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1800-1900 x Zeitgenöſſiſche Bil der und Dokumente
Geſammelt und herausgegeben
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von
Georg Jacob Wolf
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Verlag Franz Danfftaengl
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Titel und Einbandzeichnung beforgte Heinrich Joſt, München
Druck von Knorr & Hirth, München Alle Rechte vorbehalten
Inhalt
Seite En , N Nele 1 München im Jahre 1796. Von Adrian von Riede 3 * und Eide der ftädtifchen Beamten und Diener. Von Lorenz Hübner . 26 > Karl Theodors und Regierungsantritt Max IV. Joſefs. Von Lorenz von Weſtenrieder 28 * ruunhofer. Von Lorenz von Weſtenriedgeetet et, 31 7 Die . und der Galerieraub. Von Joh. Chriſtian von Mannlich h. 32 Kriegsſchickſale im Herbſt und Winter 1805. Von Lorenz von Weſtenriede nr 37 Wellenſchläge des Tiroler Feldzuges 1809. Von Lorenz von Weſtenriederr . 43 Ausrufung Max Joſephs zum König. Von Lorenz von Weſtenriedeee u 44 König Max I. und Montgelas. Von Karl Heinrich Ritter von Lang 45 . It München wirklich übervölfert ? Von Lorenz Hübner... n 48 Mehr Licht in München. Von Lorenz von Weſtenriedennurur. 54 Die Münchner und die norddeutſchen Gelehrten der Akademie. Ein Brief des Herrn von 8 ä BR RER Le N oe 55 Proteſianten. —., ²ᷣV½)½))dddd 39 Ein Mordverſuch aus religiös- politiſchen Motiven. Ein Brief von Friedrich Thierſch. .. 60 Wie ein junger Akademiker im Jahre 1807 in München lebte. Von Albrecht Adam. . . 62 Ein „Ausflug“ nach Schwabing um 1820. Von Joſephine Kaulbac h. 64 Cornelius kommt nach München. Von J. N. von Ringseiis 67 Der Regierungswechſel 1825. Von J. N. von Ringseis und Friedrich Thierſch . . . 68 Was man von Ludwig I. erwartete. Von Joſeph Görres 71 Die Perfönlichkeit Ludwigs I. Von Luiſe von Kobell . Uu 72 Die gelehrten Kreiſe um das Jahr 1826. Von G. H. von Schubert:. 74 | Heinrich Heine in München. Aus Tagebüchern und Briefen.. 76 Die Landſchaft um München und die Stadt. Von G. H. von Schubert 78 Auf der Terraſſe von Neuberghauſen. Von Heinrich Heine22sssssssL2. 80 ing an der Iſar. Von J. Suttner 82 München im Jahre 1829. Von Friedrich Was mann 84 Er es in München im Jahre 1833 ausfah. Bon Friedrich Pech te... 90 die Eiſenbahn von München nach Lochhauſen 1839. Aus der „Augsburger Abendzeitung“ 92 f der Eiſenbahn nach Nannhofen. Von Ludwig Steuvbbooʒov . 93
dre Abſchied von München. Aus feinem Tagebueoc hh 97
Der grüne Heinrich in München. Von Gottfried Keller.. 100 Künſtlerfeſte. Von Sebaſtian Daxen berge 101 Münchner Originale. Von Sebaſtian Darenberger und Franz Trautmann 104 Ein Ringkampf im Münchner Hoftheater 1840. Von Johann Nepomuk Seppßpß . . 107 Oktoberfeſt und Keferloher Markt. Von Sebaſtian Daxen berger. 110 Das Bürgermilitär. Von Sebaſtian Daxenbergenrnn 115 Die Münchner Kaffeehäuſer um 1840. Von Sebaſtian Daxen berger 116 Der grüne Baum und der Prater. Von Felix von Schiller 117 Die Kellnerinnen. Von Felix von Schiller nt 118 Das Schweigertheater. Von Sebaſtian Daxen berger 119 Ein Feſt auf einem Münchner Bierkeller. Von Ludwig Steuvbboobovwdzt ... 120 Auf der Münchener Akademie der Künſte. Von R. ©. Zimmermanun g 123 Als Peter Cornelius aus München ging. Ein Brief von ih 126 Joſeph Schlotthauer. Von J. N. von Ringsei s. Re 127 Die Humpenburg. Von Franz Trautmnnnmgnm Bien ee 131 Künſtlergeſellſchaften. Von Friedrich Pe cht. e Die Sonntagskinder. Von Joſepha Dürck⸗Kaulbagge 139 Bei Görres und Schelling. Von Sebaſtian Daxen bergen 141 Sonntag in der Biedermeierzeit. Von Felix von Schiller 142 Alt⸗Münchner Faſching. Von Ludwig Steub.. . . .. .... . 144 Herzog Max. Von Sebaſtian Daxen berger 433 „ 151 Die pormärzlichen Dichter. Von Paul Heſ run, Vitra 152 Bei Franz von Kobell. Von Luiſe von Kobeil Er 155 Beim Bock. Von Franz von Kobeel1l Tr 158 Der Münchner Bierkrawall 1843. Von Friedrich Pech ee. 161 Lola Montez. Von Luiſe von Kobell und Joſephine Kaulbaoggg e 162 Stürmiſche Februartage. Aus der „Augsburger Poſtzeitung“ und der „Augsburger Abend⸗ ö§˙”¹ v é? ms ß Se Me e 167 Nach der Abreiſe der Gräfin Landsfeld. Aus der „Augsburger Poftzeitung” . ..... 173 Rückblick auf die Februarunruhen. Ein Brief von Friedrich Thierſd gn. 174 Enpmwias Abdankununu gg &Ä2]T 176 Münchner Krawalle. Bon Joſephine Kaulbaaoeggg eee. 177 Späteres Königsgefühl. Gedicht von König Ludwig I27.nniui . 179 Wie die Bavaria entſtand und aufgeſtellt wurde. Von Joſeph Anf. Pangkoferr. 180 Enthüllung der Bavaria. Von Joſephine Kaulbach gg. 183 Der Bavaria Enthüllungsfeſt. Gedicht von König Ludwig JJ. 185 Nachmäͤrzliche Idylle. Von David Friedrich Straunun zzz. 186
Konig Mar II. Von Julius Groſſgqdqdgqs ar 188
Das „Gefamtgaftfpiel” im Münchner Hoftheater. Von Franz von Dingelftet . ... 189 2 F Induſtrie⸗Ausſtellung und Cholera 1854. Von Franz von Dingelſt ede 198 „Neu⸗München“. Von Franz von Dingelſtedde . 199 In Haufe Emilie Linders. Von H. W. Riehhlů tt... 204 Neue Amalienſtraße Nummer 66. Von Otto Freiherrn von Völdernd orf. 211 Juſtus von Liebig und fein Haus. Von Luiſe von Kobel 222222. 217
2 r an re vv ĩ ß 221
Die Wiſſenſchaftliche Kommiſſion. Von H. W. Riech )) 227 : e bei der Königin Marie. Bon Paul Heyſg nr. 229 //, . 00, m 231 enen Hahn. Von Julius Groſſ 2.2.2.2 2220er. 237 4 Die r / n 239 Das Boörgertum. Von Paul Heyſeg 2.22. 2 2 2 eh 243 | Im ne 250 Die Münchner Kunſt in den fünfziger Jahren. Von Julius Groſtfddee 2.2.2... 251 Kaulbachs Fresken an der Neuen Pinakothek. Von Emilie Ringseis und Karl Zettel . 254 * Bergpredigt auf der Rottmannshöhe. Von Eduard Fentſtrcch hh 237 Das Münchner Stadtjubiläum im Jahre 1858. Von Eduard Fentſch h.. 262 Ein literariſches Dreigeſtirn. Von Felir Dahn und Julius Groſſ wu 265 Die Auflöſung „Neu⸗Münchens“. Von Franz von Dingelſted ett 269 Kronprinz Ludwig. Von Otto von Bismarrekeaekeeeee . „ Der Tod des Königs Max. Von Julius Groſſ ca ae 273 Ludwig II. im Urteil feiner Zeitgenoſſen. Von Adolf Friedrich Graf von Schack, Julius
le und SYanaz von Döllinge aaa ne len 275 Richard Wagner in München. Von Friedrich Pecht und Ignaz von Döllinger . .. 278 Stimmung 1866. Von Fürſt Chlodwig zu Hohenlohe⸗Schillingsfürſſlll 282 Mao biliſierungsſtimmung in München 1870. Von Fürſt Chlodwig zu Hohenlohe:
1 hr, . ß 285 Bei den Türmern auf der Frauenkirche. Von Anton Mayer 287 Die Künſtler in München um das Jahr 1870. Von Hans Th ona 289 | Späte % a ne, 294 König FE — ae 8 297 Die Zentenarfeier im Jahre 1888. Von Hermann Linn g. 300
%%% .. en en ee ie da 301 Ausklang. Bon Sebaflian a ß ne , ee in RE 303 Abſchied vom alten München. Ein Nachwort von Georg Jacob Wolff. 305
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Ein Hoch auf München
Wie die kulturelle Phyſiognomie Münchens einem feinſinnigen Beobachter, der Nicht⸗Münchner iſt, erſcheint, geht aus einer Tiſchrede hervor, die der Straßburger
4 E Be ©. F. Knapp bei einem Feſtmahl im Münchner Künſtlerhaus gelegentlich
der Tagung des Vereins für Sozialpolitik im September 1901 hielt. Er ſagte u. a.: Mit welchem kurzen Worte ſollen wir die bayeriſche Hauptſtadt preifen? Wäre
4 es Wien, fo würden wir fagen: das luſtige Wien. Wäre es Mainz, fo würde eder rufen: das goldene Mainz. Selbſt ein unheiliger Dichter, wenn er Köln zu #4 nennen hatte, pflegte unbedenklich zu ſchreiben: das heilige Köln. Und wenn uns ein 2 gutes Geſchick nach Rom geführt hat, wovon anders reden wir dann zu Hauſe als
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vom ewigen Rom ? Kehren wir aber von München zurück, gleichgültig, ob wir da gemalt oder ſtudiert
haben, fo fällt uns nach kurzem Beſinnen nicht leicht etwas anderes ein als das Wort: wir kommen aus dem gemütlichen München.
Und weshalb ? Der unerfahrene Student erinnert ſich vor allem an den Stoff;
4 der Kleinbürger denkt an die hemdärmeligen Abende auf der Kegelbahn, der Bauer an das bunte, wirnmelnde Oktoberfeſt.
Keiner von dieſen allen aber hat eine Ahnung davon, was höheren Geiſtern ſo
E ſehr an München gefällt.
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Was feſſelte hier den großen Maler aus Waldeck, was bezwang den unerſchöpf⸗
4 lichen Novelliſten aus Berlin, was beſtrickte den geiſtreichen Redakteur der „Allgemeinen Zeitung“, feinen Landsmann? Wie konunt es, daß Hunderte von Fremden ſich hier
einwurzeln, lauter hervorragende Männer, die man nur ſelten auf Kellerfeſten an⸗ arif und die auf der Thereſienwieſe mit der größten Regelmäßigkeit — fehlen ? Auch ihnen iſt München vor allem die gemütliche Stadt.
Es muß alſo, wie es eine höhere Mathematik geben ſoll, auch eine höhere Ge⸗ eee geben, unerreichbar für den farbentragenden Fuchs, für den beſchränkten
ein Jahrhundert München 5
Handwerker, für den ſchlichten Bauer — und doch unleugbar vorhanden für den Mann der höheren Kreiſe und am meiſten geſchätzt vom Norddeutſchen. Man höre nur den Mann des Nordens reden, wenn er von einem bayeriſchen Landauf⸗ enthalt zurückkehrt, etwa aus Tölz oder aus Garmiſch: „Kein einziger Geheimrat iſt dort geweſen“, ruft er mit Befriedigung aus; kein einziger — natürlich außer ihm ſelbſt!
Da liegt es. Wie an jenen kleinen Orten, fo hat auch in München ein Übel keine Herrſchaft, das anderswo ſo leicht jede Erholung ſtört: in München kommt die Fexerei nicht auf. Nur ganz leiſe wagt ſich mitunter der Bergfex hervor; aber er bleibt ungefährlich, da er ſich nur auf dem Wege zum Bahnhof oder vom Bahn⸗ hof zeigt. Sonſt aber iſt das Fexentum nur ſelten, und in einer Beziehung fehlt es ganz: es gibt keine Berufsfexen, oder noch kürzer: München duldet die Fachfexen nicht, die doch ſonſt in Deutſchland aufs ſchändlichſte wuchern. Denn der Deutſche will etwas Tüchtiges fein ; er lernt „ſein Fach“ und „ſunpelt Fach“, bis er in lauter Fachgedanken erſtickt und als fertiger Fachfex daſteht.
Als Gelehrter lieſt er und wiederholt er alle Rezenſtonen; als junger Dozent zählt er alle Univerfitäten auf, an denen er in Vorſchlag war; als Leutnant betet er die Rangliſte her, vorwärts oder rückwärts; als Beamter kennt er das Klebegeſetz aus⸗ wendig, und in manchem unbewachten Augenblick entſchlüpft ihm davon ein Para⸗ graph. Jeder findet es beim andern gräßlich, und jeder tut es doch.
Nur in der dünnen Luft der bayeriſchen Hochebene gedeiht der Fachfex nicht.
Der Bayer wird freilich auch ſeltener Spezialiſt als der Mitteldeutſche oder Nord⸗ deutſche. Er wartet lieber ab, ob es ihm der liebe Gott gegeben habe, und läßt es laufen, wenn es ihm nicht gegeben iſt. Aber wenn es ihm als Geſchenk zufällt, dann wird er was Rechtes und redet nicht davon, außer wenn's nötig iſt. Denn der Bayer und ſein Bruder, der Oſterreicher, will nicht in ſeinem Berufe verkümmern. |
So heilige Namen wie Mozart und Schwind wollen wir nur im Vorüber⸗ gehen mit Ehrfurcht nennen; ſie waren ja Künſtler, und die Kunſt iſt nun einmal die Schöpferin und Hüterin der Ganzheit.
Aber hier in München haben auch andere Berufe das Schöne, daß ſie ihren Trägern nicht das Mark ausſaugen, ſondern ihnen die Geſundheit bewahren. Daß fogar Könige hier Menſchen bleiben, hat uns Ludwig I. gezeigt. Freilich bietet eine ſo hohe Stellung tauſend Heilmittel gegen die Verknöcherung dar. Aber auch in
beſcheidenen Lebenslagen bewährt es fich, daß der Bayer und allen voraus der Münch⸗ ner gegen die Berufskrankheit des Fexentums geſchützt iſt.
Nehmen wir einmal als Beifpiel den Apotheker. In der Reſidenz wohnte einmal ein ſolcher, der Hofapotheker Pettenkofer. Seine Rezeptur verſtand er fo gut, wie je einer es tat, und ſein Geſchäft betrieb er muſterhaft. Aber er konnte noch mehr. Setzte man ihn in das königliche Münzamt, ſo war er ein Scheidekünſtler erſten Ranges, der unberſehens aus den Brabanter Krontalern das verborgene Gold und die Spuren von Platin herausholte. Trug man ihm auf, Vorleſungen über Hygiene zu halten, fo fand er zwar nichts vor, das er hätte lehren können, ſchuf aber fo ne⸗ benbei das ganze Fach und bildete die Schüler heran, die jetzt auf allen Univerfitäten Lehrſtühle inne haben. Man fragte ihn um Rat wegen des Nachdunkelns der alten Gemälde in der Pinakothek, und Pettenkofer — gab ſofort ein Verfahren an, die mi⸗ kroſkopiſchen Riffe im Firnis zu ſchließen und die alten Farben wieder aufleuchten zu laſſen.
Im Jahre 1854 fällt ihn die Cholera an; er überſteht die mörderiſche Krank⸗ heit und rächt ſich, indem er ſie in alle Schlupfwinkel verfolgt, bis nach Malta und Indien. In wenigen Jahren iſt er dahinter gekommen, wie fie fich verbreitet, — und ehe man's denkt, hat er die Sanierung der Städte in Gang gebracht.
Ein Fachmann. Wäre er das geweſen, ſo hätte ihm ſeine Apotheke genügt. Nein, er war ein Mam der Wiſſenſchaft und ſogar mehr als das.
Bei Feſtlichkeiten, als Rektor der Univerfität, in feinem Talar, wie wußte er den beinahe königlichen Mantel königlich zu tragen! So bewegt ſich in dieſen weiten Falten nur eine künſtleriſch angelegte Natur. Und wie liebenswürdig blitzten dabei ſeine dunklen Augen.
Noch viel mehr aber leuchteten ſie, wenn er die Gedichte eines ganz unbekannten Mannes vorlas, der jetzt ein bekannter und verehrter Mann geworden iſt, die Ge⸗ dichte Hermann Linggs. Dieſen Dichter hat Pettenkofer entdeckt und ans Licht ge⸗ zogen. Wer weiß, ob je Emanuel Geibel das erſte Bändchen der Gedichte Linggs herausgegeben hätte, hätte nicht der Münchner Hofapotheker durch meiſterhaften Vortrag die Neugierde und Teilnahme geweckt und genährt.
N Ganz davon zu ſchweigen, daß Pettenkofer ſelbſt, wenn er wollte, ein glänzendes Sonett zuſtande brachte, dem niemand antmerkte, daß es aus der Reſidenz und aus welcher Ecke diefes weitläufigen Gebäudes ſtanumte.
Man wird durch diefen Mann an Italien erinnert, deſſen große Männer eben- falls alles konnten, was ſie wollten. Dort wachſen ſie empor ohne die Stütze und die Beſchränkung deſſen, was der Deutſche ſein Fach nennt. Dort heißt es: Sei ein bedeutender Menſch, aber bleibe dabei ein Menſch — eine Auſchauung, die ſich in Deutſchland leicht verliert, von der aber in Bayern ein koſtbarer Reſt ge⸗ blieben iſt. In Bayern wieder am häufigſten in München; in München niemals fo deutlich ausgeprägt wie bei Pettenkofer, der ſozuſagen das höchſte mögliche Maß des Münchnertums darſtell l...
Dankbar ergreifen wir unſere Gläſer: es lebe die Stadt, die den Deutſchen vor dem Fexentum des Berufs bewahrt; die Stadt, die vom Tüchtigſten fordert, daß er noch ein ganzer Menſch bleibe. Neben das luſtige Wien, das goldene Mainz, das heilige Köln ſetzen wir das gemütliche München: es lebe, wachſe und gedeihe !
Max von Pettenkofer, in deſſen Verherrlichung dieſer Trinkſpruch gipfelt, iſt in Lichtenheim bei Neu⸗ burg a. D. am 3. Dezember 1818 geboren; kurz bevor Knapp ſeine Rede hielt, iſt er am 10. Februar 1901 durch eigene Hand in München, deſſen Ehrenbürger er war, verſchieden.
„Der Maler aus Waldeck“: Wilhelm von Kaulbach (1804-1874) von Cornelius 1826 nach München berufen, ſeit 1849 Akademie-Direktor.
„Der unerſchöpfliche Novelliſt aus Berlin“: Paul Heyſe (1830 — 191), ſeit 1854, auf Geibels Ver⸗ anlaſſung von König Max II. berufen, in München.
„Der geiſtreiche Redakteur der Allgemeinen Zeitung!“: es iſt wohl Guſtav Eduard Kolb (1798 — 1865) gemeint, der die Bedeutung dieſer Zeitung begründete. Allerdings war er nicht Landsmann Heyſes, ſondern Württemberger. Außer Kolb wirkten Altenhöfer, Hermann Orges und Otto Braun an bevorzugter Stelle
der ‚Allgemeinen Zeitung“. Aber fie alle lebten nicht in München, ſondern in Augsburg, da die Zeitung erſt in den achtziger Jahren nach München übergeführt wurde.
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Vignette von Georg von Dillis
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München im Jahre 1796
Oberſt Adrian von Riedl, eine Autorität auf dem Gebiete der Kartographie, gab im Jahre 1796 einen bayeriſchen Reiſeatlas heraus, der außer den Karten auch textliche Anmerkungen enthält; ihnen iſt dieſe topographiſche und kulturelle Studie über das München des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts entnommen :
München, die Haupt⸗ und Reſidenzſtadt von Bayern, liegt unter dem 29. Grade 10 Minuten der Länge und dem 48. Grade 8 Minuten der nördlichen Breite an dem Iſarfluß, welcher in Tirol entſpringt, beinahe die Mitte des Landes von Mit⸗ tag gegen Nordoſt durchſtrömt und ſich 38 Stunden unterhalb der Hauptſtadt mit der Donau zu Iſargmünd oereinigt.
Die Lage der Stadt iſt 320 Toiſen, 1920 Pariſer oder 2136 bayeriſche Schuhe über die Meeresfläche erhaben; das Klima iſt etwas rauh, die Luft ſcharf, aber ſehr geſund, die Witterung wegen des Gebirges, welches ſüdwärts in einer Entfernung
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In der Schwabinger⸗Gaſſe. Radierung von F. Bollinger
von 16 Stunden den Geſichtskreis von München begrenzt, ſehr abwechſelnd, doch fo, daß gewöhnlich 6 Monate (vom Mai bis Oktober) zu der ſchönen Jahreszeit gerechnet werden können.
Die mittlere Höhe des Barometrum iſt hier 26 Zoll und 4 Linien. Die Incli⸗ nation des Magnets iſt bei uns in Bayern zwiſchen 70 und 72 Graden; die De⸗ clination hier in München zwiſchen 18 und 19 Graden bis 20 Minuten weſtwärts. Der höchſte Grad der Wärme war bisher in München im Jahre 1782 den 27. Juli nachmittags um 2 Uhr 28 Grad Reaumur und der höchſte Grad der Kälte war im Jahre 1788 den 31. Dezember früh 7 Uhr 24 Grad Celſtus.
Die herrſchenden Winde find Südweſt oder Weſt; der längfte Tag hat 1 Stunden und 54 Minuten.
Die Gegend umher zeichnet ſich durch ihre ſchöne, große Fläche aus; denn wie⸗ wohl ſich oſtwärts jenſeits der Iſar und weſtwärts, eine Viertelſtunde von der Stadt
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Am Färbergraben. Radierung von F. Bollinger
entfernt, zwei Anhöhen (vermutlich das ehemalige Ufer des Fluſſes) erheben und faſt in paralleler Richtung fortlaufen, ſo iſt ihre Höhe doch ſo unbeträchtlich, daß man die Gegend um München mit Recht eine Ebene nennen darf. Die Fruchtbarkeit dieſer Gegend ift an fich ſchlecht. Kies und Flußſand find die Hauptbeftandteile des Bodens. Allein der Fleiß und die Induſtrie, durch die Hauptſtadt aufgemuntert, gewinnen der Natur fo viel Überfluß ab, daß man hier im Ackerbau ſowohl als in der Gartenkunſt kein deutſches und nur wenige europäiſche Produkte ganz vermißt.
In dem Umkreiſe einer ſtarken Stunde liegen 14 Dörfer, ohne die Vorſtädte, kurfürſtliche und Privat⸗Landhäuſer, einzelne Okonomiegebäude ete. zu rechnen.
Eigentliche Vorſtädte (obſchon man ſie hier nicht ſo nennt) ſind die Au und das Lechel. Die Au liegt jenſeits der Iſar und erſtreckt ſich aufwärts in einer beträcht⸗ lichen Entfernung gegen Süden. Sie hat viele artige Gebäude, ſehr gewerbſame Eeimwohner, ein ſchönes Mönchs⸗ und zwei Nonnen⸗Klöſter.
Das Lechel liegt zwifchen dem füdöftlichen Teile der Stadt und dem linken Iſar⸗ ufer; es beſitzt nebſt manchen anſehnlichen Wohnhäuſern auch ein Mönchekloſter.
An den anderen Seiten der Stadt liegen ſehr viele Wohn-, Land- und Garten⸗ häuſer, welche teils einzeln, teils in verſchiedenen Gruppen zerſtreut ſind.
Der Umfang der Stadt, die man ungefähr in? / Stunden umgehen kann, wird durch eine zweifache, mit Türmen verſehene Mauer bezeichnet, in deren Zwiſchen⸗ raum (Zwinger genannt) ſehr ſchöne Gärten angelegt find.
Vier Haupttore führen in die Stadt. Von Nordoſt das Schwabinger Tor (von einem in dieſer Gegend ſehr nahe liegenden Dorfe, Schwabing, fo genannt). Von Weſten das Karls⸗Tor, welches vormals Neuhauſer⸗Tor hieß und nun zum Dank für die von Karl Theodor erhaltene Verſchönerung und Bequemlichkeit dieſen Namen erhielt. Von Südweſt das Sendlinger-Tor, welches zuerſt nach Sendling führt, und von Südoſt das Iſar⸗Tor, welches über zwei von Steinen ſehr ſchön erbaute Brücken nach dem jenſeitigen Ufer dieſes Fluſſes leitet.
Nebentore find zwei, davon eines, zwiſchen den Schwabinger und Iſar⸗Tor ge- legen, nach dem Lechel führt; das andere, zwiſchen dem Iſar⸗ und Sendlinger⸗Tor, wird der Einlaß genannt, weil man ehedem nur hier allein zur Nachtzeit in die Stadt eingelaſſen wurde. |
Von den vier Haupttoren kommen auch vier Hauptſtraßen, die den Namen der Tore beibehalten, beinahe in der Mitte der Stadt zuſammen. Ihr Vereinigungs⸗ punkt iſt der Marktplatz, den man, ſeiner Schönheit und Größe halber, auch nur geradehin den Platz nennt. Dieſe glückliche Richtung der Hauptſtraßen, die man ſich aber nicht gradlinig denken darf, erleichterte ſchon im Jahre 1271 die Abteilung der Stadt in zwei Pfarreien, St. Peter und Unſere Frau genannt, die auch jetzt noch beſtehen. Durch die Polizei wurde dieſe Abteilung in der Folge geändert, indem jede Pfarre in zwei Viertel, jedes Viertel wieder in vier Diſtrikte geteilt und jedes Haus nach ſeinem Viertel und Diſtrikte numeriert wurde.
Außer dem Marktplatze, auf welchem ſteben Straßen zuſammenlaufen, und der ringsumher mit hohen, ſehr bevölkerten Gebäuden umgeben und mit Bogengängen, Gewölben und Krambuden bis zum Überfluffe verſehen ift, hat München noch ver⸗ ſchiedene öffentliche Plätze, deren jeder wieder mehrere Straßen vereinigt. Doch kei⸗ ner, außer dem Paradeplatz, wo ehemals die Salzſtädel (Salzniederlagen) waren, iſt merkwürdig. Einige dieſer öffentlichen Plätze oder vielmehr Straßen führen den
Namen von gewiffen Märkten, die aber nicht mehr darauf gehalten werden. So wird z. B. eine Gegend der Stadt der Rindermarkt genannt, wiewohl dort kein Rindoieh, ſondern geſchlachtetes Geflügel und Brot aus der Au verkauft wird.
Dagegen ſind auf anderen Plätzen und Straßen ordentliche Märkte, ohne daß man fie darnach benennt, wie z. B. auf dem Anger, wo Heu und Trödelware ver— kauft wird, ſodann auch in der Neuhauſergaſſe, Sendlingerſtraße und im Tal, wo Brennholz zu Markte kommt.
Alle übrigen Bedürfniſſe des Lebens und des Luxus ſind täglich auf dem großen Platze zu bekommen, der auch noch in einer andern Hinſicht Markt genannt zu werden verdient. Hier wird nämlich in jeder Woche ein Fruchtmarkt (Schranne) gehalten, worauf im Durchſchnitte jedesmal 30 bis 60000 Gulden umgekehrt werden. Zu den Märkten gehören auch die Fleiſchbänke, deren München zwei unter dem Namen die obere und untere hat.
Die zwei Jahrmärkte oder Meſſen (hier Dulten genannt) werden in verſchiedenen geräumigen Gaſſen, im Sommer um Jakobi und im Winter um Drei König, jedes⸗ mal 14 Tage lang gehalten und von den benachbarten, wie auch von den italienifchen und ſchweizeriſchen Kaufleuten ſehr ſtark beſucht.
Die Zahl der Straßen mit Inbegriff der öffentlichen Plätze und Märkte iſt 83, und die Zahl der Häuſer im Bezirke der Stadt mit Einſchluß des Lechels, aber unter Ausſchluß der Au beläuft ſich auf 1756.
Über die Reinlichkeit iſt im Ganzen hier nicht zu klagen. Die Straßen müſſen alle Sonnabende von den Hauseigentümern abgekehrt und im Gommer täglich zweimal, zur Verhütung des Staubes, mit friſchem Waſſer beſpritzt werden. Das Pflaſter iſt durchaus gut. Das ſchnelle Fahren und Reiten iſt verboten, und wenn an einem Hauſe das Dach oder ſonſt etwas in der Höhe ausgebeſſert wird, ſo muß zur Warnung der Vorübergehenden eine Stange an das Haus gelehnt werden.
Bei der Nacht, wenn der Mond nicht ſcheint, werden alle Straßen ſehr ſchön beleuchtet, und man geht überall, auch in den abgelegenſten Gaſſen, ganz ſicher; denn Schlägereien auf den Straßen, Bettel, Auflauern oder Anfälle find hier un- bekannt. Was den friedlichen Wanderer zur Nachtzeit etwa hindern könnte, ſind die manchmal in Mitte der Gaſſe ſehr übel geſtellten Wägen.
Wer hier durch die Straßen wandelt, dem fällt, vielleicht noch ehe er ſich um die herrlichen Gebäude umſieht, der ſeltene Reichtum an Waſſer auf.
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In der Sendlingergaſſe. Radierung von F. Bollinger
Die Iſar iſt ein reißender Gebirgsſtrom, der ſeine Ufer manchmal fürchterlich durchbricht. Allein unſere Vorfahren wußten ihm ſo Meiſter zu werden, daß er ihre Hauptſtadt nur zu ihrem Nutzen und Vergnügen berühren durfte. Was an der Stadt im natürlichen Flußbette vorüberrinnt, iſt beinahe nur der geringere Teil des Fluſſes. Die Iſar ſelbſt wurde durch künſtliche Erhebungen, Schleußen und Dämme um und durch die Stadt geleitet. Hier treibt fie Kupfer⸗ und Eiſenhänmer, Waſſer⸗ werke, Puloer⸗, Papier⸗ und andere Mühlen; fie nimmt vielen Unrat (da meiftens die unſäuberlichen Gewerbe in den Kanalſtraßen betrieben werden) mit ſich fort, und wie immer dieſer wilde Fluß toben, einreißen und überſchwemmen mag, fo leidet da⸗ durch kein Kanal der Stadt eine Veränderung. Wahrhaftig, das Werk eines hohen Geiſtes und einer ſeltnen Wohltätigkeit.
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Dieſe Kanäle, welche hier offen durch die Straßen, dort unter den Häuſern und Gewölben, bald langſam, bald ſchnell und mächtig ſtrömen, werden alle Jahre im Herbſte an einem beftimmten Tage abgelaſſen und ſodann ausgeräumt und geſäubert, welches man die Auskehr nennt. Nach Vollendung dieſer Arbeit treten die Gewäſſer wieder ein.
Nebſt dieſen Kanälen, welche ſchon im vierzehnten Jahrhundert vorhanden waren, hat beinahe jedes Haus in München ſeinen eigenen Rohrbrunnen; viele Plätze und Straßen ſind auch mit ſteinernen Brunnenſäulen, aus welchen das Waſſer durch mehrere Rohre in feine Behältniſſe ſtürzt, verſehen. Überdies befindet fich faſt an jeder Straßenecke ein von inländiſchem Marmor geſchmackvoll gearbeiteter Pumpbrunnen, aus dem vermittelſt der horizontalen Bewegung einer eiſernen Stange das Waſſer geſchopſt wird
Dieſen reichen Vorrat an vortrefflichem Brunmenwaſſer erhält man größtenteils von der Anhöhe jenſeits der Iſar und vermutlich aus einem durch das Dorf Haching fließenden Mlühlbache, der ſich außerhalb Perlach in der Ebene verliert und wahr- ſcheinlicher Weiſe durch Quellen an der Stadt⸗Anhöhe wieder hervorkommt. Von hier wird das Waſſer in hölzernen Deichen über die Iſar in die Stadt geleitet und durch unzählige Aſte verteilt. Es läßt ſich leicht denken, daß bei dieſem großen Waſſer⸗ reichtum in den vielen Privatgärten an herrlichen Springgewäſſern kein Mangel ſei.
Die kurfürſtliche Reſidenz, von Maximilian I. im vorigen Jahrhundert erbaut, verſpricht nach altbayerifcher Sitte von außen ſehr wenig, leiſtet aber bei näherer Anſicht von innen deſto mehr. Sie liegt an dem öſtlichen Ende der Stadt, mit welcher fie ganz ohne Prätenſion, ohne ängſtliche Abſonderung, gleichfam wie ein Bürger⸗ haus durch Gänge, Straßen und Tore zuſammenhängt. Sie iſt jedermann offen, und nirgends iſt eine Spur von Zwang zu ſehen; der geringſte Landmann in feinem ſchlechten Arbeitskittel wandelt durch die prächtigen Hallen eben ſo ungehindert und behaglich wie der Hofbediente.
Reichtum und Pracht, mit ſolidem Kunſtgeſchmacke verbunden, ſind der herrſchende Charakter im Innern dieſes großen Gebäudes, das nicht nur für den neugierigen Beſchauer Stoff genug zur Bewunderung, ſondern auch für den Kenner einen Schatz von vortrefflichen Gemälden, herrlichen Münzen, prächtigen Antiken und modernen Kunſtwerken enthält.
Der zweite landesfürſtliche Palaſt iſt die ſogenannte Herzog⸗Maxiſche oder her⸗
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zogliche Reſidenz, welche an dem weſtlichen Ende der Stadt vom Herzog Wilhelm V. erbaut wurde.
Endlich iſt noch die ehemalige Reſidenz der bayeriſchen Herzöge unter dem Mamen des alten Hofes vorhanden.
Das Rathaus, wo der bürgerliche Magiſtrat und die dazu gehörigen Amter ihren Sitz haben, ſchließt von einer Seite den großen Marktplatz ein; gegenüber (der Länge des Platzes nach) befindet ſich die Hauptwache. In der Stadt ſelbſt ſind nur zwei Kaſernen; noch eine dritte iſt außerhalb des Iſartores, ſowie auch das ſchön⸗ gebaute und angenehm gelegene Militär⸗Lazarett. Auf dem Anger ſteht das bürger⸗ liche Zeughaus und nicht weit davon das neue, öffentliche Gebäude der Aufbewahrung der Feuerlöſch⸗Gerätſchaften, welche, gleich den Löſchanſtalten, ganz vortrefflich find.
Unter den öffentlichen Stadtgebäuden verdienen für Freinde noch angemerkt zu werden: die Briefpoſt auf dem Rindermarkt, das Mauthaus am Paradeplatz, die Stadtvage am Rathauſe, die Trinkſtube auf dem Platze und die Gaſthöfe, worunter der ſchwarze Adler, der goldne Hahn, der goldne Hirſch, der ſchwarze Bär, die goldne Ente, der römiſche König und der Londonerhof die berühmteſten find.
Für Fremde und Durchreiſende, welchen dieſe topographiſche Skizze gewidmet iſt, kann nichts bequemer ſein, als die Lage der Kirchen und Klöſter genau zu kennen. Ich will es alſo verſuchen, die Kirchen in der Ordnung, wie dieſelben in . und Nebenſtraßen gefunden werden, kurz anzuzeigen.
Bei dem Eingange durch das Schwabingertor iſt das erſte Gebäude zur Rechten die Theatinerkirche und das Kloſter. Dies ſchöne Gotteshaus ließ der Kurfürſt Fer⸗ dinand Maria und ſeine Gemahlin Adelheid erbauen.
Oberhalb des Kloſtergebäudes führt die, unter einem Gewölbe durchgehende, Straße rechter Hand nach der St. Salvatorskirche und weiterhin nach einem kleinen, alten Kirchlein, dem heiligen Rochus geweiht. Verfolgt man die Schwabingerſtraße weiter aufwärts, ſo kommt man durch eine links liegende Gaſſe, wo ſich ein Non⸗ nenkloſter und die dazu gehörige Kirche befinden, nach der Franziskanerkirche.
Weiter oben an der Hauptſtraße liegt zur Linken das Haus der engliſchen Fräu⸗ leins nebſt einer kleinen Kirche und unter derſelben, im nämlichen Gebäude die fo- genannte Gruft. Hier in dieſer Gegend, wo vormals ein Tor der Stadt ſtand, ver⸗ liert der noch übrige Teil der Schwabingerſtraße nach dem Platze zu feinen Namen und wird Weinſtraße genannt. Man trifft hier auch zwei enge Gäßchen, welche
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nach der gotiſch⸗prächtigen, 328 Jahre alten Pfarr⸗ und Stiftskirche zu U. Frau führen, in welcher Maximilian I. im Jahre 1622 dem Kaiſer Ludwig dem Bayern ein vortreffliches Mauſoleum errichten ließ. |
Bei dem Eingange durch das Karlstor in die Neuhauſerſtraße kommt man linker Hand zuerſt an den ſogenannten Bürgerſaal, eine mittelmäßig große, aber ſehr ſchöne Kirche, und rechts etwas ſchief gegenüber iſt eine kleine, zu dem Semi⸗ narium gehörige Kirche. Auf dieſer nämlichen Seite ſtößt man bald auf eine ziem⸗ lich enge Gaſſe, die nach dem Damenſtift und der dazu gehörigen Kirche, ſowie auch rechts in die berühmte Herzog⸗Spitalkirche und gerade aus nach der Kreuzkirche führt.
Beim Rückwege durch die erwähnte Gaſſe in die Neuhauſerſtraße hat man das ehemalige Jeſuiten⸗Kollegium und die daran befindliche jetzige Garniſons⸗ und
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Am Parade-, jetzt Promenadeplatz. Radierung von F. Bollinger
Malleſerordenskirche, ein herrliches Gebäude, vor Augen. An der rechten Seite diefes ſchönen Gotteshauſes, nur durch eine Nebengaſſe getrennt, ſteht die Auguſtinerkirche ſamt dem Kloſter; folgt man dieſer Nebengaſſe zwiſchen der Malteſer⸗ und Au⸗ guſtinerkirche, ſo gelangt man gerade zu der Barfüßer⸗Karmeliterkirche und dem Kloſter; auch nicht weit davon an ein Nonnenkloſter desſelben Ordens, wobei gleich⸗ falls eine Kirche if. Da, wo die Auguſtinerkirche in der Meuhauſerſtraße auf- wärts endet, ſteht der mit Unrecht ſo genannte ſchöne Turm, der auch den ehemaligen Umfang der Stadt bezeichnet. Hier verliert der noch übrige Teil der Meuhauſer⸗ ſtraße feinen Mamen und wird die Kaufingergaſſe genannt. An der linken Seite der Kaufingergaſſe kommt man bei einigen engen Gäßchen vorüber, die wieder in
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Der ſchöne Turm. Radierung von F. Bollinger
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Das Kapuzinerkloſter. Radierung von F. Schießl
die Pfarr⸗ und Stiftskirche zu U. Frau hinführen. Auch von hier hat man nur eine kleine Strecke auf den Platz.
Beim Eingange durch das Sendlingertor in die ebenſo genannte Straße iſt die erſte Kirche auf der linken Seite dem heiligen Johannes gewidmet; ſie iſt nicht groß, aber ſehr ſchön. Wenn man im Fortgange dieſer Straße rechter Hand der erſten Nebengaſſe folgt, ſo gelangt man auf den Anger, wo ein Nonnenkloſter mit einer Kirche und nicht ferne davon auch noch ein kleines Kirchlein, der heiligen Dreifal⸗ tigkeit gewidmet, ſich befinden. Kehrt man in die Sendlingerſtraße zurück, ſo leitet ſie uns zu einem Turm, der Rufini⸗Turm genannt, welcher auch vormals ein Stadt⸗ tor von München ausmachte. Sobald man den Turmbogen hinter ſich hat, kommt man auf den Scheidepunkt dreier neuer Straßen, wovon die mittlere Roſengaſſe genannt, auf den Platz, die rechtsgehende aber, der Rindermarkt mit Namen, nach der 620 Jahre alten St. Peters⸗Pfarrkirche führt, von welcher man ſodann durch eine ſehr kurze Gaſſe wieder auf den Platz kommen kann.
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Bei dem Eingange durch das Iſartor in die Hauptſtraße, das Tal genannt, trifft man erſt am Ende derſelben auf die, von ihrer Entſtehung an 823 Jahre alte Heilige Geiſt⸗ Pfarrkirche, welche an der linken Straßenreihe ſteht; von hier ſind nur ein paar Schritte zum Rathausturm, der auf dieſer Seite den Platz begrenzt.
Es iſt kaum eine unter den hier genannten Kirchen, welche ſich nicht, entweder durch ihre ſchönen Gemälde oder vortreffliche Bauart, durch ihre koſtbaren Schätze oder eine andere vorzügliche Eigenſchaft beſonders auszeichnet.
Die Kapuzinerkirche mit dem Kloſter befindet ſich außerhalb der Stadt zwiſchen dem Schwabinger⸗ und Karlstor. In der Nähe dieſes letzten trifft man auch die Kirchen und Klöſter der barmherzigen Brüder und Schweſtern an.
Von der Straßenpolizei und den Feueranſtalten iſt bereits Erwähnung geſchehen. Die Schildwachen ſind zahlreich in und um die Stadt verteilt; häufige Patrouillen zu Pferd und zu Fuß helfen den Cimvohnern Ruhe, Sicherheit und Ordnung er⸗ halten. Aus dieſer Urſache werden auch die Stadttore zu der hier beftimmten Zeit geſperrt:
Im Januar vom 1. bis 1. um 5 Uhr, vom 16. bis zum letzten um 5); Uhr
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Eine 1 zur Sicherung der Stadt iſt is vor 9 Jahren e Armeninſtitut, durch welches allem Straßen⸗ und Hausbettel abgeholfen und der wahren Dürftigkeit eine fortwährende Unterſtützung verſchafft wurde.
Gegen den Aufenthalt gefährlicher Fremden find auch zweckmäßige Anſtalten ge⸗ troffen worden, indem eine beſondere Kommiſſion ſich mit der Beobachtung und Unterſuchung aller Fremden, die hier wohnen, befchäftigt.
Ein Jahrhundert München 2
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Das Zeughaus, der Pulverturm und viele andere ſowohl öffentliche, als Privat- gebäude ſind, der Sicherheit wegen, mit Blitzableitern verſehen worden.
An Gräben, Kanälen oder, wo fonft ein Unglück der Vorübergehenden zu be- fürchten wäre, find Bruſtmauern oder hölzerne Geländer angebracht. Nur wäre noch zu wünſchen, daß man auch gegen die Gefahr, welche an den Schrannentagen wegen der ungeheuren Menge von Wägen und Pferden den Einwohnern drohet, eine den bürgerlichen Gewerben unnachteilige Vorkehrung treffen könnte oder viel⸗ mehr, da es an Gelegenheit nicht fehlt, wollte.
Auch die übermäßige Anzahl von Hunden iſt bei einer ausgebrochenen Wut ſchon öfters der öffentlichen Sicherheit gefährlich geworden und könnte es noch mehrmals werden. Da die Grundſätze der Regierung zu edel ſind, als daß ſie jemals einen allgemeinen Mord oder gänzliche Verbannung dieſer nützlichen und angenehmen Tiere befehlen und dem an ſich unſchuldigen Vergnügen der Einwohner hierin gerade entgegengehen ſollte, ſo wäre es doch gewiß ſehr gut, wenn ſolchen Leuten, welche von dem Artmeninſtitute ein Almoſen beziehen oder ſouſt ihren eigenen Lebensunter⸗ halt kaum beſtreiten können, die Anſchaffung eines Hundes für die Zukunft verboten würde; denn gerade wo dieſe Tiere am ſchlechteſten genährt und am ärgſten miß⸗ handelt werden, bricht die Wut am erſten aus und wird am ſpäteſten wahr⸗ genommen. |
Die Apotheken ſtehen unter der Aufſicht des mediziniſchen Kollegiums. Es werden auch keine mediziniſchen Charlatans, Quackſalber und dergleichen Pfuſcher geduldet; bei Geburten werden nur geprüfte Hebammen zugezogen, zu deren Unterricht ein eigenes Lehrinſtitut vorhanden iſt.
Maß und Gewicht werden durch obrigkeitliche Anſtalten beobachtet. Fleiſch, Bier, Wein und andere Nahrungsmittel ſind einer eigenen Beſchau und Prüfung unter⸗ worfen.
Selbſt für die Toten iſt die Regierung beſorgt. Auf dem allgemeinen Kirchhofe vor dem Sendlingertor befindet fich ein Leichenhaus, welches mit Ofen und Wächtern verfehen iſt, die das Wiedererwachen der ſcheinbar Toten nach Möglichkeit unterſtützen. Endlich verdient noch unter den öffentlichen Sicherheitsanſtalten das Zuchthaus be⸗ merkt zu werden, wiewohl dieſer Strafort, gleich manchen anderen hier befindlichen Gefängniſſen, nicht nur für die Verbrecher in der Stadt, ſondern auch für die Be⸗ leidiger des Staates beſtimmt iſt.
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Keine Stadt wird fo viele und ſo reichlich geſtiftete Hilfsanſtalten für Kranke, für Arme und für Waiſen beſitzen wie München. Es iſt hier ein kurfürſtliches Herzogſpital, ein Joſefſpital, ein Krankenhaus zu Gieſing, ein militäriſches Lazarett und ein Krankenhaus bei den barmherzigen Brüdern. Dieſes Krankenhaus erhielt erſt kürzlich eine merkwürdige Verbeſſerung, indem ein herrlicher Geneſungsſaal ganz nach den bewährteſten diätetifch-phufifchen Grundſätzen darin erbaut und eingerichtet wurde. Ferner befindet ſich hier ein Spital bei den Eliſabetherinnen, ein ſtädtiſches Heilig-⸗Geiſtſpital, ein Stadtbruderhaus, ein Stadtkrankenhaus, ein ſogenanntes Siechenhaus auf dem Gaſteig, nebſt einem zu Schwabing (beide für die Stadt beſtimmt) und ein Armen-Verpflegungshaus. Zu dieſen unvergleichliche Anſtalten kommt noch hinzu ein kurfürſtliches Hofwaiſenhaus, ein Waiſenhaus in der Au, ein Stadtwaiſenhaus, ein Yindel- und Gebärhaus, auch ein vortreffliches, man darf fagen, reiches Armeninſtitut und eine ſogenannte mildtätige Geſellſchaft uſw.
Alle dieſe Stiftungen ſind nicht nur nach der Verſchiedenheit der Stände unter den Hilfsbedürftigen, ſondern auch nach den verſchiedenen Krankheitszuſtänden ein⸗ geteilt und beſtimmt. Sie ſind meiſtens recht gut fondiert, denn manches Spital bezieht jährlich bei 20000 Gulden Einkünfte.
Noch verdienen unter den Hilfsanſtalten beſonders angerühmt zu werden:
Das militäriſche Arbeitshaus in der Au. Jeder Arbeitſuchende findet hier Lohn und Unterhalt, jeder Hungernde eine geſunde Mahlzeit und jeder reiſende Hand⸗ werksgeſell entweder Arbeit oder Zehrgeld.
Weil bei ſo vielen Kanälen das Ertrinken nicht ſelten iſt, ſo wurden verſchiedene bürgerliche Wundärzte, die zunächſt an Kanälen wohnen, auf öffentliche Koſten mit den beſten Rettungswerkzeugen verſehen, und ſelbſt auf die Rettung eines Ertrunkenen wurde ein Preis geſetzt.
Der Staat beſoldet geprüfte Augen⸗ und Zahnärzte, welche in der Hauptſtadt wohnen und der ärmeren Volksklaſſe unentgeltlich Hilfe leiſten müſſen. Bei Krank⸗ heiten des Viehes iſt dem hilfeſuchenden Stadt⸗ oder Landbewohner die Veterinär⸗ ſchule offen. Endlich müſſen wir hier auch noch anmerken die zwei öffentlichen Bade⸗ häuſer, deren eines im Lechel, das andere vor dem Sendlingertor ſich befindet, wie⸗ wohl ſie ebenſogut zur Erholung, als zur Geſundheit und Hülfe dienen. Für ſo viele ſchöne Anſtalten zum Beſten der leidenden Menſchheit wird einſt noch die ſpäteſte Nachwelt das gute bayeriſche Volk und deſſen edle Regenten dankbar ſegnen.
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Kurfürſt Maximilian III. hat eine Akademie der Wiſſenſchaften hier errichtet, welche immer noch ihr Daſein behauptet.
Die Hofbibliothek, die in mancher Rückſicht feltene Bücherſchätze enthält, befindet ſich in dem ehemaligen Jeſuitenkollegium und ſteht auf Befehl Seiner kurfürſtlichen Durchlaucht jedem Freunde der Literatur offen, der auch in einem Mebenſaale alle Bequemlichkeit zum Leſen und Exzerpieren hier findet.
Die kurfürſtliche Gemäldegalerie in dem Hofgarten bietet dem jungen Künſtler Unterricht und Belehrung an. Es ſind öffentliche Ausſtellungen für die Werke junger Künſtler veranſtaltet und Preiſe zu ihrer Aufmunterung geſetzt.
In dem kurfürſtlichen Gymnaſium und Lyceum werden die Wiſſenſchaften von der Grammatik bis zur Theologie in verſchiedenen Klaſſen von den Benediktinern gelehrt; es ſind auch mehrere Sprachmeiſter aufgeſtellt, deren öffentliche Lektionen jeder frei beſuchen kann.
Die kurfürſtliche Militärakademie verpflegt ganz unentgeltlich alle Jahre 80 Jüng⸗ linge und nimmt nebſt dieſen auch noch andere ſowohl Aus- als Inländer in ihren Schoß auf. Jene bezahlen monatlich 20, dieſe aber nur 12 Gulden; dafür erhalten die Zöglinge eine ſehr gute Verpflegung und einen gründlichen Unterricht in der deutſchen, lateiniſchen und franzöſiſchen Sprache, in der Geſchichte und Cröbefchrei- bung, in der Mathematik, Philoſophie und Religion, im Zeichnen, Tanzen, Fechten, Reiten uſw.
In der kurfürſtlichen Forſtſchule werden junge Leute in der, dem waldreichen und doch bald holzarmen Bayern ſo wichtigen Forſtkultur gebildet.
Das kurfürſtliche Oberſt⸗Münz⸗ und Bergmeiſteramt hat ſeine eigenen Zöglinge und Praktikanten.
Für die architektoniſchen Zeichnungen iſt eine eigene unentgeltliche Schule vor- handen, worin ſich jeder Maurer-, Zimmer- oder andere Handwerksgeſell für fein Fach ausbilden kann. Bürgerliche Vorbereitungs⸗ und andere Schulen ſind bei jeder Pfarre. Eine eigene Sonntagsſchule iſt zum unentgeltlichen Unterricht der Lehr⸗ jungen beſtimmt. Auch jedes hier garniſonierende Regiment hat feine Schule für Soldatenkinder, wo ſie unentgeltlich Unterricht im Leſen, Schreiben, Rechnen, wie auch im Nähen, Stricken uſw. erhalten.
Für Taubftumme wurde erſt neulich eine vortreffliche Anſtalt gemacht.
Die weibliche Jugend hat zu ihrem Behufe außer einigen bürgerlichen Schulen
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und Privatpenfionsanftalten auch die Nonnenklöſter, unter denen fich befonders das Inſtitut der engliſchen Fräulein auszeichnet, worin einige Mädchen auf kurfürſtliche und andere auf eigene Koſten erzogen werden. Auch in dem ſogenannten Püttrich⸗ kloſter erhalten die Mädchen freien Schul- und Arbeitsunterricht. Ferner Be ji Waiſenhaus feinen eigenen Lehrer.
In dem Militärlazarett wird die Chirurgie und Anatomie, in dem Hel: Geiſtſpital die Geburtshilfe unentgeltlich gelehrt.
In der kurfürſtlichen Veterinärſchule werden 16 Schüler gegen eine Penſion und ebenſoviele unentgeltlich verpflegt.
Auch für das Vergnügen des Publikinms iſt hier ſehr gut geſorgt.
In dem kurfürſtlichen Hoftheater wird dreimal in der Woche repräſentiert. Es werden abwechſelnd Trauer⸗, Luſt⸗, Ging und Tanzſpiele (Ballets) gegeben. Mehrere von dem dortigen Perſonal find in kurfürſtlichen Dienſten. Die Karnevals- zeit hindurch ſind im Redoutenhauſe maskierte Bälle, ſogenannte Akademien und Vauxhalls gewöhnlich. Für die Liebhaber der Muſik ſind häufige Konzerts ver⸗ anſtaltet.
Eine ſehr angenehme Schußſtätte, welche der hieſigen Schützenkompagnie zu⸗ gehört, befindet ſich vor dem Karlstore.
Der Hofgarten, ein mit Linden⸗ und Kaſtanienbäumen dicht und regelmäßig be- ſetztes, mit 4 Springbrunnen und einem Fiſchteiche verſehenes und an zwei Seiten von einer bedeckten Halle eingeſchloſſenes großes Viereck, iſt jedermann zum Luſt⸗ wandeln offen.
Auch der engliſche Garten, ein bſferrilche Echohangsort von ſeltenem Umfange und reich an mannigfaltiger Schönheit, bietet jedem Freunde der Natur und Kunſt die angenehmſten Promenaden an.
An Kaffeehäuſern, Billards, Wirtshäuſern, Tanzplätzen uſtv. iſt Überfluß in allen 5 und vor allen Toren.
Von der Schranne, als dem wichtigſten Kommerzialgegenſtande für Mine und für Bayern iſt bereits kurze Erwähnung geſchehen.
Die Zufuhr aller anderen Lebensmittel iſt bei dem ſtrengen Verbot des Vor⸗ und Allemderkaufs immer ſo hinreichend, daß die Preiſe in gewöhnlichen Zeiten allemal 1 erträglich find.
Die Iſar führt auf Flößen Bauhölzer, Marmor und andere Steine, Kalk und
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Kohlen uſw. zu. Die Ziegelſteine, womit alle Gebäude der Stadt aufgeführt find, werden in mehreren um die Stadt liegenden Ziegelhütten aus der daſelbſt befindlichen Erde gebrannt. Es wäre zu wünſchen, daß bei der ſo außerordentlichen Zunahme neuer Gebäude zur Erſparung des Holzes, der in dem Iſarſtrom häufig vorrätige gute Magelfluh wenigſtens zu den Fundamenten der Häuſer anſtatt der Ziegelſteine verwendet würde, wozu die zum Gefängnis verurteilten Verbrecher, die in Untätig⸗ keit und müßigem Elend dahinſchmachten, nützlich gebraucht werden könnten. Mit Brennholz wird die Stadt von den Landleuten verſehen; vieles kommt auch a der Iſar, und hier iſt die ſogenannte Trift beſonders merkwürdig.
Alles Holz für den Hof wird im Winter teils an der Tiroler Grenze, teils in den Tiroler Wechſelwäldern geſchlagen, ſodann vermittels der Bergriſſe, worin man das Waſſer durch Klauſen ſammelt, auf die Iſar gebracht und auf derſelben im Monat September nach München geflößt. Hier werden nun die Gewäſſer durch Niederlaſſung der Schleuſen an dem Abrechen (einer hölzernen Iſarbrücke, über welche die Brunnen⸗Waſſerleitung in die Stadt geht) fo ſehr angeſchwellt, daß fie mit dem Holze durch beſondere, ſehr künſtlich dazu eingerichtete Kanäle nach dem kurfürſtlichen Holzgarten ihren Lauf nehmen müſſen. Der Holzgarten, ein ſehr großer, regelmäßig mit Dämmen umgebener Platz, gleicht nun einem See, in welchem ſich viele Tauſend Klafter Scheitholz in ſeltſamen Maſſen auftürmen. Wenn nun auf dieſe Art alles Holz aus der Iſar und den Kanälen eingeflößt iſt, ſo erhält das Waſſer durch beſondere Ablaufkanäle ſeinen Ausgang; der Holzgarten verwandelt ſich in eine trockene Ebene, und das Holz wird ordentlich aufgeſchichtet. Dieſes iſt die Trift, ein allerdings ſehenswürdiges Schauſpiel.
An dem erwähnten Abrechen ſind zwei Joche zur Durchfahrt für die Flöße, welche im Frühling und Sommer regelmäßig von hier bis nach Wien fahren, be⸗ ſtinumt. Dieſe Joche werden aber nur zu einer beſtimumten Zeit des Tages geöffnet, weil man zum Gange der Mühlen und anderer verſchiedener Triebwerke eine genau berechnete Waſſermaſſe nötig hat.
Zu den öffentlichen Kommerzialanſtalten gehören auch vorzüglich die trefflichen Landſtraßen, welche von hier aus nach allen Richtungen das Land durchkreuzen und dasſelbe mit den benachbarten Staaten verbinden.
Für den Salzhandel, einen der vorzüglichſten Kommerzialgegenſtände in Bayern, iſt eine eigene Niederlage vor dem Karlstore erbaut.
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Es befinden fich hier auch mehrere Fabriken, unter andern das Militär⸗ arbeitshaus in der Au, welches mit dem Armeninſtitute in einer beſonderen Verbin⸗ dung ſteht. Es liefert alle Monturſtücke für die kurfürſtlichen Truppen und hat auch ſonſt einen ſehr ausgebreiteten Verkehr zum Vorteil der Militärkaſſen. Ferner ſind hier eine Pers- (d. h. eine Zig- oder Kattun⸗) Fabrik, eine Leder⸗, Tabak⸗, Gold⸗ und Silberdraht⸗Fabrik, wie auch eine Seidenzeug⸗-Fabrik.
Unter den öffentlichen Waren-Niederlagen ſind die von Porzellangeſchirren, Eiſen und Leimwand die merkwürdigſten.
Das Intelligenzblatt und das ſogenannte Mittwochblatt dienen dem Kommerzial⸗ ſtande zur Bekammmachung feiner Produkte, Vorräte, Wünſche und Angelegen⸗ heiten. Sie enthalten auch von Woche zu Woche die Getreidepreiſe auf allen Schranmen des Landes und zeigen monatlich den Preis aller Lebensmittel auf dem Hauptmarkte zu München an.
Den engliſchen Garten ſchien die Natur zu ſeiner jetzigen Beſtiunmmg ſchon lange zu begünſtigen, denn er empfing bei ehemaligen Überſchwemmungen der Iſar, die neben ihm vorbeiſtrömt, den Samen mancher herrlichen Gebirgspflanzen, die in der Gegend von München eigentlich nicht zu Hauſe ſind. Nun durch Dämme ge⸗ ſichert und durch Kultur verſchönert, prangt er mit Bäumen von mehr als ſiebzig verſchiedenen Arten und ebenſo mannigfaltigen Staudengewächſen.
Die Gartenluſt in München könnte ausſchweifend genannt werden, wenn es möglich wäre, in einer Leidenſchaft, wobei der Staat gewinnt, die Religion und gute Sitten aber wenigſtens nichts verlieren, auszuſchweifen.
Es läßt ſich leicht denken, daß an einem Orte, wo in einem einzigen Jahre, z. B. wie in dem letztverfloſſenen (1795) gleich zwölf Gärten neu angelegt und wo für ein Tagwerk (40000 Quadratfuß) eines ſolchen Gartengrundes 4 bis 300 Gulden bezahlt werden, an Gartengewächſen und an eifriger Kultur kein Mangel ſein kann.
Durch dieſes ſchöne Beiſpiel aufgenumtert, wird auch der Feldbau in einiger Entfernung von der Stadt ſehr fleißig betrieben. Beſonders iſt man auf guten Gras⸗ wuchs bedacht. Der Kleebau wird daher nicht vernachläſſigt. Auch zieht man vor⸗ trefflichen Hopfen, und das Getreide belohnt immer noch reichlich den angewandten Fleiß und Mühe.
Die umher liegenden Waldungen dienen nicht nur allein, manchem Holzbedürf⸗ niſſe abzuhelfen, ſondern ſie verſchönern auch die Gegend, reinigen die Luft und
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nähren mannigfaltig Tiere, unter denen ſich ſehr viele und ſchöne Faſanen befinden, die auch noch in anderen, eigens hierzu beſtinunten Gärten zum Vergnügen der gnä⸗ digen Landesherrſchaft gehegt werden.
Zum Schluſſe dieſes Fragments ſetze ich, um dem politiſchen Rechnungsliebhaber nicht vorzugreifen, hier nichts bei, als das Verzeichnis der zu München (mit Aus⸗ ſchluß der Au)
in den Jahren Getauften Begrabenen Getrauten
1785 1203 1349 312 1786 1234 1531 278 1787 1253 1343 309 1788 1244 1334 283 1789 1247 1813 291 1790 1117 1364 246 1791 1231 1284 226 1792 1170 1366 223 1793 1080 1506 264 1794 1046 1366 236
| 1795 1381 1494 356 in 11 Jahren 13206 15452 3024
Was man nun immer für eine Zahl nach der Proportion der Getauften oder Verſtorbenen für die Bevölkerung annehmen mag, ſo darf ſie, um richtig zu ſein, ſich nicht weit von 45000 Menſchen entfernen.
Die Umrechnung der Höhenlage Münchens in das Maß unſerer Zeit ergibt 520 m über dem Meeresſpiegel.
Die Anhöhen jenſeits der Iſar im Stadt⸗Oſten und „weſtwärts, eine Viertelſtunde von der Stadt entfernt“, find identiſch mit den Hügelzügen, die einerſeits von Harlaching über Gieſing bis Bogenhauſen und Föhring die Stadt begleiten, andererſeits von Oberſendling, am Weſtrand der Thereſienwieſe hinziehen und ſich in der Gegend des Oberwieſenfeldes verlieren.
Das Rathaus am Marktplatz iſt das heutige „Alte Rathaus“. Die „Hauptwache“, die ſpäter ins „Neue Rathaus! übergeführt und vor einem Jahrzehnt ganz eingezogen wurde, befand ſich in dem Eckhauſe der Kaufinger⸗ und Weinſtraße, dem heutigen Juwelier Thomas-Haus.
Von den erwähnten Kirchen und Klöſtern beftehen mit Ausnahme der Hauptkirchen die meiſten nicht mehr. Die Salvator⸗Kirche wurde der griechiſch-orthodoxen Gemeinde überlaſſen, nachdem fie vorüber: gehend bis zur Errichtung der St. Matthäuskirche der proteſtantiſchen Gemeinde gedient hatte. Die Garniſons⸗ und Malteſer⸗Ordenskirche iſt die heutige St. Michaelskirche. Die Auguſtinerkirche wurde gelegentlich der Gäfularifation aufgelaſſen, fpäter in eine Mauthalle umgewandelt und bildet jetzt ein mit Rückſicht auf feine ſtädtebildliche Wichtigkeit erhaltenes Anhängſel des Polizeigebäudes. Die Karmeliter⸗ kirche iſt gegenwärtig Studienkirche des Erziehungsinſtitutes Albertinum (Hollandeum).
Das Militär-Lazarett wurde fpäter ein Gymnafialgebäude (Luitpold⸗Gymnaſium an der Müllerſtraße).
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Pflichten und Eide der ſtädtiſchen Beamten
und Diener
Lorenz Hübner, Geiſtlicher Rat und vaterländiſcher Schriftſteller, überliefert in feiner „Beſchreibung der kurbayeriſchen Haupt- und Reſidenzſtadt München und ihrer Umgebungen“, die im Jahre 1805 üblichen Formeln der Pflichten und Eide ſtädtiſcher Beamter und Diener.
Die Pflicht des Stadthauptmanns.
Der Stadthaupnmaun hat ſich dem Magiſtrat eidlich zu verpflichten, daß derſelbe die Würde und das Anſehen dieſer Stelle auf alle Art mittels ſeines Dienſteifers erhalten, die Bürgerſchaft, gleich dem Stadtleutnant, in den Waffen⸗ und Kriegs⸗ übungen mit allem Fleiße unterrichten, ſie an den Exerziertagen zur Erſcheinung ernſtlich anhalten, bei der öffentlichen Ausrückung und Parade dieſelbe an Zucht, Ordnung und Gehorſam gewöhnen; ferner in allen außerordentlichen Fällen, die ſich in der Stadt mit Muſterungen, Feuer, Aufläufen, Ausfällen und dergleichen er⸗ eignen, den Pflichten des Stadthauptmanns gemäß ſich ohne Weigerung bereit⸗ willig finden laſſen, bei der demſelben übertragenen Feuer⸗Viſitation genaue Unter⸗ ſuchung anſtellen, die ihm vom Magiſtrat erteilten Aufträge unverſätumt vollziehen, der hierin gegebenen Inſtruktion nachkommen, unverſäumte Anzeige machen; übrigens der Stadt mit Treue und Dienſteifer zugetan ſein, beſonders alle geheimen Sachen in Betreff der Stadt bei ſich behalten, innerhalb der Stadtmauern in eigener Perſon ſich häuslich niederlaſſen und ohne Bewilligung über Nacht nicht ausbleiben wolle. (Dieſen Eid ſchwört auch der Stadtleutnant und Stadtwachtmeiſter.)
Eid der Bierbeſchauer. Die Bierbeſchauer ſollen dem Magiſtrat ſchwören, im Winter wie im Sommer das Bier zu beſichtigen und ſich in allem an ihre neue Ordnung und Inſtruktion oder an die weiters ſpeziellen Befehle zu halten. Dieſe Beſchau haben ſie auch nach
ihrem beften Wiſſen und Gewiſſen vorzunehmen, mit Rückſicht des Satzes, den der Magiſtrat den Bierbräuern vorlegt. Sie haben ſich dabei vorzüglich in aller Gunſt, alles Eigennußes, aller Freundſchaft oder Feindſchaft zu enthalten; kein zu geringes oder ſonſt mangelhaftes Bier in einiger Rückſicht der Armut des Bräuers oder anderer Umſtände nach dem ordentlichen Satz des guten Bieres gelten zu laſſen, ſondern dem Armen wie dem Reichen zu begegnen.
Der Eid des Ratsdieners.
Der Ratsdiener hat ſich eidlich zu verpflichten, allen Befehlen und Aufträgen des Magiſtrats oder eines Herrn Bürgermeiſters fleißig nachzukommen, dasjenige, was ihm von Rats oder Gerichts wegen befohlen wird, geheim zu halten, zu den Ratsſitzungen gemäß den Aufträgen des Herrn Amtsbürgermeifters zu gehöriger Zeit und bei der Strafe, wie ſie ihm anbefohlen worden, den innern und äußern Räten, wie auch dem Herrn Stadtunterrichter fleißig anzuſagen, und die Torzettel, woran ſehr vieles gelegen, ſorgfältig einzufammeln und hierin alle Genauigkeit zu beobachten.
Übrigens hat derſelbe bei den täglichen Verhören in dem Haufe des Herrn Amts⸗ bürgermeiſters demſelben die Parteien zu melden und niemanden eigenmächtiger Weiſe weder eine Abweiſung noch einen Beſcheid zu erteilen und ebenſowenig jemand zu ſeinem Nachteil aufzuzögern. |
Weiter hat er ſowohl bei Tag als bei Nacht das Rathaus verfchloffen zu halten, niemandem einen Unterſchlupf zu geben, noch irgend Gaſtereien oder Trinkgelage und Zechen zu geftatten.
Diejenigen, die im Turme zu Verhaft liegen, hat er fleißig zu verwahren, ihnen keine Geſellſchaft zuzulaſſen und nicht mehr Speiſe oder Trank zu geben, als von Seite des Bürgermeiſters oder Stadtoberrichteramtes befohlen iſt.
Wobei er endlich noch alle jene Artikel, welche in ſeinem Beſtallungsbriefe ohne⸗ hin enthalten ſind, genau und fleißig zu beachten hat.
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Tod Karl Theodors und Regierungsanfriff Max IV. Joſefs
Lorenz Weſtenrieders Tagebuch, das dem bayeriſchen Geſchichtsſchreiber vielfach als Skizzenbuch für ſeine Aufſätze und Studien diente, iſt eine Quelle zuverläſſigſter, dabei von perſönlicher Anſchauung erfüllter Berichterſtattung über Münchner Vor⸗ gänge und Begebenheiten. Ihm ſind die folgenden Aufſchreibungen entnommen:
1799. Den 16. Hornung, welches ein Samstag war, wurde Vormittag der Kur⸗ fürſt für merklich beſſer ausgegeben, aber um halb 2 Uhr befiel ihn ein wiederholter Schlag, und er griff in die fogen. letzten Züge. Die Tore wurden ſogleich wieder geſchloſſen. Die Ordonnanzen eilten durch die Gaſſen, und alle Cimvohner kamen in Bewegung. Alle Fenſter wurden geöffnet, und es war eine allgemeine lautere Frage, ob es bald vorüber ſein würde. Ich ging nach Hof und erwartete den Aus⸗ gang im Herkulesſaal, durch welchen bereits alle Miniſter, Generale, geheime Räte nach den inneren Zimmern eilten. Im Herkulesſaal befanden ſich mehrere Perſonen, die noch, ehe die Reſidenz geſchloſſen wurde, hierher gekommen waren und unaufhörlich durcheinander liefen und unabläſſig ſich einander fragten, wie es mit dem Kurfürſten ſtehe. Trat jemand aus den innern Simmern, fo wurde er fo- gleich umrungen und mit Fragen beſtürmt. Es war ein ſeltſames und gräßliches Schauſpiel. Im Reſidenzhof ſtanden die Pferde der bayeriſchen Kuriere geſattelt, und vor dem Tor der Reſidenz ſaßen viele Ordonnanzen zu Pferd. Die Spanmumg, Unruhe und Erwartung machte jedem die Zeit länger, als ſie war. Ich, der ich doch ganz ſtill und einſiedleriſch in einem Winkel ſtand, wurde öfters gefragt, zu ſagen, was ich wüßte, und öfters rannte man zu mir her und erzählte mir, wie es ſtehe, wobei ſich die Perſon, die mich anredete, augenblicklich wieder entfernte. Endlich ein Viertel und ſechs Minuten nach drei Uhr verſchied Carl Theodor. Sogleich öffneten ſich die großen Flügeltüren, und die Kuriers und mit ihnen eine Menge anderer Leute ſtürzten im wilden Lauf heraus. Niemand ſprach etwas, aber man ſah, was es war. In dieſem Augenblick fühlte ich mit Wehmut für den Verſchiedenen; er war zwar
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ein ſchlimmer Regent, aber doch auch ein Menſch, und feine böſen Ratgeber und hölliſchen Mannheimer tragen wahrlich auch einen großen, vielleicht den größten Teil der Sünden, die er wider uns Bayern begangen hat. Man läutete bei den Theatinern, und die ganze Stadt fing endlich an, frei zu atmen; denn jedermann be⸗ klagte ſich dieſer Tage, daß man vor innerer Unruhe und vor Furcht und Kummer, daß es wieder beſſer gehen könnte, nicht eſſen, nicht ſchlafen und nichts denken könne.
Beim Hintritt des Max Joſeph, den 30. Dezember 1777, zerfloß die ganze Stadt und die ganze Nation in Tränen. Heute ſrohlockte alles, und jeder wünſchte dem andern Glück. Man erwartete mit Ungeduld die Proklamation des neuen Kurfürſten Maximilian Joſeph. Dieſe geſchah vor der Reſidenz und in verſchiedenen Gaſſen von 4 Uhr bis es Nacht wurde, und das Jubelgeſchrei und das Vivat⸗ rufen des Volks (nur bei der erſten Ausrufung vor der Reſidenz wurde geſchwiegen) durchdrang die Wolken. Die Regimenter, die Dikaſterianten wurden ſogleich in die neue Pflicht genommen, und Boten und Poſten gingen durch alle Tore. Am freudigſten ging es heute in den Wirtshäuſern zu. Man hatte heute nur eine Ge⸗ ſinnung, und man zerſtieß ſich taumelnd die Gläſer in den Händen, um ſelbe recht zu bekräftigen. Den Mannheimern, die man überlaut hohnneckte, war anders zu Mut. Die meiften verdienten’s nicht beſſer, und fie haben uns ſeit 1779 arg genug mitgeſpielt.
Es iſt höchſt merkwürdig, daß den Kurfürſten der Schlag gerade an dem Abend und beim Spiel traf, nach welchem er ein Dekret unterſchreiben ſollte und auch unterſchrieben haben würde, vermöge deſſen fünfzehn Tauſend Bayern an die Oſter⸗ reicher hätten überlaſſen werden ſollen. Er ſtarb, da er nicht mehr reden konnte, ohne Teſtament, und man verſichert, daß er an gemünztem Gold und an Gold— und Silberſtangen ſechsundzwanzig Millionen hinterlaſſen habe.
Während feines viertägigen Kämpfens mit dem Tod erzählte man ſich hier eine Menge Anekdoten, welche die allgemeine Verachtung und den bitterſten Haß gegen ihn verrieten. Als man einem Bauern, der zum Tore hinaus wollte, zurief, daß das Tor geſperrt ſei, ſchrie er: „Ihr Schuz. Vor 21 Jahren hättet ihr das Tor ſperren ſollen, damit er nicht hineingekommen wäre.“
Ein anderer erzählte, man habe nach der Mutter Gottes im Herzogſpital geſchickt und fie erſucht, nach Hof zu Eommen; fie habe aber geantwortet, fie könne nicht kommen, denn ſie hätte keinen Rock mehr anzulegen. — Das ſpielte auf die fünfzehn Millionen an, welche Karl Theodor vor kurzem von der Geiſtlichkeit gefordert hatte.
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Den 20. Februar Abends um 7 Uhr kam der Kurfürſt Maximilian Joſeph hier an. Der öſterreichiſche Erzherzog Karl hatte ihn in ſeinem Hauptquartier zu Friedberg prächtig empfangen und mit Stabsoffizieren und Huſaren begleiten laffen. In Friedberg waren auch Abgeordnete der Landſchaft und der Stadt. Auch der Herzog Wilhelm war ihm ſchon den 19. entgegengereiſt.
Da Maximilian mit dem Gefolge bei dem Tor ankam, entſtand ein ſolches Jubelgeſchrei, daß einige Pferde an ſeinem Wagen ſcheu wurden und über die Riemen oder Zugſtricke ſchlugen, daher man halt machen und ſie wieder auflöſen mußte. Er fuhr nach der Burg, genannt Herzog Max, vor welcher das Volk noch lange verſammelt blieb, unaufhörlich jauchzte und Vivat Maximilian rief.
Der alte Weſtenrieder. Karikatur von Graf Pocci
Lorenz von Weſtenrieder (1748 — 1829), den man einmal das Gewiſſen Münchens nannte, vertritt Karl Theodor gegenüber ausgeſprochener Maßen den altbayeriſchen Standpunkt. Es war indeſſen teil⸗ weiſe auch Schuld der Münchner, daß ſich der Kurfürſt, der aus der geiftig und geſellſchaftlich freieren und regſameren Pfalz kam, in München nicht heimiſch fühlen konnte und ſich lieber mit ſeinen pfälziſchen Landeskindern, den vielgehaßten „Mannheimern“, umgab als mit Münchnern.
Karl Theodor iſt geboren am rr. Dezember 1724; ſeit 21. Dezember 1742 war er Kurfürſt von der Pfalz. am 30. Dezember 1777, nach dem Ausſterben der bayeriſchen Linie der Wittelsbacher, fiel ihm Bayern zu.
Marimilian Joſeph, geboren am 27. Mai 1756, König am 1. Januar 1806, geſtorben zu Nymphen⸗ burg am 13. Oktober 1825. Herzog Wilhelm ſtammt aus der Linie Birkenfeld; er lebte von 1752 bis 1837.
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Eingeſtürzte Häuſer am Thiereckgäßl. Radierung von F. Bollinger
Fraunhofer
Lorenz Weſtenrieder ſchreibt in feinem Tagebuch 1801: Den 21. Juli Nach⸗ mittags um 1 Uhr ſind hier in dem kleinen Gäßchen, wo man von der Hauptwache herauf nach der Frauenkirche gehen kann, zwei Hinterhäuſer, von denen eines repa⸗ riert, aber nicht genug geſtützt wurde, zuſammengeſtürzt und haben einige Leute, welche in den Zimmern wohnten, unter ihrem Schutt begraben. Augenblicklich wurde von allen Seiten Anſtalt getroffen, den Unglücklichen zu helfen: ſelbſt der Kurfürſt, welchem man es nach Nymphenburg meldete, kam ſogleich; allein man konnte un⸗ möglich augenblicklich allen Schutt wegräumen. Um 6 Uhr ſah ich einen Buben von ungefähr 16 Jahren, den man ſoeben herausgezogen hatte, auf der Gaſſe nach Hauſe führen; er hatte beide Arme voll Blut und wankte ſehr; er ſagte, er hätte eine Frau, eine Spiegelmacherin, lange winſeln gehört. Dieſe Frau wurde erſt den 29. Juli, abends 8 Uhr, tot aus dem Schutt hervorgezogen.
Der Gerettete war Joſeph Fraunhofer (1787— 1824), der fpäter ein berühmter Optiker wurde
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Die Franzoſen und der Galerieraub
Der Staatsmann und Galeriedirektor Joh. Chriſtian von Mannlich (1741 — 1822) ſchreibt in ſeinen Lebenserinnerungen:
Im Frühjahre 180 1 kamen die Franzoſen fo nahe an uns heran, daß der Hof aus München flüchtete. Salabert, Montgelas, Rheinwald, der damals in hoher Gunſt ſtand, unſere ſämtlichen Generale und die meiſten Hofleute folgten ihm nach. Man hatte einen Rat ernannt, der in Abweſenheit des Herrſchers deſſen Geſchäſte wahrnehmen ſollte. Herr von Törring, Morawitzky, Cetto und einige andere bildeten ihn.
Endlich rückten die Franzoſen in unſere Stadt ein. Da man ihnen keinerlei Widerſtand entgegengeſetzt hatte und ihr Kommandeur, der berühmte Moreau, die Difziplin aufrecht hielt, fo ging dieſer Einmarſch in aller Ruhe vor ſich. Die Stärke des Heeres war jedoch ſo groß, daß wir von Einquartierung förmlich erdrückt wurden. Ich für meinen Teil bekam fünf Mann, obgleich meine kleine Wohnung kaum für mich und meine Dienſtboten genügenden Raum bot.
Gleich am erſten Tage erlebte ich eine unangenehme Geſchichte mit dem General Lecourbe. Er hatte ſich die Paradegemächer, die ſogenannten Kaiſerzimmer, öffnen laſſen und ſich einige Gemälde aus deren Galerie ausgewählt, die man mich ver⸗ hindert hatte, in Sicherheit zu bringen. Ich verweigerte ihm die Auslieferung, da ich dafür verantwortlich ſei und keinen Befehl habe, darüber zu verfügen. „Nun, wer kann Ihnen derm den Befehl dazu geben?“ „Der Rat, der während der Ab⸗ weſenheit des Kurfürſten regiert.“ „Gut, ſagen Sie dieſem Rat: Ich wünſche dieſe Gemälde zu beſitzen.“ Bei dieſen Worten drehte er mir den Rücken und entfernte ſich mit ſeinem Adjutanten. Tags darauf übermittelte ich die Antwort des Rates, daß er über das Eigentum des Kurfürſten zu verfügen nicht ermächtigt ſei, dem Ad⸗ jutanten, der die Bilder abholen ſollte. Dieſer fuhr mich wütend an: „Wiſſen Sie denn, daß ich den Befehl habe, ſie mit Güte oder Gewalt zu nehmen? Wenn ich ſie morgen Nachmittag nicht von der Wand genommen vorfinde, werde ich ſie
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durch eine Grenadierkompagnie zum General ſchaffen laſſen.“ Dabei wandte er mir den Rücken, gerade ſo wie ſein General, deſſen gebieteriſchen Ton er trefflich nachahmte.
Darob neue Beratung mit dem Ergebnis, ſich beim kommandierenden General über den Diviſionsgeneral zu beſchweren. Die Antwort Moreaus kam durch den Überbringer der Beſchwerde wieder zurück; ſie war ſehr höflich und lautete: „Da ſich Lecourbe im Feindesland in feiner Handlungsweiſe im Recht glaube, die er weder verhindern, noch gut heißen könne, fo rate er, den General zu befriedigen, um da- durch den Groll eines Heißſporns zu verhindern, der bei weitem ſchlimmere Folgen nach ſich ziehen könne, als der Schaden ſei. Im übrigen wäre er, ſoweit es von ihm abhänge, bereit, den Kurfürſten zu entſchädigen. Die Herren möchten die von Lecourbe mitgenommenen Gemälde abſchätzen laſſen und deren Wert an der Kriegskontribu⸗ tion der Stadt in Abrechnung bringen.“
Man fügte ſich der Notwendigkeit. Man ließ die Bilder in das erſte Vor— zimmer ſchaffen, aus Furcht vor einer weiteren Ausleſe des Generals. Die Abſchätzung wurde gewiſſenhaft vorgenommen: der Kurfürſt hätte wohl in keinem Falle den gleich hohen Preis fordern können. Der Bürger⸗General ließ ſie pünktlich durch Grena⸗ diere holen, die beim geringſten Widerſtande alle Türen eingeſchlagen hätten. Nach ihrem Abzuge glaubte ich die Sache erledigt und pries Gott, dabei ſo billig wegge— kommen zu ſein. Denn im Grunde erlitten wir keinen großen Verluſt. Der Geſchmack des Generals bewies fein geringes Kunſtverſtändnis.
Bald nach dieſem Schrecken ſollte mir ein anderer widerfahren, der weit ver- hängnisvoller war als der erſte. Eines ſchönen Morgens betrat ein elegant geklei⸗ deter „Bürger“ mit ſchöner, blonder Perücke a la Titus mein Zimmer. Nachdem er mich gefragt hatte, ob ich der Direktor der kurfürſtlichen Muſeen ſei, fuhr er fort: „Ich bin Kommiſſär der Rhein⸗Armee und habe im Auftrag der Republik die un⸗ ſeren durch die Ausbeute bei den beſiegten Nationen zu bereichern, indem ich aus ihren reichen Sammlungen der Kunſt und Wiſſenſchaft eine Auswahl treffe.“ Zu⸗ gleich überreichte er mir ſeine Vollmachten und den Befehl, die Siege der „Großen Armee“ zu nützen, um durch Andenkenſtücke von dauerndem Werte die Erinnerung an fie zu verewigen, wie man auch der Armee in Italien Meiſterwerke der Kunſt verdanke. Beim Durchleſen dieſes Schriftſtückes war ich beſtürzt.
Der Kommiffär bemerkte es und ſagte zu mir: „Ich bedauere Sie, Bürger
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Direktor, ich empfinde mit Ihnen die Sorge, die Ihnen die Angelegenheit bereiten muß, und verſetze mich in Ihre Lage. Beruhigen Sie ſich indes: Sie werden in mir einen vernünftigen und mitfühlenden Mann finden!“ Auf meinen Einwurf, daß ich der Ermächtigung des Rates dazu bedürfe, erwiderte er: „Führen Sie mich zu dieſem Rat, und ich bürge Ihnen für ſeine Zuſtimmung. Es kann keine Schwierig⸗ keiten zwiſchen dem Sieger und dem Beſiegten geben: erſterer befiehlt, letzterer ge⸗ horcht, gutwillig oder mit Gewalt.“ Ich ſtellte alſo meinen Kommiſſär, namens Neben, dem verſammelten Rate vor, der ihn, eingeſchüchtert durch das brutale Vor⸗ gehen von Lecourbe, höflich empfing. Nachdem er dieſen Herren dargetan hatte, daß ſich der Sieger das Recht erworben habe, dem Befiegten das Geſetz zu diktieren, ſollten fie mir befehlen, ihn in unſere Muſeen, Bibliotheken und alle auf die Künſte und Wiſſenſchaften bezüglichen Sammlungen zu führen, damit er daraus wählen könne, was zur Verovollſtändigung und Bereicherung derer von Paris notwendig fei. Paris ſolle von mm an der gemeinſame Herd der Aufklärung und Erkenntnis fein, deſſen Licht und wohltätige Strahlen ſich über die geſamte Erde ausbreiten und ſie erleuchten werden. „Glauben Sie indes nicht, daß Sie die Republik durch diefes Opfer in die Finſternis der Umwiſſenheit ſtürzen will! Durchaus nicht! Sie iſt damit einverſtanden, daß ich nur unter dem Titel des Tauſches in Ihren Gammlungen wähle, und wird Ihnen durch die Zentraldirektion der franzöſiſchen Muſeen für das, was ich Ihnen nehme, Erſatz bieten.“
Nach Prüfung der von Lucien Bonaparte gezeichneten Vollmachten Neoeus gaben dieſe Herren, die ſo triftigen Gründen nichts entgegenzuſetzen fanden, in ſicht⸗ licher Verlegenheit nach und erteilten mir in aller Form den Auftrag, Herrn Neven in die Galerien und das Kabinett des Kurfürſten zu geleiten. Ich freute mich, wenn auch wehmütigen Herzens, meines Triumphes. Denn ich hatte vorausgeſehen und dem Rate vorhergeſagt, was uns num begegnete. Schmerzlich geftimmt, ließ ich die Kaiſerzimmer aufſchließen, wo noch alle Gemälde, mit Ausnahme der von Lecourbe entnommenen, an ihrem Platze hingen. Er war über ihre Schönheit verwundert und rief aus: „Wie zum Teufel haben es Ihre Herzöge von Bayern fertiggebracht, ſo reiche Schätze anzuhäufen! Ich finde hier die verſchwenderiſche Pracht unſerer Könige.“
Beim Betreten der Galerie machte ich ihn auf die Lücken aufmerkſam, die Lecourbes brutales Vorgehen verurſacht hatte. „Beſchweren Sie ſich darüber“, ſagte
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er zu mir. „Die Republik wird nicht billigen, daß er vor mir zu wählen gewagt hat; ſie wird ihn veranlaſſen, ſie der Sammlung zurückzuerſtatten, und Sie werden wieder auf Ihre Rechnung Eommmen.‘ Bei dieſen Worten ließ er ſich eine Leiter herbeiholen und ſchrieb mit Kreide auf drei umfangreiche Gemälde in großen Lettern „Republique Francaiſe“. Es war ein Tintoretto, Roelant Savery und eine ſchöne Kopie von Rubens, die er für ein Original hielt. Als wir durch den Hofgarten nach der Galerie ſchritten, die ich geräumt zu finden hoffte, begegneten wir dem General Decaen, Richard und mehreren anderen, die mit ihren Frauen ſpazieren gingen. Sie wollten uns alle begleiten, um dem Kommiſſär beim Ausplündern behilflich zu ſein. Wie groß war aber meine Überrafchung, als ich ſah, daß man kein einziges von den Bildern, die infolge der weiſen Sparſaukeit unſeres Rates zurückgeblieben waren, weder weggeſchafft noch verſteckt hatte. Dorner und Dillis, ebenſo vertrauensſelig auf die franzöſiſche Loyalität als der Rat, hatten ſich dieſe Mühe erſpart und gaben die Gemälde dadurch der Habgier des Feindes preis:
Wie Harpyien warfen ſich die Damen auf die Mappen, deren Inhalt man jedoch mit unſeren Gemälden fortgeſchafft hatte. Sie durchſuchten fie ſänntlich, ohne etwas zu finden. Neben zeichnete ſchleunigſt den Mamen feiner verhängnis⸗ vollen „Republique“ auf zehn Gemälde, und da es gerade die Stunde war, wo ſie ihr Gabelfrühſtück einzunehmen pflegten, ſo luden ſie mich ſo dringlich dazu ein, daß ich Folge leiſten mußte. Das Dejeuner oder vielmehr üppige Diner fand beim General ſtatt, der im Hauſe des Grafen von Törring einquartiert war, und ging auf Koſten Seiner Exzellenz des Miniſters. Die Damen ſchafften an und beſtellten wie in einem Gaſthofe. Nach dem Kaffee zog ich vor, mich zu entfernen, ſchickte einen Eilboten nach Schleißheim (wohin wir alle am nächſten Tage gehen ſollten), um die Bilder gegebenenfalls noch ſchnell zu verbergen, und verſtändigte Biſchof Haeffelin von dem Beſuche des Kommiſſärs, der in der Bibliothek Bücher und Handſchriften auswählen wolle. Dieſer kam in größter Verlegenheit: „Wie ſoll ich denn eine ganze Bibliothek verſtecken?“ ſagte er zu mir. „Wem mich anvertrauen?“
Retten Sie wenigſtens das Koſtbarſte an Handſchriften.“
„Aber wo ſie verbergen?“
Unter Ihrem Bett!“ erwiderte ich und ging zum Konzert im Redoutenſaal, wo ich meinem Kommiſſär verfprochen hatte, mich einzufinden. Da ich nichts durch
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Gewalt vermochte, fo wollte ich wenigſtens meinen Mann für mich gewinnen, um möglichſt wenig Unheil von ihm zu erfahren.
Pierre de Salabert, der vorher Abbe und Prinzenerzieher geweſen und ſpäter einflußreicher pfälziſcher Staats miniſter war, ift den Münchnern durch das für ihn von Karl von Fiſcher erbaute und nach ihm benannte Palais Salabert (fpäter Prinz Karl-Palais) am Eingang zum Engliſchen Garten bekannt.
Über Max Joſeph Graf von Montgelas (1759—1838), den allmächtigen Miniſter Mar Joſephs, vergleiche die fpäter folgenden Ausführungen K. H. v. Langs.
Joſeph Auguſt Graf von Toörring (1763 1826), Staatsminiſter, auch als Dramatiker bekannt.
Theodor Graf von Morawitzky (17351810) war feit 1799 Kultusminifter; fpäter übernahm er das Juſtizminiſterium.
Jakob Dorner d. A. (1741— 1813), Maler in München, war 1765 als Inſpektor an die kurfürſtliche Galerie berufen worden.
Johann Georg von Dillis (1739 — 1841), war urſprünglich Geiſtlicher, wandte ſich dann der Kunſt zu, war namentlich als Landſchaftsmaler von Bedeutung und deshalb vom damaligen Kronprinzen Ludwig als künſtleriſcher Reiſebegleiter erwählt. Als Galeriebeamter trat er ſpäter in Dorners Stellung.
Die aus den von Frankreich beſiegten Staaten weggeführten Kunſtwerke wurden fpäter im Muſce Napoleon vereinigt, aber nach dem Wiener Frieden von 1815 fajt vollzählig wieder ausgeliefert. Auch München, das zweiundſiebzig Gemälde abgegeben hatte (einſchließlich jener aus Schleißheim), erhielt achtundzwanzig davon zurück, d. h. alle irgendwie wichtigen, mit Ausnahme eines Gemäldes von Rubens, einer Anbetung der Heiligen drei Könige, das nach Lyon kam.
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Bräuer und Bräuerin. Radierung von F. Bollinger
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Kriegsſchickſale im Herbſt und Winter 1808
Lorenz von Weſtenrieder ſchreibt in ſeinem Tagebuch:
1805. Den 9. September. Vormittag entſtand überall das Gerede, daß die Kaiſerlichen auf dem Marſch nach München ſeien. Um 12 Uhr Mittags wurden alle Wachen von den Bürgern beſetzt. Die hieſige Garniſon bereitete ſich zum Abzug. Um 1 Uhr nachmittag reiſte der franzöſiſche Geſandte ab. Alles war in einer ſelt⸗ ſamen Spannung und reger Erwartung.
Den 13. September, an einem Freitag, kamen vor der Stadt die erſten öfter- reichiſchen Truppen, Ulanen und einige reitende Artillerie, hier an. Sie bezogen die äußere Iſarkaſerne. Es waren recht wackere, auserleſene Männer.
Den 14. September. Heute Samstag waren viele öſterreichiſche Offiziere von ver- ſchiedenen Monturen in der Stadt. Abends um 6 Uhr marſchierten öſterreichiſche Grena⸗ diere, etwa 800 Mann, in die Stadt auf den Platz und beſetzten die Hauptwache, wo ſie zugleich mit den Bürgerlichen Wache ſtehen. Auch das Karlstor beſetzten fie. Die Leute wurden einquartiert. Es ging alles mit Stille und Wohlſtand vorbei.
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Den 15. September am St. Peter Kirchweihſonntag marſchierten um 8 Uhr durch die Stadt ein Ulanenregiment, dann Infanterie mit Kanonen. In allem waren es bei 3000 Mann, lauter ſchöne, vortrefflich gekleidete Männer.
Nach neun Uhr zogen wieder etliche tauſend Mann Reiterei und Fußvolk mit Kanonen und Gepäck durch die Stadt.
Den 21. September, an einem Samstag, ſind um halb ſechs Uhr abends (ohne Paradierung der hieſigen Garniſon, doch unter dem Geläut ſänntlicher Glocken) Se. kaiſ. Majeſtät Franz II. zu München angekonunen und im Stürzeriſchen Wirtshaus abgeſtiegen. Auf der Poſt waren 36 Pferde beſtellt.
Den 22. September, am Sonntag in der Früh um 7 Uhr iſt der Kaiſer durch die Kaufingerſtraße wieder abgefahren. Es war ein einziger mit 6 Pferden beſpann⸗ ter Wagen. Einige Ulanen, welche aber gleich wieder zurückkamen, begleiteten den Wagen durch die Stadt. Auch find heute früh einige hundert Mann Fußvoll mit den Gepäckwägen durchgezogen. Um 12 Uhr mittags zog ein Huſarenregiment durch die Stadt; bald darauf kam ein großer Zug Artilleriezeug⸗Wägen, neben welchen rechts und links Artilleriſten gingen. Um 4 Uhr kam ein Regiment zu Fuß ungariſcher Mation mit Bauernwägen, welche die Schnappſäcke nachführen mußten. Mich dauerten dieſe und jene. Mach 5 Uhr marſchierten zweimal Fußvölker durch.
Den 27. September. Um 3 Uhr führten fie Bauernpferde durch, welche fo aus⸗ gemergelt und entkräftet waren, daß ſie alle Mühe hatten, die Füße und ihre Totengerippe fortzuſchleppen. Sämtliche Pferde gehörten dem Abdecker. Das ſind wahrhaftig ſehr ſchlinune Vorzeichen und mathematiſche Zeichen eines zerrütteten Menſchenverſtandes! Wozu doch ein ſolcher Aufzug!
Den 7. Oktober. Heute um 10 Uhr zog ein ungariſches Grenzregiment, das aus großen, fürchterlichen Leuten beftand, durch. Es waren eine Menge Schützen, welche mit Spießen und Kugelſtutzen verſehen waren.
Den 10. Oktober. Heute war es in der Stadt fehr lebhaft, und alles ſchien im Rückzug begriffen zu ſein. Man ſagte, die Oſterreicher ſtünden am Nymphenburger⸗ kanal, die Franzoſen wären in Dachau. Man machte auch eine Menge Lieferungen hinaus an die Oſterreicher an Brot, Bier etc.
Den 1 1. Oktober. Heute war wieder den ganzen Tag ein unaufhörliches, un⸗ ruhiges Durcheinanderlaufen, Fahren, Reiten der öſterreichiſchen Truppen. Die Grenzſoldaten bettelten, nachdem ſie kein Geld ſowie faſt keine Kleidung am Leibe
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hatten, in der Stadt vor den Häuſern. Mich ſelbſt bettelte einer an, indem er die Hand gegen mich ausſtreckte und ſagte: „Einen Kreuzer!“ Ich gab ihm mehr als
einen. Abends, da es ſchon finſter war, kamen beſtändig vom Neuhauſertor herein
Wägen durch die Stadt, welche von einem Bauern geführt wurden und mit 6— 8 Soldaten beladen waren. Dieſes Fahren dauerte die ganze Nacht. Es ſchneite und regnete unaufhörlich ſeit dem 8. Oktober.
Am Morgen des 12. Oktober, am Maximilianstag (es war ein Samstag), war kein Oſterreicher mehr in der Stadt, und die Hauptwache und andere Wachen waren wieder von unſern Bürgern beſetzt. Übrigens kann man den Oſterreichern das Zeugnis nicht verſagen, daß fie ſich ſeit ihrem Eintmarſch, den 14. September, in der hieſigen Stadt, in der Stadt ſage ich, beſcheiden betragen haben, in der Rückſicht nämlich, daß ſie die Vereinigung der bayeriſchen Truppen mit den franzöſiſchen ſchon vernommen haben. Auf dem Lande machen es aber die Oſterreicher deſto ärger, und diejenigen, welche ſie ins Feld ſchickten, taten wahrhaftig alles, was man tun muß, wenn man ſich die ganze Welt abgeneigt machen will.
Nach ſieben Uhr ſprengten bayeriſche Reiter, bei welchen der kommandierende bayeriſche General Wrede ſelbſt war, auf die Hauptwache und ſogleich den flüchtigen Oſterreichern nach. Es ſtrömte augenblicklich unbeſchreiblich viel Volk zuſammen, von dem ich das Vivatrufen in der Ferne hörte, ſo wie ich den Dampf, in welchen die rauchenden Pferde eingehüllt waren, ſah. Wrede ſtieg auf der Hauptwache ab und begrüßte die Leute. Die ganze Stadt war mit Jubel erfüllt.
Nachts acht Uhr kam das ganze Küraſſierregiment, welches hier in Garniſon gelegen war, auf dem Platz an, in Dampf verhüllt, aus welchem es kaum ſichtbar wurde, als es wieder davon, zum Iſartor hinausſprengte. Der Himmel ertönte von Vivatrufen des freudigen und ſegnenden Volkes. Heute war kaum ein Bauer nach der Schranne gekommen. — Um neun Uhr führten franzöſiſche Chaſſeure etwa 180 gefangene Oſterreicher der Kaſerne beim Neuhauſertor zu. Bald darauf ſprengte ein Chevauxlegers⸗Bataillon der Unſrigen vom Neuhauſer⸗ oder Karlstor herein durch die Stadt hinaus zum Iſartor. Um halb zehn Uhr ritt durch das Schwabingertor herein ein franzöſiſches rotgekleidetes Kavallerieregiment über den Platz zum Iſartor fort. — Die ganze Stadt befindet ſich in einer unbeſchreiblichen Freude, und niemand merkt, daß der Schnee auf den Dächern liegt und daß es beſtändig Nebel reißt. Soeben wurde mir heute Abend angeſagt, daß eine allgemeine Stadtbeleuchtung ſein werde.
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Nach zehn Uhr kamen durch das Karlstor einige bayerifche Regimenter zu Fuß und marſchierten durch das Iſartor wieder fort, ohne auch nur eine Minute Halt zu machen, und dies bei der allerfchlimmften Witterung und ganz und gar grund⸗ loſen Straßen. Um elf Uhr war alles wieder wie eine Erſcheinung verſchwunden, und nur unſere guten Wünſche waren bei den Truppen. In den Pfarrkirchen wurden feierliche Amter und Te Deum laudamus gehalten. — Von zwölf Uhr angefangen kamen beſtändig neue Regimenter in der Stadt an, teils bayeriſche, teils franzöſiſche; einige marſchierten gleich wieder ab. Es waren alle Gaſſen mit Soldaten gefüllt, von welchen abends einige tauſend in Quartiere verteilt wurden. Den ganzen Tag wurden gefangene Oſterreicher in die Stadt eingebracht. Der franzöſiſche Marſchall Bernadotte, welcher die franzöſiſchen Truppen kommandiert, iſt ebenfalls angekommen und logiert in der Reſidenz des Herzogs Wilhelm von Birkenfeld.
Deu 21., 22. und 23. Oktober wurden noch immer Quartiere ausgeteilt, ſodaß alle und jede Einwohner der Stadt unter den größten Bedrängniſſen ſeufzen und jammern, In und um die Stadt in einem Bezirk von 3 — 4 Stunden find zuver⸗ läſſig fechzigtaufend Mann. Beſtändig wird Heu und Stroh und Getreide, das die Inhaber von Wieſen und Ackern unentgeltlich liefern müſſen, zugeführt. Die Theatinerkirche iſt zu einem Heumagazin benützt worden.
Den 24. Oktober. Heute Abend nach fieben Uhr, da es ſchon ſehr finſter war, wurde in den Pfarrkirchen geläutet, und bald darauf kam der Kaiſer Napoleon mit einem prächtigen Gefolge. Zu gleicher Zeit wurde die ganze Stadt beleuchtet und auf dem Hauptplatz Muſik gemacht. Es war trockenes, aber ſehr kaltes Wetter.
Den 26. Oktober. Heute Mittag beluſtigte ſich der Kaiſer Napoleon mit einer kleinen Jagd, von welcher er um drei Uhr, während des Durchmarſches der Armee durch die Kaufingergaſſe, zurückkehrte. Er ritt, wie der Einzige von einſamer Größe, in einen ganz einfachen Rock gekleidet, auf einem Schimmel voraus, und ihm folgte eine große Menge von Gold und Silber ſchimmmernder Generale und dergleichen.
Den 29. Oktober. Heute vor halb 12 Uhr Mittags kam unſer Kurfürſt. Er wurde mit einem jubilierenden Vivatruf empfangen. Er ſtieg bei dem Tor, dem Hofgarten gegenüber, ab.
Den 31. Oktober. Es kamen heute wieder unaufhörlich neue Leute an, welche neue Quartiere verurſachten. Dieſe Quartiere machten, daß ſich alle Einwohner in der peinlichſten Unruhe, Sorge und Furcht befanden. Man getraute ſich kaum,
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auszugehen, und ging mit Kununer nach Hauſe und näherte ſich mit banger Angft ſeiner Haustüre, indem man fürchtete, Quartier anzutreffen. Wenn mit der Glocke geſchellt wurde, erſchrack man, und wenn man das Schreien eines Franzoſen hörte, fo wußte man nicht mehr, wohin man aus Beklenunung ſich wenden ſollte; zumal da kein Machthaber unter uns vorhanden war, der dem Unfug der Einquartierten Einhalt hätte tun können oder wollen.
Den 5. Dezember. Heute kamen, wie ſchon ſeit einigen Tagen, einzelne Partien an, welche zum Gefolge der Kaiſerin Joſephine gehörten. Nach vier zogen färntliche hieſige Bürgermilizen in höchſter Gala auf. Die Beleuchtung der Stadt, wozu überall eifrig Anſtalten gemacht worden waren, fing mit der Abenddämmerung an, wurde aber, wo ſie außer den Fenſtern angebracht wurde, vom naſſen Schwaden— wind überall ſehr benachteiligt. Um halb ſieben kam die Kaiſerin von einer mäßigen franzöſiſchen Garde, aber von der Stadtkavallerie und dem bayeriſchen neuerrichteten reitenden Jägerkorps begleitet. Sie ſaß, wie ihr unmittelbares Frauengefolge, in ihrem eigenen Reiſewagen und nahm mithin die prächtigen Hofwägen, welche man ihr entgegengeſchickt hatte, nicht an. Man läutete bei ihrem Einzug in den Pfarrkirchen.
Den 8. Dezember. Am Sonntag und Mariaempfängnistag wohnte die Kaiſerin Joſephine in der ſchönen Kapelle bei Hof einer ſtillen Meſſe, welche der Can. Kreit- mayr las, bei. In der ordinären Hofkapelle war der gewöhnliche Gottes dienſt mit einem Hochamt, welchem ein franzöſiſcher Huſar mit der Mütze auf dem Kopf zuſah, da ihn, dieſen Liummel, der geſunde Menſchenverſtand hätte lehren ſollen, wenigſtens für den amweſenden Kurfürſten Achtung zu haben, wenn er auch für die Religionsgebräuche der Bayern keine Achtung bezeigen zu dürfen glaubte. Wie die Franzoſen dieſes dritte Mal, da ſie ſeit 1796 in Bayern erſcheinen, roher, gröber und anmaßender ſind, ſo ſind ſie auch im Punkt der Religion ungezogen; es gingen ſchon mehrere mit bedecktem Kopf durch unſere Kirchen, und an eine Verbeugung bei der Conſecration iſt gar nicht zu denken (von Ausnahmen iſt die Rede nicht). Bei dem Herrn von Werner Revifionsrat fel. war einer auf Koſten feiner Kaffe im Quartier. Unter anderen köſtlichen Gemälden, welche Herr Werner hinterlaſſen hatte (er hatte eine vortreffliche Sammlung), war auch ein Familienſtück, auf dem ſich eine Nonne befand. Dieſer ſtieß der einquartierte Franzoſe ein Loch durch den Hals, und einen herrlichen Chriſtuskopf mußte man eilfertig von der Wand herab—⸗ nehmen, weil er die Malerei mißhandelt haben würde.
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Heute den 26. Dezember hat unfere Prinzeſſin eingewilligt, den Vizekönig Eugen von Italien, Sohn der Kaiſerin und Stiefſohn des Kaiſers, heiraten zu wollen. Dieſe Prinzeſſin Auguſta Amalia, eine Tochter Maximilians und Maria Wil⸗ helmine Carolina (des Landgrafen von Heffendarmftadt Ludwig X. Tochter) wurde am 21. Juni 1788 geboren.
Den 30. Dezember. Heute Mittag ſagte ein Kurier den Kaiſer Napoleon an; er kam aber erſt um ein Uhr in der Nacht beim Schwabinger Tor herein.
Wrede: Karl Philipp Fürſt von Wrede (17671838), Feldmarſchall und Oberſtkommandierender der bayeriſchen Armee im napoleoniſchen Zeitalter, ein Kurpfälzer und beſonderer Günſtling Napoleons und Max Joſephs, war einer der glücklichſten Carrieremacher ſeiner Zeit. Sein Feldherrntalent wurde, wie die von ihm verlorene Schlacht bei Hanau (1813) bewies, weit überſchätzt. Sein politiſcher Einfluß in Bayern war neben dem Montgelas' beſtimmend für die bayeriſchen Geſchicke dieſer Epoche.
Vizekönig Eugen von Italien: Eugene Beauharnais, Stiefſohn Napoleons, Sohn der Kaiſerin Joſephine aus ihrer Ehe mit dem Vicomte de Beauharnais. Nach dem Zuſammenbruch der napoleoniſchen Herrlichkeit verlieh der König von Bayern ſeinem Schwiegerſohn das Fürſtentum Eichſtätt mit dem Titel eines Herzogs von Leuchtenberg. Eugene Beauharnais ſtarb 1824 im 43. Lebensjahr. i
Der erwähnten Verlobung am 26. Dezember 1805 folgte die Vermählung am 14. Januar 1806. Die Prinzeſſin ſtarb 1851.
Pferdeſtall der Poſtillone. Radierung von F. Bollinger
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Waellenſchläge des Tiroler Feldzuges 1809 Aus den Tagebüchern Lorenz von Weſtenrieders.
Den 12. Juli 1809 wurde wegen der neuen Siege der Franzoſen über die Oſterreicher ein feierliches Te Deum in der hieſigen Michaelskirche gehalten.
Den 15. Auguſt. Heute Nacht wurde Graf Maximilian Arco, welcher von den Tirolern erſchoſſen wurde, nach dem Totenzimmer des äußern Gottesackers ge- bracht; er wird den 17. Abends 3 Uhr militäriſch begraben.
Im vorigen Monat erſchien eine Verordnung, welche enthielt, daß auch die Geiſtlichen bis zum zurückgelegten ſechzigſten Jahre ſchuldig fein ſollten, Soldaten— dienſte zu machen. Da dieſes vandaliſche Mandat, wie leicht zu erachten, von keinem Menſchen gebilligt wurde, fo erſchien wieder eine Verfügung, daß man die perſön— lichen Dienſte in Geldbeiträge verändern und mithin den präbendierten Geiſtlichen zumuten wollte, ſolche Beiträge zu leiſten. Den 12. Auguſt erließ die Polizei ein Patent an die hieſigen Pfarrer und vermittels angeſonnener Mitteilung an die ſämt— lichen hieſigen präbendierten Prieſter, daß ſie auf der Polizei beim Polizeikommiſſär Roch ſich ſtellen und wegen ihrer Geldbeiträge erklären ſollten.
Den 23. Auguſt 1809. Heute find aus Tirol ein paar Hände voll unſerer Sol— daten, Überbleibfel von verſchiedenen Regimentern, angekommen in einem erbärm⸗ lichen Zuſtand, mit zerriſſenen Monturen, die meiſten ohne Monturen, barfuß und ohne Hut, viele ohne Musketen. Dieſe angekommenen Soldaten waren in Tirol gefangen, dann von den Oeſterreichern, als dieſe beim Eintritt des Waffenſtillſtandes aus Tirol zogen, mitgenommen und nummehr losgelaſſen worden.
Den 29. Heute nach 9 Uhr kam ein kleines Kommando franzöſiſcher Reiter. — Nach elf kamen ſechzig Wagen alter, den Tirolern abgenommener Gewehre, welche von den Cordoniſten begleitet wurden. Auch trugen ſie voraus etwa ſieben Fahnen, und auf dem erſten Wagen ſah man große Knittel und Lanzen mit eiſernen Spitzen.
Den Z. Oktober, an einem Dienstag, erhielt der König die Nachricht, daß der
Friede geſchloſſen ſei.
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Ausrufung Max Joſephs zum König
In Weſtenrieders Tagebuch iſt über die Ausrufung des Königreichs Bayern verzeichnet:
1806. Den 1. Jänner (Mittwoch) um 10 Uhr wurde durch den Landesherold der Kurfürſt Maximilian zum König von Bayern auf den Hauptplätzen der Stadt ausgerufen. Der Herold wurde von der bürgerlichen Kavallerie und ihren Trom⸗ petern, dann von Hoftrompetern begleitet.
Nachmittags wurde von 3— 4 Uhr in den Pfarrkirchen geläutet, und während dieſer Stunde wurde auch mit Kanonen geſchoſſen. Auf die Nacht wurde eine Be⸗ leuchtung angeſagt, welche aber etwas ärmlich ausfiel, teils weil ſie zu ſpät angeſagt, teils weil mit der Aukündigung von der Ankunft franzöſiſcher Truppen und ſohin mit Einquartierung gedroht wurde.
Heute hing der Kaiſer unſerm Kronprinzen einen Degen um, mit den Worten: „Mein Sohn! Dieſer Degen enthält keine Koſtbarkeit; allein mit dieſem Degen habe ich in der Schlacht bei Auſterlitz Eommandiert. Erinnern Sie ſich deſſen und bedienen Sie ſich desſelben zur Verteidigung Ihrer Gerechtſamen und Ihres Vaterlandes.“
Der Kronprinz: Ludwig, ſpäterer König Ludwig I., geboren 1786, König feit 1825, dankte am 20. März 1848 ab, ſtarb am 29. Februar 1868 zu Nizza. Aus feiner antifranzöſiſchen Geſinnung und ſeiner Hoffnung auf eine Wiedergeburt Deutſchlands hatte er nie ein Hehl gemacht. Daß der bayeriſche Kurfürſt aus der Hand Napoleons die Königskrone erhielt, empfand er ſchmerzlich. Napoleon kannte die Geſinnung des jungen Kronprinzen; deſto beziehungsreicher ſind die von Weſtenrieder überlieferten Worte.
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Nach einem Gemälde Joſeph von Stielers geſtochen von Peter
Nach einem Gemälde von Joſeph Hauber geſtochen von Joſ. Rauſchmayer (1810)
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König Max J. und Montgelas
Karl Heinrich Ritter v. Lang, Direktor des von ihm erſt geſchaffenen Reichs- archios in München und einer der amüſanteſten Spötter feiner Zeit, der die Dinge gerne auf ſeine Art anſah und daher nicht in allen Fällen unbedingt glaubwürdig ift, ſchreibt in feinen berühmten „Memoiren“ über das Leben am bayerifchen Königshof:
„Meine Audienz beim König fand in den nächſten Tagen ſtatt, früh um 6 Uhr, in den königlichen Zimmern, die ſich drei Treppen hoch unterm Dach befanden, indem die eigentliche königliche Wohnung zum Teil von der Königin eingenommen, zum Teil für die damals von allen Enden her reiſenden Kaiſer und Könige aufbewahrt wurde. Im Vorzimmer befand fich, in Ermangelung des dienſttuenden Kammer⸗ herrn, der erſt ſpäter herbeikam, ein großer Affe, der mich ziemlich geringſchätzend anblickte und dann eifrig in feinem Geſchäft des Flöhſuchens fortfuhr. Dieſe Früh⸗ ſtunde war es, wo der bereits angekleidete König ſein Frühſtück nahm, das er mit einem großen Löwenhund teilte, hierauf von Herrn Ringel ſich die Ausfertigungen zur Unterſchrift vorlegen ließ, geringere zeremonieloſe Audienzen gab, hierauf vom Staats kaſſierer fein Taſchengeld, täglich tauſend Gulden, in Empfang nahm und vom Polizeidirektor die Geſchichte des Tags und die Abenteuer der Nacht erfuhr. Dann ging es umher in den Gängen, im Stalle, auf der Schranne, wo die Höflinge Schwänke mit Bauern und Dirnen aufzuführen ſuchten.
Nach der Wiederkehr ins Schloß erfolgten militäriſche Rapporte und Aufwar⸗ tungen und die ſchamloſeſten Anbetteleien von allen Ständen, ſchriftlich und münd⸗ lich, ſodaß die tauſend Gulden täglich meiſt ſchon in den Vormittagsſtunden aufge⸗ flogen waren; hierauf Beſuch bei der Königin, die vor zehn Uhr nicht vom Bette erſtand, dann bei den königlichen Töchtern, ſodann diplomatiſche Vorſtellungen und Empfang fremder Herrſchaften, und endlich gings zur Tafel, welche aus Mangel an Aufficht ſehr ſchlecht beſtellt war. Man tat ſehr ängſtlich wegen weiterer Unter⸗ haltung bis zur Theaterzeit oder dem Hofkonzert, griff auch an andern Tagen zur
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Karte; um 10 Uhr eilte der König zu Bette. Da der König nichts las und keine beſondere Liebhaberei für irgend einen Zweig der Künſte oder Wiſſenſchaften hegte, ſo wenig als für Jagd und Reiterei, dabei auch kein Schwelger oder Trinker war, ſo blieb es eine ſchwere Aufgabe für die Höflinge, den Tag mit Spazierengehen, Liebeleien, verkappten Hofnarren, Stadthiſtorien und Kleinigkeitskrämereien aller Art auszufüllen. Aus ſolcher Geſchäftsloſigkeit des Königs gingen dann auch viele üble Launen hervor, beſonders wenn irgend etwas ſich feinen ſchnellen Wünſchen ent- gegenzuſtenunen ſchien. War er einmal gegen gewiſſe Perſonen, beſonders wider Geſchäftsleute, durch die Einblaſungen ſeiner Umgebung eingenommen, ſo brach er nicht ſelten in Drohungen aus, dieſen — kerlen 23 Prügel aufzählen zu laſſen, welches zwar nicht ſtattfand, jedoch zur heftigen Kränkung der armen Beleidigten von den Höflingen überall ſchadenfroh ausgebreitet wurde. Auf dieſe Art galten Seiner Majeſtät der Staatsrat von Hazzi, der berühmte Advokat von Ehrne, in der Folge auch ich, überhaupt jeder, der ſich etwas keck und ſelbſtändig darſtellte, wenigſtens als — kerl. Überhaupt war in dem König eine gewiſſe Anlage zur Strenge nicht zu mißkennen, der es nur an Ausdauer fehlte, und die fich nicht ſelten in gewaltſamen Ausbrüchen äußerte. Gleichſam als beſonderer Ehrenpunkt galt es, daß die Hofdamen und Kammerzofen, wenn ſie ſchwanger wurden, was ſozuſagen unter die gewöhn⸗ lichen Zufälle gehörte, ſich unter den höchſten Schutz flüchteten, wofür ſie dann 60 000 Gulden Ausſtattung aus der Schuldentilgungskaſſe und einen Gardeoffizier zum Gemahl erhielten.
Die Leitung der Staatsangelegenheiten war unter ſolchen Umſtänden ausſchließ⸗ lich dem Grafen Montgelas überlaſſen. Der Neigung, ſich je zuweilen in die Be⸗ ſetzung großer Staatsämter einzumiſchen, begegnete der Miniſter in der Art, daß er dem König alsbald mündlich dazu jemand vorſchlug, von dem er wußte, daß er dem König über alles zuwider war. Indem nun der König ſich mit allen Ver⸗ wünſchungen und Beteuerungen dagegen erklärte, rückte der Miniſter mit einem neuen, nicht minder mißfälligen Bewerber hervor und endlich, nachdem auch dieſer verworfen war, und gleichſam nach langem Beſinnen mit ſeinem eigenen Kandidaten, an dem aber der Miniſter ſelbſt tauſend Einwürfe und Ausſtellungen machte; dann rief der König, froh die anderen Schreckensmänner abgewieſen zu haben, gewöhn⸗ lich trimmphirend aus: „Nein! Nein! Den will Ich gerade haben, und Sie werden num meinen Befehl zu vollziehen wiſſen.“ An der Tafel rühmte er ſich dann: „Heute
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bin ich dem Patron, dem Moutgelas, wieder recht durch den Sinn gefahren. Der hat mir zwei ſaubere Burſchen einſchwärzen wollen, aber ich habe ihn ſchon von
weitem ſchleichen ſehen und habe meinen Kopf aufgeſetzt.“ Der Graf Montgelas, von den günſtigſten Umftänden bei feinem Emporkonunen
geleitet, war anfänglich Privatſekretär des Zweibrücker Prinzen, dann deſſen Rat— geber und Gefährte bei allem Mangel und Unglück und ſtieg endlich beim Sonnen⸗
ſchein zur Zeit des plötzlich ſeinem Herrn angefallenen Kurfürftentiuns ohne Schwierig⸗ keit zum Poſten eines allgewaltigen Miniſters empor. Wirklich hätte auch das Glück dem Könige nicht leicht einen verſtändigeren und ergebeneren Diener zuführen können.
Er war ein Mann, wie ich mir einen Mazarin oder Richelien denke. Seinen Plänen, ſeinen Unterhandlungen, ſeinem richtigen Ergreifen des Augenblicks hat Bayern ſeine
Erhebung zu einer größeren ſelbſtändigen Macht und ſelbſt den äußerlichen Schmuck einer königlichen Krone zu verdanken ... Seine Bildung und fein ganzes Äußere waren altfranzöſiſch. Ein ſtark gepuderter Kopf, hell von Verſtande, ſprühende Augen, eine lange, hervorſtehende, krumme Naſe, ein großer, etwas ſpöttiſcher Mund gaben ihm ein mephiſtopheliſches Anſehen, obgleich die kurzen Beinkleider und die galla- mäßigen, weißfeidenen Striumpfe, anders erſchien er nie, keinen Pferdefuß zu ver— ſtecken hatten. Kein Feind der ſinnlichen Freuden und Genitſſ, liebte er auch die Scherze und Geſpräche der Tafel, weshalb er inuner auch ſeine Gäſte mit aus dem Künſtler⸗ und Gelehrtenſtande wählte.
Der bayeriſchen Geſchichte widmete er eine beſondere Aufmerkſamkeit, obwohl er ſie im Ganzen für unerfreulich und überhaupt München — ich gebrauche ſeinen eigenen Ausdruck — noch für eine ſehr rohe Stadt hielt. Im Arbeiten wußte er ein Maß zu finden, haßte das pedantifche Treiben und behandelte das Miniſterium des Innern und der Finanzen, wo er aufrichtig geſagt, nicht viel leiſtete, zu diplomatiſch, das iſt, er pauſierte, lauerte und ſchlich auch hier und ließ darin den lieben Gott zu viel walten. Für Audienzen und Sollizitationen war er nicht alle Zeit gut zu er⸗ wiſchen, im Ganzen aber für die Staatsdiener mild und nachſehend, oft bis ins Weite. Der Beſcheid: Ich kann nichts tun, es dependiert alles von Seiner Majeſtät, galt eigentlich als eine definitive abſchlagende Entſchließung. In Bezug auf den Unter⸗ ſchied der Stände und der Vorrechte des Adels, das iſt des hohen Adels — den papierenen, wenigſtens den nicht begüterten, zog er gar nicht in Betracht — waren ſeine Anſichten nicht unbefangen, doch verſchloß er nirgends die Wege unbedingt.
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Iſt München wirklich übervölkert?
Lorenz Hübner, Geiſtlicher Rat und Schriftſteller, äußert ſich in Gegnerſchaft zu Weſtenrieder, in feiner Beſchreibung der kurbayeriſchen Haupt- und Reſidenzſtadt München und ihrer Umgebungen von 1803 zu der Frage, ob München wirklich über- völkert iſt, und kommt zur gegenteiligen Anſicht wie Weſtenrieder. Er führt aus:
Zum Schluſſe noch einige Worte über die von Weſtenrieder im I., V. und VI. Bande ſeiner Beiträge zur vaterländiſchen Hiſtorie etc. ſo dringend angeregte Übervölkerung der Hauptſtadt, die er noch nirgend (ohne Militärſtand) auch im Jahre 1800 über 40000 Menſchen hinaufrückte.
Es iſt überall ſichtbar, daß dieſer ſehr fleißige bayeriſche Schriftſteller mehr durch moraliſche, als politiſche Blicke auf dieſe Furcht verbreitende Idee geleitet worden iſt. Denn es iſt ſchon an ſich ſelbſt auffallend, daß die Bevölkerung von 40 bis 50000 Menſchen einer, von einem der vornehmſten Höfe Deutſchlands bewohnten, mit allen Regierungszweigen verſehenen, für Bildung der Künſte und Wiſſenſchaften auserleſenen, einer zahlreichen Beſatzung bedürftigen und zur Befriedigung beinahe unzähliger phyſiſcher und intellektueller Bedürfniſſe beauftragten Hauptſtadt für ein Land von einer Million Bewohner, die noch immer um ein Drittel vermehrt werden können, ohne den Flächeninhalt zu übervölkern, gefährlich werden könnte.
Da aber Herr Weſtenrieder mit dieſem trüben Gedanken ſo ernſtlich auftritt, den⸗ ſelben überall, wo es in den Text paßt, wiederholt und an dem gutherzigen Burg⸗ holzer ſogar einen Proſelyten gefunden hat, welcher Weſtenrieders hochtönende Phraſe nachſpricht: „München in Bayern würde mit 150000 Seelen fein, was Paris in Frankreich und London in England iſt“, ſo finden wir es nicht überflüſſig, dieſe greulichen Angaben und ihre Quellen etwas näher zu beleuchten und zu unterſuchen, ob es Not iſt, München um viele tauſend Einwohner, mit denen es höchſt nachteilig, bedenklich und dem Land und dem gemeinen Wohl höchſt läſtig überſetzt iſt, zu ent⸗ völkern, wie in Weſtenrieders Beiträgen mit dürren Worten ſteht und „als aus höchſtwichtigen Gründen erwünſchlich“ wiederholt wird.
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Wir haben oben die Bemerkung gemacht, daß Weſtenrieder die Gründe ſeiner
traurigen Behauptung mehr aus moraliſchen allgemeinen Grundſätzen, als aus den allgemeinen ſowohl als individuelleren der Politik zog — ein Verſehen, das überall
von ſehr bedenklichen Folgen iſt, beſonders wenn jene moraliſchen Anſichten nur über einen ſehr beſchränkten Umfang ſich verbreiten.
Die Hauptgründe des gelehrten Verfaſſers drehen ſich um folgende Punkte:
1. Eine größere Volksmenge hat eine Teuerung aller Lebensmittel zur Folge.
2. Nicht immer wird durch größere Bevölkerung die Moralität gefördert. Es gibt Gewerbe, wodurch ſie ſogar gefährdet und untergraben wird.
3. Die beſoldeten Stände ſind bei der ſteigenden Bevölkerung und fortdauernden Nichterhöhung ihres Soldes bis zur Dürftigkeit und zu den fürchterlichſten MNah⸗ rungsſorgen herabgeſetzt.
4. Die Bettler mehren ſich, und Bettler ſind die Peſtbeulen der Staaten.
5: Der Wohlſtand aller öffentlichen und wohltätigen Stiftungen, als der Spitäler, der Almoſenkaſſen etc. gerät durch zu große Bevölkerung in Unordnung.
6. Noch ſchädlicher iſt es, wenn die Bevölkerung mit ſolchen Leuten geſchieht, deren Amvuchs wider alle Grundſätze einer wahrhaften Bevölkerung läuft, z. B. der Kaffeeſchenken, Bierwirte, Muſikanten, Advokaten, Stuhlſchreiber, Agenten etc.
In der Hitzperiode eines moraliſchen Redners muß es dieſem leicht fein, der Induktion aller dieſer Staatsgebrechen in einem ununterbrochenen Fluſſe der
Rede eine Ausdehnung von mehreren Sermonen zu geben. Nichts iſt überhaupt fruchtbarer, als das Thema der Teuerung, Dürftigkeit, Bettelei, Heilloſigkeit und allen Zweigen der Unſittlichkeit, um, wie das wirklich auf allen Kanzeln der Mönche
der Fall war, eine ägyptiſche Macht von Greueln über einen Staat auszugießen. Allein kein kluger Mann wird das Einſeitige ſolcher Sittenpredigten überſehen; er wird die Notwendigkeit ſolcher, obgleich ſehr unreiner Erſcheinungen von keiner bürgerlichen Geſellſchaft wegdenken und, ſo wie der Schöpfer aus ſeiner weiſen
Schöpfung, nirgends Schatten vom Lichte zu ſondern vermögen. Alle moraliſchen
Übel aus den politiſchen Verfaſſungen der freitätigen Menſchheit hintanzuhalten, wäre gleich viel, als alle ſogenannten Sünden aus der ſittlichen Weltordnung vertilgen zu wollen — eine Aufgabe, welche die weiteſte göttliche Geſetzgebung ſelbſt nicht löſen kann, ſo lange Freitätigkeit des menſchlichen Willens unerläßliches Bedingnis iſt.
Ein Jahrhundert München 4
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Doch wir wollen die angegebenen Gründe auch in individueller Hinſicht prüfen:
1. Es iſt im Allgemeinen falſch, daß eine größere Bevölkerung auch eine größere Teuerung der Lebensbedürfniſſe zur Folge habe. Der Beobachter der Zeit kennt gar wohl den Zuſammenfluß von Umſtänden, auf deren Rechnung die traurige Erſchei⸗ nung einer übermäßigen Teuerung konumt; und ohne die zahlloſe Menge der hiebei einwirkenden Staatzübel aufzuzählen, geben wir nur zu bedenken, daß der gegen⸗ wärtige höhere Preis der Lebensbedürfniſſe auch in dem kleinſten Flecken, fo wie in den größeren Städten fühlbar iſt und daß nur eine weniger ſchnelle oder häufige Conftuntion die läſtige Progreſſionsſtumme beſtinunt. London und Paris fühlen dieſen Wechſel, fo wie die kleinſten Weiler in Lincolnſhire und der Normandie, wenn Krieg, Miß⸗ wachs und ähnliche phyſiſche Übel den ſpezifiſchen und relativen Wert des umlaufen- den Metalls erniedrigen. Auch in den früheren, beſſeren Zeiten, wo der Geldwert höher ſtand und alſo alle Lebensbedürfniſſe wohlfeiler (auch dieſer Begriff iſt nur relativ) einzutauſchen waren, gab es in gewiſſen Jahresläufen Teuerung in Flecken und Städten, ſo gering auch ihre damalige Bevölkerung war. Alle Chroniken ſind mit Klagen dieſer Art angefüllt, die keinem Urkundenforſcher unbekannt ſein können. Der Satz, daß größere Bevölkerung immer eine größere Teuerung zur Folge habe, iſt alſo, allgemein genommen, falſch.
2. Daß eine größere Bevölkerung nicht immer die Moralität fördere, ift eben⸗ ſo wahr, als daß die Minderzahl auch die moraliſche ſein müſſe. Es kann auch das Gegenteil wahr ſein, ohne daß die Bevölkerung unmittelbar darauf Einfluß hat. Die Zahl der Böſen kann mit der Mehrzahl der Zuſammenlebenden ſteigen, fo wie die Zahl der Guten. Ordnung, Zucht, Ausbreitung fittlicher Uberzeugung und Handhabung der bürgerlichen Geſetze geben den Ausſchlag von beiden. Athen und Rom hatten bei gleicher Bevölkerung ihre Epochen bürgerlicher Tugenden ſowie ihre Verfchlimmerung. Das minimis urgeri beſtimumte überall die Güte der Regie⸗ rungen, die früher oder ſpäter das Staatsruder ergriffen; ſowie wir in der Geſchichte der Deutſchen gar wohl die Perioden zu unterſcheiden wiſſen, in denen Kraft oder Schwäche auf dem Throne ſaßen. Daß unter einer Million verſammelter Men⸗ ſchen es mehr Gauner gebe als unter einer Eimwohnerſchaft von Tauſenden, ift ebenſo natürlich wie das Gegenteil, daß es unter einer Million mehr gute Menſchen geben könne als unter der Minderzahl. Wer wird aber auf den Einfall geraten, einen Staat entoölkern zu wollen, um lauter Unſträfliche zu behalten? Würden die
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Suppenverteilung an der Pforte des Kapuzinerkloſters. Zeichnung von F. Schießl
kommenden Generationen nicht zu ewig neuen Wiederholungen dieſer Sonderungs⸗ Operation genötigt fein?
3. Daß die beſoldeten Stände bei der ſteigenden Bevölkerung bis zur Dürftigkeit herabſinken, iſt nur inſoferne wahr, als die Teuerung mit der Bevölkerung ſteigt. Wir wiſſen aber aus den Zeiten unſerer Voreltern, daß gerade nur größere Teuerung das Motio war, wenn Regierungen die Einkünfte ihrer Diener und Söldlinge er- höhten. Beinahe jedes Jahrhundert liefert uns Beiſpiele dieſer Mehrung. Frei⸗ lich, ſo lange es den Regierungen unmöglich war, zu helfen (3. B. nach langen ſchweren Kriegen) treffen gerade dieſe Klaſſen der Staatsdiener die meiſten Kunmmner⸗ tage in der Stadt und auf dem Lande, in der Hauptſtadt wie in den Provinzſtädten. Allein der Staat kam zu Kräften, und wo ein hochherziger Fürſt thronte, ward auch dieſer Mot durch Solderhöhung abgeholfen. Das neueſte Beiſpiel liefert unſer Vaterland, nicht weil die Bevölkerung ſich minderte, ſondern weil der allberechnende,
wirtſchaftlichere Staat zu ſtärkeren Kraftäußerungen ſich fähig fühlte. Hätte er bei
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felbftbeförderter Menſchenzahl nicht vielmehr auf den mörderiſchen Gedanken ver- fallen ſollen, Staatsdiener zu entlaſſen und den Staat zu entoölfern, wie der laut geäußerte Wunſch des Populationsfeindes verlangte?
4. Daß ſich bei größerer Bevölkerung auch die Bettler mehren, iſt eben ſo wahr, als es wahr iſt, daß ſich zugleich auch die Mittel vermehren, den Bettlern Nahrung zu verſchaffen, wenn ſie arbeiten können, und wenn es eine kluge Polizei dahin bringt, daß ſie auch wollen oder müſſen. Trägheit erzeugt überall Bettelei, ſolange die Götter nichts ohne Arbeit geben. Aber Trägheit iſt mehr Peſtbeule der Regierung als die Bettelei, welcher dieſe durch die Finger ſieht. Warum ſind Bettler ſo zahlreich durch die Provinzen zerſtreut? Weil dort die Polizeimacht weniger ſtraff angezogen iſt. Für den heimiſchen Krüppel ſind überall Anſtalten, bei kleinen Gemeinden wie in großen Städten. Allein nur wegen arbeitsfähiger Bettler iſt die Polizei, welche ſie duldet, verantwortlich. Eine größere Bevölkerung beſchäftigt mehrere Hände, und man hört häufigere Klagen über den Mangel dieſer, als über ihre Vermehrung. Bettelei iſt alſo nichts weniger als Folge der Bevölkerung in einem Staate, der gut regiert wird.
5. Daß der Wohlſtand der Spitäler und öffentlichen Mildtätigkeitsanſtalten in Verfall gerät, wenn fie für die Mehrzahl der Dürftigen bei den immer gleichen Stiftungsfonds Nahrung ſchaffen ſoll, iſt gewiß. Allein es liegt ſtets in der Macht der Mildtätigen, bei ihrer durch die Bevölkerung ſteigenden Mehrzahl entweder dieſe Fonds zu erhöhen oder für neue Hilfsanſtalten zu ſorgen. Wo dies nicht ge⸗ ſchah, traten Armenanſtalten ins Mittel, die man in früheren Zeiten kaum dem Namen nach kannte. Teuerung, ſchlechte Okonomie, Kriege, Brände und andere phyſiſche Übel haben gewiß auf das Herabkommen der wohltätigen Stiftungen mehr eingewirkt, als größere Bevölkerung, indeſſen die Klöſter zu allen Zeiten ihre Einwoh⸗ nerſchaft weit über die Hälfte ihrer Stiftung erhöhten. Daß dort und da ein Spital, eine Armenſtiftung tief herabkam, geſchah wohl auch bei gleicher Anzahl der Auf- genommenen, wozu die Stiftung Grenzen bot. Hieran war Teuerung der Lebensmittel, nicht ſelten die unwirtſchaftliche Verwaltung, aber nicht die Bevölkerung Urſache, wie die Erfahrung lehrt. Wir haben aber auch Beiſpiele, daß weiſe Regierungen ins Mittel traten und heilſame Reformen geboten. Man mache den Zweck der öffentlichen Wohltaten und ihre gute Verwendung ſichtbarer, und es wird der Wohltäter immer mehr geben. — Endlich kommen wir auf den
6. Anklagepunkt, wodurch die größere Bevölkerung vor den ſtrengen Sicbterfinbl
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der Moralität gezogen wird. „Noch ſchädlicher ift es, wenn die Bevölkerung mit folchen Leuten geſchieht, deren Amwuchs wider alle Grundſätze einer wahrhaften Be⸗ völkerung läuft, z. B. Kaffeeſchenken, Bierwirte, Muſikanten, Advokaten, Stuhl⸗ ſchreiber, Agenten etc.“ Wariun nicht auch Pfuſcher, Landſtreicher, Räuber, Diebe und Mörder? Wie weit doch ein unpolitifcher Verſittlichungseifer treiben kann! Die Bevölkerung ſollte alſo nur mit Reichen und arbeitſamen Bauern oder allein mit moraliſch guten Menſchen geſchehen! Ja, wo das möglich wäre, wäre das Eden ge- funden. Aber ſterbliche Lykurge werden uns dieſe Seligkeiten nie verſchaffen.
Nur der Polizeigewalt iſt es übergeben, für die Anzahl der Gewerbe zu ſorgen, die ſich von der gegebenen Bevölkerung nähren können. Mehrere Schenken, Wirte, Muſikanten, Adookaten, Stuhlſchreiber etc. find für jede ſteigende Menſchenzahl nötig; fie mögen für Bedürfniſſe oder Annehimlichkeiten des Lebens ſorgen. Was die beſtinunte Bevölkerung nicht nähren kann, zehrt und löſt ſich ſelbſt auf und tritt in die arbeitende Klaſſe zurück, um wenigſtens Brot zu finden. Daß ſie dann nicht träge die Hand in den Schoß legen oder dem Staate gefährlich werden, dieſe Sorge überninunt unmittelbar der Staat ſelbſt. Fand der Moraliſt nicht längſtens die fruges consumere natos, die der Moralität vielfältig nicht großen Vorſchub leiſteten und bei den vielen Mitteln auszuſchweifen, gute Sitten mordeten, zur Verbannung reif? Und dennoch erhoben ſich höchſt wenige Stimmen, die fie der Bevölkerung gefährlich hielten! Eine wachſende Bevölkerung iſt freilich Urſache, daß es mehrere Kaffeewirte und Bier⸗ ſchenken etc. gibt: allein ſchafft fie nicht zugleich auch dieſen mehr Mahrung und Un⸗ terhalt? Alles hat überall nur relativen Wert, und es hat Menſchen gegeben, welche die Ubervölkerung der Klöſter nie zu bedenklich fanden, ob fie gleich der wahren Be- völkerung und der Verbeſſerung der öffentlichen Sittlichkeit, beſonders in neueren Zei⸗ ten, ſehr wenig zuſagte. N
Ein weiſe geordneter Staat erſchrecke nicht vor der wachſenden Bevölkerung; er bediene ſich nur klug und gewiſſenhaft der Mittel, die ihm zu Gebote ſtehen, um ſie nach gutberechneten ſtatiſtiſchen Zwecken zu leiten und die Arbeitsſamkeit und Induſtrie zu fördern. Sein Reichtum wird ſich erhöhen und allgemeine Wohlhabenheit ſeine Macht vermehren.
Inzwiſchen zählt Bayern, allerdings um einige Kreiſe und Städte vermehrt, eine Bevölkerung von ſieben Millionen Einwohnern, von denen etwa 630000 in München leben.
Joſeph Burgholzer, der „Proſelyt Weſtenrieders“ veröffentlichte 1796 eine zweiteilige „Stadtgeſchichte von München als Wegweiſer für Fremde und Reiſende“.
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Mehr Licht in München Wiederum L. v. Weſtenrieders Tagebüchern entnommen ſind folgende Sätze: 1807. 2. März. Heute wurden zum erſtenmal neue Laternen angezündet, welche in Mitte der Kaufinger und der innern Schwabingerſtraße (alſo nicht mehr an den Wänden der Häuſer) an Stricken, welche über die Gaſſe gezogen und an den enfgegen- geſetzten Häuſern befeſtigt wurden, feſtgemacht waren. In der ganzen Kaufinger Gaſſe waren nur drei Laternen. Es war ein Bild des Zeitgeiftes, voll elender Ver⸗ legenheit und Mangel an Licht, wo das Licht fein ſollte. 9. März. Auf die neuen Laternen, welche Niemandem gefielen, wurden folgende Verſe gemacht: Sie koſten viel und leuchten wenig, Sie find auch von Schlampampen her. Drum lieber guter König, Mach fie zu Akademiker!
Es wurden um dieſe Zeit eine Menge Ausländer, faſt lauter Proteſtanten, mit großen Beſobungen zu Akademikern nach München berufen. Siehe darüber die beiden folgenden Abſchnitte.
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Die Münchner und die norddeutſchen
Gelehrten der Akademie Brief des Herrn von Baranoff an Friedrich Thierſch.
Luzern, 8. Juni 1808.
Der Bayer, wenn er feinen Acker oder fein Handwerk oder fein Amt redlich be- ſtritten, will froh und heiter, ohne weitere Sorgen fein Leben genießen. Er geht daun in das Bierhaus oder ins Theater oder ins Muſeum und läßt ſichs gut ſchmecken bei einem Gläschen Wein oder einem Journal und Roman, je nachdem ſein Stand, und kümmert ſich den Teufel nicht um die Fortſchritte in Kunſt und Wiſſenſchaft; jetzt find noch eine Menge Länder hinzugekommen, die wollen regiert werden, und es find blutige Kriege zu führen, ſodaß vollends an Gelehrſanmkeit gar nicht zu denken. Die Bayern hatten ſchon lange Bibliotheken, Akademien, Schulen, Zünfte von Künſtlern, nirgends aber kam etwas Geſcheites heraus. Jetzt tritt ein Miniſter — Montgelas — auf; dieſer, der wie er und mit ihm ſeine zahlreichen Freunde wähnen, der Nation ſo viel Gutes getan, will ſie auch aufklären, um ſeinen Ruhm zu krönen. Der König wird beredet, und anſehnliche Fonds ſind zur Stiftung einer Akademie angewieſen. Aus dem gelehrten Auslande ruft man gelehrte Männer herbei, die gut beſoldet als Aufklärer der einfältigen Nation auftreten, gewaltige Anſtalten machen und von ihrer Höhe herab alle Triebfedern in Bewegung ſetzen, um das dumme Völkchen mit Gewalt klug zu machen. Dem Völkchen aber, das ſchon ſo viel aus ſeinem Beutel zur Errichtung hat bezahlen müſſen, gefällt dieſer Hochmut der Ausländer gar nicht; es bildet bald Partei gegen feine Aufklärer und fchmäht fo laut, daß ich einen ſogenannten gebildeten Bayern einmal laut über Tiſch von vierzig Narren, die ſich zufammen eine Akademie nennen, ſprechen hörte. Und jetzt wie ſieht es mit der Akademie ſelbſt aus? In der philoſophiſchen Klaſſe vegetieren Jacobi, Schelling, Baader und Weiller alle vier mit vier verſchiedenen philoſophiſchen Syſtemen nebeneinander; das gibt alſo Kabalen
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und Niederträchtigkeiten, die gar kein Ende nehmen. Dabei ift der alte Jacobi doch auch ein trauriger Präſident, und durch ſeine niedrige Kriecherei und ſeinen unbe⸗ grenzten Hochmut hat er ſchon den Haß aller auf ſich gezogen. Im Theater ſah ich einmal die „Kabale und Liebe“ von Schiller geben, und da der Major ſagte: „und ich will es der ganzen Stadt erzählen, wie man Präſident wird“, da entſtand ein gewaltiges Applaudieren und ein wahres Jauchzen, das mehrere Minuten anhielt, fo daß ich nicht begreifen kann, wie es jemand möglich wird, Präſident zu bleiben, wenn er das gehört. Jacobi blieb aber ruhig hinter dem Stuhle der Frau Miniſter ſtehen. Geht etwas Gutes aus der Auſtalt hervor, fo wird es nur durch den Kampf zwiſchen Akademie und Volk bewirkt; an ſich iſt das Ganze aber nur ein Pfropfreis, das man einem ihm fremdartigen Bauune aufdringen will, der dieſes aber nicht leidet, ſondern einen giftigen Saft dem fremden Gaſte entgegenſchnellt. Doch diefe meine individuelle Meinung habe ich nur Ihnen, als meinem Freunde geſagt, indem ich weiß, daß Sie ſie nur ſo aufnehmen und nicht weiter ſagen; urteilen kann und darf ich nicht über die Nation, die ich nur ſo wenig kenne. — Unter den vielen Akademikern, die ich kennen lernte, war mir Schelling der Intereſſanteſte, obgleich er meiner Erwartung am wenigſten entſprach; ich dachte, einen Mann voll Lebhaftigkeit und feuriger Empfindung zu finden, und fand einen ſtillen, geſetzten, etwas einſilbigen, derben Mann. Schon fein Äußeres ift etwas abſtoßend; das runde Geſicht mit dem breiten Munde und der ſtumpfen Naſe, nur durch eine hohe Stirn gehoben, entſpricht der Vorſtellung gar nicht.
Friedrich Thierſch ſchreibt in einem Briefe vom 1. Mai 1810 an Lange:
Unſere Lage war dieſen Winter über, zumal bei Abweſenheit des Hofes, der höchſten Behörden und faſt alles Militärs, äußerſt bedenklich, denn Aretin und ſeine Genoſſen hatten ihre Sache zu der des Volkes und des Vaterlandes gegen Fremde gemacht, die den Einheimiſchen das Brot wegnähmen, für die großen Gummen nichts täten, die Bayern verachteten und verfolgten, vor allen Dingen aber aus den Schulen die Religion verdrängten und das Luthertum einführten. Das alles wurde durch faſt tägliche Pasquille und Kreuzpredigten ſelbſt in Tavernen gehörig einge⸗ prägt. Selbſt Geiſtliche in der Kirche bei der Kinderlehre erlaubten ſich in dieſer Beziehung Herzensergießungen, die das laute Murren des verſammelten Volkes er⸗ regten. Man fühlte, daß jetzt oder nie der Zeitpunkt ſei, uns durch das Volk in die
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Steinzeichnung von J. Behringer
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Luft zu ſprengen, da der politiſche Terrorismus ſeine Wirkung zu unſerer Vertilgung verſagt hatte. Die Gährung wuchs mit jedem Tag, denn der Vernümftigen find auch in den höheren Ständen nur wenige, und in den bedenklichſten Zeiten wurde Niet— haunmer, dem Haupturheber des hereindringenden Luthertums, von guter Hand ge⸗ raten, auf feiner Hut zu fein, weil er eheſtens leicht vom erbitterten Volk könne ge- ſteinigt oder zerriſſen werden. — In dieſer Zeit ging ich immer bewaffnet aus; doch kann ich nicht eben ſagen, daß mir beſonders bang geweſen wäre, außer daß die Sorge und Traurigkeit der andern mich zuweilen verftimmte. Doch die drohenden Wetter— wolken zogen allmählich vorüber; der König, der Kronprinz kam zurück, Militär rückte ein, die Heirat des franzöſiſchen Kaiſers brachte andere und eben ſo naheliegende Ideen in die Köpfe. Man hatte ſich über unſere Sache ausgeſprochen, und unſere Feinde, die ſchon ſo weit geweſen waren, nach Landshut zu ſchreiben: man möge dort nur den Aufſtand beginnen und die Fremden fortfchaffen, hier ſei alles bereit, waren jetzt in die klägliche Motwendigkeit verſetzt, ihre blinde Wut blos in Pasquillen, die niemand mehr achtete, auszuſchütten oder in Neckereien auszulaſſen. So wurden denn Jacobi und Feuerbach ähnliche Späſſe geſpielt wie dem engliſchen Lord in London vor einiger Zeit: man ſchickte ihm Handwerker, Kutſcher, Weiber, Gärtner zu einer beſtinunten Zeit vor das Haus, ſo daß die Polizei ſich darein legen mußte. Dieſer Unfug aber gab der Sache eine nur für die Bosheit höchſt traurige Wendung. Schon war den Leuten mit der Zeit die Beſinnung über uns allmählich zurückgekehrt, und das üble Licht, in welchem Bayern bei dem Handel in auswärtigen Blättern erſchien, das dadurch gekränkte Ehrgefühl der Bayern hatten den Unwillen noch mehr auf unſere Gegner gelenkt, eine Stimmung, die durch Trakaſſerien der obigen Art noch unterhalten wurde. Nun war es am Palmfonntag, eben da, wo fie durch den Handel mit meiner Predigt ihren Frevel bis in unſere Kirche ausdehnten, als endlich die Nemeſis auf dem höchſten Gipfel fie erreichte. un demſelben Tage wurde nämlich der erwähnte Spuk in Feuerbachs Hauſe getrieben: Bauernweiber, Be⸗ diente, Handwerker uſw. von Unbekannten beſtellt, meldeten ſich mit tauſenderlei Siebenſachen, und zuletzt waren noch die Totenweiber gekommen, um den Herrn Geheimen Staatsrat in den Sarg zu legen, der an einer Alteration geſtorben ſei. — Hierdurch wurde der König, der ſchon früher bei Jacobis Beunruhigung dieſer Art indigniert geweſen war, höchſt entrüſtet. Er ließ den Feuerbach, der des Juſtizminiſters rechte Hand und Chef des Juſtizweſens iſt, im Staatsrat aber durch ſeine große
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Geiſtesüberlegenheit beinahe gebietet, zu fich rufen, um ihn zu tröſten, und hat dabei ſich mit dem größten Zorn über die Buben und ihre Bübereien (Ausdrücke, die er dabei immer gebraucht hat) ergoſſen.
Durch die Säkulariſation der Klöfter und geiſtlichen Fürſtentümer und durch die Mediatiſierung der kleineren Reichs unmittelbaren und der Reichsſtädte, durch die Angliederung Frankens und der — ſpäter wieder verlorenen — Länder Salzburg und Tirol war der Umfang Bayerns beträchtlich erhöht worden.
Eine Akademie der Wiſſenſchaften beſaß Bayern feit dem 28. März 1759; ihr Stifter war Kurfürſt Max III. Joſeph, und ihre erſten Mitglieder Lori, Linprunn, Oſterwald ꝛc. Doch war die Auswirkung der Akademie bis zu ihrer Wiederbelebung durch Montgelas nur gering. Durch die Berufung neuer Akademiker im erſten Jahrzent des Jahrhunderts ſollte München dafür entſchädigt werden, daß es die im Jahre 1800 aus Ingolſtadt wegverlegte Univerſität nicht erhielt; fie kam nach Landshut und erft 1826 nach München.
Friedrich Heinrich Jacobi, Philoſoph, Freund Goethes, wurde 1743 in Düſſeldorf als wittelsbachiſcher Untertan geboren; 1779 war er zuerſt in München, 1804 kam er zum zweiten Male. Seit 1807 war er Präſident der Akademie und blieb es bis 1813; geſtorben iſt er 1819. Außer ihm wurden berufen der Numismatiker Schlichtegroll (1765— 1822), feit 1807 Generalſekretär der Akademie und ſpäter Direktor der Hofbibliothek, und der Philolog Friedrich Jacobs, weiterhin Friedrich Wilhelm Joſeph von Schelling (1775— 1854), der Philoſoph und Pädagog J. F. Niethammer (1766 1848), ſpäterer Oberkonſiſtorial⸗ rat, und der Hiſtoriker Profeſſor F. Breyer. Alle dieſe Akademiker waren Proteſtanten und deshalb von der ſtockkatholiſchen Münchner Bevölkerung, von der der Geiſt der Aufklärung durch Männer wie die beiden Aretine [Adam Freiherr von Aretin (1769— 1822), Staatsmann und Kunſtſammler, Georg Frei⸗ herr von Aretin (1771 1843), Hofkammerrat und Landesdirektor] ängſtlich ferngehalten wurde, beſtens gehaßt. — Franz Xaver Baader (1765 — 1841), Philoſoph, erft Oberbergrat, dann Univerſitätsprofeſſor, war Münchner und Katholik, ebenfo der Philoſoph und Pädagog Cajetan von Weiller (1762 1826), der ſeit 1809 Direktor aller ſtaatlichen Lehranſtalten und ſeit 1823 Generalſekretär der Akademie war.
Friedrich Wilhelm von Thierſch (1784 1860), Philolog, wurde erft 1809 nach München berufen und 1813 in die Akademie aufgenommen. Seine bedeutendſte Wirkſamkeit entfaltete er allerdings erſt ſpäter als Vorkämpfer der philhelleniſchen Bewegung und entſcheidend im Jahre 1848 als Rektor der Univerſität.
Paul Johann Anſelm von Feuerbach (1775— 1833), der berühmte Kriminaliſt, wurde 1805 berufen.
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Verkauf von Tölzer Möbeln auf dem Platz Petri. Radierung von F. Bollinger
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Proteſtanten
Der ſonſt durchaus aufgeklärte Weſtenrieder vertraut feinem Tagebuch folgenden Erguß an:
1809. Den 11. Jannar paradierten die hieſigen Proteſtanten bei dem Leichen- begängnis des... durch die Kaufingergaſſe: Voraus gingen die Begleiter; dann folgte die Leiche auf dem neuen, dem Polizeidiener Swobata gehörigen Wagen, i neben welchem die gewöhnlichen ſechs Träger mit Windlichtern gingen, und dann | |
folgten zwei Kutſchen. (Wiewohl ſeit 1800 ſchon ſehr viele Leichenzüge der Pro- teſtanten geſehen wurden, fo hatte doch dieſer Zug etwas beſonders Neues und Be-
ſitzergreifendes. Es war diesmal kein katholiſcher Prieſter mehr dabei, der ſonſt als Zeuge dabei ſein mußte.) Mr | Es bekam der hiefige Magiſtrat von der Generallandesdirektion einen Proteſtanten, deer eines hieſigen Weinwirts⸗Gerechtigkeit gekauft hatte, als Bürger anzunehmen. Die Bürgerſchaft berichtete den Fall an die hieſigen Landſchaftsdeputierten, welche aber eine nichts entſcheidende Antwort gaben.
Den 29. Juli ſchickte der Kurfürſt an den Magiſtrat ein Handbillet, worin dem Magiſtrat mit vielen Drohungen auf den Weigerungsfall befohlen wurde, den Proteſtanten allſogleich als Bürger anzunehmen.
Der „erſte Proteftant Münchens“, d. h. der erſte, der als Bürger und eine Gerechtſamkeit Ausübender aufgenommen werden mußte, war der Weinwirt und Pfälzer Michel. Niemand in München wollte damals einen Proteſtanten beherbergen aus Angſt, der Blitz möchte in das Haus einſchlagen, in dem man einem Ketzer Gaſtfreundſchaft gewähre.
) Der Name ift im Tagebuch fortgelaſſen.
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Ein Mordverſuch aus religios-polififchen Motiven
Friedrich Thierſch ſchreibt an ſeine Mutter unterm 28. März 1811 aus München:
Ich ging am 28. Februar gegen 9 Ahr abends vom Präſidenten Jacobi nach Hauſe. Als ich in die kleine und einſame Gaſſe des Schulgebäudes, wo ich wohne, kam, ging vor mir einer meiner Kollegen, Profeſſor Urban, mit einem Knaben, den er bei ſich hatte, ebenfalls nach unſerer Haustür. Er war bereits durch dieſelbe in das Haus getreten und im Begriff, ſie hinter ſich wieder zu verſchließen, als ich davor erſchien und die Klinke drückte, um noch mit ihm zugleich hineinzukommen, ehe ſich die Tür wieder ſchlöſſe. In dem Augenblicke, wo ſich die Tür öffnete, fühlte ich im Nacken eine heftige Erſchütterung, wie vom Schlage eines Hammers, die mich vor das Haus hinwarf. Im erſten Augenblick glaubte ich, es habe mir jemand im Vor⸗ beigehen einen Nickfang gegeben, und rief: Mörder! Mörder! Ich ſah noch den Kerl in einem dunklen Mantel entſpringen und griff jetzt nach dem Nacken, wo ich einen fremden Körper fühlte und die Hand voll Blut hatte. Weil ich den Hals noch frei bewegen konnte und auch noch bei vollkommener Beſinnung war, ſchloß ich gleich, daß die Verletzung nicht gefährlich war, ließ jedoch, um nicht zu verbluten, den Dolch in der Wunde ſtecken und ging ſelbſt, ohne fremde Hilfe, auf meine Stube, nachdem ich von den Leuten des Hausmeiſters jemanden nach dem Chirur⸗ gen geſchickt hatte. Meine Aufwärterin begegnete mir mit dem Licht auf der Treppe und kam außer ſich vor Schrecken. Ich ließ mir den Stiefelknecht bringen, das Bette auf die Erde ausbreiten. Nachdem ich mich des Rockes und der Stiefeln ent⸗ ledigt hatte, ſchickte ich die Alte nach Niethanuners, einer mir nahe wohnenden und bekannten Familie. Ich ſelbſt aber legte mich auf das Bett, bis der Chirurg kam und mir den Dolch aus der Wunde zog und mich verband. Während dieſes geſchah, waren ſchon Niethammers und mehrere meiner Bekannten herbeigekommen, um Hilfe zu leiſten; der Polizeidirektor kam, kurz darauf das Kriminalgericht, Soldaten
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Das Iſartor von der Außenſeite, rechts die Torwachthäuſer. Radierung von Domenico Quaglio (1810) J 0 ) 8
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Jahre 1840. Gemälde von Mi
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Das ehemalige Einla
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von der Wache und dergleichen, um ſich von dem an mir verübten Verbrechen vor—
läufig zu unterrichten. Noch denſelben Abend war der Vorfall bei Hofe dem König
und den Miniſtern gemeldet. Der Dolch war durch den Hut und zwiſchen den
Ohren in den Kopf gedrungen; ohne aber den Knochen zu durchſtechen war er daran hinabgefahren und im Fleiſche des Nackens ſitzen geblieben, ſodaß die Länge der Wunde zwar zwei Zoll, ihre Tiefe aber an der unterſten Stelle nicht über einen halben Zoll war, und der Chirurg ſogleich verſicherte, es ſei nicht die geringſte Ge— fahr, und in zwölf Tagen könne alles vorüber ſein. Der Kerl mag es freilich auf mein Leben abgeſehen haben, aber er hatte, wie es ſcheint, darauf gerechnet, daß die Tür, wie gewöhnlich, verſchloſſen ſein würde und er mir ſo, während ich ſtille ſtände,
um ſie zu öffnen, den Dolch bequem in den Nacken ſtoßen könnte. Der Umſtand,
daß die Tür fich öffnete, raubte dem Stoße feine Kraft und gab ihm eine ſchräge Richtung; dieſer ſowohl, als daß ich in das dunkle Haus geriet und hier noch eine andere Perſon war, mag ihn wahrſcheinlich außer Faſſung gebracht haben, ſodaß er entſprang, ohne eimnal den Dolch zurückzuziehen. Denſelben Abend noch fand man eine Maske, die er abgeriſſen und von ſich geworfen hatte. Ich ſelbſt aber ſchlief, gut bewahrt, mehrere Stunden ganz ruhig. — Am anderen Morgen ließ ich mich in ein bequemeres Bett bringen; das Kriminalgericht kam, um nach meinen Aus⸗ fagen feine Unterſuchung einzurichten. In meinem Vorzimmer war es wie in dem Vorſaal eines Miniſter⸗Präſidenten; geheime Staatsräte und Direktoren, alle von meiner Bekanntſchaft, kamen, um ſich perſönlich nach mir zu erkundigen, und die ganze Stadt war von Geſprächen, Umwillen und Erbitterung über den Vorfall an- gefüllt. Nachmittags ſchrieb ich ſelbſt an den König, um ihn darauf aufmerkſam zu machen, daß dieſes Attentat auf mein Leben nicht aus perſönlichem Haß gegen mich gewagt worden ſei, ſondern daß es offenbar mit den früheren Anſchlägen gegen uns zuſammenhänge, und daß man mich habe morden wollen, um die anderen zu er⸗ ſchrecken und zu verſcheuchen. Das iſt auch die Anſicht, welche hier die herrſchende geworden iſt, da jedermann weiß, daß ich mit der ganzen Welt in Friede und Ein- tracht lebe und gar keinen perſönlichen Feind habe. Drei Tage hatte ich unruhige
Nächte und Fieber; am vierten Tage ward der Verband geöffnet. Die Wunde
wurde von den Kriminalgerichtsärzten nach allen Richtungen unterſucht, und nach dem neuen Verbande fühlte ich mich um vieles erleichtert. Der König hatte mir ſelbſt ſeinen Leibchirurg, den Hofrat Winter, zugeſchickt, der mich täglich zweimal
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beſuchte und fehr gut behandelt hat. Nach vierzehn Tagen fand ſich, daß der
Wunde eine Gegenöffnung gemacht werden mußte, um den Eiter unten abzuleiten, und nachdem dieſe Operation glücklich durch den Hofrat Winter war ausgeführt worden, ging ich meiner vollkonunenen Geneſung mit ſtarken Schritten entgegen.
Seit drei Tagen iſt die Heilung, der Hauptſache nach, vorüber, und ich trage, wenn
ich ausgehe, nur noch eine ſchwarze Binde, bis die Wunde vollkommen vernarbt iſt. Während meiner Krankheit hat es mir nicht an Wartung und Pflege ge⸗ fehlt. Alle Hausmütter der mir bekamen Familien, beſonders die Frau von Niethammer, ſind um mich beſchäftigt geweſen, haben mich beköſtigt, mit allem ver⸗ ſorgt und ihren Tee abends auf meiner Stube getrunken, um mich zu unterhalten und zu zerſtreuen. Auch von ganz fremden Leuten habe ich Beweiſe der größten Teilnahme gefunden; der König hat ſich täglich Nachricht von meinem Befinden bringen laſſen, und ich hoffe, daß alles zu meinem Beſten ausſchlagen wird.
Die einſame Gaſſe des Schulgebäudes (Ludwigs-Gymnaſiums) iſt die heutige Maxburgſtraße. Wie ein junger Akademiker im Jahre 1807 in München lebte
Der berühmte Schlachtemmaler Albrecht Adam (1786 1862) ſchreibt in feiner Selbſtbiographie, die H. Holland 1886 aus dem Nachlaß herausgab, über ſein Leben in München als junger Kunſtbefliſſener:
Damals und ſo lange mein Aufenthalt in München währte, wohnte ich in einem aus Riegelwänden erbauten Gartenhäuschen, das nach drei Hirmmelsgegenden Fen⸗ ſter hatte. Ein aus leichten Brettern gezinunertes Stiegenhaus, bei welchem durch viele Spalten der Wind hereinblies, war mein Schlafgemach, in dem ich, um ein reines Zimmer zum Malen zu haben, Sommer und Winter, ſelbſt bei der ſtreng⸗ ſten Kälte ſchlief.
Zur Befriedigung der nötigen Lebensbedürfniſſe brauchte ich ſamt meinem Geſell⸗ ſchafter, einem treuen Pudel, die Hausmiete nicht mit eingerechnet, täglich 24 Kreuzer. Dabei war ich ſo geſund, ſah ſo blühend aus und hatte eine ſolche Heiterkeit des Ge⸗ mütes, daß fie oft bis zum Mutwillen überging und meine Freunde oftmals ſagten: „Wir wollen nur ſehen, wenn dur einmal geſcheit wirſt.“ Auf ſolche Weiſe verlebte ich in München unbeſchreiblich glückliche Tage.
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Das Rathaus gegen den Peters⸗Freithof. Radierung von F. Bollinger
Ein „Ausflug“ nach Schwabing um 1820
Frau Joſephine Kaulbach, eine geborene Münchnerin, erzählte nach der Auf⸗ zeichnung ihrer Tochter, Frau Joſephine Dürck-Kaulbach in deren Buch „Er⸗ innerungen an Wilhelm von Kaulbach und ſein Haus“ über einen Münchner Sonntag um das Jahr 1820: |
Der Münchner Bürger führte, als ich jung war, etwa 1810 bis 1820 ein monotones, ſpießbürgerliches, aber arbeitſames Leben. Der ganze Tag von früh morgens bis abends ſpät war nur der Arbeit und der Pflicht geweiht; ein Spazier⸗ gang an einem Wochentage wäre deshalb als ein großer Leichtſinn und frevelhafter Übermut von der ganzen Verwandtſchaft beſprochen und kritiſiert worden. Dagegen liebte der ehrſame Hausvater es ſehr, ſich abends nach dem Eſſen noch auf ein Stündchen zu ſeinen Freunden an den Wirtstiſch zu ſetzen und etliche Gläſer oder auch Krüge Bier zu leeren und dabei die wichtigſten Tagesereigniſſe zu beſprechen. Um neun Uhr, wenn die Stadttore geſperrt wurden, trennte ſich die Geſellſchaft; blieben aber einige lockere Geſellen wirklich noch ſitzen, ſo war es um 11 Uhr, wenn die Polizeiſtunde ſchlug, die höchſte Zeit, durch die dunklen Straßen, mit der Laterne in der Hand, dem ſicheren Heim zuzueilen. Der Sonntag war jedoch ganz der Er⸗ holung geweiht. Früh ging die Familie zur Kirche, hörte Amt und Predigt mit großer Andacht; dann machte man kleine Gänge durch die Stadt, beſuchte den Herrn Vetter, die Frau Goden, erkundigte ſich nach dem werten Befinden der Frau Bas und war Punkt 12 Uhr wieder zu Haus am Mittagstiſch beifammen. Nach Tiſch, während der Vater ein bißchen einnickte, ging die Mutter mit den Kindern zur Veſper, um dann auf dem Kirchhof die Gräber der verſtorbenen Freunde und Verwandten aufzuſuchen. Auch das Leichenhaus bildete eine große Anziehungskraft für jung und alt. Im Methaus, Metgarten, auch Lebzelter genannt, von denen das beliebteſte der Domberger in der Neuhanſerſtraße war, ſtärkte man ſich mit dem ſüßen dunklen Met und den herrlichen Lebkuchen. Ein kleiner Baumgarten von einfachen Galerien, Lauben, umgeben, bildete den Tiummelplatz für uns Kinder, die wir es kaum er⸗
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warten konnten, bis endlich der Vater kam, uns zu einem großen Spaziergang abzu- holen. Wenn es nun nach langer gründlicher Beratung mi gar hieß, wir gehen nach Schwabing, ſo war das ſchon eine große Partie, und wir wurden erſt gründlich unterſucht, ob unſere Kräfte, vor allem aber unſere Stiefel einem ſolchen Unter— nehmen gewachſen ſchienen. Das war nun ein Jubel, und gerne wären wir gleich losgeſtürmt! Einſtweilen hieß es aber geſittet neben Vater und Mutter zu gehen, fo- lange wir noch in der Stadt waren. Gott ſei Dank für uns, waren wir bald am letzten Haus und vor der Stadt angelangt. Wo nämlich jetzt die Feldherrnhalle ſteht, war damals ein großes Haus mit einem Muttergottesbild an der Faſſade, mit dem Blick gegen Schwabing. Von da an beſtand beinahe alles aus Wieſen und Feldern und unbebautem Land. Zur Linken, wo ſpäter die ſchönen Auslagenfenſter von Thierry und dan Hees — Ecke der Brienner- und Ludwigſtraße — den Vorüber⸗ gehenden ſo verführeriſch einluden, ſtand auf einem kleinen bewaldeten Hügel ein kleines Haus, das Schettoille⸗Schlößchen genannt. Rechts die Reitſchule, dahinter der Hofgarten mit dem kleinen See, den ſchönen Schwänen und den herrlichen An— lagen. All dieſe Pracht war jedoch für die profanen Augen des Münchener Bürgers verſchloſſen. Über duftige Wieſen und Felder wanderten wir gegen Schwabing, traten dort in die kleine Kirche, erlabten uns im nahen Wirtshaus mit Bier und Brot, tollten noch tüchtig herum und traten dann nach gründlicher Raſt die Heim⸗ reife wieder an. Zu Haufe aber ſchlüpften wir ermüdet in unſere Betten, träumten von dem herrlichen Tage, und die ganze Woche zehrten wir von ſolch einem Ausflug und wurden nicht müde, die verſchiedenen Eindrücke und Erlebniſſe nochmals nach- zukoſten. 5
Wie es damals am Schwabinger Tor ausſah, hat Domenico Quaglio in einer ſeiner ſchönſten Münchner Veduten, die ſich in der Neuen Pinakothek befindet, bildlich feſtgehalten. Eine Wiedergabe dieſes Bildes ift unſerem Buche beigegeben. Das „Schettville-Schlößchen“ war der Wohnſitz des ehemaligen
kurfürſtlichen Gobelinwirkers Andre Chedeville (f 1820), eines großen Gartenfreundes, deſſen Ehefrau das beſuchteſte und vornehmſte Mädchenpenſionat Altmünchens unterhielt.
Ein Jahrhundert München 5
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Peter von Cornelius
Akademie-Direktor
Nach einer Zeich
Hermann geſtochen von Carl von Gonzenbach
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Cornelius kommt nach München
J. N. von Ringseis erzählt in ſeinen Erinnerungen:
Nach dieſer Abſchweifung kehre ich zum Cornelius von dazumal zurück, der, als er endlich im Juni 1823 in München erſchien, begeiſtert gefeiert wurde. In Dachau ſchon empfing ihn eine Abordnung von Zöglingen der Akademie, ihm ihre Freude und Ergebenheit auszudrücken; ein Fackelzug folgte und Mahlzeiten, offizielle wie freund- ſchaftliche, wobei mir ein Abendfeſt, das ich in meinem Haus ihm gegeben, in fröb- lichem Erinnern geblieben iſt; denn alles hatte geholfen, es zu verſchönern: die befreun— deten Künſtler mit ſtilbollem Transparent und ſonſtigem Schmuck, Dichter und Muſiker mit Wort und Sang, Friederike mit fröhlich zubereiteten Scherzen. Zu unſerer großen Freude kam auch der Kronprinz, die Heiterkeit nicht beeinträchtigen, ſondern durch Herzlichkeit ſteigernd; Cornelius ſelber, der als einer der letzten erſchien, war gerührt.
Einmal aber äußerte ſich Peter mißvergnügt, daß er in München gar nicht in vor- nehme Häuſer geladen werde, wie ihm doch in Berlin geſchehen. „Haſt du denn auch Beſuch gemacht?“ frug ich ihn. „Das nicht“, erwiderte er. Und da ich ihn aufs Korn nahm, zeigte ſich's, daß fein Hausgenoſſe, der Exminiſter Graf Montgelas, fogar mit Beſuch ihm zuvorgekommen, mein guter Peter jedoch, ohne alles Arg, das einfach hingenommen und keinen Gegenbeſuch gemacht hatte. Die Künſtler in Rom waren
eben gewöhnt, in ihren Werkſtätten von Fürſten und Fürſtinnen aufgeſucht zu wer-
den. Daß er in ſeiner jetzigen Stellung andere Höflichkeitspflichten habe, mußte ich ihm erſt auseinanderſetzen; nun, da war's ihm dann auch recht.
In des Schaffens Luſt rief er einmal: „Wenn's im Himmel keine Kunſt gäbe, möchte ich gar nicht hinein!“ Und richtig verſtanden, war er nicht zu tadeln. Der Himmel wäre eben nicht der Himmel, wenn eine berechtigte Seite unſeres Weſens unbefriedigt bliebe. Gott iſt eben auch ein Gott der Künſtler.
Peter von Cornelius (1783 1867), Düffeldorfer von Geburt, in entſcheidenden Jahren feiner Eünft- leriſchen Entwicklung in Rom als Haupt der ſogenannten „Nazarener“, ſpäter in Berlin, wurde nach dem Tode Johann Peter von Langers als Akademie⸗Direktor hauptſächlich auf Betreiben des damaligen Kron— prinzen, des ſpäteren König Ludwig, nach München berufen.
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Der Regierungswechſel 1828
In den von Emilie Ringseis geſammelten und im Jahre 1886 herausgegebenen Erinnerungen ihres Vaters, des berühmten Arztes J. N. von Ringseis, der als Freund und Vertrauter Ludwigs J. in München eine maßgebende Rolle fpielte, iſt über den Regierungswechſel des Jahres 1823 zu leſen:
Im Herbſt 1825 ſoll König Max Joſeph I. geäußert haben: „Wenn nur mein Namenstag ſchon vorüber wäre!“ Seit Jahren nämlich kennzeichneten Un⸗ glücksfälle wie vorauswarnend dieſen Tag; bald brannte es, bald ſtarb jähen Todes ein Lakai; bald zerſprang einem Miniſter die Flinte in der Hand, ein Stück der⸗ ſelben hinwegreißend. Im letztvergangenen Jahre war der Königin beim Blutent⸗ ziehen eine Ader abgeſchlagen worden, und diesmal verwundete beim Umſtürzen einer Mauer des Hofgartens ein Stück davon mehrere Arbeiter auf ſchwere Weiſe.
Zu Ehren des Feſtes, 12. Oktober, gab der ruſſiſche Geſandte Graf Woronzoff einen Ball mit allgemeiner Beleuchtung des Palaſtes; der ganze Hof und die Ex⸗ königin Friederike von Schweden mit Sohn und Töchtern fanden ſich ein. Obwohl ermüdet von den Gratulationen, war der König heiter und freundlich und ſpielte ſeine Partie Karten, fuhr aber, nachdem er nichts als ein Glas Zuckerwaſſer genoſſen, ſchon um ½ 10 Uhr Nachts nach Nymphenburg zurück. „Nicht wahr, ich halte Wort und komme früh nach Haus“, ſprach er zu ſeinen Leuten, „um halb 6 Uhr will ich morgen geweckt ſein“. Um die begehrte Stunde öffnete der Kammerdiener die Läden, fand den König, wie gewöhnlich beim Einſchlafen, das Geſicht auf einer Hand ruhend, ſtellte ihm ſein Selterswaſſer vors Bett, rief ihn dreimal an: „Ma⸗ jeſtät !, faßte endlich die freie Hand — ſie war kalt; der Tod mußte den Schlafenden ſchnell, wahrſcheinlich noch vor Mitternacht ereilt haben.
Wie eine Bildſäule ſaß die Königin den ganzen Morgen bei der Leiche; unfähig, an den Tod zu glauben, ließ fie dieſelbe lang in warme Tücher einſchlagen, wodurch nur Entſtellung vor der Zeit bewirkt wurde. Alles, was die Nachricht erfuhr, ſtürzte ins Zimmer. Alles wollte ihn ſehen, der für feine Umgebung immer fo gütig geweſen.
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Nach einer Originalzeichnung G. Bodmers auf Stein gezeichnet von J. Melcher
Prinz Karl lief bei der Kunde, ohne den Wagen abzuwarten, zu Fuß und hände— ringend aus der Reſidenz, wo er nach dem Balle geblieben, gen Nymphenburg. Außer Atem, in großer Troſtloſigkeit janunernd: „Ich habe alles verloren“, ward er von feinen Leuten im Wagen eingeholt und ſaß dann bei der Leiche, zu ihr ſprechend, ſie mit ſeinen Tränen benetzend. Prinzeß Marie wehklagte, daß ſie auf dem Balle vielleicht getanzt habe, während ihr Vater aus dem Leben ſchied.
Mir wurde die Nachricht am Morgen des 13. durch Wilhelm von Freyberg mitgeteilt, der in großer Aufregung bei uns ſich einfand. Der Tod eines Herrſchers hat immer etwas Erſchütterndes, einmal im Hinblick auf den Geſchiedenen, auf ſeine ſchwere Rechenſchaft, auf das Gute, das man von ihm empfangen, ſodann im Hinblick auf die Zukunft; wie nah meinem Herzen ſtund derjenige, in deſſen Hände großenteils die Zukunft des geliebten Vaterlandes gelegt war! Wird er die auf ihn geſetzten Hoffnungen erfüllen? Wird er gewiſſe Klippen umſchiffen, die bei aller Vortrefflichkeit ſein Charakter ihm bereitet? Wird er über einzelne Lücken und Irrtümer ſeiner in vielem wohlgeregelten Denkweiſe hinauskommen? Hoffnungen und Sorgen — erſchütternd wirken beide. Das ganze Land fühlte ſich davon durch- zuckt. Handelte ſich's doch um einen völligen Umſchwung der Regierungsgrundſätze. Allerdings hatte ſchon König Max zum Teil eingelenkt von dem Verfahren ſeiner erſten Herrſcherzeit; Konkordat und Tegernſeer Religionsedikt bezeugen es. Aber Vieles ſtand doch beim Alten. „Jetzund“, ſo jubelten die einen, ſo knirſchten die andern, „jetzund wird wo nicht Alles, fo doch vieles umgekehrt werden“.
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Anders ſieht Friedrich Thierſch in einem Brief an Jacobs das Ereignis an:
Des Königs Tod, den wir alle herzlich beklagen, iſt der Anfang großer Ver⸗ änderungen geweſen. In kirchlichen Dingen wird es einige Feſttage mehr, einige Prozeſſionen, Klöſter und dergleichen geben, fleißigeres Beſuchen der Neffe, der Beichte. Dabei aber wird es ſein Verbleiben haben. Die oberen Behörden ſind fo beſetzt, daß an ein Übergewicht der Geiſtlichen nicht zu denken iſt.
Der König hat eine zu gute Natur, ein zu lebhaftes Gefühl ſeiner Lage und ihrer Bedürfniſſe, um ſich hier preiszugeben. Noch iſt von ihm nichts geſchehen, was mein großes Vertrauen in feine Gerechtigkeit, Unparteilichkeit und Einſicht erſchüttert hätte. Iſt der erſte Sturm vorüber und findet er mehr Ruhe, ſeiner auf das Große
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und, ich darf fagen, Geniale gehenden Richtung zu folgen, fo dürfen wir einer ſchönen Zukunft entgegenſehen, wenn Ruhe und Friede bleibt. Sein Grundſatz iſt, daß überall das Talent, die höhere Einſicht, die Leute, die etwas machen können, ſei es im Staat, in der Wiſſenſchaft, in der Kunſt, hervorgehoben werden und herrſchen ſollen. Den Adel, meiſt unbrauchbar, wird er mehr und mehr auf ſeine Güter ſenden oder zu gehen nötigen, inwiefern die Stellen im Staat weniger und geringer werden.
Ringseis, der zur hochkatholiſchen Partei gehörte, war begreiflicher Weiſe ein Gegner der antikirchlichen Aufklärungspolitik, die Maximilian I. Joſeph, von Montgelas beraten, trieb, und erhoffte viel von Ludwig, dem man ſehr kirchliche Geſinnung nachſagte. Übrigens hatte Maximilian Joſeph mit dem Konkordat und mit dem ſogenannten Tegernſeer Edikt ſeine frühere, gegenkirchliche Politik ſelbſt eingeſchränkt. Thierſch erwartete von Ludwig ein der Pflege der Künſte und Wiſſenſchaften zugewandtes Regiment.
Die Königin: Friederike, Wilhelmine, Karoline, geborene Prinzeſſin von Baden (1776 1841), ſeit 1797 mit Max Joſeph vermählt, deſſen zweite Gattin ſie war.
Prinz Karl (1795— 1875), der fünftgeborene Sohn des Königs, feit 1841 Feldmarſchall von Bayern.
Prinzeß Marie, geboren 1805, heiratete 1833 den nachmaligen König Friedrich Auguſt von Sachſen.
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Was man von Ludwig J. erwartete
Joſeph Görres ließ in ſeineimm „Rheiniſchen Merkur“ den „Kurfürſt Maximilian I. an König Ludwig bei ſeiner Thronbeſteigung“ folgende Worte richten:
„Wie Du Dein Angeſicht der Zukunft entgegenwendeſt, ſo laß es auch auf die alte Zeit gerichtet fein. Baue nicht auf fließende Waſſer und den Flugſand menfch- licher Meinungen. Sei ein chriſtlicher Fürſt, Säule zugleich dem Glauben und Schützer der Geiſtesfreiheit, und Dein Beiſpiel möge die Zeloten von zweierlei Art verftunmmen machen. Sei auch den Künſten ein Mährvater und Beförderer; fie mögen unter Deiner Pflege nach ihrer irdiſchen Beſtinunung fortdauernd das menſchliche Leben verſchönern und erheitern und nach ihrer höheren die Urquellen aller Schönheit ver- herrlichen; aber laſſe Dich von ihrem Zauber nicht über Gebühr befangen. Dulde nicht, daß aufrühreriſche Geſinnung die Grundfeſten des Thrones untergrabe: denn die
große Säule des Hauſes, auf der alle Gewölbe ruhen, darf nie auf wankendem
Grunde ſtehen, ſoll nicht dem Ganzen der Einſturz drohen. Wolle auch Du die Er- fahrung der Zeiten ehren, denn das Volk hat ſich dem Fürſten nicht zur Dienſtbarkeit, fondern zum Schutze übergeben, daß er nicht mit Gewalt über Sklaven, ſondern mit Milde nicht blos über Bürger, ſondern für fie herrſcht. Sei Du ein rechter Fürſt von Gottes Gnaden und vollende, was Du früher angefangen. Wolle nicht, daß die Nation, in Maſſe ſchon dem Ernſt des Krieges pflichtig, auch im Frieden im leeren Spiele ſich erſchöpfe. Achte jegliches Talent und jedes Verdienſt in Deinem Reiche, aber laß Dir jene frechen Glückspilze nicht nahe kommen, die im Verderben der letzten Zeit aufge⸗ ſchoſſen und im Schlamme der Sündflut, die über Deutſchland hergeſtiegen, feſt— gehaftet. Wie Deine Herrſchaft mit dem neuen Jubeljahr beginnt, fo ſei fortan ein Schirmvogt und Hort des Glaubens, damit Bayern wieder werde, was es zuvor geweſen, ehe ſie das Gegenteil ihm angelogen: ein Schild und Eckſtein der deutſchen Kirche. Wolle nicht geſtatten, daß der Chriſten Recht allein im bürgerlichen Leben gelte, das Staatsrecht aber heidniſch ſei. Was ſoll's, wenn dem Volke von Religion, Tugend und Sittlichkeit gepredigt wird, der Staat aber vor ſeinen Augen dem Baal
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auf allen Höhen Altäre baut und Opferfeuer zündet! Soll nur der Bürger noch Chriſtenpflicht, Gerechtigkeit und Milde üben, der Staat aber wie ein reißend Tier alles niederſchlagen, was feine Tatze erreicht? Soll der Gott des Himmels und der Erde nur ein Hausgott fein, das gemeine Weſen aber ſich feinem Dienſte entziehen? Nicht alſo! in Mitte Deines Volkes herrſche ſein Geſetz und Du ſei nur ſeiner Diener erſter! ... Wem viel anvertraut iſt, von dem wird auch viel gefordert.“
Johann Joſeph Görres (1776— 1848), geboren zu Coblenz, geſtorben zu München, wo er feit 1827 als Profeſſor der Literaturgeſchichte wirkte, war einer der einflußreichſten Publiziſten ſeiner Zeit; ſeinen „Rheiniſchen Merkur“ nannte man eine Großmacht. Görres hatte ſich, wie Ringseis, Laſaulx und Sepp in den Dienſt der kirchlichen Partei geſtellt. Das erklärt den Ton dieſer hiſtoriſch eingekleideten Apoſtrophe des neuen Königs.
Die Perſönlichkeit Ludwigs J.
Luiſe von Kobell, die Tochter Franz von Kobells, die „Unter vier Königen Bayerns“ viel erlebte oder aus Mitteilungen ihrer Familie unter dieſem Titel zu einem zwei⸗ bändigen Werke zuſammentrug, ſchreibt:
Die Perſönlichkeit Ludwigs I. muß man mit dem, wenn auch etwas abgenützten
Worte „intereſſant“ bezeichnen. Schön ſoll er in ſeiner Jugend geweſen ſein; als ich ihn ſah, war er es nicht mehr. Aber der geſcheite Ausdruck ſeines ſcharfgeſchnittenen Ge⸗ ſichtes war anziehend, und ſeine graublauen Augen hatten etwas Umfaſſendes, Wahres im Blick. Seine mittelgroße Geſtalt war regelmäßig, im Alter etwas nach vorn gebeugt. Sein lebhafter Gang, fein plötzliches Stehenbleiben ſchienen nie mechaniſch zu ſein, ſondern immer in Verbindung mit einem Gedanken, der ihn gerade beſchäftigte. Die verſchiedenſten Dinge gaben dazu Anlaß: ein Bauwerk, ein Gemälde, eine Phyſiono⸗ mie, ein Schleier. Einen Schleier vor dem Geſichte einer Dame konnte er nämlich nicht leiden, und die Münchnerinnen wußten dies fo genau, daß Alte und Junge den Hutſchleier in die Höhe riſſen, ſobald fie nur den König von weitem konnnen ſahen. Außerdem mußten fie eine Rüge von ihm gewärtigen wegen „Etiquettemmangel““. Wurde dieſe auch meiſt nur ſcherzhaft erteilt, fo vermied man fie dennoch, da Ludwig !. fo laut ſprach, daß das eben anweſende Publikum alles hörte und dann feine Randgloſſen über die Betreffende machte. Und wenn auch allein, ging der König doch nicht allein, denn in angemeſſener Entfernung folgten ihn ſtets einige Neugierige; fie blieben wie auf
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- Kommando ſtehen, wenn der König mit einem ehrerbietig Grüßenden ſprach, der des Weges gekommen. Da hallte dann weithin eine ſchwungvolle Rede, die aber haſtig, ſtoßweiſe hervorgebracht wurde. Bisweilen ſpann ſich die Unterredung länger fort, dann bildeten die ſtummen Begleiter einen Kreis um Ludwig I. Auch ich ſtand, wenn moglich, in einer ſolchen Corona, denn es war mir ein lehrreiches Vergnügen, zuzu— hören, wenn der König, was oftmals geſchah, mit feinen Lieblingsarchitekten Klenze und Gärtner vor einer ſeiner Kunſtſchöpfungen ſtand und fein Urteil abgab, bald über das Ganze, bald über Einzelheiten.
Einmal hörte ich den König mit meinem Vater im engliſchen Garten über den
Monopteros in fo ſinniger Weiſe ſprechen, daß ich, wie aufgerüttelt davon, den kleinen Teimpel, an dem ich wohl über hundertmal gleichgültig vorübergegangen war, eigent-
lich nun erſt recht betrachtete.
Sein eigentliches Denken und Empfinden legte der König am offenſten in ſeinen Gedichten nieder, und der Inhalt entſchädigt für manche holprige, harte Ausdrucks⸗ weiſe. Die klaſſiſche Bildung der damaligen Zeit war Ludwig J. fo in Fleiſch und Blut übergegangen, daß er ſich zur Einkleidung ſeiner poetiſchen Gefühle faſt ausſchließlich klaſſiſcher Versmaße bediente. Vorwiegend treten deshalb das Diſtichon und der Jam— bus auf. Vielfach überſchüttet mit Lob, von den Dichtern Rückert, Ohlenſchläger, Münch⸗Bellinghauſen gefeiert, ſagt Ludwig I. in feinem Diſtichon: „An mich“
Daß dich nicht täuſche das reichliche Lob; denn was du gedichtet, Ungeprieſen blieb's, ſäßeſt du nicht auf dem Thron.
Doch das wäre eine Ungerechtigkeit gegen den König. Denn viele ſeiner Gedichte haben einen bleibenden Wert. Wer Ludwig I. und feine Zeit verſtehen will, muß ſeine Gedichte leſen und beherzigen.
Die oft getadelten Schwärmereien Ludwigs I. für dieſe und jene Schönheit, die ihn auch zur Anlage der herrlichen „Schönheiten-Galerie“ in der Reſidenz veran— laßten, haben der Liebe zu ſeiner Gemahlin keinen Eintrag getan. Er bezeichnet ſie als das „Ideal des Weibes“, und ſich offen ausſprechend, preiſt er ihre edle Milde im Vergleich zu dem abfälligen Urteil der Welt über ſeine bewegte Herzensgeſchichte:
„Du verkennſt mich nicht, obgleich mich die Menge verkennet, Unerreichbares Weib, trefflichſtes, welches gelebt!
Wird der Wipfel der Eiche vom Wind auch zuweilen beweget, Wurzelt fie dennoch feſt, ewig die Liebe für Dich!“
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Die Hochbrückmühlezund das Bäckerknecht-Bruderſchaftshaus im Tal Radierung von F. Bollinger
Die gelehrten Kreiſe um das Jahr 1826
Eine der erſten Regierungshandlungen König Ludwigs J. war die Verlegung der Ludwig Maximilians⸗Univerſttät von Landshut nach München im Jahre 1826. Zu den Gelehrten der Akademie traten damit als neues Element im wiſſenſchaftlichen Leben Münchens die Univerſttätsprofeſſoren. Einer von dieſen, Profeſſor G. H. von Schubert, der als Ordinarius für Naturgeſchichte aus Erlangen berufen war, ſchreibt in ſeiner Selbſtbiographie „Der Erwerb aus einem vergangenen Leben“ über das Leben der gelehrten Kreiſe Münchens in der Frühzeit der Akademie:
Am anderen Morgen war, nach dem Gegenbeſuche bei den lieben, freundlichen Nachbarn, mein erſter Gang zu dem Miniſter von Schenk. Ich fand den liebens⸗ würdigen Mann ganz ſo, wie ich ihn nach ſeinen Briefen mir vorgeſtellt hatte, und
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wie andere mir ihn beſchrieben. Mündlich beantwortete er mir noch vieles, das er auf meine Briefe unbeantwortet gelaſſen hatte. Er riet mir, daß ich meinem öffent- lichen Verſprechen treu bleiben und meine Vorlefungen getroſt anfangen ſolle; es werde mir an Zuhörern nicht fehlen. Ein Hörſaal ſtehe für mich bereit.
Meinen teuren, wohlwollenden Freund Lerchenfeld fand ich leider nicht mehr in München; er war auswärts zu einem anderen Poſten verwendet worden. Aber ſeiner Vermittlung verdankte ich ſchon früher die Einführung in einen Kreis der Männer, mit welchen ich jetzt in nähere Verbindung treten ſollte, namentlich die perſönliche Bekanntſchaft mit dem verehrungswerten damaligen Vorſtande der Akademie, dem berühmten Franz Paula von Schranck. Man kam mir von allen Seiten freundlich entgegen. Einer meiner künftig nächſten Kollegen an der Univerſität, ohne zu wiſſen, daß der Miniſter von Schenk ſchon dasſelbe getan, forderte mich auf, meine ange- kündigten Vorleſungen über Naturgeſchichte auch für dieſes Halbjahr nicht aufzu⸗ geben, ſondern ihren Anfang in gewöhnlicher Weiſe durch einen öffentlichen Anſchlag feſtzuſetzen und die Lifte zur Unterzeichnung für dieſelben am geeigneten Orte aufzu- legen. „Es warteten noch jetzt viele Studierende auf meine Ankunft, um ſich bei mir als künftige Zuhörer zu melden; der Ruf, der ſie dazu bewege, ſei mir von manchem meiner früheren Schüler aus Erlangen her nach München vorausgegangen.“
Mein Freund Fr. 9. Roth hatte jetzt fein neugebautes Haus mit dem großen, ſchönen Garten bezogen. Dahin führte mich der Zug des Verlangens wie nach einem Vaterhauſe. Dort im Garten, unter den blühenden Bäumen, brachten wir einen Teil des Nachmittags zu, und erſt jetzt ward mir es innerlich ſtill und heimatlich wohl in dem geräuſchvollen, ſchönen München zu Mute. Am Abend mit Ringseis ſah ich zum erſten Male den Peter Cornelius, den Mann mit dem Siegel der geiſtigen Großmacht auf ſeiner Stirn. Wäre ich auch niemals mit ihm ſo nahe auf Lebenszeit befreundet worden, hätte ich ihn auch nur jenes eine Mal geſehen und geſprochen, ich würde es als ein merkwürdig bedeutendes Ereignis meines Lebens rühmen: auch ich habe den Peter Cornelius perſönlich kennen gelernt.
Eduard von Schenk (1788— 1841), Staats miniſter des Innern, auch als dramatiſcher Dichter bekannt.
Max Graf von Lerchenfeld⸗Köfering (1779 1843), war bis zum Jahre 1825 Finanzminiſter, dann wieder von 1833— 1835 und zuletzt bayeriſcher Geſandter in Wien.
Franz Paula von Schranck (1747— 1835), war urſprünglich Theologe und Mitglied der S. J., ſtudierte dann Naturwiſſenſchaft und zeichnete ſich aus als Botaniker und Univerſitätsprofeſſor; feit 18og war er Direktor des botaniſchen Gartens in München.
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Heinrich Heine in München
Vom Spätjahr 1827 bis zum Sommer 1828 lebte Heinrich Heine in München, wo er als Redakteur für den Cottaſchen Verlag tätig war. Unter ſeiner Leitung erſchienen hier zwei Bände der „Neuen Politiſchen Annalen“, für die er einen Teil feiner „Engliſchen Fragmente“ ſchrieb. Er hoffte auf eine Profeſſur an der Münchner Univerfität. Als fie ausblieb, obwohl ſich Cotta, unter Überreichung der Werke Heines, bei König Ludwig ſehr nachdrücklich dafür eingeſetzt hatte, wurde Heine bitter. Das mag den Ton erklären, in dem er in Briefen und Aufſätzen über München ſpricht:
München iſt eine Stadt, gebaut von dem Volke ſelbſt, und zwar von aufeinander⸗ folgenden Generationen, deren Geiſt noch immer in ihren Bauwerken ſichtbar, ſo⸗ daß man dort, wie in der Hexenſzene des Macbeth, eine chronologiſche Geiſterreihe erblickt, von dem dunkelroten Geiſte des Mittelalters, der geharniſcht aus gotiſchen Kirchenpforten hervortritt, bis auf den gebildet lichten Geiſt unſerer eigenen Zeit, der uns einen Spiegel entgegenhält, worin jeder ſich ſelbſt mit Vergnügen anſchaut. In dieſer Reihenfolge liegt eben das Verſöhnende; das Barbariſche empört uns nicht mehr, wenn wir es als Anfänge und notwendige Übergänge betrachten. Wir find ernſt, aber nicht umnutig bei dem Anblick des barbariſchen Domes, der ſich noch immer in ſtiefelknechtlicher Geſtalt über die ganze Stadt erhebt und die Schatten und Geſpenſter des Mittelalters in ſeinem Schoße verbirgt. Mit ebenſowenig Un⸗ mut, ja ſogar mit ſpaßhafter Rührung betrachten wir die haarbeuteligen Schlöſſer der ſpäteren Periode, die plump⸗deutſchen Nachäffungen der glatt⸗franzöſiſchen Unnatur, die Prachtgebäude der Abgeſchmacktheit, toll ſchnörkelhaft von außen, von innen noch putziger dekoriert mit ſchreiend bunten Allegorien, vergoldeten Arabesken, Stukkaturen und jenen Schildereien, worauf die ſeligen hohen Herrſchaften ab⸗ konterfeit ſind. Wie geſagt, dieſer Anblick verſtimmmt uns nicht, er trägt vielmehr dazu bei, uns die Gegenwart und ihren lichten Wert recht lebhaft fühlen zu laſſen, und wenn wir die neuen Werke betrachten, die ſich neben den alten erheben, ſo
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iſt's, als würde uns eine ſchwere Perücke vom Haupte genommen und das Herz
befreit von ſtählerner Feſſel. Ich ſpreche hier von den heiteren Kunſttempeln und edlen Paläſten, die in kühner Fülle hervorblühen aus dem Geiſte Klenzes, des großen Meiſters.
Daß man aber die ganze Stadt ein neues Athen nennt, iſt, unter uns geſagt, etwas ridikül, und es koſtet mich viele Mühe, wenn ich ſie in ſolcher Qualität ver⸗ treten ſoll. (Aus den „Reiſebildern II“ 1828 1829.)
An Wolfgang Menzel.
Das Leben hier iſt ſehr angenehm, und wenn Sie eine gute Bruſt haben und ſonſt das Klima zu vertragen glauben, rate ich herzukommen. Kommen Sie wenigſtens mal zum Beſuch. Kneipen Sie bei mir, ich kann Sie bei mir beherbergen, und ſeien Sie mein Gaſtfreund in München, wie ich der Ihrige in Stuttgart.
.. Über München wäre viel zu ſchreiben. Kleingeifterei von der großartigſten Art. Schelling und Görres hab' ich noch nicht geſprochen. Deſto mehr ſehe ich die zwei großen Lichter des Tages, die Dioskuren am Sternenhinunel der hieſigen Poeſie, M. Beer und E. Schenk. Über des erſteren Tragödie habe ich im „Morgenblatt“ Bericht erſtattet und der Welt gezeigt, wie wenig mich fein Ruhm pikiert — aber die böſe Welt hat die Sache ſchief genommen und nennt es eine Myſtifikation des Publikums; ich habe für meine Gutmütigkeit leiden müſſen.
An Varnhagen o. Enfe.
.. Ich werde hier ſehr ernſthaft, faſt deutſch; ich glaube, das tut das Bier. Oft habe ich Sehnſucht nach der Hauptſtadt, nämlich nach Berlin. Wenn ich mal geſund bin, will ich ſuchen, ob ich dort nicht leben kann. Ich bin in Bayern ein Preuße geworden.
Leo von Klenze (1784 - 1864), feit 1808 nach vorausgegangenen gemeinſamen Studien mit Schinkel an der Berliner Bauakademie und nach Beſuch der Polytechniſchen Schule in Paris, Hofbauarchitekt des Königs Jerome von Weſtfalen, fiel gelegentlich des Wiener Kongreſſes dem damaligen Kronprinzen Ludwig auf, wurde 1815 nach München berufen und zunächſt mit dem Bau der Glyptothek betraut, erbaute dann die Reitbahn, die Altere Pinakothek, den Baſar, die Reſidenz⸗Neubauten, die Allerheiligen: hofkirche, das Herzog Mar-Palais, Leuchtenberg- Palais, das Odeon, die Ruhmeshalle an der Bavaria, die Kelheimer Befreiungshalle, die Walhalla uſw. und ſtarb als Vorſtand der Hofbauintendanz in München. Während Klenze mit Rauch, Thorwaldſen und Kaulbach nahe Freundſchaft verband, war er ein ausge⸗ ſprochener Gegner des Cornelius und eine der treibenden Kräfte zu deſſen Entfernung.
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Die Landſchaft um München und die Stadt
G. H. von Schubert, Profeſſor der Naturgeſchichte an der Miuchner Univerfität, fehreibt an feine Schweſter im Jahre 1827:
Meine neue Heimat ſoll ich Dir beſchreiben? Nun dazu gehört Gott ſei Dank nicht allein die kleine, enge Gaſſe und das Haus, das ich darin bewohne, aus deſſen Fenſtern ich fo wenige Prozente des Sternenhimmels ſehe, als die Gläubiger des bankerotten Kaufmanns von ihrem dargeliehenen Kapital zurückbekommen, denn zur Heimat rechne ich außer der Stadt München ſelbſt auch ihre Umgegend, ſoweit das Auge ſehen kann, mit Land und Leuten.
Schon die Hochebene, auf welcher München liegt, weckt in dem Wanderer aus Norden, der hierher konunt, ein Verlangen auf nicht zum trägen Stilleſtehen und
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Verbleiben, ſondern zum Weiterſchreiten nach einem hohen, vor Augen liegenden Ziele, ein Verlangen, wie er es in ſeiner Heimat noch nie empfunden. Er kam vielleicht, ſo wie wir, von Ingolſtadt her, zuletzt durch eine Ebene und durch arm—
felig ſchmutzige Ortſchaften, die dem Auge in ihrem unerfreulichen Wechſel zwiſchen Sumpf und verkümmertem Föhrenwalde nichts darbietet, wobei es verweilen möchte. Die Gedanken würden da lieber rück- als vorwärts gehen, am wenigſten aber gerne ſtille ſtehen. Endlich, wenn Du mit uns dieſes Weges zögeſt, träteſt Du aus dem troſtloſen Geſtrüpp heraus in die freie Ebene; vor Dir im Süden täte ſich, wie vor uns am heiteren Nachmittag des 18. Mai, an welchem wir einzogen, die majeſtä— iſch ſchöne Alpenkette auf, mit ihren ſchneebedeckten Zinnen, von Salzburg an bis zu dem vorarlbergiſchen Hochlande, von Bayerns Hügelland bis zu den Bergrieſen des ſüdlichen Tirol. Wie in dem Adler, wenn er ſeine langerſehnte Beute vor ſich hinfliegen ſieht, fo regt in uns ein Naturtrieb feine Schwingen, der uns mächtig aus der Tiefe hinzieht nach den lichten Höhen. Und wie ſoll ich Dir den erſten Eindruck C beſchreiben, den die alte, merkwürdige Stadt auf die Sinne macht, welche uns da vor Augen liegt? Iſt es doch, als ob felbft die großen Frauentürme, die über alle anderen Türme und Gebäude hinaufragen, in ihrer unausgebauten oberen Zurun⸗ dung von einer noch verſchloſſenen, hochanſtrebenden weiteren Entwicklung ſprächen. Und wenn Du mm mit uns hineintreten Eönnteft in das Innere der Stadt und fäheft mit uns die ſchon aufgewachſenen oder um Wachſen und Keimen begriffenen Werke der bildenden, alten wie neuen Kunſt, lernteſt die Geiſter kennen, welche von Tag zu Tag am Weiterfördern, Weiterſchreiten eines großen, gemeinfamen Tag⸗ werkes geſchäftig find, Du würdeſt mit mir einftimmen, wenn ich fage: hier herrſcht ein Geiſt, der, wie der alte Blücher, wenn er zur Schlacht führte, immerzu nur „vorwärts, vorwärts“ konunandiert. Alſo, an ein geiſtiges Verſauern von meiner
Seite und an ein Stilleſtehen, wie die Wagenräder in gar zu tiefem, fettem Boden,
iſt wohl bei mir, wie ich feſt hoffe, nicht zu denken, ſondern Gott wird mir München zu einem geiſtigen Turnplatze werden laſſen, auf welchem der innere Menſch, er mag wollen oder nicht, ſeine Kräfte und Glieder tüchtig brauchen lernen ſoll, bis man ihn zum fröhlichen Abzuge in fein Ruhelager kommandiert.
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Heines „Italieniſche Reife‘ nimmt von München ihren Ausgang. Aus dem Süden grüßen die Alpen herüber zu der Terraſſe von Neuberghauſen bei Bogen⸗ hauſen, damals dem bevorzugten Ausflugsort der Münchner.
. . Der Ort, wo dieſes Geſpräch ſtattfand, heißt Bogenhauſen oder Meuberg⸗ hauſen oder Villa Hompeſch oder Montgelasgarten oder das Schlöſſel, ja man
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braucht ihn nicht einmal zu nennen, wenn man von Illünchen dorthin fahren will.
Der Kutſcher verſteht uns ſchon an einem gewiſſen durſtigen Augenblinzeln, an einem gewiſſen vorſeligen Kopfnicken und ähnlichen Bezeichnungsgrimaſſen. Tauſend Ausdrücke hat der Araber für ein Schwert, der Franzoſe für die Liebe, der Eng⸗ länder für das Hängen, der Deutſche für das Trinken und der neuere Athener ſogar für die Orte, wo er trinkt. Das Bier iſt an beſagtem Orte wirklich ſehr gut, ſelbſt im Protanemm, vulgo Bockkeller, iſt es nicht beſſer; es ſchmeckt ganz vortrefflich,
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beſonders auf jener Treppenterraſſe, wo man die Tiroler Alpen vor Augen hat. Ich ſaß dort oft im vorigen Winter und betrachtete die ſchneebedeckten Berge, die, glänzend in der Sonnenbeleuchtung, aus eitel Silber gegoſſen zu ſein ſchienen.
Es war damals auch Winter in meiner Seele; Gedanken und Gefühle waren wie eingeſchneit; es war mir ſo verdorrt und tot zu Mute, dazu kam die leidige Politik, die Trauer um ein liebes, geſtorbenes Kind und ein alter Nachärger und der Schnupfen. Außerdem trank ich viel Bier, weil man mich verſicherte, das gäbe leichtes Blut. Doch der beſte attiſche Breihahn wollte nicht fruchten bei mir, der ich mich in England ſchon an Porter gewöhnt hatte.
Endlich kam der Tag, wo alles ganz anders wurde. Die Sonne brach hervor aus dem Himmel und tränkte die Erde, das alte Kind, mit ihrer Strahlenmilch; die Berge ſchauerten vor Luſt, und ihre Schneetränen floſſen gewaltig; es krachten und brachen die Eisdecken der Seen; die Erde ſchlug die blauen Augen auf, aus ihrem Buſen quollen hervor die liebenden Blumen und die klingenden Wälder, die grünen Paläſte der Nachtigallen; die ganze Natur lächelte, und dieſes Lächeln hieß Frühling. Da begann auch in mir ein neuer Frühling, neue Blumen ſproßten aus dem Herzen, Freiheitsgefühle, wie Roſen, ſchoſſen hervor, auch heimliches Sehnen, wie junge Veilchen, dazwiſchen freilich manch unnütze Neſſel. Über die Gräber meiner Wünſche zog die Hoffnung wieder ihr heiteres Grün, auch die Melodien der Poeſie kamen wieder, wie Zugvögel, die den Winter im warmen Süden verbracht und das berlaſſene Neſt im Norden wieder aufſuchen, und das verlaſſene nordiſche Herz klang und blühte wieder wie vormals — nur weiß ich nicht, wie das alles kam. Iſt es eine braune oder blonde Sonne geweſen, die den Frühling in meinem Herzen aufs neue geweckt und all die ſchlafenden Blumen in dieſem Herzen wieder aufge küßt und die Nachtigallen wieder hineingelächelt? War es die wahloerwandte Natur ſelbſt, die in meiner Bruſt ihr Echo ſuchte und ſich gern darin befpiegelte mit ihrem neuen Frühlingsglanz? Ich weiß nicht, aber ich glaube, auf der Terraſſe zu Bogen- hauſen, im Angeſicht der Tiroler Alpen, geſchah meinem Herzen ſolch neue Be— zauberung. Wenn ich dort in Gedanken ſaß, war mirs oft, als ſäh ich ein wunder⸗ ſchönes Jünglingsantlitz über jene Berge hervorlauſchen, und ich wünſchte mir Flügel, um hinzueilen nach feinem Reſidenzland Italien. Ich fühlte mich auch oft angeweht von Zitronen⸗ und Orangedüften, die von den Bergen herüberwogten, ſchmeichelnd und verheißend, um mich hinzulocken nach Italien. Einſt ſogar, in der
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goldenen Abenddämmerung, ſah ich auf der Spitze einer Alpe ihn ganz und gar, lebensgroß, den jungen Frühlingsgott; Blumen und Lorbeeren mumkränzten das freudige Haupt, und mit lachendem Auge und blühenden Munde rief er: Ich liebe dich, komm zu mir nach Italien!
Das „Prytaneum vulgo Bockkeller“: Der alte, 1831 zerſtörte Bockkeller befand ſich im öſtlichen Flüge!
des alten Hofes, dort wo ſich heute die Stadtrentämter befinden. Man betrat ihn vom Platzl her über eine Brücke, die über einen Arm des Stadtbachs führte.
Bei Harlaching an der Iſar
Ein luftiger Hügel gewährt hier die Anſicht der ſteinernen Hauptſtadt, Wie ſie in des Himmels Blau ſchneidet der Häuſer Kontur,
Und weithin die Ebene decket mit ragenden Türmen und Giebeln, Durch Pappelalleengebüſch ſüdlich und weſtlich begrenzt.
Es dränget ſich zu dem Rieſengebäude des herrlichen Domes
Der Hänfer ſteinerne Laſt, tauſendmal wechſelnd die Form. —
Es hat die neueſte Zeit viel Großes und Schönes geleiſtet,
Doch nur das Theater allein hat ſie zur Höhe gebracht.
Auf dieſer freundlichen Höhe huldigte Lorrain der Muſe,
Er baute ein niedliches Schloß, weihte dasſelbe der Kunſt
Und ſannnelte Bilder im Tale an dem chaotiſchen Flußbett,
Das launig feine Geſtalt ändert, wie Nebel die Luft.
Auch Balde, der zarte Sänger, deß Ruhm das Ausland verewigt,
Erhob hier dankbar zu Gott ſeiner Begeiſterung Lied. J. Suttner in feinen „Vermiſchten Schriften“ (1828).
„Das Theater hat fie zur Höhe gebracht“ — das iſt ganz natürlich aufzufaſſen; das 1811 1818 von Karl von Fiſcher erbaute, am 14. Januar 1823 niedergebrannte und von Leo von Klenze wieder aufge⸗ baute Hoftheater iſt einer der wenigen neuen Bauten, die damals für die Silhouette des Stadtbildes be⸗ ſtimmende Geltung gewannen.
Claude Gellee, genannt Lorrain (1600 1682), ſoll einmal in dem Harlachinger Schlößchen gewohnt haben; indeſſen iſt das Schlößchen erſt nach 1700 erbaut, und die Geſchichte weiſt den Aufenthalt des be⸗ rühmten Malers in Harlaching in das Reich der Fabel.
Der Jeſuit Balde (1604 - 1668) war als Dichter frommer neulateiniſcher Geſänge von gediegenem Inhalt und erſtaunlicher Formgewandtheit nicht ohne Bedeutung.
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München im Jahre 1829
Friedrich Wasmann, der Hamburger Maler, hat eine Selbſtbiographie hinter⸗ laſſen, die von Bernt Grönvold unter dem Titel „Ein deutſches Künſtlerleben“ ver⸗ öffentlicht wurde. Seine Münchner Erlebniſſe und Eindrücke ſchildert er darin fo:
In den letzten Tagen des Oktoberfeſtes traf ich in München ein. Das Wetter war ſchön und alles voll Leben und Bewegung. In der Michaeliskirche wurde zum Jahresgedächtnis eine Totenfeier für den letztverſtorbenen König gehalten. Die Tiroler Berge lagen glänzend in der Ferne, als ich mich ins Krankenhaus begab, um von meinem Unwohlſein wieder zu geneſen. Freunde und Landsleute aus Hamburg be⸗ ſuchten mich fleißig, während ich krank lag, und ich fühlte mich nicht ſo verlaſſen, wie einſt unter ähnlichen Umſtänden in Dresden. Als ich, wieder hergeſtellt, zum erſten Male wieder in die Stadt kam, war ich wie berauſcht vom Gefühl der Ge⸗ neſung und Freiheit, und alles, was ich ſah, gefiel mir.
Ich fand ein paſſendes Quartier im Mariengäßchen am Iſartor, wo damals noch der alte Turm, der ſogenannte „Lueg ins Land“, ſtand, anſtatt der neuen Trüunph⸗ pforte mit dem von dem Maler Neher in Fresko gemalten Einzug Ludwig des Bayern. Die Kunſt hatte erſt angefangen, ihre verſchönernde Hand an die Haupt⸗ ſtadt zu legen. Die meiſten Straßen trugen noch das ſchlichte Äußere des alten Bürgertums, und über den Türen der Handwerkshäuſer las man auf den Schildern das unvermeidliche „bürgerlich“ dem Lebzelter, Salzſtößler uſw. vorangeſetzt. Sprache und Sitten waren damit im Einklang, auch die Einfachheit und Wohlfeilheit der Lebensmittel. Treffliches Bier verlangte der Tagelöhner ebenfo unverfälſcht zu trinken als der Bankier, da es mit einem Stück guten Brotes oft die einzige Nahrung der ärmeren, ſchwer arbeitenden Volksklaſſe ausmachte; und dieſe Gleichheit der not⸗ wendigſten Bedürfniſſe gab der ganzen Maſſe der Bevölkerung einen Anſchein von Behäbigkeit und ließ den Unterſchied der Stände nicht ſo grell hervortreten.
Man ſah in den Bräuhäuſern Studenten, Soldaten, reiche Bürger, Hand⸗ werksburſchen und elegante Herren gemütlich nebeneinander ſitzen. Gutes Bier war
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die Loſung, und München war damals auch wegen feiner Maturwüchſigkeit und Wohlfeilheit ganz beſonders das Eldorado für die Künſtlerwelt.
Auf dieſem katholiſchen Boden wuchs, von der Sonne der Fürſtengunſt befchie- nen, die junge Kunſtpflanzung unter Cornelius empor. Die Großmut des Königs Ludwigs I. ermöglichte es dieſem Meiſter, den alten Sauerteig auszufegen, mit gleichgeſinnten Männern eine neue, auf Wahrheit und Geſchichte gegründete Rich⸗ tung anzubahnen und die Adlerſchwingen des Genius zu entfalten. Es war dies kein leichtes Unternehmen, nachdem die Tradition aus den Herzen der Völker entrückt, die Kunſt ein Monopol der gebildeten Welt in Geſtalt der Akademie mit Eonventio- nellen Formen geworden war und es in Frage ſteht, ob ſie je wieder Sache des chriſtlichen Volkes und wie in alten Zeiten demſelben verſtändlich werden kann. Dieſe Männer arbeiteten und kämpften wie Rieſen, Erſtaunliches leiſtend. Selbſt als die neu auftauchende Mode des Tages, „unbeſtändig wie der wechſelnde Mond“, wiederum eine ihnen feindliche Richtung begünſtigte, wußten ſie ihre Stellung zu be⸗ haupten und, ohne vom Platze zu weichen, in ihrem Sinne fortzuwirken.
Aber nicht für Künſtler allein, auch für andre, nach gleichem Ziele ſtrebende Geiſter war die Regierung des großen Königs ein irdiſches Paradies und die Blüte⸗ zeit der chriſtlichen Romantik. Es war eine Vereinigung von Männern, die, in gemeinſamem Ringen für Wahrheit und Religion begeiſtert, in einem angemeſſenen, großen Wirkungskreis, verbunden mit einer behaglichen Exiſtenz lebten.
Nach dem Vorgange vieler andrer Künftler ging ich nicht auf die Akademie, ſondern ſuchte nach einer Skizze, die ich auf der Reife entworfen, etwas im Genre⸗ fach zu leiſten. Ich hatte mir Hebbels Alemanniſche Gedichte gekauft und dieſe, nebſt Goethes Fauſt, bildeten faſt meine einzige Lektüre, während ich einen Karton zeich- nete, den ich noch in diefem Jahre fertig machte, ſodaß ich im neuen Jahre zu malen beginnen konnte. Fortwährende Kränklichkeit ließ mich aber nie recht zum Ge⸗ nuß des Schaffens und zu tüchtiger Durchführung einer größeren Arbeit Formen; doch war es die ſchönſte Zeit meines Lebens, und ich fühlte mich von dem Strom der Ideen gleichſam gehoben und getragen. Selbſt diejenigen, welche ſich nur mit Darſtellung von Naturgegenſtänden beſchäftigen, wußten einen gewiſſen Adel und Würde in ihre Arbeiten zu legen, wie die kleinen anſpruchsloſen, aber exakt durch⸗ geführten Bilder von Peter Heß und Heidegger noch jetzt wie Edelſteine unter den Genrebildern glänzen. Der Troß der kraſſen Naturaliſten, welche die Natur ſozu⸗
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fagen auf die Leimwand kleben, hielt ſich in beſcheidener Entfernung. Mittelmäßige und techniſche Bravour gehörten noch nicht zur Tagesordnung, ſolange noch Cor⸗ nelius und ſeine Schüler als Autorität galten; erſt ſpäter wurden ſie Herren des Terrains und wußten ſich für den ihnen auferlegten Zwang reichlich zu entſchädigen. Es war neben der Akademie, außer der Schule des Cornelius und der der Pro⸗ feſſoren Schlotthauer und Schnorr beſonders Heinrich Heß, welcher mit Takt und Sachkemmnis auf einfache Weiſe junge Leute zu Künſtlern bildete, indem er ſie ohne das Mittel der Akademie und lange Übergänge raſch in die praktiſche Ubung der kirchlichen Kunſt mitten hineinſetzte, ſie von Lehrbuben zu beſſeren Arbeitern aufſteigen ließ und endlich zu großen, monumentalen Werken in der Kirche verwendete. Seine bedeutendſten Schüler waren einſt aus dem ſchwäbiſchen Allgäu; jener leider zu früh verſtorbene Fiſcher, welcher die Kartons zu den Glasfenſtern der Auer Kirche zeichnete, und die drei Gebrüder Schraudolph, von denen der erſte in der Folge eine eigene Schule gründete. Ich ſah in ſpäterer Zeit den jüngſten, Lukas mit Namen, wie er von feinem Dorfe gekommen, kindlich frommen Ernſt in den Zügen, faſt einem jungen Nooizen glich. Als er angewieſen wurde, im Gipsſaal nach den Antiken zu zeichnen, erklärte er, fo ſchüchtern er ſonſt war, ganz entſchieden, die „loamenen“ (lehmenen, tönernen) Götzenbilder nicht zeichnen zu wollen. Man lachte und ließ ihn gewähren. Er wurde ſpäter, nachdem er viele andächtige Bilder gemalt, ein geſchickter Arbeiter und Elfenbeinſchnitzer und ſtarb als Laienbruder in einem Benediktinerkloſter.
Der ideale Aufſchwung des Kunſtlebens übte auf die Maſſe der Studierenden einen wohltätigen Einfluß und ließ ſie nicht in Pedanterie oder zuchtloſe Wildheit ausarten. |
Wir Hamburger, vierzehn an der Zahl, hielten in einer Art Landsmannſchaft zuſanunen, halfen einander als gute Kameraden, und wenn einer von uns krank war, wachten die andern abwechſelnd die Nächte bei ihm. Wie heimifch dünkte mir dies gemütliche Leben nach dem wüſten Treiben, in das ich auf der Dresdner Aka⸗ demie geſtürzt war. Auch fehlte es unſrer Geſellſchaft nicht an irgend einem Indivi⸗ duum, das durch lächerlichen, mit Kunſtphraſen aufgeputzten Blodfinn den „Clown“ abgab, an dem ſich der Witz der andern übte, aber im ganzen herrſchte ein anſtän⸗ diger, gemütlicher Ton. Unſere Sprache war das heimatliche Plattdeutſch, das wir ſelbſt in den Kneipen gar zu gerne hören ließen, um uns von den Süddeutſchen zu unterſcheiden, die es nicht verſtanden. Unſer Senior war ein wohlbeleibter Kupfer⸗
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ftecher, Vater Borum genannt, der bei Gelagen und Feſtlichkeiten präſidierte. Unter |
feiner Leitung feierten wir den Weihnachtsabend mit Tannenbaum und kleinen Ge⸗ ſchenken, und ein kleiner, häßlicher, koboldähnlicher, hinkender Junge, der Sohn der Hausfrau, als Amor mit Flügeln ausſtaffiert, mußte die Loſe ziehen. Dann wurden Karpfen geſchmauſt, gepunſcht und darauf die Runde durch die katholiſchen Kirchen gemacht, um die Chriſtmette anzuhören, wobei ich vergeblich mich anſtrengte, in eine andächtige Stimmung zu kommen.
Am Siloeſterabend zogen wir ſpät nachts in ein Weinhaus, wo mehrere Maler verfammelt waren, uns mit Jubel empfingen und Getränk von den ſchönſten Na⸗ men des Rheines in Strötnen floß. Geſundheiten wurden getrunken, des Königs, der Profeſſoren, auf Vergeſſen alles Zwiſtes und Haders, wie ſie unter Künſtlern ſtattfinden. Man herzte, umarmte ſich, bat um Verzeihung, brach in den lauteſten Jubel oder in Tränen aus, je nachdem ſich nach der Verſchiedenheit des Landes und der Temperamente die Wirkung des Weines kundgab. Wir Hamburger fingen an, wie Matroſen uns einander auf der Bank zu ſchieben und zu ſtoßen. Etliche Olden⸗ burger mit diekerern Geblüt blieben apathiſch figen; die Rheinländer und Düſſeldorfer machten Geſichter wie die Recken der Nibelungen und übten ſich in kühnen, ritter⸗ lichen Stellungen. In einem Winkel der Stube ſaß eine trauernde Gruppe gleich den Juden auf den Trümmern des Tempels. Als ich näher trat, erkannte ich lauter Sachſen, deren einer, um die Urſache des Leides befragt, untröſtlich und laut ſchluch⸗ zend ſagte, der beſte Schüler des Cornelius, ihr Landsmann der Maler Hermann, ſei bis dahin immer verkannt und zurückgeſetzt worden. Man hatte nämlich an dieſem Abend ſeine Geſundheit ausgebracht, worauf er ſich befchämt in eine Ecke ſetzte und zu weinen anfing. Auf dieſes hinauf ſetzten ſich ſeine Landsleute um ihn herum und weinten ebenfalls. Er war ein frommer, ſtiller Menſch, als Künſtler hochgeachtet; die Schlacht von Ampfing unter den Arkaden wurde von ihm gemalt, ebenſo das etwas rätſelhafte Deckengemälde in der neuerbauten proteſtantiſchen Kirche, deſſen Erklärung wieder einer Erklärung bedarf. Auf pofitiv geſchichtlichem Grunde leiſtete er Vortreffliches. Ich ſah dort auch Volz, Heinlein und den damals ſchon berühm⸗ ten Schüler des Cornelius, Kaulbach, einen ſchönen Jüngling von ſchlanker, zart gebauter Figur, in knappem Leibrock und breitkrempigem Hut, der ſich ſcheu und vornehm von dem größeren Haufen entfernt hielt, welcher, ſeinem Talent huldigend, ſich an ihn drängte. Dieſe ariſtokratiſche Haltung behielt er auch ſpäter ſeinen Ver⸗
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ehrerr gegenüber bei, die, als fie ihm einſt eine Ovation bereiten wollten und an- fragten, wie er es aufnehmen würde, eine derartige Abfertigung erhielten, daß ſie nicht zum zweiten Male kamen.
. Es war damals ein freudiges Wirken und Zuſammenleben in München, wie noch keine Zeit es geſehen, der fröhliche Jugendrauſch eines jungen Deutſchland, das, von den Banden fremder Zwingherrſchaft befreit, Brotneid, Eitelkeit und Vornehm⸗ tuerei ausſchloß. Wenn die ganze große Künſtlermaſſe, jenſeits des Engliſchen Gartens in Bogenhauſen bei gutem Bier verſammmelt, fröhlich durch- und nebeneinander finmemte und brauſte, wenn dann Stille geboten wurde und einer der verehrten Meiſter eine kurze Anſprache hielt oder der alte Eberhard einen felbftverfaßten, altdeutſchen Reim⸗ ſpruch vortrug, während aller Blicke ehrfurchtsvoll auf den Redner gerichtet waren; wenn es dann hieß: „Cornelius kommt!“ und man den Altmneiſter in feiner gedrunge⸗ nen Geſtalt, mit ſeinen majeſtätiſchen, ſcharf ausgeprägten Geſichtszügen in das Tor des Gartens hereinreiten ſah, dann erhob ſich ein Jubel und Hurrarufen, das kein Ende nahm. Es herrſchte eine freiwillige Unterordnung und Vereinigung unter einer künſtleriſchen Autorität.
Etliche dreißig Jahre ſpäter kam ich wieder nach München. Da hatte es ein anderes Ausſehen bekommen. Der fröhliche Lärm der Künſtler war verklungen; man ſtand ſich mißtrauiſch gegenüber, ſprach von dem Preiskurant der Bilder. Große Preiſe und das Geſchick, ſich der Mode anzuſchmiegen, beſtinunten den Wert des Werkes. Die alte Zeit war nicht mehr, welche Cornelius in der Rede 1838 zu Rom ſchildert, wo er ſagt: „Als aber König Ludwig den Thron ſeiner Väter beſtieg, da ging's erſt los, hei! Wie wurde da gemeißelt, gebaut, gezeichnet und gemalt! Mit welcher Luſt, mit welcher Heiterkeit ging da jeder ans Werk! Aber es war eine ernfte Heiterkeit. Auch war München damals kein Treibhaus der Kunſt.“
Der „Lueg ins Land“ ſtand wo anders als das Iſartor, das von Gärtner 1832— 1833 reftauriert und mit dem Fresko B. von Nehers „Der Einzug Kaiſer Ludwigs des Bayern nach der Schlacht bei Ampfing“ geſchmückt wurde. — Peter Heß (1792 — 1871), Schlachten: und Pferdemaler. zugleich Meiſter des Genrebilds. — Karl Wilhelm Freiherr von Heideck, genannt Heidegger (17881861), Maler und Radierer, zugleich Generalleutnant. — Heinrich Heß (1798— 1863) ſeit 1816 in München zuletzt Direktor der „Vereinigten Sammlungen“. — Joſeph Anton Fiſcher (18141839) ſtammte aus Oberſtdorf im Allgäu. — Carl Heinrich Hermann, geboren 1801 in Dresden, lebte von 1823 1840 in München und überfiedelte fpäter nach Berlin; er war Maler religiöfer Motive in nazareniſchem Sinne. — Der berühmteſte der Brüder Schraudolph war Johann (1808 1879), der im Jahre 1849 als Nachfolger von Heinrich Heß mit der Profeſſur für religiöſe Malerei an der Akademie betraut wurde. — Der Bildhauer Konrad Eberhard (1768— 1859) aus Hindelang war von 1817 bis zu feiner Penſionierung im Jahre 1835 Profeſſor für Plaſtik an der Akademie.
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Wie es in München im Jahre 1833 ausſah
Im Oktober 1833 kam der damals neunzehnjährige Kunſtſtudent Friedrich Pecht, ſpäter als Kunſtſchriftſteller ein einflußreicher Mann, aus Konſtanz nach München. Er gewann einen ziemlich triſten Eindruck, den er in ſeinen Erinnerungen „Aus meinem Leben“, die er faſt ſechzig Jahre ſpäter niederſchrieb, feſtgehalten hat:
Es war ein nebliger Abend geworden, und ſo ſah ich denn von München nicht mehr viel. Überhaupt hatte die damals kaum ein Viertel ihrer heutigen (1894) Einwohnerzahl befigende, ziemlich ärmlich ausſehende Stadt, ſelbſt für ſolchen Pro⸗ vinzialen wie ich, recht wenig Imponierendes, als das furchtbare Pflaſter und den ungeheuren Kot. Die Straßen ſämtlicher Vorſtädte waren nur erſt projektiert und da und dort ein Haus darin gebaut, das wie ein rieſiger Kaſten ausſehende Hümbſel⸗ haus und der vollkommen öde Dult- oder Maximiliansplatz, der jetzt mit prächtigen Anlagen und palaſtartigen Häuſern geſchmückt iſt, machten wie der Karlsplatz ſelber alle damals den Eindruck der gleichen troſtloſen Ode und Armut, wie ich ihn einige Jahre ſpäter auch von Berlin hatte. Die Glyptothek ſtund weit draußen in einer Art von Wüſtenei, wie die kaum im Bau begonnene Pinakothek hinter ihr. Als Wegzeiger zu beiden wurde am Tage nach meiner Ankunft der Obelisk enthüllt als Denkmal für die dreißigtauſend Bayern, die „auch für Deutſchlands Befreiung
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geſtorben“ fein ſollten. Von diefer Befreiung war nun freilich recht wenig wahrzu— nehmen, denn der unleidlichſte Polizeidruck laſtete auf der Stadt, in der auf den Straßen nicht einmal geraucht werden durfte, und wo der Fremdling gleich nach 5 feiner Ankunft fich perfönlich auf der Polizei zu melden und um Aufenthaltsbewilli⸗ gung zu flehen hatte. Die Grobheit, mit der man da angeſchnauzt wurde, war jeden- falls noch viel klaſſiſcher als die Architektur Klenzes; überall hatte man die Empfindung, daß man nur eben geduldet ſei, aber nicht muckſen dürfe, wenn man nicht fortgeſchubt werden wolle
Von dem ſtolzen Selbſtgefühl, mit dem der Brite oder Franzoſe ihren Staat als ihr Eigentum betrachten, iſt noch viel zu wenig unter uns zu treffen. Um mich dergleichen recht lebhaft empfinden zu laſſen, dazu war meine Erziehung durch den Liberalismus der Rotteck und Welcker bei der Einbürgerung in München, die ich jetzt durchzumachen hatte, recht geſchickt. Denn überall, in der Akademie, in den Muſeen, wie auf der Straße bekam man da die Empfindung, daß dieſe Anſtalten ganz und gar nicht für den Bürger da ſeien, der ſie bezahlte, ſondern daß ihm bloß geſtattet werde, ſie ſo weit zu benützen, als es die Gnade des Herrſchers, beſonders aber die Bequemlichkeit der Herren Angeſtellten etwa zuließ. Das München aber, welches König Ludwig erſt zu ſchaffen im Begriff war, ſtand genau fo arm⸗ ſelig und willkürlich dem ſchon vorhandenen gegenüber, welches die früheren Jahr⸗ hunderte hinterlaſſen, wie Karlsruhe oder Mannheim ſich gegen Nürnberg oder Augsburg ausnahmen.
Die Eiſenbahn von München nahLocdhhaufen 1630 Telegraphiſche Depeſche:
München, Sonntag, 25. Auguſt 8% Uhr morgens. Die Lokomotide „Veſta“ hat heute Morgen 7 Uhr mit einem Perſonenwagen Lochhauſen begrüßt und ju⸗ belnden Empfang bei Abfahrt und Ankunft gefunden.
Ganz in der Stille wurde das hehre Königsfeſt von den Direktoren der München⸗ Augsburger Eiſenbahn dazu benützt, daß die fertige Strecke der Eiſenbahn bis Loch⸗ hauſen, 4 Stunden von hier, zum erſten Mal mit Dampf befahren wurde, welches erhabene Schauſpiel für diesmal nur dem techniſchen Perſonal und wenigen Andern zuteil ward. Außer den Münchener und Augsburger Direktorialmitgliedern wohn⸗ ten der Fahrt auch der königliche Baurat Panzer und Baudirektor Hümbſel bei. Es war gegen 7 Uhr morgens, als die Lokomotive „Veſta“ mit einem Perſonen⸗ wagen majeſtätiſch dahinrollte und die Strecke, obwohl wegen verſchiedener Verſuche viermal innegehalten wurde, in 28 Minuten zurücklegte. Nach kurzem Aufenthalt begann die Rückfahrt, und die Strecke wurde dabei, nach zweimaligem Aufenthalt in 18 Minuten zurückgelegt. Geſtern wurden wieder Proben gemacht, welche eben⸗ ſo günſtig wie die erſte ausfielen; die Heizung geſchah dabei mit Buchenholz und entſprach aller Erwartung. In kurzem wird die Bahnſtrecke nicht nur bis Loch⸗ hauſen, ſondern bis Maiſach, welches gegen 7 Stunden entfernt iſt, dem Publikum eröffnet werden. Man hegt neuerdings die Hoffnung, daß die ganze Bahnſtrecke nach Augsburg bis im Herbſt 1840 werde befahren werden können.
(Aus der „Augsburger Abendzeitung“ vom 26. Auguſt 1839.)
Das Dorf Lochhauſen iſt von München nicht vier, ſondern nur etwa zwei Gehſtunden entfernt.
Die offizielle Eröffnung der München⸗Augsburger Eiſenbahn fand am r. September 183g ſtatt. Die ganze Strecke wurde jedoch erft 1844 nach Übernahme durch den Staat, aus gebaut. Man fuhr damals etwas über drei Stunden von München nach Augsburg. Der urfprünglihe Bahnhof befand ſich dort, wo
heute die ſogenannte Hackerbrücke über die Bahngeleiſe führt. Die Schießſtätte ſtand auf dem Areal des öſtlichen (alten) Teils des heutigen Hauptbahnhofs.
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Auf der Eiſenbahn nach Nannhofen
Ludwig Steub (1812 1888) veröffentlichte 1840 in der „Allgemeinen Zeitung“ folgende Plauderei, die fpäter in feine „Kleineren Schriften!“ Aufnahme fand:
Wir dürfen jetzt auch von Eiſenbahnen mitſprechen, wir Münchner⸗Augsburger. Wir beſitzen nicht bloß das Komitee, lange genug unſer einziges Unterpfand, ſondern auch wirklich die eiſernen Spuren ſeiner Tätigkeit auf viele Stunden weit, wenn auch noch nicht auf der ganzen Strecke, die erſt im Oktober fertig werden ſoll. Wir freuen uns herzlich darüber; zunächſt nicht wegen der kommerziellen Folgen, die ſich aller- dings unter Hinzudenken eines Schienempeges von München nach Salzburg und Trieſt, von Augsburg nach Nürnberg und Norddeutſchland ins Unermeßliche fpinnen laſſen, ſondern weil wir den Weg zwiſchen beiden Städten für langweilig halten und alſo froh find, ſchnell darüber wegzukommen. Dies iſt wenigſtens die Stimmung der Menge, welche der Heerſtraße über Dachau oder Fürſtenfeldbruck, die ſich zwiſchen ſtillen Weiden über kornbewachſene Hügel, durch fruchtbare Täler, durch Waldesgrim und freundliche Dörfer dahinſchlängelt, herzlich gram iſt. So ver⸗ wöhnt find wir durch unſere Nachbarſchaft! Wir wollen nur Seegelände, Hoch- gebirge, Alpentriften, Felſenhäupter. Wie viel glücklicher iſt der knapper gehaltene Landsmam aus dem Norden, vom Strande der Oſtſee oder der Nordſee, aus der ſandigen Mark, aus der Limeburger Heide, der hier herum ſchon zu ſchwelgen an⸗ fängt! In unſeren Hügeln achtet er die jungen Söhne der alten Berge, die am Horizonte ſtehen; in unſeren Tälern erblickt er dichteriſch nur Idyllenſzenerien; aus der raſchen, grünen Iſar weht ihn der kühle Duft der Gletſcher an, in denen er ſie entſpringen läßt, und über alles legt ſich ihm verherrlichend der zaubervolle Nimbus des goldenen Südens, von dem er daheim fo viel geleſen und den er gutmütig bei ums ſchon beginnen ſieht.
Der Bahnhof zu München liegt eine kleine halbe Stunde vor dem Tore, ein Mißſtand, der dadurch an Gewicht verliert, daß die Gäſte durch eigene, von der Anſtalt beſtellte Fiaker aus den Ringmauern herausgeholt werden, bis es eimnal
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zur Erwerbung eines näher gelegenen Grundes kommt, wozu die alte Schießſtätte auserſehen iſt. Wer den Pſchorrbräukeller kennt, den ungeheuren, der von feiner künſtlichen Eſplanade herab freundlich über die Stadt hinblickt, der weiß auch den Bahnhof, denn er liegt zu deſſen Füßen, in einer Ecke des Marsfeldes, ganz nahe an der Landsbergerſtraße, gegenüber von Nymphenburg. Es iſt ein hohes, hölzernes Gehäuſe, von deſſen Firſt herunter die Landesflagge weht, an deſſen Vorderſeite auf großer ſchwarzer Tafel Bedeutung und Zweck des Gebäudes ausgeſprochen ſind. Von ſeinen Seiten löſen ſich hohe Planken ab, die einen beträchtlichen Hofraum einfangen, das Arſenal der Bahn. Vor den Eingängen ſtehen zwei hölzerne Tem⸗ pelchen, unbeſtimunbarer Ordmmg, in denen der Reiſende fein Opfer darbringt, welches er im Vergleich zu anderen Bahnen immer noch etwas hoch zu finden geneigt iſt. Die Glocke, die über dem Giebel des Bahnhauſes hängt, läßt ſich vor der Abfahrt dreimal hören. Beim zweiten Male öffnen ſich die Tore des Hauſes, um ſich beim dritten Male wieder hinter der Menge zu ſchließen. Zwei große Empfangszimmer beherbergen die Reiſenden die wenigen Minnten bis zur Abfahrt. — Endlich iſt's an der Zeit, und das fahrluſtige Volk ſtrömt hinaus in die weite Halle, welche die Anfänge der Bahn überwölbt. Dort ſtehen in langer Reihe die Wagen bereit, die rauchende Maſchine an der Spitze. Die beiden engliſchen Wagenlenker hantieren auf dieſer und ſchüren den Brand, der glühend herausglotzt, vom Kopf bis zur Zehe zwei Dämonen gleich, die an den Pforten der Hölle ſtehen. Der Wagen ſind viererlei. Die letzte Klaffe iſt ein viereckiger Kaſten ohne Deckel, mit hölzernen Bänken, ohne Schutz gegen Sonne und Regen — der Lieblingsplatz der Landleute. Die nächſte Klaſſe erfreut ſich ſchon gepolſterter Sitze; vor der Sonne ſchützt die Bedachung und gegen den einſchlagen⸗ den Regen die ledernen Vorhänge zu beiden Seiten. Wer's noch beſſer haben will, dem gewährt die zweite Klaſſe nicht allein gepolſterte Sitze, ſondern auch gepolſterte Rücklehnen, und die beſten und vornehmſten Wagen, die der erſten Klaſſe, führen ſogar Glasfenſter. In ihr Inneres aber guckte ich nicht hinein, gerade um mirs deſto ſchöner ausmalen zu können. Da denke ich mir ſanumtene, ſchwellende Kiffen, mit gol⸗ denen Stäben eingefaßt, weiche Eiderdaunenpolſter an den Seiten zur Ruhe für das müde Haupt, und den Plafond ſchmücken vielleicht geſchichtliche Fresken von Wilhelm Kaulbach oder Julius Schnorr von Carolsfeld. Eine Menge Diener laufen unterdeſſen hin und her, ermahnend, helfend und ratend, die meiſten in der Bahnlioree, einem krapproten Frack mit ſchwarzen Aufſchlägen; das Haupt bedeckt
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eine Jockeymütze, deren Vorderſeite die Inſignien der Anſtalt zeigt, ein geflügeltes Rad, das auf einer Schiene ruht.
Wir ſttzen; die Maſchine gibt ſich mit einem durchdringenden Pfiff felbft das Zeichen und rollt davon. Das Ungetüm jagt raſſelnd, dampfend, ſchnaubend dahin, a und darüber komumt die ganze Gegend in Unordnung und fährt wie beſeſſen durch— einander. Die fernen Höhen rücken eiligſt näher; einzelne Häuſer ſchießen pfeilſchnell 1 daher und fahren pfeilſchnell wieder davon. Wenm man durch die Alleebäume auf das Gebirge ſieht, fo iſt's gerade, als ob die ungeheure Zugſpitze den anderen Bergen nachjagte, die luſtig vor ihr davon rennen. Fährt man durch einen Hain, ſo laſſen ſich zwar die vorderen Bäume an der Straße ganz vernünftig an, aber hinten im Walde ſieht es aus, als ob die Fichten ſcherzend durcheinander liefen. Die Men— ſchen, die an der Bahn ſtehen, erſcheinen von ferne recht menſchlich, aber im Vor⸗ beifahren verfließen ſie ins Formloſe und werden erſt hinter uns wieder konſiſtent. And all dieſe Wunder ſieht man auf den guten Polſtern recht ruhig an und raucht eine Zigarre dazu.
Wir fahren am Hirſchpark vorüber und ſehen alsbald die Mauern und die Bäume des Nymphenburger Gartens und darüber die Zinnen des hohen Schloſſes. Die Anlage iſt aus jener Zeit, wo die deutſchen Verſailles geſtiftet wurden, mit den endloſen, geraden Avenuen, in denen die noblen Ahnen auf und ab promenierten, mit den Fontänen, die dem Himmel drohen, mit den Göttern und Göttinnen, deren Nacktheit jetzt die Flechte deckt, und mit den wundervollen Coups d' oeuil durch ausgehauene Waldungen und andere beſiegte Maturhinderniſſe hindurch, auf halbe Tagereiſen weit entfernte Kirchtürme, deren Uhrblatt man in kindlicher Freude mit dem Teleſkop heranzog. Die Luſtſchlöſſer haben auch ihre Fata; jetzt ſpiegeln ſich dieſe weißen Gemäuer öde und verlaſſen in den Baſſins ihrer Springbrunnen. Berg am Würmſee, Tegernſee und Hohenſchwangau in ihrer herrlichen Natur find für die Fürſten an ihre Stelle getreten, und was das Volk betrifft, fo zählt das länd- liche Ebenhauſen, vier Stunden ober der Stadt am Iſarraine gelegen, wo der ganze Zug der blauen Rieſen, die das bayeriſche Flachland gegen Süden umgürten, über⸗ ſehen werden kann, an einem Tage oft mehr Beſucher als das ſtolze Nymphenburg in einem halben Jahre.
Außer dem nahen Nymphenburg erſchauen wir aber auch noch in weiter Ferne das ragende Hochgebirge in ſeiner Alpenmajeſtät und gegen Norden, jedoch um
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vieles näher, den Höhenzug, auf dem der Markt und das weitgeſehene Schloß von Dachau liegen, und von da herauf nacheinander die uralten, agilolfingiſchen Dörfer Allach, Menzing, Pipping, Paſing, Aubing, die ſchon lange ſtanden, ehe die jetzige Hauptſtadt erwähnt wird.
Die Maſchine hält: wir find in Lochhauſen, einem ſtillen, verlegenen Dörfchen, zwei Stunden von München, von welchem ehedem nur die nächſten Nachbarn etwas wußten, und das nun den Münchnern fo bekannt geworden iſt, wie Neuberg⸗ hauſen oder Heſſelohe. Dieſe Ortſchaft war nämlich viele Monden lang der Port, in dem der Dampfwagen ſeine Fahrt beſchloß, zu einer Zeit, da er noch in Win⸗ deln lag und ſich nicht weiter getraute, weil die Schienen nicht gelegt waren. Da⸗ mit ging ein glücklicher Stern auf für Lochhauſen, das überraſcht und freudetrunken täglich Hunderte von Hauptſtädtern ankommen ſah, die die Eiſenbahn hatten pro⸗ bieren wollen. Dieſe Frequenz hat allerlei abgeſetzt; ein ſolcher Niederſchlag iſt zum Beiſpiel der ſchmucke Wirtshauspavillon von Holz rechts der Bahn und das mäch⸗ tige Belvedere gleichen Stoffes zu ſeiner Seite, eigens erbaut, damit die früher an⸗ gekommenen Münchner den ſpäter daherrollenden entgegenſehen können. Linker Hand hat die Bahnverwaltung Eoloniftert und verſchiedene hölzerne Gebände errichtet, mit zierlichen Geländern und anderem Schmuck, was alles die Bedeutſamkeit der Station recht ſchön zu erkennen gibt. Auch iſt hier eine Anhöhe durchgegraben, deren Ränder ein gemauerter Bogen verbindet, welcher geſchmackvoll entworfen und nagelnen, wie er iſt, die Umgebung nicht wenig heraushebt.
Nach ein paar Minuten, während deren manche Paſſagiere ausgeſchifft und andere an Bord geladen worden ſind, macht ſich der Zug wieder auf und eilt wieder tobend davon. Doch wird noch an verſchiedenen Dörfern gehalten, ehe wir nach Nannhofen kommen, das acht Stunden von München liegt und gegenwärtig der äußerſte Punkt iſt, bis zu dem die Lokomotive geht.
Hier ſteigen wir immerhin zufrieden aus, wenn auch anderthalb Stunden darauf gegangen ſind, um eine Strecke von acht Stunden zurückzulegen. Dieſe lange Dauer der Fahrt iſt zunächſt dem oftmaligen Anhalten zuzuſchreiben; denn außer der Zeit⸗ verſäumnis in den verſchiedenen Dörfern geht aus der Kürze der Stationen auch noch der Übelftand hervor, daß der Drache an der Spitze nie dazukonumt, feine Flügel ſo recht kräftig zu ſchlagen, weil er immer ſchon wieder am Ziele iſt, wenn er gerade in den beſten Eifer geraten will.
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Hebbels Abſchied von München
Seinem Tagebuch vertraute Friedrich Hebbel (1813 — 1863), der vom Herbſt 1836 bis 1839 in München ſtudierte und hier die Anregung zu feinem Drama „Maria Magdalene“ erhielt, folgende Sätze an: 6. März 1839. Jetzt geht's ans Abſchiednehmen. Geſtern war ich zum letztemmal in der Pinakothek, heute in der Leuchtenbergſchen Galerie und in der Glyptothek. Es wird mir doch in Hamburg eine große Entbehrung fein, daß ich dort nirgends ſchöne Gemälde und Bildwerke ſehen kann. Welch ein Genuß, in diefen prachtvollen Sälen unherzuwandeln und ſich in den Geiſt der fernen Zeiten und Schulen mit dem vollen Gefühl der friſchen, anders geſtalteten Gegenwart zu verſenken! Gerade die Kunſt iſt es, die das Leben erweitert, die es dem beſchränkten Indioidumm vergönnt, ſich in das Frernde und Unerreichbare zu verlieren; dies iſt ihre herrlichſte Wirkung.. 10. März. Geſtern abend ging ich einmal wieder in das Haberederſche Kaffee— haus am Engliſchen Garten, das ich und Rouſſeau im vorigen Winter jeden Abend zu beſuchen pflegten. Ich ſetzte mich an den Tiſch, wo wir gewöhnlich ſaßen, und ließ mir ein Glas Bier geben, um es auf ſein Andenken zu leeren. „Leben Sie auch noch?“ ſagte der kleine Wirt, den wir immer den Kobold nannten. Das Zimmer war verändert; die Tochter war lang in die Höhe geſchoſſen; die Gäſte waren die- ſelben. Offiziere, die Karten und Billard ſpielten, ein Graf darunter, der ſich dadurch amüſierte, daß er feine Kameraden zuweilen in die Lenden kniff. Bauern im anderen Zimmer, darunter der krausköpfigte Geſchichtsforſcher, der über Karl den Großen ſprach. Eilbote, Landbote, Tageblatt. Gang zu Haufe, Arm in Arm, dem Sturm und Schnee entgegen. Abends Kartoffeleſſen oder Pfannkuchen. DO, wie füß find die Schmerzen des Abſchieds! Wer könnte ſcheiden, wenn fie nicht wären! Das Herzblut ſchießt hervor; wir glauben in Wehmut zu zerfließen; uns iſt, als ſollten wir ſterben, und ſo geht's fort. Fort! Mittags. Als ich ankam in München, hatte ich gleich vorm Tor Gelegenheit, ein Paar Stiefel zu erhandeln, die ich notwendig brauchte. Ich nahm dies für ein
Ein Jahrhundert München 7
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günſtiges Zeichen und habe mich nicht getäuſcht. Freilich habe ich in München viel verloren, aber ich habe darin doch auch viel beſeſſen. Heute morgen dachte ich: die erſte Perſon, die dir, wenn du ausgehſt, begegnet, ſoll dir Glück oder Unglück be⸗ deuten. Ich hatte dies ganz vergeſſen, als ich fortging. Bei der proteſtantiſchen Kirche ſtieg gerade, wie ich vorüber ging, die Königin aus dem Wagen; da fiel es mir wieder ein. Die zweite Perſon, die mir auffiel (und dieſe können doch nur gelten), war der Prinz. Alſo — Glück! Denn dieſe Perſonen, die ſo glücklich ſind, können doch unmöglich Unglück verkündigen. Dazu, um mich ganz ſelig zu machen, ward mir noch einmal die Wonne, zu dichten. Ich machte einen Spaziergang — den letzten — im Engliſchen Garten; da entſtand in Bezug auf das erſte ein zweites Scheidelied:
Das iſt ein eitles Wähnen,
Sei nicht ſo ſelig, mein Herz!
Gib redlich Tränen um Tränen,
Nimm tapfer Schmerz um Schmerz!
Ich will dich weinen ſehen,
Zum erſten und letzten Mal;
Will ſelbſt nicht widerſtehen,
Da löſcht ſich Qual in Qual.
In dieſem bittren Leiden
Hab' ich nur darum Mut,
Nur darum Kraft zum Scheiden,
Weil es ſo weh uns tut!
Dann ſtieg ich den Monopteros hinan und überſah noch einmal den großen Garten und die Stadt. Ich habe dort gebetet um Segen für München, das mich in feinem Schoß jo freundlich aufnahm, und um Segen für mich ſelbſt. „Mach' etwas aus meinem Leben;“ — rief ich aus — „es ſei, was es ſei!““ Auch für meine liebe Beppi habe ich den Segen des Himmels herabgerufen. Und, da dieſes Blatt doch beſchloſſen werden muß: warum ſoll ich es nicht mit ihrem Namen beſchließen ?
*
Am 11. März 1839 verließ Hebbel München. Unterwegs ſchrieb er ſein Reiſe⸗ journal „Von München nach Hamburg“ mit der Bleifeder; vier Jahre ſpäter trug er es in Kopenhagen in ſein Tagebuch ein. Das Journal beginnt mit den Sätzen:
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Bei ſehr ſchönem Froſtwetter, morgens um 6 Uhr ging ich am 11. März aus München. Beppi trug mir mein Ränzchen bis ans Ende der Ludwigſtraße, dort nahm ich es ſelbſt auf den Rücken. Einen Torzettel, den ich mir tags zuvor mit vieler Mühe beſorgt, brauchte ich nicht. Dies erregte mir eigentlich ein unangenehmes Gefühl, man mag nichts umfonft tun. Beppi begleitete mich über zwei Stunden; in einer Bauern⸗ ſchenke, die einſam im Walde ſtand, der fogenannten kalten Herberge, tranken wir das letzte Glas Bier zufſammen. Dann ſchieden wir unter unendlichen Tränen
Beppi Schwarz, das Münchner „Verhältnis“ Hebbels, iſt das Urbild der Klara in „Maria Magda: lene‘ ; ihr Vater, wie Meiſter Anton ein Schreiner, und ihr Bruder Karl, der der Familie viel RR bereitete, dienten als Vorbilder für die entſprechenden Geftalten des Dramas.
Die Herzoglich Leuchtenbergiſche Galerie gründete Eugen Beauharnais, der Schwiegerſohn Max J. Joſeph, und ſtellte ſie in ſeinem Palais am Odeonsplatz in zwei dem allgemeinen Beſuch geöffneten Sälen auf. Er ſammelte u. a. Werke von D. Quaglio, A. Adam, Wagenbauer, Warnberger, Peter Heß, Wihelm Kobell, Dillis, Heideck, Dorner, dann von Italienern des Cinquecento und Seicento. Die Galerie kam, als die Leuchtenbergiſche Familie nach Rußland überſiedelte, dorthin.
Emil Rouffeau, Hebbels Freund in Heidelberg und München, ſtammte aus Ansbach. — Eilbote, Land⸗ bote, Tagblatt: drei der damals geleſenſten Zeitungen. Daneben erſchienen „Die Bayeriſche Landbötin“, „die Bayeriſche Nationalzeitung“, der „Volksfreund“, der „Bazar“, die „Leſefrüchte“ uſw.
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Der grüne Heinrich in München
Gottfried Keller (1819 — 1890) kam im Mai 1840 nach München, um Maler zu werden. Er bezog die Akademie, aber fein Werben um die bildende Kunſt blieb ohne Erfolg. In ſeinemm großen Lebensroman „Der grüne Heinrich“ hat er feine Mimchner Eindrücke und Erlebniffe, u. a. auch das Albrecht Dürer⸗Feſt von 1840, in freier Vermiſchung von Wahrheit und Dichtung verwertet. Dort ſteht auch dieſe Münchner Itmpreſſion:
„Mit dem Sonnenmtergauge des zweiten Tages erreichte ich das Ziel meiner Reife, die große Hauptſtadt, welche mit ihren Steinmaſſen und großen Baumgruppen auf einer weiten Ebene ſich dehnte. Meinen verhüllten Totenkopf in der Hand, ſuchte ich bald das notierte Wirtshaus und durchwanderte ſo einen guten Teil der Stadt. Da glühten im letzten Abendſcheine griechiſche Giebelfelder und gotiſche Türme; Sänlenreihen tauchten ihre geſchrnückten Häupter noch in den Roſenglamz; helle ge⸗ goſſene Erzbilder, funkelneu, ſchinunerten aus dem Helldunkel der Dämmerung, wie wenn ſie noch das warme Tageslicht von ſich gäben, indeſſen bemalte offene Hallen ſchon durch Laternenlicht erleuchtet waren und von geputzten Leuten begangen wurden. Steinbilder ragten in langen Reihen von hohen Zinnen in die dunkelblaue Luft; Paläſte, Theater, Kirchen bildeten große Geſammbilder in allen möglichen Bauarten, neu und glänzend, und wechſelten mit dunklen Maſſen geſchwärzter Kuppeln und Dächer der Rats- und Bürgerhäuſer. Aus Kirchen und mächtigen Schenkhäuſern erſcholl Muſtk, Geläute, Drgel- und Harfenſpiel; aus myſtiſch verzierten Kapellen⸗ türen drangen Weihrauchwolken auf die Gaſſe; ſchöne und fratzenhafte Künſtler⸗ geſtalten gingen ſcharemweiſe vorüber, Studenten in verſchnürten Röcken und ſilber⸗ geſtickten Mützen kamen daher, gepanzerte Reiter mit glänzenden Stahlhelmen ritten gemächlich und ſtolz auf ihre Nachtwache, während Kurtiſanen mit blanken Schul⸗ tern nach erhellten Tanzſälen zogen, von denen Pauken und Trompeten herabtönten. Alte, dicke Weiber verbeugten ſich vor dünnen, ſchwarzen Prieſtern, die zahlreich um⸗ hergingen; in offenen Hausfluren dagegen ſaßen wohlgenährte Bürger hinter ge⸗
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bratenen jungen Gänſen und mächtigen Krügen; Wagen mit Mohren und Jägern fuhren vorbei, kurz ich hatte genug zu ſehen, wohin ich kam, und wurde darüber ſo müde, daß ich froh war, als ich endlich in dem mir angewieſenen Zimmer des Gaſt⸗ hofes Mantel und Totenkopf ablegen konnte.“
*
In einem Briefe an ſeine Mutter, datiert vom 18. Mai 1840, faßt Keller ſeinen Eindruck von München und den Münchnern in die Sätze:
Ich befinde mich ſehr wohl hier; man kann über die Straße gehen, ohne daß man von allen Seiten begafft oder für ſtolz ausgeſchrieen wird. Kein Menſch achtet auf den andern; alles geht bunt durcheinander; komumt man aber mit den Leuten in Berührung, fo ſind ſie höflich und gefällig, nur die Weibsbilder von der bürgerlichen Klaſſe ſind un⸗ gemein roh. Sie fluchen und fehimpfen wie bei uns die Stallknechte und ſitzen alle Abend in der Kneipe und ſaufen Bier. Sogar die nobelſten Damen gehen ins Kaffee⸗ haus und trinken da — nicht Kaffee, ſondern fo zum Spaß eine Maß Bier bis zwei.“
In feinem „Schreibbuch“ findet man, eingetragen im Jahre 1843, den Beginn eines Sonetts, das, ganz anders als die Impreſſion im „Grünen Heinrich“, recht umvirſch gewiſſe Münchner Beobachtungen in die fummmarifchen Verſe en
Ein liederliches, ſittenloſes Neſt Voll Fanatismus, Grobheit, Kälbertreiber, Voll Heil' genbilder, Knödel, Radiweiber.
Künſtlerfeſte
Das „Münchner Hundert und Eins“, das Daxenberger im Jahre 1840 unter dem Pfendonym C. Fernau erſcheinen ließ, und dem dieſes und einige folgende Stücke entnommen find, iſt eine der zuverläſſigſten Quellen der Erkenntnis Münchner Zuſtände und Verhältniſſe in der Biedermeierzeit. Über Künſtlerfeſte ſchreibt er:
Die ſchönſten jungen Leute, die kräftigſten Charaktere und — die beſten Stimmen ſind unter den Malern. Ihr Geſang iſt eine herrliche Arabeske im Münchener Künſtlerleben. Regelmäßig erſchallt er in einem Nebenſaale des Engliſchen Kaffee⸗ hauſes, wo an ſechsunddreißig Kunſtzöglinge ſich unter dem Namen „Neu⸗England“ zu einer heitern Abendgeſellſchaft konſtituiert haben. Von Zeit zu Zeit gibt es eine ihren Standesgenoſſen und Freunden gewidmete Produktion; auch kann man dieſe
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lastenfeft im alten Rathausſaal. Radierung von F. Bollinger
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friſche Sängerſchar bei feierlichen Anläſſen, Cornelius-Feſt, Gärtner-Diner, bei Künſtler⸗Maskenbällen und Banketten zu hören bekommen. Für ihre ſelbſtändigen Feſtlieder haben fie ihren eigenen Maler-Dichter, Felix von Schiller aus Braun⸗ ſchweig. Schiller, ein Mame, bei dem aller Deutſchen Herzen aufgehen. Der aus- übenden Maler find bei dieſer Mova-Anglia (nur von dem Sitz der Geſellſchaft fo genannt) wenige; die meiſten noch Schüler der Akademie. Ihre Lehrer und Pro- feſſoren, meiſtens verheiratet, bleiben des Abends zu Hauſe; ihre Meiſter, vor deren Bildern fie auf dem Kumftverein und in deren Ateliers lernen, konnen teils bei dem Kafetier Schimon in der Kaufingerſtraße, teils bei dem Stubenvollbräuer auf dem Anger (früher bei Findel) zufammen. Dort werden die Trophäen künſtleriſcher Feſte gruppiert und aufgehängt und mit der rechten, vollkommenen Einſicht in die Technik die neueſten Kunſtleiſtungen beſprochen. Kommt ein Feſt, ſo wird dieſes mit den Frauen entweder in einem Saale auf dem Prater, ein ländliches auf der Menter⸗ ſchwaige gefeiert. Theaterſtücke zur Parodie unſerer Zeit werden geſchrieben und auf— geführt oder ein charakteriſtiſcher Maskenball gegeben. Unvergeflich allen find jene lebenskräftigen Bilder der Vergangenheit, die Maskenzüge der Künſtler im könig⸗ lichen Hoftheater (1838 bis 1840), die Geſtalten aus Wallenſteins Zeit und Lager, noch mehr aber der Einzug Kaiſer Maximilians I. in Nürnberg, wobei über 300 Perſonen, Bürger und Gefolge des Kaiſers, Munmnenſchanz und Meiſterſänger, die berühmten Künſtler, Gelehrten, kaiſerlichen Räte, Kriegsobriſten und Feldhaupt⸗ leute aus der erſten Hälfte des 16. Jahrhunderts, von Künſtlerhand wieder ans Licht gerufen, erſchienen. Die deutſchen Maler aus dem Zeitalter König Ludwig des Erſten haben ſich in der großen Mehrzahl den Toilettenformen der Gegenwart entrückt; fie find herrſchend geworden und haben ſich auf Natur, Geſchichte und Romantik zurückgezogen. Die gefeierten Künſtler⸗Bälle (1827 — 33) zuerſt im „Bauhof“, hierauf im Hotel zum ſchwarzen Adler, dann im großen Odeonsſaale gehalten, wo⸗ zu die Elite der hieſigen Geſellſchaft eingeladen war, wo die gefarnte königliche Yarnilie ſich zeigte, können jetzt nicht mehr ſtattfinden; der Ton der Salonwelt, dern ſich die Stifter und Chorführer unterwarfen, iſt bei dem ſtarken Volke unbeliebten Andenkens geworden. Nicht mit Unrecht iſt ihm der Frack verhaßt; das Modern⸗Konventionelle iſt der Tod des Poetiſchen. Das Engliſche Kaffeehaus ſtand am Dultplatz, dem jetzigen Maximiliansplatz, an der Stelle, wo heute
das Bernheimerhaus ſteht. Das Findelſche Wein⸗ und Gaſthaus befand ſich in der Dieners gaſſe, der Gaſthof zum ſchwarzen Adler in der Kaufingerſtraße.
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Müuchner Originale
In Daxenbergers „Münchner Hundert und Eins“ ſteht zu leſen:
Ramlo, Fineſſenſepperl und Prangerl dauern im Andenken der Hauptſtadt fort. Ramlo war ein gottesfürchtiger Muſikus, der die Viola in dem königlichen Hof⸗ orcheſter ſpielte und auf der Straße, ſtets ſeine Geige im Arm, mit weißgepuderten Haaren und dreieckigem Hütchen, in der Rechten ein ſchönes ſpaniſches Rohr, noch im zweiten Zehnt dieſes Jahrhunderts zu ſehen war. Dabei grüßte er alle Leute und beſonders alle Kinder auf die zuvorkommendſte Weiſe. Seine ſanfte Sinnesart führte ihn gern in die Peterskirche oder gar auf den Gaſteigberg zu jenem Chriſtus am Kreuze, an deſſen Fuße die nahen Wellen der Iſar ſein murmelndes Gebet durch⸗ rauſchten. Leider iſt es dem frommen Ramlo nicht jo gut geworden, wie jenem heiligen Muſikanten, der unter dem Kruzifix ſpielte, deſſen Herrgott an den Füßen goldene Schuhe trug und dem Armen zu lieb einen fallen ließ. Dieſe zierlichen Exemplare von Menſchen, wie Ramlo einer der letzten war, ſind in München ausgeſtorben; ebenſo die Hofnarren wie Prangerl. Mit dem Kurfürſtentum in
Bayern wurde auch ihre Herrſchaft begraben. Prangerl war der Luſtigmacher des
Hofes. Sein Witz war zotig, ſchonungslos. Die „gute Stadt München“ hatte ein ganz anderes Gepräge, als die „Königliche Haupt- und Reſidenzſtadt“. Zu jener Zeit, da Prangerl lebte, konnte man noch ſatiriſch fein. Prangerl war kein Zwerg, aber auch weit von einem Rieſen; auch er ging immer mit einem Stock in der Hand, den mancher Gaſſenjunge zu fühlen bekam. Die derben Anekdoten, die von ihm noch in der Überlieferung des Münchner Volkes leben, haben den Geiſt Till Eulenfpiegels, und Prangerl, ſowie feines Gebieters kurfürſtliche Durchlaucht konnte herzlich lachen, wenn er Jemanden geprellt hatte. Raimund hat ein bekanntes Stück geſchrieben: „Die Inſel der Wahrheit!“; Hofnarren können wahrlich Daſen der Wahrheit genannt werden. Auch Prangerl hatte dieſen Vorzug; doch die Freiheit, die in dieſem gnädigen Vorrechte lag, gedieh bei ihm einigemale bis zur Unverſchämtheit, der Ungnade folgte. Wer aber, der hier eine Generation gelebt, kannte nicht jenes
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St
ſſenſepperl überbringt Liebesbriefe ich von Joh. Mich. Voltz
ine
*
Der F
dürre Männlein, das zu jeder Stunde des Tages ein Häfelchen unterm Arme trug, das jedem Vorübergehenden mit verſchmitzt⸗freundlich lächelnder Miene ein „Grüß di Gott“ leiſe zurief? Der König und der Bettler haben Fineſſenſepperl wohl gekannt. Er war bis in die zwanziger Jahre unſerer Zeit hinein der populärſte Mann in München. Nun ruht auch er unter der Erde. Ruht er? Nein, ich weiß es, ſein Skelett iſt in der Akademie aufgeſtellt; denn der kleine Mann hatte eine Rippe mehr als andere Menſchen. Fineſſenſepperl war der postillon d'amour Münchens. Er hatte in allen Häuſern Zutritt; er war ſchlau und ſchien das Gegenteil zu ſein; er konnte nicht leſen und ſchreiben und verſtand ſich doch darin. Er hatte ſelbſt geliebt; feine beftändige Liebe war eine Törin, welche „die rote Nanni“ hieß, und der die Buben oft ſchreiend nachliefen. Mannerl und Sepperl find nun einmal die Grund— heiligen der Iſarſtadt. Freilich fangen auch ſie an mehr zu verſchwinden. War einer dieſer Mamenstage, fo waren beide mit Blumenſträußen geſchmückt, gingen ſtolz in allen Straßen umher und ließen ſich gratulieren. Fineſſenſepperl bettelte nicht; allein ſeine Miene drückte hinlänglich aus, was er nicht ſagte, und reichlich floſſen ihm die Gaben zu. Es gibt keinen öffentlichen Charakter dieſer Art in München mehr. Unſere Zeit verwiſcht das Eigentümliche. Einen vierten könnte ich jenem Drei⸗ blatt wohl beifügen, den bekannten „Profeſſor der unentdeckten Wiſſenſchaften“. Er hieß Wilhelmi, der unermüdlichſte Theaterbeſucher, immer an demſelben Platz; er wurde viel mißhandelt und war unausſtehlich. Doch „Er war nicht in dem Tal geboren, Man wußte nicht, woher er kam.“
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Von weiteren Münchner „Originalen“, dem Ewigen Hochzeiter, dem Kapell⸗ meiſter Sulzbeck und dem Pferdehändler Krenkel, ſpricht Franz Trautmann in feinem Plauderbüchlein „Im Münchner Hofgarten“:
Nicht hinſichtlich ſeiner Streiche, ſondern gelegentlichen Hofgartenbeſuches hatte der Fineſſenſepperl um ein paar Jahrzehnte ſpäter einen Nachahmer, den bekannten „ewigen Hochzeiter“, welcher, ſo beſchränkt ſeine Verhältniſſe waren, immer einen friſchen Blumenſtrauß in der Rechten trug, dabei er mit dem Hinſchreiten manches Mal einhielt — nämlich, wenn ihn eine Damengeſtalt beſonders anzog — und Miene machte, den Strauß darzubieten. Was er aber immer wieder unterließ, fo-
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daß man nie erfuhr, welches weibliche Weſen er denn feiner vollen Ergebenheit würdig gehalten habe.
Wer noch zu nennen? Ja, ſpäter der soi-disant „Baron Sulzbeck“, der mit ſeiner großen Baßgeige, auf welcher er den Lärm der Schlacht bei Leipzig und Waterloo vorzutragen wußte, zwar nie im Hofgarten tätig wurde, aber unweit davon, weshalb man ihn wenigſtens in hoch⸗ breitem Leibwuchs durchſchreiten ſah. Dies geſchah bekanntlich bis in das fünfte Dezennium hinein, trotzdem der Schlachtlärm nie ab⸗ nahm, vielmehr ſtets gewaltiger wurde.
Noch jemand zu nennen — trabte er doch oft am Hofgarten vorüber.
Es war der hochgeſchoſſene, ehrenhafteſt geſimmte Bürger und Pferdeverleiber, deffen deutſchen Namen ein maliziöſer Herr, zum ärgſten Groll des Inhabers, galliſierte und in „Monſieur de Krainqudle“ verwandelte. Krainqudle war der Mann, für welchen „Salonſprache“ das Uberflüſſigſte, das „Hippologiſche ! aber von höchſtem Werte war.
Ein Stadtoriginal war in gewiſſem Sinne auch der Dichter und Journaliſt Moritz Saphir (1795 bis 1858), deſſen Gazetten mit feinen Humoralbriefen und witzige Vorleſungen, die mefjtens im ſchönen Saal der Geſellſchaft „Muſeum“ ſtattfanden, nicht weniger Stadtgeſpräch waren als feine ſpöttiſchen Angriffe auf das Hoftheater, feine Scherze mit König Ludwig I. und feine Taufe (er war Jude) in der proteftantifchen Matthäuskirche. Schließlich wurde Saphir, um feinen allzu ſpitzen Witz zu zügeln, mit dem Titel eines Hoftheaterintendanzrates begnadet. Von da an ſchwieg er, verließ aber auch bald München (1835), um fortan bis an fein Lebensende in Wien zu leben.
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Ein Ringkampf im Münchner Hoftheater 1840
Der Ringkampf, der im Jahre 1840 zwiſchen dem ſtarken Jean Dupuis und dem Sinmmerl vom Faberbräu im Münchner Hoftheater ausgetragen wurde, erregte fo ungeheures Aufſehen, daß etwa zwanzig Lithographien und Flugblätter darüber erſchienen. Von den zeitgenöſſiſchen Autoren berichtet Johann Nepomuk Sepp: Als der franzöſiſche Miniſter Thiers 1840 die Deutſchen mit Krieg über⸗ ziehen wollte, kam ihr ſtärkſter Ringer gleichſam zur Probe ihrer Überlegenheit über den Rhein, ein Mann von herkuliſcher Geſtalt, um ſich in Kaſſel, Berlin, Dresden und anderen Hauptſtädten mit den ſtärkſten Deutſchen zu meſſen, und er überwand allenthalben: der Schrecken wandelte vor ihm her. So gelangte er ſchließlich nach München, ſchrieb ſich Jean Dupuis und ſetzte einen Preis von nahe tauſend Gulden aus, wenn ein Stärkerer auftrete als er. Der Schimpf brachte alle ſtämmigen Burſche auf; der Fechtmeiſter Gruber gab einigen Unterricht, und ſo ſollte auf der erſten Schaubühne des Landes das Ringen vor ſich gehen. Kopf ſtand an Kopf; es galt eine Ehrenſache für das ganze Volk.
Der Vorhang rollt auf; der Sieger in ſo vielen Kämpfen ſteht da: für einen antiken Heros gebaut, den Oberkörper weit vorgeſtreckt, einen Gürtel um die Hüfte, und nur an den Armen zu faſſen. Der erſte, der angeſichts all der Tauſende zum ungewohnten Wettkampf ihm entgegentritt, iſt ein junger Metzgerburſche, Johann Ebner, nicht groß von Statur, aber unterſetzt. Solch eine Pauſe muß im römiſchen Amphitheater bei Gladiatorenkämpfen oder Tierhetzen eingetreten ſein, wo die Gegner ſich erſt mit den Augen maßen, Löwen und Tiger umeinander herumgingen, um eine ſchwache Seite ausfindig zu machen und dann zu Sprung oder Angriff über- zugehen. Alles blickte ſtumm in die Szene; den Zuſchauern pochte das Herz. Da be— gannen ſich beide, der Bayer und der Franzoſe, an den Händen zu faſſen, hin und her zu ſchieben, ein Stoß, ein Anſturm, ungeheure Muskelkraft wurde von beiden Seiten aufgeboten. Der verwöhnte Sieger hatte ſich den Kampf wohl leichter vor- geſtellt. Das Volk atmete hoffnungsvoll auf; Zornwut ſchien den jungen Menſchen
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zu erfaſſen, dem fein Widerſacher am Eoloffalen Körper überlegen war — auf ein- mal ſtürzte der Franzoſe aufs Knie. Ein Beifallsklatſchen begann, aber ohne Übung, überſah der ſehnige Junge den Vorteil, den Franzmann zu drehen, und wurde nun, ſeinerſeits überraſcht, zu Boden gelegt. In dieſem Augenblick fühlte jeder ſich an ſeiner nationalen Ehre gepackt. Wie? eine Niederlage? Unmöglich!
Schon ſtand der Rächer dem triumphierenden Welſchen gegenüber: Simon Maiſinger, Bierführer des Faberbräu, und das will etwas ſagen. Die engliſchen und amerikaniſchen Boxer pflegen auch ihr Quantum zu trinken, und der Pſchorr⸗ bräu erwartete, daß jeder Mann, den er zum Geſchäfte brauchte, ſeine fünfzehn, wo nicht dreißig Maß täglich ſchluckte. So einer iſt imftande, die Eimerfäſſer ohne Leiter durch alleinige Kraft der Arme vom Wagen zu heben. Der Mann der ſich alsbald mit Rieſenkraft auf den Franzoſen warf, war um einen halben Fuß größer als ſein Vorgänger, knochenſtark, eine robuſte Statur.
Er hatte während des Ringens der beiden die Stärke, aber auch die Schwäche dem welſchen Feinde abgelauſcht, welche im Unterkörper und Fußgeſtell beſtand. Ihm galt es, dieſen Antäus zu entwurzeln, und kaum gehoben, mußte er fallen. Man muß es geſehen haben, mit welcher Berſerkerwut dieſer Altbayer ſich an den übermittigen Welſchen machte, treu feinem im letzten Augenblicke gegebenen Worte: Fallen muß er um jeden Preis! Wie ein Bär ſchlug er ſeine Pranken ihm an die Ellenbogen; die Aufregung der Zuſchauer war furchtbar, alle hoben ſich von ihren Sitzen, als ob es Ehre und Leben jedes einzelnen gelte. Auf dem Schlachtfelde könnte die Span⸗ nung nicht höher ſteigen. Sollten beide ſich erwürgen? Mann an Mam waren fie feſtgeklannnert; nur ſtahlfeſte Knochen ertragen einen ſolchen Druck. Unverfehens faßte der Bayer feinen Gegner, und nun war es um dieſen geſchehen; augenblicklich war er zu Boden geſchmettert, und der Sieger ſtenumte fein Knie ihm auf den Leib. „Hab ich dich jetzt, du Lauſer!“ ſoll er dabei gerufen haben; aber das Haus erbebte vor Sturm, als hätten die Deutſchen eine Schlacht über die Franzoſen gewonnen, ſo war die Entſcheidung. Kaum aus dem Theater, ſo hörte man ſchon trällern:
Mag einer rebellen, wie er will, Doch kommt er nach Bayern, fo ſei er ſtill!
Des anderen Tages war die halbe Stadt in Bewegung, den Sieger zu ehren; der beſchämmte Franzoſe wollte der Pflicht, den Wettpreis zu zahlen, ſich entziehen, wurde aber gerichtlich dazu verurteilt.
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In Rom, Paris. Moskau und Brün, Da kam ganz unverhofft herbei In Straßburg ‚Lyon und Berlin, Der Haushnecht einer Yräuerei, u Dresden, Kaſſel, Kopenhagen And warf mich auf den Moder hin,
Setzt geht es mir auf einniuſ ein.
Daß fie den freien, deulſcher Rhein Nicht haben ſolleu. denn fürwaßr
Solch Haus ſnecht frißt mit Haut u: Haar Ein Regiment von Tranzmanns Heer. Aub ſolche Haus finecht gibts noch mehr!
zu München wollte ichs auch wagen And lam -als Herfiules - su fragen . Wer mich zu Hoden werfen hanın *
A;
Su Warfefau ſtüſt kann mars erfragen, 9 Daß mir die Bruſt zu wacſieln chien. 2 0
Fünffundert Gulben ſetzt ich dran. 9
Zeitgensſſiſches Flugblatt zu dem Ringkampf im Münchner Hoftheater (1840)
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Oktoberfeſt und Keferloher Markt
Das Oktoberfeſt und der Keferloher Markt, dieſer zu Anfang September, für den St. Egidientag beſtinunt, nur wenige Stunden dauernd, jenes zu Anfang Oktober während einer ganzen Woche, können beide Volksfeſte der Münchner genannt werden. Der Charakter derſelben iſt aber unter ſich weſentlich verſchieden. Bei dem Oktober⸗ fefte auf der freien weiten Thereſienwieſe, im Angeſicht himmelblau glänzender Ge⸗ birge, vor der nun emporſtrebenden Magna Bavaria und der bayeriſchen Ruhmes⸗ halle mit deutſchem Eichenhain, unter Teilnahme des Hofes, ringt ſich eine bunte, zu keiner anderen Zeit fo zahlreiche Menge von nahe an Hunderttauſend zu jener ſchönen Epoche Altgriechenlands hinauf, wo Spiele ein Band um die Nation ſchlangen. Seine nächſte Bedeutung hat es aber als Zentral⸗Landwirtſchaftsfeſt. Der Städter hört, wenn nie in dem Gebirge, jetzt in den Straßen das Alpengeläute der Kühe, und das glänzend geputzte Preisvieh iſt mit Blumen und Kränzen, die Pferde find mit Bändern geſchmückt. Hier iſt Streben zum Edleren. Dort auf dem Kefer⸗ loher Markte, drei Stunden von der Hauptſtadt entfernt, iſt ein Sinken zun Ge⸗ meinen. Es iſt wie eine Volksbeluſtigung in einem ſlaviſchen Dorfe. So widerlich⸗ kahl iſt daſelbſt die Gegend: nur ein halbdutzend ſchmutziger Bauernhütten, von einem düſteren Forſt eingeſchloſſen; ein grauer Himmel drückt gewöhnlich auf den einftedlerifchen Weiler herunter. Aber der Viehmarkt iſt ſeit uralten Zeiten privilegiert und ſchon Kaiſer Ludwig dem Bayern bekannt geweſen, einer der bedeutendſten in Bayern. Es werden ein paar tauſend Pferde, das Hornovieh zu Hunderten, zahlreiche Schaf⸗ und Schweineherden zugeführt. Baut man auf der Thereſtenwieſe, wenigſtens in den letzten Jahren, niedliche Landhäuschen und \wohlgezummerte bequeme Bretter⸗ hütten zur Zeit des Feſtes und erhält dort eine Abteilung der Bürgergarde Ordnung und Anſtand, ſo werden in dem Dorfe Keferlohe, wenn der Tag kommt, wie im Fluge Krämerbuden errichtet, aus einigen Brettern und Holzſchlägen ſchnell Wirts⸗ ſchenken zuſammengefügt. Herde rauchen mit Wurſttöpfen; das Bier wird unter freiem Himmel verzapft; die ſechs Scheunen von Keferlohe werden zu Tanz⸗
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plätzen umgeſchaffen. Ein bunter Troß von unzähligen Perſonen jeden Standes, Ge⸗ ſchlechts und Alters wogt den ganzen Tag lang im Dorfe und auf der Landſtraße von Haidhauſen und Trudering zuſammen; vom früheſten Morgen bis in die ſpäte Nacht drängt eine Equipage die andere, der Einſpänner den Fiaker, eine Reiter⸗ karawane den Geſellſchaftswagen aus dem Geleiſe. Das allgemeine Loſungswort iſt: „Keferloheriſch“, womit alles erlaubt und alles entſchuldigt werden will. Es herrſcht ein dem Geſetze höherer Geſittung Hohn ſprechender Zuſtand; ein Haus von Bac⸗ chanten hat ſich hie und da von aller Zucht befreit. Viele Helden des Tages, vom Gerſtenſafte berauſcht, verleihen ſich ſelbſt den ſogenannten Flegelorden und laſſen nun vollends die rohen Kräfte walten. Zur Ehre von München iſt in eines Tages Friſt alles vorüber: aber dieſer iſt in den Kalendern der Arzte und Gendarmen rot gezeichnet. Die Luſt zum Keferloher Zug hat indeſſen, wie nicht geleugnet werden kann, merklich abgenommen.
Das Oktoberfeſt zu München hat bereits viele Nachahmungen in Prost und Staaten gefunden. Es iſt Pferderennen und freies Vogel-, Hirſch⸗ und Scheiben⸗ ſchießen und manche andere Ergötzlichkeit damit verbunden. Die ganze Feſtwoche hindurch, insbeſondere aber während des Sonntags und Montags, iſt die Wieſe von Tauſenden beſucht, und der Freunde hat hier gute Gelegenheit, nicht nur die vor⸗ züglichere Perſonemwelt, ſondern auch einen großen Teil des Tons von München kennen zu lernen. Hier find Frauen zu ſehen, „der Dichter wahres Publikum“. In Keferlohe ſtiehſt du nur Männer oder auch Harfemmädchen und Troßweiber.
Das Oktoberfeſt wurde 18 10, aus Anlaß der Vermählung des Kronprinzen Ludwig mit der herzoglichen Prinzeſſin Thereſe von Sachſen-Altenburg geſtiftet. München hatte ſeit dem Jahre 1722 keine Hochzeit eines bayeriſchen Thronfolgers mehr erlebt und gefeiert gehabt. Der Magiſtrat der Hauptſtadt beſchloß, dieſes hocherfreuliche Ereignis durch ein veranſtaltetes Pferderennen zu verherrlichen. Man hatte dergleichen hier lange nicht mehr geſehen, obwohl es eine alte Sitte der Bayern war und ur⸗ kundlich das erſte Wettrennen mit Pferden ſchon im Jahre 1436, nach der Ver⸗ mählung Herzog Alberts III. mit der Prinzeſſin Anna von Braunſchweig, ſtattfand. Die erſte Idee hierzu war von dem damaligen Chef der Bürgerkavallerie, Herrn von Dallarmi, ausgegangen. Schon im Jahre 1811 trat das Preisfeſt des land⸗ wirtſchaftlichen Vereins dazu. Allein in den darauf folgenden Kriegsjahren unter⸗ blieben die Oktoberfeſtlichkeiten; erſt 18 16, trotz der allgemeinen Teuerung im Lande,
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begannen fie aufs neue und zwar mit neuerdachten Attributionen. Da kam nach und
nach ein Glückshafen, ein Scheiben- und Vogelſchießen, Lieder und Geſänge, Wett—
lauf und Wettringen von Handwerksburſchen und Geſellen, eine Ausſtellung von
Fabrikaten durch den polytechniſchen Verein, ein Feuerwerk und anderes hinzu. Einmal ſtieg Wilhelmine Reichard aus Dresden in einem Luftballon (1820) herr- lich auf; ein andermal war der jetzige König von Preußen als Bräutigam (1823), ein drittes Mal waren die griechiſchen Geſandten, der greiſe Miaulis an der Spitze zugegen (1832). Die Oktoberfeſte von 1820 und 1833 waren die ſchönſten in der ganzen dreißigjährigen Reihe. Seit 1826 dürfen nur im Inlande gezogene Pferde bei dem erſten Wettrennen konkurrieren. Dieſe Volksfeſte ſind jährlich die letzten im Freien; dann konunt die graue Novemberzeit: o daß darum ſtets eine heitere Oktoberſonne jene beleuchte! (Münchner Hundert und Eins.)
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Der Glückshafen auf dem Oktoberfeſt. Holzſchnitt aus den „Fliegenden Blättern“
Ein Jahrhundert München
von Eugen Napoleon Neureuther (1837)
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Das Bürgermilitär
Das Bürgermilitär, wie es jetzt iſt, iſt nicht mehr die Beluſtigung der Kinder und der Spott der Alten; die Nationalgarde von München iſt weit entfernt von jener Zeit, wo ſie einer deutſchen Kleinſtädterei gleichen konnte, wo noch Zöllner an den Toren ſaßen und alles der „Herr Vetter“ und „Frau Baſe“ in der guten Stadt München hieß, wo man ſich im Brautzug in die Kirche begab und vom Turme herab zur Hochzeit blaſen ließ. Wenn du ſie aufziehen, paradieren und exerzieren ſiehſt, wirſt du mit mir fagen: die Landwehr von München iſt diszipliniert und hat eine treffliche Haltung. Die aufrufsfähige Mannſchaft beträgt diesſeits der Iſar 1900, mit der Au 2300, darunter eine Eskadron zu Pferde, Füſiliere, Grenadiere, Schützen und Artillerie. Sie wählt ſich ihre Offiziere felbft, hat ihre eigenen Muſik⸗ korps und ihre Waffen zu Hauſe. Bei Prozeſſionen, Aufzügen und Feſten (Oktober⸗ feſt), an allerhöchſten Geburts⸗ und Namenstagen, bei Beerdigungen tritt ſie ad honores auf; zum eigentlichen Waffendienſte wird ſie in friedlicher und ruhiger Zeit nicht verwendet. Man kann behaupten, daß fie durch das ausgezeichnete Wirken ihrer Chefs von dem beſten Geiſte beſeelt iſt. Die kurzen, hellblauen Uniformröcke der Landwehr find ſeit 181 1 vorgeſchrieben, aber erſt ſeit 18 18, nach manchem alt⸗ väteriſchen Widerſtande, vollſtändig eingeführt. Das bürgerliche Zeughaus auf dem Anger hat keine beſondere Sehenswürdigkeit an Rüſtungen, Wehren und Waffen, doch enthält es die Marſchalls⸗Uniform, die König Max nur einmal trug und nicht wieder, nämlich bei der Eröffnung der erſten Ständeverſanunlung im Jahre 1819.
Sie brachte der Bürger und ehemalige Artilleriehauptmann, jetzt Kaſtellan der Burg
zu Hohenſchwangau, J. B. Findel, als er ſie nach dem Tode des Königs käuflich erworben hatte, der Gemeinde zum Geſchenke. König Ludwig legte den Degen dazu. Wenn Bayerns Konſtitution ſo alt wie die Englands ſein wird, mag jene Uniform vielleicht ebenſoviel Intereſſe einflößen, als die romantiſchen Waffenkleider im Tower zu London, von der Zeit der Gründung des britiſchen Parlaments an bis zur Königin Eliſabeth. (Münchner Hundert und Eins.)
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Die Münchner Kaffeehäuſer um 1840
Die hieſigen Kaffeehäuſer laſſen ſich nach „zu ebener Erde“ und „erſten Stock“ unterſcheiden oder auch in Weiber⸗,Männer⸗, Vormittags⸗„Nachmittags⸗ und Abend⸗ Kaffees. Bürgerfrauen, meiſtens der geringern Gewerbe, Marktweiber, Händlerinmen, Köchinnen ſtellen ſich in jenen ein, und ruhen ſich da ein Stündchen aus. Bekannt als weibliche Kaffeehäuſer find Heitmayer am Petersfreithofe, cidevant Hammer an der Burggaſſe, Kaſtner am Viktnalienmarkt, Walſer und vormals Gießer, dann See⸗ thaler zunächſt U. L. Frauenkirche. Dieſe ſind eigentliche Kaffeewirtſchaften und werden des Abends geſchloſſen. In den Küchen wird der ſogenannte Haferlkaffee gereicht. Die beſuchteſten Mämmer⸗Kaffeehäuſer find Tillmetz, Kaſtner (im zweiten Stock) Scheidel, Krois, Fink, das Engliſche Kaffeehaus und Reubel um Engliſchen Garten. Bei Kaſtner liegen unter allen Kaffees die meiſten Tageblätter und Journale; bei Scheidel findet man den Schachklub, bei Tillmetz die ausdauerndſten Karten⸗ ſpieler. La banque und der Würfel und alle Haſardſpiele ſind in Bayern verboten. In vertrauten Kreiſen gehen fie dennoch ungeſtört fort. Wer die Eleganz der fran- zöſiſchen oder Wiener Lokale hier ſuchen wollte, irrt ſich. Mur eines macht den Anſpruch, in dieſem Gimme faſhionable zu fein: Tamboſt unter den Arkaden am Eingange des Hofgartens. Dies iſt ein von Künſtlerhand geſchmücktes Kaffeehaus mit allen begehrten Vorzügen. Tamboſt iſt das Geſellſchaftshaus der jungen Leute. Dort kannſt Du die ausgezeichnetſten Schauſpieler und Muſiker, die vorzüglichſten Maler, Literaten, Studenten, vornehme Offiziere, intereſſante Fremde, die beſten Karten- und Billardſpieler kennen lernen. Es wird viel gefpielt und kritiſtert bei Tam⸗ boſt. Der Ton iſt frei und anſtändig. Aber auch flotte Burſchen und ſchlechte Zahler fehlen nicht. Man kann gewiß fein, jeden Abenteurer, der nach München kommt, bei Tamboſt zu ſehen. Vor dem Buffet unter den Kaſtanienbäumen des Hofgartens, wo nicht geraucht werden darf, ſtehen grime Tiſchchen für die ſchöne Welt, und ſie find vorzugsweiſe an Sonn- oder Feſttagen, ſowie an Mittwoch⸗Abenden bei der vom Mai an ſtattfindenden Militärmuſtk zahlreich beſetzt. Tamboſt hat auch eine
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Zeitgenöſſiſche Steinzeichnung
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Schokoladefabrik; aber berühmter iſt die von Mayerhofer und die Saitini-Babelliſche. In einer beſcheidenen Häuschen in der Mitte der Prannersgaſſe floriert dieſe bereits
ſeit faſt einem Jahrhundert (wohl ein ſeltenes Beiſpiel ſolchen Beſtandes) ebenſo
beſcheiden, und erſt in der jüngſten Zeit hat der Inhaber Pietro Poglia ein Schild an den Laden geheftet mit der Firma und mit der Jahreszahl: „Beſteht feit 1765. (Aus dem Münchner Hundert und Eins.)
Das Kaffeehaus von Tillmetz befand ſich in der Roſengaſſe, jenes von Scheidel in der Kaufinger— ſtraße, Krois in der Dienersgaſſe, Fink — heute noch als Cafe Baumann beſtehend — am Frauenplatz, das Engliſche Kaffeehaus am Dule: (Marimilians-) Platz, an der Stelle des heutigen Bernheimerhauſes.
Der grüne Baum und der Prater
An der Iſar liegt, gleich neben der ſteinernen Brücke, ein kleines Wirtshaus, „Zum grünen Baum“ genannt. Hier trinkt man immer ausgezeichnetes und friſches Bier. Es iſt eine hergebrachte Sitte, nach einem Spaziergang an der Iſar hier einzukehren und ſich zu ſtärken. Man kann kein ſchöneres Plätzchen finden; unter ſchattigen Bäumen, an den ſchnell dahinflutenden, grünen Wellen der far, belebt
durch viele Flöße, gegenüber der Gaſteig mit ſeinen amphitheatraliſchen Häuſern
und die Au mit der herrlichen gothiſchen Kirche; dazu eine freundliche Wirtin und gute Bedienung.
Umpveit davon iſt der Prater, ein herrlicher ſchattiger Platz und Garten, auf einer von der Iſar gebildeten Inſel, mit einem ſehr freundlichen Salon geziert, in welchem in den Wintermonaten manche fröhliche Abendgeſellſchaften, namentlich von den Künſtlern, veranſtaltet werden. An allen Freitagen im Sommer iſt gute Geſellſchaft im Prater zu treffen; ein ungewöhnliches Leben herrſcht dann hier, mehrere gute Muſikchöre, Feuerwerk und Illmmination tragen das ihrige dazu bei. An Sonntagen iſt hier inner Tanz⸗ oder Harmonietmnuſik, wo ſich aber nur die niederen Klaſſen der Bevölkerung vergnügen.
(Felix von Schiller in ſeinem Büchlein über München vom Jahre 1843)
Die „ſteinerne Brücke“: die heutige alte Iſarbrücke an der Zweibrückenſtraße. Herkömmlicher Weiſe wurde hier Tölzer Bier geſchänkt.
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Kegelbahn des Arche Noe-Wirtsgartens an der Wurzerſtraße. Radierung von F. Bollinger
Die Kellnerinnen
Felix von Schiller ſchreibt in ſeinem München⸗Büchlein vom Jahre 1843:
Eine eigentinnliche Sitte Münchens iſt auch, daß, außer in wenigen Gaſthäuſern, die Bedienung durchgängig von jungen und meiſtens hübſchen Mädchen beſorgt wird, die ſich in ihrer Landestracht mit ſilbernem Schnürmieder und dem Riegelhäubchen ſchnell und ammutig unter den vielen Gäſten bewegen und — was eine langjährige Erfahrung hier gelehrt hat — ihr Geſchäft ungleich ſchneller, gewandter und umſich⸗ tiger vollführen, als es jemals von männlicher Aufwartung geſchieht. Auch mag wohl ein wohlbegründeter Vorteil der Gaſtgeber in dieſer Einrichtung liegen, da ſich jeder Gaſt lieber von einem freundlichen Mädchen bedient ſieht, als von einem An⸗ ſprüche machenden Kellner.
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Das Schweigertheater
In der Nähe des „grümen Baumes“, aber jenſeits der Iſar, am Eingange in die Vorſtadt Au, ſteht ein ſehr unanſehnlicher Theſpiskarren, ich meine das königlich privilegierte Sommertheater des Herrn Schweiger. Ihm, der einſt feine Bretterbude vor dem Karlstore aufgeſchlagen hatte, iſt nunmehr zu feinem Schauſpiele die Stadt verpönt; ja eine Zeitlang, unter einer unglaublich eiferfüchtigen Hoftheater⸗Intendantur, durfte er gar nicht ſpielen. Als ihm die Erlaubnis allergnädigſt wieder zuteil ward, errichtete er ſeine Bühne auf dem Prater, aber der Ort war zu entlegen, hierauf da, wo ſie gegenwärtig ſteht. Schweigers Theater iſt in dem Munde der Münchner unter der Benennung „Lipperltheater“ noch immer geläufiger. Es iſt die alte Ver⸗ laſſenſchaft Lorenzonis, der anfangs nur während der Sommerdult (Meſſe) ſechs Wochen lang, zuerſt auf dem Anger, von 1797 an aber auf dem freien Platze vor dem Karlstore, zunächſt der viel ſpäter erbauten proteſtantiſchen Kirche, extemporierte Stücke, die ſogenannte Kreuzer⸗Komödie, aufführte und feine allgemein ergötzlichen Cazzi machte. Von Lorenzoni, bei feinem Tode Stifter eines gedeihlichen, noch be- ſtehenden Armen⸗ und Spinnhauſes auf eben dem „Anger“, ging die Bühne auf deſſen als Poſſenreißer nicht minder beliebten Schwiegerſohn Schweiger, den Vater des jetzigen Theaterunternehmers, über. Lipperl (Philipperl) war der Ausdruck der neu⸗originalen Komik, gleichwie in Wien ein Kaſperl figurierte. Er machte den gröberen, zotigeren Hanswurſt und Pickelhäring mit der Pritſche vergeſſen, und noch heutzutage beſteht dieſe trockene Art, auf die Lachmuskeln zu wirken, fort. Der Hans⸗ wurſt war um vieles aktiver, er attackierte die Perſonen; Lipperl, wie heutzutage Damian Stutzel, ließ fie bei Seite. Seine Mimik gefiel ſich darin, in allen Schick⸗ und Drangſalen ſich immer gleich zu bleiben. Lipperl erſcheint aber nicht mehr. Die Kreuzerkomödie, wobei nämlich für jeden, in der Regel halbſtündigen Akt ein Kreuzer bezahlt und nach jedem Aufzug der ganze hölzerne Theaterraum geleert wurde, hat ſich in dem Gommertheater gleichfalls in für das Ganze fixierte Preife umgewandelt; die neuen Wiener Poſſen und Parodien erſetzten die extemporierten Stücke, und z. B.
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Lumpaci⸗Vagabundus war hier recht zu Haus. Schweigers Schauſpiel-Perſonal muß auch fingen können; dafür ſteht aber auch der Mame eines jeden Statiſten und Choriſten auf dem Zettel. Der Mann ſelbſt kämpft fortwährend mit des Lebens Mühen. Vom Oktober bis zum Wonnemonat bleibt ſein Theſpis⸗Kaſten in jedem Jahre geſchloſſen; er hat für beinahe dreißig Individuen der Bühne und für zwölf des Orcheſters die Gagen aufzutreiben; die Beleuchtung koſtet ihn wenig, da nur eine äußerſt ſpärliche vorhanden iſt. Aber da der Bewohner der Reſidenz und auch der heitere Reiſende nur zum Spaß und Zeitvertreib Schweigers Bude beſucht, fo braucht er notwendig einen entſprechenden Komiker, der ihm ſo häufig mangelt. Ritter⸗ und Geſpenſterdramen haben ihr eigenes Publikum; das läuft aus den Vorſtädten zuſammen, allein es füllt nur den letzten und, wenn es hoch kommt, den dritten (6 und 12 Kreuzer) Platz, und die beſſeren Einnahmen werden ihm dadurch entgehen. Es wäre Überfluß, über das Spiel ein Wort zu reden; in ernſten Dramen ſind dieſe Komödianten, wie fie nicht fein ſollen; fie haben alle Fehler von Hamlets Luftſeglern. (Münchner Hundert und Eins.)
Während das Hoftheater der höheren Kunſt gewidmet blieb, beſtand ſeit dem Jahre 1812 vor dem Iſartor ein Volkstheater in einem von Oberbaudirektor d'Herigoyen erbauten ſtattlichen Gebäude. Namentlich unter der Leitung des Direktors Karl leiſtete dieſe Bühne Bemerkenswertes, ſo daß man in ihr eine bedenkliche Konkurrenz des Hoftheaters erblickte und Ludwig I. nach dem Wiederaufbau des Hof: theaters im Jahre 1825 die Schließung des Hauſes vor dem Iſartor verfügte. Das Haus wurde in eine Leihanſtalt umgewandelt und dient noch heute dieſem Zwecke. Die Pflege des volkstümlichen Bühnenſtückes blieb fortan ganz dem Schweigertheater überlaſſen, bis 1865 das Theater am Gärtnerplatz als Volks⸗ theater in die Lücke trat.
Ein Feſt auf einem Münchner Bierkeller
Dem abendlichen Lieblingsaufenthalt des Münchners, dem Bierkeller, widmete Ludwig Steub im Jahre 1841 folgende, mit Künſtlergeſtalten ſtaffierte Analyſe:
Wer ſich unter dem Sommerkeller eines Münchener Bräuers etwa einen Keller vorſtellen wollte, wie ihn die übrige Welt auch hat, der läge in einem großen Irr⸗ tin. Es find dies keine von jenen kleinen Grüften, wo die Hausfrau ihre Wein⸗ fäßchen aufſtapelt und ihr Flaſchenbier, etwas Kartoffeln nebenher für den Winter und ein paar aromatiſche Käslaibe, ſondern vielmehr ungeheure Gewölbe, in die man allenfalls vierſpännig einfahren kann, und die auf ihrem Rücken mächtige Ge⸗ bäude, wie Edelſitze und Schlöſſer tragen, welche weit rankende Arme ausſtrecken,
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beodor Weller (1824)
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Auf dem Viktualienmarkt.
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mit Sommerwohnungen für den Eigentümer, kühlen Hallen für die Hundstage und netten, gemalten Zinmmerchen für die „Abonnierten“. Dieſe Burgen ſtehen in einem weiten Gehöfte, das gar Mannigfaltiges auszuweiſen hat. So vor allem die vielen, vielen Ruhebänke für die labedurſtigen Gäſte, maleriſch auf die ſchönſten Plätze hin— geſtellt, unter das Dach alter Linden oder ſtolzer Kaſtanienbäume. Ferner gehört ein kleiner Wald dazu, durch welchen einſame Kiespfade ziehen oder auch die breite Heerſtraße für die Bierwagen. Im Gehölze aber finden ſich Blumengärtchen, ein paar verliebte Lauben, ein paar geheimnisvolle Eremitagen und endlich auch eine wundervolle Ausſicht auf die blauen Züge der fernen Alpen.
In einem ſolchen Keller nun, und zwar in einem der ſchönſten, bereiteten geſtern Abend unſere Künſtler dem großen Thorwaldſen ein Feſt. Der lange Sommertag begann ſich zu neigen, und der Keller mit Haus und Hof, Garten und Wald, reichlich ge- ſchmückt mit Laubbögen zu ebener Erde, mit wallenden Flaggen auf den Zinnen,
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war voll harrender Verehrer, voll von Jüngern der Kunſt aus allen deutſchen Gauen, voll von anderen Herren und Damen und voll lieber Jugend. Ein fanfter Anſtieg führt aus der waldigen Talenge, welche die Einfahrt bildet, allmählich hinauf gegen die kleine Hochebene. Dort ſammelte ſich nun, als der gefeierte Gaſt von der hohen Warte, die das Dach krönt, erſpäht war, der Reigen der Feſtgeber, voran auf grünem Raſenflecke ihre jungen Frauen, deren fie ſehr ſchöne haben, hinter ihnen die Haufen der kunſtliebenden Mimchner, die den Wundermann erſchauen und ſein Bild zur unvergeßlichen Erinnerung mit nach Hauſe nehmen wollten. Der Wagen rollte unter Böllerkrachen vor. Thorwaldſen, der ſtattliche Nordländer mit dem Löwenkopfe und den langen Silberhaaren, begleitet von den erſten künſtleriſchen Zelebritäten, die mit ihm gekommen waren, ſchritt jugendlich, alle Blicke auf ſich ziehend, den Anſtieg hinauf, während alle Häupter ſich entblößten, alles f ch ver⸗ neigte und ein donnernder Willkomm ihm entgegenſcholl.
Bartel Thorwaldſen (1770 — 1844), dem München ſein ſchönſtes Reiterdenkmal verdankt, das Monument des Kurfürſten Maximilian I. auf dem Wittelsbacherplatz, kam auf dem Wege von Rom in feine däniſche Heimat nach München. Das ihm zu Ehren gegebene Feſt fand auf dem Knorrbräukeller ſtatt.
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Auf der Münchener Akademie der Künſte
Reinhold Sebaſtian Zimmermann (1818 1893), der ©tammpater einer frucht⸗ baren Künſtlerfamilie, hat in ſeiner Selbſtbiographie „Erinnerungen eines alten Malers“ folgende Eindrücke vom Leben der jungen Münchner Künſtler in den 1840 er Jahren feſtgehalten:
Man macht ſich kaum einen Begriff, was für junges Volk ſich damals auf der Akademie herumtrieb, nicht ewa aus Eifer, etwas zu lernen, ſondern hauptſächlich, um ſich zu amüſieren. Die Akademie war ein Rendezvous für eine große Menge jugendlicher Müßiggänger, welche nur bei ſchlechtem Wetter oder etwa an böfen Wintertagen hier, bei gutem Wetter aber viel eher an der Iſar aufwärts in der Menterſchwaige, in Heſſelohe und Pullach zu treffen waren. Dieſe Tage waren für diejenigen, die arbeiten wollten, wohl die ſchönſten. Ich konnte nicht begreifen, wie man ſo ohne Wahl beinahe jeden, der ſich meldete, aufnahm. Da kamen, wie in einer Verſorgungsanſtalt, Unglückliche aller Art, Taubſtumme und ſonſt Unzurech⸗ nungsfähige, als könnten alle, welche nirgends zu gebrauchen und allen Schulen entlaufen waren, immer noch wenigſtens Maler werden, noch dazu ohne einen Funken von Talent.
Jene ſtreng hiſtoriſche Zeit war überhaupt eine merkwürdige. Man hörte viel von Streben, Kompoſttionen und Konturen ſprechen, aber von unſerer herrlichen Galerie war ſelten die Rede, als müßte man die Kunſt erſt erfinden, nicht als wäre ſie ſchon in glänzendſter Weiſe durch die beſten alten Meiſter vertreten. Auf der anderen Seite wurde dann wieder alle fingerslang bald dieſer, bald ein anderer der alten Meiſter zitiert, aber niemals, ſo viel ich mich erinnere, in der Art, als ſollte es unſere heiligſte Pflicht ſein, es ihnen gleichzutun. Ein Rembrandt, ein Rubens und die Niederländer der Reihe nach waren damals ſehr vielen ein Greuel, wenn ich auch nicht ſagen kann, daß man gerade ſo weit ging, wie der vor einigen Jahren berſtorbene Franzoſe Ingres, welcher immer, wenn er an einem Rubens vorbeiging, die Hand vor die Augen hielt.
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Sonſt aber ließ man fich wohl Zeit. Wer nicht gerade Beſtellungen hatte, laborierte Jahr und Tag an einem Bild herum und ſchimpfte nebenher über Zopf, franzöſiſche und belgiſche Manieriertheit. Auch ſprach man damals Monate lang von einem Bild, das der X. oder Y. angefangen und deſſen Untermalung bald fertig ſei; oder der Land⸗ ſchaftsmaler M. N. habe eine Luft zu malen begonnen, für welche er den ganzen Sommer lang Studien gemacht habe, und welche ſehr bedeutend zu werden verſpreche.
Gewöhnlich wurde nur vormittags gearbeitet; nachmittags begab man ſich nach der Menterſchwaige, wo zeitweiſe herrlichſte Feſte ſtattfanden, von denen man ſich kaum mehr einen Begriff macht. Wenn ich von dieſen Dingen ſpreche, die mir, fo- weit ich dabei war, noch alle genau in der Erinnerung ſind, geſchieht dies nur, um jene Zeit zu charakteriſieren.
So gehörte auch zum guten Ton, daß man ſich im Sommer auf Frauen⸗Chiem⸗ fee, einem ganz merkwürdigen Sammelplatz von Künſtlern, namentlich von Land⸗ ſchafts⸗ und Genremalern, oder doch in Prien und ſchließlich im Gebirge aufhielt. Frauen⸗Chiemnſee war der Glanz und Brennpunkt für alle die, welche es machen konnten. Wenn ich in der Glanzperiode niemals dort war, ſo unterblieb dies nur, weil ich nicht konnte. Ich ſah von all den ſchönen Feſten hier, auf der Menter⸗ ſchwaige und auf Frauen⸗Chieiſee ziemlich gar nichts. Mur den Maifeſten, die hier in früheren Zeiten ſo ſchön waren, und mit welchen unſere Künſtlergeſellſchaft „Neuengland“ eigentlich den Anfang machte, konnte ich beiwohnen.
Am 1. Mai 1841 zogen wir das erſtemal mit flatternder Fahne, auf welcher ein Aar gemalt war, am frühen Morgen aus und zwar nach Blutenburg. Ein herrlicher Ausflug, ſo den ganzen Tag in Luft und Sonnenſchein bei einer Fröhlich⸗ keit, die man heute kaum mehr kennt. Dazu trug allerdings viel bei, daß einer unſerer Freunde, ein junger Juriſt, und andere poetiſch angelegte Naturen alles auf boten, um dem Feſte Glanz zu verleihen.
Beſonders waren Fentſchs Maipredigten, die er unter dem Pſeudonym Frater Hilarius jeweils drucken ließ, geradezu klaſſiſch. Gewöhnlich brachten die jung Ver⸗ heirateten ihre Frauen, Bäschen und Schweſtern mit. Da war fröhliche Muſik und Geſang. Dieſe Tage gehörten zu den ſchönſten des Jahres.
Damals wurde auch dem Profeſſor Heinrich Heß, nachdem er mit Ausſchmük⸗ kung der Allerheiligenkirche fertig geworden, ein großes Feſt im „Frohſinm“ gegeben, zu dem unſere Geſellſchaft eingeladen war. Allein ich bewahre nur noch ſehr wenige
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Nach einem Gemälde von F. Hohbach auf Stein gezeichnet von Twele
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Erinnerungen an dasfelbe, nur fiel mir dabei auf, daß fehon bald nach Beginn des Nachteſſens oben am Tiſch die Champagner⸗Flaſchen knallten. Einer aus der Ge— fellfchaft erklärte uns, daß es, wenn Cornelius dabei fei, immer fo gehalten werde, weil er keinen andern Wein trinken wolle. Kaum war das Mahl zu Ende, hub der Geſang an, indem Cornelius das Lied „Prinz Eugen, der edle Ritter“ anſtinumte. Von ſeiner Tiſchrede iſt mir wenigſtens noch der Schluß erinnerlich, er ſagte: „Die Kunſt hab' ich geliebet, Die Kunſt hab' ich geübet Mein Leben lang; Die Künſte ſtets verachtet, Nach Wahrheit nur getrachtet, Drum wird mir auch nicht bang.“ Großer Jubel mit Trompetengeſchmetter folgte hierauf und erfüllte den herrlich geſchmückten Saal Werm wir Alten an jene Zeit zurückdenken, fo fällt uns im Vergleich zu jetzt beſonders das ſchöne Zuſammenleben von jung und alt auf. Die Verehrung für die mit uns lebenden älteren Künſtler, unſere Meiſter, war eine aufrichtige und
pietätvolle. Man erkannte das, was fie Gutes gemacht hatten, und freute ſich deffen,
obwohl man damals fo gut wie heute wußte, daß früher andere da waren, die es noch beſſer konnten. Man verzieh ihnen, wenn ſie in ihrem Eifer, ſich aus ſchlinuner Zeit herauszuarbeiten, noch nicht ganz die rechten Wege einſchlugen, indem man eben dieſe Verſuche, die Kunſt aus dem Verfall einporzuheben, hochachtete.
Die Künſtlerkolonie auf Frauen⸗Chiemſee hatten im Jahre 1822 Max Haushofer, der Landſchafts⸗ maler, die Brüder Boshart und Franz Trautmann begründet ; fie blieb bis um die Jahrhundertwende in Flor.
Blutenburg, ein Dorf bei München an der Würm gelegen, mit einem aus dem 15. Jahrhundert ftammenden, ehemals herzoglichen Schloß. In der Kapelle find die berühmten gotiſchen Skulpturen.
Der junge Juriſt war Eduard Fentſch, ſpäter Regierungsrat, eine im öffentlichen Leben Münchens ſeit etwa 1840 vielgenannte, beſonders in Künſtlerkreiſen beliebte Perſönlichkeit. Seine Maipredigt aus dem Jahre 1838 folgt in einem ſpäteren Abſchnitt.
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Als Peter Cornelius aus München ging
An König Ludwig.
„Gott lenkt die Herzen der Könige!“ Es war eine ſchöne Zeit, als er mir das Herz Ew. Königlichen Majeſtät mit entſchiedener Gnade zuwandte. Aller Anfang iſt ſchwer; aber durch den Strahl der königlichen Gnade wurde ein neuer Frühling der Kunſt hervorgerufen, der ſich nachher fo weit verbreitete und fo mannigfaltige und großartige Schöpfungen erzeugte.
Allein Gott lenkt die Herzen der Könige, und es gefiel ihm, das Herz Ew. König⸗ lichen Majeſtät gegen mich zu verſchließen. Es ſei ferne von mir, darüber zu murren und mit meinem König und Herrn, meinem größten Wohltäter, zu rechten. Ich unterwerfe mich in Demut allem, was Ew. Königliche Majeſtät in Ihrer Weis⸗ heit beſchließen.
Nur ſei mir vergönnt auszuſprechen, daß dieſe hohe Gnade allein mich hierher zog, ſie allein mich eine Reihe von Jahren hier feſſelte, mich begeiſterte und antrieb, das zu ſchaffen, was nur immer in meinen Kräften lag; daß ohne dieſe königliche Huld München für mich ein Grab iſt. Ohne ſie würde ich hier in Schwermut verſinken; ich würde den Glauben an mich ſelbſt und mit ihm alle ſchöpferiſche Kraft verlieren, die mir Gott gegeben hat, ſo daß ich bald von der Mittelmäßigkeit überflügelt, ein Spott, eine Augenweide des Neides würde, der gleißend ſchon ſo lange mich zu untergraben bemüht war. Tief fühlte ich ſchon lange die Wahrheit dieſer Betrachtung, und fie führte mich zu der innigſten und feſten Überzeugung, daß meine Miſſion in München vollkommen erfüllt iſt, und daß ich nur meiner Beſtimmung Genüge leiſte, indem ich jetzt dem Rufe zu einem neuen Wirkungs⸗ kreiſe anderwärts folge.
Aber mm, da ich ſcheiden ſoll, — wie tritt da alles das, was Ew. Königliche Ma⸗ jeſtät für mich getan haben, ſo groß und glanzreich vor meine Seele! Wie ſegne ich jene Stunde, da die Vorſehung mich der erhabenen Perſon Ew. Königlichen Majeſtät entgegenführte, für mich eine ewig heilige Erinnerung. Ich wäre unfröft-
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lich ohne das Bewußtſein, daß ich Ew. Majeſtät und der Kunſt alle meine Kräfte, mein Talent, mein ganzes Leben mit Ernſt und Liebe geweiht habe.
Vielleicht wird die Zeit und Entfernung mich und meine hieſige Wirkſaunkeit einmal wieder in dieſem Lichte erſcheinen laſſen. Möchte aber jetzt ein freundlicher Widerſchein der früheren königlichen Huld mir das Scheiden erleichtern. Ich würde es als ein ſegenbringendes, glückliches Augurium deuten und meine neue Bahn mit größerer Freudigkeit und Zuverſicht betreten. So würde ein ſchönes Verhältnis auf eine würdige Weiſe ſich löſen und der Alltäglichkeit das Mittel genommen, es ſchadenfroh in ihre dunklen Kreiſe hinabzuziehen.
Dieſes ift die letzte Bitte, die ich ehrfurchtsvoll vor den Stufen des Thrones Ew. Königlichen Majeſtät niederzulegen mich unterfange, der ich etc.
München, Januar 1841. P. ov. Cornelius.
Das Mißverſtändnis zwiſchen dem König und Cornelius erwuchs aus der Unzufriedenheit des erſteren mit dem Altarbild „Das jüngſte Gericht“, das Cornelius für die Ludwigskirche geſchaffen und im Jahre 1840 vollendet hatte. Oſtern 1841 überſiedelte Cornelius nach Berlin.
Joſeph Schlotthauer
J. N. Ringseis widmet in den von feiner Tochter Emilie herausgegebenen „Er⸗ innerungen“ dem Freunde dieſes Gedenkblatt:
Dieſer Wackere war der Sohn eines Münchner Tiſchlers. Als kleiner Knabe war er durch Krankheit unfähig zum Gehen und Stehen; ſeine Beinchen litten am Schwinden oder einer Verkrüppelung. Da trat eines Tages ſeine Mutter im Vor⸗ beigehen in die Herzogſpitalkirche, um vor dem Bilde der ſchmerzhaften Mutter Gottes Hilfe in ihrem Kummer zu erflehen. Als fie heümkehrte, fand fie den Knaben am Gitter ſeines Bettſtättchens aufgerichtet und nach dem Boden verlangend; er war und blieb geheilt. Dies Erlebnis mag ſeine ſpätere Meigung zur Orthopädie befördert, die Ausbildung im Handwerk ſeines Vaters, ſein mechaniſches Talent früh entwickelt haben. Als Soldat iſt er bis nach Spanien gekommen. Erſt hernach wandte er ſich zur Kunſt und zeigte als Maler feine Empfindung und Schönheits- finm. Sein religiöſes Bedürfnis führte ihn jenen Männern zu, deren eifrige, aber unerleuchtete und ſtarrſinnige Frömmigkeit fie ſchließlich in Separatismus
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geſtürzt, worauf allerdings die beften ihrer Freunde, wofern fie der Kirche fich innerlich entfremdet hatten, ihr wiederum von Herzen ſich unterwarfen.
Schlotthauer hatte eine ſchöne Stimme und fang Volksweiſen zur Gitarre. Auf einer Reiſe, die er als junger Mann zu Fuß wandernd, mit Freunden durch Oberitalien machte, kehrten fie meiſt in Bauernhäuſern ein und erfreuten die abend- liche Muße der Bewohner durch Sang und Spiel; frugen ſie am Morgen nach der Zeche, ſo hieß es, man habe vielmehr ihnen zu danken für ſolchen Genuß. Als Cornelius nach München kam, ſchloß ſich Schlotthauer ihm innig an, und man verſichert, dasjenige, was er von des Freundes Kompoſttionen in der Glyptothek zur Ausführung übernommen, ſei in der Farbengebung das weitaus Schönſte. Die Profeſſur an der Akademie gab Schlotthauer einen reichen Wirkungskreis, in welchem er als treuer Lehrer nicht nur das künſtleriſche, ſondern überhaupt das Ge⸗ deihen ſeiner Schüler an Seele und Leib ſich zu Herzen nahm. Freilich wurde geklagt, daß ſeine Güte oft in Schwäche übergehe, indem er etwa einen vom Lehrerkolleg bei der Haupttür Hinausgeſtoßenen durch ſein Mitleid bei einem Hintertürchen wieder hineinzuſchmuggeln gewußt. Ebenſo war er oft überſchwänglich und die Rückſicht auf Würdigkeit allzuwenig im Auge haltend in ſeinen Almoſen, worüber ſeine gute Frau einſt äußerte: „Wenn Schlotthauer einmal an die Hümmelstür konumt, fo wird er bitten müſſen: Herr, verzeih mir meine guten Werke!“
Leider ließ der Gute ſich je länger je mehr von eigener Ausübung der Kunſt abziehen durch ſeinen Erfindungsgeiſt in der Mechanik, der neben ſehr tüchtigen Leiſtungen doch in anderem, nicht ohne Verſchulden Schlotthauers, ſein Ziel ver⸗ fehlte. Treffliche Erfolge hatte er aufzuweiſen in der Orthopädie, in welcher ſein künſtleriſches Auge ihm häufig beiſtand, den Sitz des Übels zu finden, während ein tüchtiger Arbeiter feine ſinnreich erfundenen, möglichſt milde wirkenden Maſchinen und Mieder herſtellte. Für rein ärztliche Seiten der orthopädiſchen Behandlung nahm er Ringseis und den ihm befreundeten Profeſſor Dr. Horner zu Hilfe; dennoch wurde er von mediziniſcher Seite das eine und andre Mal angefeindet. Dies und noch mehr die finanzielle Schwierigkeit veranlaßte ihn, ein orthopädiſches Inſtitut für Mädchen, das er einige Jahre hindurch gehalten, wieder aufzugeben, und mim bezog er ein von ihm erworbenes Häuschen mit Garten am jenſeitigen Iſarufer, wo die ſchlichte, aber künſtleriſch traute Einrichtung den Reiz erhöhte, welchen die Freunde im Umgang mit dem redlichen und vielſeitig begabten Mann und in der
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Eröffnung der erften Induftrie-Ausſtellung zu München im Jahre 1854
Steinzeichnung von Peter Herwegen
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häuslichen Atmoſphäre feiner trefflichen Frau empfanden. Aber die böfe Iſar, da- mals noch ungenügend reguliert, ſpielte ſeinem armen, kleinen Anweſen ſo ſchlinune
Streiche, daß er nach ſchweren Beſchädigungen es verkaufen mußte. Jene erlittenen
Nöte veranlaßten ihn, feinen Erfindergeiſt auf Abhilfe gegen die jo ſehr gefürchteten Überfehwernmungen der Gebirgsflüffe zu richten. Die Mechanik, welche er erſann, hatte die Beſtimmung, die wilden Gewäſſer zur Selbſtregulierung zu zwingen; man hielt dafür, fie ſei von wundervoll ſinnreicher Einfachheit. Hier aber zeigte ſich jene Seite in Schlotthauers Weſen, durch welche er ſeinem eigenen Wirken das ſchlinunſte Hindernis und ſich ſelber manch tiefe Kränkung, manch ſchwere Sorge bereitet hat. Einſam über ſeinen Gedanken brütend, nahm er zu wenig Notiz von dem, was andere auf gleichem Felde bereits geleiſtet hatten; er wollte alles allein zuſtande bringen und konnte an kein Ende konnnen, weil er ſich niemals Genüge tat, immer noch eine neue Verbeſſerung, eine höhere Vervollkommnung im Sinne trug. Ver⸗ geblich drängten Ringseis und andere Freunde, endlich einmal abzuſchließen, die nötigen Schritte zu tun, damit die Behörde ſeine Erfindung kennen lerne; immer wieder zögerte er, bis es endlich zu ſpät und ein anderer Plan von der Regierung genehmigt war. Ahnlich erging es ihm mit der Stereochromie. Als Geheimrat Dr. Joh.
Nep. von Fuchs das Waſſerglas erfunden hatte, tat ſich derſelbe mit Schlotthauer zuſauunen, auf daß mit Hilfe dieſes wichtigen Mittels eine Wandmalerei zuſtande
komme, welche die Schwierigkeiten des al fresco vermeide. Hiefür war es mit der
Erfindung des Chemikers nicht genug; der Maler mußte ſeine praktiſchen Erfahrungen
machen. Dabei aber regte ſich Schlotthauers grübelnder Geiſt; er wollte weiter er⸗
finden und laborierte ſo lange, daß nach wiederholter vergeblicher Mahnung und
Drohung, ſich von ihm loszuſagen, der alte Herr, welcher die Anwendung noch zu erleben wünſchte, Schlotthauer den Scheidebrief gab und ſich an Kaulbach wandte, welcher in kurzer Friſt mit der Sache im Reinen ſchien. Ob von Schlotthauers Ideen etwas hiebei benützt wurde, wodurch er wäre in einem wirklichen Rechte ge⸗ ſchädigt worden, wiſſen wir nicht, wohl aber, daß er in tiefſter Kränkung es ablehnte, auf Ringseis’ Ausſöhmmgsverſuche einzugehen; doch gereichte es Ringseis zum Troſt, nach dem bald erfolgten Tode von Fuchs den alten Freund in deſſen Seelengottes⸗ dienſt zu treffen. Hätte Schlotthauer den jetzigen Zuſtand von Kaulbachs Bildern an der neuen Pinakothek erlebt, ſo hätte es ihm zur traurigen Genugtuung dienen müſſen. Er ließ nicht ab, an feinem Teil der Erfindung weiterzuarbeiten, und als
Ein Jahrhundert München 0
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Ringseis ihn beichwor, doch wenigſtens alles genau in ſchriftlicher Aufzeichnung zurückzulaſſen, verſicherte er, hiefür ſei geſorgt. Einſtweilen war der gering Beſoldete, welcher den künſtleriſchen Erwerb beiſeite gelegt und von ſeinen Erfindungen bisher nur Auslagen gehabt hatte, in die ſchlinumſte finanzielle Lage geraten, und mehr als eimnal mußten die Freunde ſchleunig eintreten, um ihn vor einer Kataſtrophe zu retten, wobei der Gute, überzeugt wie er war von der Tüchtigkeit ſeiner Erfindungen, in bäldeſter Zeit alles zu erſtatten verſprach. „O wie kann Schlotthauer das ver⸗ ſprechen!“, ſagte tiefbetrübt feine liebe Frau, deren letzte Jahre durch dieſe Kiunmer⸗ niſſe und durch die ſchmerzliche Überzeugung, daß ihr guter Mann nicht wenig eigene Schuld daran trage, ſehr verbittert wurden, und die trotzdem ihr kleines Haus⸗ weſen immer noch in idealer Reinlichkeit und Trautheit zu erhalten wußte. Sie war eine richtige Künſtlersfrau durch den feinen Sinn, mit dem fie dieſe kleine bürger⸗ liche Häuslichkeit zu vergeiſtigen verſtand, hatte auch von jeher, obſchon häufig an ſchwerem Kopfweh leidend, mit ihren feinen, geſchickten Fingern die niedlichſten, finnigften Arbeiten zuſtande gebracht. Rührend aber iſt uns vor allem die Erinnerung an ihre, des einfachen Bürgerkindes eigene Erſcheinung mit dem bleichen, ſanften und doch fo charaktervoll edlen Antlitz, mit der ſchlicht demütigen Würde ihrer Haltung. Nicht allzulang nach ihrem Hinſcheiden entriß auch ihren Gatten der Tod feinen irdiſchen Kiummerniſſen, aber fein Unſtern, die Tragik, die teilweiſe in feinem Geſchicke lag, war damit nicht zu Ende. Jene Aufzeichnungen über die Stereo⸗ chromie, insbeſondere über die Bereitung der Farben waren laut Verſicherung ſeiner Verwandten noch kurz vorher bei ihm geſehen worden; mim waren fie verſchwunden. Wenn ein Unberechtigter fie ſich angeeignet, jo hat er nichts daraus zu machen gewußt, denn man hat niemals mehr von der Erfindung gehört.
Joſeph Schlotthauer (1789 - 1869), religiöſer Maler, ſeit 1831 Profeſſor an der Akademie, wo er indeſſen, von ſeinem Amt als Inſpektor des Inſtituts ſehr ſtark in Anſpruch genommen, keine beſondere Lehrtätigkeit entfalten konnte.
Johann Nepomuk von Fuchs (1774 186) Chemiker und Mineralog, ſeit 1826 Univerfitätsprofeffor, feit 1839 Oberberg⸗ und Salinenrat in München, eine Autorität auf dem Gebiete der organifchen Chemie.
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Die Humpenburg
Franz Trautmann ſchildert in feinem Buche „Ludwig Schwanthalers Reliquien“, das zwar im Hinblick auf die Tatſachen nicht unbedingte Glaubwürdigkeit bean⸗ ſpruchen kann, aber die Stimmung glücklich einfängt, den frohen Künſtlerkreis um Schwanthaler:
Zwei Genoſſenſchaften beſtanden zu Ludwig Schwanthalers Zeiten nebeneinander: die Bärenſchaft — und jene von der Humpenburg. Da traf etwas ein; hiedurch wurden ſie beide in Eines verſchmolzen. Damit ging es ſo.
Nach nebenfälliger Benützung einiger weiterer Räumlichkeiten für plaſtiſche Ar⸗ beiten in der Sonnenſtraße, eroberte ſich der Storchenauer, wie Schwanthaler ge⸗ nannt war, ein langgeſtrecktes Haus in der Lerchenſtraße und errichtete ſich darin drei große Werkſtätten, zur Seite ſeines Schlafzimmers aber, einige Stufen tiefer, ein Gemach, wie er es eben ganz wünſchte, um altem Hang völlig zu genügen.
Er baute es zum Teil hallenartig, verſah es mit bunten Glasfenſtern, ſtattete das Innere mit altem Schnitzwerk, Humpen, Waffen, Geräten und anderen anfprechen- den Reſten der Vorzeit aus, und ein paar altertümliche Tiſche und Stühle fehlten nicht.
Dies war die wahrhafte, wohlberühmte und noch heute fo vorfindliche Humpenburg. Sie ſollte zum allerneueſten und letzten Aufenthalt dienen, wenn ſich nur eine ge- ringere Anzahl Genoſſen einfände; für zahlreichere Zuſammenkünfte war die ſoge⸗ nannte obere, die größte der beſagten Werkſtätten, beſtinunt.
Als die Zeit kam, fand gemeinfchaftlich feierlicher Einzug ſtatt; voraus ſchritt ein reichgeſchmückter Ehrenhold, das neue Wappen der Ritterſchaft auf Bruſt und Rücken. Der Auszug aus der Werkſtatt nächſt der proteſtantiſchen Kirche wurde aber noch vorher durch eine große Zeichnung Schwanthalers und Pocci-Diepolts verewigt.
Alle erſcheinen dabei hoch zu Roß. Voraus reitet ein Vetter Schwanthalers, namens Anton als Mönch. Ihm folgt der frohbiedere Schlotthauer als Minne⸗ fänger; Beck Fridericus, der Philologe und Poeta, ſchließt ſich ihm als Poſaunen⸗ bläfer an. Nun rückt Vetter Xaver mit dem ehrenwerten Haftl, Freiherrn, als
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rieſiger Kämpe herbei, gefolgt vom Kropf von Windbruch, welcher ein Eoloffales Champagnerglas trägt. Wieder zeigt ſich ein Held, der Hotz von Koſtnitz; als junger Ritter, einen graziöſen Pokal in der Hand, folgt Diepolt (Pocci); Maler Hiltens⸗ perger, Lang von Ulm, Eduard von Ried und Hofſtetter nahen als Turnierer. Links im Vordergrund erblickt man des Storchenauers Schweſter Roſalia als ammutiges Burgfräulein, und ſo tritt mehr vor Augen.
In Mitte des Ganzen aber ſitzt als Burgherr Ludwig der Storchenauer — und weil die Schadenfreude unbezweifelt einer der mächtigſten und gefährlichſten Teufel iſt, zeigt ſie ſich als ein ſolcher hoch oben auf der Burg und weiſt eine ſiegreiche Gebärde auf, als ſollte es heißen: Ich zieh' Euch nach und bin auch dabei in der anderen Humpenburg; es ſoll doch nicht Zwiſt geben! Aber Meiſter Ludwig weiß, daß die Dämone und Teufel nichts über den vermögen, welcher fich ſelbſt in der Gewalt hält. Deshalb ſtreckt er dem Teufel in luſtigem Hohn zwei Finger ent⸗ gegen zum offenen Beweis, daß er ſich nicht fürchte, und daß Freude und Herzlich⸗ keit nach wie vor walten ſollen.
Demſelben Auszuge wurden noch andere Ja und auch Gedichte geweiht, welche ſo recht an den Tag ſtellten, wie innig ſich alle Genoſſen um ihren Herrn und Meiſter reihten, und welch ein Schatz von Wohlwollen, Treue und Unverdorben- heit unter der oft fo ſtürmiſchen Außenſeite der Humpenauer zu finden war.
Als die Ritterſchaft von der neuen Humpenburg Beſttz ergriffen hatte, kam das volle Leben der ritterlichen Romantik, wie es ſich Schwanthaler urſprünglich gedacht hatte, erſt in wahre Verwirklichung. Es war oft, als hätten ſich Gräber und Grüfte in alten Schloßruinen oder Kirchen geöffnet — nicht aber zu düſterem Geiſterſpuk, ſondern als ob die längſt Begrabenen und Zerſtäubten in voller Kraft und Lebens⸗ friſche herausgeſtiegen wären und in voller Gültigkeit für heutige Zeiten.
Es lag dabei ein tiefer Ernſt, eine gewiſſermaßen heilige Feierlichkeit in und über allem Vorkommen, und Alles ſtimmte dazu: Handlung, Geſprächsweiſe, Anord⸗ mung der Räumlichkeit und Gewandung der Ritter. In letzterer blieb der Storchenauer, wenn es echt Ritterlichem galt, ſicher in nichts zurück. -
War an anderen Abenden die Aufgabe eine mehr phantaſtiſche, alſo in freier Weiſe, fo blieb ſich der Anblick der Genoſſenſchaft ungefähr gleich, nur daß Einer oder der Andere ſich nicht gar zu ſehr einpanzerte. Schwanthaler ſelbſt aber belaſtete ſich an ſolchen Abenden nicht mit Rüſtſtücken.
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Steinzeichnung von J. Bergmann (183g)
Vielmehr war fein beliebtes Gewand ein grauer, geſtrickter Leibrock mit entfpre- chend übriger Ritterhauskleidung, das Haupt aber war mit einem ſchwarzen Barett bedeckt, welchem eine nach rückwärts keck abſtehende, rote Feder zum Schmuck diente.
Hie und da erſchien er auch anders, am liebſten als Moosgeiſt mit blauem Mantel, ellenlangem Moosbart und krauſer Moosperücke. Als ſolcher ſtand er dann gelegentlich an der Pforte der Humpenburg, ſah hinunter zu den Genoſſen, welchen ſeine lange Abweſenheit ſchon fühlbar ward, und ſchaute dem Treiben derer da unten zu, bis es ihn ſelbſt nicht mehr litt oder die Ungeduld einen Boten ent⸗ ſandte, welchen dann der lobeſame Moosgeiſt mit ſchauererregender Stimme auf der oberſten Stufe in Empfang nahm.
Stieg er dann hinab in die buntfunkelnde Humpenburg, oder befand man ſich in der oberen Werkſtatt und er war etwa völlig gut gelaunt — ſobald er erſt recht in Zug kam — ſtinmmte er irgend einen Lieblingskantus an, meiſtens jenen vom Herrn Kunrad von Eberſtein, welcher, bei aller Eckigkeit und anderweitig Wildem, doch von unleugbar poetiſchem Eindruck iſt, wenn man alte Zeiten verſteht. Er lautet:
Am Rundtiſch, im funmigen Erker, Da ſaß Herr Kunrad von Cberftein Beim Krug mit den Geſellen ſein, Durchs Fenſter herein
Da lugen die Reben ſo fein.
All waren ſchon lange die Humpen,
Das grämt Herrn Kunrad; er poltert drein: „Soll trocken das ritterlich Leben fein?
Der Bold bleibt lang aus —
Schau' Wolfgang hinaus!“
Da hat ſich der Wolfgang geſputet
Und ruft an der Tür: „Da ſchaut er herein, Ei ſo komm, ſchenk ein,
Das wird eine Freud' ſein!
Was lugſt mich fo an,
Wer hat dir was tan?“
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„Da draußen am Bühel am Weiher, Da brüllt ein Ur und rennt mir nach Gar zornig und jach,
Daß das Staudenwerk kracht,
Wie ich komm' mit dem Krug
Und zum Wald hinein lug!“
Da fährt Herr Kunrad von ſeinem Stuhl auf Und greift zur Armbruſt gleich hinauf, Schreit freudig ohei,
Und Alles ſtinumt bei —
„So trinkt mur aus,
Dann zieh'n wir hinaus!“
Und mim fprengen fie ſchon von dannen, Ihre Büſche nur lugt man im Wald, Zum Bühel Eommen fie bald, Beginnen die Jaid,
Heija huſſa, die Jaid,
Das Wild, das tut mir leid!
Und wer liegt unterm Eichbaum am Bühel? Es ſind die Geſellen der frohen Jaid,
Die trinken und ſingen in Mannesheit — Die Rüden, die müden Roß',
Die laſſen ſie los.
Es iſt wohl weit von ſolch tiefen Eindrücken bis zu anderen, förmlich burlesken. Indeſſen das Treiben und Leben der Ritterſchaft war einmal bunt.
Wenn ſich Poeſie, Geſang und romantiſches Spiel oft in voller Weihe — der Ernſt mit Heiterkeit gepaart, die Heiterkeit von des ſinnigſten Ernſtes Wert getragen — bewährt hatten, gab es wieder Einzelſzenen, in welchen ſich eine nahezu unbän⸗ dige Luſtigkeit kundtat. Bei vielen ſolchen Szenen ſpielte das Schaurige die Haupt⸗ rolle. Begreiflich trug aber der Schalk den Sieg davon. Hier ein Muſterſtück:
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Die Humpenburg. Nach einem Holzſchnitt von
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Der Vetter Xaver war eine freffliche Burgherrngeſtalt, friſch-froh blickend, was ihm Jeder gönnte, und bei einem Hupen Braunem oder Gelben — den Roten verſchmähte er ſo viel minder — pflegte er auch nicht der Letzte zu ſein. Gerade wie der Ludwig und noch mehr andere, tapfere Geſellen vor und nach ihm.
Als mi der Vetter Xaver eines Tages noch in der oberen Werkſtatt meißelte, mittlerweil ſich eine Zahl Ritter, wie öfter, in der erſten unteren, nächſt dem Gärtlein befanden, um ſich dann in die Humpenburg zu begeben, ward er hinabgerufen. Dem Geheiß folgte er alsbald, trat ein — und ſiehe da — wen erblickte er von Angeſicht zu Angeſicht? Niemand anderen, als ſich ſelbſt.
Das heißt, er lag da zwiſchen brennenden Kerzen, aufs Beſte modelliert, ange⸗ ſtrichen und gekleidet, auf einem Schragen, die Hände über einander gefaltet; der Leib aber war von äußerſt großem, verhältnismäßig rieſenhaftem Umfang. Es zeigte ſich demnach der Vetter Kaver oder Kuno von der Humpenburg in jenem Zuſtand irdiſcher Verkommenheit und Hinfälligkeit, welche uns unter verſchiedenen Arten, früher oder ſpäter, allen gewiß iſt. Was mim den angeſtrichenen Vetter Xaver be⸗ trifft, kniete ihm zunächſt ein ſchwarzer Pater mit beweglichen Gebärden, und man ſah es dem fronunen Mann wohl an, wie ſauer er ſich's um die Seele des Dahin⸗ geſchiedenen werden laſſe.
Um den Toten herum ſtrich aber mit großer Begier eine andere Perſon, nämlich der Teufel. Der hatte zinnoberrote Hoſen an, auf dem ſtruppichten, brennroten Haupt anſehnliche Hörner und eine lange, verhängnisvolle Hahnenfeder hinter einem derſelben.
Fraglicher Teufel, in deſſen Mummerei niemand Anderer ſteckte, als der fromm- frohe Meiſter Ludwig, tat zu wiederholten Malen äußerſt kecke Griffe nach dem geſtorbenen Xaver. Aber jedesmal, wenn er zu nahe rückte, verſcheuchte ihn der Pater, indem er einen kräftigen Spruch bald lateiniſch, bald deutſch entgegenſchleuderte und den Satanas mit einem impropifierten Weihboſch beſpritzte.
Über dieſes Hindernis der Annäherung geriet der Teufel ſtets mehr in Zorn, ver⸗ gaß urplötzlich alle Scheu, drängte den Pater weg, warf ſich auf den Toten und riß ihm mit großer Wut und grauenhaft hölliſchem Siegesjauchzen den Leib mitten entzwei, um des Xaverius Seele zu erobern.
Aber anſtatt der Seele fand ſich etwas ganz Anderes vor, nämlich ein weidliches Fäßlein Braunes, ein Gegenſtand und Anblick, welcher der vorhandenen Ritter⸗ ſchaft großes Behagen und lautes Verlangen nach Befigergreifung abgewann.
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Um fo weniger ließ der Höllenfürſt von feiner Begier und Rache ab. Werfchie- dene Male mit äußerſter Anſtrengung weggebannt, fuhr er noch bei erſter Gelegen—
heit auf das Fäßlein los, lupfte es und rannte damit fort, zur unteren Werkſtatt hinaus in die obere, hinter ihm drein die Genoſſenſchaft — an der Spitze derſelben,
in luſtigem Zorn und nicht fparfar mit ritterlicher Schmähung, der lebendige Vetter Xaver, noch vor ihm aber der Pater mit ſtets heftigeren Beſchwörungsformeln und hochgeſchwungenem Weihboſch. f Endlich holte man den „gar anderen“ ein, hielt ihn bei den Schultern und Hör⸗ nern feſt, nahm ihm ſeinen Raub ab, poſtierte das Fäßlein in Mitte der Werkſtatt und verurteilte den hölliſchen Miſſetäter zum Zechen mit fronunen Rittersleuten.
Dieſer Sentenz unterwarf ſich der Seelenräuber nur nach entſprechendem Wider⸗ ſtreben. Als er aber erſt völlig in Beſchlag genommen war, fand er die fromme Nachbarſchaft mit feiner Teufelsnatur ſehr wohl vereinbar und „tyoſtierte“, um an⸗ geſtammte Flammen gründlich zu löſchen, ganz tapfer. Mit Keinem aber mehr, als mit Vetter Xaver, welcher hinwieder ſeinerſeits augenſcheinlich ſehr erfreut, nicht tot, ſondern lebendig zu ſein, auch ſein Möglichſtes tat, die letzte Spur etwaigen Grolles und Schreckens wegzuwaſchen und mit ritterlicher Haltung dem Begriff Ehre zu machen, welchen der Teufel bei Aufreißung ſeines Leibes in Sachen ſeiner Seele hatte.
Solcher Dinge begegneten dem Vetter Xaver gar viele, wie er fich denn einmal nach einer höchſt abenteuerlichen Komödie zuletzt als feuerſpeiender Berg in Szene geſetzt ſah. Ein anderesmal ward er als Traube aus dem gelobten Land an einer Stange hereingetragen. Als Centaur figurierte er auch eines Abends — desgleichen als ein durch Nacken und Haupt geſpießter Leu. Wieder eines Abends ſauſte er mehrfach als Lokomotive über die Bühne, und noch in verſchiedener anderer oe; bot er ſich dem Blick dar.
Die Lerchenſtraße iſt inzwiſchen in Schwanthalerſtraße umgetauft worden; Schwanthalers Atelierhaus beherbergt heute das Schwanthaler⸗Muſeum.
Von den genannten Recken der Humpenburg ſind als bedeutend und weiter auswirkend im einzelnen namhaft zu machen: voran Franz Grat von Pocci (1807 - 1876). hier unter dem Ritternamen Diepolt erſcheinend, ein Univerſalgenie, als Maler, Zeichner, Muſiker. Dichter tätig, eine das Münchner Geſell⸗ ſchafisleben faſt vier Jahrzehnte hindurch beherrſchende Perſönlichkeit, heute beſonders noch durch feine Puppenkomödien, die Repertoirſtücke des Münchner Marionettentheaters, weiterlebend. Friedrich Beck (1806 1888) Profeffor und Redakteur der „Bayeriſchen Zeitung“, ſchrieb die romantiſche. Ge⸗ ſchichte eines deutſchen Steinmetz“. Heinrich Hofſtetter, von Haus aus Juriſt. ging zur Theologie über und ſtarb 1875 als Biſchof von Paſſau. Johann Georg Hiltenfperger (1806 - 1890), feit 1822 in. München, feit 1831 als Korrektor der Antikenklaſſe an der Akademie.
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Blick auf München mit der Praterinſel
Künſtlergeſellſchaften
Friedrich Pecht war acht Jahre von München fern; im Jahre 1843 kam er wieder und erzählt über ſeine Eindrücke, die er vom Münchner Kunſtleben gewann:
Der bloße Umſtand, daß ich durch ein Pariſer Atelier gelaufen war und dem- entſprechend ſchwärzlich malte, verſchaffte mir Aufnahme in eine Geſellſchaft von Künſtlern, die alle älter und begabter waren als ich. Sie beſtand faſt durchwegs aus Landſchafts⸗ und Sittenbildmalern, jo aus dem mir von früher befreundeten Schleich, dann aus Heinlein, Morgenſtern, Felix von Schiller, Albert Zimmermann, dem Lithographen Hohe, Kaſpar Braun, der von der Malerei ſich eben zum Holzſchnitt wandte, dem Tiermaler Lotze; vor allem aber zählte ſie zu den ihren den liebens⸗ würdigen Spitzweg, der ſich aus einem Apotheker auch noch nicht lang zum Maler umgewandelt hatte, neben vielen anderen, die ich vergeſſen. Wir kneipten allabendlich im Café Scheidel an der Kaufingerſtraße, während der größere Teil der jungen Maler im Stubenvollbräu ſich zum erſtemmale ein Lokal im gotiſchen Stil, eng, rauchig und unbequem, aber ſehr romantiſch geſchaffen hatte, wo Fedor Dietz und Kreling das große Wort führten und es oft ſehr wild und lärmend herging. Beide Geſellſchaften kämpften beſtändig um den Einfluß im mächtig herangewachſenen Kunſtverein, von deſſen Käufen die meiſten Kümſtler mehr oder weniger abhingen.
Kaſpar Braun (1807 1877) ift der Begründer der Fliegenden Blätter, deren erſte Nummer am 3 Oktober 1844 erſchien, und des um die Pflege des Holzſchnittes hochverdienten Verlags Braun & Schneider.
Von den Genannten iſt beſonders Karl Spitzweg (1808 1885) hervorzuheben, ein Autodidakt, der nicht allein einer der vorzüglichften Maler feiner Zeit war, ſondern auch als Schilderer Alt⸗Münchens, das er in eine Wolke liebens würdiger Romantik einhüllte, einer der merkwürdigſten Meiſter dieſer Epoche iſt.
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Die Sonntagskinder Geſelligkeit im Haufe Wilhelm Kaulbachs
Der Sonntag Abend war Ende der vierziger Jahre im Kaulbachſchen Haufe der Geſelligkeit gewidmet. Eine große Zahl von Freunden fand ſich regelmäßig ein, und mit ernſten und heiteren Geſprächen, mit Muſik und Dichtkunſt, und intereſſanten Vorträgen aller Art verfloſſen die Stunden raſch. Die Bewirtung war dabei die denkbar einfachſte: es gab jedesmal Kalbsbraten mit Kartoffeljalat, allerdings beides von der Mutter mit beſonderem Verſtändnis und ſo vortrefflich zubereitet, daß heute noch der „Kaulbachſche Kalbsbraten“ eine traditionelle Berühmtheit genießt. Nach und nach hatte ſich ein Grundſtock von Intimen gebildet, die ſich den Namen „Die Sonntagskinder“ beilegten. Um dieſen Kreis kriſtalliſterte ſich, was von Fremden zu längerem oder kürzerem Aufenthalt in München war, und es wird wohl keinen Namen von Bedeutung geben, deſſen Träger nicht wenigſtens vorübergehend der Gaſt des Hauſes geweſen iſt. Es exiſtiert noch in unſerer Familie ein reichverziertes Album, welches die „dankbaren Sonntagskinder“ der Mutter geſchenkt hatten. Das Widmungsgedicht iſt von Ernſt Förſter, dem bekannten Kunſthiſtoriker, illuſtriert von E. Neureuther, dem berühmten Illuſtrator. Die Blätter des Buches enthielten Beiträge aller Art von den Malern Rottmann, Teichlein, Dürck (meinem ſpätern Schwiegervater), Asher und Dietz, von den Muſikern Franz Lachner, Speidel, Goltermann, von Franz Liszt, der Fürſtin Wittgenſtein, von Geibel, Liebig, Graf Pocci, Laſaulx, von Perfall, dem ſpäteren Intendanten, von Bluntſchli, dem be⸗ kannten Nationalökonomen, und vielen anderen mehr.
Im Jahre 1846 war auch die berühmte Sängerin Jenny Lind, die in München an der Oper auftrat, während dieſer Wochen in unſerem elterlichen Hauſe Gaſt. Die Sängerin wollte nicht in einem Hotel, ſondern in einer Familie auſgenommen ſein; dies hatte der Direktor des Konſervatoriums, C. Hauſer, an einem Sonntage
im Kaulbachſchen Haufe erzählt, und der Vater, leicht entflanunt, hatte ohne weiteres * ſogleich ſeine Gaſtfreundſchaft angeboten. So fuhr denn eines ſchönen Tages der
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eigens für Jenny Lind gebaute, große Reiſewagen, mit Koffern und Kiften hochbe⸗ packt, zum Gartentor herein. Daß hiebei die ſorgfältig gepflegten Blumen und die reinlichen Wege verdorben und vertreten wurden, erregte ſchon gleich den Zorn des Vaters, der ſich überhaupt ein ganz anderes Bild von der ſchwediſchen Nachtigall gemacht hatte. Jenny Lind war eine äußerſt liebenswürdige, aber ebenſo launiſche und verwöhnte Künſtlerin und unterlag noch mehr ihren Stimmungen wie Kaulbach. Die Mutter mag da wohl manche fatale Stunde durchkoſtet haben, denn beide Kümſtler bewegten ſich in Gegenſätzen: war der eine verſtümmt, jo war der andere guter Laune; hatte der eine Luſt allein zu ſein, ſo wollte der andere Menſchen um fich ſehen. Der Höhepunkt dieſer Extreme war aber an dem ſchönen Abend erreicht, als Penny Lind im „Freiſchütz“ das Ännchen fang. Sie hatte während der Vorſtellung das Mißgeſchick, ihren Schuh zu verlieren; dadurch kam fie aus der Stünmung, dies wirkte wieder auf das Publikum, — das Fluidum zwiſchen Bühne und Hörern war fort, und der erwartete Erfolg blieb aus. Zu Hauſe aber hatte die Mutter eine große Geſellſchaft geladen, und alles war geſpannt, die berühmte Sängerin von Angeſicht zu Angeſicht zu ſehen. Wer aber nicht zum Vorſchein kam — war Jenny Lind. Sie hatte ſich in ihr Zimmer eingeſchloſſen und hörte auf kein Rufen und Pochen. Der Vater, ärgerlich über dieſe Rückſichtsloſigkeit, ſchloß ſich ebenfalls ein und überließ die erſtaunten Gäſte der Mutter, die ſich am andern Morgen ein Vergnügen daraus machte, den beiden zu berichten, wie außergewöhnlich gelungen und beſonders heiter der Abend verlaufen ſei.
(Aus „Erinnerungen an Kaulbach und ſein Haus“, niedergeſchrieben und heraus⸗
gegeben von Kaulbachs Tochter Joſepha Dürck.)
Ernſt Förſter (1800 1885), urſprünglich Hiftorienmaler, wandte ſich ſpäter dem Schrifttum zu und war der begeiſterte Herold der Cornelius, Kaulbach, Schwind und ihrer Richtung.
Eugen Napoleon Neureuther (1806 1882), Maler und Radierer, auch Vorſtand der Porzellan» manufaktur, war ein an ornamentalen Einfällen reiches, auf liebenswerteſte Poeſiehaftigkeit geſtelltes Talent.
Jenny Lind (1820 1887) aus Stockholm, feit 1844 als gefeierte dramatiſche Sängerin in Deutſch⸗ land auf Gaſtſpielreiſen, die ſich zu wahren Triumphzügen fteigerten.
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Hofarchitekt Leo von Klenze
Steinzeichnung von J. Fertig
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Bei Görres und Schelling
Darenberger ſchreibt un „Münchner Hundert und Eins“: Das kleine Haus des Görres iſt in einem ſorgſam gepflegten und, wie es ſcheint,
von den Bewohnern geliebten Gärtchen an der Schönfeldſtraße faſt gegenüber dem Kriegsminiſterium gelegen. Hier ſchrieb der Mann des „Nheiniſchen Merkur“ und „ „Deutſchland und die Revolution“ feinen donnerrollenden Athanaſius. So ziemlich allgemein wird der fünfundſechzigjährige Verfaſſer der „Myſtik“ als das Haupt
der ultramontanen wiſſenſchaftlichen Partei betrachtet und, wie von ſeinen Gegnern
l maßlos angefeindet, jo wird er von diefen feinen Verehrern enthuſiaſtiſch angeſtaunt. So lange Görres in München iſt (ſeit 1827) empfängt er jeden Sonntag Abend
regelmäßig einen kleinen Kreis vertrauter Freunde, größtenteils Kollegen an der Univerfität, als Philipps, Döllinger, von Ringseis, Moy, Arndts, Cl. Brentano,
Höfler nebſt einigen Geiſtlichen. Auch fein Sohn Guido, feine Gattin, Tochter und
mehrere liebenswürdige Frauen find zugegen. Sehr häufig findet man hier Fremde von Auszeichnung, Künſtler und Gelehrte von verſchiedenen Färbungen der politiſchen und kirchlichen Meinung und der religiöſen Empfindung. Der Abend wird beim Tee in ernſten und heiteren Geſprächen zugebracht; Görres entwickelt im Umgange ein ungewöhnliches Wiſſen und eine geprüfte, vielbewegte Lebenserfahrung. Seine Sprache zeigt an ihm, ohne daß er Verſe gemacht hätte, einen der poetiſchen Geiſter der Neuzeit und iſt in der Tat zu bilderhaft, um allen völlig zum Bewußtſein zu
dringen. Nach dem Tee begibt ſich die Geſellſchaft — auch die amweſenden Fremden
werden mit großer Liberalität dazu eingeladen — in das Speiſezimmer, um an dem Abendeſſen Teil zu nehmen. Es herrſcht kein fühlbarer Zwang, und treuherzig ſpricht ſich der Charakter des alten Profeſſors aus, der im Kreiſe ſeiner Familie und ſeiner viel jüngeren Kollegen wie ein Patriarch erſcheint. Dies iſt ein Bild von Görres, wie er zu Hauſe, nicht wie er auf dem Katheder oder im öffentlichen Leben und Wirken erſcheint. Wen Intereſſe zu dem Manne hinzieht, der kann ihn öfter mit ernftern Ausſehen in feinem Hausgärtchen auf- und abwandeln ſehen.
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Auch Schelling empfängt am liebften des Sonntags; dort findet fich mehr, wenn auch nicht auschließlich, proteſtantiſche Geſellſchaft und vornehme Welt ein. Kaum geht ein Fremder von Namen und Ruf durch, ohne den großen berühmten Mann geſehen zu haben, der anſpruchslos, aber voll edler Haltung im äußeren Benehmen, ſtets ruhig, tief, klar und verſtändig in allen ſeinen Bemerkungen iſt. Thierſch hat unter allen hieſigen Gelehrten von höherer Bedeutſamnkeit am meiſten das, was man maison ouverte nennt; er ſelbſt erhält mit beredtem Geiſte das Geſpräch immer lebendig und nimmt großen Anteil an den Fragen des Tages und der Politik. Herr von Martius, der Chemiker Vogel und die Gebrüder Boifferde empfangen gleich⸗ falls intereſſante Beſuche und heißen Fremde mit Gaſtlichkeit willkommen. Hier iſt insbeſondere die Kunſt, dort die Maturwiſſenſchaft und Reiſebeſchreibung geiſtreich und ammtig vertreten, und wer dieſe gelehrten Abendzirkel beſucht, darf ſicher annehmen, mit den erſten Zelebritäten der Wiſſenſchaft in Europa nach und nach bekannt zu werden.
Carl Friedrich Philipp von Martius (1794-1868), Botaniker und Naturforſcher, ſeit 1820 Konſer⸗ vator des Botaniſchen Gartens, ſeit 1826 Univerſitätsprofeſſor in München.
Sulpiz Boiſſerée (1783 1854) und Melchior Boifferde (1786 - 1851) beide um die Kunſtwiſſenſchaft ſehr verdient, verkauften im Jahre 1827 ihre etwa 200 Werke zählende Sammlung alideutſcher und alt⸗ niederländiſcher Gemälde an König Ludwig, der ſie der Pinakothek einverleibte. Beide Brüder lebten, erſterer als Oberbaurat und Generalkonſervator der Kunſtdenkmäler Bayerns, von 1827 1845 in München.
Sonntag in der Biedermeierzeit Morgen im engliſchen Garten
Der engliſche Garten wird eigentlich viel zu wenig von den Münchnern ge⸗ würdigt. Die vornehme Welt fährt und reitet darin ſpazieren, der echte Münchner benützt ihn aber nicht an und für ſich, ſondern nur als Durchgang zu den in ſeiner Nähe liegenden Orten, Neuberghauſen, Föhring, Brunntal, Schwabing uſw., wo gutes Bier iſt. Der Sonntag Morgen aber hat in den ſchönen Sommermonaten ſein eignes Publikum; da ſieht man ihn von der Morgenröte an bis gegen 7 Uhr von einer Menge junger und zum größten Teil hübſcher Mädchen der dienenden Klaſſe belebt, welche dieſe wenigen Stunden, wo fie zu Haufe abkommen körmen, be⸗ nützen, um mit dem Gegenſtand ihrer Verehrung einen Kaffee ar chineſiſchen Turm zu trinken und ein trauliches Wort zu koſen. Es iſt intereſſant, wenn man gegen
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8 Uhr früh dahinkonunt und allen diefen zurückkehrenden einzelnen Liebespaaren begegnet, welche dann eilen, un zu Haufe nicht den Dienſt bei der geſtrengen Herrſchaft zu verſãumen.
Mittag in den Arkaden
Der Gottesdienſt iſt beendet, und alles ſtrömt nach 11 Uhr dem Hofgarten zu;
die Damen in feiertäglichem Gewande machen ihre Promenade in den herrlichen
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Arkaden. Scharen von Elegants ſtehen am Cafe von Tamboſi und laſſen dieſe vorüberſchwebenden, reizenden Erſcheinungen eine ſcharfe Kritik paſſieren; die Wacht⸗ parade kommt mit dem klingenden Spiele und herrlicher Muſik vorbei, und dann wird nach dem Kımftverein am Ende des Bazars gewandert, an diefenm Tage weniger der Kunſt als der ſchönen Damen wegen. Denn das Gedränge iſt dort fo groß, daß man wirklich die an jedem Sonmtag neu ausgeſtellten Schätze der Kunſt kaum zu ſehen bekommt, vielweniger aber fie mit Muße betrachten kann; indes — es gehört zur Mode!
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Der Nachmittag
An dieſem ſind die Straßen wie ausgeſtorben; Alles iſt nach den Umgebungen hin gezogen; man macht kleinere oder größere Partien, zu Fuß, zu Wagen oder auf der Eiſenbahn nach den verſchiedenen Orten. Mit der ſinkenden Sonne wird München erſt wieder belebt; man eilt dann dem Theater oder ſeiner geſchloſſenen Geſellſchaft zu.
(Felix von Schiller in ſeinem Büchlein über München vom Jahre 1843.)
Alt⸗Müunchner Faſching
Ludwig Steub plauderte im Jahre 1842 in der „Allgemeinen Zeitung“ über den Karneval:
Wir denken einiges über den heurigen Karneval zu berichten und wollen zuerſt an die Maskenbälle gehen. Die Maskenbälle find ja doch eigentlich die Kirmes⸗ fahne, die das Hoftheater aushängt, zum Zeichen, daß jetzt der Mummenſchanz er⸗ laubt ſein und die Saturnalien beginnen können. So beginnen auch wir mit ihnen. Unter einem Maskenball ſollte man ſich von vornherein wohl etwas recht Kurzweiliges vorſtellen — einen Tummelplatz der Faſchingsluſt, einen lauten Fechtboden des Witzes, ein keckes Stelldichein verborgener Liebe, wo mit üppigen Worten getändelt, mit gefährlichen Geheimmiſſen geſpielt wird, wo leicht⸗ fertige Wümſche und verfehmte Gedanken ungeſcheut vollführt werden, weil die Faſtnachtsflagge für den Abend die verbotene Ware deckt; hinter den ſchwarzen Masken brennende Sinne, verlangende Augen, auf den Zungen Scherzworte und lüſternes Geflüſter; nebenher ſtille Winke, verſtohlener Händedruck — alles bunt durcheinander in phantaſtiſchen Farben, in labyrinthiſchen Bewegungen, kichernd, lachend, lärmend, alles ſinnlich aufgeregt und im hellen Rauſch der Freu⸗ den. In der Wirklichkeit iſt es aber ganz anders. Die Maskenbälle ſind ſehr geſetzte Vergnügungen geworden, wenn ſie überhaupt noch welche ſind. Wir ſind glücklicher⸗ weiſe viel zu ſittlich und unglücklicherweiſe viel zu hausbacken, um noch etwas daraus zu machen. Für faſhionabel gelten ſie noch immer; es laſſen
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Der Wirtsgarten in Schwabing
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Stein gezeichnet von
Nach einem Gemälde von Anton Evers auf
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ſich die beſten Stände ſehen, aber der ſonnenſcheinige Anſtand, der am nüch⸗ ternen Tage herrſcht, regiert auch hier im feenhaft beleuchteten Raum. Wir
können uns die Sitten kaum mehr vorſtellen, denen dieſe Maskenbälle gefähr⸗
lich wurden. Man wogt jetzt ruhig auf und ab in ſchwarzem Frack oder in hellfarbigem Ballkleid und kümmert ſich ſehr wenig um einander. Masken ſind ſchon feit Jahren eine Seltenheit, und die Dominos, die noch zinvpeilen erſcheinen, beſchränken ſich darauf, durch jene lächerlich gewordene Frage die Amveſenheit der gefragten Perſon zu konſtatieren, und ſchlendern dann beruhigt wieder weiter. Alles iſt ſo harm⸗ los und ſo friedlich wie in einer Kleinkinderſchule. Witz und Scherz behalten wir im Herzen; warum auch vor wildfremden Leuten auf einem Maskenballe das bischen Humor vergeuden, das unter den Freunden am abonnierten Tiſch gefordert wird und dort oft nicht ausreicht bis zur Polizeiſtunde? Getanzt wird gar nicht mehr. Vor einigen Jahren brachten noch etliche Dienſtboten dieſes Opfer, aber auch ſie ſind davon zurückgekommen, und ſo ſpielt das Orcheſter ſeine vorſchriftsmäßigen Walzer ab, ohne irgend jemand zu verführen, denn auch die „Ehehalten“ haben die Süßig⸗ keit des Parketts kennen gelernt, und die groben Bretter ſind zu rauh geworden für ihre verwöhnten Sohlen.
Was aus dieſer Verkommenheit zu retten war, die Idee, die Pſyche, hat mit warmen liebenden Händen ein Mann erfaßt, den die Münchener Blätter mit frohem
Stolz als den Wiederherſteller der Karnevalsfreuden begrüßen. Wir nennen ihn
„unſern Streck“, und er iſt uns fo teuer, wie Johann Strauß feinen Wienern, wie Muſard den Pariſern. Der junge Mann arbeitet ſich zukunftsvoll empor und wirkt nebenbei auch als Muſikmeiſter in einem Infanterieregiment. Seine Anfänge liegen etwa ſechs bis ſieben Jahre rückwärts. Damals kam ihm der poetiſche Gedanke, die ſchöne Jahreszeit mit Muſik zu verſchönen, und er ahimte zuerſt die Entreebälle im Freien nach, die ihm die Wiener als gelungenes Muſter vorhielten. Neuberghauſen war ſeine Wiege, obgleich er mit der Zeit auch andere Luſtorte verherrlichte. Da ſpielte er denn mit ſeiner Virtuoſenbande die beliebteſten Walzer und ließ ihnen, zum beſten der Nichttanzenden, immer eine Reihe von anderen Tonſtücken vorausgehen, die er zum Teil ſelbſt komponiert hatte. Ein namhaftes Talent zu arrangieren und mit den gegebenen Mitteln den muſikaliſchen Zeitvertreib für den Abend rühmlichſt zu beſtreiten, das kann man ihm nicht abſprechen. Groß iſt der Mann namentlich
in Potpourris, aber was er ſchafft, find Potpourri⸗Monſtres, wahre Manunmute
Ein Jahrhundert München 10
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von Tondichtungen. Oo haben wir von ihm das Lager von Augsburg, großes „militäriſches Potpourri“, ein Karneval von 1840 und zuletzt noch die Eiſenbahn⸗ fahrt von München nach Augsburg, zwei große „ſoziale Potpourris“. Jenes erſte ift noch ein ziemlich faßlicher Gegenſtand; Reveille, Märſche, Attaken und Kano⸗ naden wechſeln recht kenntlich ab; die Lagermeſſe wird in hellen frommen Akkorden vorübergeführt, dann kommt auch noch Tafelmuſik dazwiſchen und die dinierenden Generale fingen zuſannnen ein patriotiſches Tiſchlied. Auch der Karneval von 1840 läßt fich leicht verſtehen. Es find Anklänge aus den ſchönſten Walzern, die das Jahr gebracht, oft durch ſtille Seufzer oder lauten Liebesjubel unterbrochen. Mehr Ein⸗ dringen fordert dagegen die Eiſenbahnfahrt. Das Keuchen des Dampfwagens iſt zwar mit einer Treue wiedergegeben, welche ſchlechterdings entzückt; das Übrige je⸗ doch erheiſcht, wenn es ſich ganz erſchließen ſoll, wie jedes andere Kunſtwerk, ein liebevolles Nachfühlen. Wer aber dieſes mitbringt, der verninunt den Lärm der Ab⸗ fahrt, den Ruf der Überrafchung, die ſtille Wonne der Schnellbeförderten, vielleicht auch das trübe Murren der Aktionäre und das gereizte Brummen des Direktoriums. Man findet aus den Tönen ſelbſt die Gegenden heraus, man hört z. B. das Haſpel⸗ moos; und die Luſtſchlöſſer, die Hofmarken, die lachenden Ausſichten, an denen man vorüberfliegt, werden ganz deutlich vorgeſpielt. So ſetzt denn der Mann ganze Zeit⸗ ereigniſſe in Muſtk, und es wäre ein großer Einfall von ihm, wenn er zur Warnung der Enkel und um das Andenken wichtiger Epochen zu erhalten, ein paar monu⸗ mentale Potpourris anfertigen wollte über einige merkwürdige Begebenheiten, deren Zeitgenoſſe er ſelbſt geweſen. So könnte er z. B. die Kölner Wirren, die Hannover⸗ ſche Verfaſſungsfrage komponieren als große hiſtoriſche Potpourris, wo die ſchauder⸗ haften Diſſonanzen, die er kunſtreich zu löſen hätte, dem Tondichter das reichſte Feld gewähren müßten, feinen Generalbaß zu zeigen und fo in der Muſik anmutig aus⸗ zugleichen, was im deutſchen Leben ſo ſchneidend klang und klingt.
Dieſer unſer Streck hat alſo die Idee der Maskenbälle aufgefaßt und ſie auf eigene Koſten vom Hoftheater ins Odeon verpflanzt. Auf erhabenem Orcheſter ſpielt er da ſeine Walzer, ſeine Polkas und Galoppaden, und unten in der Prachthalle tanzen die Jungen und die Mädchen fröhlich auf glattem Boden. Die Damen ſind wohl alle und von dem Männervolke wenigſtens die Tanzenden aus jenen Klaſſen, die man in der feineren Geſellſchaft vermißt. Es erſcheinen viele Masken, Tiroler, Türken, Schottinnen und dergleichen, wohl auch desſelben Herkommens. Die Toilette
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der nichtmaskierten Damen ift feftlich, die der Herren ſehr ungezwungen. Hut auf dem Kopfe, IIberrock, Paletot, Studentemmütze — Bequemlichkeiten, die der männ⸗
lichen Teilnahme gewiß ſehr förderlich ſind. Dieſes Jahr nun gab uns der Meiſter
drei ſolcher Abende, von denen der letzte weitaus der ſchönſte und in der Tat ein groß artiges Freudenfeſt war, deſſen unvergeßlichen Schluß der Altvater bildete, der jetzt ja auch in Windſor getanzt wird. Ach, was war das für eine Wonne unter den ſchönen Jungfrauen von München, als die ſeltſamen Feierlichkeiten dieſes angeſehenen Tanzes begannen, als ſie auf die Stühle geladen wurden und in langen Reihen getragen hinabſchwebten, als die andern Ceremonien folgten, die nur nach Mitter⸗ nacht aufgeführt werden können, wenn den wachehabenden Müttern ſchon die Augen zugefallen ſind. Und als der Tanz in ſchöner Aufregung geendet hatte, als lauter Jubel und begeiſternder Bravoruf an die Decken ſchlug, da nahm der Meiſter den Vorteil wahr, ſeine Zaubermacht ueuerdings zu zeigen, da ließ er als herrliche Drein⸗ gabe feine wildeſten Geigen los und den titaniſchen Donner feiner Pauken, und feine Trompeten ſchmetterten in den reinſten Blocksbergtönen in den Saal hinab, und ein
umgekehrter Orpheus, machte er ſeine Hörer alle wütend und jagte ſie mit Walzer,
Polka, Galopp nach einander und unausgeſetzt in immer raſcherem Takt als vier⸗ hundertpaarigen Hexenwirbel durch die Halle in der Art, daß ſich die älteſten Leute an nichts Ahnliches zu erinnern wußten. Als der Strudel vorüber war, ſah man ſich lächelnd an. Die Paladine ſchienen etwas erſchöpft, die Damen gar nicht. Das ſchwache Geſchlecht hat eigentlich die ſtärkſten Nerven. Das alſo war der Schluß des Feſtes, deſſen Teilnehmern und Teilnehmerinnen wir das Lob geſitteten Anſtandes nicht ver⸗ jagen können, demm wenn auch da und dort auf einſamen Stühlen mit Wink und Blick und Liebesgeflüſter manche öffentliche Schäferſtunde gefeiert wurde, ſo war der Ton, wer auch zärtlich, doch durchweg dezent.
Es kommen num die abonnierten Privatgeſellſchaften an die Reihe, deren wir hier unzählige beſitzen, aus denen aber „Muſeiun“ und „Frohſinn“ an Zahl der Glieder und Reichtum der Mittel mächtig hervorragen. Erſteres nimmt ſeine Teilnehmer vom oberen Ende der Mittelklaſſe an; letzterer iſt mehr univerſell, und feine Abon⸗ nentenliſte beginnt in den höchſten Kreiſen, um ſich im Nährſtande zu verlieren. Das Muſeꝛun hält ein reich verſehenes Leſekabinett; im Frohſinn findet man höchſtens den journaliſtiſchen Hausbedarf; wenn in jenem mehr geleſen wird, jo wird in dieſem mehr mufiziert, getanzt und geſchauſpielert. Das Muſeun will nicht wiffen, daß feine
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Mitglieder Bier trinken, die Ballſoupers find im Pariſer Geſchmack fein und teuer; der Frohſinn duldet das Nationalgetränk, und man findet da gute deutſche Haus⸗ mannskoſt zu billigen Preiſen. Erſteres bewohnt einen ſelbſteigenen Palaſt, letzterer hat ein ſchönes Lokal in Miete, und um alles zuſammenzufaſſen: das Muſeum ſcheint uns mehr europäiſch, der Frohſinn mehr national. Die Bälle des Muſeums waren ſo glänzend wie immer; der Frohſinn aber ließ es bei ſeinen Tanzvergnügungen nicht bewenden, ſondern gab dazu noch Maskenzüge, Theater, Konverſationen, Pick⸗ nicks u. dgl. Beide Geſellſchaften zuſammen enthalten viele ſchöne Welt, und in der Tat, unſere Damen — wer von den Damen ſchreibt, ſoll, nach Diderot, unter anderen Vorſichtsmaßregeln die Feder in die Morgenröte tauchen ſtatt in das Tin⸗ tenfaß — ſie ſind anmutig und liebenswürdig wie je, aber nach allgemeiner Wahr⸗ nehmung iſt die Taille im letzten Dezennium um ein Merkliches herabgeſtiegen. Ich weiß nicht, war es der begeiſternde Mond der Freiheitskriege, der feinerzeit ſegnend in die Brautbetten ſchien, oder der ſtrahlende Komet von Anno Elf, aber vor zehn, zwölf Jahren verherrlichte die Ballreigen ein hoher, ſtolzer Kranz von Halbgöttinnen, der keinem gleichen die Hand gegeben. So bewundern wir jetzt niedliche Heben in ihrem ſtillen Liebreiz, wo wir ehedem junoniſche Gebilde voll herrſchender Schönheit anſtaunten. Ob wir dabei gewonnen oder verloren, wer wagt, es zu entſcheiden? Übrigens will man behaupten, die abonnierten Geſellſchaften dahier hätten ihre ſchönſten Tage auch ſchon geſehen, und der allgemeine Umſchwung, der ſich im ſo⸗ zialen Leben bemerklich macht, ſcheint allerdings wie den öffentlichen Beluſtigungen, ſo auch ihnen gefährlich zu werden. Vor ſo und ſo vielen Jahren blühte nämlich in unſeren Mauern noch unbeeinträchtigt ſüddeutſches Leben. Wien und München gingen denſelben Weg, und wenn auch die Kaiſerſtadt die Hegemonie hatte, ſo ſuchten wir doch immer gleichen Schritt zu halten. Was ſie erfand, erſann und erdachte, das durfte auch bei uns auf Anklang rechnen. Nach ihren trefflichen Muſtern richteten wir unſere Vergnügungen ein; nach ihren Moden kleideten wir uns. Von dort ka⸗ men uns Kasperl und Staberl zu, die Löwen der Wiener Komödie, die bei uns ein zweites Vaterland fanden. Mach Wiener Art mußten auch wir einen Prater haben und ein Tivoli, und von Wien ging die Lehre aus, uns alle mit Herr von und Frau von anzureden — eine Sitte, die dem hieſigen Leben jenen eigenen Anſtrich von rit⸗ terlicher Dignität gibt, der den neu angekommenen Fremden fo vornehm ampricht. Nunmehr aber will das anders werden oder iſts zum großen Teil ſchon geworden.
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Gemälde von Joſeph Stieler in der Schönheiten⸗-Galerie der Münchner Reſidenz
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Gemälde von Joſeph Stieler in der Schönheiten-Galerie der Münchner Reſidenz
Die zunehmende Bedeutung der Stadt, die lebhafteren Verbindungen mit dem übrigen Deutſchland, die Miederlaſſung norddeutſcher Celebritäten, das Emporblühen der
Kounſt und der Aufenthalt ſo vieler Fremden haben ein Element hereingeführt, das
jenes ſüddeutſche mannigfach bedrängt und es da und dort ſchon aus dem Feld ge— ſchlagen hat. Vordem num war der Ton in den größeren Geſellſchaften zu München
fehr bequem und traulich. Man ließ fo jeden gelten, der vorhanden war, freute ſich
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ſeiner Anſprache, wenn man ihn auch nie geſehen hatte, war nicht ſcheu, bekannt zu werden, und kam einander eher noch entgegen. Deswegen war man gerne unter fremden Leuten, denn es tat alles wie zu Haufe, Jetzt will man engere Kreiſe, um unter fich zu fein; man grenzt ſich ab, wird wähliger und erflufiver. Der Umgangs⸗ ton verfeinert ſich; die Sprache macht ſich von ihren Nachläſſigkeiten frei. Die be⸗ tagten Leute, ſo viele nachkommen können, werden modiſch, die jungen Herren im äußeren Auftreten eleganter, die Mädchen preziöſer. Die große Welt fängt an, kalt zu laſſen, und man ſpricht mehr und mehr vom Familienleben. So ziehen ſich denn bekannte und verwandte Haushaltungen zuſammen, ſchließen Bündniſſe für die Win⸗ terfreuden und geben ſich vertraute Hausbälle und Konzerte. Auch die Picknicks, die immer häufiger werden, zeugen von der nämlichen Tendenz — man ergötzt ſich an der Illuſion, en famille zu ſein. In enger Wechſelwirkung hiemit ſteht die Ver⸗ breitung des Teegenuſſes, der ſchon manchen Landsmann von ſeinem abendlichen Humpen losgeriſſen hat und noch loszureißen droht. Es war ſchon Auguriumn und Siegesbulletin zugleich, als das erſte belletriſtiſche Journal, das hier nach langen Jahren wieder auftrat, ſich „Münchner Teeblätter“ nannte. Freilich gibts noch viele wackere Männer, die dem allem widerſtehen, die jene Hochgenüſſe an den langen Tiſchen der Brauereien, wo lärmende Geſpräche mit alten Burſchenliedern und Körnerfchen Kriegsgeſängen abwechſeln, wo die erinnerungsvollen Stoßköpfe aus den Studentenjahren noch unbehindert dampfen dürfen, dem leiſen, fittigen Geflüſter in den Teezirkeln unummounden vorziehen und von chineſiſcher Langeweile ſprechen, die hinter dem Kraut einherſchleiche. Es iſt zwar ein ſchönes Ding, mit erfahrenen Män⸗ nern und klugen Frauen im ſtillen Lampenſchimmer an der ernſten Gegenwart herum- zukitzeln, bis fie lächelt, aber es gelingt nicht alle Tage, und es ift ſchon möglich, daß bei dieſen feinern Leuten neben mancher guten Stunde doch auch viele andere vorüber- gehen, die keiner Erinnerung wert ſind. Woher auch ſonſt die fieberhafte Sehnſucht, die fie im Lenz befällt, hinauszuziehen in jene Berge, die fo nahe vor unſern Mauern
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ftehen, in denen ein herrliches Volksleben fich erhalten hat, aus denen Zitherſchlag und Alpenlied, der Kirchweihjubel und das Stutzenknallen hereinhallt, faſt vernehm- lich bis in unſere Gaſſen ?
Fortfahrend bemerken wir, daß jetzt auch mehr geleſen wird als ehedem, und man bleibt nicht teilnahmslos bei den Bewegungen der neuen Literatur. Die großen Zeit⸗ fragen leuchten mächtig herein in die blaſſen Stadtgeſchichten; man ſpricht von Kunſt und Wiſſenſchaft. Sollte dabei auch weniger produziert und gedichtet werden als da oder dort, ſo iſt dies, wie die Sachen ſtehen, kaum ein Fehler, ja es freut vielleicht manchen guten Bayern, daß er ein Volk freiſprechen kann von der deutſchen Tod⸗ fünde der poetiſchen Völlerei, die alljährlich zweimal im Leipziger Meßkatalog zur Beichte konunt. Von freinden Sprachen gewinnt das Engliſche zuſehends an Boden, und es gibt ſchon mehrere einheimiſche Fräulein, welche ſich in Byrons Trübſinn ganz verloren haben. So treffen wir denn allenthalben auf ein britiſches, durch Nord⸗ deutſchland durchfiltriertes Ferment, das unſere Zuſtände erfaßt und zu bewältigen ſtrebt und als feinere Bildung nicht ohne Prätenſionen auftritt.
Wie nun in den höheren Ständen die Verfeinerung überhand nimmt, fo regt ſich auch unter der reichen Bürgerſchaft die Luſt, ſich herauszuſtellen und jenen nachzueifern. Der Wohlſtand wächſt und damit auch der Aufwand. Man gewöhnt ſich an die Bedürfniſſe, die man früher nur als Privilegien der höheren Sphären betrachtete. Die wohlhabenden Bürgerfrauen legen die Riegelhauben ab, ſetzen ſeidene Hüte auf, abonnieren ſich in den Leihbibliotheken und nehmen einen Logenplatz im Theater. Die Töchter ſprechen hochdeutſch, lernen Muſtk und Zeichnen, nennen ſich Fräulein und gehen ſchon lange nicht mehr mit der Kunkel in den Heimgarten, ſondern erſtatten Viſiten, um ſich mit den Freundinnen im Franzöſiſchen zu üben. Es kommt alſo jetzt darauf an, das alte bayeriſche München, fo viel umlich, bei feinen Eigentümlichkeiten zu erhalten, etwas acht zu geben, daß wir nicht gar zu fein und altklug werden, und unſere Stelle zu behaupten in dem Reigen des fröhlichen Deutſch⸗ lands, der ſich jetzt noch von Köln am Rhein heraufzieht durch das liederluſtige Schwaben an die Länder am Bodenſee und fortklingend durch Tirol und die Steirer Alpen feine letzten Ländler tanzt an der ungarischen Grenze, im fröhlichen Wien.
Die Geſellſchaft Muſeum bewohnte — und bewohnt noch herte — das Palais Porzia an der Pro⸗ menadeſtraße. — Tivoli: eine Vergnügungsſtätte im Engliſchen Garten; vom Prater war ſchon die Rede.
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Herzog Max
Der volkstiunlichſte bayeriſche Prinz war Jahrzehnte lang Herzog Max (1808 bis 1888), Chef der jüngeren (Birkenfelder) Linie des wittelsbachiſchen Hauſes. Ihn charakteriſiert Daxenberger im „Münchner Hundert und Eins“ folgendermaßen:
Der Herzog Map iſt jung, reich, mit einer Königlichen Prinzeſſin verheiratet und hat mehrere Kinder. Er liebt höhere Reitkunſt und hat in ſeinem prachtvollen Palaſte an der Ludwigſtraße einen eigenen Zirkus und ein Theater erbauen laſſen, in welchem während des Karnevals wöchentliche Vorſtellungen, Reitererzitien, dann Poſſen, Pan⸗ tomimen und Ballet mit Benützung der Kräfte des Königlichen Hoftheaters gegeben werden. Den Sommer und Herbſt bis zur Winterszeit bringt der Herr Herzog in Aichach und Wittelsbach zu, erfreut ſich an Jagd und luſtiger Geſellſchaft, und ſein Spielmann Petzmaier, herzoglicher Kammervirtuoſe auf der Zither, begleitet ihn überall hin. Der Prinz ſelbſt iſt des Zitherſpieles kundig, ein ausgezeichneter Schüler
ſeines ſeelenvollen Meiſters; er liebt Muſik und komponiert; er liebt Poeſie und
dichtet. Von ihm iſt bereits mehreres Wertvolle gedruckt. Die „Novellen von Phan⸗ taſus“ ſind von ſeiner Feder. Die Ländler und Walzer von H. M. ſind von ihm. Er iſt der liebenswürdigſte, heiterſte, ungezwungenſte Geſellſchafter. Während zu ſeinen Vorſtellungen in der höheren Reitkunſt die Elite des Adels ſich drängt und ſeine Ballfeſte zu den brillanteſten in München gehören, während auf dieſen jährlich die wundervollſten Maskenquadrillen erſcheinen, verſchmäht der Herzog doch auch nicht, bürgerliche Elemente an ſich zu ziehen und einige Sommitäten des Künſtler⸗ und Gelehrtenſtandes an ſeinen Hof einzuladen. Mit einer kleinern Anzahl von Profeſſoren, Doktoren, Offizieren bringt er manchen Abend in wahrhaft freund⸗ ſchaftlichem Kreiſe zu; es wird Bier getrunken, geraucht, Billard geſpielt. Der Her⸗ zog begibt ſich ohne alle Prätentionen auch in Abendgeſellſchaften von Künſtlern, wie auf den Prater oder zu einer Produktion in der Geſellſchaft der „Alt⸗Engländer“ im Engliſchen Kaffeehauſe, deren Mitglieder ihm großenteils näher bekannt find. Dieſes fürſtliche Leben zwiſchen den verſchiedenen Ständen, beruhend auf dem Grund⸗
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ſatz: „Varietas delectat“, verfchafft jene natürliche Anſchauung der Dinge, die fo wertvoll iſt. Schon Goethe ſagt: „Glaube dem Leben, es lehrt beſſer als Rede und Buch“. Der Herzog hat große Reiſen gemacht; er hat den Nil bis zum zweiten Katarakte befahren, Jeruſalem und die heiligen Stätten beſucht und Griechenland durchzogen. Dieſe Wanderung nach dem Orient hat er ſelbſt einfach und ſchön be⸗ ſchrieben und im Druck herausgegeben. Die herzoglich Birkenfeldiſche Nebenlinie iſt die letzte zur Sukzeſſion auf den bayeriſchen Thron berufene; ihr Haupt iſt der Herr Herzog Max in Bayern. Er iſt Generalkommandant der geſamten Landwehr des Regierungsbezirkes Oberbayern und hält zum öfteren Inſpektion über die National⸗ garden Münchens und der Vorſtadt Au, dann der einzelnen Städte des Kreiſes.
Die vormärzlichen Dichter
Paul Heyfe ſchreibt in feinen „Jugenderinnerungen und Bekenmniſſen“:
Den vormärzlichen Dichtern Münchens gebrach es nicht an Talent, aber an der Energie des Strebens. Süddeutſche Gemütlichkeit ging ihnen über jeden Erfolg. Vormittags beim Bockfrühſchoppen im „Achazgarten“ zu ſitzen, den Nachmittag in einem der Kaffeehäuſer des Hofgartens zu verplaudern und den Abend, wenn er ſchön war, auf einem der damals noch ſo prächtigen, ausſichtsreichen Keller zuzu⸗ bringen: das war in jener Zeit ein viel ſchöneres und poetiſcheres Tun als das Sitzen am Schreibtiſch. (So Haushofer in ſeinem Eſſay „Die literariſche Blüte Münchens unter König Max II.“).
Es war aber doch wohl nicht vorzugsweiſe dieſe Neigung zu vergnüglichem Lebens⸗ genuß, was die talentvollen Altbayern nicht zu ſtrenger Arbeit im Dienſt der Muſe kommen ließ. Gerade weil hier im Süden der poetiſche Trieb den Begabteren mehr im Blute lag, ihre Natur von Haufe aus künſtleriſcher geſtinunt war als bei dem nüchternen Menſchenſchlag im Norden, fühlten ſie weniger die Pflicht innerer Ver⸗ tiefung und glaubten, den Kranz „ſchon im Spazierengehen“ zu erringen. Daß auch der Dichter nicht nur im Techniſchen viel zu lernen habe — hatte doch auch der be⸗ rührmtefte bayeriſche Poet, Graf Platen, ſich nachgerühmt: „Die Kunſt zu lernen, war ich nie zu träge“ — ſondern daß es etwas wie ein künſtleriſches Gewiſſen gebe,
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Steinzeichnung von A. Krafft
deffen Mahnungen nicht als Schulweisheit eines pedantiſchen Präzeptors verſpottet und vernachläſſigt werden dürften, ahnten die wenigſten. Sie begnügten ſich nach
der Art aller Dilettanten mit denn, was ihnen in angeregter Stunde von ihrem Ge⸗ nius beſchert worden war, und antworteten, wenn fie auf Mängel dieſes erſten Hin— wurfs hingewieſen wurden, wie jener Poet in Shakeſpeares „Timon“: „'s iſt eben nur ein Ding, mir leicht entſchlüpft.“
Dazu kam, daß es vor fünfzig Jahren in München völlig an einer einſichtsvollen literariſchen Kritik gebrach. Der Journalismus ſtand ſelbſt in Bayerns Hauptſtadt auf keiner höheren Stufe als heutzutage in den Lokalblättern kleinerer Provinzſtädte, und auch das „Blatt für Diplomaten und Staatsmänner“, die „Augsburger All⸗ gemeine Zeitung“, befaßte ſich nur gelegentlich in der Beilage mit neueren belle⸗ triſtiſchen Erſcheinungen. Was in den norddeutſchen kritiſchen Journalen hin und wieder geurteilt wurde über ein Buch, das aus dem Süden kam, machte, wenn es noch ſo ſachlich und maßvoll klang, keine tiefere Wirkung, da man überzeugt war, die norddeutſche Kritik ſtehe der ſüddeutſchen Produktion von vornherein mit einem, geringſchätzigen Vorurteil gegenüber. Auch fehlte es in München an einem Ver⸗ leger für andere als wiſſenſchaftliche, geiſtliche und pädagogiſche Literatur, und bei Cotta anzukonnnen war ein ſeltener Glücksfall.
Noch verhängnisvoller aber als der Mangel einer öffentlichen Krit war die Scheu vor jenen „goldenen Rückſichtsloſigkeiten “ im perfönlichen Verkehr der Schrift⸗ ſteller unter einander, die den Berliner „Tunnel“ trotz manches pedantiſchen Zuges für die Bildung junger Talente ſo erſprießlich gemacht hatten. Junge Künſtler haben in der Regel mehr Vorteil von kameradſchaftlicher, wetteifernder Anregung unter⸗ einander, als von der eindringlichſten Unterweiſung älterer Meiſter. Nun galt es aber für ſehr unſchicklich, offen ins Geſicht ſeine Meinung zu ſagen, da man ja hinter dem Rücken der guten Freunde ſeiner ſcharfen Zunge keinen Zwang anzutun brauchte. Ich ſelbſt, als ich einigen Kollegen keinen beſſeren Beweis meines freundſchaftlichen guten Willens geben zu können meinte, als wenn ich ihnen in der ſchonendſten Form ausſprach, was mir neben dem Gelungenen noch einer Beſſerung fähig ſchien, mußte zu meinem Schaden erfahren, daß dies des Landes nicht der Brauch ſei. Man wollte en bloc gelobt werden und beſchuldigte den unberufenen Tadler eines Mangels an guter Erziehung oder einer hochmütigen, wenn nicht gar feindlichen Geſinnung. Ich ſah denn auch bald ein, daß mein redliches Bemühen hier an die Unrechten kam.
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Den wenigſten war es fo ernftlich um die Sache zu tun, daß fie die Mühe daran gewendet hätten, auch wenn ſie einen Einwand zugeben mußten, noch einmal Hand an ihr Werk zu legen. Sie fühlten ſich perſonlich beleidigt und trotzten nim erſt recht auf die Untaſtbarkeit ihres erſten Hinwurfs.
Einem ſo viel älteren Poeten wie Franz von Kobell gegenüber hätte ich mich wohl gehütet, meinem kritiſchen Vorwitz Luft zu machen. Auch waren ſeine friſchen Lieder und kleinen anekdotiſchen Gedichte in bayeriſcher und pfälziſcher Mundart voll Mut⸗ terwitz und volkstinnlichem Reiz ſchon durch den Zügel des Dialekts in ihrem mun⸗ teren Gange geſichert, wie ja auch im Dialekt keine Sprachfehler gemacht werden. Was er hochdeutſch dichtete oder gelegentlich für die Bühne ſchrieb, hatte freilich auch einen dilettantiſchen Anſtrich, fand aber ebenfalls ſo allgemeinen Beifall, daß ſich niemand verſucht fühlen konnte, die höchſten äſthetiſchen Maßſtäbe daran zu legen, fo wenig wie an die Verſe feines Freundes, des Grafen Franz von Pocci, der ſo recht der Typus des vielſeitig begabten altbayeriſchen Dilettantismus war. Als Knabe hatte ich den „Feſtkalender“, den er in Gemeinschaft mit Guido Görres herausgab, mit Entzücken ſtudiert, die ſchnurrigen oder romantiſchen Balladen aus⸗ wendig gelernt, die hübſchen Bilder eifrig nachgezeichnet. Nun begnügte ſich der liebenswürdige Mann freilich nicht mit ſeinen Erfolgen in geſelligen Kreiſen, wo er ſeine witzigen, oft ſehr anzüglichen Karikaturen durch luſtige Verſe erklärte, noch mit dem Beifall der Kinderwelt, für die er feine vielen drolligen Puppenſpiele dich⸗ tete, ſondern er verfaßte auch anſpruchsvollere Dramen, die allerdings von neuem bewieſen, daß es in dieſer dichteriſchen Gattung mit einer leichtherzigen Improviſation nicht getan, ſondern ernſte Arbeit unerläßlich iſt.
Der „Tunnel über der Spree“ war eine in den vierziger Jahren in Berlin beſtehende literariſche Geſell⸗ ſchaft, der als wichtigſte Perſönlichkeit Theodor Fontane angehörte. Später fand ſie in München in dem „Dichterverein“ der „Krokodile“ ein Seitenſtück.
Franz von Kobell (1803 1882), Profeſſor der Mineralogie an der Univerſität, der beliebtefte Dialekt: dichter Münchens, im geſellſchaftlichen Leben von hervorragender Geltung, mit Herzog Max und Graf Pocci der volkstümlichſte Mann des biedermeierlichen und maximilianiſchen München.
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Bei Franz von Kobell
Luiſe von Kobell ſchöpft aus dem Schatz ihrer Erinnerungen, niedergelegt in dem Buche „Unter den vier erſten Königen Bayerns“, die nachſtehenden Reminiſ⸗ zenzen an frohe Stunden im elterlichen Haufe:
Bei Kobells Bockpartie ſtand in jeder Ecke ſeines Arbeitszimmers ein friſcher Tannenbaum; Maiglocken und Wieſenblumen dufteten in großen Gläſern auf den Tiſchen. Das Faß, deſſen Inhalt alle Gäſte in frohe Laune verſetzen follte, war bekränzt, und manch ſeltſames Sträußlein aus farbigen Hobelfpänen, das Sennerin⸗ nen in luftiger Höhe dem Jägersmann verehrt hatten, ſteckte zwiſchen den Gems- krücken an den Wänden.
Ein ausgeſtopfter Reiher, Reh⸗ und Hirſchgeweihe verrieten überdies meines Vaters Luſt am Waidwerk, und die ſorgſam bezeichneten Mineralien im Glas⸗ kaſten, ſowie die vom Steinreich handelnden Werke auf dem Schreibtiſche und in deſſen Fächern bekundeten den Mineralogen. Die Poeſie, die meinem Vater bald eine Geſchichte erzählte, bald ein Lied lehrte, hauſte hier ungeſtört unter den Büchern und Flinten, Pfeifen, Blumen und Bildern. Die letzteren waren mannigfaltig: eine Lithographie, die jugendlich ſchöne Marie in der Gebirgstracht, auf den Berg⸗ ſtock geſtützt, hoch über der zu ihren Füßen liegenden Landſchaft Hohenſchwangau hinaus in die herrliche Gegend blickend; unweit von ihr ſitzt ein ſinnender Einſiedler im Walddickicht, von dem deutſchen Meiſſonier Anton Seitz gemalt; daran reiht ſich das Porträt des Nimrods Fürſt Konſtantin von Löwenſtein, mit welchem Ko⸗ bell oftmals gejagt und einſtmals den „Sechzehn⸗Ender“ erlegt hatte, deſſen Geweih zwiſchen den Stangen eine Scheibe trägt. Dieſe Scheibe iſt ein kleines Meiſter⸗ ſtück, denn Arthur von Ramberg hat darauf eine mit Nelken gezierte Altane gemalt, auf welcher eine ſchmucke Dirne ſitzt, die nachdenklich den eben gepflückten Strauß in der Hand hält; ungeſehen von ihr naht rückwärts ihr Schatz, ein Jägersburſch.
Und hat d' Gams amol a Rua, Jag' i's Dirndl auf der Laub'n.
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An die Flügeltüren find Photographien geheftet, klein, groß, ſchmal, breit, von Gelehrten, Dichtern und Malern, von Mädchen und Frauen hohen und niedrigen Standes, kunterbunt wie deren Originale meinem Vater im Leben begegnet ſind oder ihre Abbildung an ihn verſchenkt haben. So kam der alte Solacher Förſter neben die „Seherin von Prevorſt“; — man merkt die Abſichtsloſigkeit und wird heiter geftimmt. Ein Erſtling im Lichtdruck iſt jene von Talbot photographierte Spitze, welche Photographie unter dem „antiken Fragment“ hängt, abermals einer 1 friſchen Humoreske Franz Poccis.
„Kunſt und Wiſſenſchaft ſchöpfen am Quell der Natur“, heißt die Uberſchrift. Aus einem Felſen, in welchem ein Bock eingemeißelt iſt, fließt die Bockquelle. Die Muſen im antiken Gewande füllen ſich die Gläſer; Franz Pocci bläſt als griechi⸗ ſcher Hirte die Flöte, und Kobell ſpielt in der Joppe die Zither dazu. Im Gegen⸗ bilde huldigen die neun Muſen als Sennerinnen auf dem Parnaſſe dem Dichter. Aus einem großen Faß, das die „Hippokrene“ enthält, ſchenkt eine derſelben dem gefeierten Kobell einen Maßkrug voll; eine andere, das grüne Miesbacherhütl am Kopf, bekränzt ihn; die dritte bringt ihm eine weißblaue Schützenfahne, und die übrigen ſchreien „Vivat, der Herr Profeffor ſoll leben!“
Aufs Geratewohl tickt die vom Vater beſungene alte Uhr,
„Von Richet'n is koa Red; „Ob ſ'nacha z'frua geht oder z'ſpat, Iꝰ freu' mi’, wann Pro geht!“
Auch der Salon iſt bei dieſem Anlaß in eine kleine Bockhalle verwandelt. Es ſchlägt 12 Uhr, Gäſte um Gäſte erſcheinen. Kobell begrüßt alle in ſeiner gemütlich⸗ fröhlichen Art, und gutgelaunt erwidern ſie den Gruß. Die Geſellſchaft iſt eine aus⸗ erleſene; darunter überwiegend Mitglieder der „Zwangloſen“ und der Geſellſchaft „Altengland“. Dieſe letztere beſteht ſeit 1826 und entnahm ihren Namen dem „Merry old England“, das unter Königin Eliſabeth der Inbegriff der Fröhlich⸗ keit war. Die Teilnehmer heißen ſich Lords; der Vorſtand iſt Lordmajor und trägt bei den Feſtdiners eine Allonge⸗Perücke, auch die übrigen Herren erſcheinen dann im „Lord⸗Koſtiune“. Neben Beamten, Gelehrten und Künſtlern zählt die Geſellſchaft zu ihren Mitgliedern viel edle, erlauchte Herren wie die Herzöge Auguſt und Maxi⸗ milian von Leuchtenberg, Graf Wilhelm von Württemberg, den Herzog von Urach und die Herzöge Maximilian und Karl Theodor in Bayern. Große Verdienſte um
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die Blüte „Altenglands“ hatte Franz Pocci, der auch ſtets laut bewillkonumnete Stamumgaſt bei Kobells Bockpartien.
Die Herren ſetzen ſich und erquicken ſich an den einfachen Tafelgenüſſen einer Bock— partie, wobei die Bratwürſte die Hauptrolle ſpielen; das bekränzte Faß zaubert Lebensluſt in Kehlen und Herzen.
„Kobell, das Bocklied!“ ertönen Rufe von allen Seiten. Er erhebt ſich und ſingt nach der Melodie: „Der Papft lebt herrlich in der Welt“, folgende Strophen, wobei die Geſellſchaft je bei den Endverſen im Chor einfällt:
„Fürwahr mein Liebchen iſt der Wein;
Er blinkt ſo heiter und ſo fein,
Er macht ein fröhlich leichtes Blut.
Ja, ja der Wein gefällt mir gut.
Doch nein! er liebt den Rettich nicht
Und macht der Wurſt ein krimmm' Geſicht, Und vom Tabak den lieben Rauch, Wahrhaftig den verſchmäht er auch.
Der Bock, der iſt ein braver Mann, Lebt er nach feinem Alkoran,
So ſchmückt ein Rettichblatt den Hut, Ja, ja der Bock gefällt mir gut.
Doch nein, er liebt ja nur den Mai Und iſt beim Jagen nicht dabei. Und unter uns ſei es geſagt:
Was wär' das Leben ohne Jagd!
Drum hört, was der Profeſſor ſpricht: Den Wein mit fröhlichem Geſicht, Den trinkt das ganze Jahr in Ruh' Und trinkt im Mai den Bock dazu.“
Gleichfalls kamen die Meiſter der deutſchen Kunſt: Anton Seitz, Kaulbach, Ram⸗ berg, Franz Defregger, die Profeſſoren Windſcheid, Siebold, Liebig, Riehl, Haus⸗ hofer, Jolly, Carriere, Hofmarſchall von Reck, der Münzmeiſter Haindl, Dömiges,
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Stieler, Robert von Hornſtein, der Hofmedikus Koch, der Zithermeiſter Petzmaier und Herzog Maximilian in Bayern, der es ſo wohl verſtand, die Heiterkeit zu wecken.
Man lacht und foafliert; da fpielt Petzmaier Zither. Es erklingt Leid und Freud darin; die Töne find ſanft und keck. Wie eine Wünſchelrute verſetzen fie einen bald da, bald dorthin; man hört Vögel ſingen und den See rauſchen. Dann er⸗ tönt plötzlich: „Ach Elslein, liebes Elslein, wie gern wär ich bei dir! So ſein zwei tiefe Waſſer wohl zwiſchen dir und mir.“ Ein friſcher Ländler darauf, ein Hände⸗ klatſchen! Da iſt der Zuhörer aus ſeinem Traum geriſſen und erwacht wieder
inmitten der Bockpartie von Franz Kobell.
Königin Marie (1825— 188g), geborene Prinzeſſin von Preußen, ſeit 1842 mit dem damaligen Kron⸗ prinzen Maximilian verheiratet, war eine vorzügliche Bergfteigerin. Ein Gemälde von Foltz ftellt die Be⸗ gegnung von Max und Marie auf einer Alm im Hochgebirge dar.
Beim Bock
Schnadahüpfeln von Franz von Kobell
Was waar’s um 'n Mai
Mit ſein' bliemlet'n Rock, Wann er Bloamen g' rad bringet Und bringet koan Bock;
Aber bringt er all' zwoa, Nacha jur? mer ihm zua: Grüß di' Gott! grüß' di' Gott, O du herzlieber Bua!
Der Boek is a' Dichter, Wie ma' gar Evan? jo hamm. Schau! Veigerln und Radi, All's reitnt er ihm z' anun. Und der Bock is a' Maler, Da halt i' was d' rauf;
Wie alt aar a' Kopf is, Er friſcht'n no' auf.
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Titelblatt. Zeichnung von Eugen Napoleon Neureuther
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Und der Bock is mei? Spezi, Mir kennen uns lang,
Und macht ma', verſteht fr, Ger” Stöß'n nit bang.
Und der Bock is a' Rößl, Gar ſcharf in ſein Lauf,
Und wirft's mi' heunt a', Sitz' i morg’n wieder auf.
*
Und der Mai is a' Vater, Der Bock is ſei' Bua. Hätt' er mehra ſo Kinder, Wie gaang's nacha zua!
*
Und a' Bock ohni Mai,
Es is dengerſcht a' Freud'; Aber a' Mai ohni Bock? Bua! Da, ſag i', waar's g'feit.
Mien Bock a' wen'g raffa, Desſelbi nimm g'ring, Wirfſt du eahm, wirft er di', Es is ja oa' Ding.
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Der Münchner Bierkrawall 1843
In dieſer Zeit (1843) brachen die erſten Unruhen aus, welche das Jahr 1848 voraus verkündeten. Ganz charakteriſtiſch für München hatten ſie als Veranlaſſung eine unbedeutende Erhöhung des Bierpreiſes, welche aber die Maſſen ſehr erbitterte. Am Vorabend derſelben ſchlug ein Pöbelhaufe bei einer Anzahl Bräuer die Fenſter ein und verübte anderen Unfug, ja das angeſichts der Akademie liegende Pſchorr⸗ bräuhaus wurde förmlich demoliert, trotz Polizei, Landwehr⸗ und Küraſſierabteilungen, die alle zu ſpät ankamen und, ſelber ärgerlich über die Brauer, ſehr wenig guten Willen zur Steuerung des Unfugs bezeugten. Ein paar Tage herrſchte nun ein foͤrmlicher Belagerungszuſtand, der freilich nicht verhinderte, daß das Krawallmachen in die Mode kam und alle Welt ſich an den Gedanken bewaffneten Widerſtandes gegen die Staatsgewalt gewöhnte. Die vielen Willkürakte von oben, wie die Bru⸗ talität der Polizei hatten allmählich eine gereizte Stimmung erzeugt, und die frühere große Beliebtheit des Königs Ludwig ging raſch auf die Neige.
(Aus Pecht „Aus meiner Zeit“.)
„Rrrrechts um!“ Spottbild auf die Bürgerwehr Holzſchnitt von K. Stauber aus den „Fliegenden Blättern“
Ein Jahrhundert München 11
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Lola Montez
Luiſe v. Kobell erzählt in ihrem Buche „Unter den vier erſten Königen Bayerns“:
Am g. Oktober 1846 ging ich die Briennerſtraße entlang, da ſah ich vor dem Bayersdorf-Palais eine ſchwarzgekleidete Dame, einen Schleier auf dem Kopf, einen Fächer in der Hand, des Weges kommen. Plötzlich funkelte mir etwas ins Geſicht. Ich blieb jählings ſtehen und betrachtete verwundert die Augen, die dieſes Gefunkel verbreiteten. Sie leuchteten aus einem blaſſen Geſichte, das einen lächelnden Ausdruck über mein bewunderndes Anſtarren annahm. Dann ging fie oder ſchwebte vielmehr an mir vorüber. Ich vergaß ganz die mir eingeprägte Anſtandslehre, „nie umzuſehen“, und ſchaute ihr nach, bis ich nichts mehr von ihr erblicken konnte.
So, dachte ich mir, müßten die Feen in den Märchen geweſen fein. Faſt atem⸗ los eilte ich nach Haus und erzählte von der Begegnung. Marie und Emma teilten meinen Enthuſiasmus durch ein langgeſtrecktes Aah!, aber der Vater ſagte faſt ver⸗ drießlich: „Das wird die ſpaniſche Tänzerin Lola Montez geweſen ſein.“
„Sie tritt ja morgen im Theater auf; da kannſt du von mir aus in die Loge gehen“, bemerkte die Mutter, „ich mache mir nichts aus dem Ballett.“
Ich dankte lebhaft, denn ich wollte ſehen, ob dies wirklich die ſpaniſche Tänzerin war oder am Ende doch eine andere, die auch den Vater entzückt hätte.
Ich ging alſo Samstag, den 10. Oktober ins Hoftheater; weil ich viel zu frühe in die Loge kam, las ich erwartungsvoll den Zettel: „Der verwunſchene Prinz. Schwank in 3 Akten von J. v. Plötz. In den beiden Zwiſchenakten tanzt De⸗ moiſelle Lola Montez aus Madrid ſpaniſche Nationaltänze.“ Dann ſah ich voll Ungeduld den Vorhang an, lauſchte dem erſten Akte des Luſtſpieles; nun fiel wieder der Vorhang. Jetzt erhob er ſich, da erſchien meine Fee von geſtern: Lola Montez.
Im Parterre klatſchte und ziſchte man, das Letztere „wegen der verſchiedenen Ge⸗ rüchte“, erklärte meine Nachbarin, „denn Lola Montez ſoll eine Miſſionärin der engliſchen Freimaurer ſein, eine Feindin der Jeſuiten — eine Kokette, die ſchon Liebes⸗ abenteuer in allen Weltteilen erlebt hat, nach den Berichten der Zeitungen.“
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Lola Montez ſtellte ſich in Mitte der Bühne, nicht in Trikots mit dem üblichen kurzen Balletröcklein, ſondern in ſpaniſcher Tracht, mit Seide und Spitzen angetan, da und dort fehimmerte ein Diamant, Sie blitzte mit ihren wunderbaren blauen Augen und verbeugte ſich wie eine Grazie vor dem Könige, der in feiner Loge ſaß. Dann tanzte fie Mationaltänze, wobei fie ſich in den Hüften wiegte und bald dieſe, bald jene Haltung einnahm, voll unerreichter Schönheit.
So lange fie tanzte, feſſelte fie alle Zuſchauer; die Blicke hafteten an ihren ge- fehmeidigen Körperwendungen, an ihrer Mimik, die oft von der glühendſten Leiden⸗ ſchaft in die anmutigfte Schalkhaftigkeit überging. Erſt als fie aufhörte, ſich rhyth⸗ miſch zu bewegen, war der Bann gebrochen, und „der Spektakel ging wieder los“, wie mein Onkel trocken bemerkte. Aber ich ging ganz verzückt nach Haufe ......
Der König hatte fie, wie ſonſtige fremde Künſtler und Künſtlerinnen vor ihrem Gaſtſpiele in Audienz empfangen; ihre Schönheit und ihre anregende Unterhaltung entzückten Ludwig I. Überdies erfreuten ihn ihre Erzählungen über Spanien, wohin er zu reiſen gedachte, ſowie der in das Geſpräch eingeflochtene Sprachunterricht. Mit der Zeit las dieſe geiſtreiche Bajadere ihrem königlichen Gönner Calderons Dramen vor und fügte zu der Poeſie des Don Quixote die ihres Vortrages.
Unterdeſſen ging das im Unſchuldskleide bekannte Geſpenſt „Man ſagt“ von einem zum anderen und erregte den König und feine Untertanen. Eine fieberhafte Unruhe bemächtigte ſich bald der Bevölkerung. Unter den Studenten war eine Spaltung eingetreten. Einige, der Verbindung „Palatia“ angehörend, machten ſich zu Satelliten der „Tochter Babels“, weshalb ſie von den übrigen Studenten aus dem Korpsverbande geſtoßen wurden. Sie gründeten eine neue Verbindung „Aletnannia“. Liberale und Ultramontane feindeten ſich mit neuer Kraft an.
Joſeph Görres, das Haupt der Strengkatholiſchen, eiferte gegen Lola und ihren Einfluß. Die Preſſe ſchürte. Schmähreden und Schmähſchriften ereilten die Tänzerin. Sie rächte ſich durch ihre Wünſche bei dem König, den ſie mehr und mehr für ſich einzunehmen verſtand. Sie drang auf ihre Erhebung in den Adel— ſtand, welcher ihr die höheren Kreiſe erſchließen follte. Zur Aufnahme in die Adels⸗ matrikel mußte man das bayerifche Indigenat erwerben, und fo kam die Sache da- mals in den Staatsrat.
Dieſer trat dem Geſuche entgegen, desgleichen das Miniſterimm, das den Mo— narchen in einem Memorandum ſeine Gründe darlegte, auf welche ſich der Wunſch
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ſtützte, Lola Montez aus Bayern entfernt zu ſehen. Die Wirkung glich der Kugel, die den trifft, der ſie abfeuert.
Die Schweſter eines Miniſters las eines Tages im Geheimen das Memoran⸗ dum, teilte es im Geheimen ihren Freundinnen mit, dieſe laſen es gleichfalls im Ge⸗ heimen, dann wanderte das wichtige Schriftſtück in das geheime Fach des Schreib⸗ tiſches zurück, und plötzlich — man wußte nicht wie, noch woher — erſchien der Inhalt des Memorandums in der Zeitung. Die Miniſter erſchraken heftig; der König glaubte an Verrat — das Miniſterunn Abel wurde am 17. Februar 1847 entlaffen und durch das Miniſterium Maurer-Zu Rhein erſetz t
Lola Montez ward zur Gräfin Landsfeld erhoben. Angeſichts dieſer Tatſache ſtellte der Univerſitätsprofeſſor Laſaulr den Antrag an den Senat, dem Exminiſte⸗ rium eine Adreſſe in Anerkemmumg des Memorandums zu überreichen.
Dieſer Antrag erzürnte den König und hatte Laſaulx Quieſzenz zur Folge. Eine lebhafte Aufregung bemächtigte ſich der Studenten. Sie zogen vor das Haus des Profeſſors und huldigten ihm enthuſtaſtiſch, dann zogen fie in die Thereſienſtraße vor Lolas Wohnung und machten ihrem Zorn in einer Demonſtration Luft. Gräfin Landsfeld ſtellte ſich ans Fenſter, hob höhniſch ein Glas Champagner in die Höhe und trank es aus. Aber die verächtlichen Blicke und Geberden der Angeſammelten reizten alsbald ihre Wut; fie ergriff eine geladene Piſtole und machte Miene, fie auf die Studenten abzufeuern. Der hinter ihr ſtehende Artillerie ⸗Leutnant Nußbaum hinderte ſie noch rechtzeitig daran, wofür ſie ihm eine Ohrfeige gab. Der arme Leutnant mußte ſpäter den Vorfall mit ſeiner Entlaſſung aus dem Heere büßen.
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Weitere Einzelheiten über Lola berichtet Joſephine Kaulbach ihrem Mann, der damals in Berlin arbeitete, in Briefen vom Auguſt und September 1847:
Alſo Du willſt von den Ultramontanen, von Lola etwas hören! Unſere Freunde find mit allem unzufrieden, was jetzt geſchieht, es mag gut oder ſchlecht fein. Ich bin ſo gleichgiltig gegen dieſe Geſchichten; mir ſind die Sachen ſo zuwider und ſo zum Ekel. Die Miniſter ſind noch dieſelben, obwohl man immer erzählt, daß Ver⸗ änderungen vorgenommen werden. Die Feuerprobe müſſen dieſe Herren erſt beſtehen, wenn der König wieder zurückkehrt und ſie auffordert, bei der Signora zu erſcheinen.
Ein Herr, namens Berks, iſt zum Staatsrat ernannt worden, weil er ſich ange⸗
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Zeitgenöſſiſche Steinzeichnung
boten hat, den Kavalier der Lola zu machen. Sie ift feit acht Tagen hier, nachdem Dr. Walter erklärte, der Zuſtand der Königin wäre von der Art, daß jede Ge—
mütsbewegung für fie die fchlimmften Folgen haben könnte. Darauf wurde be-
ſchloſſen, die Signora ſollte nach Würzburg. Darüber ſoll ſie ſchon wütend geweſen fein, und mum wurde fie dort von den Studenten und Bürgern ſehr ſchlecht aufge- nommen; fie zog ſchnell ab, nachdem fie vorher einem Soldaten zwei Ohrfeigen erteilte, der ihr unterſagte, im Hofgarten ihren Hund freilaufen zu laſſen. So kam fie nach München. Leeb, Metzger empfingen fie in ihrem Harfe in Gala, knieend; den anderen Morgen war große Aufwartung. Zwei Studenten, die von ihren Kameraden aus der Geſellſchaft ausgeſtoßen wurden (Lolajaner), erſchienen in größter Gala, mit Stiefel und Sporen und boten der Lola ihre Dienſte an; ſie wollten leben und ſterben für fie. Man ſoll die Lola viel unter ihrem Haustor ſitzen ſehen in Geſellſchaft des Herrn und Kompagnie, ihren Hund auf dem Schoß, dent fie
Vor einigen Tagen haben 170 Studenten (Philoſophen) eine Eingabe an den König direkt geſchickt, worin fie bitten, ihnen Laſaulx als Profeſſor wieder zu geben. Darauf kam eigenhändig ein Schreiben von oben an den Senat der Univerfität, worin verlangt wird, der Senat ſolle die 170 Studenten vorladen und ihnen die vom König aufgeſtellten zwölf Fragen beantworten laſſen; unter anderem, warum fie Laſaulx fo ſehr wünſchten, warum fie die Eingabe nicht durch die Univerſität nach Aſchaffenburg abſchickten uſw. Die meiſten Studenten waren ſchon fort; nur zwölf fanden fie noch auf, und die beantworteten dieſe Fragen mit einer ſolchen Entſchieden— heit, daß der Senat ſtaunte; man iſt allgemein begierig, was vom König erfolgt. Vor einigen Tagen ſollte ein Duell zwiſchen einem Günſtling der Lola (Mußbaumer) und einem Offizier namens Berchſtorff ſtattfinden. Sie fol dieſen Herrn auf der Straße beleidigt haben. Nachdem ſie die Stunde und den Ort, wo und wann das Duell ſtattfinden ſollte, erfahren hatte, hat ſie nachts einſpannen laſſen und fuhr in Begleitung des Staatsrats Berks und eines neuen Miniſterialrats Muſſinan in die Menterſchwaige und blieb die Nacht dort. Den anderen Morgen, als die Herren kamen, war ſie ſo in Verzweiflung, daß ſie dem Offizier zu Füßen fiel und für das Leben ihres Liebhabers bat; das Duell fand wirklich nicht ſtatt. Ich ſage Dir, das gibt noch ſchöne Geſchichten. Die Geſellſchaft in ihrem Hauſe wird immer größer; ihren früheren Geſellſchafterinnen iſt das Haus verboten;
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fie ſteigt nun ſchon in die höheren Regionen, wo es genug ihresgleichen gibt: da finden ſich genug Herren und Damen. Es konunt noch dahin, wie ich immer ſagte: fo ein gemeines, fittenlofes Betragen von oben kann ein ganzes Volk mora⸗ liſch zugrunde richten. Man hört hier und da ſchon die Zeit herbeiwünſchen, wo unſere Freunde am Ruder waren.
25. Auguſt. Heute, am Geburtstag und Namenstag unſeres Allergnädig⸗ ſten, wurde die Lola zur Gräfin ernannt. Gräfin Landsfeld heißt ſie. Sie fuhr in die Kirche, und der ganze Weg dahin war mit Gendarmen beſetzt. Abends war Beleuchtung und Muſik in ihrem Garten; es ſollen 80 Perſonen da⸗ geweſen ſein
30. Auguſt. Die Lola Montez iſt ja endlich Gräfin geworden. Das freut mich ſehr! das iſt ja herrlich — da gehört ſie hin, zum hohen Adel; der iſt ſo edel, trefflich und keuſch, wie ſie ſelbſt. Der Bürgerſtand ſoll froh ſein, daß er ſie los iſt, der war zu gut für ſie — alſo weg mit ihr! In Paris hat ſie ihre adeligen Studien gemacht.
14. September. Der göttliche Hilari begegnete mir heute und erzählte, daß die Gräfin Landsfeld ihn nach Leoni rufen ließ, um ihn zu fragen, ob er geſonnen ſei, ſein Haus zu verkaufen. Als er dies bejahte, lud ſie ihn ein, bei ihr zu ſpeiſen; er wollte es ablehnen, allein es half nichts. Hilari kann ihre Liebenswürdigkeit, ihr königliches Benehmen nicht genug rühmen. Sie ließ Champagner Formen und brachte ein Hoch auf den König, die Königin und die Kinder aus, in welches die ganze Sippſchaft einſtinunte. Dann erzählte ſie, mit welchem Jubel der König in der Pfalz aufgenommen wurde, und als Hilari ſich auch als einen Pfälzer vorſtellte, ließ ſie dieſe auch hochleben, und wieder erſcholl ein Hoch von den Genoſſen. Nach dieſer Komödie ging der ganze Trupp, an der Spitze die Gräfin, geführt von Herrn Staatsrat Berks, dann Bildhauer Lew, Metzger, Chokolademacher Rottenhöfer, Nußbaumer, der Portier Blötz, zwei zweifelhafte Damen aus Würzburg und eine Parapluimacherstochter aus Bayreuth, Hilari und Hofgärtner Hinkert nicht zu vergeſſen, ging alſo die ganze Geſellſchaft in das Haus, von dem ſie entzückt waren. Hilari hofft num einen guten Käufer an der Lola gefunden zu haben. Aber Frau Hilari ſoll über ihren Mann entrüſtet ſein und will mit keinem Schritt mehr das Haus betreten. Das alles erzählte er mir mit einer Gutmütigkeit, daß ich lachen mußte. Miniſter Zenetti und Zu⸗Rhein ſind um ihre Entlaſſung eingekommen; man
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glaubt aber nicht, daß fie von dieſer Laſt befreit werden, bis die Ständeverſammlung vorbei iſt. Das gibt ſchöne Geſchichten! Die Königin hat der Lola den Thereſien—
orden zugeſchickt; nun denke Dir die Schmach für die anderen Damen!
Lola Montez (1820 - 1861), geboren zu Montroſe in Schottland als Tochter eines ſchottiſchen Offi⸗ ziers und einer Kreolin, ſeit 1837 mit einem Leutnant namens James verheiratet, folgte ihm nach Oſt⸗ indien, verließ ihn 1840, überfiedelte nach Paris und führte ſeitdem ein unſtetes Abenteurerleben.
Das Minifterium Karl von Abels (1788 — 1863), beſtehend aus Graf Seinsheim, Schrenk und von Gumppenberg war entſchieden ultramontan gerichtet. Staatsrat Georg Ludwig von Maurer (1790 1872), Rechtshiſtoriker, Univerfitätsprofeffor und an dem griechiſchen Thronabenteuer der Wittelsbacher hervor: ragend beteiligt, übernahm zuſammen mit Friedrich Freiherrn Zu⸗Rhein, zuvor Regierungspräfident von Unterfranken, die Kabinettsbildung, wurde aber in ſeinem freiſinnigen Regiment bald abgelöſt von dem Miniſterium des Fürſten L. K. E. von Oettingen⸗Wallerſtein (1791 - 1870), der in das konſervative Fahr: waſſer zuruͤcklenkte. |
Ernft von Laſaulx (1805— 1861), feit 1844 Profeffor der Philologie und Aſthetik an der Univerſität, war unbedingter Parteigänger der Ultramontanen. Gleich ihm wurden Moy, Höfler und Philipps des Lehrſtuhles entſetzt; doch wurde er im März 1849 zurüdberufen. 1848 war er in der deutſchen National- verſammlung: fpäter gehörte er der Abgeordnetenkammer an.
Hilari⸗Bolgiano, K. Konfektmeiſter, war ein Freund des Hauſes Kaulbach.
Der Thereſien⸗Orden, geſtiſtet 1827 von der Königin Thereſe, wurde nur an Damen des hohen Adels (als an „Ehrendamen“) verliehen und trug als Deviſe auf der Kehrſeite die Worte „Unſer Erdenleben ſei Glaube an das Ewige“.
Stürmiſche Februartage Am g. Februar 1849
Über dieſe Ereigniſſe dieſes Tages berichtet die Augsburger Poſtzeitung:
Bekanntlich haben ſchon ſeit einiger Zeit die übrigen Studierenden aus Urſachen, die hier unberührt bleiben mögen, die „Alemannen“ überall und auch in den Hör⸗ fälen mit der entſchiedenſten Verachtung behandelt, ſodaß vorgeſtern der Fürſt Waller⸗ ſtein ſich perſönlich zur Univerſttät begab, um Ruhe innerhalb der Hörſäle zu be- wirken. Heute Mittag nun, zu einer Zeit, wo eben eine große Anzahl von Stu⸗ denten aus den Kollegien kam, gab es wieder einen Konflikt mit Alemannen. Man begann zu pfeifen, Pereat zu rufen und auf ähnliche Weiſe feinen Hohn gegen die- ſelben auszudrücken, was einen großen Teil der Straße hinauf bis in die Nähe des Bazars fortdauerte. Hier ſtellt einer der Verfolgten (Graf Hirſchberg) einen der nachfolgenden Studenten, zieht einen Dolch und führt damit mehrere Stöße auf ihn, die jedoch glücklicherweiſe fehlgehen. Ein Offizier und ein Gendarm fallen dem Stechenden in den Arm und hindern ihn, einen Mord zu begehen. Hierauf ſtürmen nicht nur die Studenten, ſondern was vom Volk eben Zeuge der Tat war, auf den
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Grafen Hirſchberg ein und fordern von einem herbeigekommenen Polizeikommmiſſar und von den Gendarmen, als Hirſchberg ſich in das Rottmannerſche Kaffeehaus flüchtet, Arretierung wegen eines Kriminalfalles auf offener Straße. Der Polizeikommiſſar und die Gendarmen weigern ſich aber, den „Alemannen“ zu verhaften. Inzwiſchen war auch die Gräfin Landsfeld in der Theatinerſtraße in Konflikte gekommen, die berſchiedenartig erzählt werden. Eine Piſtole, welche fie bei ſich führte, wurde ihr entweder entriſſen oder entfiel ihr, iſt aber alsbald aufgehoben worden. Bei dem ſofort entſtandenen Auflauf wird ſie ergriffen und ſehr hart gegen ein Eiſengitter ge⸗ drückt. Die ganze Maſſe drängt nach, ſodaß ſie in höchſter Gefahr iſt, erdrückt zu werden und flehentlich um Schonung und Hilfe bittet. Herbeigeeilten Gendarmen gelingt es indeſſen, ſie ſoweit zu befreien, daß ſie ſich in die naheſtehende Theatiner⸗ kirche flüchten kann, wohin eine Menge Menſchen, anſcheinend jedoch nur aus Neugierde — denn die Heiligkeit der Kirche iſt nicht verletzt worden — nachſtrömen. In der Zwiſchenzeit hatten ſich große Maſſen Menſchen vor der Theatinerkirche und bis hinter den Odeonsplatz hinunter angeſammelt, und um 1 ½ Uhr betrug die Menge bedeutend über 2000 Köpfe. Um dieſe Zeit wurden die in der Kirche be⸗ findlichen Leute herausgeſchafft, und endlich trat auch die Gräfin Landsfeld leichen⸗ bleich aus der Kirchentür, was das Signal zu gellendem Pfeifen, Pereat⸗Rufen und Schreien von allen Seiten her gab. Die immer zahlreicher herbeigeeilten Gendarmen umringten ſie jedoch gleich ſo dicht, daß ſie den Augen der Maſſe ganz entzogen wurde. Langſam bewegte ſie ſich in dieſer Weiſe etwa ſechzig Schritte die Straße hinunter, wo ſie mit ihrer Umgebung ſehr lange ſtehen blieb, vielleicht unſchlüſſig, ob ſie ſich nach ihrer entfernten Wohnung begeben ſolle. Unglücklicherweiſe miſchte ſich um dieſe Zeit ein anderer „Alemanne“, an der roten Kappe gleich kenntlich, in das dichte Gedränge, worauf nicht nur das Pfeifen und Schreien auf betäubende Weiſe überhand nahm, fondern er auch von allen Seiten angefpieen wurde, während er nach jeder Richtung berumfuhr und herausforderte, es ſolle „ihm nur einer kommen“. Die ganze, allmählich ſehr bedeutend gewordene Gendarmenſchar be⸗ ſchränkte ſich indeſſen darauf, die Gräfin Landsfeld zuvörderſt eine Zeitlang noch dicht an den Häuſern zu decken, dann aber machte der berittene Teil derſelben ſo viel Platz durch die Menge, daß die Fußtannſchaft fie ſicher in die gegenüberliegende Reſidenz bringen konnte. Die Maſſe, unter der ſich jedoch mehr als die Hälfte bloß ruhiger Zuſchauer befanden, drängte pfeifend und rufend nach, wurde aber ohne
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Hoftheater-Intendanzrat Moritz G. Saphir Steinzeichnung von Franz Hanfſtaengl (1830)
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Mühe durch die Gendarmerie und die Reſidenzwache zurückgehalten, ſo wie es denn überhaupt zu keinen weiteren Tätlichkeiten kam. Bei Hof war eben ein Kanmnerball, dem Ihre Majeſtät die Königin nicht, jedoch Seine Majeſtät der König beiwohnte, der durch dieſe Ereigniſſe von deinfelben abgerufen wurde.
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Über die Vorfälle vor dem Kultusminiſteruun am Morgen des 10. Februar wird der „Augsburger Poſtzeitung“ berichtet:
Hofrat Thierſch hielt vom Balkon aus eine treffliche Rede an die Studierenden, die auch großen Eindruck machte. Vor dem Karlstor hatten fie ſich wieder vollftän- dig geſaunnelt und kamen darauf durch die Neuhauſerſtraße in corpore, ihr „Gau— deamus“ ſingend, bis an die Akademie, wo gegenwärtig das Miniſterium des Innern für Kultus⸗ und Unterrichtsangelegenheiten ſich befindet. Der Fürſt Waller⸗ ſtein war glücklicherweiſe bereits dort, und die Verſammelten brachten Sr. Durch⸗ laucht wiederholte Lebehochs; doch fiel auch nicht die mindeſte Unordnung vor, kein Pfeifen, kein Schreien anderer Art. Gerade in dieſem Moment aber rückte vom Dultplatz her eine Abteilung Gendarmerie, teils zu Fuß, teils zu Roß mit einem Offizier und einem Polizeikommiſſär an. Die Fußmannſchaft ſtellte ſich mit geſchul⸗ tertem Gewehr quer über die Straße auf, die Berittenen aber ſprangen vorwärts unter die Studenten, welche nach allen Richtungen ſich eiligſt zerſtreuten und zwar ohne daß irgend ein Ruf ſich hören ließ. Ungefähr zwanzig bis dreißig, darunter auch andere Leute, blieben innerhalb des Tores der Akademie ruhig ſtehen, offenbar bloß aus Neugierde, um zu ſehen, was die Gendarmerie mache. Mit einem Mal eilte eine Anzahl der aufgeſtellten Gendarmen mit gefällten Gewehren auf Befehl des Offiziers auf dieſes Tor zu, wozu um ſo weniger Anlaß war, als zu beiden Seiten der Straße weit größere Maſſen von neugierigen Menſchen aller Klaſſen ſtanden und auch von denen im Tor nicht der mindeſte Unfug geſchah. Als die jungen Leute die Gendarmen mit den Bajonetten auf ſich zuſtürzen ſahen, zogen ſie ſich ſchnell zurück und einige von ihnen machten eilig die Torflügel zu, augenſcheinlich, um ſich gegen dieſen gänzlich unprovozierten Anfall zu ſchützen. Da indeſſen der innen ge leiſtete Widerſtand nur ſehr gering war, ſo gelang es den Gendarmen leicht, das noch nicht völlig geſchloſſene Tor aufzudrücken, worauf ſie ſofort mit den Bajonetten dreinſtachen, auch ein berittener Gendarm mit der Fauſt dreinſchlug, da feine Säbel— klinge ſich im Mantel verwickelt hatte. Eine Widerſetzung von ſeiten der Angegrif⸗
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fenen fand durchaus nicht ſtatt; fie hatten auch weder Stöcke noch ſonſt eine Waffe irgendwelcher Art. Die meiſten flohen bald rückwärts durch die Akademie. Ver⸗ haftungen, wozu keine Urſache vorhanden, ſah man nicht ſtattfinden. Aber alsbald wurde ein Student, der einen Bajonettſtich von hinten in den Kopf erhalten hatte, ſtark blutend von einigen ſeiner Kommilitonen herausgeleitet, und die tapferen Gen⸗ darmen kehrten wieder zu ihrem Offizier zurück. Glücklicherweiſe iſt dieſer ganze unberantwortliche Auftritt oben vom Miniſterium und von den Akademiefenſtern genau geſehen worden, ſodaß man dort aus eigener Wahrnehmung urteilen konnte. Daß der Fürſt Wallerſtein darüber ſehr entrüſtet geweſen ſein muß, geht ſchon daraus hervor, daß er augenblicklich dem Gendarmerieoffizier den Befehl ſchickte, mit ſeiner Mannſchaft abzuziehen. Sobald dieſelbe von dannen war, verhielt ſich alles ſo ruhig wie zuvor, obwohl ſich noch viele Studenten namentlich vor dem Hauſe eines Baders fanden, wo der Verwundete verbunden wurde. Die Wunde am Hinter⸗ kopf blutete zwar ſtark, ſoll aber nicht gefährlich fein, wenigſtens nicht lebensgefährlich. Ein anderer neben ihm ſtehender Student iſt in die Schulter geſtochen worden, aber wie es heißt, ohne daß das Bajonett ins Fleiſch eingedrungen iſt. Daß noch mehr verletzt ſind, hört man bis jetzt nicht.
In einer Nachſchrift trägt das genannte Blatt folgende ſehr ernſte Trauerpoſt nach:
Außer jenem Studenten, der am Kopfe verwundet worden, hat noch ein anderer, namens Faber, einen tödlichen Bajonettſtich durch den Hals erhalten und iſt, wie ich eben erfahre, bereits vor anderthalb Stunden verſchieden. Noch mehrere andere ſind leicht verwundet. Zugleich iſt zu ergänzen, daß der Bajonettanfall der Gendarmerie ohne alle vorausgeſchickte Warnung, Drohung oder irgend der⸗ gleichen weder von ſeiten des Gendarmeriehauptmanns Bauer noch des Polizei⸗ kommiſſärs neben ihm geſchehen iſt, ſodaß ohne Zweifel hier das Kriminalgericht einzutreten haben wird. Dem Verlauten nach iſt auch der Hauptmann Bauer kaum eine Stunde nach dem Vorfall vor Seine Majeſtät den König beordert worden. Welche Dinge übrigens die „Alemannen“ ſich erlaubt haben, iſt daraus zu ent⸗ nehmen, daß fie ſich ſogar erfrecht haben, von den Fenſtern herunter auf die Dffiziere der Truppen zu ſpeien, die dafür auf dem geſetzmäßigen Wege bei ihren Kom⸗ mandeurs Satisfaktion verlangt haben. Hierauf hin ſollen dann ſämtliche „Alemannen“ aus München ſofort ausgewieſen worden ſein.
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Am ı 1. Februar 1848 brachte die „Augsburger Abendzeitung“ folgenden Bericht aus München:
Geſtern nach eingetretener Macht gab es Straßenſkandale, bei denen ſich jedoch weder Studierende, noch Bürger, noch Gebildete überhaupt beteiligten. Um dieſe Zeit war die arbeitende Klaſſe auf den Beinen, die ſich durch Pfeifen, Schreien und Schimpfen ankündigte, nach der Barerſtraße zog, aber von dem dorf aufgeftellten Militär zurückgedrängt wurde, wobei ſogar ein Individuum verwundet wurde. Später zerteilte man ſich in den Straßen. Vor der Polizei wurden mittelſt Bräu⸗ wägen Barrikaden gebildet, ſodaß die Küraſſiere nicht paſſieren konnten, wonach die Fenſter des Polizeigebäudes ohne Störung eingeworfen werden konnten. Durch die meiſten Straßen pfiff und lärmte es fort bis gegen 10 Uhr, die Küraſſiere zerſtreuten die dichten Haufen, und ſpäter erloſch allmählich der Lärm, ſodaß die Stille der Nacht nur durch die reitenden und gehenden Patrouillen unterbrochen wurde. Heute früh las man am ſchwarzen Brett der Univerſität den ſchon geſtern Abend an den Magiſtrat ergangenen allerhöchſten Erlaß folgenden Inhalts: „Jetzt, da die Bürger ſich ruhig zurückgezogen haben, iſt mein Vorhaben, daß ſtatt mit dem Winterſemeſter 1848/49 bereits mit dem Sommerſemeſter die Univerfität wieder geöffnet werde, wenn bis dahin Münchens Einwohner ſich zu meiner Zufriedenheit benehmen. Ludwig.“ Die Studierenden fühlten ſich hiedurch nicht befriedigt, gelobten ſich aber gegenſeitig ein ruhiges Verhalten, nachdem die Bürger ſich auch ferner ihrer annehmen werden. In der Tat waren die Bürger dieſen Vormittag wieder auf dem Rathaus ver⸗ fammelt, da auch fie dieſer allerhöchſte Beſcheid nicht zufrieden ſtellte, man verlangte
allgemein und laut die Entfernung der Gräfin Landsfeld und der „Alemannen“.
Hauptmann Bauer wurde ſchon geſtern entſetzt, und der an ſeine Stelle tretende Hauptmann Neumann iſt bereits geſtern Abend aus Augsburg hier eingetroffen. Unterdeſſen aber erſchien der Platzkommandant Generalmajor von Kunſt auf dem Rathaus und zeigte den Bürgern an, daß Se. Majeſtät der König den Befehl ge- geben, die Gräfin Landsfeld habe unſere Hauptſtadt nach einer Stunde zu verlaſſen. Die Freude, der allgemeine Jubel bei dieſer Nachricht, die mit Blitzesſchnelle durch die ganze Stadt ſich verbreitete, läßt ſich nicht beſchreiben. Jeder dankte im Herzen dem Monarchen für diefen aus freier Nachgiebigkeit gefaßten Beſchluß, wodurch bei der im höchſten Grade herrſchenden Aufregung die übelſten Folgen ver⸗ hütet wurden. Im „Bayeriſchen Hof“ hatten ſich eine Anzahl Adeliger, die hier
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anweſenden Reichsräte bei dem Fürſten von Leiningen, zu Beratungen über die bedrohte Ordnung des Staates verſammelt. Gegen halb 12 Uhr marſchierten die Bürger, der Magiſtrat an der Spitze, wieder nach der Reſidenz, wo ſie ſich in Ordnung aufſtellten. Bald darauf erſchien Fürſt Wallerſtein mit dem allerhöchſten Erlaß, welcher ihnen vorgeleſen wurde, wodurch die Entfernung der Landsfeld be⸗ ſtätigt wurde und das Hierbleiben der Studierenden beſchloſſen wird.
Als der König einen Augenblick am Fenſter erſchien, ertönte von vielen taufend Stimmen ihm ein dreimaliges Hoch entgegen; dasſelbe geſchah Ihrer Majeſtät der Königin, als fie im Negligee einen Moment ſichtbar wurde. Um ½ 11 Uhr verließ die Gräfin Landsfeld ihr Haus, nachdem ſie zuvor ſich allerdings mit per⸗ ſonlichem Mute den Drohungen gegenübergeſtellt hatte, beſtieg ihren Wagen, machte einen Verſuch, in die Reſidenz zu gelangen, aber die Tore waren verſchloſſen. End⸗ lich fuhr ſie aus der Stadt, man ſah es und verfolgte ſie durchaus nicht; nur zwei Kavaliere fuhren ihr eine Strecke nach, um ſich zu verſichern, daß fie die Stadt auch wirklich verlaſſen. Sie fuhr nach Starnberg. Obgleich eine Maſſe Menſchen ihr ganz nahe waren, ſo erfuhr ſie doch keine Realinſulte. Sie war in ihrem Wagen nicht allein. Von dieſem Augenblick an aber trat die Ordnung ſichtbar wieder ein, nur den Gendarmen drohte noch die Volksrache, und vor der Polizei ging es deshalb auch dann noch lebhaft her. Aber man hielt ſchon um die Mittagſtunde die Ordnung für ſo geſichert, daß man die Militärmacht aus den Straßen zurückziehen konnte, ohne daß die geringſte Störung vorfiel. In den Straßen herrſcht wieder der alltägliche Verkehr, und die Gemiter find froh geftimumt, Wie wir hören, ſoll ein weiterer königlicher Entſchluß den Befehl enthalten, daß die Gräfin Landsfeld das König⸗ reich Bayern innerhalb 24 Stunden zu verlaſſen habe, und Fürſt Wallerſtein mit der Vollziehung dieſes Befehles beauftragt ſein. Wie die Sachen jetzt ſtehen, wird das gegenwärtige Winterſemeſter ſeinen ruhigen Verlauf nehmen, und die Studieren⸗ den, welche ſich dadurch vollſtändig ſatisfaziert ſehen, daß die „Alemannen“ ihre Laufpäſſe erhielten, werden ſich von num an der gegenwärtigen Ordnung der Dinge mit der ganzen Eimpohnerſchaft nur freuen können. Daß geſtern Abend Seine Majeſtät der König im Theater orſchien und dieſen Vormittag unter den dichten Volksmaſſen ruhig promenierte, ja einen Bürger, welcher als bekannter Anhänger der Landsfeld tätlich mißhandelt wurde, um ihn zu ſchützen, am Arme nahm und durch das Gedränge führte, ſind erwähnenswerte Momente. |
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Nach der Abreiſe der Gräfin Landsfeld
Aus der „Augsburger Poſtzeitung“
Sobald die Gräfin Landsfeld geſtern ſchon vor 11 Uhr abgefahren war, drang die ſo lange zurückgehaltene Menge von dem obern Ende der Barerſtraße in das Haus ein und zertrümmerte Möbel und was fie fand, um die Spur der Unheil⸗ ſtifterin ſo viel wie möglich zu vernichten. Während ſie hierbei beſchäftigt war, er⸗ ſchien Se. Majeſtät der König am Hauſe und redete die Leute an: „Ich habe euch alles gewährt. Ich habe die Gräfin Landsfeld fortgeſchickt und die Univerfität wieder eröffnet; wenn ihr euern König liebt, ſo betragt euch nun ruhig. Das Haus muß geſchont werden.“ Solches war der Inhalt der königlichen Worte, auf welche die Menge mit lautem Lebehochruf erwiderte und „Heil unſerm König, Heil“ an- ſtinunte, was jedoch wegen des ſich fort und fort erneuernden Lebehochrufens nicht ausgeſungen werden konnte. — Es iſt ſchwer zu beſchreiben, wie ſehr die ohnehin ſtets hohe Verehrung und Liebe für die Prinzeſſin und den Prinzen Luitpold ſich während der letzten Begebenheiten geſteigert hat; denn die Prinzeſſin und der Prinz Luitpold waren es, welche die Deputation der Bürger vorgeſtern bei Seiner Majeſtät einführten und deren Bitten auf das wärmſte unterſtützten. Man muß die Bürger reden gehört haben, um die Innigkeit der Gefühle für dieſes herrliche fürſtliche Paar zu würdigen. Dem Vernehmen nach wird eine entſprechende Dank⸗ adreſſe an Höchſtdieſelben gerichtet und von ſämtlichen Bürgern Münchens unter⸗ zeichnet werden. In dem gedachten Haufe hat man außer zahlreichen Viſiten⸗ karten und Briefen auch eine ungeheure Maſſe von Bittſchriften, darunter ſolche von Perſonen, von denen niemand dergleichen geahnt hätte, vorgefunden. Wie es heißt, hat die verwieſene Gräfin Päſſe nach England erhalten.
Graf Arco⸗Valley hat, wie öffentliche Blätter melden, dem Armenpflegſchafts⸗ rate zu München zur Verherrlichung der Ausweiſung der Gräfin Landsfeld die Summe von 5000 fl zur Verteilung an die Armen übermacht.
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Rückblick auf die Februarunruhen
Der Rektor Fr. Thierſch ſchreibt an Kronprinz Maximilian am 19. Februar:
Die Kataſtrophe kam mir übrigens nicht unerwartet. Seit dem Anfang meiner Amtsführung habe ich ſie herannahen ſehen, nachdem es mir wie jedem andern un⸗ möglich erſchien, den Beſtand jener Geſellſchaft zu erſchüttern, mit welcher und durch welche die Gräfin Landsfeld in die Univerfität eingriff, um die Wurzel aus dem Boden unſeres akademiſchen Lebens zu reißen, aus welcher eine bittere Frucht nach der andern und immer die legte fchlimmmer als die frühere ſich entwickelte. Die vul⸗ kaniſche Matur unſerer Zuſtände kam dazu. Mir fo wenig als den übrigen Be⸗ hörden war verborgen, daß der Boden unter unſeren Füßen zitterte, und daß die etwas heftigere Bewegung an irgend einem Punkte der Stadt das Signal einer größeren Eruption ſein würde. Gott gebe, daß die, deren Zeugen wir geweſen, die letzte ſein möge. Meine Lage war um ſo bedenklicher, als ich bei der Unentſchloſſenheit und Furchtſamkeit, welche die Schrecknis vor der Gräfin und den Folgen ihres Zorns um uns her verbreitet hatte, die Gemüter befangen und den guten Willen gehemmt fand. Nur Joſef Müller ſtand mir im Senat mit Entſchloſſenheit zur Seite und in den letzten Tagen noch Haneberg. — Ich übernahm alſo alles auf meine Ver⸗ antwortlichkeit und verfolgte beharrlich einen und denſelben Zweck, die aufgeregten und erſchütterten Gemüter der Jugend in den Schranken der Ordnung und des Geſetzes ſo weit zu halten, als es noch möglich war, und als das Unglück über die Univerſität ausgebrochen war, ſie zu bewegen, in jenen Schranken zu beharren und männlich zu ertragen, was mit einer Art von innerer Notwendigkeit über ſie gekom⸗ men war. So iſt es geſchehen, daß die Studenten, ſobald ſie das Ziel ihres Un⸗ willens, die Alemannen aus ihrer Mitte fern zu halten, erreicht hatten, ſich in keiner Weiſe an den Unorönungen beteiligten, die ſich daran knüpften, und min, obwohl noch etwas exaltiert, allmählig in den ruhigen Gang ihres Lebens wieder einlenkten. Es kommt uns ſehr zu ſtatten, daß S. Durchlaucht der Fürſt von Wallerſtein, mit dem ich gemeinſam jeden Schritt getan, und deſſen Tätigkeit und überlegene Einſicht
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in Behandlung ſchwieriger Probleme ich von neuem zu bewundern Gelegenheit ge⸗ habt habe, bereits den Studierenden das Recht freier Aſſociation für ihre gefelligen Verhältniſſe erworben hat. Die Anordnung derſelben, die ich unter meine Aufſicht genommen habe, wird ſie einige Wochen in ihren freien Stunden beſchäftigen, und wir konunen dadurch dem Ende des Gemefters näher, das ich mit Ende des März zu ſchließen gedenke, um ſie dann in ihre Heimat zu entlaſſen, aus der ſie dann, wie ich hoffe, zum Sormmerſetneſter mit erhöhten und berubigtem Gefühl an ihre Arbeiten zurückkehren werden. An neue Aufregung unter ihnen iſt vor der Hand nicht zu denken und nur zu wünſchen, daß von außen nichts geſchieht, wo⸗ durch fie in die Univerſität hineingetrieben wird. Ich kenne die Gefahren, die auch unſerer Ruhe von dieſer Seite drohen, und habe mit Vergnügen geſehen, daß durch den vorwiegenden beſſeren Geiſt der Studierenden ſie bis jetzt auf jedem Punkte, wo ſie ſich zeigten, beſiegt und fern gehalten wurden.
Über das weitere, was geſchehen iſt und noch geſchieht, um den noch hochgehenden Strom in feinem normalen Gang zu erhalten und allmählich verlaufen zu laſſen, werde ich nachträglich berichten. Die Umgeſtaltung des afademifchen Lebens, ent- ſprechend dem Bedürfniſſe und dem Geiſt der gegenwärtigen Zeit, wird dadurch ein- geleitet, nachdem ſie in der Burſchenſchaft durch politiſche Reaktion verunglückt war, während jetzt der Charakter politiſcher Aufregung unſerer Jugend ganz und gar ferne liegt. Es war eine Kriſis, in der ſie ein gefährliches Gift ausgeſtoßen, das ihrem ge⸗ finden Organisumis war eingepflanzt oder eingeimpft worden.
Daniel Bonifaz von Haneberg (1816-1876), ſeit 1844 Profeſſor für altteſtamentliche Exegeſe an der Univerfität, wurde 1854 Abt des Benediktinerkloſters St. Bonifaz in München und 1872 Biſchof von Speyer. Urſprünglich im Sinne Döllingers der freieren Richtung des Katholizismus huldigend, wurde er nach der Entzweiung mit Döllinger infolge deſſen Ablehnung des Unſehlbarkeitsdogmas ſtreng orthodox und bekämpfte mit beſonderer Schärfe den Altkatholizis mus.
Ludwigs Abdankung
Als ſich die durch die Februar-Unruhen heraufbeſchworene Erregung nicht legen wollte und vom König Garantien verlangt wurden, die zu geben er ſich nicht ent⸗ ſchließen konnte, willigte er in die Abdankung, die er ſpäter manchmal bereute, und die auch die anderen bereuten. In einem Patent vom 20. März 1848 gab er ſeine
Thronentſagung bekannt: Ludwig
von Gottes Gnaden, König von Bayern, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben etc.
Wir haben Uns Allerhöchſt bewogen gefunden, zu Unſeres geliebten Sohnes, des Kronprinzen Maximilian königlicher Hoheit Gunſten auf Unſere Krone zu verzichten, und fügen mit dieſem zugleich zu wiſſen, daß Wir von nun an die Namens⸗Titulatur König Ludwig (Majeſtät) und Unſere vielgeliebte königliche Gemahlin die Titulatur Königin Thereſe (Majeſtät) führen werden. Vorſtehende Unſere Verzichtleiſtung und Titulatur⸗Beſtinnnung iſt in Unſerem Regierungsblatte zur öffentlichen Kennt⸗ nis zu bringen. Gegeben zu München, den zwanzigſten März des Jahres Eintauſend Achthundert und achtundvierzig im dreiundzwanzigſten Unſerer Regierung.
4 Ludwig. Königliche Worte an die Bayern.
Bayern! Eine neue Richtung hat begonnen, eine andere als die in der Verfaſſungs⸗ urkunde enthaltene, in welcher Ich nun im 23. Jahre geherrſcht. Ich lege die Krone nieder zu Gunſten Meines geliebten Sohnes, des Kronprinzen Maximilian.
Treu der Verfaſſung regierte Ich, dem Wohle des Volkes war Mein Leben ge⸗ weiht; als wenn Ich eines Freiſtaats Beamter geweſen, ging Ich mit den Staats⸗ geldern um. Ich kann Jedem offen in die Augen ſehen. Und nun Meinen tiefgefühlten Dank Allen, die Mir anhingen. Auch vom Throne herabgeſtiegen, ſchlägt glühend Mein Herz für Bayern, für Teutſchland! —
München, 20. März 1848. Ludwig.
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Guido Görres Bleiſtiftzeichnung von A. Muttenthaler
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Münchner Krawalle Zwei Briefe Joſephine Kaulbachs an ihren Gatten nach Berlin.
20. Auguſt 1848. Bei uns in München geht es wieder toll zu. Es iſt ein Lärmen und Toben in
den Straßen; die Wühler und Schreier laſſen nicht nach, das Volk auf alle mögliche Weiſe aufzuwiegeln. Nun ſetzen fie den Leuten in den Kopf, den Hausſchatz, die Inmvelen des Staates, hätte König Ludwig fortgebracht. An allen Ecken waren Plakate angeſchlagen, worin aufgefordert wird, ſich zur Beratung auf dem Rathauſe einzufinden. Tauſende von Menſchen ſtrömten hinauf; es wurde beſchloſſen, zum
Miniſter zu gehen, und der ſollte Rechenſchaft abgeben. Der erklärte aber auf eine ziemlich brutale Weiſe, daß ſie kein Recht hätten, darnach zu fragen. Darüber
wurden ſie noch erzürnter; der kleine an Leib und Seele verkrüppelte Volkstribun Vogt ſtolzierte durch die Straßen, gefolgt von einem Haufen Schuſterjungen,
Weibern und Geſindel. Auch ſah man Gruppen von Menſchen beifammen ſtehen,
unnd einer in ihrer Mitte, der das große Wort führte, ſchimpfte auf Geſetz und
Ordnung und ſuchte das Volk zu reizen. Bald mußte das Militär ausrücken, und alle Plätze und Straßen wurden beſetzt. Aber auch das half nichts; denn es kam des Nachts zu ſchlummen Auftritten, und es gab mehrere Verwundungen. Bürger und Freikorps übernahinen es dann, die Ruhe wieder herzuſtellen. Heute iſt an allen Ecken angeſchlagen, daß auf Befehl des Königs die Schatzkammer für jedermann
offen ſteht, und man warnt die Bürger davor, künftig wieder ſolchem Geſchwätz
und böswilligen Gerüchten Glauben zu ſchenken.
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22. Auguſt 1848.
Guido Görres hat wieder was Schönes angefangen; er wäre beinah vom Volk geſteinigt worden. Geſtern nämlich erſchien ein Aufruf an alle Katholiken, daß wir zufammenbalten müßten; unſere Religion ſei in Gefahr, der Staat müßte von der Ein Jahrhundert München 12
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Kirche getrennt werden, und der Unterricht follte allein der Geiſtlichkeit zufallen uſw. Eine Adreſſe läge auf dem Rathauſe, wo ſich alle guten Chriſten unterſchreiben ſollten, um dann die Epiſtel nach Frankfurt zu ſchicken. Der Aufruf wurde an den Straßen⸗ ecken ſchon heruntergeriſſen, und die Menſchen ſtrömten aufs Rathaus nicht zum unterſchreiben, ſondern um ihrem Unwillen Luft zu machen. Dort wurde für und dagegen geſprochen. Schließlich packten einige Menſchen die Adreſſe mit ungefähr 600 Unterſchriften und zerriſſen ſie. Die Tintenfäſſer warfen ſie ſich an die Köpfe, die Magiſtratsräte flüchteten mit genauer Not, und die Menſchenwoge ſtürzte dann herunter auf die Straße. Da kam auf einmal unſer guter Guido Görres des Weges. Er wurde von der Menge umringt, verfichte zu fprechen, aber er wurde nicht gehört. So ſchleppten ſie ihn bis in die Burggaſſe und wollten dort über ihn herfallen. Er aber, dank ſeiner großen Gewandtheit, entſchlüpfte ihren Fäuſten und entfloh bis auf den Schrannenplatz unter die Bögen, wo er ſich ausruhte. Ein Bekannter, der ihn dort ſah, ſagte zu ihm: „Um Gottes Willen, was haben Sie angefangen? Wie haben Sie Ihrer Partei geſchadet!“ Da ſprach Guido: „Man muß für feinen Glauben zu ſterben wiſſen.“ Heute Nacht iſt alles Militär in Bewegung, man fürchtet große Unruhen durch dieſe Geſchichte; denn auf dem Lande ſollen Tauſende dieſe Adreſſe unterſchrieben haben. Aber fage, iſt das nicht entſetzlich? Sie ziehen den Religionskrieg ja gewaltſam herbei —. „Man ſollte ſie alle an den Fußzehen aufhängen“, ſagte heute unſere gute Anna. Ich meine, die katholiſche Kirche ſei immer dann am beſten geweſen, wenn fie arm war. Die reichen Geiſtlichen haben nie etwas getaugt.
Guido Görres (1805 1852), der Sohn Joſeph Görres', in dem hochkatholiſchen Münchner Spät⸗ romantikerkreis und im politiſchen und geſellſchaftlichen Leben der Stadt eine wichtige Perſönlichkeit wenn auch an weittragender, perfönlicher Bedeutung feinem Vater keineswegs ebenbürtig. 1838 begründete Guido
Görres die noch beſtehenden „Hiſtoriſch-politiſchen Blätter für das katholiſche Deuiſchland“, 1846—47 gab er das erfolgreiche „Deutſche Hausbuch“ heraus.
Späteres Königsgefühl
1 Ein Gedicht aus König Ludwigs I. ſpäterer Zeit
Wenn des Guten Saat, die er geſtreut, Aufgegangen jetzt der König ſieht, Daß, was er gegründet, gut gedeiht, Daß er ſich vergebens nicht bemüht,
Daß, was ſonſten nur ſein leeres Sehnen, Er als reiche Wirklichkeit erblickt,
Ja! alsdann iſt's nümmermehr ein Wähnen, Daß ſich auch ein König fühlt beglückt. —
Sehend, wie auf ſeinen Wink entſteigen Bauten edlerer Gediegenheit,
Ihre Wände Malereien zeigen Seelooll lebensfriſcher Herrlichkeit.
Oh! Durchwonnend iſt es, Tränen ſtillen, Helfen können, wie's das Herz begehrt, Wenm die Mittel gleichen unſerm Willen, Dann iſt unſer Los beneidenswert.
Nicht die Freiheit, die er ſonſt empfunden, Wünſchet er ſich jemals mehr zurück,
Selbſt nicht für die Jugend, die verſchwunden, Gäb' er hin ſein gegenwärt' ges Glück.
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Wie die Bavaria entſtand und aufgeſtellt wurde
Joſef Anſ. Pangkofer, ein beliebter Alt-Müunchner Schriftſteller, ſchreibt im Oktober 1852 in Chlingenbergs großem Sammelwerk „Das Königreich Bayern in feinen altertümlichen, geſchichtlichen, artiſtiſchen und maleriſchen Schönheiten“:
Die Idee zur Aufſtellung der Bavaria ging von König Ludwig aus, der ein Rieſenerzbild geſchaffen wiſſen wollte, gleich jenem der Pallas, welche, ein Werk des Bildners Phidias, auf dem atheniſchen Tempelberge der Akropolis 26 griechiſche Ellen hoch aufragte. Gleich dem Phidias hatte Schwanthaler, der Schöpfer der Bavaria, das traurige Geſchick, fein größtes Werk im Leben nicht mehr vollendet zu ſehen.
Die Bavaria erhebt ſich 84 Schuh von der Sohle bis zum Scheitel, und der linke Arm mit dem Kranze ragt noch 18 Schuh darüber empor. Die Plinte, welche das 30 Schuh hohe Piedeſtal deckt, mißt 408 Schuh im Gesiert, die Kopfhöhe beträgt 6 Fuß 4 Zoll, die Geſichtslänge 8 Fuß 3 Zoll, die Maſenlänge 1 Fuß 11 Zoll, die Mundſpalte 13 Zoll, die Augenbreite 1 Zoll, die Länge des Arms 24 Fuß 1 Zoll, deſſen Umfang 5 Fuß 1 Zoll und die Länge des Zeigefingers 3 Fuß 2 Zoll. Das ganze Gewicht der Statue hält 1860 Zentner, deren Metall ſich auf 93000 Gulden wertet. Die Dicke der Gußſchale beträgt einen halben Zoll, und das ausgebreitete Metall würde 10400 Schuh im Geviert, alſo mehr als ein Viertel Tagwerk bedecken.
Nachdem von 1825 an, in welchem Jahre an Schwanthaler der erſte Auftrag ergangen, eine Reihe von Vorſtudien und kleinere Probe⸗Kompoſttionen voraus ge- macht waren und man ſich für die Form der Darſtellung entſchieden hatte, begann der Auf bau des Modellhauſes nächſt der Erzgießerei in einer Höhe von 120 Schuh. Hier wurde unter Leitung des Schöpfers von Ginfeppe Lazzarin, der 1844 geſtorben, und unter Mithilfe von Schwanthalers Arbeitern der Aufbau des rieſigen Ton⸗ modells ausgeführt; in Gips gegoſſen wurde es vom Formator Lorenz Biehl. Die Vorbereitung und die Apparate zu dieſen Arbeiten waren großartig; Eiſenrüſtungen, Ton⸗ und Gipsmaſſen gingen ins Enorme. Die Arbeiten ſelbſt dauerten von 1840
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bis 1844, in welchem Jahre endlich das gewaltige Kernbild fertig und Erſtaunen erregend daſtand, nach dem Vorbilde von 18 Schuh Höhe errichtet. Aber dieſer
Vollendung ging erſt noch die ſchwierigſte und mühſeligſte Arbeit voran, die Revi-
dierung und Reinſtellung der Verhältniſſe bis ins Einzelnſte zum Behufe der Schön— heit in der plaſtiſchen Erſcheinung. Schwanthaler, der ſchon ſeit Jahren gekränkelt, unterzog ſich diefern Geſchäfte zur Herbſtzeit, da es nun nicht mehr verſchieblich, mit einem Eifer und mit einer Gewiſſenhaftigkeit, mit einer Ausdauer und Aufopferung, welche ein hohes Zeugnis gaben, wie heilig ernſt es ihm um Kunſtberuf und echten Künſtlerruhm geweſen. Die koloſſalen Verhältniſſe der Figur ließen ſich nur aus gemeſſener Ferne überſchauen und beurteilen; es wurden ſonach die bretternen Wände des Modellhauſes entfernt, und ab⸗ und zufahrend prüfte des Künſtler ſicheres, ſchön⸗ heitgewohntes Auge die Figur rundum und von der Sohle bis zum Scheitel um jede Linie, jede Falte. Alle Abänderungen gab er ſelbſt allenthalben an, die Galerien des Hauſes erſteigend, und feine Gehilfen arbeiteten mit rüſtigem Fleiße nach feinen Anordnungen, während der Herbſtſturm Schneegeſtöber durch die Luft trieb und das Gebälk des Turmes ſchüttelte, während eine toſende Jagd durch Gefilde zog und Kanonendommer der manöverierenden Artillerie in der Nähe brüllte. Die An— ſtrengung, die Mühen trugen vielleicht nicht wenig zur Beſchleunigung des Krank⸗ heitsverlaufes bei, welchem der große Künſtler vier Jahre darauf erlag.
Wie Schwanthaler mit väterlicher Sorgfalt und inniger Liebe an ſeiner Bavaria hing, davon ließen ſich rührende Beiſpiele erzählen; bis zu feinem Tode erfüllten die Gedanken an ſie Tag und Nacht ſeine Seele.
Dem glücklich vollendeten Aufbau des Modells folgte die zweite ſchwierige Auf-
gabe, der Erzguß desſelben. Dieſes Werk hatte Ferdinand Miller von ſeinem Onkel,
Profeſſor Stiglmaier, mit dem Amte der Inſpektionsſtelle in der Erzgießerei ererbt. Miller hatte ſich in einer Gießerei zu Paris vorgebildet, unter ſeines Oheims Leitung und ſelbſtändig bereits große Güſſe ausgeführt; auch bei den Vorbereitungen zum Guß der Bavaria ſtanden ihm anfänglich noch die Ratſchläge Stiglinaiers zur Seite, aber ſpäter, bei der Ausführung ſelbſt, folgte er gänzlich feinen eigenen Er- fahrungen und wohlüberlegten Entſchlüſſen. Der erſte betraf die Abſicht, die Statue in möglichſt großen Stücken zu gießen und zwar in horizontalen Durchſchnitten aus
Gründen der Statik, welche für dieſe Zuſannnenſtellung ſprachen; der andere bezog
ſich auf die Verbindung und Befeſtigung der Gußteile, für welche Miller weder
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den fogenannten Schwalbenſchwanz noch Falz und Nute verwendete, fondern nach eigener Idee an den Rändern der Gußſtücke 5 Zoll breite horizontale Platten an⸗ goß, die innerlich verſchraubt und äußerlich verhämmert wurden. Die Spuren der Verſchraubungen ſind verarbeitet und gleich den Fugen äußerlich unſichtbar, ſo daß nur etwa eine Pulverfprengung den Koloß ummwerfen Eönnte. Der Guß der Ba⸗ varia ſelbſt wurde in fünf Hauptteilen gemacht, von denen der ſchwerſte 380 Zentner Erz, 500 Zentner Eiſen für die Rüſtung und 12000 Ziegel und 300 Zentner Gips für die Einformung und Einmauerung erforderte. Gegoſſen wurde zuerſt der Kopf, am 11. September 1844; bei dieſem und bei dem Guſſe des Bruſtſtückes waren neben den techniſchen Schwierigkeiten und neben der Beſorgnis für große pekuniäre Nachteile außerordentliche Gefahren zu überwinden und zu beſeitigen. Beim erſten Guß war eine Berſtung der Form eingetreten, durch welche 40 Zentner Erz entwichen, und nur der Vorſicht, daß er zo Zentner über die erforderliche Maſſe Erz in den Ofen legte, dankte Miller das Gelingen. | Noch mißlicher und gefahrdrohender ſtand es um den zweiten, den Guß des großen Bruſtſtückes, obſchon alles Erdenkliche vorgeſehen und der Meiſter ſelbſt un⸗ unterbrochen an den Vorbereitungen tätig war. Wir übergehen die Schilderung der einzelnen Arbeiten von der Stückformung bis zur Zuſammenſtellung und Einmaue⸗ rung, um ſogleich vom ümpoſanten Guſſe ſelbſt zu ſprechen. 380 Zentner Erz füllten den Ofen. Am 10. Oktober 1845 abends 5 Uhr begann die Feuerung; nachts 12 Uhr am 11. Oktober folgte der Guß mit vollſtem Glücke, nachdem die Hoffnung darauf 24 Stunden geſchwankt hatte. Gußhaus, Ofen und Form ſtanden auf dem Spiele. Die ununterbrochene, wütende Feuerung entzündete das Gebälk des Guß⸗ hauſes, das nur mit Mühe und Gefahr wieder gelöſcht werden konnte. Das ſchmel⸗ zende Erz hatte mehrmals zu ſtocken gedroht, und mußte man es erkalten laſſen, ſo mußte der Ofen abgebrochen und mit großen Koſten wieder erbaut werden. In⸗ zwiſchen wäre die Form durch Anziehung von Feuchtigkeit unbrauchbar geworden; ſie hätte neu hergeſtellt werden müſſen. Alle dieſe Unfälle wären auf Koſten des Meiſters eingetreten, der jeden Guß auf eigene Wag und Gefahr bewerkſtelligen mußte. Aber endlich, wider Erwarten, ging alles gut, und erſchöpfende Mühe, verſtändige Vorſicht, Sorge und Mut lohnten ſich glänzend. Hundert Zuſchauer waren Zeuge des impoſanten Aktes und des beglückwünſchenden Jubels, der die Gußhalle füllte. Den folgenden Güſſen kamen die Erfahrungen und Proben der beiden erſten zugute,
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ſodaß ſich weitere Anſtände nicht ergaben und die Vollendung der Bavaria die edle Erzgußkunſt mächtig förderte, ſodaß die königliche Anſtalt in München als die erſte der Welt ohne Rivalin rühmlichft daſteht.
Die fernere Sorge betraf nun den Transport der Gußſtücke an den Standplatz und den Aufbau der Rieſengeſtalt. Ein turmhohes, ſicherfeſtes Gerüſt für die Heb— und Verſetzmaſchinen wurde über dem fertigen Piedeſtale errichtet. Mit erprobten Seilen⸗ und Flaſchenzügen wurden, nachdem ein Seilbruch glücklich abgelaufen, die Hebung der wuchtigſten Gußteile bewerkſtelligt. Dieſe brachte ein eigens hiezu Eon- ſtruierter Wagen, mit zwölf kraftvollen Pferden befpannt, an Ort und Stelle. Jede Frachtung vom Gußhauſe dahin forderte mehrere Stunden. Der Transport des Kopfes am 7. Auguſt 1850 brachte ein intereſſantes Feſt mit ſich. Roſſe und Wagen waren feſtlich mit Kränzen und Draperien geſchmückt. Dem Haupt zog ein anderer Feſtwagen voran mit der Marmorbüſte Schwanthalers, des doppelt verewigten Schöpfers, die Arbeiter der Gießerei, Künſtler und Sängerchöre ungaben die Wagen, dem eine Muſikbande voranzog, gebildet aus dem Perſonal der Gießerei. Tauſende von Teilnehmern und gerührten Zuſchauern beſtaunten das ſchöne, koloſſale Gebilde durch alle Gaſſen oder geleiteten es zur Ruhmeshalle, wo fie ſelbſt unter Regen die Aufziehung des gewaltigen Hauptes erwarteten. Als der Kopf 20 Schuh hoch über dem Boden ſchwebte, entſtiegen 31 Perſonen demfelben, um einen Begriff von dem Umfange zu geben, den er ob der ſchönen Verhältniſſe nicht zu haben ſchien. Muſtk, Chorgeſang und donnernde Hochs auf König Ludwig, Schwanthaler und Miller begleiteten und ſchloſſen das ſchöne Feſt, das dem noch viel impoſanteren der Ent— hüllung der vollendeten Geſtalt voranging. Vom 20. Juli bis 7. Auguſt hatte der Transport gedauert; nach der Vollendung wurde die Statue mit Plaggen umwickelt und mit einer hohen Bretterwand verſtellt.
Mit der feierlichen Inauguration und Enthüllung der Bavaria war am 9. Ok⸗ tober 18,0 ein Huldigungsfeſt verbunden, welches die Künſte und Gewerke Mün⸗ chens dem Könige Ludwig brachten.
Über diefes Feſt hören wir Joſephine Kaulbach, die ihrem Gatten nach Berlin über die Enthüllung der Bavaria
am Tage nach dem Feſte, den 10. Oktober 1850, folgendes mitteilt: In unſerem Harfe grünt und blüht es. Die Treppe mit den Bäumen ſieht herr⸗
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lich aus, und allmählich konumt alles in Ordnung. Alſo das Feſt, die Enthüllung der Bavaria, war ganz einzig in feiner Art, und nie hat man Ähnliches erlebt. Die Beſchreibung der prachtvoll geſchmückten Wagen ſämtlicher Handwerker bis auf die Künſtler hat Fräulein Kohler Euch ſchon geſchickt. Aber hat ſie von dem höchſt eigentümlichen Geſpann geſchrieben, welches die Künſtler gemacht hatten? Ein Wagen, von acht ſchwarzen, koloſſalen Pferden gezogen, vier immer zuſammen, die von weißen Zügeln gehalten wurden. Zwiſchen je zwei Pferden ging ein ſchöner, junger Meuſch in gutem Koſtiun, der die Tiere führte. Die Künſtler gingen neben dem Wagen. König Ludwig war außer ſich vor Freude, und die Königin ſoll nicht aus den Tränen gekommen fein. Das Wetter war herrlich und alles in Begeiſterung. Auf dem Dult⸗ platz ſtellten fich die Wagen auf; aber der Telegraphendraht mußte dort um einige Fuß höher gemacht werden für dieſen Tag, damit die „Auerkirche“, die Ottokapelle und ein großes Rad durchgebracht werden konnten. Wir fahen den Zug bei Himbjel ganz prächtig, und dann fuhren wir mit dem Brautpaare auf die Wieſe. Der Zug dauerte von 12 bis 2 Uhr, denn jeder Wagen hielt am Königszelt. Kreling, Wie⸗ demann und die anderen Herren des Komitees erklärten dem Könige die Wagen. Als der Zug vorüber war, richteten ſich alle Augen auf die Bavaria, die Bretter⸗ wand davor follte einſtürzen. Es wurde gehännnert und geklopft; die Menſchen wurden inmmer ſtiller vor Erwartung, und der Platz vor der Bavaria wurde frei gemacht. Auf einmal fiel ein Böllerſchuß; zugleich neigte ſich langſam feierlich die ganze Bretterwand nach vorne, und die herrliche Rieſenfigur wurde ſichtbar. Ein unendlicher Jubel erſchallte; ſämtliche Liedertafeln fangen begeiſterte Lieder, ſchwangen die Fahnen, und Teichlein hielt eine herrliche Rede. Es war eine Begeiſterung, ein Jubel in der ganzen Menſchemnaſſe, der kaum zu ſchildern iſt.
Die Umrechnung in modernes Maß ergibt für die Geſamthöhe der Bavaria von der Sohle bis zum Scheitel zirka 15,6 m, von der Sohle bis zur Kranzſpitze 20,9 m, vom Fuß des Piedeſtals bis zur Kranz⸗ ſpitze 28.7 m, die Kopfhöhe beträgt 1,87 m, die Armlänge etwas über 7 m, die Länge des Zeigefingers etwa 93 cm. Der Metallwert (93000 Gulden) rechnet ſich in zirka 158000 Mark um.
Johann Baptift Stiglmayer (1791— 1844), Erzgießer und Bildhauer, Inſpektor der K. Erzgießerei feit 1822; feine Hauptleiſtung ift der Guß des Thorwaldſenſchen Reiterſtandbilds des Kurfürſten Maxi⸗ milian auf dem Wittelsbacherplatz und des König Maximilian-Denkmals vor dem Hof- und Nationaltheater.
Ferdinand von Miller (1813— 1887), urſprünglich Silberarbeiter, arbeitete in Paris in der Werkſtätte des Erzgießers Soyer, ſeit 1844 Inſpektor der K. Erzgießerei, lieferte beſonders viele Erzwerke nach Amerika; ſein letztes Werk war der Guß der Germania für das Niederwalddenkmal.
Das Haus des Baurat Himbſel ſtand am Dult-(Maximilians-) Platz, an der Stelle, wo ſich heute
hinter dem Goethe-Denkmal das Gebäude der Filiale der Deutſchen Bank erhebt. Anton Teichlein (1820 1879), ausgezeichneter Landſchafts maler, Schüler und Freund W. v. Kaulbachs.
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ßetei (1848). Radierung von G. Ha.
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Der Bavaria Enthüllungsfeſt
Gedicht von König Ludwig J.
Glühend ſchien die Sonne, noch glühender ſchlugen die Herzen
Bei dem glänzenden Feſt, welches die Liebe beſeelt'.
Gegenwart war die Vergangenheit wieder, ich ſchien auf das Neue Der Beherrſcher des mich freudig umgebenden Volkes.
Doch es war nur ein Traum, ein Traum, den ich Wachender hatte, Aber es iſt kein Traum, daß ich geliebt von dem Volk.
Schön geſchmückt zog Wagen an Wagen in heiterer, langer Reihe. Was ſinnig erdacht, war ausgeführt von der Kunſt,
Von der vollendeten. Durch der Gewerbe Erzeugnis gedrungen War die Kunſt wie das Blut, welches den Körper durchfließt. Jede Innung zeigte, was ſie zu bewirken vermögend:
Hoher Schönheitsſinn wurde in allem geſeh'n.
Prächtig folgte der Wagen der Künſtler, würdig derſelben,
Die erhabenſten ſie ſeit der Kunſt Wiedergeburt.
Keiner Anreden auswendig gelernte, ſchwülſtige Phraſen
Gab es zu hören; der Blick ſprach, was nicht ſagte der Mund, Drückte der Anerkennung, der Anhänglichkeit tiefe,
Inn' ge Gefühle mir aus. Wie ich fie früher gekannt,
Meine alten Münchner, fie waren, wie fie geweſen,
Eh' ſie der Taumel gefaßt, welcher ergriffen die Welt.
Als der Zug vorüber, da wurde es lautlos, und plötzlich
Stand der Koloß enthüllt, ſtand die Bavaria da.
Golden fehimmerte fie in den Strahlen der Sonne, und leuchten Wird durch mein Leben die Glut, die in den Herzen ich fand. Herrlich! herrlich! ja herrlich in jeder Beziehung war dieſes
Feſt, wie durch das Gefühl, welches dasſelbe erzeugt,
Durch den Gedanken der Darftellung und durch die kunſtvolle felber. Sie war ein ſolches, und nie gibt ein ſolches es mehr.
„Zu dem Vater kamen die Kinder“ in dankbarer Liebe.
Sie fühlten, was ihnen er war, welchen ſein Volk hat geliebt.
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Nachmärzliche Idylle
David Friedrich Strauß (1808 - 1874), der Verfaſſer des „Lebens Jeſu“, hatte in den 1830 er Jahren feinen Wohnſitz in München. Von hier aus ſchrieb er feinem Freunde Ernſt Rapp am 29. März 1831:
Dein Veilchen hat den ganzen Frühling nach ſich gezogen: Lerchen, Amfeln, ſpielende Knaben, gärtelnde Frauen. Ging geſtern auf den Türkengraben und Kanal⸗ damm und trank auf dem Heimweg in Schwabing ein Glas Bier. Ein Münchener Bürger (wohl ein Spezereihändler) in gewiſſen Jahren kam mit ſeiner Frau und einem kleinen Hund in dasſelbe Zimmer. Er habe heute früh auch nicht gedacht, ſagte er, daß er heute Abend in Schwabing ſein würde, aber es geſchehe des Hundes wegen. Es iſt nämlich neueſtens hier verboten worden, Hunde ins Wirtshaus in der Stadt mitzunehmen. Auch der Schneider Lechner, der ſich ſonſt nicht leicht außer der Stadt betreffen laſſe, ſei ihm heut vor den Toren begegnet und habe ihm geſagt, auch er gehe feinem Hund zuliebe über Feld. Ich machte dem Mann bemmerklich, wie gut er und ſein Freund Lechner auf ſolche Motion heute Nacht ſchlafen würden, zeigte ihm, wie alle Dinge, auch die unangenehmen, ihre gute Seite haben, deutete auf den Vorteil hin, der den Dorfwirten aus dieſer Verordnung erwachſe und ihnen auch zu gönnen ſei, wagte die Vermutung, daß dieſe Dorfwirte dem ganzen Verbot nicht fremd fein dürften, und ſchloß mit der Beruhigung, daß ein fo hartes Geſetz, ſo wenig als einſt die drakoniſchen, ſich auf die Dauer werde halten können. Nach⸗
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dem ich fo den trefflichen Bürger mit feiner Frau ſichtlich befriedigt hatte, trank ich mein Glas Bier aus und überließ ihn feinen Betrachtungen und feinen Leberwürſten, deren er für fich zwei und für feine Ehehälfte eine beftellt hatte, und wovon auch der 5 ſpazierengeführte Hund ſein gutes Teil bekommen haben wird. g Du fragſt ſchon nach dem „Harmlos“! Aber fo weit find wir noch nicht. Schneeverhüllt ſchaut noch das Gebirg herüber; Waſſerleer noch ſchweigen die zwei Fontänen;
Und im Kaſten winterlich eingeſchloſſen
Träumet der „Harmlos“.
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Der „Harmlos“ — eine Marmorftatue am Eingang des Engliſchen Gartens, von Theodor Graf Morawitzky geſtiftet und von Franz Schwanthaler, dem Vater Ludwig Schwanthalers, modelliert. Sie trägt ihren Namen von der Aufſchrift der Spruchtafel: „Harmlos wandelt hier, dann kehret neugeſtärkt zu jeder Pflicht zurück!“
Die zwei Fontänen befinden ſich an der Ludwigſtraße vor der Univerſität und dem Georgianum.
Das Brunnhaus hinter dem Hofgarten und der „Harmlos“. Radierung von F. Bollinger
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König Max II.
Julius Groſſe (1828 - 1902) hat in feinen ERBEN und Wirkungen“ eine Fülle trefflicher Beobachtungen des Münchner Lebens und der Münchner Perſönlichkeiten vereinigt. Über König Max II. urteilt er:
König Max II. Perſönlichkeit war die eines Kavaliers, gleichſam eines engliſchen Lords, hoch und ſchlank gewachſen, mit verhältnismäßig kleinem Kopf, der zu zwei Dritteln Stirn zu ſein ſchien; die großen, intelligenten Augen bald forſchend ſcharf, bald verſchwinnnend, die Stinnme verſchleiert mild, faſt frauenhaft, wie in der ganzen Mannesgeſtalt etwas Weibliches vorzuwalten ſchien; ein Herrſcher, der weder zu ſeinen Lebzeiten, noch bis heute, von ſeinem Volke recht erkannt und nach Gebühr geſchätzt worden iſt, allerdings nicht ganz ohne ſeine Schuld und nicht ohne tragiſche Buße. Tragiſch ſchon darf man es nennen, daß er den Norden, woher er ſeine geiſtigen Helfer rief, zugleich liebte und haßte, liebte als die Heimat der Wiſſenſchaft und ſeiner Jugendfreunde Wendland und Dönniges, welcher die ſpäteren Berufungen bewirkte, dagegen haßte als politiſche Macht, die er als Wittelsbacher fürchten zu müſſen glaubte. Allerdings, auch König Max war von der fixen Idee beherrſcht, daß Preußen eines Tages den deutſchen Einheitsſtaat herſtellen und Bayern ver⸗ ſchlingen werde. Aus dieſem unvereinbaren Doppelaffekt der Liebe und des Haſſes, der Zuneigung und des tiefſten Mißtrauens dürften ſich manche Widerſprüche ſeines Handelns erklären, vor allem der ſcheinbare Wankelmut, dem Sybel und Bluntſchli zum Opfer fielen, wie die willenlofe eee ee gegen partikulariſtiſche, wohl auch öſterreichiſche Einflüſterungen.
Man hat wiederholt behauptet, daß der König die hohe Begabung ſeines eigenen Volkes unterſchätzt und die Fremden deshalb bevorzugt habe, weil er die einheimiſchen Talente mißachtete. Lag darin eine Verſchuldung, fo iſt fie nicht den Norddeutſchen zur Laſt zu legen, und außerdem iſt die etwaige Verſchuldung reichlich gebüßt worden, wenn auch erſt in der nächſten Generation. Aber wahrhaft tragiſch⸗ironiſch muß es aumuten, daß die Nemeſis gegen die bevorzugten Norddeutſchen nicht etwa vom
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bayeriſchen Volke konunen ſollte, ſondern gleichfalls von einem Norddeutſchen, genauer geſagt, von einem Sachſen, der, nachdem er die Huld und Gnade ſeines Monarchen in
ganz anderer Weiſe ausbeutete als ſeine Vorgänger, dieſe letzteren zwar diskreditierte
und vertrieb, aber ein Reich des Wahns aufrichtete, der ſeinen königlichen Freund ſchließlich unmachtete; eine Evolution von eigenartigſter Peres, wie von erſchüt⸗ terndſter Tragik.
Wie es gekommen wäre, wenn König Map II. länger gelebt hätte, ob er mit gleicher Wärme der Erneuerung des Deutſchen Reiches zugeſtimmt haben würde, wie ſein unglücklicher Sohn, und was geſchehen wäre, wenn er widerſtrebte — wer vermag es zu fagen? Vielleicht hätten die gewaltigen Tatſachen auch eine Wandlung feiner Geſinnungen herbeigeführt. Im Jahre 186 1 ſtand König Max noch unter der Herrſchaft des harmloſen Wahnbildes der Triasidee und wahrlich nicht er allein.
Mar II., geboren 28. Rovember 1811, geſtorben 10. März 1864. Seine ihm von W. von Dönniges ein- gegebene, politiſche Lieblingsidee war die Schöpfung eines Bundes der deutſchen Mittel- und Kleinſtaaten unter Bayerns Leitung, der neben den beiden Großmächten Oſterreich und Preußen vollwertig als dritte Großmacht (daher Triasidee) beſtehen ſollte. Er gab indeſſen, viel mehr ſeinen kulturellen Intereſſen als der Politik zugewandt, den Plan auf und ſchloß ſich 1863 dem öſterreichiſchen Bundesreformprojekt an.
Das „Geſamtgaſtſpiel“ im Münchner Hoftheater
Franz von Dingelſtedt (1814— 1881), als Hoftheaterintendant im Jahre 1831 nach München berufen, hat ſeine Erinnerungen und Eindrücke in einem Büchlein „Münchner Bilderbogen“ zuſammengefaßt, worin er von feiner wichtigſten Tat als Münchner Intendant erzählt:
Dienstag, den 11. Juli (1854), vier Tage vor der Eröffnung der Induſtrie-Aus⸗ ſtellung, ging morgens die Sonne und abends der Theatervorhang über dem großen Ereignis der erſten Geſaumtgaſtſpiel⸗Vorſtellung endlich, wirklich, glücklich auf. Die Brant von Meſſina. Ein Prolog, zu deſſen Abfaſſung ich mehrmals den verzweifelten Anlauf genommen, blieb mir in der Feder ſtecken. Ich beruhigte mein Gewiſſen mit der Überzeugung, daß dergleichen Gelegenheitsdichtungen auf dem Lieb⸗ habertheater eine gute Wirkung und Stimmung hervorbringen können, während ſie ein großes, gemiſchtes Publikum in der Regel abkühlend berühren.
Der erſte Eindruck der „Braut von Meſſina“ erwies ſich, vollkommen objektiv
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gefprochen, als überwältigend. Meine Wahl gerade dieſes Werkes war eine wohl- überlegte geweſen. Dasſelbe iſt das am wenigſten volkstümliche unſeres volkstümlichſten Dramatikers, alſo nicht abgeſpielt, wie die übrigen. Es iſt feierlich bis zum Freind⸗ artigen; keineswegs ein Schickſalsdrama im gewöhnlichen Sinne, wozu es eine kurz⸗ ſichtige Kritik hier und da hat ſtempeln wollen, ſondern eine Gattung für ſich, in welcher das klaſſiſche und das romantiſche Ideal organiſch verbunden erſcheinen; ge⸗ ſchrieben in einer Sprache, die in ihrer eigentümlichen Klangfarbe, ihrem ſtreng ge- meſſenen und doch beflügelten Rhythinus zur Muſik wird. Mit beſonderer Vorliebe habe ich mich, ſeit ich überhaupt die ſßeniſche Reproduktion großer Tragödien betreibe, auf dieſe „Braut von Meſſina“ geworfen, welche von den meiſten deutſchen Bühnen in die Ecke geſchoben und, meines Wiſſens, auf einer außerdeutſchen niemals ver⸗ ſucht worden iſt. Sie kommt mit ihren Aufzügen und Chören, mit dem ganzen äußer⸗ lichen Apparat der Handlung meinem, ich muß beinahe glauben, angeborenen Hang zu Maſſenentwicklungen und Maſſenwirkungen auf der Bühne verführerifch ent⸗ gegen
Da ich keine Theatergeſchichte ſchreibe, ſondern nur das Märchen meines Lebens erzähle, brauche ich den Verlauf des Geſaumgaſtſpiels hier nicht zu verfolgen. Der Erfolg war am erſten Abend entſchieden, wuchs mit jeder Vorſtellung, wie die Ziffern der Einnahmen unwiderleglich dartun, verbreitete ſich in die höchſten wie in die nied⸗ rigſten Kreiſe und ſpiegelte ſich auch in den Urteilen der Preſſe ab, die aus allen Enden und Ecken Deutſchlands ihre Vertreter geſendet hatte. Sie waren meiner Ein⸗ ladung folgend, erſchienen, unter ihnen die anerkannteſten Namen. Sogar ein paar Franzoſen, Engländer, Italiener fanden ſich ein, ſodaß die „Fliegenden Blätter“ den Einzug der Berichterſtatter zum Gefamtgaftfpiele durch eine Illuſtration ver⸗ herrlichen konnten, auf welcher Hottentotten, Chineſen, Indianer, Grönländer in ihren Nationaltrachten, die Schreibtafel und den Operngucker umgehängt, einher⸗ ſtolzierten. Auch ſämtliche fremden Souveräne, die den Glaspalaſt beſuchten, ſprachen im Theater vor und nahmen Teil an dem Gaſtſpiele: der Kaiſer von Oſterreich, König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, die Königin der Niederlande, der König von Sachſen, der mir beim Abſchied ſagte: „In Ihrem Hauſe iſt's wohl ſchön, aber ſchöner noch in meinen Bergen“, und der zwei Tage darauf an der Schwelle dieſer Berge ſeinen plötzlichen, traurigen Tod fand, alle erneſtiniſchen Fürſten, der Kurfürſt von Heſſen, der, weil er inkognito bleiben wollte, ſich meiner
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Aus den „Fliegenden Blättern“
Loge landesväterlich bediente. .. Über das Fernbleiben meiner Kollegen, der Büh— nenvorſtände und der Bühnendichter, mußte ich mich beruhigen; ſie glänzten, obwohl geziemend eingeladen, durch ihre Abweſenheit. Eine gleich bezeichnende Ausnahme von der Regel machte in einer anderen Richtung die Münchener Lokalpreſſe. Indes die auswärtigen Zeitungen, unter ihnen die größten und mächtigſten Organe der Offentlichkeit, übereinſtinunten in der Anerkennung ſowohl meines Unternehmens, wie der einzelnen Kunſtleiſtungen, ergingen ſich kleine Tageblätter Münchens in einer geſinnungstüchtigen Negation, von deren Ton die nachfolgende Probe einen Begriff geben mag. Die „Bayeriſche Landbötin“ brachte Donnerstag, 27. Juli 1854 eine Theaterkritik, welche alſo beginnt: „Dienstag, 23. Juli. Mit aufgeho⸗ benem Abonnement. Neunte Geſamtgaſtſpielvorſtellung. Kabale und Liebe, Trauer⸗ fpiel in 5 Aufzügen von Schiller. Bei Siriushitze und erhöhten Preiſen ins Theater gehen, anſtatt ins Waſſer, iſt auch klaſſiſch. Das Haus war vollgepackt wie ein Faß Sardellen.“ Und fo weiter. Zum Schluß hieß es: „Dort ſitzt einer; er zählt die Häupter feiner Lieben und ſieh': ihm iſt viel Geld geblieben. Auch der Hamfter ſammmelt ſich Vorrat im Sommer, um im Winter davon leben zu können. Den ſieben fetten Kühen können ſieben magere folgen, und es wird eine Zeit kommen, wo Abrahams Nachkommen ſich vergebens nach den Fleiſchtöpfen Ägyptens zurück⸗ ſehnen werden.“ Welch ein Standpunkt dem ganzen Unternehmen und der einzelnen
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Vorſtellung gegenüber! Gerade „Kabale und Liebe“ zündete jo mächtig, ſchlug fo erſchütternd ein und durch, daß die Aufführung wiederholt werden mußte. In dem wunderbaren Finale des zweiten Aktes ſtanden nebeneinander gleichzeitig auf der Bühne: Meiſter Anſchütz als Geiger Miller, — Mama Haizinger als Millerin, — Emil Deprient als Ferdinand, — als Luiſe Marie Seebach, deren Stern in dem Geſamtgaſtſpiel zuerſt aufging, — Kaiſer als Präſident. Und das vor einem im vollen Sinne des Wortes europäiſchen Publikum.
Als der Vorhang gefallen war, raſte ein minutenlanger Beifallsſturm durch das Haus, wie er ſtärker niemals in einer italieniſchen Oper gehört worden iſt, und auf dem Wege zur Bühne, wohin ich eilte, meinen Gäſten zu danken, drängten ſich wildfremde Leute in Scharen an mich heran, glückwünſchend und huldigend. Im Foyer feierten mich mit jubelndem Zuruf die Studenten, welche zu dieſem Stück maſſenhaft herbeigeſtrömt waren, wie fie immer tun, wenn Jugend zur Jugend ſpricht. Darauf dann, zwei Tage ſpäter, eine ſolche „Kritik“, welche freilich von der Polizeidirektion konfisziert wurde! Ein Jammer über das heiße, das überfüllte Haus! Ein Münchner Klagelied gegen die Münchner Intendanz, die mit fremden Kräften und aus einem großenteils fremden Publikum Einnahmen und Erübrigungen erzielte! Wie es aber um die „erhöhten“ Preiſe beſtellt war, möge der Leſer ſelbſt beurteilen: ein Stehplatz im Parterre koſtete 48 Kreuzer, ein Parkettſitz 1 Fl. 30 Kr., die Galerie 24 Kr., eine vierſitzige Loge in den vier Rängen 6, 9, ro, 11 Gulden.
Einmal bei Ziffern angelangt, will ich auch nicht unterlaſſen, den Freunden der Statiſtik zu Liebe, in meine Plauderei ein paar ernſthafte „Tabellen“ einzuſchalten, betreffend: die Perſonal⸗ und die Repertoirchronik und die Kaſſareſultate des Ge⸗ ſarntgaſtſpiels. Es fanden vom 11. bis zum 31. Juli zwölf Vorſtellungen ſtatt: Die Braut von Meſſina, Minna von Barnhelm (zweimal gegeben), Nathan der Weiſe (am Tage der Eröffnung des Glaspalaſtes, 18. Juli), Fauſt (zweimal), Emilia Galotti, Egmont, Maria Stuart, Kabale und Liebe (zweimal), Clavigo und der zerbrochene Krug. Schlußvorſtellung: Fauſt.
Mitwirkten zwölf auswärtige Gäſte, zehn einheimiſche Mitglieder: Anſchütz, Emil Deorient, Döring, Frau Haizinger, Hendrichs, Kaiſer, La Roche, Liedtke, Fräulein⸗ Luiſe Neumann, Frau Rettich, Schneider, Fräulein Marie Seebach; Chriſten, Dahn, Frau Conſtanze Dahn, Frau Marie Dahn⸗Hausmann, Fräulein Damböck, Fräulein Denker, Haaſe, Joſt, Lang, Straßmann.
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Steinzeichnung von Franz Hanfftaengl (1834)
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Geheimrat Friedrich Wilhelm
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Mag das Öefamtgaftjpiel bisher (1879) keinen Ableger getrieben haben, darüber ſollen die Schriftgelehrten ſich weiter freuen; daß es raſch und reich in Blüten ſchoß, kann mit dem beſten Willen niemand von ihnen leugnen. Und zwar nicht blos Blüten auf der Bühne, ſondern auch im Salon. München war im wunder⸗ heißen Julimond außerordentlich geſellig. Der Hof, die Miniſter, die Diplomaten, die haute finance ſahen täglich Leute. Gelehrte und Künſtler ließen ſich gleichfalls nicht liumpen; fie Iumpten vielmehr luſtig mit. Ein Abend in der Woche gehörte Liebigs, ein anderer Kaulbachs, ein dritter Dönniges, ein vierter Dingelſtedts. Überall ſtanden die Schauſpielgäſte im Mittelpunkt der aus intereſſanten Freinden und no- tabeln Einheimiſchen bunt gemifchten Kreiſe; fie ſpielten die erſten Rollen aus dem Theater in der Soiree fort. Ich gedenke mit Wonne und Wehmut einer attiſchen Nacht bei uns, wo eine übermütige, improvifierte Komödie, frei nach Kotzebues „Landhaus an der Heerſtraße“, aufgeführt wurde unter Dörings Leitung. Zuletzt verlangte das junge Volk ſtürmiſch zu tanzen. Dem berechtigten Wunſch ſtand ein Paragraph meines Mietvertrages entgegen, in welchem ich mich verpflichtet hatte, bei mir nicht tanzen zu laſſen. Mein erlauchter Hausherr, Graf Montgelas, brauchte zwar keineswegs für die Plafonds oder Parketten ſeines Baues zu zittern, da derſelbe ein durchaus ſolider war; aber er wollte Ruhe über ſeinem Kopfe haben. Wer ver⸗ denkt es ihm ? Ein Hausbeſitzer gewiß nicht. An ihn ſchickte ich denn, von allen Seiten gedrängt, die Bitte um ausnahmsweiſen Dispens von dem Verbote. Antwort: der Herr Graf werde fie, die Antwort nämlich, ſelbſt bringen. Er kam kurz vor Mitter⸗ nacht und tanzte mit meiner Frau die Frangaiſe. Ein Kavalier von vornehmen Ma⸗ nieren und vornehmen Geſinnungen. Er befand ſich keineswegs im Lager von Neu⸗ München, ebenſowenig in dem ertgegengeſetzten, welchem er mit Unrecht zuweilen wohl beigezählt wurde. Als ich über Nacht — faſt buchſtäblich über Nacht: vom 29. Januar auf den 1. Februar 1857 — entlaffen wurde, beſuchte er mich auf die erſte Nachricht von meinem Sturz und bat mich, bei ihm wohnen zu bleiben, falls ich die Abſicht hätte, zu kündigen; den Betrag der Miete möge ich ſelbſt be- ſtinunen. Dieſes Anerbieten habe ich ihm niemals vergeffen, wie auch feine artige Gaft- rolle nicht bei dem Sonunernachtsreigen in feinem Haufe, der nicht eher auseinander ſtob, als bis auf dem Karolinenplatz volle Tageshelle herrſchte.
Ihren Höhepunkt erreichten die geſelligen Feſte in dem Bankett, welches die In⸗ tendanz im Natnen und auf Befehl des Königs ihren Gäſten Montag, den 24. Juli,
Ein Jahrhundert München 13 193
im großen Foyer des Hoftheaters gab. Dasfelbe dauerte von zwei Uhr nachmittags bis in den ſpäten Abend, der deswegen keine Vorſtellung brachte, und vereinigte zu einer in der Tat ſeltenen Tafelrunde die zwölf Gäſte, die erſten Mitglieder und Beamten der Münchner Hofbühne, die Vertreter der Preſſe, einige Notabilitäten der Kunſt und Wiſſenſchaft. Obgleich es jetzt hergebracht iſt, das Menu und die Toaſte derartiger Zweckeſſen mit gewiſſenhafter Treue zu veröffentlichen, wenn nicht zu „verewigen“, ſo will ich dem geneigten Leſer die aufgewärmten Schüſſeln erlaſſen und von den Trinkſprüchen nur den Inhalt der offiziellen mitteilen. Wie natürlich begann ich mit einem wohlverdienten, wohlaufgenommenen Dank und Hoch auf König Max. Dann folgten: Emil Devrient: auf Franz Dingelſtedt, den Schöpfer .. . . ufiv. Charta erubescit. Regiſſeur Chriſten: den zwölf Gäſten. Regiſſeur Hölken: Frau Jenny Dingelſtedt⸗Lutzer, doppelt die Unſere, als Künſtlerin und als Intendantin. Meiſter Anſchütz: das gaſtliche Bayernland und ſeine kunſtreiche Hauptſtadt Mün⸗ chen. F. G. Kühne aus Leipzig: der Einigkeit, der Einheitlichkeit aller Künſte. Ar⸗ mand Bachet aus Paris: Au revoir A Paris, l’annee prochaine. Hendrichs: der Preſſe. Wolfgang Müller aus Köln: den Frauen. Den größten Eindruck von allen Rednern brachte Grunert hervor, der bekannte, nun auch ſchon dahingeſchiedene Cha⸗ rakterdarſteller aus Stuttgart. Er befand ſich urſprünglich unter den Geladenen, hatte die Einladung angenommen, aber obwohl die württembergiſche Hofbühne feſt geſchloſſen war, wie alljährlich im Juli, den zu feiner Beteiligung am Geſautgaſt⸗ ſpiele nötig erachteten Urlaub nicht erhalten.. .. Als Dreizehnter ein Opfer des Schickſals, ſprach er folgendes, von ihm ſelbſt verfaßtes Gedicht:
„Ihr rieft mich vom lieblichen Schwabenland, mit Euch zu opfern am Iſarſtrand. Ihr Glücklichen opfert, — doch ich bin gebannt.
Ihr labt Euch an der kaſtaliſchen Quelle, taucht froh in des Liedes erfriſchende Welle, ich — ſitz' auf dem Trocknen, auf ſandiger Stelle.
Ein Zauberbaum bietet Euch frohen Genuß hoch unter der Krone; ich ſtehe am Fuß und ſpiele — nein, lebe den Tantalus!
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Wer wär' in dieſem glänzenden Kreife,
der die Qual nicht verſtände, die herbe und heiße, nicht glaubte, daß ich Euch glücklich preife?
Ihr windet den friſchen, blühenden Kranz
Um die Ehrenſäule des Künſtlerſtands
frei unter den Augen des Vaterlands!
Ihr züchtigt die hämiſche Lüge, die dreiſt das Prieſtergewand von den Schultern Euch reißt, denn brüderlich dient ihr dem deutſchen Geiſt!
Euch ſegnet Germania im Eichenkranze,
und ich — — — ich ſonne mich mit in dem Glanze, denn was Ihr erreicht, Ihr erreicht es fürs Ganze! Drum ruf' ich wie Ihr ſo feurig und gern:
Heil unſrer Tat und Heil dem Stern,
der uns vereinigt von nah und fern!
Und Heil der Hand, die den Segen webt,
der Hand, die gaſtlich zum Gruße ſich hebt, die königlich ſchützend über uns ſchwebt!
Mit ungeheuchelter Empfindung und in dem dumpfgrollenden Donmerton vor⸗ getragen, welcher dem mächtigen Organ Grinerts eigentümlich war, hatten die wunderlichen Dreizeiler bei dem weiblichen Teile der Verſannmnlung einen ſo reichlichen Tränenerfolg, daß die Stimmung ſich zu trüben, zu verweichlichen drohte. Da er- ſchien ziun Deſſert, die Geſellſchaft überraſchend, König Maximilian, begleitet von einem einzigen Flügeladjutanten, Freiherrn von Leonrod. Empfangen von ſtürmiſchen Zurufen, verweilte Seine Majeſtät eine volle Stunde in unſerer Mitte, ließ ſich bald hier, bald da an der Tafel nieder und bezauberte alle, die Frauen vor allem, durch herzgewinnende Unmut und Leutſeligkeit. Bevor er aufbrach, erhob er das Glas und ſprach mit feſter, weithin tönender Stimme: „Mit hoher Freude trinke ich auf das Wohl der berühmten Gäſte meiner Bühne und auf das Gedeihen der dramatiſchen Poeſie und Kunſt in Deutſchland.“ Welches Echo die königlichen Worte in dem weiten Saal erweckten, wie, gleichzeitig mit den Kandelabern und
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Lüſtern in den dunkel werdenden Räumen, geſellige Luſt und künſtleriſche a. immer heller emporflammten, — dergleichen vergißt fich niemals.
Und doch — es lagen nur mühſam verborgen, zuweilen unwillkürlich be tretend, finſtere Schatten über meiner Stimmung, ſchwere Sorgen und Ahnungen auf meinem Herzen. Meine Tiſchnachbarin, Julie Rettich, von Wien her mir und meiner Frau nahe befreundet, fragte mich: „Was haben Sie? Sie ſind nicht bei uns!“ Was ich hatte? Vor meinen Augen, mir allein lesbar, tauchte es auf in dunklen Zügen an der glänzenden Marmorwand des Feſtſaals, das warnende Mene Tekel. Dienstag, den 18. Juli, während der erſten Darſtellung des „Fauſt“, war Polizeidirektor Düring — Graf Reigersberg ſaß ſchon auf der Miniſterbank — in meine Loge gekommen „zu einer dringenden Mitteilung“, wie er ſagte. Wir gingen hinaus, im Korridor auf und nieder. Mit beflommenem Ton fragte er, ob ich noch viel im Theater vorhabe, wie lange das Gefamtgaftfpiel dauern werde? Nun neigte ſich gerade der fünfte Abend ſeinem Ende zu, und bei dem wachſenden Erfolg durfte ich an ein Dutzend weitere Aufführungen denken. Düring flüſterte kopfſchüttelnd: „Machen Sie, daß Sie fertig werden. Raſch Ihre Ernte unter Dach gebracht. Es iſt ein Umwetter im Anzuge, das wir nicht lange mehr verheim⸗ lichen können. Eben komme ich aus dem Krankenzimmer in Ihrem Haufe. Ein junger Burſch iſt aus dem Parterre dahinein und ſofort weiter, ins Spital geſchafft worden. Armer Teufel! Heut Abend erſt iſt er aus Zürich zugereiſt und ſofort ins Theater geſtürzt, um die Seebach als Gretchen zu ſehen. Ehe ſie aufgetreten, ward er hinausgetragen. Sein Ränzel liegt in der Garderobe. Polizeiarzt und Theaterarzt find einer Meinung ... Die Cholera.“
Das fogenannte „Geſamtgaſtſpiel“ entfprang der Idee Dingelſtedts, die namhafteſten und intereſſan⸗ teſten Schauſpieler Deutſchlands zu gemeinſamem Gaſtſpiel bei Muſtervorſtellungen und Schauſpieleſt⸗ vorſtellungen des Münchner Hoftheaters im Sommer 1854 zuſammenzubringen und dabei für jede Rolle, bis herab zu den kleinſten, einen vollwertigen Darſteller zu haben. Im Jahre 1880, in der Zeit vom x. mit 21. Juli, fand unter Karl v. Perfalls Intendanz und Ernſt Poſſarts künſtleriſcher Leitung eine Art Wieder: holung des „Geſamtgaſtſpiels“, gleichfalls mit außerordentlichem künſtleriſchen Erfolg ſtatt.
Von den unter den Münchner Mitwirkenden Genannten ift beſonders Ferdinand Lang (18101882), erwähnenswert, der Jahrzehnte hindurch der volkstümlichſte Komiker Münchens und gewiſſermaßen das letzte Alt⸗Münchner Original war. — „Der König von Sachſen“: Friedrich Auguſt II. (1797183, ftarb an den Folgen eines Sturzes aus dem Wagen zu Brennbüchel bei Imſt in Tirol am g. Auguſt 1854.— „Der Kurfürft von Heſſen“: Friedrich Wilhelm I. (1802 — 1875), ſeit 1847 Kurfürſt, der legte Fürſt feines Landes (Heſſen-Kaſſel) vor deſſen Annexion durch Preußen im Jahre 1866; Dingelſtedt ſelbſt war Heſſe, daher nennt er den Kurfürſten feinen Landesvater. — Frau Jenny Dingelſtedt⸗Lutzer (1816-1877), aus: gezeichnete Sängerin, ſeit 1844 mit Franz Dingelſtedt verheiratet.
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Wenn die Schwalben heimwärts ziehen ....
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Karikatur auf den Ausbruch der Cholera in München Aus den „Fliegenden Blättern“
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Induſtrie-Ausſtellung und Cholera 1854
Franz von Dingelſtedt erzählt in den „Münchner Bilderbogen“:
Die erſte große Induſtrie⸗Ausſtellung im neuerbauten Glaspalaſt war eröffnet worden zum großen Mißbehagen der ultramontanen Preſſe, die längſt ein Konzert von Unkenrufen anſtinumte. Gleichſam zur Beſtätigung zog mit dem Fremdenſtrom gleichzeitig die aſiatiſche Seuche ein, um ihre Geißel zu ſchwingen.
Die Zuſtände wurden allmählich ſchreckenerregend. Ein ſchwefelgelber Dampf ſchien über der Stadt zu liegen; auf den Straßen ſah man nur die bekannten ſchwarzen Wagen, alle Fremden ſtoben in paniſcher Flucht davon. Schwer wie Blei ſtockte das Blut auch in den Gliedern der Geſimden, als wäre die Luft vergiftet. Die Zahl der Toten ſtieg allmählich auf hundert und mehr jeden Tag.
Mit dem alten Pangkofer hatte ich noch vorgeſtern im Kaffeehauſe Schach ge⸗ ſpielt, als einer in der Zeitung las: „Geſtern verſtarb auch der Redakteur Dr. Pang⸗ kofer.“ Niemand hatte auch nur erfahren, daß er erkrankt war. Meiſter Konrad Knoll, der Bildhauer, mit dem ich in letzter Zeit zuſammmen ſpeiſte, kam zu mir. „In unſerem Hauſe ſind heute nacht wieder fünf geſtorben, in meiner Etage allein drei; wenn ich bleibe, komme ich auch an die Reihe. Geh mit mir nach Starnberg, bis Gauting können wir fahren.“ So weit war in dieſem Jahre bereits die neue Eiſen⸗ bahn eröffnet.
Für die Erſte allgemeine deutſche Induſtrie-Ausſtellung, deren Eröffnung am 15. Juli erfolgte, und der zu Ehren das „Geſamtgaſtſpiel“ ſtattfand, war im Areal des Botaniſchen Gartens von der Firma Cramer⸗Klett in Nürnberg der Glaspalaſt, der heute noch beſteht und inzwiſchen fo manche Ausſtellung von höchſtem Belang beherbergte, innerhalb 78 Tagen in Glas- und Eiſenkonſtruktion fertiggeſtellt worden.
J. A. Pangkofer, von dem der hübſche Aufſatz ſtammt, „Wie die Bavaria entſtand“ (vgl. S. 180 ff.), war namentlich auch als Dialektdichter geſchätzt und neben Franz von Kobell zu ſeiner Zeit der volkstüm⸗ lichſte auf dieſem Gebiete.
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Neu-München
Die Fremdenkolonie unter König Max II.
Über die erflufive Stellung der ſogenannten „Berufenen“, meiſtens Norddeutſcher, die König Max an ſeinen Hof zog, äußert ſich Franz von Dingelſtedt in ſeinen „Münchner Bilderbogen“:
Um die Mitte der fünfziger Jahre war die Fremdenkolonie ſo an Zahl ge⸗ wachſen, im Beſtande befeſtigt, daß ſie als eigenes Element in der Bevölkerung gelten durfte, als ſolches auch bereits ſich wirkſam erwieſen hatte. Die meiſten der neuen Ankömmmlinge gruppierten ſich um die Univerfität: Liebig, der Chemiker, — Jolly, der Phyſiker, — Siebold, der Zoologe, — Biſchoff, der Anatom und Phyſiologe, — Pfeufer, der Therapeut, — Sybel, der Geſchichtsſchreiber, nach feinem frühen Abgang erſetzt durch Gieſebrecht, — die Kulturhiſtoriker Riehl und Löher, — Bluntſchli, der Staatsrechtslehrer, — Carriere, der Philoſoph und Kunſt⸗ hiſtoriker, — der Pandektiſt Windſcheid, — alſo Männer aller wiſſenſchaftlichen Fächer und aller akademiſchen Fakultäten mit Ausnahme der theologiſchen. Der ehrwürdige Thierſch, der beinahe um zo Jahre früher, gleichfalls infolge einer königlichen Berufung nach München gekommen war und die Reform der Gelehrten⸗ ſchulen in Bayern gegen vielſeitige Anfechtungen durchgeſetzt hatte, verhielt ſich zu dem jüngeren Anſiedler⸗Geſchlechte wie ein Patriarch. Er pflegte, wenn die Rede auf die Kämpfe zwiſchen Altmünchen und Neumünchen geriet, fein dichtes, ſchnee⸗ weißes Haar aus dem Nacken zu ſtreichen und zum Beweiſe, daß damals noch mit ganz anderen Waffen gefochten wurde als mit Zungen und Federn, auf eine breite Narbe zu zeigen, welche ihm als Andenken an einen nächtlichen Mordanfall zurück⸗ geblieben war. Zwei wackere Söhne Vater Thierſchens, der eine ein berühmter Chirurg geworden, der andere Maler, ſchloſſen ſich naturgemäß dem Kreiſe Meumimchens an. Von Dichtern beſaß derſelbe ein glänzendes Vierkleeblatt: Geibel, Heyſe, Boden⸗ ſtedt, Schack; dann und wann hoſpitierten Zuzügler von draußen oder auch einge⸗
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borene, wie Hermann Lingg, welchen Geibel auf dem deutſchen Parnaß eingeführt, Melchior Meyr, Julius Groſſe. Ein einziger Autochthone, er aber ein urwüchſiges echt⸗ und altbayeriſches Talent, Poet und Profeſſor zugleich, Franz von Kobell, ward als Ausnahme völlig heimiſch unter uns Freinden, wie wir es in feinem Haufe wurden, das eine liebenswürdige Frau und drei holde und kluge Töchter ſchmückten. Auch aus König Ludwigs Künſtlerkreis trat nur einer, der größte freilich, Wilhelm Kaulbach, offen und entſchieden zu uns herüber, während andere: Schwind, Voltz, Kreling, Teichlein, nur vereinzelt und gelegentlich eine geſellige Gaſt⸗ rolle gaben. Am nächſten hielt ſich noch Ernſt Förſter, mit welchem ich mich ſpäter im Verwaltungsrat der deutſchen Schillerſtiftung oft und gern wieder zuſam⸗ menfand. Im übrigen blieb Meumünchen in geſellſchaftlicher Richtung ſo ziemlich auf ſich allein angewieſen und bis auf die offiziellen, ſozuſagen obligatoriſchen Be⸗ gegnungen in den Salons der Ariſtokratie und der Diplomatie von Altmünchen ſtreng abgeſondert. Ein einziges Haus, das der Grafen Taſcher de la Pagerie, ſelbſt freinden Urſprungs und darum neutraler Boden, machte zugunſten der Fremden eine Ausnahme; aber der Windſtoß des zweiten Empire trug dasſelbe aus der Pran⸗ nerſtraße plötzlich in die Tuilerien, wo ich nach Jahr und Tag deſſen Herren und Damen in anſehnlichen Stellungen am Hofe der ihnen nahe verwandten Napo⸗ leoniden, aber ebenſo heiter und herzlich wie an unſeren Münchner Abenden wiederſah. Die Paläſte der bayeriſchen Standesherren und des einheimiſchen Adels, ebenſo die Häuſer des Beamten- und Bürgerſtandes find den Eimvanderern, die auf König Maximilians Ruf herbeigeeilt, verſchloſſen geweſen und geblieben — wenigſtens ſo lange, wie ich mit ihnen in München verweilte. Später hat wohl einer oder der andere in der dortigen Scholle Wurzel gefaßt; aber die Mehrzahl iſt, ſei es nach kürzerem, ſei es nach längerem Aufenthalt, wieder davongegangen, ſodaß heute, nach Verlauf von 20 Jahren, der ganze, in feiner Zuſanmmenſetzung fo intereſſante Kreis für aufgelöſt gelten kann, obgleich der Tod verhältnismäßig nicht viele der bedeutungs⸗ vollen Namen ausgelöſcht. Sind die Ubriggebliebenen verſchmolzen mit dem allerdings merklich veränderten heutigen München, dem gegenwärtigen Bayern? Haben die Folgen des ſiebziger Jahres allſeitig verwirklicht, was ſeit Beginn der Fünfziger von einer Seite her angeſtrebt worden? Ich weiß es nicht. Aber ich erinnere mich nur, daß, als ich in den Zeitungen las, König Ludwig II. habe namens der Reichsfürſten die deutſche Kaiſerkrone dem König von Preußen dargeboten, das Bild meiner
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Münchener Vergangenheit in eigentinnlicher Beleuchtung wieder vor mir auftauchte.
Quantum mutatus ab illo!
Wenn ich jetzt, durch eine lange Reihe von Wintern gereift und bereift, durch ſchwere Erfahrungen zwar weder müde noch mürbe gemacht, wohl aber mild im Urteil gegen andere und ſtreng gegen mich, — wenn ich jetzt mich aufs Gewiſſen frage, wer oder was die traurige Kluft zwiſchen Ultmünchen und Neumünchen ver⸗ ſchuldet hat, ſo kann ich keinen Teil unbedingt anklagen, keinen unbedingt freiſprechen, mich ſelbſt eingeſchloſſen. Gaſtfreundſchaft gegen Fremde, entgegenkommende Höflich- keit im geſelligen Verkehr, freiwillige Teilnahme an wiſſenſchaftlichen oder künſtleriſchen Beſtrebungen, Verſuchen, Neuerungen, alle dieſe Eigenſchaften liegen bekanntlich nicht im angeborenen Gtammcharakter des Altbayern. Er neigt vielmehr zum Partikula⸗ rismus, zur Abgeſchloſſenheit gegen außen, entſchiedener noch als fein Nachbar gen Weſten, der Schwabe, und in dieſem Bezuge faſt ein Gegenſatz zu dem Nachbarn gen Oſten, dem Oſterreicher, welcher zutunlich, neugierig, empfänglich für fremde Einflüſſe und Erſcheinungen iſt, welcher den Begriff des Fremden eigentlich gar nicht kennt, da ſein ganzes Volkstum einer Völker⸗Moſaik, ſeine Reichshauptſtadt
einer internationalen Redoute gleicht. Demnach war es nicht zu verwundern, daß die
0 öffentliche Stimmung in München zu den Berufungen des Königs Map ſich von
oeornherein kühl, mißtrauiſch, ablehnend, im beſten Falle gleichgültig verhielt. Sie
ſoll bei der Ankunft der Maler, Steimnetzen und Bildhauer, die König Ludwig herbeizog, nicht wärmer ſich beteiligt haben, obwohl deren Tätigkeit der Reſidenz un⸗ mittelbare Vorteile verſprach. Daß die berühmten neuen Lehrer hundert Studenten mehr nach München zogen, als vor ihnen ſchon amvefend waren, ohne Lieblinge der
Bevölkerung geworden zu fein, wie in kleinen Univerfitätsftädten, — daran lag der
Münchner Bürgerſchaft blutwenig, der Münchener Geſellſchaft gar nichts. Welche
Aufnahme würde ein Mann wie Liebig — von Paris und London zu ſchweigen, —
in Berlin gefunden haben, wo, und das nicht bloß ſeit heute ſondern ſeit geraumer
Zeit, die „Fürſten der Wiſſenſchaft“ in der Geſellſchaft rangieren, bei Hof ausge-
zeichnet werden, Gemeingut des Volkes ſind, an welchem jeder Eckenſteher ſein eigen
Teil hat! Ob ein ſolcher in Wahrheit ſtolz iſt auf „ſeinen! Humboldt oder nur
„dicke mit ihm tut“, — das konumnt in der Wirkung auf eins hinaus. Für die
Wiſſenſchaft erweiſt ſich der Berliner Boden als entſchieden günſtig; viel weniger
für die Kunſt. Weder Cornelius noch Rückert hat ſich in deinſelben akklimatiſiert,
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und felbft echte Berliner Pflanzen, Meyerbeer und Mendelsſohn, gediehen beffer in der Fremde als daheim. Ein dunkles Kapitel in der Völkerpſychologie, der Wider⸗ ſprüche und der Rätſel voll, dieſes Kapitel der internationalen Wahloverwandtſchaften und Wechſelwirkungen in der geiſtigen Atmoſphäre, welches feines Lazarus noch harrt.
In München kam zu angeborenen Abneigungen und Stimmungsberſchieden⸗ heiten noch ein wichtiges Moment: das konfeſſionelle. Der Ultramontanismus hat ſeinerzeit in Bayern ſchärfer und ſtrenger regiert als der Klerikalismus in Oſterreich. Es war mehr als zufällig, daß nicht in Wien, ſondern in München das wiffen- ſchaftliche Hauptquartier der Partei aufgeſchlagen war, die „Hiſtoriſch- politifchen Blätter“, aus welchen die populären Zeitungen nicht bloß in Bayern, fondern auch in Tirol, am Rhein, im Münſterlande ihre Direktive, Waffen und Munition empfingen. Grundſätzlich ſchaltete und waltete die kirchliche Politik Metternichs milder als diejenige Abels, welcher jene, bewußt oder unbewußt, diente. Da nun die Mehrzahl der Maximiliankolonie zum Proteſtantismus ſich bekannte — nicht einer freilich zum ftreitbaren Muckertum — und außerdem von jenſeits der Mainlinie ihre Abſtammung herleitete, fo wurden wir insgefamt, von vornherein als Preußen und als Ketzer an⸗ geſehen, mithin zur Minorität gezählt, als Oppoſttion gehaßt. Daraus floſſen Kon⸗ flikte, die wir keineswegs herausforderten, denen wir aber auch nicht ausweichen durften, die wir ausfechten mußten, wollten wir nicht uns ſelbſt und unſerer Aufgabe untreu werden. Dafür nur ein Beiſpiel aus meinem beſonderen Wirkungskreiſe, dem Theater.
„Nathan der Weiſe“, den das Wiener Burgtheater ſeit einem halben Jahr⸗ hundert gibt, mit verhältnismäßig geringen Auslaſſungen, ſtand auch in München nicht auf dem Index, wohl aber bei Hof und bei der Kurie in üblem Geruch, als ein antikatholiſches Stück, eine Apotheoſe des Judentums. Bei König Manx, deſſen methodiſche Denkweiſe ſich gern an Kategorien, an geflügelte Worte hielt, hatte man, wie die „Minna von Barnhelm“ als ein „Preußenſtück“, fo den Nathan als ein „Judenſtück“ oder auch als „die Komödie des religiöſen Indifferentismus“ zu dis⸗ kreditieren gewußt. Dieſes Vorurteil, das fich für ein Urteil ausgab, komme mich nicht abhalten, für den Tag der Cröffnung der Induſtrie-Ausſtellung — Sotmabend, 15. Juli 1834 — „den mit falſchen Ringen handelnden Hebräer“ (dritte Variante der Inquiſition), auf das Repertoir zu ſetzen. Ich dachte dabei an keinerlei Demon⸗ ſtration gegen die Widerſacher; Leffings Meiſterwerk ſchien mir durch feinen Charakter
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reinſter Humanität und kosmopolitiſcher Univerſalität eben auf dieſen Tag zu paſſen. So drang ich denn auch in höchſter Inſtanz damit durch, daß „Nathan“ ſtehen blieb; aber, um den frommen Seelen wenigſtens ein Zugeſtändnis zu machen, — der König neigte ſeiner Matur nach zu Kompromiſſen, — mußte das Bild des Patriarchen, welchen unſer Joſt in allerdings grellen Farben und ſcharfen Zügen, aber ungemein wahr und wirkſam darſtellte, weſentlich abgetont werden, in der Maske, im Akzent, im Vortrag. Darauf dann großes Ach und Weh über mich in den Kuliſſen und im liberalen, im eigenen Lager.
Den „Berufenen“ galt folgender ſatiriſcher Spruch Altenhöfers, des Redakteurs der Allgemeinen Zeitung: Merkt es euch ihr Geibel, Heyſe, die ein Wind beliebig dreht, Hofgunſt iſt ein Dingel, das auf keinem feſten Boden ſteht.
Emanuel von Geibel (1813-1884), feit 1852 in München, von König Maximilian dorthin berufen, das Haupt und der Mittelpunkt der Münchner Dichterſchule, die bis zum Wegzuge Geibels nach dem Tode des Königs blühte. Seine Beziehungen zu München brach er völlig ab, als ihm König Ludwig II. wegen feines Begrüßungsgedichtes an König Wilhelm von Preußen den Ehrenſold entzog, den ihm König Max aus geſetzt hatte. — Die Daten für Paul Heyſe ſiehe Seite 4.
Friedrich Bodenſtedt (1819 — 1892), der Mirza Schaffy⸗Dichter, der Widerpart Geibels in der Münchner Dichterrunde, war eine etwas komiſche Figur. Robert von Hornſtein erzählt von ihm in ſeinen „Memoiren“, ſeine Hauptſchwäche ſei ſein Glaube an ſeine Unwiderſtehlichkeit bei den Frauen geweſen; die Sache habe aber umſo komiſcher gewirkt, als er eigentlich nichts weniger als gefährlich ausgeſehen habe.
Adolf Friedrich Freiherr (ſpäter Graf) von Schack (1813-189, ein ausgeſprochener Kunſtdichter, Platen nachſtrebend, war aus ſeiner Heimat Schwerin nach München gekommen. Durch die Anlage ſeiner Privatgalerie, die nach ſeinem Tod in den Beſitz des Kaiſers Wilhelm II. überging und München bisher erhalten blieb, hat er ſich um das Kunſtleben und die Förderung ſtärkſter deutſcher Talente außerordentliche Verdienſte erworben.
Melchior Meyr (1810 1871), ein Bauernſohn aus dem Ries, der Berfaffer der köſtlichen Erzählungen aus dem Ries, auch als philoſophiſcher Schriftſteller bedeutend.
Julius Groſſe (1828—ı1g02), Schriftſteller und Journaliſt, in Versdichtungen nicht ohne liebens⸗ würdige Anmut, kommt auch als aufmerkſamer und ſcharfblickender Zeitſchilderer in Frage; zuletzt lebte er in Weimar als Geſchäftsführer der Schillerſtiftung.
Juſtus von Liebig (1803 — 1873), der große Chemiker, folgte im Jahre 1852 einem Ruf nach Mün⸗ chen als Profeſſor an der Univerfität und lebte hier ganz feinen phyſiologiſchen Forſchungen. Seit 1860 war er Präfident der Akademie der Wiſſenſchaften; er iſt einer der wenigen „Berufenen“, die hier heimiſch wurden, er iſt auch in München geſtorben.
Die „Hiſtoriſch⸗politiſchen Blätter“ — ſiehe die Anmerkung bei Guido Görres, Seite 178.
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Im Haufe Emilie Linders
Die politiſchen Verhältniſſe, auf die Dingelſtedt hinzielt, ſpielten auch in das geſellſchaftliche Leben herein und führten zur „Zirkelbildung“. Einen ſolchen in feiner geiſtigen und ſozialen Struktur eigenartigen Zirkel, die hochkatholiſche Geſellſchaft Münchens, verſammelte Emilie Linder um ſich. Über dieſen Kreis berichtet H. W. Riehl in feinen „Kulturgeſchichtlichen Charakterköpfen“:
In Januar 1854 war ich von Augsburg nach München übergeſtedelt, um im nächſten Semeſter meine Lehrtätigkeit an der Univerſität zu beginnen. Ich hatte als⸗ bald meine Antrittsbeſuche bei den neuen Kollegen gemacht und darunter felbftver- ſtändlich auch bei dem Senior der mediziniſchen Fakultät, dem Geheimrat von Rings⸗ eis, der mich ſehr freundlich aufnahm und ſchon nach wenigen Tagen den Beſuch erwiderte. Da er mich nicht zu Hauſe traf, hinterließ er eine Viſitenkarte, auf welcher ſtand: „Ich bitte Herrn Kollegen Riehl auf übermorgen 1 Uhr zum Mittageſſen bei Fräulein Linder, Karlsplatz 28/1.“
Die ſofortige Einladung zeigte das liebenswürdigſte Entgegenkommen, und ich ſäumte nicht, durch eine Karte meine Zuſage zu melden.
Fräulein Linder, ſo dachte ich mir, wird eine feine Speiſewirtſchaft führen, wo man ein diner-A-part beſtellen und ſolchergeſtalt feine Freunde bequemer bewirten kann als im eigenen Hauſe. Hatte mich doch erſt kurz vorher Ludwig Steub in ähn⸗ licher Weiſe zu einem Frühſchoppen bei Ott eingeladen. Daß ein Fräulein Inhaberin einer Reſtauration ſei, ſchien mir nicht auffallend, da Witwen und Töchter verſtor⸗ bener Gaſtwirte auch damals ſchon das Geſchäft ſelbſtändig fortzuführen pflegten. Die Adreſſe war deutlich genug, und ſo erkundigte ich mich nicht weiter über das Lokal und ging am übernächſten Tage Punkt 1 Uhr zum Haufe Karlsplatz 28.
Ich arbeitete damals fleißig an meinem Buch über die Familie, welches gegen Weihnachten des Jahres erſchien, und ſtand eben bei dem Kapitel: „Die Emanzi⸗ pation bei den Frauen“, wo ich neben anderem von dem bedenklich wachsenden Ein⸗ fluß der in Kunſt und Literatur mitredenden und mithandelnden Frauen ſprach, einem
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4 Einfluß, welcher Geſchtnack und Mode und die Männer dazu immer weibifcher zu
machen drohe. Dagegen pries ich die echt weibliche Aufgabe des Waltens im Hauſe. Dieſe Gedanken begleiteten mich, als ich durch die Schützenſtraße zum Karlsplatz, zum Reſtaurant von Fräulein Linder ging, und ich dachte, wenn diefes Fräulein nun die rechte Wirtin iſt und gut zu kochen verſteht, dann iſt fie auf der rechten Spur des weiblichen Berufs, denn ein Wirtshaus iſt auch ein Haus.
Ich ſtieg die Treppe hinauf zum erſten Stock und fragte eine Dienerin, die auf dem Flur ſtand, ob Herr von Ringseis ſchon hier ſei? Sie bejahte es und führte mich in eine Art Vorzimmer, wo ich den würdigen Alten fand, den heißblütigen Kämpen für feinen Glauben, der ihm zum Wiſſen und für fein Wiſſen, welches ihm zum Glauben ward, jugendfriſch mit grauen Haaren, ungeben von fünf anderen Herren. Es war der Philoſoph und Philolog Ernſt von Laſaulr, ein Mann von Welt und Wiſſen und eigenſten Ideen, der den vergrabenen Hausſchatz der alten byzantiniſchen Kaiſer in Konſtantinopel wieder auffinden zu können glaubte, der Maler Schlotthauer, welcher neben Kirchenbildern orthopädiſche Apparate für ver⸗ krüppelte Kinder verfertigte und ſich außerdem mit einem großen Plane zur Korrektur der Iſar trug, der Maler Heinrich Heß, der dagegen nur Maler war und ſtreng bei feiner dern Hohen und Heiligen gewidmeten Palette blieb, der wunderliche Bild⸗ hauer Konrad Eberhard, halb Künſtler halb Handwerker nach alter Art, mit Leib
und Seele nur im Mittelalter lebend, und der Badearzt von Kreuth, Dr. Stephan,
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der feine ärztliche Kunſt früher in Rio Janeiro geübt hatte, um fie jetzt in der Wald⸗ einſarnkeit des bayeriſchen Hochgebirgs zu beſchließen. Gewiß eine originelle und anziehende Geſellſchaft, wie man ſie in dieſer Art damals nur in München finden konnte.
Nachdem wir uns gegenſeitig begrüßt hatten, erſchien eine ältere Dame von ſehr unſcheinbarenn Nußern, ganz grau gekleidet und keineswegs nach der neueſten Mode, mit einem weißen Häubchen auf dem Kopfe. Ringseis ſtellte mich ihr als unſerer trefflichen Wirtin flüchtig vor; die andern begrüßten fie wie eine alte Bekannte. Das war alſo Fräulein Linder.
Ich wechſelte nur ein paar nichtige Worte mit ihr — vom Wetter, welches ſich ſehr vordringlich bemerklich machte, denn der Regen wurde von einem Sturnnvind in dicken Tropfen wider die Scheiben gepeitſcht, um ein kaum begonnenes, doch ſchon ſehr feſſelndes Geſpräch mit Laſaulx fortzuſetzen.
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Laſaulx wußte einen in der Unterhaltung ſofort zu packen wie wenige, und fo bemerkte ich nur oberflächlich, als wir durch zwei der drei Zimmer zu dem kleinen Speiſeſaal gingen, daß dieſe Zimmer doch kaum wie in einem Wirtshaus eingerichtet waren. Nur fielen mir im Vorbeiſtreifen zahlreiche gute Delgemälde auf, welche die Wände ſchmückten, und eine männliche Porträtbüſte aus weißem Marmor, die mit einem Trauerflor bedeckt war. |
Wir fegten uns um einen runden Tiſch, und ich nahm mit Vergnügen wahr, daß die Wirtin gleichfalls bei uns ſich niederließ. Hier herrſcht doch noch, ſo dachte ich, die gute, alte, patriarchaliſche Sitte, die ich zwar mehr aus Walter Scotts Romanen als aus der Wirklichkeit kannte, daß der Gaſtwirt die Gäſte ehrt und ihnen zugleich die Bürgſchaft eines guten und geſunden Mahles gibt, indem er ſich an die Spitze ſeiner Tafel ſetzt und mitißt. Und wenn der Wirt eine Wirtin war, ſo dünkte mir die Sitte noch viel ſchöner. Ich machte mir im Geiſt eine Notiz da⸗ rüber für mein Buch von der Yarnilie.
Ringseis ordnete unſere Plätze; die andern Herren ſchienen auch von ihm geladen zu ſein. Zu beiden Seiten unſerer Wirtin ſaßen die beiden Maler; ich erhielt den Stuhl zwiſchen meinen beiden neuen Kollegen Ringseis und Laſaulx am entgegen⸗ geſetzten Ende, und der Bildhauer und der Doktor verbanden rechts und links die zwei Gruppen der Maler und Profeſſoren.
Ich fand mich bald im lebhafteſten Gefpräch mit meinen Nachbarn. Dies hin⸗ derte mich jedoch nicht, zwiſchendurch unſre Wirtin von fernher zu beobachten. Sie aß kaum mit, fie ſchien die Speiſen nur hie und da zu verſuchen; fie miſchte ſich nicht in die allgemeine Unterhaltung, ſondern wechſelte nur ab und zu leiſe Worte mit den beiden Herren zu ihrer Seite; dagegen war ihr Auge überall, fie beobachtete, ob uns nichts abgehe, und gab der aufwartenden Dienerin ihre Winke; ſie vergaß ſich ſelbſt über ihren Gäſten, ſie war die aufmerkſame Wirtin, wie ſie ſein ſoll. Und ſo ging denn auch die Bedienung wie am Schnürchen. Die Küche war ausgeſucht, aber nicht überladen, die Weine vortrefflich; nur ſchien die gute Küche der Wirtin ſelbſt am wenigſten anzuſchlagen; denn ihre Züge waren bleich, faſt etwas leidend.
Ich notierte mir im ſtillen zu dem Kapitel von den erweiterten Frauenberufen, daß der feinſte Gaſtwirt eigentlich eine feine Gaſtwirtin ſei.
Nachdem wir ſolchergeſtalt gut gegeſſen und getrunken und uns höchſt anregend unterhalten hatten, plauderten wir noch eine Weile im Vorzümmer. Ich bedankte
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mich bei Ringseis, ſagte Fräulein Linder, daß man ſehr gut bei ihr eſſe und faft noch beſſer trinke — und empfahl mich.
Nach einigen Tagen beſuchte ich Profeſſor Dollmann, den Kriminaliſten, der mir mit freundlichem Rate über die Einrichtung meiner Kollegien zur Hand ging. Er ſuchte mir die zweckmäßigſten Stunden aus; ich folgte ſeinem Rat und leſe heute noch zu denſelben Stunden. Friede ſeiner Aſche!
Im Fortgehen, zwiſchen Tür und Angel, ſprach ich unter anderem noch von den intereſſanten Bekanntſchaften, welche ich in jüngſter Zeit in München gemacht hatte, und erwähnte dabei auch der Künſtler Heß und Schlotthauer, mit welchen ich im „Reſtaurant Linder“ zuſammengetroffen ſei.
„Im Reſtaurant Linder?“ fragte Dollmann. „Dieſes Lokal iſt mir ganz un⸗ bekannt.“
„Es liegt am Karlsplatz, Nummer 25, entgegnete ich. „Man ſpeiſt dort aus⸗ gezeichnet, namentlich find die diners-A-part zu rühmen; Ringseis hatte mich dort⸗ hin zu einem ſolchen eingeladen.“
„Ringseis?“ fragte Dollmann verwundert, und zugleich ſchien ihm ein Licht auf⸗ zugehen, und er rief lachend: „Alſo waren Sie bei Fräulein Emilie Linder zu Gaft? Ringseis macht dort ſozuſagen den Hofmarſchall. Allein wie kommen Sie nur dazu, das Haus dieſer Dame ein Reſtaurant zu nennen?“
„Und was wäre es denn ſonſt?“ entgegnete ich erſchrocken. „Wer iſt denn Fräu⸗ lein Linder?“
„Fräulein Emilie Linder iſt eine ebenſo hochgebildete und kunſtſinnige als reiche Schweizerin, eine Millionärin, nicht minder ausgezeichnet durch ihr edles, ſchlichtes, frommes Weſen und ihre großartige Wohltätigkeit wie durch ihr ideales, künſtleriſches Streben. Sie ſieht ihre alten Freunde an beftimmmten Tagen zu Tiſch bei ſich, wo dann Ringseis die Honneurs macht, und ſie hat es gern, wenn er gelegentlich auch jüngere Freunde und fremde Künſtler und Gelehrte mitbringt.“
Jetzt begann es mir wie Schuppen von den Augen zu fallen.
„Man befindet ſich im „Reſtaurant Linder“ immer in guter Geſellſchaft“ fuhr Dollmann ſchalkhaft fort, „nur iſt die Geſellſchaft etwas ausſchließend, meiſt hoch⸗ katholiſch, wie die Dame ſelbſt. Die Zeit der alten Münchener Romantiker lebt wieder auf an dieſer Tafelrunde, die Zeit von Joſef Görres, die Zeit des Bundes zu den drei Schilden, die Zeit, wo Clemens Brentano wie ein Komet durch dieſe
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Münchener Geſellſchaft fuhr, bezaubernd und bezaubert, letzteres wie man ſagt, ganz beſonders durch Fräulein Linder.“
Und ich hatte mit dieſer Dame, deren Gaſt ich war, nur zwei Worte geſprochen, vom ſchlechten Wetter und von ihrer guten Küche! Für welch einen Böotier mußte ſie mich halten!
„Aber was haben Sie denn?“ fragte Dollmann, als er mich ganz verſteinert in der Türe ſtehen bleiben ſah.
„Ich habe gar nichts;“ rief ich, „wenigſtens nichts Merkwürdiges. Ich bin ein Eſel geweſen, und das pflegt man ja wohl manchmal zu ſein.“
Ich ſchlug mir vor den Kopf und wünſchte dem Erſtaunten guten Abend.
Gleich am nächſten Vormittage zog ich meinen Frack und meine ſchönſten perl⸗ grauen Handſchuhe an, um Fräulein Linder meinen Dankbeſuch zu machen. Ich wollte mich zugleich entſchuldigen, indem ich ihr die Geſchichte des Irrtiums erzählte, in welchem ich befangen geweſen war, und zwar ganz getreu und mit all dem Humor, der im Vorgange ſelbſt lag. Denn der Humor lindert nicht nur unſern Schmerz, er löſt nicht nur unſere Tränen, — er verſöhnt auch mit unſeren Dununheiten.
Fräulein Linder empfing mich aufs freundlichſte. Sie trug dasſelbe ſchlichte graue Kleid, dasſelbe kleine, weiße Häubchen, welches ſie immer zu tragen ſchien. Wir waren bald in lebhaftem Geſpräch, und hatte ſie neulich bei Tiſche gezeigt, daß ſie zu ſehweigen verſtand, ſo zeigte ſie jetzt, daß ſie auch ſehr gut reden konnte. Ich lenkte die Rede auf Ringseis, um mein Sündenbekenntnis an dieſen Namen zu knüpfen, allein ſie entwand mir den Faden, indem ſie von ihrer frühen Begegnung mit Rings⸗ eis in Italien ſprach; ſtatt des letzten Mittageſſens wurde Italien das Geſprächs⸗ thema. Sie erzählte von ihren höchſt eigenartigen perſönlichen Erlebniſſen in dieſem Wunderlande, denen ich meine perſönlichen Eindrücke nicht gegenüberſtellen konnte, denn ich war noch nicht dort geweſen. Allein ich hatte ſeit meiner Knabenzeit über dieſes Land geleſen, welches in meinen Studentenjahren ganz beſonders das Land meiner Sehnſucht wurde. Ich war ja gekommen, um Fräulein Linder meine Bil⸗ dung zu zeigen, während ich ihr neulich meine Unbildung gezeigt hatte, und begann darum meine beſten Gedanken über Italien dazwiſchen zu werfen. Sie war als fromme Chriſtin in dem Zauberkreiſe von Rom und Aſſiſſi geweſen; ich würde als künſtleriſcher Heide dorthin gekommen fein. Ob wir uns gegenfeitig verſtanden? Sie erſchien mir zuletzt wie eine geborene Kloſterſchweſter, die vergeſſen hatte, ins Kloſter
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zu gehen, und es war mir ganz unmöglich, ihr in dieſem Augenblicke ſcherzend zu bekennen, daß ich ſie jüngſt für die Inhaberin des feinſten Münchener Reſtaurants
gehalten habe. Ich ſchwieg davon. Mochte fie immerhin denken, ich hätte damals
meinen vernagelten Tag gehabt.
Im Laufe der Jahre wurde ich noch öfters durch Ringseis zu der anregenden Tafelrunde von Fräulein Linder geladen und beobachtete nun unſere Wirtin mit richtigerem Blick, aber die eigentliche Geſchichte meines erſten Beſuchs habe ich ihr niemals erzählt. |
Mein letzter Gang zu Fräulein Emilie Linder war an einem ſonnigen Gommer- nachmittage 1867 — auf den Kirchhof. Es hatte ſich ein anſehnliches Leichengefolge eingefunden, um ihr die letzte Ehre zu erweiſen, der Reſt ihrer alten Freunde — denn die meiſten waren ihr ſchon vorangegangen — und viele andere Leute, darunter auch jüngere Künſtler, die wir nicht kannten; allein ſie hatten die Güte und das milde Herz von Fräulein Linder kennen gelernt.
Am offenen Grabe erzählte der Geiſtliche den Lebenslauf der Verſtorbenen kurz und gut, er erzählte mir und den andern viel Meues, was man ſonſt von Grabreden ſelten rühmen kann. Emilie Linder hatte ein ſtilles Leben geführt, weltabgeſchieden faſt wie eine Kloſterſchweſter, und doch ein in der Stille wunderſam tätiges Leben. Namertlich erfuhr ich hier zuerſt, daß fie eigentlich Malerin geweſen ſei und zwar Hiſtoriemmalerin, daß fie namentlich viele Kirchenbilder gemalt habe. Sie war im Jahre 1824 von Baſel nach München gekommen und etwas ſpäter als Schülerin in die Akademie der Künſte eingetreten, deren Leitung Peter Cornelius im Jahre 1823 übernommen hatte, und die damals — freilich nur kurze Zeit — auch Damen zum Studium der Hiſtoriemmalerei zuließ. Allein das gemeinſame Arbeiten mit jungen Künſtlern widerſprach dem innerſten Weſen des „Schweizerfräuleins“, wie man Emilie Linder nannte. Sie trat aus und nahm Privatunterricht bei Schlotthauer, der ihr dann durchs ganze Leben ein treuer Lehrer und Berater blieb, und wandte ſich, ihrem eigenen Geiſte wie der Richtung ihres Lehrers folgend, zur religiöfen Malerei. Sie lernte das Erlernbare, erkannte aber, daß ihr die ſchöpferiſche Kraft für dieſe hohe Kunſtweiſe fehle, und wollte doch von dem einmal erfaßten Ziele nicht laſſen. Darum malte ſie fortan gleichſam insgeheim Altarbilder, die ſie an eine arme Dorfkirche ſchenkte, darunter viele Kopien nach guten Meiſtern, und dieſe Kopien wurden ſehr gerühmt. Sie unterſtützte arme, junge Künſtler, indem fie Bilder bei
Ein Jahrhundert München 14
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ihnen beftellte und kaufte, und ſammelte daneben eine kleine Galerie erleſener Gemälde, die ſie ihrer Geburtsſtadt Baſel teſtamentariſch vermachte. Von Haus zu Haus ver⸗ kehrte fie wohl nur mit wenigen geſinnungsverwandten Familien, aber an ihrer Tafel- runde erſchloß ſich ihr ein weiteres Stückchen Welt in jenem altbefreundeten und doch auch ſich verjüngenden Kreiſe künſtleriſcher und gelehrter Männer, welchen ich geſchildert habe.
Ich habe öfters in dieſem Kreiſe geſeſſen, ich habe dabei auch manches eingehende Ge⸗ ſpräch mit Fräulein Linder geführt, allein ſie ſprach niemals von ſich ſelbſt und ſprach doch ſo tief aus ſich ſelbſt heraus. Und ſo hörte ich denn von der verſchwiegenen Kunſt⸗ übung unſerer Wirtin, von der Hiſtoriemmalerin das erſte Wort — an ihrem Grabe.
Ob unſere malenden jungen Damen eine ſolche Kollegin heute noch begreifen können d
Emilie Linder iſt 1797 in Baſel geboren, 1867 in München geſtorben.
Heinrich Wilhelm Riehl (1823— 1897), Kulturhiſtoriker, urſprünglich Journaliſt, Redakteur der Augs⸗ burger Allgemeinen Zeitung, 1854 von König Maximilian als Profeffor der Staats- und Kameralwiſſen⸗ ſchaften nach München berufen. Unter feiner Leitung erſchien 1839 - 1867 die „Bavaria“, das geographiſch⸗ ethnographiſche Hauptwerk über Bayern. Riehl ſelbſt entfaltete eine ſehr umfangreiche literariſche Tätigkeit.
Die Geſellſchaft „Zu den drei Schilden“ war urſprünglich ausſchließlich zum Zwecke der Pflege der Altertumskunde beſtimmt. Sie war 1831 gegründet worden und tagte in der Lerchenſtraße, Freiherr von Bernhard und Friedrich Hoffſtadt waren ihre Begründer; Pocci, Beck, Schwanthaler, Domenico Quaglio, der ganze Kreis um die „Humpenburg“ gehörten ihr an.
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Neue Amalienſtraße Nummer 66
Im Salon Dönniges
In eine ganz anders geartete Geiſteswelt, in den Salon des Freundes und Er⸗ ziehers Max II., des Rates im Auswärtigen Amt Wilhelm von Dönniges, führt Otto Freiherr von Völderndorff, der ſeine ſcharf beobachtenden Münchner Er⸗ innerungen unfer dem ammmigen, aber doch zu beſcheidenen Titel: „Harmloſe Plau- dereien eines alten Münchners“ zufammenfaßte. Man lieſt dort:
Was im politiſchen Wirken Wilhelm von Dönniges, als er nach Altenhöfers berühmt gewordenen Verſen „die Glutidee der Trias zündend in die Welt geſchmettert“, geleiſtet und worin er gefehlt haben mag, ſoll der Beurteilung eines Staatsiannes überlaſſen bleiben. Was er mit feinern Feuereifer in Durchführung der Pläne feines Königs, dem geiſtigen Leben Bayerns einen neuen großartigen Aufſchwung zu geben, an guten Reſultaten erzielt und worin er daneben gegriffen hat, mögen Gelehrte ent- ſcheiden. Hier ſoll nur des ſozialen Lebens gedacht ſein, das ſich in jenen Jahren in der „Neuen Amalienſtraße Nunnner ſechsundſechzig“ entwickelt und zwar blühend entwickelt hat. Der Münchner und überhaupt der Süddeutſche iſt zwar gemütlich, aber nicht gaſtfreundlich, vielmehr in ſeinem Haufe recht exkluſiv. Vor dreißig Jahren kannte man hier zwar „Salons“, in der haute volée und in den übrigen Kreiſen der Geſellſchaft einzelne, ſelten vorkommende „Einladungen“, allein ein tägliches ſo⸗ ziales Leben wie es in Norddeutſchland Sitte iſt, war damals hier faſt unbekannt. Frau von Dönniges hatte den Mut, den Berliner „Tee-⸗Abend“ bei uns einzuführen, aber fie war zu praktiſch und zu geſund im Getmite, als daß fie jene vielbeſprochenen Spree⸗Soireen mit dünnem Tee und noch dünneren poetiſchen Vorträgen, mit kaltem Aufſchnitt und noch kälteren ſchöngeiſtigen Geſprächen hätte importieren können. In ihren gaſtlichen Rätunen brodelte zwar auch im Salon die Teemaſchine, aber dies war rein nebenſächlich, die phyſikaliſche Grundlage des Abends bildete ſtets ein freff- liches, Eopiöfes Souper mit bajuwariſchem Bier und einer nach bewährten Rezepten vom Hausherrn, der darin — wie in fo vielem — Meiſter war, gebrauten Bowle, zu
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welcher die Zigarre freundlich geſtattet wurde. Und was an Poeſie, an Geiſt, Witz, Humor und an künſtleriſchen Leiſtungen jene Abende geboten haben, unvergeßlich blieb es dem Einheimiſchen und dem Fremden, der ihnen ampohnte. Und Fremde erſchienen in reicher Fülle; man darf ſagen, es iſt damals keine Zelebrität durch München gekommen, die nicht im Salon der Frau Franziska ſich eingefunden hätte.
Die Empfangsräume waren für die damalige Zeit elegant eingerichtet, jetzt freilich, wo die Kunſtwerke der Gotik und Renaiſſance den meiſten Wohnungen einen fo trauten Zauber verleihen, würde man allerdings den Salon mit ſeinen grellroten Sammetmöbeln, den langen Etageren und geradelinigen Spiegeln, das Bondoir mit der blauen Tapete und dem napoleoniſchen Kanapee, das Speiſezimmer mit der Sphinx⸗Uhr und den ſteif beinigen Tiſchen und Stühlen mit dem Epitheton „echt biedermänniſch“ belegen und als völlig unſtilgemäß perhorreſzieren. Damals aber wußte man es nicht beſſer. Man ſah mehr darauf, ob derjenige, der auf dem Stuhle ſaß, ein geiſtreicher und amüſanter Menſch war, als darauf, ob der Stuhl eine be⸗ ſtimmte Faſſon hatte, und fo war man, wie geſagt, mit der Eleganz der Einrichtung zufrieden. Kommen durfte des Abends jeder Bekannte, ſo oft Frau von Dönniges zu Hauſe war, was man einfach an den beleuchteten Fenſtern von der Straße aus erkannte. Zwei Tage aber in der Woche war man ſicher, die Hausfrau und — fofern nicht königliche Einladung ihn fernhielt — auch den Hausherrn zu Hauſe zu treffen. Für gewöhnlich war die Unterhaltung völlig zwanglos; man ſetzte ſich, wohin man wollte; man ging in dieſes oder jenes Zimmer, wie es einem beliebte; man ſuchte ſich Geſellſchaft, wie fie einem behagte; man ſprach mit einer Perſon, ſtand auf und ſprach mit einer anderen, und wer gehen mochte, der ging. Das letztere kam aber vor 1 Uhr nachts nicht leicht vor. Mur für die Montage lautete das beſtimmte Programm: Einzelvorträge oder Leſen mit verteilten Rollen.
Beim Eintritt empfing Frau von Dönniges, eine nicht große, aber wohlproportio⸗ nierte Geſtalt, ihre Gäſte liebenswürdig mit freundlichem Drucke der kleinen, wohl⸗ gepflegten Hand, indes ihr Gemahl meiſt ſchon bei der fröhlichen Begrüßung irgend ein ſatiriſches Wort an den Kommenden richtete. Aber ſeine Satire erfreute den geiſtig Geſunden, weil man durch dieſelbe ſtets das ehrliche, treugemeinte Wohl⸗ wollen durchfühlte; nur wer an narzißartiger Selbſtbeſpiegelung kränkelte, der mochte ſich vielleicht verletzt fühlen. „Willkommen, umwiderſtehlicher Bodenſtedt“, empfängt er den Sänger des Mirza⸗Schaffy, der mit ſeiner „Edlitham“ (wie er ſeine an⸗
Photographiſche Aufnahme von Franz Hanfſtaeng!
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mutige Gattin Mathilde nannte) eintritt. Und: „Nicht jeder hat ſoviel Glück bei den Frauen wie Du mit Deinem ſtruppigen Barte“, lautete die lachende Antwort. „Nicht wahr, zu zweien philoſophiert es ſich beſſer?“ wird Carriere begrüßt, der ſeine junge Frau, Liebigs älteſte Tochter, die leider ſo früh geſchiedene Agnes, glück⸗ ſtrahlend am Arme hereinführt. „Jedenfalls iſt der Dualismus leichter durchzuführen als die Trias“, entgegnete ſchlagfertig der Aſthetiker. „Nanu, Jung⸗Goethe, wie weit iſt das Heyſeſche Trauerſpiel vorgeſchritten?“ — „Was Du wieder für ein Reineckegeſicht mitbringſt, Kaulbach! Gott Gnade unſerer Geſelligkeit!“ ſo und in ähnlicher Weiſe dauern die Begrüßungen fort. Allmählich füllt ſich der Saal, Bluntſchli mit dem mächtigen Denkerhaupte, begleitet von feinem alpenfriſchen Töch⸗ terlein Luiſe, Schlachtenmaler Feodor Dietz, Geibel mit ſeiner ſchüchternen, tauben⸗ artigen Frau, der ewig gut gelaunte Franz von Kobell mit ſeinen zwei liebens⸗ würdigen Töchtern Marie und Luiſe, in der Geſellſchaft „Roſe und Röschen“ ge- heißen, Juſtus von Liebig mit der zweiten, ſchönen Tochter Johanna, Franz von Löher, Obermedizinalrat Pfeufer, der berühmte Kulturhiſtoriker Riehl, Maler Rugendas und Seybertz, Profeſſor Siebold, der Hiſtoriker Sybel, Vater Thierſch mit feiner Familie, Julius von Wickede und „zuletzt, wie natürlich der Nachtwächter“ wird der verſpätete Dingelſtedt vom Hausherrn angeredet. „Daran iſt Jenny ſchuld, dieſe Frauen werden ja nie fertig“, will dieſer ſich entſchuldigen; aber da konumt er ſchlecht an; denn ſofort empört fich feine Ehehälfte, und die Hausfrau eilt ihr zu Hilfe. Den glänzenden Mamen, die ſoeben genannt wurden, ſchließen ſich einzelne Mitglieder der Ariſtokratie an: vor allem Baron (jetzt Graf) von Schack, der, felbft ein Dichter und Gelehrter und groß- mütiger Mäcen der Künſtler, eigentlich ſchon oben zu nennen geweſen wäre, und der, wenn auch kein „Berufener“, doch ein „Auserwählter“ iſt; dann Graf Karl Taſcher, der auch als ſpäterer Herzog de la Pagerie in den Tuilerien zu Paris wohnend, mit rührender Anhänglichkeit an ſein liebes München der treue Helfer und Berater aller ihn auffuchenden früheren Landsleute blieb; Baron Perfall, der nummehrige General- intendant, der jetzige Regierungspräſident Graf Luxburg, ein allgemeiner Liebling wegen ſeiner überſprudelnden Lebendigkeit; auch ich ſelbſt, der in jenen Räumen das „Plaudern“ erlernte, und andere meiſt inzwiſchen zu hohen Stellungen gelangte Mamen. Und nun entwickelt ſich ein lebhaftes Treiben und Konverſieren, bis Frau Franziska entweder die Rollen Leſenden an den großen runden Tiſch in der Ecke vorfordert oder ein Tiſchchen in die Mitte rückt, an welchem der Einzelvortragende ſich niederläßt . . .
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War ein Fremder amvefend, fo gehörte ihm der Abend. Einmal erzählte uns Anderſen ſeine ſchönſten Märchen; ein andermal ließ Rubinſtein ein Meer von Tönen unter feinen Virtuoſenhänden erklingen; dann wieder fang die ſchöne Cruvelli grauſig und doch entzückend die wilden Melodien, die ſie mit Vorliebe vortrug, oder es las Hebbel, mit feiner wie von innerem Ungeſtüm gleichſam vulkaniſch vorgetriebenen Stirne, feine erſchütternden Poefien. Ihm aber nahm plötzlich Dingelſtedt das Buch aus der Hand. „Ich kann nicht mehr anhören, daß Sie meines Freundes Hebbel Gedichte ſo verhunzen“, ſagte er dem verblüfften Dichter und lieſt dann ſeine Verſe ſo herrlich und entzückend, daß Hebbel tief ergriffen ihm die Hand drückt mit den Worten: „Ich habe nicht gewußt, daß meine Sachen ſo ſchön ſind.“ Freilich lohnte es auch, anregend und lobverdienend zu ſein bei einer Zuhörerſchaft von ſo ſchönen Frauen, wie fie im Salon Dönniges ſtets zu finden war. Neben der Hausfrau ſelbſt die reichbegabte Frau Stadler, Frau Kaulbach mit dem antik geſchnittenen Kopfe und den funkelnden Augen, die blendend ſchöne Fürſtin Cantacuzene, die junoniſche Tochter des großen Liſt, Frau von Pacher, die beiden reizenden Gräfinnen Holnſtein (geb. von Kark und von der Malsburg) und andere. All' die ſchönen Frauen aber ſtellte Frau von Dingelſtedt, die unvergleichliche Jenny Luger, in Schatten, wenn fie ſich zu fingen entſchloß, was freilich immer einige diplomatiſche Verhandlungen erforderte. Anfänglich nämlich war ſtets alles Bitten vergeblich; „ich bin nicht dis⸗ poniert, ich bin müde, meine Stimme iſt belegt“ und ſo weiter. Dann verzichtete man anſcheinend und bat eine andere Dame, zu ſingen. Kaum aber erklangen die erſten Töne, fo erwachte in Frau Jem die Kunſt⸗Rioalität, fie verſchwand aus dem Salon, und bald vernahm man außen im Gauge glockenhell intonierte Skaliſationen, die immer mehr anſchwollen; die Singende am Klavier hörte nach und nach lächelnd auf, und Frau von Dingelſtedt trat ein mit der Erklärung: „Ich ſehe, es geht doch.“ Und num begann ſie mit ihrer vollſten Meiſterſchaft. So trillert keine Nachtigall, fo jubelt keine Lerche, fo ruft kein Kuckuck im ſchönen Monat Mai, wie Frau Jenn die Taubertſchen „Klänge aus der Kinderwelt“ hinausjauchzte. Dann wieder wie ganz anders, wenn die Tarantella in glühenden und ſprühenden Tönen erſchallte oder wenn umwiderſtehlich kokett das „ouvrez- moi, ouvrez- moi“ eines franzöſiſchen Chanſon das Ohr umſchmeichelte. Und wenn fie nur das einfache „Muß i denn, muß i denn zum Städtle hinaus“ ſang, umwillkürlich traten dem Hörer da Tränen ins Auge. Zeigte ſich aber endlich die große Künſtlerin in voller Glorie als Prima⸗
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donna, indem fie die Arien der Donna Anna oder der Agathe oder Nora fang, dann kannte der Enthuſiasmus keine Grenzen mehr, und ich erinnere mich, daß einmal GSGeeibel und Dietz ihr zu Füßen fielen und rechts und links die Hand küßten. Honny soit qui mal y pense!
Solche begeiſterte Verſchönerung des Angeſichts regt den darſtellenden Künſtler notwendigerweiſe gleichfalls an, und ſo mag in Kaulbach der Gedanke entſtanden ſein, die Matadore der Geſellſchaft zu porträtieren. Er begann mit Frau von Dönniges und wußte den intereſſanten Kopf, die lebendigen und doch ſo freundlich blickenden Augen, die hohe, geiſtvolle Stirne, den energiſch geſchwungenen Mund und die ſchönen, ſcharf geſchnittenen Züge fo treffend und doch von Freundeshand umvillkür⸗ lich etwas idealiſiert zu geſtalten, daß alles in Jubel ausbrach.
Von da an ſtellte er jeden Montag ein anderes Bild, in Kreide gezeichnet, im Salon Dönniges aus und ſchenkte fein Kunſtwerk in großmütiger Weiſe dem Originale.
Am Schluß der Abende folgte, wie bereits erwähnt, regelmäßig das gemeinſame Souper, bei welchem deutſch⸗gemütliche Unterhaltung mit attiſch⸗feinem Tiſchgeſpräche Hand in Hand ging. Unter dem Brillantfeuer des Humors wurde gegeſſen, getrun⸗ ken, geplaudert und gelacht, dann und wann wohl auch eine ernſt politiſche oder wiſſenſchaftliche Frage erörtert. Tiefes Schweigen aber herrſchte unter uns übrigen, wenn das Dichterkleeblatt Geibel, Dingelſtedt und Bodenſtedt zu impropifieren begann in Schlag auf Schlag ſich folgender, gereimter Wechſelrede, in welche der Haus⸗ herr mitunter einige zündende Verſe hineimwarf. Welch köſtliche Perlen der friſch empfundenſten Poeſie reihten ſich da aneinander, die leider ungeſammelt geblieben ſind; nur der lautſchallende Beifall der Amweſenden lohnte die gottbegnadeten Dichter. Veꝛrklungen find fie nun längſt die ſprudelnden Reime, und die ihnen gefpendeten Zurufe ſind verhallt; verſchwunden iſt das lebendige Tun und Treiben in jenen gaſt⸗ lichen Räumen, und das Feuer iſt erloſchen, das einſt ſorgfältig von fo vielen hohen Geiſtern genährt und gehütet war. Nicht bloß ſtill erloſchen leider: viel Trauriges und Schweres hat ihn nachmals getroffen, der das Haupt der „Neuberufenen“ in München geweſen iſt, und nicht wenig Bitteres mußte Wilhelm von Dönniges über ſich ergehen ſehen, bis er in Rom zum ſtillen Friedensſchlafe ſich niederlegte. Und nun ruht auch ſie, die ihm als Gattin und Gehilfin ſo treu zur Seite ſtand, neben ihm bei der Pyramide des Ceſtius, umrauſcht von den Pinien der ewigen Stadt, nach der ſie ſich aus den Wirrniſſen und Trübſalen ihres ſpäteren Lebens gerettet
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hatte. Vergeſſen aber ift jene ſchöne Zeit, die wir oben geſchildert, bei Keinem, der ſie miterlebt: wohl an manchem Abend zieht die Erinnerung daran vorüber an den Augen des Geiſtes, und manch Einer denkt dankend ſich zurück in die „Neue Ama⸗ lienſtraße MNunnner ſechsundſechzig“.
Wilhelm von Dönniges (1814— 1874), ein Schüler Leopold von Rankes, 1842 Profeffor in Berlin, begleitete von 1842— 1845 den damaligen Kronprinzen Maximilian von Bayern nach Göttingen an die Univerfität und wirkte beſtimmend auf feine geiſtige Richtung. 1851 wurde er bayerifcher Legationsrat, 1854 Rat im bayeriſchen Auswärtigen Amt. Dönniges wurde ſehr viel angefeindet, die Stock⸗Münchner ſahen in ihm den böſen Genius des Königs, den Urheber der Fremdenkolonie. Er verließ deshalb München, wurde im diplomatiſchen Dienſt verwendet, war Geſandter Bayerns bei der Eidgenoſſenſchaft und zuletzt in Rom, wo er ſtarb. Die Bitterniſſe feines Lebens, auf die Völderndorff anfpielt, kamen von feiner Ber: wicklung in das tragiſche Ende Ferdinand Laſſalles, das durch ſeine Tochter Helene (geb. 1846 in München) die Laſſalles Geliebte war, veranlaßt wurde. Wegen dieſer Umſtände wurde Dönniges von 1865— 1867 zur Dispoſition geſtellt.
Moritz Carriere (1817 1895), ſeit 1853 Profeſſor der Philoſophie an der Münchner Univerſität, einer der Hauptvertreter der theiſtiſchen Weltanſchauung. Sein philoſophiſches Syſtem hat er niedergelegt in feinem 1877 erſchienenen Hauptwerk „Die ſittliche Weltordnung“.
Johann Kaſpar Bluntſchli (1808 1881), hervorragender Rechtsgelehrter, ſeit 1848 Profeſſor des deutſchen Privatrechts und allgemeinen Staatsrechts in München. Er war eines der eifrigſten Mitglieder des deutſchen Proteſtantenvereins. Im Jahre 1861 folgte er einem Ruf nach Heidelberg.
Karl Freiherr von Perfall (1824 1907), Komponiſt, ein geborener Münchner, wurde 1864 zum Hof⸗ muſikintendanten berufen und 1867 auch mit der Leitung des Hoftheaters betraut; 1872 wurde er zum Generalintendanten ernannt; 1893 trat er von dieſer Stellung zurück Unter ihm erlebte die Münchner Hofoper ihre Blütezeit.
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Nach einem Gemälde von Wilh. Trautſchold geſtochen von J. Bankel
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Juſtus von Liebig und ſein Haus
Luiſe von Kobell ſchreibt in ihrem Buche „Unter den vier erſten Königen Bayerns“:
Eine neue Errungenſchaft waren die durch Liebig eingeführten Vorleſungen, wie aus Folgendem erſichtlich iſt.
„Einladungen zu den Vorträgen, welche während der Faſten 1853 im neuen chemiſchen Laboratorium gehalten werden. München, 9. Februar 1883.
Programm der Vorträge: 1. Den 12. Februar: Über die Matur der Flamme. Profeſſor Dr. Juſtus Freiherr von Liebig. 2. Den 18. Februar: Fauſt auf der Bühne. Hoftheater⸗Intendant Dr. Franz Dingelſtedt. 3. Den 19. Februar: Über den Kohlenſtoff und die Kohlenſäure. Profeſſor Dr. Juſtus Freiherr von Liebig. 4. Den 22. Februar: Über Gold und Eiſen. Profeſſor Dr. Franz Ritter von Ko⸗ bell. 3. Den 26. Februar: Über die Natur der Gaſe. Profeſſor Dr. Juſtus Frei⸗ herr von Liebig. 6. Den 1. März: Über die germaniſchen Volkslieder. Geheimer Legationsrat Wilhelm von Dönniges. 7. Den 3. März: Organiſches Bruchſtück aus dem erzählenden Gedichte Julian. Profeſſor Dr. Emanuel von Geibel. 8. Den 8. März: Über die äginetiſchen Bildſäulen der Glyptothek. Geheimer Rat Profeffor Dr. Friedrich von Thierſch.“
Dieſe Vorträge im „Liebigſchen Hörſaal“ wiederholten ſich nun Jahr für Jahr.
Nach der Vorleſung forderte Frau von Liebig einige Bekannte auf, bei ihr Tee zu trinken, und fo nahim auch ich oft an dieſen anregenden kleinen Geſellſchaften Teil, Herr von Liebig ergänzte ſeinen vorher gehaltenen Vortrag, indem er Fragen und Eimvendungen feiner Gäſte beantwortete. Er beherrſchte nicht nur feine Wiſſenſchaft, ſondern er beſaß auch die Gewandtheit, ſeine Gedanken ſo klar auszudrücken, daß man mit ihm als Führer freudig in dem Wunderlande der Naturgeſetze umherging und ſich vertraut damit machte. Bisweilen entſtand eine gelehrte Diskuſſion mit Jolly, Pettenkofer, Biſchoff, meinem Vater, welcher zu folgen anziehend war. Wollte Dönniges dem naturwiſſenſchaftlichen Geſpräche ein Ende machen, fo rief er eine literariſche Bemerkung dazwiſchen, die der Unterhaltung eine andere Richtung gab.
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Einmal erklärte er inmitten der Erörterungen über Bodenbeſchaffenheit, das Thema langweile die Damen, Carriere möge doch einen Vortrag über den Apolloſaal halten.
Es entſtand ein allgemeines Gelächter, eingedenk des Streiches, den Dönniges vor Kurzem der Geſellſchaft gefpielt hatte. In Gegenwart mehrerer Mitglieder der „Fremdenkolonie“ hatte man den im Gaſthaus zum „grünen Baum“ befindlichen Apolloſaal erwähnt, den König Ludwig I., wie es hieß, hin und wieder mit ſeinem Beſuch beehrte. „Apolloſaal! den müſſen wir anſehen!“ ertönte es von allen Seiten. Dönniges, der nicht gern die Gelegenheit zu einem Scherze verſäuumte, pries die Merkwürdigkeiten dieſes Saales und lud die Herren mit ihren Damen zu einem Picknick dortſelbſt ein.
Zur ausgemachten Zeit — es war gerade das ſchlechteſte Regemwetter — trafen alle vor dem an der Iſar gelegenen „grünen Baum“ ein, wo ſie Dönniges feier⸗ lich empfing. Die Erwartung war groß und die Enttäuſchung noch größer, als die Geſellſchaft in ein kleines, rot angeſtrichenes Zinuner gepfercht wurde, in dem eine unanſehnliche Gipsſtatue des Apollo ſtand. Die einen lachten, die anderen ärgerten ſich; Dönniges lächelte hämiſch, aber ſchließlich endete durch Frau Hitzelsbergers Kochkunſt doch alles in Wohlgefallen, und der Apolloſaal kam, wenn auch nicht durch feinen Apollo, fo doch durch das berühmte Knödelragout auch bei den „Be⸗ rufenen“ fortan zu Ehren.
Drei⸗, viermal in der Woche hatte Liebig ſeine Whiſtpartie, und die mit ihm droſchen, wie er das Spielen nannte, erzählten von ſeinem Fleiß und Eifer dabei. Beim Abendeſſen, bei welchem ſeine Frau und Töchter den Vorſitz führten, bot er ſtets feinen Gäſten nebſt ausländifchen Raritäten die beſten Weine aus feinem Keller an.
Diners gaben Liebigs in Hülle und Fülle, und an Tanzgeſellſchaften mangelte es auch nicht. Ihre Geſelligkeit war ſo groß, daß Baron Völderndorff mit mir wettete, ſie würden es gar nicht merken, ob einer eingeladen oder uneingeladen zu Tiſch käme. Und ſo begab er ſich, ohne eingeladen zu ſein, an einem Sonntag etwas vor 2 Uhr zu Liebigs. Sie begrüßten ihn freundlichſt und unterhielten ſich mit ihm und den amweſenden Gäſten, bis der Diener das wichtige Wort ſprach: „Angerichtet“. Beim Setzen fehlte natürlich ein Stuhl und ein Kouvert, es wurde ſofort ohne wei⸗ teres Aufſehen herbeigeholt, und das Diner ging luſtig von ſtatten. Beim Champagner
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erhob ſich Völderndorff, brachte einen Toaſt auf die Gaſtfreundſchaft aus und be- kannte ſich zu allgemeiner Heiterkeit als Eindringling. Er hatte feine Wette gewonnen. Zur Zeit der Induſtrie⸗ und Kunſtausſtellung im Jahre 1854 waren am Frei— tag die Geſellſchaftsräume des großen Chemikers der Tummelplatz und das Stell⸗ dichein für die Vertreter der verſchiedenſten Mationen. Im Salon mit der Riefen- palme, die an das Oberlichtfenſter ſtreifte, ſchwirrten alle Sprachen wie beim baby⸗ loniſchen Turmbau, nur verſtanden ſich die Leute und waren im großen und ganzen verwandte Geiſteskinder. In der Kleidung herrſchte die größte Verſchieden— heit; man durfte in Straßen-, Reiſe⸗ oder Balltoilette erſcheinen, wie man wollte. Einige Damen rauſchten in Samut oder Seide einher, und ſeltſam nahm ſich neben ihnen ein Tiroler in der Joppe aus. Er wurde ſogar ſehr umflattert; es war der be⸗ rühmte Bildhauer Gaſſer aus Wien. Eingedenk feiner Abkunft wollte er feiner Tiroler Tracht treu bleiben, und ſelbſt der Kaiſer von Oſterreich fügte ſich in dieſe Sonderbarkeit, wenn er den Künſtler bei ſich ſah.
Eines Freitags ließ ſich ein ausgezeichneter Klavierfpieler hören. Alles lauſchte den melodiſchen Tönen und ſpendete dann begeiſterten Beifall. „Luischen“ ſagte Herr von Liebig zu mir, „wiſſen Sie, wer dieſer Virtuos iſt?“
„Nein, aber ich will ſogleich Ihre Frau Gemahlin fragen.“
„Sie hat eben mich gefragt, und niemand kennt ihn von unſerer Familie. Ach, da iſt Edmund und ſeine Schweſter, die kennen ihn vielleicht.“
Die Bezeichneten waren Mr. und Miß Muſprat, ein liebenswürdiges Ge⸗ ſchwiſterpaar, das bei Liebigs auf Beſuch war. Allein auch ſie kannten den in Frage Stehenden nicht, und Liebig hat deſſen Mamen nie erfahren. Der Fall, daß Ein⸗ geführte wegen Überfüllung nicht vorgeſtellt werden konnten, hat ſich wiederholt ereignet.
Oogleich die geiſtigen Genüſſe an dieſen Freitagsgeſellſchaften die materiellen über⸗ wogen, fo beſchäftigten die Vorbereitungen zu den letzteren doch ſtets einige fleißige Hände. Da wir ganz nahe bei Liebigs wohnten, halfen meine Schweſtern und ich der ſchönen Agnes Carriere und Johanna, ſpäterer Gemahlin des Profeſſors Karl Thierſch (Mariechen war noch im Flügelkleide), das Zuckerwerk uſw. für den „jour fixe“ zu ordnen. Eines Vormittags beſuchte uns Herr von Liebig inmitten dieſer Ar⸗ beit und erzählte luſtig gelaunt: „Heute Abend konunt ein Nabob, der heiraten will. Ich werde ihn jeder von euch vorſtellen, und wenn er einer gefällt, ſo möge ſie
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mir's fagen, dann kann man ſich verſtändigen und bald Hochzeit feiern. Denn daß jede von euch dem Nabob gefällt, weiß ich im voraus.“
Wir lachten alle, und, wie verſprochen, ſtellte Liebig jeder den Nabob vor. Dieſer hatte rabenſchwarzes Haar und funkelnde Augen, die er unheimlich hin und herrollte, einen großen Diamant in feiner Vorſtecknadel und einen großen Diamant an einem Fingerring. Er ſprach engliſch und zeigte dabei ſeine Zähne, als ob er beißen wollte. Ich ſagte Herrn von Liebig nichts von einem Heiratswunſche, und die anderen taten das Gleiche. Wir alle heirateten eines Tages, aber einen Nabob hat jede verſcherzt.
Philipp von Jolly (1809— 1884), berühmter Phyſiker, ſeit 1854 Univerfitätsprofeffor in München. Theodor Ludwig Wilhelm Biſchoff (1807 1882), Anatom und Phyſiolog, ſeit 1855 an der Münch⸗ ner Univerſität.
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Gemälde von Joſeph Stieler
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Herzogin Elifabeth in Bayern, fpätere Kaiſerin von Sſterreich Steinzeichnung von Franz Hanfſtaengl (1853)
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Die Sympoſien
Als die Cholera, die in Sommer des für München ſo ereignisreichen und be— deutungsvollen Jahres 1854 die Feſtlichkeiten und Geſellſchaften jäh zerſtört hatte, erloſchen war, nahm die Geſelligkeit wieder Beſitz von der Stadt. Die „Berufenen“ trafen ſich wieder, und der König lud zum erſten feiner berühmten „Sympoſien“. Paul Heyſe erzählt in feinen „Jugenderinnerungen und Bekenntniſſen“ über dieſe Zuſammenkünfte: |
Am 4. Dezember des Jahres 1854 fand nun auch das erſte Sympoſtion ſtatt, an dem ich Teil nahm.
Man wurde regelmäßig erſt am Morgen oder Mittag zu dieſen Abenden ein⸗ geladen und hatte im Frack und ſchwarzer Krawatte zu erſcheinen. Oben in dem Vor⸗ zimmer der ſogenannten Grünen Galerie nahmen einem die Lakaien den Mantel ab; man trat in den Billardſaal, der nur ſchwach erleuchtet war, dann empfing uns in dem nächſten, hohen, weiten Gemach der dienſttuende Adjutant oder der Hoftmarſchall Baron von Zoller, ein liebenswürdiger Herr von der ſchlichteſten Höflichkeit, der uns allen ſehr wert wurde. In meinem ſonſt lakoniſchen Tagebuch finde ich über dies erſte Sympoſion ausführlich berichtet. Neben Baron von Zoller machten von der Tann als Generaladjutant und Baron Leonrod die Honneurs; bei den ferneren Aben⸗ den erſchienen abwechſelnd auch die Adjutanten Graf Pappenheim, Baron Struntz, General von Spruner und Graf Ricciardelli, letzterer ein mir beſonders fornpatbifcher Italiener, großer Jäger vor dem Herrn, deſſen braunes Geſicht und ſchwarze Augen unter dem grauen Haarſchopf auf den erſten Blick ſeine ſüdliche Herkunft verrieten. Er kam mir ſogleich aufs wohlwollendſte entgegen. Aber auch die anderen Herren aus der nächſten Umgebung des Königs befliffen ſich der größten gentilezza uns Nicht⸗Bayern gegenüber, und wir lernten in ihnen Männer kennen, deren Bil⸗
dung und Talente und geiſtige Intereſſen es begreiflich machten, daß der König gerade
ſie zu ſeinen Adjutanten gewählt hatte. An dieſem erſten Abende waren außer den Erwähnten nur noch Graf Rechberg,
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Dönniges, Liebig und wir drei Poeten geladen. Als wir alle verſammelt waren, er⸗ ſchien der König und begrüßte jeden Einzelnen mit ſeiner gewinnenden Freundlichkeit. Er fragte mich, was ich eben arbeitete; ich erzählte von dem Trauerſpiel „Die Pfälzer in Irland“, das ich nach V. A. Hubers „Skizzen aus Irland“ ſchon in Berlin entworfen hatte und ſoeben zu einem richtigen Theaterſtück auszuarbeiten im Begriff war. Darauf ſetzte man ſich an den langen, ovalen Tiſch, über den eine einfache grüne Decke gebreitet war; Bier in kleinen Gläſern und Sandwiches wurden hertungereicht, und der König, der kein Raucher war und faſt immer an Kopfſchmerzen litt, zündete eine von den Zigarren an, die mitten auf dem Tiſche ſtanden und tat ein paar Züge daraus, nur um feine Gäſte einzuladen, feinem Beiſpiel zu folgen.
Damals war gerade der „Fechter von Ravenna“ das Tagesgeſpräch, und Bo⸗ denſtedt, dem es an jedem kritiſchen Organ gebrach, fing auch hier an, davon zu reden, ich weiß nicht mehr, in welchem Sinne. Nur das finde ich aufgezeichnet, daß Geibel ihm heftig widerſprach — ein Vorfall, der ſich bei Geibels Geringſchätzung Bodenſtedts und deſſen Neigung, ſich hervorzutun, nur allzuoft wiederholen follte. Liebig erwähnte dann Geibels Komödie „Meiſter Andrea“, die der König kennen zu lernen wünſchte, und deren Vorleſung für den nächſten Abend beſtimumt wurde. Von mir war ſoeben der „Meleager“ erſchienen, deſſen Expoſitionsſzene und Schluß ich mim vorleſen mußte, nachdem ich den Mythus erzählt hatte. Ein äſthetiſches Ge⸗ ſpräch ſchloß ſich an, das wieder durch Bodenſtedts redſelige Gemeinplätze unerquick⸗ lich wurde und zuletzt ſich nach dem Kaukaſus verlor.
Um zehn brach der König auf, nachdem er mir noch freundliche Worte geſagt hatte; wir aber blieben noch bei einem einfachen Souper eine Stunde lang beifammen.
Die nächſten Sympoſien folgten einander in kurzen Zwiſchenräumen weniger Tage. Der König ſchien großes Gefallen daran zu finden und brachte inuner neue Fragen aufs Tapet, über die er zunächſt den gerade Gachverftändigften unter uns zu hören wünſchte. Doch verliefen die ſpäteren Abende nicht ganz wie die erſten. Mehr und mehr wurde es Brauch, daß in der erſten Stunde ein wiſſenſchaftliches Thema aus den verſchiedenſten Gebieten durchgeſprochen wurde, ein naturwiſſen⸗ ſchaftliches, wie über Parthenogeneſis (Siebold), Ebbe und Flut, Elektrizität oder die Entſtehung des Sonmmnenſyſteins (von Jolly, zuweilen mit Experimenten illu⸗ ſtriert), Chemie (Liebig), Mineralogie (Kobell), äſthetiſche und literarhiſtoriſche, dann vorwiegend ſoziale und völkerpſychologiſche Probleme. Hierauf erhob ſich der König
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und ging in das Billardzinuner voran, wo eine Partie Boule gefpielt wurde, während deren er einen oder den anderen in eine Fenſterniſche zog und mit ihm beſprach, was
im Augenblick ihn beſchäftigte, etwa über ſchwebende Beſetzungsfragen von Lehr—
ſtühlen an Univerfität und Polytechnikum Liebigs Meinung zu hören wünſchte oder über das Ausſchreiben eines Wettbewerbs um das beſte Drama mit Geibel ſich be— riet. War dies beendet, jo verfügte man ſich wieder an den langen Tiſch, und nun hatten die Dichter das Wort, die ſorgen mußten, daß immer etwas zum Vorleſen bereit war.
So verklang der Abend nach manchen oft ſtürmiſchen Debatten tönereich und harmoniſch, und man blieb, wenn die Majeſtät ſich zurückgezogen hatte, in heiterer Stimmung beifammen. Einmal war Liebig, der eine feine Weinzunge hatte, darauf gekommen, daß man uns Elfer zu trinken gab, und Baron Zoller erklärte, es fei noch ein großer Vorrat dieſes berühmten Jahrgangs im Keller, der allen anderen zu herb erſchien und von jetzt an nur den Sympoſiaſten gewidmet fein ſollte.
Was dieſen Abenden aber einen beſonderen Reiz und Wert verlieh, war die un⸗ bedingte Redefreiheit, die zuweilen ſogar in ſehr unhöfiſchem Maße an die Grenze des Zanks ſich verirrte. Hatte man in der Hitze des Gefechts dann vergeſſen, daß die Gegenwart des Königs doch einige Rückſicht erheiſchte, und hielt plötzlich inne mit einer Entſchuldigung, daß man ſich zu weit habe fortreißen laſſen, ſo bemerkte der König mit freundlichem Lächeln: „Ich bitte, ſich ja keinen Zwang anzutun. Ich
habe nichts lieber, als wenn die Geiſter aufeinanderplatzen.“ Für den Wahrheitstrieb
des Fürſten kann ich kein ſchlagenderes Beiſpiel anführen als jenes Sympoſion vom 221. April 1833, zu welchem alle bedeutenden Architekten Münchens geladen waren, un ſich über den Lieblingsgedanken des Königs, ob ein neuer Bauſtil zu ſchaffen ſei, freimitig zu äußern. Der Gedanke entſprach dem Wunſch, nicht ferner, wie König Ludwig getan, Bauwerke der verſchiedenſten Zeiten und Stile zu kopieren und ſich eigener Erfindung zu enthalten, ſondern es womöglich mit völlig neuen Formen zu verſuchen. Daß kein Fürſt der Welt eigenmächtig in die Entwicklung diefer jo emi- nent volkstiunlichen, aus notwendigen Kulturbedingungen hervorſprießenden Kunſt ein⸗ greifen könne, war dem Könige nicht aufgegangen. Er hoffte, durch ſeinen guten Willen und eine reiche Belohnung einem ſchöpferiſchen Genius auf einen neuen Weg verhelfen zu können. | | Nun gereichte es ebenſowohl ihm felbft wie den Männern, die er befragte, zur
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Ehre, daß nicht ein einziger darunter war, der dem königlichen Wahn zu ſchmeicheln ſuchte, vielmehr einer nach dem andern die Unmöglichkeit eines aus dem Boden ge⸗ ſtampften neuen Bauſtils nachwies. Der König hörte jeden mit geſpannter Auf⸗ merkſamkeit an, ohne eine Außerung der Ungeduld oder des Unmuts, und dankte ſchließlich dem ganzen Kreiſe für die Offenheit, mit der man ſich ausgeſprochen.
In der Sache freilich wurde dadurch nichts geändert. Der Bau der Maximilian⸗ ſtraße und des Maximilianeums wurde fortgeſetzt. Denn allerdings war König Max kein Mann der Tat, ſondern beſchaulicher Betrachtung, und manchmal kam die theoretiſche Erkenntnis zu ſpät, wenn ein praktiſcher Schritt nicht mehr zurückgetan werden konnte
In der erſten Hälfte des Jahres 1856 war das Intereſſe des Königs fo ſehr von verſchiedenen Fragen in Anſpruch genommen, daß vom 7. Januar bis zum 20. Juni nicht weniger als dreiundvierzig Sympoſien ſtattfanden. Die Themata waren mannigfaltig; hauptſächlich kamen die politiſchen Zeitſtrömungen, die Volks⸗ ſtinnnungen in Spanien, Italien, England und Amerika, die kirchlichen Zuſtände in Frankreich und Amerika zur Sprache, dazwiſchen eine Überficht über die moderne Geſchichtſchreibung, dann wieder Chemie und Phyſtologie. Als es dann tiefer in den Sommer hineinging, wurden die Sympoſtaſten nach Nymphenburg geladen, in die reizenden Rokokoſäle der Amalienburg und Badenburg, wo man, wenn man nicht gerade das Protokoll zu führen hatte, die Augen zu der offenen Flügeltür hinaus über den kleinen See ſchweifen laſſen und ſich an der een Sternennacht erquicken komte.
In ahnlich raſchem Tempo wurden die Sympoſien nie wieder abgehalten, doch dauerten fie, gewöhnlich einmal wöchentlich, bis an den Tod des Königs fort, nur während des italieniſchen Krieges von 1839 einen Monat lang unterbrochen, da der Bürgermeiſter dem König vorgeſtellt hatte, dieſer fortgeſetzte Verkehr mit den Fremden und Proteſtanten mache ihn unpopulär. Der ſonſt ſo mutige Fürſt, der aber „Frieden haben wollte mit feinem Volk“, gehorchte einer Anwandlung von Schwäche, da er die Gefahren der Welllage überſchätzte, und ließ auch andere Pläne und Bewilligungen an Gelehrte und Schriftſteller fallen, um ſie dann nach dem Friedensſchluß doch wieder aufzunehmen.
Er hatte auch ſonſt ſich bemüht, die Bevorzugung der Berufenen ſich von feinem Volke verzeihen zu laſſen, indem er einheimiſche Gelehrte hin und wieder zu den Sympoſien
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hinzuzog: den alten Ringseis, Laſaulx, Döllinger, Pettenkofer, Dollmann, Lamont, Voigt, Seidl, Schafhäutl, von Künſtlern gelegentlich Ziebland, Piloty, Kaulbach,
Ph. Foltz und andere. Zuweilen erſchien auch ein notabler durchreiſender Gaſt, fo
an einem der Nymphenburger Abende der Großherzog von Mecklenburg, früher ſchon Fürſt Pückler und Anderſen; am 31. März 1859 ein ganzer Kreis illuſtrer Gäſte zu Ehren der Säkularfeier der Akademie, darunter Helmholtz, Wöhler, Lep- ſius, Rudolf Wagner, Ehrenberg, Eiſenlohr, wo es mehrere Stunden lang hoch— gelehrt zuging, da Helmholtz über Klangfarbe, Wöhler über organiſche Elemente in Meteorſteinen, Lepſius über Pyramiden ſprach. Gegen ſeine Gewohnheit blieb dann der König auch beim Souper, dem, ſtatt unſeres herben Elfers, der Champagner einen feſtlichen Charakter gab.
In ähnlicher Weiſe wurden bei Gelegenheit der Gründung der hiſtoriſchen Kom⸗ miſſion die Hiſtoriker gefeiert. Sybel hatte ſchon ſeit feiner Berufung regelmäßig an den Symmpoſien teilgenommen. Nun erſchienen am 6. Oktober 1860 auch die frem⸗ den Größen im königlichen Schloß, voran des Königs hochverehrter Lehrer Leopold von Ranke, mit ihm Waitz, Pertz, Lappenberg, Hegel, Wegele und von den in München Anſäſſigen Cornelius und Föhringer. Außerdem waren Dönniges, Liebig, Dollmann, Löher und die Poeten geladen, und der Abend geſtaltete ſich zu einem heiteren Feſt, bei dem zuletzt Ranke einen Trinkſpruch ausbrachte. Zum Schluß rief er das echt bayeriſche Pfüet (Behüt') Gott!, das er als „Führ' Gott!“ verſtanden hatte, der neuen Gründung des Königs zu und mußte ſich von Dönniges ſeines Irr⸗ tums belehren laſſen.
Noch eines Gaſtes will ich hier gedenken, ehe ich den Bericht über dieſe denkwürdige Tafelrunde beſchließe.
Gegen Ende Februar des Jahres 1839 war Fontane nach München gekommen. Geibel hatte auch ihn für uns zu gewinnen geſucht, und auch Dönniges war lebhaft dafür geweſen. Ich hatte bei einem der Sympoſien (am 14. März) von ſeinen Balladen und „Männern und Helden“ vorgeleſen und großen Beifall auch beim König damit geerntet. Er gewährte dann unſerem Freunde am 19. März eine Au⸗ dienz und ließ ihn zu dem Sympoſion am 24. März laden. Hier las Fontane unter anderem dem amweſenden von der Tann das Gedicht vor, das er in der Zeit, da dieſer in Schleswig⸗Holſtein ſich die erſten Lorbeeren geholt, auf ihn gedichtet hatte (Hurrah, Hurrah! von der Tann iſt da). Seine Poeſie und feine Perſon erweckten
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die wärmſte Sympathie von allen Seiten. Weshalb es trotzdem zu einer Berufung nicht gekommen iſt — die übrigens dem eingefleifchten Märker auf die Länge ſchwer⸗ lich behagt haben würde —, vermag ich nicht zu fagen.
Der erwähnte Adjutant des Königs, Ludwig Freiherr von der Tann⸗Rathſamhauſen (1813-1881), hat ſi h im Kriege 1870/71 als Heerführer hervorgetan, die Siege bei Wörth und Beaumont erfochten und in der Schlacht bei Sedan entſcheidend mitgekämpft.
Von den zahlreichen hier namentlich genannten, ftändigen und gelegentlichen Sympoſiaſten find, ſoweit fie nicht ſchon früher erwähnt und ihr Lebensgang ſkizziert wurde, als für das Münchner Leben wichtig, zu nennen: Heinrich von Sybel (18171895). hervorragender Hiſtoriker, von Ranke an feiner Statt dem König empfohlen, ſeit 1856 Profeſſor an der Univerſität, 1858 Sekretär der Hiſtoriſchen Kommiſſion. 1861 ging er nach Bonn. — Karl Adolf Cornelius (1819 — 1903), Geſchichtsforſcher, feit 1856 Profeſſor in München, Mitglied der Hiſtoriſchen Kommiſſion.
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An der Würm. Radierung von C. A. Lebſchsée.
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Die Wiſſenſchaftliche Kommiſſion
H. W. Riehl hat in ſeinem Eſſaybuch „Kulturhiſtoriſche Charakterköpfe“ von König Mar II. eine Licht und Schatten gerecht verteilende Schilderung gegeben. Über die wiſſenſchaftlichen Abſichten und Pläne des Königs, wie fie auch außerhalb der Sympoſien in Erſcheinung traten, lieſt man dort:
Im Jahre 1856 gipfelte der enzyklopädiſche Wiſſenstrieb des Königs; er fättigte und überfättigte fich. |
Damals hatte er eine fogenannte „Wiſſenſchaftliche Kommiſſion“ aus Männern der verſchiedenſten Fächer berufen, die unter dem Vorſitz des Kultustiniſters Vor⸗ ſchläge zur univerſellſten Förderung der deutſchen Wiſſenſchaft machen, eingehende Geſuche prüfen, zugleich aber auch in feinem Namen die berühmteſten Gelehrten an allen Enden des deutſchen Vaterlandes zu ſelbſtändigen Vorſchlägen auffordern ſollte; denn der Blick des Königs war hier immer aufs große Ganze gewandt. Nun kamen, wie ſich erwarten läßt, Vorſchläge genug und übergenug, allein die wenigſten konnten berückſichtigt werden, und ſo erregte es draußen mancherlei Mißſtimmung, wenn Gelehrte wie Humboldt oder Jakob Grinun wiederholt mit der Bitte um Vorſchläge angegangen worden waren, ohne einen Erfolg dieſer Vorſchläge zu ſehen. Trotzdem hat die Kommiſſion und mit ihr mancher auswärts Befragte bei aller un⸗ dankbaren und peinlichen Arbeit viel Gutes gefördert und den ins Weite greifenden Plänen des Königs geſchäftliche Regelung gegeben. Sie charakteriſierte in ihrem Beſtand die enzyklopädiſche Periode. Später kam die „Hiſtoriſche Kommiſſion“, ein Inſtitut ganz andrer Art, nicht bloß beſtinunt, Vorſchläge zu machen und zu prüfen, ſondern, mit reichen eigenen Mitteln ausgeſtattet, auch eigene Arbeiten ſelbſtändig auszuführen. Sie bezeichnet den Sieg des gelehrten Spezialismus am Lebensabende des Königs.
Maßgebend war hierbei wohl der Einfluß Sybels und Rankes geweſen. Die „Wiſſenſchaftliche Kommiffion‘’ verſank und wurde vergeſſen; die „Hiſtoriſche Nom⸗ miſſion“ ſteht heute noch in voller Wirkenskraft und hat zum dauernden Ruhm des
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Königs weſentlich beigetragen. Die erſtere war aber doch feine eigenſte Schöpfung geweſen: die andre bewies, daß er ſich der beſſeren Einſicht ſeiner gelehrten Ratgeber nicht verſchloß.
Der Poeſie und der künſtleriſch geſtalteten wiſſenſchaftlichen Literatur huldigte König Max von Anbeginn und aus eigenem Triebe; zur Pflege der ſtrengen Ge⸗ lehrſamkeit hat er ſich, wie zu manchem andern, erſt allmählich ſelbſt bezwungen, auch hierbei mit dem Gange der Zeit Schritt haltend als ein raſtlos Lernender.
Bei der Stiftung des „Maximiliansordens“ (1853) hatte dem Könige der Ge⸗ danke vorgeſchwebt, daß deſſen Mitglieder, in eine wiſſenſchaftliche und künſtleriſche Klaſſe geteilt, doch zugleich eine Verſchmelzung von Kunſt und Wiſſenſchaft dar⸗ ſtellen ſollten. Er dachte ſich die Spitzen dieſer „Ritter vom Geiſte“ als Künſtler, die ſich nicht (mit vielleicht bewundernswürdiger Virtuoſität) in irgend ein enges Sondergebiet einſpinnen, ſondern voll und ganz im gebildeten Geiſte der Nation ſtehen, als Gelehrte, die nicht bloß begrenzt forſchende Fachmänner ſind, ſondern auch als Schriftſteller in die Nationalliteratur hinübergreifen. Es ſchwebten ihm dabei die Zeiten Schillers und Goethes, Kants und Schellings vor. Er ſprach dieſen Ge⸗ danken ſo oft und deutlich aus, daß ich glaubte, derſelbe müſſe auch irgendwie im Ordensſtatut angedeutet ſein. Allein bei ſpäterem Nachſehen fand ich dort nichts dergleichen.
Ich kehre aber zu jener enzyklopädiſchen Periode von 1886 zurück. Für unſere abendlichen Zuſanmnmnenkünfte wurde damals ein auf Monate hinausreichender Plan entworfen, deingemäß wir in Vorträgen und in freier Diskuſſion den gegemwärtigen Stand ſämtlicher Wiſſenſchaften, je nach unſern Fächern, darſtellen follten. Das brachte eine Revolution in den gewohnten Gang des Sympoſions. Der engere Kreis der Staummgäſte wurde erweitert, obgleich der König ſich allezeit ſchwer entſchloß, neuen Perſönlichkeiten nahe zu treten. Die Zuſammenkünfte mehrten ſich in raſcheſter Folge, um in den phantaſtiſchen Rokokoräumen der Luſtſchlößchen des Parks, an⸗ geſichts der prachtvollen Wieſen und Baumgruppen, die deutſche Wiſſenſchaft in Auszüge zu preſſen, während wir wohl lieber die Poefie der umgebenden deutſchen Landſchaft genoſſen hätten. Allein der König war unermüdlich; er betrachtete die raſche und ununterbrochene Durchführung jenes Planes als wichtige, ja notwendige Arbeit. Ich möchte ſtark bezweifeln, daß ihn unſere Überfichten fo ganz befriedigten, wie er's erwartet hatte; aber fruchtlos waren ſie darum doch nicht. Sie machten ihn
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empfänglich für den fpäteren Plan der „Geſchichte der Wiſſenſchaften in Deutſch— land“, wie fie von der „Hiſtoriſchen Kommiſſion“ herausgegeben wird; ja man kann jene Abende wohl die Einleitung zu dieſem großen Unternehinen nennen. Beoehaglicher wäre es dem Könige ſicher geweſen, feinen engeren Neigungen in Poeſie und Literatur nachzuhängen, und jene anſtrengende Rundſchau über alles Wiſſen war für ihn mehr ein Akt entſagender Arbeit als des Genuffes.
Allein er hielt es für Regentenpflicht, univerſell zu fein, ins Große und Ganze wirkend, jedem geiſtigen Bedürfnis ſeines Volkes gerecht.
Viele Fürſten gewannen dadurch Ruhm, daß fie in glanzvoller Kunſtpflege ledig⸗ lich ihrer beſondern Liebhaberei huldigten. Dagegen ſind Fürſten ſehr ſelten, welche über ihre Neigungen hinaus, ja denſelben entgegen, die Pflege großer Geſaumtgebiete mannigfacher Geiſtesarbeit zur Lebensaufgabe erkoren. Man könnte die erſten Mäzene aus Neigung nennen, die anderen Mäzene aus Grundſatz; wozu dann noch nebenbei auch die Mäzene aus Eitelkeit kommen. König Map zählte über⸗ wiegend zu den Mäzenen aus Grundſatz und doch zugleich auch aus Neigung.
Tee⸗Abende bei der Königin Marie
Paul Heyſe plaudert in feinen „Jugenderinnerungen und Bekemmniſſen“:
Neben den Sympoſien wurden Geibel und ich zuweilen zu den Teeabenden der Königin geladen, wo auch der König erſchien, da er gern häufiger etwas Poetiſches von uns vorleſen zu hören wünſchte.
Es war immer nur ein kleiner Kreis: außer der Oberſthofmeiſterin Frau von Pille⸗ mand — einer ganz verwitterten, kleinen, alten Dame, die Platens erſte und einzige Liebe geweſen fein ſollte — die ſchöne Gräfin Charlotte Fugger und Fräulein von Redwitz, die zweite, ebenfalls ſehr anmutige Hofdame, gewöhnlich von der Tann mit feiner Gemahlin, der Hofmarſchall Baron Zoller und eine ſehr geſcheite, un— verheiratete Dame, Fräulein von Küſter, Tochter eines früheren preußiſchen Geſandten in München, die der jungen Kronprinzeſſin nach ihrer Ankunft in München attachiert worden war, um die noch ſehr kindliche Bildung der reizenden jungen Frau ein wenig zu vervollkonunnen. (Sie hatte dabei gewiſſe fittliche Rückſichten zu nehmen, deren man
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fonft gegenüber jungen Frauen überhoben zu fein pflegt. So erzählte man, es fei ihr zur Pflicht gemacht worden, beim Vorleſen von Romanen und Novellen das Wort „Liebe“ ſtets durch „Freundſchaft“ zu erſetzen.)
Trotz alles Bemühens aber war es nicht gelungen, der Königin Intereſſe an Literatur und Poeſie einzuflößen. Ihr war nur wohl im leichteſten Geplauder und beſonders in der freien Luft des Gebirges, das ſie unermüdlich nach allen Richtungen zu durchſtreifen liebte. Auch am Theater fand ſie keinen Geſchmack und ſah, wenn fie doch einmal mit dem Könige in ihrer Proſzenünnsloge erſchien, lieber ins Publi⸗ kum als auf die Bühne.
Jene Tee⸗Abende, an denen geleſen wurde, erfreuten ſich daher nicht ihrer Gunſt; ſie fügte ſich eben nur dem Wunſche des Königs und pflegte während der Vor⸗ leſung in Photographie⸗Albums zu blättern. Zuweilen flüſterte fie dabei der neben ihr ſitzenden Dame ein Wort zu, einmal ſo laut, daß Geibel das Buch, aus dem er geleſen, auf den Tiſch legte und mit finfterem Stirnrunzeln verſuummte.
Der König, auf das peinlichſte berührt, warf feiner Gemahlin einen umwilligen Blick zu und lud dann Geibel mit einer huldvollen Handbewegung ein, fortzufahren.
Ich ſelbſt durfte mir einen ähnlichen Proteſt gegen einen Mangel an Reſpekt vor der Würde der Poeſte nicht erlauben, ſondern erhob nur die Stümme ein wenig ſtärker, wenn ich das Flüſtern vom Sopha her vernahm. Übrigens waren dieſe kleinen Geſellſchaften ſehr behaglich, der König gewöhnlich beſonders gütig, die Damen dankbar dafür, die allabendliche, ziemlich einförmige Konverſation einmal durch etwas Poetiſches unterbrochen zu ſehen.
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Die Krokodile
Waren die „Sympoſien“ von höfiſchen Rückſichten nicht frei und keineswegs geeignet, den „Berufenen“ und denen, die ſich zu ihnen bekannten, die Möglichkeit künſtleriſchen Auslebens zu geben, fo vermochten fie das umſomehr in der Dichter- geſellſchaft der „Krokodile“. Felir Dahn ſchreibt in feinen „Erinnerungen“ über dieſe wichtigſte Künſtlergeſellſchaft Alt-Münchens:
Die „Krokodile“! Wer waren dieſe vielbeſprochenen Ungetüme?
Es waren jene Dichter und Schriftſteller, welche damals meiſt aus Nicht⸗Bayern und Norddeutſchen, aber auch aus einigen Bayern und anderen Süddeutſchen Geibel um ſich geſchart hatte. Der Name, der mir nie recht geiſtvoll gewählt vorkam, war daraus entſtanden, daß ein willkürlich erſonnener, ſchöntöniger mit Recht vermieden und ein „erlebter ! angenommen werden ſollte, aus irgend einem Geſchehnis in unſerem Kreiſe. Ein ſolches aber ließ auf ſich warten. Da fiel es einmal bei einer folchen Zu— ſammenkunft Geibel ein, daß er wie Hermann Lingg das Krokodil in Gedichten ver- berrlicht hatte, und dieſes Zuſammentreffen unſerer beiden älteſten Häupter mußte nun genügen, uns den Namen abzugeben. Ich fand das ein wenig froſtig und gezwungen, wie überhaupt die Art des Humors in unſerem Verband mir am wenigſten behagte: ich war an den ſüddeutſchen Humor und Witz von Scheffel, Steub, Kobell, Schleich, Kaſpar Braun, Ille gewöhnt.
Die übrigen Krokodile, nach Geibel, waren mim der von dieſem erſt „entdeckte“, unvergleichliche Hermann Lingg, der geniale Dichter der „Völkerwanderung“. Es iſt bezeichnend — und tief beſchämend! — für die damaligen literariſchen Zuſtände an der far, daß wirklich erſt ein Mann aus Lübeck kommen mußte, um einen der aller- erſten deutſchen Lyriker, zumal lyriſchen Epiker, dazu zu verhelfen, gedruckt und ge- kannt zu werden. Dies Verdienſt iſt Geibel nicht hoch genug anzurechnen. Darm Paul Heyſe, Bodenſtedt⸗Mirza Schaffy, der immer freundliche. Ferner Moritz Carriere, deſſen milde, wohlwollende Art ſich redlich bemühte, enva im Bunde mit feinem Freunde Melchior Meyr, die Schroffheit des Gegenſatzes zu den Eingeborenen zu mildern,
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auch Zwiſte, die unter den Krokodilen felbft nicht eben ſelten ausbrachen, zu ſchlichten.
An Carriere reihe ich den ihm ſo nahe ſtehenden Melchior Meyr, dieſen präch⸗ tigen Schwaben aus dem Ries, mit allen guten Eigenſchaften und Vorzügen feines Stammes: mit der ſtarken Neigung zu der ein bischen myſtiſch angehauchten Spe⸗ kulation, die ein wenig mehr pantheiftifch als die Lehre Carrieres, aber doch theiſtiſch ſein wollte, mit ſeinem tiefen, verhaltenen Gemüt, mit dem trockenen Humor. Gemüt, Humor und liebevollſte Verſenkung in Land und Leute machen ſeine „Geſchichten aus dem Ries“ zu wahren Perlen, mit denen feine ein wenig hausbackenen Dramen („Agnes Bernauer“ und „Karl der Kühne“) ſich ſo wenig vergleichen mochten, wie ſein po⸗ litiſcher Roman „Vier Deutſche“. Der Vortreffliche, es ging ihm ſchlecht oder doch knapp ſein ganzes arbeitsreiches Leben hindurch, und doch ward er nicht verbittert und nicht neidiſch auf — oft unverdiente — Erfolge gewandterer Wettbewerber. Uns verknüpfte am innigſten der gemeinſame Zug der Philoſophie.
Der dritte Philoſoph im Bunde war Adolf Zeiſing, der Entdecker des Schönheits⸗ geſetzes vom goldnen Schnitt, wonach im menſchlichen Leib, in den griechiſchen Sta⸗ men und an anderen Erſcheinungen das unſeren Sinnen Wohlgefälligſte ein Ver⸗ hältnis ſei, in welchem der kleinere Teil zum größeren ſich verhalte wie der größere zum Ganzen (alſo z. B. 2: 4: 8). Dieſes Geſetz, übrigens ſchon früher angedeutet, wird ja neuerdings ſcharf angefochten. Sein Entdecker verſtand es aber ſinnig zu verteidigen und durch viele Beiſpiele zu erläutern; er war einer der wenigen, die aufgenommen wurden, obgleich ſie Verſe gar nicht oder nur zum Scherze machten, wie Zeiſing in ſolchen mit liebenswürdiger Selbſtironie ſein eigen Geſetz belächelte; es war belehrſam und anregend, mit dem Klugen zu ſtreiten.
Andere nicht dichtende Krokodile waren von Lützow, der Kunſthiſtoriker, ſpäter Profeſſor in Wien, und der Freiherr Robert von Hornſtein, ebenfalls ein echter, höchſt liebenswürdiger Alamanne, der eine hervorragende Gabe beſaß, das für das einzelne Stück bezeichnendſt Dichteriſche in ſeinen melodiſchen Weiſen darzuſtellen; ich, ohne muſikaliſche Bildung, vermag das nicht geſchickter zu ſagen. Seine Technik ward zuweilen angeſtritten, aber ich muß fagen: treffender als er hat kein Muſiker, was ich in meinen Balladen und Romanzen dichteriſch zum Ausdruck bringen wollte, muſikaliſch zum Ausdruck gebracht, ſo in ſeinen Kompoſttionen meiner Gedichte: Geſang der Legionen, Tejas Todesgeſang, Klagelieder der Mauren vor Granada, Lied des Kreuzfahrers, Lied Robin Hoods, Romanze von Richard Löwenherz und anderer mehr.
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Eingeführt war Hornſtein worden durch feinen Stammesgenoſſen Wilhelm Hertz,
der mir unter allen Krokodilen — Scheffel tauchte nur ein- oder zweimal in dem
heiligen Teich auf — im Herzen und in der Dichtungsweiſe, in der zugleich auf Yor-
ſchung und Poeſie gerichteten Neigung (und auch in manchen Abneigungen) am
nächſten ſtand. Wir wurden aus fröhlichen Geſellen ernſte, treue Freunde fürs Leben.
Seine viel zu wenig gekannte Dichtung „Lancelot und Ginevra“ (ich glaube, fie iſt
auch noch in erſter Auflage zu haben) iſt das Allerſchönſte, was ich in dieſer Art von
poetiſcher Erzählung kenne. Manch guten Trunk und manch guten alamanniſch⸗baju⸗ wariſchen Scherz haben wir geteilt.
Auch der wahrhaft goldtreue Julius Groſſe ward mir gar lieb; als Generalſekretär unſerer Schillerſtiftung bewährt er eine Gewiſſenhaftigkeit, Pflichttreue, Einſicht und Herzensgüte, von der jene Leute keine Vorſtellung haben, welche ihn und uns Vor⸗ ſtandsmitglieder deshalb ſchmähen, weil wir nicht allen helfen können, die es zu ver- dienen meinten und oft auch wirklich verdienen oder doch dringend brauchen können. Groſſe hatte viele Jahre eine dornige Aufgabe: in der Münchener „Bayeriſchen Zeitung“ die Neuigkeiten der Bühne, auch der Literatur und der Malerei zu be⸗ ſprechen — unfehlbar war auch er nicht, aber unbeſtechlich und uneinſchüchterlich und grundehrlich. Auch dieſer echte Dichter hat — vielleicht auch, weil er die Reklame nicht wie andere verſteht — im Leben viel weniger Lorbeer und Gold geerntet, als er verdient.
Eine ſtille, in ſich gekehrte, ſinnige Natur war Dr. Lichtenſtein, lange Zeit Lehrer der Literaturgeſchichte an dem Aſcherſchen Mädcheninſtitut. Donnerwetter! Das war ein großer Schweiger, trotz Moltke. An den allermeiſten Abenden tat er den Mund nicht auf. Gegen ihn war der ſtille Lingg ein Schwätzer! Sprach er einmal — alle lauſchten dann, als ob eine Schildkröte plötzlich die Gabe der Rede gewonnen — ſo waren's kurze, epigrammatiſche, ſcharf zugeſpitzte und ſicher gezielte Worte: ſeine „Sprüche“ ſind ſpärlich, aber trefflich.
Ferner iſt zu nennen Bernhard Hofmann, mein Schulkamerad vom Gymmaſium her: bei nicht eben mächtig ſprudelnder Ader zeichnete ſeine Dichtung ſich durch muſter⸗ hafte, fein geglättete Form aus: „Du Platenide!“ donnerte ihn einmal Heinrich Leut⸗ hold an — als ob das ein Scheltwort wäre.
Heinrich Leuthold, der Schweizer! Viel wäre über ihn zu ſagen. Jedenfalls war er ſelbſt ein eifriger, erfolggekrönter Schüler Platens, wie Rückerts und Geibels. Leuthold war ein ganz hervorragender Lyriker und ein Formtalent allererſten Ranges,
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wie, außer feinen eigenen Gedichten, feine mit Geibel zuſammen unternommenen Über- tragungen aus dem Franzöſiſchen aufs glänzendſte dartun. Leider gelangte er nie dazu, neben der Lyrik ſeine Kraft einmal an einer größeren — epiſchen oder drama⸗ tiſchen — Aufgabe zuſammengefaßt zu erproben: Bruchſtücke feines epifchen Gedichtes Pentheſilea, welche er mir vorlas, enthalten unvergleichliche Schönheiten. Viel Kraft und Zeit nahm ihm die Sorge für den täglichen Lebensunterhalt in Anſpruch; er war lange Leiter der „Süddeutſchen Zeitung“ in München, welche unter Karl Bra⸗ ter mutig und ſcharf den Gedanken der „Gothaer Partei“, des Nationaloereins, vertrat. Vieles in ſeiner Art ſtand ſo weit von der meinen ab, wie etwa ſeine hünen⸗ hafte Landsknechtsgeſtalt von meiner Leiblichkeit. Auch war der Mißtrauiſche unſchön gegen mich eingenommen worden, ſodaß es anfangs an ſcharfen Zuſammenſtößen zwiſchen uns nicht fehlte. Aber in der Folge ſah er ſeinen Irrtum ein, erklärte mir das mit ergreifender Offenheit und Wärme, und wir wurden min gam gute Kame⸗ raden. Gar oft hab' ich ihm, fehlte es ihm für ſein Feuilleton an Stoff, in aller Ge⸗ ſchwindigkeit eine Beſprechung irgend eines Buches geſchrieben; Beſſeres von mir ſparte er dann wohl pour la bonne bouche, wie er ſagte. Schon damals traten nicht ſelten Anzeichen der Krankheit auf, die ſpäter dieſen reichen, kraftvollen Geiſt umnachten follte, auch in plötzlichen Wutausbrüchen ohne greifbaren Anlaß. In nach⸗ mitternächtiger Stunde, bei einem unſerer Stiftungsfeſte, gelang es mir einmal nur mit alleräußerſter Anſtrengung, den Rieſenſtarken, dem der Schaum des Zorns auf dem Munde ſtand, von einem ungleich ſchwächeren Gegner los zu machen, der ſich vergebens mit einem Tiſchmeſſer gegen ihn wehrte, und dem die Erdroſſelung recht nahe ſtand. Selbſtverſtändlich wurden dem Armen ſolche und ähnliche Dinge arg ver⸗ dacht; ich will nicht behaupten, daß ich an Wahnſinn dachte, aber höchſt unheimlich war mir der ſchon damals ſtiere Blick ſeines Auges. Ich habe (ſpäter) nur Wahn⸗ ſinnige fo blicken ſehen. „O welch ein reicher Geiſt ward hier zerrüttet!“
Bei dieſer Aufzählung drängt ſich mir auf — zum erſten Mal — wie ſtark doch auch in dieſem Kreiſe von Künſtlern wieder der Alamannenſtamm vertreten war: Lingg, Scheffel, Meyr, Hertz, Leuthold, Hornſtein: unter 18 Krokodilen ſechs, welche ſchwäbiſch ſprachen! Die Alamannen ſind der für Krieg und Frieden, für Staatsleitung, für Philoſophie und Dichtung begabteſte deutſche Stamm, ſie haben uns Schiller, Uhland, Hölderlin, Hegel und Schelling, David Strauß und Bauer, aber auch die Hohenzollern wie die Hohenſtaufen gegeben.
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Nur als Gäſte führte ich einige Male ein Max Beilhack und Max Haus⸗ hofer; dieſer ward nach meinem Abgang von München Mitglied.
Dagegen früh ward Mitglied Hans Hopfen. Der flotte Studio, Frankone, ent⸗ faltete plötzlich eine ganz hervorragende lyriſche Begabung; ſeine lyriſchen Gedichte zählen nach Formgefühl und Inhalt mit zu dem Schönſten, das ich kenne. Sie haben Ahnlichkeit mit denen von Karl von Heigel und ſtehen hoch über Allem, was der Verfaſſer an Erzählungen und Schauſpielen veröffentlicht hat. Übrigens hat er, ein eifriger Durchforſcher der franzöſiſchen Romane der Neuzeit, das Verdienſt, längſt vor Zola und längſt bevor in Deutſchland das neue Licht des „Realismus“ und deſſen höchſte Verklärung im „Naturalismus“ emporſtieg, pariſeriſch, real, und naturaliſtiſch und „freilichterlich“ geſchrieben zu haben, und ohne Zweifel verdankt er der hierbei erlernten und vielfach bewährten Kunſt ſeine lebhaften Erfolge. Daß mir die Ausſchreitungen dieſer Richtung bis zur Ekelerregung zuwider find, ſchließt meine Anerkennung der Berechtigung dieſer Richtung an ſich keineswegs aus, und ich kann alſo — trotz meiner ſtark entgegengeſetzten Meigungen — hier ein wirkliches Verdienſt Hopfens anerkennen, das noch zu wenig gewürdigt iſt.
Im übrigen ſchmerzt mich ein nicht von mir verſchuldeter Mißklang zwiſchen uns. Ich glaubte, wir ſeien, wenn nicht geradezu Freunde, doch recht gute Kame⸗ raden: ich hatte an meinen Anfängen in München ſo warme Freude! Auch ſpäter kamen wir gedeihſam und fröhlich zuſammen aus, zumal feine erſte Gemahlin eine freundliche Gönnerin von mir und gute Geſellin meiner Frau ward.
Die Krokodile kamen früh am Abend zuſammen, am längſten in einem Kaffee auf dem Marienplatz unter „den finſtern Bögen“ und blieben nicht gar lang: dies, urſprünglich wohl auch aus Rückſicht auf den leidenden Zuſtand Geibels eingeführt, war äußerſt erſprießlich. Geibel oder Heyſe führten den Vorſitz: es ging übrigens alles ziemlich formlos her, ſehr verſchieden von dem Verfahren im Tunnel unter der Spree. Wer etwas zum Vorleſen mitgebracht hatte, las vor: darauf entſpann ſich eine beurteilende Verhandlung über das Gehörte, welche aber, gerade weil ſie nicht, wie weiland im Tummel, ſtreng gegliedert war, bei weitem nicht fo belehrend ausfiel wie dort und wie von einer Verſammlung fo berufener Gachverftändiger zu erwarten geweſen wäre. Das große Wort führte Geibel — und zwar ſehr von Rechts⸗ wegen —, denn dieſer Lyriker hatte ein ganz vortreffliches, raſch den Kern der Sache treffendes Urteil. Ich habe von Geibel mehr gelernt, als von allen anderen zuſam⸗
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men: allerdings aber nicht im „heiligen Teich“ — da ging es ein wenig zu tumul⸗
tariſch her für erſchöpfende, methodiſche Durchſprechung ſchwieriger Fragen, wohl aber auf den ſtundemweiten Spaziergängen, auf welchen ich den Leidenden, dem ſolche Bewegung vorgeſchrieben war, begleiten durfte.
Hermann von Lingg (1820 — 1906) ſtammt aus Lindau im Bodenſee, war urſprünglich Arzt. Nach der Mitteilung einiger ſoll Pettenkofer ſein „Entdecker“ geweſen ſein, dieſe Anſchauung hat ſich auch Knapp in ſeinem „Hoch auf München“ (ſiehe Seite 3) zu eigen gemacht; Robert von Hornſtein nennt in ſeinen „Memoiren“ den Archivbeamten Fernbacher den Entdecker Linggs. Dieſer ift, nach Hornſteins Darſtellung, mit einem Stoß Linggſcher Gedichte eines Tages zu Geibel gegangen, zum Glück kamen dieſem bei der flüchtigen Durchſicht gerade die ſchönſten Lieder vor Augen, und er veranlaßte Cotta, die Gedichte, denen er eine enthuſiaſtiſche Einleitung mitgab, in Verlag zu nehmen. Außerdem ſtellte Geibel dem König Max vor, er könne der königlichen Gnade nicht froh werden, wenn er ſehe, wie das genialſte Landeskind darbe. Daraufhin wurde Lingg ein lebenslängliches Gehalt von 600 Gulden ausgeſetzt. Linggs berühmte Kroko⸗ dilromanze lautet ſo:
Im heilgen Teich zu Singapur Es iſt ganz alt und völlig blind,
Da liegt ein altes Krokodil Und wenn es einmal friert des Nachts, Von äußerſt grämlicher Natur So weint es wie ein kleines Kind,
Und kaut an einem Lotosſtil. Doch wenn ein ſchöner Tag iſt, lacht's!
Felix Dahn (1834 — 1912), Profeſſor der Rechtsgeſchichte, zuletzt in Breslau, der Verfaſſer der Reihe hiſtoriſcher Romane „Kampf um Rom“, iſt in feiner Frühzeit, die ihn zu den Krokodilen führte, ohne daß er indeſſen mit deren Führern an Bedeutung und Geltung wetteifern konnte, mit manchem hübſchen Ge⸗ dicht hervorgetreten.
Robert Freiherr von Hornftein (1833 — 1890), ein ausgezeichneter Liederkomponiſt, Freund Schopen⸗ hauers und Wagners berichtet gleichfalls in feinen „Memoiren“ von den „Geiſteslichtern unter den fin⸗ ſtern Bögen“ bei Darburger. Er erzählt manches Boshafte. So, daß Melchior Meyr jedesmal, wenn Geibel und Heyſe die Geſellſchaft verlaſſen hätten, in den Ruf ausgebrochen ſei: „Der Hof iſt fort.“ Dann ſei es eigentlich immer erſt richtig losgegangen. „Die jungen Unſterblichkeitskandidaten ſuchten ihren noch mangelnden Ruhm durch Bier zu erſetzen. Oft ging es noch bis tief in die Nacht hinein, meiſt in einem anderen Lokal. Bierkenner wie Hopfen und Leuthold brachten irgendeines mit gutem Stoff in Vorſchlag.“
Wilhelm Hertz (1835 190), Peofeſſor der Literaturgeſchichte am Münchner Polytechnikum (feit 1869), ſeit 1858 in München und der Dichterrunde angehörig, hat außer durch ſeine prachtvollen, formvollendeten Überſetzungen auch durch eigene Gedichte von tiefſter Empfindung ſich hervorgetan.
Heinrich Leuthold (1827 1879), der im Wahnſinn endete, vertrat in dieſem Kreiſe das Grabbeſche Element Er war ein Lyriker, deſſen Gedichten Gottfried Keller, der ſie 1879 herausgab, „ihre durchgehende Schönheit und Vollendung“ nachrühmte. Leuthold war fo etwas wie ein Münchner „Original“, feine bacchiſchen Exzeſſe waren ſtadtbekannt.
Max Haushofer (1840 — 1907). Volkswirt und Schriftſteller, ein gebürtiger Münchner, ſeit 1868 Profeſſor der Nationalökonomie am Münchner Polytechnikum, trat mit ſeinen erſten Gedichten im Jahre 1864 hervor. ö
Hans Hopfen (1835 190%), gleichfalls ein Münchner, von Geibel „entdeckt“, ſtellte ſich in dem von Geibel im Jahre 1862 herausgegebenen „Münchner Dichterbuch“ mit Liedern und Balladen vor. Horn⸗ ſtein erzählt, Hopfen habe damals ſeine Abende zumeiſt im Hofbräuhaus zugebracht. Zwiſchen Rettich⸗ ſchwänzen und Maßkrügen neben den ärgſten Kaffern ſitzend, habe er bei ſpärlichſter Lampenbeleuchtung ſich in die Welt Balzacs verſenkt.
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Im Goldenen Hahn
Von einer anderen Dichterrunde, die meiſt aus Cinheimifchen, zum Teil fogar aus Amateuren beſtand, aber manchen Wackeren darunter, erzählt Julius Groſſe:
Gegenüber dem Polizeigebäude in der Weinſtraße lag ein mim längſt verſchwun⸗ denes Gaſthaus „Zum goldenen Hahn“. Dort im entlegenen großen Hinterzimmer des Hofes tagte oder nächtigte eine ehrfame Zunft. Vorſitzender war ein hochgewachſener Herr von militäriſcher Haltung, der frühere Oberleutnant Medikus, jetzt Groß⸗ induſtrieller als Papierfabrikant in der Au, neben ihm allerlei Originale: der kleine Pangkofer, eine Art zweiter geſtiefelter Kater von unergründlicher Myſtik, der Blumenfabrikant Billing, eine Art bürgerlicher Tiberius Gracchus, der hochgelehrte Profeſſor Goßmann, Vater der berühmten Schauſpielerin, der brandrote Rabbinats⸗ kandidat Zirndorffer, der ſchockweiſe Sonette produzierte, Hermann Schmid, da⸗ mals nur berühmt als Dramatiker, Auguſt Becker, deſſen großes Epos bereits voll⸗ endet und erwartet wurde, — er ſelbſt war im erſten Jahre abweſend — endlich eine ſtattliche militäriſche Phalanx von ſchöngeiſtigen Offizieren: Heinrich Reder, Karl Rottmann, von Muſſinan, von Hutten, Woldemar Neumann, G. Betzel u. a.
Es war damals eine merkwürdige Übergangszeit aus dem deluge zu neuem Weltmorgen, aus Zufammenbruch und Negation zur Aufraffung und Erſtarkung. Die alte Romantik war tot; die Märzpoeſie mitſamt den Achtundoierzigern war untergepflügt; die Neuromantik erhob ihr Haupt in Redwitz, Roquette und Bodenſtedt. Im Norden ſchloſſen ſich ihnen an Putlitz und Rodenberg, am Rhein Kinkel im „Otto der Schütz“ Scheffel im „Trompeter von Säckingen“, Wolfgang Müller und andere.
Auch hier in München ſprudelte derſelbe Quell, wenn auch auf breiterer, hifto- riſcher Grundlage, um in der Freude an altdeutſcher Tüchtigkeit das wunde Gemüt des deutſchen Volkes wieder aufzurichten. Dieſe Vertiefung in ſich ſelbſt nahm man⸗ nigfache Formen an; mit Vorliebe griff man zur epiſchen als dem eigentlichen Aus⸗ druck der Ruhe. Das deutſche Epos hing gleichſam in der Luft, wie etwas Unerreich⸗ bares, wie eine Konkurrenzaufgabe, die allen geſtellt war. Hermann Schmid ſuchte
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fie im „Winlandsfahrer“ zu geftalten, eine deutſche Odyſſee im fünfzehnten Jahr⸗ hundert, ein prächtiges Rundgemälde in wechſelnden Formen. Auguſt Becker gab in ſeinem „Jungfriedel“ ein Zeitbild des ſechzehnten Jahrhunderts von viel echterem Ton und blendenderer Farbe, als jemals nachher die Baumbach und Wolff. Es war Münchner Lyrik und Lichtmalerei im Schwindſchen Stil, leider nur zu ernſt genommen in der Nixenromantik, die ja doch nur dekorative Illuſion und Symbolik war. Heinrich Reder arbeitete damals ſchon an feinem „Wilden Jäger“; Neumann ſchuf ein Lied vom Spielmann Volker; der alte Grötſch verſtieg ſich noch weiter rückwärts zu den Agilolfingern, während Lingg in der Verborgenheit an der „Völker⸗ wanderung“ ſchmiedete und Wilhelm Jordan den neuen Weltmorgen im „Demiur⸗ gos“ heraufzubeſchwören wähnte.
Neben jenen größeren Pfadſuchern wirkten hier in der Meiſterſängerzunft eine Schar kleinerer in derſelben Richtung. Ich kann ſagen, jene Abende im Goldenen Hahn führten mich wie mit einem Zauberſtabe zur Literatur zurück. Fand auch der Idealiſt von Halle noch keine anerkannten Führer zum Gipfel, jo entſchädigte doch ſüddeutſcher Humor und bajuwariſche Lebensfreude. Die meiſten jenes Kreifes find mir als Freunde näher getreten und es lebenslang geblieben. Damals ſchloſſen ſich mir zunächſt an Pangkofer, der wunderliche Myſtiker, der mir oft ſchon morgens ſeine phantaſtiſch tiefſinnigen Träume erzählte, dann der verbitterte Hermann Rott⸗ mann, Sohn des berühmten Landſchaftsmalers, damals noch Leutnant, deſſen Spe⸗ zialität die verzwickteſten Ghaſelen waren; Neumann, der weiche Tannhäuſer mit dem tiefen Bruſtton; vor allem Franz Trautmann, der ſich in der verfehlten moder⸗ nen Zeit ſelber vorkam wie ein ausgegrabener Möuch des vierzehnten Jahrhunderts. Er hatte bereits ſein köſtliches Volksbuch „Herzog Chriſtoph der Kämpfer“ vollendet und begann ſeine prächtigen Münchener Stadtgeſchichten.
Von den hier genannten Dichtern ſind folgende als weſentlich und über ihre Zeit hinaus wirkend hervorzuheben: Hermann Schmid (1850 1880), damals Aſſeſſor am Stadtgericht. Autor zahlreicher vaterländiſcher, beſonders in der Bergwelt ſpielender Romane, Verfaſſer huͤbſcher Bauernſtücke, die fpäter in dem von ihm geleiteten Volkstheater am Gärtnerplatz viel geſpielt wurden. — Auguſt Becker (1828 bis 1891) ſchrieb außer „Jung⸗Friedel“ als Hauptwerk „Des Rabby Vermächtnis“. — Heinrich von Reder (1824 1909) ftarb als Generalmajor und Militär - Mar ofefs- Ordensritter in München. Als Dichter Maler und Muſiker dilettierend, fand er ſtarke, eigene lyriſche Töne und war noch in der modernen litera⸗ riſchen Bewegung der neunziger Jahre tätig. — Franz Trautmann (1813-1887), der Alt⸗Münchner Novelliſt und Stadtgeſchichtenerzähler, der auch in dieſem Buche wiederholt zu Wort kam (Alt⸗Münchner Originale — Die Humpenburg).
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Eine nicht allzu ſtark vordringende Note des Münchner Schrifttums der Marimilian-Zeit bildete die Preſſe. Julius Groſſe hat in feinen „Urſachen und Wirkungen“ der Münchner Preſſe, die bis in die ſechziger Jahre hinein rein lokalen Charakter trug und beſonders hinter Augsburgs Preſſe in beträchtlichem Abſtand marſchierte, folgende Charakteriſtik gewidmet:
Während in allen anderen Großſtädten Deutſchlands, in Wien und Berlin voran, ſich ſeit dem Jahre 1848 die Preſſe mit wahrhaft vulkaniſcher Energie zu einer Großmacht entwickelt hatte und von Tag zu Tag unauſhaltſam wuchs, war Mün⸗ chen inzwiſchen auf dieſem Gebiet der Kultur ganz erheblich zurückgeblieben. Nicht als ob es in der Hauptſtadt des drittgrößten Staates Deutſchlands an Zeitungen fehlte. Es waren über ein Dutzend kleiner Blätter vorhanden, aber keines galt als das tonangebende, herrſchende, wenn man nicht ſagen will, daß dieſe führende Rolle der „Allgemeinen Zeitung“ in Augsburg zufiel. So war es aber in der Tat. Dieſes vornehme, im vorigen Jahrhundert unter den Auſpizien Schillers gegründete Welt⸗ blatt war damals noch — ich rede vom Anfang der fünfziger Jahre — allen anderen deutſchen Zeitungen in Süd und Nord an Reichhaltigkeit, Gediegenheit und An⸗ ſehen weit voraus. Im Ausland repräſentierte die „Allgemeine Zeitung“ Deutſchland als Kulturmachtz in politiſcher Beziehung großdeutſch liberal, eigentlich mehr farblos univerſal — wie die weiße Farbe alle anderen einſchließt — ſtand fie in der wiſſenſchaft⸗ lichen Beilage geradezu unerreicht da. Die geiſtreichſten Korreſpondenten in allen Haupt⸗ ſtädten Europas, die ſchneidigſten Wortführer ganz Deutſchlands auf allen Gebieten
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der Wiſſenſchaft und Kunſt bildeten ihre Phalanx, und wenn fpeziell von München aus ein Liebig oder Laſaulx, ein Fallmerayer oder Steub ſeine Stimme erhob, ſo war das immer ein Ereignis und ein Feſt. Überhaupt gehörte die „Allgemeine Zei⸗ tung“ in München zum täglichen Brot jedes Gebildeten und iſt es noch lange Jahre geblieben
Neben dieſer ſtolzen und allbeherrſchenden „Allgemeinen Zeitung“ kam die Mün⸗ chener Lokalpreſſe eigentlich kaum in Betracht. Ihr Einfluß, wie ihre Geltung, teilte fich nach den beiden mächtigften Parteien: der ultramontanen und der libe⸗ ralen. Dieſe ultramontane Heeresmacht war uns als Norddeutſchen und Proteſtanten damals ein fremdartiges, ſchier luſtiges Spektakulumm, wobei niemand ſelbſt die tollſten Sprünge ernſt nahm, obgleich fie der Fremde damit entſchieden unterſchätzte. Dieſelben Leute, die den „Volksboten“ wegen ſeiner Frechheit und ſeines Fanatismus verlachten und zu verachten ſchienen, hatten doch ihre heimliche Freude daran. Man liebt den Verrat, aber man haßt den Verräter, und doch wäre Haß ein viel zu ſcharfes Wort für den Herrn Zander, der, urſprünglich ein Mecklenburger Jude, ſich hier zum Wortführer der Ultramontanen aufgeſchwungen hatte. Man gönnte ihm die Ehre, gefürchtet zu ſein, um ſo williger, weil ſeine Grobheit dem bayeriſchen Geſchmack als volkstümlich erſchien, obgleich dieſer norddeutſche Pfeffer doch lediglich ein Kunſtprodukt war, das ſpäter von Sigls naturwüchſig bayeriſchem Bierbankton ſofort überholt worden iſt. Zanders Volksboten zur Seite ſtand als Adjutant der „Bayeriſche Courier“, redigiert von Peter Rothlauf, und weiter als Referve die „Augsburger Poſtzeitung“, beide Blätter weit anſtändiger als der Volksbote, aber eben deshalb weit weniger gefürchtet. Dieſes Trifolium hat trotz des ſehr mäßigen Anſehens ihrer Blätter dennoch lange Dezennien in Bayern geherrſcht, hat Mini⸗ ſterien geſtürzt und erhoben und iſt heute (1896) auch in den Nachfolgern noch ein Faktor geblieben, mit dem ſelbſt der Deutſche Reichstag erheblich zu rechnen hat.
Jener ſchwarzen Trinität gegenüber ſtand eine Dreiheit liberaler Richtung: die „Augsburger Abendzeitung“, der,, Freie Landesbote“ und die „Neueſten Nachrichten“. Dieſe letztere Zeitung, heute und ſeit Jahren eine ſtegreiche Großmacht, war damals nur ein kleines, winziges Annoncenblättchen, das von Knorr und Schurich im Jahre 1848 gegründet worden war, ein mageres Sanmnelſurium von Depeſchen und Lokal⸗ notizen, im redaktionellen Teil ein Herold des hauptſtädtiſchen Liberalismus, in Streit⸗ fragen von hitziger Wichtigtuerei, im ganzen eine Art Straßenecke, die weithin durch
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Plakate und Reklame wirkt, aber als Zeitung ſich kaum über kleinſtädtiſchen Dilet⸗ tantismus erhob.
Zwiſchen dieſen beiden Polen nummelte ſich noch eine Anzahl kleiner, kaum nennens⸗ werter Lokalblätter, während als Münchener Spezialität ſchon damals allerhand Witzblätter florierten und vegetierten wie die „Stadtfraubas“ u. a., allen voran die weltberühmten, unübertroffenen „Fliegenden Blätter“, daneben als Münchener Kladderadatſch Schleichs „Punſch“, ein gern geleſenes, meiſt höchſt griuunig ſich gebärdendes Blättchen, von blauweißem Größemwahn. Martin Schleich, der ſich fpäter als ſehr glücklicher und fruchtbarer Luſtſpieldichter entwickelte, lebte damals noch ausſchließlich von verbiſſenſtem Preußenhaß. Und wenn die Purzelbäume dieſes libe⸗ ralen Clowns auch meiſt über die Schlagbäume der Reaktion voltigierten, fo zog er oft genug an demſelben Strang wie der ultramontane „Volksbote“, und zwar ſehr zur Erbauung aller echten Bajuvaren,
Neben dieſer in aller Kürze ſkizzierten Phalanx der Lokalpreſſe exiſtierte nun noch eine farbloſe, halb oder drittel offizielle Zeitung, äußerlich von vornehmem Gepräge. Ihre beiden Redakteure mußten persona grata der Regierung ſein, die ſich bei be⸗ ſonderen Anläſſen dieſes Organs bediente; im übrigen war die Zeitung ohne direkte Korreſpondenzen, mit Hilfe von Ausſchnitten möglichſt billig hergeſtellt und deshalb ebenſo langrveilig und leer, wie die meiſten offiziellen Zeitungen, trotzdem aber wegen ihrer amtlichen Inſerate von verhältnismäßig weiteſter Verbreitung über das ganze Königreich.
Dieſe Zeitung alſo war auserſehen, nun das Hauptquartier der neuen literariſchen Aera zu werden. Wilhelm Heinrich Riehl, bisher nur Mitarbeiter der „Allgemeinen Zeitung“ in Augsburg, ward zum Profeſſor ſeiner neugeſchaffenen Wiſſenſchaft, der Kulturgeſchichte, ernannt und ſollte als ſolcher die politiſche Redaktion des Hof⸗ blattes leiten, obgleich er ſelbſt kein Bayer war. Hier war von Anfang an ein gewiſſer innerer Widerſpruch vorhanden, der ſich ſehr bald geltend machen ſollte. In Bayern lag die hiſtoriſche Schichtung der Parteien ganz weſentlich anders, als ſonſt in Deutſch⸗ land. Wirkten im Bürgertum wie im Volke immer noch die großen Erinnerungen an den deutſchen Krieg vor zweihundert Jahren fort, dann an die doppelte franzöſi⸗ ſche Zeit unter Max Emanuel, wie ſpäter zur Zeit Napoleons, fo war von ultra⸗ montaner Seite, ſpeziell noch durch die Jeſuiten, ſeit mehr als Jahrhunderten ein intenfiver Haß gegen den Proteſtantismus großgezogen worden, der ſich auch jetzt
Ein Jahrhundert München 16
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noch in verſteckter Furcht vor Preußen wie als blinde Liebe zu Oſterreich zeigte, von wo man alles Heil der Zukunft erwartete.
Des Königs Vorliebe für norddeutſche Art und Weiſe fand deshalb von Anfang an bei feinem eigenen Volke zwar Entſtellung und Widerwillen, gleichwohl ließ die loyale Königstreue ſeiner Bayern ihn gewähren, um ſo mehr, da man wußte, daß in politiſcher Beziehung der König gleichfalls von Mißtrauen gegen Preußen er⸗ füllt war. Zu dieſen Widerſprüchen, wie zu anderem halb Unerklärlichen zählte die Antipathie der Münchener gegen alle Nichtbayern, obſchon doch die Urgeſund⸗ heit des Volkes in ſozialer Gleichheit aller Stände ohne Vorwiegen des Adels oder ſonſtigen Kaſtengeiſtes, gleichfam in republikaniſchem Leben und Lebenlaſſen jede Daſeinsart gelten ließ und läßt. Nicht zu vergeffen ift, daß damals, im Jahre 1855, die politiſche Reaktion noch auf unbeſtrittener Höhe ſtand.
Das hier erwähnte offizielle Organ, zu deſſen Leitung H. W. Riehl am 1. Januar 1854 beſtellt wurde, war die Neue Münchner Zeitung. — Martin Schleich (1727 1881), der Herausgeber des „Punſch“, iſt der Verfaſſer des heute noch zuweilen geſpielten, luſtigen Faſchingsſchwankes „Die letzte Hexe von München“. — Johann Sigl (1839— 1902), Reichstagsabgeordneter, der gefürchtete Preußen: und Juden⸗ freſſer, gab das „Bayeriſche Vaterland“ heraus.
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Das Müuchner Bürgertum
Anders ließ ſich Leben und Geſelligkeit in den bürgerlichen Kreiſen an. Paul Heyſe ſchreibt darüber in feinen „Jugenderinnerungen und Bekenntniſſen“:
In München fand ich gerade das, was mir bisher gefehlt hatte: eine ſehr un⸗ literariſche Geſellſchaft, die ſich um mein Tun und Treiben wenig oder gar nicht bekümmunerte, am wenigſten mich durch Urteilen verwirren konnte. Man ſprach damals ſelbſt in den gebildeten Münchener Kreiſen niemals von Literatur, höchſtens vom Theater. Dafür empfing mich eine unfreundlich, wo nicht feindſelig geſinnte Schar einheimiſcher Kollegen, deren Verhalten gegen den Freindling ſeinen Charakter ſtählte und ihn dazu trieb, ſtets ſein Beſtes zu geben. Wichtiger noch war, daß der Groß⸗ ſtädter, der bisher nur in den Häuſern guter Freunde heimiſch geweſen war, ſich hier zum erſten Male auf einen breiten, derben Volksboden geſtellt fand, auf dem ſich ein eigenwüchſiger, nicht immmer löblicher, aber kraftvoller und vielfach poetischer
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Menſchenſchlag bewegte, nicht von fern mit dem zu vergleichen, den man in Berlin „Pöbel“ nannte. Von dieſem ſich fernzuhalten, war wohlgetan geweſen, zumal man von der Literaturfähigkeit des Berliner Jargons, die heutzutage ſo eifrig angeſtrebt wird, damals noch keine Ahnung hatte. Eine Berührung aber mit dem altbayeriſchen Stamm, der feine eigenen Volkslieder und volkstümlichen Poeten beſaß, konnte dem Norddeutſchen nur heilſam ſein und ſeine dichteriſchen Nerven erfriſchen. Zudem galt es hier für mich, da geſellſchaftliche Lorbeeren nicht zu erringen waren, über die näch⸗ ſten Grenzen hinaus vor dem deutſchen Volke zu beweiſen, daß ich nicht von Königs⸗ gnaden allein zu den „Berufenen“ zählte.
München war im Jahre 1854 eine Stadt von wenig über 130 000 Eimvohnern, Schon im Sommer 1842 auf der Reife mit meinem Vater und dem Petersburger Onkel über Dresden, Prag, Wien, Graz und Iſchl war ich auch nach München gekommen, wo wir König Ludwigs große künſtleriſche Unternehmungen zum Teil noch im Werden fanden. |
Noch hatten wir nur erft das Modell der Bavaria in der hohen Bretterhütte auf der Thereſiemwieſe beſtaunt, waren in der Baſtlika auf den Gerüſten herum⸗ geklettert, auf denen Heß und Schraudolph ihre Fresken malten, und in der Ludwigs⸗ kirche legte Meiſter Cornelius die letzte Hand an ſein großes Jüngſtes Gericht. Jetzt, zwölf Jahre ſpäter, fand ich die ſchöne Kunſtſtadt an der Iſar in vollem Glanz. Das Siegestor und die noch unvollendeten Propyläen begrenzten damals im Norden und Weſten, das Hoftheater im Süden die Stadt, die erſt durch König Max bis an den ſchönen, ſtarken Strom fortgeführt wurde, während nach Oſten hin die Straßen ſich ohne Abſchluß bald ins freie Feld verliefen und die Vorſtädte Au, Gieſing, Haidhauſen und Schwabing ſich's noch nicht träumen ließen, daß ſie der⸗ maleinſt in den Ring der Stadt einbezogen werden ſollten. Es lag damals auch noch eine Menge großer Gärten zwiſchen den Häuſermaſſen verſtreut, wenn auch der jetzt ſo luſtig grünende Dultplatz noch eine dürre Wüſte war, da man zu gewiſſen Zeiten dort die Budenſtadt hinpflanzte. Den Berliner aber, der dieſe in fröhlichem Auf⸗ ſchwung begriffene, lachende Stadt betrat, heimelte fie im Vergleich zu den endloſen Straßenzügen und ſchwerfälligen Paläſten ſeiner Vaterſtadt faſt mit ländlichem Reize an, während doch wieder die vielen Kirchen und die drei großen Muſeen dem Ganzen ein vornehmes Gepräge gaben und die maleriſchen, altertümlichen Stadtteile daran erinnerten, eine wie lauge, merkwürdige Geſchichte dies Iſar⸗Athen zu erzählen hatte.
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Nicht minder fand fich der Morddeutſche, zumal wenn ihm das muntere Blut des „fahrenden Schülers“ noch in den Adern floß, durch die ungebundenen Sitten und den farbigen, volkstümlichen Zuſchnitt des Lebens angezogen, wenn er auch manches Lieb⸗ gewohnte vermißte. So gab es zum Beiſpiel keine eigentliche Geſelligkeit, kein unein⸗ geladenes Eintreten bei Freunden, ſehr ſelten eine Hausfreundſchaft, wie ich fie von meinem Elternhauſe, der Kuglerſchen und anderen Berliner Familien her gewöhnt war.
Die Männer gingen allabendlich in ihr gewohntes Bierhaus; die Frauen ſaßen in ſehr zwangloſer Toilette zu Hauſe und empfingen höchſtens eine Freundin — gele⸗ gentlich wohl auch einen „Freund“, den das Negligee nicht abſchreckte. Wenn ein Gaſt von fern zugereiſt kam, beſtellte ihn fein Münchener Gaſtfreund auf den Abend ins Wirthaus, oder wenn er ihn zu feinem Tiſche einlud, kam die Magd herein, zu fragen, was der Herr zu Nacht zu ſpeiſen wünſche. Das wurde dann nebſt dem trefflichen Abendtrunk aus dem nächſten Wirtshaus „über die Gaſſe“ geholt. Ich erinnere mich ſogar, daß Kobell uns einmal ausnahmsweise zum Abend einlud, ein Drama mit anzuhören, das ein ihm empfohlener junger Poet der Familie vorleſen wollte. Als wir alle verſanunelt waren, trat der Hausherr herein, begrüßte uns freundlich und ſagte: „Nun, unterhalten Sie ſich gut! Ich muß in meine Geſellſchaft.“
Wir konmten, als die Lektüre begann, freilich begreifen, daß er es vorgezogen hatte, in fein „Alt⸗England“ zu gehen. Aber von den ortsüblichen Bräuchen der Gaſtlichkeit hatten wir doch einen ſeltſamen Begriff bekommen.
Deſto liebenswürdiger erſchien uns hier im Süden gegenüber der ſtrengen Son⸗ derung der Stände, die in der Heimat herrſchte, der freiere Verkehr der verſchiedenen Geſellſchaftsklaſſen untereinander an öffentlichen Orten, der ſchon an Italien erinnerte. Zwar konnte es in München nicht vorkommen, wie ich es in Rom erlebt hatte, daß ein Bettler im Café von Tiſch zu Tiſch ging und, nachdem er ſo viel geſammelt hatte, um ſeinen Kaffee zu bezahlen, ſich ohne Verlegenheit unter die Gäſte ſetzte, um vom Kellner wie jeder andere bedient zu werden. Aber die demokratiſierende Macht des Bieres hatte doch eine Annäherung bewirkt. Der geringſte Arbeiter war ſich bewußt, daß der hochgeborene Fürſt und Graf keinen beſſeren Trunk ſich verſchaffen könnte als er; die Gleichheit vor dem Nationalgetränk milderte den Druck der ſozialen Gegenſãtze. Und wenn im Frühling noch der Bock dazu kam, konnte man in manchem Wirts garten eine fo gemiſchte Geſellſchaft zwanglos beiſammmen finden, wie fie in Berlin nirgends anzutreffen war.
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Sei mir gegrüßt, du Held im Schaumgelock, Streitbarer Männer Sieger, edler Bock!
Nicht graues Zwielicht dampfdurchwölkter Schenken, Den Mittag liebſt du und der Gärten Friſche.
Hier finden ſich auf brüderlichen Bänken
Hoch und Gering in traulichem Gemiſche:
Den Knechten nah, die ſeine Pferde lenken,
Der Staatenlenker vom Miniſtertiſche;
Pedell, Profeſſor, Famulus, Student —
Du ſpülſt himweg die Schranke, die fie trennt.
Es wird von jenem Trevi⸗Quell berichtet, Daraus man ew'ges Heimweh trinkt nach Rom, Sehnſucht, die unermüdlich denkt und dichtet, Nur einmal noch zu ſchau'n Sankt Peters Dom. So hat auf München nie ein Herz verzichtet, Das je hinabgetaucht in deinen Strom.
So raſche Wurzeln hier geſchlagen hätt' ich
Nie ohne dich und deinen Freund, den Rettich.
. . . Das gewann mich ſofort für meine neuen Landsleute, daß fie, fo ſehr fie Rang und Stand zu ſchätzen wußten, ſich durch die Nähe eines Höherſtehenden nicht ein⸗ ſchüchtern oder im behaglichen Lebensgenuß ſtören ließen. Freilich hatte das alte München auch noch keine breite Arbeiterbevölkerung. Noch herrſchte unter einem ſtrengen Zunftzwang die Handwerksarbeit im Kleinen vor; es fehlte faſt gänzlich an Fabriken und jeder Art von Großinduſtrie, wie denn auch hier vor zo Jahren diejenigen gezählt werden konnten, die nach heutigen Begriffen für reich gegolten hätten. Dafür gab es auch durchaus keine Maſſenarmut, die in großen Städten dem Menſchenfreunde das Herz beklenunt. Bettler waren genug vorhanden, an den Kirchenpforten wie in den Häuſern. Aber fie waren ſämtlich mit ihrem Loſe zu⸗ frieden, da in wohltätigen Vereinen und durch das obligate Almoſenſpenden frommer
Seelen dafür geſorgt wurde, daß fie ſich in ihrem Stande wie in einer auskömm⸗ | lichen Sinekure wohl fühlen konnten. Der gewerbetreibende Bürgerſtand vollends
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genoß eines fo reichlichen Lebens⸗ und Nahrungszuſchnitts, wie er in dem ſparſamen und nüchternen Norden unerhört war. Zweimal, auch wohl dreimal am Tage Fleiſch eſſen, erſchien nur als etwas, das der gute Bürger als ſein Recht in Anſpruch nehmen konnte. Dafür arbeitete er nicht mehr als nötig war, um das nahrhafte, vergnügliche Leben fortzuſetzen, und wurde durch ſtrenge Zunftgeſetze gegen betriebſamere Konkurrenten geſchützt. Aufs genaueſte — für den Uneingeweihten oft unberſtändlich — war vorgeſchrieben, was jeder Handwerker oder Händler an⸗ fertigen oder verkaufen durfte. War dann ein ehrſamer Meiſter, der ſelbſt nicht höher hinausgewollt hatte, zu einigem Wohlſtand gediehen, ſo ließ er den Sohn, wenn er ihn nicht der Kirche widmete, wohl auch ſtudieren, obwohl er, wie ein be⸗ kannter Großbrauer, der Meinung war: „Studieren hält auf!“ Es war eben noch die gute alte, patriarchaliſche Zeit, deren Sitten und Unſitten im Gegenſatz zu der ſtark ſich aufſchwingenden norddeutſchen Induſtrie einen „gemütlich!“ anheimelnden Charakter trug, ohne daß darum das eigentliche Gemütsleben wärmer und nach⸗ haltiger geweſen wäre als in dem für kaltherzig verſchrieenen Berlin
Die großen Schöpfungen König Ludwigs hatten alte und junge Künſtler jeder Art nach München gezogen. Hier fanden ſie außer großen, weitreichenden Aufgaben auch alle Mittel zu ihrer Durchführung, vor allem unter den Mädchen aus den niederen Klaſſen, die ſich durch eine kräftige, raſſemäßige Schönheit und friſche Anmut auszeichneten, Modelle genug, während es in Berlin einem ehrbaren Dienſt⸗ mädchen als eine Beleidigung erſchienen wäre, einem Maler dieſen Dienſt erweisen zu ſollen. Daß dies Vorwiegen der Künſtlerſchaft dazu beitrug, die Unbefangenheit im Verkehr der Geſchlechter überhaupt zu ſteigern, liegt auf der Hand. König Ludwig ſelbſt hatte ſich ein „gemaltes Serail“ angelegt, nicht blos als ein platoniſcher Ver⸗ ehrer der Schönheit. Und fo ging ein Hauch von fröhlicher, warmer Sinnlichkeit durch alle Schichten der Geſellſchaft, ein wenig phäakenhaft, doch nicht in unfrucht⸗ bares „ſüßes Nichtstun“ ausartend, da eben auf dem Boden, wo Leben und Leben⸗ laſſen der Wahlſpruch der geſamten Bevölkerung war, jene großen künſtleriſchen Taten geſchahen, denen das heutige München feinen Rang als erſte deutſche Kunſt⸗ ſtadt verdanken ſollte.
Damals freilich ging noch ein ganz anderer Geiſt durch die Münchener Künſtler⸗ ſchaft. Wie alle ſich hatten beſcheiden müſſen, bei den Aufträgen des Königs mehr auf die Ehre als auf reichen Lohn zu ſehen, ſo war auch von einem Kunſtmarkt
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wie heutzutage noch keine Rede. Freilich auch nicht von einer fo übermäßigen Kon⸗ kurrenz, an der ſeit Jahrzehnten auch noch die inuner wachſende Zahl der „Mal⸗ weibchen“ in beängſtigender Weiſe teilninunt. Die Künſtler waren keiner fieber⸗ haften Bilderproduktion befliſſen, ſondern manche, die mehr Verſtand als Glück hatten, ergaben ſich ſogar zeitweiſe einem behaglichen Müßiggang, weil es ihnen „ſo billiger kam“. Wo es aber galt, öffentliche Feſte zu verherrlichen, war jeder bereit, ſeine Dienſte anzubieten, ohne ſich für den Zeitverluſt entſchädigen zu laſſen. Die Frühlingsfeſte an den reizenden, waldigen Iſarufern bei Pullach, Grünwald, Schwaneck, die alles, was an Schönheit, Jugend und Humor in den gebildeteren Kreiſen der Stadt vorhanden war, in buntem Gemiſch hinauslockten, erſchienen, von dem fröhlichen Treiben jo vieler maleriſcher Geſtalten belebt, dem norddeutſchen Gaſt wie ein lebendig gewordenes Bild aus einem Märchen.
Dieſe Jugendzeit der Münchener Kunſt iſt längſt dahin. Eine Periode ernſter, ruhiger Arbeit iſt ihr gefolgt, deren Führer und Meiſter nur noch bei ſeltenen Ge⸗ legenheiten ſich um eine öffentliche Luſtbarkeit der Stadt mithelfend verdient machen. Zeit iſt Geld geworden, und auch die bildenden Künſte haben ſich dem Induſtria⸗ listinis anbequetmnen müſſen, der ſeit dem franzöſiſchen Kriege alle Lebensgebiete be⸗ herrſcht. Viel Schönes iſt trotzdem zur Erſcheinung gekommen. Wein aber die da⸗ maligen Anfänge in der Erinnerung fortleben, dem klingen wohl die Verſe im Ohr:
Schöner war die trübe Schwüle als die helle Kühle jetzt. Jene frühen Vollgefühle, kennſt du was, das fie erfegt?
* NUR
KUHN
Im Lerchengarfen
Hermann Lingg ſchreibt in feiner Selbſtbiographie „Meine Lebensfahrt“ über einen kleinbürgerlichen Zirkel der fünfziger Jahre:
Im „Krokodil“, fo ſehr anregend und förderlich es auch war, ging es mir manch- mal zu gemeſſen her, und die äſthetiſchen Anſchauungen erſchienen mir oft pedantiſch.
Ich pflegte nebenbei noch einen Klub in einem kleinen Wirtshauſe an der Nymphen⸗ burgerſtraße mit Genoſſen, wo es ungezwungener zuging. Es waren das genial an⸗ gelegte Leute mit viel Kenmniſſen, die es aber zu nichts gebracht hatten oder wenigſtens nicht fo weit, als es ihren Fähigkeiten und ihrem Wiſſen entfprochen hätte. Der älteſte derſelben, auch der ärmſte, war Eiſenbahnbeamter geweſen; weil er aber alles beſſer wiſſen wollte als feine Vorgeſetzten, wurde er entlaſſen. Er verſtand ſich auf alles und konnte alles; er reparierte die Uhren im Hauſe, beſorgte die Reinſchrift von Manufkripten, fpielte hübſch Klavier, war Mitarbeiter eines Konverfationslerikons und dabei ſo arm, daß er oft kein Logis hatte und ſeine Wohnung im Wald bei Großheſſelohe nahm, wo er ſich unter einer Tanne ein Loch in den Schnee grub und darin übernachtete. Sein Mittag⸗ und Abendeſſen teilte er mit ſeinen Freunden, oder er gewann es im Tarock. Er war beinahe regelmäßig unſer Tiſchgenoſſe, dabei war er von underwüſtlicher Geſundheit, gutem Humor und grundehrlich. Er beſaß Ver⸗ ſtändnis für Poeſie, mehr als mancher Literarhiſtoriker und ſchrieb ſelbſt auch ganz hübſche Gelegenheitsgedichte. Er iſt eines Tages verſchwunden, und man hat nichts mehr von ihm gehört. Ein anderer dieſer Freunde war ein geſchickter Architekt, ein dritter, der am beſten ſituierte, war ein mittelloſer Rechtspraktikant, berühmt durch feine Schweigſamkeit und Virtuoſttät, Geſichter zu ſchneiden und Karikaturen zu zeichnen; vorzüglich gelang ihm die Maske des Mephiſto. Mit dieſen guten Freunden verlebte ich manch vergnügte Stunde im Lerchengarten; ſo hieß unſere Kneipe. Unſere Ge⸗ ſellſchaft blieb übrigens ifoliert und ſchloß ſich keinem der Münchner Vereine an, die ſich in feindlicher Haltung gegen die „Fremden“, beſonders auch gegen die Mit⸗ glieder des „Krokodils“, erwieſen.
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Die Münchner Kunſt in den fünfziger Jahren
Julius Groſſe ſchreibt in ſeinem Buche „Urſachen und Wirkungen“ über die Münchner Malerſchule in nachludowicianiſcher Zeit:
Die Münchner Kunſt ſtand mit dem Beginn der fünfziger Jahre bereits aum Vorabend einer entſcheidenden Revolution, eines unaufhaltſamen Umfturzes zugunſten des Realismus. Schon war Piloty am Werke, ſeinen epochemachenden Seni zu malen und damit die Grundfeſten der Münchner idealen Romantik zu erſchüttern. Aber noch war die Macht und das Anſehen Kaulbachs auf Jahre hinaus unge⸗ brochen. Auch ſeine weiteren Schöpfungen für Berlin: die Kreuzzüge, das Zeitalter der Reformation, vor allem Salamis, wirkten wie großartige Altarblätter der Menſch⸗ heitsgeſchichte, ungerechnet dabei feine damals beginnende Shakeſpeare- und Goethe⸗ Galerie, deren Photographien in Millionen von Exemplaren die Welt überfluteten. Dazu Moritz von Schwinds entzückende Märchenromantik, ſein Dornröschen, ſein Aſchenbrödel, ſein Märchen von den ſieben Raben und ſein Schwanengeſang: die Meluſine — in allen erkannte das deutſche Volksgetmüt fich felber wieder. Ich nenne hier manches im voraus, was erſt in ſpätere Jahre fällt, aber wenn hier auch kein Raum zu einem kunſthiſtoriſchen Exkurſe, iſt doch wenigſtens das Profil der Mün⸗ chener Kunſt anzudeuten. Die glänzende Phalanx, welche ſich um die Häupter der Neuromantik ſcharte, die Schraudolph und Ramberg, Foltz und Neureuther, Hiltensperger und Thierſch gaben der Münchner Kunſt ihr eigentiunliches Gepräge. Noch immer ſtand ſie als ſiegende Großmacht, noch ein Jahrzehnt hindurch, bis die herangewachſene realiſtiſche Schule Pilotys auf den Plan trat und zur führenden wurde.
Aber dieſer Entwicklungsprozeß und Kampf war ein ſehr langſamer und keines⸗ wegs ſo durchſichtiger, wie er heute nach langen Jahren erſcheint. Freilich ſchon damals mochten Piloty und mit ihm feine zahlreichen Stimmmführer in der Preſſe den Kopf ſchütteln. „Wollt ihr Maler ſein, ſo müßt ihr vor allen Dingen erſt malen lernen, wie man es in Paris und in den Niederlanden verſteht“, und mit dieſem Feldgeſchrei war die Parole der nächſten Zukunft gegeben.
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Trotz alledem ift und bleibt die Einwirkung jener Trias: Cornelius, Kaulbach und Schwind auf die gleichzeitige Literatur eine unüberſehbare. Der gewaltige Umſchwung, der ſeit dem Niedergang der Jungdeitſchen in der literariſchen Meuromantik hervor⸗ trat, alles Beſte, was ſeit Scheffel, Jordan, Hamerling, einſchließlich der Münchner Schule bis herab zu Baumbach, Wolff und den Butzenſcheibenpoeten geleiſtet worden, iſt auf die Germaniſten in der Wiſſenſchaft und auf die Germaniſten in der Kunſt, auf Schwind und Richter, Cornelius und Kaulbach zurückzuführen. Mit anderen Worten: die viel befeindete Münchner Malerſchule hat ſich erwieſenermaßen nicht eigentlich fruchtbar in der Malerei erwieſen, wohl aber umnermeßlich befruchtend in der zeitgenöſſiſchen Literatur, eine Wechſelwirkung in den Kulturfaktoren, die ſich ſpäter in gleicher Stärke in der Abhängigkeit der Naturaliſten und Pleinairiſten vom allein⸗ ſeligmachenden Dogma des Photographieapparates nachweiſen läßt.
Man ſollte nun glauben, daß jene imponierende Höhe der Münchner Kunſt eine gleiche Blüte der Einrichtungen auf der Akademie involviert habe, allein hier klafften die ſchreiendſten Widerſprüche.
Die Eindrücke, die ich als geweſener Student empfing, waren anfangs befremdend, dann aber abſchreckend und vollendeten gleich in den erſten Wochen meine gründliche Euttäuſchung. Nicht als ob den Lehrkräften ein ernſthafter Vorwurf zu machen wäre. Mochten auch Nebenfächer wie Anatomie, Kunſtgeſchichte und Perspektive nur dilettantiſchen oder invaliden Kräften anvertraut fein, fo war die Leitung des Antikenſaals in guten Händen. Der treffliche Hiltensperger dominierte im erſten, beim zweiten herrſchte abwechſelnde Beteiligung aller. Schwind, Schraudolph, Schlotthauer, Foltz, Heß und Anſchütz, wie Thäter und Widmann korrigierten abwechſelnd. In der Malklaſſe dagegen galt nur die Tradition der Vergangenheit; die modernſte Kunſt hatte überhaupt noch keinen Vertreter. Jeder Schüler konnte ſich nach eigener Willkür feinen Meiſter wählen, und genügte ihm keiner, mm fo mochte er beizeiten nach Paris, Antwerpen oder Rom gehen, wie ja auch Studenten die alma mater wechſeln. Dieſe Lücke war alſo nicht befremdend und wurde auch vorläufig nicht ſo empfunden.
Moritz von Schwind (1804-1877), geborener Wiener, war von 18281839. dann wieder feit 1841 in München und Profeſſor an der Akademie. In München entſtanden ſeine ſchönſten und reifſten Bilder, außer den von Groſſe hier genannten auch die prächtigen ſogenannten „Reiſebilder“ für den Grafen Schack, die in deſſen hinterlaſſener Galerie vereinigt ſind.
Carl von Piloty (1826 1888), der Führer der realiſtiſchen Richtung der Münchner Malerei, Profeſſor und fpäter Direktor der Akademie, Oberhaupt einer zahlreichen glänzenden Schülerſchar.
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Kaulbachs Fresken an der Neuen Pinakothek
Emilie Ringseis berichtet in den „Erinnerungen“ über den Eindruck, den Kaulbachs Fresken an der Neuen Pinakothek auf gewiſſe Münchner Kreiſe machten. Sie läßt ihren Vater folgendermaßen ſprechen:
„Heut' iſt mir König Ludwig begegnet, der ſagte mir: „Nicht wahr, Ringseis, — Kaulbach, abſcheulich — nicht wie wir, nicht wie wir! — Ich weiß nicht, was er gemeint hat.“ Ein Freund gab Auskunft: An der Neuen Pinakothek ſeien die Fresken der Außenwände enthüllt, und unter anderen Karikaturen zeigten dieſelben auch jene von Ringseis. Es ſind dies die Fresken, über welche Julius Schnorr von Carolsfeld geäußert hat: „So und ſo viele Millionen hat König Ludwig es ſich koſten laſſen, eine Kunſtära zu ſchaffen, und dann ſetzte er noch etliche 30 000 Gulden darauf, damit dieſelbe verhöhnt werde.“ Wie es Kaulbach gelungen, bei Vorlegung der Entwürfe den König ſo zu gewinnen, daß derſelbe den Schalk nicht gemerkt oder ihn harmlos gefunden, bleibt ein Rätſel, mit deſſen äußerer Bedeutung allerdings Zeit und Witterung ſchnell aufgeräumt haben. — Sei dem wie ihm wolle, Familie
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Ringseis ſetzte ſich eines ſchönen Tages in Bewegung nach der Neuen Pinakothek und ſah auf demjenigen Bilde, welches die Huldigung der Zeitgenoſſen für den König darſtellen ſollte, denſelben umgeben von Männern, deren einige in die Ara feines
Nachfolgers gehörten oder ſonſtige Bedenken gegen ihr Hierſtehn erregten. Im
Hintergrund ragte aus der Volkstmenge, den Hut auf dem Kopf (!), ein in einem Buche leſendes Geſpenſt empor, das Ringseis vorſtellen ſollte. Die Bleiſtiftzeichnung dazu von Kaulbachs Hand iſt ſpäter der Familie durch einen Kunſt⸗ und Antiqui⸗ tätenhändler zum Kauf angetragen worden; aus hiſtoriſchem Intereſſe hätte dieſelbe vielleicht fie erwerben ſollen, aber ſie iſt von jo ermpörender Widerwärtigkeit, daß gar nicht daran gedacht wurde, auch nur um den Preis zu fragen. Ringseis ſelber, als er die Freske beſchaut hatte, lachte gleichmütig und fand ſich mit Overbeck, Heinrich Heß und anderen in zu guter Geſellſchaft verhöhnt, als daß es ihm hätte zu Herzen gehen jollen. Aber feine Friederike nahm die Sache nicht fo gelaſſen hin; es wurmte fie, daß der König ſolch eine monumentale Verunglimpfung feines „Muckerl“ zugegeben hatte. „Zu hören muß Seine Majeſtät es kriegen“, das ſchwur ſie; aber dem hart⸗ hörigen Fürſten beizukommen ohne mitanhörende Zeugen war ſchwer. Da geſchah es im Mai 1856 eines Tages, daß fie, mit ihrer jüngſten Tochter gehend, dem König an menſchenleerer Stelle beim Obelisk begegnete. Nach Gewohnheit hielt er ſie an, redete dies und jenes und frug, wie ſchon öfter getan, ob ſie das Bild von Catel kenne, das er in ſeinem Wittelsbacher Palaſt verwahre. „Ja freilich kenn' ich es, Ew. Majeſtät“, erwiderte Friederike, „und freue mich, fo oft ich es ſehe; das iſt was anderes, als die abſcheuliche Karikatur, welche Kaulbach von Ringseis an die Wand gemalt hat“. — „Wieſo? Wo? Wann?“ frug Seine Majeſtät, mit den Augen blinzelnd. — „Da draußen an der Meuen Pinakothek.“ — „Aber Ringseis iſt ja kein Künſtler, wie gehört er dorthin?“ — „Als ein häßliches Geſpenſt ſteigt er auf im Hintergrund,“ — der gute König wand ſich hin und her, dann ſich zur Tochter kehrend: „Sie hätten Ihre Mutter in der Jugend ſehen ſollen, wie ſchön ſie war!“ — „Und um den Thron Eurer Majeſtät,“ fuhr, ohne ſich irre und kirre machen zu laſſen, Friederike fort, „ſind Mämmer verſammelt, welche im Jahre 1848 dort nicht zu finden waren!. — „Und wie ſchön fie Komödie gefpielt hat“, warf der hohe Herr verſoͤhnungsdurſtig dazwiſchen, aber — unerbittlich wie das Schickſal: „Es hat Ringseis“ (ſollte heißen Friederike) „recht geſchmerzt und uns alle mit ihm“. Mit huldovollem Kopfnicken wurde fie entlaſſen, und hochbefriedigt kehrte Friederike
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heim, der übrigen Familie das Erlebnis zu berichten. Der begleitenden Tochter aber tat trotz dem Ergötzen an der originellen Szene das Herz doch weh, weil gerade zu jener Zeit der hohe Herr ſich feines alten Dieners fo treu und eifrig angenommen hatte. „Der König“ heißt es in einem Brief, „fängt gewiß nicht ſo bald wieder an über Catels Bild“. Als bald darauf Graf Karl Seinsheim zu Beſuch erſchien und ihm die Sache lächelnd, aber auch unter Erwähnung jenes Bedauerns erzählt wurde, da meinte derſelbe: „Das ſchadet nichts, der König wird es Ihnen auch nicht nachtragen, weil er fühlt, daß er Unrecht hat“. Und ſieh, bei der nächſten Straßen⸗ begegnung fing in rührender Güte der König, als wäre nichts vorgefallen, wieder vom Catelſchen Bild zu ſprechen an, und Friederike beeilte ſich, ihr Wohlgefallen daran ſo harmlos auszudrücken, als wäre niemals die Rede geweſen von einer Kaulbachſchen Karikatur. Doch hatte Seine Majeſtät die Sache ſich gemerkt; denn wo in einem Saale der Pinakothek bei den kleinen farbigen Entwürfen zu jenen Fresken auch die mit Nunnnern und Namen verſehenen Umrißblätter für die Köpfe ſich befinden, traf bald nachher ein Beſuchender den Mamen Ringseis verklebt; natürlich währte es nicht lang, ſo hatte ein andrer Beſucher das verklebende Blättchen wieder abgeriſſen.
* Karl Zettel urteilt in feinen „Monacenſta“ über die Fresken folgendermaßen:
Großer Kunſt⸗ und Schelmenmeiſter, Aber Zeus, der Regenſpender,
Welche teufeliſchen Geiſter Helios, der Strahlenſender,
Führten Pinſel dir und Hand, Und der Winde Iofe Schar
Als du an der öden Wand Zürnten ſchon im erſten Jahr
Jenes langen Bilderſchreines Deines Pinſels bunten Witzen, Hier ein derbes, dort ein feines Deines Spottes farb' gen Blitzen,
Späßchen und Satirchen malteſt Tilgten erſt die Arabesken
Und mit heißer Münze zahlteſt, Später faſt die ganzen Fresken. —
Hat ein Gegner dir gegrollt Schließt man aus der Götter Grimm,
Oder Ehre nicht gezollt! Warſt du ihnen, ſcheint's, zu fchlimm.
König Ludwig I. überlebte ſeinen Sohn und Nachfolger Max II.; er ſtarb am 29. Februar 1868 in Nizza. Auch nach feiner Abdankung ſtellte er fein wahrhaft königliches Kunſtmäzenat nicht ein. Insge- ſamt wandte er für die von ihm ſeinem Volk gewidmeten Kunſtſchöpfungen aus privaten Mitteln rund 20 Millionen Mark auf.
Das Bild von Franz Ludwig Catel, von dem des öfteren die Rede iſt, beſindet ſich in der Neuen Pinakothek und ſtellt König Ludwig in ſeiner Kronprinzenzeit in der ſpaniſchen Weinkneipe auf Riga⸗ grande in Geſellſchaft von Künſtlern dar; auch Ringseis iſt auf dem Bilde zu erblicken.
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Bergpredigt auf der Rottmannshöhe
Bei einem im Jahre 1838 veranſtalteten Künſtlerfeſt auf der Rottmannshöhe am Starnbergerſee hielt der berühmte Feſtredner Frater Hilarius, unter welchem Pſeudonym ſich Eduard Fentſch verbarg, in feiner Kapuzinerkutte folgende Verspredigt:
Geliebte! „Unſere Tage rauſchen vorüber, wie des Baches Wellen, und unſere jungen Jahre verdampfen wie der Tautropfen am Sommermorgen! Wir lachen ein Stimdlein und weinen ihrer zwei, und bis wir uns die Augen ausgewiſcht haben, — ſind wir alt geworden!“ Alſo hab ich ſchon vor Jahren gepredigt, und daran gemahnt es mich auch heute wieder trotz des lieblichen Sonnenſcheins, der ſich wie eine Glorie um Wald und Wieſe legt.
Aber — Gott ſei Dank! Es gibt noch ein Elixier, das uns die kahlen Schläfen und den Schimmel auf den Haaren vergeſſen macht, das uns die Sinne verjüngt,
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wenn uns bisweilen bedünken will, als ob die ganze Welt alt würde und abſterbe. Wir nennen es: Kunſt und Dichtung! — Alſo wollen wir juſt zu dieſer fröhlichen
Stunde der guten Verſe eingedenk ſein, die einer unſerer verewigten Meiſter geſungen
und die da trefflich paſſen zum Texte unſerer Bergpredigt. Sie lauten aber alſo: „Sittenzwang und Formelweſen hätten längſt die Welt verkünnunert, Wenn ſich Dichtung nicht bisweilen durch die Welt ergoſſen hätte!“ Der Segen dieſes Herbſtes begleite uns bei Betrachtung dieſer Worte!
Als der größte Künſtler — unſer Herrgott lobedar — Mit ſeiner Schöpfung fertig war, Fand er, daß ſie gut ſei und wohlbemeſſen Vom Gänſeblümlein bis zu den Zypreſſen, Vom Spatzen, der auf dem Dache pfeift, Bis zum Adler, deſſen Flügel die Wolken ſtreift! Er machte drob ein vergnüglich Geſicht, Schätzte die Wirkung beim Oberlicht, Hielt die Hand vors Auge und ging dabei Ein paar Schritte von der Staffelei, Damit er auch von der Ferne betracht', Was ſein Meiſterwerk für Wirkung macht. Wie waren die Formen ſo ſchön und rund, Wie reizend der Vorder⸗ und Hintergrund, Die Konturen ſo edel und ſo groß, Die Farben ſo ſaftig und paſtos, Und die Lichteffekte von ſolcher Gewalt, Wie fie kaum der Zwengauer malt!
Und doch — wie er ſo im Anblick verloren — Kratzt ſich der Meiſter hinter den Ohren Und dachte ſich: „Bei meinem Eid“!
„Es bedarf noch einer Kleinigkeit.
Iſt auch die Wirkung juſt nicht ſchlecht, Sind auch die Formen regelrecht,
Ich fühl's in dieſer Gewiſſenhaftigkeit,
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—
In dieſer ſtrengen Regelmäßigkeit
Fehlt etwas, das mit voller Wucht
Einen Weg zu dem Gefühle ſucht,
Das Herz packt und mit geheimer Magie Zum Gemüte ſpricht und zur Phantaſie!“
Sprach's, greift zum Pinſel und wagt ſich dran, Setzt da und dort ein paar kühne Drucker an, Haut ab und zu ein bischen über die Schnur, Greift zum bekannten Kunſtſtück der Laſur, Vermalt noch ein paar Blaſen Aſphalt,
Wo ihm die Stimmung zu nüchtern und kalt: Und wie er damit fertig war,
Ward erſt das Geheimmis offenbar,
Daß jeweils der poetiſche Gedanke,
Überſpringe des Formelweſens Schranke,
Daß die Dichtung ſei wie jener feurige Schaum, Dem zu enge wird des Glaſes Raum,
Der auch zuweilen den Anſtand verletzt
Und die Etikette des Tiſchtuchs benetzt!
Das fühlte der Schöpfer und kam zum Entſchluß. „Jetzt weiß ich“ dacht? er, „was ich beginnen muß“: „Ich ſchaff mir aus dem Menſchenpack
Noch eine Spezies nach meinem Geſchmack,
Denen ich das ſchöne Geheimnis verkünde,
Daß die poetiſche Freiheit keine Sünde;
Eine Kaſte, der es mag gelingen,
Mit der Laſur fo recht umzuſpringen,
Und die — zum Verdruß der Philiſter und Mucker — Weiß anzubringen die rechten Drucker;
Ein auserleſ'nes Geſchlecht der Geſchlechter,
Zwangsentbundene — Formelvberächter —,
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Die ſich an der Schöpfung poetifchem Gedanken Mit ihrem Gefühl wiſſen anzuranken;
Menſchen, ſo recht nach meinem Gelichter,
Und die Welt ſoll ſie heißen: Künſtler und Dichter!“ Und im nächſten Momente war auch ſchon Vollendet des Gedankens Inkarnation.
Ihr Freunde, ich hab' Euch damit erzählt
Die Geneſis der Künſtlerwelt.
Nun geht hin und zieht den Nutzen davon, Vollendet Euere Miſſion,
Zieht aus nach Süden und nach Nord
Und verkündet dieſer Bergpredigt Wort,
Daß Formelweſen und Sittenzwang
Die Welt verkiunmert hätten ſchon lang,
Wenn nicht Kunſt und Dichtung, die Dioskuren, Ihr aufdrückten ihres Wandels Spuren,
Wenn nicht die Maler und Poeten
Uns bisweilen den Gefallen täten
Und ſchlügen dem Philiſter, dem traurigen Wicht, Mit allen Ehren ins Geſicht
Und ſchnitten mit Anſtand, wo er zu finden,
Den Zopf ab vorn, ſeitwärts und hinten!
Das merkt Euch und ſchreibt Euch hinter die Ohren, Auf daß meine Worte nicht verloren,
Auf daß ich inſonſt nicht mein Geſchäft erledigt, Und vor tauben Kunden habe gepredigt.
Dixi! Und damit Gott zum Gruß!
Euer alter — Frater Hilarius.
Anton Zwengauer (1810 188, ein geborener Münchner, war urſprünglich Schüler des Cornelius, ging aber bald ganz zur Landſchaft über und wurde der maleriſche Spezialiſt feuriger Sonnenuntergaͤnge
und anderer effektvoller Lichtphänomene, deren Motive er ſich in den Alpen, auf der oberbayriſchen Hoch⸗ ebene und in Südtirol ſuchte.
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Das Münchner Stadtjubiläum im Jahre 1858
* s war am Tage des hl. Cosmas, den 27. September im Jahre 5 * 1858 — fo erzählt Eduard Fentſch in dem von ihm herausgege⸗ . x 9 a “denen Gedenkbuch der Jubiläumsfeier —, die Sonne hatte den lliichten herbſtlichen Morgennebel bald Sende und ein heller gottfreudiger Tag ging auf über der guten Stadt München. Schien es doch, als wollte auch der Himmel feinen Segen drein e geben, daß ein ſchönes, erhebendes, denkwürdiges Feſt gelinge, davon unſere Kinder noch den Enkeln erzählen ſollen. Wir wenigſtens wollen ihnen das vorderſamſt raten, damit dieſen das Herz warm bleibe und ihnen nach aberhundert Jahren der Mut zur Er
denen das ſiebente weidlich zu ſchaffen machte.
Schon in den erſten Morgenſtunden ward es rege und lebendig in allen Gaſſen und auf allen Plätzen der Stadt, insbeſondere drunten am Anger, wo noch die beiden ſtämmigen Tortürme wie ein paar alte, rieſige Gedenkſteine einer hinab⸗ geſunkenen Zeit dreinſchauen — ſchier fremd, und als ob's ihnen nicht mehr recht geheuer wäre unter all den zierlichen, feinen, modernen Bauten eines Jahr⸗ hunderts von völlig anderem Gefüge. Am ſelbigen Morgen aber mochte es den beiden grauen Kiunpanen doch wohl bedünken, als ſeien die alten Zeiten der Sendlinger und Püttriche und Diener wieder aufgewacht; als hätten die Geiſter der edlen, ſchöffenbarfreien Geſchlechterherren wieder Fleiſch und Blut gewonnen und wollten ſich einmal nach vielhundertjährigem Schlafe in ihren Grüften zu St. Peter und bei Unſerer lieben Frauen das München ihrer Epigonen beim hellen Tageslichte wieder beſchauen! Denn von allen Seiten und aus allen Gaſſen ſchritten ſie herbei, alte, längſtoergeſſene Geſtalten mit Cuculle und Mäntelchen — aus der grauen Zeit, da der handraſche Löwenherzog das erſte Brückengebälke legen ließ über den wilden Strom, oder bunter und hellfarbiger aus dem phantaſtiſchen
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Mittelalter oder ernſter und eiſerner aus den ſtürmiſchen Tagen des dreißig⸗ jährigen Krieges oder fein und galant, wie ſie die kokette, höfiſche Zeit Ferdinand Marias ausſtaffierte.
Welch ein reges buntes Leben entfaltete ſich nun in den Räumen der Schrannen⸗ halle und auf den umgebenden Straßen! Es galt die Ordnung der ſieben großen Gruppen des hiſtoriſchen Zuges unter der Leitung von Meiſter Seitz, und die Arbeit war keine geringe, eine Maſſe von etwa 2000 Perſonen zu Fuß, zu Roß und zu Wagen in das Geleiſe bringen. Nicht eine volle Stunde nach Mittag war das Werk voll⸗ endet, und um 1 Uhr ritten die Trompeter, welche den Zug des zwölften Jahr⸗ hunderts anführten, unter dem dämmernden Bogen des Iſartores herein ins Tal. Die ernſten, einfachen Fanfaren erklangen — eine ungewohnte Weiſe, die ans Ohr ſchlug, wie eine Mahnung längſt verſumkener Jahrhunderte. Das Volk, das Kopf an Kopf gedrängt zu beiden Seiten der Straße des kommenden Zuges harrte, ward ſtille, und ſchon die erſte Gruppe der Reiſigen aus dem Zeitalter Heinrichs des Löwen bereitete die Wirkung vor, die nachgerade dieſe wunderſamen Bilder aus der ſieben⸗
—
Der Feſtzug auf dem Marienplatz. Holzſchnitt von Nic. Knilling
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hundertjährigen Geſchichte der guten und getreuen Stadt hervorriefen. Es war eine Art Andacht, die ſich des Volkes betnächtigte. Nicht allein das Echte und Wahre, was dieſe Geſtalten zu leibhaftigen Erſcheinungen aus dem tiefen Mittelalter machte, nicht nur der Reiz ungewohnter Schönheit und Form des Gewandes war es, was diefe Stimmung weckte. Man hatte ſich nicht getäuſcht, als man vorausſetzte, daß jede Mahnung an eine tatenreiche Vergangenheit des Volkes im Volke ſelbſt ernſt und bewegend anklingen werde, daß dieſe lebendigen Bilder aus ſeiner Geſchichte gewaltig rührend zu ſeinem Gemüte reden würden.
Wir haben es wahrgenommen, wie ſie die Hüte vom Kopfe zogen, wie deren viele die Hände falteten und ihnen das Waſſer ins Auge ſtieg; wie ſelbſt das Lächeln ſchwand aus dem Geſichte jener, die vorwitzig den ganzen Zug zu einen Mummen⸗ ſchanze zu ſtempeln beliebten, die es behaglich fanden, den Unternehmern des Werkes die Arbeit recht ſauer zu machen, und denen kein Witz zu wohlfeil war, um nicht die draſtiſche Wirkung an dieſer projektierten „öffentlichen Maskerade“ zu ver⸗ ſuchen. Mehr denn einmal hatte ſich der Jubiläumsverein der Verſe des Dichters zu getröſten:
Doch Seelen gibt's, für Worte unerreichbar, Mit ſiebenfachem Leder überzogen, Dem Schild des Ajax im Homer vergleichbar!
Aber er rechnete mit aller Zuverſicht auf die „Wirkung der Tat“ und — ward nicht getäuſcht!
Der Feſtzug bewegte ſich von feinem Aufſtellungsplatze an der Marimiliansgetreidehalle durch die Müller⸗ und Rumfordſtraße, das Iſartor und Tal in die Dieners gaſſe, von da durch die Reſidenzſtraße auf den Max Joſephplatz, vorüber dem Poſtgebäude, dem K. Hoftheater und der neuen Reſidenz. Nach der Huldigung durchzog er die Ludwigs⸗, Thereſi en⸗ und Türkenſtraße, lenkte am Wittelsbacher Palais in die Brienner⸗, Theatiner⸗ und Weinſtraße, dann in die Kaufingerſtraße, Weite; Ett⸗ und Karmelitengaſſe ein und umging den Promenadeplatz. Von da bewegte er ſich über den Karlsplatz in die Neuhauſer⸗ und Kaufinger⸗ gaſſe, ſodann durch die Roſen- und Sendlingergaſſe über den Sendlingertorplatz in die Müllerſtraße und kehrte an ſeinen Ausgangspunkt zurück.
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Ein literariſches Dreigeſtirn
Jakob Fallmerayer, der Fragmentiſt
Fallmerayer, der „Fragmentiſt“, war eine der hervorſtechendſten Erſcheinungen des älteren Münchens. Ihm widmet Felix Dahn in ſeinen Erinnerungen dieſe Zeilen:
Ich lauſchte bei meiner Mutter gar manchen Abend den wunderbaren Erzählungen des „Fragmentiſten“, d. h. des Orientaliſten und Gräciſten Jakob Fallmerayer, deſſen „Fragmente aus dem Orient“ damals beſonders durch ihre unvergleichlich ſchöne Sprache gerechtes Aufſehen machten; ich höre ihn immer noch bei feinen ſanften Worten rauſchen, den „ünmmergrünen Buſchwald von Kolchis“. Mag feine An⸗ nahme von der völligen Austilgung und Erſetzung der Griechen durch die ſeit dem 6. Jahrhundert eingedrungenen Slaven Übertreibung geweſen fein, merkwürdig waren doch die Entdeckungen des viel Gereiſten in der ſpätbyzantiniſchen Geſchichte: z. B. die Ausgrabung des faſt völlig unter Vergeſſenheit verſchüttet gelegenen Kaiſerreiches Trapezunt.
Aber ebenſo eifrig hing ich an den Lippen des kleinen, rundlichen Mannes mit dem runden, türkiſch geſchorenen Kopf und den runden, klugen Augelein, wenn er, in ſeinen Formen ſelbſt zun Türken geworden, (nie grüßte er in Geſellſchaft anders als mit über der Bruſt gekreuzten Arten und mit türkiſcher Formel) anhob, von feiner eignen Eindrücken im Kloſter Athos, im Peloponnes, in Byzanz zu erzählen, wobei am häufigſten wiederholt wurde: „Die Türken find grundehrlich, die Griechen find grundfalſch, ſind Erzlügner und Betrüger; jedoch die Griechen ſind noch Engel der Wahrheit im Vergleich mit den Armeniern!“
Endlich aber das Prickelndſte unter ſeinen unerſchöpflichen Mitteilungen waren die Heiligengeſchichten, die er am Schluſſe des Abends zum beſten zu geben pflegte, die ſaftigſten freilich erſt auf der Straße, auf dem Wege nach feinem Haufe, War er doch aus der Domſchule zu Brixen entſprungen. Geboren 1790 in dem Weiler Baierdorf „auf der weinreichen Höhe von Tſchötſch“ bei Brixen als 12. Kind
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eines armen Tagelöhners und zum künftigen Nutzen der Kirche erzogen, war er ur⸗ plötzlich auf und davon gegangen und hatte als bayeriſcher Leutnant bei Hanau mit Auszeichnung gegen Napoleon gefochten. Seine weiteren Geſchicke, wie er als Glied des 1849 er Frankfurter Parlaments und des Stuttgarter Rumpfparlaments von Bayern ſteckbrieflich verfolgt in die Schweiz flüchtete, 1880 zwar amneſtiert, aber auch feiner Profeſſur entſetzt wurde, gehören nicht hierher; er ſtarb 1861. Seine Kenntnis der Heiligengeſchichte war erſtaunlich, allein man kann leider nicht behaupten, daß dieſe Vertrautheit mit den Heiligen ihn im Glauben gekräftigt habe!
Ludwig Steub
Julius Groſſe erzählt in ſeinen „Urſachen und Wirkungen“:
Endlich pünktlich, wie im Kalender, kam diesmal das Frühjahr am x. April mit einer Macht und Fülle, daß die eis⸗ und ſchneeverwehte Welt binnen wenigen Tagen in ein tropiſches Paradies verwandelt ſchien. Dieſe Herrlichkeit würdig zu feiern, ſchlug Ludwig Steub einen Ausflug nach der Klauſe bei Kufſtein vor, und Heinrich Leuthold, Auguſt Becker, Rohſold ſchloſſen ſich uns an. Das war ſo eine Lieblingsmarotte von Papa Steub, ſich zu ſeinen ländlichen Terminen, ſowie zu improviſierten, feinen Diners, auch feine Tafelrunde aus der Stadt mitzubringen, auch ſonſt neue Geſellſchaften und neue Wirtshäuſer zu ſtiften und in die Höhe zu bringen, wie z. B. den Tatzelwurm. War dann alles im Gange und florierte der neue Klub, ſo blieb Steub wieder weg. Er erfand auch ganze Lawinen von Toaſten nach gewiſſem Rezept, aber er hatte dabei nicht immer Glück. Gerade im damaligen Winter zur Karnevalszeit, wo wir mit den Familien einen Feſtabend bei Dorpille veranſtaltet hatten — die Damen kamen alle koſtümiert — hatte Steub einen feiner berühmten Toaſte auf Frau Profeſſor X zum beſten gegeben, d. h. er began mit Eva und Semiramis, ging dann zu Kleopatra, Lucrezia und allen berühmten Frauen der Weltgeſchichte über, ſchließlich wußte weder er, noch irgend ein anderer, wo die Grenze zwiſchen Phantaſtik und Satire geblieben war. Die Dame brach in Tränen aus, und ihr Gatte war von Stund an Steubs Todfeind. Dergleichen Unheil in geiſtreichen Jongleurkünſten mit geſprochenen oder geſchriebenen Meſſern paſſierte Steub gar nicht allzu ſelten, ja er war deshalb gefürchtet — bei Tiſch, wie in der Preſſe.
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Heinrich Leuthold
Gleichfalls Groſſes „Urſachen und Wirkungen“ entnommen ſind folgende Bei⸗ träge zur Charakteriſtik des unglücklichen Leuthold:
Leutholds galliger Humor hatte mit Steubs Manier ſehr viel Verwandtes. Un⸗ verſehens ſchlug bei ihm die graziöſeſte Schmeichelei in die maſſioſte Grobheit um, als fahre er mit derſelben ſtachligen Haarbürſte, die eben noch die Locken friſiert, plötzlich in das Geſicht des ahnungsloſen Opfers. Über Leuthold, der erſt nach feinem Tode im Irrenhaus als Poet berühmt geworden, iſt in letzter Zeit mancherlei ge⸗ ſchrieben worden. In Deutſchland beginnt das Intereſſe meiſt erſt mit der Tragik. Leutholds lodernder Titanenzorn hatte keinen anderen Grund, als das Unglück, nicht gekannt zu ſein, aber er ſelbſt war ſchuld daran. Von ſich auf andere ſchließend, fürchtete er die böſen Zungen und wagte deshalb nichts zu publizieren, hatte aber gleichwohl den traurigen Mut, im Hofbräuhaus und ſonſt vor banauſiſchem Volk
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als Rhapſode zu poſieren, den Hafis in der Schenke zu fpielen und dann über die glücklicheren Kollegen zu ſchimpfen, die ihn angeblich nicht aufkommen laſſen wollten. Berühmt iſt Leuthold auf pathologiſchem Gebiet geworden, weil er im vollſten, buch⸗ ſtäblichſten Sinn des Wortes die Schwindſucht durch Rotwein aus dem Felde ge⸗ ſchlagen. Im Jahre 1864 übernahm er die Redaktion einer Volkszeitung in Stutt⸗ gart, ließ ſich aber vorher von den erſten Autoritäten Münchens wie Stuttgarts unterſuchen, denn er litt an Lungenblutungen. Beide Arzte gaben ihm höchſtens noch ein halbes Jahr Lebensfriſt und empfahlen ihm möglichſte Muße. Leuthold trat die Stelle an, überwarf ſich ſehr bald mit dem Verleger und erhielt mit der Entlaſſung ein volles Jahresgehalt, ſodaß er ſorglos in Stuttgart bleiben und die Güte der Württemberger Weine hinreichend ausprobieren konnte. Im folgenden Frühjahr ſtellte er ſich abermals den Ärzten vor, denn er begann ſtark zu werden und mußte ſich alle Kleider ändern laſſen. Die Arzte ſchüttelten den Kopf und erklärten ihre Wiſſenſchaft für blamiert, wenn er davonkomme. Indes ſei es möglich, daß feine Lunge verkalkt fei, denn der Klevener Rotwein gelte feit alter Zeit als kalkhaltig. Er ſolle imm Intereſſe der Wiſſenſchaft weiter Bericht erſtatten, fo erzählte mir Leuthold ſelbſt nach ſeiner Rückkehr in München. Er würde vielleicht dauernd Sieger ge⸗ blieben ſein, wenn er das vornehme Leben hätte weiter führen können, ſtatt in den alten Sumpf zu geraten. Gleichwohl hat der von der Wiſſenſchaft Aufgegebene noch vierzehn Jahre gelebt.
Jakob Fallmerayer (1790 — 1861), war ſeit 1835 ordentliches Mitglied der hiſtoriſchen Klaſſe der Münchner Akademie, lebte viel auf Reiſen und wurde 1848 auf Görres' Lehrkanzel als Profeſſor der Ge⸗ ſchichte an die Münchner Univerſität berufen. Sein Buch „Fragmente aus dem Orient“, das ſtürmiſchen Beifall fand wie keine zweite gelehrte Publikation jener Zeit, erſchien im Jahre 1845. München, das der freigeiſtige Mann wegen ſeiner Kirchlichkeit „Derwiſchabad“ taufte, wählte ihn im gleichen Jahr in das Frankfurter Parlament. 1849 wurde er wegen ſeiner Beteiligung an den Stuttgarter Entſchlüſſen ſeiner Profeſſur enthoben und lebte als Flüchtling erſt in der Schweiz, dann amneſtiert, aber ohne Amt, in München.
Ludwig Steub (1812 1888), ein kampffroher Literat, Dichter und Journaliſt im beſten Sinne, der in dieſem Buch wiederholt ſelbſt zu Wort gekommen iſt, war in München als Notar tätig. Seine literariſche Tätigkeit in ſeiner beſten Zeit galt der Erſchließung Tirols, deſſen Land und Leute er ausgezeichnet kannte. Sein Buch „Drei Sommer in Tirol“ iſt ein klaſſiſches Werk der Reiſebeſchreibung. Auch über das bayeriſche Oberland ſchrieb er zahlreiche Aufſätze. Das „Gaſthaus zum feurigen Tatzelwurm“, nach Steubs Vorgang von Künſtlern und Literaten Münchens viel beſucht, liegt zwiſchen Brannenburg und Bayriſch⸗Zell.
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Die Auflöſung „Neu-Münchens“
Franz von Dingelſtedt ſchreibt in ſeinen „Münchener Bilderbogen“:
Um die Mitte der fünfziger Jahre begann die Wendung einzutreten, welche, anfangs langſam, dann — genau nach den Geſetzen des Falles, — mit verdoppelter Geſchwindigkeit, die Auflöſung der Kolonie Meu⸗Münchens herbeiführen ſollte. Das erſte Opfer war Dönniges, ich das zweite. Natürlich. Wir fanden am meiſten ausgeſetzt, er auf feinem politiſchen Poſten, ich im offenen Feldlager des Theaters, während die Dichter verhältnismäßig die am wenigſten angefochtenen blieben und die Gelehrten in ihrem Katheder einen feſten Boden unter den Füßen hatten. So namentlich Liebig, den kein Sturm und keine Wühlerei von ſeiner ſicheren Höhe
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herabzuwerfen vermochte, obwohl er feinen Grundſätzen und feinem Streben niemals etwas vergab, Mißbräuchen, wo er ſie fand, ſchonungslos entgegentrat, Reformen durchſetzte in der Univerſttät wie in der Akademie und bald auch Reſultate erzielte, z. B. in der jährlichen Wahl des Rektors magnificus, aus welcher eines ſchönen Tages, zu aller Welt Erſtaunen, ein homo novus hervorging, Jolly. Dönniges war in die Dienſte des Königs Max gekommen, da dieſer noch als Kronprinz in Bamberg reſidierte. Von ihm ſtaummte die feinerzeit viel beſprochene Denkſchrift gegen die Jeſuiten in Bayern, welche unter dem Miniſterium Abel dem König Ludwig vom Kronprinzen vorgelegt worden war. MNächſt Wendland, ſpäter bayeriſcher Ge⸗ ſandter in Paris, galt Dönniges für den vertrauteſten Ratgeber ſeines Herrn. Ob⸗ wohl geborener Preuße — irre ich nicht, ſogar ein Pommer, — bekannte er ſich nicht zu der Lehre von der preußiſchen Spitze in Deutſchland, auch nicht zu dem unitariſchen Programm des jungen Nationalbereins. Seine Politik gipfelte in der Triasidee, die, vielleicht ganz, gewiß zum großen Teil ſein Werk, in den Dresdner Konferenzen durch ihn lebhaft vertreten wurde. Auch ſpäter, in den Bamberger Kon⸗ ferenzen verſuchte er aus den deutſchen Mittelſtaaten eine dritte Macht im Bundes⸗ tage zuſammenzuſetzen, die, zwiſchen Oſterreich und Preußen geftellt, in kritiſchen Fällen den Ausſchlag gebend, von großer Bedeutung geweſen ſein und namentlich Bayern zu ſolcher verholfen haben würde. Dies fein Adoptiv⸗Vaterland liebte Dön⸗ niges wirklich und warm. Er glaubte an eine hohe Sendung, eine ſchöne Zukunft Bayerns in und mit Deutſchland. „Oſterreich die Zölle und den Handel — Preußen das Heer und die Vertretung nach Außen — Bayern Wiſſenſchaft und Kunſt“: fo teilte er, wenn wir dann und wann aus Bowlen⸗ und Zigarrendämpfen politiſche Geſchichte laſen, die Rollen aus in dem welthiſtoriſchen Drama, deſſen Expoſttion ſich eben vorbereitete, während die Peripetie und die Kataſtrophe, die er als Zuſchauer allerdings noch erlebt hat, aber nicht mehr mithandelnd, ganz anders ausgefallen find, als er es ſich gedacht. Was er im Kabinett des Königs ſchrieb und trieb, war gewiß ebenſo oft bayeriſche Politik wie perſönliche Politik des Königs Max, welche beide Dönniges ſich nicht getrennt denken komme. Des ungeachtet aber begab es ſich und das nicht ſelten, daß dieſe Politik ſich im Widerſpruch befand mit derjenigen, welche das Staatsminiſteruun am grünen Sitzungstiſch machte und vor den Kammern vertreten mußte. Daher dann die Mißoerſtändniſſe, die Hetzereien, die ſtillen Intrigen, die offenen Kämpfe und endlich der Zuſammenſturz einer Stellung, die in ihrer Un⸗
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verantwortlichkeit freilich wider alle konſtitutionellen Ufancen verſtieß, aber doch des Guten viel vermittelte und erſchuf. Dieſe Stellung zu regulariſieren, zu korrigieren, dadurch, daß Dönniges aus dem Dienſte des Königs in den Staatsdienſt, in das - Minifterimm, gar an deſſen Spitze getreten wäre, — daran dachte er felbft niemals bei allem Ehrgeiz und Wirkungsdrang, die ihm eigen. Es war auch undenkbar.
Da wir im Herbſt 1855 aus den Sommerferien nach Haufe und wieder zu- ſammen kamen, fehlte einer in unſerem Kreiſe, der Mittelpunkt: Dönniges. Er war ins Exil gegangen, .. geſchickt worden und hatte fich, in einem loſen, wohl nur der Form zu Liebe erfundenen Zuſammenhang mit der bayeriſchen Geſandtſchaft zu Turin gebracht, in Nizza niedergelaſſen. Dort fand ich ihn noch drei Jahre ſpäter, in einem weitläufigen, unheimlichen Haufe, dem letzten in der rue de France, am Saume der Stadt, zwiſchen Meer und Gebirge gelegen. Auf dem flachen Dache des Steinhaufens hatte er ſich eine primitive Sternwarte gebaut und betrachtete durch eine alte lederne Hutſchachtel, welcher der Boden ausgeſchnitten worden, den Vollmond.
Von Nizza war damals Dönniges, nach kurzer Raſt, von innerer Unruhe ge⸗ trieben, nach Sardinien gegangen, das klaſſiſche Verbannungsland in alter Römer⸗ zeit. Aus Saſſari ſchrieb er mir, am 19. Februar 1856, einen langen Brief, der zwar noch nicht ganz mitteilbar iſt, aus dem ich aber, als höchſt charakteriſtiſch ſo⸗ wohl für die Situation wie für die Perſonen, einige Stellen hier wörtlich einrücke: „ . . Allerdings war dieſes Jahr 1855 ein ſehr ſchweres für mich, und ich kann mich noch immer nicht tröſten, aus dem Kreiſe meiner Freunde und aus meinem alten Verhältniſſe geſchieden zu ſein, nach denen ich mich manchmal trotz aller Freuden der göttlichen Natur und des wundermilden Klimas hier ſehr — ſehr zu⸗ rückſehne. Bisweilen will es mir ſcheinen, als wenn eine einzige mündliche Unter⸗ redung mit Sr. Majeſtät alles ausgeglichen hätte, indeſſen ich konnte keine Schritte weiter tun, als ich getan habe. Ich habe verſucht, Sr. Majeſtät in meiner letzten Eingabe alles Bittere zu nehmen, was die Sache für ihn haben konnte. Sollte meine Entfernung, wie ich aus anderen Freundesbriefen ſchließe, wirklich als die Entfer⸗ nung eines Hinderniſſes angeſehen werden, ſo bleibt Sr. Majeſtät ſtets der könig⸗ liche Ausweg, mich anderweitig angemeſſen zu beſchäftigen und mich dann zurück⸗ zurufen, wann es an der Zeit erſcheint.“
Tatſächlich iſt Wilhelm von Dönniges ſpäter wieder an hervorragender Stelle im Dienſte der diploma⸗ tiſchen Vertretung Bayerns in der Schweiz und in Italien verwendet worden (vgl. die Anmerkung auf Seite 216.)
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Kronprinz Ludwig
In der Stille, neben dem ſtark in der Offentlichkeit wirkenden Vater und dem das Minchner Kulturleben immer noch entſcheidend beeinfluſſenden Großvater kaum auffallend wuchs der am 23. Auguſt 1845 geborene Kronprinz Ludwig heran. Ihm, der ſo jung zur Regierung berufen werden ſollte, widmete Bismarck, der Weit⸗ blickende, der im Sommer 1863 den damals Achtzehnjährigen zum erſten Male ſah, in ſeinen „Gedanken und Erinnerungen“ dieſe Zeilen:
Auf dem Wege von Gaſtein nach Baden⸗Baden berührten wir München, das der König Max bereits verlaſſen hatte, um ſich nach Frankfurt zu begeben, es feiner Gemahlin überlaſſend, die Gäſte zu empfangen. Ich glaube nicht, daß die Königin Marie nach ihrer wenig aus ſich heraustretenden und der Politik abgewandten Stimmung auf den König Wilhelm und die Entſchließung, mit welcher er ſich da⸗ mals trug, lebhaft eingewirkt hat. Bei den regelmäßigen Mahlzeiten, die wir während des Aufenthaltes in Nymphenburg, 16. und 17. Auguſt 1863, einnahmen, war der Kronprinz, ſpäter König Ludwig II., der ſeiner Mutter gegenüber ſaß, mein Nachbar. Ich hatte den Eindruck, daß er mit ſeinen Gedanken nicht bei der Tafel war und ſich nur ab und zu ſeiner Abſicht erinnerte, mit mir eine Unterhaltung zu führen, die aus dem Gebiete der üblichen Hofgeſpräche nicht herausging. Gleichwohl glaubte ich in dem, was er ſagte, eine begabte Lebhaftigkeit und einen von ſeiner Zukunft erfüllten Sinn zu erkennen. In den Pauſen des Geſprächs blickte er über ſeine Frau Mutter hinweg an die Decke und leerte ab und zu haſtig fein Champagner⸗ glas, deſſen Füllung, wie ich annahm, auf mütterlichen Befehl verlangſamt wurde, ſodaß der Prinz mehrmals ſein leeres Glas rückwärts über ſeine Schulter hielt, wo es zögernd wieder gefüllt wurde. Er hat weder damals noch ſpäter die Mäßigkeit im Trinken überſchritten: ich hatte jedoch das Gefühl, daß die Umgebung ihn langweilte und er den von ihr unabhängigen Richtungen ſeiner Phantaſte durch den Champagner zu Hülfe kam. Der Eindruck, den er mir machte, war ein ſympathiſcher, obſchon ich mir mit einiger Verdrießlichkeit ſagen mußte, daß mein Beſtreben, ihn als Tiſch⸗
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nachbar angenehm zu unterhalten, unfruchtbar blieb. Es war dies das einzige Mal, daß ich den König Ludwig von Angeſicht geſehen habe, ich bin aber mit ihm, ſeit
er bald nachher (ro. März 1864) den Thron beftiegen hatte, bis an fein Lebens- ende in günſtigen Beziehungen und in verhältnismäßig regem brieflichem Verkehr geblieben und habe dabei jederzeit von ihm den Eindruck eines geſchäftlich klaren Regenten von national deutſcher Geſinnung gehabt, wenn auch mit vorwiegender Sorge für die Erhaltung des föderativen Prinzips der Reichsverfaſſung und der verfaſſungsmäßigen Privilegien ſeines Landes. Als außerhalb des Gebiets politiſcher Möglichkeit liegend iſt mir ſein in den Verſailler Verhandlungen auftauchender Gedanke erinnerlich, daß das deutſche Kaiſertum reſp. Bundes⸗Präſidium zwiſchen dem preußiſchen und dem bayeriſchen Hauſe erblich alternieren ſolle. Die Zweifel darüber, wie dieſer unpraktiſche Gedanke praktiſch zu machen, wurden überholt durch die Verhandlungen mit den bayeriſchen Vertretern in Verſailles und deren Ergebniſſe, wonach dem Präſidium des Bundes, alſo dem Könige von Preußen, die Rechte, die er heute dem bayeriſchen Bundesgenoſſen gegenüber ausübt, ſchon in der Haupt⸗ ſache bewilligt waren, ehe es ſich um den Kaiſertitel handelte.
Der Tod des Königs Max
Julius Groſſe ſchreibt in ſeinen „Urſachen und Wirkungen“:
Eines Nachmittags im März erſchien der Miniſter des Innern, H. von Neu— mayr, auf der Redaktion und wünſchte den Chefredakteur Vogl unter vier Augen zu ſprechen.
„Sie werden auf der Stelle ein Extrablatt hinausſenden. Seine Majeſtät der König liegt im Sterben.“ ö
„Aber Exzellenz, wollen wir nicht zuvor die Erkrankung melden?“
„Das wird unmöglich ſein, denn dieſes Stadium würde vom folgenden überholt werden. Der König leidet am Rotlauf, und nach dem Urteil der Arzte wird er kaum die kommende Nacht überleben.“
Die Kunde wirkte wie ein betäubender Donnerſchlag durch die Stadt, durch das Land Bayern, ja durch ganz Deutſchland. Es war einer jener umfchleierten, filber-
Ein Jahrhundert München f 18 273
grauen, lauen Vorfrühlingstage, wie fie nur München kennt, ftinmungsooll, wie ſonſt nur der Herbſt, und fo iſt mir auch die Stimmung dieſes Tages für immer unbergeßlich geblieben. In Scharen ſtrömten die Maſſen des Volkes zum Schloß, wie ſonſt nur in Revolutionszeiten, und weiter in das Innere, die Treppen empor bis in die Vorzimmer, wo die Hofſtaaten verſammelt waren, um den Andrängenden aus allen Ständen Beſcheid zu erteilen. So ging es denn die ganze Nacht hindurch bis zum anderen Tage, und als um elf Uhr plötzlich alle Glocken läuteten, da wußte München, daß ein edles Königsherz aufgehört hatte, zu ſchlagen. Und wie innig der König geliebt geweſen, trotzdem es nie ſo geſchienen, jetzt zeigte es ſich in der Stunde der Erſchütterung, die alle ergriff. Eine dumpfe Schwüle der Betäubung laſtete auf der Hauptſtadt, als ſei etwas Unbegreifliches geſchehen. Nur im Jahre 1886 bin ich Zeuge einer gleichen panikähnlichen Beſtürzung geweſen. Auch damals ſchon erzeugten ſich plötzlich törichte Gerüchte, wie zweiundzwanzig Jahre fpäter. Die Erfindungen erſchreckter Phantafien mochten verwerflich fein, menſchlich begreif⸗ lich waren fie gewiß, denn dieſes jähe Ende, ohne vorausgehende Krankheit, erſchien gegen allen Lauf der Natur. In Wahrheit war der König ſchon ſchwer leidend heimgekehrt, und die Eryſtpelas der Bruſtmuskeln hatte ſofort das Herz in Mit⸗ leidenſchaft gezogen.
König Maximilian II. ſtarb am 10. März 1864 im 53. Lebensjahr. Man ſprach, da fein Ableben ganz unerwartet kam, von einer Vergiftung. Robert von Hornftein legte in feinen „Memoiren“ nieder, wie ihm ſeine Erlebniſſe bei dem unerwarteten Tod des Königs im Gedächtnis geblieben waren. Ich kam vor die Reſidenz (ſchreibt er); Menſchenmaſſen hatten ſich angeſammelt. Ich kam die Treppen hinauf, welche von Leuten aller Stände eingenommen waren. Endlich gelangte ich halb geſchoben in einen großen Raum, un⸗ weit der Gemächer des Königs. Der Adjutant des Königs, Baron Moy, erſchien von Zeit zu Zeit, um den Verſammelten Nachricht über das Befinden des Königs zu geben. Die Nachrichten wurden immer troſtloſer. Lautlos wurden die Meldungen hingenommen. Höchſtens wurde ein leiſes Flüſtern vernommen. Endlich erſcheint Moy, um mit tränenerſtickter Stimme mitzuteilen, daß Seine Majeſtät eben verſchieden ſeien. Allgemeines Schluchzen erfolgte auf dieſe Worte. Anfangs blieb alles wie gebannt ſtehen. Allmählich verließ die Menge in größter Stille den Saal und ſtieg langſam die Treppen hinab. Ich hatte mich unten noch einen Augenblick poſtiert, als Erzbiſchof Scherr, der am Totenbett des Königs geſtanden war, mit lächelnder Miene und eiligen Schrittes die Treppe herabkam. Ein Geiſtlicher kam ihm in den Weg. „Nun, wie ſteht's?“ — „'s iſt ſchon rum“, antwortete der Kirchenfürſt. — Nachmittags durchritt ein Herold in altdeutſcher Tracht die Stadt. Neben ihm waren zwei Pauker zu Pferde, welche vor und nach der Rede des Herolds einen dumpfen Wirbel ſchlugen. Die Thronbeſteigung König Ludwigs II. wurde verkündigt. Trotz der unabweisbaren Komik, die darin liegt, daß ein allgemein bekannter Beamter in dieſem Aufzug herumreitet, bewahrten die Zuſchauer den Ernſt, der ihnen an dieſem Tage geboten war.
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Ludwig II. im Urteil feiner Zeitgenoſſen Adolf Friedrich Graf von Schack in „Ein halbes Jahrhundert““
Den Sohn und Nachfolger König Maximilians II. hatte ich ſchon bei Lebzeiten des Vaters mehrfach geſehen und den angenehmſten Eindruck von dem ſchönen Knaben empfunden. Er war von feinem Goubverneur ſehr ſtreng erzogen worden, und dieſer ſcheint nicht die Gabe beſeſſen zu haben, die Zuneigung ſeines Zöglings zu gewinnen. Als nun der junge Prinz ganz unerwartet mit achtzehn Jahren den Thron beſtieg, ver- mochte er, der bisher faſt noch als ein Kind betrachtet worden war, in den plötzlichen Wandel ſeiner Lage ſich kaum zu finden. Er zeigte eine gewiſſe Scheu und Bangig⸗ keit und konnte ſich nur ſchwer entſchließen, unter Menſchen zu gehen. Allerdings veranſtaltete er in den erſten Jahren feiner Regierung noch Hoffeſte, empfing Staats⸗ beamte, Geſandte und fo weiter; allein er tat dies nur, wo es durchaus nötig erſchien, und zog ſich, ſobald es anging, in die Einſamkeit zurück. Je mehr früher ſein Hang zur Poeſie unterdrückt worden war, deſto leidenſchaftlicher gab er ſich jetzt dernfelben hin. Vor allem war Schiller ſein Lieblingsdichter, und er las ihn ſoviel, daß er manche von deſſen Schauſpielen zuletzt Wort für Wort auswendig wußte. Bei dieſem dichteriſchen Sinn des Königs war es nun auffallend, daß er doch nie Nei— gung zeigte, die Länder, in denen die Poeſie beſonders ins Leben getreten iſt, nament⸗ lich Italien, zu beſuchen, daß er vielmehr während des ganzen Jahres faſt aus⸗ ſchließlich in München und in den naheliegenden Luſtſchlöſſern verweilte. Die wenigen kurzen Reifen, welche er machte, hatten faſt nur den Zweck, Ortlichkeiten zu befich- tigen, welche in Schillers Dramen vorkommen, fo namentlich den Vierwaldſtätter See und die Kathedrale von Reims, welche auf ſeinen Befehl an Ort und Stelle aufgenommen wurden, damit die Dekorationen in „Wilhelm Tell“ und der „Jung⸗ frau von Orleans“ naturgetreuer ausfielen. Weniger als mit der Vorliebe Ludwigs II. für die Schauſpiele unſeres großen Dichters konnte ein deutſcher Sinn mit dem leb⸗ haften Intereſſe ſympathiſieren, welches er für alles auf Ludwig XIV. ſich Beziehende zeigte. Letzteres bekundete ſich nicht nur in den vielen Kopien, die er ſpäter nach den
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Gemälden in Verſailles anfertigen ließ, und in der Machbildung des dortigen Schloſſes, ſondern auch darin, daß er mit Vorliebe auf dem Münchner Theater die Aufführung ſolcher Schauſpiele veranlaßte, in denen der franzöſiſche Monarch eine Rolle ſpielte. Er ſpähte förmlich nach Dramen, worin dies der Fall war, und ordnete nicht ſelten an, daß dieſelben dargeſtellt würden, ohne daß er ſie noch geleſen hatte. So fiel ihm — und zwar geſchah dies in feiner früheren Regierungszeit — ein Luſtſpiel,, Die Herzogin“ von J. L. Klein in die Hand, welches bloß dadurch feine Aufmerkſamkeit auf fich zog, daß der franzöſiſche Monarch darin auftrat. Das Stück enthielt zwar einige geiſtreiche Szenen, war indes, wie die meiſten Dramen Kleins, ohne alle Rückſichten auf die wirkliche Bühne verfaßt und ſo lang, daß ſeine Darſtellung mindeſtens zwei gewöhnliche Theaterabende ausgefüllt haben würde. Trotzdem befahl der König, un⸗ geachtet aller dagegen erhobenen Bedenken, kategoriſch, daß es völlig unverkürzt in Szene gehen ſollte. Es war dies in der Zeit, als der junge Monarch das Theater noch nicht für ſich ausſchließlich in Anſpruch nahm, ſondern auch noch dem Publi⸗ kum den Zutritt geſtattete. Der Erfolg der „Herzogin“ war vorauszuſehen geweſen. Schon gegen Ende des erſten Aktes begann das Haus fich merklich zu leeren, und gegen Schluß des zweiten war kaum noch ein Zuhörer da. Auch der König ſelbſt ſcheint keine Neigung verſpürt zu haben, der Vorſtellung bis zu Ende beizu⸗ wohnen. Die armen Schauſpieler, welche nutzlos eine fo endlos lange Komödie ein⸗ ſtudieren mußten, waren zu beklagen; noch mehr jedoch tat mir der Dichter leid.
Julius Groſſe in „Urſachen und Wirkungen“
Um für die Weitergewährung der Penſton meinen Dank abzuſtatten, hatte ich um eine Audienz nachgeſucht. Es war das einzige Mal, daß ich dem jungen Könige gegenüberſtand. Er empfing mich freundlich, doch mit einer gewiſſen, geſucht hoheits⸗ vollen Haltung, die erkennen ließ, daß ihm feine königliche Würde noch eine Rolle war, in die er erſt hineinwachſen ſollte. Wie ganz anders hatte ſein unvergeßlicher Vater den ſobiel jüngeren Poeten gleich bei der erſten Begegnung aufgenommen! Doch war der Blick der ſchönen, großen Augen, in denen ein träumeriſcher Glanz leuchtete, gewinnend und feine Rede frei von jeder Befangenheit. Von Dönniges wußte ich auch, daß der junge Herrſcher ein ungewöhnlich ſicheres Urteil über jeden beſaß, der in ſeine Nähe kam, eine Menſchenkenntnis, deren Reife bei der welt⸗
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König Ludwig II. (1843 - 1886.) Stich von J. Lindner (1874)
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frernden Erziehung, die er genoſſen hatte, geradezu wunderbar erſchien. Das Geſpräch mit mir bewegte ſich um gleichgültige Dinge. Mur als das Theater berührt wurde und ich bemerkte, wie ſelten die verſchiedenen Eigenſchaften, die zur Leitung einer großen Bühne erforderlich ſeien, in einer Perſon ſich vereinigt fänden, ſah ich einen argwöhniſchen Zug über das edle, junge Antlitz gleiten. Ob er mich im Verdacht hatte, mich ſelbſt zu dieſer damals noch immer unzulänglich ausgefüllten Stelle empfehlen zu wollen? Es wäre das nicht eben ein Beweis für die ihm nachgerühmte Menſchenbeurteilung geweſen, da mir mein Leben lang nichts ferner gelegen, als der Wunſch, Dingelſtedts Erbſchaft anzutreten.
Der leichte Schatten ſchwand aber wieder, und ich wurde huldvoll entlaſſen, doch ohne daß ein weiterer perſönlicher Verkehr in Ausſicht geſtellt worden wäre.
Als dann aber vier Jahre ſpäter das bekannte Ereignis eintrat, das Kabinetts⸗ ſchreiben König Ludwigs II., durch das er Geibel ſeine Penſion entzog, weil der alte Kaiſerherold König Wilhelm bei deſſen Beſuch in Lübeck mit dem Wunſch begrüßt hatte, „daß noch dereinſt dein Auge ſieht, wie übers Reich ununterbrochen vom Fels zum Meer dein Adler zieht —“ war es auch mir unmöglich, fernerhin ein königliches Gnadengehalt anzunehmen, an das die Bedingung geknüpft geweſen wäre, meine politiſche Uberzeugung, wenn ſie mit der des Königs nicht im Einklang war, zurückzuhalten, nachdem ich fie in all den Jahren, da ich ſeinem heimgegangenen Vater nahe geſtanden, nie zu verleugnen gehabt hatte.
Ignaz von Döllinger in ſeinen „Briefen an eine junge Freundin“
Unſer junger König beginnt koſtſpielige Liebhabereien zu entwickeln, und große Summen ſchlüpfen ihm durch die Finger. Von der zarteren Hälfte des menfch- lichen Geſchlechtes, glaubte man bisher, wiſſe er ſehr wenig, da er außer ſeiner Mutter und ein paar Hofdamen keine Dame kenne. Neulich gab er aber doch ſeine Meinung kurzweg auch über den sexe ab. „Ach die Weiber! auch die Geſcheiteſte diſputiert ohne Logik!“ Wo er nur dieſe Entdeckung gemacht haben mag! Wenn er eimnal eine Frau hat, wird er ſehr froh fein, daß fie ihm nicht mit der Logik des Kopfes immer entgegentritt, ſondern der Logik des Herzens folgt. Dabei beſteht die Harmonie zwiſchen Mann und Weib im Ganzen viel beſſer. (16. Juni 1864.)
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ERS Ihr werdet euch über unſeren Miniſterwechſel gewundert haben. Man weiß noch nicht alles darüber; ſo viel iſt aber ſicher, daß der junge König einen ſehr feſten Willen hat und ſchon gar gerne ſagt: ich befehl's. Da ſcheint denn Mulzer läſtig geworden zu ſein. Bei Zwehl, der eine ſehr geſchmeidige, biegſame Natur iſt, wurde mir geſagt: der König halte ihn für zu ſchwankend; er habe dem Könige den Eindruck gemacht, daß er nicht klar, feiner Sache nicht gewiß fei etc. Neumeyer dagegen gefällt ihm als Miniſter. Von den beiden neuen weiß man wenig. Da man, ſcheint es, von einem Miniſter einerfeits klare Beſtinuntheit, anderſeits große Biegſamkeit erwartet und dieſe beiden Dinge ſich gewöhnlich nicht beiſannnen finden, fondern eher wie die Eimer eines Brunnens ſich verhalten, fo werden auch die neuen
ſehr unſicher ſich auf ihren Miniſterſtühlen fühlen. (7. Auguſt 1864.)
Richard Wagner in München
König Ludwig II. hatte Wagner in deſſen troſtloſeſter Stunde ſeine hilfreiche Hand entgegengeſtreckt. Wagner dankte dafür mit dieſem Brief:
Teurer huldvoller König!
Dieſe Tränen birmmlifchefter Rührung ſende ich Ihnen, um Ihnen zu ſagen, daß num die Wunder der Poeſie wie eine göttliche Wirklichkeit in mein armes, liebebe⸗ dürftiges Leben getreten ſind! — Und dieſes Leben, ſein letztes Dichten und Tönen gehört nun Ihnen, mein gnadenreicher junger König: verfügen Sie darüber, als über Ihr Eigentum! Im höchſten Entzücken, treu und wahr
Stuttgart, 3. Mai 1864. Ihr Untertan Richard Wagner.
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Friedrich Pecht, ein alter Freund Richard Wagners, berichtet in feinen Er⸗ innerungen „Aus meiner Zeit“ über Wagners Verhältnis zu König Ludwig II.:
Die Schwärmerei des jungen Königs für den Tondichter hatte zuerſt etwas faſt Kindliches, er behandelte ihn durchwegs als Ratgeber und Freund, während Wagner wieder die väterlichſte Zärtlichkeit für ihn zur Schau trug, aber zugleich auch in Ge⸗ danken gleich das Königreich Bayern mitregierte. So bekam ich denn auch viele Briefe und Billete des Königs an Wagner zu leſen, die mir ſchon damals weit mehr als durch ihren Geiſt durch ihre Uberſchwenglichkeit auffielen. Daß dieſelbe durch den
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Umgang mit dem genialen, aber zugleich unglaublich aufgeregten Meiſter nicht ver- mindert werden konnte, lag auf der Hand, umfomehr als derfelbe ſehr geneigt war, die ganze Menſchheit, mit einigen kleinen Ausnahmen, zu verachten und für bloßes Material zum Verbrauchtwerden durch die Auserwählten zu halten. Wagner hat daher ganz ſicher keinen guten Einfluß auf den jungen König ausgeübt, jedenfalls deſſen Neigung, ſich in eine phantaſtiſche Traunnvelt einzuſpinnen, nur geſteigert. War er doch ſelber nur zu ſehr disponiert, dieſe Welt nur dazu vorhanden zu glauben, Wag⸗ nerſche Muſik zu hören und alles andere daneben gering zu ſchätzen. Solch natür- licher Egoismus des Genies war aber alles eher als von günſtigem Einfluß für einen Charakter wie den jungen König, da es den ſeinigen nur ſteigern konnte. Da Wagner überdies eine Menge Schulden und große Bedürfniſſe hatte, ſo war er genötigt, die Kaffe des Königs übermäßig in Anſpruch zu nehmen, was ihm jedenfalls die ſtille Feindſchaft aller Hofbeamten zuzog.
So kamen denn alsbald die abenteuerlichſten Gerüchte über ſeine Ausbeutung des hohen Beſchützers ins Publikum. Der biedere Philiſter nicht allein, ſondern auch die Hofkreiſe würden es ganz natürlich gefunden haben, wenn der König an eine hübſche Mattreſſe zehnmal jo viel gewendet hätte, aber an einen großen Künſtler — das war unerträglich! Man verſtand es denn auch von gewiſſer Seite vortrefflich, die über eine angebliche Günſtlingsherrſchaft entſtandene Aufregung noch zu ſteigern. In Wahr⸗ heit exiſtierte dieſelbe aber gar nie, denn es zeigte ſich ſehr bald, daß der König zwar wohl Wagners Umgang gelegentlich liebte, aber nicht im geringſten geneigt war, ſich durch ihn oder irgend jemand anderen übermäßig beeinfluſſen zu laſſen. In dieſer Beziehung war das wechſelſeitige Verhältnis im Gegenteil ſogar nie ganz aufrichtig. Der König ward oft ärgerlich über Wagner und entwickelte überhaupt früh einen Charakter ohne jede Hingebung. — — — Das außerordentlich einſchmeichelnde und verführeriſche Weſen, das Wagner in ſo hohem Grade zu Gebote ſtand, gefiel offenbar dem jungen Fürſten ſehr, ohne daß er indes jemals auch nur einen Augenblick den ungeheueren Abſtand vergeſſen hätte, der einen Fürſten nicht nur ſeiner Meinung nach von allen übrigen Sterblichen trennt. Ohne Zweifel hätte ſich Wag⸗ ner in München, beſchützt vom König, wie er es war, immerhin noch lange halten können, wenn er nicht in Hans von Bülow einen Genoſſen hergezogen hätte, der es in ganz ungewöhnlichem Grade verſtand, bei den Münchnern ſich unbeliebt und Wagner zahlloſe Feinde zu machen.
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Ich mußte noch einmal fehr lebhaft an den Wagnerſchen Angelegenheiten teil- nehmen. Es war das bei dem projektierten großen Feſttheater für die Aufführung Wagnerſcher Opern, das der König drüben über der Iſar errichten laſſen wollte. Da empfahl ich nun Wagner ſeinen alten Unglücksgenoſſen Semper für den Bau, der denn auch richtig gewählt und zur Anfertigung von herrlichen Plänen und Mo⸗ dellen veranlaßt ward, was ihn mehrfach nach München führte, ſo daß wir ſchon hofften, ihn ganz dahin gezogen zu ſehen. Da erhob ſich aber über dieſes Projekt, deſſen ſich zu freuen die Münchner alle Urſache gehabt hätten, da es ihre Stadt um eine herrliche Zierde bereichert und ihnen einen großen Künſtler gewonnen hätte, ein ſolcher Sturm in der Preſſe und in der mißleiteten Bevölkerung, daß der König es ein für allemal aufgab, für München irgend etwas zu tun. Er hat denn auch bekanntlich alle ſeine Schlöſſer auswärts gebaut; das Theater aber ward in Bayreuth als eine Bretterbude errichtet und hat dieſer Stadt die Millionen eingetragen, welche die aufgehetzten Münchner ſo unvernünftig verſcherzten. |
Da mit der Dumiheit und Roheit eines hohen wie niederen Pöbels bekanntlich ſelbſt die Götter vergeblich kämpfen, ſo gab zuletzt auch Wagner den Widerſtand auf und zog in die Schweiz, wo man ihn gewiß nicht beſſer verſtand, aber wenigftens in Ruhe ließ. Denn das Merkwürdigſte an dieſem Münchner Aufenthalt war und blieb, daß ſelbſt zur Zeit ihrer größten Empörung gegen den Meiſter die Münchner doch ſeine Muſik immer gleich gerne hörten und ſeine Opern das Theater jedesmal bis zum letzten Platz füllten. Sie bewieſen alſo, daß ſie den großen Künſtler ſehr gut vom Menſchen zu trennen wußten, der ihnen allein antipathiſch war und blieb, weil er nun einmal ſo wenig zu ihrer phlegmatiſchen und ſchlichten Art paßte, wie der 9 auf den Gaſteig paſſen würde.
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Ignaz von Döllinger läßt in feinen „Briefen an eine junge Freundin“ das Ver⸗ hältnis des Königs zu Wagner wiederholt anklingen, ſo am 29. Dezember 1864:
e Unſer junger König hat doch angefangen, die geiſtige Leere, die ſeine mangelhafte Erziehung in ihm gelaſſen hat, einigermaßen ausfüllen zu wollen. Pro⸗ feſſor Huber foll ihn in die Philoſophie eimweihen — eine ungemein ſchwierige Aufgabe! Inzwiſchen hält fein Enthuſtasmus für die Muſik an. Neben Richard Wagner hat er num auch einen Klavierfpieler, Hans von Bülow aus Berlin, deſſen Frau eine Tochter Liſzts iſt, hieher gezogen, als „Vorſpieler Sr. Majeſtät des Königs“. Und
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Karl Spitzweg vor der Staffelei. Zeichnung von Eduard Grützner
eben iſt von einer dritten muſikaliſchen Berufung die Rede: Peter Cornelius. Wenn das fo fortgeht, werden den guten Bayern die fremden Tonkünſtler bald fo widerwärtig werden, als ihnen die vom Vater hereingerufenen freinden Gelehrten geworden find. 27. Januar 1863.
. Von unſerm König erzählt man ſich fortwährend viel Gutes; er iſt geiſtig begabter als fein Vater, allem Gemeinen entſchieden abhold, religiös und zu ſtiller, einſamer Zurückgezogenheit geneigt. Bei Audienzen-Erteilungen ſind ihm jene Männer willkonunen, aus deren Geſpräch er etwas lernen kann, wie er ſagt. Seine vorherr— ſchende Neigung iſt bis jetzt Muſik und das ernſte Drama. Er hat verlangt, daß die großen Tragödien ganz unverkürze gegeben werden ſollen. Sein Hauptgünſtling iſt noch inner Wagner, der ihn denn auch ſehr viel Geld koſtet. Da er kein rechtes muſikaliſches Gehör beſitzt, ſo weiß man ſich dieſe Vorliebe nicht recht zu erklären. Übrigens iſt der König ſehr gutmütig, es macht ihm Freude zu ſchenken; zugleich aber auch ſehr eiferfüichtig auf feine Königsmacht, hierin feinem Großvater ähnlich.
*
Der König mußte ſchließlich Wagner ziehen laſſen. Seine Stimmung vertraute
er am 8. Dezember 1863 dieſem Briefe an: Mein teuerer, inniggeliebter Freund!
Worte können den Schmerz nicht ſchildern, der mir das Innere zerwühlt. — Was nur irgend möglich, ſoll geſchehen, um jene elenden, neueſten Zeitungsberichte zu widerlegen. Daß es bis dahin kommen mußte! Unſere Ideale ſollen treu gepflegt werden; dies brauche ich Ihnen kaum erſt zu verſichern. Schreiben wir uns oft und viel, ich bitte darum. Wir kennen uns ja; wir wollen von der Freundſchaft nie laſſen, die uns verbindet. Um Ihrer Ruhe willen mußte ich fo handeln.
Verkennen Sie mich nicht, ſelbſt nicht auf einen Augenblick, es wäre Höllenqual für mich. — Heil dem geliebteſten Freunde! Gedeihen feinen Schöpfungen! Herzlichen Gruß aus ganzer Seele von Ihrem treuen Ludwig.
Richard Wagner (1813-1883) brachte während feines eineinhalbjährigen Münchner Aufenthaltes am 10. Juli 1865 fein Muſikdrama „Triſtan und Iſolde“ zur Uraufführung. Im Dezember 1865 über: ſiedelte er nach Triebſchen bei Luzern und vollendete dort „Die Meiſterſinger von Nürnberg“; ſie wurden am 21. Juni 1868 in München uraufgeführt, dabei ſaß Wagner in der Königsloge an der Seite Ludwigs.
Hans von Bülow (1830 — 1894) kam als Hofpianift 1864 nach München, wurde 1867 Direktor der reorganiſierten Muſikſchule und Hofkapellmeiſter; aber ſchon 1869 verließ er München, nachdem ſich ſeine Gattin Coſima, eine Tochter Liſzts, von ihm getrennt hatte, um ſich mit Wagner zu vereinigen.
Peter Cornelius (1824— 1874), ein Neffe des Malers, der Komponiſt der Oper „Der Barbier von Bagdad“, war von 1864 an als Lehrer an der Münchner Mufſikſchule tätig.
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Stimmung 1866
Fürſt Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürft (1819 — 1901), damals bayeriſcher Reichsrat, ſeit 31. Dezember 1866 bayeriſcher Miniſterpräſident, blieb in dieſem Amt bis zum 7. März 1870, wurde ſpäter Statthalter von Elſaß⸗Lothringen und 1894 deutſcher Reichskanzler. In den aus ſeinen Tagebüchern geſchöpften „Denk⸗ würdigkeiten“ gibt er folgende Schilderung der Begebenheiten von 1866, ſoweit ſie Bayern betreffen, in ihrer Rückwirkung auf München:
31. Mai 1866. Die Stimmung iſt hier gegen Preußen. Die Sympathien für Preußen, die in der Armee geherrſcht haben, ſind verſchwunden, wie man ſagt. Ich ging geſtern lange mit Bodenſtedt auf dem Dultplag auf und ab, der insbeſondere für Volksbewaffnung ſprach, natürlich neben den ſtehenden Heeren. Es ſei nun ein⸗ mal ein Schlagwort der Demokratie, und wenn die Leute ſich dieſe Koſten und Un⸗ annehmlichkeiten machen wollten, ſo ſolle man ſie damit beglücken. Revolution werde dadurch nicht entſtehen.
Der König hat ſich unter den Münchner Bürgern durch ſeine Reiſe nach der Schweiz ſehr geſchadet. Man ſoll ihm öffentlich auf der Straße Schimpfworte nachgerufen haben. Bei der Fahrt nach der Kirche am Eröffnungstag des Landtages iſt er vom Publikum nicht behurrat worden, und man hat ihn kaum gegrüßt. Nun hat er den Polizeidirektor Pfeufer, wie man ſagt, deshalb nach Augsburg als Re⸗ gierungsdirektor verſetzt und Fritz Luxburg zum Polizeidirektor ernannt, der darüber unglücklich iſt und ſich noch nicht entſchieden hat, ob er annehmen ſoll.
Pfordten erklärt wiederholt, daß er die Wirtſchaft ſatt habe, bleibt aber doch und wird wahrſcheinlich als Bundesbevollmächtigter zu den Konferenzen gehen. Ich be⸗ greife nicht recht, wie dies mit dem Landtag zuſammenpaſſen wird, da dann kein Miniſter da iſt, der die Vorlagen der Regierung vertreten kann.
*
Geſtern Abend (2. Juni 1866) war wieder Bierkrawall im Sterngarten. Die
Landwehr ſchoß auf die Tumultanten, wobei ein Menſch getötet und zwei verwun⸗
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det wurden. Ich hörte das Schießen, dachte aber, es fei Feuerwerk in einem der Biergärten. Daß dieſer Unfug durch bezahlte Leute veranlaßt wird, unterliegt gar keinem Zweifel. Heute Nachmittag ſoll beim Löwenbräu der Lärm wieder beginnen. Wer es anſtiftet, iſt nicht klar. Die Liberalen ſagen, es ſeien die Ultramontanen, die Revolution machen wollten, um den jungen König zu vertreiben; die andern ſagen, es ſeien Bismarckſche Agenten, die den Spektakel veranlaßten, um Bayern zu nötigen, einen Teil ſeiner Truppen von der Grenze ab- und nach dem Innern zu ziehen. *
16. Juni 1866. Die bayeriſche Armee iſt in keinem genügenden Zuſtand. Der Prinz Karl als Oberfeldherr iſt zu alt. Die Offiziere haben kein rechtes Vertrauen in die eigne Kraft. Ich glaube nicht, daß wir große Lorbeeren ernten werden bei der noch fo guten Geſinnung der Mannſchaft und trotz der angeborenen Raufluſtig⸗
Der König ſieht jetzt niemand. Er wohnt mit Taxis und dem Reitknecht Völk auf der Roſeninſel und läßt Feuerwerke abbrennen. Auch die Reichsräte, welche ihm die Adreſſe überbringen wollten, find nicht empfangen worden, ein Fall, der im kon⸗ ſtitutionellen Leben Bayerns unerhört iſt. Ergebenheitsadreſſen nicht zu empfangen und zwar von dem getreuen Reichsrat, das ſtimmt die hohe Kammer ſehr trüb. Die eigentlichen Münchener räſonieren wieder recht. Andere Leute kümmern ſich nicht um die Kindereien des Königs, da er ja die Miniſter mit den Kammern ganz un⸗ geſtört regieren läßt. Es ift aber fein Benehmen unklug, weil es Gelegenheit dazu bietet, ihn verhaßt zu machen
Das große Publikum ſieht die ganze Kriſis mit einer gewiſſen Gleichgültigkeit, mit einem objektiven Intereſſe an. Daß die gegenwärtigen Zuſtände nicht dauern können, das ſieht jedermann ein. Warum für die Erhaltung derſelben Krieg führen?
*
3. Juli 1866. Die Nachrichten aus Böhmen bringen hier eine ſehr nieder— geſchlagene Stimmung hervor. Dazu kommt, daß die bayeriſche Armee aus purer Unfähigkeit ihrer Führer den Hannoveranern nicht zu Hilfe gekommen iſt. Die „Bayeriſche Zeitung“ entſchuldigt dies damit, „daß man im Hauptquartier nicht gewußt habe, wo die Hannoveraner ſeien“. Kann man ſich etwas Abſurderes denken? In unſerem Kriegsminiſterium geht es nach altem bureaukratiſchen Schlendrian her. Selbſtzufriedenheit und Langſamkeit überall. Der Kriegsminiſter von Lutz iſt, ſoviel
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ich in den Ausſchußſitzungen der Kammer der Reichsräte beurteilen konnte, ein Mann von ſehr geringen geiſtigen Fähigkeiten. Ein ſolcher Mann, der ſich noch dazu neu⸗ lich feinen Kopf beim Aufſteigen aufs Pferd an die Tür anranmte und dadurch noch unfähiger wurde, leitet jetzt die bayeriſche Armeeverwaltung. Prinz Karl iſt ein alter ängſtlicher Herr; die Generalſtabsoffiziere ſind zum Teil nicht geſcheiter als der Miniſter. Ich ſehe mit Schrecken auf den Fortgang des Krieges. Gut iſt es wenig⸗ ſtens, daß unſere bayeriſchen Soldaten ganz beſonders raufluſtig ſind, insbeſondere wenn ſie gut genährt werden. Es iſt möglich, daß die Soldaten das wieder gut⸗ machen werden, was ihre Führer verfehlen. *
13. Juli 1866. Die letzten Tage hier waren Tage großer Aufregung über die Gefechte in und bei Kiſſingen. Das Publikum machte ſeiner Aufregung durch Schimpfen Luft, wie es unter gewöhnlichen Leuten zu geſchehen pflegt.
13. Auguſt 1866. Geſtern Abend war ich in einer Wolksverfammlung. Ich hielt dort trotz einer Hitze von 23 Grad und einer Stickluft von Menſchen⸗ ausdünſtung und Biergeruch bis 11 Uhr aus. Kolb ſprach gegen den Anſchluß an Preußen, Völk für denſelben. Die Stimmung in der Verſammlung war geteilt. Allgemein war nur der Beifall, wenn die Tapferkeit der Armee gelobt, wenn die Führung derſelben verdammt und wenn auf von der Pfordten geſchümpft wurde. Die Verſammlung war merkwürdig durch die Erregtheit, die ſich in den Geſichtern der Zuhörer kundgab. Ich fand im Saal keinen Platz und brachte den Abend auf einem Geſtell für Bierfäſſer in dem Büfett zu.
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Geſtern (17. Auguſt) ging das Gerücht, Bayern habe mit Preußen eine Allianz geſchloſſen und ihm 100000 Mann zur Verfügung geſtellt, wogegen Preußen auf jede Gebietsabtretung und Geldentſchädigung verzichtet habe. Erkundigungen ergaben aber, daß dies Gerücht erfunden war. Der König beſchäftigt ſich mit Er⸗ findung von Dekorationen für die Oper „Wilhelm Tell“ und läßt ſich Koſtüme machen für Opern, die er dann anzieht, und womit er in feinem Zimmer umbergeht. Unterdeſſen handelt es ſich darum, dem Königreich Bayern dreißigtauſend Einwohner in Franken und ſiebenhunderttauſend in der Pfalz wegzunehmen
Bayern wird wahrſcheinlich zwanzig Millionen Gulden zahlen und einen kleinen Teil von Unterfranken und ein Stück von Oberfranken, Hof uſtv. abtreten müſſen.
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Nun muß ich zur Ehre unſeres Vaterlandes konſtatieren, daß ſelbſt in den ſchlimum⸗ ſten Tagen unſrer neueſten Geſchichte ſich kein Fürſprecher für einen franzöſiſchen Bund gefunden hat, mit Ausnahme vielleicht eines Münchner Winkelblatts, das dieſen Gedanken verteidigt hat. Es bleibt alſo nur das Bündnis mit Preußen. Hier entſteht num die Frage, ob es jetzt ſchon an der Zeit ſei, dieſes Bündnis anzuſtreben. Man konnte dagegen einwenden, es ſei Bayerns nicht würdig, jetzt ſchon dem ſiegreichen Feind die Hand zu reichen. Ich geſtehe, daß ich dieſen Einwand nie verſtanden habe. Wir haben Frieden mit Preußen geſchloſſen; Friede aber bedeutet Verſöhnung und ſchließt jeden Gedanken der Rache und Bitterkeit aus.
Prinz Karl (1795 - 1875) war feit 1841 bayeriſcher Feldmarſchall und Oberkommandierender der baye⸗ riſchen Armee. — L. K. H. von der Pfordten (1811 1880), Freund Oſterreichs und Anhänger der „Trias- idee“, war wiederholt bayeriſcher Staats miniſter des Außeren und Vorſitzender im Minifterrat, trat in ent- ſcheidender Zeit. im Dezember 1864 an die Spitze der bayeriſchen Regierung. Am 29. Dezember 1866 mußte er ſein Amt niederlegen. Sein Nachfolger war Hohenlohe.
Der Friede, geſchloſſen am 22. Auguſt, fiel für Bayern glimpflich aus, es mußten 30 Millionen Gulden bezahlt und die unweſentlichen Gebiete Orb, Kaulsdorf und Gersfeld abgetreten werden.
Mobiliſierungsſtimmung in München 1870
Auch für das Jahr 1870 ſeien die Denkwürdigkeiten des Fürſten Hohenlohe herangezogen. Als Tagebuch⸗Notiz vom 22. Juli 1870 lieſt man dort:
Die Sitzung der Kammer der Abgeordneten vom 19. war für mich perſönlich von größerer Wichtigkeit, als ich anfangs glaubte, und ich kann Gott danken, daß die Regierungsvorlage angenommen wurde. Wäre ſtatt der Kriegskoſtenbewilligung die Neutralität beſchloſſen worden, fo würde das ganze Miniſterunm zurückgetreten ſein. Dann würde man ohne Zweifel an mich gekommen ſein mit dem Auftrag, ein neues Miniſterium zu bilden. Dies hätte nur ein ſehr entſchieden fortſchrittliches fein können, welches die Kammer aufgelöſt, die Verfaſſung ſuspendiert, den Belagerungs— zuſtand verkündet und den Krieg begonnen hätte. Das wäre ein ſehr gefährliches Experiment geweſen, bei dem ich meinen Hals riskiert hätte. Denn wäre die Sache ſchlecht ausgefallen, ſiegten die Franzoſen, ſo hätte ich dieſelben Schreier gegen mich gehabt, die jetzt den Krieg wollen, und ich würde mit Schimpf und Schande davon⸗ gejagt worden fein. Aber auch bei günſtigem Ausgang hätte Bayern wenig profitiert. Es war aljo nicht viel zu gewinnen. Jetzt ift die Sache im Gang; geht Bray jetzt
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ab, was Gott ſei Dank nicht zu erwarten ift, fo kann der Miniſter nichts anderes tun, als auf dem eingeſchlagenen Weg ruhig fortgehen.
Geſtern verbreiteten ſich hier Gerüchte über drohende Haltung von Dfterreich. Dazu trugen die Nachrichten bei, die Quadt von Paris mitbrachte, und welche die Tätigkeit Metternichs als eine ſehr kriegeriſche bezeichnen. Ich war geſtern bei Döl⸗ linger, den ich bat, darauf hinzuwirken, daß der Erzbiſchof etwas tue, um auf die Geiſtlichen beruhigend einzuwirken, daß ſie jetzt, wo die Entſcheidung einmal getroffen iſt, nicht unſere Soldaten aufhetzen. Er riet mir, zu Haneberg zu gehen, was ich auch tat. Haneberg war meiner Anſicht und verſprach mir, mit dem Erzbiſchof zu reden. Dieſe Hetzereien haben jetzt keinen Sinn mehr. Die Mobiliſierung der baye⸗ riſchen Armee geht raſch vor ſich. Hätten wir gute Gewehre, ſo wäre alles gut.
Otto Camillus Hugo Graf von Bray-Steinburg (1807 189), wiederholt bayeriſcher Staats miniſter, trat am 7. März 1870 an Stelle Hohenlohes an die Spitze des bayeriſchen Staats miniſteriums, ſchloß 1870 in Verſailles d e Bayern in das deutſche Reich eintrat. a
ereim, herein mit Siegesfang. Am Helm den Ehrenſtrauß, Zieht ein bei vollem Hörnerklang In Euer Vaterhaus, Aus Sturm und Kampf und Pulverdampf In Euer Vaterhaus!
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Holzſchnitt nach einer Zeichnung von Theodor Horſchelt. Aus den „Fliegenden Blättern“
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Bei den Türmern auf der Frauenkirche
Ein freundliches, an Spitzwegs Kunſt gemahnendes Idyll entwirft in liebens⸗ würdiger Kleinmalerei Anton Mayer, Benefiziat an der Domkirche, in feinem 1868 erſchienenen Gedenkbuch „Die Domkirche zu Unſerer lieben Frau“:
An der Nordſeite des inneren Turmraumes iſt das kleine heimliche Stübchen, worin die Männer haufen, deren wachendes Auge über Münchens weites Häufer- gewühle Tag und Nacht hinſchaut, und haben ſie auch nicht wie früher nur zu oft nach feindlichen Kriegsſcharen zu ſpähen, ob fie der Stadt ſich nicht plötzlich ver- derbenbringend nahen, fo blicken fie doch ſorglich aus allen Fenſtern ringsumher — nach allen Richtungen hin, ob nicht des Feuers grauſe Macht entfeſſelt werde, irgendwo Hab und Leben bedrohend ſich erhebe. Und ſehen ſie ſolches, dann eilen ſie geſchäftig, die Stadt in Kenntnis zu ſetzen von der Gefahr. Da wird bei Tage die Feuerfahne, bei Nacht die Feuerlaterne nach der Richtung hin ausgehängt, in welcher der Brand ſichtbar; da wird an der großen Salveglocke mit mächtigem Hammer angeſchlagen und zwar um ſo öfter und andauernder, je höher die Lohe ſich erhebt; Trompetenſtöße ertönen vom Turme, und durch ein langes Sprachrohr wird die Gegend des Brandes hinabgerufen!
Und ſo wandern und wachen dieſe Männer — und wenn unter ihnen das Uhr⸗ werk den Hammer hebt und die Viertelſtunden an der Frauenglocke, die Stunden aber an der mächtigen Galveglode ſchlägt, da erklingt für die Wächter jedesmal ein eigen Glöcklein und ruft ſie zum ſogenannten „Nachſchlagen“ auf der dritten, der alten Roſenkranz⸗Glocke. Jede Viertelſtunde haben ſie auch eine uhrartige, kleine Mechanik zu verändern, jeden Tag aber wird dieſes Kunſtwerk zur magiſtratiſchen Behörde gebracht und dort kontrolliert, ob keine Viertelſtunde von ihnen vernach- läſſigt worden. Es iſt nämlich an jedem Fenſter der Türmerwohnung ein Uhrſchlüſſel angebracht, womit dies Werk jede Viertelſtunde aufgezogen wird, damit der Wächter jede Viertelſtunde durch alle Fenſter zu ſchauen genötigt ſei. Jede Unterlaſſung wird im Werke ſichtbar.
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Wahrlich ein poeftereiches, wenn auch beſchwerliches Leben: immer rege, immer bewegt. Drunten ruht in ſtiller Macht die weite Stadt, und ſelbſt das wundeſte Herz findet im Schlafe bisweilen ein Vergeſſen — Jubel und Klage, Übermut und Unglück, Sünde und Entbehrung finden ihre Ruheſtunden: der Wächter des Turmes aber wandert und ſpäht und ſchlägt die Stunden nach, als habe ſein Herz ſonſt keine Sorge als die für die Stadt, und doch mag ſchon ſo mancher da droben auch allerlei bitteres Weh und ſchwere Kümmernis in ſich getragen und ein⸗ ſame, ſtille Tränen in die Stadt hinabgeſendet haben!
Ich will die Namen der Mänmer hier mitteilen, welche derzeit auf dem nörd⸗ lichen Frauenkirchtumm als Wächter über München angeſtellt find, fie heißen: Leonhard Linner, Thomas Reithmaier und Simon Weber.
Oſtlich von dem Stübchen der Türmer iſt die Treppe zur Kuppel, welche bis zu einer ovalen mit einem Kupferdeckel geſchloſſenen Offnung führt, aus der man den großen Knopf ſo nahe ſieht, daß ſchon mancher ſonderliche Wagehals bis zu dem⸗ ſelben emporkletterte und, weil er vielleicht ſonſt keine Gelegenheit hatte, berühmt zu werden, feinen Mamen in den Meſſingknopf ſchnitt, um der Nachwelt einen ganz unbekannten Toren zu nennen, der ſein Leben für nichts aufs Spiel ſetzte!
An der Wand des Turmraumes außerhalb der Wächterſtube ſind die Ziffern und Zeiger der Turmuhr angemalt, und man ſieht ſtaunend, daß die Ziffern des 16 Fuß großen Uhrblattes 3 / Schuh, die Zeiger aber 7 und 6 Schuh lang ſind.
Zu den Bewohnern der Frauentürme zählen auch jene zahlloſen Dohlen, welche der Münchner „Dacheln“ heißt, und deren Anweſenheit und Geſchrei man erſt liebgewann, als ſich in den Jahren der Cholera gezeigt hatte, daß ihr Entfernen und Verſtummen derſelben vorhergegangen und ihre ſchwarze Schar erſt wieder eingezogen war, als die Krankheit erloſchen. Tote und doch lebensvolle Bewohner der Türme ſind dann die zehn Glocken, drei auf dem nördlichen und ſieben auf dem ſüdlichen Turme. Im nördlichen Turme hängen die Saloeglocke, die Frauen⸗ glocke und die Roſenkranzglocke; im ſüdlichen finden wir die ſieben kleineren Glocken, nämlich die Bennoglocke, die Winklerin, die Mittagsglocke, die ſogenannte Präſenz⸗ glocke, die Frühmeßglocke, das Ausſetzglöcklein und die Chor⸗ oder Herrenglocke, auch „Klingl“ genannt, die leichteſte von allen, da fie nur 300 Pfund ſchwer it, während die Galveglode 125 Zentner wiegt.
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Die Künſtler in München um das Jahr 1870
Hans Thoma kam 1869 als junger Kunſtentflanunter nach München. Seine Eindrücke und Erinnerungen hat er in einem Aufſatz „In München im Anfang der ſiebziger Jahre“ niedergelegt, der zuerſt in den „Süddeutſchen Monatsheften“ erſchien und dann in ſein Buch „Im Herbſte des Lebens“ überging:
Mit Hoffnungen, Erwartungen, Befürchtungen tritt man in eine ſolche Stadt, — und gerade München hat einen geheimnisvollen Zauber, von dem ich nicht ſprechen will, weil er allgemein bekannt und anerkannt iſt. Es iſt freilich jetzt ſchon dreißig Jahre her, aber ich glaube, daß das, was ich über München ſage, auch jetzt noch gelten wird. Ich hatte das Gefühl, in eine Stadt eingetreten zu ſein, in der deutſches Weſen in einem Stamm von Eigenheit noch über gute Kräfte verfügt. Die Bayern, ein frohgemutes Volk und wohl der kunſtbegabteſte Stamm der Deutſchen, — eine Stadt, in der leben und leben laſſen noch recht viel Geltung hat. Das von mir durch die Not erworbene Unabhängigkeitsgefühl kam wohl hier beſſer zur Geltung als irgendwo anders. So wie in München fühlt ſich der Künſtler doch in keiner anderen deutſchen Stadt. Teilnehmend ratende Freunde erwarteten mich dort, und ich mietete ein recht kleines Atelier. Ich wollte in aller Stille für mich bleiben und fing auch ein beſtelltes Bild zu Hebels „Morgenſtern“ an zu malen. Einer der guten Freunde ſprach mir aber eifrig zu, ich müſſe in die Pilotyſchule eintreten, wenn ich in München vorwärts kommen wolle. Ich hatte aber, nachdem ich Pilotybilder geſehen hatte, keine Luft hierzu — befonders der „Kolumbus“ war ſchuld daran; ich konnte mein künſtleriſches Fühlen nun einmal in keinen Zuſammenhang bringen mit der Entdeckung Amerikas, ſo ſehr ich dieſe Tatſache auch ſchätzte. Was ſollte ich in der Pilotyſchule? Der gut meinende Freund kam wieder und wurde dringender, und auf meine etwas ſchwachmütige Ausrede, daß ich gehört habe, die Pilotyſchule ſei überfüllt, Piloty nehme keine Schüler mehr an, ſagte er mir, er wiſſe beſtinunt, daß ich genommen werde. So mußte ich nun offen herausrücken und ihm ſagen, daß ich in gar keine Schule mehr eintreten wolle. Um vor ihm nicht etwa als hochmütig zu erſcheinen, ſagte ich
Ein Jahrhundert München 19
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ihm, daß, wenn ich einen Berater in München brauchte, ich mich an Viktor Müller wenden würde; da wurde er ganz verdutzt: „Kennen Sie den? Nehmen Sie ſich in acht; das iſt ein Egoiſt!“
Freilich kannte ich ihn ſchon, dieſen lieben Egoiſten, dieſen Menſchen mit der vollen, weichen, behaglichen Künſtlernatur voll Güte, — Egoiſt genannt, weil er ſich gar nicht viel um den allgemeinen Kunſttrubel Fürmmerte, ruhig ablehnte, was feinem Fühlen zinwider war, aber herzlich dankbar, vollſtändig neidlos das anerkannte, was ihm zum Herzen ging von künſtleriſchen Dingen. Er war genußſüchtig nach Kunſt, er war umgänglich in Geſellſchaft, und mit großer Geduld konnte er zuhören, wenn unreife Kunſtweisheit vor ihm ausgekramt wurde. Freilich konnte es bei ſolcher Gelegenheit auch paſſieren, daß er wie ein Donnerwetter plötzlich auf einen ahnungs⸗ loſen Kunſtintereſſenten losfuhr; es waren in dieſer Art mancherlei Anekdoten in Umlauf. Zart und weich war er freilich dann gar nicht mehr, ſondern von einer Art, man könnte ſagen, liebenswürdiger, hagebuchener Grobheit, wie man ihr in Frankfurt, wo er ja her war, begegnen kann.
Um Viktor Müller bildete ſich eine kleine Gruppe von Künſtlern, und wenn der Name Sezeſſion damals ſchon bekannt geweſen wäre, ſo wäre dies wohl die erſte Münchener Sezeſſion geweſen. Wir wurden eigentlich ſezeſſtoniert, denn wir gehörten eben, ob wir wollten oder nicht, nicht dazu; wir ſtanden abſeits von der großen Kunſt⸗ blüte, die mit den Gründerjahren hereingebrochen war. Für die Kunſthändler exi⸗ ſtierten wir nicht — alſo exiſtierten wir überhaupt nicht; es waren auch nur ganz wenige, und es war für niemand verlockend, ſich uns anzuſchließen, Scholderer, Haider, Sattler, Eyſen; auch Leibl mag, ſolange Müller gelebt hat, dazu gehört haben. In treuer Kunſtliebe hielt Dr. Bayersdorfer zu uns, den ich bei Viktor Müller kennen lernte. Programm hatten wir keines. Bayersdorfer kam dahinter, daß „unverfäufliche Bilder“ fo ungefähr unſer Progrannn ſei.
In dieſes ſchöne Zuſammenleben mit Viktor Müller trat ein jäher Schluß. Ich war im Dezember 1872 einige Tage unwohl, und als ich wieder ins Atelier kam und Müller nicht fand, ging ich in ſeine Wohmmg; da lag er ſchon ſchwer krank zu Bett, und in wenig Tagen war er tot. Er war etwa 42 Jahre alt; ſein Grab iſt auf dem Frankfurter Friedhof. |
Es war für uns jüngere Künſtler, die in ihm eine Art von Führer gefehen hatten, ein recht ſchwerer Schlag. So Gutes er auch ſchon geſchaffen hatte, — ſein Werk
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war noch nicht zur vollen Reife gelangt, denn er war einer von denen, die um der Sache willen nach Klarheit und Vollendung ſtreben.
Viktor Müller war es auch, der mich bei Böcklin einführte; ſchon vorher hatte er mir von dem Bild mit den zwei Faunen erzählt, das auf dieſer Ausſtellung war. Das iſt jetzt freilich nicht merkwürdig, aber es geſchah zu einer Zeit, da ich von ſpäter zu Böcklinſchwärmern gewordenen, berühmten Malern den Ausſpruch hörte, es fei viel Unſinniges auf dieſer Ausſtellung, aber der Gipfel der Narrheit ſei das Bild von Böcklin.
So gerne ich mit Böcklin, meiſt Sonntag vormittags, in die Alte Pinakothek ging, nach ſeinem Ausſpruch in München der einzige Ort, wo man keinen Malern begegnete, ſo folgte ich ihm doch nicht gerne zu den Rembrandtbildern, die ihm höchſt zuwider waren. Böcklin ging ſehr bald nach Italien, ſo daß mein Zuſammenſein mit ihm nur kurz war.
Mit Leibl verkehrte ich viel, und wir hatten uns gerne; jedoch merkte ich ein ge- wiſſes Mißtrauen gegen mich, weil ich im Verdachte ſtand, zu laſieren und andere Kunſtſtücke beim Malen anzuwenden, die vor ſeinem ehrlichen Primamalen ihm wie Sünden erſchienen. Der Frankfurter Maler Eyſen kam ab und zu nach München; er war mit Leibl ſehr befreundet, und ſein hochgebildetes, unbeſtechliches Urteil war uns von hohem Wert.
Mit Stäbli war ich von Karlsruhe her ſchon befreundet; er hat den Kampf mit der Lebensnot wacker beſtanden, ja denſelben mit einer Art von Fröhlichkeit und Übermut geführt, ein Kind von Frohſinn und guter Laune, dabei aber feſt an dem haltend, was ſeine Sache war, und immer mehr ſeine ſtarke Eigenheit entwickelnd. Er ſchien ſich gar nicht darum zu künnnern, daß ihm wenig Anerkennung zuteil wurde, und er hatte recht daran, ſo ſehr es auch ſeine Freunde betrauerten, daß die⸗ ſelbe ihm erſt am Ende ſeines Lebens zuteil wurde. Mir war er ein treuer, teilnehmender Freund. Auch mit Fröhlicher, einer feſtgefügten, ſympathiſchen Schweizernatur, ſtand ich in guter Freundſchaft, und ich verkehrte beſonders viel mit dieſen beiden.
Dr. Bayersdorfers Geiſtesreichtun war uns allen viel wert; fein ſcharfes Urteil und treffendes Wort war eine gute Waffe, die mit den Jahren immer mehr Geltung gewann; trotz ſeines ſchlagfertigen Witzes war er doch kein Spötter. Davor hatte ihn der hohe Ernſt bewahrt, mit dem er die Kunſt ſo aufrichtig liebte. Sein Sinn war geſund, und fo hat er innner ſegensreich für die Entwicklung des Guten in der
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Kunſt gewirkt, aber ganz in feiner Weiſe ohne Programm, man könnte fagen ohne Plan, nur durch fein perſönliches Sein und durch perfönlichen Verkehr. Die viel⸗ fachen Pläne, die auftauchten, auch die Aufforderungen, zu ſchreiben, hat er ſelten ausgeführt; — er kam halt nicht dazu.
Da ich jetzt einmal das Wort habe, ſo kann ich mich nicht verwinden, auch etwas darüber zu ſagen, wie die Münchener öffentliche Kritik ſich zu meinen Arbeiten ver⸗ halten hat. Der Kritiker der Allgemeinen Zeitung war wohl der Hauptleithammel in den ſiebziger Jahren; derſelbe verglich die Kunſt gerne mit politiſchen Parteibildungen, und ſo paßte es ihm, mich den „nicht talentloſen Begründer der ſozialdemokratiſchen Malerei“ zu nennen; es iſt freilich ſchlinun genug, wenn man für die Kunſtbeur⸗ teilung keinen anderen Maßſtab anlegt, als den Vergleich mit politiſchen Partei⸗ bildungen, aber wenn die Leſer fo dutum find, wie der Schreiber boshaft, fo leuchtet ihnen dies zu allermeiſt ein. Die Ordnungsparteien in der Kunſt werden durch ſo ein Schlagwort auf eine verderbenbringende Wirkung aufmerkſam gemacht. Die Reinheit der Kunſtabſicht wird verdächtigt, oder es wird von der Vorausſetzung ausgegangen, daß ſie überhaupt nur dazu da ſei, derartige Parteibildungen zu ſtärken, ihnen zu dienen und dergleichen. Beſagter Kritiker ſcheint ſich aber doch für mich intereſſiert zu haben; er ließ ziemlich direkt durch einen gemeinſamen Bekannten mir die Frage vorlegen, wenn man nur wüßte, wo hinaus ich denn eigentlich mit meiner Malerei wollte. Worauf ich mit voller Überzeugung antwortete: Ei, ich will gar nirgends hinaus; — ich ſorge nur, daß ich bei mir ſelber bleibe.
Aber das iſt min einmal die Sorge, die ſich gar manche um die Kunſt machen, ſie möchten wiſſen, was ſie denn eigentlich will, und denen es geradezu unheimlich bei ihr wird, wenn ſie ſich keinem der Zwecke, die ihnen gerade am Herzen liegen, einfügen will.
Wenn ein Maler mim gar nach der allgemeinen Meinung des Kunſtvereins⸗ publikums, wie es damals war, offenbar „unverkäufliche Bilder“ malte, fo kam ihm das ſchon faſt bedenklich vor, und gerade die, welche am wenigſten daran denken konnten, etwas zu kaufen, ſchrien am ärgſten.
Von den anderen Kritiken will ich nichts weiter ſagen; eine in einem Lokalblatt fing an: „Meiſter Klex hat wieder ausgeſtellt.“ Ein paar Ausnahmen gab es freilich auch damals ſchon, die ernſthaftere Erwägungen anſtellten. Einmal bekam ich ein anonymes Sonett zugeſchickt, etwa dahin lautend, meine Frechheit ſei groß, daß ich
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es wage, mein Machwerk goldumrahimt vor das Publikum zu bringen — mit dem Schlußreim: „Streich Käſten an und Schrein, — Doch das Malen, das laß ſein.“ Dergleichen Gehäſſigkeiten haben mich aber nie viel angefochten; ich arbeitete un⸗ verdroffen und freute mich an allen Schönheiten des Lebens, der Kunſt und der herr- lichen Matur Münchens; — ich war unempfindlich und unverwundbar — hatte nicht einmal beſonders viel Malehrgeiz, und ich hätte meine Sache auch dann nicht verloren gegeben, wenn ich hätte müſſen ſtreichen „Käſten an und Schrein.“
Hans Thoma, geboren 1839 in Bernau im badiſchen Schwarzwald, lebte von 1869 — 1873 in München.
Die Schule Karl von Pilotys (1826 - 1886), die Thoma verſchmähte, brachte übrigens eine ganze Reihe bedeutender Künſtler hervor, fo Lenbach, Leibl, Defregger, Max, Makart.
Viktor Müller aus Frankfurt (1829 — 1871) ſiedelte 1865 aus Paris nach München über. Hinſichtlich des Ablebens Müllers täuſcht ſich Thoma; er ftarb nicht 1872, ſondern am 21. Dezember 1871.
Arnold Böcklin (1827 1901) lebte von 1871— 1874 in München.
Wilhelm Leibl (1844 1900) lebte von 1864— 1873 in München, dann in deſſen Umgebung in ſtillen Dörfern, in Graßlfing, Unterſchondorf, Berbling, zuletzt in Kutterling bei Feilnbach am Fuß des Wendel⸗ ſteins. Er vereinſamte und ſchuf in der behaglichen Stille feines Jägerlebens feine beſten Gemälde.
Adolf Stäbli (1842— 1901), ſchweizeriſcher Landſchafts maler, kam Ende der 60 er Jahre nach München und bildete dank ſeiner ebenſo feinſinnigen als humorvollen Perſönlichkeit und ſeinem großen maleriſchen Können den Mittelpunkt eines frohen Künſtlerkreiſes, der ſich in der Veltliner Weinſtube zu treffen pflegte.
Dr. Adolf Bayersdorfer (1842 — 1901), Konſervator an der Pinakothek, einer der ausgezeichnetſten Kunſtkenner ſeiner Zeit.
ver Mason Wes bea
Oktober⸗Wieſe mit der im Bau befindlichen St. Paulskirche. Radierung von S. L. Wenban
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Späte Eindrücke
Jacob Burckhardt (1818 — 1893) kam 1877 nach München und ſchrieb von dort an feinen Freund Max Allioth in den „Briefen an einen Architekten“:
Das alte München König Ludwigs I. iſt auch ſehr abgeſtanden. Wenn man, wie ich, bei Antiquaren die Publikationen von damals, die frommzarten Konturſtiche, die romantiſchen Künſtlerporträts und die ganze knotige Romantik in Baukunſt, Bildnerei und Malerei an den Augen vorübergehen ſieht, — wie gänzlich iſt das alles vorbei! Dieſer Tage war ich abends in der Ludwigskirche; Cornelius im⸗ ponierte mir in gewiſſen Sachen noch immer, aber das Gebäude iſt von einer jam⸗ mervollen Miſerabilität, ſodaß man nur ſtreiten kann, ob das Äußere oder das Innere ſchlechter ſei. Wie herrlich dagegen die majeſtätiſche Theatinerkirche und St. Michael! Neben dieſen beiden iſt alle moderne Bauerei hier ſo matt und ſchwach, daß einem „relativ übel!“ wird. Doch nehme ich Triumphbogen und Propyläen und die Alte Pinakothek aus. — Und während dieſe Neueren ſo wenig Großes vermögen, haben ſie die Frauenkirche, die ich vor 21 Jahren noch mit ihren herrlichen Barockgittern an den Kapellen und mit dem köſtlichen Triumphbogen über dem Grab des Kaiſers Ludwig, mitten im Schiffe (und demfelben zur ſchönſten und leichteſten Unterbrechung dienend) geſehen hatte, — dieſe Kirche haben fie mm ſtreng gotiſch purifiziert; vor allem natürlich ein blaues Gewölbe mit Sternen, ſodaß ſie nur noch halb ſo hoch wie früher ausſieht, darunter die achteckigen Pfeiler jetzt cremegelb uſw. — anſtatt dem Hümmel zu danken, wenn ein fo mäßig ausgeſtattetes, gotiſches Gebäude vom heitern Barock iſt in die Kur genommen worden.
Ihr Urteil über das Maximilianeum iſt leider nur zu gerecht; es iſt ein Karton⸗ machwerk, und wenn man die kümmerliche Rückſeite ſieht, wird einem vollends ſchwach. Ich habe nur deshalb einige Dankbarkeit für das Gebäude empfunden, weil es wenigſtens äußerlich in die Formen der Renaiſſance hinüberleitet und den Geiſt von dem jämmerlichen Gotiſch der Maximiliansſtraße befreit.
Heute ließ ich mich mit einem Strom von Menſchen durch die Säle der Reſidenz
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treiben, die Sie ohne Zweifel kennen. Von den Fresken fage ich nichts; in den zwei Schönheitskabinetten des Königs Ludwig I. mußte ich aber geſtehen: trotz der faden, almanachmäßigen Auffaſſung des Hofmalers Stieler, von welchem alle dieſe Por- träts herrühren, — es war an ſich ein königlicher Gedanke, und nur ein König konnte ihn ausführen. Dem reichſten Privatmann zu Gefallen hätte man nicht die Erzher⸗ zogin wie die Schuſtertochter gleichmäßig bewegen können, zum Malen zu ſitzen, damit eine vom Stand ımabhängige, völlig neutrale große Konkurrenz der Schön— heit entftehe. — Himmliſch war, wie der Kuſtode von all den Damen ſagte, wo fie noch lebten, und mit wen fie verheiratet ſeien! Am Trumean des einen Kabi⸗ netts hing 1856 einſam das Bild der Lola Montez mit ihren zwei ſchreckhaften und ſchönen Augen; dasſelbe war jetzt erſetzt durch Frau X, „geborene Daxelberger, Tochter eines Kupferſchmieds von Minchen“, predigte der Kuſtode. — Der Thron⸗ ſaal allein, mit den zwölf goldenen Statuen hat etwas Großartiges, wenngleich dieſe goldenen Wittelsbacher ſämtlich vom Rücken her beleuchtet find. — Aber nun kam die Hauptſache, die Sie vielleicht noch nicht geſehen haben, nämlich die Zimmer Kaiſer Karls VII., aus den Jahren 1730 - 1740 ufiw., geradezu der herrlichſte Rokoko, der auf Erden vorhanden iſt, und an Erfindung und elaſtiſcher Eleganz ſogar den Prachtzimmern von Verſailles überlegen. Man wird jetzt mit dem ganzen Schwarm durchgetrieben, aber ich laſſe mich noch ein paarmal durchtreiben, um mir dieſe wunderbaren Formen noch kräftig einzuprägen. Und zwar iſt es ein Crescendo, von den Vorſälen bis zum Schlafzimmer und dem verrückt prächtigen Toilettenkabinett. 11. Auguſt 1877.
Geſtern Abend z. B. war's im Opernhaus nicht auszuhalten. Man gab Goethes Iphigenie, und ich hatte lange geſchwankt, ob ich dieſes auf der Szene ſterbenslang⸗ weilige, obwohl in Intention und Diktion wunderſchöne Schauſpiel ſehen ſollte — dachte aber am Ende: es wird ja ganz leer und alſo nicht ſehr heiß ſein, und am Ende hörſt du gar rezitieren; — aber o Täuſchung! 1. Das Münchener Publikum hört noch klaſſiſche Stücke um ihrer ſelber willen, und das Theater, fo rieſig es iſt, war ſehr gut beſetzt und mordioglutheiß. — 2. Die Schauſpieler waren inſoweit gut, daß Iphigenie wenigſtens nicht ſtörte, Arkas aber nur ein gutes Organ zu einer geringen Figur hatte und permanent falſch betonte, d. h. immer den Akzent auf das Adjektiv legte, wo er auf das Subſtantib gehörte, und umgekehrt. Dieſer Arkas wurde von Herrn Poſſart gegeben, und nun genierte ich mich, einen Nachbarn zu
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fragen, ob dies der berühmte Poſſart fei; man nimmt fich mit einer ſolchen Frage fo fürchterlich provinzial aus. Die Konſequenz hievon war, daß ich nach einer Viertel⸗ ſtunde mein Geld im Stiche ließ, meinen Überzieher feſt um meine Lenden und Schultern ſchlug und nach dem Ratskeller ſtürmte, wo es dann beſſer war. Ich traf einen Kunſtfreund, der eben aus Italien kam, und wir mokierten uns den ganzen Abend über die Taufen der hieſigen Pinakothek. 24. Auguſt 1877.
Unter dem Triumphbogen iſt das Siegestor, 1850 nach Gärtners Plänen vollendet, zu verſtehen.
Die Renovierung der Frauenkirche, der der 1604 errichtete Bennobogen zum Opfer fiel und der die Verſetzung des Grabmals Ludwig des Bayern unter die Orgelempore brachte, geſchah im Jahre 1861.
Ernſt von Poſſart (geboren 1841), ſeit 1895 Intendant der K. Hoftheater, begründete 1901 das Prinz regententheater und trat bis zu feinem Ausſcheiden aus dem aktiven Dienſt im Jahre 1905 und fpäter noch
häufig als Gaſt im Hofſchauſpiel auf.
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An der Ifar. Radierung von Carl Auguſt Lebſchée
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N
König Ludwig des Zweiten Ende
König Ludwigs geiſtige Erkrankung hatte am 10. Juni zur Einſetzung einer Re- gentſchaft geführt. Der König ſelbſt wurde nach Schloß Berg überführt; in ſeiner Begleitung befand ſich als Hofkavalier Baron Waſhington und der Irrenarzt Geheimrat Dr. von Gudden. Da traf am 14. Juni 1886 (Pfingſtmontag) folgende Bekammmachung der Polizeidirektion die erregten Gemüter der Münchner:
Nachdem Seine Majeſtät der König ſeit ſeiner Ankunft in Schloß Berg den ärztlichen Ratſchlägen ruhig Folge geleiſtet, machte derſelbe geftern Abend 6 / Uhr in Begleitung des Obermedizinalrates von Gudden einen Spaziergang im Park, von dem der König und Dr. von Gudden längere Zeit nicht zurückgekehrt ſind. Nach Durchſuchung des Parkes und des Seeufers wurde Seine Majeſtät mit Gudden im See gefunden. Se. Majeſtät gaben gleichwie Gudden anfangs noch ſchwache Le— benszeichen; die von Dr. Müller vorgenommenen Wiederbelebungsverſuche waren jedoch vergeblich. Um 12 Uhr Nachts wurde der Tod Seiner Majeſtät konſtatiert. Gleiches war bei von Gudden der Fall. Königliche Polizeidirektion.
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Einzelheiten ſind den Depeſchen des Begleiters des Königs, Baron Waſhington, an die Polizeidirektion zu entnehmen:
Halb 11 Uhr Nachts: Der König und Dr. Gudden gingen gegen halb 7 Uhr ſpazieren. Die unternommene Unterſuchung des Parks gab kein Reſultat. Halb ro Uhr wurden der Hut und Mantel des Königs und Dr. von Guddens in der Mähe des Hirſchparkes gefunden. Sogleich wurden Barken auf Suche ausgeſendet.
11 Uhr 55 Min. Seine Majeſtät und Dr. von Gudden ſoeben im See gefunden. Beide geben ſchwache Lebenszeichen. Dr. Müller macht künſtliche Einatmungen.
12 Uhr 30 Min. Nach der Ausſage des Dr. Müller war mit Schlag 12 Uhr bei Seiner Majeſtät ſowie auch bei Dr. von Gudden das Leben geendet.
3 Uhr 10 Min. Das große Unglück wird wahrſcheinlich 6 Minuten vor 7 Uhr ſtattgefunden haben. Die Uhr Seiner Majeſtät zeigt Waſſer zwiſchen Glas und Ziffer⸗
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blatt und iſt um dieſe Zeit ſtehen geblieben. Die Verunglückten wurden an das Ufer gebracht von Dr. Müller und Schloßverwalter Huber. Beide Körper waren nach ärztlicher Ausſage unmittelbar nach Verbringung ins Bett ohne Atmungserſchei⸗ nungen und ohne Puls. Die Wiederbelebungsverſuche wurden von Dr. Müller ab⸗ wechſelnd mit den Pflegern und zwei Gendarmen, früheren Sanitätsſoldaten, 43 Minuten lang fortgeſetzt. Um 12 Uhr wurde die endgiltige Erklärung des Herrn Dr. Müller abgegeben, daß weitere Verſuche nutzlos wären.
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Die Wirkung in der Stadt
München, 14. Juni. Soeben holen Militär⸗Abteilungen aus der Reſidenz die Fahnen zur Vereidigung auf König Otto. Um 11 Uhr findet Miniſterſitzung beim Prinz⸗Regenten ſtatt.
München, 14. Juni. Vor dem Palais des Prinzen Luitpold und vor der Reſi⸗ denz finden große Anſammlungen der Bevölkerung ſtatt, welche aber nur Gefühle der Trauer bekunden und abſolut die höchſte Ruhe beobachten.
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Am gleichen Tage erſchien das Thronfolge⸗Patent.
Im Namen Seiner Majeſtät des Königs.
Bayerns Königliches Haus und ſein in Glück und Unglück treu zu Demſelben ſtehendes Volk iſt vom ſchwerſten Schickſalsſchlage betroffen. Nach Gottes unermeß⸗ lichem Ratſchluſſe iſt Seine Majeſtät König Ludwig II. aus dieſer Zeitlichkeit ge⸗ ſchieden. Durch dieſen, das ganze Vaterland in ſchmerzlichſte Betrübnis verſetzenden Todesfall iſt das Königreich Bayern in der Gefamtvereinigung aller feiner älteren und neueren Gebietsteile nach den Beſtimmungen der Verfaſſungsurkunde auf Grund der Haus⸗ und Staatsverträge Unſerem vielgeliebten Neffen, dem Bruder weiland Seiner Majeſtät, Seiner Königlichen Hoheit dem Prinzen Otto, jetzt Majeſtät, als nächſtem Stanunfolger nach dem Recht der Erſtgeburt und der agnatiſch⸗linealen Erbfolge angefallen.
Da Allerhöchſt⸗Derſelbe durch ein ſchon länger andauerndes Leiden verhindert iſt, die Regierung Allerhöchſt⸗Selbſt zu führen, ſo haben Wir als nächſtberufener Agnat nach den Beſtimmungen der Verfaſſungsurkunde in Allerhöchſtdeſſen Namen die Reichs verweſung zu übernehmen. Die nach der Verfaſſung erforderliche Einberufung
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des Landtages ift bereits verfügt. Indem Wir im Namen Seiner Majeſtät des Königs die Reichsberweſung hiemit übernehmen, verſehen Wir uns zu allen An— gehörigen der Bayeriſchen Erblande, daß ſie Seine Majeſtät den König als ihren rechtmäßigen und einzigen Landesherrn ſo willig als pflichtgemäß erkennen und Aller⸗ höchſt Demſelben und Uns, als dem durch die Verfaſſung berufenen Regenten, un- verbrüchliche Treue und unverweigerlichen Gehorſam leiſten.
Damit der Gang der Staatsgeſchäfte nicht unterbrochen werde, befehlen Wir, daß fäntliche Stellen und Behörden ihre Verrichtungen bis auf nähere Beſtimmung wie bisher nach ihren Amtspflichten fortſetzen, die amtlichen Ausfertigungen von mim an im Namen Seiner Majeſtät des Königs Otto von Bayern, wo folches vorgeſchrieben iſt, erlaſſen, bei der Siegelung aber ſich der bisherigen Siegel ſo lange, bis ihnen die neu zu fertigenden werden zugeſtellt werden, bedienen ſollen. Wir wollen alle Bedienſteten an den von ihnen geleiſteten Werfaffungs- und Dienſtes⸗ eid beſonders erinnert haben und verſehen Uns gnädigſt, daß alle Untertanen Seiner Majeſtät dieſer Unſerer in tiefem Schmerz im Namen des Königs an fie gerichteten Aufforderung in Treue folgen:
Gegeben zu München, den 14. Juni 1886.
Luitpold, Prinz von Bayern Dr. Frhr. o. Lutz, Dr. v. Fäuſtle, Dr. v. Riedel, Frhr. v. Crailsheim, Frhr. o. Feilitzſch, v. Heinleth.
König Ludwig wurde feine Entmündigung im Schloß Neuſchwanſtein mitgeteilt. Nach erregten Szenen ſchickte er ſich ſcheinbar ins Unvermeidliche und ließ ſich nach Schloß Berg überführen. Den Rat des Reichskanzlers Fürſten Bismarck, an den ſich der königliche Flügeladjutant Graf Dürckheim gewandt hatte, nämlich in feine Reſidenz zu fahren und ſich feinem Volke zu zeigen, konnte Ludwig II. nicht mehr ausführen. Er war dazu zu energielos; er vermochte wohl auch die Tragweite des Rates nicht mehr zu ermeſſen. In Berg fügte er ſich willig den Anordnungen des Geheimrats Dr. von Gudden (1824 - 1886), der Direktor der oberbayeriſchen Kreisirrenanſtalt und behandelnder Arzt des Prinzen Otto war, und deſſen Aſſiſtenten Dr. Müller. Daß Ludwig das Los ſeines Bruders Otto teilen und ſein Leben in geiſtiger Um⸗ nachtung beenden werde, war für die Männer ſeiner nächſten Umgebung längſt nicht mehr zweifelhaft. Namentlich ſein Kabinettchef Dr. von Ziegler ſah das voraus. (Siehe das von Walter Rummel nach deſſen Tagebüchern und Briefen heraus gegebene Buch „König und Kabinettchef“)
König Otto (1848— 1917) verlebte feine Tage in völliger geiſtiger Umnachtung in dem ſtillen Schlößchen Fuͤrſtenried bei München. Da der nächſtälteſte Bruder des Königs Max II., der ehemalige, 1862 durch die griechiſche Revolution ſeines Thrones beraubte König Otto von Griechenland, im Jahre 1867 kinder⸗ los in Bamberg verſtorben war, übernahm an ſeiner Statt der nächſtberufene Agnat, Prinz Luitpold (1821191 ), als Prinzregent die Regierung. Unter feinem aufgeklärten, milden Regiment erlebte die Münchner Kunſt ſozuſagen ihre Nachblüte, und die behagliche Stadt wuchs ins Große; es war das letzte Aufleuchten jenes Kulturmünchnertums, das unter Ludwig I. aufgeblüht war.
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Die Zeutenarfeier im Jahre 1888
Hermann Lingg läßt ſich über dieſes merkwürdige Feſt folgendermaßen hören:
Eines der bedeutendſten und ſchönſten Feſte, die in München gefeiert wurden, war die Zentenarfeier für König Ludwig den Erſten. Alle Veranſtaltungen zu dieſer Feier waren großartig und bezeugten die Verehrung und Liebe, die der König im Lande genoß, und bewieſen den Kunſtſimm der Anordner im hohen Grade. Anm intereſſanteſten war der Feſtzug, der ſich durch die Stadt bewegte, und das Intereſſanteſte an dieſem Feſtzug war derjenige Teil des Zuges, welcher die Kauf⸗ mannſchaft und den Verkehr mit dem Ausland verfinnbildlichte. In dieſemm Zug nämlich waren, den Orient vorſtellend, die Elefanten und Dromedare aus einer in München weilenden Menagerie verwendet worden. Als bei einer Biegung des Weges der große Drache aus der Wagnerſchen Oper den Elefanten gegenüber kam, ſcheuten dieſe und nahmen Reißaus. Alle Bemühungen der Wärter, ſie im Zuge zu halten, waren vergeblich. Die Anſtrengungen anderer machten die Tiere nur noch ſcheuer. Es entſtand eine Panik; der Zug löſte ſich auf; die Zuſchauer wogten voll Schrecken durch die Straßen. Gefahrovoll war die Situation der Damen, die nach orientaliſcher Weiſe auf Sitzen auf den Rücken der ſchnaubenden und fliehenden Tiere ſich befanden. Verzweifelnd ſah man fie die Arme ringen, da fie ſich nicht mehr zu helfen wußten. Glücklicherweiſe geſchah kein Unglück; es kam alles wieder in Ordnung. Eine Frau erzählte mir, ſie ſei von der drängenden Menge auf den Boden geſtoßen worden, ein im Trab herankommender Elefant ſei jedoch vorſichtig über fie hinweggeſchritten; das habe fie noch geſehen, dann fei fie in Ohnmacht ge⸗ fallen und bewußtlos aufgehoben worden. Der Anblick der mächtigen Tiere, die trompetend, mit gehobenen Rüſſeln durch unſere Straßen fo ungewohnt daher flürmten und Kandelaber wie Rohre zerbrachen, war ein ſchrecklicher und bezaubernder An⸗ blick zugleich; man glaubte ſich in eine orientaliſche Straßenſzene verſetzt. — Einen eigenen Anblick bildeten nachts die vor der Glyptothek aufgeſtellten Prunk⸗ und Feſt⸗ wagen, man konnte dabei an einen gotiſchen Heerzug unter griechiſchen Säulen denken.
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München leuchtete . ...
Ein Kapitel der Novelle „Gladius Dei“ von Thomas Mann gibt eine Münchner Stimmung um 1900:
München leuchtete. Über den feſtlichen Plätzen und weißen Säulentempeln, den antikiſierenden Monumenten und Barockkirchen, den ſpringenden Brunnen, Paläſten und Gartenanlagen der Reſidenz ſpannte ſich ſtrahlend ein Himmel von blauer Seide, und ihre breiten und lichten, umgrünten und wohlberechneten Perſpektiven lagen in dem Sonnendunſt eines erſten, ſchönen Junitages.
Vogelgeſchwätz und heimlicher Jubel über allen Gaſſen ... Und auf Plätzen und Zeilen rollt, wallt und ſunumt das unüberſtürzte und amüſante Treiben der ſchönen und gemächlichen Stadt. Reiſende aller Nationen kutſchieren in den kleinen, lang⸗ ſamen Droſchken mnher, indem fie rechts und links in wahlloſer Neugier an den Wänden der Häuſer hinaufſchauen, und ſteigen die Freitreppen der Muſeen hinan. ...
Viele Fenſter ſtehen geöffnet, und aus vielen klingt Muſik auf die Straßen hinaus, Übungen auf dem Klavier, der Geige oder dem Violincell, redliche und wohlgemeinte dilettantiſche Bemühungen. Im „Odeon“ aber wird, wie man vernimmt, an mehreren Flügeln ernſtlich ſtudiert.
Junge Leute, die das Nothung⸗Motio pfeifen und abends die Hintergründe des modernen Schauſpielhauſes füllen, wandern, literariſche Zeitſchriften in den Seiten⸗ taſchen ihrer Jackets, in der Univerfität und der Staatsbibliothek aus und ein. Vor der Akademie der bildenden Künſte, die ihre weißen Arme zwiſchen der Türkenſtraße und dem Siegestor ausbreitet, hält eine Hofkaroſſe. Und auf der Höhe der Rampe ſtehen, ſitzen und lagern in farbigen Gruppen die Modelle, pittoreske Greiſe, Kinder und Frauen in der Tracht der Albaner Berge.
Läſſigkeit und haſtloſes Schlendern in all den langen Straßenzügen des Nordens. .... Man iſt von Erwerbsgier nicht gerade gehetzt und verzehrt dortſelbſt, ſondern lebt angenehmen Zwecken. Junge Künſtler, runde Hütchen auf den Hinterköpfen, mit lockeren Kravatten und ohne Stock, unbeſorgte Geſellen, die ihren Mietzins mit
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Farbenſkizzen bezahlen, gehen fpazieren, um dieſen hellblauen Vormittag auf ihre Stimmung wirken zu laffen, und ſehen den kleinen Mädchen nach, dieſem hübſchen, unterſetzten Typus mit dem brünetten Haarbandeaux, den etwas zu großen Füßen und den unbedenklichen Sitten .... Jedes fünfte Haus läßt Atelierfenſterſcheiben in der Sonne blinken. Manchmal tritt ein Kunſtbau aus der Reihe der bürgerlichen hervor, das Werk eines phantaſievollen jungen Architekten, breit und flachbogig, mit bizarrer Ornamentik, voll Witz und Stil. Und plötzlich iſt irgendwo die Türe an einer allzu langweiligen Faſſade von einer kecken Improviſation umrahmt, von fließenden Linien und ſonnigen Farben, Bacchanten, Nixen, roſigen Nacktheiten .
Es iſt ſtets aufs neue ergötzlich, vor den Auslagen der Kunſtſchreinereien und der Bazare für moderne Luxusartikel zu verweilen. Wie viel phantaſievoller Komfort, wie viel linearer Humor in der Geſtalt aller Dinge! Überall ſind die kleinen Skulp⸗ tur⸗, Rahmen- und Antiquitätenhandlungen verſtreut, aus deren Schaufenſtern dir die Büſten der florentiniſchen Quattrocento-Frauen voll einer edlen Pikanterie ent⸗ gegenſchauen. Und der Beſitzer des kleinſten und billigſten dieſer Läden ſpricht dir von Donatello und Fieſole, als habe er das Vervielfältigungsrecht von ihnen perſön⸗ lich empfangen
Aber dort oben am Odeonsplatz, angeſichts der gewaltigen Loggia, vor der ſich die geräumige Moſaikfläche ausbreitet, und ſchräg gegenüber dem Palaſt des Re⸗ genten, drängen ſich die Leute um die breiten Fenſter und Schaukäſten des großen Kunſtmagazins, des weitläufigen Schönheitsgeſchäftes von M. Blüthenzweig. Welche freudige Pracht der Auslage! Reproduktionen von Meiſterwerken aus allen Galerien der Erde, eingefaßt in koſtbare, raffiniert getönte und ornamentierte Rahmen in einem Geſchmack von preziöſer Einfachheit; Abbildungen moderner Gemälde, ſinnenfroher Phantaſien, in denen die Antike auf eine humorvolle und realiſtiſche Weiſe wieder⸗ geboren zu ſein ſcheint; die Plaſtik der Renaiſſance in vollendeten Abgüſſen; nackte Bronzeleiber und zerbrechliche Ziergläſer; irdene Vaſen von ſteilem Stil, die aus Bädern von Metalldämpfen in einem ſchillernden Farbemmantel hervorgegangen ſind; Prachtbände, Triumphe der neuen Ausſtattungskunſt, Werke modiſcher Lyriker, gehüllt in einen dekorativen und vornehmen Prunk; dazwiſchen die Porträts von Künſtlern, Muſtkern, Philoſophen, Schauſpielern, Dichtern, der Volksneugier nach Perſönlichem ausgehänge In dem erften Fenſter, der anſtoßenden Buch⸗ handlung zunächſt, ſteht auf einer Staffelei ein großes Bild, vor dem die Menge
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ſich ſtaut: eine wertvolle, in rotbraunem Tone ausgeführte Photographie in breitem, altgoldenem Rahmen, ein Aufſehen erregendes Stück, eine Nachbildung des Clou der großen internationalen Ausſtellung des Jahres, zu deren Beſuch an den Litfaßſäulen, zwiſchen Konzertproſpekten und künſtleriſch ausgeſtatteten Empfehlungen von Toilet— fenmitteln, archaiſierende und wirkſame Plakate einladen.
Blick' um dich, ſieh' in die Fenſter der Buchläden. Deinen Augen begegnen Titel wie „Die Wohnungskunſt feit der Renaiſſance“, „Die Erziehung des Yarben- ſimnes“, „Die Renaiſſance im modernen Kunſtgewerbe“, „Das Buch als Kunſt⸗ werk“, „Die dekorative Kunſt“, „Der Hunger nach der Kunſt“ — und du mußt wiſſen, daß dieſe Weckſchriften tauſendfach gekauft und geleſen werden, und daß abends über ebendiefelben Gegenſtände vor vollen Sälen geredet wird....
Haſt du Glück, ſo begegnet dir eine der berühmten Frauen in Perſon, die man durch das Medium der Kunſt zu ſchauen gewohnt iſt, eine jener reichen und ſchönen Damen von künſtleriſch hergeſtelltem tizianiſchen Blond und im Brillantenſchmuck, deren betörenden Zügen durch die Hand eines genialen Portraitiſten die Ewigkeit zu⸗ teil geworden iſt, und von deren Liebesleben die Stadt ſpricht — Königinnen der Künſtlerfeſte im Karneval, ein wenig geſchminkt, ein wenig gemalt, voll einer edlen Pikanterie, gefalljüchtig und anbetungswürdig. Und ſieh, dort fährt ein großer Maler mit ſeiner Geliebten in einem Wagen die Ludwigſtraße hinauf. Man zeigt ſich das Gefährt; man bleibt ſtehen und blickt den beiden nach. Viele Leute grüßen. Und es fehlt nicht viel, daß die Schutzleute Front machen.
Die Kunſt blüht, die Kunſt iſt an der Herrſchaft; die Kunſt ſtreckt ihr roſemum⸗ wundenes Szepter über die Stadt hin und lächelt. Eine allfeitige, reſpektvolle Anteil⸗ nahme an ihrem Gedeihen, eine allſeitige, fleißige und hingebungsvolle Übung und Propaganda in ihrem Dienſte, ein treuherziger Kultus der Linie, des Schmuckes, der Form, der Sinne, der Schönheit obwaltet .... München leuchtete.
Ausklang
Der getreue Sebaſtian Franz Daxenberger erhält das Wort zum Schluß:
Somit nehme ich Abſchied von dir, geliebte Stadt! Möge dich St. Florian vor Feuersgefahr und der heilige Sebaſtian vor Krankheit bewahren! Deine ſchönen Damen beſchütze die heilige Apollonia gegen Zahnſchmerz und du, heiliger Ulrich,
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wenn du angerufen wirft, fei den Münchnern gnädig! Guter Gott, laß ſtets die Hopfenrebe und den Trank der Ceres gedeihen und die Aſchermittwochs-Diners in keinem Jahre fehlen! Mönch im Wappen oder Münchner Kindl, wie Du heißen magſt, freue Dich am Daſein und bereite ein gaftliches Dach jedem Fremden! — Die ihr luſtwandelt im Engliſchen Garten, Jünglinge, Männer und Greiſe, „wan⸗ delt harmlos, dann kehret neugeſtärkt zu jeder Pflicht zurück!“ — Kein Theater ver- brenne mehr, keine Iſarbrücke foll einſtürzen, kein Haus zerfallen, kein Pulvermagazin fliege mehr in die Luft auf, München bis auf den Grund und Boden erſchütternd. Kein Krieg verwüſte dieſen goldnen Sitz der Künſte. Klugheit, Gerechtigkeit, Tapfer⸗ keit und Mäßigkeit, Erzgeſtaltete, die der große Kurfürſt oberhalb den Marmortoren ſeiner Reſidenz aufgeſtellt, verlaßt nie eure Stelle an dem Eingang zum Königsthrone! Die ihr Völker beglücket, bleibt ſtehen an der Seite der Patrona Bavariae.
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Abſchied vom alten München Von Georg Jacob Wolf
München leuchtet nicht mehr. Schwere Zeiten bitterſter Not und tiefſter Er— niedrigung hüllten ganz Deutſchland ein. Da erblindete auch der Glanz der Stadt der Lebensfreude, der Stadt des heiteren Genuſſes, der ſchönen Künſte und der ver- edelten Geſelligkeit. In düſtere politiſche Geſchicke verſtrickt, hat München ſeit den unheil⸗ vollen, dunklen Vorfrühlingstagen des Jahres 19 19 feinen Ruf als Hochburg des Beha⸗ gens und der Gemütlichkeit eingebüßt. Seine werbende Kraft hat ausgeſchwungen, ſeit viele mit dem Begriff München die Vorſtellung einer ſinnbetörten Schreckens⸗ herrſchaft ruchloſer Unholde verbinden zu müſſen glauben. Es wird viel Waſſer die Iſar hinunterfließen, bis dieſer Flecken verblaßt oder gar weggetilgt ift, bis München wieder eingeſetzt iſt in Anſehen und Geltung eines der Zentren deutſchen Kulturlebens.
Vor der harten, unerquicklichen Gegenwart und ihrer brutalen Realität flüchtet man gerne in die ſtilleren, ſympathiſchen Bezirke der Vergangenheit, die heute wie ein Märchen ammitet. Dahin wollte der Herausgeber dieſes Alt⸗Münchner Buches feine Leſer führen. Er wollte ihnen an der Hand von zeitgenöſſiſchen Dokumenten und Bildern zeigen, wie es im alten München, von dem es nun endgültig Abſchied nehmen heißt, ausgeſehen hat, wie ſich dort öffentliches und privates Leben abfpielte, wie man dachte und geſonnen war, welche Menſchen von Eigenart und Bedeutung auftauchten und vergingen, welcher Art die Kulturarbeit war, die München leiſtete. Dann nicht zu vergeſſen: das alte München hat unter der Führung der kunſtſinnigen bayeriſchen Fürſten ungeheuer wichtige, weit auswirkende, unauslöſchliche Kultur⸗ arbeit getan; — daran mag denken, wer im Hinblick auf die düſtere jüngſte Ver⸗ gangenheit der Stadt geneigt iſt, ihren Wert allzu tief einzuſchätzen!
Den rieſigen Kulturkomplex des alten München, wie er in geſchriebenen, gedruckten, gezeichneten und gemalten Dokumenten für das Jahrhundert 1800 1900 vorliegt,
Ein Jahrhundert München 2⁰
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zu erſchöpfen, konnte nicht Abſicht und Aufgabe diefes Buches fein. Manches wert- volle oder doch amüſante Dokument mußte wegbleiben, weil der verfügbare Raum un⸗ erbittlich Einſchränkung gebot; manche Quelle erwies ſich als unerlangbar; manches entzog ſich aus rechtlichen Gründen der Aufnahme in dieſes Buch. Dennoch wird das Weſentliche erreicht fein: aus dem bunten, mit Vergnügen an dem reichen, ſchönen Stoff zuſammengeſetzten Moſaik heben fich die Linien der Entwicklung heraus, die das geiſtige und geſellſchaftliche Leben der Stadt im 19. Jahrhundert nahm. Karl Stieler (1842 — 1885) hat einmal in Form eines Vortrages zu dieſenm Thema das Wort ergriffen und vorausgeſchickt, es ſei ſchon ſchwierig genug, ein bedeutſames Einzelleben in ſeiner ſchöpferiſchen Geſtaltung darzuſtellen; die Schwierigkeit wüchſe aber ins Ungemeſſene, wenn es ſich um eine Gefamtheit handle, um eine große hi⸗ ſtoriſche Stadt, wo die Macht des Talentes, wo die Kraft der Widerſprüche, wo die Fülle des Werdens einem vertauſendfacht entgegentrete. Das trifft zu. Aber die Schwierigkeit wäre vollends unüberwindlich, wenn nicht von jeher ein ruhender (von anderem Geſichtspunkt aus betrachtet: allzu ſehr ruhender) Pol im Geſamtleben der Stadt dageweſen wäre, nämlich die bürgerliche Mittelſchicht. Die blieb von kaum zu verſtehender Entwicklungsarmut ein ganzes geſchlagenes Jahrhundert hindurch. Nicht als ob es dieſem ſozialen Gefüge an Talent und Begabung gebräche! Im Gegenteil, es fehlt ihm nicht an Einfällen, nicht an Humor und prächtigen Charakter⸗ eigenſchaften, auch nicht an einer gewiſſen Tradition, aber es mangelt ihm Initiative und Aktivität, die Lebhaftigkeit im Denken und in den Entſchlüſſen. Der Münchner Bürgersmann, der als Handwerksmeiſter oder Kleinkaufmann, als niederer Beamter oder Angeſtellter ſchlecht und recht ſein täglich Brot erwirbt, iſt, in den gleichen Intereſſen⸗ kreis geſtellt und mit der gleichen Stimmung, im Jahre 1810 auf das erſte Oktoberfeſt hinausgezogen, wie er un Jahre 1888 zur Zentenarfeier ging; er hat mit den gleichen Argumenten beim Ableben des Kurfürſten Karl Theodor partikulare Politik getrieben wie im Jahre 1866; das Bier hat ihm zur Biedermeierzeit im weiland „Grünen Baum“ oder „Ketterl“ genau fo gut geſchmeckt wie im Jahre 1900 auf dem Müuchner Kindl⸗Keller, — und viel weiter als an Feſte, Trinken und Partikular⸗ politik hat er, über ſeine perſönlichen und familiären Angelegenheiten hinaus, in ſeiner Allgemeinheit wenigſtens, kaum gedacht.
Das Münchner Kleinbürgertum, die Mittelſchicht der Stadt, die immerhin eine ſtarke Majorität bildet, tritt aus dieſen Gründen in dem Alt⸗Münchner Kulturbild
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nicht auffallend hervor; es bildet den neutralen Hintergrund, auf dem fich das Kulturleben der Stadt abſpielt. Die Hauptakteure ſind nur in Ausnahmefällen Einheimiſche geweſen, ſelten einmal ſpielt ſich ein echter Münchner oder Altbayer nach vorne: gelingt es aber einem, ſo iſt er ein ganzer Mann, wie an dem Beiſpiel Lorenz Weſtenrieders, Karl Spitzwegs, Franz von Kobells oder des ganz zum Münchner gewordenen Südbayern Max Pettenkofer erkannt werden mag. Daß manche echte einheimiſche Begabung, die anderswo vielleicht überaus geſchätzt worden wäre, im indolenten München im Schatten ſtehen blieb, verkannt wurde und verkünmmerte, iſt gewiß; daran trägt eben der echt münchneriſche Mangel an Initiative die Schuld. So kam es denn, daß die von den Fürſten berufenen Nichtbayern, deren meiſte aus dem deutſchen Norden kamen und ſchon um dieſer Tatſache willen als die „Nordlichter“ oder „Reing' ſchmeckten“ bei der alteingeſeſſenen Bevölkerung als Hechte im Karpfen⸗ teich ſehr unbeliebt waren, die Hauptrolle in dem kulturgeſchichtlichen Entwicklungs⸗ drama der Stadt übernahmen, das ſich in vier Akte einteilen läßt. Die vier Akte ſind getragen von den Namen der vier erſten Könige Bayerns.
Unter Max dem Erſten, dem gutmütigen, aber ſchlauen und vom Glück begünſtigten Monarchen, dem in Montgelas ein ſchärferer Geiſt und tatenfreudigerer Mentor zur Seite ſteht, erwacht München aus der Erſtarrung der verſchlafenen Rokoko⸗ reſidenz, um die ſich die Bürgerſtadt wie ein großes, nicht eben ſauberes altbayeriſches Dorf ausbreitet, zur Wirkſamkeit der Hauptſtadt eines anſehnlichen Landes mit kulturellen Pflichten. Durch die Verbindung mit Napoleon gewinnt Bayern höhere politiſche Bedeutung, als es ſie ſeit dem ſpaniſchen Erbfolgekrieg beſeſſen. Die Säku— lariſation der Klöſter und Stifter, die befonders die Phyſiognomie Münchens, einſt ob feiner Kirchlichkeit das deutſche Rom genannt, gründlich ändert, bricht die Macht der reaktionären Kräfte. Die Berufungen an die Akademie geben geiſtige Anregungen. Hand in Hand damit geht die Proteſtantenbewegung. Die Tatſache, daß eine prote⸗ ſtantiſche Königin den Thron mit Max dem Erſten teilt, wirkt auf die Toleranz und bewirkt Auffriſchung des dumpfen Blutes; ſie bringt eine Welt neuer Ideen mit ſich. Aber noch iſt das Ziel nicht klar zu erkennen, noch iſt alles Anſatz, Expoſition; erſt die Grundlagen ſind geſchaffen, erſt der Humus gelockert.
Da tritt Ludwig der Erſte auf den Plan. Er hat ſchon als Kronprinz der bilden- den Kunſt gehuldigt und während ſeiner häufigen und langen Aufenthalte in Rom mit den Nazarenern Verbindung geſucht und gefunden. Nun ruft er ein goldenes
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Zeitalter der Künſte herauf. In dem genialen Klenze, in Ziebland und dem tüchtigen Gärtner ſichert er ſich die fähigſten Baukünſtler ſeiner Zeit. Cornelius überninunt die Leitung der Akademie und erzieht ein neues Geſchlecht von Malern. Die Stadt dehnt ſich und reckt ſich. Allerwärts wird gebaut; die mommumentale Ludwigſtraße entſteht; Galerien und Sammlungen werden gegründet. Enorme Summen für damalige Verhältniſſe werden in die Bauwerke hineingeſteckt; das meiſte fließt aus Ludwigs Privatſchatulle, aber trotzdem murrt der Ur⸗Münchner. Seine Hoffnung, daß der neue König, den die hochkatholiſche Partei für ſich in An⸗ ſpruch nimmt, mit den „Reing'ſchmeckten“ reinen Tiſch machen werde, ſieht er nicht erfüllt. Im Gegenteil. Im Jahre 1826 verlegt der König die Univerfität von Lands⸗ hut nach München und beruft hauptſächlich norddeutſche Lehrer, darunter die Beſten ihres Faches. Münchens Anziehungskraft beginnt. Die marmorne Stadt, die in der rauhen, aber geſunden Luft der oberbayeriſchen Hochebene ein wenig freind empor⸗ ſteigt, zieht Neugierige an. Manche ſchäumen über vor Enthuſiasmus, wenn fie die Stadt erleben. Andere ſpotten: Heinrich Heine an ihrer Spitze, der München nie begreifen konnte, und der es nicht liebte, weil es ihm nicht entgegenbrachte, was er ſich erwartet hatte. Hebbel und Keller ſind hier als Studenten; Hebbel ſchenkt die Stadt die Motive zu feinem bürgerlichen Trauerſpiel, Keller verdankt ihr die ſchönſten Kapitel ſeines Jugendromans. Hebbel ſegnet die Stadt, als er von ihr wehen Herzens gehen muß; Keller wirft ihr ein paar böſe, fluchartige Worte hin. Da tanzt eines Tages ein anderer Gaſt durch das Neuhauſer Tor herein. Es iſt eine bildſchöne Abenteuerin, eine lockende Frau von bunteſter Vergangenheit, die ſpaniſche Tänzerin Lola Montez. Der Ur⸗Münchner murrt und wird ſchließlich ſeiner Tradition un⸗ treu, wird ungemütlich, erhebt ſich von der Bierbank und fegt den bunten Schmetter⸗ ling weg, der ſeinem König die alten Tage verjüngt. Joſeph Ruederer (1861 — 1915), einer der wenigen aus dein bodenſtändigen Münchnertum hervorgegangenen Poeten, hat in ſeiner Münchner Komödie „Morgenröte“ den Gegenſatz dramatiſch wirkungs⸗ voll geſtaltet: Hie Lola, die Bunte, Schillernde, Beſchwingte, hie der Ur⸗Müuchner, ſchwer, derb, brav und reaktionär; zwiſchen beiden der König, das Opfer eines ſpäten Liebestraumes, ein großer Mann, aber trotzdem ein Objekt des Spottes, mit dieſem Schickſal leiſe an das Tragiſche ſtreifend. Der zweite Akt iſt zu Ende.
Ludwig der Erſte legt die Krone nieder. Er will nicht bloß Unterſchreiber ſein. Die ſpießige Münchner Revolution hat geſtegt. Der in ſeinen Charakterfarben etwas
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bläßliche Maximilian der Zweite konunt ans Ruder. Er will Frieden haben mit feinem Volk. Er meint das nicht ganz ſo, wie es verſtanden wurde. Er will den Frieden allererſt für ſich, um ſeine gelehrten Pläne, die durchaus enzyklopädiſch oder, wie man auch ſagen kömme, etwas amateurhaft⸗umfachmänniſch find, in die Tat umzuſetzen. Der Vater hatte über die Künſtler feine Hand gehalten, indem er ihre Wirkſamkeit geſchickt in die Kanäle der Offentlichkeit leitete; er hatte durch ſie München zur erſten Kunſtſtadt Deutſchlands erhoben. Der Sohn gedenkt dem geiſtig⸗wiſſenſchaftlichen Leben aufzuhelfen. Es iſt die dritte Station auf dem Entwicklungsgang des Münchner Kulturlebens. Geibel, Heyſe, Bodenſtedt, Lingg und zahlreiche dii minorum gentium der Poeſie zieht er an feinen Hof. Die Univerſität und die mit neuen Attributen ver- ſehene Akademie der Wiſſenſchaften werden in ihren Kräften gründlich aufgefriſcht. In Liebig wird ein Gelehrter von Weltruf gewonnen. Auch das geſellige Leben der bis dahin wenig gaſtlichen Stadt erhält neue Impulſe. Das Theater blüht auf; Dingelſtedt veranſtaltet das berühmte Gefamtgaftfpiel. Die Induſtrie⸗Ausſtellung wird eröffnet. Das alles in dem kurzen Zeitraum von ſechs Jahren.
Da bricht die Cholera aus: wie eine böſe Vorbedeutung iſt es. Der Ur⸗Münchner iſt geneigt, darin den Finger Gottes zu erkennen. Die „Reing'ſchmeckten“ find ihm zu mächtig geworden. Sie haben den armen König, den willensſchwachen Mann, umgarnt. Und der Ur⸗Münchner ſetzt dem König folange zu, bis er den in Ungnaden entläßt, der in gewiſſem Sinne der Schöpfer dieſer neuen Fremdenkolonie war, Wilhelm von Dönniges. Die Schar zerſtiebt. Einige freilich bleiben und wer⸗ den Wahlmünchner im beſten Sinne: Liebig und Heyſe voran, auch Schack, der ſich allerdings ein wenig im Hintergrund hält, aber in der von ihm gegründeten, allgemein zugänglichen Galerie den Münchnern ein koſtbares Geſchenk macht. Die geſellige Tradition, die verfeinerte, auf geiſtige Werte geſtellte Gaſtlichkeit erfährt durch dieſe Wahlmünchner die höchſtmögliche Steigerung.
Maximilian ſtirbt plötzlich, in beſten Mannesjahren von ſeinen wiſſenſchaftlichen Plänen, wie von ſeinen allzu nüchternen Sympoſien abberufen. Ein phantaſtiſcher, feinen muſikaliſchen Schwärmereien hingegebener Jüngling nimmt das Zepter auf, das dem Vater entglitten. Der erſte Ludwig hatte als erſte königliche Regierungs⸗ handlung dem in der Glyptothek malenden Cornelius das Ritterkreuz ſeines Ver⸗ dienſtordens angeheftet, der zweite Ludwig ſtreckt, kaum König geworden, dem in der Brandung des Lebens verſinkenden Richard Wagner die rettende Hand hin,
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zieht ihn an feine Seite zum Thron hinauf. Da murrt der Ur⸗-Münchner erneut. Herwegh ruft Wagner fein berühmtes Gedicht zu:
Die Philiſter ſcheelen Blickes, Ihres Hofbräuhorizontes Spucken in den reinſten Quell; Grenzen überſtiegſt du keck, Keine Schönheit rührt ihr dickes, Und du biſt wie Lola Montez Undurchdringlich dickes Fell. Dieſer Biedermänner Schreck.
Richard Wagner mußte gehen, wenn Ludwig der Zweite wie ſein Vater Frieden haben wollte mit feinem Volke. Aber diesmal grollte auch der König, und es ward Feindſchaft geſetzt zwiſchen ihm und dem Ur⸗Münchner. Der König verſchwand in den Einſamkeiten ſeiner Berge. Seine Melancholie ſtieg ins Ungemeſſene. Wahn⸗ ſinn packte ihn an. Eine Verſchwendungsſucht ſondergleichen nahm von ihm Beſttz. Er baute in pittoreske Wildniſſe Märchenſchlöſſer von unerhörtem Prunk, aber ohne den geringſten Kunſtwert, Amerikanerobjekte. Inzwiſchen trieb das politiſche Leben Entſcheidungen zu. Der Bruderkrieg von 1866 brachte Bayern tiefe Demütigungen; die ſiegreichen Bayernkämpfe im Jahre 1870 wetzten die Scharte aus. Eine Stei⸗ gerung nationalen Gefühls griff Platz. Widerwillig, aber trotzdem nicht ohne Ge⸗ nugtuung, weil er feinen Vorteil darin erkannte, machte der Ur⸗Münchner, der ſich allmählich einer Mauſerung unterzog, mit. Der König indeſſen blieb fern. Man darf darin nicht nur ein perſönliches Motio erkennen, ſondern muß es als Zeichen der Zeit hinnehmen: vom Monarchen gleitet die kulturelle Führung der Stadt in die Hände einer Vielheit. Die Kultur verbürgerlicht. Und die Entwicklung geht noch einen Schritt weiter. Ganz anders als früher tritt der Mann des „vierten Standes“, der in den Münchner Dokumenten bis zum Schluß des zweiten Drittels des Jahrhunderts nur als Staffage öffentlicher Aufzüge und höfiſcher Feſte er⸗ ſchienen war, hervor als werdende Macht.
Am Pfingſtmontag des Jahres 1886 beſchloß der romantiſche König in den Fluten des Starnbergerſees ſein unglückliches Leben. Eine ungeheuere Bewegung ging durch die Stadt. Viele ahnten es: mim geht es mit Alt⸗München zu Ende.
Und ſo geſchah es. Unter der vorſichtig ſtillen Regentſchaft des feinſinnigen, greiſen Prinzen Luitpold erlebte zwar München eine Art Nachblüte des ludovicianiſchen Zeit⸗ alters. Der künſtleriſche Impreſſtonismus fand hier eine Heimſtätte; die erſte „Sezeſſion“ geſchah in München. Um Michael Georg Conrad ſcharte ſich ein
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aufrechtes Fähnlein der Modernen in der Literatur. Die Geſellſchaft für modernes Leben wurde gegründet. Am Hoftheater wurde für Ibſen eine Pflegeſtätte ſeiner dramatiſchen Tendenzkunſt geſchaffen. Die neuzeitliche Muſik wurde gepflegt. Um die Jahrhundertwende ſtieg auf der Bogenhauſener Höhe das Prinzregententheater empor, in erſter Linie der Kunſt Wagners gewidmet. Da konnte noch einmal die Stimmung aufkommen, die damals die zahlreich entſtehenden Münchner Romane und Novellen beherrſchte, und die am reinſten und klarſten Thomas Mann in dem hier abgedruckten Stück feiner Novelle „Gladius dei“ ausdrückte: München leuchtete noch einmal, leuchtete wie ein Licht, das ſich zur Neige ſenkt.
München leuchtet nicht mehr. Daran ſind nicht ſo ſehr die jüngſten politiſchen Er⸗ eigniſſe und iſt nicht die Umſturzperiode des Vorfrühlings 1919 ſchuld. Mögen die im⸗ merhin dem Außenſtehenden die Augen geöffnet haben, daß das München, dem 1901 G. F. Knapp das Hoch widmete, mit dem dieſes Buch eröffnet wurde, nicht mehr iſt; uns anderen, die wir Jahr um Jahr und Tag um Tag den kulturellen Puls⸗ ſchlag der Münchnerſtadt fühlen konnten, kam der Abſturz nicht überraſchend. Wir wußten, daß das echte Münchnertum, zu dem die Miſchung des von Ruederer ſo köſtlich ironiſierten Ur⸗Münchners und des „Reing'ſchmeckten“ gehört, im Sterben lag feit langem. Das Kulturmünchnertum vertrug die Großſtadt⸗ Allüren nicht. Es konnte weder den Berlinismus in ſeiner Geſelligkeit, noch die Induſtrie in ſeinem ſozialen Leben ſchlucken und verdauen. München iſt ſeinem Weſen nach eine der Städte, die nicht hätten „groß“ werden dürfen. Es vertrug das Großſtadttempo ſchlecht. So⸗ bald man ihm ſeine Beſchaulichkeit und ſein Behagen nahm, ſobald die Herrſchaft in Kulturdingen einigen überlegenen Führern entglitt und Sache einer unperſönlichen beamteten Allgemeinheit wurde, war das alte München dahin.
Deshalb ift es nicht ohne wehmütigen Reiz ſich in die hier geſammelten Dokumente über das alte München und ſeine ſchöneren, erquicklicheren Zuſtände zu verſenken. Es ſoll auch nicht ohne Lehre ſein und ſoll nicht verzagt machen, müßte es doch gelingen, auf anderer Baſis und unter anderen Vorausſetzungen das Kultur⸗ münchnertum, deſſen Tradition verloren gegangen ſcheint, aber vielleicht doch nur unter den Trümmern eines ſchaudervollen Zuſammenbruches verſchüttet liegt, aus⸗ zugraben und zu neuen Aufgaben hinanzuführen. |
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Quellen-Nachweis
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Den Herren Verlegern, die für dieſes Buch den Abdruck einzelner Abſchnitte aus ihren noch nicht druckfreien Verlagswerken geſtattet haben, ſagen Herausgeber und Verlag auch an dieſer Stelle für ihr Entgegenkommen verbindlichen Dank. Nicht weniger ſind ſie den Herren Vor⸗ ſtänden und Beamten der Graphiſchen Sammlung und der Maillinger-Sammlung in München, ſowie den Herren Fritz Müller, Konſul Heinrich Röckel und Dr. E. Stahl für ihre wertvolle Unterſtützung beim Sammeln des Abbildungsmaterials zu Dank verpflichtet.
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Verzeichnis der Abbildungen
Seite
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Bollinger, F., Radierungen 5—7, 10, 13— 15, 31, 36, 37, 42, 54, 58, 63, 74, 99, 102 118, 187, 242, 243
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Ettinger, Carl, Anſicht von München vom Dften ... 22222222220. 3
Evers, Anton, Wirts garten in Schwabin gn nach 144
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Gonzenbach, Carl von, Peter von Cornelius . boo 66 Grützner, Eduard, Karl Spitzweg vor der Staffeltlle eus vor 281 Hahn, G, nean der Bang ee ee 2 nach 184 Danffiaendl, Franz, Moritz G. Saphi vEeerueter .% „ 168 rl neie rl ma Ta a Re N 7 „ 192 Ill.... Re ee vor 213 ee)) AERO „ Hauber, Joſeph, Max Joſeph Graf von Montge lass „ Heinzmann, Karl Friedrich, Blick auf München von der Gieſinger Höhe... . . . a 1 Blick auf München von der Gaſteighßh ee 5 5 Anſicht von München mit der Gieſinger Hꝓ́ñgihh ed „ Der Katolienplak ©. 5: 20. 10: 000 era on SE ine A EAN ar nach 88 Pei ee. er Pina er ae a „ 228 Herkules, der franzsſiſc ht Sn He ae ee 109 Herman, C. H., Peter von Cornelius ᷑ Herwegen, Peter, Eröffnung der 1. Induſtrie-Ausſtellnnnègggggggg vor 129 Heß, Peter, Maximilian I. Joſeph, König von Bayern nach 44 ii obeſt wu een ee re „ 1 WWW , N er vor 125 Horſchelt, Theodor, Herein, herein mit Siegesſannnnnn ss 286 Kaiſer, Friedrich, Münchner Sommerkelleeeeeererereueuͥuͥau Nr a vor 117 Sonntag⸗Nachmittag am chineſiſchen Tun PUhLn nach 124 Miihner Ten zkrünzche nan JO vor 145 Kaulbach, Wilhelm von, Joh. N. Rings eis 254 lll a ae MOVIE ae Male 2 Er Fo 111 Kirchner, E., Aus dem Engliſchen Garten sen vor 161 Kein, Ada, Am Bierkell tte od ne 121 Klotz, J., Fr. Wih. Joſeph von Schell ng se re ee vor 177 Knilling, Nic., Der Feſtzug auf dem Marienplatz zu co ee 263 ell, Feen; vonnsnsn Re vor 133 Kobell, Wilhelm von, Blick auf München von Norden nach 4 Blick auf Schwabing SETS RREREER a 9 Auf de ringer Dertaſſdd We una a U nach 160, 200 Aenne ́ ?ꝭkñ nach 80 König, Guſtav, Lolahaus in der Barerſtr anne vor 165 Krafft, A., Maximilian, Herzog in Baenn REN nach 152 Kraus, Anton, Ankunft der erſten gefangenen Franzoſen in Münchens „ 288 Kraus, Guſtav, Anſicht von München vom Norden. 130
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Kraus, Guſtav, Anſicht von München vom Süden m nn nach 28 / // .. as di 3748 Empfang König Ludwigs I. bei feiner Rückkehr aus Griechenland. 0 Fronleichnamsprozeſſion im Jahre 1860hſ0ou)));u⸗ſ vor 77 /// T / ana nach 84 ce ſtraßze im Jahre 1825 53. vor 85 ,, . nach 92 Eröffnung der München⸗Augsburger Eifenbahn . end 22220. 3396 n . d vor 97
Lebſchee, Carl Auguſt, Das alte Schiffert eo 18 men ea ee 91 / / ] ꝙi⁵ð rl a . aa ee 220 / TV/ / Veit a 226 %% TTT. ¾ TU. K ͤ tg vor 229 // V/ ⁵ d. WERL nach 236 oy)! SEE RN RD Br . vor 237 %%ẽĩ ʃ¹ ¹ ä˙¼.¾lcllllIllnf;n/n;r; en 296
Lenbach, Franz von, Moritz von Schwind und Gottfried Semper nach 280 // . ĩ ̃ . RE „ 284 ß,, ̃ ͤ tdC(C((CTC(TT...u... vor 285
, x eh neh nach 276 / d c en vor 277
Melcher, J., König Ludwig I. im Kreiſe feiner Familie. nad 68
Menzel, Adolf von, Vor der Michaelsliche .... 2.2.22 2: 22 nn nen „1, EEG
/// / „ 164 Lola mit ihrem Anhang ſtürzt in den Rachen des Teufels „ 17
im Sonmagesſta akt „in
/ ꝓ¶˙— W / ¾¼ↄ¼ĩꝓòùĩĩ ĩ̃ĩ⁵ , ]⅛—„%:) ner „
Neher, Michael, Das ehemalige Einlaßtor im Jahre 18!hʒy3uh;;hͥ . vor 61 Der ehemalige Laroſeeturm an der Reſidenzſtra e. nach 100
Neureuther, Eugen Napoleon, Harlaching. 0 % oœoͥir˙ NmMmmNmFꝶfꝓꝶꝛqꝶ.tl ĩðx a o %%CÄↄ Ä ᷣ V ee ½ͤ 8 vor 105 o e EN ee BUS LE Re are 114 ee 159 / ///, ⁰ oM m m ei are 9 ee 267 c c are ee 304 %%% ͤ ᷣ᷑ᷣ̃ͥòG hb.! GER MERORTON: 312
Seite
Neureuther, Eugen Napoleon, Vignetten 186, 216, 230 Pferderennen auf dem Oktober fett a e RERTTR nach 128 Piris, Theodor, Münchner Künſtler auf einem Maiaus flug 2, eee Pocci, Graf Franz von, Der alte Weſtenri eden 30 eng a I ee Me 135 Quaglis ; Domenico, Mar Sofepbplak ur... Er nach 48 Mom Heiliggeiſtſpitaalllnlnnl.. ñx?ĩ;:%l“d . vor 49 Blick auf München vom GaſteiIiing gg. e e e vor 33 Eröffnung der erſten Ständeverſammlnnnnnnnnndkkdggngg nen nach 56 Jarteer!r!r;᷑r᷑ꝶk᷑᷑k t Pe Am. Schmobinger TorrT“ / 70 TE. ET vor 65 Rathaus, vom Soligefeben :....\:. -..%. se dere me a a 8 „TOR Nor oſete der Reden: Bine ae ende a nach 108 Reſenzſtraß e a 8 vor 109 Nan e Wicheim von Kauſb ao a nach 132 Rauſchmayer, Joſ., Max Joſeph Graf von Montge lass vor 45 Rothbart, Ferdinand, Maſprediggn rte 257 Schaubude auf der Oktoberfeſtwieſqq .. ER vor 113 Schieß F, Kapuzinerkloſter q rn nn AIR 16 t N 19 Suppenverteilung an der Pforte des Kapuzinerkloſter .. 51 Schleich, C., Gegend bei Bogenhaufen: : ss... un % nun Se 210 Schlittenfahrt des Hofes über den Ddeonspla . . . . 2.22 2 nn nein 247 Schwind, Moritz von, Gnomen vor der Zehe der Bavarian vor 185 Sta Budiig, Künffler⸗aifeſtttt Se 258 Stamer, K. Rırrah um er RE ET Nr Pe 161 Stieler, Joſeph von, Maximilian Joſeph I. König von Byen ........ nach 44 Ludin J. König ven Baye nn RR BEE vor 69 Neglin Darenbergerrrr!!!:: TREE DEIERR nach 148 Helene Sedlma err ? s?7)kᷓ9.ů „ ERBE vor 149 Maria Dietſchh kt ee A ee Be nach 156 Auguſte Sfröbl, -; ».-..... u. nn nee nn a ee vor 157 ie von Bayemn "nn. Sure en ae RER nach 220 Stadene eech nee ar ee vor 169 Tab mit der Hochheſeee AIER REN 3 93 Thierſch, L., Friedrich Wilhelm Thierſcg ee ra eee ne EEE BR FO „ 193 Tod König, Mar: Joſephs -T. % nn 70 Trautſchold, Wilh., Juſtus Freiherr von Liebiiiumwmmꝛm mn vor 217
320
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Seite
„ V w 160, 216, 231, 239, 249 Voltz, Joh. Mich., Der Fineſſenſepperl überbringt Liebesbrieff mw nach 104 Warnberger, Simon, Gegend bei München 78 Weber, Friedrich, Anſicht der Haupt: und Reſidenzſtadt Münchee vor 29 Weller, Theodor, Auf dem Biktualienmart . . tk nach 120 r d ehe ; vor 289 / ent a 293 Wenn die Schwalben heimwärts ziehen. Karikatu eee. 197 Wenng, C., Anſicht der Iſarbrücke nach dem Einſturz am 13. September 1813. . vor 41 D rt... 8 6 11
Namen-Verzeichnis In dieſes Verzeichnis wurden nur die Namen jener Perſonen aufgenommen, über die auf den angegebenen Seiten etwas Weſentliches geſagt iſt.
Seite Seite / cc... 164, 167 [Catel Franz Ludwig 236 V 03: 7 ee 65 Arco, Graf Maximilian 43 | Conrad. Michael Georrn g 310 Aretin, Adam Freiherr von 58 [ Cornelius, Karl Ad oll 226 Aretin, Georg Freiherr von s8 Cornelius, Peter von 67, 75, 89, 126, 201, 244, 294 Auguſta Amalia, Prinzeſſin von Bayern 42 | Cornelius, PeteeunXkMu᷑ÿh 281 Baader, Franz Raver „ A ( 231, 236, 265 D Be 82 | Darenberger, Sebaſtia t 101 Bayersdorfer, Dr. Adolf... .... 291, 293 | Dillis, Johann Georg von 35, 36 Beauharuais, Eugene, Herzog von Leuchten: . Dingelftedt, Franz von 18g, 213, 215, 217, 269 ö 42, 99 | Dingelſtedt⸗Lutzer, Jenng 194, 196, 214 r 131, 137 Döllinger; Ignaz von iee.. 277 %% re 238 | Dönniges, Wilhelm von 189, 211, 215—217, 218 Bernadotte, Johann Baptift Juliuns .. 40 f 269 f., 276, 309 ae ae 180 | Dorner, Jakob d. M. 35, 36 Biſchoff, Theodor Ludwig Wilhelm sid | „Dill Feaaukru ee ee 107 Bismard, Otto Fuͤrſt von 272 Duͤrck⸗Kaulbach, Joſepthaaa 64 Bluntſchli, Johann Kaſp au 213, 216 | Eberhard, Konrad 89 — ¾ mV 2 % AA . 107 Bodenſtedt, Friedrich 203, 212, 215,222 231, 282 | Fallmerayer, Jakob 265, 268 Boiſſerse, Sulpiz und Melchior 142 Fentſch, Eduard 123. 257, 262 r a en 138 | Feuerbach, Johann Anfelm von 57, 58 Bray-Ökteinburg, Hugo Grafvon ..... 286 | Fiſcher, Joſeph Anton 7. „ 89 —A. —— . ee %% gͤ?— “Ü? ̃˙ ˙³A1 223 , ² A /// ĩ ᷣ—%Xjvf 0 139, 140 Bülow, Hans von 279, 281 | Franz II., Kaiſer von Oſterreic h. 38 e 0 66 ehe a ae a 294 | Fraunhofer, ofephb ..... sr... 31 Burgholzer, Yofeph . -. ... 222220. 53. Friederike, Wilhelmine Karoline, Königin von r 213, 216, 231 S A ˙· a ee 68, 70
321
Friedrich Auguſt II., König von Sachſen 190, Friedrich Wilhelm I., Kurfürſt von Heſſen 190, Fuchs, Dr. Joh. Nepomuk von 12g, Gärtner, Friedrich von 2096,
Geibel, Emanuel von 203, 215, 217, 222, 230, 231, 235, CCC % Wortes, Buda 141, 177, Görres, Johann Joſeph ... 72, 141, Groſſe, Julius 188, 203, 233, a N AR 297, Haneberg, Daniel Bonifaz von e ee 125, Hebbel, Friedrich 97, 214, Heideck, Karl Wilhelm Freiherr von.. 8% N a a 76 f., 80, Hermann, Carl Heinrie‘ach hh ee 4 sn en 233, — . NE N N SHEIBENE a ( 86, 8g, 124, % G 0% ae e e 4, 152, 221, 229, Hilari⸗Bolgian oss 166, Hiltensperger, Johann Georg .. 132, 137, Hofen, Bid sw 4% e ee , 2 Ra ja ne ie Hohenlohe-Schillingsfürſt, Fürſt Chlodwig zu 282,
ar eee, ee 235, Hornſtein, Robert von 232, 236, %% ͤ A TA 26, Jacobi, Friedrich Heinrich hk / 58, N RE ER N ei ee se Joſephine, Kaiſerin von Frankreich... Karl, Prinz von Bayern .. . . 6g, 70 283, Karl Theodor, Kurfürſt von Bayern
Kaulbach, Joſephine . . . 64, 177, 18g f.,
Kaulbach, Wilhelm von 4, 64, 88, 139, 213, 251,
f es 100, e e,, nn N ER e u Ka Lau 77, 82 J%%%%0ùw Kuß ĩͤ ER DER ieee, RI Ale Kobell, Franz von 73, 154, 155, 158, 200, 217, 245,
Kobell, Luiſe von 72, 162 f., 213, , rl e
307 217f. 4
Lang, Karl Heinrich Ritter von Laſaulx, Ernft vooen nn 164, 167, La F a 291, Lerchenfeld-Köfering, Max Graf von Leuthold, Hein rie 233, 236, Bichtenfiehn; Re..., „» ꝶ .. Liebig, Juſtus von. 203, 217 f., 223, 26g, ind, n Er 139, Ander, B ” 77 204,
Lingg, Hermann ... 3, 231, 236, 238, 250, Ludwig I., König von Bayern 44, 69, 71 f., 161, 163, 170 f., 176, 179, 180, 183, 255, 256, 295, 300,
Ludwig II., König von Bayern 272, 275 f., 284, 297, 299,
Luitpold, Prinzregent von Bayern .. 299, Luxburg, Fritz voons oa Maiſinger, Simon Marie, Königin von Bayern ... 138, 229, Marie, Prinzeſſin von Bayern 69, Martius, Philipp von... .. 2.220. Maximilian Joſeph, König von Bayern 30,
45, 61, 68,
Max II., König von Bayern 174, 176, 188 f., 199, 202, 221 f., 224, 227 f., 242, 270, 273,
Max III. Joſeph, Kurfürſt von Bayern Max, Herzog von Bayern Metternich, Richard Fürſt vonn W, 4% 2 aan 203, 231, Miller, Ferdinand von 181, Meme ee 8 162 f., 167, Montgelas, Max Joſeph Graf von 36, 45 f. 67, Morawitzky, Theodor Graf von . .. 36, Moreau, Jean Victoeoͤr ee Wann dd a 290, Napoleon I., Kaiſer von Frankreich... Neumann, Woldemaeee x. Jteumaye, H. Won Neureuther, Eugen Napoleon 139, Wrede . ͤ 58, Oettingen-Wallerſtein, Fürſt von 167 f. 170, Otto I., König von Bayererern „ I ae 180, 198, eit inn), en go, Perfall, Karl Freiherr von . . . 196, 213, Nerd 3, 4. 21% Pfordten, L. K. H. von der 282,5 Piloty, Carl von 251, 252, 289, Pocci, Franz Graf von 132, 137,
322
293 154
Poſſart, Ernſt von 196, 296 JJ RER Er N 65 Ramberg, Arthur von 133 Ranke, Leopold von 224. a % 238 r 196 r 3 Riehl. Heinrich Wilhelm 204, 210, 213, 241, 242 Fader . . .. 2. 220... 255
Ringseis, Johann Nepomuk von 68, 70, 204, 254
h 75 Rottmann, Hermann 238 n 97, 99 t 308 . 36 r 106
Schack, Adolf Fr. Freiherr von 203,213, 275, 309 Schelling, Friedrich Wilhelm Joſeph von 55 f., 142
Schenk, Eduard von 74f. Scherr, Erzbiſchof Gregor von 274 %% „(0% 241, 242 Schlotthauer, Joſeph .. 127 f., 131, 205, 209 V 238 Schranck, Franz Paula von 75 Schraudolph, Johann 86, 89 Schraudolph, Lukas. 86 Schubert, G. H. von 74, 78 Schwanthaler, Ludwig von 131 f., 180f. , 99 Schwind, Moritz von 231, 232 Seinsheim, Graf Karl von 246 —A — 280
2 5
—T. ͤ ͤ 70 ea — ER 138, Stäbli, Adolllrtkt er et, Steub, Wg 93, 204, 266, EEE Stiglmayer, Johann Baptiſt. 181, Strauß, David Friedrich.. Sybel, Heinrich von 226, Tann ⸗Rathſamhauſen, Ludwig Freiherr von
der 226, Taſcher, Karl Graf de la Pagerie .. 200, e Be
Thierſch, Friedrich Wilhelm von 33, 58, 60 f.,
169, 174. 199, . ˙ w 28g, Thorwaldſen, Bartel 121, Törring, Joſeph Auguſt Graf von / ͤ / KK Bölderndorff, Otto Freiherr von.. 211, Wagner, Richard 278 f., 281, Was mann, Friedrich. Weiller, Cajetan von 55: Weſtenrieder, Lorenz von. . . 28, 30, 48f.,
Wilhelm, Friedrich I. Kurfürſt von Heffen . . Wilhelm, Herzog in Bayern Wrede, Karl Philipp Fürſt von Zeiſing, Adolf Zettel, Karl Ziegler, Friedrich von Zimmermann, R. S. 1 Zu⸗Rhein, Friedrich Freiherr 164,
e er e
323
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263 Abbildungen. Mit Einleitung von Profeffor Dr. Karl Voll . . .. Mark 16.— Band II.
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