Schnur von 70—80 dreifaratigen, ungefähr erbfergroßen Perlen von guter Form und fchönem Glanze wird in Hanıburg mit 4000—6000 Thlr. verkauft. Der Durchſchnittopreis der einzelnen Perle in einer folchen Schnur beträgt ungefähr 70 Thlr. Wie oft umd wie viele Taucher mußten wohl ihre Kräfte wagen, und welche Haufen von Mufcheln mußten gefammelt werden, ehe jene 70—80 Perlen als Schmud fich zufammen fanden. Der arme Arbeiter fammelt ihn unter Gefahren und Mühen, mandyed Menfchenleben ging dabei zu Grunde, wurde eine Beute der Haiflfche oder der firubelnden Brandung; an dem Eoftbaren Schmud der Reichen klebt oft irdiſches Drangfal und das Men⸗ ſchenleben als Opfer.

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Siam und die Siamefen.

Fragment aus dem Zagebud einer Engländerin. nr yın 14 fr " TITEL ' ı KO IE

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3 Singapore ſchifften wir uns an Bord des Dampfers Audland $ von ber oftindifchen Compagnie ein, welcher beftimmt war, und nah Siam zu bringen. Der Capitain hatte Befehl erhalten, in einem gewiſſen Breitengrade zu kreuzen und wirklichen ober vermeintlichen Piraten nadyzufpüren, Die aber zu meiner größten Beruhigung unfichtbar blieben. Auf unferer Neife trug ſich nur ein Siwifchenfall zu, der einer Erwähnung werth wäre. Eines Abends kurz vor Sonnenuntergang anferten wir auf der Höhe von Tringam, der Hauptftabt eines Fleinen Gebieted auf der malayiichen Halbinſel. Ein Theil der Mannſchaft wurde beordert, friiche Lebensmittel berbeizufchaffen, während der Gapitain uns in feinem Boote an's Ufer führte, bamit wir uns eines Spazierganges erfreuen und uns die Eingebornen anfchauen könnten. Wir wurden von einem Haufen balbnadter Männer, Weiber und Kinder empfangen. Ich alaube, ich war bie erfte Engländerin, welche je hier erjchien; doch war es unfer kleines dreijähriges Mädchen, welches die größte Neugierde bervorrief, Wir wurden von dem Wunſche ded Sultans unterrichtet, daß wir augenblicklich in ben Palaſt oder in bie Audienzballe fommen möchten, wo er wartete, um zu erfahren, warum eim Kriegdpampfer vor der Stadt geanfert hätte, und befonders, aus weldier Urſache fo viele Offiziere und Mannjchaft gelandet wären, Drei Boote hatten unfer

*) Die Gefandtfhaft, welche Ihre ſiameſiſchen Maieftäten jüngft nad England ſchickten und bie fofibaren Geichenfe, welche biefelbe der Königin Victoria zu übers geben hatte, haben bie Aufmerfiamfeit ver europälihen Welt jenem fernen Winkel HintersIndiens zugelenft, in welchem Barbarei und Gefittung in höchſt wunderlicher Miſchung beifammenwohnen und ftantliche wie bürgerliche Ginrichtungen ganz eigen⸗ thümlicher Art erzeugt haben. Unferen Leſern bürfte es daher nicht umwillfommen fein, in nachſtehenden Schilderungen einer gebildeten Dame, welche in Begleitung ihres mit einer biplomatiichen Miſſion betrauten Mannes längere Zeit in Bangkof, ber Hauptſtadt Des Landes, weilte, einen Ginblid in Sitten und Gebräuche der Siamefen zu erhalten, eines DBolfes, das auch um beswillen unfere Beachtung vertient, weil es von allen Bölfeen Mittel- und DOftafiens die größte Empfänglichkeit für das Chriſten⸗ thum zeigt, fomit in nicht allyuferner Zeit eine wichtige Pflanzftätte höherer Geflttung in Dftafien zu werben verſpricht.

Siam und die Siamefen, 493

Schiff verlaſſen; es waren alfo fechd oder mehr Offiziere anweſend, dann ber Gapitain, C., ich, die Eleine Mathilde, und deren eingeborne Amme.

Als wir, begleitet von dem großen Haufen des Volkes, in der Aubienzhalle j anfamen, fanden wir Seine Hoheit den Sultan auf einer. erhöhten Plattform am Ende feiner Hütte gelagert; um ihn herum knieten oder Erochen feine Offis jiere und Die gerade gegenwärtigen Diener, während etwa drei Fuß tiefer auf dem mit Brettern belegten Boden, der dad Gebäude umgab, daS Volk kauerte. Der Gapitain und C. gingen zuerfl vor, einer neben dem anderen, und da ich feine Luſt hatte, zwifchen dem Kaufen zurüdzubleiben, fo ſtahl ich mich mit ihnen hinein; die Gruppe ber Offiziere ſchloß den Aufzug. Nachdem jeber ſich verbeugt und der Sultan jedem feierlid, ein Zeichen gegeben hatte, fich zu lagern, wanbte er fich in malayifcher Sprache an C. und erkumdigte ſich, wer wir wären und warum wir gefommen. Jetzt war es fehwierig, eine entfprechende Antwort zu geben, da nur ich von der ganzen Gefellfchaft etwas von der Sprache verftand. Doch ich erhob mich und benachrichtigte Se. Majeftät, daß zwifchen. England und Siam ein Handelövertrag abgefchloflen, daß ein Conſul ernannt worden und C. im Begriffe jei, in dieſer Eigenfchaft fein Amt in Bangkok anzutreten. Es war dies neu und von einigem Intereſſe für den Sultan, da fein and an Siam zind« bar und er verpflichtet ift, alljährlich einen goldenen Baum dem Könige des weis Ben Elephanten zu fchenfen.

Der Fleinen Mathilde wurde von dem großen Manne viel Aufmerkſamkeit geichenkt und fle durch einen Pla auf feinen Knien geehrt; fie ſaß ernfthaft da während der ganzen Unterredung, nicht im miindeften erftaunt oder verwirrt burch die fremdartige Scene um fle herum. Der Sultan brach dann und wann bie endlofe Kette feiner Bragen ab und ftreichelte ihren Kopf oder ihre Hände und bewunderte ihre Geſichtsfarbe.

Während des nächften Tages bejuchte Seine Majeftät fammt Gefolge das Dampfichiff, von welchem ſie mit Salutfchuffen empfangen wurden, die ihre Ner⸗ ben derb erfchütterten.. E8d.war ergöglich zu fehen, wie fich bei der rafchen Auf: einanderfolge der Schüfje der Schreck auf ihren Geflchtern ausdrückte. Der Sul» tan bat mich alles Ernſtes, dem Gapitain zu fagen, daß er ganz gerührt ſei von der erwieſenen Ehre, nur möchte er Tieber nicht ein Mebreresd davon haben. Es wurbe ihm demungeachtet eine volle Salve gewährt, und die Matrofen jegten des Spaßes wegen das Schießen noch fort.

Am erften Juni v. I. gingen wir vor der Sandbank des Fluſſes Menam vor Anker. Das Schiff anferte faft zehn (engl.) Meilen vom Ufer entfernt, das aber fo niedrig und flach ift, daß es ſelbſt mit Hülfe eines Fernrohrs kaum er- blidt werden Eonnte. Die Sandbant ift eine ausgedehnte Untiefe, gegenüber ber Mündung des Fluſſes, und es herrſcht dort gewöhnlich während eines großen Theiles des Tages eine fcharfe Brandung. Hier blieben wir, bin und ber geworfen und getrieben, vier lange Tage, umfonft ein Mittel erwartend, das und aufwärts nach Bangkok befördert hätte. Der „Auckland“ war zu groß für den Fluß.

Endlich kamen zwei Ruderboote uns zur Seite. Die Ruderer, vom König

von Siam jelbit ausgewählt, uns nady Bangkok zu bringen, waren alle im eine Art Uniform gekleidet, bejtehend aus jcharlachrothen Galico-Jaden und Kappen, die viel zu fehlecht zum Tragen und des Wafchens dringend bedürftigwaren. Die Boote waren lange, ſchmale Gano&s, mit einem vieredigen flachen Verdeck genau in der Mitte, zur Bequemlichkeit der Paſſagiere. Born und hinten fanden bie Ruderer, ſechzig an der Zahl, zu beiden Seiten gereiht. Sie ruderten ftebend, und bei jedem Ruderſchlage ſtampften die fechzig mit einem Fuße auf das Deck. Der Steuermann unterbrach hin und wieder die Arbeit durd) einem langen krei⸗ jchenden Schrei in hohem Tone, der von den andern neunundfünfzig durch ein kurzes jcharfed Bellen erwidert wurde, Nur Könige und Perjonen bon Stand haben in Siam das Recht, Diejed Heulen zu gejtatten. BT] 2 270 Die erfte Viertelftunde wurden wir durch unfere neuen Freunde unterhal⸗ ten; als wir aber weiter fuhren und Stunde auf Stunde verging, war bie natür⸗ liche Wirkung ſolch fortgefegten Heulens und Stampfens, daß unfere Nerven erjchlafften und wir Kopfichmerzen befamen. Wie indeß auf unfere Bitten Die Bootsleute Damit aufhörten, ließen fle auch im Rudern nach, fo daß wir ein⸗ ſehend, daß ihr Rraftaufiwand von ihrem Lärmen abhänge es ihnen überlie— unter einer brennenden Sonne uns in unjer Schickſal ergaben und die Leute freifchen und bellen ließen. ————— An ſeiner Mündung mag der Fluß etwa anderthalb engliſche Meilen breit fein ; aber er verengt ſich allmälig, und hei Paknam, einer Militairftation, unge⸗ führe zehn Meilen aufwärts, kann bie Entfernung von einem Ufer zum anderen kaum mehr als dreiviertel Meilen betragen. Hier wird die Gegend reizend, Im ber Mitte des Fluſſes ift eine Infel, auf welcher ein hübſch decorirter Tempel liegt, fchimmernd wie eine Perle in lichtgrüner Ginfaffung, während auf der ans deren Seite furchtbar dreinblickende Befeſtigungen fich befinden, die den malerifchen Effeet noch erhöhen. Das Innere diejer Feſtungswerke ift indeß fo verfallen, daß fie, wie fle jet find, irgend welchen Nugen nicht gewähren können. Die Ufer des Fluffes find völlig flach und bis zum Nande des Waſſers mit Röbricht bedeckt. Nahe der Mündung ift dieſes Nöhricht nur mit Mandelbdumen unter« mijcht; aber wenige Meilen aufwärts wird der Pflanzenwuchs üppiger und bas Auge weiber ſich an einer großen Mannigfaltigkeit des Laubwerfes. Der Brots fruchtbaum und die Kofospalme find am zahlreichiten vorhanden; der eine mit feinen grofien, fonderbar gezähnten Blättern bietet einen einladenden Schatten bei der Gluth der tropiichen Sonne, während bie andere mit ihrer feberartigen Krone ſich gleich einem Thurme über ihre Waldgenoffen emporbebt, Der ziere liche Bambus in allen feinen ſchönen Spielarten zieht gleichfalls die Aufmerk⸗ famfeit auf fi, bald in niederen, vollen Gruppen, dann wieder mit feinen hän⸗ genden Zweigen und den langen Stengeln der lanzenförmigen Blätter im Luft⸗ bauch zitternd, Die eigenthümliche Schönheit des Bildes iſt noch vermehrt Durch. die Manninfaltigfeit und den Reichtbum der Farben unter einem morgenländis ichen, im Sonnenlichte glänzenden Himmel, Wenn man fich in ber flameflichen Hauptſtadt Bangkok niederläßt, it «8

gewiß ber Umjtand, daß die Stadt gar feine Fahrſtraßen bat, weldher einem fait

augenblicklich auffällt , wie ich es erfuhr, nachdem ich kaum einige Stunden in

neuen Wohnorte mich aufgehalten haätttee.. en En et —* BET DIE

tu "ai, sie wird’ —— ee kann.“ Dieſe unvorhergeſehene Schwierigkeit nöthigte mich, bei meinem mädh- ften Nachbar einmal um Rath zu fragen, und die Nothwenbigkeit, rin Markt boot anzuſchaffen, ee liche Einrichtung zu beginnen hatte. 2 >. Ein ſolches Boot ift ſehr Hein, wirttich nur berechnet auf einımenfeglicheb Weſen und etwa ein Dugend Hühner. Bei jeder Gelegenheit zeigt ſich dieſeibe Schwierigkeit der Communication, Sehnt man fich nach einem Plauderftünd- hen mit dem nächjten Nachbar (in der That der Nächfte, aber jenjeits des Fluß- armes, der durchaus nicht überbrüdt if), fo muß —— mit acht, zehn oder zwölf Mann oder zu Hauſt bleiben.

Die Märkte beftehen aus einer Menge Boote, * in gewiſſen Quartieren zuſammen vor Anker liegen, jedes ſich mach ſeiner Bequemlichkeit ausbreitend.

Die ſchwimmenden Haͤuſer nehmen jede Seite des Fluſſes auf fünf Meilen Wr

ges ein, und ebenfo die zahlreichen Buchten und Arme, die ſich 2—2— hin verzweigen. WELL Bambusſtaäbe, feft aneinander gefuͤgt, bilden ein Rartes Bio, —— vier oder fünf Fuß dick, mit einer Platiform von fünfzehn bis zwanzig Quabrat- fuß. Auf diefer ift dann das Haus gebaut, entweder vom Bambus oder von dünnen Planfen, Wenn das Gebäude zu einem Kaufladen beftimmt ift, fo ift der Vorbertbeil offen gelaffen, und die Waaren liegen, auf Bänfen und Brettern geordnet, zur Anſicht der Käufer bereit. Iſt daffelbe dagegen ald Wohnhaus erbaut, jo iſt es ringsum geichloffen und mit einer Veranda umgeben. Das Floß ift durch Stricke oder Ketten am Ufer befeftigt, oder an Pfühle angebunden, welche in ben Boden des Fluſſes eingerammt find. Wenn die Fluth ungewöhns lid} ſtark wird, fo kommt es vor, daß die Pfühle nachgeben, und in folchem Falle ſchwimmt natürlich Das Haus Den Strom hinunter, Ein Fall diefer Art pafe firte einem Herrn, der mir fein Abenteuer erzählte, Er hatte ſich zur Ruhe be= geben und wurde plötzlich durch einen raufchenden Lärm geweckt. Als er fein Zimmer verlieh, fand er, daß die Anfer, woran feine Wohnung befeftigt war, nachgegeben hatten, und daß die hohe Fluth fein Haus ganz luſtig gegen die See trug. Nur mit einiger Mühe wurde Hülfe berbeigefchafft und die Behaufung wieder feft mit dem Ufer verbunden, jedoch etwas entfernt von feinem früheren Anferorte, Mifftonaire, welche diefe Art von Wohnungen verfucht hatten, ver— ficherten mir, daß dieſelben troß dieſer Gefahr Feine unangenehmen Aufenthaltes orte feien, Die meiften diefer Gebäude find Kaufläden, bewohnt von eingewan⸗ derten Ehinefen. Glaubt der Kaufmann, daß er durch Veränderung feiner Woh— nung fein Gefchäft verbeffern kann, fo braucht er nur bie Befeftigungen zu löſen

196 Ränder» und Völkerkunde,

und den Fluß auf· ————— ————

des Fluſſes, welchen fie Leni mitm (bh —* see an Da nun alfo der giaß vie Omnptfiafe iR; fo And au Booteitmürherfinß

vorhanden; Boote von allen Sorten, von d nf | ober ein Winen übt, 66 zu be Gans De Qoruchmen, weder, Der ganen

Liebe zum Schwagen den Töchtern Eva’s überhaupt eigen wird durch bie Schwierigkeit, ein Eleines fchwerbeladenes Boot mit Aufmerkſamkeit zu lenken, nicht gehemmt, und e8 erfordert doch alle Geſchicklichteit des Leiters; ſich mit ſel⸗ nem Boote in der Mitte ded Stromes vor Schaden zu hüten. Die jtamefifchen Weiber plaudern mit aller Oemächlichfeit mitten auf ber Hauptftraße. Zwel und drei, ja mehr, kann man fehen, wie fie in £leinen Booten, die zuſammen befeftige find, ſchnell mit der Fluth dahin gleiten, ſcheinbar gleichgültig fich ihrem Schick- fale überfaffend. Aber nur jcheinbar ijt die Gleichgültigfeit; ihre Geſchicklichkeit iſt fo groß, daß eine umnmerkliche Wendung des een genügt, irgend einer Abweichung in feinem Laufe vorzubeugen. 1* Ba, 2 > ; Schwimmen iſt natürlich ——ä——— denn die Siameſen ver⸗ leben drei Viertheile ihres Daſeins im Waffer, Ihr erſtes Geſchaͤft mach dem Erwachen ift baden; ſie baden wieder um elf Uhr, fie baden um drei Uhr, fie baden: bei Sonnenumtergang. Es gibt Faum eine Stunde ded Tages, wo man nicht Badende jehen kann, ſelbſt in den feichteften und fchmugigften der Fluß⸗ arme, Die Buben geben Spielen im Fluſſe, gerade wie fie bei und zu Lande auf der Strafe jpielen. Einmal ſah ich eine Siameferin auf der unterften Stufe einer Landungätreppe ſitzen, wie fie an einem Gürtel ihr wenige Monate altes Kind in's Waffer hielt und diefes mit augenfcheinlihem Wohlbehagen plätfcherte und mit den Füßen jchlug. Wären dieſe Leute nicht fo ausgezeichnete Schwim⸗ mer, es würden viele Menjchen im Waller umkommen; denn bei dem ſchnellen Eintreten der reipenden Fluth erbeifcht es bie größte Geſchicklichkeit und Sorge falt,; das Aneinanderrennen der Boote zu verhüten,, und doc) werden dieſelben häufig umgeftürzt, Einmal fuhr unfer Boot (ein englifches fog. Gig) ein klei⸗ nes inlinbijches Ganot, in welchem fich eine Frau und zwei Kleine Kinder befan— den, über den Saufen, Im Nu waren alle im Waffer verfchwunden, Wir waren höchſt erfchroden, und E, war im Begriffe, zu ihrer Rettung in's Waffer zu fpringen, als fe wieder auftauchten und die Frau mit dem erften Arhemzuge, ben fie that,’ eine ganze Fluth von Schimpfwörtern ausließ. Nachdem ſie fo ihren Gefühlen Luft gemacht, richtete fle ihr Canos wieder auf, das mit bem Kiel nach oben fortgetrieben war, ſchöpfte das Waſſer theilweife aus und packte die zwei Kinder wieder hinein, welche mittlerweile um ſie herumgeſchwommen waren, mit: einem Gemiſch von Furcht und Neugier die Barbaren pre = —* gluͤck verurfacht Hatten. J

Shani :utıd die Siamefe: 497

Doch ed gibt auch Land in Bangkok, und zwar bebautes Land. Die Wat's oder Tempel ind die am meiften in die Augen fallenden Gebaͤude, und fie er- fcheinen von Weiten fehr ſchön, was fle indeß nicht find. Der Boden um bies jelben iſt oft hübſch andgelegt und mit Bananen bepflanzt und bier wie in Indien der beliebtefte Baum. Sogenannte Salad, Gebäude für Neifende und Fremde, find gleichfalls Hier und da anzutreffen. Die Siamefen fcheinen außerordentliche Freunde von Schnig» und Bildhauerarbeiten in Stein, jo wie von anderen gro⸗ teöfen Verzierungen zu fein, wie fie China eigen find. Am Eingange eines Tems pels fieht Hier oft zu jeder Seite eine colofjale Bigur aus Stein oder irgend einem ähnlichen Material, glänzend bemalt und ein grimmiges Thier vorftellend, bereit, den frechen Eindringling zu zerreißen. Steinerne Löwen und Drachen find ebenfall® allgemein und an den ornamentalen Grottenwerk ringsum fo wie auf den kleinen Seen und Teichen find Nachbildungen aller erdenklichen Thiere zu feben. Diefe Gegenftänte find von China mit großen Koften hergebracht, und das darauf verwendete Capital an Arbeit und Geld muß ungeheuer fein, denn alle die vielen geheiligten Gebäude find damit überfaden. in Tempel, welchen wir befuchten, fchien auf den erften Anblick gemalt zu fein, und wir be- wunberten die Gefchicklichfeit und die Geduld, mit welcher deifen Wände audges fhmüct waren. Als wir aber näher Eamen, enidedten wir, daß die großen und Fleinen Sterne, mit Denen das ganze Gebäude bedeckt war, aus blauen Porzellan⸗ platten gebiltet waren, die in Form von Weidenblättern im Mörtel befefligt und von fchaufelförmigen Platten aus demfelben Materiale in Strahlenorbnung um⸗ geben waren. Jeder Stern befland aus einer Platte, von etwa zwölf oder vier- zehn Strahlen umgeben. Dort waren auch einige Säulen, die mit Suppenfchüf- feln bedeckt waren.

Ein Tempel befteht gewöhnlich aus jechd oder mehr verjchiedenen Gebäu⸗ den innerhalb einer Verzäunung; jedes enthält einen Altar und ift mehr oder weniger verziert. Rings um die Einzäunung find die Wohnungen der Prieſter und Reophyten gelegen. Die Zahl diejer Tewpel ift erftaunlich groß; denn bei den Siamefen herricht der Glaube, daß derjenige, welcher auf eigene Koften einen Tempel baut, fich dadurch in Zufunft im Paradiefe einen Zuftand unvergfeiche licher Glüdjeligkeit oder ein Wiedererjcheinen auf Erden in einer von ihm ges wünfchten Geftalt fihert. Es läßt fih daraus ſchließen, daß Jeder, der nur einigermaßen mit irdijchen Gütern gejegnet ift, nicht verjäumt, ſich den Lohn bes Himmeld durch ein fo einfaches Mittel zu erwerben; und man fieht denn auch folche Gebäude in jeder Richtung, meiftend in reizenden Winkeln angebracht, und unıpflanzt mit fchönen, jchattigen Bäumen.

Das Soſtem der Priefterfchaft ift ein eigenthuͤmliches. Keiner iſt demſel⸗ ben unterworfen vor dem Alter von 21 Jahren. Dreimal ſieben iſt in Siam ein bedeutungsvolles Alter. Die Bewilligung der Eltern iſt erforderlich, bevor der Novize aufgenommen wird, und ein Gelübde der Armuth wird durchaus ver⸗ langt. Der Prieſter verläßt alle jeine Beſitzthuͤmer, Weib und Kinder nicht aus⸗ genommen; aber fie können wieder aufgenommen werden, wenn er dem geiftlichen Stande entjagt, und das kann er, wenn ed ihm beliebt. Seinem Weibe ſtehl

IV. 32

Keen A in —— das Wien de Ber andere Ehe

gekleidete geiftliche Herr ſeht d

Reiſe fort, ohne ſich herabzulaſſen ein Wort oder Zeichen des Dantes an fie zu richten. MH vn I uU nn 9% jun Swrz nn I Eine genauere Kenntnif, als ich ſonſt von dem Gebräuchen der Priefter- ſchaft wirde erlangt haben, verdanfe ich einem jungen und intelligenten Apligen; welcher mit und befreundet wurde und oft des Abends unferen Familienfreis befuchte. Gr war ſelbſt Peiefter gewefen und deshalb mit den Pflichten eines ſolchen vertraut. » Er hatte die Gemächlichkeit und die feinen Manieren eines vornehmen Herrn, war ein Bring von Geblüt und hatte viel vom Falten Fieber gelitten, Im dem Glauben, daß er ferneren Anfällen diefer Krankheit in Zur funft entgehen könne, wenn er feine Füße troden halte, trug er gewöhnlich ein Paar ziemlich altersſchwache Schuhe, freilich ohne Strümpfe; und wennerieine Grmüdung.in den Füßen verfpürte, was oft der Fall war, zog er'biejelben auf ben Stuhl unter fich in die Höhe, häufig feine Knie mit den langen nackten Ar⸗ men umjpannend. So jaß er manchmal lange Zeit da, ausgezeichnet engliſch iprechend, und unterbaltend, belehrend und unjere Achtung gewinnend, Doc wenben wir und zu ben —— Em EEE die Briefen, “a Das Almojen nahm unjer ‚Sntereffe jehr in Anſpruch; & —— ‚ob er während- jeines Prieſterſtandes gleichfalls täglich feinen Reis erbeitelt habe. „Ja, fagte er es war alfo; aber ich hatte immer meinen Sklaven hinter mir, gleichfalls ein Briefter, und den groben und gemeinen Reis gab ich ihm. Ich aber ging ftets zu wo man mir ſolchen Reis gab, wie ich ihn eſſen konnte.“ 1 TE 27 Befte Speifen zu genießen, if den Prieflennunne am Wornietapetlanbez Nachmittags dürfen fie nur Obft effen und Thee trinken. Die Beobachtung bies jer Regel war unferem Freunde am jchwerften gefallen; nicht im Stande, ſich mit Speifen vollzupfcopfen, wie es der Gebrauch feiner Amtsbrüder war, hatte er gewöhnlich den Nachmittag und Abend mit Schlafen verbracht; das Faſten rief bei ihm eine Müdigkeit hervor, welche er nicht überwinden Fonnte. Der Ober- priefter eines jeden Wat und der Hoheprieſter des Königreich® erhalten ihren Gehalt vom König, und diefe können ben Vriefterftand nicht verlaffen. Der Hobeprieiter ift die einzige Perſon, welche davon befreit ift, Ehrfurdptöbezengum-

Siam nub bie GSiameſen. 499

gen mit Händen und Knieen zu machen; er ſteht aufrecht da in ber Gegenwart des Königs, und Beide der König und ber Hoheprieſter begrüßen fih durch Falten der Hände. Die Priefter füllen ihre Beit mit Beten, Singen beim Gotteödienfte, mit dem Unterrichte Anderer und mit dem Lefen der Bali- Bücher aus. Cie fcheinen eine weniger untergeordnete Glaffe zu bilden, als bie Prieſter in China, und dies rührt wahrfcheinlich von der Kreiheit des Ein- tritis in bie Briefterichaft ber; denn dieſelbe ift allem Kaften gewährt und jeder kann fo lange dem Stande angehören, ald ed ihm gefällt. Der Eintritt in den Briefterfiand aber wird von hoch und niedrig für ein verdienſtvolles Werk gehalten.

Es beſteht eine frappante Aehnlichkeit in der äußeren Erfcheinung bei allen Prieſtern, eine Achnlichkeit, von der ich mir Feine Rechenſchaft zu geben wußte, His ich gewahr wurde, daß allen die Augenbrauen abraftrt find. Der Effect, den dies macht, iſt ein eigenthümlicher; das Geſicht nimmt einen Ausdrud beftän- digen Erflauntfeind an. Der Kopf, das Geficht und das Kinn find ebenfalls ganz glatt rafirt. Die Tracht der Priefter ähnelt jener der Priefter in China; bier wird eine gelbe Binde leicht um Schultern und Leib gefchlungen, während die Priefter in China lange Gewänder von derjelben Barbe tragen.

Es beftchen feine Schulen, weder in Verbindung mit Tempeln, noch ans derswo; Doch treten Anaben unter dem erforderlichen Alter als Rovizen ein, um son den Brieftern Anleitungen zu empfangen, und leiften während dieſer Zeit ihren geiftlichen Lehrern Dienſte. Das Gelübde der Armuth jedoch iſt nicht viel mehr als eine Förmlichkeit; denn ein vertrauter Agent ift angeftellt, welcher alle Geldgejchäfte beforgt, und Die ganze Genoſſenſchaft hängt nur wenig vom Almofen ab. Die Zahl der Briefter in Bangfof wird auf breitanufend ges ſchaͤtzt, doch iſt fle wahrfcheinlich größer.

Wenden wir und jegt zu einem andern Gegenflande. Als fich und bie Ausfiht auf einen Aufenthalt in Siam eröffnete, wurde und non unferen &reunden viel Mitleid geipendet, da man allgemein annahm, daß das Klima zu Bangkok Außerft heiß und fehr Dunftig fei, und daß ein giftige Miasma über den Ufern des Fluſſes ſchwebe. Bu unferer großen Ueberraſchung und Freude erwiefen fich diefe Meinungen ald grundlos. Nach meiner eigenen Erfahrung und nach dem Zeugniffe Anderer, welche lange bier gewohnt haben, Tann ich beflätigen, daß die Kite felbft während der unangenehniften Monate nicht fo groß ift, ald an der mehr nördlichen Küfte von China oder zu Hongfong in den zwei Sommermonaten. Die heiße Jahretzeit beginnt in Siam im März und dauert bis Ende April. Sowohl die Miiftonaire als deren Frauen theilten mir mit, daß die Hige nicht beläfligend jei. Mit Mai beginnt die Regenzeit oder der Monſuhn. Dies ift Feine unangenehme Jahreszeit; bie Luft ift Fühl und er- quidend; Alles fcheint zuſehends zu wachen, und jelbft ftarrfinnige englifche Naturen jcheinen frifch aufzuleben und fich zu freuen an dem großen Wafchtage der Natur. Die Menge des niederfallenden Regens zu Bangkok muß während eined Jahres ſehr groß fein; ich fah ihn nirgends fo in fo ftarfen Güſſen herab» ſtrömen. Der Lärm, den diefer Megen verurfacht, übertäubt manchmal Alles,

fo daß man fich kaum feinem Tiſchnachbar verftändlich machen kann. 32*

Waſſer, das ich jeamcher. getcumfen hatte, erreicht wurde, Bei einem fo breis ten und reißenden Fluſſe, der binreichen würde, drei ſolche Städte wie Bangkok mit Wafjer zu verforgen, fönnte die Vorficht, Regenwaſſer aufzuheben, unnöthig ericheinen. Indeß, das Flußwaſſer ift dick und ſchmutzig; «8 kann nicht einmal zum Wafchen gebraucht werden, wen es nicht einen Tag geftanden bat. Hat der Bodenjag fich niedergeſchlagen. jo ift dad Waſſer Hell und reim, und einige Leute ziehen Dann Diefes vor. Der römiſch-katholiſche Biſchof, Mr. Pallegoir, jagte mir, er halte es für das beſte, ſowohl wegen feines Geſchmackes, als fer ner Zuträglichkeit für die Gefundheit. Wenn der hodwürdige «Herr es oft ges braucht hat, muß er nicht gewußt haben, daß die ganze Bevölkerung von Bang fo£ immerwährend Darin badet, und daß der Fluß auch den einzigen großen Ab⸗ zugscanal für Die Stadt und Das umliegende Land bilder, fo daß das Waller nothwendigerweife mit vielen jchädlichen Stoffen geichwängert fein muß, obgleich

‚allerdings der Kauf des Flußes ſchnell ift und reines Waſſer fters zuftrömt, um

in ſchmutziges verwandelt zu werden, Die, —— * WON das Trinken bed Flußwaſſers Durchfall bewirke. De Die kalte Jahreszeit beginnt im November, und den —— Januar hindurch iſt die Luft friſch und gefund, ähnlich jener an milden Früh— lingötagen in England, nur muß man ſich den glänzenden Hinmiel unter ben Tropen binzutenfen, Alle Fremden in der Stadr und deren Umgebung, ſelbſt Diejenigen, weldye dort Jahre lang gewohnt haben, jeben gefünder und flärfer aus, als die Mehrzahl derer, die fich in Hongkong und den nördlichen Häfen von China aufhalten. Fieber, ausgenommen das kalte Fieber, find unbefannt; nur ein Hebel herrſcht hier, dem Klima oder dem Boden eigen bie ſehr ge— fürchtete Nuhr. Wenn dieje Krankheit einen Europäer befüllt, ift fie faſt jedes⸗ mal tödtlich. Würde der Kranfe bei Zeiten feinen Wohnort verändern, ſo wäre eine Heilung vielleicht möglich ; allein die beunrubigenden Symptome er» ſcheinen felten, bevor es micht nicht zu ſpäͤt iſt, Geſundhelt und Leben zu retten, Die Eingebornen begen gleichfalld Furcht vor dieſer Krankheit; aber ihre Furcht bält ſie nicht ab, Obſt ohne jede Vorficht und in unbegrenzten Maſſen zu ge nießen. Die wenigen fremden Kinder in Bangkok ſcheinen ſich einer guten Ges ſundheit zu erfreuen und ſich weniger kraftlos zu fühlen als di meiften berer, die in den beißen Klimaten Oftindien’s leben. MLTT- Die epidemiſchen Krankheiten, welche der Kindheit —— * wenn übers

Siam und die Siamefew. 501

haupt befannt, zeigen fich in ihrer mildeften Form und verurfachen wenig Leiden oder linbequemlichkeit.

- Die Blattern find die fchlimmfte Geißel für das Land, und die Impfung ift erſt jüngft durch Miiftonaire eingeführt worden. Die Schwierigfeit, gute Lymphe zu befommen, war bier ein Haupthinderniß; nun aber, da die Verbin dung mit Eingapore regelmäßiger und leichter geworden ift, dürfen wir hoffen, daß der Gebrauch der Lymphe allgemein werden wird. Die beiden Könige fammt ihren Savoritinnen und ihren Kindern find geimpft worden, und die Eingebornen unterziehen fich bereitwillig der Operation, in der Meinung, daß ihnen daraus eine übernatürliche Wohlfahrt erwachfe. Das Studium ber Mebicin ift zu einiger Ausdehnung gelangt, und die eingebornen Aerzte haben feine geringe Meinung von ihrer Gefchicdlichkeit. Jeder von ihnen wählt fidh einige-befondere Krankheitsformen, denen er feine ganze Aufmerffamfeit wid« met. Sie gebrauchen ihre eigenen Arzneien, welche hauptfächlich aus Kräutern beftehen ; toch ſah ich auch ein Recept, auf welchem Hirſchhorn und Krötenhaut als Veſtandtheile der Arzenei figurirten.

Es ift ſtets ein intereflantes Experiment, einen Haushalt in einem frem⸗ den Lande anzufangen, ofne die gewöhnlichen Quellen civilifirter Länder zur. Hand zu haben. Diefe Erfahrung machte ich in vollem Maße in Bangfof. Das Haus verlangte fo manche Anordnung und Einrichtung zum Bedarf und zur Bequemlichkeit der Familie, und das follte hergeftellt werden, ohne daß irgendwie paflende Mittel zu Gebote ftanden. Es gab weder Töpfe noch Pfan⸗ nen, nicht3 von al!’ den zahlreichen Erfordernifien, deren Werth kaum bes kannt oder beachtet erft bei dem Mangel derfelben fühlbar wird. Bei einem Berfuche, etwas Backwerk zu machen, wurde ich mit Schreien gewahr, daß weder ein Rudelbret noch eine dergleichen Walze zu Haben waren; und ald deren Stelle durch den Dedel einer Kifte und eine leere Flaſche vertreten waren, tauchte eine neue Schwierigkeit auf: es gab keinen Badofen. In meiner Roth war ich ftolz darauf, mir einen folchen erfunden zu haben, in welchem zwei große ungebrannte irdene Pfannen den Hauptbeftandtheil bildeten; dieſer Ofen Teiftete ſechs Wochen hindurch in einer nicht zu verachtenden Weiſe feine Dienfte, Es war natürlich in unferer Stellung nothwendig, einen gewiſſen Schein aufrecht zu erhalten, und es war unmöglich, fich nicht an den mancherlei Tiftigen Aus wegen zu ergögen,, zu denen wir biöweilen unfere Zuflucht nehmen mußten.

Der Marft, obgleich in Ueberflug mit Lebendbebürfnifien verſehen, bot doch fo wenig Abwechfelung , daß es Feine leichte Arbeit war, eine gut beſetzte Tafel herzuftellen. Bon Hühnern Enten, Eiern, Damd (Brodwurzeln) und Obft waren unerfchöpfliche Vorräthe vorhanden. Auch Wildpret war während eined großen Theiles des Jahres Teicht zu haben; da aber Feine beſtimmte Frage Darnach war, brachten e8 die Eingebornen auch nicht regelmäßig zu Marfte.

ALS einmal eine größere Geſellſchaft bei uns zur Mittagstafel geladen war, dachte ich etwaigen Verlegenheiten dadurch zu entgehen, daß ich tie Beihülfe der Oberköchin des Königs (Angelina war ihr Rame) für mich erbat. Durch einen Dolmetfch, Namens Victor, wurde die Sache eingeleitet: ſie follte einen jungen

fangen zu laſſen. Was die ben fo Hatte Ber-rcmd: in feinen Ana firengungen,, welche zu fangen, feinen Erfolg gehabt; Die Wahrheit aber war, daß er zu faul gensefen, fich Die nöthige Mühe zu geben. Jeht war ich in der Klemme; bald nach ſechs Uhr jollten die Gäfte eintreffen; mir blieb nichts, als Hühner und ber Math, den ich mir aus einem Kochbuche holte, und von dem m den Tiſch fapen, mußten bio8 wei," vapiallermir. nit genauer Notb tem Falten entgangen warn. 700000 Doch nicht das Anordnen im Kausftande allein war es, was Scharffinn erheifchte; oft mußte ich mich am ben Wafchtrog ftellen, > und ſelbſt Simmern mannd» und Tiſchlerarbeit und dergl. bedurfte einer Aufſicht; denn diejenigen, welche Diefe Handwerfe betreiben, haben oft feine klaren Begriffe darüber, wie die Füße an einem Tiſche zu befefligen find. Es ift ein ſchweres Städ Arbeit, in Siam die Ausftattung eines Hauſes, jelbft in der roheften und urwüchſigſten Art, zu beforgen. Zunächſt gilt es einen Zimmermann zu finden, ober beſſer fich zu ſchneiden. Nachdem man ihn für eine beftimmte Zeit im Dienft geuom⸗ men und den Arbeitslohn bedungen hat, muß man ihm Geld zum Ankauft von Holz, Nägeln und anderem Material anweiſen, was Alles in's Haus ges bracht wird. Dann ift e8 mothwendig, dem Handwerker die anzufertigenden Gegenftände vorguzeichnen und ihm das genaue Maß jeder Sache anzugeben da er aus fich jelbft nichts entwerfen Fan; und wenn man ihn unterwieſen bat; verfucht er gewöhnlich das Gegentheil von Dem zu machen, was man von ihm verlangt, Eine unaufhörliche Wachſamkeit ift mothwendig, damit der Orgen- ſtand, den er unter den Händen bat, nicht durchaus unbrauchbar werde, Eins mal, als ein Speifefchranf unter ftrenger Aufjtcht nahezu fertig geworden war und unfere Aufmerffamfeit ein wenig nachlich, wurden die Thüren deffelben fe vernagelt und zufammengeleimt, weil der Arbeiter glaubte, daß Das Kunſtwert nur angefertigt fei, um als Zierrath im Zimmer aufgeftellt zu werden. Die Siamefen geben Feine guten Dienftboten ab, denn fie find von Natur aus aͤußerſt faul, Sie dienen eine kurze Beit lang, bis fie eine hinlängliche —— von Tirals*) erübrigt end um ſich einige * ernaͤhren zu kon⸗ Bur EEE ie, *, Ein Tiral iſt etwas mehr als ein Gulden RR

Sam und die Siamefen, | 503

nen; dann erklären fie, fie felen von der Arbeit müde und müßten nach Haufe geben und ausruhen. Die Lebensmittel find außerordentlich wohlfell, ſo daß die Eingebornen mit einer unglaublich Fleinen Summe auslommen Tönnen, Ein Tiral reicht aus wie man jagt —, um für einen Monat die Kof eines Siamefen zu beftteiten; und bat er Nahrung, fo ift er zufrieden, denn andere Ausgaben, wie etwa die Bezahlung einer Schneiberrechnung, können feiner Kaffe begreiflicherweife feinen empfindlichen Abbruch thun.

Das eigenthümliche Syſtem der Sklaverei, das hier befleht, bringt gleich“ falld eine Schwierigkeit mit ih, wenn man Dienftboten mieihen ober halten will. Jeder Siameje unter einem gewiflen Range ift Sklave, und wenn er nicht irgend einem Anderen gehört, ift er Eigenthum des Könige. ES iſt eine ge linde Form der Sklaverei; fobald Urfachen zur Klage beftehen, fann der Sklave zu jeder Zeit feinen Herrn wechfeln, indem er jeinem biöherigen Befiger das Kaufgeld bringt, welcher ihn dann ohne Anftand feiner Wege gehen lafien muß. Die Mijftonäre und andere Bremde gingen mit dem Plane um, Diener, welche in ihrer Stelle zu bleiben wünfchten und verfprachen, fich nüglich zu machen, nominell zu Faufen und ihnen zu erlauben, für bad Kaufgeld zu arbeiten, bie ste fich ihre Freiheit erwirkt Haben. Dieſer Plan dürfte offenbar auf YBider, ipruch flogen, doch fcheint es die einzige Sicherheit gegen den Iäftigen unaufhör- lichen Wechfel der Diener zu gewähren.

Den Sklaven ift erlaubt, fich jelbft zu verdingen; doch müften fie den größe ten Theil ihres Lohne ihren Beflgern auszahlen, und fie hoffen, Dadurch end⸗ lid) ihre Kreiheit zu erlangen. Diefe Hoffnung wird aber durch die Beflger vereitelt, welche den Werth des Sklaven, fo wie jeden Lohn, den er verdient, mit hoben Zinfen belegen, fo daß die Schufd eher wächft als ſich vermindert. Bon diefem Umflande rührt e8 her, daß die meiften Dienftboten eingevanderte Chineſen find, welche ſich Hier einbärgerten und einen großen Theil der Bevöl⸗ ferung bilden. Sie find überall ausgezeichnete Diener, unvergleichlich in ihrer Auffafiungsgabe; aber fle Iernen auch fehr fchnell ihre Herrichaften betrügen. Die Siamefen lafien wenig Hoffen. Es mag ein wunderliches Begehren für einen Diener fcheinen, wenn er um die Erlaubniß anhält, zwei oder drei Stuns den Mittagsruhe halten zu dürfen: bie Siamefen werden dieſen Luxus unter feiner Bedingung aufgeben, und fie find nicht geneigt, ihre Arbeit fortzufegen, ehe nicht die Stunde der Sieſta vorüber if. Sie haben eine wahre Furcht vor der Arbeit. Ich habe oft Entfihuldigungen der Dienerin hören müflen, wenn ich in mein Schlafzimmer ging und fie halbfchlafend in einem Zuftande von Er⸗ ſchöpfung an der Wand lag, während das ungefehrte Zimmer von ihrer gerins gen Dienftbeflifienheit Zeugniß ablegte. Eine Ermahnung traf immer nur bie Antwort: Es fei fo heiß, fie fei fo müde und könne nichtö mehr thun. Da war ed denn nothwendig, auf der Stelle felbft Stubenmädchen zu fpielen, waͤh⸗ send die arıne, ermübete Zofe ruhig am Boden faß und zufah, wie ich den Bes fen tummelte. Hätte ich verftanden, auf flamefijch zu ſchelten, höchſt wahr- ſcheinlich würde fle meinen Dienft verlaffen haben, und ich hätte von Neuem die Mühe gehabt, das Bett machen zu lehren. Die Kunft aufzubetien ift ein uner⸗

18 Leintuch oder Die Oberdede zuerſt hineingelegt wird, und am liebſten breitete ſie die Decke ſorgfaͤltig uͤber die Matratze, legte Darauf bie Ober- => dann Dad Leintuch, die Polfter und ganz zuletzt das Kopffifien. Eine dere tägliche Plage für ihren Geift war, unſer kleines Kind anzuziehen; das war für fie eine Mebeit ungebübslisher Art und die Ordnung, im welcher die Kleider übereinander angezogen wurden, blieb ihr ein umauflößliches Räthſel. Nach einigen ihrer Verjuche Fam das Kind berunter, bie Unterkleider über dem Rod; ein anderes Mal waren bie e jorgfältig über die Schuht a er eo 7 oeee —— ©) Dicht bevö

Morgen nach. unferer Ankunft, als wir beim ameritanifchen.&e ten, bemerften wir eine große Aufregung unter der Dienerſchaft. Stühle und Tische wurden weggeführt ; Porzellangeichire und Gläfer verſchwanden, und be— ſtaͤndig gingen Boten ab und zu, anſcheinend im Dienfte eines benachbarten Fürſten. Die Neugierde regte fich natürlich in uns, ‚und wir fragten ; ob ie Vornehmen bier zu Lande die Gewohnheit hätten, bie Geraͤthe und das Eigen» thum Fremder auszuborgen. „Nein war die Antwort im Allgenteinem thun ſie das nicht; aber der Prinz, unſer mächjter Nachbar, betrachtet ſich ale dazu bevorrechtet. Er ift im Begriffe, jeine Mutter zu verbrennen, undträgt darum Sorge, einige Tafelgegenftände für Die bei ſolchen Gelegenheiten gewöhn—⸗ lichen Beftlichkeiten auözuborgen!’ Jetzt erſt erfuhr ich, daß die alte Dame aeitorben jei und daß ihr Leichnam auf dem Plage vor einem benachbarten Tem⸗ pel verbrannt werden folle, wo der Scheiterhaufen ſchon aufgerichtet war, Die Vorbereitungen zu Diefer Geremonie nahmen viele Tage in Anſpruch, weil drei Leichen aus ber königlichen Bamilie zugleich verbrannt werben follten: es waren nämlich ein Oheim des Königs und eine Prinzeſſin um diefelbe Zeit geſtorben, wie jene-alte Füritin, Wir wurden zu der Felerlichkeit eingeladen, Ic; wünfchee unferen: Beſuch fo einzurichten, daß wir nicht Zeuge des: zu fein brauchten, ba ich mir dachte, daß ein ſolcher Anblick kein angeneh— ner fein könne; allein trogdem langten wir gerade in dem Augenblide an, ald ber Oberprieſter mit vielen Kniebeugungen und mancherlei Förmlichfeiten ben Scheiterhaufen anzündete, Die drei Särge hatten die Geflalt von Urnen, mas ren etwa drei Fuß boch und mit goldenem Laubwerk bedeckt, aber nicht weiter verziert. In diefen befanden fich die bereits einbalfamirten Leichname in fügen» der Stellung, an den Knien feſtgebunden. Die Urnen felbft waren von Eiſen, der Boden einer jeden war vergittert. Die Todten, in denſelben verborgen,

Siam und die Siamefen 505

waren in Progeffion Herbeigeholt werben, begleitet vom einer umgeheuren Menge von Prieftern und Wehklagenden bis zu dem Orte, wo ſie verbrannt werben follten; bier war.ein großer Pavillon. erbaut, verziert mit Flaggen und Blumen und mit weißem und carmoifinrothem Tuche bebangen, in der Mitte war ein erhabener Söller mit drei eingejchnittenen Löchern, unter welchen das Material, zu bem Feuer aufgehäuft war. Die Urnen fanden nun darüber, das Feuer wurde angezündet, und bie Leichname verbrannten ſchnell, während die Afche in die Gluth binabfiel. Die leeren Urnen wurden fortgefchafft, bevor wir den Platz verließen, und feine Spur ihres früheren Inhaltes war fichtbar. Aller wibderliche Geruch wurde wahrfcheinlich Durch den Weihrauch, den die Priefter anzündeten, und durch das wohlriechende Holz, mit weldyem das Feuer untere halten wurde, verfcheucht. Es war dies eine hohe Beierlichkeit, und beide Könige erfchienen dabei mit all ihren Weibern. Wir fonnten und alle glüdli preifen, ald Zeugen dabei zugegen gewefen zu fein. Die Priefter und alle die jenigen, welche im entfernteften Grade mit den Berftorkenen verwandt waren, waren weiß gefleidet und trugen Gürtel von berfelben Farbe flatt ber üblichen carmoifinrothen oder blauen Gewaͤnder; die Gemahlinnen der Könige und alte übrigen Frauen waren ohne Ausnahme gleichfalls weiß gekleidet, und Dies war dad einzige Außerlicye Zeichen ber Trauer. Feſte und Beluftigungen folgten; Spiele und Unterhaltungen aller Art, mit Sreigebigfeit für das Volk bereitet. Die Spiellemte in unmittelbarer Nähe des Pavillons fpielten eine Art son Trauerlied, dad, wenn auch von wildem Charakter, doc) mit feiner klagenden Melodie nicht unſchön war. Die Wirfung wurde durch den melancholiichen Ton aller fiameftfchen Inftrumente noch erhöht, ein Ion, der jelbft bei lebhaf⸗ ten und munteren Melodien nicht ungefällig ift.

Bei öffentlichen Feſten, wie das eben beichriebene eines iſt, beſchenken ber König und andere Glieder der föniglichen Bamilie die geladenen Gäfte mit Flei- nen Beuteln, teren jeder zwölf oder vierzehn Fleiner grüner, in dieſem Lande einheimifcher Limonien enthält. In jede Brucht ift eine der kleinſten Silber⸗ münzen,. Fuang genannt (im Wertbe etwa glei 8 Kreugern) eingedrückt; manchmal, aber jehr felten, trifft man audy goldene Fuangs. Aehnliche Limo⸗ nien werden mit vollen Händen in den großen Saufen des Volkes audgeftreut, damit diefe fich darum reigen. Oft ereignet e8 fich bei der Unterfuchung, daß die Brüchte leer befunden werden die Münzen find durch den Beaͤmten, wel⸗ cher damit betraut war, biefelben in der Frucht zu verbergen, entfernt worden.

Eine von den veranftalteten Beluftigungen war fehr einfacher Art. Die Geftalten verichiedener Thiere waren auf keineswegs unfünftlerifche Weife aus dickem, fteifem Leder audgefchnitten und auf Die Enden langer Bambusjtäbe ges ſteckt worden, und Diefe Figuren ließ man auf und abtanzen, während fie auf einen großen weißen Schirm, hinter welchem ein Brillantfeuer angezündet war, ihre Schatten warfen. Die Zufchauer bezeugten ihre Freude daran durch Jauch⸗ zen und Schreien. Diefe Luftbarfeiten wurden einige Tage fortgefegt.

Eine ähnliche Leichenfeier, die eined Sohnes des Königs, fand ftatt, nache dem wir etwa drei Monate in Bangfof gewohnt hatten, und auch dieſe war von

506 Lader und Volkerkunde.

demfelben Bompe und denfelben Spielen begleitet. Die Einladung an G. war von dem erflen Könige*) felbft in englifcher Sprache gefchrieben, doch war bie Ausdrucksweiſe, wie in den meiften Schreiben Sr. Majeftät, ziemlich ungeſchickt. Faſt alle Fremden der Stadt waren bei diefer Gelegenheit anwejend, und ihnen zu Ehren war ein Feſt in einem der Pavillons veranftaltet. Cinige von ihnen unterhielten fich damit, herumzugeben und bie Vorkehrungen zu belaufchen; zwifchen dieſe hatte fich einer vom hohen flameftfchen Adel gemijcht, der plöglich einen fchmerzhaften Reiz am Buße verfpürte; un feine Qual zu heben, ergriff er ohne Zögern ein Meffer von der Seite eined Tellerd und fragte mit demſelben einige Minuten lang bedächtig das ſchmerzende Glied, worauf er dad Meſſer faltblütig auf feinen Play zurüdlegte.

Die Ausfchmüdung eines Altars, oder beſſer gejagt, eines Schreines bei die⸗ fer Leichenfeier war höchſt feltfam. Die ganze Blattform und der Schrein felbft waren mit Blumen und aus Sruchtichalen ausgejchnittenen Thieren bedeckt; bis⸗ weilen war auch die Frucht ſelbſt als Zierrath benugt. ine indifche Eidechfe fiel beſonders in die Augen und hätte von einer wirklichen, lebendigen Eidechſe als Bruder begrüßt werden Tonnen fo natürlich war fie geformt; fie war ans der Schale einer Waſſermelone gemacht, und die eigenthümlich gelben Streifen in der Rinde diefer Frucht dienten, die Täuſchung vollfommen zu machen. Das Beländer um den Schrein war durch riele hundert Eleiner Garaffinen gebildet, weiche eines umgekehrt auf das andere geftellt und in Fleinen Reihen geordnet waren, oben anmuthig mit Blumenfrängen umwunben. (Household Words.)

*) Die Siamefen haben flets 2 Könige.

Die Hofe, ihre Hefchichte und Arten. Si. tr

't—

Wie alle Geſchichte an die Sage anfnüpft, jo auch die Geſchichte der Pflan⸗ zenwelt. Wir fehen regierende Blumengejchlechter aus den früheften Zeiten bis in die Gegenwart hereinragen, und meinen, daß Poefte und Wiffenichaft gleiche Rechte haben, ihrem Urfprunge wie ihrer Entwidlung nachzuforfchen, und daß Beides von allgemeinem Intereffe fein muß. |

Wir betrachten bier das Oberhaupt, die Königin der Blumen, die Moe, denn in diefem Meiche herrfcht nicht das ſaliſche Geſttz.

Ueber die Heimath der Rofe ift früher viel geftritten worden, Einige be zeichneten Aſien als das alleinige Vaterland, jedoch ſpaͤtere Forſchungen ergaben, daß fie faft über die ganze Erde verbreitet ift und jedes Land feine urfprüng- lichen Sorten hat. Die Annahme, daß fle überhaupt nur den gemäßigten Zo⸗ nen vom 20 bie 70 Gr. NR. Br. angehöre, hat fi auch nicht beftätigt, denn man hat in Rordamerifa bis zum 75. Gr. N. Br. die Rosa blanda gefunden, ebenfo wurden unter dem 20. Grad die Rosa Montezuma und in Abyfiinien bie Rosa Abyssinica gefunden. Natürlich giebt es auch folche Gelehrte, die, um nicht gegen die Bibel zu fündigen, dreift behaupten, tie Hofe entftamme einzig und allein dem Paradiefe, und fo wie das ganze Menfchengefchledht von dort aus fid; über die Erde verbreitet, habe es auch die Roſe gethan.

Mag man darüber denken, wie man will: Thatfache ift, Daß allerdings bie ſchönſte Rofe, die Eentifolie, ihre Heimath in jenem Himmelsſtrich Hat, wo nach Ueberlieferung alter Sagen das Paradies gelegen haben foll, alfo im nordweſt⸗ lichen Aſien.

Alle Dichtungen ber Vorzeit befagen, dag die Roſe urjprünglich von weißer Farbe war ; Anafreon läßt fle aus den weißen Meeresjchaum gleichzeitig mit ber Göttin geboren werden; als die Götter Anadiome erblickten, träufelten fie Nectar bernieder, wodurch die Roſen den füßen Duft erhielten. Rach Homer gab der Nectar ewige Leben, die Roſe empfing es aber nicht.

Auch der Orient, der fonft jo reich an Sagen ift, hat für die Entftehung der weißen Nofe feine, obwohl erzählt wird, daß das Original des Vertrages,

508 Eulturgefhichte.

welchen Salomo mit den Dichinnen, den Genien des Morgenlandes, abge ſchloſſen, auf Papier von weißen Rofenblättern mit Safran, Moſchus und Ro⸗ fenwaffer gefchrieben war.

Dichter und Dichterinnen ließen fte je nach ihrer Phantafle eniftehen, und wie die weiße Roſe das Sinnbild der Unfchuld, ift die rothe das Sinnbild der Liebe, Die Gelbe das des Neides. Pfeffel erzählt gar finnig ihre Entftehung:

Gieb mir, o Mutter alfo bat Cinſt Flora eine faum dem Schooße Des Nichts entftieg'ne weiße Role, r " &ieb mir der Schwefter Incamat. „Begnüge, Kind, Dich mit der Gabe, Die ih Dir eingebunden habe. Der Unfchuld Farbe ſchmückt Dich ja,‘ Sprach Flora fanft. Doc wer befehret Ein Herz, das Giferfucht bethoͤret? Sie murrt, fie ſchmollt. Als Flora fah, Daß fie die Mutterhuld mißbrauchte: „Nun wohl!“ rief fie erzürnt und hauchte Sie an: „So nimm, anfltatt des Kids Der Unſchuld, das zu Deinem Looſe, | Was Dir gebührt die Tracht bes Neids“, Und fo entitand die gelbe Roſe.

Krummacher erzählt in einer Parabel die Entftehung ber Moosrofe.

Bei den alten Völfern fpielte die Rofe eine durchweg bedeutende Molle, fte war eine ber Cypris gebeiligte Blüthe, da man annahm, fie fei mit Diefer zu⸗ gleich geboren. Im ihrer unnachahmlich zarten Blätterfülle von burchfichtiger Weiße und herrlichem Duft, galt fle ald Sinnbild jungfräulicher Reinheit und

geiſtiger Schönheit. Der heimlich Tiebende Jüngling wie die Jungfrau trugen zum Tempel der Göttin weiße Rofenkränzge. Als aber fo erzählt die Sage die Leidenfchaft der Liebe das Herz der Göttin ergriff, als fle erfuhr, bag ihr geliebter Atonis von einem grimmen Eber auf den Tod verwundet im Hain von Paphos liege, da eilte fie, ihrer zarten Füße nicht gedenkend, durch dornenreiche Rojenbüfche, deren weiße Blumen, von ihrem Blute überfloffen, feit jener Zeit ſich hochroth färbten. Sie fand ihren Liebling im Sterben, Zeus geftattete ihr, fein Andenfen durch die Verwandlung in eine Furz blühende Anemonc zu erhal⸗ ten, Adonis⸗Röschen genannt, das jedoch Feine Rofenart if. Man hat Frühe lings⸗Adonis (falſcher Rieswurz), Sommer. Atonid unter dem Getreide, Herbſt⸗ Adonis in den Gärten blühend.

Nach Herder'8 Paramothie bildet Aylaja die Lilie, Thalia und Guphro—⸗ fine aber weben die hundertblättrige rothe Roſe.

Rach einer anderen Sage entfland biefe bei einem frohen Götterfefte im Olymp. Amor in raschen, fröhlichen Tanze fich ſchwingend, ftieß mit feinen

-rofenrothen Flügeln eine Schaale mit Rectar um, biefer floß über die im Olymp blühenden weißen Rofenbüfche, fte färbten fich Dadurch rofenroth und erhielten den Föftlichen Duft.

Nah einer anderen Lesart iſt Flora die Schöpferin der rothen Rofe.

Die Rofe und ihre Geſchichte. 509

Bon Amor's Pfeil, deffen Liebe fie erft verjchmäht, ichmerzlich getroffen und nun in heißer Leidenſchaft für ihn entbrannt, und von ihm gemieden, fchuf ſie im fehnenden Schmerz die Blume: „welche lacht und weint‘ mit ihren Reizen, ihren Dornen. „Eros“ will fle rufen, al8 die entzüdende Blüthe ihrer Hand entiproffen ift aber jungfräulich ſchüchtern verichludt fie die exfle Silbe und nur die legte Sylbe „Ros“ tönt von ihrer Lippe, indem fie zart erröthet (Maidenbluſch) und ale „Roſe“ begrüßen alle Blumen des Haines die neus geborene Schweiter.

Voß läßt die Roſe uber bie Küffe erröthen, die Zeus den Horen geges ben babe.

Tieck läßt die rothe Rofe aus den Umarmungen der Kiebe, ihrem Sträuben und Ergeben hervorgehen.

Rapin*) erzählt, daß Apollo die in unheiliger Liebe verfolgte ſchöne Rho⸗ Dante, Königin von Corinth, die in feinen Tempel flüchtete, in einen Rofenftrauch mit Dornen verwandelte, um fie den Zudringlichfeiten ihres Verfolgers zu ent⸗ ziehen daher ward fie „Blumen⸗Königin.“

So werden noch mehrfache Paramythien finnvoll erzählt, worunter die ter ichönen Rofelia auch ganz anmutbig ifl. Nach diefer entftand der Roſenſtrauch aus der Neue der Artemis, die jene aus Giferfucht tödtete, und den Tihränen tes Eros.

Die Muhamedaner laſſen die Roſe aus den Schweißtropfen ihres Prophe⸗ ten enffpringen, und die indiſche Sage läßt eine der Frauen des Wifchnu, die Pagota-Siri, aus einer Hofe geboren werden.

Eine Blume, die, wie die Hofe, in Form, Barbe und Wohlgerudy Alles vereinte, was es Schönes gab, mußte ſich bald allgemeine Verehrung erringen, und jo fehen wir, daß Oriechen und Römer bie Tempel ihrer Gottheiten mit Roſen ſchmückten, dag Lebende und Todte ald Zeichen hoher Verehrung gleichen Schmud enpfingen. Die Italiener befränzen heute noch ihre Todten mit weis Ben Rojen.

Auch legte man in früheren Zeiten der Roſe eine Fülle mebicinifcher Kräfte bei. Oribaftus, Actuarius, Marcellus und Celſus, fo wie Andere, fprechen in pharmaceutiſchen Schriften davon; die Gegenwart erfennt diefelben nicht an, doch Hat fie Hinfichtlich ihres Parfüms noch Feine Rebenbuhlerin bis in die neueſte Zeit aufzuweiſen.

Das Roſenöl ſowohl als das Roſenwaſſer bringt große Summen in Um⸗ lauf und iſt auch heute noch ein ſehr bedeutender Handelsartikel. Das orienta⸗ liſche Roſenöl hat ſich als das vorzüglichfte im höchſten Werth erhalten.

Millionen von Gedichten verberrlichen dieſe wundervolle Blüthe, ja man kann behaupten, daß e8 feinen Dichter auf Erden gegeben, der nicht zum Preis ter Roſe jeine Leier erklingen ließ.

Im Palaſt und in der Hütte ift fie ein beliebter Saft. Die erſte Roſe im

*) René Rapin, geboren zu Tours 1666, ein Jeſuit, fchrieb u. a. ein Gedicht über Gartenbau.

510 ..Gulturgeſchichte.

Lenz iſt die ſchönſte Liebesgabe. Eine getrocknete Roſe auf vergilbtem Blatte im Buch weckt durch den wunderbaren Duft, den fie Fahre hindurch ſich bewahrt, ein Meer von Erinnerungen in der Bruft des Beflgers! Cine Mofe auf dem Grabe eines geliebten Todten ift ung ein Heiligthum.

Die Griechen trugen während der Trauer um Verftorbene Guirlanden von Noſen um Bruft und Stirn ald Symbol der furzen Dauer des Lebens, das eben fo rafch dahin welft, al8 die duftige Roſenbluͤthe.

Die Grabmäler und Urnen der Verftorbenen wurden mit Roſen beftreut, in ber Ueberzeugung, daß fle die Ueberrefte vor Zerftörung ſchützten und den Ab⸗ gefchiedenen angenehm wären. Anchiſes verlangte Rofen, um fie auf dem Grabe des Marcellus zu entblättern, und Antonius bittet die Kleopatra, fein Grab mit Mofen zu beftreuen. Limmiad von Theben Ipricht in einem Epigramm auß, welche Pflanzen das Grab des Sophofles fchmüden follen:

Leif’ umfangt den Hügel des Sophofles, Ranfen des Epheus, Breitet das grüne Gelock über des Schlummernten Grab; Rofen, entfaltet den Kelch, den purpurnen; über dem Hügel Gieße der Meben Geflecht traubenbelaten ſich her;

Schöne Eymbole ter Kunft, die im Chor der bimmlifchen Mufen Und ver Grgzien einf finnig der Hohe geübt.

Als Sinnbild der Unfterblichfeit hatte die Rofe die Kugelgeftalt empfan⸗ gen, die, alles Bollkommene entfaltend, Anfang und Ende mit einander vereinte, und fo Lie Ewigkeit in fich ſchloß. Die Theffalier ſchmückten das Grab des Achil⸗ led mit Amaranthen, ebenfo fpielten Peterfilie und Myrthen ihre Rolle bei Bes erdigungen, doch hatte die Roſe überall Den Vorrang.

Die Egypter hielten gleichfalld viel auf Blumenopfer; noch heute Tiegt im RU zwifchen Philae und Elephantine die zum Begräbnißort-beftimmte Infel, die den Nanıen „Blumen-Infel” führt und nur von den Prieftern betreten werden durfte heute wird fle von Engländern und Deutfchen vielfach befucht und durchforſcht.

Die Römer nahmen an, daß alle Blumen, welche weiß oder hochroth wären, den Todten bejonders angenehm feien, von den Werth aber, den fie auf die Roje legten, fprechen aufgefundene uralte Infchriften, welche befagen, daß laut ihres legten Willens Legate ausgefegt waren, um alljährlich ihre Gräber mit Roſen zu ſchmücken. Wie die Katholiken Echenfungen machen, damit alljährlich an ihrem Todestage eine Meſſe geleien werde, fo heißt es mehrfach:

... „Donavit sub hac conditione, ut quot annis rosas ad monumentum deferant.“

Gr hat es unter diefer Bedingung gefchenft, Daß fie jährlih Nofen zu feinem Denkmal bringen.

Entehrend war ed, wenn auf dem Grabe Dornen und Difteln wucherten, e8 bejagte, daß dort ein verhaßter Menich ruhe.

So war die Rofe ſchon im Alterthum da8 Bild der Freude wie des Schnier« zes. Dſchami legt einer griechifchen Kaijerdtochter das Näthfel in den Mund:

Die Rofe.und ihre Meſchichte. 511

„Nenn' mir die Blume, Welche lacht und weint, Und Luft und Schmerz in ſich vereint.“

Derjenige ihrer Sreier, der es errieth, erhielt die Hand der Gefeierten.

Auch erzählt Dſchami, wie in Aflen, in einem alten Königreiche, ein Ges ſetz beftand, dag wer einer Prinzeffin eine Roje darbrachte, von ihr begehren fonnte, was er wollte, und fie es unter allen Umftländen gewähren mußte. Er fnüpft einige Erzählungen daran, die fehr nach Dem Decameron des Bocaccio ſchmecken.

Auch zierte eine Roſenkrone das Haar der Neuvermaͤhlten, und mit Roſen⸗ blättern war das bräutliche Lager beftreut; bei feierlichen Handlungen fegte man ſich Rofenkränze auf, fo ward nad) Euripites Iphigenia in Aulis mit Nofen befränzt zum Opferaltar geführt. War in irgend einen Haufe eine Braut, fo umwand man die Thürpfoften mit Rofenguirlanden.

Man bewarf fi) auch mit Roſen, und bei den Umgängen der Korgbanten wurden auch der Statue der Städte befchügenden Cybele weiße Rofen zugeworfen.

Bei gejellichaftlichen Zufammenfünften wurden die Zimmer mit Rofen bes freut, damit während des Schmauſens ein angenehmer Duft ſtets emporfticge.

Weil jedod auch fchon damald das Sprücdwort: „Wovon das Herz voll ift, geht der Mund über‘, Ocltung hatte (in vino veritas), fo ließen fich die Alten bie Rofe vom Amor dem ernften Harpokrates, dem Bott des Stillſchweigens, zum Gefchenf machen und die Blume dadurch zum Symbol der Berfchwiegenheit weihen. Als ſolches hing man bei Baftmählern eine Roje über die Tafel, um durch ihren Anblid daran zu erinnern, daß die oft ſehr Heiteren Tijchgefpräche nicht weiter audgeplaudert werden follten. Bon diefer Sitte ſchreibt ſich die Medensart: „sub rosa dietum“ ber, die im Alterthum auch heilig gehalten wurde, und die man wieder einführen follte.

Suetoniud erzählt von Nero, daß diejer zu einer einzigen Abendmahlzeit für 30,000 Pfund Rofen Faufte; die Oden des Horaz geben auch Belege, wel« hen Luxus man damit trieb. Kleopatra, wird berichtet, habe zu einem Bankett für ein Talent*) Nofen gefauft und von dieſen einen Teppich 1!/2 Buß hoch legen laſſen. Den Gäften wurden auch Kronen und Guirlanden gereicht, die fle auf's Haupt fegten oder um den Raden wanden. Der Herr ded Hauſes mußte, fowie Diejenigen, welche die Säfte bedienten, mit Roſen bekraͤnzt erſcheinen; auch um⸗ wand man die Trinkſchalen mit Blumen.

Anakreon ſagt, daß eine aus Roſen gewundene Krone als Einladung zu irgend einer Feſtlichkeit angeſehen ward. Auch legten Viele der Roſenkrone die Eigenſchaft bei, daß ſie vor Trunkenheit ſchütze, und wanden fie deshalb um die Stirn:

„Copia mihi coronam in caput, assimulabome esse ebrium.“

„Ich ſetze einen Kranz auf mein Haupt, um mir den Anſchein von Nuͤchternheit zu geben.

Andere Zeiten, andere Sitten heute würden wir einen in dieſer Weiſe ſich Vekränzenden für entjchieden beraufcht halten.

*) Talent war bei den Alten die Bezeichnung für eine Summe Gelder.

512 CLulturgeſchichte.

Durch die vielen Uebertreibungen aber kam die Roſe endlich in Mißachtung und galt als ein Bild der Schwelgerei und Weichlichkeit. Den Beleg hierzu gab der Sybarite Smindirides, der wegen der Falte eines Roſenblattes auf ſei⸗ nem Lager die ganze Nacht nicht ſchlafen konnte.

Ganz im Gegenſatz hatte vordem die Roſe als Sinnbild des Muthes gegol⸗ ten, denn Aelian berichtet, daß, ehe die alten Gallier in eine Schlacht zogen, ſie ſich ſtatt der Helme Roſenkraͤnze aufſetzten, um ihren Muth anzudeuten.

Als Scipio Afrikanus der Aeltere nach dem Siege über Hannibal als Triumphator in Rom einzog, trugen die Soldaten der achten Legion, die zuerſt in das karthaginenſiſche Lager eingedrungen waren, Roſenzweige in den Händen und verzierten als Zeichen ihres Ruhmes, den fle errungen, Ihre Schilde mit Roſen.

Auch Scipio Afrikanus der Jüngere gab der elften Legion, die bei der Zer⸗ ſtörung Karthago's zuerft die Mauern der Stadt eritiegen hatte, die Erlaub⸗ niß, ihre Schilte mit Rofen zu jchmüden, auch ließ er den Siegedwagen init Roſen bektaͤnzen.

So zieht ſich in Ernſt und Scherz ein Roſen⸗Cultus aus den früheſten Tagen der Vorzeit bis in die Gegenwart herüber, und wer möchte ſich dieſem ent⸗ ziehen? Plinius, der die Roſen zuerft wiflenfchaftlich betrachtete, fagt von ihr: „ſie wächft auf einer dornigen, mehr Frautartigen Pflanze, ähnlich der Brombeere.

„Sie hat einen angenehmen, nur in der Nähe wohlriechenden Duft. Die ganze Blume eniſprießt einem Kelche, der voller Samen fich befindet, in furzer Zeit anfchwillt und am Ende zugefpigt erfcheint.

„Die Blume wächft, öffnet und entfaltet ſich flufenweife und enthält in der Mitte ihres Kelches die geraden gelben Staubfäden. Er gibt elf Sorten an, die man damals Fannte und pflegte:

1. Rosa Praenestine, 2. Rosa Campana, 3. Rosa Milesia, 4. Rosa Trachi- nia, 5. Rosa Alabandira, 6. Rosa Spineola, 7. RosaCentifolia, 8. Rosa Graeca, 9. Rosa Graecula, 10. Rosa Moncheuton, 11. Rosa Coroneola.

Außer dieſen erwähnt er noch vier geringerer Gattung: Rosa alba, palida, spinosa und quinquefolia.

Don diefen elf Sorten, fagt er, ift die von Campania die frühefte, Die Roſe von Pränefte die fpätefte, welche blüht.

Die Mileſiſche Roſe war zart und glänzend von Farbe, hatte aber nur zwölf Blumenblätter ; fie Fam, wenn die erftere verblüht war.

Die beiden nächflfolgenden waren nur bleicher in der Farbe, die Rosa spi- nola aber hatte eine große Zahl jehr Eleiner Blumenblätter; fle hatte feinen Werth, Doch cultivirten fie die Griechen mit Erfolg.

Die Rofe Graeca, bei ten Griechen Lychnis genannt, hatte nur fünf Blu— menblätter; Plinius fchiltert fie in Geftalt einem Veilchen ähnlich, jedoch geruch« [08. Die Graecula hatte breite, zu einem Blatte zufammengejchloffene Blätter, die durch Ten Drud der Hand ſich öffneten. Roſe Moncheuton Hatte der Olive ähnliche Blumenblätter und wuchs auf einem der Malve ähnlichen Stamme,

Die Rofe und ihre Seſchichte. 513

indeß Die Coroneola eine Herbſtroſe war von mittlerer Groͤße und bie einzig wirflich duftende.

Die dritte und fünfte hatten ihren Ramen von ihrem Standorte, Milesia und Alabandira; ſie waren fremden Urfprungs, die erftere aus Miletus, einer Stadt auf Ereta, die Iegtere fand man zuerft in Alabanda, einer Stadt in Ca⸗ rien in Kleinaften.

Die Trachinia war aus Theſſalien.

Unter ben Gelehrten find nun viele Streitigkeiten, ob und welche dieſer genannten Binmen wirklich Roſen waren. Gewiß ift, daß die von Plinius bes nannte Rosa Graeca nicht zu den Roſen gehörte, fondern eine Lychnis (Pech« nelfe) war, und von den Griechen auch jo benannt wird; ihrer fchönen Farbe wegen ward ſie vielfach in Kronen eingeflochten und erhielt deshalb den Ramen „Lychnis Coronaria.“

Die Rosa Canina zählt Plinius nicht zu den benannten Sorten, doch hatte fie in Rom viel Geltung ; die Blätter des Strauches, fagte man, trügen den Abe brud eines Menjchenfupes. Theophraſtus fagt von ihr: „‚fle trägt rothe Früchte.” Es ift unfere Heckenroſe, die durch ganz Europa wild waͤchſt; durch ten Stich eines Infektes bekommt fte einen Auswuchs, Fungus Cynosbati, aud) Roſen⸗ ſchwamm benannt, er ward in früheren Beiten mediciniſch, namentlich als zu⸗ fammenziehendes Mittel und zum Gurgeln benutzt. Wir finden bei näherer Unterfuchung in diefem ſtachlichen Auswuchs den Wurm Cynips rosae, Plinius eitirt auch Beiſpiele, Daß die Wurzel der Rosa Canina ein Heilfames Mittel gegen den tollen Hundebiß fei.

Die von Iheophraftud angegebenen vier Sorten reduciren ſich auf zwei Rofaceen nach unferem heutigen Begriff über Roſen. Einige Gelehrte haben fogar beftritten, Daß Theophraſt jemals Roſen gefehen habe, fo ungenau fei feine Befchreibung berfelben.

Bon den berühmten Rofen von Päftum erwähnt Plinius nichts, und doch haben die römifchen Dichter gerade biefe zweimal blühenden Rofen befungen. Virgil, Martial, Ovid und Andere haben fle verherrlicht; Letzterer fagt:

Nec Babylon aestum, nec frigora pontus babebit, _ Caltbaque Paestanas vincet odore rosas.

Farbe und Duft feheinen gleich herrlich gewefen zu fein, auch müffen fie in üppiger Bülle um Päftum geblüht Haben. Wir befigen Feine fpecielle Bes fchreibung dieſer Roſe, einige haben vermuthet, Plinius habe Die Campaniſche Roſe damit gemeint, doch ift das nicht erwielen.

Die wilde Roſe, welche jegt noch zwifchen ben Ruinen von Päftum wächft und dem Reifenden von den Wundern der Vorzeit erzählt, ift eine einfache Da⸗ mascener Rofe, die im Srühling und Herbſt voll des füßeften Duftes und Helle farbig blüht. j

Seume, der 1802 dort war, behauptet, Feine Rofen dort geſehen zu haben, und erzählt, daß er feinem Fuͤhrer gerathen Habe, dort Rofen anzupflanzen, das würde ihm einen Piaſter Einnahme verfchaffen.

IV. 33

514 Culturgeſchichte.

"Dagegen fingt Matthiffen: 00000

„Gleich Päftum’s Roſen duftet und blüht der Kran 4 mt er Den Deine Stirn beſchattet u) im > wre Auch ſchon zu Plinius’ Zeit eultivirte man Rofengärten wie heute bei ums, Die Rofarieen, jagt er, werden im März und April umgegraben und für den neuen Zuwachs empfänglich gemacht. Die bebeutenbften Rofarieen befan- den fich um Paͤſtum. Auch wurden Die Nofen häufig aus Samen aufgezogen, das Wachsthum aber, bemerkt Theophraftus, währt deshalb fo lange, weil ber Same innerhalb der Rinde unter der Blume eingeſchloſſen liegt, er raͤth daher zur Anpflanzung von Stecklingen. .— Dieſe wurden vier Finger lang geſchnitten und-im Aprik eingefeht; nach Jahresverlauf aber einen Buß breit von einander verpflangt, Gig aufgelockert. era “ri Bill man ſie früher als gewöhnlich zur Blüthe bringen, Fagt Print, fo begiepe man fie mit warmen Wafler; er gibt die Entwidelung des Kelches ala die günftige Zeit hierzu am. Man pflanzte fie, indem man Rofenwurzeln in Kränze wand, damit fie Tcbendige Blüthen trugen in Zöpfen, mehr aber noch wur⸗ den fie in Körbe gepflanzt: täglich zweimal mit erwärmten Waſſer begoflen, meint Demofritos, fo blüht die Rofe im Januar. Dagegen behauptet Floren⸗ tinus, daß, wer eine Roje auf einen Apfelbaum pfropfe, die Freude haben werde, fie im April blühen zu feben, genau zur Zeit ber Apfelblüthe, vırnad Auch hatten die Alten die Gewohnheit, Nofenbäume berunterzufchneiden und zu verbrennen, wodurch, wie fie annahmen, fle im mächften Jahre reichere und fchönere Blüthen brachten. Auch follte der Duft der Roſe erhöht werden, wenn in ber Nähe des Nojenftodes Knoblauch wachſe. Die Sympathie und Antis pathie der Pflanzen zu einander ift auch von ihnen beobachtet, fo a. Be, daß eine fränfelnde Orange Durch eine ihr nahe gepflanzte Eypreffe genefe, und umgekehrt. Fruͤhzeitig im Jahr Roſen zu haben, hatte hohen Werth, umd wurden biefe, wie heute bei und, für hoben Preis verkauft, denn, heißt ed im Material; 1 „Bara jovant: primis sie major gratia pomis, j Hibernae pretium sic meruere rose. „Seltenes beliebt: fo wirt mehr Gunſt den frühen Aepfeln, So empfangen bem Preis, Rofen im Winter gepflüdt.” Auch ein Epigramm des Krimagoras befagt, daß er feiner Gattin Rofen im —— darbrachte, er ließ dieſelben alfo ſprechen „Vormals blühten im Renz die Mofen nur; mitten im Winter Dringen aus hüllendem Schooß jego die Knospen hervor, Dir entgegen zu blüh'n. Wir lächeln dem frohen Geburtstag, Und dem andern, der Dich Deinem Gemahle gebracht.

Denn das göttliche Haupt des fhönften der Meiber zu ſchmücken Dünft uns beffer als Dich, Sonne bes Frühlings zu fhau'n,“

In Berfien hatte man auch große Nofenfelder, und noch gegenwärtig fell es dort Sitte fein, zur Zeit der Mofenblüthe ſich mit Roſen zu beiwerfen, Bei diefem fogenannten Rojenfeft durchziehen junge Leute, meiſt Gaukler, die Straße

Die Roſe und ihre Geſchichte. 515

und bewerfen Alles, was ihnen begegnet, mit Rofen; der davon Betroffene muß ihnen dafür etwas fchenfen.

Reizend follen die Fefte auf den griechifchen Infeln bei den Chioten jein. Murhard in feinem „Gemälde des griechifchen Archipelagus“ berichtet ausführ⸗ lich darüber. Dort blühten die fchönften Nofen, die er jemals gefehen. In der Türkei und im jüblichen Rußland, unfern den Ufern des fchwarzen Meeres, ficht man ganze Felder mit Rofenbäumen bepflanzt; man nügt diefelben, inden man dort das gerühmte Del bereitet, das einen fehr erheblichen Handelsartikel bildet. Die Rofenwälder find jo praftiich angelegt, daß ſtets ein Kaſtanien⸗ oder ande rer höherer Wald diefen zum Schuß dient.

Dalaway erzählt in feiner „Reife nach Conſtantinopel“, daß er im Dorfe Belgard, am Bosporus, der Hochzeit zweier griechiſchen Bedienten des preußi⸗ ſchen Geſandten beiwohnte; nach der Trauungsceremonie mußte jeder Gaſt der Braut ein Geſchenk in den Schooß werfen, dafuͤr reichte ſie jedem eine Roſe, die mit Flittergold umwunden war und auf einem Zettel die Worte enthielt: „Gehet hin und thuet desgleichen.“ Auch wuchſen nach alten Urkunden die ſchönſten Roſen unweit dem heutigen Patras. Megara, Niſäa und Tenedos waren ebenfalls ihrer Roſen wegen berühmt. Ebenſo die von Magnefla, einer Stadt in Lydien, von den Türfen jegt Gyſel Hifar oder „das jchöne Schloß‘ genannt. Cyrene war nach Blinius, Egypten nach Herodot feiner Hofen wegen berühmt ; Letzterer fpricht von den Gärten des Midas und fagt, daß dort gefüllte Roſen wild wüchjen und füßen Duft aushauchten. Dort follen fte zwei Monate früher in Blüthe getreten fein, ald in Italien, und dennoch bis in den Herbft hinein geblüht haben. Man feßte oder zog vielmehr Rofenftämme durch alte hohle Baumftämme, oder auch durch hohle Marmorvajen in den Gärten, namentlich)

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in den Vividarien, und trieb die mit Taufenden von Knospen gefchmückte Krone .

alsdann zur Blüthe,

Im AltsHebräifchen foll der Rame „Roſe“ gar nicht vorfommen und man will Luther hiernach mehrfache Fehler in der Ueberfegung nırchweifen. Salomo fol 3.8. nie das Wort „Roſe“ nennen, das Luther dafür gibt. Gewiß ift es, daß die Ifraeliten die Roſe Fannten, jedoch unter welchem Namen ift unbefannt. Eine Menge Blumen befanıen in früheren Zeiten blos ihrer Farbe, ihres Duftes oder ihrer Lieblichfeit wegen den Namen „‚Rofe”, ohne daß fle nur das Ges ringfte mit diefer gemein Hatten. So z. 3. Adonisröschen, Herbſtroſe, Maienröschen, Guftroje oder Bubenroſe (paeonia oflicinalis), und andere derar⸗ tige Blumen.

Zur Vermehrung ber erften Roſenſtaude und ihrer Varietäten trugen bie Züge in’d Ausland, welche die alten Römer unternahmen, das Ihrige bei.

Sie brachten die verfchiedenften Sorten nad Italien. Als jpäter zur Zeit des Chriſtenthums fich Klöfter conftituirten, traten die Mönche ald Gärtner auf und pflegten in ihren Gärten Nutzpflanzen; zu diefen gehörte auch die Roſe, die in der Heilfunde feine unwichtige Rolle fpielte und das Hauptingredienz vieler Mittel war.

Die Kreusfahrer brachten aus dem gelobten Lande Die Rosa Damascena mit,

33 *

516 Culturgeſchichte.

welches die größte aller Roſen iſt und aus Syrien ſtammt, zumal bie große dunkel

carmoifinrotbe, die in der Mitte das gar * AD EN fo gleichſam

ihre eigene Sonne trägt. . N u Fur ' Die Nofaceen gehören in die fe Drang Yryöfen Gef, A hem

haaren befleidete Samenförner befinden fich an der inneren Wand berbeerenartig gewordenen Kelchröhre. Strauch und Baum tragen häufig unpaarig geftederte Plätter, die wie ausgefägt find, Die Roſen haben. einen zufammenziehenden Geſchmack, ihr fleifchiger Kelch —— iſt ſaftig, MT mei⸗ ſten wilden Nojen geniepbar, Kr ?3..

Voſſe nennt 26 Grundforten, von unjehl son Yen u Hybriden entitanden find. Diefe bezeichnet er:

1. Rosa alba, die weiße Roſe, bie in Sitten and Orten beſonders heimisch ift. Sie blüht im Juni. | *

2, Rosa alpina, europäiſche Alpenroſe, tief blüht im Wat und

Juni auf den Schweizerbergen, ähnlich unſerer Heckenroſe und nicht mit der Als penroje, dem Rhododendron oder Nofenbolz, das auch hoch oben auf den Alpen waͤchſt und von Neifenden als „Alpenroſe“ mitgebracht wird, zu verwechfeln, Lebrun gab in dem Taſchenbuch Penelope vom 3. 1821 ihre —— -— einer Erzählung, die am Thuner See fptelt. 9% Rosa Banksiae, Banksroſe, in China heimifch, ohne feinem Theegeruch, fie blüht im Mai und Juni. Äh „#4 Rosa berberifolia, Berberigenrofe, in Berften heimifch, blau⸗grau⸗ grüne Blätter, glänzend gelbe Blumenblätter, am Grunde der Krone vor gefärbt, * im Juli und Auguſt.

5. Rosa Banda, Labradorroſe, Hudſonsbahroſe, blüht im Sommer; ih Heimathland ift Nordamerika, obne Dornen, von dunfelrotber Farbe.

6, Rosa brasleata, beblätterte Roje, aus China, blübt im Sommer,

7. Rosa canina, Hecken- oder Hundsroſe, ihre Heimath ift ganz Deutſch⸗ Tand, blüht im Juni,

8, Rosa carolina, in Norbamerifa mit rorbbraunen Aeſten, ftarfen Dornen, blüht im Sommer,

'9, Rosa centifolia, Gunbertbtäitrige Gartenrofe, Berfien entftammend, foll auch am Kaufafus und in Macedonien wild wachſen, blübt vom Juni bis Auguft, gehört zu der fchönften und duftreichſten.

10. Rosa einnamomea, Zlmmtrofe, die Stengel braum, blüht im Dei, in ganz Sid-Europa heimisch.

I1. Rosa damascena, Damascenerrofe, Ihr Vaterland ift Syrien, mit 2—20 in Büfchen ftehenden, roth gefüllten Blüthen prangt fie im Juni.

12. Rosa eglanteria, Fuchsroſe in Süd-Europa, blüht im Mai und Juni, die Stengel bräunlid, 3—4 Fuß hoher Stamm, die Blume riecht nach Manzen, die Blumenblätter find von aufen gelb, von innen purpurroth.

Die Rofe und ihre Geſchichte. 517

13. Rosa gallica, franzöfliche Rofe, Provinzrofe, im ſuͤdlichen Frank⸗ reich Heimifch, blüht im Juni. Auch Eſſig⸗ oder Zuderroje genannt, ihre ſehr dunfelrorhe Blüthe wird getrodnet unter dein Namen Flores rosarum rubrarum in den Upotbefen aufbewahrt, man mijcht fle Flein gerieben in dad Räucher- pulver.

14, Rosa indica, indifche Mofe, btäht im Sommer, in China bat fie ihre Heimath.

: 15. Rosa lucida, glänzende Roſe aus Nordamerika, auf hoher Staude 3—4 Fuß hoch.

16. Rosa microphylla, Mleinblättrige chinefifche Rofe, blüht im Som- mer und Herbſt.

17. Rosa moschata, Biſamroſe, ihr Heimathland ift die Verberei, blüht im Herbſt. Stengel 5—10 Fuß hoch, glatt und grün, bifamartig buftent. In Nordafrika wie in Aflen wird fie befonderd wegen des vortrefflichen Roſen⸗ oͤls, das fie Liefert, fpeciell gepflegt.

18. Rosa multiflora, vielblumige Rofe, ihr Heimathland ift Sapan, blüht vom Mai bis September, Stengel 10 15 Buß hoch und noch darüber, mit gefrünmten Dornen. Hat zahlreiche lange Aeſte, die fie Hin und her biegt, ſchlingt fich felbft wie zu Guirlanden in reichen Blüthenbüfhheln, zu Lauben und Decorationen vortrefflich.

19. Rosa parviflora, Eleindlumige Roje, aus Nordamerika, bluͤht vom Juni bis Auguſt.

20. Rosa pimpinellifolia, pimpinellenblättrige Roſe, in Süd⸗Europa

wie in England und Schottland heimiſch, 2—6 Fuß hoch, kurze ſteife Aeſte, blüht im Juni.

21. Rosa rubigniosa, Weinrofe, in Deutjchland Heimifch, blüht im Juni, 6—8 Fuß hoher Stamm, hafenartige fcharfe Dornen. Die Drüfen haben einen Apfelgeruch; die Landleute jammeln die jungen Blätter ein und trinfen fie al8 There, der eine die Nierenthätigkeit fördernde Wirkung hat und nicht fchlecht. ichmedt. Die Sage geht von ihr, fle Habe ihren Duft und die röthlichen Blaͤt⸗ | ter in dem Augenblick befommen, als Maria an einem folchen Strauch dic Wine deln des Jeſuskindes zum Trodnen aufhing.

22. Rosa sempervirens, immergrünende Rofe, in Süt-Europa, blüht im Juni und Iuli, ift 10 15 Buß hoch, mit glatten, grünen, Fletternden Aeſten, Blüthen blafroth.

23. Rosa sulphura, Schwefelrofe, auch gelbe Gentifolie, fte ift un aus dem Orient überfommen, 6—8 Fuß hoch, brauner Stamm, blüht im Juni.

24. Rosatomentosa, filsige Rofe, blüht in Europa überall vom Mai bis Juli, A—5 Fuß hoch.

25. Rosa turbinata, feeifelförmige Rofe; Tapetenrofe, blüht in Deutjch- land im Juni und Juli, 5—6 Fuß hoher Stamm.

26. Rosa villosa, zottige Rofe, Pelzrofe; Hagebuttenroſe. Ueberall in Europa zu finden, blüht vom Mai bis Juli, 6—7 Fuß hoher Stamm, fat baumartig ftarf; fie wird am Häufigften oculirt und gedeiht vortrefflidy Sie

518 Culturgeſchichte. macht die höchſten Triebe aus der Wurzel. ee ihre Frucht als Heilmittel bei der Muhr, are 2

Mir diefer Anzahl find jedoch die Grunbforten wohr ad ruf, denn es werben ſich in fernen Zonen immer noch wieder ſolche finden, die man dahin rechnen müßte, doch wollen wir, bei dieſen ftehenbleibend, nur hinzufügen, daß biefe bereit? Hunderte von Varietäten erzeugt hat und in's Unzählbare vermehrt worden ift, da fie gegenfeitige Befruchtung annehmen, theils Durch den Wind, durch Inſekten ober durch bie Hand Wege.

Botaniker und Liebhaber gehen bei der Blumencultur oft weit * der Rebtere fümmert fich wenig um bie rein botanifche Verwandtichaft, baber entſtehen oft andere Gintbeilungen, die nicht auf die wilfenfchaftliche im Syſtem, fondern auf die Behandlung der Sorten ſich baftrt. |

Die für Liebhaber von Nofen einfachfte Eintheilung ift daher die: r.

1. Sande oder Gartenrojen., | .„

2. Topf» oder immerblübende Monatörojen. |

3. Spbriden oder Baftarbrofen, durch en m der Bee een Gen entjtanden. Hierzu kommen: > m

1a. Strauchartige und | 4

b. Rankende. 2

Die Strauchartigen werden in folche geteilt, die blos —** oder Male blüben, dies find die Remontanten.

Die Ranfenden zerfallen wieder in vier Claſſen:

2a. in inbifche oder bengalifche

b. Theeroſen. | c, Noifettenrofen. on d. Bankfiarofen.

3. Dieſe dritte Claſſe zählt KLand-Hybriden und —— ſie geht in's Unendliche in ihren Varietaͤten.

Einige haben gemeint, es ſei nicht richtig, die Roiſette zu einer beſonde⸗ ren Abtheilung zu machen, da fie eine Hybride, jedoch ift ihr eine fo reiche Blüs tbenftellung eigen, daß fie darum wieder ald ein Befonderes heraustritt. Der Streit bierüber wird ſich wohl noch Jahrzehnte durch Liebhaber und Botaniker bindurchziehen.

Den Namen Noifette verdankt fie dem ald Gärtner und befonders ala MRofenzüchter berühmten Manne gleichen Namens, der die in Bouquets, man könnte auch jagen in bafelnufartigen Büſcheln reich blühende zierliche Roſe

zu Ehren feines Bruders, der fie ihm aus Nordamerika zugefandt batte, alfo '

taufte.

Frankreich bat e8 fidh überhaupt zur Aufgabe gemacht, den Roſenflor dur befondere Gultur zu verberrlichen. England, das jo groß in der Garienfunft dafteht, bat Winfichtlich der Nojen das nicht geleiftet, was Frankreich dafür ge» than, und es ift wunderbar, daß viele in Frankreich erzeugte Hybriden erft in England zur höchſten Entwidelung kommen, Was hierin das wirffame Mo-

Die Roſe und ihre Geſchichte. 519 ment, ob Klima, Erde ———— nit * aaſanmen iR noch nicht erforſcht.

Der Franzoſe iſt ſpecieller Blumenliebfaber, er Hatıbab aut: den Südlin- bern überhaupt gemein; er ſchmuͤckt fich germ mit Blumen, In England denft man nicht ſowohl an den Schmud der Perfon, wie an den ae den Topfpflangen, beſonders Eroten, viel gehegt und gepflegt.

In Brankreich hat die Rofe in anderer Weife ihr orig Wenn, wie in England,

Wer kennt nicht die 1323 in Toulouſe geftifteten „jeux die von Clemenee Iſaure im Jahre 1484 durch reiche Schenkungen neu belebt wurden.

Auch trugen bie Damen in Frankreich im 13, Jahrhundert Rofenfronen, die man Chapel nannte, Die Tracht war fo allgemein beliebt, daß eine ganze Handwerfeinnung in Paris fih danach „Chapelliers“ nannte, da ſie fich ledig. lich mit der Anfertigung biefer Kronen befchäftigte, Konnte der Vater feiner Zochter auch Feine Ausftener geben, jo war er doch verpflichtet, ihr wenigftens den Ehapel zu fchaffen, den bie Bräute binterwärts auf dem Kopfe trugen. In Folge diefer Sitte nannte man aud) die Fleinen Gefchente, bie man bei der Ver— mählung der Braut machte, Mojenfrängchen oder Sträufhen.

Auch fanden damals die Roſen in Frankreich in fo hohem Anſehen, daß in vielen Städten es ald ein beſonderes Vorrecht galt, in feinem Garten fich Roſen ziehen zu können; dieſe Familien aber mußten am DreisKönigäfefte dem Magiftrate drei Nofenkronen fenden und am Himmelfahrtötage einen Korb voll weißer Rofen, von welchen das Damals noch ſehr theure Roſenwaſſer bereitet ward, das als jchönfte Würze an füße Speijen genommen wurde.

Arnaud de Billeneuve wollte, daß das Roſenwaſſer das einzige Gewürz fein follte, dad man an Efwaaren mifche; daß alles Geflügel nur mit Wein, Salz und Roſenwaſſer gebraten werden jolle. Auch fanden Abgaben von Rofen- büſchen flatt. Im 14, Jahrhundert wurbe es im franzöfifchen Parlament Sitte, daß wenn ein Pair einen Proceh hatte und vorgerufen warb, er ben PBarlaments:Mitgliedern Roſen überreichen mußte. Dieje Verordnung nannte man „‚Baill& de roses““, und das Parlament hatte einen eigenen Mofenlicfe- ranten, der ben Titel „„Rosier de la Cour“ führte. Zwei Stunden von Paris war ein Dörfchen, das fich ausſchließlich mit der Roſencultur befchäftigte, von dorther bezog er feine Mofen; der Ort beißt heute noch Fontenay aur roſes Im 16. Jahrhundert hörte diefe Sitte. einer Rangftreitigfeit wegen im Parla: mente auf, und bie Nofen kamen ganz unfchuldiger Weiſe nun in joldhen Miß— erebit, daß die Juden als befonderes Abzeichen eine- * auf der Bruſt tragen mußten.

Schon im Jahre 530 hatte der heilige Medardus, Bifchof zu Nayon, zu Salench ein Feft geftiftet, bei welchem ein Tugendpreis gegeben ward. Das feis nen Eltern geborfamfte und frömmfte Mädchen des Ortes ward mit einem Kranze von Mojen gekrönt. Medardus hatte die Freude, in der Kirche zu Salench fei- ner eigenen Schwefter diefe Blumenkrone reichen zu können und fe zur Roſen⸗ jungfrau zu weihen,

520 Culturgeſchichte.

Auch im Italien, in Treviſo, feierten die Einwohner ein eigenthumliches Rofenfeft. Man errichtete mitten in der Stadt ein Kaftell, a Teppichen und jeidenen Ballen gebildet wurden. - Die vornehmften Jungfrauen der Stadt verteidigen: bie Bee) "be von und edelſten Junglingen angegriffen wurde. Man bombar- dirte mit Aepfeln, Muscatnüffen und Mandeln, das Belotonfeuer geſchah mit Lilien, Natziſſen und Beilgen, ganz Gefonders aber mit dem flamınenden Ge— ſchoß der Rofen. add ud Auch gab mar Salven vom wohlriehendem, namentlich von Rofenwaffer, das Durch Sprigen von beiden Seiten abgefeuert wurde 0.0 Zu Taufenden umlagerten, von Rah und Bern herbeiftrömend, bie Zus ſchauer ſich ber Jüngling hier feine

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Auch ſind in Frankreich die: Roſenſeſte von Malherbes oft ge— nannt, woran ſich auch eine Ausſteuer des tugendhafteſten Maͤdchens knipfte. In Deutſchland finden ſich auch ſolche Uranflänge der Roſenverehrung im Mittelalter vor. In dem feiner Zeit Aufjehen machenden „Heldenbuch“, einem Roman, als deſſen Verfaſſer man Seinrih von Ofterdingen nannte, nimmt „ber Rofengarten zu Worms‘ eine Hauptſtelle ein, Es heißt darin, daß, nach dem blutigen Kampfe mit der Riefen-Pringeffin, Chrimhilde jedem ber fiegbaften und ihren anderthalb Meilen breiten, mit einer Mauer von‘ einem ſeidenen Baden umgebenen Rojengarten jchügenden Ritter, einen Roſenkranz und einem Kuf zum Lohm verheißen habe. Hildebrant nimmt den Kranz, verſchmäht aber den Kuß; der Mönch Dlfan dagegen, der auch umter den zu belohnenden Rit- tern war, iſt mit Einem Rofenfranz und Kuffe nicht zufrieden , fondern verlangt für feine zweiundfünfzig Klofterbrüder eben ſo viel Kränze und Küffe, bie er, nachdem er mit zweiunbfünfzig Nittern gekämpft und fie bejiegt bat, auch empfängt. Mitte des vorigen Jahrhunderts hatte der Geheimerarh umd Kanzler von Kertelhodt zu Rudolftabt auf feinem Gute Lichftedt zur Belohnung von. junge fraͤulicher Tugend ein Mofenfeft eingefegt, nach dem Mufter des zu Säleney ges füifieren, Zum Roſenmädchen ward die chrenweribefte Jungfrau des Dorfes auserwählt, den 4. Juli in Prozeſſton zur Kirche gefüber, welches zu Lebzeiten des Stifters der damalige Erbpring von Schwarzburg-Nudolftadt einige Male jelbft gethan hat ; fie ward vor dem Altar mit Roſen befränzt und erhielt awans zig Thaler zum Gefchenf, ein laͤndliches Feſt ſchloß ih daran. - Göcking befang einjt eine ſolche Nofenmaid. Die Rofenfpiele, das Knallen mit den Blättern iſt auch vielfach beliebt gewefen und von jungen Leuten Togar ſchon zu Theo⸗ krit's Zeiten ausgeführt worden.

Die Gebetſchnur, die Roſenkrange⸗ genannt wird, iR von Dominlens de Gusman, dem Stifter des Dominicanerordens, eingeführt. Welches die Ver⸗ anlaſſung geweſen, dieſe Perlſchnur ſo zu benennen, iſt unbekannt, doch ſcheint eo, als ſei dieſer Name adoptirt, denn die aſiatiſchen Volker der lamaiſchen Nez

Die Rofe und ihre Geſchichte. 521

ligion, fo wie auch die Türfen bedienen fich folder Schnur und nennen fle auch Roſenkranz; die Kügelchen find bei diefen gewöhnlich aus Heiliger Erde (vom Mekka oder Medina) geformt.

Die Roſenſammlung des Luxemburg⸗Garten ſtammt auch von dem beſon⸗ deren Intereſſe, das Frankreichs gekrönte Häupter an dieſer Blume nahmen. Er iſt jetzt der Stammort von ungefähr zweitauſend Roſenſorten, die man dort hegt und pflegt. Alte und neue Sorten werden dort jährlich auf ungefähr dreißig⸗ bis vierzigtaufend Wiltlingen erzeugt, die alsdann verctelt in Umlauf kommen. Ein Garten ohne Rojen gilt kaum für einen rechten Gurten, auch ift dic Kuls tur in Frankreich, wo der Winter felten ftrenge ift, von feiner Schwierigkeit.

Hinſichtlich der Anpflanzung find die Gelehrten auch im Streit, einige jagen: „Nur im Herbſt ift die Anpflanzung förberlich‘‘, andere halten nur das Frühjahr für geeignet dazu, beide Methoden find gut, wenn die richtigen Ber dingungen vorhanden find, zu denen Boden, Witterung und alles in Betracht Kommende genau objervirt fein will,

Die ranfenden Rofen: Rosa multiflora, fo wie bie Rosa capreolata oder scandens eignen fich herrlich zu Spalieren, Lauben, Bogen, Säulen ıc., doch müffen dieſe forglicher behandelt werben, da fle leichter erfrieren ald alle andes ren Eorten. Man umwinde fle mit Stroh ober binde fle.ab und Tege fle an die Erde, wo man fie mit Raub beteden Fann.

Das Befchneiden der Rofen tft von der größten Wichtigkeit, eben fo wie bei der Weinrebe, das Meffer muß ohne Barmherzigkeit feine Schultigfeit thun, will man wirklich ſchöne und fräftige Blüthen befommen. Leichte Erde ift dem Roſenſtock die förderlichfte, hierzu die Unlage von Kompofthaufen jehr zu em⸗ pfehlen.

Zweige, die oeulirt worden find, werben, jo wie daß eingeſetzte Auge ſich zu regen beginnt, einen halben Zoll oberhalb der Operationsſtelle ſcharf abge⸗ ſchnitten und dieſe neue Wunde mit Baumwachs verklebt. Das Propfen iſt zwar auch nicht ſchwierig, jedoch ſelten fo dankbar als dag Erſtere. Man pfropft entweder in den Spalt oder in die Rinde.

Kopulirt wird bei Roſen jeltener, nur "bei weicheren Sorten gifchieht ed, j0 3. B. wenn Theerofen auf Monatsroſen aufzufegen find.

Zum Veredlen überhaupt laffen fi) zwar alle harten Roſen verwenden, am zwedmäßigften ift jedod; die Rosa canina und villosa, Die man in der Wildniß auffucht; fie wird aus Waldungen oter Gehegen auögegraben und in die Gär« ten oter in Töpfe eingepflangt.

Aweijährige Stämme find die beiten, ältere wachjen jchwer, jüngere er» frieren leicht. In Branfreich ift auch Die Ausfaat von Samen, um neue Sor⸗ ten zu erzielen, jehr an ber Tagesordnung und wird in großartiger Weile ber trieben,

Ein befannter Nojenzüchter in Bern, Obrift von May, empfiehlt zur Aus⸗ faat vorzugöweife reifen Samen von jchönen Sorten, und bejonderd den von Avignon, welchen er als den vorzüglidhften befunden hat. Das Verfahren giebt er folgendermaßen an:

522 0 Enlturgefchichtee

„Nachdem der Same aus der Hülſe genommen, laſſe man, ihn in lauwar⸗ das mit Chlorkalk geſattigt iſt, vierundzwanzig Stunden lang weichen, che man ihn für. Nach zwei bis drei Wochen keimt die Saat, bie Pflänzchen fchießen auf. Im Laufe des Sommers verfege man biefe in einzelne Töpfe und überwintere fie an einem frofifreien, jedoch nicht warmen Ort." Je Länger man alddann bie Blüthe zurüdhält, die Knospen immer-abbricht, deſto ſchöner blüht er Im zweiten ober britten Jahre. Die aus Samen gezogenen Nofen find gewöhnlich Bourbon⸗, Thees oder Bengalifche Roſen.

Daf die Schöneit auch ihre Feinde Hat, fehen wir täglich bei der Roſe ift e8 ein Hleined grünes Infekt, bie Roſenlaus; auch die braune Schilb- laus heftet fich am ihre Stele und werfucht es, ihre Dafein zu trüben und ihr das befte Mark auszufaugen. Mäuchern mit Tabaf, auch Anjprigen mit * tinktur iſt anzurathen.

Ein anderer Feind iſt Cynips rosae, er legt feine Eier unter Die Sant junger Triebe, ſie bilden jenen im Gingange bejprochenen Roſenſchwamm. Schließlich giebt es auch einige Naupenforten, bie die Roſen ganz fpeciell belä- fligen gegen alle diefe grimmigen Feinde hilft bie und vilegenbe Hand und das ſcharf blidende Auge des Liebhaberd.

Schließlich möge noch einiges über die Vereitung des He Bing finden,

Daß die Nofe zu den Blüthen gebört, die den bürftigften Oefgehatt ſitzen, iſt bekannt, daher der Preis des echten Roſenöͤls nie ein Sinken erfahren wird, In Gazepur find die großartigſten Roſenfelder, die Büſche ſtehen reihen weije neben einander, bie am frühen Morgen erblühten Rofen werden abge jchnitten und in thönerne Blafen geſchüttet, worauf doppelt jo viel Waffer ge= goffen wird, das vierundzwanzig Stunden beftilliren muß. Alsdann wird das Waſſer in weite offene Gefäße gegoſſen, die forgfältig mit weißen Tüchern über« hangen, vor Staub gefchligt werden. Nach Verlauf von wiederum vierundzwan⸗ zig Stunden hat fich ein dünnes Fetthäutchen darüber ausgebreitet, dieſes wird mit der Fahne einer zarten Feder forgfältig abgenommen, liefert aber kaum einen Tropfen Del. Man jagt, zwanzigtaufend Roſen find zu einem Rupiengewicht Del erforderlich, das ſiebenzig Thaler koſtet.

Meines Roſenöl iſt daher höchſt ſelten im Handel. Das, was auf den indiſchen Markt gebracht wird, iſt mit Sandelholz- oder anderen feinen Oelen gemifcht; fo fommt e8 auch nach Europa. Was wir ald Roſenwaſſer, Pfeffer

muͤnz⸗ oder Lavendel- und Orangenwaifer befommen, ift Waffer, das mit einem

Minimum diefes Deled durchzogen iſt und in den Apotheken, wie in den Küchen- faboratorien viel verbraucht wird.

Die Türken und noch mehr die Ehinefen haben andere Bereitungsarten. Die Türken gießen 3. B. ein und bafjelbe Waffer immer wieder auf frifch ge pflüdte Nofenblätter, bis fid) endlich eine ftärfere Delhaut über das ganze flache Gefäß gebilder hat und fie gewiß find, einge Tropfen reines Del zu gewinnen,

Die Ehinefen dagegen weichen die Sejumförner der Sefampflanze auf und dörren fie dann wie das Malz. Alsdann werden fie mit frifchen Roſen geſchich⸗

Die Roſe und ihre Gefchichte, 523

tet und ſtark befchwert. Nach vierundzwanzig Stunden nimmt man frijche Mofenblätter und thut folches fo lange, bis die Körner von dem Saft der Ro⸗ fenblätter ganz aufgequollen find. Einige prefien alddann die Körmer aus und nehmen das Del, das obenauf fehwimmt, als Rofendl ab, Andere deftilliren fle und fammeln die Fetttbeile dieſes Waflers ald Roſenöl ein; dieſe Art ift die ergiebigfte. |

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Die deuffchen Laute und ihre Wandlungen. Dr. * Bechſtein.

Grammatiſche Studien und das gebildete Publikum. Die Lautlehre. Die Laute: Vocale, Diphthongen und Conſonanten. Vocalwandlungen. Brechung. Umlaut. Nüdumlaut. Schwaͤchung. Entſtellung. Quanti⸗ tät, Ablaut. Conſonantenwandlungen. Vertauſchung. Lautabſtu— fung. Lautverſchiebung. Rechtſchreibung.

Grammatiſche Studien pflegen außer von den Sprachforſchern nur ſelten um ihrer ſelbſt willen getrieben zu werden. Man hat ſich von Jugend an gewöhnt, die Grammatik nur als Hülfswiſſenſchaft zu betrachten, welche dazu dient, uns die Kenntniß einer fremden Sprache zu verſchaffen, Die wir fprechen und berem Literaturergeugniffe wir verftehen lernen wollen. So wird in unferen Schulen Zateinijch und Griechiſch, Franzöſiſch und Engliſch vom praftifchen, nicht aber vom wiffenfchaftlichen Standpunkte aus betrieben. Und dies mit vollem Rechte, da die Schule nur die Aufgabe hat, für das Leben zu bilden und für nie Wilfen- chaft vorzubereiten. Auch die deutiche Sprache, wenn fie überhaupt einen Lehre gegenitand bildet, wird von diefem pädagogifchen Gefichtöpunfte aus vorge tragen.

Die Kenntniß unferer Mutterfprache, fo weit dieſe über das tänliche Leben hinausragt, ift bis jegt aus verfchiedenen Gründen noch Eigentbum Der Fachge— lehrten und weniger Freunde der linguiftifchen Studien. Dad gebildete Publiz fum will ſich aus einer von der Schule ber erlangten Schen vor den trodenen grammatifchen Regeln nicht dazu entichließen, fich der Hülfsmittel zu bedienen, welche eo befähigen könnten, tiefer in das Mefen und in das geheimnißvolle Wal- ten unſerer deutſchen Sprache einzudringen, um fo mehr, Da es längit befannt ift, Daß eine foldye Kenntniß nicht ohne Opfer, nicht ohne Fleiß erlangt werben fann, Und doch bat man oft Die erfreuliche Gelegenheit zu erfabren, daß ein wirflicher Tebendiger Sinn für die deutfche Sprache und ihre Grammatik vor« banden tft, daß in einem jeden Deutfchen ein Talent für Philologie und Lingui— ſtik ſchlummert, auf welchen Gebiete ja bekanntlich von jeher unfer Volk thätlg geweien ift und maßgebend eingewirft bat. Wie oft werden in Gefellfchaften, in

Bamilienkreifen wie an öffentlichen Orten Die anziebendfier Etymologie einzelner Worte, über Mundarten, über die —— —* wie mancher vertritt da feine Anſichten mit ftürmifcher Heftigkeit! Bor allem fehlt es noch an Anregung von Seite der Fachmänner. Die Wiſſenſchaft als folche wird freilich immer auf den.engeren Kreis ihrer Vertreter beichränft blei- ben, aber die Grbilderen haben Anipruch auf Mittheilung der Ergebniffe und ſolcher Einzelheiten, welche allgemein wichtig find. Die Naturwiſſenſchaften, welche fich gerade in unferen Tagen einer jo eifrigen Pflege erfreuen, haben nichts an ihrem Werthe eingebüßt, weil die mühfamften Forſchungen in populärer Form auch weiteren Kreifen mitgetbeilt wurden. Auch bie Geſchichte und vor allen die deutſche Literaturgefchichte hat in jüngfter Zeit Darftellungen gefunden, welche auf treffliche Weife wahre Wiſſenſchaftlichkeit mit anfprechender Form verbinden. Wenn in der deutſchen Sprachwiſſenſchaft Derartige Verſuche noch weniger ange» ftellt wurden, jo hat das jeinen Grund hauptjächlich darin, daß trotz gewiſſer ſchon erreichte Ziele diefe junge Wiffenichaft noch jo viele Aufgaben zu löſen bat, daß ſich Die Arbeiten noch nicht aus der Grenze der ftrengen Forſchung in das Gebiet anregender Belehrung binauswagen fonnten, Zwar fehlt es nicht an verfchiedenen Berfuchen, unter andern die grammatifchen Werke Jacob Grimm's im Auszuge und in leichter faßlichem Gewande mitzutbeilen, allein diefe Arbei— ten dienen wiederum meijt praftifchen Zweden. Wichtiger für die Förderung ber Kenntniß unjerer Mutterfprache unter den Gebildeten find Darftellungen in abhandelnder Form. Freilich läßt ſich nicht verbergen, daß ber Stoff die Darftellung nicht begünftigt. Wie anders vermag der Literaturbiftorifer zu wirs fen! Er betrachtet Werke des Geiſtes und Werfe des fünftleriichen Schaffens; er fpricht nicht allein zum Verſtande, ſondern auch zum Herzen, zum Gemütbe; feine Gedanfen können ſich bald. in ruhiger Schilderung vergeben, bald fich zu Dichterifchem Schwunge erheben. Und eines noch ficht ihm zu Gebote: er hat ein Urtheil, Sprachbetrachtung dagegen, wenn fie nicht eine philoſophiſche Rich- tung einfchlägt, bat e8 nur mit dem Stoffe, nur mit den gegebenen Thatfachen zu thun, Dieſes rein Stofflihe ift e8 nicht der Grund, weshalb Tprachliche Werke jo Vielen ald troden und ungeniefbar erſcheinen, * bekennen wir es offen, weshalb ſie ſo unbeliebt ſind? | Unter allen Theilen der Orammatif * die geringſte Aufmerkſamkeit geſchenkt. In den Schulgrammatiken wird in der Regel nur das Nöthigſte beigebracht und die Lehre von der Ausſprache der Laute nimmt öfters bie bevorzugte Stelle ein. ine eigentliche Betrachtung ber Laute mit Nücficht auf die gefchichtliche Entwicelung, wie auch auf verwandte Spra= chen, kann natürlich im ſolchen praftifchen Behrbüchern gar nicht verlangt werden, ja fie würde ſogar von Hebel fein, "Wohl mag die Lehre von der Wortbildung für den, welchen bloße Neigung auf das grammatifche Gebiet hinweiſt, bei iwei= tem anziehender und lohnender jein, wie ja überhaupt die Worterflärung und Wortdeutung, das Etomologifiren felbft jedem Laien einen eigentbümlichen Reiz gewährt. Auch verbeißt die Betrachtung des Geiftes, der in der Sprache waltet, der fich in der gefchichtlichen Entwidelung und Wandlung der Wortbedeutungen

fundgibt, einem höheren Lohn, Aber wenn es eine Thatſache ift, daß ohne Kennt⸗ nit der Grumdelemente der Sprache, und dies find eben Die Laute —, jeg« Tiche Sprachbetrachtung niemals zur gebeihlichem Biele gelangt, fo bieten auf ber anderen Seite die Laute an und für fidy genug des Belchrenden und Anziehen den, und find auch ohne dieſe ai N gehenden Betrachtung werth. ——

Obgleich es immer wohlgethan iſt, Geh Sprechictachnnhe welche nur an⸗ regen ſollen, dem umgekehrten Weg einzuſchlagen, welchen die hiſtoriſche, d. h. Die wiffenfchaftlihe Grammatik verfolgt, nämlich die Heutige Sprache, die Spradye, in der wir denfen, reden und ſchreiben, zunächft im Auge zu haben, fle voraus⸗ zufegen umd von ihr auszugeben, fo muß doch der Sicherheit und der wilfen- fchaftlichen Begründung wegen auch auf die Ältere deutſche Sprache, auf deren Grunde das heutige Reuhochdeutſch erwachien ift, wie auch auf verwandte und verfchwifterte Sprachen Bedacht genommen werden. Dann erft erhalten wir ein Bild von dem Wejen des Materials, weldyes die Sprache an den Lauten beißt, dann erft erfennen wir, daß dieſes Material nicht ftarr und leblos ift, daß die Laute dem mannigfachiten Wechfel unterworfen find, und ihre Ren in buntem, lebensvollen Spiele entfalten,

Bekanntlich werden jümmtliche Laute in Voeale und Go getheilt. Diefe fremden Benennungen hat man in neuerer Zeit vielfach durch deutjche zu erſetzen gejucht und den Vocal Helllaut oder SHelllauter, auch Selbftlaut oder Selbitlauter,. den Eonfonanten Mitlaut oder Mitlauter genannt, Wie ſehr auch jonft deutſche Redeweiſe ven Vorzug vor auslänbifcher —— ſo ſcheint es doch in dieſem Falle gerathener, die geläufigen NZ

Namen „Vocal“ und „Conſonant“ beizubehalten,

Der Vocal ift ein tönender Laut, er beſitzt muſikaliſche Natur, nant dagegen hat im Grunde feinen eigentlichen Ton, ſondern er erbält erſt da— durch Werth und Bedeutung; daß er den Vocal begrenzt. Den Bocal bringt die Stimme hervor, den Eonjonanten Die Sprachwerkzeuge des Mundes, die Lip⸗ pen, Die Zunge, die Kehle. Was Fleiſch und Blut für den Körper, das ift für das Wort der Vocal. Die Confonanten find dem Sfelet vergleichbar, welches den Körper zufammenbält. Die Conſonanten unterliegen nicht in ſolchem Grade ber Veränderung wie die Bocale, darum find fie für die vergleichende Grammas tif beſonders wichtig. Gleichgültig find aber Deshalb die Vocale nicht.

Deide, Vocale und Conſonanten, jcheiden ſich wieder in Gruppen.

Die Bocale fann man auf Doppelte Urt zergliedern. Gewöhnlich werden fie getheilt in Vocale in engerem Sinne und in Diphtbongen. Die Docale in engerem Sinne werden wiederum in Hinſicht ihrer Beitdauer kurze oder lange genannt, Der lange Vocal bat noch einmal fo viel Werth als der kurze; muſikaliſch ausgedrückt, füllt der lange Bocal eine ganze Note aus, ber furze dagegen nur eine halbe, Das a im Worte „Mann“ ift kurz, dagegen in „wahr“ ift e8 lang. Die zweite Eintheilung ift theoretifch angemeffener. Nach ihr zerfüllen die Vocale in einfache und in Doppelte, Die einfachen

Die deutichen Laute. 527

entfprechen den furzen nach ber erften Theilung, die doppelten find entweder lange Bocale oder eigentliche Diphthongen. In Hinficht der Quan⸗ tität find die langen Vocale und die Diphthongen einander gleich; ſie find Dop⸗ pellaute und gelten darum auch doppelt fo viel wie Die einfachen Vocale. Darin aber unterfcheiden fich die langen Bocale von den Diphthongen, daß ihre beiden Bocalelemente verfchieden geartet find. Entweder ift das zweite Element gleich dem erften, alsdann fallen in der Betonung beide zufammen. Langes a ift gleich doppelt a, lange e ee u.f.w. Die Rechtjchreibung bedient fich auch öfters der Bocalverdoppelung, um die Länge des Vocals zu bezeichnen, 3. B. „Aar, Saal, Heer, Moos.“ Oder der andere Ball: die beiden Elemente find verſchie— den, wie au aus a und u beſteht.

Die erfte Eintheilung nimmt auf die Ratur der Laute Rüdficht, die zweite auf die Länge, auf die Duantität. Worin der Unterjchieb zwifchen einem Vocal und einem Diphihongen befteht, ift befannt und doch auch wieder nicht befannt. Denn oft fann die Bemerkung gemacht werden, daß jelbft Gelehrte über den Begriff der beiden Laute Feine Flare Vorftellung befigen, Nach der allgemeinen Anftcht gibt es in unferer deutjchen Sprache fünf Vocale, nämlich a, e, i, 0, u, während wir in Wahrheit deren acht haben, nämlich außer jenen noch 4, ö und u. Diefe drei legten gelten aber allgemein als Diphthongen.

Was veranlaßt wohl dieſen fo weit verbreiteten Irrthum? Lediglich die Schrift, die Rechtfchreibung. Jedermann weiß, daß der Diphthong im Gegen⸗ fage zum Vocal, der ein einfacher Laut iſt, aus zwei Elementen befteht, aljo, wie der Name „Diphthong“ befagt, ein Doppellaut ift. Linfere eigentlichen Diph⸗ thongen ai und ei, au, äu und eu befigen in der Schrift zwei Elemente, In gleicher Weife ftellen fidy die Laute 4, d, ü dem Auge nicht einfach dar, mögen nun zu ihrer Bildung die einfachen a, o, u mit Punkten (4, &, u) oder mit Strichen (A, ö, ü) oder mit dem Zeichen e verjehen werben (ae, oe, ue).

Aber nimmermehr beftimmt die Schrift die Natur eines Lautes, fondern die Ausfprache. Und eben in der Ausfprache find 4, ö, u einfache Raute, alfo Bocale. Allerdings find fle nicht rein, fondern fle haben Trübung erlitten, fle bilden nach dein grammatifchen Ausdrude Die Umlaute zu ben reinen Dos calen a, 0, u. Daß einfache und einzige Element ded Vocals hat keine Gren⸗ zen; man kann den Vocal jo lange forttönen laſſen, wie man will; während fel« ner Bildung und Entftehung verändert fich die Mundftellung nicht. Macht man nun die Probe, fo zeigt es fich, daß nicht allein a, e, i, o, u, fondern auch &, ð, u einfache Laute find. Wenn manche glauben, &, ö, ü wären gleih a e, o-e,u--e, immer werde ein e-Laut vernommen, fo geben fte fich einer bloßen Täufchung Hin.

Jener Irrthum mag auch durch den Umftand hervorgerufen werben, daß in unferem Alphabete nur die fünf reinen Vocale, die drei Umlaute aber ebenſowe⸗ nig wie die Diphthongen aufgenommen find.

Eines ſei befonder8 zum Beweife für die vocalifche Natur jener Umlaute angeführt. Der Umlaut von furz a wurde in ber Älteren Zeit fat ausſchließ⸗ lich mit e bezeichnet, Heutigen Tages wechfeln wir zwifchen 4 und e. Diefer

Wechſel iſt willfürlich, und dennoch beachten wir hierbei ein beſtimmtes Syſtem. Bühlen wir naͤmlich den —* ſo ——————— den, fo füreibtn wir e: J— —— Bette chenfalt kon Mann und Hahn (früher han mit kurzem a) abgeleitet find. Bekanntlich ſchrei⸗ ben manche Eltern, andere Aeltern. ; Eltern ift die überlieferte Schreibart, Ael- tern erinnert an das Stammwort alt (die „Eltern“ find bie ‚älteren‘, Die Ausſprache iſt bei verfchiedener Schreibung diefelbe; «8 iſt für das Opr vollfoms men gleichgültig, ob fo oder jo gefchrieben wird. Das e in Menſch und basıa in Männer lauten völlig gleich. Wäre nun jene Behauptung richtig, a fei Diph⸗ tbong, jo würde ein und derfelbe aut einmal ein Vocal fein, wenn erimit e, und das anderemal ein Diphthong, wenn er mit & 6ezeichnet würde, Da nun e zweifellos ein Bocal ift, fo muß auch & vocalifche Natur haben, und darum find au 6 und ü, welche in der Etymologie & gleichfichen, als Vocale anzufeben. Wie der Voeal aus einem einzigen Elemente befteht, fo der Diphthong, ber Doppellaut aus zwei Elementen, und zwar nicht allein in der Schrift, ſondern auch in der Ausſprache. Während der Bildung diefed Doppellautes muß ſich die Mundſtellung verändern; das eine Element hört dann auf, wenn das zweite beginnt; im Mitten des Laute findet aljo eine Begrenzung ftatt, welche beim Vocal fehlt. Im unferer neubocbdeutfchen Schriftipradhe Haben wir drei Diphthongen ber Ausſprache nach und fünf in der Schrift, nämlich ai und ei, au, du und eu. Es ift befannt, daß ei nicht anders ale ai, und eu nicht anders ald iu ausgelprocdyen werben. I

Nun geſchleht es häufig, daß eines Theils durch mundartliche Ausiprache, anderen Theils durch geſchichtliche Entwickelung Vocale, und zwar lange Vocale zu Diphthongen und umgekehrt Diphthongen zu (langen) Vocalen werden, Die mittelhochdeutſchen An i und u werden im Meudeutichen zu ei und au. In Mundarten, ſo z. ®. in ber meißnifchen Mundart, werden unfere Diphtbongen ei und au vocalifch er wie langes e und langes 0. Im Franzöſiſchen en au, ou, ei, ai ebedem wirkliche Diphthongen geweien, indem ihr Laut mit

dem jchriftlichen Ausdrucke vollfommen übereinftiiumte, Mit der Zeit find dieſe Dopvellaute zu einfachen, zu Vocalen geworden: ö, ü, &, ä, wenn aud) *— an der alten Ueberlieferung feſthalt.

Sweierlei gibt noch der Diphthong zu bedenken. Zuerſt ift jeder Dipfthong einjllbig, wenn er auch aus zwei Elementen befteht, wenn fich auch bei feiner Entſtehung dir Sprachwerkzeuge werändern müffen. Denn dies geht fo fehnell vor ſich, daß bie beiden Vocalelemente nicht von einander abgelöft geiprochen und vernommen werden, Die Worte Baum, Heu, Stein gelten gewiß all gemein für einfilbig. Eine weitere Eigenthümlichkeit des Diphthongen befteht darin, daß eines feiner Vocalelemente in der Ausfprache bevorzugt wird; eines bat ben vollen Ton, während das andere, wenn es das erfte ift, eine Art Vor⸗ fchlag ober, wenn es das zweite ift, eine Art Nachfchlag bilder, In unferen deut⸗ fchen Diphthongen ruht der Hauptton auf dem erften Elemente, es beißt Baum, nicht Baum; a wird nachbrüdlich hervorgehoben, u dagegen nadhgefchlagen.

Die deutſchen Laute. 529

Ebenſo werden die anderen Diphthongen behandelt. Umgekehrt ijt das Ver-

baltniß im Franzöfiſchen. Jeder frangöftge Diphthong hat auf dem weiten Giemente den Hauptton, So müßte z. B. der franzöfffche Diphthong oi (gefpro- ben oa) nad ner nd we —— er m mo, 104.

Das Material, welches Die Eprac an —— Seffät, if PR zu 2 Zeiten und in allen Landen gleich vertheilt. Wir haben in unſerer heutigen beutfchen Sprache acht Vocale (in engerem Sinne), jeden fünnen wir furz ober fang gebrauchen, in Hinficht der Quantitaͤt hätten wir acht kurze umd acht lange. Im Mittelbochdeutfchen ift ziemlich daſſelbe Verhältnig, aber im Althochbeutjchen finden fich nur ſechs Wocale, von denen nur fünf lang betont werden fönnen. Im Gothifchen gibt es noch weniger Vocale, nämlich fünf kurze und zwei Lange. Unfere heutige Sprache ift demnach reicher an Vocalen ala die Älteren deutfchen Sprachen. Mit diefem Vortheile ift aber zugleidy ein Nachtheil verbunden, wel- cher darin beſteht, daß die neu hinzugekommenen Laute nicht rein, ſondern getrübt find (3, 8. u) und darum der Schönheit der Sprache Eintrag thun. Es ver- ſteht fich, daß innerhalb des Vocalismus mannigfache Abftufungen, Schattirun- gen vorfommen, Denn im Grunde fpricht jeder Menſch anders ald der andere, und die Mundarten, die Dialecte weichen entichieden und auffallend von einander ab. Im unferen deutfchen Mundarten, denen ſelbſt der Gebildete unterworfen ift, finden ſich Mifchlaute: a neigt ſich zu 0, i zu mm. ſ. w. Doch auf der Bühne, wo wir die reinfte Ausfprache zu verlangen berechtigt find, laſſen wir ſolch un- reine Laute nicht gelten; wir wollen den Laut vernehmen, ber in der Schrift feinen. beftimmten Ausdruc findet. Dagegen find im Engliſchen unreine umd gemifchte Vocale, welche wir im Deutfchen nur der mundartlichen Sprechweife zumeifen würden, nicht allein geduldet, jondern gefordert. Alſo können wir ſagen: das Englifche beſitzt Vocale, welche dem Deutfchen fehlen.

Aus PVocalelementen, und zwar aus zwei verfchiedenen Bocalelementen, befteht der Diphthong. Wir haben, wie bemerkt, in der beutigen Sprache drei Diphtbongen. In einigen oberdeutfchen Mundarten wirb für ei ober ai der Diph- thong oa gefprochen (kloan, hoam für klein, heim), oa aber iſt mittel- und nord» beutfchen Mundarten völlig fremd, ebenfo wie ber Schriftfprache. Theoretiſch möglich find eine ganz bedeutende Anzahl Diphthongen. Mer fich die Mühe geben will, alle nur denkbaren Bocalverbindungen zufammenzuftellen, mit Sin- weglaffung bes a, welches einen ähnlichen Laut bat wie e, der wird die Zahl 42 herausbefommen. Es feuchtet ein, daß keine einzige Sprache fo viel Diphthon- gen aufzuweifen bat, nicht einmal die Hälfte. Das Mittelhochdeutjche hat vier Diphthongen mehr als das Neuhochdeutiche, das Gothiſche befigt deren vier, Die oberdeutjchen Mundarten, welche in vielfacher Beziehung auf der Stufe des Mittelhochdeutfchen ftehen geblieben find; haben gewöhnlich ſechs Diphthongen. Die Franzofen theilen keinen einzigen Diphthongen mit und, während das Eng- lifche und das Deutjche einige gemein haben,

Auch die Conſonanten laſſen ſich auf doppelte Art gergliedern. Nach ——— zerfallen die Conſonanten in ſolche, die man dehnen kann, und

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lautliche. Die Eonfi

Compoſitum | te gehört. X fprache wird auch) zwiſchen beiden Worten eine Eleine Paufe gemadt, Bir haben in einigen Worten. Gonfonantenverbindung, welche mur ſcheinbar eine organiſche ift, welche aber in der Ausfprache, wenigftens heutigen Tages, ber ‚organifchen gleichkommt. Diefer Ball tritt ein, wenn ein e in der Zufammen- ſetzung ausfällt. gl in gleich, gn in Gnade, fr in fressen find berartige uneigent- liche Gonfonantenverbindungen, indem gleich aus ge-leich, ge-lich, gnade aus ge-nade, fressen aus ver-ezzen, d. h. „völlig aufeſſen“, entftanden find,

Wie nicht alle möglichen und —— Wirklichkeit vorfommen, fo auch nicht alle Gonfonantenverbindungen. Die eine Sprache fann beftimmte Gonfonanten mit einander vereinen, die wieder nicht. Auch in einer und berfelben Sprache find die vorfommenden Verbindungen ge= ‚regelt. ‚Manche, die in der Mitte und am Ende fichen können, fehlen im An- fange, und umgekeht. Wir Fönnen rz in bie Mitte und an das Ende fegen: Sturz, Wurzel, dagegen gibt es Fein deutſches Wort, welches mit rz anhebt. Und gr, welches im Anfange ftehen kann: ‚Gross, Greis, ift weder im der Mitte, noch am Ende möglich, Die Slaven haben Conſonantenverbindungen, welche unſerer deutſchen Zunge unendlich ſchwer fallen, Die Griechen Eonnten mit ps ein Wort beginnen, dagegen findet ſich diefe Verbindung bei und nur in fremden Worten wie Psalm. Die Italiener fprechen das e vor e und i wie sch. Diefe Verbindung ift im Deutfchen ſelten und im Anfange des Wortes findet fie ſich niemals. Unſer q fommt nur in der Verbindung mit w vor. Die Mecht⸗ ſchreibung weicht etwas von der Ausſprache ab, indem fie flatt w nur.u feßt: Quelle wird geſprochen Qwelle. Im Grunde iſt unjer einfaches Zeichen z. ein Doppellant, denn er lautet is. Die Griechen hatten nicht allein für z einen einzigen Buchftaben, jondern auch für ps und st. Umgekehrt haben wir in ber Rechtichreibung Eonfonantenverbindungen, welche in der Ausſprache einfache Laute find, Dieſe find ph, ch, sch, ng. Ihre Einfachheit beweift ſich dadurch, daf man fie forttönen laſſen kann. Verſucht man dies bei z, ſo wird ſich finden, daß nur ein s forttönt, während Das zu z gehörige Lverfchwindet, ſobald es her- vorgebracht iſt. ph. ift in der Ausiprache gleich L; andere Nationen gebrauchen für den Biichlaut sch und für den Nafenlaut ng die einfachen Zeichen g und n. Nachdem wir uns ſomit über die Natur der Laute, über ihre Möglichkeit und Mannigfaltigkeit verbreitet haben, geben wir zur Betrachtung ber notbwen- digen, grammatiſch —** und len —— welchen ſie unterworfen ſind. nn immun»

Das Sanskrit und das Gothifhe taffen A daß die Sprache Lich, nur drei kurz betonte Voeale befigt; dieſe find a, i, u. Sie bilden die Grund⸗ (age des Bocalismus, aus ihnen entwideln fich die anderen Voeale, fie find. bie Stüge der Wortbiegung, Zunächft müffen ſich e und ———

532 Sprachwiſſenſchaft. einer Vereinigung von a und i, und o aus einer Vereinigung von a unb u her⸗ vorzugehen. Das Gothifche gibt den beſten Beweis. Der gotbifchen Schrift, d. h. der Schrift des Ulfilas, mangelt es an einfachen Zeichen für bie kurzem e und 0, ſie fucht ſich deshalb dadurch zu helfen, daß fle ai und’au fept, welche aber von den eigentlichen Diphthongen ai und au wohl zu unterfrheiden find. Auch das moderne Pranzöftfe) beftätigt die Entftefung der daute. Das frangd- ſiſche (geſprochen 3) fellt ſich dem Ange ala Diphthong dar und iſt es auch früßer in der Ausſprache des Altfranzöſiſchen geweſen, indem es wie unſer ai lau⸗ tete. So iftz. B. das frangöfifche Wort mais, aber, aus bem lateiniſchen ma- gis, im altflaffifcher Bedeutung „mehr“, in Tpätlateinifcher und in der lingua rustiea „vielmehr“, fpäter „aber“ entftanden. Aus magis wurde dann mais (ma-is), das Schlußes fiel, wie fo häufig im Branzöflfchen, in der Ausſprache hinweg und der Diphthong ai wandelte fich zum Tangen 4. Ebenſo wurde das altfranzöftfche au in der Ausſprache zu 0, wenn en ee Er Rz

ten wunde. *8

Die kurzen Vocale e (ai) und o (au) er a re bor r und h. Diefe beiden Eonfonanten dulden nämlich die einfachen i und u nicht vor ſich; diefe bedürfen daher der Erweiterung, der Brechung, wie es bie Grammatik nennt, um der gothifchen Zunge möglich zu werden. Das Wort ‚zum Beifpiele, welches im Lateinifchen vir (der Mann) lautet, findet ſich eben» falls im Gothifchen, doch vir (wir) zu fprechen, war dem Gothen nicht geläufig, darum verwandelte er es in vair (gefprocdhen wer). Im Althochdeutſchen kom— men noch andere Bedingungen hinzu. Hier nämlich hat der Vocal der folgen» ben Silbe Einfluß. i und u erhalten fh, wenn wiederum ein i ober ein u folgt, ſteht aber a oder ein dem a verwandter Laut, zum Beifpiele ein aus a geſchwäͤch⸗ tes e, fo erfolgt die Brechung. Am deutlichſten zeigt Dies die Gonjugation. Ich ftehle, du ſtiehlſt, er ſtiehlt heißt im Althochdeutfchen stilu, stilis, stilit. Hier bleibt das i der Stammfilbe bewahrt, denn es folgt u ober i. Dagegen fautet der Pluralis stelam, stelat, stelant, weil In der Endungsſilbe ein a ſteht. Der Infinitiv Heißt auch nicht stilan, fondern stelan. Im Nenbochbeutfchen hat die Brechung noch weiteren Umfang gewonnen. Mittelhochbeutfch heift es noch ich stile, jegt aber ich ftehle. Ebenſo ftatt ich sihe, ich wirde fagen wir ich ſehe, ich werde, Der urfprüngliche Vocal kommt in der 2, und 3. Perſon wieder zum Vorfchein: ich ehe, aber du ſtehſt, er ficht; ich werbe, aber du wirft, er wird, Daß mancherlei Ausnahmen flattfinden, daß die Bye- Kung berfäumt wird, wo man fie erwarten follte, und daß fe fleht, wo ein äufße- rer Grund nicht vorhanden ift, dies läßt ſich bei dem freien Geifte, der in ber Sprache waltet, Teicht begreifen, Andy der Laut 0 hat im Neuhochdeutfchen weis ter um fich gegriffen. So wurde unter anderen Sonne aus sunne, Sohn aus sun, Sommer aus sumer. Wie eng verwandt o und u find, Täft ſich aus zuſam⸗ mengehörigen Worten erfehen, wie hold und Die Huld, Gold und Gulden, Die zweite wichtige Bocalmandelung ift die Trübung oder nach der gram matiſchen Ausdrucksweiſe der Um l aut. Das Gothiſche kennt ihn noch nicht, während das Griechiſche und Rateinifche ſchon in früher Zeit getrüßte Bocale

erhalten haben, Unter ben deutſchen Sprachen beginnt der Umilaut zuerft im Althochdeutſchen; doch ergreift er Hier zunächft nur das kurze a, welches er in e (— 4) ummandelt. Die Urfache ift eine äußerliche, und zwar durch ein fols gendes i veranlaft. ALS Beiſpiel wurde ſchon In einem früheren Aufjage*) an- geführt, daß im Althochdeutſchen der Plural von palk, der Balg, der Schlauch, nicht palki, fondern pelki (— pälki) lautet, Dieſes Umlautwirkende i hat ſich oͤfters zu e gefchwächt, aber dennoch währt der Einfluß auf den Bocal der Stamm⸗ filbe fort. Beſonders üft dies wichtig für das fpätere Mittelhochdeutſche, indem bier alle urfprünglichen i fidh entfürbt Haben. Die Schreibart für den Ums laut von a ift, wie jchon oben bemerkt, in früherer Zeit regelmäßig e und in: unferer jeßigen Schrift halten wir noch vielfach an dieſer alten Schreibart feit. Die Sprache befigt nun zwei e-Laute. Das eine, welches durch Bre= hung aus i entitanden ift, unterfcheidet fich wejentlich von dem umgelaute⸗ ten. Ihre Ausſprache mar chedem ſtreng geichieden. In der guten mittel hochdeutſchen Zeit, im welcher in der Dichtung ein wahrhaft bewunderungswir- biges Gefühl für fprachliche Cigenthümlichkeit, für die Muſik der Sprache herrſchte, durften beide e-Laute im Reime nicht zufammengeftellt werden. In der Gram— matif, in den Wörterbüchern für das Ältere Deutich, wie aud) in einigen Aus- gaben, wurden beide Laute durch die Schrift äußerlich Fenntlicd) gemacht. Das Umlauts-e wurbe einfach mit e bezeichnet, das andere durch Brechung entſtan⸗ bene verfah man mit zwei Punkten (8). Späterhin, ſchon im vierzehnten Jahr- hunderte, ſchwand das auf inftinctiver Etymologie beruhende feine Sprachgefühl und die Bermifchung beider Laute begann. Während fid) die mittelalterliche Sprache Mitteldeutjchlands am längften von ber Trübung der anderen Bocale frei gehalten bat, find gerade die beiden e-Raute am früheften von ihr in ihrer Reinheit gefährdet worden. Wie die Ausſprache beider Laute gewejen, läßt ſich, befonders da im unjeren Tagen die Verjchmelzung und Berwechfelung immer weiter gebiehen ift, fchwer angeben. Auch ift es wicht immer möglich zu bejtim- men, aus welchem Laute unjer e entjtanden ift. Daß in jeben, werben das gebrochene e enthalten ift, erjieht man aus der 2, und 3, Perfon, in welchen ber urfprüngliche Laut wieder zum Vorſchein kommt. Daſſelbe e finder ſich z. B. auch in Berg, Erde, denn es heißt Gebirge, irbifch, Schwerer läßt ſich e (— ä) beftimmen, indem, wie jchon auseinander geſetzt, fein Vorkommen in der Schrift ſchon darauf hindeutet, daß die Etymologie aus dem Sprachbewußt⸗ fein entfchwunden ift, Bei Menſch und Senne liegt die Abſtammung immer noch nahe, bei anderen Worten aber bedarf es der Kenntniß der älteren beut- ſchen Sprachen. So ift der Laut im Heer, welcher jegt gedehnt gefprochen und defien Länge überdies in der Schrift durch Boralverdoppelung ausgedrüdt wird, aus dem kurzen a entjtanden. Gothiſch hieß das Wort hari, althochdeutſch wurde dad a wegen des folgenden i umgelautet und dad Wort lautete heri, mit ges ſchwaͤchter * here, In zuſanmengeſetzten in denen uͤberhaupt

*) „Blick auf ben nor der beutichen Sprache“ im biefem (Apriüheft), Seite 241,

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ne für das Al) | NINE ln

"Rad und nach ergreift der nwlaut alle umlautfähigen —— wie die kurzen, die Voeale wie die Diphthongen. e und i i werben. Das lange a lautet in ae um, o und din 5 und oe, u im. 9 laut des langen u, welches im Neuhochdentjehen zu Tang u getrübt wird, wurde im Mittelhochdeutfehen iu (iv) geſchtieben. Die regelrechte Ausſprache biefes in muß nad) einer von mir angeftellten Unterfuchung id’ gewefen fein, ia tft Diph⸗ thong, kommt aber doch dem fangen u im Klange ſehr nahe. Die mittelhoch⸗ deutfchen Diphthongen ou und uo lauten in du (50) und tte um. Der Umlaut unferes Diphthongen au ift eu (du), Der Plural von Baum heift Bäume, von Traum: Träume Auch hier wie bei e und a ein Wechjel in der Schreib- art. Sind wir und bed Umlautes bewußt, fo fchreiben wir iu wie in bem an geführten Bäume, fühlen wir ihn nicht, fo ſetzen wir eu. So jchreiben wir Grewel und Heu, obwohl diefe Worte von grauen und hauen flammen.

—Außer dem Umlaute ift noch der Rückumlaut wichtig. Bälle nämlich der dem Umlaut bewirfende Vocal hinweg, fo kehrt der urfprüngliche Vocal zu⸗ rüc, z. B. im den Praeteritis von brennen, ige er * einzhrannte,nannte. ——

Der Umlaut iſt nicht immer ui —— Br heute ſtatt. Neben dem Worte männlich kann mannlich gefagt were ben, neben unfäglich: unfaglich, ebenfo du Fommft, er kommt neben kömmſt und kömmt. In Munbarten wird vielfach der reine Laut geſetzt, wo die Schriftfprache den Umlaut bietet, und umgefchrt, I 120

Wenn auch der Umlaut der Sprache in mancher Beziehung Eintrag getban hat, fo brachte er doch auch Vortheil, wenigftens dem Mittelhochdeutſchen. So blieb unter anderen ber reine Bocal im Adverbium haften, während das Adjecti-⸗ vum dem Umlaut erhielt. Einheit in beiden zeigt das Althochbeutiche wie das Neuhochbeutiche. Die Trennung ber Baute aber diente zu größerer ſprachlichen Klarheit. Im Mittelhochdeutſchen unterfcheidet fich schöne von schoene, späte‘ von spaete, stäte von staete u. ſ. w. Auch zur Bereicherung des Wortſchatzes hat der Umlaut beigetragen. So ijt unfer Wort drucken im Grunde daſſelbe Wort wie drüden, früher ebenfalld drucken. Jetzt find beide gefchieden, beide) haben eine befondere Stellung in den Wörterbüchern und bezeichnen bei wu liegender Bedeutung doch verfchiebenes und beiondered.

Die dritte Boralmwandelung tft. bie fchon öfters berührte Shwädiung. Durch fie find die finnlihen Schönheiten, wie fie das Gothiſche und’ zum Theil‘ auch das Althochdeutſche befigen, in hohem Grade abgeblafit: Die Schwaͤchung trifft meijt die Bor= und Endfilben, weriger die Wurzeln, Aus den Borfegpar- tifeln ar, bi, ga, ur it er, be, ge und aus den Endungen mit a, i, 0, u ift das einfache e geworden, Dieſe e-Laute dürfen, auch wenn fie aus a oder aus i entitanden find, weder als umgelnutete, noch als gebrochene angefehen werden. Wir haben alfo in unſerer beutfchen Sprache dreier

Die deutichen Laute. 535

lei e-Laute. Die Ausſprache dieſes letzten e, welches dad tonlofe genannt wird, ift dunkel, tief und unbeflimmt. In zwei Worten hat fich der volltö« nenbe, urfprüngliche Vocal der Vorſetzſilbe erhalten: in Urlaub und in Ur« theil, Urlaub müßte nach den Rebenformen Erlaubniß und erlauben eigentlih Erlaub heißen. Denn Urlaub bat die Bedeutung Erlaubniß. Später befam dad Wort einen ganz beftimmten Sinn, nämlich Erlaubniß, weg⸗ gehen zu können, „Urlaub nehmen‘, fi Erlaubnig einholen, eine Reife machen zu können, fi vor dem Weggange förmlich verabfchieden. Aus diefem beflimmt geftalteten Begriffe wurde nun dad Zeitwort beurlauben gebildet, für welchen das einfache erlauben nicht audreichte. Ebenſo flieht e8 um Urtheil und urtheilen. Urtheil ift zunächft Ertheilung, dann die Ertheilung der richterlichen Entfcheidung. Der Begriff feitigte fih, deshalb blieb die alte Form haften, während der allgemeinere, unbeftimmtere dazu beitrug, daß das Wort ber Schwächung erlag. Urtheilen ift „jet etwas andered ald ertheilen, früher aber nicht. In fofern bat auch die Schwächung, wie der Umlaut bei druden und drüden, zur Vermehrung bed Wortfchages beigetragen.

Die Schwächung der Endſilbe bedarf Feiner weiteren Auseinanderfegung. Nur eined Wortes foll gedacht werden, welches der Entfärbung widerftand: das it Heiland. Ehedem ein Participium, wie Die meiften Participien auf and lautend, erhob es fich jpäter zu einem Hauptworte und Eigennamen. Ghriftus der heiland, Chriſtus der heilende, wurde der Heilende, der Heiland xar'zdoynv genannt. Das Partiripium von heilen fehwächte ſich ab wie alle Participien, aber die Form, welche eine beftimmte Perfon bezeichnete, behielt ihren vollen Wohlklang, wodurch freilich ihre Bedeutung für viele verloren ging.

Außer den berührten Vocalwandelungen, welche nach gewiſſen Gefegen und in gewiſſen Zeiträumen vor fich gehen, verdienen noch die ungefegmäßigen, die Entftellungen kurze Erwähnung. Die Grammatik hat für folche Vor⸗ kommniſſe die Bezeichnung unorganifch*) eingeführt. Wenn 3. B. aus dem mittelhochdeutjchen honec, welches im Althochbeutfchen honac lautete, Honig wird, fo ift das i in ig unorganifch entflanden. Ebenſo die Durch die unreine Ausfprache berbeigeführten Verdunfelungen oder Erhöhungen der Vocale, wenn ftatt Wirde (früher immer wirde), welches mit werth zufanımenhängt, Würde gefagt wird, oder flatt eräugnen: ereignen oder umgefehrt Reu⸗ ter flatt Reiter, gefcheut flatt gefcheit. Solche Entflellungen gehn auch in die Rechtfchreibung über und verbunfeln oft die Abſtammung und Ableitun« gen ber Worte. So wird das erwähnte ereigmen fehwerlich an das Stamm- wort Auge erinnern können. (Auch der Conſonantismus bietet jolche ſprach⸗ liche Willfürlichfeiten dar).

Auch die Veränderung der Vocale in Hinficht ihrer Quantität muß berücfichtigt werden. Das Gothifche beflgt, wie bemerkt, nur zwei lange Vo» cale, während wir jegt unfere fämmtlichen acht Vocale Tang gebrauchen Fönnen.

*) Daneben hat „‚unorganifch“ auch die Bedeutung „nicht urſpruͤnglich“; nicht immer kann von Entſtellung die Rebe fein.

536 Eprachwiſſenſchaft. Ein Grundzug gebt durch alle Perioden, der Sprachgeſchichte, der darin befteht, daß die fangen Endfilden zu Kürzen abgeichliffen und die kurzen Wurzeln verlängert werben. Vergleichen wir unfere Worte mit den mittelhoch- deutjchen, jo wird fich zeigen, daß wir eine beträchtliche Zahl von lang beton- ten mehr erhalten haben. Zwar find auch Voeale, die früher lang waren, ge fürzt worden, doc fallen diefe im Vergleiche mit den unorganifchen Rängen wicht eben ſchwer in die Wagſchale. Woher aber willen wir, welche Betonung, turze oder lange, ein Wort in früherer Zeit gehabt? Zum Theil mäffen Die lebenden Mundarten befragt werden, welche bekanntlich ſehr zäh am Alten feſt- halten, ſehr viel laſſen auch zufammengejegte und abgeleitete Worte erfennen, das wichtigfte aber find Die Neime und das Versmaß, die Metrif, Daß zu jeber Zeit Schwankungen und Verſchiedenheiten vorkommen, das lehrt unjere Gegen⸗ wart zur Genüge. Im Einzelnen tft ſelbſt die Ausfprache der Gebildeten hin— fichtlich der Ouantität nichts weniger als einheitlich, und die Mundarten unters ſcheiden fich oft bei gleichen Formen Tediglich durch die kurze oder lange Beto— nung eined Worted. Die Beachtung der Quantität der Worte ift zum Ver— fändniffe der Wortbildung und der Wortverwanbtichaft von der höchiten Wich- tigkeit, wie ſich in den fchon erwähnten Worten Gerzog und Herberge zeigt, Unjer Wort fertig zum Beifpiele wird deshalb nicht mehr verftanden, weil fein Stammmvort eine andere Quantität erlangt hat, Es verhält fich zu Fahrt wie gegenwärtig zu Öegenwart und müßte, wenn bie Fortbildung der Duantität eine einheitliche gewefen wäre, führtig lauten. Alsdann würde es auch verflanden und jeine Abftammung gefühlt. Fruͤher hieß es ſart, ſarn mit furzen a. Im Adjectivum wandelte ſich der Vocal wegen des folgenden i zum Umlaute, der nach der allgemeinen Megel mit e bezeichnet wurde. Fertig be=

wahrte die alte Kürze, während aus fart, farn: lart, faren wurde und die Medite

ſchreibung die Länge durch das Dehnungszeichen h äußerlich ausdrückte. Fer— tig ift zunächft „bereit zur Fahrt, bereit zum Weggehen“ und dann: ie tere Bedeutung, „bereit, gerüftet, am Ziele.’ u. Die beiprochenen Bocalmandelungen waren theils in der ——— theils in Zufälligkeiten begründet. Wir gelangen zu einer anderen, welde von Anz fange an vorhanden und mit dem Geifte der deutſchen Sprache eng verwachfen ift, Im Einzelnen ergeben ſich auch hier gejhichtliche und unorganifche Berän- derungen. Diefe Wandlung ift das Abjpringen des Wurzelvocals in einen an⸗ deren, der Ublaut. Er ift als die Seele der deutichen Sprache zu betrachten, er beherrſcht bie Flexion des ftarfen Zeitwortes, er ift maßgebend bei der Wort« bildung, in ihm beruht die jprachliche Schönheit und Mannigfaltigkeit. Die: Vocale, welche den Ablaut vollziehen, find allefammt rein und ungetrübt, Der Laut, welcher im Bräfend eines Zritwortes ficht, wird der Laut xur 2&oyrv genannt, die anderen Laute, welche in der Flexion bervortretem, heißen die Ablaute. Der erfte Ablaut findet fiih im Singular des Präteritums, der‘ zweite im Plural deffelben Tempus, der Dritte im Participium Pajjivi. Es bedarf aljo im Deutfchen gerade wie im Lateiniſchen vier Angaben zur Gonjuga- tion, Im Mittelhochdeutfchen wird 3. B. fingen auf folgende Weije conju=:

Die deutfchen Raute, | 537 girt: ich singe, sang, wir sungen, gesungen. Im Neuhochbeutjchen ift der zweite Ablaut immer mit Ausnahme von wir wurden (nicht ich ward, wir warden) mit dem erften zufammengefallen,, es heißt nicht mehr wir fungen, jondern wir fangen. Die urfprüngliche Form ift uns nur noch geläufig in —— Sprihworte: mn rm nd

—Wie die Alten fangen, TOT

So zwitſchern die Junge. —A———— gehört zu fingen; nad) der gram—⸗ matiſchen Ausdrucksweiſe ſteht Sarg „im Ablautöverhältniffe” zu fingen. Der Ablaut folgt beftimmten Gefegen und Regeln. Es gibt mehrere Ablauts- reihen, deren jeder eine gewiſſe Anzahl von Zeitworten zufommt. Und da die Zeitworte die Grundlage des gefammten Wortfchages bilden, fo fällt jedes nicht direct abgeleitete Wort unter eine beftimmte Ablautsreihe. Doch finden fich nicht wenige Worte, über deren Stamm und Abkunft Dunkel herrſcht.

Anziehend iſt es, dem Walten des Ablautes hachzugehen in Hinficht des Begriffes, Der Laut drückt die Beftimmung, den Zweck aus, der erfte Ablaut die Wirklichkeit und der Laut des Partieipiums das Gefchehene, den Erfolg. Zum Beifpiel; die Binde ift beſtimmt zum Binden und dadurch zum Feftbals ten, das Band bindet im Wirklichkeit, das Bund oder der Bund ift durch Binden entftanden, Mit der Zeit entjchwinden allerdings folche Begriffe dem Sprachbewußtjein, umd bie chedem ftreng auseinander gehaltenen Formen wer— den vermifcht. Zwar ift Die Binde auch ein Gegenftan, der in der That Bine det, aber Binde und Band haben immer noch verfchiedene Bedeutung. Bund bat ganz feine urfprüngliche Begriffsbeftimmung bewahrt, Ein Bund entftebt nur, wenn man fich verbunden hat; ebenjo foll ein Bund Federn oder Holz nicht binden, noch bindet er in Wirklichkeit, fondern er ift die Folge des Zu—⸗ fammenbindens von Federn oder Holz, Diefe kurze Andeutung wird genüs gen zur Erfenntniß und Würdigung bes Lebens, gr die * dem Ab⸗ laute verdankt.

Wir gehen über zu den Gonfonantenwandlungen, Die Die Bocafe mit einander verwandt find, wie ſich a, o, u zu &, ö, ü wandeln, wie e und o aus i und o entftehen, jo wechfeln auch die Gonfonanten unter einander, ja auch mit Bocalen, Die Liquiden, die flüffigen, haben gewiſſermaßen vocalifche Natur. Ein deutliches Beifpiel Bieter ung die neuitalienifche Sprache. Der italienifchen Zunge ift e8 nicht möglich, den flüfffigen Buchftaben 1 vor a, o und u auszufpres chen, darum nimmt das vocalähnliche I ganz die Natur eined Vocald an und wandelt fich zu i. Das lateiniiche Wort Nos (die Blume) müßte im Italienischen Nore lauten, es heißt aber fiorre. So wird blanca zu-bianea, plano zu piano, clara zu chiara (kiara). Die flüfftgen taufchen auch unter fih. So wechieln r und I felbft in ein und derfelben Sprache, In Schwaben fagt man im Volks— munde nicht Kirche, Birke, fondern Kilche, Bilke. Marmorftein ift und nicht fo geläufig wie Marmelftein. Im Sansfrit heißt das Salz, wele ches Wort in allen indoseuropäifihen Sprachen das I hat, nicht sala, fondern sara. Im gleicher Weife Haben I und r die innigfte Verwandticyaft. Kind

u

1% child. Das lateiniſche asinus. lautet g0=- IN God Bel. „Dirgeenfan aus Dam grifgen organ Ä ‚bietet neben orgena ſchon orgela. Das urfprüngliche m

| in dem Worte £ I Be er | Und fo taufchen bie Gonfonanten noch vielfach m und n, Lund-ch,.d und ,sundt,pundk. Nur eine Conſonantenvertauſchung verdient noch bejonderer Erwähnung, weil te nicht nur in fremden Sprachen, jondern auch in der deutfchen von großer Wichtigfeit it, nämlich der Wechſel zwifchen s undır. Bes kannt find im Lateinijchen Die Nebenformen honos und honor, Unſer deute fches war, das Präteritum som Külfsverbum fein, bieß noch im 16. Jahre hunderte was. So lautet es auch noch im miederdeutjchen Dialecte. Gothe hat biefe' alte TERRA —— gewandt: RE Ti TS), 3,7 BT ”- ui 0hıe RN * A ma inte af dr Ef Nee me ra AR Band al das ein zerbrochen Hufeiſen was. n Be Die mc rfon du warft (früßer waere) und der Blunal haben fon m Althochdeutſchen das r angenommen, im Gothiſchen dagegen geht durch das der ⸗PLaut: vas, vast, vas; pl. vösum, vasuth, vasun. Im Hoch⸗ deutjchen find überhaupt vielfach) die gothiſchen s zu e geworden. Gothiſch aus, althochdeutſch ora, unjer Ohr; gothiſch basi, althochdeutſch ber, unſer Beerez gothiſch nasjan, althochdeutſch neran, neuhochdeutſch nähren. Das heutige verlieren hieß noch im 14. Jahrhunderte verliesen ; der ⸗-Laut tritt noch her⸗ vor im Worte Verluft, Dagegen fagen wir nicht erfieren, ſondern erfie= fen; aber nicht durchgängig ift das s bewahrt, es heißt nicht erfos, erfofen, fondern erfor, erforen. So find die jet verſchieden lautenden und vers. ſchiedenes are und Wejer im Grunde ein und —— han nt m mnmın a 61 ja —————— auch Drau: eine gefhichtliche GSntwictelung fundgeben, ald zufällige bezeichnet werden, - Sierhängen vom: der Eigenthümlichfeit der Sprachwerfzeuge ab, von der Vorliebe einer Mundart für diefen oder jenen Laut. Dagegen folgt die Conſonantenwandlung, welche die Grammatik die Lautabftufung nennt, ganz beflimmten Geſetzen. Jedes Organ bat befondere Stufen; auf der einen Seite ſteht der weiche Laut, auf der anderen der gefchärfte, in ber Mitte der harte. Und wie ſich der weiche Laut zum harten verhält, jo ber gehauchte zum gefchärften. Im Allgemeinen gilt fols gende Regel: ein Laut bleibt am eheſten im Anlaute, d. h. am Anfange des Wor— 108 auf feiner Stufe fichen, im Inlaute unterliegt er am meiften der Erweichung und im Ausflaute pflegt er. verdichtet oder verbärtet zu werden. Im Mittels, hochdeutſchen wie auch in der heutigen Sprache ift es Regel, daß der weiche Laut ſich verbärtet, wenm er in den Auslaut tritt. Der b-Laut in das Weib, miüts- telhochdeutſch daz wip ift von Natur weich: in der Flexion heißt es des Weiz bes, des wibes. Dieſer weiche Laut aber wird zum harten (p) im Nominativ, Die mittelhochdeutfche Schreibung war auch wip: Im unferer Rechtſchreibung drüden wir die phonetifche Natur des Lautes, den die Lautabftufung verändert

Die deutichen Kauft. 539.

hat, allerdings nicht aus, wir behalten in allen Källen ben organijchen weichen Laut bei, aber es kann fich Jedermann überzeugen, daß ſaͤmmtliche b-Laute im Auslaute hart find, mögen fie nun hart ober weich gefchrieben werden. Ebenſo bie d-Laute. In den alten Handfchriften wird z. B. rat (dad Rad) ebenfo ges fchrieben wie rat (ber Rath), im Genitiv aber tritt bei jenem ber weiche und bei biefem der Harte d-Raut hervor: rades und rates. Troß unferer verſchiedenen Schreibung haben doch die Schlußlaute beider Worte diefelbe Ausipradye. Im Mittelhochdeutfchen hieß Tag, Schlag: Lac, slac (graphifch für tak, slak), ale: ein reined k fland am Ende. Wenn wir jet in der Schrift den organijchen weichen Laut .ded Stammes beibehalten, fo hat das feinen Grund aud) in dem Umftande, daß wir das g im Inlaute felten mehr wie g, d. i. wie weiches k ſpre⸗ chen und befonders im Auslaute für g einen dem ch Ähnlicyen Laut eintreten laffen. Bei neueren Dichtern find Reime wie Tag und ſprach, Burg und durch ganz gewöhnlich, Wie die Media zur Tenuis, fo verhärtet ji) h zur Afpirata ch, oder, was bafjelbe ift, die unorganifche Aſpirata ch geht in der Flexion wieder in die Spirans h zurüd. Wir fagen: der hohe Berg, aber ber Berg ift hoch. Diefelbe Wirkung wie der Auslaut haben auch folgende Conſo⸗ nanten: hoch, Höher, aber nicht höhſt, fondern Höchft; nahe, näher, aber nächft. Umgekehrt wird der harte Zaut im Inlaute erweicht, wenn ev: an gewifle Eonjonanten tritt. So ift der Bildungsronjonant des Präteritums. in den ſchwachen Zeitworten organijcheö t: ich jagte, wollte. .Bejonders im: Mittelhochdeutjchen haben die flüſſigen Conſonanten und vor allen 1 Einfluß auf den harten Stunmmlaut. Wir finden viele Reime, in denen follte, wollte (solte, wolte, fowie auch solde, wolde geſchrieben) mit gelde, holde reimen.

Die Lautabftufung geht innerhalb einer und derjelben Sprache vor ſich. Dagegen ift die Lautverſchiebung ein gefchichtliched Moment, welches, ob⸗ wohl nicht notwendig für dad Beſtehen der Sprache, auch nicht geboten durch _ Neigung oder Unvermögen der Mundarten das befländige Kortichreiten ber Sprache ertennen läßt, wie ed in diefer ausgeprägten Weiſe feine Veränderung im fprachlicyen Gebiete vermag. Denn nicht willkuͤrlich, ſondern gejegmäßig wird diefe Wandlung vollbracht. Das Verdienſt, das Lautverfchiebungsgefeg gefunden und begründet zu haben, bat fih Jacob Grimm erworben; nicht allein die deutjche, fondern die gefammte Sprachforſchung hat durch dieſe wiflenfchaft- liche That neues Leben und einen feljenfeften Grund gewonnen.

Die Lautverfchiebung wurde wegen ihrer gefchichtlichen Bedeutung fchon in dem Auflage über den Entwidelungsgang der deutfchen Sprache betrachtet. *) Einiged möge hinzugefügt werden. Aus dem Geſetze der Lautverfchlebung geht hervor, daß die Ordnung der Stummlaute folgende ift: weich, hart, ge⸗ ſchärft, oder nad lateinischer Ausdruddweife: media, tenuis, aspirata.- Die alten Grammatifer glaubten, der weiche Laut flehe in der Mitte, deshalb nann⸗ ten fie ihn den mittleren, die media (vox). Wenn auch dad ganze Geſetz in wunderbarer Einheit und Klarheit durchgeführt ift, fo ergeben ſich Doch nach den

*) Seite 232 und 234, 235.

540 Sprachwiſſenſchaft.

Beſonderheiten der Sprachen, welche die Lautrevolution durchzumachen haben, verfchiedene Ausnahmen und Abweichungen von dem idealen Schema, 1) Die alten Sprachen weichen felbft manchmal von einander ab; bie eine ber beiden pelasgifchen hat felbft eine Lautverfchiebung durchgemacht. 2) Die Lautverfehie- bung hat nicht ftattgefunden weder im Gothiſchen und in den Sprachen, die mit dem Gothiſchen auf einer Stufe ftehen, noch im Hochdeutfchen. 3) Die Laut · verſchiebung ift nur zum Theil durchgeführt; das Gothiſche oder das Hochdeut - ſche find auf der zunächft Liegenden Stufe ftehen geblieben. 4) Dem Lateinifchen fehlt die Aſpirata ch, es ſetzt dafür blos h, ober dieſes h ift auch. gänzlich abge fallen. 5) Auch dem Gothiſchen fehlt ch; es fegt dafür g oder h. In dem

- berübrten Auffage wurden nur Beifpiele aug ber erften Reihe angeführt, in wel-

cher allerdings bie meiſten und betimmteften anzutreffen * Die zweite Reihe ift: Belasgifc: Goihiſch— ——

Tenuis. Aspirata. Media. | Hier bietet befonderd das ——* der zweiten Perſon ein qutes Beifplef, Im Lateiniſchen ſteht die tenuis: tu, im Gothijchen heißt es thu und int Hoch⸗ beutfchen du, Wenn viele noch fhwanfen, ob fie deutſch oder teutfch ſchrei⸗ ben jollen, jo gibt das Geſetz der Lautverſchiebung den beften Aufichluß. Im Lateinifchen ſteht teudiscus, Teutones, im Gothiſchen thiudisko, Felgen

* deutsch. Aus ber dritten Reihe: m. Pelasgiſch: Gothic: Hochdeutich; * Aspirata. Media. Tenuis sam

nur Ein Beifpiel, Unſer Wort Thter, in der Schrift mit unorganifchen I, im Mittel= und Althochdeutfchen tier, tior lautend, heißt im —— —* im Griechiſchen 0 (Ihär).

Ueber die Lautverſchiebung hat Jacob Grimm in der Grammatit delt, ausführlicher in der Geſchichte der deutſchen Sprache. Rudolf v. Raumer machte fie zum Gegenftande einer eingehenden Unterfuchung. Wen bieje ftreng gelehrt nebaltenen Arbeiten zu fern liegen und doch Genaueres zu erfahren an—⸗ genehm wäre, ald bier geboten werden fonnte, dem find die beiden —— von Hahn, die gothiſche und die althochdeutſche zu empfehlen. u"

Mehrfach wurden wir in unferer Betrachtung auf die Schrift, auf die Recht⸗ ihreibung geführt, Nachben wir die wichtigften Lautverhältniſſe und Laute wandblungen befprodhen, fcheint es geratben, noch mit einigen Worten bed We— ſens unferer Rechtſchreibung zw gedenfen und die gemachten Bemerkungen zufammenzufaffen. Die Schrift Hat die Aufgabe, die Laute vermittelt ſinn⸗ licher äußerer Zeichen wiederzugeben. Schrift und Laut follen in der Theorie vollfommen übereinftinmen, in der Praris aber fommt es niemals zn einer fols hen Bereinigung. Unſere deutſche Sprache bat fehr fireng das Princip der phonetiſchen, d. bh. der lautlichen Schreibweife durchgeführt, wollftändig aber auch nicht, Wie erwähnt, wird öfters ein und derfelbe Laut Doppelt ges ichrieben. Das durch Umlaut entftandene e ift gleich a, de, men Und zergliedern wir unfere Diphthongen, fo werden wir finden, daß nur au und

Die deutſchen Raute. 541

ai der Audfprache volllommen entfprechen. Für einige einfache Confonanten ftehen uns Feine einfachen Zeichen zu Gebote, wir müfjen und deshalb mit Zu⸗ fammenfegungen helfen, wie ch, sch, ng. Und umgefehri in manchen Allen Schreiben wir einen Laut, welchen wir fonft nur durch eine graphifche Conſonan⸗ tenverbindung audzudrüden pflegen, mit einfachem Buchftaben. Anlautendes st und sp in Stein, fprechen müßten wir wie in fchlagen, fchneiden, ſchmecken, fchwören mir fch fchreiben. Ebenſo ungenau find wir in Betreff der Lautab⸗ ſtufung. Wir jchreiben immer den von Ratur weichen Laut weich, auch wenn er {m Auslaute zu hartem wird. Groß ift die Willkür in den Dehnungszeichen e und h. Auch das h in th befleht nur in der Schrift; wir fprechen es nie, und wenn ed manche fprechen, fo zieren fle fich oder glauben, e8 müßte gefpros chen werden, weil es geichrieben ſteht; unfere Aſpirata aber ift z, unfere Spirans s. Und doch flimmen Ausfprache und Schrift bei weitem eher zufammen, ala e8 im Englifchen und im Sranzöftfchen der Fall ifl. Die Schreibart diefer Spra⸗ hen gehört einer viel früheren Sprachepoche an, ſie zeigt und dad entgegenge⸗ fegte Princip der Rechtichreibung, nämlich das hiftorifche. Auch wir befigen biftorifche Elemente in der Schrift. Dahin gehört e 4. So wurde das erwähnte st und sp in Stein, jprechen früher rein, unajpirirt gefprochen, ebenfo wurde gefchrieben und gefprochen: slagen, sneiden; der fübbentfche Dia- lect vergrößerte daß s in sch und die Nechtfchreibung drückte den breiten Laut auch Außerlih aus, nur vor t und p blieb dad reine s fliehen. Hier alfo ein Fall, wo die Mechtfchreibung Hinter der Ausfprache zurüdgeblieben if. Dies nun iſt im ausgedehnten Maße im Franzöſiſchen und im Englifcyen der Fall. Die franzöftfchen Tangen Bocale a und 6 wurden ehedem fo gejprochen, wie fle noch heute gefchrieben werden, nämlich ai und au. Man hält aus Lebereinfunft, die weder unbequem, noch jchädlich ift flür den Eingeborenen, an der alten Schreib» art fe. Uns Deutfchen freilich bereitet die hiftorifche Nechtfchreibung bed Eng⸗ lifchen und Branzöftfchen bei Erlernung diefer Sprachen viele Mühe.

Unfere Betrachtung Eonnte über die verfchiebenen Erfcheinungen, welche die Laute und ihre Wandlungen darbieten, nur Turzen Ueberblid gewähren, möge fie ein Bild gegeben haben von dem überaus regen Leben, welches der Sprachgeift in einem fo gg begrenzten Gebiete entwickelt!

Die Wohlgerüche und die üblen Gerüche. 543°

Geruch und Geſchmack und an eine von den Pflanzen erinnern, aus welchen fie deftillirt find.

Der größere Theil des Oels ſchwimmt gevöhnlich auf der Oberfläche des Waſſers, welches mit demfelben übergedt; aber dieſes Waller hält immer einen Fleinen Theil des Oels in Auflöfung und nimmt davon fowohl den Geruch, wie auch den Geſchmack an. So find Rofenwafler, Lavendel-, Pfeffermuͤnz⸗Waſſer x. einfach Waffer, gefehwängert mit einer unbebeutenden Quantität des Oels, wo⸗ von ihr Name herrührt. Das deftillirte Waſſer von Myrthenblüthen gewährt . jened angenehme Parfüm, das in Franfreich unter dem Namen Engelwaſſer 6 bes kannt ift.

Die von einigen Pflanzen gelieferte Ouantität Del if fo gering, daß das

mit demfelben übergehende Deftillationdwaffer es ganz aufgelöft Hält. In fol« chen Faͤllen ift das Oel ſchwer zu gewinnen und in Folge deſſen fehr theuer. Die Rofen gehören zu den Blumen, welche ihr Oel in fo geringen Mengen abgeben, und Daher der hohe Preis für das Roſenöl. Die Rofengärten in Ghazepore find Belder, die reihenweife mit Fleinen NRofenfträuchern beflanzt find. Des Morgens find fie roth von Blüthen, dieſe werden aber alle Bormittage gefammelt, und ihre Blätter in thönernen Kolben mit dem Doppelten ihres Gewichts an Waffer deſtillirt. Das Waffer, welches übergeht, wird in offenen Gefäßen hingeſtellt, um Staub und Fliegen fern zu halten mit einem feuchten Mouffelintuche bedeckt, und des Nachts der Fühlen Luft oder Fünftlicher Kälte ausgefeßt, wie wir die Milch Hinftellen, damit fe die Sahne abfondere. Am Morgen hat fich ein duͤn⸗

ne8 Häutchen von Del an ber Oberfläche gefammelt, welches mit einer Weder abe,

genommen und forgfältig in ein kleines Fläfchchen übertragen wird. Dies wird Racht für Radıt wiederholt, bis fich das Del faft gänzlich vom Wafler getrennt bat. Zwanzig Taufend Rofen find erforderlich, um ein Rupiengewicht Del zu liefern, das für 10 Thlr. verkauft wird. Neined Roſenöl ift Daher felten zu - befommen. Das, was auf den indifchen Märkten verkauft wird, ift mit San- delholzöl verfäljcht oder mit ſüßem Salatöl verfeht. Was wir nach Europa be- fommen, ift gewöhnlich noch mehr verjeßt, wie ber Frei, den wir allgemein zah⸗ Ien, genügend beweift.

- Der woßßeicchende Stoff ift nicht immer gleichförmig in der ganzen Pflanze vertheilt. Bei einigen, wie bei der Münze und dem Thymian, finder er ſich In den Blättern und dem Stengel; bei dem Zimmtbaum in ber Rinde; bei anbe- ren, wie den Sandel= und Gederbäumen, in dem Holze, und endlich auch in ben Blättern und ter Blüthe, wie bei der Roſe, der Lilie, den Veilchen und dem Jasmin. Bei einigen, fo wie bei der Tonfa-Bohne, dem Anis und dem Küm- mel findet er fich in dem Samen, während bei anderen, wie dem Ingwer, ‚der Schwertlilie und dem Kalmus die Wurzel denfelben enthält. Es ereignet ſich fogar bisweilen, daß durchaus verjchiedene Wohlgerüche aus verjchiedenen Thei⸗ fen einer und derjelben Pflanze gezogen werden. So liefert der Drangenbaum aus feinen Blättern ein Parfüm, das man petit grain nennt, aus feinen Blüthen ein anderes, neroli und aus den Schalen feiner Früchte das eigentliche Oran⸗ genöl, auch essence de Portugal genannt.

544 um me Eu az

Dieſe flüchtigen Oele und wohlriechenden Waſſer werden ald Parfüms für Die Toilette verwendet, um bie Bonbons der Zuckerbaͤcker zu würzen ober um ‚ben feineren Gerichten des Koches einen angenehmen Gejchmad zu verleiben. ‚Die Roſen-, Lavendel-, Orangenblüthenöfe a. werden einzig und allein für den Toilettengebrauch verfauft und um die Präparate des Parfümeurs wohlriechend zu machen, während diejenigen von Gitronen, Bfeffermünze, HZimmt, Gewürz- —— faſt nur an BR

ee

| CE Tre zin Rüge Def eine sefinmnte Arme Sufommenfepuuggrten Beſitz von Cigenfchaften, bie conftant und demfelben eigenthümlich find, Unter anderen Eigenfchaften befigt ed einen mehr oder weniger ftarf hervortretenden Geruch, an welchem es in den meiften Fällen fogleich erfannt werden kann, Bon diefem Geruche, wenn er angenehm ift, hängen der Werth umd die Velichtbeit ab; und die Eigenschaft des Geruchs beftimmt, ob dad Oel zu Parfümerien oder anderen Zwecken verwendet wird. Die reinen und ungemifchten Gerüche folder

einfachen Dele werben oft hoch geichägt und von einigen Perfonen

than, womit er die wohlriechenden Stoffe verſchiedener Blüchen Et viele flüchtige Effengen mit einander vermifcht, fo daß er einen angenehmeren Geruch hervorbringt, wie aus einer einzigen Pflanze zu ziehen wäre, Weiſe entſteht das huile de mille fleurs (Del son taufend Blumen); ind das geheime Recept für das populäre eau de Cologne das Bolltommenfte der Parfümerie genannt beruht wegen feiner Vorzüglichkeit ar —— Grundſatze.

Mohlgerüche ähneln fehr ben Tönen eines muſikaliſchen Einige von ihnen vermiſchen ſich leicht und natürlich mit einander und machen fo zu jagen einen harmonifchen Eindrud auf den Geruchsſinn. Heliotrop, Ba—⸗ nille, Orangenblüthe und die Mandeln vermifchen ſich in diefer Weife mit einan⸗ der und bringen verſchiedene Grade faſt einer und derfelben Wirkung hervor. Daffelbe ift der Fall mit Gitronen, Limonen, Verbenen und DOramgenfchalen, nur daß dieje einen ftärferen Eindruck verurfachen, oder fo zu fagen zu einer höheren Detave der Gerüche gehören. Und wieder bilden Patchouli, Sandelholz und Calmus eine dritte Glaffe. Es erfordert einen feinen und wohlgeübten Geruche- finn, um dieſe Harmonie der Gerüche zu bemerken umd einen falfchen Tom zu verfpürem. Aber durch die kunſtvolle Miſchung in Art und Ouantitit von aͤhn⸗ Lich wirkenden Stoffen, werten die feinften und unveränderlichiten Wohlgerüche fabrieirt, Wenn Parfüms, welche denjelben Schlüffel des Geruchsnervs treffen, zum Gebrauch auf Tüchern vermifcht werben, jo wird feine Spur eines verſchie⸗ denen Geruch erzeugt, während ber Stoff verbunftet; find fie aber nicht nach dieſem Princip gemifcht, fo fagt man oft, daf die Parfüms kraͤnklich oder ohn⸗ mächtig werden, nachdem fie Furze Zeit im Gebrauch gewefen find, Eine Ver⸗ änderung im Geruche diefer Art wird bein echten eau de Cologne nie verſpürt.

!

Gitronenöl, Wachholder- umd Rosmarinöl gehören zu demjenigen, welche in die-

ſes Parfüm und mit einander sermifcht find. er durch den gewöhnlichen Geruchsfinn einzeln unterjchieden werden; wenn man aber zu einer Unze dieſes Waſſers wenige Tropfen Salmiafgeift fügt, fo dringt ber Eitronengeruch gewöhnlich fehr deutlich Durch.

"Aber wer auch, wie erwähnt, jede flüichtige Eſſeng chemſch Keftimmmt iſt und ihre eigenthümlichen deren der Geruch eine ift, fo hat man doch gefunden, daß die Lieblichkeit und Stärke des Geruchs ſich bedeutend ändert, je nach ber Localität, wo die Pflanze, welche ihn liefert, gewachfen it. So erreicht an den Küften des mittelländifchen Meeres, in der Nähe von Graſſe und Nizza, der Orangenbaum und die Mignonette die vollfommenfte Blüthe in den niedrigen, warmen, bedeckten Gegenden; während in demfelben Landftriche das Veilchen immer wohlriechender gedeiht, je mehr wir aus dem Tieflande aufs fteigen und uns dem Buße ber Alpen nähern. Ebenſo lieferte Lavendel und Pfeffermünze von Mitchand, in Surrey; Dele, welche diejenigen Frankreichs und anderer frember Länder bei) weitem übertreffen und acht Mal höher im VPreiſe ſtehen. Dieſer Einfluß des Bodens und des Klima's auf den Geruch der Pflan- zen gleicht demjenigen , den fie in fo merkwürdiger Weije auf die narkotifchen Beitandtheile des Tabaks, Opiums und Hanfs ausüben, 00

Das geringe Verhaͤltniß, im welchen biele Blürhen das flüchtige Oel auf dem Wege der Deftillation Tiefern, Hat zu anderen Methoden geführt, es zum Gebrauch für Parfümerien zu ertrahiren. Die Blüthen werben mit Oliven oder anderem Del befeuchtet oder mit Pomade vermifcht, und nachdem fie eine Weile gelegen haben, gepreft; oder fie werden auch in heißes Waſſer gethan und mit einem Antheil Oel oder Pomade gut gefchütteft, welcher fpäter abgefüllt wird. Bei dem einen wie bei dem anderen Verfahren wird das Del ober Bett mebr oder weniger mit dem Geruch der Blüthen gefehwängert und erhält danach feinen verhältnigmäßigen Werth. Diefer Proceß ift Maceration, enfleurage x. genannt, und fo parfümirte Fette heißen in Branfreich hauptfächlich Pomaten. Weingeift entzieht diefen wohlriechenden Ketten den Riechſtoff, und bie Löſungen werben zur Fabrikation von wohlriechenden Waffer verwendet.

Die öfonomifche Wichtigkeit dieſer Dele möge man beurtheilen nach den Ahatfachen, daf

im Jahr 1952 im England zu Ätherifehen Oelen mehr ald 200,000 Pfund eingeführt waren, belaftet mit einer Abgabe von 1 s. eSzer

eau de Cologne zum Werthe von 20,000 Tplr, |

Branzöftiche Bomaden und anbese Pasfünierien zum Werthe von 2, ‚200261.

und daß die Totalfumme der Abgaben jeder Art, die In Großbritannien für Wohlgerüche und Barfümerien aesaht wird, auf 40,000 Zi jähr- lich gerechnet it.

2) Bufammenfegung der ſachtigen Oele. Eine große Anzahl der wohl tiechenden Eſſenzen ift nur aus den zwei Elementarftoffen, dem Koblenftoff und Maflerftoff, zufammengefeßt. Und was fehr auffallend ift, manche vom ihnen, .. fonft jehr verfchieden find, beſtehen aus dieſen zwei Eiementen, in gleichem

35

1 nn en ne eur ae; ——— durch

ſes fo wohlbefannte ran namen ar Die Methoden feiner Nahahmung find folgende: · = ‚MBenn bie gewöhnliche Roffe in-umfesen Gnöwerten beftillirt wird, foigeht eine Quantität. trägen Stoffes (das Kohlentheer) mit dem Gas über, welcher zu unjerer Straßenbeleuchtung verwendet wird. Wenn diefer träge Stoff wie- ber für fich deftillirt wird, fo erhält man eine dünne, ſehr brennbare Klüffigkeit, bekannt als Kohlennaphta. Es ift dies eine Miſchung verfebiedener Subftanzen, deren eine eine fehr belle, farblofe Flüffigkeit ift, bezeichnet mit dem Namen Bene zol. Mifcht man dieſes Benzol forgfältig mit Salpeterfäure (aqua ſortis), jo vereinigt es fich damit und bietet ein wohlriechendes Compoſitum (Nitrobenzof), welches in Geruch und Ausfehen fehwerlich von dem Oel der bitteren Mandeln unterfchieden werden kann, Im Handel kennt und verfauft man ed unter dem Namen des Fünftlichen Bittermandelöls und der Effenz de Mirbane. In ber Zujammenfegung weicht es von dem wirklichen flüchtigen Del der bitteren Man- deln ab, ähnelt: demfelben aber jehr im Geruch und ift beim Parfümiren der Seife ein vorzügliches Subftitut deſſelben. Auch ift e8 gefunder als das natür- liche Del zu Zwecken ber Gonditorei und der Kochkunſt, weil es nie Blau— fäure enthalten kann, welche bisweilen in bem natürlichen Del vorhanden iſt. Die zweite Methode, dies flüchtige Del nachzuahmen , nimmt ihre Zuflucht zu Subftanzen von ſehr verſchiedenem Urfprung. Der Urin bed Pferdes und Nindviehes enthält einen ſaueren Veſtandtheil, welcher Leicht in feſtem Zuftanbe von bemfelben auszufcheiden iſt, und den die Chemiker unter dem Namen Hip- purfäure Eennen, Wenn biefe Säure über einer Lampe erhitzt wird, ſo ſchmilzt J 35 * 2

548 Sr ee 32

fie, und bet 460° 8. fängt fle an zu kochen, Es deſtillirt dann eine flüchtige Subftanz über, welche 13 Proc. Stidftoff enthält und der man den Namen Ni- trobenzyl gegeben hat. Der Geruch diefer Blüffigfeit iſt dem des flüchtigen

Bittermanbeläfs fo ähnlich , daß man fie leicht Damit verwechfeln‘fann. Wir

J we t t d. . | | = lich ind und die Gippurfäure Gillgdikahlrrtraplehnerien täten), To iſt das wohlriechende Nitrobenzyl mit geringen Unkoſten zu fabriirem,

Der denkende Leſer wird das Streben und die ſociale Wichtigkeit jolcher Refultate und Forſchungen zu würbigen wiſſen, an denen die Unterfuchungen der neueren Chemie jo reich find. Sie erftreben, unnügen Stoffen neuen Werth zu geben, indem fte neue Verwendung derjelben entdecken, und gleichzeitig die Lurusartikel und materiellen Berfeinerungen, welche bisher nur Wenigen zugänge lich waren, wohlfeiler und für die Menge erreichbar zu mache.

4) Die Kampherarten, Valſamarten und wohlriechenden Harze find alle mehr ober weniger fefte Gegenftände, beſitzen einen mehr oder weniger angeneh-⸗ men Wohlgeruch und enthalten immer Sauerftoff als einen ihrer Beftandtbeile, Durch ———— mit —————— —⏑—⏑—⏑—æ2&—— ee: —— wandelt. | Pr ———— 88. giebt verſchieden⸗ ee Kampher. Die zwei im Handel am häufigften vorfommenden find der Japanifche Kampher, auch Holländifcher genannt, weil er gewöhnlich von den Hollaͤndern nad) Europa gebracht wird, und der Chinefifche oder Kormofasffampher. Jeder Theil des Kampherbaums (Laurus camphosa) ift mit dem Parfüm gefchwängert. Er wirb ertrahirt, indem man Die abgehauenen Zweige in Waffer focht; ber Kampher ſteigt an bie Oberfläche und geht in den teren Buftand man nachher das Waſſer erkalten laͤßt. 1

Der Geruch des Kamphers iſt ſehr ſtark, cheratieriſtiſch und vielen Verſo⸗ nen fehr angenehm. Er wird zur Parfümirung von Seifen, zahlreichen anderen Toilettengegenftänden benutzt.

Der fogenannte Borneo-⸗Kampher wird von einem anderen Baume (Drpos balanops) gewonnen, durch Zuthun von Salpeterfänre aber in gewöhnlichen Kampber umgewandelt. Auch wird ein Fünftlicher Kampher aus Terpentinöl bereitet; aber er enthält nicht die Zufammenfegung, ober hat nicht den Geruch des natürlichen Kamphers und Fann nicht an die Stelle befjelben treten. 1

b. Die Balſamarten find dicke, mehr oder weniger wohlriechende Flüſſig⸗ keiten, welche, gleich dem gewöhnlichen Terpentin, dadurch gemonnen werben, dag man Einfchnitte in Die Minden der Bäume macht, welche fie liefern. Dex Peruanifche Balfam und der Balfam von Tolu, welche zu den meift befannten gehören, find im diefer Weife aus verfehiedenen Arten des mirospermum gezogen, welcher in Peru, New-Granada und an den Ufern des Magdalenenftromes in Süd-Amerifa waͤchſt. Sie beftehen hauptjächlich aus einem wohlriechenten flüch- tigen Del, welches übergeht, wenn fte allein beftillirt werden, und aus einem faſt geruchlofen Harze, das zurücbleibt. Der Beru-Balfam bat einen Fräftigen, aber

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r inem natürlichen Zus ftande entftrömt, . 2) Beife Dämpfe einer flüchtigen wohlriedhenben Säure, bie bereitö im Harze vorhanden, ſteigen auf und vermifchen ihren Geruch mit dem des flüchtigen Oels. Und 3) wird ein anderes flüchtiges aromatifches Del durch bie Zerjegung des Harzes auf den rotbglühenden Kohlen erzeugt, Die Dämpfe diefes Oels fteigen ebenfalls auf. und vereinigen ſich mit denjenigen der anderen Subftangen, wodurch, denn. die volle Wirkung, auf bie, Geruchsnerven hervorge- bracht wird, wonach Die Räuchermittel gefhägt werden.

| | e ei ches be⸗

ſchrieben, —— der Vanille gleicht. Dieſes hochgeprieſene Barfünı findet fich in den Schoten einer orchideenartigen Pflanze (Vanilla aromalica ‚oder plani- folia), welche den alten Merikanern ſchon lange befannt war und wahrfcheinlich wie jegt von ihnen benugt wurde, ihren Lieblingsgenuß, die Chocolade, zu wür- zen. Die beſte Banille iſt bis jeht Die mexifanifche, wenngleich. weniger. gejchäßte Arten durch. Gattungen. jener Pflanze erzeugt wurden, die, 5 des tropiſchen Amerika wachſen. Die Frucht dieſer Pflanze iſt eine, lange flei-

ſchige, mit runden Samenkörnern gefüllte Schote. Wenn ſie reif Baht 2—6 Tropfen einer Flüffigkeit geben, welche einen. vorzüglichen Geruch hat und

den Namen Vanillebalfam führt... In Europa ſieht man dieſen Balſam indep nie, Die Schoten werden an der Sonne getrocknet und dann ein wenig in Gaͤh⸗

Die Wohlgerüche und die üblen Gerüde, 551

Autoxanthuln odoratum, das wohlriechenbe Niichgras.

Melilotus oſſicinalis, der gewöhnliche Bonigklec.

Melilotus caerulea, der blaue oder Schweizer Sonigklee.

Es ift alſo derſelbe Riechſtoff, weicher Der Tonka⸗Vohne, dem Faham⸗Ther

von Mauritius, unſerem dreiblaͤtterigen Klee uiſb wohlriechenden Heufeldern, auf denen Süßflee und Ruchgras vorwalten, ihren Wohlgeruch gibt. In der Schweiz wird ber Suͤßklee in befondere Käfeforten gemifcht, und der darin ent⸗ Haltene Coumarin giebt auch dem Schabzieger Käfe feinen befonderen wohlbe- fannten Geruch. Man kennt manche andere wohlriechende Gräfer, wie Hierochloe borealis, Ataxia horsfieldii, Andropogon Iwacancusa, Andropogon schoenanthus ober Eitromangras x. xc., in denen wahrfcheinlich Fein Coumarin vorhanten ifl. Das Andropogon muricatus (der indianifche Kuskus) Liefert fogar ein vorzügliches tohlriechendes Del, das dort zu Sande als Medicin benugt wird. Zweifelsohne giebt e& deshalb in verſchiedenen Ländern andere wohlriechende Subſtanzen, von denen bei getrodineten Bräfern der angenehme Geruch herrührt.

Ich Habe den Einfluß angedeutet, den der Goumarin in Form von Daͤm⸗ pfen auf dad Gehirn übt. Es ift nicht unwahrfcheinlich, Daß das Heufteber, dem viele reizbare Perfonen audgefegt find, dem Umſtande zugefchrichen'werden muß, daß diefe Subſtanz während der Heuernte in ungewöhnlicher Menge in der Luft vorhanden if. In Jahreszeiten, welche befonders heiß find und an Orten, wo die wohlriechenden Gräfer in ungewöhnlicher Fülle vorhanden find, ift es keines⸗ wegs unwahrfcheinlich, dag man einen Leberfluß an Coumarin⸗Daͤmpfen in der Luft antrifft.

Die Aetherarten, welche den Pflanzen entnommen werben, find dem Chemiker gegenwärtig die intereffanteften aller natürlichen Riechſtoffe. Dies In- terefje rührt von dem Umftande ber, daß eine forgfältige analgtifche Unterfuchung einer derjenigen, welche aus lebenden Bflanzen erzeugt waren, und den Schlüffel negeben Hat zu der wahren chemifchen Zufammenfegung nicht nur dieſer Sub⸗ ftanzen felbft, fondern auch zu der Methode, Fünftlich eine beinahe endloſe Ver⸗ ſchiedenheit vom wohlriechenden Compofitionen zu produciren.

1) Weinäther. Wird Weringeift mit der doppelten Menge Vitriolöl (Schwer felfänre) In einer Retorte gemiſcht und mittelft Wärme deſtillirt, fo geht ein fehr leichtes, flüchtiges und etwas ftark riechendes Liquidum über, das unter dem Namen Aether oder Weinäther befannt ifl. Es unterfcheidet fich in feiner Zu⸗ fammenfegung von Alkohol nur dadurch, daß ed weniger Elemente des Waſſers enthält,

Wenn man in die Netorte, außer dem Alkohol und der Schwefelfäure, eine hinreichende Menge falpeterfauren Kalte (Salpeter) einführt, bevor die Mifchung deftillirt wird, fo verbindet fich die Salpeterfäure mit dem entflehenden Aether, und es geht eine zufammengefegte Aetherart über, welche in den Kaufläden Sal- peteräther heißt. Dies befteht aus Weinäther und Salpeterfäure mit einander vereint und iſt fehr Teicht, flüchtig und nicht übelriechend. Führt man anftatt des Salpeters effigfaures Kali in die Metorte, fo vereinigt fich die Ejfigfäure

Die Wohlgerüche und Die üblen Gerüche. 553

und die zufammengejegten Aether, welche fie bilden, werden jemalig nach der Säure und dem einfachen Aether, Die fie enthalten, benannt. So ifl ber gewöhn- liche Salpeteräther, befien ich. Erwähnung that, falpeterfaures Antholorvd, ber gewöhnliche Eifigäther eſſigſaures Anthyloxyd u. f. w.

Mit Hülfe diefer vorläufigen Erklärung wird ber in der Chemie nicht be wanderte Leſer Leicht Alles, was ich im Kolgenden über den Kortichritt und den gegenwärtigen Standpunkt unſeres Wiſſens in Bezug auf ätherifche Riechſtoffe mittheile, verftehen und würdigen können,

4) Wintergrün⸗Oel. Im Staate Neu⸗Jerſey, in Nordamerika, wächh die Rebhuhnbeere, Theebeere oder Wintergrün (Gaultheria procumbens) reichlich in den Wäldern und auf trodenen Rooren, Es iſt eine inımergrün flarkrie- chende Zwerg⸗Heidepflanze und befitt einen angenehmen aromatifchen, der wohls riechenden Birke ähnlichen Geruch. Es wird fchon feit langer Zeit gefammelt und wegen bes wohlriechenden Otels, das daraus gewonnen wird, gleich anderen wohlriechenden Pflanzen deſtillirt. Dieje natürliche Effenz wird in Menge in Europa eingeführt und ift im Handel unter dem Ramen Wintergrün«Del befannt.

Erft vor wenigen Jahren entdeckte cin franzöſiſcher Chemiker (M. Cahours), indem er mit diefem Del experimentirte, daß es, ungleich den gewöhnlich aus Pflanzen gewonnenen wohlriechenden flüchtigen Delen wie Pfeffermüngze, Zimmet, Unis, Wacholder sc. ein zufammengefegter Stoff jei, zur befann- ten Bamilie der zufammengejegten Aether gehörig, und daß es gleich diejen auf chemiſchem Wege zerlegt und wieder zufammengefegt werden könne. Died war der erfle Schritt in einer neuen Richtung und eröffnete der praftifchen Forſchung ein neues Feld, das, wenn auch bis jetzt nur theilweiſe bebaut, doch ſchon höchſt unerwartete Fruͤchte getragen hat.

Ich habe ſchon der bitteren Subſtanz Salicin erwähnt, welche durch einen beſonderen Proceß in die wohlriechende Spiräaefjenz verwandelt werden kann. Durch einen anderen einfachen Proceß laͤßt fih Died Salicin in eine fefle, kry⸗ ftalliniiche faure Subflanz, die Salicglfäure, umwandeln ; wird die Salicyljäure mit Holageift vereint, fo bildet ſich Wintergrün⸗Oel. Diefe Verbindung wird auf natürlichem Wege aus der Gauliheria procumbens erzeugt; dafjelbe gefchägte Parfüm kann aber jegt, da wir deſſen Ratur kennen, Eünftlich hergeftellt werben. Indeß ift das zu dieſem Proceſſe erforderliche Salicin zu Foftfpielig, als daß es bis jetzt zur Erzeugung jenes Oels mit Vortheil angewendet werden könnte.

5) Künftliche wohlriechende Aether. Chemiſche Unterſuchungen haben mitt⸗ lerweile in den Laboratorien zuſammengeſetzte Aetherarten eutdecken laſſen, welche nach unſerem bisherigen Wiſſen nicht in der Natur vorkommen, die ſich aber. durch jo angenehme Wohlgerüche auszeichneten, daß ſie hierdurch den geſchaͤtzte⸗ ſten Parfüms zur Seite geſtellt zu werden berechtigt ſind. Viele von ihnen haben ſchon einen wohlbegründeten Platz im Handel und find Gegenſtaͤnde einer aus⸗ gebehnten und vortheilhaften Fabrikation geworden. Dergleichen find

a. dad Birnöl, oder Effenz von Iargonellbirnen, welches, wenn e8 verkauft wird, eine geiftige Löſung von effigfaurem Amyloxyd ift, ber Zufammenfegung

554 har re une

mit fünf oder ſechs Mal * viel heine rt par ini ee und kvieb! von: ben (Gonditee®

J irre Er find ebenfalls Verbindungen des Amhl- oder Fuſelathers mit Säuren. Sie werden gebraucht, uni den britifchen und ande ·

ven geringen Branntweinſorten den Säuren fie enthalten, iſt den Chemikern noch nicht befannt.

EGs wird dem Leſer ald des Bemerkens nicht umehrdig erfeinen; Daß def ſelbe Fufelöf, welches feines widrigen Geruch und Geſchmacks wegen ſot von dem Deftillatenr aus den ftarfen von ihm bereiteten Getränken em unter den Händen des Chemikers den aenea⸗ ER sth Wenn

dd. Ananasol AR eine Verbindung des gewöhnlichen nit m Bu fir, Ve Yan Dar) fo vl mi Es hat den angenehm der Ananas umd wird in England gebraucht, um ein fäuerliches | Limonade zu würzen, die man Ananad-Ale nennt. Im en aͤhnlich zu ſchlechtem Rum verwendet. Die Butterfänre, die in biefem zuſam- mengefegten Aether enthalten iſt, iſt dieſelbe Subſtanz, die der frifchen Butter ihren eigenthümfichen angenehmen Geruch gibt. Eine Methode, den Acther zu bereiten, befteht darin, daß man die Butter in eine Seife verwandelt/ die man mit Alkohol und Schwefelſäure deſtillirt. ar

Es iſt nicht rathſam, dieſen Aether zum Parfümiren von Schnupftüchern zu verwenden, weil er nach wiederholten Einathmen beffelben eine unangenehme Neizung der Lufttoͤhre und bei Tängerem Gebrauch Heftige Kopffchmergen verur⸗ ſacht. Uebrigens iſt er für ben Parfümeriefabritanten zu mancherlei gwecken verwendbar, und als Würze ift er für den Gonditor unfchägbar. 40

e. Melöneneffenz ift eine Verbindung des Weinäthers mit Kocosfänre, eine Säure, die im Coeusnußol sorhanben iſt. Die Bereitung ber Meloneneſſeng ges ſchieht im derfelben Weiſe, wie die des Ananasöls, indem mir mir anftatt der Butterfeife eine Eocuönußölfeife anwendet,

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Die Wohlgerüche und bie üblen Gerüde, 355

f. Outtteneffonz iR Weinäther mit Pelargonfaͤnre. Berbännt mit Wein⸗ geift, beftgt fle im hoͤchſten Grade den angenehmen Geruch des Dels, das aus Der Quittenſchale ertrablet wird. Sie wird fehr Leicht gewonnen, indem man Nau⸗ tendl mit erbännter Balpeterfäure (aqua fortis) deſtillirt.

:g. Ungarweindl iM Welnäther in Berbindung mit einer - eigenthümligen Säure, Namens Oenanthſaure. Diefe Verbindung findet ich in allen Trauben weinen und wird ald Ertract gebraucht, um einen Fünfllichen Cognac zu pam fümiren, der dann kaum von Dem echten zu unterfcheiben ift. Bu dieſem Zwetke wurde ed noch neuerlich in Breslau zu dem Preife von 90 Thlr. pr. Pfd. zum Ver⸗ Tauf ausgeboten! Es war in Ungarn bereitet baber der Name und aus Weinbeerſchalen deſtillirt. Es if Fürzlich von Schwarz unterjucht worden, wel- cher nicht allein feine Bufammenfegung und chanifchen Verbintungen dargelegt, Tondern auch einen billigen Proceß vorgefchlagen hat, wodurch es zufünftig im Menge präparirt werden kann.

h. Andere künftlicye Wohlgerüche. Die hier angeführten find fo zu Tagen nur Proben von der beinahe endlojen Berfchiedenheit Fünftlicher zufammengefeg- ter wohlriechender Aether, welche theils ſchon fabricirt werden, theils auf billi- gem und leichtem Wege zum Gebrauch ald Barfümerien hergeftellt werden kön⸗ nen. Es gibt 3. B. viele andere Säuren, die im Stande find, ſich mit jeder der einfachen Aetherarten zu verbinden, welche ich erwähnt babe, und mit ihnen zufammengefepte Aether von angenehmen Geruch zu bilden. Wir wiffen fchon, daß die Ameifenfänre und Hippurfäure jede in Verbindung mit Wein- and Holy geift Uetherarten liefern, welche fehr angenehme, bis jept noch namenlofe Par⸗ füms find; und beinahe unerjchöpflich ift Die Reihe ähnlicher Verbindungen, bie mit anderen Säuren gebildet werden.

Außer den drei einfachen Aetherarten aus Weingeift, Holzgeift und Fuſeloͤl gibt es nämlich viele andere einfache Aether, welche nicht fo befannt find ala jene, in Verbindung mit derjelben Reihe von Säuren aber Zufammenfegungen von mehr oder weniger wohlriechendem Charakter bilden.

So gibt Saprpläther oder Capryloxyd mit Effigfäure eine Verbindung von fehr ſtarkem und angenehmen Geruch. Diejenigen, die es mit anderen Säus ren bildet, find noch kaum befannt, viele von ihnen find aber wegen ihres aro⸗ matifchen Dufts bemerkenswert, Den Whiskytrinkern wird es intereflant fein zu erfahren, daß man den eigenthümlichen Duft dieſes Getränke der Anweſen⸗ heit einer Verbindung dieſes Caprylaͤthers zufchreibt.

Auch der Propyläther, oder das Propplorid, gibt in Verbindung mit Butterfäure einen reinen Ananasgeruch, welcher demjenigen vorzuziehen ift, der durch dieſelbe Säure mit Weinäther gebildet wird, und manche andere noch un⸗ bekannte Wohlgerüche werden ohne Zweifel bei und gebräuchlich werden, wenn die Verbindungen diefer einfachen Subſtanz erft weiter erforfcht find.

6. Dad Bouquet oder die Blume der Weine. Unter die Wohlgerüche, die wir genießen, muß auch die Blume unferer Lieblingsweine gerechnet werben. Diefe Blume rührt Hauptfächlich von der Anweſenheit eines oder mehrerer jener flüchtigen ätherifchen Dele her, welche den vorbefchriebenen ähnlich find.

556 und nid euer 0 Allgemein geiprochen hängt ber beſondere | Mei

ſelbe —— —— bindung des gewöhnlichen Weinaͤthers mit einer beſonderen Säure, der Denanth⸗ jäure. Diefer Aether befüpt in reinem Zuftande den charalteriſtiſchen Geruch bes Traubenweins in jo hohem Grabe, daf er beinahe beraufcht. Er gibt, allen Zraubenweinen, man möchte fagen, bie Gtumblage ihres Gefhmads,

Wenn aber der Rüditand Des Weines das, was übrig. bleibt, ‚wenn der Altofot, und Denanthäther abdeftillirt find mit gebranntem Kalt pers miſcht und wiederum deftillirt wird, jo geht eine ——— ſtanz über, die in hohem Grade das eigenthuͤmliche Bouquet des Weines, beſitzt, den wir eben prüfen. Jede Weinſorte liefert bei dieſer Behan eigenes beſonderes und charakteriſtiſches wohlriechendes —* fiſche Bouquet, ‚verbunden mit dem allgemeinen weinartigen Geruch des Oenanth athers, der allen Weinen gemein ift, übt auf ben, Geruchs- und Geſchmacksſiun die volle Wirkung, um deren willen jeder befondere Wein ausgezeichnet, und ge= ſchaͤtzt wird. Die Schnelligkeit, mit. der ſich die Blume eines Weines verliert, hängt theils von dev größeren oder geringeren Zlüchtigkeit der befonderen wohl- riechenden Stoffe ab, die er enthält, theild von. der Leichtigkeit, - diren ober ſich anderweitig verändern, wenn fie der Luft ausgeſetzt find,

Wenig iſt bis jegt über die wahre chemiſche Natur diefer befonderen Ric ftoffe bekannt, Winkler jagt, daß fie baſiſche und alkaliniſche Eigenſchaften be— figen, Stidjtoff enthalten und fid) in den Weinen in Verbindung mit beſonde - sen flüchtigen Säuren vorfinden, Sie find immer vereint mit den vorbefchrie- benen Oenanthaͤther, aber jelbft find ſie feine Aetherarten. , Wenn. man. fie,erft genauer unterfucht bat, jo werden fte und wahrjcheinlich eine andere große Fa— milie angenehmer Gerüche kennen lehren, und die natürlich entſtehende Frage wird. fein: Können. wir dieſe Subftanzen durch fünftliche Proceffe präpariven? Können wir.dem Wein-Fabrikanten lehren, je nach Belieben ein Faß mit dem Bouquet des Lafitte, ein anderes mit dem des zu wuͤr⸗ zen? u. ſ. w. Yu

Ich brauche wohl kaum zu daß das Verſehen Ver: Branntweine und Biere, um ihnen ein beliebtes Bouquet zu geben, Lange bekannt geweſen und in ausgebehntem Maße in Anwendung gebracht iſt. Ich babe bereitä er

funden wird, der ſich am Unterleibe Größe eines Rehs befindet, welches die Gebirge von China, Thibet, Tonkin, der Tartarei und Sibiriens bewohnt. Man erhält e8 nur vom Minnden. Wenn ſo bildet Re

ſtalt Meiner runder Körner an, welche auf Papier einen braunen Strich abge ben und fich Teicht in Pulver gerreiben laſſen. Er iſt einer ber ſtärkſten, durch⸗

dringendflen und anhaltendften Riechſtoffe. Er haftet von ſelbſt und gibt Allem , was in feine Nähe fommt, einen dauernden Geruch. Man trifft Mo— ſchus von verfchiedener Qualität und fein hoher Preis jegt ihn fehr der Ber flfehung aut. Im reinen Zuftanbe löſt er ſich in drei Vierthellen feiner Menge in Waſſer uf. 00000. in Tu ie ah

Die chemiſche Natur bes Mofchus ift micht völlig Flar, Er enthält vers fchiedene weniger ſchaͤtzbare Beftandtheife, deren allgemeine Eigenfchaften und Urfprung befannt find, aber der chemifche Charakter und bie Zufammenfegung. desjenigen, welcher den gefchägten Geruch abgibt, iſt noch nicht genau erforfcht. Ebenjo wie das Weinbouquet ſcheint er aus einer flüchtigen Säure und einem flüchtigen Alkali zu beftehen, welche man burch Deftillation mit Kalk getrennt

558 Pe PER Te —— ——— 47 hat. am woran

in einer Höhe von 17,000 Buß waͤchſt, hat einen jo Moſchusgeruch, daß glauben, das Moſchusthier, das ſich an ben ———— findet; habe feinetr Geruch von Freffen diefer Pflanze, Ein anderes Delphioium, das Delph. brunonianum, weldyed an den weftlichen At hängen dem Himalaya waͤchſt, hat einen ähnlichen, aber weniger umangeneh Moichusgeruh, Das Weſen der nach Moſchus riechenden Subftangen im bie Pflanzen iſt noch nicht belannt... Ungefaͤhr 6000 Unzen Moſchus werden jährlich hier zu Lande eingeführt, außer demjenigen, der aus China und Rußland kommt. Jeder natürliche Beu⸗ tel oder Sad wiegt nur ungefähr 6 Drachmen, wovon noch weniger wie bie Hälfte Moſchus ift. Es iſt noch bemerfenswerth, daß während dieſer Geruch im England: und anderen Ländern fo jehr geichägt wird, er in Italien: —* widerwaͤrtig gilt und viele Perſonen kranl macht 2) Der Zibet. Die Subftang, die im Handel unter ee befannt ift, wird von zwei Thieren abgefchieden, die dem Gefchlechte Viverra ans gehören (V. zibetha und V. eivetta), beren eines in Ajten, das andere in Afrien heimifch iſt. Der Zibet ift von einer blaßgelben oder bräunlichen Farbe, hat gewöhnlich Honigconſiſtenz und einen etwas fcharfen Geſchmack. Sein Geruch ähnelt dem des Moſchus und iſt umverbünnt fo Fräftig, daß er Manchen unangenehm berührt; wird er aber mit einer großen Onantität Buts ter oder anderen verbünnenden Subftangen vermifcht, fo wird der Geruch ange nehm aromatiſch und fein. Er wird nur ald Parfüm benugt und hauptfächlich, um ihn mit weniger Eoftbaren Miechitoffen zu vermifchen und deren Wohl- geruch zu erhöhen, Lavendel und andere wohlriedyende Waffen werben durch ein geſchicktes a bes Ziber im geringen Duantitäten angenehmer gemacht, Kr an ZB 2 In dem nörbfichen Afrika Wiſchen dem rothen Meere und Abyſſinien ſteht bie Zibetkatze, von den Arabern Kedis genannt, ſehr hoch im Werthe. Man hält fie dort in großer Anzahl im geflochtenen Käfigen, um den Zibet zu ſam— meln, ben fie abfondern. Bon den Weibern wird er henutzt, um ihren Ober⸗

Die Wohlgerüche uud. Die üblen Gerüche. 558

Züspee., Hals. damit einzureiban. Gein angenehmer Beruck ichermältigt Die unangenehme Ausdůnſtung ihrer Dunklen Haut in jegem heißen Clima.

Bibergeil (Castoreum) iſt cine natürliche Abſonderung des Vibers, in ſei⸗ nem Urſprunge und feinen Eigenſchaften dem Moſchus und Zibet aͤhnlich. Gleich dieſen Subſtanzen hat es im faiſchen Zuſtaude einen- ſtarken durchdringenden Geruch und einen bitten, ſcharfen Geſchumack. Der Geruch indeß ſtinkond und unangenehm, und wird das Bibergeil deahalb nur in der Medicin und nie als Parfüm verwendet. Hyraceun if eine ähnliche nom Bergbach& (Hyrax capengis) fonımende Subſtanz. Es gleicht dem Caſtoreum im Geruch und wird bisweilen flatt feines zw wedicinifchen Zwecken gebraucht,

3) Das graue Ambra ift eine wohlrischende Subſtanz, welche mar auf dev See in der Nähe der Moluften und auch in anderen Theilen bes Inbifchen Oceand und an den Küften Gud⸗Amerikas ſchwimmend autrift, Man; glauht, daß «8 bon. dem Pottſiſche audgeworfen wirb, in dem man es biöweilen gefunden has.

Im frifchen Zuſtande ift das graue Ambig feft, gräulich, geftreift ober mar⸗ morirt und etwas weich. Es befieht zum Betrage von 9/ı des Gangen aus einer wohlriecgenden,, in Alkohol auflösbaren Eubftanz, der man den Ra» men Ambrein gegeben bat. Diefem Gauptbeftandtheil ift fein Gebrauch als Parfüm zuzufchreiben.

Ambra wird felten allein gebraucht. Die Ambraeffenz des Parfümenrs ift eine alkoholiſche Löſung diefer Subflang, welcher man das Del der Mofen, Relten sc. je nach Gutdünken Hinzufügt. Die fogenannte Zibettinetur wird durch Erweichung einer halben Unze Zibet und einer Viertelunze Ambra in einem Quart gereinigten Spiritus erzeugt. Jede biefe Tincturen, in geringen Duantitäten dem Lavendelwaſſer, Bahnpulver, Saarpuder, den Zoilettenfeifen sc. hinzugefügt, teilt dieſen eigenthuͤmlichen Geruch des Ambras mit.

In der Beitäntigkeit und Dauerbaftigkeit des Geruchs kommt Nichts den tbierifchen Niechftoffen gleih. Ein Schnupfiuch, dad mit Ambra parfümirt ift, behält den Geruch felbft nach dem Wafchen deſſelben; Mofchus und Zibet find beinahe nicht weniger dauerhaft. Diefer Eigenheit verdanken dieſe Subſtanzen ihren vorzugsweifen Gebrauch als Parfüm. Ste theilen den flüchtigen Schnupfs tuchparfums einen Geruch mit, welcher andauert, nachdem: die weniger haftenben BeftandtHeile verfchwunden find. Gin Liehlingsparfüm biefer Art, das extrait d’ambre der Parifer Parfümerien, ift eine Mifchung von */a Näfel esprit de rose triple, 1 Röfel Ambraertract, *a Röjel Moſchuseſſenz und 2 Unzen Va⸗ nilleertract.

Wenn ein Schnupftuch mit dieſer Miſchung gut parfumia if, fo behält e8 ebenfalls feinen Duft noch nach dem Waſchen.

Der hohe Preis, in welchem das Ambra, gleich wie der Mofchus und Zibet, im Handel fteht, verleitet zu häufigen Berfälfchungen, ſowohl bier zu Rande wie auch dort, woher er importitt wird. Die chemifche Ratur dieſer Subftanz ift noch nicht fo genau feflgeftellt, daß wir zu der Hoffnung berechtigt wären, bald ihr wohlriechendes Ingredienz auf Fünftlichem Wege erzeugen zu koͤnnen. Indeß deutet die Beobachtung, daß getrockneter Kuhmiſt nach Ambra

* —2* —— pP Nichts über Die chemifche Natur der Niechſtoffe betannt if, ı che vom Infeften nn | M

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zuſammengeſtellt babe, . Mangel an Me

mir aber, auf mehr als eine oder zwei B—— vn |

1) Gin Umftand, welcher unſere Aufmerffamkeit ſehr in A Ve ift, Bape antmeifegen rfprunga TeLSR oc ea ntlich großer Vertheilung für unſere Sinne wahrnehmbar find, ir Stütd | ſchus verbreitet nicht nur einen ftarfen Geruch, wenn es erfi wirb, fondern dies dauert fort in einer beinahe unendlichen 3 doch kann der Geruch nur dadurch berurfacht werden, —** beſtandig von dem Moſchus abſondern, jo lange er ber Luft ausgeſeht bleibt Wie unbegreiflich geringe am Gewicht, wie ee dehnun elf DE Oi fen, nun rien Vie RE e on terie befteht! near.

Faſt biefelßen Bemerkungen gelten: ben segelabiifigen Saãckchen Kampfer wird Tagelang einen großen Raum a füllen, ohne irgend eine weientliche Verkleinerung an Gewicht zu erfahren. Ein einziges Blatt des Honigklees wird Jahrelang jeinen Wohlgeruch he äußern, und doch würde wahrfcheinlich bie Dnantitit Goumarin, die «8 ı kaum durch die feinfte Waage zu jchägen fein. Wir willen, wie ein Reſeda, im ein offenes Fenſter geftellt, einen re mern eindringenbe Luft parfümirt. Im heißen Klimaten, befonders während der Morgen» und Abendftunden, iſt aber dieſe Verbreitung der Bernd nnd auf

3

Die Wohlgerüche uub Ue üblen Gerüche. 861

fallender. ‚Der: Geruch der Balſam liefernden Humeriaden iſt in einer Ent ſernung von 3 Meilen don den Küſten von. Süd⸗Amerika bemerkt eine Art von Tetracera verbreitet ihr Rarfum ebenfo weit von: ber Infel Sub um das Aroma der :Spiee-Infeln reicht: weit über das Meer.“

: Die Menge des aͤtheriſchen Oeles, welches dem Aanbenwein fein eigen» thumliches Aroma gibt, iſt nur auf 1/40,000 ber Weinmenge geſchätzt wor den, und das des gebrannten Kaffees auf 1/50,000 feines Gewichts; Das Ogon aber, welches in dev Atmofphäre exiſtirt, if deutlich bemertbar, wenn man es auch: mit 500,000-Mat fo viel Luft vermiſcht.

2) Die Beinheit der Pörperlichen Organe, : durch welche wir dieſe außer» ordentlich verbünnten Riechſtoffe wahrnehmen, : ift ebenfalls ein Gegenſtand der Bewunderung. Der Geruchöfinn entdeckt und entjcheider über die Anweſenheit dieſer unendlich Kleinen: Molechle, : Dies tft merfwärbig, uber eu that: noch mehr. Er unterfcheidet zwiichen ihnen, indem er den Eindruck ber einen Glafle für aus genehm erklärt, ‚den der anderen für das Gegentheil; Gr wetbeilt ferner über Grade und Arten der angenehmen Eindrücke eines jeben, und zwar durch eine lange Reihe von Barietäten und Abſtafungen. Wie frin muß der Ban ter Ge⸗ ruchsorgane fein! Wie überraſchend, daß fe fich unverletzt und unverborben ‚halten inmitten ſo vielen gedankenloſen Sebrarchee und wihrent einer ſo lan⸗ gen Reihe von Jahren!

3) Diefe Geſchichte der Gerüche, die wir einathmen, beleuchtet in mert⸗ würdiger Weiſe, wie die Chemie durch Ihre magiſchen Proceſſe aus ben unan⸗ genehmſten Materialien die angenehmſten und geſuchteſten Parfümée gewinnen Tann. Wie wunderbar iſt dieſe Macht, wie angenehm ſie zu befigen, wie nuͤt⸗ lich ihre Reſultate! Künſtlicher Moſchus und Ambra! Wabriten für Bitten mandelöl! Eſſenzen von Spirka und Wintergrün bereitet in chemiſchen Labo⸗ ratorien! Einfacher Wein mit Erfolg gewuͤrzt, daß er mit Dem Product ber koſtbarſten Weinleſe wetteifern kann! Aetheriſche Riechſtoffe ohne Zahl und Ramen dein Verzeichniſſe der genießbaren Wohlgerüche hinzugefügt. Ange nehme Düfte wohlfeil hergeſtellt, von denen in alter Zeit die Reichſten keinen Begriff, und die ſte fich zu verſchaffen keine Mittel hatten

Dieſe Geſchichte bietet in der That eine andere treffende Beleuchtung der Art und Weiſe, wie die neuere chemiſche Forſchung zum Entſtehen neuer Künſte und Fabrikate führt zur Gewoöhnung an neue und unbekannte Luxusgegen⸗ ſtaͤnde außer denjenigen, die und bereits eigen waren zur Berwehlfeilung des Eomforts für Alle und dadurch zur Verfeinerung der Menfchheit in jeglicher Beziehung. Ste Iegt dem Liefer die Exiſtenz eines neum Feldes für praktifche und öconomifche Forſchungen dar, welches beinahe ohne Grenzen iſt, zeigt, wie werthvoll die Chemie auf faft jedem Lebenswege ift, und wie bie Studien bes Laboratorit felbft zur Duelle des Geldgewinns gemacht werben können in Zwei» gen des gewerblichen Betriebes, von denen man es am wenigften erwartet hat.

Die Gerüche, die ung mißfallen, find wahrfcheinlich eben fo groß an Zahl, als diejenigen, die und angenehm find. Brolfchen. beiden Tiegt jedoch ein weis te8 beſtrittenes Feld, mit Bezug auf welches die größte Meinungdverfchiebenheit

IV. 36

562 he mir si

herrſcht. Was einer Perfon ala Wohlgeruch gilt =. Vlutarch erzählt, daß Sn anf nnd

ih "Mineralifepe übt © Gerüche. Unter den üblen Geruͤchen minera- liſchen Urfprungs find die gewöhnlichften Schwefelwaflerftofigas und fehwefeltge Säure. Das erftere giebt den Mineralwaflern ihren unangenehmen Geruch und Geichmad; das Tegtere entſtrömt den Kratern * pre Vulkane und Spalten und Löchern vulfanifcher Gegenden. u 77 WILLE

| Nothglũhhitze zu werbin, jo ver binden ſie * und bilden das ſchwarze Schwefeleiſen. Wird dieſe ſchwarze Subſtanz in Gemeinſchaft mit Schwefeljäure (Vitrioloͤl) in eine Flaſche

ober Retorte gethan, fo entwickelt ſich, gewöhnlich ohne Anwendung von Gitze, ein Gas, das aus Schwefel und Waſſerſtoff beſteht und deshalb Schwefelwaſſer⸗ ſtoffgas genannt ift. Dies Gas kann in gewöhnlicher Weiſe über Waffer ges jammelt werden, Es hat feine Farbe, ift aber ausgezeichnet durch feinen ſchwe⸗

feligen Geſchmack und durch einen ftarf ftinfenden ſchwefeligen Geruch, ähnlich _

ben der faulen Eier, Es ift ungefähr */s fchwerer wie die gewöhnliche ath- mofpbärifche Luft, brennt mit blauer Flamme und einem Schwefelgeruch und · iſt ſehr giftig einzuathmen. Eine einzige Gallone von dieſem Gas, gemiſcht mit 1200 Gallonen Luft, macht dieſe für Vögel —— und eine ſolche Miſchung im Verhaͤltniß von 1 zu 100 tödtet einen Hund. Ein ſehr geringer Theil da⸗ son wird demnach ſchon die Luft, die wir einathmen, für unſere Gejundheit nachtbeilig machen. Waſſer nimmt 2%2 Mal feine eigene Menge vom dieſem Gas in fi auf und bekommt gleichzeitig deffen Geruch und Gefhmad.

Diejes Gas wird oft auf natürlichem Wege in dem Innern der Erde pro- ducirt, umd indem es durch bie Belfen in die Höhe fteigt, wird es von Quellen abjorbirt, welchen es den und in manchen Mineralwaflern befannten unangeneh⸗ men Geruch giebt. Das Schwefelmafferftoffgas, welches ſte enthalten, verurs

ou

1

Die Wohlgerüche and die üblen Gerüche. 563

facht, daß dieſe Waſſer fich fchwarz färben, wenn man fie mit denjenigen ande⸗ rer Quellen mifcht, welche Eiſen enthalten.

Auch an fumpfigen Orten und an ftille ſtehenden Gewaͤſſern, wo begetabi liſche Stoffe ſich in Berührung mit Waſſer auflöfen, das Gips (ſchwefelſauren Kalk) enthält, ſcheidet ſich dieſes Gas aus; und fein Geruch kann in ſumpfigen Gegenden bemerkt werden, wo Gips in Berührung ſteht mit verweſenden Wurzeln und Blättern. In vulkaniſchen Gegenden entftrömt es oft der Erde in größe sen Duantitäten. Aus den Spalten und Oeffnungen der Solfataren in Italien 3. B. der von Puzzuoli, entweicht es, mit Rauch und anderen Gaſen vermifcht, und verbreitet feinen ftinfenden Geruch bisweilen auf große Entfernungen. An ſolchen Orten wird ber Geruch biefer Subſtanz wahrhaft läftig und ein Gegen⸗ fand des Widerwillend.

Die in unferen Koblenminen fi findenden Eifenkiefe erfahren, wenn man fie unter freiem Himmel. aufhäuft, durch Einwirkung ber atmofphärifchen Feuchtigkeit eine Zerfegung. Eins der Refultate diefer Zerfegung ift die Ent⸗ wickelung von Schwefelwaflerkoffgas, bisweilen in hinreichender Menge, um der unmittelbaren Umgebung fowohl läftig als auch ungejund zu werden.

Dies Gas befteht, wie gejagt, nur aus Schwefel und Wafferftoff im Ver⸗ bältnig von 94,1 Theilen Schwefel und 5,9 Theilen Wafferfloff, fo dag verhält nigmäßig nur ein Geringes bes letzteren erforberlich ift, um zu verurfachen, daß der Schwefel die Gasform annimmt und den flinfenden Geruch und die merf- würdig giftigen Eigenfchaften dieſes Gaſes zeigt.

2) Schwefelige Säure. Wenn Schwefel in freier Luft angezündet wird, fo brennt er mit einer blafjen blauen Flamme und wird in einen fchweren fauren Dampf oder Gas verwandelt, welcher fih durch einen eigenthümlichen erftidenden Geruch auszeichnet. Dieſes Gas ift fo wohl befannt wie ber Ge ruch ded brennenden-Schwefeld. Es wird gebildet durch die Verbindung bes Schwefels mit einer gleichen Menge Sauerfloff aus der athmofphärifchen Luft und wird von den Ehemifern fahwefelige Säure genannt. Sie ift 21/5 Mal ſchwerer ald die gewöhnliche Luft und verurfadht, wenn man fie einathmet, erft Huften und bei längerer Dauer Erftidung.

Diefed Gas entfirömt den Kratern thätiger Bulfane, den Deffnungen und Spalten der Erde in vulkaniſchen Gegenden und aus ben Solfataren, welche ſich oft finden, wo vulfanijche Regungen flattfinden. Es mißpfällt nicht weni⸗ ger wegen feines Geruchs, wie Schwefelwafferfloffgad, und wirft fogar noch er- ſtickender, wenn man es einathmet.

Der allgemeine Widerwille gegen dieſes Gas wird bezeichnend dadurch an- gedeutet, daß der Ort, ber ihm fo allgemein in figürlichen Beſchreibungen an⸗ gewiefen wird, ein zufünftiger Peinigungsort ift.

3) Chlorwafsferftofffäure (Salzſaures Gas). Gießt man Vitriolöl (Schwefelfäure) auf gewöhnliches Salz, fo entwickeln ſich weiße Dämpfe, welche Huſten hervorrufen, fehr erftidend wirken, und die Geruchsorgane in einer ent» fehieden unangenehmen Weiſe berühren. Dies find Dämpfe von Ghlorwafler- ftoffjäure oder Salzgeiſt. Sie werden mit großer Exchnelligkät vom Waſſer ver-

36 *

Die Wohlgerüche und die übten _—

genannt, und fie iſt es eben, welche im Rnoblau biefem wie auch der Zwicbe ren eigenthümliche

ber Luft vorhanden # bie wit —— on, x) 112 [" -

Diefe frrtig Hiefhende Berbindeng: trinherk und: FRSTTE * Dauerhaftigkeit ihres Geruches an bie animalifchen Parfums Moſchus, Biber und Ambra die im vorigen Gapitel beſchrieben wurden. Achnlich dem Mo- ſchus ſchmilzt auch fie durch bie Poren der Haut des Knoblaucheſſers, indent fie den Ausbünftungen ihren Geruch giebt; während fle, ähnlich den narfotifchen Stoffen des Opiums, wahrſcheinlich unverändert im die Milch der Thiere über: geht, weldye es verſchlingen. Und ſowohl die Staͤrke wie auch die Zaͤhigleit des Geruches zeigen ſich durch das wohlbekannte Faktum, daß ein Meſſer, welches gebraucht worden iſt, um eine Zwiebel zu ſchneiden, lange Zeit den Geruch und Geſchmack dieſes Oeles behält und fle anderen Gegenftänden mittheilt.

Es ift der Aufmerkfamkeit des Leſers nicht unwerth, daß gleichwie die mei- fin ſtinkenden mineralifchen Gerüche, welche ich beſchrieben habe, fo auch dieſes ftinfende vegetabilifche Knoblauchoͤl eine Sufammmenfegung mit Schwefel iſt (Schwefelallyl). Wir werden Gelegenheit haben, eine ähnliche Verbindung des Schwefels mit anderen, —— eig als auch fünftlichen a —* zu bemerken, |

2) Uſſafötida ift der verdickte Safı der Ferula —— Er wird * ſammelt, indem man den Stengel der Pflanze unmittelbar über der Wurzel ab» ſchneidet, Die Wurzel im ber Erbe läßt und den Saft allmälig, wie er nad oben dringt und auf ber Schnittfläcye trodnet, abjchabt. Er bat einen dem Knoblauch ähnlichen Geruch, aber noch flärfer, ftinfender und im Allgemeinen den Europäern noch unangenehmer. An den Grenzen von Aſien dagegen findet man den getrockneten Saft nicht unangenehm ; im Gegentheil, er wirb in großer Ausdehnung gefammelt, verfauft und als Würze zu Speiſen benutzt. |

Wird diefe harzige Subftanz mit Waſſer deftillirt, jo liefert fie ebenfalls * fluͤchtiges Oel in geringer Quantitaͤt. Durch Erkalten wird dies Del feſt und entwidelt in erhöhtem Maße den ftinfenden Gerudy tes natürlichen Stoffes, Sein Geruch hat eine gewiffe Aehnlichkeit mit dem des Knoblauchs, nur iſt er, wenn möglich, noch garftiger ; auch ift e8 bemerfenswertb, daß es in ber Zus fanmenfegung dem Knoblauchöl ähnelt. Es enthält denjelben eigenthümlich fireng riechenden Körper Allyl, und ebenfall® in Verbindung mit Schwefel, Der einzige Unterjchied in der Zufammenfegung ber beiden Oele fcheint ber zu jein, daß das Aſſafötida-Oel eine größere Menge Schwefel enthält, als Das Knoblauchöl.

—7

fällen der Andenkette gu £ [ na Eu e uch, | 1} 1 TA Pen in m Thuhmteaut Weſtindiens, mi

Gomfort beförbest wird. ; ae ya ung dm merhvürbigen Umftand, baf Deerrettig und Senf Würze mittel in jo ihre eigenthamlichen Gtgenſchaf- ige elben Allyloerbindungen verdantm.

3: und Senf. Delillirt man die Wurzel des gewöhnlichen Meerrettigs mit Waſſer, fo Tiefert fie ein flücytiges Del, welches ben beißenden Geruch und Sefämad der natürlichen Wurzel in einem ſehr hohen Grade be⸗ figt. Dieſer Geruch ift, wie ich glaube, dem meiften micht mißllebig; ich ers wähne aber des Deles an biefer Stelle, weil es benfelben zufanmengejegten Körper, Allyl, enthält, der in dem Knoblauch und Aſſafötida-Oel vorhanden ift. In dem Meerrettig ift er jedoch nicht allein mit Schwefel, ſondern auch mit einer zweiten Subflang verbunden, die bei den Chemikern unter dem Namen Cyan befannt if. Dem Vorbandenfein dieſes Chans find Die verſchiedenen Eigenſchaften des Meerrettigs zuzuſchreiben. Der Geruch und Gefhmad des von ihm gewonnenen Deles find fehr fcharf und beißend, es hat aber wenig von dem ftinfenden Gharafter, welcher das Knoblauch und Aſſafötidabl auszeichnet.

Der Senf hat feinen eigenthümlichen durchbringenden Geruch, brennenden Geſchmack und feine zufammenzichende Gigenjchaft von demfelben flüdytigen Del, dad man im Meerrettig findet, Man findet e8 auch im Löffelkraut (Coch- learia offieinalis), in den Wurzeln der Alliaria offieinalis, und wahrſcheinlich in unferer gewöhnlichen Kreffe, dem Rübfen, Nettig und in ähnlichen beißenden Pflanzenarten. Bon dem Vorhandenfein diefes Oeles rührt aller Wahrfchein- lichfeit nach ihre befondere beißende Eigenjchaft; und gleichwie es bei demjenigen der Fall iſt, welche den Knoblauch⸗Geruch befigen, fo ift es wahrſcheinlich auch ein inſtinetives Bewußtfein ihres gefunden Einfluffes auf das Körperſhyſtem, welches zu dem ausgedehnten —*— ihrer So in jo eur geführt hat.

4. Der ſtinkende Ginſefuß —— olidum) it wo ‚andere Pflanze, welche wegen ihres unangenehmen Geruches Tange befannt gewefen ift. In bo— tanifchen Werken wird diefer Geruch verglichen mit demjenigen fauler gefalzener Fiſche. Die-Subftanz, von welcher diefer Geruch herrührt, ift in neuerer Beit für den Phyſiologen eben fo intereffant geworben, wie bie, welche beim und der Aſſafötida den ihrigen giebt.

Deftillirt man einen Theil biefer Bflange mit einer Löfung von gewöhne

Die Wohlgerüche und die üblen Gerüche, 568

in Gentralamerifa fo populären Pulque Liefert, iſt auch wegen ſeines Geruchs nach faulem Fleiſch bemerfenswerih. F

Die hemifche Verbindung, von der biefer Aaßgeruch herrührt, tft noch un⸗ befannt. Sie bildet fich fo zu Tagen als eine natürliche Abfonderung ale das Meftiltat der Gährung In dem Agavefafte und ald Folge der Verweſung bei todten umd faulenden Zifchen. Mag ed entweder dieſelbe Subſtanz fein, welche in allen dieſen Bällen den Geruch gibt, oder mag er durch verfchiebene Subftanzen derfelben chemifchen Ratur verurfacht werden, fo gehören fle doch alle am wahrfcheinlichften zu derfelben Glaffe alfalinifcher Verbindungen, wie das Trimethylamin des Gänfefußes und des Stockfiſches.

Es ift intereffant, nahe chemifche Uebereinftimmungen aufzudeden, gleich denen zwifchen vegetabilifchen und animalifchen Erzeugniſſen, felbft wenn man Dinge untergeordneterRatur und unangenehmer Art betrachtet. Sie find wenig- ſtens mehr unerwartet und jcheinbar weniger nothwendig als diejenigen, die wir bereitö zu bemerken Gelegenheit hatten zwifchen der ganzen Maſſe des thierifchen Körpers und den zahlreihen Pflanzenftoffen, durch welche dieſer unterhal⸗ ten wird.

Wir haben im Laufe diefer Abhandlung gefehen, wie jehr der Geſchmack mit Bezug auf Wohlgerüche abweicht. Die Gejchichte des merifanifchen Puls que beweift, wie die Unannehmlichkeit eined Geruchs auch eine bloße Geſchmacks⸗ ſache if. Ginige finden ein geringed Verderbniß an frifchem Fleiſch oder einen Wildgeruch bei wilden Thieren ſchmackhaft, weil ed eine größere Zartheit bes Fleiſches andeutet und gewöhnlich auch Davon begleitet if. Und fo licht auch der Merifaner, troß des flinfenden Geruchd, feinen-beimifchen Trank und er⸗ freut fich defielben mehr wie irgend eined anderen. Wir fcheinen den faulen Geruch nicht zu lieben ober zu verabfcheuen wegen irgend einer pofltio peinlichen Wirkung, welche er auf unfere Geruchsorgane hervorbringt, fondern wegen ber Zujäße, die mit ihm verknüpft find. Man lafle den Riechenden diejen Geruch in frühen Jahren als denjenigen eines angenehm fauren, durftlöfchenden und erheiternden Getraͤnks einathmen und er wird feiner Naje jpäter ſtets wie ein angenehmes Parfüm vorfommen. Wird er aber von vorn herein fein Geruchs⸗ organ berühren und ihm ald der widerwärtige Ausfluß eines todten und verwe« ſenden thierifchen Körpers befannt, fo wird der Geruch ihn an den unangench» men Tod, an verhaßte Würmer und an die gefürdhtete Auflöjung erinnern, der fein eigener Körper einft anheimfallen wird. Er wird ihm nie etiwad Anderes fein, als ein efelhafter Geſtank. So jehr find die Eindrüde unjerer Sinne abe» hängig von den Umftänden, unter deren Einfluß wir zufälligerweife geriethen, nachdem das Vewußtſein erſt in und erwacht war. |

Animalifheüble Gerüche. Unangenehme animalifche üble Gerüche find den Ihieren fait jedes Theils der Erdfugel eigen. Der Ziegenbod, ber Dachs und der Iltis bier zu Lande, das Stinkthier in Nordamerika, die ſchön⸗ geitreiften Viverren der jübamerifanifchen Ebenen und der große Ameifenbär deſſelben Landes find, jedes für ſich charakterifirt, Durch einen eigenthümlichen und

570° a ar ee ae

unangenehmen Geruch. Einige von ihnen füllen fogar auf ihrem Wege bie Luft ſche ——— —— LEE

Seruchöftune Ir Seruchöftune ı * Är

Manche andere —— —* in der Prunftzeit; über Die chemiſche Natur oder Verbindung der tanzen, zu welchen alle dieſe animalifchen Geftänfe gehören, find wir aber | jegt ——— Gin bekanntes chemiſches Factum Mit Bes anf be Tor ift jedoch merfwärdig genug, nämlich, daß ber ganze Ausfluß der ion —— nicht allein von der allgemeinen Natur aller Nahrung, das es zu ſich nimmt, affieirt iſt, ſondern auch von der Einführung der allerkleinſten Duantitäten fremder Stoffe in den Magen, So gibt das Verſchlucken eines feinen Kügelchens fein pulverifirten Schwefeld der ganzen Haut und für bie Dauer mehrerer Tage einen entfchieden imangenehmen Geruch. Und noch merk— wirbiger iſt, daß ein einziges Korn einer Verbindung mit dem metallifchen Tellur, einem gefunden Menſchen eingegeben, feine Nähe für Wochen und bis— weilen jogar pr Monate, nachdem er 7) verſchluckt bat, volllommen unerträge fi macht J Das Tellur iſt noch eine vergleichswelſe ſeltene Subſtanz, und wir wiſſen bis jet wenig von den Verbindungen, welche es mit organiſchen Subſtanzen eins zugeben im Stande ift. So viel ift indeffen wahrfcheinlich, Daß fle noch ftinfen« deren und efelhafteren Charakters find, als die durch Schwefel erzeugten. Mit Allyl bereits erwähnt ald ber eigenthüntliche, ftarfriechende Stoff des Knob⸗ lauchs, der Aſſafötida und des Senfs wird das Tellur- wahrſcheinlich einen zus fammengefegten Körper bilden, welcher noch unerträglicher ift wie Das Knoblauch und Affaföridadl. Und wenn wir ſolche Verbindungen nicht als Mittel zum finnlicyen Genuß benutzen fönnen, jo mag es doc) nicht unmöglich fein , fie als Angriffs⸗ oder Vertheidigungswaffen zu verwenden. Die natürliche Gewohn⸗ heit des Stinfthiers in Diefer Beziehung nachahmend, müßten wir dieſes in ber Stärke und Strenge unferer fünftlichen Geſtaͤnke weit übertreffen. Bon den Wällen einer belagerten Stadt oder in Das Innere eines befeftigten Grbäudes gefchleudert, oder durch den Raum eines Kriegsichiffes verbreitet, würde dad grie= chiſche Feuer Nichts dagegen fein; und was die Stinftöpfe der Chineſen betrifft, fo müßten biefe nur Bagatelle fein gegen den Geftanf, * wir bereiten können. Wie es Inſekten gibt, die angenehme Gerüche verbreiten, eo find auch

Die Wohlgerüche amb bie üblen Gerüche. 571

bekannt, welche unangenehme ausſtrömen Taffen. Der Geruch der gewöhnlichen Wanzenart (cimicida) ift wahrfcheinlich unleidlicher wegen der unangenehmen Empfindungen, welche der Geruch zurückruft. Daffelbe iſt der Fall mit ber Baummanze (pentatoma) und ber fliegenden Wanze, welche eine‘ der ſchlimmſten Plagen am Ganges und in Benares if. Die letzte dieſer Arten iſt ein großes, zu den Halbflüglern gehörendes Infelt von der Gattung dereeteryx, das ſich zwifchen Kleider und Haut einjchleicht. Es verbreitet einen ſchrecklichen Geruch, welcher noch verflärkt wird durch ben Verſuch, e8 zu berühren oder zu vertreiben; der natürliche Widerwille gegen ben Geruch wird aber zweifelgohne erhöht Durch die anderen Beläftigungen, die dad Inſekt verurfacht.

Mit Bezug auf die chemifche Ratur der Geflänfe von Infekten ift durchaus nichts befannt.

Ueble Gerüche, welche durch faulende Subflanzen erzeugt werden. Die zahlreichfte Claſſe unangenehmer Gerüche iſt diejenige, bie durch Verwefung oder Auflöfung thierifcher und vegetabilifcher Subſtanzen er⸗ zeugt wird. Unfer Widerwille gegen dieſe Gerüche hat unzweifelhaft feinen Grund zum Theil darin, daß fle in unferer Erinnerung mit unangenehmen Ans blicten oder Ideen verknüpft werden, und zum Theil darin, daß fle erfabrungd«- mäßig als der menfchlichen Geſundheit nachtheilig befunden find.

1. Die Fäulniß thierifcher Körper. Die allgemeine Natur und der Ges ruch der übelriechenden Subftangen, welche durch das Verfaulen thierifcher Koͤr⸗ per erzeugt werben, wird durch den Schwefel und Phosphor beftimmt, bie in ihnen enthalten find. Während ihres Verweſens verbindet fich der Schwefel mit den Beftandtheilen de3 animalifchen Stoffes und bildet ftinfende Zufammen« fegungen,, ähnlich denjenigen, tie ſchon befehrieben find als in dem Minerale und PBflanzenreiche vorfommend. Der Phosphor geht ebenfalld kaum weniger unangenehme und efelhafte Verbindungen ein. Und mit beiden Glaffen zuſam⸗ mengefegter Körper find andere verbunden, die den animalifchen Bildungen eigenthümlicher find, aber bis jet noch nicht getrennt unterfucht wurden. Alles dies vereinigt fich beim Erzeugen jener gemifchten Gerüche, weldye in zurüd ſchreckender Weife die natürliche Verwejung animalifcher Subftanzen unter freiem Himmel andeuten.

Bon dem Vorhandenfein des Schwefels in ſolchen Källen gibt ein faules Ei ein befanntes Beifpiel. Wenn fol ein Ei zerfchlagen ift, wird der Geruch des Schwefelwafſerſtoffs plöplich empfunden, und ein filberner Löffel, den man hineinftedtt, wird von der Einwirkung des Schwefels jofort ſchwarz. Je nadye dem die Verweſung fortfchreitet, werden andere Gerüche allmälig bemerkbar, und bieje Mifchung mit dem Schwefelmaflerftoff verurfacht jene wachſende Ekelhaftig⸗ feit, die das faule Ei bekanntlich darbietet.

In wärmeren Klimaten fchreitet eine Zerjegung diefer Art rafcher vorwärts und die übelriechenten Subftanzgen werden fowohl rafcher, als auch in größerer Menge erzeugt. Man farm auf die Stärfe der erzeugten Gerüche und auf bie Entfernungen, auf welche fie in heißen Gegenden durch die Lüfte verbreitet wer⸗ den, aus der kurzen Zeit fließen, die erforderlich ift, um den Geier und Condor

572: Birne —— 2

amerifas und am den | | ER OHR ohne Symptome von gen ober einen üblen Geruch zu befunden, a

| | * dae Zeit: hindurch) erzeugt werden und ſich abſondern. Die wahre hemi Natur und genaue Zufanmenfegung mancher diefer flüchtigen und. Subftanzen, die fi) unter Diefen Umftänden bilden, tft noch unbekannt; wohl Theorie als auch Erfahrung erweifen, daß fle Dem menfchlichen nachteilig find. Dies find fie, jelbit wenn, nad) Dem äußeren Crane der Auf löfung, die Geruchsorgane natürlich unempfindlich gegen ihr oder wenn fie durch Gewohnheit dies geworden, Deshalb ift die Gewohnheit, Kirchhöfe in der Nähe unferer Wohnungen anzulegen, oder der Gebrauch, daß Menichen jo und fo viele Stunden in der Woche über faulen Familien oder Haufen vermodernder menjchlicher Ueberbleibſel in der Kirche fügen müſſen den Vorſchriften der Wiffenfchaft und eines aufgeflärten gewöhnlichen Were ftandes ebenjo zuwiderlaufend, wie den oft wiederholten Anforderungen der ges jundeitlichen Erfahrung. Daß die Sinne feine Gefahr verjpüren, beweift, daB —— —— 2 —— —— —— frei nsananns

2, Der animafifihe * ſowohi im feifen Zuftande, wie auch der Verweſung, in die er in Berührung mit Luft und Feuchtigkeit uͤbergeht, iſt bie Quelle einiger der unangenehmften Gerüche, mit denen wir im täglichen Leben in Berührung fommen. Dieſe tbieriichen Abfonderungen ftrömen gewiſſe ſtark— riechende Subftangen aus, welche ihnen allen gemein fm, aber —— wickelt auch ihr eigenthümliche Gerüche, *

a. In dem Zuſtande der Gaͤhrung entwickeln fe .®. alle Ammontatt EN ed entjtrönt bei warmem Wetter in befonderer Bülle dem Pferdekoth in warmen Ställen und den menjchlichen Ausleerungen in Aſchengruben und Retiraden. Sie entwideln auch alle den fchädlichen, bereits befchriebenen Schwefelwafferftoff ; wo aber die menfchlichen Ausleerungen in verdedten Niumen in Gäbrung übers geben, wie in Miftgeuben und gewöhnlichen Abzugscanklen, häuft fich dieſes Ichwefelige Gas bisweilen in hinreichender Menge an, um den Arbeiter augen⸗

den at ee en rare Er⸗ zrugung und von der Natur ihrer verſchiedenen Wirkungen auf die thieriſche

fo müffen wir und doch gedulden, bis fie langſam und allmälig gefammelt ————— um von einem Chemiler Yingöpmeig Derfelben zu fördern, mict fehr Hetiger Natur if: on Es beſtehen indejfen gewiffe befannte Verſchiedenheiten in der Zufammen- fegung des feften Kothes einiger Thiere, weldye auf die Natur des Geruchs Ein» fluß üben müffen, den fie verbreiten. So entledigt ſich der Menfch durch feine Niere eines großen Theils des Phosphors, welcher in den Speiſen enthalten iſt, bie ex genieft; während die Kuh, das Pferd und Das Schaf auf diefem Wege

nichts ausftrömen laſſen. Aller der Phosphor, den diefe Thiere | wird aljo mit ihrem feften Kothe ausgeworfen; und eben jo ſehr wie die Verbin-

dungen von Phosphor, welche beim Verweſen thierifcher und vegetabilifcher Sub» Ranzen gebildet werden, allgemein unterjchieden find durch beſondere und unan- genehme Gerücye, eben Teiche iſt es re he dieſer Thiere,

find in ͤhnlich gifrenben menfefichen Mußleträngen,« DEE TE Er

Ueble, auf hemifchem Wege erzeugte Gerüche, Weiter oben babe ich ſchon einmal beifäufig erwähnt, da, wenngleich viele natürliche Gerüche ſehr flinfen, wir doch ſchon im Stande feien, andere zu produeiren, welche noch übefricchender find. Im der That, Hätte man irgend einen müglichen Zwed dafür, fo könnte man durch befannte chemifche Proceffe einen beinahe unbegreiflich efelhaften Geſtank zu demjenigen hinzufügen, welcher biäher bereitet worden iſt. Eine Nachweifung nur einiger weniger von denjenigen, welche in unferen Kabo- ratorien wohlbefannt find, wird den za. Hülfsquelle des —— zur Erzeugung von Geſtank befriedigen. ann

574 hir old Ghemie. id

Gharafter der ————— verwejende lern Esel aus⸗ rn IBRT ETUI UT hie ‚nv, N, au 24 ar! u Dievbeiben Metalle, Anfenit, und Zellur,, gehen. au Verbindungen auit Befferhafiein nun hilten gehartige Bnfammurn{etungen;,Ne jo jtinfender Natur find, daß Chemiker ſelten wagen, fie zu bereiten; und wenn fie Died thun, jo ges ſchieht es erft, nachdem fie forgfältige Vorſichtsmaßregeln getroffen baben gegem —— derſelben in die wo die Experimente gemacht werben. ld sen > I ae en ar aller, fünf, Gasarten, welche ich genan ift ebenfalls, daß fie ſich mit anderen zufammengejegten Körpern, EEE mit organischen Verbindungen vermijchen und neue Subſtanzen erzeugen

ftinfender wie ſie ſelbſt, ja jo ſehr, daß es nicht mit Worten zu befchreiben ift. Begehren Be ro

3) Mereaptan. - du den organijchen Subſtanzen ‚von: großer 2

reren einfachen Subftanzen in Vereinigung mit u find deshalb zur fammengefegte Körper, verhalten ſich aber in mancher Beziehung, als ob fie felbft einfach wären, Zu dieſer Glaffe gehören diejenigen, ——

en een " 1: ai Aethyl, enthalten im Weinätber, LET“ TE | rm Methpl, BGolzaͤther, N wu

Die Wohlgerüche uud -bie üblen Gräfe. 875

Ampyl, enthalten im Yufeldl, Ä Allyl, « Knoblaudye und Aſſafötidaöl x.

Unter anderen Eigenfchaften beflgen diefe zufammengefeigten Radicalen auch die, daß fle ſich mit Schwefel vereinen uud mit ihm neue Verbindungen von außerordentlich flinfender Ratur eingeben. Hiervon geben bie ſchweſeligen Oele des Knoblauchs und der Aſſafötida deutliche Veiſpiele.

Berbindet man Aethyl Tünftlich mit Schwefel, fo wird dad fogenannte Schwefelaͤthyl gebildet, und wird Died wieder mit Schwefelwafjerftoffgas verbun⸗ den, fo erhält man Mercaptan. Diefe letztere Subflanz ift ein farblofes fläche tiges Liquidum, in Beſitz eines fehr widerlichen, durchbringenden und flarken Zwiebelgeruchs, der fi in hohem Brade den Haaren mittheilt. Es ift in Wirk lichkeit ein Tünftliches Knoblauchöl, von dem wahren aber fomohl in der Bufam menfegung, wie auch in der Natur feines Geruché verfchieben.

Die wichtigen Bunfte, worauf bier zu merken iſt, find nun: | 1) Daß alle zufammengefegten Radicalen fi mit Schwefel und Eine

felwafferftoffga® vereinen laſſen und fo Subflanzen bilden, die analog mit dem Mercaptan find.

2) Daß die Zahl foldyer bereits befannter organischer Radicalen fehr groß if. Wir Haben: es folglich in unferer Gewalt, viele Mercaptanarten zu bilden, alle behaftet mit fehr widrigen Serüchen, aber jedes unterfchieden durch eine Schattirung von Efelbaftigkfeit, die ihm eigenthümlich ifl. Der Leſer wird baber aus diefem Beifpiel erfehen, daß der Chemiker in den Schwefelverbiadungen allein über eine große Anzahl von außerordentlich widrigen @erächen verfügen Tann. -

4) Kakodyl. Arſenik kann aber in allen diejen ſtinkenden Berbinbungen an die Stelle des Schwefels treten und neue flüchtige Subflangen erzeugen, deren Geruch unerträglich iſt, und die überdies töbtlich giftig find. Kakodyl ift der Name, den die Ehemifer den Verbindungen gegeben haben, welche Arfenik mit dem rabicalen Methyl bildet. Wird diefe flüchtige Subflanz der Luft ausgefeht, fo entzündet ſie fich; während des Verbrennens verbindet ſich das darin enthal⸗ tene Arfenif mit Sauerfloff und bildet weißes Arſenik. Dies verbreitet fich in der Luft und wirft wie ein tödtliche® Gift, wenn man es einathmer.

5) Wird weißes Arſenik mit effigfaurem Kali deſtillirt, jo geht eine Fluͤſſtg⸗ keit über, welche lange unter dem Namen „Cadet'ſche Flüſſigkeit“ befannt gewe⸗ fen ift. Sie ift flüchtig, hat einen befonderen, noblauchartigen, furchtbar ekel⸗ haften, unesträglichen und lange anhaltenden Geruch, und ihre Dünfte wirken wie töbtliches Gift. Dieſe Cadet'ſche Flüffigfeit ift das chengenamnte Kakodyl in Verbindung mit Sauerfloff.. Den Ehemifern ift diefe Subftanz befannt un⸗ ter dem Ramen Alkarfin.

Wegen ihres abjcheulichen Geruchs und ihrer gefährlichen giftigen Cigen⸗ ſchaften ift tiefe Claſſe von Arjenifverbindungen verhältnigmäßig wenig erforſcht worden. Berjchiedene andere indeflen, mit ähnlichen Gerüchen behaftet, find bereits befannt. Es ift deshalb Grund vorhanden, zu glauben, daß die meiften anderen zufammengejegten Radicalen gleich dem Methyl fähig find, fich mit Ar»

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Weife werden in demfelben Augenblide Dämpfe von ten, die wir kennen, in der Luft verbreitet. Mercaptan und | das Leben rauben. via Mn) Tel te e— Bereits früher Habe ich auf den E—— —— Vertheidigungsmittel hingewieſen. Die Subſtanzen, derer ih erwähnte, was ven einfach wiberwärtige Gerüche, fie wirkten nicht als unvermeidliche Gifte - auf den Organismus. Dieſe Kafodylarten und ihre Cyaniden würden ſicherlich noch wirffamer bei Eriegerifchen Operationen anzuwenden jein; in wie weit aber der Gebrauch gewöhnlichen Giftes bei ehrenvoller Kriegfübtung mit der Verfei« nerung heutiger Givilifation verträglich ift, iſt ſehr zweifelfaft. Cs mag Fein wefentlicher Unterfchied zwifchen dem Tode durch eine Kugel oder Durch tödtlich giftige Dämpfe fein; aber einen Menſchen dazu zu verurtheilen, „wie ein Hund zu ſterben““, Täpt ihm den Tod in weit fürchterlicheren Karben erfeheinen. Unter den tödtlichen chemifchen Verbindungen, von denen oben geſprochen worden, als Beftandtheilen der vorgefchlagenen Ohnmacht erzeugenden Bomben, Ob nun die Proponenten folder Ohnmacht bewirkender Projectile diefen meta⸗ phyſiſchen Unterfchied zwifchen verfchiedenen Methoden, den Tod zu erleiden, in Betracht gezogen haben, oder ob es überhaupt denjenigen von Gewicht geweſen ift, deren Amt es iſt über ihre Annahme zu entjcheiden, darüber find wir nicht näher unterrichtet. In Mebereinftimmung mit der gebräuchlichen Vergeltungs- weije in allen folchen Bällen ift indeß ber Ghemifer, welcher zuerft vorgefchlagen bat, foldye Gifte zur Fabrikation von Munition zu ‚verwenden, ——— durch feine eigene neue Zerſtörungswaffe umzukommen. Tr 7) Tellurverbindungen. Ich Habe fchon erwähnt, daß das Metall Tellur im Stande ift, Verbindungen von Auferft unangenehmem Geruch einzugeben, Beinahe die einzige Erfahrung, die wir indeß bis jegt in Betreff ſolcher Verbin⸗

Die Wohlgerüche und Die üblen Gerüche. 577

dungen haben ,: rührt von: ven Wirkungen gewifier gesuchlofer Tellurpräparste her, welche auf expertmientalem Wege gefnnden'Perfonen eingegeben find. - In dem Körper eines Kranken. bilder. es Verbindungen wie es Schwefel’ nidyt uns gewoͤhnlich thut welche feinem Athen, den Ausdünftungen feirter Haut und den in dem Darmcanal erzeugten: Bafen'einen widerwärtigen Geſtank geben, wel» her ihn zu einer Art. von Schrecken macht für Jeden, ber fich ihm nähert; und dies bauert bioweilen Wind, wenngleich die ngenommene Doſe Tellur nicht Ya Gran überſchreitet.

Ohne Zweifel us in Dem Bereich ber Chemie, ſolche Berbindungen durch Fünftliche Proceffe zu erzeugen, obgleich bis jetzt wenig Erperimente mil Bezug bierauf gemacht find. Sie gehören zu der Claſſe dei reinen Geftänfe und find vermuthlich nicht giftig, wie Diejmigen mit Arfenil,- - - - %

Bhosphor vereinigt ſtch auch. mit organifchen Radicalen und bilder Verbin: dungen, die ſelbſt noch wiberwärtiger find, als das bereits beſchriebene Phos⸗ phorwaſſerſtoffgas; fie find aber bis ient nos eben p wenig befannt, wie die ana⸗ logen Tellurverbindungen.

Eine merkwuͤrdige allgemeine Vaichung Andet ftatt zrifchen ber. Claſſe bon’ üblen Gerüchen, zu welcher die Mercaptane und Kakodyle gehören, und einer ber gefchägterten Gruppen‘ flüchtiger wohlriechender Stoffe. - Diele Beniehung int ſowohl intereffant, als auch bemerkenowerth.

Ich habe im Laufe dieſes Artikels gezeigt, daß eine große Claſ⸗ von Wohlgerüchen aus einfachen Aetherarten in Verbindung mit orgemifchen Säuren beſtehet. Nun nd diefe einfachen Aetherarten alle Verbindungen einer der bereits beſprochenen zufammengefegten Radicalen mit Sauerfloffz 3. ®. An . thyl mit Sauerftoff bildet Welnäther; Methyl mit Sauerftoff bildet Holzäther ;; und dieſe Aetherarten bilden in Verbindung mit orgamijchen Säuren Parfuͤms ber Weinäther 3. B. mit Butterfäure das reine Aevfelol, und wit Velargen. ſaͤure die Quitteneſſenz.

Auf der anderen Seite bilden Anthyl mit Schwefel: Schwefelanthoi und Methyl mit Arſenik Kakodhl. Beide beſtthzen ſchon an und für ſich einen: üblen: Geruch, wenn fie ſich aber mit Säuren vereinigen, welche Schwefel oder Atſenik enthalten, fo bilden fie Verbindungen, die unerträglich ſtinken. = --

- Diefelben zufammengefegten: Radicalen, ‚mie fle genannt find, koͤnnen alſo, wenn fie mit Sauerfloff verbunden find, angenehme, und wenn fle mit Arſenik oder Schwefel verbunden find, Die unangenehmften und widerwärtigfien Eindrizke- auf den Geruchsſinn hervorbringen. - So fonderbar find die Eigenſchaften der Materie, und fo ſonderbar iſt unfer Organlemue mit Bezug auf dieſe Eigen ſchaften.

8) Acrol. Deſtillirt man Oeiſaß Glycerin) in einer metorte über einem: lebhaften Teuer, fo geht eine Fluͤſſigkeit über, welcher ber Name Aerol oder Acro⸗ fern gegeben ift. Diefe Subftanz if flüchtig, Hat einen ſtark durchdringenden befonderen Geruch, welcher beinahe augenblicklich ſowohl Naſe, wie Augen aits greift. Ihre Dämpfe entzünden die Mugen, und wenn man viel davon einathe: met, und zwar in concentristem Zuſtande, fo verurfachen fie Ohnmacht, ohne

IV, 37

aber der Geruch, den fie beflgen, rührt von bem Vorhandenfein zz

bier mäher zu forechen unnöthig it.

Gerüche, welche durch unſere Fabriken erzeugt unferem großen Fabriklande ‚greifen: biefe fünflichen üblen Gerüche bioweilen das Wohlfein im gewöhnlichen Leben wejentlich an. Sie find Deshalb mit Recht als Nebel angeſehen und haben Veranlaſſung zu Zwift und Streitigkeiten gege- ben, welche nicht gun die —— Kin Geſetoebung auf ſich gelenkt haben 01, ee

- Vom unferen Sewefelfäure-u6rifen. —* bisweilen Dämpfe von ſchwe⸗ feliger Säure und jelbft von Schwefelfäure in die umgebende Luft ausgelaſſen. Die Sodafabrifanten laffen noch an einigen Orten aus ihren hohen Schorn⸗ fleinen jene Dämpfe von Ehlorwafferftoff ausſtrömen, welche a bie jährliche Ernte, fondern auch Einfriedigungen und en jene Anpflanzungen vernichtet haben. - 1

Aus den Blei» und Kupferfchmelzöfen fteigen Dämpfe von törrlichemn Ar⸗ jenif, von Zink, ſchwefeliger Säure und felbft von Blei empor, die ſowohl das thieriſche, wie auch das eeiabiliſche Schen in ber Umgebung: wertuch beu⸗ traͤchtigen. a

Die Seifenficher * Lichtzieher erfüllen bie Rufe mit ven fintenden fläche tigen Subftanzen, bie natürlich in allen ranzigen Ketten enthalten find. Auch erzeugen ſie ald Ergebniß einiger jener Proceffe Dämpfe von dem aufregenden und unangenehmen Aerol, deſſen im vorigen Baragrapben erwähnt ward,

Die Deftillation von Holz behufs Bereitung des Holzeſſigs ift oft begleitet von einer unangenehmen und ungefunden Dampfausftrömung. ——

In der That gibt es wohl kaum einen Fabrikationszweig, der die unmit⸗ telbare Anwendung chemiſcher Principien erfordert umd dies ift bei den mei= fien ber Ball welcher bei nachläjftger Leitung nicht Anlaß gäbe zu wirklichen Beläftigungen und fogar ernten Nachtheilen für die Nachbarfchaft. Ich ſpreche indeß aus vielfeitiger Erfahrung, wenn ich behaupte, daß das Ausftrömen nach- theiliger Subftangen in die freie Luft bei folchen Anftalten felten ein nothwendi⸗ ges Bedingniß für den Betrieb verſchiedener dieſer Fabrikationszweige un

r

Die Wohlgerüche und die üblen Gerüche. 579 Nüdficht auf das Comfort ‚des Lebens follte deshalb das abfichtliche ir berjelben nicht geitattet fein, alt et —⏑——

Ueble Gerüche find eben fo. durchdringend, wie Wohigerůche. Sie verbreis tem ſich Dusch Die Luft und berühren die Sinne unangenehm, felbft wenn die ab⸗ folute Menge der vorhandenen Materie zu Hein ift, um durch unfere verfeinertfte Merhode der chemiſchen Analyfe entdeckt zu werden. Ungleich den Wohlgerüchen werden fie indeß überall um und ber erzeugt und find deshalb eine allgemeine Duelle mehr oder weniger empfindlicher Reizung und Belaͤſtigung. Die Ein, führung übelriecyender Subftanzen in die atmoſphäriſche Luft, welche und um« gibt, zu verhindern, und bie bereits. vorhandenen vertreiben zu können, ift daher ftets Gegenjtand der Wünfche geweien, und bie Erreichung zweckmaͤßiger Mittel ift durch die Entdefungen der neueren Chemie jowohl ra mener geworben, IV TOR AUT RE ALVETE ——

Das Berbüten ber üblen Gerüche, Die üblen Gerüße, *

gewöhnlich ven der Verweſung oder Zerſetzung thieriſchen Kothes herruhren, können oft entweder gehemmt ‚oder gänzlich verhütet werden. Außerordentliche Kälte. B., ſobald ſie hinreicht, um den todten Körper eines Thieres gefrieren zu machen oder ihn hart werden zu laſſen, wird ihn im Zuſtand vollkommener Brifche ſelbſt für die Dauer von tauſend Jahren erhalten, Ian nördlichen Win- ter iſt das Gefrieren des Fleiſches und Fiſches das gewöhnliche Mittel, um ſie aufzubewahren, und in den Eiöflippen an ben Ufern ber fibirifchen Flüſſe hat man den ganzen Körper einer befonberen Art von Elephanten jo wenig verweit angetroffen, daß er noch gierig von Hunden verfchlungen wurde, Selbft mäßige Kälte in Begleitung eines trodenen Windes wird Fäulung verbüten, indem bie erſtere diejelbe verzögert, bis der letztere die Beuchtigkeit vertrieben hat, welche zu ihrer weiteren Entwidelung notwendig ift. Auch die gänzliche Entziehung der Luft hat diefelbe Wirkung, wie man es bei aufbewahrten Fleiſche ficht, das jest auf langen Reifen und in entlegenen Gegenden der Erde jo nüglich it.

Diefe Methoden, Bäulung zu verhüten, beleuchten näher, was über Die Wir- fung der Hige, Luft und Feuchtigkeit beim Bewirken der faulenden Gährung animalifcher und vegetabiliſcher Subftanzen gefagt worden iſt. Laſſen wir diefe gefrieren, fo hemmen wir bie Faͤulung durch Vertreibung der nöthigen Beuchtig- feit; und wenn wir fie in * ciaſchchen durch —* der ze uf. ;

Die Fäufung tanz * - durch birecte —— chemiſcher Subflan- zen verhütet werden. Dies geſchieht, wenn man Fleiſchſpeiſen im Zucker taucht, oder wenn ſie mit gewöhnlichem Salz oder einer Miſchung von gewöhnlichem Salz und Salpeter geſchwaäͤngert werden. Dieſe Subſtanzen füllen die Poren des Fleiſches und ſchutzen es, indem fie die Luft ausſchließen. Auch bilden ſie, und beſonders die beiden letzteren Subſtanzen, eine Art chemiſcher Verbindung mit der Faſer des Fleiſches und mit den Subſtanzen, welche in deſſen Säften enthalten find, die weniger zur Faͤulung geneigt iſt, als die Subſtanzen ſelbſt, und jo erhalten fie das Ganze für die Dauer einer unbejtimmten Periode in einem Zuftande der driſche. Blüchtige-therrige Stoffe, wie Arno und andere,

Die Wohlgerüche und die üblen Gerüche. 581

ſchwimmen und ‘ihre and ee ausüben zu laſſen. RE T ch ao wel 3 stk, Karl. a; ‚iu ti

Wohnungen, unreinen Kleidern, ſchmuziger Haut und verdorbenem Magen. Das parfümirte Schnupftuch nimmt unter folchen Umftänden den Play des Schwans med und ded Tropfbades ein; die Räucherferze verbirgt den Mangel an Ventila— tion; das Roſenöl ſcheint den Dreiffeger unnöthig zu machen, und ein wenig Moichus fordert alle anderen Geftänfe und üblen Gerüche heraus, „Die ſechs⸗ zig Geftänfe Cölns“ mögen fo gleichzeitig die Urſache und der große Conſument feiner Fünftlichen Ströme wohlriechenden Waffers ſein. Die heftigfte Nachfrage nach dem Lurus verfeinerter Parfüms mag dort jtatthaben, wo die Mißachtung gefunder Neinlichkeit die größte iſt. Selbſt das Verbrennen von Rauchwerk am Altar mag feinen rein vernünftigen Zweck ‘Haben, die Dünfte und ungejunden Gerüche zu verbergen, welche feuchte Fußböden und Mauern erzeugen, und den Sinnen der Andächtigen die jchäbliche Ausftrömung zu verheimlichen, welche langſam verweſende Körper in verborgenen Gewölben beftändig.

Wie fehr indep die Anwendung wohlriechender Effenzen zum Gomfort bed

Neinlichen und Berfeinerten beitragen mag, ſo können fie bei dem Unwiſſenden

und Rohen nur Uebelbefinden und Unbehaglichfeit erzeugen , weil ie die jhäd- * Malaria verbergen oder den ſchaͤdlichen Geſtank uͤberwaͤltige. Das Vertreiben der üblen Gerüche. Das abjolute Vertreiben * größeren Anzahl der von mir beſchriebenen üblen Gerüche aus der Luft, oder wenigftend aus einem begrenzten Theile derfelben, iſt keineswegs eine fchwierige Aufgabe: Die Subftanzen, durch welche es bewirkt wird, find in der neueren —— unter en —* ee tionämittel. | 1) Soljkohle. Don diefen über Grunde tft die Holzkohle in ihren verjchiedenen Formen eines der billigſten, reichlichften und wirfjamften. Ich habe ſchon bei den Subſtanzen, weiche Gerüche verhüten, von diefer geiprochen als einer, welche jcheinbar die Faͤulung fo verzögert. Daß dem fo fei, ift indeß zweifelhaft. Manche fehen fie im Gegentheil als die Vers weſung beichleumigend an; aber im Vertreiben von Gerüchen ift ihre Wirkung und Kraft unzweifelhaft. Gemiſcht mit gährenden menfchlichen Auslerrungen ober nit dem Inhalte unferer gewöhnlichen Eloafen, lindert fie beren Geruch faſt augenblicklich, und fie bringt auf faft jegliche Art verweſender animalifcher oder vegetabilifcher Stoffe eine gleiche Wirkung hervor, Wenn man fie zwei oder brei Zoll hoch auf Kirchhöfe oder auch auf einen verweienden tobten Körper freut, jo foll fie das Auffleigen * * len a ober = —— werden deſſelben verhüten. | Al Animalifche Kohle ſolche, die durch Vertohlen bieriſher ae erzeugt wird Torffohle und das ſchwarze Pulver, das man erhält, wenn man eine Mifchung von Erde und Pllangenftoffen verkohlt, ift wirkjamer im Vertreis

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zu bebecken. Der boble Raum ift mit Deo Arte Kohle gefüllt, das Inftrument dem Geſichte angepaßt und am Kopfe durch Riemen befeftigt. Durch dieje pulverifirte Kohle findet das Athembolen ftatt. Alle Luft, die in die Lunge dringt, muß dieſes Koblenfieb paſſiren und wird dadurch von dem ſchaͤdlichen Dünjten ober Gajen, die fie enthalten möchte, befreit. Ob mun, wie in Kloafen, Laboratorien, Hofpitälern, Seeirzinimern und Schifferäumen, dieſe Dünfte be— merfbar und dem Geruchsſinn unangenehm find, oder ob fie wie die Miadmen und bie Malaria, welche ſich in Marfchgegenden und von ftehenden Teichen ente wickeln, für bie Sinne nicht wahrzunehmen. ab, jomid a6 die Kohle fie ein-

jaugen und dadurch den Träger des Mefpiratord gegen ihren aufregenden und ungefunden Einfluß fichern, Rach einiger Zeit fättigt ſich zwar die Kohle oder wird zu alt, um wirfjam zu jein, aber durch eine Unze neuer gepulverter Holz⸗ kohle oder durch Ausglühen der kann man das Inſtrument wieder er⸗ neuern. Tier, BET WII

Bis zu einem gewiffen Grabe if 68 unpweifebaft, deß biefer

tator die Wirkungen bervorbringen wird, ‚die man von ihm. und feine Billigfeit, und leichte Gonftruct ſind große

Gr iſt bereits eingeführt. in Spitäfern, ji, 1zi | und 5 Laboraterlen auch int er eine * e

in den fehmuptaften —— delt ae ee ——— und ſchmerzloſen Schlafs verdanken wird. Und ſollie deſſen Kraft, die un merfhare Malaria einzufaugen, ſich durch Gefahr Be wie wichtig wür er dann werben für Reiſende in ungefunden Sumpfgegenden, gleich denen anı Fuße des Himalaya, denen, die den unteren Lauf des Niger und des Miſſiſſppi begrenzen, oder folchen, die in den Rieberungen und Thälern des jübfichen Euro» pa's verbreitet find, wie die pontinifchen und anderen italieniſchen Suͤmpfe und die Dobrudſcha am der Mündung der Donau? Kann er nicht ſelbſt ein Wächter und Bewahrer der Gefundheit werden in manchen jener unbewohnten Theile der Welt, wo reiche Ernten in ſchlechtem Verhaͤltniſſe fichen zu den jelten abwefen- den Fiebern, ber fieberhaften Furcht und Angft, dem —— und, kurz geſagt, dem unglüdlichen Leben? m mn

2) Torf, humusreiche Erbe und gebrannter Thon. Mae‘ verter Torf wirkt ebenfalls gerucheinfaugend. Er ift ebenfalls fäuerlicher Na- tur, welche ihn in den Stand ſetzt, ſich mit manchen der ftinfenden Subflangen

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Die Wohlgerüche und bie üblen Gerüche. 585

Ich werbe derjenigen erwähnen, welche am wieffemfben und zugleich am Ieichteften Herguftellen find. .: :

1) Das Stickoxydgas wird erzeugt, wenn man Rupferfräfee mit gewöhn- licher Salpeterſaͤure, wie fle im Handel vorfommt, »bergießt. Indem e8 mit der äußeren Luft in Berührung. kommt, verbindet es fich mit Sauerftoff und bildet rothe Dämpfe von fireng faurer Ratur tfalpetrige Säure), bie fich in der Luft verbreiten. Man glaubt, bag diefe Dämpfe im Stande fein, faſt alle fohädlichen und unangenehmen Stoffe ſowohl mineralifchen wie auch organifchen Urfprungs zu zerftören, mit denen die Luft behaftet if. Die Einwenbungen gegen ihren Gebrauch find., daß. fte Huſten hervorrufen und nicht.mit Sicherheit - einzuathmen find; daß fie faft alle metalliſche Subſtanzen, ‚mit denen fie in Be⸗ rührung fommen, angreifen, und daß die von ihnen erwartete chemiſche Wir⸗ fung auf Riechfloffe weder genügend feftgeftellt noch einigermaßen ficher ift, wenn die Dämpfe jehr verbümmt find.

2) Die Schweflige Säure. bildet fich, wenn Schwefel in freier Auft verbrammt wird. Sie ift eine ter unangenehmen Subflanzen, die ich unter den mineralis ſchen üblen Serüchen bejchrieben babe. In großen Quantitäten ift fie ſowohl schädlich wie auch unangenehm einzuatbmen, aber ald Desinfectionsmittel mag fle oft. mit Vortheil zu verwenden fein, und baber rührt es auch, daß oft- um Naͤuchern brennender Schwefel benugt wird.

- Die erfte Wirkung diefes Gaſes, wenn ed fich in ber Luft verbreitet, beſche darin, daß es alle andere Geruͤche überwältigt und ſte demnach unbemerkbar macht; es wirft geruchverbergend. Seine nächſte Wirkung iſt chemiſcher Ratur, indem +8 unangenehme Subſtanzen, wie Schwefel» und Phosephorwaſſerſtoffgas, welche öfter erwähnt worden find, zerſetzt oder zerftört; und da es eine flarfe Säure. if, fo verbindet e8 jich eben fo raſch mit alkalinifchen Dampfen foldyen, die Am- moniaf enthalten, das faulen Fiſchen ihren Geruch giebt und vertreibt ihren Geruch. Auch übt e8 eine befondere Wirkung auf viele organifche Subflanzen. Man kann dies beobachten, wenn man ein brennended Schwefelbölzchen unter eine rothe Roſe hält, die gewöhnlich Davon weiß wird, und an der Veränderung der Farbe, die es bei vielen anderen Blumen erzeugt; auch fieht man dies beim gewöhnlichen Gebrauche von Schwefeldämpfen zum Bleichen von Seidenr und wollenen Waaren und von Stroh zu Damenhüten. Wan hält die jchmefliche Säure deshalb auch für fähig, ſchädliche Subſtanzen organischen Urſprunges, welche zufälligerweife in der Luft vorhanden find, mit welcher fie fich vermifcht, zu zerftören.

Im Ganzen läßt ſich Vieles zur Empfehlung ber jchwefeligen Säure fagen; fie ift billig und überall und leicht Herzuftellen. Die Einwendungen gegen den Gebrauch ded Gaſes find, dab es an und für fich unangenehm und widrig ift daß, wenn es zu dedinficirenden Zweden verwendet wird, die Bewohner eines Hauſes bis zur Beendigung der Operation und bis die Zimmer wieder vollftändig ausgelüfter find, Davon ausgeſchloſſen bleiben müflen, DaB es metal liſche Flächen angreift und für einige Zeit Spuren jeined eigenen unangenehmen Geruches binterläßt.

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und Dämpfe, welche in der Luft vorhanden fein mögen, und zerflören fir E —— —⏑—⏑⏑— dieſelben Mängel wie Stickorydgaſes. J * —* el Spa j 9) hfr man, wm man Die gmöfnice Same Shlorwafl

den ift. u ee u dub 6 Chlor iſt ein ſchweres, geänfißeh, efdenbeb und fast riechendeb Bad,

Im verbünnten Zuftande ift deſſen Geruch jegt ben. meiften, a als derjenige, welchen der gewöhnliche Chlorkalk abgiebt. | .Diefeb Gab gerfept Schwefehwaferoff und Dhosohormaferofigas, moniat und. beinahe alle anderen gasartigen Verbindungen und übelriechenben Dünfte, welche den in Zerfegung begriffenen animaliſchen und vegetabilife Stoffen entweichen. Es wirkt in der That fait auf alle organifchen Subftangen ohne Ausnahme und wird deshalb in ausgedehnten Maße zum Bleichen vom liſcher Erzengniffe, die in der Kunſt verwendet werden, gebraucht. Aka * Chlor iſt ebenfalls ſchon lange zum Vertreiben und Zerſtören | mer Gerüche verwendet worden. Es ift wahrjcheinlich diejenige der uns b ten Gasarten, welche allgemein für dieſen Zweck am wirfjanften ift. außer feiner Wirkſamkeit hat dies Gas das Empfehlende, daß es ur billig zu bereiten iſt; Daß es, felbjt wenn es durch viel Luft verbünnt wird, feine guten Wirkungen bebält, und daß es ohne Nachtheil eingeathmet: werben kann, wenn es im dieſer Weife verbünnt if. So fann man es in verwenden, ohne ihre Bewohner daraus zu vertreiben, und ſelbſt in Kranken⸗ ftußen , ohne den reigbaren Kranken jonderliche Unbequemlichfeit zu verfchaffen, In dieſem verdunnten Buflande ift es auch frei von faft allen übrigen Mängeln; denn wenn es auch metallifche Subftangen angreift, fo find boch die üblen Wir- fungen weit geringer als Diejenigen irgend einer anderen ber bereits —— Gasarten.

Der Gebrauch dieſer Gaſe iſt beinahe ganz auf das Verireiben übefriechen- der und fchädlicher Subftangen befehbränft, die fich bereits mit der Luft vermifcht haben, Aber ein Anfpruch, der oft an die Desinfectionämittel gemacht wirb und ingefundheitlicher Beziehung nicht weniger wichtig ift, ift der, das Aufftei= gen Dieter Subftangen von vorne herein zu verbindern fie zu hemmen, zu bes ſchraͤnken und am bie verwefenden Stoffe zu binden, welche fie erzeugen, ' Dieſer Zweck kann nur erreicht werden, wenn man fefte oder flüffige PR anivendet, nit denen man die verwefenden Subftanzen vermengt oder bebeft, u

Die Wohlgerüche und bie üblen Gerüche, 587

haben bie Eigenſchaften einer Säure, wie das een ftoffgas. Ein wirkſames Desinfertionsmittel muß im Stande fein, entweder beide Elaffen zufanımengefeßter Körper zu zerjegen ober ſich mit ihnen zu ver» binden, und in öfonomijcher Beziehung wird deſſen Werth ferner erhöht, wenn es, während es jene hemifchen Zwecke erfüllt, "gleichzeitig neue Subftanzen er» zeugt, welche nicht in irgend einer EAN ——— nüglich, fo iſt dies noch beſſer.

5) Der Chlorkalk beſttzt Beiigemitsitfegen Desinfeetionsmittels in hohem Grade. Er beſteht aus Kalk und Chlorwaſſer⸗ ftoff, von denen der Kalk ſich mit allen Säuren verbindet, die Durch das Schiwes felwaflerftoffgas repräfentirt werden, während ber Chlorwaſſerſtoff ſich entweder mit den alfalinifchen Verbindungen, die das Ammoniak repräfentirt, verbindet ober fie zerjeßt. Der Chlorkalk wird deshalb allgemein und verdienterweife als eines der beſten, wirffamften und handlichſten unferer feften Desinfeetiondmittel angeiehen. Breitet man ihn in feitem Zuftande über einer faulenden Maſſe aus, jo zerftört er bie ſchaͤdlichen Subftanzen gleich nach ihrem Entſtehen. Löſt man ihn in Waffer auf und fprengt ihn in übelriechenden Zimmern oder mifcht ihn mit mehr oder weniger flüffigen Anfammlungen verwefender Stoffe, jo führt er wieber Friſche herbei, Auch üble Gerüche und giftige Eigenſchaften läßt er verfchwinden und nur fein vergleichsweiſe hoher Preis verhindert feine Anwen⸗ dung, am den Geruch unferer Cloaken, Mifthaufen und Miftgruben zu mildern,

Die Refultate feiner Wirkung haben den ferneren Vortheil, daß fie weder das Geficht noch den Geruch beleidigen; aber fie bewirken nicht benfelben Grad von Fruchtbarkeit des Düngers, wie der mit pulverifirter Kohle gemengte zeigt. Das Chlor zerjegt dad Ammoniak, und daher wird mit Chlorkalk behandelter u an biefem für die Vegetation fo werthvollen Beſtandtheile ärmer jein,

6) Chforeifen und Chlorzine find, beſonders in angefänertem Zuftande, faft ebenfo wirkſam, als ber Chlorkalk. Sie haben indep das Unvortheilhafte, daß fie, wenn fie der Luft ausgeſetzt find, ſehr raſch zerfließen und wicht im feſtem Buftande aufgehoben werben können. Sie werden —* Waſſer aufgelöſt und im flüſſigen Zuſtande verwende.

Man ſetzt ed an dem Chloreiſen aus, daß ed Tee ed verwendet wird, und daß es den verwejenden Stoffen, welchen es beigemengt wird, eine ſchwarze Farbe giebt. Die Zinkflüffigkeit iſt ſelbſt farblos, färbt nichtö, wenn man fie verfchütter, und bedeckt die eckelhafteſten verweſenden Stoffe nur mit einem weißen Schaum, Dieſe Eigenjchaften veranlaffen, daß fie der Eifenflüffigfeit vorgezogen wird, wenn es auf Koſtenerſparniß nicht an⸗ kommt, indem nämlich das Chlorzink das theuerfte von beiden ifo! 00.0

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7) Das fchwefelfaure Eifenorgdul oder ge

Wirkſamkeit dem Ehloreijen 3 an Kr au blen Mine

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Ben een Er Inc 8) Das holzeſſigſaure Eiſenorydul, das

int ‚erhält, iſt in feiner unmittelbaren W

ten Gijenpräparaten gleich; ——— \diefe ® BEN ——⏑—⏑—⏑ ——— —— —— —— 9) Jodin u ner Verbin BEER er

a ift, wenngleich er —“ wurde wärend dr Reinigungen, zu den die Eholerasifitattonen A

* * ———— ————— liſche Btoffen an nie le en neu

uns Wean der Stoff friſch iſt ſo verzögert und theilweiſe verhindert Kalt die Verweſung. Dies iſt ſeine Wirkung auf Fleiſch, Blut, fr liche und thieriſche Ausleerungen, Urin ıc., und tritt nachher dennoch ei ſame Verweſung ein, ſo verändert er die Natur der erzeugten ſtanzen in der Weiſe, daß —— bindungen von ihnen aufſteigen, oder zum wenigſten nicht fo bemerkbar, w fonft ver Fall wäre. Zum Vorbeugen von üblem Geruch ift es deshalb— geeignet , frifchen animaliſchen Stoffen gebrannten Kalf beizufügen. bs Iſt die Subſtanz aber ſchon in Gährung übergegangen, ſo wirft der Kalk ganz anders. Er iſt ſtark alkaliniſch und macht deshalb, während er ſich mit den Säuren verbindet welche der gährende Stoff enthalten mag, das Am- moniaf und Die anderen flüchtigen ftarf riechenden alkalinijchen | frei, die fich etwa gebildet haben. - Si re Wirtang dan ea m auf gährenden animalifchen und vegetabilifchen Unrath gebracht ift, die des verdunftenden Riechftoffs und folglich die Stärke des Geruchs zu er und erſt Dann verzögert er die fernere Zerſetzung, wenn er veranlaßt iſt, gleiche wie die Kohle dies thut, die verwefende Maſſe, Salpeter- und Schwefelſaͤure zu bilden, und dadurch die Veränderung der chemiichen Natur beffen , was nachher

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Die Wohlgerüche und die üblen Gerüche, 689

in die Luft auffteigt, indem ex es ſowohl für.den Geruch wenigen unangenehm ald auch-für die Geſundheit weniger nachtheilig macht.

Wird er demmach in einer Schicht über einen Mifthaufen geſtreut, fo macht er eine größere Menge ſtark riechenden flüchtigen Stoffe& frei; da dies aber vom Winde Davongetragen wird, jo bleibt Der bedeckte Haufen vergleichäweife in Ruhe. Der Kalk Hält den Schwefel und Phoophor zurüd und verbindet ſich mit ihnen, fobald fle fich der Oberfläche nähern; er veranlaft, daß der Stickſtoff, weldyer in den Subftanzen vorhanden ift, fich in Salpeterfäure verwandelt und verbindet fich mit ihnen, anflatt daß fie in der Form von Ammoniak und indes ren flüchtigen Aftalis. fich in der Luft verbreiten... Dit Ausnahme des erften Verluftes, welchen er reranlaßt, nachdem ex auf verweiende Subſtanz gelegt ifl, hält demnach der Kalf den größeren Theil derjenigen Beftandtheile in dem Han fen zurüd, welche ihn für den Landmann von fo großem Werthe machen.

An verbedten und begrenzten Orten, wo der Wind: nicht hinreichenden Zutritt hat, um das zuerſt Entwidelte zu vertreiben, und bei Maflen son vers weſenden halbflüjfigen Stoffen, wie Anjammlungen von Ausleerungen, wird die Anwendung des Kalks am unangchmiten fein. Wendet man ihn’ unter folchen Umfläuden an, fo muß er leicht aufgefchüttet werben, oder erſt nachdem der Hau⸗ fen mit Stroh, Torf, Sägefpähnen: oder anderen ähnlichen Gegenſtaͤnden bes ftreut ift; und müßte die Maſſe, wenn möglich, ganz damit beiestt und nachher ganz in Ruhe gelaffen werten.

Im Ganzen genommen find, werm es nım darauf anfonmt. die Luft frifch und gefund zu machen, Chlor und Chlorkalk vie ſicherſten, billigſten und wird famften Zerftörer übler Gerüche. ine einfache Art, dieſes Gas zum indivi⸗ duellen Nutzen zu verwenden, beiteht darin, daß man ein leinened Tuch mit Eiftg befeuchtet und fein gepulverten Chlorkalk darauf fireut. Die Luft, die man durch dieſes Tuch einathmet, wird mit einer unbedeutenden Quantität Chlor vermifcht in den Mund treten, und werben durch dieſe Beimtichung alle ſchaͤdlichen Dünfte und Miasmen, die ungefunden Gegenſtänden oder verweſen⸗ den animalifchen und vegetabilifchen Stoffen entweichen, in Wirklichkeit zerfiärt. Diefe präparirte Tuchvorlage kann anftatt der Kohle in Dr. Stenhouſe's Meipis rator benugt und voor dem Munde "getragen werden. Gin in dieſer Weife gi fchügter, gefunder Menſch kann ohne Furcht Krankenzimmer befirchen und der Beamte der Gefundheitöpflege kann fi ohne Gefahr in die fchmusigften Un⸗ rathbehälter wagen. - Indem er durch den Mund den Athem einzieht nnd ihn durch die Nafe wieder ausſtößt, wird bie Luft in feinen Lungen ſtets r rein und geſund fein.

Wenn Abtritte, Miflgruben oder Saufen gäßrenben Stoffes vom Geruch befreit werden ſollen, iſt wahrſcheinlich der Chlorkalk das beſte Mittel; aber auch der Chlorzink und das ſchwefelſaure Eiſenoxydul ſind vollkommen wirkſam und beide in Kaufläden zu haben. Eins von den Dreien kann deshalb ganz nach Belieben und Gefchmad des Gebrauchenden ohne befonderen Unterfchied verwens det werden.

Wenn aber große Operationen vorgenommen werden follen, wie bie ges

590 mund min herie.. 7

ſundheitliche Reinigung von Städten, jo find pulveriſirte Kohle, die ſchwelende Miſchung von Thon und vegetabiliſchen Stoffen, und gebrannter Kalk Lie billig. ften und vortheilhafteften. Die beiden erjteren find ausgezeichnet und wirfen ohne an dies Iegtere hat aber den Nachtheil, daß es aus Subftangen, Die bereit8 in Gährung übergegangen find, für eine Zeitlang noch jlärfere Gerüche austreibt, als fie auf natürlichen Wege ausſtrömen, und muß beshalb mit großer Vorficht benugt werden. Im ihrem chemifchen Einfluffe auf bie fpätere Verweſung der Subftangen, welchen fie beigefügt find, ind Kohle und gebrann« ter Kalk, wie ich ſchon gejagt habe, ſich einander jehr ähnlich. 1* 0 Der beſſeren Meberficht halber will ich kurz die nerföichenen Alafin vos

| | u Mittel, weiche in ſich begreifen: das gewöhnliche Salz, Salpeter, weißen Arſenik, Qued ſilberſublimat, Chlorzint und Chloreifen, holzeſſigſaure Eifenorybul, Zuder, Kreojot, Alkohol, Kampfer, die flüchtigen Dele und in gewiffen Bällen ger brannter Kalk, Nur wenige davon find für geſundheitliche Bwede eingeführt. 2) Die Wohlgerüche, oder die Mittel, wm üble Gerüche zu verbergen: Zu dieſer Klafje gehört der. RER De den Wohlgerüchen bejchrieben find.

3) Die Deodorifationsmittel ober Geruch —— Unter Diefen find Kohle, Torf, ſowohl friſch wie auch verfohlt, gebrannter Thon und auch mit vegetabilifchen Stoffen in —— ſowie * andere poröje Gegenſtaͤnde bie wichtigften..

4) Die Drsinfectionsmittel oder die aich allein uͤble Ge⸗ rüche einfaugen und vertreiben, ſondern jle zerfegen und verändern, und jo ganz gehören Salpeterfäure, Chlorwaſſerſtoff, Schwefelfäure, Chlor, Chlorkalt, Ehlorzinf und Ghinzeien, dad holgefligiause nn Jodin, Iodoform 8 gebrannter Kalk, no J Ans in beöinficirender-eife: gu wirfen, muf-eine Subflang eine ſchadlich⸗ Verbindung chemijch verändern und eine unfchädliche erzeugen. Alle chemifchen Veränderungen führen nicht dies letztere Reſultat mit ſich, wie z. B. einige giftige Dämpfe verwandelt werden können und body giftig bleiben. Dies ift der Fall mit ben Kafodylen und dem Chankakodyl, bie im vorigen Kapitel beſchrie ben find, Aber alle Desinfeetiondmittel, die wir im Vorhergehenden beiprochen und empfohlen haben, find wirkliche Gift-Zerftörer in Bezug auf die natürlichen üblen Gerüche und Miadınen, mit denen wir bis jegt befannt find,

degyptens Denkmale und ihr Alter. ' Bon | Dr. &. W. Scharlan in Stettin.

Die Annahme, daß feit Erichaffung der Welt, der glei darauf auch die Schöpfung des Menfchenpaares folgte, 6000 Jahre verflofien ſeien, fo wie bie jährliche Wiederholung diefer Zeitrechnung in den Kalendern, gehört jebt, nach⸗ bem wir zahlreiche Beweife über die Unrichtigfeit derfelben haben, in die Reihe der naiven, ungeprüften Blaubensannahmen. Nicht will ich bier von den Mile lionen von Jahren fprechen, welche Dazu nöthig waren, den Gasball, den unfere Erde in der Urzeit bildete, und der mindeftens bis zum Monde reichte, alfo einen Durchmeffer von 100,000 Meilen hatte, zu einen flüfflgen und dann zu einem feften Körper zu machen, nicht von den Millionen von Jahren, welche verliefen, während der Zeit der Erbrevolutionen bis zum Ericheinen der Lun⸗ genathmer, ald deren vollendeter Repräfentant der Menſch auftritt, fondern ich will es verfuchen, die Zeit feftzuftellen, weldye nachweisbar, jeit dem Erfcheinen der Kultur verlief. Alle großen Fluͤſſe, dem Gebirge entfpringend, führen ver witterte, durch die chemijche Einwirkung von KRohlenfäure und Wafler und durch die mechanifche des Froſtes und des firömenden Regens losgeriſſene Felsmaſſen in fein zertheilter Form mit ſich; fie Halten dieſe fo lange mechanifch vertheilt, als die Strömung noch jehr jchnell iſt und laſſen fie allmälig fallen, wenn biefe in der Nähe des Meered langjamer wird. Diefer Vorgang ift Die Urfache der allmäligen Ausfüllung der urſpruͤnglich fchroffen Kelfenfpalten, welche dann zu fanft abgedachten Thälern werden. Cine Reife durch die Tyroler Alpen gibt nach einem Gewitterregen ein klares Bild von dieſem Vorgange der Berbröde- Iung der Felſen und von der Ausfüllung der Felsſchluchten durch dies Gerölle.

In der Nähe des Meeres jeht Dad Waſſer die letzten Antheile der mitfort⸗ geführten Maffen ab und bildet bier ſtets das fogenannte Delta. Ueberſchrei⸗ ten die Klüffe ihre Ufer, welche durch die Zeit vieler Jahrtaufende allmälig ges bildet find, zur Zeit des Frühjahrs oder der Regenzeit, jo läßt dad Wafler einen großen Theil der mitfortgeführten erdigen Beftandtheile follen. Der langſame

Abfluß des Warfers Hinterläft dann die erbigen Beftandtfeife und fo 6 wie von Anfang an, eine allmälige Erhöhung des Thales. Es ift th, daß die Anhäufung der eigen Weimifdungen des Waffers, —*

des Bodens waͤchſt. An dem Delta des Miffiftpi hat man 10 Ragen von Bau⸗ men über einander gefunden, weldye durch Erdfchichtungen getrennt und durch die Die der Bäume die Rechnung möglich gemacht haben, daß ein geitraum von 52—58,000 Jahre feit der Ablagerung der unteren Schichten verfloffen. = In erh hat man an nn.

—* die Erhöhung in 3 Jahe ren um * * in 36 —* um einen doll wich de ſchloſſen, daß zur 0 um 30 Fuß eine Zeit von 18,400 Jahren geweſen fel. Dei bi —** nun fand man Scherben von” Töpferwaaren, Es geht daraus hervor, daß vor einer Zeit von 13,400 Jahren bereits ein Fultivirtes a das Mil bewohnte. eher dieſe pofiriven Thatſachen hinaus auf ſchengeſchlechtes ſchlleßen zu wollen, wäre ne Ber per Daran , eine wie lange Zeit Kazı gehört, "bevor ſich Menfchen nur mit

des Kunſtfleißes Befchäftigen. Der Buftand vieler Völfer von Auftra⸗ Amerika und Afrita gibt daftır wohl Die beſten Beweife, wenngleich diefe ic "Wacherzeugte "ber kautanſchen und "niongofichen —** rat m ln rl md ae Herodot ſagt: wenigſtens für jeden Verftändigen, daß jenes Aeghpten, wohin die Hellenen ſchiffen, ein nen gewonnenes Siuck son Aeghpienland und ein Geſchent des Fluſſes if. Wenn man die Karte von Arghpten betrachtet, fo’ findet man, daß von Griro an, das Gebirge, in deffen Thalſenkung der Nil flieht, ſich in’ zuwel Meine theilt, son denen ber eine nach der Tegten Spige des rothen Merred, der andere zum Ser Möris hinübergeht. Das fich auf Diefe Weife bildende Dreieck in bn den beiden Ausfluß Armen des Nils durchſchnitten umd «8 iſt feinem Zweifel unterworfen, daß alles Hier befindliche Land nur angeſchwemmter Boden ik Während alfo jegt der Nil ſich mit zwei Armen bei Damiette und Roſette ins Meer ergießt, erfolgte dies in der früheren Bett Dicht imter Gatro mit einer Mündung: Alles fefte Land umtethalb Gatro if ein den Meere durch Ges hoͤhung des Bodens abgewonnenes. Herodot fägt: wer beim Heranfchiffen noch Fine ganze Tagerelſe som Lande, das Senkblei hinablaͤßt, wird Schlamm heraufbringen und feine eilf after (alfo 66 Fuß) meſſen. Dies Seneit, daß daß angeſchwemmtt Sand fo weit geht.“ | Es würde ſich alfo das Verhaltniß von früher zu jegt in beifolgendem Baal Har machen Taffen. * Herodot, ber icharffinnige Meifende des Alter⸗ thums, Hat mit großer Sicherheit ausgeſprochen, daß der fo eben befchriebene Landſtrich, ein neu gewonnener fei und daß die Gegend tin Memphis wie ein

Se

früherer Meerbufen ausjähe. Zur Zeit des Herodot hatte der Nil noch fünf Mimdungen; heute fieht man nur noch zwei Davon, während kleine unbedentende NRinnen, einen Theil des Waſſers in den Menzaleh, Bourl und Möͤris⸗See er gießen. Auch Hier findet ſich bereits die Bildung von ſchmalen Landzungen, wie wir fie bei den Mündımgen der Donau, der Wolga und des Don, ber Brenta, der Etſch und des Po, der Weichſel, des Pregel, der Oder u. ſ. w. ſtets vor⸗ finden, unter deren Einfluß eine allmälige Füllung der genannten Seen ein⸗ treten muß. Herodot fagt ferner; „ſo weit fih das Kleine mit dem Großen vergleichen läßt, fo fleht die Gegend um Ilium und Teuthranien, oder um Epheſus und die Ebene des Männder eben fo aus, wie die Gegend um Memphis. Dann von ben Fluͤſſen, welche diefe Lande angeſchwemmt, ift feiner mit einer einzigen Mündung des Nils, einer Bergleichung werth. Und es gibt noch mehr Fluͤſſe, die, ohne die Groͤße des Nils zu haben, Großes ind Werk richteten, von welchen ich namentlich anzugeben vermag, und darunter nicht zulegt, den Achelous, der durch Afarnanien fließt und, wo er fich ind Meer ergießt, die Echinadiſchen In« ſeln zur Hälfte bereitd zum Feſtlande gemacht hat.” In einem ber nächften Kapitel des zweiten Buches fagt der genannte Schriftfteller ferner: „ich meine, dag Aegypten einmal eben fo ein Meerbnien geweien, als ter, welcher aus dem fogenannten Ergthräifchem Meere (Rothes Meer) hereingeht; und wie fang und ſchmal diefer ift, will ich hier angeben. In der Länge, wenn man von ber Bucht nach dem offenen Meere fährt, (Tüdlich) gebraucht man mit einem Ruder⸗ ſchiff 40 Zage; in der Breite, wo der Bufen am breiteften ift, eine halbe Tag⸗ fahrt.” Sollte nun einmal der Ril fein Strombett in diefen Buſen Hineinleis . ten, was hindert dann, daß derfelbe vom Fluß nicht zugeſchwemmt werde, we⸗ nigftend in 20,000 Jahren. Indeſſen ich denke doch, innerhalb 10,000 Jahren - würde er fchron zugeſchwemmt fein. Konnte nicht alfo auch in all’ der Zeit, die vor mir verging, ein Meerbufen, und ſelbſt ein viel größerer, als diefer, von einem Fluffe zugeſchwemmt werden, der fo groß ift und fo gewaltig arbeitet.‘‘ Herodot ſchließt daraus, daß Negypten vor den anftogenden Küften her⸗ vorfteht, daß es auf feinen Gebirgen Mufcheln zeigt, daß es Salztheile ausftößt, von welchen felbft die Pyramiden angegriffen werden, daß ed den benachbarten Ländern durchaus unähnlich, fondern einen fehwarzen, brüchigen Boten hat, nämlich Moor und Schlanım, und daß diefer aus Aethiopien dur den Strom herabgeführt ſei. E8 wurde dem Herodot von ben Prieftern gefagt, daß zur Zeit des Königs Möris, 900 Jahre vor ihm lebend, der Fluß jchon das Land unterhalb Memphis bewäffert habe, wenn derfelbe 16 Fuß fliege; dagegen war zu IV. 38

„Meguptenb Denkmalc 595

richten binterlaffen , in der Vorausſetzung, daß nachkommende Beichlechier bie» felben verſtehen würden, Lange Zeit verging, bevor man die Zeichen mit Sicherheit zu enträthfeln vermorhte, allein dem raftlofen Fleiße und den glüd- lichen Gombinationen ift es gelungen, die heiligen Zeichen zu leſen.

ALS Solon im Aegypten reifte, fuchte ex die Bekanntſchaft der Prieſter, um von ihnen Mittheilungen über die Vorzeit zu erhalten. Um fle dazu zu veranlaffen,, hatte er. ihnen die Sagen von der deufalionfchen Fluth, von Pho⸗ romeud und der Riobe und andere gefchichtliche Annahmen der griechifchen Vor⸗ zeit mitgetheilt. Der ältefte ber Priefter fagte darauf: „O Solon, Solon! ihr Griechen feid Doch immer Knaben, nirgend ift in Hellas ein Greis. Eure Seelen find ſtets jugendlich, ihr habt in ihnen Feine Kunde des Alterthums, feinen alten Glauben, Seine, von Alter graue Wiffenfchaft. Der Grund hier⸗ von ift diefer: „oft und auf mancherlei Weife find die Menfchen vernichtet wor⸗ den, wie auch in der Folge woch geſchehen wird. Die größten Zerflörungen hat das Feuer und Waſſer erzeugt; geringere find durch unzähliches Mißgeſchick herbeigeführt. Denn, wad bei euch erzählt wird, Phaeton, des Helios Sohn, babe den väterligen Wagen befliegen, ihn aber nicht mit der Kraft des Vaters Ienfen können, daher fei Die Erde in Brand gerathen und er felbft in den Flam⸗ men verzehrt worden“ dies iſt zwar dem Scheine nad) ein Mythos, aber doch gewifiermaßen wahr. Bei dem Wechjel nämlich, dem die Umläufe des Him⸗ meld um die Erde unterworfen jind, entſteht endlich in langen Zwiſchenraͤumen eine Verzehrung der Erde durch häufiges Zeuer. Im diefem alle werden dann biejenigen, welche hohe und trockne Begenden bewohnen, früher ergriffen, als bie Küften und Uferbewohner. Uns ift der Ril, fo wie in den meiften Dingen, fo auch in diejem Falle Heilfam und vettet und vor dem Verderben. Wenn aber tie Götter die Erde mit Bluthen reinigen wollen, fo entgehen nur bie Bergbewohner, die Hirten und Romaden dem Untergange; aber eure Städte in den Ebenen, werben durch die Gewalt der Ströme ind Meer fortgerifien.

Was irgend Großes und Schönes bei und, oder bei Euch, oder ander« wärts vorgefallen und befannt geworben ift, das ifl von den älteften Zeiten an, in unferen Heilighümern aufgefchrieben und erhalten. Es trifft fich zwar auch bei euch und anderen Völkern, daß dasjenige, was eben verfällt, in Schrife ten und Denkmaͤlern aufbewahrt wird, aber nach gewiffen Perioden ber Zeit zerftört die Fluch vom Himmel alles Menſchenwerk und die Nachkommen find ber Schrift und der Künfte beraubt. Dann feid ihr wieder Jünglinge und bes ginnt aufs Reue eure Laufbahn, unwiſſend der vergangenen Zeiten. Wirklich ift das, o Solon, was du fo eben aus euren Benealogien hervorgebracht, nicht weit von der Ratur ded Mythos entfernt; fürs erſte, weil ihr euch nur einer Ueberſchwemmung erinnert, da Doch ſchon viele vorübergegangen find und dann, weil ihr das fchönfte und beite Gefchlecht eurer Vorfahren nicht fennt, aus dem bu und bein Staat entiprungen find, ein Fleiner dem Verderben entgangener Keim. Dies iſt euch aber verborgen, weil die Geretteten und ihre Nachkom⸗ men, viele Gejchlechter hindurch der Schrift entbehrten.

„Ich will dir gerne um deiner ſelbſt willen dieſe Geſchichte erzählen; vor

38 *

Aeggatent Denkwalei 597

Papier kannten und verwendeten, iſt befannt, jedoch war biefe nur für dem täg« lichen Verkeh ale Handelsſchrift gebräuchlich. Mit weldyer Treue ubrigens die Bilperfchrift ansgehbt wurde, zeigen bie menschlichen Figuren, da man an ihnen mit Beſtinuncheit die einzelnen Nationalitäten berauserfennt, und wo dies an den Geſichtszugen nicht möglich iſt wegen der vorhandenen Mehnlichkeit der ver⸗ wandten Völker, bat mas durch eine entfprechente Färbung nachzuhelfen gewußt. ur

War esô ven Prieſtern gelungen, durch bildliche Darflellung eine Kunde auf die Nachwelt zu bringen, und es ift ihnen gelungen; denn heute, nach Jahr⸗ taufenden , entziffert man die Mittheilungen, fo mußte es ihnen auch daran fies gen, ihren Mittheilungen eine Uinzerftörbarkeit durch Feuer oder Wafler zu geben. Die Verwendung der harten, vulfanijchen Gefteine, als: Granit, Porphyr und Grünftein, für Bildfäulen,, Golofie und: Obelisfen, mußte deshalb ge= fchehen, weil man ihnen bei der Zerſtörung der Erdoberflaͤche durch Heuer ein ſicheres Dafein zu gewähren berechtigt war, anderentheil® bei eintretenden Ueber⸗ ſchwemmungen fle außer dem zerftörenden Bereidye der Ylutben, wegen ihrer Sröße und Höhe geſeyt Hatte. Wiflend, dag große Maflen großen Bewegungs⸗ fräften leichter widerfichen,, als Fleine, gaben fie ihren Sphinren, Widdern und Königdbilpiäulen, ihren Tempeln, Byramiden und Begräbnißfaften fo außeror« dentliche Srößenverhältnifie, daB man nur in Diefer Anſchauungsweiſe einen ver⸗ nünftigen und auch vollkommen binreichenden Grund für die Korm und Grd« Genverhältniffe aller der Baumerfe Aeghptens finden kann, welche fich auf ge= ſchichtliche umd religiöfe Berbältuifte beziehen. Daß weder die Könige, noch die Vrieſter in den Tempeln gewohnt haben, geht theild aus der unwohnlichen Ein⸗ richtung derſelben, theils aus der Sauberkeit Der Wände, welche mit Bilderfchrift bedeckt find, theild aud dem Umſtande hervor, daß man wohl dieje Gebäude, hei⸗ ligen Zwedten gewidmet; aber nicht zum gewöhnlichen Wohngebrauche verwendet . Haben würde. &8 ift nachgewiefen, daß die geoßen Tempel nicht aus einem Guffe, von einem Baumeifter, oder von einem Megenten geichaffen find, fondern es läßt fich mit Beſtimmtheit nachweiſen, daß zu verfchiedenen Zeiten Anbaue, gemacht worden find. Sind diefe Bauwerke dazu beftimmt, Gefchichtöhücher zu fein, fo ift es auch natürlich, daß jeder Regent entweder Die Befchichte feined Vorgängers oder jeiner eigenen Regierung auf Tempelfäulen, Tempel⸗ und Grabkaſtenwaͤnde und Obeliöfen eingraben ließ, und deshalb dieſe Anbaue, oder auch Neubaue nötbig wurden. Wenn man weiß, daß der Kalkftein, aus welchen Tempel und Byramiden erbaut find, leicht der Zerflörung auögefegt if, und wenn man borausfegen muß, daß auch die Priefter die Ungerftörbarfeit ded Granits, des PBorpbyrs und Brünfteind, durch Feuer und Wafler fannten, wenn ferner fein Obelisk und Fein Götterbild, und nur wenige Grabkaften für Menichen, aus Kalkſtein gemacht, ſich vorfinden, fo möchte man zu der Bermuthung berechtige fein, dag die Obelisken, welche vor den großen Tempeln ftanden,, vielleicht die wichtigiten Begebenheiten derjenigen Zeit enthalten, in weldyer die Erbauer dea Tempels und jeiner Anbaue lebten, vielleicht eine Art Negifter zu den ausführ licheren Mittheilungen auf Tempelwäuben und Säulen, darfiellen. Die Pyrq⸗

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fprünglichen ſchuhzte fie ihre Form und ihre Größe; vor hen man fie durch Bedeckung mit Granitplatten zu ſichern. Alle Pyramiden

hen rue au daß! die‘ Pyramiden nicht | | hatten, fondern daß die Vergrößerung durch Anbau und Umbauung der ın Grabfammer entſtanden ift. Vor der Berftörung

haben im Inneren einen tiefen Schacht oder Brunnen; son einen weiß man, daß er mittelft eines Canals mit den Umgebungen der indung fand. Ob diefer Brunnenſchacht dazu beſtimmt war, den Arbeitern nach dem Verſchluß der Pyramide den Ausweg zu geftatten, oder ob er beſtimmt war, Waſſer, welches von oben in die Kammern der Pyramide eindringen könnte, wieder abzuführen, laͤßt ſich wohl nicht mit Beftimmtheit feſtſtellen. Wenn man die Lage Aeghptens am Rande der Wüfte berückfichtigt, werm man weiß, welche großen Maffen von Sand in das Fand hineingeweht werden, jo Hat man einen dritten Feind, ben bie ägyptifchen Priefter zu fürchten hatten, Dies ift ein Grund, weshalb die am Rande der MWüfte ftehenden Pyramiden, außer dem Bereiche der gewöhnlichen Nilüberſchwemmungen befindlich, im jo außerordentlicher Größe gebaut wurten, Die Borm, die Größe, ſchützten die Poramiden vor dem Umfallen, un die ieh ber Zerflörung durch Feuer. | | vunmin a ya Wenn die ägdptifchen Priefter den Mythus vom Phaston umd der/iohe kannten, und fie kannten ihn und mußten ihm genügend zu deuten, fo möchte aus demſelben hervorgehen, daß eine Umwandlung der Erdoberfläche in der erſten Sage und eine Vernichtung des Menfchengefchlechtd in der zweiten dargeftellt ift. Wenn. die Sage vom Phaston, von einer Veränderung des Laufes des Sonnen» wagens fpricht, To liegt Die Bermuthung nahe, daß eine Veränderung des Bor« Berhältniffes der Sonne zur Erde ftattgefunden bat. Sind alle Planeten unfered Sonnenſyſtems nach einander von dem Sonnenförper losgelöſt, fo ift es natürlich, daß auch nach einander Veränderungen in den Wärmes, Licht» und Untlanfsverhältniffen der Planeten zur Sonne eingetreten fein müfs fen. War die Erde früher ala Venus und Mercur, ala Planet fertig, fo ift es Flat, daß vor diefem Verbältniffe ganz andere Beziehungen der Erde zur Sonne ftattfanden, als nach dem Erfcheinen des beiden Planeten. Sind alle Planes ten aus Hüllen der Sonne entjtanden, und hat Diefelbe, wie wir wiffen, noch zwei Hüllen, ift die Hüllen» und Ringbildung überhaupt ein Entwidelungsftadium der Sonne und der Planeten, fo ift ed mehr als wahrfcheinlich, daß Zeiten kommen werden, in denen noch neue Planeten zwifchen Mercur und Sonnenförper entftehen werden. Welche Veränderungen dadurch in dem Verhältniffe der Erde zur Some eintreten werben, laͤßt fich Heute moch nicht beſtimmen, jedenfalls aber müffen die Licht⸗ und Wärmeverhältniffe geindert werden. In dem erbarmungsloſen Hinfchlachten der Niobiden durch die Pfeile Apolls und Dianens Liegt eine bild⸗ liche Darftellung einer Vernichtung des Menfchengefchlechts durch cosmiſche Ur⸗

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Aegyptens Denkmale. 599

ſachen. Zuerſt muß es auffallen, daß Helios und Diana, alſo die Repraͤſentan⸗ ten für Sonne und Mond, als die Vernichter des Menſchengeſchlechts auftreten. Daß in ten ſieben männlichen und ſieben weiblichen Kindern der Niobe das Menfchengefchlecht vertreten zu jein fcheint, ift mehr als wahrfcheinlich, denn nicht allein die verfchiedenen Alteröftufen vom Säugling bis zum Erwachjenen, fondern auch die gleiche Zahl Heider Befchlechter find es, welche hier als Darſtel⸗ ler des ganzen Menſchengeſchlechts gelten follen.

Nachdem die Kinder getödtet waren, wurde Niobe in einen Stein verwan- delt. Was diefe legte Darftellung betrifft, fo bezieht ſich dieſe auf geologiſche Berhältnifie, welche eintreten, nad dem eine Umänberung der Verhältniffe der - Erde zur Sonne und eine Bernichtung des‘ Menſchengeſchlechts bereitö geſche⸗ hen war.

Die heutige Flottenfrage. 501

nen als das Streben nach Verxrückung des biäherigen yolitiichen Schwer punftes, ald das Streben nach .einer veränderten Machtſtellung ber Völker zu einander. Wer in zweiter und dritter Linie ſtand, will vorrüden in die erfle oder zweite. Es mag Anſchauungen geben, welche meinen, Das Streben nach Freiheit, d. h. nach periönlicher und politiicher Selbſtbeſtimmung fei es, welches "als Motor durch die europäifchen Staaten ziehe; wir theilen fie nicht; wir halten fie für phantaftifche, der Wirklichkeit nicht entiprechende; wir meinen um⸗ gelehrt, das große Maaß perjönlicher und politifdyer Selbitbeftimmung, welches fo viele Völker des Continentes ertragen und gebrauchen gelernt, habe ald Wir fung gehabt dad Streben nach nationaler Macht, und dieſes Etreben fchließt in feiner Verwirklichung die Berrüdung der biöherigen politifchen Schwerpunkte in ih. Wo dad Streben nach politifcher Freiheit in den Vor⸗ dergrund trütt, dürfte Die Urſache in dem biöherigen Mangel derfelben liegen; Freiheit, Selbftberußtjein, Macht, ift Die Reihe, nad) deren erfter Etufe man dann verlangt. Erſcheinen dabei Ueberftürzungen, Revolutionen, ſocialiſtiſche Beftrebungen, fo find das eben die Schwankungen des plötzlich auf eigene Füße geftellten Schwaͤchlings; bei erleuchteten und flarfen Regierungen und fräftigen, ſelbſtbewußten Völkern wird man davon wenig gewahr und überwindet fie ohne Mühe noch Schaden.

Europa zeigt fi) hiernach im doppelten Geſicht. Die Einen wollen er⸗ halten, die Anderen erwerben.

England ſteht auf dem Gipfel Der politifchen Macht. Das Uebergewicht feined Handeld und Reichtgumd, dic Macht feiner Flotten, die Ausdehnung feie ner Solonien d. h. der für das WMutterland arbeitenden NRebenländer laffen menfchlichen Unftchten nach kaum eine erhebliche Steigerung noch zu. Seit einiger Zeit gewinnt aber die Rivalität eine Ausdehnung und eine innere Stärke, die bedenklich zu werden anfangen, und die gefährlich genannt werden müflen, wenn die biöberige Obmacht etwa anfinge an moraliſcher Schwaͤche oder innerem Niedergange zu laboriren, oder wenn die Hauptmaſſe Der bisheri⸗ gen getrennten Rivalen auf den Einfall fäme, ficy zu vereinigen. Es naht alſo die Zeit, und wir Dürfen jagen, fchuellen Schritte, die England in einen Kampf um feine bisherige merfantile und politifche Machtftellung verwideln muß. Mir haben nicht nöthig, Die Kraft Englands in Ziffern auszudräden und die moraliſchen Grundlagen dieſer Kraft zu beſchreiben; es ift genug, wenn wir fagen,, daß e8 einen Kanıpf um Leben und Tod gelten wird, und England wird darin feiner würdig auftreten.

Sranfreich hat das Schickſal, zumeift verfannt und infolge deſſen überfchägt oder unterfchägt zu werden. Man bringt den alten befannten vomanifchen Volkscharakter, wie ihn Mommien und Wieteröheim in fo trefflichen Meiſter⸗ ftrichen zeichnen, aller fpäteren Zeit zum Verſtaͤndniß, nicht genug mit in Uns fchlag. Unſere Liberalen betrachten eine Ration mit Geringfchägung, die ihre perfönliche und politifche Sebftbeftimmung ohne Ueberlegung wie ohne Kum⸗ mer weggibt; unfere Abfolutiften und Zegitimiften verachten ein Volk, dem die Treue nicht iſt, als ein veralteted VBorurtheil und das wanfelmüthig heute hier⸗

Die deutſche Flettenfrage. 603

flifchen Interefien, theils war es doch Fein rahiger und naturgemäßer alfo dauer⸗ hafter Zuſtand, der hier, auch im beften Falle, erreicht werben konnte. Ä

: Sehe Kräfte werben gefaßtlofer und befier fuͤr coloniale Zwecke verwen- det. Dort finden Thaͤtigkeit, Energie, Egoiſmus, Raubfucht ein offenes Feld und dem Rückkehrenden winten Ruhm, Nacht, Reichthum und Genuß. Da aber: die Colonien in allen werthvolleren Teilen der Erde bereits beſetzt ſtnd und es kaum möglich. fein dürfte, irgenbwo' ungeflört deren neue von: genägender Tragweite zu etablicen, fo mag dem Kaifer Rapoleon wohl die Idee nahe gekom⸗ men fein, den in Frankreich fo populären Kampf gegen England nicht blos im nationalen Sinne gegen beffen Präponderanz, fondern auch um deſſen Golonien zu führen, damit: aber ber:englifchen Machtflellung auf alle Beiten dad Wiederaufleben abzufchneiden,. Der Krieg mit England ift aber für Frankreich. dann zugleich ein Gontinentalfrieg, wenn es nicht in den Haupt⸗ mächten Verbündete ſieht. Die Frage Fiegt jetzt, fcheint e8, fo: kann Frauk⸗ reich den großen Continentalmaͤchten einen- Preis bieten, um deſſen willen fie ſich dem Kampfe gegen England bireet oder indireet anſchließen? Der Preis müßte freilich fo groß fein, daß jede dieſer Mächte fagen Tann: ja, um diefen Preis kann ich eine foldye Vergrößerung der franzöflichen Macht hinnehmen ich finde fpäter auch meine Berbündeten, um Die. Uebermacht zuruckzuweiſen ſchlimmſten Falles pflegen große Regenten nicht ſehr alt zu werben. Wäffige Gonjecturalpolitit wäre «8, die Antwort Hierauf flofflich auszuführen; einiger politische Scharfblid, Die vergangenen Ereignifle und das Streben der Groß⸗ nächte beachtet und die Antworten Türften gefunden jein.

Im Befige aber einer guten Zahl der englifchen Golonien würde Fankreich auf mehrere Menfchenalter hinaus tüchtig und für fich ſehr nüglich befchäftigt fein; die nationale Richtung und das dynaſtiſche Intereife wären gleichmaßis gut verforgt.

Rußland bietet Das intereflante Schauſpiel eines Reiches, das auf der. einen Seite durch alle Mittel der vorgefchrittenften Givilifation feinem Volke Cultur, Selbftbemußtfein und Reichthum bringen will, und auf einer anderen Seite feine verhältnigmäßig höhere Stufe benugt, um gegen halbbarbarifche Rationen Borsichritte zu erringen, bie den Golonialbefirebungen Frankreichs nicht ganz unähnlich fehen. Rußland, das fehen wohl auch die Blinden, bereitet fich ſorg⸗ fam und eifrig die Stufen, auf denen es zur Weltmacht emporfteigen will, Vor der Hand hat Rußland Ein Intereffe mit Frankreich, fie wollen England flür- zen; jpäter qui vivra verra. Wem etwa einige Zweifel über den tiefen Ernft inwohnen follten, mit dem Rußland auf diefer feiner Bahn fortichreitet, der prüfe defien Umfichgreifen am Amur, deſſen Ausbreitung in Gentralaften, wo ed im Souvernement Semipalatinsk fich eine bluͤhende und lebenskraͤftige Baſis fchafft und deſſen Umwandlung feiner Oftfeefloste, die e8 in weni» gen Jahren aus einer fchlecht verſehenen, fchlecht gebauten und fchlecht geüb⸗ ten Flotte in das gerade Oegentheil und fomit zu einem: ebenbürtigen Berbüns beten Frankreichs gemacht hat in dem großen Welilampfe, af den Beide los⸗ fteuern.

willen? Der Kaufmann ſteckt fein Geld in die Waare doch wohl lediglich um Des zu verhoffenden Gewinnes willen ? Glaubt man, wenn es Preußen tinfiele, in dem Weltkampfe ſich auf Englands Seite ftellen zu wollen es erginge ihm ame ders, als der ſavohiſchen Neutralität? Nous passerons dutre. Over rechnet Preußen Darauf, Daft, wenn es um engliſcher Intereffen willen, einen Krieg mit Srantreich führen wollte, ‚daß dann Deutſchland auf ſeine Seite: tretem werde, jenes Deutſchland, das in Oberitalien ein deutſches Intereffe, wenigſtens eine natiomale,Ehre zu vertreten bereit war und nicht vertreten durfte?‘; Eing« liſche Intereſſen find nicht —— ſehr England auch nach einem continentalen Alliirten verlangen wird. .- mr. an ZuR

| we Kleinlichkeit der für ihre Politik aufgefiellten Gründe (?). Fuͤrwahr, es gehört die geiftige Blindheit, eingefleiichter Doetrinärs dazu, um Dinge zu fagen und ala Gruͤnde hinzuſtellen, deren Nichtigkeit der. einfachite geſunde fand ohne weiteren Beweis einſieht. na

Die dentſche Yetterufrage. 60b

Wäre Dentfchland einig und mit einer ftarken, felbſtherrlichen Centralge⸗ walt verſehen, es wäre ein großer Kampf für Deutfchland‘; der gegen bie ver⸗ einigten zomanifchen und fTavifchen Rationalitäten. Denn, wir dürfen e3 uns nicht verheblen, wir find vereinigt zıwar Einem überlegen, aber weder unfer Na⸗ tionalreichthum noch unfere nationafe Kraft find fo weit entwickelt, daß ſie ge- gen Bereinigung beider die materielle Uebermacht haben. Defterreich iſt in allen feinen Theilen erſt am Beginn der Entwicklung; wir find die letzten, zu verfen- nen, welche fchönen Brüchte die feit 1850 erweiterte Selöftbeftimmung der äfter- reichifchen Völker fchon getragen; zum großen Ziele hin find das aber erft kleine Anfänge und bie nationäfe Macht dieſes Staates ift faum mehr als einfeitig; kann große Armeen zwar aufflellen, aber mit eigenen Mitteln weder unter» halten noch Bezahlen. Preußen aber ift viel zu Mein, es auch nur mit der ges theilten Macht Frankreichs aufnehmen zu koͤnnen; es hat erft fürzfich mit feinem fogenannt altberühmten, volfsthümlichen und außerordentlich ergiebigen Heer⸗ fofteme Blasen gemacht und den Beweis geliefert, daß auf feine Neben und An⸗ preifungen nichts weniger als unbedingted Vertrauen zu feßen if. Dabei hat ed jeine ebenfo bedeutende ald vortrefflich geregelte Finanzkraft ſchon für die Friedendzeit berart anzufpannen, daß der Krieg Taum eine Steigerung diefer Leitungen geftattet. Und foldher Lage gegenüber reden die Gothaner von Machtfuͤlle, jubeln über die Niederlage einer deutfchen Großmacht, demonſtriren mit eitlem Redeprunk vom deutfchen Standpuntte aus, daf fie keinen Krieg für £arholifche Politik, für Verdummungsſyſteme und dergleichen führten, und wol⸗ len und einreden, wir felen flärfer ohne ald mit den öſterreichiſch⸗ſlaviſchen Provinzen! Als ob wir nicht aller, aller unferer Kräfte bevürften, um nadh zwei Seiten Fronte halten, wir nicht jedes einzelnen Vorpoſtens bedürften, um ihn als Keil in die Beinde Hineintreiben zu können.

Die Eleindentfchen Beſtrebungen zerreißen die ohnehin faum zureichenbe Kraft Deutfchlands und führen es Dadurch feinem ſtaatlichen Untergange ent gegen. Das ift unfere Meinung.

Wenn ein Kampf um das höchfte nationale Imterefie, die Weltftellung eines Staated, einer Großmacht, entbrennen will, fann das Ziel, das zu erftreben ift, nicht zweifelhaft fein. Wer nicht vors waͤrts drängt mit aller Kraft, gebt unter.

Wenn, wie wir es für wahrjcheinlich halten, bie nähere Zukunft uns einen Weltkampf gegen die englifche Präponderanz in Handel und Seemacht, in Co⸗ lonien und Reichthum bringt, fo erfordert das deutfche Interefle vor Alleın -

eine innige Bereinigung ber gefainmtdeutfchen Kraft, verbunden mit totaler Aufgebung aller Eleinlichen Sonderzwede, ja verbunden mit partieller Aufgebung ſeines Individualitätstriebes, d. h. mit zeitlicher Ab- tretung verfchiedener Souveränitätöredjte an eine Dictatur.

Je mehr aber der Kampf, der in Ausficht ſteht, wichtig iſt für die ganze zufünftige Entwidelung Deutfchlants und je weniger wir für ihn vorbereitet find, defto nothwendiger ift es, daß diefe Dictatur ehefchleunigft eintrete.

Deutfchland verdanft Dem, was man Kleinftaaterei zu nennen beliebt, ſei⸗

Die. dentſche Flottenfrage. 607

Praͤponadernz und unſere Macht auf dem Erdkreiſe auch der inneren Tichtiteit des germaniſchen Stammes entſpreche. Alſo die Politik verlangt von uns: Politiſche und militaͤriſche Dictatur für Geſammtdeuiſchland, eine der hochwichtigen Weltlage entſprechende Machtentfaltung zu Lande wie zur See, und die Beſchleunigung in Dem, was wir tun wollen. Darüber aber, dag unfer Handel und die Interefien unferer Rationalen - einer Flotte bedürfen, geftatte man und hinwegzugehen, als über eine Wahrbeit, die feines Beweiſes mehr bedarf.

U. Strategiſcher Theil.

Nachdem eine eingehendere politiſche Betrachtung und die Nothwendigkeit einer Flotte, und zwar einer ſtarken Flotte gezeigt hat, derart, daß es ſchwierig werben duͤrfte, bie angezogenen Gründe ober die daraus ſich ergebenden Folge⸗⸗ rungen anzugreifen, haben wir bie einzelnen Bälle des Bedarfs zu beachten, um daraus zu combiniren, welcher Art und Stärke die Flotte fein müffe.

Es kam und bei dem Durchdenken dieſes Aufſatzes der Gedanke zu Sinn, einmal nach ben 48er Schriften zu forfchen und zu lefen, was dazumal gebrudt worden. Wir fanden Mancherlei, Brauchbared und Mangelhaftes, des Veral⸗ teten natürlich fehr viel, de8 Beltenden wenig. ine noch frühere Fleine, jebt faft vergefiene Brojchüre, Note sur l’&tat des Forces Navales de la France 1844, vom Prinzen von Joinville verfaßt, Teuchtet aus dem ganzen Gewirre hervor durch die Klarheit, mit der fie erft Die Situation zeichnet, dann die Conſequenzen zieht, und endlich durch die Sicherheit, mit ber die Entwidelung der Dampf⸗ marine und demgemäß die Benugung der Sache vorher gefehen wird.

Auch eine Brofchüre ded Prinzen Adalbert von Preußen „über die Bil dung einer deutfchen Kriegöflotte, 1848", gibt fchäßbare Raifonnementd, Toch zeigt fie ganz das Gepräge des ſchmachtenden Zuftandes, in welchem feit diefer Beit Die preußifche Marine ihr Dafein fortgefriftet hat, gewiß zum Kummer des fürfllichen Schriftftellers, der zwijchen den Zeilen mehr fchreibt, als in denfelben.

In beiden Schriften fehlt gleichmäßig die Perfpertive auf einen großen Kampf um die Secherrfchaft. Zwar findet man genügende Andeutungen über die Aufftapelung werthuoller Materialien in den franzöftichen Seezeughäufern, Hülfsmittel, deren Vorbereitung zum nicht Fleinen Theile die franzöftiche Marine die Möglichkeit ihres jegigen Aufſchwunges verdankt, aber doch iſt es mehr ber Kreuzerfampf, den der Prinz Joinville in's Auge faßt.

Die Beflimmung der preußifchen Marine wird weientlich mehr im Schutze der Küften und in den Berhinderungen der Blofaden gefucht, als im directen Kampfe oder in fernen Expeditionen, zu welchen Iegteren überdies wenig Veran⸗ laſſung gerade damals vorhanden war; der Dampfmarine ift eine geringere Ent⸗

Die dentſche Büntärufunge. Ä 689:

führen einzelne Berftärungen aus: Alles fiodlt. Ober chizelne Generale. war⸗ ten die Befehle nicht ab, ihun, was jo oft zu den glüdlichften Entſchlüͤſſen ge⸗ hört, marſchiren ohne Jögern anf den Kanonendonner Tod, treffen aber nıit ihrem Eifer auf die Demonftration, -anftatt auf den Kernpunkt oder ſie laſſen fich- verleiten, entichloffenen Demonftrationen Werth beizulegen, anftatt die erhalten: nen Inflrurtionen auszuführen kurz, ed gibt beim beften Willen der Han⸗ deinden der Bwifchenfälle Tauſende, und auf ihnen rußt ber Erfahrungsieg:

Zerſplittert leicht, concentrirt ſchwer. Iſt die Armee einmal aus der Hand ger. geben, mag der Feldherr fehen, wie er fle wieder zufammenbringt. !

Jedwede Beribeilung führt aber trop beſter Berechnung durch dieſe nache theiligen Factoren zu einem Angriffe feindlicher Uebermacht gegen Mindermarkt, alfo zu einem Verhaͤltniſſe, bei dem der Sieg an und für fich fchon wahrfcheine lich ift, abgefehen davon, daß der Angriff ganz allein wegen der Damit verbunde⸗ nen Steigerung ber moraliſchen Elemente eine weitere Wahrſcheinlichkei bed Sieges einfchließt.

Es treten zu dieſen, der Vertheidigung unguͤnſtigen Verhaͤltnifſen noch bie Vortheile hinzu, welche der Augriff etwa im Terrain findet. Der Angriff ſtrebt nach Verborgenheit und nach Schnelligkeit in der Ausführung der vorbereitenden Mafregeln. Je leichter die Beobachtung derſelben verhindert wird, je raſcher die Bewegungen geſchehen, um fo mehr fichert man fich dad Lieberrafchende bes Angriffes und damit Die Uebermacht gegenüber dem zerfplitterten Gegner. -

Wenden wir die Mefultate der Erörterung auf unſere Seeküften an, fe fehen wir die Beobachtung Seiten des Bertheidigerd durch Die unfehlbare Blo⸗ kade unferer Häfen, wie durch die flachen, fernfichtlofen Küften gehindert; fehen die Bewegungen der getrennten Abtheilungen ber Vertheidiger durch Weglofige feir und Terrainbefchaffenheit gehindert, fehen dagegen bie. Beweglichkeit der’ Flotte mit den Landungdtruppen außerordentlich gefteigert durch Die neueren. nautiſchen Bervolllommnungen, und bei dem Kanıpfe am Landungsplatze ſelbſt eine enorme lieberlegenheit der Schiffdartillerie. uber Die leichten Kaliber der Feld⸗ artillerie. Auch find der Landungdpläge genug vorhanden, wo die Flotte mit ihren mächtigen Hülfömitteln gleichzeitig eine große Macht an's Land werfen: kann, fo daß vollkommene Unficherheit fiber die Wahl des Landeplatzes beſtehen würde, alſo zu allen den übrigen Nachtheilen auch noch gewilfermaßen vie Roth» wendigfeit der Bertheilung treten würde.

Man ift aber in dieſem Syfteme weiter gegangen und hat die Befeftigungde anlagen gleichfalls zerfplittert. Der Augenfchein und. die Angft, diefe beiden . DVerführer, haben geglaubt, man müffe überall, wo ein leidlich günftiger Landes plag eriftire, Befeftigungswerfe ausführen, und Haben gehofft, dadurch Schuß zu: finden. In alten Zeiten freilich, da handelte es fich um Korfarenfrieg, um Sireifr zuge und Plünderungen; da gab es Fleine Schiffe mit wenigen und leichten Ka- nonen; da Tonnten ide Xocalbefeftigungen recht wohl ihren Nutzen beweijen, aber den jeßigen Angriffömitteln find ſie nicht gewachfen; bie großen Schrau⸗ bendampfer und fchwimmenden Batterien vernichten derartige Pigmäen in wenigen Stunden, und zu ihrer vollfommenen Rutlofigkeit zu den Zwecken der Vertheidi⸗

IV. 39

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Derifeiigung br Kngen inien find ng ——— u Werte gehen jollen. ann. ni ‚mints ur anım *

i —— jeweiligen Umftänden abhaͤngenden Operatlonen zum größten Theil des Schutzes umd ber ———— lid am aue

griff das Uebel an der Wurzel an. Die Bertheidigung langer Binten" fann nur sor ih emıwirffiam erfolgen; die ganze contentrirte Macht

wirft direct defenſi auf dem einen Punkte, wo ſie ſteht, indirect offenen ſiv gegen des Fein des Flanken, anfangs nur drohend auf alle uͤbrigen Punkte,” die in ihrem ſtrategiſchen Bereiche liegen, Es würde alſo z. B) wenden An— griff auf die Flußlinie des Rheines in der Richtung auf Carlsruhe erfolgt / ein Vorgehen von Germersheim rheinaufwaͤrts anfangs eine Flanlenbedrohung fein: und in den meiſten Fällen‘ ſchon dadurch den Zweck erreichen; sollte Dies aber nicht eintreten, fo würde tin Rlankenangriff folgen, deſſen Mefuftat im glücklichen“ Balleı das: Schlagen der franzöflichen Arnıee ihr Abdrängen von "allen ihren! rüchwärtigen Verbindungen und ihr Hineimverfen nach Straßburg fein fan

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unſere Küften nn an ein ae die Fragte: aa u; rn) pawtlansannsansten mitbieten ) Was mußdas für eine Flote ſein, der windem&chugun« jener Käfenanuertranemdn Fu am as⸗ nun Er 97)

meinſame Kraft dann diejenige Macht geben, wird, -aus der die Sicherheit ente Tmingt, ang fu na mom am —— ———— Ann Sollen wir und begnügen wollen, rin | fönne, daß dänische Schiffe unſere Häfen ſperren und daͤniſche Sererpeditionen : unfere offenen Küftenorie cher en dinier fhügen? Wenn aber der Gang der @ gegen und führt? Oder wenn #8 Bubland-sinfele,. unfere Drfenfispofen zu umgehen, oder Frankreich darauf Dächtesn

| Kenn Hülfsmittel an den Quellen zu faflen2 E86 gibt nur Ginen;Nafab-für-deB;; was wir ‚brauchen, und zwar: unſer Be bürfmiß; können wir nicht bis zu

unſerem Bedirfniß in die Höhe ein; Ball, der in armen odet

EEE ne an —— ſchuͤtze gegenüber der gebräuchlichen —— war ihre Wirfungefphäre entſchieden größer; jegt, wo Dampf und weittragende Geſchuͤtze auf allen Schiffen zur Verwendung kommen, Sit ihr’ Bebräudh‘ Haupt ſachlich auf die feichteren Gewäfler eingefchränft, wie wir im finnifchen Bufen, an der Krimm und in China gejehen. Da aber unfere Nordküften und zum Theil auch die Oftfeefüften gerade dieſer Veſchaffenheit ind, Tiegt es ung ob, jo viel Diefer leichten Fahrzeuge zu erbauen, als wir auf den | plägen gu einer nachdrüklichen Action: brauchen. Es will ſcheinen, als ob eine Anzahl von zwanzig | cadre hinrelchen die Enge der Gewaͤſſer, um die 66 fich- Handelt, wird felten die Entwickelung gro⸗ ßer Schlachtlinien geftatten, und als ob zwei Escadren für jedes unferer Meere,‘ Oſtſee, Nordfee und Adria dem Zweite entiprechen würden. Wir werben damit feine Urberlegenheit über unfere Gegner Haben, denn die Nuberflotten der Ofe feeftaaten zähfen bedeutend mehr, und England allein foll dermalen 200 Dampfr fanonenboote bereits beſitzen; allein es handelt ſich um umfere Zweite, d. he une fere Küften und unfer Bebürfniß, und wir berechnen letzteres nach dem Raume, der fich den Kräften zu ihrer Verwendung darbietet. Es verfteht ſich, Babwir nicht im Entfernteften meinen, mit unjeren Zahlen juft das Richtige getroffen zu Haben; in der Broſchuͤre des Prinzen Adalbert find in Summa für Nord und Oſtſee 120 angenommen, aber ohne auf den Dampf zu rücdfichtigen, follten wir diefelben Reſultate mit SO Dampffanonenbooten nicht erreichen, fo würden bie: Flottillen nady dem Bebürfniffe zu verftärfen fein 0 rt Die Armirung der Kanonenboote würde wejentlich gewinnen, wenn fie ſtatt 48-Pfünder Kanonen oder 68-Pfünder Bombenfanonen gegogene Kanonen führten von 24= bis 30-pfündigen Rohrkaliber. Sie würden dadurch im Stande

fein, obne Vermehrung der Belaftung wie des Tiefganges mehr Gefüge zu ven, aljo eine flärfere Benerfraft zu entwiceln; auch würde bie

m

Die dentſche Ylattenfrage, 618

eines berartigen Schraubenbootes über mehrere Muderboote dadurch ganz zweifellos hergeſtellt fein.

Die Koſten eines Schraubenbootes betrugen in England etwa 10,000 Pfd., was fich auf unferen Werften ohne Nachtheil für Die Solidität von Schiff und Maichine wohl auf 50,000 Thlr. ermäßigen würde.

Der Zeitraum zur Beichaffung der Schraubenflottille laͤßt ſich auf 2 His 8 Jahre firiren; freilich würde im Anfange die Dauer der Schiffe eine fo ſehr Iange fein, ba mit der Auswahl der Hölzer unmöglich nad) hergebrachten firen- gen Regeln verfahren werden Tann.

Die Schiffe von nahhaltiger Kampftüchtigkeit batteries cuirassdes, Banzerbatterien ähneln den alten Blodichiffen und ſchwimmenden Batterien, gegen erftere jedoch mit dem Vorzuge, daß ſie fpeciell für ihren Zweck erbaut find, und gegen letztere mit bem, daß fie gegen Brandlegung und Grund⸗ bohren vergl. die Beichießung von Gibraltar Durch einen fchußfeften eifernen Panzer und eine bombenfichere eiſerne Decke verwahrt find oder wenigſtens fein follen.

Die Idee, wenigſtens ber Befehl zur Ausführung dieſer Schiffe, ſtammt vom Kaiſer Rapoleon III., ber die Neuigkeit gegen die Meinung aller technifchen Blätter und vieler erfahrenen Marineoffiziere burchfegte und faft vollfländig ſei⸗ nen Zwei damit erreichte. Der Tadel, den man gegen biefe Schiffe erhob, ſchoß meift über das Ziel hinaus; man ſprach ihnen Sergewanbtheit aller Art ab, nicht bedenkend, daß fie weber manövriren, noch jagen, fondern Tediglich vor Anker geben und nachdrücklich feuern ſollen. Bor Kinburn leg- ten fie die erfie Probe ab, und fie fiel gut aus. .

. Ein Sauptelement im Feftungsfriege ift eine gewiſſe Beweglichkeit des Ver⸗ theidigerd. Da ber Angreifer feine ganzen Arbeiten lediglich nach den beftchen- den Werken richten kann und muß, und gegen anberweit mögliche Eventualitäten meift nur allgemein, folglich nicht ausreichende Vorſichtsmaßregeln zu ergreifen find, muß eine gewifle Beweglichkeit der eigentlich ftabilen Elemente im höchſten Grade flörend wirken. Die neuere beutfche Befeſtigungsſchule bietet dieſem gei⸗ fligen und offenfluen Elemente in ber Befeftigungstunft ein vorbereitetes Feld; Sewaftopol Tieferte den Beweis der Nugbarkeit. Bei Hafenbefefligungen und ähnlichen Anlagen muß natürlich der Flotte biefe Rolle in der Vertheidigung zugewiefen werben; je mehr fie ihre Poſitionen behaupten oder nach Bebarf wech⸗ ſeln kann, deſto eingreifender wird fie fich fühlbar machen, und es werden ganz fpeciell die Panzerbatterien fein, die bei mäßigem Tiefgange ca. 18 Fuß und ihrer nahezu unaustilgbaren Feuerkraft hier das bewegliche und Doch nach⸗ drücliche Element in der Verteidigung repräfentiren,

Betreff der Armirung bdiefer Schiffe wird erft noch eine Erfahrung mit den gezogenen Kanonen abzuwarten fein. War e8 bei ber leichten Flottille von fehr hervorragendem Werthe, daß die Bewaffnung leicht im Selbfigewichte jet,

*) Die während bes Drudes eingehenden Berichte über die in England flattgefuns dene Beichießung der gepanzerten Batt. Trufty zeigen, daß der erwartete Schug Fein abs foluter gegen die gezogenen Kanonen if, und daß die Wiflenichaft Hier das legte Wort noch zu fprechen hat. Die Sache wird bleiben, denn fie iR Beduͤrfniß. A.d. Verf.

‚der Krimi. Pe dad aim fit ai And sa u. ai —X Es geht daraus hervor, daß jede Flotte/ die in ihrer Starte unter m Mae unſeres Bedürfwiffesi, beziehendlich unferen Kraft bleibt, nicht felbftitiändig See halten tanny folglich beffer ungebaut:bliebes- Ban oder gar nicht Thorheit wäre e8, auf Berbünbest En

Abſchnuu Mr una * fr Er ee * de demngr oße n Seekriege aufi mumananın = su mul

Der Prinz von Joinville, bei dem bie Leidenfchaft für feinen Beruf: üls - Seemann gleichen Schritt hielt mit dem Patriotiämus, hatte für frine Aufftel- ‚ungen andere pofitifche Grumdlagen; andere politifche Zwecke und einen anderen Stiandpunti der echnik als die dehtzeit Er hatte Feine Landungen einer

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den Schutz des Handels und die Achtung der Flagge imensfern- ten Negionen, und andererfeits die wirkliche ——— ſh meren Felotennn mi) anna anm)* ee

Drer erſte Diefer ‚Bwerke iſt muſtergiltig Joinville; es bedarf nur noch der Hinzufügung der techniſchen Fortſchritte, um an ber erreichbar möglichen Vollkommenheit zu ſſfehe... m Wir bedürfen dazu alſo der Fregattengefchwaber. Ein ſolches Geſchwader könnte etwa aus 3 oder 4 ſtarken Fregatten beſtehen, denen einige Kanonenboote beigegeben werben, letztere aus dem Beſtande der leichten Flottillen entnommen. ‚Die Fregatten würden wohl am beften aus dem fogenannten gemifchten Sofleme beſtehen, unter der Borausfegung natürlich, daß Segelwerk wie Maſchine gleich entjchieden in ihrer Art das Vollkommenſte wären, das die Kunſt zur Verfügung ‚ber Praxis ſtellen kann. Denn jo fange wir feine auswärtigen ‚nen‘ beſitzen, können wir die Schiffe nicht von dem etwa 14täͤgigen Bedarfe ab⸗ 'hängig machen, ben fie aufzunehmen vermögen, jo wenig —* auf Be Dampf traft ald Motor für Unwetter und Gefecht verzichten Dürfen. 0.00 00° 0 Das Mobell, nach welchem die am gweckmaͤßigſten aus dem Erfahrungsſchatze zu entlehnen ſein, den ſich die Vereinigten Staaten erworben. Sie ſuchen, ihren Verhältniſſen entſprechend, ihre Stärfe nicht in der Zahl, ſondern in der eoneentrirten Kraft, und allgemein gelten ihre Schraubenfregatten als Das Borzüglicie, was dem Salzwaſſer geſchwommen. Izmir, 2.0 SE Die Armirung muß eine: —— fein, heile Beuertrfe mi guten Erleichterung, theils größtmöglichtie-Zerftörungsfraft. Es dürfte des Tiefganges wegen, nicht blos 60 Kanonenfregatten, jondern auch I

4

Die deutſche Yinttefrage. 617

Doch nicht unter 46 zu bauen; bie kleineren Schiffögattungen, unter welche bie breißiger Zregatten denn Doch fallen, find befeitigt; entweder Kanonenboote oder ordentliche Yregatten.

Rechnen wir zwei Geſchwader auswärts und zwei daheim, fo durfte damit ein Minimum bezeichnet fein, Das in eiwa drei Jahren bergeftellt werden kann, wenn man dad Geld nicht jcheut und für ben Anfang auch auf fremden Werften fo viel al8 möglich mit bauen läßt.

Die Koften wagen wir nicht zu beflimmen; im Allgemeinen dürfte wohl p. Schiff */s Million zu veranfchlagen fein.

Bu den großen Flotten übergehen, Haben wir zuerft zu erwähnen,

gegen Wen wir See halten wollen mit ihnen. Nach unferett vorherigen Aufs ftellungen wird der Lefer nicht zweifelhaft fein über die Antwort: gegen Jeder⸗ mann, mit alleiniger Ausnahme einer Bereinigung aller großen Scemächte, gegen bie überhaupt nicht aufzulommen fein wird, die aber auch ſchwerlich zu Stande fommen dürfte. Im Gegentheil, wenn wir das Unferige thun, läßt fich mit Beftimmtheit erwarten, daß wir auch Staaten veriwandten Intereſſes finden, und follten dies auch nur folche zweiten und dritten Ranges fein. Es iſt aber hier- bei zu erwägen, daß nicht alle Schiffe zählen, bie wir in den Regiſtern finden, und daß ſelbſt alle Schiffe, die zählen, nicht gleichzeitig in den Kampf gebracht werden. 8 eriftirt Hier fo gut wie bei den Landarmeen eine Referve an Mate rial, und ſie muß umfaffender fein, weil e8 ſchwerer zu befchaffen ift. Flotten ‚von 20 Linienſchiffen auf Einem Operationstheater gehören nicht zu ben alltaͤg⸗ lichen Dingen, und e8 möchte felbft England ſchwer fallen, in kurzer Friſt mehr als 3 folcher Flotten auslaufen zu laffen, wenn man auch hinzufügen muß, daß England in nicht viel längerer Zeit im Stande fein würde, für zwei folche ver⸗ lorene Flotten frifche in See zu jenten. Rußland wird fobald nicht mehr als eine aufftellen fönnen, und Frankreich wird an zweien immerhin zu fchaffen ha⸗ ben. Hiernach würde eine Anzahl von drei ſolchen Flotten unjerem Betürfniß entiprechen ob unferer Kraft? Wer will e8 jagen? Geben wir zu, daß es vor der Hand an zweien genug fein möge; es wird ohnehin Jahre dauern, ehe wie an die Bildung der zweiten Blotte gehen Fünnen wohingegen wir e8 für dringend nöthig erachten, mit dem Baue der erften Flotte jo raſch und fo fehr mit Aufbie⸗ tung fremder Hülfsmittel vorzugehen, als es nur immer die Solidität der Aus- führung geftattet.

Die Einfachheit der Ausrüftung erfordert vor ter Hand die Annahme Eined Modelles für die Linienſchiffe. Es fcheint aber, man weiß bei den Haupt» feemäcdhten noch nicht genau, wohin man zwiſchen 80 und 130 Kanonen fich wenden joll; für unfere Bedürfniffe fcheinen die Eleineren wie die größten Fahr⸗ zeuge gleich entbehrlich, und wir würden nur noch zwifcdyen 90 und 110 ſchwan⸗ fen können, die Enticheidung aber zwedmäßiger Weiſe wohl mehr von nautifchen, als artilleriftifchen Gründen abhängen laffen.

Die Armirung der Linienjchiffe wird ſtets eine verfchiedenartige fein miife jen; während fie der Kaliber größter Tragweite und größter Zerftörungsfraft bedürfen, haben fle auch auf ein raſcheres Heuer im Nahkampfe Mürkficht zu neh⸗

618 Ariegswiſſenſchaft. men; lach fo ————

rung des Ballaſtes geſtattet. end ı vos al Wecnn wir aufſtellten, daß es zweckmäßig fei, —— Modelle zu bauen, ſo wollen wir uns ſchon jetzt dagegen verwahren, daß uns ein Stabilitätäprineip untergelegt werde, dem wir völlig fremd find. Die Vortheile ber Einheit im Materiale find groß und wir möchten fie nicht verkennenz wir find auch weit entfernt von der gegentheiligen Anſicht, daß es beim Kriegführen Lediglich auf den Geift und gar nicht auf die Materie anfomme; aber wir meis ‚nen doch, daß im Kriege die durch alle Glieder gehende geiftige Regſamfeit von ‚ganz zweifellos größerem Werbe, ja geradezu von Entſcheidung fei gegenüber “alle den taujend kleinen Gründen, welche das Stabilirätäprincip im feinen fo vielgeſtalteten Nüaneirungen für ſich anführt, Die Armee, im der ein Forl- ſchritt nur möglidy, wenn er von Oben her befohlen die Armee, welche ſich ‚verleiten läßt, bie Diseiplin ald Zweck und nicht ald Mittel zur Eriegerifchen Ausbildung der Truppe zu benugen die Armee, in welcher die Mehrzahl nur thut, was fie foll, und nicht was fie kann, dieſe Armeen find fo ſicher in ‚ber Zukunft die Gefchlagenen, als fie es in der Vergangenheit waren. Nein, unſere Idee will nur, daß, fo lange als die größte Eile das erfte Gebot ift, Fein Erwãgen geftattet fein möge, ob Dies oder Das um rin Atom beffer oder ein halbes Atom noch beffer fein dürfte, daß das Veffere nicht der Feind des Gutm werde. Iſt erft cin großer Schritt vorwärts gethan, dann möge ja die Erwä— gung abermald dem Handeln vorangehen und Schritt vor Schritt daffelbe beylei- ten; dad Bewußtſein, an der Spitze des Fortſchrittes zu ſtehen, it ein Hebel, deſſen Mache leider oft zu wenig gewürdigt wurde: Wir leben der Ueberzeugung, Daß, wenn auch einftweilen unjere Kraft hinter dem Bebürfniffe an Seemacht rafcher wachen wird, als jelbft —— haben wer⸗

den, dem letzteren ſtets die Spitze zu bietenn.. ne War die zum Schutze der Küften beſtimmte leichte Flotte am ihre Stationen ‚mehr gebunden, fo darf dies für die große Kriegäflotte nicht angenommen wer⸗ dem, Möge fie audy hier und da und dort entſtehen, im allen drei Meeren muß fie fich vereinigen und alle die Hülfsmittel finden fönnen, deren eine ſolche See⸗ macht bedarf, Sie ift niemals localifirt, fondern folgt lediglich den Geboten der großen Politik; ihre Friedensſtationen werden an den offenen Meeren ſein, und wenn darin die Oſtſee benachtheiligt erfcheint, wird Die dort zweckmaͤßige größte gen der en —— —*

bringen· I zıA

| "Die Koflen * —— wohl an illen berammiden

bei den im Auslande erbauten aber wohl noch höher fleigen. u

Die. Hdeucſche Atenrage. 610

Zaͤhlen wir nun zuſammen: —DD————— ae Lechte Ylonre ar! IN, par are mhiiniekth:3 Tone i— EEE endete 0;000 ehe 21600006 Kl.

ee ip! pueo gt vwovoo Harn et 50 wih Ah atiruin a 3m Ir 2 SBENDHENT HT IS IT n id Wiebke “N 300,000 3,008, 000

3. Fregatten 16 Edda ig 606.000 °”

„4. Sintenfiffe 40 Stud, a 1 Pl. —*8 006 - % je Dr VD 1 1 5 1 TU Far " Bon bicſer Sunime \ gerbeni in hen exffen drei Sabren gewiß jedeß Lahr j\ " RN. ‚gebraucht, rs ber In Falk an act Pal Kal Fi Imgejen, ‚ein, wird, | tool, nme 555 Inu genarti le orten ν. vhoseht hy * Befagungsmannfihgßen. brauchen \ wir! Branitinn 2 0% 91% : Sub.) & Kanoncnhopt, 50 Mann, , 120. * 2. 6, 09 0, Fi, 192m ‚133. . „auh 2 a Panzsrhatierie 250; Maun... 3.590. loss 1a) sub 3. & Fregatte Py; P-,990, Bann. u. nr: ik. 171% ‚3009 .., | mn SE 788 sub 4. 4 Lipienfhiff. 80. Mann. ,, ..; ‚X. mil. tn lei meta] —X Mann, ober in runder Summe 50,000 Mann. u 10 11 A 15]

Es ift Fein. Aweifel, daß wir in Deutfchland eine Anzahl von 50,000 Bäumen Hahn .. hie. miehn ader mindex,, aber dnupengenigend, mit dem Salze waſſer vertzaut ſind; ea waͤre aber: ber grälitmäglichtte Fehler, dey Handelsmarine, I. hen Echntza die Flotie bexuftuciſt, Ihre Vatroſen wegnehmen zu; wollen; ud mmaſo zum nollBändigen Ealicgen zu ringen, ba man Dieied Reſultat, igdenfglls

billiger erzielen ann, Eßiſt darum / mhiig daß · wir, die verlangten-,50,000, V. vl: sinzelnen. heile anslyallen um ihren Urſprang nein. Kt DRG 4)Kanonenboou. mal nen nem JM

: Der: Bedarf —— gering —— dem Bel⸗ der: ũbrigen lrichten Flotillen/ Beim Rüftenbieufte: ;10,: Bein: auſwartigen Dienſte 20: sitht’überfleigeng bie-üeihe Mannſchaft beſteht aud den Marinefel- ‚Vaten) bie: ale: Infantetiſten und Artitleriſten ausgebildet jein miſſſen/ Heizern se. Rechnen wir einſweilen: die Glafſen ıfer;;! daß wir: auf die: eine, Matroſentlaſſe, werfen, was an: geübten Soeleuten erforderlich and qusaer ftefahnenben: Bendl- kerung zu ergängen:ift ‚md: uuf:dit anderr, Defagungörlaffe, nehmen: was an fonftigem: Munnſchaftsperſondl erforderlich. Bir: wünden hier Mairöfen 1200 Manmfchaft: 4800. esalten. u "u nn, Pommern u .j .Zrebl

2) Panzerbatterien. a ιιν.

Ber Brbarf! an Matrofen für bie defenſtve —* kann

10 ** vro Schiff nicht uͤberſteigen. Bei dffenſiben Unternehmungen imöchte

diefe Fahl lLeicht aufs Breifüche ſteigen;, iſt Aber aksbaun son ver leichten Flot⸗

tille her leicht zu beſchaffen, To baß wir auf dien Bebacſ bel den gegenwarugmn Aretſonage mich RUHE zu neh en bi: AUFLEe ZIEL EEE Es blelben alſo Matrofen Tod u Rannſchaft 3400; 23 vun ung

‚620 Kriegswiſſenſchaft.

3) Fregatten. r Be einer Durgfeninlihen Befayung son 500 Mann werben cben .ſe die- trofen zu rechnen fein vergleiche auch die Angaben in der mehrgenannten preußifchen Brofchüre, fo wie Die Benannungsverhältniffe der Gontinentalmaris ——— et

Kern 2 und bie Uebung würden ſchon —* en —— u ee &6 nicht als unzwed -

mäßig und die

Hier das Berhältniß der Regel‘ * ungedreh Gi 3, heller aber wenn man will, geborene Matroſen gerechnet werden. A Siernach wırrden Matroſen 12,800 Mannfthaft 19,200. Die Geſammtſumme der Matrofen erfebt auf 18,900 | (he

der Rannfchaften . 39,600

DE en elagınik mn

* Be Die ei get wird «8 nicht vermieden werden können, die Summe von ‚000 Matroſen der Handelsmarine zu entziehen; allein e8 kann nur tutze Zeit Bauern und der Aufſchwung des Seegewerbes wird ſich in einem maͤch⸗ tigen Zuftrömen fühlbar machen, welches alle Lücken rafch ausfüllt, wie man das ja überall ſieht wo ein rafcher Aufſchwung nach · Händen” ruft. Hier» naͤchſt muß in 2 6i8 3 Jahren die Seeconfeription anfangen zu Tiefern, und zwar gut ausgebildete Matrofen. Wenn Tandeimwärtd am den Flüffen hinauf alle Gewerbe beigezogen werden , die mit Waffer zu thun haben, wenn der Verdienſt bekannt wird, den ausgebildete Matrojen auf der Handelsmarine erwerben, glaubt man nicht, daß die Zahl von p. p. 20,000 Matrojen beratt erfüllt wird, daß ein Nachſchub von 10,000 und eine Rejerve von 10,000 M. gleichzeitig mit gedeckt werden? Schlimmften Balles müßte man freilich, wie In Frankreich und Rußland zu den einfachen Yandratten greifen und das Beifpiel ‚der franzöflichen Marine zeigt wenigſtens, daß mit enwas vermehrter Uebungs- zeit die Reſultate vollfommen aut werden, In ähnlicher Weife ift die Mann ſchaft, p- p- 30,000 M. mit a Nachſchub und Aa MReſerve, bei⸗ zuſchaffen und auszubilden. MNechnen wir eine Geſammtdienſtpflicht von 10 Iafren, davon die dehr- zeit 3 Jahre, für den wirklichen Dienſt 2 Jahre und auf Urlaub oder in Kriegs⸗ reſerve 5 Jahre fo würden 20,000 Matrofen, von denen ?/s und bei den Mannfchaften eine Präfenz von 3 Jahren angenommen, 20,000.M. ſtets präfent jein, Nach einigen, durchſchnittlichen Berechnungen würbe der Matrofe auf dem Schiffe, einſchließlich der Offieiere und ber jaͤhr⸗

Die dentſche Flottenftage. 021

lich etwa 220 Thlr. koſten, welche Summe aber bei der großen Zahl der Schiffs⸗ jungen, die bier in der Friedenspraͤſenz aufgenommen ift, auf 200 Thlr. geſetgt werden Tann, fo daß 4 Millionen als Koften der Benannung, an Matroſen und etwa-3 Millionen als die der. Mannſchaften, zufammen alſo höchftens 7 Milli» nen erfeheinen.

Das Brennmaterial berechnet fich nach dem Satze von etwa 6 Pfund Rofe Ien pro Stunde und Pferdefraft; nimmt man weiter 1 Helzungstag auf 5 Se⸗ geltage an, fo Tann fidh Die Summe des Heizmaterials für eine in See befind⸗ liche Fregatte von 500 Pferdekraft bei mittleren Kohlenpreiſen auf 20,000 Thlr. pro Jahr belaufen. Da aber die auswärts befindlichen Escadren weder immer in See, noch fo oft unter Dampf zu fein nothwendig haben, fo iR biefe Summe ein Marimum.

Freilich treten zu dieſem Budget von etwa 10 Millionen Thalern noch die Koſten des Baues und der Reparaturen der Schiffe, die Werftkoſten und ver⸗ ſchiedene andere Items; es ift in deſſen mit hoher Wahrfcheinlichkeit anzunche« men, daß die Geſammtkoſten, außfchließlich der erſten Anlagen, fich gegen 20 Millionen halten werden. Dafür haben wir eine wirkliche, ſtarke, achtunge gebietende Flotte; wollen oder können wir das nicht daran wenden, um unfere Stellung ſolid und Eräftig aufrecht zu erhalten, io wollen wir lieber gar nichts tun.

IM. Techniſcher Theil, | Bon den Gonftruetiondetablifjementd, den Kriegshäfen und den Küftenbefefligungen.

Die ungeheuern Anftalten zur Erzeugung und Erhaltung ber Barine thei⸗ len ſich zumeiſt und zweckmaͤßiger Weiſe in zwei Hauptrichtungen, naͤmlich:

in die Conſtructionsetabliſſements und

in die Flottenſtationen oder Kriegshaͤfen.

Der Grund Ihrer Scheidung liegt in der vermehrten Sicherheit, welche erftere Battung durch eine mehr binnenwärtige Lage findet, eine Rage, die ihr ohne Rachtheil gewährt werben Tann, wenn nur jonft die Seeverbindung zwis fhen Bauplag und Hafen eine gute il. rüber, wo alle großen Staatsanſtal⸗ ten wenig entwidelt waren, fühlte man das Bebürfnig nach folcher Trennung wenig oder gar nicht; es giebt nur einzelne Beifpiele, wo man fle gewahrt, wie la Rochelle; in der Neuzeit, wo Alles einen ungeheuern Mapftab annimmt, ift es anderd; man darf den Chancen eines Angriffs nicht Gegenwart und Zukunft zugleich ausſetzen; man muß fihern, was zu fihern möglich iſt. So war Ni- folajew ein vortrefflicher Bauplag für Sewaftopol, fo würden es Venedig für Pola, Bremerhafen und Geeſtemuͤnde für die Jahde, Stettin und Danzig für Rügen und jo weiter fein.

a. Die Gonftructiongetabliffementß.

Die Bedingungen, welche man an ein zwedimäßiges Conſtructionsetabliſſe⸗ ment jegt ftellen muß, Taffen fich in folgendem zufammenfaffen,

622 nAriegswiſſenſchaft: Das Bahrwanier-muß ſobeſchaffen Jein, das der Transpere der vom Siwel aelaſenen Seife feinen snbeblichen Bimn emen nr

iehen;,,al9:Dis,Sshife: nad mict öl,

können Verluſte um ſo cher mach ſich ausgerüftet, alſo auch noch nicht ftetigen Ganges find. Wir erinnern hiet an den Verkuft des air —————

aufder Fahrt mach Krpnftade ſcheiterte, ſo wie im finniſchen Meerbuſen Verhaltniſſe ————— —— |

cativnen u mullum m erkadrn un atmen aliirt * li uni Untergeorbnet zwar, aber nicht unweſentlich, ift Die Forderung/ daß das ganze Etabliffement unter eine gute ———— genommen werden fann. j —— 3 re ef in mer aa eo lute fein können, ohne daß man zit dem draſtifchen Mittel zu greifen hätte, qute Schyiffe zu dieſem Zwecke zu verſenken. Ein Bombardement, das von Schiffen. aus möglich; würde die Antage-ald eine vollkommen unzweckmäñige kennzeichnen Es muß aber auch zu Lande eine den Verhältniſſen entſprechende Sicher

heit hergeftellt werden. In welcher. Stärke die Fortificationen aufzutreten haben, bängt von Ben allgemeinen Verhaͤltniſſen ab, ob Feſtungen ſchon in ber Nähe, ob Defenfinlinien größeren Werthes zu benugen ſind, ob Eiſenbahnen Wie, Hilfsmittel anderer Feſtungen herbeiführen. können a0, Die nothwendige Stärfe, den Werke, ber Hauptaccent der Verteidigung, ruht aber im. allen Fällen ander) Außenſeite des befeſtigten Abſchnittes denn das Abhalten des Wurf- und ferne feuers iſt / die erſte Bedingung; die innere Befeſtigung, welche vor Handſtreichen und Ueberfallen ſichern fol, kann aus einer erenelirten Mauer mit; Eaponnidten! und. einem vorliegenden füchtigen Graben beſtehen, der in den meiſten Fällen-ale: Umfaſſungscanal feinen, fortlaufenden. Nuten bringen wird; Je menigen die Außenwerke Mannichaftenbetürien, alſo Vefagungstruppen tocalifteen, je mehr Terrainbindernifje eine Mitwirkung bei, der Sicyerung des Kerrains übernehmen) deſto zweckmaͤßiger wird die Geſammtanlage ſein. Die Reſerven den Schiffes mannſchaften wie die Werftarbeiter find Die natürlichen. Vertheidiger Diefer Ber feftigumgen; ſie find: dienſtbereit, disciplinirt und: geübt; es wäre berfehrt; Wollte man die Landarmee hierfür schwächen 131 71 m) 10) m min Ion Im

Die deriſche Finttenfsnge. ons

: Richt mehr von erheblichem Werthe für die Tonftructionsetabliffements: iff es, ob fie die benöthigten Materialien , die von ihnen beuutzten dabriken in der * haben; die Ciſenbahnen erſetzen bier bie. übe voltſtaͤndig.

b. Die Kriegs haͤfen. nn

Waren die Eigenfchaften der Gonftructiondetabliffements vorwaltend deſen⸗ ſiver Natur, fo haben wir bei den Stationäplägen der Flotien vorzugsweiſe dad offenflve Element in's Auge“ m fafien und die Defenfive erft in die zweite Linie za erweilen: | |

- Der Kriegs hafen fol durch ſeine zag⸗ den Beginn der Seedpe⸗ eationen erleichtern, feindliche Berhinderungsbeftrebungen . erſchweren, wenigſtens nicht begünftigen. Es gehört dazu ein bequemes Aus- und Ein« Iaufen der Blotten, bequeme und geflcherte Sauımelpläge oder Rheden, freie und offene Deboucheen in's Hohe Meer... Borgelegene Infeln mäfjen entweter mit in das Befeſtigungsſyſtem hereinzugichen fein, oder dürfen wenigſtens durch Rheden oder fonft geficherte Anterpläge und Nothhaͤfen den etwa. vorliegenden feindlichen Stetten keinerlei Unterflügung gewähren. Es ift wuͤnſchenswerth, daß ein’ Kriegdhafen nicht all zu weit‘ vom ‘den Operationdobjecten ber auf ihn baſtrten Flotten entfernt feiz wenn audy in ganz anderer Weiſe, als eine Landarmee,, bes darf doch auch eine große Flotte dringend der Verbindung mit: ihren Depot» und Meyazaturplägen, und ed. wäre z. B. den Engländern ganz gewiß unmöglich, fo wie fie es jetzt können, das Mittelmeer mit ihren Flotten zu-befegen, wenn fe nicht in Gibraltar, Baia und Korfu fo zweckmaͤßig disponirn Statiene- pläge hätten.

Füͤr unfere wordifchen Deere ift ſehr weientlich die Freiheit vom Eife. Eine Flotte, die des Eiſes wegen einige Wochen fpäter auslaufen kann, ift ſchon dadurch vom Meere fo gut wie verdrängt, denn fle wird ſtets in ihren Häfen biofirt fein und hat mit einer der fchwierigften Operationen zu beginnen , dem foreirten Auslaufen.

Als defenfive Rüdftchten haben zu geften:

daß die Rheden vom Lande aus fo wirkfamvertheidigt wer» ben Fönnen,. daß die Mitwirkung der Flotte im Ganzen entbehrlich wird und nur einzelne Theile derfelben, bie Panzerbatterien, ein nothwendiges Glied im Widerſtande bilden;

daß die Flotte bereits auf der Rhede, jedenfalls aber im Ha⸗ fen vor aller und jeder feindlichen Beunruhigung vollkommen gefhägt fei, alfo 3. B. einem momentan zweifellos überlegenen Gegner ausweichen könne. Berbindet fidy damit die Möglichkeit von Angriffen mit concentrirter Nacht auf einen getheilten Gegner, fo erreicht die Lage das höchſte, zu erwünfchende Ziel, das wir 3. B. bei Portsmouth finden, das durch die Infel Wight volifländig gebedt, weite, wohlvertheidigte Rheden hat, burch-die beiden Seearme aber ein öftfiches und ein weſtliches Debouchee befigt, wonach das fürmliche und enge Blokiren nur einer ganz eminenten, aljo ſehr unwahrſcheinlichen Uebermacht gelingen duͤrfte.

Endlich aber ſollen fi) die Etabliſſements zu Reparaturen.a aller

| daß beſorgen, in den meiſten Bällen aber. alles werben muß · kt re ne ei nl

bie. —— ſich mit geſtellt werden ſollen, ſondern daß da, wo es ſich um Dinge handelt, die für Jahrhunderte hinaus gefchaffen werden, man Lediglich auch Thatſachen, di ha Ber ftungswerte und Armirung , vertrauen darf, und Feine der Rückſichten bei Seite fegen ſoll, die von der Wiſſenſchaft aufgeftellt werden. Freilich wirft häufig der Umftand hindernd ein, daß bie Lage an der Meeresküſte eine für fortificatoriſche Zwecke ungünftige ift und ftetö neuen Zweifeln Raum gibt, wo denn eigentlich der Abſchluß der Beftungswerfe zu fuchen fei? Eine Höhe um bie andere zeigt fich wichtig, oder, im Xieflande, ein Wafferzug um dem anderen würde bie Defen= five ftärfen, die Offenfive aber hemmen, wenn ihm der Feind beiäße, ı 68 mögen‘ uns darin die Lehren nüglich werden, die wir aus den franzöſtſchen Ankagen | fhöpfen können; bei ihnen hat die Praxis gerban, was Die Theorie geforbert; ' und fiche da, es ift Großes und Wichtiges daraus entftanden. Bei Eherbourg,

bei Toulon bat man nad) forgiamen Terrainftudien den zweckmäßigſten Abſchnitt

ermittelt und nunmehr ihn auch jo befejtigt, wie es fein muß. Da exiſtirt fein: Marbandiren, keine Neigung für das Mangelbafte oder Ungenügende, blos weil- es das Billigere ift, und betrachtet man bie franzöftfchen Bauten, To ſieht man feinerlei Spielereien und: nuglofe, wenn nicht fchädliche angebliche Verſchönerung

bes ernften Fortificationsſtyls, wie z. B. in dem an Ort und Stelle als Kö- niglich Preußiſchen Burgſtyl“ gefennzeichneten Anlagen zu Mainz, Koblenz und Köln; groß im Zweck und Entwurf, Klar in den Mitteln, entſchieden im Ent⸗ ſchluß, ſchlicht und einfach in der Ausführung, und darum in legter Inſtanz doch auch billig. Es redet dort Freilich ſchon feit lange Niemand mehr binein, ber nichts davon verſteht. Auch wirft wohl bindernd ein, daß die hier zu ſchaffenden ftrategifchen Centren von ben eigentlichen politiſch- militärifchen Schwerpunkten der Staaten oft etwas entfernt Liegen, bei richtiger Erwägung: fann man aber folchem Einfluffe fein Gewicht beilegen, denn wer möch verfennen, daß bie großen Kriegsbäfen mit allem ihren Beiwerke jet durch ſich

Die dentſche Flottenfrage. 635

feldft wichtige Schwerpunkte im ganzen Staat8leben werden? Liegen fie alfo ab⸗ feit8 und will fich das durch eine gewiſſe Zerfplitterung der Kräfte fühlbar ma⸗ chen, fo würde hierin vor Allem die Nöthigung Tiegen, die Anftalten entweder durch ihre eigene Kraft felbitfländig zu machen wie 3.8. bei Sewaftopol nöthig geweſen wäre, ober durch die beften und ficherften Verbindungen die Trennung aufzuheben, wie 3. B. die Branzofen bei Cherbourg und Breſt durch wohldisponirte Eifenbahnen gethan. Liegt ein Hafen dagegen fo, daß er zu einem Gentralpunfte der Landeövertheidigung überhaupt benugt werden fann, fo ift es nur vortheilhaft, dieſe Vereinigung in möglichfter Vollftändigfeit eintreten zu laſſen; es ift dann eine Krafttoncentrirung, alfo eine Erhöhung, eine Ver⸗ flärfung.

Dei Kriegshäfen geringerer Ordnung, Zufluhtshäfen, Ports de reläche wird fi} die Höhe der verfchiedenen Anforderungen na⸗ turgemäß nach dem Zwecke richten, den man bei der ganzen Anlage errei« chen will. Indeſſen ift gerade hier die Klarheit in Zweck und Mitteln beſon⸗ ders fchwierig, und die Conjequenz im Sandeln oft harten Anfechtungen aus⸗ geſetzt.

Es iſt nothwendig, daß eine Flotte nicht blos auf Einen Hafen, als auf ihre Baſis angewieſen werde, ſondern daß. fle deren mehrere zu ihrer Dispofition habe, damit fle unter jchwierigen Verhältniffen Schuß vor Unwetter oder Ueber⸗ macht, Gelegenheit zu Ausbeſſerungen, feien es auch nur nothdürftige, und be= queme Verſorgung ihrer Bedürfnifle finde. Es wird erforderlich fein, die Kü⸗ itenbefeftigungen fo einzurichten, daß ein Handſtreich, ein Angriff mit den eben disponiblen Mitteln, abgewehrt werden könne; es ift aber unnöthig, folche Punkte gegen eine befondere Bereinigung vorbereiteter Hülfsmittel fichern zu wollen, denn fie tragen dazu nicht den Werth in ſich und würden eine wahre Kraftzer« fplitterung hervorrufen. Hat ein Beind die Abficht, an folcher Stelle mit Auf⸗ bietung größter Kräfte einen Erfolg erringen zu wollen, fo verfolgt er entweder weiter außgreifende Plane, und dann ftchen in der Landarmee Hülfsmittel zu Gebote, die nach Maßgabe ded Bedarfs zu fleigern find, oder der Feind begeht einen Fehler, indem er Keine Refultate mit vielen Mitteln erreichen will und ſchließlich doch theuer bezahlen muß; feine Kraft leidet und ftumpft fich ab an Dingen, die zur Entfcheidung nichts beitragen, ja e8 fragt ſich noch, ob er nicht felbft im Geldpunkte die Rechnung ohne den Wirth gemacht bat.

Die Befeftigungen gegen einen Handftreich unterfcheiden fich im Weſent⸗ lichen nur durch Die geringere Ausdehnung von den großen Anlagen. Ihre ab» folute Stärfe muß ſtets jo groß fein, als die Kunft fie herzuftellen vermag; ihre Veuerfraft, im Ganzen geringer, muß doch im Detail, da, wo fie wirfen foll, fo ausgiebig jein, wie möglich. Man wird aljo die Anlagen jo disponiren, daß eine feindliche ſchwache oder leichte Flotte mindeftens einen zweifelhaften Kampf vor fich ficht, daß aber felbft eine feindliche ftarfe Flotte Durch ihr Feuer allein die Entjcheidung nicht vollftändig geben Fann, daß die Werke behauptet werben können und eines Landangriffd zur Wegnahme bedürfen. Es mag möglich wer« den, die Strandbatterien zu demontiren fie müflen aber furmfrei bleiben,

IV. 40

626 Kriegswiſſenſchaft. und wenn ——— ——⏑⏑⏑⏑—— Alles nice. “. ni

Gier wirb ed tat daß man an eb hehee ven will, oder, was öfter eintreten wird, daß von localer Seite her auf größere Kraftentwielung gedrungen wird, Es ift Jeder in feinen eigenen Augen im mer jehr wichtig, und felten wird es einen Poftencommandanten geben, der jeine Stellung zum Ganzen unterfchägte. Gewöhnlich breiten ſich ſolche ldeale Anz träge in der Preſſe aus, und bei Dem geringen Sachverftändniß, das unfere Zar gespreſſe in allen Kragen der Kriegspolitik und Strategie auszeichnet, dürfte es nicht ganz überflüfftg fein, ihr Hier einen Warneruf zugehen zu Laffen. Gegen die unverftindige und unzeitige Erfparnißfucht kann man fein anderes Mente- dium empfehlen, als die geſunde Vernunft, mit der man doch ſchließlich einſehen lernt, daß halbe Dinge jchlechter find, ald gar feine. wer

-c, An diefe Befeftigungen Fleinerer Häfen jchließt fih unmittelbar bie reine ocalbefeftigung am, derjenige Zweig der Kunjt, der bad traurige Borrecht genießt, noch immer am wenigiten erfannt Te zu werden,

Der ganze Gang der Erörterung, ee her durchgemacht, wird genugſam gezeigt haben, daß wir die Anficht vertreten, die Vertheidigung eines Punktes, einer Linie, ja eines Landftriches habe nur dann einen Zweck, der der Mittel werth fei, wenn durch die Erhaltung der ges nannten Objecte überhaupt entweder der Kriegszweck, die Niederwerfung ber feind⸗ lichen Streitmacht erreicht, oder Durch Kräftigung der eigenen Streitmittel wenige ftend angebahnt werde. Es fallen jonach eine Menge Gründe, aus denen reine Küftenbefeftigungen verlangt werden wollen, unferer Meinung nach völlig in fich - zufammen; babin gehören alle Befeftigungen günftiger Landungsplige an lang geftreeften Küften, deren Zweck eben nur ein negativer Verhinderung von Landungen wäre; dahin gehören Die Befeftigungen aller Kleinen Häfen, welche weder die Worrätbe eines großen Welthandels, noch die Hülfsmittel einer mäch⸗ tigen Kauffartbeiflette oder ſonſt einen politifch wichtigen Ort befehügen, fonbern lediglich aus einer Meberfchägung locafer Winfche entfpringen. Diefe Anlagen foften viel Geld, zerfplittern und localifiren viele Kräfte, erregen manche Hoff- nung des Schuges, ohne fie fpäter zu erfüllen, fchaden alfo in doppelter und dreis facher Hinficht, Was haben den Nuffen ihre Vefeftigungen der finnifchen ung bothniſchen Küftenftädte genugt? Sie haben Geld gekoftet in Anlage, Armirung und Ausrüftung, haben Kräfte localifirt, und als die leichten Flotten kamen, bat man faſt nirgends eine Verrheidigung auch nur verfucht, die Werke verlaffen, gefprengt und ſich zurücgezogen; bie geflüchteren Handelsſchiffe, die A ten Vorräthe gingen verloren,

Wir flogen bier auf die frage, welche Punkte denn zu beſchützen feiem, wie? Denn es unterliegt keinem Zweifel, daß ber Handel und die Schifffahrt allerdings berechtigt find, von der Geſanmtheit einen ihrem Wertbe angemeſſe— nen Schuß zu verlangen, auch für den Fall, wenn unfere Blotten STyagmanEE anberweit beichäftigt find, nr

Da find wir denn num zu allererft der Meinung, es fei ein arger Fehler, wenn man, eingewiegt in Träume des ewigen Friedens, Etablifjements von hoher volköwirtbichaftlicher Wichtigkeit fo erponirt, daß fie der Gnade des Feindes preiögegeben find, wie wir bies 3. B. bei Trieft ſehen. Glaubt man etwa, irgend eine Flotte werbe zögern, Trieſt in Trümmer zu legen, wenm politifche Zwecke damit zu erreichen find? Der Wall der Humanität dürfte bald burchlöchert fein. Unfere Altvordern waren darin Flüger, und feines ihrer großen Gandeldemporien liegt fo am Rande draußen, allen Chancen preisgegeben Lübeck, Danzig, Kö— nigäberg, dann Hamburg, Bremen, fie alle find zurüdgezogen und fchon durch ihre Lage vor dem erften Anlaufe geichügt, Wir werden alfo darauf zu denken haben, jo gelegene Pläge möglichft zu heben, auf fie Alles zu concentri⸗ ren, und werben und nicht fürchten bürfen, ungünftig gelegene 2. belö- pläge ibrem Schickſale zu überlaffen.

Wir haben ferner ganz vortreffliche Gelegenheit zu Berfronfagen an Bin- nengewäflern von völlig binreichender Tiefe; wir haben nicht nöthig, fie zu erpo= niren ; Danzig, Stettin, Roftof, dann die Elbe und Wefer, bieten fehr gut gele— gene und ganz geichhgte Baupläge; will die Induftrie ſich am freien Meere etabli- ren, fo kann man fie allerdings nicht hindern, aber fie verliert dann jedweden ſpeciellen Anſpruch auf Schuß und mag wenigftend in denjenigen engeren Gren⸗ zen bleiben, welche feinen Plünderer und Brandftifter anloden.

Mie nun der Schub felbft zu beſchaffen ſei? Durch Verfperrung der Waſſerzugaͤnge mittelft mäßiger, aber folider und fturmfreier Befeftigungen ; mes chanifche Sperrungen im Bereiche der Kanonen find von gutem Nutzen und im Bedarfäfalle leicht geſchafft. Wenn folchergeftalt der Keind auf Landungen und Operationen zu Sande angewiefen ift, gewinnen feine Unternehmungen nothwen⸗ diger Weife ganz andere Dimenſionen; fie treten aus dem Gharafter der Hand— ftreiche heraus, und Damit gewinnen wir allezeit Die Gelegenheit, Vertheidigungs⸗ mittel aller Are nugbar zu machen, Wir ftehen nicht an, zu behaupten, daß bier ein Hauptfeld für die Thätigkeir der Landwehren ift; man denfe an die Lan— dung der Engländer auf Waldheren und Napoleons Gegenmaßregelm er ſchickte einen tüchtigen General bin, gab ihn unbefchränfte VBollmachten und den Befehl, den Feind zu vertreiben; womit, blieb dem Ermeffen Brune's überlaffen, Na— tionalgarden, Depots und Ähnliche Körper bildeten anfangs eine Beobachtung, fpäter eim Armeecorps, und wenn damit auch eine entichloffenere Verfahrungs— weije nicht aufzuhalten gewefen wäre, fo gefchah doch fehr viel, und wir brauchen und ja nicht in die Lage zu verfegen, Alles erft fchaffen zu müffen. Wenn ein Eleiner Kern vom ſtehenden Heere da ift, wenn die Eifenbahnen von gewiſſen Gen= tralpunften her einige Unterftügung zuführen Eönnen, und wenn bie Bevölkerung im Friegerifchen Sinn und Geift erzogen worden, und hierin liegt nirgends eine Unmöglichfeit fünnen die Landungstruppen micht viel effeerwiren und müffen fehr bald einen gefährlichen Kampf gegen überlegene Kräfte annehmen oder zu ihren Schiffen eilen. Will aber der Feind an ſolch einem Punkte große Zwecke erreichen und ftattet er feine Expedition demgemäß aus, jo wird fich bort ein Kriegstheater bilden, und es wird die Entfcheidung durch Die aetiven

40 *

623 Kriegswiſſenſchaft.

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Machdem wir nunmehr Die: deeſchiedenaritgen Grflchtöpunfie erärtertihähen, welche von Seiten der Wiſſenſchaft her one Seretabtifjements aller Art auf zuftellen find, können wir an der Hand ber g den Blick auf unſere Küften werfen. 1 Ye De ——— Em den bietet ſich zuerſt dar als ein Bon, ea nun Rene und auch wirklich fehwer fallen follte, zu jagen, was dorthin gezogen hat. Es Liegt am Ääußerften Winkel SE Meerbufen, der mehr Sand ale Waffer hat, befigt ein Fahrwaſſer, Das für ger wöhnliche Paffagierboote nicht immer ausreicht, und iſt vermöge feiner Rage gegenüber frembländijcher Küfte gar nicht auf einfache und zweckmaͤßige Weiſe zu fhügen. Seine Nähe an den Erzeugungsplägen vortrefflicher Schiffabaue feine Lage inmitten einer der ſeetüchtigſten Bevölkerungen, werden ihm immer eine gewiffe Wichtigkeit erhalten; allein wir zweifeln jehr, owned jemals ein Plag für den Großhandel werden wird. Sollte es aber dahin kom—⸗ men, jo wird es Zeit fein, für angemeffenen Schuß zu forgen. Cine Aenderung. bierin Eönnte nur dadurch entſtehen, daß es wünjchenswerth würde, bier einen Bufluchtöhafen für die leichte Blotrille zu fchaffen, in welchen Falle die erforber- lichen Befeftigungen zugleid; dem Handel zu Gute kaͤmen. weilen Emden zur Seite. u.

Der Zahdebuſen, mit einem mitrotopiſchen dolue Se nimmt dagegen unfere ganze Aufmerkjamfeit in Anſpruch. Schon Napoleon h wollte hierher einen der Hauptkriegshaͤfen feines Reiches legen, und wie fein, und wie dem Bebürfniffe gegeniiber nichtsfagend, das jet projectirte preußische Etabliffement auch fein mag, es zeigt doch durch feine Eriftenz, eigneter Platz wirklich vorhanden ift,

Die Waffertiefen find ausreichend, wenigſtens finfen fie —ã 36 Fuß rh., und wir Dürfen erwarten, daß einem ſo großen Zwecke wohl auch bie Mittel zu weiterer Austiefung nicht fehlen werden. Un ber etwas abwärts Bremerhafen, finden wir nur 24 Buß verzeichnet, was wohl für bie Jahde entfcheiden Dürfte, wenn much das rechte (öftlicye) werden ſollte, wie behauptet wird.

Zur Herſtellung einer Außenrhede wird es hier erforderlich, Dämme zu bauen, die in weſt-öſtlicher Richtung vom der weſtlichen Landſpitze bei Horum hinüber nach der Hadeln'ſchen Küfte ſtreichen, die beiden Fabrwafler der Jahde und Weſer frei laſſen, mit Befeftigungen verfehen find, und langhin Bate terien tragen, Die Geſammterſtreckung des Baues kann wohl an zwei Meilen binanreichen, doch ift fat Alles in flahem Grunde herzuftellen und nicht dem Anpralle der hoben See ausgeſetzt. In zweckmaͤßiger Entfernung hinter dem Damme muß ein großer Canal beide Mündungen nen jo daß die Flotte die Vortbeile des beliebigen Debauchirens befigt. | u 0

Wie geichügt dann auch die Lage des Binnenbafens en eim möge, wir zweifeln doch, ob es zwedmäßig fein würde, dort auch die Con⸗

Die deutfche Flottenfrage. 629

ftructiondetabliffement8 anzulegen, theils weil da8 Terrain doch nur von mäßie ger Erftredung ift, theils weil die ftrategiiche Lage des Punktes und nicht ges fällt und wir denfelben nur als eine nautifche Nothwendigkeit acceptirt Haben, Wir würden vorziehen, fle an die Geefte zu verlegen, wo Plag iſt und ganz an⸗ tere Verbindungen exiſtiren.

Um die Grundlagen der örtlichen Vertheidigung zu ermeflen, müffen wir einen Blick auf die ftrategifchen Berhältnifie werfen, die fich Hier entwickeln kön⸗ nen. Wir haben anzunehmen, daß unfere Flotte von der See vertrieben ift, oder doch wenigftens nicht in Hinreichender Stärke erfcheinen Fann, um Landungs⸗ berjuche zu verhindern; der Feind hat aber Die fehr begreifliche Abficht, unfere jungen Gtabliffement3 zu zeritören. Die Ofifriesländer Küfte bietet auf ihrer 12 Meilen langen Erftredung zwifchen Jahde und Ems zwar feinen Meerbufen, der zu jolchen Operationen befonderd geeignet wäre, wohl aber eine flache, offene Infelfette, an welcher bei gutem Wetter die Ausfchiffung leicht ift, und von wo aus zur Ebbezeit das fefte Land ohne Umftände faft trodenen Fußes erreicht were den kann. Oftfriesland wie Oldenburg find großen Offenfivoperationen äußerft hinderlich durch ihre Landesbeichaffenheit, namentlich find die Moorftreden zwi⸗ ſchen Aurich-und der Jahde Außerft felten anders, als auf den Straßen zu pafe firen, und in diefen Ausnahmefällen auch nur von Infanterie. Der Yeind könnte nun von der Küfte aud gegen Heppend vordringen, bie Befeftigungen einfchliegen und die Dedung feiner Belagerung zwifchen den Osfrieslaͤnder Mode ren und Varel 1'/2 Meile von der Belagerung juchen, wenn ihn feine Kräfte nicht geftatten, bi8 Oldenburg und Brafe 6 Meilen vorzugehen, und von dieſen 31/2 Meilen auseinander gelegenen Gentralpunften au8 alle füd- und ofhwärtd berfommenden Entfagverfuche zu befämpfen. Bei der Landesbefchaffenheit wäre der Feind mit einer derartigen, wefentlich defenfiven Dedung feiner Belagerung im entjchiedenen Vortheile gegen und, da wir weder frei operiren, noch auch eine etwaige Uebermacht tactifch verwerthen Fönnten. Um nun dem Feinde ein jo günſtiges Verhaͤltniß möglichft zu entziehen, dabei aber eine Zerfplit« terung unjerer Kräfte zu vermeiden, wird bie Befeftigung fo zu disponiren fein, daß wir unfer Operationdterrain vorwärts juchen und uns daſſelbe durch eine von Horum bez. dem dortigen Dammanfchluffe ausgehende Befeftigung fihern.

Richt einer zufammenhängenden Kette von Werfen bedarf es, fondern ledig⸗ lich einiger folider Stüßpunfte, an welche bie Befagung des ganzen Feſtungs⸗ complexes ſich anlehnen und zwifchen welchen der Angreifer nicht ungeftraft hin⸗ durch gehen kann. Mechnen wir dafür 3 große und 2 mittlere Forte. Die innere Befefligung muß allerdings eine gefchloffene Enceinte bilden und wird 9 Fronten von 8 bis 9000 Schritt Entwidelung befommen koͤnnen, doch tft es natürlich, daß bei Weitem nicht alle Theile von gleicher Stärfe gebaut zu wer⸗ den brauchen.

Will man auch einen reinen Landangriff in's Auge fallen, fo ift deſſen wahrfcheinliche Baſis am Mheine zu fuchen, fchwerlich in Holland. Der Angriff hätte eine Spige von circa 40 Meilen weit in's Land hineinzutreiben, träfe aber

630 Kriegswiſſenſchaft.

freilich auf feine große Feſtung, moch fonftige Defenſtemiitel, ſondern hät

die Feſtung 2. Ordnung, Minden, in feiner Flanke. &o eine Ofenfne erfolgt aber nicht ifofirt; dazu bedarf es enticheidender Siege des Feindes und eines Zurückwerfens der deutfchen Armeen mindeftens bis an, wohl aber bis hinter Die Elbe, alſo geradezu eines fiegreichen Feldzuges. Im Laufe diefer Zeit önnen ſich die Truppen des Platzes recht füglich alle diejenigen ergänzenden Befeftigums gen ſchaffen, die dann vielleicht wünfchenswerth fein möchten. Es ift alfo im —— dieſen im Ganzen doch ſehr unwahrſcheinlichen en zun | | Die Etabliffements an der Weſer find durch die A gen Seeangriffe gefhügt. Landangriffe find hier wenig begünftigt, da Die Has deiner Küfte weit in's Meer hinaus voller Untiefen ift, ein Vorbringen von ber Elbe aus aber mit erheblichen ftrategiichen und tactifchen Bedenken zu Fimpfen haben dürfte. Es handelt fich alfo hier nur um einen foliden Anlehnungspumft für den Damm und um Schuß gegen einen Handftreich, wozu es eines großen Forts am Anſchlußpunkte des Dammes und wahrſcheinlich nur eines Enceintes canals mit erenelirter Mauer und Flankirungswerken, höchſtens aber noch einiger mittelgroßer Forts auf den 1 bis 192 Stunde von Bremerhafen Rz genen Terrainwellen bedarf,

Die Koften diefer Anlagen laſſen ſich in einem ungefähren angeben, wenn man die Anlagen ähnlicher Beſchaffenheit als Mafftab zu Grunde legt.

Der Cherbourger Damm iſt weſentlich etwa um die Hälfte kürzer, aber unter viel ſchwierigeren Verhaͤltniſſen gebaut worden; die dort erlangten Erfahrungen werden ung zu Gute fommen. Nehmen wir die Anlagefoften als gleich an, p. p. 15 Mill. Thaler.

Der Kriegshafen berechnet ſich zuerſt nach den Forts, deren wir 3 große und 2 mittlere angeſetzt haben. Von den Erſteren rechnen wir jedes Fort zu 5 Fronten a "2 Million, von den Letzteren zu 4 Fronten A 300,000 Thlr., gibt zufammen faft 10 Millionen, Die gefchloffene Enceinte mit 9 Fronten größter Erſtreckung, im Durchichnitt gleichfalls zu *a Million die Front, gibt 4a Mit lionen rechnen wir zufammen 15 Millionen, worin dann die mirung und ſonſtige Verſorgung des Platzes einbegriffen ift.

Die Etabliſſements an der Weſer, zugleich der Schutz des er bürften ſich auf 1 großes Fort zu 2'/ Millionen, wie oben, und eine Enceinte son 9 Fronten größter Erftredung zu '/s Million, gibt 2 - ca. 5 Millionen, belaufen. En

Das find in Summa 35 Millionen Thaler, mit Hinzurechmung der Eins richtungsfoflen des Kriegshafens, der Magazine, Docks u. f. w, wohl an 45 ober 50 Millionen. Es ift jedoch zu bemerken, daß hiervon nicht Alles gleichzeitig zur Verwendung kommt; es werben zuerft und mit größter Beichleumigung bie Bauten zur Beherrfchung des Fahrwaſſers betrieben werden; wir glauben, daß in 4 bis 5 Jahren ein micht unanfehnliches Nefultat erreicht, daß aber eine Vollendung des großen Dammes unter 10 Jahren nicht möglich fein werde,

Die deutſche Flottenfrage. 631 Ebenſo Fönnen die Landbefeſtigungen ber Hauptfache nach in 5 Jahren | fein, no. aber auch zur Vollendung noch einiger Zeit mehr hr Bedärfe. De Hafen endlich muß mit dem Anwachſen der Flotte natürlich Schritt halten; bie Docks und ähnliche Bauten können, aber nur in gewiffem Grade ne werben und bürften Faum vor 10 Jahren vollendet werden Fönnen, Die Summe vertheilt ſich aljo,

Die Elbmündungen haben einen doppelten Werth; als Zu⸗ fluchtshafen, dann wegen des großen Hamburger Handels. Es ſind alſo hier befeſtigte Hafenanlagen, eine Elbſperrung und ein Stützpunkt für Diejenigen Truppen zu ſchaffen, weldye einem etwa gelandeten Feinde entgegentreten ſollen.

Der Hafen bürfte fich wohl bei Kurhafen finden und würde außer den ger nügenden Batterien und der Sicherftellung gegen einen Handſtreich faum jehr viel bedürfen. _

Die Elbſperrung ſehr leicht in Verbindung treten mit den Älteren Pefeftigungsanlagen von Glüdftadt und Stabe, die. in bejcheidenem Maßſtabe bergeflellt, gleichzeitig zu Stügpunften gegen Zanboperationen benugt werben können, Hamburg iſt jo günftig gelegen und ein Vorbringen dagegen fo fchwer, daß ed nur mäßiger Unterftügungen bedarf, um den Feind jo lange aufhalten zu fönnen, bis Die von allen Seiten mit Eifenbahnen zu beförbernden Berftär- kungen herantommen. Aber auch bier, müſſen wir bemerfen, ift es die eigene Kraft der Städte und Lanbjchaften, welche in Form von Küftenbefagungen und Landwehren ſich jelbft ihrer Haut wehren muß. Der Gefammtaufwand möchte 2.Millionen nicht überfteigen.

Wir rechnen für Die ganze Nordfüfte höchſtens 20,000 Mann Truppen, von denen an 10,000 Mann loralifirt fein und mit den Werftarbeitern ic, die Befagungen bilden werben, die andere Hälfte aber an einem zweckmäßigen Eifen« babnfnoten zu lagern und jid Die Mittel zu einem rafchen Transport bereit zu balten hat. Dagegen. können wir Die Operationdarınee gegen eine mit Ernft unternommene Zandung niemals unter 50,000 Mann anfdılagen, da 30 bis 40,000 Mann ganz gewiß mit den jegigen Hülfsmitteln eben fo Teicht zu trans— portiren, ald zu landen fein werben, Bis eine Macht von der geforderten Stärke von binnemwärts herangezogen fein wird, müſſen die Tocalen Kräfte den Gang des Feindes aufhalten, und wir find der Meinung, daß bei guten Landwehrein- richtungen dieſer Zweck unter den beregten Vorausfegungen zu erreichen iſt. Werden die Verbältniffe größer, was aber unwahrfcheinlich ift, fo ift es Feine GErpedition mehr, jondern es wird ein Kriegsfchauplag, und dafür haben wir nicht weiter zu bemerfen, als daß bei den dortlandigen Eifenbahnanlagen auch auf folche Verbältniffe Nückficht genommen werden möge, und man nicht glaube, die Eiſenbahnen jeien blos wegen des Handels da fonft fünnte im Bedarfs— falle es leicht an Anftalten fehlen, die fo ſehr wichtig für die Erreichung militäs rifcher Zwecke find, Namentlich möchten wir befürworten, daß alle Bahnhofs— anlagen, die in ein Operationsterrain fallen, Derartig disponirt und ausgeführt werden, daß womöglich eine geichloffene, vertbeidigungsfäbige Enceinte beftcht durch Gebäude und erenelirte Mauern mit Umfaffungägraben oder wenigſtens

632 Ariegöwiſſenſchaft.

an den minhe Puntten | ———— Nichts Tiegt inc gan Ai äh a zu gerftören, auf denen wir Verftärfungen am ung ziehen; ' | entfenden, muß eine feiner erften Maßregeln-fein. Eifenbahnz die ſich nur auf Heine Objecte beziehen, find auch bald bile Colonnen auf den Eiſenbahnen, mit ſtets geheizten Maſchinen, hinder here Unternehmungen; find aber die Bahnhöfe offen, fo find umfaſſende erf rungen in wenig Stunden zu bewirken, und die Nachtheile. —* Verluſte werden empfindlich. Und warum könnte man nicht die Bahnarbeiter militärife organifiren und ihnen die Vertheidigung von Haus und ‚Sterb ——— So wäre unſerer Anſicht nad) die Nordſeeküͤſte in guten Stand geſetztz con⸗ centrirte Kraft überall, feine Zerfplitterung, aber Vorforge für ae Flotte nicht vermocht hätte, ihre Aufgabe zu erfüllen. —— ñi Wenden wir und zur Oftjee. 6 Der Kieler Hafen bat, wie ſchon Prinz Adalbert‘ in feiner Brofchüre hervorhebt, eine fo üble ſtrategiſche tage wegen der engen Deboucheen, die an allen Seiten das freie Meer gewiffermmaßen abiperren, daß er trog aller nautifchen Wor- züge fo lange gänzlich außer Caleül zu bleiben hat, bis nicht fmmtliche germas nijchen Stämme, alfo audy das jegt fo feindliche Dänemarf, in eng mit Deutschland fiehen. Wir zweifeln nicht, daß dieſe Zeit fommen wirb erft muß Deutfchland ſich in Reſpect fegen, dann werden ſchon kommen. Der Lübecker Buſen hat eine etwas beſſere ſtrategiſche Travemünder Rhede zeigt Die ganz brauchbaren Tiefen von 36 Fuß und darüber, Die Meerenge zwiſchen der Falſterſchen Südjpige und dem Daxfer Ort ift doch wenigftend bei 5 Meilen breit und zeigt auch über 3 waſſer. Alle Verhältwifle, zu denen auch die mercantile Wichtigfeit Lübecks ge⸗ bört, obwohl feine Lage dem großen Welthandel nicht günftig iſt und feine Melle immer eine localere bleiben wird ſtimmen bafür, bier einen Zuſſuchtshafen zu errichten, verbunden mit einer Starion der keichten Flottille. Da jedoch Diefe Anlage theil® von minderer Dringliczkeit ift, theils auch durch die Befeſtigung von Travemünde an ſich chen einiger Schuß im diefem Sinne erreicht wird, fönnen wir die biefigen Anlagen wohl einftweilen außer Berechnung laſſen. Ebenso übergehen wir Wismar, in ſchwediſcher Zeit ein Stationsplag ber Teich- ten Blottille, und Roſtock, welches für den Schiffebau von hoher —— um unſere Aufmerkſamkeit auf die naͤchſte Hauptgruppe J Rügen und Stettin zu lenken. 4 Wir ſtehen nicht an, auf vielfache und bekannt gewordene und mit den tie ferigen übereinftimmende Anfichten fachverftändiger Männer geftügt, zu erflären, daß bier die Dertlichkeiten zu einen großen Marineetabliffement wie gefchaffen

find. Eine feltene Vereinigung localer Bequemlichfeiten, ſtrategiſcher Vortheile

namentlib in ber Nibe von Kopenhagen und —— ek nauuſce

Brauchbarkeit begünſtigt alle Anlagen, ar!

4

Die dentfche Zlottenfrage. 633

Rügen wird Kriegshafen für die Oſtſeeflotte werden; mehrere feiner großen Meerbufen bieten ſchöne Waffertiefen, wie 3. B. das Tromper Wyk bis weit herein 40 Buß, ter Nügianifche Bodden 36 Fuß, und bis Stralfund heran 18 Fuß ; beide Dürften wohl um den Vorrang ftreiten.

Das Tromper Myk hat tadellofe Tiefenverbältnifie und «hinter fich im Jas⸗ munder Bodden ein Binnenbeden von großer Ausdehnung und Bequemlichkeit; dagegen ift die Rhede weit geöffnet und bedürfte zum Schuge gegen die hohe See, wie gegen Feindesgewalt, einen befeftigten Damm in tiefem Wafler, bis 90 Fuß, von wohl 2 Meilen Länge, was einen Koftenaufivand von folcher Höhe mit fich führen würde, daß man davon allein Grund bernehmen muß, nach billigeren Localitäten zu forichen. Nächfiden muß die Eeecommunication mit den rüds wärtigen Plägen über Das offene Meer erfolgen, und die verzeichneten Lothtiefen laſſen es zweifelhaft, ob felbft die leichte Blottille in Stande fein werde, die öſt⸗ lien und weftlichen benachbarten Deboucheen, auch bei einiger Fünftlicher Nach⸗ hülfe, zu benugen. Der Ruͤgianiſche Bodden Hat allerdings für die fchwere Flotte nur einen beichränften Raum, aber e8 gibt manche Rheden, die auch nicht mehr Bahrwafler haben; die Einfahrt zwifchen der Endfpige der Lobber Rhede und der Infel Ruden an det Peenemündung ift faum eine Meile breit, und die Moloarbeiten würden faft nur in feichtem Waffer erfolgen. Die leichte Flottille nebft den leichteren Fregatten können ein treffliches Debouchee bei Stralfund vorbei Durch das Proner Wyk gegen Welten erhalten, während die Oftfeite, die eigentliche Rhede, eine gegen die See volltommen geficherte Verbindung durch Die Peene mit Stettin und den dortigen Conftructionsetabfiffements befigt. Solche beteutende Vortheile dürften felbft größere Baggerarbeiten reichlich übertragen. Ferner jpricht zu Gunſten der legteren Dertlichfeit Die ganz bedeutend leichtere Befeftigung der gefanımten Secetabliffements; wird der Kriegshafen an der Nord⸗ jpige, dem Tromper Wyk, angelegt, jo ift ed geradezu unerläßlich, ganz Nügen als Einen befeftigten Platz zu behandeln, fonft ſchiebt fich der Feind auf der Sütjeite ein, jperrt Die Verbindung ded Hafens mit feinen rüdwärtigen Plägen und befindet ſich in einer trefflichen Defenfivlage gegen alle Entfagverfuche. Diefe Koften laſſen ſich auch nicht annähernd berechnen, höchft wahrfcheinlich würden fie Die Summen für die Jahdehäfen bedeutend überfleigen. Wird dagegen der Kriegshafen mehr in der Nähe der Peenemündung angelegt, fo genügt vollfläne dig eine Behanptung des füdlichen Theiles Der Injel, zu welcher es keiner weit» läufigen Strandbefeftigungen bedarf. Wir folgen in unferer Erörterung der legtgenannten Idee.

Zum Abfchluffe des Nügianifchen Boddens, eines Binnenbedens von bei⸗ läufig 8 Duadratmeilen, gegen Often, bedarf e8 eines befeftigten Dammes von etwa 6000 Schritt Länge, in feichtem Waffer, und dreier größeren Forts bei Thieſſow an der Rügianifchen Sübfpige, auf Nuten, und auf der Oftplate bei Peenemünde. Die Koften der drei Forts zu je 2 Millionen, des Dammes mit feinen Befeftigungen zu 4 Millionen angenommen, gibt 10 Millionen. Der weftliche Abichluß dürfte am beften bei der Infel Hiddenſee erfolgen, da, wo das Proner Wyk mit der offenen See zufammenhängt, und zwei größere Batterie⸗

134 Kriegswiſſenſchaft. br

anlagen erfordern, benen fich vielleicht zwei Eleinere, als Außenpoſten von Stral- fund, an dem Straljunder Fahrwaſſer gelegen, anfchlichen Fönmen, doch dürften dieſe aufzufchieben fein, Die beiden vorderen Forts —— en genommen werden.

Der Hafen felbft würde einige Molen geringer zwiſchen der Inſel Ruden und der Weſtplate, erfordern, und mit feinen übrigen Abfeylüffen und Einrichtungen wohl an 10 Millionen erfordern.

Die Lanpbefeitigung findet eine ſehr große Stüge in ihrer die es ſehr unwahrfcheinlich macht, daß ein Feind in Folge eines Continental- frieges biß hierher vordringt, und in Dem Falle, Daß die Offenfive son der See ber ftattfindet und große Armeen von da aus operiren follen, wirft bie Nähe und Bereitjchaft aller militärischen Hülfsmittel Deutjchlands gegen die üble Bas firung und befchwerliche, mindeftens weite Verbindung des Angreifers abermals zu unferen Gunſten. Werner find zwei bereits beftchende tüchtige Feſtungen mit ihren firategiichen Rayons jo günſtig anftopend, daß fie einer Landoperation, bie fih von der Elbe her durd; Mecklenburg gegen Greifswalde und Wolgaft ent⸗ wiceln müßte, äußerft befcywerlich werden müffen, nämlich Stralfund, ald Sam. meljag aller weſtlich ftationirten oder disponibel zu machenden Streitkräfte, und Stettin, einer der großen preufifchen Depotpläge, ald Sammelplag und Baſis für Pommern und Preußen, Erſteres bat nur 2 Märfche bis zu den möglichen Operationslinien des Feindes, letzteres deren allerdings 4 bis 5, doch findet ſich im ber Peene ein verbindendes Glied, das namentlich dann nugbar werden fönnte, wenn die Uebergänge der zu verhoffenden Eifenbahn etwas befeftigt wür« ben, dann, wenn Anklam etwa noch alte Mauern oder Wälle hätte, Dinge, mit deren Vernichtung man heutzutage häufig etwas zu vorſchnell iſt. Auch Wok gaft würde ſehr zur Deckung des Hauptetabliffements beitragen, wenn es befeſtigt wäre und dadurch Blanfenconcentrirungen begünftigte, doch find wir weir ent fernt,, dafür Ausgaben zu verlangen. Bon der Oftfeite her fann unſeres Ers achtend der Nügianiiche Hafen kaum bedroht werden, da Rußland jchwerlich mit jo formidabler Kraft in Deutfchland vordringen fann, um anf einem Rebenkriegs⸗ theater Defenfivelemente, wie das Stettiner Syſtem mit der Oder ift, neutrali— firen und dann noch gegen das eigentliche Ziel vorgehen zu können.

Nach diefen Erwägungen wird fich die Landbefeftigung ald wenig umfang⸗ reich ausweifen, Auf Rügen felbjt bedarf e8 außer der erwähnten Strandforts eines Brückenkopfes gegenüber von Stralfund, einiger Forts in der Örgend von _ Bergen, um bie Abfperrung des füblichen Theils der Infel zu erleichtern, und | einiger daran anſchließender Strandbefeftigungen. Mechnen wir den Brüden- fopf zu drei großen Bronten & "a Million und 4 oder 5 vorgefchobene Forts zu in Summa 1 Million, dann die Befeftigungen bei Bergen und an den Küften zu 1Ya Millionen, fo würde da® Ganze mit 4 Millionen bergeftellt fein, und Nügen mit größtem Nachdrude gehalten werden Fönnen, Die Befeftigungen bed Kriegshafens felbft würden auf der Landfeite kaum drei große Fronten einnehe men, bie nach einem leichten Profile erbaut und mit einem Syſteme vorgeſchobe— ner Fafemattirter Thürme in Summa etwa auf * Million anſteigen können.

Die deutiche Flottenfrage. 635

Die Geſammtſumme der Befefligungd- und Cinrichtungsfoften 088 Rügiantjchen Kriegshafens belaufen ſich alfo auf höchſtens 30 Millionen Thaler oder etwa */s der Koſten, welche für die Jahde- und Welerhäfen wahrfcheinlich aufgewendet werden müfjen. Auch bier kann eine Vertheilung auf längere Zeitfriften ein⸗ treten, derart, daß von Anfang her nur der Haupthafen und die Befeftigungen nit größter Kraft vollendet werden, wofür wir nur ungern längere Beitfriften als 4 Jahre angefegt fehen würden, während der weitere Ausbau mit dem An⸗ wachfen der Flotte Schritt zu halten braucht und wohl noch weitere 6 Jahre be= anjpruchen darf.

Stettin als Beflung unterliegt mancherlei Mängeln; fein Handel ſtrebt die Feffeln von Wall und Graben zu fprengen, die ihm drüdend eng find; der innere Raum ift zu Flein für die modernen Zwecke der Befeftigungen es ift aljo ein Umbau dringend geboten, und es wäre dabei nur zu wünjchen, daß derſelbe die bier fo gefchügten großen Conftructiondetabliffements mit aufnähme. Eine Ausdehnung der Enceinte, vom Fort Preußen ausgehend, den Äußeren Spitzen von Fort Wilhelm folgend und dann in weitem Bogen bei Grabow an die Oder“ anfchliegend, würde die weftliche Seite der Feſtung in gehöriger Weife berftellen und damit den Anforderungen des Handeld und der Truppenconcentrirung ges nügen. Die Werften würden wohl in der Niederung zwijchen der Oder und der Pernig Play finden, und da im Kriegsfalle ohnehin die Eifenbahn und Chaufſee nach Damm eines fortificatorijchen Schuge8 bedürfen, fo wird er gleich“ zeitig mit für dieſe Etabliſſements fungiren, alfo keinen Ertraaufmand verur« ſachen. &8 kann wohl möglich fein, daß Stettin, um wirflich einen hohen Auf⸗ fhwung zu nehmen, verfchiedener Kahrwaflerregulirungen und Kaibauten bedarf, allein der Vortheil ift bier ftetd ein doppelter; wa8 der Kriegsmarine fronmt, nut auch der Handeldmarine. Die Etabliffementd mögen fpäter erft entftehen, das darf zugegeben werden; aber ihr Rutzen wird ihre Koften reichlich aufs wiegen.

Swinemünbde iſt einer der vielen Punkte, die nach Schuß rufen werben, ohne Doc eigentlich in ihren Iocalen Verbältniffen die Rothwendigkeit begründen zu fönnen. Es fommt dazu, daß die freie offene Lage und die Tiefe des Fahr⸗ waflerd den Kampf der feindlichen Hanptmacht gegen die dortigen Anlagen ges ftattet, daß alfo die Befeftigungen, wenn fle wirklich nuͤtzen ſollen, ganz enorme Proportionen erhalten müßten, was noch viel mehr aus dem natürlichen Stande der Dinge herausfiele. Kann unfere Flotte nicht mehr die See halten, fo find Landungen auf Ufedom und Wollin gar nicht zu hindern ; jo lange aber unfere leichte Flottille Die Binnengemwäfler noch beberrfcht, kann der Feind dort am Feſt⸗ feßen gehindert werden, und mehr bedarf es nicht. Hält man es für zweckmaͤßig, die Swine und die Dievenow zu fperren, fo möge es wenigftend an Punkten ges ſchehen, wo Die Anlagen nicht dem euer der großen Seefchiffe ausgelegt find und folglicy in befcheideneren Grenzen gehalten werden können.

Die Truppen, welche zu einer Feflhaltung des Stettiner und Rüs gtanifhen Syſtems gebraucht werden, darf man auf 30,000 Mann an« ſchlagen, wovon jedoch ein Theil durch die ohnehin ftetö vorhandenen Depots

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636 uoßingtafenfäuf. 3

——— bl um —— der entgegentreten zu können; die weitere Verſtärkung wird bei der Nähe aller mili- tärifchen Eentralpläge und der wehrhaftejten Provinzen des Staates ohne Schwie- tigkeit, noch Beitverluft, nach Bedarf erfolgen fönnen, und möchten wir auch hierbei auf die ſtrategiſche Wichtigkeit der Eifenbahnlinien und deren Dispe— nirung, wie auf den ee ne —— ſam machen, oT

Golberg, biöher Feſtung von recht geringem Bere, weil außerhalb aller großen Operationölinien gelegen, kann als Zufluchtshafen der leichten Blots tille eine bisher nicht an ya Bejondere Anlagen Dürfs ten faum nöthig werben. w⁊

Danzig. Wir ſtoßen bier ziemlich tief im Ofen und in Gegenden, bie ein langer Winter erflarren macht, auf eine Configuration von die für Beide von höchſter Wichtigkeit find. en - Danzig, eine Bejtung erften Ranges, ein Handelsplatz von ſo günftiger Lage, als er in Gegenden, bie fünf Monate lang unter dem Eife liegen, nur gefun⸗ den werden fann, mit einem produetiven Dinterlande, gegen Außen geſchützt durch eine mächtige Stromlinie und mehrere wichtige Waffenpläge, gerade noch in der. Scheidelinie zwifchen centraler und hinausgejchobener Lage, doch mehr zu erfterer neigend, ſchon in alten Zeiten feemächtig nimmt unfere volle Aufs merkſamkeit durch dieſe Verhältniſſe in Anfpruch; rechnen wir aber noch Dazu, daß es einen ebenfo ausgedehnten, als vortrefflichen Binnenhafen von genügen ber Tiefe für mittlere Fahrzeuge und eine weit geſtreckte und ziemlich fhurmfreie Rhede von tadellojen Sonden bejigt, jo fleigt feine Wichtigkeit in die erſte Orb» nung hinauf, und ald einen Plag diefes Nanges haben wir auch Danzig zu bes trachten, der die Rügianifchen Erabliffements ohne Weiteres in Schatten ftellen und auf den zweiten oder dritten Nang berabdrüden würde, wenn diefe nicht Die großen Vortheile der offeneren, eiöfreieren See und der ganz ſich hätten. Be

Danzig ſchiebt ſich mit feinen Operationslinien gwifchen haͤſen der Oſtſeenachbarn hinein; es baſirt eine Flotte ſehr zweckmaͤßig, Die die Flotten von Kronſtadt, Karlskrona und Kopenhagen auseinander halten, oder die den einen dieſer Theile gegen andere Angreifer unterftügen will (Prinz Adal⸗ bert's Brofchüre); es liegt nahe an der größten Breitenerftredfung ber Oftfee, kann alſo jelbft auf Umvegen noch erreicht werden, wenn das Auffuchen vom Zufluchtsorten nothwendig wird. Es ift fein Zweifel, daß Danzig zur Aufnahme einer großen Flotte gejchict fein muß, wenn wir auch Anftand nehmen würden, die Flotte hierher zu flationiren. = m

Die Rhede von Danzig ift in ihrem weftlichen Theile, wo fie an die Untie= fen des Pugiger Wyk anftößt, durch die Halbinfel Hela von der hohen See ge» trennt; dad Wafferbeden, was dadurch entfteht, liegt aber immerhin 2 bis 3 Mei« fen von Danzig entfernt, und würde ſchon aus Diefem Grunde eines außerordente lich koſtſpieligen fortifientoriihen Schuges bedürfen, wobei immer.noch der

a

Die deutſche Zlottenfrage. 37

Mangel beftehen bliebe, daß mit Hülfe ſchwerer Gefchüge die Flotte Doch zeite weife beunruhigt werden könnte. Es wäre alfo in hohem Grade ermünfcht, die Abjchlüffe der Rhede mehr an Danzig heranzubringen, doch Täßt ſich nicht ver⸗ fennen, daß Hierzu fehr ausgedehnte Dammbauten in tiefem Waſſer erforderlich wären, und daß die Koften hierfür mindeftend einer fpäteren Periode vorbehalten bleiben müfjen.

Die dermalige Herftellung einer Rhede wird alfo bei Hela zu beginnen und von da aus in ziemlich füdöftlicher Richtung einen vermehrten Abfchluß zu fuchen baben. Für die Dammbauten und tüchtigen Strandbefeftigungen dürfte man wohl einige Millionen verausgaben fönnen.

Der Hafen kann nur bei Reufahrwaffer angelegt werden, wozu übrigens die Untiefen von der alten Weichfelmündung leichtere Bundamentirung geben werten. Seinen Echug muß er theild durch die eigenen Unfaffungsdämme, theils Durch vorgelegte große Forts erhalten, deren Alignement Hela, und für welche das Ziel jein muß, eine fich gegenjeitig unterftügende Anzahl folcher Forts bis in den Bereich der dortigen Anlagen zu bringen, wozu ohne Anrechnung der Strandanlagen etwa 5 Fortd nöthig wären. Der Kriegöhafen felbft ift nur als Zufluchtshafen und Reparaturwerfftelle auszuſtatten; feine Hülfdmittel können Daher viel geringer fein, als feine Größe; er wird fle der Hauptjache nach mit den Conftructiondetabliffements gemein haben. |

Danzig ift aber aud) ein Hauptconftructionsplaß, und es fragt ſich, ob er nicht derart über Bremerhafen davon tragen wird, daß hier, den erften Anfang abgerechnet, alle großen Schiffe gebaut werden. Die überhaupt nöthige Stadt« erweiterung wird Dann mit der Anlage der Werften zur Erweiterung der Beftungd« werke Hand in Hand gehen. Danzig wird nach dem Syſteme der großen flar« fen Forts und der langen, leichter gehaltenen Anfchlüffe nach und nad) umges baut werden. Der Ziganfen« und der Hagelsberg bleiben die Angelpunfte der DVertheidigung; die jüdlichen und jüdöftlichen Fronten zwijchen der Motlau und der alten Weichjel bleiben gleichfalld; dagegen Fönnen der Hauptwall am Fuße der genannten Berge der Stadterweiterung und der an der Weichfel, ſowie die Werke auf dem Holm, der Handelds und Schifffahrtöbemegung preidgegeben wer⸗ den. Die neue Enceinte muß bei Weißhof an die Weichjel fchließen und auf dem rechten Ufer, der jegigen großen Injel, Direct nach dem Fort Kronprinz hinab gehen, wo fie an der Weichfelmünder Rayon anfchliegt. Auf dem Linfen Ufer Hat die neue Enceinte von den Ziganfenbergen aus den Weichjelanfchluß entweder bei Reicheröbof zu fuchen, ober in entfprechender Form ſich mit den Hafenbefeftigungen zu verbinden. Es ift anzunehmen, Daß der außerordentliche Zerraingewinn einen guten Theil der Koften decken wird; die neuen Fortifica« tionen brauchen nur in einzelnen Theilen wirklich ftarf zu fein. Dagegen dürfte es gerathen fein, auf ber Infel jelbft einige Strandbefeftigungen anzulegen, Das mit alle Infulten Fleinerer Abtheilungen abgewiefen werben Eönnen.

Bedenken wir, daß Danzig bereits eine ſtarke Feſtung iſt, wenn auch eng und nach altem Syſtem und mit vielfach zerſplitterter Vertheidigungs⸗ kraft, jo ift e8 doch immer von Anfang an ausreichend, und was gejche-

S

638 Kriegswiſſeuſchaft. ben joll, ee werden. E

Wir * daß Danzig über 5 Millionen a denen erft in fpäterer Zeit die etwa gleiche Summe beizufügen waͤre. Königsberg, eine Feftung neueften Datums, und Billau, fein Hafen- fort, bedürfen Feiner befonderen Veranftaltungen, indem fie find mas ſie ſein können, ein Zufluchtsort bei ungünftigen Verbälmiffen 0000

‚Das adriatifche Meer bringt und ald Morgengabe eine außerordentlich ungünftige ftrategijche Poſition, eine Lage, die jo viel als Erreichung maritimer Zwecke erſchwert. Da die Adria aber das einzige Meer ift, das wir im Süden befigen, fo brauchen wir und wenigſtens nicht mit einer bitteren Wahl zu martern ee liches einftweilen annehmen.

Wir treffen bier jo ziemlic) Alles, was wir brauchen, Be —— nicht Alles fertig ift, fo ift es doch im Werben, und es ift nur nöthig, Dem ber fruchtenden Finanzftrom ald treibende Kraft zu benugen, um in fürzefter Friſt ——— bie auch den ernſthafteſten Patrioten befriedigen muͤſſen.

Mir meinen, e8 müfje hier ein gutes Drittheil der Flotte aufgeftellt werden, und haben wir erft eine ſolche Macht, jo werden wir auch mit ihr und eine beje fere Pofttion ſchaffen können. —— Der Bedarf für die Flotte könnte wohl von Venedig gebedt werben; da jedoch bie Einfahrten am Lido und bei Malamoero jehr feicht find, ſo iſt es

faum zu erwarten, daß die dortigen Neparaturwerfftätten ausreichen, Es wird

Venedig alfo nur Gonftructiondetabliffement und Stationsplag für die leichteren Schiffe fein, Pola aber die ſchwere Flotte beherbergen, ausrüften und repariren. In diefem Style find die jegigen Anlagen disponirt; es bedarf nur der Erweite- rung und Beichleunigung. | mer -

Außer Bola braucht man aber noch einige Zufluchtähäfen, und bei der ebenjo vielfach zevklüfteten, als zahlreich befeftigten Dalmatiner Küfte dürfte cher ein embarras de richesse, als ein Mangel daran zu erwarten ftehen. "Bagufa und Gattaro bietem ſich zuerft den Blicken dar. Br

Es will uns jcheinen, ald ob Das, was im Intereffe der deutſchen Flotte bier den öſterreichiſchen Häfen und Werften ergänzend zuzufügen 10 Millionen Thaler gedeckt werden könnte. =

Wir wollen nun die Schlufrechnung ftellen.

Die Anichaffungsfoften der Schiffe find auf 52 Millionen, die Ginzichtunge- Eoften der Rheden, Häfen und Werften auf p. p. 100 Millionen Thaler, nach einem reichlichen Maßſtabe berechnet worden, Von diefen in Summa 150 Mik lionen Thalern ift mindeftens die größere Hälfte, fagen wir 0,6, auf bie erften vier Jahre zu vertheilen, das wären 90 Millionen auf 4 Jahre 22. Me lionen Jahresbeitrag für die erften vier Jahre, Dann kaͤmen 60 Millionen auf 6 Jahre zur Bertheilung, und es fänfe die Jahresrate der anferordentlichen Ko« jten auf 10 Millionen Thaler, _q

Die dentiche Flottenfrage. 639

Hierzu tritt nun das ordentliche Budget von p. p. 20 Millionen.

Es ift wohl Niemandem zweifelhaft, daß es fich Hier um eine jcharfe An⸗ ſpannung aller Kräfte handelt, und daß diefe Summen mit ihrem für bie ferne Zukunft beftimmten Nuten auch zum Theil mit von diefer, alfo durch Anleihen, getragen werden müſſen. Es dürfte billig fein, die Geldquoten fo zu vertheilen, dag die durch Umlagen aufzubringenden Quanten anfangs die Summe von 30 Millionen jährlich nicht überfteigen, fpäter vielleicht auf 25 Millionen ermä- Bigt würden, fo daß etwa die Hälfte der außerordentlichen Koſten durch Beiträge, die andere Hälfte durch Anleihen gededt würden.

Es fragt fih, ob Deutichland im Stande fei, ein Marinebudget von 30, 25, 20 Millionen Thalern zu ertragen?. Zaufend Stimmen werden und ante worten: Das ift eine erdrückende Laft wir werden im Brieden auögefaugt der Krieg und feine Vorbereitungen nehmen und die Möglichkeit der Erſparniſſe die Wehrhaftigkeit muß auf anderen Wege erzielt werden.

Betrachten wir mit Furzen Zügen diefe gebräuchlichen Aufftellungen.

Die Wehrhaftigkeit ift vor Allem auf Feinem anderen Wege, als dem der ftehenden Heere und ftehenden Flotten zu erlangen. Das Beijpiel Nordamerikas beweift nicht8, denn die Union wurde noch nicht von einer foliden Landmacht ernftbaft angegriffen, aber jelbft im Unabhängigfeitöfriege, man wolle e8 nicht vergeflen, war Waſhington's heißeftes Beftreben ein wohldisciplinirtes ſtehendes Heer, und daß er ohne die Hülfe der franzöſiſchen Truppen nicht ausgerichtet, fteht doch wohl auch hiftorifch feft. Auch das Beijpiel von 1813 beweift nichts, denn einmal war die Landwehr nicht ifolirt, fondern um ein Heer geichaart und von diefem vielfach verforgt, dann Hat die Landwehr fo unverhältnigmäßig grö⸗ ßere Verlufte erlitten im Jahre 1814 ftanden die Stärken anftatt 1 : 1, wie 3:1 daß ihre Mitwirfung nach und nach verfchwand durdy ihre Schwäche, und endlich Hat fich eben zu allerneueft gezeigt, dag man mit vertheilter Arbeitwirthfchaften will und es nicht nıehr paplich erfcheint, alle Claſſen der Ration in ihrem Beſtande, wie in ihrem Getriebe zu erfchüttern, um das Heer zeitweife auf eine anfehnliche Zahl zu bringen.

Die Koften der Kriegsmacht erfchöpfen die Steuerfraft, unproductive Aus⸗ gaben u. dergl. mehr. Man frage doch geneigteft nach, ob der Engländer die ganz enormen Koften feiner heimiſchen Kriegemacht, die 100 Millionen Thaler weit überfteigen und Doch nirgends genügen, ob der Engländer fie für unproduc« tiv halte? Es Tiegt hier einer der lächerlichften und ſtümperhafteſten volföwirth- ſchaftlichen Irrtümer zu Grunde. Der ruhige Gang der Entwidelung im Ins neren, geftügt durch innere Ordnung und äußere Selbftftändigfeit, die fichere Stellung auf dem Weltmarfte, der wirffame Schuß für fernen Handel, die Er⸗ ſchließung und Befruchtung mächtiger Gebiete, Colonien, und die dadurch ge= fchaffene, dem Mutterlande fo nügliche Productiond- und Confumtionsfraft, die Verwendung fo zahlreicher, unvollftändig oder gar nicht außgenutter Kräfte, bie mit der fleigenden Ihätigfeit auch fteigende Umficht, das Selbftbewußtfein, die Thatkraft in der Ration das Alles ruht ganz weſentlich auf der angeblich unproductiven Kriegsmacht. Denfen wir und dieſe Kriegd-

640 Kriegswiſſenſchaft.

macht weg, verſetzen wir und in bie Zeiten von 1805 oder 1806 bis 1812 und 1813, zertreten, auögefaugt, ruinirt im Inneren und verdrängt im Außenlande, und antworten wir offen und ehrlich: Wo flgt denn die Unproduetivität, wohnt fie bei der Macht oder bei der Unmahıt? Die Macht alleiniftproduc»> tiv; alle mächtigen Länder fchwellen gewaltig an in ihrem Rationalrermögen, alle unmächtigen Länder verfümmern, und zwar moralijch, phyflich und finanziell in immer fteigender Progrefiion. Wie reich ift die engliiche Nation, wie hob fh Deutfchland, als es auf dem Continente fo ziemlich die erfte Macht war, d. h. in den legten dreißiger und den vierziger Jahren wie flodt jeder Erwerb, jede gejunde Kebensader mit dem leijeften Zweifel an der Machtftellung !

Aber man täufche ſich nicht; es ift nicht wegen des Militärbudgets, daß Die Demofraten aller Orten die ftehenden Heere angreifen und Die Flotte angreifen würden von dem Augenblidfe an, wo eine eriftirte; fle find die legten, die in den Ruf der Sparfamfeit kommen würden; ihre Gründe find politifcher Natur, ihr Gegner ift das monardijche Princip; wenn heute die Armeen zu ihrer Fahne ſchwören wollten, die Sache würde mit Einem Schlage umgefehrt fein. Zu bes dauern bleibt Hierbei nur, daß diefe Herren fo manchen Nachbeter finden, der an der äußeren Schale hängen bleibt, den ſchönen Worten glaubt und wirflich meint, das goldene Zeitalter kaͤme, wenn erft Die Demokraten mit ihren reinen Grunds fägen am Ruder feien. O ja, Eonımen würde ed, nur nicht für ihn, den Gläu⸗ bigen, fondern für Die am Ruder, wie man das ſchon oft genug gefehen und eben fo oft wieder vergeſſen Hat.

Wir wollen es nicht verhehlen, die Steuerlaft mag im Anfang drüden, aber das wird nicht Tange dauern, das neue Leben, der regere Verkehr wird die Mehr⸗ ausgabe des Einzelnen bald und reichlich übertragen.

Darum fürchten wir uns nicht; wir find zwar nicht berufen, zu fchaffen und zu becretiren, aber wir find mit berufen, weil wir e8 Eönnen, die Wege zu der neuen Schöpfung ebnen zu helfen, und mit der Ucberzeugung von der natio- nalen Rothwendigfeit auch den Entfchluß zur Durchführung derfelben zu erzeugen,

18.

Die Magie und Alchemie des Allerthums und Mittelallers.

Bon Dr. ©. W. Scharlan in Stettin.

Son in den erften Zeiten der beginnenden Eultur hat man ſich Damit befchäfe tigt, Metalle darzuftellen, oder man kann fagen: die Gultur ber Völker begann mit der Darftellung der Metalle.‘ In einem alten Sagenbuche wird gelehrt, Daß bald nach der Schöpfung ein Mann Iebte, der ein Künfller in Metallen war; diefer Mann hieß Tubalcain. Es geht aus diefem Mythos Hervor, daß der Vers fafler der Schöpfungsgefchichte die Metalle für die Menfchen jo wichtig gehalten hat, daß er ihre Entdeckung ſchon mit der zweiten Generation des neu entſtande⸗ nen Menfchengefchlecht8 geſchehen läßt.

Zu den am längften befannten Metallen gehören wohl Gold, Silber und Kupfer, weil ſie in damaliger Zeit die einzigen waren, welche in metalliſcher Form gefunden wurden, während faſt alle anderen Metalle in Verbindung mit Sauer⸗ ftoff oder Chlor, als zum Theil Tösliche Salze, oder mit Schwefel und Phosphor, meiftens nur in unlddlicher Form vorhanden find. Ob das frühelte Alterthum das Duedfilber Fannte, weiß man nicht mit Beftimmtheit ; allein die vergoldeten Metallarbeiten, welche man in den Pyramiden Aegyptens fand, find fo flarf ver« goldet, daß fle nur unter Mitwirkung des Queckſilbers angefertigt fein können.

Später findet man bei den Völkern des Alterthums Schmud, Waffen, ſchneidendes Hausgeräth und Kochgefchirre aus Bronze gefertigt, beftchend aus 80 Theilen Kupfer und 20 Theilen Zinn. Zur felben Zeit erfanden die Indier das Meffing, beſtehend aus 2 Theilen Kupfer und 1 Theile Zinf. Viel ſpaͤter wurde Blet, Wismuth und Eifen entdeckt; letzteres verdraͤngte allmälig Die Bronze, Bur Herftellung diefer Metalle mußten fchon bebeutende metallurgifche Kennt⸗ niffe vorhanden fein, da bie Abfcheidung derjelben aus ihren Sauerfloffe, Schwer fele und Ghlorverbindungen meiftens mit großen Schwierigkeiten verknuͤpft iſt.

ALS Eigenfchaften der Metalle, welche allen gemein waren, mußten beob« achtet werden:

1) die Schmelzbarfeit durch Beuer,

IV, 4

642 Naturphilofopbie,

2) das Feftwerden beim Erfalten. ' er

Als verfchieden wurde das Verhalten der Metalle gegen Luft, Waſſer, Sau⸗ ren und Alfalien beobachtet, und ſehr bald mußte bemerft werden, erftend: daß - Gold und Silber ſich nur in metallifcher Form, alfo völlig reif dem Menfchen darboten, daß diefe in Luft, Waller und den damals bekannten Säuren unver ändert blieben, daß fte ihre Farbe und ihren Glanz ungetrübt zur Schau tru— gen, daß fle Feinerlei giftige Gigenichaften hatten, wie z. B. das Kupfer

und Blei. BEN SR tung, daß unedle Metalle aus Born, als Chloride, Ornbe

oder Sulphuride, nur durch die Hülfe des Feuers in die metallifhe Form ge- bracht werden Eonnten , fchloffen die Menjchen, daß die Metalle auch verſchledene Zuftände der Reifung durchlaufen müßten, und weil fle fanden, daß Gold und Silber durch Feuer feine Veränderung weiter erlitten, fo nahmen fie —— dieſe völlig reife Metalle ſeien.

Die Seltenheit des Goldes, die Leichte Bearbeitbarfeit, Die 1 at Base der unveränderliche Glanz, machten zumeift ven Wunſch rege, daſſelbe licht großer Menge zu befigen. Wie immer, nady der Findung einer großen Neibe von Thatſachen, der Menſch fi bemüht, die wefentlichen Elemente ihres inneren Seins, die Grundurſachen ihres Dafeind und ein innered Band ber gegenfeitigen Verbältnifje zu finden, welche ihm einen Einblick in die Wahrheit geftattet, wie er fich alfo bemüht, den Urgrund der Dinge zu erfinden, ſo auch war im Altertdume fchon das Beſtreben, Die weientlichen Grundverhältniſſe ber Erfcheinungswelt, theils auf dem Wege des Erperimentes, theils, und zwar in der Mehrzahl der Fälle, auf dem Wege der Speculation zu finden,

Wir müfjen zugeftehen, daß unjere Vorfahren ſehr ſcharfſin ige Forſcher waren, und daß fie auf dem Wege der Speculation das feitftellten, was wir heute auf dem Wege des Verſuchs erſt bewiefen haben, ta

Hatten bie Forſcher gefunden, daß alle organifchen Weſen den Wandlungen ihrer Borm und Eigenfchaften unterworfen waren, hatten fie gefunden, daß biefe Erjcheimungen auch bei der Bearbeitung der Erze zu Metallen flattfand, ſo lag es jebr nahe, daran zu denken, baß die mit weniger fehönen Eigenſchaften, als das Gold und Silber, begabten Metalle weniger reif als dieſe feien, und daß fie erft zur Meife gebracht werben müßten. Beftrebungen, unedle Metalle mit Gold und Silber zu verbinden, führten theils zu feinem Ergebniffe, theils verlor das Geld feine guten Eigenfchaften in der Metallmifchung, und das andere Metall’ wurde, je nad) der Menge des bamit verbundenen Goldes, nur um ein mehr | beſſer. Die Eigenichaften des Goldes, in der Verbindung mit anderen Metallen jeine ſchoͤne, gefättigie Farbe zu verlieren, mit Kupfer roth und mit Silber weißlich zu werden, die Liebhaberei für dieſe gelbe Farbe brachte die Alten bald babin, daß das Gold nicht im Stande fei, ald greifbares metallifches Gold, andere Metalle in Gold zu verwandeln, fondern fie nehmen an, daß das irbifch ge= worbene gelbe Gold erſt verjüngt werben, erftwieber pbilofo-

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Magie und Alchemie des Altertpums, 643

phiſches Gold werben müfje, umunreifeMetallein ben Zuftand ber Reife überzuführen. Dies philofophiiche Gold Eonnte mun entweber aus dem irbifchen, fertigen, beterminirtem Golde, wie fie es nannten, durch ben Act der Deftruction, nicht durch den Act der Solution bereitet, oder aber es follte aus den, Urelementen durch, Zufammenfegung diefer, hergeftellt werben.

Petrus bonus ferrariensis jagt in feiner Margarita novella cap. 10:

„Sleichwie das Gleiche ſich nur mit dem Gleichen vereint zu neuer Zeugung, jo muß auch das Gold und Silber durch fich ſelbſt gelöft werden. Zur Bildung des Lapis philosophorum, des Aurum philosophorum oder der Quinta essentia metallorum iſt eine Solution nicht hinreichend, fondern es muß eine destructio eintreten, Eine Solutio durch Säure ift feine Löſung, fondern nur eine corrosio.”

Gleichfalld jagt Moriened: Qui aurum seit. (eines; quod non amplius erit aurum, ille ad maximum arcanum pervenit,

Um nun das Gold oder vielmehr den rechten Goldſaamen aus ſeinen Ges

menten zu bereiten, mußte man auf dem Wege der Speculation dieſe finden, und um Died zu können, war ed nöthig, auf den Urfprung ber Dinge zurüdzugehen. Deshalb beginnen die meiften Forſcher mit der Cosmogenie, um feitzuftellen, wie überhaupt die Welt entjtanden, Dieſer Beftftellung folgt dann die Erforſchung des Verfahrens, mie die Elemente des Goldfamend zu ER and er irdiſchen Berunreinigungen zu ſcheiden jeien.

Sehr richtig nehmen die Philoſophen des Alterthums, 8 vor Allem ihr Promerheus, Hermes Trigmegiftus, der dreimal Große genannt, an, daß bor bem Erſcheinen der Sinnenwelt das geiftige Bild, Idea, für jedes Geſchaffene vors banden war, und ein Ausſpruch von ihm jagt: im Unfange, im ewigen Schweigen, in der Finſterniß überlegte Bott das Wefen aller Dinge. Diefem Acte des Vorbedenfend der Gottheit folgte bie RER heißt in den Schriften des Magier:

„Gott, das in fich felbft zurückgezogene Gchriumiß, die monas solitaria, begann ſich auszudehnen und faßte den Entſchluß zur Schöpfung. Sogleich erſchien ber Teuchtende Anfang, und der erfte Ausfluß geſchah in’d Herz der Mar terie. Die Urmaterie aber war Das Waffer und auf dem Waffer war die Fin⸗ ſterniß, und der Geift bewegte jich auf dem Angeſichte des Waflerd.”

Dennach war die Prima materia, der Urftoff alles Gefchaffenen, das W afe fer, und zwar das reine Waffer der Wolfen, deshalb der Adler genannt, weil 8 von der Erbe durch die Wärme der Sonne in die Höhe gezogen wird. Jedes Waſſer der Erde enthält mineralifche Beſtandtheile gelöft ; theils Kochſalz, theils Kalkjalze, theils Eijen, Natron, Magnefia und Kaliſalze, und wird je nad) die— fen bald Quell», bald Meer=, bald Mineralwafler benannt. Bei ber mangel- haften Kenntniß dieſes Berhältniffes hielten nun die alten Chemiker dafür, daß das durch Verbunftung entfernte und Dadurch frei von, mineraliichen Stoffen gewordene Waffer, das nun beim neuen Verdunften keinen Rückſtand binterlieh, das geiftige Waffer, umd weil es Urftoff war, auch die prima,materia ſei. Sie wurde von ihnen die Schlange genannt, weil fie in Bächen und Strömen bie ihlangenförmigen Windungen zeigt. Da nun aber nad) dem Verdunften,bes

41*

Magie und Alchemie des Alterthums. 645

Es ift nicht zu laͤugnen, daß bie Idee der Weltfeele, aljo die pantheiftifche | Anficht, ferner die Idee der Gleichheit der Materie und der, Kraft, und endli die Gleichheit dieſer mit dem Begriffe ber Wet, in den Lehren des Herme ſich deutlich genug ausfpricht. 0

Wir werden ferner ſehen, wie bieſe er Denker der Anſicht war, daß aus ber ruhenden, im fich felbft zurückgezogenen Gottheit, Monas , durch Thätigwer- den, zuerft die Ideen zu allem gefchaffenen Welten und a zu Licht und Fin- fterniß, zu Waffer und Wärme gebildet und dann endlich zur Wirklichkeit wur⸗ den. Sein Ausſpruch lautet: monas ann gignit et in se ardorem suum reflectit.

Hermes fagt ferner: Die Erde war anfangs eine zitternde Gallerte, aud Waſſer, durch den Geift Gottes erwärmt und zufammengeronnen (cum ad hue terra (remula esset, lucente sole compacta est), "Der Geift, auf dem Waſſer fchwebend, theilt neben der Erwärmung der Materie auch noch andere heimliche Influentien mit, fo auch der Sonne und den Sternen, denn Gott ſelbſt ift eine übernatürliche Sonne ober Feuer. Diefe Tegtere Lehre ſtimmt mit der des Zo— roaſter überein, der da fagt: Alles iſt von einem Feuer gezeugt, und Gott hält alle Dinge, nachdem er die Materie zeugte durch bie geheimen Eſſentlen, unter den ſtets wärmenden Einfluß feiner Wärme und feines Geiſtes.

Waſſer, Wärme umd bie geheimen Einflüffe der Gottheit waren alfo die Grundbedingungen zur Erſchaffung aller Dinge.

Wenn alfo das reine Waſſer der Wolfen als bie erfte Materie, als der Ars quell aller Dinge angefprochen wurde, fo war in demfelben nur die Eigenſchaft des Fluͤſſigſeins gegeben. Als reines Waſſer war es aber der allgemeine, unbe⸗ ſtimmte Urquell der Materie, der erſt durch Beſtimmung (Determinatio) das wurde, was er werben follte. Um aber beftimmt zu werben, muß das gewöhn- liche Waffer durch mannigfache hemifche Operationen dazu vollfommen gemacht werden. Bor allen waren Scheidungen der erbigen Beimifhungen und lange fortgejegte Einwirkung der Wärme nothwendig. Dies ift Die hermetifche Kunft,

Alle Arbeiten der Aldhemiften, ber wahren Philofophen, wie fie ſich nen- nen, und der Adepten beziehen fich nicht auf Die Veränderungen ber Geftalt der Mineralien, fondern auf eine geiflige Umaͤnderung, auf die Reife und der Materie. „Die wahren Philoſophen verändern nur das Subjertum, mit Beibehaltung feiner Natur und Eigenfchaften, während die falichen Weifen, bie Sophiften, Metallverderber genannt, nur das Subjectum in eine andere kleiden.“

„Dies Subjectum, aus den vier Elementen zufammengefegt und durch bie chemifchen Proceffe gereift und geläutert, ift der wahre Stein ber Weiſen, die wahre Essentia quinta metallorum.“

Die wirklichen Metalle find aus dem Subject hervorgegangen, fie find der, Körper gewordene Metallgeift. Diefer Iegtere befteht aus Mercurius, Waffer und Dunft, Die wirklichen Metalle und Mineralien fönnte man zwar wieder in ihre Urform zurückbringen, allein fie dürfen nicht zur erften philoſophiſchen Materie genommen werden. Die wahre erſte Materie ift ein Dunſt, mit metal

Magie und Alchemie des Alterthums. 647°

ehe Beine de Eat oun he Ye Schwefel geſchehen. | T 2 do er

Wenn alio die Grundlage aller Metalle dieſelbe iſt, wenn ſie bie prima materia, das Waſſer der Wolfen, bas von allen erdigen Beimijchungen freie Waſſer ift, verbunden mit dem lebendigen Schwefel der Erde, nicht dem gemeis nen, fichtbaren, brennenden Schwefel vergleichbar oder ähnlich, fo ift es Elar, daß ihre Verſchiedenheit nur in der Farbe und in ihrer Reife beruhen Eönne,

Scyon im Alterthume Fannte man Schwefelmetalle, weldye theils den Glanz des Goldes, wie z. B. das Doppelt-Schwefeleifen, den fogemannten Schwefelfies, theils eim erdiges, rothes Anfehen, wie der Zinnober hatten. Sah man nun durch Erbigen, von dem eriteren, den Schwefel abtreiben und das glanzuolle Mineral zu einem fehwärzlichen, erdigen Stoffe werden, welcher unter Umftänden geſchmolzenes metallifches Eifen gab, ober jah man aus dem Zinnober durch Entfernung des Schwefels, das Duedjilber in Born eines flüffigen Metalld erfcheinen, fo lag es ſehr nahe, den Schwefel als das fir» oder feftmachende Princip, wie man ihn nannte, anzufeben, der nur durch eine Berunreinigung den metallifchen Zuftand ber Metalle verſchleiert. Schwefeleifen und Zinnober find nicht jchmelzbar ; der Grund lag nach Anficht der alten Ehemifer darin, daß noch zu viel gemeiner Schwefel mit den Metallen vermifcht war. War dieſer entfernt, fo blieb das Metall allein in Verbindung mit feinem philoſophiſchen, unfichtbaren Schwefel zurück. Diefer gemeine Schwefel hinderte das Schmelzen der Metalle, während der. Tebendige, firmachenbe,. philofophiiche Schwefel demſelben fein Hinderniß entzegenftellte. Wenn man weiß, (welche Schwierigkeiten cd macht, bevor man die Wahrheit, wie überall, jo auch in der Chemie findet, jo thut man um fo mehr Unrecht, die Irrthüner unferer Vorgänger zu belächeln, wenn mar bebenft, mit wie geringen Hülfsmitteln fie arbeiteten und wie fie faft immer gezwungen was ren, anftatt des Experiments fich der philofophiichen Speculation zu bedienen. Man thut um jo mehr Unrecht, wenn man Die Bemühungen ber alten Magier und Ghemifer als Phantafterei und Hang zur Goldmacherei bezeichnet, da dies Urtheil nur aus einem mangelhaften Quellenftudium entfpringen kann. Mit Enifchie- denheit ſprechen ſich alle dieſe Philofophen, wie fie fich nennen, dahin aus, daf ſie die Bereitung der Quinta essenlia, des fogenannten philoſophiſchen Steins, nur um deshalb wünfchten, weil’fie darin bie Öreifbarkfeit des Lebens— prineips, allen Gefhöpfeninnewohnend, erblidten, und zwar in vollfommenfter, fräftigfter Form, Im Befig deffelben glaubten fie fich im Stande, unedle, alfo unreife, oder Franke Metalle zu reifen und. gefund zu machen , die kranken er zur * die alternden Menſchen zu verjüngen.

Als reifes und edelſtes Metall, ale Auefluß das Gold. ı ——— * die Ereugung ——* EEE Forſchungen. e m nun

Die Löslichkeit * Goldes und Silben in with im Mittelalter entdeckt; gleichzeitig aber auch die nothwendiger Weiſe eintreten müffende Erſchei⸗ nung der Wiederausfcheitung dieſer Metalle, aus den daraus gebildeten Salzen

648 MMaturphiloſophie.

durch das Licht oder durch die Erwärmung. Wenn wir noch heute nicht wiſſen in welcher Weife dieſe Reduction der Gold- oder < —— d wen

des Goldes, oder Silbers als das materiell gewordene Sonnen-⸗ ol licht, als bie gebundene aftralifche Wärme anfahen, und dieſes dene Imponderabile ald das dritte Brincipium, und Be determinirende, wie fie ed nannten , betrachteten, * Wenn unſere Vorforſcher alſo Metalle en —— löslichen Salzen, entſtehen ſehen, wenn ſie ferner die Erbe ) Metalle betrachteten und annahmen, daß dieſe aus dem Inneren der Erde durch ein telluriſch Feuer in die Höhe getrieben und durch die Poren derfelben hin⸗ durchdringend, ſich in feiter Form darſtellten fo Tag es wohl nahe, jeden in Waſ⸗ jer löslichen Beitandtheil der Erde ald einen-folchen zu betrachten, der Theil der, zur Darftellung des Goldes nöthigen Prineipien enthielt, Das dl felbft, einmal fertig, war nicht im Stande, andere Metalle in Gold zu verwan⸗ bein, denn es war verirdeter,, feitgewordener Goldjame, der erft Durch einen ums ländlichen chemifchen Proceß, Durch das Bad der Wiedergeburt, verjüngt und befruchtend für andere Metalle gemacht werden konnte. 2 Dragegen war bdiefer Goldfame im Stande, beftimmend aufidad aus Dem Waſſer, aud der prima materia und aus dem lebendigen Schwefel, dem fir ge worbenen Salze der Erde, oder dem ſogenannten metallifchen Dunft entftandeme Gemiſch, das man als eine Vereinigung zweier Geſchlechter betrachtete, einzu wirfen und die Umwandlung in Gold hervorzubringen, ) vy (EEE Kannte man weder das verfchiedene Verhalten der Metalle gegen Rengen-

tien, noch das fpecifiiche Gewicht, noch ihr verjchiedened Verhalten gegen bie Giectricität, fo war es ganz natürlich, daf man die Farbe ald ein Hauptfennzeis chen der Verjchiedenheit der Metalle betrachtete, Da die Dehnbarkeit, der Klang, die Schwere, der Glanz und die Schmelzbarkeit, nur ald gemeinfame Attribute ber Metalle anzujehen waren. Da die Sonne, „der erwärmende Stern bes Himmels, das Herz des Himmels“, wie die Magier fie nannten, das belebende Princip, der Geift der Welt und Gottes, mit gelber Farbe leuch⸗ tet, jo war es natürlidy,; daß ſie den gleichfarbigen Glanz des Goldes als greife bares Licht der Sonne betrachteten umd die Eigenjchaften des Golbed, als im biejem, feine Qualität beftimmenden Princip, der Quinta essentia rerum, begrün⸗ bet jahen. Und hatten fie in biefer Anficht nicht vollfommen recht ? Iſt Die gelbe Farbe vielleicht etwas anderes, als zerlegted Licht? Iſt der Glanz nicht re⸗ fleetirtes, ungebrocyenes Licht? Int alfo Farbe und Glanz nicht etwas, was dem Golde nicht an ſich angehört, fondern nur ein Product ——— nun jo war die Anſicht der Magier eine vollkommen gerechtfertigt. 7000 Weil dad Queckſilber dem Waſſer aͤhnlich, aber nicht durchfichtig, zwar flüchtig, aber viel ſchwerer Hüchtig, als Waller, auch jcheinbar Fälter und viel ſchwerer, oft mit anderen Metallen vermifcht und dann auf der Oberfläche ſich

Magie und Alchemie des Alterthums. 649

oxydirend erſchien, ſo nannten die Magier und Alchemiſten daſſelbe eine unreine, irdiſch gewordene prima materia, die als ſolche nicht zur Anfertigung des Stei⸗ ned der Weiſen, des Quinta essentia, verwendet werden könne. Der wahre Mer- curius philosophicus war ihnen das Wafler.

In der Beobachtung, daß dad Queckſilber durch Schwefel fir wurde und feinen Glanz verlor, fanden fie eine Beftätigung ihrer Annahme, daß der philo⸗ fophiiche Schwefel mit der prima materia, oder dem Waſſer eine metallifche Ver⸗ bindung bilde, deren Beftimmung erft durch das dritte Princip erfolge, und durch den Goldſamen, oder Durch dad Blut des Löwen zu Gold, wie fie ihn nann⸗ ten, geſchehe. Yür die anderen Metalle hatte man fich noch nicht um Samen bemüht, da fich diefe in genügender Menge vorfanden ; Dagegen wurde daß Sil« ber ald durch den fälteren Glanz des Mondes nicht gehörig gezeitigtes Metall, als ein unreifes Gold betrachtet.

Das waren ungefähr die leitenden Ideen unferer Bormacher, und wenn wir heute, beſſer belehrt durch Jahrhunderte der Korfchung, aufgeflärt über die Irr⸗ thümer der Borzeit, Die Etrebungen unferer Lehrer nicht genügend würdigen, und dieſe tiefen Denker und eifrigen Forſcher vielleicht der Schwärmerei und des plane Iojen Erperimentirend bejchuldigen, fo ift Died ein großed Unrecht, welcheö den weifen Männern der Vorzeit geſchieht. Man flutire die Bemühungen und An⸗ fichten diefer PHilofophen aus den Ou:llen, und man wird den raftlofen Fleiß und das jcharfe Denken der Borfämpfer der Wiſſenſchaft bavundern; man wird vielleicht dann zugeftehen, daß wir dem Weſen der Dinge heute noch um nicht® näher gefommen find, als fie es bereitd waren.

Daß man in früherer Zeit, forfchend nach dem belebenden und beſtimmen⸗ den Princip der Schöpfungen, e8 überall gefucht hat, daß man die Erbe, das Waſſer, dad Blut, den Sanıen, das Gehirn der Thiere, den phosphorhaltigen Urin, die Ereremente, die Kier der Vögel, ald die Träger der Quinta essentia betrachtet und danach geftrebt hat, dieſe daraus abzufcheiden, ift jo natürlich, daß wir und heute um jo weniger darüber wundern fönnen, ald wir, audgerüftet mit allen Hülfsmitteln der Chemie und Phyſik, jahrelang vor einzelnen Körpern und Erjcheinungen ftehen, und den Schleier, welcher ihr Wefen deckt, nicht zu heben vermögen, und noch heute nicht die Urfache des Lebens kennen.

Mar e8 vielleicht lächerlich, wenn jene Forſcher alle Salze ald weientliches Material für die Metalle betrachteten? Haben fie nicht mit richtigem Inftinkt die Metallicität derjelben berausgefühlt, und ift das Sal nitri nicht das falpeter« . faure Oryd ded Kalimetalld? War e8 nicht ganz richtig, wenn fie die Erd» falze, als das figirende Princip der Metalle betrachteten, die, weil fie Durch Wärme flüffig werden, gleich dem Waſſer, alfo auch aus Waſſer beftehen follten?

Wollen wir nicht bedenfen, welche wichtige Rolle der tropfbareflüjfige Zu⸗ ftand der Körper und, ald Mepräfentant defielben, das Wafler auf die Umwand⸗ lung der Metalle in Salze, unter Mitwirkung anderer Stoffe, ausübt.

Wenn nun aber die Salze und die den Alchemiften befannten waren mei» ſtens fchwefelfaure, wie die des Eiſens, Kupferd und Zinks durch Behandlung mit Kohle in Schwefelmetalle verwandelt wurden und dieſe mit ber Verbreitung

Magie und Alchemie bes Alterthums. 651

biefer ewigen Weltfeele, Bott genannt, mehr zu wiffen, als Andere. Gie geben vor, mit dieſem Gotte in mehr oder minder näherer Verbindung zu ftehen und im Stande zu fein, Handlungen zu verrichten, beren Erfolge mit den Raturges fegen im Widerfpruch ftehen.

Es gab eine Zeit, wo man annahm, daß das Gefchid eines jeden Men- ſchen bei feiner Geburt beftimmt und bis zu jeinem Lebensende vorgezeichnet fei. Peftimmt wurde das Geſchick Durch die Stellung der Planeten und Birfterne und man nannte ein ſolches Stellungs⸗Verhaͤltniß, eine Eonftellation.. Man hatte beftimmte Bedeutungen für die verfchiebenen Planeten, gleich wie für die Karten beim Kartenlegen und beide Formen, die Zukunft zu ergründen, find eigentlich im Wefentlichen ganz gleich. Außerdem gab es noch Schugengel und Heilige, welche fich der einzelnen Menfchen ſchützend annahmen und Dämonen, welche verführend und vernichtent auf ſie einwirkten. Man nahm an, daß nicht felten fich zwifchen diejen über» oder unterirdifchen Welten-Bewohnern, ein Kampf. um das Geſchick der einzelnen Menfchen, oder einzelner Völker entfpänne. Schon im trofanifchen Kriege fehen wir, daß die Götter Partei nehmen für und gegen Trojaner und Griechen, für und gegen die einzelnen ‚Helden jener Zeit.

Drei Wiffenfchaften find aus dem Streben des Menfchen, das Wefen der Dinge und ihren Urfprung zu erforfchen und die Zufunft zu enträthfeln hervor⸗ gegangen, nämlich: die Magie, die Aftrologie und die Alchemie. Entkleidet von tem Moftifchen und Unwahren, zurüdgeführt auf die Forſchung durch den Verſuch und auf die Mathematif, find daraus entftanden: die Phyſik und Phi« Tofophie, die Sternenfunde und die Chemie.

Unter Magie verftanden die Eingeweihten, „die von dem Schöpfer geoffenbarte und in Die Natur gepflanzte Weisheit.” Don ihr fagt Agrippa: fie ift ein Name, dem Evangelium nicht unange- nehm. Die Alchemie, eigentlih nur die Gehilfin der Magie, befchäftigte ſich damit, die Quinta essentia, d. 5. das geiftige Element des Goldes greifbar dar⸗ zuftellen,, Damit e8 fich Durch Verirdung zu Metallen, Perlen und Eodelfteinen, zu der herrlichften Arznei umwandle, welche alle Krankheiten heile und dem alternden und ſchwachen Menſchen neue Yugend und neue Kraft verleihen ſollte.“

Hermes, ein Vorgaͤnger oder Zeitgenoſſe von Moſis, vielleicht eine my⸗ thiſche Perſönlichkeit, vielleicht gleichbedeutend mit dem Mercurius der Römer, dem Hermes der Griechen, der Erfinder vieler Künſte und der Schriftzeichen; der Sohn der Maja, der angebliche Verfaſſer vieler Schriften, theils Unterſuchungen über das Weſen Gottes und die Geſchichte der Schöpfung und Forſchungen über das Weſen der Dinge enthaltend, wird als Vater der Magie und Alchemie betrachtet. Hermes Trismegiftus wurde von allen feinen Nachfolgern als ein untrüglicher Lehrer betrachtet und feine, oft in das Dunkel eines Orafelfpruches gefafften Angaben, wurden ein Gegenftand der Forfchung feiner Schüler und Anhänger. Rhazes, Geber, Raimund Lul, Richard von England, Arnold de Pillanora, Bafllius Valentinus, Bernhard von der Mark, Petrus Bonus Fer: rarienſis, Liberius Benedictus, Paracelſus v. Hohenheim, waren die Ausdeuter

652 Naturphiloſophie. en

ge ee bilofophi e finden, deshalb fo eifrig, weil man ein, Lehen und Gejundheit gebendes, - jüngendes Prinzip in demfelben gu haben glaubte, und nur in zweiten Nei fteht der Wunfch, unedle Metalle zu Gold umzuwandeln. Bis man auch nirgend Angaben, im welcher Weiſe die Quinta essentia, tinetur, ber Lapis philosophorum, in Wirflichfeit zu bereiten fei. Alle Schrifte Heller ftimmen darin überein, daß man das Waffer, ald prima materia, durch den Schwefel figiren und durch das Blur des Löwen, das im Feuer roſinroth dem Stoffe erfcheine, aus dem es bereitet werde, mämlich aus Erde, welche re EEE ala lbe Barbı müfe Laull; Grit im 16, Sabebunderte if das Beftreßen, Gold zu machen, vorher ſchender und jet findet man auch genaue Angaben, wie daſſelbe könne, Zuerſt bei Sendivogius ift ein ganz beftimmtes Verfahren weiches hauptſachlich darin beſteht, das gemeine Gold zu verjüngen, a irdiſchen Beſchaffenheit zu berauben, damit es als philofophiiches Gold unedle Metalle tingiren, alfo in Gold umfärben könne; leider ift Died Verfahren nicht im Stande feinen Zweck zu erfüllen. Im diefer Beit auch finder man eine Vers miſchung der rein philofophiichen bermetifchen Anftcht, mit chriftlichen Dog⸗ men und theoſophiſcher Schwärmerei, die fogar fo weit geht, in dem Abende mahle einen chemiſchen Prozeß bildlich Ddargeftellt zu ſehen. Bis ins acht⸗ zehnte Jahrhundert dauerte Dieje Epoche; fie zeichnet ſich aus, —— tauchen von Betrügern, die, unwiſſend wie ſie waren, den gen Anhaͤngern der Magie und Alchemie keine Belehrung geben dern ſich nur bemühten, unter den Vorwande, Gold in Goldtinktur zu deln, ihren Clienten das Gold aus der Taſche lockten, Gegen das letzte Drittel bes 18, Jahrhundert wurde allındlig von Stahl und Becher die I Breunftoff der Metalle, dem Phlogiſton, ausgebildet. Sie nahmen an, daß jedes Metall aus Metallkalk und Phlogifton beftehe und daß, wenn das Phlo— gilton entfernt, wenn alfo das Metall verbrannt werde, der Metallfalt, | heutiger Terminologie, das Metalloryd, zurückbleibe, Diefe Anficht war ſehr überzeugend, nur war fie leider nicht wahr, denn anftatt, daß das bem Verbrennen des Phlogiſtons hätte leichter werden müffen, wurbe +8 ſchwe⸗ ver, Mit diefer Tegteren Beobachtung durch Lavoifter, begann liche Erperiment in der Chemie zu berrfchen, 68 ſoll mein Beftreben fein, zu zeigen, welche Anfichten bie Magier über ben Urfprung ber Dinge, über das Weſen Gottes und über das Entftehen und Leben der Erde und ihrer Gefchöpfe hatten. Beginnend mit den hermetiſchen Lehren, als ben tiefften und am meiften verbreiteten, finden ——— Hermes die Magie „als die vom Schöpfer geoffenbarte und in Natur ſelbſt gepflanzte Weisheit“ erflärte; jie if ihrem Ur— jprunge nach nichts Anderes, als die Urjadhe ber Wirfung

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des, in der Materie arbeitenden Geifles Gottes, ber Die An— faͤnge durd) die Vereinigung zufammenjeht und wieder auf Löft in feine Anfänge. Die Magie ift ewig, fie ift ** Erſchaffung dageweſene göttliche Weisheit." 700005 „Die Erkenntniß der Magie war keine ————— fang derſelben, ſondern fie war vor ——— nur geoffenbart und erfamnt.‘ u er rin Mu Es iſt wohl feinem Zweifel unterworfen, unter Magie die PR von dem Wefen Gottes, dem Urfprung und dem Wejen der Schöpfungen ver= fand, daß fie aljo gleichbedeutend ift, mit den heutigen Begriffe der jogenann- ten Natur-Philojophie, der Naturlehre und Chemie, Sie iſt alſo eigentlich die Lehre von der Wahrheit und dem Wefen der Dinge. Die Wahrheit ift aber die Gleichheit der Idee, mit dem Gegenftande derfelben, Die Magie ift alfo die, vom Schöpfer geoffenbarte und in die Natur felbftgepflanzte Weisheit, fie ift die Lehre von dem Weſen aller Dinge, fie ift das Wefen der Dinge feldft. Demnach konnte fie auch nicht erfunden, ſondern nur gefuns den, nicht von ben Menfchen gewiffermaßen gefchaffen, fondern nur ala Vor handenes, entdedt werden. Alle Gefege der Gravitation, alle Geſetze der Phyſik, Chemie und Mathematik, fie find ewig, denm nur nach ibnen geſchieht Alles in ber Welt, fie mußten daher vor ber Schöpfung der Welt vorhanden fein, weil ohne. fie Die Welt als foldhe, alſo als: * fonnte, Wer Na w Die Magie lehet „im Anfange, im Schweigen, in be ewigen Binfterniß, überlegte Gott das; Weſen aller Dinge.” Es möchte faſt vermefjen erjcheinen, dieſe Behauptung aufzuftellen, allein die Magie nahm an, daß auch in Gott etwas Vergleichbares jei, ein Analogon von demjenigen, wovon der Menſch feine gewöhnlichen Erkenntniſſe ſchöpft, daß aljo die Annahme, Gott habe fo gut wie der Menſch, das Ebenbild ‚Gottes, vor der Erichaffung, oder Anfertigung eines Weſens oder Dinges, Das geiftige Bild vorbedacht, vollfommen gerechtfertigt jet. Bis hierber jyeint.es, als ob bie Magie einen perſönlichen, von der Welt getrennten, vor der Welt vorhandenen, diefelbe erjchaffenden Geiſt, Gott genannt, annehme. Spaͤter wird ſich zeigen, daß die Magie des Alterthums den Pantheismus vertrat, während das Minel— alter und die Zeit nach der Reformation, den perfönlichen Gott, den Ehriftus und ben heiligen Geift ber hriftlichen Dogmenlehre, als eine Hauptftüge für die Wahrheit der Magie anführten, denn fie ſahen in der Trimität der Glaubens— Ichre ein Analogon für die Trinität des Weſens der Metalle. Unter diefe Ub- irrung frömmelnder Alchemiften, welche deshalb nicht mehr den Namen de Magier verdienen, ſchweige ich vorläufig. Die Magie lehrt über die Schöpfung jelbft: | „Gott, das in. Pa he u das aleph tenebrosum ber Kabbaliften, begann fih auszudehnen und faßte den Entfihluß a Sogleich erfchien das aleph lueidum, ‚der leuchtende Anfang, und der erfte Ausfluß des Geiftes geſchah ins Gerz

Magie und Alchemie des Alterthums. 655 bens und der Bewegung ift, fo bat fih Gott in der Wärme mani— feftirt und man könnte daher fagen, da Gott aus fich ſelbſt heraus ihuf, mithin alles Seiende ein Theil der Gotheit iſt, je ift die Welt und Gott völlig stein und die Wärme ein = attribut ber Öottheit, |

Wir werden demnach das: —— ———— und Leben erhaltende, Leben ſeiende, aber Unwägbare und Unfperrbare, das velative Gewicht der, Stoffe verändernde, nur duch Ausdehnung meß— und erkennbare Etwas, die fogenannte Wärme, in intenfiver Form Feuer genannt, als eine der wefentlichiten —— der Beh müflen. . Licht und Wärme find aber. * ab daſſelbe Prineip, nur in der Der wegungsform verſchieden, deshalb ohne Wärme, als legte Urfache ber Aether⸗ wellen, fein Licht. Wo die Wärme ohne Licht erſcheint, iſt es freigemordeng Wärme, Urwärme, dem Dajeienden uranfänglich eingepflanzt und in ihm blei— bend, fein Sein, feine Form, fein Leben bedingend. Die Reibungs-, Con⸗ taet⸗ und Magneteleetrieitat ſind Bewegungsäußerungen des Stoffe; ein electri- ſcher Strom macht ein Eiſen magnetifch und ein Magnet gibt einen electriſchen Strom; ber violette oder blaue Lichtſtrahl macht eine aufgehängte Stahlnadel magnetiſch, das höchſte irdiſche Licht iſt im electriſchen Funken und der electrijche Bunfe leuchtet, ohne daß Körper in ihm zum Meifglühen fünen: & jehen wir Licht, Wärme und Electricum als Bewegungsformen ded Stoffes und den⸗ noch nur als die Ergebniſſe einer Bewegungsurſache, eines Prineips auf⸗ treten.

Wir wiſſen mit Beftinmtheit, dap der Aagregatjuftand, alſo die allgemeine Form des Dafeienden, abhängt von der gebundenen, d. he nicht durch Inftrus mente meßbaren Wärme, is, wenn es ſchmilzt, binder + 80° Wirne, zeigt aber nur Die Temperatur des fehmelzenden Eiſes, d. i. 0°, von da ab nimmt das Waſſer SO’ R. auf, welche durdy ein Inftrument, durch Ausdehnung meßbar find, gleichzeitig nimmt das Waffer aber noch 450° Wärme auf, welche nicht mefbar, aber in der Form der Ausdehnung vorhanden find, und bildet das mit Wafferdbampf, der im Augenblid des Entftchens mır 80° * aber einen 1700mal größeren Raum einnimmt, wie Das Waſſer. Ir Dieſe Erſcheinung der Nichteinwirfung der gebundenen Birne auf den Wirmenefjer Hat zu vielen, ſehr gezwungenen Hypotheſen Anlap gegeben.

It die Wärme gleich Ausdehnung, gleich Molecularabftoßung, gleich Re— pulfiofraft, hat jedes Atom einer Subftanz eine Wärmeatmofphäre von einer beftimmten Größe und ift die Dafeindform der Körper abhängig vom dieſer ge— bundenen Wärme, fo ift es ganz natürlich, daß die Wärmemenge, welche bie Dafeinsform der Körper oder des Stoffes bedingt, nicht gemeffen werden fann, jondern nur die Vermehrung der Wärme, weldje der Körper bi zum Eintritt der nächftfolgenden Dajeindform erleidet. Der Eintritt biefes-Zuftandes ſelbſt erfordert wiederum eine beträchtlichere Menge von Wärme, welche gleichfalls nicht meßbar ift, fondern auf dem Wege der Schlußfolge und eines; mittelbaren

Wir jehen hier den Anflang an die hriftliche Trinitätslehre, Die eigentlich völlig übereinftimmend ift mit den Lehren der Brahmanen, welche auch die Fleiſch⸗ werdung des Brahma in * Perfon des —— —— einer Gottheit, lehren. A 7 EHE STE ZZ —⸗

2) Ich Bin jeneb Lit, I in Geif, dein Got, Alte als die feuchte Natur; welche aus der Finſterniß auftauchte, fpricht Gott. ro TEE 7

3) Nachdem das chaotiſche Waller von dem Geifte Gottes befruchtet und durchwärmt war, fchied ſich das Feuchte von dem Trodenen. Und Gott ſah in jeinem ewigen Bilde, Idee, alles Dasjenige vorher, wovon fein wefentliches Ab⸗ bild vorhanden war. "Die Güte und Schönheit des en * dad Andere zu ſchaffen. alle ee en

Wenn man fieht, daß jedes. Geſchopf nach SeRimimten —— bet iſt und ſich im gleicher Weiſe fortpflanzt, wenn nicht allein die Äußere Geſtalt, die Farbe, die Gewohnheiten, Die anatomiſchen und phyſiologiſchen Eigenthüm— lichkeiten und endlich auch die hemifchen, ſtets biejelben find, wenn man findet, , wie die gleichen anorganiſchen Körper, wo fie ſich auch finden mögen, gleich zu— ſammengeſetzt find, und zwar mit mathematischer Genanigfeit gleich, fo fommt man zu dem unabweisbaren Schluffe, daß eine Geſetzmäßigkeit im Weltall vorhanden ift, dergemäß alles Gefchaffene gebildet ift und fich fortbilde.

Findet man ferner, daß die organifchen Körper nur aus einer geringen Ans zahl von Stoffen beftehen, daf Kohlenftoff, Sauerſtoſſ, Sticſtoff und Waſſerſtoff die Beſtandtheile derfelbtn ausmachen, daß Kalk, Koblenfiure und Phosphor: jäure das innere, oder äußere Knochengerüſt der Thiere bilden, daß das Blut noch Gifen, das Gehirn und die flüfjigen Beſtandtheile des Körpers noch Phosphor und Schwefel, und daß alle thierifchen Flüſſigkeiten noch Kochfalz enthalten, daß das Blut und Fett bei allen Thieren gleich zuſammengeſetzt ift, und findet man trog Diejer Nebereinftimmung und Einheit, eime fo unendliche Mannigfaltigkeit, jo fommt man wieder zu dem unabweisbaren Schluffe, daß nicht Die Veftand- theile der organischen Gefchöpfe ihre Verfchiedenheit —— 2 —— dieſe ein anderes Verhaͤltniß maaßgebend ſſe. J

Ein Beiſpiel wird die Wahrheit dieſes Sau beqt far: ER unterſu⸗ chen wir Gier von Adlern, Gaͤnſen, Rachtigallen und Eulen, fo finden wir gleiche anatomifche und chemifche Verhäftniffe. Segen wir ſie der Wärme eined Brüt- ofend aus, damit nicht gefagt werden Eönne, die Brutwärne der Mutter fei vom Einfluß gewefen , fo werden aus rin und bemfelben Materiale doch vier Geſchöpfe mit ganz verfebiedenen Formen und ORHOAE gene welche „> Erzeugern auf's Genaueſte gleichen. |

In e8 num aber nothwendig, daß für jeden Geſchaffene ein geiſtines Bin, eine Idee vorber vorhanden war, bemgemäß der Stoff angewiefen wurde, fich zu formen und zu bewegen, aljo zu leben, fo folgt Ühraus, daß dieſe Idee nur von dem Urgeifte ausgehen konnte, daß fie alfo in Gott ſelbſt, abjolut, daß fie war, und baf fie fein wird, wenn auch nen; agree en beftebt. Wenn Hermes Trismegiſtus alfo jagt: m Ir

* Magie iſt ewig, ſie iſt die, vor der Erſchaffung Bosco gie

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Magie und Alchemie des Alterthums, 659

im freien Zuftande beobachtet und dann treten fie in der Form polarer Gegen» füge auf, mit bem Bejtreben nach Ausgleichung. tr MITTE rl

Man hat zwar biefe Gegenfäge als Wärme und Kälte, Licht und Finfter- niß, pofltive und negative Glecteicität, nord= und fübpolaren Magnetismus an⸗ geiprochen, allein was können diefeBenennungen zur Erklärung der Urfachen und bed Weſens biefer Erfcheinungen nügen? Sehen wir nicht eine andere hervorrufen und fie ſich gegenfeitig vertreten? un

Hier haben wir die Gottheit zu ſuchen, hier im be hei ie Einheit zu finden, hier im den Leben gebenden und Leben erhaltenden, bas Weltall durchbebenden Strömungen, —— und den Urſprung der Ma⸗ terie zu ermitteln.

Sehr bezeichnend nannten die Magier deö Alterhums 8. Dionpfus, Arcopagita, die Oottheit: die Heimlichfeit Gottes, arcanum divinitatis, occultas illud substantiale; andere nannten Gott : das in ſich ſelbſt zurüctgegogene Geheim- nif, Die Monas solitaria, welche durch bie Ausdehnung ein Anderes, nämlich die Welt ſchuf. Es ift noch oft ein Streit, ob bie Kraft etwas von der Materie Verſchiedenes fei; denn es gibt Forſcher, weldye beide als getrennt denken, Wenn man analytiſch zu Werke geht und für den Stoff die Chemie, für die Kräfte da- gegen die Phyſik ald Beweismittel annimmt, jo könnte man an das getrennte Da- fein beider glauben, _Dieje Annahme ift aber unrichtig, denn der von der Chemie dargelegte elementare Stoff eeifist nur durch jeine ern * iſt von denſelben untrennbar.

Dan kennt alfo den Stoff nur durch feine Gigenfehaften, und nach geiliger Abziehung diefer, oder nad) der chemischen Veränterung, d, h. alfo durch Hinzu- fügen neuer Eigenschaften, durch neue Stoffe, kann man die Qualität tes Stof- fes entweder völlig verfchwinden, oder vollftändig verändern laſſen.

Nehmen wir ein Beifpiel: Gold hat eine gelbe Farbe, fügen wir Kupfer binzu, jo wird ed roth, mit Silber wird es blaßgelb; löſen wir «8 in Golb- ſcheidewaſſer, jo bildet «8 nach dem Eintrodnen ein gelbbraunes Salz, mit Zinn- falz und Glas bildet e8 das Rubinglas. Es folgt hieraus, daß die gelbe Barbe nicht Attribut des Goldes ift, ſondern daß das Gold das Licht mit gelber Farbe zurückwirft. Aber ſelbſt als Metall färbt es das durchgehende Licht nicht gelb, fontern violett. Da aber ein und derſelbe Lichtſtrahl durch ein und daſſelbe Metall verjchieden verändert wird, fo folgt daraus, daf nicht das Gold bie gelbe Farbe ald Eigenthum, fonbern ald Lehn hat. Daraus folgt:

bie gelbe Farbe, als zerlegtes Licht, ift nichts als Licht, und gehört nicht dem Golde eigenthümlich, denn mit demfelben Nechte könnte man fagen, bie vio— Iette Barbe des durchgehenden Lichtftrahls, ober bie rothe des Mubinglafes, in welchem das Gold —— und im befindet, ſind Attribut des Goldes.

Wir gehen weiter: das Golb hat A Slanj if das Er⸗ gebniß der Glaͤtte der Oberfläche eines Körpers und entſteht dadurch, daß nur eine geringe Verſchluckung von Licht und Wärmeſtrahlen fiattfindet amd der größte Theil der, auf die glatte Oberfläche fallenden: ln ee

Magie und Alchemie des Alterthums.

ten des metalliſchen Goldes durch das Hinzutreten einer neuen Qualität v verfchwindend gemacht, fogfeich aber nach Befeitigung dieſer Qualität wieder, Gold erſcheinen kann, will ich hier die Verhaͤltniſſe des Geldes machte Cyan berüdfichtigen. Wird metallifches Gold mit Chlor oder Cyan verbunden, jo verliert es alle Eigenſchaften des Goldes und wird in Waffer mit Leichtigkeit: löslich, Sept man das Chlorgold dem Lichte aus, oder fügt man zur Löſung deſſelben etwas Eifenvitriol, fo ſcheidet fich wieder das Gold in Metallform ab,

Löoͤſen wir Golb in Ehlor, fo wird ein eleetrifcher Strom, alfo freies Elee— tricum, beobachtet, und an Stelle diefer aus dem Golde entfernten Bewegung tritt Chlor mit den übrig gebliebenen Eigenschaften des Goldes in Verbindung und bildet nun einen dem Golde völlig unähnlichen Stoff. Chlorgold ift alfo vielleicht: Gold ohne Electricum mit Chlor. Wenn man mittelft eines Kupfer- oder Silber», oder Platinftreifens Electricum in die leitet, he wird Chlor frei und metallifches Gold erfcheint. ,

Man fleht alfo, wie das Gold ald metallifcher Stoff nichts anderes ift, ats das Product von immateriellen Eigenſchaften, wie es aufhört, Gold zu fein, fo wie dad Zufammenwirken dieſer Gigenfchaften geftört wird, und wie es Wieder als Gold erfcheint, fobald diefe Störung entfernt wird,

Gehen wir num auf den Zweck diefer Beweisführung zurüd, fo ift er in der Abjicht gefchehen, um zu beweifen, daß die Gottheit, jobald fie Kraft oder ein Aggregat von Kräften war, nichts anderes nöthig hatte, ald dieſe wirfen zu laffen, um die Materie zu fchaffen, und daß die Vereinigung biejer Kräfte zu Stoffen nach beftimmten vorbedachten Gefegen erfolgen mußte, daß aber, wenn dies der Ball ift, kein biäher als elementar angenommener Stoff wirklich ein eins facher, elementarer, fondern ein zufammtengefegter ift, und daß, wenn e8 gelänge, die Geſetze diefer Zufammenfegung zu finden, es auch nicht in der Unmöglichkeit fiegt, fogenannte Elemente, als; Kohle, Chlor, Gold, Silber, Eifen ı. au machen,

Die Magie lehrt: Nachdem bie Gottheit, die in ſich ſelbſt ———— gene Monade, ſich auszudehnen begonnen hatte, faßte ſie den Entſchluß zur Schöpfung, und ſogleich erſchienen als erſter Ausfluß des Geiſtes der leuch— tende Anfang, der Gegenſatz ber Ruhe und ber Finſterniß. Der Ausdehnung folgt der nothwendige Gegenfag, die Zufammenziehung, und wenn wir dieſe beiden Thätigkeiten als Urthätigfeiten bei der Bildung der Materie betrachten muͤſſen, da ohne diefe Fein Körper entftehen und beftehen Fan, fo find diefe als Ergebnif der polaren Gegenfäge anzujehen. Haben wir aber ſchon früher geſehen, daß Wärme, Ausdehnung und Repulfton völlig gleich und iden- tifch find, daß die Zufammenziehung aber wieder nichts anderes ift und fein kann, ald verminderte Ausdehnung, verminderte Wärme, denn dieſe wird dabei frei und meßbar, verminderte Nepulfton, aber doch immer noch Wärme ift, fo folgt, daß die polare Spannung nicht das Ergebniß zweier Kräfte ift, ſondern nur ein Qualitaͤtsverhaͤltniß ein und deffelben Agens. Wer könnte behaupten, daß Wärme und Kälte Gegenfäge find? Müßte man zu biefer Behauptung nicht die Kälte fennen? Und wer hätte jemals bie Kälte beobachten können?

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Magie und Alchemie des Alterthums. 663

„Die Erde iſt in ihrer erften Natur verändert, denn wenngleich mit dem Waſſer verbunden (Chaos), fo it fie doch Feine Jungfrau mehr, da der Geift

Gottes auf dem Waſſer, der anfänglich ka

und ſchwͤngerte gen Aus diefer Bejchattung entfprang: > > ‘ak 1) die fpiritunliche Frucht, Dt fe, in mi dem Br Gehh ahe

der Adler (Wafferdampf), { ei tun le nnd az an 2) die Erde, welche gleich ift dem Löwen oder König.“ Nun Ka

„Weil die Erde aber fchwer ift, deshalb fucht fie ihr Gentrun.” Als nt: gegengeſetzt diefer Erde und diefem Waſſer wird betrachtet ‚‚Calor solis oder na- turalis, ald natürliche Wärme aller natürlichen Dinge, ein Subjectum des ober fien Himmels und deffen Influrus, nämlich der Seelen, 97 nn,

War aljo in dem Waſſer bie prima materia der Metalle gefunden, da ja auch dieſe theils durch Wärme flüffig, ja felbft flüchtig tote das Waffer werden, war ferner das feftmachende Princip in der feſtbleibenden Erde enthalten, jo war es num Aufgabe der Magie und Chemie, aus der irdiſch gewordenen Erde das für die Bildung der Metalle wirffame, der „kothigen Erde“ beigemiſchte feine Salz auszuziehen und mit dem Adler, dem reinen Waſſer der Wolfen, zu ver» binden. ‘Mit der Bindung diefer beiden Elemente der Metalle war aber noch nicht genug gefchehen, es mußte nun Das determinirende Princip,, Die Seele des Ganzen, gefunden, dargeſtellt und mit den beiden erfteren vereint werden; erſt mit dieſer Bereinigung hatte man ben Stein ber Wellen, das große Geheimniß, die wahre Quinta essentia, den Lapis philosophorum entdedt, und war im Stande, mitteljt derfelben „‚Brojectionen’‘ zu machen, d. h. * —— zuwandeln, und zwar in großen Maſſen.

Es heißt: ‚Als britted Principium iſt N der Sri Both; der auf dem Waſſer ſchwebt. Dies it die Weltjeele, deſſen Corpus der Glanz des Goldes ift (Sonnenfchein). Bei der Schöpfung ift nun der Seit Gottes nicht von Waffer und Erde gejchieden, fondern zwei find in Einem geblieben, alſo der Geift auf und bei dem Waffen, Be iſt dad ——— ſuchen. u A „Bei der Bereitung des Goldes / bei diefer mitroto9mifggen und philoſo⸗ pbiichen Greation, fann man den Glanz des Goldes, das dritte Prineipium, Die ichöne rothe Goldfarbe für fich felbft nicht haben, fle verliert und verbirgt fich, wenn man aus Ginem zwei macht, aljo die philofophliche Erbe (Salze) - philoſophiſchen Waſſer (deftillirtes Waſſer, Negen) trennt.“

Theophraftus jagt: „Weil Die Seele im Blute iſt und das Blut im Kir per, der Glanz bes Goldes aber der Seele, dem Gifte Gottes, gleich iſt, alſo muß berjelbe bei dem Körper (Erde) nad) der Trennung von dem Waſſer blei- ben. Deshalb it der Glanz des Goldes das Blut des Löwen.“ Dies Blut des Löwen zu gewinnen und baraus die Geele zu fcheiden, das war das höchfte Biel der Alchemiften. Man firht aus den Mittheilungen, daß es ſich nicht da= rum handelte, durch Vermiſchung von Metallen oder chemijche Behandlung der⸗ felben das Gold zu erzeugen, fondern man ſtrebte danach, das Prineip zu finden

Magie u Gottes (Beuer, Sonnenwärme) bie Erde daraus abſchied, jo find, da noch Waf- fer in der Erde enthalten, alle dieſe drei Elemente zur Goldtinetur im der Erde enthalten, und im Beflge der Kunft ift man im Stante, aus jedem Etücd Erde die Quinta essenlia zu bereiten. u Te 75 IT EEE 2 ze et

Im Nucleus sophieus, von Liberus Benedietus gefchrieben, heißt ed:

—— Anleitung Theophraſti, was dur mit

se hifchen Materie fürnchmer nämlich) daß du zwei Ding, ‚jo darin verfchloffen „> alß:erffich:ben: ‚Aoler (Wafler)'oderden Rereurium;'und dann dasGorpus, das Salz, welches als ein Balsamum perpetuum auf das dritte Stück, ald die geiftliche Seele, den Glanz des Goldes, ober den rechten Gold» jamen in ihm hat, ausziehen follft, nach dem Rath, welcher bei dem Dvidio die Medea dem alten Theſeo (jo gerne wieder jung gewefen wäre) gegeben hat, daß er nämlich feine Glieder durch die Anatomiam von einander theilen und nadı= mals wiederum biefelben in einem warmen Bad vereinigen laſſen follte, fo würde er jünger werden in vielen Kräften. Wie du mım aber folche Theoriam follit ins Werf jegen und was der modus operationis fei, Dadurch, daß man aus einem Zwei und aus Zweien drei erlangen follte, jo kompt Theophraſtus nun auf die Prarids. Denn eines verftändigen Künſtlers Ampt tft, ein Ding EUR feine Urfachen erforjchen, bevor er zu bem Werk felber fchreitet.

„Run mußt du aber wiffen, daß es ebem eins iſt, bu Sraucfkianfängtich ein Ding, oder zwei Ding, denn man findet unfere Materiam wohl am einem Stüf, fo findet man fie auch am zweien Stüden unterſchiedlich, daß die Natur ſchon aus Einem Zwri gemacht bat, wie foldye duplieitatem subjecti nostri, Fer- rariensis ſehr fein bejchreibet und fpricht: das erfte und urfprüngliche Element, von welchem alle Elemente herruͤhren, iſt die Beuchtigfeit, oder das Waffer, oder nad) anderer Meinung die Erde, Es frei nun, welches wolle, fo iſts eben das. In der Subftanz ift von Anbeginm der Welt nur ein einiges Element. Welches ift die erfte Matery; durch deſſelbigen Beriheifung find vier Elemente geworben durch die Wiederfegung der vier Eigenſchaften, welche in demfelbigen verbors gen waren. Nimmt du eines allein (Erde), jo mußt du erft zwei daraus machen, nimmft du aber zwei, ald Erd und Waffer, jo bift du der Mühe überhoben, zwei daraus zu machen, und darf dann nur das dritte hersorbringen, welches in dem einen verborgen ift, nämlich das Blut des Löwen (Salz). Dies ift die Braut, darum man tanzet, nämlich der Samen des Goldes, der, = —— zu ge⸗ baͤren, von Gott und der Natur verordnet, Far 7’

Dieweil er aber zwtief in bie —— und mit deren Leberflüfjigfeiten zu ſehr gebunden, kann er fein Ampt nicht ver= richten, es jei denn er durch einen vulkaniſchen Schmiedegefellen (Beuer) von allen Schlöffern feines Gefengnuffes und allen Banden (erdige Beimifchungen) damit ihn die Natur gebunden, frei erledigt. Diefer Urfachen halben haben die alten Bbilofopbi und Theophraftus ala ein Neuer, alle Müh überftanden, damit fte Durch das Niederfahren uneres himmliſchen Adlers (Waſſer) zur Höllen (In— neres der Erde) dieſe arme gefangene Seel (Blut des Löwen oder Salz der Erbe aus der ewigen Finfternuß erlöfen möchten, Alſo haben die Alten dieje beiden

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Magie und Alchemie des Alterthums. unter nz nenne nn

jagen, daß fie nicht Deutlier Daräben fyecigen Härfem antita eb einsehen Sache fei, mach den gegebenen Mittheilungen weiter zu forfchen. Selbſt Dies jenigen, welche in ihren Offenbarungen noch einen Schritt weiter gehen, bewegen fi) auch nur in ungewiffen Angaben, Bernhard von der Mark (1490) jagt: „Nachdem nun bie erfte Arbeit vollendet, bat man das Del und das Waffer noch bejonders zu reinigen, alle Schlöffer (Erde) fo noch darin’ find zu entfernen und bie freie Zeugung zu befördern. Dies ift das erſte Werk, die Reductio der zerftreuten erften und ———— —⏑—⏑—⏑⏑⏑——— Regressio in matris uterum. m eure 4 Es werden —— —— bie drei natürlichen Principien: der spirilus animatus Mereuru (Waffer) et va- por sulphureus hama nr Aare 2. urn and Licht gebracht. ‘' 1a wa! DEEOTE Es ——— einigten Adler oder philofophifchen Mercurius (Waffer) und dasirotbe Blut bed-Röisen (Goltiame) in eins zu machen, alio bie Conjumetio solis et lunae, Adami et Evae, des Himmels und der Erde, die Vermählung beider zu bewirken.“ Calid jagt: dies farm nur durch Die Bereinigung ihrer Gentrorum gejchehen; gegenfägliche Dinge, deren Centra nicht aleich«find, können ſich nicht vereinen, es ſei denn, daß die Natur derſelben vorher gleichfam verkehret und von Gott verändert jet. Darum, wer die Seel in Leib und den Leib in Seel verwandeln und die fubtilen Geiſter der ng tingiren“, bas beißt: in Golb verwanbein.y = ur im Til ET a Theophraſtus, ein Gpeniter und feibhnandiger Geiſt, ſond Kat heraus, daß nicht jede Erde Die drei Elemente zugleich, ja auch außer dem Waſ⸗ fer, nichts vom den anderen Elementem enthalten.) Er gab daber den Rath, fich die Erde, welche den Löwen enthielt, in Ungarn, die, welche den Adler in ſich ſchlöſſe, in Iſtrien zu ſuchen. Es kann nicht bezweifelt werden, daf er die Erde, welche das Quedfilber enthält, aljo ben Zinnober und das Lebererz, welches in Iſtrien gefunden wird, hiermit gemeint hat. Dem des Chriſtophorus Parifienfis, der da jagt? 0000 „Wenn du auszeuchſt von. der Statt Venedig, feifahrenfo-weitrauf die rechte Hand, bis du findeft ein fchön ebenes Land; Da ift unfer Mercurius, jet er nun gleich in forma liquida (alfo gebiegen) oder coagulata (Schwefelquedjil- ber), fo ift er an obgemeldeten Orten feiner ſchönen rothen Farbe halber am beften, ob mand wohl in Tentfchlandt und an anderen Orten auch findet,” Daß m gleichfalls Iftrien gemeint ift, —r ie bevor. 70m Es heißt ferner: I TE . ll .z |

Magie und Alchemie des Alterthums. 669 teig dem ganzen Teig überwinde und wie ausıdiefem Zeig wieder Sauerteig ers zeug: und wieder en * ———— qu Fönnen; der Art, daß wenn: 1-&hel des philoſophiſchen Steins ober ber Tinctur (Bärbemittel) 100 Theile Gold —* hatte, ſo konnte man wieder mit einem Theile dieſes Goldes 100

in Goß verwandeln, und fofort. Es heißt im Nucleus sophicus:! hin or“ EEE Er Tree NZ Ze Tr ET TI

Xehg) verwanbelkumieb Dura badjenig;, fo ihrer Natur ift und welches aus ihnen, nicht aber aus wibenwertigen Dingen herkommen ift. Denn wie der Sauerteyg feinen Urjprung von dem Teyg hat und den Teyg in ber Metallen gemacht und verwandelt im ſich alle Metallen, : Und weil bie Mer tallen aus dein Mercurio und Sulphure generirt find, brumb muß died fermen- tum auch aus demfelben generirt fein, Und weil Dies ferment bie Borm bes Goldes ift, auch aus der Natur und Digeftion des Goldes, hi 03 auch die Metallen zur Natur und Digeftion bringen

Wenn durch den Act der Faͤulniß aus: Mehl und Waffer- und unter-Ein- fluß gelinder Wärme, die Bildung des Gaͤhrungsmittels, alſo eines in Molecu⸗ larbewegung begriffenen Stoffes, hervorgeht, und wenn diefer bewegte Stoff im Stande ift, große Mengen eines, in der Ruhe begriffenen ähnlichen oder gleichen Stofr feö in benfelben Kreis der Bewegung hineinzuziehen, fo iſt in dieſem Vorgange ein großes, durchgreifendes Naturgefeg wirffam, ein Gefeg welches die neuere Chemie und Phyſik erſt mit Praͤciſion ausgefprochen hat. Wenn num auch die Umfegung der zufammengefegten organijchen Subſtanzen eine leichte iſt, und wenn es für jet noch unmöglich erfcheint, die als einfach angenommenen anore ganiſchen Stoffe in gleicher Weife umzuwandeln, fo liegt darin wicht bie Unmög- lichkeit für immer, Hier erinnere ich nur am das Ozon, eine Dafeinäform des Sauerftoffs, welche vorzugsweife oder vielleicht allein im Stande iſt, chemiſche Verbindungen einzugeben, und deren Unterfchieb vom gewöhnlichen Sauerftoff nur in feinem electrifchen Verhalten berubt. Man glaubt fich berechtigt, daß auch der gewöhnliche Sauerftoff eine Verbindung von + electrifchen und elee⸗ triſchen Sauerftoff it. Iſt Dies —— ge u Sauerftoffs in Frage geftellt. ) re n

| Beintiennuftz Üncfahren nike einem web gang der Gaͤhrung und ber Vervielfältigung: des Gaͤhrungsmittels aus dem, in Gaͤhrung verjegten Körper ſelbſt beobachtet hatten, fo war es gewiß verzeiblich, ein Gleiches bei ——— Umwandlung der Metalle ausführen zu wollen, u, . AT ht un Hr N

Bor allen die Warne durch welche das Reifen der Metalle bewirkt werben ſollte. Auch die Umwandlung ber weniger koſtbaren Steine in edle Nus binen war bie Abjicht der Alchemiſten; es beißt im Nucleus sophicus : Unſer Stein (Lapis philosophorum) muß alle ungeitige Ebdelftein zeitigen und in Die höchſte rubinifche Vollkommenheit bringen. Ich, weil ich weiß, Daß ſolche Ga-

670 MNaturphiloſophie..

weifien"Abler (Wafler) aus Kleinen Perlen große zu machen, serien lich alle philoſophiſche Arbeit verrichten durch die modos operandi, al sublimiren oder destilliren, reverberiren

oder putreficiren, —— coaguliren oder figiren, und dann ſermentiren.“ ——

„Dies fehnd die Staffel, dadurch du zur Weisheit ee

un zu deſſen rechten Hand erfinden wirft, und den Baum des Lebens, zur linken Hand aber iſt und dad Ende dieſer Kunſt ift langes, geſundes und ehrliche Untere haltung deffen auf dieſem Jammerthal.“ —⏑—⏑—— So mag nun. ber Gelußfap- aus bem Nuclens'sophicus, den Beweis geben, welcher Art die Beſtrebungen ber wahren Magier und Alchemiſten waren, und wie das Goldmachen ſelbſt erft in Die zweite Reihe derfelben geftellt wurd, Die Ausſichten, welche die Magie ihren Jüngern ftellte, waren allerdings ſehr verlockend, und es ift nicht zu verwunern, daß manche Berfonen-ihr ganzes Leben damit verbrachten, den Stein der Weijen, das große Mofterium zu finden, und große Geldfummen zur Erreichung dieſes Ziels verwendeten 1 0 ‚Graf Bernhard von der Mark (Trevisanus), im 15. Jahrhundert lebend gibt im feinem Buche einen treuen Bericht von feinen Reifen und Geldopfern, von den Tänfchungen, welche er erlitten, avie er immer neue Geldopfer und Meis fen machte, um endlich fein Ziel zu erreichen, und wie er endlich im hoben Alter von 73 Jahren zur Bereitung des philofophifchen Steind gelangte umd denfelben viermal anfertigte, wie 08 ihm gelungen, mit demfelben viele ſchwere Krankheiten zu Heilen. Im zweiten Theile feiner chemiſchen Schriften fagt er, daß er zuerſt bie Schriften des Rhazes vier Jahre, mit einem Koftenaufwande von 800 Kro— nen, ſtudirt habe, daß er dann in dem Archelaus ee Wahrheit geforfcht, gleich mit einem Mönche, und daf fie nebenbei des Nupesciffa und Sacrobuſtus geprüft und ſich damit Sefchäftigt,, Weingeift 30mal zu rectifieiren und über bie zurüdbleibenden Trebern abzudeſtilliren. Diefe Verfuche Fofteten 300 Kronen, Jetzt wurden die Angaben Geber's, des

Arabers, geprüft, von welchem er, wie er fügt, „ſo viel verſtund, als eine Gans,

und hatte nicht Acht, daß ex ſelber warnet, da er fpricht; Tu autem porrige ma- num ad dieta nostra, alias invanum studes‘‘; er verwandte viel Geld zu Meifen,

damit er Jemand fände, der es verftände, dem Geber nachzuarbeiten, „denn ſolche

Geſellen, jo was wiſſen follten , Famen zu mir nicht, ich mußte ihnen nachreifen und hart genug feiern, Es bekam mir aber wie dem Hunde das Gras, fand Betrüger genug und koſteten mich in 6 Jahren bei 2000 Kronen.“ Nam sero sapiunt Phryges, durch Schaden wird man Flug; hätte ich auf Rhazes geachtet, wie er fagt: qui prineipia naturalia in philosophia ignoraverit, hie jam multum

Magie und Alchemie des Alterthums. 671 remotus est ab hac arte, quoniam nom habet radicem veram, super quam in- tentionem seam fuhrdels*H niı| aur Ran Tara Ver Kr num

Ich vergaß ſolches und legte mich ‚auf böfe ſophiſtiſche Mecepte, fo bie * erdichteten und umtrugen. Mit Solvirung, Coagulirung und Calei⸗ nirung, welches oft mehr denn hundert Mal geſchehen mußte, brachte ich zwei Jahre zu. Hernach arbeitete ich mit ſolchen erfahrenen Geſellen, welche Alles wußten, aus denen doch nichts gerieth im Vitriol und Alaunen, als da find: alumen rochae, glaciei, seissile, plumosum und de India; verſuchte mich aud) mit foldyen Vögeln zu flören in allerlei Markaftten , und nachdem ich den mine ralifhen Stein da nicht fand, judelte ich im Blut, Harn, Menſchenkoth, Haa— ren, Spermate, Eiern und anderen dergleichen fodomitifchen Dingen, wollte den Lapidem animalem daraus machen, kam immer weiter davon ab. Ich wollte zertheilen die vier Elemente im Athanor (ein Deftillirgefäß, wo das Deftillat immer wieder zurüdfließt), ich beftillicte per ascensum et per descensum, recti= fieirte, infurdirte, evaporirte, caleinirte, reverberirte, jublimirte und conjungirte, ich goß, ich feuerte und ſchmelzte, fo daß ich viele Jahre darüber wegbrachte, und da ich das 38. Jahr erreichte, arbeitete ich moch im Lapide vegetabili, wollte bie Goagulation des Mereurüi durch Kräuter und Thier haben, alfo daß ich in 3 Jah— ren fowohl durch mich, als durch) andere Betrüger, fo Rath und 9“ ben, an 6000 Kronen verbrauchte,

Da dies num auch der Weg wicht fein und nichts daraus werben follte, mie fiel mir das Herz. Indem begab es ſich, daß ein Richter aus meiner Heimath Fam, der auch bie Kunft fuchte; der brachte mich wieber auf das Kochſalz und fagte, er wollte den Lapidem daraus machen, Wer war fröblicher, als ich; des— halb begannen wir und folbirten das Salz in der Luft und coagulirten in der Sonnen, und thäten viel andere Ding, denn wir verharrten in folcher Arbeit 1!/2 Jahr und richteten michts aus, und ums gefchah berhalben recht, denn es fagt Geber: „„Quaerere in re quod in ea non est, hoc stulte proponitur.‘*

Ich wurde mit Schaden inne: qui eredit in mendacium et non seeretis philosophorum, perdit tempus et labores cum opere.“ IE

„Wir hielten nach ſolchem zuſammen, unangeſchen daf wir nichts audge- richtet hatten, und der fonjten mein Unterthan im meinen Landen, ber war in fremden Landen mein Geſell, denn die Raboranten feind alle Vettern, geben einander gute Worte, und boch behält jeder feinen Daumen in der Hand, und wenn man's beim Licht beficht, 2 iſ ihre AR ang: —— Schnee zerſchmilzt.“

„Da num das auch vorüber, * ich allein zu einem Mince, Doctor, mit Namen Gotfridus Leurier, wollten den Lapidem gar gefreſſen haben; er nahm 2000 Hühnereier, bie forten wir hart, fchälten die Schalen ab und eal— einirten bie fo lange, bis fle fo weiß warem ald Schnee; das Weihe und Rothe liegen wir zufammen im Pferbemift faulen, darnach deftillirten wir es 30mal und zogen daraus ein weißes Waffer und rorhes Del. In Summe, wir mach⸗ ten fo naͤrriſche Dinge, Deren a —2* Er rin dritthalb Iahre,” vo. —v

Magie und: Alchemie des Alterthums. 673 wandtnuß zu einander, jeboch kann Fein Vollkommnes ein Unvolllommnes perfis eiren, ob fie ſchon im Fluß mit einander vermifcht werden, denn wenn bu dad Gold mit Blei fliegen läßt und rührft es auf's Befte durch einander wird: doch ans dem Blei fein Gold, fondern das Blei verbrennt im Feuer und das Gold bleibt. zurũct u um aıland, ern Mo Ru u rn schlecht im ihrem erflen Grad perfeft, und wenn fie Durch Kunft nicht plusgtam- perfeet werden, können fie der imperfecten corporibus durch Miſchung nicht zw Hülfe kommen, aus Urfachen, denn ſie haben Feine andere Perfection, als fo viel ihnen zw ihrem Esse nöthig ift, fo denm feines dem andern geben mag, welches es jelbften mit nichten entrathen Fann, fo muß das, welches der Hülfe bedürftig | ift, alfo bleiben.” ni En

„Derohalben nahmen wir und num erſt vor, noch weiter zu reifen, durch— zogen manch Stadt und Land, denn ich war nun geweien in Rom, Navarra, Schottland, Tinkeh, Griechenland, Alrzandein, Barbatta, Perfia, Rhodis, in ganz Branfreich, ſchier allen Stäbten in Hifpanien, zum heiligen Lande, beſah ganz Italien, Deutſchland und England, zog hie und dorthin, fah fo viel Res cepte und Sophifterei, daß ich's nicht vermag anzuzeigen, denn ed war Jeder mannd Thun, wie das meine, lauter Affenfpiel. Sie deftillirten, feparirten die Elemente, caleinirten, folvirten, ſublimlrten, coagulirten den Mercurlum, und ſolches durch Kräuter, Stein, Waſſer, Oel, Beuer, Rauch, mit feltfamen Gejchir- ten gingen fie um, ſahe Niemand, der in der richtigen Materie arbeitete, Da hatte einer eine Oradation bon Curcuma (einer gelbfärbenden Wurzel), der ans dere machte Lunam (Silber) zu Olas, bald machte ein anderer ſchwarzen Zin- nober, wollte die Lunam damit zu Gold figiren, jest beflich fich einer den Ar- senicum zu figiren, jenes cementirte die Lunam mit Sallabros (kohlenſaures Kali), bald war eines anderen Arbeit in der Tutia (Zinforgb). Ja, mancher machte einen Geftanf mit Schwefel, daß einen das Herz hätte mögen zerbrechen, und ein Jeder hatte fonderlichen Schwefel; des einen mußte fein rother, des andern grauer, bed dritten ſchwarzer Roßfchwefel, der vierte wollte blauen Schwe« fel haben.”

„Sie arbeiteten alle in gang närrifchen Dingen; jegt follte es der Lapis mineralis, jetzt animalis, Iettlich der vegetabilis fein, war aber fo wahr, ala es wahr ift, daß ein Eſel ein welfcher Hafe ift; obgleich er lange Ohren hat, fo läuft er doch micht forgefchwind.“ „Daß in Summa mir auf folchen Meifen 130,000 Kronen verbraucht wurde, mußte ich Noth halber, wollte ich nicht da⸗ von lafjen und meinen ehrlichen Namen verlieren, meinen Sreunden folches mel ben und ihnen einen Theil meiner Herrfchaft um 8000 Gulden verkaufen, damit ich die Schuld abtragen fonnte, Ich blieb alfo in Erilio, die acht Taufend Gul- den waren vorgegeſſen Brod, wußte fchier nicht wo aus oder ein, hatte num faft 62 Jahre auf dem Halfe, war in Marter und Pein.“

Nachdem num Graf Bernhard wieder Muth gefaßt hatte, ging er nach Rho— dos, laborirte dort wieder 3 Jahre mit einem Manne, ber ihm 600 Kronen an= lieh, mit Silber, Gold und Quedfilberchlorid, ohne Erfolg; dagegen fand er in

IV, | 43

674 9... MRaterphilofopßie.. 7.

dem Codex totius viritalis den Spruch: Die Ratur wird nicht verbeſſert, «ls Durch ihre eigene Natur, und jet jah er fein irrthuͤmliches Berfahren ein. Nach dem er nun 6 Jahre lang die Schriften des Roſarius, Raymund Lull's, des Arnold von Billanova, ber Maria Prophetifia, ded Thomas de Aquino, bes Morienes, des Albertus Magnus und Anderer ftudirt hatte, da glaubte er end⸗ lich das Geheimniß gefunden, und behauptet, in feinem hohen Alter von 73 Jah sen ben Stein viermal erzeugt zu haben. Die Mittheilung feiner Erfahrung gefchieht im vierten Buche in der Form einer Parabel, nach deren Durchlefung man aber nicht Flüger geworben ift, ald man vorher war.

Wie hoch man den Stein der Weifen fchäßte, geht aus neqhfolgendem Verſe des Rofarius bervor:

Hier ift geboren ber Kaifer aller ahren; Kein hoͤher mag uͤber ihn geboren werden, Weder mit Kunſt, noch durch Natur,

Von keiner erſchaffenen Creatur.

Die Philoſophi heißen ihn ihren Sohn,

Er vermag alles, was fie thun,

Mas der Menſch von ihm begehrten, if,

Er gibt Geſundheit mit flarfer Friſt.

Gold, Silber und Evelgeftein,

Stärf, Sefundheit, fhön und rein,

Zorn, Traurigkeit, Armuth und Krankheit er verkehrt, Selig iſt der Menfch, dem es Bott befcheert.

Arnold von Villanova nennt in: domum dei preciosum, quod est super om- nium mundi scientiarum arcanum et incomparabilis ihesaurus thesaurorum.

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Südflanifche Bilder. Bon Dr. Vinks Ferrer Alun.

Das in Wiſſenſchaft und Literatur cosmopolitiſche Deutſchland hat in neuerer Zeit den flavifchen Völkern eine beſondere Aufmerkſamkeit zugewendet. Nament⸗ lich iſt es die Literatur eines Theiles der Südſlaven, die jugendfriſche Poeſie des ſerbiſchen Heldenvolks mit ihrer Fühnen Phantafle, ihren kraͤftigen Bildern und der Flangreichen Sprache, welche in mehr ober minder guten Ueberſetzungen fich einer großen Theilnahme in Deutfchland zu erfreuen hat. Die ſlaviſchen Völ⸗ fer, welche im Jugendalter den Schaupfag der Weltgefchichte betreten, welche bald als Halbeivilifirte Barbaren und Unterdrücker aller Gultur und freier Geiſtes- entwidelung gefchildert werden, bald aber auch durch zu draftifches Auffaffen und phantaflereiches Borführen von Eigenthümlichkeiten in Sitten, Gebräuchen, Dichtungen u. ſ. f. eine zu große Bewunderung erlangten diefe verdienen fiherlih, und Died vorzüglich in gegenwärtiger Zeit, die Beachtung der gebilde⸗ ten Welt, Das vornehme Ignorirenwollen, das Aburtheilen a priori führt zu Nichts, denn es ift abfurd, wenn gewifle Leute über den Slavismus ein Us- theil abzugeben fich anmaßen, die vom Slaventhume kaum mehr fennen, ald die banalen Phrafen von „Panſlavismus, Knute, Weltfampf des Germanenthums gegen das Slaventhum“ u, dergl. mehr.

Es kann nicht meine Aufgabe fein, das Slaventhum in feiner Totalität aufzufaffen und darzuftellen dieje Aufgabe würde für dieſes Werk zu umfaf- fend fein; ich will nicht einmal den gefammten Südſlavismus behandeln, ſon⸗ dern nach dem Grundfage: „multum, non multa“ nur Einen Theil deſſelben, einen, ber bis jegt außerhalb der Grenzen feines Wiege nur wenig befannt ift, Die Slovenen find e8, die ich den Lefern diefer Blätter in Sitten, Gebräuchen, Geſchichte und Literatur vorführen will, Doch kann der Zweig nicht gründlich analyfirt werden, ohne auf den ganzen Stamm bier und da einen. Blick, zu wer⸗ fen; die Hauptgruppe tritt nur dann lebendig hervor, wenn auch im großen Hintergründe die Vertheilung von Licht und Schatten zur Hebung bed erfteren Tunftgemäß ftattfindet. Meine Darftellung foll übrigens Fein aͤngſtlich nach Syſtemen geordnetes und ſtreng gruppirte® Ganzes, mit Gatheberweishejt unter⸗

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ihren Bi bein und Hier 2 igen, ———— und Senkungen, dort unterirdiſche Höhlen und rs mußten. Daher fommen bie vielen trichterförmigen Senkungen der Dammerde, fowie die Höh— len, welche bie juliſchen Alpen überall begleiten, und. deren Hacquet vom Tri-

glav bis zum Klef an 1000 zählte: ein character dieſer alpi⸗ niſchen Formation, durch welches ſie Minen, ine anderen in Guropa- ausjeihe net. (Nach Hlubef.),

Klein zwar iſt bie Fläche ‚bes Kerjogifums ‚Rrain. wenig mehr als 173 OMeilen), aber ungemein grof an mannigfaltiger Verſchiedenheit, durch die es das Intereffe des Befuchers zu feſſeln vermag, da jeder Theil feine befon- dere Gigenthümlichfeit aufweifet. Bei InnerKrain ift es nicht Die Oberfläche, die und anzieht, denn die Steimwüfte des Karſtes, ‚gleichjam ein großartiger Lei⸗ Henftein an dem Grabe der einftigen Vegetation, ſtimmt den Beſucher zur Weh- muth; aber, die unterirdifchen Wunder find es mit den großartigen Felſen⸗ domen und zauberhaften Zropffleingebilden mit den raufchenden Waffern , in denen der, mit Recht fo genannte krainiſche Höhlenbewohner ‚proteus angui- neus mit Bligesjchnelle durch Waflerwogen und Felſenriffe ſchießt. Dies fem gegenüber macht die majeftäsifche Alpennatur Ober-Rrains einen erheben⸗ ben Gindruf, und der Veldeferfee mit feinen malerifchen Ufern, dem Minerals babe, ‚den hiſtoriſchen Erinnerungen; bie wildromantijche Wochein mit dem herrlichen Alpenfee, der tofende Waſſerfall der Saviza u, ſ. w., laden alljährlich Fremde zu zahlreichen Befuche ein, Ueberhaupt bietet Ober-Krain Dictern und Malern der pittoresfen Bunkte in aberraſchender Menge, Gegen beide Theile bilder fodann das heitere Unter-Rrain mit feinen Föbfigen. Benokuera und Weinbergen, die anmuthigen Hügel mit Säufern be bejäet , die ſich wie weiße Perlen. auf einem grüm geſtickten Teppich ungemein lieblich ausnchmen, ‚einen freundlichen Gontraft. m} ‚naana:tziım uu Ib > Aıuhit Im idel

Wie verfchieden nun Die Partien, in ‚biefem an Naturmerfwürbigkeiten ſo zeichen Lande find, ebenſo und ‚noch mehr verſchieden find ſeine Bewohner im jeder Beziehung, was zufammengenommen eine veiche Quelle für den aufmert - fümen Beobachter bilbet, Der Charakter und Die, Lchensweift des Benohners wird durch die —— * —— je Deko.

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Abgeſandten de

erklären lieh, fie werde in das adriatifche Meer eine Flotte fenden, falls dieſem räuberifchen Unweſen nicht von Seiten der Republik werde gefteuert werben, Benedig wendete fih nach Wien und wünjchte die Entfernung der Uskofen von ber Kuͤſte; der Kaifer erklärte jedoch, auf dieſen Wunſch nicht eingehen zu kön⸗ nen, da hierdurd) das Volk fogar dazu gezwungen werden fönnte, in feiner Ver» zweiflung vom chriftlichen Glauben abzufallen ; zudem ſeien die Usfofen die befte Schutzwehr gegen den Erbfeind des Chriftentbumd, der hierdurch vom weiteren Vordringen zurüdgehalten werde. Erneuerte Kämpfe der Uskoken gegen bie Türken, die auf beiden Seiten mit mehr als vandalifcher Grauſamkeit geführt wurden, dann die Angriffe der Uskoken auf venetianifche Schiffe und ihre Be— figungen, endlich der zwifchen Berdinand und Venedig ansgebrochene Krieg, bes wogen Defterreich, dieſes nicht zu bändigende er von vr Soſte nach ıbam Inneren zu überſiedeilile. im I Nach den Archivacten der Stände Krains

Anſiedlungen in Krain ſchon um das Jahr 1530 und 1537. Anfänglich wählte ſich dieſe Horde ſelbſt ihren Hauptmann, in der Folge ernannte der Lanbesfürft aus ihrer Mitte einen Oberhauptmann, nämlich den Daya Despotovich, Laut Verordnung dato Wien 15. November 1540 wurde fodann vom Landesverwejer und Vicedom in Krain die Pfalz und Herrſchaft Sichelberg dem Barthelmä von Raunach als erften Uskofenhauptmann übergeben. Die Verwaltung war eine militärifche, dem Hauptmann war ein Lieutenant, 12 Mafolen, Wojwoden und eben jo viele Faͤhnriche untergeordnet, welche vom der Landſchaft bezahlt wurden, Die übrigen Soldaten erhielten feinen Sold, Dagegen aber waren die Usfofen von allen Steuern, Gontributionen und jonjtigen Iandesüblichen Giebigkriten “befreit; auch mußten fie im Orenzorte Flun den Wachdienft verfehen, welcher monatlich abgelöft wurde, Der Gauptmannfchaft waren noch ——— Krain liegenden, von den Usfofen bewohnten Drtfchaften unterworfen.

- ‚Unter den ihnen ertheilten Rechten und Freiheiten, bie ka auf die Handhabung der Juſtiz bezogen, ift befonders das Recht hervorzuheben, daß fie im Allgemeinen ** Naeh ee werben folln,. I un IM Nach hiſtoriſchen Ueberblice —— die inneren

Zuſtaͤnde, auf das häusliche Leben der Uskoken einen Blick werfen. Der einſtige Uskoke vereinigte in fich viele der Vorzüge und Mängel der Sübdſlaven im Allgemeinen, die ſich nach und nach verloren, wovon die Slovenen

681 Wenn Bneer Feen nd kam der Dever Brautführer mit feinem Pferde vor das Haus, hob die Braut vor ſich auf den Sattel, verhüllte ihr den ganzen Kopf mit: Tüchern, dar mit fie den Rüchveg zu ihrem elterlichen Sanfe mit mein: fiuhe,: mbifyrengte mit ihr zur Kirche, Vor dem Popen wurbe ihr die Trauung ging vor ſich, wobei der Bope das Brautpaar mit Noſen befränztr. Die Taufe wurde erſt vorgenommen, wenn die Kinder etwas erwachfen waren. ı Das Sinnige, Poetifche, das wir jo häufig in den Gebräuchen eines Vol- kes finden, ſo lange es noch frei im Naturzuftande lebt, comtraftirt jeltfam mit den Aeußerungen roher Gewalt, welche bisweilen unmittelbar jener poetifchen Anſchauung folgen; und doch find dieje beiden Erſcheinungen nothwendige Fol⸗ gen ihrer Lebensweiſe. Das Leben in der freien Natur wedt und nährt Die zar⸗ teften Gefühle im menſchlichen Bufen; die materielle Seite des Lebens, der Drang nach Wohlbefinden ruft nothwendig jene Kämpfe hervor, welche mit um fo grö- Berer Rohheit geführt wurden, als die allgemeinen Qumanitätsbegriffe, die Eivili- jation, noch wenig Eingang bei den Kämpfern gefunden haben. Erfranfte ein Uöfofe derart, daß man an feinem Aufkommen zweifelte, ſo mußte ſich ber Kranfe noch. ſelbſt waſchen, damit er rein vor dem Richter in jener Welt er- ſcheine. Nun tröſtete man den Sterbenden, erzählte ihm feine Heldenthaten, die ihn bei der Nachwelt verewigen follten, und ſchilderte ihm das Ienfeits in hofinungsreichen Bildern, Auf der Neife mach jener Welt, hieß es, werben ihn Die Engel begleiten und ihm feine tapferen Thaten vorerzählen. Ein Engel wird voranjchweben mit dem Säbel, mit dem er fe ritterlich gegen bie, Türken gekämpft, andere werden bie errungene Beute tragen; eim Engel werde Die Schafe, ein anderer die Ziegen und Bode, ein dritter die Pferde und Stuten, bie er mit freier Hand in fremden Orten erbeutet ‚vor ihm hertreiben. Beru—⸗ higt durch dieſe Tröftungen gab er jeinen Geiſt auf, Die Leiche wurde fodann unter irgend einem Baune begraben, Friedhöfe hatten bie Uöfofen nicht nachdem man ihr vorerjt ein Stüdchen Brot und eine Geldnrünge- rung mitgegeben hatte. Der Grabhügel wurbe mit 2 großen Steinen, einer an der Etelle des Kopfes, der andere, an jener der Kühe beſchwert, Damit ber Todte wicht mehr aufftehen und im- Haufe „umgehen‘ könne, Nachdem noch der Pope 4 Gulden bekommen, war bie ganze Bunctiom beendet, DEREN LDELGEITTEI EI Starb ein Kind, fo trug es Die Mutter-in der Wiege auf ihrem Kopfe nach dem Begräbnißplage, Während der Leichnam eingeſcharrt wurde, machte die Mutter dem Tode bie bitterſten Borwärfe, daß er ihr einen Fünftigen Helden - entriffen. Dann warf ſie die Wiege auf das Grab, ſprang jo lange auf derjel- ben herum, bis fie zertrümmert war, und heulte dazwiſchen beiläufig Bolgendes: „Du häßlicher, unerfättlicher Tod, haft du mir mein Kind gefreſſen, nun jo-frif auch noch die Wiege, damit du daran erſticken mögeft, und ftopfe Damit;deinen Mund, daß dir die ebenen ‚Somit war dens'mütterlichen Zart⸗ gefühle Genüge getban. 1 147 ln em) A RR ae Sehen wir und num * die aue Kracht. dieſes Volksſtammes an: Die

Sudſlaviſche Bilder, 685

zweite Weife ift folgende: Man bebient fich eines Bogens aud einem zähen Bir⸗ fenafte, den man mit einer Sehne über einen Stab ſpannt, am welchem eine Lockſpeiſe angebracht wird, Wenn das Thier am Köder zu nagen anfängt, fo reißt die Schnur los, der Bogen fehlägt an eng Snap gefangen zurück. Hat man in einer Nacht gegen 20 folcher Fallſtricke aufgehängt, ſo wacht man dabei, um Eee, weldhe font Mar: der und Nachteulen wegfreffen würden. Außer diefen find noch andere Arten beim Bange im Gebrauch, Die Billiche find überdies außerſt furchtſam und entfliehen Beim mindeflen Geräufche. So verſcheucht fie felbſt das Gekrachze der Nachtvögel, und. daher rührte der vormalige Aberglaube, daß die Billiche beftändig ton Kobolden verfolgt werben, Valvaſor nahm diefe Meinung gleich- falld an und lieferte, um die Sache deutlicher darzuftellen, einen Kupferftich, auf welchem ein gräßlicher Teufel mit einer Peitjche die fliehenden Thierchen vor fich bertreibt. Dabei erzäblt er, daß ihm 2 Bauern, bie diefen nächtlichen Hirten ſelbſt gefehen (!), denfelben befchricben haben, und fügt bei: „Biel fürnehme Per— fonen im Lande haben's nicht glauben wollen, bis die Selbfterfahrung ihnen allen Zweifel benommen’’; überhaupt gibt ſich Valvaſor viel Mühe, dieſes zu beweifen! Endlich führt er auch an, daß man die alten Billiche faft immer an dem einen Obre verlegt antrifft, und meint, „ſolches Zeichen mache ihnen ihr ungefegneter Hirt,” Doch rührt dieſes „Zeichen“ wohl einzig nur von der gro« ben Biffigfeit der Billiche her. Ueberhaupt lieferten diefe Thierchen einen reiche haltigen Stoff zu Babeln und Märchen,

Zum Schluſſe noch einige topographiiche und hiſtoriſche Bemerfungen. Das Gebiet dieſes Herzogthums umfaßt beiläufig 1412 DMeilen und hat Feine andere Stadt ald Gottſchee, welche Leopold I. dem Grafen Wolf Engelbrecht von Aueräperg gefchenft hatte; auch gibt es in diefem Herzogthume feinen an= deren abeligen Zandfig und fein Gut; alle Infaffen find ihrem Herzoge urbar ſchuldig und unterthänig. Dad Gebiet des heutigen Herzogthums Gottfchee gehörte ehemals den Patriarchen von Aquileja, welche ausgedehnte Befigungen in Krain befafen. Patriarch Berthold gab ed dem Friedrich von Ortenburg, ber zu Orteneck reflbirte, im Jahre 1247 zu Lehen. Nach dem Außfterben ber Ortenburger Fam Gottjchee im Jahre 1420 an die Grafen von Eilli, Brie- drich, Graf von Eilli, der mit feinem Bater Hermann in Hader lebte, baute ſich nabe bei der Stabt Gottfchee das Schloß Friedrichftein, welches jedoch gegen dad Ente des 18. Jahrhunderts niedergeriffen wurde, Die Eillier ftarben aus und das Erzhaus Defterreih kam in den Beſitz ihrer Güter, Im diefem Zeit- raume war ed, daß Gottſchee ein Pfandſchillingsgut und die Stadt landesfürft- [ih ward. Georg Graf von Thurn, der in einem Auflauf der Bauern im Jahre 1515 fein Leben verlor, hatte es nur pfandweife genoffen; Dann wurbe ed als ein Kammergut verwaltet, bis ed im Jahre 1547 Franz Urfini, Graf von Blagah, pfandweife von der Hoffammer an ſich brachte. Bon feinen Rach- fommen verfaufte e8 Niclas V., Urfini, Graf von Blagay, dem Freiherrn Jo— hann Jacob von Khiſl zu Kaltenbrunn im Jahre 1619, der auch Neifnig und

BB Lande · amd. Voͤlkerkuude.

Polland beſaß und im Jahre 1622 in den Grafenſtand erhoben wurde. Seit biefer. Zeit kam Gottfchee als G@rafichaft vor. Ä

Diefe Grafſchaft ift Kraft des Kaufbriefes vom 9, Juli 1641. von Bar⸗ tholgmäus Grafen von Khiſl dem Grafen Wolf Engelbert von Auersperg ver⸗ kauft worben, welcher unverehelicht ſtarb und feinen Bruder Johann Weikhard von Aueröperg in feinem Teſtamente zum Erben aller feiner Beſitzungen ein⸗ feßte. Der Lehtgenannte wurde am 17. September 1653 in ben Reichäfürften- Rand erhoben und Gottſchee ſammt feinen angeerbten Beflgungen zu einem Fi⸗ deicommiffe gemacht, welches nunmehr unberrädber bie. in die Gegenwart bei biefem fürftlichen Haufe verblieb,

tr 7. ..;

Kurzer Äberbſick der Hefchichte der geheimen Hefellichaften.

Bon SIudwig Bedftein,

Das Geheimniß. Prieſterthum. Magier. Cult und Mythe. Chri⸗ ftentfum. Zempler. Vehme. Mechtöbegriff des Geheimniſſes. Ge beimes Ordensweſen. Alchemie. Roſenkreuzer. Iefuiten, Die Frei: maurerei. Mopslogen. Perfectibiliſten und Illuminaten. Studen⸗ tenverbindungen und geheime Orden. Moſellanen, Amieiſten u. A Die Burſchenſchaft. Der Tugendbund. Die Carbonari. Der Treu⸗ bund. Die Marianne.

„Geheimniß! HD du Zauber, vor allen Zaubern groß! Du gehſt mit Wundern ſchwanger, dir ruht ein Bott im Schooß, Du haft ſchon manch Jahrtaufend in dunkler Nacht getbront, Und feiner deiner Prieſter ging von dir unbelohnt.”

Niemand wolle dem Verfaſſer des nachſtehenden Artikels ber.Eitelfeit ober An« maßung zeihen, weil er an deſſen Spite das obige Motto aus feinem eigenen Gedichte Fauſtus ſetzt. Es ſprechen die wenigen Berdzeilen eine tiefempfunbene und bewährte Erjcheinung in poetifcher Form aus, die vom Anbeginn aller Ge» fchichte durch die ISahrhunderte und Jahrtaufende die Menichheit anzog, feflelte, erhob, täujchte, berückte, wie es Fam, und die. noch heute fo frijch lebendig fori⸗ wirft und fortzeugt, wie nur je, indem fie eine in der Menjchenfeele nun einmal von allem Anfang an wurzelnde Neigung fich gewinnt, auf dieſe baut, ihr fhmeichelt, und fie, bewußt ober unbemußt, ‚Achtung gebietend. und machtvoll, überwältigt.

Mas ift ein Geheimniß?

Geheinmiß ift.ein befondered, ein ALL einviſen, eine Aunde, bie nicht Jeder kennt, eine Frucht, Die nicht Ieder findet. und Bricht, ein verborgenes Licht oder ein abſichtliches Dunkel.

Die bibliſche Schöpfungs⸗Mythe laͤßt el8batb mit ber Erfihaffumg fr er⸗ ſten Menſchenpaares das Geheimniß geboren werden. Gott ‚verbietet ben Neugefchaffenen zu eſſen vom Baume ber Erkenntniß, ohne dafuͤr einen

688 Geſchichte.

Grund zu offenbaren; aber Eva ahnet, daß die Frucht biefed Baumes Flug mache, und bricht die Frucht und gibt ihrem Manne davon. Sie lernen das Geheimniß erkennen, erbeben davor, fürchten und verbergen fi fie habe

nun ſchon ihr eigenes Geheimniß, und wiffen nicht, daß Gottes alljehendes Auge fie allenthalben findet. Gott aber will fein Geheimniß für ſich Be ten, und verfehließt den Garten Eden umd gibt ihm einen Wächter, & * * die Bibel ——— aus Scheimbund

Dort Bund im ee Wiffenden aber Mar Kunde, wie nicht minder dad Wort niß im Sinne des göttlichen Alleinwiſſens, welches Gott und Chriſtus auf be⸗ ſonders auserwählte Menſchen übertragen. Grm Geheimniß ift allein bei den - Frommen (Palm 25. 142, Sprüc. 3. 32), es ſchwebte über Hiobs Hütte, (Siob 29. 4.) Chriſten, Apoftel und Jünger jind Diener u —— Corinth. 4. I) u. A. D wre

Brüber ald das oben erwähnte fleifchliche Bu ——— be⸗ schein hinmilſchee, das fhönfte und großartigfte imter allen, aller bar und do ch geheim, weil der frühern Menſchenwelt umerfl nt bar. „Mein Bogen babe ich geſetzt in bie Wolken, der foll das Zeichen fein des Bundes zwifchen mir und der Erben.‘

„Und wenn e8 kömmt, daß ich Wolfen über die Erbe führe, jo foll man meinen Bogen fehen in den Wolfen,“

„Alsdann will ich gedenken an meinen Bund zwifchen mir und euch.“

Wie Hier eine hehre Naturerſcheinung zum erhabenen Symbol wurde, fo lenkte ſich fchon in den früheften Zeiten und bei allen Gulturvölfern von & bes höher begabten Theiled'der Bevölkerung, die Korfchung der Natur, ihre Kräften und mannigfaltigen Erfcheinungen zu, welche den minder begabten umers gründet blieben, Das Uebermächtige, Neberwältigende, häufig Zerftörende dies fer Kräfte wette die Ahnung som Dafein höherer Wefen, und aller Odtters und Gottheitcult ging aus dem Walten der Natur hervor. Bald mußten Diejemis gen ald bevorzugt in den Augen der Menge erfcheinen, welche ihr Leben ber Erforſchung jener Kräfte widmeten, welche Kunde ertheilten son den Gottheiten und deren Gewalt und Gerrichaft über die Menfchenwelt; fo entitand allmälig das Priefterthum, und bald genug theilte ſich deffen Pflege in zwei Bmeige, einen ber nach oben wie: Gottesanbetung, Gottesvrrehrung, Gottesdienft, Opfer, zum Theil mit Bräuchen, deren geheime Bebeutung nur den Prieftern bekannt war, und einen mebr irbijchen, dem Zauber, ber ver⸗ meintlichen Wumderfraft, der Verblendung. Bel der großen Menge wirkten die finnlichen Wahrnehmungen ergreifender und tiefer auf die Ormüther ein, als bie geiftigen Lehren, bie nach überfinnlichen Regionen denteten, und da zu alten Zeiten nicht alle Priefter Söhne des reinen göttlichen Lichtes waren, fo konnte es nicht fehlen, daß bei allen Völkern eine überwiegende Anzahl Priefter

Die acheimen Gefeiäuften. 689 nur ben leiblichen und perfönlichen Vortheil fuchte, und unter dem Schleier des Geheimniffes rein »OoRtlie Kine und Run ——

die unkundige Menge zu berücken. MET a Va EEE Bu ee EZ Fer

Sp wurde mehr oder Asindre Jede Beisefeafe en iger Et von ſelbſt zu einem Geheimbunde, der im Stillen beftimmte Zwecke ver— folgte, beſtimmte Ziele zw erreichen ftrebte. Die Priefterfchaft aber eines ganzen Landes, welche einem und bemfelben Götterfsfteme buldigte, wurde nun Kaſte, die meift die herrſchende war, wenn fie auch nicht überall den Monarchen« feepter in der Hand trug. Dazu liefert die Gefchichte aller gebilveten Früh— völfer hinreichende Beifpiele, und vor dem Auge der Neuzeit liegt Mar am Tage, daß bis in die jüngfte Stunde der Gegenwart ber bierarchifche Geift mit allen Waffen nady Herrſchaft ringt und firebt, und keineswegs nad) der hriftlich- biblifchhen Ermahnung „am erften nach dem Reiche Gottes trachtet.“ Man hat den wunderlichen Gemeinplag oft ausgefprochen, ein Regent folle der erfte Untertban in feinem Lande fein mie aber wird bie Kirche a wollen, Unterthanin und Staatädienerin zu fein und zu heißen. |

Die bibliſche Geſchichte lenkt zeitig den Blick nad Aegypten, * Lande hoher Cultur, ausgebildeter Staatseinrichtungen und hierarchiſcher Macht ‚unmittelbar neben jener der Pharavnen. Da gab es Weiſe und Wahrſager (Magier) in Fülle; ſie konnten, Fraft ihrer geheimen Wiſſenſchaft, dem gewöhn⸗ lichen Volke nicht angehören, fie gehörten ber Priefterfafte an. In diefer und durch dieſe Kafte wurde Mofes Erziehung geleitet, und es erfolgte bei feinem Anftretem jener Wettftreit im Verrichten der befannten Wunder zwiſchen ihm und den aͤgyptiſchen Zauberern (11 Mofe, Gap. 7), Jedenfalls wurde in dem altägyptifchen Mofterieneult Erfenntniß und Benutzung ber Naturkräfte, der Mathematif, Aftronomie u, ſ. w, gelehrt, wie geübt, doch geftattet ber ver- gönnte Raum für biefe Feine Meberficht weder ein näheres Eingehen in bie aͤghptiſchen Gehrimlehren, noch in jene der übrigen Völker der Erbe; es muß ſich überall nur auf flüchtige Andeutungen befchränft werben, Geſtirndienſt und Anbetung von unbefeelten Körpern, vom ftrahlenden Geftirn der Sonne bis zum Miftkäfer (Sfarabäus) war die urfprüngliche, älteſte Eultäußerung ber Aegypter; aus Indien mochte bie Lehre von der Serlenwanderung binzutreten und im Cult ihre Vertretung finden, Der Geftirndienft fchuf die Planeten- götter, wie die Thierkreisſymbolik; ideal-philofophiiche Weltanſchauung rief Mofterienfeier, Todtengerichte u. dal. ins Leben. Sais mit feinen verſchleier⸗ ten Bilde war bevorzugte Mofterientempelftätte, Die Priefterfchaften hüllten fich und ihre Gulte in magifches Dunkel, daher ift von ibnen, wie von Teßteren noch weniger Kunde auf die Nachwelt gekommen, als von ihren Theogonien und Kosmogonien. Es ift nichts bekannt vom eigentlichen Prieftertbum der Phöni— fer, Chaldaͤer und Babylonier,' während Götter- und Göttinnennamen ber Völ- fer des Orients zahlreich genannt werden. Nur Schlüffe Taffen fich ziehen aus

biblifchen Andeutungen, wie die über den Mord Elin's an 140 Baalöpfaffen

im 1. Quch der Könige, Cap, 18, aus Tenipelreften, aus Bildiwerfen und alten Vielfach entſprangen erſt dem Prieſtercult die umgekehrt

Die geheimen Gefellichaften. 891

Griechenlands, bie Ejfäer Iudäa’s, die Culdeer Britanniens, Die Drui- den Galliend u. f. w. ald Geheimgeſellſchaften anzunehmen find, wird aus der Gefchichte nicht völlig Flar;, Daß aber eine oder die andere foldyer Serten Verfolgung erlitt, ſobald die Staatögewalt deren Sinnen, Denken und Ihätige keit gegen fich gerichtet glaubte oder wirklich befand, ift wohl begreiflich. Auch das junge Chriſtenthum erſchien Anfangs nicht anders ald eine judaͤiſche Serte, die gegen den im römiſchen Staate zu Recht beflehenden Glauben an- fümpfte, wenn auch nicht mit Waffen, aber mit ber Macht ded Wortes, ber Lehre, der hinreißenden Ueberzeugung, und daher die taufend und aber tauſend hriftlichen Blutzeugen, welche das finfende Römerthum noch vor feinem Untere gang auf den morfchen Altären jeiner alten, machtlojen Götter opferte. Heim⸗ li wurden die gottesdienftlichen Gebräuche der erften Chriſten geübt, heimlich die Agapen gehalten, heimlich in heimliche Grabgewölbe (Krypten) tie Todten beigefegt. Und allüberall zog jede Glaubens» oder auch weltliche Genoffenfchaft fi in den Schooß der Heimlichkeit zurück, wenn fle fich bedrückt, bedrängt und verfolgt jah. Solches zu thun, ward aud) der auf der philofophifchereligidien Secte ver Önoftifer aufgebaute Templerorden gezwungen. Den Templern ward bei ihrer Aufnahme in den Orden ein Schleier ald Eymbol der Ver⸗ Ihwiegenheit umgehangen folglidy galt e8 in Orden Bewahrung eine Geheimniſſes. Auch der Buchflabe T, das fchon im Mythus Aegyptens bedeut⸗ fame, uralte Kreuzeszeichen, die Rune des Thorrahammers u. f. w. jpielte dabei eine fombolijche Rolle. Der Drden hatte geheime Regeln. Bablreiche, zum Theil abjcheuliche Befchuldigungen wurden gegen die Templer aufgebracht; er wurde auf das Heftigfle verfolgt und endlich überall aufgehoben. Gleichwohl beftand er im Geheimen noch fort, oder empfing bie und da neue Namen. In neuerer Zeit tauchte Weſen und Unweſen biefer recht eigentlichen Geheim⸗ gefellfchaft in der Freimaurerei wicher auf, vorzugsweife in Frankreich, doch auch hie und da in Deutichland, ohne aber zu rechter Geltung und Aner⸗ fennung zu gelangen. Dan fann von ihr nur fagen, wenn man offen und ehrlich fein will: „Zaffet die Todten ihre Todten begraben.” Weder in den Cult noch in die Politif, weder in die Philofophie noch in die Freimaurerei paßt die Gaukelei, pafien Hirngefpinnfte und Schwindel.

Kunft und Handwerk, im frühen Mittelalter noch ungetrennt Hand in Sand gehend, wie died namentlich bei Ausführung bedeutender Bauten nöthig war, fchloffen fi) als Körperfchaften von der Allgemeinheit ab, und pflegten ihre Sagungen, wie ihre Erfahrungen geheim zu halten. Es war ſelbſtver⸗ fländlich, daß der Arzt nicht auf offenem Markte feine Geheimnifſe vortrug und feine Heilkünſte offenbarte, daß der Bildhauer, der Maler u. A. zumal noch in Zeiten firengften Bunftzwanged nur an ihre Lehrlinge die Regeln und Vortheile ihrer Künfte weiter gaben. Um fo mehr verhüllten die Bauförperjchaften den: geiftigen Theil ihres Gewerkes, zumal ohnehin Häufig Glieder der der Pflege bes Geheimnifjes wohlkundigen Geiftlichkeit an deren Spige flanden und bie Bauten leiteten. Daß der Urfprung der Sreimaurerei mit hoher Wahr⸗ IHeinlichkeit in den alten Bauhütten zu fuchen ift, if befannt und wurde in

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auch, fo fange ber ae allentalls mit ſelbſt Wiſender war, an deſſen Statt

der Erzbiſchof von Cöln als Herzog von Weſtphalen oberſter Stuhlherr. Kei—

neswegs aber beſtanden, wie vielfach irrig verbreitet ift, die heimlichen Gerichte

im Lande Weftphalen ausſchließlich. Die höchfte Blüthezeit der Vehmgerichte

reicht vom 12, Jahrhundert bis in das 15. Später richtete fich das Rechts-

bewußtfein der Völferfchaften gegen deren Anmakung , Härte, Oraufamfeit und

Ungerechtigkeit, und bie Fürften widerfegten ſich mehr und mehr und mit vollem

Rechte den Eingriffen einer ganz fremden Rechtsgewalt gegen ihre Unterthanen,

Der Nimbus des Gcheimniffes blaßte völlig ab, die Verhandlungen vor dem

Gericht nahmen mittelalterlicherechtsübliche Formen an, die Ladungen erfolgten

in Briefen, die bisweilen fehr weitläuftig find, bisweilen auch furz. Die Siegel,

meift Wachsoblaten, zeigen einen Geharnifchten, ber ein Schwert quer über den

Leib legt, oder auch in der Rechten aufrecht Hält, und jeder Brief ift vom Preis

grafen mit vollem Namen unterfchrieben. Es mögen ‚hier einige unge⸗

druckte Proben ſolcher Unterjchriften folgen,

1448, Manegolt frigreffe zum frienhagen des hilgen Vowiſchen richs vnd mynes gnedigen Hr vo Heſſen. Freienhagen im Fürſtenthum Waldeck.)

1461. Johan Manhoff eyn Geuerdigher ** des Uomeffchen Nichs czur czit des veften Junchern Parnaff czom kranfteyn. (?) |

1462. Hinrich Mynandes eym gewertiger frngrane 30 Medebach ze. (Mede⸗ bach im Königreich Preußen, Weſtphalen, ‚Regferungötegirf Arnäberg, Kreis Brilon.)

1471. Wegenhard lanrenden feigtebe son friginhagen ıc, (Wire Green

agen.)

1482. (Unfang.) Ich Hanfi volmar gt (genannt) von Sarın frgnee ꝛc. czom Sfrigüähagen 16,

1493, Hedrich fmed des hailligen Usmiſchen Nichs vnd meis gnedigẽ herũ kollen freigrave zou volchmarſſen. (Das heutge res in Niederheffen,)

Roch 1530 erfcheint Henrich) Dechmann Eyn PERF vnd Per neter richter deh heiligen Womifchen richs der ordentlichen konig- lichen Dingftat des friſtuls zu —— in well- phalen.

Das letzte Vehmgericht folt 1568 auf dem Dingſtuhl je Zelle ‚gehalten worben fein. Börmliche Aufhebung der Behmgerichte fand nirgend flatt, fie erlofchen im fich felbft, aber der Zug nach dem Geheimen und Seheimnifvollen blieb in den Gemüthern der Menfchen, fehlug immer neue Wurzeln, trieb immer neue Sproffen und Ranfen.

In dieſen Kreis gehören auch zum Teil mindeftens, bie geheimgefelfegaft lichen religiös- fanatiſch-myſtiſchen Schwärmer des Mittelalters, die Ad ami- ten, die Geißelfabrer, bie Picarden, die Sonderöhäufer Wolluſt⸗ An⸗ dächtler u. dgl., die immer wieder in noch ſpaͤterer Zeit ihre Nachtreter und Nachbeter fanden, bis in das füngfte gefchlechtlich-fromme Muckerthum herab,

Die geheimen Geſellſchaften. 695

nur ber mindefte Grund vorhanden iſt, fle zu fürchten. Daß hier Gcheimbünd- niffe von politifcher ftantögefährliher Tendenz nicht gemeint find, iſt ſelbſtverſtaͤndlich, dieſe find wo möglich gleich BDO EEE denn fie bedrohen die Ordnung des Staates, wie die Freiheit der Mitbürger, und machen jedem Nechtözuftand ein Ende, Jede Gepeimgefellnaft iR baher verpflichtet, der Staatögewalt auf Unfrage derjelben ihre Satzungen offen vorzulegen, worauf Ieptere über deren Gefährlichkeit oder Nichtgefährlichkeit entfcheivet, und fiber das, was bie Geſellſchaft verſchwiegen gehalten Haben will, im Tegteren Falle ber Nichtgefährlichkeit von felbft ein rückſichtsvolles Schweigen neben der gefeplichen Anerkennung der Gefelljchaft beobachtet, Dieſes Verbältniß findet unter Anderen bei der Breimaurerverbrüderung ftatt, indem in vielen deutfchen Laͤn⸗ dern, wo dieſelbe ſtaatlich geſchützt ift, ‚der jedesmalige regierende Fürſt oder ber Thronfolger eo ipso Protector ber Landeslogen ift, auch wenn er nicht ſelbſt den Maurerfchurg trägt, und folglich ein „Wiſſender“ im Sinne des Bundes, Dies drückt eben aus), daß die Logen in foldhen Ländern das volle Recht zu bis ftehen haben, unter dem unmittelbaren Schuge bes Staates, nicht daß fie blos geduldet find. Sie genichen aber deshalb biefen Schup und verdienen ihn, indem ſie jedem Neuanfgenommenen Achtung der Gefege, Gehorſam gegen bie Obrigfeit und einen LehenSwandel nach Recht und Sl und fen Wet machen. j ILL

Wieder zur eigentlichen Geſchichte der Geheim»Gefelfihaften mar die Abſchweifung zuruͤckkehrend, fo muß dad vom 16. Jahrhundert an immer flärfer hervortretende allgemeine Orbenswefen im dieſer Darftellung ganz über gangen werden, da die überwiegende Mehrzahl der nach und nach in allen Ländern, ſelbſt in der Türkei, in Perfien und Oſtindien geflifteten Orden nicht Träger irgend eines Geheimniſſes war, vielmehr dieſelben Verdienſte an- erfennen, Rang, Glanz und Würbe verleihen, Erinnerungen an beftimmte wiche tige Greigniffe feithalten, EN auch rein der gefelligen * * dienen ſollten und dienten.

Die Zeiten des fmattalbifen, des deutſchen, wie deo deahigiahrien Krieges waren allzu unruhevoll, um Geheimbündniſſe zu begünſtigen, welche mehr beftändige, dauernde Berhältniffe, als aufreibende, immer wechfelnde, für ihr Beſtehen bedingen. Indeſſen war eine Macht in die gebildete Gefellfchaft eingetreten, die mit allem Zauber ded Geheimniffes Tauſende anlodte und fejfelte, Dieſe geheimnigvolle Macht war die Ulhemie, das Suchen nad) der Metalle verwandelnden Boldtinetur, dem Steine ber Weifen (Lapis Philo- sophorum, Aurum potabile, Arcanım Philosophorum ete,) Diefer bethörenbfte und verlodendjte aller Olücöträume, bie je die Menfchheit taͤuſchten, hatte zwar auch frühen Urfprung und wurde immer Iebhafter gepflegt zur Zeit des Alber- tus Magnus und jeiner Nachfolger, wie unter Raimundus Lullus, Ba= Tilius Valentinus u. A. bis durch die Meformationgzeit Hindurdy zu Theo: phraſtus Baracelfus, Die „oceulta Philosophia‘“ wurde ba® geldfreffende Stedenpferd einer Menge Fürften, Kriegähelden, Staatdmänner u, X, , welche meiſt von den fogenannten Udepten (Goldmachern) arg getäufcht und am

Die geheimen Gefellfchaften. 697

ſchichte, Geift und ftaatliche Ausbreitung der Freimaurerei‘, Manches über die- jelbe mitgetheilt ift und. fie im unferer Zeit ebenfalls kaum noch eine Geheim⸗ gefellichaft genannt werden kann, fo trat fie doch als eine ſolche zuerft in das Leben, und es ift Hier noch Einiges —— Dort wurde einfach entwickelt, wie fie allmälig aus mittelalterlic n hervorging, während man früher im das Mbfurde verfiel -und-ihren erfprung Sie zu Adam und jeine Söhne in aſchgraues Dunkel der Zeiten hinauf leitete, in Rimrod, Salome und Iofeph „Großmeifter‘ erblidte, welche Würde naturgemäß auch dem Mofes zugelegt wurde. Was ——— nun Anderes gewefen fein, als eine Freimaurer-Loge?

Es ſoll auch in der That, ehe die * „Orden der Freiheit“, alſo gleichſam deren Vorbild, geblüht haben, als deſſen Stifter man glaͤubig Moſes annahm. Die Mitglieder hätten ein Kleinod im Knopf⸗ loch; der Weite getragen einem Kleidungsſtück, das allerdings nicht in Moſes Beiten hinaufreicht in Form einer Gejegtafel mit dem Wahlfpruch: Virtus dirigit alas, und auf der Rückſeite ein M. mit der Zahl 6743. Alſo fpät genug noch im Flor. Der Dagontempel in Gaza, ben nur zwei Säulen trugen, welche Simjon brach, mußte den alten Babulanten als Loge gelten, und nun vollends ber Salomonijche Tempelbau, das Wunder der Baukunſt alter Zeit, der Triumph maurerifcher Herrlichkeit fein, Natürlich hatte Ierufalem eine Großloge und Salomo oder Hiram waren Großmeifter aller Logen, Genug von biefen Babes leien, die man mit eiferner BeharrlichFeit bis im die mittlere Zeit führte, in der ſich num der gefchichtliche Hochflug nach Großbritannien wandte. In biefem Lande fand der Köhlerglaube ber Zeiten Anderſons ſchon am Ende bes 10. Jahrhundertö bie Freimaurerei thätig, bis die Nebel ſich Tichteten und fle zu Ende des 17. Jahrhunderts wirklich dort zuerft an das Licht trat, wie das alles in Jacob Anderfons „Neuem Conſtitutionenbuch“. Deutſch a, d. Englifchen, Sranff. a. M. 1741, des breiteren zu leſen if, Es ſcheint Tange gedauert zu haben , che man dahin gelangte, eigene Logenhäufer zu erbauen; man hielt bie LogensVerfammlungen meift in Tavernen mit [ehr unfchönen Namen, z. B. Zur Gans und Roft (Bierhaus), Zum Apfelbaum (Weinhaus), Zum Teufel (Gaft- haus), Zu den drei Tonnen (Bierhaus) u, dgl, Diefe Häufernamen mit anderen, fhöneren, wie Krone, Königin, Mercers Hall u, A. legten dazu den Grund, daß fpäter jede Loge, die ſich neu begründete, rinen Eng A en ren aber meift zur freimaurerifchen Symbolik Beziehung hatt,

Da das maurerifche Logenwejen mehr und mehr Berbreitung: fand, ſo fehlte es ihm bald nicht an Nachahmungen, bei denen aber nicht felten Ernſt und Würde nur zu ſehr vermißt wurden. Zum Theil waren diefe Orden auch nur der Bröhlichkeit fich weihende Geſellſchaften, ohne ſonderliches Geheimniß, aber doch abgefchloffen und nicht ohne einiges Geremoniel, fo der von der geiſt⸗ vollen Herzogin Luife Dorothea zu S, Gotha begründete „Weltliche Ein- ſiedler-Orden“, oder auch die Iuftigen Eremiten; der „Eintracht-Orden“ des Prinzen Wilhelm Ludwig zu Schwarzburg-Rubolftadt; l’Ordre de la Boisson in Languedoe (ein Trinforden) , eine Menge dergleichen in England m. ſ. w.

Die geheimen Geſellſchaften. 699

Schwindler, leicht, fich und feinen Unternehmungen Geltung zu geiwinnen, die er zum Theil wohl auf innere Ueberzeugung begränden mochte, bie aber doch nichts weiter waren, als Täufchungen umftricter und befangener Köpfe. Ohne felbft Maurer zu fein, gründete er als Welt- und Staatenverbefferer feine Per⸗ fectibiliſten-Geſellſchaft mit Bugrundelegung theils jefuitifcher, theils freimaurerifcher Formen und Seremonien. Weishaupt war Jeſuit geweſen und tannte als folcher Die Schwächen der Menfchen aus dem Grunde. Das einfache Sumanitätöftreben in der Sreimaurerel genügte ihm nicht, er wollte Höheres erringen, Einfluß gewinnen, die Hand in der Lenfung der Staaten haben, und freute fo viele Gluͤcksverheißungen aus, daß er felbft einfichtuolle Fürften, wie Herzog Ernft I. zu Sachſen⸗Gotha, für fich gewann und Schirm und Schuß, Geld und Titel von ihm erfihwindelte. Don Bayern aus wurde Weishaupt hart verfolgt, fein Geheimbund durch die Staatsgewalt energifch unterbrüdt, und viele von deſſen Angehörigen mußten es fehr empfindlich büßen, „geheim“ und „erleuchtet”’ geweien zu fein. Der Illuminaten⸗Orden, wie fich ber Per⸗ feetibiliſten⸗Orden fpäter nannte, zählte einige Taufend Mitglieder, und dennoch war er nicht zu halten, weil -ihm die rechtliche und fittliche Grundlage fehlte: Der Orben fand in Fatholifchen Ländern mehr Boden und Verbreitung, wie in proteftantiichen, eine Folge feines Urfprunges und feiner die Phantafte mehr an⸗ regenden Geremonien. Auch berühmte Freimaurer, wie Knigge, Bod u. U: ließen fih von Weishaupt eine Zeitlang anloden und umgarnen, lernten aber doch bald den hohlen Kern von der hellen Schaale fcheiden. Die Breimaurerel blieb, der Iluminatenorden fan? in das Dunkel der Zeiten zurüd. Da aber dieſes Dunkel immer mehr im Laufe eines neuen Jahrhunderts von Helle durch⸗ ſtrahlt wurde, fo konnten neue Geheimbündniffe im gropen Style feinen rechten Boden mehr gewinnen.

Ausnahmen von biefer Annahme machten die geheimen Studentens verbindungen auf deutfchen Liniverfitäten, welche fich der Mehrzahl nach ebenfalld Orden nannten, und in befien Folge ſich mit befonderen Kennzeichen an Röden, Mützen, mit Kokarden, Farbenbändern, bunten Quaften x. behingen; oder, falls fle Öffentlich erfcheinen durften, wo fle dann freilich nicht mehr geheim waren, durch ihre ganze Tracht die Mitgliepnfchaft eines folchen Ordens zur Schau trugen.

Ein fehr naturgemäßer Drang, ſich nach Landsmannichaft, gleicher Stu⸗ dienwahl, gleicher Bevorzugung eine Verſammlungsortes anzufchließen, rief ziemlich früh ſolche Verbindungen unter Studiengenofien hervor, und mehr oder minder gab es bei Ießteren inımer etwas gegenüber ber großen Menge geheim zu balten. Irgend etwas Geheimnißvolles mußte da fein, und zum Beitritt und zur Erforfihung des Gcheimniffes anloden. Wand der Reuhinzugetretene wie fo häufig der Fall nichts dahinter, fo war er Doch hinzugetreten war einmal dabei und Eonnte nicht wohl zuruͤck.

Aus den fogenannten „Rationalitäten” der alten deutſchen Hoch fulen wurden allmälig „Landsmannsfchaften”“, welche ben vollffen Genuß alademifcher Freiheit beanfpruchten und zwar nicht felten fich deren in

700 Geſchichte.

nebenbel willig und freiwillig in ahmte bie Freimaurerei nach mit mehr oder minderem Gluͤck und Geſchick und trat in Geheimbündniffe zufanınıen, denen man Namen und mancherlei Symbole ‚verlieh, Die ſich in den Stubentenftammbüchern älterer Zeit gemalt und eingezeichnet finden. Manche diefer Verbindungen nannten ihre Bufammenfünfte Logen; die Mitgliever erkannten ſich an ——— theilten ſich in höhere und geringere Grade, erſchwerten die mancherlei zum Theil beängſtigende Proben und gefielen ſich in dieſem min— deſtens nicht unſittlichen, vielmehr dem Meinen und Edlen zuſtrebenden Ente wenn es auch Häufig nur ein geiftveiches Spiel war. 000005 In Iena beftanden im Jahre 1746 zwei Landsmannſchaften, bie Rhe— nanen und Mofelanen; diefe vereinigten ſich in einen geheimen Orden, die Mofelania, weil wahrfcheinlich die Zahl der Mofelanen bie der Rhenanen überwog, und der neue Orben gewann bald Anfehn und Bedeutung vor anderen Bündniffen, ald da waren Schwert», Lilien», Concordien-⸗, Fafe binder-Orbden u. U, So blühte der Mofelbund bis zum Jahre 1771, meiftmie manrerifchen Gebräuchen fort; von da an gab er feinen Namen, v in Folge von Verfolgungen, auf, und nannte fich Amiciften- Orden, Schon Name deutet an, daß man nichts erſtreben wollte, als einen Freundſchafts⸗ ; ebenjo der Wahlfpruch: Vivat vera amicitia, und das Loſungswort * Freundſchaft der Ehre Frucht”. Bald gab es Amiciſtenorden auf den übrigen thüringifchen Hochſchulen Halle und Erfurt, wie auch in Franken zu Würzburg und Erlangen, in Heffen zu Gießen, ja fogar in Wien, Doc wur den von dem Orden der Unitiften, wie der Gonftantiften die Amieiſten hart befimpft, oßgleich die in den neunziger Iahren aufgefommenen Unitiſten den Gonftantiften felbft ſehr feindlich gegenüber ftanden. Die erfterem ftrebten nach Aufrechthaltung guter Sitten, was bei dem Teteren weit az Ball war.

Auch der Stubentenorden ber „Schwarzen Bräper“, der Harmonie entſtanden, erfreute ſich ziemlicher Verbreitung und großem Anſehns auf den deutfchen Hochſchulen und beftand von 1780 bis 1800, So blühte in Leipzig der Orden der Inbiffolubiliften (Unzertrennlichen), berfih nach den Formen bes Amiciftenbundes eingerichtet hatte, ging aber im Sabre 1792 ganz in der Jenaiſchen Amteitia auf. ———

Indeß wurden dieſe ſtudentiſchen Geheimbündniffe hier und ba vielfach laͤtig, bildete doch jegliches einen kleinen Staat im Staate, und fo fand fi der Neichshofrath zu dem Befchluffe bewogen, alle und jede Studenten» Orden aufs

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Die geheimen Geſellſchaften. zubeben; es war dies das geeignetſte Mittel, das, geweſen, noch geheimer zu machen, und jo zog ſich aud) die ea dunflere Verbor⸗ genheit zurist. Aber auch diefe durchbligten die Argusaugen der Polizei, und im Jahre 1798 wurden die letzten 12 Amiciften zu Jena cum infamia velegirt und ein Bann über fie der ——— —— auf anderwelten Hochſchulen verſchloß.

Die Zeit war freilich ganz gegen Geheimbünduiſſe mi aller Kraft einzufchreiten, Da durch die franzöſiſche Nevolution das politifche Element ſich allenthalben geltend zu machen ftrebte und in den Vorgrund drängte, Dies ſes Element fanatifirte Jugend und Alter für die fchwärmerifchen Freiheitsideen, welche Frankreich eine reichliche Bluttaufe eintrugen, wie denn Frankreich feine eingebildete Gloire fort und fort mit dem Blute vieler Taufende feiner Söhne bezahlen muß, ohne etwas dafür zu gewinnen, als neue Steuern, neue Schulden und neue Thrannen. Ob bier ———— bleibe dahin geſtellt.

Durch das politiſche Element, das auch in die Studentenkreiſe * wurde der Grund gelegt zu heimlichen ftaatsfeindlichen,, aufwiegleriſchen Vers bindungen, bie ohne fich in beftimmte Kreife abzuſchließen, um fo-gefährlicher wühlten, In folche Kreife war ber Banatifer Karl Sand, A. v. Kotzebue's Mörder, getreten, aus ihnen heraus trat er auf das Schaffot. Poli— tijche Buͤndniſſe bildeten fih, jo der Mänmnerbund, der Jugendbund, wie in Italien die Garbonaria, man träumte viel von Mepublifen, von Fifr ftenbefeitigung, von deutjcher Einheit und Freiheit, alles wie noch heute und mit gleichem Erfolge. Darauf wurden Unterfuchungen verhängt, welche ergaben, dag anf deutfchen Hochfchufen nicht weniger ald 14 Geheimverbindungen von entjchieden „demagogifcher Tendenz“ beftanden, bie von ‚‚unbefannten Oberen‘ das alte Schibolerh ſchaͤdlicher Geheimbuͤndnerei geleitet wurden, Diefer Verein nannte fich „die Schwarzen” und ihre gingen auf ſtaatlichen Umſturz und Hochverrath hinaus.

Die Burſchenſchaft war keine geheime Vabindung beabfichtigie auch Feine Umwaͤlzung, gleichwohl waren Elemente in ihr, die an dergleichen denfen mochten, und mancher Verdacht Tag gegen fe vor; Sand's blutige, That hatte fie verdächtigt, Da er ihr angehörte, und jo wurde fie aufgelöft und verboten. An ihre Stelle trat nun der Eorpsgeift, der fich auf allen Unis verjitäten verbreitete, und wie offen er auch hervortrat, die Statuten eines jeden Gorps wurben doch im Geheimen berathen, und im Geheimen hielten die Seniorenconvente ihre berathenden Sigungen. Nicht minder wurden nad) wie vor Burfchentage gehalten, denn ein Berbot ift noch fein Tod bie Burſchenſchaft Hatte ein zaͤhes Leben und überlebte namentlich fehr viele Staats— miniſter. Ihr Geift, jegt freilich von demagogifch-demofratifirenden Elementen durchſtrömt, blieb in Deutſchland verbreitet, ſchlug felbft auf Forſt- und Berg⸗ afademien Wurzel und pflegte treulich den findentifchen Comment, So gab es zu Dreißigader eine afademifche Germania, zu Bulda eine Arminia und eine Buchonia. Dann bildeten ſich andy auf Hochſchulen Germanen» und

703 Geſchichte.

al jew um m —ñañn in alle dieſe Verhältniffe gehört in

nahe re ade Tu wor ——— oder Tugen doerein n Prei eg die franzoͤſiſche Gewaltherrſchaft in Königsberg Perg Hohen zein. patrintifggen, dp wibmend, Gr trat zwar nicht als Gehen uf, hr

und drängte dahin, Vieles geheim-zu halten, was ber m „am nähen Ing. Juben und Ausländer durften nicht be es durfi nichts über den Bund in Säprifien mitgetheilt werben, weber. if och pri

vatim an Richtaufgenommene und Nichteingeweihte. Bei: an aim Mitgliedern, welcher biejer Bund ſich gewann, konnte es nicht fehlen, daß ver» ſchiedenartige Geſinnungen in ihm ſich auspraͤgten, * ——

bächtigt, und erntete den gewöhnlichen Teufelsdant für ein vater dem Herrſcherhauſe feſt anbängliches Beftreben. ine auf die Spige getr burcaufrarifche Herrſchaft will nun einmal, daß Niemand aud) nur einen Zoll breit von ihrer Meinung in feiner, Meinung abweiche, deshalb, mußten die Augendbünbner zur Zeit der Demagogeuriecherei NR ſolche mißliebig angejehen werben. Im Italien und Frankreich ildete ſich der politiſche Geheimbund. ber Carbonaria auf dem Grunde von Lug und Trug. Er wurde ein Affe ber Breimaurerei, nahm von ihr äußere Bormen und Geremoniel an, Teitete ih auf frühen Urfprung aus Schottland zurüd und Hüllte ſich in Myſtit, Spmbolif und Unfinn. Der Garbonaria fchwebte jo etwas vor wie bad | Italien frei bis zur Adria, und wurde ebenfo glänzend durchgeführt, Es war ein liberaler Schaum, den trog großer Verbreitung die wegblies, Das leicht erregbare, nie zufriedene Volk der aliener „fiel dem Bunde eben jo rafch zu, wie es vom ihm abfiel, als man gegen ihn. den Stab Wehe ſchwang, einen Theil der Nädelsführer erſchoß und andere derfelben in fiheren Gewahrfam brachte. re Als die revolutionäre Bewegung der Jahre 1848—1850 Deutſchland beunruhigte, die fo viele Blaſen und Phraſen erzeugte, taucht Geheimbunb= Idee in Preußen auf, hochgeſtellie und bedeutende Männer am ber Epige und ein edled Wollen zum Kerne, Es war der Treubunb, aber es war auch mit ihm nichts, Zweck und Ziel war Belebung der Treue gegen König und Vaterland, aber man beging einen ungeheueren Nipgriff, man wollte biefer Verbindung ebenfalld einen Formenzwang auferfegen, maurerthum erborgt war, wollte eine Art Logen mit Geremoniel: doch mindeſtens geheime Verfammlungen, geheime Leitung ————

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Die geheimen Geſellſchaften. 702

Obere, ein eigenthümliches Aufnahme⸗Ritual u. dergl. Damit iſt heutiges Tages nichts mehr zu bezwecken und zu erzielen. Unbekannte Obere find geradezu lächerlich. Wozu Geheimniß, wenn es gilt, einen ebelsmenjchlichen und einen loyalen gefegmäßigen Zwed zu verfolgen? Wozu foll ein Beamter einen zweiten Eid der Treue leiften? Man frage doch jeden einfah: Willit Du Deinen Dienfteid halten, oder ald Meineidiger mit Schimpf und Schande von dannen gehen? Dann gehe! Offen zwar, aber doch nicht ohne geheime Beftrebungen und Propaganda tauchen in neuefter Zeit Reformbeiwegungen auf, die beim beiten Willen nur fchaden und fruchtlo8 bleiben werden. Es ift etwas fittlich Hohes und Schöned um das Viribus unitis aber tie vereinte Kraft muß im Rechte wurzeln und mindeftend berufen fein, wenn nicht außer» wählt, fle muß nicht zufammentreten, wo Niemand ihrer begehrt, dann bewahrt fie fich jedenfalld vor der Blame eines Lächerlichen Fiascomachens. Beifpiele find verhaßt. Weiteres lehrt die Zeit.

Seit mehreren Jahren regt fich in Frankreich ein halbgeheimer und bereits weit verzweigter Volksbund, deſſen Anhänger den Arbeiterfchichten angehören; er nennt fih die Marianne und verfolgt communiftiihe Zwede. Napo⸗ leon 11. wird diefe Marianne ſchwerlich küſſen, wenn fie verfuchen follte, ihm nahe oder zu nahe treten zu wollen.

Der Hopfen. 705

bezüglichen Verordnung den Gebrauch von Schwefel?) mit Hopfen von Seiten der Brauer. Nach Verlauf von mehr ald 70 Jahren (1603) wurde von Jacob I. gegen die Einführung verdorbenen und verfälfchten Hopfens unter Androhung ſchwerer Strafe ein Verbot erlaffen. Hieraus möchte zu folgen fein, daß, objchon bekanntermaßen bereitö bedeutender Eifer auf den Hopfenbau in England verwendet wurde, eine ziemlich große Quantität Doch noch von dem Auslande dem Heimifchen Markte zugeführt worden ift.

Verbraud an Hopfen. Gegenwärtig wird faft ſämmtlicher im vereinigten Königreich verwendeter Hopfen ungeachtet des ſehr ausgebehnten Verbrauches im Inlande gezogen. In einer Zeit von 4 Sahren betrugen die für den inländischen Gebrauch behaltenen Maſſen, ingleichen die in den Staatsſchatz gefloffene Steuerfumme**) wie folgt:

Sabre. Verbrauch. Steuer. 1850. 48,267, 168 &. 2232,576. 1851. 26,138,906- s 129,580. 1852, 50,146,639 = = 244,866. 1853. 30,949,590 = s 152,677. im Durhichnitt . B8, 375, 5738. 2159,425.

Diefe Yurdfignittäfumme ftellt eine fo große Menge Hopfen bar, daß mehr wohl kaum auf dem ganzen übrigen Erdball von dieſem Produkte gezogen. werden mag. Wie verfchieden ift der Geſchmack, den dieſes ftarfe Gonjun gegenwärtig anzeigt, von demjenigen, ber zu Anfang bed fiebzehnten Jahrhun⸗ derts geberrfcht haben mag, als die Stadt London vor dem Parlamente gegen zwei Uebel petitionirte gegen die Rewcaftles Kohlen, wegen ihres Geruches und gegen den Hopfen, weil derfelbe den Geſchmack der Getränke verberbe und die Gejundheit der Trinfer benachtheilige***),. Der Ertrag in Belgien, nach Verhaͤltniß feiner Bevölferung von 4°/2 Millionen einen der im größten Mapitab Hopfenbauenden Länder Europas, belief im Jahre 1853 fich auf 7,653,206 Pfb.

In Deutfchland ziehen Rheinbaiern und das Großherzogthum Heſſen vielen und vorzüglich guten Hopfen; den Betrag ber jährlichen Produktion vermochte ich jedoch nicht zu conflatiren. Holland zieht wenig Hopfen und ergänzt ben- felben zum Theil durch Einführung aus den vereinigten Staaten Rordamerifaß. In Rußland wächft eine Abart des Hopfens wild in Taurien, am Ural und Goldgebirge; der größere Theil des Bedarfes jedoch wird vom Auslande eingeführt.

Der Grund, weshalb bie für heimifchen Gebrauch zurücdbehaltenen Maffen in den oben angeführten Jahren fo ſchwankend waren, liegt darin, daß die Ernte eine fehr unfichere und wechfelnde ift, daß daher der Ertrag reicherer Jahre auf⸗ bewahrt wird, um in weniger ergiebigen den Ausfall zu beden.

*) Dies bezieht fih muthmaßlich auf tie noch gegenmärtig herrfchente Sitte, ten Hopfen mit Schwefeltampf zu bleichen, welche damals wohl nicht mit folder ausges bilteten Geſchicklichkeit als jeßt ausgeführt werden fein mag:

**) Die Eteuer beträgt 18 Sh. 8 Pe. pr Etr. und 5 Brocent Aufihlag. - **%*) cf, Walter Blith’s > English Improver Improved. 3. ed. 1659. IV. 45

706 Agꝛurikulturchemie.

Durchſchnittsverbrauch von beiläufig 40 Millionen Pfund if- —— —** dieſer Pflanze unter den‘ von uns genoſ⸗ fenen narfotifchen Mitteln tritt noch mehr zu Zage, wenn man ihren durch· ſchnittlichen Verbrauch mit dem des rar Dad folgendes: an va im» ir mie u

‚Im Iahre 1853 Durcfgninserteaun von ‚Sopfen 3,3755 3

Desgl. a [2 0 Differenz" 8,688,01 Die jährliche Genfenkion: von Hopfen üßerfeigt * um ben Ge st des Tabafs in England, Der Hopfen ift ſonach diejenige narfotifche Subftanz, von welcher England nicht nur mehr erzielt und mehr con⸗ fumirt, als der ganze übrige Erdball, ſondern vom welcher en audi mehr ald von irgend einem anderen Ähnlichen Stoffe verwenden.

Wer aber, der einmal die Hopfenberge von Kent und Surrey in bei Bluͤthezeit fchaute, Fönnte je die Schönheit und Anmuth diejer Fieblichen vergeſſen? Die hohen Stangen erflinnmend und mit ihren Hammernden Ranken diefelben umfcplingend, verbirgt fe die Steifheit des fie tragenden Stammes unter der üppigen Fülle ihrer bufchigen Blüthen. Von jedem fie berührenden Windhauch im Leichter Beweglichkeit ſchwankend und fich beugend, in Guir- Iandenform von Stange zu Stange ſich ſchwingend, tanzen und glängen bie Hopfenvanfen unter der jhönen englifchen Sonne das Bild eines echten engliihen Weinberges, dem weder des Rheines noch der Mhone Ufer ſich ver⸗ gleichen und das nur von en am freieften wächft, über- troffen werden fann,

Hopfenbau, Der Hopfen liebt * fetten und fruchtbaren Boden, wie der alte Gerard im Jahre 1596 ſchrieb und Düngung befördert jein Gedeihen.“ Wenige Orte aber mögen ſowohl am nathrlicher Fruchtbarkeit als am Fünftlich erzeugtem Reichthum die Hopfendiftricte von Surrey übertreffen, welche am Rande der |, g. Grünfandftreden, in der Nachbarichaft von Farnham liegen. Von Natur auferordentlich reich an mineralifchen Nahrungsmitteln ber Pflanze, war der Boden in jener Gegend ſchon feit zwei Jahrhunderten wegen darauf gezogenen Hopfens berühmt ; und lediglich mit Rüͤckſicht auf diefe Cultur⸗ art werben noch heutigen Tages die vorzüglichiten Strecken mit £ 500 pro Acker bezahlt. Die reichten ſchotiiſchen Sandwirthe die den Dünger am Wentgften jparen können im dieſer Beziehung mit den Hopfenbauern von Kent und Surreh nicht rivalifiren. Ein Durchſchnittsaufwand von £ 10 auf jeden Ader in einem Umfange von 100 Morgen, von einem einzigen Beflger von Hopfen- land verwendet, geftaftet dieſen Zweig der Feldwirthſchaft zu den merkwuͤrdigſten, foftipieligften und vornehmften in England, Diefe Art des Hopfenbaues, fowie ber befondere Werth und bie Seltenheit gutes Hopfenlandes waren Igow fer früßzeitig befannt. Sie bilden einen Teil der urſprünglichen Einführungsg jchichte diefer Pflanze, Tuſſer, der zur Zeit Heinrich’ VIH. und wiß Regierung von deſſen drei Kindern lebte, fagt in feiner Zeidbauhune son dam Hopfen: |

Mi

. De Hopfen, 707 Auf naßsfaulem Boden nur Hopfen laß ſtehn, Recht reichlich mit Fräftigem Dünger verfehn, Nicht zwar überſchwemmt, doch vom Wafler nicht fern, Den Boden, merf Dir, hat ter Hopfen wohl gern.

Die Sonne im Süden und audh im Südweften Iſt für des Hopfens Gedeihen am Bellen;

Der Nordwind aber, und der von Nordoflen

Laßt oftmals den Hopfen wohl Uebles foften. Drum, find’ft Du ein Fleck zum Hopf'bau geſchickt, So if Dirs mit einem Goldpfund geglüdt;

Dann grabe und öffne dem Sonnenbrand,

Dann Ichließe in Heden das Hopfenland.

Des Hopfens Ruhm fo nimmer erlifcht, Da Biere er Kräftige, dem Malze vermifcht; Und Dauer verleibet dem Gerſtenſaft,

So lange der Durft ihm nicht Ende fchafft.

Nupen des Hopfend Der im Handel gebräuchliche Hopfen befleht aus den weiblichen Blüthen und Saamen des humulus lupulus, oder der gewöhnlichen Hopfenpflanze. Seine vorzügliche Verwendung findet er für die Zubereitung von Bier und befigt er drei Eigenfchaften, welche ihn hierzu be= jonder8 geeignet machen. Zunächft gibt er der aus dem Malz gewonnenen Flüffigfeit einen angenehmen, etwas bitteren und aromatifchen Gefchmad. So⸗ dann verleiht er ihr ein etwas eigenthümlich Beraufchendes, welches oft mit ale koholiſchem &ehalte verwechielt wird, und erfpart auf ſolche Weile dem Brauer einen Theil des Malzes. Die fchläfrig machende Wirkung des Piered wird zum Theil ebenfalld der narkotiichen @igenfchaft des Hopfen beigemeffen. Drittens endlich befteht defien chemiiche Einwirkung darin, bie Malzgetränfe zu klaͤren und deren Sauerwerden zu verhindern. Der Hopfen firirt die Gährung in dem als foholifhen Stadium; und aus der Gefchichte der Braufunft ergibt fih, daß Bier, welches längere Zeit hindurch aufbewahrt werten Eonnte, in England erft feit Einführung des Hopfend gewonnen worden iſt. „Das Ale” fagt Parkinfon (1640), „welches außsfchlieglich bei unferen Vorfahren in Gebrauch war, wird jegt faft gar nicht mehr gebraut, da Die Anwendung des Hopfens jenes Getränke wefentlich modifleirt und bdafjelbe der Geſundheit zuträglicher macht, indem es den Körper vor der durch das frühere Ule erzeugten Bollfaftigkeit bewahrt.“

Verſchiedene Hopfenarten. Bon dem gebauten Hopfen gibt es viele verfchiedene Arten; in unferen vorzüglichen englifchen Hopfenbiftricten, Kent, Surrey und Suffer jedoch werden nur fünf Arten in größerem Umfang gezogen. Diefe find;

a. Die Goldings (Öoldranfen, NRonetten), vorzugsweiſe im mittleren und öftlichen Kent wachſend. Sie lieben einen fteinigen Kalfboden oder eine reiche lockere Lehmerde. Nur in den fruchtbarften Bodengattungen können ſie gebeihen.

b. Die white-bines (Weißranfen) find die Lieblingsgattungen in Farnham und Ganterbury. Sie erfordern diefelbe Bodenart wie die Goldranken, find in ihrer Erfcheinung und ihrem Wachéthum denfelben jehr ähnlich und haben faft

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708 gleichen ren ber Blüthe der W ißranken wird & rteſt

e. Jenen zumächft werben die Sie gedeihen auch auf weniger gutem Boden ; und da fie nur ſehr kurzer Stan- gen bevürfen, auch ziemlich gute Ernte liefern, en © bauern in Kent in allgemeiner Aufnahme,

d. Die Grape (Traube) bat viele Unterarten und ı | Stangen ald die Ionedranfen. Dieſe Gattung gedeiht in hartem, ſchweren Boden, nad) vollſtaͤndiger Drainage und gewährt ſehr reiche Ernten. Daher ihr Vorwalten in Weald, Gewöhnlichwird fie für geringere Bierſorten verwendet.

e. Die Coleyate ift eine etwas Fleinere Hopfenart ald die Traube, bringt aber in Suffer und im Kenter Weald auch ordentlich reiche Ernten hervor. Sie wird beim Marft verkauft, oft den Goldranten untergefchoben; doch mögen die Bauern fie wegen ihres ranzigen Geruchs nicht benugen. Viele betrachten fie ald die fchlechtefte der gebauten Hopfengattungen, > Mach der Bodenart, im welcher ſie gedeihen, find dieſe beiden Varietäten auch unter dem Namen ‚Rehmbopfen befannt, Die in dem Kenter Weald und Suffer gezogerten follten füglich ala Sudlehmhopfen bezeichnet werden, eben jo wie bie auf dem fteifen Lehmboden von aan gezogenen auf dem Markte ala Norblehmbopfen erfcheinen. u

Aus dieier kurzen Bejchreibung der gewöhnlicheren ee wirb man erfehen, daß eine große Verfchiedenheit des Geſchmacks und der Güte unter ge— nannter Pflanzengattung beftchen muß und zwar nicht nur in verſchiedenen Ges genden, fondern fogar auf derfelben Strecke. Der Diftriet von Kent z. B. er⸗ zeugt Hopfen von fehr verfchiedener Qualität, indem die beften Sorten dort im beſonders hohem Grade Wohlgeſchmack und Stärfe in ſich vereinigen. Der Boden diefer Gegend ruht bauptiächlich auf Kalk, tbeilweife jedoch an seiner ſüdweſtlichen Grenze auch auf Grünfandformation. Der nördliche Theil Frage lichen Diftrietes iſt von den Plötzſchichten der Londoner Bucht bedeckt. Um Nochefter und Ganterbury aber, wo der Lehmboden der Flögichichten mit dem poröfen Kalk zufammen trifft, wird der beſte Kenter Hopfen gezogen. Geringere Sortem wachen auf der Thonerbe des Kentifchen Wed. 0 m 0 0m

In Surrey ferner hat der Hopfen aus der Nachbarschaft von Farnham feit unvorbenflicher Zeit ben höchften Preis auf dem britifchen Hopfenmarft gehabt Derfelbe wächſt auf dem an phosphorfaurem Kalfe reichhaltigen Mergelboben, welcher aus dem Gefteine der Grünfandbildung entfteht. In foldem Maße hängt auch des Hopfens Güte von der natürlichen Eigenſchaft des Bodens ab, daß der Werth der Ernte häufig an der Scheidewand einer Hecke ſich Der Wechfel in der Güte des Erdreichs ift in jener Gegend oft ſehr raſch und bedeutend, woraus der nicht minder rafche Wechfel in der Güte der Ernte feine Erklärung finder. |

E—

Der. Hopfen. 109

Der Lehmbodenhopfen von Kent und Suffer ift rob und ranzig; der ber fleinen Strede von Betford in Nottinghamshire, Nordlehmhopfen genannt, erreicht aber den Außerften Brad von Wildheit. Er gibt dem Biere einen ‚groben Geſchmack, welcher denen, die nicht daran gewöhnt find, faft Uebelkeit erregt. Der harte Lehmboden der Gegend von Nottingham, in welcher dieſer Hopfen wächft, Tiegt im Thale des Trent, und wird vorzugsweije aus den Ab⸗ ſchwemmungen des neuen rothen Sandfleinlagers, Durch welches der Trent fließt, gebildet, nach Vermifchung mit Koblentheilen, Dolomit (magneflahaltigem Kalf) und dem von den Nebenflüffen des Trent zugeführten Lehme. Muthmaßlich würde eine vollfländigere Drainirung dieſer Gegend die Güte des Hopfens er⸗ höhen.

Für Diejenigen, welche an den milden Geſchmack des Hopfens gewöhnt ſind, ift der des nördlichen Lehmbodens faſt Uebelkeit erregend. Der Kenter Hopfen jedoch wiederum wird von denen gemieden, die an den noch milderen Geſchmack des Worceſter Hopfens ſich gewöhnten; letzterer übertrifft in dieſer Beziehung den beſten Kenter Goldranken und bietet in der Regel einen ſehr lieblichen An⸗ blick dar. Im praktiſchen Gebrauch bringt der Worcefter Hopfen früher als jeder andere das Bier zur Reife. Er wächft auf dem rothen Boden im Thale der Saverne und befigt nach Anficht der Biertrinfer eine angenehme Milde, welche fich in anderem Hopfen nicht findet. Daher würde in Lancafhire, Cheſ⸗ hire und einigen anderen Diftriften, wo durch den Worcefter Hopfen der Ge⸗ ſchmack verwöhnt ift, felbft feiner Kenter Hopfen ald unverfäuflich zurückgewieſen werden. Ein feiner Lancafhire» Biertrinfer nennt Bier, welched mit Kenter Hopfen gebraut if, Porter⸗Ale. Die fragliche Gattung ift jedoch nicht für bie Zubereitung der beflen Qualität von Malzggetränfen, nämlich von Lihten⸗Ale (Weißbier) geeignet, weil jener Hopfen nicht in genügender Weife Die Eigenschaft des Dauergebens befitt.

Der rothe Boden von Worcefterjhire ift aus Trümmern des neuen rothen Sandfteind gebildet, welche durch die Fluthen der Saverne geflebt und fortges ſchwemmt werden. Der Reiſende berührt einen Theil dieſes KHopfentiftrictes auf feinem Wege von Worcefterfhire nach Malvern. Der rothe Boden von Hereford, auf welchem gleichfalld Hopfen in großem Mapftabe gezogen wird, tft aus altem rothen Sanditein gebildet und in Milde des Geſchmacks, glaube ich, fommt der dort gewonnene Hopfen dem von Worcefter ziemlich gleich. Meich, oder und brödelich gleicht diefer rothe Boden in jolcher Hinficht dem von Kent und Surrey, von welchem der Canterbury⸗ und Farnham⸗Hopfen gewonnen wird. Deffen ungeachtet unterfcheibet fich auch die in fraglicher Gegend wachſende Hopfenart von denen auf Kent und Surrey. Man hält fle für einen Abkömm⸗ ling der flandrifchen Rothranfe*). |

Solchergeftalt Hat der Boden und die Dertlichkeit, wo ber Hopfen wächft, und die Urt, welche gebaut wird, ftarfen Einfluß auf den Geſchmack, welchen der Hopfen dem Bier verleiht. Außerdem aber werden auch durch die Zeit des

*) Das Berhältniß, in welchen diefe einzelnen Hopfenarten in England gezogen

Der Hopfen. an den Kraft gefeiert. Dem Müden und Schlafloſen hat das Hopfenfiffen oft er- friſchende Ruhe bereitet, wo jedes andere Schlaf erzeugende Mittel erfolglos ges blieben war. Dem Entweichen des vorerwähnten flüchtigen narkotifchen Ins gredienz aus den Blüthen wird, obwohl dafjelbe nur in jehr umbedeutender Duan,

tität Rattfindet, dieſe einfchläfernde Wirkung des Hopfens utgeaahtig age fchreiben fein. |

Bon. bemfelben:füdhtigen Iuprebleng if ber-@eruc bedingt,

in Hopfenlagerhaͤuſern trifft, ſowie ein großer Theil des Aromas, welchen der Hopfen dem Biere gewaͤhrt. Auch iſt die Entweichung dieſes Stoffes ſelbſt aus dem vollkommen feſt geſtopften Hopfen bie Urſache davon, daß derſelbe durch längeres Aufbewahren jo weſentlich an feiner Güte verliert, indem er nach Ver- lauf eines Jahres in der Negel um ein Dritiheil im Werthe fich verringert. Auch beim Einkochen der Würze wird ein Theil deffelben ee Elements ausgefchieden und geht dem Biere verloren.

b. Das aromatische Harz. Wenn die trodenen Gopfenblůthen ge⸗ klopft, zerrrieben und geflebt werben, ſcheidet ein feiner gelber Staub von den— felben aus, welcher an Gewicht ungefähr dem fechöten Theil von dem des Hopfens gleich Fommt. Dieſes feine Pulver wird zuweilen mit dem Namen Lupulin be zeichnet. Hopfenfäufer nennen ed bie Grundbebingung des Hopfens. Unter dem Mifroffop erkennt man dies Pulver als aus etwas durchfichtigen Körnern, oder Gicheln von einer rumblichen Form von goldgelber Farbe und Zellgewebe- bildung beftehend. Durch das Trocknen verlieren fie ihre runde Geftalt und zertheilen fich im Waffer in eine außerordentlich große Anzahl winziger Kügel- chen. Die Functionen diefer organischen Tupulinifchen Eicheln ald eines Thei— leö der Pflanze find noch vollftändig in Dunkelheit gebüllt. Sie befigen einen ftarfen angenehmen Geruch und einen bitteren Gefchmad. Innerlich gebraucht, find fie aromatisch und ftärfend. Sie beruhigen und dämpfen, lindern den Schmerz, verlangfamen den Pulsſchlag und find im geringem Grade Schlaf erzeugend. Alkohol entwickelt aus ihnen über die Hälfte ihres Gewichtes ein

röthlich gelbes, durchfichtiges Harz, welches wenig aromatifch und in reinem Zus

Rande frei vom Bitterkrit ift. Dies ift Das aromarifche Harz der Hopfenblüthe, vom welcher es den zwölften Theil oder 8 Procent des Gewichtes bildet, Welchen Antbeil dieſes Harz an den Wirkungen bat, die das * ganzen Körner erzeugt, iſt noch nicht genügend ermittelt.

c. Das bittere ETement. Außer dem Harze enthalten die Fleinen Körner 2 Procent eines flüchtigen Oels, 2 Procent Gerbftoff und 2 Procent eines befonderen, bitteren Elementes. Diejed legtere ift der befanntefte Be— ftandtheil des Hopfens und verleiht unferen Bieren Bitterfeit, Auch in den übrigen Theilen der Blüthe ift ein bitteres Ingredienz enthalten, mit welchem wenige genauere Unterfuchungen bisher angeftellt wurden. Der ‚bittere Stoff jener Körner wird für narkotifch gehalten; feine wahre Wirfung auf den menſch⸗

lichen Organismus ift aber noch unbekannt. Der Gerbeftoff trägt. —* BB

flären des Bieres bei. Obſchon num die ſpezifiſchen Birfungen eines jeden ver in

Der Heyfen. 113

6‘

Dem größeren Theil der Lefer mag e8 fonderbar erſcheinen, vielleicht wird er ſelbſt der Wiflenfchaft einen Vorwurf daraus machen, daß bie che⸗ mifche Analyfe eines fo allgemein gebrauchten vegetabiliihen Produktes, wie der Hopfen ift, noch fo unvollftändig, unfere Kenntniß feiner Natur und Zu⸗ fammenjegung jowie der beſonderen phyſtologiſchen Wirkungen jeiner einzelnen Beftandtheile noch fo unbefriedigend ift. Der unterrichtete Chemiker hingegen, welcher weiß, wie ausgedehnt dad Feld chemifcher Rachforfchung geworben, wie rajch unfere Erfenntniß auf deinfelben im Allgemeinen im Vorfchreiten begriffen ift und der in jeinen täglichen Studien mit folhem Wachsthum der Wiffenfchaft gleichen Schritt zu halten fich bemüht er wird fein Erflaunen empfinten. In der That muß er den Wunſch hegen, alle folche Dunkelheiten und Schwierige feiten aufgeflärt zu jehen. Doch wird er mehr zu Dank und Lob gegen bie vielen eifrigen und der Wiffenfchaft ergebenen Männer fich bewogen fehen, welche in allen Rändern gegenwärtig dieſes Feld bebauen, um fle in ihrem Werke zu er- muthigen, al& daß er darum tadeln möchte, weil fle genöthigt waren, einen Theil des ausgedehnten Gebietes bisher unbebaut zu lafien.

Wie wir fahen, gehört ter Hopfen zumal in England zu ben in audges breitetften Mapftab verwendeten narkotifchen Mitteln. Doch unterfcheidet er ſich von Tabak und anderen, hiernach noch zu erörtenden narkotifchen Kieblingäftof- fen, indem er felten anders ald officinel ungemifcht verwendet wird. Hingegen wird er Aufgüffen, wie 3. B. den Ralzgebräuden zugefügt, um Geruch, Geſchmack und narkotiſche Eigenjchaften zu verleihen. Auf folche Weife gebraucht, bildet der Hopfen unzweifelhaft eine der Urfachen angenehmer Aufregung, lieblichen, narfotiichen Rauſches und heilſam flärfender Wirfung, welche gut gehopftes Bier befanntlich auf diejenigen hervorbringt, deren Körperbeicyaffenheit ihnen daſſelbe su trinken geflattet. Andere gewöhnliche vegetabilifche Broducte geben den Malz« gebräuden zwar auch einen bitteren Gejchmad. Wermuth, Enzian, Bitterholz, Kamille, verfchiedene Sorten Kornfräuter, Ginfterjpigen, Erdepheu, gewöhnliche Heyde, Burbaumfchale, Löwenzahn, Chicory, Drangenferne, Picricfäure, Chi⸗ rayta, das giftige Strychnin*), und manche andere Subflanzen find in Eng⸗ land gebraucht oder empfohlen worden, um den Hopfenverbrauch zu erjegen oder zu verdrängen. „Keined genannter Mittel aber verleiht auch nur Annaͤherungs⸗ weife jene bejonderen Eigenichaften, durch welche das englifche Biiterbier heu⸗ figen Tages feinen hohen Ruf genießt.

Intereffant ift es zu beobachten, wie die Menjchen ihren angeftammten Geſchmack überallhin mit fich führen, nach welchem unbekannten Lande und neuen Klima fie auch gelangen mögen. Die Liebe zu Hopfen und Bier wurde

*) Strychnin if eine intenflv bittere Eubftanz, in nux vomica enthalten; chirayta, eine ebenfo bittere Pflanze Indiens, und Picriefäure eine beinahe gleichmäßig bittere, durch die Wirfung von Salpeterfäure auf Indigo erzeugte Subflanz. Die beiden fegteren hat man erft neuerdings zur Gewährung bitteren Geſchmackes in das Bier {U verwenden verfucht. Das erſtere ift zu giftig, um anteren als gewifienlofen Mens chen empfeblenswerth zu erfcheinen. Es ift dermaßen bitter, daß fein Borhandenfein bei einer Auflöfung in dem 600,000 fachen Waflergewichte entdeckt werten kann.

Der Hopfen. 715 Wünfchen und Neigungen ihrer Kunden zu fröhnen fucht. Ihr Gebrauch iſt

durch Parlamentsafte verboten bei einer Strafe von 200 Pd. St. für ben

Brauer und 500 Pf. St. für den an den Brauer verfaufenden Droguiften. Ein Ertract wird jedoch bereitet und verkauft, und man hat Grund, ein ſehr ftarfes Conſumo deſſelben anzunehmen (Pereira). Einige Schriftfteller über Brauerei geben offene Anleitung zum Gebrauche dieſes Gewächſes z und ald an= gemeſſenes Verhältnif werden von Morrice dem ehrlichen (!) Brauer 3 Pfund Coceulus indieus auf je 10 Quarter Malz empfohlen. Von unebrlichen Prauern wird zwweilen bis zu einem Pfund auf die Tonne von 54 Gallonen verwendet, nebſt Calamus aromaticus und Iriswurzel, um das Gchräude fchmad- baft zu machen, Wenn mun 1 Pfund wirklich 4 Scheffel Malz erſpart, jo muß durch die im Jahre 1850 eingeführten 2359 Etr., wenn fie ſaͤmmtlich zu diefem Zwecke verwendet wurden, die enorme Summe von ur Scheffeln Malz erſpart worden fein, ln” Vorzugsweiſe auf die niederen Boftötfaffe wird -diefer Beteugigehki Die Mittelklaſſen in England ziehen das dünne weinartige Ale und die bitteren Biere vor. Der gewandte, bejfer jitnirte Arbeiter liebt einen Trunf, der reich und voll auf der Zunge iſt. Der arme Bauer aber ſucht nach des Tages Mühen auf den Grund des ihm vergönnten einzigen Glaſes Etwas, das merfbar auf fein Gehirn zu wirken vermag. Desbalb wird bejonders unter der Taglöhnerklaffe das ſchwere, verſetzte Bier des Bälichers begehrt und getrunken. Vermuthlich auch kann ein Theil der eigenthümlichen , thterifchen Beraufchungseriheinungen, denen man nicht felten unter een Zuusey _— Coceulus indieus geſetzt werden. I 1 Die Wirkungen, die dieſe Subſtanz erzeugt, sollen er. Damit verfegtes Bier getrunfen haben, mehr auf „bie Bewegungdmusfeln als auf die Geiftesthärigfeit‘ fich Außern*). Iſt dies der Ball, fo mag ein Menfch unter dem Einfluß dieſes Stoffes ſich darüber verwundern, feinen Körper unbe- holfen zu finden, während fein Geift verhaͤltnißmaͤßig Elar geblieben und noch im Stande ift, mit ziemlicher Eorreetheit zu denken und zu urteilen. Andere bin« gegen behaupten: daf die Einwirkung des Coceulus hanptfächlich auf das Ge— bien ftattfinde; wonach anzunehmen fein möchte, daß feine Wirkungsart einiger- maßen je nach der Indieidualität des Eonfumenten Veränderungen erleidet. In ſtarken Dofen ift er allen Thieren giftig, und ein häufiger, bekannter Gebrauch Bi yore pr ie un Auges BR Weiden nun, wie *) Pereira Materia medien. 3. Ausg. p 2156. | **) In Indien werden bie jerriebenen Blätter des Plyllanthas coraml und die Kap⸗ feln des Xantophyllum hastile (Rindley) und am Himalayagebirge der Samen ber Chanbmoogra und bie Frucht des immergrünen Took oder Hydrocarpus zur Betäubung von Fiſchen benugt (Hoofer), Die zerquetichte Wurzel der Handia dumelorum übt ine ähnliche Wirkung (Rorburgh). Mir unbekannt iſt, daß irgend eine dieſer Subftangen von Menſchen genoffen werde. Die Eüdamerifanifchen Indianer verwenden zerriebene An: gofturarinde zur Betäubung von Fiſchen (Hancock) und bie ern machen denfelben Gebrauch von Cinchonaſchale (Saunters). |

Der: Hopfen: 717

Baumes zur Mifchung mit dem Meethe gebrauche*); doch ift es unentfchieben, ob fie narkotishe Wirkung üben. Andere Weifende erwähnen eine Wurzel Namens „Taddo“ ald unter den Aetbiopifchen Stämmen allgemein gebräuchlich zur Verſetzung ded Gemijched von gemalzter Gerſte und Honig, woraus ihr Lieb⸗ lingsgetraͤnk bereitet wird. Die chemifche Analyſe dieſer Subftanz iſt noch un⸗ befannt.

5) Inı nördlichen Europa. Dad Ledum palustre (Sumpflevum ober wilder Rosmarin), eine im nördlichen Europa gewöhnliche Haidepflanze, wurde früher in Schweden und Norddeutſchland benutzt, um den Malzgetraͤnken Bitter⸗ feit und wejentliche Stärfe zu verleihen. Seine Blätter in die Würze geworfen, machen das Bier ungewöhnlich higig, fo Daß es Kopfichmerz, Uebelfeit und bei übermäßigen Genuß felbft Delirium erzeugt. In Deutfchland wurde aus diefem Grunde der Gebraud; defjelben gefeglich verboten. Aehnlich wie mit dem Coc- culus indicus in unferem Lande foll auch jene Pflanze im nördlichen Theile Deutfchlands noch jegt unter betrügerifchen Brauern in ausgedehntem Gebrauche ſich befinden **), um dem Biere eine gefährliche beraujchende Kraft zu verleihen. - Wann und wie follen die Armen und Unwifjenden Schuß finden gegen den Tenntnißreichen Betrug? |

Das Ledum latifoliam befigt ähnliche narfotiiche Eigenjchaften und wird, wo es fich in binreichender Menge vorfindet, anftatt des palustre oder vermifcht mit demjelben verwendet.

In Rordamerika find diefe beiden Pflanzen unter dem Namen Labratorthee befannt, und werden ald Surrogat für chineflichen Tihee verwendet. Beide wir⸗ fen -zufammenziehend und enthalten neben der Gerbjäure, aus welcher dieſe Eigenfchaft entftammt, wahrfcheinlich auch ein noch nicht erforfchtes narforiiches Element. Diefem Tegteren find die beiden Eigenthümlichkeiten zuzufchreiben, . welche jene Pflanzen zum Surrogat für Thee in Faltem Klima cbenfowohl ala zu einem Berauſchungsmittel Durch DVermifchung mit dem Biere qualificiren. Nach Dr. Richardſon ift das fchmalblättrige L. palustre unter beiden genannten Ar« ten am Beten zu Bereitung' von Thee geeignet. Beide Pflanzen würden eine genauere chemifche Uinterfuchung wohl reichlich Tohnen.

Die Blätter der Schafgarbe (Achillea millefolium) haben bie Eigenichaft, Betäubung zu erzeugen. Im nörblicyen Schweden werben fie von den Dalecar⸗ liern gebraucht, um ihrem Biere beraufchende Kraft zu verleihen.

6) In England wird den Scharlachfraut (Salvia sclarea) die Eigen ſchaft beigemefjen, dem Bier beraufchende Kraft zu verfchaffen. Auch Safran, bie getrocknete Narbe des Crocus sativus, hat eine ähnliche Wirkung. Er übt einen fpezififchen Einfluß auf Gehirn und Nerven und verurfacht, in ftarfen Dofen genofien, unmäßige Heiterfeit und unwillfürliches Lachen. Seine bes Iuftigende Eigenſchaft ift fo merhvürdig, daß man in ihm das nepenthes bed Homer erfennen zu Dürfen glaubte. Um eine Tuftige Laune zu bezeichnen, wurde

*) Haris' Hochebenen Aethiopiens. **) Beckwith's Geſchichte der Erfindungen (Bohns Ausg.) Bol. II. p. 386.

718 Agrikulturchemie.

es ſprüchwörtlich: „Dormivit in saccocroci“ (Er ſchlief auf einem Hopfenfad). Auch hat der Safran die befondere Eigenfchaft, den durch alfoholifche Getränfe erregten Raufch zu neutralifiren, was einiger Maßen auch mit dem Hopfen ber Fall if. Died war dem Plinius befannt, welcher von dem Safran fagt: „daß er die vom Wein bewirkten Hirnnebel zerftreue und Trunkenheit verhindere.“ „Er wurde daher von ftarfen Weinzechern in ihren Trunf gemifcht, um fie zum Genuſſe großer DQuantitäten, ohne betäubt zu werden, zu befähigen‘ *). Seine Wirfung ift jedoch ungewiß und er wird gegenwärtig in der Heilkunde wenig und weniger noch, glaube ich, zur Bälfchung von Bier verwendet.

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*) Mäheres über Saffran f. Philipps Gefchichte der gebauten Begetabilien. Bol. II p. 180 (Engl. Ausg.).

Die Heraldiß und ihre Quellen.

Ben $. ». Alvensleben.

Keine andere MWiffenfchaft ift fo vollfommen abgeſchloſſen, fo fe und unum⸗ ftößlich begründet, wie die Heraldik, auch Wappenfunde und Heroldskunſt ges nannt, obgleich der erfte Name der zulegt allgemein angenommene und gebräuch« liche iſt. Ä

Bei der Heraldif giebt es Feine Entdeckungen ober Erfindungen zu machen, feine Neuerungen oder Berbefierungen anzubringen. Ihre Regeln ftehen jeit Jahrhunderten unerfchütterlich feft, allgemein anerfannt, von feinem Zweifler oder Tadler angefochten, gewiſſermaßen verfeinert, und wäre die Heraldik nicht eine ganz unentbehrliche Hiftorifche Hülfäwiffenfchaft, fo könnte man fle wegen ihres gaͤnzlichen Mangeld an practiihem Rutzen füglich eine todte, eine unnüge und überflüfftge Wiffenfchaft nennen. Gleichwohl gibt e8 felbft in unferen Tagen noch Viele, die ſich aus Liebhaberei mit dieſer Todten befchäftigen, namentlich durch Die Unlegung von Wappen= und Siegelfammlungen, und es ift fogar eine eigenthümliche Erjcheinung, daß zahlreiche Familien des Mittelftandes und fogar bie niederen Schichten deſſelben, bei denen man nicht das geringfle Interefje für eine jo trodene, durchaus Feinen materiellen Rugen gewährende Wiſſenſchaft vermuthen follte, fich von heraldiſchen Kabeldichtern ihr Wappen malen und ih— ren Bamilienuriprung angeben, wohl gar eine ausführliche Genealogie aufftellen laſſen, obgleich fle ihr Gejchlecht oft nicht über das dritte Ahnenalter zurüds führen Tonnen und ihre Aelterväter gewiß nicht daran dachten, fich ein Familien⸗ wappen beizulegen, jo wenig ihnen dies auch vielleicht gewehrt werden konnte.

Wir vollen indeß auf diefe Liebhabereien, dieſe Lächerlichen Auswüchfe des Ehrgeized oder der Eitelfeit, Hier nicht weiter eingehen, fondern uns darauf beichränfen, in gebrängter Kürze dad ganze Weſen der Heraldik zu jchildern. Wir halten dieſe Kürze bei den vorliegenden Zwecke für unerläßlih, denn wollten wir und auf eine ausführliche Erörterung des Themas einlaflen, fo müßten wir demjelben, gleich unferen zahlreichen Vorgängern, mindeftens einen ganzen Band widmen, ohne deshalb irgend etwas Neues jagen zu können.

Die Heraldik und ihre Quellen, at

Kennzeichen nicht, vielmehr wurde ihr Gebrauch allgemeiner, ging von dem Bür- gerftande auf alle anderen Stände, auf Stäbte und Gorporationen, über ind wurde durch anerfannte Regeln zu einem vollftindigen Soſtem ausgebildet, dad ein förmliches Stubium erforderte und ſich dadurch zu den Range einer Willen» fchaft emporſchwang. I 1-17 Br: ni me mm

Da 08 darauf anfam, Die Zeichen ber Wappen zu einem untericheidenden Merkmale zu machen, jo mußte natürlich eine unendliche Menge und Verſchieden⸗ artigkeit der Wappenfiguren entſtehen, weil’ außerdem zahllofe Berwechjelungen,

Irrthümer und Mifverftändniffe herbeigeführt fein würden; indep gab es doch bei aller Verfehitdenartigfeit gewiffe Orundfiguren, die Dadurch die unend⸗ lichfte Mannigfaltigkeit möglich machten, daß fle in der Form, der Stellung, den Verzierungen und den Farben von einander abwichen. Alle dieſe verfehiebenen Figuren erhielten ihre beftimmten Benennungen, und Diefe Anzahl von einander abweichender Formen umd Namen zu Fennem, dazu war in der That nicht mir ein eifriges und anhaltendes Stubium;, fondern auch ein ſehr gutes Gedächtniß erforderlich umd es gehörte daher nicht ee day! ein Waybenherold zu fein. - | An m umyı =

' Diefe Regel Pre nf iöier ke alfmätig ——— kennung kamen, haben auch jetzt ihre volle Gültigfeit, und wir laſſen die Grund⸗ züge derſelben und die Ramen hier folgen, müffen aber ihre ausführlichen Kennt» niß und die Unterfiheidungszeichen der berſchiedenen Arten der gleichnamigen Figuren den Heraldifern vom Fady, fo wie Dewen überlaffen, welche aus Lieb- haberei das Studium diefer Wiſſenſchaft treiben, - Uns muß bier eine kurze Aufzählung genügen, denn eimerfchöpfendes- Eingehen würde nicht nur viel mehr Raum erfordern, ala uns zu Gebote flebt, fondern auch viele hundert Ab⸗ bildungen der Grund-Figuren in ihren zabllofen Variationen der Schilder, Kro- nen, Helmverzierungen, Schilphalter, Se und a rn er Ausſchmuͤckungen der Wappen. date u TEE

Die einzelnen Theile, —* ee Bann ciathiwade min, find bie folgenden :

Der Schild mit feinen Uran. | u Ian

Die Karben, 9 mn N Wwı8

Die Figuren, und ‚Baer bie Ort. * CHenyige und bie Figuren.

Die redenden als: Vögel, erfuhige Fiſche⸗ Bine und Lingeziefer, Gemächie, —— —— dein Pe En SIE und Gewerbe. ET

Die Helme mit ihren Oefnungen.. un (mung

Die Kronen. *

Die Helmdecken, Maͤntel * ee Arten mini WR y ZT

Die Schildhalter oder Wappenknechte. BE mi

Mas nun den Schild, ald bas ambebingte Sauptftücteined Wa ie betrifft, fo war deſſen Geflalt zu verfchiedenen Zeiten fehr verfchledemartig: drei- * EN rautenförmig (auch oben und unten ae 9* laͤnglich⸗ rund

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Die Heraldik und ihre Quellen, 123 dem durch dab von den ———

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"Fig; 8 Ban; - senmın; _ Bi » ein; Bw PBurpur

Außer dieſen eben —ñ— A gibt es Kon drei —* Zeichnungen, die nur uneigentlich Farben genannt werden können, die man aber dennoch dazu rechnet. Dies find Fig. 12. gewöͤhnliches Pelzwert, Fig. 13 Ger⸗ melin, jo wie endlich Fig. 14 Eiſenhüͤtlein, die für gewöhnlich, wie fie hier an⸗ gegeben find, blau und filber gefärbt find, ati —— —* Farben und Zuſammenſtellungen vorlommen. W

Als Heroldo⸗ oder Ehren⸗Figuren rk man fotie, feine beftimmte Bedeutung beigelegt werden Fann: Im ber Megel betrachtet man dieſe Ehrenfiguren als einen Beweis von dem hohen Alter des Wappens, allein auch diefe Regel ift nicht unumſtößlich, denn es gibt Wappen mit gemeinen oder redenden Figuren, bie ſich mit Recht eines höhern Alters rühmen bürfen, ald andere, die nur Ehren-Figuren aufzuweiſen haben, |

Diefe Ehrenfigurem find meiftens jolche, Die in geraden, gebrochenen oder

gezackten Linien den Schild der Quere, der Länge nach, oder fihräg in zwei oder mehrere Belber theilen; aber auch noch andere ** ng Deutung gehören in diefe Kategorie. 1

Zu dieſen Herolds⸗ oder Ehrenfiguren na die drel vben erwähnten Quertheilungen eines Schildes, das Haupt, den Balken und den Fuß: ferner das Schild-Gehänge oder Bande, bie Scherffe ober breite Rinme, bie Pfähle, Säulen ober Stöde, die Sparren ober Giebel, die Kreuze, Die legteren haben zahlreiche Haupt- und Unterabtheilungen, und zwar 1) bad aufrecht geftellte Kreuz mit ben Abarten: das ſchlechte Kr. das auögefchweifte Kr. das Fußes. das Antker⸗Kr. das goldene ariechiiche-RKr. das Blumen⸗Kr. das Knebels fr, bad boppelte erzbifchöfliche Ar. 2) Dad fchräge oder burgundiſche Kreuz, auch Andreaſs⸗Kreuz genannt, 3) Das T oder PlattsKreuz 4.) das Voder Schächer-Kreuz. Die 2. 3, und 4, Urt bes Kreuzes fommen in md in Beichnungen mit allen nur denk⸗ baren Figuren vor. 8*

Die Shitveinfaffung * ve Schtidrand ahlt ebenfells mit zu den Ehrenzeichen, und nicht minder der Schil dkragen, d. 5. eine außerhalb: des Schildrandes herumgehende Verzierung oder zweiter Rand, die ledige Bierung die ledigen Dreiede —der Schildfuß, d, hd. wenn die ganze untere Abrundung des übrigens in Felder getheilten Schilded ungerheilt gelaffen wird und endlih Schild auf Schild, d. h. wenn ein Fleinerer Schild (ober. mehrere Schilder) auf andere größere Schilder gelegt find, wie dies. bei den meiften Wappen fouberäner Kürften, aber auch bei ablichen Bamilien, beſonders wenn fle früher dynaſtiſch waren, oder mehrere Beſttzungen haben, der Ball ift.

Die His jegt genannten Ehrenzeichen oder Heroldsfiguren bilden bie erfte Ordnung oder Abtheilung berfelben, es gibt aber auch noch eine zweite, und

46 *

Die Heraldit:und Ihre Quellen, 725

Dabei blieb der Helm noch länger als der Schild ein perfünliches Zeichen, und man findet daher über den gleichen Wappen oft Helme mit her fehiedenartigen Abzeichen felbft bei den Bliedern gleichen Stammes nicht nur, fondern auch gleicher Linie. Auch wird der Helm über den Wappen, namentlich

bei anderen Kationen, als der deutfchen, oft ganz weggelaffen und flatt des⸗ ſelben Kronen, Hüte, Kränze sc. angebracht, befonderd zur Bezeichnung tes Standes, und die Kronen, welche den Abelsrang bezeichnen, find fogar in neuefter Zeit auch in Deutichland viel üblicher ald die Helme, welche letztere man beinahe nur noch bei dem vollſtändigen Wappen findet, während man fich für gewöhnlich nur des Schildes allein mit einer Krone darüber bebient.

Rach den Megeln der Heroldöfunft gab es zwei Arten von Helmen, nämlich die gefchloffenen oder Stech-Helme, zum ernften Kampfe üblich, und die offenen oder Turnir⸗Helme, die indeß auch nicht ganz offen waren, fondern ein Bitter hatten, welches frei zu ſehen erlaubte, während es zugleich dem Ge⸗ fihte Schuß gewährte.

Man ift zwar bemüht geweien, bie Zahl der Gitterftaͤbe der offenen Helme als ein Zeichen des Rang-Unterfchiedes aufzuſtellen, allein dies iſt wenigſtens in unferen Zeiten nicht anerkannt; die adlichen, graͤflichen und fürftlichen Gelme find daher gleichmäßig vergittert, die Helme der Löniglichen und anderen herr⸗ fchenden Häufer dagegen ganz offen, jowie Die der bürgerlichen Familien, welche ein Wappen führen, gejchloffen.

Man ftellt übrigens fehr oft über die Schilder auch mehr als einen Helm, was als ein Zeichen mehrerer Beflgungen gilt. Der mittelfte Selm wird dann gerade geftellt, die Abrigen feitwärts, dem erflen mit dem Geflchte zugewendet.

Die Farbe der Helme ift entweder Blau (die Barbe des Stahles veriretend), Silber oder Gold. Eine fefte Regel gibt es hierüber nicht; die Farbe bleibt dem Ermeſſen eines jeden Ginzelnen überlaffen, und meiftentheild fieht man goldene Helme,

Die Helmpverzierungen find fehr verfchiedener Art. Oft bilden fie eine Wiederholung einzelner Figuren der Wappenfelder, oft find fie aber auch von denfelben ganz verfchieden. Die am Häufigften vorkommenden find Büffel« hörner, verfchiedenartig gefärbt, und mit allerhand Verzierungen geſchmückt; Bündel verfhiedenartiger Waffen, ald Lanzen, Bahnen, Schwerter, auch Fahnen; einzelne Waffen oder Waffenſtücke; Udlerflügel, einzeln oder gepaart und in verfchiedenartiger Stellung. Zwar fagte ein alter Vers con den Helmverzierungen:

„Das, was man träget insgemein. Muß Hörner oder Federn fein.“

Allein wenn dies auch ald Regel gelten möchte, fo erlaubte man fich doch davon, wie wir gefagt haben, und wie der Anblid vieler Wappen zeigt, fehr zahlreiche Ausnahmen.

Diefe Helmzier ſetzte man übrigens nicht unmittelbar auf den Selm, ſon⸗ dern man fehmückte dieſen entweder mit einer den Rang bezeichnenden Krone, oder man umwand den Helmkopf mit einer Art von Wulf, ähnlich dem Kiffen,

Die Heraldik und ihre Quellen. am

in dem geiftlichen Stande, und die jo gewiffermaßen ihrer Familie das Recht zur Führung diefes Attriburd ald Erbſchaft hinterließen. Ein ſolches Recht vor. einem unferer modernen Gerichtshöfe durchzuführen, bünfte a vielleicht eben fo ſchwierig fein, als es fiegreich zu befimpfen. rm ENTER)

Mas nun die Karben der Helmdecken betrifft, jo Harmonirei biefelßen jever- · zeit mit denen der Wappenfchilver, indeß ohne beſtimmte Megel in der An- wendung auf bie Felder und die Figuren. Bei der Anordnug —— def gilt es als Regel, daß die Metalle zumächft des Helmes zu legen find, die anderen Farben aber auswärts, nach dem Schildrande zu, wobei indefi Farben und Metalle auch immer theilweis untermifcht bleiben, fo pin der obigen Megel nur von der vorwiegenden Färbung die Rede iſt.

Hat der Schild viele Felder, und folglich auch eine größere Anzahl von Farben, jo bringt man gleichwohl in den Helindecken nur Höchften drei an, ge- wöhnlich aber nicht mehr ala zwei und zu diefen wählt man meiften® die am bäufigften borfommenden, wenn man ſich micht etwa durch die Wahl der Farben von anderen Familien oder auch wohl ter —— unter» fcheiden will.

Dabei ift auch zu bemerken, vah der Aben geöpteineile bie harhen der 8i- vree feiner Dienerfhaft nach den Farben ber Helmderen feined Wappens be- fimmt, jo zwar, daß die Grundfarbe durch die gemeine Barbe beftimmt wird, die Verzierungen, als Treffen, Ligen, Knöpfe, ze. aber durch Die Metalle. *

Noch unterſcheidet man bei den Helmdecken alte oder glatte, und neue oder trauſe, obgleich auch die lehteren ſich ſchon eines reiht wſpeeiablen Alters erfreuen,

Die Schildhalter oder Mapyenfnehten

Diefe eigenthümliche Verzierung der Wappen ift zwar nicht bei allen ap pen gebräuchlich, und mitunter entbehren fogar bie Äfteften derſelben, während neugefchaffene die Hinzufügung dleſes Schmuctes, der das Ganze mehr in bie Augen fallend macht, ſchwerlich unterlaffen werden. Die größere Mehrzahl aller Wappen aber ae ana e nawellen in⸗ dep auch nur an einer..

Es wurden und werden 4 zu —— allerhand Figuren gewählt, Menſchen, Thiere oder Schöpfungen der Fabelwelt, welche in aufrechter Stellung entweder neben dem Wappenſchilde Wache zu ſtehen, * aftebe, indem fte es halten, befchügen zu wollen feinen. 0

Löwen fpielen unter den eh NEN aber findet mar, wie bereits erwähnt, auch allerhand andere Figuren. Wir er⸗ wähnen bier: Geharniſchte Mitter; wilde Männer (Dünemark, Preußen) Drachen (Portugal), Ochs und Greif (aRetLeHbKEg), ze. a Eintera (Enge land), Raben, Pfrteun.f.w, u

Außer allen den bereits genannten Figuren gibt es auch noch befondere Standes-Zeichen, Hierher gehören, wie wir oben bereitd andeu= teten, verſchiedene Arten von Kronen, abweichend, in Form LE Pr von den gewöhnlichen, allgemein gebräuchlichen, die Kur» und Bürften«füte, roth mit einer Verbrämung von Hermelin; die Hüte der giftigen Kurfuͤrſten un⸗

|.»

RK

* * 3

Die Heraldik. und ihre Quellen. 729

Iihen Stammwappen hinzugefügt werden. Den fprechendften Beleg dafür bilten - die Wappen ber großen Herricherhäufer, welche die Zufammenftellung einer großen Menge von einzelnen Schildern zeigen, und oft unter denfelben die Mappen von Provinzen führen, die ihre Vorfahren einft beieffen haben, ohne daß fle hoffen dürfen, diefelben jemals wieder zu erwerben. Ja, e8 werden barin ſelbſt die Wappen von Befigungen aufgenommen, auf welche die Kührer der com⸗ plicirten Wappen vor untenklichen Zeiten einmal einen, vielleicht gänzlich unbe⸗ gründeten Anfpruch erhoben haben, ohne indeß jemals in den wirklichen Bes fig derfelben gelangt zu fein. Diefer Umftand, fo wie die Kortführung des urfprünglichen, oft nur durch weibliche Abftanımung ererbten Kamilienwappeng, macht es erflärlih, daß man in fürftlichen Wappen oft die charakteriftifchen Bilder von Ländern oder Provinzen findet, bei denen man fich nicht zu deuten weiß, wie fle fich eben in das Wappen verirrt haben, oder woher es kommit, daß Geſchlechter der entfernteften Gegenden die gleichen Zeichen führen, obwohl allen Anichein nach ein näherer Zuſammenhang, eine Gemeinfchaftlichkeit der Anfprüche aufden Befig, der Durch das Zeichen angedeutet werden joll, gar nicht ftattfinden kann.

Die Erlangung oder Vermehrung eined Wappens kann erfolgen: durch Onabenverleihung eines fouverainen Kürften, in unferen Tagen die gewöhnlichfte, eigentlich die einzige Art, denn ſelbſt die Vermehrungen werden in der Regel durch die gnadenreiche Bewilligung des Herrfchers bedingt.

Rei dieſer Erwerbung (Verleihung) neuer Wappen werden wohl aus Ichließlicy nur die gemeinen Figuren in dad Wappen aufgenommen, indem man dazu redende wählt, die in irgend einer Weife in Beziehung zu den Verdien⸗ ften jtehen, welche die Verleihung des Wappens herbeiführten.

Bei der Erhebung zu einem höheren Adelsrange ift es auch, 3. B. in Preußen, üblich, daß der auf ſolche Weile Begnadigte oder Ausgezeichnete das Haupt-Wappenbild des Herrfcherhaufes entweder ganz oder in irgend einem ein« zelnen Theile jeinem Stammwappen Hinzufügt.

Außer der Verleihung kann die Erwerbung oder Vermehrung eines Wap⸗ pens auch noch durch Uebertragung (3. B. Adoption), Heirath, Erbichaft, Er⸗ werbung eines Anſpruchs xc. erfolgen.

Die Hinzufügung der neu erworbenen Wappentheile zu dem alten ift jehr berjchiedenartig und belichig. Die Schilde Fönnen getrennt oder verbunden, grade, im Kreuze, jchräg, oder zu einem Schilde mit nıchreren Feldern verfchmol- zen, mit einander in Zuſammenhang gebracht werden. Auch legt man ein, zwei, drei Schilder auf die zufammengejchobenen übrigen. Dieje Schilder, weiche auf folche Weife am meiſten in tie Augen jpringen, haben die vorzüglichfte Ber deutung, und zwar it da8 mitrelfte, daß erfte, und nimmt die fogenannte Derzftelle ein; das oberfte ift das zweite und fleht an der Ehrenftelle, und die Stelle des unterften und Dritten heißt die Rabelftelle. Zu dem Mitteljchilde macht man indeſſen auch zuweilen dad geringfte, wenn man das 58 dahin geführte Wappen aus irgend einem Grunde nicht Ändern will.

Brauen behalten nach der Vermählung ihr angeborenes Yamilien » Wappen in ter Art bei, daß fie da8 eigene und das des Garten in gejonderten, jchräg

Die Heraldik und. ihre Quellen, 731

jedem fouveränen Yürften erfolgen, eigenmächtige Beilcgung eines Wavpens aber bedarf der Genehmigung des Landesherrn.

Die Geſchlechtswappen erben auf bie ehelichen Kinder beider Ge⸗ fhlechter fort, werben indeß von den Töchtern nur noch in der erften Generation nach der Vermählung auf die oben bezeichnete Weile geführt, die unehelichen Kinder aber And zur Führung des Wappens, defien ihr Vater ſich rechtlich bes dienen darf, nicht befugt.

Ein fremdes Wappen darf Riemand führen.

Die Auslöfchung, Abreißung, Beſchmutzung ac. eines Wappens, gilt noch in unferen Tagen als ein Schimpf, eine Beleidigung oder Mechtöverlegung, wie fich dies in revolutionären Tagen bei den Wappen der Geſandten oder Conſuln häufig zeigt.

Der Heraldif gewiffermaßen werwandte Wiſſenſchaften find:

Die Geſchichte, für welche wieder, wie bereits im Eingange erwähnt wurde, die Heraldik in vielen Fällen eine nicht unwichtige Hülfswiflenfchaft iſt;

Die Diplomatie, da Urkunden und die an benfelben befeftigten alten Siegel fehr häufig, befonderd bei ftreitigen Meinungen, oder zur Entfcheidung von Uingewißheiten, wo es fih um Orte, Zeiten oder Perionen handelt, Auf⸗ ſchlüſſe zu geben vermögen;

Die Numismatik, weil das Gepräge der Münzen oft im genaueften Zu⸗ ſammenhange mit den gleichzeitig geführten Wappen ſteht;

Die Genealogie, ohne deren Kenntniß oft der Urfprung zuſammenge⸗ jegter Wappen vollfommen dunfel bleiben würde.

Als Anhang möge hier noch für Die, welche tiefer in den bier kurz bes bandelten Stoff eindringen wollen, eine Aufzählung der bedeutendften Werfe über Heraldik folgen.

John Gwillin, a display of Heraldic. London, 1638.

Claude de Cellyer, la nouveau Armorial universel. Paris, 1662.

Marc de Vekson, de la Noblesse et de l’origine des Armes. Paris, 1669.

Daniel de la F&ville, nouvelle möthude etc. 2 Th. Amsterdam, 1695.

Johann Siebmakher, Wappenbuch. Nürnberg, 1695 *).

J. C. Becmann, syntagma etc. Francof. 1696.

Wagenfeil, adriatifcher Löw. Altd. 1704 (Ueber den Adel und die Wap⸗ pen Venedigs.)

Car. Arnd, Bibliotheca selecta. Rostochii, 1705

Caspar Buffing, kurzgefaßte Heroldsfunfl. Hamburg, 1713.

Ph. Jac. Spener, opus heraldicum. Francof. 1717. 1735.

J. A. Rudolphi, Heraldifche Guriofa, Frankfurt und Leipzig, 1718.

Fr. Ph. Schosser, de aestimatione heraldica. Hanov. 1729.

3. Wolfg. Trier, Einleitung zu der Wappenkunft. Leipzig, 1744.

*, Das Werk dürfte von denen in deutfcher Sprache nebft Weigels Wappenbuch das befanntefte fein und am meiften ale Wutorität betrachtet werden, \

132 2 Deal. . 2 Weigel, Wappenbuch. 6 Theile. Nürnberg, 1734: Sodann Paul Reinhard, volliändige Wappenfunft. Rürnberg, 1747. +3, Chr. Gatterer, Abriß der Heraldif. Nürnberg, 1766. J. Chr. Satterer, practifche Heraldif, Nürnberg, 1791.

Unter den neueren berafdifchen Werken verdient das Wappenbuch Der Preußiſchen Monarchie erwähnt zu werden, welche 1831 und 1832 in zwei Theilen in Rürnberg erfchienen ift.

Außer den hiergenannten größeren Werfen gibt es noch eine Menge an derer, die fich mit Heraldik befchäftigen, namentlich mit einzelnen Orben , jo wie mit den Wappen einzelner Völker. In die erfigenannte biejer beiden Katego- rien gehört das angefangene Werk: Die Wappen der Nitterdes Preußi— [hen Johanniterordens, von Frh. v. Briefen, welches ſich durch feine fünftlerifche Ausführung rühmlichft auszeichnet.

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Die Geheimniſſe der Sprache und die * Hauptworte in der deutfchen Sprache ng der un nifhen Hauptworte, Etymologie und Wortbildung. nt Vena he ——

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i meint Duu | sa uam: „Sutil urchnden I R ar Die Sprache ift in mehrfacher Beziehung etwas Unbeiwußted. Die Worte, die. wir durch unfere Sprachwerkzeuge hervorbringen, find nur ein Mitte * Ausdrucke unſerer Gedanken, und wenn uns in der Rede die Gedanken befchäfs tigen, fo denken wir nicht an ihren körperlichen Inhalt; im flüchtigen Gefpräche, wenn und die Worte rajch vom Munde fließen, haben wir feine Zeit, nach einem Warum zu fragen, nad) einem Grunde, weshalb wir Diefen oder jenen Laut fo und nicht anders gebrauchen, weshalb wir die Wahl treffen zwiſchen biefer oder: jener Form, Nur in jeltenen Fällen, nur wenn und eine Sonderbarfeit begeg⸗ net oder ein Sprachfehler auffällt, erinnern wir uns, daß die Form nothwendig mit dem Gedanfen übereinftimmen muß. Nicht minder ift bad geiftige Element der Sprache, ber Inhalt, der Sinn, bie Bedeutung der Worte öfters dem Sprach- bewußtjein fremd. Ein Wort lebt aber dann im Sprachbewußtſein, wenn jeine Ab⸗ ftammung und Ableitung befannt ift und gefühlt wird. Daf zum Beifpiele die Worte Binde, Band und Bund von binden abzuleiten find, daß mahlen, Mehl, Mühle und Müller zufammen gehören, das ift für Niemand ein Ges heimnig. Dagegen gibt es im umferer heutigen deutfchen Sprache eine große Anzahl Worte, deren Gefchichte und eigentliches Weſen und verfchloffen bleiben, über welche wir und Feine Rechenfchaft geben können , "wenn auch ihr Sinn ung: noch fo befannt, wenn auch ihr Gebrauch uns noch fo geläufig ift. Diefe eben nenne ich die Gebeimniffe der Sprache. yo mm w Für das praktiſche Leben ift es ziemlich. gleichgüktig, ob wir über die Abe

‚an m oa hart | 4 f y eig .. al 1 Pr un . ü Bei, ‚mnse nt weten auf en —* ein, ea —* Tegteren betrifft, jo fo |

Due.

Eifenfeaft, wie 68 Die Beute Eprachforiung iR. wen jdn 2 Werten son Grimm, wie Inden EBörterbücgern von Graf, & Ba

En el een nnd ink mi Bei einer Betrachtung über: die Geheimniffe unjerer d | es amerläßlich, daß fich dieſelbe an einzelne Beifpiete fait, ein, daß bei unferem reichen Wortjchage nur ein geringer Theil d zur Beiprechung gelangen kann. Hier wäre Stoff zu einem geboten. : Unſere Aufgabe iſt daher die werfchiedenen Arten der niffe von eianbe u fonbert nd: u eine jepligen) Gastäng 9 zu liefern, zu welchen gewiß häufig gebrauchte Worte au * a Ehe wir das eigentliche Gebiet der Etymologie en, ög Worte Betrachtet werben, deren grammatifche Form und Bilt at j bewußtſein deshalb entſchwunden iſt, weil im Laufe der Zeit f

enweder non De rohen Beenden be eek lichen Bortbildung wiberftehend an ihr haften lieb: So gebrauchen wir eine Anzahl Hauptworte, welche · es ber ori nach nicht fd, fondern welche es erſ allgemein und fo fol gnworden, 5 der urfprüngliche Gebrauch wie auch die ur⸗ Born nie meh et mern. ni a σ‘

Die deutehe Sprache Hat die Kraft; Push-Mntpendung- bes Akrifelds er jonders nn sure —— Worte, ja for

fie Dur) diefe Bößlgfeit:mit ber geiechtfcpen zur philofophtfchen: Gprarhe: ‚Denn: cin fubßantisifeper: Sufnieiv:iß-cin- Begriffen Ea if bekannt sbaf «dies beften: philoſophiſchen Köpfe die Griechen und die Deutjchen find. Und ·teine andere

die Infinitive der Zeitworie ehe find en;:änterlaffee burd; den Artikel

zu Hauptworten machen: das Gehen, das Binden, das Unterlafien;

fo find wir und dejfen bewußt, denn neben dieſen neugebildeten Worten haben wir noch eigentliche Hauptworte: der Gang, der Bund, dir linterlaf= fung. Daß dieſe eine andere Bedeutung Haben, oder wenigjtens haben können, als die infinitisifchen, Das Fommt bier wicht im Betracht. Dagegen gibt 8 auch

neu gebildete Hauptworte, deren eigentliche Form aus dem Sprachbeiwußtfeim ges: ſchwunden ift oder zu ſchwinden beginnt, ſo daß fle zu vollftändigen Baupte worten werden. in Hauptgrund mag der ſein, daß es wie bei ben angeführ⸗ ten an nahe liegenden felbftftändigen und organiſch gebildeten Subftantiven

fehlt, und die Sprache Diejen Mangel Durch Neubildumg zu erfegen ſucht und‘ alsdann die neugebildeten ald organiſch entflanbene anſieht. Dahin gehören unter anderen: das Eſſen, Das Wohlgefallen, das Gelingen; das Sehnen, das Walten, das Weinen, das Wiſſen, und vomallen das: Leben. Dagegen haben auch andere Infinitive, zu denen fich ſelbſtſtändige Hauptworte ftellen, die volle fubftantivifche Bedeutung erhalten» das Erb armen

neben die Erbarmung, bas Laden neben die Lache, das Wirfen

neben bie Wirfung, Das Verſprechen neben Die Verſprechung. Ein Hauptwort, welches urſprünglich ein Infinitiv war, als ſolcher aber in un⸗ jeren Tagen ganz und gar aus dem Sprachbewußtſein entſchwunden tft, verdient‘ befonders berüdkfichtigt zu werben, nämlich Weſen. Wir gebrauchen es meift in philofophifcher Bedeutung: bad Wefen ifb der Inbegriff eines Dinges; Dann fagen wir noch eim lebendes, ein leblofes Wefem, in Zufammenjegung: dad Anweſen und wefentlich, »eigentlich wefenlich. Bis in's 16, Jahr⸗ hundert war wefen ein Zeitwort mit der Bebeutung von ſein (esse; eire), Unfer Sülfsverbum erhält feine Bormen bon verfchledenen Stämmen. Die Bormen, zudenen wefen gehört, find das Praeteritum ich war, früber allgemein

jeden Kay pr Sören je "Das Partieipfum son Diefenf fie mit befreien, frei guſammenhang a a Freiende, ift fomit im im TREE —— thiſchen Ajands iſt das Participium Ai vorkommt, naͤmlich zu jan, Saffen. ‚Die ee vir aufge geben, fonft müßten wir Beind ram. er son im Mittelalter und namentlich von den mitteldeutfchen Dichtern, denen die Form vint geläufiger war ald vient. Freund alfo it der Hiebende, eind kr Haffende, und da Liebe ee at em, job die actibe Form auch für die paſſive Bedeutung. Breund if alfo 22 y de Brliehte, Feine der Gehaßte. 13 ln Fr tal all dbR Offenbar ift auch unfer Wort Abend eine participiale Form. ein Verbum Aben vorausjufegen. Dies findet ſich auch wirklich noch Schweiz; „es aber“ ivie man bort fagt, bedeutet der Abend rückt —* Trotzdem, daß das a in Abend heute ſowohl wie in f liegt es doch nahe, Abend mit dem kurz betonten a acer, weg” in Zus ſammenhang zu bringen. Urſpruͤnglich mag es geheißen haben: „der Tag abet”, ber Tag iſt im Scheiben, oder da a6 auch „herab“ heißt, ſinnlich bildlicher der Tag geht herab, ber Tag finft, kit ag Aag ſer und das Zeitwort unverfönlich gebrauchen. A, * wo» Ft 107 Yo In gleicher Weiſe vermag ae en m ſchaftöworte ein Hauptwort entftehen zu laſſen. Befonders —— geſchichtlich wichtiger Perſönlichkeiten durch Hinzufügung Baupt. worte näher beſtimmt und ausgezeichnet: Karl der Große, Friedrich der u. a.m. Einzelne Apjectiven haben ganz den Charakter eines Hauptwortes genommen, wie der Weife, ein Weifer, der Heilige, ein Heiliger, Andere noch mehr: die Liche, das Leid, das Att find ſanmuuch Subſtantiva. AT 1n= 29, All | iR 13% 308 * Ein Wort beſonders hat feine ehemalige Gefale und Bedeutung

NIE

Eigenjchaftswort ganz und gar verloren, nämlich Menich. —— Rah |

Zeit wurde dad Adjectivum von man, Mann, mit der Ableitungsfilbe einem Hauptworte; im Althochbeutfchen finden fich die Formen net Pr nisgo, aus der Uebergangsperiode ſtammt die Form mennische, m Le ſteht menesche, häufiger mensche, fehr felten ift

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haben (id; Wie ertlnt, weit er in ber That pedantiſch ift, ſich erft ſpãt entwickelt hat und, wie die anderen Sprachen zeigen, nicht unbedingt nothwendig iſt. So finden wir namentlich in den Werfen der Gebrüder Grimm und an— derer Mertreter der deutſchen Philologie ſaͤmmtliche Worte Flein gefchrieben mit alleiniger Ausnahme der Anfangsworte des Sages und der Eigennamen, Ans dere, die nicht fo weit gehen wollen, ftellen den Grundſatz auf, man ſolle bie eigentlichen Hauptworte nach der allgemeinen Sitte groß fchreiben, dagegen bie- jenigen, bie e8 erft Durch den Artikel werden, nicht anders behandeln als was fle zuerft geweſen; alfo ift zu fchreiben : das geben, die heiligen, der jehende u. ſ. w. Dieie Regel wäre in der That werthvoll, wenn fle in ber Theorie richtig und in der Praris vollfommen durchführbar wäre. Denn wo ift die Grenze zwifchen einem eigentlichen, organiſch entftandenen und einem neugebildeten Hauptworte ? Iſt Werfen fein Infinitiv, Feind fein Barticipinm, Herr fein Adſectivum, weil e8 die Sprache vergejlen hat? Wenn diefe Worte audı nicht die praktiſche

Unzulänglicfeit des aufgeftellten Grundfages erweijen fönnen, indem fie ente

ſchieden zu den Hauptworten zu zählen find, jo fehlt es doch auch nicht an näher liegenden. Das Leben, welches Wort als blofer Infinitiv noch in ber Sprache vorhanden ift, müßte mach jener Regel unbedingt Klein gefchrieben werden und doch hat es auch ald Neubildung die Geltung eines vollfommenen Hauptwortes. „Etymologie“, wie Jacob Grimm fagt, „will die Nannigfaltigkeit der ges veiften Sprache auf anfängliche Einfachheit der Formen u Begriffe zurück⸗ führen," Wir thaten dies bei den beſprochenen Worten hauptſächlich in Hinz ſicht der Form, weniger in Hinficht des Begriffs, obſchon der Form die Begriffe an Klarheit gewonnen haben. Sinti Bei Betrachtung geheimnißvoller Worte anderer A, zu wir uns

jegt wenden, muß der Begriff, die Bedeutung, der Geift und vorwiegend leiten, wenn auch die Form micht ald gleichgültig erachtet werden darf. Heute noch muß der Ausipruch beberzigt werden, ben Iacob Grimm chen Im Jahre 1822 gethan. „In der deutjchen Etymologie ift bisher das Förperliche Princip zur Ungebübr gering geihägt worden; von ba groben Einfiht in Laut- und Bormenverhältniffe ausgehend Hat man ſich ihrer Anwendung auf den Begriff unterfangen.“ Etymologie, oder genauer das Etymologifiren, bat in der That etwas Verführeriſches. Schon die Römer liebten es, vor allen Gicero, aber fle waren nichts weniger als glüdlich in ihren Deutungen und zwar deshalb, weil fie fein Berftändniß der fprachlichen Berhältniffe beiaßen, nur vom Begriffe aus- gingen und fich von einem bloßen Gleichflang der Kormen täufchen Tießen. Im 17. Jahrhunderte waren etymologiſche Studien unter den beutfchen Gelehrten

beinahe zur Manie geworden; man erflärte die deutſchen Worte aus allen möge

lichen Sprachen, unter denen das Sebräifche eine hervorragende Stelle einnahm.

Erſt in dieſem Jahrhunderte, ſeit die deutſche Sprachforfchung zu einer wahren

Wiſſenſchaft heramgereift ift, feit wir Grimms Grammatik haben, find für bie

deutiche Etymologie fichere Anhaltspunfte gewonnen, Im zweiten Bande ber 47*

Geheimniſſe der dentſchen Sprache. 741

fprehen: Sprache, Spruch, Sprichwort, meift verdunfelt in 1 Eprücwort, tragen: Tracht, trächtig, tragbar. ziehen: Bug, Zucht, züchtig.

Dagegen gibt es Worte, deren Abflammung und deren Werwanbtichaft mit anderen fehon weniger gefühlt wird. So kann bezweifelt werden, ob bei dem Worte erhaben an heben gedacht wird, obgleich erhaben nichts anders ifl als das Partieipium von erheben, welches jegt erhoben lautet. Die beiten Worte trennten fich nach Form und Inhalt und erhaben wurde zu einem Ad⸗ jectivum. Ferner werden zum Beifpiele DIE Worte fiech, Seuche und Sucht, behend und Hand, Heu und hauen, pflegen und Pflicht fchwerlich von Allen als zufammengehörig betrachtet werben.

Abgefehen von der in der Sprachgefchichte eined jeden Volkes wahrnehm⸗ baren Erfcheinung, Daß im Laufe der Zeit das Sprachbewußtfein überhaupt ges ringer wird, wozu hauptfächlich Die Wandlungen in den Bedeutungen beitragen, find es auch äußere, formelle Gründe, welche das Iebendige Gefühl der Sprache beeinträchtigen. Wir würden, wenn wir blos auf den gegenwärtigen Sprach⸗ zuftand angewiefen wären, und ganz in der Lage der pedantifchen Sprachkünſtler der legten Jahrhunderte befinden, wir wären auf Bermuthen, Hin= und Herrathen befchränft. So aber bietet fich und in den jegt erfchloffenen Denkmalen früherer Sprachepochen gewiſſermaßen eine Brüde, über welche wir zu der jenſeits Lies genden Wortbedeutung gelangen Tönnen.

In der Betrachtung über die Laute wurde durch einige Beifpiele dargethan, wie die Wandlungen, welche die Laute durchmachen müfjen, wie auch die Veraͤn⸗ derungen der Duantität und die Entflellungen in Ausfprache und Rechtſchrei⸗ bung die Abftammung verbunfeln.

Um von den Ießteren auszugehen, fo ift e8 befonders das Wort ereignen, welches den Zuſammenhang mit Auge faft gar nicht mehr erfennen Täßt. Diele ziehen deshalb das urfprüngliche eräugnen vor, wie man vor hundert Jahren fehrieb und jprach. Aber auch diefes eräugnen ift eine fpäte und verderbte Form. Von Auge (mittelhochbeutfch ouge, althochdeutich ouga, gothifch augo) wurde ein Verbum ougjan, ougen gebildet mit der Bedeutung „vor Augen führen, zeigen, offenbaren.” Dafjelbe, welches heutigen Tages augen lauten müßte, ift verloren gegangen. Dagegen die Zufammenfegung erougen, welche diefelbe Bedeutung hat wie das einfache Verbum, hat fich al& Reflexiv erhalten; . sich erougen, fich zeigen, fich offenbaren, gefchehen. Der Umlaut (du) trat erſt fpäter ein, ebenfo das völlig unorganifche n nach g. Die dritte Wandlung war die Erhöhung des Diphtongen Au in ei.

Aehnlich verhält es fich mit dem Adjectivum gefcheut. Die gebräuch« lichere Rebenform beißt befanntlicg geſcheit. Vielfach aber wird gefcheut für das richtigere gehalten, namentlich in Rorbdeutichland, ebenfo wie eraͤug⸗ nen befier iftald ereignen. Hier aber tritt der umgekehrte Fall ein: gefcheit ift nicht die erhöhte Form, fondern gejcheut die verdunfelte, wie Reuter ans ftatt Reiter. Breilich jcheint ſich gefcheut leichter ald gefchett erklären zu laffen. Nahe liegt das Verbum ſcheuen, und da man unwillfürlih an das

wickelung, Heerzog VERESWUER UP EOEFRIRER" und ‚gefprochen werden * muͤßten. Wie inconſequent, ja man könnte ſagen, wie launiſch feiner äh deutſche Sprache verführt, kann folgendes Beijpiel zeigen. Wir jagen Mühle und drücfen die Länge des Vokals durch ein h äuferlich aus. Früher hieß es mül mit kurzem , wie man noch heute in Süddeutfchland ſpricht. Von mili wurde Müller (ehemals mülner, mülnaere) gebilder, wie Gärtner von Garten, Kellner von Keller, und in diefem Worte bat ſich die alte Kürze allgemein in der Ausfprache erhalten, und bie Schrift fichert dieſelbe durch die GEonfonanten-Berdoppelung. Xrog der Verſchiedenheit der Betonung ift das Derftändniß nicht geführtet, es IR einem Jedem Kar, daß Mühle und Müller zuſammengehoͤren. vo Ebenjo, obwohl nicht in fo hohem Grabe, * es gefühlt, daß Henne von Hahn abgeleitet ift, Doch wie die Ableitung geſchehen, Tiegt in ber jegigen Form Henne nicht offen zu Tage. Das Stammwort Hahn war ehedem gleichfalls kurz betont. Im Althochdeutſchen findet ſich die volle Form henina, die jegt Hähmin lauten mußte. Henne alfo iſt der weibliche Hahn ; die Bil- dung if die gewöhnliche auf in: Königin von König, Räthin von Rath, auch in den Eigennamen z. B. die Schwarzin. henina wurde bald gefürzt henna, ſchließlich henne, Durch die Vermehrung des Gonfonanten blieb die kurze Be tonung geichägt und darum wurde aud)-an der alten Schreibweiſe feftgehalten. Dagegen ift bei dem Worte Gefelle ähnlich wie bei fertig die Abftam, mung fat ganz dadurch verdunfelt, daß es die alte Form bewahrt hat und in ge» wiffem Sinne hinter dem Sprachgeifte, welcher das Stammwort mit fortgeriffen, zurücgebfieben ift. Geſelle ift abgeleitet von Saal, früher sal mit kurzem a. Saal, welches jegt ein größeres Gemach, ein Staatszimmer bedeutet, bezeichnete ehemals überhaupt Haus, Wohnung. Das ge in Gefelte, welches in Form und Bedeutung dem lateinifchen con, außer Zufammenfegung cum, entfpricht, brücdt bie Vereinigung, das Zufanmenfein aus wie in Genoſſe, Grfährte, Geipiele, Gebrüder, Gevatter (d. h. der Mitvater) und wie vor allen in Gebirge. Denn Gebirge ift die Bezeichnung für eine vereinigte, zuſammen⸗ hangende Gruppe von Bergen, Gefelle ift zunächft der Saalgenoffe, der Hausgenoſſe, fpäter erweiterte fi) der Begriff wie bei Genoſſe und Ge— führte. Wie wir nicht blos den, der mit uns fährt oder geht, einen Gefähr- ten nennen, fo begeichnen wir mit Geſelle einen, der mit uns auf irgend eine Weiſe vereint ift, wenn wir auch nicht eine Wohnung mit ihm tbeilen, Die Bedeutung, welche unfer Wort gerben urfprünglich hatte, ift eine engere geworden. Daf wir nicht mehr fühlen, von welchem Stamme es gebildet if, Hat feinen Hauptgrund darin, daß das Stammwort eine ——— erhalten hat, Gerben iſt abgeleitet von gär, früher gar mit kurzem a, In der heutigen Schriftiprache wird gar angewandt als Adverbium zur Verftärfung von Adjeetiven und Adverbien im der Bedeutung von fehr: gar ſchön, gar herrlich. Dies gefchieht Hauptiächlich im ber gehobenen Proja und in der Poeſie und im BVolfemunde. Die frühere Bedeutung gänzlich,

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Geheimuiſſe der deutſchen Sprache, 745

Derbältniffe wie bitter zu beißen flieht Splitter zu fpleißen, d. i. fpalten.

In ähnlicher Weiſe Hat fi das Wort Schuld von jeinem Stammworte getrennt. Lautete dieſes noch wie früher ſchollen anftatt follen, jo würte wahrfcheinlich die Verwandtfchaft beider im Sprachbewußtjein leben. Die Vers fehiebenheit der Wocale darf nicht auffallen, da o und u nahe verwandt find. In der heutigen Sprache ift der gebrochene Laut o durch das ganze Verbum hindurch maaßgebend, die älteren deutſchen Sprachen, welche fehr verfchiedene Formen deffelben bieten, Haben auch biöweilen den u Laut. So lautet im Mittelhochdeutfchen der Infinitiv suln, ebenfo der Plural des Präjens ıwir sullen, suln. Im Althochdeutfchen Heißt der Infinitiv scolan, scholan, vereinzelt ſteht die heutige Form solen. Neben suln bietet die fpätere Sprache scholn, schollen. Mit der Zeit wird follen die allein berrfchende Korm, während Schuld fi nicht zu Suld wandelte. Wenn nun in formaler Bezichung Tein Beden- fen vorliegt, fo fragt e8 fich, ob zwifchen beiden Worten ein Zufammenhang ber Begriffe flatıfindet. Und dies ift außer allem Zweifel. Schuld ift Pflicht, ſchuldig, verpflichtet, [o-Ilen,-verpflichtet fein. Der Begriff von Schuld er- weiterte fi), zunächft wurde auch Die Verſaͤumniß der Pflicht mit Schuld ber zeichnet, und damit lag die Bedeutung Vergehen nahe.

Wie die unorganifche Geflaltung des Vocals dem Sprachgefühle Eintrag thut, fo gefchieht e8 in noch höheren Grade durch die Gonfonantenentflellungen. Am häufigften find dies durch nachläffige Ausfprache herbeigeführte und Ipäter in die Schrift anfgenonimene Einfchiebjel, und diefe werden wiederum vornehm⸗ lich durch die, Buchftaben d, t und n bewirkt. Das Neubochdeutfche hat Feine geringe Anzahl ſolch unorganiſcher Laute aufzumeifen. So ift, wie fhon ange» deutet, in jemand, niemand das legte d zufällig; im Mittelhochdeutfchen heißen die Worte ieman, nieman, zufammengefeßt auß ie, nie und man, unfer Mann. Auch in wefentlich ift ı unorganifh. Im Worte Leichnam findet ſich n ald grammatiſch unbegründeter Laut. Mittelhochdeutſch Heißt Das Wort noch licham, althochdeutſch lichhamo.

Höchſt wahrjcheinlich findet fich auch in unferem Worte Wand foldy ein un« organijched n. Durch eine folche Annahme wenigitens vermag das Wort befrie= digend gedeutet werten. Grimm und Wacernagel leiten e8 ab von winden. In formaler Beziehung wäre dagegen nicht® einzuwenden. Der erſte Ablaut von winden ift a: ich winde, ih-wand; aljo Wand wäre nach der Ana⸗ logie von Band *), ein Ding, das in der That windet, umwindet, umhüllt. Die Wand tft auch wirklich die Umbüllung eines Raumes. Dazu paßt trefflih Ge» wand, die Umhüllung des Körpers. Aber wie ſteht e8 mit dem Worte Lein⸗ wand? Iſt nicht Leinwand ein Gewand von Leinen? Hier ftodt die Etymologie, denn Leinwand ift, wie außer allem Zweifel ftebt, eine Entftellung, und zwar eine ziemlich |päte. Das Wort Heißt urfprünglich linwät, zufammengefegt aus lin, Zein, Leinen, Flachs, und wär, Kleidung. Cine jehr gebräuchliche Ablei⸗

*) Vergl. Band IV Seite 537.

ſchen vorfinden, wirb die Bedeutung von Bolz erſt recht aufgeklärt, und das Wort wird ald ein echt deutſches erkannt und gewürdigt werden. Denn bas ge— bräuchliche Wort Pfeil, welches ziemlich daſſelbe ausdrückt wie Bols;, ſtammt som Tateinifchen pilum, Bolz ift gebildet von pölon, das heißt werfen, ſchießen. Wie nichtöfagend ift dagegen das Wort Kugel, Blintenfugel, welches nur bie Form, nicht den en a en mit weitem gejchaffen wird,

Das Verbum, von —â—— gebildet iſt haben Im 14. Jahrhunderte war es noch vorhanden, es lautet brehen oder auch brechen und bedeutet leuchten, ftrablen, glänzen. Obwohl verſchieden von brechen, zerbrechen, wird «8 doch manchmal mit diefenverwerhfelt. So werden die noch heute geläufigen Nedendarten: der Tag bricht an, die Some bricht auf, vielleicht eher auf das alte brehen ald auf unfer brechen zu beziehen fein. Pracht ift alfo der leuchtende, ſtrahlende Glanz. Im der That bezeich- nen wir mit Pracht und prächtig, was einen nach Außen bin fichtbaren und in die Augen fallenden Reiz gewährt. Die verfchiedene Schreibart im Anlaute der beiden Worte (p und b) darf nicht irre machen. Wir befigen ben alten Stamm noch in dem Eigennamen Bertha, früher Berhta, Berchta, welche die Strablende, Glaͤnzende bezeichnet, ferner in den männlichen Namen Adel- bert, Albert und Albrecht, auch in Berthold und Bertram.

Auch das Stammwort zu Ro, dem ächt deutichen Namen für das ebelfte der Thiere, ift verloren gegangen. Die altdeutſche Form lautet hros, als Nebene formen kommen ors und hors vor. Bon der legteren ftammt das englifche horse, Der Name ded angelfächjlichen Führers Horfa ift fein anderer ald Roß in angelfächfifcher Form. Dieſe Worte finden ihre Deurung im dem verloren ge= gangenen Adjectivum horseo, jchnell, friſch, undinhursgen, zur Schnelligkeit an⸗ treiben. Das entjprechende ſtammverwandte Wort iſt im 2ateinifchen currere, (eigentlich cursere), laufen, und cursus, der Lauf. Das Roß ift alfo das Thier, deſſen Beſtimmung der eilige Lauf ift. Unſer Wort Pferd un dem tellateiniſchen paraveredus, parefridus entſtanden.

Bei dem zulegt gedeuteten Worte ie anbieten weiteter e⸗ gründung ein nicht einheimiſches Wort herbeigezogen. Auf dieſe Weiſe kann unfer Wort Menſch zu rechter Klarheit gelangen. Daß ed im Grunde dad Adjetivum zu Mann Bilder, haben wir erfannt. Mann ftellt ſich zunächſt zu mahnen, früher manen mit furgem a, ermahnen, erinnern, ferner zu mins nen d. h. lieben, in früherer Bedeutung, erinnern, denfen, und zu meinen, im Sinne haben. Das Griechifche bietet U606 (menos) „der Gedanke‘, dad Lateiniſche moneo, memini, „‚erinnern‘, mens, „der Sinn, der Verftand, das Denkvermögen.“ All diefe Worte drüden geiftige Bähigkeiten und Thätigfeiten aus, und es ergibt ſich, daß Mann und mit ihm Menſch das denfende, ver— nunftbegabte Weſen bedeutet. Dies ift bezeichnend für den tieferen Geift ber deutfchen Sprache im Gegenfage zu der Tateinifchen; homo hängt entſchieden mit humus, „Erde“ zufammen, entfprechend dem bebräifchen adam. *

Nicht minder muß für das Wort ſelig das Verſtändniß durch ein fremdes

Die ge entfehwunden find, * ſich ſetzte. Die von und betrachteten gehörten zur erſten Klaffe. Nur auf ein in der Zujammenfegung vorbandened wurden wir geführt, nämlich auf sal in Un⸗

| einfade Wort ı kant fo würde 18 wich

finden, ift befannt, Die Kunft, ein Wort, ge⸗ wöhnlich war, haben wir nur noch in Abkunft, Ankunft, Zukunft md ähnlichen Compoſitis, dagegen hat ſich das einfache Fünftig erhalten. Bon vernehmen wird Bernunft (früher vernunst) abgeleitet, aber von nehmen erjcheint ſchon im Mittelhocydeutichen fein nunft oder nunst mehr. Beſonders gebrauchen wir mehrere Worte nur in der Zufammenfegung mit der Vorſetz⸗ flbe ge. Wir fagen Gebet, gering, geſchwind, gewinnen, bie ein⸗ fahen Bet, ring, ſchwind, winnen aber haben wir aufgegeben. IL

So gebrauchen wir das mit der Vorſetzſilbe un zuſammengeſetzte Adjeeti— sum gefaplacht, fühlen aber feine eigentliche Bedentung nicht, weil wir, wenige ftens in der Schriftfprache, das einfache gefchlacht micht mehr haben. Dies iſt zumächit abgeleitet von einem ‚verlorenen Worte slahte, schlachte, deſſen NRebenform wir in Geſchlecht beſitzen, Die Grundbedeutung von Geſchlecht slahte, iſt Art, natürliche Beſchaffenheit; geſchlacht iſt alſo geartet, artig, wohlgeartet, ungefch lacht dagegen ungearte, roh 0

Eine Anzahl Worte haben ſchon in früher Zeit ihre Selbſtſtändigkeit ein⸗ gebüßt; ihre uriprüngliche Bedeutung bat fich allerdings in den Bufammen« jegungen erhalten, aber auc nur in den Bufammenfegungen u.

So ift das gewiffermaaßen zu einer Slofen Bildungeftice Gerabgefuntine heit in vielen abftratten Bemininen ehemals ein jelbftftändiges Hauptwort ge⸗ weien mit der Bedeutung Art und Weife, manchmal; Bolt, —— Kuͤhnheit ift kühne Art und Weiſe, Ehrifienheit das Ehriftenvolf, hoch deutſchen iſt diefer ſelbſtſtandige Gebrauch von heit ſchon ſelten, und die Zuſammenſetzungen wiegen vor. Eine verderbte Nebenform von heit iſt keit, welche wir beſonders am ee und’lich „> Freudigkeit, Serrlihfei.

Ebenſo hatte das in den Zufamn ungen Meer er vielerlei erfcheimende lei ehemals feisffländige Vebeuttung, Die frühere Form war leie, leige; Grimm leitet es ber von dem romanifchen ley, loi. Die heus tige Rechtſchreibung zeigt recht deutlich, Daß lei feiner Natur ald Hauptwort bes raubt ift; die alten Handſchriften trennen leie meiftens von den voranſtehenden Udjectiven, Die nody heute üblichen Wendungen find auch im Mittelhochdeut- ſchen Die gewöhnlichen, Doch zeigen Redensarten, wie maniger hande leie, noch deutlich leie als eigentliches Subftantivum. Die noch üblichen Zufammens fegungen genen ren: von zn Art, |

* }

Geheimniſſe der deutjchen Sprache. 751 nen, Näher liegt das lateiniſche careo, entbehren, ſich enthalten, „faſten“, car dagegen iſt ein aus uralter Zeit geretteted Wort, welches dieBedeutung, „ſeufzen, Hagen’ hat. Auch ein Subftantivum chara gibt ed im Althochbeutfchen mit ber Bedeutung „Klage ; daß entiprechende gothiſche kara Hat einen ähnlichen Begriff, nämlich „Sorge”. Auch die Rechtichreibung mit ch anftatt mit kicheint aus ben älteften Zeiten zu ftammen, Ghbarfreitag aljo Ift „der Rlagefreitag”, nen woch e „Die Klagewoche, die Woche der Trauer.“

Werden manche Worte deshalb nicht erfannt und beit fie nur in Zufammenfegungen vorfommen, jo find auf ber anderen Seite Zuſammen⸗ jegungen deshalb verdunfelt, weil fie ſich Durch die Zufanmenjegung, Zuſam- menziehung oder Entftellung zu einfach fcheinenden Worten gewandelt haben. Es wurde ſchon Dad Wort gleich erwähnt, welches entftanden aus ge und leich, früher lich, in ber heutigen Geflalt gewiß allgemein als einfaches gelten wird, Soldye mit ge zufammengejegte Worte find unter anderen: Glied, Glaube, Glüd, Gnabe Das einfache Wort in Glied haben wir nod) in ber deutlichen Zufammenjegung Augenlied. Aehnlich entitand freſſen aus ver=eijen, d. b. „volliländig eſſen, aufeſſen.“ Auch find jämmtliche Worte, bie eine VBerneinung ausdrücken, Zufammenfegungen; ſie werden Durch die Negation ne oder nigebildet, welche nicht mehr einzeln vorzufommen pflegt: nein aus ne und ein, wie das lateinifche mon aus ne und unum, nicht aus ne und bem nicht mehr gebräuchlichen icht, nirgends, nimmer aus ne und irgends, immer; nie aus ne und ie, unfer jegiges je.

Unfer Wort erbarmen ift ein doppelt zufammengejegtes Wort. Barmen ift eine Bufammenziehung aus be und armen. Das einfache Zeitwort armen, aus arm gebildet wie misereo aus miser, ift ſchon im Mittelhochdeutſchen durch bearınen, barımen verdrängt. Diefed, nur einfach erfcheimende Wort haben wir ald Zeitwert nur noch in Mumbarten; bie —— hat ſich aber in barmherzig und Barmberzigfeit.

Auch unſer Adverbium neben:ift eine Zuſammenſetzung, gebildet: aus ber Präpojition in und dem noch gebräuchlichen Hauptworte Ebene. Dieſes jelbft ift ein adjeetiviſches Subitantiv aus eben, ebene, d, h. eben, glatt, glei, Aus in ebene wurde enehene, jdhlieplich neben.

Hieran jchlicht ſich das Adverbium empor, welches vielleicht: ſchon che als Zufammenfegung erfannt wird, Em ſteht für en, ban vor p leicht in m übergeht und en ift geſchwächte Form von in, Das Subftantiv bor ift als jelbftitändiged Wort in der Schrift perloren gegangen, es bebeutet „Höhe, oberer Raum‘’ und hängt zufammen z. B’ mit Bürde, bi. „was gehoben wird.” in bor, enbor und ſchließlich empor, bedeutet nicht blos, fondern heißt auch wörtlich überfegt: in ber Höhe, indie höhe Wir beflgen das alte bor noch in einigen Ausdrüden , die aber mehr der Mundart zye5 wie ch o r⸗ kirche, Borbühne, Borftabel,

Aber nicht blos bei ſolchen Eleinen Worichen wie ge, ver, se ui in iR eine vollfommene Verſchmelzung mit anderen eingetreten, —— Worte ſind in eins zuſammengezogen worden. I

Geheimnifie der dentſchen Sprache. 753

Süuͤndfluth, fondern nur von einer großen Fluth. Das Wort sint, welches in sünt verbunfelt wurde, hängt zuſammen mit dem gothifchen sinteins, ewig, iÄmmerwährend. Das t in sint und sinteins fcheint unorganifh. Das Wort ain, welches noch in Sinngrün, d. 5. „Immergrün“ enthalten ift, bebeutet „immer überall.‘ Sündflut, sintlut, und das verberbte Sündfluth heißt alſo „die immerwährende und überall Hin fich erſtreckende Fluth.“

„Der Friedhof iſt der Hof, ıvo Friede wohnt, wo die Todten im Fries den ruhen.‘ Go poetijch auch Diefe Deutung ift, die befonders in- Grabreden ihren Ausdrud findet, darf doch die wahre, wenn auch nüchterne Bedeutung des Wortes Friedhof nicht außer Acht gelaffen werden. Friedhof müßte in Neuhochdeutichen eigentlich Frei Hof heißen, denn es Heißt Schon im Mittel- Hochdeutichen frithof. Im Almordiſchen kennen wir ein Adjectivum frid, Tchön, . im Gothijchen heißt freidjan, und im Altfächfifchen fridön, ſchonen, fehügen, frtdhof ift der gejchüßte, umfchloffene Raum, das atrium, der Vorhof des Tem⸗ pels, Das Afyl, weiches Atrium und Tempel in ihrem Umkreiſe gewähren; alfo frtdhof und Kirchhof bezeichnen ein und daffelbe. Da nun die Todten meift auf den Kirchhöfen beftattet zu werden pflegten, fo wurde der Gottesacker auch fridhof genannt und diefe Bezeichnung nach und nach die überwiegende. Denn jegt gibt es auch außerhalb der Kirchen Friedhöfe. Das alte Verbum haben wir noch in einfrieden, umfrieden. Dadurch daß das i in Friede, welches ehedem kurz war, fich in der Ausfprache verlängerte und in der Schrift zu ie wurde, und das lange i in fridhof feine vocalifche Natur nicht änderte, io daß alfo beide Worte in den Vocalen übereinfimmten, Eonnte das Mißver⸗ ftändniß herbeigeführt werden.

Die Zahl der geheimnißvollen Worte, welche wir betrachtet haben, ift fiher feine geringe. - Dennoch waren e8 immer nur einzelne wenige Beifpicle, ihre Gefammtzahl mag fich wohl über taufend belaufen. Es lag nicht der Bes trachtung die Abſicht zu Grunde, nur eine einzige Art Sprachgeheimniffe für fih zu behandeln, fondern es follte nach diefer Richtung hin ein Ueberblick über den mannigfach gegliederten Wortfchag unferer Sprache gegeben werben. So wenig die Bedeutung des Namens von Roß und Adler im Sprachgeifte lebendig ift, fo gibt es noch eine beträchtliche Menge unverftandener Thier- namen. Die Mißverftändniffe in der Sprache, von denen nur drei erwähnt wurden, Eönnten allein Stoff zu einer felbftftändigen Betrachtung darbieten. Ein paar Mal wurden Eigennamen angeführt, die faft ausnahmslos zu den Geheimniſſen der Sprache zu rechnen find. Wir befchräinkten und nur auf wirk⸗ lich deutfche Worte*); einen großen Theil unferer dunfeln Worte machen aber die Fremdworte aus. Aber nicht folche Worte wie Philofophie, Advocat, Ma- Dame, welcher jeder Gebildete ald Fremdworte kennt, find unter die Geheimniffe der Sprache zu zählen, fondern ſolche, welche durch das Chriſtenthum und durch römifchen Einfluß ſchon in der älteften Zeit nach Deutfchland drangen, ſich ein«

*) Mit Ausnahme von lei (mandherlei ıc.), wenn bie Etymologie von Grimm richtig iſt. IV. ar

154 —— Eprachwifſenſchaft.

buͤrgerten und unentbehrlich wurden. Ueber die Eigennamen ſowohl wie uͤber die Fremdworte möge daher beſonders gehandelt werden.

Der von und betrachtete Gegenſtand konnte ſelbſtverſtaͤndlich nicht erſchoͤpft werden. Wer fich durch die von mir gegebenen Beifpiele zu weiteren Rach- forfchungen anregen ließ, dem möge das Studium des Orimm’schen Wörterbuches eindringlich an’8 Herz gelegt werden. Auch in dieſem Wörterbuch wird das Reubochdeutfche in den Vordergrund geftellt. Jedes in der heutigen Schrift- fprache vorkommende Wort findet feine Erklärung, und fein Gebrauch wird durch Stellen aus den beften Schriften belegt. Zugleich aber wird die Gefchichte jedes Worted nach Form und Begriff verfolgt und auf die Verwandſchaft mit anderen Sprachen hingemwiefen. Möge fi Niemand, der dieſes Buch in die Sand nimmt, von ben Tateinifchen Leitern und von den Fleinen Anfangsbuch⸗ ftaben der Hauptworte zurückſchrecken laſſen, ſcheue Riemand bie Arbeit, welche - die ftreng gelehrte Form und der fireng gelehrte Apparat allerdings verurfachen wird, dann wird wahre Befriedigung der Wißbegier und hoher Genuß nicht aus⸗ bleiben!

Die Rolle der Wälder

in der Planzennatur und ihre Bedeutung für das Leben der Menſchen.

Von F. G. v. Jenſſen-Tuſch.

Was neben den Unebenheiten der Erdoberflaͤche und der Vertheilung von Land und Waſſer beſonders dazu ‚beiträgt, den verſchiedenen Laͤndern der Erde ihre Phyflognomie zu geben, das ift unftreitig die Pflanzenwelt, und unter ben Pflanzen find es wiederum die hochwachſenden, baumartigen Gewächſe, welche durch ihre Größe in der. Charakteriſtik der Länder eine Hauptrolle fpielen. Eine Vereinigung hoher, baumartiger Bewächfe, die nach unten feinen getbeilten Stamm geben, nennen wir einen Wald, während Gebüfche und Haiden Sammer lungen niedriger, baumähnlicher Gewächfe oder Stauden bezeichnen. Der Buſch unterfcheidet fih nur kadurh vom Baume, daß er gleich an ber Wurzel mehrere Zweige ſchießt; allein es gibt viele Uebergänge in ber Natur zwiſchen Bäumen, Stauden und Büfchen, und durch die Hand bes Bärtners laſſen ſich viele Bäume in Büfche, und wiederum auch Büfche zu Bäumen ziehen. Der Banianbaum, Ficus indica, hat die Eigenfchaft, daß er feine Zweige bis auf die Erde herabhängen TAßt, Die num hier neue Wurzeln fchlagen, aus welchen neue Stämme emporwachſen, die ihre Verbindung mit dem Mutterftamme fort» fegen. Am Fluſſe Nerbubtah findet man nach Forbes einen Wald, der aus einem einzigen Bantanftamme entftanden iſt; es gibt in demfelben 350 große | und mehr ald 3000 Fleinere Stämme, die alle zufanmenhängen und ein Areal von 2000 Fuß einnehmen. Ein Armeecorps von 7000 Mann hat einft in dem Schatten diefes Waldes Haft gehalten. Etwas Uchnliches gewährt der Wur* zelrindenbaum, Rhizophora,*) weldyer eine bedeutende Rolle in den Küſten⸗ fümpfen der tropifchen Länder fpielt. Auch dieſer Baum. ſenkt Zweige nieder, die wiederum wurzeln und neue Stämme bilden, und in folcyer Art einen ver⸗ worrenen Laubwald abgeben, der fich ganz beſonders zum Aufenthalte für, Schlangen und Krofodille eignet.

*) Geoffroya? ar

Der Wald und feine Bedentung. 757

per ———— Andesgebirgen bei ber Höhe von 12,000 guß. Je a re re er Außerhalb der Bofarlänber imb der: hoberen Verggfrtel git:e8 ind auch auf der Erdoberfläche innerhalb der Baumgrenze große Strecken, n —— Als ſolche find beſonders folgende Strecken zu neunen oo 1. Der Wüſtengürtel in Afrika, vom Atlas und dem mittellän⸗ diſchen Meer bis zum Hochlande, ſüdlich des oberen Laufes des Nigerfluſſes und des Sees Tſchad, um den 150% m, Br, und som atlantifchen bis zum rothen Meer, wozu auch Aeghten und Nubien gehören, ja man kann ganz Arabien, den größten Theil von Perfien und den nordweftlichen von Indien noch hinzu rechnen, nämlich bis zum unteren Lauf des Indus, Dies beträgt einen unge» heueren Theil des Beftlandes, der vielleicht nicht Fleiner fein wird als ganz Europa. 2, Die Salzfteppen im Often, Norben und Weften bes kaspiſchen Meeres und des Aralſees. Sie erſtrecken ſich auch ae: ro leer wo 18 ebenfalls einen Wald gibt. 700 er, u me 3: DieMongolei und Tibet, wo einestheifs RP LEER amderen theils ng des Bodens —— singichen Nangel an Waldungen bewirken. |

ylyız mw ar ml m)

+4. Die —5 —— AR Grasebenen des Miffonri und Miffifippi und auch bie ee pls R wre ———

loſen Landſtrecken in Nordamerika. ih WM A 0 ni lm 6. Sndehenenin * noͤrdli den Bensinjen bon Merikfo, ni Yo ne ae N AER e

6. Die am Orinoko in Suüdamerika. 7. Die endloſen fahlen Ebenen oder Pampas am Fluß ge⸗ biete des la Plata, welche ſich von den Cordilleras in Chill bis an das atlantifche Meer und von den Gebirgen Brafiliens bis zur Magellanftrafe erſtrecken. Außer den bier angegebenen Grenzen für die unbewaldeten Theile der Erb- oberfläche gibt es noch viele andere, kleinere Strecken, wie z. B. dad Hochland von Spanien, die Marjchen an der Nordfee, die Weftküfte von Iütland u. m. a., die Feine Wälder haben, a une Ay ET Tl Was nun aber den verfchiedenen Charakter der Wälder betrifft, da theilt man fie nad) den Baumarten, die Darin wachſen, in folgende Gürtel: 1% Der Gürtel ber Nadelhölzer. Die Nadelbäume find in der Regel an ihren ſchlanken Stämmen zu erkennen, welche bei einigen Arten an ber Norbweftfüfte von Amerifa eine Höhe son 200-300 Fuß erreichen, ſowie an ihren ſchmalen, trodnen und nadelförmigen Blättern, Die alle Jahreszeiten hindurch grün bleiben, wenn man allen den Lärdhenbuum davon ausnimmt. Durch diefe letztere Eigenſchaft bewahren fie das ganze Jahr hindurch den An⸗ blick der Vegetation in einem Erdguͤrtel, wo fonft im. Winter jede Epur einer Vegetation verſchwunden iſt. Die dicht nebeneinander aufwachfenden Baum— ftämme laſſen nicht Teicht irgend eine andere Baumart in denjenigen Wäldern zu, wo Nadelbäume die Herrfchaft führen, doc findet man nicht eben felten bie Birke mit ihnen untermifcht. Die Vegetation der Nabelbäume iſt jehr

Blumen auftreten und. bie ———— —— mit feingetheiltem

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Kaſtanien begegnet, treten. 3. B. Palmen und Mimofen ſchon in neuen Artformen auf, wer man fich nur eine kurze Strecke von ihnen entfernt, Dieſe endloje Mannigfaltigkeit erfchwert es aber, auch nur über die Hauptformen eine zuverläffige Ueberficht zu gewinnen. Wir wollen von denfelben. eben nur, folz gende nennen: die Palmen mit ihren hoben, ſchlanken, ungetheilten Stämmen, mit Blättern, Blumen am Gipfel, die ſich gewöhnlicherweije weit über die niedrigen Laubwälder erheben; Mimofen und andere Hülfenbäume mit jehr zufammengejegtem Laube und oft prächtigen Blüthen, wie die Amher- stia nobilis; die Malvaceen mit ihren diden Stämmen wie, der Baobab, mit breiten, meift geibeilten Blättern. und übergrofen und prachtvollen Blumen, = wie die Carolinea; Bäume aus der Familie der Euphorbien, welche ‚einen Milchſaft enthalten, dev bald giftig, bald, wie bei der Euphorbia balsamifera, gleich der Milch, von Thieren trinkbar ift; Bäume, aus der Beigenbaum- familie mit großen, glänzenden Blättern und aromatifchen Stoffen; bie baum- Ähnlichen Barren mit dem feingetheilten, ſchönen Laub an den. Enden , und Cykadeen mit dem mächtigen, gefiederten Laub am Gipfel bes gewürfelten Stammes. une ret mi Eine zweite Eigenſchaft, maldnbie tropifcgen Bäume ‚Garafterifiet, iſt die für uns auffallende Größe der Individuen. Denn obgleich es auch in dem ge- mäßigten Erdgürtel hohe Baumarten , wie z. B. die Böhrenarten, gibt, ſo find doc im Ganzen alle Bäume der. heißen. Zome höher ald ‚Die der ‚gemäßigten. Ferner zeichnen fich die tropijchen Bäume durch große en durch große Blumen und Früchte aus, wie z. B. die L endlich gehört auch die unendliche Menge von Schlingpflanzen zu —— teriftifchen Erſcheinungen in den tropiſchen Wäldern. Dieſe lehteren, Die ſo— genannten Schlinggurfen, Lianen, wie z. B. Cissus, Banisteria, Bi und Passillora, weldye ſelbſt baumartig wachſen, ſchlingen ich um andere Baum- ſtaͤmme und gewinnen oft über. diefe eine ſolche Uebermacht, daß fie, biejelben erſticken, ſo daß dieſe zulegt nur noch einen. kahlen Cylinder als Stüge ab- geben. Oft ſcheinen die. Schlingpflanzen der. tropiſchen Zonen. bie Stimme der Baͤume, um welche fie ſich hinranken, zu erdrüden, was, dadurch ent- ftehen mag, daf, Rinde, und Holz des Baumes üben, hin⸗ auswachſen; oft haͤngen- fie wie Guirlanden von einen Stamme, zum anderen, oder, wie z. B. die Rotangs, Calameae , das fe, fälingen

Der Wald und feine Bedeutung. 761

wovon die verfchiedenen Arten untereinander von geringer Abweichung find, und weil fie beinahe alle eine gewiſſe Figenthümlichkeit gemein Haben, Die Blätter find nämlich troden und lederartig, oft immergruͤn, von blaugrüner oder grau⸗ grüner Farbe und ftehen bei den meiften Bäumen vertikal in die Höhe. Daraus folgt fchon, daß die Wälder nır wenig Schatten geben koͤnnen und ein trocknes und todtes Außfehen haben müffen, objchon die Bäume oft Schöne Blumen tragen.

Mas fo von NReuholland gilt, iſt ebenfo In Südafrika. Infoweit bier Wälder auftreten, die zum Theil nur fpärlich vorhanden find, befteben fle be⸗ fonder8 aus Proteaceen und Ericeen mit fleifen Blättern. Anders aber verhält es fich mit dem gemäßigten Südamerifa. Un der öftlichen Seite gibt es Hier, wie gefagt, feine Wälder ; auf der Weftfeite, in Chili, verbreiten fich die tro⸗ pifchen Formen füdlich des Wendekreiſes, um in den füdlichflen Gegenden und auf dem Yeuerlande von Formen abgelöft zu werden, welche den europäifchen, 3. B. den Buchen, ähnlich find.

Der Einfluß der Wälder auf die Atmofphäre tritt in der heißen Zone am deutlichften hervor; denn die Wälder vermehren den Regen und bringen Näffe, fis rufen Quellen hervor und fliegende Gewaͤſſer. Waldloſe Streden nehmen eine ftarfe Hige auf und bie über denfelben ruhende Luft fleigt fenfrecht in die Höhe und verhindert Dadurch, daß die Wolfen fich gegen die Erde fenfen; die eonftanten Winde, der Paſſat und die Monfoond, geben auch, wenn fle unge hindert über große Ebenen wehen können, Teinen Anlaß zum Uebergang der Dünfte in Tropfenform. In den Wäldern dagegen kann das bedeckte Erdreich natürlich Eeinen fo hohen Brad von Hitze aufnehmen und die Ausdünftungen der Bäume tragen überbied zur Abkühlung der Luft bei. Wenn hier alſo tie mit Dünften angefüllten Luftfirömungen die Wälder erreichen, fo iſt Veran⸗ lafjung zum Verdichten gegeben, und daß fie folglich in Regen übergeben können. Die Ausdünftung der Erde unter Bäumen geht langfamer vor fidy, und da diefe auch im Heißen Klima felbft ſtark ausbünften, fo hat die Luft in den Wäldern einen hohen Grad von Beuchtigfeit, die wiederum Quellen und fließende Ge⸗ wäfjer erzeugt.

Daß die Wälder wirklich einen ſolchen Einfluß haben und daß derfelbe entbehrt wird, wo Wälder fehlen, davon hat man in manchen Gegenden der Erde traurige Erfahrungen gemacht, die durch Ausrottung ber Wälder des Regens, der Feuchtigkeit, der Ouellen und rinnenden Wafler beraubt worden waren, fo wichtiger Dinge für das Wachsthum und Gedeihen aller Pflanzen. Als die canarifchen Infeln entdeckt wurden, waren fle Dicht mit Waldungen bes wachfen: nachdem man dieſe nach und nach Durch Ausroden vertilgt hat, iſt das dortige Klima fehr troden geworden, auf einigen Infeln, wie 3.8. auf Fuer⸗ teventura, in fo hohem Grade, daß die Bewohner bisweilen, wenn fle nicht nach den Rachbarinjeln fliehen, vor Durft umfonmen müßten, Cine gleiche, durch Vernichtung ber Wälder hervorgerufene Dürre des Klima's findet man auf den Eapverdiichen Infeln, auf mehreren Antillen und an anderen Orten der heißen Bone.

Auch Hinfichtlich der gemäßigten Klimate hat man die Behauptung aufges

Der Wald und feine Bedeutung. 763

in den Alpen und der Lombardei eifern, ift die Regenmenge in Mailand unver⸗ ändert geblieben und bat fogar in den letzten 70 Jahren bis 1831 etwas zu⸗ genommen.

Es iſt indeſſen auch ganz begreiflich, daß die Wälder in der gemäßigten Zone nicht denjenigen Einfluß auf das Klima haben können, als in der heißen Zone, weil dort weder die Erhitzung noch die Abkühlung fo ftark fein kann als bier. Für Europa find die vorherrfchenden füdweftlichen Winde die eigent- lichen Regenſpender und die Mafjen von Dünften, welche diefelben vom großen Dcean bermehen,, find fo beträchtlich, daß die Dünfte, welche von feuchten Erd» boden und aus den Wäldern auffteigen, in Vergleich mit jenen Maffen für Nichts zu achten find. Es kommt auch noch hinzu, daß die veränderlichen Winde und der Kampf zwifchen dem Dünfte mit fich führenden wärmeren Sübmweft und dem falten und trodenen Rordoft es niemald an DBeranlaffung zum Uebergehen der Dünfte in Tropfenform fehlen lafſen.

Was von den Räffeverhältmiffen geltend ift, gilt auch von den Waͤrmever⸗ bältniffen. In den heißen Erdgegenden mindern die Wälder die übermäßige Hige: in den gemäßigten verfchwindet dieſer Ginfluß oder iſt Doch nur gering, da kein auffallender Unterfchied in der Temperatur der Waldgegenden und wald⸗ Iofen Zandftreden in dem Iepten Jahrhundert bemerkbar geworden, obſchon bie . Wälder fehr abgenommen haben. Gewiß find daher die Vorftellungen über trieben, welche man fich von dem firengen Klima Deutichlande und Frankreichs zur Zeit der römifchen Herrfchaft wegen ber großen Waldungen zu machen pflegt; fie mögen meift von dem ungünftigen Eindruck hervorgerufen worden fein, den eine nördlichere Natur auf den Südeuropser in der Regel macht. Ebenjowenig beflätigt ſich die vorgefaßte Meinung, es werde ſich das nordamerifanifche Klima nach Außrottung der dortigen Urwälder ändern.

Daß aber die Wälder Einfluß auf die Winde haben, ift nicht in Abrede zu bringen, doch beſchraͤnkt Diefe Wirkung ſich meift auf kleinere Lantitreden. Unftreitig müflen die Winde einen größeren Spielraum auf Ebenen ald auf waldbewachfenen Streden haben. Ein gegen Rorden Tiegender Wald Fann bie naͤchſte Gegend gegen bie Falten Nordwinde fhügen und Dadurch das Klima der felben mildern. Ein gegen Süden liegender Wald kann die warmen und feuchten Winde abhalten, mithin eine Gegend gefunder machen. Eine Ebene im nördlichen Europa ift nicht fo fehr den ſchädlichen Seewinden ausgeſetzt, wenn ein zwifchenliegender Wald fie fhügt. In der heißen Zone Tann ein Wald die Fühlenden und gefunden Seewinde abhalten, wodurch das innere Land, ber fonders wenn e8 fumpfig iſt, ungefund wird. Auf diefe Weife verhält es fich mit den großen Mangrovewäldern in Genua und auf Java und mit den Urwäle dern an den überfchwenmten Ufern des Amazonenfluffes.

Keine Thiere find in folhem Grade an die Pflanzenwelt gebunden wie die Inſekten; viele derfelben find nicht blo8 auf Pflanzennahrung angewiefen, fondern jogar auf alleinige Nahrung aus einer beftimmten - Pflangenfamilie, Daraus ergibt fich denn, wie groß die Bedeutung der Wälder für das Leben der Infekten jein muß. Ganze Mpriaden diefer Eleinen

"Di Ataffe der Meilen iR ic fo ziel am De: Welder gebunden, ——“⸗⸗— und in den ſumpfigen Küftenwäldern gibt es eine Unzahl von Schlangen, ‚Kra« obifen und anderen Gibechfen. Raubfröfche Leben let in Menge auf den Bäumen. Gleichwie Die Vögel eine eigene Waldfamilie an den Papageien haben, fo bilden unter den Säugethierem die Affen eine Bamilie, deren zahlreiche Arten und Individuen fo recht zum Waldleben geſchaffen And; denn ihr Körperbau und ihre Nahrung feſſelt fie in ſo entſchiedener Hinweifung an die Bäume, daß fie diefelben felten oder faft niemals verlaffen, Von vr. einige Arten aus der Familie der Hirſche zu dem Nichten wir endlich zufegt unſere Blicke auf die Menfchen, jo fehen wir, daß bie Bölte, welche noch auf der niebrigften Etufe der Entwickelung ftehen, ſich oft eng an die Wälder anfchliehen. In dem Kilteren Ländern, wo bie Bäume entweder gar feine genießbare oder doch nicht wohlichmectende und- mur wenig nahrhafte Früchte tragen, ift es bejonders das Wild, weldyes die Eins wohner ernährt und ihnen Meider gibt. Dieſe Völkerſchaften | fonders als Jäger auf, wie wir das an den Urbewohnern von ı“ ſehen Fönnen, In ber heißen Zone leben dagegen die auf gleich niedtiger Stufe ſtehenden Völter hauptſäͤchlich von den Früchten der Bäume nn Baumftänme, wie 8 3. B. mit einigen wilden U | Fall ift, und ferner mit Bewohnern des indiſchen —— hreren gerflimmen. Südamerika bietet ſogar das Beiſpiel eines WB af fat wie die Affen auf den Bäumen lebt, deſſen Exiſtenz fi

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gewifle Baumart geknüpft ik. Es find dies die Guaraunen an ber Mündung des Orivoco, welche von und auf der Mauritiapalme Icben. Während ber Erd boden überſchwemmt iſt, werben zwifchen den Bäumen Hängematten aufgehängt, welche von den Blattfiengeln der Palme gewebt find. Diefe Matten werben mit Thon belegt und Feuer darauf angemacht. Gier fchlafen dieſe Wilden und bringen fo einen großen Theil ihres Lebens zu. Der Stamm der Palme liefert ihnen Mehl, der Saft einen Balmenwein, und die Früchte ded Baumes find wohlfchmedend, zuerft mehlig, dann füp.*)

Die nomadifchen Völker hegen Dagegen einen Widerwillen gegen die Wälder. Große Srasfelder umd fruchtbare Thäler oder Bergabhänge mit grünen Weide⸗ plägen eignen fich am meiften zu dem Wanderleben, das fie führen, und zur Ernährung ihrer Heerden und Haußthiere,

Sobald ein Volf fi dem Aderbau weiht, tritt es feindfelig gegen die Wälder auf. Die Bäume flehen der Pflugichar und dem Spaten im Wege, und der. Wald gewährt geringere Ausbeute ald Ader, Garten und Weinberg. Darum fällt der Wald allmälig von den Schlägen der Art; das Beuer verzehrt die gefällten Baumftämme, Aeſte und Zweige; Die Afche düngt den Boden und

läßt ihn mehrere Jahre einen reihen Ertrag liefern, zumal in ben dichten tros pifchen Urwäldern. Rimmt dann nad) Verlauf einiger Jahre die Bruchtbarkeit des gewonnenen Angers wieder ab, fo wird ein fernered Stück Wald umge Schlagen und verbrannt, und auf dieſe Weife fährt man ſchonungslos fort, große Waldungen zu vernichten. Dabei ereignet ſich denn auch zuweilen, daß der Waldrand weiter um fich greift, ald man es beabfichtigte, fo daß die Waldzer⸗ flörung noch vergrößert wird. So verfahren die Bauern in Schweden und Norwegen, jo die Einwanderer in Nordamerika, Mexiko, Braftlien, auf dem Kaplande, auf Sava, in Auftralien und überall, wo der Anbau des Bodens zuerft anhebt oder in befländiger und unbehinderter Erweiterung begriffen iſt.

Mit der immer mehr anmachfenden Bevölkerung nimmt dieſes Vernich⸗ tungefoftem zu und wird infolge des vermehrten Bedarfs zu einer wachfenden Progreffion. Wan verlangt Banholz zu neuen Häufern, zu Wirthichafts- und Hausgeraͤthen, zu Mobilien und zum Brennen, zu Brüden, zu Einfriedigungen der gewonnenen Felder und zur Erwärmung der Wohnzimmer in Falten Klimaten.

Der Verbrauch der Wälder nimmt ferner zu mit ber fleigenden Induſtrie, mit der vermehrten Schifffahrt und im Handel. Die Bergwerke bedürfen des Bauholzes bein Bergbau, des Brennholzes zum Schmelzen der Metalle und Steine, und Handwerker verbrauchen eine große Menge Holz in jeder Stabt, in jedem Flecken, in jedem Dorfe. Damme und Bollwerke erfordern Holz, befon- ders aber ift es der Schiffäbau, der alljährlich einen großen Tribut an edlem Waldholze verlangt; denn Millionen Baumflämme werden zu Schiffsmaften

*) Die Ouaraunos oder Buarahuns auf den Infeln in ber Mündung des Orinoco find doch auch tüchtige Fiſcher und Schiffer, die den englifhen Schleihhänds lern als Piloten gute Dienfte thun. D. Ueber.

Der Wald und feine Bedeutung. 767

doch iſt e8 entſchieden wahr, daß ein zweckmaͤßigerer Bau der Schornfleine, eine befiere Wärmevertheilung und beffere Wärmeapparate gar viel an Beuerung er⸗ fparen könnten, ohne daß man dabei an Wärme verlöre.

Es ift drittens gewiß uud nicht minder durch Erfahrung befannt, dag die fleigende Kultur den Markt erweitert. Fehlt Bauholz in einem Lande, fo wird ed aus dem anderen herbeigebolt, und die fo fehr erleichterten Verkehrs⸗ mittel drüden die Preife herab. Die betriebfamfte feefahrende Nation in Europa bolt ihr Bauholz und ihre Schiffömaften aus Skandinavien und den OÖftfeelän- dern, ja felbft jenſeits des atlantifchen Meeres her.

Viertens ermuntern die fleigenden Holzpreiſe, welche aus der Abnahme der Brennholzmaffen hervorgehen, die Wälder zu fchonen, fie zu conferviren und wenigflend da für neuen Waldbau zu forgen, wo der Boden für den Acker⸗ bau nicht geeignet iſt. Anſtatt dag die Alten ihre Hausthiere in den Wäldern graſen und fo den jungen Baumwuchs in forglofer Weije vernichten ließen, hegt man jegt die Wälder ein, forgt für neue Anpflanzung, und Hält das Vieh außer» halb der Holzungen auf Weiden, während das friedliche Wild in befonderen Thiergärten gehalten wird. Die Wälder werden jegt nach einem wifjenichaft- lihen Plane behandelt; e8 wird nach Regeln Holz gefchlagen, und in gleichem Verhältniß für neuen Anwuchs geforgt. Die wilde Vernichtung der Wälder in früheren Zeiten bat eben dad Gute im Gefolge gehabt, eine auf Botanik ge» ſtützte Korftwiffenfchaft und geregelte Behandlung der Korflen in Europa her⸗ borzurufen.

Während der langen Kriegsjahre von 1807 bis 1814 befürchtete man in Dänemark zulegt an Brennholz Mangel zu leiden, denn in diefer langen Zeit wurden viele Kleine Gehölze ganz umgehauen, weil der Staatöbanferott von 1811 alles GrundeigentHum mit einer fchweren Staatöpriorität beichwerte und fo die verarmten Zandleute nöthigte, zum Verkauf der Wälder ihre Zuflucht zu nehmen, um fich baare Einnahmen zu verfchaffen. Nichtödeftoweniger hat dieſe Ders nichtung mancher Wälder die befürchteten Folgen nicht beftätigt. Denn eine Klafter Buchenbrennholz Eoftete zu Anfang ded gegenwärtigen Jahrhunderts in Kopenhagen 8 Thaler 15 Grofchen, und jegt Foftet cin folched Quantum nur 7— 7/2 Ihaler, obgleich jegt für jede Klafter eine Einfuhrfteuer erlegt wird, die vordem nicht erhoben wurde. Das Holz eined ungefällten Waldbaumes foftete hier vor dem Kriege 5 Thaler, was ebenfalld mehr ift, als wofür jegt Bäume gekauft werden. Obgleich die Wälder aljo gelitten haben, gleicht der Berluft fi zum Theil dadurch wieder aus, dag man jegt fparfamer mit Dem Brennholze umgeht und die Wälder mit Schonung behandelt. Der Staat hat folglich gemonnen und Keiner durch das Geſchehene gelitten, wenn man noch dabei nicht außer Beachtung läßt, wie bebeutend der mit jedem Jahre zunch- mende Berbraudy von Steinfohlen und die Einführung von Sparöfen überall dazu beiträgt, den Verbrauch an gutem Waltholz ald Brennmaterial zu verringern.

Berihtigungen:

pag. 673 Zeile 8 von oben lies „den“ Imperfecten flatt „‚ber’ 693.8 „» » Ballabrost flatt Sallabros,

» 63 6 „unten imexilio in,

654. 1 „oben veritatis , viritalls,

Drud von I. B. Hir ſchſeld in Reipsig.

TOT

b105 015 181 576

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