Styr M. Hill Cibrarg Narttf (üarnlttta £>iate OloUrge QP431 (5596 V m 1 134040 This book may be kept out TWO WEEKS ONLY, and is subject to a fine of FIVE CENTS a day thereafter. It is due on the day indicated below: gApr'57 1 13», 3Uul624 50M— May-54— Form :? EINFÜHRUNG IN DIE VERERBUNGS- WISSENSCHAFT IN ZWANZIG VORLESUNGEN FÜR STUDIEREND^, ÄRZTE, ZÜCHTER VON Prof. Dr. RICHARD GOLDSCHMIDT MITGLIED DES KAISER -WILHELM - INSTITUTS FÜR BIOLOGIE BERLIN-DAHLEM DRITTE NEUBEARBEITETE AUFLAGE MIT 178 ABBILDUNGEN LEIPZIG VERLAG VON WILHELM ENGEL.MANN 1920 Vorwort zur U Auflage. Vorliegendes Buch ist, wie schon seine Form besagt, aus Univer- sitätsvorlesungen hervorgegangen. Es hat sich zum Ziel gesetzt, die erste Einführung in ein Gebiet der Biologie zu vermitteln, das heute wohl im Mittelpunkt des Interesses steht, und in gleicher Weise für den Zoologen und Botaniker, wie für den Arzt, den praktischen Züchter, den Anthropologen und Soziologen bedeutungsvoll erscheint. Die vielen Berührungspunkte, die die Vererbungslehre mit so verschiedenen Wissensgebieten hat, erfordern es, daß ihre Darstellung dem auch Rechnung trägt. Trotzdem wurde, wo es irgend anging, das zoologische Material in den Vordergrund gestellt, wenn ich mich auch bemühte, der führenden botanischen Schwesterwissenschaft nach Kräften gerecht zu werden. Seinem Charakter als Einführung entsprechend, bietet das Buch keineswegs eine vollständige Materialsammlung des behandelten Ge- bietes, sondern eine geeignete Auswahl, die aber wohl alle wesent- lichen Tatsachen wenigstens an einem Beispiel illustriert. Ebenso wurde speziell in dem die Variation behandelnden Teil auf ausführ- liche Darstellung der Methodik verzichtet, von der nur das Elementarste kurz mitgeteilt ist. Das konnte um so besser geschehen, als sie in Johann sens Elementen der exakten Erblichkeitslehre eine meister- hafte und unübertreffliche Darstellung erfuhr. Mir kam es vor allem darauf an, das biologische Tatsachenmaterial in logischer Verknüpfung zu geben. Auf einem Gebiet, in dem alles so in Fluß ist, wie es bei der Vererbungslehre der Fall ist, ist es nicht leicht möglich, das Tatsachen- material vollständig objektiv vorzuführen. Seine Verknüpfung zu einem Ganzen erfordert es, daß zu allgemeineren Problemen in be- stimmter Weise Stellung genommen wird. So fehlt auch in den 13404« — IV — folgenden Vorlesungen hier und dort ein subjektiver Zug nicht; wenn die dabei zutage tretenden Anschauungen nicht immer mit den augen- blicklich herrschenden übereinstimmen, so dürften doch auch die entgegengesetzten Auffassungen stets objektiv hervortreten. Der Fachmann, der das Buch in die Hand bekommen sollte, wird außer- dem hie und da sowohl Tatsachen finden, die eigenen im Gang be- findlichen Untersuchungen entstammen, wie auch neue Interpretationen der Befunde anderer. Wieviel die Darstellung des Mendelismus dem Standardwerk der modernen Bastardforschung, Batesons Mendel's Principles ofHeredity, verdankt, braucht wohl nicht besonders hervorgehoben zu werden. Ich habe mich in diesem Kapitel bemüht, möglichst häufig die wirk- lichen Zahlenangaben für die vorgeführten Beispiele zu geben, so daß der Leser selbst die Richtigkeit der Interpretationen kontrollieren kann. Es wurde ferner in Anlehnung an einen Vorschlag Längs versucht, eine einheitliche Schreibweise der Buchstabensymbole durch- zuführen, die von den Autoren bald dieser, bald jener Sprache ent- lehnt werden. Es wurden stets die Anfangsbuchstaben der lateinischen Bezeichnung der betrachteten Eigenschaft gewählt, die sich ohnedies oft mit sonst benutzten Symbolen decken. Es ist mir schließlich eine angenehme Pflicht, allen denen zu danken, die mich bei der Arbeit unterstützten, vor allem mir durch Überlassung von Werken aus ihrer Bibliothek vielen Zeitaufwand ersparten, nämlich den Herren Proff. Doflein, Göbel, Hertwig, Maas, Neresheimer, Poll, Semon. Besonderen Dank schulde ich endlich meinem Verleger Herrn Wilhelm Engelmann für sein liebenswürdiges Eingehen auf alle meine Wünsche. München, den i. Mai 191 1. Vorwort zur 2. Auflage. Trotzdem die Bearbeitung dieser Auflage bereits ein Jahr nach Erscheinen der ersten in Angriff genommen wurde, erwies sich eine beträchtliche Umgestaltung des Buchs als notwendig. Teils war es der schnelle Fortschritt der Wissenschaft, teils eigene bessere Kenntnis und Erkenntnis, teils didaktische Gesichtspunkte, die dazu nötigten. Die letzteren haben vor allem eine andere Anordnung des Stoffes be- dingt, die ein leichteres Aufbauen des Materials ermöglicht. Auf die Variationslehre folgt jetzt direkt der Mendelismus. An ihn schließt sich die Geschlechtsbestimmung an, ein Kapitel, dem auch alles Zyto- logische eingeordnet ist. Erst dann folgt Mutation und Vererbung erworbener Eigenschaften. Nur wenige Kapitel haben keine wesentlichen Änderungen erfahren; aber auch bei ihnen wurde in Gliederung und Darstellung nach größerer Schärfe und Klarheit gestrebt. Es sind dies hauptsächlich die ersten sieben Vorlesungen. Die den Mendelismus behandelnden Vorlesungen enthalten viele neue Einfügungen und Änderungen, die durch neuere Forschungen bedingt sind. Sie finden sich hauptsächlich in der 1 1. und 12. Vorlesung. Ganz neu ist, bis auf einige herübergenommene Stellen, die 1 3 .Vorlesung. Ebenso sind die das Problem der Geschlechts- bestimmung behandelnden Vorlesungen völlig neu geschrieben, wenn auch überall mehr oder minder große Bruchstücke der alten Dar- stellung aufgenommen sind. Ich glaube damit eine wirklich einheit- liche Darstellung des verwickelten Gegenstandes gegeben zu haben. Auch die Darstellung der Mutationslehre und der Frage nach der Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften ist stark umgearbeitet. Be- sonders in letzterer Frage habe ich mich bemüht, die Sachlage objektiv und doch auch wieder «ubjektiv möglichst klar herauszuarbeiten. Die letzte Vorlesung über die Vererbung beim Menschen wurde wieder neu hinzugefügt. Goldschmidt, Vererbungswisseuschaft. 3. Aufl. — VI — Eine Reihe von Abbildungen mußten verschwinden, zahlreiche neue wurden hinzugefügt, so daß die Gesamtzahl sich um 28 erhöhte. Es ist mir eine angenehme Pflicht, schließlich allen Helfern bei der Arbeit meinen herzlichsten Dank zu sagen: Doz. Dr. Nilsso n- Ehle für die Ablassung einer authentischen Darstellung der Svalöfer Versuche (S. 130, 131), Herrn Dr. Witschi für seine Hilfe bei der Ergänzung- des Literaturverzeichnisses und Herrn Dr. O. Köhler für seine mir höchst wertvolle kritische Hilfe beim Lesen der Korrekturen. Auch dem Verleger, Herrn W. Engelmann, gebührt für jegliches Ent- gegenkommen mein Dank. München, den 1. Oktober 191 3. Vorwort zur 3. Auflage. Die 3. Auflage dieses Buches erscheint wieder in vollständiger Neubearbeitung. Denn trotz der Kriegsjahre sind auf den ver- schiedensten Gebieten der Vererbungswissenschaft so beträchtliche Fortschritte erzielt worden, daß ganze Vorlesungen neu geschrieben werden mußten. Es erwies sich zunächst als nötig, die Anordnung des Stoffes beträchtlich zu ändern. Obwohl der Verfasser stets ein überzeugter Anhänger der Chromosomentheorie der Vererbung war, hielt er es in den früheren Auflagen im Interesse der Objektivität für richtiger, die Vererbungslehre so darzustellen, daß die Verbindung mit der Chromosomenlehre nicht der Durchführung zugrunde lag. Heute ist diese Zurückhaltung nicht mehr nötig, denn die Arbeiten über Geschlechtschromosomen und geschlechtsbegrenzte Vererbung und vor allem die Drosophila- Arbeiten der Morgan- Schule haben die Verbindung von Erbmechanismus und Chromosomenmechanismus auf eine völlig sichere Basis gestellt. Dementsprechend wurde die Darstellung der zellulären Ergebnisse an ihretlogisch richtige Stelle gesetzt, um auf ihnen weiterbauen zu können. Das viele Neue, das in den Abschnitten über den, ich möchte sagen, höheren Mendelismus — VII — zugefügt werden mußte, wurde durch starke Kürzung anderer Ka- pitel kompensiert. So wurde vor allem das Kapitel über Geschlechts- bestimmung sehr reduziert, einmal weil die für die gesamte Vererbungs- lehre wichtigen Beziehungen von Vererbung und Geschlecht der allgemeinen Darstellung eingefügt werden mußten, sodann, weil ein gleichzeitig im Druck befindliches Buch dieses Kapitel besonders be- handelt. Starke Kürzung erfuhr auch der Abschnitt über die Ver- erbung erworbener Eigenschaften, da die Interpretation der im Vorder- grund der Diskussion stehenden Untersuchungen in den letzten Jahren schwankend wurde, außerdem die Anschauungen des Verfassers manche Änderung erfuhren. Auch in den Kapiteln über die Mutations- theorie waren größere Änderungen nötig, da die verwickelten Tat- sachen nun endlich einer Klärung entgegenzugehen scheinen. Ferner wurden auch die einleitenden Kapitel über Variation beträchtlich um- gestellt und geändert, um größere Klarheit zu erzielen. Endlich wurde eine andere Methode der Literaturzitate durchgeführt. Die Fortführung des Literaturverzeichnisses in der bisherigen Form wäre nicht mehr durchführbar gewesen, da es einen unmöglichen Umfang angenommen hätte. So wurde die Literatur auf die einzelnen Vor- lesungen verteilt und auf das zur weiteren Orientierung Notwendige beschränkt. Schließlich wurde auch eine größere Zahl von Ab- bildungen ausgemerzt, andere neue zugefügt. So ist alles in allem die Neuauflage ein fast neues Buch geworden. Die Bearbei- tung wurde im Mai 19 19 in Amerika abgeschlossen, aber wenigstens in bezug auf deutsche Literatur noch bis zum jetzigen Datum nach Möglichkeit ergänzt. Der Verfasser würde sich glücklich schätzen, wenn dies Buch auch » in seiner neuen Gestalt ein wenig dazu beitragen könnte, dem erfolg- reichsten und aussichtsvollsten Zweig der neueren Biologie den leider bei uns noch fehlenden wissenschaftlichen Nachwuchs zu gewinnen. Berlin-Dahlem, September 19 19. Richard Goldschmidt. Inhalt. Seite I. Einleitung i II. Die Variabilität 4 A. Die Tatsachen der Variabilität 4 1. Das Queteletsche Gesetz 9 2. Die graphische Darstellung der Variabilität 12 3. Das Maß der Variabilität 16 B. Die Bedeutung der statistischen Methode für die Variabili- tätslehre. 1. Ihre Anwendung auf biologische Probleme 21 a. Homogame Vermehrung 21 b. Korrelation 23 c. Zuchtwahl 29 d. Art- und Rassenfragen 31 2. Die Grenzen der Methode. a. Die mehrgipfligen Kurven und ihre Bedeutung 36 b. Fester Dimorphismus 41 C. Galtons Gesetz von Rückschlag und Ahnenerbe. 1. Galtons Begründung 49 2. Statistische und biologische Gesetze 59 3. Johannsens Kritik des Gesetzes 64 a. Genotypus und Phaenotypus 69 b. Nichteinheitlichkeit des Materials 71 « D. Die Selektion in Populationen und reinen Linien 72 1. Johannsens Studien 72 2. Folgerungen: Population und Biotypus 77 3. Die Tatsachen aus der züchterischen Praxis und dem Tierreich ... 79 a. Die Svalöfer Linien 80 b. Reine Linien und Klone 82 c. Elementare Rassen 85 4. Zusammenfassung 88 — IX — E. Die Ursache der Modifikabilitä t. c •. beitc i. Die Ableitung aus dem Gaußschen Fehlergesetz 92 2. Die Reaktion des Individuums auf die Umwelt 49 a. Temperatur 95 b. Feuchtigkeit 99 c. Nahrung 100 d. Funktionelle Anpassung 103 3. Das Wesen der variabeln Eigenschaft. Die Reaktionsnorm ... . 105 a. Lebenslage und Variationskurve 107 (c. Standortsvariation . . ■ 108 ß. Experimentelles 110 y. Embryonale Variation 112 b. Experimentelle Beeinflussung des Maßes der Variabilität 113 c. Ererbte Reaktionsnorm und Modifikation. «. Verschiedenheit nach Art, Organ, Entwicklungsstufe 120 ß. Zyklische Variation 121 III. Die Bastardierung als Mittel zur Analyse der Erblichkeit. A. Die ältere Bastardforschung 128 B. Mendelismus. 1. Mendels Untersuchungen und die Zahlenkonsequenzen des Spaltungs- gesetzes 131 2. Die elementaren Ergebnisse der Mendelistischen Forschung. a. Die Dominanzregel. «. Die reine Dominanz und ihr Wesen 148 aa. Dominante Eigenschaften 148 ßß. Die Presence-Absence-Hypothese 150 yy. Homo- und Heterozygote ^S1 ß. Unvollständige und fluktuierende Dominanz 151 y. Das intermediäre Verhalten 154 ()'. Die Mosaikbastarde 155 e. Wechselnde Dominanz 156 b. Das Spaltungsgesetz. a. Einfache Fälle von Mono- und Dihybridismus. aa. Mono- und Dihybridismus mit Dominanz und mit inder- mediärem Verhalten 158 ßß. Die Xenien 169 ß. Polyhybridismus 170 y. Die Rückkreuzung 1 73 3. Der Chromosomenmechanismus der Mendelspaltung. a. Elementartatsachen. «. Die mitotische Zellteilung 179 ß. Die Chromosomen in Reifung und Befruchtung 184 aa. Chromosomenreduktion und Synapsis 185 ßß. Die qualitative Verschiedenheit der Chromosomen .... 189 — X — Seite b. Anwendung auf die Mendelspaltung 195 4. Höherer Mendelismus. a. Das Zusammenarbeiten unabhängiger Erbfaktoren .203 a. Auftreten von Neuheiten nach Bastardierung 204 ß. Faktorenanalyse und Erbformeln 217 y. Polymerie und das Prinzip von Nilsson-Ehle 228 cf. Polymerie und Variationskurve . 233 e. Scheinbar intermediäre Vererbung 236 f. Homomere. und fraktionierte Polymerie 247 b. Die Vererbung mehrerer im gleichen Chromosom gelagerter Fak- toren. a. Vorbemerkungen über Mutation 251 ß. Das Geschlechtschromosom 252 • ««. Geschichte der Geschlechtschromosomen 252 ßß. Heterogametie und Heterozygotie 256 yy. Einzelfälle im Verhalten der Geschlechtschromosomen . .257 y. Die geschlechtsbegrenzte Vererbung 261 aa. Vom Vererbungsstandpunkt 263 ßß. Vom zytologischen Standpunkt 269 yy. Geschlechtsbegrenzte Mutation 272 dS. Das Nichtauseinanderweichen der Chromosomen .... 273 6'. Mehrere Faktoren in somatischen Chromosomen 283 aa. Faktorenkoppelung und Abstoßung 284 ßß. Der Faktorenaustausch und die Analyse der Chromosomen 290 yy. Komplizierte Folgerungen aus Morgans Theorie 301 c. Besondere Einzelerscheinungen Mendelscher Vererbung 309 a. Verdeckte Koppelung • 3°9 ß. Die Lethalfaktoren 3H y. Das Verhalten von Speziesbastarden 319 aa. Spalten und Nichtspalten 320 ßß. Cytologisches 329 yy. Die Unfruchtbarkeit 332 d\ Plasmatische Vererbung 333 5. Mendelismus und evolutionistische Fragen 337 a. Die Domestikation 337 «. Züchteranschauungen 33° ß. Rekombination und Bastardkonstruktion 341 y. Polymerie 34° d\ Das Luxurieren 347 b. Die Selektion 349 «. Selektionsexperimente 35 l ß. Der Mimetismus 353 aa. Lokaler Polymorphismus 354 ßß. Unisexueller Polymorphismus 355 yy. Verbindung mit Mimetismus 359 — XI — Seite c. Das Wesen der Erbfaktoren 363 «. Die Geschlechtsfaktoren als Ausgangspunkt 363 aa. Primäre und sekundäre Geschlechtscharaktere 365 ßß. Analyse der Intersexualität 367 ß. Übertragung auf andere Erbfaktoren 383 aa. Der multiple Allelomorphismus 384 ßß. Faktorenquantität und geographische Variation ..... 385 y. Das Wesen der Dominanzerscheinung 389 IV. Die Mutationstheorie 397 1. Sports und Sprungvariationen 399 a. Ältere Anschauungen 399 b. Korschinskys Material 400 c. Tierische Sports 405 d. Knospenvariation 410 2. Die de Vriessche Mutationstheorie 411 a. Die Mutation der Oenothera 411 b. Die Zahl der Mutanten 416 c. Erhaltenbleiben der Mutanten in der Natur 418 3. Kritik des Oenothera-Falls und Schwierigkeiten 419 a. Faktorielle Mutation 419 b. Reinheit der Oenotheraarten 420 c. Verhalten der Mutanten bei Reinzucbt 420 d. Kreuzung der Mutanten mit der Stammart 421 e. Kreuzung der Mutanten untereinander 421 f. Speziesbastarde von Oenotheraarten 422 g. Deutungsversuche 423 ct. Mendelsche Rekombination 423 ß. Die Chromosomenverhältnisse 425 y. Lethalfaktoren und Speziesbastarde 427 4. Zusammenfassung 431 5. Die Ursache der Mutation 432 V. Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften. . 436 1. Darwinismus und Lamarekismus 437 2. Weismanns Lehre vom Keimplasma 439 3. Die Möglichkeit der Leitung vom Soma zum Keimplasma 444 a. Übertragung von Stoffen auf die Geschlechtszellen 444 b. Die Versuche über somatische Induktion 447 cc. Gebrauch und Nichtgebrauch 447 ß. Instinktveränderungen 449 /. Lebenslagevariation 45° c. Schlußfolgerungen 455 d. Die Parallelinduktion und ihre Erklärung 456 e. Telegonie 459 — XII — Seite VI. Pfropf bastarde und Chimären 464 A. Tierreich 464 B. Pflanzenreich ■ 466 1. Der Cytisus Adami 466 2. Der Crataegomespilus ^ 467 3. Die Bizarria 467 4. Tomaten-Nachtschatten 469 VII. Die Vererbung und Bestimmung des Geschlechts .... 479 1. Der Erbmechanismus der Geschlechtsverteilung 479 a. Heterogametie-Heterozygotie 480 b. Polyembryonie 481 c. Parthenogenese und Geschlechtsvererbung 484 d. Gynandromorphismus 486 e. Das Verhalten der Pflanzen 487 f. Das Zahlenverhältnis der Geschlechter 488 2. Physiologie der Geschlechtsbestimmung 491 a. Allgemeines 491 b. Vererbung sekundärer Geschlechtscharaktere 492 VIII. Die Vererbungsgesetze und der Mensch 496 A. Die menschliche Population 496 B. Die Mendelschen Gesetze beim Menschen 498 1. Der gewöhnliche Vererbungstypus 498 2. Dominante Eigenschaften 499 3. Rezessive Eigenschaften 502 4. Geschlechtsbegrenzte Eigenschaften 504 5. Schwierigkeiten 507 Register 509 Erste Vorlesung. Der Begriff der Genetik. Die Variabilität und ihre exakte Dar- stellung. Das Queteletsche Gesetz. Das Maß der Variabilität. Die Biologie stand in den letzten 50 Jahren, der Zeit ihres größten Aufschwungs, unter dem alles überragenden Einfluß jenes großen Gedanken- und Tatsachengebäudes, das man in seiner Gesamtheit als die Abstammungslehre bezeichnet. Durch die geniale Begründung und Ausarbeitung, die ihr Darwin gegeben hatte, wurde sie befähigt, in kürzester Zeit sich die gesamte Biologie zu erobern und ihre Gesichts- punkte zum Leitstern aller weiteren Forschungen zu machen. So wurde die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts in allen Disziplinen unserer Wissenschaft ein darwinistisches Zeitalter. Systematik und vergleichende Anatomie, Entwicklungsgeschichte, Tiergeographie und allgemeine Biologie, Anthropologie und zum Teil sogar die Physiologie entnahmen die entscheidenden Gesichtspunkte für ihre Forscherarbeit jener Lehre. Und nicht zu ihrem Schaden, denn die Kenntnisse, die in jener Zeit dem Bestand der Wissenschaft zugefügt wurden und die unabhängig von dem jeweiligen Gesichtspunkte der Betrachtung ihren dauernden Tatsachen- wert besitzen, sind von bewundernswertem Umfange. Gewiß hatte diese Entwicklung auch ihre Schattenseiten; wie jede große und fruchtbare Idee, so hatte auch die Abstammungslehre ein gutes Teil ihres Wesens der schöpferischen Phantasie zu verdanken. Und so wiederholte sich auch hier das, was uns die Geschichte der Menschheit bei jeder großen geistigen Bewegung bemerken läßt: der entfesselte Strom überschritt seine Grenzen. Es kam die Sturm- und Drangzeit unserer Wissenschaft, die erweckte Phantasie hielt vielfach nicht die ihr gesteckten Grenzen ein, Theorien bekamen den Wert von Tatsachen, Umschreibungen durften als wissenschaftliche Erklärungen gelten. Und nun folgte wie immer die Ernüchterung und mit ihr die Rückkehr zum Ausgangspunkt. Goldschmidt, Vererbungswissenschaft. 3. Aufl. I D. H. HILL LIBRARY North Carolina State College Darwin selbst war in jenen Wirbel nicht mit hineingezogen worden. Er blieb bei der vorsichtigen Prüfung seiner Gedanken durch möglichst gründliche Versuche. Und wenn wir jetzt uns wieder mehr und mehr daran machen, zuerst die Grundlagen der Abstammungslehre exakt zu erforschen, ehe der weitere Aufbau in Betracht kommt, so bedeutet das eine Fortführung von Darwins Lebenswerk in dessen ureigenstem Sinn. Im Mittelpunkt der Abstammungslehre steht die Annahme der Ver- änderlichkeit der Art: die uns als konstant erscheinenden Tier- und Pflanzenformen sind es nicht, sondern unterliegen der Möglichkeit der Umwandlung und Weiterentwicklung zu anderen Formen. Nach Dar- wins Annahme hat diese Veränderlichkeit zur Grundlage die Tatsache, daß die verschiedenen Individuen einer Tierart nicht völlig wesens- gleich sind, sondern in kleinen Merkmalen sich voneinander unter- scheiden, daß sie variieren. Das Lebewesen ist aber im allgemeinen seiner Umgebung angepaßt. Beziehen sich nun die Variationen auf Eigenschaften, die für das Angepaßtsein von Bedeutung sind, so können sich geringfügige Veränderungen für den Organismus nützlich oder schädlich erweisen. Träger schädlicher Eigenschaften, also schlecht angepaßte Varianten, werden aber nach Darwin durch die natürliche Zuchtwahl, die nur Brauchbarem den Bestand ermöglicht, ausgemerzt und nur die mit Nützlichem, gut Angepaßtem Ausgestatteten bleiben im Kampf ums Dasein erhalten. Pflanzen diese sich fort, so übertragen sie ihre günstigen Anlagen auf die Nachkommenschaft, und da bei dieser der gleiche Prozeß statthat, so bilden sich die Arten allmählich zu besser Angepaßtem, somit Höherem um. Es ist daraus klar zu ersehen, daß sich die Grundlagen der Abstam- mungslehre um drei große Zentren gruppieren : die Fragen der Variation, der Anpassung, der Vererbung. Es muß festgestellt werden, ob und in welchem Umfang die von Darwin postulierte Veränderlichkeit besteht und zwar sowohl die Veränderlichkeit innerhalb einer Art als auch von einer Form zu einer anderen. Es muß dann nach den Ur- sachen solcher Veränderlichkeit geforscht und womöglich versucht werden, sie in die Hand des experimentierenden Forschers zu be- kommen. Sodann erhebt sich die Frage des Angepaßtseins an die Umgebung und die Wirkung der Auslese der weniger Angepaßten. • Soll eine solche irgendeine Bedeutung haben, so ist die Voraussetzung die, daß die erhalten gebliebenen Variationen vererbt werden. Und da liegt das Kardinalproblem des Ganzen : was wird vererbt, wie wird es vererbt. Eine jede Erforschung der Grundlagen der Abstammungslehre muß sich um diesen Punkt gruppieren, um das Vererbungsproblem, und mit Recht hat man es daher überhaupt als das zentrale Problem der ganzen Biologie bezeichnet. Hat es doch auch nach allen Seiten hin Beziehungen, bildet es doch auch einen wesentlichen Faktor für die Ver- bindung der Biologie mit ihren Tochterwissenschaften, der Medizin, der Soziologie, der Landwirtschaft. £ Die neuere Zeit hat nun die Erforschung aller jener Dinge, die seit Darwin etwas zurückgetreten war und nur von einer Minderzahl von Forschern, mehr Botanikern als Zoologen, gepflegt wurde, wieder in den Vordergrund des Interesses gebracht. • Einmal war es die Erkennt- nis, daß weitere wesentliche Fortschritte der Biologie in erster Linie nur auf dem Wege des biologischen Experiments erzielt werden können. War Darwin selbst zweifellos einer der größten experimentierenden Biologen seines Jahrhunderts, so hatten seine Nachfolger, verlockt von der unübersehbaren Fülle des vor ihnen ausgebreiteten Beobachtungs- materials, sich zunächst an dessen Durcharbeitung gemacht. Erst als hier bereits die wesentlichsten Erfolge erzielt waren, konnte durch die zum Teil in bewußtem Gegensatz zum herrschenden Darwinismus stehende Entwicklungsmechanik die experimentelle . Methode in der Biologie wieder betont werden. Ein weiterer Faktor ist in der exakten Grundlage gegeben, die die Erblichkeitsforschung durch die Bemühung der Variationsstatistik erhielt, die mathematische Genauigkeit in dies Wissensgebiet einführte. Als dritten Hauptfaktor, der das Interesse auf die Erblichkeit und ihre Nachbarfragen konzentrierte, muß man die Entdeckung oder richtiger die besondere Wertung der Mutationen durch de_ Vries bezeichnen, die ganz neue Möglichkeiten für die Lösung unserer Fragen auftauchen ließ. Und endlich ist es die Wiederent- deckung der Mendel sehen Bastardierungsregeln, die auf eine Fülle von Dingen Licht warf und der Vererbungsforschung eine ganz neue Domäne eröffnete. So stehen wir denn jetzt in einer Zeit, in der sich innerhalb des Riesengebietes der Biologie ein Grund abgrenzt, an dessen — 4 — • Bebauung sich die besten Kräfte abmühen. Seinen Mittelpunkt bildet die Erblichkeitslehre, um die herum sich alle jene Probleme gruppieren, die ohne sie nicht gelöst werden können. In England hat Bateson für unsere neueroberte Wissenschaft die Bezeichnung genetics ein- geführt und wir können sie mit dem gleichen griechischen Wort als Genetik bezeichnen, die Wissenschaft von dem Werden der Orga- nismen. Die Genetik ist in erster Linie eine exakte Wissenschaft und mit vollem Recht heben ihre führenden Vertreter hervor, daß sie nur die Aufgabe hat, exakte Tatsachen auf dem Wege der Beobachtung und des Experiments festzustellen. Sie rücken damit bewußt ab von der eben yerflossenen Zeit, in der gerade die Erblichkeitslehre ein beliebter Tummelplatz für phantastische Spekulationen war. Man darf aber auch darin nicht ungerecht sein: jene Ideengebäude, vor allem WTeismanns Lebenswerk, haben viel dazu beigetragen, die Fragestellungen unserer Wissenschaft ins richtige Licht zu rücken und wurden so vielfach der eigentliche Ausgangspunkt für die exakte Forschung. Ja, viele der von ihm, oft auf Grund unvollkommen bekannter Tatsachen, mit genialer Intuition erschlossenen Gesetzmäßigkeiten haben sich seit- dem im Läuterfeuer der Beobachtung und des Experiments als grund- legende Wahrheiten erwiesen. Und so sollte man auch jetzt nicht vollständig auf gewisse Dinge verzichten, die nur auf dem Wege des Schlusses gewonnen der exakten Beweisführung nicht zugängig sind, sofern sie nur geeignet sind, weitere Anregungen zu geben oder uns sonst schwierige Vorstellungen zu erleichtern. Wenn wir uns dabei der Grenzen zwischen Tatsache und Hypothese bewußt bleiben, und uns davor hüten, eine Hypothese auf eine andere zu stützen, kann eine den Tatsachen untergelegte Idee uns sogar in der reinen Tatsachen- forschung höchst förderlich sein. So wollen wir denn gleich ohne weitere Einleitung damit beginnen, uns mit den Grundtatsachen der Genetik vertraut zu machen. Es bedarf wohl keiner besonderen Begründung, daß an der Basis der Vererbungslehre die Betrachtung der Eigenschaften zu stehen hat, deren Erblichkeit untersucht werden soll. Ein jeder Organismus setzt sich aus einer kaum bestimmbaren Fülle von Eigenschaften meßbarer — 0 und nicht meßbarer Natur zusammen, die in ihrer Gesamtheit sein Wesen ausmachen: Größe des Ganzen und der Teile, Farbe, Zeichnung, Muskelkraft, Fähigkeit gewisse Stoffwechselprodukte zu produzieren, Fähigkeit auf bestimmte Reize in bestimmter Weise zu reagieren, Dispo- sition zu Erkrankungen und welcher Art sie immer sein mögen. Wenn sie für die Fragen der Erblichkeit natürlich auch alle gleichmäßig studiert werden müssen, so können wir begreiflicherweise zunächst am weitesten mit solchen kommen, die sich exakt z. B. 'durch Messung festlegen lassen. Darwins Zuchtwahllehre basiert nun auf der Annahme, daß alle diese Eigenschaften bei einer Anzahl von Individuen der gleichen Art, die beliebig aus der Gesamtheit der Artgenossen herausgegriffen sind, bei einer Population, wie wir von jetzt ab sagen wollen, ebenso wie bei der Gesamtheit der Nachkommen eines Elternpaares, nicht 15 Fig. i. Variationsreihe der Länge (von 45 — 310/i) aus einer Pararaaecienkultur. Im Anschluß an J ennings. völlig identisch vorhanden sind, sondern sich in mehr oder minder hohem Maß unterscheiden, daß die Eigenschaften variieren. Diese Variabilität ist nun in der Tat, wie auch schon vor Darwin bekannt war, vorhanden, und ihre Untersuchung muß natürlich einer jeden Betrachtung der Erb- lichkeit der Eigenschaften vorangehen. Betrachten wir uns zunächst einmal ein paar konkrete Fälle und beginnen mit einem einfachsten, einer Eigenschaft der Zelle. Als Einzel- zellen, die der experimentellen Untersuchung besonders zugänglich sind, benutzt man mit Vorliebe, wie wir noch mehrfach sehen werden, die Infusorien. Prüft man nun eine Kultur von Paramaecien, die aus vielen Tausenden artgleicher Individuen besteht, z. B. auf die Länge der Einzel- tiere, so findet man darunter winzig kleine Tiere von etwa 45 jli Länge, ferner riesengroße von 310 jli und dazwischen sämtliche denkbaren Größenstufen, so daß eine kontinuierliche Reihe von Individuen sich — 6 — nach ihrer Größe anordnen läßt, wie vorstehende Fig. i zeigt. Die Variabilität schwankt, fließt also gewissermaßen zwischen zwei Extremen, weshalb wir auch von einer fluktuierenden Variabilität reden.. Es ist von Wichtigkeit, sich gleich von Anfang an darüber klar zu werden, daß diese Bezeichnung eine rein deskriptive ist und nichts darüber aus- sagt, ob wir jedesmal, wenn uns eine betrachtete Eigenschaft die Er- scheinung der fluktuierenden Variabilität zeigt, auch vor dem gleichen biologischen Phänomen stehen. Wir werden später sehen, daß das nicht der Fall ist, daß vielmehr die Erscheinung der fluktuierenden Varia- bilität durch mehrere, vom Standpunkt der Erblichkeitslehre völlig Fig. 2. Variationsreihe der Größe von Kirschlorbeerblättern. Darüber ihre graphische Dar- stellung als Ogive. M Mittelwert. Nach de Vries. verschiedene Erscheinungen bedingt sein kann. In der Tat sind die jetzt angeführten Beispiele verschiedenen solchen Erscheinungsgruppen entnommen. So wie wir hier das Variieren in der Größe einer Zelle sehen, so könnten wir; es auch in ganzen vielzelligen Organismen oder auch an Teilen von Lebewesen, die in der Vielzahl vorhanden sind, feststellen. Ein klares Beispiel erhält man etwa in der Weise, daß man die Blätter eines Baumes in gleichen Abständen voneinander auf einer gradlinigen Basis aufklebt, indem man sie gleichzeitig nach ihrer Größe anordnet. Das ist im Anschluß an de Vries in vorstehender Fig. 2 für die Blätter des Kirschlorbeers geschehen und wir erkennen daran eine fluktuierende Variabilität zwischen 63 und 137 mm. — i Die Herstellung einer derartigen Reihe läßt sich natürlich bei meß- baren, zählbaren, wägbaren Eigenschaften ohne weiteres vornehmen. Etwas schwieriger gestaltet sie sich, wenn es sich etwa um Färbungs- oder Zeichnungscharaktere handelt. Läge eine dunkle Zeichnung auf ». ÖUS# *V«S «*Vä «»* m m m Fig- 3- Variationsreihe der Zeichnung des Pronotums vonLeptinotarsamultitaeniata. Nach Tower. hellem Grund vor, die sich variierend auf dem Grund ausbreitet, so könnte man ja auch zu Zahlenverhältnissen gelangen, wenn man pro- zentual das Verhältnis von dunkel und hell berechnet. Aber auch ohne Fig. 4. Typen von vier Variationsklassen der Flügelzeichnung von Lymautria monacha var. atra. dies läßt sich eine den vorigen Beispielen entsprechende Variation>- reihe aufzeigen, wenn man besonders typische Varianten auswählt und sie in eine Reihe anordnet und kleine Zwischenformen zwischen dtn Typen zunächst vernachlässigt. Figur 3 zeigt eine solche Varia- — 8 — tionsreihe, die sich auf die Zeichnung des Halsschildes (Pronotum) des Koloradokäfers, Leptinotarsa multitaeniata, bezieht, und zwar wurden in der aus Mexiko stammenden Population zehn Typen unterschieden. Sie zeigen, wie die aus schwarzen Strichen und Punkten bestehende Zeichnung variiert, indem allmählich erst Striche, dann Punkte, dann beides zusammenfließen, so daß das Endglied der Reihe ein ganz schwarzes Schild besitzt. Eine ganz entsprechende Variationsreihe zeigt uns Fig. 4 mit Variationen der Flügelzeichnung von Lymantria monacha var. atra, der Nonne. Diese Individuen stammen aber nicht aus einer Population, sondern aus den Nachkommen eines Elternpaares, was für die Variabilität im Prinzip gleichgültig ist. Auch hier führen die vier Typen von einem schwarz und weiß gebänderten Individuum durch alle Übergänge, von denen nur noch zwei dargestellt sind, zu einem ganz schwarzen. Diesen Beispielen ließen sich beliebig viele aus allen Klassen von Eigenschaften anfügen, die uns alle zeigen würden, daß eine derartige fluktuierende Variabilität in der Natur besteht. In allen diesen Fällen ist also die Variabilität eine fluktuierende, kontinuierliche. Nun bezeichnet man aber mit dem gleichen Ausdruck Variabilität, variieren, auch das Abweichen einzelner Individuen einer Tier- oder Pflanzenform von ihren Artgenossen, das nicht durch alle Übergänge mit der typischen Erscheinung verbunden ist, sondern ihr schroff gegenübersteht. Wenn etwa eine typisch blaublühende Pflanze gelegentlich weiße Blüten zeigt, eine rechtsgewundene Schnecke mit einem linksgewundenen Gehäuse auftritt, so ist das auch eine Variation, aber diskontinuierlicher Natur. Solche Variationen werden uns später auch interessieren; hier können wir von ihnen absehen und uns zunächst nur an die fluktuierenden, kontinuierlichen Variationen halten. Wir lassen dabei zunächst völlig außer acht, ob die fluktuierende Variation eine einheitliche Erscheinung ist, oder ob sie nicht vielmehr aus innerlich ganz verschiedenen Quellen herzuleiten ist, so daß sie in verschiedene Unterbegriffe zerlegt werden muß. Später werden wir allerdings er- fahren müssen, daß dem so ist. Soll die Variation nun zum Gegenstand von Überlegungen oder Ex- perimenten gemacht werden, so genügt es nicht, die Tatsache des Vor- handenseins der Varianten zu kennen, wir müssen vielmehr vor allem — 9 — ihre Zahl und deren Verteilung auf die Variationsreihe betrachten. Und diese zuerst von dem Anthropologen Quetelet eingeführte Betrachtungs- weise hat zur Feststellung eines sehr wichtigen Gesetzes geführt. Gehen wir direkt von einem der Queteletschen Beispiele aus. Er führt die Messungen an, die an 25878 nordamerikanischen Freiwilligen in bezug auf ihre Körpergröße ausgeführt wurden, und ordnet die Zahlen in eine Reihe, die beginnt mit 1,549 m = 60 engl. Zoll, dem Maß der kleinsten Individuen bis zu 2,007 m = 76 Zoll, dem Maß der größten Männer. Benutzen wir nun der Bequemlichkeit halber seine Umrechnung der Gesamtzahl auf den Durchschnitt von 1000, so erhalten wir das klarste Bild, wenn wir in die oberste Reihe die Größen und darunter die für jede Größe gefundene Anzahl von Individuen schreiben: Größe in Zoll: 60 Anzahl Soldaten: 2 pro 1000 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 7i 72 73 74 75 2 20 48 75 117 134 157 140 121 80 57 26 13 5 2 76 I Der erste Blick auf diese Reihe zeigt, daß die für die einzelnen Größen- variationen gefundenen Zahlen der Individuen innerhalb der Variations- reihe ganz regelmäßig verteilt sind. Die größte Zahl der Individuen, nämlich 157 pro 1000, findet sich in der Mitte der Reihe bei der Größe 67 Zoll, die kleinsten Zahlen finden sich an den Enden der Reihe, und dazwischen liegen alle Übergänge in der Zahl der Individuen und diese Übergangszahlen verteilen sich ziemlich symmetrisch zu beiden Seiten der Mitte. Es gibt also bei dieser Population von Menschen in bezug auf das Größenmaß eine mittlere Größe, die die meisten Individuen zeigen, während die Zahl der Individuen immer geringer wird, je weiter sich das Maß nach oben oder unten von der Mitte entfernt. Quetelet erkannte sofort, daß diese symmetrische Zahlenverteilung innerhalb der Variationsreihe eine große Ähnlichkeit mit der Verteilung hat, die man erhält, wenn man die binomische Formel (a + b)H ausrechnet: (a + b)1 = a + b (a + &)2 = ^2 + 2ab 4- &2 (a 4- 6)3 = «3 + 3a2& + 3^2 + &s (a + ö)4= = <74 4- 4«3£ 4- 6tf2&2 4. ^ab'i + b* usw. 10 - Setzt man an Stelle der Buchstaben bestimmte Zahlen, z.B. a = i, b = i so ergeben sich a + 6)1 = a + 6)2 = a + 6)3 = a + b)± = I + I I + 2 + I i + 3 + 3 + i i + 4 + 6 + 4 + i a + b)10 = i + io + 45 + 120 + 210 + 252 + 210 + 120 4- 45 4- 10 + 1. Es ergibt sich also eine ganz genaue symmetrische Verteilung der Zahlen um ein Mittel. Will man die für die Soldaten gefundenen Zahlen nun mit einer solchen idealen Zahlenreihe vergleichen, so berechnet man, wie eine solche für die Gesamtsumme von 1000 aussehen würde, wenn gewisse Bedingungen die gleichen sind, wie im realen Fall. In folgender Variationsreihe ist nun diese berechnete ideale Zahlenreihe unter die wirklich gefundene gesetzt: Größe in Zoll: 60 Zahl der Soldaten 2 pro 1000: Ideale Zahlen für 1000: 5 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 7i 72 73 74 75 2 20 48 75 117 134 157 140 121 80 57 26 13 5 2 9 21 42 72 107 137 153 146 121 86 53 28 13 5 2 76 I Der Vergleich der beiden unteren Zahlenreihen zeigt, in welch aus- gezeichneter Weise die gefundenen und die zu erwartenden Zahlen über- einstimmen, ein Zusammentreffen, was noch viel schlagender würde, wenn etwa ebensoviel Millionen Menschen gemessen worden wären als es Tausende waren. Diese nun ausführlich gezeigte Gesetzmäßigkeit in der Verteilung der Varianten auf die Variationsreihe nennt man das Queteletsche Gesetz. Denn es hat sich seitdem gezeigt, daß die Mehrzahl der variablen Eigenschaften, wenn in dieser Form betrachtet, sich in genau der gleichen Weise verhalten. Einige wenige Beispiele sollen das zunächst noch illustrieren. In der Systematik der Fische spielen die Schuppenzahlen eine große Rolle. Auch für sie gibt es eine fluktuierende Variabilität, wie die folgende Tabelle von Voris beweist, die sich auf die Zahl der Seiten- linienschuppen bei einem nordamerikanischen Cypriniden, Pimapheles notatus, bezieht: — 11 — Schuppenzahl : 40 Individuenzahl pro 500: ° 41 42 43 44 45 46 47 7 36 126 157 121 37 " 4s Oder ein anderes Beispiel, eine Aufzählung der Anzahl von Zähnen, die sich auf dem Rand des Kiefers des marinen Borstenwurms, Nereis limbata, finden. Unter 398 Individuen fand Hefferan: Zahl der Zähnchen: 2 Zahl der Individuen : 7 34 30 80 5 I 6 148| 98 7 29 8 6 In diesen beiden Beispielen ist es klar, daß die Individuen genau ihren Klassen entsprechen, daß also eine andere Klasseneinteilung, bei der noch feinere Unterschiede berücksichtigt werden, nicht möglich ist. Denn weniger wie eine Schuppe oder ein Zähnchen gibt es nicht, zwischen den Klassen kann nichts liegen. In diesem Falle spricht man von diskreten Varianten. Bei unserm ersten Beispiel, dem Quetelet- schen Fall der Menschenmaße, war das anders. Dort hatten die Klassen,- in die das Material eingeordnet war, einen Spielraum von einem Zoll. Ebensogut hätte man aber auch einen halben Zoll, auch weniger oder mehr nehmen können. Immer wären die Individuen, die bei einer Klassenzahl, z. B. 60 Zoll, aufgezählt sind, nicht alle genau 60 Zoll groß, sondern, gehörten in den Spielraum, der begrenzt wird von der Mitte zur nächstunteren und nächstoberen Klasse, also bei Zolleinteilung zwischen 59,5 und 60,5 ZoU. In diesem Fall würde man also von Klassenvarianten reden und zu ihnen dürfte die Mehrzahl der Varia- tionen gehören, nämlich alle, die sich nicht auf eine zählbare Eigenschaft beziehen. Es ist klar, daß in solchen Fällen bei exakter Schreibweise die Zahl der Individuen immer zwischen den Klasseneinteilungen stehen müßten. Schreibt man sie aber in gleicher Weise wie bei den diskreten Varianten unter die betreffenden Klassen, so nimmt man natürlich stillschweigend an, die Klasse 2 bedeute den Spielraum von 1,5—2,5. Als Beispiel dieser Klassenvarianten diene die oben besprochene vari- ierende Zeichnung des Halsschildes des Koloradokäfers nach Towers Untersuchungen, eingeteilt in elf Klassen, die aber für dieses Beispiel nicht ganz genau den oben abgebildeten zehn Klassen entsprechen: Klasse der Färbung: 1 Prozentzahl der Individuen: 1 2 3 4 5 1 6 7 8 9 10 4 7 12 13 26 14 12 7 1 II I — 12 — Und ein ganz ähnliches Bild liefert unser ebenfalls oben abgebildetes Nonnenbeispiel, für das die Zahlen von fünf Typen weiblicher Falter lauten: Klasse der Färbung: i Zahl der Schwester- , Individuen: 3 13 4 5 7 4 Für viele Fälle der Darstellung sind derartige Aufzählungsreihen genügend. Bedarf man aber des Vergleiches oder einer Darstellung, die schnelle Orientierung gewährt, oder der mathematischen Betrachtung der Variation, so wählt man wie immer die graphische Darstellung. Die Konstruktion einer solchen Variationskurve oder eines Variationspolygons (oder auch Häufigkeits- bzw. Frequenzkurve genannt, da sie ja die Verteilung der Häufigkeit einer Eigenschaft darstellt), ist ein klein wenig verschieden, je nachdem es sich um diskrete oder Klassenvarianten handelt. Würden wir sie für unser Beispiel für diskrete Varianten, die Seitenschuppenzahl von Pimapheles konstruieren, so müßten wir auf der horizontalen Linie, der Abszisse des Koordinatensystems, die Schuppen- zahlen in gleichen aber beliebig gewählten Abständen eintragen. Auf jedem Punkt, der eine Schuppenzahl bedeutet, wäre dann ein Lot zu errichten von der Länge einer beliebig gewählten Maßeinheit, z. B. i mm multipliziert mit der Anzahl der für die betreffende Schuppenzahl angegebenen Individuen, also bei 44 Schuppen 157 mm, bei 48 Schuppen 2 mm. Werden dann die Gipfel aller dieser Lote verbunden, so erhält man das in Fig. 5 (verkleinert) abgebildete Polygon. Es ist klar, daß ein solches Variationspolygon je mehr in eine Variations kurve über- geht, je größer die Zahl der Klassen und je kleiner damit die Entfernung der einzelnen Lotgipfel wird. Haben wir es dagegen mit einer Klassen- variation zu tun, so würden wir in der gleichen Weise auf der Abszisse die Klassengrenzen abtragen. Nehmen wir als Beispiel die Halsschild- färbung von Leptinotarsa, so würden ja, sagen wir zu Klasse 4, alle Individuen gezählt, die den Färbungstypus 4 repräsentieren, aber auch alle die kleinen Zwischenstufen, die näher an 4 als an 3 oder 5 standen. Die Klassengrenzen sind also 0,5, 1,5, 2,5 usw. Wir müssen also nun auf den Klassengrenzen Lote errichten, deren Höhe der Individuenanzahl entspricht, auf dem Gipfel eines jeden Lotes aber eine Horizontale ziehen 13 lt>0 ISO 120 100 80 «0 «0 m H2 ■»3 MM ■45 H6 H? MO Fig. 5. Variationspolygon der Seitenschuppenzahl von Pimapheles. 25 iC 15 10 1 5 i0 11 Fig. 6. Treppenkurve zu der Variationsreihe der* Färbung des Pronotums des Koloradokäfers. — 14 — von der Länge des Klassenspielraums. Auf diese Weise erhält man die in Fig. 6 abgebildete Figur der Treppenkurve. Aus. dieser erhält man ein gewöhnliches Variationspolygon, wenn man die Mittelpunkte der Treppenstufen miteinander verbindet, woraus hervorgeht, daß im wesentlichen für diskrete und Klassenvarianten dieselbe graphische Darstellung zum Vorschein kommt. Wie wir nun oben gesehen haben, nähert sich eine Variationsreihe, je symmetrischer sie ist, um so mehr einer idealen Zahlenreihe, die (im *' 1 .- X*\ n fz // V k / / \ 10 >y \ , r 30 20 ff % Ml / _ V ^v - - - „„^r ^' ^v ^\^^ 1075 1125 1175 1225 1275 1J25 U75 1425 li75 1525 1575 1625 1675 1725 1775 Fig. 7. Variationspolygon des Hirngewichts schwedischer Männer verglichen mit der idealen Kurve (letztere punktiert). Nach Pearl. Elementarfalle; von anderen können wir hier absehen) aus der Formel (a + b)n; entwickelt wird. In gleicher Weise kann man natürlich eine Variationskurve mit einer idealen Kurve vergleichen, die aus derselben Formel konstruiert ist, der Binomialkurve, und dabei wird sich ebenfalls die wirkliche Kurve bei normalen Verhältnissen um so mehr der idealen nähern, mit je größeren Zahlen gearbeitet wurde. (Natürlich muß diese ideale Kurve unter Zugrundelegung eines bestimmten aus der wirklichen Zahlenreihe gewonnenen Wertes konstruiert werden. Wir wollen darauf aber nicht eingehen, da uns hier nur die Resultate beschäftigen, nicht — 15 — die Methoden.) Als Beispiel diene nebenstehende Kurve, Fig. 7, die sich auf das Hirngewicht von 416 schwedischen Männern bezieht. Auf der Abszisse sind die Gewichtszahlen in Gramm eingetragen, die punk- tierte Linie stellt die ideale Vergleichskurve dar. Die zugehörigen Zahlen sind: Gewicht des Gehirns in g: Individuenzahl: 1075 1125 1175 1225 1275 1325 1375 1425 o 1 10 21 44 53 86 72 H75 i525 1575 l625 1675 1725 1775 ÖO 28 2Z. 12 T. I O Es gibt nun auch Fälle, in denen eine Variationskurve nicht mit dieser, sondern mit anders abgeleiteten Idealkurven verglichen werden muß, Fälle, die vor allem von Pearson und Duncker ausgearbeitet worden sind. Wir werden aber später sehen, daß mit solcher rein mathe- matischen Betrachtung nicht viel für biologische Zwecke gewonnen wird, Fig. 8. Bildliche Darstellung des Mittelwertes einer Variationsreihe durch einen im Gleich- gewicht befindlichen Wagebalken. Nach Pearson. - 1 daß wir es uns hier ersparen können, auch jene Fälle zu besprechen. Sollen diese Vorlesungen doch auch nur in die Genetik einführen und nicht etwa spezielle Arbeitsmethoden lehren. Benutzt man nun derartige Variationsreihen oder Kurven zur Be- trachtung eines biologischen Materials, so bedarf man natürlich gewisser Bezeichnungen für die Angehörigen der verschiedenen Kurvenbezirke. Wenn die Kurve eine ganz ideale ist, so stellt die Klasse, bei der die meisten Individuen liegen, also der Kurvengipfel, den Mittelwert dar. Natürlich ist dieser Mittelwert bei nicht völlig symmetrischer Kurve nicht genau mit dem Gipfelpunkt zusammenfallend, er ist nämlich nach der Seite der größern Variantenzahl verschoben. Seine genaue Lage wird am anschaulichsten aus obenstehender Darstellung Pear- sons (Fig. 8) verständlich, in der die Variationsreihe durch einen Wagebalken dargestellt ist, an dem ebensoviele Gewichte hängen als — 16 — Variationsklassen existieren und die einzelnen Gewichte sich zueinander verhalten wie die Zahlen der Variationsreihe. Der Unterstützungspunkt des Balkens, auf dem er in vollem Gleichgewicht ruht, entspricht dann dem Mittelwert M der Variationsreihe. Wenn man aber, was bei rein deskriptiver, nicht mathematischer Betrachtung auch oft genügt, den höchsten Punkt der Kurve einfach als den Mittelwert nimmt, so wird alles, was links von ihm liegt, als Minusvariante oder Minusabweicher bezeichnet, was rechts liegt, als Plusvariante oder Plusabweicher. Nun müssen wir noch einen notwendigen Begriff ableiten, wiewohl . wir uns sonst hier von der mathematischen Seite der Variations- statistik, wie diese Wissenschaft heißt, fernhalten wollen, da sie für die biologischen Probleme, die uns hier beschäftigen sollen, nicht uner- läßlich ist. Jenen Begriff aber müssen wir kennen lernen, weil er uns später noch begegnen wird. Wenn wir eine Variationsreihe aufgestellt haben und wollen sie etwa mit einer anderen vergleichen, die von dem- selben Objekt zu anderer Zeit genommen wurde, so können wir uns den Vergleich sehr erleichtern, wenn wir eine Durchschnittszahl be- nutzen können, die das Maß der Variabilität in einer solchen Reihe aus- drückt. Die bloße Inspektion einer Reihe könnte die Variationsbreite, die sie zum Ausdruck bringt, als ein solches Maß erscheinen lassen. Es ist klar, daß das nicht angängig ist, wenn man bedenkt, daß diese be- trächtlich von der Zahl der Messungen abhängig ist. Wenn etwa bei unserem obigen Beispiel der Flügelfärbung der Nonne uns nur ein Teil der Falter vorgelegen hätte, so hätte es ganz gut sein können, daß Stücke der hellsten oder dunkelsten Sorte überhaupt gefehlt hätten, und dann wäre die Variationsbreite scheinbar geringer. Oder wenn wir die 'zehn- iache Anzahl von Individuen zur Verfügung gehabt hätten, wäre vielleicht noch eine hellere Variation gefunden worden als Klasse i (was tatsächlich der Fall ist) und die Variationsbreite wäre größer erschienen. Ein Variabilitätsmaß muß also hiervon unabhängig sein. Man hat sich nun aus hier nicht zu erörternden Gründen auf ein Maß geeinigt, das die Standardabweichung oder Streuung heißt. (Die ältere Literatur benutzt allerdings ein anderes Maß.) Diese Streuung o stellt dar die Quadratwurzel aus dem mittleren Quadrat der Abweichungen vom Mittelwert. Wenn a die Abweichung ist, die eine jede Klasse vom 17 — Mittelwert zeigt, p die Zahl der Individuen, die je diese Abweichung zeigen, n die Gesamtzahl der in der Variationsreihe vorliegenden In- dividuen, so ist die Standardabweichung a (2 ist das Summenzeichen.) Es ist klar, daß man, um a zu berechnen, zunächst den Mittelwert kennen muß. Bei einer völlig symmetrischen Variations- rejhe fällt er mit der Klasse der größten Individuenzahl zusammen. Das ist aber meist nicht der Fall, und er muß daher erst ausgerechnet werden. In der naivsten Weise — man denke an die Versinnlichung durch den Wagebalken — geschieht dies, indem man je den Klassen- wert mit der Zahl der zugehörigen Varianten multipliziert, sämtliche Produkte addiert und durch die Gesamtzahl der Individuen dividiert. Wählen wir etwa als Beispiel die schon einmal gegebene Reihe für die Zähnchen auf dem Kieferrand von Nereis limbata: Zahl der Zähnchen: 2 3 4 5 6 7 8 Zahl der Individuen: 7 30 80 148 98 29 6 so erhalten wir . 7 • 2 = 14 3-30 = 90 4. 80 = 320 • 5 • 148 = 740 6. 98 = 588 7. 29 = 203 8- 6 = 48 J 2 - 2003 die Gesamtzahl n = 398 2 2003 = 5-03 = der n IV litte twe rt / VI. Bei größeren Reihen ist dies Verfahren natürlich sehr umständlich, und es läßt sich durch einfachere Methoden ersetzen, die wir aber für unsere Zwecke der Begriffserklärung nicht brauchen. Wer sie erlernen muß, findet eine klare Anleitung in Johannsens Lehrbuch. Be- rechnen wir nun o für die gleiche Variationsreihe. Wenn wir uns der Vereinfachung halber mit einer Dezimalstelle des Mittelwerts be- Goldschmidt, Vererbungswissenschaft. 3. Aufl. 2 18 — gnügen, dann können wir ihn auf 5,0 abrunden. Die Abweichungen von ihm sind dann —3—2—1 0 + 1 + 2 + 3, ihre Quadrate 9, 4, i, o, 1, 4, 9. Diese Quadrate multipliziert mit p, der Zahl der Indivi- duen in jeder Klasse, ergibt: 7= 63 30 = 120 80= 80 148 = o 98= 98 29 = 116 6= 54 9 4 1 o 1 4 9 2pa* = 531 n = 398 2pa2 = 53i n 398 i,33 ff=+|/l=±^3 n 1,15. Diese Standardabweichung ist nun eine nach der Klasseneinteilung benannte Zahl. Wenn Gewichte in Gramm verglichen würden, so wäre a in Gramm ausgedrückt. Um verschiedene derartige Kurven nun ver- gleichen zu können, kann man die Standardabweichung auch in Pro- zenten des Durchschnitts ausdrücken und erhielte dann den Variations- , ... . 100(7 . . 100-1,15 . , . , koeffizient v = , das wäre in unserem .ball = 23. [v ist M 5 allerdings ein Koeffizient, dessen Anwendung sich nicht allgemeiner Wertschätzung erfreut.) Eine für weitere Verwendung genügende variationsstatistische Angabe hätte also im mindesten zu bestehen aus der Variationsreihe bzw. Kurve, dem Mittelwert, der Standardab- weichung bzw. dem Variationskoeffizient. Dazu käme noch eine An- gabe über den mittleren Fehler, der einer jeden derartigen Bestimmung anhaftet und der eine Bestimmung, z. B. die des Mittelwerts, innerhalb gewisser Grenzen schwanken läßt. Man begegnet daher Angaben wie: Mittelwert M = 52,09 ± 0,28, wobei letztere Zahl den Mittelfehler dar- stellt. Seine Berechnung soll aber hier nicht erörtert werden. — 19 — Wir sind nunmehr mit den elementarsten Hilfsmitteln ausgerüstet, um an die Betrachtung der biologischen Tatsachen zu gehen. Es sind allerdings nur die elementarsten, denn es läßt sich leicht denken, daß in der Natur die Verhältnisse nicht immer so einfach liegen wie an den hier ausgewählten besonders klaren Beispielen. Da begegnet man Variationskurven, die zwar symmetrisch, aber zu hochgipfelig oder zu tiefgipfelig sind, oder solchen, die unsymmetrisch, schief sind, vielleicht sogar nur halb, andere erscheinen gar zwei- oder mehrgipfelig. Der Betrachtung solcher Erscheinungen, wie des Vergleichs verschiedener Kurven, kurzum der mathematischen Analyse der Variabilität, hat sich ein besonderes Grenzgebiet zwischen Biologie und Mathematik, die Variationsstatistik, gewidmet. Durch die Bemühungen von Forschern wie Pearson, Daveriport, Weldon, Ludwig, Duncker, Yule hat sie komplizierte Methoden zur genauen Betrachtung des gegebenen Materials entwickelt. Von ihren Resultaten werden wir in den nächsten Vorlesungen noch manches erfahren. Da aber für uns die Variationslehre nicht Selbstzweck sondern nur den exakten Ausgangspunkt für das Vererbungsproblem darstellt, so dürfte diese elementarste Einführung genügen, um alles Weitere verstehen zu lassen. Literatur zur ersten Vorlesung. i. Zitierte Schriften. Darwin, Ch., Entstehung der Arten. 1859. Deutsch von Carus. 1876. — , Das Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation. 1878. — , Werke. Deutsch von Carus. Davenport, C. B., Statistical Methods with Special Reference to Biological Variation. New York and London 1899. Duncker, G., Die Methode der Variations-Statistik. Arch. f. Entwm. 8. 1899. Hefferan, M., Variation in the teeth of Nereis. Biol. Bull. 2. 1900. Jennings, H. S., Heredity, Variation and Evolution in Protozoa. J. exp. Z.V. 1. 1908. — , Heredity and Variation in the simplest Organism. Americ. Naturalist. 43. 1909. — 20 — Jennings und Hargitt, G. T., Characteristics of the diverse races of Para- maecium. Journ. of Morph. V. 21. 191 1. Johannsen, W., Elemente der exakten Erblichkeitslehre. Jena 1909. Lang, A., Die experimentelle Vererbungslehre in der Zoologie seit 1900. Bd. 1. Jena 1914. Ludwig, F., Variationsstatistische Probleme und Materialien. Biometrica. 1901. Pearl, R., Biometrical studies on man. I. Variation and correlation in brain- weight. Biometrica. 4. 1906. Pearson, K., The Chances of Death and other Studies in Evolution. Lon- don 1897. — , Mathematical Contributions to the Theory of Evolution. On the Law of Ancestral Heredity. Proc. Roy. Soc. London. 62. 1898. — , The Grammar of Science. 1900. Quetelet, Anthropometrie. Paris 1871. Tower, W. L., An Investigation of Evolution in Chrysomelid Beetles of the Genus Leptinotarsa. Carnegie Institution Publications. Washington, 48. 1906. Voris, J. H., Material for the study of the Variation of Pimapheles notatus etc. Proc. Indiana Ac. Sc. 1899. Weldon, W. F. R., On certain Correlated Variations in Carcinus maenas. Proc. Roy. Soc. London. 1894. — , Report of the Committee for Conducting Statistical Inquiries into the Measurable Characteristics of Plants and Animals. (Part I: An Attempt to measure the Death-rate due to Selective Destruction of Carcinus maenas with Respect to a Particular Dimension. Proc. Roy. Soc. London. 62. 1895.) — , Address to the Zoological Section of the British Association for the Advancement of Science. 1898. Yule, U., An introduction to the Theory of statistics. 3. Auflage 1916. 2. Zur weiteren Orientierung. Die elementarste, außerordentlich breite Darstellung der Grundzüge der Variationsstatistik findet sich bei Lang. Die beste Darstellung zur Einführung ist die von Johannsen; auch Yules Buch, mehr von der statistischen als biologischen Seite geschrieben, ist sehr empfehlenswert. Die höheren mathematischen Probleme der Varia- tionsstatistik sind hauptsächlich von Pearson und seiner Schule aus- gearbeitet, deren Arbeiten hauptsächlich die Bände der Zeitschrift Bio- metrika füllen. Davenports Buch ist ein nützliches Nachschlagebuch für Formeln usw. zum Laboratoriumsgebrauch. Zweite Vorlesung. Die Bedeutung der statistischen Methoden für die Erforschung biolo- gischer Probleme. Homogame Vermehrung, Korrelation, Zuchtwahl. Die Grenzen der Methode. Erbliche Rassen und zweigipflige Kurven. Wir sind nunmehr mit der fluktuierenden Variabilität als — zunächst noch unanalysierter — Erscheinung und mit der üblichen Methode ihrer Beschreibung, der statistischen, bekannt. Das Ziel, auf das wir zusteuern, ist es, zu erkennen, in welcher Beziehung die Variabilität zur Vererbung steht und inwieweit die statistische Methode der Be- trachtung uns diesem Ziel näherführt, wo aber auch ihre Grenzen sind. Anstatt sogleich das Endresultat in Form einer Aufzählung der ver- schiedenen Dinge, die sich hinter der kollektiven Erscheinung der fluk- tuierenden Variabilität verbergen, zu geben, wollen wir uns allmählich zu der erstrebten Erkenntnis durcharbeiten, indem wir zunächst die Anwen- dung der variationsstatistischen Methoden auf einige biologische Probleme ins Auge fassen. Dabei werden uns die Tatsachen selbst zu dem er- strebten Punkt, der kritischen Anknüpfung an die Vererbungslehre, führen. Eine derartige Gruppe biologischer Erscheinungen und Frage- stellungen ist die geschlechtliche Auswahl bei der Fortpflanzung. Für die Darwinsche Theorie ist es von größter Bedeutung, ob eine solche stattfindet, denn wenn Variationen den Ausgangspunkt für die Bildung neuer Arten liefern sollen, ist es auch nötig, daß abweichende Variationen miteinander zur Fortpflanzung kommen und so die Grundlage für das geben, was man als Divergenz bezeichnet, das Auseinanderstrahlen der sich bildenden neuen Formen von der Form der Vorfahren. Romanes geht so weit, in bezug auf diesen Punkt zu sagen, daß, wenn wir Varia- bilität und Erblichkeit als gegeben annehmen, die ganze Abstammungs- lehre sich auf die Frage konzentriert, ob gleiche Variationen sich mit gleichen paaren, ob es eine „Homogamie" gibt. Denn wenn dies sich nicht erweisen ließe, so müßte die beliebige Vermehrung zwischen den Varietäten immer wieder zur Einförmigkeit zurückführen. (Was übrigens auch, wenn nur auf erbliche Varianten bezogen, nicht ganz richtig ist, — 22 — wie uns später die Betrachtung des Mendelismus lehren wird.) Zur Ent- scheidung einer solchen Frage ist die Variationsstatistik in hohem Grade befähigt. Genaue Messungen natürlicher Paarlinge nach ihren Eigen- schaften muß die Antwort ergeben. Für die erwähnten Paramaecien ließ sich in der Tat auf diese Weise feststellen, daß immer annähernd gleiche Tiere konjugieren1, wie dies instruktiv aus gegenüberstehender Fig. 9 hervorgeht. Das gleiche gilt auch für die so oft angezogenen Koloradokäfer, bei denen sich immer annähernd gleich große Exemplare paaren. In der folgenden Tabelle nach Tower sind die Tiere in zehn Größenklassen geordnet, und man sieht, daß bei den meisten Pärchen die Mehrzahl der Tiere in beiden Geschlechtern der gleichen Klasse angehörten. (Die Tabelle, auf deren Herstellung wir gleich zu sprechen kommen werden, ist so zu lesen, daß z. B. die erste vertikale Reihe be- deutet, daß von ioo Männchen der Längenklasse i volle 90 mit Weib- chen der Längenklasse 1 sich paarten, 6 mit Weibchen der Klasse 2 und nur 4 mit Weibchen der Klasse 3 usw.) Es ist bemerkenswert, daß mit den gleichen Methoden auch für den Menschen durch Pearson eine solche bewußte oder unbewußte Neigung zur Heirat zwischen in den verschiedensten variabeln Charakteren ähnlichen Paaren festgestellt ist, während Galton, wie wir sehen werden, nichts Derartiges fand. Größenklasse Größenklasse c er <5 der Q 1 2 1 4 5 6 7 |.« 9 10 I 90 10 2 2 6 70 6 — 3 4 13 71 13 1 — 4 — 7 12 74 10 5 — — 5 — — 8 12 76 10 5 1 — — 6 — — 1 1 11 70 11 2 3 — 7 — — — — 2 13 82 85 6 1 8 12 2 — 88 3 9 2 2 6 10 1 90 Die vorstehenden Tatsachen könnte man nun auch von einem anderen Gesichtspunkt aus betrachten. Das, was festgestellt wurde, war ja das Größenverhältnis der paarenden Individuen eines Geschlechts zu denen 1 Bei anderen Infusorien wurde allerdings diese Homogamie nicht festgestellt (Enriques). 23 des anderen. Oder wir wollen wissen, ob einer bestimmten Größenklasse von Weibchen eine solche von Männchen zugeordnet, korreliert ist oder nicht: wir betrachten die Größenkorrelation der Geschlechter innerhalb einer Population kopulierender Tiere. So ist denn in der Tat vielleicht die wichtigste biologische Erscheinung, für deren Erforschung sich die Variationsstatistik als unentbehrliches Hilfsmittel erwiesen hat, die Korrelation. Als solche bezeichnet man bekanntlich die Wechsel- beziehung oder Abhängigkeit zwischen verschiedenen Eigenschaften des gleichen Individuums, wobei man allerdings meist an Eigenschaften innerhalb eines und desselben Individuums denkt. Das ist aber nicht etwa eine Notwendigkeit, denn ebenso gut stellt auch die Beziehung zwischen elterlichen und kindlichen Eigenschaften eine Korrelation Fig. 9. Ausgewählte Konjugantenpaare verschiedener Größe von Paramaecium aurelia. Nach Jennings. dar oder die zwischen den Schwankungen in der Jahrestemperatur und der Sterblichkeit an Tuberkulose. Korrelation ist also nichts als das Abhängigkeitsverhältnis zweier Erscheinungen, und wenn es in einer großen Zahl von Einzelfällen betrachtet wird, um das durchschnittliche Maß von Abhängigkeit festzustellen, so ist die gegebene Methode die statistische. In der Biologie wird es sich allerdings dabei besonders häufig um die Beziehung zweier Eigenschaften eines Organismus handeln. Klassisch sind ja die Beispiele für die Korrelation, die Darwin in Fülle verzeichnet hat. So sollen Tauben mit weißem, gelbem, blauem oder silberfarbigem Gefieder nackt geboren werden, die mit anderen Farben aber im Daunenkleid. Katzen mit blauen Augen sind taub, haben sie nur ein blaues Auge, so sind sie auch nur auf der gleichen Seite taub, Vogelarten mit Federbüschen, wie die polnischen Hühner, haben Gehirn- hernien, und so gibt es eine Fülle von Beispielen biologischer oder ana- — 24 — tomischer Natur, die man bei Darwin finden kann. Es spielt also die Korrelation in fast allen Zweigen der biologischen Wissenschaften eine ungeheure Rolle, vor allem in der Physiologie. Eine Frage der Korrelation ist es etwa, in welcher Weise das Gewicht der Knochen oder ihr Kalk- gehalt von der Muskelmasse abhängig ist, oder ob ein Zusammenhang zwischen dem Größenwachstum einer Frucht und ihrem Gehalt an be- stimmten Substanzen besteht. Eine Korrelationsfrage ist es aber auch, welcher Zusammenhang Alkoholismus und Verbrechen verbindet oder Gehirngewicht und geistige Fähigkeiten oder zwei verschiedene psychische Funktionen oder Fähigkeiten, etwa die Schnelligkeit zu addieren, und die, Töne zu unterscheiden. Kurzum, überall wo zwei Eigenschaften von Organismen verglichen werden, begegnet uns die Frage, ob Korre- lation oder nicht. So ist dieses Problem denn auch zu einem der inter- essantesten der experimentellen Biologie, besonders der Pflanzen (Göbel) geworden. Wenn man nun unter Zugrundelegung der Variabilitätslehre vergleichen will, ob eine Korrelation insofern existiert, als zwei variable Eigenschaften in Abhängigkeit voneinander variieren, so bedient man sich dabei einer Form, die unserer Aufzählungsreihe für die gewöhn- liche Variabilität entspricht. Man benutzt nur statt einer Reihe ein Quadrat oder Rechteck. Als Beispiel kann die auf Seite 22 wieder- gegebene Korrelationstabelle für die Größe der paarenden Koloradokäfer dienen. Von links nach rechts trägt man die Klassen des einen der zu betrachtenden Merkmale ein, in unserem Fall die Größenklassen für die männlichen Käfer. Von oben nach unten finden sich die Klassen des anderen mit jenem zu vergleichenden Merkmals, hier die Größenklassen der Weibchen. Bann muß man sein Material folgendermaßen ordnen, indem man von einem der Merkmale, gleichgültig welchem, ausgeht: Man ordnet in unserem Fall z. B. die Paare, die man kopulierend findet, nach der Klasse der Männchen und erhält somit 10 Portionen von Pär- chen entsprechend ihrer Größe. Dann führt man in jeder Portion wieder eine solche Ordnung durch, daß hier die in bezug auf das eine Merkmal, in unserem Falle Männchenlänge, gleichartigen Paare nach den Klassen des anderen Merkmals, also Weibchenlänge, geordnet werden. Man würde also die Portion, die die größten Männchen der Klasse 10 enthielte, in bezug auf ihre Weibchen einteilen in 1 Zehnermännchen mit Weibchen — 25 — Klasse 7, 3 Zehnermännchen mit Weibchen Klasse 8, 6 ebensolche mit Weibchen von 9 und 90 Zehnermännchen mit Zehnerweibchen. Die so gefundenen Zahlen werden dann in die Stellen der Tabelle eingesetzt, die den betreffenden Größen für beide Merkmale entsprechen. Einer solchen Tabelle sieht man dann sogleich an, ob eine richtige Korrelation besteht. Steigt sie in so regelmäßiger Weise von links nach rechts ab, so besteht auch eine schöne Korrelation, steigt sie ebenso von links nach rechts an, so haben wir auch Korrelation, aber umgekehrt gerichtete, negative, indem mit dem Steigen des einen Merkmals das andere fällt. Es ist klar, daß eine völlig ideale vollständige Korrelation sich in folgen- der Weise ausdrücken würde: Klassen 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 10 — — — 120 — — — 210 — — — — — 428 — — — — — 210 — — 120 — — — 45 — — — — — 10 Bei ganz fehlender Korrelation käme natürlich im Idealfall das voll- ständig symmetrische Bild der folgenden Tabelle heraus, wobei die gleichen 1200 Individuen betrachtet sind: Klassen a b c d e f g h i k 1 1 2 — — 1 2 4 2 1 — — — *> 0 — — 1 5 9 iS 9 5 I — — 4 — 1 5 12 20 44 20 12 5 1 — 5 — 2 9 20 39 70 39 20 9 2 — 6 1 4 15 44 70 160 70 44 15 4 I 7 — 2 9 20 39 70 39 20 9 2 — 8 — 1 5 12 20 44 20 12 5 I — 9 — — 1 5 9 15 9 5 1 — — 10 — — — 1 2 4 2 1 — — — 11 D. H. HILL LIBRARY - 26 — Ebenso wie man nun für die Variabilität in dem Variationskoeffi- zienten ein gutes Maß besitzt, so benutzt man auch, um einen kurzen Ausdruck für die Stärke der Korrelation zu haben, einen Koeffizienten. Dieser Korrelationskoeffizient r wird, wenn wir die von Johann sen benutzte Darstellung beibehalten, nach der Bravaisschen Formel be- ^> /"/ • et rechnet, welche lautet: r = — - — -. Das bedeutet: « ist die Abwei- n-ox- oy chung vom Mittel der Eigenschaft, und wenn wir die eine der zu be- trachtenden Eigenschaften als Ar-Eigenschaft oder supponierte Eigen- schaft bezeichnen, die andere als ^-Eigenschaft oder relative Eigenschaft, so ist ax die Abweichung vom Mittel für die eine und ay die für die andere Eigenschaft, n bedeutet wieder die Gesamtsumme der Individuen und ö die Standardabweichung, deren Berechnung wir schon kennen- gelernt haben, mit dem Index x bzw. y wieder auf die beiden Eigen- schaften bezogen. Es muß also für jedes Individuum die Abwei- chung der einen mit der der anderen Eigenschaft multipliziert und diese sämtlichen Produkte addiert (2 = Summenzeichen) werden und dann durch das Produkt aus der Individuenzahl mal den beiden Standard- abweichungen dividiert werden. Bei Anwendung dieser Formel — ihre bequeme Handhabung erfordert natürlich die Kenntnis einiger Verein- fachungsmethoden (s. Harris, Jennings, Kapteyn) — kommt für den Korrelationskoeffizienten r immer eine Zahl zwischen — i + i heraus. Ist r = i, so bedeutet das völlige Korrelation, ist es = o, so besagt das fehlende Korrelation. Ist es negativ, so besagt das negative oder umgekehrte Korrelation, die wir oben schon kennen lernten. Wenn wir demnach in einer Untersuchung die Mitteilung finden, daß r t= 0,98 ist, so bedeutet das eine denkbar gute Korrelation. Es ist natürlich klar, daß auch die Korrelation sich graphisch darstellen läßt. Galtons Methode hierfür wird uns später begegnen. Und nun wollen wir einmal einige wirkliche Beispiele betrachten, die uns zeigen sollen, welcher Art die Resultate sind, die mit statisti- scher Betrachtung der Korrelation erzielt werden können. Natürlich sehen wir von soziologischen Beispielen ab, wie also etwa Korrelation von Alkoholismus und Kriminalität, von phrenologischen, wie Be- ziehungen zwischen Schädelform und Talent zur Mathematik, von - 27 — rein physiologischen, wie Beziehung zwischen Volum eines Organs und Leistungsfähigkeit, oder gar rein psychologischen, wie Beziehung von Ge- dächtnis und Merkfähigkeit, und beschränken uns auf rein biologische Fälle. Einen solchen, die homogame Auswahl der Geschlechter, haben wir ja sogar zum Ausgangspunkt dieser Betrachtungen genommen; er zeigte uns die Anwendbarkeit der Methode auf darwinistisch - biologische Probleme. Ein weiteres Beispiel soll sich auf einen entwicklungsphysiologischen Fall beziehen. Ein viel erörtertes Problem der Entwicklungsmechanik ist die Frage der bilateralen Symmetrie zahlreicher Tiere. Bei den meisten Tieren sind ja rechte und linke Hälfte spiegelbildlich gleich. Es hat sich nun durch die Studien der experimentellen Entwicklungs- geschichte gezeigt, daß sehr häufig bereits durch die erste Teilung der Eizelle das Material für die symmetrischen Körperhälften gesondert wird, die sich nun in gewissem Maße unabhängig voneinander ent- wickeln. Die homologen Organe der beiden Körperhälften sind natür- lich den allgemeinen Variabilitätsgesetzen unterworfen und zeigen die typische individuelle Variation. Ist jene Unabhängigkeit aber vor- handen, so wird es natürlich nur zufällig der Fall sein, daß bilateral- homologe Merkmale, z. B. die rechte und linke Hand, der gleichen Variationsklasse angehören, wenn auch die gesamte Variabilität im großen Ganzen auf beiden Seiten die gleiche ist, da ja beide Körperhälften im allgemeinen der Wirkung der gleichen äußeren Bedingungen ausgesetzt sind. Wenn man also zahlreiche Individuen vergleicht, so wird sich eine Korrelation der Variabilität in beiden Körperhälften ergeben, d. h. wenn auch die Symmetrie für die einzelnen Individuen keine voll- ständige ist, so ist es doch für eine Masse von ihnen eine ,, Kollektiv- symmetrie" (Duncker). Folgende Korrelationstabelle (Seite 28) zeigt im Anschluß an Duncker die Richtigkeit dieses Gedankengangs an einem Beispiel, der Messung der Länge der proximalen Glieder des Zeigefingers der beiden Hände bei 551 englischen Frauen, die Pearson und White- ley ausführten. (In der Tabelle sind die Zahlen mit 4 multipliziert, um Brüche zu vermeiden, so daß es den Anschein hat, als ob 2204 Individuen unter- sucht wären. Die Klassenspielräume betragen 1,27 mm, womit die 28 — Länge rechts 38,5 39,5 40,5 | 4i,5 j 42,5 | 43,5 Länge links 44,5 1 45,5 46,5 47,5 48,5 49,5 5°,5 |5X,5 39,5 40,5 4i,5 42,5 43,5 44,5 45,5 46,5 47.5 48,5 49,5 5°,5 5i,5 4 4 4 4 8 6 30 52 16 4 6 10 48 68 14 4 14 84 128 28 4 18 155 142 39 6 6 29 181 181 21 2 4 33 146 114 9 28 165 98 13 4 22 71 54 1 H 48 26 2 4 11 7 2 4 2 2 Längenzahlen der Tabelle zu multiplizieren sind, um die absoluten Zahlen zu erhalten. Der Grund zu einer derartigen Anordnung ist ein praktisch- methodologischer.) Schließlich sei noch ein Beispiel aus der züchterischen Praxis an- geführt. Für die Zuckerrübenzucht ist natürlich das Ideal die Erzielung eines möglichst hohen Zuckergehalts. Bei einer bestimmten Rüben- sorte zeigte sich nun, daß Zuckerreichtum mit starker Verzweigung der Wurzeln Hand in Hand ging, welch letzteres dem Praktiker nicht er- strebenswert ist. Daran anschließend faßte — wenn wir Johannsens Darstellung folgen — die Ansicht bei den Züchtern Fuß, der Zucker- gehalt stehe in fester Korrelation zur Zweigbildung. Johannsen hat Prozente ver- zweigter Rüben Prozentiger Gehalt an Trockensubstanz 7,5 8 8,5 9 9,5 10 10,5 0 2 4 6 8 10 12 14 16 — 1 2 2 3 7 7 2 4 9 7 6 3 1 1 5 11 5 -■» 0 1 6 6 2 1 2 1 2 — — 29 — nun die Daten, die der Züchter Heiweg zum Beweis dieser Ansichten vorgebracht hat, im Sinne der korrelativen Variabilität betrachtet und daraus vorstehende Tabelle gewonnen. Die Zahlenverteilung zeigt schon auf den ersten Blick, daß die suppo- nierte Korrelation zwischen Verzweigung und Zuckergehalt nicht besteht. Berechnet man den Korrelationskoeffizienten, so ergibt sich r = — 0,174, also, da r negativ ist, eher eine umgekehrte Korrelation, bei seiner Nähe zu o aber auch diese nahezu nicht. Die vorgeführten Beispiele genügen wohl, um die Anwendung der Variationsstatistik auf die Korrelations- lehre zu belegen. Sie wird uns ohnedies bald wieder begegnen, denn es ist klar, daß auch die Vererbung selbst als Korrelation dargestellt werden kann, nämlich zwischen Eltern und Nachkommen. Galton ist sogar auf diese Weise zu seinem berühmten Gesetz gekommen, wie sich bald zeigen wird. Und damit können wir uns immer mehr dem Zentrum, dem wir zustreben, nähern, der Anwendung der statistischen Betrachtungsweise auf die Erblichkeitslehre. Ein Beispiel für die statistische Behandlung biologischer Probleme, die aufs engste mit der Genetik verknüpft sind, möge uns unserem Ziele einen weiteren Schritt noch näher bringen. Es diene, gleichzeitig als Folie für eine Untersuchungsweise des gleichen Problems, die uns in einer der nächsten Vorlesungen mit einer der wichtigsten Erkenntnisse der modernen Erblichkeitslehre bekannt machen wird. Wir sprechen von der Untersuchung des eigentlichen Zentralproblems des Darwinis- mus, der Zuchtwahllehre, den Versuchen, die gemacht wurden, die artverändernde Wirkung der Selektion zahlenmäßig zu beweisen. Eine Untersuchungsserie, die hier eine gewisse Berühmtheit erlangt hat, die von Weldon an Krabben, wollen wir als Beispiel wählen. Zuerst Thompson, dann Weldon stellten an Krabben im Sund von Ply- mouth fest, daß in einer Reihe von Jahren die durchschnittliche Frontal- breite des Panzers, bezogen auf Tiere gleicher Länge, sichtlich abnahm. So war die prozentuale Breite im Jahr 1893 76,3, 1895 75,4, 1898 74,4. Weldon glaubte, daß dies darauf beruhe, daß durch einen aktuellen Zuchtwahlprozeß die Tiere mit breiterem Panzer zugrundegingen; die bessere Anpassung der Überlebenden sollte auf folgendem beruhen: Durch den Bau eines Wellenbrechers waren die physikalischen Ver- — 30 — hältnisse der Bucht völlig verändert worden, vor allem wurden größere Tonmengen durch einen Fluß eingeführt und die Sandmenge durch die Vergrößerung der Stadt und der Docks vermehrt, so daß in der Tat sich nachweisen ließ, daß manche Tierarten die Bucht verließen. (Daß tat- sächlich solche Faktoren die Fauna sehr beeinflussen, zeigte sich ja auch an der Fauna der Neapler Bucht nach dem Aschenregen des letzten Vesuvausbruchs.) Da der gezähnte Rand des Carapax als Atemfilter dient, so ist es denkbar, daß die schmaleren Tiere wirklich vor einer Verschlammung der Kiemen besser geschützt waren. Da es nun nicht möglich war, die Exemplare zu untersuchen, von denen angenommen + 40 Fig. 10. Kurve für Weldons Selektionsversuch an Krabben. Punktiert die Kurve der Über- lebenden. Nach Weldon. wurde, daß sie getötet seien, so imitierte Weldon künstlich die gleiche Situation, indem er die Krabben in Gefäßen hielt, in denen dauernd feiner Ton aufgewirbelt wurde. Nach einiger Zeit wurden dann die toten Individuen gemessen und mit den lebenden verglichen. Oben- stehende Figur 10 gibt die Kurve der Frontalbreite bei 248 Versuchs- tieren wieder, wobei die punktierte Kurve sich auf die 94 Überlebenden bezieht. Die Senkrechte bei o entspricht nun dem Mittelwert der Aus- gangstiere, die Linie D dem der. Gestorbenen, die Linie S dem der Über- lebenden, woraus hervorgeht, daß es die breitesten waren, die zuerst starben. Damit sollte aber bewiesen sein, daß die Zuchtwahl allmählich eine schmälere Rasse bilde. Man — besonders Cunningham und Przibram — hat gegen diese Versuche zahlreiche Einwände erhoben, die sich alle dahin zu- — 31 — sammenfassen lassen, daß bei der Statistik ganz vergessen wurde, das Material biologisch zu analysieren. Um einen derartigen Schluß auf solche Weise begründen zu können, müßte aber erst die individuelle Variabilität des Merkmals unter dem Einfluß der Temperatur, Nahrung, Sauerstoffgehalt, kurzum der Lebenslage analysiert sein, es muß die Lebensdauer und die Generationenzahl im Experiment feststehen, es muß die Schwankung oder Konstanz des Merkmals beim individuellen Wachstum feststehen (tatsächlich vermindert sich die Frontalbreite nach Przibram mit der Häutung), kurzum, die biologische Analyse kann leicht die statistischen Resultate zunichte machen. Hier er- kennen wir gut, wie weit man statistisch kommen kann und wo die Methode an ihre natürliche Grenze gelangt. Wären aber alle Fehler- quellen auch ausgeschaltet gewesen, so hätte alles doch an der Frage gelegen: Ist mit der Verschiebung des Mittelwerts eine erbliche Ver- änderung verbunden? Wir sehen uns also wieder an der Grenze der Erblichkeitsprobleme und vor die Frage gestellt, ob sie auf statistischem Wege gelöst werden können. Wo hier die Berührungspunkte liegen und andererseits bis zu welchem Punkt die biologische Forschung mittels jener Methode gelangen kann, bis sie auf ihre unüberbrückbare Grenzlinie kommt, können wir nicht besser uns klarmachen, als indem wir einen konkreten Fall betrachten, in dem die Analyse in besonders ausgezeichneter Weise bis zu jenem Punkt durchgeführt wurde. Wir betrachten die Heinckeschen Studien über die Naturgeschichte des Herings, die ursprünglich aus rein prak- tischen Gesichtspunkten heraus unternommen waren, um folgende Fragen zu lösen: Bilden die Heringe der europäischen Meere einen einzigen Stamm, dessen Glieder, die Heringsschwärme, weite regellose Wanderungen unternehmen, oder zerfällt die Spezies Hering in unter- scheidbare Lokalrassen mit festbestimmtem Wohngebiet, in dem sie regelmäßige jährliche Wanderungen ausführen? Erstrecken sich die Wanderzüge über große oder kleine Strecken? Sind die zoologischen Unterschiede der Lokalformen erblich? Die Beantwortung aller dieser Fragen muß es dann ermöglichen, durch Identifizierung der einzelnen Schwärme auf ihren Wanderungen deren Weg festzulegen, was für die Fischereipraxis von größter Bedeutung ist. Für die uns hier beschäf- — 32 — tigenden Probleme stehen natürlich die Rassenfragen im Vordergrund. Durch die allgemeinen biologischen Verhältnisse der Lebens- und Fort- pflanzungsweise des Herings ist nun sein Auftreten in geschlossenen Rassenverbänden gegeben. Der Hering lebt nämlich von Geburt an als geselliges Herdentier in Schwärmen, deren Richtung von der Menge der als Nahrung dienenden Planktontiere abhängt. Zum Zwecke des Laichens sammelt er sich in dichteren Schwärmen, die typische Laich- plätze von besonderem Charakter aufsuchen, um dort ihre Eier an die Unterlage anzukleben. Diese Laichschwärme sind innerhalb eines bestimmten Wohngebietes völlig konstant, während im Gesamtwohn- gebiet der Art die größten Verschiedenheiten herrschen können. Also ein Hering der westlichen Ostsee hat Jahr für Jahr seine festbestimmten Laichplätze mit bestimmter Wasserbeschaffenheit, und die Schwärme werden in bestimmten Monaten mit Sicherheit an bestimmten Stellen getroffen. An den Laichplätzen wird dann nur einmal im Jahr abgelaicht. Da sich aus der Brut eines solchen Laichplatzes immer wieder die neuen Schwärme bilden, so sind die Glieder eines Schwarmes wie der Schwärme eines engbegrenzten Gebietes alle blutsverwandt; wenn also Rassen existieren, sind sie in den Laichschwärmen verschiedener Gebiete zu suchen. Um nun die Existenz der Rassen feststellen zu können — denn mit den üblichen Unterscheidungsmerkmalen der Systematik kommt man nicht weiter — , gibt es nur eine Methode, nämlich die variations- statistische Untersuchung der variierenden Einzelmerkmale, welchen Weg Heincke in ausgedehntestem Maße (über ioo ooo Messungen und Zählungen) beschritt. Wie zu erwarten, ergab sich, daß die ein- zelnen meß- und zählbaren Eigenschaften, im ganzen über 60, die be- rücksichtigt wurden, wie Wirbelzahl, Kielschuppenzahl, Zahl der pylo- rischen Darmanhänge, relative Schädelbreite, sich bei einer großen Zahl von Individuen des gleichen Schwanns nach dem Fehlergesetz ver- hielten, eine typische Binomialkurve gaben. Verglich man nun aber die Kurven bei verschiedenen Heringsformen, den erwarteten Rassen, so zeigte sich, daß jeder Rasse für jedes Merkmal ein typischer Mittel- wert zukam. Es läßt sich also durch die sämtlichen Mittelwerte der verschiedenen Eigenschaften jede Rasse charakterisieren, und zwar sind die Unterschiede um so größer, je weiter die Rassen geographisch, d. h. — 33 — in der Verschiedenheit äußerer Bedingungen, voneinander getrennt sind. Die folgende Tabelle illustriert dies Ergebnis: Rasse Wirbelzahl Mittel der Eigenschaften Nummer des Wirbels Längen- mit i. geschlossenem breitenindex Hämalbogen des Schädels Kiel- schuppen- zahl Norwegischer Frühjahrs- hering Frühjahrshering des Großen Beltes Frühjahrshering der Schley Frühjahrshering von Rügen Frühjahrsströmling von Stockholm Hering des Weißen Meeres Frühjahrshering desZuider- sees Herbsthering der Ostküste Schottlands Herbsthering der südöst- lichen Nordsee Herbsthering der Jütland- bank Herbsthering der westlichen Ostsee 57,6 55,3 55,5 56,° 55,2 53,6 55,3 56,5 56,4 56,6 55,7 27,0 24,5 24,3 25,0 24,8 25,3 24,1 24,6 24,9 25,5 30,1 30,8 30,8 30,4 29,2 3°,6 3M 1,0 j1, 3i,o 14,0 H,4 13,7 13-9 i3,4 12,4 H,3 14,8 15.0 14,5 H,5 Da nun diese verschiedenen Rassencharaktere in verschiedenen Jahren an den gleichen Stellen die gleichen sind, so ist anzunehmen, daß sie erblich sind. Nun aber ist mit Hilfe dieser Erkenntnisse die Frage der Wande- rungen zu lösen, und da ist es klar, daß es möglich sein muß, deren Weg zu bestimmen, wenn man an den verschiedensten Stellen und zu den verschiedensten Zeiten Heringe als Stichproben fängt und deren Rassen- zugehörigkeit bestimmt. Der Erfolg hängt also davon ab, daß es gelingt, für jedes einzelne Individuum die Rasse festzustellen. Das ist ohne weiteres in Anbetracht der Variabilität der Merkmale nicht möglich. Ein Hering z. B., bei dem man 56 Wirbel und 14 Kielschupppen findet, kann so ziemlich allen Rassen angehören. Auf Grund der Wahrschein- lichkeitsrechnung ließ sich nun doch eine Methode finden, die Schwierig- keiten zu umgehen. Wenn man möglichst viele Merkmale ins Auge faßt, so hat jedes einzelne seine Variabilitätsreihe nach den Gesetzen des Gold schmidt, Vererbungswissenschaft. 3. Aufl. 3 — 34 - Zufalls. Es kann also ein zufällig herausgegriffenes Individuum in be- zug auf eine Eigenschaft dem Mittelwert entsprechen, aber auch ein mehr oder minder entfernter Minus- bzw. Plusabweicher sein. Es besteht nun eine gewisse Unabhängigkeit in der Variabilität der einzelnen Eigen- schaften, so daß dasselbe Tier in der einen ein Plus-, in der anderen ein Minusabweicher sein kann. Werden nun möglichst verschiedene Eigen- schaften eines Individuums in bezug auf ihre Abweichung vom Mittel- wert der Rasse betrachtet, so zeigt sich, daß diese Abweichungen sich auch nach den Gesetzen des Zufalls gruppieren (wenn man sie in einer bestimmten, durch die Wahrscheinlichkeitsrechnung festgelegten Ein- heit betrachtet), daß also die geringeren am häufigsten, die größten am seltensten auftreten. Oder mit anderen Worten: Bei der zufälligen Kombination einer sehr großen Anzahl von Eigenschaften im In- dividuum sind die Abweichungen in den einzelnen Eigenschaften (in der gleichen Einheit, ihrem wahi'scheinlichen Fehler, ausgedrückt) im Prinzip genau die gleichen Zahlen wie die Abweichungen einer Eigen- schaft bei zahlreichen Individuen, oder, auf die gleiche Einheit bezogen, ist die Variationsreihe einer Eigenschaft für viele Individuen die gleiche wie die vieler Eigenschaften für ein Individuum. Nun ist es eine charakteristische Eigenschaft einer jeden normalen Variationsreihe, daß die Summe der Quadrate der Abweichungen vom Mittel ein Minimum ist: berechnet man aus irgendeiner der im 2. Vor- trag aufgeführten Reihen diese Summe, so ist sie immer kleiner als irgendeine Summe, die auf die Abweichungen von irgendeinem anderen als dem Mittelwert berechnet werden kann, sie ist ein Minimum. Nehmen wir z. B. die Zahlen 21, 22, 25 und 28, so ist das Mittel 24, die Abwei- chungen von ihm sind — 3, — 2, + i, +4 und deren Quadrate 9, 4, 1, 16, die Quadratsumme also 30. Berechnet man diese Summe nun auf irgendeine andere Zahl als den Mittelwert, z. B. 23, dann muß sie größer sein. Die Abweichungen sind dann — 2, — 1, +2, +5 und die Quadrate 4, 1, 4, 25, die Quadratsumme also 34, d. h. sie ist größer als jene. Das würde für jeden anderen Wert ebenso stimmen, d. h. also, • die Quadratsumme der Abweichungen vom Mittelwert ist ein Minimum. Aus dieser Tatsache, im Zusammenhange mit dem Vorhergehenden, ergibt sich somit die Möglichkeit, die Zugehörigkeit eines jeden Indivi- — 35 — duums zu einer Rasse zu bestimmen: es gehört der Rasse an, auf deren Mittelwerte bezogen die Quadratsumme aller Abweichungen aller Eigen- schaften ein Minimum ist. Es wird also z. B. ein Hering im Weißen Meer gefunden, der nach seiner Wirbelzahl 58 ein norwegischer Frühjahrs- hering, ein Herbsthering der Jütlandbank oder ein Weißmeerhering sein kann. Berechnet man nun für eine Menge von Eigenschaften dieses Tieres die Quadratsumme der Abweichungen von den Mitteln jener drei Formen, so erhält man — so ist'es in einem von Heincke berech- neten Fall — bei der Berechnung auf Mittel der Rasse von Weißem Meer 3,213 Norwegischem Frühjahrshering 3,696 Jütlandbank 6,317. Es ergibt sich also ein Minimum für den Weißenmeerhering, dieser Rasse gehört also das Individuum an. Wenn wir von den rein praktischen Ergebnissen absehen — und es sei bemerkt, daß Duncker die gesamten Resultate bei einer anderen Fischgruppe, den Syngnathiden, bestätigen konnte — , so ist es klar, daß durch derartige mustergültige Untersuchungen die zuverlässigsten Grund- lagen für die Vererbungslehre geschaffen werden, die allergenauste Kenntnis der Elemente, mit denen sie arbeitet, der elementaren Ein- heiten der Organismenwelt. Eine kleine Überlegung über das, was so erreicht ist, zeigt aber, daß für die Vererbungsfragen, und damit auch für die sich darauf auf- bauenden Evolutionsprobleme durch die Ergebnisse solcher rein stati- stischen Untersuchungen nicht mehr als ein Ausgangspunkt gewonnen ist. Das, was die Methode zeigte, war, daß innerhalb der analysierten Population sich verschiedenartige Stämme, Familien, Rassen landen, die durch statistische Methoden sich beschreiben und unterscheiden lassen. Was aber sind diese Familien? Sind es Gruppen von Individuen, die erblich voneinander verschieden sind? Sind es Gruppen von Indi- viduen, deren Unterschiede von ihren ererbten Eigenschatten unab- hängig sind, etwa wie der Mantel vom Träger? Kann die Zuchtwahl die Population verändern durch Auswahl günstiger Einzelrassen, kann sie die Einzelrasse selbst verändern durch Auswahl günstiger Individuen? -,* — 36 — Wie verhalten sich die gemessenen Eigenschaften bei den Nachkommen bestimmter Gruppen? Wie sollte es nun möglich sein, diese oder ähnliche Fragen zuver- lässig zu beantworten, ohne den direkten Versuch, das Vererbungs- experiment! Die statistische Analyse hat an diesem Punkt ihre Aufgabe erfüllt, von hier an wird sie nur zur mathematischen Hilfsmethode zum Zweck der zuverlässigen Bewertung zahlenmäßiger Resultate des Ver- erbungsversuchs. Nor w. Fr. Hering u.Weifs Meer-Rertng gemischt 58* 50 Jnd. % 26 2* 22 20 18 16 l« 12 10 8 E 4 2 0 1 •'' \ ] r' ^j i i <■' s i i *. • / X s' ii ■ f \ ! \y • / ; Jl "• ^ i T": -*'' S. V "f-L Wirte 1 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 ßl Fig. ii. Die zweigipflige Kurve für die Wirbelzahl eines Gemisches von 58 norwegischen und 50 Weißmeerheringen 'punktiert), verglichen mit einer idealen eingipfligen Kurve. Nach Heine ke. Wenn wir wieder zu den Heringsversuchen zurückkehren, so können wir nun sagen, daß der Nachweis statistischer Verschiedenheit inner- halb der Population die Idee nahelegt, daß ein Gemenge von erblich verschiedenen Rassen vorliegt. Wenn wir etwa nur zwei solcher heraus- greifen und die Kurve einer oder einer Gruppe von Eigenschaften auf- stellen, so werden wir wohl eine zweigipflige Kurve erhalten und können daraus schließen, daß jeder Kurvengipfel dem Mittel der unterscheiden- den Eigenschaft der beiden Rassen entspricht. Vorstehende Kurve — 37 — Fig. ii z. B. gibt eine derartige Kurve wieder, wie sie erhalten würde, wenn eine gemischte Population von norwegischen und Weißenmeer- heringen in bezug auf die Variabilität der Wirbelzahl betrachtet würde. 10 12 Fig. 12. Kurve der Strahlenblütenzahl einer Population von Chrysanthemum segetum mit bei- gesetzten Frequenzzahlen. Nach de Vries. Aus der Betrachtung der Kurve könnte man schließen, daß ein Gemisch von zwei Erbrassen vorlag, deren erbliche Wirbelzahl um 54 resp. 58 schwankt. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß eine solche Diagnose 8 9 H> n l? 73 iu 15 ](; ;/ jg jy 20 21 2? ?.* ?■* }S 2f. 27 ?g A. B. Fig. 13- Die Auflösung der Kurve von Fig. 12 in zwei eingipflige Kurven entsprechend den Rassen A und B. Nach de Vries. das richtige treffen kann; den Beweis dafür aber bringt, wie de Vries und vor allem Johannsen scharf hervorheben, nur das Vererbungs- experiment. Ein Beispiel, in dem die Voraussetzung in der Tat be- — 38 — stätigt wurde, ist der bekannte Fall des Chrysanthemum segetum nach de Vries. Dieser Forscher erzog die gelbe Kornblume aus einem Samengemisch, das aus botanischen Gärten stammte, und erhielt, wenn er die Zahl der Strahlenblüten betrachtete, die umstehend wieder- gegebene zweigipflige Kurve (Fig. 12) mit je einem Gipfel bei 13 und 21 Blüten. Um nun zu beweisen, daß es sich hier um ein Gemenge von 2 erblichen Rassen handelt, wurden einmal sämtliche nicht 13 strahlige Köpfchen vor ihrer Befruchtungsfähigkeit entfernt, das andere Mal sämtliche nicht 21 strahlige und dann die Samen dieser Kurve ngipfel- individuen geerntet und getrennt ausgesät. Jede Saat ergab dann eine eingipflige Kurve mit dem Gipfel bei 13 bzw. 21 (Fig. 13), und diese Kurve blieb auch in weiteren Generationen konstant, d. h. die Existenz zweier verschiedener Rassen im Gemenge, die die Zweigipfligkeit be- wirkt hatten, war erwiesen. Um auch noch ein zoologisches Beispiel anzuführen, so ergab sich ein entsprechendes Resultat aus den Untersuchungen von Jennings für Paramaecium. Nimmt man eine beliebige Kultur dieser Infusorien und mißt die Variabilität für Länge oder Breite, so kann man eine zwei- gipflige Kurve erhalten, wie sie nebenstehend für die Breite abgebildet ist (Fig. 14). Sie zeigt einen Gipfel bei 32 # (genauer Mittelwert 33,4) und einen anderen bei 48^ (genauer M = 48,9). Züchtet man nun die Glieder der beiden Kurvenbezirke getrennt, so erhält man eine Kultur mit kleinen Tieren und eine mit großen, die im Rahmen einer normalen fluktuierenden Variabilität konstant bleiben. In diesem Fall handelt es sich also auch um ein Gemisch von zwei erblichen Rassen, bei denen man übrigens die kleinere, die aurelia-Form, auch an dem Besitz von zwei Nebenkernen, die große, die caudatum-Form durch einen Neben- kern unterscheiden kann. Diese beiden doppelgipfligen Kurven sind nun auch geeignet, uns eine bisher noch nicht besprochene Erscheinung zu illustrieren, nämlich die transgressive Variabilität. Zwei einander nahestehende Formen, Rassen, können sich in ihren Variationskurven über- schneiden. Wenn man Exemplare der Paramaecien auswählte, die dem Tal zwischen den beiden Kurvengipfeln angehören, so könnten sie eben- sogut dem einen wie dem anderen Typus, aurelia wie caudatum zuzuzählen sein. Denn das Variationsgebiet der beiden Typen über- — 39 — schneidet sich, ist transgressiy. Die Entscheidung, was vorliegt, kann nur erbracht werden, wenn das betreffende Stück isoliert fortgepflanzt wird. Also auch diese Erscheinung der Transgression deutet darauf hin, daß die wirkliche Analyse einer solchen Kurve nur durch das Vererbungs- experiment erbracht werden kann. Immerhin hatte sich in diesen beiden Fällen der Schluß auf Rassen- verschiedenheit, der durch bloße Betrachtung der zweigipfligen Kurve 1 a 25 A 20 A 15 / ' ■s- Y^ / \ 10 / / 5 \/ % 0 20 24 28 32 36 40 44 48 56 60 64 6S 72 76 80 Fig. 14. Zweigipflige Variationskurve für die Körperbreite einer Paramaecienpopulation, die Gipfel a und A den Formen anrelia und caudatum entsprechend. Nach Jennings. gezogen worden war, als richtig erwiesen. Wie sehr ein solcher Schluß aber irreführen könnte, wird sofort klar werden, wenn wir einige andere Beispiele solcher Kurven ins Auge fassen. Umstehende Fig. 15 gibt uns eine Variationskurve, die erhalten wurde durch Messung einer Kollektion weiblicher Nonnen, Lymantria monacha, in bezug auf die Länge ihrer Vorderflügel. Das Bild zeigt eine typisch zweigipflige Kurve. Es wäre aber ganz irrtümlich, daraus auf ein Gemenge von zwei Rassen oder in Bildung begriffenen Elementar- arten zu schließen. Ordnet man nämlich das untersuchte Material — 40 — nach seiner Zugehörigkeit zu den beiden Gipfelbezirken und betrachtet dann seine Herkunft, so zeigt sich in diesem konkreten Fall, daß die Individuen um den kleinen Kurvengipfel vom Mittelwert 23 mm alle aus Puppen gezogen waren, die im Freien gesammelt worden waren, und zwar in einer Gegend, in der der Nonnenfraß im Abklingen war. Letzteres bedeutet aber, daß die Bedingungen für die Entwicklung der Schmetterlinge keine günstigen sind. Die großflügeligen Individuen \ \ / \ 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 2 / \ N \ / \ \ \ / X \ M \ \ \ \ \ \ r 1 \ *-* \ \ / \ V J / / \ / \ \ \ \ <-* ~^ . " .-.. ...rN Fig. 22. Schematische Darstellung der typenverschiebenden Wirkung dreier Selektionsschritte unter Berücksichtigung von Galtons Rückschlag. * die Stellen der Kurven .7, A\, /j. an denen die Auswahl erfolgte. Aber bereits beim 3. Selektionsschritt ist der Typus A 3 über die Varia- bilitätsgrenze von A hinausgeschoben. Und Pearson berechnet für einen konkreten Fall, daß durch intensive Zuchtwahl in nur 6 Genera- tionen Engländer von 6 Fuß erblicher Größe gezüchtet werden könnten. Die Zuchtwahl vermöchte so in der Tat zu erreichen, was Darwin von ihr verlangt, eine allmähliche Überführung einer Form in eine andere. Es wurde nun soeben bemerkt, daß die Voraussetzung dafür, daß die Nachkommenkurve der Kurve der Eltern analog ist, die Konstanz der äußeren Bedingungen ist, deren Einwirkung auf die Variabilität uns später noch beschäftigen wird. Hier sei nur vorausgeschickt, daß si< h Goldschmidt, Vererbungswissenschaft. 3. Aufl. - — 66 — . dann zeigen wird, daß es die Einwirkung der äußeren Bedingungen ist, die auch bei einem erblich ganz reinen Material Variation hervorruft. Schon eine Betrachtung dieser Tatsache läßt uns einem auf rein stati- stischem Wege gefundenen Gesetz gegenüber etwas vorsichtig erscheinen. Denn wie will die statistische Betrachtung diese Voraussetzung berück- sichtigen und wie will sie die durch ihr Nichtzutreffen bedingten Korrek- turen anbringen? Galton selbst hat denn auch diese Schwierigkeit erfahren müssen, als er den Versuch machte, sein Gesetz auch auf experi- mentellem Wege zu beweisen. Er wollte mit Hilfe verschiedener Ento- mologen Schmetterlinge züchten und durch Messung ihrer Flügellänge Daten für Erblichkeitsfragen erhalten. Seine Versuche scheiterten aber ,, teils durch die störenden Einflüsse der Verschiedenheit in Nahrung und Lebenslage auf verschiedene Zuchten, an verschiedenen Orten und Jahren. Es konnten s(ß daraus keinerlei statistische Resultate von einiger jüarheit und Bedeutung ermittelt werden." (Man vergleiche dazu unsere oben gegebenen Daten für die Flügellänge der Nonne.) Die Bedeutung solcher Skepsis, wird uns nun sogleich klar werden, wenn wir betrachten, wie die Wirkung der Selektion durch die Wirkung von die Variabilität beeinflussenden Lebenslagefaktoren beeinflußt wird. De Vries hat an verschiedenartigen Pflanzen den Einfluß eines Zu- sammenwirkens zwischen Selektion und die Variabilität beeinflussenden Lebenslagefaktoren, wie etwa besonders guter Ernährung, untersucht. Es hat sich dabei gezeigt, daß reiche Ernährung einen viel bedeutenderen Einfluß ausübt als die Zuchtwahl. Wurde gute Ernährung verbunden mit Selektion der Minusabweicher, so wurde trotzdem eine starke Kurven- verschiebung nach der Plusseite erzielt. Wurden Plusabweicher aus- gewählt und mit reicher Ernährung kultiviert, so war die Verschiebung nach der Plusseite kaum größer. Die allergrößte Verschiebung aber konnte rein durch Ernährung ohne Zuchtwahl erzielt werden. Neben- stehende Fig. 23 gibt die graphische Darstellung eines solchen Versuchs, und zwar stellt A die Ausgangskurve dar, B die Kurve, die bei Minus- selektion mit reicher Ernährung resultierte, C das gleiche bei Plus- selektion und starker Ernährung und D die Variationskurve bei alleiniger Wirkung sehr reicher Ernährung. Die Kurven beziehen sich auf die Variabilität der Fruchtlänge von Oenothera. Sie zeigen im Zusammen- — 67 — hang mit den Angaben von de Vries, daß reiche Lebenslage in gleichem Sinne wirkt wie Plusselektion, und daß, bei Konkurrenz beider, erstere einmal einwirkend1 einen größeren Erfolg erzielen kann als dreimalige Auslese extremer Plusvarianten. Nicht immer muß allerdings die Ernährungswirkung der der Auslese überlegen sein, es kann auch der umgekehrte Erfolg eintreten, und zwar ist das Resultat nach Einzelversuchen und Pflanzenarten wechselnd. 795 275 235 ?S5 275 23.5 31.5 33 5 35-5 37 5 39.5 * 44,0 XIII 47,5 45,° 45, ! 45,8 XIV 45)4 46,9 42,8 XV 46,9 44,6 45,° XVI 45,9 44, » 41,0 XVII 44,0 42,4 XVIII 41,0 40,7 40,8 XIX 35,8 34,8 suche so aus, daß er innerhalb einer reinen Linie wieder aus den Nach- kommen der kleinsten Mutterbohnen die kleinsten und aus denen der größten Mutterbohnen die größten, also die extremen Minus- und Plus- abweicher auswählte und anbaute. In der Linie XVIII wurden also z. B. aus den Nachkommen der kleinsten Mutterbohnen vom Gewicht 20, die ein mittleres Gewicht von 41,0 zeigten, wieder die kleinsten der Variationsreihe ausgewählt, die nur zwischen 10 und 20 Zentigramm wogen, und diese ergaben die Minusreihe. Aus den Nachkommen der größten Mutterbohnen von 40 g mit dem Mittelwert 40,8 wurden dagegen 75 — die größten Individuen der Variationsreihe, nämlich zwischen 60 und 70 g, genommen und als .die Plusselektionsreihe angebaut. In allen folgenden Jahren wurden dann immer wieder die kleinsten der Minus- reihe und die größten der Plusreihe ausgewählt. Das Resultat für die Linie I zeigt die folgende Tabelle: Mittleres Gewicht der Mittleres Gewicht der Ernte- Muttersamen der Selek- Nachkommensamen der 3— a jahr . tionsreihe b — a Selektionsreihe ±m a Minus b Plus c. Minus ß Plus 1902 60 70 10 63,15 64,85 + 1,70 ± 1,27 1903 55 80 25 75, '9 70,88 — 4,31 ±1.35 1904 50 87 37 54,59 56.68 + 2,09 + 0,57 1905 43 73 40 63,55 63,64 + 0,09 dz 0,69 1906 46 84 38 74,38 73,°° -1,38+1,08 1907 56 81 25 69,07 67,66 — 1,41 ± 1,09 Daß auch hier fortgesetzte Selektion keinen Erfolg erzielt hatte, daß die Regression immer eine vollständige war, geht besonders klar aus der Betrachtung der Differenzzahlen hervor. 1905 z. B. war die Differenz der Minus- und Plusreihe bei den Mutterbohnen 40, bei der Nachkommen- schaft aber + 0,09 ± 0,69 1, d. h. nahezu gleich Null, ja, im Falle von 1903 sogar — 4,31, d. h. die Selektion hatte eher den entgegengesetzten Erfolg erzielt. Bei Betrachtung dieser Zahlen fällt nun auf, daß in den einzelnen Jahren des Versuchs der Mittelwert ziemlichen Schwankungen unter- worfen ist. Ihre Ursache ist nach dem, was wir früher gehört haben, ohne weiteres klar, es ist der Einfluß der in verschiedenen Jahren wechseln- den Lebenslage der natürlich auf reine Linien ebenso einwirkt, wie auf andere Variationsreihen. Man könnte nun vielleicht auf die Idee kommen, daß diese verschiedene Lebenslage für das Resultat der Versuche eine Bedeutung haben könne, denn wir haben ja oben gehört, daß in Popu- lationen die Lebenslagewirkung die der Selektion übertreffen kann. Daß ein solcher Einwand aber unberechtigt ist, geht daraus hervor, daß das Resultat sowohl bei Minus- und Plusabweichern als auch in sämt- lichen 19 Linien das gleiche war. Es blieb auch das gleiche bei Berück- 1 ± 0,69 ist hier der mittlere Fehler der Berechnungen, der in dieser Tabelle der Exaktheit halber mit aufgeführt sei. 76 r- N -^ r^ r\ n r~\ ^ o r^ r~\ r^ /** r^ r~\ Fig. 24. Illustration des Verhältnisses der reinen Linien zur Population. Erklärung im Text. Nach heitlich ist Johannsen. sichtigung anderer Eigenschaf- ten und anderer Objekte, und das Resultat ist als feststehend zu erachten, daß innerhalb einer reinen Linie die Selektion wir- kungslos ist, daß sie nicht im- stande ist, eine genotypische Änderung hervorzubringen. In instruktiver Weise geht das vorerkannte Verhältnis der reinen Linien zu einer aus vielen Linien zusammengesetzten Po- pulation aus nebenstehender Fig. 24 hervor, in der die gleiche anschauliche Form der Varia- bilitätsdarstellung gewählt ist, die Seite 92 erläutert werden wird, also durch Einfüllung der Größenklassen der Bohnen in nebeneinander gestellte Röhr- chen (Treppenkurve). Es ist so die Variabilität von fünf reinen Linien A —E dargestellt , wo- bei die Klassen gleicher Größe senkrecht untereinander stehen. Unten aber (A—E) ist die Kurve wiedergegeben, die er- halten würde, wenn man die sämtlichen Linien zu einer Po- pulation zusammenschüttete. Dieser kann man nun auf keine andere Weise als im Ver- erbungsexperiment nachweisen, daß sie genotypisch nicht ein- — t i — Wie erklären sich nun auf Grund dieser Forschungen die Resultate Galtons, wie erklärt es sich, daß die Züchter von jeher durch Selektion die gewünschten Veränderungen an Tieren und Pflanzen zu erreichen suchen und oft auch tatsächlich erreichen? Es geht eigentlich schon ohne weiteres aus dem Verständnis des Gesagten hervor. Es wird uns noch leichter klar werden, wenn wir einen Blick auf das instruktive Schema werfen, an dem Lang das Verhältnis von Phänotypus zu Genotypus erläutert (Fig. 25), richtiger gesagt von Population zu Bio- typus. Die große Kurve stellt die Variationskurve dar, die eine Popu- f« Fig. 25. Schematische Darstellung des Verhältnisses von Phänotypus zu Genotypus, von Popu- lation zu Biotypen bzw. reiner Linie. Nach Lang. lation ergibt, es ist die Kurve des Phänotypus. In der Population sind nun zahlreiche Biotypen enthalten, die hier in der Zahl der Buchstaben des Alphabets angenommen sind und mit A—Z bezeichnet wurden. Ein jeder Biotypus hat seine eigene Variatonskurve, die hier als viel kleiner als die der Population angenommen ist. (Weil nur ein Bruchteil der in der Population vereinigten Typen hier vorliegt. Daß sie zum Teil umgekehrt stehen, ist natürlich nur im Interesse der Zeichnung ge- schehen.) Es finden sich also Biotypen vor auf der Minusseite der Population (hell), mittlere, wie solche auf der Plusseite (dunkel). Die Population erscheint uns aber als eine Einheit, weil die einzelnen Kurven — 78 — der Biotypen übereinandergreifen, transgressiv sind und so scheinbar in eins zusammenfließen. Würde man nun in einer solchen Population, die trotz einheitlichen Phänotypus genotypisch nicht einheitlich ist, zu einem Selektionsversuch Plusabweicher der Maßeinheit 90 auswählen, so hätten wir Individuen gefaßt, die den Linien W, X, Y, Z angehören. Die Nachkommenschaft kann sich also, gleiche Lebenslage vorausgesetzt, nur an dem Kurvenbezirk befinden, in dem diese vier Linien liegen. Würden sie mit ihrer Minusseite mehr nach links reichen, als es in dem Schema der Fall ist, so würde sich aus dem dann mehr nach links liegen- den Mittel der fünf Linien eine Galton sehe Regression ergeben. Es bestände also in diesem Falle die erfolgreiche Selektion darin, daß eine Reihe von Bio typen der Plusseite der Population ausgewählt wurde. Es läßt sich nun sehr gut denken, daß bei weiteren Selektionsschritten in diesem Material schließlich die Linie Z allein ausgewählt wird, und dann würde man sagen, die Zuchtwahl hat den Typus nach der äußersten Plusseite verschoben. In Wirklichkeit hat sie aber nur den äußersten konstanten Typus dieser Seite isoliert. Von jetzt ab wäre aber jede Selektion unfnöglich, denn es liegt ein genotypisch einheitlicher Bio- typus vor, in dem sie wirkungslos ist. Die bedeutungsvollen Lmtersuchungen Johannsens ergeben also, mit seinen eigenen Worten, ,,zu gleicher Zeit eine volle Bestätigung und eine gänzliche Auflösung des bekannten Rückschlagsgesetzes Galtons, was das Verhältnis zwischen Eltern und Nachkommen be- trifft . . . Eine Selektion in der Population bewirkt also größere oder kleinere Verschiebung — in der Richtung der Selektion — desjenigen durchschnittlichen Charakters, um welchen die betreffenden Individuen fluktuierend variieren. Indem ich aber nicht dabei stehen blieb, die Populationen als Einheiten zu betrachten, sondern mein Material in seine reinen Linien auflösen konnte, hat es sich in allen Fällen gezeigt, daß innerhalb der reinen Linien der Rückschlag sozusagen vollkommen gewesen ist: die Selektion innerhalb der reinen Linien hat keine Typen- verschiebung hervorgerufen . . . Bei der gewöhnlichen Selektion in Populationen wird unrein gearbeitet; das Resultat beruht auf unvoll- ständiger Isolation derjenigen Linien, deren Typen in der betreffenden Richtung vom Durchschnittscharakter der Populationen abweichen." — 79 — Im Interesse der Klarheit sei an dieser Stelle nochmals eine kurze Definition der benutzten Termini gegeben, deren scharfe Unterscheidung Vorbedingung einer klaren Erkenntnis ist. Es stehen sich einmal gegen- über Phänotypus und Genotypus. Phänotypus ist Konstitution eines Organismus, so wie sie sich äußerlich, d. h. ohne Berücksichtigung der Erbgrundlage darstellt. Genotypus ist die innere Konstitution des Organismus, seine erblich gegebene Genkombination oder auch Reak- tionsnorm. Population ist ein unanalysiertes Gemenge von Individuen. Da im Begriff der Population allerdings nicht mit enthalten ist, daß die Individuen scheinbar der gleichen systematischen Einheit angehören, wie es beim Gebrauch dieses Wortes hier vorausgesetzt wurde (Population von Bohnen, Menschen), so sollte für eine phänotypisch einheitliche Population ein besonderer Terminus benutzt werden, etwa Idotypus oder Homöotypus. Dem steht dann der Biotypus gegenüber als eine Gruppe von Individuen genotypisch gleicher Beschaffenheit. Eine reine Linie ist schließlich der Inbegriff aller ausschließlich durch Selbst- befruchtung aus einem Ausgangsindividuum entstandenen Organismen. Es erhebt sich nun zunächst die Frage, wieweit diese bahnbrechen- den Ergebnisse sich durch anderweitige Erfahrungen bestätigen lassen. Und da zeigt sich, wenn wir der Darstellung von de Vries folgen, daß die landwirtschaftliche Praxis eigentlich schon lange vorher prinzipiell das gleiche gefunden hatte. Der englische Getreidezüchter Le Couteur hatte schon im Anfang des vorigen Jahrhunderts auf ähnliche Weise besondere Getreidesorten erhalten. Von einem Besucher auf die Ver- schiedenartigkeit seiner Ähren aufmerksam gemacht, hatte er einzelne ausgesucht und getrennt angebaut und erhielt dann völlig gleichmäßige Nachkommenschaft; er hatte also reine# Linien isoliert. Zu einem ent- sprechenden Resultate war auch der schottische Züchter Patrick Shireff gekommen, derseine neuen Rassen so erhielt, daß er eine einzelne besonders wertvolle Ähre, wie er sie ganz selten auffand, isoliert ver- mehrte. Und auch in neuerer Zeit ist Hays in Amerika wieder zu genau der gleichen Methode gelangt. Eine wirkliche praktische Bedeutung sowie auch wissenschaftliche Begründung erhielt das Prinzip ferner in größerem Maßstabe durch die Svalöfer Züchtungsmethoden, die eine Verwertung des Prinzips der reinen Linien schon vor Johann sen be- — 80 deuten, wenn auch ohne derartig planmäßige wissenschaftliche Begrün- dung und Verarbeitung. Man pflegte früher sehr oft die für den landwirtschaftlichen Anbau bestimmten Nutzpflanzen in der Weise zu verbessern, daß man aus den Beständen die Individuen auswählte, die die gewünschten Eigenschaften am stärksten zeigten, und sie zur Nachzucht benutzte. Man nahm also eine ganze Anzahl von Individuen, ein Gemisch in bezug auf die ge- wünschten Eigenschaften, wodurch man erreichen wollte, daß auch die anderen, nicht mit berücksichtigten Eigenschaften auf mittlerer Höhe erhalten blieben. So wurde dann in jeder weiteren Generation verfahren. Dabei zeigte es sich nun meistens, daß in der Weise eine beabsichtigte Ausgeglichenheit der Züchtung nicht zu erreichen war. Die Erklärung dieses Verhältnisses wurde nun schon durch die Untersuchung inSvalüf in den neunziger Jahren, von N. Hj. Nilsson für Weizen und Hafer, Tedin für Hülsenfrüchte und Bolin für Gerste, gegeben. Es wurden aus allerlei verschiedenen alten Getreidesorten nach bestimmten Merk- malen, wie Beschaffenheit der Ähren und Körner, möglichst viele Typen ausgesucht, und alle gleichartigen Individuen wurden auf je einem be- sonderen kleinen Feldchen angebaut. Im folgenden Jahre waren aber auf den einzelnen Feldchen wieder ungleichmäßige Bestände vorhanden. Nur einige wenige machten eine Ausnahme ; sie trugen ganz gleichförmige Saat. Es zeigte sich nun, daß man zur Aussaat auf diesen Feldchen nur die Körner einer einzigen Ähre benutzt hatte, weil zufällig der Typus nur in einer Ähre vorgelegen hatte, während sonst immer mehrere gleich- artig aussehende Ähren angebaut waren. Nun wurde im nächsten Jahre eine noch größere Anzahl einzelner Pflanzen ausgewählt und isoliert angebaut, und sie ergaben in der Regel einförmige Nachkommenschaf t , und diese blieb auch in weiteren Generationen auffallend konstant und gleichförmig in Vergleich mit den aus mehreren Ursprungspflanzen stammenden Nachkommenschaften, wenn auch diese Konstanz in Svalöf lange als eine nur relative aufgefaßt wurde, indem weitere Fixie- rung und Verbesserung der Pedigrees durch fortgesetzte Auslese ange- strebt wurde. Das ist das Svalöf er Pedigreeverfahren. Nebenstehende Fig. 26—29 zeigt vier Svalöfer reine Linien von Hafer, die jedoch ver- schiedenen alten Sorten entstammen, die in ihrer Hauptmasse den be- — 81 — Fig. 26 — 29. Vier reine Linien vom Hafer aus Svalüf. Nach de Vries. Goldschmidt, Vererbungs Wissenschaft. 3. Aufl. 6 — 82 — treffenden Rispentypus als charakteristisches Merkmal besitzen. Es ist selbstverständlich, daß diese Ausgeglichenheit einer Linie schon nach nur einmal wiederholter Auslese nur bei Pflanzenarten zum Ausdruck kommt, wo Selbstbestäubung normal ist oder überwiegt, wie bei "Weizen, Hafer, Gerste usw., und wo die Linien deshalb überwiegend homozygo- tische Kombinationen bezeichnen (vgl. unten). Diesen bedeutsamen Resultaten der Botaniker und Pflanzenzüchter, die seit Johannsens Arbeiten auch an vielen anderen Objekten be- stätigt wurden (z. B. von East, Fruwirth) stehen nur nicht ganz direkt vergleichbare Resultate aus dem Tierreich gegenüber. Das kommt daher, daß im Tierreich reine Selbstbefruchter selten sind und da, wo sie vorkommen (gewisse Schnecken), noch nicht erfolgreich zu solchen Experimenten verwendet werden konnten. Man hat versucht, diesen Mangel auf dreierlei Weise zu beseitigen: einmal durch Selektionsver- suche an Tieren mit rein parthenogenetischer Fortpflanzung, sodann durch solche an Tieren mit ungeschlechtlicher Fortpflanzung und schließ- lich mit Tieren, deren der Selektion unterworfene Eigenschaften als genetisch rein vom Mendelistischen Standpunkt aus erwiesen waren (was das heißt, kann erst später wirklich klar werden). Nur der letztere Versuch ließe sich direkt den reinen Linien vergleichen. Man hat deshalb auch für Reihen, die aus parthenogenetischer oder ungeschlechtlicher Fortpflanzung eines Ausgangsindividuums hervorgegangen sind, einen besonderen Namen, Klone, vorgeschlagen (Shull). Wie gesagt, stimmen viele der an Klonen und zweigeschlechtigen reinen Rassen mit den an reinen Linien gewonnenen überein, wofür wir nun einige Beispiele kennen lernen wollen. Wir erwähnen da die Klone der parthenogenetischen Süßwasser- krebschen, der Daphniden. Sie sollen sich durch kleine, aber erblich konstante Eigenschaften unterscheiden, und Woltereck, der sie experi- mentell studierte, gibt an, daß innerhalb der Linien Selektion sich als wirkungslos erwies. Da aber noch keine näheren Mitteilungen vorliegen, besonders keine genauen Zahlen, so wollen wir uns auch bei diesem Fall nicht weiter aufhalten, sondern uns gleich den Jenningsschen Ver- suchen mit dem Infusor Paramaecium zuwenden. Von den Varia- bilitätsverhältnissen dieser Tiere haben wir ja schon mehrfach gehört - 83 — und sind daher mit dem Versuchsmaterial bereits bekannt. Es wurden also aus einer Population einzelne in ihrer Länge verschiedene Individuen Fig. 30. Konjuganten von Paramaecium aus 5 verschiedenen reinen Linien. Nach Jennings und Hargitt. herausgegriffen und von jedem die Nachkommenschaft isoliert gezüchtet. Dabei konnten eine Reihe von Kulturen erzielt werden, in denen der Mittelwert typisch verschieden blieb im Lauf zahlreicher Generationen, Fig. 31. Extrem große (a) und extrem kleine (b) Variante aus einer großen und einer kleinen Linie von Paramaecium. Nach Jennings. so daß im ganzen acht derartige reine Linien gezüchtet wurden. Wurden sie alle unter annähernd den gleichen Bedingungen gezüchtet, so blieb auch bei allen der Mittelwert konstant. Wurden die Kulturen reiner 6* _ 84 — Linien geteilt, so blieben die verschiedenen Tochterkulturen identisch. Traten in verschiedenen Linien ähnliche Veränderungen der äußeren Lebensbedingungen ein, so waren auch die Reaktionen in den verschie- denen Linien korrespondierende, so daß also nicht etwa die Wirkung differenter äußerer Faktoren die Linien vortäuscht. Fig. 30 gibt einen guten Begriff solcher Konstanz, indem sie die typisch verschiedene Größe konjugierender Individuen aus fünf reinen Linien zeigt. Inner- halb der einzelnen Linien war natürlich die übliche fluktuierende Varia- bilität vorhanden, deren Ursachen wir ja schon oben betrachtet haben. Waren auch die Mittelwerte der Linien nicht so sehr verschieden, so wurden die Differenzen durch die extremen Ausschläge der fluktuieren- den Variabilität sehr große. Vorstehende Fig. 31 gibt eine große Variante einer großen Linie (a) neben einer kleinen Variante einer kleinen Linie (b) wieder. Das Gesamtresultat geht am klarsten aus nebenstehen- dem Tableau (Fig. 32) hervor, das die Variationsreihen der acht isolierten Linien nach ihrer Größe untereinandergesetzt darstellt. Man sieht, die Population schwankt zwischen 310 und 45 ju Länge, von den reinen Linien die erste von 310 bis 105 ta. Die senkrechte Linie gibt den Mittel- wert der Population mit 155 u an, die Kreuze die Mittel der einzelnen Linien. In diesen Linien wurde nun Selektion ausgeübt. Urid dabei zeigte sich wiederum, daß sie gänzlich erfolglos blieb. Wurden die Nach- kommen unter identischen Bedingungen gehalten, so erhielten sie nach Plus- wie Minusabweichern dieselbe Größe, z. B. in einem bestimmten Versuch : Mittlere Größe der Nachkommen von Plusabweichern: 114,7:33,9^ ,, Minusabweichern: 116,9:36,1/.« In allen Versuchen wurden J ohannsens Ergebnisse auf das schönste bestätigt gefunden. Was die dritte Gruppe von Versuchen betrifft, bei denen zweige- schlechtige, aber reine Stämme verwandt wurden, so können wir ihre viel diskutierten Resultate noch nicht verstehen, da sie die Kenntnis der Mend eischen Vererbungsgesetze voraussetzen. Sie werden später ausführlich diskutiert werden. Hier seien nur ein paar Bemerkungen eingeschaltet, um zu zeigen, daß wahrscheinlich auch in der freien Natur — 85 — solch genetisch reines Material reichlich vorhanden ist, so daß die Er- gebnisse von Selektionsexperimenten von der geschilderten Art tat- sächlich auch auf die Verhältnisse in der freien Natur, also den Evolu- lutionsvorgang, angewendet werden können. Es ist bekannt, daß 155 310 210 a W5 U 600883 OgOOOöftfl POflöflOflfl»« I (5(5098080««»»« Ofljaojflo«««^ Fig. 32. Acht reine Linien von Paramaecium in ihren Variationsreihen. XX gibt den Mittel- wert der Population, -f- die Mittel der einzelnen Linien. Die Zahlen bedeuten die Größe in /<. Nach Jennings. die Systematiker als niederste Kategorie spezifisch verschiedener Formen die Varietäten und Rassen betrachten, von denen sich innerhalb einer guten Spezies eine sehr große Zahl finden können. Es gibt übrigens keine allgemein akzeptierte Bezeichnung der niedersten systematischen — 86 — Kategorien, und es wird auch schwer sein, eine einheitliche Bezeichnung da durchzuführen. Sowohl der Begriff der Varietät, wie der der Rasse und Elementarart ist schwankend. Für Vererbungsfragen ist natürlich die niederste Kategorie die, deren Individuen sich von anderen nur durch eine Elementareigenschaft unterscheiden. Eine solche Abgren- zung ist aber nur ganz relativ und vom augenblicklichen Forschungs- stand abhängig. Wenn wir zwei Hühnerrassen haben, die sich nur durch den Besitz eines Erbfaktors für Gefiederfärbung unterscheiden, so sind das zunächst solche Kategorien. Nun zeigt sich aber, daß in jeder Rasse wieder erbliche Differenzen in bezug auf die Eigenschaft Fruchtbarkeit vorkommen, so daß da wieder Unterkategorien zu schaffen wären. So wird man wohl solche letzten systematischen Kategorien, die man vielleicht am besten als Elementarrassen kennzeichnet, nur festlegen können, wenn man die Abgrenzung nur auf eine einzige betrachtete Eigen- schaft, z. B. Fruchtbarkeit bei einem Huhn, oder Fettgehalt im Samen beim Mais, oder Reaktionsnorm gegenüber bestimmten Ernährungsarten bei einer Daphnie, bezieht. Diese Elementarrassen treten nun sehr oft, wenn auch nicht immer, an verschiedenen Lokalitäten auf und sind dann als Lokalrassen zu • bezeichnen, wohl zu unterscheiden von den Standortsvarietäten (Lebenslage Variationen) . Letztere können durch identische äußere Bedingungen ineinander übergeführt werden, erstere aber sind erblich konstant. Natürlich läßt es sich von vornherein nicht sagen, ob die vom Systematiker unterschiedenen Elementarrassen oder Varietäten ersterer oder letzterer Kategorie angehören. Das kann nur das Vererbungsexperiment entscheiden. Wenn der moderne Säugetier- und Vogelsystematiker für jedes Flußgebiet eine eigene wohlcharakteri- sierte Lokalform einer Art feststellt (Matschie), wenn in einem jeden unserer Alpenseen die Felchen eine typische Verschiedenheit zeigen (Hof er), wenn etwa das gleiche für die Daphniden in verschiedenartigen Teichen und Seen gilt (Wesenberg-Lund) oder für die einzelnen Laich- schwärme des Herings (Heincke), so kann es sich dabei um ebensoviele Elementarrassen handeln, wie um Lebenslagevariationen. In manchen Fällen hat das Experiment das letztere erwiesen, in anderen aber auch ersteres. So sind nach Wolter eck die Standortsvarietäten der Daph- nien, wenigstens zum Teil, erbliche Lokalrassen oder Elementarrassen, — 87 — und es kann keinem Zweifel unterliegen, daß sich viele der vom Syste- matiker unterschiedenen Varietäten auch im Experiment als echte Elementarrassen erweisen werden, wie das für das Pflanzenreich ja auch bereits in ganz anderem Maße als fürs Tierreich geschehen ist. Wir selbst waren imstande, es für einen interessanten Fall im Tierreich nachzuweisen, von dem wir später, wenn wir auf den Gegenstand zu- rückkommen werden, Näheres hören werden. Es ist nun klar, daß sich Elementarrassen in ihren Erblichkeitsver- hältnissen im großen Ganzen wohl ähnlich verhalten werden wie reine Linien. Da, wo sie wirklich Lokalrassen darstellen, ist anzunehmen, daß ihre Individuen vielfach genotypisch identisch sind. Denn die Individuen einer solchen Population, die auf beschränktem Räume lebt, vermehren sich in einer ständigen Inzucht. Nun ist es eine der mathematischen Konsequenzen der Mendelschen Gesetze, daß solche Formen in bezug auf ihre Erbeigenschaften mehr und mehr rein (homo- zygot) werden und nach einer gar nicht allzu großen Zahl von Generationen wirklich genetisch rein, genotypisch identisch sind (s. später). Sie stellen somit für die Selektion genau das gleiche Material dar wie reine Linien. Wo die Elementarrassen allerdings örtlich gemischt leben, muß das nicht zutreffen, wird es aber trotzdem vielfach tun. Denn das, was die Einheit stören könnte, die Kreuzung, ist, wie es scheint, oft auszuschließen, da sie durch die ausgesprochene Homogamie verhindert wird, wie ja schon für den Koloradokäfer und die reinen Linien der Paramäcien gezeigt wurde. Und so werden wir in den Fällen, wo sich die Elementarrassen durch qualitative, leicht zu definierende Merkmale, wie Farbe oder Zeich- nung, unterscheiden, ohne Schwierigkeit mit genotypisch einheitlichen Beständen arbeiten können, ohne daß Selbstbefruchtung vorliegt. Na- türlich muß dann eine besonders eingehende Analyse des Materials vor- angehen, die jede einzelne Variante auf ihre Erblichkeit zu prüfen hat. Bei quantitativen Merkmalen, die die Elementarrassen unterscheiden, ist die Schwierigkeit in Anbetracht der transgressiven Variabilität eine viel größere. Wie sie unter Umständen durch gründliche Analyse über- wunden werden kann, haben wir oben bei Heinckes Heringsunter- suchungen gesehen; dort war ja für jedes Individuum die Möglichkeit eröffnet worden, seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Elementar- — 88 — rasse (oder Standortsvarietät?) zu erkennen. Und so werden wir also, ohne über echte reine Linien zu verfügen, doch mit prinzipiell identischem Material, genotypisch einheitlichen Elementararten, vielfach arbeiten können. Wie wirkt nun die Selektion innerhalb eines solchen Materials? Schon de Vries hatte an ihrer Wirksamkeit gezweifelt und besonders Heincke im Anschluß an seine Heringsstudien den Schluß gezogen, daß innerhalb einer Elementarrasse — und als solche betrachtete er ja seine Heringsrassen — eine Selektion unwirksam sein müsse. Setzen wir Elementarrasse prinzipiell gleich Biotypus (natürlich nur in bezug auf die Resultate der Erblichkeitsforschung, denn der Begriff Biotypus sagt nur etwas über die genotypische Beschaffenheit seiner Angehörigen aus, also die genotypisch identischen Glieder einer Elementarrasse stellen einen Biotypus dar, ein Biotypus ist aber keine Elementarrasse), so hatte Heincke im wesentlichen bereits Johannsens Resultat vorwegge- nommen; aber er hatte es nur erschlossen, nicht bewiesen, da ja die Heringsrassen dem Experiment nicht zugänglich sind, eine Lücke, die er selbst klar hervorhob. Es sind wohl inzwischen auch eine Anzahl von Selektionsversuchen an solchem Material ausgeführt worden, sie sind aber bis jetzt noch nicht klar and befriedigend. Y\ "ir werden später, wie gesagt, auf diese Frage zurückkommen und dabei erörtern, ob mit dem Vorstehenden wirklich das letzte Wort gesprochen ist. Die positive, grundlegende Erkenntnis, die aus dem Inhalt dieser Vorlesung abzuleiten ist , ist somit die : Es ist streng zu trennen zwischen nicht erblicher Variation oder Modifikation und erblicher Variation. Die erstere ist eine rein phänotypische Erscheinung, betrifft nur das Äußere des Organismus und hat nichts mit seiner Erbbeschaffenheit, der genotypischen Grundlage, zu tun, so wenig wie der Mantel mit der Erbbeschaffenheit des Trägers. Eine Selektion solcher Modifikationen kann daher auch keine Verschiebung erblicher Natur hervorrufen. Betrachten wir die Modifikationen statistisch, so zeigen sie die übliche Verteilung in der Frequenzkurve. Da aber auch ein Gemenge erblicher Typen die gleiche Kurve zeigt, so besagt das Vorhandensein der Kurve gar nichts darüber, ob eine reine Rasse oder ein Gemenge von Erbrassen — 89 — vorliegt. Wenn daher die Selektion in einer unanalysierten Population erfolgreich ist, so rührt es daher, daß aus einem Rassengemisch einzelne Rassen der gewünschten Qualität ausgesucht wurden. Sobald diese Auswahl aber zu der Isolierung einer genetisch reinen Rasse geführt hat, ist der Versuch zu Ende, eine weitere erfolgreiche Selektion ist unmög- lich. Aus der komplexen Erscheinung der fluktuierenden Variabilität ist also zunächst die nicht erbliche Modifikation als wichtige Gruppe herausgelöst. Literatur zur vierten Vorlesung. East, E. M., The genotype hypothesis and hybridization. The Am. Nat. 45. 1911. Fruwirth, C, Allgemeine Züchtungslehre der landwirtschaftlichen Kultur- pflanzen. 1909. — , Die Entwicklung der Auslesevorgänge bei den landwirtschaftlichen Kulturpflanzen. Progressus rei botanicae. 3. 2. Jena 1909. Galton, F., Pedigree Moth-Breeding, as a mean of verifying certain Important Constants in the General Theory of Heredity. Trans. Entomol. Soc. London 1887. Heincke, F., Naturgeschichte des Herings. Abh. d. Deutsch. Seefischerei- vereins. 1897 — 98. Jennings, H. S., Heredity, Variation and Evolution in Protozoa. J. exp. Z. 1. 1908. — , desgl. IL Proceedings of the American Philosophical Society. 47. 1908. — , Heredity and Variation in the simplest Organisms. Americ. Naturalist. 43. 1910. — , What Conditions induce conjugation in Paramaecium. Journ. Exp. Zool. 9. 1910. — , Experimental evidence on the effectiveness of selection. Americ. Na- turalist. 44. 1910. — , Assortitative Mating, variability and inheritance of size, in the conjugation of Paramaecium. Journ. of Exp. Zool. 11. 191 1. — , und Hargitt, G. T., Characteristics of the diverse races of Paramae- cium. Journ. of Morph. 21. 191 1. Johannsen, W., Über Erblichkeit in Populationen und in reinen Linien. Jena 1903. — , Elemente der exakten Erblichkeitslehre. Jena 1909. — , Erblichkeitsforschung. Fortschritt d. naturwissenschaftl. 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Wir 'betrachteten bisher die Modifikation als statistische Erscheinung, trennten sie von der erblichen Variation und studierten ihr Verhalten bei Selektion. Wir ließen dabei die Modifikationsursachen beiseite, ab- gesehen von gelegentlichen Andeutungen, daß sie ein Produkt der Lebenslage sind. Wir müssen uns nunmehr, um die Besprechung der Variationen vorläufig zu Ende zu führen, mit den Ursachen beschäftigen, die die nichterbliche Modifikation und ihre statistische Erscheinung in der Frequenzkurve bedingen. Dabei lassen wir zunächst die übrigen Formen fluktuierender Variation beiseite, die sich später aus dem Mendelismus erklären werden. Die Kenntnis der Ursachen der nicht erblichen Modifikation wird uns dann aber auch später noch für evolu- tionistische Fragen von Bedeutung erscheinen. Wir wissen also, daß die nicht erblichen Modifikationen eines Cha- rakters sich in der Frequenzkurve nach dem Quetelet sehen Gesetz anordnen. Ihre Verursachung kann bereits aus einer Betrachtung der Kurve selbst klar werden, wenn wir sie nun einmal in einer etwas sinn- lälligeren Form folgendermaßen darstellen (Fig. 33): Es handelt sich um die Variabilität in der Länge von Bohnensamen. 450 Samen einer Population wurden gemessen und nach ihrer Länge geordnet, die zwischen 8 und 16 mm schwankte. Die Variationsreihe lautete : Länge in mm: 8 9 IO II 12 13 14 15 16 Anzahl Bohnen: i 2 23 108 167 106 33 7 i Fig. 34 gibt das zugehörige Variationspolygon, bei dem für jede Bohnensorte ein Beispiel abgebildet ist. In eine Glaswanne, die in neun Abteilungen geteilt ist, die den neun Größenklassen der Bohnen entsprechen, werden diese nun so eingefüllt, daß jede Abteilung die - 92 zu ihrer Klasse gehörige Bohnenzahl erhält. Es entsteht dann ein Bild,- wie es Fig. 33 zeigt, wobei die Bohnen als Treppenkurve erscheinen. (Von dem kleinen Fehler, der der wirklichen Kurve gegenüber dadurch entsteht, daß die kleinen Bohnen weniger Platz einnehmen als die großen, muß natürlich abgesehen werden.) Das ist nun nichts weiter als eine andere Demonstration des Quetelet sehen Gesetzes. Fig. 33- Anschauliche Darstellung der Varia- bilität der Größe von Bohnensamen. Nach de Vries. Fig. 34- Variationspolygon der Größe der Bohnensamen zu Fig. 33 mit den eingezeichneten Typen der Größenklassen. Bei B die Häufigkeitsreihe. Nach de Vries. Nun nehmen wir einmal nebenstehend abgebildeten kleinen Apparat zur Hand, den Galton angab, und der ganz ähnlich aussieht wie ein Tivoli genanntes Kinderspielzeug (Fig. 35). Auf einem Brett finden sich in gleichen Zwischenräumen Reihen von senkfechten Nadeln, die innerhalb der Reihen alternieren. Oben ist durch Holzbacken eine trichterförmige Eingangspforte hergestellt, und unten sind kleine Ab- teilungen abgegrenzt. Wird nun das Brett schräggestellt und durch den Trichter eine Anzahl Schrotkugeln eingeschüttet, so laufen sie 93 zwischen den Nadeln hindurch und füllen dann die Fächer so aus, wie es die Abbildung zeigt, d. h. sie bilden hier eine ebensolche Treppen- kurve, wie wir sie eben von den Bohnen sahen. Hier ist nun die Ursache klar. Jeder Schrotkugel, die das Bestreben hat, geradenwegs in das Mittelfach hin- einzurollen, stellen sich in den Nadeln Hinder- nisse entgegen, die sie von ihrem Weg ab- lenken. Da die Hinder- nisse nach rechts wie links gleichmäßig wir- ken, werden sie sich vielfach gegenseitig aufheben, so daß die Mehrzahl der Kugeln doch richtig ins Mittel- fach gelangt. Bei an- deren wird sich aber eine Ablenkung aus der Bahn ergeben, die die Kugeln nach rechts oder links führt, und zwar ist 'für jede Seite gleich viel Wahrschein- lichkeit vorhanden. Manche Kugeln wer- den wenig abgelenkt, indem es der Zufall gibt, daß außer den vielen nach rechts oder links ziehenden Hinder- nissen, die sich gegenseitig ausgleichen, auch einige nur einseitig wirken. Es ist klar, daß ein immer größerer und daher seltenerer Zufall dazu gehört, daß sich solche einseitig wirkende Hindernisse wiederholen, ein Zufall, dessen Unwehrscheinlichkeit mit der Zahl der einseitig wirkenden Stöße steigt, und daher werden in die äußersten Fi&- 35- Galtons Zufallsapparat. — 94 — Abteilungen, die nur den Kugeln zugänglich sind, die der Zufall immer wieder nach der gleichen Richtung ablenkt, nur die allerwenigsten Kugeln gelangen. Das entstandene Bild ist also ein Ausdruck der Wir- kung des Zufalls, und wir würden es bei jeder Versuchsanordnung er- halten, die zufällige Abweichungen von einer Norm zum Ausdruck bringt. Die Binomialkurve, wie wir eine derartige symmetrische Figur als Kurve gezeichnet nannten, ist, wie uns dieser kleine Versuch an- schaulich macht, also ein Ausdruck des Gaußschen Fehlergesetzes, welches ganz allgemein besagt, daß in einer Beobachtungsreihe bei gleicher Beobachtungsweise die Häufigkeit eines Beobachtungsfehlers eine Funktion seiner Größe ist. Je mehr sich ein Fehler von dem Mittel- maß entfernt, um so seltener ist er, und umgekehrt. Und jetzt wird uns klar, was dieses berühmte Gesetz, von dem Galton einmal sagte, daß es die alten Griechen als Gottheit verehrt haben würden, wenn sie es gekannt hätten, auch für die belebte Welt bedeutet. Denn wenn wir nun aus dem identischen Ausfall des Bohnenversuchs.— und er ist ja der Typus für die normale Art der Variabilität — und des Schrotkugel- spiels einen Schluß ziehen dürfen, so muß er so lauten: Der Bohnengröße oder überhaupt jedem variierenden Merkmal kommt eine bestimmte Größe oder Wert zu, sein Mittelwert. Er wird aber nicht erreicht, indem die Natur ,, Beobachtungsfehler" macht, die um so seltener werden, je größer sie sind. ,, Die Natur macht Beobachtungsfehler" heißt aber nichts anderes, als sie wirkt ebenso auf die Merkmale wie die Stecknadeln auf die Schrotkugeln. Dem Organismus stellen sich in Gestalt der Gesamtheit der äußeren Lebensbedingungen Hindernisse in den Weg, die ihn teils nach dieser, teils nach jener Seite ziehen und um so seltener in ihrer Wirkung in Erscheinung treten, je größer sie sind. Mit anderen Worten: Wir leiten den Schluß ab, daß die charakteristischen Erscheinungen der fluktuierenden Variabilität nichts anderes sind als der Effekt der äußeren Bedingungen. Ist das nun richtig, so muß es auf vielerlei Weisen bewiesen werden. Zunächst muß sich ganz allgemein für das Einzelindividuum der Nach- weis erbringen lassen, daß den Organismen die Fähigkeit innewohnt auf Einwirkungen der Außenwelt mit Veränderungen ihrer Eigenschaften so zu reagieren, daß die veränderte zur ursprünglichen Eigenschaft sich — 95 — verhält wie eine Variante zur anderen. Anders ausgedrückt muß be- wiesen werden, daß der sichtbare Zustand einer Eigenschaft nichts Absolutes ist, sondern etwas Relatives, nur unter den betreffenden äuße- ren Bedingungen in gleicher Art Bestehendes. Zweitens muß bei der Betrachtung einer großen Individuenzahl gezeigt werden, daß eine Ver- änderung in den äußeren Bedingungen auch mit einer Veränderung in ihrer Variabilität verbunden ist. Es muß etwa unter dem Einfluß eines veränderten Mediums eine Verschiebung der Variabilitätskurve statt- finden. Sodann muß gezeigt werden können, daß in einer Gruppe gleich- artiger Individuen Eigenschaften mit geringer Variabilität durch wechsel- volleres Milieu zu stärkerem Variieren gebracht werden können. Und schließlich muß sich umgekehrt zeigen lassen, daß die Variabilität stark variierender Formen durch Gleichartigkeit der Bedingungeneingeschränkt, ja vielleicht sogar ganz aufgehoben werden kann. Betrachten wir darauf- hin nun einmal die Tatsachen. Zunächst sehen wir also einmal ganz von der bisher geübten kollekti- vistischen Betrachtungsweise, also der Untersuchung von Individuen- reihen ab, und legen uns die ganz allgemeine Vorfrage vor, wie das Einzel- individuum bzw. seine Eigenschaften sich dem äußeren Milieu gegenüber verhält. Die Frage könnte fast müßig erscheinen, so selbstverständlich ist ihre Antwort. Besteht doch der ganze Teil der Tier- und Pflanzen- zucht, der als Haltung und Wartung zu bezeichnen ist, in nichts anderem als in der Hervorrufung von dem Züchter angenehmen Varianten der Eigenschaften durch zweckentsprechende Wahl des Milieus. Trotzdem muß die Frage an Hand konkreter Tatsachen beantwortet werden, denn aus ihnen werden wir eine grundlegende Erkenntnis über das Wesen der zu betrachtenden Eigenschaften abzuleiten haben. Die elementare Tatsache selbst erhellt am einfachsten aus den zahllosen Versuchen, die Forschung wie Praxis über den Einfluß der wichtigsten Außenfak- toren, Temperatur, Feuchtigkeit, Nahrung auf die Eigenschaften von Tieren und Pflanzen angestellt haben. Das Material ist ein unendliches und es seien nur einige Stichproben aus den verschiedenen Versuchs- gruppen gegeben. Da ist zunächst die Einwirkung der Temperatur, für die besonders aus dem Tierreich interessante Versuche vorliegen, vor allem die be- — 96 — rühmten Temperaturexperimente an Schmetterlingen, die von Dorf- meister inauguriert jetzt wohl den am besten ausgearbeiteten Teil dieses Kapitels der tierischen Biologie darstellen. Wenn wir hier nur die Hauptresultate betrachten — weitere werden uns auch noch in an- derem Zusammenhang begegnen — so gingen die Experimente ja davon aus, den Saisondimorphismus zu erklären, die Tatsache, daß in zwei Generationen fliegende Schmetterlinge typisch verschiedene Frühjahrs- und Sommerformen (in den Tropen Trocken- und Regenzeitformen) haben können, wofür das klassische Beispiel Araschnia levana und Fig. 36- Araschnia levana (links oben) und prorsa (rechts unten) verbunden durch im Tempe- raturexperiment erzeugte Übergangsfornien. prorsa ist. Da der Verdacht nahe lag, daß die Differenzen durch ver- schiedene Temperaturen bedingt seien, behandelte Dorf meist er die Puppen, die die Sommerform geben sollten, mit Kälte und umgekehrt und konnte dadurch auch aus ihnen die Frühjahrsform und umgekehrt erzielen. Und so lassen sich durch abgestufte Temperatureinwirkung auch alle Zwischenformen herstellen, wie vorstehende Fig. 36 demon- striert, in der einige solche experimentell erzeugte Typen in der Reihen- folge von levana zu prorsa abgebildet sind. Die zahlreichen Unter- suchungen, die auf diesem Gebiet an den verschiedensten Objekten und von den verschiedensten Forschern ausgeführt wurden, haben nun alle — 97 — dazu geführt, zu zeigen, daß man durch geeignete Temperatureinwirkung auf Puppen Formen erzeugen kann, die äußerlich, phänotypisch, aus der Natur bekannten geographischen Varietäten gleichen. St and fuß, der Meister der experimentellen Schmetterlingszüchtung, der (bis zum Jahre 1905) 48 500 Individuen in solchen Experimenten bearbeitete, hält folgende Punkte für die Hauptresultate: 1. Viele Arten leben an verschiedenen Orten ihres Verbreitungsgebietes in Form von Lokalrassen. fig- 37- Vanessa io, das Tagpfauenauge, mit künstlich erzeugten Temperaturaberrationen. Sie lassen sich experimentell in täuschender Weise erzielen oder doch wenigstens annähernd, sowohl was Färbung wie Gestalt der Flügel be- trifft. So kann aus Puppen des gewöhnlichen Schwalbenschwanzes (Papilio machaon), wenn sie mit 37— 38 ° C behandelt werden, ein Falter schlüpfen, der durchaus der palästinensischen Sommerform aus Jeru- salem gleicht. Oder aus den Puppen des gemeinen kleinen Fuchses, Vanessa urticae, können durch Wärme Formen erzogen werden, die der südlichen Varietät ichnusa gleichen, durch Kälte aber solche, die den nördlichen Arten milberti und polaris gleichen. 2. In der Natur kommen Goldschmidt, Vererbungswissenschaft. 3. Aufl. 7 — 98 — oft Aberrationen vor, die sich in ihrem Kleid beträchtlich von dem Normaltypus entfernen. So hat das Tagpfauenauge, Vanessa io, Ab- errationen, in denen die Augenflecke verschwinden. Wir werden sie später noch zu erwähnen haben. Durch das Temperaturexperiment können sie aber ebenfalls hervorgerufen werden und zwar auch in allen Abstu- fungen von der Normalform zur Aberration. Vorstehende Fig. 37 zeigt uns die Stammform nebst drei Temperaturaberrationen in einer Serie, die durch viele Zwischenformen verbunden zum Verlust der Augen- flecken führt. 3. Bei Faltern, die in beiden Geschlechtern verschieden gefärbt sind, kann dieser sexuelle Dimorphismus aufgehoben werden. Es können durch Temperatureinwirkungen Falter unter Umständen in ihrem Farbenkleide an ganz andere verwandte Arten angenähert werden, so der Schwalbenschwanz, Papilio hospiton, in der Richtung auf imsern gewöhnlichen machaon. 4. Es können endlich durch Ver- tauschung der Lebensbedingungen Verschiebungen der Formen anderer Art stattfinden. So wächst die große Pappelglucke, Gastropacha populi- folia, während der kühlen Jahreszeit im Herbst und Frühjahr langsam in etwa 25 Wochen zu einem großen Typus heran. Die sehr nahe verwandte kleine Glucke (Epicnaptera tremulifolia) hingegen wächst als Raupe wäh- rend derwärmsten Jahreszeitin 11 Wochenheran und ergibt eine sehr viel kleinere Form. Wird die Brut der großen Glucke in die Lebensbedingungen der kleinen versetzt, so ergibt sie Falter, die sich der kleinen Art nähern. Es werden somit in diesen Versuchen phänotypische Modifikationen des Schmetterlingskleides erzeugt, die demonstrieren, wie unter dem Einfluß äußerer Faktoren ein scheinbar so konstantes Merkmal, wie es die Zeichnung eines Schmetterlingsflügels ist, beträchtlich verändert werden kann. In diesem Fall kommt nun noch die Besonderheit hinzu, daß die nicht erbliche, experimentell erzeugte Modifikation genau aus- sieht, wie eine in der Natur als selbständige Erbrasse erscheinende Varia- tion. Vom Standpunkt der Erblichkeitslehre unterscheiden sich die beiden, um einen Vergleich zu benutzen, wie ein Mann, der auf der Bühne einen Neger spielt von einem wirklichen Neger. Weshalb allerdings die Modifikation gerade in der gleichen Richtung verläuft, wie die geo- graphische Rassenbildung in der Natur, ist ein erbphysiologisches Problem, das wir erst viel später werden betrachten können. — 99 — Auch im Pflanzenreich fehlt es nicht an solchen Fällen, wie etwa die in normalen Verhältnissen rotblühende Primula sinensis, deren Blüten bei Treibhaustemperatur so weiß werden wie bei einer weißen Rasse. (Baur.) u GS C GS o G Xfi 1) GS .sf-g e GS "S . GS qj -Q :g! U CLi tn • .„- ° «öS CO 0 ^ . 3 *C tut) *> .,-r •— < u i, « u o S B fa a .s'Z Ol — ho 3 g GS t-i GS o TS ■J3 Auch ein Beispiel einer Feuchtigkeitswirkung sei aus dem Tierreich gegeben, Beebes Versuche mit Tauben. Die nord- und mittelameri- kanische Taube, Scardafella inca, zeigt nur geringe geographische — 100 — Variation in ihrem Verbreitungsgebiet. Dagegen kommen in Honduras, ferner Venezuela und Brasilien je eine abweichende Form vor, nämlich dialeucos, ridgwayi und brazilensis, die sich durch reicheres Pigment auf den Federn auszeichnen. Durch Zucht in einer besonders feuchten Atmosphäre vermochte Beebe nun die inca so zu beeinflussen, daß sie mit jeder neuen — natürlichen oder künstlich erzwungenen — Mauser immer dunklere Federn bildete, wobei allmählich auch das dunkelbraune Pigment in ein glänzend irisierendes Bronze oder Grün übergeht. So Fig. 39- Zwei Wurfgeschwister (Berkshire 3)^ links gehungert, rechts gemästet. Nach v. .Nathusius aus Kronacher. enthält der wilde Vogel auf einer bestimmten Feder 25,9% pigmentierte Fläche, der im Experiment gehaltene Vogel vor der dritten Mauser 38% und nach ihr 41,6 %. So gelingt es, die Form inca im Versuch allmählich das Aussehen der drei anderen Formen annehmen zu lassen, bis schließ- lich ein Federkleid erreicht wird, das in der Natur nirgends verwirklicht ist. Fig. 38 gibt die Reihe der fünf natürlichen und experimentellen Typen wieder. Wohl die größte Fülle von Tatsachen liegt .aber' für die dritte 'Ver- suchsart vor, die Einwirkung veränderter Ernährüngsbe'djngungeri, für die schon durch Darwin manches -berühmt 'gewordene Beispiel beige- — 101 — bracht wurde. So wissen die Kanarienvogelzüchter, daß man durch Hanffütterung eine dunkle Färbung des Gefieders erzielen kann, daß man durch große Dosen von Cayennepfeffer die Färbung von Kanarien, auch Hühnern, in orange verwandeln kann. Der Schweinezüchter kann durch geeignete Fütterung aus den kurzköpfigen hochgezüchteten Kultur- rassen Tiere heranziehen mit dem langen Schädel und sonstigen Habitus des Wildschweins, wie die Fig. 39 so schön zeigt (v. Nathusius), über- haupt kann der Züchter vielfach durch Fütterung das Exterieur der Haustiere verändern. Folgende Fig. 40 gibt ein instruktives Bei- s? * A Fig. 40. mit Milch R a t z e b u r s: . Brustkorb der Ziege, A bei Fütterung mit Milch, B bei vegetabilischem Futter. Nach spiel, die Veränderung des Brustkorbes einer Ziege bei Fütterung von Milch oder vegetabilischem Futter. Die am breitesten angelegten Ex- perimentalserien auf diesem Gebiet sind aber wohl Pictets Versuche an Schmetterlingen, der zeigen konnte, daß man bei zahlreichen Schmet- terlingsarten wie Lymantria dispar und raonacha, Abraxas grossulariata, Lasiocampa quercus, Biston hirtarius durch Fütterung der Raupen mit ungewohntem Futter eine große Variabilität hervorrufen kann. Diese betrifft begreiflicherweise einmal die Dimen- sionen der Tiere, da schlecht ernährte Raupen natürlich kleinere Falter geben, sodann aber vor allem Färbung und Zeichnung. Es scheint insofern eine Regelmäßigkeit der Wirkung zu bestehen, als Ernährung — 102 — mit wenig ausgiebiger Nahrung die Variabilität nach dem Albinismus zu richtet, solche mit nahrhaften Substanzen aber nach dem Melanismus hin. Die einzelnen Nahrungssorten scheinen dabei eine ziemlich spezi- fische Wirkung auszuüben und sich zu addieren, wenn sie gemischt be- nutzt werden. Besonders bemer- kenswert ist die Einwirkung auf Formen mit sexuellem Dimorphis- mus wie Lymantria dispar oder Lasiocampa quercus. Fig. 41 zeigt in 2 das Weibchen, 3 das Männchen letzterer Form, das sich durch die scharfgerandete dunkle Tönung der inneren Flügelhälfte vom Wreibchen unterscheidet . 4 gibt aber ein Weibchen wieder, das durch Fütterung mit Esparsette dem männlichen Typus genähert wurde. Das Gesetz scheint das zu sein, daß minderwertigere Nahrung die sekundären Geschlechtscharaktere des Männchens, in diesem Fall die Verdunkelung der Flügel hervor- ruft, während reiche Ernährung umgekehrt das Männchen den weib- lichen Charakteren nähert. Doch Fig_ 4I damit seien genug der Beispiele Verschiebung der sekundären Geschlechts- dieser Art genannt, die alle nicht Charaktere von Lasiocampa quercus durch ■■,•,■■, ■»?• Fütterung 2 normales Q, 3 normales 5. nur die Modlilkabllltat unter Ein - 4 im Experiment erzeugtes 6 -ähnliches wirkun„ äußerer Bedingungen de- \\ eibchen. Nach Pictet. ° monstrieren, sondern auch physio- logische Probleme ganz anderer Natur aufgeben und in naher Beziehung zur Theorie der Art Umwandlung stehen. Das gleiche gilt, vielleicht sogar in noch erhöhtem Maße, von der folgenden Gruppe experimen- teller Modifikationen. — 103 — In den betrachteten Fällen war eine tiefere logische Beziehung zwischen dem Außenfaktor und der Art der Variation nicht ohne weiteres sichtbar. Für den Einblick in das Wesen der variierenden Eigenschaften sind aber viel bedeutungsvoller jene Reaktionen des Organismus, die eine deutliche Beziehung zur Qualität des auslösenden Milieureizes zeigen und dies sind im weitesten Sinn jene Variationen der Eigenschaften, die man als funktionelle Anpassungen bezeichnet, also zweckmäßige Reak- tionen auf den bewirkenden Milieureiz. Auch ihre Zahl ist im Pflanzen- wie im Tierreich eine ganz außerordentliche : ein gebrochener und schief- verheilter Knochen wandelt seine Innenstruktur so um, daß sie für den Widerstand gegen die neuen Belastungsverhältnisse geeignet wird; ver- ändert sich das Hebelsystem von Gliedmaßenknochen durch Verkürzung eines Hebelarmes, so wandelt sich die Struktur des zugehörigen Muskels so um, daß sie den neuen mechanischen Bedingungen gerecht wird (Marey). Werden Fleischfresser mit Pflanzenkost gefüttert, so ver- längert sich ihr Darm und umgekehrt (Babak, Houssay, Schepel- mann). Aber auch Außeneigenschaften, die sonst für die betreffende Art oder Gruppe charakteristisch sind, können sich in erstaunlicher Weise durch funktionelle Anpassung verändern. Da ließen sich be- sonders aus dem Pflanzenreich eine unendliche Fülle von Beispielen nennen, da gerade diese experimentellen Veränderungen der Pflanze und ihrer Teile unter dem Einfluß äußerer Faktoren — Biaiometamor- phosen nennt sie Lotsy mit einem monströsen Ausdruck — einen Hauptteil der experimentellen Pflanzenmorphologie ausmachen. Beson- ders Göbel hat ja dieses Gebiet durch bahnbrechende Untersuchungen bereichert. Umstehende Fig. 42 zeigt einen besonders instruktiven Fall: Im Wasser kultiviert hat die Landpflanze Limnophila hetero- phylla (rechts und links im Bild) Seitensprosse hervorgebracht, die ganz andersartige, zerteilte Blätter, die Wasserblätter, besitzen. Auch auf tierischem Gebiet gibt es dazu Parallelen* die sich z. B. aus den klassischen Experimenten Marie von Chauvins am mexika- nischen Axolotl ergeben, auf die wir noch mehrfach zurückkommen werden. Bekanntlich ist dieser eine Wasserlarve des Landmolches Amblystoma, die in der Gefangenschaft normalerweise als Wasserlarve geschlechtsreif wird. Fräulein von Chauvin gelang es aber, sie zu 10-4 — zwingen, ihre Verwandlung zum Landmolch auszuführen, womit ja große äußere und innere Veränderungen verbunden sind, nämlich Über- gang von der Kiemen- zur Lungenatmung und entsprechende Ein- schmelzung der Kiemen, Verwandlung des flachen Ruderschwanzes in den runden Landschwanz, Änderung der Haut und ihrer Färbung. Es wurde nun ein 15 Monate alter Axolotl zur Metamorphose gezwungen Fig. 42. Limnophila heterophylla, in der Mitte ein Trieb mit Landblättern, die beiden Seiten- triebe haben bei Wasserkultur Wasserblätter gebildet. Nach Göbel. und in 12 Tagen so weit gebracht, daß er in feuchtem Moos leben konnte und durch Lurfgen atmete. Nur der völlige Abschluß der Metamorphose durch eine entscheidende Häutung wurde verhindert. Es trat nun eine Reduktion des Ruderschwanzes auf die Hälfte seiner Breite ein, so daß er auch nicht mehr zum Schwimmen benutzt werden konnte, wenn das Tier ins Wasser kam; die Kiemenbüschel aber reduzierten sich bis auf kurze Stummel Nun — nach einem Landaufenthalt von 15 V2 Monaten — 105 — — wurde das Tier langsam wieder ans Wasser gewöhnt, was es nur sehr widerwillig tat. Trotzdem begannen schon am 6. Tag die Kiemenfäden wieder zu wachsen, und der vorher umgelegte Rückenkamm richtete sich wieder auf. Nach 10 Tagen war der kritische Zustand des Tieres wieder überwunden und schon nach einem Monat waren alle Charaktere des Wasser tieres wieder da. Nach Z1/^ Monaten wurde aber das gleiche Tier wieder auf das Land gebracht, wo es in einem halben Jahr wieder alle Veränderungen zum Landtier durchmachte und auch mit der letzten Häutung begann, während deren es starb. Wir werden in einer späteren Vorlesung noch einer Reihe analoger Fälle begegnen, die alle die gleiche Art funktioneller Anpassung illustrieren. Die Art der Organismen, durch Einwirkung von Außenfaktoren in so charakteristischer Weise zu variieren, wie es besonders die letzten Bei- spiele zeigten, führt uns nun zu der Frage, was eigentlich die Eigen- schaften sind, deren Variabilität wir hier studieren. Und da ergibt sich ohne weiteres, daß sie ebenso zu betrachten sind, wie die Messungen eines Physikers, denen ein bestimmter Wert nur zukommt unter bestimmten äußeren Bedingungen wie etwa Temperatur und Luftdruck. Auch die Eigenschaften haben einen bestimmten Charakter nur unter bestimmten Bedingungen: Die Brustfedern jener Taube sind nicht weiß, sondern sind bei einem bestimmten Feuchtigkeitsgrad weiß, bei einem anderen aber gesprenkelt. Die Eigenschaft ist also nicht weiß oder mit Kiemen oder kurzer Darm oder rotblühend, sondern die Fähigkeit auf bestimmte äußere Bedingungen mit bestimmter Darmlänge, Farbe, Kiemenstruktur zu reagieren: also eine bestimmte Reaktionsnorm (Woltereck, Baur, Johannsen). In dem Fall der Limnophila bestand die Reak- tionsnorm in der Alternative Land- und Wasserblätter. In anderen Fällen besteht sie in der Fähigkeit, auf abgestuften Reiz abgestuft, also fluktuierend zu reagieren. Im Prinzip ist das das gleiche, aber nur in letzterem Fall kommt eine fluktuierende Variabilität zustande, die kollektiv betrachtet werden kann. Es ist notwendig, sich diese Erkenntnis recht klar zu machen und sie in Beziehung zu setzen zu dem, was wir in der vorigen Vorlesung über Gene, Genotypus und Phänotypus hörten. Sie besagt folgendes: Das Gen ist die erbliche Anlage für das Auftreten einer bestimmten Eigen- — 106 — schaft in bestimmter Stufe unter bestimmten Bedingungen. Die Ge- samtheit der Gene, die Erbmasse, oder, wenn gewissermaßen als die erbliche Abstraktion des Organismus betrachtet, der Genotypus, ist nichts anderes als die erbliche Reaktionsnorm, die ererbte Fähigkeit des Orga- nismus, unter bestimmten Bedingungen einen bestimmten Phänotypus zu zeigen, einen anderen, wenn andere Bedingungen gegeben sind. Die genotypische Beschaffenheit der Lebewesen ist ihre ererbte Reak- tionsnorm. Welche Reaktionen möglich sind, ist erblich in den Genen festgelegt. Wenn wir dann irgend eine der durch die Erbanlage ermög- lichten Reaktionen auf die Bedingungen der Außenwelt hervorrufen, so geschieht es eben im Rahmen der ererbten Reaktionsnorm, nicht etwa durch Beeinflussung dieser. Eigentlich ist mit der Lösung dieser Vorfrage auch schon die Lösung der Hauptfrage nach der Ursache der fluktuierenden Variabilität soweit sie dem Gebiet der nicht erblichen Modifikation angehört (andere Typen der fluktuierenden Variabilität werden ja erst später verständlich werden), gegeben. Aber wir wollen doch noch die drei Fragen beantworten, die wir oben in bezug auf das Verhalten der ganzen Variationskurve gegen- über den Milieueinflüssen gestellt hatten. Was zunächst den ersten Punkt betrifft, die Veränderung einer Variationsreihe Unter dem Einfluß äußerer Bedingungen; also insgesamt dessen, was man die Lebenslage nennt, so ist er schon aus der reinen Beobachtung zu erschließen. Eine Fülle biologischer Tatsachen — von denen besonders reiches Material, wie überhaupt für alle diese Fragen, von Darwin beigebracht ward — ist bekannt, die alle zeigen, daß sich Tiere verändern, wenn sie in anderen als ihren typischen Lebens- bedingungen sich befinden. Von Bedingungen, die sich analysieren lassen, also nicht einfach allgemein als „veränderte Lebenslage" zu bezeichnen sind, sei nur eine als Beispiel angeführt, der Einfluß des Salzgehaltes auf Wassertiere. Bateson konnte die Herzmuscheln (Car- dium edule) zentralasiatischer Seen untersuchen, die einen langsamen Eintrocknungsprozeß durchmachen, so daß an ihrem Rand sieben auf- einander folgende Terrassen sich finden, die verschiedenem Salzgehalt entsprechen. In ihnen nehmen nun die Schalen immer mehr an Dicke ab, so daß sie in der untersten, also salzigsten Zone direkt hornig waren. 107 — Hand in Hand damit gingen Veränderungen der Farbe, Struktur und Größe, und alle diese Eigenschaften erwiesen sich bei allen Individuen eines Horizonts als gleichförmig. Und Bateson schließt denn auch, daß die Salzigkeit bzw. entsprechende äußere Bedingungen die Ursachen der Variation darstellen. Solche Beobachtungen kommen aber auch immer wieder zum Vor- schein, wenn variationsstatistische Untersuchungen angestellt werden. Bei Anstellung von Kulturen in verschiedenen Jahren ist die Gesamt- heit der äußeren Bedingungen, das was man Lebenslage nennt, ja immer etwas verschieden, und die variationsstatistische Untersuchung der verschiedenen Materialien muß dann eine eventuelle Wirkung solcher Differenzen ja hervortreten lassen. Sie geht denn auch klar aus folgender Tabelle nach Johannsen hervor, der die Samengewichte von Bohnen derselben reinen Linie in sechs aufeinanderfolgenden Generationen ver- gleicht : Jahrgang Zahl der Bohnen Mittleres extr Minus- abweicher G ei rewicht der nsten Plus- abweicher Mittleres Gewicht ca. 1903 252 55 80 64 1904 711 50 87 73 1905 654 43 73 55 1906 384 46 84 63 1907 379 56 81 74 Man ersieht daraus, daß innerhalb des gleichen Materials unter dem Einfluß der nicht weiter kontrollierten Lebenslage der Mittelwert des Bohnengewichts z. B. im Jahr 1905 etwa 55 betrug, im Jahr 1907 aber 74. Es bestand also gewissermaßen eine Variabilität der Variation in der Zeit, das was Johannsen eine kollektive Variabilität nennt. Auch die zoologischen Studien haben das gleiche ergeben. Ein in typischer Weise der fluktuierenden Variabilität unterworfenes Merkmal ist die Kopfhöhe oder Helmhöhe der Süßwasser bewohnenden Daphnien, auch die Länge ihres Schwanzstachels u. a. Diese Formen pflanzen sich durch Parthenogenese fort, so daß innerhalb eines Sommers zahlreiche Generationen nacheinander auftreten. . Man weiß nun schon lange, daß 108 — in einem und demselben See die verschiedenen aufeinander folgenden Generationen einen ganz verschiedenen Mittelwert der Kopfhöhe haben, derart, daß die Frühsommergenerationen niedrige Köpfe haben, die dann in weiteren Generationen höher werden, bei der Spätsommer- generation ihr Maximum erreichen und dann wieder zum Herbst und Winter hin in den letzten Generationen des Jahres abnehmen, kurz daß in der Helmhöhe das stattfindet, was man eine Cyklomorphose nennt. Nachstehende Figur 43 zeigt es in einem Schema der aufeinander folgenden durchschnittlichen Größen; wir werden bald nochmals auf 28 'VI 1SX 30VJI 15.DC Fig- 43- Cyklomorphose der Helmhöhe und Stachellänge von Hyalodaphnia im Anschluß an Wesenberg-Lund nach Wolter eck. die Erscheinung zurückzukommen haben. Hier sei eben nur die Tat- sache der Verschiebung des Typus eines variabeln Merkmals im Zu- sammenhang mit der Lebenslage, in diesem Fall ausgedrückt durch die Jahreszeit, festgestellt. Um diese Verschiebung nun exakt zu beschreiben, müssen wir sie natürlich auf die Variationskurve oder -Reihe eines Merkmals beziehen. Besonders schön läßt sich das auf zoologischem Gebiet an den Zahlen- reihen demonstrieren, die Tower für den Koloradokäfer gegeben hat. Hier bezieht sich die kollektive Variabilität oder place Variation auf alle die Farben und Zeichnungen des Tieres, von denen wir ein Beispiel, die Zeichnung des Halsschildes, früher in Fig. 3 abgebildet haben. Die — 109 - folgende Tabelle bezieht sich auf die gleiche Zeichnung der Art Lepti- notarsa decemlineata. Die erste Kolumne gibt den Jahrgang, die zweite die Generation, da dieser Käfer zweimal im Jahr brütet, die folgenden die Zahlen der Individuen in Prozenten ausgedrückt (es wurden immer mehrere Tausend gezählt), die sich in den einzelnen Färbungs- klassen, von denen 13 unterschieden werden, finden: Jahr Gene- Färbungsklasse ration 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 1895 { 1 2 — — — 1 5 2 14 2 54 20 24 3 41 3 9 5 0 r. s l 1 — — 1 3 16 18 51 7 4 — I896 2 — 6 61 19 7 4 1 0 — f 1 — 1 «J 20 50 22 4 — — — 1897 { 2 2 22 59 14 2 1 — — ■ « (! 1 — — I 2 19 49 17 7 0 1 1 1898 2 — — 1 1 2 6 25 36 22 5 2 — — ■ 11 1 1 3 4 20 47 26 2 I — 1899 2 — — — — — 1 7 23 36 16 9 4 1 1 1 1 1 4 II 34 20 IS 8 2 2 1 — 1 900 2 — — — 12 41 30 12 2 1 1 1 — 1 1 1 2 0 j 4 7 19 40 i=; 6 2 1 — — 1901 2 — — 1 1 4 5 16 41 21 5' 3 2 1 1 1 — 1 1 2 5 11 44 iS 10 4 2 1 1 1902 | 2 — — — 1 3 8 48 26 10 1 j 1 — — Man sieht hier auf das deutlichste, wie an der gleichen Lokalität die beiden Generationen von 1900 den Mittelwert (genauer gesagt, die größte Variantenzahl) bei der Färbungsklasse 6 aufweisen, während die zweite Generation z. B. von 1899 ihn bei Klasse 10 hat.« Man erkennt aber auch, daß verschiedentlich die Form der Kurve (die sich auch aus der Reihe gleich an der Stellung der fettgedruckten Mittelklasse erkennen läßt) stark verändert wird. So ist sie in der ersten Generation von 1895 sehr schön symmetrisch, in der zweiten Generation von 1896 aber sehr schief nach links verschoben. Doch damit seien es genug der Beispiele dieser Art, die nur einen indirekten Schluß auf die Ursachen der Variabilität erlauben. Eine 110 — 25 26 27 28 29 3° 3i 32 33 34 35 2 2 4 5 5 7 IO 15 7 2 7 _ — — i i i 3 2 5 2 5 36 37.3S 39 40 41 42 43 44 i 4 10 10 16 7 9 7 1 4 direkte Antwort gibt natürlich nur das Experiment und es sollen uns daher einige Beispiele zeigen, wie es zum gleichen Resultat führen muß. Für Pflanzen läßt es sich begreiflicherweise besonders leicht zeigen, wie man durch Veränderung der äußeren Bedingungen eine Verschiebung der Variationskurve erreichen kann. Denn hier lassen sich bequem genau meßbare Änderungen in Belichtung, Ernährung usw. ins Experi- ment einführen. So konnte de Vries die Variationsreihe für die Frucht- länge von Oeno thera rubrinervis so verschieben, wie es die folgende Tabelle zeigt. Fruchtlänge in mm: 24 Anzahl Exem- plare der 2. Generation : 2 Anzahl Exem- plare der 3. Generation: — De Vries zieht schließlich aus seinen Versuchen ganz direkt den Schluß, daß die fluktuierende nicht erbliche Variabilität eine Erschei- nung der Ernährungsphysiologie ist. Aber auch für die beiden von uns bei der Besprechung der biologi- schen Tatsachen angezogenen Tierformen, die Daphniden läßt sich das gleiche zeigen. Erinnern wir uns wieder an die mit der Jahreszeit wechselnden Kopf höhen der Daphnien. Es ist nun versucht worden, diese Erscheinung teleologisch zu verstehen. Ostwald hat darauf hingewiesen, daß mit steigender Temperatur die innere Reibung des Wassers herabgesetzt wird und umgekehrt. Da die Daphnien als Plank- tonorganismen im Wasser schweben, so bedürfen sie, wie alle in gleicher Lage befindlichen, eines größeren Sinkwiderstandes, um sich bei höherer Temperatur schwebend zu erhalten. Diese Vergrößerung des Sink- widerstandes wird nun bei allen Planktonorganismen durch Bildung von die Körperoberfläche vergrößernden Stacheln und Fortsätzen er- reicht, und so könnten auch die wechselnden Kopfhöhen in diesem Sinn zu deuten sein. Wenn es auch möglich ist, daß jener Effekt schließ- lich erzielt wird, so konnte doch Woltereck zeigen, daß die innere — 111 — Reibung des Wassers nicht die Ursache jener Variation ist. Ihre Er- höhung durch Zusatz von Quittenschleim übte keinerlei Einfluß aus. Aber auch die Temperatur selbst hat keinerlei direkte Wirkung, sondern einzig und allein die Ernährung, deren Intensität, die Assimilations- intensität, ja auch indirekt von der Temperatur abhängig ist. Daher kann man bei gleicher Ernährung mit höherer Temperatur eine Variations- verschiebung erzielen, umgekehrt aber auch bei niederer Temperatur durch stärkere Ernährung den gleichen Effekt. Ist also die Temperatur konstant, so ist die Helmhöhe direkt proportional der Ernährung. Es I -i I i ^Kopfhöhf in °o der SchalenMnge. — >• Fig. 44. Schematische Kurven der Kopfhöhe von Hyalodaphnia in verschiedenen Ernährungs- bedingungen nach Wolter eck. bestätigt sich also der obige Satz von de Vries, daß die Variabilität eine Erscheinung der Ernährungsphysiologie ist. Die Resultate der Beeinflussung der Kopfhöhe durch verschiedene Ernährungsbedingungen Lassen sich gut aus obenstehender schematischer Kurve, Fig. 44, erkennen. Sie zeigt uns drei Kurven für die Variabilität der Kopfhöhe bei schwacher, mittlerer und reicher Ernährung, und man erkennt, wie die Kurve und somit auch ihre Mittelwerte m durch günstige Ernährungsverhältnisse nach der Seite der größeren Kopfhöhe verschoben werden. Hier zeigte sich allerdings eine Einschränkung der Allgemeingültigkeit des Resultats, auf die wir bald zurückkommen werden. — 112 — Wir können diesen Punkt aber nicht verlassen, ohne darauf hin- gewiesen zu haben, daß die Beziehungen zwischen äußeren Faktoren und Variabilität sich ebenso wie für erwachsene Individuen auch für deren Entwicklungsstadien haben nachweisen lassen. Auch hier zeigt bereits die biologische Erfahrung ohne experimentelle Analyse, daß solche Abhängigkeiten existieren. Aber auch im Experiment mit variations- statistischer Analyse haben sich vor allem durch die Studien von Vernon und Peter Resultate ergeben, die den am ganzen Organismus ge- wonnenen durchaus analog sind. So züchtete Vernon Seeigeleier unter verschiedenen Temperaturen und fand dann entsprechend ver- schiedene Größen der resultierenden Larven, wie deren Längenmaß im Mittelwert nach der folgenden Tabelle zeigt: Temperatur Strongylocentrotus Körperlänge 15,9° 2O,40 ioo,o "3.5 120,6 122,5 Armlänge 143,4 156,8 I49,i Echinus Körperlänge Armlänge 100,0 113,4 124,5 i23,9 "6,3 106,6 "3,7 Ganz analog sind die Ergebnisse Peters, die sich direkt auf die Zahl der Zellen bestimmter Organe beziehen. Er konnte eine typische Be- einflussung der Variationsreihen für die Zahl der Mesenchymzellen der Seeigellarven oder der Chordazellen der Ascidenlaijve durch Wechsel der Temperatur wie der chemischen Zusammensetzung des Mediums erweisen. Wir werden bald auf diese Versuche nochmals zurückkommen. Wir können es also. nunmehr als experimentell erwiesene Tatsache betrachten, daß die Variationskurven durch Veränderung äußerer Be- dingungen verschoben werden können. Wir. dürfen also hieraus ebenso wie aus den vorher mitgeteilten Beobachtungen über Lebenslage- und Standortsvariation wie auch aus der Betrachtung der binomialen Form der Variationskurve und den Tatsachen, die die variabeln Eigenschaften als Reaktionsnorm definieren ließen, den Schluß ableiten, daß die nicht erbliche Variabilität (Modifikation) durch äußere Ursachen bedingt ist. Der Schluß wird aber erst richtig bindend, wenn wir, wie schon oben be- sprochen, auch noch nachweisen können, daß durch veränderte Bedin- — 113 — gungen das Maß der Variabilität erhöht oder durch konstante Bedin- gungen die Variabilität aufgehoben werden kann. Und auch hierfür liegen experimentelle Belege vor. Es ist klar, daß es viel schwieriger ist, diese Punkte für tierische Orga- nismen zu erweisen als für pflanzliche, da es in ersterem Falle sehr schwer 50 45 40 25 20 15 io 8 A 10 A / v / > // \ / / V V A X 1 \ 1 V 9 / 1 l / , -/H T ^ \ 1 \ 1 i / / r / 1 1 / — . ' — \ \ \ / / / // 1 / J m ' - 1 ^ ^ Il6 128 I40 152 164 176 l8S 200 212 224 236 Fig. 45. Veränderung der Variationskurve von Paramaecium unter dem Einfluß äußerer Be- dingungen. Die Nummern der Kurven entsprechen den Bezeichnungen umstehender Tabelle, die die näheren Angaben enthält. Nach Jennings. fällt, die Verschiedenartigkeit oder Konstanz äußerer Bedingungen zu beherrschen, während man Pflanzen in den gleichen Nährlösungen usw. in wirklich kontrollierbaren gleichen oder differenten Bedingungen züchten kann. (Neuerdings ist es allerdings auch gelungen, Tiere, näm- lich die Fliege Drosophila, in sterilen Reinkulturen zu züchten und somit wirklich die Gesamtheit der äußeren Bedingungen zu beherrschen [Delcourt und Guyenot, Loeb, Baumberger]. Genetische Resul- Goldschmidt, Vererbungswissenschaft. 3. Aufl. 8 — 114 — . täte auf Grund dieser Methode liegen noch nicht vor.) Immerhin geht die postulierte Tatsache auch auf tierischem Gebiet mit genügender Deutlichkeit aus den folgenden Beobachtungen von Jennings hervor, die er an dem Infusorium Paramaecium machte. Auch hier läßt sich ein deutlicher Einfluß der äußeren Bedingungen auf die Größenverhält- nisse der Tiere feststellen. So schwankt der Mittelwert für die Länge in manchen Kulturen zwischen 73 und 200 ju, der für die Breite sogar von 16— 84 ju. Aber auch das Maß der Variabilität wird durch Wechsel der Bedingungen gesteigert, durch größere Konstanz aber herabgesetzt. So konnte man in der gleichen Kultur den Variationskoeffizienten, der uns ja ein Maß für die Variabilität gibt, für die Länge von 6,821 bis zu 13,262 steigen oder umgekehrt sinken sehen, für die Breite von 8,896 bis 28,879. Folgende Tabelle, die uns einen Teil des Protokolls einer solchen Kultur gibt, zeigt uns, wie diese Verschiebungen im Zusammen- hang mit den Änderungen der Bedingungen verlaufen. Wie sich die gesamte Variationskurve dabei verändert, zeigt Fig. 45, in der die zu- gehörigen Kurven zusammen eingezeichnet sind. Die Nummern der Kurve entsprechen den Nummern der folgenden Tabelle. Nr. Material Individuen- zahl Mittelwert der Länge fx Variations- koeffizient Variations- breite 11 Mittelwert der Breite /.< 1 « Q C 2 'S CS O >•* Variations- breite ,« 7 24 Std. in frischer Heu- infusion. 17. Juli. 200 1 84, 1 00 8,834 140 — 216 46,020 11,421 36 — 60 8 Eine Woche Hunger. 24. Juli. 150 146,108 7,003 120 — 176 31,180 12.473 20 — 40 9 24 Std. frische Heu- infusion. 25. Juli. 35o 163,932 12,767 120 — 220 46,684 28,879 20 — So 10. Flüssigkeit eine Woche nicht gewechs. 31. Juli. 150 174,400 8,530 132 — 212 44,800 17,397 32-68 11 48 Std. in frischer Heu- infusion. 3. August. J50 191,360 8,945 136—240 54,880 14,255 36-84 X Kombination von 3 dieser Proben. 450 180,624 13,795 120 — 240 43,600 27,184 20 — 84 Es trat übrigens auch in den schon erwähnten Versuchen Peters eine Verschiebung der Variationsbreite embryonaler Zellzahlen im Ge- — 115 — folge wechselnder Bedingungen ein, wie es leicht aus dem Vergleich der Variationskoeffizienten von normalen Kulturen und solchen mit abnor- men Bedingungen hervorgeht. Die folgende Tabelle nach Peter gibt diese Koeffizienten für die Variabilität in der Zahl der Skelettbildungs- zellen in den Larven von Seeigeln. - i Variations- Variations- . koeffizient koeffizient Objekt unter unter Bedingung normalen abnormen • Bedingungen Bedingungen Echinus 4,688 5,685 Wärme Strongylocentrotus 4,97o 4,5o8 Wärme 5,625 8,093 Wärme Sphaerechinus 2,847 6,180 Kleine Schale » 5,oi9 7,110 Aquariumwasser » 4,446 10,895 Wärme » 4,126 6,953 Kleine Schalen > 5,223 5,883 Natronlauge » 3,865 6,091 Natronlauge » 4,610 3,625 Kälte » 4,387 10,336 Chloroform » 4,321 5,463 Kälte » 3,007 8,634 Wärme » 9,850 10,184 Wärme » 5,186 9,020 Wärme Es ließen sich dem noch mancherlei in gleichem Sinn beweiskräftige Daten zufügen die auf statistisch-biologischem Weg gewonnen sind. So hat bei der vor nicht langer Zeit aus England nach Amerikas Küsten eingeführten Schnecke Littorina littorea die Variabilitätsbreite so zu- genommen, daß der Variationskoeffizient für das Verhältnis von Breite zu Höhe der Schale von 2,3024—2,3775 auf 2,4849—3,0340 anstieg (Bumpus, Duncker). In gleicher Richtung sind die Ergebnisse von Montgomerys Untersuchungen zu verwerten, die zeigen, daß Zug- vögel in verschiedenen meßbaren Charakteren eine größere Variabilität haben als seßhafte und unter den Zugvögeln wieder solche hervorragen, die die weitesten Wanderungen ausführen. In diesen Fällen, vor allem dem Jenningsschen, kann man auch einigermaßen erkennen, in welcher Weise die Bedingungen auf die Varia- — 116 — bilität verschiebend einwirken. In einer Hungerkultur ist die erste Folge reicher Ernährung die, daß viele Individuen zu wachsen beginnen, während die durch den Hunger zu sehr affizierten zunächst keine Nah- rung aufnehmen und sich nicht verändern. So wachsen die Variations- koeffizienten so stark, wie es Nr. 8 zu 9 in der vorstehenden Tabelle (S. 114) zeigen. Bleiben dann die Tiere in der gleichen Flüssigkeit, so nehmen sie allmählich einen Gleichgewichtszustand an und der Koeffizient sinkt. Waren die Tiere aber in einem guten Futterzustand, bevor die neue Nahrung zugefügt wird, so folgt dann eine starke Vermehrung; der Variationskoeffizient steigt jetzt infolge der Anwesenheit der verschieden- artigen Altersklassen, die ja eine sehr verschiedene Länge haben. Hat die gesteigerte Vermehrung aber später wieder aufgehört, so fällt der Koeffizient. Dessen Schwankungen werden also erklärt durch den direkten und indirekten Einfluß äußerer Bedingungen auf Wachstum und Ernährung. Was aber hier für das einzellige Tier gesagt ist, gilt natürlich mutatis mutandis auch für die Summe der Zellen eines Vielzelligen. Wie schon oben bemerkt, eignen sich zu derartigen Experimenten Pflanzen viel besser als Tiere, wie ja überhaupt aus diesem und anderen mehr historischen Gründen in der Vererbungslehre die Botanik meist der Zoologie vorausgegangen ist. Als die klarsten Resultate, die von dieser Seite kommen, wollen wir daher noch die schönen Versuche an- führen, die Klebs an Sedum- und Sempervivumarten ausführte. Er suchte bei Sedum spectabile die Variabilität variabler wie kon- stanter Organe durch Wechsel äußerer Bedingungen zu beeinflussen. Es gelang ihm dabei unter verschiedenen äußeren Bedingungen, wie Wechsel von Ernährung und Licht, Einfluß von Chemikalien, die Varia- bilitätskurven vollständig zu verschieben. Betrachten wir einmal die Resultate für die Zahl der Staubblätter, die in umstehender Tabelle (S. 118) vereinigt sind. Die zu den sechs zu beschreibenden Typen gehörigen Variationskurven I— VI sind in Fig. 46 wiedergegeben. Die Tabelle gibt für jeden Typus außer der Individuenzahl, die gezählt wurden, die Variationsbreite, Mittelwert und Standardabweichung als Maß der Variabilität. Normalerweise variiert die Zahl der Staubblätter von 10—5 mit dem Maximum (etwa 80 %) bei 10 (Typus I der Tabelle). Die Kurve ist eine steil abfallende halbe Kurve. Unter den Bedin- 117 Tvp.l. T,p2. Tvp3. o 9 t i « 5" 1 s 1z ii io t « i 6 5 '0 9. J f ö ; 4 j Fig. 46. Variationskurven der Staubblätterzahl von Sedum in 6 verschiedenen experimentell erzengten Typen. Nach Klebs. — 118 — gungen, die die Tabelle bei Typus II verzeichnet, beträgt die Varia- tionsbreite bereits 10—4, nur etwa 40 % zeigen 10, die Kurve fällt also vom Gipfel aus allmählich ab. Unter Typus III finden wir bereits bei einer Variationsreihe von 10—4 den Kurvengipfel bei 5, also jetzt eine einigermaßen normale Kurve mit einem Gipfel. Der folgende Typus IV zeigt infolge der dort angewandten Bedingungen eine Variation der Typus Bedingungen Individuen- zahl Varianten M IL III. IV. V. VI. Gut gedüngter, relativ trockener Bo- den, helles Licht Lange ungedüngter, trockener Boden, I 4260 ;ooo 10- 10- 9,68 8,45 0,7505 4390 4000 2117 2570 10- 10- 16 — 4 10- 6-54 5,o5 9,47 1,6472 1,6187 o,3537 1,0383 7-33 I 2,3092 helles Licht Feuchter, gedüngter Boden, Warm- beet, abgeschwächtes Licht Rotes Licht, im Gewächshaus Kleine Stecklinge in feuchtem Boden, im Spätsommer Auf Lösungen von Substanzen, wel- che Wurzelbildung einschränken Staubblattzahl von 10—3 mit einer steilen eingipfeligen Kurve, indem etwa 94 % der Blüten die Zahl 5 aufweisen. Bei Typus V begegnen wir nun gar einer Schwankung von 16—4, mit zwei Kurvengipfeln, nämlich einer Frequenz von 72% bei 10 Staubblättern und 16% bei 8 Blättern. Endlich bei Typus VI eine Variation zwischen 10 und 3 mit einer zwei- gipfligen Kurve, nämlich 38 % Frequenz bei 10 und 40 % bei 5 Staub- blättern. Diese Resultate erwiesen sich als im wesentlichen konstant, indem sie in zwei aufeinander folgenden Jahren erhalten wurden und in gleicher Weise bei verschiedenen Pflanzen der gleichen Art wie bei Stecklingen des gleichen Individuums erzielt wurden. Da alle Übergänge zwischen diesen Kurven ebenfalls erhalten werden konnten, so ergibt sich: ,,Die Variationen in der Zahl der Staubblätter von Sedum spectabile erscheinen nicht in Form einer einzigen für alle Fälle charakteristischen Kurve, vielmehr in zahlreichen ganz verschiedenartigen, wenn auch durch Übergänge verbundenen Kurven. Jede von ihnen ist bestimmt durch gewisse Kombinationen äußerer Bedingungen." — 119 — Wir hatten nun schon oben gesagt, daß, wenn die Variabilität von äußeren Bedingungen abhängig ist, man sie einerseits bei konstanten oder wenig variablen Eigenschaften bedeutend muß steigern können, anderer- seits sie durch Uniformität der Bedingungen muß aufheben können. Praktisch wird letzteres wohl kaum vollständig zu erreichen sein ; immer- hin gelang es Klebs in einem Versuch, die Frequenz der Hauptvariante 5 auf 98,8% zu steigern mit einer Streuung a = 0,11, was der Variabilität 0 wirklich sehr nahe kommt. Der umgekehrte Fall, daß alle Variationen in ungefähr gleicher Zahl vorkommen, wurde zwar nicht erreicht, immer- hin kam man ihm recht nahe. Im Idealfall hätte die Streuung = 2 sein müssen, und es wurde 1,88 erreicht. Das entsprechende Resultat wie für die variabeln Staubblattzahlen wurde aber auch für die ge- wöhnlich nicht variierenden Blumen- und Fruchtblattzahlen erzielt. Natürlich waren da stärkere Veränderungen nötig, die die Normalzahl von 5 auf 2—14 veränderten. Während normalerweise nur sechs Arten von Blüten vorkommen, nämlich mit 1—5 Staubblättern und 5 Blume n- und Fruchtblättern, konnte die Zahl der Kombinationen auf 96 gesteigert werden: also auch die konstantesten Merkmale können zu hoch variabeln werden. Das genannte Material illustriert wohl zur Genüge unsern Punkt: die Modifikation, wie sie sich in der binomialen Variationskurve der Eigenschaften ausdrückt, ist das Produkt der Einwirkung der äußeren Bedingungen auf die ererbte Reaktionsnorm, die andernfalls nur eleu idealen Typus, d. h. den Mittelwert der betreffenden Eigenschaft her- vorbringen würde. Es wäre nun natürlich verkehrt, diese Erkenntnis umkehren zu wollen, anzunehmen, daß wechselnde äußere Bedingungen hohe Variabilität hervorbringen müssen. Das hängt eben völlig von der ererbten Reaktionsnorm ab: ist diese derart, daß die Anlage der Eigen- schaft leicht mit den äußeren Bedingungen reagiert, dann ist hohe Variabilität möglich, ist das nicht der Fall, dann tritt auch unter noch so differenter Lebenslage wenig oder keine Variation ein. Eine solch« erblich differente Disposition zum Variieren läßt sich z. B. demonstrieren für die Abhängigkeit der Größe der Seeigellarven von der Temperatur, für die wir oben Vernons Tabelle reproduzierten. Während die Varia- bilität bei Strongylocentrotus und Echinus für die Länge des — 120 Scheitelstabs in Abhängigkeit von der Temperatur eine sehr große war, reagierten Sphaerechinuslarven gar nicht auf solche Veränderungen. Im übrigen bedarf es keiner weiteren Beispiele, da die verschiedene Variabilität nahe verwandter Formen eine jedem Systematiker wohl- bekannte Erscheinung darstellt. Ebenso wie nach Arten läßt sich auch nach Organen innerhalb einer Art eine verschiedene Disposition zum Variieren feststellen. Um wieder auf das gleiche Material von Vernon zurückzugreifen, dessen Befunde übrigens auch durch andere Autoren wie Peter bestätigt wurden, so erwies sich die Körperlänge der Sphaerechinuslarven im Gegensatz zu der anderer Arten als nicht variabel, die Armlänge dagegen in höchstem Maß, wie die folgende Tabelle zeigt: Temperatur Körperlänge Armlänge n,4° 15,9° 20,4° 23,7° 100,0 109,4 104,6 100,6 100,0 287,0 327,2 386,7 Und das gleiche, was hier für embryonale Organe gezeigt wurde und an vielen weiteren Beispielen sich aufweisen ließe, gilt auch für Organe des ausgewachsenen Organismus. Auch hierfür ist einem jeden System matiker bekannt, daß er mit konstanten und variabeln Organen zu tun hat, und diese Tatsache ist auch vielfach auf dem Weg der Variations- statistik festgestellt. Man hat sogar versucht, allgemeine Gesetzmäßig- keiten dafür aufzufinden. So sollen stärker differenzierte Organe mehr variieren als primitivere, innere mehr als äußere, Unterscheidungsmerk- male niederer systematischer Gruppen mehr als die höherer; doch er- scheint solchen Verallgemeinerungen gegenüber Vorsicht geboten. Dagegen scheint das Lebensalter, der Entwicklungszustand eines Organismus in der Tat eine gesetzmäßige Beziehung zu seiner Disposi- tion zum Variieren zu haben. Vernon, der darüber ausgedehnte experi- mentell-statistische Untersuchungen an Seeigelentwicklungsstadien aus- führte, kommt für die Größenvariation direkt zu dem Schluß, daß die Einwirkung der äußeren Bedingungen auf einen wachsenden Organismus von dem Moment der Befruchtung an stetig abnimmt. Und es scheint — 121 — in der Tat hier eine Gesetzmäßigkeit vorzuliegen, die den inneren Faktor der Variabilität zu dem individuellen Entwicklungsstadium in Be- ziehung bringt. Gerade für derartige Größenverhältnisse sind mehrfach die gleichen Ergebnisse zutage getreten, so in de Vries' Untersuchungen für die Samengröße derOenothera, inWeldonsund Bumpus' Studien über Größenvariation bei Krabben und Schnecken, ja sogar nach Pearsons Berechnungen für den Menschen; allerdings kann bei dem Vergleich von Säuglingen und Studenten nicht von identischer Lebens- lage die Rede sein. Schließlich sei noch kurz auf eine besondere Art der ererbten Reak- tionsnorm hingewiesen, die zu manchen Begriffsverwirrungen Anlaß gegeben hat und vielfach völlig irrtümlich gedeutet wurde. Wir meinen die zyklische Variabilität von Süßwasserorganismen. Wir haben oben schon die sogenannte Zyklomorphose der Daphnien besprochen, ihre zyklischen Veränderungen im Laufe eines Jahres. Solche Zyklomor- phosen, um deren Erforschung sich in der Neuzeit besonders Wesen - berg-Lund große Verdienste erwarb, sind nun bei verschiedenen Plank- tonorganismen, auch solchen pflanzlicher Natur, beobachtet worden, vielleicht am schönsten und gründlichsten für das Rädertier Anuraea cochlearis, für dessen jährlichen Variationsgang Lauterborn jenen Ausdruck prägte. Umstehende Fig. 47 zeigt uns eine solche Variations- reihe aus einem und demselben Gewässer in verschiedenen Jahreszeiten (auch Temporal Variation genannt). Die zu erwartende Abhängigkeit dieser Reihe von der Temperatur hat sich aber mit großer Wahrschein- lichkeit als irrig erwiesen. Es stellte sich vielmehr durch das Experiment heraus, daß keinerlei äußere Faktoren für diese Zyklomorphose maßgebend sind, sondern innere Ursachen, und diese hängen zusammen mit der Sexualität, der Bildung befruchteter Wintereier. Also ein innerer Faktor, das Stadium der Sexualität, wirkt auf die morphologischen Außencharak- tere wie ein Milieufaktor.' Die Variabilität in diesem Fall ist also eine solche in der Zeit, in aufeinander folgenden Generationen. Aber nicht äußere Bedingungen verursachen sie, sie sind nicht Modifikationen, sondern der Ausdruck eines rhythmisch wirkenden Gens, eines Gens, das bewirkt, daß in be- stimmtem Ablauf durch eine Generationenreihe hindurch Variationen — 122 — (die selbst modifizierbar sind) auftreten, bis der Zyklus zum Ausgangs- punkt zurückgekehrt ist. Es handelt sich also um einen rhythmischen Vererbungsprozeß im Zusammenhang mit einem sexuellen Zyklus. Die Varianten des Zyklus, die aufeinander folgenden Formen, sind also gar Fig- 47- Zyklomorphose von Anuraea cochlearis (ausgewählte Typen), I die Ausgangsform macracantha, von der vier verschiedenartige Zyklomorphosereihen ausgehen. Nach Lauterborn aus Steuer. — 123 — keine Variationen erblicher oder nicht erblicher Natur, sondern kon- sekutive Zustände in einer parthenogenetischen Reihe, die vom Ver- erbungsstandpunkt aus der Reihe konsekutiver Entwicklungsstadien anderer Organismen zu vergleichen ist. Wir sind uns nunmehr wohl zur Genüge über den Unterschied nicht erblicher Modifikationen im Rahmen der Reaktionsnorm und der erb- lichen Variation, die durch eine gemischte Population verschiedener Erbrassen bedingt ist, klar. Um uns nochmals vor Augen zu führen, welchen Erkenntnisfortschritt es bedeutet, und andernteils zu dem Wesen der erblichen Variation, wie es der Mendelismus geklärt hat, überzu- leiten, wollen wir zum Schluß dieser Vorlesung noch eine Art historischer Reminiszenz auffrischen. Darwin und seine nächsten Nachfolger vermochten noch nicht den scharfen Unterschied zwischen nicht erblicher Modifikation und erblicher Variation innerhalb des Phänomens der fluktuierenden Variabilität zu machen. In Weismanns noch über Darwin hinausgehender Zucht - wahltheorie spielt nun die Frage nach der Ursache der Variabilität eine große Rolle. Weismann kam dabei zur Überzeugung, daß es die Amphi- mixis, die Vermischung der elterlichen Erbsubstanzen bei der Befruch- tung, sei, die die Variation verursacht. Es wurde dann vielfach ver- sucht, auf statistischem Weg die Richtigkeit dieser Annahme zu be- weisen. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Pearl stellte derartige Studien an Infusorien an. Hier besteht bekanntlich der geschlechtliche Akt in der Konjugation. Es zeigt sich nun gerade das Gegenteil von dem, was jene Theorie erforderte : Die Variabilität nahm nach der Amphi- mixis eher ab als zu. Während im Lauf der gewöhnlichen ungeschlecht- lichen Vermehrung die Variabilität eine sehr große und von den äußeren Faktoren stark beeinflußbare ist, sind konjugierende Tiere, die Konju- galen, immer von einem bestimmten Typus, der unabhängig ist von der vorausgegangenen Variabilität, und nach der Konjugation sinkt die Variabilität. Folgende Zahlen beweisen das: Mittelwert der Körper- länge von Nichtkonjuganten 203,177, desgl. von Konjuganten 172,408. Variationskoeffizient der Nichtkonjuganten 5,174, der Konjuganten 2,586. Ferner fanden Pearson und Lee, daß parthenogenetisch er- zeugte Wespen dieselbe Variabilität haben wie die aus befruchteten — 124 — Eiern hervorgegangenen, ebenso Castle und seine Mitarbeiter, daß durch Inzucht der Fliege Drosophila in sechs Generationen die Varia- bilität nicht verändert wird. Zum entgegengesetzten Resultat führten allerdings die statistischen Erhebungen Pearsons für den Menschen, dessen Variabilität mit größerer Ähnlichkeit seiner Vorfahren geringer werden soll, ebenso Pearl und Dunbars Inzucht versuche mit Para- maecien, die ebenfalls eine Verringerung der Variabilität ergaben. Nach allem in den letzten Vorlesungen Gesagten erkennen wir ohne weiteres, daß sowohl die Fragestellung als die Methode der Lösung falsch war. Denn das Resultat kann nicht durch die Tatsache der Be- fruchtung, sondern nur durch die genotypische Beschaffenheit der Eltern bedingt sein. Ist sie bei beiden Eltern identisch, dann variieren die Nachkommen, gleiche Lebenslage vorausgesetzt, auch nicht mehr. Ist sie aber verschieden, dann mag tatsächlich bei den Nachkommen eine gesteigerte „Variation" eintreten. Diese Variation ist aber etwas ganz anderes als das bisher Betrachtete, nämlich eine sogenannte Mendel- sche Faktorenspaltung und Rekombination. Was das ist, müssen wir nunmehr kennen lernen. Literatur zur fünften Vorlesung. Babäk, E., Experimentelle Untersuchungen über die Variabilität der Ver- dauungsröhre. Arch. f. Entwm. 21. 1906. Bateson, W., Materials for the Study of Variation. London 1894. Baumberger, J. P., Solid media for Drosophila. Amer. Nat. 1917. Baur, E., Einführung in die experimentelle Vererbungslehre. Berlin 1911. 3. Aufl. 1920. Beebe, C. W., Geographie variations in Birds, with Special Reference to the Effects of Humidity. Zoologica. New York Zool. Soc. 1 . 1907. Bumpus, H. C, The Variations and Mutations of the Introduced Littorina. Zool. Bull. 1. 1898. Castle, F. W., A. H. Carpenter, S. O. Clark, Mast and W. M. Barrows, The effects of Inbreeding, Cross-Breeding and Selection upon the Fertility and Variability of Drosophila. Proc. Amer. Acad. Arts Sei. 41. 1906. Chauvin, Marie v., Über die Umwandlung des mexikanischen Axolötl in ein Amblystoma. Zeitschr. f. wiss. Zool. 25. 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Wenn der physiologische Chemiker - man denke an Ehrlichs berühmte Studien — die Wirkungeiner Molekül- gruppe auf physiologische Vorgänge studieren will, so wird er sie mit allen möglichen Grundsubstanzen verbinden, um aus der Überein- stimmung bzw. Verschiedenheit in der Wirkung aller jener Verbindungen seine Schlüsse ziehen zu können. Eine ganz entsprechende Methode bietet sich nun für das Studium des Verhaltens der Erbeinheiten dar: man wird sie mit möglichst verschiedenen anderen Grundkörpern in Verbindung bringen und die neuen Kombinationen in ihrem Verhalten studieren. Die Kombination von Erbeinheiten ist aber nur auf einem Wege möglich, auf dem Wege der Bastardierung. Sie muß also als das wichtigste Mittel angesehen werden, einmal das Verhalten der Gene bei der Vererbung festzustellen, sodann die genotypische Zusammen- setzung eines Organismus zu analysieren. Unter Bastardierung ist daher in diesem Zusammenhang die Fortpflanzung zwischen zwei geno- typisch irgendwie verschiedenen Individuen zu bezeichnen: ein Bastard kann ebensowohl aus der Kreuzung von Individuen zweier reiner Linien als zweier systematischer Varietäten, Arten oder Gattungen hervor- gehen. Die Bastardierungslehre ist nun in der Neuzeit zu ganz besonders glänzenden Resultaten gelangt, die in ihrer großen Bedeutung das Zentrum der neueren Erblichkeitsforschung darstellen. Nicht etwa, — 128 — daß man früher nicht bastardiert hätte ; aber die ältere Bastardforschung hatte es nicht erreichen können, in ihre zahlreichen Einzelbefunde die Ordnung einer Gesetzmäßigkeit zu bringen. Ja, es ist noch nicht so lange her, daß man überzeugt war, daß die Mannigfaltigkeit der Er- scheinungen sich überhaupt keinem Gesetz fügen könne. Und doch ist jetzt das Unmögliche gelungen, ein Fortschritt, der, wie allgemein bekannt, erst der Genialität Gregor Mendels gelang. Seine und seiner Nachfolger Untersuchungen haben mit einem Schlag Ordnung in das Chaos widerspruchsvoller Resultate gebracht. Das werden wir besonders klar erkennen, wenn wir einen kurzen Blick auf die Ergeb- nisse der älteren Bastardforschung werfen. Sie ist in der Hauptsache das Werk der Botaniker, von denen sich hervorragende Forscher wie Kölreuter, Knight, Gärtner, Focke, Naudin, Wichura jenen Fragen widmeten, während im Tierreich die Fälle von Bastardierungen, die an Haustieren vorgenommen wurden, meist der Wissenschaft ver- loren gingen. Im wesentlichen hat nur Darwin in großem Maßstabe das ihm zugängliche Material gesammelt und durch seine eigenen be- rühmten Untersuchungen bereichert. Nach ihm kann für die Zeit vor der Wiederentdeckung der Mendelschen Gesetze mir noch Stand - fuss genannt werden, dessen Schmetterlingskreuzungen klassisch zu nennen sind. Wenn man die Erfahrungen der älteren Bastardforschung über- blickt, bemerkt man immer wieder mit Staunen, wie nahe sie oft der Entdeckung der Gesetzmäßigkeit gewesen ist. Es war ihr bekannt, daß das Verhalten der ersten Bastardgeneration ein ganz verschiedenes sein kann. Die Bastarde zeigten manchmal eine vollständige Ver- mischung der Charaktere der Elternindividuen, oder sie zeigten in ge- wissen Teilen väterliche, in anderen mütterliche Eigenschaften. Es war aber auch bekannt, daß oft die Eigenschaften des einen der Eltern über die des anderen überwogen, präpotent waren, oder, wie der Tier- züchter sagt, eine höhere Durchschlagskraft besaßen; man nannte solche Bastarde wohl auch goneokline, und zwar patrokline, wenn sie mehr nach dem Vater, matrokline, wenn sie mehr nach der Mutter schlugen. Oft fand man aber auch ein völliges Überwiegen des einen der Eltern, so daß die Nachkommenschaft nur den einen Charakter — 129 — zeigte. Um aus den vielen Beispielen, die Darwin anführte, nur einige zu nennen — und es ließen sich leicht entsprechende aus dem Pflanzen- reich zufügen — ., so sei an den von Godin berichteten Fall einer ziegen- ähnlichen Schafrasse vom Kap erinnert, deren Widder bei Kreuzung mit 12 verschiedenartigen Mutterschafen immer nur Nachkommen- schaft seiner Rasse produzierte. Oder wird das Seidenhuhn mit einem Bantamhuhn gekreuzt, so zeigt die Nachkommenschaft nicht eine Spur der seidigen Federn. Es war aber auch bekannt, daß es Eigenschaften gibt, die bei Bastardierung nie verschmelzen, und zwar stellte Darwin fest, daß dies vor allem solche sind, die vorwiegend bei domestizierten Tieren und Pflanzen als Sports auftreten, wie distinkte Farben, Nackt- heit der Haut, Glätte der Blätter, Fehlen von Hörnern oder Schwanz, überzählige Zehen, Zwergwuchs und viele andere Abnormitäten. Ent- weder schlagen die Nachkommen typisch nach einem der Eltern: Kreu- zung von grauen und weißen Mäusen liefert graue; oder aber in der Nachkommenschaft treten die beiden Elterntypen rein auf, wie etwa wenn hörn- oder schwanzlose Rassen mit normalen gekreuzt werden. Ja, es können sogar die beiden elterlichen Typen an einem Individuum getrennt auftreten: Bei Kreuzung fünfzehiger Dorkinghühner mit vier- zehigen Rassen können Nachkommen entstehen, die an einem Fuß 4, am anderen 5 Zehen haben; bei Kreuzung von Einhuferschweinen mit normalen können Junge entstehen, die zwei normale und zwei einhufige Füße haben. Die wenigen Beispiele mögen genügen, um die beobach- teten Verschiedenheiten der Kreuzungsresultate zu zeigen. Diesem verschiedenen Ausfall der ersten Bastardgeneration ent- spricht nun auch die Mannigfaltigkeit im Verhalten weiterer Gene- rationen. Da sind zunächst die Bastarde mit Vermischung der elter- lichen Eigenschaften, die diesen Zustand rein weitervererben, wie vor allem bei Pflanzenbastarden, z. B. dem später noch zu besprechenden Aegilops-Bastard, beobachtet wurde, oder vielleicht richtiger gesagt, beobachtet sein sollte. Bei anderen zeigten sich aber die elterlichen Eigenschaften in der späteren Nachkommenschaft in der allerverschie- densten Weise gemischt. Besonderes Interesse fanden solche Fälle natürlich wegen ihrer praktischen Bedeutung. Denn wenn in der Nach- kommenschaft der Bastarde eine solche „Variabilität" auftrat, so konnte Gold schmidt, Vererbungswissenschaft. 3. Aufl. 9 — 130 — dies entweder im Interesse der Hervorbringung neuer Handelssorten sehr begrüßt werden oder bei der Sorge um Erzielung „reinblütiger" Formen die Bastardierung verabscheuen lassen. Für unseren jetzigen Stand- punkt sind derartige Beobachtungen natürlich besonders interessant. Solesen wir bei Darwin: „Wenn zwei distinkte Rassen gekreuzt werden, so sind die Nachkommen der ersten Generation allgemein nahezu gleich- förmig im Charakter . . . Aber um von ihnen weiter zu züchten, sind sie, wie man gefunden hat, völlig nutzlos; denn wenn sie auch selbst im Charakter gleichförmig sein mögen, so ergeben sie doch, wenn sie gepaart werden, viele Generationen hindurch erstaunlich verschieden- artige Nachkommen. Der Züchter wird zur Verzweiflung getrieben und kommt zu dem Schluß, daß er nie imstande sein werde, eine inter- mediäre Rassie zu bilden." Da haben wir den Beobachtungskern der Mendelschen Entdeckungen bereits niedergelegt! Ja, auf botanischer Seite wußte man sogar, daß in den späteren Bastardgenerationen nicht nur eine „Variabilität" zu konstatieren ist, sondern daß die Charaktere der Eltern wieder rein erscheinen können, und Naudin fand 1862 dafür eine Erklärung, die sich kaum von der Mendelschen unter- scheidet. Bei dieser Verschiedenartigkeit der späteren Bastardgenerationen fiel nun vor allem auch auf, daß oft Charaktere auftraten, die die Eltern nicht besessen hatten. Ihre nähere Betrachtung führte zu der Auffassung, daß es Charaktere der Ahnenformen seien, Atavismen, die durch die Kreuzung zum Vorschein gebracht wurden. So kam bei Kreuzung von Hühnerrassen in der Nachkommenschaft plötzlich die Farbe des wilden Bankivahuhnes, des vermutlichen Vorfahren der domestizierten Hühner zum Vorschein; und besonders berühmt wurden ja Darwins Taubenkreuzungen, die zeigten, daß in der Bastardnach- kommenschaft verschiedenartiger Taubenrassen die Farbe und Zeich- nung der wilden Felstaube auftritt. Ein Zusammenhang dieser Er- scheinung mit den anderen ebenso zusammenhangslosen Erfahrungen der Bastardforschung konnte aber nicht eruiert werden. Und den schon erwähnten lassen sich noch manche isoliert stehende Befunde anschließen. So war bekannt, daß durch Bastardierung einzelne Eigen- schaften von einer Rasse gesondert abgespalten und mit einer anderen — 131 — verbunden werden können, eine Methode, die besonders in der gärt- nerischen Praxis eine große Rolle spielte und spielt. Der Erfolg konnte aber immer nur durch sorgfältige Auswahl in einer Reihe von Gene- rationen erzielt werden. So berichtet Darwin, daß Lord Oxford seine berühmte Meute von Windspielen einmal mit einer Bulldogge kreuzte, „welche Rasse deshalb gewählt wurde, weil ihr das Vermögen des Spürens abgeht, und weil sie das besitzt, was gewünscht wurde, Mut und Ausdauer. In dem Verlauf von sechs oder sieben Generationen waren alle Spuren der äußeren Form der Bulldogge eliminiert, aber der Mut und die Ausdauer blieben." Diese wenigen Beispiele aus den Resultaten der älteren Bastard- forschung mögen genügen. Sie zeigen ausreichend, warum die An- schauung herrschen konnte, daß in dies Chaos keine Gesetzmäßigkeit gebracht werden könne. Und wie verständlich erscheinen uns jetzt die Mehrzahl der Erscheinungen, seit der geniale Scharfblick Mendels die in ihrer Grundlage so einfache Gesetzmäßigkeit fand, die all dem zugrunde liegt. Mendels klassische Schrift erschien im Jahre 1865, um 35 Jahre hindurch unbekannt zu bleiben. Und doch hätte ihr Bekanntwerden die größten Perspektiven eröffnen müssen. Welche Entwicklung die Biologie genommen haben würde, wenn Darwin sie gekannt hätte, bemerkt einmal Bateson, ist kaum auszudenken. Merkwürdigerweise aber hatten Größen seines Faches, wie Nägeli, nicht den Weitblick, die Bedeutung dieser Forschungen zu erkennen. Andere, die vielleicht dazu befähigt gewesen wären, bekamen die an verborgenem Ort publizierte Schrift nicht zu sehen, und da Mendel selbst nicht mehr darauf zurückkam, blieb sie verschollen, bis im Jahre 1900 gleichzeitig de Vries, Correns und Tschermak sie ans Licht zogen. Welchen Einfluß diese kurze Publikation seitdem auf die ge- samte Biologie gewonnen hat, ist heute jedermann bekannt ; das äußere Symbol dafür ist die Bezeichnung Mendelismus für die ganze moderne Bastardlehre. Die klassische Schrift des Augustinerpaters vom Königs- kloster in Brunn ist in ihrer Kürze und wundervollen Klarheit noch heute, wo so viel Material gleicher Art vorliegt, die beste Lektüre zur Einführung in die moderne Bastardlehre, so daß wir sie auch hier zum Ausgangspunkt nehmen wollen. Wer Mendels Methode, Resultate 9* — 132 — und Schlüsse verstanden hat, ist für das Verständnis aller weiteren Befunde ausgerüstet. Mendels Erfolg in dem Bestreben, ein Gesetz der Bastardierung zu finden, basiert auf der klaren Erkenntnis der Notwendigkeit, daß einmal die Versuche in solchem Maßstab ausgeführt werden müssen, daß man die Zahl der verschiedenartigen Bastardnachkommen genau feststellen kann, daß man ferner die Formen den richtigen Generationen zuordnen und so ihre Zahlenbeziehungen vergleichen kann. In acht- jähriger Arbeit führt er seine Versuche an Erbsen aus, die ihm aus verschiedenen Gründen das geeignete Material schienen. Sie besitzen eine Anzahl gut unterscheidbarer konstanter Rassen, sie haben Selbst- befruchtung, die stattfindet, bevor sich die Blüte öffnet, so daß Fremd- bestäubung leicht ausgeschlossen werden kann, und die Bastarde zeigen normale Fruchtbarkeit. Für den Versuch wurden nun verschiedene Rassen gewählt, nachdem im Vorversuch festgestellt war, daß sie reine Nachkommen gaben. Um zu verfolgen, wie sich die Charaktere der Pflanzen in der Nachkommenschaft verhalten, wurde — und das ist wieder einer der scheinbar so einfachen Grundgedanken — jedes Paar von Charakteren, durch das sich zwei Rassen unterscheiden, getrennt betrachtet, also ebensoviel Einzelexperimente ausgeführt, als Unter- scheidungsmerkmale vorhanden waren. Als zur Verfolgung geeignet wurden sieben Merkmalspaare gewählt, nämlich: i. Die Samen sind entweder rund oder kantig. 2. Die Cotyledonen im Samen, die durch die Schale durchschimmern, sind entweder hellgelb oder orange bzw. grün. 3. Die Samenschale ist entweder weiß oder gefärbt (grau, grau- braun, lederbraun, violett gefleckt). In ersterem Fall sind auch die Blüten weiß, in letzterem farbig (Purpur, violett und rot). 4. Die reifen Hülsen sind entweder einfach aufgeblasen oder zwischen den Samen tief eingeschnitten. 5. Die unreifen Hülsen sind grün oder gelb. 6. Die Blüten sind entweder achsen ständig oder endständig. 7. Die Stammachse ist entweder sehr lang oder kurz (etwa 5:1). Pflanzen mit diesen Eigenschaften wurden also paarweise gekreuzt , und zwar nach beiden Richtungen, was sich für den Erfolg als gleich- — 133 — gültig erwies. Die erste Bastardgeneration, die wir gleich hier mit der jetzt allgemein üblichen PunnettschenBezeichnung als die F1-(i.Filial-) Generation bezeichnen wollen, zeigte nun in allen Kulturen eine völlige Gleichheit, sie folgte nämlich in ihrem Aussehen ausschließlich dem einen der Eltern. Also im ersten Fall waren sämtliche Samen rund, die Eigenschaft kantig schien verschwunden. Mendel bezeichnet nun die ausschließlich sichtbare Eigenschaft als die dominante, die nicht sichtbare, aber, wie sich gleich zeigen wird, doch noch vorhandene, als die rezessive, .und in der obigen Aufzählung sind die Charaktere, die sich als dominant erwiesen, gesperrt gedruckt. Diese F1-Pflanzen wurden nun durch Selbstbefruchtung vermehrt und so die folgende, die F2-Generation erhalten. Und in ihr traten nun wieder die reinen Charaktere der beiden Elternpflanzen auf, und zwar waren es typisch in sämtlichen Kulturen auf je 3 dominante I rezessiver; Zwischenformen aber fanden sich nie. Die genauen Zahlen für die 7 Versuchsreihen gibt die folgende Tabelle: Nr. Davon Gesamt- Charakter Dominante Rezessive D R D:R Gezählt wurden: I 2 3 4 5 6 7 Samengestalt . . . Farbe der Cotyle- Farbe der Samen- schalen u. Blüten Form der Hülsen . Farbe der Hülsen. Blütenstellung . . Acbsenlänge . . . 7324 8023 929 1181 580 858 1064 5474 1S50 6022 2001 705 224 882 299 428 152 651 207 787 277 2,96 3,DI 3,15 2,95 2,82 3,14 2,84 1 1 1 1 1 1 1 die Samen die Samen ganze Pflanzen > » » » > » 2? 19959 14949 5010 2,98 1 1 Es sei hier gleich hinzugefügt, daß Mendels Experimente von einer großen Zahl von Forschern wiederholt und bestätigt wurden. Die folgende Tabelle, die Johann sen zusammenstellte, gibt die Gesamt- resultate aller dieser Versuche, die, wie ersichtlich, mit größter Genauig- keit das Verhältnis 3 : 1 ergeben, da die geringe Abweichung innerhalb der berechneten Fehlergrenze liegt: — 134 Forscher D Gelbe Samen R Grüne Samen Gesamt- zahl D:R Mittlere Fehler Mendel 1865 . . . 6022 2001 8023 3,0024 : 0,9976 ±0,0193 Correns 1900 . . . 1394 453 1847 3,0189:0,9811 ±0,0403 Tschermak 1900 . . 353o 11 90 4770 3,0021 : 0,9979 ± 0,0251 Hurst 1904 . . . . 1310 445 1755 2,9858 : 1,0142 ±0,0413 Bateson u. A. 1905 . 11 903 3903 15806 3,0123:0,9877 ±0,0138 Lock 1905 . . . . 1438 5H 1952 2,9467: 1,0533 ± 0,0392 Darbishire 1909 . . 109060 36186 145246 3,0035 : 0,9965 ± 0,0030 Sämtliche 134707 44692 179399 3,0035:0,9965 ± 0,0028 Die weitere Frage ist nun die, was aus den 3 Dominanten und 1 Re- zessiven in der folgenden Generation F3 wird, die wieder durch Selbst- befruchtung mit Registrierung jeder einzelnen Pflanze erhalten wurde. Dabei zeigte sich, daß die Rezessiven ausschließlich Nachkommen ihrer eigenen Art gaben. Die Dominanten erwiesen sich aber als von zweier- lei Art. Ein Drittel von ihnen gab ebenfalls nur Nachkommenschaft gleicher Art, zwei Drittel aber verhielten sich ebenso wie die Bastarde in F1; d. h. ihre Nachkommenschaft war wieder im Verhältnis von 3 Domi- nanten zu 1 Rezessiven gespalten. Um eine wirklich beobachtete Zahl zu nennen, so gaben von 565 Pflanzen, die aus runden (dominanten) Samen von F2 gezogen waren, 193 nur runde Samen, 372 aber runde und kantige im Verhältnis von 3:1. Da sämtliche Versuche die gleichen Zahlen- verhältnisse ergaben, so folgt daraus, daß die Pflanzen in F2 aus drei Gruppen bestehen, 1/4, welche nur den dominanten Charakter be- sitzen, 1/4, welche nur den rezessiven haben, sowie 2/4, welche ebenso zusammengesetzt sind wie die Bastarde von F1( also beide Charaktere vereinigen. Die Zucht in weiteren 6 Generationen zeigte nun, daß stets das gleiche stattfindet, daß nämlich die Viertel reiner Dominanten und reiner Rezessiven immer nur reine Nachkommen ergaben, die 2/4 Bastarde aber immer wieder im Verhältnis von 1 Dominante : 2 Bastarden : 1 Rezessiven spalten. Wenn A der dominante, a der rezessive Charakter ist, so erfolgt stets die Spaltung der Bastarde in A + 2Aa + a. — 135 — • Es folgt daraus, daß in jeder Generation immer wieder die Charak- tere der Bastardeltern rein abgespalten werden, so daß bei Fortpflan- zung in Inzucht und bei gleichmäßiger Fruchtbarkeit der Bastarde immer zahlreicher die Stammformen auftreten, ohne daß die Bastard- formen völlig verschwänden. Wenn angenommen wird, daß jede Pflanze nur 4 Samen reife, so ergäben sich in weiteren Generationen die Zahlen : Generation A Aa a A : Aa a 1 1 2 1 1 : 2 i 2 6 4 6 0 0 : 2 0 0 28 8 28 7 : 2 7 4 120 16 120 i5 : 2 : *5 5 496 32 496 3i : 2 31 ;/ 2n — 1 : 2 21 Und nun ging Mendel dazu über, Bastarde zu untersuchen, deren Eltern sich in 2 oder mehr Paaren von Charakteren unterscheiden (Dihybriden, Trihybriden usw.), also z. B. wenn die Mutterpflanze runde gelbe Samen, die Vaterpflanze kantige grüne besitzt. Es zeigte sich dabei, daß in F1 ausschließlich die dominanten Merkmale sicht- bar waren, gleichgültig, ob sie sich auf einer der Elternpflanzen allein befunden hatten oder teils auf einer, teils auf der anderen. In dem Beispiel also hatten alle Fi-Pflanzen runde und gelbe Samen. In F2 aber trat wieder eine Spaltung ein, und zwar erschienen alle 4 möglichen Kombinationen, nämlich I. 315 runde gelbe, II. 101 kantige gelbe, III. 108 runde grüne, IV. 32 kantige grüne. Es sollen nun wieder die Buchstaben A rund, a kantig, B gelb, b grün bedeuten, also die dominanten mit großen, die rezessiven mit kleinen Symbolen benannt sein. Wenn dann aus diesen Samen die Pflanzen gezogen und gereift wurden, so mußten deren Samen zeigen, ob die betreffenden Pflanzen in ihren Charakteren rein oder Bastarde waren. Es zeigte sich dann, daß von Gruppe I hervor- brachten — 136 — 38 Pflanzen runde gelbe Samen, also beschaffen waren A B 65 » » » oder grüne, also beschaffen waren A B b 60 » » » u. kantige gelbe, also beschaffen waren Aa B 138 » » » u. grüne sowie kantige gelbe und grüne, also beschaffen waren A a B b. Es waren also in dieser Gruppe sämtliche Kombinationen vorhanden, die möglich sind, wenn immer die beiden Dominanten mit auftreten. Die II. Gruppe ergab 28 Pflanzen mit kantigen gelben Samen, Beschaffenheit also a B 68 » » » » u. grünen Samen, Beschaffenheit also a B b. Es fanden sich also die beiden Kombinationen, die mit der einen Domi- nante B möglich sind. Gruppe III ergab sodann: 35 Pflanzen mit runden grünen Samen, Beschaffenheit demnach Ab 67 » » » u. kantigen grünen. » * Aa b, das heißt also die beiden möglichen Kombinationen mit der anderen Dominante A. Endlich die Pflanzen aus Gruppe IV gaben sämtlich Samen von gleichem Charakter: 30 Pflanzen mit kantigen grünen Samen, beschaffen also a b. Sie enthielten also nur die beiden reinen Rezessive. Diese sämtlichen Pflanzen lassen sich nun nach diesen Ergebnissen in 3 Gruppen ordnen. 1. AB, aB, Ab, ab, die alle durchschnittlich 33mal auftraten und jeden Charakter nur rein besitzen, entweder domi- nant oder rezessiv. In der Tat ist ihre Nachkommenschaft in der nächsten Generation ebenso beschaffen. 2. ABb, aBb, AaB, Aab, die im Durch- schnitt je 65mal kamen und in je einem Charakter Bastarde sind, d. h. das dominante und rezessive Merkmal tragen, im anderen aber rein sind. In der nächsten Generation bleibt dementsprechend das eine Merkmal rein, das andere variiert wieder. 3. Die Form AaBb, die I38mal auf- trat und in beiden Eigenschaften Bastard ist, daher in der nächsten Generation genau das gleiche ergab wie F2 aus Fx. Das Verhältnis dieser 3 Gruppen zeigt sich aber auf das beste wie 1:2:4. Ordnet man daher die Individuen von F2 ansteigend nach ihrem Bastard- charakter an, so ergibt sich die Reihe: AB + Ab + aB + ab + 2 ABb + 2 aBb + 2 AaB + 2 Aab + ^AaBb. 137 — Diese aber ist, wie Mendel erkannte, die Kombinationsreihe, die aus der Kombination der beiden Ausdrücke entsteht: A + lAa + a B + 2Bb + b. Daraus folgt aber, daß bei der Bastardierung mit meh- reren Merkmalspaaren ein j edes sich völlig unabhängig vom anderen verhält und sie sich in allen Arten kom- binieren können, die sich aus der Spaltung der Einzel- charaktere entwickeln las- sen. Oder anders ausge- drückt, und das ist vielleicht das wichtigste allgemeine Resultat, der Organismus besteht aus einheitlichen Erbeigenschaften, die un- abhängig voneinander ver- erbt werden. Der endgültige Beweis dafür ist darin ge- geben, daß, wenn alle 7 Charaktere berücksichtigt werden, durch Bastardie- 7 _ £ 1 • j Umriß einer von Darbishire gezüchteten Fj-Erbsen- rung 2 - I2Ö verscnieüen pflanze aus der Kreuzung gelbe und grüne Samen kombinierte, aber konstante mit Spaltung in 3 gelbe (schwarz), 1 grünen (weiß), nach Darbishire. Formen entstehen können (bei 2 Eigenschaften waren es ja 22 = 4), die im Experiment auch alle gezüchtet wurden. Und nun kommen wir zu der scharfsinnigen Überlegung, die Mendel anstellte, um alle diese Tatsachen zu erklären, und die das nicht nur tut, sondern auch in den Stand setzt, alle seither untersuchten Bastard- fälle zu erklären, ja sogar das Resultat voraus zu berechnen. Mendel schließt: In der Nachkommenschaft der Bastarde erscheinen so viele Fig. 48. — 138 — konstante Formen, als Kombinationen zwischen den Eigenschaften denkbar sind. Erfahrungsgemäß sind die Formen konstant, die, wie bei jeder gewöhnlichen Befruchtung, aus der Vereinigung gleichartiger Geschlechtszellen, Gameten, hervorgehen. Da aber alle die verschie- denen konstanten Formen aus einer Bastardpflanze gebildet werden, so müssen in ihren Geschlechtsorganen so viele Arten von Geschlechts- zellen mit den entsprechenden Eigenschaften gebildet werden, als es konstante Kombinationen gibt. Die Bastarde müssen also — und zwar in gleicher Zahl — reine Gameten bilden mit den möglichen Kom- binationen der reinen Eigenschaften. Der Bastard ABab bildet dem- nach Gameten AB, Ab, aB, ab. Unter dieser Annahme, der berühmten Reinheit der Gameten, werden aber alle beobachteten Tatsachen er- klärt. Ist sie richtig, so muß sich für jede Kreuzung das Resultat voraus- sagen lassen. Zur Probe wurde dann unter anderem die schon oft angeführte Dihybride aus den Elternpflanzen AB und ab (d. h. rund gelb und kantig grün) bestäubt mit Pollen der einen Eltempflanze ab. Die Dihybride^4ßa& muß also Eier bilden AB, Ab, aB, ab, so daß diese bestäubt mit Pollen von ab nur geben können: ABab Abab aBab abab, das heißt die Nachkommenschaft muß in gleicher Zahl rund gelb, rund grün, kantig gelb und kantig grün sein. Das Resultat aber war 31 runde gelbe, 26 runde grüne, 27 kantige gelbe und 26 kantige grüne. Und genau so gut stimmten sämtliche anderen Kontrollen, so daß in der Tat be- wiesen war, daß die Bastarde reine Gameten aller Kombinationen bilden. Unter diesen Umständen läßt sich natürlich leicht bestimmen, was aus jeder Bastardierung in F2 und weiterhin entstehen muß.. Handelt es sich um ein Eigenschaftspaar A + a, so heißt der Bastard Aa, und wenn er reine Gameten bildet, sind diese entweder A oder a. Bei Selbst- befruchtung bzw. Inzucht in Fx können A und a vom Vater wie der Mutter so zusammenkommen, wie es der Zufall gibt. Es werden also zu gleichen Teilen entstehen nach folgendem Schema Pollen A A a a \/ I Eier A A a a also AA -j- Aa -\- aA -\- aa. — 139 — Das ist aber genau das Verhältnis, das wir oben verwirklicht gesehen haben, AA + Aa -\- aA + aa v w - 3 Dominante : i Rezessive i rein Dominant : 2 Dominantrezessive I I \ \ muß rein bleiben muß weiterspalten in muß rein bleiben AA + Aa 4- aA + aa usw. Ebenso muß sich dann aber auch das Verhältnis für 2 Eigenschafts- paare berechnen lassen. Wenn der Bastard AB ab alle Kombinationen reiner Gameten liefert, so sind diese AB, Ab, aB, ab. Es kann sich also bei der Befruchtung jeder dieser Gameten des einen Elters mit jedem des anderen verbinden, also AB mit AB Ab mit AB aB mit AB ab mit AB -■> » Ab » » Ab » » Ab » »Ab » » aB » » aB > » a B » » aB » »ab » » (7 b » »ab » » ab. Es gibt also 16 Kombinationen. Man führt jetzt allgemein diese Kombination mittels des von Punnett eingeführten Kombinations- schemas aus, das auf den ersten Blick auch in schwierigeren Fällen das Resultat erkennen läßt. Ein Quadrat wird in so viele kleine Quadrate eingeteilt, als Kombinationen möglich sind, bei 2 Eigenschaftspaaren also 16. Es werden dann die Gametenarten horizontal und vertikal daneben geschrieben und dann in allen senkrecht von ihnen aus- gehenden Rubriken wiederholt. Für obigen Fall siehe das Schema (S. 140). Aus dem Schema ersieht man sofort folgendes: 1. Das Gesamt- resultat bei der Spaltung von 2 Eigenschaftspaaren ist in F2 ein Auf- spalten im Verhältnis von 9:3:3:1; und zwar zeigen je 9 Individuen von 16 die beiden dominanten Eigenschaften (A, B), je 3 die eine Domi- nante mit der anderen Rezessiven (A, b), je 3 die andere Dominante mit der einen Rezessiven (a, B), und je 1 unter 16 nur die beiden rezes- siven Eigenschaften (a, b). Oben S. 135 wurde das wirkliche Resultat Mendels aus dieser Spaltung angegeben, und man sieht, daß in der Tat das beobachtete Verhältnis von 315 : 101 : 108 : 32 gut mit dem erwarteten, nämlich 313,8 : 104,4 : 104,4 : 34,8 übereinstimmt. — 140 2. Man erkennt, daß unter 16 Individuen nur 4 vorhanden sind, deren Bezeichnung fett gedruckt ist, die nicht Bastardnatur haben, da sie von jedem Eigenschaftspaar nur eine Eigenschaft (also entweder große oder kleine Buchstaben einer Art) rein besitzen. Von diesen 4 Individuen gehört jedes einer der 4 Gruppen von Formen, die resul- tieren, an. Eines ist also rein in bezug auf die beiden dominanten Eigen- schaften (AABB), also als einziges unter 9 dieser Gruppe, je eines ist rein in bezug auf eine dominante und die andere rezessive Eigenschaft Gameten: AB AB Ab aß .ab Ab aß AB Ab aB ab AB AB AB AB rund gelb 1 rund gelb 2 rund gelb 3 rund gelb 4 I V VI IX AB Ab aB ab Ab Ab Ab Ab rund gelb 5 rund grün 1 rund gelb 6 rund grün 2 V II IX vn AB Ab aB ab aB aB aB aB rund gelb 7 rund gelb 8 kantig gelb 1 kantig gelb 2 VI IX III VIII AB Ab aB ab ab ab ab ab rund gelb 9 rund grün 0 kantig gelb 3 kantig grün 1 IX VII VIII IV ab (AAbb oder aaBB), also nur eines unter 3 dieser Gruppe, und eines ist endlich rein in bezug auf die beiden Rezessiven (aabb). Da die letzte Gruppe nur 1 von 16 enthält, sind also Individuen mit beiden rezessiven Eigenschaften immer rein. Es würden also nur diese 4 von 16 Indi- viduen bei Selbstbefruchtung rein weiter züchten (natürlich ebenso bei Paarung mit einem anderen Individuum gleicher Konstitution), alle anderen müssen nach Maßgabe ihrer Zusammensetzung weiterspalten. 3. Es werden unter den 16 Formen im ganzen nach ihrer Zusammen- setzung 9 Genotypen vertreten sein, die im Schema mit I— IX be- — 141 — zeichnet sind, obwohl äußerlieh sichtbar nur die genannten 4 Typen, also Phänotypen, auftreten. I— IV sind die 4 reinen Formen, die eben benannt wurden und die je imal vorkommen. V und VI, die je 2 mal sich finden, enthalten außer den beiden dominanten Eigenschaften noch eine bzw. die andere Rezessive. VII und VIII, die sich ebenfalls zweimal finden, enthalten eine bzw. die andere Dominante und zwei Rezessive, und endlich IX, der viermal vertreten ist, wird durch den Besitz aller 4 Eigenschaften charakterisiert. Es werden also aus dem Schema die 9 Formen abgelesen, die Mendel, wie wir gesehen haben, gefunden und zur Kombinationsreihe zusammengestellt hatte. Führen wir, um diese so instruktive Methode sicher zu beherrschen, nun auch noch eine Kombination von 3 Eigenschaftspaaren durch, wobei wir den von Mendel wirklich durchgeführten Fall betrachten, daß gekreuzt werden 2 Pflanzen von der Beschaffenheit : A runde Samen, a kantige Samen, B gelbe Cotyledonen, b grüne Cotyledonen, C graubraune Samenschale, c weiße Samenschale. Der Bastard heißt sdso ABCabc und erscheint rund, gelb, graubraun. Wenn er reine Gameten bildet, so können diese von 8 verschiedenen Zusammensetzungen sein, entsprechend den 8 möglichen Kombinationen der 3 Buchstabenpaare. Die Gameten lauten also: ABC ABc AbC aBC Abc aBc abC abc. Ihre Kombination ergibt also 8 x 8 = 64 Möglichkeiten: Das Schema (S. 142) zeigt nun, daß im ganzen 8 verschiedene Samen - arten auftreten. 1. Runde, gelbe, graubraune A BC, 2. runde, gelbe, weiße AB c, 3. runde, grüne, graubraune AbC, 4. kantige, gelbe, graubraune aBC, 5. runde, grüne, weiße Abc, 6. kantige, gelbe, weiße aBc, 7. kan- tige, grüne, graubraune abC und 8. kantige, grüne, weiße abc. Die erste Gruppe mit allen 3 dominanten Eigenschaften ABC ist mit ! gekenn- zeichnet und umfaßt 27 von 64 Individuen. Unter diesen ist wieder nur eines, das mit der fetten Zahl 1, rein. Die 2.-4. Gruppe, die je 2 dominante und 1 rezessive Eigenschaft zeigen, also ABc, AbC, aBC ist in je 9 Exemplaren vorhanden, bezeichnet mit ? ; : . Auch hier ist immer nur je 1 Exemplar (mit der fetten Zahl) rein. Die 5.-7. Gruppe 142 — besitzt eine dominante und 2 rezessive Eigenschaften, also^löc, aBc, abC, und kommt in je 3 Exemplaren vor, bezeichnet durch h x , und auch hier wieder nur je ein reines Individuum. Endlich enthält die 8. Gruppe mit allen 3 rezessiven Eigenschaften abc nur ein reines Individuum. ABC ABc AbC aBC Abc aB, ab C abc ABC ABc Ab C aBC Abc a B c ab C abc ABC ABC ABC ABC ABC ABC ABC ABC ABC !1 \z !3 U !5 ! 1 (3 + I)1 3+1=3:1 4 2 (3 + i)2 32 + 2/>< 3+1=9:3:3:1 33 + 3X32 + 3X3 + i = 27:9:9:9:3:3:3:1 16 0 (3 + i)3 64 4 3 + i)4 34 + 4 X 33 + 6 X 32 + 4 X 3 + 1 = 81 : 27 : 27 : 27: 27:9:9:9:9:9: 9:3: 3:3:3:1 256 5 (3 + i)5 35 -+- 5 X 34 + 10 X 33 + 10 X 32 + 5 x 3 + 1 = 243 : 81 : 81 : 81 : 81 : 81 : 27 : 27 : 27 : 27 :27:27:27:27:27:27:9:9:9:9:9:9:9:9 : 9 : 9:3:3:3:3:3:1 1024 n (3 + 1)" n In — 1) 3" + n X 3" - 1 H X 3" - ^ + , « In — 1) (w — 2) . + — X 3(" - 3) . . . + 1 3 4" — 145 — Die folgende Tabelle gibt einige weitere Zahlenverhältnisse für ein- fache Mendelsche Populationen: Zahl der Gametenarten Gameten- Homozygote Hetero- Genotypisch Faktoren- des kombinationen Kombinationen zygote verschiedene paare: Fi-Bastards in F2: in F-2'. in F.,: Fo- Klassen: i 2 4 2 2 3 2 4 16 4 12 9 3 8 64 8 56 27 4 16 256 16 240 81 5 32 1024 32 992 243 6 64 4096 64 4032 729 n 2" 4" 2" 4" — 2" 0« Diese Tabellen zeigen bereits, daß die vollständige Faktorenanalyse eines Experiments mit etwa 10 selbständig mendelnden Faktorenpaaren die Zucht von Millionen von Individuen in F2 erfordert. Es braucht wohl kaum hinzugefügt zu werden, daß die in solchen Experimenten erhaltenen Zahlenverhältnisse, wenn sie nicht absolut klar sind, zahlen- kritisch betrachtet werden müssen, daß also der mittlere Fehler für das Resultat zu berechnen ist. Die dazu benötigten, völlig elementaren Methoden sind aus den Spezialwerken zu erlernen. Wir können an dieser Stelle uns gleich auch mit der jetzt allgemein üblichen Nomenklatur vertraut machen. Das, was wir hier reine Typen nannten, wird als homozygot bezeichnet und unreine als hetero- zygot. Also eine Form ist in bezug auf eine betrachtete Eigenschaft homozygot, wenn sie ihren Erbfaktor in gleicher Weise von beiden Eltern erhielt, in zwei Portionen besitzt, in der Buchstabenformel für die be- treffende Eigenschaft nur große oder nur kleine Buchstaben vorkommen; sie ist darin heterozygot, wenn sie von beiden Eltern verschiedene Eigenschaften erhielt, jede nur in einer Portion, in der Formel also ein großer und ein kleiner Buchstabe steht. In bezug auf eine homozygote Eigenschaft wird nur eine Sorte Gameten gebildet, in bezug auf eine heterozygote zwei Sorten und bei Heterozygotie in mehreren Eigen- schaften so viele als Kombinationsmöglichkeiten vorhanden. Das ist also nur eine etwas anders geartete Ausdrucksweise. Es ist wohl aus der Darstellung der wichtigsten Resultate Mendels Goldschmidt, Vererbungswissenschaft. 3. Aufl. IO — 146 — und ihrer Konsequenzen nicht nur der geniale Scharfblick dieses For- schers sichtbar geworden, sondern auch die Tatsache verständlich, wieso diese Untersuchungen bei ihrem /wirklichen Bekanntwerden eine so gewaltige Wirkung auf die gesamte Biologie ausübten. Konnte man sich doch nichts Befriedigenderes vorstellen als den Gedanken, die ganzen Erblichkeitserscheinungen in ein einfaches Gesetz fassen zu können. Die außerordentliche Fülle von Tatsachenmaterial, die seit- dem bekannt geworden ist und die in ihrer durch Mendels Arbeits- methode gekennzeichneten Gesamtheit den ,,Mendelismus" zu einem besonderen Wissenszweig der Biologie erhoben hat, hat so weittragende Bestätigungen des Grundgedankens der Mendelschen Gesetze ge- bracht, daß es heute nicht wenige Forscher gibt — und es sind gerade die erfahrensten — , die überzeugt sind, daß es überhaupt nur eine Art von Vererbung, die Mendelsche, gebe. Wir wollen deshalb in den folgenden Vorlesungen die wichtigsten Tatsachen des Mendelismus an Hand ausgewählter Beispiele kennen lernen. Literatur zur sechsten Vorlesung. Bateson, W., und Mitarbeiter. Reports to the Evolution Committee of the R. Soc. 1 — 5. 1902 — 1909. Correns, C, Untersuchungen über die Xenien bei Zea Mays. Ber. d. Deutsch. Bot. Ges. 1899. , G. Mendels Regel über das Verhalten der Nachkommenschaft der Rassen- bastarde. Ber. d. Deutsch. Bot. Ges. 1900. Darwin, Ch., Das Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domesti- kation. 1878. Focke, W. O., Die Pflanzenmischlinge. Berlin 1881. Gärtner, C. F., Versuche und Beobachtungen über die Bastarderzeugung im Pflanzenreiche. Stuttgart 1849. Hurst, C. C., Experiments in the Heredity of Peas. Ibid. 28. 1904, Kölreuter, J. G., Vorläufige Nachricht von einigen das Geschlecht der Pflanzen betreffenden Versuchen und Beobachtungen. 1761. Lock, R. H., Recent progress in the study of Variation, Heredity and Evolution. London, Murray, 1906. 2. Aufl. 1909. Mendel, G., Versuche über Pflanzenhybriden. Ostwalds Klassiker der exakt. Wissensch. Leipzig 1901. Naudin, Ch., De l'hybridite comme cause de variabilite. Ann. Sc. nat. Bot. S. 5. T. 3. 1865. - 147 — Standfuß, M., Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge für For- scher und Sammler. 1896. Tschermak, E., Über künstliche Kreuzung bei Pisum sativum. Zeitschr. f. d. landwirtschaftl. Versuchsw. in Österreich. 3. 1900. Vries, H. de, Das Spaltungsgesetz der Bastarde. Ber. d. Deutsch. Bot. Ges. 18. 1900. Eine sehr praktische Formelsammlung zur Benutzung bei allen Rechen- operationen, die bei Bastardierungs- und anderen Vererbungsarbeiten be- nötigt werden, ist: Jennings, H. S., The numerical results of diverse Systems of breeding. Genetics, I. II. 1916/17. Siebente Vorlesung. Die Dominanzregel. Reine und unvollkommene Dominanz. Inter- mediäre und Mosaikbastarde. Das Spaltungsgesetz. Einfache Fälle von Mono- und Dihybridismus. Die Hauptgesetze, die aus Mendels Untersuchungen folgen, sind i. die Dominanzregel, 2. das Gesetz der Spaltung der Eigenschaften nach berechenbaren Verhältnissen, 3. die Reinheit der Gameten, aus der die Spaltungsgesetze gefolgert werden, 4. die Zusammensetzung der Organismen aus Erbeinheiten. Es wird also unsere erste Aufgabe sein, zu verfolgen, wie weit die neu gefundenen Tatsachen diese Gesetz- mäßigkeiten stützen und ausführen, und so wollen wir jetzt beginnen, der Erscheinung der Dominanz unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Schon die alte Bastardlehre wußte ja, wie geschildert wurde, daß oft der Bastard ausschließlich die Charaktere eines der Eltern zeigt, und wir sahen, daß schon Darwin versuchte, für solche Fälle eine Regel zu finden. Die neueren Bastardierungsstudien haben nun eine Fülle von Fällen echter Dominanz entdeckt, die sich auf alle erdenklichen Arten von Eigenschaften im Tier- und Pflanzenreich beziehen. Mit ihrer Aufzählung ließen sich viele Seiten füllen, und wir bemerken daher nur, daß alle Arten von Eigenschaften im Tier- und Pflanzenreich, die sich ausdenken lassen, die Erscheinung der Dominanz im Bastard zeigen können. Um nur einige Beispiele zu nennen, so kann es sich handeln um quantitative Charaktere: Wir sahen bereits in Mendels Ver- suchen hohen Wuchs über niederen bei Erbsen dominieren; umgekehrt dominiert das kurze Haar der gewöhnlichen Nagetiere (Kaninchen) über das lange Angorahaar. Öderes betrifft Formcharaktere: WTir sahen bei Mendels Erbsen runde Samen über kantige dominieren; bei Hüh- nern dominieren die verschiedenartigen Kammformen wie Rosen- oder Erbsenkamm über den gewöhnlichen Lappenkamm; die gewöhnlichen Federn dominieren über die seidigen der Xegerhühner; der Kurzsteiß - U9 — der Kaulhühner ebenso über seine normale Beschaffenheit. Oder es betrifft Farben, das am meisten bearbeitete Gebiet: Wir sahen bei Mendel gefärbte Erbsenblüten über weiße dominieren; bei den Nagetieren dominieren die verschiedenen Färbungen über das albinotische Weiß; rote Schneckenschalen dominieren über gelbe; der rote Flügel- staub der mitteleuropäischen Callimorpha über den gelben der süd- europäischen. Auch Zeichnungscharaktere kommen in Betracht: So dominieren ungebänderte Schnecken über gebänderte, die Scheckung ge- wisser Nagetierrassen über die Ganzfarbigkeit. Auch von physio- logischen Charakteren ist Entsprechendes bekannt: Rostempfäng- lichkeit beim Getreide dominiert über relative Unempf änglichkeit , das Traben der Pferde über den Paßgang. Pathologische Charaktere sind sehr oft dominant über normale: So die Brachydaktylie oder die Sechsfingrigkeit beim Menschen über die normale Beschaffenheit, die Kurzschwänzigkeit der Manxkatzen über das normale Verhalten, da- gegen der normale Zustand des Labyrinths der Mäuse über die patho- logische Veränderung, die das Tanzen bedingt. Und endlich sind auch die Instinkte nicht zu vergessen: So dominiert der Brutinstinkt der Hühner über sein Fehlen bei manchen Rassen, das absonderliche Schreien ägyptischer Hühner über die gewöhnliche Lautgebung. Diese wenigen Beispiele mögen genügen, wir werden ja auch ohne- hin noch andere kennen lernen. Es handelt sich nun zunächst darum, für die Fälle wirklicher Dominanz zu untersuchen, ob sich irgendeine Gesetzmäßigkeit dafür feststellen läßt, welche Art von Eigenschaft über eine andere dominiert. Versuche in dieser Richtung sind denn auch mehrfach unternommen worden, ohne daß sie zu einem festen Resultat geführt hätten. So glaubte man annehmen zu dürfen, daß das phylogenetisch ältere Merkmal über das jüngere dominiere. In den meisten Fällen dürfte es allerdings schwer zu entscheiden sein, was phylogenetisch älter ist. Da aber, wo es sich feststellen läßt, wie bei den Haustierrassen oder den Schmetterlingsaberrationen, trifft die Annahme bald zu, bald nicht. Das kurze Haarkleid des wilden Kanin- chens dominiert in der Tat über das Angorafell, das ein Produkt der Domestikation ist, aber umgekehrt dominiert auch die gewiß nicht phylogenetisch ältere Schwanzlosigkeit der Katzen über den normalen — 150 — Zustand oder die melanistischen Aberrationen mancher Schmetterlinge über die Normalform. Die Verallgemeinerung ist also sicher undurchführ- bar. Etwas besser steht es mit einem anderen Versuch, der aus einer jetzt allgemein üblichen Betrachtungsweise der Allelomorphe oder Merkmals- paare hervorgegangen ist. Bateson hat vorgeschlagen, die Merkmals- paare unter dem Gesichtspunkt der Presence und Absence zu gruppieren, das heißt also die Annahme zu machen, daß immer das Vorhandensein des Faktors für eine Eigenschaft dessen Fehlen gegenüberstehe. Die Allelomorphe für die Mendelsche Erbsenfarbe hießen also: Gelb — kein Gelb ( = grün), für die Fellfarbe der Nagetiere : Farbe — keine Farbe ( = Albino), Scheckung — keine Scheckung ( = ganzfarbig), für den Kurzsteiß mancher Hühnerrassen: Verhinderungsfaktor der Steißent- wicklung — kein solcher Faktor ( = normaler Schwanz). Es unterliegt auch keinem Zweifel, daß diese Art der Darstellung die rationellste, vor allem die praktischste ist. Wenn sie nun außerdem auch auf einer realen Grundlage beruht, so ist es klar, daß das dominante Merkmal immer das anwesende sein muß. Wie gesagt, ist die Darstellung der Presence- Absence -Theorie die rationellste , und es erleichtert die Darstellung aller Mendelfälle außer- ordentlich, wenn der dominante Erbfaktor (mit großen Buchstaben bezeichnet) als positiv dem rezessiven Faktor (mit kleinen Buchstaben bezeichnet) als negativ gegenübersteht. Man muß nur nicht so weit gehen, diese Vorstellung allzu wörtlich zu nehmen, also etwa zu glauben, daß die Erbmasse einer dominanten Form das Ding besitzt, das wir einen Faktor für die betreffende dominante Eigenschaft nennen, während die rezessive Form an der gleichen Stelle ihrer Erbmasse ein Loch auf- weist. Wir müssen vielmehr die Formulierung als eine rein deskriptive auffassen. Wenn wir zwei Stühle zusammen betrachten, einen Rokoko- stuhl und einen Renaissancestuhl, so können wir auch sagen, Renais- sancestuhl und kern Renaissancestuhl, ohne daß damit gemeint wäre, daß der andere Stuhl überhaupt nicht existiert. Wenn wir also in Zu- kunft das Fehlen eines Faktors seinem Vorhandensein gegenüberstellen, so ist es in diesem Sinne gemeint. Wenn wir dann später von Faktoren- ausfall reden werden, so meinen wir nicht, um bei dem Vergleich zu bleiben, das Verschwinden des Stuhls, sondern eines bestimmten Orna- — 151 — ments. Auf das Wesen der Dominanz wird aber durch die Darstellungs- methode der Presence-Absence -Theorie kein Licht geworfen, es kann nur aus dem physiologischen Studium der Erbfaktoren erkannt werden, wie wir später sehen werden, wenn wir die Quantität der Erbfaktoren betrachten. Nun wurde es bisher von uns als selbstverständlich angenommen, daß da, wo Dominanz vorliegt, wirklich nur der dominante Charakter sichtbar ist. Das bedeutet also, daß der Bastard, der das dominante und das rezessive Merkmal zugleich enthält, oder die Heterozygote, wie wir von jetzt ab mit dem bereits in der letzten Vorlesung einge- führten Terminus sagen wollen, von der reinen dominanten Stamm- form oder Homozygote nicht äußerlich zu unterscheiden ist. (Der Begriff Homozygote bedeutet natürlich, daß ein Merkmal nur rein vorhanden ist, bezieht sich also sowohl auf dominante wie rezessive Eigenschaften. AA, aa, AAbb, aabb, AABB sind alle homozygot; Aa dagegen ist heterozygot, AABb ist in der Eigenschaft A homozygot, in der Eigenschaft B heterozygot.) Je genauer wir nun in das Studium der Mendelfälle eindringen, um so mehr zeigt es sich, daß reine Dominanz etwas recht Seltenes ist. Bei scheinbar reiner Dominanz kann bisweilen der geschärfte Blick des Züchters die Heterozygote von der Homozygote unterscheiden, wie ein jeder erfährt, der mit diesen Dingen arbeitet, und Mendel selbst war sich über die Unvollkommenheit der Dominanz schon im klaren. In manchen Fällen ist die Unterscheidung von Homo- und Heterozygoten nur auf einem bestimmten Entwicklungsstadium möglich. Derartiges beschrieb der Verfasser für Raupencharaktere des Schwammspinners und Correns für Brennesselkreuzungen, die die Sägung des Blattrandes (dominant) nur bei den ersten Laubblättern in der Heterozygote ver- schieden zeigen. Und daran schließen sich dann solche Fälle an, bei denen zwar äußerlich ein Unterschied nicht wahrzunehmen ist, die mikrosko- pische Untersuchung aber Hetero- und Homozygoten unterscheiden läßt. Von besonderem Interesse erscheinen hierfür die Befunde von Darbishire, weil sie sich auf Mendels klassischen Fall der Dominanz der runden Erbsen über kantige beziehen. Die Untersuchung der Stärkekörner der rein dominantmerkmaligen Heterozygoten-Samen — 152 — zeigte nämlich, daß sie deutlich eine gemischte Beschaffenheit aus den charakteristisch differenten Größen, Formen und Strukturen der Stärke- körner der Elternpflanzen aufwiesen, so daß mit Hilfe des Mikroskops sich Homozygoten und Heterozygoten ohne weiteres unterscheiden lassen. Wir werden dieses Ergebnis in der nächsten Vorlesung nochmals zu besprechen haben. In nicht wenigen Fällen aber lassen sich die reinen Dominanten und die Dominantrezessiven auch ohne besonderen Scharfblick und genaue Untersuchung unterscheiden, indem letztere etwa den dominanten Charakter abgeschwächt zeigen. Bateso n drückt dies auf Grund seiner An- und Abwesenheitslehre so aus, daß in diesen Fällen zwei Portionen des dominanten Charakters nötig sind, um ihn voll zur Ausbildung zu bringen, eine Annahme, die jedenfalls eine treffende Beschreibung der Tatsache bedeutet. So findet etwa Correns bei Kreuzung gelb- und grünblättriger Wunderblumen, daß das dominante Grün in Fx heller erscheint. Werden weiß dominante Hühnerrassen mit braunen ge- kreuzt, so ist Fx weiß, die Tiere können aber im Gefieder braune Flecken aufweisen, die Dominanz ist also unrein. Und gerade aus dem Gebiete der Hühnerkreuzungen sind besonders durch Davenport eine ganze Anzahl solcher Fälle bekannt geworden. So ist die gewöhnliche Kopf- form gegenüber dem Vorhandensein eines Federbusches rezessiv, trotz- dem zeigte sich aber in Fx der Federbusch reduziert, wie nebenstehende Figg. 49—51 zeigen. Das Fehlen der Federhose an den Schenkeln dominiert über ihr Vorhandensein, aber einige Federn finden sich doch in F^ Ebenso dominiert das Vorhandensein einer 5. Extrazehe bei vierzehigen Hühnerrassen über ihr Fehlen, aber in Fx findet man auch Individuen mit schlecht ausgebildeter 5. Zehe, mit einer solchen nur an einem Fuß oder gar überhaupt ganz vierzehige Tiere, die natürlich deshalb trotzdem sich als echte Heterozygote erweisen. Um aber auch eine andere Tiergruppe heranzuziehen, so stellte Standfuß bei seinen später noch zu besprechenden Kreuzungen des Schmetterlings Aglia tau mit seinen melanistischen Aberrationen fest, daß sich bei letzteren, welche dominant sind, aufs deutlichste homozygote und heterozygote Individuen unterscheiden lassen. Umstehende Fig. 52 (S. 154) zeigt die Aglia tau ab. ferenigra in heterozygotem und homozygotem Zustand, — 153 — wobei das düstere Aussehen der letzteren zu erkennen ist1. Diese Bei- spiele ließen sich leicht aus allen Gruppen von Tier- und Pflanzen eigen- schaften vermehren. Von diesen Fällen unvollständiger Dominanz sind dann solche nicht zu trennen, zum Teil auch schon mit besprochen, bei denen eine Fluk- Fig. 5°- Fig. 51- 49 Kopf des Minorcakuhns, 50 des polnischen Huhns, 5 1 des Bastards a X b. Nach Davenport aus Godlewski. tuation in der Erscheinung des dominierenden Merkmals zu erkennen ist. Für die Extrazehe der Hühner wurde das schon Darwin bekannte Verhalten erwähnt. Man kann sogar sagen, daß stets, wenn die Dominanz eine unvoll- 1 Plate hat für diesen Fall eine andere Interpretation versucht, ohne sie bisher beweisen zu können. — 154 kommene ist, das Maß der Dominanz in verschiedenen Einzelversuchen fluktuiert, mehr oder minder ausgeprägt ist. Das läßt sich besonders bei quantitativen Eigenschaften zeigen, deren Werte als eine Variations- reihe dargestellt werden können. Konkrete Beispiele werden uns noch begegnen. Diesen Fällen von reiner, unvollständiger, fluktuierender oder wech- selnder Dominanz stehen nun solche gegenüber, bei denen von Domi- nanz überhaupt nicht die Rede sein kann, sondern typischerweise in Fx eine Vermischung der beiden elterlichen Charaktere stattfindet, so daß eine Zwischenform, ein intermediärer Bastard entsteht. Es gibt auch für diese Form des1 Verhaltens genügend Beispiele aus beiden Orga- Fig. 52. Aglia tau v. ferenigra. a heterozygot, b homozygot. Photo, nach Standfuß sehen Originalen. nismenreichen; man nennt oft auch einen Mendelfall mit intermediärer Fx den Zea-Typus. Als besonders instruktiv ist ja der von Correns berichtete Fall bekannt, daß bei Kreuzung der weißblühenden Wunder- blume Mirabilis Jalapa mit einer rotblühenden die F^Generation hell- rot blüht. Ganz das entsprechende stellt sich dar, wenn Hühner, die weiße Eier legen, gekreuzt werden mit solchen, die braune legen; der Bastard legt nach Batesons Studien intermediäre. Ganz besonders häufig findet sich dies rein intermediäre Verhalten aber bei meristischen Merk- malen, also solchen, die Größenverhältnisse betreffen. Hohes und nie- deres Nasenloch bei Hühnern gibt in Fx ein mittleres, hoch- und nieder- fr stengliger Mais mittlere Pflanzen, einfache und zusammengesetzte Stärkekörner, wie wir schon für die Erbsen sahen, schwach zusammen- gesetzte, lang- und kurzohrige Kaninchen solche mit mittleren Ohren. — 155 — Auch solche Beispiele werden uns häufig begegnen, besprochen und abgebildet werden. Sie finden im einzelnen eine sehr verschiedenartige Erklärung. Dominantes oder intermediäres Verhalten ist also das Typische für die Erscheinung eines mendelnden Charakters in heterozygotem Zustand. Gelegentlich zeigt es sich aber, daß bei Kreuzung von zwei scheinbar nur in einem Faktor differenten Rassen der F1-Bastard ein Verhalten zeigt, das in keine dieser Gruppen paßt. So ergeben z. B. die Kreuzungen gewisser schwarzer und weißer Hühnerrassen ,, Mosaikbastarde", die ein schwarz und weiß gesprenkeltes Gefieder zeigen. (Fig. 53—55.) Der bekannteste Fall ist der der Andalusierhühner, bei denen aus Schwarz und Weiß die Bastardfarbe Blau (Schiefergrau) ent- steht. Es ist aber sehr wahr- scheinlich, daß in diesem, wie allen verwandten Fällen,, gar nicht nur ein Faktoren - paar vorliegt, obwohl es t nach der monohybriden Mendelspaltung so scheinen könnte, sondern komplizier- _ , TT „ lg" 53' ., , , „. bchwarze Henne. Mutter des Mosaikbastards Fig. 55. tere Verhältnisse, die wir Nach Davenport aus Godlewski. später erklären werden. In entsprechender Weise hat sich auch eine andere Erscheinung als verwickelterer Fall erwiesen, die man ursprünglich als eine besondere Form "der Dominanz betrachtete, der sogenannte Dominanzwechsel. Besonders gewisse verwickelte Erscheinungen der Vererbung im Zu- sammenhang mit dem Geschlecht wurden durch die Annahme eines Dominanzwechsels erklärt, derart, daß in der Heterozygote im einen Geschlecht der eine, im anderen Geschlecht der andere Partner eines Allelomorphenpaares dominant sein sollte. Wahrscheinlich handelt es sich aber um ganz andere Dinge. Ähnliches gilt für Fälle, in denen bei scheinbar der gleichen Kreuzung manchmal der eine, manchmal der andere Partner des Faktorenpaares dominant erscheint. Wo solche Fälle aber näher analysiert wurden, zeigt sich, daß die scheinbar iden- — 156 — tischen Kreuzungen dies gar nicht waren. Toyama zeigte z. B., daß es bei den Cocons des Seidenspinners einen dominanten Faktor für weiße Farbe gibt, aber auch einen anderen rezessiven Faktor, der gar nichts mit ersterem zu tun hat. Bei Kreuzungen mit weißen Rassen kann es daher passieren, daß Formen benutzt werden, die Bastarde zwischen Rassen mit dominanten und solche mit rezessivem Weiß sind; die Ver- schiedenheit der Resultate beruht aber dann nicht auf einem Dominanz- Fig- 54- Weißer Hahn. Vater des Mosaikbastards Fig. 55. Nach Davenport aus God- lewski. Wechsel eines Faktorenpaares, sondern dem unbewußten Arbeiten mit zwei Faktorenpaaren, deren Anwesenheit erst in solchen Fällen bemerk- bar wird, weil jeder eine äußerlich gleich erscheinende Außeneigen- schaft, Weiß, hervorruft. Es ist das, übrigens wie alle andern mendelisti- schen Tatsachen, eine schöne Illustration dafür, daß das Äußere, der Phänotypus, nichts über die genetische Beschaffenheit, den Genotypus, auszusagen braucht, den nur das Vererbungsexperiment erschließt. Eine ganz andere Art von Dominanzwechsel wird uns später beschäftigen, — 157 — nämlich Wechsel der Dominanz im Lauf der individuellen Entwicklung. Wir werden sehen, daß sie eine Konsequenz der quantitativen Zustände der Erbfaktoren ist. Die Erscheinung der Dominanz, auf die im Anfang der Mend eischen Forschung großer Wert gelegt wurde, ist also nur eine untergeordnete Tatsache; sie mag vorhanden sein, unvollkommen sein oder fehlen, unter Fig- 55- Gesprenkelter Mosaikbastard zwischen den Eltern Fig. 53 11. 54. Nach Davenport aus Godlewski. allen Umständen ist sie nur eine Besonderheit der phänotypischen Er- scheinung in der Heterozygote. Die Haupterscheinung der Mendel sehen Vererbung ist aber die Bastardspaltung mit ihrer Erklärung durch die Reinheit der Gameten. So wenden wir uns denn jetzt dem weiteren Studium der Spaltungsgesetze zu. Wir beginnen dabei mit den ein- fachsten Tatsachen, um allmählich bis zu den verwickelten Erkennt- nissen der neuesten Forschung vorzuschreiten. — 158 — Wenn wir uns also nunmehr der Betrachtung der Mendelspaltung zuwenden, so wird es wohl nicht nötig sein, für jeden Einzelfall aus- zuführen, durch welche verschiedenartigen Kreuzungen und Rück- kreuzungen die betreffenden Forscher die Richtigkeit ihrer Resultate und Interpretationen feststellten, die ja nur dann erwiesen ist, wenn das Resultat einer jeden mit dem betreffenden Material ausgeführten Paarung die vorausberechenbaren Werte zeigt. Die Methode, wie das zu ge- schehen hat, geht ja ganz selbstverständlich aus Mendels eigenen Ver- suchen hervor, die wir deshalb so ausführlich besprochen haben. Uns mag daher in den meisten Fällen die Feststellung des Endresultats genügen. An der Spitze unserer Betrachtung müssen natürlich zunächst die einfachen Mend elf alle stehen, die sich ohne weiteres aus Mendels eigenen Ergebnissen erklären und die uns nur ein paar mögliche Varian- ten nebst den praktischen Zahlenkonsequenzen vor Augen führen sollen. Wir werden so vom Elementaren ausgehend allmählich zum Schwie- rigeren gelangen. Stellen wir zunächst dem einfachen Mendelschen Monohybridenfall auch ein Beispiel aus dem Tierreich zur Seite, Längs Kreuzungen von Varietäten der Helix hortensis. Bei dieser, in der Zeichnung ihrer Schale stark variierenden Schnecke gibt es unter anderem als erbliche Rassen gelbe ungebänderte Formen und gelbe mit 5 schwarzen Bändern. Diese wurden dann miteinander bastardiert. Die Versuche sind dadurch besonders schwierig, daß die Schnecken Zwitter sind. Nun kommt, was zuerst festgestellt werden mußte, Selbstbefruchtung zwar in der Regel nicht vor, wenn sie auch ausnahmsweise stattfindet. (Bei anderen Schnecken ist sie dagegen häufig.) Aber nach der Befruchtung wird das Sperma jahrelang im Receptaculum seminis aufbewahrt, so daß nur mit isoliert aus dem Ei gezogenen Individuen gearbeitet werden kann. Diese erlangen aber erst nach 2 bis 4 Jahren die Geschlechtsreife. Die Kreuzung ergab nun in Fx Dominanz der ungebänderten Individuen (Fig. 56). In einem Versuch z. B. bestand F^ aus 107 ausschließlich ungebänderten Tieren. F2 aber spaltete nach Inzucht erwartungsgemäß in 3/4 ungebänderte und 1/4: gebänderte: Die wirklichen Zahlen eines Versuchs sind 31 un- gebänderte : 10 gebänderten. Nach dem oben Entwickelten muß für diese F2-Formen nun die Formel gelten AA : Aa :aA : aa. Die gebän- 159 — derten sind natürlich die rezessiven aa, die rein weiterzüchten müssen. Die z/± dominantmerkmaligen müssen aber aus 1/3 reinen Dominanten < fc* r < i v i < < ö züchtet rei n J züchtet rein *J spaltet 3:1 < spaltet 3:1 ^ züchtet rein ö züchtet rein U spaltet 3:1 < Spaltet 3:1 ^ züchlet rein 5 züchtet rein Fig- 56. Schematische Darstellung der Ergebnisse von Längs Kreuzung ungebänderter und gebänderter Varietäten von Helix hortensis. — 160 — und 2/3 Dominantrezessiven bestehen, die hier bei völliger Dominanz äußerlich nicht unterscheidbar sind. Bei selbstbefruchtenden Pflanzen trennt nun selbstverständlich die isolierte Weiterzucht in F3 die reinen Dominanten und die weiter spaltenden Dominantrezessiven leicht von einander. Bei Tieren mit Wechselbefruchtung ist die x\nalyse schwie- riger. Werden die dominantmerkmaligen Individuen miteinander ge- paart, so sind natürlich folgende Möglichkeiten gegeben: i. Man hat zufällig 2 reine Dominanten AA herausgegriffen, dann bleibt eben auch die Nachkommenschaft rein. 2. Man hat, was viel häufiger statt- finden wird, zwei Heterozygoten, die Dominantrezessiven Aa oder aA verwendet, dann muß die Nachkommenschaft wieder im Verhältnis von 3 : 1 spalten, denn es liegt ja alles genau ebenso, wie bei der Fort- pflanzung der Bastarde von Fv 3. Man wählte zufällig eine reine Do- minante AA und eine Heterozygote Aa. Es muß dann genau das gleiche sich ereignen, als wenn der Bastard von Fx Aa mit seinem dominanten Elter AA gekreuzt würde, also das gleiche wie bei einer Rückkreuzung. Deren Resultat ergibt sich ohne weiteres, wenn wir uns die Gameten wieder klar machen: AA bildet nur Gameten A, Aa bildet Gameten A und a. Es sind also die Gametenvereinigungen möglich AA Aa AA Aa Das heißt, die Hälfte der Nachkommen muß sein AA, also rein un- gebändert, die andere Hälfte Aa, also heterozygot, aber auch unge- bändert aussehend. Die Nachkommen der 3. Möglichkeit wären also alle ungebändert, wie die der ersten, aber die Hälfte von ihnen wären heterozygot, wie die nächste Generation nun wieder erweisen würde. Lang erzielte nun in der Tat bei seinen Versuchen diese erwarteten Resultate in annähernd den richtigen Zahlenverhältnissen. Wir haben in der vorigen Vorlesung erfahren, daß in sehr vielen Fällen der Bastard in Fx einen intermediären Charakter zeigt (Zea- typus). Wenn das der Fall ist, muß natürlich bei der Spaltung in F2 der Unterschied zwischen den reinen Dominanten und den Hetero- zygoten deutlich in Erscheinung treten, die Spaltung muß stattfinden in x/4 dominantmerkmalige, 2/4 intermediäre und x/4 rezessive. Nur die' intermediären würden dann in F3 weiterspalten. Als besonders instruktive Illustration möge nachstehende Fig. 57 dienen, die Lock — 161 — im Anschluß anPunnett publizierte. Sie zeigt in der ersten Reihe die Blüten der beiden Primeln Primula sinensis und stellata, in der zweiten Reihe den intermediären Bastard, auch P. pyramidalis genannt. Die dritte Reihe gibt die Spaltung in F2 wieder in x/4 sinensis, 2/4 pyrami- dalis, */4 stellata. Ein ebenso charakteristischer zoologischer Fall wurde auch bereits erwähnt, der Fall der Farbe der Andalusier- und Breda- hühner. Diese von den Züchtern blau genannten Formen sind nie in Reinzucht zu halten; und das kommt daher, daß sie intermediäre Ba- &0 0& Fig- 57- Kreuzung von Primula sinensis X stellata (i. Reihe). In der 2. Reihe der inter- mediäre Fi-Bastard P. pyramidalis. In der 3. Reihe die Spaltung in Fo in 1 sinensis- 2 pyramidalis: 1 stellata. Aus Lock. starde zwischen einer schwarzen und einer schmutzig-weißen Rasse darstellen. Danach müssen sie, wenn miteinander gepaart, spalten in 1U schwarze, 2/4 blaue, x/4 schmutzigweiße. Das ist in der Tat der Fall: Bateson und seine Mitarbeiterfanden als Resultat 41 schwarze : 78 blaue : 39 weiße. Wir werden übrigens später auf mögliche Kom- plikationen dieses Falls zurückkommen. Schließen wir nun an diese Fälle Mendelscher Monohybriden einen solchen eines Dihybridismus an. Für Pflanzen haben wir ja schon ein Beispiels in Mendels eigenen Studien kennen gelernt. Als einen be- Goldschmidt, Vererbungswissenschaft. 3. Aufl. II — 162 — sonders instruktiven Fall aus dem Tierreich, wertvoll besonders auch wegen seiner großen Zahlen, wollen wir eine der zahlreichen Kreuzungen betrachten, die von Toyama beim Seidenspinner Bombyx mori angestellt wurden. Toyama kreuzte zwei Rassen, die sich in folgenden 2 Merkmalen unterschieden: die eine produziert ungezeichnete Raupen, die sich in gelbe Kokons einspinnen, die andere gestreifte Raupen, die weiße Ko- kons spinnen. Vom Aussehen der beiden Raupenarten gibt neben- stehende Fig. 58 ein gutes Bild. Da alle Nachkommen in Fx gestreift waren und gelbe Kokons anfertigten, erwiesen sich diese Eigenschaften als dominant; es besaß also jeder der Eltern ein dominantes und ein rezessives Merkmal. Bezeichnen wir die Eigenschaft gestreift (striatus) mit 5, nicht gestreift mit s, gelb (flavus) mit F und nichtgelb = weiß mit /, so heißen die beiden Eltern Sf x sF, der Bastard somit SfFs, also Gestreift-Gelb. Nach dem früher mit- geteilten muß er 4 Arten von Gameten bilden, nämlich SF, Sf, sF, sf; diese ergeben dann in F2 16 Kombinationen, nämlich SF Sf sF */ SF SF SF SF gestreift gestreift gestreift gestreift gelb gelb gelb gelb SF Sf sF */ Sf Sf Sf Sf gestreift gestreift gestreift gestreift gelb weiß gelb weiß SF Sf • sF sf sF sF sF sF gestreift gestreift ungezeichnet ungezeichnet gelb gelb gelb gelb SF Sf sF */ >f *f sf */ ' gestreift gestreift ungezeichnet ungezeichnet gelb weiß gelb weiß 163 Es müssen also gebildet werden 9 gestreift-gelbe : 3 gestreift-weiße : 3 ungestreift -gelbe : 1 ungestreift-weiße. Die wirklichen Zahlen To- yamas stimmen damit in wundervoller Weise überein, nämlich: r"*t"~ ' ' ~- ._ Fig. 53- Zuchtkörbe mit weißen und gestreiften Seidenraupen. Nach Toyama. 11* — 164 — i. Gestreift-gelbe SF 6385 Indiv. =56,38% = etwa 9 2. Gestreift-weiße Sf 2147 ,, = 18,96 % = etwa 3 3. Ungezeichnet-gelbe sF 2099 ,, = 18,53 % = etwa 3 4. Ungezeichnet -weiße sf 691 ,, = 6,1 % = 1. Wurde aus diesen 4 Gruppen nun F3 gezogen, so mußte folgendes. eintreten, wie aus der Zusammensetzung der Formen im Kombinations- schema sich ablesen läßt : ' A. In der 1. Gruppe, die beide Dominanten zeigte, waren im gleichen Phänotypus nach ihrer genotypischen Zusammensetzung verschieden- artige Individuen enthalten: 1. solche vom Charakter SF SF, die also in beiden dominanten Charakteren rein waren, welche zu x[9 vor- handen sein mußten; 2. solche vom Charakter SFsf, die also in beiden Charakteren heterozygot waren und sich, wie leicht am Kombinations- schema nachzuzählen, in 4/9 der Exemplare fanden; 3. solche vom Charakter SSFf, also homozygot im Charakter S, aber heterozygot im Charakter F, und diese finden sich zu 2/9. Endlich 4. solche vom Charakter SsFF, also im anderen Charakter heterozygot, im anderen homozygot, ebenfalls zu 2/9. Da nun die verschiedenen Genotypen äußer- lich nicht zu unterscheiden sind, so kann der Zufall bei der Paarung dieser F2-Formen folgende Partner zusammenbringen: 1. Den ersten Typus mit sich selbst oder jedem anderen, dann muß die Nachkommenschaft immer nach SF aussehen, da stets beide Dominanten vorhanden sind. 2. Der 2. Typus mit sich selbst; dann liegt das gleiche vor, wie wenn Fx in Inzucht weiter gezüchtet wurde, nämlich SFsf x SFsf, also muß Spaltung in die 4 Typen im bekannten Verhältnis eintreten. 3. Der 2. Typus mit dem 3., also SFsf x SSFf. Ersterer hat die Gameten SF, Sf, sF, sf, letzterer nur SF und Sf, es sind also 8 Kombinationen möglich, von denen 6 SF enthalten, 2 Sf; es ist also eine Spaltung in SF und Sf zu erwarten im Verhältnis 3:1. 4. Typus 2 kommt mit Typus 4 zusammen. Typus 2 hat wieder die Gameten SF, Sf, sF, sf, Typus 4 aber nur SF, sF. Von den 8 möglichen Kombinationen ent- halten also 6 wieder SF, 2 aber nur sF, also ist Spaltung zu erwarten in die Phänotypen SF : sF = 3 : 1. 5. Der 3. Typus kann mit dem 2. zusammenkommen, das ist natürlich das gleiche wie der umgekehrte Fall 3. Der 3. Typus kann mit seinesgleichen zusammenkommen. — 165 — Da er nur in bezug auf die Eigenschaft Ff heterozygot ist, so muß also das gleiche eintreten, wie wenn zwei Monohybriden sich paaren, also eine Spaltung in SF : Sf =3:1, also ebenso wie im 3. Fall. 7. Der 3. Typus kann mit dem 4. zusammenkommen; ihre Gameten sind SF, Sf und SF, sF; ihre Kombination wird immer SF enthalten, das Aus- sehen also einheitlich dominant sein, wie im 1. Fall. 8. Der 4. Typus kann mit dem 2. zusammenkommen, das ist das gleiche wie der um- gekehrte Fall 4. 9. Der 4. Typus kann mit dem 3. zusammentreffen, das ist das gleiche wie der umgekehrte Fall 7; endlich 10. kann der 4. Typus mit seinesgleichen sich begatten ; da er nur in der Eigenschaft Ss heterozygot ist, haben wir wieder das entsprechende, wie im Fall 6, also eine monohybride Spaltung in SF : sF =3:1. Das aber ist das gleiche wie im Fall 4. Man sieht somit, daß die 9/16 dominantmerk- maligen F2-Tndividuen, wenn nur unter sich gepaart, in F3 4 verschie- dene Arten von Nachkommenschaft ergeben werden, wie sie die Fälle 1—4 repräsentieren. Das wirkliche Resultat ist aber genau das er- wartete. Es ergaben nämlich von 21 Paarungen: 8 Paarungen nur gestreift gelbe Nachkommen, wie es Fall 1 verlangt, 3 Paarungen gestreift gelbe und gestreift weiße und zwar 677 : 240 Individuen gleich 73,82 % : 26,17 % = 3 : i, wie es Fall 3 ver- langt, 8 Paarungen gaben gestreift gelbe und ungezeichnet gelbe und zwar 1475 : 513 = 74-2 % : 25,8 % = 3 : 1, wie es Fall 4 verlangt, 2 Paarungen endlich gaben alle 4 Typen, nämlich Gestreift gelbe 326 = 55,72 % = etwa 9, Gestreift weiße 90 = 15,36 % = etwa 3, Ungezeichnet gelbe 126 = 21,53 % = etwa 3. Ungezeichnet weiße 43 = 7,34 % = 1, wie es der Fall 2 verlangt. Dies also die Nachkommenschaft der Ge- streift gelben von F2. B. Unter den 3/16 gestreift-weißen von F2 finden sich, wie das Kom- binationsschema zeigt, Vi 6- die nur 5 and / enthalten, und 2/l6, die außerdem noch s besitzen. Es ist also 1. möglich, daß die ersteren unter sich paaren, und dann müssen sie als Homozygote die gleiche Nach- — 166 — kommenschaft ergeben. 2. können die letzteren unter sich paaren. Da sie nur in einem Eigenschaftspaar Ss heterozj'got sind, so muß eine einfache Mendelspaltung im Verhältnis 3 Sf : 1 sf eintreten. 3. können letztere mit ersteren zusammenkommen ; da dann in jedem Fall S in die Kombination eingeführt wird, so muß das Resultat wie bei 1 lauter Formen Sf sein. Der Versach ergab in der Tat dann in F3 aus den Nachkommen der 3/lß gestreift weißen in 16 Paarungen: 7 Paare gaben ausschließlich gestreikt weiße, wie Fall 1 und 3 ver- langen, 9 Paare gaben gestreift weiße und unfestreift weiße, und zwar 1698 : 504 = 77,11 % : 22,88 % = etwa 3:1. C. Bei den 3/16 ungezeichnet gelben von F2 muß in F3 natürlich das gleiche eintreten, nur daß hier, wie das Kombinationsschema zeigt, die andere Dominante und die andere Rezessive in Betracht kommen. Das Ergebnis ist in der Tat, daß aus 15 Paarungen in F3 entstanden : 8 Paare gaben ausschließlich ungezeichnet gelbe, 7 Paare gaben ungezeichnet gelbe und ungezeichnet weiße und zwar 1507 : 457 = 76>73 % : 23,26 % = etwa 3 : 1. D. Endlich bleiben noch die l/16 ungezeichnet weiße übrig, die ja reine rezessive sein müssen, somit rein weiter züchten, und in der Tat blieb F3 ebenso. Wir sehen somit hier einen höchst typischen Fall von Mendelschem Diltybridismus. Er zeigt uns aber noch etwas Weiteres. Die Ausgangs- tiere waren gestreift weiß x ungezeichnet gelb. In der Nachkommen schaff fanden sich bereits in F2 die neuen Kombinationen gestreift gelb und ungezeichnet weiß. Da, wie das Kombinationsschema zeigt, diese in je 1/1G der Exemplare homozygot auftreten müssen — im Schema liegen die Homozygoten ja immer in der Diagonale von links oben nach rechts unten — so muß es durch fortgesetzte richtige Aus- wahl schließlich gelingen, diese Homozygoten zu isolieren und damit zwei rein züchtende neue Kombinationen zu schaffen, und sie wurden in der Tat auch isoliert. Es können also auf dem Wege der Bastar- dierung neue Rassen geschaffen werden, die alle denkbaren Neukom- binationen der bei den Eltern vorhandenen Charaktere zeigen. Es — 167 — ist dies natürlich für die praktische Anwendung des Mendelismus in Tier- und Pflanzenzucht höchst wichtig, denn das Erzielen neuer brauch- barer Zuchtrassen besteht meistens in der richtigen Neukombination vorhandener Charaktere. Sind einmal aber die mendelnden Erbfaktoren bekannt, so ist stets theoretisch vorauszusagen, wie eine gewünschte Kom- bination herzustellen ist, natürlich vorausgesetzt, daß sie nicht eine physiologische Unmöglichkeit ist und daß es sich um unabhängig men- delnde Charaktere handelt. Später werden uns auch andere begegnen. Als Beispiel, wie auf diese Art das Unerwartetste erreicht werden kann, möge die folgende von Lang ausgeführte Kombination dienen. Bei den erwähnten 5-bändrigen Schnecken kommen Varietäten vor, bei denen sich die Bänder in einzelne Tüpfel auflösen (var. punctata) und solche, bei denen die Bänder in der Höhe der« Schale miteinander ver Fig. 59- Helix (Tachea) nemoralis. I tüpfelbändrig, 3 u. 4 verschmolzenbändrig, 2 quer- gebändert als Bastardkombination aus beiden. Nach Lang. schmelzen (var. coalita). Beides beruht auf der Anwesenheit eines ent- sprechenden Erbfaktors. Es stehen also die Eigenschaften Ganz- bändrigkeit, Tüpfelbändrigkeit und Verschmolzenbändrigkeit zur Ver- fügung. Könnte man nun durch Bastardkombination Tüpfelbändrig- keit mit Verschmolzenbändrigkeit kombinieren, so müßten die Tüpfel in der Höhe der Schale zusammenfließen und es entstände eine quer- gebänderte Schnecke; und das wurde tatsächlich erreicht, wie Fig. 59 zeigt. Analoge Beispiele gibt es in Hülle und Fülle, vor allem aus der praktischen Pflanzenzucht, die bewußt oder unbewußt so ihre Haupt- erfolge erzielt. Bei einem solchen Fall von Mendelschem Dihybridismus kann es nun natürlich auch vorkommen, daß entweder eine oder auch beide Eigenschaften nicht die Dominanzerscheinung zeigen, sondern sich inter- — 168 — mediär verhalten. Die Zahlenkonsequenzen der Spaltung lassen sich dann leicht aus dem oben ausgeführten ableiten. Da sie für den typi- schen Mendelfall durch die Formel (3+ i)n gegeben waren, werden sie bei zwei intermediär sich verhaltenden Eigenschaften natürlich durch die Formel (1+2+ i)2 erhalten, da ja in diesem Fall für jede Eigen- schaft die Spaltung die 3 Typen 1 DD+ 2DR+ 1 RR ergibt. Wenn also ein Eigenschaftspaar Dominanz, das andere intermediäres Ver- H R. AT/O: Fig. 60. Kreuzung dichter bartiger mit lockeren grannenlosen Ähren mit Spaltung in Fo in 6 Typen. Aus Bateson. halten zeigt, so ist die Konsequenz für F2 (3+1) (1+ 2 + 1) = [3 + 6] + 3 + [1 + 2] + 1, was natürlich entsprechend zusammen- genommen (die Klammern) das klassische Verhältnis von 9:3:3:1 darstellt. Wie sich auf diese Zahlenreihe die einzelnen Typen verteilen, illustriert wunderschön ein Beispiel Biffens, zu dem Bateson die nebenstehend reproduzierte höchst lehrreiche Abbildung gegeben hat (Fig. 60). Es handelt sich um Weizenkreuzungen, wobei die ersten beiden 169 Allelomorphe das Fehlen der Grannen bei der Ähre und ihr Vorhanden- sein (der Bart) sind. Erstere Eigenschaft ist dominant. Das andere Paar ist die dichte Stellung der Körner, die eine kurze kompakte Ähre bedingt, und eine lockere Stellung, die eine lange, schlanke Ähre hervorruft. Diese beiden Eigenschaften vererben intermediär. Die Allelomorphe sind also D (densus) dicht, d nicht dicht = locker, B (barba) Faktor, der die Bartbildung verhindert, b sein Fehlen, der Bart vorhanden. Werden also eine dichte- bartige Form Db und eine lockere-grannenlose dB gekreuzt (P = parentes, Eltern), so ist F1; wie das Bild zeigt, intermediär-grannenlos. In F2 muß dann die Spaltung so eintreten, daß sie sich aus dem Verhältnis 3 B : 1 b und DD : 2 Dd : dd kombiniert. Das gibt, wie die einfache Multiplikation zeigt und das Bild be- stätigt, die Phänotypen 3 BD grannenlos dicht : 6 BDd = grannenlos-intermediär : 3 Bd = grannenlos-lang : 1 bD = bärtig-dicht : 2 bDd = bärtig-intermediär : 1 bd = bärtig-lang. Wir können diese Besprechung der ein- fachen Mendeliälle nicht abschließen, ohne kurz einen Fall erwähnt zu haben, der zu- nächst etwas unklar erscheint, sich dann aber auf das einfachste auflöst. Einer der schön- sten Fälle von Mendelschem Dihybridismus ist die Correnssche Kreuzung des Mais, Zea mays coeruleodulcis. Ersterer hat weiße glatte Körner, letzterer blaue gerunzelte. In Fx ist der Bastard stets blau und glatt und in F2 tritt eine Spaltung ein im Verhältnis von 9 blauen glatten : 3 weißen glatten : 3 blauen runzligen : 1 weißen runzligen, wie nebenstehend abgebildeter von Correns gezüchteter Kolben beweist (Fig. 61). Das ist zunächst nicht Fig. 61. Maiskolben von Fo mit blau- glatten, weiß-glatten, blau- runzeligen und weißrunze- ligen Körnern. Photo, nach einem Corrensschen Ori- ginalstück. — 170 — weiter merkwürdig. Nun beruht aber die blaue bzw. weiße Farbe auf dem durch die durchsichtige Schale durchscheinenden Nährgewebe des Embryo, dem Endosperm. Dieses ist aber gar kein Teil des Embryo, sondern gehört zum mütterlichen Organismus. Der Bastardembryo Fj hat also, wenn der Vater coeruleo-dulcis war, das Endosperm mit der Farbe dieses Vaters, obwohl es ein Teil der weißen Bastardmutter (P) selbst ist. Dieses Übertragen einer Eigenschaft des befruchtenden Vaters au4 Körpergewebe der Mutter nennt man eine Xenie. Die Erklärung hat sich nun durch Nawaschin and Guignard so ergeben, daß bei der Befruchtung 2 Samenkerne in den Embryosack eindringen, von denen der eine das Ei befruchtet, der andere die Zelle, aus der sich jenes Nährgewebe entwickelt. Der nach dem Schema des Dihybridis- mus spaltende Bastard stellt also gewissermaßen eine Verwachsung aus einem Bastardembryo und einem Bastardendosperm dar. Letzteres mendelt aber infolge seiner Entstehung genau so wie ein anderer Bastard. In entsprechender Weise ließen sich nun Beispiele unabhängiger Mendelspaltung für 3 und mehr Faktorenpaare beibringen. Eines für 3 Faktorenpaare lernten wir bereits aus Mendels eigenen Kreuzungen kennen. Bei höheren Faktorenzahlen beginnen natürlich die Schwierig- keiten, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, sehr große Zahlen zu züchten und führen bald an die praktische Grenze, wenn sie nicht schon vorher dadurch erreicht ist, daß es nicht so viele unabhängig spaltende Charaktere gibt. Was das heißt, werden wir erst später verstehen können. Jetzt sei nur noch zum Abschluß dieses A —B—C des Mendelis- mus ein Beispiel mit 4 Faktorenpaaren gegeben. Wie die Tabellen S. 144 zeigen, bildet ein Bastard, der in 4 Faktoren heterozygot ist, 16 Arten von Gameten, nämlich wenn die Faktoren heißen ABCD, a, b, c, d : abc d ABCD ABCd ABcd Abcd ABcD ab CD aBcd AbCD Ab Cd ab Cd aBCD aBcD aBCd AbcD abc D F2 daraus ergibt nicht weniger wie 256 genotypische Kombinationen, die in einem Kombinationsschema zu drucken die Seitengröße nicht ge- stattet. Im Falle von Dominanz in jedem Allelomorphenpaar müssen — 171 — sich in solcher Fo-Generation 16 verschiedene Phänotypen im Ver- _ « hältnis von 81 : 27 : 27 : 27 : 27 : 0 : 9 : 9 : 9 : 9 : 9 : 3 • 3 : 3 : 3 : 1 / Sl finden, nämlich solche, die alle 4 dominanten Charakteres zeigen, '256 solche mit 3 dominanten und einem rezessiven Charakter (vier Sorten 27 in je ——), solche mit zwei dominanten und zwei rezessiven Charakteren 256 (6 Sorten in ie -?—), solche mit einem dominanten und drei rezessiven 256 Charakteren (vier Sorten zu je ) und endlich in allen vier Charakteren / 1 \ 25<3 rezessive ( . Da unter diesen 256 Kombinationen nicht weniger als \256l 81 genotypisch verschieden sind, so dürfte eine weitere Analyse in F3 und F4 bei nicht selbstbefruchtenden Tieren eine Aufgabe von phantas- tischem Umfang bereits sein. Ein aktuelles Beispiel, das sich auf Kreuzung von Mäuserassen (die uns noch später beschäftigen werden) bezieht, ist, nach Little und Phillips, folgendes: Die vier Faktorenpaare sind: G der Faktor, der die Wildfarbe ver- ursacht (Anordnung des Haarpigments in Ringeln) und g das Fehlen dieser Anordnung. N ein Faktor für schwarze Fellfarbe, n läßt das Fell braun erscheinen. S ein Faktor, der jede Farbe in kräftigem Ton erscheinen läßt, während s die Farbe „verdünnt". R endlich ein Faktor, der dunkle Augen bedingt, während Tiere mit r rot äugig sind. (Wir nehmen völlige Dominanz innerhalb der Allelomorphenpaare an, sodaß homo und heterozygote Individuen phänotypisch gleich sind. Später werden wir sehen, daß das nicht ganz stimmt, die Spaltung also noch komplizierter wäre.) Es wird also nun gekreuzt ein aus der Natur stammendes wildes Tier, das alle dominanten Faktoren homozygot besitzt also GG NN S S RR mit einem gezüchteten Individuum, das alle rezessiven Charaktere zeigt, nämlich verdünnt, braun, rotäugig (gg nn ss rr). Fx (Gg Nn Ss Rr) muß natürlich der Wildform gleich- stehen. In F2 sind folgende 16 Phänotypen zu erwarten und wurden in den gegebenen Zahlenverhältnissen erhalten, die mit den Erwartungen so gut übereinstimmen; wie es die relativ kleine Individuenzahl von — 172 — u8o gestattet: (Die Farben in Klammern beziehen sich auf die später zu benutzenden Bezeichnungen der Farben.) Faktoren, Zahl der Indivi- duen Zahlen- Erwar- Anwesende die nur verhält- tetes Aussehen der Phaenotypen: dominante Faktoren rezessiv vorhanden sind nis unter 256 Zahlen- verhält- nis wildfarbig, schwarzäugig G N S R 436 94-5 81 schwarz, schwarzäugig NS R g 127 27-5 27 braun wild- (zimt-) farbig, schwarz- äugig G S R n 103 22.3 27 verdünnt, wildfarbig, schwarzäugig G NR s 130 28.2 27 wildfarbig, rotäugig GNS r 103 22.3 27 braun (schokolade), schwarzäugig SR gn 40 8.7 9 verdünnt braunwild- (zimt-) farbig, schwarzäugig G R ns 31 6.7 9 verdünnt schwarz (= blau), schwarz- äugig NR gs 37 S.o 9 ' schwarz, rotäugig NS gr 35 7.6 9 braunwild- (zimt-) farbig, rotäugig GS ■ nr 38 8.2 9 verdünnt Schwarzwild (blau-aguti), rotäugig G N sr 33 8.2 9 verdünnt braun (silberfarbig), schwarzäugig R gns 11 2.4 3 braun (schokolade), rotäugig S gn r 12 2.6 3 verdünnt braunwild- (zimt-) farbig, rotäugig G nsr 15 3-3 3 verdünnt schwarz (blau), rotäugig N g sr 17 3-7 3 verdünnt braun (silberfarbig), rot- äugig gnsr 7 i-5 1 Zum Schluß der Betrachtung der elementaren Mendelfälle müssen wir noch ein Wort über die sogenannte Rückkreuzung hören. Man nennt eine Rückkreuzung die Kreuzung eines Bastards mit der reinen Elternform, also der Heterozygote mit einer Homozygote. Tn aktuellen Vererbungsexperimenten sind diese Rückkreuzungen von großer Wichtig- keit aus sogleich ersichtlichen Gründen. Im Fall von Dominanz einer Eigenschaft über ihren Partner verläuft die monohybride Rückkreuzung folgendermaßen. Der Bastard Aa aus den Eltern AA and aa kann rückgekreuzt werden mit der dominanten Elteniform AA oder der rezessiven Elternform aa. In ersterem Fall liefert der Bastard Gameten 173 A und a, die dominant-homozygote Form nur A. So sind nur zwei Kombinationen möglich AA und aA im Verhältnis i : i. Die beiden in die Kreuzung eingehenden Formen erscheinen wieder zu gleichen Teilen. Da sie aber beide den dominanten Faktor besitzen, so ist im Falle völliger Dominanz nichts von der Spaltung zu erkennen. Bei der Rückkreuzung mit der rezessiven Homozygote jedoch, also Aa x aa, kombiniert sich A oder a des Bastards mit nur a der reinen rezessiven Form zu Aa und aa zu gleichen Teilen. Es kommen also wieder die beiden in die Kreuzung eingegangenen Typen zum Vorschein; die Spal- tung verläuft phänotypisch in den dominanten and den rezessiven Typ. Nun nehmen wir noch einen doppelt heterozygoten Bastard, also von der Formel Aa Bb und kreuzen ihn zurück mit der reinen rezessiven Form aa bb. Bekanntlich bildet jener Bastard vier Sorten von Gameten, nsunlichAB ,Ab,aB,ab. Die reine rezessive Form aber bildet nur Gameten ab. Somit entstehen bei dieser Rückkreuzung folgende Kombinationen: Bastard Aa Bb X reine Rezessive aa bb, Gameten des Bastards: AB Ab aB ab, Gameten der rezessiven Form: ab. Rückkreuzungskombinationen : Gameten : AB Ab aB ab <7 b AB ab Ab ab aB ab ab ab Die vier Typen entstehen zu gleichen Teilen. Ein Blick auf das Schema zeigt aber, daß das phänotypische Aussehen der vier Typen genau den Charakter der vier Gametensorten des Bastards repräsentiert, da ja die rein rezessiven Gameten a b keinen sichtbaren Einfluß auf das Resultat ausüben. Das sichtbare Resultat dieser Rückkreuzung zeigt uns also genau die Beschaffenheit der Gameten des Bastards wie die Zahlen, in denen sie gebildet werden, hier i : i : i : i. Aus diesem Grund benutzt man diese Rückkreuzung, wenn man die Gametenarten des Bastards und ihre relative Zahl in Fällen feststellen will, die von den bisher be- trachteten Elementarfällen abweichen. Wir werden von dieser Tat- sache in einer späteren Vorlesung Gebrauch zu machen haben. 174 Literatur zur siebenten Vorlesung. Bateson, W., Mendel's Principles of Heredity. Cambridge University Press, März 1909. 2nd Impression August 1909. — , und Mitarbeiter. Reports to the Evolution Committee of the R. Soc. 1 — 5. 1902 — 1909. Correns, C, Über Bastardierungsversuche mit Mirabilissippen. Erste Mitteilung. Ber. d. Deutsch. Bot. Ges. 1902. — , Neue Untersuchung auf dem Gebiet der Bastardierungslehre. Bot. Ztg. 1903. — , Über die dominierenden Merkmale der Bastarde. Ber. d. Deutsch. Bot. Ges. 1903. — , Weitere Beiträge zur Kenntnis der dominierenden Merkmale und der Mosaikbildung der Bastarde. Ibid. 1903. — , Zur Kenntnis einfacher mendelnder Bastarde. Sitzber. preuß. Ak. Wiss. 1918. Darbishire, A. D., On the Result of Crossing Round with Wrinkled Peas, with especial Reference to their Starch Grains. Proc. Roy. Soc. 80. B. 1908. Davenport, C. B., Inheritance in Poultry. Publ. Carnegie Inst., 52. 1907. — , Determination of Dominance in Mendelian Inheritance. Proc. Amer. Phil. Soc. 47. 1908. — , Inheritance of characteristics in domestic Fowl. Ibid. 121. 1909. — , The imperfection of dominance and some of its consequences. Amer. Naturalist. 44. 1901. Goldschmidt, R., A preliminary report on some genetic experiments concerning evolution. Amer. Nat. 1917. Lang, A., Über die Mendelschen Gesetze, Art- und Varietätenbildung, Mutation und Variation, insbesondere bei unseren Hain- und Garten- schnecken. Vortrag. 3. tbs. Verh. d. Schweiz. Naturforsch. Ges. Luzern 1906. — , Fortgesetzte Vererbungsstudien. Zeitschr. f. indukt. Abst.- u. Ver- erbungsl. 5. 191 1. Little, C. C. and Phillips, J. C, A cross involving foiir pairs of Mendelian characters in mice. Amer. Nat. 47, 1913. Lock, R. H., Recent Progress in the Study of Variation, Heredity and Evo- lution. 3. ed. New York 191 2. Standfuß, M., Die alternative und diskontinuierliche Vererbung von Aglia tau und deren Mutationen. Deutsch, entom. Nationalbibliothek. 1. 1910. — 175 — Toyama, Studies on the Hybridology of insects: I. On some silkworm crosses, with special reference to Mendel's laws of heredity. Bull, of the Coli, of Agriculture. Tokyo University. 7. 1906. ■ — , Mendels laws of heredity as applied to the Silkworm Crosses. Biol. Zentralbl. 26. 1906. — , On the varying dominance of certain white breeds of the silk-worm Bombyx mori, L. Zeitschr. f. indukt. Abst.- u. Vererbungsl. 7. 1912. Lehrbücher. Hier ist der Platz, die zahlreichen Lehrbücher der Vererbungslehre zu nennen, die in ihrer Darstellung meist den Mendelismus in den Vordergrund stellen! Babcock, E. B. and Claußen, R. E., Genetics in relation to Agriculture and Breeding. New York 191 8. Ausführliches und vorzügliches Lehrbuch vom Standpunkt der amerikanischen Schule. Bateson, W., Mendel's Principles of Heredity. 3. Imp. Cambridge 1913 Das klassische Buch des Mendelismus, heute aber in vielen Anschau- ungen überholt. Baur, E., Einführung in die experimentelle Vererbungslehre. Berlin 191 1. 3. Aufl. 1920. Das beste zusammenfassende Lehrbuch vom streng-mendelistischen Standpunkt. Castle, W. E., Heredity. (Füll title "Heredity in relation to evolution in animal breeding".) D. Appleton & Co., Xew York and London. 1911. — , Heredity and Eugenics. Harvard Univ. Press. 1916. Correns, C, Die neuen Vererbungsgesetze. Berlin, Gebr. Bornträger. 1912. Elementare Darstellung des Mendelismus. Darbishire, A.D., Breeding' and the Mendelian Discovery. London, Cassel & Co. 1. 1911. Sehr klare populäre Darstellung. Godlewski, E. jun., Das Vererbungsproblem im Lichte der Entwicklungs- mechanik betrachtet. Heft 9 der Vorträge und Aufsätze über Ent- wicklungsmechanik von Roux. 1909. Haecker, V., Allgemeine Vererbungslehre. Braunschweig, Vieweg u. Sohn. 2. Aufl. 1912. Stellt die zelluläre Seite in den Vordergrund. Johannsen, W. , Elemente der exakten Erblichkeitslehre. Jena 1909 Das oft zitierte grundlegende Buch. Kronacher, C, Grundzüge der Züchtungsbiologie. Berlin, Paul Parey, 1912. Stellt die Tierzucht in den Vordergrund. — 176 — Lang, A., Die experimentelle Vererbungslehre in der Zoologie seit 1900. Jena 1914. 1. Bd. nur erschienen. Sehr breit angelegtes Handbuch. Plate, L., Vererbungslehre. Leipzig 191 3. Enthält reiches Material über Vererbung beim Menschen. Punnett, R. C, Mendelism (3rd edition, enlarged). 1911. — , Mendelismus. Ins Deutsche übertragen von W. von Proskowetz. Brunn 1910. Elementare kurze Darstellung. Ziegler, H. E., Vererbungslehre. Jena 1918. Achte Vorlesung. Die Zelle als Sitz der Vererbungserscheinungfen. Der Chromo- somenmechanismus und die Mendelspaltung. Die geniale Konzeption, die es Mendel ermöglichte, die Bastard- spaltung durch ein eigentlich unendlich einfaches Gesetz zu erklären, war die Erkenntnis der Reinheit der Gameten und ihrer Kombination nach Wahrscheinlichkeitsgesetzen. Die Eigenschaftsträger, oder, wie wir jetzt sagen, Erbfaktoren oder Gene bleiben im Bastard unabhängig voneinander und werden auf die sich bildenden Geschlechtszellen nach Zufallsgesetzen verteilt, sodaß jede Kombination die gleiche Wahr- scheinlichkeit hat, somit die gleiche Zahl von Geschlechtszellen jeder möglichen Sorte im Durchschnitt gebildet wird. Die Genialität dieser Erkenntnis erscheint umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, daß zu Mendels Zeit die Naturgeschichte der Geschlechtszellen nahezu un- bekannt war, daß die zellulären Einzelheiten des Befruchtungs Vorgangs noch nicht entdeckt waren und man von all den Feinheiten der Zell- struktur noch keine Ahnung hatte. Erst 10 Jahre nach Erscheinen von Mendels Arbeit begann die neue Zellenlehre ihren glänzenden Entdeckungszug und hat heutzutage vollständig aufgeklärt, wie die Reinheit der Gameten und die daraus folgende Mendelspaltung in dem Wesen der Geschlechtszellen bedingt ist. Die Verteilung der Erbfaktoren auf gleiche Zahlen von Gameten ist ja ein Vorgang, der voraussetzt, daß irgend ein Mechanismus vorhanden sein muß, der dies Sortieren ermög- licht. In einem Sack, gefüllt mit Eisenstaub und Mehl, werden sich die beiden Substanzen ebensowenig vermischen, wie die Erbfaktoren in einer Bastardgeschlechtszelle. Um sie aber rein voneinander zu sondern, ist irgendeine mechanische Einrichtung nötig, in dem Beispiel ein Magnet. Die Zellforschung hat nun gezeigt, daß tatsächlich in der Zelle ein Mechanismus vorhanden ist, der die Verteilung der Erb- faktoren in der im Mendelexperiment erwiesenen Weise ermöglicht, Goldschmidt, Vererbungswissenschaft. 3. Aufl. 12 — 178 — und die Kombination der Zellforschung mit dem genetischen Experiment hat den bindenden Beweis erbracht, daß dieser Mechanismus tatsäch- lich an der Basis der Mendelschen Vererbungsgesetze liegt. Nicht nur dies ; sie hat auch ergeben, daß die verwickelten Abweichungen von dem einfachen Mendelfall, die wir später studieren werden, nur so ihre ein- fache Erklärung finden, ja daß sie direkt logische Konsequenzen aas dem Wesen jenes Mechanismus sind. Ehe wir daher in der Betrachtung der Vererbungsgesetze fortfahren, müssen wir diesen Mechanismus verstehen leinen. Wir haben schon gehört, daß in der Regel ein Organismus sich aus einer befruchteten Eizelle entwickelt. Rein zellulär betrachtet unter- scheiden sich nun die Geschlechtszellen in nichts Wesentlichem von all den anderen Zellen, die den Körper der Lebewesen zusammensetzen. Wissen wir doch auch, daß unter Umständen eine gewöhnliche Körper- zelle ebenfalls imstande ist, einen neuen Organismus zu reproduzieren. Aus einem kleinen herausgeschnittenen Stück des Kiemenkorbs der Ascidie Clavellina kann sich das ganze Tier regenerieren, gewissen Körper- zellen kommt also hier die gleiche Fähigkeit zu wie den Geschlechts- zellen. Wir dürfen also annehmen, daß die für die Vererbung in Betracht kommenden Zellbestandteile sich im wesentlichen in jeder Zelle vor- finden. Wie können wir nun. Anhaltepunkte gewinnen, wo sie in der Zelle zu suchen sein werden? Das was dem Forscher, der die Lebenserscheinungen der Zelle studiert, immer wieder als das merkwürdigste entgegentritt, ist die Fähigkeit der Zelle, sich durch Teilung zu vermehren und diese Teilung auf eine höchst eigentümliche Art durchzuführen. Die Teilung besteht darin, daß die beiden Hauptbestandteile der Zelle, der Zelleib oder das Proto- plasma und der Zellkern halbiert werden und so zwei Tochterzellen entstehen, die außer in der zunächst geringeren Größe genau der Mutter- zelle gleichen. Nun verläuft aber in der überwältigenden Mehrzahl der tierischen und pflanzlichen Zellen der Teilungsprozeß "nicht als eine ein- fache Halbierung, sondern in der komplizierten Weise, die umtsehende Figur 62 darstellt, dem Vorgang der Karyokinese. Die Teilung wird dadurch eingeleitet, daß neben dem Kern sich im Umkreis eines Körn- chens, des Centrosoms, eine Strahlenfigur bildet, die durch die Teilung — 179 — des Centrosoms sich bald verdoppelt und in ihre beiden Hälften aus- einanderweichend zwei gegenüberliegende Pole der Zelle einnimmt. Inzwischen haben im Innern des Kerns komplizierte Umlagerungen seiner wichtigsten Substanz stattgefunden, die man wegen ihrer Neigung, gewisse Farbstoffe festzuhalten, Chromatin nennt, und die damit enden, daß sich eine bestimmte Anzahl, sagen wir vier, festere Schleifen ausbilden, die vielgenannten Chromosomen. Nun löst sich der Kern aaf, und die Chromosomen ordnen sich in einer Reihe im Äquator der zweipoligen Strahlenfigur an. Dann wird ein jedes Chromosom der Länge nach gespalten, so daß jetzt je zwei Spalthälften einander gegenüber liegen, und diese beginnen sich zu trennen und nach den beiden Zellpolen auseinander zu wandern, bis sie nahe bei den Centrosomen angelangt sind. Jetzt aber verläuft der ganze Prozeß wieder rückwärts, die Chro- mosomen verlieren ihre individuelle Abgrenzung, es bildet sich aus ihnen ein neuer Kern, die Strahlung erlischt and es sind zwei Zellen von gleicher Art wie die Ausgangszellen gebildet. Überlegen wir nun einmal, was dieser komplizierte Vorgang be- deuten kann, welchen Vorzug er etwa vor einer einfachen Durchschnürung von Zelle und Kern hat. Es wurde der ganze geformte Inhalt des Kerns in Chromosomenschleifen zusammengefaßt und diese durch eine Spaltung verteilt: das besagt, daß der Kerninhalt oder richtiger seine färbbare Substanz, das Chromatin, in einer ganz besonders exakten Weise verteilt wird. Stellen wir uns vor, wir erhielten die Aufgabe, einen Sack mi^ Bohnen auf zwei Hälften zu verteilen. Wir könnten es so ausführen, daß wir den Sack in der Mitte durchschnürten und so in zwei gleiche Hälften zerlegten. Sehr genau wäre allerdings diese Teilung nicht. Besser wäre es, wir zählten die Bohnen ab und legten die Hälfte auf jede Seite ; dann hätten wir in der Tat gleiche Zahlen, aber die eine Bohne ist groß, die andere klein, die eine sehr nährst off haltig, die andere ver- dorben, kurz, unsere beiden Haufen wären immer noch nicht völlig gleich. Wirklich gut geteilt hätten wir erst, wenn jede Bohne der Länge nach halbiert und die Hälften verteilt würden. Das Beispiel zeigt uns klar, daß die Einteilung des Kerninhaltes in Chromosomen und deren Verteilung durch Spaltung nichts anderes bezwecken kann, als die be- treffende Substanz des Kerns möglichst genau auf die Tochterzellen zu — 180 — Fig. 62. Schema der mitotischen Zellteilung. 1 — 3 Bildung der Chromosomen im Kern, 4 Auf- lösung des Kerns, 5, 6 Bildung der Aequatorialplatte, 7, 8, 10 Auseinanderweichen der Tochterplatten, 9, II, 12 Rekonstruktion der Tochterkerne. Gez. von Dr. Dingler. — 181 — verteilen. Der Schluß liegt also nahe, daß hier in den Chromosomen Qualitäten der Zelle lokalisiert sein müssen, die zu ihrem notwendigen Bestand gehören. Die allererste Eigenschaft einer jeden Zelle ist aber, daß sie eine Artzelle ist: jede Zelle eines Hundes ist nur Hundezelle, jede Zelle einer Linde nur Lindenzelle. Dürfte also nicht auch noch weiterhin geschlossen werden, daß wir hier in den Chromosomen die Träger des das Wesen der Art ausmachenden erblichen Eigenschaften zu sehen haben? Wollen wir diese Annahme erweisen, so müssen wir zunächst einmal den Beweis dafür führen, daß der Zellkern, in dem sich ja nur bei der Teilung die Chromosomen erkennen lassen, der Träger der erblichen Eigenschaften ist. Der Beweis läßt sich mit größter Wahrscheinlichkeit aus den Erscheinungen der normalen wie der experimentell beeinflußten Befruchtung führen. Bei der Befruchtung dringt eine männliche Samen- zelle in die weibliche Eizelle ein. Beide Zellen, die sogenannten Gameten, bestehen trotz verschiedener äußerer Form aus den typischen Bestand- teilen der Zelle, Kern und Protoplasma. Nun zeigen viele Samenzellen die Form eines langen Fadens, dessen besonders gestaltetes Vorderende der Kopf, den Kern darstellt, wie seine Entstehung lehrt, das übrige aber, Mittelstück und Schwanz, dem Protoplasma entspricht. In vielen Fällen wird nun beobachtet, daß bei der Befruchtung nur der Kopf in die Eizelle dringt (und ganz entsprechend bei den höheren Pflanzen nur der Kern des Pollenschlauchs), der Schwanz aber abgeworfen wird. Innerhalb des Eiprotoplasmas nimmt dann der Kopf die Gestalt eines gewöhnlichen Kerns an und verschmilzt mit dem Kern der Eizelle. Der wesentliche Vorgang bei der Befruchtung ist also eine Verschmelzung des väterlichen mit dem mütterlichen Kern. Da bei der Befruchtung die Eigenschaften beider Eltern auf die Nachkommen übertragen werden, so müssen diese Eigenschaften in irgendeiner Weise in den Kernen der Gameten enthalten sein. Im Kern dürfen wir also mit Recht die Träger der Vererbung suchen. Wo sie dort liegen, zeigt ein weiter eindringendes Studium der Befruch- tung. Wir sagten, daß bei ihr die Kerne der Gameten verschmelzen. Oft ist dies aber nicht ganz wörtlich zu nehmen, vielmehr bleiben die Kerne zunächst nebeneinander liegen. Die weitere Entwicklung zum Organismus, die nach der Befruchtung einsetzt, besteht nun in einer — 182 — unübersehbaren Folge von Zellteilungen, deren erste bald nach der Be- fruchtung eintritt. Da kann es denn sein, daß die Zellteilungsfigur sich bildet, ohne daß die beiden Kerne miteinander verschmolzen sind und da tritt das gleiche ein, wie bei jeder anderen Zellteilung, die Chromo- somen bilden sich aus. Aber nun bilden sie sich in jedem Kern getrennt aus, in dem nebenstehend abgebildeten Beispiel (Fig. 63) je zwei in jedem Kern. Die fertige Zellteilungsfigur enthält also eine Anzahl, hier vier Chromosomen, von denen die Hälfte von der Eizelle, die Hälfte von der Samenzelle stammt. Bei der nun folgenden Teilung werden alle der Länge nach gespalten und auf die Tochterzellen verteilt. Es erhält somit eine jede Tochterzelle zur Hälfte väterliche und zur anderen Hälfte mütterliche Chromosomen und ebenso geht es bei jeder weiteren Zellteilung. Nun werden bei der Befruchtung die Eigenschaften beider Eltern auf die Nachkommen vererbt. Das, was die Zellen der Nachkommen in gleicher Weise von beiden Eltern besitzen, sind aber nur die Chromosomen und somit müssen wir schließen, daß auch in den Chromosomen die betreffenden Eigenschaften lokalisiert sein müssen. Wir haben nun bisher keinen besondern Wert auf die Zahl der Chro- mosomen gelegt. Und doch ist diese nicht etwa gleichgültig. Es zeigt sich vielmehr, daß sie bei allen Tier- und Pflanzenarten eine typisch konstante ist. Ein Pferdespulwurm zeigt in seinen sich teilenden Zellen vier, ein Mensch in allen Zellen, welche es auch seien, 24, eine Tomate auch 24, ein Nachtschatten aber 72 und so fort. Kurzum, jede Art von Lebewesen besitzt eine für sie charakteristische Chromosomenzahl in den Kernen ihrer Zellen. Nun haben wir gehört, daß bei der Befruchtung zwei solche Kerne sich miteinander vereinigen. Hätten sie auch die typische Zahl, so wäre nach der Befruchtung in der Zelle die doppelte Anzahl vorhanden. Alle Zellen der Nachkommen- schaft, also auch ihre Geschlechtszellen bergen jetzt die doppelte Chro- mosomenzahl und wenn sie sich wieder bei der Befruchtung vereinigten, so bekäme die Enkelgeneration bereits die vierfache Zahl und so fort. Soll das nicht eintreten, und tatsächlich ist ja die Chromosomenzahl eine konstante, so kann es nur auf einem Wege erreicht werden; es muß eine Einrichtung bestehen, die bewirkt, daß in den Geschlechtszellen vor 183 — 1 u C v .i) 5 6. d ■" U G fl d u 2 o G 3 XI G 2 IC M -G > o o ' c u CO isfü XI c 3 u 3 (LI -G O '« c . t> .£ Ö XI o Vi 3 £ Ö 3 S a* H-( *-« 2 2 'S 2 .S C/l - „ s « "^ o d wi I-. - o <0 1) - ' i> d X3 — d ^fc d d d 1—1 u i> .Ti -G . u u 8 «"§ •g ts * < u s d d 3 S 8 E £ o C3 •" _+. M S . • U « u — 184 — ihrer Vereinigung die Chromosomenzahl auf die Hälfte herabgesetzt wird. Nur so kann nach der Befruchtung immer noch die Normalzahl gewahrt bleiben. Tatsächlich findet sich eine solche Einrichtung, be- stehend in einer besonderen Teilung, die eine jede Geschlechtszelle durch- machen muß, bevor sie befruchtungsfähig wird, der Reduktionsteilung, deren besonderer Mechanismus so verläuft, daß durch sie die Hälfte der Chromosomen aus der Zelle entfernt wird. Eine jede befruchtungsfähige Geschlechtszelle enthält also nur die Hälfte der normalen Chromo- somenzahl. Auf diese Teilung nun, oder richtiger gesagt, zwei Teilungen, durch die die Chromosomenzahl auf die Hälfte herabgesetzt wird, konzentriert sich nun unser ganzes Interesse, denn in ihnen werden wir sogleich den einfachen Mechanismus erkennen, der der Mendelspaltung zugrunde liegt. Wenn wir nun unsere Aufmerksamkeit auf diese Reifeteilungen richten, so finden wir in einer zur Reifeteilung fertigen Geschlechtszelle die Chromosomen bereits in eigenartiger Weise für das Kommende vor- bereitet. Es zeigt sich nämlich, daß bereits im Beginn dieser Teilungen in der mitotischen Figur nur die Hälfte der der Art zukommenden Chromatinelemente sichtbar ist; die Elemente unterscheiden sich aller- dings deutlich von gewöhnlichen Chromosomen durch den Aufbau aus mehreren Teilstücken; man nennt sie wegen einer besonders typisch auftretenden Einteilung Tetraden. Ihre Entstehung muß somit zuerst klar sein, ehe ihre Verteilung bei den Reife teilungen verstanden werden kann. Wurde nun das Verhalten des Kernchromatins der Geschlechts- zellen soweit zurückverfolgt, bis man an den Punkt ankam, an dem sie soeben aus der letzten Teilung der Urgeschlechtszellen hervorgegangen waren, — es folgt also bis zur Reifeteilung keine weitere Teilung mehr, die Zwischenzeit in der Entwicklung wird vielmehr durch das Wachs- tumsstadium der Geschlechtszellen ausgefüllt — so fand man stets, daß im Kern eine Reihe absonderlicher Veränderungen des Chromatins vor- gingen. Sie beginnen mit einer dichten Aufknäuelung des Chromatin- fadens, die man Synapsis nennt; die nun folgenden Umwandlungen erscheinen besonders markant im Bukettstadium, in dem die einzelnen Schleifen, in die sich nach der Synapsis der Faden auflöst, sich gegen einen Kernpol orientieren. Und als Schluß der synaptischen Phäno- — 185 — mene, wie man auch die ganze Periode nennt, aus der sich einige Stadien in Fig. 64 reproduziert finden, erscheint dann zum erstenmal im Kern die halbe, reduzierte Zahl der Chromosomen in Tetradenform. Kein Fig. 64. Die synaptischen Vorgänge in den Eikernen von Dendrocoelum. In d und e findet die Chromosomenkonjugation statt. Nach Gel ei. Zweifel, daß hier während der Synapsis die Halbierung der Chromosomen- zahl zur Halbzahl von Tetraden stattfinden muß. Über das, was während dieser Synapsis in Wirklichkeit mit den Chromosomen vor sich gegangen ist, gibt uns die schematische Fig. 65 Auskunft. — 186 — Es sind 4 verschiedene Chromosomenschleifen angenommen, die durch verschiedene Schraffierung unterschieden sind. Diese legen sich, wie b zeigt, paarweise parallel aneinander, konjugieren so, daß dann die im Bukettstadium vorhandenen — Fig. 65 — verdoppelten Chromosomenschleifen aus zwei eng miteinander verbundenen Einzel- chromosomen bestehen, wie Fig. c zeigt. Die weiteren Umwandlungen d—f bestehen nur in charakteristischen Verkürzungen, die schließlich zu den verschiedenartig gestalteten Tetraden der Reifeteilung führen. Die Pseudoreduktion während der Synapsis besteht also darin, daß sich je zwei Chromosomen vereinigen; jede Tetrade, die in die Reife- teilung eintritt, setzt sich also, welche auch ihre Form sei, aus zwei ganzen vereinigten Chromosomen zusammen. Es sind also, im Beginn der Reife teilung noch alle Chromosomen in den Geschlechtszellen vorhan- Fig. 65. Schema der Bildung der Doppelchromosoraen während der Synapsis. a die 4 Chromo- somenformen, b die parallele Konjugation, die in c vollendet ist, d—f Verkürzung zu den 2 Doppelchromosomen (Tetraden). Nach Gregoire. den, aber sie sind paarweise zur halben Zahl von Chromatinelementen, den Tetraden, vereinigt. Und jetzt sind wir vorbereitet zu erfahren, was in den Reife teilungen geschieht: Das Wesen der Reife teilungen besteht darin, daß in einer von beiden die paarweise miteinander ver- einigten ganzen Chromosomen voneinander getrennt werden, so daß jetzt jede Tochterzelle nicht nur die halbe Zahl von Chromatinelementen, sondern auch die halbe Zahl der vorhandenen Chromosomen besitzt. Fig. 66^4 —E und 67 A —C gehen den Verlauf der zwei Reife teilungen in einem Schema wieder, das sich ebensogut auf tierische Samenzellen als auf pflanzliche Pollenkörner beziehen kann. Bei den Eizellen ist die Reifung im Prinzip ebenso und nur im Detail insofern verschieden, als von den 4 entstehenden Zellen 3 winzig klein und als sogenannte Richtungskörper nicht mehr befruchtungsfähig sind, wie aus der Fig. 63 — 187 — zu erkennen ist. Es ist in nebenstehendem Schema angenommen, daß die Normalzahl der Chromosomen sechs beträgt. In der reifelahigen Geschlechtszelle finden sich somit 3 Chromatinelemente, von denen jedes aus zwei Chromosomen, einem schwarzen und einem punktierten zusammengesetzt ist. Es ist hier nun angenommen, daß die erste der beiden Reifeteilungen diejenige ist, in der die ganzen Chromosomen voneinander entfernt werden, die Reduktionsteilung. In B sieht man die Chromatinelemente in der Äquatorialplatte der (nur angedeuteten) D Fig. 66. Schema des Verlaufes der Reduktionsteilung bei Annahme von drei Tetraden. klärung im Text. Nach Gregoire. Er- Teilungsfigur eingestellt. In C weichen aber zu jedem Teilungspol entweder schwarze oder punktierte Chromosomen auseinander. Daß hier nun ein jedes bereits wieder doppelt erscheint, ist eine unwesent- liche Besonderheit: die Teilung der Chromosome für die zweite Reife- teilung wird so früh schon angedeutet; in vielen Fällen geschieht das sogar schon auf dem Stadium A. Die beiden aus der 1. Reife teilung hervorgegangenen Zellen haben somit jede (D) die Hälfte der (längs- gespalten erscheinenden) Chromosomen, jede 3 von den 6 Chromosomen, — 188 — die den Zellen sonst typisch zukämen. ' Fig. 67 A, B, C zeigt dann den Verlauf der 2. Reifeteilung. Sie geht wie eine gewöhnliche Zellteilung vor sich, bei der die einzelnen Chromosomen der Länge nach halbiert werden, was ja schon vorher in der Verdoppelung in Fig. 68 C ange- deutet war. Diese sogenannte Äquationsteilung, deren Bedeutung übrigens bei dieser Darstellungsweise gänzlich unklar ist, hat für die weiteren Betrachtungen zunächst keine Bedeutung. Das gesamte In- teresse konzentriert sich auf die Reduktionsteilung, bei der die ganzen Chromosomen auf zwei Zellen verteilt werden. Im Schema ist es nun so dargestellt worden, daß die eine Zelle alle schwarzen, die andere alle punktierten Chromosomen erhielt. Und das Fig. 67. Schema des Verlaufes der Äquationsteilung, an Fig. 67 anschließend. 66 E, ist nur um 900 gedreht. Nach Gregoire. A folgt auf führt zu der Frage, ob es denn gleichgültig ist, in welcher Weise die Verteilung erfolgt. Wäre dies Schema wortwörtlich richtig, dann besagte es, daß zwei Gruppen von Chromosomen existierten, von denen die eine in die eine, die andere in die andere Tochterzelle gelangte. Das ist nun aber nicht der Fall, wie sogleich klar wird, wenn wir unsere Kenntnis um einen weiteren Schritt erweitern. Wir wissen, daß die Samenzelle mit ihrer Chromo- somenhälfte die gleichen Eigenschaften zu übertragen imstande ist, wie die Eizelle mit der ihrigen. Denn bei der Bastardierung ist es meist gänzlich gleichgültig, welche von den Elternformen der Vater bzw. die Mutter ist. Aber auch jede reife Geschlechtszelle muß allein in ihrer Chromosomenhälfte sämtliche Eigenschaften vertreten besitzen. Denn aus einem Seeigelei entsteht bei künstlicher Parthenogenese der gleiche — 189 — Seeigel wie aus dem befruchteten Ei, und ein kernloses Seeigeleifragment, das befruchtet wird, also nur den Samenkern enthält (sozusagen männ- liche Parthenogenese) gibt ebenfalls eine richtige Seeigellarve. Es muß also der reife Ei- wie Samenkern sämtliche Chromosomenarten, eine ganze „Chromosomengarnitur" (Heider) besitzen. Das befruchtete Ei muß somit jede Chromosomenart zweimal enthalten, nämlich ein- mal mütterlicher, einmal väterlicher Herkunft. Wenn sich also die Geschlechtszellen der kommenden Generation bilden, müssen sie eben- falls zur Hälfte väterliche, zur Hälfte mütterliche Chromosomen ent- halten, die ihnen im Laufe der Zellgenerationen vom Ei her durch die ganze Entwicklung hindurch — die Keimbahn! — überliefert wurden. In der Synapsis vereinigen sich aber die Chromosomen paarweise; in der Reduktionsteilung werden die Paare auf zwei Zellen verteilt; jede der Zellen besitzt wieder alle Chromosomenarten, die vor der Reifung doppelt vorhanden waren; von diesen stammte die Hälfte von dem Vater, die Hälfte von der Mutter: Folglich können die beiden Chro- mosomen, die sich in der Synapsis vereinigten, nur je ein väterliches und je ein mütterliches Chromosom der gleichen Qualität gewesen sein! Die Tatsache, daß es immer je ein väterliches und ein mütterliches Chro- mosom sind, die sich in der Synapsis vereinigen, deutet also schon darauf hin, daß die Chromosomen eines Sortimentes qualitativ verschieden sind, daß es so viele verschiedene Arten von Chromosomen gibt, als die re- duzierte Chromosomenzahl beträgt; daß somit jede reife Geschlechtszelle ein Chromosom jeder Sorte besitzt, die befruchtete Eizelle aber wie jede Körperzelle zwei jeder Sorte. Wie kann nun bewiesen werden, daß tat- sächlich die Chromosomen der Zelle paarweise qualitativ verschieden sind? Zunächst kann gezeigt werden, daß bei sehr vielen Tier- und Pflanzen- arten das Chromosomensortiment aus sichtbar verschiedenen Einzel- chromosomen besteht, eine Verschiedenheit, die für alle einzelnen Ge- schlechtszellen konstant ist. Umstehende Fig. 68 gibt den Chro- mosomenbestand einer Wanze wieder, der deutlich die verschiedene Größe und Form der einzelnen Chromosomen zeigt. Und in solchen Fällen wurde nun des öfteren festgestellt, daß jede Größenart von Chromosomen zweimal vorhanden ist. In der Abbildung sind sie durch gleiche Nummern gekennzeichnet. Nach der Pseudoreduktion — 190 — in der Synapsis sind aber, wie wir wissen, die Chromosomen paarweise zu Doppelelementen vereinigt, die nun wieder alle jene Chromosomen- größen aufweisen. Es haben sich somit je zwei gleichwertige Chromo- somen vereinigt. Nach dem vorhin Ausgeführten können dies aber nur je ein vom Vater und ein von der Mutter stammendes Element gewesen sein. Wenn wir uns diesen Vorgang nun so klar machen wollen, daß wir das Verhalten der sichtbarlich verschiedenen Chromo- somen in der Reifeteilung verfolgen, können wir an Hand des Schemas Fig. 69 die Konsequenzen erkennen. Es ist angenommen, daß die Nor- malzahl der Chromosomen 8 beträgt, von denen 4 vom Vater (schwarz) 4 von der Mutter (weiß) stammen. Sie zeigen die paarweise Größendifferenz. In der Synapsis (1) legen sie sich parallel zusammen, und zwar großes zu großem, kleines zu kleinem, mit anderen Worten, homologe Chromosomen konjugieren. Treten diese Doppelchromosomen nun in die Reifeteilung ein (2), so ordnen sie sich in -. „, . der Spindel an, wie es der Zufall ergibt und Die Chromosomengarnitur einer u Ureizelle der Wanze Protenor nicht etwa alle schwarzen auf einer, alle belfragei mit 14 Chromosomen, .„ f , , „ . XT , n die sich in 7 unter sich ver- weißen auf der andern Seite. Nach der schiedene Paare ordnen lassen. Reifeteilung (3) besitzt dann jede reife Zelle Nach Wilson. ö w' J ein komplettes Chromosomensortiment, jede Sorte einmal. Aber das Einzelchromosom mag väterlicher oder mütter- licher Herkunft sein, wie es gerade die zufällige Einstellung in die Reifespindel mit sich brachte. Die morphologisch sichtbare Verschiedenheit der Chromosomen deutete bereits darauf hin, daß sie auch qualitativ vom Erbstandpunkt aus verschieden sind. Wir werden in einer späteren Vorlesung den geradezu mathematischen Beweis für die Richtigkeit dieser Annahme, wie überhaupt der ganzen Chromosomenlehre der Vererbung kennen lernen, wie er aus der Kombination von Erbanalyse und Zellanalyse geführt werden kann. Hier sei nur ein Versuch aufgeführt, auf ent- wicklungsmechanischem Weg die qualitative Verschiedenheit der Chro- mosomen eines Sortiments zu beweisen. — 191 — Bei der gewöhnlichen Befruchtung dringt stets nur eine Samenzelle in das Ei ein. Durch eine bestimmte Methode bei der Befruchtung kann es aber beim Seeigelei erreicht werden, daß zwei Samenzellen ein- treten. Beide bilden sich zu einem Kern um, und jeder läßt seine Chromosomenzahl hervortreten. Die normale Chromosomenzahl beträgt 3 Fig. 69. Schematische Darstellung des Verhaltens väterlicher (schwarz) und mütterlicher (weiß) Chromosomen bei der Reifeteilung und Befruchtung, i Die paarweise zu- sammengehörigen väterlichen und mütter- lichen Chromosomen von 4 Größenarten, 2 die Äquatorialplatte der Reduktions- teilung, 3 der Chromosomenbestand in den Kernen der gereiften Geschlechts- zellen. aber bei diesem Seeigel 36, also enthält der reife Eikern wie die reifen Samenkerne nach dem, was wir eben gehört haben, 18. In dem doppelt befruchteten Ei finden sich also 54 Chromosomen. Nun bildet ein solches Ei seine ei$te Teilungsspindel nicht wie andere, sondern es entstehen an Stelle von zwei Teilungspolen deren vier, und wenn dann — 192 — die' Teilung erfolgt, so werden gleichzeitig vier Zellen gebildet, wie nachstehende Figur 70 zeigt. Wie ist nun die Chromosomenverteilung auf diese vier Zellen? Die 54 Chromosomen verteilen sich zunächst zwischen die vier Pole der Teilungsfigur ganz so wie es der Zufall ergibt. Es kann also z. B. der neben- stehend abgebildete Fall, ebenso wie auch jeder andere denkbare eintreten (Fig. 70), daß zwischen die einzelnen Pole 6, 26, 12 und 10 Chromosomen gelangen. Diese wer- den dann in gewöhnlicher Weise längs- gespalten, wie Figur & zeigt, und dann nach den Polen gezogen. Die vier entstehenden Zellen enthalten dann 32, 18, 36 und 22 Chromosomen. Nun nehmen wir einmal an, die 18 Chromosomen der Geschlechtszellen seien nach Qualitäten verschieden, be- zeichnen sie mit den Buchstaben des Alpha- bets und nehmen, um uns die Sache zu ver- einfachen, nur vier, nämlich a, b, c, d an. Dann könnte es der Zufall so fügen, daß sie sich so auf die vier Pole verteilen, wie es Fig. 71a darstellt. Tritt dann die Ver- teilung ein, so erhalten die vier entstehen- den Zellen das an Chromosomen, was Fig. 71& zeigt. Ein Blick läßt erkennen, daß sämt- liche vier Zellen auch sämtliche vier Sorten von Chromosomen erhalten. Nun könnte aber auch die Verteilung auf die Pole so sein, wie es Fig. yia zeigt. Nach der Tei- lung resultierte dann die Chromosomenan- Ordnung der Fig. 72^, die erkennen läßt, „ , , 's' . daß drei der Zellen iede Chromosomenart Schema der Chromosomenvertei- J hing auf die Kerne der ersten Blas- erhalten, einer aber, die punktiert ist, die tomeren des disperm befruchteten ~ T . .. . „. ., , .... .. , . . . , . Echinuseies. Nach Boveri. Sorte d fehlt. Eine weitere Möglichkeit ist in — 193 — Fig. 73a wiedergegeben. Das Resultat der Verteilung in 736 ergibt, daß zwei der entstehenden Zellen ein Manko aufweisen, der oberen punk- tierten nämlich fehlt d, der unteren die Sorte b. Wieder eine andere Fig. 71. f aa a bb bb cc c d d aa a b b cc c v dd dd Fig. 72. Fig. 7: >/^ / a a :■.•'■•'.'•• ä. '.'■•' -\ / bb bb \ f c c :•■•'•' J-'i P- :•'■.'■ ■'/•'•'. 1 d f aa a b b \ c c / \ ddd dd / b / / a a bbb •••'.'••.''•:a.-'- -'\ :{v;-;-bb::}:;'-\ c d :•;.*. \vcc ■.;.'•;•;/.•' aa b :'-.'-'.a. '.■.'••.;•:'. c V ddd ::.'."-.'.'cc;.-.:-.X:7 Fig. 71 — 75. Die 5 Möglichkeiten der Teilung des dispennen Seeigeleies. Die Furchungs- zellen, die nicht alle Chromosomenarten erhalten, punktiert. Nach Boveri. Chromosomenverteilung zeigt Fig. 74a. Hier kommen dann, wie 746 zeigt, vier Zellen zustande, von denen gar dreien etwas fehlt. Und endlich bei dem letzten Musterbeispiel, Fig. 75 sehen wir als Endresultat vier Zellen Goldschmidt, Vererbungswissenschaft. 3. Aufl. 13 — 194 — entstehen, von denen keine jede Sorte von Chromosomen enthält. Nun geht aber die weitere Entwicklung des Seeigeleies so vor sich, daß schließ- lich eine Larve resultiert , deren vier Körperviertel auf diese vier Furchungs- zellen zurückzuführen sind. Sind nun die Chromosomen qualitativ als Erb- träger verschieden, so müssen dementsprechend die Larven in dem Viertel, in dem ihren Zellen gewisse Chromosomen fehlen, auch gewisse Eigen- schaften vermissen lassen, defekt sein. Tatsächlich finden sich in Zuchten Fig. 74- b /' / aaa ; v a \ bb ccc d cc aa b •■■. bbb ■■'.;:': V ddd ;..dü y Fig. 75- aus solchen doppelt befruchteten Eiern neben gesunden Larven solche, die viertel, halb, dreiviertel und ganz defekt sind. Die Richtigkeit des zu Beweisenden, der qualitativen Chromosomendifferenz, wird nun auf ganz sicheren Füßen stehen, wenn sich noch zeigen läßt, in welchem Verhältnis die verschieden beschädigten Larven zu erwarten sind und daß die Wirk- lichkeit diesen Envartungen entspricht. Boveri, von dem diese geist- reichen Untersuchungen stammen, machte es so, daß er sich entsprechend den 108 Chromosomen, die nach der Längsspaltung der 3 x 18 im Ei vor- handen sind, 108 Kugeln mit je sechsmal den Zahlen 1— 18 herstellte, - 195 — sie auf eine runde Platte warf, mit einem darüber gelegten Holzkreuz ganz nach Zufall in vier Portionen teilte und dann auszählte, in welchem Viertel sämtliche Zahlen von i— 18 vorhanden waren und in welchem nicht. Aus zahlreichen Zählungen ging dann hervor, daß in einem ge- wissen Prozentsatz der Fälle alle vier Quadranten sämtliche Zahlen ent- hielten, in anderen nur 3, 2, 1 oder gar keiner. Wurden nun die in dem wirklichen Experiment erhaltenen Larven gezählt, so zeigte sich, daß die gefundenen gesunden, 1/4, 1/2, SU und ganz defekten in genau dem gleichen Verhältnis auftraten wie in dem Holzkugelversuch die Fälle, in denen keinem, einem, zwei, drei oder allen vier Quadranten bestimmte Kugeln fehlten. Damit aber war die qualitative Verschiedenheit der Chromosomen bewiesen. Nunmehr können wir daran gehen, uns klar zu machen, wieso der Mechanismus der Chromosomenverteilung tatsächlich den der Mendel- spaltung zugrunde liegenden Mechanismus darstellt. Die einfache An- nahme ist die, daß mendelnde Erbfaktoren in irgend einer Weise in den Chromosomen liegen, daß die Chromosomen die Vehikel für diese Faktoren darstellen. Um die Darstellung weniger schwerfällig zu machen, nehmen wir an, daß in jedem Chromosom nur ein Mendelfaktor liege. Das soll aber nicht etwa heißen, daß dies wirklich der Fall sei. Tat- sächlich werden wir später das Gegenteil genau studieren. Es bedeutet bloß, daß wir uns hier nur mit diesem einen Faktor beschäftigen. Wenn wir also von dem Chromosom für schwarzes Fell sprechen, meinen wir das Chromosom, in dem unter anderem auch der hier allein betrachtete Faktor für schwarzes Fell liegt. Betrachten wir nun unter dieser Annahme den Ablauf eines Bastardierungsexperimentes. Setzen wir den Fall, die Normalzahl beider Bastardeltern sei 8 Chro- mosomen, so haben ihre Geschlechtszellen als reduzierte Zahl 4. Nehmen wir nun an, von diesen vieren bedinge eines bei der Bastardmutter ein schwarzes Fell. Wir können dann die 3 Chromosomen der reifen Eizelle, die zu den anderen Eigenschaften des Tieres gehören, punktiert wieder- geben und das Schwarzfellchromosom schwarz. Der Bastardvater unter- scheide sich von der Mutter durch ein weißes Fell und habe dement- sprechend außer den drei punktierten ein weißes Chromosom. Die Geschlechtszellen der P-Generation sehen dann so aus, wie es Fig. 76 1, 2 13* — 196 — zeigt. 3 gibt deren Vereinigung bei der Befruchtung wieder und 4 zeigt den Chromosomenbestand des Bastards in Fx. Fig. 77 stellt nun dar, wie in diesem Bastard die Reifung der Geschlechtszellen verlaufen muß. In der Synapsis vereinigen sich die homologen väterlichen und mütter- lichen Chromosomen paarweise. Es kommen somit 3 punktierte Paare zusammen und natürlich auch das schwarze Fellfarbechromosom mit dem weißen Vertreter der entsprechenden Eigenschaft (a). So treten nun die Chromosomenpaare in die Reduktionsteilung ein (b) und werden a Aa Fig. 76. Schema des Verhaltens der Chromosomen bei der BastardbefruchtuDg in Anlehnung an Heide r). dort auseinandergeteilt, so daß jede Tochterzelle drei punktierte Chro- mosomen erhält, die eine aber dazu ein schwarzes, die andere ein weißes (c). Da aber die zweite Reifeteilung, die eine gewöhnliche Zellteilung darstellt, an dieser Verteilung nichts mehr ändert, so ist das Endresultat, daß zwei Sorten von Geschlechtszellen entstehen: eine, die in bezug auf die Fellfarbe nur das schwarze Chromosom, eine, die nur das weiße ent- hält, d. h. mit anderen Worten, nichts anderes als in bezug auf jene Eigenschaften reine Gameten (d). Es werden also von beiden Geschlech- — 197 — tern in Fx diese zwei Sorten von Gameten, und zwar in gleicher Zähl, gebildet. Bei der Befruchtung zwischen zwei solchen Bastardindividuen können sich somit die Geschlechtszellen auf 4 Arten je nach Zufall zusammenfinden, wie es Fig. 78 zeigt. Entweder kommen zwei Ga- meten mit schwarzen Chromosomen zusammen, oder die Samenzelle hat I xt>. Fig- 77- Das Verhalten der Chromosomen bei der Reifung der Geschlechtszellen des Bastards Aa von Fig. 77, schematisch dargestellt. das schwarze, die Eizelle das weiße Chromosom oder das Umgekehrte ist der Fall, oder endlich beide kopulierende Gameten haben das weiße. Nennen wir das schwarze Chromosom aber A, das weiße a, so haben wir hier ganz klar das Mendelsche Spaltungsverhältnis für F2 : AA : Aa : aA : aa. Es ist klar, daß das, was jetzt für ein Chromosom ausgeführt wurde, — 198 — ebensogut sich für mehrere ausführen läßt, vorausgesetzt, daß die ver- schiedenen Faktoren in differenten Chromosomen liegen. Die folgenden Figuren 79, 80 stellen das gleiche für zwei Eigenschaftsträgerpaare dar, um zu zeigen, daß auch das völlig unabhängige Mendeln einer jeden Einzeleigenschaft in den Chromosomenverhältnissen eine gute Dar- stellung sindet. Es sind wieder 4 Chromosomenpaare angenommen, von denen zwei in Betracht gezogen werden ; ein großes und ein kleines schwarzes im einen Elter, ein großes und ein kleines weißes im anderen. J. 77f>2* TifAi yd Fig. 79- Die zwei möglichen Arten der Verteilung von 2 verschiedenen Chromosomenpaaren bei der Reifeteilung der Geschlechtszellen eines Dihybriden. Es können 4 Arten von Gameten I — IV gebildet werden. Also auch für den Dihybridismus und selbstverständlich auch für den Polyhybridismus läßt sich in gleicher Weise die Ableitung aus den Chro- mosomenverhältnissen gestalten, bis zu der Zahl unabhängig mendelnder Eigenschaften, die der halben (reduzierten) oder haploiden Chromo- somenzahl gleich ist (haploid im Gegensatz zu diploid gleich voller Chromosomenzahl) . — 200 — Fig. 80. Die 16 Möglichkeiten, in denen sich die 4 Gametenarten des Dihybriden zur Erzeugung von F2 kombinieren können. Die Buchstabensymbole ergeben das Kombinations- schema des Dihybridismus. — 201 — Wir sehen somit, daß die Annahme, daß mendelnde Faktoren in den Chromosomen lokalisiert sind, vollständig das Gesetz von der Reinheit der Gameten erklärt, und ebenso die Tatsachen der Spaltungsgesetze, soweit wir sie bisher kennen lernten. Der von Mendel mit zwingender Logik erschlossene Mechanismus des Verhaltens der Erbfaktoren in den Geschlechtszellen ist sichtbar im Reifeteilungsmechanismus der Chromo- somen vorhanden. Diese von Sutton und Boveri zuerst durchgeführte Anschauung leuchtet wohl ohne weiteres ein. Heute aber kann sie, nach vieler Diskussion für und wider, als eine elementare Tatsache gelten. Wie dies bewiesen wurde, können wir aber erst zeigen, wenn wir uns mit einer Anzahl weiterer Resultate der Bastardierungsexperimente bekannt gemacht haben werden, die nicht über den Rahmen des ein- fachen Mechanismus hinausgehen, den wir bisher kennen lernten. Literatur zur achten Vorlesung. Boveri, Th., Ergebnisse über die Konstitution der chromatischen Substanz des Zellkerns. Jena 1904. — , Zellenstudien. 6. Jena 1907. Fick, R., Vererbungsfragen, Reduktions- und Chromosomenhypothesen, Bastard-Regeln. Erg. d. Anat. u. Entw.-Gesch. 16. 1907. Gates, R. R., The material basis of Mendelian phenomena. Amer. Na- turalist. 44. 191 o. Godlewski, E. jun., Das Vererbungsproblem im Lichte der Entwicklungs- mechanik betrachtet. Heft 9 der Vorträge und Aufsätze über Ent- wicklungsmechanik von Roux. 1909. Gregoire, V., Les fondements cytologiques des theories courantes sur l'heredite Mendelienne. Ann. Soc. Roy. Zool. et Malacol. Belgique. 42. 1907. — , Les cineses de maturation dans les deux regnes, Turnte essentielle du Processus meiotique. La cellule. 26. 1910. Guyer, M. J., Nucleus and cytoplasm in heredity. Am. Xat. 45. 1911. Haecker, V., Die Chromosomen als angenommene Vererbungsträger. Spengels Erg. u. Fortschr. d. Zool. 1907. — , Allgemeine Vererbungslehre. Braunschweig. Vieweg u. Sohn. 2. Aufl. 1912. Heider, K., Vererbung und Chromosomen. Vortrag. Versamml. d. Natur- forscher u. Arzte. Jena 1906. — 202 — Morgan, Th. H., mit Sturtevant, Muller, Bridges, The mechanism of Mendelian heredity. New York 1915. Rosenberg, O., Das Verhalten der Chromosomen in einer Hybridenpflanze. Ber. d. Deutsch. Bot. Ges. 21. 1903. — , Über die Tetradenteilung eines Drosera-Bastardes. Ibid. 22. 1904. Roux, W., Über die Bedeutung der Kernteilungsfiguren. Eine hypo- thetische Erörterung. 1895. Strasburger, Ed., Chromosomenzahlen, Plasmastrukturen, Vererbungs- träger und Reduktionsteilung. Jahrb. f. wiss. Bot. 1908. Sutton, W. S., On the Morphology of the Chromoso me group in Bra- chystola magna. Biol. Bull. 4. 1902. Weis mann, A., Das Keimplasma. Jena 1892. Wilson, E. B., The Cell in Development and Inheritance. New York and London 1900. — , The Bearing of cytological research on heredity. Proc. R. Soc. 88. 1914. Es sind hauptsächlich Schriften zitiert, von denen aus eine Orientierung in der ungeheuren Literatur über den Gegenstand dieser Vorlesung und die einschlägigen Streitfragen möglich ist. Neunte Vorlesung, Das Zusammenarbeiten mendelnder Faktoren bei der Verursachung von Eigenschaften. Auftreten von Neuheiten im Bastard und Hy- bridatavismus (Reversion). Die Faktorenanalyse und Variation durch Rekombination* Sowohl bei der Besprechung der elementaren Mendelfälle als auch bei der Analyse ihrer Beziehung zu der Chromosomenlehre bedienten wir uns zunächst einer Ausdrucksweise, die einfach einen Erbfaktor als Verursacher einer Außeneigenschaft ansah. Bas ist nun eine, sozu- sagen, naive Vorstellung, die sich bei näherer Betrachtung als unmöglich erweist. Die Situation ist vielmehr die, daß das sichtbare Resultat auf dem Zusammenarbeiten aller Erbfaktoren, der gesamten genotypischen Beschaffenheit beruht. Der Faktor N, sagen wir für schwarze Fellfarbe erzeugt nicht als solcher ein schwarzes Fell, sondern er bedingt, daß die Fellfarbe schwarz wird, vorausgesetzt, daß eine bestimmte geno- typische Beschaffenheit Vorliegt, also bestimmte Faktoren A, B, C usw. vorhanden sind. Ist aber z. B. ein bestimmter Faktor, sagen wir, P nicht vorhanden, so mag trotz der Anwesenheit von N keine Farbe ge- bildet werden. Das Resultat hängt also vom Zusammenspiel vieler Faktoren, wenn nicht aller ab. Eigentlich ist das ja auch selbstver- ständlich. Wenn wir annehmen, daß die Bildung der Haare von Erb- faktoren abhängt, so kann der genannte Faktor N ja nichts ausrichten, wenn keine Haare gebildet werden. Die Mendelsche Analyse kann aber auch das Vorhandensein von Faktoren nachweisen, die keinen sieht- baren Effekt ausüben. Aus diesem Zusammenarbeiten der Einzelfaktoren im Hervor- bringen von Eigenschaften entspringen nun eine Anzahl Besonder- heiten, die in der Hervorbringung von Zahlenverhältnissen wie phäno- typischen Befunden resultieren, die zunächst von den einfachen Mendel- schen Erwartungen abweichen. Die Analyse erweist sie aber in — 204 — jedem Fall als völlig im Rahmen der elementaren Voraussetzungen er- klärbar. Mit solchen Erscheinungen wollen wir uns nun im folgenden befassen. , Da ist eine erste Gruppe von Tatsachen, die in verschiedenartiger Weise das Zusammenarbeiten der Erbfaktoren demonstrieren; ihr ist die Erscheinung gemeinsam, daß in den Bastardgenerationen „Neu- heiten" auftreten, Eigenschaften, von deren Vorhandensein bei den Bastardeltern nichts zu merken war, also etwa das Auftreten von Farbe bei Kreuzung weißer Rassen. Die zuerst von Tscher mak studierte Erscheinung, die dann vor allem durch Bateson und seine Mitarbeiter, wie durch Correns, Cuenot, Shull geklärt wurde, hat als Ganzes, oder in ihren Teilen die verschiedenartigsten Bezeichnungen erhalten, wie Latenz, Hybridatavismus, Kryptomerie, Reversion (Rückschlag), die schwer voneinander abzugrenzen sind. Es läßt sich aber auch ganz gut ohne sie auskommen. Die beiden ersteren und die letzte Bezeich- nungen sind allerdings solche, die in der Erblichkeitslehre schon lange eine große Rolle spielen. Es war immer bekannt, daß ein Organismus Eigenschaften enthalten kann; die nicht sichtbar in Erscheinung treten- die er latent besitzt und die aus irgendeinem Grund gelegentlich zum Vorschein kommen können. Es ist ferner bekannt, daß Organismen plötzlich oder nach Bastardierung Eigenschaften zeigen, die vermut- lich denen ihrer Ahnen entsprechen, Atavismen sind. Bekanntlich haben gerade diese Atavismen im Gefolge von Kreuzung eine große historische Rolle in der Biologie gespielt, indem Darwin wichtige Schlüsse auf der Tatsache aufbaute, daß nach Kreuzung von domesti- zierten Taubenrassen in der Nachkommenschaft das Gefieder der wilden Felstaube, der mutmaßlichen Stammform, auftrat. Das mendelistische Studium dieser Erscheinungen hat nun dazu geführt, auch das Auftreten von Neuheiten nach Bastardierung auf Grund der Beschaffenheit der Gameten zu erklären und damit die zu erwartenden Zahlenverhältnisse zu bestimmen. In zahlreichen genauer analysierten Fällen haben solche Bestimmungen bereits ihre Feuerprobe bestanden. Wir beginnen mit dem zuerst bekannt gewordenen Fall, dem klassi- schen Fall der Vererbung der Kammformen bei Hühnerrassen, der schon — 205 — Darwin beschäftigte und durch Bateson und Punnett vor allem seine Klärung erfuhr. Viele Hühnerrassen haben die Kammform des wilden Ahnen, den sogenannten einfachen Kamm (Fig. 8i^4.) Als besondere erbliche Kammformen treten nun einmal der sogenannte Erbsenkamm (Fig. 81C) und dann der Rosenkamm (Fig. 81D) auf. Die letzteren beiden reinzüchtenden Kammformen erweisen sich nun bei Kreuzung mit dem einfachen Kamm als dominant und geben dann Fig. 81. Kammformen der Hühner. A einfacher Kamm, B C Erbsenkamm, D Rosenkamm. E Walnußkamm. Nach Bateson. in F2 eine einfache Spaltung im Verhältnis 3:1. Im wirklichen Ex- periment kamen z. B. zum Vorschein 695 Rosenkämme : 235 einfachen Kämmen. Wurde nun Erbsenkamm mit Rosenkamm gekreuzt, so hatte Fx eine neue Kammform, die in der Natur bei den malayischen Hühnern vorkommt und wegen ihres Aussehens als Walnußkamm be- zeichnet wird (Fig. 8iZs). In F2 treten aber nun typischerweise 4 Kamm- formen auf, nämlich Walnußkamm, Erbsenkamm, Rosenkamm und ein- facher Kamm. Letzterer trat also als Neuheit auf. Die Gesamt- zahlen der Versuche der englischen Forscher waren — 206 — 2/9 Walnußkämme, 132 Erbsenkämme, 99 Rosenkämme, 45 einfache Kämme. Da das Auftreten von 4 Phänotypen auf die Anwesenheit von 2 Merk- malspaaren schließen läßt, ist ein Verhältnis von 9:3 ".3:1 zu er- warten, dem die Zahlen auch einigermaßen entsprechen. Um ihr Zustandekommen zu erklären, wurden die notwendigen Versuche ge- macht, die unter Heranziehung von über 12000 Individuen zu fol- gender einfachen Klärung des Falls führten: Der Erbsenkamm beruht auf der Anwesenheit eines Faktors P ( = Pisum), der den einfachen Kamm in den Erbsenkamm verwandelt. Ebsenso beruht der Rosen- kamm auf dem Faktor R (Rosa), der einfachen Kamm in Rosenkamm verwandelt. Nach der Presence- und Absencetheorie steht nun jedem dieser dominanten Merkmale sein Fehlen als Rezessiv gegenüber. Es heißt somit das Rosenkammhuhn RRpp, nämlich Rosenkamm und kein Erbsenkamm, das Erbsenkammhuhn aber PPrr, nämlich Erbsen- kamm und kein Rosenkamm. RRpp x PPrr = RPrp, das ist Walnuß- kamm heterozygot. In F2 muß dies nun, wie wir wissen, so spalten, daß 4 Phänotypen entstehen, von denen 9/16 beide Dominanten ent- halten, RP also Walnußkamm zeigen, je 3/16 eine Dominante, also Rp oder Pr, was Rosen- bzw. Erbsenkamm gibt, und x/16 keine Domi- nante, also rp: kein Rosenkamm und kein Erbsenkamm ist aber der einfache Kamm. Man wird sich bei dieser Erklärung vielleicht daran stoßen, daß r und p doch eigentlich das gleiche sind; wir werden gleich die einfache Erklärung dafür finden. Tatsächlich läßt diese Inter- pretation jede weitere Kreuzungsmöglichkeit vorausberechnen; um nur zwei Kontrollversuche zu nennen, so sei die Kreuzung erwähnt zwischen dem Walnußkamm von Fx und einem einfachen Kamm, also RPrp x rrpp. Ersteres hat dann wieder die 4 Gametenarten RP, Rp, rP, rp, letzteres nur rp. Es sind somit nur 4 Kombinationen mög- lich, und zwar in gleicher Zahl RPrp, Rprp rPrp,' rprp. In der Tat ergab die Gesamtheit der Kreuzungen 644 Walnußkämme, 705 Rosen- kämme, 664 Erbsenkämme, 716 einfache Kämme. Eine zweite Kontrolle könnte in folgendem bestehen: Unter den 9/16 Walnußkämmen in F2 — 207 — muß je 1/1G Homozygote sein, die also rein züchten. In der Tat gab ihre Zucht ausschließlich Walnußkämme, nämlich 216 Individuen. Ebenso muß das 1/1G mit einfachem Kamm stets rein homozygot sein; auch es erfüllte diese Erwartung in 1937 Fällen. Vielleicht noch schlagender ist aber die Kontrolle für die Richtig- keit der Interpretation, die durch eine ebenfalls von Bateson ausge- führte Kreuzung mit einem ganz anderen Hühnerschlag gegeben wird. Das Bredahuhn besitzt an Stelle des Kammes zwei Höcker. Es zeigte sich nun durch Kreuzung mit einfachem Kamm, daß dies auf dem Fehlen des Kammfaktors, aber auf der Anwesenheit eines dominanten Verdoppelungsfaktors beruht. Wenn dieses Bredahuhn nun mit einem Rosenkammhuhn gekreuzt wurde, so handelte es sich um 3 Faktoren, nämlich R Rosenkamm, r sein Fehlen, der Verdoppelungsfaktor (dupli- citas) D, d sein Fehlen, der Kammfaktor C (crista), sein Fehlen c. F1 hieß also RDCrdc, muß also doppelten Rosenkamm haben. In F2 ist dann die Spaltung in 8 Phänotypen zu erwarten, unter welchen, wie ja leicht zu kombinieren ist, als Neuheiten auftreten müssen die Zusammen- setzungen DCr, also verdoppelter Einfachkamm und Cdr, also gewöhn- licher Einfachkamm. Beide Neuheiten erschienen auch. Bateson bemerkt dazu mit Recht, daß ohne Kenntnis der Mendel sehen Gesetze ein solcher Fall einfach unerklärlich erscheinen müßte. Dieser Fall ist geeignet, uns mancherlei über die Beziehungen der Faktoren zueinander und über das Verhältnis von Faktor zu Außen- eigenschaft zu lehren. Zunächst sehen wir, daß aus Rosenkamm x Erbsenkamm in Fx die Neuheit Walnußkamm entsteht. Der Rosen- kamm beruht nun auf der Anwesenheit eines Faktors R, den wir einen Modifikationsfaktor nennen können. Wäre er nicht da, so würde die genotypische Anlage des Tieres einen normalen Kamm hervorrufen ; seine Anwesenheit aber modifiziert die Entwicklung so, daß ein Rosenkamm resultiert. Gleiches gilt für den Faktor für Erbsenkamm. Werden nun die beiden Modifikationsfaktoren im gleichen Individuum miteinander vereint, so üben sie beide auf das Endprodukt, zusammen mit den sonst vorhandenen Kammentwicklungsfaktoren, Einfluß aus. Der Walnuß- kamm ist also das Resultat der gesamten Faktorenkonstitution. Würden wir in unserer Betrachtung von einer. Form ausgegangen sein, die den — 208 — Walnußkamm in homozygoter, erblicher Form besitzt, so hätten die Kreuzungen vielleicht zu folgender Ausdrucksweise geführt: Es sind uns drei Faktoren bekannt, die zum Aufbau eines Walnußkamms nötig sind, ABC. A muß immer anwesend sein, damit ein Kamm entsteht; C ist ein Faktor, der, wenn B gleichzeitig da ist, einen Walnußkamm bedingt, ohne B aber einen Erbsenkamm hervorruft. B ist ein Faktor, der in Anwesenheit von A einen Erbsenkamm bedingt. Ein Vergleich dieser und der früher benutzten Ausdrucksweise zeigt, wie es nicht die Anwesenheit eines Faktors, sondern sein Zusammenarbeiten mit allen andern ist, das die Außeneigenschaft hervorruft. Was nun das Auftreten des einfachen Kamms in F2 betrifft, so fällt es natürlich unter den Begriff des Atavismus, denn diese Kammform ist die der wilden Stammform der Hühnerrassen. Hier erklärt es sich ohne weiteres, wie sie zustande kam: die beiden Modifikationsfaktoren waren in F2 weggespalten worden, sodaß die übrige Erbkonstitution, befreit davon, allein zur Wirkung kam. Aber noch etwas Weiteres zeigt der Fall. Bei Kreuzung von Erbsen- und Rosenkamm war eine Mendel- spaltung mit zwei Faktorenpaaren eingetreten. Das besagt nach dem, was wir aus der vorigen Vorlesung wissen, daß diese beiden Faktoren in verschiedenen Chromosomen liegen. Das wieder zeigt uns, was wir später noch öfters bestätigt sehen werden, daß Faktoren, die ein und dasselbe Organ beeinflussen, in verschiedenen Chromosomen lokalisiert sein können. Betrachten wir uns die Spaltung aber von diesem Gesichts- punkt aus, so verschwinden auch leicht einige Schwierigkeiten der Sym- bolik, an denen sich der Anfänger leicht stoßen mag. Wir können uns die Situation in den Chromosomen in zweierlei Art vorstellen. Ent- weder ist es so, daß beim Erbsenkamm zu den Faktoren, die die Kamm- bildung bedingen, die in irgendwelchen Chromosomen lokalisiert sind, noch ein in einem bestimmten Chromosomen gelegener Modifikations- faktor P als etwas ganz Neues hinzukommt ; entsprechend beim Rosen- kamm in einem anderen Chromosom. Das entspricht der Annahme, daß die presence-absence Theorie wortwörtlich zu nehmen ist. Die andere Möglichkeit ist, daß unter den vielen Faktoren, die die Kamm- bildung bedingen, A, B, C, D usw. einer, sagen wir B, bei einem Erbsen- kammhuhn so verändert ist, daß die normale Kammentwicklung dadurch — 209 — unmöglich wird und ein Erbsenkamm resultiert. Es ist dann also nicht bei der Erbsenkammrasse ein Faktor vorhanden, der bei Rassen mit gewöhnlichem Kamm fehlt, sondern ein immer vorhandener Faktor ist anders beschaffen. Wir könnten dann den veränderten Faktor Bp schreiben und sein Allelomorph ist nicht Fehlen von Bp, sondern B; entsprechend ist es für Rosenkamm, sagen wir Cr. Die Formeln für die Rassen wären dann: Gewöhnlicher Kamm AA BB CC DD . . . Erbsenkamm AA Bp Bp CC DD . . . Rosenkamm AA BB Cr Cr DD . . . Walnußkamm AA Bp Bp Cr Cr DD . . . Bei solcher Formulierung fällt dann die anstößige Ausdrucksweise, daß Fehlen von r oder von p oder von r und p ein einfacher Kamm ist, weg; sie zeigt gleichzeitig, daß es gar nicht notwendig, ja vielleicht gar nicht wünschenswert ist, die presence-absence Methode der Beschreibung wörtlich zu nehmen. Über all diese Dinge sollte man sich bei Benutzung der Buchstabensymbole im klaren sein. In dem besprochenen Fall brachte die Faktorenkombination und Rekombination in den Eltern nicht sichtbar vorhandene Außeneigen- schaften hervor, einmal durch Häufung die Gestaltung modifizierender Faktoren (Walnußkamm), sodann durch Herausmendeln solcher Faktoren aus der Erbmasse (einfacher Kamm). In etwas anderer Weise, der nach den verschiedensten Richtungen hin eine große Bedeutung zukommt, wird Ähnliches uns von folgenden Fällen gelehrt : Bei den Mäusen gibt es bekanntlich, wie auch bei anderen Tieren, weiße Formen mit roten Augen, denen somit das Pigment fehlt. Diese Albinos züchten rein. Mit einer reinen farbigen Maus gekreuzt dominiert die Farbe über den Albinismus, d. h. ihr Fehlen, und F2 spaltet in 3 Farbige : 1 Albino. Das ist aber durchaus nicht immer der Fall, bei vielen solchen Kreuzungen trat vielmehr in F2 eine neue Eigenschaft auf, also neben Grau und Weiß, Schwarz oder Gelb oder Braun. Es muß also verschiedenartige Albinos geben. Die genaue Analyse dieser Formen, deren Grund von Cuenot gelegt wurde, ergab nun, daß es in der Tat sehr verschieden- artige Albinos gibt : Es ist aus der physiologischen Chemie bekannt, daß bei der Ent- stehung zahlreicher tierischer und pflanzlicher Farbstoffe zwei chemische Komponenten beteiligt sind; die eine ist die Farbgrundsubstanz, auch Goldschmidt, Vererbungswissenschaft. 3. Aufl. 14 — 210 — Chromogen genannt, die andere ist ein Enzym vom Charakter einer Oxydase. So wird das Anthocyan der Blüten aus einem Glukosid (dem Chromogen) mit Hilfe einer Oxydase oxydiert ; für viele tierische Pigmente, die Melanine, sind die Chromogene Eiweißabbauprodukte, wie Tyrosin, das dann durch eine Tyrosinase oxydiert wird. Die Erzeugung beider beruht nun auf der Anwesenheit eines Erbfaktors, und wir können, der Kürze halber, denFaktor, der die Produktion von Chromogen kontrolliert, den Farbfaktor nennen und den Faktor, der dafür sorgt, daß die Oxydase vorhanden ist, den Komplementfaktor. Da haben wir also eine Situation, die es bedingt, daß eine Außeneigenschaft, Farbe, die Anwesenheit von mindestens zwei Faktoren voraussetzt. Ohne den Kömplementf aktor wird überhaupt keine Farbe gebildet. Ist er aber anwesend, dann hängt die entsprechende Farbe von der Gesamtheit der vorhandenen Faktoren ab. Daraus folgt also: ein Albino kommt so zustande, daß eine gefärbte Maus den einen Faktor zur Erzeugung der Farbe, sagen wir das Kom- plement, verliert, so daß der resp. die anderen keine Farbe produzieren können. Es gibt daher genau ebensoviele Sorten von Albinos als es konstante Farbrassen gibt, deren bisher über 40 analysiert sind, (Miß Durham, Plate, Hagedoorn), also auch ebensoviel äußerlich gleiche, im Fehlen des Komplements gleiche, aber in dem anderen unsichtbaren Farbfaktor, dem Chromogen, verschiedene Albinos. Da nun eine ge- färbte Maus selbstverständlich beide Faktoren besitzt, so muß bei- der Bastardierung zwischen gefärbter und Albino eine Gametenkombination erscheinen können, die den Farbfaktor, das Chromogen des Albino, mit dem Komplement, das der farbige Elter in den Bastard einführte, zu- sammenbringt. Trägt der Albino unsichtbar den gleichen Farbfaktor (oder nach obigem richtiger ausgedrückt die gleiche Faktorenreihe), wie sein gefärbter Partner, z. B. für Grau, dann tritt natürlich eine einfache Mendelspaltung 3 : 1 ein, da ja gewöhnlicher Monohybridismus in bezug auf das Farbkomple'ment bzw. sein Fehlen vorliegt. Trägt aber der Albino eine andere Farbe, so muß diese in F2 in allen Kombinationen, in denen sie mit dem Komplement zusammentrifft, erscheinen. Kreuzt man, um nun ein wirkliches Beispiel zu nennen, eine reine graue Maus mit einem Albino, der von schwarzer Rasse stammt, so ist die Lage die folgende : G ist wieder der Farbfaktor für Grau (in Wirklichkeit ein — 211 — Faktor, der das vorhandene Pigment in den Haaren sich in Ringeln anordnen läßt; wenn eine Serie von später zu nennenden Faktoren vorhanden ist, von denen wir hier nur den Faktor für schwarz berück- sichtigen, dann entsteht das, was wir Wildfarbe oder grau nennen); N der für Schwarz (in Wirklichkeit ein Faktor, der schwarze Farbe be- dingt, vorausgesetzt, daß die nicht berückichtigte weitere Serie von Faktoren anwesend is^ und der Faktor G fehlt.) C ist das Komplement, das das Erscheinen der Farbe bedingt und c sein Fehlen. Die graue Maus heißt also, wenn sie in allen anderen hier nicht zu berücksichtigen- den Faktoren rein ist und auch natürlich alle besitzt, die zum Zustande- kommen des reinen Wildkleides notwendig sind, CC GG NN, die alle drei in verschiedenen Chromosomen liegen, also unabhängig mendeln. Der latent schwarze Albino heißt aber ccggNN, wobei natürlich g das Fehlen von Grau ist, was ja, wie wir schon hörten, für die schwarzen zutrifft. Der Bastard Ft heißt also CcGgNN, ist also wieder Grau. Da der Faktor N homozygot ist, also nicht spalten kann, liegt ein Fall von Dihybridismus vor. Die Gameten sind CGN, CgN, cGN, cgN. Nach dem Kombinationsschema erhalten wir, wenn wir es hier einmal wieder anwenden wollen in F2: CGN CGN grau CgN CGN grau cGN CGN grau cgN CGN grau CGN CgN grau CgN CgN schwarz cGN CgN grau cgN CgN schwarz CGN cGN grau CgN cGN grau cGN cGN Albino cgN cGN Albino CGN cgN grau CgN cgN schwarz cGN cgN Albino cgN cgN Albino Also überall, wo CGN ist, grau, wo CN ist, schwarz, und wo nur c ist, weiß, das sind 9 graue : 3 schwarze : 4 Albinos. Das Kombinationsschema zeigt ohne Weiteres, daß das neue Zahlen- 14" n — 212 — Verhältnis nur eine Modifikation der klassischen Zahlen für Dihybridis- mus 9 : 3 : 3 : 1 infolge phänotypischer Gleichheit der beiden letzten Klassen ist. Ein Blick auf die Albinos im Schema zeigt außerdem, daß hier in F2 nun genotypisch drei verschiedene Arten von Albinos vor- liegen: solche, die latent grau vererben, desgleichen mit schwarz und solche, die grau heterozygot vererben. Für die gleiche Erscheinung mit ihren zahlreichen Varianten ließen sich noch mancherlei Beispiele aus dem Tier- wie Pflanzenreich anführen. Zunächst sei noch eines vom gleichen Typus gegeben, um auch einmal mit dem Trihybridismus in Berührung zu kommen. Bei Ratten finden sich ganz ähnliche, wenn auch einfachere Erblichkeitsverhältnisse der Haarfarbe wie bei Mäusen. Bei diesen haben wir bisher nur ganzfarbige Tiere betrachtet ; neben ihnen kommen aber bekanntlich auch Schecken vor, und diese Scheckung beruht auf einer selbständigen Erbeinheit. Bei Ratten gibt es nun einen besonders charakteristischen Scheckungs- typus, bei dem Kopf und Hals gefärbt sind, der weiße Körper aber nur einen farbigen Längsstreifen am Rücken, die Haube, besitzt (s. 14. Vorl.). Die Albinos der Ratte können nun wieder wie bei den Mäusen die Anlage einer bestimmten Farbe tragen, und so auch, wie ebenfalls bei den Mäusen, den Scheckungsfaktor, der in so viel verschiede- nen Typen vorliegen kann, als es Farben gibt. Kreuzt man also einen Albino, der von schwarzgescheckten Vorfahren stammt, mit einer grauen Ratte, so haben wir folgende Erbformeln : Der Albino enthält den Schwarz- faktor N, der sich zum Wildfarbfaktor G genau wie bei den Mäusen verhält, ferner den Scheckungsfaktor t, der gegenüber der Ganzfarbigkeit T (totaliter) sich rezessiv verhält, aber es fehlt ihm das Komplement. Die graue Ratte besitzt das Komplement C, ferner den Graufaktor m, den Schwarzfaktor AT und den Faktor für Ganzfarbigkeit T. Der Albino heißt also NNttccgg, die Wildratte NNTTCCGG. Fx muß deshalb wieder ebenso aussehen, wie die wildfarbige Ratte. In F2 muß dann die Spaltung nach dem Schema für 3 Eigenschaftspaare vor sich gehen, da ja N beiden Eltern zukommt. Die Gameten sind danach: NTCG, NTCg, NTcG, NtCG, NTcg, NtCg, NtcG, Ntcg. Ihre Kombination muß folgende Tabelle ergeben. 213 NTCG NTCg NTcG NtCG NTcg NtCg NtcG Ntcg NTCG \ NTCG NTCG NTCG NTCG NTCG NTCG NTCG grau grau grau grau grau grau grau grau i NTCG 2 3 4 5 6 7 8 NTCg NTcG NtCG NTcg NtCg NtcG Ntcg NTCg NTCg NTCg NTCg NTCg CTCg NTCg NTCg grau schwarz grau grau schwarz schwarz grau schwarz 9 1 10 11 2 O 0 12 4 NTCG NTCg NTcG NtCG NTcg NtCg NtcG Ntcg NTcG NTcG NTcG NTcG NTcG CTcG NTcG NTcG grau grau Albino grau Albino grau Albino Albino 13 H 1 15 2 16 3 4 NTCG NTCg NTcG NtCG NTcg NtCg NtcG Ntcg NtCG NtCG NtCG NtCG NtCG NtCG NtCG NtCG grau grau grau Grauscheck grau Grauscheck Grauscheck Grauscheck 17 18 19 1 20 2 3 4 NTCG NTCg NTcG NtCG NTcg NtCg NtcG Ntcg NTcg NTcg NTcg NTcg NTcg NTcg NTcg NTcg grau schwarz Albino grau Albino schwarz Albino Albino 21 5 5 22 6 6 7 8 NTCG NTCg NTcG NtCG NTcg NtCg NtcG Ntcg NtCg NtCg NtCg NtCg NtCg NtCg NtCg NtCg grau schwarz grau Grauscheck schwarz Schwarzscheck Grauscheck Schwarzscheck 23 8 24 5 7 1 6 2 NTCG NTCg NTcG NtCG NTcg NtCg Ntc G Ntcg NtcG . NtcG NtcG NtcG NtcG NtcG NtcG NtcG grau grau Albino Grausebeck Albino Grauscheck Albino Albino 25 26 9 7 10 8 11 12 NTCG NTCg NTcG NtCG NTcg NtCg NtcG Ntcg Ntcg Ntcg Ntcg Ntcg Ntcg Ntcg Ntcg Ntcg grau schwarz Albino Grauscheck Albino Albino Albino Albino 27 9 *3 9 14 3 15 16 — 214 — Da alle Formen mit sämtlichen Dominanten grau sind, alle die c tragen, Albinos sind, alle die T tragen, ganzfarbig und die, die nur t haben, Schecken, N und G wenn gleichzeitig anwesend Wildfarbe be- dingen, so daß nur die Formen mit g schwarz sein können, ergibt sich das Verhältnis von 27 Grauen : 9 Grauschecken : 9 Schwarzen : 3 Schwarz- schecken : 16 Albinos (siehe Tabelle) : Als erste Variante des Prinzips, nämlich des Zusammenarbeiteiis von Farbfaktoren und Komplement zur Erzeugung von Farbe sei ein Beispiel gegeben, bei dem der Albino zwei Bedingungsfaktoren eines Färbungsgrades in die Kreuzung einführt und die gefärbte Form nur einen, also umgekehrt wie bei dem Beispiel der Mäusealbinos. Die Konsequenz ist, daß bereits in Fx eine neue Farbe erscheint, nämlich die im Albino „latent" vererbte, während F2 wieder die Spaltung in die drei Typen im Verhältnis von 9:3:4 demonstriert. Folgender aktuelle Fall illustriert dies: Die Kreuzung findet statt zwischen rotblühenden Salvia horminum und weißblühenden (Albinos), die latent einen Faktor besitzen, der mit dem Rotfaktor R zusammen Purpur erzeugt. Wenn C wieder das Farbkomplement ist, so heißen die Formeln der beiden Elternpflanzen: rotblühend ppRRCC, weißblühend PPRRcc. Der Fx Bastard heißt Pp RR Cc, blüht also purpurn. Die F2 Spaltung ver- läuft aber genau wie in obigem Schema für Mäuse, in dem wir nur G durch P und N durch R ersetzen müssen und uns erinnern, daß Formen mit P und R purpurn blühen. Ein wirkliches Resultat dieser Zucht von Bateson, Saunders und Punnett war: 314 purpurnr 117 rote : 148 weiße. In den letzten Beispielen kam die Neuheit in Fx oder F2 dadurch zustande, daß bei der Gametenkombination der von dem einen Elter eingeführte unsichtbare Farbfaktor mit dem zugehörigen Komplement zusammentraf. Es wäre nun aber auch ganz gut denkbar, daß es einen Albino geben könnte, der anstatt des Komplements den Farbfaktor verloren hat, so daß man nun Albinos unterscheiden könnte, die Farbe ohne Komplement und solche, die Komplement ohne Farbe besitzen. Würde man sie kreuzen, so käme in Fx Farbe und Komplement zu- sammen und man stände vor der absonderlichen Tatsache, daß zwei ungefärbte Eltern farbige Nachkommenschaft hätten. Und von solchen — 215 — Fällen sind in der Tat auch bereits eine Anzahl bekannt. Das schönste Beispiel aus dem Tierreich ist das von Bateson für die Kreuzung von zwei weißen Hühnerrassen ermittelte, die allerdings keine Albinos sind, da ihnen das Pigment nicht vollständig fehlt, vielmehr auch im Gefieder in Form minutiöser grauer Flecken auftritt. Die beiden hier in Betracht kommenden Rassen, das weiße Negerhuhn und ein weißer Stamm eigener Zucht Batesons haben ein rezessives Weiß, während es bei anderen Rassen auch Weiß gibt, das über Farbe dominiert. Die Kreuzung dieser beiden Rassen ergab nun in F± ausschließlich farbige Individuen (113 Stück), etwa von der Farbe des wilden Ahnen der Haushühner Gallus bankiva. Die Erklärung ist nach dem oben Gesagten die, daß die eine Rasse den Farbfaktor ohne Komplement und die andere das umgekehrte enthielt. Wenn der Faktor für die braune Wildfarbe B (brunus) ist und für das Komplement wieder C, hieß der eine Elter Bc, der andere bC, der Bastard also BCbc. In F2 ist demnach eine Spaltung im Verhältnis 9 : 3 : 3 : 1 zu erwarten. Von diesen haben aber nur x[1& beide Dominanten, die anderen ja nur eine oder keine. Es können also nur jene 1/16 gefärbt sein, das Resultat muß sein 9 gefärbte: 7 weiße und das war auch der Fall. Es ist klar, daß von diesen 1{16 weißen nur 1/16 rein ist, so daß aus den übrigen durch geeignete Kreuzungen wieder farbige erhalten werden können. Ehe die richtige Erklärung bekannt war, konnte man glauben, hier einen Beweis gegen die Rein- heit der Gameten zu haben: die sog. ausgewählten weißen von F2 ent- hielten sichtlich noch Farbcharakter (in kryptomerem Zustand, wie es Tschermak nennt). Die gegebene Erklärung zeigt, daß es in der Tat bei x/16 so sein muß. Für die Spaltung in F2 bei diesem Beispiel liegen noch keine ge- nauen Zahlen vor, wohl ist aber das bei den pflanzlichen Objekten der Fall, die die gleiche Erscheinung zeigen. So entstanden bei Kreuzung von zwei weißblühenden Rassen der spanischen Wicke Lathyrus odo- ratus in Fx nur purpurne Blüten, wie sie die wilde Stammform besitzt und in F2 trat Spaltung in 9 gefärbte : 7 weißen ein. Als wirkliche Zahlen geben Bateson, Miß Saunclers und Punnett 382 gefärbte : 269 weiße an. Die gegebenen Beispiele erklären wohl genügend die Situation und — 216 — ermöglichen das Verständnis anderer verwandter Fälle. Ihre aufmerk- same Betrachtung hat wohl auch einen Einblick gewährt in die Art, wie verschiedene selbständig mendelnde Erbfaktoren zusammen arbeiten bei der Erzeugung der Außeneigenschaft und gleichzeitig Licht auf die Anwendungsweise der Buchstabensymbole zur Bezeichnung von Mendelfaktoren geworfen. Ehe wir weitergehen, seien darüber aber noch ein paar weitere Worte eingeschaltet, da eine mißverständliche Ausdrucksweise leicht auch zu irrtümlichen Vorstellungen führen kann. Wir bezeichneten hier die Faktoren, die dem Zustandekommen einer Eigenschaft zugrunde lagen, mit dem Anfangsbuchstaben des lateinischen Wortes für den betreffenden Außencharakter z. B. G (griseus) für graue Fellfarbe. Sicherlich ist dies für den Lernenden eine Erleichterung und wurde deshalb auch durchgeführt. Man darf sich aber auch nicht die Gefahr verhehlen, die einer solchen Ausdrucksweise anhaftet, wenn sie zu wörtlich verstanden wird. Nehmen wir etwa die schon genannten Faktoren für Mäusefärbung wie G grau, N schwarz und fügen noch den später uns begegnenden Sättigungsfaktor 5 zu, bei dessen Fehlen alle Farben verdünnt erscheinen. Nehmen wir nun eine wildfarbige Maus und sagen, ihre Formel ist GG NN SS RR wobei RR den Rest aller anderen nicht genannten .Faktoren bedeutet. Wenn wir nun die Buchstabensymbole wörtlich nehmen, so wäre zunächst gar nicht ein- zusehen, warum die Maus grau ist und nicht eine andere Farbe zeigt. Man müßte dann hinzufügen, daß das Vorhandensein von G (grau) das Sichtbarwerden von N (schwarz) unterdrückt, oder, wie der Kunst- ausdruck lautet, G über N epistatisch (resp. N unter G hypostatisch) ist. Eine Maus von der Formel gg NN SS RR ist nun schwarz und eine von der Formel gg nn SS RR schokoladebraun. In gleicher Aus- drucksweise hieße es also, daß N über R epistatisch ist und so könnten wir ein ganzes epistatisches System der Faktoren aufstellen, das, was Lang die Hierarchie der Faktoren nennt. In der Beschreibung ist das oft recht bequem, aber sachlich ist es falsch. G ist nicht ein Faktor für grau und N nicht ein solcher für schwarz. G ist vielmehr ein Faktor, der, wenn S, N usw. anwesend ist, wildfarbige Tiere bedingt; fehlt N im System, dann sind sie aber zimtfarbig, fehlt 5, dann sind sie ver- dünnt wildfarbig, fehlt N und 5, dann sind sie verdünnt zimtfarbig, — 217 — fehlt dazu noch ein später zu nennender Faktor B, dann sind sie creme. Ebenso sind Tiere ohne G mit N nur schwarz, wenn alle anderen Fak- toren vorhanden sind; ohne S wären sie blau, ohne B schildpattfarbig und so weiter. Wenn man also obige Ausdrucksweise anwendet, so muß man sich darüber klar werden, was sie bedeutet. Viele Autoren (Baur vor allem) ziehen es denn auch vor, ganz auf die Benutzung von Buchstabensymbolen, die an die Außeneigenschaft erinnern, abzu- sehen und nur immer wieder die Anfangsbuchstaben des Alphabets zu benutzen (wie es schon Mendel tat), um von vornherein jene mißver- ständliche Beurteilung des Symbolismus auszuschließen. Um nun völlig über das Zusammenarbeiten mendelnder Faktoren ins Klare zu kommen und gleichzeitig völlige Beherrschung der elemen- taren Faktorenanalyse zu erlangen, wollen wir das besonders gut durch- gearbeitete Material der Farbrassen der Mäuse noch etwas an einigen aktuellen Beispielen erweitern, um dann schließlich das Gesamtresultat eines solchen Faktorenzusammenspiels würdigen zu können. Betrachten wir zunächst eine Kreuzung, die den Zusammenhang von Wildfarbe, schwarz, Schokolade braun, und zimtfarbig demonstriert. Die in Betracht kommenden Faktoren sind I. Der Faktor G, dessen Anwesenheit das Pigment im Haar zu Farbringen anordnet und die Wildfarbe bedingt, wenn der Rest von Faktoren vorhanden ist. 2. Der Faktor N, der in Abwesenheit von G, aber Anwesenheit der übrigen Faktoren schwarz bedingt. Die übrigen Faktoren, von denen wir an- nehmen, daß sie bei den zur Kreuzung benutzten Rassen gleichmäßig homozygot vorhanden sind, müssen von uns bereits bekannten Fak- toren u. a. enthalten den Faktor C, ohne den überhaupt keine Farbe entsteht, den Faktor T, ohne den ein Scheck entstände, den Faktor S, ohne den alle Farben verdünnt erschienen. Die Situation wäre also die : Ein Tier von der Formel GG NN (+ Rest) ist wildfarbig grau; eins, dem G und N fehlen, also gg nn (+ Rest), ist Schokolade braun. Wir kreuzen nun diese beiden Farbrassen und erhalten in Fx (wenn wir jetzt den überall den Formeln zuzufügenden Faktorenrest weglassen) Formen Gg Nn, also wieder wildgrau. In F2 erhalten wir aber die 16 Rekombi- nationen, die wir wohl nicht mehr aufzuschreiben brauchen, von denen 9 G und N enthalten, drei nur mit n aberG, drei nur iV mit g, eine nur g und«. — 218 — Die ersten sind wieder wildfarbige, die letzten wieder schokoladebraune ; die aber, die G ohne N enthalten (Gn), sind zimtfarben (welches das Resultat von braun mit Pigmentringelung ist), und die mit N ohne G (g N) schwarz, (welches das Resultat aller Faktoren ohne G ist). Ein aktuelles Resultat solcher Kreuzungen von Cuenot und Miß Durham war 63 wildfarbene : 21 zimtfarbene : 20 schwarze : 8 Schokolade braune. Es sei nebenher darauf verwiesen, daß bei dieser Kreuzung in F2 zwei neue Farbrassen durch Rekombination auftreten; ferner zeigt sie, daß man ohne Erbanalyse nicht sagen kann, ob zwei Erbeigenschaften auf einem mendelnden Merkmalspaar beruhen. Man hätte vielleicht er- warten können, daß wildfarbig und braun ein Paar von Allelomorphen darstellen. Tatsächlich zeigte der Versuch, daß die Differenz auf zwei in verschiedenen Chromosomen gelegenen Faktoren beruhte. Die Mitwirkung zweier weiterer Faktoren bei der Bewirkung des Farbkleides ist uns bereits aus früheren Beispielen bekannt, des rezes- siven Scheckungsfaktors t und des Farbkomplements C. Wir wollen nun noch das Eingreifen des Sättigungsfaktors S in die Farbbestimmung betrachten, dessen Anwesenheit für die Erzeugung der satten Farbe nötig ist, dessen Abwesenheit aber die Farben verdünnt erscheinen läßt. Wildfarbe wird zu verdünnt wildfarbig, schwarz zu mattschwarz, meist blau genannt, braun zu hellbraun, auch silberfalb genannt. Ein Bei- spiel illustriere dies, Miß Durhams Kreuzung von schwarzen NN SS mit Silberfalben nn ss. (Wir lassen wieder in den Formeln die auf beiden Seiten identischen, nämlich von uns schon bekannten Faktoren gg CCTT weg). Fx ist also schwarz NSns. F2 muß aber Spaltung nach dem Schema des Dihybridismus geben in die 4 Phänotypen NS, Ns, nS, ns im Verhältnis 9:3:3:1. Tiere, die N S enthalten, sind wieder schwarz, solche mit Ns haben verdünntes schwarz oder blau, n S sind sattes braun oder Schokolade und ns bedeutet verdünntes braun oder silberfalb. Es müssen also in F2 blaue und schokoladefarbige neu auftreten. Das wirkliche Resultat aber war: 67 schwarze : 21 blaue : 20 schokoladefarbige : 5 silberfalbe. Es ist klar, das genau das gleiche Resultat entstehen muß, wenn eine blaue mit einer schokoladefarbigen Maus gekreuzt wird, da hier die — 219 — schokoladefarbige den Sättigungsfaktor und die blaue den Schwarz- faktor mitbringt. In der Tat gab diese Kreuzung: 44 schwarze : 17 blaue : 17 schokoladefarbige : 8 silberfalbe. Dem können wir nun noch eine Kreuzung zufügen, die eine weitere Verwicklung zeigt, indem Albinismus, also Fehlen des Farbkomplements C, beteiligt ist. So kreuzte Miß Durham eine blaue Maus mit einem Albino schoko- ladefarbiger Herkunft. Erstere enthält wie gesagt den Schwarziaktor N mit dem Verdünnungsfaktor s, wozu bei Betrachtung gegenüber dem Albino noch das Farbkomplement C gezählt werden muß, das dem Albino fehlt. Sie heißt also NNssCC ( + Rest). Der Albino enthält kein N aber S, ist also auf Grund seines Faktorenrestes latent schokoladefarben, ist aber ein Albino wegen des Fehlens von C. Er heißt also nn SS cc. Fx lautet also NCSncs, ist also schwarz, zeigt mithin bereits eine Neu- heit. In F2 muß dann eine Spaltung nach dem Schema des Trihybridis- mus eintreten, wobei bekanntlich 8 Phänotypen auftreten, die unter 64 Individuen den Charakter zeigen: 27 NC S : gNCs : gNcS : gnC S : ^Ncs : yiCs : ^ncS : mcs 27 NCS bedeutet aber schwarz gefärbt gesättigt = schwarz. 9 NCs bedeutet schwarz gefärbt verdünnt = blau, 9 NcS bedeutet schwarz farblos gesättigt = Albino (mit unsicht- barem schwarz), 9 nC S bedeutet braun, farbig gesättigt = Schokolade, 3 Ncs bedeutet schwarz ungefärbt verdünnt = Albino (mit un- sichtbarem blau), 3 nCs bedeutet braun farbig verdünnt = Silberfalb, 3 wcS bedeutet braun ungefärbt gesättigt = Albino (mit unsicht- barem Schokolade), 1 nc$ bedeutet braun ungefärbt verdünnt = Albino (mit unsicht- barem silberfalb). Es müssen also gebildet werden: 27 schwarze : 9 blaue : 9 schokoladefarbige : 3 Silberfalbe : 16 Albinos. Es erschienen in Wirklichkeit: 33 schwarze : 10 blaue : 8 schokoladefarbige : 2 Silberfalbe : 12 Albinos. — 220 — Diese Beispiele, die, um vollständig zu sein, ergänzt werden müßten durch sämtliche denkbaren Kombinationen bekannter Faktoren, ge- nügen wohl, um das Zusammenarbeiten der Mendelfaktoren zum Re- sultat klar zu machen. Wir sprachen dabei allerdings bisher nur von einfachen, unabhängig voneinander mendelnden Faktoren; natürlich muß später unsere Erkenntnis noch durch Faktoren ergänzt werden, deren andersartige, nämlich nicht unabhängige Vererbungs weise wir an diesem Punkt der Betrachtung noch nicht verstehen. Es ist klar, daß breeits auf die hier wiedergegebene Weise eine weitgehende Erb- analyse von Eigenschaften möglich ist. Ihre Voraussetzung ist aller- dings, daß man Rassen besitzt, die sich im Besitz der betreffenden Erb- faktoren unterscheiden, sodaß ihre Bastardierung den Vorgang der Fak- torenkombination ermöglicht. Auf solche Weise hat man denn in der Tat einzelne Objekte in ziemlich weitgehender Weise analysiert und so wollen wir uns zum Schluß dieses Abschnitts noch ein solches Resultat betrachten, das alles Vorhergehende zusammenfassend illustriert. Es ist klar, daß die durch solche Analyse aufgestellten Erbformeln allerdings immer etwas Relatives an sich haben, indem weitere Forschung imstande ist, scheinbar einheitliche Eigenschaften wieder zu zerlegen. Aus dem, was wir bereits über die Farbrassen der Mäuse erfahren haben, geht das recht, deutlich hervor. Erst stand die Farbe als Einheit dem Albinismus gegenüber. Dann löste sich erstere in eine Reihe von sich verdeckenden Farben auf, diese wieder erwiesen sich als durch den Sättigungsfaktor beeinflußbar und durch zwei getrennte Faktoren be- dingt, endlich zeigten sich die Albinos als unmerkliche Träger aller möglichen Farbeigenschaften. Und dabei sind uns durchaus noch nicht alle Möglichkeiten begegnet. Augenblicklich ist der Stand der Analyse der wichtigsten unabhängig mendelnden Färbungsfaktoren der Mäuse- rassen — ein Stand, der sich aber mit jeder neuen Untersuchung weiter kompliziert und das diene uns als Beispiel einer weitgehenden Erb- analyse — der, daß mindestens n Paare von Allelomorphen isoliert sind, deren verschiedenartige Kombination 2048 reinzüchtende Rassen ergeben könnte. Von diesen Allelomorphen sind uns 4 Paare schon begegnet, nämlich der Graufaktor G (richtiger der Faktor für die Anordnung der — 221 — Haarpigmente in Ringeln), der Schwarzfaktor N, der Sättigungsfaktor S und das Farbenkomplement C. Dazu kommt nun noch ein Braun- faktor B (brunus), bei dessen Fehlen allen Farben etwas gelb beigemischt erscheint, also gelbwildfarbig statt wildfarben, schildpattfarben statt schwarz, orange statt schokoladefarbig. Sodann ein Faktor, der ähn- lich wie der Sättigungsfaktor nötig ist, damit die Farben voll erscheinen, bei dessen Fehlen die Farben abgeschwächt werden, nämlich schwarz zu ,,lilac", Schokolade zu champagnerfarbig, und gleichzeitig die Augen rot werden, der Faktor R (ruber). Sodann ein Faktor gleicher Natur, der Faktor i7 (fulgens), bei dessen Fehlen die Farben matt erscheinen. Endlich der merkwürdige Gelbfaktor L (luteus), der wie wir später erfahren werden, nur heterozygot existenzfähig ist. Dazu kommen nun noch die Faktoren für die Flächenverteilung der Farben, T (totaliter), bei dessen Fehlen anstatt Ganzfarbigkeit rezessive Scheckung auftritt, M (maculatus) ein dominanter Scheckungsfaktor und A (argenteus), ein Faktor, dessen Fehlen weiße Haare zwischen den gefärbten stehen läßt und so silberige Töne hervorruft. Wenn wir von dem Gelbfaktor L und dem dominanten Scheckungsfaktor M absehen, deren Verhältnis zu den anderen Faktoren noch nicht ganz klar ist, so sind- zunächst iolgende Sorten von Farbverteilung möglich, von denen jede einzelne in sämtlichen Farbtönen wieder vorkommen kann: C T T \A Ganzfarbig \a Ganzfarbigsilbern V l a gescheckt geschecktsilbern l a \a\ Albinos mit den gleichen vier Typen latent. Jeder von diesen 8 Typen kann dann nach Anwesenheit oder Fehlen von R schwarzäugig oder rotäugig sein, wobei auch noch die Farbe beeinflußt wird, was wir unberücksichtigt lassen wollen. Bei jedem einzelnen dieser Typen können nun die sämtlichen folgenden Farben- kombinationen vertreten sein: 222 — t N G\ N s S\ n < \b IB B \b { B S S s F wildfarbig (agouti) \f mattagouti \F verdünnt (blau) agouti y mattblauagouti \F gelbwildfarbig y mattgelbwildfarbig F verdünntgelbwildfarbig f mattverdünntgelbwildfarbig \F zimtfarbig y mattzimtfarbig \F verdiinntzimtfarbig y verdünntmattzimtfarbig \F hellorange ]f matthellorange \F creme \f mattcreme \F schwarz y mattschwarz \F blau '/ mattblau \F schildpattfarbig y mattschildpatt jF verdünntschildpatt y verdünntmattschildpatt \F Schokolade y mattschokolade \F silberfarb y~ mattsilberfarb \F orange y mattorange \F verdünntorange y verdünntmattora'nge Das ergibt also 16 . 32 oder 29 Typen, wenn die beiden vorher ge- nannten Faktoren weggelassen werden. Natürlich lassen sich die aufge- zählten Farbtypen nicht alle ohne weiteres unterscheiden; bei manchen geht es leicht, bei anderen gehört lange Übung dazu, bei wieder anderen ist die Unterscheidung nur durch das Resultat weiterer Kreuzung möglich. Es steht aber fest, daß die zahllosen Kreuzungen, die von Castle, Darbishire, Guaita, Haacke, Morgan, Cuenot, Miß Durham, Plate, Hagedoorn ausgeführt sind, stets das erwartete Resultat gaben. Als Beweis diene die folgende Tabelle, die nach den Versuchen Hagedoorns zusammengestellt ist und für jeden Faktor nur die Kreu- — 223 — zung zwischen rezessiven Homo- und Heterozygoten (Xx x xx) enthält, die also Spaltung im Verhältnis i : i ergeben muß: Homo -heterozygoten -Rückkreuzung bei Betrachtung nur eines Faktors (in Klammer Hagedoorns Bezeichnung i). Faktor: Spaltung in: Zahl: C [A] gefärbte : Albino 340 : 364 B {B) nicht gelblich : gelblich 116 : 107 N [C) Nn : nn 298: 281 S (D) vollgefärbt : verdünnt 172: 194 R [E) schwarzäugig : rotäugig I33-: 154 A (F) ganzfarbig : silbern 18: 13 G \G) Gg : gg 212 : 197 F [H) vollgefärbt : matt 5i •• 53 T (Z) ganzfarbig : gescheckt 116 : 131 — erhalten 1456 : 1499 S erwartet i477-5: H77-5 In ähnlicherWeise wurde die Erbanalyse für Ratten, Meerschweinchen, Kaninchen, Hühner und viele Pflanzenarten durchgeführt. Wer das Vorhergehende sich klar machte, wird mühelos alle jene Resultate ver- stehen (abgesehen von den Komplikationen, die wir noch kennen lernen werden). So sei nur noch ein Fall andeutungsweise genannt, die Garten- varietäten des Löwenmauls, Antirrhinum majus. Diese den Gärtnern in Hunderten von Varietäten bekannte Form wurde von MißWheldale und Baur einer be wunderswerten Analyse unterzogen, die Baur bereits mit über 20 selbständig mendelnden Merkmalen bekannt machte, über deren 13 schon genauere Mitteilungen vorliegen. Die Erbformel jeder Pflanze würde also in bezug auf diese bekannten Faktoren mindestens 13 Buchstaben enthalten, bzw. wenn homozygote Charaktere auch doppelt geschrieben werden, stets 26 Buchstaben. Diese 13 Faktoren A —R sind im wesentlichen der gleichen Natur, wie wir sie bereits bei anderen Ob- jekten kennen gelernt haben. Da ist ein Faktor, der dem Komplement 1 Die verschiedenen Autoren benutzen für die gleichen Faktoren verschiedenartige Symbole; wir haben hier stets die Anfangsbuchstaben der lateinischen Worte ge- nommen, die die Wirkung der betreffenden Faktoren charakterisieren; Hagedoorn benutzt wie Baur die Anfangsbuchstaben des Alphabets. — 224 — unserer früheren Beispiele gleicht, dessen Anwesenheit die Färbung er- möglicht, dessen Abwesenheit stets weiße Blüten bewirkt. Da ist ein Faktor, der dem Scheckungsfaktor entspricht, nur daß die Ganzfarbig- keit dominant, Scheckung rezessiv ist. (Bei Mäusen gibt es, wie wir er- wähnten, ja sowohl dominante wie rezessive Scheckung.) Die „Schek- kung" besteht hier darin, daß die Blütenröhre bei sonst bunter Blüte elf enbeinf arbig ist (Delilaform). Da sind Faktoren, die vorhandene Farben verändern, zu vergleichen dem Sättigungsfaktor der Mäuse, verschiedenartige Farbfaktoren, deren jeweilige Kombination be- stimmte Farben ergibt, Faktoren für besondere Blütenform, solche für grüne, gelbe oder blasse Blattfarbe, kurzum eine Menge Erbein- heiten, deren Zusammenspiel uns ohne weiteres verständlich sein muß, wenn wir alles bisher Besprochene kennen. Bei den wirklichen Kreu- zungen wurden dann auch stets die Erwartungen erfüllt. Um dies nur an einem wirklichen Zahlenbeispiel zu demonstrieren, so wurde einmal eine Pflanze mit elfenbeinfarbiger normaler Blüte mit einer roten1 pelorischen gekreuzt. Fx war rot normal. In F2 trat die er- wartete Spaltung im Verhältnis von 9:3:3:1 ein in rot normal 133 rot pelorisch 43 elfenbein normal 45 elfenbein pelorisch 13. Die Eltern waren also in 2 Eigenschaften verschieden, ihre Erb- formeln waren: ABCDEFghlMNPR x ABcDeFghlMNPR, wobei C der Elfenbeinlaktor ist, E der für normale Blüten. Alle an- deren sind in beiden Pflanzen identisch, darunter ist das unumgängliche Farbkomplement B und der Faktor für Ganzfarbigkeit D; die nur rezessiven Faktoren g und / sind solche, die die Färbung verändern würden usw. Es ist klar, daß auf diesem Wege die Erblichkeitsanalyse sehr weit getrieben werden kann: Baur glaubt mit einigen 20 Faktoren die ganze Formenmannigfaltigkeit des Antirrhinum m a j u s erklären zu können : 1 Das Rot war das von Baur rot auf elfenbein genannte. — 225 — es sind ja auch mit 20 Faktoren über eine Million (220) konstante Kom- binationen möglich, wobei ein eventueller Unterschied zwischen Homo- und Heterozygoten noch gar nicht berücksichtigt ist. Aus dem letzten Beispiel geht nun ohne weiteres eine sehr wichtige Konsequenz hervor. Wenn Formen mit allen den denkbar verschiedenen Faktorenkombinationen des Löwenmauls. beisammen gefunden würden, so spräche man wohl von einer außerordentlichen Variabilität dieser Form. Das gleiche wäre mit den Mäuserassen der Fall. Ja, wTenn man letztere alle beisammen hätte, so könnte man sie wohl auch in eine kontinuierliche Reihe von schwarz durch alle Farbentöne und -hellig- keiten bis weiß anordnen und so eine scheinbar kontinuierliche Variations- reihe erhalten ; würden sich Homo- und Heterozygoten noch unter- scheiden (bei intermediärem statt dominantem Verhalten der Allelo- morphe), so wären die Übergänge so allmählich, daß sie in einer solchen Population gar nicht getrennt werden könnten. Die Erbanalyse zeigt aber, daß die scheinbar kontinuierliche Reihe distinkt diskontinuierlich ist, nämlich das Resultat mannigfacher Rekombinationen mendelnder Faktoren. Damit haben wir eine neue Art von Variationen 'kennen gelernt, die unter Umständen äußerlich nicht von fluktuierender Varia- tion unterschieden werden kann, die Variation durch Mendelsche Re- kombination. Ja sie kann sogar in allen Einzelheiten die binomiale Variationskurve aufzeigen, wie uns .die folgende Vorlesung lehren wird, die gleichzeitig uns mit einer anderen Art des Zusammenarbeitens mendelnder Faktoren bekannt machen wird. Literatur zur neunten Vorlesung. Bateson, W., Mendel's Principles of Heredity. Cambridge University Press März 190g. 3. Impression. 191 1. Baur, E., Vererbungs- und Bastardierungsversuche mit Antirrhinum majus. Zeitschr. f. ind. Abst.- u. Vererbungsl. 3. 1910. — , Einführung in die experimentelle Vererbungslehre. Berlin 191 1. 3. Aufl. 1920. Cole, L. J., Studies on inheritance in pigeons. R. J. Agr. Exp. St. Bull. 158. 1914. G oldsch mi dt , Vererbungswissenschaft. 3. Aufl. 1^ — 226 — Correns, C, Über Bastardierungsversuche mit Mirabilis-Sippen. Erste Mitteilung. Ber. d. Deutsch. Bot. Ges. 1912. — , Zur Kenntnis der scheinbar neuen Merkmale der Bastarde. 2. Mitteilung über Bastardierungsversuche mit Mirabilis-Sippen. Ber. d. Deutsch. Bot. Ges .23. 1905. 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Versuchsw. in Österreich. 1904. — 227 — Tschermak, E., Die Mendelsche Lehre und die Galtonsche Theorie vom Ahnenerbe. Arch. f. Rassen- u. Gesellschaf tsbiol. 2. 1905. — , Der moderne Stand der Kreuzungszüchtung der landwirtschaftlichen Kulturpflanzen. Vortrag, gehalten in der Ökonomischen Gesellschaft im Königr. Sachsen zu Dresden. 1909. Wheldale, M., Inheritance of Flower Colour in Antirrhinum majus. Proc. Roy. Soc. 1907. — , Die Vererbung der Blütenfarbe bei Antirrhinum majus. Zeitschrift indukt. Abst.- u. Vererbungsl. 3. 1910. Wright, S., Colour inheritance in mammals. I. — X. Journ. of Heredity 1917, 1918. Gute Zusammenstellung der Gesamtliteratur. 15* Zehnte Vorlesung. Polymerie oder multiple Faktoren. Homomere und fraktionierte Polymerie. Scheinbar intermediäre Vererbung. In der letzten Vorlesung befaßten wir uns bereits mit dem Zusammen- arbeiten mehrerer oder vieler Faktoren zur Bestimmung einer Einzel- eigenschaft. Wir kommen nunmehr zu einem im phänotypischen Re- sultat andersartigen Zusammenwirken von Faktoren, nämlich zum Bedingtsein einer Eigenschaft durch eine mehr oder minder große Zahl gleichsinnig wirkender Faktoren, deren Wirkung sich quantitativ kumuliert. Wir werden also z. B. acht Faktoren für Größenwuchs fin- den, die den doppelten Wuchs verursachen als ihrer vier. Man spricht dann von polymeren oder multiplen Faktoren. Die Erscheinung, die zu außerordentlich interessanten Konsequenzen führt, wird uns alsbald klar werden. An die Spitze dieses Tatsachenkomplexes können wir nun eine Er- scheinung stellen, die sich in einem Punkt eng an die Tatsachen an- schließt, die wir in der letzten Vorlesung kennen lernten. Nilsson- Ehle machte die Entdeckung, daß es solche Eigenschaften gibt, die von mehreren Erbeinheiten bedingt werden, von denen aber jede einzelne für sich allein auch die betreffende Eigenschaft verursachen kann. Bei der Kreuzung von Haferrassen mit schwarzen Spelzen mit solchen mit weißen (richtiger grauweißen, da es sich um diese zwei Farben handelt ; hier wird das grau nicht mit berücksichtigt)' erwies sich schwarz als dominant und F2 spaltete typisch im Verhältnis 3:1. Bei gewissen Rassen nun war das aber nicht der Fall; bei der Spaltung traten viel- mehr viel zu viel schwarze Individuen auf, nämlich bei einem Versuch 630 schwarze : 40 weiße. Das ist ein Verhältnis von 15,8 schwarz : 1 weiß. Dies führte auf die Idee, daß es sich um das Verhalten 15 : 1 handeln könne, also einen absonderlichen Fall dihy brider Kreuzung. Das Verhältnis wäre sofort erklärt, wenn man annimmt, daß die schwarze — 229 — Spelzenfarbe von zwei Schwarzfaktoren bedingt ist, von denen jeder einzelne ebenso wie beide zusammen schwarz ergeben. Der schwarze Hafer enthielte dann N (niger) und M (melas), die beiden Schwarz- faktoren (neben dem hier zu vernachlässigenden grau), der weiße Hafer n und m. Fx wäre schwarz NMnm und F2 würde spalten in: NM NM i Nm NM 2 nM NM 3 n m NM 4 NM Nm 5 Nm Nm 6 • nM Nm 7 n m Nm 8 NM nM 9 Nm n M 10 nM nM 11 n m n M 12 NM n m 13 Nm n m nM n m 15 n m n m weiß 16 Da 15 von 16 Kombinationen einen der dominanten Schwarzfaktoren enthalten, nur 1 ausschließlich kleine Buchstaben aufweist, erklärt sich ohne weiteres das Verhältnis von 15 schwarz : 1 weiß. Der Beweis für die Richtigkeit der Interpretation wird natürlich aus dem Ver- halten von F3 und F4 zu erkennen sein. Wenn schwarze F2- Pflanzen durch Selbstbefruchtung in isolierter Parzellenkultur weiter gezüchtet werden, so muß es natürlich verschiedene Möglichkeiten geben. In den Kombinationen, die mindestens 3 große Buchstaben besitzen (1, 2, 3, 5, 9) muß ein jeder Gamet auch mindestens einen großen Buchstaben, also Schwarzfaktor mitbekommen, d. h. da sämtliche Gameten schwarz tragen, muß die Nachkommenschaft ausschließlich schwarz sein; das gleiche muß bei den Kombinationen 6 und 11 der Fall sein, da sie ja homozygot sind, mithin rein weiterzüchten. Von 7/16 der F2- Pflanzen muß somit bei Selbstbefruchtung rein schwarze Nachkommenschaft erhalten werden. In der Tat ergaben bei isoliertem Anbau der ein- — 230 - zelnen F2-Pflanzen auf getrennten Parzellen 17 von 43, also recht genau 7/i6< rein schwarze Nachkommenschaft. Weiter ist zu erwarten, daß sämtliche Kombinationen, in denen nur ein großer Buchstabe vorkommt, also die Rubriken 8, 12, 14, 15 des Kombinationsschemas, in F3 in 3 schwarze : 1 weiße spalten, denn sie sind ja nur in einer Eigen- schaft heterozygot, müssen also eine einfache monohybride Spaltung zeigen. In der Tat ergaben 11 von den 43 Pflanzen, mithin genau 4/16, diese Spaltung, nämlich 428 schwarz : 120 weiß. Sodann ist zu er- warten, daß alle Kombinationen, welche die 4 Buchstaben NMnm ent- halten, also 4, 7, 10, 13, im Verhältnis 15 : 1 spalten, denn sie haben ja die gleiche zweifach heterozygote Zusammensetzung wie der Ba- stard Fx. In der Tat ergaben 11 der 43 Parzellen, also wieder genau 4/16 diese Spaltung, nämlich 715 schwarz : 39 weiß. Endlich müssen die Nachkommen der weißen F2-Pflanzen rein weiterzüchten, was sie auch auf ihren 4 Parzellen taten. Die Interpretation des Resultats erwies sich somit als richtig. Es sind seitdem auch andere Fälle gleicher Natur bekannt geworden, von denen noch einer anschaulich in nebenstehender Fig. 82 illustriert sei: Es handelt sich um Shull's Kreuzungen des Hirtentäschchens Capsella bursa-pastoris mit der Rasse Heegeri. Die Hirtentaschenform der Samenkapsel der Art ist wohlbekannt. Die Rasse Heegeri besitzt aber etwa glühlampenförmige Kapseln. Fx zwischen beiden zeigt die Hirtentaschenform. In F2 finden wir wieder beide Formen im Ver- hältnis von 15 : 1. Das Schema zeigt die Erklärung mit Hilfe von zwei dominanten Faktoren C und D, von denen jeder allein, wie auch beide zusammen, die Hirtentasche hervorruft. Die genotypischen Einzel- heiten sind genau wie im vorigen Beispiel, ebenso auch ihre Prüfung in F3. Das unter jeder Kapsel stehende Zahlenverhältnis gibt die Er- wartungen in F3 bei Selbstbefruchtung wieder, die genau so sind, wie wir sie im einzelnen soeben bei Nilsson-Ehles Fall ableiteten. Nilsson-Ehle studierte nun auch einen Fall gleicher Art, bei dem drei Faktorenpaare beteiligt waren, von denen ein jeder die gleiche Wirkung hervorruft, nämlich rote Kornfarbe beim Weizen (gegenüber weißer). Das Resultat muß dann natürlich in F2 sein: 63 rot : 1 weiß. Bei diesem Versuch zeigte sich nun eine Tatsache, die von grundlegender — 231 — . Wichtigkeit für die Kenntnis der polymeren Faktoren und ihrer Wir- kungsweise ist. Wir nahmen an, daß die phänotypisch gleichen Individuen in F2, also 63/64 bei drei Allelomorphen völlig gleich seien. Es zeigte sich nun aber, daß das insofern nicht der Fall sein muß, als bei der durch 3 Komponenten bedingten Rotfärbung der Weizenkörner die Farbe in F2 doch zwischen hellerem und dunklerem Rot variierte. In diesem 9 1 CD cf CD 1 cd cD cd 1 Cd CD CD Cd . CD I V t D CD CD Cd 1 : 0 Cd Cd / 0 CD . cD r • o .d CD 7 5 : 1 D . Cd 7 5 ' 7 ■d Cd 3 : 7 Cd cO 75 : / CD • cd 7 5:7 Cd cd 3 : 1 I : 0 cd . cD 3 : 1 i : I zd . cd 0 : 7 Fig. 82. Kombinationsschema zur Spaltung von Bursa capsella pastoris X Heegeri. Die Tiefe der Schraffierung der Samenkapsel entspricht der Zahl der vorhandenen dominanten Faktoren. Unten in jeder Rubrik das bei Selbstbefruchtung in F3 zu erwartende Ver- hältnis Bursa pastoris : Heegeri. Nach Shull. Fall könnte also wohl das Verhältnis der drei Allelomorphe nicht das sein, daß jedes Gen für sich das gleiche hervorruft wie ihre Gesamtheit, sondern man müßte annehmen, daß zwar jedes Gen rot bedingt, aber daß die Wirkung von 2 Genen ein doppeltes Rot ergibt, die von 3 Genen ein dreifaches, kurz, daß die einzelnen Faktoren in der Kombination ihre Wirkung addieren, Derartiges wundert uns nicht mehr, da es uns schon öfters begegnete, z. B. beim Verhältnis von Homo- und Hetero- zygoten. Ist das aber der Fall, dann können wir ja berechnen, wie oft die — 232 — verschiedenen Abstufungen des Rot vorkommen müssen, indem wir im Kombinationsschema auszählen, wie oft in den Kombinationen i Rotfaktor, 2 Rotfaktoren usw. vorkommen. Wenn wir das nun aus- führen, so soll in folgendem Schema angenommen sein, daß das Rot von den 3 Faktoren A, B, C bedingt wird, und in jeder Rubrik ist durch eine Zahl angemerkt, wie oft ein Rotfaktor vertreten ist. ABC ABc' AbC aBC Abc aBc ߣC abc ABC ABC ABC ABC ABC ABC ABC ABC 6 5 5 5 4 4 4 3 ABC ABc AbC aBC Abc aBc ! 6o 6 „ ,, 1 ,, = „ 5° 1 11 » ' ° u » 4° Die F2-Spaltung lautet also: Größenklassen: 40 50 60 70 80 90 100 Individuenzahl: 1 6152015 6 1 Diese Zahlenreihe ist uns nun von der Betrachtung der binomischen Variationskurve her wohlbekannt. Sie ist ja ein Glied in der Reihe der binomischen Koeffizienten des Ausdrucks (a + b)n (s. S. 10). Die Kurve dieser F2-Größentypen gleicht also jener Variationskurve. Wäre nun die erbliche Größendifferenz anstatt durch 3 polymere Faktoren- paare durch' 6 solche bedingt, von denen jeder Faktor einen Größenzu- wachs von 5 Einheiten hervorruft, so erhielten wir nach dem gleichen Prinzip in F2 13 Typen, die je 5 cm voneinander different sind und zwar im Zahlenverhältnis von : Größenklasse: 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100 Zahl: 1 12 66 220 495 792 926 792 495 220 66 12 1 Wenn wir nun noch bedenken, daß in jeder Klasse, als Folge der Modifi- kabilität, die Größe um die ideale Größe herumschwankt, so erhalten wir in solchem Fall bereits eine vollkomene Variationsreihe von klein bis groß mit so unmerkbaren Übergängen, daß von einer Mendel- spaltüng nichts mehr äußerlich zu erkennen ist. Daraus folgt aber noch eine Reihe wichtiger Konsequenzen. Zu- nächst sehen wir, daß bei dieser polymeren Spaltung mit 6 Faktoren mindestens 4092 Individuen in F2 gezogen werden müssen, damit über- haupt eine nennenswerte Chance vorhanden ist, daß die extremen Glieder — 235 — der Reihe, also die Charaktere der ursprünglichen Elternpaare, erscheinen. Sodann sehen wir, daß bei dieser Spaltung mehr als 85 % der Individuen in die mittleren 5 Größenklassen fallen, södaß also, selbst wenn die große Zahl von 3000 F2-Individuen gezüchtet würde, nur Individuen zu er- warten sind, die nicht allzusehr vom Mittel, wie es in Ft besteht, ab- weichen. Der einzige Unterschied wäre der: In Fx ist natürlich bei einem quantitativem Charakter eine gewisse Fluktuation um den Wert 70 herum zu erwarten, ebenso wie ja auch die Elternrasse von 40 resp. 100 nicht bei diesen Größen konstant ist, sondern je eine Fluktuation mit dem Mittelwert 40 resp. 100 zeigt. In F2 aber verbindet bei vor- hergehender Annahme die Fluktuation 5 Größenklassen und reicht ein wenig jederseits darüber hinaus. Die Variationskurve von F2 muß daher unter allen Umständen eine größere Variationsbreite zeigen als in Fj. Wenn viele polymere Faktoren im Spiel sind, dürfte dies daher außer bei außerordentlichen Versuchszahlen, das erste typische Krite- rion einer polymeren Spaltung sein. Eine weitere Konsequenz wird uns aus folgender Überlegung klar. Angenommen, wir haben den Versuch mit 6 polymeren Faktorenpaaren ausgeführt und erhalten unter etwa 2000 Individuen als kleinste solche von Größe 60, die also 4 Wachstumsfaktoren besitzen müssen. Nehmen wir an, eine solche ausgesuchte F2-Pflanze habe die Formel A aBbCcDdeeff. Ziehen wir daraus durch Selbstbefruchtung eine F3-Generation, so ist die Wahrscheinlichkeit, daß nun die in F2 fehlenden kleinsten Individuen, auch bei nicht übermäßig hohen Versuchszahlen, erscheinen, eine be- trächtlich größere, als sie in F2 war. Denn die Rekombination erfolgt nun mit nur 4 Faktorenpaaren und würde in F3 nach dem Schema für 4 Faktoren ergeben (die ausgesuchte Pflanze war als vierfach hetero- zygot angenommen worden) Zahl der Zuwachsfaktoren: 012345678 Größenklasse: 40' 45 50 55 60 65 70 75 80 Individuenzahl: 1 8 28 56 70 56 28 8 1 Dies zeigt, daß die Chancen für das iVuftreten der Klassen von niederem Wuchs beträchtlich gestiegen sind. Eine weitere derartige Auswahl in F3 würde wiederum die Chancen für das Auftreten des Elterntypus in F4 heben und so fort. Allgemein gesprochen ist also eine Konsequenz — 236 — der Polymerie, daß zwar in F2 oft nichts zu beobachten ist, als eine ge- steigerte Variabilität um das Elternmittel; daß aber die fortgesetzte Auswahl der größten resp. kleinsten Individuen in folgenden Genera- tionen zu dem Isolieren der ursprünglichen Elterntypen führen muß. Endlich muß noch eine Konsequenz erwähnt werden, nämlich, daß bei der polymeren Spaltung Individuen erscheinen können, die größer oder kleiner als die Extreme der Ausgangsrassen sind. Das ist möglich, wenn jede der gekreuzten Rassen einen nicht vollständigen Satz von' Zuwachsfaktoren besaß. Angenommen, wir haben eine kleine Rasse von der Formel AABBccddeeff (wieder unter der gleichen Annahme, daß jeder Faktor einen Zuwachs von 5 cm zur Gröe 40 cm bedingt), deren Größentyp somit 60 cm wäre und kreuzen sie mit einer großen Rasse vom Typus aabbCCDDEEFF, also dem Größentyp 80 cm. Die Rekombination dieser Faktoren im Bastard könnte dann auch zu den Formen aabbccddeeff = 40 cm und AABBCCDDEEFF = 100 cm führen, also kleineren und größeren als die Ausgangsrassen waren. Die letzte wichtige theoretische Konsequenz springt wohl ohne weiteres in die Augen: nämlich, daß wir hier wieder eine Variation vor uns haben, die äußerlich sich in nichts von der nicht erblichen Modi- fikation unterscheidet und doch etwas so ganz anderes ist. Wir werden später bei Besprechung der Zuchtwahl an diesen Punkt anzuknüpfen haben. Nachdem wir nun die Konsequenzen der Polymeriehypothese kennen, . wollen wir sie durch ein paar Beispiele illustrieren, die jene theoretischen Erwartungen erfüllt zeigen. Zunächst seien zwei Fälle illustriert, bei denen sichtlich die Zahl der polymeren Faktoren nicht sehr groß ist, da in F2 trotz mäßiger Zahlen die Elterntypen beinahe realisiert werden. Zunächst seien die Untersuchungen von East, der wohl überhaupt zuerst die Polymeriehypothese aussprach, über quantitative Merk- male beim Mais genannt. Werden solche Merkmale betrachtet, so ist es klar, daß die fluktuierende Variabilität zu berücksichtigen ist. Es müssen also die Variationskurven des betreffenden Merkmals für Bastard- eltern, Fx und F2 verglichen werden. Für Fx ist dann in der Regel eine intermediäre Kurve zu erwarten. Wie steht es aber mit F2? Nach den Ausführungen der vorhergehenden Seiten kann eine polymere Spaltung in 237 F2 eine einer Variationsreihe höchst ähnliche Phänotypenverteilung er- geben. Handelt es sich nun um ein fluktuierendes quantitatives Merkmal, so hat jeder dieser Phänotypen z. B. der 7 oben aufgezählten, seine eigene b Fig. 83. "Vererbung der Kolbenlänge beim Mais, a und h Variationsreihen der beiden Eltern fP-Generation). — 238 - kleine Variationskurve, die, wenn die Typen nahe beisammen liegen, mit der des benachbarten Typus transgr edierend ist. Die Gesamtheit dieser 9 IO ii 12 13 n / n u /+ n ? 18 19 7 8 9 10 H 12 13 K ii IG ir 18 19 20 21 2 5 i? a* 33 .32 27 2i 13 10 Fi \Z r l 1 Fig. 83. c Variationsreihe von Fj, — 1 o M CJ 'o ^H fa O CO OO 1 M un 1 <— 3 et r^ r-^ ■* OJ t-. O eo U1 -d- 1 T3 ölienklasse i •fi m vO <+ 05 ■4J ja "* \0 in HH CT 1 | CJ s 'S \o t* m N M MI r-« r^ CO 1 I CJ ^5 C VC -t >* 1 ■V OO o oo vO | | I IH Ü IH cj »ri N-1 m M >— 13 in t> CT CO 1 1 1 c o CS G 1 1 "\ W 05 « 1 1 1 CJ CT . CT CT 1 1 1 cn **■ t^ t^ 1 1 OJ VO 1 1 » "* 1 1 1 T3 C CJ CO CT I «^v in VO < 75 1 1 1 ^0 O o i-h 1 1 °\i 30 ■<*■ 1 • 1 1 F3 e r^ _ 1 1 1 vO \ | | CS co n 1 1 1 ■<*■ ►H 1 I 1 CO | | | CO 1 4-» t/1 C C c ' a a a CJ u V CJ CJ CJ CJ 4-1 :3 :d :3 :ö :3 :3 T3 -PQ PQ PQ W PQ PQ C IM pH et tu r-r- . CO V hfl e (3 o c c c CJ cj yi CO -4-» 'O nd cj cS öS CS Ol CS W w >h }-H PQ PQ PQ PQ W PQ .*-» 4-) ■* ifi cc 'C IO OJ u CS CO c3 tu tu rM Uh rH Ch .s ! 3 o |H PQ i pq tu •ass ■in» p U3J3 !los ■assBjuiSjjg I -jgjapuajaiiosi 241 Tabakblüten bei Kreuzung von Rassen mit langer und kurzer Blüt^-n- röhre. Nach allen vorausgehenden theoretischen Erörterungen können wir die Resultate einfach zu einer Tabelle (S. 240) zusammenstellen, die sich selbst erklärt. Eine aufmerksame Betrachtung der besprochenen Tatsachen zeigt, daß im Fall von polymeren Faktoren die Mendelspaltung sehr leicht übersehen werden kann, wenn die Zahlen der Versuche nicht genügend groß sind oder wenn sie in den späteren Bastardgenerationen nicht mit Auswahl der extremen Individuen verbunden werden. In den soeben zitierten Untersuchungen von East war aus F2 auch eine F3-Generation gezogen worden aus Individuen det Mittelklassen. Diese F3-Generation weicht nicht wesentlich von der F2-Verteilung ab, wie folgende Tabelle zeigt : 1 2| 3 |4 Kla 5 | 6 sse 7 n (wi S | 9 ; in vorhergehender Tabelle) 10 11 12 13 114 15 16 17 18 19 20 21 22 23 P kleine Rasse P große Rasse Fi F2 F3 ausFo — Klasse 13 1 21 140 49 • 3 4 9 10 18 41 47 4 75 55 20 40 93 25 3 78 59 60 41 43 19 25 2 7 8 13 1 45 91 19 1 Der Typus oder Mittelwert erscheint hier von F1— F3 nicht nennens- wert verändert jund der erste Eindruck ist, daß keine Spaltung vorliegt, sondern ein intermediärer Bastard, der konstant weiterzüchtet. In der älteren Bastardforschung sowohl wie in der ersten Zeit des wiederer- wachten Mendelismus hielt man es für möglich, daß es solche nicht- spaltende intermediäre Bastarde gäbe. Man kann heute mit Sicherheit sagen, daß es keinen einwandfreien derartigen Fall gibt. In vielen Fällen dürfte die genaue Analyse die Existenz multipler (polymerer) Faktoren nachweisen und den Fall in obigem Sinne erklären (andere Erklärungs- möglichkeiten werden uns noch begegnen). Zwei Beispiele, denen eine gewisse historische Bedeutung zukommt, mögen dies erläutern. Das eine ist die Vererbung der Ohrenlänge bei Kaninchen. Castle hat durch ausgedehnte Kreuzungsstudien festgestellt, daß bei Kreuzung langohriger mit kurzohrigen Rassen die Nachkommenschaft intermediär Goldschmidt, Vererbungswissenschaft. 3. Aufl. 16 — 242 — ist und dieser Charakter in allen folgenden Generationen konstant bleibt. Ein Blick auf nebenstehende Figur 85, die die Ausgangstiere eines solchen Versuchs nebst 2 Generationen von Nachkommen zeigt, läßt dies Verhalten erkennen. Bei den Elterntieren unterliegt natürlich die Ohrenlänge einer gewissen fluktuierenden Variabilität, deren Umfang bei den langohrigen Formen 20—30 mm beträgt, bei den kurzohrigen 10 mm. Die Nachkommen zeigen gewöhnlich eine mittlere Variabilität. Die folgende Tabelle gibt das wirkliche Resultat einer solchen Kreuzung wieder, wobei die eingeklammerte Zahl unter den Nachkommenzahlen das Elternmittel darstellt, um das die Nachkommen variieren. P JQ 118 mm X (5 210 mm Fi (5 156 mm + (5 166 mm H~ c5 170 mm -f- Q 170 mm -+- Cj 170 mm f [164 mm] f \ X j/ F-2 180 „ 15 > > 160 ,, 20 1 1 140 „ 15 j y 120 ,, 6 y j 100 ,, 1 1 1 Bei Kreuzung des Kurz- und Langohrenkaninchens brauchte unter 20 Nachkommen nur die Mittelklasse vertreten zu sein: so entsteht der Eindruck der Konstanz der intermediären 160 mm-Bastarde in F2. Erst unter 64 Nachkommen ist ja ein den Eltern gleiches zu erwarten. Je größer nun die Zahl der Merkmalspaare ist, um so größer wird natür- lich die Mittelklasse. Für 12 Merkmalspaare berechnet sich so die Zahl der Individuen mit Ohren zwischen 140 und 180 mm auf etwa 15 Mill. unter 17 Millionen (was nach den in der 11. Vorlesung gegebenen Zahlen- ableitungen ja leicht zu berechnen ist), und unter diesen ist nur je ein reines Exemplar vorn Charakter der Eltern. Wenn also in der Tat die Ohrenlänge von mehreren Merkmalspaaren bedingt ist, so brauchen es nur sehr wenige Faktoren zu sein, um bereits eine konstant-intermediäre Vererbung mit einer Variabilität um das Mittel vorzutäuschen. Wenn die Supposition richtig ist, so kann sie bei Tieren, die nicht durch Selbstbefruchtung vermehrt werden können' wobei sich ihre genotypische Zusammensetzung leicht zeigen würde, nur so erwiesen werden, daß ausnahmsweise unter den scheinbar rein intermediär züch- — 245 — tenden Bastarden auch Exemplare vorkommen, die sich ganz oder teil- weise dem Elterntypus nähern. Die Wahrscheinlichkeit, sie zu linden, wächst noch, wenn aus den extremen Typen von F2 F3 gezüchtet wird. Oder aber es lassen sich erblich konstante Formen isolieren, die mehr patro- oder matroklin sind, entsprechend den Größenklassen, die die Merkmale bedingen, in unserem Beispiel also ioo, 140, 180, 220 mm. Denn wir wissen ja, daß bei 3 Eigenschaften 8 homozygote Typen exi- stieren, die im Kombinationsschema sich immer in der Diagonale links oben — rechts unten finden und von denen bei intermediärer Vererbung, wie das Kombinationsschema zeigt, 2 x 3 identisch aussehen. Und wenn solche isoliert würden, müßten sie rein weiterzüchten. Bei pflanzlichen Objekten mit Selbstbefruchtung ist es allerdings ein Leichtes, diese Homozygoten zu isolieren. Bei Tieren dürfte es aber nicht leicht vor- kommen, daß bei den begrenzten Zahlen der Zuchten zufällig zwei Homo- zygoten zusammenkommen, von denen bei Annahme von nur 10 Eigen- schaften bereits nur etwa 1/10oo der Gesamtindividuenzahl existieren. Lang weist nun darauf hin, daß es in der Tat bei Castle Angaben gibt, die darauf hindeuten, daß gelegentlich Individuen mit stark goneokliner Ohrenlänge auftreten. Andere Forscher, die sich mit dem gleichen Problem* befaßten (Baur), fanden die Erwartungen aus Polymerie auch bestätigt. Im höchten Maß bemerkenswert erscheint, daß diese Interpretation nun auch einen Fall klärt, der bisher die Hochburg der konstanten Bastardvererbung darstellte, den Fall des Mulatten. Bareson be- zeichnet dieses Kreuzungsprodukt zwischen Neger und Weißen direkt als den einzigen sicheren Fall einer solchen Vererbung. Die genaue Untersuchung der Hautfarbe der Nachkommenschaft von Mulatten- paaren durch G. und C. Davenport, wobei die Farbanteile, aus denen sich der Hautton zusammensetzt, mittels des Farbkreisels exakt bestimmt wurden, zeigt aber, daß sie eine ganze Variationsreihe von hell zu dunkel in verschiedenem Gemisch bildeten. So hatten 7 Kinder eines solchen Paares folgendes Verhältnis von Schwarz zu Weiß in ihrer Hautfarbe, bestimmt nach der Skala des Farbenkreisels: Schwarz 6 60 23 25 25 25 31 24 17 46 Weiß 7 — 246 — 75 . . .8 Bei einem Neger ist das Verhältnis — , bei einem Weißen — . Da nun 2 33 außerdem in der Nachkommenschaft von Mulatten ganz weiße wie fast ganz schwarze Individuen auftreten können, so kann es kaum mehr einem Zweifel unterliegen, daß auch dieser Fall sich in genau der gleichen Weise wird erklären lassen, wie der der Kaninchenohrenlänge, wie das auch Davenports annehmen und Lang genau durchgeführt hat. Es ist wohl nicht nötig, die Einzelheiten des Falles, die sich ohne weiteres dem Prinzip einreihen, näher auszuführen. Hier ist aber auch der Ort, auf die Vererbung der Größe beim Menschen zurückzukommen, die Galtons Versuch zugrunde lag, auf statistischem Weg ein Vererbungs- gesetz zu finden. Die Feststellung kommt wohl nicht unerwartet, daß Davenport imstande ist, den Größenwuchs des Menschen eben- falls auf ein System multipler Faktoren zurückzuführen und zwar scheint es, daß es nicht eine Häufung von Größenwuchsfaktoren ist, die erblich hohe Statur hervorbringt, sondern umgekehrt die Abwesenheit einer Serie von Hemmungsfaktoren (gleich Anwesenheit ihrer Rezessive), welche sich zum erblichen kleinen Wuchs häufen. Damit können wir nun unsere früheren Ausführungen über Popu- lationen und reine Linien ergänzen. Wir sahen, wie das positive Resultat der Selektion, das Galton festgestellt hatte, darauf beruhte, daß die Population aus zahlreichen Biotypen gemischt war. Jetzt erkennen wir aber auch, weshalb die Population trotzdem den gleichen Typ einer Fluktuationsreihe als Variationskurve aufwies wie sie die Modifikation in einer reinen Linie bedingt. Es ist die Kurve der F2-Generation einer Bastardierung mit polymeren Faktoren Wozu noch zur Erklärung hinzugefügt werden muß, daß es eine mathematische Konsequenz aus den Wahrscheinlichkeitsgesetzen ist, daß in einer frei durcheinander bastardierenden Population die Typen der Bastardkombination in den gleichen Zahlenverhältnissen angetroffen werden wie in einer F2-Gene- ration, vorausgesetzt, daß keine Selbstbefruchtung und keine Aus- merzung oder Begünstigung durch Selektion stattfindet. Bei der Hervorbringung einer Eigenschaft durch polymere Faktoren nahmen wir es bisher als selbstverständlich an, daß jeder Faktor den gleichen Effekt im Endresultat ausübt und daß die Wirkungen sich — 247 — einfach addieren. Tatsächlich ist es bei den meisten derartigen Fällen von Vererbung quantitativer Eigenschaften kaum möglich zu entscheiden, ob das der Fall ist oder nicht, ob die polymeren Faktoren gleiche Wirkung haben, homomer sind, oder quantitativ verschiedene Wirkung ausüben, heteromer sind. Es liegen aber bereits ein paar Fälle vor, in denen die Analyse es wahrscheinlich gemacht hat (was ja an und für sich auch am plausibelsten ist, da Wachstum sich aus einer Serie ganz differenter physiologischer Teilprozesse zusammensetzt), daß den einzelnen rnul- tipeln Faktoren ein bestimmter, aber differenter quantitativer Anteil am Endresultat zukommt. So hat z. B. Emerson versucht, die Resul- tate von Kreuzungen zwischen hochwachsenden und niedeien Bohnen- rassen so zu erklären: Es ist einmal ein Faktorenpaar vorhanden, das den Wachstumstypus hoher — niedriger Wuchs im allgemeinen bedingt ; das ist das gleiche einfache Paar von Allelomorphen, wie es Mendel auch für die Höhe von Erbsenpflanzen feststellte. Dazu kommen noch zwei andere Faktorenpaare für die Länge und Zahl der Internodien, die nach dem Prinzip der multiplen Faktoren kumulativ wirken und innerhalb einer Hauptwachstumsdifferenz noch einen mit anderen Zahlen festgelegten Effekt im Endresultat bedingen. Ganz analog ist das Resultat, zu dem Correns bei seinen Kreuzungen mit verschieden- farbigen Chlorophyllsippen von Mirabilis jalapa kam. An der Inten- sität von grün sind zwei Faktorenpaare NN, CC beteiligt, von denen C im homo- wie heterozygoten Zustand eine Intensität von 30 % be- dingt, während N homozygot (NN) einen weiteren Zuwachs von 70 %, heterozygot (Nn) einen solchen von 60 % bedingt. Daher zeigen Pflanzen der Formeln NN CC, NN Cc, Nn CC, Nn Cc, nn CC, nn Cc in der gleichen Reihenfolge die Farbintensitäten 100, 100, 90, 90, 30, 30. Noch bestimmter sind die Angaben, die Punnett und Bailey für die Ge- wichtsvererbung bei der Kreuzung von Zwerghühnern (Bantams) und gewöhnlichen Rassen (Hamburger) machen. Die letzteren wiegen etwa das doppelte der ersteren. Der allgemeine Gang des Experiments ist so, wie wir es für die Polymerie geschildert haben, also intermediäres Verhalten in F± und erhöhte Variation in F2, wobei auch Formen er- halten wurden, die kleiner resp. größer als die Elteinrassen waren. Punnett und Bailey kommen zu der Überzeugung, daß die aktuellen — 248 — Daten am besten folgendermaßen erklärt werden können: Es sind 4 Wüchsigkeitsfaktoren ACBD im Spiel und zwar ist die Formel für die Zwergrasse aabbccDD, die für die Hamburger AA BBCCdd. Von diesen bewirken die Faktoren A und B zusammen einen Zuwachs von 60 %, zur Minimalgröße in homozygotem, von 38 % in heterozygotem Zustand. Die Faktoren C und D dagegen bewirken einen Zuwachs von 30 % im homozygoten und 25 % im heterozygoten Zustand. Ganz entsprechend unseren früheren allgemeinen Ausführungen sind dann die im Experiment erzeugten Tiere von besonders hohem oder besonders niederem Gewicht Rekombinationen von der Formel AABBCCDD resp. aabbccdd. Doch damit sei es genug von der Erscheinung der Polymerie. Hier diente sie uns nur als Erläuterung einer besonderen Art des Zusammen- arbeitens mendelnder Faktoren zum Gesamtresultat. Wir werden später nochmals im Zusammenhang mit dem Selektionsproblem ausführlich auf die Erscheinung zurückkommen müssen. Literatur zur zehnten Vorlesung. Castle, W. E., in collab. with Walter, Mullenix and Cobb, Studies of Inheritance in Rabbits. Carnegie Institution Publications. Washing- ton, 114. 1909. Correns, C, Zur Kenntnis einfacher mendelnder Bastarde. Sitzber. Preuß. Ak. Wiss. 1918. Davenport, C. B., Heredity of skin colour in negro-white crosses. Carnegie Publ. 188. 1913. — , Inheritance of stature. Genetics 2. 1917. East, E. M., Inheritance of flower size in erosses between species of Nico- tiana. Bot. Gaz. 55. I9r3. — , Size inheritance in Nicotiana. Genetics. 1. 1916. — and K. H. Hayes, Inheritance in maize. Conn. Agr. Exp. Sta. 167 and Contrib. from the Lab. of Genetics, Bussey Inst., Harvard Univ. 9. 191 1. — and Hayes, H. K. A genetic Analysis of the changes produced by selection in experiments with tobacco. , Amer, Nat. 48. 1914. Emerson, R. A., A genetic study of plant height in Phaseolus vulgaris. Nebr. Agr. Stat. Res. Bull. 7. 1916. — and East, E. M., The inheritance of quantitative characters in maize. Un. Xebr. Ag. Exp. St. Bull. 1913. — 249 — Lang, A., Die Erblichkeitsverhältnisse der Ohrenlänge der Kaninchen nach Castle und das Problem der intermedären Vererbung und Bildung konstanter Bastardrassen. Zeitschr. f. indukt Abst.- u. Vererbungsl. 4. IQIO. — , Vererbungswissenschaftliche Miszellen. Zeitschr. f. indukt. Abst.- u. Vererbungsl. 8. 1912. Mc. Dowell, E. C, Multiple factors in Mendelian inheritance. Journ. Exp. Zool. 16. 1914. Nilsson-Ehle, H., Kreuzungsuntersuchungen an Hafer und Weizen. Ars. Univers. Lund 1909. — , Spontanes Wegfallen eines Farbenfaktors beim Hafer. Verhandl. Xaturf. Vereins Brunn. 49. 191 1. — , Kreuzungsuntersuchungen an Hafer und Weizen. IL Lunds Univ. Arsskrift. N. F. Afd. 2. 7. 191 1. Plate, L., Vererbungsstudien an Mäusen. Arch. Entwcklgsmech. 44 1918. Punnett, B. C, and Bailey, P. G., On Inheritance of weight in poultry. Journ. of Genet. 4. 1914. Shull, G. H., Duplicate Genes for capsule form in Bursa bursa-pastoris. Ztschr. ind. Abst. 12. 1914. Elfte Vorlesung. Die Vererbung mehrerer Faktoren im gleichen Chromosom. Die Geschlechtschromosomen. Geschlechtsbegrenzte Vererbung und Chromosomenlehre. Nichtauseinanderweichen der Geschlechts- chromosomen. In unseren bisherigen Betrachtungen nahmen wir es als selbstver- ständlich an, daß alle mendelnden Faktoren unabhängig voneinander vererbt werden. Das bedeutet cytologisch, daß sie in verschiedenen Chromosomen gelegen sind. Nun wissen wir aber, daß die Zahl der Chromosomen meist eine relativ niedrige ist, sicher niederer als die Zahl mendelnder Faktoren. Daraus folgt, vorausgesetzt die Richtigkeit der Chromosomenlehre der Mendelspaltung, daß es entweder einen Mechanismus geben muß, der eine Faktorenverteilung erlaubt, selbst wenn die Faktoren im gleichen Chromosom gelegen sind, oder aber, daß es bei keiner Tier- oder Pflanzenform mehr gleichzeitig und unab- hängig mendelnde Faktoren geben kann als die reduzierte Zahl der Chromosomen beträgt. Nehmen wir an, wir haben eine Tierform mit der normalen Chromosomenzahl acht. Wir finden in der Natur ioo Erbrassen vor und stellen durch Kreuzung fest, daß sie sich alle durch je einen Erbfaktor voneinander unterscheiden. Durch Bastardkom- bination könnte man dann theoretisch eine Form aufbauen, die alle ioo Dominanten besitzt und eine, die alle ioo Rezessiven enthält. Wenn nun all diese Faktoren in '4 Chromosomenpaaren liegen sollen, so kann im Rahmen der oben geschilderten Chromosomenverhältnisse die Spaltung unter keinen Umständen anders verlaufen, als wenn nur 4 Faktoren vorhanden wären: alle im gleichen Chromosom gelegenen Faktoren gingen bei der Vererbung immer zusammen, sie erschienen miteinander ge- koppelt oder, anders ausgedrückt, würden korreliert vererbt. Wieviele aus einer einfachen Mendelspaltung als monohybrid mendelnd bekannte Faktoren, auch in eine solche Kreuzung eingingen, das Resultat wäre — 251 — eine tetrahybride Spaltung und wir könnten sagen, daß alle Faktoren, die dabei wie eine Einheit beisammen bleiben, also voneinander ab- hängig gekoppelt vererbt werden, im gleichen Chromosom liegen. Eine solche Tatsache wäre natürlich gleichzeitig ein weittragender Beweis für die Richtigkeit der Chromosomentheorie der Mendelspaltung. Er ist tatsächlich erbracht worden und die Fülle der Tatsachen, die sich auf diesen Punkt der Bastardlehre beziehen, gehört zu den interessan- testen und wichtigsten Fortschritten der neuen Vererbungslehre. Bevor wir mit ihrer Darstellung beginnen, sei ein Wort vorausge- schickt über einen Begriff, den wir hier mehrfach, anwenden müssen, den Begriff der Mutation, dessen ausführliche Besprechung einer späteren Vorlesung vorbehalten ist. Unter Mutation versteht man eine Ver- änderung in der Faktorenkonstitution eines Lebewesens, die plötzlich und ohne Übergänge aus bisher unbekannten Gründen erscheint. Es fällt etwa plötzlich ein Erbfaktor aus der Erbmasse aus; bei einer Fliege etwa fällt ein Faktor aus, der zur Entwicklung der Flügel notwendig ist und die so entstehende "flügellose Fliege ist eine „Verlustmutante". Sie ist jetzt erblich in einem Mendelfaktor-von der Stammart verschieden und gibt, mit ihr gekreuzt, eine einfache Mendelspaltung. Ebenso kann ein neuer Faktor in der Erbmasse auftreten und wir erhalten eine Addi- tionsmutante, oder aber der Zustand eines Faktors kann sich ändern und wir erhalten eine Mutante, die wir, wenn sie rezessiv ist, als Verlust- mutante, wenn sie dominant ist, als Additionsmutante beschreiben können. Von derartigen Mutationen werden wir also im Folgenden oft zu sprechen haben und merken uns, daß sie zur Stammart sich verhalten wie eine Rasse, die sich in einem (dominanten oder rezessiven) Mendel- faktor von ihr unterscheidet. Die nächstliegende Art nun, wie bewiesen werden könnte, daß zwei oder mehrere gemeinsam (gekoppelt, correlativ) vererbte Faktoren im gleichen Chromosom gelegen sind, wäre die, daß auf irgend eine Weise sich ein bestimmtes, äußerlich erkennbares Chromosom als Träger einer bestimmten Eigenschaft erweisen ließe und dann andere Eigenschaften gefunden werden, die mit jener zusammen vererbt werden. Tatsächlich war dies" der Weg, auf dem zuerst der geforderte Beweis erbracht wurde. Das betreffende Chromosom ist das sogenannte Geschlechtschromosom, — 252 — und die Eigenschaften sind einerseits das Geschlecht, andererseits die sogenannten geschlechtsgekoppelten oder geschlechtsbegrenzten Eigen- schaften. Der Betrachtung dieses grundlegenden Teils unseres Problems wenden wir uns nun zu. Da ist es zunächst unsere Aufgabe, mit jenem besonderen erkenn- baren Chromosom bekannt zu werden, in dem der Faktor für Geschlecht vererbt wird, dem Geschlechtschromosom, auch accessorisches Chromosom oder X-Chromosom genannt. Wir schließen dabei direkt an unsere früher erworbenen Kenntnisse über das Verhalten der Chromosomen in Reifeteilungen und Befruchtung an. Die ersten entscheidenden Be- obachtungen auf diesem Gebiet hatte Henking gemacht, ihre Be- deutung für unser Problem wurde aber erst von Mc Clung richtig er- kannt. Aber auch seine Interpretation hat sich weiterhin als unrichtig erwiesen, und es ist das Verdienst von Miß Stevens und vor allen Dingen E. B. Wilson, die Tatsachen geklärt und in ihrer Bedeutung gewürdigt zu haben. Nach allem, was wir jetzt über die Chromosomen und ihre Geschichte gehört haben, ist es selbstverständlich, daß sie stets nur in gerader Zahl gefunden werden, denn die Halbierung der Zahl in der Reduktionsteilung, die paarweise Vereinigung in der Synapsis er- fordert ja eine gerade Zahl. Die Tatsachen, die wir jetzt kennen lernen wollen, fußen aber alle auf dem zunächst höchst erstaunlichen Befund, daß in den Zellen mancher Insekten eine ungerade Zahl sich findet. Nach mancherlei Irrwegen der Forschungen kann es jetzt als feststehend gelten, daß da, wo dies der Fall ist, es meist das männliche Geschlecht ist, dem die ungerade Zahl zukommt, und zwar besitzt es immer dann ein Chromosom weniger als das weibliche, z. B. letzteres 22, ersteres 21 Elemente. Da wir schon wissen, daß im allgemeinen die Chromosomen als Elemente väterlicher und mütterlicher Herkunft paarweise zusam- mengehören, so muß bei dem Männchen einem Chromosom, dem A-Chro- mosom, sein Partner fehlen, der aber beim WTeibchen mit seiner geraden Zahl vorhanden ist, so daß dieses außer allen anderen Chromosomen zwei A"-Chromosomen besitzt. Fig. 86a stellt die Chromosomen aus einer Teilungsfigur der Wanze Anasa tristis im männlichen Geschlecht dar. In b sind sie einzeln herausgezeichnet, und da erkennt man'deutlich 21 Chromosomen, von denen 20 paarweise zusammengehören, während — 253 — das 21., das keinen Partner hat, das X-Chromosom darstellt. Fig. 86c zeigt nun die Chromosomen einer weiblichen Zelle, ebenfalls in d isoliert gezeichnet und man erkennt die u Paare, von denen die beiden links die X-Chromosomen sind. a f iMiiii t i ? gm f 1,1 *%"■' % V, J7 f* Ä Fig. 86. Chromosomenverhältnisse von Anasa tristis. a Die Chromosomengarnitur der Ur- samenzellen. b Die gleichen Chromosomen paarweise geordnet, c Die Garnitur einer Ureizelle, d Die gleichen paarweise geordnet, e Metaphase der i. Spermatozyten- teilung. / Die 2. Reifeteilung, g, h Die beiden Tochtergruppen einer Teilungsfigur vom Pol gesehen, h besitzt allein das- unpaare Chromosom h. Nach Wilson aus Hacker. ' — 254 — Erinnern wir uns nun daran, was in den Reife teilungen vor sich geht. Die eine von ihnen war eine Reduktionsteilung, d. h. die vorher in homo- logen Paaren miteinander vereinigten Chromosomen wurden als ganze Chromosomen auf die beiden Teilungspole verteilt, so daß nur die beiden Tochterzellen die Hälfte, die reduzierte Chromosomenzahl erhielten, in der aber jede Chromosomenform einmal vertreten war. Lassen wir nun bei -einer solchen weiblichen Wanze die Reduktionsteilung vor sich gehen, so erhält jede Zelle, bzw. im weiblichen Geschlecht die Eizelle und der Richtungskörper, den gleichen Chromosomenbestand : alle reifen Eier besitzen ihre n Chromosomen von der typischen Art der Fig. 86d. Wenn aber im männlichen Geschlecht in den Spermatozyten die Reife- teilungen stattfinden und sich die Chromosomen in der Synapsis paaren, dann besitzt das A-Element keinen Partner, es muß also ungepaart bleiben. In der Reduktionsteilung, die ganze Chromosomen auseinander- teilt, muß es daher als Ganzes zu einem Pol gezogen werden und das ist in der Tat der Fall. Fig. 86/ zeigt uns diese Teilung, und wie das A'-Ele- ment (h) ungeteilt zu einem Pol wandert. Damit sind aber nach der Reduktionsteilung zwei verschiedene Arten von Samenzellen vorhanden : solche mit 10 Chromosomen (Fig. g) und solche mit n, nämlich den gleichen 10 + dem Ar-Chromosom (Fig. h). Da nun aus jeder dieser Zellen sich ein Spermatozoon bildet, so entstehen in gleicher Zahl zwei verschiedene Spermatozoenarten, solche mit und ohne A-Chromo- som. Nun ist es klar, was sich bei der Befruchtung ereignen muß : Ent- weder befruchtet ein Spermatozoon mit 10 Chromosomen das Ei, das immer n enthält, dann entsteht ein Organismus mit 21 Chromosomen. Oder eine Spermie mit n Chromosomen kommt zur Befruchtung, dann entsteht ein Wesen mit 22 Chromosomen. Da es aber feststeht, .daß die Männchen in ihren Zellen 21, die Weibchen 22 Chromosomen besitzen, so folgt daraus mit zwingender Notwendigkeit, daß die Spermatozoen mit A-Chromosom weibchenbestimmend, die ohne A^-Chromosom männchenbestimmend sind. An der Richtigkeit der Befunde, die bereits durch die ganze Lebens- geschichte solcher Formen hindurch verfolgt sind, kann nicht der ge- ringste Zweifel bestehen. Sie stehen jetzt für sehr viele Arthropoden, für Würmer und für Wirbeltiere fest. Wie klar sich oft die männchen- — 255 und weibchenbestimmenden Spermatozoen unterscheiden lassen, geht z. B. aus nebenstehender Photographie der 4 aus den beiden Reife- teilungen entstandenen Spermien eines Nematoden hervor, von denen die beiden $ -bestimmenden 5, die ^-bestimmenden 6 (5 + X) Chromo- somen zeigen (Fig. 87). Allerdings ist im einzelnen der Prozeß gewissen Variationen unterworfen, die, ohne am Prinzip etwas zu ändern, doch für die theoretische Wertung der Befunde von großer Bedeutung sind. Umstehende Fig. 88 illustriert schematisch die wichtigsten Typen. Die geschlechtsbestimmenden Chromosomen sind dabei schwarz ge- zeichnet und außer ihnen stets 4, also 2 Paar gewöhnliche weiße Chromosomen angenom- men. Die senkrechten Reihen stellen das Verhalten bei 6 verschiedenen Typen, meist Wanzen, deren Gattung am Kopfe steht, dar. Die oberste Horizontalreihe enthält schematisch das Auseinanderrücken der Chromosomen bei der männlichen Reduk- tionsteilung, die zweite Reihe stellt das gleiche für die weibliche Reifeteilung dar. Die dritte Reihe gibt die männchenbilde'nde Befruchtung, die letzte die weibchenbil- dende wieder. Der dritte Typus (Protenor, Pyrrhocoris) bedarf weiter keiner Erläute- rung, da er genau das zeigt, was uns schon unser obiges Beispiel lehrte. Der vierte Typus (Syromastes, Phylloxera) gibt prinzipiell das gleiche, nur daß statt einem zwei Ä'-Chromosomen sich finden. Bei allen anderen aber sehen wir, daß das X-Chromosom, entgegen dem bisher angeführten, doch einen Partner hat, das durch ein Kreuz ausgezeichnete Y- Chro- mosom. Im zweiten Fall (Lygaeus, Euschistus) ist das V-Chromosom ohne weiteres durch seine geringere Größe kenntlich, im fünften und sechsten dadurch, daß ihm als A-Partner zwei bzw. drei A'-Chromo- somen gegenüberstehen. In diesen Fällen besitzen also die zwei Klassen von Spermien, die X- und Y-Klasse, nicht ausschließlich verschiedene Chromosomenzahlen, sondern auch Chromosomenarten; die weibchen Fig. 87. Die 4 aus den Reifeteilungen hervorgegangenen Spermati- den (amCytophorbefestigt)von Ancyracanthus. Nach Mu 1 s o w. — 256 — bestimmenden Spermatozoen haben nur Är-Elemente, die männchen- bestimmenden entweder kein solches, oder dafür ein Y-Element. Wir sehen also bei allen Varianten doch immer ein grundsätzliches Resultat: das männliche Geschlecht ist heterogametisch, das weibliche homogametisch, ersteres bildet zwei Sorten, letzteres eine Sorte von Geschlechtszellen. Wenn wir nun an unsere Kenntnisse der elementaren Mendelfälle zurückdenken, so fällt uns gleich eine Parallele zu dem jetzt behandelten Alezocra Oncopeltus Lygaeus SubcftiOtuij Protenor Pyrrhotoris Syromoiites Phylloxgroi Fi fehl 01 Thyointcx. Scneot Prioniatui> fieifeleUung des Männchens Y-ffüsx XAlaae Reifeteitung des Weibchens II! X-Äloax XAtaxe Befruchtung gibt Männchen Sperma r Y + EiX Befruchlung gibt Weibchen Sperma Ei'X Fig. 88. Schematische Darstellung der verschiedenen Typen geschlechtsbestimmender Chromo- somen. Nach Wilson. NB. Rechts unten soll es nicht heißen Sperma V, sondern Sperma X. Fall ein, nämlich der Vorgang einer Bastardrückkreuzung, etwa die Rückkreuzung des Bastards A a mit seiner Elternform AA . Die Parallelen liegen auf der Hand. Der Bastard Aa hat einen Faktor A,_ die homo- zygote Form AA deren zwei. Entsprechend hat das heterogametische Geschlecht ein X-Chromosom, das homogametische zwei. Der Bastard Aa bildet zwei Arten Geschlechtszellen zu gleichen Teilen, nämlich A und a, das heterogametische Geschlecht zwei Sorten von Geschlechts- zellen, solche mit und solche ohne X-Chromosom. Die homozygote Form AA bildet nur Geschlechtszellen mit A, das homogametische Geschlecht nur solche mit X-Chromosom. Aus der Rückkreuzung — 257 — Aa x AA entstehen wieder Aa und AA zu gleichen Teilen. Die letztere Tatsache hatte nun schon Mendel selbst und später Correns zu der Überzeugung geführt, daß die Geschlechtsvererbung einer Mendelschen Rückkreuzung entspreche, wobei ein Geschlecht heterozygot, das andere homozygot ist. Die Erforschung der Geschlechtschromosomen hat nun tatsächlich den Mechanismus aufgedeckt, der dies ermöglicht. Wenn der Faktor für Geschlechtsdifferenzierung (dessen physiologisches Wesen uns hier noch nicht beschäftigt) in homozygotem Zustand das eine, in heterozygotem das andere Geschlecht bedingt, und wenn dieser Faktor in den Geschlechtschromosomen liegt, dann bedeutet ja jede Befruchtung, bei der die Geschlechtschromosomendifferenz vorhanden ist, eine Rück- kreuzung. Nennen wir den Faktor deshalb X, um an seinen Träger, das X-Chromosom zu erinnern, so ist in vorliegendem Fall Xx = $, 11= $. Da, wo ein Y-Chromosom vorhanden ist, wäre das x der Faktorensprache gleich dem Y der Chromosomensprache. Somit haben wir nun hier das gegeben, was wir als Ausgangspunkt suchten, nämlich ein bestimmtes Chromosom, das X-Chromosom, in dem eine bestimmte Erbeigenschaft lokalisiert ist, ein Faktor für die Geschlechtsdifferen- zierung. Ehe wir aber den nächsten Schritt tun, den Beweis zu erbringen, daß andere Faktoren im gleichen Chromosom gekoppelt vererbt werden müssen; seien noch ein paar Tatsachen genannt, die die Richtigkeit des Geschlechtschromosomenmechanismus beweisen. Es sind das eine Reihe von Fällen, in denen ungewöhnliche Verhältnisse in bezug auf die Verteilung der Geschlechter vorliegen, deren Zusammenhang mit dem Geschlechtsmechanismus dann aufgedeckt wurde. Da ist einmal das Verhalten der Chromosomen in Fällen zu nennen, in denen ein typischer Wechsel zwischen Generationen verschiedener Geschlechtig- keit stattfindet. Zwei Beispiele seien kurz genannt. Bei den Blattläusen entstehen aus parthenogenetisch erzeugten Eiern im Sommer nur Weibchen, im Herbst aber beide Geschlechter, zuvor manchmal auch Weibchen, die nur Männchen erzeugen und solche, die nur Weibchen erzeugen. Die befruchteten Eier aber ergeben stets nur Weibchen. Letztere Tatsache konnte nun für die Aphiden von v. Baehr, Morgan und Stevens in glänzende Übereinstimmung mit Goldschmidt, Vererbungswissenschaft. 3. Aufl. I~ — 258 — den zellulären Befunden gebracht werden. Wenn bei der Samenreife der Männchen, die eine ungerade Chromosomenzahl besitzen, die Re- duktionsteilung erfolgt ist, also in einer prinzipiell der beschriebenen ähnlichen Weise die X- und Y-Zellen gebildet sind, entwickeln sich nur aus ersteren Spermatozoen, die Y-Zellen, die ein Chromosom weniger besitzen, degenerieren aber, so daß die Befruchtung ausschließlich durch X-Spermatozoen geschehen kann, die ja weibchenbestimmend sind. Die so entstandenen Weibchen haben also die gesamte Chromosomenzahl, ebenso wie die parthenogene tisch aus ihnen erzeugten weiteren Weib- chen. Werden aber dann Eier gebildet, aus denen sich parthenoge- netisch Männchen entwickeln, so entfernen sie bei der Bildung der Richtungskörper ein Chromosom mehr aus dem Ei, als in ihm zurück- bleibt; durch diesen Mechanismus kommt also in den männchener- zeugenden Eiern die ungerade männliche Zahl zustande. Die cytolo- gischen Befunde erklären somit in unserem Falle das biologische Ver- halten. Ähnlichen Verhältnissen von prinzipiell der gleichen Bedeutung be- gegnen wir beim Fortpflanzungszyklus des Nematoden Angiostoma nigro- venosum, wie ihn Schleip und Boveri zytologisch analysierten. Hier findet ein regelmäßiger Wechsel zwischen einer getrennt geschlechtlichen, freilebenden und einer zwittrigen, parasitischen Generation statt. Aus den befruchteten Eiern der getrennt geschlechtlichen Form entstehen also stets Zwitter und umgekehrt. Die Weibchen der getrennt geschlecht- lichen Generation besitzen 12 Chromosomen, die in den Reifeteilungen auf 6 reduziert werden. Die Männchen haben deren 11, so daß Spermato- zoen mit 6 und solche mit 5 Elementen gebildet werden. Die zwittrige Generation enthält aber stets 12 Chromosomen, die Spermien mit 5 Chromosomen sind also nicht zur Befruchtung gelangt. Die Zwitter haben also weibliche Chromosomenzahl und erscheinen auch in ihren äußeren Charakteren als Weibchen. Ihre Eier sind dann auch wieder nach der Reifung mit 6 Chromosomen ausgestattet. In den Ursamen- zellen findet sich zwar auch die weibliche Zahl von 12 Chromosomen, aber eines davon zeigt bereits Besonderheiten, aus denen hervorgeht, daß es dem Untergang geweiht ist. Es macht zwar auch die Reifeteilung mit und kommt sodann in die Hälfte der Spermatiden, wird aber nicht — 259 — in deren Kern einbezogen und geht zugrunde, so daß nun wieder zweierlei Spermien, solche mit 6 und solche mit 5 Chromosomen gebildet werden. Beide befruchten und erzeugen wieder £ und <£. Eine weitere Tatsachengruppe, die den Geschlechtschromosomen- mechanismus auf das schönste an der Arbeit zeigt, sind die Beziehungen zwischen Parthenogenese und Geschlecht. Der bekannteste Fall ist der der Biene. Aus parthenogene tischen Eiern entstehen nur Drohnen (Männchen) aus befruchteten Eiern Arbeiterinnen oder Königinnen (Weibchen). Die cytologische Untersuchung zeigte nun, daß die Drohnen sich aus reifen Eiern mit der reduzierten (haploiden) Chromosomenzahl, also nur einem Är-Chromosom, entwickeln, während die weiblichen, be- fruchteten Eier natürlich die vollständige diploide Zahl, also 2 X-Chro- mosomen, haben. Bei der Bildung der Samenzellen der Drohnen wird aber die Reifeteilung unterdrückt und so ensteht nur eine Sorte von Samenzellen, solche mit X-Chromosom. In etwas verwickelterer Weise zeigt der folgende Fall den gleichen Chromosomenmechanismus an der Arbeit. Bei der Gallwespe Neuroterus verhält es sich nach Doncaster folgendermaßen : Befruchtete Eier überwintern und aus ihnen schlüpfen Wespen aus, die sich parthenogenetisch vermehren, und zwar legen manche Weibchen nur Eier, aus denen sich wieder Weibchen entwickeln, andere nur solche, aus denen Männchen entstehen. Das befruchtete Ei ist dann das gleiche, von dem wir ausgingen. Nun enthalten die Weibchen des Frühjahrs, die aus befruchteten Eiern hervorgehen, natür- lich die diploide Chromosomenzahl 20 in ihren Zellen, die partheno- genetisch erzeugten Sommerweibchen ebenfalls, die Männchen dagegen nur die haploide Zahl 10. Es findet also bei der Reifung der partheno- genetischen Eier bei solchen, die Weibchen liefern, eine Reduktion nicht statt, wohl aber bei solchen, die Männchen liefern. Die Erklärung mittels des X = 2 X-Mechanismus ist also die gleiche wie vorher. Eine weitere Gruppe von Tatsachen, die den X-Chromosomenmecha- nismus demonstriert, begegnet uns in der Erscheinung des sogenannten Gynandromorphismus. Als Gynandromorphismus wird das gelegent- liche Auftreten von Individuen bezeichnet, die in ihrem Körper ein sexuelles Mosaik zeigen, etwa weibliche Charaktere links, männliche 17* _ 260 — rechts. Es konnte nun auf allerlei merkwürdigen Wegen, die hier nicht näher geschildert seien, nachgewiesen werden, daß sie durch eine ab- norme Chromosomenverteilung im Zusammenhang mit Besonderheiten der Befruchtung hervorgerufen werden, die es mit sich bringen, daß die Zellen einer Körperhälfte zwei X-Chromosomen, die der anderen nur i X-Chromosom enthalten. Endlich sei noch eine Tatsachengruppe genannt, die uns wieder zu unserm eigentlichen Gegenstand zurückbringt. Wir haben oben nur solche Fälle besprochen, bei denen, wie bei den Wanzen, das männliche Geschlecht das he terogame tische = heterozygote ist (ix) das weibliche das homogame tische = homozygote (2x) ist. Die mendelistischen Studien, die historisch ja den Chromosomenstudien vorausgegangen waren, hatten nun zur Erkenntnis geführt, daß es zwar viele Tiere (wie Pflanzen) gibt, bei denen dies der Fall ist; daß es aber auch andere Tier- gruppen wie Vögel und Schmetterlinge gibt, bei denen umgekehrt das weibliche Geschlecht das heterozygote (heterogametische, iX) Geschlecht ist, das männliche das homozygote (homogametische, 2X) Geschlecht. Es ist ein besonderer Triumph der Zellenlehre, daß sie die Chromosomen- verhältnisse in Übereinstimmung mit den Erfordernissen des Experi- ments fand. Die cytologischen Tatsachen des ersten Typus sind uns bereits bekannt und werden uns noch öfters bei dem Objekt begegnen, das am besten experimentell durchgearbeitet ist, der Fliege Drosophila. Für den zweiten Fall, weibliche Heterogametie, die bei den Schmetter- lingen von Seiler nachgewiesen wurde, seien nebenstehend ein paar Ab- bildungen gegeben, die das Verhalten des einen X-Chromosomen bei den Reifeteilungen im Ei in Übereinstimmung mit den Erwartungen zeigen (Fig. 89). Die Experimente aber, aus denen erschlossen worden war, welches Geschlecht das heterozygote ist, sind die gleichen, die uns jetzt beweisen sollen, daß mehrere im gleichen Chromosom gelagerte Fak- toren korrelativ vererbt werden müssen. Der historische Gang dieser Erkenntnis ist allerdings der umgekehrte; es wurde nämlich zuerst entdeckt, daß es Faktoren gibt, die bei der Vererbung stets mit dem Geschlechtsfaktor zusammengehen, geschlechts- begrenzt sind und eine mendelistisch-symbolische Erklärung der Korre- lation geben, die wir auch hier zuerst kennen lernen wollen. Wir 2151 — werden dann umso klarer erkennen, wie unendlich das Problem durch die Übertragung auf die Chromosomenlehre vereinfacht wurde. Der klassische Fall, von dem die modernen Erörterungen des Problems ausgingen, ist der von Doncaster und Raynor studierte Fall des Stachelbeerspanners Abraxas grossulariata. Von diesem Schmetterling gibt es eine selten auftretende helle Varietät lacticolor. die eine Art Albino darstellt und gewöhnlich nur im weiblichen Geschlecht gefunden wird (Fig. 90). Wurde ein lacti- color 2 mit grossulariata <$ gekreuzt, so waren alle Nach- kommen in Fj grossulariata und zwar beider Geschlechter. Der Grossulariatafaktor do- miniert also über den Lacti- colorfaktor. F2 gab dann beide Formen im Verhältnis etwa 3 : 1, nämlich 18 grossu- lariata : 7 lacticolor. Wäh- rend erstere aber beide Ge- schlechter enthielten, waren letztere bloß weiblich. Wur- den aber die Fx (heterozygo- ten) grossulariata-Männchen mit lacticolor- Weibchen rück- gekreuzt, so gab 'es, wie zu erwarten, zur Hälfte grossu- lariata, zur Hälfte lacticolor, diese waren aber in gleicher Zahl aus beiden Geschlechtern zusammengesetzt, nämlich 63 Gross. <$, 62 Gross. 2, 65 Lactic. . Oder kreuzen wir die, natürlich im Faktor G heterozygoten Fx grossulariata $ und $, so heißt ersteres GgFf, letzteres Ggff. Die Gameten sind also bei erste rem Gf und gF, bei letzterem Gf und gf. Die Befruchtung ergibt somit in gleicher Zahl die Kombinationen GfGf = Grossulatiata <$, Gfgf = Grossulariata <$, gFGf = Grossulariata $, gFgf = Lacticolor $. Würde aber ein Lacticolor $ ggFf mit einem heterozygoten Grossu- lariata <£ Ggff gepaart, so wären die Gameten gF, gf und Gf, gf. Es entständen also in gleicher Zahl: gF Gf = 'Grossulariata $, gFgf = Lacticolor $, gfGf = Grossulariata <$, gfgf = Lacticolor <$, 264 — c v u 43 a D 43 — u O ^-1 O o 4-1 u es p— i <— u V-c CS E > a o O 4>! dl V 4= O 09 TS fe T3 P a ■3 O -3 l-l 4J ja » 1 44 G ö fe es >-> V rt -5 Im 43 c < — -4—1 c '! 1 V '— > u +-» c 1/3 1) cS t> a d ►J o Q c o > 1- 1) TJ -*-• 43 t) 1*4 U) V- V 43 O t-4 o> hO — 265 Wir sehen also, wie die Annahme die wirklichen Resultate vortreff- lich erklärt. In instruktiver Weise sind die ganzen Resultate nochmals in nebenstehender Fig. 91 wiedergegeben. Noch zwei weitere Beispiele dieser Er- scheinung bei weib- licher Heterozygotie seien erwähnt, von de- nen eines ein wenig komplizierter ist und die in der gleichen mendel istischen Weise symbolisch interpre- tiert werden können. Es handelt sich um ge- schlechtsbegrenzte Ver- erbung bei Hühnern. Pearl nebst Sur- face, Goodale, Spill- man, ebenso wie auch Bateson und Hage- doorn untersuchten derartige Fälle, von denen besonders die Vererbung des Gitter- musters der Zeichnung hervorzuheben ist. Es handelt sich um die Kreuzung einer schwar- zen Indian Game Rasse und eines gegitterten Plymouth Rock (Fig. 92). Wird das schwarze Weibchen mit dem gegitterten Männchen gepaart, so ist die Nachkommenechaft beider Geschlechter gegittert; in einem konkreten Fall waren es 70 gegitterte Männchen und 68 ebensolche Weibchen. Bei der umgekehrten Kreu- Fig. 92. Gegitterte Plymouth Rock Henne und schwarzer Indian Game Hahn. Nach Pearl und Surface. 266 zung gegittertes Weibchen x schwarzes Männchen sind die sämtlichen Männchen der Nachkommenschaft, in einem Versuch 95, gegittert, sämtliche Weibchen, nämlich 96, schwarz (Fig. 93). Es ist klar, daß die Erklärung auch die gleiche ist, wie bei Abraxas grossula- riata: Die gegitterten Weibchen sind in dem Gitterungsfaktor wie im Geschlecht hetero- zygot, die Männchen homozygot, und zwi- schen beiden Dominan- ten besteht Repulsion. Genau das gleiche Re- sultat erhielt Hage- doorn wie Goodale beiBankivahühnern ge- kreuzt mit braunroten Game Bantams, wobei sich erstere im weib- lichen Geschlecht als heterozygot erwiesen. Der andere, etwas verwickeltere Fall ist der folgende Modus der geschlechtsbegrenzten Vererbung, den Bate- son und Punnett für die besondere Pigmen- tierungsart des Neger- huhns eruierten, de- ren Hauptcharakter F'g- 93- die starke Pigmentan- Fi-Bastarde der Eltern von Fig. 92: schwarze Henne und . , gegitterter Hahn. Nach Pearl und Surface. Sammlung 111 den nie- — 267 — sodermalen Membranen ist. Wurden diese Negerhühner mit gewöhn- lichen braunen Leghorns gekreuzt, so war Fx verschieden je nach der Richtung der Kreuzung. Negerhuhn $ x Leghorn <$ gab schwach pig- mentierte Fx; bei Leghorn $ x Negerhuhn $ jedoch waren zwar die männlichen Fj^-Tiere ebenso, die weiblichen jedoch stark pigmentiert. In F2 traten alle Übergänge von pigmentierten zu nichtpigmentierten auf. Bei der Rückkreuzung mit braunen Leghorn war wieder das Re- sultat verschieden, je nachdem das F^Tier männlich oder weiblich war. Diese Resultate gehen besser als mit vielen Worten aus folgendem Schema der Autoren hervor, in dem zunächst den Zahlenverhältnissen nicht weiter Rechnung getragen ist und wobei $ g unpigmentierte, % & schwachpigmentierte und ? • tiefpigmentierte Tiere sind. i. Braun Leghorn X Negerhuhn. p 6 x ? Br. L. Q X tf x X Br. Legh. £ I I <•? <5 ? ? 9 ef 6 ? ? 2 cf 2. Negerhuhn X Braun Leghorn. 4 x Q Br. L. Q X -tf X f- -X Br. L. ■ 1 ist. Wird umgekehrt Ab x aB gekreuzt, so tritt die „Abstoßung" zwischen A und B auf, es werden wieder vorzugsweise die elterlichen Kombinationen gebildet, also jetzt AB : Ab : aB : ab im Verhältnis 1 : n : n : 1. Diese Erkenntnis — sie ist an Kreuzungen von Mais, Spanischen Wicken, Primeln, Löwen- maul, also nur Pflanzen gewonnen — bedeutete in der Tat eine große Vereinfachung des Ganzen, ja man glaubte sogar, hinter eine Gesetz- mäßigkeit gekommen zu sein, die das Phänomen erklärte. Was zunächst die Zahlen betrifft, so glauben Bateson und Punnett, daß sie immer auf der Reihe 3, 7, 15, 31, 63 also 2n — 1 liege. In der folgenden Tabelle seien nur noch im Anschluß an Bateson und Punnett die Zahlen Verhältnisse zusammengestellt, die sich für die Gameten und für die F2-Spaltung ergeben, wenn n auf der Reihe 2M — 1 liegt. 1. Abstoßung. Eltern Ab X a B. Fi bildet Gameten Die vier Phänotypen in F% zeigen an in den Verhältnissen: Stelle von 9:3:3: 1 das Verhältnis : AB : Ab : aB : ab AB Ab : aB : ab 1 0 3 1 33 15 15 1 1 7 7 1 129 63 63 1 1 15 »5 1 513 255 255 1 1 3i 3i 1 2049 1023 1023 1 I 71—1 ;/ — I I 2«2-|- 1 »2 — I n- — 1 1 289 — 2. Koppelung. Eltern AB X a b. Fi bildet Gameten Die vier Phänotypen in F% zeigen an in den Verhältnissen: Stelle von 9:3:3 1 das Verhältnis: AB : Ab : aß : ab AB ! Ab : aß : a b 3 4i 7 7 9 7 7 177 15 15 49 i5 15 737 3i 3i 225 31 3i 3009 63 63 961 n-i) («— 1) 3 «2 — (2 n - -I) 2» — 1 in — I «2 — {211 — 1 Bateson und Punnett haben eine Vorstellung entwickelt, nach der die Anlagenspaltung schon in der Embryonalentwicklung des Bastards stattfinden muß und dann durch bestimmte Systeme auf- einander folgender Zellteilungen die erwähnten Zahlenverhältnisse zu- stande kommen, die sie als ,,reduplication series" bezeichnen. Es hat aber keinen Zweck, auf diese Theorie weiter einzugehen. Es zeigte sich bald, daß im aküiellen Versuch auch alle möglichen anderen Zahlenverhältnisse eintreten als die in jener Reihe gelegenen; und wie gesagt, hat das Phänomen jetzt eine vollständige Erklärung aus der Chromosomenlehre erfahren. Die einfache Erklärung ist die, daß Faktoren, die gekoppelt vererbt werden, im gleichen Chromosom liegen und daß die partielle Koppelung auf dem Austausch von Faktoren zwischen väterlichen und mütterlichen Chromosomen in der Synapsisperiode be- ruht, dessen mehr oder minder häufiges Stattfinden die Zahl der in geringerer Anzahl vorhandenen Kombinationen bedingt. Koppelung und Abstoßung sind dann das gleiche Phänomen: im ersten Fall liegen zwei dominante Faktoren in einem, zwei rezessive im andern Partner des Chromosomenpaares; im letzteren Fall enthält jedes Chromosom des Paares je einen dominanten und rezessiven Faktor. So wollen wir nun zusehen, wie dieserBeweis erbracht wurde, und zu welchen weittragenden Konsequenzen er führt. Wir knüpfen wieder bei der Feststellung an, daß geschlechtsbegrenzte Charaktere mit dem X-Chromosom vererbt werden, resp. der Umkeh- rung dieses Satzes, daß alle Faktoren die in den X-Chromosomen gelegen sind, geschlechtsbegrenzt vererbt werden. Wir nannten oben S. 272 einige solche Faktoren, für die bei Drosophila der Beweis erbracht wurde. Eine der Konsequenzen der Chromosomenlehre ist es nun, daß, ebenso wie ein geschlechtsbegrenzter Faktor und der Geschlechtsfaktor selbst Goldschmidt, Vererbungswissenschaft. 3. Aufl. 19 — 290 — in der Vererbung beisammen bleiben, korreliert vererbt werden, auch jeder weitere im Geschlechtschromosom gelegene Faktor sich dem an- schließen muß. Wenn wir also zwei derartige Faktoren betrachten, so müssen sie in der Vererbung so zusammen bleiben, wie sie in die Kreuzung kamen. Wir sahen oben das Verhalten des Mutanten „weiße Augenfarbe" bei Kreuzung mit der rotäugigen Wildform. Nehmen wir nun eine andere geschlechtsbegrenzte Mutation, etwa gelbe Körperfarbe, die zur normalen grauen Farbe rezessiv ist und führen ein Kreuzungsexperiment mit zwei geschlechtsbegrenzten Faktoren aus. Wir kreuzen also ein normales Männchen, das in seinem A-Chromosom ( £ ist heterozygot, ein Ar-Chromo- som, Formel XY, also wenn wir uns nicht um das Y-Chromosom kümmern Xx) die Faktoren für rote Augenfarbe R und graue Körper- farbe G neben dem Geschlechtsfaktor Ar besitzt, mit einem Weibchen mit weißen Augen und gelbem Körper, das also die rezessiven Faktoren r, g in seinen beiden A-Chromosomen trägt. Wenn wir in ähnlicher Weise wie früher nur die Verteilung der A-Chromosomen betrachten, so verläuft die Kreuzung folgendermaßen: weißäugig gelbes Q X rotäugig graues 5 Eltern : X X g er 6 r r Gameten: alle X g 7' Bastarde Fi : X X g G r R V2 heterozygote grau- rotäugige Weibchen • X G Y R X y2Y G R X Y = weißäugig gelbe r Männchen Wir sollten also die uns schon bekannte Übers-Kreuz- Vererbung erhalten und nur diese beiden Typen können entstehen, wenn die Faktoren in ihren Chromosomen wie in Käfigen eingeschlossen, übertragen werden. Es wurde nun hieraus eine F2-Generation gezogen, für die folgende Erwartungen vorliegen : — 291 — Gameten des Ft-Weibchens: lj% X Va X g G r R Gameten des Fi -Männchens: i/o X g r lk y F2: * X X X X X g & + G g + g Y + G r r R r r R weißäugig- gelbe Weibch. rotäugig- weißäugig- graue Weibch. gelbe Männch. rotäugig- graue Männch. Das heißt also, wenn wir die Geschlechter zusammennehmen, es mußten zu gleichen Teilen die ursprünglichen elterlichen Kombinationen in beiden Geschlechtern entstehen, nämlich rotäugig-graue und weißäugig- gelbe. Bei der Ausführung des Versuchs erschienen nun aber neben diesen erwarteten Kombinationen auch grau-weißäugige und gelb- rotäugige Individuen, die doch nicht möglich sein sollten, wenn die Faktoren in den Chromosomen unwandelbar eingeschlossen sind. Die aktuellen Zahlen des Versuchs (nach Morgan mit Bridges, Cattell, Dexter) sind: Grau-rotäugig Gelb-weißäugig Grau-weißäugig Gelb-rotäugig II 488 9335 116 96 Alles in allem wurden also ungefähr 1 % der unerwarteten Kombinationen erhalten. Bei der Ausführung des entsprechenden Versuchs aber, bei dem nun nicht beide dominanten resp. rezessiven Faktoren in einer der Eltern- formen enthalten waren, sondern jeder einen dominanten und einen rezessiven Faktor enthielt, verlief das Experiment folgendermaßen : (Es wurde also jetzt ein graues-weißäugiges und gelbes-rotäugiges Indivi- duum gekreuzt). Eltern: X G r X G r = graues weißäugiges Weibchen X R Y = gelb-rotäugiges Männchen 19* X X G O' r R 292 grau-rotäugiges Weibchen Y = grauweißäugiges Männchen Wir erinnern uns jetzt von früher, daß man die einfachsten Zahlenverhält- nisse, die direkt die Arten der Gameten erkennen lassen, erhält, wenn man einen Bastard mit einer rein rezessiven Form rückkreuzt. (S. 173.) Bei dem ersten Versuch was dies ohnehin derFall, da ja die Fj^Männchen, wie die früheren Schemata zeigen, nur rezessive Faktoren enthielten. Um hier das gleiche zu erhalten, müssen wir also den eben genannten F^Bastard mit einem weißäugig-gelben Männchen rückkreuzen, das die beiden rezessiven Faktoren gr enthält. Diese Rückkreuzung also verläuft folgendermaßen : Gameten des heterozy- i/2 goten, grau - rotäugigen Fi-Weibchen X Vs X Gameten des rezessiven i/o X G g gelb-weißäugigen Männ- g r R chens r 1/2 Y Das Resultat der Rückkreuzung soll also sein X X X X X X G g + g g + G Y + ' g r r R r r i R Y Q grau- weißäugig Q gelb- rotäugig (5 grau" 6" gelb- rotäugig weißäugig Es sollten also wieder die beiden ursprünglichen Elternkombinationen in gleicher Zahl erhalten werden. Sie erschienen auch, dazu aber wieder die beiden „unerlaubten" Kombinationen, die somit in diesem Fall sind: grau-rotäugig und gelb-weißäugig, und zwar erschienen sie wieder in dem gleichen Verhältnis von ungefähr 1 %, nämlich: Grau-weißäugig 6573 Gelb-rotäugig 6906 Grau-rotäugig 106 Gelb-weißäugig 48 Wenn wir diese beiden Resultate nun vergleichen, so- sehen wir ohne weiteres, daß sie das gleiche zeigen, wie die vorher besprochenen Fälle von Koppelung und Abstoßung. Den ersten Fall können wir, ebenso — 293 — wie dort, in zweierlei Art beschreiben: I. Wir haben zwei selbständig mendelnde Faktorenpaare Gg resp. Rr. Bei der Bildung der Gameten aber zeigen sie meist eine Neigung, von der Rekombination keinen Ge- brauch zu machen, derart, daß in der Mehrzahl der Fälle die beiden Do- minanten resp. Rezessiven beisammen bleiben, gekoppelt sind; oder 2. Wir haben zwei gekoppelte Faktorenpaare GR resp. gr, deren korrelierte Vererbung aber in 1 % der Fälle durchbrochen wird. Genau so können wir den zweiten Fall darstellen, indem wir bei der ersten Ausdrucks- weise Koppelung, durch Abstoßung zwischen den beiden dominanten resp. rezessiven, ersetzen. Bei der zweiten Art, den Fall zu beschreiben, würden wir G und r, g und R als miteinander gekoppelt, korreliert be- zeichnen. Gehen wir nun aber dazu über, zu sehen, wie der Bruch der Korrelation (oder Koppelung bei der andern Ausdrucksweise) auf die Chromosomen bezogen werden kann. Wir wissen, wie gesagt — und sollten uns in jedem Fall nochmals darüber klar werden — (s. S. 173), daß bei der Rückkreuzung mit den reinen Rezessiven die resultierende Spaltung genau das Zahlenverhältnis der Gameten des Bastards zeigt. Über- tragen wir dies nun auf die beiden Experimente, die jedesmal 99 % der elterlichen Kombination und 1 % der umgekehrten Kombination ergaben, so bildeten die F^Bastardweibchen folgende Arten von Gameten: 1. Eltern rotäugig-grau RG und weißäugig-gelb rg: 49,5% RG 4- 49,5 °° rg + 0,5 % Rg + 0,5 % r G 99 % erwartete 1 % unerlaubte Auf die Chromosomen übertragen heißt dies: X X X X G er ö G g R r r R ■\$% 45 * 0.5 % O. : Ein Vergleich mit den früheren Schemata zeigt somit, daß in einem Prozent der Gameten des Weibchens ein Austausch zwischen homologen Faktoren eines Chromosomenpaares stattgefunden hat, nach folgendem Schema : 294 X X X X G — > g oder G g R r R —> r 2. Eltern rotäugig-gelb (Rg) und weißäugig-grau (rG). Die Durchführung ist genau die gleiche, nur daß nun Rg und rG die erwarteten und RG, rg die unerlaubten Kombinationen sind. Der Aus- tausch muß nach diesem Schema verlaufen sein : X X G — >~ er r R X X G er ö r —> R oder Die Tatsachen werden somit völlig erklärt, wenn in irgend einem Stadium des Zellenlebens ein Austausch homologer Faktoren zwischen dem X-Chromosomenpaar stattfindet. Da die elterlichen Chromosomen sich in der Synapsis paarweise zusammenlegen, so ist dies der gegebene Moment für den Austausch. Wir bezeichnen von jetzt an deshalb auch die „unerlaubten" Gameten als die Faktoreiiaustauschgameten, die daraus entstandenen „unerlaubten" Kombinationen als die Faktoren- austauschkombinationen. (Der von Morgan benutzte Ausdruck für Faktorenaustausch ist crossing-over, Hinüberkreuzen von einem zum anderen Chromosom.) Nun ist es bemerkenswert, daß in den beiden erwähnten Fällen der Prozentsatz der Austauschgameten identisch war, ungefähr i % und es in allen Wiederholungen des Versuchs blieb. Als nun der Versuch mit anderen, geschlechtsbegrenzten Mutationen ausgeführt wurde, wie sie oben aufgezählt sind, zeigte sich genau das gleiche: in jedem Versuch trat ein bestimmter Prozentsatz von Austauschkombinationen auf, der Prozentsatz war konstant für je ein Paar von Faktoren, aber typisch verschieden für die verschiedenartigen Zusammenstellungen von je zwei geschlechtsbegrenzten Faktoren. Diese Tatsachen aber zeigen, daß der Prozentsatz, in dem der Aus- tausch von Faktoren zwischen den beiden Ä"-Chromosomen der weib- lichen Drosophila erfolgt, etwas ist, das als Eigenschaft jeder betrachteten Gruppe von zwei Faktorenpaaren anhaftet. Wie kann nun diese Kon- — 295 — stanz erklärt werden? Ohne Zweifel muß sie irgendwie durch den Vor- gang des Austauschs bedingt sein. Morgan kam zu folgender Lösung, die wieder zu weiteren, höchst bemerkenswerten Konsequenzen führte : Wir erinnern uns der Vorgänge in den Kernen der Geschlechtszellen, die in der Synapsisperiode zur patrweisen Konjugation der Chromosomen führte. In der dortigen Fig. 65 erkennen wir, daß die paarweise kon- jugierenden Chromosomen sich zopf artig umeinander schlingen können, eine Erscheinung, die tatsächlich oft beobachtet wird. Janssens hat nun vor längerer Zeit darauf aufmerksam gemacht, daß es denkbar ist — er glaubt es bei einem Salamander direkt beobachtet zu haben — daß in diesem Stadium die Chromosomen, da wo sie sich überkreuzen, r\ Fig. 98. Schema des Faktorenaustauschs durch Chiasmatypie. Nach Babcock-Claussen. zusammenwachsen und wenn sie dann wieder getrennt werden, die zwischen zwei Kreuzungsstellen liegenden Segmente ausgetauscht sind. Das folgende Schema (Fig. 98), in dem ein schwarzes und ein weißes Chromosom als Partner dargestellt sind, erläutert diesen Vorgang des Austauschs von Chromosomensegmenten, den Janssens Chiasmatypie nannte. Wenn nun die Erbfaktoren im Chromosom in einer Reihe hintereinander liegen, wie es vor langer Zeit schon von Roux auf Grund allgemeiner Überlegungen postuliert wurde, dann wird natürlich auf solche Weise ein Faktorenaustausch bedingt, und Faktorenkombina- tionen entstehen, die sonst nicht möglich gewesen wären. Das gleiche Schema zeigt, wie auf solche Weise die vorher besprochenen unerwar- teten Kombinationen Gr und gR entstehen, wenn im Bastard GR gr 296 — die Chiasmatypie zwischen den beiden X-Chromosomen des Weibchens stattfindet. Wir nehmen nun zunächst an, daß nur eine einzige Überkreuzungs- stelle der beiden A'-Chromosomen vorhanden wäre. Ihre Lage könnte irgendwie festgelegt sein. Es wäre aber auch denkbar, daß sie zufällig an irgend einer Stelle der konjugierten Chromosomen aufträte, sodaß jedem Punkt in der ganzen Länge der Chromosomen die gleiche Wahrschein- lichkeit zukäme, den Kreuzungspunkt zu enthalten. Einige der Möglich- keiten der Lage des Kreuzungspunktes sind in Fig. 99 wiedergegeben. Faktorenaustausch zwischen den Partnern eines Paares tritt nun ein, wenn der Kreuzungs- punkt zwischen die beiden Fak- toren des gleichen Chromosoms, die studiert werden, fällt. Wenn nun die Lage eines Faktors im Chromosom konstant ist, so ist die Chance, daß der Kreuzungs- punkt zwischen zwei Faktoren fällt, umso größer, je weiter die Faktoren im Chromosom ausein- anderliegen und umso geringer, Fig. 99. Schematische Darstellung der Konsequenzen ;e näher sie beisammen liegen, von verschiedener Lage der Überkreuzungs- stelle bei der Chiasmatypie. Eine große Chance für die Lage des Kreuzungspunkts zwischen den Faktoren bedeutet aber große Wahrscheinlichkeit für die Ent- stehung von Austauschgame ten. Die typische Zahl für deren Bildung für je zwei Faktoren könnte demnach die Konsequenz der Entfernung der Faktoren innerhalb des Chromosoms sein. Mit anderen Worten: Der Prozentsatz der Austauschkombinationen ist ein Maß für die Ent- fernung der involvierten Faktoren im Chromosom zur Zeit des Aus- tauschs. (Sturtevant.) Auf Grund dieser Annahme konnte Morgan aus den Resultaten einer Serie von Austauschexperimenten eine Karte der Lagerung der Faktoren imChromosom ausarbeiten (Fig. 100). Als Maßeinheit wird die Entfernung — 297 — benutzt, bei den % Austauschgame ten gebildet werden, sodaß der Pro- zentsatz der Austauschklassen im Experiment direkt die Entfernung er- gibt. Das Vorgehen wäre etwa das folgende: Aus dem früher geschilderten Experiment geht hervor, daß der Faktor für weiße Augen mit dem für gelben Körper i % Austauschwerte zeigt. Die beiden lägen also eine Einheit voneinander entfernt. Nun wurde der Faktor g (gelber Körper) mit einer anderen Mutation, nämlich abnormes Abdomen (a) in gleicher Weise kombiniert und 2 % Austauschwerte erhalten. Er liegt also zwei Einheiten von r entfernt. Bei einer linearen Anordnung könnte er nun natürlich auf derselben Seite liegen wie r (weiße Augen), oder auf i 2 der andern, also g — r — a oder a —g — r. Eine weitere Kombination 2 i mit a und r entscheidet da die Alternative: Im ersteren Fall sollte im Experiment mit abnormem Abdomen (a) und weißen Augen (r) i % Austausch erhalten werden, im zweiten 3 %. Ersteres ist der Fall, also liegt r zwischen g und a. In solcher Weise wurden nun alle Faktoren gegeneinander geprüft und daraus die Faktorenkarte auf- gebaut, die Fig. 100 zeigt, auf die wir bald zurückkommen werden. Für die X-Chromosomen ist somit der Beweis geliefert, daß die im Chromosom gelegenen Faktoren gekoppelt vererbt werden, ferner aber auch, daß die Entstehung definitiver Prozentzahlen von Gameten- kombinationen, die diese Koppelung durchbrechen, auf einem Austausch von Faktoren eines Allelomorphenpaares zwischen den konjugierten Chromosomen beruht. Als Mechanismus, der dafür sorgt, kann die Chiasmatypie angenommen werden, die gleichzeitig die Tatsache der für je zwei Faktorenpaare feststehenden Austauschzahlen durch die Entfernnng der linear angeordneten Faktoren im Chromosom erklärt und somit auch eine Erbanalyse der Chromosomen konstitution ge- stattet. Wir sehen ferner, daß der Faktoren austauscht nur in den Geschlechtszellen des Weibchens stattfand. Das ist wohl begreiflich, da ja in den männlichen Geschlechtszellen das X-Chromosom keinen Partner hat resp. das Y-Chromosom als Parttier besitzt, das sichtlich ganz anderer Beschaffenheit ist. — 298 — .o.o Ye//ow, Spot 'tyletöa/L \7.o WA Ate, Aos/A, \ CAe/yy \ 3.0 AÖS70r/77<5>/. vs.oß ///(/. V/-.7 C/üÖ. 78.8 S/?//fecA 26.5leAAaAZZZ. 27.3 7d/7. 33.o Ver/v/A'o/?. 362 M/n/aAore. w.7leA/?a/Y ±3.oSaöAe. ±9.3 UfAa/ZF 53. ?fti/d//r?e/7A?/y. 565 AorAed. •57.0 ßar. 33.5 ft/secr". 65.6 teAAaA S. o.o SAreaA. 76.8 DacAs. ■3^.7 ßAacA. ±0.6 Pi/rpAe. 52.o Vesf/ff/a/. eo. ± Curi/ed. 8±. 7 Are. 9o.o SpecA 97.3 Morz/Aa. ■25.0 P/n APeacA. o.o Sep/'a. ±o. ff/oAney. 55 Zdovy, SooAy. 73 ßeaZeZ. as A?o■ Chromosom gelagert und zwar in einer Entfernung die dem Prozentsatz der Austauschklassen entsprach. IX IX Fig. 101. Chromosomenbestand der beiden Geschlechter von Drosophila. Halbschematisch nach Morgan. In dieser Weise wurden nun alle Mutationen geprüft und dabei ein Resultat von allergrößter Wichtigkeit erhalten: Jeder der Faktoren fiel ausnahmslos in eine von 4 Gruppen. Es konnten also maximal 4 unabhängig mendelnde Faktorenpaare gleichzeitig existieren. Jeder weitere Faktor mußte mit einem der vier in irgendeinem Austausch- prozentsatz (wenn nicht vollständig) gekoppelt sein. Nun gibt neben- stehende Fig. 101 die Chromosomenpaare von Drosophila nach der Synapsis wieder und zeigt, daß vier ungleich große Paare vorhanden sind. Die Zahl der Koppelungsgruppen ist aber genau diese Zahl. Und noch mehr. Durch die Analyse der Austauschwerte konnte für jeden der — 301 — Faktoren die Lage in seinem Chromosom festgelegt werden nach der Methode, die wir vorher für das Ar-Chromosom genau studierten. Auf diese Weise wurde die Karte der 4 Faktorehgruppen erhalten, die in Fig. 100 dargestellt ist. Dabei zeigte es sich, daß die aus den maximalen Austauschwerten berechnete Chromosomenlänge tatsächlich mit der wirklichen Länge der 4 Drosophilachromosomen übereinstimmt, wie der Vergleich der Abbildungen zeigt. Damit ist aber nicht nur die' Tatsache der Koppelung und Abstoßung, von der wir ausgingen, erklärt, sondern auch der experimentelle Beweis für die Chromosomenlehre der Vererbung erbracht. Zur Illustration des Gesagten mag schließlich Fig. 102 dienen, die einige Typen von Mutanten der vier -Gruppen dar- stellt, deren Faktoren in der Chromosomenkarte gefunden werden. Damit ist das Ziel erreicht, daß wir uns in den beiden letzten Vor- lesungen gesteckt haben. Wir wollen aber noch einige Ergänzungen zu den Drosophila-Tatsachen kennen lernen, die vor allem dazu be- stimmt sind, zu demonstrieren, daß der Faktorenaustausch zwischen den Chromosomen durch die Chiasmatypie erfolgt und die Faktoren linear im Chromosom hintereinander angeordnet sind. Wir nahmen bisher an, daß die Chromosomen sich nur an einer Stelle überkreuzen und durch die Chiasmatypie Segmente austauschen. Es wäre aber auch möglich, daß eine solche Chiasmatypie an zwei oder mehr Stellen stattfände. Die Konsequenzen daraus wären zweifellos mehrfache. Nehmen wir einmal an, es handele sich um 2 Faktorenpaare, die ziemlich weit auseinander liegen und es treten zwischen ihnen zwei Überkreuzungs- stellen auf, somit doppelter Faktorenaustausch. Umstehende Fig. 105 zeigt die Konsequenzen, nämlich daß der zweite Austausch den ersten aufhebt, sodaß die entstehenden Gameten wieder die ursprüngliche Zu- sammensetzung erhalten. Wenn also ein solcher Doppelaustausch statt- findet, so erhöht er in einem Versuch mit zwei Faktorenpaaren die Klassen der erwarteten Kombinationen zu Ungunsten der Austausch- kombinationen. Nun ist auf Grund der Gesamthypothese zu erwarten, daß das Stattfinden solchen Doppelaustauschs eine größere Chance zwischen zwei weit auseinander liegenden Faktoren hat als zwischen nahe beisammenliegenden. Daher sollte die Entfernung ( = Austausch- zahl) zwischen zwei weit auseinanderliegenden Faktoren aus einem — 302 Fig. 102 a — d. Einige Beispiele von Mutanten von Drosophila, a im jr-Chromosom, b im zweiten, c im dritten, d im vierten Chromosom lokalisiert. Nach Morgan. — 303 — direkten Versuch geringere Zahlen ergeben als die richtigen, da die Doppelaustauschzahlen sich zu den normalen Kombinationen addieren. So erklärt denn Morgan die Tatsache, daß die so berechneten Aus- Fig. 103. Schema für den doppelten Faktorenaustausch in einem 3-Faktorexperiment. Oben: Die Bildung der zwei Knotenpunkte. Unten: A die Chromosomen ohne Austausch, ß, C die beiden Möglichkeiten des einfachen Austauschs, D der doppelte Austausch. Nach Babcock-Claußen. tauschwerte niedriger sind, als sie sein sollten, wenn sie aus der Summe der zwischenliegenden Faktoren berechnet werden. So ist z. B. in der Chromosomenkarte S. 298 die Entfernung der Faktoren weißäugig- — 304 — schmaläugig im X-Chromosom ungefähr 56. Dies ist berechnet aus der Addition der Teilentfernungen weiß-abnorm, abnorm-gespalten usw. Der direkte Kreuzungsversuch mit den Faktoren weißäugig-schmaläugig gibt jedoch nur etwa 43 % Austausch. Die fehlenden 10 % kämen also auf Rechnung von Doppelaustausch. Direkt sichtbar werden könnte aber der Doppelaustausch erst dann, wenn drei oder mehr Faktorenpaare ins Experiment eingehen, sodaß durch Fallen der beiden Kreuzungs- stellen zwischen je zwei Faktoren zwei neue Doppelaustauschkombi- nationen neben den vier einfachen Austauschklassen entständen. Fig. 103 illustriert schematisch diesen Vorgang für die Faktoren hochrote Augen, bandförmige Augen, schwarzer Körper in Morgans Bezeichnung v, B, s im Ä'-Chromosom. Ihre Lagerung im heterozygoten weiblichen Bastard ist, (wenn wir zwei Tiere kreuzen, von denen eines alle rezessiven, das andere alle dominanten Faktoren besitzt (bandförmig B, ist eine domi- nante Mutation), so: 33 43 57 v s b\ V S ßi Im Experiment der Rückkreuzung mit rezessiven Männchen müßten also entstehen die beiden elterlichen Klassen vsbl und V SBlt die vier Klassen einfachen Austauschs Vsbly vSBlt vsB^ V Sblt und die Doppel- austauschklassen vSb-L, VsBx, also 8 Phänotypen. Folgendes aktuelle Resultat wurde erhalten (Morgan und Bridges): Aussehen: 1 . hochrot — schwarz — normaläugig 2. rot — grau — schmaläugig 3. rot — schwarz — normaläugig 4. hochrot — grau — schmaläugig 5. hochrot->-schwarz — schmaläugig 6. rot — grau — normaläugig 7. hochrot — grau — normaläugig 8. rot — schwarz — schmaläugig. Die Gesamtheit der Kreuzungen mit diesen Faktoren, unabhängig davon, welches die elterliche Faktorenkombination ursprünglich war, ergab: Phänotypus Zah v s b\ 608 VSBV 845 Vs bi 97 Einfacher r-SBl 95 Austausch v s Bt 108 VSh 140 Doppelter v S bi 1 Austausch VsBi 1 — 305 — Zahl Prozent Elterliche Kombination 5772 76,7 % Einfacher Austausch zwischen V und 5 716 9.53 % Einfacher Austausch zwischen ß und B\ 1015 13, 49 % Doppelter Austausch zwischen V—S und S — B\ 21 0.28 % Das Zahlenverhältnis dieser Prozentsätze wird sogleich besprochen werden. Wir erwähnten soeben, daß auf Grund der Annahme der linearen Anordnung der Faktoren im Chromosom die Wahrscheinlichkeit eine größere ist, daß Doppelaustausch zwischen zwei weit auseinanderliegen- den Faktoren stattfindet. Wenn sich nun die beiden Kreuzungsstellen bestimmen ließen, so könnte man daraus schließen, ob die betreffenden Stellen überall im Chromosom liegen können oder ob sie immer eine gewisse Distanz voneinander einhalten. Muller führte eine solche Be- stimmung nun so aus, daß er Fliegen aufbaute, die in nicht weniger als 12 geschlechtsbegrenzten Faktoren heterozygot waren (im Weibchen) und dann die Austauschwerte feststellte. Aus einem Vergleich der Faktorenkombinationen, die das Experiment ergab, mit der Faktoren- karte ergibt sich dann, an welcher Stelle, d. h. zwischen welchen invol- vierten Faktoren, die Kreuzungsstelle gelegen haben muß. In einigen Prozent wurde dabei ein Doppelaustausch festgestellt und es zeigte sich, daß die betreffenden Stellen irgendwo im Chromosom liegen konnten, aber immer in einer gewissen Distanz voneinander. Dies Resultat leitet nun zu einem weiteren Versuch über, die Tat- sächlichkeit der Chiasmatypie nachzuweisen. Wenn im Durchschnitt die Kreuzungsstellen der Chromosomen eine gewisse Distanz voneinander entfernt sind, so sollte die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines zweiten Kreuzungspunkts nahe dem ersten gering sein. Im Experiment würde das heißen, daß wenn zwischen A und B eine Kreuzungsstelle liegt, es nicht sehr wahrscheinlich ist, daß eine zweite zwischen B und einem nahe davon liegenden Faktor auftritt. Wäre das Auftreten der beiden Kreuzungsstellen völlig vom Zufall abhängig, dann wäre die Wahrscheinlichkeit für Doppelaustausch zwischen A —B — C das Produkt der Wahrscheinlichkeiten für einfachen Austausch A — B x B — C. Sind aber die Knoten typisch voneinander entfernt, so wird diese Wahr- scheinlichkeit für Doppelaustausch vermindert, wenn C mehr bei B liegt. Goldschmidt, Vererbungswissenschaft. 3. Aufl. 20 306 — Sturtevant und Muller drücken das gleiche so aus, daß das Auftreten einer Kreuzuhgsstelle die naheliegenden Faktoren vor einer weiteren Kreuzung schützt und nennen die Erscheinung Interferenz. In unserm obigen Beispiel für Doppelaustausch zwischen den Faktoren v — s — B1 betrug der Gesamtaustausch (einfach + doppelt) zwischen v und s 9,8 % (9,53 + 0.28) und zwischen s und Bx 13,8 % ( = 13,49 + 0,28). Daraus ergibt sich als Erwartung für Doppelaustausch 13,8 % x 9,8% =1,35% In Wirklichkeit hatte nach gegebener Interpretation die „Interferenz" den Wert auf 1/5 davon, 0,28 %, herabgedrückt. Schließlich sei noch ein sehr interessanter Versuch von Bridges erwähnt, die Realität von Chiasmatypie und Chromosomenkarte zu beweisen. Er glaubt nämlich, einen Fall gefunden zu haben, in dem ein bestimmtes Stück nachweisbar aus einem X-Chromosom ausgefallen war und dann die Konsequenzen eintraten, die die Anschauungen der Morgan schule postulierten. Bei einem Experiment mit der uns jetzt wohlbekannten geschlechtsbegrenzten dominanten Mutation „schmal- äugig" (Faktor J5X) zusammen mit dem rezessiven Faktor weißäugig (iv) zeigte eine Tochter eines solchen Männchens nicht den Charakter schmaläugig, den sie hätte zeigen sollen. Aus gewissen Gründen wurde geschlossen, daß in dem X-Chromosom jenes Männchens das den Faktor enthaltende Stück ausgefallen sei. Darauf wurden die Faktoren geprüft, von denen es bekannt ist, da sie nahe bei Bx liegen und tatsächlich fehlte der am nächsten liegende Faktor / für gegabelte Borsten eben- falls, zusammen mit einigen anderen. Der Beweis dafür, daß sie wirk- lich fehlten, wurde dadurch erbracht, daß in einem heterozygoten Weib- chen, das ein normales X-Chromosom mit den rezessiven Faktoren und ein solches defektes Ä"-Chromosom enthielt, der rezessive Charakter sichtbar wurde, was nicht möglich wäre, wenn der dominante vorhanden wäre. Da außerdem gefunden wurde, daß in einem Experiment mit den der defekten Stelle jederseits naheliegenden Faktoren fa und r die sonst verhandenen Austauschklassen fehlten, so wird geschlossen, daß wirklich das betreffende Stück Chromosom vollständig verschwunden ist. Wir wollen nun nicht weiter in diese Einzelheiten eingehen, die bereits über die Ziele dieses Buches hinausgehen. Ob nun tatsächlich die Chiasmatypie den Faktorenaustausch bedingt oder irgend ein anderer — 307 — Vorgang (wie wir gelegentlich versuchten, zu zeigen), die Tatsache des geordneten Austauschs bleibt bestehen und ebenso der definitive Nach- weis der Lagerang der Mendelfaktoren in den Chromosomen. Damit ist aber der Mechanismus der Mendelspaltung im Großen wie in den feinsten Einzelheiten vollständig erklärt. Literatur zur zwölften Vorlesung. Bateson, W., Mendel's Principles of Heredity. Cambridge University Press März 1909; 2nd Impression August 1909. Bateson, W. und Mitarbeiter, Reports to the Evolutions Committee of tue R. Soc. 1—5. 1902 — 1909. — , and R. C. Punnett, On gametic series involving reduplication of certain terms. Verhandl. Naturforsch. Vereins Brunn. 49. 1911. Baur, E., Einführung in die experimentelle Vererbungslehre. 3. Aufl. Berlin 1920. — , Vererbungs- und Bastardierungs versuche mit Antirrhinum. II. Fak- torenkoppelung. Zeitschr. f. indukt. Abst.- u. Vererbungslehre. 6. 1912. Bridges, C. B., The chromosome hypothesis of linkage applied to cases in sweet peas and Primula . Amer. Nat. 48. 1914. — , Deficiency. Genetics. 2. 1917. Goldschmidt, R., Crossing-over ohne Chiasmatypie ? Genetics. 2, 1917. Gregory, R. P., On Gametic Coupling and Repulsion in Primula sinensis. Proc. Royal Society London. 84. Xr. 568. 191 1. — , Experiments with Primula sinensis. Journ. of Genetics. 1. 191 1. Jennings, H. S., Disproof of a certain type of theories of crossing over between chromosomes. Amer. Nat. 52. 1918. Metz, C. W., Mutation in three species of Drosophila. Genetics I. 1916. — , The linkage of eight sex-linked characters in Drosophila virilis. Gene- tics. 3. 1918. Morgan, T. H., An attempt to analyse the Constitution of the chromosomes on the basis of sex-limited inheritance in Drosophila. Journ. Exp. Zool. 11. 1911. Morgan, Th. H. and Sturtevant, A. H., Muller, H. J., Bridges, C. B., The mechanism of Mendelian heredity. New York 1915. — , and Bridges, C. B., Sex-linked inheritance in Drosophila. Carnegie Inst. Wash. Publ. 237. 1916. Muller, H. J., The mechanism of crossing-over. Am. Nat. 50. 1916. Plough, H. H., The effect of temperature on crossing-over. Journ. Exp. Zool. 24. 1917. 20* — 308 - Sturtevant, A. H., The linear arrangement of six sex-linked factors in Drosophila, as shown by their mode of association. Journ. Exp. Zool. 14. 1913. — , The reduplication hypothesis as applied to Drosophila. Am. Nat. 48. 1914. — , The behavior of the chromosomes as studied through linkage. Zeitschr. ind. Abst. 13. 1915. Tanaka, Y., Further data on the reduplication in silk-worms. Journ. Ag. Coli. Sapporo 1914. Weinstein, A., Coincidence of crossing-over in Drosophila melanogaster. Genetics. 3. 1918. Zahllose weitere Arbeiten der Morganschule sind in den zitierten Ab- handlungen aufgeführt. Dreizehnte Vorlesung, Verdeckte Koppelung. Lethalfaktoren. Speziesbastarde und Nicht- mendelsche Vererbung. Plasmatische Vererbung. Wir sind nunmehr mit den Haupttatsachen des Mendelschen Mecha- nismus und allen wichtigen Konsequenzen daraus für den Ablauf von Vererbungsexperimenten bekannt. In dieser Vorlesung wollen wir uns nun noch mit einer Anzahl von Einzelerscheinungen beschäftigen, die auf den ersten Blick der Mendelschen Erklärung Schwierigkeiten zu be- reiten scheinen, bei genauerer Analyse sich aber völlig dem Rahmen der bekannten Gesetze einfügen. Wir erinnern uns von der Besprechung der Dominanzerscheinung her an das Auftreten von Mosaikbastarden in Fx aus schwarzen und weißen Hühnerrassen. Wir können nun zu dieser Erscheinung, aus- gerüstet mit den Kenntnissen über die Koppelung im gleichen Chromosom liegender Faktoren, zurückkehren und zwar beginnen wir mit dem vielzitierten Fall der Vererbung der Farbe der blauen Andalusierhühner. Es ist den Züchtern immer bekannt gewesen, daß diese beliebte grau- blaue Rasse nicht rein züchtet, sondern immer eine Anzahl von schwarzen wie weißen mit blauen Spritzern (schmutzig weiß) neben den blauen liefert. Bäte so n und Punnett zeigten dann, daß die Nachkommen- schaft zweier blauer Vögel aus schwarzen, blauen, und schmutzig-weißen im Verhältnis von 1:2:1 bestand, und daß das Viertel schwarzer wie auch weißer, rein züchtete. Somit können schwarz und schmutzig-weiß * ein Allelomorphenpaar sein und blau wäre der intermediäre Bastard. Tatsächlich wird der Fall als typisches Beispiel dieser Art von Vererbung meistens zitiert. Nun aber besitzen die schwarzen wie die schmutzig- weißen Formen beide Pigment; der Unterschied ist bloß, daß es in einem Fall den ganzen Körper färbt, im andern aber nur ein paar Spritzer bildet. Ferner ist das Blau nicht etwa ein verdünntes heterozygotes Schwarz, sondern beruht auf einer anderen Verteilung des Pigments in der Feder, die pigmentfreie Stellen läßt, deren Lichtbrechungswirkung die schieferblaue Farbe erzielt. Es müssen also mindestens zwei Fak- — 310 — torenpaare im Spiel sein. Da aber die Spaltung eine monohybride ist, so müssen sie im gleichen Chromosom liegen, festgekoppelt sein. Die richtige Formulierung des Falles müßte also folgendermaßen lauten: Die schwarze und die weiße Rasse haben beide Pigment, denn die letztere ist nicht rein weiß, jede besitzt den Pigmentfaktor P. Die weiße Rasse besitzt aber nur minimal wenig Pigment, ihr fehlt nur ein Entfaltungsfaktor, der die reiche Pigmentquantität bedingt und bei der schwarzen vorhanden ist, sagen wir Q. Dagegen besitzt die weiße Rasse einen Mosaikfaktor, der das anwesende Pigment fein verteilt, M, wes- halb sie ja auch schmutzigweiß ist. Der schwarzen fehlt aber dieser Faktor. Bei beiden Rassen sind aber diese Faktoren so aneinander gekoppelt, daß sie nur gemeinsam vererbt werden können, was durch eine Klammer ausgedrückt werden kann. (Statt dessen könnten wir natürlich den Fall auch in Chromosomen ausdrücken und den Inhalt der Klammer in ein Chromosom verlegen.) Es heißen somit die Eltern: schwarz : (mPQ) = A weiß : (MPq) = a und Fx (mPQ) (MPq) = Aa Es trifft somit in Fx der Mosaikfaktor mit dem Quantitätsfaktor zusam- men und bedingt somit die reine Verteilung des reichlichen Pigments, die als blau bezeichnet wird. Die Spaltung kann aber nur monohybrid erfolgen, da alles in der Klammer so gekoppelt ist, als wenn es nur ein Faktor A bzw. a wäre. Diese unsere Formulierung ist inzwischen von Hagedoorn und Lippincott übernommen worden und durch das Ergebnis der Kreuzung blauer Andalusier mit einer rezessiv weißen Rasse bestätigt worden. Wären die blauen einfach von der Formel Aa, so müßte die Kreuzung Aa x aa 1/2 blaue 1/2 weiße ergeben. Tatsächlich erhielt aber Hage- doorn 1/2 blaue, 1/2 schwarze. Lippincott aber kreuzte rezessiv weiße mit schmutzig-weißen Andalusiern. Das Resultat war aber nicht lauter weiße, sondern nur blaue. Beide Resultate stimmen mit unserer Erklärung überein. Die Möglichkeit einer solchen Erklärung ist von Correns angeregt worden, der damit einen ganz analogen pflanzlichen Fall interpretiert. Er kreuzte eine sehr hell rosa, fast weiße Varietät des Leimkrauts Silene Armeria mit einer rosa blühenden und erhielt in Fx stets schön purpurrot — 311 — blühende, also eine Neukonstruktion. , Nach dem, was wir früher über die purpurroten spanischen Wicken hörten, wäre nun anzunehmen, daß die eine Rasse, die weiße, einen kryptomeren Sättigungsfaktor hätte, der dann in Ft in Wirksamkeit tritt und in F2 wäre dann eine Spaltung nach dem Schema mit zwei Eigenschaften zu erwarten. Statt dessen trat aber wie bei den Andalusiern die Spaltung in i rosa : 2 purpurn : 1 weiß ein. Die Correnssche Erklärung ist denn auch die, die wir schon vorweg für die Andalusier benutzt haben, wobei nur an Stelle des Mosaikfaktors der Sättigungsfaktor S zu setzen wäre. Noch ein weiteres Beispiel dieser Art sei genannt, das zeigt, wie ein Vererbungsfall läuft, wenn sich ein solches System gekoppelter Faktoren mit unabhängig spaltenden Eigenschaften kombiniert, Tschermak und Shulls Kreuzungen mit Bohnen. Bei Kreuzung schwarzer und weißer Bohnenrassen war F1 gesprenkelt, in F2 aber fanden sich schwarze, weiße, . braune, schwarzgesprenkelte und braungesprenkelte. Shulls Erklärung ist die, daß ein Sprenkelungs- oder Mosaikfaktor M verhanden ist, der aber nur in heterozygotem Zustand m wirkt. Alle Formen, die Mm enthal- ten, und nur diese, sind gesprenkelt. Die anderen Farben erklären sich nach der uns von früher her bekannten Art so, daß ein Faktor P da ist, der nur allein braunes Pigment bedingt, mit dem Sättigungsfaktor S zusam- men aber schwarzes. Wir sehen nun, daß die Annahme des Mosaikfaktors, der nur in heterozygotem Zustand wirkt, analog ist der, daß Aa bei Anda- lusiern blau bedingt und es liegt nahe, auch hier die gleichen Annahmen zu machen, nämlich, daß der Mosaikfaktor M in Wirklichkeit ein in einem Chromosom gelagertes Paar von Faktoren ist, ein dominanter und ein • rezessiver also {Mn), während die andere, zur Bastardierung benutzte Form dafür {mN) hat. Mund N aber rufen, wenn sie zusammenkommen, das Mosaik hervor, genau wie Mund Q bei den Andalusiern. Die Kreu- zung verläuft also derart : Schwarze Bohne PPSS {Mn) {Mn) , weiße Bohne pp ss {mN) {mN). Oder, wenn wir das gleiche in Chromosomen ausdrücken, so waren drei Chromosomenpaare an der Kreuzung beteiligt, nämlich : Schwarze Rasse M M I i s s E n n Weiße Rasse: 00 .V w .V — 312 — F-l ist somit PpSs (Mn) (mN) also schwarz gesprenkelt. In F2 findet folgende Rekombination mit drei Chromosomenpaaren statt: PS{Mn) PS[Mn) schwarz I PS(mN) PS{Mn) schwarzgespr. I Ps (Mn) PS[Mn) schwarz 2 pS[Mn) PS{Mn) schwarz 3 Ps(mN) PS{Mn) schwarzgespr. 2 pS[mN) PS[Mn) schwarzgespr. *■» ps [Mn) PS(Mn) schwarz 4 ps(mN) PS(Mn) schwarzgespr. 4 PS{Mn) PS(mN) schwarzgespr. 5 PS(m N) PS{mN) schwarz 5 Ps{Mn) PS[mN) schwarzgespr. 6 pS{Mn) PS[mN) schwarzgespr 7 Ps(mN) PS{?nN) schwarz 6 pS{mN) PS(mN) schwarz 7 ps{Mti) PS{mN) schwarzgespr 8 ps(mN) PS(mN) schwarz 8 PS[Mn) Ps[Mn) schwarz 9 PS{mN) Ps{Mn) schwarzgespr. 9 Ps(Mh) Ps(Mn) braun I pS[Mn) Ps{Mn) schwarz IO Ps(mN) Ps[Mn) braungespr. I pS[mN) Ps[Mn) schwarzgespr. IO ps[Mn) Ps [Mn] braun 2 ps{mN) Ps(Mn) braungespr. 2 PS[Mn) pS{Mn) schwarz II PS{mN) pS{Mn) schwarzgespr. II Ps{Mn) pS{Mn) schwarz 12 pS{Mn) pS{Mn) weiß I Ps[mN) pS[Mn) schwarzgespr. 12 pS{nfN) pS{Mn) weiß 2 ps{Mn) pS[Mn) weiß 3 ps[mN) pS{Mn) weiß 4 PS{Mn) Ps[mN) schwarzgespr. 13 PS(mN) Ps[mN) schwarz 13 Ps[Mn) Ps{mN) braungespr. 3 pS[Mn) Ps(mN) schwarzgespr. Ps{mN) Ps{mN) braun 3 pS{mN) Ps[mN) schwarz 18 ps{Mn) Ps[mN) braungespr. 4 ps[mN) Ps{mN) braun 4 PS(Mn) pS{mN) schwarzgespr. . 'S PS[mN) pSimN) schwarz 15 Ps(Mn) pS{mN) schwarzgespr. 16 pS{Mn) pS{mN) weiß 5 Ps[mN) pS(mN) schwarz 16 pS'mN) pS{mN) weiß 6 ps[Mn) pS[mN) weiß 7 ps(mN) pS{mN) weiß 8 PS{Mn) ps(Mn) schwarz 17 PS{mN) p s (Mn) schwarzgespr. 17 Ps(Mn) ps{Mn) braun 5 pS{Mn) ps(Mn) weiß 9 Ps{mN) ps(Mn) braungespr. 5 pS{mN) ps [Mn weiß IO ps{Mn) ps (Mn) weiß II ps[t>iN) ps{Mn) weiß 12 PS[Mn) ps{mN) schwarzgespr. 18 PS[mN) ps{mN) schwarz 18 Ps{Mn) " ps{mAT) braungespr. 6 pS(Mn) ps{mN) weiß 13 Ps{mN) ps{mN) braun 6 pS{mN) ps{mN) weiß ps{Mn) ps(mN) weiß 15 ps(mN) ps[mN) weiß 16 Da alle Formen mit PS schwarz, mit Ps braun, mit p weiß und mit (Mn) (mN) gesprenkelt sind, ergibt sich das Ergebnis: 18 schwarze : — 313 — i8 schwarz gesprenkelte : 6 braune : 6 braun gesprenkelte : 16 weiße. (Die von Shull erhaltenen Zahlen waren 273 schwarze, 287 schwarz gesprenkelte, 109 braune, 79 braungesprenkelte, 265 weiße.) Es könnte nun scheinen, als ob es recht überflüssig wäre, mit zwei gekoppelten Faktoren zu arbeiten, wenn man nur einen braucht, um die Spaltung zu erklären. Das ist aus folgenden Gründen nicht der Fall: In den meisten Fällen, in denen eine solche spaltende heterozygote Konstruktion vorkommt, gibt es verwandte Rassen, die die gleiche Eigen- schaft in nichtspaltender konstanter Form besitzen. Correns weist darauf hin, daß es auch eine konstant züchtende purpurrote Silene Armeria gibt. Es gibt Fälle von Kreuzungen dunkler und heller Bohnen, bei denen der Bastard gesprenkelt ist, aber es gibt auch reinzüchtende gesprenkelte Formen; wir haben gehört, daß bei Kreuzung von schwarzen und weißen Hühnern Fx gegittert sein kann (Mosaikvererbung), aber es gibt auch Formen, deren Gitterung auf einem einzigen konstanten Erbfaktor beruht. Es ist uns aber jetzt wohlbekannt, wie solche Formen aus den anderen entstehen können : durch Faktorenaustausch. Wenn bei den Andalusiern ein Faktorenaustausch von M gegen m oder Q gegen q stattfindet, oder bei den eben besprochenen Bohnen zwischen M und m resp. N und n, dann erhalten wir ja Gameten MQ und resp. MN, aus denen eine homo- zygote, nicht spaltende Rasse blauer Andalusier resp. gesprenkelter Bohnen erhalten werden kann. Es scheint uns keinem Zweifel zu unter- liegen, daß dieser Versuch nach allem, was uns jetzt Drosophila gelehrt hat, früher oder später gelingen wird und daß dies auch der Weg war, wie unbewußt die oben genannten reinzüchtenden Formen aufgebaut wurden. Nur kurz sei darauf hingewiesen, daß bei derartigen Vererbungsfällen noch Erscheinungen vorkommen, denen eine theoretische wie praktische Bedeutung zukommt. Wir weisen auf die scheinbar ganz einfachen Kreuzungen der Arctiide Callimorpha dominula hin. Die rotflügelige mitteleuropäische Form besitzt eine gelbflügelige Mutation, die nur in einem Faktor sich von der Stammart unterscheidet. Rot ist dominant im Bastard und F2 enthält drei rote: 1 gelben. In Südeuropa gibt es aber eine gelbflügelige Varietät, die mit der roten gekreuzt, orange- — 314 — farbige Fx ergibt und zwar variiert da die Mischung von rot und gelb, die deutlich wie übereinandergelegt erscheinen. F2 spaltet in i rot : 2 orange : i gelb. Der Unterschied der beiden Formen beruht hier zweifellos auf zwei Faktoren, rot = (Ab) gelb = [aB), beide sind mit- einander gekoppelt. Es ist naheliegend, auch andere Fälle mit „inter- mediärer" Fx daraufhin zu untersuchen, besonders, wenn es um praktisch wichtige Fälle sich handelt, da durch Faktorenaustausch ja die inter- mediäre Form konstant erhalten werden kann, falls gekoppelte Faktoren vorliegen. Das, was wir in den genannten Fällen also wohl vor uns hatten, war eine verborgene Faktorenkoppelung. Von der gleichen Erscheinung gibt es nun eine absonderliche Abart, die zu unerwarteten Konsequenzen führt. Cuenot fand vor längerer Zeit, daß gewisse Rassen gelber Mäuse nicht in homozygotem Zustand erhalten werden können, daß sie nur in heterozygotem Zustand existenzfähig sind. Werden sie gepaart, so müßten ja x/4 homozygot gelbe, 2/4 heterozygotgelbe und 1/4 nicht- gelbe entstehen. Statt dessen gibt es aber immer gelbe zu nicht- gelben im Verhältnis von 2:1 (in Cuenots, Castles und Durhams Versuchen 151 1 : 767). Die homozygoten gelben sind also existenz- unfähig. Es ist inzwischen gezeigt worden, daß die betreffenden Kom- binationen zwar gebildet werden, daß aber die Embryonen dieser Art im Mutterleib zerfallen. (Kirkham, Ibsen, Steigleder). Ein ganz analoges Beispiel hat Baur im Planzenreich gefunden. Die gelbblättrige (aurea)-Sippe von Antirrhinum majus ist stets heterozygot in bezug auf grün mit Dominanz von gelb. Mit ihresgleichen fortgepflanzt entstanden 1/3 wieder heterozygote aurea -Formen und 2/3 homozygote grüne. Homozygote gelbe werden aber nie gebildet, und zwar, wie sich zeigte, bloß deshalb, weil sie nicht lebensfähig sind und schon als Keime ab- sterben. Nach allem Vorhergehenden ist es klar, daß wir hier wieder eine verborgene Koppelung vor uns haben müssen und zwar muß mit dem *Earbfaktor ein rezessiver Faktor gekoppelt sein, dessen Wirkung die Ausbildung der rezessiven Klasse unmöglich macht, was das auch im einzelnen physiologisch bedeuten mag (s. später) ; heute nennt man solche Faktoren Lethalfaktoren. Bei der gelben Maus liegt also der Faktor für gelbe Farbe, sagen wir F, im gleichen Chromosom wie ein — 315 — i rezessiver Lethalfaktor, also (Fl). In dem heterozygoten Bastard kommt die Wirkung von l nicht zur Wirkung durch die Anwesenheit von L im Partnerchromosom (fL). Das Viertel homozygote (Fl) (Fl) aber ist existenzunfähig wegen der beiden Lethalfaktoren l l. Es ist klar, daß auch hier wieder durch Faktorenaustausch Lz^lI im Bastard die homozygote Rasse lebensfähig erhalten werden könnte, was unter Urrfständen große praktische Bedeutung hat. Hier konnte nun der Lethalfaktor aus dem geänderten Zahlen Verhältnis der Spaltung erschlossen werden, aber nicht die Tatsache seiner Existenz erwiesen werden. Das ist ja, wie wir aus der vorigen Vorlesung wissen, nur möglich, wenn eine Mutation eintritt oder der Faktorenaustausch die Koppelung durchbricht. Dieser strikte Beweis für das Vorhanden- sein von Lethalfaktoren konnte nun bei Drosophila in zahlreichen Fällen geführt werden. In der früher gegebenen Chromosomenkarte sind solche Faktoren zu finden. Die Art ihres Nachweises geht aber aus folgendem Beispiel hervor. Am einfachsten ist natürlich der Nachweis, wenn ein rezessiver Lethalfaktor innerhalb des Geschlechtschromosoms vererbt wird. Da das Männchen nur ein Ä'-Chromosom besitzt, so muß jedes Männchen, das ein Chromosom mit l erhält, sterben. Beim Weib- chen mit 2 Ar-Chromosomen ist aber L über l dominant und der Lethal- faktor hat keinen Effekt, wenn er heterozygot vorliegt. Wenn also ein Experiment angestellt wird, in dem die beiden Sorten von Männ- chen herausspalten müssen, solche mit L und solche mit / im X-Chromo- som, so sind letztere nicht existenzfähig und das Resultat ist das ab- norme Zahlenverhältnis von 2 $ : 1 <$ statt Gleichheit der Geschlechter. In einem solchen Fall konnte übrigens nachgewiesen werden (Stark), daß das Produkt des Lethalfaktors ein Tumor in der Larve ist, an dem die erwartete Hälfte männlicher Larven zugrunde ging. Das Vorhandensein von Lethalfaktoren erklärt zweifellos manche schwierigen Fälle und noch mehr, es ordnet öfters Fälle einer einfachen mendelistischen Erklärung ein, die sonst benutzt werden könnten, um Annahmen zu erweisen, die all unseren Grund Vorstellungen zuwider- laufen. Als Beispiel sei die Vererbung der gefüllten Levkoje nrassen genannt. Hier gibt es Rassen, die stets nur normale Blüten besitzen und andere, die in ihrer Nachkommenschaft immer annähernd zur Hälfte — 316 — gefüllte geben. Da die gefüllten aber völlig unfruchtbar sind, so können sie nur wieder aus ihren normalen Geschwistern erhalten werden. Die Vererbung des Gefülltseins bei solchen Rassen verläuft nach folgendem Schema: normal I gefüllt normal I gefüllt normal Miß Saunders kreuzte nun solche Rassen mit normalen und fand dabei die folgenden merkwürdigen Verhältnisse : Wir nennen im folgenden die Rasse, deren normale Pflanzen zur Hälfte immer wieder normale und gefüllte liefern, die immerspaltende Rasse, die andere die normale Rasse. Bei der Kreuzung dieser beiden Rassen geben Fx verschiedene Resultate in reziproken Kreuzungen. Ist die normale Rasse die Mutter, so ist Ft normal und F2 gibt eine Mendelspaltung in 3 normale : 1 gefüllte . Von den normalen erweisen sich 1/3 als normal-reinzüchtend und 2/3 als heterozygot wie der Fx-Bastard. Es liegt also eine gewöhnliche Mendel- spaltung vor. Ist dagegen die immerspaltende Rasse die Mutter, so besteht Fx aus zwei Sorten normaler. Die eine Hälfte züchtet bei Selbst- bestäubung rein weiter, die andere Hälfte gibt in F2 wieder die typische Spaltung. Folgendes Schema gibt dies Resultat wieder: P. normal Q X immerspaltend <3 F1 normal I Fo !/4 normale (homoz.) 2/4 normale (heteroz.) 1!i gefüllte (steril) I I I F3 normal ^4 normal (homoz.) 2/4 normal (heteroz.) * 4 gefüllte (steril). Reziproke Kreuzung: P. immerspaltend Q X normal <3 Fj V2 normal (homoz.) 1/2 normal (heteroz.) Fo normal 1/4 normal (homoz.) 2/4 normal (heteroz.) 1/4 gefüllt II I F3 normal normal 1/4 normal (homoz.; 2 4 normal heteroz. ^4 gefüllt — 317 — Dies Schema zeigt, daß der Pollen der immerspaltenden Rasse sicht- lich eine Besonderheit besitzt in bezug auf den oder die Faktoren, die für normale Blüten verantwortlich sind, die den Eiern der Rasse fehlt. Miß Saunders gibt nun eine sehr komplizierte Erklärung des Falls, deren entscheidender Punkt der ist, daß zwei Faktoren für normale Blüten vorhanden sind, A und B und daß die immerspaltende Rasse eine solche ist, bei der diese Faktoren nur in die Eier, aber nie. in die Pollenzellen gelangen können. Da es sich um monöcische Pflanzen handelt, so bedeutet dies also, daß eine Faktorentrennung in AB und ab in den somatischen Zellen der Pflanzen vor sich geht, eine Annahme, die allen unsern Kenntnissen widerspricht. Tatsächlich ist sie auch nicht nötig, wie wir zeigen konnten.1 Denn der Fall wird vollständig erklärt, wenn man annimmt, daß die immerspaltende Rasse einen Faktor für die Blütenform N (= normale Blüte) besitzt, der auf das engste mit einem Lethalfaktor gekoppelt ist, oder, was praktisch das gleiche ist, selbst lethal ist für alle Pollenkörner, die ihn erhalten. Die normale Rasse heißt also NN. Nie immerspaltende Nxn. Da alle Pollenkörner mit N± zugrunde gehen, so werden zwar Eier N1 und n gebildet, aber nur Pollen n, sodaß die Befruchtung immer wieder ergiebt N±n = immer- spaltende normale und nn = gefüllte. Die Kreuzungsresultate erklären sich damit vollständig wie das folgende Faktorenschema, identisch mit dem vorhergehenden Schema, zeigt: p. normal Q NN X immerspaltend <3 N\ n Gameten N n Fi Nn Fo NN: 2 Nn: nn. 1 Wir hatten ursprünglich unsere Erklärung dadurch kompliziert, daß wir noch die Annahme der geschlechtsbegrenzten Vererbung zufügten. Frost zeigte aber, daß sie ganz unnötig ist und außerdem zu Konsequenzen führt, die nicht zutreffen, so daß dieser Teil der Interpretation weggelassen werden muß. Der Vollständigkeit halber sei übrigens erwähnt, daß noch eine weitere Komplikation des Falls darin besteht, daß das Zahlenverhältnis normal : gefüllt nicht genau i : i ist, sondern etwa 47 : 53. Miß Saunders benutzt deshalb zwei Faktoren mit „partieller Koppelung", d.h. also Faktorenaustausch. Wir finden die Zahlenverhältnisse nicht so verschieden von son- stigen Abweichungen des 1 : 1 -Verhältnisses bei Rückkreuzungen, z. B. bei der Ge- schlechtsvererbung, die auf alle möglichen Ursachen zurückgeführt werden können,, die nichts mit den Faktoren zu tun haben. Frost nimmt an, daß die Abweichung dadurch erklärt wird, daß der Lethalfaktor auch einen kleinen Prozentsatz von Enibryo- säcken zerstört. Es ist ziemlich irrelevant, welche dieser Erklärungen zutrifft, da sie mit dem Kernpunkt des Falls nichts zu tun haben. — 318 — Die reziproke Kreuzung: p. immerspaltend. Q N\tt X normal <5 NN Gameten N\ und n N Fi 1/2 NXN 1/2 Nu Gameten Q Nx + N N + n 6 N F2 Ni N und NN 1/4 NN 1/2 Nn 1/4 ; Mit einem Wort sei wenigstens hier darauf hingewiesen, daß mit den Lethalfaktoren noch mancherlei vererbungstheoretische und physio- logische Probleme verbunden sind. In den hier aufgeführten Beispielen war die genetische Ursache des Fehlens einer Klasse stets die gleiche, nämlich der homozygote Lethalf aktor. . Sein physiologischer Effekt aber war verschieden : Bei den Mäusen produzierte er einen intrauterinen Zer- fall der Embryonen, bei Drosophila eine tödliche Geschwulst, bei Antir- rhinum tödliche Bleichsucht. Mit dieser „Elimination" einer Klasse kann aber leicht verwechselt werden, was Heribert -Nilsson Prohi- bition nannte, nämlich die Unmöglichkeit der Vereinigung der gleich- sinnigen Gameten (A und A oder a und a). Während im Fall der Elimi- nation ein Zahlenverhältnis von AA : Aa =1 : 2 ensteht, kann im Fall der Prohibition sich das Verhältnis 1 : 3 nähern, weil die Gameten, die sich nicht mit ihresgleichen vereinigen können, auch noch eine Chance zur heterozygoten Befruchtung haben; oder, anders ausgedrückt, ein Ei a, das eine Samenzelle a zurückgewiesen hat, damit nicht nur für die Klasse aa = 25 % verloren ist, sondern, wenn es nun eine Samenzelle A annimmt, die ohnedies vorhandenen 50 % Aa verstärkt. Die Unter- scheidung von Prohibition und Elimination ist also tatsächlich nicht unwesentlich. Beide Typen werden uns bald bei Betrachtung des Oenotherafalls wieder begegnen, für dessen Aufhellung die Lethalfaktoren sich als von entscheidender Wichtigkeit erwiesen haben. In einigen der jetzt betrachteten Fälle zeigte es sich, daß, was zu- nächst als eine Abweichung von Mendelscher Vererbung erschien, sich bei genauerer Betrachtung doch auf sie zurückführen ließ. Dies läßt die Frage auftauchen, ob es denn überhaupt nur mendelnde Vererbung gibt oder auch andere Arten. Wie wir in den letzten Vorlesungen sahen, ist die Mendelsche Vererbung nichts als eine mechanische Konsequenz der Lagerung der Erbfaktoren in den Chromosomen. Eine nichtmendel- 319 — sehe Vererbung wäre also nur möglich entweder durch Störung des Chromosomenmechanismus oder dadurch, daß Erbfaktoren ihren Sitz an anderen Stellen der Zelle, nicht in den Chromosomen, haben. Je näher wir nun in die Kenntnis der Vererbungstatsachen eindringen, umso mehr zeigt es sich, daß Fälle, die zunächst ein Abweichen von dem Mechanismus der Mendelschen Vererbung zeigten, sich doch bei ge- nauerer Kenntnis auf sie zurückführen lassen, wie es uns bereits der Fall der Lethalf aktoren zeigte und wie es sich etwa auch an der kompli- zierten Erscheinung der Selbststerilität vieler zwittriger Pflanzen zeigen ließe, die von Correns, Baur, East usw. auf Systeme mendelnder Faktoren zurückgeführt werden konnte. Ebenso haben sich bisher alle Versuche, zu zeigen, daß das Gesetz der Reinheit der Gameten nicht vollgiltig sei und eine gegenseitige Beeinflussung der Faktoren im Bastard („Kontamination von Genen", Castle) vorkomme, als nicht stichhaltig erwiesen. Dagegen gibt es eine Gruppe von Tatsachen, die bisher noch nicht völlig geklärt ist, wenn auch alles daraufhin deutet, daß sie uns nichts besonders Neues lehren wird; das ist das Verhalten von Spezies- bastarden. Der Begriff Speziesbastarde ist allerdings ein sehr willkür- licher, da irgend eine brauchbare Definition für Spezies nicht vorhanden ist, vielmehr die Unterscheidung mehr oder minder eine Frage des Takt- gefühls der Systematiker ist. Wir meinen daher hier mit Spezies ganz allgemein Formen, die im System weiter auseinanderstehen als die Varietäten, die uns bisher beschäftigen. Die Hauptschwierigkeit, die der Lösung dieses Problems gegenüber- steht, ist die der verminderten oder vollständigen Unfruchtbarkeit der Bastarde. Im letzteren Fall ist eine Lösung überhaupt nicht möglich, in ersterem dadurch kompliziert, daß man nicht weiß, ob die abortiven Gameten nicht bestimmten Klassen angehören. Wollte man die Frage für gelöst halten, wenn mendelnde Bastarde zwischen Linneschen Arten gefunden sind, so wäre sie bereits zu- gunsten des Mendelismus entschieden. Denn daß es solche gibt, kann keinem Zweifel unterliegen. Correns, East u. a. haben solche aus dem Pflanzenreich beschrieben. Die ausführlichsten Mitteilungen in dieser Richtung verdanken wir Baur und Lotsy, die zeigen konnten, daß bei Artbastarden von Antirrhinum in F2 eine Spaltung in eine unüber- — 320 — sehbare Fülle von von Fj verschiedenen Typen eintritt, so daß hier die Arten sich sicher nur quantitativ, also in der Zahl der Differenz- faktoren von den Rassen unterscheiden. Entsprechendes zeigte Heri- bert Nilsson für Weiden. Baur glaubt daher auch, daß dies für alle Arten gilt und daß die hohe Variabilität gewisser Formen, insbesondere Gartenformen, nur durch vorausgegangene Artkreuzungen und daraus- folgender unendlicher Kombinationsmöglichkeit zu erklären ist. Wir müssen die große Wahrscheinlichkeit dieser Annahme zugeben und finden auch in der Haustierzucht dafür eine Bestätigung. Wenn man diese zurückverfolgt, so stößt man immer wieder darauf, daß mit aus- ländischen Arten bastardiert wurde. So dürfte die Mannigfaltigkeit der Schweinerassen auf das komplizierte Mendeln von Artbastarden zwischen unserem Wildschwein und einer asiatischen Art zurückzuführen sein, nicht anders die Geflügel-, Hunde-, Pferde-, Rinderrassen. Je tiefer man in diese Dinge eindringt, um so mehr zeigt sich, wie unendlich wenig Neues in all den Rassen steckt, sondern wir die überwiegende Zahl der Eigenschaften nur in komplizierter Weise zusammenkombiniert sind: Die Erfolge der Tierzucht erweisen sich, so ungern das der Züchter auch hört, als ein Resultat dauernden unbewußten Mendelns. Wir werden darauf nochmals ausführlich zu sprechen kommen. Nun gibt es aber zweifellos auch Bastarde zwischen weit aus- einander stehenden Formen, bei denen die Situation weniger klar ist. Bereits Fx zwischen solchen Formen bietet allerlei Besonderheiten. Sehr häufig wird nur darauf hingewiesen, daß Fx dieser Bastarde meist intermediär ist. Da wo solche Bastarde genau analysiert wurden, zeigte es sich nun allerdings, wie bei Längs Kreuzungen zwischen Helix hortensisund nemoralis, daß die einen Charaktere Dominanz zeigten, andere sich intermediär verhielten. So schlugen in diesen Bastarden die Farbe und Bänderung des Gehäuses, Form und Pig- mentierung der Mündung nach einem Elter, während die Größe des Gehäuses, Länge des Liebespfeils und andere quantitative Charaktere intermediär waren. Es ist aber immerhin bemerkenswert, daß bei den meisten Artbastarden sich intermediäre Charaktere in Eigenschaften finden, die bei Rassenkreuzungen sich oft alternativ verhalten. Die schönsten Fälle intermediären Verhaltens wird man am leichtesten bei — 32 1 Artbastarden finden. Um nur einige Beispiele zu zeigen: Nachstehende Fig. I04zeigtdas < kalifornischer Walnuß "^^ vQn Nachtf altern mit Kiesen wuchs. JNach de Vries. oft mit einer viel kräf- tigeren Konstitution verknüpft, umgekehrt gibt es rezessive Muta- tionen, die mit konstitutioneller Schwäche verknüpft sind. Wenn nun jede von zwei Formen, die gekreuzt werden, eine Reihe von domi- nanten Faktoren besitzt, die mit der Erzeugung kräftiger Konstitution verknüpft ist, so werden sie im Bastard gehäuft und bedingen das Luxu- rieren. Unter Umständen sollte es also möglich sein, in späteren Bastard- — 349 — generationen die betreffende Kombination konstant zu erhalten, wie bei anderen polymeren Faktoren. Ob die Erklärung nun genau diese ist oder eine andere (s. East, Jones), jedenfalls gehört sie in irgendeine mendelistische Kategorie. Der Mendelismus (zusammen mit Mutation) erklärt also die Entstehung der Haustierrassen und Nutzpflahzenrassen ohne Zuhilfenahme der Zuchtwahlvorstellung. Ob damit das letzte Wort gesprochen ist, ist eine Frage, auf die wir nochmals zurückkommen werden. Der Mendelismus hat somit dazu geführt, eine ausgesprochene Stellung einzunehmen gegen die Annahme, daß durch Zuchtwahl eine fortschreitende Veränderung der Arten hervorgebracht werden kann. Er schließt sich damit also in seinen Schlußfolgerungen direkt an die früher vorgebrachten Argumente an, die sich auf die Unterschiede von Modifikation und erblicher Variation und das Prinzip der reinen Linien aufbauten. Besonders die Erscheinungen der Polymerie ließen uns er- kennen, wie ein Scheineffekt der Selektion in einer vielfach hetero- zygoten Bastardpopulation erzielt werden kann. In der Tabelle S. 240 (Tabakblütenlänge) sehen wir ja, wie von F2— F- die Selektion von Plus- und Minusabweichern erfolgreich den Mittelwert (Typus) ver- schob. Wäre die vorausgegangene Bastardierung nicht bekannt gewesen, und nur eine aus der Natur stammende Population von der genetischen Zusammensetzung jener F2 benutzt worden, so könnte das Beispiel als Beweis für eine erfolgreiche Zuchtwahl betrachtet werden, die den Typus über die Elternextreme hinaus verschoben hat. Daß diese Erklärung falsch wäre, ist in diesem Fall klar und wir sahen auch früher ihre Irrtümlichkeit in Galtons Beispiel der Ver- erbung der Körpergröße. Die Frage ist nur, ob damit das letzte Wort gesprochen ist, eine Frage, die im letzten Jahrzehnt, besonders in Amerika heftig diskutiert wurde und noch wird, und zwar hauptsächlich im An- schluß an Castles Experimente mit Scheckung von Ratten. Diese uns schon früher bekannte Form der Haubenscheckung beruht auf einem rezessiven Scheckungsfaktor, der gegen Ganzfarbigkeit mono- hybrid mendelt. Diese Scheckung variiert nun quantitativ außerordent- lich und zwar durch alle Übergänge von fast weißen bis zu praktisch schwarzen Tieren. Die Fig. 120 und das Schema Fig. 121 zeigt einige — 350 — ■ «« ■BBIIIM !■■■■■■■ !?■!■■■■ ■«■es» IR1I1I ■bb««» (■■■■■■««aii :::::::::: ii::::s::£:s üisssssHss »i«i BS: H ISIS!"»"»""«- SHSKSKSK isssssssiss !■■■■■■■■■■ Fig. 120. Gescheckte Ratten mit verschieden starker Ausbildung des Rückenstreifens. Nach Mc. Curdy und Castle. — 351 — solche Typen, die sich in einer Reihe anordnen und in Klassen sondern lassen, wie das Schema zeigt. Castle führte nun, ausgehend von einem etwa mittleren Typus Selektionen der hellsten und dunkelsten Tiere aus (Plus- und Minusselektion) und vermochte dabei nach beiden Seiten den Typus über die elterliche Variation hinaus zu den Extremen zu ver- schieben. Die folgende Tabelle (S. 352) gibt im Auszug ein Resultat der Versuche für die Plusselektion. Die Minusselektion verlief analog und führte von einem Klassenmittel von — 2 bis zu — 2,7. Castle betrachtet dies als eine erfolgreiche Selektion, da er ja über- zeugt ist, daß es sich nur um einen Scheckungsfaktor handelt, der im Spiel ist. Um das zu beweisen, führte er allerlei Versuche aus. So kehrte Fig. 121. Schematische Darstellung der verschiedenartigen Schecknng bei Ratten. Nach Castle. er nach einiger Zeit die Selektion um und führte so die Rasse wieder zum Ausgangspunkt zurück. Sodann führte er Kreuzungen zwischen den selektierten Individuen und Wildformen aus. In F2 wurde eine Spaltung im Verhältnis von 3 : 1 erhalten, aber die Scheckung ging ein wenig nach dem Mittel zurück, was also zeigt, daß die erhaltenen Formen erblich sind. Ein Vergleich der Resultate mit den Konsequenzen der Polymerie zeigt nun, daß die Versuche auch folgendermaßen erklärt werden können: Die Scheckung beruht auf einem Scheckungsfaktor, der also über die Alternative Scheckung-Ganzfarbigkeit entscheidet. Der Grad der Scheckung beruht aber auf einer Serie polymerer Faktoren, die im Rahmen der vorhandenen Scheckung die Quantität des Pigments be- dingen. Die Selektion isoliert aus einer heterozygoten Population die 352 — 1 n 3 o 1-4 1— 1 Th o M t> CO co vo ^c > M t— 1 l-( w CO »■H TS c t— T> u-> c-i 1— 1 co o *H o CO <* CO CO o cr^ vn r^ o H-l t^ t^ o\ o> o O 1-4 s IN '-1 - XI o o o bfl XI , | a a XI O O o o o 2 XI t=- 43 XI O O ü ü O ü ü J3 < XI t=~ XI O O o O o o o o XI , , 0 xi O O 0 o O o ü o o ü ü ö XI xi o 0 O o o o o 0 o o o o der Klass XI 1 , XI XI o o O O o o o o ü ü o o o "dl XI XI o o o o o O o o o o o o o o o XI xi o o o o o o o o o o o o o o o w X ö Ö >- o o o o o ü o o o ü o o o o o o XI > cd fc^ • o o o o o o o o o o o o o o o ö XI CD u w S > XI • o o o • o o o o o o o o o o o XI • o o o o o o o o o o o xi • o o o o o o o o o o 'S s — ; o — o i U a u a 0 HH M CO -* u-> o t-~ 00 ON o « N CO ^ u-> >o C5 es — 353 — homozygoten Plus- oder Minuskombinationen, genau wie wir es für multiple Faktoren sahen. Dies ist in der Tat die Erklärung, die die Mehrzahl der Mendelianer diesem Fall geben und der sich Castle nun auch nach langen Kämpfen angeschlossen hat1. Sie hat aber zweifellos ihre Schwierigkeiten, vor allem in der erfolgreichen Umkehr der Selektion und der Tatsache, daß der durch Selektion erhaltene Typus aus einer Kreuzung mit ganzfarbigen Tieren wieder herausspaltet. Es fragt sich daher, ob nicht eine Erklärung möglich ist, die einerseits nicht den Tat- sachen Gewalt antut, andererseits die Ergebnisse der Mendelforschung respektiert. Wir werden darauf zurückkommen'. Hier sei nur noch darauf hingewiesen, daß in anderen verwandten Fällen die Polymerie- hypothese wahrscheinlich gemacht werden konnte und zwar handelt es sich um Drosophila-Kreuzungen von Bridges, Sturtevant, Mc. Dowell u. A. Da ja durch die wunderbare Methode Morgans die Lage der Faktoren durch ihre Austauschverhältnisse mit anderen Fak- toren festgelegt werden kann, so ist es hier möglich, das Vorhandensein von Modifikationsfaktoren, die den quantitativen Ausdruck eines Faktors beeinflussen, festzustellen. Mc. Dowell und Sturtevant finden solche Modifikationsfaktoren für die Borstenzahl bei einer Mutation, die sich Selektion gegenüber so verhält wie die Rattenscheckung; Bridges beschrieb Ähnliches für Modifikation der Augenfarbe und Muller und Altenburg für eine Flügelmutation. Ob die komplizierte Beweis- führung allerdings alle Bedenken beseitigt, ist noch nicht über jeden Zweifel erhaben. Doch wir sind ja in diesem Abschnitt nicht mit der Kritik, sondern mit der Aufzählung der Konsequenzen des Mendelismus für das Selektionsproblem beschäftigt. In Darwins Zuchtwahllehre oder richtiger, in ihrer extremen Aus- dehnung durch Weismann und Wallace spielt eine nicht unbeträcht- liche Rolle die Erscheinung des Mimetismus. Es ist höchst bemerkens- wert, daß auch sie von mendelistischer Seite her eine ganz eigenartige Erklärung gefunden hat. Unter Mimetismus versteht man die eigen- artige Erscheinung, daß Formen einer Gruppe von Schmetterlingen solche einer ganz anderen Gruppe nachahmen. Da die imitierten Vor- 1 Auch für die Scheckung von Mäusen wird sie von mehreren Autoren, z. B. Ziegler, Plate, durchgeführt. Goldschmidt, Vererbungswissenschaft. 3. Auft Z'i — 354 — bilder meist Formen sind, die als ungenießbar, wenn nicht giftig gelten, so ist die erklärende Annahme die, daß die Nachahmer sich durch die Imitation des gefährlichen Kleides schützen. Wir brauchen hier nicht auf die zahllosen Einzelheiten und Varianten der Erscheinung einzu- gehen. Die Wallacesche Erklärung ist nun die, daß von den unge- schützten Formen solche, die etwas nach dem Aussehen der giftigen hin variierten, weniger ausgetilgt wurden, so daß die natürliche Zuchtwahl sie auswählte und so allmählich in bekannter Weise die vollständige Imitation schuf. Die Untersuchung der Erblichkeit einiger solcher Formen hat nun Punnett zu einer ganz andersartigen mendelistischen Interpretation geführt. ' Die spezielle Gruppe, zu der die bisher analysierten Objekte gehören, kombiniert mit dem Mimetismus noch die Erscheinung des unisexuellen Polymorphismus, die wir daher zuerst ins Auge fassen müssen. Sie wiederum ist nur eine Spezialerscheinung des Standortspolymorphismus, die den Systematikern und Tiergeographen wohlbekannt ist. Sie besteht darin, daß eine Form an ein und derselben Lokalität eine hohe Varia- bilität zeigt, die auch bei Geschwistertieren vorhanden ist. An ver- schiedenen Stellen des Verbreitungsgebietes wechseln die typischen Glieder der Variation derart, daß gewisse an einer Lokalität vorhanden sind, andere fehlen. Die charakteristischsten Beispiele dieser Art im Tierreich finden sich bei Landschnecken, wo sie für einige Gruppen deskriptiv gründlich untersucht ist; so für europäisches Helix von Leydig, Coutagne, Lang, die Achatinellen von Hawaii durch Gulick, die Cerionformen Westindiens von Plate und Partula von den Fiji- inseln durch Crampton. Im Prinzip dürfte die Erscheinung hier überall identisch sein. Bei Helix hortensis etwa kommen Formen ohne Bänderung vor und dann alle möglichen Kombinationen einzelner Bänder bis zur Fünfbändrigkeit, die durch Verschmelzen der Bänder wieder zu fast schwarzen Formen führt. Eine Auswahl derartiger Bändervarietäten ist in Fig. 122 zusammengestellt. Sie alle können sich mit verschiedener Grundfarbe der Zeichnung kombinieren, die Bänder können ganz oder unterbrochen sein, Struktureigentümlichkeiten der Schale können hinzukommen, kurz, die Mannigfaltigkeit ist ganz außerordentlich. Lang hat nun eine Reihe dieser Charaktere einer Mendelschen Analyse unter- — 355 — zogen (s. auch S. 167) und gefunden, daß sie auf differenten Mendel- faktoren beruhen. Man kann es als sicher bezeichnen, daß dieser ganze Polymorphismus auf nichts beruht als auf der mannigfachen Rekombi- nation einer nicht einmal allzu großen Zahl von Mendelfaktoren. Der Zustand einer solchen Population ist also etwa der, wie er in den Beeten eines Gärtners angetroffen wird, der alle möglichen Farbenvariationen einer Zierpflanze bunt durcheinander bastardierend zieht. OWh.€cx( eKoeCvoc J k&xl z*i&v> JfaM % S"" 0% » Fig. 122. Variationsreihe der Schalenzeichnung von Helix hortensis in Kreisform, die Übergänge zwischen weißer und schwarzer Schale zeigend. Die beigesetzten Zahlen stellen sym- bolische Bezeichnungen der einzelnen Typen dar. Nach Lang. Mit dieser Erscheinung ist nun auf das engste verwandt die des unisexuellen Polymorphismus. Der Unterschied der beiden Erscheinungen ist der, daß der Polymorphismus hier nur auf ein Geschlecht beschränkt ist, daß also etwa eine Schmetterlingsform neben typischen Männchen mehrere dazugehörige Weibchenformen besitzt. Als Beispiel diene um- stehend (Fig. 123, 124) abgebildeter Fall des Papilio Memnon mit seinen drei Weibchenformen achates, agenor, Laomedon. Es konnte nun so- wohl für den Zitronenfalter Colias edusa mit seinen zwei Weibchenformen — 356 — (Gerould) wie für genannten Papilio (de Meijere) gezeigt werden, daß die Differenzen auf Mendelf aktoren beruhen, die sich rekombinieren, aber nur beim Weibchen zum Ausdruck kommen. Genotyp isch gibt es also eben so viele homo- und heterozygote Kombinationen von Männchen wie Weib- Fig. 123. Oben Papilio memnon <3, unten Q forma Laomedon. Nach de Meijere. chen, aber die Anwesenheit des männlichen Geschlechts verhindert ihren Ausdruck. Die Vererbung ist also geschlechtskontrolliert, insofern, als die Faktorenrekombination nur bei vorhandenem weiblichen Geschlecht sichtbar werden kann. Sonst ist alles wie bei jenem Polymorphismus. 357 — Unter diesen Papilios mit mehreren Weibchenformen gibt es nun auch solche, deren Weibchen jedes eine andere Art von giftigen Formen aus anderen Gruppen imitiert. Einer dieser Fälle, der des Papilio polytes Fig. 124. Oben Papilion meranon Q forma Agenor, unten Q forma Achates. Nach de Meijere. von Ceylon wurde nun von Fryer analysiert und dabei durch Kreuzungs- kombinationen das gleiche Resultat erhalten, wie es oben genannt wurde. Jener Papilio besitzt auch neben der typischen Männchenform 3 Arten — 358 — von Weibchen, nämlich eine dem Männchen gleichende und zwei, die je den P. aristolochiae und hector imitieren, die als giftig gelten. Die Kreuzungsversuche zeigten nun, wenn die beiden mimetischen Weibchen- arten zusammengenommen wurden: Aus den Eiern der typischen Form (dem Männchen gleichende Weibchen) entstehen entweder a) nur ihres- gleichen oder b) ihresgleichen und mimetische Weibchen in gleicher Zahl oder c) nur mimetische Weibchen. Aus den Eiern der Weibchen, die den P. aristolochiae imitieren, schlüpfen entweder a) typische und mimetische Weibchen in gleichen Zahlen oder b) mimetische und ty- pische Weibchen im Verhältnis von 3 : i oder c) nur mimetische Weib- chen. Aus den Eiern der den P. hector imitierenden Form schlüpfen entweder a) typische und mimetische Weibchen in gleicher Zahl oder b) mimetische und typische im Verhältnis 3 : 1 oder c) nur mimetische. Schon aus dieser Aufzählung geht hervor, daß es sich um einen Mendel- fall handelt. Tatsächlich konnte Fryer alle seine Zuchtresultate unter der (zuerst von Baur gegebenen) Annahme erklären, daß es sich um zwei mendelnde Faktorenpaare handelt, Aa und Bb. A ist ein Faktor, der das typische Kleid in das des P. aristolochiae verwandelt, B ein Faktor, der nur wirkt, wenn auch A anwesend ist und dann die Form in die des P. hector überführt. Es gibt somit 9 Arten von Weibchen und Männchen (genotypisch), die sich auf einen männlichen und drei weibliche Phänotypen folgendermaßen verteilen: Phänotypisch iden- tische Männchen-- Sorten Typus des Weibchen Mimetische gleich aristolochiae W eibchen gleich hector aaBB aaBB AAbb AABB aaBb aaBb Aabb AaBB aabb aabb AABb AaBB AaBb AaBb Aabb AABB AABb AAbb Für das Prinzip ist es nun völlig gleichgültig, ob genau diese oder eine etwas andere Mendelformel sich als richtig erweist. Die Hauptsache 359 — ist der Nachweis, daß mimetische Weibchen von den nicht mimetischen durch ein oder zwei Mendelfaktoren unterschieden sind. Alles, was be- kannt ist, spricht aber dafür, daß in anderen, ähnlichen Fällen eine eben- solche Erklärung zutrifft. Und wenn es für den unisexuell polymorphen Mimetismus zutrifft, so haben wir allen Grund anzunehmen, daß es bei jedem Mimetismus der Fall ist. Das macht aber, wie Punnett im einzelnen zeigt, die Zuchtwahlerklärung des Mimetismus zu einer Un- möglichkeit. Welches ist nun die Alter- native? Die Flügelzeichnung der Schmetterlinge beruht auch auf einer Anzahl mendelnder Fak- toren, von denen manche schon analysiert sind. Sieht man sich nun bei den Verwandten mime- tischer Formen um, so findet man auf verschiedene Formen verteilt die Bestandteile, die zu- sammengesetzt das mimetische Muster ergeben. Nebenstehend (Fig. 125) findet sich abgebildet die nordamerikanische Anosia plexippus (Danaide), die vortreff- lich imitiert wird von Basilarchia disippus, einem Admiral. Es wäre nicht schwer, in einer Sammlung von Admirälen und Verwandten Formen auszusuchen, die diesen oder jenen Charakter, aus denen sich die Gesamtzeichnung der Basilarchia zusammensetzt, besitzen, also etwa die Randflecke,- die Grundfarbe, das Pigment auf den Adern usw. So könnte also die mimetische Form als zufällige Kombination von Mutationen in bezug auf Erbfaktoren, die in der Gruppe typisch sind, entstehen, ohne daß das Endziel, der Mimetismus oder die Zuchtwahl etwas damit zu tun hat. Eine andere Frage ist es natürlich, ob, ein- mal entstanden, die Nachahmung einen Vorteil für die Erhaltung der Art bildet. Sie beschäftigt uns aber nicht hier. Fig. 125. (i Die sie „imitierende" Basilarchia. b Anosia archippus (Danaide). Aus Punnett. — 360 — Der so für die Mimikry abgeleitete, der Zuchtwahllehre entgegen- gesetzte Gesichtspunkt folgt aus dem Mendelismus aber ganz allgemein für alle Anpassungen. Faktorenlehre und Mutationslehre erfordern es, daß eine allmähliche Entstehung der Anpassungen durch Zuchtwahl nicht denkbar ist. Die Anpassung muß als zufällige Mutation zuerst entstanden sein und nachträglich erst der Träger das Milieu aufgesucht haben, für das er die nötige Anpassung besaß. (Cuenots Präadapta- tion.) Augenlose Höhlentiere verloren nicht ihre Augen als Anpassung an das Leben im Dunkeln, sondern umgekehrt, solche, die durch zufällige Mutation die Augen verloren hatten, konnten in Höhlen einwandern, wozu sehende Tiere keine Neigung hätten. (Cuenot,'Loeb.) Die Zucht- wahl wird also auf das Erhalten günstiger, die Austilgung ungünstiger Faktorenkombinationen beschränkt. Die einzige Möglichkeit für Ver- änderung des Typus ist aber die Mutation, also Faktorenaddition, -ausfall oder -Veränderung und die Rekombination durch Bastardierung. Soweit denn führt die rein mendelistische Betrachtung der Evolution. Ist damit nun das. letzte Wort gesprochen? Wir glauben es nicht, wie die folgenden Vorlesungen zeigen sollen. Literatur zur vierzehnten Vorlesung. Adametz, L., Studien über die Mendelsche Vererbung der wichtigsten Ragsenmerkmale der Karakulschafe etc. Bibl. Genet. I. 19 17. Babcock, E. B., and Clausen, R. E., Genetics in relation to agriculture. New York. 19 18. Bridges, C. B., Non-disjunction as a proof of the chromosome theory of heredity. Genetics I. 1914. Castle, W. E., The Origin of a polydactylous race of Guinea-Pigs. Carnegie Institution Publications. 49. 1906. — , The inconstancy of unit-characters. Am. Nat. 46. 1912. — , Can selection cause genetic change? Amer. Nat. 50. 1916. Castle, W. E. and Phillips, J. C, Piebald rats and selection. Carnegie Inst. Wash. Publ. 195. 1914. — , and Wright, S., Studies of inheritance in guinea pigs and rats. Carn. Inst. Wash. Publ. 241. 1916. Coutagne, G., Recherches sur le polymorphisme des mollusques de France. Ann. Soc. Agr. Ser. Lyon 1896. — 361 — Crampton, H. 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Damit konnten wir uns bisher begnügen, solange wir uns nur für den Modus der Verteilung dieser Einheiten, den Mechanismus der Vererbung interessierten. Damit ist nun aber das Vererbungsproblem noch nicht erledigt. Ja, man könnte sagen, daß der wichtigere Teil des Problems erst jetzt beginnt, nämlich die Physiologie der Vererbung, das Problem, die Erbfaktoren mit ihrem Produkt, der Außeneigenschaft, zu verknüpfen. Die außerordentlich interessanten Entdeckungen, zu denen das Studium des Mechanismus der Vererbung bisher führte, ließen das Problem der Physiologie der Vererbung etwas in den Hintergrund treten. Ja, viele Forscher lehnten es direkt ab, sich damit zu beschäftigen und zogen es vor, den Erbfaktor, das Gen, mit einer Art geheimnisvoller Unnahbarkeit zu umgeben. Die völlige Er- kenntnis des Wesens der Erbfaktoren und seiner Verknüpfung mit ihrer Wirkung dürfte aber einen integralen Teil der Lösung des Vererbungs- problems darstellen und so wollen wir uns nun mit einem Versuch solcher Lösung und seinen allgemeinen Konsequenzen beschäftigen. So wie der Weg zu der Analyse der Chromosomen über die Geschlechts- chromosomen führte, so scheint uns auch der Weg zur Erkenntnis des Wesens der Faktoren über die Geschlechtsfaktoren zu führen. Das erscheint auch leicht begreiflich. Wenn wir die Unterschiede der Ge- — 364 — schlechter betrachten, so sind sie oft bei ein und derselben Tierform so außerordentlich, daß die beiden Geschlechter ebensogut verschiedene Arten oder Gattungen darstellen könnten. Da die betreffenden Unter- scheidungseigenschaften aber, allgemein betrachtet, auch nicht anderer Art sind als die, die natürliche Arten unterscheiden, so sollte ein Ver- ständnis der Beziehung der sexuellen Außeneigenschaften zu den Ge- schlechtsfaktoren auf das ganze Vererbungsproblem Licht werfen. Wir glauben nun, imstande zu sein, durch die Analyse einer als Intersexualität bezeichneten Erscheinung, eine Lösung des Problems finden zu können. Die etwas verwickelte Analyse der Intersexualität ist die folgende: Als gelegentliche Abnormitäten, in freier Natur gefunden wie künst- lich im Experiment hervorgerufen, sind schon lange Individuen bekannt, deren Geschlechtscharaktere, sowohl die äußerlichen sogenannten sekun- dären Geschlechtszeichen als auch die Geschlechtsdrüsen selbst, mehr oder minder große Beimischungen von Charakteren des anderen Ge- schlechts zeigen. Sie können, wenn wir die Individuen als ganzes be- trachten, eine vollständige Reihe bilden, die lückenlos von einem Ge- schlecht zum andern führt. Sie sind unter den verschiedensten Namen als Abnormitäten bekannt, wie Hermaphroditen, Gynandromorphe, hahnenfedrige Vögel usw. Bezeichnungen, die aber gewöhnlich ver- schiedenartige Erscheinungen durcheinander werfen. Die experimentelle Analyse erlaubt es jetzt, eine besondere wichtige Gruppe herauszunehmen und sie als das Phänomen der Intersexualität zu behandeln, das unserer Ansicht nach das Problem der Physiologie der Geschlechtsbestimmung so ziemlich gelöst hat. Um die Bedeutung der Erscheinung bewerten zu können, müssen wir uns über einen Punkt erst völlig klar werden, einen speziellen Teil des großen Determinationsproblems. Die Ergebnisse der Experimental- forschung der letzen Jahrzehnte haben gezeigt, — wenn wir uns aus- schließlich auf die Punkte beschränken, die für das Geschlechtsproblem in Betracht kommen — daß wir im Tierreich zwei große Gruppen zu unterscheiden haben in bezug auf die Determination der Geschlechts- charaktere. Der ersten Gruppe gehören vor allen Dingen die Insekten an. Bei ihnen ist, soweit bekannt, mit der Befruchtung definitiv alles auf das Geschlecht Bezügliche determiniert. Das heißt also: daß mit — 365 — vollzogener Befruchtung entschieden ist, welches Geschlecht mit der Gesamtheit seiner Attribute sich entwickeln wird, oder auch, wie wir schon zufügen können, welche sexuelle Zwischenstufe. Eine jede Zelle, die sich von dem befruchteten Ei ableitet, ist somit unwiderruflich sexuell determiniert und irgendeine Beeinflussung eines Teils durch einen andern ist ausgeschlossen. Dieser Schluß konnte zuerst aus Ver- suchen erschlossen werden, die sich mit dem Verhältnis der Geschlechts- drüsen zu den übrigen Geschlechtsattributen, den sogenannten sekun- dären Geschlechtscharakteren befaßten, und konnte in allen weiteren Versuchen, besonders denen über Intersexualität, bestätigt werden. Es werden also die sekundären Geschlechtscharaktere normalerweise zwar konform mit dem Geschlecht vererbt, für ihr in Erscheinungtreten ist aber die Geschlechtsdrüse selbst vollständig irrelevant. Das klassische Objekt für diesen Typus sind die Schmetterlinge, wie aus. den in ihren Resultaten völlig übereinstimmenden Versuchen von Oudemans, Kel- logg, Meisenheimer, Kopec, Prell mit Sicherheit hervorgeht. Meisen- heimer, der die von Oudemans mit Erfolg inaugurierten Versuche auf breiter Basis weiterführte, arbeitete mit dem Schwammspinner Lyman - tria dispar. Bei diesem Schmetterling, wie auch bei vielen anderen Insekten, sind die Geschlechtsdrüsen schon auf frühem Raupenstadium völlig differenziert, lange ehe die erst im Schmetterling auftretenden äußeren Geschlechtsdifferenzen sichtbar werden. Diese bestehen in diesem Fall darin, daß das große Weibchen weiße Flügel mit unscharfen dunkeln Binden besitzt, während das kleine Männchen braun gezeich- nete Flügel aufweist. Wurden nun den Raupen die Geschlechtsdrüsen, deren Lage aus umstehender Figur 126 ersichtlich ist, zerstört, so übte dies auf das Kleid des daraus sich entwickelnden Falters gar keinen Einfluß aus: auch die Schmetterlinge aus kastrierten Raupen, die dem- nach keine Geschlechtsdrüsen besaßen, zeigten ihre typischen sekundären Geschlechtscharaktere. Nun wurde geprüft, ob vielleicht die Anwesen- heit der entgegengesetzten Drüse einen Einfluß ausüben könne. Männ- liche Raupen wurden also ihres Hodens beraubt und dafür ihnen der Eierstock einer anderen Raupe eingesetzt, und ebenso umgekehrt. Die falschen Geschlechtsdrüsen entwickeln sich in diesem Fall ganz normal weiter. Die sekundären Geschlechtscharaktere blieben aber gänzlich 366 unbeeinflußt; es kommen z. B. typisch männliche Falter mit all ihren Eigenheiten zum Vorschein, die dabei den ganzen Leib voller reifer Eier haben. Es wäre nun noch die Möglichkeit vorhanden, daß die Zerstörung oder Transplantation der Geschlechtsdrüse auf einem zu späten Stadium vorgenommen wurde, so daß ihr Einfluß auf das Soma bereits abge- schlossen war. Hegner konnte diesem Einwand begegnen, indem er die Geschlechtsdrüse bereits in ihrer Embryonalanlage — die Insekten haben eine typische Keimbahn — zerstörte, ohne daß dadurch eine Beeinflussung der sekundären Geschlechtscharaktere eintrat. Meisenheimer erreichte die gleiche Wirkung auf anderem Weg. Er stellte das frühe em- bryonale Stadium für ein in Be- tracht kommendes Organ, die Flügel, gewissermaßen künstlich her, indem er ihre Anlagen, die Imaginalscheiben, zerstörte und sie so zur Neuentwicklung durch Regeneration zwang. Dem glei- chen Tiere war vorher eine Geschlechtsdrüse des entgegen- Raupe von Lymantria dispar, ganz und im „ .. , , -— Querschnitt M 'um die Lage der Geschlechts- gesetzten Geschlechts nach Ent- drüsen g zu zeigen, d Darm, h Herz, bg Bauch- fernunff der eigenen implantiert mark. Nach Meisenheimer. worden. Der regenerierte Flügel erwies sich dann immer als der für das ursprüngliche Geschlecht zu erwartende. Diese Versuche zeigen also mit Sicherheit, daß die Ge- schlechtsdrüsen und bestimmte für das Geschlecht charakteristische somatische Eigenschaften voneinander völlig unabhängig sein können. Dem zweiten Typus gehören Vögel, Säugetiere und gewisse Wirbellose an. Eines der anziehendsten Kapitel der neueren Physiologie ist die Lehre von der inneren Sekretion, dem Einfluß der Ausscheidung ge- wisser Drüsen, wie Hypophyse, Thyreoidea, Thymus, Geschlechtsdrüse auf Bau, Entwicklung und Funktion des Organismus. Es sei etwas auf — 367 — den Einfluß der Schilddrüsenfunktion auf die Metamorphose der Am- phibien oder des gleichen Organs auf die Ausbildung eines körperlich wie psychisch normalen Menschen hingewiesen. Die betreffenden Tat- sachen zeigen, daß in der Determination der Organe und ihrer Funktionen bei dieser Gruppe eine Zwischenstufe eingeschoben ist. Bei den Insekten enthält jede Zelle alles zur Determination Nötige und ist somit in dieser Beziehung vom übrigen Organismus unabhängig. Bei der hier betrach- teten Gruppe aber, ist ein zentrales Organ, die betreffende innersekre- torische Drüse vorhanden, die ihrerseits erst die zur Vollendung der Determination notwendigen Stoffe, die sogenannten Hormone, liefert. Wir haben also hier eine höhere Stufe der Entwicklung vor uns, indem gewisse Entwicklungsprozesse der unabhängigen Tätigkeit einzelner Zellen genommen und durch die Tätigkeit eines Zentrums koordiniert und reguliert werden. Das Verhältnis der beiden Typen ist somit, um ein Beispiel als Parallele zu benutzen, das gleiche, wie das eines Staates, in dem jede Provinz einen eigenen Rechtskodex besitzt zu dem eines Staates mit Einheitsrecht. Nun sind die sekundären Geschlechts- charaktere Körperattribute, die sich so ziemlich auf jeden Teil des Körpers beziehen. Und ihre spezifische Ausbildung, ob männlich oder weiblich, wird in dieser Gruppe auch durch eine innere Sekretion reguliert, die ihren Sitz innerhalb der Geschlechtsdrüsen hat. Ein Kastrations- experiment, ähnlich dem vorher von Schmetterlingen betrachteten, hat daher ein ganz andersartiges Resultat. Der Ausfall der typischen inneren Sekretion läßt die Charaktere des betreffenden Geschlechts hier ver- schwinden und die Transplantation der entgegengesetzten Drüse ruft die des andern Geschlechts hervor. Wenden wir uns nach diesen Vorbemerkungen nun der Analyse der Intersexualität zu. Insektenzüchter wußten schon lange, daß bei Spezieskreuzungen von Schmetterlingen, ja auch bei Kreuzung geographischer Varietäten relativ häufig sexuelle Abnormitäten auftreten, die als Hermaphroditen oder Gynandromorphe verzeichnet werden. Außerdem weiß jeder Sammler, daß ähnliche Abnormitäten gelegentlich in der Natur vorkommen. Eine relativ häufige derartige Erscheinung ist das Auftreten von so- genannten Farbenzwittern des Schwammspinners. Dieser Falter ist — 368 — nun ausgezeichnet durch eine sehr starke Verschiedenheit der beiden Geschlechter, ferner durch eine sehr weite geographische Verbreitung, die das Vorhandensein distinkter geographischer Varietäten begünstigt. So bot er sich als geeignetes Experimentalobjekt dar, das auch alle Hoffnungen erfüllte. Es wurden zunächst Kreuzungen zwischen europäischen und japa- nischen Rassen durchgeführt. Das erste Grundresultat, das vor uns bereits ein Amateurzüchter, Brake, erhalten hatte, war, daß aus der Kreuzung japanischer Weibchen mit europäischen Männchen normale Nachkommenschaft hervorging; die reziproke Kreuzung aber, euro- päische Weibchen mit japanischen Männchen ergab Fj-Tiere, von denen alle Männchen normal waren, während die Weibchen verschiedenartige Mischungen von weiblichen und männlichen Charakteren zeigten, inter- sexuell waren. Waren solche Weibchen noch fruchtbar, so konnte die F2-Generation erhalten werden und hier trat dann eine Spaltung in zur Hälfte normale, zur Hälfte intersexuelle Weibchen ein. Die reziproke Kreuzung ergab aber auch in F2 ebenso wie in Fx nur normale Weibchen, dagegen war nun hier ein gewisser Prozentsatz von Männchen inter- sexuell. Dies zeigt nun schon, daß beide Geschlechter die Charaktere des anderen zu entwickeln imstande sind, wenn durch Kreuzung in ihrer Erbmasse bestimmte, normalerweise nicht vorhandene Kombi- nationen zustande gebracht werden. Es liegt also zygotische Inter- sexualität vor. Es zeigt weiterhin, daß derjenige oder diejenigen Faktoren die damit zu tun haben, mendelistisch vererbt werden, da Intersexualität typisch spaltet. Die weitere Verfolgung des Problems brachte dann einen dritten entscheidenden Tatsachenkomplex zum Vorschein. Es ist die Tatsache, daß es viele verschiedene Rassen von europäischen, amerikanischen und japanischen dispar gibt, die sich typisch unter- scheiden in bezug auf den oder die Faktoren, die die Intersexualität bedingen. Dies äußert sich darin, daß das Maß der Intersexualität, also die mehr oder minder weitgehende Entwicklung von Charakteren des anderen Geschlechts, ein typisches ist für eine bestimmte Kreuzung. Kreuzungen von zwei bestimmten Rassen ergeben nur schwache, von zwei anderen nur mittlere, von anderen nur hochgradige Intersexualität, — 369 — und so kann in vorausbestimmbarer Weise jede Stufe von einem Weib- chen zu einem Männchen und umgekehrt erzeugt werden. Im Anfang einer solchen Reihe müssen natürlich Kombinationen liegen, die nur normale Nachkommenschaft liefern und am Ende solche, bei denen ein Geschlecht vollständig in das andere umgewandelt ist. Im Einzelnen sind die Hauptergebnisse in bezug auf weibliche Intersexualität die folgenden: Da ist zunächst die japanische Rasse Gifu. Kreuzen wir Mähnchen dieser Rasse mit Weibchen der japanischen Rasse Kumamoto, so sind sämtliche Fj^-Weibchen leicht intersexuell. Die Antennen werden leicht gefiedert, auf den weißen Flügeln tritt ein wenig von der braunen männlichen Färbung auf, der Eierschatz ist ein wenig reduziert, aber die Kopulationsorgane und -Instinkte sind normal und daher Fortpflanzung möglich. Nehmen wir nun dieselben Männchen von Gifu und kreuzen sie mit Weibchen der japanischen Rasse Hokkaido oder der europäischen Rasse Schheidemühl, so sind die Fj^Weibchen etwas mehr intersexuell. Alle sekundären Geschlechtscharaktere sind mehr männlich; die In- stinkte sind aber noch weiblich, die Männchen werden angezogen, aber eine Befruchtung ist organisch nicht mehr möglich, obwohl genügend reife Eier vorhanden sind. Befruchten wir nun wieder mit den gleichen Männchen von Gifu Weibchen der Rasse Fiume, so erhalten wir in F1 recht hochgradig intersexuelle Weibchen. Die sekundären Geschlechts- charaktere sind fast männlich. Die Instinkte stehen etwa in der Mitte zwischen den Geschlechtern, Kopulation findet nicht mehr statt und wäre auch unmöglich, dagegen haben die Tiere noch einen unent- wickelten Eierstock. Nun haben wir eine andere japanische -Rasse X (unbekannter Herkunft) ; kreuzen wir deren Männchen mit den Schneide- mühl- Weibchen, so erhalten wir in Fx hochgradig intersexuelle Weibchen ; äußerlich sind sie kaum mehr von Männchen zu unterscheiden, obwohl genaue Untersuchungen noch einen Einschlag weiblicher Charaktere zeigt. Die Instinkte sind völlig männlich. Die Geschlechtsdrüse aber zeigt nun alle Übergänge von einem Eierstock bis zu einem richtigen Hoden mit reifen Spermatozoen. Nun bleibt nur ein Schritt übrig, nämlich eine Kreuzung bei der alle Weibchen in Männchen verwandelt sind. Und dies wird in der Tat stets erhalten, wenn wir die Männchen von zwei weiteren japanischen Rassen, Ogi und Aomori, mit den Weib- Goldschmidt, Vererbungswissenschaft. 3. Aufl. 24 1 -Äk , / 4&i m ^M»: « r-J*"fcn., y» _^^Wß?^^^' m»J*%r^?~r W^Hf :» «■v H " Fig. 127. Serie intersexueller Weibchen des Schwammspinners. Rechts unten ein Männchen. — 371 — chen Schneidemühl, Fiume oder Hokkaido kreuzen. In Fig. 127 ist eine Reihe weiblicher Intersexualität, wie sie hier geschildert wurde, abgebildet. Wenn wir uns nun klar machen wollen, was diese Tatsachen zu be- deuten haben, so ist vor allem zunächst auf folgende Punkte Gewicht zu legen: Sowohl die Eier wie die Samenzellen aller dieser zur Kreuzung verwandten Rassen sind ganz normal in bezug auf die Geschlechtsver- erbung. Denn in der richtigen Kombination geben sie normale Ge- schlechtsresultate. Da sie aber in anderen Kombinationen abnorme Sexualität liefern, so müssen die entscheidenden Stoffe in irgend einer Art aufeinander eingestellt sein. Nun wird eine Intersexualitätsreihe erhalten, wenn ein und dieselbe Rasse als Vater mit verschiedenen Rassen von Weibchen gekreuzt wird. Aber auch wenn ein und dieselbe Rasse als Mutter mit einer Serie verschiedener Männchen gekreuzt wird, kommt ein typisch verschiedenes Resultat zustande, das zu einer Inter- sexualitätsserie angeordnet werden kann. Und das zeigt, daß wir mit Dingen zu tun hben, die in irgend einem typischen Quantitätsverhält- nis zueinander stehen. Nun wissen wir ferner, daß die weibliche Inter- sexualität nur bei Kreuzung in einer Richtung erzeugt wird und in F2 spaltet, daß aber die umgekehrte Kreuzung normal ist und in F2 in bezug auf die Männchen spalten kann. Dies alles führt nun konsequenter Weise zu folgender Erklärung: 1. Jedes Geschlecht besitzt die Anlagen für beide Geschlechter, denn beide können intersexuell werden. 2. Wel- ches von ihnen in Erscheinung tritt, wird bei der Befruchtung entschieden. 3. Die normale Entscheidung ist, wie wir wissen, an den 1 X-2 X-Mecha- nismus gebunden. Da er aber nicht verhindert, daß Intersexualität und sogar Umwandlung eines Geschlechts in das andere stattfindet, so kann nicht die Tatsache des Vorhandenseins dieser Chromosomen resp. der in ihnen enthaltenen Faktoren entscheidend sein, sondern ihre quantitative Wirkung. 4. Das F^Resultat und die Spaltung zeigen — wir erinnern uns, daß das X-Chromosom des Weibchens bei weiblicher Heterozygotie vom Vater stammt — daß einer der für die Ausbildung des aktuellen Geschlechts entscheidenden Faktoren im X-Chromosom vererbt wird, in unserem Fall mit weiblicher Heterozygotie. 5. Das Resultat der reziproken Kreuzung (und der noch nicht näher geschilder- 24* — 372 Fig. 128. Serie intersexueller Männchen vom Schwammspinner. — 373 — ten männlichen Intersexualität) zeigt, daß die für das Geschlecht mit verantwortliche andere Gruppe von Faktoren rein mütterlich vererbt wird und das kann mit einiger Wahrscheinlichkeit als Vererbung im Plasma des Eies bezeichnet werden, mag aber auch Vererbung im Y-Chro- mosom sein. 6. Die Tatsache, daß die gleiche Weibchenrasse mit ver- schiedenen Männchenrassen verschiedene Resultate gibt, zeigt, daß der im X-Chromosom gelegene Faktor quantitativ verschieden ist in jenen Rassen. 7. Die Tatsache, daß die gleiche Mähnchenart mit verschie- denen Rassen von Weibchen verschiedene Resultate gibt, beweist, daß die im Ei vererbten Geschlechtsfaktoren ebenfalls quantitativ ver- schieden sein können. Fassen wir diese Schlüsse nun in der so klaren symbolistischen Aus- drucksweise des Mendelismus zusammen, die uns erlaubt, Vererbungs- mechanismen einfach zu beschreiben, so kommen wir zur folgenden Formulierung: Beide Geschlechter enthalten die Faktoren für jedes Ge- schlecht. Beide Anlagen vermögen in jedem Fall in Erscheinung zu treten. Welche tatsächlich erscheint, hängt ausschließlich von dem quantitativen Verhältnis beider ab. Wenn wir wieder F für den Weib- lichkeitsfaktor benutzen und M für den Männlichkeitsbestimmmer, so ist die Faktorenformel für die beiden Geschlechter: (F) Mm- Weib- chen : (i7) MM-Männchen. Das Weibchen ist heterozygot im Männlich- keitsfaktor, der im X-Chromosom gelegen ist, das Männchen aber homozygot. Der Weiblichkeitsfaktor F wird rein mütterlich, im Plasma des Eies oder im Y-Chromosom, jedem Ei gleichmäßig mitgegeben. F und M wirken unabhängig voneinander und mit einer quantitativ bestimmten Stärke, die wir ihre Valenz nennen wollen- Und die höhere Valenz ist entscheidend für das Resultat. Die Quantitäten sind aber derartig, daß ein M schwächer ist als F und daher in der weiblichen Konstitution nicht zur Wirkung kommt, zwei M aber stärker als F und daher in der männlichen Formel sich durchsetzen. Um dies und das folgende klar zu machen, nehmen wir nun einmal an, wir könnten diese Valenzen messen. Und wir finden dann, daß die Weiblichkeitsanlage (F) 80 Einheiten stark ist, während einem Männlichkeitsfaktor die Wirkungskraft 60 zukommt. In der weiblichen Formel (F)Mm ist dann das F um 20 stärker als das M, in der männlichen Formel (F)MM sind — 374 — dagegen die zwei M mit dem Wert 120 um 40 stärker als der weibliche Anteil. Nun sind zwei Möglichkeiten gegeben: Entweder genügt das kleinste Überwiegen eines Teils über den anderen, um letzteren zu unter- drücken; oder aber es ist ein bestimmtes Minimum nötig, um eine Ge- schlechtsanlage über die andere triumphieren zu lassen, ein epistatisches Minimum. Nehmen wir nun an, dies Minimum betrage 20 Einheiten, dann haben wir ein Weibchen, wenn (F) — M = >• 20, und ein Männ- chen wenn MM — (F) = > 20; oder anders ausgedrückt: wenn wir die Differenz zwischen den Valenzen beider Anlagen e nennen, dann sind p* ~3 -20 -75 -70 -5 0 '5 ■70 ■75 +20 ^ § fc -t-O 1 1 -> E? ^ . i £ ?/■ <* t t / % /77c W/7//CÄ Vt/ f we/ö//cAe J/?Aersexi/d//A?/' Fig. 129. Graphische Darstellung der mendelistisch-symbolischen Interpretation der Intersexua- litätsexperimente. die Grenzwerte von e für die beiden Geschlechter + 20 und — 20. Dies kann graphisch ausgedrückt werden, wie es Fig. 129 zeigt, in der die Werte für e auf einer Graden angeordnet werden. Individuen rechts von + 20 sind Männchen, links von — 20 sind Weibchen, und die dazwischen liegenden sind die intersexuellen Formen. Sind sie heterozygot für M, dann sind sie intersexuelle Weibchen, sind sie homozygot für M, dann sind sie intersexuelle Männchen. Wie erklärt dies nun den Grundversuch? Angenommen, wir haben zwei Rassen, die beide normal sind in bezug auf die quantitative Regu- lation ihrer Geschlechtsfaktoren, die sich aber in den absoluten Werten der Valenzen unterscheiden. Wir sprechen dabei der Einfachheit — 375 — halber von starken Formen, wenn die Valenz von M relativ hoch ist und entsprechend von schwachen Formen. Wir könnten dann die folgenden Valenzverhältnisse finden: Schwache Europäer: Starke Japaner Q [F)Mm [Fa)Mam 80 60 x y 100 80 j X Sphaerechinus Q von der Seite, daß zwei völlig verschiedene Typen des Nac£Boveri aus Godlewski. Verhaltens der Charaktere im Bastard bei verschiedenartigen Kreuzungen zu unterscheiden sind. Bei dem einen Typus ist der Bastard intermediär und zwar mit allen Übergängen von dem reinen väterlichen bis zum reinen mütterlichen Charakter. Bei dem anderen Typus besitzt der Bastard aber ausschließlich mütterliche Cha- raktere. Letzteren Fall nun können wir sogleich als für unser Problem irrelevant aus scheiden. Es hat sich nämlich, vor allem durch die Unter- suchungen von Kupelwieser, Baltzer, Godlewski, Herbst gezeigt, daß in den meisten Fällen es sich hier gar nicht um eine alternative Fig. i35- 3!>-J Vererbung mit mütterlicher Dominanz handelt, sondern um etwas, was viel mehr einer Parthenogenese als einer Bastardierung gleicht. Je nach der Art der ausgeführten Kreuzung nimmt nämlich die Substanz des Spermakerns von Anfang an gar nicht an der Entwicklung teil, oder es nimmt nur ein Teil seiner Chromosomen daran teil, oder sie nimmt eine Zeitlang daran teil, um später eliminiert zu werden, wie Baltzer zeigte. Da wir nun in den Chromosomen die Träger der Vererbung sehen, wie in früheren Vorlesungen besprochen wurde, eine Annahme, die, wie wir Fig. 136. Fig. 137- Matrokliner Bastard der Kreuzung wie in Patrokline Bastardlarve der Kreuzung wie Fig. 136. Nach Herbst aus Godlewski. in Fig. 136. Nach Herbst aus Godlewski. jetzt wissen, exakt bewiesen ist, so ist eine Entwicklung ohne väter- liche Chromosomen keine Bastardentwicklung, sondern eine Art Par- thenogenese. Könnte man von einem solchen Bastard F2 ziehen, so könnte er natürlich nicht spalten. Es bleiben also für den Vergleich mit der Mendelschen Dominanz zunächst nur jene Seeigelbastardie- rungen, bei denen nachgewiesenermaßen eine richtige Befruchtung und normales Verhalten der väterlichen Elemente statthat, wofür die typische Kreuzung die oben abgebildete Sphaerechinus $ x Echinus <$ darstellt. Merkwürdigerweise gehört die reziproke Kreuzung dem an- — 393 — deren Typus an, indem nach Elimination der meisten väterlichen Chromosomen der rein mütterliche Typus erscheint. Es ist also eine Tatsache, daß bei der Kreuzung Sphaerechinus $ x Echinus ^ wie anderer analoger Fälle die Bastardlarve, wie Boveri zuerst feststellte, meist gemischte Charaktere aufweist, daneben aber matrokline und patrokline Formen auftreten, und wie Seeliger und Steinbrück zeigten, auch Larven von rein väterlichem Typus. Es fragt sich nun ob dieser Ausfall experimentell zu beeinflussen ist, so- mit eine Verschiebung der Vererbungsrichtung bzw. ein Übergang von intermediärer zu alternativer Vererbung sich erzwingen läßt. Daß das der Fall ist, kann denn auch in keiner Weise bezweifelt werden, wenn auch die Ursachen durchaus noch nicht als geklärt betrachtet werden können. Zunächst könnten äußere Ursachen dafür verant- wortlich zu machen sein. Vernon, der die ersten planmäßigen Ver- suche ausführte, fand, daß in den Sommermonaten die Bastarde mehr nach der Mutter, im Herbst und Winter mehr nach dem Vater schlugen. Der Verdacht, daß es sich "dabei um Temperaturunterschiede handelt, wurde von Doncaster bestätigt, der durch Temperaturversuche den entsprechenden Effekt erzielen konnte. Von anderer Seite wird aller- dings dann Temperatur und Jahreszeit nur als Begleiterscheinung der eigentlich maßgebenden Faktoren chemischer Natur betrachtet. Ten- nent gibt nämlich an, daß bei Kreuzung von Hippono e x Toxo- pneustes die Alkalinität des Wassers für den Erfolg entscheidend sei, indem eine höhere Konzentration der OH-Jonen Dominanz von Hip- ponoe, eine niedere aber die von Toxopneustes bedingt. Nach den auf breiter Basis durchgeführten Experimenten Herbst s scheint es aber, daß der Einfluß der äußeren Faktoren nur ein sehr geringer ist, vielmehr innere Faktoren die Hauptrolle spielen. Als solche betrachtet Herbst quantitative Verhältnisse zwischen der Menge der Kernsubstanz des mütterlichen und väterlichen Kerns. Tatsäch- lich gelang es ihm, eine Verschiebung der Vererbungsrichtung zu den normalerweise selten auftretenden rein mütterlichen Larven dadurch zu erzielen, daß er den Eiern vor der Bastardbefruchtung einen Anstoß zur künstlichen Parthenogenese gab, wobei solche quantitative Ver- schiebungen statthaben. — 394 — Diese letzteren Ergebnisse deuten nun schon an, daß die mütterlichen Charaktere deshalb dominieren, weil sie durch den Anstoß zu Partheno- genese einen Vorsprung in der Reaktion bekommen haben, also im Rahmen der gesamten Entwicklung eine größere Reaktionsgeschwindig- keit als die erst später einsetzenden väterlichen Faktoren. Auch Köhlers Versuche, die Verschiebung der Entwicklungsrichtung mit dem Reifegrad der Eier in Zusammenhang zu bringen, passen sich wohl solcher Deutung ein. So ist es möglich, daß dies das Wesen der Dominanz ist: Dasjenige von zwei Allelomorphen, dessen Reaktions- geschwindigkeit eine solche ist, daß seine Wirkung sozusagen zuerst am Ziel ist, wenn eine alternative Entscheidung über einen Entwick- lung svorgang getroffen wird, gewinnt, ist dominant. Es sollte in der Tat möglich sein, eine solche Auffassung experimentell zu prüfen. Literatur zur fünfzehnten Vorlesung. Boveri, Th., Über den Einfluß der Samenzelle auf die Larvencharactere der Echiniden. Aren. f. Entwm. 16. 1903. — , Noch ein Wort über Seeigelbastarde. Aren. f. Entwm. 16. 1904. — , Zwei Fehlerquellen bei Merogonieversuchen und die Entwicklungs- fähigkeit merogonischer und partiell-merogonischer Seeigelbastarde. Arch. Entwicklgsmech. 44. 19 18. Castle, W. E., and Phillips, J. C, Piebald rats and selection. Carnegie Inst. Puttl. 195. Wash. 1914. Cuenot, L., La loi de Mendel et l'heredite de la pigmentation chez les souris. Arch. Zool. exp. et gen. 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Wir hatten bereits in den letzten Vorlesungsn öfters die Bezeichnung Mutation für das plötzliche, erbliche Auftreten neuer Eigenschaften benutzt, die sich in der Erbanalyse als die Konsequenz des Ausfalls, des Neuauftretens oder der Veränderung eines Erbfaktors an einem bestimmten Punkt eines Chromosoms erwiesen. Damit haben wir bereits einen wesentlichen Fall der Mutationstheorie vorausgenommen, die sich gleichzeitig mit der Mendelschen Vererbungslehre die Biologie erobert hat. Wir müssen nunmehr diese Theorie ausführlicher be- trachten. Bei der nicht unbeträchtlichen Komplikation, die sie heutzu- tage zeigt, und die zu einer gar merkwürdigen Situation geführt hat, ist es wohl am besten, zunächst historisch vorzugehen und die notwendige Kritik erst dann anzuschließen. Die letzten Vorlesungen haben uns, wenn wir sie in ihrer Gesamt- heit betrachten, mit einer sehr wichtigen Erkenntnis vertraut gemacht. Durch die Bastardanalyse konnte gezeigt werden, daß die verschieden- artigsten morphologischen wie physiologischen Eigenschaften der Or- ganismen in Form von festen Einheiten in der Erbmasse repräsentiert sind, die wir, ohne damit über ihr eigentliches Wesen etwas aussagen zu wollen, als Erbfaktoren bezeichneten. Diese erschienen als die letzten und unteilbaren Einheiten, die ,,units", aus deren verschieden- artiger Kombinationsmöglichkeit sich die Verschiedenheit der Tier- und Pflanzenrassen erklärte. So konnte man dazu kommen, die Orga- nismen als den Ausdruck der Wirkung eines Mosaiks von Erbfaktoren zu betrachten, von einer Faktorentheorie zu sprechen. Erinnern wir uns nun einmal an die Schlußfolgerungen, die wir in den ersten Vor- lesungen aus den Tatsachen der Variabilität und der Lehre von den — 398 — reinen Linien zogen. Auch da waren wir auf die Erkenntnis gestoßen, daß das Wesentliche an einem Organismus die Zusammensetzung seiner Erbmasse, die ererbte Reaktionsnorm oder, wie wir noch sagten, seine genot}'-pische Konstitution, sei und daß das letzte, wodurch zwei Orga- nismen als wirklich different unterschieden werden können, das Vor- handensein oder Fehlen eines Gens in der Erbmasse ist. Es ist klar, daß diese beiden auf so verschiedenen Wegen gewonnenen Ergebnisse im Grund genau das gleiche besagen. Es ist nun eine Erkenntnis, an der heute wohl niemand mehr rütteln wird, daß die Arten nicht unver- änderlich sind, daß es eine Entwicklung gibt. Besteht aber der ge- ringste erbliche Unterschied zwischen zwei Organismenformen in dem Plus oder Minus einer Erbeinheit, eines Erbfaktors, so ist die Grund- frage des Problems der Artbildung die: Wie entstehen neue Erbein- heiten in der Erbmasse, oder allgemeiner gefaßt, wie kann sich der Schatz an Erbeinheiten innerhalb der Erbmasse verändern? Die Darwin- sche Antwort, daß sie durch Zuchtwahl allmählich herausgebildet werden, — wenn dies, wie meist angenommen wird, wirklich Darwins Anschauung war — hatten wir, als mit den Experimentaltatsachen unvereinbar, aufgeben müssen. Entstehen solche Veränderungen nicht allmählich, so müssen sie plötzlich erscheinen und zwar aus Ursachen, die nichts mit der Selektion zu tun haben: Die Veränderung kann nur so vor sich gehen, daß plötzlich und ohne Übergang neue Erbeinheiten in der Erbmasse auftreten oder alte aus ihr verschwinden. Und diese Annahme ist es, die sich in der Neuzeit unter dem Namen der Muta- tionstheorie die biologischen Wissenschaften erobert hat. Es ist klar, daß es sich hierbei um Dinge von größter Tragweite handelt, deren genaue Erforschung den wichtigsten Grundstein der Abstammungs- lehre liefern sollte. Noch ist aber diese Lehre nicht über das kritische Stadium hinaus, und wir stehen gerade jetzt in einer Zeit, in der hier alles gärt. Wir wollen deshalb zunächst das grundlegende Tat Sachenmaterial kennen lernen, ohne eine Kritik an seinem Wert zu üben, und erst dann zusehen, ob es einer Kritik auch wirklich stand- halten kann. Das Beobachtungsmaterial, von dem die Mutationstheorie ausgeht, ist zum Teil durchaus nicht neu. Es besteht aus den Beobachtungen — 399 — der Tier- und Pflanzenzüchter, welche zeigen, daß gelegentlich in als rein betrachteten Zuchten einzelne Individuen abweichender Beschaffen- heit auftreten ; und diese Abweichung, der neue Charakter, ist von Anfang an erblich. Unter dem Namen Sports oder Sprungvariationen ist diese Erscheinung bekannt. Es ist klar, daß Darwin, der ja nicht nur selbst züchtete, sondern in großem Maßstabe auch die Erfahrungen der Züchter sammelte und verwertete, nicht an diesen Tatsachen vor- über ging. Im Gegenteil hat er einen beträchtlichen Teil der verbürgten Fälle zusammengetragen und analysiert. Das Hauptinteresse kon- zentriert sich nun aber auf die Frage, welche Bedeutung er den Sprung- variationen, von ihm single variations genannt, für die Artbildung zuerkannte. Und da ist es von höchstem Interesse, daß diese Wert- schätzung ursprünglich gar keine geringe war. In den ersten Ent- würfen zur Abstammung der Arten, die 15 und 17 Jahre vor deren Erscheinen geschrieben sind und die neuerdings wieder entdeckt wurden, finden sich dafür sehr bemerkenswerte Belege. So heißt es an einer Stelle: „Es ist bekannt, daß solche Sports in einigen Fällen die Stamm- eltern unserer domestizierten Rassen geworden sind; und wahrschein- lich sind ebensolche auch die Stammeltern vieler anderer Rassen ge- worden, besonders solcher, die in gewissem Sinne als erbliche Monstra bezeichnet werden können; z. B. wo ein überzähliges Glied vorhanden ist oder alle Extremitäten verbogen sind (wie beim Anconschaf) oder wo ein Teil fehlt, wie bei den kurzsteißigen Hühnern und schwanz- losen Hunden oder Katzen." . . . „und bei vielen unserer domestizierten Rassen wissen wir, daß der Mensch durch allmähliche Zuchtwahl und geschicktes Ausnützen plötzlicher Sports alte Rassen beträchtlich ver- ändert und neue hervorgebracht hat." Vor allem aber bei Besprechung der Schwierigkeit, die die langsame Entstehung mancher Organe durch Zuchtwahl bietet, bekanntlich der Haupteinwurf, den später seine Gegner der Zuchtwahllehre machten, und den die Mutationstheorie ja glücklich überwindet: „Wie im Zustand der Domestikation Bau- veränderungen ohne jede fortgesetzte Zuchtwahl auftreten, die der Mensch für sehr nützlich hält oder ihnen Kuriositätswert zuerkennt . . ., so mögen vielleicht in der Natur manche kleine Veränderungen, die gewissen Zwecken gut angepaßt sind, als ein von den Fortpflanzungs- — 400 — organen ausgehendes Geschehen1 entstehen und von Anfang an in vollem Umfang weiter vererbt werden ohne lang andauernde Zucht- wahl kleiner Abweichungen in der Richtung dieser Eigenschaft." Wieder an einer anderen Stelle nimmt er die Sports für die Bildung neuer Tier- formen auf isolierten Inseln in Anspruch, kurzum er erkennt ihnen einen nicht unbeträchtlichen Wert für die Artbildung zu. 15 Jahre später ist er allerdings von solcher Anschauung zurückgekommen und läßt die sprunghafte Variation nicht mehr als für die Artbildung in Betracht kommend gelten. Und so kommt es, daß in der nachdarwin- schen Zeit sich nur vereinzelte Stimmen erhoben, sie zur Grundlage des Artbildungsproblems zu erheben. Auf zoologischer Seite ist es vor allem Bateson, der seine Opposition gegen die allmähliche Umwand- lung der Arten in Darwinschem Sinne schon im Titel seines Buches „Materialien, zum Studium der Variation, speziell im Hinblick auf die Diskontinuität bei der Entstehung der Arten" zum Ausdruck bringt. Er stellt eine Unmenge von Tatsachen hauptsächlich aus dem Ge- biete der von ihm sogenannten meristischen Variation zusammen. Darunter versteht er vor allem die Zahlenvariation von in Mehrzahl vorhandenen Organen, zum Beispiel beim Menschen Sechsfingrigkeit gegenüber Fünffingrigkeit. Diese Variabilität ist nun in allen Fällen diskontinuierlich, nicht durch Übergange mit dem Ausgangspunkt verbunden und diese Variationen erscheinen trotzdem ebenso voll- ständig und normal. Daraus muß aber geschlossen werden, daß die Diskontinuität der Arten auch hervorgeht aus der Diskontinuität der Variation. Allerdings finden die eigentlichen Sports der Züchter bei Bateson weniger Beachtung. Unter den Botanikern darf Korschinsky das Recht beanspruchen, die meisten Erfahrungstatsachen gesammelt zu haben, die sich auf sprungweise Entstehung von Pflanzenformen beziehen, die er Hetero- genesis nannte. Er stellte fest, daß sie nicht gar zu selten auftritt und alle möglichen Pflanzenteile betreffen kann. Auch kann sie in den ver- schiedensten Richtungen eintreten und ebensogut einen Fortschritt wie einen Rückschritt bedeuten, wie indifferent sein. Alle diese hetero- 1 Wir würden jetzt sagen, als genotypische Veränderung innerhalb der Erbmasse oder als Mutation. — 401 — genetischen Abweichungen, d. h. Mutationen, sind erblich konstant, wiewohl sie gewöhnlich nur in einem einzigen Exemplar entstehen. Die Ursache ihrer Entstehung muß aber in irgendeiner Veränderung der Geschlechtsprodukte der Mutterpflanze beruhen. Auf Grund all seines Materials an Beobachtungstatsachen kommt Korschinsky zum Schluß, daß alle neuen pflanzlichen Kulturvarietäten (natürlich abgesehen , von Bastarden), deren Entstehung wirklich beobachtet ist, auf dem Wege plötzlicher Abweichung entstanden sind. Und er be- zweifelt nicht, daß auch in der Natur die Arten ebenso durch Sprünge sich entwickelt haben, zieht auch eigens die Sports auf zoologischem Gebiet zum Beweis an. Aber auch diese Sammlungen von Tatsachenmaterial hätten wohl nicht leicht der Mutationslehre einen berechtigten oder gar bevorzugten Platz neben der Darwinschen Lehre der allmählichen Artumwandlung gesichert. Ihren Erfolg verdankte sie erst der planmäßigen experi- mentellen Erforschung, die de Vries den Erscheinungen der Mutation angedeihen ließ. Sein an Beobachtungen und Experimenten zur Frage der Variabilität, Selektion, . Mutation, Bastardierung überreiches Werk bildet zweifellos die Grundlage der modernen Artbildungslehre. Ehe wir aber daran gehen, seine Versuche zu besprechen und die daran anschließenden Probleme und ihre bisher vorliegende experimentelle Bearbeitung zu studieren, wollen wir uns einige der vor und nach Dar- win bekannt gewordenen Sports aus dem Tier- wie Pflanzenreich be- trachten, um zu sehen, nach welchen Seiten derartige Sprünge erfolgen und wie weit sie vom Normalen wegführen können, und beginnen im Anschluß an Korschinsky mit einigen Fällen aus dem Pflanzenreich. Wir zitieren dabei zunächst kritiklos und werden erst später in eine kritische Würdigung der vorgeführten Angaben eintreten. Eine gewisse Berühmtheit hat die Entstehung der Form Cheli- do n iu m lacin i at u m, bei dem die Blätter tief fiederteilig sind (Fig. 138), aus dem gewöhnlichen Schöllkraut Chelidonium majus erlangt. Sie erschien plötzlich» unter den gewöhnlichen Pflanzen im Jahre 1590 im Garten des Apotheker Sprenger in Heidelberg. Er sandte ihre Samen an alle bekannten Botaniker seiner Zeit, wie Caspar Bauhin, die alle daraus die laciniatum-Form erzogen, die sich immer als konstant G oldschmidt, Vererbungswissenschaft. 3. Aufl. 26 — 402 — und samenbeständig erwies. Sie breitete sich, ohne je etwa wildwach- send gefunden worden zu sein, im Laufe von 150 Jahren in den bota- nischen Gärten aus und verwilderte auch von hier aus. Sie verhält 0 sich auch jetzt noch völlig wie eine gute Art. „Und doch ist das erste Exemplar derselben aus dem Samen einer anderen Art ausgewachsen und die neue Art entstand aus einer anderen mit einem Schlage, mit konstanten Merkmalen und fester Vererbungskraft; sie entstand voll- B Fig. 138. Chelidonium majus [A) und seine Mutation Ch. laciniatum (B,. Nach de Vries. kommen ausgebildet und abgeschlossen wie Pallas Athene in voller Rüstung aus dem Haupte Zeus hervorgegangen ist." Diesem Fall des Schöllkrautes läßt sich am besten das Verhalten mancher Farne wie Scolopendrium vulgare zur Seite stellen. Hier finden sich eine ganz außerordentliche Zahl von Variationen der Blatt- spreite vor (Fig. 139), welche innerhalb der Art Hunderte von Formen unterscheiden lassen, die besonders aus England bekannt sind. Eine — 403 — jede vererbt aber diese Eigenschaften. Wenn, was häufig vorkommt, ein und dasselbe Blatt aus ungleich geformten Teilen besteht, vererbt jeder Teil durch die an ihm gebildeten Sporen seine Eigentümlichkeit. (Aus den ungeschlechtlich erzeugten Sporen gehen die Farne ja erst vV i v l VARIATION IN HARTS TONGUE FERN Fig. 139. Blattmutationen des Farns Scolopendrium vulgare. 1 die typische Form. Nach Lowe aus Thomson. wieder durch Vermittlung einer Geschlechtsgeneration hervor, so daß auch mittels der Sporen indirekt eine reine geschlechtliche Vermehrung statthat.) Die einzelnen Blattvariationen stellen also ebensoviele sprung- weise entstandene Elementararten dar. Bemerkenswert ist auch der Fall der italienischen Pappel, deren 26* — 404 — erstes Entstehen auf dem Wege einer Sprungvariaton von der Schwarz- pappel aus höchst wahrscheinlich, wenn auch nicht erwiesen ist. Sie wird von jeher in Italien kultiviert und wurde von da aus überall hin geführt. Es ist aber bisher nicht gelungen, irgendwo ihre Heimat zu entdecken, und da sie ausschließlich im männlichen Geschlecht vor- kommt und auf ungeschlechtlichem Wege weiter vermehrt wird, so muß man annehmen, daß sie einmal als Mutation in einem einzigen männlichen Exemplar entstand. Es ist ja überhaupt besonders häufig der Fall, daß die Sprungvarietäten in nur einem Exemplar auftreten (single variations!). Am besten bekannt sind natürlich die Fälle, in denen es sich um Kulturpflanzen handelt; ist es doch wahrscheinlich, daß die unend- liche Fülle der Gartenvarietäten, abgesehen von der Bastardierung, ausschließlich so entstanden sind, wobei wir übrigens auf unsere früheren Erörterungen über Bastardkonstruktion und Faktorenaustausch hin- weisen. Nicht immer liegen aber zuverlässige Angaben über das erste Auftreten einer Varietät vor. Da aber, wo es bekannt ist, zeigt sich, daß alle Teile der Pflanze in den verschiedensten Richtungen an der Mutation teilnehmen können. So kann die Veränderung sich z. B. auf den ganzen Wuchs und Habitus beziehen. So gab in der Mitte des vorigen Jahrhunderts die gewöhnliche Zypresse, die ja pyramiden- förmigen Wuchs hat, einer Varietät den Ursprung, der var. cereiformis, deren Stamm nur von kleinen, nach oben gerichteten Zweigen bedeckt ist, so daß der Baum den Habitus einer sich nach oben verjüngenden Säule erhält, deren Durchmesser bei einem Exemplar von 12 m Höhe nur 60 cm beträgt. Aus ihren Samen entstand nur die gleiche Form. In anderen Fällen bezieht sich die Veränderung auf die Blätter; für ihre Gestaltsveränderung haben wir schon ein Beispiel angeführt, ein anderes beziehe sich auf die Blattfarbe. Besonders die sogenannten Blutbäume, wie die Blutbuche, gehören hierher. Wenn auch für diese gerade der Ort ihres unvermittelten Auftretens bekannt ist, so wurde der betreffende einzelne Baum doch nur als anwesend festgestellt, nicht aber in seiner Entstehung beobachtet. Für die entsprechende Form der Berberize, Berberis vulgaris var. atropurpurea ist aber auch dieses der Fall; sie entstand im Anfang des vorigen Jahrhunderts in Versailles — 405 — unter den Sämlingen der gewöhnlichen Berberize und gab seitdem reine blutblättrige Nachkommenschaft. Am meisten Beachtung haben natürlich die Sprungvariationen in Form und Farbe der Blüten gefunden, und es gibt unter den Garten- varietäten eine beträchtliche Zahl, deren Herkunft bekannt ist.- Um nur*einen der vielen Fälle der gefüllten Blumen zu erwähnen, so be- obachtete Lambotte in Paris im Jahre 1853 die Entstehung gefüllter Petunien. Unter einer gewöhnlichen Aussaat fand er ein Exemplar mit besonders großen Blüten, deren Staubfäden zur Hälfte in Kron- blätter verwandelt waren und die sich auch durch andere Färbung aus- zeichneten. Durch Benutzung ihres Pollens zur Weiterzucht konnte er dann eine gefüllte Rasse isolieren. Übrigens spielte auch in de Vries bald zu besprechenden Versuchen die Erzeugung eines gefüllten Chry- santhemum segetum eine Rolle. Endlich noch ein Beispiel über eine Mutation am Samen. Godron fand 1860 unter einer Stechapfelaus- saat gleicher Herkunft ein Exemplar mit einer stachellosen Samen- kapsel und bei Weiterz acht erhielt sich das Merkmal in 13 kontrol- lierten Generationen konstant. Diese Beispiele mögen genügen, den Satz Korschinskys zu illustrieren, daß es den Gärtnern so selbst- verständlich ist, daß ihre Varietäten auf diesem Wege der Mutation entstehen, daß sie es gar nicht weiter erwähnenswert halten. Es stimmt damit ja auch überein, daß die neuesten Formen am ehesten in großen Züchtereien gefunden werden, die mit großen Massen arbeiten. Und um mit den pflanzlichen Sports abzuschließen, braucht wohl nicht be- sonders hervorgehoben zu werden, daß, seitdem man im Gefolge von de Vries' Mutationstheorie besonders darauf achtet, zahlreiche weitere Beobachtungen bekannt wurden; es vergeht wohl kaum ein Monat, ohne daß ähnliche Fälle beschrieben werden, die sich prinzipiell in nichts von den genannten unterscheiden. Werfen wir nun auch einen Blick auf einige solche Sports im Tier- reich, die als Beobachtungstatsachen festgestellt wurden. Wir werden da allerdings von vornherein nicht erwarten dürfen, allzuviel Material vorzufinden; denn Beobachtungen an nicht domestizierten Tieren sind natürlich noch viel schwieriger und unzuverlässiger als bei wilden Pflan- zen. Die domestizierten Tiere sind aber an Zahl der Arten den domesti- — 406 — zierten Pflanzen beträchtlich unterlegen, sind es doch weniger als hundert, während allein ein einziger großer Pflanzenzüchter wie Luther Bur- bank 2500 Arten kultivierte, gar nicht zu reden von der gar nicht in Vergleich zu setzenden Individuenzahl. Mit der Anwendung indirekter Schlüsse muß man aber im Tierreich noch vorsichtiger sein wie im Pflanzenreich, da z. B. das Erscheinen einer vorher unbekannten Form von einem gewissen Zeitpunkt ab nur bei wirklich in Massen unter- suchten Formen ihr vorheriges Nichtvorhandensein sicher erscheinen läßt. Natürlich dürfen wir auch hier nur dann von einer Mutation reden, wenn ihre Erblichkeit festgestellt ist. Sicher wäre manche Mu- tation mehr z. B. aus dem so fleißig studierten Reich der Insekten bekannt, wenn nicht der Züchter hier meist auch Sammler wäre, der eine unvermutet auftretende „Aberration" sofort, ehe sie sich fort- gepflanzt hat, in seine Sammlung steckt, damit das kostbare Exemplar sich nicht bei der Kopula verletzt. So ist ein interessanter mehrfach beobachteter Fall das Fehlen der ,,Augen" bei Schmetterlingen mit charakteristischen Augenflecken wie dem Tagpfauenauge, deren künst- liche Erzeugung im Temperaturexperiment wir schon kennen lernten. So lange aber die Erblichkeit nicht festgestellt ist, kann es ebensogut auch eine extreme Variation oder ein embryonaler Defekt sein. Das- selbe gilt von der merkwürdigen Aberration ab. Daubi des mittleren Weinschwärmers Chaerocampa elpenor, die Herr Schmidt in Fürth im Jahre 1908 aus einer normalen Zucht in 2 Exemplaren erhielt, und solcher Fälle ließen sich genügend aufzählen. Aber gerade aus dem Reich der Schmetterlinge können wir auch eine Form nennen, die zuverlässig in neuerer Zeit in freier -Natur als Mutation entstanden ist, zuverlässig, obwohl ihr erstes Auftreten unbekannt ist, da sie noch jetzt im Zuchtexperiment sich neu bildet. Von Norden her vordringend breitet sich in Deutschland die schwarze Aberration der Nonne aus, die früher gänzlich unbekannt war. Wenn auch ihr erstes Auftreten sich nicht genau feststellen läßt, so erweist sie sich trotzdem dadurch mit Sicherheit als Mutation, daß sie auch in Zuchten mit rein weißen Faltern' öfters in einzelnen Exemplaren auftritt und zwar gelegentlich in recht charakteristischer Weise, worüber aber hier nicht näher be- richtet werden kann. Dasselbe gilt von der schwarzen Varietät double- — 407 — dayaria des Birkenspanners Amphidasys betulariae, den Standfuss ebenfalls als Mutanten entstehen sah, von der Cymatophora or albin- gensis, deren Auftreten in Hamburg genau registriert werden konnte, wie noch von anderen Melanismen. Auch albinistische Mutanten sind in den verschiedensten Teilen des Tierreiches, bei Insekten, Vögeln, Säugetieren, nicht selten. Fig. 140. Mutationen beim Koloradokäfer, a L. undecimlineata, b ihr Mutant angustovittata, c der Mutant melanothorax von L. multitaeniata, d L. decemlineata mit ihren Mutanten e tortuosa und/" defectopunctata nach Tower. Von in neuerer Zeit aus freier Natur festgestellten Mutanten seien nur noch die Mutationen des schon so oft erwähnten Koloradokäfers aufgeführt. So zeigt vorstehende Fig. 140 in d die Form Leptinotarsa decemlineata, und in / und e die aus ihr entstehenden Mutanten defecto- punctata und tortuosa, besonders letztere charakteristisch durch die Verschmelzung der Längsstreifung auf den Flügeldecken, a aber zeigt die Art L. undecimlineata mit ihrem gänzlich abweichenden Mutant — 408 — angustovittata (b) . Es braucht wohl nicht besonders bemerkt zu werden, daß all diese Mutationen völlig erblich konstant sind. Die altbekannten Fälle beziehen sich im Tierreich aber auch ähnlich wie im Pflanzenreich auf die Kulturformen, von denen mancherlei Sports im Lauf der Zeit registriert sind ; eine ganze Reihe von ihnen hat ja bereits Darwin aufgezählt und ihnen dadurch eine gewisse Berühmtheit ge- sichert. Einer der bekanntesten ist das Ancon- oder Otterschaf. Im Anfang des vorigen Jahrhunderts fiel in Nordamerika in einer kleinen y**^ W&j-~- « MF%*F >3 ^H ^k ■fei J wT .'f"*~ ~.'/, B m v jfc * •*-, -^h ■ ] B LA B--^ m ^^»w_ ; 1 Eil C -l Hl a i ' < i III 1 3 E'1 ! ^ e t i Fig. 141. Huf des Einhuferschweins von hinten. Nach v. Dabrowa. Fig. 142. Fußskelett des ge- wöhnlichen links) und Einhufer- schweins. Nach v. Dabrowa. Schafherde, bestehend aus einem Bock und einem Dutzend Lämmern unter lauter normalen Tieren ein männliches Lamm, das durch seinen langen Rücken und seine krummen Beine an einen Dachshund erinnerte. Da die dort gezüchteten Schafe gern ihre Hürden übersprangen, brachte der Farmer Seth Wright diesen Bock zur Fortpflanzung in der Hoff- nung, daraus eine Rasse zu ziehen, der jener Fehler nicht anhaftete. In der Tat waren die Nachkommen, die der Anconbock mit einem ge- wöhnlichen Schaf erzeugte, entweder reine Anconschafe oder solche der Ausgangsrasse, so daß eine reine Anconrasse erhalten werden konnte, — 409 — die sich auch so lange praktisch bewährte, bis ihre Zucht durch Ein- führung der sanftmütigen Merinos überflüssig wurde. Als ein sehr charakteristischer, zu verschiedenen Zeiten aufge- tretener Sport seien sodann die einhufigen Schweine genannt, deren Existenz nach Darwin schon seit Aristoteles bekannt ist, und die seiner Ansicht nach öfters entstanden sind. Sie zeichnen sich dadurch aus, daß die beiden Zehen distal verwachsen sind, wie Fig. 141 im ganzen, Fig. 142 im Skelett, verglichen mit dem normalen Fuß, zeigt, so daß eins der grundlegenden systematischen Merkmale der ganzen Ordnung, die Paarhufigkeit, wenn auch nicht aufgehoben (dazu müßte eine Zehe ausfallen), so doch verschleiert ist. Eine Zeitlang wurden solche Ein- hufersauen lebhaft, gezüchtet, als vor Einführung der Eisenbahnen große Herden weit weggetrieben wurden und sich dabei die Einhufer als bessere Wanderer erwiesen. Sie sollen außerdem auch nicht unter der Klauenseuche leiden. Später gingen die Zuchten wieder ein. Ge- legentlich tritt aber der gleiche Sport wieder auf — wie dies auch von anderen Sprungvariationen des Tier- und Pflanzenreichs bekannt ist — und einen solchen fand im Jahre 1888 der Züchter v. Dunin - Kozicky auf. Er ließ die Sau von einem Yorkshire-Eber bespringen 'und erhielt zu je einer Hälfte Nachkommenschaft genau nach den Eltern. Die Einhufer vererbten ihren Charakter aber rein weiter. Um auch noch einen Fall aus einer ganz anderen Tiergruppe zu erwähnen, sei auf den schwarzschulterigen Pfau hingewiesen, der durch Darwins Mitteilungen berühmt wurde. Diese Vögel unterscheiden sich von dem gemeinen Pfau in der Färbung ihrer Schwungfedern zweiter Reihe, Schulterdeckfedern, Flügeldeckfedern und Schenkel. Darwin kennt 6 Fälle, in denen sie sich plötzlich in Herden gewöhn- licher Pfauen zeigten und sich dann als erblich konstant erwiesen und bemerkt dazu: „Bessere Zeugnisse für das erste Auftreten einer neuen Varietät lassen sich kaum beibringen". Und zum Schluß nun noch einen Fall der Neuzeit, der sich im Gegensatz zu den bisherigen morpho- logischen Befunden auch auf einen physiologischen Charakter bezieht: Arenander berichtete vor kurzem das Auftreten einer Kuh, die nur ein Minimum an magerer Milch lieferte, in einem schwedischen Schlag, der sich durch reichliche, fette Milch auszeichnet. Diese physiologische — 410 — Eigentümlichkeit, die ihr Entdecker selbst als Mutation betrachtet, erwies sich aber als völlig erblich. In der Neuzeit hat man vielfach auch den Begriff der Mutation auf niedere einzellige Organismen, besonders Bakterien und Pilze, an- gewandt. Da es sich hier um „experimentell erzeugte" Mutationen handelt, so werden wir später nochmals auf sie zurückzukommen haben. Hier sei nur bemerkt, daß man zunächst diesen Dingen mit Vorsicht gegenüber treten muß, da es sich bei der Vererbung der betreffenden Veränderungen ja nur um ungeschlechtliche Fortpflanzung handelt. Wir wollen diesen Abschnitt aber nicht beschließen ohne wenigstens mit einem Wort auf die berühmten Knospenvariationen im Pflanzen- reich hingewiesen zu haben. Die Erscheinung, besser als Knospen- mutatipn oder vegetative Mutation (Johannsen) bezeichnet, ist ja bekanntlich bereits von Darwin ausführlich in ihrer Bedeutung ge- würdigt worden. Sie besteht darin, .daß unvermittelt an einem vege- tativen Pflanzenteil eine weitgehende Abänderung eintritt, die sich nun gleich als erblich erweist. Das bekannte Beispiel Darwins ist das plötzliche Auftreten von Nektarinen an Pfirsichbäumen, aus deren Kernen sich nur wieder Nektarinen entwickeln. Wenn man von den Fällen absieht, in denen solche Erscheinungen auf vorhergegangener Bastardierung beruhen und in das Gebiet dessen gehören, was wir früher als Mosaikbastarde kennen lernten, handelt es sich in den zahl- losen verbürgten Fällen wohl meist um Sports, die eben nur vegeta- tiver Natur sind. Im Tierreich ist, auch bei koloniebildenden, knospen- den Tieren nichts Entsprechendes mit Sicherheit bekannt, vielleicht auch unmöglich, da, wie wir später sehen werden, sich ein prinzipieller Unterschied zwischen Tier- und Pflanzenreich in Bezug auf das Ver- hältnis von Körper- und Geschlechtszellen findet. Diese Beispiele mehr oder minder sicherer Mutationen mögen ge- nügen. Überblickt man sie insgesamt und sieht von den zweifelhaften Fällen ab, so ist die Ausbeute keine allzu große. Weitaus am häufig- sten sind Fälle, die man in das Gebiet der pathologischen Bildungen rechnen muß: Dackelbeinigkeit, Kurzsteißigkeit, Polydactylie, Riesen- oder Zwergwuchs und so vieles andere, was Darwin später bestimmte, geradezu das Pathologische als das Charakteristikum der Sports zu — 411 — betrachten. Das was aber nicht als pathologisch betrachtet werden kann, bewegt sich doch auffallenderweise besonders gern in einigen wenigen bestimmten Bahnen: Albinismus und Melanismus bei Tieren, zerschlissene Blätter, Blutfarbe, gefüllte Blüten bei Pflanzen, alles Dinge, denen man nicht gut eine Bedeutung für die Artbildung zuer- kennen kann. So wären diese Erscheinungen wohl auch weiterhin gering geschätzt worden, wenn nicht de Vries in seiner Mutationstheorie dem ganzen Problem eine neue Wendung gegeben hätte. Der ausgezeichnete holländische Botaniker Hugo de Vries fand auf der Suche nach Arten, die sich zur experimentellen Erforschung der Artumwandlung geeignet erwiesen, auf einem verlassenen Kar- toffelacker in der Nähe von Hilversum eine Menge Individuen der Nachtkerze Oenothera Lamarckiana, einer aus Amerika einge- führten Pflanze, die hier aus benachbarten Anlagen verwildert war. Es fiel ihm nun auf, daß die Pflanzen eine besonders starke fluktu- ierende Variabilität, ferner eine große Neigung zu gewissen Abnormitäten, wie Bänderung, zeigten. Im nächsten Jahre 1887 fand er nun unter den gewöhnlichen Formen zwei kleine Gruppen von Individuen, wahr- scheinlich aus dem Samen einer Mutterpflanze hervorgegangen, die sich als selbständige elementare Arten erwiesen. Die eine war besonders kurzgrifflig und wurde brevistylis genannt, die andere hatte glattere Blätter, schmälere Blumenblätter und anderen Habitus als die Stammart und wurde laevifolia genannt. Da die Formen bis dahin unbekannt waren, so regte sich der Verdacht, daß sie durch Mutation neu entstanden sein könnten und sie wurden ebenso wie Aussaaten von der Stammpflanze in Kultur genommen. Eine erste Kultur ging von 9 lamarckiana -Pflanzen aus. Aus ihnen entstanden in den folgenden Generationen neben einer überwiegen- den Anzahl von lamarckiana eine große Zahl von Mutationen, die mehr oder minder weit von der Mutterpflanze abwichen. Nicht alle konnten weiter verfolgt werden, die aber, die weiter gezogen wurden, erwiesen sich sofort als samenbeständig, d. h. sie gaben gleichgestaltete Nachkommen- schaft. Sie wurden dabei stets mit künstlicher Bestäubung unter An- wendung aller Vorsichtsmaßregeln vermehrt. Die folgenden Figg. 143 bis 146 zeigen die Stammpflanze mit einigen ihrer Mutanten. — 412 — Da entstand die 0. gigas, ausgezeichnet durch besonders schönen Wuchs, große Blüten, kurze dicke Früchte, große Samen, in einem einzigen konstant züchtenden Exemplar. Ferner die O. rubrinervis, charakterisiert durch rote Blattnerven und breite rote Streifen auf Kelch und Früchten sowie eine sehr ge- ringe Ausbildung des Bastes, und ebenfalls völlig konstant. Die gleichfalls neu entstandene Ele- mentarart O. oblonga erwies sich nicht minder konstant, gab aber außerdem selbst später an- deren Mutanten den Ursprung. Besonders bemerkenswert ist die Zwerg-Oenothera, O. nanella, die sich von der Stammart im wesentlichen nur durch ihren Zwergwuchs unterscheidet, deren Nachkommenschaft aber diesen Charakter rein erbt. Eine andere Form, 0. lata trat stets nur in weiblichen Exemplaren auf, so daß sie nur mittels einer Kreu- zung weiter fortgepflanzt werden konnte. Es ist dies deshalb be- merkenswert, weil es auch im Tierreich Analogien der rein ein- geschlechtigen Mutation gibt. Und so traten noch viele andere For- men auf, die im einzelnen nicht aufgezählt seien. Die folgende Fig. 146 gibt einen ausgezeichneten Be- griff der Mutabilität, indem sie eine Serie von 11 Mutanten derOenothera lamarckiana als junge Topfpflanzen zeigt, wie sie Mac Dougal in Ame- rika züchtete. Rechts oben ist die Stammpflanze, in den beiden unteren Reihen links sind außerdem Vertreter der Spezies O. biennis abgebildet. Fig- 143- Oenothera lamarckiana. Nach deVries. — 413 In sämtlichen anderen Stämmen, die in Kultur genommen wurden, war der Verlauf ein ähnlicher, es traten bald mehr, bald weniger Mutanten auf, und zwar sowohl solche, die auch schon in der obengenannten Serie aufgetreten wraren, wie neue. Die Art des Auftretens ohne jede Vermittlung, die völlige Konstanz bei weiterer Kultur nach Selbst- bestäubung war immer die gleiche, (von später zu nennenden Aus- nahmen abgesehen), so daß de Vries schließlich über das Wesen der Mutation und ihre Bedeutung für die Bildung neuer Arten zu folgenden Vorstellungen kam: Neue elementare Arten entstehen in der Natur plötzlich und ohne Übergänge. Es ist hierfür, wie für alles Weitere anzunehmen, daß die Verhältnisse in der Natur sich von denen im Versuch nicht unterscheiden, da der Versuch ja nichts anderes darstellt als die Kultur unter Kontrolle. Auch am natürlichen Standort wurden ja ebenfalls die Mutanten angetrof- fen. Sind neue elementare Arten durch Mutation entstanden, so sind sie meist vom ersten Augen- blick an konstant. Nur eine Aus- nahme wurde gefunden, die Oeno- thera scintillans, die in ihrer Nachkommenschaft nur zum Teil scintillans hat, ein Fall, der uns später noch beschäftigen wird, Die neu auftretenden Arten müssen, wie das schon der Paläontologe Scott verlangt hatte, im allgemeinen in einer größeren Zahl von Individuen bzw. innerhalb einer gewissen Periode auftreten, damit es möglich ist, Fig. 144. Mutanten von Oenothera lamarckiana, A O. rubrinervis, Bu. C die zwerghafte O. nanella. Nach de Vries. — 414 daß sie auf die Dauer neben der Stammart bestehen können. Auf die tatsächlichen Zahlenverhältnisse ihres Auftretens werden wir gleich zu sprechen kommen. Die an den Mutanten neu auftretenden Eigen- schaften zeigen zu der individuellen Variabilität keine auffällige Be- ziehung, sie liegen außer- halb ihres Rahmens. Fer- ner umfassen sie alle Or- gane und können in jeder beliebigen Richtung liegen. So werden die Pflanzen stärker oder schwächer, die Blätter breiteroder schma- ler, die Blumen größer und dunkler gelb oder kleiner und blasser, die Früchte länger oder kürzer, die Oberhaut unebener oder glatter und so fort. Diese vielen Eigenschaften sind dabei vom Standpunkt der Zuchtwahl aus keineswegs alle nützlich, vielmehr zum Teil gleichgültig oder un- vorteilhaft. Einige For- men, wie die nur weiblich entstandene lata, sind ja sogar allein gar nicht 'le- bensfähig. Die Zuchtwahl ist also imstande, sofort die ungünstigen Mutanten wieder auszumerzen. Die Art, wie die Mu- tation bei der Oenothera explosionsartig auftritt, während bei allen anderen darauf untersuchten 'Arten nichts derartiges zu finden war, spricht dafür, daß es besondere. Mutationsperioden gibt, die mit Perio- den der Unveränderlichkeit abwechseln. In diesen sammelt sich die Fähigkeit zum Mutieren gewissermaßen auf, eine Prämutationsperiode Fig. 145. Die Mutante Oenothera gigas. Nach de Vries. — 415 — geht der Mutationsperiode vorauf. Mit dieser Annahme läßt sich viel- leicht für die Entstehung der Arten eine viel kürzere Zeit berechnen, als es die Theorie der allmählichen Veränderung nötig hatte. Für die Begründung dieser Anschauungen ist natürlich ein Punkt Fig. 146. Junge Topfpflanzen von Oenothera-Mutanten. Rechts oben die Stammpflanze O. la- marckiana. In der zweituntersten Reihe links die Art O. biennis mit einem Mutanten darunter. Alle übrigen sind Rosetten von Lamarckiana-Mutanten. Nach Mac Dougal, Vail und Shull. — 416 — von besonderer Wichtigkeit, nämlich die Zahl der Mutanten, die im mindesten so groß sein muß, daß sie Aussicht auf Erhaltenbleiben haben. Aus den Erfahrungen der künstlichen Zucht wissen wir, daß dazu im günstigsten Fall nicht viel nötig ist. Haben wir doch eine ganze Anzahl von Haustieren und Kulturpflanzen kennen gelernt, die durch die Zuchtwahl des Menschen aus einem einzigen Sport gezüchtet worden sind. Hier mußte allerdings die Zuchtwahl eine so intensive und geschickte sein, daß es schwer ist, sich vorzustellen, wie sie in der Natur in gleicher Weise sollte wirken können. Delboeuf hat ein Ge- setz aufgestellt, nach dem Mutanten, die in einer bestimmten Anzahl von Individuen auftreten und deren Bildung sich in mehreren Gene- rationen hintereinander wiederholt, sich dauernd gegenüber der Stamm- art vermehren müssen. Es läßt sich aus der Prozentzahl des Mutierens berechnen, nach wieviel Generationen die Zahl der Individuen der neuen Form die der alten erreicht hat. Die Vorausbedingung ist nur die Möglichkeit der freien und normalen Vermehrung und ein neutrales Verhalten gegenüber dem Kampf ums Dasein. Das Gesetz berück- sichtigt allerdings eines nicht, nämlich, daß sich in den meisten Fällen die neuen Mutanten mit der Stammform kreuzen werden und dabei werden bestimmte Zahlenverhältnisse auftreten müssen, die sich ohne weiteres aus den Spaltungsgesetzen ergeben. Aber es läßt sich berechnen, daß auch unter diesen Umständen die Mutation mindestens erhalten bleiben wird. Die eine Bedingung dieses Gesetzes, das regelmäßige Auftreten von Mutanten in aufeinanderfolgenden Generationen trifft nun für die Versuche von de Vries zu, es zeigt sich ebenso auch in den so- gleich zu besprechenden Beobachtungen von Tower am Kolorado- käfer, und auch für die schwarze Mutation der Nonne läßt sich ihr regelmäßiges Auftreten in den Zuchten zeigen. Daß aber auch die andere Bedingung eines einigermaßen regelmäßigen Prozentsatzes von Mutanten zutrifft, geht aus allen vorliegenden Daten hervor. Be- trachten wir uns untenstehenden Stammbaum, den de Vries für die Entstehung von Mutanten unter Angabe der Individuenzahl für die oben erwähnten Nachkommen der 9 in Kultur genommenen Individuen von Oenothera Lamarckiana gibt, so sehen wir, wie in jeder Generation — 417 — eine, wenn auch wechselnde Prozentzahl von neuen Formen gebildet wird. ration Arten Gene gigas albida oblonga rubri- nervis Lamar- ckiana nanella lata scin- tillans VIII 1899 1898 1897 1896 1895 igo/gi 1 5 1 0 1700 21 1 VII 11 9 0 1 3000 11 5 VI 29 3 1 1800 9 1 V 25 135 20 1 8000 49 142 6 IV 15 176 8 1 14000 60 73 1 III ü 1 1 10000 3 3 II 1888/89 15000 I 9 I 1886/87 Es mutierten also von 50 000 Individuen etwa 800, d. h. 1,5 % im Durchschnitt. Die entsprechenden Zahlenangaben von Tower für die oben erwähnten Mutationen der Koloradokäfer, wie sie in der freien Natur aufgefunden wurden, sind: a DJ (3 O Arten Lokalität decem- lineata melani- cum tortuosa minutum pallida imma- culo- thorax albida Massachusetts 1895 Long Island 1899 . I II I II II II I II I II II 25050 21399 I459S 13500 11710 9460 16002 14183 5I42S 29408 1088 1 1 1 • • 1 Maryland 1900 . . . Pennsylvania 1900 . • 8 2 • Illinois 1902/03 . . I 17 2 ' Iz G^oldschmidt, Vererbungswissenschaft. 3. Auf! 27 — 418 — Das Gesamtresultat ist also das Vorhandensein von nur sehr wenigen Sports in der freien Natur, viel weniger als in de Vries Kulturen. Es fanden sich unter 207 891 Individuen 118 Sports, d. h. nur 1 auf 1761. Würde die eine Zählung von Maryland 1900 mit der ungewöhnlich hohen Zahl von 82 Sports fortgelassen, so käme sogar nur 1 auf 5447. Diese Zahlen dürften als Mutationsprozente sicher auch den normalen Verhältnissen, wie sie in der Natur auch bei anderen Arten verwirklicht sind, entsprechen. Tower suchte nun aber auch festzustellen, welche Aussichten diese Sports auf ein Erhaltenbleiben in der Natur haben und führte zu dem Zweck die folgenden interessanten Experimente aus. Von der Mu- tation pallida wurden 10 Männchen und 12 Weibchen mit 15 Pärchen der Stammform decemlineata zusammengebracht. Bei der Kopu- lation traten alle Kombinationen auf, aber 7mal soviel Kopulae zwischen gleichartigen Tieren als Kreuzungen. Die folgende Generation ergab dann 131 J, 11 $ decemlineata, 133 g, 162 $ pallida. Nach der Über- winterung waren davon noch vorhanden 10 <$, 18 $ von decemlineata und 9 <§, 10 $ pallida. Deren Nachkommenschaft ergab dann wieder 80 (J, 106 £ decemlineata und 190 <$, 210 $ pallida. In der folgenden Generation war das Verhältnis schon 211 $, 209 $ decemlineata und 509 S> 54° ? pallida. Die Mutation hatte also tüchtig gegenüber der Stammform zugenommen. Der folgende Winter war nun ein besonders ungünstiger und gefährlicher und ihn überstanden nur 6 <$, 10 $ von decemlineata und 14 <$, 15 $ von pallida, aus deren Vermehrung 314 <$, 301 $ decemlineata und 819 $, 761 $ der Mutation pallida hervorgingen. Die Mutation hatte also auch unter ungünstigen Umständen der Stamm- art gegenüber glänzend bestanden. Theoretisch ist es also sehr gut möglich, daß eine solche Mutation als erfolgreiche Art bestehen bleibt. Tatsächlich' aber hat sich doch die Mutation pallida nirgends in der Natur Geltung verschaffen können. Das kommt wohl daher, daß sie in nur einem Exemplar auf 5000 auftritt. Da sich die Wahrscheinlich- keit der Kreuzung mit der Stammart in obigem Versuch wie 1 : 7 ergab, so ist die Wahrscheinlichkeit ihres Erhaltenbleibens keine sehr große. Sie würde nur steigen, wenn einmal aus besonderen Gründen ungewöhn- lich viele Mutanten entständen. s — 419 — Es gibt aber anderseits aus der Natur eine ganze Anzahl von Bei- spielen dafür, daß eine Mutante, die regelmäßig gebildet wird, sich nicht nur erhält, sondern sogar die Stammart allmählich verdrängt: die melanistischen Formen der Nonne und des Birkenspanners sind die bekannten Beispiele dafür. So sieht also die de Vriessche Mutationstheorie aus. Wir betrachte- ten nun bisher nur die Tatsache der Entstehung der Sports oder Muta- tionen. Ausgerüstet mit der Kenntnis der Vererbungsgesetze müssen wir uns nun sagen, daß die einzige Möglichkeit über Wesen und Be- deutung dieser Mutationen Klarheit zu erhalten, die ist, ihr Erbverhalten zu studieren. Wir wissen bereits, daß dies für die Drosophilamutationen geschehen ist, die nicht nur die größte Zahl bekannt gewordener Muta- tionen in einer Tierart darstellen, sondern auch die genetisch bestanaly- sierten. Wir brauchen diese Mutationen, von denen wir schon soviel hörten, nicht mehr im einzelnen aufzuzählen. Wir erwähnen bloß, daß Baur für Antirrhinum eine der Morgan sehen völlig parallele Mutationsanalyse durchgeführt hat. Wir wissen ferner bereits von jeder einzelnen jener Mutanten, daß sie sich bei Rückkreuzung mit der Stammform als in einem Erbfaktor different erweisen, also mit der Stammform in F2 eine einfache Mendelspaltung geben, wobei die Muta- tion sich als dominant oder rezessiv erweisen kann. Alles, was wir aber über Mutationen ähnlicher Art wissen von Haustieren, Insekten, Pflanzen, stimmt damit überein. Überall beruht die Mutation auf dem Ausfall, der Addition oder der Veränderung eines Erbfaktors. (Auch die er- wähnten Mutationen des Koloradokäfers zeigen das gleiche.) Es besteht somit kein Zweifel über das Wesen dieser jaktoriellen Mutationen. Die genetische Untersuchung der Oenotheramutanten hat aber ge- zeigt, daß sie auf ganz anderem Boden stehen und daß man das, was de Vries bei Oenothera Mutation nannte, völlig von dem trennen muß, was wir bisher als faktorielle Mutation kennen lernten. Ja, es scheint jetzt sogar, als ob die Begründung der Mutationstheorie auf einer irr- tümlichen Interpretation einer verwickelten Erscheinung beruht, sodaß sich die paradoxe Situation ergibt, daß die ziemlich allgemeine Annahme der Mutationstheorie zusammenfällt mit dem Nachweis, daß die Oeno- theramutationen gar keine Mutationen sind. Wir können hier nicht in 27* — 420 — alle Einzelheiten des heute bereits äußerst verwickelten Oenotlierafalles eingehen und heben nur die wichtigsten Punkte hervor. Da sind zunächst ein paar weitere Tatsachen über die Ctenothera- mutation zuzufügen. Es zeigte sich bald, daß die Oenothera lamarckiana keine einheitliche Art ist, sondern, wie so viele andere Tier- und Pflanzen- formen in eine Serie lokaler Rassen zerfällt. Alle diese zeigen; aber auch .die Erscheinung der Mutation und die erzeugten Mutanten sind im wesentlichen die gleichen. Dasselbe gilt aber auch für verwandte Arten aus der Gattung Onagra (Oenothera), die untersucht wurden. Alle "bildeten in ähnlicher Weise wie lamarckiana Mutanten, und unter den Mutationen finden sich gewisse, wie der Riesentyp (gigas) und der Zwerg- typ (nanella) in gleicherweise bei mehreren Arten. (Parallelmutationen.) So wurde die Gigasf orm erhalten von den Spezies lamarckiana, stenomeres, Reynoldi, grandiflora, biennis. Die Erscheinung der Mutation ist also sichtlich eine Eigentümlichkeit der ganze Gruppe. Aber noch eine andere Eigenheit ist der Gruppe gemeinsam, nämlich daß die Pflanzen einen sehr hohen Prozentsatz unfruchtbaren Pollens produzieren und daß die Keimung der Samen ebenfalls recht unregelmäßig ist. Dies ist ein sehr bemerkenswerter Punkt, da solche Sterilität oder partielle Steri- lität sonst für Bastarde zwischen entfernten Arten charakteristisch ist. Ein zweiter Punkt von Wichtigkeit ist das Verhalten der Oenothera- mutanten bei Reinzucht. Einige der Mutanten wie gigas, nanella, oblonga züchten sogleich rein weiter. Aber auch sie geben ebenso wie die Stammart wieder anderen Mutanten Ursprung. So gibt die Riesen- form gelegentlich die Zwergform ab, die den nanella-Charakter mit dem anderer Mutationen als Doppelmutanten verbinden, z. B. die nanella- lata, nanella -oblonga, nanella- albida, nanella-scintillans. Die rein züchtende oblonga erzeugt aber gelegentlich die Mutanten alba, elliptica, rubrinervis. Diesen fast konstanten Mutanten stehen nun aber solche gegenüber, die wie lata, scintillans, elliptica, sublinearis, immer einen gewissen, meist sehr hohen Prozentsatz von lamarckiana und anderen Typen erzeugen. So gibt scintillans, wenn selbstbestäubt, neben scin- tillans noch Lamarckiana und oblonga in verschiedenen Zahlenverhält- nissen. Lata ist im männlichen Geschlecht steril, aber aus Bastardie- rungen können auch fruchtbare Individuen extrahiert werden und diese — m — erzeugen wieder lamarckiana neben lata und Mutanten. Elliptica gibt in ihrer Nachkommenschaft nur einen geringen Prozentsatz von seines- gleichen neben lamarckiana, und subiinearis neben lamarckiana noch 7 andere Typen. All dies unterscheidet natürlich die de Vriesschen Mutationen prinzipiell von den faktoriellen Mutationen, die wir früher kennen lernten. Bei jenen faktoriellen Mutationen ergab nun die Kreuzung der Mu- tante mit der Stammart ein einfaches Mendelsches Verhalten. Wie steht es in dieser Beziehung mit den de Vriesschen Mutationen? Bei Kreu- zung dieser Mutanten mit der Stammform kann man mindestens drei verschiedene Arten von Verhalten feststellen. Einige wenige der Mu- tanten verhalten sich wie f aktorielle Mutanten, sind also dominant oder rezessiv; in Fx und F2 tritt eine Spaltung ein. Wenn auch die Spaltungs- zahlen nicht mit Mendelscheri Erwartungen übereinzustimmen scheinen, so ist es doch immerhin ein annähernd Mendelsches Verhalten. Dies trifft für die Mutanten rubricalyx und brevistylis zu. Die zweite Gruppe zeigt bereits in Fj eine Spaltung und F2 ist konstant oder teilweise so. So gibt die Kreuzung lamarckiana mit nanella beide Typen wieder in F1 und in F2 züchtet lamarckiana rein, nanella spaltet wieder. Lamarcki- ana mit rubrinervis gekreuzt gibt wieder in Fx lamarckiana und eine Zwischenform subrobusta; letztere spaltet in F2 wieder rubrinervis ab, die konstant züchtet. Aus der Kreuzung lata mit lamarckiana gehen ebenfalls in F1 beide Formen hervor und zwar hauptsächlich Lamarckiana. Das ist also ein Verhalten, das vom mendelnden Typ durchaus verschieden ist. Als dritte Gruppe kann die meist sterile Kreuzung lamarckiana mit gigas genannt werden, die einen intermediären Bastard ergibt, der ungefähr konstant weiterzüchten soll. Ein im Prinzip recht analoges Verhalten wird gefunden, wenn die Mutanten miteinander gekreuzt werden. So gibt die Kreuzung nanella x lata in Fx die 3 Formen lata, nanella und lamarckiana. Die Kreuzung rubrinervis mit nanella gibt in Fx lamarckiana und subrobusta. Erstere bleibt in F± konstant, letztere spaltet in subrobusta, rubrinervis und nanella. All das zeigt zweifellos ein nicht typisch mendelndes Verhalten, auf ■ der andern Seite doch eine gewisse Ordnung in der Unregelmäßigkeit. — 422 — Dieser Eindruck wird noch erhöht durch das ganz absonderliche Ver- halten der Speziesbastarde zwischen verschiedenen wilden Oenothera- arten. Auch da können wir drei besonders wichtige Typen nennen. Da sind einmal Kreuzungen mit Oe. hookeri x strigosa, die einen inter- mediären Bastard ergeben, der konstant weiterzüchtet. Ganz sonderbar ist die zweite Gruppe, die die Kreuzung zahlreicher Arten mit Lamarcki- ana betrifft, wobei die Zwillingsbastarde laeta und velutina erzeugt werden mit im einzelnen mancherlei Varianten. So entstehen aus der Kreuzung von Oe. Hookeri x lamarckiana die beiden Zwillinge laeta und velutina in Fx, von denen velutina reinzüchtet und laeta wieder in laeta und velutina spaltet. Dies trifft für die reziproken Kreuzungen zu. Bei der Kombination von Oe. biennis x lamarckiana werden aber die Zwillinge nur dann in F1 erzeugt, wenn lamarckiana als Pollenpflanze benutzt wird. Die Zwillinge aber züchten rein weiter. Das weitere Verhalten der Zwillinge ist aber ebenso regelmäßig wie merk- würdig: laeta $ x velutina $ gibt wieder beide Typen, dagegen velu- tina £ x laeta £ nur laeta. Wird biennis mit laeta rückgekreuzt, so entstehen nur laeta, wird sie mit velutina rückgekreuzt, nur velutina. Die dritte Gruppe ist endlich die merkwürdigste von allen. Sie betrifft Kreuzungen von biennis x muricata und ähnliche. Hier ist Fx immer patroklin und in F2 entsteht nur eine der beiden Elternformen rein in folgender Weise: Wenn wir biennis mit B bezeichnen und muricata mit M und stets die Mutterpflanze der Bastardierung voranstellen, so ergibt: B X M muricata-ähnlicher Bastard F2 [B X M) X [B X M) desgl. züchtet ebenso weiter. My^B biennis- ähnlicher Bastard Fs(^X B) X (MXB) desgl. züchtet ebenso weiter, doppelreziproker Bastard (ü/X B) X [Byt^M) rein muricata, züchtet rein, doppelreziproker Bastard (B~X_JI) X [Sfy^B] rein biennis, züchtet rein. Dies Verhalten steht bis jetzt im Organismenreich einzig da. Endlich muß noch erwähnt werden, daß auch Oenotheraspezieskreuzungen be- schrieben sind (grandiflora x franciscana) bei denen viele Formen in F2 auftreten nach Art einer komplizierten Mendelspaltung. Dies ist also eine Auswahl aus den wichtigsten Tatsachen in Bezug auf das Erbverhalten der Oenotheramutanten und es sei zugefügt, daß — 423 — die meisten Daten ebenfalls von de Vries stammen. Dazu kommen Arbeiten von Bartlett, Davis, Mc. Dougal, Heribert-Nilsson, Honing, Lutz, Renner, Schouten> Shull, Stomps u. a. Eines geht wohl ohne weiteres daraus hervor, nämlich, daß der Oenotherafall alles eher wie einfach liegt. Schon bald nach Entdeckung dieser Muta- tionen sprachen nun Bateson und Lotsy die Meinung aus, daß die Oenothera lamarckiana ein kompliziert spaltender Bastard ist. In- zwischen ist aber gezeigt worden, daß de Vries' lamarckiana von wild- wachsenden Formen abstammen und da auch andere Oenotheraspezies an ihrem natürlichen Habitat mutieren, so könnte es sich also nur um in freier Natur gebildete Bastarde handeln. Es fragt sich nun, wie im einzelnen die Tatsachen sich zu dieser Idee verhalten. Da ist zunächst die Möglichkeit gegeben, daß es sich um relativ ein- fache Rekombinationen zahlreicher mendelnder Faktoren handelt, die Mutanten also gelegentlich herausmendelnde Rekombinationen sind. Lotsy wies darauf hin, daß nach Kreuzung von Antirrhinumspezies Bastarde erhalten werden können, die ein solches Verhalten zeigen. Den umgekehrten Weg schlug Davis ein, der durch Kreuzung von biennis und grandiflora die Form lamarckiana aufzubauen suchte, und auch ähnliche Formen erhielt. Als analoges Experiment im Tierreich, das zum Vergleich herangezogen werden könnte, sei folgender Versuch Towers erwähnt. Er brachte u. a. eine gleiche Anzahl von Koloradokäfern der 3 Spezies decemlineata, oblongata und multitaeniata auf eine isolierte Insel in Mexiko, an welcher Lokalität die sonst in diesem Gebiet hei- mischen oblongata fehlten. Dort überließ er sie sich selbst und der Kreuzung. In der ersten Generation konnte er dann 5 Typen (A—E) feststellen, nämlich die drei Ausgangsformen A— C und Mittelformen zwischen decemlineata einerseits und andererseits oblongata (D), bzw. multitaeniata (E). Die Mittelformen zwischen decemlineata und oblon- gata (D) überwogen stark, wie folgende Zahlen zeigen: A B C D E 327 371 142 1439 246 Schon in der 4. Generation zeigten sich nun vorzugsweise Formen, die aus den beiden Arten von Mittelformen D + E kombiniert waren, — 424 — nnd in der 5. Bastardgeneration waren diese Formen D + E ausschließ- lich in der Zahl von 1877 Tieren vorhanden. Diese wurden dann nach Chicago genommen und weiter untersucht und pflanzten sich nun völlig rein fort. Aber in ihrer Nachkommenschaft traten immer bis 2—3 % Formen auf, welche sich ebenso wie Mutanten weit vom Mittel der Population entfernten und auch in bezug auf Erblichkeit verhielten. Tower findet aber, daß sie nichts Neues darstellen, sondern eine Ab- spaltung von bei der Bastardierung eingeführten Charakteren. Diesen mehr allgemein gehaltenen Versuchen schließt sich der Ver- such Heribert -Nilssons an, eine genaue Erklärung dieser Art zu geben. Er geht von den Tatsachen der Variabilität aus und von dem Verhalten quantitativer Merkmale bei der Bastardierung, das wir früher ja genau kennen gelernt haben. Er stellt zunächst fest, daß die meisten Merk- male, die die Mutanten von der Stammart unterscheiden, quantitativer Natur sind und bei jener nur extreme Zustände einer Variationsreihe darstellen. Betrachtet man nun die gleichen Eigenschaften innerhalb der Stammart, so kann man auch hier schon erblich verschiedenartige Linien isolieren. Da nun die Oenothera eine allogame, durch Insekten bestäubte Pflanze ist, so tritt eine dauernde Neu- und Umkombination dieser selbständigen quantitativen Faktoren ein. Es wird nun nach dem, was wir bereits früher kennen lernten, relativ selten vorkommen, daß die Kombinationen mit zahlreichen gleichsinnigen Faktoren vorkommen. Nehmen wir etwa an, sehr lange Früchte entständen durch das Zusammen- wirken von 5 Längefaktoren ABCDE, so werden in solchen immer wieder sich wechselseitig befruchtenden Populationen stets alle möglichen Kombinationen vorhanden sein wie ABede, AbcDe usw., die ganze Kom- bination ABCDE wird aber sehr selten sein. Erscheint sie aber plötzlich, so scheint eine Mutation vorzuliegen. Daß diese dann einigermaßen rein züchtet, ist erklärlich, da bei solchen Kombinationsreihen quantita- tiver Faktoren die extremsten Glieder immer die am meisten homozy- goten sind (s. die früheren Erörterungen über Nilsson-Ehles Prinzip). Es wäre somit die Oenothera in keiner Weise von irgendeiner anderen stark polymorphen Art unterschieden und die Mutationserscheinung in eine Rekombination einer Reihe vorzugsweise quantitativ wirkender mendelnder Faktoren . aufgelöst. — 425 — Diese Versuche, so wahrscheinlich sie klingen, wenn allgemein be- trachtet, scheitern aber alle, wenn sie auf den konkreten Fall im einzelnen angewandt werden. Da die Mutanten sich von der Stammart immer in nahezu sämtlichen Körpereigenschaften unterscheiden, so müßte es sich um Rekombination sehr vieler Faktoren handeln. Dann wäre aber das relativ einfache Verhalten bei Kreuzungen von Mutante mit Stammart wie mit Mutanten inter se nicht verständlich, gar nicht von den Spezies- kreuzungen zu reden, deren Besonderheiten sichtlich denen der Muta- tionskreuzungen verwandt sind. Wenn also eine vorausgegangene Bastardierung für das Mutationsphänomen verantwortlich sein soll, so muß doch noch etwas anderes vorliegen als eine gewöhnliche Mendel- sche Rekombination. Wir haben uns nun bisher noch gar nicht um die Chromosomen- verhältnisse der Oenothera bekümmert und müssen nunmehr diesen wichtigen Punkt betrachten. Die typische Chromosomenzahl der Gruppe ist' 14, also 7 in reduziertem Zustand. Da ist nun die erste bedeutungs- volle Tatsache die, daß die Mutation gigas 28 Chromosomen besitzt. Wenn, wie üblich, die reduzierte Chromosomenzahl haploid genannt wird, die Normalzahl diploid, dann ist diese Mutation tetraploid. Mit der verdoppelten Chromosomenzahl geht eine erhöhte Zellgröße Hand in Hand und es muß zugefügt werden, daß auch sonst im Pflanzenreich tetraploide Riesenformen existieren. Bei der Entstehung der gigas muß also sich ein Ei und ein Pollenkern vereinigt haben, die beide keine Reduktionsteilung erfuhren oder eine abnorme Teilung, sodaß die diploide Chromosomenzahl erhalten bliebt. Daß tatsächlich die Riesenform eine Konsequenz solcher Chromosomenverdoppelung ist, kann heute keinem Zweifel mehr unterliegen. Denn Winkler gelang es durch Erzeugung von Adventivsprossen an Pfropfungsstellen von Solanum experimentell tetraploide Formen hervorzurufen, die tatsächlich dann gigas-Charakter hatten. Ist dies nun der Fall, dann müssen auch Kombinationen zwischen diploiden und haploiden Gameten vorkommen, die also die Chromosomen- zahl 21 besitzen. Tatsächlich gibt es eine Mutation semigigas mit 21 Chromosomen; ferner treten bei Kreuzungen von lamarckiana oder deren Mutationen mit cruciata oder muricata als Pollenpflanze etwa 3 % Formen auf, die als hero bezeichnet werden und auch 21 Chromo- — 426 — somen besitzen. Die nächste wichtige Tatsache ist, daß die Form lata 15 Chromosomen hat, also eine ungerade Zahl. Sie bildet, wie es scheint, in unregelmäßiger Weise, zwei Sorten von Gameten, solche mit 8, und solche mit 7 Chromosomen. So erklärt sich, daß die Rückkreuzung mit lamarckiana lamarckiana und lata ergibt, erstere aus Gameten mit 7 + 7 Chromosomen, letztere aus der Kombination 8 + 7 Chromo- somen. Neue Unregelmäßigkeiten treten zutage, wenn lata mit gigas gekreuzt wird. Dabei fanden sich viele verschiedene Formen mit Chromosomenzahlen von 14—30, darunter auch lata mit 15. Es müssen also in diesem Fall weitere Unregelmäßigkeiten bei der Chromosomen- bildung statthaben. Schließlich ist auch für die nie rein züchtende Mu- tation scintillans nachgewiesen worden, daß sie unregelmäßige Chromo- somenzahl (13—21) besitzt, daß aber 15 am häufigsten vorkommt. Es werden also wieder zwei Sorten von Gameten gebildet, solche mit 8, und solche mit 7 Chromosomen und deren Kombination ergibt drei Formen, lamarckiana mit 14, scintillans mit 15, oblonga mit 16. Halten wir nun die genannten Tatsachen zusammen mit der einzig dastehenden Absonderlichkeit der experimentellen Resultate, so möchte es scheinen, daß wenigstens ein gewisser Teill der Resultate seine Er- klärung dadurch findet, daß wir in den Oenotheren Arten mit gestörtem Chromosomenmechanismus zu sehen haben. Ob diese Störung nun ein physiologischer Zustand ist oder das Resultat einer früheren Artbastar- dierung, läßt sich zunächst nicht entscheiden. Die Störung dürfte darin bestehen, daß das Konjugieren homologer Chromosome wie ihre Verteilung in der Reifeteilung regellos geworden ist. Homologe Chromo- somen weichen nicht auseinander, ähnlich wie bei den Geschlechts- chromosomen in dem früher besprochenen Drosophilafall und es ent- stehen Gameten mit mehr als 7 Chromosomen. Die gesamte Reduktion fällt aus und es entstehen diploide Gameten. Nicht homologe Chromo- somen konjugieren und es entstehen Gameten, die bestimmte Chromo- somen mehrfach besitzen, andere gar nicht. Chromosomen mögen sogar in Teilstücke zerfallen und dadurch abnorm verteilt werden. Es ist klar, daß auf solche Weise einmal solche komplizierte Mutanten entstehen können, wie Oenothera es zeigt, anderenteil zahllose Kombinationen erzeugt werden, die lebensunfähig sind. — 427 — Diese zytologische Seite des Problems kommt aber wohl nur für Teilfragen in Betracht. Das Hauptproblem, was ist die Mutation der Oenotheren, scheint wenigstens in großen Zügen jetzt auf andere Weise seine Lösung gefunden zu haben, vor allem durch Renners hervor- ragende Arbeiten. Renner ging von der Tatsache aus, daß Oenothera lamarckiana wie andere Oenotheren zahlreiche taube Samen produzieren. Unter ihnen finden sich nun solche, die zwar befruchtet sind, aber dann zugrunde gehen. Auf Grund der in den vorigen Vorlesungen gewonnenen Kenntnisse denken wir natürlich sogleich an Lethalfaktoren und Prohi- bition. Diese tauben Samen finden sich zu etwa 50 % nur in ganz be- stimmten Arten und Kreuzungskombinationen. Wir erinnern uns nun daran, daß Oe. lamarckiana in Artkreuzungen die Zwillingsbastarde laeta und velutina lieferte. Renner schließt nun, daß sich in der lamarckiana zwei Komplexe in ständig heterozygotem Zustand befinden; der eine vererbt den laeta-Charakter und wird gaudens genannt, der andere vererbt den velutina-Charakter und wird velans genannt. Diese beiden Komplexe verhalten sich aber so, daß sie im homozygoten Zustand nicht lebensfähig sind. Lamarckiana produziert also ständig gaudens und velans-Gameten, aber die Kombinationen gaudens-gaudens und velans-velans sind nicht lebensfähig; so bleibt lamarckiana immer komplex heterozygot. Wird sie aber mit einer anderen Art gekreuzt, so spaltet der gaudens- und velans-Komplex heraus. Aus dieser An- nahme lassen sich nun die Erwartungen für zahlreiche Kreuzungen ableiten und sie finden sich auch erfüllt. In gleicher Weise wird nun für andere Arten ihr komplex-heterozygoter Charakter festgestellt: so hat Oe. biennis die Komplexe albicans und rubens, Oe. muricata rigens und curvans und jeder solche Komplex prägt dem Kreuzungs- produkt seinen Charakter auf. Zu der Unmöglichkeit des Bestehens der homozygoten Komplexe kommt nun noch eine weitere Erscheinung hinzu. Wir erwähnten vorher die eigenartigen Resultate der Kreuzung Oe. biennis x muricata. De Vries hatte sie mit der Annahme zu er- klären versucht, daß diese Arten heterogam sind, d. h., daß Eier und Pollen verschiedenartige Eigenschaften übertragen. Wir hatten nun in einem anderen, mit Hilfe der Heterogamie interpretierten Fall, der Vererbung gefüllter Levkojenrassen (s. o.) gezeigt, daß die Tatsachen — 428 — durch die Annahme eines Lethalfaktors erklärt werden, dessen Anwesen- heit die Pollenkörner, die ihn erhalten, lebensunfähig macht, eine An- nahme, die von Frost bestätigt wurde. Ganz entsprechend wird nun angenommen, daß z. B. bei Oe. biennis der albicans-Komplex die Pollen- körner tötet, sodaß zwar stets Eier albicans und rubens gebildet werden, aber nur Pollen rubens. Bei biennis Chicago und muricata aber ist der eine Komplex für die Eier, der andere für die Pollen tödlich, sodaß nur je eine Sorte Eier und die andere Sorte Pollen gebildet wird. Diese Er- scheinung aber zusammen mit der vorher besprochenen der Unmöglich- keit der homozygoten Komplexe erklärt die Kreuzungserscheinungen. Dies im einzelnen auszuführen, würde aber zu weit führen. Welches sind nun die Konsequenzen für den Oenotherafall? Nach Renner ist Oenothera lamarckiana das Endprodukt einer Artkreuzung, die schließlich in der Komplexheterozygotie Stabilität gefunden hat, indem die ursprünglichen Komplexe so verändert wurden, daß sie schließlich homozygot nicht mehr lebensfähig waren. Die Mutationen aber beruhen auf gelegentlichem Austausch und Abspaltung von Fak- toren aus den Komplexen. Wie schon gesagt, scheint uns Renner in den großen Zügen damit den Kernpunkt des Oenotherafalls getroffen zu haben. Es ist nur noch fraglich, wie man sich nun im Einzelnen die Komplexheterozygotie und die Unmöglichkeit der Homozygoten (nicht nur der reinen Rezessiven wie bei den früher betrachteten Fällen von Lethalfaktoren) vorstellen soll. In neuester Zeit ist nun von Muller ein Drosophila-Experiment analysiert worden, bei dem es sich zeigte, daß besondere Situationen in bezug auf Lethalfaktoren einen Zustand hervorbringen können, der zu Erscheinungen führt, die dem Oenotherafall parallel sind. Muller zeigte, daß der dominante Faktor für eine gewisse Flügelmutation bei Drosophila als Lethalfaktor wirkt, wenn er homozygot ist. Das ab- sonderliche Verhalten dieser Mutation in den Zuchten erklärte sich nun durch die Koppelungsanalyse, die in der uns bekannten Weise durch Versuche mit Faktoren, deren Lage im gleichen Chromosom bekannt war, durchgeführt wurde. Es zeigte sich, daß an einer Stelle, die sehr nahe der des dominant-lethalen Faktors liegt, im homologen Chromosom ein rezessiver Lethalfaktor liegt, der ebenfalls lethalist, wenn homozygot. — 429 — Muller nennt das einen Fall balancierter Lethalfaktoren. Die Balance besteht darin, daß jede Kombination, die einen der beiden Lethalfaktoren homozygot enthält, unmöglich ist, sodaß immer wieder die gleiche Faktorenkonstitutioh mit den beiden heterozygoten Faktoren in den homologen Chromosomen erhalten bleibt. Das folgende Schema der beiden Chromosome erläutert die Situation. Der dominante (mit der Mutation verbundene) Lethalfaktor und der rezessive heißen D und r und es sind als weitere Faktoren noch x, y, z zugefügt. D D D d d d R R R r r r X X X X X X Y Y • Y y y y Z Z Z z z z Da DD wie dd lethal sind, so bleibt immer nur die heterozygote Form b erhalten. Diese Heterozygotie erstreckt sich natürlich auch auf alle anderen Faktoren, die im gleichen Chromosomenpaar different sind. Tritt aber zwischen diesen Faktoren ein Faktorenaustausch ein, so er- scheint gelegentlich eine Neukombination, genau wie die Oenothera- mutanten erscheinen. Wenn im Schema z. B. Y — y ausgetauscht werden, so gibt es Gameten, die im Chromosom, das D enthält, y be- sitzen. Bei der Befruchtung mit dem ^-Chromosom, das ja auch y hat, entsteht die neue rezessive Austauschklasse yy. Mit Mullers Worten: „Die Majorität der sogenannten Mutanten (von Oenothera) bestände also aus Faktorenaustauschklassen, insofern als rezessive Faktoren, die vorher durch ihre Koppelung mit einem Lethalfaktor heterozygot gehalten worden waren, durch den Faktorenaustausch ihre Fesseln sprengten und so in den Stand gesetzt wurden, homozygot und dabei sichtbar zu werden." Es ist leicht aus dem Chromosomenschema ab- zuleiten, daß eine solche Form bei Kreuzung mit Rassen ohne Lethal- faktoren zwei Typen (Zwillingsbastarde) in Fx gibt, und noch manche andere Besonderheit der Mutationskreuzungen läßt sich so imitieren. Zweifellos kann eine Kombination dieser Idee mit der der Renner - sehen Komplexheterozygotie manche Schwierigkeit aus dem Weg räumen. — 430 — Vielleicht ist dies noch mehr der Fall, wenn man die gesamte Situation sich in bezug auf die Chromosomen vorstellt . Goodspeed und C 1 a u s e n haben darauf hingewiesen, daß manche Erscheinungen bei der Kreuzung von Speziesbastarden sich durch die Annahme unverträglicher Reak- tionssysteme erkläre. Wenn etwa jede der Elternformen 7 Chromosomen in die Kreuzung einführt, so wären von all den Rekombinationen dieser 7 Paare nur diejenigen lebensfähig, die die Mehrzahl ihrer Chromosomen- paare von nur einem der Eltern erhielten. So können wir uns nun vor- stellen, daß aus einer Oenotheraspezieskreuzung Formen herausspalteten, die von ihren 14 Chromosomen 12 (6 Paare) der einen Stammform ent- hielten, das 7. Paar aber je von beiden Stammeltern. Wenn in diesem Paar nun sich balancierte Lethalfaktoran finden, so ist bereits der ge- wünschte Zustand gegeben. Wie aber mitder,,Komplex"-Heterozygotie? Die Notwendigkeit, mit Komplexen und nicht etwa mit Einzelfaktoren bei Oenothera zu arbeiten, ergab sich für Renner daraus, daß die Spaltung sich nicht auf Einzeleigenschaften bezieht, sondern auf den ganzen Typus; ferner daraus, daß innerhalb des Komplexes nach Renner noch Spaltung nach Einzeleigenschaften stattfindet. Man sollte da vielleicht darauf aufmerksam machen, daß wir einen Erbfaktor kennen, der den ganzen Typ beeinflußt, den Geschlechtsfaktor. Wenn also in dem heterozygoten Chromosomenpaar sich außer den Lethalf aktoren noch ein Faktorenpaar findet, das physiologisch ebenso wie die Geschlechtsfaktoren beschaffen ist, also den ganzen Typus beeinflussen (der gaudens-velans- usw. Faktor), so benötigen wir keinen Komplex, dessen Entstehung zu erklären, große Schv/ierigkeiten bereitet, sondern kommen mit einem Faktorenpaar aus. Eine Spaltung im Rahmen des Komplexes nach Kreuzung ist eine Spal- tung durch die anderen Chromosomen vergleichbar der Spaltung soma- tischer Charaktere innerhalb eines Geschlechtes. Ist das heterozygote Chromosomenpaar bei zwei Arten ein verschiedenes, so kann eine dihy- bride Spaltung in Bezug auf die „Komplexe" eintreten. Mutation aber ist, wenn es nicht gewöhnliche Faktorenmutation ist, die Folge von Faktorenaustausch. Dies alles aber sind Punkte, die der experimentellen Inangriffnahme zugänglich sind. So scheint denn tatsächlich das Oeno- theraproblem sich allmählich zu klären; die Erscheinungen sind Kon- sequenzen der physiologischen und zellulären Besonderheiten von — 431 — Spezieskreuzungen. Wenn somit ihre Bedeutung wahrscheinlich nicht auf dem Gebiet der Artbildung liegt, so werden sie vielleicht eine umso größere Bedeutung für die mendelistische Vererbungslehre erlangen. Es soll aber auch nicht geläugnet werden, daß im Pflanzenreich wenigstens die Bildung von Kleinarten bei stark variablen Formen bisweilen durch de Vries'sche Mutation nach Spezieskreuzung statt- finden kann, wie es wohl von Baur, Davis, Heribert-Nilsson, Lotsy angenommen wird. Blicken wir nun noch einmal zurück auf das Mutationsphänomen und seine Bedeutung für die Evolution. Da haben wir zunächst die Gruppe der faktoriellen Mutationen. In der Sprache der presence- absence-Theorie bedeuten sie Neuerscheinen oder Ausfallen eines men- delnden Faktors; in der Sprache der Chromosomentheorie bedeuten sie Veränderungen an einer bestimmten Stelle eines Chromosoms, die das Neuerscheinen einer dominanten oder rezessiven Eigenschaft be- dingen. An dem tatsächlichen Vorkommen dieser faktoriellen Mutation kann wohl kein Zweifel herrschen, denn hunderte von ihnen sind bereits analysiert. Betrachten wir sie nun, so zeigt sich, daß die überwiegende Zahl dieser Mutanten rezessiv ist, Ausfallmutanten in der mendelistischen Ausdrucksweise. Dominante Mutationen sind relativ selten und dann scheinen sie noch oft mit Lethalfaktoren gekoppelt zu sein resp. selbst in homozygotem Zustand lethal zu sein. Muller glaubt sogar, daß alle dominanten Mutanten von Drosophila in homozygotem Zustand lethal sind. Betrachten wir nun die durch faktorielle Mutation hervorge- brachten Eigenschaften. Je mehr von ihnen bekannt werden, umso mehr wird Darwins Regel bestätigt, daß sie meist mehr oder minder pathologischer oder abnormer Natur sind, die in der Natur schnell von der Zuchtwahl ausgemerzt würden. Man kann auch kaum sagen, daß die faktoriellen Mutationen in der Richtung der Artdifferenzierung liegen. Sie führen zu nichts Neuem, sondern variieren das Alte. Systema- tiker erklären denn auch, daß man tausend Jahre lang Drosophila- Mutationen züchten könne, ohne je eine neue Art zu erhalten. Es scheint uns denn (im Gegensatz zu den meisten mendelistischen Biologen), daß die faktorielle Mutation im besten Fall eine sehr geringe Rolle bei der Evolution spielt. — 432 — Die zweite Gruppe von erblichen Veränderungen des Keimplasmas sind die Bastardierungsrekombinationen von Faktoren. Wir wiesen schon früher darauf hin, daß uns eine Evolution durch Bastardierung nicht vorstellbar erscheint. Als dritte Gruppe haben wir die de Vriesschen Mutationen. Eine Vorstellung über ihren Anteil an der Evolution zu entwickeln, ist sehr schwer. Man kann es natürlich nicht ausschließen, daß sie auch zu einer Artbildung führen können, also Artbildung durch Speziesbastardierung. Es erscheint uns aber sehr fraglich, ob ein solcher Vorgang nicht zum mindesten recht isoliert dasteht, vor allem auf das Pflanzenreich be- schränkt ist. Endlich müssen wir auf unsere frühere Besprechung der Quantität der Erbfaktoren hinweisen. Man kann natürlich eine minimale Quan- titätsänderung eines Faktors auch Mutation nennen, wenn man jede Veränderung am Gen, groß oder klein, plötzlich oder fluktuierend, so nennt. Wir glauben, wieder im Gegensatz zu dem orthodoxen Mendelis- mus, daß sie den Ausgangspunkt für die wirklichen fortschrittlichen Veränderungen in der Evolution und für die Entstehung der Anpassungen darstellen. Doch ist hier nicht der Ort für solche theoretischen Dis- kussionen. Wir vermieden es bisher vollständig, auf die Ursache der Mutation einzugehen. Tatsächlich ist das bis jetzt ein völlig dunkles Gebiet und die wenigen Versuche, die gemacht wurden, es aufzuhellen, können als nicht sehr beweiskräftig bezeichnet werden. Es ist oft darauf hingewiesen worden, daß in der Natur das häufigere Auftreten bekannter Mutationen in Jahren abnormer Hitze, Kälte, Feuchtigkeit beobachtet wurde. (Simrock u. a.) So liegt die Idee nahe, äußere Ursachen als den Reiz für die Auslösung der Mutation anzusprechen. Die experimentellen Versuche in dieser Richtung sind aber noch nicht von viel Erfolg gekrönt worden. Die Deutung einiger positiver Befunde, die bei Oenothera durch Einspritzung von Salzlösungen in die Geschlechtsorgane (Mc. Dou - gäl) oder bei Oenothera und Drosophila durch Radiumbestrahlung (Guyer, Morgan) erhalten wurden, ist recht zweifelhaft. Towers Erzeugung von Mutanten des Koloradokäfers im Temperaturexperiment konnte bisher noch nicht an genetisch vorher analysiertem Material — 433 — bestätigt werden. So können wir vor der Hand nur feststellen, daß wir nichts über die Ursache der Mutation wissen, mit Ausnahme des be- sprochenen Falles der Riesenmutanten, die ja Win kl er durch experimen- telle Verdoppelung der Chromosomenzahl hervorbrachte. Literatur zur sechzehnten Vorlesung. Aren an der, E. O., Eine Mutation bei der Fjellrasse (Kularasse) . Jahrb. f. wissensch. u. prakt. Tierzucht. 3. 1908. Bartlett, H. H., The mutations of Oenothera stenomeres. Amer. Journ. Bot. 2. 1915. 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Die Kenntnis der Bastardierungsgesetze und der Mutationstat- sachen führte in Übereinstimmung mit den vorher abgeleiteten Ideen über Modifikation und Selektion in reinen Linien zu der Überzeugung, daß neue Eigenschaften als plötzliche Veränderungen in der faktoriellen Zusammensetzung der Erbmasse auftreten. Da die Erbmasse, die geno- typische Beschaffenheit, völlig unabhängig ist von dem was an der äußeren Körperbeschaffenheit, dem Phänotypus, sich ereignet, so müssen alle die Reaktionen des Körpers auf die umgebende Außenwelt, die wir als Modifikationen kennen lernten, völlig bedeutungslos für das Evo- lutionsproblem sein. Was auch die Ursache der Veränderung sein mag, sie hat nichts mit der Modifikation des Körpers durch die Einflüsse der Außenwelt zu tun. Die Wirkung der äußeren Bedingungen scheidet also als die schaffende Kraft aus dem Evolutionsproblem aus, sie kommt nur als ausmerzende Kraft für lebensunfähige Variationen (Mutationen) in Betracht. Diese Schlußfolgerung ist natürlich sehr verschieden von der Vorstellung, die die Begründer der Abstammungslehre sich gebildet hatten. Da ist es zunächst von Interesse zu sehen, wie Darwin sich zu diesem Problem stellte. Darwin war sich, besonders in jungen Jahren, völlig im klaren über die Bedeutung der Mutationen, der Sports für die Artbildung. Aber auch in bezug auf diea Vriation machte er, wenigstens in jungen Jahren, nicht den Fehler, der ihm so oft vorgewerfen wird. Wenn ihm auch noch die exakte Kenntnis der fluktuierenden Variabilität im Quetelet -Galtonschen Sinn fehlte, und wenn er vielleicht auch später die nicht erblichen Glieder der Variabilität zu wenig berück- sichtigte, so war er sich doch ursprünglich darüber völlig im klaren, — 437 — daß nicht alle Varianten erblich sind und daß für die Artbildung nur erbliche Varianten in Betracht kommen können. Sein Essay vom Jahre 1842, also 17 Jahre vor dem Erscheinen des Hauptwerks ge- schrieben, beginnt mit den Worten: ,,Ein einzelner Organismus, der unter neue Bedingungen gerät, variiert manchmal in geringem Maße und in ganz unbedeutenden Dingen wie Wuchs, Fettheit, manchmal Farbe, Gesundheit, Gewohnheiten bei Tieren und wahrscheinlich auch Disposition. Auch die Art der Lebensweise bringt gewisse Teile zur Entwicklung. Die meisten dieser geringen Variationen neigen dazu, erblich zu werden." Der Vorwurf, den man der Selektionslehre so oft macht, daß sie die Entstehung neuer Formen erklären wolle, trifft sie daher, wie Plate schon öfters hervorhob, gar nicht, da sie sich nur auf schon entstandene erbliche Varianten bezieht. Darwin unterschied also zwischen erblichen und nicht erblichen Variationen, Modifikationen und Mutationen, aber er hielt sie nicht für prinzipiell verschieden, er glaubte, daß jene in diese übergehen können. Da nun Modifikationen Außeneigenschaften des Körpers sind, die er individuell erworben hat unter dem Einfluß der äußeren Bedin- gungen, so wäre ihr Übergang in einen erblichen Zustand das, was man allgemein als Vererbung erworbener Eigenschaften bezeichnet. Es ist nach allem Vorhergehenden klar, daß in der mendelistischen Evolutions- theorie für sie kein Platz ist, ja, daß sie im Rahmen der Genotypenlehre eine logische Unmöglichkeit ist. Tatsächlich ist aber ein großer Auf- wand von Forscherarbeit gemacht worden, die Möglichkeit der Vererbung erworbener Eigenschaften zu beweisen und so wollen wir die wichtigsten Tatsachen kennen lernen, um sie dann unseren Gesamtvorstellungen einzuordnen. Die historische Rolle, die unserm Problem zukommt, ist ja allbe- kannt. Es ist das unsterbliche Verdienst Lamarcks, die grundlegende Bedeutung dieser Frage für die Abstammungslehre zuerst erkannt zu haben. Indem er sie bejahte, suchte er die Grundlage für die Veränder- lichkeit der Tierformen zu legen, um auf ihr aufbauend die Tatsachen der Anpassung an die Umgebung zu erklären. Dieser aus dem Bedürfnis nach Vollkommenheit abgeleitete Erklärungsversuch hat ja bekanntlich in der Neuzeit seine Auferstehung gefeiert und vor allem durch Pauly — 438 — eine philosophische Durcharbeitung erfahren. Da er sich aber zunächst noch nicht mit der exakten Methode des Experiments behandeln läßt, so braucht er uns auch hier nicht weiter zu beschäftigen. Wohl ist das aber der Fall mit dem ersten Teil von Lamarcks Lehre, mit der Ver- erbung erworbener Eigenschaften. In Lamarcks Konzeption spielen eine besondere Rolle die inneren, physiologischen Faktoren, die die Organisation der Tiere verändern, vor allem die Wirkung von Gebrauch und Nichtgebrauch. Ein stark in Anspruch genommenes Organ nimmt zu, ein unbenutztes bildet sich zurück. Vererben sich solche Veränderungen, so ist eine allmähliche Steigerung in dieser oder jener Richtung denkbar. Das klassische Beispiel dafür ist die Rückbildung der Augen von im Dunkeln leben- den Tieren. Da es keinem Zweifel unterliegt, daß sie ebenso wie ihre nächsten Verwandten einst gut ausgebildete Augen besaßen, so ist es der Nichtgebrauch, der die Organe atrophieren ließ, und indem diese erworbene Variation erblich wurde, entstanden schließlich von Geburt an und erblich augenlose Tiere. Die Nach-Lamarcksche Entwick- lungslehre, die ja vor allem an den Namen Darwins geknüpft ist, hat nun bekanntlich dadurch vor allem ihren durchschlagenden Erfolg errungen, daß sie in dem Zuchtwahlprinzip eine bessere Erklärung der Anpassungserscheinungen geben konnte, als es Lamarck vermochte. Die Grundlagen aber jenes Versuchs, die Erblichkeit der milieubedingten Variationen, hat sie zunächst unverändert übernommen. So schreibt Darwin in der schon mehrfach erwähnten frühen Fassung seiner Lehre aus dem Jahre 1844: „Unter gewissen Bedingungen werden organische Wesen selbst während ihres individuellen Lebens von ihrer gewohnten Form, Größe, oder anderen Charakteren weg etwas verändert: und viele dieser so erworbenen Besonderheiten werden auf ihre Nachkommen- schaft vererbt. So werden bei den Tieren Größe und Kraft des Körpers, Mästung, Reifezeit, Charaktere des Körpers, der Bewegungen, des Verstandes und Temperaments verändert oder während des indivi- duellen Lebens erworben und dann vererbt. Man hat allen Grund zu glauben, daß, wenn lange Übung gewisse Muskeln stark entwickelt oder Nichtgebrauch sie geschwächt hat, dies auch vererbt wird." Erst in der Neuzeit wurden ernste Zweifel an der Möglichkeit der — 439 — Vererbung der erworbenen Eigenschaften wach, und jetzt sehen wir die Biologen in zwei Lager gespalten, zwischen denen eine Verständigung zunächst noch nicht möglich erscheint. Diese Veränderung ging von theoretischen Auffassungen aus, die als extremer Darwinismus be- zeichnet werden können. Weismann war es, der in den achtziger Jahren den Versuch unternahm, die Abstammungslehre auf eine extrem ausgebaute Zuchtwahllehre zu basieren, und die im Anschluß daran von ihm ausgearbeitete Vererbungstheorie führte ihn dazu, die Ver- erbung erworbener Eigenschaften als unmöglich abzulehnen. Wenn wir auch in diesen Vorlesungen uns bemühen wollen, die Theorien weit hinter den Tatsachen zurücktreten zu lassen, so ist es in diesem Fall nicht anders möglich, als die Schilderung der Tatsachen von den theoretischen Voraussetzungen ausgehen zu lassen. Haben sie doch den eigentlichen Anstoß zur experimentellen Erforschung des Problems gegeben, und wird doch die Tragweite der positiven Resultate viel- fach nur im Zusammenhang mit ihrem theoretischen Ausgangspunkt verständlich. Es ist uns nun schon öfters die Vorstellung begegnet, daß sich in den Geschlechtszellen, die ja die ganze Erbmasse des Organismus ent- halten, Vertreter aller jener unzähligen Eigenschaften finden müssen, aus denen ein Lebewesen besteht. Es ist dabei zunächst gleichgültig, in welcher Weise wir uns diese Erbeinheiten, die Gene oder Determi- nanten, vorstellen wollen, ferner ob wir jeder Eigenschaft eine Deter- minante zuordnen oder im Anschluß an Rhumbler uns mit einer geringeren Zahl von Genen begnügen, als Eigenschaften vorhanden sind. Weismann stellt sich nun vor, daß die Ausbildung der Zellen des Körpers zu bestimmten Organen oder Funktionen im Lauf der Entwicklung so zustande kommt, daß die Determinanten der Erb- masse auseinander geteilt werden, und so schließlich eine jede in die bestimmte Zelle gelangt, deren Wesen sie determinieren soll. Nun haben aber alle die Geschlechtszellen der kommenden Generation die Fähig- keit, den gleichen Organismus wieder hervorzubringen, sie müssen also in ihrer Erbmasse, oder, in Weismanns Ausdrucksweise, ihrem Keimplasma, auch das gesamte Determinantenmaterial besitzen. Die Bildung von so beschaffenen Geschlechtszellen ist demnach nur — 440 — denkbar, bevor die Aufteilung der Determinanten auf die Körperzellen vor sich geht. Die einfachste Weise, sie sich vorzustellen, wäre dem- nach die, daß die befruchtete Eizelle sich zunächst in zwei gleiche Zellen teilt. Von diesen behielte die eine ihr ganzes Determinantenmaterial und übertrüge es als Ganzes auf die aus ihr entstehenden Tochter- zellen. Aus diesen, die somit die ganze Erbmasse enthalten, entständen dann ausschließlich die Geschlechtszellen. Die andere Zelle aber hält in ihren weiteren Teilungen die Determinanten nicht beisammen, sie verteilen sich auf die Tochterzellen und bestimmen so deren Entwick- lungsrichtung. Aus ihren Derivaten geht somit der ganze übrige Kör- per, das Soma, hervor. Es besteht somit ein prinzipieller Gegensatz zwischen Soma und Keimplasma. Das letztere hat eine Kontinuität von Generation zu Generation, ist dem Körper gegenüber sozusagen unsterblich. Ist das aber der Fall, so können neue Eigenschaften oder Veränderungen nur in dem Determinantenkomplex des Keimplasma entstehen. Was am Soma sich ereignet, berührt das kontinuierliche und von Anfang an reservierte Keimplasma nicht. Mit anderen Worten ausgedrückt heißt das aber, somatische Veränderungen, oder, wie man gewöhnlich sagt, erworbene Eigenschaften sind nicht erblich. So sieht in kurzen Zügen das berühmte Ideengebäude aus, von dem aus unser Problem seine Neuorientierung erfuhr. Es ist also ersichtlich, daß sich Weismanns gesamte Schlußfolge- rungen auf der Determinantenlehre aufbauen. Man könnte ihre Be- rechtigung also prüfen, indem man jene Lehre einer kritischen Be- trachtung unterzieht, wie es seine zahlreichen Gegner auch getan haben. Wir wollen diesen Weg aber nicht einschlagen, da unser Problem, die Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften," ein solches ist, das unab- hängig von theoretischen Voraussetzungen behandelt werden kann und muß. Sagt doch auch Weismann selbst darüber: ,,Fürs erste aber müssen wir die Tatsachen zu Rate ziehen und uns von ihnen allein leiten lassen. Beweisen sie, oder machen sie auch nur wahrscheinlich, daß ein solche Vererbung existiert, so muß dieselbe auch möglich sein und unsere Aufgabe ist nicht mehr sie zu leugnen, sondern ihre Möglich- keit verstehen zu lernen." Aber ein wesentlicher Punkt aus Weis- manns Theorien muß einer gesonderten Betrachtung unterzogen werden, — 441 — weil er in wirklich enger Beziehung zu vielen Beobachtungstatsachen steht und weil die kritische Würdigung der Tragweite der später an- zuführenden Experimente vielfach auf ihn zurückgreifen muß: die Lehre von der Kontinuität des Keimplasma. Wie wir gesehen haben, erfordert sie eine scharfe Trennung des Soma von dem in den Geschlechtszellen liegenden Keimplasma, das wir jetzt einfach mit den Chromosomen identifizieren können. Dies soll eine substantielle Kontinuität von Generation zu Generation besitzen, stellt also gewissermaßen die gerade Linie dar, die die Generationen einer Art von Lebewesen miteinander verbindet, an der das Soma als vergänglicher Seitenzweig sitzt. Wäre diese Idee eine einfache theoretische Fiktion, so könnten wir sie ruhig zunächst auf sich be- ruhen lassen; das ist aber nicht der Fall, es gibt vielmehr eine Reihe von Tatsachen, die ihr für manche Fälle Realität verleihen. Solche Tatsachen müssen nun derart beschaffen sein, daß sich die Geschlechts- zellen eines Individuums in seiner Entwicklung als wohl abgegrenzte Einheiten rückwärts verfolgen lassen bis zum befruchteten Ei, eine kontinuierliche Reihe, die man als Keimbahn bezeichnet. Und es gibt in der Tat nicht wenige Vertreter verschiedenartiger Tiergruppen, bei denen das der Fall ist. Vielleicht der typischste Fall ist der von Boveri entdeckte der Keimbahn von Ascaris megalocephala. Er ist dadurch so besonders klar, daß bei diesem Spulwurm eine charak- teristische zelluläre Differenz zwischen den Geschlechtszellen und _Körperzellen besteht. Während erstere in ihren Kernen 4 bzw. bei einer anderen Varietät 2 große schleifenförmige Chromosomen ent- halten, besitzen letztere zahlreiche kleine, stäbchenförmige. Das be- fruchtete Ei enthält 4 Chromosomenschleifen; teilt es sich dann in zwei Furchungszellen, so bleiben sie in einer erhalten, in der anderen aber zerfallen sie in viele kleine Körner, wobei die Schleifenenden zugrunde gehen (Fig. 147). Die erstere Zelle gibt dann bei ihrer weiteren Teilung eine Tochterzelle mit Schleifenchromosomen und eine solche, bei der der Zerfall mit der Zerstörung der Schleifenenden, die Diminution, stattfindet und so geht es immer weiter, wie es das Vierzellenstadium in Fig. 147D zeigt. Die Zelle aber mit den 4 Schleifenchromosomen er- weist sich als die Keimbahnzelle, nur aus ihr gehen später die Geschlechts- — 442 — zellen hervor, alle anderen aber, die die Diminution erfahren haben, geben das Soma mit all seinen Elementen. Hier ist also während der ganzen Entwicklung eine wirklich nachweisbare Trennung von Soma und Keimplasma mit Kontinuität des letzteren gegeben. Wenn auch außerhalb der kleinen Gruppe der Nematoden eine so klare Charakterisierung einer Keimbahn durch Differenzen der Zell- Fig. 147. Zwei- und Vierteilung des Ascariseies. Die Zellen s, in denen die Chromosomen nicht zerfallen, bezeichnen die Keimbahn. Nach Boveri aus Wilson. kerne nur noch in einem Fall, der Gallmücke Miastor bekannt geworden ist, so hat sich doch in vielen Fällen eine echte Keimbahn durch genaues Verfolgen der Entwicklung von Zelle zu Zelle erweisen lassen, so bei Würmern, Krebsen, Insekten. Ja es scheint sich sogar immer mehr herauszustellen, daß in solchen Fällen die Keimbahn auch von An- fang an durch die Anwesenheit besonderer Substanzen morphologisch — 443 — charakterisiert ist. Die betreffenden Zellen der Keimbahn enthalten, diesmal nicht im Kern, sondern im Protoplasma, Bestandteile, die nur ihnen zukommen und deren Herkunft unter Umständen eine sehr ab- sonderliche sein kann, wie es von Buchner für Pf eilwürmer, von Weis - mann, Amma u. a. für Krebse, von Ritter, Kahle, Silvestri u. a. für Insekten gezeigt werden konnte. Bemerken wir schließlich noch, daß eine solche prinzipielle Differenz von Soma und Keimplasma sogar schon innerhalb der einfachen Protozoenzelle durchgehends vorhanden zu sein scheint (Schaudinn, Goldschmidt), so erscheint die Weis mann sehe Annahme einer Kontinuität des Keimplasma in der Tat höchst verführe- risch. Die logische Konsequenz dieser Anschauung ist aber, daß neue Erbeigenschaften nur aus inneren Veränderungen des Keimplasmas heraus entstehen können und daß, mag am Soma vorgehen was da will, der Determinantenschatz des Keimplasmas davon nicht betroffen wird. Im Prinzip ist es eigentlich der gleiche Weg, auf dem nun die neuere Erblichkeitslehre zum selben Schluß kommt; hier ist es Johannsens Genotypenlehre, die den Ausgangspunkt bildet. Wir erinnern uns an die Unterscheidung von Genotypus und Phänotypus. Das äußere Aussehen des Organismus, sein Phänotypus, gibt keine Auskunft über seine genotypische Beschaffenheit, über die Zusammensetzung seiner Erbmasse aus bestimmten Genen. Das was vererbt wird, ist eine Re- aktionsnorm, die Fähigkeit unter bestimmten äußeren Bedingungen bestimmte Gestaltung anzunehmen, z. B. auf dem Land ganze, im Wasser zerschlissene Blätter zu bilden. Eine durch äußere Einflüsse bewirkte Veränderung trifft daher die genotypische Beschaffenheit nicht, so wenig, wie es einen Menschen berührt, wenn er einen anderen Über- rock anzieht. Eine Veränderung der Reaktionsnorm kann also nur aus dieser selbst heraus erfolgen und das ist eben eine Mutation. Die , Richtigkeit dieser Anschauung wurde vor allem durch den Nachweis der Wirkungslosigkeit der Auswahl von Plus- oder Minusabvveichern in reinen Linien erwiesen. Sie stützt sich aber auch auf die Ergebnisse der Bastardierungsversuche, die ja so klar die Bedeutungslosigkeit des Phänotypus für die Erblichkeit zeigen: aus Heterozygoten spalten, auch wenn sie noch so lange als Heterozygoten bestanden, doch immer — 444 — wieder die reinen Dominanten und Rezessiven heraus, die Keimzellen vererben eben das, was sie von den Eltern mitbekommen haben, nach seinem Gesetz, unabhängig von der Beschaffenheit des Somas, in dem sie liegen. Die Anhänger der Vererbung erworbener Eigenschaften 'leugnen nun die Richtigkeit dieser Schlußfolgerungen. Sie lehnen die Idee ab, daß Soma- und Keimplasma etwas so ganz verschiedenes seien. Da der Organismus eine Einheit ist, so kann nicht ein Teil des ganzen vom Rest unbeeinflußt sein und es ist kein Grund vorhanden, da für die Erbfaktoren eine Ausnahme zu machen. Wenn das Soma durch äußere oder innere Milieufaktoren verändert wird, so muß dieser veränderte Zustand auch auf die Beschaffenheit der Erbmasse so zurückwirken können, daß sie gleichsinnig verändert wird. Lernen wir also einige der Tatsachen kennen, die zugunsten einer solchen Möglichkeit angeführt werden. Da es gilt, die Frage zu lösen, ob eine Übertragung somatischer Ver- änderungen auf die Keimzellen möglich ist, so hat es ein gewisses Inter- esse, zunächst die Vorfrage zu beleuchten, ob und in welcher Weise die Übertragung bekannter Stoffe aus dem Körper in die Geschlechts- zellen möglich ist. Daß dieser Weg in der Tat gangbar ist, läßt sich auf verschiedene Art beweisen. In der elementarsten Form geschieht es durch Übertragung körperfremder Substanzen wie gewisser Farb- stoffe durch das Soma über die Keimzellen zur Nachkommenschaft. So wurde der Fettfarbstoff Sudan, den Sitowsky an Pelzmotten, Riddle an Hühner und Schildkröten verfütterte, in den Eiern ab- gelagert und auf die Nachkommenschaft übertragen. Und der da- mit als möglich erwiesene Weg wird dann auch unter Umständen von vom Körper selbst auf unnormale Reize hin gelieferten Substanzen eingeschlagen. Das beweisen vor allem die Erfahrungen der erblichen Immunität. Bekanntlich hat der Organismus die Fähigkeit, der Ver- giftung durch die Produkte von Krankheitserregern vielfach dadurch zu begegnen, daß er spezifische Schutzstoffe bildet, die ihm eine Im- munität gegen die gleiche Schädigung verleihen. Es ist nun bekannt, daß diese experimentell erzeugte Immunität noch auf die Nachkommen übertragen werden kann. So lange die Übertragung allerdings nur beim Säugetier von Mutter auf Kind bekannt war, konnte sie als durch — 445 — das Blut bei der embryonalen Ernährung im Uterus übertragen ge- dacht werden. Wenn es aber gelungen ist zu zeigen (was übrigens wieder bestritten wird), daß auch vom Vater die erworbene Immunität über- tragen werden kann, so ist der Beweis als erbracht anzusehen, daß die Immunstoffe vom Soma auf die Geschlechtszellen übergehen. Sicher ist, daß Schädigungen durch Alkoholgenuß die Geschlechtszellen selbst, männliche wie weibliche, treffen und sie vergiften, sodaß die Folgen in der Nachkommenschaft sichtbar werden (Stockard und Papanikolau). Man kann allerdings darüber streiten, ob man diese Bewirkung im Sinne der hier besprochenen Dinge deuten kann. Damit ist aber gesagt, daß der chemische Leitungsweg, der vom Soma zu den Geschlechtszellen führt, im Prinzip genau der gleiche ist wie der, der von einer Körperzelle zur anderen führt. Für die einfache Übertragung einer Eigenschaft von einer zur anderen Zelle gibt es aber Beispiele, die sich nicht nur auf die Zellen im Gewebsverband beziehen, sondern auch auf frei sich teilende Zellen bei ungeschlechtlicher Ver- mehrung, Beispiele, die somit unserem Problem um einen Schritt näher stehen. Während Untersuchungen dieser Art an Infusorien (Jennings) bisher noch keine klaren Resultate zeitigten, hat man an Mikroorga- nismen mancherlei interessante Befunde erzielen können. Goebel vermochte den blutroten Micrococcus prodigiosus, auf dessen Wachsen bekanntlich die Erscheinung der blutenden Hostie beruht, durch Kultur auf alkalischem Agar weiß umzuzüchten. Wuchs er lange genug so und kam dann wieder auf Kartoffel zurück, so blieb er noch eine Zeitlang weiß. Neuere Studien über den gleichen Gegen- stand haben gezeigt (Wolf), daß man durch Chemikalienwirkung auch bei ganz reinem Ausgangsmaterial (reine Linien) derartige Verände- rungen erzielen kann, die teils nach Aufhören der Kulturbedingungen wieder zurückschlagen, teils auch erhalten bleiben. Es gibt bereits eine umfangreiche Literatur über den Gegenstand, die zeigt, daß solche Veränderungen bald mit dem Individuum erlöschen, bald über mehr oder weniger „Generationen" erhalten bleiben, um dann zu erlöschen, bald auch dauernd bestehen bleiben: also alle Stufen von der Modifi- kation über die Nachwirkung bis zur sogenannten Mutation. In diesem wie in anderen Fällen, etwa Hansens Erzeugung der Oberhefe durch — 446 — „Mutation", ist also erwiesen, daß eine künstliche Veränderung in einer Zelle so weitgehend sein kann, daß sie bei der Zellteilung dauernd auf die Derivate übertragen wird. Wir haben also erstens die Möglichkeit einer stofflichen Übertragung im Raum, von einer Zelle zu ihren Deri- vaten. Letztere kann eine vorübergehende sein, oder eine dauernde, erbliche. Welcher Art sie ist, muß ja wohl von dem Wesen der im Ex- periment erzeugten Substanzen abhängen. Nun ist ja eigentlich die Möglichkeit der stofflichen Übertragung vom Körper auf die Geschlechtszellen kein Problem an sich, denn es ist ja selbstverständlich, daß sie beim normalen Wachstum der Geschlechts- zellen dauernd vor sich geht. Die Voraussetzung für den Vorgang der Vererbung erworbener Eigenschaften ist aber, daß spezifische Stoffe, die im Körper unter dem Einfluß des Milieus erzeugt werden, in die Ge- schlechtszellen übertreten und dort die erstaunliche Fähigkeit erlangen, wieder den Zustand des Körpers in der Nachkommenschaft zu produ- zieren, der ihrer ursprünglichen Erzeugung zugrande lag. Man hat versucht, solche Möglichkeit auf folgende Weise zu beweisen. Eierstöcke schwarzer Kaninchen wurden in weiße transplantiert (analoge Ver- suche an Vögeln und Insekten), um zu sehen, ob die Nachkommen- schaft aus den „schwarzen" Eiern durch die weiße Tragamme beeinflußt würde. Das war aber in gut kontrollierten Versuchen nicht der Fall (Davenport, Castle u. a.). Tatsächlich ist ja auch der Versuch nicht der, der für das Prinzip in Betracht käme, da es sich nicht um eine gene- tisch vorhandene, sondern durch Milieuwirkung neu erzeugte Eigenschaft handeln müßte. Nichts liegt bis jetzt vor, was als positives Resultat in dieser Richtung genannt werden konnte. Unsere Vorfrage ist somit dahin zu beantworten, daß in der Tat eine Stoffleitung zwischen Soma und Geschlechtszellen besteht. Von der Überlieferung einer neuen Substanz, bis zum Entstehen eines neuen Erbfaktors ist allerdings noch ein weiter Weg, und es fragt sich nur, wie es mit den Tatsachen steht, die einen solchen Vorgang, eine soma- tische Induktion, beweisen sollen. Die Beantwortung der Frage muß uns zur Betrachtung einer Aus- wahl aus all dem Material führen, das man als Beweis für die Vererbung erworbener Eigenschaften vorgebracht hat. Es lassen sich wohl die — 447 — wesentlichen Erwerbungen, die der Organismus im individuellen Leben machen kann, bei den nicht scharf voneinander abzugrenzenden Gruppen der Veränderung durch Gebrauch und Nichtgebrauch, der Instinkt- variationen, und der allgemeinen Beeinflussung durch die Lebenslage unterbringen. Dazu kämen noch die mehr unnatürlichen Experimental- einwirkungen wie künstliche Krankheitserregung und Verstümmelung. Wir dürfen letztere beiden Punkte aber wohl beiseite lassen, weil das Material, das sich mit ihnen befaßt, teils in der Fragestellung, teils in den Resultaten zu unklar ist, andererseits aber auch für die engeren Erblichkeits- und Artbildungsprobleme nicht allzu wesentlich er- scheint. Sicherlich ist die Gruppe' der Neuerwerbungen durch Gebrauch und Nichtgebrauch, also das Gebiet, das dem engeren Lamarekismus zu- grunde liegt, diejenige, in der man für unser Problem die bedeutungs- vollsten Resutlate erwarten sollte, auch fordern müßte. Gerade hier haben aber bisher die experimentellen Studien, wenigstens wenn man einen einigermaßen kritischen Maßstab anlegt, noch ziemlich versagt. Indirekte Anhaltepunkte gibt es ja dafür in Fülle, auch Experimente, bei denen aber eine Voraussetzung immer im Gebiet des Phylogene- tischen, also der Unsicherheit, liegt. Sehr interessant sind ja zweifellos Tatsachen von der Art der folgenden. Schon Darwin wies darauf hin, und Semon hat es neuerdings wieder untersucht, daß bei mensch- lichen Embryonen die Fußsohlenhaut schon viel dicker angelegt wird, als die des übrigen Körpers. Da die Verdickung und Verhornung dieser Stelle als eine Erwerbung durch die Benutzung beim aufrechten Gang betrachtet werden muß, wäre also eine durch Gebrauch erworbene Abänderung erblich geworden. Ein ganz ähnlich liegender Fall ist der der Karpalschwiele beim Warzenschwein Phacochoerus. Dieses sucht abweichend von allen seinen Verwandten seine Nahrung, indem es auf Handgelenken liegend rutscht, mit den Hinterbeinen nach- stemmt und so im Boden wühlt. Dementsprechend ist auch das Karpal- gelenk mit einer hornigen Schwiele versehen, einer Stelle, an der auch die Haare fehlen. Leche fand nun, daß 'schon beim Embryo diese Stelle deutlich kenntlich ist und mit verdickter Haut, der die Haar- anlagen fehlen, angelegt wird; und da man annehmen muß, daß die — 448 — Schwiele durch den Reiz beim Rutschen einst entstand, so wäre eine einst erworbene Eigenschaft erblich geworden. Das gleiche kann man erschließen, wenn Kükenthal berichtet, daß die Zähne der Halicore schon vor der Geburt ihre Kauflächen anlegen ; denn solche Kauflächen entstehen durch Abkauen von Höckerzähnen, und die Zähne der Hali- core werden ebenfalls als Höckerzähne angelegt, bilden aber durch Resorption der Höcker schon embryonal jene Flächen aus. Und um auch eine entsprechende aber entgegengesetzt gerichtete Reaktion zu nennen, so ist bekannt, daß die Saatkrähe eine nackte, von Federn entblößte Schnabelbasis hat, und man kann sich vorstellen, daß dies durch das Abstoßen beim Wühlen in der Erde bewirkt wird. Junge Nestvögel haben nun zwar die betreffenden Federn, sie fallen aber auch ab, wenn der Vogel in der Gefangenschaft gar keine Gelegenheit zum Graben hat. Und nun auch noch ein dem Pflanzenreich entnommenes Beispiel, das der gleichen Gruppe zugestellt werden muß. Viele Pflanzen, wie die Mimosen, Akazien, zeichnen sich durch die Fähigkeit aus, in I2stün- digem Rhythmus Schlafbewegungen auszuführen, z. B. durch Zu- sammenfalten ihrer Blätter. Man könnte annehmen, daß diese Be- wegungen direkt durch den Lichtreiz ausgelöst werden. Semon zeigte aber, daß das nicht allein zutrifft. Werden junge Keimpflanzen von allem Anfang an in einem unnatürlichen Beleuchtungsrhythmus ge- halten, etwa alle 6 Stunden von Hell zu Dunkel wechselnd, oder nur alle 24 Stunden, so zeigen sie ihre Bewegungen zwar auch in dem neuen Rhythmus, daneben erscheint aber auch der altererbte I2stündige. Läßt man nun den künstlichen Rhythmus aufhören und hält die Pflanzen in andauernder Dunkelheit oder andauerndem Licht, so geht der I2stün- dige Rhythmus immer noch weiter, er ist also wirklich erblich fixiert. Man muß aber annehmen, daß er einmal in früheren Zeiten von den Pflanzen erworben wurde und mit der Zeit sich erblich fixierte. Der Weg, auf dem das denkbar wäre, wird durch die Nachwirkung von Reizen gezeigt; so können etwa bei Pflanzen durch intermittierende geotropische Reizungen auf dem Klinostaten abwechselnde Wachstums- perioden erzeugt werden, die auch nach Aufhören des Reizes noch eine Zeitlang anhalten. — 44<) — Damit seien aber genügend Beispiele für diese Art der Argumen- tation gegeben. Daß sie unseren jetzigen kritischen Ansprüchen, die verlangen, daß sämtliche Faktoren eines Experiments bekannt sind, jedenfalls in der Gegenwart liegen, nicht in phylogenetisch zurück- liegenden Perioden, nicht genügen können, liegt auf der Hand. Denn niemand wird es widerlegen können, daß alle jene Eigenschaften, die vom Organismus einst erworben werden „mußten", nicht auch als plötzliche und zufällige Sprünge direkt vom Keimplasma aus entstan- den sein können. Und da die Versuche, die angestellt wurden, um besonders auch die Vererbung von Veränderungen durch Nichtgebrauch, etwa bei Sehorganen, zu beweisen, in ihren Resultaten noch derart sind, daß sie einer kritischen Prüfung nicht standhalten können, so muß gerade dieses wichtige Kapitel, die Vererbung von Wirkungen des Gebrauchs und Nichtgebrauchs, als völlig für den geforderten Beweis versagend bezeichnet werden. Betrachten wir nun die Versuche zur zweiten Gruppe, der individuell erworbenen Instinktvariationen. Da müssen zunächst die Versuche von Schröder an Insekten erwähnt werden. Der kleine Weidenblatt- käfer Phratora vitellinae L. lebt auf glattblättrigen Weiden und der Schwarzpappel, deren Blattunterseite von den Larven skelettiert wird. Solche Larven wurden nun auf einen Strauch einer Weidenart mit filzhaarigen Blättern, der rings nur von andersartigen Gewächsen umgeben war, gesetzt. Sie schoben dann die Filzhaare mit dem Kopf vor sich her und benagten in gewohnter Weise das Blattgewebe, manch- mal auch, indem sie minenartige Gänge an der Blattunterlage gruben. Als dann die Käfer ausschlüpften, wurde dicht an die filzhaarige eine glattblättrige Pflanze gerückt. Es wurden dann an erstere Pflanze 127, an letztere 219 Eigelege angeheftet. Letztere wurden dann wieder auf die filzblättrige Pflanze übertragen, wo sich die nächste Generation entwickelte, bei der das Experiment wiederholt wurde; sein Ergebnis war 104 Gelege auf den filzhaarigen, 83 auf den glatten Blättern. Im kommenden Jahr war dann das Verhältnis 48 : 11 zugunsten der filz- haarigen Pflanze. In der nächsten Generation wurden nur 15 Gelege, aber ausschließlich an der filzhaarigen Pflanze abgelegt. Wenn man aus diesem Versuch auch noch nicht einen Beweis dafür ablesen kann, Goldschmidt, Vererbungswissenschaft. 3. Aufl. 29 — 450 — daß eine künstliche Instinktveränderung erblich geworden war — es fehlt ja vor allem der Kontrollversuch, der zeigen müßte, daß normal gehaltene Tiere nicht auf die angerückte füzblättrige Pflanze übergehen — so deutet er doch in die Richtung, in der solche Versuche sich be- wegen müssen. Und das gleiche gilt für den folgenden Versuch des gleichen Autors. Es fiel ihm vor seinem Hause an einer Dotterweide die große Zahl der zu einer kegelförmigen Tasche umgewandelten Blatt- enden auf, die von der Raupe der Motte Gracilaria stigmatella F. herrührten. Sie werden so hergestellt, daß die Raupe eine Anzahl Fäden quer zur Richtung der Mittelrippe an der Blattunterseite in 3— 4 cm Entfernung von der Blattspitze spinnt. Dann werden quer dazu Fäden gezogen, die immer mehr angespannt werden, so daß sich die Blatt- spitze immer mehr gegen die Blattunterseite schlägt. Dann wird diese durch weitere Fäden eingerollt und die Öffnungen an beiden Enden verschlossen. Durch Abschneiden sämtlicher Blattspitzen wurde den Raupen nun die Möglichkeit genommen, ihre typischen Wohnungen zu bauen. Es wurden dann von 91 Wohnungen 84 in Form ein- oder doppelseitiger Rollungen des Blattrandes gebaut. Die nächste Gene- ration befand sich in der gleichen Situation und bildete auf gleiche Weise 43 Wohnungen. Die folgende kam nun wieder auf normale Blätter und da waren von 19 Wohnungen wieder 15 vom ursprünglichen Typus, 4 aber waren durch Blattrandrollung hergestellt. Auch diesen an sich interessanten Versuch kann man nur als einen Fingerzeig, nicht als einen Beweis für ererbte Instinktveränderung betrachten, da ja auch normalerweise Individuen vorkommen, die in anderer Weise bauen, die Zahlen der Schlußgeneration zu niedrig sind und weitere Generationen nicht vorliegen. Auf wesentlich breiterer Basis sind dagegen Versuche an Amphibien ausgeführt, deren Betrachtung wir uns jetzt zuwenden. Sie schließen alle mehr oder minder eng an Experimente an, die Marie von Chauvin in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts ausführte. Spe- ziell in bezug auf Instinktvariation ist der folgende Versuch viel be- sprochen worden. Bekanntlich stellt der mexikanische Axolotl eine neotenische Larve des Molchs Amblystoma tigrinum dar, d. h. also ein Tier, das im Larvenzustand geschlechtsreif werden kann, indem - 451 - es dauernd im Wasser bleibt, die Kiemenatmung und andere Anpas- sungen an das Wasserleben beibehält, die Metamorphose, die es typischer- weise beim Übergang zum Landleben und zur Lungenatmung durch macht, ganz aufgibt. Durch geeignete Zwangsmittel können nun solche Larven in verschiedenen Entwicklungsstadien noch zur Meta- morphose gezwungen werden. Es wurden nun in einem der Versuche solche künstlich metamorphosierte Amblystomen zur Geschlechtsreife herangezogen und ihre Nachkommenschaft unter solchen Bedingungen gehalten, daß normale Axolotl dabei niemals zur Metamorphose schreiten würden. Nach einem Jahr trat nun bei diesen Tieren eine Reduktion der Kiemen, also der Beginn der Metamorphose, ein, und als 20 Tieren die Möglichkeit ans Land zu gehen gegeben war, metamorphosierten sie sofort, ein Tier sogar in der kurzen Zeit von 10 Tagen, was sonst nie beobachtet worden war. Es scheint also die Neigung zur Metamor- phose nach künstlicher Induktion erblich geworden zu sein. Daraus allerdings einen Beweis für die Vererbung einer Instinktvariation ab- zuleiten, geht wohl zu weit. Denn abgesehen davon, daß nur eine Ge- neration vorliegt, ist ja das Metamorphosieren der ursprüngliche In- stinkt, der nicht verloren gegangen ist, sondern nur durch die abnorme Lebenslage gehemmt wird, so daß sein Wiedererwecken nicht gut als Instinktveränderung .bezeichnet werden kann. Viel eher könnte man aus der von Kammer er erwähnten Tatsache, daß die nun schon so lange aus stets neotenischen Formen gezüchteten Axolotl des Handels kaum mehr mit Gewalt zur Metamorphose zu bringen seien, einen der- artigen Schluß ziehen. Ob diese Tatsache aber richtig ist, kann an- gesichts der Schwierigkeiten, die der Versuch überhaupt bietet und die Frl. von Chauvin nur durch große Erfahrung, Ausdauer und indi- viduell verteilte Sorgfalt überwand, zunächst nicht ohne weiteres an- genommen werden. Und schließlich bleibt, solange nicht erwiesen ist, daß jener Versuch immer oder doch oft gelingt, der schwerwiegende Einwand bestehen, daß unter dem vorher nicht analysierten Material sich eine Rasse (Linie) fand, die sich durch größere Neigung zur Meta- morphose auszeichnete. Tatsächlich verhalten sich verschiedene Spezies von Amblystoma wie auch verschiedene Rassen des A. tigrimm ver- schieden in bezug auf ihre Neigung zur Neotenie. Das ist überhaupt 29* — 452 — die Schwierigkeit, die allen derartigen Versuchen anhaftet, daß sie eine genaue genetische Analyse des benutzten Materials vermissen lassen. Als dritte Versuchsgruppe bezeichneten wir die, die sich mit der Ver- erbung von Neuerwerbungen des Organismus im Gefolge von Verände- rungen der Lebenslage befaßt. Am meisten bekannt geworden sind die Versuche, die Kammerer an unseren heimischen Salamanderarten aus- führte, die sich auf Variationen der gesamten Fortpflanzungsart be- ziehen. Es kommen bei uns bekanntlich zwei Salamanderarten vor, der gelbgefleckte Feuersalamander, Salamandra maculosa, und der schwarze Alpensalamander, Salamandra atra. Ersterer bewohnt das Tiefland, vor allem das Mittelgebirge, bis etwa iooo m Höhe, letzterer das Hochgebirge. Entsprechend dieser Verschiedenheit der Lebenslage ist die Art der Fort- pflanzung auch eine verschiedene. Beim Feuersalamander entwickeln sich gleichzeitig 14—72 Larven im Uterus und werden dann mit gut entwickelten äußeren Kiemen und einem Ruderschwanz ausgestattet ins Wasser abgesetzt, wo sie dann nach einiger Zeit, indem sie ans Land gehen, zum S.alamander metamorphosieren. Der Alpensalamander da- gegen bringt typisch nur ein Paar Junge zur Welt. Zwar gehen auch viele Eier in den Uterus über, sie zerfallen aber dort und bilden einen Nahrungsbrei für die einzige Larve, die in jedem Uterus zur Entwicklung gelangt. Sie macht nun ihre ganze Metamorphose schon im Mutter- leib durch, bildet dementsprechend auch keine zur Wasseratmung tauglichen Kiemen aus, sondern merkwürdig gestaltete riesige Kiemen, die ein embryonales Ernährungsorgan darstellen. Die Jungen werden dann schließlich als schon voll entwickelte kleine Salamander geboren. Es ist klar, daß diese Differenzen durch die Lebenslage bedingt sein müssen, da ja dem Alpensalamander im kurzen Sommer für die Ent- wicklung seiner Brut nur zu kalte Gewässer zur Verfügung ständen. Diese Forpflanzungserscheinungen sind nun bei jeder der beiden Arten in der Natur der Lebenslagevariation unterworfen. Feuersalamander, die in hohen, kalten Regionen leben, produzieren weniger Larven und setzen sie auf einer viel späteren Entwicklungsstufe als normalerweise ab. Alpensalamander aus den tiefen Regionen ihres Verbreitungs- gebietes bilden mehr, bis zu vier Larven, die auf einem früheren Ent- wicklungszustand geboren werden. Kämmerer suchte nun durch - 4Ö3 - Anwendung extremer äußerer Bedingungen diese Lebenslagevariation bis zu ihrem möglichen Maximum zu verschieben. Es gelang ihm in der Tat, durch Wasserentziehung und Kälte die Feuersalamander so weit zu bekommen, daß sie, zunächst gezwungen, nach einiger Zeit aber auch freiwillig, die Fortpflanzungsgewohnheiten der Alpensala- mander annahmen. Sie bildeten schließlich nur zwei Larven aus, die übrigen Eier zerfielen zu einem Nahrungsbrei und die Larven wurden Fig. 148. Larven von Salamandra atra. Fig. 4 normale Larve mit zarten Uteruskiemenbüscheln, Fig. 1 Reduktion der Kiemen, Fig. 2 ihre Umbildung bei experimentell erzwungener Anpassung an das Wasserleben. Nach M. von Chauvin. als Vollsalamander am Land geboren. Umgekehrt konnten auch die Alpensalamander die Fortpflanzungsgewohnheiten des Feuersalamanders, annehmen. Schon Frl. von Chauvin hatte gezeigt, daß aus dem Uterus herausgeschnittene Larven dieser Form an das Wasserleben gewöhnt werden können und daß sie dort ihre embryonalen Kiemen zu Wasserkiemen umwandeln und einen Ruderschwanz bilden, wie obenstehende Fig. 148 erkennen läßt, die in F. 4 eine frisch dem Uterus entnommene Larve mit den schleierartig feinen Kiemen zeigt, in 1 — 454 — und 2 eine kürzer bzw. länger ans Wasserleben angepaßte Larve. Ähnlich konnte Kamm er er durch Einwirkung von Wärme und Dar- reichung von Wasser die Tiere daran gewöhnen, ihre Larven freiwillig auf frühem Entwicklungszustand ins Wasser abzusetzen, wobei sich auch eine größere Zahl von Embryonen, bis zu 9, im Uterus entwickeln. Das Interesse richtet sich nun auf die Nachkommenschaft dieser künst- lich erzeugten extremen Varianten. Es zeigte sich dabei bei der ein- zigen bis jetzt vorliegenden Generation insofern eine Vererbung, als die Alpensalamander freiwillig Wasserlarven gebaren, die Feuersala- mander aber weiter als normal vorgeschrittene Larven, einer sogar auf dem Lande Vollmolche. Wenn auch diese Ergebnisse eine Vererbung der extremen Lebenslagevariation noch nicht beweisen, so zeigen sie doch die eine Generation wenigstens währende Nachwirkung des modi- fizierenden Reizes, den gleichen Erfolg, den wir nun schon mehrfach antrafen. Diesen wie den meisten bisher berichteten Versuchen haftet nun noch eine prinzipielle Schwäche an, die, daß das Material nur schwer variationsstatistisch betrachtet werden kann und daher auch positive Ergebnisse sich nicht leicht auf eine wirklich exakte Basis stellen lassen. Versuche aber mit quantitativ bestimmbaren Merkmalen sind im Tier- reich noch wenig ausgeführt. Aus neuerer Zeit stammen die Experi- mente von Przibram und Sumner an Ratten und Mäusen, von denen letztere erst mit genauen Zahlenangaben publiziert sind. Beide Au- toren hielten ihre Versuchstiere in niedrigen und hohen Temperataren und stellten dabei, in Einklang mit den Erfahrungen aus freier Natur, fest, daß in höheren Temperaturen (bei Sumners Mäusen 260, bei Przibrams Ratten 30— 35 °) die Ohren, Schwänze, Füße eine größere Länge annahmen als in tiefen Temperaturen. Hand in Hand damit geht eine Verminderung der Behaarung und bei den Ratten ein exzes- sives Hervortreten der äußeren Genitalien. Bei den in normalen Be- dingungen gehaltenen Nachkommen der Wärme- wie der Kältetiere waren diese Differenzen noch vorhanden, schwächten sich aber im Lauf des Heranwachsens ab: Trotzdem sie nicht sehr groß waren, so können sie doch kein Zufallsresultat sein, da Sumner berechnete, daß dagegen die Wahrscheinlichkeit von 1 : 20 000 spricht. Allerdings trat, wie — 455 — Przibram fand, das Wiederauftreten der induzierten Variation in der Nachkommenschaft nur ein, wenn die Befruchtung noch unter den veränderten Bedingungen stattgefunden hatte. Das Resultat ist also auch noch nicht klar und eindeutig. Das Ergebnis der Versuche, eine Vererbung erworbener Eigenschaften zu beweisen, ist also so spärlich, daß man es direkt als negativ bezeichnen kann. Trotzdem haben viele Forscher sich nicht entschließen können, den Glauben an diese Vererbungsform aufzugeben. Der Hauptgrund dazu ist für die mit den Ergebnissen der neueren Vererbungslehre Ver- trauten der folgende: Es ist eine sehr häufige Erscheinung, daß in der Natur Erbrassen bestehen, deren Charaktere als Anpassungscharaktere an besondere Bedingungen betrachtet werden können, die phänotypisch identisch sind mit nicht erblichen Modifikationen anderer Rassen. So kommt z. B. Linkswindung als nicht erbliche Modifikation bei normaler- weise rechts gewundenen Schneckenschalen vor. Bei anderen Arten aber ist es ein Erbcharakter. In beiden Fällen ist die direkte embryonale Ursache sicher die gleiche, nämlich die Richtung der Zellteilungen im Beginn der Furchung. Diese embryonale Besonderheit aber tritt einmal als nicht erblicher Zufall ein, ein andermal ist die die Konsequenz einer genetischen Beschaffenheit; die Idee eines Zusammenhangs ist also naheliegend. Derartige Beispiele ließen sich beliebig viele anführen und wenn es sich um Charaktere handelte, die eine statistische Betrach- tung erlaubten, so würde sich zeigen, daß die erbliche Rasse in der gleichen Richtung der Variation liegt wie die nicht erbliche Modifikation einer anderen Rasse. Diese Tatsache aber muß erklärt werden; denn sie ist es, die Darwin zur Annahme führte, daß manche der Modifikationen dazu neigen, erblich zu werden, sie ist es, die die Idee des Übergangs nicht erblicher Modifikationen in erbliche Veränderungen suggeriert. Da müssen wir nochmals auf die schon mehrfach erwähnten Tempe- raturexperimente an Schmetterlingen zurückkommen. Die Hauptresultate bestanden ja, wie schon ausführlicher besprochen, darin, daß junge Puppen von mitteleuropäischen Faltern, die mit niederen Temperaturen von etwa 6° behandelt wurden, Schmetterlinge ergaben, die den nördlichen Varietäten entsprachen, während solche, die einer Wärme von etwa 36 ° exponiert wurden, Falter südlicher Rasse ergaben — 456 — Das analoge Relultat, die künstliche Erzielung der Standortsvarietäten des Koloradokäfers, haben wir ja auch schon oben besprochen. Es traten bei diesen Versuchen aber auch neue Typen auf, nämlich stärker aufgehellte und stark verdunkelte Individuen. Und gewisse dabei gemachte Beobachtungen führten dazu, mit Frost von — 4 bis — 20 ° und mit Hitze von + 40 bis + 46 ° zu arbeiten, wobei sich zeigte, daß beide in gleichem Sinn verändernd einwirkten, und die so geschaffenen Hitze- bzw. Frostaberrationen glichen gewissen seltemin der Natur auf- tretenden Aberrationen von denen es höchstwahrscheinlch, zum Teil, wie schon erwähnt, sicher ist, daß sie Sports, Mutationen darstellen. Es war also möglicherweise gelungen, hier künstlich Mutationen zu erzeugen; der Beweis dafür kann aber nur aus ihrem erblichen Verhalten geliefert werden. Nachdem schon Standfuss eine Andeutung davon erhalten hatte, ist es Fischer gelungen, ihn zum erstenmal einigermaßen sicher zu stellen. Er erzeugte durch Frostwirkung Aberrationen von Arctia caja, die sich durch starke Verdunkelung infolge von Verschmelzung der Fleckenzeichnung auszeichneten. Ein solches Pärchen, von dem das Männchen viel stärker abgeändert war als das Weibchen (Fig. 149, 1 u. 2), wurde zur Fortpflanzung gebracht. Es entwickelten sich aus den Eiern 173 Puppen und als diese schlüpften, kamen unter den Fal- tern, die zuletzt ausschlüpften, 17 Individuen zum Vorschein, die ebenso wie die Eltern verändert waren; 6 von diesen sind in Fig. 149, 3—8 wiedergegeben. Die Männchen erwiesen sich stärker verändert als die Weibchen. Ganz ähnliche Resultate wurden von Tower für den Koloradokäfer berichtet. Er weist besonders darauf hin, was auch für die Schmetter- lingsversuche gilt, daß die Erzielung der erblichen Veränderung im Temperaturexperiment nur in einer bestimmten Periode zu Anfang des Puppenlebens, der sensiblen Periode, möglich ist. Die Anhänger der Vererbung erworbener Eigenschaften sagen nun, daß in diesem Fall der Reiz das Soma traf, von wo es auf die Geschlechtszellen übergeleitet wurde. Die Vertreter der entgegengesetzten Anschauung aber sagen, daß in dem gewöhnlichen Temperaturexperiment nur das Soma getroffen wird, in dem Fall aber, in dem eine erbliche Veränderung stattfand, eine „Parallelinduktion" vorlag, eine parallele Veränderung des Phäno- i:>7 typus und Genotypus. Es ist nun klar, daß der ganze Vorgang nur analysiert werden kann, wenn wir die Physiologie der Entstehung der Fig. 149. Künstlich erzeugte Temperaturaberrationen von Arctia caja (1 u. 2) und 6 ihrer Nach- kommen. Nach Fischer. betreffenden Charaktere kennen. Wir haben nun schon früher gezeigt, in welcher Richtung die Lösung zu suchen ist. Die Modifikation, die im Temperaturexperiment erzeugt wird, besteht darin, daß der Ablauf einer — 458 — bestimmten Reaktion (z. B. Pigmentbildung) verlängert oder verkürzt wird und in einer anderen Rate als die Entwicklungszeit selbst. Wir sahen aber, daß die Rate einer erblichen Reaktion eine Funktion der Quantität des zugehörigen Erbfaktors ist. Eine veränderte erbliche Fig. 150. Lord Mortons Quaggabastard. Nach Ewart. Fig. 151. Lord Mortons Quaggahengst. Nach Ewart. — 459 — Quantität bedingt also denselben Effekt, wie eine die Geschwindigkeit der Reaktion direkt beeinflussende Außenwirkung. Der extremste Effekt muß aber erzielt werden, wenn eine extreme Fluktuation in der Plus- (oder Minus-) Richtung der Quantität eines Faktors von der ent- sprechenden extremen Modifikation betroffen wird. Werden die am meisten veränderten Individuen ausgewählt, so ist eine Wahrscheinlich- keit vorhanden, daß sie den extremen Fluktuationsgrad der Quantität des Faktors repräsentieren, also in abgeschwächtem Maße erblich sind. Die gleiche Argumentation läßt sich auf alle ähnlichen Fälle anwenden und damit besteht keine Notwendigkeit mehr, auf eine Vererbung er- Fig. 152. Lord Mortons gestreiftes Füllen. Nach Ewart. worbener Eigenschaften zurückzugreifen, anderenteils kann auch die mystische Paralielinduktion verschwinden. Wir können diese ebenso interessanten wie weiterer Aufklärung bedürftigen Probleme nicht verlassen, ohne noch einige kurze Worte einem Aberglauben gewidmet zu haben, der, so unbiologisch seine Grundgedanken sind, doch immer wieder auftaucht und besonders in der praktischen Tierzucht seinen Spuk treibt, der Annahme der sogenannten Telegonie. Keiminfektion oder Telegonie bedeutet, daß, wenn mehrere Väter nacheinander das gleiche Weibchen befruchten, die Nachkommen aus der späteren Befruchtung Charaktere des früheren Vaters zeigen sollen. Hundezüchter lassen oft, weil sie an diese Möglichkeit glauben, Rasse- — 460 — hunde niemals von einem Köter decken, der ihnen die ganze spätere Nachkommenschaft mit einem Rassehund verderben soll. Die Auf- merksamkeit wurde auf diese Erscheinung erst durch den berühmt gewordenen Fall der Stute des Lord Morton gelenkt, den sogar Darwin als beweiskräftig ansah. Eine kastanienbraune Stute, die mit einem Quaggahengst, der in Fig. 151 abgebildet ist, bastardiert worden war, gebar später, als sie von einem Araberhengst befruchtet wurde, drei braune gestreifte Füllen, von denen eines mehr Zebrastreifen besaß als der Quaggabastard und von Anfang an eine kurze, steife und auf- rechte Mähne besitzen sollte. Ewart, der auch umstehend wieder- gegebene Bilder des Quaggabastards (Fig. 150) wie des gestreiften Füllens (Fig. 152) beibrachte, hat nun einmal die genaue Herkunft dieser Pferde eruiert und dabei festgestellt, daß die Mutterstute ein Halbblut zwischen einem Araber und einem indischen Pony war, welch letzteres eine Streifung von der Art, wie sie die Füllen zeigten, besitzt, ferner aber auch festgestellt, daß die Angabe der aufrechten Mähne, die von einem Reitknecht stammte, durch zeitgenössische Abbildungen des Füllens widerlegt wird. Sodann hat aber Ewart an mehreren Haus- säugetieren und Vögeln, besonders auch am Pferd nach Kreuzung mit Zebra durch zahlreiche Experimente festgestellt, daß die Telegonie ins Reich der Fabel gehört; und de Parana, der in Brasilien die gleichen Versuche in riesigem Maßstabe nach Zebra- wie nach Eselkreuzung ausführte, kam zu dem gleichen Resultat. Die Telegonie, die für den mit der Befruchtungs- und Vererbungslehre Vertrauten ohnedies ein Unding darstellt, kann also ruhig als überwundener Irrtum verschwin- den, der nur noch Kuriositätsinteresse hat. Literatur zur siebzehnten Vorlesung. Amma, K., Über die Differenzierung der Keimbahnzellen bei den Cope- poden. Arch. f. Zellf. 6. 191 1. Boveri, Th., Die Entwicklung von Ascaris megalocephala usw. Festschr. f. Kupffer. 1899. Buchner, P., Die Schicksale des Keimplasmas der Sagitten usw. Festschr. f. R. Hertwig. 1. 1910. — 461 — Chauvin, Marie v., Über die Umwandlung des mexikanischen Axolotl in ein Amblystoma. Zeitschr. f. wiss. Zool. 25. 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Am Schluß unserer gedrängten Übersicht über die Hauptergebnisse der modernen Bastardlehre angelangt, bleibt uns noch ein Problem zur Besprechung übrig, das in der Neuzeit besonders lebhaft diskutiert wurde : die Frage nach der Möglichkeit, auf vegetativem Wege Bastarde zu erzeugen. Im Tier- wie im Pflanzenreich gelingt es ja bekanntlich, Teile verschiedenartiger Individuen miteinander zu einer Einheit zu verbinden, indem sie mit künstlich gesetzten Wundflächen aufeinander geheilt werden. Im Tierreich nennt man das Verfahren meist Trans- plantation, besonders wenn nur kleine Gewebs- oder Organteile des einen Individuums dem anderen einverleibt werden, im Pflanzenreich ist diese vegetative Vereinigung als Okulierung und Pfropfung allgemein bekannt. Die Frage ist nun die, ob bei einer derartigen Vereinigung von Individuen verschiedener Art oder Rasse die Gewebe dauernd ge- trennt nebeneinander bestehen bleiben, ob sie sich zu einem Bastard- gewebe vereinigen können oder ob vielleicht durch eine der Befruchtung vergleichbare vegetative Zellverschmelzung der Ausgangspunkt für eine Bastardentwicklung gegeben werden kann. Für das Tierreich können wir uns in bezug auf diese Frage sehr kurz fassen: bis jetzt ist nichts bekannt geworden, was auch nur entfernt auf eine der beiden letzteren Möglichkeiten hindeuten könnte. Bei Vereinigung artfremder Tierstücke können wohl Doppelwesen entstehen; in denen aber stets die beiderlei Bestandteile deutlich getrennt bleiben. Nebenstehende Figg. 153 und 154 zeigen solche Doppelwesen verschiedener Froscharten, in denen sich aber die Bestandteile, im Beispiel durch die Pigmentierung der Haut, deutlich abgrenzen lassen. Es ist allerdings noch nicht gelungen, solche Tiere zur Geschlechtsreife heranzuziehen ; auch auf dem Wege der Regeneration, der für das Pflanzenreich, wie wir gleich sehen werden, — 465 — so bedeutungsvolle Ergebnisse zeitigte, konnte nichts erzielt werden. Wurde einer der erwähnten sehr jungen Doppellarven in der Art wie es umstehende Fig. 155 zeigt, ein Stück des Muttertieres und des Pfropf- stücks gleichzeitig abgeschnitten, so regenerierte von der Wundfläche her ein neuer Schwanz. An dem Regenerat aber beteiligen sich in gleicher Ä HHBBHM 1j^ '%*\B Bit IP* WB8 Hk^ a^^^_. ^^ £*' 1 m Fig- 153- Künstlicher Doppelfrosch aus vorn Rana pipiens, hinten R. palustris. Links als Kaul- quappe, rechts als Frosch. Nach Harrison. Weise die beiderlei Gewebe, ohne sich dabei irgendwie zu einer Einheit, einem Bastardgewebe zu vereinigen. Wenn es überhaupt nun möglich sein sollte, auf vegetativem Wege Bastarde zu erzeugen, so ist es zweifellos weit eher im Pflanzenreich als im Tierreich zu erwarten. Denn wir hörten bereits in der letzten Goldschmidt, Vererbungswissenschaft. 3. Aufl. 30 — 466 — Vorlesung, daß bei den Pflanzen der für das Tierreich so charakteristische Gegensatz zwischen Soma und Geschlechtszellen nicht besteht, so daß man von vornherein die Möglichkeit nicht bestreiten kann, daß zwei vegetative Gewebezellen sich so miteinander vereinigen, daß ein dem Befruchtungsprozeß entsprechendes Resultat zustande käme. Wenn dieser Nachweis allerdings gelänge, so wäre er in seinen weiteren Folge- rungen für die ganze Befruchtungs- und Bastardierungslehre von elemen- tarer Bedeutung. Die Idee nun, daß es vegetativ, also durch Pfropfung erzeugte Bastarde, Pfropfbastarde, ge- ben könne, ist oft dis- kutiert worden und sie hat ihren Ausgang stets von drei gleich berühmten Fällen genommen, die ihre Erklärung am besten auf solchem Wege finden sollten. Der erste ist der Fall des Goldregens C y t i s u s Adami. Er entstand im Jahre 1825 in Adams Garten in der Nähe von Paris und zwar im Anschluß an eine Pfropfung von Cytisus purpureus auf Cytisus laburnum. Seine von Adam mitgeteilte Entstehungsgeschichte, die ihn auf die gleiche Stufe wie alle anderen sogenannten Pfropfbastarde stellt, wurde vielfach angezweifelt. Jetzt ist aber nach allem, was wir wissen, kein Grund mehr vorhanden daran zu zweifeln, obwohl der Ursprungsbaum verloren gegangen ist. Er konnte aber seitdem weder neugebildet noch auch auf dem Wege echter Bastardierung erhalten werden. Er stellt in seinen Charakteren eine Mischung zwischen den beiden Stammpflanzen dar. Häufig aber Fig- i54- Zusammengesetzte Embryonen; vorne Rana sylvatica, hinten R. palustris, in verschiedenen Altersstadien. Nach Harrison. — 467 — erfolgt ein Rückschlag auf eine der beiden Formen, so daß ein und derselbe Baum Blütentrauben des gelben, des purpurnen Goldregens und der Mischform tragen kann. Der zweite vielbesprochene Fall ist der des Crataegomespilus von Bronvaux, von dessen erster Entstehung ebenfalls nichts Näheres be- kannt ist. „In dem Dar dar sehen Garten zu Bronvaux bei Metz steht ein etwa ioojähriger Mispelbaum, dessen Krone auf einen Weißdorn- stamm veredelt worden ist. Unmittelbar unter dem Pfröpfling, aus der Verbindungsstelle von Edelreis und Unterlage, brachen nun dicht nebeneinander zwei Ästchen hervor, die, wiewohl untereinander sehr verschieden, doch beide Zwischenformen der zwei vereinigten Gattungen Crataegus und Mespilus (bzw. der Arten Mespilus germanica und Mespilus Fig. i55- A Larve von Rana sylvatica mit aufgepfropftem Schwanz von R. palustris. B Larve von R. palustris mit Schwanz von R. sylvatica. a — a ist die Schnittlinie. Nach Morgan aus Korscheit. monogyna) repräsentierten. Der eine Zweig kommt in seinem Habitus mehr auf die Mispel heraus, der andere gleicht mehr dem Weißdorn" (Noll). Gegenüber von diesen beiden Zweigen wuchs dann noch ein dritter, der sich zunächst kaum von einem gewöhnlichen Weißdorn unterschied, später aber ganz dem einen Bastardzweig ähnlich wurde. Es handelt sich also um bastardartige Formen verschiedener Mischung. An einem der Zweige bildete sich dann einmal ein Mispeltrieb, dann ein Trieb, der zur Hälfte reine Mispel, zur Hälfte reiner Weißdorn war. Also auch hier die völligen Rückschläge. Dieser Baum existiert noch, seine Entstehungsgeschichte ist somit um vieles klarer als beim vorigen Fall. Der dritte merkwürdige und zugleich am längsten bekannte Fall, der eine Entstehung auf dem Wege der vegetativen Bastardierung möglich erscheinen läßt, ist der Fall der Bizzarria. Es sind das Pflanzen, 3°* 468 — die in sehr verschiedener Weise die Charaktere mehrerer Citrusarten vereinigen, als Pomeranze, Zitrone, Zedrate, Limette. In ihren Blättern zeigen sie teils reine Pomeranzen-, Apfelsinen- oder Zedratencharaktere, teils ein Gemisch von ihnen. Das gleiche gilt für die Blüten und in der absonderlichsten Weise für die Früchte. Neben reinen Pomeranzen und Zedraten trägt der gleiche Baum Früchte, die aus beiden zusammengesetzt sind. Einzelne sind Pomeranzen in Gestalt von Zitronen, andere haben die Rinde ersterer, das Fruchtfleisch letzterer. Andere zeigen 4 gleich- mäßige über Kreuz verteilte Portionen, von denen ein Paar orangefarbig ist und der Pomeranze angehört, ein Paar gelb ist und eine Zitrone (bzw. Zedrate) darstellt. Eine solche Frucht gleicht dann vom Scheitel gesehen ,, einem bunten Kinderball" (Stras- burger), wie Fig. 156 auch zeigt. Es soll aber auch solche Bizzarrien geben, die aus drei, vier und fünf Arten zu- sammengesetzt sind. Wie an solchen» Bäumen reine Früchte und Blüten einer Art entstehen können, so bilden sich auch etwa Zedratenknospen in der Achsel eines Orangeblattes und um- gekehrt. Die Geschichte dieser absonder- lichen Pflanzen ist nun nach Pen zig und Strasburger die folgende. Sie entstanden zuerst nachweisbar in Florenz im Jahre 1644, obwohl sie vielleicht vorher auch schon ander- wärts entstanden waren; ein Gärtner behauptete sie durch Vereinigung mehrerer Knospen erzielt zu haben. Es stellte sich aber dann heraus, daß sie ganz selbständig entstanden waren und zwar auf einer Pflanze, die zunächst als Unterlage für Veredelung gedient hatte, deren Edel- reis dann aber abgestorben war, worauf die Bizzarria hervorwuchs. Das deutet also auf eine pfropfhybride Entstehung hin. Von vielen Seiten wurde aber dieser Annahme widersprochen und ein Ursprung als echter Fig. 156. Bizzarria mit abwechselnd Zitronen- und Orangencharakter aus Engler. — 469 — Bastard angenommen. Jetzt läßt sich, wie wir bald sehen werden, die wahrscheinliche Erklärung in ganz anderer Weise geben. Die Frage der Entstehung derartiger Pfropfbastarde trat nun in ein neues Stadium, als Win kl er das Problem experimentell in Angriff nahm und in der Tomate Solanum lycopersicum und dem Nacht- schatten Solanum nigrum Objekte fand, die bessere Antwort zu geben geeignet erschienen. Er pfropfte mittels Keilschnitt einem To- mate nkeimling einen Nachtschattensproß ein (Fig. 157) und schnitt dann, wenn das Reis der Unterlage aufgewachsen war, mitten durch das gemischte Gewebe durch, so daß im Querschnitt nun die Gewebs- teile beider Arten frei lagen, und rief dann aus dieser Wunde Adven- tivsprosse hervor, die später abgeschnitten, bewurzelt und allein weitergezüchtet wurden. Neben reinen Tomaten- und reinen Nacht- schattentrieben erhielt er dabei auch solche, die Gewebe von beiden Arten enthielten, aber normal gemeinsam wuchsen und dann Blätter bildeten, die zur Hälfte Tomatenblätter, zur anderen Hälfte Nacht- schattenblätter waren. Ein solches Doppelwesen wurde Chimäre ge- nannt, und sie erschienen mehrfach in verschiedenem Ausbildungsgrad (Fig. 158). Nach vielen Versuchen trat nun aber auch ein Sproß auf, der völlig einheitlich erschien und in seinen Charakteren, besonders der Blattform, deutlich die Mitte zwischen Tomate und Nachtschatten hielt: in diesem Sproß, der als Solanum tubingense weitervermehrt wurde, glaubte Winkler den ersten experimentell erzeugten Pfropf- bastard erzielt zu haben. Sein Typus geht aus Fig. 158, im Vergleich mit den Stammpflanzen, Figg. 159, 160 hervor. In weiteren Versuchen traten aber dann auch andere derartige Formen auf. So entstand einmal eine Chimäre, die zur Hälfte Nachtschatten war, zur Hälfte ein neuer Pfropfbastard, S. proteus, der mehr der Tomate ähnelte. Ein anderer, S. Darwinianum, entstand nur als ein Blatt mit seinem Stengelanteil und konnte aus seiner Achselknospe vermehrt werden. Und in ähn- licher Weise wurden noch weitere Zwischenformen gebildet, die sich bald mehr dem Nachtschatten, bald mehr der Tomate näherten, wie S. koelreuterianum und gaertnerianum. Damit schien die Existenz der Pfropfbastarde experimentell erwiesen zu sein. Sollte der Beweis aber jeder Kritik standhalten, mußte das — 470 — weitere Verhalten dieser Formen natürlich den Anforderungen ent- sprechen, die man nach dem Stand unserer Kenntnisse an einen Bastard stellen muß. Und da ergaben sich bald Schwierigkeiten. Zunächst treten an den Pfropfbastarden vegetative Rückschläge auf, das heißt, Fig. 157- A, B, C Schematische Darstellung verschiedener Arten von Pfropfung mit den zu- gehörigen Querschnitten der Pfropfungsstellen in der Richtung der Pfeile; punktiert das Reis, unpunktiert die Unterlage, A Kopulation, B Keilpfropfung, C Sattelpfropfung, D Chimäre; unten der Tomatenmuttersproß mit dem eingesetzten Nachtschattenkeil (Nachtschattengewebe punktiert). E Blatt des Nachtschattens (Solanum nigrum), G Blatt der Tomate (S. lycopersicum), F Chimärenblatt. Nach Wink ler aus Lang. — 471 — Fig. 158. Solanum tubingense nach Wink ler. es bildeten sich auf vegetativem Wege Sprossen, die ganz nach dem einen der Eltern zurückschlugen. Einen Beweis gegen die Bastard- natur stellen sie allerdings noch nicht dar, da auch sonst an pflanzlichen Bastarden gelegentlich solche vegetati- ven Rückschläge oder vegeta- tiven Spaltungen vorkommen. Das Hauptinteresse richtet sich nun aber auf die Nach- kommenschaft der Pfropf- bastarde. Wenn sie solche sind, so stellen sie natürlich die Fj-Generation dar; F2 muß also entweder konstant weiter züchten, was bei Art- bastarden ja denkbar ist, oder eine Spaltung zeigen. Winkler fand aber, daß F2 ausschließ- lich aus Pflanzen der einen Stammart bestand, und zwar aus der, der der betreffende Bastard näher stand. F2 von S. tubingense gab also aus- schließlich Nachtschatten- nachkommenschaft, die in allen weiteren gezüchteten Ge- nerationen rein blieb, und das entsprechende traf auch für die anderen Propfhybride zu. Nun wäre es natürlich wünschenswert, den Vergleich mit Bastarden anzustellen, die auf dem Wege normaler Kreuzbefruch- tung gewonnen sind. Dies erwies sich aber als unmöglich, da sich die beiden verwandten Arten ebensowenig bastardieren ließen, wie die Fig. 159. Solanum nigrum nach Wink ler. — 472 — Arten, denen der früher besprochene Cytisus Adam entstammte. Natür- lich muß auch diese Tatsache stutzig machen. Und nun bleibt nur noch eine entscheidende Kontrolle übrig, die Untersuchung der Zell- verhältnisse. Wir haben in einer früheren Vorlesung erfahren, daß eine jede Tier- und Pflanzenart eine konstante Chromosomenzahl be- sitzt, die vor der Befruchtung auf die Hälfte reduziert wird. Werden nun Organismen mit verschiedener Chromosomenzahl bastardiert, so vereinigen sich die beiden verschiedenen Halbzahlen und diese Bastardzahl bleibt konstant in Hybriden erhalten. Kreuzt sich zum Beispiel eine Ascarisvarietät mit der Normalzahl von 4 Chromosomen (bi- valens) mit einer sol- chen mit nur 2 Chro- mosomen (univalens), so findet man in den Bastardzellen 3 Chro- mosomen (Boveri). (Andersartige Ver- hältnisse bei Art- bastarden, die Fe- derley aufdeckte, wurden bereits früher erwähnt.) Nun haben Tomate und Nachtschatten in der Tat sehr verschiedene Chromosomenzahlen, nämlich erstere 24, letztere 72. Im Bastard sind somit 48 zu erwarten; da es aber nicht unwahrscheinlich ist, daß bei einem vegetativ erzeugten Bastard die für die Geschlechtszellen typische Halbierung der Chromosomenzahl, die Reduktion, nicht stattfindet, so 'könnte dort auch eine einfache Addition vorliegen, es müßten also 96 Chromosomen gefunden werden. An und für sich ist eine vegetative Kern- und Zellverschmelzung ja nicht un- Fig. 160. Solanum lycopersicum nach Win kl er. — 473 — wahrscheinlich, da sie in beiden Organismenreichen sowohl beobachtet wie experimentell erzielt ist. Die von Winkler durchgeführte Unter- suchung ergab aber, daß die Keimzellen der Pfropfbastarde entweder die Nachtschattenzahl oder die Tomatenzahl enthielten. Und zwar war es, wie nach den Resultaten von F2 zu erwarten ist, die Zahl der Eltern- pflanze, der der sog. Bastard näher stand und die er auch rein reprodu- zierte. (Eine gleich zu nennende Ausnahme ist vorhanden.) Und nun bleibt nur noch eine Möglichkeit, die Bastardnatur der Pflanzen zu er- weisen. Es konnten auf unerklärliche Weise vielleicht die Geschlechts- zellen nur die eine Chromosomenart erhalten; dann müßte man aber in den gewöhnlichen vegetativen Zellen der Pflanzen die Bastardzahlen finden. Aber auch das war nicht der Fall. Und damit war durch Wink- ler s hervorragende Untersuchungen selbst die Pfropfbastardnatur seiner Pflanzen widerlegt worden. Was sind nun aber dann diese merkwürdigen Gebilde? Baur, der gleichzeitig mit Wink ler über den gleichen Gegenstand experimentierte, vermochte die Lösung zu geben. Sie ergibt sich aus seinen interessanten Befunden über Periklinalchimären. Wir haben oben bereits Winklers Chimären kennen gelernt, die die enge Verwachsung von Tomaten- Nachtschattenteilen zu einer Einheit darstellen. Hier waren aber die beiden heterogenen Anteile nebeneinander angeordnet. Unter Periklinal- chimäre versteht aber Baur das Durcheinanderwachsen zweier verschie- dener Arten in der Form, daß das Gewebe der einen Art das der anderen vollständig einhüllt, also gewissermaßen das eine der Hand, das andere dem Handschuh zu vergleichen ist. Oder mit anderen Worten, bei einer Periklinalchimäre steckt ein Blatt, ein Stengel, ein Vegetationspunkt einer Pflanze in der Haut der anderen, wie es das Schema Fig. 161 illu- striert. Die Periklinalchimären sind aber nichts als eine Abart der ge- wöhnlichen Chimären, die die beiden Bestandteile nebeneinander zeigen. Wenn an dem Vegetationspunkt einer künstlich erzeugten Chimäre die beiderlei Gewebe zusammenstoßen und sich an dieser Stelle ein Blatt bildet, dann kommt ein solches Nebeneinander, eine Sektorialchimäre, zustande. Die Periklinalchimären konnte nun Baur in folgender Weise herstellen. Er benutzte die allbekannten Pelargoniu märten, die in grünen und weißblättrigen Formen vorkommen. Letztere können sich 474 — aber nicht allein ernähren und gedeihen daher nur, wenn man sie auf einer grünblättrigen Pflanze wachsen läßt. Und aus solchen Doppel- pflanzen vermochte Baur ähnliche Chimären mit grünweißen Blättern zu erzielen, wie sie Winkler bei Solanum erhalten hatte, also_Sektorial- chimären mit den verschiedenen Anteilen grüner und weißer Blätter. Wenn nun an dem Vegetationspunkt solcher Chimären grüne und weiße Gewebspartien aneinanderstoßen, kann es wohl vorkommen, daß das weiße Gewebe sich außen ein wenig über das grüne hinüberschiebt, so daß an einer solchen Stelle unter einer weißen Außenlage eine grüne Innenlage sich findet, wie es Fig. 162 darstellt. Wächst nun hier ein Blatt aus, so ist eine Periklinalchimäre ent- standen mit außen weißen Zellagen und innen grünen Schichten. Ein solches Blatt sieht dann aus, wie es Fig. 163 (links) zeigt, grün mit weißem Rand. Würde man einen Querschnitt hindurch legen, so erhielte man im Groben das Bild von Fig. 164 a, die im Vergleich mit dem normalen Blatt b die äußere weiße Hülle zeigt, und das genaue mikroskopische Bild von Fl&- l6t- Fig. 165a zeigt dann die farblose Schematischer Durchschnitt durch den Vegetationspunkt einer Periklinalchimäre äußere Pallisadenparenchymschicht aus einer s^chwarzen^und ^einer weißen untef ^ EpidermiS) die belm ge_ wohnlichen Blatt (b) natürlich grün ist. Solche Periklinalchimären wurden mit nur der Epidermis der weißen Pflanze, mit 2, 3 und mehr äußeren Zellschichten wie in noch komplizierterer Form erzeugt. Wie verhalten sich solche Periklinalchimären nun zu Winklers Pfropfbastarden? Die Beziehung ergab sich Baur vor allem aus dem Verhalten der Nachkommenschaft dieser Pflanzen. Es ist eine Tatsache, daß die Geschlechtszellen der Blütenpflanzen aus der ersten unter der Hautschicht liegenden Zellage des Vegetationskegels ihren Ursprung — 475 — Fig. 162. Schematischer Durchschnitt durch den Vegetations- kegel einer weißgrünen Chimäre, die oben links ge- eignet ist, den Ausgangspunkt für eine Periklinalchimäre zu liefern. Nach Baur. nehmen. Ist diese Schicht bei einer solchen Periklinalchimäre der weißen Pflanze angehörig, so kann von ihr aus also auch nur Samen weißer Beschaffenheit gebildet werden, umge- kehrt wenn diese Schicht grün ist, nur grüner Sa- men, und das war auch in der Tat der Fall. Nun haben wir schon die von Winkler festgestellte Tatsache erfahren, daß die Nachkommen seiner Pfropfbastarde stets nur dem einen Elter ent- sprechen, dem auch der Habitus des Bastards mehr glich. Wenn die vermeintlichen Pfropf- bastarde aber Periklinal- chimären sind, dann ist dieses Verhalten nicht nur auf das einfachste erklärt, sondern muß so- gar postuliert werden. Der Nachweis, daß diese Annahme richtig ist, kann nun nach dem, was wir früher hörten, auf einfache Weise geführt werden: da die Chromo- somenzahlen der beiden Stammarten so sehr ver- schieden sind, so muß ja leicht festzustellen sein, ob in den äußeren Zellschichten die eine, in den inneren die andere Zahl sich findet. Und das ist denn in der Fig. 163. Links. Periklinalchimärenblatt von Pelargonium mit weißem Rand, rechts ein solches, das zeigt, wie die Haut der einen Pflanze für das übrige Blattgewebe der anderen zu eng ist. Nach Baur. — 476 — Tat, wie Winkler feststellte, der Fall: Der vermeintliche Pfropf- bastard Solanum tubingense ist wirklich eine Periklinalchimäre mit einer Tomatenzellschicht außen, die das innere Nachtschattengewebe umschließt. Fig. 164. Schematischer Querschnitt durch den Blattrand, a einer grün-weißen Periklinalchimäre, b eines normalen grünen Blattes nach Baur. Fig. 165. Die in Fig. 165 eingerahmten Stellen stärker vergrößert. Nach Baur. — 477 — Aber auch für den Crataegomespilus wie den Cytisus Adami konnte Baur das gleiche feststellen, nachdem schon früher ihre anatomische Untersuchung die Zusammensetzung aus den getrennten Geweben der beiden Mutterpflanzen erwiesen hatte. Ersterer ergab bei der Fort- pflanzung reine Crataegussämlinge, es ist also zu erwarten, daß die supepidermale Zellschicht dem Weißdorn angehört. In der Tat zeigte sich bei mikroskopischer Untersuchung, daß die Epidermis eine typische Mispelhaut, das innere aber Weißdorngewebe ist. Und mit dem Cy- tisus Adami ist es nicht anders: er ist ein Laburnum vulgare mit der Haut eines Cytisus purpureus, wie schon Macfarlane ahnte und Buder bewies. Der Bizzarrien braucht wohl nun gar keine Erwähnung mehr getan zu wTerden, sie erweisen sich ohne weiteres als einfache Sektorial- chimären. Noch fehlt diesen Folgerungen ein Schlußstein: die künst- liche Erzeugung dieser Chimären auf einem durch solche Interpretation . vorgezeichneten Weg. So wenig ihre erste Entstehung bekannt ist, so wenig ist das bisher gelungen. Doch sprechen nunmehr alle Tatsachen so sehr für Baurs Lösung des Problems, daß man wohl sagen darf, daß es nur eine Frage der Zeit ist, daß auch jener letzte Stein zugefügt wird. Ist damit die Frage der Pfropfbastarde definitiv als erledigt zu be- trachten? Es wäre sicher voreilig, einen solchen Schluß zu ziehen, wenn er auch sehr viele Wahrscheinlichkeiten für sich hat. Winkler selbst verfügt auch noch über einen Fall, der durch die Deutung als Periklinalchimäre nicht betroffen wird, sein Solanum Darwinianum. Denn hier fand er eine Chromosomenzahl, die eine Kombination der Zahlen von Tomate und Nachtschatten darstellt, nämlich 48. Es bleibt somit abzuwarten, wie sich diese letzte Möglichkeit der Existenz eines Pfropfbastards aufklärt. Soviel aber kann man jezt schon sagen, daß die Anschauung, daß durch die Erzeugung der vegetativen Bastarde die ganzen Fundamente der Befruchtungs- und Vererbungslehre er- schüttert werden, zunächst noch nicht als begründet zu betrachten ist. Dagegen wird diesen Periklinalchimären, wie überhaupt den Chi- mären, weiterhin eine ganz außerordentliche Bedeutung für die Lösung entwicklungsmechanischer, morphogenetischer und physiologischer Fra- gen zukommen. \ 478 Literatur zur achtzehnten Vorlesung. Baur, E., Das Wesen und die Erblichkeitsverhältnisse der Varietates albo- marginatae hört, von Pelargonium zonale. Zeitschr. f. ind. Abst.- und Vererbungsl. 50. 1909. — , Pfropfbastarde. Biolog. Centralbl. 30. 1910. — , Pfropfbastarde, Periklinalchimären und Hyperchimären. Ber. d. D. B. G. 27. 1910. Buder, J., Studien an Laburnum Adami. Zeitschr. f. indukt Abst,- u. Vererbungsl. 5. 191 1. Harrison, R. G., Embryonic Transplantation and development of the nervous System. Anat. 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Bot. 8. 1916. Neunzehnte Vorlesung. Die Vererbung und Bestimmung des Geschlechts. Die Vererbung sekundärer Geschlechtscharaktere. Wir lernten in früheren Vorlesungen bereits die entscheidenden Tat- sachen über Vererbung und Bestimmung des Geschlechts im Zusammen- hang mit allgemeinen Vererbungsproblemen kennen. In Anbetracht des großen allgemeinen Interesses, das dem Gegenstande entgegen- gebracht wird, seien die Hauptpunkte nun nochmals im Zusammenhang beleuchtet und ergänzt, ohne daß wir auf allzuviele Einzelheiten ein- gehen wollen, die nicht direkt zur Vererbungslehre gehören. Wenn wir die Tatsache als gegeben annehmen, daß es zwei Geschlechter gibt, so ist das erste Problem, das sich uns bietet, den Mechanismus der Geschlechtsvererbung zu klären, also zu zeigen, welcher Mechanismus es bedingt, daß die Nachkommenschaft eines Elternpaares immer zu etwa gleichen Teilen aus weiblichen und männlichen Individuen besteht. Wir sahen bereits, daß dies allgemeine Erbproblem in Übereinstimmung mit anderen Fragen des Erbmechanismus seine Lösung fand. Wir wissen, daß der Mechanismus dadurch gegeben ist, daß das eine Geschlecht heterogametisch ist, zwei Sorten von Geschlechtszellen bildet, das andere homogametisch, eine Sorte von Geschlechtszellen bildet. Bei Orthopteren, Dipteren, Säugetieren ist das männliche Geschlecht das heterogametische, bei Lepidopteren und Vögeln umgekehrt das weibliche. Wir sahen dann daß solches Verhalten auf das schönste übereinstimmt mit dem Mecha- nismus einer Mendelschen Rückkreuzung. Wird der Bastard Aa mit der rezessiven Stammform aa rückgekreuzt, so entstehen wieder zur Hälfte Aa und aa. Wir sahen dann, daß, ebenso wie die Mendelspaltung ihre Erklärung dadurch findet, daß die Erbfaktoren in den Chromosomen gelagert sind, in gleicher Weise auch der Heterogametie-Homogametie- Mechanismus der Geschlechtsvererbung durch einen Chromosomen- mechanismus gegeben ist. Dies war der Mechanismus der Geschlechts- — 480 — Chromosomen, das Vorhandensein von zwei Ä'-Chromosomen im homo- gametischen, einem X-Chromosom im heterogametischen Geschlecht. Das Verhalten der Chromosomen in den Reifeteilungen bedingt es, daß so das heterogametische Geschlecht zwei Sorten von Gameten bildet, eine mit, eine ohne X-Chromosom. Wenn nun in den Är-Chromosomen ein geschlechtsdifferenzierender Faktor gelegen ist, der in doppelter Dosis (XX) das homogametische Geschlecht, in einfacher Dosis (X oder X Y) das heterogametische Geschlecht bedingt, dann ist der Mechanismus der Geschlechtsverteilung völlig aufgeklärt. Wir sahen nun auch bereits, daß diese Annahmen auf die verschiedenste Weise bewiesen werden konnten, und jetzt so gesichert sind, wie es über- haupt denkbar erscheint. Der erste Versuch, das Heterogametie- Homogametie-Schema (unabhängig von der Chromosomenlehre) zu beweisen, war die folgende Untersuchung von Correns: Correns ging von der Tatsache aus, daß monözische und diözische Pflanzen, also solche, die männliche und weibliche Blüten an einer Pflanze oder nur an getrennten Pflanzen erzeugen, diese Fähigkeit auf ihre Nachkommen vererben. So ist die Dimorphoteca pluvialis eine extrem monözische, eine trimonözische Pflanze, indem ihre Blüten- köpfchen gleichzeitg männliche, weibliche und Zwitterblüten enthalten. Wie man nun aber auch diese drei Blütenarten sich untereinander be- fruchten läßt, stets entsteht wieder eine trimonözische Pflanze. Es müssen somit alle Geschlechtszellen einer monözischen Pflanze diesen Charakter besitzen, und dadurch eröffnet sich vielleicht die Möglichkeit, durch Kreuzung mit einer diözischen Pflanze, deren Gecshlechtscharakter männlich oder weiblich ja bekannt ist, erstere analysieren zu können. Correns kreuzte deshalb die monözische Zaunrübe Bryonia alba mit der getrennt-geschlechtigen B. dioica. Wurde nun dioica $ x alba q gekreuzt, so war die gesamte Nachkommenschaft weiblich, nämlich 587 Individuen (zu denen allerdings als Ausnahme 2 $ kamen). Die umgekehrte Kreuzung dioica $ x alba $ ergab aber zu genau gleichen Teilen männliche und weibliche Pflanzen, nämlich 38 : 38 Individuen. Die normale Befruchtung zwischen dioica $ und $ gibt natürlich wieder zu gleichen Teilen beides. Nun wissen wir schon, daß monözische Indi- viduen sämtlich den Charakter Monözie, Zwittrigkeit, vererben. Das — 481 — Resultat erfordert also, daß bei der diözischen Pflanze männliche und weibliche Individuen verschiedene geschlechtliche Tendenz haben. Es wird erklärt, w 5 ^ <^$ 2 ^ ^,7 '18<^ 9 $ ? ?19 ? d £ 20 [6] 0O Cj ^2ld21a(£f22 C? 0 t=21 0= 26 Fig. 174. Stammbaum über Vererbung der Brachydaktylie. Nach Drinkwate r. Betrachten wir nun eine rezessive Eigenschaft, die also durch das Fehlen eines Faktors bedingt ist. Werden die Individuen, die die Eigen- schaft oder Krankheit manifest zeigen, die somit den Erbfaktor nicht besitzen, also reine Rezessive RR sind, wieder schwarz angegeben, so ergibt sich für den Vererbungstypus im Schema der folgende Stamm- baum (Fig. 176). Der kranke Mann RR heiratet die gesunde Frau DD. Alle Kinder sind heterozygot DR, erscheinen also gesund, obwohl sie den rezessiven Krankheitskeim tragen. Ein solcher Sohn DR (rechts) heiratet eine gesunde Frau DD, und deren Kinder sind somit zur — 502 — Hälfte DR, zur anderen Hälfte DD, also alle scheinbar gesund. In Wirklichkeit führt aber die Hälfte den Krankheitskeim in der Erb- masse mit {DR). Aus deren Heiraten mit Gesunden können dann zahllose Generationen scheinbar ganz Gesunder hervorgehen, bis ein- mal ein DR Individuum auf ein anderes DR Individuum trifft. Am Fig. i75- Scheckung beim Menschen. Alter Stich mit der Aufschrift: >The spotted negro boy. George Alexander Opattan, the spotted boy died on the 3. Febr. 1813 aged 6 years, was buried at Great Mario w in Buckingham . . . .« »Painted from life by Dan. Orme and engraved under his Direction by his late pupil P. R. Cooper.« ehesten wird dies natürlich bei Verwandtenheiraten der Fall sein, wie das Schema in der 3. Generation in der Mitte zeigt, wo ein Mann DR seine Kusine DR heiratet. Nun ist die Vorbedingung für die Mendel- spaltung DD : DR : RD : RR gegeben. Von den Kindern wird also x/4 RR, d. h. krank: Die scheinbar aus der Familie ausgelöschte Krank- heit erscheint wieder. Des weiteren ist noch die Möglichkeit gegeben, — 503 — daß ein krankes Individuum RR ein heterozygot-gesundes {DR) hei- ratet, wie der Stammbaum in der i. Tochtergeneration links zeigt. Dann ist die Hälfte der Nachkommenschaft DR, also heterozygot gesund, die andere aber RR, also krank. Heiratet endlich ein krankes Individuum RR ein anderes krankes (Enkelgeneration links), so ist die ganze Nachkommenschaft krank. Es ist klar, daß dieser rezessive Typus praktisch besonders wichtig ist, weil er zeigt, wie scheinbar er- loschene Krankheiten doch immer wieder auftreten können. Eine Aus- schaltung der Krankheit ist eben auf die Dauer nur möglich, wenn nie ein krankes Individuum zur Fortpflanzung kommt. Allerdings werden ffffft * QDÜ RRQ DRO 9 Ö DRÖ (^DD RR* RR4 • O DRQ DRÖ 909 ÖüffO (Süß | co/753 ngu irr | 1 I • 9 • f • er t c?9 o 9 c5^9 0D0 c — r ö 9 o 9 Fig. 176. Schematischer Stammbaum zur Vererbung einer rezessiven Krankheit. Nach Plate. auch so die DR Individuen aus früheren Generationen — die Sünden der Väter — nicht beseitigt und bilden eine dauernde Gefahr. Als Typus einer rezessiven Eigenschaft kann beim Menschen ebenso wie bei Tieren und Pflanzen der Albinismus gelten, also das Ausfallen des Farbkomplements, so daß die Haare farblos, die Augen rot erscheinen (Kakerlaken). Wenn solche in einer Familie plötzlich auftreten, müssen beide Eltern DR gewesen sein und die Zahl der Albinos 1/4 der gesamten Kinderzahl betragen, was tatsächlich zutrifft. Zwei albinotische Eltern aber können nur Albinos erzeugen. Viel größeres Interesse beanspruchen aber die rezessiven Krankheitsanlagen, zu deren wirklicher Bekämpfung durch die Erkenntnis der Gesetzmäßigkeit die erste Handhabe gegeben — 504 — ist. Zu diesen scheint die Taubstummheit zu gehören, wie auch die Epilepsie und Schwachsinn. Die praktischen Folgerungen sind bereits oben an Hand des Schemas abgeleitet. Wir haben in früheren Vorlesungen ausführlich das so sehr interessante Kapitel der geschlechtsbegrenzten Vererbung behandelt. Es ist nun sehr bemerkenswert, daß sich gerade dafür besonders typische Fälle beim Menschen finden. Das Wesen jenes Vererbungsmodus war es, daß der betreffende Erbfaktor in charakteristischer Weise mit den geschlechts- bestimmenden Faktoren gekoppelt war. Das gleiche ist nun bei den be- treffenden menschlichen Eigenschaften der Fall, und dabei kommt folgen- der merkwürdige Vererbungsmodus zustande : die Erkrankung kann nur im männlichen Geschlecht sichtbar werden und überspringt in der Ver- erbung eine Generation. Heiratet ein kranker Mann eine gesunde Frau, so sind^lle Kinder gesund. Auch die Nachkommen der Söhne bleiben gesund. Dagegen sind die Hälfte der Söhne der scheinbar gesunden Töchter wieder krank. Die nur bei Männern manifeste Krankheit wird also nur durch scheinbar gesunde Frauen Überträgen. Die bekanntesten Krankheiten, die auf diese ,,gynephore" Art vererbt werden, sind die Bluterkrankheit und die Farbenblindheit. Für erstere ist nachstehend (Fig. 177) der berühmte Stammbaum der Bluterfamilie Mampel wieder- gegeben. Man erkennt daran leicht, wie genau sich die Krankheit an das Vererbungsschema hält. Die mendelistische Erklärung dieser Fälle ist nun nicht ganz leicht. Meist wird angenommen, daß dabei ein geschlechtsbedingter Domi- nanzwechsel im Spiel ist, also derselbe Faktor im männlichen Geschlecht dominant, im weiblichen rezessiv ist. Wir haben nun früher schon ausführlich erörtert, wie sich gerade im Fall der geschlechtsbegrenzten Vererbung die Übertragung der Tatsachen auf die Chromosomenlehre als Lichtspenderin erweist. Und das trifft auch für diese merkwürdige Art geschlechtsbegrenzter Vererbung zu, wie leicht aus der Betrachtung nebenstehenden Schemas nach Wilson hervorgeht (Fig. 178). Die chromosomale Erklärung der Geschlechtsbestimmung fußte ja auf der Tatsache, daß ein Geschlecht homogametisch, das andere heterogame- tisch ist. Beim Menschen ist, nach allem was wir wissen, das männliche Geschlecht das heterogame tische, wenn auch in den Einzelheiten die — 505 Ansichten noch unglaublich weit auseinandergehen, das weibliche Geschlecht zwei X-Chromosomen, das nur eines. Die weitere An- nahme war die, daß der geschlechtsbegrenzt vererbte Faktor innerhalb des Ar- Chromosoms lokalisiert ist. Wir können also das den Krankheitsfaktor tragende AT- Chromosom in Kürze das kranke X - Chromosom nennen und zeichnen es im Schema schwarz eingerahmt. Der Krankheitsfaktor aber ist rezessiv. Heiratet nun eine gesunde Frau einen kranken Mann, so liegen die Geschlechtschromosomen- verhältnisse vor, wie es die i. Reihe des Schemas angibt. Da das A- Chromosom des Mannes keinen Partner hat, so muß natürlich ein Mann mit einem kranken A-Chro- mosom auch immer manifest krank sein. Die zweite Reihe zeigt nun die Gameten, die diese Eltern bilden und die dritte die beiden Kombinat tionsmöglichkeiten bei den Kindern. Man sieht sofort, daß alle Söhne gesund sein müssen und auch die Krank- heit nicht übertragen kön- nen, da sie ja kein krankes Es hätte somit männliche aber c I S-H Vi Ü rC3 ü d ho v s w Ol s p es £ 3 ■4-> CO — 506 X-Chromosom besitzen. Auch die Töchter sind gesund, da Gesundheit über Krankheit dominiert. Aber sie besitzen ein krankes X-Chromosom, durch das sie zu Trägern der Krankheit werden. Heiratet eine solche heterozygot-gesunde Frau einen gesunden Mann, so können sich nun die 4 Gametensorten vereinigen, die in der 4. Reihe dargestellt sind, Eltern P Gameten vonP- Kinder in Fi. Gameten, vo n Fi. Kinaer /^\ in Fi. O Linie Vater Krank Matter qes und Kinder gesunä Tockttr überträft ■*-■■: ,/iderJo'A?ie KranK 1 'iderTöthter übertra-yen Fig. 178. Schema des Verhaltens der Geschlechtschromosomen bei der Vererbung der Bluter- krankheit. Nach Wilson. und das ergibt im ganzen die 4 Kombinationen der 5. Reihe. Ein Blick zeigt, daß alle Töchter gesund sind, daß aber die Hälfte von ihnen wieder in gleicher Weise die Krankheit weiter vererben können. Von den Söhnen ist aber die Hälfte gesund, die Hälfte krank. So klärt sich auch dieser merkwürdige Vererbungstypus in einfacher Weise auf. — 507 — Wir haben nun beim Studium des Mendelismus eine Fülle von Kom- plikationen kennen gelernt, die alle ihre mehr oder minder befriedigende Erklärung fanden. Es ist natürlich zu erwarten, daß auch beim Menschen die betreffenden Erscheinungen sich finden werden. War aber ihre Analyse schon im Vererbungsexperiment schwierig, wievielmehr muß sie es bei einem nur statistisch zugänglichen Material sein. Und so läßt sich bis jetzt auch nicht viel mehr Sicheres angeben, als diese hier aufgeführten Elementarfälle. Es steht zwar auch schon fest, daß solche komplizierten epistatische Systeme, wie wir sie für die Färbung der Nagetiere kennen lernten, vorliegen, und der Anfang zu ihrer Analyse ist bereits für die Eigenschaften Haarfarbe und Augenfarbe gemacht. Es steht ferner fest, daß es polymere Eigenschaften gibt, die sich also nach dem Prinzip von Nilsson-Ehle verhalten. Eine solche, die Hautfarbe bei Kreuzung von Negern und Weißen, ist bereits analysiert und wurde von uns früher schon besprochen. Aber für diese, wie für andere Punkte muß noch viel Material gesammelt werden, ehe die Gesetzmäßigkeiten klar demon- striert werden können Das ist aber begreiflicherweise nicht leicht. Abgesehen von den technischen Schwierigkeiten der Stammbaum-* forschung, sind auch gerade die Eigenschaften, die praktisch am wich- tigsten sind, oft sehr schwer zu fassen. So ist es oft kaum möglich zu unterscheiden, ob eine Krankheit gleicher Erscheinung vererbt oder individuell erworben ist. Besonders embryonale Defekte sind da eine gefährliche Fehlerquelle. Dann kann das gleiche Krankheitsbild durch ganz verschiedenartige Erbfaktoren bedingt sein, die wir dann zunächst nicht trennen können, umgekehrt kann ein Erbfaktor sein Vorhanden- sein in sehr verschiedenem Effekt dartun. Es kann aber auch das Manifestwerden einer Krankheitsanlage an die Lebenslage oder das Alter geknüpft sein, es kann ein und derselbe Krankheitstyp na.ch ver- schiedenen Modis vererbt werden, ebenso wie etwa die äußerlich gleiche Färbung bei Tieren in verschiedenen Fällen dominant, rezessiv, inter- mediär, geschlechtsbegrenzt vererbt werden kann. (Für die Farben- blindheit kennt man z. B. schon mehrere Vererbungstypen.) All dies sind unendliche Schwierigkeiten, die nur langsam Schritt für Schritt über- wunden werden können. Voraussetzung dazu ist, daß die ärztliche Wissenschaft, die in dieser Richtung arbeitet, die Rassenhygiene, mit der — 508 — Beherrschung des ärztlichen Wissens auch die völlige Vertrautheit mit den Tatsachen der Erblichkeitsforschung verbindet. Die unendlich mühevolle und zunächst sicher keine schnellen und blendenden Resul- tate versprechende Einzelforschung wird dann einmal auch Großes zum Wohl der Menschheit beisteuern können. Literatur zur zwanzigsten Vorlesung. Die größte Materialsammsung zur Vererbung beim Menschen ist: Treasury of human inheritance. Issued by Eugenics Laboratory, University College, London. Reiches Material über Mendelismus beim Menschen ist zusammengebracht bei: Plate, L., Vererbungslehre, Leipzig 1913. Zusammenfassende Darstellungen über Rassenhygiene oder Eugenik sind : Davenport, C. B., Heredity in relation to Eugenics. New York 1911. Guyer, M. F., Being well-born. Indianapolis 1916. Schallmayer, W., Einführung in die Rassenhygiene. Ergebn. Hygiene Bact. Berlin 19 17. Schuster, E., Eugenics. London 1912. Ziegler, H. E., Die Vererbungslehre in der Biologie und in der Soziologie, Jena 1918. Die neuere deutsche Literatur findet sich hauptsächlich im Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, die amerikanische in den Veröffentlichungen des Eugenics Record Office. D. H. HILL LIBRARY . North Carolina State College Register. Abraxas grossulariata 101, 261, 266. Achatinellen von Hawaii 354. Adametz 360. Aegilops ovata Bastard 327. Ageniaspis 482. Aglia tau 152, 154. Ahnenerbe 49. Albinismus beim Menschen 503. Allelomorphe, multiple 385. Allelomorphismus, multipler 384. Alpensalamander 452. Altenburg 353. Amma 443, 460. Amphidasys betulariae 407. Amphimixis 123. Anasa tristis 253. Anconschaf 408. Ancyracanthus 255. Andalusierhühner 155. — Farbe der 161. — blaue 309. Angiostoma nigrovenosum, Ge- schlechtschromosomen 258. Anosia plexippus 359. Anpassungen, funktionelle 103. Antirrhinum majus 318, 419. — die Gartenvarietäten des 223. — (Aurea)-Sippe von 314. — Artbastarde von 319. Antirrhinumspezies, Kreuzung von 423- Anuraea cochlearis 121, 122. Araschnia levana 96. Arctia caja, Aberrationen von 456, 457- Arenander 409, 433 Artbastarde, Mendeln von 320. Ascarisei 183. Atavismus 130. Auf zählungsreihen 12. Axolotl 103. — Metamorphose von 450. Babak 103, 124. Babcock und Claussen 175, 291, 303, 360. Baehr v. 257, 279. Bakewell 339. Bally 328. Baftzer 279, 326, 334, 391, 392. Bartlett 423, 433. Basilarchia disippus 359. Bassethund, Farbe des 57, 61. Bastarde, intermediäre 154. — konstante 328. — scheinbar intermediäre 329. Bastardkonstruktion 342. Bastardforschung, ältere 128. Bateson 4, 58, 59, 62, 106, 107, 131, 124, 146, 152, 154, 161, 168, 174, 175, 204, 207, 214, 215, 225, 245, 265, 279, 286, 288, 334, 400, 423, 493- — und Punnett 205, 262, 266, 267, 286, 288, 289, 307, 309. Bauhin 401. Baumberger 113, 124. Baur 99, 105, 124, 175, 217, 223, 224, 225, 245, 288, 307, 314, 319, 320, 334, 358, 419, 431, 433, 473, 474- 475. 476, 477. 478, 487- Beebe 99, 124. Berberis vulgaris var, atropurpurea, Berberize 404. Biene, Chromosomen 259. Bienengynandromorphen 486. Biffen 168. — 510 — Biotypus /O, 88. Birkenspanner 419. Biston hirtarius 10 1, 321. Bizzarria 467, 468. Blankinship 41, 47. Blattläuse, Geschlechtschromo- somen 257. Blutbuche 404. Bluterkrankheit 504, 506. Bohnensamen, Variabilität in der Länge von 91. Bohnen, reine Linien 72. ■ — Kreuzungen 311. — Samengewichte von 107. Bonin 80. Bonhote 330, 331, 334. Bonnet 495. Boveri 193, 201, 258, 279, 390, 391, 393. 394, 441- 442> 46°. 472, 486, Brachydaktylie 500, 501. Brake 368. Bravaissche Formel 26. Bredahuhn 207. Brennesselkreuzungen 151. Bridges 272, 273, 274, 275, 277, 278, 279, 291, 306, 307, 353, 360. Bryonia 480, 487. Buchstabensymbole 216. Buchner 460. Buder 477, 478. Bumpus 115, I2i, 124. Burbank 327, 347, 406. Callimorpha dominula 311. Capsella bursa-pastoris 230. Carcinus maenas 41, 42. Cardium edule 106. Castle 124, 175, 222, 241, 243, 245, 248, 279, 314, 319, 349, 350, 351, 353. 360, 384, 394, 446, 501. Cattell 291. Caullery 495. Cerion 354 Chauvin, Marie von 103, 124. 451, 453. 461- Chelidonium laciniatum 401. Chiasmatypie 295, 301, 305, 306. Chimären 464. Chondriosomen als Vererbungsträger 334- Chromogen 210. Chromosomen 179, 181, 182, 186, 441. — mechanismus der Mendelspal- tung 177. — theorie der Mendelspaltung 251. — bei Artbastarden 321. — qualitative Verschiedenheit 189. — Verschiedenheit der 191. — als Vehikel für Mendelfaktoren 195- — Zahl der 182, 184. — garnitur 189. — Entfernung der Faktoren im 296. Chromosomenkarte 296, 299, 301, 306. Chrysanthemum segetum 37, 38, 4°5- Clavellina 178.. Cole, L. J. 225. Colias edusa 355. Correns 61, 62, 131, 146, 151, 152, 154, 169, 174, 175, 204, 226, 247, 248, 257, 279, 272, 310, 311, 313, 319, 333- 334, 335> 480, 487. 489, 495- Correns-Goldschmidt 282. Coutagne 354, 360. Crampton 354, 361. Crataegomespilus von Bronvaux 467 crossing over 291. Cuenot 204, 209, 218, 222, 226, 335, 360 361, 384, 394. Cunningham 30. Cyklomorphose 108. Cymatophora or albingensis 407. Cytisus Adami 466, 477. Dabrowa, von 408. Daphniden, Klone der 82. Daphnien 121. — Standortsvarietäten der 86. — Helmhöhe der 107. — Kopfhöhen der 107, 110. Darbishire 59, 60, 62, 137, 151, 174, 175, 222, 226, Darwin 1, 2, 3, 19, 21, 23, 24, 65, 69, 100, 106, 123, 125, 128, 129, 130, 131, 146, 148, 153, 204, 205, 511 — ' 337. 353- 398, 399, 4ox. 4°8, 4°9, 410, 431, 433. 438, 447- 455. 461, 493- Davenport 19, 20, 41, 47. 5Ö> I52. 155. 156. !57. 174. 246, 248, 446, 461. 494. 5°8- — G. u. C. 245. — und Ar kell 494. Davis 423, 431, 433- Deilephila- Artbastard 323. Delboeufs Gesetz 416. Delcourt und Guyenot 113, 125. Detlefsen 329, 335. Determination der Geschlechts- charaktere 364. Dexter 291. Diabetes 500. Difflugia 389. Dihybridismus 161. Dimorphismus, fester 43, 45. — physiologischer 41. — sexueller 98. Dimorphoteca pluvialis 480. Dipsacus sylvestris 44, 45. Divergenz 21. Dobell 461. Domestikation 337. Dominanz, Wesen der 389. — unvollständige 153. Unvollkommenheit der 151. Dominanzregel 148. Dominante Merkmale 148. Dominanzwechsel 156. < Doncaster 125, 259, 279, 262, 393» . 394. 495- — und Raynor 261. Doppelmutanten 420. Doppelfrosch 465. Dorfmeister 96.. 125. . Draeger 343. Drinkwater 500, 501. Drosophila 273, 283, 289, 294. 299. 313, 3i8, 353. 384. 428, 43L 486. — Mutanten von 302, 419. — in sterilen Reinkulturen 113. — Inzucht der Fliege 124. — geschlechtsbegrenzte Vererbung 272. Chromosomen von 300. Duncker 15, 19, 27, 35. 47- IX5- I25- Durham, Miß 210, 218, 219, 222, 226, 314, 335- East 82, 89, 236, 238, 239, 241, 248, 319, 335. 347- 349. 361. Echinodermen, Larven der 390. Echinus 390. Disposition zum Variieren bei H9- Echinusei, Kerne der ersten Blasto- meren des disperm befruchteten 192. Ehrlich 127. Einhuferschwein 408. Emerson 247, 248, 394. Encyrtus 483, 485. Engler 468. • Enriques 22, 47. Enten, Artkreuzungen von 330. Epicnaptera tremulifolia 98. Epilepsie 504. Erblichkeit in Populationen und reinen Linien 72. Erblichkeitsziffer 54. Erbsen, reine Linien 72. Erhaltenbleiben von Sports 418. Ernährungsmodifikation 100. Euschistus 255. Ewart 344, 345. 361. 458. 459, 4&1- Faktorenanalyse 203. der Mäuserassen 217. Faktorenaustausch 294, 3!3- doppelter 301, 303. — Zusammenarbeiten im Hervor- bringen von Eigenschaften 203. Farbenblindheit 504. Fasanenkreuzungen 328. — Gattungsbastarde 323. Fasziation 45. Federley 33°, 335- 472- Fernandez 482. Fick 201. Fischer 125, 457, 4DI- Fleischfresser mit Pflanzenkost ge- füttert 103. Focke 128, 146. Frequenzkurve 12. — 512 Frost 316, 335, 433. Fruwirth 82, 89. Fryer 357, 358, 361. Gärtner 128, 146. Gallus bankiva 215. Galton 22, 26, 29, 47, 49, 50, 52, 53 54. 56. 57> 58> 62, 64, 66, 68, 70, 72, yy, 89, 92, 94, 125, 246, 349. Galtons Gesetz vom Rückschlag und Ahnenerbe 78. Galtons Zufallapparat 93. Gartenvarietäten 404. Gastropacha populifolia 98. Gates 201, 433. Gaußsches Fehlergesetz 94. Gayot 328, 343. Gebrauch und Nichtgebrauch 447. Gelei 185. Gene 69, 105. Genotypus 69. Gerould 356, 361. Gerste, reine Linien 72. Geschlechtliche Auswahl, s. Homo- gamie 21. Geschlechtsbegrenzte Vererbung beim Menschen 504. Geschlechtscharaktere, sekundäre 365- Geschlechtschromosomen 251. — Typen von 255. — beim Abraxasfall 269. — beim Menschen 505. Geschlechtsdimorphismus 41, 43. Geschlechtsfaktoren 363. Geschlechtsproblem bei höheren Blütenpflanzen 487. Geschlechtsvererbung als Mendel- sche Rückkreuzung 257 Giard 41, 47 Godin 129 Godlewski 155, 156, 157, 175, 202, 327, 39o, 39i, 392, 394 Godron 328, 405 Göbel 24, 47, 103, 104, 125, 445 Goldschmidt 174, 269, 280, 282, 307, 335. 361, 384» 395. 433. 443. 494. 495 Gonadentransplantationen 446 Goodale 265, 266, 280 Goodspeed und Clausen 326, 335, 43C 434 Gracilaria stigmatella 450 Gregory 288, 307 Gregoire 186, 187, 188 Gruber-Rüdin 505 Guaita 22, 226 Guignard 170 Gulick 269, 280, 354, 361 Guyer 202, 226, 280, 432, 508 Gynandromorphe 364, 367 Gynandromorphismus 259, 486 Haacke 222 Habsburger Familientypus 500 Hacker 175, 202 Hagedoorn 210, 222, 226, 265, 266, 280, 310, 335 Hafer 81 Haferkreuzungen 228 Halicore, Zähne der 448 Hansen 445 Harms 495 Harris 26 Harrison 395, 465, 466, 478 Hasen- Kaninchen- Kreuzungen 328, 343 Hautfarbe von Mulatten 507 Hays 79 Hefferan 11, 19 Hegner 366, 395, 461 Heider 202, 189 Heincke 31, 32, 36, 47, 86, 87, 88, 89 Helix 354 — hortensis 321 — Längs Kreuzung von Varietäten der 320. — Monohybridenfall der 158 — nemoralis 167 Hei weg 29 Henking 252, 280 Herbst 326, 335, 391, 392, 393, 395, 461 Heribert-Nilsson 318, 320, 335, 434, 424, 423, 431 Hering 86, 87 — Lokalrassen vom 31 — Naturgeschichte des 31 Hermaphroditen 364, 367. — 513 — Hertwig, O. u. R. 280, 335, 390, 395- — G. 326. — R. 490, 491, 495. Heterogametie, weibliche 260. Heterogamie 427. Hieraciumarten, Speziesbastarde von 326. Hipponoe 393. Hofer 86. * Höhlentiere 360. Homogamie 21. Honing 423, 434. Hormone der geschlechtlichen Diffe- renzierung 491. Houssay 103, 125. Hühner, Extrazehe der 153. — geschlechtsbegrenzte Vererbung 265. Hühnerkreuzungen 152. Hühnerrassen, Vererbung des Ge- wichts 247. Huhn, polnisches, Korrelation 23. Hurst 146. Hyalodaphnia in. Hybridatavismus 203, 204 Hypospadie 500. Janssen 291. Janczewski 327. Ibsen 61, 63, 314. — und Steigleder 335, Jennings 19, 26, 38, 39, 47, 82, 85, 89, 113, 114, 115, 125, 147, 307, 389. 395. 445- — und Hargitt 20, 83. Immunstoffe 445. Infusorien 445. Instinktvariationen 449. — Vererbung einer 451. Interferenz 306. Intersexualität 364, 367, 493. Johannisbeerenbastarde 327. Johannsen 17, 20, 26, 28, 37, 47, 54, 58, 59, 63, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 78, 79, 84, 89, 105, 107, 125, 175, 410, 434, 443. Jones 349, 361. Isolationsindex 42. Goldschmidt, Vererbungswissenschaft. 2. Kahle 443. Kammerer 347, 361, 451, 452, 454, 461, 462, 495. Kammformen 204. Kanarienvögel 101. Kaninchen,, Vererbung der Ohren- länge bei 241. Kapteyn 26, 47. Karyokinese 179. Kastration, parasitäre 41, 43. — und sekundäre Geschlechtscha- raktere 365. Kastrations- und Transplantations- experimente 491. Katzen mit blauen Augen 23. Keimbahn 441. — von Ascaris megalocephala 441. — bestimmer 443. Keimplasma 439. Keller 492. Kellogg 365, 395. Keratoma 500. Kerner von Marilaun 327, 336. Kern als Träger der Vererbung 182. Kingston 501. Kirkham 314, 336. Klassen Varianten n. — diskrete und 14. Klebs 116, 119, 125. Klone 82. Knight 128. Knospenmutation 410. Köhler 394, 395. Koloradokäfer n, 419, 432, 456. — Variationsreihe 7, 8, 13. — Homogamie 22. 24. — Mutationen des 407, 417. — Spezieskreuzung 423. Kölreuter 128, 146. Komplexheterozygotie 428, 429. Kollektivsymmetrie 27. Konstante Bastarde und Polymerie 245- Kontamination von Genen 319. Kontinuität des Keimplasma 440. Kopec 365, 395- Korrelation 23. — graphischer Ausdruck für 53. Korrelationskoeffizient 26. Korscheit 478. Aufl. jj 514 Korschinsky 400, 401, 405, 434. Krabben, Zuchtwahl bei 29. — Größenvariation bei 121. Kreuzungsexperiment mit zwei ge- schlechtsbegrenzten Faktoren 290. Kronacher 100, 175. Kryptomerie 204, 215. Kükenthal 448, 462. Kupelwieser 391, 396. Kurve, zweigipflige 36. Kurvengipfel 15. Kuschakewitsch 490. Kysela 325. Lamarck 437, 438, 462. Lamarekismus 436, 447. Lambotte 405. Lang 20, 77, 167, 174, 176, 226, 242, 246, 249, 321. 322; 336, 354. 355. 361, 462, 470. Lasiocampa quercus 101, 102. Latenz 204. Lathyrus odoratus 215, 286. — Samengröße 50, 54. — Koppelung und Abstoßung 283 Lauterborn 121, 122, 125. Lebenslage und Selektion 75. Lebenslage Variation 86, 106. Leche 447, 462. Le Couteur 79. Leporiden, s. a. Hasenkaninchen 328. Leptinotarsa multitaeniata 12. — Variationsreihe des 7, 8, 13. — Lebenslage Variation von 109. Lethalfaktoren 314, 315, 318, 427, 429, 430. — bei Drosophila 315. — innerhalb des Geschlechtschro- mosoms 315. Levkojen, Vererbung der gefüllten 315. 427- Leydig 354. Lillie 492. Limnophila heterophylla 103, 104. Linkswindung bei Schneckenschalen 455- Lippincott 310, 336. Lithomastix 482. Littorina littorea, Variabilität 115. Little,. C. C. 226, 336, 361, 384, 396. — und Phillipps 171, 174. Lock 61, 63, 146, 174. Loeb 113, 326, 336, 360, 361, 431, 434- Lossen 505. Lotsy 103, 125, 319, 336, 423, 434. Lowe 403. Ludwig 19, 20. Luxurieren von Bastarden 347. Lutz 423, 434. Lygaeus 255. Lymantria dispar 101, 102, 365. — monacha, Variationsklassen der Flügelzeichnung 7, 8. Mais, quantitative Merkmale beim 236. Mc Clung 252, 280. Mc Curdy 350, 361. 236. Mc Dougal 412, 414, 423, 432, 433. Mc Dowell 249, 353, 361. Macfarlane 477. Mauchampschaf 343. Mäuse 318, 384. — Albinos von 209. — Scheckung von 353. — Farbrassen, gelbe 314. Mäuserassen, Kreuzungen der 171. Mais, Dihybridismus 169. Marchai 484, 485, 488. Marey 103. Matschie 86. Maulesel 324. Maultier 324. Meijere de 356, 357, 361. Meisenheimer 365, 366, 396. Melanine 210. Melanismen 407. Mendel 3, 58, 60, 61, 84, 87, 128, 130, 131, 132, 144, 145, 146, 151, 161, 177, 201, 217, 247, 257, 326, 336- Mendelfälle, einfache 158. Mendels Erbsen versuche 132. Mendelspaltung, Zahlenverhältnisse der 144. 515 Mensch 124. — Homogamie 22. — Körpergröße 51. — Größenvariation bei 121. — Vererbung der Größe beim 246. Merrifield 125. Metz 307. Meves, Fr. 280, 334. Miastor 442. Middleton 389, 396. Micrococcus prodigiosus 445. Mimetismus 353. Mimikry 337. Minusabweicher 16. Mirabilis Jalapa 154, 247, 333. Mittelfehler 18. Mittelwert 15. Modifikation 91. — Ursachen der 91. Modifikationsfaktoren 353. Montgomery 115, 280. Moore 396. Moose 488. Morgan 202, 222, 226, 257, 272, 280, 269, 273, 282, 283, 280, 291, 294, ' 295. 299. 3°°. 3°2, 303, 304. 307, 336, 353- 384. 396, 419, 432, 434. 486, 494, 495- — und Sturtevant 281. Mosaikbastarde 155, 309. Multiple Faktoren 228, 233. Mulatten, Hautfarbe bei 245 Muller 272, 305, 307, 353, 362, 428, 43i> 434- Mulsow 281. Mutation 3, 251. — bei Bakterien 410. Mutanten, albinistische 407, Mutationen, faktorielle 419. — nach Spezieskreuzung 431. — Ursache der 432. Mutationstheorie 397. Nabours 384, 396. Nachtblindheit 500. Nachtsheim 281. Nägeli 131. Nathusius von 100, ioi, 322, 343, 362. Naudin 128, 146. Nawaschin 170. Ne gerhuhn, geschlechtsbegrenzte Vererbung 266. Nereis limbata, Zähne von n, 17. Newman 326, 336, 482, 483, 495. Neuroterus, Chromosomen 259. Nichtauseinanderweichen der Ge- schlechtschromosomen 274, 486. Nilsson, N. Hj. 80. Nilsson-Ehle 230, 234, 249, 424, 507. Nilsson-Ehles Prinzip 228. Noll 478. Northrop 126. Non-disjunction 275. Nonne 12, 16, 39, 40, 43, 419. — Flügelzeichnung der 8. — Flügellänge der 66. — schwarze Aberration der 406. , Obertür 321. Oenothera 121, 318, 419. — Bastardierung 421.. — Varabilität der Fruchtlänge von 66, 100. — Lamarckiana 411, 413, 416. — oblonga 412. — Mutationen 420. — nanella 412. — rubrinervis 412. — lata 412. ' — gigas 412, 4!5> . — biennis 412. — scintillans 413. — Chromosomen 425. Ostenfeld 326, 336. Ostwald 110, 126. Oudemans 365, 396. Oxydase 210. Papilio hospiton 98. — machaon 97. — memnon 45, 353. — polytes 357. Pappel, italienische 403. Parallelinduktion 436, 456. Parallelmutationen 420. Paramaecium 22, 38, 39, 87, 113, 114. — reine Linien von 85. Parana, de 460. — 516 Parthenogenese und Geschlecht 25g, 484. — künstliche 189, 393. Partula 354. Pauly 437, 462. Patterson 482, 483. Payne, F. 281. Pearl 20, 58, 61, 123, 265, 281. — und Dunbar 126. — Inzuchtversuche mit Paramae- cien 124. — und Surface 266, 281. Pearson 15, 19, 20, 22, 27, 41, 54, 55> 57, 58. 63, 64, 65, 90, 121, 124, 501. — und Lee 123, 126. Pelargoniumarten 473, 475. Periklinalchimäre 473. Peter 112, 114, 115, 120, 126. Petunien, gefüllte 405. Pfau, schwarzschultriger 409. Pferd-Esel- Kreuzung 322. Pferd-Zebra-Kreuzung 323. Pflüger 490. Pfropfbastarde 464. — Chromosomen von 472. Phacochoerus, Karpalschwiele bei 447- Phaenotypus 70. — * und Genotypus yj. Phratora vitellina 449. Phylloxera 255. Physiologie der Vererbung 363. Pictet 101, 102, 126. Pigmentierung von Haar und Augen 499- Pimapheles notatus, Seitenschup- penzahl 12, 13. — Schuppenzahlen 10. Plate 153, 176, 210, 222, 226, 249, 323. 346> 353. 354. 362, 437, 462, 499, 508. Plough 307. Plusabweicher 16. Poll 323, 332, 336. Polyembryonie 481. Polymerie 228, 329. Polymorphismus 337. — unisexueller 355. Population 5, 69. Portunion 41. Präadaptation 360. Prell 365. Presence- und Absence-Theorie 150. Primula sinensis 99, 161. Primula stellata 161. Prohibition 318, 427. Protenor 190, 255. Przibram 30, 31, 47, 48, 61, 63, 462. — und Sumner 454. Pubertätsdrüse 493. Punnett 161, 176, 214, 215, 286, 288, 354, 359, 362. — Kombinationsschema 139. — und Bailey 247, 249. Pyrrhocoris 255. Pygaera 330. Quetelet 9, 11, 20. Queteletsches Gesetz 10, 91, 92. Rasse 86. Rassenbiologie 58. Rassengemenge 36. Ratten, Scheckungsstypus bei 212. Ratzeburg 101. Raunkiaer 326. Raupen, Fütterung mit ungewöhn- tem Futter 101. Reaktionssystem 326. — der Speziesbastarde 430. Reaktionsnorm 105. reduplication series 289. Regression 72. Reifegrad der Eier 394. Reifeteilungen 184. Reine Linien 72, 73. Renner 423, 427, 428, 429, 430, 434- Reversion 203, 204. Rhumbler 439, 462. Riddle 444, 462. Riesenmutanten 433. Ritter 443. Rörig 362. Romanes 21, 48. Rosenberg 202. Roux 202. Rückkreuzung 172. 517 Saatkrähe 448. Sacculina 41. Salamander, Fortpflanzung von 452. Salvia horminum, weißblühende (Albinos) 214. Saunders, Miß 214, 215, 286, 316, 336. Schafe, Hornvererbung bei 493. Schallmeyer 508. Schaudinn 443. Scheckung beim Menschen 501, 502. — von Ratten 349. Schepelmann 103, 126. Schlaf bewegungen von Mimosen 448. Schleip 258, 282, 495. Schmetterlinge , Saisondimorphismus 96. — Temperaturexperimente an 388. — Artkreuzungen der 323. Schneckengehäuse,linksgewundene8. Schnecken, Größenvariation bei 121. Schonten 423, 434. Schröder 449, 462. Schuster 508. Schwachsinn 504. Schwammspinner 152, 367, 385, 493. Schweinerassen 320. Schweineschädel 10 1. Schweinezucht und Zuchtwahl 339. Scolopendrium vulgare 402, 403. Sedum, Variabilität von 116. Seeliger 393. 396. Seeigel-Bastarde 326. Seidenspinner (Bombyx mori) 156, 162. Seiler 260, 261, 281, 491. Sektorialchimäre 473. Sekretion, innere 366. Selbststerilität 319, 333. Selektion 337, 388, 397. — in einer reinen Linie 389, 436. Selektion und Lebenslage 66. Selektionslehre 437. Semon 462. Sempervivum, Variabilität des 116. Sensible Periode 456. Settegast 343, 344. Shireff 79. Shull 82, 90.. 204, 226, 230, 231, 249, 311, 313, 336, 414, 423, 432, 487. Silene Armeria 310, 313. Silvestri 226, 443, 462. Simrock 432. Sippen, ständig umschlagende 45. Sitowsky 444, 463. Smith 41, 42, 48. Solanum Darwinianum 477. — lycopersicum 469, 472. — nigrum 469, 471. — tubingense 469, 471. Spaltfuß 500. Sphaerechinus, s. Seeigel 390. Speziesbastarde 319. — zwischen Oenotheraarten 422. Spillman 265, 269, 281. Sports 399. — bei Pflanzen 401. — im Tierreich 405. Spuler 325. Sprenger 401. Sprungvariationen 399. Standardabweichung (Streuung) 16. Standfuß 97, 126, 128, 147, 152, 174, 407, 456, 463. Standorts-Variabilität, Polymor- phismus 354. — Varietäten 86. Staples-Browne, R. 226. Stark 315, 336. Stechapfel 405. Steigleder 314. ■ Steinach 492, 493. Steinbrück 393, 396. Sterilität bei Oenothera 420. Stevens 252, 257, 281. Steuer 122. Stockard 463. Stomps 423, 435. Strasburger 202, 468, 478, 488, 495. Streuung, s. a. Standardabweichung 16. Strongylocentrotus, s. Seeigel, Dis- position zum Variieren bei 119. Sturtevant 272, 296, 308, 353, 362. — und Muller 206. Sumner 463. Sutton 201, 202. Svalöfer, Züchtungsmethoden 79. Symmetrie, bilaterale Korrelation bei 27. — 518 — Synapsis 185, 186.. 198. Syngnathiden 35. Syromastes 255. Talaeporia 491. Tammes 239. Tanais 42. Tanaka 308, 384, 396. Tandler 492, 495. Tatusia 482. Taubstummheit 504. Taube, Korrelation 23. Taubenkreuzungen, Darwins 130. Tedin 80. Telegonie 436, 459. Temperatur und Variation 95. — aberrationen 97. Temperaturexperimente an Schmet- terlingen 455. Temperaturwirkung auf das reifende Ei 491. Tennent 393. Tetraden 184. Thaer 339. Thompson 29. Thomson 56, 61, 63, 403. Thury 490. Tierzucht 320. Tischler 332. Torsion 45. Tower 11, 20, 22, 48, 108, 407, 417, 423, 432, 435, 463. Toxopneustes 393. Toyama 156, 162, 163, 175. Treppenkurve 14, 92. Tschermak 131, 147, 204, 215, 226, 3ii. 336. Übers-Kreuz- Vererbung 290. Unfruchtbarkeit von Bastarden 332. Vau 414. Vanessa io 97, 98. — urticae 97. Variabilität, Erscheinungen der 19. — Ursache der 123. — der Kulturtiere und Pflanzen. — in der Zahl von Zellen 115. — zyklische 121. — embryonale 112. Variabilität, fluktuierende 6, 8, 436. — transgressive 38. — ; — Ursache der fluktuierenden Var. 106. Variabilität, kollektive 107. Varianten, diskrete 11. Variation durch Mendelsche Rekom- bination 225. — meristische 400. — durch Rekombination 203. Variationskurve 12. Variationspolygon 12. — doppelgipflige 43. — zweigipflige 39, 40, 46. Variationskoeffizient 18. Variationsreihe 9, 106. Varietät 86. Variationsstatistik 3, 16, 19, 22. Vererbung als Korrelation 29. — erworbener Eigenschaften 436, 439- — und Bestimmung des Geschlechts 479- — beim Menschen 496. — einer rezessiven Krankheit 503. — einer dominanten Krankheit 499. — nichtmendelsche 319, 333. — plasmatische 333. — sekundärer Geschlechtscharak- tere 479, 492. Vernon 41, 42, 48, 112, 119, 120, 127, 393- Vilmorin 73. Voris 20. De Vries 3, 6, 37, 38, 45, 48, 66, 67, 79, 81, 88, 90, 126, 131, 147, 336, 347. 348> 362, 401, 405, 411, 413, 414, 416, 419, 421, 423. 427, 43i. 435- 402, 418, 432, Wallace 353, 354. Weinberg 61, 63. Weinstein, A. 308. Weismann 69, 123, 202, 353, 439, 440, 443, 463- Weizen, Vererbung der roten Korn- farbe 230. Weldon 19, 20, 29, 30, 41, 42, 48, 121, 126. 519 — Werber 326, 336. Wesenberg-Limd 86, 90, 108, 121, 126. Wheldale 223, 227. Whitney 27, Wichura 128. Wilson 202, 190, 252, 253, 256, 281, 282, 442, 504, 506. Winkler 433, 435, 469, 470, 471, 472, 475. 476, 477. 473. 474. 478. Wolf 445, 463. Woltereck 82, 86, 90, 105, 108, 110, in, 126, Wright, S. 227, 384, 396. Wunderblume, gelb und grünblätt- rige 152. Xenien 170. Yule 19, 20, 61, 63. Zahlenverhältnisse in Mendelschen Populationen 145. — der Geschlechter 488. Zarnik 282. Zeatypus 154. Zelle als Sitz der Vererbungserschei- nungen 177. Zellteilung 179. Ziege, Brustkorb der 10 1. Ziegler 176, 353, 508. Zuchtwahl, s. auch Selektion 64, 65, 337- Zuckerrübe, Korrelation bei der 28. — reine Linien von 73. Zugvögel, größere Variabilität der «5- Zwicke 492. Zyklomorphose 121. Zypresse 404. Druck von Breitkopf & Härtel in Leipzig. /