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Einleitung in die Geschichte

der

Grieehisehen Sprache

von

Paul Kretschmer.

(Böttingen Pan&entjocd unb Kuprcdjt

1896.

L eher setzimgs recht vorbehalte».

Inhalt.

Seite.

Einleitung 1

I. Kap. Die indogepmanisehe Ursprache ....... 7

II. Das indogermanisehe Urvolk 20

III. Die ältesten Kulturzustände der Indogepmanen . 48

IV. ,, Die Vepwandtsehaftsvephältnisse dep Indoger-

manen 93

V. Paptielle Uebepeinstimmungen zwischen nicht be-

nachbapten Sprachen 125

VI. Die Beziehungen des Gpiechisehen zu den ver- wandten Sprachen 153

VII. Die thpakisch-phpygischen Stämme 17 1

1. Zur Ethnologie der thrakisch-phrj-gischen Stämme 172

2. Die Stellung der tlirakisch-phrygischen Sprache 217

VIII. Die illypisehen Stämme 244

IX. Die Makedoniep 283

X. Die kleinasiatischen Sprachen 289

1. Ein kleinasiatischer Laut Wandel 298

2. Die kleinasiatischen Personennamen . . . 311

A. Die suffixalen Bestandteile 311

s-Suffix 311

7/i-Suffix 322

/-Suffix 326

»•-Suffix 32S

n-Suffix 329

Dental-Suffixe 329

Gutturalsuffix 331

Labialsuffix 331

Das Element -tyiuva 332

B. Die radikalen Bestandteile 333

a. Die Lallnamen 334

b. Die übrigen Personennamen . 357

IV Inhalt.

Seite.

3. Die Völker Kleinasiens 370

Die Lykier 370

Die Karer 376

Die Lyder 384

Die Myser 391

Die ostkleinasiatischen Stämme 393

XI. Kap. Die voFgpieehisehe Upbevölkepung von Hellas . . 401

XII. Das Griechische als Einzelsppache 410

Exkurs zu S. 305: Von Götternamen abge- leitete griechische Ortsnamen 418>

Nachträge 421

Register 424

Druckfehler.

S. 5 Z. 9 lies: Grammatik ,, 16 Z. 17 lies: einen st. eine 66 Z. 3 lies: seien st. sein 74 Z. 2 lies : jeden st. jedem 81 Z. 18 fehlt ein Punkt nach 127 83 Z. 19 lies : rjütg aiol. avwg ,, 102 Z. 2 lies : osa st. vnsa 121 Z. 4 V. u. lies: sie st. die 140 Z. 14 V. u. lies: vokal von st. von vokal 151 Anm. 1 Z. 9 lies: Verwandtsch. 162 Z. 4 lies : in st. im 163 Z. 7 lies: 65 st. 25 164 Anm. 1 Z. 4 lies: gleichzeitige 165 Anm. 1 Z. 1 lies: lagu, lögian 183 Z. 11 V. u. lies: Meiöaeiov st. Mi8äeiov 207 Z. 3 V. u. lies: 108 st. 107 221 Anm. 2 Z. 4 lies: dövyti st. dovyti ,, 237 Z. 13 V. u. lies : MeiSäeiov st. Medusiov 241 Anm. 4 Z. 1 lies: ^Aotqü^izo . . . 274 Anm. 2 Z. 1 v. u. lies: tnigii 308 Z. 18 lies: IV st. VI 309 Z. 9 lies: Tladvavdog st. Uvövavdös 330 Z. 9 v. u. lies: "Ah/t^iotg

Diese Blätter beschäftigen sich mit den Fragen, welche in den einleitenden Kapiteln einer Geschichte der griechischen Sprache zu behandeln wären. "Was ich als das Ziel einer solchen beti'achte, mögen die folgenden Zeilen darlegen.

Die übliche Fonn, die Erscheinungen einer Sprache zusammen- fassend darzustellen die Grammatik, ist der Sprachwissenschaft aus dem griechischen Altertum überkommen. Die Alexandriner haben das grammatische Lehrbuch wie die grammatische Wissen- schaft in dem Sinne, den wir damit verbinden, geschaifen. Schon der Xame ^Grammatik" ist bezeichnend flu* das Wesen und die Richtung ihrer Sprachstudien im Gegensatz zu den modernen. Zloaju/mrtxrf bedeutet wöiiüch ..Schriftkunde", es ist die Kunst zu schreiben und Geschriebenes zu verstehen. Ursprünglich hiessen so die in der Schule gelehrten Elemente der geistigen Bildung, Lesen, Schreiben und (was frühzeitig erforderhch wurde) üebersetzen der episch-didaktischen Litteratur: später auf eine höhere Stufe erhoben, ist die Grammatik die ■^'issenschaftliche Interpretation jener Schriftwerke, und was deren Grundlage bildete, die Kenntnis des htterarischen Sprachgebrauches. Ihrer Natur wie ihrem Xamen nach konnte sich also die antike 'Gram- matik', soweit sie Sprachwissenschaft war, zunächst nm- mit der Schriftsprache, nicht mit der Sprache des Lebens befassen. In diese philologische Bahn haben die Alexandriner die Sprach- forschung gelenkt, sie haben die Hnguistischen Studien der Frü- heren zusammenfassend sie nur dem einen Zweck dienstbar ge- macht, dem Verständnis der klassischen Litteratur. Denn die voralexandrinischen Sprachstudien verfolgten ganz verschiedene Ziele, wie sie den verschiedensten Keimen entsprossen waren : die Lautlehre ist in den Kreisen der Musiker entstanden, welche die Accente benannt und die aesthetische Wirkung der einzelnen Vokale und Konsonanten studirt haben; Aristoteles (Poetik

Kretschmer, Einleit. in d. Gesch. d. gr. Sprache. \

2 Einleitung.

p. 1456 b, 33. 37) rechnet sie nicht zur Sprachwissenschaft, son- dern zur Metrik^). Die Etymologie ist eine Schöpfung der Philosophen, die den Zusammenhang zwischen Laut und Begriff ergründen wollten und sich zur Lösung dieser Frage der musi- kahschen Lehre von dem aesthetischen Wert der Laute bedienten ^). Formenlehre und Syntax, die Unterscheidung der Wort- gattungen und Eedeteile, sind den praktischen Bedüi-fnissen der Rhetorik und Stilistik entsprungen. Lexikographie und Dia- lekt künde entwickelten sich mit dem Studium des Epos, dessen abweichende Sprachform das Verständnis sehr erschwerte und durch die Kenntnis der Dialekte, wie die von Land zu Land ziehenden Rhapsoden bald bemerken raussten, vielfach aufgeklärt wiu-de 3).

1) o^sZa und ßageia sind musikalische Kunstausdrücke für hohe und tiefe Töne, dasselbe gilt von den Termini, welche Glaukos von Samos aufgebracht hat: dvei/nivT], uearj, EnnezanEvr], xexXaoftivr] usw. Mit der Lautaesthetik giebt sich der Rhetor Dionysios (de compos. verb. c. 14) ab: er erklärt das lange a für den schönsten Laut eine echt musika- lische Anschauung, das l für den schönsten Konsonanten, wobei man sich erinnere, dass die Gigerl der aristophanischen Zeit das schnarrende r durch l zu ersetzen liebten (Aristoph. Wesp. 44f.). Dass s der hässlichste aller Laute sei, war bekanntlich schon zur Zeit des Euripides, den die Komödie wegen eines a-reichen Verses der 'Medea' verhöhnte, und des Pindar, der a als xißda/.ov bezeichnet, eine verbreitete Anschauung; Dio- nysios nennt es einen mehr tierischen als menschlichen Laut. Diese Lehren gehen bis ins V. Jahrhundert zurück: schon Demokrit hat tzsqI evqfxovcov xai 6vaq)wvcov ygafiuärcov geschrieben, und Piaton verwertet sie im 'Kratylos'. Die deivol negi tovrcor Krat. p. 424 C, welche die Laute in qpcovi^evxa, aipcova und ätpOoyya eingeteilt haben, sind wahrscheinlich die Musiker. Wie unbeholfen man ausserhalb dieser Fachkreise über lautliche Dinge dachte, zeigt die schwerfällige Ausdrucksweise Herodots I 139, wo er sagen will, dass alle persischen Personennamen auf -s ausgehen: „sie endigen alle auf denselben Buchstaben (!), welchen die Dorier aäv, die Jonier alyua nennen."

2) Vgl. Plat. Kratyl. p. 426 C— 427 C.

3) Die Beobachtung, dass epische Wörter, welche der einen Mund- art fehlten, in ihr yXcjaaai waren, in einer anderen vertreten {xvQia) waren (.Aristot. Poet. p. 1457, b 1 ff.), verwertete man für die Interpretation des Epos, wie die Scholien zeigen, in denen z. B. äxoazt)aa; durch das in ThcBsalien lebendig gebliebene dxoazat, axrjnäviov aus dem Kyrenäischen, ijtoiQoeu aus dem Kyprischen, xXv&i aus dem Lampsakenischen, avojzata aus dem Phokischen erklärt wird u.s.f. Schliesslich zog man sogar nicht- griechische Sprachen heran, wie Schul. Townl. A' 2 die phrygische, s 2S1

Die antike Gi'ammatik.

Die Alexandriner haben das Verdienst, diese verschiedenen Unguistischen Bestrebungen in ein Bett geleitet zu haben aber es war nicht das der Sprachwissenschaft , sondern das der Philologie. Indem sie die elementare Sprachlehre des Schul- unterrichts auf eine wissenschaftliche Stufe erhoben, übernahmen sie die alte Grammatik nicht nur dem Namen, sondern auch dem Wesen nach. Dionysios Thrax definirt die Grammatik ausdrück- lich als die eumioia rcov naga 7t o irizalg xe xai avy/qacpei- a IV log erri t6 rtoXi- Xeyoueviüv. Also nur die papierne Sprache war Gegenstand ihres Studiums : an der Sprache des Lebens ging sie mit vornehmer Geringschätzung vorbei i). Dionysios' Gram- matik — die erste occidentalische überhaupt, von Einfluss auch auf den Orient, das Urbild unserer heutigen Grammatiken vereinigt zum ersten Mal die grammatischen Studien der Alexan- driner zu einem Lehrgebäude, aber das Ganze dient wieder nicht der Sprachwissenschaft, sondern der philologischen Kritik: die 'AQt'otg noiriiidvcov ist nach Dionysios die Krone der grammati- schen Kunst. Und im Wesentlichen ist die antike Grammatik und ihre Fortsetzung bis an den Anfang unseres Jahrhunderts immer das geblieben, was ihr Name besagt: die Wissenschaft der ygainuaTa.

Die moderne Sprachwissenschaft , nach den Umgestaltungen, welche sie in diesem Jahrhundert erfahren hat, unterscheidet sich zwar in vielen wichtigen Stücken von der alten Grammatik durch die Einführung der psychologischen Betrachtungsweise, durch die Anwendung der Lautphysiologie, durch die Erweite- rung unserer Kenntnis von den menschlichen Sprachen und die vergleichende Methode, die freilich auch dem Altertum keines-

die der Oinotrer, N 390 die etrnskische. Auch die abweichenden Flexions- formen wurden mittelst der Dialekte erklärt, daher die Bezeichnung des Genitivs auf -oio als thessalisch, des Gen. auf -ao als boiotisch lA 306) und wohl auch die von ßlsTo N 288 als sikelischer Optativ. Für die Bedürfnisse der Schule wurden wohl schon frühzeitig homerische Glossare angelegt: welche Rolle die Kenntnis der epischen 'Vokabeln' im Unterricht spielte, lehrt das Fragment von Aristophanes'/JatraA^?, Kock CAF. I, p. 448 n. 222.

1) Herodian nimmt in den umfangreichen Resten, die wir von seinen grammatischen Schriften besitzen, nur ein paar Mal auf die Vulgär- sprache Rücksicht und natürlich nur in tadelndem Sinne z. B. II 549, 3 = Steph. Byz. u. Msyaoa, wo von den ot e/iiTtoooi rrjv agyovoav 8ia- qp&siQovTsg, also der alexandrinischen Kaufmannssprache, die Rede ist.

1*

4 Einleitunof.

wegs ganz fremd war^) aber der wesentlichste Unterschied ist doch der, dass sie die Sprache nicht zu ii'gend einem philologi- schen oder philosophischen Nebenzweck untersucht, sondern um ihrer selbst willen und nach ihrer gesamten historischen Ent- wicklung. Indem sie so zu einer selbständigen Wissenschaft ge- worden ist in demselben Sinne, wie die Kunstgeschichte oder die Litteraturgeschichte oder die Rehgionswissenschaft, ist ihr nun- mehr auch die Aufgabe zugefallen, die Sprache als ein Produkt der menschlichen Kultur im Zusammenhang mit der ganzen Kulturgeschichte zu betrachten, die weltgeschichtliche Bedeutung der Sprache als eines mächtigen Kulturfaktors, als des verbinden- den und trennenden Elementes im Leben der Völker aufzuzeigen. Die Geschichte der Sprache kann nicht von der Geschichte des sprechenden Menschen, von der Geschichte der Nationen und ihres gesamten geistigen Lebens getrennt werden.

In dieser Weise ist noch von keiner Sprache eine geschicht- liche Darstellung unternommen worden, so wenig auch im Ein- zelnen der Zusammenhang zwischen Sprach- und Kulturleben übei-sehen worden ist. Wilh. Scherer hatte offenbar eine solche Sprachgeschichte im Sinn, als er in den biographischen Aufsätzen über Jacob Grimm (S. 123) die Forderung aussprach, die Gram- matik solle eine Geschichte des geistigen Lebens sein, insoweit sich dies in die Sprache hineinschlägt. Sie müsse daher ihren Gang gleich einer historischeu Dai-stelluug nehmen, von Epoche

li Bekanntlich spielt die Vergleichung lateinischer und griechischer Wörter eine grosse Rolle bei den römischen Grammatikern seit Varro. Neben vielem Verkehrten und Wunderlichen findet sich hier auch schon eine Reihe richtiger Wortgleichungen. Die Erkenntnis, dass die lat. Perfecta auf -si wie dixi mit dem griech. sigmatischen Aorist zusammen- frehören, ist über anderthalb Jahrtausend älter als man gewöhnlich annimmt : B. Priscian. p. 415, 12—447, 19. Der Schluss, dass Rom eine aiolische Kolonie sei, war freilich verfehlt, aber die Begründung, die z. B. Philo- xcnos dafür gab, dass das Lateinische so wenig wie der aiolische Dialekt des Griechischen den Dual kenne (vgl. Kleist De Philoxeni studiis etymol. S. 18), zeugt doch von einer gewissen Beobachtungsgabe. Als man im Anfang des 17. .Jahrhunderts die Aehnlichkeit des Litauischen mit dem Lateinischen bemerkte, erklärte man ähnlich die Litauer für Nachkommen römischer Kolonisten, jener Soldaten von Caesars Flotte nämlich, welche auf der Fahrt nach Britannien der Sturm verschlagen hatte, s. Michalonis Lituani De moribus Tartarorum, Lituanorum et Moschorum fragmina ed. Grasscr, Basileae 1615, p. 23 f.

Grammatik und Spracbofescbicbte.

ZU Epoche den ganzen Sprachstand schildernd, wie auch eine Geschichte der Poesie die periodenweise chronologische Folge und nicht die Dichtungsgattungen zum Einteilungsgrunde nehmen werde. „Sie muss den gesamten Wortschatz in ihre Behandlung einbeziehen, sie muss die letzten geistigen Gründe für alle sprach- lichen Erscheinungen aufsuchen." Nun, eine Grammatik, die solches unternähme, wäre keine Grammatik mehr. Unsere heutigen grammatischen Lehrbücher haben, bei allen sonstigen Fortschritten, doch die äussere deskriptive Form der alten Grammtik festge- halten : sie sind Sprachschilderungen , keine Sprachgeschichten. Die Grammatik nimmt einen Querdurchschnitt durch die Ent- wicklung eines Idioms und beschreibt es in diesem Stadium. Dieses Verfahren ist berechtigt, wo bestimmte praktische Zwecke erreicht werden sollen, und bei geschichtlosen Sprachen. Die moderne wissenschaftliche Grammatik ist zwar vielfach nicht mehr so rein deskriptiv, sie schliesst zwischen dieser und der histori- schen Dai'stellungsweise einen Kompromiss, indem sie die Sprache nach Lauten, Formen usw. beschreibt, aber im Einzelnen histo- risch vorgeht, von jedem Laut, jeder Formkategorie usf eine Darstellung ihrer Entwicklung giebt und so mehrere Spezial- geschichten an einander reiht. Eine solche Behandlung der gramma- tischen Thatsachen ist nun gewiss nicht bloss berechtigt, sie ist geradezu unentbehrlich für eine Wissenschaft, die es mit Tausen- den von Einzelheiten zu thun hat und deshalb eines registriren- den Handbuches bedarf. Aber neben das grammatische Hand- buch hat, meine ich, eine Darstellung zu treten, welche die Ent- wicklung der Sprache in ihrer ganzen Breite, von Periode zu Periode schildert und den Zusammenhang mit dem Kulturleben und der nationalen Entwicklung der Träger der Sprache nach- weist — eine wirkliche Sprachgeschichte.

Wenn im Folgenden der Versuch gemacht ist, in diesem Sinne die praehistorischen Anfänge der griechischen Sprach- entwicklung zu behandeln, so konnte dies der Lage der Dinge nach nicht in zusammenfassender Dai-stellung , sondern nur auf dem Wege der Untersuchung geschehen. Denn die Probleme, um die es sich hier handelt, sind noch allzu wenig geklärt, als dass es ledighch Ergebnisse zusammenzustellen gälte. Für prae- historische Epochen wird zudem die oben geforderte Darstellungs- weise dadurch sehr erschwert, dass unsere Kenntniss der

6 Einleituner.

Kultur- und Völkergescbichte oft da versagt, wo die Sprach- geschichte sich erschliessen lässt und umgekehrt, Schlüsse von der einen auf die andere können aber leicht Fehlschlüsse sein und haben in der That schon zu verhängnisvollen Irrtümern ge- führt. Denn so eng die Wechselbeziehungen zwischen Sprache materieller Kultur, Religion, Volkstum sind, so läuft doch die Entwicklung aller dieser Kulturfaktoren dai'um nicht durchaus parallel, sondern jeder folgt bis zu einem gewissen Grade eigenen Gesetzen. Unter diesen Umständen kann eine Darstellung prae- historischer Sprachgeschichte nicht wohl anders als fragmentarisch ausfallen.

Die Ursprünge der griecliischen Sprache reichen bis in eine ferne Vorzeit zurück, in welcher sie mit einer Reihe europäischer und asiatischer Idiome nur eine einzige Sprache bildete. Diese urzeitlichen Verhältnisse sollen zunächst untersucht und die hen-schenden Anschauungen hiember einer Kritik unterzogen werden.

I. Kapitel. Die indogermanische Ursprache.

Schon sehr bald nach der Entdeckung der indogermanischen Sprachverwandtschaft hat sich die Ansicht Bahn gebrochen, dass diese Verwandtschaft nicht ohne die Hypothese einer einheitHchen Ursprache denkbar sei, aus welcher sich die Einzelsprachen dm-ch dialektische Differenzirung abgezweigt haben i). Die nächste Frage, die sich der Sprachwissenschaft aufdrängen musste, war: wie sah diese Ursprache aus und in welcher Weise sind die Einzelsprachen aus ihr hervorgegangen? Bopp kam nicht dazu, diese Fragen aufzuwerfen und zu beantworten: ihn beschäftigte noch ganz die Aufgabe, durch eine eingehende Vergleichung der Einzelsprachen die neugewonnene Erkenntnis ihrer Zusammen- gehörigkeit im Einzelnen zu begründen und festzulegen.

Erst Schleicher unternahm in seinem Corapendium den folgenreichen Versuch, die Formen der Ursprache wiederherzu- stellen und so die älteste Geschichte des indogermanischen Sprach- stammes zu rekonstruiren. Aber gleich bei ihm begegnen wir

1) Ausgesprochen hat diese Ansicht zuerst William Jones im Jahre 1786. Bopp hielt die noch von Friedrich Schlegel vertretene Anschauung^ dass das Sanskrit die Mutter der übrigen Sprachen sei, nur in seiner aller- ersten Zeit fest, wie ans seinem Brief an Windischmann vom August 1814: (bei Lefmann, Bopp S. 12*) hervorgeht. In seiner Erstlingsschrift vom J. 1816 hat er sie bereits aufgegeben. Ich hebe diese Thatsachen hervor, weil noch vor Kurzem von anthropologischer Seite gegen die Sprachwissen- schaft der Vorwurf erhoben worden ist, sie habe die Wissenschaft durch die Behauptung getäuscht, dass das Sanskrit die Mutter der europäischen Sprachen sei (Korrespondenzbl. d. Anthr. Ges. 1893, S. 76); diese Ansicht sei aber mit jedem Jahre zweifelhafter geworden. Thatsächlich ist sie bereits vor 80 Jahren aufgegeben und später höchstens von einzelnen Jfachzüglern, wie sie keiner Wissenschaft fehlen, wiederholt worden.

8 I. Die indogermanische Ursprache.

einer gewissen Unklarheit und Inkonsequenz . welche den Vor- stellungen von der Ui-sprache bis auf den heutigen Tag verbheben sind. Sein Verfahren bei Ei-schhessung der Grundformen ist, wie schon Delbrück (Einleit. in d. Sprachstud.^ 51) hervorgehoben hat, nicht immer das gleiche : während er Compend. ^ S. 8 die Grundform als eine auf die Lautstufe der indogermanischen Ur- sprache zurückgeführte Form definirt, lässt er sich thatsächhch in vielen Fällen von der Vorstellung leiten, dass den Grundfonnen auch eine möghchst altertümliche, ui'sprünghche Gestalt zukommen müsse . er bestimmt sie nicht nur durch eine Vergleichung der historischen Wortformen . sondern auch auf Grund ganz andei's- artiger morphologischer Erwägungen. So führt er skr. a^yä, lat. equa auf ui-sprachhches akvä-s zm'ück, in der Meinung, dass jeder Nom. Sing, einmal auf -s ausgegangen sei^). Man darf dabei freihch nicht vergessen, dassJSchleicher den von ihm aufgestellten Grundformen überhaupt keine historische Realität zuschrieb, wie er im Compend. ^ S. 9 ausdrücklich erklärt. Diese Anschauung kann im ersten Augenbhck sehr befremdlich ei-scheinen, denn man sollte meinen, dass niemand eine Grundform ei-schhessen werde, von der er nicht die Ueberzeugung hat, dass sie ^^^rklich einmal bestanden habe. Ich zweifle, ob Schleicher bereits die Bedenken gegen ursprachliche Rekonstruktionen im Sinne hatte, welche einige Jahre später J. Schmidt (Verwandtsch. d. idg. Spr. 28) ausgesprochen hat: jedenfalls war er sich aber der Un- sicherheit seiner Rückschlüsse bewusst und sah er die Aufstellung von Grundformen nur als ein bequemes Mittel an, die jeweiligen Ansichten der Sprachwissenschaft von der ältesten Geschichte des Indogermanischen auf die kürzeste Fonnel zu bringen.

Seit Schleicher ist die ErschUessung der indogermanischen Ursprache ein Hauptziel der Sprachvergleichung geblieben. Dabei ist aber in dem Verfahren der Rekonstruktion insofern eine Aenderung eingetreten, als man jetzt die Grundformen nur in der Weise ermittelt, dass man diejenigen Wortfonnen, welche sich durch eine Vergleichung der Einzelsprachen als deren gemein- sam erworbener Besitz erweisen, auf die Lautstufe der Ursprache

1 i Zuweilen scheint ihm diese Inkonsequenz halb zum Bewusstsein |]^ekommen zu sein, z. B. wenn er Cornj). ^ G71 als Grundform der primären Endung der 1. Per.^. Sing. Med. -ma-mi aufstellt und hinzusetzt, dass daraus schon in der Ursprache durch Ausfall des zweiten m -mai geworden

zu sein Hclifitn'.

Definition der Ursprache.

zurückführt d. h. alles abzieht, „was der Spezialentwicklung der Einzelsprachen angehört"; die Summe dieser Grundformen gilt für die Ursprache. Die Inkonsequenz des Schleicher'schen Ver- fahrens ist also jetzt aufgehoben : man leitet zwar auch heute noch die auf die angegebene Weise gefundenen Grundformen auf Grund anderweitiger Erwägungen aus noch älteren Vorstufen her, man lässt z. B. ein idg. jugo-m = skr. yucjäm gr. 'Cvyov lat. jugum usw. aus älterem *Jeugo-m entstehen, weil gr. 'C.Evyog, Levyvv(.u u. a. jeug- als älteste AVurzelform erweisen, aber man stellt die auf so verschiedene Weise ermittelten Grundformen nicht auf eine Linie und setzt in der Regel die Ursprache nur mittelst des ersten auf der blossen Vergleichung beruhenden Ver- fahrens an, also in der Form, welche das Indogermanische un- mittelbar vor der Entstehung der Einzelsprachen hatte. In dieser Weise hat Brugraann in seinem 'Grundriss der vergleichenden Grammatik' Schleichers Versuch einer Rekonstruktion der Ur- sprache am vollständigsten erneuert. Er nimmt die konstruirte Ur- sprache durchaus als historisch i), wenigstens stellt er sie mit den historischen Einzelsprachen in der Behandlung so völhg gleich, dass man diesen Eindruck erhält. Prüfen wir, ob und wie weit diese Auffassung berechtigt ist.

Xach der übHchen Definition stellt die Ursprache die Periode des Indogermanischen vor der ersten Sprachtrennung, das dem Sonderleben der Einzelsprachen vorhergehende Stadium der Ur- gemeinschaft dar. Sie steht also zu den Einzelsprachen in einem gewissen Gegensatz, ihr kommt die Eigenschaft der völhgen Ein- heithchkeit, der Dialektlosigkeit zu, denn den vei-schiedenen histori- schen Wortformen entspricht ja immer nur eine einzige Grundform. Nun lehrt aber die Eifahnmg, dass es absolut dialektlose Sprachen nicht giebt. Im Grunde weicht ja die Sprache jedes Individuums von der des anderen in der Aussprache der Laute, der Wahl der Worte, der Satzformen u. s. w. ab, und diese Unterschiede wachsen in der Regel mit dem Umfange des Sprachgebietes. Was bei Kulturvölkern dem Umsichgreifen der dialektischen

1) Diese Anschauung darf wohl als die herrschende bezeichnet werden, welche sich mit der Delbrücks (Einl. in d. Sprachstud. ^ 55) nicht ganz deckt, dass die Ursprache nichts als eine Formel sei, die dazu dient, die wechselnden Ansichten der Gelehrten über den Umfang und die Be- schaffenheit des sprachlichen Materials, welches die Einzelsprachen aus der Gesamtsprache mitgebracht haben, wiederzugeben.

10 I. Die indogrermanische Ursprache.

Differenzirung entgegenzuwirken und eine Gemeinsprache zu schafien ptiegt. das Vorhandensein einer Litteratur, das kann für urzeitliche Verhältnisse nicht in Beti'acht kommen. Man hat sich denn auch der Einsicht nicht verschlossen, dass bereits in der indogermanischen Ursprache dialektische Unterschiede bestanden haben müssen, und hat solche auch thatsächlich nachweisen zu können geglaubt.

So hat J. Schmidt, der als einer der ersten diesen Erwägungen Ausdruck gegeben hat*), auf einige Fälle hingewiesen, in denen die Sprachforschung schon in der tiir ihre Mittel letzten-eichbaren Sprachepoche auf dialektische Variation stösst, welche sie nicht weiter zu reduciren vermag. Z. B. lässt sich keine einheitliche idg. Bezeichnung der Einzahl nachweisen: in historischer Zeit dienen dafür nicht weniger als vier verschiedene Stämme, aber für keinen lässt sich die Bedeutung 'eins' als geraeinindogermanisch erweisen; es sind dies: skr. eka-,

altpers. aiva- avest. afva-; das verwandte gr. oifog. bedeutet 'allein' und ^•ielleicht 'gleich" in hom. oureag, nach Wacker- nagel aus *olfo-fäTEag. 'eiusdem aetatis" (Z. f. vgl. Sprachf. 25. 280)2-. gr. olvr^, lat. oinos, altir. oen, got. ains, lit. venas, asl. inü; ob skr. rnn- 'er" verwandt ist. wie gewöhnlich angenommen wird, scheint mir fraghch (s. auch Kap. VII). gr. e\c aus *sem-s, a-7ia$, anXovg, skr. sa-kr't 'einmal', lat. sem-el, sin-guU, sim-jjlex. Der Stamm bedeutete ursprüng- Hch 'gleich": skr. samd- 'derselbe", gr. biioQ. lat. fiinilis usw. s).

1) Verwandtsch. d. idg. Spr. 28 f. Zur Gesch. d. idg. Vokal. II 186. Vorher schon M. Müller Vorles. über die Wissensch. d. Sprache I- 181. lieber d. Resultate der Sprachwiss. 20. Breal Journ. des Savants 1876, 632. Brugmann Z. f. allgem. Sprachwiss. I 1884. 254. Schrader Sprach- vergleich, u. Urgesch.- 152. 174. Die kritischen Bemerkungen hierzu von P. V. Bradke Methode d. ar. Altertumswiss. 128 verstehe ich nicht.) Seiler, Die Heimat der Indogermanen (Hamburg 1894) S. 33.

2 Stokes Idg. Wb. II 3 stellt hierher noch altir. ai ae unbestimmter Artikel. Vgl. auch Noreen ürgerm. Lautl. 159 über anorw. /ry-;/ja«e Einsiedler.

3i Einen 5. Stamm hat man mit Unrecht in gr. ta gesucht. Es ist weder = got. »i 'sie' iJ. Schmidt Z. f. vgl. Sprachf. 25, 36) noch gar mit »kr. tiiii- verwandt (Osthoff Morph. Unt. IV 186 f. Anm.i. Aus gortyn. ioc folgt, dass im Anlaut kein ." geschwunden ist. Da im Thessalischen Tav (;i)J. "45 , ,, . Aiolischen und bei Homer mit der einzigen Aue-

Dialektische Differenzirung- der Ursprache. 11

Man könnte nun annehmen wollen, dass einer dieser "Wort- stämnie einmal gemeinidg. gewesen und in manchen Sprachen durch einen anderen verdrängt worden sei, aber bei genauerem. Zusehen ist das für keinen dieser Stämme wahrscheinlich. Der erste ist auf das östlichste idg. Idiom, der zweite auf das Iranische beschränkt (denn olog ist ja nicht Zahlwort); der dritte ist zwar über ganz Europa verbreitet, kann aber im Osten nicht wohl numerale Bedeutung gehabt haben, wenn ihn das Skr. nur in der älteren pronominalen Verwendung kennt; der vierte ist wieder als Zahlwort nur südindogermanisch, den ^Xordindogermanen nur in pronominaler Bedeutung bekannt. Erwägt man ferner,, dass in den Zahlwörtern für 2—10 sämmtliche idg. Sprachen übereinstimmen, in dem für 1 aber selbst zwei sich so nahe stehende Sprachen wie Indisch und Iranisch aus einander gehen, dann wird es immer unwahrscheinlicher, dass je eine einheitliche idg. Bezeichnung dafür existirt hat: sie hätte sich erhalten müssen, so gut wie die übrigen Zahlwörter.

Man könnte nun, um der Annahme einer ursprachhchen Dialektdifferenz zu entgehen, die Entstehung des Wortes für 1 in die Zeit des Sonderlebens der Einzelsprachen verlegen wollen, aber auch dieser Ausweg ist ungangbar. Denn die herrschende Anschauung muss die Ausbildung des Zahlwörtersystems bis 100 und weiter schon der Ursprache beilegen, und es wäre zwar denkbar, dass die Sprache eine Zeit lang ohne ein Wort für 1 auskam, weil die Einzahl schon durch die Singularform des Nomens gekennzeichnet war, aber die Bezeichnung von 11, 21, 31 usf.^ welche das idg. Dekadensystem mit Hülfe des Wortes für 1 aus- nähme Iw Z 422 nur das Fem. i'a vorkommt, so wiid das Masc. lo^ und Xtr. lov jüngeren Ursprungs, la selbst aber an Stelle von jnia getreten sein durch Uebertragung des Anlauts von ei? il'a für *ta mit aiolischer Psilosis); vgl. van Leeuwen Enchir. dict. epicae 249. Der Vorgang ist nicht vei'wunderlicher, als wenn im Lit. *nevyiti 'neun' nach diszimtis 'zehn' zu devyni umgestaltet wird. Der Hiat in aiol. fi7]de-ta (GDJ. 214i.2) erklärt sich daraus, dass die Silbenzahl von lujbsuia, an dessen Stelle es getreten war, festgehalten wurde. Ganz kürzlich hat Breal, Mem. soc. lingu. IX 24, die Annahme aufgestellt, dass i'a aus injöeta abstrahirt und dieses selbst eine Neubildung zu [.irjöelg sei. Aber aus nrjösia hätte doch nur *tla abstrahirt werden können nach dem Verhältnis von [irjdsig zu th. Und die angebliche Analogiebildung /tiijöeia zu /nrjösi; entbehrt jedes Vorbildes. Wo steht sonst im Griech. ein Fem. auf -eTa neben einem Masc. auf -ft'?? Das gewöhnliche Wort für 'eins" im Slav., jedinü (jeditiü), ist noch nicht erklärt.

12 I. Die indoorermanische Ursprache.

drückt, setzt das Bestehen eines solchen Zahlwortes voraus. Seine Entstehung niuss also in die ..ursprachliche" Periode fallen; es ist aher vermutlich jünger als die Wörter flu' 2 10, weil es sonst wohl mit diesen zusammen einen festen gemeinidg, Ausdruck er- halten hätte. In der Zeit, als sich das Bedürfnis nach einer Bezeichnung der Einzahl geltend machte, wurden dafür Wörter Ton der Bedeutung ..allein", ..zusammen", „gleich" oder ähnlicher verwendet und zwar setzten sich in den einzelnen Teilen des idg. Gebietes verschiedene Ausdrücke fest.

Wenn aber bereits die idg. Ursprache dialektisch differenzirt gewesen sein muss. welche Grenze, frage ich, giebt es dann noch zwischen der Periode der sogen. ..Urgemeinschaft" und der des j.Sonderlebens der Einzelsprachen"? Man hat sich die Auf- lösung dieser Urgemeinschaft wohl nie als eine plötzliche, ein- malige gedacht und denken können, sondern nur als einen all- mählichen , vermutlich in mehrere Akte zerfallenden Vorgang ^). jNlüssen wir aber schon der Ursprache dialektische Diiferenzirung zuschreiben, dann schwindet vollends die Grenzlinie zwischen ihr und der Sonderentwicklung der Einzelsprachen dahin : das einzige Merkmal, wodurch die Ursprache in prinzipiellen Gegensatz zu der folgenden Periode der Sprachsonderung trat, die völhge Ein- heitlichkeit, ist ihr ja genommen. Gewiss war die dialektische Sonderung in ältester Zeit noch lange nicht so weit vorgeschritten, wie später, aber ein Maassstab für den Grad, den sie jeweilig er- reicht hatte, fehlt und damit auch das Mittel zu genauer Ab- grenzung. Die älteste Geschichte des Indogermanischen stellt sich uns also als eine im Prinzip einheitliche dar, die dialektische Sonderung hat immer bestanden, nur das Maass, die Art, das Verhältnis der dialektischen Unterschiede hat sich aller Wahr- scheinlichkeit nach im Verlauf einer Jahrtausende langen Ent- wicklung sehr erheblich verändert.

Die Unklarheit der hen-schenden Anschauungen von der idg. Ursprache zeigt sich am deutlichsten, wenn wir uns vor die oft aufgeworfene Frage stellen, ob eine sprachliche Erscheinung als ursprachlich, urindogermanisch anzusehen sei oder nicht. Brugmann (Zeitschr. f. allgem. Sprachwiss. I 256) erklärt es für ausserordentUch schwierig, allgemein giltige Normen ausfindig zu

1) Betont bat dies schon Max Müller Ueber die Resultate d. Spracb- wiss. S. 21.

„T'rindopermanisch". 13

machen, nach denen man bestimmen könnte, was ursprachhch sei und was nicht. Die Schwierigkeiten beruhen jedoch keines- wegs bloss auf der Lückenhaftigkeit unseres Wissens, sondern vor allem auf der Zweideutigkeit des Begriffes ,,urindogermanisch''. Der Häuptfaktor, von dem man die Erteilung dieses Prädikats abhängig macht, ist die geographische Verbreitung der in Frage stehenden Spracherscheinung. Eine in allen oder den meisten Einzelsprachen auftretende Wortform gilt für ursprachlich; „die AVahrscheinlichkeit wächst mit der Zahl der Sprachen, in denen sie sich tindet". Besonderes Gewicht wird darauf gelegt, dass sie in geographisch sich möglichst fern stehenden Sprachen, nament- lich in den asiatischen und europäischen Zweigen des Indogerma- nischen zugleich vorkommt. Nach diesem Gesichtspunkt wird z. B. der Name des Schafes, övis, der sich im Indischen, Grie- chischen, Italischen, Keltischen, Germanischen. Litauischen und Slavischen findet, für ursprachlich erklärt. Wenn nun aber die Ui'sprache die Sprache darstellt, ..welche unmittelbar vor der ersten Trennung des idg. Urvolkes gesprochen wurde" , dann hat jene Folgerung nicht die mindeste Berechtigung. Denn niemand kann beweisen, dass nicht auch nach der angeblichen ,, ersten Trennung" sich ein Wort über das ganze idg. Sprachgebiet verbreiten konnte man müsste sich denn die Indogermanen durch jene erste Trennung gleich derart aus einander gerissen denken, dass auch nicht der geringste sprachliche Austausch mehr zwischen ihnen möglich ^Avar: so intensiv geschieden waren sie aber, wie im näch- sten Abschnitt ausgeführt wird, selbst in historischer Zeit noch nicht. Man sieht, der ganze Fehler liegt darin, dass der Begriff ..gemeinindogeiTnanisch" ohne weiteres mit „urindogermanisch''' identifizirt ist. Es könnte nur scheinen, als ob alles ins Reine gebracht wäre, wenn wir stets letzteres Prädikat durch ersteres ersetzten: dass dies nicht immer zuträfe, kann man jedoch aus dem folgenden Beispiel ersehen, einem syntaktischen.

Man hat die Frage aufgeworfen, ob es in der idg. Ursprache bereits Nebensätze gegeben habe '). Obwohl die hypotaktische Satzbildung allen Einzelsprachen bekannt, also gemeinindogerma- nisch ist, hat man doch Bedenken getragen, sie flu- ursprachhch zu erklären, weil die Möghchkeit vorhegt, dass sie in jeder Einzel-

1) Die Frage ist zuletzt erörtert von Ed. Hermann Z. f. vergl. Sprachf. 33, 481 ff.

14 I. Die indogermanische Ursprache.

spräche selbständig ins Leben getreten ist. Um die Frage zu entscheiden, hat man daher untei*sucht, ob die Kennzeichen des Nebensatzes wie Relativpronomina und Konjunktionen als ur- sprachlich nachweisbar sind oder nicht. In Betracht kommt hier namentlich das Pronomen jo-s, welches im Sanskrit. Iranischen (i/as\ Phrygischen (log) und Griechischen (oc) relativische Funk- tion hat»), während lit. Jo, sls\. Jec/o (Gen. Sg.) und das damit verwandte ahd. jenPr ausschhesslich demonstrative Bedeutung zeigen. Dass diese wie jene üebereinstimmung nur auf einem Zufall beruht ist bei der geographischen Lagerung der überein- stimmenden Sprachen so unwahrscheinlich wie nur denkbar. Da aber die relativische Funktion des Pronomens auf einen Teil des idg. Gebietes, den südöstlichen, beschränkt ist, so wird sie der Ursprache als nicht gemeinindogermanisch abgesprochen. Das Richtige ist: die Entwicklung der relativischen Bedeutung war eine dialektisch beschränkte Neuerung, welche in eine Zeit fiel, als die südöstlichen Indogermanen noch in sprachhchem Zu- sammenhang mit einander standen, also in eine recht alte Zeit. Ob damals die Indogermanen geteilt waren oder nicht, ist eine Frage, die hierdurch nicht im Geringsten entschieden ist. Auch ein ungeteiltes Urvolk konnte dialektische Difterenzen entwickeln. Wie man sieht, wird hier wieder die Erteilung des Prädikats „ui'sprachHch" davon abhängig gemacht, ob es sich um eine ge- meinsam vollzogene Sprachneuerung handelt oder nicht.

Wesenthch andere hegen die Verbältnisse in den folgenden Fällen. Die europäischen Sprachen besitzen ein Wort für 'Salz", Nom. säl-d Gen. sal-n-es, das den arischen vollkommen abgeht. Aus diesem Grunde hat Hehn (Das Salz S. 10) das Wort als nicht gemeinindogermanisch der Ursprache aberkannt. Dagegen hat J. Schmidt [F\m\ d. idg. Neutra 1S3) aus der altertümlichen mit Stammwechsel verbundenen Flexion des Wortes, wie sie sich sonst nur bei Neutren findet, die aus der Ui"sprache stammen, geschlossen, dass es bereits dieser angehört habe und den Ariern frühzeitig verloren gegangen sei. Aehnhch hat Hirt (Idg. Forsch. I, 475) das nur im Lateinischen, Keltischen, Germani- schen und Litauisch-Slavischen nachweisbare Wort für Meer, *mnr>, der Ursprache zuerkannt, weil neutrale /-Stämme in hi-

1) Ausserdem in einigen germ. und slav. -Ableitungen, got. j'abai wenn, asl. j'akü wie beschafien. jelikü wie gross usw., lit. jei wenn.

,,Urindoerermaniseh". lo

storischer Zeit überall derart selten sind, dass eine gern eineuro- päische Neubildung eine grosse Unwabrscheinlichkeit in sich bärge. Nun frage ich aber: in welchem Zusammenhang steht die Wort- bildung mit der ersten Trennung der Indogermanen, welche doch nach der herrschenden Auffassung allein dem Begriff der Ur- sprache seine Begrenzung giebt? Wir kennen doch die sprach- lichen Zustände des Indogermanischen unmittelbar nach jener ersten Teilung nicht so genau, um bestreiten zu können, dass Bil- dungen, welche in historischer Zeit schon im Aussterben sind, damals ungezählte Jahrtausende vorher noch in der Blüte standen ! Ob aber ursprachlich oder nicht, so ist doch durch nichts bewiesen, dass ein auf den Westen und Norden des idg. Gebietes beschränktes Wort wie *mari jemals gemeinindogerma- nisch gewesen ist.

Man sieht, dass in ,, urindogermanisch" nicht weniger als drei vei'schiedene Begriffe zusammengefallen sind : gemeinindogermanisch, altindogermanisch und ursprachlich. Was es mit dem dritten auf sich hat, haben wir bereits gesehen; aber auch die beiden ei-sten ohne weiteres zu identifiziren verbietet sich von selbst, wenn man erwägt, dass eine sprachliche Erscheinung recht alt sein kann, ohne je über das ganze idg. Gebiet verbreitet gewesen zu sein, und dass umgekehrt die gemeinindogermanischen AVortformen von ganz vei-schiedenem Alter sein können und es aller WahrscheinHchkeit nach sind. Wer endlich gemeinidg. und uridg. gleichsetzt, kommt in die Lage, letzteres Praedikat Wortformen verweigern zu müssen, welche älter sind als solche, denen er es zuerkennt. Z, B. das Zahlwort *oinos 'eins' braucht in seiner numeralen Be- deutung niemals gemeinidg. gewesen zu sein und kann dennoch in frühere Zeit zurückreichen als das allen Einzelsprachen ge- meinsame Wort für 'hundert': skr. catäni, avest. satem, gr. e/MTCv, lat centuni , cymr. cant , got. hund , Ht. szirtas, asl. siUo.

Wir können also zu keiner Klarheit der Anschauungen ge- langen, wenn Avir nicht den chronologischen und den lokalen Be- giiff streng von einander sondern : beide stehen zwar in gewisser Beziehung zu einander, insofern die gemeinidg. Sprachelemente natürlich grossen Teils zu den ältesten gehören, aber diese sind nicht alle gleich alt (vgl. Paul, Prinzipien d. Sprachgesch. - 41) und dürfen deshalb nicht ohne weiteres auf eine Linie gestellt werden. Nach wie vor ferner wird es Kecht und Pflicht der

16 I. Die indogermanische Ursprache.

Sprachvergleichung sein, einheithche Grundformen aufzusuchen. Aber wenn eine dialektlose Ursprache eine contradictio in adjecto ist, darf man solche Grundformen nicht schlechterdings in jedem Fall zu finden erwarten ; man hat vielmehr, wo sich die historisch bezeugten Erscheinungen nicht auf eine Basis bringen lassen, die Möglichkeit einer uralten Dialektdifterenz ins Auge zu fassen. So glaube ich z. B. das Verhältnis der mit m anlautenden Kasus- suffixe im Germanischen und Slavisch-Litauischen zu den bh-Sui- fixen der übrigen Sprachen aufl:assen zu müssen (vgl. auch Solmsen, Z. f. vergl. Sprachf 31, 472), ferner das des griechi- schen Lokati vsuftixes -at zum arisch-slavisch-Htauischen -sti. Ebenso wird die in den einzelnen Sprachen verschiedene Bildung des Gen. Sing, der o-Stämme (s. Kap. IX) zu beurteilen sein. Auch die mannigfaltigen Kasusformen der Pei'sonalpronomina lassen sich schwer unter einen Hut bringen.

Auf lexikalischem Gebiet wird in manchen Fällen die An- nahme eines alten Dialektunterschiedes mit der einer einheithchen Bezeichnung wenigstens gleichwertig sein. So sollte man meinen, dass die Indogermanen seit ältester Zeit ein Wort für 'Hand' besessen haben, so gut wie füi- den 'Fuss' und andere Körper- teile. Nun weichen aber die Einzelsprachen in der Bezeichnung der Hand ausserordentiich von einander ab. Es ist zwar denk- bar, dass in der einen oder anderen Sprache ein älterer Ausdruck durch eine jüngeren verdrängt worden ist: so könnte im Germa- nischen das mit lat. manus verwandte angels. altnord. mund ahd. nuüit das alte Wort für 'Hand' sein, das, weil es die übertragene Bedeutung 'Schutz" erhielt, durch die Neubildung got. hamius ahd. hant usw. von got. hm[mn 'ftingen, greifen' ei-setzt wurde, (gerade wie der Wiener Volksmund scherzend 'Greifer? für 'Hand' sagt). Aber wenn es je eine gemeinidg. Benennung dieses Köii)erteils gegeben hat, warum ist sie nicht in einer grösseren Anzahl von Einzelsprachen bewahrt worden, da doch das Wort für 'Fuss' durch fast sämtliche Idiome durchgeht?

Auch in der Geschichte der Laute stossen wir vielfach auf Differenzen, welche sich nicht weiter reduziren lassen. Wir setzen zwar beispielsweise gemeinidg. r an; wollen wir aber die ui-sprüngliche (Qualität dieses Vokales genauer bestimmen, so lässt uns das Mittel der Vergleichung dabei völlig im Stich. Wir begegnen da so viel örtlichen und zeitlichen Schwan- kungen der Aussprache, dass die Annahme einer ursprünglich

Mangrel einheitlicher Grundformen. 17

einheitlichen Qualität des r im Idg. gänzHch in der Luft schweben

würde. Im Gotischen und Wandaiischen hatte t entschieden ge- schlossene Aussprache : das wird durch die gelegentliche Ver- wechslung von r mit ei und / bei den ostgotischen Schreibern unserer Bibelhandschriften, sowie durch das Schwanken zwischen r und 1 in den lateinisch überheferten gotischen und wandaiischen Eigennamen erwiesen (^Bremer Paul und Braune "s Beitr. XI 7 ff. Wrede Spr. d. Wandalen 92, Spr. d. Ostgoten 58. 161). Dagegen ist ftir das Urnordische und das Deutsche einschliesshch des Langobardischen und Burgundischen offenes '" durch den Ueber- gang in ör sicher bezeugt ; auch angels. re deutet auf oftene Aussprache. Bei diesem Sachverhalt ist es nicht einmal für den einzelnen germanischen Sprachstamm möglich eine gemeinschaftliche Grund- fonn des c anzugeben, denn es ist Willkür, als solche offenes V, anzusetzen, erstens weil dabei das Gotisch- Wandahsche ohne Grund gegen die übrigen germ. Dialekte zuiückgesetzt -wird, zweitens weil die Voraussetzung, dass überhaupt je eine einheit- liche gerai. Aussprache des e bestanden habe, zwar nicht wider- legbar, aber auch nicht erweisbar ist.

Wer wollte es unter solchen Umständen wagen, gar für alle indogermanischen Idiome eine gemeinsame Grundform der e auf- zustellen? — Die Thatsachen geben jedenfalls dafür nicht den geringsten Anhalt. Bei den westhchen Nachbaren der Germanen muss e schon sehr frühzeitig eine stark geschlossene Aussprache gehabt haben, denn der Uebergang in 1 war, wie das aus dem Keltischen entlehnte germ. rll:- = gall. rig- (aus rerj-) lehrt, be- reits vor der germanischen Lautverschiebung vollzogen ^ i. Dass auch das lat. e geschlossen war, folgt sowohl aus den Beschrei- bungen der römischen Grammatiker 2) wie aus den romanischen Fortsetzungen, endHch auch daraus, dass es die deutschen Stämme in lat. Lehnwörtern (wie ahd. ziagal : lat. tvguJa) mit ihrem ge- schlossenen, nicht mit ihrem offenen e wiedergeben. Im Oskischen, wo e in der einheimischen Schrift durch die Variante des /-Zeichens,

1) Spuren eines im Kelt. dialektisch erhaltenen alten e will d'Arbois de Jubainville (Noms gaulois chez Cesar et Hirtius S. 4 flf.) in der aus Pannonien mehrfach belegten Kamensform Volturex Volterex Valtrex (CIL. III. 3793. 3796. 3797. 3805. 3823—25 u. ö.i sowie in dem breton. roe König, PI. rouan-ez aus *reganto- erkennen. Wenigstens in dem ersten Fall wird man aber wohl an Einfluss des lat. r^x denken dürfen.

2) Zuletzt darüber Lindsay, Latin language S. 18. 20. Kretscbmer, Einleit. in d. Gesch. d. gr. Sprache. 2

18 I. Die indog^ermanische Ursprache.

in der lateinischen direkt durch i wiedergegeben wird, und im Umbrischen , wo es mit i und ei wechselt, hatte es zweifellos ebenfalls geschlossene Qualität. Die griechischen Mundarten gehen in der Aussprache des alten r- aus einander : im Elischen , wo es schhesslich ganz in ä überging, muss es sich stark dem ä zuge- neigt haben ; im Ionisch - Attischen und einer Reihe anderer Dialekte war y] jedenfalls offener als e, da dessen Dehnung nicht durch -ff, sondern durch fif ausgedrückt wird. Dagegen dürfen wir für das Boiotische und Thessahsche, welche »j in ionischem Alphabet durch ei ersetzen, ui"sprünglich geschlossenes c voraus- setzen, und diese Aussprache ist schliesslich gemeiugriechisch ge- worden. Das litauische e ist geschlossen, während im Lettischen die Aussprache nach Maassgabe der folgenden Laute eine sekun- däre Regelung erfahren hat. Diesem Thatbestande gegenüber ist es natürlich ganz unmöglich, die Färbung des zu Grunde liegen- den e- Vokals genauer zu ermitteln; sie mag schon von jeher ähn- hchen dialektischen Schwankungen ausgesetzt gewesen sein, wie in historischer Zeit.

Dasselbe dürfte für gewisse gemeinidg. Lautwandlungen gelten, wie die Yokalreduktionen in unbetonten Silben, die eine Liquida enthalten. Hier gehen die Einzelsprachen in der Stellung, wie in der Färbung des Vokals ^) bei der Liquida so weit aus einander, dass sich die zu Grunde liegende Aussprache immer nur ungefähr wird bestimmen lassen und möglicherweise niemals ganz einheit- lich war. Die Frage aber, ob ar dl oder r l das ursprüngliche war, lässt sich um so schwerer präzis beantworten, als der phone- tische Unterschied zwischen beiden Aussprachen ein sehr gering- fügiger ist und dieselben daher leicht mit einander wechseln konnten, gerade wie im Deutschen die Aussprache in Winkel zwischen dl und / schwankt ^j, wie im Cechischen und nach Oblak, Arch. f. slav. Phil. XVI 1894, 198 ff. auch in den bulgarisch-macedonischen Dialekten slav. d zu / und dies in letzteren Dialekten wieder zu / -f- Vok. oder Vok. -\- l ge- worden ist 3).

1) Bedingt ist die Verschiedenheit der Vokalfärbung wohl durch die verschiedene Artikulation der Liquida.

2) S. jetzt Bremer, Deutsche Phonetik S. 53. 58 f.

3) Nach Niederschrift des Obigen ist J. Schmidts Kritik der Sonanten- theorie (Weimar 1895) erschienen, welche S. 18 ft". Argumente für die Aussprache ,r als Vorstufe von r im Sauskrit beibringt. Ich habe gegen

Schlussergebnis. 19

Aus alledem ergiebt sich, dass es nicht statthaft ist, zwischen Ursprache und Einzelsprachen einen Strich zu ziehen, als ob zwischen diesen und jener ein scharfer grundsätzlicher Unter- schied bestände. Ferner können wir wohl einzelne Grundformen rekonstruiren, aber da diese in ganz verschiedener Zeit entstanden sein können und es aller Wahrscheinlichkeit nach sind, so dürfen wir sie nicht addiren (vgl. J. Schmidt Verwandtschaftsverhältnisse S. 30 f.) und können demnach auch nicht die „Ursprache" als ein Ganzes in irgend einem Stadium ihrer Entwicklung erschliessen. Endhch findet auch die Rekonstruktion von Grundformen da ihre natürliche Grenze, wo es sich um uralte mundartliche Unter- schiede handelt.

jedes der drei Argumente noch Bedenken. Ferner kann der Vokal von gr. oa, kelt. ri, germ. ru nicht der unmittelbare Nachfolger des e von er sein, da er dem r folgt. Man kann nun zwar zwischen «»• und ga die Zwischenstufen «r«, einschieben, man kann aber auch ga, ri, ru aus r herleiten. Welche Aussprache in einer fernen Urzeit ge- herrscht hat, er oder t-, lässt sich m. E. nicht entscheiden : sie kann im Laufe von Jahrtausenden vielfach geschwankt haben, wie in den slavischen Sprachen. Denn derartige geringfügige Lautschwankungen sind in der Sprachgeschichte an der Tagesordnung. Ich halte daher im Wesentlichen meine Z. f. vgl. Spracht'. 31, 390 und Bezz. Beitr. XIX, 160 geäusserte Ansicht fest. Dass ich dagegen idg. rr, ll, n, m, f, n usw. so wenig an- erkenne, wie mein verehrter Lehrer, brauche ich nach meinen a. a. 0 gemachten Ausführungen nicht zu wiederholen.

2*

iL Kapitel. Das indogermanische Urvolk.

Die Annahme einer indogermanischen Ui-sprache erfordert als notwendiges Korrelat einen Träger dieser postulirten Ursprache, ein indogemianisches Urvolk : darunter sind also die Indogermanen Tor ihrer ersten Trennung in Einzelvölker, die ungeteilten Indo- germanen zu verstehen. ]Mit diesem postulirten Ui*volk hat sich eingehender zuerst Adalbert Kuhn in einer berühmt gewordenen Programmabhandlung des Berliner Realg}-mnasiums (Ostern 1845) beschäftigt: was Schleicher für die üi*sprache, hat Kuhn für das Urvolk zu leisten unternommen, eine Rekonstruktion der Kultur- zustände der indogermanischen Urzeit. Demgemäss ist auch seine Methode genau die entsprechende: er schreibt dem Urvolk die- jenigen Kulturbegriffe zu, für welche die Einzelsprachen gemein- same Bezeichnungen besitzen, er zieht also nur aus dem Grund- satze, dass ursprachlich ist, was gemeinindogermanisch ist, die not- wendigen kulturhistorischen Folgenmgen. Das von Kuhn ein- geschlagene Verfahren ist auch in der Folgezeit im Wesentlichen immer beibehalten worden: eine ganze Wissenschaft, die lin- guistische Palaeontologie, wie sie Bietet genannt hat, hat sich auf jenem Grundsatz aufgebaut. Wohl hat eine strenger^ Kritik im Einzelnen die irrigen Anschauungen, welche die frühere Forschung von den Zuständen der Urzeit gewonnen hatte, zu berichtigen gesucht, wohl sind Zweifel und Bedenken gegen die Zuverlässig- keit des ganzen Verfahrens laut geworden aber an der Vor- stellung hat man dennoch immer festgehalten, dass an den An- fang der indogermanischen Geschichte ein ungeteiltes Urvolk mit einheitlicher Kultur und Sprache zu stellen sei, und bis auf den l)eutigen Tag beschäftigt man sich mit der Frage, ob dieses Ur- volk bereits das Rind und das Pferd züchtete, den Acker be-

Verbreitung: von Kulturwörtern. 21

stellte, ob es die Metalle, Kupfer, Eisen^ Gold schon kannte und verwendete, welche Sitten und Gebräuche es hatte, welche Götter es verehrte, ja in welchem Versmaass es seine einfachen Gesänge abfasste. Prüfen wir aber, mit welchen ]Mitteln man diese Fragen zu beantworten gesucht hat, so ergeben sich hier dieselben Be- denken, wie wii" sie gegen die Rekonstruktion der Ursprache er- heben mussten.

Die „linguistische Palaeontologie" setzt, wie die Sprach- wissenschaft, von der sie ausgeht, mindogermanisch mit gemein- indogermanisch durchaus gleich. Sie zieht z. B. aus der That- sache, dass für „fahren, Rad, Achse, Nabe, Joch" fast in sämt- lichen Einzelsprachen gemeinsame Ausdrücke vorhanden sind, die Folgerung, dass der Wagen den Indogermanen bereits zu der Zeit bekannt war, als sie sich noch nicht in Einzeivölker ge- schieden hatten, als sie noch im Zustande der ethnischen Einheit lebten. Die Unrichtigkeit dieser Folgerung ist eigentlich so hand- greiflich, dass sie nicht besondei^s bewiesen zu werden braucht. Aus der Gleichung skr. yugäin, gr. Kvyov, lat. juguw, got. jiik, asl. igo, lit. Jtoigas folgt weiter nichts als dass sich einmal von einem unbekannten Ausgangspunkt aus das Wort "^jugom, ver- muthch mit dem Gegenstand selbst, den es bezeichnet, über das ganze indogermanische Sprachgebiet verbreitet hat: über die eth- nischen Verhältnisse, unter denen dies geschah, sagt die Gleichung nicht das Geringste aus. Auch unter sprachHch und pohtisch streng geschiedenen Völkern konnte die Verbreitung erfolgen, wofern nur die geographische Kontinuität nicht gänzHch auf- gehoben war. Die Voraussetzung, dass die Verbreitung des Wortes nur innerhalb eines ungeteilten, einheitlichen Urvolkes vor sich gehen konnte, wird durch die gesamte Sprachgeschichte widerlegt. Noch in historischer Zeit hindern ja die Sprach- und Völkergrenzen nicht, dass ein neues Kulturwort von einem indo- germanischen Stamm zum anderen wandert; noch in dieser Zeit können solche Wörter „gemeinindogermanisch" werden. Die indische Bezeichnung des Pfeffers, pippalt bezw. ^pipparY , ist mit dem Gewürz selbst etwa im IV. vorchristhchen Jahrhundert zu den Griechen gewandert (gr. nänsQi), von diesen zu den Römern (lat. piper) und, Jahrhunderte später, zu den Germanen (ags. pipor), Slaven (asl. plprü) und Litauern (lit. pip\ras). Dieser Vorgang steht mit der Verbreitung des Wortes für Joch im Prinzip genau auf einer Linie. Nur die verhängnisvolle Neigung,

22 II. Das indogermanische Urvolk.

Praehistorisches mit anderen Augen anzusehen als Historisches, kann zwischen den beiden Vorgängen einen grundsätzhchen Unterschied erkennen wollen. Auch ..urverwandte" Wörter sind durch Entlehnung von Individuum zu Individuum, von Stamm zu Stamm „gemeinindogermanisch*' geworden i), und dieser Prozess kann sich ebenfalls über grosse Zeiträume erstreckt haben. Der Unterschied zwischen den prähistorischen und historischen Ent- lehnungen ist zunächst lediglich ein chronologischer: die Ver- breitung des "Wortes *Jiigom fällt vor verschiedene räumlich be- grenzte Sprachvorgänge, wie den Wandel von _/ in u im Grie- chischen und die germanische Lautverschiebung; die Ausbreitung des Wortes *g"öus 'Rind' = skr. gäus, avest gao, armen, kov, gr. ßovg, lat. bös (umbr. bum Acc), ir. bo, ahd. chuo, asl. gov^do, lett. gutes muss vor dem Uebergang des Velars in b im Grie- chischen, ümbrischen und Irischen und vor der germanischen und armenischen Lautverschiebung erfolgt sein; das Wort *müs 'Maus' = skr. mü'i; neupers. mdi!, armen, mukn, gr. jitig, lat. müs, ahd, müs, asl. mysi, alban. niT muss sich vor dem Schwund des intervokalischen a im Griechischen {uvog aus *Livo6g) und dem Uebergang von s in r im Lateinischen verbreitet haben usf. In jedem dieser Fälle ist ein anderer terminus ante quem ge- geben, so dass die Verbreitung der einzelnen Wörter, die man unter der Rubrik „urindogermanisch" zusammenzuwerfen pflegt, in ganz verschiedene Perioden der idg. Sprachgeschichte fallen kann und auch ohne Zweifel fällt. SämtHche Termini sind prä- historisch und lassen sich zeitlich nicht genauer fixiren; nur eine relative Chronologie lässt sich für gewisse sprachliche Erschei- nungen aufstellen. Dass zu der Zeit, als sich ein AVort wie g-öus verbreitete, andere sprachliche und ethnische Zustände, eine andere geographische Verteilung der idg. Stämme bestand, als sie uns im Beginn der Geschichte entgegentritt, das soll keines-

1) Schon Schleicher hat für gemeineuropäische Kulturwörter Ent- lehnung Ton Volk zu Volk angenommen (vgl. Schrader Sprachvergl* 33). Auch Hehn hat diesem Gedanken Ausdruck gegeben (Schrader a. a. 0. 48). Am entschiedensten hat aber Vodskov (Sjjeledyrkelse og Naturdyrkelse, I. Kjobenhavn 1890, S. CHI ff.) die Möglichkeit einer Entlehnung der Kulturwörter in der Urzeit betont. Mir sind seine Ausführungen erst bekannt geworden, als ich längst zu den oben vorgetragenen Anschau- ungen gelangt war. Im Uebrigen kann ich Vodskov's Ansichten und seine Beweisführung nicht durchweg gutheissen (vgl. Kap. III).

Urverwandtschaft und Entlehnunp. 23

wegs bestritten werden , aber geradezu einheitliche Verhältnisse brauchen es darum nicht gewesen zu sein. Zwischen „urver- wandten Wörtern" und ..Lehnwörtern" besteht also dei-selbe Unter- schied wie zwischen der sogen. Ursprache und den Einzelsprachen kein prinzipieller, sondern ein durch die jeweiligen Lautgesetze und sonstigen sprachlichen Vorgänge bestimmter zeitlicher. Fehlen solche sprachliche Kriterien, wie bei lat mälnm = dor. uälov, und sind nicht etwa historische Anhaltspunkte gegeben, so pflegt die Entscheidung, ob urverwandt oder Lehnwort, schwankend auszufallen. Es ist aber von Wichtigkeit festzuhalten, dass auch die sogen, urverwandten Wörter nur auf dem Wege der Ent- lehnung gemeinindogennanisch geworden sind, denn in anderer Weise verbreiten sich SiDrachneuerungen überhaupt nicht, als dass sie von einer oder wenigen Personen ausgehend von Individuum zu Individuum, von Volk zu Volk weitergegeben werden.

Etwas andei's liegen nun freilich die Verhältnisse bei ge- meinindogermanischen Sprachneueningen von nicht rein lexika- lischer Art. Lautliche, formale, syntaktische Neuerungen er- fordern zu ihrer Verbreitung innigere sprachhche Berührung als die lexikahschen. Während diese sich selbst unter gänzlich ge- schiedenen, sogar vöUig unverwandten Sprachen mit Leichtigkeit fortzupflanzen vermögen Kulturwörter wandern ja durch die ganze Welt , bedürfen jene ein gewisses Maass dauernden per- sönhchen Verkehrs, um weitere Verbreitung zu gewinnen, und scharfe Sprachgrenzen bilden zwar nicht unter allen Umständen, aber doch in der Regel ein grosses Hindernis für ihre Fort- pflanzung. Nun ist aber schon beim ersten Auftreten der Indo- germanen in der Geschichte ihre räumliche Ausdehnung und sprachliche Difierenzirung so weit gediehen, dass die Verbreitung einer lautlichen, formalen oder syntaktischen Neuerung über das ganze Sprachgebiet nicht mehr möglich erscheint, wenigstens ist es noch von keiner sprachlichen Erscheinung nachgewiesen. Daraus folgt, dass gemeinindogermanische Lautveränderungen z. ß. die Vokah'eduktion in unbetonten Silben, die Vokaldehnung, das Auf- kommen von Suöixen wie -tro-, -meno- u. dgl. in eine Zeit fallen müssen, wo die Indogermanen noch in wesentlich anderen sprach- lichen und ethnischen Verhältnissen lebten, wo sie noch geo- graphisch weniger ausgebreitet, dialektisch weniger difi"erenzirt waren als in historischer Zeit. Genau fixiren lassen sich aber diese Zustände durch sprachhche Gleichungen natürhch nicht,

24 II. Das indoofermanische IJrvolk.

und wir haben durchaus kein Recht, sie uns als schlechthin ein- heitlich vorzustellen. Vielmehr lehrt die Erfalirung, dass selbst beträchtliche dialektische Sonderung nicht immer ein Hindernis fiii" die TVeiterverbreitung eines Lautwandels bildet.

Lehrreich sind in dieser Beziehung die Zustände auf germa- nischem Gebiet in älterer Zeit. Die Germanen ti-eten uns be- reits im Beginn unserer Zeitrechnung als ein grosses in unzäh- hge Stämme gespaltenes und über ein weites Gebiet, Deutsch- land und den Süden der skandina%ischen Halbinsel, verbreitetes Volk entgegen. Dass sie schon damals dialektisch untei-schieden waren, ist a priori anzunehmen und lässt sich durch ein lauthches Beispiel belegen. Der angelsächsische Wandel von ai in ä^) muss bis ins 1. Jahrb. n. Chr. zumcki'eichen , denn er liegt be- reits in dem von Plinius h. n. 28, 12, 191 erwähnten säpö vor, welches die Grundform von angls. säpe = ahd. seifa darstellt*). Und diese in Sprache, Sitte und Rehgion difierenzirten, räumlich weit ausgedehnten Stämme haben noch Jahrhunderte später ge- meinsame lautHche Veränderungen vollzogen. Vor allem ge- hört hierher die Synkope in auslautenden Silben, welche sicher noch nicht im 1. und vielleicht noch nicht im 2. Jahrb. n. Chr. eingetreten war, vgl. Kluge in Pauls Gnind- riss I 359. 363; sie hat sich in mehreren Stadien über das ganze germanische Gebiet ausgebreitet. Man könnte einwenden

1) Vom Angls. ist dieser Wandel ins benachbarte Friesische und Nordische gedrungen, hier aber an Bedingungen geknüpft: das Angls. ist also wahrscheinlich der Mittelpunkt der „Welle" gewesen.

2) Plinius bezeichnet zwar den tapo als eine gallische Erfindung zum Rotfärben der Haare, bezeugt aber zugleich seine Verwendung bei den Germanen, womit vgl. Martial. 14, 26 Chattica (cod. Cattica, ed. Rom. 1473: caustica) Teutonicos accendit sputna capillos, 14, 27: Mattiacas pilas;, die Sprache lehrt, dass das Wort und wahrscheinlich auch die Sache von den festländischen Vorfahren der Engländer ausgegangen ist. Den Galliern haben es vermutlich die Bataver vermittelt, denn die sputna Batava, welche Martial VIII 33, 20 als ein Haarfärbemittel nennt, ist wohl mit dem liquidua sapo des Plinius identisch. Auch die ekandinavischen Ger- manen haben das Wort von den Angelsachsen empfangen, wie das ä des altnord. säpa beweist. Kluge (Etym. Wb.* u. Seife) führt das lat. aapo mit J. Grimm (Haupts Zlschr. 7, 461) auf ein germ. *saipö zurück: das wäre aber von den Römern durch *8aepo wiedergegeben worden, vgl. Boiohaemum {Dovi'at^tov, Tevgio/atfiai), Ingvaeones usw. Die Länge des o in aäpo folgt aus dem Vers des Serenus Sammonicus XI, 153 (Poet. lat. min. ed. Baebrens III 114): attrito »aponv gvnaa purgare memento.

SprachzusairiTnenhanpf bei ethnischer Sonderling. 25

wollen, dass es nur die gemeinsame Grundlage, die starke ex- spiratorische Betonung der Anfangssilben u. a. war, welche nach dem Gesetz: gleiche Ursachen, gleiche Wirkungen, überall auf germanischem Boden Vei-stümmlung des Auslauts zu Wege brachte. Gewiss ist dies in Anschlag zu bringen ; wenn man aber sieht, wie unter den germanischen Völkern eine geographisch geschlossene Grui^pe, die westHchen Stämme, wieder noch einzelne Besonderheiten in der Behandlung des Auslauts gemein hat, dann kann man den sprachgeschichtUchen Zusammenhang in der Entwicklung der Auslautsgesetze nicht verkennen. Andere weit- reichende Lautwandlungen nachchristlicher Zeit sind die Er- höhung des e zu ?', die im 1. Jahrh. noch nicht ganz durchge- drungen gewesen zu sein scheint i), und der IT ebergang von e in «, welcher sich langsam im Verlauf eines halben Jahrtausends über den grössten Teil des germanischen Sprachgebietes er- streckt hat.

Aehnhches lässt sich auch anderwärts beobachten. Die Latiner haben den Rhotacismus des intervokahschen s mit den dialektisch stark von ihnen unterschiedenen Umbrern gemeinsam vollzogen. Unter den mundartlich erheblich differenzirten griechi- schen Stämmen hat der Schwund des / von einem Ausgangs- punkt, dem ionisch-attischen Stamm, aus langsam stufenweise um sich gegriffen. Schliesshch können ja, wie bekannt, auch gänzlich unverwandte Sprachen gegenseitige lauthche Einwirkung erleiden. Bedingung füi' phonetischen Einfluss ist lediglich das Bestehen sprachhchen Verkehi's, und dazu ist in der Regel an den Grenzen zweier benachbarter Sprachgebiete Gelegenheit gegeben, wo er häufig durch Zweisprachigkeit und Sprachmischung gefördert wird. Indem solche Grenzgebiete gleichsam Brücken zwischen zwei ver- schiedenen Sprachen oder Dialekten bilden, ist die Möglichkeit gegeben, dass selbst in einer Sprach gi'uppe, deren äusserste Glieder sich nicht mehr vei"stehen, doch noch eine gewisse Kontinuität der sprachhchen Entwicklung besteht. Der schwäbische Bauer kann den pommerschen nicht vei"stehen, aber er ist mit ihm durch eine kontinuii-hche Reihe von Zwischendialekten verbunden, deren je zwei benachbaile in sprachlichem Austausch mit einander stehen (vgl. Paul, Princip. d. Sprachgesch. 2 43),

1) Näheres darüber bei Brate Bezz. Beitr. XI, 186. Kluge Pauls Orundriss I 317. 357. Noreen ürgerm. Lautlehre 12 ff.

26 II. Das indogermanische ürvolk.

Solche Thatsachen muss man sich vergegenwärtigen, um den richtigen Maassstab dafür zu gewinnen, welche ethnischen und dialektischen Verhältnisse wir für die Periode des Eintretens einer gemeinindogermanischen Sprachneuerung zu fordern haben. Nicht EinheitHchkeit, Dialektlosigkeit war dafür Bedingung, sondern lediglich eine gewisse sprachliche Kontinuität, welche grössere dialektische Verschiedenheit zwischen entfernten Gliedern desselben Sprachgebietes keineswegs ausschliesst. Wir dürfen zugeben, dass- uns die Sprachvergleichung in Zeiten zurückvei'setzt, in denen der indogermanische Sprachstamm noch eine geringere räumliche Ausdehnung besass als in historischer Zeit, in welcher z. B. der indische Stamm ganz seitab gerückt ei*scheint und der italische auf der Apenninhalbinsel einer gewissen Isolirung ausgesetzt war; auch die Sprach- und Völkerverhältnisse haben gewiss seit der ältesten historischen Epoche ganz wesenthche Verschiebungen er- fahren — aber unmittelbar bis in eine Periode der Einheit, der Urgemeinschaft führen die sprachlichen Gleichungen nicht notwendig hinauf Sie können auch aus einer Zeit stammen, in welcher die Indogermanen eine Ausdehnung, wie beispielsweise die Ger- manen bei ihrem Bekanntwerden, vielleicht aber auch schon die doppelte oder dreifache Ausdehnung gehabt haben.

Eine andere Frage ist es, ob diese ausgebreitete Gruppe in- dogermanischer Stämme notwendig aus einem einzigen verhältnis- mässig kleinen und im AVesentlichen dialektlosen Stamm hervor- gegangen sein muss, ob die idg. Sprachverwandtschaft sich nur unter der Voraussetzung eines solchen Urvolkes erklärt? und ferner, in welcher Weise dann dieses Urvolk sich zu der ausge- dehnten in unzählige Stämme gespaltenen Völkergruppe entwickelt hat, als welche uns die Indogermanen in historischer Zeit ent- gegentreten ? Ich gestehe, dass ich mich der Erörterung dieser Fragen etwas ungern unterziehe, weil sie einer einigermaassen exakten Lösung ja doch durchaus unzugänghch sind; allein gerade in neuester Zeit haben diese Probleme so vielfach die AVissen- schaft beschäftigt, dass ich in diesem Zusammenhang die Ver- pflichtung fühle, mich mit den hierüber geäusserten Ansichten auseinanderzusetzen.

Die Sprachforschung hat die erete Frage von jeher bejaht, sie hat stets an den Anfang der idg. Sprachentwicklung ein räumlich wenig ausgedehntes ungeteiltes Urvolk gestellt, und wenn man von dem Irrtum absieht, den sie dadurch beging, dass

Das postulirte Urvolk. 27

sie alles Geraeinindogermanische auf dieses Urvolk übertrug und so dessen Zustände zu rekonstruiren vermeinte, so ist diese Hy- pothese allerdings nicht zu umgehen. Denn sprachliche Ueber- einstimmung erzeugt sich und erhält sich nur durch sprachlichen Verkehr, und dieser wieder ist durch enge Kulturzusammenhänge bedingt : da sich aber die Anfänge der idg. Sprachgeschichte, die Abgrenzung dieses Idiomes gegen benachbarte Sprachen ohne Zweifel bis in eine kulturlose Urzeit zurückzieht, so müssen wir uns seine anfängliche Verbreitung um so beschränkter vorstellen, je geringer in jener Periode nationales Leben und Stammeszusammen- hänge entwickelt waren. Es ist auch wohl nur einmal eine ab- weichende Ansicht über dieses Problem geäussert worden, von Cuno (Forschungen im Gebiete der alten Völkerkunde I 48 ff. 66 f), welche ihrer Merkwürdigkeit wegen erwähnt werden mag. Nach Cuno sind die idg. Sprachen keineswegs gleicher Abstam- mung, sondern sie sind in dem Gebiet zwischen dem Atlantischen Ocean und dem Ural als selbständige Idiome von grösserer oder geringerer Aehnlichkeit entstanden. Die Ursachen dieser Aehn- lichkeit sucht er vornehmlich in den gleichmässigen geographischen und klimatischen Verhältnissen jenes Ländergebietes. Das heisst denn doch Ritters geographisch -historische Theorie auf die Spitze treiben: wie sollte Klima und Boden auf die ganze Gestaltung, die innere und äussere Form einer Sprache einen so weitgehenden Einfluss ausüben? Wäre diese Anschauung richtig, dann müssten wir überall unter gleichen Breitengraden und Boden- verhältnissen dieselben Sprachformen finden. Wollte man sich aber den Sachverhalt so vorstellen, dass die selbständig entstan- denen Idiome sich vermöge ihrer nachbarlichen Berührung gegen- seitig assimilirt hätten, so würde diese Annahme aller historischen Erfahrung zuwiderlaufen. In einer Zeit, welche die Schrift nicht kennt, ist sprachliche Beeinflussung nur auf dem Wege persön- lichen Verkehres, Sprachmischung nur in Verbindung mit Völker- mischung denkbar. Die Theorie von Cuno hat also nicht die ge- ringste Wahrscheinlickeit. Die Vergleichung der idg. Einzel- sprachen seit Bopp hat eine so grosse und tiefgehende Ueber- einstimmung dieser Idiome ergeben, wie sie sich nur unter der Voraussetzung erklärt, dass sie desselben Ursprungs sind, dass sie früher einmal eine geraeinsame Entwicklung durchlebt und sieb seitdem mehr und mehr differenzirt haben. Diese Periode engsten sprachlichen Zusammenhanges fällt zwar in eine praehistorische

28 11. Das indoofermanische ürvolk.

Urzeit, aber sie liegt bei den idg. Sprachen vielleicht nicht so weit zurück wie etwa bei den uralaltaischeu , welche sich nach dem Urteil sachverständiger Forscher hinsichtlich ihrer verwandtschaft- Uchen Beziehungen mit den idg. in keiner Weise vergleichen lassen. Nach Heinr. Winkler (Uralaltaische Völker u. Sprachen S. 59 f.) haben sich Finnisch, Samojedisch, Türkisch, Mongolisch, Tungusisch usw. zwar auf derselben Grundlage, aber von einander ganz unabhängig entwickelt, und sind selbst der finnischen Sprach- gruppe für sich nur gewisse Hauptelemente gemeinsam, welche in ähnlicher Verwendung, aber zuweilen in völHg vei'schiedener Form in der Mehrzahl dieser Sprachen wiederkehren (Das Ural- altaische u. seine Gruppen S. 55). Kellgren (Grundzüge der finn. Sprache S. 44) verlegt deshalb die Trennung der ural- altaischeu Völker in eine sehr ferne Vergangenheit, in welcher sich eben nur die Keime zu den heutigen Sprachen dieser Stämme gemeinsam ausgebildet hatten. Aehnlich müsste man sich wohl das Verhältnis zwischen der semitischen und hamitischen Sprach- familie voi"stellen, wenn beide wirklich, wie jetzt auch besonnene Forscher für möglich halten (vgl. Ad. Erman ZDMG. 46, 93 ff.), mit einander verwandt sind ^). Solche Vergleiche sind lehrreich, denn sie zeigen, um wie viel enger der historische Zusammen- hang zwischen den sich so viel näher stehenden idg. Sprachen in einer nicht zu fernen Vorzeit gewesen sein muss, sie müssen wirklich einmal nichts als dialektische Abarten einer Sprache gewesen sein. Und diese Sprache ist entstanden und hat sich entwickelt in scharfer Abgrenzung gegen die Idiome der Nach- barvölker, gegen die uralaltaischen , semitischen, kaukasischen, kleinasiatischen Sprachen, gegen das Etruskische und Iberische. Da giebt es keine Uebergangsglieder, es giebt keine einzige Sprache, von der es wirkhch zweifelhaft bleiben muss, ob sie in- dogermanisch ist oder nicht; auch diese Thatsache spricht ganz entschieden gegen Anschauungen wie die Cuno'sche.

1) Mit dem Verhältnis zwischen Semitisch und Haniitisch vergleicht der neueste Erforscher der kaukasischen Sprachen, R. v. Erckert (Ver- bandl. d. Berl. Gesellsch. f. Erdkunde 18!>5 S. 62 1, die Verwandtschaft des Grusinischen und seiner Dialekte mit den nordkauknsischen Bergspracheu : ich weiss nicht, ob diese Frage schuu spruchreif ist. Wenn erst einmal die genealogischen Verhältnisse anderer Sprachfamilien mehr geklärt sein •werden, wird sich mittelbar auch für das idg. Verwandtschaftsprobiem ein Gewinn daraus ergeben, aber vorläufig ist die Zeit dazu noch nicht gekommen.

Die physische Anthropologie. 29

Wenn man nun aber annahm, dass ursprünglich ein einziger kleiner Stamm der Träger der idg. Sprache gewesen sein muss, dann erhob sich weiter die Frage, in welcher "Weise dieses h}"po- thetische Urvolk sich zu der in historischer Zeit Hunderte von Stämmen und Millionen von Individuen umfassenden Völker- gruppe entwickelt hat. Für die ältere Sprachforschung war es selbstverständlich, dass dieses Wachstum auf allmählicher phy- sischer Verraehrnng beruhe, und wofern man einen genügenden Zeitraum dafür in Anspruch nimmt, ist diese Möglichkeit gewiss zuzugeben. Aber es fragt sich, ob nicht noch andere Ur- sachen vorhanden gewesen sein können und ob sich ein be- stimmter Anhalt dafür findet. Hier ist der Punkt, wo die An- thropologie eingesetzt hat und wo sie zu scheinbar der Sprach- forschung gänzlich widei-siDrechenden Ergebnissen gelangt ist. Es ist für den Sprachforscher nicht leicht, in dem GewiiTC verschie- dener Meinungen , welche sich in der Anthropologie gekreuzt haben und noch kreuzen, den richtigen Standpunkt für ein selb- ständiges Urteil zu gewinnen, aber es ei-scheint mir dennoch an- gezeigt, dass man auch auf linguistischer Seite den Versuch nicht scheue, sich mit den Ergebnissen der naturwissenschaftlichen Dis- ziplin auseinanderzusetzen, statt sie ohne nähere Prüfung abzu- lehnen oder zu ignoriren. denn könnte selbst die Sprachwissen- schaft auf die Hülfe der Anthropologie verzichten, so müsste diese doch immer zu den linguistischen Ergebnissen Stellung nehmen^ sie würde wie Herrn. Welcker treffend bemerkt hat^) ohne die Leuchte der ethnologisch-linguistischen ^Forschung vor lauter unlöslichen faits accomplis stehen.

Die Anthropologie tritt von "gänzlich anderen Gesichtspunkten aus als die Sprachforschung an die Probleme der Urgeschichte des Menschen heran; sie geht von einer Untersuchung seiner phy- sischen Beschaffenheit aus und sucht an der Hand umfangreicher, zuweilen in grossartigstem Maasstab angestellter Statistiken die unterscheidenden somatischen Merkmale festzustellen. Sie hatte

1) Verhandl. des 2. Deutschen Geographentages in Halle 1682 S. 67. Auch Whitney (Leben u. "Wachstum der Sprache S. 294) wünschte eine Auseinandersetzung zwischen Sprachwissenschaft und Rassenanatomie. 0. Sehrader"s Sprachvergleichung und Urgeschichte ^ welche über die Geschichte der linguistischen Palaeontologie recht gut unterrichtet, be- handelt die anthropologischen Theorien viel zu kurz und unzureichend. Ich kann im Rahmen dieses Abschnittes nur das Hauptsächliche andeuten.

30 II. Das indogermanische Urvolk.

aber von Anfang an das begreifliche Streben, über die Stufe einer bloss beschreibenden, statistischen Wissenschaft hinauszu- kommen, die Fülle der Thatsachen, die sie feststellte, auch histo- risch zu würdigen und mit diesen Mitteln eine Geschichte der Menschheit zu konstruiren. Früher hielt sie sich bei den Ver- suchen, diese Aufgabe zu lösen, soweit die europäischen Völker in Frage kamen, durchaus an die Ergebnisse der idg. Sprach- wissenschaft. Sie erkannte die damals allein herrschende Theorie, dass die idg. Völker Europas in verhältnismässig junger Zeit aus Asien eingewandert seien, voll an und schrieb infolge dessen die Ueberreste der ältesten Menschen, die in Europa aufgedeckt wurden, einer vorindogermanischen Urbevölkerung zu, welche von den auf einer höheren Kultui^stufe stehenden einwandernden Indo- germanen unterdrückt sein sollte. Man hielt es für selbstver- ständhch, dass diese Ureinwohner auch körperlich von den Indo- germanen verschieden waren: jene stellte man sich brünett und brachycephal, diese blond und dolichocephal vor und sah zugleich erstere Eigenschaften als Merkmale einer niederen Rasse, letztere als mit höheren geistigen Fähigkeiten verbunden an. Natur- gemäss suchte man weiter jene Urbevölkerung mit den in histo- rische Zeit hineinragenden europäischen Völkern nichtindogerma- nischer Sprache in Zusammenhang zu bringen. Die schwedischen Anthropologen dachten dabei an die ihnen zunächst liegenden Finnen und Lappen, die französischen an die Iberer und Ligurer. Man stellte die Ansicht auf, dass diese Völker einst weiter ver- breitet waren als in historischer Zeit, und verknüpfte sie so zu einem mongoloiden oder turanischen Urvolk, das vor der Ankunft der Indogermanen ganz Nord- "und Mitteleuropa eingenommen haben sollte. So entstand jene berüchtigte Finnenhypothese, welche in den brünetten und brachycephalen Elementen der heutigen europäischen Bevölkerung die Ueberbleibsel des finnischen Ur- volkes erblickte, das sich mit den blonden und dolichocephalen indogermanischen Einwanderern vermischt haben sollte i). Es

1 1 An eine lappoide rrbevölkerung dachte zuerst Anders Retzius (Ethnolog. Schriften, Stockholm 1864): in Schweden, wo die kleinen, kurzköpfigen, brünetten Lappen und die hochgewachsenen, blonden Ger- manen in schroffem ethnischem Gegensatz zu einander stehen, war der Gedanke besonders naheliegend. In Frankreich fanden dfese Anschau- ungen an Prüner-Bey und de Quatrefages die eifrigsten Vertreter, in Deutschland noch 1876 an Poesche (Die Arier S. 51 ff. 181). Als in der

Anthropologische Theorien. ^1

verlohnt sich heute nicht mehr, über alle diese Theorien von einer lappischen, mongohschen , estnischen oder eskimoiden Ur- bevölkerung viel Worte zu verlieren: sie sind jetzt längst -widerlegt, namenthch durch Broca^) und Yirchow^), und werden heute kaum noch von einem Anthropologen enisthaft vertreten.

Aber die Anschauungen, von denen die Finnenhypothese und die verwandten Theorien ihren Ausgang genommen hatten, blieben doch bestehen: die Voi-stellung . dass in Europa sich mehrere nach Schädelform, Haarfarbe, Körperwuchs verschiedene Rassen mit einander gemischt haben, dass die eine geistig höher organisirt war und den anderen die Kultur gebracht habe und dass eben in dieser Rasse die echten Indogermanen, die ursprüng- hchen Träger des indogermanischen Idioms zu sehen seien, welche den anderen Rassen mit ihrer Kultur auch ihre Sprache aufge- zwungen, sie indogermanisirt haben. So lange die Kraniologie in diesen Fragen die führende Rolle hatte, hielt man sich haupt- sächhch an die Proportionen des Schädels und die Merkmale der übrigen Skelettteile 3). Ei-st Th. Poesche (Die Arier, Jena 1878)

Höhle von Les-Eyzies dolichocephale Schädel zu Tage kamen, setzte Prüner-Bey die Esten an die Stelle der Finnen, obwol er nur ein paar estnische Schädel kannte : er wurde sofort von Broca gründlich abgeführt (Bull, de la soc. d'anthropol. de Paris 1868, 454, vgl. auch Bertrand Nos origines I 286).

1) Er erwies eine occipitale Dolichocephalie der Basken, die sich mithin nicht mehr mit den brachycephalen Finnen und Lappen zu einer physisch einheitlichen Rasse vereinigen Hessen (Bull, de la soc de Paris 1863, 38 ff. Congres de Paris p. 370. Arch. f. Anthr. III 348 ff.). Vgl. auch Collignon, La race basque, L'Anthropologie V 1894, 287.

2) Virchow (Arch. für Anthropol. IV 55. Zeitschr. f. Ethnol. IV 1872, Yerhandl. S. 74. Die Urbevölkerung Europas S. 29 ff) betonte namentlich, dass die ältesten Schädel aus den französischen und belgischen Höhlen (Engis, Cro-Magnon) dolichocephal, nicht brachycephal wie die der Lappen und Finnen seien und dass die Gräberschädel der dänischen Stein- zeit so wenig wie die praehistorischen deutschen Schädel finnisch-lappi- schen Typus zeigen. Er erklärte ferner Schlüsse von der Schädelform auf die Haarfarbe für unzulässig und wies auf die vorwiegend blonde Haarfarbe der Finnen hin, die somit nicht die Träger des brünetten Typus in Europa gewesen sein können.

3) De Quatrefages und Hamy iCrania ethnica, vgl. Quatrefages L'espece humaine, Paris 1877) konstruirten nach dem Vorgange von Broca (Association frangaise 1877, 18 ff.) drei ,,quaternäre Rassen" : eine dolicho- cephale Cannstatt-Rasse (von anderen Neanderthaler Rasse genannt) mit

32 IL Das indogermanische Urvolk.

rückte ein anderes somatisches Merkmal in der Indogermanen- frage in den Vordergrund, die Haar- und Hautfarbe, indem er in Widei-spruch mit Chavee ^) die Blondheit zu einem Haupt- kennzeichen echten Indogermanentumes erhob. Ihm war es vor- behalten, die Kulturbringer Europas von den Kakerlaken der Pripet-Sümpfe 2) abzuleiten, nach Poesche der Urheimat der Indo- germanen, in der sie sich ihr blondes Haar und ihre blauen Augen erworben haben sollen.

Gekrönt wurden diese Hypothesen durch die Theorie von Karl Penka, welche den Anschauungen und Forderungen ge- wisser Anthropologen den schärfsten und greifbarsten Ausdruck verliehen hat. Penka vereinigt die Dolichocephalie und den hohen Körjjerwuchs mit der Blondheit zu dem Typus der urindo- germanischen Rasse. Ihm liefern die Germanen des Tacitus die Farben zu dem Bilde des echten Indogermanen. Mit diesen ältesten Trägern des idg. Idioms, welche in der Eiszeit in dem vergletscherten Mitteleuropa gesessen, in der postglacialen Periode sich nach dem skandinavischen Norden zurückgezogen haben sollen, haben sich nach Penka zwei heterogene Rassen vermischt, ein von Afrika über die Pyrenäenhalbinsel eingedrungenes dolicho- cephales und brünettes Volk von iberischem Typus, die Cro- Magnon-Rasse der französischen Anthropologen, und eine aus Asien eingewanderte dunkle brachycephale Rasse von mongoloi- dem Typus. Bei der Kreuzung der drei Kassen behielt die Sprache und Kultur der indogermanischen Rasse die Oberhand ; physisch behauptete sich aber ihr Typus nur im Norden, in ihrer Urheimat, annähernd rein 3); je weiter nach Süden, um so mehr treten die somatischen Merkmale der unterworfenen allophylen

australoiden Merkmalen, eine hochgewachsene dolichocephale Cro-Magnon- Rasse (oder R. von Engis) und eine kleine mesocephale Rasse von Furfooz (oder Grenelle) von lappoidem Typus.

1) Bull, de la boc. d'anthr. de Paris, II. S. IX p. 621.

2) Die von Poesche u. a. gebrauchte Bezeichnung 'Rokitno-Sümpfe' nach dem unbedeutenden Ort Rokitno ist nicht sehr treffend. Das vom Pripet durcliHossene Wald- oder Sumpfgebiet zwischen Pinsk und Minsk, das übrigens jetzt zum Teil von der Regierung entsumpft und urbar ge- macht ist, führt in Russland den Namen Poljesje.

3) Am reinsten haben nach Penka die Schweden den germanischen und idg. Typus bewahrt, nach Poesche S. 214 die Isländer Ursache das kältere Klima. „Alte Germanen in Eis präservirt!" nennt sie letzterer mehr kann man sich doch über seine eigene Theorie nicht lustig machen.

J. Ki'ugers Theorie. 33

Bevölkerungen hervor, mit denen die indogermanischen Eroberer verschmolzen waren. Dies die Grundzüge der Penka'schen Theorie. Es scheint nicht bekannt zu sein, dass sehr ähnliche Ansichten schon vor jetzt vierzig Jahren geäussert worden sind in einer heute fast gänzhch verschollenen Schrift von J. Kruger, Ur- geschichte des indogermanischen Völkei*stammes in ihren Grund- zügen wiederhergestellt (Bonn 1855). Das ei-ste und, soviel ich weiss, einzige Heft dieser Schrift, das den vielversprechenden Titel: Die Eroberung von Vorderasien, Egypten und Griechen- land durch die Indogermanen , führt, beschäftigt sich damit, die Pelasger, die ja schon so manches haben erdulden müssen, mit den Hyksos zu identifiziren. Am Schluss macht der Verfasser einige Bemerkungen über den indogermanischen Typus, in denen wir mit Erstaunen schon fast die ganze Penka'sche Betrachtungs- und Folgerungsweise vorgebildet finden. Es sei eine weit ver- breitete, aber irrige Meinung, dass blondes Haar, blaue Augen und Körpergrösse nur den Germanen, nicht ursprünglich dem ganzen „arischen" Völkerstamm zukämen. Man habe zu unterscheiden zwischen wirklichen Ariern und x^irisirten. Die letzteren bildeten l)ei weitem die Hauptmasse, da die Arier selbst ursprünglich nur ein relativ kleines Volk waren, das durch Waffengewalt seine Nationalität einer Menge anderer Völker aufdrängte und auf diese Weise zu einem Völkerstamme wurde, wie aus einem seiner Zweige, dem kleinen Römervolk, der ganze romanische Stamm erwuchs. Der Indogermanen, bei welchen das ursprüngliche Ele- ment vorheri"schend geblieben ist, sind nur noch wenige, und wo wir sie finden, treffen wir stets auf die obigen Merkmale. In Asien haben sich echtarische Völker noch in verborgenen Gebirgs- thälern erhalten, so die Siahposch im Himalaya, die Osseten im Kaukasus. Chinesische Historiker wissen noch von blondhaarigen und blauäugigen Stämmen zu berichten , deren Volks- und Per- sonennamen trotz chinesischer Verstümmlung noch als arisch zu erkennen sind. Moses von Chorene schildere Haik als von riesigem Körper, blonden Haaren und grauen Augen. In Europa ist die arische Rasse am reinsten bei den Nordgermanen und dem teutsch-sassischen Stamm erhalten, stark mit keltischen Elementen vermischt in Süddeutschland '). Die Kelten sind keine reinen

1) So erklären auch die heutigen Anthropologen den dunkleren Typus der süddeutschen Bevölkei'ung.

Kretschmor, Einleit in d. Gesch. d. gr. Sprache. 3

34 II. Das indogermanische Urvolk.

Indogermanen ; nur die Kiieger und Priester waren reine Arier, die von Asien kommend eine durchaus fi'emde Bevölkerung sich unterworfen hatten. Dies folgt schon daraus, dass die Alten den Kelten blondes Haar und blaue Augen zuschrieben, während heute trotz Vermischung mit Deutschen die Abkömmlinge jenes Stammes diesen Typus nirgends mehr aufweisen. Ich zweifle nicht, dass diese Ausfülirungen Krugei-s Penkaso wenig wie Poesche und anderen Gelehrten bekannt geworden sind, aber die That- sache, dass verwandte, übrigens maassvollere Ansichten schon vor vierzig Jahren geäussert worden sind, schien mir von Inter- esse.

Penka's Theorie hat auf Seiten der Anthropologen zwar keine allgemeine Anerkennung gefunden, aber auch keine unbedingte Ablehnung. Wenn Taylor (The origin of the Aryans-, London, 1892) statt dreier europäischer Rassen vier ansetzt i) und statt der Dolichocephalen die Brachycephalen für die Träger der indo- germanischen Kultur erklärt, so weicht er zwar im Ergebnis von Penka erhebhch ab , in der Methode aber ist er mit ihm völlig einig. Auf sprachwissenschaftlicher Seite hat man allerdings nie- mals verkannt, auf wie niedriger Stufe die philologische und linguistische Begründung seiner Hypothese steht, aber man scheint geneigt, den anthropologischen Teil seiner Ausführungen gelten zu lassen oder ihm wenigstens eine gewisse Berechtigung zuzuerkennen ^). Es wird daher nicht übei'flüssig sein, auch nach dieser Seite hin die Grundlagen, auf denen Penka's und alle verwandten anthropologischen Theorien ruhen, einer Prüfung zu untei*ziehen. Der Kraniologie, welche in diesen Hypothesen von jeher die Hauptrolle gespielt hat, gebührt der Vortritt.

Die Frage, nach welchen Gesichtspunkten man die Schädel einzuteilen und zu gruppiren habe, worin ihre charakteristischen Unterschiede zu sehen seien, hat die Kraniologie von ihren ersten Anfängen an beschäftigt, und gleich im Anfang begegnen wir einem bezeichnenden Schwanken der Meinungen: während Peter Camper die Schädel in der Norma lateralis aufstellte und in Be- ll 1. Iberische Rasse, Typus der britischen long barruws, die Cro- Maf^non-Rasse der Franzosen. 2. Ligurisehe Rasse, de Quatrefages' Fur- fooz-Rasse. 3. Skandinavische R., Eckers Reihengräbertypus. 4. Keltische Rasse, Typus der britischen ruuud barrotes.

2) Vgl. z. B. Justi in den Anzeigen von Penka's Büchern, Berl. phil. Wochenschr. 1884, 36 ff. 1887, 562 ff. Hirt Idg. Forsch. I 464 [IV 38].

Entwicklunpr der Kraniolopfie. 35

zug auf den Gesichtswinkel verglich, zog Bliimenbach die Auf- stellung in der Xoraia verticalis vor und erblickte das unter- scheidende Merkmal in der Breite des Gehimschädels. Diese Anschauung wurde von Retzius (dem Aelteren), dem eigentlichen Begründer der modernen Schädellehre, übernommen und weiter ausgebildet : er brachte , indem er das Maass der Schädellänge gleich 100 setzte und das Breitenmaass entsprechend reducirte, die Proportionen des von oben gesehenen Schädels auf einen ge- nauen Zahlenausdruck und sonderte danach alle Schädel in die zwei Gruppen der DoHchocephalen und Brachycephalen, Zwischen welche später von Broca und Welcker noch eine mesocephale Mittelgruppe eingeschoben wurde.

Diese Einteilung der Schädel ist merkwürdigerweise bis auf den heutigen Tag die populärste gebHeben, obwohl uns doch am Kopf des lebenden Menschen immer die Formen des Gesichtes als das am meisten Charakteristische erscheinen und die Breite des Schädels in der Regel wenig Beachtung findet. Die Kranio- logie hat sich denn auch bei Retzius' Schädelsystem nicht be- ruhigt, wie dieser übrigens schon selbst andere Merkmale nicht ganz übersehen und seine DoHchocephalen und Brachycephalen nach dem Gesichtswinkel je in eine prognathe und orthognathe Gruppe zerlegt hatte. Man machte die Beobachtung, dass die Pro- portionen der Hirnkapsel und des Gesichtes in gar keinem Korre- lationsverhältniss zu einander stehen was freiKch von anderer Seite, aber mit Unrecht behauptet wurde , dass an demselben Gehirnschädel die verschiedensten Gesichtsschädel sitzen können, dass es folglich Willkür ist, wenn man jenen allein ziu" Grund- lage einer Einteilung der Schädel macht. So hat denn die neuere Kraniologie, als einer der ersten Broca, der Begründer der französischen Anthropologenschule, auch den übrigen Pro- portionen des Schädels ihr Recht zukommen lassen. Sie hat ausser der Höhe des Gehirnschädels auch die Breite des Ge- sichtes, der knöchernen Nase, der Augenhöhle und des Gaumens gemessen, ferner den Prognathismus, die Formen der Stirn und der Ossa parietalia, endhch auch den Rauminhalt des Schädels be- rücksichtigt. Aber keine dieser Untersuchungen ergab wirkHch das gesuchte unbedingt charakteristische Merkmal für den Schädel. Wollte man z. B. den Orbitalindex, das Maass für die Proportionen des Augenhöhleneinganges, dem System zu Grunde legen, so würden nach Kollmann (Zeitschr. f. Ethnol. 1894, 225) der Euro-

36 IL Das indog^ermanische Urvolk.

päer, der dunkle Inder und der Fidji-Insulaner zu einer Gruppe gehören, und ähnlich ergeht es mit jedem einzelnen dieser Merk- male.

Neuere „Reformatoren der Kraniometrie" haben die Genauig- keit und Zahl der Schädelmessungen noch weiter getrieben: Benedikt hat ganz neue Messinstrumente von grösster Praezision zu diesem Zweck konstruirt; A. vonTörök will nicht Aveniger als 5000 Winkel- und Linearmessungen an jedem Schädel ausgeführt wissen. Aber dass mit dieser übertriebenen Exaktheit nichts er- reicht wird, dass eine Gruppirung der Schädel nach genetischen Gesichtspunkten um so schwieriger wii'd, je zahlreichere und kom- phzirtere Messungen man zu Grunde legt, das ist ausführlich von Kollmaun (Korrespondenzblatt der deutschen Gesellsch. f. Anthropol. 1891 S/- 25. 34. 41) dargethan worden. Auch die Aeby'sche Einteilung der Schädel auf Grund ihrer Achse in euiy- cephale und stenocephale hat zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt: ich verweise auf die Kritik von H. v. J bering, Zeitschr. f. Ethnol. Y 1873, S. 147.

Nicht viel besser steht es mit dem neuen Prinzip, welches Kollmann (Kon-esp.-Bl. d. deutsch. Ges. f. Anthr. 1883 S. 160 ff. 1891, 41) aufgestellt hat und das er mit einem der Zoologie entlehnten Ausdruck als das Gesetz der Korrelation bezeichnet. Kollmann verwirft mit Recht alle Einteilungen, welche sich auf irgend ein einzelnes durch Messung gewonnenes Merkmal wie den Längen-Breiten-Index gründen, und sucht nach einem um- fassenderen Unterscheidungszeichen. Indem er den Formen des Gesichts einen höheren Wert für die Rassenanatomie beimisst als dem Gehirnschädel, findet er einen Gesammtausdruck für die Gesichtsformen in dem übereinstimmenden Bau, in der Harmonie aller einzelnen Teile des Gesichts, ihrer Korrelation. Er unter- scheidet Langgesichter oder Leptoprosope mit hohen Augenhöhlen, langer schmaler Nase, enganliegenden Jochbogen usw. und Rreit- gesichter oder Chamaeprosope mit kurzer Nase, breitem und plattem Na.senrücken , weit abstehenden Jochbogen. Soweit könnte man Kolhnann beipHichten: nun aber stellt er die ex- tremen Leptoprosopen und Chamaeprosopen als die Grundtypen hin, aus denen sich alle übrigen Typen erst durch Mischung ge- bildet haben, und begründet auf dieser Ansicht seine Hypothese über die physische Entwicklung des Menscliengeschlechts in der praeglacialen Periode (Zeitschr. f. Ethnol. 1893, 34. Veriiandl.

Kraniologrische Theorien. 37

der Naturforsch. Gesellsch. in Basel VIII 1886. 1887). Er stellt sich die Stammform des Menschen man sieht nicht ein, mit welchem Recht als chamaeprosop und mesocephal vor und lässt sie zunächst in zwei Gruppen, Leptoprosope und Chamae- prosope, aus einander gehen, deren jede wieder nach der Form des Gehirnschädels sich in Dohcho-, Meso- und Brachycephale sonderte. "Weiter soll dann jede dieser 6 Unterarten nach der Beschaffenheit des Haares in 3 Varietäten , eine schlichthaarige, straifhaarige und wollhaarige, aus einander gegangen sein.

Ich bin völhg einvei-standen mit der Kritik, welche P. und F. Sarasin (Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschungen auf Ceylon, 1887—93, S. 237 ff.) an der Kollmann'schen Theorie geübt haben und welche er Zeitschr. f. Ethnol. 1894, S. 222 nicht zu entki'äften vermocht hat. Seine Hypothese über die Abzweigung der menschHchen Unterarten beruht auf einer völlig willkürlichen und einseitigen Bevorzugung der Ergebnisse der Kraniologie ; mit demselben oder mit besserem Recht könnte man auch die Untei'schiede des Skeletts oder der Haare oder der Hautfarbe als die fundamentalen ansehen und würde durch eine gleichmässige Berücksichtigung aller solcher Merkmale schhessUch unzählig viele Varietäten erhalten. Aber sehen wir auch von jener Theorie ab, so ist doch auf keinen Fall der Beweis erbracht, dass alle langen und alle breiten Gesichter auf der Erde in ge- nealogischem Zusammenhang mit einander stehen müssten: sie stellen nichts als die Extreme in der geschlossenen Reihe sich kontinuirlich abstufender Variationen der Gesichtsform dar. Dass ein Teil der Zwischenstufen auf Kreuzvmg von Leptoprosopen und Chamaeprosopen beruhen kann, ist ja zuzugeben, aber letztere als die einzigen Urtypen zu betrachten haben wir vor- läufig kein Recht.

Wir sehen, es ist der Kraniologie nicht gelungen, an dem menschlichen Schädel ein durchgreifendes, für die genealogischen Verhältnisse der Völker entscheidendes Merkmal aufeuzeigen. Wir erkennen zwar ge^visse stärker hervortretende Typen der Schädelbildung, aber alle diese Extreme sind durch eine konti- nuirliche Reihe sich eng an einander schliessender Zwischenstufen verbunden. Jede Sonderung der Schädelformen ist daher eine mehr oder weniger willkürUche und künstliche. H. v. Jhering hat bereits vor mehr als zwanzig Jahren nachdrücklich hervor- gehoben (Zeitschr. f. Ethnol. V 1873, 141), dass alle solche Aus-

38 II. Das indoofermanische Urvolk.

drücke wie Dolichocephalen und Brachycephalen nichts weiter als bequeme Schlagwörter sind, um eine sofortige Orientirung im Groben zu ermöglichen: eine historisch-ethnologische Bedeutung darf ihnen vorläufig nicht zugeschrieben werden, und das ist, wenn ich recht sehe, jetzt auch die Ansicht eines grossen Teils der Anthropologen.

Der Wert der kraniologischen Merkmale muss aber noch weit mehr herabgesetzt werden, wenn sich die Annahme ihrer unbedingten Stabilität, welche auch Penka (Herkunft d. Arier S. 125 ff.) vertritt, als irrig erweist. In neuerer Zeit ist diese Ansicht immer mehr erschüttert worden. K. E. von Baer und später J. Ranke haben dem Gebirge einen umbildenden Einfluss auf den Schädel zugeschrieben: Kurzköpfigkeit ist in den gebirgigen Gegenden Mitteleuropas besonders stark ausgebildet (Beitr. zurphys. Anthropologie der Bayern, 1883); Ranke führt sie auf den Ein- fluss der dauernd veränderten Kopfhaltung, wie sie mit dem Berg- steigen verknüpft ist, zurück (Der Mensch II'' 232). Das ist nun zwar nicht viel mehr als eine Vermutung: man kann natürlich mit Penka dagegen einwenden, dass sich Brachycephale viel- fach auch in ebenen Gegenden finden, und mit Tappeiner (Stu- dien z, Anthropol. Tirols S. 46), dass bei höherer Lage des Wohn- ortes sich zuweilen dohchocephalere Schädel finden als bei tieferer, aber daraus folgt nur, dass das Gebirge nicht die einzige Ur- sache der Kurzköpfigkeit sein kann. Virchow hat jüngst (Crania ethnica americana, 1892 S. 32) sehr entschieden der Möglichkeit einer Umbildung der dolichocephalen in die brachycephale Schädel- form das Wort geredet : dohchocephale Eltern können mesocephale Kinder hervorbringen. Die Ursache der Transformation Hegt in den Veränderungen, welche der Schädel während der Wachstums- periode des Menschen erfährt. Wie vorher schon Lissauer (Ar- chiv f. Anthrop. XV Suppl. 104 ff. Zeitschr. f. Ethnol. 24, 1892, S. 244) angenommen hat, sind die individuellen Eigentümlich- keiten des Schädels zum Teil Ueberbleibsel aus der frühkindhchen Periode des Menschen. Gewiss bedarf es noch weiterer Unter- suchungen, um diese Erkenntnis sicher zu stellen. Die kranio- logischen Statistiken haben sich bis jetzt gerade auf die Vererbung der Schädelmerkmale noch garnicht ei-streckt: für die Frage nach der Breite der hierbei möglichen individuellen Schwankungen fehlt es noch fast gänzlich an Material. Ranke (Der Mensch Jl '^ 239 ff. j hat noch aiidcn; transformirende Ui-sachen, besonders

Ethnologischer Wert dei* Schädelmerkmale. 39

für den Gesichtsschädel namhaft gemacht: diese Untersnchungen stehen fi-eiHch alle noch in den ersten Anfängen, aber Anhalts- punkte für eine Umbildung der Schädelformen sind jedenfalls schon vorhanden, und wenn neben den Wirkungen der Ver- erbung solche transformirenden Einflüsse für die Schädelbildung maassgebend sein können, dann wird deren ethnologische Bedeutung eine immer geringere.

In der That ist denn auch die heutige Anthropologie von der grossen Wertschätzung der Schädelmerkmale schon sehr zu- rückgekommen: Virchow hat dies auf dem Anthropologentage im Jahre 1892 unumwunden erklärt (Korrespondenz-Bl. d. deutsch. Ges. f. Anthr, 1892, 8. 101). Er hat darauf hingewiesen, wie unmögHch es ist, aus den blossen Schädeln mit Sicherheit zu bestimmen, welche ethnische Stellung ihre einstigen Träger eingenommen haben. Und diese Skepsis gegenüber den Folge- rungen der Kraniologen ist keineswegs ganz neu in der Anthropologie: H. von Jheriug (Zeitschr. f. Ethnol. Y 168 f.) hat ihr schon im Jahre 1873 sehr scharfen Ausdruck gegeben, zu jener Zeit, als die Finnen- und Estentheorie und die verwandten Hypothesen sich in buntem Wechsel ablösten und den Glauben an die Richtigkeit jener Folgerungen bei jedem Unbefangenen erschüttern mussten. Er hat schon damals betont, dass die Kopf- formen der verschiedensten Völker einander sehr ähnlich sein können, also aus der Identität der Schädelmasse nicht eine eth- nologische Verwandtschaft oder Angehörigkeit zu demselben Stamme abgeleitet werden könne, dass sich aus dem Bau des Schädels nie die Rasse des betreffenden Individuums erkennen lasse, weil eben keine Rasse eine nur ihr eigene Schädelform besitzt.

Zu einem so ungünstigen Schluss haben schon rein theo- retische Erwägungen geführt: in der Praxis sind aber die Schwierigkeiten, welche sich den ethnologischen Folgerungen der Kraniologie entgegenstellen, erst recht bedeutend ; wo immer man aus den Schädelproportionen Schlüsse auf die Verwandtschaft oder Verschiedenheit der Völker ziehen wollte , hat sich das gezeigt. Hatte man erwartet, aus den Schädeln der etruskischen Xekro- pole von Marzabotto Aufschluss über das Verhältnis der Etrusker zu den idg. Italikern zu geAvinnen, so wurde man darin gründlich enttäuscht : die etruskischen Schädel erwiesen sich als teils dohcho- cephal, teils brachycephal und untei'schieden sich in ilirer Form nicht irgendwie wesentlich von den altrömischen, die sich nur durch

40 II. Das indoorermanisclie ürvolk.

ihi-e grössere Capacität vor ihnen auszeichnen (Zanetti, Archivioper l'anthropologia e Tetnografia I 1871, 166 fF. 191. Virchow Zeitschr. f. Ethnol. IV 32), aber nicht so. dass es möghch wäre, einen etruskischen Schädel von einem römischen stets mit Sicherheit zu untei-scheiden.

Ueberall ist man zu demselben Ergebnis gekommen, dass innerhalb einer Stammeseinheit die verschiedensten Schädelformen in unzähhgen Abstufungen neben einander vorkommen. Wie bei den amerikanischen i), den oceanischen ^) und anderen Völkern, so finden sich auch in Europa und zwar schon in den ältesten er- reichbaren praehistorischeu Epochen Dohchocephale, Mesocephale und Brachycephale neben und durch einander. Früher glaubte man auf Grund der Höhlenfunde annehmen zu dürfen, dass Völker ver- schiedener Schädelform einander auf europäischem Boden abge- löst hätten, aber die neueren Foi-schungen haben dies immer mehr als irrig erwiesen. In der von de Baye aufgedeckten Grotte von Petit-Morin (Marne) aus neohthischer Zeit fanden sich nach den Messungen von Broca (bei Topinard Revue d'anthropologie XV 1886 S. 1 ff.) unter 44 Schädeln 12 brachycephale (Index über 80). 10 mesocephale (Index 77—79,90) und 22 dohchocephale (Index unter 77). Aehnliche Resultate ergaben die derselben Epoche entstammenden Funde von Crecy-sur-Morin (Manouvrier, Bull, de la soc. d'anthr. 1886, 604 ff.) der Cave aux Fees in Bueil bei Meulan und des Schweizerbildes bei Schaffhausen, vgl. Koll- mann Zeitschr. f. Ethnol. 1894, 229. Tappeiner in der Fest- schrift zum 25jährigen Jubiläum der Deutschen Anthr. Gesellsch. (Innsbnick 1894) S. 12.

Taylor (The origin of the Aryans 2 67 ff. 80) hat die von Thumam und Davis aufgestellte Theorie (Crania britannica und Memoirs of the Anthropological Society of London 1, 1860, 120. 459. III 41 ff.) übernommen, dass die älteste Bevölkerung Britanniens die der „long barroics'' gewesen sei und lange Köpfe gehabt habe, wäh- die jüngere später eingewanderte der ,.roH)id barroics'"'' brachy- cephal war. Aber neuere Untersuchungen haben diese Ansicht nicht bestätigt: Mortimer fand in den Rundgräbern von Ost- Yorkshire eben soviel lange als kurze Schädel (Journ. of the

1) Darüber zuletzt Virchow, Crania etbnica americana.

2) Virchow. Korresp. d. Anthr. Ge.s. 1883, 165, konstatirte „koloesale DifferenzcD" bei den Scbädeln aus Neu-Britanaien.

Ethnologischer Wert der Schädelmerkmale. 41

Anthrop. Institute of Great Britain VI 328), und in den Lang- gräbem sind wenigstens Mesocephale neben den Dolichoceplialen nachweisbar (Beddoe, L'Anthropologie Y 1894, 513 f.). Auch die Annahme, dass die rotind barroics jünger als die long harrous seien, wird bestritten (Penka Herk. d. Arier S. 14), Das rein- Hche Ergebnis, welches Thurnam erreicht zu haben glaubte, be- steht also in Wirkhchkeit nicht; schon in der Steinzeit kamen in England vei-schiedene Schädelformen neben einander vor.

Penka erkennt nun zwar die Thatsache, dass sich überall Lang- köpfe und Kurzköpfe neben einander finden, an. er behauptet aber, dass dieser Zustand auf einer in neohthischer Zeit vollzogeneu ISIischung zweier doHchocephaler Rassen mit einer brachycephalen beruhe. An dieser Hypothese ist zweierlei willkürhch: die Vor- aussetzung, dass Lang- und Kurzköpfe von einander streng ge- schieden waren, und weiter die Annahme, dass die Mischung der Rassen in verhältnismässig junger, der historischen Zeit nicht all- zuweit voraufliegender Epoche stattgefunden habe. Kollmann, der ebenfalls jene Voraussetzung vertritt, verlegt hingegen die Mischung seiner Urrassen, ihre Penetration, wie er es nennt, in die praeglaciale Urzeit, und ich wüsste nicht, was ihn daran hindern könnte. Wir haben uns jedenfalls nur an die eine Thatsache zu halten, dass schon in der Eiszeit in Europa die selben vei'schiedenen Schädelgruppen neben und durch einander vorkommen, wie in der Gegenwart, und dieser Thatbestand spricht sicherlich sehr für die von Virchow seit langem vertretene An- schauung, dass die Indogermanen von jeher aus dolichocephalen und brachycephalen Elementen zusammengesetzt waren. Denn die Prämisse, von welcher Penka ausgeht und auf der seine ganze Hypothese sich aufbaut, dass das ganze indogermanische Urvolk nur als ein physisch „einheitliches, aus lauter homogenen Elementen bestehendes Volk"' gedacht werden könne (Orig. Ar, 8), ist nicht im Entferntesten so selbstverständhch wie er glaubt. Bei diesen Annahmen spricht immer die irrige Vorstellung mit. dass man mit dem ,,idg, Urvolk" gleich bis an die Anfänge der Geschichte des Menschengeschlechts komme. Xun lässt aber Penka (a. a, O. 14) mit Friedr. Müller die Periode der ,,idg. Ureinheit" bis zum Jahre 3000 v. Ch, reichen. Wäre sie aber auch um Jahrtausende weiter zurückzuverlegen , so würde uns doch nichts hindern , dem idg. Urvolk dieselbe Mischung der

42 IL Das indogermanische ürvolk.

Schädeltypen zuzuschreiben, wie sie bereits die neolithische Be- völkerung von Petit-Morin aufweist.

Wir kommen also zu dem Ergebnis, dass es unmögKch ist, auf den Scbädelmerkmalen allein ethnologische Sonderungen oder Verknüpfungen zu begründen. Damit soll der Wert der kraniologischen Untersuchungen überhaupt nicht bestritten werden, vorläufig Hegt er aber jedenfalls nicht auf dem Gebiete der Völker- geschichte. Wenn wir zwei Volksstämme aus sprachUchen Grün- den glauben scheiden zu müssen und die Kraniologie kann uns hinterher auch bedeutende Abweichungen im Schädelbau bei denselben nachweisen, so wird uns das willkommen sein, aber unstatthaft ist es, umgekehrt die kraniologischen Merkmale zur Basis linguistischer Folgerungen zumachen und aus der Verschieden- heit der Schädelform auf die Verschiedenheit der Sprache zu schhessen.

Das zweite physische Merkmal, dessen Bedeutung für die indogermanischen Fragen wir zu prüfen haben, ist die Färbung der Haare und der Haut. Seitdem Virchow eine umfassende statistische Erhebung über Blondheit und Brünettheit sowie die Farbe der Augen bei den Schulkindern Deutschlands veranlasst hat, ist die Wertschätzung dieses „Rassenmerkmals" sehr erheb- lich gestiegen: Virchow selbst ist jetzt geneigt, demselben eine weit höhere ethnische Bedeutung beizumessen als den Schädel- proportionen, die er in „die zweite Linie zurückgedrängt" wissen möchte (Korresp.-Bl. d. Anthr. Ges. 1892, 101). Mit Recht be- tont er aber zugleich, dass sich mehr und mehr die ,.sonderbare" Thatsache herausgestellt hat, dass diese beiden bislang als wesent- lich betrachteten Merkmale der Rasseneigentümlichkeit immer wieder auseinandergehen. Die Ansicht, dass Blondheit mit Dolichocephalie, Brünettheit mit Brachycephahe gepaart sei, war namentlich früher sehr verbreitet: die Vorstellung von einer kurz- köpfigen, brünetten „lappoiden" Urbevölkerung und von lang- köpfigen blonden Einwanderern hing eng damit zusammen. Einen scheinbaren Anlialt findet jene Ansicht in den Bevölkerungs- verhältnissen von Nord- und Mitteleuropa. In Deutschland und den skandinavischen Ländern nimmt die Blondheit und zugleich die Dolichocephalie nach Norden immer melir zu und umgekehrt nach Süden Brünettheit und Brachycephalic. Die gleiche Beobachtung hat man in Frankreich und in den slavischen Län- dern gemacht. Aber sowie wir etwas weiter gehen, ändert sich

Blonde und Brünette. 43

auch das Bild: in Italien überwiegt im Norden Kurzköpfigkeit und Blondheit, im Süden Langköpfigkeit und Brünettheit. Die Finnen sind vorherrschend brachycephal und blond, die Basken dohchocephal und brünett, und weiter noch weisen gerade so hervorragend dunkle Völker wie die Austraher und die Eskimo den höchsten Prozentsatz an Langköpfen auf. Es ist also durch- aus räthch, Schädelform und Farbe in der Untersuchung von einander zu trennen und sich nicht durch das Vorurteil eines festen Zusammenhanges zwischen beiden Merkmalen die Erkennt- nis des Thatbestandes zu verbauen.

Nun liegen für die Verwertung der Farbe als Rassenzeichen die Verhältnisse insofern günstiger, als hier die Verteilung der verschiedenen Typen wenigstens in Europa eine verhältnismässig einfache ist: es gilt im Grossen und Ganzen der Satz, dass die blonde Komplexion im nördlichen Europa am häufigsten ist und die brünette nach Süden immer mehr zunimmt, und die historische Ueberlieferung deutet darauf hin, dass diese Verteilung schon im Anfange unserer Zeitrechnung geherrscht hat. Wenn nun die Anthropologie daraus gefolgert hat, dass sich in Europa zwei allophyle Rassen, von Norden her ein blonde, von Süden eine brünette, in einander geschoben und vermischt haben, so hat diese H}^othese unleugbar einen Schein der Berechtigung für sich. AVenn man weiter daran die Frage geknüpft hat, w^elcher der beiden Typen als der ursprünghche Träger des indogermanischen Idioms anzusehen sei, so könnte die Richtigkeit der Frage- stellung einmal angenommen die Entscheidung nur auf den. blonden Typus fallen nicht deshalb, weil dieser, wie man ge- meint hat, als der eigenthche Träger der Kultur zu betrachten ist, denn die Haarfarbe hat mit den geistigen Fähigkeiten nichts zu thun und die geschichtlichen Thatsachen Avürden eher dagegen als dafür sprechen der ausschlaggebende Grund wäre vielmehr der, dass nur im Süden des europäischen Kontinents, auf den Mittelmeerhalbinseln, sich Völker nichtindogermanischer Sprache für die alte Zeit wirklich nachweisen lassen: die Iberer, die Etrusker, die Sikuler u. a. ^). Nun ist es ja wohl glaublich, dass

1) Der nichtindogermanische Charakter der altsi cilischen Sprache wird am sichersten durch die Inschrift einer Vase in Karlsruhe (Winne- feld, die Vasensammlung in Karlsruhe, s. d. Taf.) festgestellt. Das Ligu- rische sucht jetzt d'Arbois de Jubainville (Les premiers habitants de

44 II. Das indogermanische Urvolk.

ein gi'osser Bruchteil der heutigen Brünetten in Sücleuropa auf jene unidg. Völker zurückgeht, dass von diesen aus der dunkle Typus in neuerer Zeit weiter um sich gegriffen hat. Für die ui-sprünghche Zusammensetzung der Indogermanen würde daraus nichts folgen, und Theorien wie die Penka'sche und verwandte erhalten dadurch keine Stütze. Da aber der brünette Typus in weiterem Sinne thatsächHch über das Verbreitungsgebiet jener Völker sehr weit hinausgeht, so ist es eben so gut denkbar, dass er von vornherein, wenn auch nicht in so dunkler Schattirung wie im Süden, den Indogermanen angehört hat ^).

Was aber vor allen Dingen die Folgerungen von der Fär- bung auf die Sprache erschüttern muss, das ist die Thatsache. dass wie der brünette Typus in das indogermanische Gebiet tief hineinreicht, die blonde Komplexion über dasselbe hinausgreift. Penka hat zwar für die blonden Finnen sofort eine Erklärung bereit: er sieht in ihnen Indogermanen, die sich mit den von Hause aus brünetten Finnen vermischt und deren Sprache ange- nommen haben. Also das ganze mittlere und südhche Europa hat von den Indogermanen Sprache und Kultur empfangen, und hier im Norden, unter den rohen und schmutzigen Finnen sollen sie nicht im Stande gewesen sein, ihr eigenes Idiom zu behaupten I Penka beruft sich freilich auf die zahlreichen idg. Lehnworte im Finnischen, die nach seiner Meinung auf die finnischen Indo- germanen zurückgehen. Es übei-sieht aber ganz, dass solche Lehn- worte in den lappischen Dialekten nicht weniger zahlreich sind, und doch giebt es unter den Lappen keine blonden Elemente. Wenn also die Lappen die indogermanischen Kulturwörter ledig- lich auf dem Wege des Verkehrs empfangen haben, dann ent- fällt jedes Recht, bei den Finnen aus dem Vorhandensein solcher Lehnwörter auf ethnische Vermischung mit idg. Völkern zu schliessen. Die blonden Elemente unter den Juden , welche

l'Enrope II. 1894) als idg. zu erweisen. Ueber die wenig geklärte Ra et er- frage orientirt Stolz. Die Urbevölkerung Tirols, und im Festgruss aus Innsbruck S. 39 ff. Wegen der vorgriecbischen Bevölkerung von Hellas 8. Kap. XI.

1) Dass die Kelten weniger blond waren als die Germanen, geht aus den antiken Nachrichten hervor, am deutlichsten aus Strabon VI p. 290, wonach sich diese von jenen u. a. durch den :TX£ovaa/nbs rffi ^av&6xi]xo; unterschieden. Riimern und Iberern gegenüber erschienen wieder die Kelten noch als relativ blond.

Blonde und Brünette. 45

nicht eret in Europa aufgenommen sein können, weil sie auch bei den in Asien inmitten brünetter Völker lebenden Juden vor- kommen, hat F. von Luschan (Korrespondenzbl. d. Anthr. Ges. 1892, 94 ff. 1894, 111) auf das vorsemitische Volk der Amoriter zurückgeführt und dieses für einen nach Süden verschlagenen Zweig der indogermanischen Völkeriamilie erklärt. Ein sicherer Anhalt füi' diese Annahme ist aber nicht vorhanden. Ich meine, wer die Verhältnisse unbefangen ansieht, muss zugeben^ dass der blonde Typus kein alleiniges Merkmal der idg. Völker ist und die Brünettheit nichts spezifisch L'nindogermanisches. Somit erlauben uns auch die Unterschiede der Färbung nicht, eine Analyse der idg. Völkergruppe vorzunehmen.

Blondheit und Brünettheit sind zwei dm'ch unzählige Mittel- stufen verbundene Extreme der Färbung wie Dohchocephahe und BrachycephaUe, Leptoprosopie und Chamaeprosopie Extreme ge- wisser Schädelformen sind. Haben diese Extreme ursprünghch allein reale Existenz gehabt und sind alle Z^vischenstufen nur durch ihre Mischung entstanden? oder sind umgekehrt die Ex- treme das Ergebnis eines Differeuzirungsprozesses ? Diese Frage könnten wir beantworten, wenn wir über den Ursprung des Menschengeschlechts unterrichtet wären und wenn wir wüssten, welche khmatischen oder sonstigen Eigenschaften des Milieu etwa für die Entstehung der Unterschiede in der Färbung maassgebend gewesen sind ^). Diese Probleme sind noch nicht gelöst und wer- den es schwerlich je in ihrem ganzen Umfange werden. Unter solchen Umständen sind die Unterschiede der Färbung zu ver- schiedener Deutung fähig, als dass sie die Grundlage sicherer historischer Folgerungen abgeben könnten.

Also Aveder die Schädelformen noch die Haarfärbung haben sich als geeignet erwiesen, Licht über die älteste Geschichte der

1) Die bisherigen Versuche, die Differenzen der Färbung zu erklären, haben zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt; zuletzt hierüber Wilser, Korrespondenzbl. d. Anthr. Ges. 1894, 17 ff". Gegen die Erklärung Ton Penka (Ausland 1891, 132 ff., eine ähnliche Theorie bei de Lapouge, Rev. d'anthr. 1889, 181 ff.) fällt vor allem die dunkle Färbung der Eski- mos ins Gewicht. Uebrigens fehlen auch hier statistische Untersuchun- gen über die Vererbung. Welche Schwankungsbreite hierbei die Färbung hat, ist noch nicht festgestellt. Toldt (Korrespondenzbl. 1894, 91) weist darauf hin, dass Färbungen in Familien vorkommen, welche nachweislich weder bei den Eltern, noch bei den Gross- und Urgrosseltern bestanden, haben.

46 IL Das indogrermanische UrTolk.

Indogermanen zu verbreiten. Penka schliesst die Vorrede zu seinen Origines Ariacae mit den Worten: ,.Bei dem Umstände, als die arische Sprachwissenschaft immer mehr und mehr der Methodelosigkeit, Phantasterei und Verflachung verfällt, kann es nur von Xutzen sein, wenn dieselbe einer Disciphn angeghedert wird, die in Folge ihres exact-naturwissenschaftlichen Charakters schon von vornherein nicht dazu angethan ist, zum Tummelplatze subjectivischer Velleitäten herabzusinken." Es kann für diese Phrasen keine beschämendere Abfertigung geben, als sie in den Sätzen liegt, in denen ganz kürzlich ein Anthropologe von Fach, A. V. Török, sein Urteil über die Ergebnisse der Kraniologie niedergelegt hat (S. A. aus Arch. f. Anthr. 1895. 3. Heft S. 16): „Wenn wir die Thatsachen aus der bisherigen Geschichte der Kranio- logie zusammenfassen, so müssen wir zu dem Resultat gelangen, dass die Kraniologie nach keiner Richtung hin die Erwartungen er- füllt hat, welche man Anfangs von ihr hegte Wenn

alle die grossen Bedeutungen der Kraniologie sich als vollkommen hinfällig erwiesen, so kann man biUigerweise doch fragen: was für eine Bedeutung ihr überhaupt noch übrig bleibt? AVenn wir hierauf der strengen Wahrheit gemäss antworten wollen, so müssen wir zu dem beschämenden Geständnis kommen, dass die Kranio- logie bisher ausser unerwiesenen Hypothesen nichts Positives, nichts endgültig Festgestelltes aufweisen konnte , wenigstens in Bezug auf jenes grossartige Pro4jlem der Ethnologie, dessen Lö- sung bei den ei^sten Flugversuchen der Kraniologie so leicht zu sein schien." Dieses Urteil bezieht sich zwar zunächst nur auf die Kraniologie, aber thatsächlich hat die physische Anthropologie auch keine anderen Mittel gefunden, jenes ethnologische Problem zu lösen. Theoretisch war man wohl berechtigt, zu erwarten, dass die erblichen, von willkürlichen Veränderungen fast unab- hängigen Eigenschaften des physischen Typus für die Völker- genealogie von entscheidender Bedeutung sein würden in der Praxis haben sich diese Erwartungen jedoch nicht bestätigt. Ein so sicheres Faktum, wie die idg. Spracheinheit, eine so scharfe ethnische Abgrenzung wie dieselbe gegen die Naclil)arvölker er- laubt , hat keine der anthropologischen Theorien , die sich mit der idg. Frage beschäftigen, aufzuweisen vormodit.

Die Frage , von der wir ausgingen , ob die Indogermanen nur auf dem Wege der physischen Vermehrung oder hauptsäch- lich durch Verschmelzung mit anderssprachigen Völkern ihre

Schlu83. 47

spätere Ausdehnung erlangt haben, ist von der Anthropologie nicht gelöst worden. Wo nicht wie bei den Etruskern und Iberern eine sprachliche Ueberlieferung vorliegt, können uns die Schädel nicht sagen, welche Sprache ihre Träger einst gesprochen haben. Was sich ergeben hat, ist nur, dass die Entwicklung der Sprache und die des physischen Typus jede ihren eigenen Weg geht und ein Schluss von der einen auf die andere nicht ohne weiteres gestattet ist. Es erscheint durchaus möglich, dass die Indogermanen von jeher oder wenigstens in den uns erreichbaren Epochen bereits gewisse, übrigens garnicht bedeutende physische Differenzen aufwiesen.

IM. Kapitel. Die ältesten Kulturzustände der Indogermanen.

Aus den Resultaten, zu denen wir in den ersten beiden Kapiteln gelangt sind, ergaben sich gegen die bisher übliche Art, die Kulturzustände der indogermanischen Urzeit zu rekonstruiren, erhebliche Bedenken. Ich glaube gezeigt zu haben, inwiefern der Grundsatz, auf welchem die linguistische Palaeontologie sich aufbaut, ein fehlerhafter ist. Wir können die Kultur des postu- lirten idg. Urvolkes in dem Sinne, wie diese Disziplin es gewollt hat, nicht erschliessen : die gemeinindogermanischen „Kultur- wörter" haben sich durch Entlehnung von Stamm zu Stamm in sehr verschiedenen Perioden über das idg. Sprachgebiet ver- breitet. Sie geben zwar das Kulturkapital (auch dies nicht in seinem ganzen Umfang) an, das sich die Indogermanen im Laufe der Zeit erworben haben, aber sie lehren uns damit kaum viel mehr, als wir schon ohnehin wissen.

Haben wir so die Möglichkeit verloren, die Kulturverhält- nisse einer bestimmten fernen Periode der Urzeit zu ermitteln, so gewinnen wir dadurch, dass wir die „urverwandten" Wörter als Lehnwörter auffassen, nach einer etwas anderen Richtung hin einen neuen kulturgeschichthchen Aufschluss. Gerade Lehnwörter haben sich ja als diejenigen sprachlichen Zeugnisse erwiesen, welche die sichersten und interessantesten kulturhistorischen Folge- rungen zulassen. Die Wöiler, welche die Italiker von den Hel- lenen, die Germanen von den Römern, die Slaven von den Ger- manen, die Lappen und Finnen von den Skandinaviern und den Litauern und Slaven entlehnt haben, geben uns eine gewisse Anschauung von dem Kultureinfluss, den die einen Völker auf

Kritik der linguistischen Palaeontologie. 49

die anderen ausgeübt haben i). Aehnlich zeugen die gemein- indogermanischen Wörter, als Lehnwörter betrachtet, für alte Kulturbeziehungen zwischen den idg. Stämmen. Wenn sich die Be- zeichnungen des Wagens und seiner einzelnen Teile, das Wort für 'fahren' usw. in fast allen idg. Sprachen decken, so wird es sehr wahrscheinlich, dass sich die Erfindung des Wagens von einem Punkt aus über das ganze idg. Gebiet verbreitet hat. Wenn die Germanen mit den Kelten gewisse juristische Ausdrücke wie Erbe (got arbi : air. orbe), Eid (got. ai/js : air. oefh; got. Jmgan heiraten : air. luge Eid^) teilen, so weist dies auf eine gegen- seitige Beeinflussung dieser Völker in ihren Rechtsverhältnissen. Gerade die partiellen Uebereinstiramungen bieten, so aufgefasst? ein erhöhtes Interesse. Das Missliche ist nur, dass bei den sogen, urverwandten Worten sich in der Regel von rein sprachwissen- schafthchem Standpunkt aus die Richtung der Entlehnung nicht be- stimmen lässt: wo sich die angeben lässt, pflegt man eben nicht mehr von urverwandten Worten zu reden ^). Nur hie und da können Erwägungen anderer Art lehren, welches Volk das gebende und welches das empfangende gewesen ist ^).

Natürlich ist aber der Nutzen, den so der idg. Wortschatz für die Kulturgeschichte abwirft, nur ein ganz subsidiärer. Es scheint mir ein Grundfehler der von Kuhn inaugurirten Disziplin, dass sie auf einseitig sprachwissenschaftlicher Basis das Gebäude einer Kulturgeschichte aufrichten wollte. Das für die „linguistisch - historischen" Studien so epochemachende Werk von Hehn über die Kulturpflanzen und Haustiere hat diesen Fehler bis zu einem gewissen Grade vermieden. Hehn beruhigt sich nicht bei den sprachlichen Gleichungen, sondern verwertet mit bewunderns- würdiger Gelehrsamkeit ein reiches historisches Material. AVas aber auch er ignorirt hat, waren die Ergebnisse der praehisto- rischen Forschung und die daraus sich ergebenden zoologischen und botanischen Folgerungen, und das hat sich sofort gerächt. Der Widerspruch, welchen Hehn von Seiten der Botaniker und Zoologen erfahren, hat ihn etwas verbittert, aber diese Angriife

1) lieber eine methodische Verwertung solcher Entlehnungen hat 0. Schrader, Sprachvergl. u. Urgesch. ^ 203 ff. gehandelt.

2) Vgl. d'Arbois de Jubainville, Mem. de la soc. de linguist. VII 1892, 286 ff.

3) Vgl. z. B. got. aUv; lat. *oleivom, oleum, worüber in Kap. IV.

4) S. unten (Kap. V) über lat. aurum.

Kretschmer, Einleit. in d. Gesch. d. gr. Sprache. 4

oO m. Die ältesten Kulturzustände der Indogermanen.

waren gewiss nicht unberechtigt. Wenn Nehring (Tundren und Steppen der Jetzt- und Vorzeit S. 201) erklärt: ein einziger fos- siler Dachs- oder Hamster-Schädel, welchen man in Deutschland oder Frankreich finde, beweise für die ehemahge Verbreitung jener Tier- Arten mehr, als seitenlange historisch-linguistische Be- trachtungen 1) , so wüsste ich nicht . wie man ihn widerlegen wollte. Auch Schraders Werk Sprachvergleichung und Urgeschichte bedeutet in dieser Beziehung keinen merklichen Fortschritt über Hehn hinaus 2). In der Theorie erkennt er zwar an, dass sich Sprachforschung und Archaeologie zu gemeinsamer Arbeit die Hand reichen müssen, in praxi hat er aber die archaeologischen Ergebnisse nur ganz sporadisch herangezogen. Ich meine das Verhältnis muss gerade das umgekehrte sein. „Eine Kultur- geschichte auf sprachwissenschaftlicher Gmndlage'- ist ein Un- ding. Nicht der Wortschatz darf das Fundament einer idg. Kulturgeschichte bilden, sondern man sollte denken, dass das selbstverständhch sei die greifbaren Zeugnisse der ältesten europäischen Kultur selbst, und nicht der Sprachwissenschaft kommt es zu, die Geschichte dieser materiellen Kultur zu er- forschen, sondern der Archaeologie oder, wie sie in Bezug auf Nordeuropa zu heissen pflegt, der Praehistorie. Die Linguistik kann dieser Wissenschaft gelegentlich wertvolle Hülfsdienste leisten, nimmt man aber den Wortschatz zur Basis der Unter- suchung, so kommt man meistens entweder zu ganz unsicheren und in der Luft schwebenden Ergebnissen oder, wenn man vor- sichtiger verfährt, zu gar keinen Resultaten, wenigstens zu keinen.

1) Das gilt namentlich gegen Hehns Theorie über die Herkunft des Pferdes aus den Steppen Innerasiens. Das Pferd ist schon in der Diluvial- zeit eines der häufigsten Säugetiere in Europa gewesen. Vgl. Nehring a. a. 0., Otto, Zur Geschichte der ältesten Haustiere (Breslau 1890) 73 fi". In Solutre sind fossile Reste einer ganzen Heerde, die aus Tausenden von Pferden bestanden haben muss (Toussaint schätzte sie auf 40000), ge- funden worden. In neolithischer Zeit erscheint das Pferd anfangs sehr viel seltener, wofür eine Erklärung noch nicht gefunden ist; vgl. S. Reinach. Antiquites nationales I 70. Was kann uns diesen Thatsachen gegenüber die Gleichung skr. dcva- , gr. tn.^o; , lat. eqtius usw. sagen? nichts als dass die Indogermanen das Pferd in einer nicht näher bestimmbaren Pe- riode der Urzeit gekannt haben !

2) P. V. Bradke hat in seinem gegen dieses Werk gerichteten Buch gerade diese Hauptschwäche desselben nicht hervorgehoben.

Die Praehistorie. 51

welche mau nicht auf archaeologischem Wege viel präziser gewinnen könnte.

Wenn man diesen Sachverhalt so lange hat verkennen können, so liegt die Hauptschuld wohl an der bei den früheren Sprachforschern herrschenden Anschauung, dass die Indogermanen ei'st in einer verhältnismässig jungen Zeit aus Asien nach Europa eingewandert seien. Wäre diese Ansicht richtig, so würden die praehistorischen Funde zum mehr oder weniger grossen Teile nicht den Indogermanen, sondern, wie man früher auch annahm, einer voridg. Urbevölkerung angehören. Die physische Anthro- pologie hatte, wie wir im vorigen Kapitel gesehen haben, einst geglaubt, diese Annahme bestätigen zu können. Nachdem aber diese älteren besondei's von den Schweden und den Franzosen vertretenen Rassetheorien sich als unhaltbar erwiesen haben, neigt man sich auf anthropologischer Seite immer mehr der Anschauung zu, dass schon die ältesten Schädel und folghch auch die ihren einstigen Trägem angehörige Kultur von den Vorfahren der heutigen Bewohner derselben Gegenden herrühren oder wenig- stens herrühren können. Namenthch Yirchow hat diese Ansicht vertreten: er hat die These aufgestellt, dass der arische Typus derjenige sei, mit dem die neolithische Easse die meiste Be- rührung zeige (Korresp. d. Anthr. Ges. 1893, 78, vgl. Z. f. Ethnol.j Verhandl. 1884, 210), dass Arier schon in der Steinzeit in Deutschland gesessen haben (Kon-esp. 1886, 77), dass die Schädel der Pfahlbauten von Auvernier (am Neuenbnrger See) sich ihrer Capacität und Bildung nach den besten Schädeln unserer Basse an die Seite stellen. Wir dürfen nun freihch leider dieses Ergebnis der Anthropologie nicht so auffassen, als ob damit bewiesen sei, dass die neoUthischen Menschen idg. Idiome gesprochen haben. Die Kraniologie würde auch nichts dagegen einzuwenden haben, wenn man die Etmsker für Indo- germanen erklärte. Wir dürfen also nur sagen: von anthropo- logischer Seite steht nichts der Annahme im Wege , dass die Träger der neolithischen Kultur die Vorfahren der heutigen idg. Bevölkerung Europas waren, und diü'fen wir hinzufügen, auch nichts von archaeologischer Seite. Die Praehistoriker , die von der Steinzeit an bis in die historischen Epochen eine aus rohesten Anfängen hervorgehende stetig fortschreitende Entwick- lung wahrnehmen, haben im Allgemeinen keinen Anlass und keine besondere Neigung an die Einwanderung einer stamm-

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52 III. Die ältesten Kulturzustände der Indogermanen.

fremden Bevölkerung aus Asien zu denken, und wir können es begreifen, dass ein Altertumsforscher wie Ludwig Lindenschmit von dem autochthonen Ursprung der europäischen Indogermanen fest überzeugt war.

Eine Zeit lang heiTschte in der Praehistorie die Meinung, dass das Aufkommen der Bronze in Europa nach der Periode der Stein- und Kupferbearbeitung mit der Einwanderung der Indo- germanen zusammenhänge, dass diese in Asien, der Heimat der Bronze, die Legirung kennen gelernt und sie mit sich nach Europa gebracht hätten ^). Diese Anschauung ist wesentlich unter dem Einfluss der hnguistischen Palaeontologie entstanden : Pictet hatte aus dem Wortschatz die Folgerung gezogen, dass das idg. Ur- volk bereits die Bronze kannte, und so lag es denn nahe, das Auftreten der Bronze mit dem Eindringen der idg. Völker in einen ursächlichen Zusammenhang zu bringen, anzunehmen, dass diese in unserem Erdteil eine neue durch den Grebrauch jener Legirung charakterisirte Kulturepoche herbeigeführt haben. Heute ist man auf archaeologischer Seite wohl allenthalben von diesen Vorstellungen zurückgekommen ^) ; man ist immer weniger geneigt geworden, die Verbreitung der Produkte der Kultur auf Völker- wanderungen zuriickzuführen, statt sie dem seit alter Zeit mehr

1) Namentlich H. Hildebrandt (Das heidn. Zeitalter in Schweden, Hamburg 1873) vertrat die Anschauung, dass die drei Kulturperioden, Stein-, Bronze-, Eisenzeit, durch drei verschiedene Völker herbeigeführt seien ; dem Bronzevolk schrieb er indogermanische Abkunft zu, dem Eisen- volk spezifisch germanische Nationalität. Dagegen hat sich schon Host- mann, Arch. f. Antlir. VHI 281 ff"., gewandt; im üebrigen finden die dort und in den Studien zur vorgeschichtl. Archaeol. (hrsg. von Lindenschmit, 1890) ausgesprochenen Ansichten, besonders seine Polemik gegen das „Dreiperiodensystem" heute, nach dem Tode von Lindenschmit, nur noch sehr wenige Vertreter, wie Otto, Zur Gesch. d. ältesten Haustiere S. 51. Vgl. über diese Frage jetzt M. Hoernes, Mitteil. d. Wiener Anthr. Ge- sellsch. 1893, Sitzgsber. S. 71 fi".

2) Für den skandinavischen Norden hat Montelius (Die Kultur Schwedens in vorchristl. Zeit. Arch. f. Anthr. XVII 1888, S. 151 ff.) die Theorie von der Einwanderung der Träger der Bronzekultur bekämpft, indem er ihr die Hauptstütze, die Annahme einer im Norden mit der Bronzckultur zugleich eintretenden Veränderung der Bestattungsform, entzog. Auch F. Keller hat die Ansicht abgelehnt, dass seit der jüngeren Steinzeit ein allgemeiner Wechsel der Bevölkerung eingetreten sei. Dieselben Anschauungen vertritt M. Much, Die Kupferzeit in Europa - 3 10 ff., und Hoernes, Urgeschichte des Menschen.

Ist die praehistorische Kultur Europas indog:erm.? 53

oder weniger lebhaften Handelsverkehr zuzuschreiben. Damit ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass an manchen Orten ein auf der Wanderung begriffener Stamm, der bereits mit Waffen und Geräten aus dem neuen Material versehen Avar, auf einen anderen stiess. welcher noch ganz in der Steinzeit steckte und den besser ausgerüsteten Eindringlingen unterlag. Solche Vor- gänge haben aber, wo man sie beobachten kann, zunächst nur eine lokal beschränkte Bedeutung, sie dürfen nicht ohne weiteres verallgemeinert Averden. So scheint z. B. nach Yii'chow i) das im Besitz des Metalls befindhche Volk, dessen Spuren in der ..Türkeuschanze- bei Lengyel (in Ungarn) zu Tage getreten sind, mit dem neohthischen Volk, welches an demselben Ort seine Toten bestattet hatte, nicht identisch zu sein: jenes zeichnet sich durch die Sitte aus , die Schädel künstlich durch Einschnürung zu deformiren, und berührt sich hierin mit anderen praehistorischen Stämmen Ungarns und Xiederösterreichs 2). Dass aber diese Sitte gerade für ihre indogermanische Herkunft spräche, kann man gewiss nicht behaupten. Der Vorgang, dass auf demselben Boden ein Volk das andere ablöst, wiederholt sich an der Grenze der Bronze- und Eisenzeit ^j. Man könnte also mit demselben, d. h, mit gar keinem Eecht in diesen Fällen das später ge- kommene Volk für idg., das ältere für unidg. erklären. Dass endlich auch der Wechsel der Bestattungsweise in älterer Zeit Beerdigung, in jüngerer Zeit Verbrennung der Leichen nicht, wie manche Gelehrte angenommen haben, auf einen Wechsel der Bevölkerung schliessen lässt, hat kürzhch ]Matthaeus Much (Die Kupferzeit in Europa ^311 ff.) eingehend nachgewiesen.

Von grösserer Bedeutung scheint freilich der Hiatus, "welchen die französischen Praehistoriker zwischen der älteren und

1) bei Wosinsky, Das praehistorische Schanzwerk von Lengyel (Buda- pest 1886—91) III 227. 248 ff. = Z. f. Ethnol. 1880, Verh. 18. Jan.

2) Ein weiterer charakteristischer Unterschied zwischen dem neohthi- schen und dem Bronze-Volk von Lengyel ist, dass jenes seine Toten in kauernder Lage (liegende Hocker) bestattet, dieses sie verbrennt. Wo- sinsky a. a. 0. III 216 ist dennoch geneigt, zwei durch etwa ein halbes Jahrtausend getrennte Entwicklungsstufen desselben Volkes statt zwei ver- schiedene Völker anzunehmen.

3) Ein sprunghaftes Ablösen der Kulturperioden erkennt Hoernes. Urgesch. d. Menschen S. 420, im südwestlichen Böhmen und in Gemein- lebarn (Niederösterreich).

54 III. Die ältesten Kulturzustände der Indogermanen.

jüngeren Steinzeit konstatirt haben i). Ich wage es hier nicht, diese schwierige Frage zu entscheiden; es bedarf dazu eines voll- ständigen Ueberblickes über den ganzen Thatbestand der palaeo- lithischen Funde, und jede Vermehrung unseres Materials kann die Sachlage ändern. Die Entwicklung der Frage scheint heute mehr und mehr dahin zu gehen, den angebhchen Hiatus zwischen den beiden Perioden, wie Mortillet sich ausdrückte, auf einen Hiatus in unseren Kenntnissen zurückzuführen. Nachdem Cazalis de Fondouce die Annahme einer grossen Lücke zwischen den beiden Epochen der Steinzeit einer scharfen Kritik unterzogen hat 2), wonach selbst Mortillet, einsteiner der entschiedensten Ver- fechter der Hiatus-Theorie, sie nicht mehr in ihrer ganzen Schärfe aufrecht erhält 3), sind mehrfach Versuche gemacht worden, Ueber- gangsstufen zwischen der palaeolithischen und neolithischen Kultur nachzuweisen. Schon spricht man von einer mesolithischen Periode •*). Namentlich die dänischen Kjokkenmoddinger werden gern dazu benutzt, die Lücke zwischen den beiden Epochen der Steinzeit auszufüllen ^). Ich gestehe, dass die Mühe, die es macht, die fehlenden Zwischenglieder aufzufinden, mir dafür zu sprechen scheint, dass dem „Hiatus" doch irgend ein realer Thatbestand zu Grunde liegt. Es ist und bleibt doch auffälhg, dass die von der palaeolithischen Bevölkerung Frankreichs geübte Kunst des Gravirens und Schnitzens, die sogen. „Höhlenkunst", in der im Uebrigen höher entwickelten neolithischen Kultur so gar keine

1) Diese zuerst von Eduard Lartet im Jahre 1867 angeregte Frage ist fast ausschliesslich auf französischem Boden verhandelt worden, aus dem einfachen Grunde, weil nur hier die palaeolithische Kultur in grösserem Umfange vertreten ist. Eine Geschichte der Frage geben Penka, Her- kunft der Arier S. 69 ff. und Sal. Reinach, Antiquites nationales I 207.

2) Revue d'anthropologie 1874, S. 613.

3) Mortillet, Le prehistorique ' (Paris 1883), 479. Materiaux pour l'histoire de l'homme XVI 1681, 125; auch er hält aber daran fest, dass die neolithische Kultur durch eine Einwanderung wie die der Spanier in Ame- rika inaugurirt sei. Vgl. auch Cartailhac Ages prehistoriques de l'Espagne et du Portugal (P. 1686), 47.

4) Zuerst O. Torell, Compte-rendu du Congrös de Stockholm II 876. Ph. Salmon, Korresp. d. Anthr. Ges. 1895, 19. G. de Mortillet ebd. S. 47.

5) Montelius erklärte die in den dänischen Kehrichthaufen ge- fundenen ovalen Axtklingen für Zwischenglieder zwischen dem palaeo- lithischen Typus Westeuropas und dem neolithischen Skandinaviens (Compte-rendu du Congn-s de Stockholm I 248).

Die Hiatustheorie. 55

Fortsetzung gefunden hat ^). Immerhin erscheint es aber nicht rätUch, den jetzt noch ganz im Flusse befindhchen Untersuchungen, welche aus den noch ungehobenen Schätzen der archaeologischen Sammlungen neues, vielleicht entscheidendes Material zu Tage lordern können, vorzugreifen.

Von dem Ausfall dieser Untersuchungen hängt nun auch die Entscheidung der ethnischen Frage ab. Anfangs war man geneigt, sich den Hiatus als einen Zeitraum von sehr beträcht- ücher Dauer vorzustellen, dem der völlige Untergang der palaeolithischen Rasse voraufgegangen war und in welchem Europa so lange unbewohnt war, bis es durch die von Asien einwandernden Träger der neoHthischen Kultur von neuem be- völkert wurde ^). Gegen diese Anschauung protestirte aber Broca (Association francaise, Lyon 1873, p. 648) aus anthropologischen Gründen, Aveil seiner Ansicht nach der Typus des quaternären Menschen sich bis in die jüngere Steinzeit, ja bis auf den heuti- gen Tag erhalten hat. Er nahm daher an, und mit ihm andere französische Praehistoriker , de Quatrefrages ^) , G. de Mortillet '^), de Nadaillac^): die palaeolithische Rasse sei nicht ausgestorben, sondern sei zum Teil ihrem Jagdtier, dem Ren, gefolgt, das sich am Ende der Eiszeit, als die nordeuropäischen Gletscher immer mehr zurückwichen, ebenfalls nach den Norden zurückzog, zum Teil habe sie sich mit den von Osten kommenden neoHthischen Einwanderern vermischt und sei in diesen schhesslich aufgegangen. Heute ist man bereits soweit, überhaupt die Annahme der Ein- wanderung einer ganzen Bevölkerung im Beginn der neoHthischen Periode für unnötig zu halten. Salomon Reinach (Antiquites

1) Eine umfassende Untersuchung dieser art den cavernes steht noch aus ; das Material ist zum Teil noch unedirt. Eine orientirende Skizze findet man bei Sal. Reinach, Antiquites nationales S. 168 178.

2) Diese radikalste Form der Hiatustheorie vertrat Evans. Aber auch Virchow sprach auf dem Anihropologentag in Konstanz 1877 von einem unendlichen Zeitraum , der die Epoche der Pfahlbauten von der des Höhlenlebens trenne (Korresp. d. Anthr. Ges. 1877, 80).

3) Compte-rendu du Congres de Bruxelles S. 582. Hommes fossiles et hommes sauvages S. 97.

4) Le prehistorique ^ 479.

5) Les Premiers hommes I ^ 227. Auch Dupont (Compte-rendu du Congres de Bruxelles S. 476) nimmt für Belgien die Coexistenz zweier verschiedener Steinmanufakturen an , deren Träger sich feindlich gegen- übergestanden haben.

56 JH. Die ältesten Kulturzustände der Indogermanen.

nationales I 281) und Mor. Hoernes (Urgeschichte des Menschen 223) sind der Ansicht, dass ein paar Muster von importirten ge- schhftenen Steinbeilen hingereicht haben könnten, um die In- dustrie eines ganzen Landes in neue Bahnen zu lenken, und dass ebenso einige Paare von Zuchttieren genügten, die bisher unbe- kannte Domestikation auf einem weiten Gebiete allmähUch einzu- führen.

Eine von diesem Gange der Untei'suchung abweichende Hy- pothese hat nur Penka aufgestellt i). Er beruft sich darauf, dass nur im Norden Europas, in den dänischen Kjokkenmoddingem, ein Uebergangsstadium zwischen der palaeolithischen und neo- lithischen Kultur nachweisbar sei, und folgert daraus, dass die palaeolithische Bevölkerung Mitteleuropas, die nach seiner Ansicht indogermanisch war, in jener Zwischenperiode sich nach dem skandinavischen Norden zurückgezogen hatte und ei'st in der jüngeren Steinzeit wieder von dort nach Süden vorgedrungen sei. Die Art und Weise, in welcher Penka seine Hypothese durch den idg. Wortschatz weiter zu stützen sucht, ist nicht gerade geeignet, derselben Anhänger zu werben: er erklärt eine ganze Reihe von Baum- und Fischnamen, welche auf zwei oder drei Einzelsprachen beschränkt sind, für „urarisch" und verwertet sie für seine Hypothese der skandinavischen Heimat der Indo- germanen ^). Aber auch von rein archaeologischem Staudpunkt lassen sich Einwände gegen seine Folgerung erheben. Erstens zeigen die Kjokkenmoddinger, wie bereits S. Eeinach (Antiqu. nat. 280) und Hoernes (Urgesch. d. Menschen 223) richtig be- merkt haben, keinerlei Spuren jener Zeichenkunst, welche für die palaeolithischen Völker Westeuropas so charakteristisch ist. Auch von dem Rentier, dem diese Stämme nach dem Norden gefolgt sein sollen, haben sich bisher keine Reste in den däni- schen Kehrichthaufen gefunden. Zweitens wird es in neuerer Zeit immer fraglicher, ob wirkhcli die dänischen Kjokkenmoddin- ger die einzigen Zeugnisse einer solchen, sagen wir „mesolithi- schen" Epoche darstellen. Salmon hat auf eine Reihe anderer

1 ) Herkunft der Arier 62 ff. Mitteil. d. Wiener Anthr. Gesellsch. XXIII 1893, S. 45 ff.

1) Z. B. westgot. (span.i alisa Erle, lat. alnus, lit. elksnis, s\. jelicha; f^r. fivioi, lat. mugil. lat. raja, schwed. rocka u. a.

Die Fragre nach der ..Urheimat" der Indogermanen. Oi

Fundorte (z. B. Dek-mont in der Schweiz) i) hingewiesen, in denen ähnhch wie in den dänischen Küchenabfällen eine Ueber- gangsstufe zwischen der älteren und jüngeren Steinzeit vorliegen soll; Hoernes (Urgesch. des Menschen S. 258) erkennt eine solche in Mähren und Böhmen. Damit wäre aber der Penka'schen Folgerung der Boden entzogen.

Als Ergebnis der bisherigen Erörterungen dieser ethnischen Fragen können wir bezeichnen, dass weder von anthropologischer noch von archaeologischer Seite ein Anlass vorliegt, die Reste der praehistori- schen Kultur Mittel- und Nord-Europas bis in die neolithische und vielleicht sogar bis in die palaeolithische Epoche hinauf samt und sonders den Indogermanen abzusprechen. Dieses Resultat ist zunächst ledighch negativ: wir können nur sagen, es steht nichts im Wege, mindestens noch die neohthische Kultur den Vorfahren der histo- rischen idg. Bevölkerung Nord- und Mittel-Europas zuzuschreiben ; und das wird das zunächst hegende bleiben, so lange nicht von anderer Seite das Gegenteil erwiesen ist. Wir kommen damit zu einem Problem oder stehen eigentlich schon mitten in ■dessen Erörterung welches von Anfang an den Mittelpunkt ■dieser Forschungen gebildet hat, der Frage nach der Urheimat der Indogermanen.

Die linguistische Palaeontologie hat diese Frage wieder ver- mittelst des Lexikons zu lösen gesucht: sie hat namentlich die gemeinidg. Tier- und Pflanzennamen, die sie ja den „ungeteilten Indogermanen*' zuschreibt, für die Bestimmung ihrer Heimat ver- wertet, indem sie ein Land aufsuchte, dessen Fauna und Flora jenem Namenschatz entspricht. Die Geschichte dieser Unter- suchungen ist schon so oft dargestellt worden 2), dass ich mich hier sehr kurz fassen kann. Keiner dieser Versuche hat zu einer beMedigenden , allgemein anerkannten Entscheidung geführt. Einmal erleiden jene Tier- und Baumnamen begriffliche Verände- rungen oder völHgen Untergang so leicht, dass ihre Beweiskraft dadurch erheblich abgeschwächt wird, und dann passt auf die wirk- lich gemeinidg. Fälle so ziemhch jedes der in Betracht kommen- den Länder. Ich wähle ein Beispiel, welches gerade in jüngster Zeit mehrfach für die Urheimatfrage verwertet worden ist.

1) Vorher schon Mortillet; vgl. ferner Hoernes Urgesch. d. Menschen 234.

2i Von Schrader, Sprachvergleich, u. Urgesch. '-, J. Schmidt, Ur- heimat der Indogermanen, S. Reinach, L'origine des Aryens 11. a.

58 m. Die ältesten Kulturzustände der Indogermanen.

Aus der gemeinidg. Benennung des Bären, skr. /'ZrÄa-. pamir- dial. t/tirs, armen, arj, gr. ag/.Tog, lat. ursus, altir. art, alb. ort hat man gefolgert, dass die Urheimat der Indogermanen kein Steppeuland gewesen sein, also z. B. nicht in den russisch- sibi- rischen Steppen gelegen haben könne, da der Bär der Steppe durchaus fern bleibe ^l. Letzteres ist nun wohl im Grossen und Ganzen richtig : müssen wir uns denn aber das betreffende Steppen- land so einförmig denken, dass es nicht hie und da durch Wälder unterbrochen, jedenfalls aber von Wäldern begrenzt wurde, in denen der Bär und andere Waldtiere hausen konnten? Ge- rade in dieser Beziehung sind unsere Vorstellungen von der Steppe durch A. Xehring (Ueber Tundren und Steppen der Jetzt- und Vorzeit, Berhn 1890) berichtigt worden. Seinen Angaben ent- nehme ich, dass der Bär in Steppengebieten keineswegs fehlt, in- dem er sich eben in den vereinzelten Gehölzen und Waldinseln der Steppe aufhält. So ist er für die Ukraine und die Oren- burgische Steppe bezeugt, in der Kirgisensteppe sogar sehr häufig (a. a. 0. 49, 101. 123). Von dieser Seite her würde also der Theorie von Schrader. welcher die Urheimat in die südnissischen Steppen verlegt, keine Schwierigkeit erwachsen. Aehnlich ergeht es mit allen verwandten Argumenten, sie sind zu dehnbar, als dass man etwas rechtes mit ihnen anfangen könnte. Auf die einzige geographische Gleichung, den Namen des Meeres, werden wir später eingehen.

Einen gänzhch anderen Weg zur Bestimmung der idg. Ur- heimat hat J. Schmidt eingeschlagen. Einer Anregung Hommels folgend konstatirt er einen uralten Einfluss der mesopotamischen Kultur auf die Indogermanen, der sich namentlich in der Ent- lehnung des sumerisch-babylonischen Sexagesimalsystems seitens der Europäer, vielleicht auch in der Uebernahme zweier Kultur- wörter zeige, und schliesst daraus, dass die europäischen Indo- geiTnanen einmal in der Kultursphäre Mesopotamiens gesessen haben müssen. Es fragt sich nun aber, wie weit wir denn diesen Kulturbereich auszudehnen haben. Auf archaeologischer Seite hat sich in neuerer Zeit immer mehr die Ansicht befestigt, dass solche Kultureinflüsse bis in sehr weite Entfernungen wirksam werden können, dass ein primitiver Handelsverkehr schon in ur-

li Vgl. J. Schmidt a. a. 0. 21 ft'. Hirt Idg. Forsch. I 471 I'.nka. Mitt. d. Wien. Anthr, Ges. 1893, 67.

Aelteste Verbreitung der Indogermanen. 59

alten praehistorischen Epochen bestanden und die Produkte der Kultur von Volk zu Volk weitergegeben hat ^). Die Entlehnung des babylonischen Sexagesimalsystems würde sich also auch mit den historischen Wohnsitzen der europäischen Indogermanen ver- einigen lassen ; nichtidg. Völker könnten die Vermittlerrolle ge- spielt haben. Wie sich hierbei die von J. Schmidt besonders betonte Thatsache erklären würde, dass nur die europäischen Indo- germanen, aber nicht die Indoiranier das Sexagesimalsystem über- nahmen, wird unten gezeigt werden.

Die bisherigen vergeblichen Vei'suche, das Urheimaträtsel zu lösen, lehren nur soviel, dass man sich mit dieser Frage ein viel zu weites Ziel gesteckt hat. Wenn man unter der Urheimat der Indogermanen die ältesten W^ohnsitze jenes ürstämmchens ver- steht, aus welchem der grosse vielverzweigte Baum der idg. Völker erwachsen ist, dann müssen wir, meine ich, zunächst darauf ver- zichten, diese Urheimat bestimmen zu wollen. Wir besitzen keine Mittel und Wege , bis in jene entfernte Urzeit hinabzusteigen. Statt mit einem Salto mortale über alle geschichtlichen und vor- geschichtlichen Zwischenstufen hinwegzuspringen, scheint es mir geratener, von den historisch gegebenen geographischen Verhält- nissen aus Schritt für Schritt rückwärts zu gehen und so das Verbreitungsgebiet der Indogermanen für eine möglichst frühe Periode zu ennitteln. Wer die Schwierigkeiten ermisst, auch nur die „Urheimat" der Einzelvölker zu bestimmen, wird vor- läufig davon Abstand nehmen, die Heimat des hypothetischen Urvolkes feststellen zu wollen.

Die frühere Verbreitung der Indogennanen ermitteln wir am besten dadurch, dass wir diejenigen Gegenden eliminiren, deren spätere Besiedelung durch idg. Stämme sich aus bestimmten Thatsachen ergiebt. In Betracht kommen natürlich zueret die an der Peripherie gelegenen Landschaften: im Osten Indien, Dass die arischen Stämme auf der indischen Halbinsel ursprüng- lich nicht heimisch gewesen, sondern in dieselbe von Nordwesten aus eingedrungen sind, werden wohl auch diejenigen heutigen Sanskritforscher zugeben, welche im Uebrigen nicht geneigt sind, auf die indogermanischen Zusammenhänge grosses Gewicht zu legen.

1) Vgl. Virchow Korresp. d. Anthr. GesellscL. 1886, 78. 1891, 103. Montelius, ebd. 1891, 100 f. 1894, 128. Archiv f. Anthr. XXI 1892/3 S. 36. Hoernes ürgesch. d. Menschen 152. 0. Franke Idg. Anzeiger III 121.

"t) in. Die ältesten Kulturzustände der Indogermanen

Vou allen anderen Erwägungen abgesehen, die trügen können, ist es eben a priori anzunehmen, dass die sprachlich mit den Iraniern aufs engste verwandten arischen Inder in gleichviel welcher prae- historischen Epoche mit den iranischen Ariern in nachbarHchem Zusammenhang gestanden haben. Wir erhalten also zunächst Iran als die Ostmark des idg. Gebiets.

Im europäischen Norden sind es die skandinavischen Länder imd das nördhche und östhche Deutschland, welche mit Sicher- lieit in Wegfall kommen. Denn diese Gebiete waren in der Dilunalzeit unter Gletschern und Inlandeis begraben und so gut wie unbewohnbar. Dazu stimmt die von Penck hervorgehobene Thatsache, dass die in Deutschland zu Tage gekommenen Reste des palaeohthischen Menschen alle auf Gebiete entfallen, welche in der letzten Glacialperiode nicht vergletschert oder vereist waren. Mit ziemlicher Sicherheit können wir aus einem ähnhchen Grunde die Apenninhalbinsel ehminiren. Nach den Ergebnissen der Geologie war das ganze Alpengebiet in der Glacialzeit so völhg vereist, dass nur die höchsten Gipfel noch aus der alles bedeckenden Eisschicht hervorragten; die Alpen waren also damals in weit höherem Maasse eine Völkei-scheide als in historischer Zeit. Es folgt daraus, dass die idg. Italiker in der palaeohthi- schen Epoche nördlich der Alpen gesessen haben müssen. Mit weit geringerer Sicherheit lassen sich für die idg. Völker der Balkanhalbinsel nördhchere Wohnsitze erweisen. Es ist eben nur an sich wahrscheinlich, dass die entferntesten Ausläufer des europäischen Festlandes am spätesten von idg. Stämmen besiedelt worden sind. Ein anderes Argument wird in einem späteren Kapitel zur Sprache kommen.

Wir erhalten demnach als Verbreitungsgebiet der Indo- germanen in praehistorischer Zeit einen ziemlich schmalen und langgestreckten Länderstreifen, welcher von Frankreich durch ganz Mitteleuropa und die Kirgisensteppen Asiens bis nach Iran reicht. Wollen wir dieses ausgedehnte Gebiet noch weiter ein- engen . so fragt es sich namentlich , ob die grosse Lücke , welche die Iranier von den osteuropäischen Indogermanen trennt, in dieser Weite immer bestanden hat. Zwar ist in historischer Zeit die Unterbrechung des Zusammenhanges keine völlige: die irani- schen Skythenstämme, welche in den Steppengebieten des Schwarzen und des Kaspischen Meeres umherscli wärmten, bildeten eine gewisse Vermittlung; das aus dem medischen anccy.a abge-

Aelteste Verbreitung der Indogermanen. 61

leitete nissische sobaka 'Hund" zeugt direkt für die einstmalige Berührung von sla vischen Völkern mit iranischen Skythen. Immer- hin erscheint es mir möglich, was andere Forscher angenommen haben, dass die Indo-Iranier erst aus jenen Steppengebieten süd- wärts in ihre historischen Wohnsitze eingewandert sind, und von diesem Standpunkt aus ist in Frage zu ziehen, wie weit die iranischen Skythen vielmehr in der Steppe zurückgebliebene als aus Iran nach Norden in die Steppe verschlagene Stämme sind ^). Durch die Annahme, dass die arischen Iranier in ältester Zeit nicht in unmittelbarer Nachbarschaft der mesopotamischen Kultur gesessen haben ^), würde sich nun auch erklären, weshalb das babylonische Sexagesimalsystem nicht zu ihnen gedrungen ist. Wenn die europäischen Indogermanen dieses Rechensystem über Kleinasien von den Bewohnern Mesopotamiens erhalten haben, dann wurden die zu jener Zeit noch etwa an den Ufern des Kaspischen Meeres und des Aralsees oder auch schon weiter südlich in Baktrien wohnenden Indo-Iranier von jener Neuerung nicht mitbetroifen. Dies schliesst nicht aus, dass in derselben Epoche ein anderes mesopotamisches Lehn gut, das Wort für 'Axt', assyr. püakku, den Ariern sei es über Elam, sei es auf dem Umwege über Europa (vgl. ircEley.vg) und die russisch -asiati- schen Steppen zugekommen ist (skr. ^wraf»-).

Die Entscheidung dieser uns hier weniger angehenden Fragen steht bei den Orientalisten. Wie sie auch ausfallen möge die umgekehrte Annahme, dass die europäischen Indogermanen samt und sonders aus Asien in Europa eingewandert seien, ist jedenfalls vorläufig als unbegründet zu beti'achten. Nach meinem Dafür- halten steht die Sache so : nicht derjenige, welcher diese Hypo-

1) So scheint schon ein Ammianus Marcellinus den Sachverhalt auf- gefasst zu haben, wenn er sagt (31, 2, 20): FersaequisuntoriginitusScythae. lieber die Ansicht Penka's (Mitt. d. Wien. Anthr. Ges. XXIII 1893, S. 62), dass die Skythen sprachlich eine Mittelstellung zwischen Iraniern und Slaven einnahmen, s. unten.

2) Bekanntlich pflegt man Baktrieia (namentlich auf Grund des J. Fargard des Vendidad) als den Ausgangspunkt der arischen Nation in Iran anzusehen. Nach Hommel ist sie von dort aus zunächt in westlicher Richtung nach dem in den assj'rischen Inschriften genannten Lande Parsua, {Barsua, ParsuaS) im nördlichen Medien vorgedrungen, die dor- tige alarodische Bevölkerung sich assimilirend , und hat von da aus Elam und die Landschaft Persis erobert (J. Müllers Handbuch d. klass^ Altert. III 64. 84. 89).

62 III. Die ältesten Kulturzustände der Indoprermanen.

these nicht anerkennen will, hat die Pflicht, ihre Unmöghchkeit nachzuweisen, sondern denen, die sie aufstellen, liegt es ob, zwin- gende Beweise für sie beizubringen. "Weder vom archaeologischeu noch vom anthropologischen noch vom sprachwissenschaftlichen Standpunkt noch endlich aus irgend einer historischen Tradition lässt sich bis in die jüngere Steinzeit und möglicherweise sogar bis in die Diluvialzeit hinein ein Anhalt für eine solche Ein- wanderung gewinnen. Erwägen wir z. B., dass das südliche Skandinavien und Xorddeutschland in der Eiszeit noch unbewohnt, in historischer Zeit aber oder, archaeologisch ausgedrückt, doch mindestens in der sogen. Bronzeperiode von Germanen besetzt war, welches Volk sollten wir da zwischen Eis- und Bronzezeit einschieben, dem wir die dänischen Kjokkenmoddinger zuweisen könnten? Seitdem die Finnen-Theorie von den Anthropologen selbst, aus deren Kreisen sie hervorgegangen war, gänzlich be- seitigt ist, müssten wir doch geradezu ein solches Volk erfinden. Rühren aber die Kjokkenmoddinger von einer germanischen Be- völkerung her, nun, so steht es fest, dass die Indogermanen zu einer Zeit, als sie die Metalle noch nicht kannten und von sämtlichen Haustieren keines ausser dem Hund, also in einer gewiss recht alten Zeit bereits im nördlichen Europa ansässig waren.

Sollte sich aber herausstellen, dass es mit der Hiatus-Theorie nichts ist und dass bereits an der palaeolithischen Kultur Mittel- europas Indogermanen beteiligt sein können, dann müssten wir ihre Wanderung von Asien nach Europa noch vor die palaeo- lithische Epoche, also in eine kulturlose Urzeit verlegen, über die wir nicht das Geringste behaupten können. Vodskov (Sjjeledyr- kelse og Naturdyrkelse I p. LXXXIII ff. XC ') hat das ange-

1) Das Buch von Vodskov enthält neben manchem Irrigen und Hypothetischen viele ireffende Gedanken, aber die Beweisführung ist m. E. nicht immer gelungen. Seine Theorie, dass die Kultur durchaus an die Scholle gebunden sei, ist kein geeignetes Argument gegen die Hypothese einer Einwanderung der Indogermanen aus Asien, an deren Stelle übrigens, wie V. entgangen ist, schon Spiegel und Gerland eine allmähliche Ausbreitung gesetzt haben. Wenn \'. sich auf den Untergang des gotischen Volkstumes in Italien und S()anien beruft (p. XXVI), so übersieht er die Hauptursache hierfür, die Ueberlegenheit der romanischen Kultur über die germanische. Damit kann man also die Anschauung, dass die mit höherer Kultur ausgestatteten Indogermanen

Aelteste Verbreitungr der Indogermanen. 63

uommen : er lässt die Indogermanen in kulturloser Vorzeit mit Semiten und Mongolen auf den Bergen und Hochebenen Persiens wohnen und von dort sich allmählich bis nach Europa ausbreiten : er vereinigt also gewissermaassen die Theorie von der asiatischen Herkunft der Indogermanen mit der Annahme ihrer alten An- sässigkeit auf europäischem Boden. Aber seine Ausfühnmgen beruhen auf haltlosen Hypothesen über Rassensonderungen, die sich jeglicher Kontrolle entziehen. Von solchen in der modernen Ethnologie beliebten Spekulationen, welche sich gänzlich in den Nebel der Urzeit verheren, sehen wir hier völlig ab.

Was sich uns ergiebt, ist nur. dass die Indogermanen in so ziemhch der ältesten uns erreichbaren praehistorischen Epoche bereits in Mitteleuropa wohnten imd nach Osten wahrscheinlich bis in die russisch-sibirischen Steppenländer reichten. Das zweite nehmen wir an, weil nichts für noch weiter westhche Wohnsitze der Indo-Iranier spricht und eine derartige Annahme an sich sehr gewagt und eines zwingenden Beweises bedürftig wäre. Die Kn- guistische Palaeontologie hat das Urheimatproblem auf die Frage: Europa oder Asien ? zugespitzt. Aber rein geographisch ge- nommen bilden beide Erdteile nur einen einzigen Kontinent, den die Geologen weniger geschmackvoll als praktisch Eurasien zu nennen pflegen ^j. Südlich des Uralgebirges, das auch keine be- sonders scharfe Scheide bildet ^), giebt es keine natürliche Grenze und die konventionelle hat daher immer geschwankt 2). Oestlich wie westlich des Uralflusses dehnt sich dieselbe Steppe aus mit dem gleichen Klima, der gleichen Vegetation und Fauna. Und wie im Altertum iranische Skythen vom Aralsee bis zum Schwarzen Meer schweiften, so streifen heute Kirgisenstämme zu beiden

in Europa eine rohe Urbevölkerung vorgefunden und unterdrückt hätten, nicht widerlegen.

1) Vgl. Alfr. Hettner, Yerbandl. des 10. Deutschen Geographentages zu Stuttgart, 1693 S. 188 ff.

2) S. E. Reclus, Isouvelle geographie universelle V 607 u. ö. Guthe- Wagner Lehrb. d. Geogr. 11^ 22.

3) Im Altertum wird zuerst der Phasis, dann der Tanais als Grenz- fluss angegeben (Berger, Gesch. d. wissenschaftl. Erdkunde der Griechen I 65 74), der bis ins 18. Jahrhundert als Scheide gilt. 1730 verlegte sie Strahlenberg in den Obtschei-SjTt, den Höhenrücken zwischen Ural und Wolga, eine Grenze, die noch heute viele Geographen anerkennen. Andere setzen dafür den Ural-Fluss oder die Emba.

64 UI. Die ältesten Kulturzustände der Indogermanen.

Seiten der europäisch- asiatischen Grenze umher. Wer also Indo- germanen in jenen Steppengebieten wohnen lässt, wie Schrader, darf ihnen hier keine willkiü'hche Grenze setzen und kann vor jene Alternative gestellt nur antworten: Em'opa und Asien. Gerade durch die Steppen erklärt sich auch die grosse westöst- liche Ausdehnung, welche die Indogermanen in historischer Zeit haben und die wir ihnen mit einer gewissen Verringerung schon für die praehistorischen Epochen zuschreiben; die Nomaden- stämme, die im Westen und Süden kein sie ausreichend nähren- des ackerbaufähiges Land mehr frei fanden, mussten nach Osten bis nach Ii-an und Indien vordringen. Dass die ganze Aus- dehnung der Indogermanen auf der Ausstrahlung von einem Zentrum, der eigenthchen „Urheimat'*, beruht, soll keineswegs be- stritten werden, so wenig wie das „Urvolk" geleugnet werden soll, aber diese urzeitlichen Vorgänge entziehen sich jeder histori- schen und praehistorischen Erkenntnis. Vielleicht werden einmal archaeologische Beobachtungen die Möglichkeit gewähren, das Ver- breitungsgebiet der Indogermanen noch weiter einzuengen.

Ist denn nun im idg. Wortschatz etwas enthalten, was einer so grossen Anschauung der Indogermanen in der Urzeit wider- spricht, was uns zwänge, ihre ältesten Wohnsitze bedeutend mehr einzuschränken ? Man hat merkwürdigerweise, in dem Be- streben, irgend einen Flecken Landes in Asien oder Europa auf- zufinden, welcher geeignet scheinen könnte, für die Urheimat der Indogermanen zu gelten, ganz übersehen, dass die lexikalischen Verhältnisse der idg. Sprachen im Grunde am besten auf die Wohnsitze passen, die die Träger dieser Sprachen in historischer Zeit einnehmen, dass sie also nicht notwendig eine sehr bedeu- tende Verechiebung ihrer Wohnsitze voraussetzen. Das gilt namentlich von den Tier- und Pflanzennamen. Wenn z. B. der Name der Buche Germanen und Italikern gemeinsam ist (ahd. biiohha, lat. ffigus), den Slaven dagegen ui-sprünglich fehlt und erst später (nach dem Eintreten der germanischen Lautverschie- bung) von ihnen aus dem Germanischen entlehnt ist (asl. bukt/), so stimmt dies vollkommen zu der Thatsache, dass die Wohnsitze der Germanen und Italiker im Gebiete dieses Baumes liegen, die der Slaven aber sich im Anfange der Geschichte jenseit der Buchen- grenze befinden. Eret in der Völkerwanderungszeit rückten die Slaven über diese Grenze vor. Irgend welche Schlüsse auf eine engere Urheimat der Indogermanen, wie sie zuletzt Hirt (Idg.

Aelteste Verbreitung der Indogrermanen. 65

Forsch. I 483) angedeutet hat, lassen sich aus diesem Namen nicht ziehen ^).

Für das Meer haben ItaUker, Kelten, Germanen, Litauer und Slaven eine gemeinsame Bezeichnung. Man hat sich den Kopf zerbrochen, welches Meer damit ursi3rünglich gemeint war. Pictet dachte an das Kaspische Meer. O. Schrader hat sich die Sache in der "Weise zurecht gelegt, dass er die europäischen Indogermanen, denen allein er die Kenntnis des Meeres beilegt, von ihren Ursitzen an dem mittleren Laufe der Wolga nach dem Schwarzen Meere ziehen lässt, dem sie damals den Namen *mori gaben. Da die Hellenen diese Bezeichnung nicht kennen, so muss Schrader, entgegen den geographischen Verhältnissen in historischer Zeit, annehmen, dass sie sich durch dieIll}Tier und Thraker hindurch zu ihren südlichen Sitzen Bahn gebrochen haben. Ich halte alle solche unbeweisbaren Hypothesen für überflüssig und zweifle nicht, dass jene Bezeichnung seit ältester Zeit dem Meere oder einem der Meeresteile zukam, auf die sie in geschichtlicher Zeit ange- wendet wird. Da Ost- und Nordsee erst nach dem Bückzug der skandinavischen Gletscher, also erst in der postglacialen Periode hervortraten ^), so muss es notwendig einmal eine Zeit gegeben haben, in der Germanen, Litauer und Slaven nicht am Meere sassen. Es ist daher nicht wahi'scheinHch, dass das Wort für 'Meer' von diesen Völkern ausgegangen ist, sondern umgekehrt wird ihnen das Wort von den keltischen Nachbaren zugekommen sein 3).

1) Weshalb gr. (pr/yög 'Eiche' statt 'Buche' bedeutet, lässt sich ver- schieden erklären, jedenfalls aber nicht daraus, dass die Buche in Gi-iechen- land nicht vorkommt, denn Heldreich hat jetzt in Aetolien Buchenwälder konstatirt, s. Virchow Korresp.-Bl. d. Anthr. Ges. 1893 S. 76 (der die Zu- sammenstellung von fägus mit Buche mit Unrecht ins Lächerliche zieht). Das Wort *hhügos hhagos ist von Hause aus ein Adjektiv, das ,, zuteilend, spendend, besonders Nahrung spendend" bedeutet (skr. hhdjati teilt zu, gr. (paysTv G. Curtius Etym.^ 297). Inder, Iranier und Slaven bezeich- neten damit den Gott als den Spender alles Guten (skr. bhägas Schutz- herr, Epitheton des Gottes Savitar, altpers. haga, asl. hogii: vgl. daijucov zu daivv/j.i). Germanen, Italiker, Hellenen, Phryger [BayaTog von phryg. bägä = ahd. buohha, Torp Idg. Forsch. V 193) verwendeten das Adjektiv für einen Baum, dessen Früchte ihnen als Nahrung dienten.

2) üeber die Entstehung der Ostsee hat zuletzt Credner auf der ö7. Naturforsoherversammlung in Lübeck (20. Sept. 1895) gehandelt.

3) Die Entlehnung wird in eine graue Vorzeit fallen, jedenfalls vor

Kretscbmer, Einleit. in d. Gesch. d. gr. Sprache. 5

66 III. Die ältesten Kulturzustände der Indogermanen.

Gegen die Behauptung, dass fiii' die ostindogermanischen Völker weiter vrestliche Wohnsitze als die der sk}i;hischen Nomaden auch in Bezug auf die Urzeit nicht zu erschUessen sein, könnten nun noch einige Einwände erhoben werden, wie sie auch gegen die Annahme der „Urheimat" in den russischen Steppen gerichtet worden sind. Sie beruhen auf etwas übertriebenen Vorstellungen von der Einförmigkeit und Vegetationsarmut der Steppe. Von dem Bären in der Steppe war bereits oben die Rede. Dass die Birke, deren Namen die Indoiranier (skr. hhurja-, pamirdial. furz, osset. barse bärs) mit den Bewohnern der mitteleuropäischen Waldregion (asl. bereza, Ut. berzas. d. Birke) teilen, auch der baumarmen Steppe nicht fehlt, hat bereits' Schrader (Sprachvergl. u. Urgesch.2 536) richtig bemerkt. Weitere Zeugnisse für die Birke in den Waldinseln der Kirgisensteppen und in den Basch- kirensteppen am Süd-Ural bringt Nehring (Tundren u. Steppen S. 49. 56. 62—64) bei. Nach Middendorf gehört sie zu den- jenigen Bäumen, welche am weitesten in die Steppen Südrusslands hineinragen.

Die Indoiranier teilen mit den Westindogermanen den Namen des Frühlings (skr, vasantd-, avest. vaiiri. asl. vesna, anord. vär, lat. V(7r, gr, tag); aber wendet man ein die Steppe mit ihrem schroffen Uebergang von härtester Winterkälte zu glühender Sommerhitze kennt keinen eigentlichen Frühling. Schrader, der dem idg. „Urvolk*' nur eine Zweiteilung des Jahres in Sommer und Winter zuschreibt, beruft sich für jene Behaup- tung auf die Angaben von Reisenden, wonach von Frühhng und Herbst in den Steppen kaum die Rede sein könne. Wie wenig wörthch man diese Aeusserungen nehmen darf, ergiebt sich schon daraus, dass der eine von Schraders Gewährsmännern, J. G. Kohl, an einer anderen Stelle seines Reisewerkes (Reisen in Süd- russland II 193 98) eine lebendige Schilderung von den Freuden des Frühlings in der Steppe giebt, der zufolge sich diese Jahres- zeit daselbst durch die Vegetation gerade sehr fühlbar vom Sommer

den im Germanischen nicht sehr alten Wandel von o in a, von welchem *mori (gall. mori in Moridunum, MoQixäfißrj, Morini, Aremorici, Mori- tasgui, ir. muir) noch betroffen wurde. Rud. Much (Paul u. Braune'a Heitr. XVI 1220) will mit anderen Germanisten altgerm. mori = pot. marei fem. in dem kimbrischen Mori-maruaa (= mortuura mare, Plin. 4, 95) er- kennen. Wie sich lautlich und sachlich lat. mare zu gall. mori verhält, ist mir unklar.

Aelteete Verbreitungr der Indogermanen. 67

unterscheidet: nur im Fiäihling ist der Boden der Steppe mit Blumen, Tulpen und Krokos, bedeckt, welche unter den sengen- den Strahlen der sommerHchen Sonne alsbald verdorren. Kli- matologen von Fach, wie Woeikoff (Die Klimate der Erde II, 1887, S. 189. 192 u. ö.), Hann (Handbuch der Klimatologie 499) u, a. erkennen durchaus einen Frühhng in der Steppe an. der sich von dem mitteleuropäischen zwar in den Temperaturverhält- nissen etwas untei-scheidet, aber wie dieser eine Uebergangsperiode zwischen dem sehr kalten Winter und dem sehr warmen Sommer büdet.

Noch ein argumentum ex silentio, das man mögHcherweise anführen könnte, will ich erörtern. Indern und Iraniem fehlt das Wort für Salz, das den übrigen idg. Sprachen und nicht bloss diesen, sondern mit ihnen auch den finnisch-ugrischen Sprachen gemeinsam ist, und doch fielen nach meiner An- nahme die Wohnsitze der ostindogermanischen Völker teilweise gerade in sehr salzreiche Gebiete. Im ganzen Norden des Kas- pischen Meeres zwischen Wolga und Uralfluss breiten sich be- kannthch grosse Salz wüsten und Salzseen aus wie der Eltonsee, der Südostrussland mit Salz versorgt, und auch noch westHch der Wolga ist das Tiefland mit salzigen Sümpfen erfüllt i). Dass die Indoiranier den westindogerm. Namen des Salzes nicht kennen, mag also auffälhg erscheinen, aber auffälhg bleibt es dann bei jeder Urheimattheorie. Ihnen deshalb auch die Kenntnis des Salzes selbst abzusprechen ist jedenfalls unzulässig. Wer aus der Nichterwähnung dieses Stoffes im Avesta folgert, dass den alten Iraniern das Salz ein unbekannter Begriff war, der sollte be- denken, dass fast das ganze Innere Irans von Salzseen und Salz- steppen eingenommen wird, deren Boden (nach Brugsch) mit blendend weissen Salpeterkrystallen ganz bedeckt ist, und dass sich auch nordwestlich vom alten Baktrien eine an Salzsümpfen reiche Wüste, Kara-Kum, ausbreitet. Das Salz liegt hier überall so offen zu Tage, dass es den alten Iraniem, vde den iranischen Skythen unbedingt bekannt gewesen sein muss^). Wenn man aus dem Fehlen seines westidg. Namens bei den Indoiraniem schliessen wollte, dass diese das Salz nicht gekannt haben, dann

1) Reclus, Geogr. univ. V 678 ff. W. Sievers, Asien 110.

2) Dass die vedischen Inder das Salz gekannt haben, halten Pischel und Geldner, Ved. Stud. I p. XXIII, für unzweifelhaft.

5*

68 III. Die ältesten Kulturzustände der Indogermanen.

müsste man auch aus dem Fehleu einer gemeiuiudogennanischen Bezeichnung der Milch folgern, dass die alten Indogermanen nicht mit Muttermilch gesäugt wurden! Damit ist dieses und jedes lexikalische argumentum ex silentio ad absurdum geführt. Der sprachhche Thatbestand wird wohl am einfachsten durch die Annahme erklärt, dass den "Westindogermanen einmal die Quelle des Salz- bezuges gemeinsam war und sich mit dem Stoö" auch ein ein- heithcher Xame bei ihnen verbreitete, während die weiter ost- wärts wohnenden Stämme in ihren Steppen so reich an Salz waren, dass sie es nicht aus dem Westen zu beziehen brauchten, und daher auch nicht die dort übliche Bezeichnung aufnahmen.

Sind die vorgetragenen Anschauungen über die älteste Ver- breitung der Indogermanen richtig i), so kann es niemandem mehr einfallen, aus den blossen TTortgleichungen Kulturgeschichte her- ausdestiUiren zu wollen, wo uns die Reste altindogermanischer Kultur selbst in reicher Fülle vor Augen liegen. Vielmehr können diese umgekehrt Licht auf die Vorgänge werfen, welche der Ver- breitung eines Wortes im Idg. zu Grunde hegen. Die Art und Weise, in der Schrader versucht hat, die Funde aus den Schweizer Pfahlbauten mit dem idg. Wortschatz zu kombiniren, kann ich freihch nicht für richtig halten. Durch eine solche Vergleichung kann sicherlich nicht der Beweis erbracht werden, dass die Be- wohner der Pfahlbauten Indogermanen gewesen sind, zumal wenn man im Einzelnen es so genau nicht nimmt. Das Trügeiische eines derartigen Versuches muss um so mehr betont werden, als Praehistoriker wie Matth. Much (Die Kupferzeit in Europa 2 1893 S. 342. 348 ff.) auf diese Kombinationen fast noch mehr Gewicht

1) Wenn man die bisher aufgestellten Urheimattheorien, welche so ziemlich jede in Betracht kommende Gegend ins Auge gefasst haben, Revue passiren lässt, so würde im Ergebnis etwa die Cuno'sche meiner Ansicht äusserlich am nächsten kommen. [Ich brauche aber kaum hinzu- zufügen, dass meine Gründe mit denen Ctinos nicht das Mindeste zu thun haben. Si duo faciunt idem, non est idem. Auf die Unrichtigkeit seiner Anschauungen, die heute kaum jemandem entgehen wird, ist bereits im vorigen Kapitel (S. 27) hingewiesen. Sein Argument, dass die ältesten "Wohn- sitze der Indogermanen denen der Finnen benachbart gewesen sein müssen, weil ihre Sprachen verwandt seien, hat Tomaschek wieder aufgenommen mit der Modifikation, dass er Entlehnung für Urverwandtschaft setzt. Zu meiner Ansicht würde die Thatsache vollkommen stimmen, ich halte sie aber nicht für beweiskräftig.

Die praehistorischen Funde. 69

legen als Schrader selbst, der sich über das Ergebnis seiner Ver- gleichung mit einiger Zurückhaltung äussert (Si^rachvergl. u. Ur- gesch. 3 531 f.). Auf der einen Seite kann uns der gemeinindo- germanische Wortschatz kein Bild von der urzeithchen Kultur der Indogermanen geben, ei'stens weil die Verbreitung der ein- heitlichen Kultui'wörter in Tei-schiedene,* teilweise vielleicht in relativ junge Zeit fällt; zweitens weil der idg. Wortschatz gegen- über dem idg. Kulturschatz unvollständig sein kann, Schlüsse ex silentio also unzulässig sind. Auf Vollständigkeit kommt es aber in diesen Fragen gerade ganz wesenthch an : was nützt uns denn das idg. Lexikon, wenn wir aus dem Fehlen eines gemeinidg. Wortes für "Z i e g e' ^) nicht folgern düi-fen, dass die Ziegenzucht jung bei den Indogermanen ist! Gerade einer primitiven Kultui' gegenüber ist es ja mindestens ebenso wichtig zu konstatü'en, was ihr noch fehlt als was sie schon besitzt.

Andererseits stellt die Kultur der Schweizer Pfahldörfer nur einen Ausschnitt aus der neolithischen Kultur überhaupt dar. und wir wissen, dass diese in Mitteleuropa bei einer gewissen Gleich- förmigkeit im Ganzen auch bemerkenswerte Untei'schiede im Einzelnen aufwies. Die Pfahldorfvölker der Schweiz haben keine Dolmen erbaut, die Bestattungsbräuche sind nach den Gegenden verschieden, die Formen der Steinwerkzeuge weichen von ein-

1) M. Much (Kupferzeit- 343) irrt, wenn er im Vertrauen auf Schraders Ausführungen behauptet, dass die linguistische Palaeontologie für die europäischen Völker denselben Besitzstand an Haustieren aufzeige wie die Funde der jüngeren Steinzeit. Aus den Wortgleichungen geht überhaupt nicht hervor, ob wilde oder gezüchtete Tiere gemeint sind. Hehn hat daher bekanntlich der ,,idg. Urzeit" die Pferdezucht abge- sprochen, obwohl eine einheitliche Bezeichnung des Pferdes im Idg. vor- handen ist. Schwein und Gans haben gemeinindogerm. Namen, aber ihre Zucht erscheint bis in die historische Zeit den Indern noch fremd. Für die Ziege, die sich bereits in den neolithischen Pfahlbauten findet, giebt es aber nicht einmal eine den Indogermanen oder auch nur den Europäern gemeinsame Bezeichnung. Denn skr. ojä.-^ lit. ozys sind mit gr. ai^, ar- men, aic lautlich unvereinbar (anders P. v. Bradke Methode d. ar. Alter- tumsw. 165 fiP.). Alban. bx ist mehrdeutig (G. Meyer Alb. Wb. u. bl'). "Wenn d. Bock mit avest hüza, neupers. huz Ziegenbock, balücl huz Ziege verwandt ist, hat es jedenfalls nicht speziell den Ziegenbock, sondern die Männchen gewisser Tiergattungen überhaupt bezeichnet, denn das zu- gehöi-ige armen, lue bedeutet ,,Lamm". Vgl. das Verhältnis von lat. caper, altnord. hafr Ziegenbock zu gr. y.äsioog Eber.

<0 ni. Die ältesten Eultnrzustände der Indogermanen.

ander ab u. s. f. Wir dürfen daher in jedem Einzelfall nicht schlechthin einheitHche Zustände bei den Indogermanen voraus- setzen und rekonstruiren wollen. Unsere sprachgeschichtlichen Er- gebnisse stimmen hier zu den kulturgeschichthchen : so wenig wie wir eine dialektlose üi"sprache erkennen können, dürfen wir voll- kommene Einheitlichkeft der Kultui'verhältnisse in der Urzeit er- warten: sie wäre bei der Ausdehnung, die wir den Indogermanen zuschreiben, an sich unwahrscheinhch.

So kann die Frage nach den ältesten wirtschafthchen Ver- hältnissen der Indogemianen in der Form, in der die linguistische Palaeontologie sie aufzustellen pflegt, überhaupt schwer summarisch beantwortet werden. Sie fragt: standen die Indogermanen (vor ihrer sogen. Trennung) noch auf der Stufe des Nomaden oder hatten sie bereits die Stufe des Ackerbauers eiTeicht? Diese Fragestellung setzt nun schon eine Anschauung voraus, welche seit langem zu einer fahle convemie in der "Wissenschaft geworden, in neuerer Zeit aber mit Recht von Ethnologen bekämpft worden ist^), die Anschauung, dass der Mensch überall drei Kulturstufen durchlaufe, zueret die des Jägers, dann die des Wanderhirten, zuletzt die des ansässigen Ackerbauers. Man hat hiergegen ein- gewendet, dass die Zucht von Haustieren keineswegs etwas so sehr nahehegendes und selbstverständliches, jedenfalls nicht leichter und einfacher sei als ein primitiver Getreidebau, dass femer die nomadische Lebensweise weniger durch die Kultur- höhe als durch die Bodenverhältnisse bedingt sei und selten rein, gewöhnlich mit einigem Getreidebau verbunden vorkomme 2). Gerland hat daher die Reihenfolge der drei Kultui-stufen geradezu umgekehrt und an die Spitze der wirtschaftlichen Entwicklung des Menschen einen primitiven Feldbau gestellt, dem sich später Herdenwirtschaft zugesellt habe: das Leben der Jägervölker und der Nomaden ist nach ihm keine Entwicklungsstufe, welche die Menschheit übei-schreiten musste, sondern eine Stufe des \'erfalls, welche mit Notwendigkeit gegeben war, wenn ein Volk durch

1) Gerland, .\nthropologische Beiträge I 141 ff. Ed. Hahn, Ausland 1891, 481. Die Haustiere (Leipzig 1896) S. 385.

2) Nach Gerland a. a. 0. 152 sind die Hottentotten reine Hirten- völker, wahrend die Bantu-Völker und die Mongolen zugleich etwas Ackerbau betreiben. Als charakteristisches Beispiel für die Verbindung von Feldbau und Nomadentum führt Ratzel ( Anthropogeographie I, 453) die mcxikauischen Sandilleros an.

Aelteste wirtschaftliche Verbältnisse der Ipdogermanen. 71

den Wechsel der Wohnsitze in eine fremde Natur hineingeriet, die es nicht bemeistern konnte. Soviel dürfte aus diesen Re- flexionen hervorgehen, dass die Aufstellung eines Schemas für die menschliche Kulturentwicklung überhaupt nicht am Platze ist, die wirtschaftHche Stellung eines Volkes vielmehr in hohem Maasse von den Bodenverhältnissen und anderen geographischen Faktoren abhängt.

Es ist somit von vom herein wahrscheinlich, dass in einer Völkergruppe, welche über die mitteleuropäische Waldregion und die russisch-sibirischen Steppengebiete ausgebreitet war, nicht durchweg gleichartige wirtschaftliche Verhältnisse heri'schten. Das Nomadenleben der iranischen Skythen geht gewiss bis in die graueste Vorzeit zurück, denn in der Steppe ist eine andere Lebensweise wenigstens bei nicht hoch entwickelter Kultur kaum möglich. Aber in den waldbedeckten Gebieten, welche die West- indogermanen bewohnten, war zu nomadischem Leben keine direkte Veranlassung gegeben. Es ist eine in der Wissenschaft tief eingewurzelte V^orstellung, dass die idg. Völker noch fast bis in die historische Zeit hinein das Leben von AVanderhirten ge- führt haben: sie hängt eng mit der Theorie einer Einwanderung der Indogermanen aus Asien zusammen; man dachte sich diese früher wohl gar in der Art des Hunneneinfalles in Europa und meinte jedenfalls, dass die idg. Einzelvölker als Nomaden in ihre spätere Heimat eingezogen seien. Auch so kritische und selb- ständige Historiker wie Eduard Meyer (Gesch. d. Altert. JI 37. 43. 45) und Beloch (Griech. Gesch. I 34. 39) haben sich dieser Vorstellung nicht ganz entziehen können.

In neuester Zeit hat sich gegen diese Anschauungen eine Opposition erhoben. Bereits vor 25 Jahren betonte Spiegel (vgl. Schrader^ 139), dass bei der Ausbreitung der Indogermanen eigenthche Wanderungen nur eine verhältnismässig geringe Rolle spielten i). Dann hat auch Gerland (Anthropol. Beitr. I

1) Wietersheim (Gesch. d. Völkerwanderung P, 10) bemerkt auch von der germanischen Völkerwanderung, dass sie viel richtiger eine Aus- breitung als eine "Wanderung genannt werde, verlegt aber dennoch den Uebergang der Germanen von überwiegendem Nomadentum zu sess- haftem Ackerbau erst in nachchristliche Zeit (S. 5). In welcher Weise die germanische Ausbreitung nach Westen vor sich ging, erläutert Lam- precht, Deutsche Geschichte 1"^ (1894) S. 56, gut an dem Beispiel Ariovists und seiner suebischen Schaaren.

72 in. Die ältesten Kulturzustände der Indogermanen.

1875, S. 146) die Annahme eines abenteuernden Tölkerwande- rungszuges der Indogermanen nach Europa zurückgewiesen, er lässt sie vielmehr ,,in sehr aUmähhchem. höchst prosaischem "Weiterschieben einzelne Schwärmlinge abgerechnet aus Asien Torrücken". Denselben Gedanken vertritt jetzt Vodskov (Sjseledyrkelse og Natm-dyi-kelse I 1890) mit seiner „Ausbreitungs- theorie". Gänzhch darf man allerdings der Urzeit Völkerwande- rungen nicht absprechen, sie sind höchst wahi-scheinHch damals sogar noch viel häufiger gewesen als in der historischen Zeit. Aber diese dm-ch die Xot der üebervölkerung oder durch Er- oberungslust veranlassten Züge setzen nicht notwendig nomadische Zustände voraus, sondern wuixlen höchstens zeitweise von solchen begleitet. Keines von den Zeugnissen, welche man an- gerufen hat kann ein wirldiches und durchgehendes Nomadentuni für die westidg. Völker erweisen. In Bezug auf die Germanen hat dies kürzlich Rud. Much (Z. i deutsch. Altert. 36. Bd. 1892 S. 97 ff.) dargelegt. Soviel ist sicher: wenn die Bewohner der Pfahldörfer und die Erbauer der Dolmen in Mitteleuropa Indo- germanen waren, dann dürfen wii- sie uns nicht mehr als Wander- hirten vorstellen, die in Horden mit ihrem Vieh von Weide zu Weide zogen und auf Wagen ihre ärmliche Habe mit sich führten. Der Getreidebau geht erweislich bis in die jüngere Steinzeit hin- auf, nur den palaeoUthischen Menschen und den dänischen Kjökkenmerddingera scheint er noch zu fehlen, und Sesshaftigkeit ist eine notwendige Voraussetzung für Völker, welche mühseüg auf Tausenden von Pfählen ihre festen Wohnhäuser errichteten und für die Gräber ihrer Toten oder zu sakralen Zwecken viele Hundert Zentner schwere Felssteine zusammenschleppten. Dies ist von arehaeologiscber Seite mit Recht gegen die Xomadentheorie eingewendet worden: vgl. Matthaeus Much, Kupferzeit in Europa^ 319 ff.

Andererseits können die historischen Zeugnisse, auf welche sich die Vertreter dieser Theorie berufen haben, keineswegs no- madische Zustände für die Westindogermanen erweisen. Was Thukydides im Anfange seines Geschichtswerkes über die ältesten Kulturzustände von Hellas vorträgt natürlich nicht auf Grund einer Ueberlieferung, sondern eigener Kombinationen . was Caesar (bell. gall. VI 22) u. a. über die wirtschaftlichen Ver- hältnisse der Germanen berichten, zeigt nur, dass in älterer Zeit bei diesen A'ölkem der Ackerbau hinter der Viehzucht zurückstand,

Aelteste wirtschaftliche Verhältnisse der Indogrermanen. ^3

was zu den Pfahlbaufunden stimmt i) und ihnen demgemäss noch eine grössere BewegHchkeit inne wohnte. Von rein noma- dischem Leben sind solche Zustände aber noch weit entfernt. Darum soll nicht geleugnet werden, dass zeitweise manche Avest- indogermanische Stämme in nomadische oder halbnomadische Zustände verfallen sind, wie die britischen Binnenvölker, denen Caesar (bell. gall. Y 14, vgl. Strab. IV p. 200) den Ackerbau abspricht, und manche germanischen Stämme während der sogen. Völkerwanderung.

Eine andere Frage ist es ferner, wie alt jener Zustand einer sesshaften, vorwiegend von Viehzucht, in geringerem Maasse von Ackerbau lebenden Bevölkerung bei den europäischen Indo- germanen ist. In der palaeolithischen Periode und auf der primi- tivsten Stufe der neolithischen Kultur, der der Kjokkenmoddinger, sind Spuren des Getreidebaues noch nicht nachgewiesen, und wenn wir den Theorien der modernen Geologie und Zoologie vertrauen dürfen, waren die Bodenverhältnisse damals, d. h. in der Glazialperiode und der unmittelbar darauf folgenden Epoche in Mitteleuropa wesentHch andere als in historischer Zeit. Alfr. Nehring hat aus der Tierwelt jener Perioden, welche nach ihm eine ausgeprägte Steppenfauna darstellt, den Schluss gezogen, dass auf die Epoche der Vereisung zunächst eine Steppenperiode ge- folgt sei und sich durch allmähhche Zunahme des zuei'st spär- hchen Baumwuchses die mitteleuropäischen Steppen in die Wald- landschaft der historischen Zeit umgewandelt haben 2). Ist diese Anschauung richtig, so war allerdings für die damaHge Bevölke- rung Mitteleuropas die Veranlassung zu nomadischer und halb- nomadischer Lebensweise gegeben; wie weit dieselbe aber in jener Uebergangsperiode wirkHch die hen-schende gewesen ist, dafür

1) Vgl. Hoernes Urgesch. d. Menschen 241.

2) Die Nehring'sche Theorie ist nicht ohne Widerspruch geblieben: man hat eingewendet, dass die Xatur der Steppennager damals eine andere gewesen sein könne als heutigen Tages, und hat an die Stelle der Steppen- landschaft eine Parklandschaft gesetzt. Aber Nehring (Tundren und Steppen der Jetzt- und Vorzeit) bemerkt mit Recht, dass der Unterschied zwischen beiden Landschaften nur in einem Plus oder Minus von Bäumen bestehe. Jedenfalls kann doch der üebergang von der Eiszeit in die Periode der Waldvegetation , also die Zunahme des Baumwuchses nur als ein ganz allmählicher gedacht werden. [Von botanischem Standpunkt aus wendet sich jetzt gegen Nehrings Theorie Aug. Schulz in Regel's Thüringen I, 1. Teil (Jena 1894) S. 10 ff.]

74 III. Die ältesten Kulturzustände der Indogermanen.

sind andenveitige Anhaltspunkte vorläutig, soviel ich sehen kann, nicht zu gewinnen. Auf jedem Fall ei-scheint eine summarische Beantwortung der Frage nach den ältesten wirtschaftlichen Ver- hältnissen der Indogermanen nicht zulässig: seit ältester Zeit können und werden hier Unterschiede bestanden haben.

Die lexikalischen Thatsachen. auf welche sich die linguistische Palaeontologie beruft, lassen sich mit den vorgeti*agenen Ansichten wohl vereinigen. Das Indische und Iranische teilt mit den europäischen Sprachen nur äusserst wenige agrarische Ausdrücke , während die europäischen Sprachen unter einander deren recht zahbeiche ge- meinsam haben. Das stimmt zu der Annahme, dass die ostindo- germanischen Völker in ihren Steppen ein mehr oder weniger rein nomadisches Leben geführt haben, während die Westindo- germanen frühzeitig neben der Viehzucht den Getreidebau be- trieben. Wenn man umgekehrt die lexikalischen Verhältnisse zur Grundlage von Folgerungen gemacht und daraufhin den noma- dischen Zustand für den ältesten indogermanischen erklärt hat, so übersieht man, dass die Zahl der auf Viehzucht bezüghchen gemeinidg. Wörter, genau genommen, auch gerade keine sehr grosse ist^). Nicht einmal für 'melken' giebt es eine einheithche Bezeichnung: Arisch (skr. duh-) und Europäisch (gr. ai-iilyoj, lat. mulgeo, air. hligim , ahd. melchan, lit. melzu , asl. mlüzq) unter- scheiden sich darin genau so scharf wie in den agrarischen Aus- drücken.

Mit anderen wirtschaftlichen Fragen steht es ähnlich : als be- zeichnend für die Art, wie die linguistische Palaeontologie uridg. Kulturzustände rekonstruirt, sei noch der folgende Fall angeführt. Man wirft die Frage auf, ob sich das idg. Urvolk auch von Fischen genährt habe, und ist geneigt, sie zu venieinen weil es weder für einzelne Fischgattungen noch für die ganze Kategorie gemeinidg. Namen giebt und nur verhältnismässig wenige über mehrere Einzelsprachen hinausgreifen ^) ! Zur Stütze dieser Folge-

1) Von den hei Scbrader Sprachvergl. u. Urgesch.* 376 ff. aufge- führten ist als solches eigentlich nur das Wort für 'Vieh' skr. piicu, lat- pecus usw. (über gr. f&Qii; skr. vädhri- 'verschnitten' s. P. v. Bradke Methode d. ar. Altert. 125) anzusehen: alle anderen Bezeichnungen können sich schliesslich ebenso gut auf wilde wie auf gezüchtete Tiere beziehen.

2) Zu den von Schrader verzeichneten Fällen kommt vielleicht noch

Keine Einheitlichkeit der Eulturzustände. 7o

ning macht 0. Schrader (Sprachvergl. ^ 166) noch geltend , dass den Liedern des Rigveda der Fischfang noch gänzhch unbekannt ist, dass im ..homerischen Zeitalter" Fische den Helden nur als Notspeise dienen und endlich in den Terramaren der Poebene keinerlei Fischgräten, Angelhaken od. dgl. gefunden seien. Misst man aber selbst diesen Thatsachen volle Beweiskraft beii), so darf man dieselbe doch natürhch nicht auf sämthche idg. Stämme ausdehnen. Das Volk der Kjakkenmoddinger, die Er- bauer der Schweizer Pfahldörfer vrie die paionischen Pfahlbauer am Prasias-See (Herodot Y 16) waren Fischesser par excellence, und wer wollte es wagen, ihnen deshalb den idg. Charakter abzu- sprechen 2) ? Wir stossen auch hier wieder auf eine Differenz, welche vnr nicht weiter reduziren können.

Wie auf sprachlichem Gebiet macheu wii' also auf kultur- historischem die Erfahrung, dass wir nicht bis zu einer Periode unbedingter Einheithchkeit wenn es überhaupt je eine solche gegeben hat vorzudringen vermögen. Bereits Ed. Meyer (Gesch. d. Altertums II 44) hat mit Recht gefordert, dass sich die urgeschichtHche Forschung mehr derEnnittlung der ältesten histo- risch bestimmbaren Zustände der Einzelvöker als der sogen. Ur- zeit zuwende, wobei man sich nur des Gedankens zu entschlagen hat, als ob die Einzelvölker von jeher als solche fertig bestanden hätten. Individuelle Züge düiien nicht ohne weiteres verallge- meinert werden, sondern müssen festgehalten werden, wo sie sich finden.

hinzu lat. squahis Meersaufisch, eine Art Haie, das ich mit anord. hvalr (angls. hic(fl, ahd. ical) "Walfisch' verbinde.

1) Aus den homerischen Gedichten geht höchstens soviel hervor, dass Fische in älterer Zeit bei einem Teil der hellenischen Stämme als keine sehr vornehme Speise galten. Vgl. dazu Iwan Müller in seinem Handbuch IV 441 d, Anm. 4. Bemerkenswert ist in diesem Zusammen- hang, dass die Sitte, Aale zu essen, den Anwohnern des fischreichen Lychnitis-Sees bei ihren hellenischen Machbaren den Spottnamen ^Ey/s'/.äveg^ 'Aalmänner' eintrug. Hinsichtlich der Nichterwähnung des Fischgenusses im Rigveda ist die Warnung von Pischel und Geldner Ted. Stud. I p. XXIII zu beherzigen.

2 Fischreste haben sich schon in palaeolithischen Ansiedlungen ge- funden, aber verhältnismässig spärlich , s. G. de Mortillet Origines de la chasse, de la peche et de l'agriculture I (Paris 1890i S. 219 und über Fischfang in neolithischer Zeit S. 224 fi".

76 III. Die ältesten Kulturzustände der Indogermanen.

Für kein Gebiet gilt dieser Satz mehr, auf keinem hat sich der Vei-such, einheithche Grundformen zu rekonstruiren, aussichts- loser enviesen, als auf dem der Mythologie und der Religion, und gerade hier sind in dieser Richtung die lebhaftesten Anstrengun- gen gemacht -worden. Eine eigene Disziphn, welche sich der Er- forschung des urindogermanischen Götterglaubens .widmete j er- stand neben der linguistischen Palaeontologie die sog. ver- gleichende Mythologie.

Es erscheint hier unnötig, eine ausführliche Geschichte und Kritik dieser Wissenschaft zu geben, alle ihre IiTungen und Wirrungen im Einzelnen aufzudecken, die Phantastereien zu be- leuchten, welche von manchen ..vergleichenden Mythologen" vorge- tragen worden sind; das hiesse mit Windmühlenflügeln kämpfen. Die Macht dieser Ideen ist heute gebrochen, und die vergleichende Mythologie zählt ausser etwa in Italien jetzt nur noch sehr wenige Vertreter. Am frühesten hat man sich auf gi'iechi- schem Gebiet ihrem Banne entzogen. In der indischen Philo- logie, für welche ihr Einfluss vielleicht am verhängnisvollsten ge- worden ist, hat sich der Umschwung erst ziemlich spät voll- zogen. Am entschiedensten haben hier Pischel und Geldner ') mit der Anschauung gebrochen, welche den Yeda zu einem im Wesentlichen indogermanischen Buch stempeln wollte. Sie haben das, wie jedem einleuchten muss, berechtigte Verlangen gestellt, dass die Gestalten und Sagen der vedischen Religion zunächst aus sich selbst heraus verstanden und erklärt werden müssen. Auch auf germanischem Gebiet kann der Einfluss der von Adalb. Kuhn und Max Müller begründeten Disziplin jetzt als im Wesentlichen überwunden gelten : den letzten wichtigen Schritt hat Bremer (Idg. Forsch. 111(1892) 301)gethan, indemerdieldentitätvon Ziuund Zevg bestritt, welche noch Scherer für die sicherste Grundlage der ger- manischen Religionsgeschichte erklärt hatte. Die Kulte und Mythen dieser drei Völker aber, der Inder, Griechen und Ger- manen, sind vorzugsweise Gegenstand der vergleichenden Mytho- logie gewesen. Die nüchterne, poesielose Religion der italischen Völker war kein günstiger Boden tür ihre Kombinationen; in Iran ist der alte Glaube durch die neue, zoroastrische Lehre ver- drängt oder erheblich umgestaltet worden, und von den alten

1) Vorwort zu den Vedischen Studien I, 1889.

Die vergleichende Mytholo^e. 77

Kulten der Kelten, Litauer, Slaven und der übrigen idg. Völker wissen wii* ausser mehreren Götternamen wenig oder garnichts.

Die Hauptfehler, welche auf Seiten der vergleichenden My- thologie begangen worden sind die unkritische Verwertung der historischen Quellen, die geringe Berücksichtigung der reh- giösen und sakralen Elemente gegenüber den Mythen, deren ein- seitig natursymbohsche Auslegung, die seltsame Irrlehre, dass der Mythus auf rein sprachhcher Grundlage erwachsen sei, dass er „einen krankhaften oder zerrütteten Zustand der Sprache" i) dar- stelle — haben mit den uns beschäftigenden Problemen nichts unmittelbar zu thun. Hier soll nur untersucht werden, wie weit wir uns von den ältesten sakralen Verhältnissen der Indogermanen eine Voi-stelluug bilden können, ob das Ziel, welches sich die vergleichende M}i;hologie gesteckt hatte, die Eekonsti'uktion eines urindogermanischen Götterglaubens, erreichbar, ob es überhaupt dasjenige ist, dem wir zuzustreben haben. Diese Fragen zu er- örtern, erscheint um so weniger überflüssig, als auch Forscher, welche die Lehren jener Disziphn dm'chaus nicht ohne weiteres anerkennen, wie Ed. Meyer auf griechischem, Mogk auf germa- nischem, Oldenberg auf indischem Gebiet-), doch geneigt sind, einen gewissen Bruchteil ihrer Ergebnisse gelten zu lassen.

Das Verfahren, welches Adaibert Kuhn einschlug, um ge- meinindogennanische Götter und Heldengestalten zu ermitteln, war an sich ganz rationell: er setzte diejenigen einander gleich, deren Namen sich als identisch erweisen Hessen. AVie wir den itahschen Hercules mit dem griechischen '^Hoa/.'/.r^g identiliziren, weil ihre Xamen sich decken, so dürften wir auch einem griechi- schen und indischen Gott gemeinsamen UrepiTing zuschreiben, wenn ihre Namen übereinstimmen, aber wie Hercules eine unzweifelhaft aus Hellas importirte Gestalt ist, so müssten wir auch den Zusammenhang zwischen dem griechischen und indi- schen Gott auf eine praehistorische Entlehnung von der einen oder der anderen Seite zm-ückführeu. Ist nun der von Kuhn eingeschlagene Weg der richtige, so hat bei jeder Vergleichung die Sprachwissenschaft zuerst eine Entscheidung zu geben und sie hat heute dahin entschieden, dass beinahe aUe von der vergleichen-

1) So Max Müller noch in der neusten Bearbeitung seiner „"Wissen- schaft der Sprache" II 1893 S. 501.

2) Ed. Meyer, Gesch. d. Altert. II S. 45 ff. Mogk im Grundriss d. germ. Phil. I 1054. Oldenberg, Religion des Veda (Berlin, 1894 .

78

III. Die ältesten Kulturzustände der Indogfermanen.

den Mythologie aufgestellten Gleichungen aus rein formalen Gründen fallen müssen. Was bleibt, sind nur sehr wenige Fälle, welche nicht bloss von sprachlichen Gesichtspunkten aus beurteilt werden können.

Als das sichei"ste Ergebnis der vergleichenden Mythologie hat man von jeher die Gleichung ved. Dyaus, gr. Zevq, lat. Jiippiter, ahd. Ziu, angls. Tig, altnord. Tyr betrachtet. Dass die germa- nische Parallele in Wegfall kommen muss, wurde bereits bemerkt. Wie Bremer gezeigt hat, weist angls. Ti§, Gen. T'nves, auf eine germ. Grundfomi *tTwaz, welche sich genau mit dem idg. Wort für 'Gott' deims deckt. Sprachhch Hess sich Zhi-Trjr nur auf sehr künstliche Weise mit Zei-g vereinigen, und sachlich machte diese Zusammenstellung die allergrössten Schwierigkeiten, ja sie hat der germanischen Rehgionsforschung entschieden eine falsche Richtung gegeben. Den Thatsachen entgegen sollte Ziu- Tyr die gemein germanische Pei-sonifikation des Himmels ge- wesen sein, welche später durch Wodan aus dieser Stellung ver- drängt wurde, während unsere Quellen vorzugsweise seinen kriegerischen Charakter, nirgends eine spezielle Beziehung zum Himmel hervorheben. Der Sachverhalt war also vielmehr der: ein hervorragend kriegerischer Stamm der Germanen bezeichnete seinen praecipuus deorum , den er zugleich als den praesid hel- loriim (Jordan. Get. c. 5) verehrte, schlechthin als 'Gott', *Tiicaz, eigentlich ^Himmlischer". Vielleicht im Zusammenhang hiermit steht es, dass *tTicaz bei den Südgermanen seine appellative Be- deutung aufgab und in dieser durch ein neu geprägtes Wort, got. yuß, ahd, 'jot, ersetzt wurde. Als der Dienst des Tiivaz auch zu den übrigen germanischen Stämmen drang, kam er hier neben andere Götter zu stehen, denen er untergeordnet wurde: seine ursprüngliche umfassende Bedeutung verblasste, er wurde auf die kriegerischen Funktionen beschränkt. Dass der Ausgangspunkt des Tlwaz- Kultes bei einem südgermanischen Volk, nicht im Norden zu suchen ist, geht aus der geringen Rolle hervor, welche Tyr im skanchnavischen Götterhimmel spielt: dazu stimmt, dass im Nordischen türaz seine appellative Bedeutung bewahrt hat, vgl. altnord. tlvar Götter, Sigtyr 'Siegesgott', Beiname des Odin, Reidartyr 'Wagengott', Beiname des I)örr').

1) Nicht ganz richtig scheint mir Bremer den Hergang aufzufassen, wenn er sagt, Wodan sei stets der Haupt- und Himmelsgott, Tiwaz allein

Dyaus, Zeus, Juppiter. 79

Es bleiben demnach nur der indische, griechische und ita- hsche Name des Himmelsgottes als lautlich identisch übrig. Von diesen dürfte der indische die geringste Beweiskraft haben, di/aus wird im Veda noch vollständig appellativ gebraucht in der Be- deutung 'Himmel, Tag', übertragen 'Lichtglanz, Helligkeit'. Wo Dyaus als Gott ei-scheint, ist seine Persönhchkeit eine sehr wenig ausgeprägte, zuweilen nicht viel mehr als eine rein poetische Proso- popöie. Er w4rd häufig als pitar 'Vater' zusammen mit der 'Mutter Erde' [pr'thki mätar Voc.) angerufen und als Reichtum spendend gepriesen. Man hat daher behauptet, dass Dyaus eine selbständig auf indischen Boden entstandene Personifikation des Himmels sei, welche in keinem historischen Zusammenhang mit Zeus und Juppiter stehe i). Von rein indischem Standpunkt aus lässt sich diese Ansicht nicht widerlegen. Die Verl)indung Diaus pitar stimmt aber so gut zu griechischem Zev Ttaveg^), epirot, z/si-TtdrvQog, lat. Dies-piter, Voc. Juppiter , umbr. Jupater, dass die Möghchkeit eines Zusammenhanges doch festgehalten werden darf, zumal ihr auch nichts im Wege steht. Man könnte zwar einwenden, dass das Epitheton pntar auch vielen anderen Göttern im Veda gegeben -wird wie dem Indra, Agni, Varuna, Soraa, Brhaspati, Yama u. a. (gerade wie paier eine Ehrenname vieler römischer Götter ist. Preller- Jordan Rom. M}i:hol. I 56), aber dass es als Beiwort des Dyaus doch noch eine tiefere Be- deutung hat, dass es den Ttarrg ardocör re &€wi> xe bezeichnet, geht aus der häufigen Zusammenstellung 'Vater Himmel und Mutter Erde' (Diaus pitar prthivi mätar) sowie der Bezeich-

der Kriegsgott gewesen (Idg. Forsch. III 302). Dass Tiwaz ursprünglich d. h. in der Heimat seines Kultes ein , .Hauptgott" gewesen ist, folgt so- wohl aus seiner Benennung als Gott y.ax e^ox'rjv wie aus den bei Mogk, Grurdriss d. germ. Phil. I 1054, gesammelten Nachrichten, besonders Tacit. Hist. IV 64: praecipuo deorwyi Marti. Auch halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass er wie so viele Götter als im Himmel thronend ge- dacht wurde, denn t'ncaz bedeutete ja ursprünglich „himmlisch"; nur war er weit mehr als eine blosse Personifikation des Himmels. Man muss dann allerdings annehmen, wie im Text geschehen ist, dass weder Tlwaz noch Wodan von Haus aus gemein germanisch gewesen sind; darüber im XII. Kapitel.

1) 0- Gruppe, Die griech. Kulte und Mythen I 79.

2) Die Volkstümlichkeit dieser Anrede wird durch die Beischrift der Amphora des Vatican, Griech. Vaseninschriften S. 80, illustrirt.

•^0 UI. Die ältesten Kulturzustände der Indoe^ermaneu.

nimg des Agni; der Aeviu, der Usas, der Angiras, der Aditya usw. als Kinder des Dyaus deutlich hervor.

Jedenfalls würde für Zeus und Diespiter-Juppiter die An- nahme selbständigen Ui'sprunges eine grosse UnwahrscheinKchkeit in sich schhesseu, denn gr. Zei'g wii'd garnicht mehr appellativ verwendet, und lat. dies bedeutet nicht mehr "Himmel", sondern nm' 'Tag' ^). Wir haben auch gar keine Ursache, einen historischen Zusammenhang zwischen Zeus, Juppiter, Dyaus zu leugnen, avo- fern wir den Zusammenhang nur richtig auffassen. Es folgt allerdings nicht aus dieser Gleichung, dass ein Bümmelsgott DJciis einst allen idg. Völkern gemeinsam war, ja es folgt daraus nicht einmal die Existenz eines gemeingriechischen Zeus oder gemeinitahschen Juppiter; denn wde im Kapitel XII gezeigt werden wird, giebt es auch sonst Uebereinstimmungen zwischen verschiedenen Einzel- sprachen, welche in einer dei-selben dialektisch beschränkt auf- treten. Wir dürfen vielmehr nur annehmen, dass sich in einer praehistorischen Epoche der Kult des Bümmelsgottes Djeus über einen Kreis von Stämmen verbreitet hat, welche später teils in der griechischen , teils in der itahschen und indischen Nation aufgegangen sind. Dieser Vorgang hat nichts Unglaubhches oder Befremdendes, im Gegenteil auffällig wäre es, wenn unter Völkern, welche in engem Sprach- und Kultm-verkehr mit einander gestanden haben, rehgiöse Beziehungen gänzlich gefehlt hätten.

Ein sicheres Zeugnis für solche Beziehungen ist das gemein- indogermanische Wort für Gott deivos = altlat. deivos^ gall. devos (in Devognata), altnord. tivar, ht. d'evas, skr. devd-s. Es ist, wie sein Vokalismus lehrt, schon in sehr alter Zeit, d. h. vor der Pe- riode der gemeinidg. Vokalreduktionen , von djtus 'HimmeF ab- geleitet: wie ein jüngeres Derivat aussehen würde, zeigt skr. divyä-, gr. dlog aus *öi/jog. Auch hier schiesst die Kritik von Gruppe (Die griech. Kulte u. M}-then I 120. Bursian-Müllers Jahresberichte 1894, III S. 62) übers Ziel liinaus, wenn er be- hauptet, in jeder Einzelsprache habe sich der Bedeutungsübergang von 'himmlisch' zu 'Gott' selbständig vollzogen, das Wort deivos sei ja durch seine Bedeutung hierzu praedestinirt gewesen. Der Begriff *Gott' hätte noch aufunzähhge andere Arten ausgedrückt werden

1) Hom. dii:zezi^g bedeutet nicht „vom Himmel strömend" , sondern •Jovis iussu et opera decurrens' (Schultze Quaest. ep. 238). Im Lat. zeigt nur noch das abgeleitete dium (sab d'w unter freiem Himmel) die Be- deutung 'Himmel'.

Wortgleichungen religiösen Inhalts. 81

können und hat thatsächlich noch andere Bezeichnungen gefunden : man denke an gr. d^eog (zu lit. ehäse Atem, Geist), daiiucDV, lat. numen, asl. hoyü, skr. äsiira-. Es wäre also ein merkwürdiger Zufall, wenn so viele Völker unabhängig von einander dasselbe Wort für den Begriff 'Gott' verwendet hätten.

Auch zwischen asl. hogu und altpers. haga, avest. baya- •Gott' = skr. bhciga- Segenspender (Epitheton des Savitar und eines anderen Äditya) besteht gewiss ein geschichtlicher Zu- sammenhang, zumal dieselben Nachbarvölker noch ein anderes "Wort sakraler Bedeutung teilen: avest. spenta, Ht. szventas, asl. sv^tu 'heilig', womit man weiter noch got. /??<»?/ 'Opfer' als 'heilige Handlung' verbunden hat. Im Ganzen ist allerdings die Zahl solcher über mehrere Idiome verbreiteten religiösen Ausdrücke verhältnismässig spärhch. wenn man die nicht beweiskräftigen wie skr. ydjämi, griech. a^o{.tat, und die indisch-iranischen Gleichungen bei Seite lässt. Ueber die Benennung des Priesters, welche den Indern (skr. brahnidn-) mit den Römern (fiämen) gemeinsam ist, s. S. 127 Lat. vidima 'Opfertier' gehört zu got. veihs heihg, veihan weihen (Osthoff, Idg. Foi"sch. VI 39), gr. \eo6g 'heilig' vielleicht zu umbr. esunu volsc. esaristrom Opfer (Schulze Qu. ep. 210). Die Kelten teilen mit den Germanen das Wort für Heihgtum. gall. retnjror, air. nemed : altsächs. iiimid 'heiliger Hain'.

Von Xamengleichungen verdient ausser Djeits nur noch eine erwähnt zu werden: altlit. Ferkünas der Donnergott (neulit. per- hünijja Gewitter, altpreuss. percimis Donner), den Jacob Grimm mit dem skandinavischen Fjnrgynn zusammengestellt hat. Hirt (Idg. Forsch. I 480) hat den Namen von einem Stamm perqu- 'Eiche' = lat. quercus (got. fairguni Gebirge, eig. Eichwald) ^) abgeleitet und als (fr^ycovcnog 'Eichengott* (vgl. auch phryg. Bayalog von *bägä, gr. cfäyog) gedeutet mit Hinweis auf die Hei- ligung des Perkunas in der Eiche. Leider ist der nordische Gott Fjnrgynn , dem eine Göttin Fjnrggn zur Seite steht wie Freyja dem Freyr , seinem Wesen nach etwas rätselhaft. Dass er ein Donner- oder Eichengott war, verlautet nirgends. In der Vo- luspä 58 und im Härbanlslicxt 56 heisst Jiörr ein Sohn der FJQvgyn. In der Lokasenna 26 wird Frigg von Loki als Fjorgyns

1) Diese Erklärung von fairguni ist jedenfalls der Wiederaann'schen (Idg. Forsch. I 436) von asl. pragti 'Schwelle* vorzuziehen. Kelt. Hereynia aus *Perkunia beruht wohl auf Entlehnung aus dem Germanischen vor der Lautverschiebung.

Kretschmcr, Einleit. in d. Gesch. d. gr. Sprache. 6

82 m. Die ältesten Kulturzustände der Indo^ermanen.

7)icer bezeichnet, was Mogk (Grundriss d. germ. Phil. I 1104) als Gattin, nicht als Tochter des Fjorgynn aufiassen möchte. Da nun sonst Ji^rd , die Erde, als Mutter |)örr's genannt wird, so haben sie schon die Skalden, die solche Identiticationen liebten, mit der Fjr^rgyn gleichgesetzt, in dem Oddrünargrätr 10 steht fJQrgyn geradezu für 'Erde, Land' ^). Da ferner als Vater |)ürr"s sonst gewöhnhch Odin ei-scheint, so könnte Fjorgyriu ein diesem verwandter Gott oder gar nur ein alter Beiname des Oüin ge- wesen sein. Für das Wesen des Gottes ergiebt sich, wie man sieht, aus diesen Stellen sehr wenig oder eigentlich garnichts. Religionsgeschichtlich lässt sich also die Gleichung Perhünas : Fjgrgijnn nicht weiter stützen, sie hat nur die völlige Identität der sprachlichen Form für sich und ist begrifflich bei der Deu- tung als (frjon'alog nicht unwahrscheinlich. Mit Perkihias hat Pedersen (Bezz. Beitr. XX 231) weiter alban. persndi 'Himmel, Gott, Kaiser' verbunden und den slavischen Donnergott Perunü auf Entlehnung aus dem Illjrischen zurückgeführt. Sind diese Kombinationen richtig, so handelt es sich auch hier um Aus- breitung eines Kultes in praehistorischer Zeit (vor der germ. Laut- verschiebung^ unter einer Gruppe benachbarter Völker. Dass auch der Name des vedischen Gewittergottes Parjäni/a- zu Per- h'mas gehört, ist wegen der unvollständigen lautlichen Ueberein- stimmung und bei dem Fehlen sonstiger Argumente höchst zweifelhaft.

Was sonst an Vergleichungen von Götternamen beigebracht worden ist 2), ist entweder aus sprachlichen Gründen unhaltbar oder aus sachlichen ohne Beweiskraft. Die indische U^as und die griechische ^Hwg sind zwar dem Namen nach identisch, aber in beiden Sprachen ist das Wort noch als Appellati vum für die Naturerscheinung lebendig, und bei beiden Völkern hat sich die Per- sonifikation der Morgenröte nicht zu einer vollen Gottheit entwickelt. Usas ist zwar Gegenstand vieler vedischer Hymnen, in denen sie um Reichtum gebeten wird, aber es werden ihr keine Opfer dar- gebracht, sie tritt im Kultus völlig zurück (Oldenberg, Religion des Veda S. 237). Es scheint, dass die vedischen Dichter sie

1) Man hat deah&lh Fj'frgi/n für eine Erdgöttin erklärt, andere wegen got. fairgiini 'Gebirge' für eine Gottheit des Gebirges. Ist aber ihr Ge- mahl mit l'erkünas identisch , so ist sie nur eine „Frau Fjorgynn" , die neben dem (iott steht wie die indische Indvävi nc'l)en Indru.

2) lieber Hestia-Vesta und /^dv-, lat. /ä/iu« wird in Kap. VI gehandelt.

Spontane Analogien auf religiösem Gebiet. 83

nur wegen ihrer anziehenden PersönUchkeit so bevorzugt haben, welche sie mit allen Reizen einer koketten Schönen auszustatten lieben. Noch ausschhesslicher ist Eos eine Gestalt der Poesie; sie lebt fast nur im Volksmärchen als ein jugendschönes, geflügeltes Mädchen, das schönen Jünglingen wie dem Kleitos. dem Tithonos,. dem Kephalos nachstellt und sie entführt, um mit ihnen der Liebe zu pflegen. Ein eigentlicher Kult der Eos ist nirgends nachweisbar, nur dass ihr in Athen neben dem Helios und der Selene vr^cfu/ua dargebracht wurden. Es ist klar, dass solche Schöpfungen der dichterischen Phantasie bei jedem Volk selb- ständig entstehen konnten und an gleichaiüge Gestalten sich naturgemäss auch ähnhche Vorstellungen knüpfen mussten, wie der Zug der Verliebtheit und Buhlsucht, der der indischen i) wie der griechischen Göttin der Morgenröte eignet. Die nur von ßeda bezeugte angelsächsische Eostre, welche man auch in dem Namen des Ostermonats (ahd. ösfara angls. eäster) zu suchen pflegt, ist überhaupt keine Göttin der Morgenröte, sondern vennutlich eine Früh- lingsgottheit. Ihv^axae Eostre, Grundform *rtM^-;77, deckt sich mit ar^iög aiol. vcog aus '^aus-ös nur in der "Wurzel, welche nach Aus- weis der sabinischen ^useli, der Diener des Sonnengottes (Paul. Diac. p. 23 M.). nicht speziell die Morgenröte, sondern überhaupt den leuchtenden Glanz der Sonne bezeichnete. Ein hiervon mit r-Suffix abgeleitetes Adjektiv bedeutete also ..die leuchtende, strahlende'-', ein sehr passender Name für die Frühlingsgöttin.

Wie Eos-Usas ist das Verhältnis des indischen Snrya- und des griechischen *"H/,Aog zu beurteilen, wiewohl wir es hier we- nigstens auf griechischer Seite mit einem wirklichen Gott zu thun haben: diese Fälle gehören eigentlich schon in die Kate- gorie der sogleich zur Sprache kommenden sachlichen Ueber- einstimmungen auf sakralem Gebiet. Wo nur die wurzelhaften Elemente sich decken, wie in dem Namen der Erdgöttin, griech. XöHtrjj, Beinamen der Demeter in EHs, phryg. -Eus'/.a, lit. Ze-

1) S. Pischel Yed. Stud. I 30 f. 196. XXV, der in Usas das Urbild der Hetären sieht. Man vergleiche ferner das homerische Bild, wie Eos sich vom Lager des Tithonos erhebt, um Göttern und Menschen Licht zu bringen , mit dem vedischen Vers , KV VII 9, 1 : ähodhi järd XJsdsUm iipdsthäd dhötä mundräh kavitamah pävakäh dddhäti kett'im uhhäyasya jantör usw. „es erwachte der Buhle [Agni als Sonne ge- dacht] aus dem Schoosse der Tsas [Plur.], der freundliche Opferer. der weiseste, der flammende bringt Licht beiden Geschlechtern [dem Götter- und dem Menschengeschlecht].

6*

84 ni. Die ältesten Kultarzastände der Indogermanen.

myna, ist vollends an einen historisclien Zusammenhang nicht zu denken.

Das von Kuhn eingeschlagene Yertahren liefert, wie man sieht, mit Voi-sicht gehandhabt, zwar nur sehr dürftige, aber dafür ein paar verhältnismässig sichere Eesultate. Scheinbar reicher, aber in Wirklichkeit vöUig tiügerisch sind die Ergebnisse, wenn wir die Vergleichung auf das weite Feld der sachlichen Üeber- einstimmungen ausdehnen. Von vornherein verfehlt ist es natür- lich, wenn man, wie dies mit Vorhebe von Seiten der vergleichen- den Mythologie geschehen ist, Göttergestalten mit einander in Parallele bringt, welche das Produkt einer langen geschichthchen Entwicklung sind und demgemäss einen ausgeprägt nationalen Charakter haben. Einen Apollon wird mau bei Germanen und Indem, einen Wodan bei Hellenen und Italikern immer vergebens suchen. "Wohl aber lassen sich die Elemente der Rehgionen verschiedener idg. Völker, die einzelnen Vorstellungen, welche sich an die götthchen oder mythischen Gestalten knüpfen, die sakralen Gebräuche, die Sagen- und Märchenmotive mit einander ver- gleichen. Hier strömen jedem, der danach sucht, Analogien in reichster Fülle zu.

So ist die schon erwähnte Voi-stellung von einem Himmels- gott und einer Erdgöttin, welche zusammen ein Paar bilden und sich im Frühling mit einander vermählen, w^eit verbreitet bei den indoger- manischen Völkern. Ein Sonnengott ist bei Indem, Persern, Thrakern, Hellenen, Itahkern (Paul. Diac. p. 23 M. s. v. AureHam). Germanen nachweisbar. An das Herdfeuer als die Quelle und das Sinnbild aller menschhchen Kultur knüpfte sich namentlich bei den ostindoger- manischen Stämmen, bei Indern, Pei-sern. Skythen und Hellenen ein religiöser Dienst. Sehr viel verwandte Züge zeigen bei den verschiedenen Nationen die Anschauungen vom Jenseits und den Seelen und der darauf beruhende Totenkult. Das ganze Gebiet der sogen, niederen ^Mythologie, die Vorstellungen von Elementar- wesen, welche die Xatur bevölkern, die in Wald und Flur, in Quelle und See hausen oder im Sturmwind einherfahren, weist äusserst zahlreiche Parallelen auf. In der Anschauung von einem göttlichen Träger des Himmelsgewölbes gehen die peloponnesischen Griechen mit den Germanen zusammen : bei jenen ist es ein Bergriese, der'1/r/.a;,- d. h. der „Träger", welcher entweder selbst das Himmelszelt stützt oder nur die Himmelssäulen bewacht, bei den Germanen ist es Gott Irmin oder sein Symbol, die nach

Spontane Analogien in Kulten und Mythen. 85

Osten gerichtete Säule, die columna universalis quasi siistinens omnia i). In der Vorstellung von der Himmelsspeise oder -dem himmlischen Trank, der UnsterbHchkeit verleiht, berühren sich Inder, Pei-ser. Hellenen und Germanen, in der Idee eines Götter- berges nur Inder und Hellenen.

Die mythischen Erzählungen verschiedener idg. Völker zeigen dieselbe Vorliebe für gewisse Gestalten und ]\Iotive. welche teil- weise auf einer tieferen religiösen Grundlage ruhen. Der Helden- jüngling, der in der Blüte seiner Jugend, gewöhnlich nach Voll- bringung wunderbarer Thaten, den Tod erleidet, kehrt bei griechi- schen und germanischen Stämmen in verschiedenen Gestalten wieder (Achilleus, Narkissos. Hjakinthos Baldr, Sigfrid). Sogar das Motiv der Unverwundbarkeit des ganzen Körpers mit Ausnahme einer einzigen Stelle, wo denn der Held die Todes- wunde empfängt, wiederholt sich bei beiden Nationen. Die Sage von dem Helden, der häutig mit wunderbaren Kräften ausge- stattet C^iiöov y.wY. Tarnkappe) eine Jungfi-au aus der Ge- walt eines Ungeheuers oder unter sonstigen Gefahren befreit, ist ■denselben Völkern gemein (Pei^seus und Andromeda, Herakles und Hesione Sigfrid und Brunhild '^). Noch überraschender ist die

1) lieber Atlas und Tantalos M. Mayer Giganten u. Titanen 87, T. Wilamowitz Eurip. Herakl. 11"^ 96, über die Irminsäulen MüllenhofF Schmidt's Z. f. Geschichtsw. VIII. Hoffory Eddastudien 147. Die von Adlern gekrönten, nach Osten schauenden Säulen im Heiligtum des Irmin (Müllenhoff a. a. 0.) erinnern an die ebenso beschaffenen Säulen vor dem Altar des Zeus Lykaios (Pausan. VIII 38. 7).

2) Sie ist bekanntlich zu einem der beliebtesten Märchenmotive geworden. Vgl. Rohde, Psyche S. 180. Auch im Einzelneu zeigen unsere Märchen zu- weilen überraschende Berührungen mit dem Perseusmythus , die, wie mir scheint, eher dem Zufall als dem Einfluss der antiken Sage zugeschrieben ■werden dürfen. Ich weise besonders auf das Märchen von den beiden Pflege- brüdern in der schwedischen Fassung bei Cavallius und Stephens, Schwedi- sche Volkssagen u. Märchen (deutsch von Oberleitner, Wien 1848) S. 78 hin. Ein König schliesst seine Tochter in einem einsamen Turm ein, um sie vor Umgang mit Männern zu wahren. Sie wird dennoch auf wunderbare Weise (durch Genuss eines Apfels) schwanger. Der Sohn, den sie geboren hat, zieht auf Abenteuer aus und errettet eine Prinzessin aus der Gewalt eines Meertrolls , dem sie zur Ehe gegeben werden sollte. Der Held erringt sich damit zugleich die Braut, die ihm ein Höfling vergebens streitig machen will. Ich habe nur die mit der Perseussage übereinstimmenden Züge herausgehoben ; im Uebrigen weicht das Märchen von dieser er- heblich ab.

86 m. Die ältesten Kulturzustände der Indog^ermanen.

Aehnlichkeit zwischen der Odysseus- und der Orendelsage: hier wie dort ein Held, der nach langer Irrfahrt auf dem Meere in die Heimat zu seiner von ruchlosen Freiern umworbenen Gemahlin, unerkannt und in Bettlerkleidung, zurückkehrt, die Freier er- schlägt und sich mit der Gattin von neuem vereinigt. Noch ein anderes Motiv des Odysseusmy thus , das Thema der Telegonie, hat sein Gegenstück im Germanischen in der Erzählung von Hildebrand und Hadubrand.

Solche Analogien sind schon unzählige aufgezeigt worden und sie lassen sich ohne Ende vermehren. Aber was beweisen sie ? Müssen alle diese parallelen Ideen notwendig gemeinsamen Ursprungs sein, er- erbt aus indogermanischer Urzeit ? Die vergleichende Mythologie hat so geschlossen, sie hat auf der Grundlage jener Uebereinstim- mungen das Gebäude einer indogermanischen Religions- und Sagen- geschichte errichten wollen. Aber wer den Blick über den engen Kreis der idg. Völker erhob, musste bald gewahr werden, dass die religiösen und mythischen Analogien nicht auf die sprach- verwandten Nationen beschränkt sind. Während in der Sprache Indogermanen und Nichtindogermanen aufs schärfste sich scheiden, giebt es für Mythenvergleichung keine ethnischen Grenzen, wir finden Parallelen zu rehgiösen Vorstellungen der Griechen oder Germanen auch in Sibirien oder am Kongo. Ja, zwischen nicht sprachverwandten Völkern bestehen zuweilen die schlagendsten Analogien. So berührt sich die Gestalt des Herakles, wie Wila- mowitz (Eurip. Herakl. I* 26) hervorgehoben hat, mit dem semi- tischen Izdubar-Nirarod enger als mit irgend einem Gott oder Heros indogermanischer Völker. Daraus ergiebt sich , dass die rehgiösen Uebereinstimmungen eine wesentlich andere Beurteilung fordern wie die sprachlichen: sie können unmöglich alle auf ge- meinsamem Ureprung beruhen, sie erklären sich vielmehr zum grössten Teil aus der Gleichartigkeit der religiösen Anlagen, der übereinstimmenden Richtung des mythischen Denkens bei allen Völkern der Erde.

Wie aber die Ethnologie die Folgerungen der vergleichenden Mythologie umgestossen hat, so hat sie auch wiederum gezeigt, nach welclier anderen Seite die Vergleichung auf rehgionsgeschicht- lichem Gebiet fruchtbar und wertvoll werden kann, wofern sie mit einer allerdings manchen modernen Ethnologen fremden Mässigung und Kritik vorgenommen wird. Wo die Ueber- lieferung rehgiöser Voi-stellungen oder sakraler Gebräuche eine

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Spontane Analogien auf sakralem Gebiet. 87

fragmentarische ist, wo die Reste uralten Glaubens unverstanden in eine spätere Zeit hineinragen, kann uns die Analogie eine zu- verlässige Führerin werden und das Verständnis sonst dunkler Ideen und Riten erschliessen. In dieser Weise gehandhabt ist die „Mythenvergleichung" nicht anzufechten und wird sie von neueren Religionshistorikern mit Glück und immer häufiger ver- wendet. Es sei mir gestattet, hier einen neuen Beleg dafür an- zuführen, wie die Analogie die Beurteilung eines sonst schwer verständlichen sakralen Brauches erleichtern kann.

Die Priester des dodonäischen Zeus, die Seiler, heissen in der Ilias II 234 i7roq7]Tcci aviitroTtoöec. yauccLEviai. Man hat in den „ungewaschenen Füssen" und dem ..Lager auf dem Erd- boden" Zeichen einer niedrigen Kulturstufe sehen wollen i), welche in dem Dienste des uralten Gottes festgehalten wurde. Nun Hesse sich wohl denken; dass eine gewisse Einfachheit der Lebensweise, nicht aber dass der pure Schmutz der Unkultur im Kult eines Gottes konservirt worden sei. Auch die Auffassung scheint mir ausge- schlossen, welche schon Strabon ausspricht, dass die Seiler durch jene Epitheta als Barbaren gekennzeichnet werden sollten. Im Munde des Achill, der den Gott im Gebet anruft, müsste die Be- zeichnung seiner Priester als avuvvÖTtoÖEg für eine Blasphemie gelten, wenn diesem Beiwort nicht eine sakrale Bedeutung zu- käme. Das Femininum von yauaievvr^g. ya(.iaiEvvddeg ^ wird in der Odyssee (x 243. i' 15) von den Säuen gebraucht: also die Tiere Hegen auf dem blossen Erdboden, der Mensch ruht auf er- höhter Lagerstatt, und wenn er darauf verzichtet und sich auf dem Boden lagert, so ist das eine Art Askese, w-elche derjenige auf sich nimmt, der mit der Gottheit in Verkehr treten darf Wo es sich um Rituelles handelt, fragen wir in Indien selten ver- gebens um Rat. Hier ist das Schlafen auf dem Boden eine häufige rituelle Vorschrift, die mit Fasten, Beobachtung der Keuschheit und ähnlichen Kasteiungen verbunden auftritt , wenn gewisse heihge Handlungen vollzogen werden sollen. Vgl. Hille- brandt, Neu- und VoHmondsopfer S. 3 ff. Oldenberg, ReHgion des Yeda 411 f. Wer das Qaballhoma - Opfer darbringen will, muss zwölf Nächte auf blosser Erde schlafen, sich von süsser Müch nähren, Keuschheit beobachten usw. Wer das Neu- und

1) Strabon III 164 bezeichnet das ;^a,a£i'j'£r>' als iberische und kel- tische Sitte.

88 III. Die ältesten Kulturzustände der Indog:ermanen.

Yollmondsopfer vollzieht, muss unter anderen Kasteiungen die Nacht vorher mit seiner Frau am Boden schlafen. Dem Brah- manenschüler wird Yenneidung hoher Lagerstätte vorgeschrieben. Das junge Ehepaar muss die ei-sten drei Nächte nach der Hoch- zeit unter Vermeidung geschlechtlichen Umganges am Boden schlafen. Auch das Verbot der Fusswaschung verbunden mit dem des Badens überhaupt, des Kämmens und Zähneputzens findet sich in Indien schon in vedischer Zeit als rituelle Vor- schrift. Für die sakrale Aniptopodie giebt es aber noch eine andere Parallele, diesmal bei einem nichtindogermanischen Volk. Eine wenig beachtete Weihinschrift aus Tralles, BCH. VII 276, ist gesetzt von einer A. Avqr^Ua Aiitikice e/. yTQoyövcov TtaÜ.a- y.iöcjv y.ai aviTtzoTtoöiov .... TcaXka./.EVGaoa y.ai yaza yqr^ouöv. Ich werde auf die Inschrift unten (Kap. X) in einem anderen Zusammenhange noch einzugehen haben. Hier sei nur soviel bemerkt, dass die aviTtxÖTTodt^ jedenfalls als eine reli- giöse Institution anzusehen smd. Was der Zweck dieser aske- tischen Gebräuche ist, kann zweifelhaft erscheinen : eine Erklärung der indischen Riten hat Oldenberg S. 417. 424 versucht. Schliess- lich wurden sie w^ohl nur als Kasteiungen aufgefasst. welche den- jenigen, der sich ihnen unterzog, auf die zu vollziehende heilige Handlung vorbereiteten und vor anderen auszeichneten. AVenn späterem griechischen Kultwesen solche Gebräuche fremd waren, so haben wir es eben in dem Dienste des Zeus von Dodona mit einer altertümlichen Institution zu thun, welche auf jeden Fall singulär bleibt, wie man sie auch erklären mag.

Wenn nun aber die Uebereinstimraung in religiösen und mythischen Voi-stellungen an sich kein Kriterium für ihren ge- meinsamen Ursprung sein muss, so kann man doch die Frage auf werfen, ob sie es nicht in gewissen Fällen sein kann, näm- lich in solchen Fällen, in welchen die eigentümliche Natur der Vorstellung es unwahrscheinHch macht, dass sie an vei-schiedenen Orten selbständig entstanden sei. Hierher mag man die Ver- ehrung eines göttlichen Brüderpaares rechnen, der wir bei Indern, Griechen, Germanen und Kelten begegnen. Bei den erstgenannten Völkerschaften erscheint dieses Götterpaar in Verbindung mit einer weiblichen Gestalt. Die indischen Ägvins sind die Freier und Gatten der Silri/ä, der Tochter der Sonne, welche den Wagen der Arvins besteigt und sie sich zu Gatten erwählt. Bei den Griechen dagegen ist das Verhältnis entweder ein schwesterliches

Verbreitung von Kulten. öj?

(Dioskuren und Helena) oder ein mütterliches (die Söhne der Antiope in Boiotien), und die göttlichen Brüder ei'scheinen hier der Frau als Helfer in Bedrängnis. Die Uebereinstimmung ist also nur halb, immerhin ist aber die Idee eines hilfreichen Götter- paares schon allein eigentümlich genug, um ihre selbständige Entstehung bei vier vei'schiedenen indogermanischen Völkern zweifelhaft erscheinen zu lassen. Auch Wilamowitz (Eurip. Herakl. II ^ 14) wagt die Acvins von den Zeussöhnen der Hellenen nicht zu trennen. , Ist aber ein geschichthcher Zusammenhang anzunehmen, so könnte er doch nur als eine praehistoiische Ent- lehnung gedacht werden, und solche Wanderungen von Kulten und Sagen brauchten sich nicht auf das indogermanische Gebiet zu beschränken, sie konnten auch über die Sprachgrenze hinweg- gi-eifeu 1).

Es wird immer schwer halten objektiv zu entscheiden, ob eine Uebereinstimmung in religiösen Ideen unbedingt auf Ent- lehnung beruhen rauss oder nicht. Aber geben wir selbst für einen Teil der analogen Elemente in den Kulten und Sagen der indogermanischen Völker die Möglichkeit zu, dass sie gemein-

1) Ein Beispiel hierfür ist die Verbreitung der Sintflutsage. Nach der eingehenden Untersuchung von Ed. Suess, Das Antlitz der Erde I (18S5>, S. 25 fi'., ist die orientalische Sintflutsage ursprünglich am unteren Euphrat lokalisirt. Das Naturereignis, das der Sage zu Grunde liegt, war, wie Suess aus der genauen Schilderung in dem babylonischen Jzdubar- Epos und aus dem Bericht der Genesis schliesst, keine allein durch atmo- spärische Niederschläge veranlasste Uebersehwemmung, sondern ein durch Erdbeben veranlasstes Ueberfluten des Wassers des persischen Meerbusens über das untere Thal des Euphrat und Tigris. ,,Die Euphratmündungen bieten alle für ein solches Ereignis notwendigen Vorbedingungen, und die Verlegung desselben an irgend eine andere Flussmündung würde dasselbe aus dem Gebiete der heutigen Traditionen (?) entfernen.'' Die hebräische Fassung ist nach Suess nur die binnenländische Form der babylonischen Sage, aufweiche auch die indische Sintflutsage zurückgeht. Ob die Deukalionsage durch die babylonische Sage beeinflnsst ist, erscheint zweifelhaft. ,,Die hellenischen Gestade sind im Altertum wie in neuerer Zeit häufig von seismisch erregten Fluten überspült worden." Auf solche Ereignisse können sich die Traditionen von den Fluten des Ogyges, Deukalion u. a. beziehen. Höchstens die Rettung des Deukalion im Kasten könnte aus der semitischen Sage entlehnt sein. Selbständig ent- standene Flutsagen finden sich auch bei Völkern der Südsee; die ameri- kanischen sind zum Teil durch die von den Missionären verbreitete biblische Erzählung beeinflusst.

90 III. Die ältesten Kulturzustände der Indogermanen.

Samen Ursprungs sind, so folgt doch daraus noch nicht die Exis- tenz eines gemeinindogermanischen Götterglaubens. Denn es ist unstatthaft, selbst weit verbreitete Uebereinstimmungen gleich zu allgemein indogermanischen zu stempeln. Ed. Meyer hat sich be- müht (Gesch. d. Altert. II 45 47), ans den Konstruktionen der vergleichenden Mythologie, denen er, wie schon bemerkt, durch- aus nicht gläubig gegenübersteht, das Sicherste herauszuschälen^ aber selbst dieses wenige hält bei genauerer Prüfung nicht Stich. Er erklärt für die drei Hauptgottheiten der Indogermanen das Paar 'Vater Himmel" und 'Mutter Erde" und die Gottheit des Herdfeuers.

Dass die Voi'stellung von jenem göttlichen Paar und ihrem Ugog ydf.toc weit verbreitet bei den idg. Völkern ist. wurde bereits oben hervorgehoben, und dass sie uralt ist, kann man ohne weiteres zugeben. Aber dennoch wäre es vorschnell, sie für eine gemeinindogermanische auszugeben und dadurch jeden Religions- historiker zu verpflichten, diese Erkenntnis als grundlegend für die Religionsgeschichte der Einzelvölker anzusehen. Der dyäus pita und die prthivl' mata spielen in der vedischen Religion nur eine ganz untergeordnete Rolle, sie machen fast den Eindruck bloss poetischer Personifikationen. Es ist eine petitio principii zu behaupten, dass dieses Götterpaar einst im indischen Glauben eine grössere Bedeutung besessen habe und ei"st durch jüngere Göttergestalten wie Indra und Varuna in den Hintergrund ge- drängt worden sei. In der germanischen Religion ist der Ge- danke eines Bundes des Himmelsgottes und der Erdgöttin keines- wegs sehr deutlich erkennbar, sondern höchstens auf dem Wege der Kombination zu erschliessen : ich bezweifle jedoch, dass er gemein germanisch war, denn diejenige germanische Göttin, deren Charakter als Erdgottheit am sichei^sten verbürgt ist, die im nördlichen Deutschland verehrte Nerthus (id est Terra mater, Tacit. Germ. 40), hat keinen Himmelsgott als Gemahl zur Seite, und die Taciteische Schilderung ihres Festes zeigt deutlich, dass man dabei nicht an eine Vermählung von Himmel und Erde dachte, sondern die nahrungspendende Erdgöttin allein durch festlichen Umzug feierte. Sicher bezeugt ist das Götterpaar für die Skythen (Herodot IV 59: Jlct te /.itt rrjr, rofji- ^ovreg xyv Frjr toi- liog eirai '/rva7-/.a) , zu erechliessen für die Thraker, s. Kap. VII. Bei den Hellenen ist zwar die- selbe Vorstellung nicht bloss der theologischen Spekulation, welche

Keine Einheitlichkeit der Religion. 91

üranos und Gaia zu einem Paare machte, sondern auch dem Volksglauben vertraut, denn der hgög yauoc. von Zeus und Hera, der im argivischen, samischeu, plataeischen und kretischen Kult festlich begangen wurde, ist gewiss als die Vermählung von Himmel und Erde aufzufassen, wennschon Hera wohl von jeher mehr als die rein elementare Potenz der Erde bedeutet hat. Aber Hera gilt nicht bei allen hellenischen Stämmen für die Gemahhn des Zeus, sie ist überhaupt keine gemeingriechische Göttin. Ihr Kult scheint von x\rgos ausgegangen zu sein und hat z. B. in Athen, wie Robert (bei Preller Griech. Myth. I* 161. 162) immer betont hat, nie recht Wurzel gefasst. Wenn sie in der Kunst und Poesie überall für die Königin der Götter gilt, so beruht dies natürlich hauptsächlich auf Einfluss des Epos. Da aber, wo wir die älteste Stätte des Zeusdienstes zu suchen ge- wohnt sind, in Dodona, ist nicht Hera, sondern Dione die Ge- mahlin des höchsten Gottes. Dione ist, wie ihr Name lehrt, nichts weiter als eine 'Frau Zeus' : Jiß-wvä ist von der schwachen Stammform von Zti-c, JlF-, ähnlich abgeleitet wie ^A/.qioiojvr^, die Tochter des A., von ^Ay.qigioq. Auch das Epitheton vdia hat sie von Zehe, i'cuog erhalten, sie stellt eben nur dessen w-eib- hches Korrelat dar. Genau so haben die Inder ihrem ludra eine Jndränl, dem Budra eine Rudränl, dem Varuna eine VarunänT, dem Agni eine Aynäyl an die Seite gestellt. Etwas anders, aber doch ähnlich scheint das Verhältnis der nordischen Freyja zu Freyr zu beurteilen. Also die Voi-stellung von dem Vater Himmel und der Mutter Erde ergiebt sich nicht einmal als gemeingriecliisch, geschweige denn als gemeinindogermanisch. und wenden wir uns weiter nach Italien, so sehen w'ii' auch hier dem Himmelsgott nicht die 'Erde* gesellt, sondern eine weibliche Gottheit, welche, -svie wieder ihr Name, Juno, zeigt, in erster Linie nur die Aufgabe hat, die Gemahlin des Juppiter zu sein. Denn wie jeder HausheiT, muss auch der Herr des Himmels, der König der Götter eine Gattin, eine Königin zur Seite haben.

Noch weniger als das Paar Himmelsgott und Erdgöttin ver- mag ich mit Ed. Meyer das Herdfeuer als eine gemeinindo- germanische Gottheit anzuerkennen. Schon die Thatsache, dass sie bei den Indern als männlich, bei den Hellenen und Skythen (Herodot IV 59) als weibhch gedacht ist, muss davon abhalten. Agni ist ein durch und durch indischer Gott, eine Schöpfung der Brahmanen, die bei keinem der verwandten Völker eine Parallele

92 III. Die ältesten Kulturzustände der Indogrermanen.

hat. Die vedische Religion legt immer den Hauptnachdruck auf seine Bedeutung als das Opferfeuer, das die Gaben der Menschen den Göttern zuträgt und sie einladet, sich den Opfernden gnädig zu nahen Vorstellungen, die dem hellenischen Hestiakuit voll- ständig fern liegen. Geraeinsam ist Indern. Iraniern, Griechen nur die Verehrung des Feuei's als einer wohlthätigen Macht über- haupt, als Mittelpunkt des Hauses und der Famihe auf diesen Gedanken konnte aber auch jede Nation selbständig kommen ; jeden- falls ist er von jedem dieser Völker ganz selbständig weiter ent- wickelt worden. Hestia macht. Avie Agni, keineswegs den Eindruck einer uralten Gottheit, ihr Kult war schwerlich von vornherein gemeingriechisch, wie er ja auch der Ihas und Odyssee noch fremd ist; ihn wegen der skythischen Tahiti bis in eine graue Vorzeit hinaufzurücken haben wir kein Recht. Den Germanen Tollends fehlt eine Gottheit des Herdfeuers ganz ; ihre Funktionen werden auf Island nebenbei von Jiörr versehen, dem hier das Feuer des Herdes geweiht ist, das wie das des delphischen Heilig- tums, der römischen Vesta nie verlöschen soll (vgl. Mogk im Grundriss d. germ. Philol. I 1099). Wegen der römischen Vesta und ihres Verhältnisses zur Hestia verweise ich auf Kap. VI.

Also auch auf dem Gebiete der Religion deutet alles darauf hin, dass die indogermanischen Völker in den uns er- reichbaren historischen und praehistorischen Epochen bereits er- heblich differenzirt waren. Dieser Schluss ist schon deshalb unvermeidlich, weil wir nicht einmal eine einheitliche urgnechische oder urgermanische Religion rekonstruiren können (s. darüber das letzte Kapitel) um wie viel weniger eine urindogermanische.

Das Urvölkchen, das nach Sprache, materieller Kultur, Religion und Sitten absolut einheitlich war, liegt, wenn es auch postulirt werden muss, doch für uns in nebelhafter Ferne. Wir erkennen nur eine Gruppe von Stämmen, welche, von dialek- tischen Unterschieden abgesehen, dieselbe Sprache redeten und wohl auch vieles in Kultur und Religion gemein hatten, aber doch auch schon ihrer Ausdehnung entsprechend mehr oder weniger stark differenzirt waren. Mit dem weiteren Verlauf iiirer sprachlichen Differenzirung beschäftigt sich das folgende Kapitel.

IV. Kapitel.

Die Verwandtschaftsverhältnisse der indogermanischen Sprachen.

Die Frage nach den Verwandtschaftsverhältnissen der indo- germanischen Sprachen datirt seit Schleicher: sein Versuch, die Geschichte dieser Sprachen bis auf die „Ursprache" zurückzu-' verfolgen, führte ihn notwendig auch auf das Problem, in welcher Weise die historischen Einzelsprachen aus dieser Ursprache her- vorgegangen zu denken sind. Indem er hierbei von den partiellen Uebereinstimmungen benachbarter Sprachen ausging, Avar sein Verfahren im Prinzip durchaus richtig, nur seine Deutung der sprachlichen Thatsachen war eine unhistorische. Die Ansicht, dass die Einzelsprachen durch progressive Spaltung der einheit- lichen Ursprache entstanden seien, derart dass diese sich zunächst in zwei Gruppen, eine nordindogermanische und eine südindo- germanische, spaltete, dann erstere wieder in eine slavisch-litauische und germanische, letztere in eine südeuropäische und eine arische und so fort bis zu den Einzelsprachen diese Anschauung,, welche sich die unendlich verwickelten Vorgänge der Geschichte unter dem geradlinigen Bilde eines Stammbaumes vorstellt, er- innert lebhaft an das primitive Verfahren der ältesten Geschichts- schreibung, die Geschicke der Völker in genealogischer Weise mit einander zu verknüpfen. Gewiss liegen diesen Vorstellungen sichere Thatsachen zu Grunde, aber die Deutung dieses That- bestandes ist eine verkehrte oder doch nur halbrichtige. Für eine ältere Periode der Sprachwissenschaft war eine so primitive Auf- fassung der sprachgeschichtlichen Vorgänge wohl verzeihlich :

94 IV. Die Verwandtschaftsverhältnisse der indogerm. Sprachen.

damals musste alles ei-st aus dem Groben gehauen werden. In dem Maasse aber, wie die Vertiefung in diese Probleme zunahm, musste man der Mangelhaftigkeit jener Theorie immer mehr ge- wahr werden, und wir dürfen behaupten, dass man heute, wo eine präzisere psychologische Auffassung der sprachlichen Er- scheinungen herrscht, auf keinen Fall mehr bei Schleichei^s Lehre stehen geblieben wäre.

x^ber im Jahre 1872, als Johannes Schmidt zuerst mit der Stammbaumtheorie öffentlich brach und sie durch die sogen. Wellentheorie ersetzte, fand seine Ansicht bei zahlreichen Mit- forscheni noch vielen und entschiedenen Widerspruch, und erst die Diskussion, die sich an seine Schrift über die Verwandtschafts- verhältnisse der idg. Sprachen knüpfte, hat einer richtigeren An- schauung in diesen Fragen Bahn gebrochen. J. Schmidt hielt an der Grundlage der Stammbaumtheorie fest, auch er ging von den partiellen Uebereinstimmungen benachbarter Einzelsprachen aus; aber indem er den Nachweis führte, dass immer zwischen je zwei Nachbarsprachen solche Uebereinstimmungen bestehen , dass also keine Einteilung der Einzelsprachen in Gruppen möglich sei, welche nicht die einen Uebereinstimmungen zu Gunsten der anderen ignorire, zeigte sich zum ersten Male, dass dem, was man mit einem übertragenen Ausdruck als sprachliches Verwandt- schaftsverhältnis zu bezeichnen pflegte, doch weit komplizirtere Vorgänge zu Grunde liegen, als die Stammbaumtheorie ahnen Hess. Was sich zunächst ergab, war freilich nicht der einzig mög- liche, aber doch der gewöhnliche, der normale Verlauf der Dialekt- entwicklung.

Die meisten Sprachneuerungen gehen von einem oder we- nigen Individuen aus und werden durch Nachahmung seitens anderer mit ersteren in sprachlichem Verkehr stehenden Indivi- duen so weit verbreitet, bis sie in irgendwelchen Grenzen des sprachhchen Verkehrs auch ihre Grenze tinden. Dass nicht nur formale, syntaktische, lexikalische, sondern auch die lautlichen Veränderungen in dieser Weise fortgepflanzt werden , dass also der eigentlich „organische" Lautwandel auf den kleinen Kreis von Personen beschränkt ist, von dem er ausgeht"), dies hat

1) Am deutlichsten erkennt man dies an den Lautveränderungen, welche auf einem Versprechen beruhen, wie kret. vffwvtji'a für »•fo//;/»Ya, aftidnvi für dntOiiog. aoroxd.To; für agTonöxog (Meringer. Versprechen u.

4

Die Wellentheorie. 95

Bremer kürzlich (Deutsche Phonetik Vorw. S. XIV) mit Recht hervorgehoben. Da nun weder die Ausgangspunkte der einzelnen Neuerungen immer dieselben sind noch auch die Grenzeji, welche ihre Ausbreitung findet, zusammenfallen, so decken sich ihre Verbreitungsgebiete nicht, sondern überschneiden sich mit ihren Grenzlinien vielfach. Diese wellenförmige Verbreitung i) teilen die sprachlichen Veränderungen im Grunde mit allen eth- nologischen Neuerungen : auch Sitten und Gebräuche, religiöse Vor- stellungen und Kulte u. dgl. pflegen von einem Ausgangspunkt aus weiter getragen zu werden und ihre Verbreitungsgrenzen sich zu durchkreuzen-). In dieser Beziehung ist die ,,Wellentheorie" durch die Beobachtungen auf anderen, besondei-s modernen Sprachgebieten immer von Neuem bestätigt, ja ihr sogar voraus- gegriffen worden. Schuchardt hat bekannthch schon mehrere Jahre vor J. Schmidt die Möglichkeit geleugnet, sich die Ver- zweigung der romanischen Sprachen nach Art eines Stammbaumes vorzustellen 3) , und der kleine Atlas, welchen Gillieron von den Lautverhältnissen der romanischen Dialekte im Kanton Wallis entworfen hat (Atlas phonetique du Valais, Paris 1880), lehrt auf einem beschränkten Gebiet dasselbe, was Wenkers Sprachatlas

Verlesen 171 ff.). Solche Sprechfehler sind doch nur individuell und oc- casionell; trotzdem erlangen die entstellten Formen unter Umständen das Bürgerrecht in der Sprache. Die Gründe für die Weiterverbreitung eines gelegentlichen Sprechfehlers sind verschiedene und lassen sich nicht immer leicht angeben. Bei Dissimilationen wie ^fisdijuvog, ÖQvq)ay.xog ist die be- quemere Sprechbarkeit der Hauptgrund. Bei Lehnwörtern, die besonders häufig Entstellungen unterliegen (z. B. mhd. kokodrille = lat. crocodilus, altruss. kotopami, mlat. catajianus = capitamis) befördert die mangelnde Kontrolle, in anderen Fällen die Volksetymologie die Verbreitung.

1) Man scheint in der Regel zu übersehen, dass das Bild, welches der Wellentheorie ihren Namen eingetragen hat, von deren Urheber (Ver- wandtschafts verh. d. idg. Sprachen S. 27) in etwas anderem Sinne gemaint war als es heute angewendet zu werden pflegt: er verglich mit der Welle nicht die Verbreitung einer sprachlichen Erscheinung, sondern das Ur- sprünglichkeitsverhältnis der idg. Sprachen, die um so weniger altertüm- lich erscheinen, je mehr sie sich von der ursprünglichsten, dem Sanskrit, entfernen, gerade wie die konzentrischen Ringe einer Welle mit ihrer Entfernung vom Mittelpunkt immer schwächer werden.

2j Denselben Gedanken spricht jetzt Meringer, Arch. f. slav. Phil. XVII 1895, 504, aus.

3) Schuchardt Vokal, d. Vulgärlat. III 32. Romania III 9 Anm. J. Schmidt Z. Gesell, d. idg. Vok. II 192.

96 IV. Die Verwandtschaftsverhältnisse der indogerm. Sprachen.

des Deutschen Reichs jetzt in grösstem Maasstab vor Augen führt.

Man würde indessen irren, wenn man das Problem der sprach- lichen Verwandtschaft durch diese Erkenntnis für erledigt hielte. Die Wellentheorie giebt nicht den einzig möglichen, sondern nur den normalen Verlauf der Dialektentwicklung an. Würden die Massen der sprechenden Individuen bewegungslos immer in demselben Zustand verharren, dann wäre die wellenförmige Aus- breitung der Sprachneuerungen allerdings der einzige Weg der Dialektentstehung. Aber in Wirklichkeit verschieben sich ethnische^ soziale, kommerzielle Zustände fast beständig, und jede derartige Störung der alten Verhältnisse bringt eine Komplikation der dialektischen Entwicklung mit sich. Wird z. B. der kontinuir- liche Sprachzusammenhang durch räumliche Abtrennung eines Volksteiles gewaltsam unterbrochen, etwa durch eine Auswande- rung, durch Aussendung einer Kolonie u. dgl. , so muss wirkhch damit zugleich eine Sprachspaltung im Sinne Schleichers sich einstellen. Solche Erwägungen haben Leskien (Deklin. im Slav.-Lit. u. Germ.. 1876) zu einer Kombination der Stammbaum- mit der Wellentheorie geführt. Zwischen dem Kyprischen und Arkadi- schen, dem Tarentinischen und Lakonischen, der Sprache der Galater und der gallischen , dem isländischen und dem norwegi- schen Dialekt besteht in der That ein Verwandtschaftsverhältnis, genau wie es Schleicher im Sinne hatte. Solche geographische Teilungen von Stämmen sind nun zwar keineswegs selten, sie dürfen aber immerhin als Ausnahmen und der kontinuirliche Sprachzusaramenhang als die Regel bezeichnet werden.

Diese ausnahmsweisen Störungen können aber noch von viel- fach anderer Art sein : auch die Leskien'sche Kombniation giebt noch kein vollständiges Bild der für die Dialektentwicklung in Be- tracht kommenden Vorgänge. Das Gegenteil der Sprachspaltung ist die Sprachmischung, eine Erscheinung, deren Wichtigkeit in neuerer Zeit in immer steigendem Maasse erkannt worden ist. Im Grunde genommen haben wir es bei jeder Verbreitung einer sprachlichen Neuerung schon mit einer Sprachmischung zu thun, nämlich einer Mischung der sich zwar teilweise sehr nahe stehen- den, aber dennoch sich nicht deckenden Individualsprachen. Wir pflegen jedoch den Ausdruck 'Sprachmischung' auf diejenigen Fälle zu beschränken, wo die sich mischenden Sprachen erheblicher von einander verschieden sind. Es ist klar, dass wenn zwei

Störungen dei' normalen Dialektentwicklung. 97

Volksstämme sei es auf fiiedlichem Wege, sei es nach Unter- werfung des einen unter den anderen in Sprache und Sitte mit einander verschmelzen, hier Dialektverhältnisse entstehen, welche weder durch die Spaltungs- noch durch die Wellentheorie ihre Erklärung finden. Wer hier einseitig die eine oder die andere in Anwendung bringt, wie man dies fi'üher gegenüber den griechischen Mundarten gethan hat, muss notwendig den wahren Sachverhalt verkennen.

Je gründlicher wir aber in einem historisch gegebenen Falle, besonders an den leichter zugänglichen lebenden Sprachen die Bedingungen untersuchen, unter denen die dialektische Entwick- lung zu Stande kommt, desto mehr erkennen wir, dass es un- möglich ist diese mannigfaltigen und verschlungenen Vorgänge unter eine einheithche Regel zu bringen. Man hat so oft und gern die Entstehung der romanischen Sprachen mit der der indo- geimanischen verghchen und doch, wie einzigartig, wie völlig unvergleichbar liegen bei jenen die historischen Verhältnisse. Die Ausbreitung der lateinischen Sprache geschah „nicht durch kon- tinuirliche Erweiterung ihres Gebietes an seiner Peripherie, sondern durch Aussendung römischer Kolonien, die in weiten Zwischen- räumen über die unterworfenen Provinzen verteilt waren'"'. Es ist begreiflich, dass unter so eigenartigen Umständen stellenweise Dialektverhältnisse entstehen konnten, welche der Uebergangs- theorie direkt zu widersprechen scheinen, und so kommt es denn, dass auf romanistischem Gebiet sich Gegner und Anhänger dieser Theorie gegenüberstehen ^). Die Methodik kann eben nur auf die typischen Vorgänge bei der Dialektentwicklung hinweisen, es muss in jedem einzelnen Falle besonders untersucht werden, welche historischen Faktoren dafür maassgebend gewesen sind. Wenn wir unter dem Verwandtschaftsverhältnis mehrerer Sprachen die Summe ihrer ältesten historischen Beziehungen verstehen, dann kann die Verwandtschaftsfrage nicht durch eine einzelne Theorie gelöst werden: die Antwort darauf ist vielmehr die ganze älteste Geschichte dieser Sprachen selbst.

In diesem Sinne ist die Frage nach den Verwandtschafts- verhältnissen der indogermanischen Sprachen nm- zum Teil lösbar: wir können die älteste Geschichte dieser Sprachen nur sehr un-

1) Gröber, Grundriss der roman. Phil. I 417. Kretschmer. Einleit. in d. Gesch. d. gr. Sprache.

98 IV. Die Verwandtschaftsverhältnisse der indogerm. Sprachen.

vollkommen und lückenhaft rekonstruiren. Wer sich freiUch ihre praehistorische Entwickhmg nach Art der Stammhaumtheorie als eine schnurgerade denkt, dem mag die x^Lufgabe ihrer Rekon- struktion einfach genug erscheinen. Ich gestehe, dass ich darüber andere Anschauungen gewonnen habe. Die ethnischen Verhält- nisse der indogermanischen Völker, wie sie uns in der frühesten historisch erreichbaren Epoche entgegentreten, sind keineswegs einfache und um so verwickelter, je weiter sie noch von der nationalen Einigung entfernt sind. Wir sehen sie in unzählige Stämme gespalten, die in ewiger Bewegung begriffen sind und deren nationale Gestaltung sich in stetem Flusse befindet: man denke namentlich an die thrakische Völkergruppe, die Gemianen. die Kelten. Aehnliche Verhältnisse haben wir doch auch für die voraufliegenden praehistorischen Epochen vorauszusetzen; wir müssen mit der Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit rechnen, dass schon damals Völkerwanderungen, Völkerzersphtterungen, Völker- vermischungen stattgefunden haben, dass Stämme sich zusammen- geschlossen und wieder getrennt haben, um in anderen Nationen unterzugehen, dass in der politischen und der Kulturentwicklung nicht bloss Fortschritte, sondern auch rückläufige Bewegungen vorgekommen sind u. s. f. Sprachlich mussten sich solche Vor- gänge in mannigfachen Kreuzungen, Dialektspaltungen und Dialektmischungen niederschlagen, und wenn, ich die sprach- geschichtlichen Thatsachen richtig deute, weisen sie in der That auf komplizirte Vorgänge dieser Art hin: dass wir diese nicht klar erkennen, sondern nur ungefähr ei"schliessen können, ist ein Mangel, der in der Natur unseres Materials begründet ist.

Das einzige Mittel, die gegenseitigen historischen Beziehungen der Einzelsprachen festzustellen, bieten ihre partiellen U e b e r - einstimmungen. Diese sind von zweierlei Art: passiv kann die Uebereinstimmung sich darin äussern, dass altes Spnichgut, das einmal gemeinidg. gewesen ist, von den einen Sprachen fest- gehalten, von den übrigen aufgegeben wird, in aktiver Weise darin, dass Sprachneuerungen einem Teile der Einzelspraclien ausschliesslich gemeinsam sind. Die historische Beweiskraft dieser partiellen üebereinstimmungen hat nun freihch Brugraann in der Zeit.schr. f. allgemeine Sprachwiss. I (1884) S. 231 sehr entschie- den bestritten, und Delbrück (Einleit. in d. Sprachstud.» S. 138) hat sich ihm rückhaltlos angeschlossen. Ich halte indessen diese Skepsis, obwohl ich ihre Berechtigung innerhalb gewisser Grenzen

Partielle sprachliche üebereinstimtnungen. 99

anerkenne, fiir stark übertrieben. Brugmann will von den ge- nannten beiden Klassen von partiellen Uebereinstimmungen nur die zweite, die gemeinsamen Neuerungen, als Argumente für sprachlichen Zusammenhang gelten lassen, aber auch gegen diese Beweisstücke erhebt er den Einwand: das Zusammentreffen in solchen Neuerungen könne oft auf Zufall beruhen, also jede der beiden Sprachen, welche dieselben gemeinsam haben, unabhängig darauf verfallen sein, und zwar umsomehr, als der Gesamthabitus der idg. Sprachen ja auch nach dem „Auseinandergehen des Ur- volkes" derselbe geblieben und die psychische und leibliche Organi- sation der Träger der Sprachen im Ganzen die gleiche gewesen sei.

In der That giebt es ja Fälle zufälligen Zusammentreffens auf idg. Sprachgebiet, in denen unraöghch an irgend ein Ab- hängigkeitsverhältnis gedacht werden kann. Ausser dem, was Brugmann in dieser Richtung beigebracht hat, gehört hierher z. B. der Rhotacismus des s im Eretrischen, Elischen, Lateinisch- Umbrischen und mehreren germanischen Dialekten: nicht ein- mal der eretrische und elische Lautwandel können etwas mit einander zu thun haben, da dieser unter ganz anderen Bedin- gungen auftritt als jener; dort trifft der Rhotacismus das in- lautende, hier nur auslautendes a. Ferner der Wandel von rs zu ;\y im Arischen und Deutschen, der Uebergang von e in ä im Elischen, Germanischen und xA.rischen, von ü in ü im Griechi- schen, Slavischen und Albanesischen, von ev in ov im Slavisch- Litauischen und Italisch-Keltischen, um ein syntaktisches Beispiel zu nennen, die Verwendung des Demonstrativpronomens als Re- lativum im Griechischen und Deutschen in allen diesen Fällen ist es unleugbar, dass das Zusammentreffen auf keinem unmittel- baren Sprachzusammenhang beruht. Es ist auch zuzugeben, dass unter den partiellen Uebereinstimmungen der idg. Idiome, aus welchen man ein engeres Verwandtschaftsverhältnis gefolgert hat, sich solche wie die eben angeführten befinden können. Dahin rechne ich z. B. den griechisch-italischen Wandel von bh, dh, gh in ph, ih, kh.

Rein theoretisch betrachtet scheint also Brugmanns Einwand unwiderleglich aber eben nur in der Theorie: sobald wir in jedem konkreten Fall die Konsequenzen seiner Lehre ziehen wollten, zeigt sich, dass das, was an sich recht wohl mögHch scheint, im gegebenen Fall ganz und gar unwahrscheinlich sein

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100 IV, Die Verwandtschaftsverhältnisse der indogerm. Sprachen.

kann. "Wer wollte z. B. an Zufall glauben, wenn eine geographisch zusammenhängende Gruppe von Sprachen, das Arische. Baltisch- Slavische, Thrakisch - Phrygische, Armenische und Albanesische, die Palatale in Zischlaute verwandelte, während sie in einer anderen Sprach gruppe. dem Griechischen, Itahschen, Keltischen und Germanischen, durch Explosivlaute verti'eten sind? Wer hier an Zufall denkt, müsste es folgerichtig auch gegenüber der übereinstimmenden Vertretung der Palatale durch Zischlaute im Litauischen und Slavischen. Ich glaube nicht, dass jemand die Hyperkritik so weit treiben wird, giebt doch Bnigmann selbst zu, dass wenn die Uebereinstimmungen massenhaft auftreten, wie z^^^schen Indisch und Iranisch, die Möglichkeit zulälligen Zu- sammenhanges ausgeschlossen sei. Nun, wenn wir dann z. B. zwischen Baltisch-Slavisch und Germanisch zwar nicht so massen- hafte, aber doch immer noch recht zahlreiche partielle Beriihi-ungen wahrnehmen, dann werden wir auch hier den Zufall ausschliessen dürfen. Wir müssen es daher ablehnen, für die Beantwortung der Frage, ob Zufall oder nicht, eine allgemeine Regel aufzu- stellen und anzuerkennen, von Fall zu Fall muss eine Entschei- dung getroffen werden.

Der anderen Gattung partieller uebereinstimmungen, bei welcher es sich um gemeinsame Bewahrung ursprünglich gemein- indogermanischen Sprachgutes innerhalb eines kleineren Ki'eises von Einzelsprachen handelt, spricht Brugmann überhaupt jeghche Beweiskraft ab, und in der That ist zuzugeben, dass in dieser Beziehung die Einzelsprachen vielfach jede ihren eigenen Weg gegangen sein können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sie uns zu ganz verschiedenen Zeitpunkten und in ganz verschiedenem Umfange bekannt werden. Wüssten wir von jeder Einzelsprache wie sie im VIII. Jahrhundert v. Chr. aussah, aus welchem uns thatsächlich nur das Indische und allenfalls das Griechische be- kannt ist, so würden wir natürhch ein ganz anderes Bild von der Ursprünglichkeit jeder Sprache gewinnen. Damals hat z. B. das Slavische höchst Avahrscheinlich noch vieles alte Sprachgut be- sessen, das ihm im 9. Jahr. n. Chr., der Entstehungszeit unserer ältesten slavischen Denkmäler, bereits verloren gegangen war. Es ist schwer begreiflich, wie man diesen Sachverhalt früher so gänzlich ignoriien und aus der Altertümlichkeit des Sanskiit und der Unui-sprünglichkeit der keltischen Dialekte historische Schlüsse

Partielle sprachliche üebereinstimmungen. 101

ziehen konnte, als ob jene Eigenschaften eine andere als rein relative Geltung besässen ^).

Thatsächlich ist mit der Erweiterung unseres sprachgeschicht- lichen Materiales altes Sprachgut da vielfach nachträghch auf- gedeckt worden, wo es als längst verloren oder nie vorhanden gewesen galt ^). Die Erforschung des albanesischen Wortschatzes hat für zahlreiche Wörter, welche bislang in einer der verwandten Sprachen vereinzelt dastanden, weiteren etymologischen Anhalt gewährt ^). Noch wichtiger ist in dieser Beziehung die Ausbeute, welche die lexikalische Diu'chforschung der neuiranischen Dialekte geliefert hat und noch weiter zu liefern vei^spricht. Wörter, welche bis dahin nur aus indischem Sprachbereich bekannt waren, erweisen sich dadurch als gemeinarisch ^) und was von noch grösserer Tragweite ist, Sprachgut, welches für ausschliessHch europäisch galt, wird durch die neuiranischen Dialekte auch für das asiatische Sprachgebiet gesichert. So wird die noch von Kluge (Grundriss d, germ. Phil. I 302. Etym. Wb. ° u. Wespe,

1) Man sohloss daraus auf die asiatische Urheimat der Indogerraanen. Thatsächlich zeigen schon die altgallischen Inschriften und Xamen, dass die „ünursprünglichkeit" der keltischen Sprachen eine sekundäre Erschei- nung ist. Vgl. Schrader Sprachvergl. - 154 und unten S. 121 £F.

2) Namentlich in Eigennamen hat sich oft anderweitig verlorenes Sprachgut erhalten, z. B- altes klevo- = gr. y.Xso- in urnord. Hleva-gastiR auf dem goldenen Hörn von Gallehus (Burg Aelt. nord. ßuneninschr. 17), vesu- 'gut' = skr. vdsu- in germ. Namen, Kögel Litteraturbl. f. germ. Phil. VIII 108. R. Much Deutsche Stammsitze 133. 139.

3) Ich entnehme aus G. Meyers Alban. Wörterbuch darke Abendessen (geg. dreks Mittagessen): gr. (5oo.tov (Bezz. Beitr. XX 231), der Schwein: gr. yoToog, el'p Gerste: gr. ä).q;i, erda ich kam: gr. so/ouai, hurds Knoblauch: gr. axÖQoöov (? die Vokale stimmen nicht, G. Meyer Alb. Stud. lU 59), g'i Busen: lat. sinus, mot Jahr: lit. mitas, mar& fröstle: asl. mrazü Frost.

4) Z. B. neupers. näyun Nagel: skr. nakhä-, osset. barse Birke: skr. bhürj'a- iHübschmann Etym. u. Lautl. d. oss. Spr. 28), np. str osset. axsir Milch: skr. ksirä-, np. rfan röm Schamhaai'e: skr. röman- Haar (am Körper) Hörn Neupers. Etym. 140. Hübschmann Pers. Stud. 68. 142, baloSl röd pehlevi röd Kupfer: skr. lohd-, bal. randag kämmen, pehl. randitan kratzen, schaben: skr. rddati kratzt (Geiger Etym. d. Balücl, Abh. d. Bair. Akad. 1881, s. v.), osset ändär ein anderer: skr. dntara- (Hübschmann a. a. 0. 20. Hörn a. a. 0. 27), np. risk Ei einer Laus : skr. liksä (Nöldeke bei Hübschmann 46), pehl. döytan np. dö/Jen melken: skr. dogdhi melkt, afghan. pustai Rippe: skr. prsti- (Hübschmann Pers. Stud. 42).

102 IV. Die Verwandtschaftsverhältnisse der indogrerm. Sprachen.

Franck Etym. Woordenb. der Kederl. Taal 1158) geteilte An- sicht, dass der Name der Wespe asl. vosa, lit. vapsä, ahd, wafsa, breton. guoh>', lat. vespa spezifisch europäisch sei, durch balücT yvamz, gvabz 'Biene, Wespe, Hornisse' (Geiger Abh. d. Bair. Akad. 1891, 125) widerlegt. Justi (Kurd. Gramm. Vorw. S. IV) hat in dem kurd. Japk 'Pfote' das asl. Japa^ lett. If'pa Pfote, got. Jöfa 'flache Hand' wiedererkannt. Zu asl. gJasü (lit. garsas) 'Stimme' gesellt sich esset, yalas (Hübschmann Etym. d. oss. Spr. 33), zu ahd. f'elaua Felber, Weide osset. fanre Erle (Hübsch- mann a. a. O. 65), zu gr. (r/.«'/rT('j, "/.«Treroc, lat. scabo, got. skaba schabe, asl. kopati graben, ht. kapas Grab neupers. kaften spalten, graben, Hkäften spalten (Nöldeke bei Hörn Neupers. Etym. 175. 186 1).

E. Kuhn (Z. f. vergl. Spr. 30, 355) hat das nur aus neu- indischen Dialekten bekannte äiä (im Hindi und BangälT, ät im Maräthl) 'Mehl', neupers. ärd, bal. ärt^ (Tomaschek Bezz. Beitr. yil 202) von der Wurzel al- 'mahlen' abgeleitet und so mit gr. aXiüj zusammengebracht (dazu avest. asa- 'gemahlen' nach Hübsch- mann ZDMG. 38, 428), de Lagarde (Annen. Stud. 6 f.) damit weiter armen. a?Mm 'mahle' verglichen, das nach Justi (Littera- turbl. für Orient. Philol. I 65 f.) auch in den Kaukausussprachen (georg. ala Mehlkasten, abchas. alagara das Mahlen) vorkommt. Sind diese Zusammenstellungen stichhaltig 2), so würden sie die sehr spärliche Zahl agrarischer Ausdrücke vermehren, welche der asiatischen Gruppe der Indogermanen mit der europäischen ge- meinsam sind; es läge dann in al- die ostidg., in mel- mol- die westidg. Bezeichnung des Mahlens vor, und beide Ausdrücke wären auf griechischem Boden zusammengetroffen : vgl. alko, altv- Qov und (.ivXr], /uaXtiQor.

Die Verwertung der partiellen Uebereinstimmungen unterhegt indessen trotz der angegebenen Einschränkungen um so weniger Be- denken, je mehr man sich hütet, aus den Gleichungen Folgerungen zu ziehen, welche historisch vorn herein keine Berechtigung haben: man hat von jeher gern die Frage aufgeworfen, ob je zwei oder mehr

1) >ach Hübschmann, Pers. Stud. 42, gebührt die Priorität VuUers.

2) Bedenken bleiben wegen des langen « (Ilübschmann Pers. Stud. I 34 setzt iran. *äria- neben *ar(a- = zd. aia- an) und wegen der Mehr- deutigkeit von ar. är-, Ilübschmann, Armen. Stud. I 17, zweifelt auch an Zusammenhang von arm. aXam mit dUto

Partielle spradilifhe Uehereinstimmnncren. 103

von den Einzelsprachen in praehistorischer Zeit eine Einheit ge- bildet haben, und ist heute im Gegensatz zu früher immer mehr dazu gedrängt worden, solche Fragen zu veraeinen. In der That sind aber solche Spracheinheiten keineswegs das, was wir nach dem sonstigen Entwicklungsgange der Völkergeschichte zu er- wai'ten haben: dieser führt in der Regel von der Zersplitterung zur Einheit, nicht umgekehrt, und gerade die Ausnahmen von dieser Regel der indoiranische, der slavisch-baltische Sprach- zusammenhang — bedürfen einer Erklärung i). Aus den partiellen Uebereinstimmungen folgt weiter nichts, als dass in praehistorischer Zeit einmal ein sprachlicher Austausch zwischen den Trägern der betreÖenden Idiome stattgefunden hat, sei es infolge nachbar- licher Berührung, sei es auf dem Wege der Sprachmischung. Wenn also die keltischen und die italischen Dialekte mehr mit einander gemein haben, als Keltisch und Germanisch, Germanisch und Slavisch, so müssen Kelten und Italiker einmal in engerem Sprachzusammenhang mit einander gestanden haben, als diese Völker, aber der Unterschied ist doch nur ein gradueller, und von einer Avirklichen italokeltischen Spracheinheit sollte man vor- sichtigerweise nicht sprechen. Die sich über mehrere benach- barte Einzelsprachen erstreckenden partiellen Berührungen nament- hch lautlicher, morphologischer und syntaktischer Art weisen eben in eine Epoche zurück, in welcher die Sprachgrenzen noch weniger scharfe als in historischer Zeit waren, sie sind mit Recht für ur- alte Dialektunterschiede der ,, Grundsprache" erklärt worden.

Einen der - wichtigsten und lehrreichsten Fälle solcher indo- germanischen mundarthchen Differenzirung stellt die Behandlung der beiden Gutturalreihen, der Palatale und der labialisirten Ve- lare dar, nach welcher das idg. Sprachgebiet in zwei Hälften zerfällt, eine westliche griechisch-italisch-keltisch-germanische und eine östHche, das Sla\isch-Litauische, Albanesische , Thrakisch- Phrygische, Armenische und die arischen Sprachen umfassend. Dass in jeder der beiden Hälften die zwei Gutturalreihen in gleichartiger Weise behandelt sind, kann, wie schon bemerkt, un- möghch für ein zufälliges, nicht auf Kontinuität der beti'effenden Idiome beruhendes Zusammentreffen gelten. Auch Brugmann hat die Zweifel, welche er noch 1884 in dieser Beziehung ge- äussert (Z. f. allgem. Sprachw. I 234), bereits 1886 (Grundriss

Ij S. hierüber Kap. XII.

^

104 IV. Die Verwandtschaftsverhältnisse der indogrerm. Sprachen.

I 290. 308) wieder zurückgezogen. Es lässt sich um so weniger jJ an Zufall denken , als sich eben die Uebereinstimmung nicht ^ nur auf eine, sondern auf beide Gutturalreihen ei'streckt.

Die Palatale sind in der westlichen Hälfte dui'cli einfache gutturale Yei-schlusslaute , in der östlichen durch Spiranten ver- treten. Es fragt sich: stehen die Yei-schlusslaute oder stehen die Spiranten der ursprünghchen Qualität dieser Laute näher d. h. haben sich im Osten ehemahge palatal artikuhrte Explosivlaute zu Spii'anten vei'schoben oder sind umgekehrt im Westen die Spiranten zu Explosivlauten geworden? Die erstere Annahme hat als die lautphysiologisch näher liegende wohl die meisten Stimmen füi- sich (Ascoh. Möller, Leskien, Dekhn. S. XXV, CoUitz Bezz. Beitr. Hl 189 f., Brugmann), aber auch die zweite hat an Bezzenberger (Beiti-. XVI 235 Anm.), Fick (Idg. Wb. I*) und Bartholomae (Stud. zur idg. Sprachgesch. 11 19 Anm. Grundr. d. iran. Phil. I 12) entschiedene Vertreter gefunden; J. Schmidt (Z. f. vgl. Spr. 25, 134) und Bechtel (Hauptprobl. S. 331) lassen die Frage offen. In der That sind noch von keiner Seite ent- scheidende Gründe für die eine oder für die andere Möglichkeit beigebracht worden; denn was Bezzenberger für ureprün gliche Spiranten geltend macht, hat keine Beweiskraft: daraus, dass die Gutturale dieser Reihe im Westindogermanischen nicht wie die der anderen Reihe palatalisirt werden, folgt nur die phonetische Verschiedenheit beider Gutturalarten, nicht aber, dass die erste Reihe gar keine Gutturale gewesen sind. Wenn sich Bezzen- berger ferner auf eine Beobachtung von J. Schmidt (Jen. Litt.- Zeit. 1877 Art. 247) beruft, so ist zu erwidern, dass ihr Urheber selbst sie nicht zum Erweise einer ui-sprünglichen Spirantenreihe benutzt hat, s. Z. f. vgl. Spr. 25, 134 Anm. ; aus der Assimilation in skr. ^vdgura-s für ^svä^uras, lit. szeszuras für *seszuras wäre doch höchstens zu schliessen, dass „skr. r, lit. S2, sl. s schon Spi- ranten waren, als die arischen und slavolettischen Sprachen noch nicht von einander getrennt waren" i). Vom phonetischen Stand- punkt aus scheint die Ansicht, dass die Spiranten aus den Ver- schlusslauten entstanden sind, mehr als die umgekehrte Annahme für sich zu haben. Aber solche Erwägungen sind trügerisch.

1 i Brugmann, Z. f. allgem. Sprachw. I 236, bestreitet den Zusammen- hang zwischen der arischen und litauischen Assimilation, weil es lit. auch azqaz'.avyiias für aa^-azlavynaa heisst.

Der Wandel der Palatale in Reibelaute. 105

denn für das lautphysiologisch Mögliche giebt es eigentlich keine Grenzen, und thatsächlich lässt sich der spontane Uebergang von Reibelauten in Explosivae mehrfach belegen. Bereits J. Schmidt hat (Z. f. vergl. Spr. 25, 135) an die Entstehung von y, d, b aus tönenden Spiranten im Germanischen und Lateinischen erinnert; auch an den Wandel von iv in g im Neupersischen und Armeni- schen 1), von V inh im Portugiesischen und Päli kann man denken. Freihch ist für spontanen Wandel eines Zischlautes wie s oder skr. q in k meines Wissens noch kein idg. Beispiel nachge- wiesen, denn der Uebergang von q vor s in k im Skr. steht eben als ein Dissimilationsvorgang auf einem ganz anderen Brett. Immerhin haben wir kein Recht jenen Lautwandel als unmöghch zu bezeichnen und kommen also auf diesem Wege zu keiner Entscheidung der Frage.

Dagegen scheinen mir folgende Erwägungen weiter zu führen. Der altidg. Lautbestand kennt Aspiration nur bei Verschluss- lauten: es gab nur hh, dh, gh, aber kein sh, zh, jh, vh sowenig wie Ih, nh usw., und sicherlich beruht das auf keinem Zufall, sondern auf bestimmten, wenn auch vorläufig nicht ermittelten Gründen. Dass nun die in Frage stehenden Laute als Media, Tennis und Media Aspirata auftreten , genau wie die anderen Klassen von Verschlusslauten, spricht ganz entschieden für ihre Ansetzung als Verschlusslaute, nicht als Spiranten. Man weise erst aspirirte Reibelaute als altidg. nach, wenn wir an Fick's idg. zh glauben sollen ^).

Einen zweiten Grund gegen die Spirantenreihe leite ich aus skr. paracii- = gr. /tü.e/.v-g ab, welche auf eine gemeinsame Grundform zurückführen , die nun entweder als *])eleku- oder als *pelegu- anzusetzen wäre; wie sich dazu osset. /"äräY' 'Beil' ver-

1) Nicht hergehörig ist der Ersatz von germ. w durch gu im Ro- manischen (roman. guisa, germ. wisa). Das Romanische besass kein anlauten- des bilabiales lo und ersetzte es daher durch die zunächst liegenden Laute.

2) Bartholomae hat freilich (Ar. Forsch. I 18. II 54 fF.) der idg. Ur- sprache aspirirte s und - zugesprochen in Fällen wie skr. ksam-, gr. yßo'yv asl. zet)ilja. Hier kann aber eben wegen gr. ^ mit demselben Recht ein aspirirter Explosivlaut als ursprünglich angesetzt werden (Z. f. vgl. Spr. 31, 433). Aus ir. art = gr. äoy.ro? ergiebt sich, dass der Explosivlaut in diesen Fällen nicht bloss griechisch ist. Dass aspirirte Spiranten laut- physiologisch möglich und sogar belegbar sind (Bartholomae Grundr. d. iran. Phil. I 15), soll nicht bestritten werden.

106 IV. Die Verwandtschaftsverhältnisse der indogerm. Sprachen.

hält, wofür mau '^färäs erwartet (vgl. Hübschmann Etym. d. oss. Spr. 142), entzieht sich meiner Beurteilung ^). Nun hat Hommel und ihm folgend J. Schmidt (Urheimat der Indogennanen S. 9) mit grosser Wahrscheinlichkeit das babylonisch-assyrische püakku, sumer. halag als Quelle des arisch-griechischen Wortes ange- nommen. Ist dies richtig, so lautete die ar.-gr. Grundform peleku-, nicht ijelecu-, und es ist erwiesen, dass das skr. c aus einem gutturalen Verschlusslaut hervorgegangen ist und beiläufig auch das skr. r aus altem /. Diese Folgerung würde auch zu recht bestehen, wenn man etwa annähme, dass die Entlehnung nicht in eine Zeit tiel, avo die südostidg. Stämme noch näher bei ein- ander wohnten und daher gemeinsam das semitische Wort auf- nehmen konnten, sondern dass das griech. und das indische V^olk jedes selbständig die Bezeichnung des Beiles von den Semiten entlehnten, wie dies z. B. von der Schrift feststeht und von manchen Lehnworten wahrscheinlich ist. J. Schmidt hat nun freilich die Möglichkeit in Erwägung gezogen, dass das gr.-ar. Wort nur zufäUig an das semitische anklinge, wie nordamerikan. potoinac an gr. 7cocaj.i6g^): indessen könnte diese Annahme doch wirklich nur als ein idthnum refugium in Betracht kommen, zu- mal das Wort auch keinen etymologischen Anhalt im Idg. hat. Was vielleicht noch für Entlehnung auf idg. Seite geltend ge- macht werden kann, ist die mehrfach bezeugte Nebenform mit anlautendem ri im Griechischen : (it'Ke/.v^ oder [iiXey.A.og hiess eine Art Hülsenfrüchte (wohl eine Bohnenart) , vermuthch wegen der Aehnlichkeit ihrer Gestalt mit der Klinge eines Doppelbeiles 3); Pflanzen werden ja sehr gern nach Gegenständen benannt, mit denen sie in der Form vergleichbar sind z. B. /.vvoyXwoaov, Schwertel, Fingerhut, Hirtentäschel, Rittersporn, Kuhschelle,

1) Dass paracti- im Prakiit aspirirten Anlaut (j)h-J hat, genügt nicht ursprüngliches sp- zu erweisen. Vgl. über das Umsichgreifen der Tenuis Aspirata in den indischen Dialekten Leumann, Etym. Wb. d. Skr. Einl. p. XXllI.

2) Solche Zusammenklänge von Worten unverwandter Sprachen hat Pott ZDMG 9, 430 einige gesammelt.

3) Et. M. p. 191, 31: ßikexx oi , do:iQia' xal röiv ßelexxwv , \4Qiaro- <pävt]g. Hesych. ßeXexvs (cod. ßelXexvg)' oojiqiÖv xt iftipeQeg ka&vQ<(t fieye&os igeßiv&ov eyov. Suidas: ßskexog' öojiqiov , rotxe de rotg kaiHigotg. Es ist möglich, dass alle drei Zeugnisse auf dieselbe aus Aristophanes ge- schöpfte lexikalische Notiz zurückgehen, die Differenz der Formen also auf Verderbnis beruht.

Der Wandel der Palatale in Reibelaute. 107

Löwenmaul, Bärenklau, Reiherschnabel. Katzenpfötchen, Krebs- sclieere, Kälberkropf u. v. a. Nun Aväre der AVechsel von ri und Ti bei einem echtgriechischen Wort nicht leicht zu erklären i), bei einem Lehnwort dagegen wohl begreiflich, zeigt er sich doch auch in babyl. p/lakku gegenüber sumer. balag. Ebenso schwankt die gr. Umschreibung bei thrak. Zinoirrjg : Zii-^oizr^g., Mii^TO/Mg : Mi]do'Mg usw. Die Römer haben bekanntlich in älterer Zeit mehrfach gr. :rc durch h wiedergegeben: burrus = TivQQog, Bj/rn'a = IIvQQiag, huxus = 7ci'tog, sicil. fiaiüviu = /vavdvia. Auch für den Vorgang, dass die Doppelform mit einem Be- deutungsunterschied verknüpft wird, giebt es viele Analogien z. B. d. Habe und Rappe s. Paul Prinzip.^ 212. Endlich bietet die Annahme der Entlehnung in unserem Fall um so weniger einen Anstoss, als es sich um ein Kulturwort handelt; und erwägen wir weiter, dass ein Eintiuss der mesopotamischen Kultur auf die idg. Völker gerade in der Bearbeitung der Metalle von Seiten der Praehistorie aus rein archaeologischen Gründen angenommen worden ist 2) , so ist eigentlich gar kein Grund zu zweifeln, dass 7tlkey.ig und paragü- auf das babyl. pilakku zurück- gehen, denn die umgekehrte Richtung der Entlehnung wäre aus kulturgeschichthchen Gründen mehr als unwahrscheinhch. Dann ist aber der unumstösshche Beweis geliefert, dass die fraglichen Grundlaute ursprünglich Explosivlaute, nicht Spiranten gewesen sind und sich eret auf ostidg. Gebiet zu Reibelauten verschoben haben. Die Grenze des Lautwandels öel w-ahrscheinlich mit damaligen Stammesgrenzen zusammen, aber man darf sich diese ethnische Scheidung schwerlich als eine tief einschneidende denken. Denn es lässt sich zeigen, dass dem ostidg. Wandel der Palatale in Spiranten die Ausbildung anderer partieller Uebereinstimmun- geu, welche über jene Grenze hinweg greifen, teils vorauf- gegangen, teils gefolgt ist. Es giebt eine Reihe von auschhessHch

1) In einem Teil der hierbergeliörigen griech. Fälle handelt es sich um Assimilation, wie ich zuerst D. Litt.-Zeit. 1893 Sp. 170 und Gr. Vasen- inschr. 144 gezeigt habe; s. ferner darüber Z. f. vergl. Spr. 33, 466. Schulze ebd. 397, über hov/ufios ebd. 243. Ueber eine andere Kategorie von Fällen in dei-selben Ztschr. 31, 455 Anm.

2) Hoernes, Urgesch. d. Menschen S. 355 flf., verlegt den Ausgangs- punkt der Bronzetechnik mit Tomaschek u. a. nach Babylonien. Man sieht, wie gut sich hiermit auch die zweite idg. Entlehnung aus dem Sumerisch- Babylonischen vereinigen würde , welche Hommel und J. Schmidt angenommen haben, das Wort für Kupfer. Vgl. auch C. F. Lehmann, Samassumukin S. 127.

108 lY. Die Verwandtschaftsverhältnisse der indogrerm. Sprachen.

gennanisch-lituslavischen Wörtern , welche die Spuren des Palatal- ■wandels zeigen:

got. guip Gold asl. zlato, lett. felis.

got. galga Galgen lit. zalga Stange.

altnord. ggrn Darm, ahd. -gorni in mifti-garni , angls. mic- gern ''arvina'. das in der Mitte der Eingeweide sitzende Fett lit. zänia Darm. Lat. haru- in hani-spej'., hariohis ist wohl wurzelverwandt, aber anders gebildet.

ahd. inirgen würgen, mhd. er-ivergen, altnord. virgill Strick Ht. verziif schnüre ein, virzis Strick, cirziu binde mit Stricken, asl. vrüzq binde.

ähd. lahs Lachs russ. lososi, lit. lasziszä, lett. lasis.

ahd. harmo Hermehn lit. szarmü und szermä.

got. hilpan helfen Kt. szelpiu helfe.

Dass diese Wörter sämthch einst gemeinidg. gewesen und den übrigen Sprachen verloren gegangen sind , ist an sich un- * wahi-scheinlich und bei dem Wort für 'Gold' und für 'Lachs' ganz ausgeschlossen, denn es giebt keine gemeinidg. Fischnamen und nur äusserst wenige gemeinidg. Metallnamen. Die Ver- breitung dialektischer Erscheinungen über die zu beiden Seiten der Palatalgrenze sitzenden Stämme fällt also vor den ostidg. Wandel der Palatale in Spiranten. Dass aber der sprachliche Austausch zwischen denselben Stämmen auch noch nach diesem Lautwandel fortdauerte, wird durch eine andere Reihe von Worten bewiesen, nämlich durch die bekannten slavisch-baltischen Fälle, in denen der Palatal gegen die Regel durch einen Vei-schluss- laut vertreten ist, z. B.:

altpreuss. pecku, lit. pekus : skr. pdru, got. failui, lat. pecus.

lett. kuHu Hündin gegen suns Hund, lit. szü Gen. szuns = skr. gun-ds, got. hunds.

altpreuss. klausiton, lit. khiusyti hören, pa-khisntts gehoi-sam, illyr. Ves-rlevesis (vgl. auch Pedersen Idg. Foi-sch. V 36) gegen asl. slgsati, lett. sludinät verkünden, skr. rrus-ti- Gehorsam.

asl. svekrü Schwiegervater, svekry Schwiegermutter, alban. vjehtP gegen lit. szeszuras, got. svaihrn svaihro usw.

lit. ak7nn Stein (aber äszmens Schneide), phryg. ^^d/Movia skr. dgman-.

\\i.smakrn\oii.SlnakrsKm\\—^V\\gmägruJ^?ivtii\\.\v.smechK\m\.

Brugmann (Grundriss I 345) hat diese und verwandte Fälle

für uralte Entlehnungen aus dem Kreise der Sprachen mit guttu-

Der Wandel der Palatale in Reibelaute. 109

ralen Verschlusslauten erklärt. Freilich besitzt das als Nachbar- sprache doch zunächst in Betracht kommende Germanisch einige dieser Worte nicht; man müsste also annehmen, dass sie ihm in- zwischen verloren gegangen sind, eine Annahme, die bei dem Worte für 'Kinn' sogar kaum zu umgehen sein wird, da dasselbe auch im Keltischen vertreten ist, also auch den zwischen Litauern und Kelten sitzenden Germanen nicht gefehlt haben wird. Fick (Idg. AVörterbuch I* 152) hat das Eintreten der Verschlusslaute dem Einfluss eines benachbarten u, v oder Labialen zuschreiben wollen 1) : bei dieser Annahme bleiben aber die Fälle unerklärt, in welchen die genannten Laute diesen angeblichen Einfluss nicht ausgeübt haben, w4e lit. szü aus *szv{i, aszva, äszniens, asl. suka^ svpjtü u. V. a. ; auch passt sie nicht auf asl. sloniti se lehnen neben Uoniii neigen (J. Schmidt Z. f. vergl. Sprachf 25, 124); vgl. auch S. 119 Anm.

Den angeführten germanisch-lituslavischen Gleichungen reiht sich nun bekanntlich noch eine grosse Zahl anderer partieller Uebereinstimmuugen derselben Sprachen an, hauptsächlich aller- dings lexikalische 2) , darunter aber sehr wichtige, wie das Zahl- wort für 1000; ferner die eigentümliche germanisch -htauische Bildung des Zahlwortes für 11 und 12 und der Dual der Per- sonalpronomina lit. vedii judu : got. fit angls. git ^). Als wichtigste

1) V^l. Bechtel, Hauptprobleme d. idg. Lautlehre 378 If.

2) Zu den von J. Schmidt (Verwandschaftsv^rh. S. 36 fi., vgl. Kluge im Grundriss d. germ. Phil. I 320) gesammelten Fällen sind noch hinzu- zufügen : got. baidjan : asl. hediti zwingen; got. dal: asl. dolü Thal; got. fairneis alt : lit. pernai im vorigen Jahre; got. grahan -.asl. ^rre&a, lett. (/rehju-. got. greipan : lit. grebiü greife, lett. gribet wollen; got. hauhs hoch,, anord. haugr, mhd. houc (G. Kouges): lit. kaukarä Hügel, kaukas Beule; got. /mMrj Kohle, Aa«?ya Kohlenfeuer : lit. kiiriü heize; altnord. Aj/p/jr : lit. kumpis Schweineschinken [kuinpas krumm) ; got. ju schon : lit. jau asl. 0)«; got- qrammipa Feuchtigkeit : lit. grimsti in Wasser oder Schlamm versinken ; got. (afjskiuban {weg)schieben : asl. skuba 'vello' ; ahd. spunni, mhd. spen Brust, ndl. speen Euter (dazu ndd. berlin. spenen Kinder von der Mutterbrust entwöhnen, dann übertragen : den Verkehr mit Jemandem aufheben?) : lit. spenys Zäpfchen, im Zemait. Saugwarze bei Tieren (J. Schmidt a. a. 0. 45); got. spimian spinnen : lit. plnti flechten, asl. p^ti spannen; got. stöls Stuhl: asl. stolii Thron, Sessel; ahd. durfan bedürfen, got. parbs bedürftig, nötig; asl trebU nötig, trebovati nötig haben; got. Preihan ahd. dringan drängen : lit. treukti stossen ; got. vairilo Lippe : alt- preuss. varsus dgl.

3) Der Einschub von t zwischen s und r (Brugmann, Techmers Zeit- schrift I 234) ist nicht auf das Germanische und Litauisch-Slavische be-

110 IV. Die Verwandtschaftsverhältnisse der indog'erm. Sprachen.

üebereinstimmung hat man fi'üher immer die Bildung des Dat. Plur. mit einem w-Suffix statt des ^//-Suffix anderer Sprachen angesehen, und ich glaube, wir dürfen an dieser Anschauung trotz der dagegen erhobenen Einwände festhalten. Dass dasselbe Suffix in lat. stai'in, partim usw. enthalten sei. ist höchstens eine Möglichkeit, und gortyn. oriui steht als Pronominalfonn überhaupt auf einem anderen Brettl). Es ist denkbar, dass das //^Suffix in be- schränkter Verwendung auch den anderen Einzelsprachen ange- hört hat, aber sein durchgehender Gebrauch in der Xominalflexion ist eine spezifisch germanisch-lituslavische Eigentümlichkeit. Ein Teil der letztgenannten Uebereinstimmungen ist vermutlich .älter als der ostidg. Palatalwandel ; wenigstens wäre es ein sonder- barer Zufall, wenn vor diesen Wandel gerade nur Gleichungen wie die zuerst namhaft gemachten (got. fjulp = asl. zlaio usw.; fielen, bei denen wir das zufälhg konstatiren k nnen.

Wir sehen also, dass der Palatalwandel im Baltisch-Slavischen zu einer Zeit eingetreten ist, in welcher zwischen Germanen, Litauern und Slaven soweit man für jene Periode schon von diesen Völkern sprechen darf ein dauernder sprachlicher Ver- kehr stattfand. Dieselbe Stammesgrenze, vor welcher der Palatal- wandel Halt machte, bildete für die Verbreitung anderer sprach- licher Ei-scheinungen kein Hindernis. Dieses Verhältnis ist für die Verbreitung vieler idg. Dialektunterschiede charakteiistisch ; nur lässt sich anderwärts nicht so genau die Folge der sprach- lichen Vorgänge bestimmen. Wie immer je zwei sich geographisch beriihrende Sprachen durch gemeinsamen Besitz mit einander verbunden sind, hat J. Schmidt in seiner Schrift über die Ver- wandtschaftsverhältnisse der idg. Sprachen dargelegt. Wir wollen hier nur die über eine grössere Gruppe von Einzelsprachen ver- breiteten Erscheinungen ins Auge fassen.

Bei mehreren lautlichen Vorgängen muss die Frage offen bleiben, ob und wie weit ein Znsammenhang anzuerkennen ist. In einer grossen Gnippe von Sprachen, nämlich allen ausser dem

schränkt, sondern auch thiakisch, (vgl. Urovitiöv), verdient aber immerhin hier angemerkt zu werden.

1) Fick, Idg. Wörterb. I* S. XXIV, führt wt tz/xi, wie er schreibt, Brugmann, Z. f. allgem. Sprachwiss. I 241, skr. sdnemi von Alters her, lat. olim iiderim u. dgl. gegen die Beweiskraft des germ.-slavo-lett. Zti- sammengi-hens im »i-Suftix an. Ueber die gortyn. Form s. Solmsen Z. f. vergl. Sprach f. .31. 47.3.

Die nordidg. Vertretung der Mediae Aspiratae durch Mediae. IH

Italischen, Griechischen und Indischen, sind die Mediae x\spiratae bh, dh, gh in Mediae übergegangen, im Germanischen über die Zwischenstufe tönender Spiranten, welche zum Teil bis in histoiische Zeit erhalten blieben. In den anderen Sprachen ist diese Durch- gangsstufe nicht nachweisbar, könnte aber auch hier bestanden haben 1). Nun fällt die Verwandlung der tönenden Spiranten in Mediae auf germanischem Gebiet (ausser nach Nasalen) in eine so späte Periode, dass ein Zusammenhang mit dem ent- sprechenden Vorgang auf keltischem, slavischem, albanesischem. armenischem 2) , iranischem Gebiet nicht anzunehmen ist. Es könnte also nur in Frage kommen, ob der erste Akt des ganzen Lautwandels, der Uebergang der Mediae aspiratae in tönende Spiranten, auf dem ganzen Gebiet von Iran bis GaUien gemein- sam vollzogen ist. Mit Sicherheit lässt sich das kaum entscheiden. Die Mediae aspiratae bieten als Verbindungen tönender Ver- schlusslaute ih, d, g) mit dem tonlosen h der Aussprache so grosse Schwierigkeiten, dass die Neigung, sie zu beseitigen, recht wohl in verschiedenen Sprachen unabhängig auftreten konnte. Aber diese Beseitigung konnte auch auf andere Weise vor sich gehen, wie das Italische und Griechische zeigen: dass sie gerade in einer Gruppe räumlich zusammenstossender Sprache in der gleichen Richtung verlief, während die mehr isolirten griechischen und italischen Stämme andere Wege einschlugen, bleibt immerhin bemerkenswert. Schliesslich kann beides, selbständige Neigung und wechselseitige Beeinflussung, zusammengewirkt haben.

Im Indisch - Iranischen, Slavisch- Baltischen, Germanischen und Albanesischen (schon im Messapischen) ist kurzes o in a über- gegangen : die Uebereinstimmung erscheint um so beachtenswerter^ als es sich um eine rein spontane, durch keine Nachbarlaute ver- anlasste phonetische Veränderung handelt, die einer Gruppe geographisch sich berührender Sprachen gemeinsam ist. Das Germanische bietet gewisse chronologische Anhaltspunkte für den Wandel (Paul in seinen u. Braune's Beitr. VI 195. R. Much ebd. XVII 320. Kluge in Pauls Grundr. I 357. Noreen ür-

1) Im Iranischen glaubt sie Andreas, wie er mir gelegenthoh mit- teilte, nachweisen zu können.

2> Im Armenischen müssen die Mediae später eingetreten sein, als die Verhärtung der alten Mediae in Tenues, denn die aus den Aspiraten neu entstandenen Mediae wurden von dieser Verhärtung nicht mehr ergriffen : vgl. tasn = skr. däca mit dustr = d-vyäxijo.

112 IV. Die Verwandtschaftsverhältnisse der indogenn. Sprachen.

germ. Lautl. 16 f.) : es sind ihm mehrere Lehnworte unterlegen, die demnach vor dem Wandel von o zu a aufgenommen sein müssen: gall. Volcae: ahd. Walhä, Mona: ahd. Masa angls. Masu, Vosegus: ahd. Wascono icalt^ Moenus: ahd. Main, Mo- guntiacum: ahd. Maginza, Boiohaeimwi: mhd. B(7heifn (ans *Bai-J. Aus Maginza und Beheim geht weiter hervor, dass der Vokal- wandel nach der germ. Verschiebung der Mediae zu Tenues fällt, von welcher jene Lehnworte nicht mehr ergriflFen worden sind. Dieser Verschiebung sind auch andere Lehnwörter aus dem Keltischen entgangen: got. andbahts, ahd. amhaJit = gall. am- bacfus, Donau, obd. Tuonauuiia aus kelt. Danuvins, während ihr got. reiks = gall. rix, St. rJg-^ unterlegen ist. Dasselbe Ver- hältnis beobachten wir bei der Verschiebung der Tenues zu Spiranten: Walhä = gall. Volcae, ferner der !Name der linken Rheinmündung Vahalh (Tacit), Vachalis (Sidon. Apoll.) = gall. Vacalus (Glück Kelt. Namen b. Caesar 160. R. Much Deutsche Stammsitze 62) sind von dereelben noch betroffen worden, während got. kelikn = gall. celicnon u. a. (got. siponeis, peikahagms, wenn sie von IMuch a. a. O. 33 richtig beurteilt werden) von ihr ver- schont geblieben sind^). Danach scheint also der Üebergang von 0 in a mitten in die Vorgänge der germ. Lautverschiebung zu fallen, welche R. Much (a. a. 0. 63) in das „IIL Jahr- hundert V. Chr. oder wenig früher oder später" verlegt hat. Sind auch Much's Argumente nicht ganz zwingend, so ist doch so viel wahrscheinlich geworden, dass die germ. Verschiebung der Me- diae und Tenues nicht bis in eine allzuferne Urzeit hinaufgeht.

Einen zweiten chronologischen Anhalt für den Zusammen- fall von 0 mit a gewährt got. aUv 'Oel', das auf ein zu er- schhessendes lat. "^oUvom (mit geschlossenem c, so jetzt richtig auch Solmsen Idg. Forsch. V 344, vgl. IV 244 ff.) zurückgeht. Das lat. Wort wieder ist bekanntlich das entlehnte griech. tlcuFov, wie trotz P. v. Bradke (Methode d. ai\ Altert. 236) nicht zu bezweifeln ist. «i und ei wurden in unbetonter Silbe *) zunächst zu geschlossenem e : bevor dies der Regel entsprechend

1) Es kann sich hier z.T. auch um lokale, nicht bloss chronologische Unterschiede handeln d. h. die Lautverschiebung zur Zeit der Entlehnung erst bei einem Teil der germ. Stämme durchgeführt gewesen sein.

2) Natürlich handelt es sich hier um die praehistorische lat. Be- tonung auf der ersten Silbe. P. v. Bradke a. a. 0. setzt eine Betonung

Partielle sprachliche Uebereinstimmungen. 113

in i übergehen konnte wie in ollva aus iXaiFä, *6leva, Achtvi aus ^^yaißoi, *Acfievi , wurde *olevom mit Schwund des v vor 0 und Kürzung des antevokahschen e zu oleum. Der Gen. *olevi, in welchem v (weil hier nicht o folgte) wie in olwa, Achivi bleiben musste, ergab ollvi, wozu nun weiter der lautgesetzwidrige Nom. olivom (Plaut. Pseud, 301), olivuin neugebildet wurde. Es ist klar, dass sich oleum : ollvum : oliva genau wie deus : divus : dlva verhalten, dass also auch deus auf *devos, Gen. *devi, dwi zurückgeht ^). Die Reihenfolge der Vorgänge wird durch folgende Uebersicht veranschaulicht :

l'Xatßov cf. deivos *ölevom *devos

oleum deus

iluißä cf deivü cf. ^AyaiFo'i deivt

*ölevä *deva *ölevl *Achevi *devi

oliva dwa ollvi Achivi divi

Nun haben die Römer schwerhch vor dem VII. Jahrh. d. h. der Zeit der ältesten griechischen An Siedlungen in Campanien das Wort für Oel entlehnt. Andererseits muss es spätestens in der 1. Hälfte des II. Jahrh. v. Chr. von Italien aus nach Norden gewandert sein, da etwa von 150 an geschlossenes e zu i wird (Solmsen, Idg. Forsch. IV 244. V 345). M. Heyne (Anz. _f. dtsch. Altert. XIV 285 und in seinem Dtsch. Wörterb. u. Ol) meint, dass wandernde römische Krämer das Wort mit der Waare zu den Germanen gebracht haben. Aus kulturhistorischen Gründen muss dies jedoch für eine so frühe Zeit bezweifelt 2) und daher

*6leivom oleiva (mit dem mir unverständlichen Zusatz : „öleiva , alte Accentuirung, resp. nach öleivom") an und scheint darauf den Unterschied von oleum : oliva zui'ückführen zu wollen. Dagegen spricht das Verhältnis deus : dlva. üeber das o von oleum, an welchem Bradke Anstoss nimmt, s. Solmsen Stud. z. lat. Lautgesch. 18.

1) Solmsen hat Stud. z. lat. Lautgesch. 70 f., und Idg. Forsch. V 344 die Wichtigkeit von alev , oleum für die Erklärung von deus übersehen. Seine Annahme, dass *deiuos, mit halbvokahschem i ge- sprochen, *deios, deus ergeben habe, setzt eine unerweisliche Aussprache des lat. Diphthongen ei voraus (s. darüber jetzt J. Schmidt, Kritik d. Sonantentheorie 15 f.). Das Bedenken, welches er S. 181 Anm. gegen die Verwertung von oleum, olTva ausspricht, scheint mir unerheblich.

2) Zu Caesars Zeit freilich mögen röm. Kaufleute schon mit germ. Stämmen in Berührung gekommen sein: vgl. bell. gall. I 39: ex vocibus Gallorum uc mercatorum, qui ingentimagnitudine corporum Germanos, incre- dibili virtute atque exercitatione in armis esse praedicabant. IV 3 : mul- tumque ad eos [Ubios] mercatores ventitant. Dagegen heisst es IV 2 von den Sueben : mercatonbus est aditus magis eo, ut quae bello ceperint, quibus

Kretschmer, Emleit. in d. Gesch. d. gi. Sprache. 8

114 IV. Die Verwandtschaftsverhältnisse der indogerm. Sprachen.

wohl die Annahme von Much (Deutsche Stammsitze 34) vorge- zogen werden, dass die Kelten die Vermittler zwischen Eömeni und Germanen gebildet haben. Danach fällt also die Entlehnung durch die Goten wahi-scheinlich ziemhch lange nach dem VII. Jahrhundert v. Chr. . da doch das Wort zu seiner Wanderung von Latium bis zu den fernen Germanen geraume Zeit gebraucht haben dürfte. Wie man sieht, stimmt dies zu dem ei-sten Zeit- ansatz, den wir gewonnen hatten.

Für ein so junges Alter des Wandels von o in a würde femer die Erhaltung des o in der Kompositionsfuge in Chario- valdus, Hariobaudus, Inguiomerus, Langobardi u. a. (gegen spä- teres Alanmnni usw. sprechen, vgl. Kluge, Grundr. d. germ. Phil. I 316. 354. Xoreen Urgerm. Lautl. 17 und die dort zitirte Litteratur. Dass in dieser Zeit noch ein Vokalwandel von Indien bis zu Germanen und lUyriern sich ausbreiten konnte, er- scheint schwer glaublich, zumal er bei den Indern in einer viel älteren Epoche erfolgt ist*). Dennoch könnte das erste Stadium des Wandels, sehr offene Aussprache des o, noch in eine Periode der vollen sprachhchen Kontinuität gefallen sein, und zwar ura- somehr, als die oben gewonnene Datirung dieser Annahme keines- wegs widerspricht. Denn wenn sich germ. o im III. Jahrh. schon

vendant, habeant quam quo uUam rem ad se importari desiderent ; II 15 von den Nerviern: nullum aditum esse ad eos mercatoribus ; I 1 von den Bei- gern: minimeque ad eos mercafores snepe commeant atque ea , quae ad effeminandos animos pertinenf, iinportant , und das wird für die Germanen einer älteren Zeit in erhöhtem Maasse gegolten haben.

1) Für die Datirung des Zusammenfalls von o mit a im Skr. ist die Theorie von BloomBeld (Amer. .Journ. of Phil. III 32) in Betracht zu ziehen, wonach o zur Zeit der Entstehung von acvö (nach Bloomfield aus *acvoz) noch bestand: ich sehe hier von einer Erörterung dieser schwie- rigen Fragen ab. Auf iran. Gebiet könnte man den Gegensatz von MidQoßaQ^ävTjg, MidQoßovCdvtjs , MuQoßärrjg, Mi&QOJtäoztjg und Mi&oaddxrjs, Iioi6uao6os , HQioßaQ^drrjg und l^oiagädtjg , skyth. 'Aoia.tei&rjg , 'AQTO^eQ^rjg, l-tQTo^uorjg und Itgiaceo^rjg usw. in derselben Weise deuten wollen, wie den von germ. Langobardi und Alamawn, nur dass es sich im Irani- schen eher um einen dialektischen als einen chronologischen Unterschied handeln müsste, denn die Formen mit -a- sind ebenso früh bezeugt als die mit -o-. Indessen liegt die .Annahme, welche Wrede Spr. d. Ostgoten S. 48. 53 schon in Bezug auf die got. Namensformen geäussert hat , auch für die iranischen sehr nahe, dass das -o- nämlich auf Anlehnung an die griech. Komposita beruhe. In der Sprache des Avesta glaubt An- dreas, wie er mir gelegentlich mitteilte, Spuren des alten o noch zu erkennen.

Partielle sprachliche üebereinstimmungen. 115

lange auf dem Wege nach a befand, gleichviel welche Stufe es bereits erreicht hatte, so konnten die Germanen doch das o von Fremd- wörtern nur durch diesen Vokal wiedergeben, so lange nicht aus u durch a-Umlaut neues o entstanden war. So lässt sich das anderen- falls sehr merkwürdige Zusammentreifen sämtlicher ostidg. Völker (von Germanien bis Indien) in dem Wandel von o zu a schhess- lich doch auf einen gemeinsamen Ursprung zurückführen. Der ganze Verlauf des Wandels braucht keineswegs bei Ariern und Germanen gleichzeitig gewesen zu sein, sondern von Osten nach Westen sich fortpflanzend mag er die germanische und ilhTische Sprache erst ergriffen haben, als er bei den Ariern schon zum Ab- schluss gekommen war. Streng beweisen lässt sich diese Auffassung freilich nicht, aber der Annahme, dass eine so grosse Gruppe benachbarter Völker, Inder, Iranier, Skythen, Slaven, Balten, Illyrier, Germanen, in einem rein spontanen Vokalwandel bloss zufällig zusammengetroffen seien , scheint sie mir doch vorzu- ziehen.

Schwieriger noch ist die Entscheidung gegenüber einer pho- netischen Neuerung, welche den westlichen Völkern, nämlich Ita- likern, Kelten, Germanen und Letten, gemeinsam ist: der Ver- legung des Haupttones auf die erste Silbe des Wortes. Zuerst Thurneysen (Rev. celt. VI 312, vgl. Rhein. Mus. 43, 349) hat hier einen histoiischen Zusammenhang angenommen, und Kluge (Grundr. d. germ. Phil. I 304. 339) ist ihm darin gefolgt : er er- kennt hier nicht sowohl eine gleichzeitige oder gemeinsame Accent- vei^schiebung als vielmehr eine jener grossartigen Bewegungen, die auf einem Punkte beginnen und stets voranschreitend verwandte Nachbarstämme ergreifen. Bemerkenswert ist, dass die beiden Nachbai-sprachen , Keltisch und Germanisch, wieder noch eine Besonderheit dem Italischen gegenüber gemein haben: das vor- historische Latein betonte in der verbalen Komposition die Prae- position : cotißcio aus *rön-facio, das Irische (ausser im Imperativ) und Germanische die erste Silbe des Verbums, air. do-melim ^vescor', got. (Iwjinna. Nun lässt sich natürlich gegen Thurneysens Theorie der Einwand erheben, dass das Germanische nach Aus- weis des Verner'schen Gesetzes in der Periode der Lautverschie- bung (genauer nach der Verschiebung des Tenues in Spiranten) noch den freien altidg. Wortaccent besass ^). Hirt (Der idg.

1) üeber einen zweiten Anhaltspunkt für die Accentchronologie,

8*

116 IV. Die Verwandtschaftsverhältnisse der indogerm. Sprachen.

Accent S. 45) schlägt deshalb den Ausweg vor: ein gemeinsam vorhandener Sekundäraccent der ersten Wortsilbe habe sich zum Hauptaccent ausgebildet, und fragt gar, ob dieser Gegenton auf der ersten nicht bereits in vielen Fällen indogermanisch war. Mich dünkt, wir bedürfen solcher unerweislichen Hypothesen nicht; Italisch und Keltisch konnten längst die Betonung der ersten Silbe durchgeführt haben, als dieses Accentprinzip von den Kelten auf die Germanen überging. Vor und in der Periode der geim. Lautvei'schiebung haben diese Völker wie die kelt. Lehn- worte im Germ, zeigen, in regem Verkehr mit einander ge- standen 2), Die Germanen haben das südliche und westliche Deutschland erst den Kelten entrissen und dabei gewiss auch manche keltische Volkselemente in sich aufgenommen ^). Erwägt man, wie leicht gerade Rhythmus und Melodie im sprachlichen Verkehr sich übertragen, so ei-scheint die Vermutung gerecht- fertigt, dass die Geimanen in jener Epoche intimer Berührungen mit den Kelten von diesen die Betonung der ei-sten Silbe über- nommen haben.

Noch viel später könnten die Letten zu demselben Accent- prinzip gekommen sein. Wenn die lett. Anfangsbetonung nicht bloss zufällig mit der germanischen übereinstimmt , so kann sie jedenfalls nicht in älterer Zeit unter dem Einfluss der letzteren entstanden sein. Denn die Letten waren ja durch die Preussen und Litauer von den Deutschen getrennt, die litauische Sprache hat aber ihre alte Betonung bis heute festgehalten. Erst vom Jahre 1202 ab, nachdem der geistliche Ritterorden der Schwert- brüder Livland, Kurland und Semgallen unterworfen hatte, kamen die Letten in engere Berührung mit den Deutschen , die allmäh- lich das geistig und politisch herrschende Element in jenen Landen wurden. Es scheint mir wenigstens denkbar, dass erst in dieser Periode der Zweisprachigkeit die deutsche Anfangs-

den Kluge a. a. 0. 317 aufzuzeigen geglaubt hat, 9. Idg. Anzeiger V 39 Anm.

2) Von lautlichen Uebereinstimmungen zwischen Keltisch und Ger- manisch sei hier das Zusammengehen in der Behandlung der Mediae Aspiratae, von morphologischen die Bildung des Infinitivs verzeichnet: ir. hleyon (Infinitivnomen): ahd. melchan melken, sowie das mit dem Lat. gemeinsame Suffix der Abstrakta -tüt(i)- (S 117).

3) Näheres darüber S. 123; im Uebrigen sei auf R. Much's iJeutscho Stammsitze verwiesen.

Partielle sprachliche Uebeneinatimraungren. 117

betonung (namentlich durch Vermittkmg der gebildeten deutsch- sprechenden Letten, vgl, dazu Bielenstein Lett. Spr. I 12) auf die lettische Sprache übergegangen ist. Und schhesslich ist zu erwägen, ob nicht auch die Anfangsbetonung des Cechi- schen und Sorbischen, also der (von den Polaben abgesehen) am weitesten in deutsches Sprachgebiet hineinragenden slavi- schen Dialekte, auf jüngeren Einfluss der deutschen Sprache zurückzuführen ist. Sind diese Kombinationen zutreffend, so sind sie lehrreich für die Art, wie sich sprachliche Neuerungen über das ganze oder einen grösseren Teil des idg. Gebietes ausgebreitet haben: nicht in einem Zuge braucht dies immer ge- schehen zu sein, sondern die Ausbreitung kann etappenweise und in grossen zeitlichen Intervallen vor sich gegangen sein.

Dieselben Westvölker, Italiker, Kelten und Germanen, teilen noch eine bemerkenswerte Eigentümhchkeit der Stammbildung mit einander, die Suffixkombination -tü-t-, -tü-ti-, mittelst welcher von Substantiven und Adjektiven Abstrakta abgeleitet werden: lat. Juventus, St. juventüt- (oder -tüti-), air. 6itin Jugend, St. -tut-, got. (/amaindäßs, St. -düpi-. Bei Indern, Iraniern und Griechen fungirt in demselben Sinne die Suffixverbindung -tat-, -täti-; auf lateinischem Boden sind beide zusammengetroffen ; hier liegt juventas neben juvenfus.

Weit zahlreicher als die partiellen lautlichen und formalen i) Uebereinstimmungen sind die lexikalischen, aber da sie eine ge- ringere Kontinuität des sprachlichen Verkehres voraussetzen, so haben sie auch weniger Bedeutung, zumal gerade auf diesem Gebiet der Verlust alten Sprachgutes und der Zuwachs an neuem sehr erheblich ist. Eine gewisse Beweiskraft kann hier höchstens die Masse der Uebereinstimnmngen haben. Es fällt auf, dass gewisse Sprachgi'uppen besonders viel Wortgut mit einander ge- mein haben, so erstens die europäischen Sprachen gegenüber den arischen und unter jenen wieder die westhchen. Italisch, Keltisch, Germanisch und z. T. auch Lituslavisch. Letzteres haben schon Lottn er, Z. f. vergl. Sprachf. 7 (1858), 18. 161, und Ebel, Kuhn u. Schleich. Beitr. 2 (1861), 169 ff., bemerkt, deren Sammlungen freilich heute einer starken Sichtung und Ergänzung

1) Zu erwähnen wäre hier noch das Augment im Indoiranischen, Phrygischen (?), Armenischen {elikh = sXins) und Griechischen , worüber unten mehr.

118 IV. Die Verwandtschaftsverhältnisse der indogerm Sprachen.

bedürfen. Vgl. Thumeysen Keltoroman. 74. Kluge im Grundr. d. germ. Phil. I 303. 304. Bemerkenswert unter diesem ital.- kelt.-germ.(-lituslav.) Sprachgut ist z. B. die Benennung des Meeres (s. oben S. 65), ferner das Wort für 'Volk, Gemeinde', osk. tojßro touta, umbr. tofa, gall. teufa (in Teutomatus etc.), air. ft/ath, illyr. teuta (Name der Königin Teuta), got. piuda, preuss. taiito Land, lit. tauia Land, Volk („wenig gebräuchlich^' Nessel- mann), lett. tauta Ausland. Das Wort für 'Haus' osk. trii- hüm Haus, fribarakatUiset 'bauen', umbr. trebeit wohnt, hält sich auf, tremnu 'tabernaculum' , lat. trabs Balken, acymr. treh (gall. Afrebafes zu air. atreba 'habitat'), angels. Porp, prep , pröp Dorf, lit. trobä Haus ^) greift bis ins Griechische über, denn TtQef.i- vov (Eurip. Hipp. 418), Tegauvov (Eurip. Tro. 1297) aus *vEQeß-vo-v ist von umbr. tremnu schwerlich zu trennen 2). Dass immer je zwei Nachbarsprachen durch zahlreiche partielle Wortgleichungen mit einander verbunden sind, ist eine ohne weiteres verständliche Thatsache, da ja der Wortaustausch über die Grenzen der Einzel- nationen hinweg bis in historische Zeit fortdauert.

Die erörterten partiellen Uebereinstimmungen benachbarter Sprachen haben nirgends zu einem Ergebnis im Sinne der Spaltungstheorie geführt. Brugmann hat Z. f. allgem. Sprachw. I 231 behauptet, J. Schmidt habe die Stammbaumtheorie nicht eigenthch widerlegt. Gewiss ist eine Sprachspaltung weder an sich ein unmöglicher Vorgang noch thatsächlich in der Sprach- geschichte unerhört das ist bereits oben betont worden. Aber in der ältesten Geschichte der idg. Sprachen, um die es sich hier allein handelt, ist eine der Entwicklung der Einzelsprachen vorhergehende scharfe Sprachtrennung derart, dass jede der beiden Hälften in sich eine Einheit gebildet hätte nirgends zu erkennen. Allerdings ist zwischen Indoiraniern und europäi- schen Indogermanen durch die grosse geographische Entfernung

1) Wegen asl. trimü 'turris', das Ceci, Fonist. dcl. Lat. S. 23, heran- zieht, 8. Miklosich Etym. Wb. 354. G. Meyer Albon. Wb. 436 u. trem.

2l Kulturhistorisch bemerkenswert ist noch das Wort für 'Sieb': lat. crxbrum, air. criathar, angls. hridder ahd. rT^ara 'Reiter, grobes Sieb', die allerdings im Suffix sich nicht genau decken. Kluge (Etym. Wb. u Reiter) setzt zwar die Grundform kreühro- an, aber das Suffix -thro- ist nur ad hoc konstruirt. Eher wird -dhro- zu Grunde zu legen und dies im Kelt. durch das gewöhnlichere -tro- (vgl. arathar, tarathar , gall. lautro) ersetzt sein.

Annahme einer Spaltung der Indogermanen. 119

begünstigt eine Trennung eingetreten , aber bier haben wir es eben schon mit der Entwicklung einer Einzelsprache zu thun, und die europäischen Völker andererseits haben keine eigenthche Einheit gebildet. Die arisch-europäische Trennung steht auf einer Linie beispielsweise mit der Loslösung der Italiker von den übrigen Indogermanen nur mit dem Unterschiede, dass im ersten Falle die Entfremdung den geographischen Verhältnissen entsprechend eine grössere geworden ist.

Verlockend kann der Gedanke erscheinen , die verschiedene Vertretung der Gutturale zu einer Scheidung der Lidogermanen in zwei Hälften zu benutzen, und in der That hat P. v. Bradke (Methode d. ar. Altertumsw. 64) dieser Versuchung nachgegeben^ er lässt die ungeteilten Indogermanen in eine satem- und eine Cent um -Gruppe auseinandergehen. Diese Folgerung wäre etwa mit der Anschauung zu vergleichen, die Hellenen hätten sich in eine ö- und eine »j-Gruppe gespalten. Thatsächlich handelt es sich doch hier um weiter nichts als einen einzelnen Lautwandel, und die Stämme, die an diesem nicht teilnahmen, haben darum weder in sprachhchem noch in ethnischem oder national- politischem Sinne jemals eine Einheit gebildet. Ausserdem sind aber bereits oben Gründe gegen die Annahme beigebracht worden, dass die vei-schiedene Entwicklung der Gutturalen von einer scharfen Sonderung der Völker begleitet gewesen sei: die Vor- fahren der Germanen und Slavo-Letten haben nach wie vor dem Wandel der Palatale in Spiranten im Ostidg. sprachliche Neue- rungen mit einander ausgetauscht i).

Neben den partiellen Uebereinstimmungen benachbarter Sprachen, welche auf der Verbreitung dialektischer Neuerungen

1) Wenigstens beiläufig sei auf die Möglichkeit hingewiesen, dass satem- und ceiittimStämme anfänglich nicht hart aneinander grenzten, sondern durch eine Zone getrennt waren, welche eine Mittelstellung in der Behandlung der Gutturale einnahm, ähnlich wie in der hochdeutschen Lautverschiebung die Franken zwischen Oberdeutschen und Nieder- deutschen oder wie in dem Wandel von « zu »/ die Attiker zwischen loniern und den übrigen Stämmen. In dieser Richtung könnte man die lituslav. Ausnahmen von dem Palatalwandel, wie akmu, svekrU usw. deuten d. h. jene Mittelzone nahm zwar an dem Palatalwandel teil, hielt aber die Explosivlaute in der Nähe labialer Laute fest und später verschmolzen diese Zwischendialekte mit den westlichem s«ie/H-Spracheu und brachten ihnen jene A'-Formen zu. Das ist zwar eine unerweisliche Hypothese, aber sie zeigt, dass die Annahme einer scharfen Sonderung der centum- und

120 IV. Die Verwandtschaftsverhältnisse der indoprerm. Sprachen.

von Stamm zu Stamm beruhen, giebt es nun noch solche, welche räumlich getrennten Völkern gemeinsam sind und auf andersartige sprachgeschichtliche Vorgänge schhessen lassen: sie sollen im nächsten Kapitel erörtert werden. Bevor wir dazu übergehen, sei noch in Kürze der neuesten Theorie über die Verwandtschafts- verhältnisse der idg. Sprachen, der von Hirt Idg. Forsch. IV (1894) 36 aufgestellten, gedacht.

Hirt geht von der anthropologischen Lehre aus, dass die heutige europäische Bevölkerung durchaus nicht ebenso einer B,asse angehört, wie sie einer Sprachfamilie in der Hauptsache zugeteilt werden muss, dass viele Länder, in denen jetzt idg. Sprachen herrschen, schon vor dem Eindringen der Indogermanen von einer einheimischen Bevölkerung bewohnt waren, welche vom Sieger unterworfen in dienender Stellung weiter existirte. „Die grossen Dialektgruppen der idg. Sprache erklären sich in der Hauptsache aus dem üebertragen der Sprache der idg. Eroberer auf die fremdsprachige unterworfene Bevölkerung." Die starken Veränderungen des Keltischen beruhen nach Hirt darauf, dass auf keinem Gebiete so wenig Indogeimanen vorhanden gewesen sind wie hier. Die oberdeutsche Lautverschiebung, welche sich auf ursprünghch keltischem Boden vollzogen hat, ist ,,eine Art Substitution, die dadurch hervorgerufen wurde, dass keltische Stämme die germanische Sprache angenommen haben."

Zunächst sei konstatirt. dass diese Theorie nicht neu ist: Hirt scheint sich nicht bewusst geworden zu sein, dass er in der Hauptsache nur Penka'sche Gedanken reproducirt. Bereits Penka hat Orig. Ar. 149 behauptet, dass „das Arische von all den Völkeni, die es später annahmen, in seinem Lautcharakter da- durch auf das Tiefste beeinflusst worden ist, dass diese die arischen Laute ihrer Sprachgewohnheit accomodirten" *), und dies S. 163 und 165 ff. weiter ausgeführt. Er erklärt auch die 2. Lautver- schiebung schon genau in derselben Weise (S. 169 f.), und danach hat Abel (bei Schaaffhausen in der Festschrift zum 50jährigen Jubil. des Rhein. Altert.- Vereins, Bonn 1891 S. 105) denselben

»aiej/j-Sprachen nicht zwingend ist. Vgl. auch Kap. VII über die Stellung des Phrygischen in der Gutturalfrage.

1) Ascoli hat übrigens denselben Gedanken schon vor Penka aus- gesprochen (in einem offenen Briefe Rivista di filologia X 1881—82, wieder abgedruckt in den Sprachwiss. Briefen, 1887.) Ihm schloss sich Bradke, Beitr. z. Kenntnis d. vorhist. Entwickl. unseres Sprachstammes, an.

Wechsel der Sprache. 121

Gedanken geäussert. Aber Penka hat uns wenigstens über die anthropologische Grundlage seiner Ansicht nicht im Unklaren gelassen: Hirt verschiebt gerade diese für seine These wichtigste Aufgabe auf später i).

Der Satz, dass ein Volk, welches seine Sprache wechselt, auf das neue Idiom häufig seine alten Sprachgewohnheiten über- trägt, ist gewiss wohl begründet und allerdings auch geeignet manche Vorgänge der idg. Sprachgeschichte zu erklären. So kommen wahrscheinlich viele der merkwürdigen Verändenmgen, die das Armenische erfahren hat. auf Rechnung jener unindo- germanischen Urbevölkerung, welche uns Denkmäler ihrer alten Sprache in den Keilinschriften von Van hinterlassen hat: manches aus dem Idg. nicht erklärbare Element des Armenischen (vgl. Justi, Litt.-Bl. f. or. Phil. I 62) mag auf dieses Volk zurückgehen. Auf kleinasiatischem Gebiet werden uns in Kap. X noch andere Beispiele von „Sprachanpassung" begegnen. Im idg. "Westen, in Spanien und Aquitanien, hat die Sprache der iberischen Ur- bevölkerung auf das Lautsystem des Lateinischen eingewirkt und dem Spanischen, Portugiesischen und Gaskonischen zahlreiche lexikahsche Elemente zugeführt (vgl. G. Gerland im Grundr. f. rom. Phil. I 326. 330 fr.). Die lautHche Abschleifung der Präkrit- Dialekte erklären Ascoli, ( Sprach wiss. Briefe 52) und Bradke, {Beitr. z. Kenntn. d. vorhist. Entwickl. unseres Sprachstammes S. 11 f.) aus dem Einfluss der arisirten Urbevölkerung Indiens. Einen Ueberrest etruskischer Lautneigung hat man in dem tos- canischen h statt c zwischen Vokalen gesucht, vgl. Czoernig, Die alten Völker OberitaHens S. 47.

Natürlich haben wir aber nur da das Recht, einen solchen Vorgang anzunehmen, wo der Sprachwechsel wirklich erwiesen ist und die sprachliche Veränderung in der Richtung des alten Idiomes hegt. Dass jedoch die Theorien von Rassenraischungen in Europa, wie sie Penka und andere Anthropologen aufgestellt haben, in der Luft schweben, glaube ich in Kap. II gezeigt zu haben und muss daher auch den Gedanken, die zur Erklärung der Uebereinstimmungen und Unterschiede der idg. Einzel- sprachen zu verwenden, a limine ablehnen. So begründet der Satz von der Sprachanpassung ist, so unbegründet ist die

1) Er hat dies auch in dem während des Satzes erschienenen Auf- satz in Hettners Geograph. Zeitschr. I 653 nicht genügend nachgeholt.

122 IV. Die Verwandtschaftsverhältnisse der indogerm. Sprachen.

Folgerung, welche Hirt a. a. O. 41 daraus ziehen zu wollen scheint, dass überall, wo eine Sprache sich stark und schnell ver- ändert, ein Sprach Wechsel stattgefunden hat und umgekehrt, dass also der vei'schieden schnelle Wandel der idg. Dialekte sich durch Rassen mischung und Sprachsubstitution erkläre. Die Veränder. hchkeit der Sprachen hat ganz verschiedene Gründe, die sich nicht immer sicher ermitteln lassen. Schon Schleicher (Die Dar- winische Theorie und die Sprachwiss. S. 19) hat die unzweifel- haft richtige Bemerkung gemacht, dass das Bestehen einer Schrift- sprache konservirend auf die Sprache wirke. Unter schrifüosen Völkern verändert sich die Sprache zuweilen (nicht immer) mit erstaunUcher Schnelligkeit und ist infolge dessen die dialektische Differenzirung eine ausserordentlich starke ^). Die relativ schnelle Veränderung des Keltischen erklärt sich also genügend aus seiner späten und auch da noch beschränkten schriftlichen Fixirung: wäre sie durch Mischung mit einer vorkeltischen Urbevölkerung veranlasst, wie Hirt meint, dann müsste sie schon in römischer Zeit hervortreten ; nun lehren aber die galhschen Namen und Inschriften, dass die keltische Sprache damals nicht „unursprüng- licher" war als beispielsweise die germanische.

Die Schriftsprache ist jedoch nicht die einzige Ursache für die geringere Veränderlichkeit der Sprache : das zeigt z. B, das Litauische oder das Russische. Bei den Litauern mag sie, wie behauptet worden ist, auf Rechnung ihrer abgeschlossenen Lage und ihrer wenig gestörten Entwicklung kommen. Bei den Russen jedoch, welche trotz Kreuzung mit Finnen und Tartaren weniger Dialekte besitzen, als die Mehrzahl anderer europäischer Sprachen auf weit kleinerem Raum, liegt dieser konservative Zug zweifellos im Blut. Der Mangel an Eigenart und schöpferischer

1) Belege hierfür hat M. Müller. Wissensch. d. Sprache I 58 ff. ge- sammelt; bei einigen ist allerdings Sprachmischung im Spiele. Vgl. ferner Giesswein, Hauptprobl. d. Sprachwiss. (Freiburg i. B. 1892) S. 122 f. Lehrreich ist, was G. v. d. Gabelentz (Die Sprachwiss. 591 über die chi- nesische Sprache mitteilt. Obwohl ihr eine Schrift zur Seite steht, sind die Dialekte lautlich so stark difl'erenzirt, dass ein Chinese unter Um- ständen schon die Mundart einer wenige Meilen von seinem Wohnort entfernten Gegend nicht mehr versteht. Auch hier bestätigt die .Ausnahme die Regel; denn die chinesische Schrift bezeichnet ja nicht die Laute, sondern ist Wortschrilt, sie kann daher auch nicht auf die phonetischen Veränderungen hemmend einwirken.

Wechsel der Sprache. 123

Kraft, die Gleichförmigkeit und Monotonie der Lebensweise sind Eigenschaften des russischen Volkscharakters, welche nach dem Urteile von Kennern i) auch auf anderen Gebieten als dem sprachlichen hervortreten. Hier zeigt sich deutlich, dass Völker- mischung und Sprachwechsel keineswegs immer eine starke Kor- ruption der Sprache im Gefolge haben.

Der Gedanke, dass die hochdeutsche Lautverschiebung auf der Verschmelzung keltischer Elemente mit den Germanen im südhchen und südwestlichen Deutschland beruht, hat manches Bestechende. Li diesem Falle scheinen einmal geschichtliche Ueberlieferung, Sprachgeschichte und Anthropologie im Ergebnis genau zusammenzutreffen. Denn auch die Anthropologie glaubt in dem physischen Habitus der süd- und Avestdeutschen Bevölke- rung keltische Merkmale zu erkennen. Virchow hat im Anschluss an die statistischen Erhebungen über die Haarfärbung in Mittel- europa darauf hingewiesen, dass wir da, wo noch heute die Brünetten in grösserer Häufigkeit sitzen, in Belgien, am linken Rheinufer, in der Westschweiz, in Böhmen, Norikum, Süd- und Westdeutschland, die alten Wohngebiete der Kelten vor uns haben, wie sie sich namentlich durch die Funde der sogen. Regen- bogenschüsselchen feststellen lassen (vgl. die Karte bei Ranke, Der Mensch II 260 und Virchow. Korresp. d. Anthr. Ges. 1895, 131 2).

Auf sprachgeschichtlicher Seite liegen indessen die Verhält- nisse nicht so einfach. In der hochdeutschen Lautverschiebung fassen wir bekanntlich zwei verschiedene Vorgänge zusammen, die fast ausschliesslich oberdeutsche Verschiebung von h, d, g zu }), t, k und die oberd. und hochfränkische Verschiebung der Tenues zu Affrikaten und Spiranten. Das Verbreitungsgebiet der ei"steren war allerdings bis weit in nachchristliche Zeit von kelti-

1) S. z. B. Leroy-Beaulieu, Das Reich der Zaren und die Russen I 81, 131.

2) Ich gehe auf die Schwierigkeiten nicht ein, welche auch hier den anthropologischen Folgerungen aus einem physischen Merkmal entgegen- stehen und mit der verwickelten Keltenfrage zusammenhängen. Schaafi- hausen's Behandlung dieses Problems (in der zitirten Bonner Festschrift 62 106) ist leider so abgerissen und verworren, dass sie dasselbe zu klären wenig geeignet ist. Die Frage, wie die Kelten, die von den antiken Autoren als hervorragend blond geschildert werden, dennoch als Träger des brünetten Typus auftreten können, ist noch nicht befriedigend gelöst. [Eine neue Theorie über die Kelten jetzt bei Bertrand und S. Reinach, Les Celtes, Paris 1894.]

124 IV. Die Verwandtschaftsverhältnisse der indogerm. Sprachen.

scheu Stämmen bewohnt: die obd. Verschiebung könnte also auf deren Einfluss zurückgeführt und dafür geltend gemacht werden, dass auch die Armenier, die anerkanntermaassen mit einer vor- armenischen Urbevölkerung vei*schmolzen sind, die Mediae zu Tenues verschoben haben. Die gemeinhd. Verschiebung der Tenues dagegen erstreckt sich über Gebiete, welche zwar in einer praehistorischen Periode in keltischem Besitze waren, zur Zeit des Eintretens der Aifrikaten aber seit vielen Jahrhunderten schon den Germanen gehörten. Man müsste doch erwarten, dass der Einfluss der keltischen Artikulation sich schon in jener praehistori- schen Periode der Germanisirung geäussert hätte, nicht aber etwa ein Jahrtausend später. Eine zweite Frage knüpft sich an die I. gemeingermanische Lautverschiebung. Der Einwand liegt nahe: wenn die Germanen die I. Verschiebung ohne fremde Hilfe zu Wege gebracht haben, kann auch die II. ohne Zuthun anderer erfolgt sein. Penka nimmt freilich auch für jene Ein- fluss einer fremden Rasse an: er führt die germ. Laut- verschiebung auf Vermischung der skandinavischen Germanen mit finnischen und lappischen Kriegsgefangenen zurück, obwohl er einräumen muss, dass solche Vermischungen nur sehr selten vorgekommen sein können (Orig. ar. 166 f.). Da wäre es doch weit ansprechender, auch hier an die Kelten zu denken. Wir haben oben gesehen, dass in der Epoche der Lautverschiebung die Germanen mit den Kelten in gewissen sprachlichen Be- ziehungen standen, ausser lexikalischen Elementen vielleicht auch die Anfangsbetonung von diesen entlehnt haben. Damals könnte auch die Vermischung mit keltischen Stämmen den Anstoss zur I. Lautverschiebung gegeben und diese sich dann weiter bis zu den nördhchen Germanen fortgepflanzt haben. Aber auch das wäre natürlich nicht mehr als eine ziemlich zweifelhafte Hypo- these.

Um das Facit aus den Erörterungen dieses Kapitels zu ziehen: es scheint mir nicht zulässig, auf die Frage nach den Verwandtschaftsverhältnissen der idg. Sprachen d. h. nach ihren ältesten liistorischen Beziehungen einseitig eine Theorie anzu- wenden, sondern in jedem Falle ist besonders zu untersuchen, in welcher Weise die Uebereinstimmung zu Stande gekommen ist.

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V. Kapitel.

Partielle üebereinstimmungen zwischen nicht benachbarten Sprachen.

Während die Fälle von partiellen Üebereinstimmungen zwischen Xachbarsprachen sich leicht durch wellenförmige Ver- breitung über ein koutinuirliches Sprachgebiet erklären, entsteht die Frage: wie haben wir die Üebereinstimmungen zu beurteilen, welche zwischen geographisch nicht zusammenstossenden Sprachen bestehen z. B. zwischen Arisch und Italisch-Keltisch? Man hat diese Frage allgemein dahin beantwortet, dass in diesen Fällen die betrefifende Spracherscheinung in den zwischenliegen- den Sprachen ebenfalls bestanden haben, aber frühzeitig unter- gegangen sein müsse. Brugmann bemerkt geradezu (Zeitschr. f. allgem. Sprachwiss. I 254): je weiter die Sprachen, in denen dieselbe Erscheinung vorkommt, geogi'aphisch von einander ab- liegen, um so sicherer gehe man in der Zuteilung urindogermani- schen Adels. Danach müsste also alles Sprachgut, welches nur den äussersten östlichen und den äussersten westlichen Idiomen gemein ist, früher einmal samt und sonders gemeinindogermanisch gewesen sein. Gewiss ist diese Möglichkeit an sich unbestreitbar, und in den Fällen, wo die übereinstimmenden Sprachen nur durch ein Zwischenglied getrennt sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch dieses ehemals an der Uebereinstimmung teilgenommen hat, sogar ziemlich gross. Aber diese Wahrscheinlichkeit verringert sich beträchtlich, wenn die übereinstimmenden Sprachen so weit von einander getrennt sind wie die arischen und itahsch-keltischen, und sie schwindet ganz, wenn man die Zahl und die Art ihrer Üebereinstimmungen ins Auge fasst.

126 V. Partielle Uebereinst. zwischen nicht benachbarten Sprachen.

Ich beginne mit demjenigen Fall, durch welchen ich zuerst auf die eigentümliche Natur der zwischen den indisch-iranischen und italisch-keltischen Sprachen hergehenden Beziehungen auf- merksam geworden bin, der Gleichung skr. räj- Hen'scher, König = lat. rex, gall. H.r, air. ri (Gen. ri'g); skr. räjyd-m Herrschaft = air. rige; skr. rajnl Königin, mjani/a- könighch vgl. mit ir. rigahi Königin (aus *rcgarü) •). Das got. reiki^ ist, wie Osthoff (Perfekt. S. 602) evident richtig bemerkt hat, aus dem Keltischen entlehnt und zwar vor der Lautvei-schiebung, aber nach dem keltischen Wandel von e in 7. Man beachte auch, . dass die aussergo tischen Dialekte ausser in Eigennamen nur das abgeleitete Neutrum as. r'iki ags. rice anord. rlki ahd. rihhi = j got. reih', ir. r/ge 'Reich', sowie das gleichlautende Adjektivum * 'mächtig, reich' kennen, für 'König' aber ein einheimisches Wort verwenden. Aus dem Germ. Avieder stammt altpreuss. rikis Herr, nki Reich. *rek-s 'Herrscher' ist demnach ursprünglich auf den äussersten Westen und Osten des idg. Gebietes beschränkt ge- wesen. Dagegen ist das zugehörige Verbum über sämtliche Sprachen verbreitet: skr. r'vjäti, r'jgati 'streckt sich, erstrebt', irajgati 'lenkt, leitet, gebietet', räjati 'herrscht', avest. räzayeiti 'ordnet', osset. aräzin 'richten, regieren' (Hübschmann Etym. d. Oss. 23), gr. oQtyoj 'strecke aus', lat. rego 'richte, lenke, leite, herrsche', air. rigim 'strecke aus', got. tif-rakjan 'in die Höhe ' recken', rahtön 'darreichen', lit. razijti-s 'sich recken' (so Nessel- mann, raizyt),^ Kurschat, rdizytes nach Bezzenberger in seinen Beitr. XII 76 am Südoststrand des Kurischen Haffes, wo ge- stossenes cf, als (// erecheint). Aus dieser Zusammenstellung geht hervor, dass das Verbum nur in der Grundbedeutung 'ausstrecken' gemeinindogermanisch, dagegen in der abgeleiteten 'lenken, leiten, herrschen' auf dieselben Idiome bescbränkt ist, welche das zu- gehörige Wurzelnomen reg- 'Lenker, Leiter, Herrscher' besitzen ä).

1) Lat. rcf/lna geht auf eine alte Femininbildung ^regl zurück, zu der es sich verhält, wie Lätöna zu Aäxo), mätröna zu /.latgcog: vgl. auch lätrina von *lävatr'i, f/al/ina, concuhlna, Lucina (F. Froehde Bezz. Beitr. VII 99), 'üxEavivt], 'AdoTjorCrij. Die Ableitung mit «-Suffix war durch das Vorbild der mit -in {<ler schwachen Form von -iön-) gebildeton Nomina veranlasst. Vgl. Z. f. vergl. Sprachf. 31, 384 Anm. 1.

2) Durchaus unrichtig trennt Hübschmann, Idg. Vokalsystem S. 89, reg^- richten, lenken, leiten von röff^- herrschen, worin ihm Hörn Z. f. vergl. Spr. 32, 579 (vgl. Neupers. Etym. 22) gefolgt ist. Der Bedeutungs- übergang 'richten, leiten, herrschen' ist über alle Zweifel erhaben, und

Arisch-italokeltische Uebereinstimmungen. 127

Durch diese Sachlage erscheint es ausgeschlossen, dass letzteres Nomen jemals im Griechischen, Germanischen, Slavischen, Litauischen bestanden hat; denn dadurch dass diese Sprachen das Verbum kennen, aber nur in seiner primären Bedeutung, haben wir eine Gewähr dafür, dass sie die Bedeutungsentwicklung von 'ausstrecken, richten' zu 'lenken, herrschen' überhaupt nicht mitgemacht haben ^). Wir haben es also mit einer Uebereinstim- mung zwischen dem x\rischen und Italisch-Keltischen zu thun, welche immer auf diese Sprachen beschränkt gewesen ist. Wäre <lieser Fall der einzige in seiner Art, so könnte man geneigt sein, ^n irgend einen unberechenbaren Zufall zu glauben allein er hat zahlreiche Genossen.

Ich erwähne unter diesen zuerst die Gleichung lat. fiämen: skr. brahmdn- 'Priester', welche in neuerer Zeit ohne genügenden Grund beanstandet worden ist; man muss nur nicht daraus schliessen, dass das Wort gemeinidg. gewesen ist-). Es handelt sich hier vielmehr um eine von Anfang an partielle Ueberein- stimmung derselben Sprachen, welche auch das Wort für 'König' gemein haben. Die Vergleichung ist so überzeugend und ein- wandsfrei, dass Bugge's Yerknüfifung von fiämen mit got. hlötan 'oe^jeod^ai' (Bezz. Beitr. III 98 3) dagegen zurücktreten muss. Lautlich hegt nur insofern eine Schwierigkeit vor, als es der

die allerclins:s auflfällige Dehnung des Vokals in skr. rajati ist kein genügender Grund, dieses Verbum von rSj- loszureissen. Das ist schon deshalb unzu- lässig, weil rajati nicht bloss 'herrschen' bedeutet, sondern in dem ved. Kompositum dnu räjati sich richten nach {gäyatrdm ca traistuhham canu räJati, RV. IT 43, 1), also wie rego beide Bedeutungen vereinigt. Die Länge in rajati haben Bartholomae Idg. Forsch. III 51 Anm und Streit- berg ebd. III 402 zu erklären versucht.

1) Gr. oQeysaßai 'sich nach etwas ausstrecken, erstrebßn' zeigt eine ganz andere Richtung des Bedeutungswandels. Von Italien bis Germanien reicht die übertragene Bedeutung des Partizipiums lat. rectus, got. raihts, ahd. reht 'ausgereckt, gerade gestreckt, richtig, recht', air. recht (aus *rektu-) 'Gesetz'; vgl. skr. rjü, av. erezu- 'gerade'. Apers. rästa- 'richtig' macht bekanntlich wegen seines s (statt «) Schwierigkeiten.

2) So J. Wackernagel, Ueber den Ursprung des Brahmanismus (Oeffentl. Vorträge in d. Schweiz IV, 8.) S. 31 f.

3) Eine dritte Erklärung hat Mommsen Rom. Gesch. V 166 im Sinne, wenn er ßamen als 'Zünder' deutet (ebenso Curtius Etym. ^ 1S8 u. Usener Jahrb. f. Phil. 117 [1878], 51), also zn ßagrare 'brennen' stellt. S. dagegen Bugge a. a. 0.

128 V. Partielle üebereinst. zwischen nicht benachbarten Sprachen.

Möglichkeiten, den Verlust des g bezw. gh in famen zu erklären, mehrere giebt. Die Lautgruppe -gm- erscheint im Lateinischen teils erhalten (aginen), teüs zu in vereinfacht [exäinen, Jümentum, Samen, främcn zu gi'. (faoLy- usw.). Um den Widerepruch zu lösen, hat J. Schmidt und neuerdings Lindsay (Latin Langu. 292) angenommen, dass in letzteren Fällen nicht einfaches -meri, son- dern die Suftixbildung -smen zu Grunde liegt, ähnlich wie grie- chischem ^Qeri.i6g altlat, resmos entspricht. Einen anderen Weg hat Brugmann (Grundriss I 373) eingeschlagen, dem sich Solmsen (Stud. z. lat. Lautgesch. 18) und Stolz (Hist. Gramm, d. lat. Spr. 314) anschliessend): danach wäre gm nur nach langen Vo- kalen vereinfacht, nach kurzen aber erhalten geblieben. In diesem Falle müsste fiämen auf *flägmen zurückgehen, würde also in der Quantität des Wm-zelvokals von skr. brahmdn- abweichen. Es giebt aber noch eine dritte Möglichkeit der Erklärung, welche mir die einfachste scheint : nämlich dass gm unter allen Um- ständen; auch nach kurzen Vokalen, mit Ersatzdehnuug des vor- hergehenden Vokals zu m wurde 2) und die erhaltenen gm erst; in einer jüngeren Periode durch die Synkope entstanden sind: also agmen aus *agimen^), wie tegmen aus tegimen, avgmentum aus augumentum (Solmsen a. a. O.). Die Vereinfachung des gm\ müsste dann vor den Eintritt der Synkope und vor den Wandel' von -cm- in -gm- [segmentum^ sagmen J. Schmidt Krit. d. So-' nantenth. 102) verlegt werden. Da fiämen das einzige masculine I Nom. Sg. auf -men im Lat. ist und man für skr. brahmd lat. *flämü zu erwarten hat, so ist die von Wilh. Meyer (Lat. Neutr. 70f.) und O. Schrader (Sprachvergl. 2 601 f.) vertretene Annahme nicht unwahrscheinlich, dass fiämen ein altes Neutrum von der Bedeutung, „Verehrung, Andacht" ist, also zunächst dem skr. Neutrum brdhma (St. brahman-) entspricht und wie dieses dann den Sinn von „Priesterschaft" und weiter „einzelner Priester" gewonnen

1) Vgl. auch F. Froehde Bezz. Beitr. XVI 192.

2) Diese Annahme wäre gesichert, wenn ßemina 'Geschwulst' (Plin. 23, 1, 17) wirklich das entlehnte gr. tpXey/xovij wäre. Allein das gr. <p wird in älterer Zeit nur durch lat. p wiedergegeben, und Weise (Die gr.j Wörter im Lat. S. 71) bestreitet deshalb mit Recht die Entlehnung.! Fick (Idg. Wb. I* 498) nimmt „Urverwandtschaft" beider Wörter an;| Persson (Stud. z. Lehre v. d. Wurzelerweit. 173) stellt ^»una mit einem] norweg. hltema 'Hautbläschen' zusammen.

3) Diese Möglichkeit zieht jetzt auch Stolz Hist. Gr. d. lat. Spr. V 314 in Erwägung.

Arisch-italokeltische Uebereinstimmungen. 129

hat. Uebrigens ist das postulirte *fiämü mit Stolz (Hist, Gramm, d. lat. Spr. I 498) auch aus flamötiium ^) zu erschliessen.

Was den angeführten beiden Gleichungen eine besondere Bedeutung verleiht, ist ihre begriffhche Seite: es giebt kein ge- meinidg. Wort für König, ja ausser rex und von so jungen Entlehnungen wie asl. küne/jü = ahd. chuning abgesehen kaum eines, das über zwei Einzelsprachen verbreitet wäre, und \n.e spärHch lexikalische üebereinstimmungen sakralen Inhalts sind keine einzige gemeinidg. ,. haben wir bereits oben gesehen. Schon aus diesem Grunde muss die Annahme bedenklich er- scheinen, dass jene auf den äussersten Westen und Osten des idg. Sprachgebietes beschränkten Wörter jemals gemeinidg. ge- wesen und sämthchen zwischenwohnenden Völkera verloren ge- gangen seien. Aber dass es ebensowenig gerechtfertigt wäre,. darum die Gleichung flämoi = hrähman- selbst zu verwerfen, das geht aus der Fülle weiterer analoger Fälle hervor. Der schlagendste von diesen ist wohl der folgende.

Es ist bekannthch ein Zeichen für die enge Verwandtschaft der Inder und Iranier, dass sich beide Völker in ältester Zeit mit demselben Xamen der Arier benennen, Im Rigveda ist drya- deutlich der Xame, den sich die Träger der vedischen Kultur gegenüber ihren Feinden, den ungläubigen ddsi/u- oder cMsa-, beilegen ^). Die jüngere vedische Litteratur bezeichnet mit ärya-s einen Angehörigen der drei oberen Kasten im Gegensatz zu den nichtarischen Cüdra's. Im späteren Sanskrit lebt der Name nur noch in der Bezeichnung des Landes als äri/ävarta- oder äryadeca- fort, während einfaches drya als ehrende Anrede gebraucht wird und das abgeleitete äryaka- 'edel, ehrenwert' be- deutet. Die griechischen Geographen (Anon. peripl. mar. Er\-thr. 14. 54. Ptolem. VII 1, 82) kennen "AqLU/.i] als Bezeichnung einer Landschaft an der Westküste Indiens, und hier soll Äryär als Name der Marätha bei deren kanaresischen Nachbarn sogar bis auf den heutigen Tag bestehen 3). Ebenso vielfältig bezeugt ist der arische Name bei den Iraniem. Darius nennt sich auf den KeiHnschriften Ariya und Ariyaci&ra. im Avesta wird airya-

1) So, nicht flaminium: Mommsen Eph. epigr. I, 221 f. Usener Jahrb. f. Phil. 117, 51. Georges Lex. d. lat. Wortf. s. v.

2) Vgl. Grassmann Wb. u. äryu und M. Müller Encycl. Britann. u. Aryan.

3) Xach Max Müller Wissensch. der Sprache I 276 Anm.

Kretschmer, Einleit. in d. Gesch. d. gr. Sprache. 9

130 V. Partielle Uebereinst. zwischen nicht benachbarten Sprachen.

und anairya- in demselben Sinne gebraucht wie skr. ärya- und atiäri/a-, und den griechischen Schriftstellern sind die Namen ^'^Qioi, "^Qia, ^^Qiar/j, ^^vaqiä/.ai ebenfalls wohlbekannt: die Zeugnisse sind so oft gesammelt, dass ich von ihrer Aufzählung absehen kann ^). Bemerkenswert ist der iranische Gebrauch von arifa- als ei^stes Glied in Personennamen, ^Aqio;)aQl.ävr^Q„ ^Aql6- fxaqdog, ^^QiaQud^tjg, ^^^lagaurrig, '^Qia^evtig u. a., denen sich skythische Personennamen wie ^AQiaTtei&iqg, 'Agicaräg zugesellen (Müllenhoff, Deutsche Altertumskunde III 110. 164). Man hat nun den arischen Namen auch noch bei anderen idg. Stämmen nachweisen wollen und ihn geradezu für den Namen erklärt, den sich die Indogermanen selbst in ältester Zeit beigelegt haben ä). Von den Beweisgründen, die man hierfüi' angeführt hat, fällt ein Teil ohne weiteres fort. In l^oiihioi, altpers. Armaniya und Armina wird heute niemand mehr das Wort arya- suchen; das armeo. ari 'tapfer', anari 'feige' ist das entlehnte iran. arya, anarya. Ebensowenig lässt sich auf die ganz vereinzelte Angabe bei Stephanos (u. Oga/.}]) bauen: r^ QQcr/.r^ V.i^Qct, ^ UeQ/.if ly.aUXco /.cd ^^Qia. Schon Meineke vermutete dafür i^Q£ia d. h. Aresland, denn Thrakien galt als das bevorzugte Land des Ares und eine öde nur mit Knieholz bestandene Ebene in Thrakien hiess ^'viqeiov Ttediov (Polyb. in einem verlorenen Kap. des XIII. Buches bei Steph. Byz. u-^-Ageiog Ttayog). Von dem germanischen Ariovistus wird sogleich die Rede sein. Da- gegen finden sich, wie zuerst Pictet (Kuhn u. Schleichers Beitr. I 81) erkannt und Zimmer (Bezz. Beitr. III 137 ff.) von neuem be- gründet hat, merkwürdigerweise im äussersten idg. Westen auf keltischem Boden deutliche Spuren des arisclien Namens. Der Name des Bojers Ario-manus (Ihati f Boius CIL. III 4594), den noch andere Gallier aus Noricum tragen (Terti f. Klagenfurt, III, 4880. S. Helenenberg Ephem. epigr. IV ' p. 163 u. 568, Holder, Altkeit. Sprachschatz s. v.), zeigt genau dieselbe Ver- wendung des Elementes ario-, wie sie in iranischen Namen so häufig begegnet. Den Namen des reichen Galaters '^Qniuvtjg, welchen Phylarch (bei Athen. IV 150) erwähnte, dürfen wir fi-ei-

1) Vgl. Lassen Ind. Altertumsk. I 1 ff . M. Müller Enc. Brit. a. a. 0. Nöldeke, Aufsätze zur pers. Geschichte S. 148 u. a.

2) Pictet, Kuhn u. Schleichers Beitr. I 81 ff. Zimmer Bezz. Beitr. III 137 ff. M. Müller Enc. Brit. a. a. 0. Wissensch. d. Sprache I 274 ff.

Arisch-italokeltische Uebereinstimmungen. 131

lieh nicht mit Müllenhoff (a. a. 0. 164 Anm.) als weitereu Beleg verwenden, denn er deckt sich mit dem zweier kappadokischer Könige (Diod. 31, 19), ist also iranischer Herkunft (vergl. pers. ^udQiaixivr^q). Auch Ariovistus hat Müllenhoff für das Galhsche in Anspruch genommen mit Berufung auf den T. Vindacius Ariovistus mehrerer in Kenchester gefundener Okulistenstempel (CIL. YII 1320), welcher weniger wegen des britannischen Fundortes als wegen seines Gentilnamens für einen Kelten zu halten ist, sowie auf den Gaesaten Ariovistus (Flor. I 20, ^^Qoearr^g Polyb. II 26, ^Avi^Qoeorr^g, II 22), der von L. AemiHus in Etrurien besiegt wurde. Der zu Caesai's Zeit in GalHen eingedrungene germanische König konnte recht wohl einen galhschen Namen tragen man denke an das von den Galliern entlehnte -rix in germanischen Pei"sonennamen oder aber sein Name ist aus einem mit germ. harja- 'Heer' zusammengesetzten i) gallisirt. Auf keinen Fall wird dadurch das Element arjo- auch als alt- und echtgermanisch erwiesen. Dagegen lässt sich dieser Wortstamm auf keltischem Gebiet, wie Pictet gezeigt hat, aus dem Irischen noch weiter be- legen: eine Reihe mittehrischer Namen ist mit Er- aus air- = arjo- (vgl. er-mitiu = air-mitiu) zusammengesetzt, mit Arionianus kann mittelir. Eremhon identisch sein, Erem (belegt Gen. Eremon *) deckt sich mit skr. aryamän- 'Freund, Gefährte', auch Name eines Äditja (Zimmer a. a. 0. 146. 150). Wichtiger noch ist das aii". aire, Gen. airech, aus *arjak-s, das sich aufs engste mit ski'. ärya- ka- 'ehrenwerter Mann' und dem iran. Namen der ^Agid/xtL be- rührt; das Verhältnis der Stämme wie in lat. seiiex: skr. sanakä-s. aire ist die gemeinsame Bezeichnung der irischen Edlen nächst dem König (Zimmer a. a. O., Windisch Wb. z. Ir. Texte), dann überhaupt s. v. a. princeps, primus, und wie ski'. aryd ehrenvolle Anrede: Herr. Noch stärker ins Gewicht fiele es aber, wenn, wie Pictet und Zimmer wollen, der alte Name von Irland, Eriu Gen. Erenn ebenfalls hierher gehörte und sich mit avest. airijana- l^Qiävi] (pehlevi er an, neupers. irän ist nach Hübschmann, Idg. Forsch. IV 120, Gen. PI. = altpers. Ariyänäm) berührte. Der Name der Insel wäre dann von einem alten Volksnamen

1) So J. Grimm D. Rechtsaltert. S. 292. Vgl. got. Ariaricus, Wrede Sprache d. Ostgoten 68.

2) Stokes Goidelica S. 131, der auch schon skr. Aryamän- (Name «ines Äditya) vergleicht.

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132 V, Partielle Uebereinst. zwischen nicht benachbarten Sprachen.

der Iren. *Er. abgeleitet, welcher mit iran. arya- genau identisch wäre. Ich muss die Beurteilung dieser von "Windisch (Ersch u. Gruber's Encjcl. u. Kelt. Sj^rachen S. 139^) wegen des e an- gezweifelten Deutung den Keltologen überlassen.

An diese Fälle sei ein Verzeichnis der übrigen partiellen Uebereinstimmungen des arischen und italisch-keltischen Wort- schatzes angeschlossen, welche jede für sich nicht viel beweisen würden, die aber vereinigt durch ihre Zahl und in Zusammen- hang mit den zuerst behandelten Fällen die Annahme unter- stützen, dass zwischen den genannten beiden Sprachgruppen enge nicht dui'ch die Zwischensprachen vermittelte Beziehungen be- standen haben. Es wird sich zeigen, dass seit J. Schmidt seine nur 2C> Xummem umfassende Liste lateinisch-arischer Wörter zu- sammengestellt hat 2), das Material bedeutend gewachsen ist.

Lat. caesar-ie-s ; Caesar (ßus "^caesar-i-s) s. v. a. 'caesariatus' ist ein Cognomen wie Cincinnatiis der Lockige, Crispus Kraus- kopf, BarbatnSf Naso, Nasica u. s. w. ; vgl. Paul. Diac. p. 40 Th. de Pon. : caesnrie d/ctus est, quia scilicet cum caesarie twtiis est' ; *caesaris ist Adjektiv zu vorauszusetzendem *caesano)i, das durch caesaries ersetzt wurde skr. kcsara-m Haar.

Lat. volva Hülle, Gebärmutter: skr. nlba-m Hülle des Em- brj'O, Eihaut, Gebärmutter, aus *v'lvo-, zugehörig zu lat. voluo 'wickle, wälze", involücrum 'Hülle', gr. ßtlirgov usw.

Lat. calvus : skr. kulva-s kahl, fiti-küha-s allzukahl : Grundform ist *k'lavo-s oder *kdvo-s, für die lat. Form wahi-scheinlich *calevos, vgl. osk. Kah'ivieis (Solmsen, Stud. z. lat. Lautgesch. 136).

Lat. cacümen aus *cacud-men: skr. kaküd- Gipfel, haküd- manl- ra. Berg.

Lat. res, Acc. rem Vermögen, Sache = skr. rds, Acc.räm Besitz,

1) Gegen Stokes' Versuch. £riu mit ^lovegvia, ^Hqvt] (Hibernia) zu ver- einigen (bei M. Müller Wiss, d. Spr. II 282 Anm.) s. Zimmer a. a. 0. 141.

2) Verwandtechaftsverh. 65 f. Einige der hier aufgezählten Fälle sind jetzt zu streichen : lat. opus : skr. dpas, aber auch ahd. uoben ins Werk setzen; corpus .- \ ed. kfp-, avest. kehrp-, aber auch ahd. Are/" augls. hri/ Mutterleib, äoci'u« .• skr. sa/ihi-, aber vielleicht auch gr. doaarjrtjQ; lat. tustis : avest. tusen 3. PI. Imperf. sind lautlich unvereinbar (lat. «a aus it, av. « aus ci, und das avest. Wort bedeutet nicht 'husten'; Venuf : skr. vänas, auch ahd. wunna Wonne, got. vunan sich freuen; lat. Marl- : skr. Marut- sind zu trennen: lat. mundus, mundare : skr. viandai/ati 'schmückt' stimmen im Vokalismus nicht; Fick Idg. Wb. I 110 vergleicht mit ersterem ahd. muzzan patzen, schmücken (nhd. au/mutzen).

Arisch-italokeltische Uebereinstimmungen. 133

Gut, avest. rayö Acc. PI. F. Froehde (Bezz. Beitr. XX 21 1) bezweifelt mit Unrecht die Identität dieser Worte, weil die begriffliche Uebereinstimmung eine nur mangelhafte sei. Die Grundbedeutung des lat. res „Vermögen, Hab und Gut" (vgl. Keller Zur lat. Sprachgesch. I 95) deckt sich vollkommen mit der des indi- schen ras.

Lat. rabies, rahere : ved. rdhhas Ungestüm.

Lat. Volcämis von einem verlorenen *volcä Feuer = skr. ulkä Feuerbrand.

Lat. Neptunus : avest. napta- feucht, med. vd(pS-ag (3hjdsiag llaiov), neupei"s. neft Xaphta (Hörn, Z. f. vergl. Spr. 32, 582), pers. vaTzag Quelle (rj AQryri iirl tcov oquv rr^g Tlsoaidog ^OTOQEirai, ^ {fsoovaa ra acpoda, vgl. de Lagarde Ges. Abh. 219), skyth. Ncitaoig. Xeptünus ist von einem ?<-Stamm ^aepUis 'Quelle' abgeleitet, wie Portümts, fribünus, lacUna, pecünia von portus, tribus, lacus, pecus. Jordan (bei Preller, Rom. M}i:h. II 121 Anm.) erkennt in Neptun einen Gott der in der trockenen Jahreszeit ersehnten Regenwolke und der Quellen, worauf Ritus und Zeit (23. Juh) seines Festes, der Xeptunalia, führen. Zum Meeresgott ist er erst verhältnismässig spät durch die Gleichsetzung mit dem giiech. Poseidon geworden.

Lat. mendum menda : skr. mindd körperlicher Fehler. Auf- fällig ist skr. i für lat. e\ über die Stammformen s. J. Schmidt, Plur. d. Ntr. 21. Stokes, Kelt. Wörterb. S. 208, stellt dazu noch ir. meunair 'macula'.

Lat. gliscere sich ausbreiten, zunehmen: skr. jröya» Raum, Umfang, Fläche, avest. zrayahh- -'Meer'. Zusammenhang mit y'/Äo), yltdij (Ascoli Z. f. vergl. Spr. 17, 324) ist mir semasiologisch weniger wahrscheinlich.

Lat. futmiUns : skr. tumula-s geräuschvoll, lärmend, tumula-m Lärm.

Lat. ensis : skr. asi- masc. Schwert. Hom. uoo ist fernzu- halten ; es gehört wohl zu aeiocj als „das Hangende", wie doavtjo das Gehenk (Prellwitz Etym. Wb. s. v.).

Lat. eriis, era, älter esa : avest. anhu- "Herr'.

Osk. eisüd 'eo', eizois 'eis', umbr. ere 'is' : ved. esd- dieser, av. aesa-.

Lat. Herum : ved. itara-s ein anderer. Wegen umbr. etram ^alteram' usw, s. v. Planta Gr. d. osk. umbr. Dial. I 101. Kaum mit Recht hat man hierher auch got. idreiga 'Reue', aisl. idrask

134 Y. Partielle üebereinst. zwischen nicht benachbarten Sprachen.

'bereuen* gestellt (Brugmann Grundr. II 183): vgl. aisl. idrar PI. Eingeweide, Reue (Feist Got. Etym. 62).

Lat. itidem, item, ita : ved. iti so, vgl. itthif, av. id-a so.

Lat. vacillo : skr. väncati wackelt, wankt, geht krumm.

Lat. sepelio 'besorge einen Toten, bestatte' : skr. saparyäU pflegt, besorgt, verehrt. Weiterbildung von ski'. sdpati, gr. e<p'

Lat. bibo aus *pibö, ir. ibf}n aus *pibim : ved. pibämi 'trinke'.

Lat. veis vis 'du ■wiUst' = skr. resi du ei*strebst, begehrst.

Lat. cahis 'acutus' (sabin. cata acuta, Varro 1. 1. VII 46), helltönend, scharfsinnig, gewitzigt, ir. cath weise: ved. gitä-s ge- schärft, scharf.

Lat. pru'ma aus '^prusvJnä Reif: skr. prüsvä Reif. Verwandt ist auch got. fr ins Frost, ahd. friosan.

Lat. prönus : skr. pravand-s abschüssig, geneigt. Solmsen (Stud. z. lat. Lautg. 97) trennt wohl mit Recht gi'. rr^är/^c von prönus; natürhch steckt aber in beiden Wörtern die Prae- position pro.

Lat. culcita : skr. kürcd-m Büschel, Bündel. Wulst. Lit. Atdkä 'Kugel' hegt begriffhch ferner.

Lat. mtiger 'qui taüs male ludit' (Fest. p. 158, b, 28 M.): skr. mühyati 'wird irre, verwirrt, verfehlt', möyha-s vergebhch, zwecklos; vgl. lat. muginari tändeln, säumen. Stolz Hist. Gr. d. lat. Spr. I 291 zieht hierher auch mufrim Schwindler, Petron. 58, 13, das Bücheier Rhein. Mus. 39, 426 zu uviUo^iai stellt i).

Lat. per-mi-tie-s (Enn., Acc, Plaut, Lucil. s. v. a. pemicies): skr. pra-ml-td-s vernichtet, zerstört, tot. Vgl. Corssen, Krit. Beiü-. 266 f

Lat. castus eig. zurechtgewiesen, erzogen, züchtig, castus (Gen. castus) rehgiöse Zucht, castigo züchtige : skr. ri\std-s Part, von gds-ti weist zurecht, züchtigt.

Lat. dis-sipare auseinanderwerfen : skr. ksipdti wirft, schleudert, vi-kiipdti wirft auseinander (de Saussure Mem. de la soc. de hngu. Vn 76).

Lat. probus, vgl. osk. prufafted : skr. pra-bliu (f pra-bhvi'-) hervorragend. Aufrecht (Rhein. Mus. 43, 318 f.) verbindet probus

1) Ein blosses Versehen scheint es, wenn Stolz a. a. 0. 151 müger aus *moigro- herleitet und als Beispiel für ü aus oi anführt, obwohl er es mit ai. muh- verbindet.

Arisch-italokeltische Uebereinstimmungen. 135

mit skr. pra-dha- (nicht belegt), wogegen v. Planta, Gr. d. Osk.- Umbr. 458, einwendet, dass dann '^produs zu erwarten wäre. Wie im Skr. ist im Lat. bim- auch sonst als letztes Glied von Kompositen verwendet. Das Substantivura tribus, umbr. trifu hat den M-Stamm festgehalten; siiperbus, acerbus sind in che Flexion der o-Stämme übergetreten. Skutsch (Plautin. u. Roman. 42) führt letzteres freilich auf *acridhos oder *acrodhos zurück, was an sich möglich ist. Für siiperbus aber ist Zusammenhang mit bhu- schon wegen gr. V7iEQ-(f ialog ^übermütig' aus *V7teQ-ffßia?.og wahrscheinhch. Vgl. femer umbr. difiie = dKpvrjg : la.t dubitis; als zweites Glied einer Zusammensetzung erscheint vor Vokalen. bhv- statt bhü-; vgl. e/Mtofißr^ aus H/Mzo^-ßF-ä zu ßovg.

Lat. vacca : skr. vacd Kuh (im engeren Sinne eine, die' weder trächtig ist, noch ein Kalb nährt). Havets den Vokal- gesetzen widei-streitende Herleitung von vacca aus vet-ca (Mem. soc. lingu. VI 30) wird durch den Vergleich von qiiattiior nicht gestützt. Schwieiigkeiten macht das doppelte c: Fick (Idg. Wb. I* 124) scheint suffixales -cä anzunehmen. Thmiieysen (Z. f. vergl. Spr. 30, 488) erklärt aber das cc ansprechender aus einer Art hypokoiistischer Verdoppelung (wie in Ji/xxwr, lat. Agrip>pa).. Genau analog ist occa Egge: gr. o^lvr^, lit aketi eggen, ahd^ egida, vielleicht auch delph. Afix/ci BGH. XIX 17 = Ae^w, die Verknüpfung von vacca mit vacd also jedenfalls nicht anfechtbar. Die Ableitung von vdgati 'brüllt' verwerfen Bechtel (Hauptprobl. d. idg. Lautl. 263) und Pischel (Bezz. Beiti-. XX 259) aus sema- siologischen Gründen.

Ir. cril Huf: avest. sr{u)va Nagel, Klaue, Hom; die Bedeu- tung Huf zeigt auch balücT srunbe stimm. Stokes, Kelt. Wörterb. I 79.

Ir. doe Arm, gen. doat : skr. dosdn- Vorderarm, avest. daosa^ Schulter. Stokes a. a. 0. 335.

Ii'. cecht Ki-aft : skr. cdkti- das Können, die Kraft. Stokes a. a. 0. 58.

Ir. bodar taub : skr. badhird- taub.

Gall. ambe 'livo', inter ambes 'inter rivos" (EndHchers Glossar) zu skr. ämbhas 'Wasser'.

Ir. bro Mühlstein : skr. grdvau- Stein zum Zermalmen des Soma 1).

1) Gall. 8u- Praefix in Namen : Suesstones, Suanetes, Sucarius (Glück

136 V. Partielle Uebereinst. zwischen nicht benachbarten Sprachen.

1

Zu diesen, wie ich denke, ziemlich sicheren und anerkannten ^ Fällen tiitt noch eine ganze Reihe weniger schlagender partieller Uebereinstimmungen. So ist das Wort fiii' 'salben' nur im Ski-, und Itahschen nachweisbar (ski-. ahj- : ancikti, lat. ungiio) während der zugehörige Ausdruck füi* 'Butter' auch in den Zwischen- sprachen vorkommt: ahd. ancho, preuss. *anctan (? überhefert auctati), ir. imh 'Butter', vgl. ski*. dhjas^ lat. imgueu, umbr. umen Salbe.

Der s-Stamm lat. rüs, G. rfir-is entspricht avest. raranh- 'das Weite', womit got. rüms, ahd. altsächs. altnord. rnm 'Raum' nur in der Wui"zelsilbe sich berührt.

Lat. noväciüa Schermesser ist von einem Verbum *csuoväre ausgegangen, das genau zu ski-. ki-näuti 'schärfen, schleifen, wetzen' stimmt: das Griechische kennt nur die nicht nasahrte Wurzel- form ^L-.

Die Yerbhidung der Negation der enkhtischen Pai-tikel ve, lat. n^-re, skr. nd vä, avest. nava 'oder nicht, auch nicht', ver- doppelt 'weder noch' (Bartholomae, Bezz. Beitr. XIII 58), ist auf diese Sprachen beschränkt,- ve allein ist allerdings auch in gr. r^e aus ij-ßi vei-ti'eteu.

Lat. bnfö Kröte (Yerg. Georg. I 184), dessen f auf nicht lateinische Herkunft weist (Ceci, Contiibuto alla fonistoria del Latino p. 8), hat Fick (Idg. Wh. I^ 407. Bezz. Beitr. XYII 321) mit ski". gödhä 'eine grosse Eidechsenart' verbunden.

Von den lautlich weit auseinander gehenden Namen der 'jNIilz' in den Einzelsprachen stehen sich lat. lien und skr. pWidn-, jilihan- am nächsten. Gr. art'A^v, a7t).dyyva, asl. slezena, lit. bluznis 'Milz' khngen an, liegen aber doch lauthch weiter ab.

Ebenso stimmt lat. derbiOsus 'grindig' aus *derdviOsus nur zu skr. dardü-, Hautausschlag, Aussatz' (nicht belegt). Daneben liegt skr. dadru-, angls. tete>\ ahd. ziftavoh, lit. dedervin'e 'Aus- schlag'. Di<' lat.-ind. Form ist entweder durch Metathesis des r aus der zweiten oder durch Dissimilation (Pei-sson Wuraelerweit. 163) aus *dnr-dru- entstanden.

Ansprechend, aber nicht gesichert ist die Erklärung von

Kelt. Kamen bei CaeRar 48 A), ir. su- (so-), cynir. am- (hi/-) z. B. in ir. so-nirt, kymr. hy-nei-th 'stark' = skr. ««-, avest. hu- in pleicher Verwen- dung, lasse ich bei Seite, weil es auch in perm. iSugamhri enthalten sein k«>nnte (Bremer, Z. f. dtsch. Altert. 37 [1893] S. 12).

Arisch-italokeltische Uebereinstimmunoren. loi

ätrium] als Herdsaal, Feuersaal (Kuhn in seiner Zeitschr. 6. 239) zu avest. ätare Feuer, vgl. altpei-s. Ad^rina, ^^Toadatr^g, osset. arfh (auch armen, airem Hübschmann Arm. Stud. I 19). Die alte Ableitung von äter schwarz (''atrum enim erat ex furao' Sen'. Verg. Aen. I 730) hat zwar den Vorzug an ein lat. Woit anzuknüpfen, ist aber semasiologisch nicht wahi^scheiulich. Gr. uO^^Qor darf man auch nicht mehr- vergleichen (Preller-Jordan Rom. Myth. II 156 Anm.), denn es gehört, wie die Nebenform ■y.^lXed^QOv lehrt, nicht zu uf/.ccg, sondern vermutlich zu ahd. himil (Johansson, Z. f. vergl. Spr. 30, 429).

Mehr als zweifelhaft scheint mii- L. Meyers und F. Froehde's Zusammenstellung (Bezz. Beitr. 16, 208) von älea aus *axlea mit skr. ahsä- Wüilel. Wenn aksä- s. v. a. 'das mit Augen ver- sehene' bedeutet, also zu ahsi (am Ende eines Kompositums -akÄ-a-) gehört (vgl. Grassmann Wb. zum ßV. s. v. Leumann Etym. Wb. d. Skr. s. v,), so müsste im Lat. o entsprechen (oculus).

Statt noch weitere mehr oder weniger unsichere Gleichungen zu häufen, begnüge ich mich zum Schluss auf einen kulturgeschicht- lich wichtigen Fall hinzuweisen . den aiisch-italisch - keltischen Xamen des Silbeis: ski\ rajatd-, avest. erezata-: lat. argentnw, osk. (iragetud, breton. argant, gall. argento- {in Argento ratum, -magus-) m-kelt. arqanto- delleicht in "^oyavd-vjviog (Herodot I 162), in welchem Dümmler (bei Bradke Meth. d. ar. Altert. 23 f.) den halb mythischen Repraesentanten des silbeireichen Tartessos er- kemit, den die Massalioten von den Kelten übernommen haben. Die Lebereiustimmung des ansehen und itahschen Wortes auch im Suffix gegenüber gr. agyioog kami, wie Bradke a. a. 0. 16 f. 88 mit Recht betont, kaum auf einem Zufall beruhen: ich sehe sie als einen wertvollen Zuwachs zu den bereits gesammelten arisch- italisch-keltischen Berühi-ungen au, trotz des armen, arcat/i 'Silber, das mit ski-. rajatd-, avest. erezata- nicht „unerwandf* sein kami, da dann füi- lat. e7i = ar. a armen, an zu erwarten wäre; Ent- lehnung von arcath aus dem Iranischen ist aber, wie mir Andreas bestätigt, dm'chaus denkbar. Eine Parallele bildet armen, arciv Adler, das wegen des v auf avest. erezifya-. altpers. aolKfog (Hesych. üo^Kfog) zurückgehen muss.

Zu diesen zahlreichen lexikalischen Berührangen gesellt sich nun eine Reihe schwerwiegender flexivischer Uebereinstim- mungeu. Am wenigsten Gewicht will ich auf die Ausbreitung

138 V. Partielle Uebereinst. zwischen nicht benachbarten Sprachen.

des Ablativausganges -d legen, welche das Italische mit der Sprache des Avesta teilt, jedoch ohne darin völlig mit dieser zu- sammenzugehen. Im Italischen sind die neuen Ablative durch Anfügung des -d an den Insti'umentalis entstanden {-id, -üd aus dem Insti'. auf -i , + -d nach dem Verhältnis von lust. : Aljl. -öd), im Ii-anischen durch Umformung des Genitivs : Abi. garöit, mainyaot, visat : Gen. garöii, maimjaos, visö (aus vTsas). Das Zusammentreffen in der Ueberb'agung des -d mag also zufällig oder doch nur in der Neigung dazu und in der Bevorzugung des Ablativs eine sprachhche Berühi-ung anzuerkennen sein.

Aus der Prononiinalflexion ist ausser den eben genannten Ablati\'foi'men als eine west-östliche Eigentümlichkeit die Bildung des Dativs lat. mihi umbr. mehe aus *mehei : ski'. mdhyam an- zuiiihren, an welcher freilich auch das Annenische teil nehmen würde, wenn inj richtig aus *imj , *emegh- gedeutet wird (Brug- mann, Grundriss II 816). Die indische Form deckt sich zwar mit der italischen im Ausgang nicht, da aber beide darin mit dem Dativ des Pronomens der 2. Pei*son übereinstimmen {mihi : tibi aus tihei, umbr. tefe ski". mdhyam : tübhyam), so kann auf beiden Seiten sekundäre Umgestaltung vorliegen. Jedenfalls bleibt die Uebereinstimmung in dem aspirirten Anlaut des Suf- fixes -h- sehr beachtenswert, welcher ebenso altertümlich ei-scheint als er singulär und dunkel ist. Denn wenn Bi-ugmann a. a. O. dieses -h- mit dem von ski\ ahdm füi- identisch erkläi-t, so über- sieht er, dass letzterem h im Lateinischen wie in allen europäi- schen S])rachen g (bezw. dessen Vertreter) entspricht; ist es aber glaublich, dass genau derselbe Laut in ego durch g und in mihi durch h vertreten sei?

Auf dem Gebiete der Zahlwörter stellen eine keltisch-arische Besonderheit die Femininbildungen für 3 und 4 dar: skr. tisr-ds avest. tisr-ö : ir. teoir aus *tisor-es, skr. cdtasr-as av. cataiir-ö : ir. cetheoir aus *kefesor-es. Ferner teilt das Lateinische mit dem Arischen das Zahladverbium skr. catiir aus *caturs viermal, av, caih'us : lat. quater aus *qualur, *quaturs umgeformt nach ter.

Aus der VcrbalHcxion gcluirt hierher vor allem die nur im Arisclien und im Italiscli-Keltischen vertretene Pei-sonalendung -r. Obwohl die Entwicklung der Verbalformen auf -r im Arischen einerseits, im Italischen und Keltischen anderereeits ganz ver- schieden«' Wege gegangen ist, so ist doch eine gemeinsame Grundlage niciit zu bezweifeln. Wie wir uns diese zu denken

Arisch-italokeltische Uebereiustimmungen, 139

haben, ist noch nicht mit Sicherheit ermittelt; jedenMls ist aber die Ansicht, dass die Verbaltbrmen mit r eine gemeinidg. Bildung dai-stellen, also dem Griechischen, Germanischen, Sla- vischen und Litauischen verloren geirangen sind, keineswegs so selbstvei-ständlich , wie man annimmt. Als unmöglich lässt sie sich fi-eilich nicht erweisen, aber vorläufig wird es gut sein, die Thatsache nicht aus dem Auge zu verlieren, dass bisher auch nicht eine Spur jener Bildung in den letztgenannten Sprachen nachgewiesen ist, denn die Vermutung, dass das q von gr. öivoo mit dem r der indischen III. PI. Imper. Med. z. B. geratam zusammenhänge, hält Bezzenberger (Beitr. II 270) jetzt wolil selbst nicht mehr aufrecht.

Kein Gewicht lege ich der Thatsache bei, dass allein das Lat. mit dem Indischen die von derWiu-zel mit Suffix -ai abgeleiteten Infinitivformen gemein hat: lat. agT = ski'. (nlr-)dje. zumal in Frage kommt, ob sie iiicht doch auch im Griechischen vertreten sind: s. Brugmann, Grundriss II 1413. 1417.

Zweifelhaft kann es ei-scheinen, ob man an Zufall oder an historischen Zusammenhang zu denken hat bei der Yokahsirang der Perfektreduplikation. Während im Griechischen und Gotischen durchgehend e als Eeduphkationsvokal des Perfekts dient (gi\ XdXoiTta, 7ri(fevya, got. haihäit , stmstaut)^ gilt im Arischen die Regel, dass die Beduphkation bei /-Wm"zeln auf i, bei f^-Wui-zeln auf u ausgeht. Merkwüi'digerweise finden sich nun auch im Lat. sowie im Kelt. Spuren dieser Vokahsii'ung. Lat. futudl deckt sich genau mit skr. tu-hid-e, lat. sci-scid-i entspricht skr. ci-chid-e Gegen die Ainiahme historischen Zusammenhangs lässt sich frei- hch geltend machen, dass nach Gelhus N. A. VI (VII ) 9 der To- gatendichter Atta pepugero für pupugero schiieb , sowie dass es neuumbr. dersicust , dersicurent aus *de-dicust, de-dicurent heisst, und Brugmann (Z. f. allgem. Sprachw. I 245) hat es deshalb abge- lehnt, die lat. Assimilation des Reduplikationsvokales mit der gleichen indischen Ei"scheinung unmittelbar zu verknüpfen. Von rein itali- schem Standpunkt aus kann man dieser Ansicht eine gewisse Berechtigung nicht vei"sagen, dennoch scheint mir die Möghch- keit eines direkten Zusammenhanges keineswegs ganz ausge- schlossen: man ei-wäge ei-stens, dass schon der Tragödiendichter L. Accius, der etwas älter als Atta ist (geb. 170, Atta gest. 77 V. Chr.), die Reduplikation mit / hat {sciciderat Gell. a. a. 0), zweitens dass jederzeit neben die Foniien mit u durch Einfluss der

140 V. Partielle Uebereinst. zwischen nicht benachbarten Sprachen.

Perfekta von c-Wurzelu Formen mit e ti-eten konnten. Im klas- sischen Latein haben die Formen mit u (puimgi, tuttidi) den Sieg davon getragen und haben sogar Analogielnldungen : cucnrri, jyoposci , momordi, spopondi, totondi für älteres cecnrri , peposci, memordi, spepondi (Gell. a. a. 0) nach sich gezogen. Mag man aber auch zunächst den gemeinsamen Ui'sprung dieser indiscli- lateinischen Reduplikationsweise für sehr unsicher halten, so wird man es doch merkwürdig finden, dass sich diesell)e vereinzelt auch im Keltischen nachweisen lässt: nach Windisch (Z. f. vergl. Spr. 23, 245) ist ir. (ro)chuala 'audivi' ülier *cochva, ^cöla aus *ku- klov-a entstanden, deckt sich also genau mit skr. ai-crdv-a. Fenier sucht Rieh. Schmidt (Idg. Foi"sch. I 62) eine Reduplikation mit / in den Perfekten (^ivil 'adhaesit' (zu glenim , Wz. (ßei-) aus *gi-(/I-e und dorad-chifiir 'redemit* (zu do-ad-crenim, Wz. krei-) aus *ki-k)'-e. Eriinifn-t man sich nun weiter au skr. ba-hhü'v-a (av. ha-vär-n), ved. sa-snv-a, Part, ra-caij-änä-s, so wird man zu dem Schluss ^redrängt, dass bei den /- und ?/-Wurzeln ui-sprünglich beide Reduplikationsweisen, die mit e und die mit i bezw. m, neben einander bestanden. Wie sich diese Doppelform erklärt, ist eine andere Frage. J, Schmidt hat die Vermutung geäussert, dass die ureprün gliche Vokalisining *ba-bhdv-a (= av. baväva) : *bu- bhuv-ür, ^ba-bhed-a : bi-bhid-ur war und dann nach vei-schiedenen Seiten Ausgleichung eingetreten ist. Ebenso könnten im Lat. neben einander te-tüd- (aus fe-toüd-, vgl. contädit) und tu-tüd-, pe-pRg- und pu-püg- bestanden halien. Unter diesen Umständen kann ich es noch nicht für erwiesen ansehen, dass der Reduplikations- von vokal tutudl als jung zu betrachten und diese Form mit skr. tulude nicht unmittelbar gleichzusetzen ist.

An die arisch-italisch-keltischen Uebereinstimmungen in der Verbalflexion schliesse ich noch die bemerkenswerte Gleichung skr. rrdd-dndhäwi. ich glaube, vertraue : lat credo, ir. cretim ich glaube. Darmesteter (F^tudes iraniennes II 120) hat in dem ersten Gliede dieser Zusammensetzung kred == skr. rrdd das europäische Wort fiir 'Herz', gr. y.aQÖia, lat cor, ir. cride, got. hairfo, lit. szird'ts asl. srldice, armen, siti wiedererkannt. Zwar zeigen got hairto, gr. /./](» aus */.r^oö (russ. sereda Mitte .1. Schmidt Vok. II 76) eine andere Lautfolge in der starken Wurzelform, aber diese Metathesis von r hat Parallelen (vgl. Rrngmann Grund- riss II 450 j und kann speziell im vorliegenden Falle durch die folgende Doppelkonsonanz (-d-dh-) bedingt sein: vgl. skr. Fut

Arisch-italokeltische Uebereinstimmungen. 141

drahtiydmi zu dudärra^ gr. öovr/.Tuien' {Hesych., cod. dQoy.Tctleig, Zi. f. vergl. Spr. 31, 412), srapsyämi Aor., dsräpsam zu särpami ^), prästi- Seitenpferd zu 2)än;u- Eippe (Wackernagel Altind. Gramm. I S. 213), gr. 7tQ0j'i TCQi./.r6g (Hesych.) neben ycioy.og jceq/.vüj (danach TceQ/.vöo). Auffällig ist nun, dass während skr. gräd im Anlaut mit dem europ. "Wort für 'Herz' übereinstimmt, die ge- wöhnliche arische Benennung des Herzeus skr. hdrd-i, hr'd, h/daija-, av. zered- (Instr. zeredä-cä), zaredai/a-, osset. zerde einen ab- weichenden Anlaut zeigt. Man könnte deshalb die Deutung von cräd als 'Herz' ganz in Frage stellen wollen, wemi diese nicht, wie Darmesteter mit Eecht betont hat, durch das avest. z[a]rns(-ca) dät 'möge Vertrauen schenken', z[a]raz-dü 'vertrauend, ergeben', z[a]raz-däit>- 'Ausübung der Ergebenheit' eine weitere Stütze er- hielte. Hier liegt der Anlaut, den wir erwarten, deutlich vor. Wer der Ansicht ist, dass das im Uebrigen dem Skr. so nahe stehende Iranische sich in diesem Punkt urspi'ünglich vom Indischen nicht weiter habe entfernen können als Italisch und Keltisch, wii"d auf Seiten des Avestischen sekundäi'e Umgestaltung ver- muten: für ski'. crad-dha- wäre avest. *sras-dä- zu erwarten dies wurde zu einer Zeit, als man sich noch der Bedeutung 'Herz' fiir das erste Glied der Zusammensetzung bewusst war, mit An- lehnung an zareöaya- zu z[ajraz-dü- umgeformt 2). Das indische grad ist, da es lautlich viel weiter von hdrdi 'Herz' abstand, dieser volksetymologischen Umgestaltung entgangen.

Ich komme nunmelu' zum Schluss: die vorstehende Unter- suchung hat eine, wie jeder zugeben wird, auffallend grosse An- zahl partieller Berührungen zwischen den ansehen und den itahsch- keltischen Sprachen kennen gelehrt. Die morphologischen Ueber- einstimmungen sind so zahkeich und die lexikalischen teilweise

1) Es ist verlockend, lat. repo neben serpo auf ein einziges Paradigma serpo : *srepsi = skr. sdrpämi : dsräpsam zurückzuführen, und wir dürfen dies vielleicht trotz lit. repliöti, das sein anlautendes s verloren haben könnte, wie riyog, skr. tudftmi, pdcyämi und verwandte Fälle.

2) Caland, Z. f. vergl. Spr. 33, 461, führt das erste a in zarazda- auf den Einfluss der neupersischen Abschreiber zurück, da im Neupersischen das Gesetz gilt, dass kein Wort mit zwei Konsonanten anlauten darf; im Inlaut fehlt das a : a-zrazdäi in dem von Darmesteter herausgegebenen Kirangistän 17. Andreas will vielmehr (einsilbiges) zerez- einsetzen; es kommt hier auf die Vokalisirung nicht viel an: genug, dass die Iranier an die Stelle von *srad- ihr Wort für 'Herz' gesetzt haben.

142 V. Partielle üebereinst. zwischen nicht benachbarten Sprachen.

von einer Art, dass die Annahme, es handle sich hier dui"ch\veg um gemei]ündo,irermanische Sprachelemente, die den zwischen- wohnenden Völkern verloren gegangen seien, als unwahrscheijilich beti'achtet werden muss. Zwar für einzehie Fälle wäi'e diese Möghchkeit zuzugeben, aber für solche Gleichungen wie rex : rdj-, fläynen : hrähman- , ii-. aire : äryaka- 'yiqicx/xa scheint sie mir auszuschliessen ; auch die Zahl der Ueberehistimmungen, darunter so schwerwiegender wie credo : crad- d/iä- , die Verbal- formen auf -r fordert eine andere Erklärung. Diese Uebereinstim- mungen sind von der Art, wie wir sie zwischen Nachhai-sprachen gefunden haben, sie setzen mithin voraus, dass einmal eine Ver- schiebung in der geographischen Lagerung der idg. Stämme statt- gefunden hat. Man würde sich indessen den Vorgang schwerhch richtig vorstellen, wenn man etwa ainiähme, ludo-Ii'anier und Italo-Kelten hätten eiimial dicht bei einander gesessen und eine ßeihe sprachlicher Eigentümhchkeiten ausgetauscht. Eine so ge- waltige Umwälzung der geogi'aphischen Verhältnisse braucht keines- wegs vorausgesetzt zu werden, um die partiellen Uebereinstim- mungen dieser Sprachen zu erkläi'en: es würde die Annahme ge- nügen, dass in vorhistorischer Zeit etwa ein westidg. Stamm durch Auswanderung nach dem äussei-sten Osten des idg. Gebietes ver- schlagen worden und in den dortigen Völkern aufgegangen ist, denen er nun dialektische Eigentümlichkeiten der westhchen Idiome zuführte. Auch die umgekehrte Richtung der Wande- rung wäre denkbar, doch könnte skr. grad- dhä-, dass die westidg. Lautform des Wortes für Herz auf indischem Boden zeigt, für die west-östliche Richtung geltend gemacht werden. Eine genaue Vorstellung von den zu Grunde liegenden Vorgängen lässt sich indessen überhaupt nicht mit unseren Mitteln gewinnen, sie können verwickelter gewesen sein, als wir zu erkeimen vermögen. Nur soviel düi-fen wir behaupten : die partiellen Berührungen des In- discli-L-anischen mit dem Italisch-Keltischen sind so zahlreich und zum Teil so eigenartig, dass sie sich schwer andcM-s als durch uralte Wanderungen ei-klären , welche den Austauscli gewisser Spracliei-scheinungen zwischen den westlichsten nnd östlichsten Gliedern des idg. Sprachstammes ermögUchten.

Diese Annahme mag auf den ei"sten Blick etwas abenteucM'- Hch ei-scheinen, aber sie scheint nur kühn. Wenn wir altger- manisciien Wöi-tern im Italischen und Spanischen begegnen, wenn wir den Namen der einst an der Oder ansässigen Wandalen im

Ariech-italokeltische Uebereinstimmungen. 143

südlichen Spanien in Andalusien ^viederfinden , dann sind wir über die Ui'sache dieser Erscheinung nicht im Zweilel : die Wan- derungen ostgermanischer Völker nach den Mittelmeerländern sind dm'ch die historische Ueberheferung beglaubigt ^). Aus den historischen Vorgängen müssen wir aber lernen, die praehistorischen zu erkennen: wenn wii* also den arischen Namen zugleich bei den Kelten und in Iran und Indien antreffen, weim denselben Ländern eine grosse Zahl wichtiger Sprachformen ausschliesslich gemeinsam ist, dann kann der Schluss, dass hier ein Volk, welches der Träger dieses Namens und dieser Sprachformen war, die Vermittlung bildete, nicht mehr gewagt erscheinen. Im Gegen- teil — er stimmt vortrefflich zu den Anschauungen, die wir- oben unabhängig von dieser Folgerung uns über die ältesten ethni- schen Zustände der Indogermanen gebildet haben. Es ist an sich wohl glaublich, dass der praehistorischen Periode der Aus- breitung der Indogermanen gewaltsamere Völkerbewegungen nicht ganz gefehlt haben, wie die, welche im III. Jalu'hundert v. Chr. galhsche Schwärme nach der nördUchen Balkanhalbinsel und bis ins Herz von Kleinasien geführt, welche in nachchristUcher Zeit germanische Schaaren nach Griechenland, Italien, Spanien, ja bis nach Nordafiika verschlagen haben 2). Nehmen wir an, dass

1) Schon im Altertum sind bekanntlich mehrfach Völkerwanderungen angenommen worden auf Grund der Beobachtung, dass derselbe Stammname in verschiedenen Gegenden vorkommt ich erinnere bloss an paphlagon. 'EvEToi: ital. Veneti , und mit Kritik geübt ist dies Verfahren gewiss berechtigt {\g\. z.B. Bgoyoi: ^gvys;). Hirt hat Paul und Braune's Beitr. XVIII 511 eine Reihe indogermanischer Völkernamen von ähnlichem Klange wie ital. und germ. 3Iarsi kombinirt und daraus auf vorhistorische Völker- trennungen geschlossen. Im Prinzip wäre das denkbar; wie fragwürdig aber im Einzelnen Hirts Vergleichungen sind , hat schon R. Much (in dera. Ztschr. XX 1 ff.) nachgewiesen. Auch Zimmei's Vermutung (Bezz. Beitr. 11 145 7) , dass die kaukasischen und die spanischen Iberer und kelt. ^lovegvia Hibernia (ir. Ehher Eponym und Stammvater der Iren)- zu- sammengehören, erstere als Abkömmlinge galatischer Horden, scheint mir sehr unsicher. Abstammung der asiatischen Iberer aus Europa und um- gekehrt haben bekanntlich schon viele antike und moderne Autoren an- genommen, aber schwerlich mit Recht : s. Forbiger Alte Geogr. III 19. Kiepert. Lehrb. d. alt. Geogr. 87.

2) Ich betone dies, weil Brugmann (Z. f. allgem. Sprachw. I 252j es als unwahrscheinlich bezeichnet hat, dass die verschiedenen Stämme in vorhisto- rischer Zeit in fortwähi-enden Hin- und Herwandern von einem Ende des idg.

144 y. Partielle Uebereinst. zwischen nicht benachbarten Sprachen.

in jener Urzeit, in welche die aiisch-italisch-keltiscben Beziehungen hinaufgehen, die Italiker noch nördlich der Alpen, die luder noch nicht in Indien sassen, und erwägen wir, dass der west- lichste Flügel der Ii-anier bis nach Südi'ussland reichte, so wh'd die postulirte Völkenerschiebung noch weniger bedenklich er- scheinen.

Partielle sprachhche Uebereinstimmungen zwischen nicht be- nachbarten Völkern fehlen auch sonst nicht auf idg. Gebiet, aber und das ist um des Gegensatzes willen lehiTeich nirgends sind sie so zahlreich und so bedeutsam, wie zwischen Ariern und Italokelteu. Von moiiihologischen Berührungen wäre etwa die Bildung der Distributivzahlen mit Suffix -tio im Lat. und Genn. anzufühi-en: \at. blni, t erni Miid trlui, quaterninsv^. altish tuen- ner 'je zwei' a.\is*twi2-na- (vgl. mhd. zw/r« 'zweich-ähtiger Faden') ßremier 'je di-ei' aus/n>-wrt-, ferner 'je vier' (hervorgehoben schon von Lottner Z. f. vergl. Spr. 7, 37). In den germanischen Bil- dungen ist das Suffix -no- an che Zahladverbia tiriz- zweimal (wie es in altisl. tcisvar 'zweimal', got. tvis- vorliegt) aus *dvis-, Prix- 'dreimal' aus */r/.s- angetreten i). Nun zeigen auch lat. terni^ quaterni deutlich Zusammenhang mit den Zahladverbien ter, quater; dadurch wird es wahrscheinlich, dass auch bini, trlni aus ^bis-ni *tris-ni entstanden und mit den entsi)rechenden altisl. Bildungen genau identisch sind. Andererseits muss dann die an sich \ mögliche Annahme fallen, dass blni altes l enthalte und mit lit. dvynü Du. 'Zwilhnge' {dvi/nytis Zwilhch) zusammengehöre; mit letzterem ist rielmehr nur angls. tu(n (ndl. twijn) 'Zwini' zu vergleichen. Somit hätten wir es bei den genannten Distributiv- zahlen Avirklich mit einer partiellen Uebereinstimnmng des Itahschen und Gennanischen zu thun. Fi-eilich fällt sie wenig ins Gewicht, denn gerade derartige Bildungen, welche durch Umsclu-eibungen

Sprachgebietes zum anderen begriffen gewesen seien. In den von Brugmaun angeführten Fällen springender Uebereinstimmung scheint freilich auch mir eine derartige Annahme nicht zu empfehlen. Hirt allerdings will sogar Armenier und Germanen auf Grund der Verschiebung von h d g zu p i k vereinigen (Idg. Forsch. IV 45): er übersieht, dass die Armenier schon Jahrhunderte lang in Kleinasien gesessen hatten, als die germ. Lautverschiebung eintrat (vgl. Kap. VII). Ich glaube eher, dass die armen. Verschiebung nur eine gleichartige Ursache gehabt hat wie die germ., nämlich Lautsubstitution infolge von Sprachwechsel.

1) Vgl. Brate, Paul u. Braune's Beitr. X 78 gegen Tamm, ebd. VII 446; über titsrar anders Bezzenberger in seinen Beitr. VII 77.

Italisch-lituslavische üebereinstimmungen. 145

leicht ersetzbai- sind und dadui'ch übei'flüssig werden, sind der Gefahi- des Unterganges ganz besonders ausgesetzt. So hat das Deutsche seine Distl•ibuti^•fonnen zwiske, driske, feoriske sehr frühzeitig autgegeben, und das Gotische vei-wendet neben der einzigen belegten Bildung tveihnai 'je zwei' bereits Umschreibungen mit bi {bi trans) und hazuh (ins ivans hnnznh^. Wir müssen also mit der Möghchkeit rechnen, dass auch das Keltische eine dem lat. blni entsprechende Distiibutivbildung besessen, aber schon frühzeitig aufgegeben hat. Andere springende üebereinstimmungen, wie die oben (S. 99) erwähnten, benihen so offenkundig auf selbständiger Entwicklung in jeder dieser Sprachen oder können wenigstens darauf beruhen, dass sie keine Beweiski'aft haben.

Zahfreicher sind die lexikalischen Berührangen zwischen nicht benachbarien Völkeni. Wo diese imr dui'ch ein Zwi- schenglied von einander geti'ennt sind, wie Geiinanen und Itahker diu'ch die Kelten i), Arier und Gemianen durch die Slaven 2). ist die Wakrscheinlichkeit, dass das beti-eöende Wort einst

1) Immerhin fällt es auf, dass die Italiker nur mit den Germanen drei Ausdrücke für Jahreszeiten teilen: 1) annus : got. apn (über die Laut- verhältnisse s. Solmsen Stud. z. lat. Lautgesch. 165 f.). 2i anmna (für *(inona mit volksetymologischer Anlehnung an annus\: got. a.5a?i.s Erntezeit, anord. ()nn Jahreszeit für Feldarbeit, ahd. aran Ernte, weiter preuss. assanis , asl. jeserii Herbst. 3) tvr: anord. tdr ntr. 'Frühling' aus *ver. Vermutlich ist schon in uralter (vorgerraan. und vorital.) Zeit *fesr- i^lit. vasarli, gr. taq) unter gewissen Bedingungen (etwa in unbetonter Lage?) zu vcr- geworden ! analog asl. veno 'dos' für *vesno = skr. vasndm, S. 152), denn im Germ, ist sonst -sr- durch -str- vertreten, vgl. anord. systr; ür-r 'Auerochse', röm.-germ. ürus ist entweder von skr. usrd- 'Stier' zu trennen (so Kluge Et. Wb. u. Auen oder wie vär zu beurteilen (anders über diese Lautverhältnisse J. Schmidt, PI. d. Xtr. 201. Bartholomae, Bezz. Beitr, XV 16). Vorzüglich würde zu der vorgetragenen Ansicht Kluges Er- klärung von *iero- 'wahr' = lat. virus, air. fir , ahd. icär (asl. vera) aus *ves-rn- 'seiend' passen (Et. Wb. u. wahr). Das Keltische besitzt nach Stokes (Kelt. Wb. 278) die durch skr. vasantd- vertretene Stammform in acymr. guiannuin (gl. vere), com. gttaintoin (ver). Lat. tempus ist laut- lich mit got. peihs nicht wohl zu vereinigen (trotz F. Froehde Bezz. Beitr. VIII 166). Eine weitere, sakralgeschichtlich wichtige lat.-germ. Gleichung ist lat. cictima Opfertier : got. veihs heilig, veihan weihen (Osthoff Idg. Forsch. VI 39).

2) Bemerkenswert z. B. skr. arä Ahle: ahd. äla, wobei zu beachten ist, dass Germanen und Slaven ein anderes Wort für Ahle teilen : ahd. siula nhd. Säule : asl. silo zu siti nähen. Weitere germ.-arische Worte

Kretschm (>r, Einleit. in d. Gesch. d. gr. Sprache. 10

146 V. Partielle Uebereinst. zwischen nicht benachbarter Sprachen.

dem zwischenwohnendeu Volk angehört hat, ziemlich gi'oss. Auf- fälliger ei"scheiut es schon, wemi che partielle Uebereinstimmung Sprachgebieten gemeinsam ist, welche geographisch so weit ge- trennt smd, wie Itahsch und Litusla^äsch. Ich stelle im Folgenden das italisch-lituslavische Sprachgut zusammen, ohne zu entscheiden, ob es den zwischenliegenden Sprachgebieten verloren gegangen ist oder andersaiüge Vorgänge anzunehmen sind.

Die einzige mehi' moiphologische als lexikalische Ueberein- stimmung, die ich hier zu nennen weiss, ist die Bildung des Possessi^in'onomens : lat. nieus : -pveuss. mais, asl. moß und osk. tiium, umbr. tio7n (tm, tio) als Personalpronomen verwendet: preuss. tivais, asl. tvofi. Die Vokalstufen decken sich nicht. Jo- hansson (Bezz. Beitr. XIV 171) lässt inej-o-s bezw. moj-o-s von einem possessiv verwendeten Loc. *mei bezw. *mol ausgehen.

Lat. faba : preuss. babo, asl. bobü aus *bhabJi-. Die Ger- manen haben für die Bohne die kaum verwandte Bezeich- nung anord. baun , ahd. bona aus *baunä. Das Ut. pupä . lett. pupa steht mit dem preuss. und asl. Wort offenbar in Zu- sammenhang, aber in keinem unmittelbaren: vermuthch haben die Litauer und Letten ihr pupa zmiächst einem finnischen Dialekt entlehnt (liv. pupa, finn. papu mit Vokalumstellmig?) und dieser das Wort seinerseits wieder dem Sla vischen, denn es ist ganz gewöhnhch, dass das Finnische das ihm fehlende b in Lehnwörtern dm'ch p und o durch u einsetzt; nm- so begreift mau die sonst ganz miverständliche Lautfonn des lit. Wortes i). Das alban. baö-e Saubohne, das Schi-ader (Sprachvergl. u. Urgesch.^ 411. 428) mit lat. faba usw. verbinden wollte, fühlt G. Meyer (Alban. Stud. m 13. Alban. Wb. 22) A\ii*bhak'ä, gr. ya/.ot,-, (payLtj zurück, so dass also in der That das Lat., Slav. und Preuss. mit ihi-eni Wort allein stehen, denn das in der ersten Silbe an-

verzeichnen J. Schmidt Verwandtsch. 50 und Kluge in Pauls Grundr. I 303.

1) Ahlqvist (Kulturwörter der westfinn. Sprachen S. 39) und ihm folgend andere wie Schrader (bei Hehn, Kulturpfl. ® 216) kehren das Ver- hältnis um, indem sie das liv. Woi-t aus dem Lit. kommen lassen: dabei bleibt eben die lit. Form unerklärt. Wie Thomsen (ßeroringer S. 210) die Lautverhältnisse der verschiedenen fiuu. Formen i ausser den oben an- führten estn. uba, wot. upa, wogul. pap, weps. boba, mordwin. boba) auf- fasst, ist mir nicht ganz klar geworden.

Italisch-lituslavische Uebereinstimraungen. 147

klingende (fu/.ö^ würde, wenn mit jenem überhaupt vei'wandt, doch auf jeden Fall in der Fonn stark abweichen i).

Lat. cäseifs 'Käse" abgeleitet von einem vorauszusetzenden cäso- 'Geronnenes' : asl. kvasü 'fermentum", k(/selä 'sauer" (Fick Idg. Wb. 13 543. Pedersen Idg. Forsch. V 37).

Lat. sf-cü)'is : asl. seki/ra 'Hacke' von lat. seco asl. sekq, 'schneiden". Lat. secivum (Jibum est quod secespita secatiir, Paul. D. p. 523Th. d. Pon.) stimmt zu asl. secivo 'Axt' sehr genau in der Bildunii . aber nicht in der Bedeutung. Weniger sicher ist , ob martulus 'Hammer' durch Dissimilation von l / zu r J aus *mältnluH entstanden und mit asl. nilatü russ. molötü Hammer ver- wandt ist (J. Schmidt, Vok. H 131), da auch an Zusammenhang des lat. "Wortes mit marcus Hammer, marcidus kleiner Hammer, moi'tarium Mörser vgl. Vanicek Etym. Wb. d. Lat.* 212) ge- dacht werden könnte. Auch maUeus darf nicht mit asl. mlatu gleichgesetzt werden, da lat. It erhalten bleibt.

Lat. sucuJa Winde, Haspel : lit. siiku drehen, F. Froehde, Bezz. Beitr. XVII 318.

Lat. fornus, ftinius. fornax Ofen: asl. grünü 'lebes". grünilo Ofen, russ. gnrnü Herd, s. Bezzenberger in seinen Beitr. XII 79. Die Grundbedeutung scheint 'Topf zu sein (bulg. gnmec Topf); dies ist die primitivste Fonn des Ofens (vgl. got. auhns, ahd. ofan Ofen : skr. uklid Topf"?). Dann muss aber skr. ghrna Hitze (de Saussure Mem. syst. prim. 17) und got. hrinnan 'brennen' (Bezzenberger a.a.O.) ferngehalten werden. Lat. hirnea, hirnula Schenkkanne, das Pott und J. Schmidt Yoc. II 21 zu den slavi- schen Wörtern stellen, scheinen mir begriff hch weniger gut dazu zu passen.

Lat. döJium : asl. deJii, delürl. Gen. dlttve 'Fass' (J. Schmidt Voc. II 21 f.).

Lat. rrte Xetz aus *rcti , daneben 7'et/s: lit. r'etis (?o-Stamm) Bastsieb.

Lat. ansa : lit. qsa Henkel preuss. ansis Haken? Nessel- mann, Thesaur. S. 6V Vgl. auch Leumann Etym. Wb. d. Skr.- Spr. I S. 4.

1) Man könnte die slav.-lat. Grundform *bhahhä mit q:ay.6; nur 80 vermitteln , dass man jene durch Reduplikation der ersten Silbe von qpaxö; erklärte. Aber ich weiss für diesen Vorgang keine anderen Parallelen als .-TOTr.To .• .-zartjo , uäuua : uarrjg , und da handelt es sich um Lallwörter der Kindersprache.

10»

148 V. Partielle Uebereinst. zwischen niclit benachbarten Sprachen.

Lat. varus Flecken im Gesicht, Finne; lit. rh'as Finne im Schweinefleisch.

Lat. blotta ein Insekt, Schabe od. dgl. , wohl ein Wort der Volkssprache, durch die volkstümliche, der Schriftsprache fremde Assimilation von c an t aus "^blacfä entstanden: lett. bJakfs, lit. bläke Wanze.

Lat. combrUum eine Binsenart von combro- aus *quemdhro- : lit. szvendrai eine Art Schilf oder Rohr.

Lat. Hva aus */7(/rö : lit. uga Beere, asl. im-Jaga Weintraube, jagoda Beere. Die Vokalchiferenz erklärt sich durch die ander- weitig mehrfach bezeugte Abstufung von öu zu ü. Osthoif (Idg. Foi-sch. IV 283) bezeichnet ZAvar diese Amiahme als gänzhch übei-flüssig und nimmt mit Bersu (Gutturale im Lat. S. 148 und neuerchngs auch Ceci, Contributo alla fonistoria del latino S. A. aus Renchconti dell' Accad. dei Line. III 1894, S. 29 Anni.) volksetymologische Anlehnung an üvor, üvidus an, aber mit dem- selben Recht kann man chese Erklärung als übei"flüssig be- zeichnen, da man doch zur Volksetymologie seine Zuflucht erst zu nehmen pflegt, wenn lautliche Erklärungen nicht möglich sind.

Lat. jocus : lit. jükas, lett. joks Scherz.

Lat. simpuhim Schöpfkelle aus *sem-Io-m ^ simpurium Opfer- söhale : lit. semih 'schöpfe', sdm-ti-s 'grosser Schöpf löfi'er. Mit geringer Wahrscheinlichkeit hat man auch gr. itwltit) schöpfe uvt'Koq, uvxViu Kielwasser, Kielraum hierher gezogen. Da diese Verknüpfung lautlich Schwieiigkeiten macht man er- wartet 6- statt «- , so scheint mii* che ältere Erklärung der griech. Wörter aus ai)okopii-tem uvu und Wz. iela- 'tragen, heben', deren regelrechte Gestidt im Kompositum zwischen zwei Accenten -Ü- war (vgl. X'/-/.^-o-Q. zu /.Eqa- und vielleicht o-xX-o-c) vorläufig den Vorzug zu vertUenen; s. Curtius Etym.^ 221, der au lat. tolleno 'Wasserhebemaschine' von derselben Wurzel erinnert.

Lat. merda Koth : lit. smirdeti , russ. smerdetl stinken, lit. sinhsti 'stinkend werden', ju-euss. smorde Faulbaum, altpoln. smard Unflat (J. Schmidt Vok. II 30. 137).

Lat. mentiri lügen : jneuss. mentimai wir lügen, vgl. lit. mdnai Zauberei, mdnyti lett. mänit zaubern, asl. maniti russ. manHi täuschen.

Lat. dormire : asl. drrmati, russ. dremati schlafen; che Vokal. stufen decken sich zwar nicht, aber die Wurzelfonnen stehen sich (huh nälici- als denen von gr. daQ&uvco, skr. dräfi. W. Meyer

Italisch-lituslavische Uebereinstimmungren. 149

(Z. f. vergl. Spr. 28, 172) will fi-eilich dormio aus dor-clh-mio asl. drem- aus der-dh-m- herleiten, aber auch iu diesem Falle würde die slawische Form der lateinischen am nächsten stehen.

Lat. glätlre verschlucken, verschlingen, glüto der Schlemmer, sin-guUus das Schlucken, sinyuWre schluchzen : asl. glütn Schlund, po-glütati verschhngen.

Lat. splendeo : lit. spletidziu 'leuchten' ? (Kurschat nur aus dem Lexikon von Brodowski bekannt).

Unter den lexikahschen Uebereinstimmungen, an denen auch die arischen Sprachen teilnehmen, seien namentlich folgende hervorgehoben. Lat. ignis aus *egni-s : asl. og>n (lit. ugnls^), skr. agni- Feuer. Die Wurzelvokale stehen in Ablautsverhältnis. Beachtenswert ist, dass den zwischenliegenden Sprachen ein an- deres Wort für Feuer gemein ist: umbr. pir. ir. ur, ahd. fuir, cech. pi/r (glühende Asche; dem Russ. fehlt das Wort), armen. htir.

Lat. rös : ht. rasa, asl. rosa Thau, skr. rdsa-s Saft, Flüssigkeit. Weshalb Johansson Z. f. v. Spr. 30, 418 es aus formellen Gründen natürhcher findet, res aus *vros abzuleiten und direkt mit l'eQoa aü'. frass Regenschauer zusammenzustellen (ebenso schon L. Meyer Vergl. Gr. II 172), ist mir so wenig yvie Persson (Wurzelerweit. 243) verständlich.

Lat. Upere, tepor, tepidus : asl. teplü warm, topiti wärmen, ski\ täpati erwärmt, ist warm, täpas Wärme, av. tapayeit.i er wärmt tafnu' Hitze.

Lat. -dinae in vün-dinae : skr. di'na-m Tag, besonders in Kompositen wie madhgdm-dina-s Mittag, asl. dinl Tag; lit. denä, preuss. deinan Acc. 'Tag' enthalten starke Wurzelstufe. Das Wort stellt die wahrscheinhch uralte adjekti^dsche Ableitung zu *dieu8 'Tag' dar.

Lat. au- Praeposition 'weg' in au-fero, au-fugio : preuss. au-, asl. u- weg, ab, skr. ava-, av. apers. ava- : überall nur in Zu- sammensetzungen üblich.

Lat. ob : asl. obii, skr. abhi, av. aib}\ aiwi, apers. abiy.

Wie weit es sich in allen diesen Fällen um einen Verlust von Wörtern im Keltischen und Germanischen handelt oder ob etwa im Illyrischen und Thrakischen Entsprechungen vorhanden

1) Das u von ugnis ist noch unerklärt. Aehnlich ungurys 'Aal' gegen- über preuss. angurgis, estn, angrias.

150 V. Partielle Uebereinst. zwischen nicht benachbarten Sprachen.

gewesen sind, vermögen ydi' nicht zu entscheiden. Im folgenden Falle scheinen mii' jedoch Indizien vorzuhegen, welche auf andei^saiüge Vorgänge weisen. Das Itahsche teilt mit dem Preuss. und Lit. den Xamen des Goldes : lat. aurum sabin. ausitm : preuss. ausis lit. duksas. Diese Uebereinstimmung ist aus zwei Gründen sehi- auff älhg. Es giebt sonst keine über zwei Xachbarsprachen hinaus- reichende !Namen des Goldes, ^ie ja überhaupt nur wenige weiter- reichende Metalhiamen, und zweitens haben die Germanen eine andere und zwar sehi- alte Bezeichnung des Goldes mit den Slaven und sogai- mit dem lettischen Zweige der baltischen Völker ge- mein : got. gulp : asl. zlato lett. felfs. Hehn (Kultm-pfl. •* 547) und ihm folgend Bradke (Methode d. ar. Alt. 14) erklären zwar dieses Wort füi- später Herkuiüt: es ist aber sicher älter als der Wandel der Palatale in Spii'anten im Ostidg. ; vor diesem Laut- wandel müssen Germanen und Slavo-Letten das Wort mit ein- ander ausgetauscht haben. Dadurch wird es sehi- unwahi-schein- Hch, dass die Germanen je das ital-lit. *ai(som besessen haben. Die Kelten haben das lat. Wort erst spät entlehnt, als s bereits zu r geworden war (air. ör). Dass dei-selbe Name des Goldes in ilhTO-veuetischen Ortsnamen A\-ie Ausuco, Ausancala steckt (Tomaschek Lit.-Bl. f. or. Pliil. I 126), ist eine zwar ansprechende, aber doch nicht gesicherte Vermutung, denn das etwa hienn ent- haltene auso- koiuite auch die Grundbedeutung 'leuchtend' (lat. Auselii, aurora usw.) haben.

Nach dem ganzen Sachverhalt können wir kaum die von Hehn aufgestellte Annahme umgehen, dass das italische Wort schon fiühzeitig auf dem Wege des Handels durch keltisches und germanisches Gebiet hindurcli zu den Aestiern gelaijgt ist. Sie wird durch eine schlagende Parallele gestützt, das oben S. 1121. besprochene got. alev : lat. olivum. AVenn das Wort füi* Oel spätestens in der ei-sten Hälfte des II. Jahrb. v. Ch. von Italien zu den Goten, che damals an der unteren Weichsel Sassen, gelangt ist, ohne bei den Kelten und den übiigen germa- nischen Stämmen haften zu bleiben, dann kann auch der Name des Goldes den Aestiern , den damaligen Nachbarn der Goten, auf demselben Wege zugekommen sein. Auf alte Handels- beziehungen z^^^schen der Ostseeküste und dem Süden Euroj)as weisen noch andere Thatsachen (Helm a. a. 0., Mülk-nhoftD. A.1 213) : die ])raehistonsche Foi"schung kam» der Annahme eines gewissen Handelsverkehres schon in uralter Zeit, wie bereits oben (S. 52. 58)

Sich kreuzende sprachliche Beziehungen. 151

bemerkt wurde , überhaupt nicht entraten i). So ergiebt sich die Möghchkeit, dass noch andere paiüelle üebereinstimmungen zwischen nicht benachbai-ten Spraclien, auch da. wo wir es nicht beweisen können, in ähnhcher Weise entstanden zu denken sind.

Der Fall, welchen ^\ar eben hatten, dass die Wortgleichungen sich ki-euzen, kehi-t noch öfter -sneder. Man vergleiche lat. uermis : got. voAirms Wurm (dazu vielleicht gr. qöixog aus *ßQ6iuog, o'/m^tj^ tv BvXoig Hesych) mit air. cruim, lit. kirmele (vgl. asl. crüminü rot, Miklosich Etym. Wb. 33) ^), alban. krimjj-, skr. Jtr'mi-. Be- merkenswert ist, dass beide Wolter mit demselben sonst keines- wegs häufigen Suffix -mi- abgeleitet sind, mit dem auch das be- grifisverwandte ?/,«<§ 'Eingeweide wnirm' (zu eliaoeiv 'winden') ge- bildet ist.

Wälu-end Germanen, Litauer und Aiier den Mond mit dem- selben Wortstamm wie den Monat bezeichnen (ski-. mäs-, Ut. ment , got. mena, vgl. asl. messet 'Monat' und 'Mond'), gehen wieder Italiker und Slaven in einem anderen Ausdruck zusammen : lat. lüna praenest. Losna asl. nsl. i*uss. lund, vgl. preuss. Imixnos Gestirne. Als Grundfonn hat J. Schmidt, Krit. d. Sonantenth. 102, Heuks-mna 'leuchtend' (avest raoyßna-, ahd. liehsen) ermittelt. Potts Ansicht, dass das slav. luna aus dem Latein, in jüngerer Zeit entlehnt sei (Etym. Foi-sch. III 250), ist natüi-Hch schon deshalb unmöglich, weil cech. luna, poln. luna eine ältere Bedeutung 'Lohe des Feuere' bewahi't haben. Allerdings macht die lautliche Form von lund Schwierigkeiten. Da k im Slav, vor n erhalten bleibt {ohio^ sukno, lukno), so kann die Voi-stufe nicht Huktia gewesen sein, sondern eher Husna, wie im Lat. Für die Vereinfachung von sn zu n haben wir eine fi-eihch auch vereinzelte Parallele in asl.

1) Ein Zeichen fremdländischer Herkunft ist vielleicht auch das auf- fällige k des lit. äuksas; derselbe Einschub auch in dem Fremdwort kr)ksztyti taufen , preuss. crixtitwi, lett. krisfit, asl. kriftifi, mhd. kristen. Auch alksnis Erle, germ. alisa , lat. alnics und ttikstanti's 1000 (mit An- lehnung an tükti schwellen) mögen aus einer der Xachbarspracheu stammen. Solche Entstellungen sind in Lehnwörtern besonders häufig, nicht selten durch volksetymologische Erwägungen unterstützt. Aufiallig ist freilich, dass der Einschub eines Gutturalen vor s, z im Lit. sich ungewöhnlich oft wiederholt (vgl. J. Schmidt Verwandsch. 8 Anm. Voc. II 28) und in Worten, wo die Entlehnung ziemlich alt sein müsste wie lit. zvaigzde (bei Tilsit zvaizde): asl. zvezda Stern, lett. pirksts : lit. pirsztas Finger.

2) Zubaty. Idg. Forsch. VI 156, erschliesst jetzt ein slav. "vTrmi 'Wurm' aus kleinruss. vermjänyj 'rot'.

lo2 V. Partielle Uebereinat. zwischen nicht benachbarten Sprachen.

veno 'dos' = skr. vasnä- Kaul|)reis (vgl. oben über ver- aus vesr- S. 145 Aiim.). In beiden Fällen könnte die Unbetontheit Schuld an dem Sch'\\-unde des s haben.

Von demselben radikalen Element ger- 'ki-ächzen' haben Griechen, Armenier. Germanen und Kelten den Namen des Kranichs mit «-Suffix, Itahker, Slaven und Litauer mit w-Suffix gebildet: gi-. yigarog, ai"men. krunk, angels. cran mhd. krane. gall. garanus cymi\ com. garan lat, grus, lit. gerve, altht. gerusche Eeiher (daraus gersze. preuss. *geryse. Bezzenberger Beitr. XVII 225), asl. zerav^i.

Es ist uns vei"sagt, die Vorgänge, dm'ch welche diese und ähnUche Ki-euzungen zu Stande gekommen sind, genauer zu er- kemien. Ich meine aber, ^vii- düi'fen auch hier die Möglichkeit von bereits urzeitlichen Völkervei-schiebmigen und Sprachmischungen nicht aus dem Auge lassen. Denn wie derartige Vorgänge noch in historischer Zeit bei den auf tieferer Kulturetufe verharrenden Völkern, bei Kelten. Germanen. Slaven, Thrakern, Sk>i:hen au der Tagesordnung sind, müssen wir sie auch für praehistorische Epochen voraussetzen und müssen Wh-kungen solcher Ki-euzungen auch in der Sprachgeschichte zu finden erwarten. Im Einzelnen lässt sich das freihch nicht nachweisen: hier ist -vneder der Punkt, wo die Völkergeschichte der Sprachgeschichte ihi-e Hilfe ver- sagt und ^\-ir entweder Vermutungen wagen oder uns bescheiden müssen.

VI. Kapitel.

Die Beziehungen des Griechischen zu den verwandten Sprachen.

Nachdem in den ersten Kai^iteln die Sprachverhältnisse der idg. Urzeit im Allgemeinen erörtert worden sind, wenden wir uns mit diesem Abschnitt spezieller dem Griechischen und seiner Stellung im Kreise der verwandten Sprachen zu. Dabei richten sich unsere Augen zunächst auf die idg. Nachbarvölker der Griechen. Auf drei Seiten vom Meere umgeben hängen die hellenischen Stämme nur im Norden mit der Masse der verwandten Völker zusammen. In historischer Zeit bilden hier die Thraker, an der westlichen Küste der Balkanhalbinsel illyrische und ihnen verwandte Stämme ihre Nachbarschaft. Das sprachhche Verhält- nis dieser Völker zu den Hellenen soll in den folgenden Ka- piteln untersucht werden.

Für eine weit zurückliegende Urzeit können wir aber mit einiger AVahrscheinhchkeit eine andere geographische Lagerung dieser Völker erschhessen. Die Annahme, dass die Griechen einst weiter nörd- hche Wohnsitze gehabt haben, ist zwar nur eine Hypothese, aber eine nothwendige, nicht zu umgehende. Nicht nur durch die Erwägung, dass die Indogermanen einst weniger ausgebreitet ge- wesen sein müssen (vgl. oben S. 60) wird sie gefordert, sie findet auch eine Stütze an den Spuren einer vorgriechischen Urbevölke- rung im südlichen Teil der Balkanhalbinsel (s. Kap. XI). Aller- dings muss diese Vei-schiebung der griechischen Wohnsitze in sehr alte Zeiten hinaufgehen, m. E. in beträchtlich ältere als z. B. Hoernes (Urgesch. d. Menschen 532) annimmt, der die

154 YI. Die Beziehungen des Griechischen zu den verw. Sprachen.

Griechen mit den IlljTiern noch ..etwa um 1200 v. Chr." im Besitz einer unentwickelten Bronzekultur im Norden der Balkanhalbinsel wohnen lässt (s. 8. 181). Wenn aber einmal eine solche Ver- schiebung angenommen werden muss, dann spricht auch vieles für die schon von Hehn *) vertretene Ansicht, dass die Ursitze der Stämme, aus denen die hellenische Nation hervorgegangen ist, mehr im Nordwesten, als im Nordosten der Balkanhalbinsel gesucht werden müssen. Dahin weisen die sprachhchen Merk- male, welche das Griechische mit den westidg. Sprachen verbinden. In der Vertretung der Palatale durch Verschlusslaute geht es mit dem Italischen, Keltischen und Germanischen zusammen im Gegensatz zu den thrakischen und illyrischen Nachbaren , dm'ch welche die Griechen von jener westlichen Gruppe getrennt wer- den. Ist dies auch nur ein negatives Merkmal, insofern die Griechen an dem Palatalwandel nicht teilgenommen haben , so dünkt es mich doch wahrscheinlich, dass sie sich damals noch mit den genannten westidg. Stämmen berührten , die Trennung durch die Illyrier also eine sekundäre ist. Jedenfalls macht diese Annahme umsoweniger Schwierigkeiten, als die Vertretung des 0 dui'ch a im Messapischen und Albanesischen auf nördhche Herkunft der Illyrier deutet.

So ergiebt sich die verbreitete Anschauung, dass die Vor- fahren der griechischen Stämme sich einst mit den später itali- schen Völkern berührt haben, wenigstens als möglich; Illyrier und Thraker mögen damals nordöstlich und östlich von ihnen ge- sessen haben. In diese Epoche nachbarlichen Zusammenhanges können die partiellen Uebereinstimmungen zwischen den griechi- schen und italischen Dialekten zurückgehen, wobei nur im Auge zu behalten ist, dass wir bei unserer fragmentarischen Kenntnis des Illyrischen und Thrakischen häutig nicht wissen, wie weit diese Sprachen an jenen Uebereinstimmungen teilgenommen haben.

Bekanntlich haben die dem Griechischen und Italischen ge- meinsamen Sprachei"sch einungen zu der Hypothese einer graecoi talischen Ursprache Veranlassung gegeben*). Heute

1) Kulturpfl.^ 55; vgl. Bradke, Beitr. zur Kenntnis der vorhistor. Entwicklung unseres Sprachstammes (Giessen 188S).

1) Zur Geschichte dieser Frage vgl. Schrader Sprachvergl.' 77. Stolz Hist. Gramm, d. lat. Spr. 15; s. ferner Schweizer -Sidler in den Verh. d. 39. Phil.-Vers. in Zürich 1887.

Hypothese einer eraecoitalischen Ursprache. loo

zählt diese einst von vielen Sprachforschern (G. Curtius, Coi-ssen, Leo Meyer, Fick u.a.) und Historikern (Th. Mommsen, E. Curtius, M. Duncker, H. Kiepert) anerkannte Hypothese nur noch äusserst wenige Vertreter, deren angesehenster nach G. Curtius' Tode Ascoli ( Sprach wiss. Briefe, 1885) ist. Den ersten Streich gegen sie führte J. Schmidt mit seiner üebergangstheorie (Verwandt- schaftsverh. S. 19). In neuerer Zeit ist sie besonders durch die Er- kenntnis stark erschüttert worden, dass zwischen Italisch und Keltisch viel engere Beziehungen als zwischen Italisch und Grie- chisch bestehen. Bradke (Beiträge zur Kenntnis der vorhist. Entwickl. unseres Sprachstammes S. 14) hat deshalb die Schleicher'- sche Theoiie einer gi'aecoitalokeltischen Einheit erneuert. Allein das Keltische und weiter auch das Italische ist, wie schon oben (S. 115 0.) bemerkt wurde, wieder mit dem Germanischen durch gemeinsames Sprachgut verbunden, so dass man von Rechts wegen eine graecoitalokeltogemianische Einheit statuiren müsste. An- derei"seits werden sich uns (in Kap. YII) schwer^negende ITeber- einstimmungen zwischen Griechisch und Phrygisch ergeben. So müssen ynr entweder die „Einheit" immer weiter ausdehnen oder uns zu der Annahme entschliessen , dass die Einheiten sich ab- gelöst liaben, auf eine graecoitalische eine italokeltische gefolgt sei u. s. f. Dies würde eine fortwährende Neubildung und Auf- lösung von Nationen voraussetzen: -wie unwahi*scheinlich eine solche Annahme wäre, geht schon daraus hervor, dass wir nicht einmal eine giiechische oder italische Ursprache und Ureinheit erkennen können um wie viel weniger eine graecoitalische Einheit. Prüfen vnr nunmehr die sprachlichen Uebereinstimmun- geu, die man hierfür geltend gemacht hat, auf ihre Beweiskraft, Besonderes Gewicht hat man von jeher auf die griech.-ital. Verwandlung der Mediae Aspiratae (bh, dh, (jh) in Teuues Aspi- ratae {ph, th, kh) gelegt. Nur Brugmann (Z. f. allgem. Sprachw, I 231) hat dieses Zusammentreffen für zufälhg erklärt mit Be- rufung darauf, dass auch die Zigeuiiei-sprache diesen Lautwandel vorgenommen habe. Man könnte hinzufügen, dass ja auch die TJebereiustimmung in der weiteren Behandlung der Aspiraten der Uebergaug der Tenues Aspiratae in tonlose Spiranten, der im Griech. um mehrere Jahrhunderte später fällt, als im Ital. sicher ein zufäUiges Zusammenti'etfen ist. Von Wichtigkeit wäre es, auch das chronologische Verhältnis des ital. und griech. "Wandels der Med. Asp. in Ten. Asp. zu bestimmen. Mir

156 VI. Die Beziehungen des Griechischen zu den verw. Sprachen.

scheinen gewisse Indizien darauf zu weisen, dass er im Griechi- schen nicht so überaus alt ist (vgl. Kap. IX): sicher ist, dass nichts im Wege steht, ihn hier für verhältnismässig jung an- zusehen. Denn er ist bis in historische Zeit noch in Geltung: das zeigt der üebergang von d -\- h in -d- (= th) in den in- schriftlichen ovO-^ Ol (IV. Jh. v. Chr.) für ovS' oJ, old^sig, ujj^e/g = ovdei'g, LUideig (Meisterhans Gr. d. att. Inschr.^ 80), in Ji- d-vQai.iq)og , Qv(f€id^idtjg, Qcoood^Eog auf Vasen (Verf., Griech. Vaseninschr. 152) aus Jid^voaußog, Tiq'eidi'di]^, JioQodsog durch vulgärdialektische Uebertragung des Hauches. Auf itahscher Seite lässt sich der Wandel leider garnicht datiren. Wir wissen nur, dass der 2. Akt in der Geschichte der Aspiraten, der Üeber- gang der Tenues Aspiratae in tonlose Spiranten, schon vollzogen war, als die Westgriechen mit den Italikern in Berühning kamen und das Wort 'Airoa von ihnen entlehnten, das damals auf ital. Seite *l7ßrä (daraus später *lTfrä, llbra) gelautet haben muss (Schulze. Z. f. vergl, Spr. 33, 224). Aus dem dargelegten Sach- verhalt geht soviel hervor, dass Brugmann mit seiner Auffassung sehr wohl Recht haben kann: sicher bauen lässt sich auf dieses Argument der griech.-ital. Sprachverwandtschaft vorläufig keinesfalls. Noch weit weniger günstig steht es um ein zweites pho- netisches Beweisstück. G. Curtius (Z. f. vergl. Spr. 9, 321) und ihm folgend Hadley (Curt. Stud. V 26) erklärten für ein graecoitalisches Betonungsgesetz, dass der Accent nicht über die drittletzte Silbe nach dem Wortanfang zu hinaufrücken dai-f. Heute steht es fest , dass dieses Gesetz auf itahschera Boden erst sehr spät in Wirksamkeit getreten ist, nämhch ei'st nachdem die Westgriechen mit den Römern in engere Be- ziehungen getreten waren. Denn zahlreiche ältere lat. Lehn- wörter aus dem Griechischen zeigen in ihrem Vokalismus noch die Si)uren einer den historischen xVccentgesetzen voraufgehenden Anfangsbetonung: vgl. cupressus aus -cüparissos = y.vnaQiaoog, balineum aus *bäla)ieom = ^ialuveiov, AUxentros aus Alexan- dras usw. Der Vokalismus von Agrigenium aus * Aarayantom = 'A/.qäyug und von Massilia d.us * Mdssalia 31aaoa)Ju beweist, dass das Dreisilbengesetz zur Zeit der Gründung jener Kolonien im Lat. noch nicht in Geltung war. Massilia ist um 600 v. Chr. (Busolt, Griech. Gesch. I 433). Agrigent 580 v. Chr. (Busolt a. a. 0. 418) von Griechen kolonisirt worden und war schwerlich vorher den Römern bekannt. Ist es somit unzulässig, das lat. Drei-

Griechisch-italische Beziehungen. 157

Silbengesetz in eine graecoitalische Urzeit hinaufzurücken, so bleibt es doch zweifellos auffällig, dass Griechen und Latiner in einem so merkwürdigen Betonungsgesetz zusammengetroffen sind, und der Wunsch, hier einen historischen Zusammenhang zu erkennen, erscheint um so berechtigter, als die Accentneuerung auf itali- schem Boden gerade in die Zeit lallt, in der die Römer mit den Westgriechen in intensivere Berührung kamen ^). Die vorliegen- den Verhältnisse erinnern lebhaft an die Vorgänge, welche das Eintreten der germanischen Accentverschiebung begleiteten. Wir sahen oben (S. 116), dass in einer Periode, in welcher die Ger- manen in engere, auch sprachliche Beziehungen zu den Kelten getreten waren, die keltische Weise der Anfangsbetonung in der germanischen Sprache Platz gegriffen hat, und führten diese Neuerung deshalb vermutungsweise auf keltischen Einfluss zurück. Ich wage entsprechend in vorhegendem Falle die Frage aufzu- werfen, ob nicht auch die Latiner in jener Epoche tiefgreifenden griechischen Kultureinflusses, welche durch die älteste Schicht griechischer Lehnwörter gekennzeichnet wird, ihre alte Anfangs- betonung unter griechischer Einwirkung aufgegeben und durch eine der griechischen verwandte Betonung einsetzt haben.

Allerdings stehen dieser Auffassung, wie ich nicht verkenne, gewisse Schwierigkeiten im Wege, auch wenn man annimmt, dass das Griechische nur den Anstoss zu der lateinischen Accent- neuerung gegeben hat. Auf griechischer Seite ist die Betonung der Drittletzten von der Quantität der Ultima abhängig, auf latei- nischer von der der Paenultima. Letzteres kann aber recht w'ohl eine lat. Neuerunsj sein, die mit der Vokalkürzuns: in auslauten- den Silben zusammenhängen mag. Man beachte, dass die Volks- sprache das Paenultima-Gesetz auf die griech. Lehnwörter nicht an- wendete, sondern sie nach griech. Weise betonte, also ähyssus. errtmis^ idöla (Meyer- Lübke,E(»m. Gr. I 34. Lindsay Lat. Language S. 155) ein Zeichen, wie sehr gerade dem Volk die griech. Betonung geläufig war. Zweitens könnte man einwenden, dass der grie- chische und der lateinische Accent ihrem Wesen nach verschieden,

1) Die Vermutung von Hirt, Idg. Accent 30, dass „Italiker und Griechen bei ihrer Einwanderung in die Halbinseln beide ein Volk [das- selbe?] mit einer ähnlichen Betonung getroffen hätten und dieses zwar die Laute und Formen der Sprache der Eroberer angenommen, aber seinen eigenen Accent als Nebenton beibehalten hätte", entbehrt jedes Anhalts. Was war das für ein Volk, und was wissen wir von seiner Betonung?

158 VI. Die Beziehungen des Griechischen zu den verw. Sprachen.

jener vorwiegend musikalischer ^), dieser exspiratorischer Natur war. Aber gerade hierin könnte die Erklärung für den Uebergang von der alten zu der neuen Betonung im Lat. liegen: auf das exspiratorisch betonte lat. Wort wurde zunächst der griech. Tonfall übertragen; zwischen der alten Anfangsbetonung und der späteren Betonung auf der Drittletzten lag also eine Zwischenstufe, auf welcher in mehrsilbigen Wörtern die erste Wortsilbe exspiratorisch, die drittletzte musikahsch betont war. Dann ging der Hochton auf der Drittletzten, vde später auch im Griechischen, in exspiratorischen Accent über und der auf der ersten Silbe sank zum Nebenton herab. Teilweise analog ist, wie ich Hirt. Idg. Accent S. 30, entnehme, die Accentneuerung im Niedersorbischen, wo ausser dem Hauptton auf der ersten Silbe infolge polnischen Einflusses ein Nebenton auf die vorletzte gelegt wird. Uebrigens wurde von jenem Accentwechsel nur ein Teil der lat. Wörter betroffen ; alle ein-, zwei- und die dreisilbigen mit kurzer Paenultima be- hielten ihren alten Accent. Auch vom allgemein historischen Standpunkt scheint mir die Annahme eines Einflusses der griech. Betonung auf die lateinische nicht unglaublich sie würde an Wahi'scheinlichkeit noch erheblich gewinnen, wenn wir annehmen dürften, dass die oskischen Stämme, welche ja mit den griechi- schen Kolonisten in noch engerem Verkehr standen, als die La- tiner diesen in der^Accentneuerung vorangegangen waren. Planta (Gramm, d. osk.-umbr. Dial. I 594) hat zu beweisen gesucht, dass das Dreisilbengesetz auch im Oskischen geherrscht hat: eine Verstärkung seiner Argumente wäre aber freilich sehr erwünscht. Während somit auf lautlichem Gebiet alte partielle Ueber- einstimmungeii zwischen dem Griechischen und Italischen gänzlich fehlen 2). sind spezielle morphologisch -syntaktische Berührungen mehrere nachzuweisen. Die wichtigste ist avoIiI die zuei*st von

1) Dass dem griechischen Hochton doch auch eine gewisse Stimm- verstärkung nicht ganz fehlte, scheinen vereinzelte Vokalreduktionen zu beweisen, s. darüber Z. f. vergl. Spi*. 30, 594. Griech. Vaseninschr. 124. J. Schmidt Krit. d. Sonantenth. 27 Anm.

2) Im Griech. ist inlautendes ?{/ zu vj geworden: ßaivco (cf. skr. //am-), X^aiva {x^afiic), xoivog (lat. cnm-) ; in XatfJÖg aus *Xa^;'ög (vgl. Xdfica Erdschlünde, Aäftia Ort an einer Thalschlucht) ist wohl /t aus Xä^iia wieder eingeführt. Im Lat. ist aber 7«;' nur in der Kompositionsfuge durch n/ vertreten : con-jectus; über quon-tam jiitzi Birt, Rh. Mus. 51,89. Dass venio aus *vemio entstanden sei, bleibt unwahrscheinlich wegen umbr. benunt, betiust einerseits und praemium gremium, nimius, t/ormto etc. andererseits; s. Ascoli Sprach wiss. Briefe 155 f.

Griechisch-italische Beziehungen. 159

Ebel beobachtete, dass nur diese Sprachen wenn nicht etwa auch die thrakisch-phrygische feminine o-Stäuime kennen: tj rpijyog = lat. fägus fem., r) a/iirog = haec af/nus (Fest. p. 402 Th. de Pon.). Man pflegt hierin eine griech.-ital. Neuerung zu sehen. Nur Pedersen (Bezz. Beitr. XIX 296) erklärt das feminine Genus hier flu- ursprüngHch. In der That macht es einen sehr altertümhchen Eindruck : agmis fetnina, lupus femina, also auch haec agnus, haec liqms (vgl. lupus feta Enn. bei Fest. a. a. O.) sehen älter als agna, lupa und gr. afjvi^, 'Iv/Miva, ^ aQ-/.Tog älter als tirsa aus. Aber wenn die fem. o-Stämme auf gi'aecoital. Ge- biet ursprünglich sind, so folgt daraus noch nicht, dass es jemals solche auch in den übrigen idg. Sprachen gegeben habe. Auch hier gilt der Satz, dass, was altidg. ist, darum nicht gemeinidg. gewesen zu sein braucht (s. oben S. 15). Pedei-sen wendet zwar mit Reclit ein, die Erklärung der gr.-ital. Feminina auf \-os als Neuerungen sei sehr schwer durchzutiihren (z. B. in rj ronfoog, Qirög, GOQog, &6log, Irf/.vd-og, vgl. Delbrück Vergl. Syntax I 115), aber ebenso schwer erklärlich wäre das Fehlen femininer o-Stämme in sämtlichen übrigen Sprachen, wenn wh* es auf ihrer Seite mit einer Neuerung zu thun hätten. Also sind beide Zustände wahr- scheinlich gleich alt. Wie zuerst Schleicher beobachtet hat (s. Henning, Z. f. vergl. Spr. 33, 402), ist das gi-ammatische Genus im Idg. sekundärer Entstehung: als nun das maskuline Geschlecht bei den o-Stämmen Regel wurde, ist dieses Sprachgesetz auf grie- chisch-italischem Gebiet weniger streng durchgeführt worden als in dem ganzen übrigen idg. Sprachgebiet, und wenn ein fem. o-Stamm wie *bhägos aus südidg. in nordidg. Gebiet wanderte, wurde er hier zum «-Stamm umgeformt (ahd. buohha). Auf jeden Fall muss das Zusammengehen des Griech. und Lat. in diesem Punkt für sehr bedeutsam gelten.

Eine wichtige syntaktische Uebereinstimmung wäre die Glei- chmig gr. sl 'wemi' = lat. sl, volsk. se (sepis = si quis) aus *sei, daneben dor. al vokaHsiri wie osk. svai, umbr. sve, wenn sie unbedingt sicher wäre. Mit demselben Recht könnte aber el mit ht jei 'wenn' verglichen werden (Prellwitz Etym. AYb. u. el), und in beiden Fällen wäre Spiritus asper zu erwarten. Brugmann Grundiiss 11 768. 786 sucht in d den Locativ Sing, eines Pro- nominalstammes 0-. Ueber phryg. ai 'wenn' s. u.

In beiden Sprachen hat ferner der Gen, Plur. der fem. ä- Stämme die pronominale Flexionsendung -äsöm übernommen:

160 VI. Die Beziehungen des Griechischen zu den verw. Sprachen.

honi. d^ediüv, boi. ögay^udcov nach xdojv = skr. tdsäm ; osk. eg- maziim, umbr. pracatariim, lat. terrännn.

Auf Griech. und Lat. beschränkt ist die 3. Pers, PL des Imperativs ffsoövTw = feruntö, wahrscheinhch eine Neubildung auf Gmnd des Sing. qeQaTCj = ferfö. Erwägt man aber, -wie sehr noch in histoiischer Zeit die gi'iech. und ital. Dialekte in der Bildung dieser Fonn schwanken (boi. dauicuv^to, delph. iovTcooaVf kret. IvTiov und so in fielen Mundarten -vtojv, aiol. cpegovrov] umbr. nicht -)ito, sondern tiito, -fiita und -mumo), so erscheint es zweifelhaft, ob (fEQOvTco und ferunto in geschichthchem Zusammen- hang stehen und nicht \-ielmehr unabhängig von einander auf gi'iech. und lat. Gebiet entstanden sind.

Lat. ipse enthält, wie die Kasusfoi-men ea-pse, eo-pse zeigen (vgl. zur Analysis eo-pte, sx. ri-rtzE neben ri-Ttore) ein enklitisches Element -pse, das ich Z. f. vergl. Spr. 31, 438 und Deutsch. Litt.-Z. 1894, Sp. 70 f. vennutungsweise mit dem syrakusani sehen Ileflexi\i)ronomen der 3. Pei^s. ipi, Dat. j/'/v verglichen habe. Der Uebergang von der. Bedeutung 'selbst' in die reflexive hat Parallelen^ s. Dyroff. Gesch. d.' Pronom. reflex. I (1892), 21. II (1893), 110. Dass die übiigen Erklärungen von ipse unhalt- bar sind, Entstehung von iVä aus acfä ohne Analogie wäre, habe ich a. a. O. dargelegt.

Die eigentündiche Wiederholung des Pronomen indefinitum lat. qnis-quis hat ihr Gegenstück in dem argiv. rig-Tig auf der Bro)ize Tyskiewicz (Fröhner, Rev. arch. 1891, die Fonn erkannt von Robert. Monum. antichi I 593 ft.)

Im Griech. ist der Stamm ojTt-, ott-, als letztes Glied eines Kompositums in der Bedeutung „aussehend" sehr beliebt (aid^oip, olvoip, ijij'Aoil', vijQOi!', Xdooiii vgl. -/agortög, Qioxl'^ '^oip, Boiroip Mus. Ital. I 145, öi'vcoTteg Phyle in Kyzikos) und fast zum Suffix herabgesunken, vgl. Jovorceg „Eichenmännei'^', Il&loi!' „der Alte" 1), (.doorceg (?), "EX/.o/teg, JeiqioTCEg. In derselben Weise ist üc- (= loft-) in lat. atr-öx fer-öx, velöx, celö.v verwendet, wie Duvau. Mem. soc. lingu. VIII 256, erkannt hat. Gleichartig ist aber vielleicht auch ved. ghrtäc't f butteireich (J. Schmidt PI.

1"! Vgl. -TcAtoV, :iEhf)v6g, .te?.- in .T£/.aoy6g eig. 'grauweiss', .to/joV, lat. pullus usw. Die Bedeutung 'grau' geht leicht in 'alt' über, vgl. lat. cänus grau : osk. casnar 'senex' (.toAc« in grauer Vorzeit?, riakaiöc: altersgrau?). Pelops heisst der Alte als der Stammvater der peloponnesischen Völker. Ob es ein Volk der Ufkayreg gegeben hat, wie man annimmt, ist imsicher.

Griechisch-italische Beziehungfen. 161

(l. idg. Ntr. 392) z. B. von dem niit schmelzendem Fett gelullten Löffel.

Zu diesen nioipliologisclien Uebereinstinnnungen i) gesellt sich, wie gewöhidich zwischen Nachbarsprachen, eine Reihe lexikalischer. AVichtig wären darunter die saki-alen, wenn sie wirklich Stich hielten. Aber Zevg-Juppiter ist auch thrakisch-phrygisch und aiiscli, also wenn man die ii'anischen Skythen liinzuninnnt (vgl. Herodot IV 59) über eine geographisch zusannnenhängende Völkergruppe verbreitet. Jiwvrj und Diana sind weder in laut- licher (s. Solmsen, Stud. z. lat. Lautgesch. 112) noch in rehgiöser Beziehung identisch. Janus hat nichts mit Zäv- zu thun; er ist der Gott des Eingangs und Ausgangs '^), der caelestis janitor, sein Name also von dem Appellativum jänus Durchgang (Jordan bei Preller Rom. Myth. I 167 Anm.), Jänua Eingang, Tliür nicht zu treinien. Diese Wörter sind aber etymologisch vollkommen deut- lich : sie gehören zu sla-. jdni- Bahn, langobard, jänus, mhd. jän (vgl. die Namen Janepcrtus, Janfredus usw., Brückner, Spr. d. Langob. S. 87), Schweiz. Dial. Jahn Gang (nlid. Jahn Reihe gemähten Getreides), sind also von ja- •gehen' (skr. yd-ti 'geht') abgeleitet, so dass Cicero (de nat. deor. II 27) mit seiner Deutung Janus ab eundo gegen Preller Recht behält, welcher umgekehrt die Ap- pellativa von dem Namen des Gottes ausgehen liess (a. a. O. 172). Wenn Preller einen Gott des Ein- und Ausganges als „im

1) Was man sonst an solchen noch beigebracht hat, ist nicht stich- haltig. Das Futurum exactum reßvrj^co, lat. dixö eapsö hat auch im Altir. (Stokes Kuhn u. Schi. Beitr. VII 50) sein Gegenstück; vgl. ferner Bezzen- berger in seinen Beitr. XVIII 277 über lett. Futura exacta; G. Meyer Griech. Gramm."- 474 leugnet wohl mit Recht einen Zusammenhang der griech. Bildung mit der lateinischen. lieber anderes hat J. Schmidt Verwandtsch. 20 gegen G. Curtius gehandelt. Brugmann, Z. f. allgem. Sprachw. I 238, führt noch an: 1) Suffix -ly.og und -icus bei o-Stämmen, :jokEnix6g, hellictis; das ist aber auch indisch {varsika- zu varsd-) und sonst zu belegen, s. jetzt Brugmann, Grundriss II 245. 2) kurzes -a im Nom. Acc. PL der Neutra von o-Stämmen : ^vya, lat. j'ugä gegen ved. yuga; aber jugä ist regelrecht aus Jugä gekürzt, vgl. umbr. vesklu aus *vesklä. 3) Im Aiol., Thess. und Boiot. flektirt das Partiz. Perf. wie ein Partiz. Praes. z. B. ysyovovx-, ebenso lat. ineminentes; letzteres ist jedoch eine vereinzelte Neu- bildung, veranlasst durch die praesentische Bedeutung von memini.

2) Auch Röscher in sei^i^m Lexikon d. Mythol. II 47 erklärt Janus für einen ,,Thürengott", während Usener, Götternamen (Bonn 1896), an der Gleichung Jänus = Zäv- festhält.

Kretsehmer, Einleit. in d. Gesth. d. gr. Sprache. W

162 VI. Die Beziehungen des Griechischen zu den verw. Sprachen.

Sinne des höheren Altertums" überhaupt undenkbar betrachtet, so scheint niir dies auf einem Vorurteil zu beruhen, welches den Thatsachen gegenüber nicht Stand hält. Dass der Juppiter Diamis im Aquileja nichts mit Janus zu thun habe, hat schon Jordan erkamit. Dianiis ist das Masc. zu Diana (aus *Diviämis, Diviäna, Solmsen a. a. 0.) und bedeutete wohl dasselbe wie di- vlnus und dlus, das auch in Dea dia als Epitheton einer Gott- heit erscheint. Mit dem griechischen Stamme Zäv-, dessen Alter übrigens problematisch ist^), darf somit der röm. Jänus nicht ver- bmiden werden.

Sicher ist dagegen die Identität der '^Eoxia mit der Vesta es fi'agt sich nur, wie sie historisch zu bemieilen ist. Alles scheint mir darauf liinzuweisen, dass die Eömer ihren Yestakult erst auf itahschem Boden von den Westgriechen empfangen haben. Auch hier behält meines Erachtens wieder Cicero (a. a. 0. II 27, 67) gegen die Neueren Recht, welche Vesta für eine aus „graecoitaüscher Urzeit" ererbte Gottheit des Herdfeuei^s erklärt haben 2). Zu chesen gehörte auch Jordan, obwohl gerade seine Untersuchung über den Tempel der Vesta und das Haus der Vestaünnen die stäi'ksten Beweisgründe für die entgegengesetzte Ansicht gebracht hat. Denn er weist nach, dass der Vestakult von Hause aus auf den lateinischen Stamm beschränkt ist (Der Tempel der Vesta S. 75 und bei Preller R. M. II 155), dass der auf griechischer Seite nicht nachweisbare Jungfi'auen- (henst relativ später Entstehung ist, dass aber die Verwendung unreifer Mädchen als Priesterinnen, die den Römern fremd,

1) Vgl. Collitz Bezz. Beitr. X 52. Merkwürdig ist Pherekydes 'Zä^, ZdvTos (0. Kern, De theogoniis 93, wo ich in der Anm. noch irrig Zu- sammenhang von Zäv- mit Jänus annahm), daneben Ztjra bei demselben überliefert. Auch Herakleitos schreibt Ztjvög. Die Philosophen gebrauchen diese Form wohl der volksetymologischen Verknüpfung mit Cw ^^ Liebe (Ritter-Preller Hist. philos. gr.' 32). Für das .\lter des n-Stammes kommt auch skr. dina-, asl. ditü (lat. mm-dinae) in Betracht. Dßv- : Zfjy- {Zäv-) = Div- : din-'i

2) Fick, Idg. Wb. J. Schmidt, Verwandtsch. 54. Weise, Griech. Wort, im Lat. 314. Bradke, Beitr. z. Kenntn. d. vorhist. Entwickl. unseres Sprachstammes. Preuner, Hestia-Vesta (1864) und in Roschers Lex. I 2605. Preller, Röm. Myth. 11" 155. Jordan, Der Tempel der Vesta und das Haus der Vestaünnen, 1888. Die Annahme der Entlehnung von den West- griechen vertreten Mommsen, Röm. Gesch. P 109 und Gruppe, Griech. Kulte und Mythen I 84.

Griechisch-italische Beziehungen. 163

den Giiechen geläufig sei, ein giiechisches Element sein könne, dass ferner das Fest der Bona Dea, welches die Vestalinnen im Hause des Praetoi-s feiern, das einzige staats- römische Nachtfest sei und auf das Vorbild der giiechischen navvi'xide^ zurückgehe. Für die Entlehnung spricht weiter die Thatsache, dass der Yestatemi^el ausserhalb der Borna quadrata lag (Dionys. Hai. II 25). Das fallt aber umsomehr ins Gewicht, als der Stadtherd doch den Mittelpunkt der Stadt dai-stellt, also, wenn er schon im ältesten Rom bestanden hätte, auch auf dem Palatin seine Stelle gehabt haben müsste, wie die anderen Heiligtümer, welche sich auf die Gründung der Stadt beziehen, das Lupercal, die Casa Romuh, der Mundus, der aus der Lanze des Romulus entsprossene Kornelkii-schbaum. Momnisen hat endlich noch dar- auf hingewiesen, dass der runde, sich nach Osten öifnende Yesta- tempel um-ömisch, durchaus nach hellenischem Ritus gebaut sei. Was Jordan als Gegengründe anführt, ist nicht durchschlagend. Wenn bei den Giiechen der gemeinsame Herd, das TtQvrca'elov, der Sammelpunkt der Beamten ist, die Flamme des römischen Staatsherdes hingegen einsam und jedem männlichen Besuch un- zugänglich lodert, so kann es sich hier um eine römische Neuerung handeln, wobei zu bedenken ist, dass wii- nicht wissen, wie weit überhaupt der westgriechische Hestiakult, aus dem der röm. Vesta- dienst abgeleitet ist, mit dem attischen übereinstimmte. Gewich- tiger ist die Differenz der Namensform : ßsazia (Hesych. yiovia, ark. FiGTia GDL 1203i8) Vesta. Wenn aber die Römer aus UeQoetfovri Proserpina^ aus ^Iütoj Latona, aus IIoXideLKrig Pollux gemacht haben, dann kann die Umfonnung von Vestia zu Vesta nicht sonderlich auffallen. Veranlasst wurde sie wohl durch Doppelfonnen wie Sancius (Jordan, Ann. dell' Ist. 1885, 114), umbr. Sauste und hitSancns und vielleicht auch durch das Vor- bild der zahh-eichen auf -s^ms ausgehenden Adjektiva: castus, fas- tus, fesfus, maestus, honestus, funestus, modestus usw. Jedenfalls würde jene Differenz auch bei graecoitalischem Ursprung der Göttin zu erkläi-en sein. Gegen die altitahsche Herkunft des Namens spricht aber ganz entschieden die Thatsache, dass im Griech. löTia, Iotiti noch als Appellativuni den Herd bezeichnet, aus dessen Personifikation die Göttin erwachsen ist, bei den Römern dagegen dem Namen der Göttin kein Appellativum zur Seite steht 1).

1) Vesta = Flamme bei Dichtern (ardentem Vestam, Verg. Georg.

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164 VI. Die Beziehungren des Griechischen zu den verw. Sprachen.

Dass auch auf anderen kulturgescliicbtlich wichtigen Gebieten die lexikahschen Unterschiede zwischen Griechen und Itahkeni gi'össer sind als che pai-tiellen Berühiimgen (z. B. hi AVaffennamen, auf dem Gebiete der Metallbearbeitung), ist schon von nelen Foi-schern henorgehoben worden (s. Schi'ader Sprachvergl.^ 181). Ziemlich zahlreich dagegen sind die seit Altei-s beiden Tölkeni allein gemeinsamen Pflanzennamen. Man vergleiche y.Qcaog : cormis; Ttqaaov : porriim, ^a| : frägum, uaXcr/r^ : maira (aus *nialaghua) , oooßog : ervitm (aus *eroguom '), maked. l'Xat : Hex (dazu veuog : nemus, vh] : silva , deren lauthches Ver- hältnis fi-eilich noch nicht aufgehellt ist). Bei einigen Namen ist es zweifelhaft, ob sie in die „graecoitolische Urzeit" zurückgehen oder den Römern ei-st von den Westgriechen zugetragen sind: ßior : Viola, /MTcia : cepe (s. Schrader bei Hehn Kulturi)fl.'' 203 2), ßn)..i6g : hulbiis (vgl. Ceci, Fonistoria del Latino S. 16), jnä/^ov : mfdum, rcioo^ : jjJsum, i^og : risrus viscum 3j. Als bedeutsam ist noch zu veraeichnen das Zusammengehen in dem "Wort für Ruder: iQf.ruog, rrmus aus *resmos "^refsmos, gegenüber den andei^s ge- bildeten skr. aritra-, lit. Irklait, ahd. ricodar.

Eine bemerkenswerte Uebereinstimmung zeigt sich fenier in der Bezeichnung von 'rechts' und 'links". Griechen und Italiker haben altes '^deksios = deiiog durch Antügung des Komparativ- sultixes zu öeSiTeQcg, dexter (umbr. destraw-e) umgeformt, während Arier und Lituslaven hier ein ?/-Sulfix haben : skr. däköina-, asl.

IV. 364) ist natürlich Metonymie, wie Ceres = Brod, Liber = Wein^ V'tlcanus = Feuer. Neptunus = Meer u. s. f.

1) Das Verhältnis des ahd. artclg. araictg Erbse, angls. earfe Wicke dazu ist weder von Kluge Et. \Vb. s. v. noch von Schrader Sprachvergl.^ 427 befriedigend erklärt worden. Wenn es sich um alte d. h. etwa mit got. alev glsichzeitige Entlehnung des lat ervuni handelte, würde man «- statt a- im Germ, erwarten.

2) Schrader vermutet ion. *?:i'j.-ria Gartenfrüchte als Original; dazu lat. cej}e als Sing, gebildet nach maria : maref

3) Dieselbe T'mstellung in bascas : calciamenta Gloss. Placid. = baxeas, gr. .to;; ascia : u^ivtj got. aqizi: tespa : ahd. tcefsa lit. vapsä asl. osa; ferner in ahd. anpa Espe : lett. apsit preuss. abse poln. russ. osina; lit. väszkas asl. voskii : ahd. tcahs. Im Angls., auch im Neuengl. (vulgär aks. =■ ask) und Jsdd. ist diese Metathese bekanntlich häufig (Z. f. vgl. Spr. 29, 462 Anm.) und kommt gelegentlich auch sonst vor (vulgärfranz. ask = axe, Passy, E^ude sur les changenients phonetiques 218, vulgäratt : Griech. Vaseninschr. 180 f. Gomperz Mitt. aus Oest. VI 03). Sie gehört zur Kateo'orie der Sprechfehler und ist daher in Lehnwörtern häufig.

Griechisch-italische Beziehungen. 16o

desinü, lit. deszine . a-/.ai6^ = scaevus ist auf diese beiden Sprachen beschränkt, Xaiog = laeviis auch shivisch (levü). Tu umbr. nertru 'sinistro" : gr. veQTSQOi 'iiiferi' ist die Bedeutung links nur italiscli (s. darüber Bücheier Umbrica 761.) und vielleiclit noch germanisch, wenn ahd. nord dazu gehöil. ßekamitlich spielt das Rechts und Links eine hervorragende Rolle in der Vogelschau, welche Griechen und Itahker mehr als andere idg. Völker gepflegt haben. Wilamowitz (Eurip. Herakl. 11^ 135) veraiutet, dass dieses Zauberwesen vorzugsweise den zugewanderten Doriern angehöii: habe, welche so viele Berührungen mit den Italikern aufweisen.

Leist (Graecoital. Rechtsgeschichte, 1884) hat auch auf dem Gebiete des Rechtswesens eine engere Verwandtschaft der Griechen und Italiker erkennen wollen, welche zusammen mit den Kelten sich in der strengeren Beobachtung sakraler Normen von Ger- manen und Slaven unterschieden und darin zwischen diesen Völkern und den Indern eine Mittelstellung einnähmen. Dui'ch Uel)ereinstimmung im juristischen Wortschatz wird das nicht gerade bestätigt; ich wüsste hier an partiellen Gleichungen nur etwa ^Isvd-SQog : lat. liber, falisk. loferta, osk. lihfreis und ue- öovTEg : osk. ueddei^, meddiss zu nennen. Dagegen haljen gerade Kelten und Gennanen eine ganze Reihe juristischer Ausdrücke mit einander gemein (d'Arbois de Jubainville, Mem. soc. lingu. VII 286) und einige auch die Itahker mit diesen Völkern i), wie ja die Westindogennanen überhaupt im Wortschatz sich verhält- nismässig eng berühren.

AuftäUig ist aber allerdings was Wilamowitz (Eurip. Herakl. I^ 19) henorhebt , dass vieles im Staatswesen speziell der Dorier an Latium erinnert, besonders die Gliederung der Bürgerschaft in drei Phylen oder Tribus und das Vorwalten der Magistratur gegenüber der Gemeinde. In Sparta sind es die beiden Könige, die Führer des Heeres, mit den Ephoren die Exekutivorgane des Staates, ihnen zur Seite der Rat der Alten als beschhessende Behörde, in Rom die beiden Consuln und der bis auf den Namen der ysoovaia entsprechende Senat, in deren

1) Lat. lex : anord. lf>g PI. Gesetz, angls. lahu, l5^ian anordnen, afries. lögia sich verheiraten (zur Bedeutung vgl. ahd. etoa Gesetz, Ehe); osk. fouta: gall. illyr. teuta, got. piuda: lat. manus im Sinne von 'potestas' {manu- missio, in manum co7ivenire) : ahd. mimt Hand, Schutz, Vormundschaft. Lat. rex, gall. rix, vor der Lautverschiebung entlehnt got. reiks.

166 VI. Die Beziehungen des Griechischen zu den verw. Sprachen.

Händen die politische Gewalt liegt und denen gegenüber die Volksvei-sammlung stark zui'ücktiitt ^). Auch sonst zeigen wohl Doiier und Römer in ihi-eni Charakter, ja selbst im physischen Habitus manche verwandten Züge, und den geogi'aphischen Ver- hältnissen entspräche es ja durchaus, weim die aus dem Norden eingewanderten doiischen Stämme von allen giiechischen Völkern den Italikern am nächsten stehen. Spezielle sprachliche Be- rühi'ungen zwischen diesen und den Nordgriechen werden sich uns in Kap. ^"TII ergeben. Diese freilich noch jiicht durch- aus sicheren Beobachtungen sind geeignet, uns eine anschau- hchere Voi-stellung von den ältesten giiechisch-itahschen Be- ziehungen zu geben. Wir blicken in eine Zeit zurück, in welcher die Grenzen zwischen diesen beiden Nationen und, dürfen wir hinzufügen, zwischen allen oder den meisten idg. Nationen über- haupt — noch weit weniger schart' gezogen waren als in histori- scher Zeit. Mochte aber damals auch die sprachliche Kontinuität zwischen beiden Völkern noch eine engere sein, so konnten darum doch zwischen ihi"en entfernteren Gliedern recht erhebliche Differenzen bestehen. Die Unterschiede des Griechischen und Italischen im Wortschatz 2) und in der Verbalflexion sind so zalil- reich und die divergirenden Spracherecheinungen machen teilweise einen so altertümlichen Eindruck, dass die Hypothese einer graeco- italischen Spracheinheit immer unwahi-scheinlich bleiben wird.

Vereinzelte pai-tielle Uebereinstimmungen, fast durchgehends lexikalische, verbinden das Griechische auch mit den nordidg. Sprachen, Keltisch, Germanisch, Litauisch und Slavisch. AVii^ werden ihr Zustandekommen ohne die Vorgänge genauer fest- stellen zu können ebenfalls in die Epoche nördlicherer Sitze der Hellenen verlegen dürten.

Von Griechisch -Keltischem sei zuoi-st eine bemerkens- werte lauthche Eigentümlichkeit erwälmt. Das Griechische zeigt bekanntlich in einer Reihe von Fällen nach altem Guttural einen

1) Es ist verführerisch, mit Holm und Niese die merkwürdige, ihrem Ursprung nach unaufgeklärte Institution des lakonischen Doppelkünig- tums und die der römischen Doppelconsuln aus demselben Beweggrund der Beschränkung der königlichen Macht herzuleiten, aber die Analogie ist wohl doch mehr scheinbar, s. Busolt Griech. Gesch. I- 546 A. 4.

2) Z. B. fehlen graecoitalische Ausdrücke des Wafifenwesens ganz, während griechisch - arische ziemlich häufig sind (Schrader Sprach- vergl.* 326).

Uebereinstimmungen des Griech. mit dem Kelt. u. Germ. 167

dentalen Explosivlaut (/r, x^i ^rr, cpi>), wo das Arische, Lateini- sche, Litauische und Slavische eine Spirans haben; s. Z. f. vergl. Spr, 31, 432 f. Das Keltische jedoch geht in dem einzigen Beleg, den ich kenne, mit dem Griechischen zusammen : gr. agycTog = air. art aus *arkfo-s gegen skr. fkki-, avest. ereyso- (daneben aresö?, osset. ars), lat. iirsus aus *urcsus. Die Lautverhältnisse von iuiuen. arj und alban. an' sind leider noch nicht auf- gekläil 1).

Von partiellen lexikalischen Beriihrungen hebe ich nur einige hersor^): die Praeposition xar« : gall. cata- in CataJauni, Cata- mantaloedes usw., acymr. cant, air. cH (die Lautverhältnisse sind mir nicht klar); nach Stokes Kelt. AVb. S. 151 auch did = gall. dia- in Diarilos Biasulos (?). ddiiog : air. dam fem. (aus *dämä) Gefolge, Schaar. i-ir^Xov : air. m'd Tier, vgl. anord. smali Kleinvieh. Gr. 0Q'/l'^ Zorn, air. ferg Zorn zeigen die- selbe Bedeutungsentwicklung, während skr. ürjä bei der Grund- bedeutung „schwellende Kraft" stehen geblieben ist, welche auch das Griech. noch kennt, vgl. oQycuo schwelle, ooyc'eg schwellend, üppig.

Germanen und Griechen teilen eine beachtenswerte lexikalische Neuerung: sie haben das altidg. Wort für 'hören' Jcleu- (gr. y.Xvoj) dm'ch ein Denominativum ersetzt, welches von dem Kompositum ak-oiis- 'ein scharfes Ohr habend' (aus ak- scharf + ous- Ohr) abgeleitet ist: gr. a/.ovoj aus *axoi(7y'cj, got. hausja aus *kousjü: s. Z. f. vergl. Spr. 33, 563. Auli'älhg ist femer das Zusammengehen in einigen Namen tur Krankheiten: ■/.civS-vh] : got. gunds Geschwür, ahd. g^^nd Eiter (Holthausen Z. f. vgl. Spr. 28, 282); att. v.a/.r^, ion. y.r^^ Bruch eines Ge- fässes im Körper {ßovßiovo-Aqliq Leistenbnich, ivT€Qoy,ijh^ Darm- bruch): anord. haulL ahd. höht 'hernia", asl. kgia dgl. (Z. f. vergl. Spr. 31, 472). Das ankhngende alban. kul'e -Hodenbruch' trennt G. Meyer, Alb. Wb. s. v., von diesen Wörtern. Unsicher ist die Vergleichung von -/.ögi^a Schnupfen : ahd. hroz ßotz.

Mit Litauern und Slaven haben die Griechen eine Reihe wichtiger Kulturwörter gemein^): noiurfV : lit. pemti ; nvQog : lit.

1) Vgl. zum arm. Wort Bartholoraae, Stud. z. idg. Sprachg. II 21 ff. (Idg. Forsch. III 182).

2") Ich unterdrücke hier und im Folgenden meine Sammlungen aller einschlägigen Fälle, weil deren Aufzählung, wo sie nicht zu bestimmten Folgerungen dienen soll, mir zwecklos erscheint.

3) Der Zusammenhang von xa/.y.ö; (und TskxTvss) mit preuss. gelso

168 VI. Die Beziehungen des Griechischen zu den verw. Sprachen.

ptirai Winterweizen (preuss. pure Trespe, Taubkorn, asl. pt/ro Spelt), Ttoitj, Ttöa : lit. i^eva Wiese (Schulze Quaest. ep. 45 Anm. 2. Solmsen Stud. z. lat. Lautg. 127 A. 1); veicg. Feld, Brachland: asl. 7iiva Acker (Fick Bezz. Beitr. I 336); j-flzAov Getreide- schwinge : lit. n'ekoti Getreide mittelst der Schwinge reinigen, lett. nekat in einer Mulde schwingen; Xr/.vor, Ir/.uog Worfschaufel: lett. lekscha dgl. (J. Schmidt Krit. d. Sonantenth. 107 f); i^rf/Mv: asl. makü, preuss. moke, auch ahd. mägo, mhd. mäge und mähen.

Hervorhebung verdient, dass die zuletzt genannten Völker. Germanen, Litauer, Slaven und weiter die Tränier, also eine geo- graphisch zusammenhängende Völkergruppe, mit den Griechen den Wandel von H in st gemein haben im Gegensatz zu skr. tt und ital. kelt. ss (gall. dd). Dürfen wir annehmen, dass etwa auch die thrakisch-phrygischen Stämme, welche die Griechen von den Nordindogermanen trennten, an dem AVandel zu st teil hatten, so kann hier sehr wohl ein sprachgeschichtlicher Zusammenhang vorliegen i).

In dieser Weise erklären sich wohl auch die ziemlich zahl- reichen partiellen Uebereinstimmungen der arischen Sprachen mit dem Griechischen. In einigen Fällen können wir in der That die Teilnahme des Phrygischen an diesen Berührungen nachweisen. Das Relativpronomen skr. iran. päs, gr. og ist auch phrygisch : log. Der Gott Djeus == skr, Dyäüs, gr. Zsvg hat auch den Thrakern angehört (s, Kap, VII). Für ziemlich enge sprach- liche Kontinuität spiicht das Zusammengehen der Arier und Griechen in der Vertretung der reducirten Form von en, em durch a : skr. catäm., avest. satem, gr, .'/«rov. Fast alle übrigen idg. Sprachen zeigen hier eine andere Vokalfärbung (vgl. lat. centum, got, hund, lit, szintas) ausser dem Keltischen, dem Phry- gischen und dem Armenischen, welche hier an bieten : gall. canton,

lit. gelezts, asl. zelezo Eisen gilt mir für zweifelhaft. Von griechischem Standpunkt aus liegt es nahe, ya?.y.6g mit x'^^'^1 (^o und x^h.1 neben xdJiyr] auf den att. Steinen, , Meisterhans'* 78) 'Purpurschnecke, Purpur- farbe' zu verbinden und als das ,,rote Metall" zu erklären; vgl. ;i;o^xöv EQV^QÖV II. I 365.

1) G. Meyer, Alban. Stud. III 56, hat die Hypothese aufgestellt, dass der Wandel von anlautendem s vor Vokalen in h von Iraniern, Slaven, Illyriern und (kriechen gemeinsam vollzogen sei, aber das griech,, illyr. und slav. Sprachgebiet nur teilwreise ergriffen habe. Dagegen Pedersen Idg. Forsch. V. 33 ff.

Griechisch-arische Beziehungen. 169

cymr. breton. cant\ phryg. Acc. Sing, fxaieoav = dor. uäreoa, A^ ivavoXaßav, ovoii av = gr, oVot/a? ; armen, kanaikh Nom. PI. Frauen = boiot. iarrv.eg. Wenigstens für das Arische, Phrygische, Armenische und Griechische dürfen wir hier einen historischen Zusammenhang annehmen, vielleicht aber auch für das Keltische, da wir ja über die geogi'aphische Lagerung der idg. Stämme in der urzeitlichen Periode, in welche jener Lautwandel fiel, nichts genaues wissen. Allerdings haben Arisch und Griechisch noch eine weitere Besonderheit gemein, an der das Phrygische nicht teilnimmt, den Verlust des Xasals. Mit der Yokalschwächung in unbetonter Silbe muss in diesen Sprachen eine Reduktion des Nasals verbunden gewesen sein. Weder bei einer Grundform "n noch bei ?i erklärt sich nämlich der Schwund des Xasals. denn sobald sich vor demselben ein voller Vokal entwickelt hatte, also öM entstanden war, konnte doch das 7i hier so wenig wie sonst vor Konsonanten, z. B. in gr. uavdoa = skr. mandurä, verloren gehen. Ob die Nasalreduktion eine dialektische Eigentümlichkeit des Griechischen und Arischen war oder ob sie auch in den übrigen Sprachen, namentlich der phrygisch-thrakischen vor sich gegangen, hier aber später wieder voller Nasal eingetreten war, lässt sich nicht entscheiden.

Gewiss kein Zufall ist es ferner, dass das Augment nur in einer räumlich zusammenhängenden Sprachgi'uppe, dem Griechi- schen, Phrygischen {EÖaeo., syaeg), Armenischen {elikh = eliTis) und Arischen (die iran. Skythen immer mitgerechnet) vorkommt; ob auch im Germanischen, ist fraghch, da der einzige Beleg, got. iddja, zweideutig ist, nämlich, wie Brugmann (Grundriss II 861) betont hat. ebensowohl skr. ii/at wie di/ät entsprechen kann. Fällt der germ. Beleg weg, dann wird es sehr zweifelhaft, ob das Augment gemeinidg. war und nicht vielmehr eine m-alte dialek- tische Besonderheit des ostidg. Sprachgebietes.

Wir sehen hier überall das Phrygische zwischen dem Arischen und Griechischen vennitteln. Düifen wii-, wie ich glaube, für das Phrygische auch das Altarmenische (natürhch mit Abzug des aus dem Iranischen entlehnten Sprachgutes) einsetzen, so lässt sich die Zahl solcher Fälle noch vennehren: man vergleiche z. B. gr. fiij, arm. mi dass nicht, skr. avest. apere, mä; gr. yeQcov, arm. cer Greis, skr. jarand- alt. So werden auch da. wo unsere dürf- tigen Kenntnisse vom Pluygischen und dem ältesten Armenisch vei-sagen, die partiellen Uebereinstimmungen des Aiischen und

170 Tl. Die Beziehungen des Griechisclien zu den verw. Sprachen.

Griechischen durch Vermittlung jener Sprachen zu Stande ge- kommen sein, z. B. die ar.-gi*. Infinitive skr. ddmane, gr. dof-ievaij daväne, kvpr. doßerai, das zum Suffix herabgesunkene -mejo- 'bestehend aus' = skr. -mai/a- = gr. -ueo- in hom. avdgo- «60-l; ') und die zahlreichen lexikalischen ßerührangen 2), unter denen das Zahlwort für 1000, skr. sahdsra-, avest. hazanra-, gr. ytiAiot aus ^x^ohoi, die sprachgeschichtlich bedeutsamste ist.

1) Tomaschek (Die alten Thraker II 2 S. 40) glaubt diese Ableitung wirklich im Thrakischen zu erkennen in den Personennamen ZißsAfiiog^ Zibelmis (zum ersten Teil vgl. den Namen des Gottes ZßsX-^iovQÖog, ZißeX- aovgdog, skr. svdi' Licht, Himmel, Sonne aus *svel-, anders Tomaschek II 1, 60) und bithyn. Bevöluiog.

2) Verzeichnet von J. Schmidt Verwandtsch. 59 ff'., wo unter anderem die bis auf das Sekundärsuffix sich erstreckende Gleichung skr. mar- yakä-s Männchen: gr. fisTga^, instgäxtov nachzutragen ist. Vgl. auch Schrader Sprachvergl.* 183. 326, der die zahlreichen arisch-griechischen Ausdrücke des Waff'enwesens hervorhebt.

VII. Kapitel. Die thrakisch-phrygischen Stämme.

Die Hellenen haben, fast noch ehe sie selbst zu einem Ge- samtnamen gekommen waren, ihre Nachbarn im Nordosten unter dem Namen der Thraker zusammengefasst. Schwerlich ist der- selbe von den thrakischen Stämmen selbst ausgegangen, die in ewigem Hader unter einander sich ihrer Zusammengehörigkeit wenig bewusst geworden zu sein scheinen. Der fremde Beobachter eines Volkes erkennt leichter die gemeinsamen charakteristischen Züge als der eingeborene, dem sich mehr die trennenden Unterschiede aufdrängen. Wenn wir der Erfahrung vertrauen dürfen, dass umfassende Völkernamen häufig durch Verallgemeinerung eines ursprünglich auf einen einzelnen Stamm beschränkten Namens entstehen, dessen Träger untergegangen oder jedenfalls später verschollen waren, so bietet sich in unserem Falle ungesucht eine Hypothese dar. Eine noch zu erörternde sagenhafte Tradition wusste von Thrakern in Phokis und in Boiotien zu berichten, welche natürlich in historischer Zeit längst mit der dortigen grie- chischen Bevölkerung verschmolzen waren. Sollte von diesem nach Süden verechlagenen Bruchteil der thrakischen Nation, der mit den Hellenen frühzeitig in die engste Berührung gekommen ist, der Name der Thraker ausgegangen und auf die verwandten Stämme übertragen worden sein? Die Bildung von QQa-i/.eg erinnert an nordgriechische Stammnamen wie Ti(xi.iiy.i.g in Boiotien,

172 VII. Die thrakisch-phrygischen Stämme.

^l'd^r/.e^ in Thessalien i), aiol. roal/.eg in Parion (Steph. Byz. u. roaiv.oc) neben epirot. roar/.oi. Auch die (DoivT/.eg waren iir- sprünghch in dieser Gegend zu Hause: ihr Eponym Phoinix ist der König der Doloper; und ein Ort in Epirus hies Ooivr/.i]'^). Doch weicht (Doivlv.eg in der Quantität des i von QQi^l/.eg ab <las bei Homer stets kurzes i hat, langes erst bei den Späteren wie Apollonios, Krinagoras. Kalliniachos. Dionysios Periegetes u. a.2). Das radikale Element von Sou-iaez ist. wie bei so vielen alten Volksnamen. etjTnologisch dunkel 3).

1. Zm* Ethnologie der thrakisch-phiygischen Stämme.

Der umfassende Name beweist, dass die thrakische Völker- gruppe, in so viele Stämme sie gespalten war, den Griechen doch als im Ganzen einheitlich erschienen ist. In der That bemerkt Herodot V 3, dass dieses „grösste Volk nach den Indern" zwar viele verschiedene Stammnamen habe, aber allesamt dieselben Sitten, ausser den Geten, den Trausern und den Thrakern ober- halb Krestone. Natürlich schliesst aber Einheitlichkeit im Ganzen Unterschiede im Einzelnen nicht aus, namentlich nicht in der ' Sprache, auf welche Herodot überhaupt keine Rücksicht genommen zu haben scheint. Moderne Forscher haben unter den Thrakern zwei Schichten untei-scheiden zu müssen geglaubt. Giseke (Thrakisch-pelasgische Stämme der Balkanhalbinsel, 1858, 1 ff.)

1) An der einzigen homerischen Stelle, welche dieses Volk erwähnt, B 744, ist zwar Alßixeoai gemessen, aber da die Folge ---- dem Metrum widersprach, beweist dies nichts für die wirkliche Quantität des t. Warum dies Schulze, Quaest. ep. 179 Anm., gegen Unger Philol., II. Suppl.-Bd. 693, bestreitet, sehe ich nicht recht ein.

1) Der FluRS ^oTvi^ bei Thermopylai (und ebenso wohl der Bach beim boiot. Tegyra. doch vgl. Toepffer Att. Geneal. 295 Anm.) verdankt seinen Namen seiner rötlichen Farbe: Lolling, I. Müllers Handbuch III 134.

2) Schulze a. a. O. nimmt Einwirkung von 'PoivTxeg, AWTxeg an.

3) Ebenso unklar ist es aber bei Osthofl's Deutung von Sq^xss aus Oga-Fix-eg, skr. vic- Stamm, Volk, lat. vxcus, gr. ß'oixog, der ich die obige Analyse vorziehe. Das x statt thrak. s würde zwar keine so grossen Schwierigkeiten machen, wie Solmsen Z. f. vergl. Sprachf. 34, 38 zu glauben scheint, da der Name eben griechisch sein kann. Aber die Ana- logie der angeführten nordgriech. Stammnamen seheint mir für suffixale Funktion des -ix- zu sprechen.

Verhältnis der Phryger zu den Thrakern. 173

hat die Hypothese aufgestellt, dass eine mit den Hellenen ver- wandte Urbevölkerung Thrakiens sich mit Einwanderern aus Kleinasien, Teukrern, Mysern und Paioniern, vermischt habe, über deren ethnische Stellung er sich nicht entscheidet. Diese ganz unhaltbare Theorie fusst hauptsächlich auf einer von Herodot VII 20 gelegentlich und ohne nähere Begründung hingeworfenen Be- merkung, dass die Myser und Teukrer vor dem troischen Kriege über den Bosporus nach Europa gezogen seien und alle Thraker bis zum Jonischen Meer im Westen und zum Peneios im Süden unterworfen hätten einer Bemerkung, deren historischen Wert Thraemer (Bergamos S. 290. 324) mit Eecht stark angefochten hat. Heute ist die einzig berechtigte Ansicht, dass die Richtung der Wanderung eine umgekehrte gewesen ist, dass vielmehr die Myser und die ihnen verwandten Völker aus Europa nach Asien übergeflutet sind, ziemHch allgemein anerkannt. Daraus ergab sich die Umgestaltung, welcher Tomaschek (Die alten Thraker, in den Sitzungsberichten der AViener Akademie, 128. Bd., I.) Giseke's Lehre unterzogen hat. Auch er unterscheidet zwei Schichten unter den thrakischeii Stämmen, eine phrygisch-mysische und eine echtthrakische Gruppe, welche beide ihm jedoch als enge Verwandte gelten. In ersterer Gruppe erbhckt er die höher gesittete altansässige Bevölkerung Thrakiens, in der zweiten die von den karpatischen Bergen eingewanderten Eroberer, welche die mysisch-}jhrygischen Stämme teils durchsetzt, teils nach links und rechts verschoben und übers Meer nach Kleinasien gedrängt haben. Tomascheks Theorie beruht zwar auf unzweifelhaft rich- tigen Voraussetzungen, aber im Ganzen wie im Einzelnen be- dürfen seine Ansichten, wie sich zeigen wird, durchgreifender Modifikationen.

Um diesen Fragen näher zu treten, müssen wir zunächst das Verhältnis der Phryger zu den Thrakern schärier ins Auge fassen. Seit Herodot VII 73 ist dem Altertum die europäische Herkunft der Phryger eine geläufige Thatsache. Herodot teilt dort als makedonische Tradition mit, dass die Phryger einst in Europa gesessen und hier Boiyt^ geheissen hätten. Weitere Gründe giebt er nicht aii, denn die Nachricht VIII 138, wonach die Sage von Midas und Silen am Fusse des Bermion in Makedonien lokalisirt war, haben erst die Neueren mit der obigen Stelle kombinirt aber oft'enbar richtig, da Herodot sich auch hier auf makedonische Aussage beruft. Jedenfalls ist der aus dem Fort-

174 YII. Die thrakisch-phrygischen Stämme.

leben der Midassage am Bermion gezogene Schluss berechtigt, dass die Bevölkerung dieser Gegend von phrygischen Elementen durchsetzt war, welche sich der Auswanderung nach Kleinasien nicht angeschlossen hatten. Xur die Dichter der alexandrini- schen Zeit, Nikander (bei Athen XV, 683) Lykophron (1397) und Euphorion (Giseke S. 101) lassen in poetischer Darstellung, die nicht ernst zu nehmen ist Midas umgekehrt aus Asien nach Emathia zu den Odonen kommen. Abel (Makedonien vor König Phihpp 41 ff.), Deimling (Die Leleger S. 46. 76 ö'.) und, wie wii- sahen, Giseke, denen Duncker, Gesch. des Altert. I-* 383, gefolgt ist, haben der phrygischen Wanderung aus unzutreffenden Gründen dieselbe Eichtuug gegeben. Das erweist sich ohne weiteres als unmöglich, wenn man sieht, wie die Phryger sich von Norden her gleich einem Keil in eine ihnen völlig unverwandte kleinasiatische Bevölkerung hineingeschoben haben.

Die bisherigen Zeugnisse für die europäische Urheimat der phry- gischen Nation werden nun erfreulicherweise weiter durch eine archaeo- logische Entdeckung gestützt, welche kürzlich meinem Freunde Alfred Körte gelungen ist \). Körte hat auf den phrygischen Reisen, die er auf Veranlassung der Direktion der Anatolischen Eisen- bahn im vergangenen und diesem Jahre unternommen hat, seine Aufmerksamkeit den Tumuli zugewendet, welche sich zahllos über ganz Phrygien im Osten bis Angora, im Süden bis Konia verbreitet finden. Die Meinung, dass diese Hügel als militärische Beobachtungsposten gedient hätten ^), erwies sich bei genauerer Untersuchung eines bei Bos-üjük, dem antiken Lamuuia, nord- westlich von Dorylaion (j. Eski-schehir) befindlichen Tumulus als iiTig. Bei der Abtragung dieses 11 Meter hohen, in seinem unteren Durchmesser 40 Meter messenden Erdhügels stellte sich heraus, dass derselbe aus acht über einander lagernden Schichten besteht, und zwar folgt immer auf eine Lage aus Asche und ver- brannter Erde, welche Thongefässe, Scherben und Tierknochen (von Rindern, Ziegen, Damhii-schen) enthält, eine starke Schicht von Erde und Bruchsteinen. In der untersten Aschenlage, aber

1) Einen kurzen Bericht über seine Beobachtungen gab Körte auf dem Winckelsmannsfest der Berliner Archaeologi8chen Gesellschaft, 9. Dez. 1895.

2) Auch die Tumuli in Bulgarien sind für militärische Auslugpunkte erklärt worden und haben wohl auch in Kriegszeiten diesem Zwecke ge- dient. Vgl. Kanitz, Zeitschr. f. Ethnol. XVI (1884^ Verh. S. 18 f.

Die phrygischen Hügelgräber. 175

an der Peripherie des Tuinulus kamen an verschiedenen Stellen menschliche Gebeine zu Tage. Nach diesem Befunde stellt sich Körte die Entstehung des Hügels folgendermaassen vor. Bei der Bestattung des Toten denn dass wir es mit einem Grabhügel zu thun haben, kann nun nicht mehr bezweifelt werden Avurden Opfer von Tieren und Menschen, vermutlich Sklaven, dargebracht, und die verbrannten Reste nebst den bei dem Leichenschmaus gebrauchten Gelassen mit Erde und Steinen bedeckt. Der Ver- storbene selbst war aller Wahrscheinlichkeit nach in der Mitte des Hügels unterhalb der Sohle desselben beerdigt; leider konnten seine Reste nicht zu Tage gefördert werden, weil die türkische Behörde die Fortsetzung der Erdarbeiten untersagte. Unter den aufgefundenen menschhchen Skelettresten den Vei'storbenen zu suchen verbietet deren Lagerung an der Peripherie des Hügels. Die Totenopfer wurden vermutlich in gewissen zeitlichen Zwischen- räumen wiederholt und die OpfeiTcste jedesmal mit einer Lage von Erde und Steinen bedeckt, bis der Hügel die gegenwärtige Höhe erreicht hatte. Dann wurde er mit einem phallusähnHchen, aber nach Körte's Ansicht wohl doch keinen Phallus darstellen- den steinernen or^ua bekrönt, wie sie sehr zahlreich in Phrvgien angetroffen werden. Die Errichtung des ganzen Hügels fiel wahrscheinlich in einen relativ kleinen Zeitraum, nelleicht immer in die Lebenszeit des Sohnes oder nächsten Angehörigen des Toten.

Nicht alle phrygischen Tumuli erreichen die Höhe und den Umfang des eben beschriebenen. Eine in seiner Nähe befiud- hche Erderhöhung mit derselben Schicht von Kohle und Scherben erhebt sich nur wenig über den Boden. Dass dennoch alle diese Hügel im Wesentlichen von derselben Beschaffenheit wie der von Bos-üjük sind, lässt sich mit ziemlicher Sicherheit annehmen. Denn während dieser im äussersten Norden der phrygischen Landschaft liegt, zeigt ein bedeutend weiter südlich mitten im Herzen Phrygiens bei Tschai, dem alten Ipsus, gelegener Tumulus, welchen Körte bereits angestochen vorfand, genau dieselbe Schichtung.

Das wichtigste Ergebnis dieser Grabungen ist aber die That- sache, dass die dabei zu Tage gekommenen Thonwaaren, teils unversehrte Gefässe und Geräte, teils Scherben, völhg mit der troischen Keramik, und zwar speziell der 5. und 6. Schicht von Hissarhk, übereinstimmen. Es handelt sich nicht bloss um eine mehr oder weniger grosse Aehnhchkeit, sondern um vollständige

176 VII. Die thrakisch-phrypisclien Stämme.

Identität der Technik und was noch mehr ins Gewicht fällt der für Troja charakteristischen keramischen Formen. So fand sich das bekannthch in Hissarhk massenhaft, aber sonst nirgends vorkommende dencci^ a^(fL/.6TcsXKov, die Schnabelkanne, ferner Vasen mit brustwarzenförmigen Ansätzen, Thonwirtel und der thönerne Griff einer Bürste genau wie der bei Schuchhardt, Schhemanns Ausgrabungen ^ S. 98 Fig. 83, abgebildete.

Es ist bekannt, dass Tumuli von derselben äusseren Er- scheinung w^ie die phrygischen in der troischen Ebene und auf der anderen Seite des Hellespont und des Marmara-Meeres in grosser Zahl vertreten sind. Leider konnte bisher kaum einer systematisch untersucht werden, denn der im Jahre 1879 von Calvert gründlich durchforschte Hanai-tepe (Schliemann, Ilios 782 ff.) gehört eben nicht zu den Grabhügeln. Schhemann war geneigt, die von ihm angestochenen Tumuli für Kenotaphien zu halten, weil er in ihnen keine Spuren einer Beisetzung, weder Gebeine noch Asche oder Kohle, entdecken konnte (Bios 721 ff. Troja 271 ff.). Diese der antiken Tradition widersprechende An- sicht erwies sich vollends als irrig, als im Jahre 1890 in dem südhch von Bios gelegenen Pascha-tepe ein menschhches Skelett zu Tage kam; vgl. Schliemann, Bericht über die Ausgrabungen im J. 1890 S. 24. Körte glaubt nach Schliemanns Angaben schon jetzt vermuten zu dürfen, dass die troischen Tumuli in derselben AA^eise wie die phrygischen angelegt sind: Schliemann mag ihre Entstehungsart verkannt haben, weil er sie nicht, wie dies hier nötig gewesen wäre, abtragen liess *), sondern gewöhnlich nur einen Schacht in ihr Inneres hineintrieb. Die sonstigen Schwierigkeiten, welche seinen Ausgrabungen in den Weg traten, hat er „Troja'' S. 285 ff", geschildert. Hoffentlich \fird es in Zukunft noch gelingen, eine gründhche Untersuchung dieser Hügel, welche j(»tzt ein erhöhtes Intei-csso hat, vorzunehmen.

Den Schlussstein zu Körte's Entdeckungen bildet nun aber die Auffindung eines den phrygischen in der Anlage genau gleichenden Tumulus bei Saloniki. Als Körte denselben auf- suchte, fand er ihn bereits von wem, ist unbekannt durch

1) Beiläufig bemerkt, hat auch Aschik dieses mühevollere Verfahren bei den Kurganen der Tamanischen Halbinsel in Anwendung gebracht, hier freilich ohne Resultat; vgl. Kohn und Melilis, Materialien zur Vor- gesch. d. Menschen im östl. Europa I 310.

Phrygisch-troische Kultur. 177

einen Stollen angebohrt, welcher ihm dieselbe Schichtenfolge wie in den phrygischen Grabhügeln zu beobachten erlaubte. Auch die Gefässscherben, welche er mit geringer Mühe aus den AVänden des Stollens hervorziehen konnte, sind in der Technik des Brennens von der phrygisch-troischen Keramik nicht verschieden ; die Geläss formen lassen sich vorläufig, da Körte nur Fragmente fand, nicht vergleichen i).

Aus diesen Beobachtungen ergeben sich, wie leicht zu sehen ist, sehr bedeutende ethnologische und chronologische Folgerungen Erstens kann die Verwandtschaft der Troer mit den Phrygem nicht mehr bezweifelt werden. Sie ist zwar schon längst von verschiedenen Gelehrten behauptet worden von Abel (Make- donien 44), Deimhng (Die Leleger 87), der die Troer für ein grie- chisch-phrygisches Misch volk erklärte, Ed. Meyer (Geschichte von Troas S. 11) u. a., aber ohne ganz durchschlagende Gründe. Sayce (im Vorwort zu Schliemanns Troja S. XV) hielt die thra- kische Nationalität der Phryger für erwiesen durch die Funde, welche Schliemann in dem sogen. Grabhügel des Protesilaos auf dem thrakischen Chersones gemacht hatte, Steinwerkzeuge und Thonwaaren, welche mit der Keramik der 1. und 2. Schicht von Hissarlik übereinstimmten. Aber Ed. Meyer (Gesch. d. Alt. 11 126) hat mit Recht hiergegen eingewendet, dass jener Tumulus auch von Troern, die über den Hellespont gegangen, herrühren könne, diese Funde also nichts beweisen.

Erst die völlige Identität der phrygischen und troischen Keramik bildet ein gewichtiges Argument für die Verwandtschaft beider Völker. Zwar sind ethnologische Schlüsse aus der Ueber- einstimmung zumal einer primitiven Kultur nicht ohne weiteres zwingend diesen Grundsatz hat namentlich Ed. Meyer von jeher (G. v. Troas 58. G. d. Alt. II 124) verfochten auch zeigt die älteste Keramik der ganzen Inselwelt des Aegaeischen Meeres gewisse Analogien zu der troischen, aber diese hebt sich durch ihre festausgeprägte Eigenart so scharf von jener ab und deckt sich andererseits mit der phrygischen so völhg, dass hier

1) In diesem Zusammenhang ist die Bemerkung von Hoernes (Ur- gesch. d. Menschen 484) von Interesse, dass das troische Motiv des an Schalenrändern angebrachten Menschengesichts (eigentlich nur ein Augen- paar) auf einem Thongefäss aus einer derselben Zeit angehörigen Ansied- lung Bosniens wiederkehrt.

Kretschmer, Einleit. in d. Gesch. d. gr. Sprache. 12

178 VII. Die thrakisch-phrygischen Stämme.

an spontane Analogie unmöglich gedacht werden kann. Die charakteristische Form des öeTtag ay.ifLV.VTtel'kov ist nur in Troja und Phrvgien vertreten. Ein zweites nicht weniger zwingendes Beweisstück wird die Uebereinstimmung der Bestattungsweise bilden, wenn die troischeu Tumuh erst einmal in systematischer "Weise dui'chforscht sein werden.

Damit kommen wir zu einem weiteren wichtigen Resultat von Körte's Beobachtungen : der Tumulus von Saloniki Hefert einen neuen Beweis für die Herkunft der Phrvger und Troer aus Thrakien. Allerdings begegnen Grabhügel von ungefähr derselben äusseren Erscheinung auch sonst in Kleinasien z. B. in Lydien; aber ihre innere Anlage ist gänzHch von der phrygischen ver- schieden. Die lydischen Tumuh enthalten im Innern ausge- mauerte Grabkammern und Gänge (Perrot, Hist. de l'art V 48 53. 265 285), wie die nordeuropäischen Hügelgräber. In dem Tumulus vonBos-üyük dagegen fand Körte gar kein Mauerwerk, sondern nur an einigen Stellen eine Steinschichtung, die dem Hügel einen inneren Halt zu geben bestimmt war. Die Ent- stehungsweise der phrygisch-thrakischen Grabhügel durch allmäh- liche Aufschichtung im Verlauf eines gewissen Zeitraumes ist vorläufig ohne Parallele in dem ganzen umgebenden Kulturgebiet; sie setzt eigenartige sepulkrale Gebräuche voraus, und mit Recht hebt Körte hervor, dass gerade solche für entscheidende ethno- logische Merkmale gelten dürfen, weil sie mit grosser Zähigkeit festgehalten und selten entlehnt zu werden pflegen. Geschlossen wird der ganze Beweis aber durch Herodots Schilderung der thrakischen Bestattungsgebräuche (V 8), welche mit dem ar- chaeologischen Befund im Wesentlichen übereinstimmt i). Da- nach wird die Leiche drei Tage lang ausgestellt und ein Schmaus gehalten, bei dem allerlei Opfertiere geschlachtet werden. Dann bestattet man die Leiche, indem man sie verbrennt oder auch nur mit Erde bedeckt. Darauf wird ein Hügel errichtet und

1) latpai dk xolai Evbaifioai avT<öv eial aide' XQsTg fisv Tj^iigag ngou- ■dsTai Tov vEXQov, xal navxoTa aq^äSavreg tgijia evcoyeovtai, JiooxXavaavtsg TiQOJTOv ' sTieizEV öh ■!}ajiTovai xazaxavaavTsg tj ä)./.(og yfj XQvifavreg , ;i;w/<a de yiavrsg dyöjva rc&eiai TiavToTov , iv ro) xa /niyiaxa äs&Xa xi^exat xara Xöyov fiovvofjiayiTjg. xaqpal h'ev 8ij &Qt]ixco%' Eial aiÖE. Herodot hebt hervor, dass 80 nur die wohlhabenden Thraker bestatten. Die mächtigen über 10 Meter hohen Tumuli Phrygiens werden auch nur Häuptlingen oder vornehmen und reichen Phrygern angehören.

Thrakische Hügelgräber. 179

Kampfspiele gefeiert. "Wenn Herodot nichts von einer Wieder- holung der Totenopfer berichtet, so kann dies eine Ungenauigkeit in seiner Beschreibung sein, auf die man kein grosses Gewicht wird legen wollen.

Tumuli finden sich, wie über Phrygien und Troas, auch über das ganze Gebiet des alten Thrakiens, Bulgarien, die Walachei, Moldau bis nach Südrussland hin verbreitet ^). Leider sind sie fast noch gar nicht wissenschaftlich untersucht; der Unkundige verkennt leicht ihre kulturhistorische Bedeutung, wenn er statt wertvoller Beigaben nur Asche und rohe Topfscherben findet^). Es muss zukünftiger Forschung überlassen bleiben, festzustellen, ob und wie weit sie in ihrer Anlage mit dem Tumulus von Saloniki übereinstimmen. Immerhin darf schon jetzt darauf hin- gewiesen werden, dass diese nach Eimer (Z. f. Ethnol. XV 1883, Verh. S. 299) äusserlich den troischen genau gleichenden Grabhügel in der nördhchen Hälfte der Balkanhalbinsel hauptsächhch in altthra- kischem Gebiet und zwar südhch bis nach Thessahen hinein vor- kommen sollen, hier aber, namenthch um PhiHppopel. zu Hun- derten; in Rumänien sind sie nicht so zahlreich, im westlichen Macedonien und in Albanien sollen sie sehr selten sein. Man hat deshalb, ich zweifle, ob mit Hecht, diese TumuH für ein die thrakische Nation von der illmschen unterscheidendes ethno- logisches Merkmal erklärt 3). Die Kurgane jedoch, deren Gebiet sich östlich an das der thrakischen TumuK anschhesst, werden wir auf keinen Fall mit Fhgier sämtlich den Thrakern zu- schreiben, sondern wenigstens teilweise den Skythen, in deren Gebiet sie thatsächhch liegen. In diesem Zusammenhange

1) S. darüber Boue, Mitteil/^d. Wien. Anthrop. Ges. I 156. Weiser, €bd. II 225. F. Kanitz, ebd. VI 201. Donau-Bulgarien und der Balkan I (1875) 276. II (18771 106. III (1879) 189 u. ö. (vgl. Regist.) Zeitschr. f. Ethn. XVI Verh. S. 18. Eimer ebd. XV 299. üeber die russischen Kur- gane Kohn und Mehlis, Materialien zur Vorgesch. des Menschen im östl. Europa, Jena 1879.

2) Nach Eimer a. a. 0. haben die Ausgrabungen zweier Tumuli bei Sofia „nichts" ergeben. Virchow (Z. f. Ethn. XV Verh. 299) war deshalb geneigt, sie teilweise für blosse firij/nara, Erinnerungszeichen, zu halten. Auch in russischen Kurganen fehlen angeblich zuweilen Skelette voll- ständig (Kohn u. Mehlis a. a. 0. I 309).

3) Fligier, Mitt. d. Wien. Anthr. Ges. VI 224. Boue, ebd. I 156, kon- statirt Tumuli auch in Dardanien oder Ober- Moesien, Albanien (bei Janina) und in der Hercegovina. lieber die illyrischen Gräber in Bosnien s. Kap. VIII.

12*

180 VII. Die thrakisch-phrygischen Stämme.

verdient erwähnt zu werden, dass die Beschreibung, welche Herodot ly 71 von der Bestattung der Könige bei den sk^ihischen GeiTcm giebt, Züge enthält, welche an thrakisch-phrygische Sepulki'albräuche erinnern. Auch hier wird eine der Frauen ge- opfert, um dem Hemi ins Jenseit zu folgen, wie bei den Thrakern oberhalb Ki'estone (Herodot Y 5) und vielleicht auch bei den Pluvgern in ältester Zeit, auch hier wird ein mächtiger Hügel über der Leiche aufgeschüttet und die Bestattung mit Kampf- spielen beschlossen; imd nach einem Jahre werden von Neuem Menschenopfer dargebracht, allerdings unter sehr eigenartigen Gebräuchen.

AVar die europäische Herkunft der Phryger ohnehin nicht zu bezweifeln, so ist ganz neu der chronologische Aufschluss, welchen wii* Körte's Beobachtungen verdanken. Die Funde von Bos-ü}-ük stehen der Keramik der 5, und 6. Schicht von His- sarHk am nächsten. Auf Grund der letzten Ausgrabungen hat Dörpfeld (Troja 1893) bekanntHch die Ansiedluug der C. Schicht für das homerische Troja d. h. die der mykenischen Zeit ange- hörige Stadt erklärt: in diese Periode weisen die in der 6. Schicht zahkeich zu Tage gekommenen Thonfabrikate mykenischen Stils. Körte hat solche in Phrygien nicht gefunden: sollten nicht noch weitere Ausgrabungen sie ans Licht fördern, so wäre ihr Fehlen durchaus begreifhch, denn die mykenische Kultur konnte sich recht wohl über das Aegaeische Meer bis an die troische Küste verbreiten, ohne doch in das phrygische Hinterland einzudringen. Dem Troja der mykenischen Epoche sind nach Dörpfeld ärmliche, dorfähnHcheAnsiedlungen voraufgegangen (3. 5. Schicht), welche auf die durch Brand zei-störte zweite Stadt gefolgt sind. Es entsteht die Frage: waren die Bewohner der zweiten Stadt gleichen Stammes mit denen der 6., waren auch sie europäischer Herkunft? An sich wäre es wohl denkbar, dass die „thra- kischen'' Troer auf dem Boden von Hissarlik ein älteres Volk abgelöst hätten, wohl gar die Zerstörer der 2. Stadt gewesen wären. Aber archaeologische Gründe empfehlen uns vorläufig, die eben auigeworfene Frage zu bejahen. Die Entwicklung der troischen Keramik ist von der 1. Schicht ab nach Brückner (bei Dörpfeld, Troja 1893 S. 88 ff". 104) eine so stetige, diiss wirkeine Veranlassung haben, die 6. Schicht einem anderen Volk wie die 1. und 2. zuzuschreiben. Wenn die Funde des Grabes des Protesilaos, wie schon bemerkt, zu der Kultur der 1. und 2. Stadt stimmen,, so

Zeit der phrygrischen Einwanderung in Kleinasien. 181

möchte ich dies vorläufig wegen der unzureichenden Erforschung dieses Tumulus nicht als Argument benutzen. Indem Dörpfeld die mykenische Periode in die zweite Haltte des II. Jahrtausends V. Chr. verlegt und für die 3. 5. Schicht einen Zeiti-aum von mindestens fünf Jahrhunderten in Anspruch nimmt, gewinnt er als ungefähres Datum für den Untergang der 2. Stadt 2000 v, Chr., für die Gründung der Stadt also das III. Jahrtausend. Diese Zahlen sind aber, wenn ihnen auch nur eine ungefähre Richtig- keit zukommt, schwerlich zu hoch gegiiffen.

Wir können demnach mit ziemHcher Sicherheit schliessen. dass die Wanderung europäischer Stämme nach Kleinasien bereits im III. vorchristhchen Jahrtausend ihren Anfang ge- nommen hat. Dieses Ergebnis hat aber noch weiter reichende Konsequenzen. Es kann nicht zweifelhaft sein, dass jene Wanderungen durch den Druck verwandter Stämme von Nor- den her veranlasst worden sind. Wenn nun die aus ihrem Sitzen in Makedonien und Thrakien verdrängten Völker statt nach Süden in die ihnen zunächst liegende fnichtbare thessalische Ebene auszuweichen, sich nach Osten längs der ganzen Küste des Thrakischen ^Meeres bis nach Kleinasien geschoben haben, dann müssen sie im Süden bereits ein Volk vorgefunden haben, welches ihnen eine Ein wandening unmöglich machte i). Xun ist es ja an sich glaublich, dass die in historischer Zeit südlich von den phrygisch-thrakischen Stämmen sitzenden Griechen vor jenen hergegangen, nicht aber ihnen gefolgt sind. Somit müssten auch die Griechen ihre historischen Wohnsitze schon im III. Jahr- tausend erreicht haben, und es wird nun auf jeden Fall wahi-schein- lich, dass sie bereits in vormykenischer Zeit in Griechenland an- sässiggewesen sind. Man sieht jetzt, wie wenig glaublich Hoernes Annahme ist, wonach sie noch um 12Ü0 v. Chr. im Nordwesten der Balkanhalbinsel gesessen haben sollen 'vgl. oben S. 153 f.).

Wenn wir aber den Anfang der Einwanderung europäischer Völker in Kleinasien ins III. Jahrtausend verlegen, so dürfen wir uns dieselbe doch nicht als einen einzigen Akt vorstellen,

1) Ein schon von Thukydides II 22 erwähnter Ort ^ovyia lag usra'^v Boioixiag xal 'Arriyrj^ . und auch auf dem Oeta gab es ein ^ovyt'a, dessen Namen man auf Herakles' Verbrennung deutete drro rov iy.eZ 7t8(fovyßai Tov 'Hoay./.sa, Steph. Bj'z. s. v.). Ist es zu kühn, hier an Schwärmlinge des Phrygervolkes zu denken, welche den Versuch gemacht hatten, nach Süden vorzudringen und an jenen Orten sich festgesetzt haben?

182 VII. Die thrakisch-phrygischen Stämme.

der in jener Urzeit auch seinen Abschluss gefunden haben müsste. Die Einwanderung ist ohne Zweifel in vielen Schüben erfolgt, sie war eine Jahrhunderte lang anhaltende, ja fast bis in histo- rische Zeit fortdauernde Bewegung, „?/7?ß inßltratioh lent&^ , um einen Ausdruck Renan 's für einen analogen Vorgang, die Ueber- wanderung arabischer Stämme nach Aethiopien, zu gebrauchen. Die Einwanderer selbst aber waren, wenn auch im Allgemeinen verwandt, doch teils von Haus aus nicht vollkommen gleichartig, teils mögen sich später durch die Trennung neue Unterschiede zwischen den asiatischen und europäischen Stämmen entwickelt haben. In Kleinasien endhch fanden die Einwanderer eine stammfremde Urbevölkerung vor, mit welcher sie, soweit sie sie nicht vernichten oder verdrängen konnten, verschmolzen sein müssen. So siad hier sehr verwickelte ethnologische Verhältnisse entstanden, die zu entwirren um so schwieriger ist, als die Vor- gänge, welche sie geschaffen haben, ausschliesshch in praehistorische Zeit fallen.

Zu den ältesten Einwanderern mögen die Troer gehören: das dürfen wir aus der noch ziemhch primitiven Kultur der 1. Schicht von Hissarlik schhessen, in welcher ausser einigen kupfer- nen Messern und Nadeln nur steinerne Aexte, Meissel, Sägen und Messer vorkommen. Die Troer sind also, vermutlich über den HeUespont kommend, gleich an der Pforte Kleinasiens sitzen geblieben und haben sich auf dem, wie die Ausgrabungen lehren, wohlbefestigten Burghügel von Hissarhk gegen ihre nach- rückenden Brüder behauptet. Von ihrer Sprache ist nur an einer einzigen Stelle im Altertum die Rede, in dem homerischen H}Tnnus auf Aphrodite 111 ff, wo die Göttin sich in der Gestalt einer phrygischen Königstochter dem Troer Anchises naht und es für nötig hält, ihm auseinanderzusetzen, weshalb sie, eine Phry- gerin, seine Sprache verstehe: sie habe eine troische Amme ge- habt und kenne daher beide Sprachen. Man mag auf diese Er- zählung als eine poetische Fiktion noch so wenig Gewicht legen sicher beweist sie, dass für den Verfasser des Hymnus Troer und Phrjger durchaus zwei verschiedene Völker waren. Und diese scharfe Unterscheidung steht mit der Uias vollkommen in Einklang. Die Phrjger am Sangarios erscheinen hier als Freunde und Verbündete der Troer i), Hekabe ist eine Phry gerin von Ge-

1) Priamos leistet den Phrygern Hilfe gegen die Amazonen, F 185 ff.

Ethnologie der Troas. 183

burt (n 717 f.), aber niemals werden die Troer als Phryger be- zeichnet, wie später von den Tragikern, Schon Aristarch (Schol. A zu B 862) hat dies betont und davor gewarnt, beide Völker mit den Neueren zu identifiziren : erst Aischylos ver- wechsle siel), und Strabon wiederholt diese Warnung 2). Wir werden ihr um so mehr Berechtigung zuerkennen, als uns, je weiter wir in die Urzeit zurückgehen, um so weniger umfassende Völkernamen begegnen.

Daraus folgt aber natürhch nicht, dass Troer und Phryger unverwandt gewesen wären. Politisch und dem Xamen nach waren sie verschieden , ihre Kultur und ihre Sprache aber war eng verwandt. In letzterer Beziehung ist der Name ^'lliog selbst von Interesse. Die einzige haltbare Deutung desselben ist m. E. die antike, wonach er die ,. Stadt des Ilos" bedeutet-^). Die Er- fahrung, dass heroische Eponyme gewöhnhch erfunden sind, hat diese Erklärung bei den Neueren in Misskredit gebracht, aber mit Un- recht. Die Ableitung der Ortsnamen von Personennamen mit Suffix -Lo- ist echt phrygisch (vgl. Ramsay, Hist. Geogr. of Asia Minor 144. 439): Miöcnov (inschriftlich MidccEtov auf einem von Körte gefundenen Stein) von 3Iidag, Taiäiov Taraoviov (d. i. Taraßioi') von rag, Attüeiov (^lünzen:^ATTaeitcov, Thraemer Pergamos 348 Anm.) von ^Arrcig, Kozvdiov (auf den Münzen KoTiuHov^ xon Kot cg, ^A/.v.üAiov von vorauszusetzendem *L^/.x<Aac;, JoqvXÜlov von Joov'Uic., Mavr^oiov von Mävr^^ , roQÖUiOv (röq- ÖLOv) von röoÖLog, Tlsiov von Tiog, Tiß(i)Eioi' von Tlßiog, Jo- Mfiiov vonJö/.iiiog, Juov.Daov von zJdo/.ilog u. a. Inderseiben Weise ist 'iXiog, "T/.tov nach einem alten König oder einem Heros benannt, dessen Grabhügel bekannthch schon der epische Dichter (^ 166 I'/.ov o^iu, 371 f Ttußo) "f/.ov Jaodavidao, Tca-

ümgekehrt die Phryger Bundesgenossen der Troer nur an zwei jungen Stellen, K 431 und B 862.

1) ^Qvyag' fj diTzlf] , oti ol vbwtsool t?;i' Tooi'av aal zr/v ^ovycav Ti}v avrrjv /.eyovacv, 6 8s "0^t]Qo; ovjf ovroj; Ala/^vkog ök avvsyeev (vgl. Athen. I 21).

2^ XII 573 : yiyovs bz fj dodq^sia ov 8cä rä? fisraßokds ,u6vov , aXld xai 8ia tÜ? xwv avyyoacpioiv dvofio^.oytag asgl zcöv avrcöv ov tcc avrd /.eyövzcov, Tovg /nev Tocjag y.aXovvzcov ^gvyag xadd:zF.Q ol zoayiy.oi. Vgl. XIV 665.

3) Vgl.Pindar N. VII U.^D.ov nöXiv.

184 VII. Die thrakisch-phrygrischen Stämme.

Xaiov dtiLio'/iQOvzog) erwähnt i). und ebenso vielleicht das am Hellespont gelegene Jldgiov nach einem Ilaoig ^).

Von sonstigen troischen Eigennamen kann vielleicht noch JoQi]g, wie ein Priester des Hephaistos E 9 heisst, als phiygisch angesprochen werden, insofern der Mythograph Dares ein Phrygier war (Aehan. V. H. XI 2) und ein Thraker JagUiog^) bei Li- banios Epist. 281 genannt wird; doch wäre es nicht unmöghch. dass ersterer seinen Namen nur aus dem Epos bezogen hat. In Be- tracht zu ziehen ist hier die Hesychglosse z/agEiog- vttö TIbqoiov 6 (fQoriuog, V710 de (DQuyoJv ('■/.tcoo (oder "Ey.tojq). Richtig ist daran jedenfalls soviel, dass in dem Namen Jäqetog, altpers. Dürayuvan- das Verbum pers. avest. dar-, skr. dhar- '■tyßiv, halten, stützen, besitzen' steckt (das 2. Ghed ist *va}iu, skr. vdsu das Gute), JaQEiog sich also dem Sinne nach in der That mit"Ey.zit)Q berührt. Ob aber wirklich jener Name auch phrygisch gewesen ist, lasse ich dahingestellt.

üccQig verbindet Tomaschek (Thraker II 2, 21) mit dem in thrakischen Personennamen so häufig als 2. Glied fungirenden -noQig z. B. KezQi/coQig, JLvöircoQig, Ji/uTtOQLQ^ ^iXovjroQig, '^Paiay.ourcoQig, Mucuporis usw., dazu als Kurzform Poris (prin- ceps gentis Aeneatum, Liv. 40, 4) und erklärt den abweichenden Vokalismus durch Ablaut, indem er das Wort (wie vorher schon CurtiusEtym.5 278 den Namen HaQig) zu gr. jieiqo), asl. sü-poru Streit, na-porü Stich, Stoss, armen, her(i) Streit, har- 'schlagen, stechen, schlachten' stellt. Aber seine Deutung von Mucaporis als Saustecher, ^iv'/MvrcoQig als Bossschlächter, KecQiuooLg Schlächter alles Vierfüssigen u. s. f. sind mehr als unwahrscheinHch. Neben -uoQig liegt -Tcolig, das To^d mit alban. pjel zeugen, gebären, lat. pullus verbunden und als 'Sohn' gedeutet hat begritfHch ansprechend. Erwägen wir aber, dass dieselben Männer bald ^Pao/.v7V0Qig "^Pr^ay.ovTioQig . bald '^Pao/Mtnühg {Rhascypolis Suet. Tib. 37, weitere Zeugnisse bei Tomaschek II 2, S. 27) genannt

1) Nach Steph. Byz. lagen Orte des Namens "/Atov am Rhyndakos, in Makedonien, in Thessalien und in Thrakien bei Bizye. Wir können diese Angaben nicht nachprüfen.

2) Die antike Nachricht, dass an der Begründung von Parion ausser Milesiern und Erythraeern auch Parier teilgenommen haben (Strab. XIII 588), scheint nur der Homonymie wegen ersonnen; vgl. Busolt, Griech. Gesch. I 468.

3j Vgl. pers. Jaoi/jxtji = AagsTog Strab. XVI 785 ?

Ethnologie der Troas. 185

werden, dass auch KedQ}]7tolig, KsögortoXig mit KezoiTrooig wechselt, während das ein paar Dutzend mal bezeugte Mov.ä- jtOQig Mucapor, ferner ^ivöiTtoQig, Jalr^TtoQig, JiXinoQig, Hepfa- poriSf Pie-, Peto-, Natoporus nur mit r vorkommen, dann kann es nicht mehr zweifelhaft sein, dass -7io?.tg durch Dissimilation aus -rtoQig entstanden ist in den Fällen . wo ein r vorherging l'^Fao/.ov-, Ksdo)]-, ^Aioovuo'/.ig . Ttoqig ist also die ursprüngliche Form und Identität mit Uäoig möghch, aber wegen der ver- schiedenen Vokale doch nicht e-sddenti).

Von europäischen Stämmen, welche sich an der Besiedelung der Troas beteihgt haben, können wir mit einiger Sicherheit zu- nächst die Paionier namhaft machen. AVenn die paionischen Jünglinge sich vor Dareios rühmen, dass ihre Landsleute Kolo- nisten der troischen Teukrer seien (Herodot V 1 3), so wird daran soviel wahr sein, dass umgekehrt Paionier nach der Troas ausge- wandert waren. In der That ist. wie wir aus Strabon VII fr. 38 erfahren, schon im Altertum von anderen behauptet worden, dass Paionieu vielmehr das Mutterland der Phryger Uatovag (Dovywv aQ/riyhag) sei. Das nur von Skylax 67 genannte Uaiojv auf dem thrakischen Chersones könnte ein Haltepunkt der w^andern- den Paionen gewesen sein.

Wenn nun der Name der nördlichen Xachbarn der Paionen, der Dardaner. ebenfalls in der Troas wiederkehrt, dann kann die Möghchkeit, dass auch jene (so gut wie die südhchen Xachbarn der Paionen, die Mygdonen) an der Auswanderung nach Klein- asien teilgenommen haben, nicht von vornherein zurückgewiesen werden ; ich weiss aber freihch auch nichts zur Unterstützung dieser Annahme beizubringen. Der Xame des dardanischen Fürstengeschlechtes der Aineadeu, welches, wie man längst aus den Versen 1' 302 ff. und Hymn. auf Aphr. 196 f. geschlossen hat, noch zur Zeit der epischen Dichter in der Troas herrschte,

1) Ich möchte -Too«,-, dak. -po}-us vait a\b. pars, skv. pdra- [venet. 2^o7-ah) 'der erste, beste' zusammenstellen, vgl. illyr. Voltuparis, Assoparis. Was das Epos sonst an troischen Namen nennt, macht ebenfalls keinen unindo- germanischen Eindruck. 'Aaodoaxo; hat schwerlich etwas mit Assyrien zu thun (Ed. Meyer Gesch. v. Troas 62), sondern ist mit dem im Phrj'gisch- Thrakischen wie in fast allen idg. Sprachen beliebten hypokoristischen Suffix -ko- gebildet (vgl. phryg. Ndvvaxog, Mtjvay.ov, Mdvaxov , thrak. 'Poj- växrjg Maider Athen. IV I84i. Ilgiauog ist verschiedener Deutungen aus dem Idg. fähig, zwischen denen ich keine Entscheidung wage.

186 VII. Die thrakisch-phrygischen Stämme.

sieht griechisch aus und scheint mit den Ortsnamen ^l'reia auf der Chalkidike. ^tvog in Thrakien in irgend einem Zu- sammenhang zu stehen ; man beachte, dass Rhesos, der den Troern Zuzug leistet, von Hipponax (fr. 42) ^henov Tia/.uvc. genannt ■wfrd und der Heros Eponymos von Kyzikos bei ApoUon. ßhod. I 948 50 Sohn des Aineus und der Ainete heisst*). Andere troisch-thrakische Homonymien Arisbe in der Troas: Arisbos, Nebenfluss des Hebros, Kehren in der Troas: die thrakischen Kebrenier usw. hat Strabon XIII 590 gesammelt.

In einer etwas jüngeren Periode, nach dem Untergange der troischen Macht, scheint die Troas vom phrygischen Osten her neuen Zuzug erhalten zu haben. Die Nachrichten hierüber sind allerdings sehr verworren und unsicher. Zunächst die unklare Angabe des Xanthos (bei Strab. XIV 680), die Phryger seien (.lETo. Tcc Tocji/.a aus Europa und von der linken Seite des Pontos nach der Troas gekommen; geführt habe sie Skamandrios i'A Beqe/.vvziov y.al Ao/Mviag. Ed. Meyer meinte früher (G. v. Troas 71 f.), dass diese Nachricht nicht dem echten Xanthos, sondern der (angebhchen) Fälschung des Dionysios Skytobrachion ent- nommen sei, hat aber jetzt (G. d. Alt. II 10) seine Zweifel an der Echtheit des Xanthos zuriickgenommen. Thraemer, der sich zuletzt um dieses Fragment bemüht hat (Pergamos 294), vei-steht es wolil mit Recht so, dass die Phryger nach Xanthos von Europa über den Bosporos nach Berek}Titien und Askanien und von dort nach der Troas gewandert seien. Man scheint bisher über- sehen zu haben, dass diese Angabe in engem Zusammenhang mit den Versen des Troerkataloges , B 862, stehen muss: (Doo/.iQ eil Oovyag, ly/E /.ai ^^-lo'/.aviog d-eoetdr]^ ti]?.^ ei ^Ao/.avir^i. Wie nämlich ^Aimäviog dem l^a/.avia des Xanthos, so ent- spricht (DÖQ/Ag seinem Beqh.vvTeg; denn (DoQAvg ist, wie unten ausgeführt werden wird , Graecisirung eines vorauszusetzenden *Otoe/AQ, das sich zu Bi-ge/ag genau wie Ooiytg zu Bgvyeg ver- hält 2). Dass nach der Zerstörung von Ilios Phryger in die Troas

1) Vgl. 0. Kossbach , Pauly-Wissowa's Realenc. u. Aineias, der noch auf ATvioe <P 210 und Alvcbi (Name einer Troerin auf einer korinth. Vase, Gr. Vaseninschr. S. 21 n. 21, wohl aus einem Epos entnommen) hinweist.

2) 'Aaxdviog wird auch schon in einem älteren Stück der Ilias, A' 792, neben Tläliivg (1yd. Wort für 'König') und dem Myser Moovg genannt, ein 4>6Qy.vs P 218. 312. 318, dessen Identität mit dem Phryger aber zweifel- haft bleibt.

Ethnolosrie der Troas. 18 <

eingewandert seien, ist auch sonst überliefert *) und kaum zu be- zweifeln. Niedergeschlagen hat sich diese Tradition in der my- thischen Voi-stellung, dass Askanios, der Eponym der phrj'gischen Askanier, ein Sohn desAineas. des Ahnherrn des einheimischen Fürstengeschlechtes, sei 2): das ist ja die gewöhnhche Art, in der zugewanderte Völker ihre Ansprüche auf das der einheimi- schen Bevölkerung abgenommene Land zu legitimiren pflegen.

Eine dritte Schicht von Zuwanderern europäischen Ursprungs bildeten endhch die Thraker, welche teils vom Chersones über den Hellespont herüberkamen und die Küste bei Abydos be- siedelten (Strab. Xni 586), teils an der Südküste, in Antandros, festen Fuss fassten ^). Etwas später (ra S'l^ijg, sagt Strabon a. a. 0.), in der Zeit der kimmerischen Invasion, drangen thrakische Trarer zusammen mit Schwärmlingen der kimmerischen Xation ins Land *).

Wir ersehen an dem Beispiel der kleinen troischen Land- schaft, wie kompHzirt die ^Mischungsverhältnisse der in Kleinasien eingewanderten phrygisch-thrakischen Völker sich gestaltet haben. Sie kamen aus den verschiedensten Teilen der Balkanhalbinsel und in ganz vei'schiedenen über beinahe zwei Jahrtausende sich erstreckenden Perioden. Schicht legte sich auf Schicht und ver- schmolz schUesshch zu einem einheitlichen Ganzen. Die späteren Umwälzungen, sagt Strabon XII 565, haben grosse Veränderungen herbeigeführt; der Herrschaft der Phiyger und Myser ist die der

1) Strab. X 473. XII 565. Xach demselben XIII 556 breiteten sich die Phryger an der Küste der Propontis bis zumPraktios aus. Ed. Meyer (G. v. Troas 14) möchte diese Phrj-ger mit den Bebrykern identifiziren. welche nach Charon von Lampsakos (und Strabon selbst XIII 586 die alte Be- völkerung von Pityusa (d. i. Lampsakos) bildeten. Stephanos' Boiyia 7 Toioiy.^ stammt vielleicht aus alexandrinischer Rätselpoesie, welche Troas = Phrygien und ^ovyia = Boiyia setzte.

2) Der älteste Zeuge hierfür ist wohl Hellanikos bei Dionys. Hai. Ant. I 47. In Skepsis scheint noch in historischer Zeit ein Geschlecht bestanden zu haqen , welches sich auf Askanios zurückführte , Demetrios V. Skepsis bei Strab. XIII 607.

3, Edoner in Antandros nach Aristoteles bei Steph. B. u. "AviavdQog (Plin. V 30, 123) vor den Kimmeriern (vgl. dazu Thraemer, Pergamos 331 Anm. 3).

4) Kimmerier in Antandros: Aristot. a. a. 0. Von den Trarern in der Troas berichtet Strabon XIII 5S6. Ein Berg Toäocov daselbst bei Lykophr. 1159.

lob VII. Die thrakisch-pbryo^ischen Stämme.

Ljder. dann die der Aioler und lonier. der Perser, der Makedonier, zuletzt die römische Herrschaft gefolgt, so dass die Meisten ihre Sprache und ihre Xamen aufgegeben haben. Dass aber noch in später hellenistischer Zeit die Bevölkerung der Troas von phrj-gisch- thrakischen Elementen durchsetzt war, dafür bildet ein wertvolles Zeugnis die Bürgerliste, welche Schhemann in eine römische Mauer von Ilios verbaut fand>). Da begegnen wir einer ganzen Reihe phiygischer und thrakischer Xamen. Avi'Lovrcokii I 13 deckt sich mit dem bekannten thrak. Namen ^4i).ov7toQig^)\ Ina I 24 ist der Xame einer Quellnymphe, jener zwischen paio- nischem und maidischem Gebiet gelegenen Quelle nämlich, an welcher Midas den Silen gefangen haben soll (Bion bei Athen. II 45). ^ec&r^g I 4(3 ist ein bekannter thrakischer Xame. Phry- gisch sind Navrig 1 36, II 11; Tarig 1 26; Jlidaaia I 32 von Jlidag: 3I/^ray.ov 1 39 mit dem thrak.-phryg. Suffix -ko- von 3L]v; ?lch'a/.oi' I 27 ebenso von Jl/arij^% womit vielleicht das Jlcaa/.io einer altphrygischen Inschrift zusammengehört; KiZ/.og I 43, vgl. Le Bas III 730 (J. von Sebaste).

Dass schon die frühesten Einwanderer in der Troas eine ein- heimische Urbevölkerung vorgefunden haben, ist an sich wahr- scheinhch. Aber jetzt da wir wissen, wie früh diese Einwande- rung begonnen hat, kann es nicht verwundern, wenn diese ältere Bevölkerung nur geringe Spuren hinterlassen hat. Die sichersten sind die Oilsnamen: Tleioojooög bei Zeleia (Strab. XIII 589), Jleou/^ooog, der Fluss KaoiiOog, ^^aoog, Ilijdaaog, Tgayceaai. "loa (wie in Kreta), ^/Muuvdqo.:, "^4vcavöooz; vielleicht gehören hier- her (oder zu den der Urbevölkerung verwandten Gergithen, worüber S. 190) (he auf einem Grabdenkmal aus dem Thal des Granikos auf- gezählten Dorfnaraen (Le Bas, III 1745): o y,v)Qoq 6 3JoTrtcevitjv, o xtÖQog 6 BuLaredvo-v, TQtroiieiTcöv, ^lXiEiTi\v(Jöv, Yyayu^väiv n.m. Die Urbevölkerung ist wahi-scheinlich mit den Lelegeru geraeint, welche schon die Ihas O 80 i. Y 96 für Pedasos, Alkaios (bei Strab. XIII 606) für Autandros. Xymphis von Herakleia (fr. 11 Müller) für Gargara bezeugt. Wenn Herodot VII 42 pelasgisch für lelegisch sagt (von Antandros), so wird in der Sache dasselbe

It Schliemann , Bericht über die Ausgrabungen in Troja im J. 1890 (Leipzig 1891) S. 31—37.

2) Das I.Glied des Namens hat, wenn .■li;<Aoi'.W.i; nicht verschrieben oder verlesen ist. ursprünglich avilu- gelautet, daraus mit Synkope avlu-. Vgl. '.Ißkov'^ü.fug, Proceed. Soc. Bibl. Arch. X 387, neben Ävi.ov^i).iJn;.

Ethnologie der Troas. 189

gemeint sein. Dagegen möchte ich die Lykier und EaHkier, welche das Epos in der Troas wohnen lässt, mit Wilamowitz u. a. für poetische Fiktionen halten. Der Nebenname des Skamandros,. Xan- thos. scheint, wie Niese (Entw. d. hom. Poesie 112{. vgl. Robert Bild u. Lied 115) bemerkt, erst mit den Lykiern in die Troas eingeschmuggelt '). Der Anklang von TQwe^ an T'/.iÖec, lyk. TIava ferner, den Treuber (Gesch. d. Lykier 36) geltend macht, kann leicht auf Zufall beruhen.

Dümraler (Athen. Mitteil. XI 251 if.) hat für die Troas eine der kyprischen verwandte Urbevölkerung erschlossen auf Grund der Analogien zwischen der troischen und der altkyprischen Keramik, die zu weitgehende seien, als dass sie dem Zufall zuge- schrieben werden dürften. Letzteres ist in der That zuzugeben^ aber, wie mir Körte richtig bemerkt, ist weder die Uebereinstim- mung der Thonwaaren eine so grosse wie z. B. zwischen der troischen und phrygischen Keramik 2) . noch muss sie notwendig auf Ur- verwandtschaftweisen. Wir werden eher an überseeische Beziehungen der Kyprier zu den Troern zu denken haben, und dafiü- lässt sich vielleicht noch eine andere Thatsache geltend machen. Seit Kal- linos (bei Strab. XIII 604) kennt die griechische Litteratur in der Troas das Volk derTeukrer. ein Name, der bei den Späteren feist gleichbedeutend mit den Troern wird: so sagt schon Aischylos Agam. 112 TeiAoig cuu für Troas. Herodot II 118 Tev/.Qiq yij, und bei demselben V 13 berufen sich die Paionier auf die Teukrer in der Troas als ihre Vorfahren. Das Epos weiss noch nichts von den Teukrern, obwohl es doch alle möghchen und unmög- hchen Völker der troischen Landschaft aufzählt und obwohl es vor Allem den Eponym der Teukrer, den Teukros (von Salamis), unter die Achaeer vor Ilios einreiht. Nun schildert bereits der älteste Zeuge für die troischen Teukrer, Kallinos, sie nicht als Eingeborene, sondern als Zuwanderer. "Wenn er sie aber aus

1) Anders Hiurichs , Pbilol. 34 (1885), S. 3. Treuber Gesch. d. Ly- kier 36.

2) Einerseits fehlen auf Kypros die Gesichtsurnen , das Sema; dficpi- ximekkov, wofür hier Trinkschalen gebraucht werden, u. a. , andererseits hat die kyprische Keramik Motive ausgebildet, die der troischen fremd sind, und ist auch schon zur Bemalung der Gefässe fortgeschritten: s. Dümmler, Athen. Mitt. XI 250. Ferner giebt es auf Kypros meines Wissens keine Tumuli wie in der Troas, sondern dafür Schachtgräber (s. d. Ab- bildung bei Dümmler).

1) Der Name kehi-t in Kilikien wieder: die Priester des Zeus in Olbe hiessen Tsvxqoi (Strab. XIV 672) , und der Name Tsvxqos war da- selbst, wie die epigraphischen Funde gelehrt haben (Journ. Hell. Stud. XII 226 n. 1. 27 g,. 120 idü, Tevxoiug S. 233 n. 15, Tevxgoüs 266 n. 58), ausserordentlich häufig. Kyprier und Olbier waren oft'enbar verwandt.

2) TsvxQog scheint von Haus aus ein Ehrentitel, da ihn Könige und die Priester des höchsten Gottes führen.

3) Während in Hissarlik zahlreiche Steinwaft'en gefunden sind, kommen in den altkyprischen Nekropolen nur Kupferwaften vor. Auf andere Unterschiede ist oben hingewiesen. M. E. gehören die Kyprier zu der unindogermanischen Urbevölkerung Kleinasiens , welche in Kap. X be- handelt wird. Dümmler schliesst aus der Massenhaftigkeit und Zer- brechlichkeit der kypr. Thonwaaren, dass sie auf der Insel selbst gefertigt, nicht importirt waren. Sie werden eben kyprische Nachahmungen troi- Bcher Fabrikate sein.

190 VII. Die thrakisch-phrygischen Stämme.

KJreta kommen lässt, so scheint dies eine blosse Fiktion, der die Athener die andere gegenüberstellten, die Teukrer stammten aus dem attischen Demos Xjpetaion. welcher früher Towsg geheissen habe. Der Zusatz bei Strabon XIII 604: Tev7.oovg ds fxr^dtvag ild-Eiv h. tP^^ Korjvrig, zeigt deutlich, dass für Teukrer in Kreta gar kein Anhalt vorlag. Sie gehören vielmehr anerkanntermassen nach Kypros. Ihr Eponym Teukros ist der Gründer des kypri- schen Salamis, der AhnheiT des dortigen Königsgeschlechts der Teukriden i). Nun hat schon Dümmler (a. a. O. 251 Anm.) auf den Anklang von kypr. rEQyhoi an troisch FegyiS-eg hingewiesen. Diese Gergithen waren aber nach Herodot V 122 und VII 43 die Üeberreste der alten Teukrer. Andererseits leiteten nach Athenaios VI 256 die kyprischen Gerginer ihr Geschlecht von den troischen Gefangenen ab, welche Teukros nach Kypros mit- genommen und dort angesiedelt hatte; und einige von ihnen sollen nach der Aiolis zurückgekehrt sein und dort im Verein mit Mysern die Stadt Gergitha gegründet haben.

Man sieht, es bestanden, wenn auch sagenhafte, doch ganz unzw'eideutige Traditionen über einen Seeverkehr zwischen Kypros und der Troas in uralter Zeit. Kyprische Gergithen dies war wohl der Name des Volkes. Teukrer der ihres Füi-stengeschlechts *) kamen nach der Troas und liessen sich dort nieder. Andere kehrten wüeder in die Heimat zurück und vermittelten die Technik und den Formenschatz der troischen Keramik ihren Landsleuten. So erklären sich die Analogien zwischen den troischen und kyprischen Vasen bei sonstiger Verschiedenheit beider Kulturen ').

Die Teukrer. 191

Der Weg längs der kleinasiatischen Küste, welchen die Gergithen genommen haben, wird durch die milesischen F^oyi^eg (Herakleid. Pont, bei Athen. XII 524y und den Ort Fegyiü^iov bei Kyme bezeichnet, von welchem die troischen der Tradition zufolge ab- stammten (Strab. XIII 589). Die Gergithen. welche in Milet die niedere Bevölkerung darstellten, waren hier offenbar vor- griechisch. Sie geben uns wohl die Erklärung dafür, weshalb KaUinos die Teukrer aus Kreta hat kommen lassen. Die ioni- schen Milesier leiteten sich ja von dem ki-etischen Milet her (Ps. - ApoUodor III 1. 2. Pausan. YII 2. 5. Ephoros bei Strab. XIV 634) und Hessen nun auch die Gergithen. die durch ihre Verschiedenheit von der ältesten ..lelegischen- Urbevölkerung als Zuwanderer gekennzeichnet wui'den. von dort her stammen. Der ephesische Dichter folgte also wahrscheinlich einer milesischen Tradition und liess sich zugleich durch die Homonymie kretischer und troischer Ortsnamen {Ida und Pergamon) leiten. Dass die Beziehungen zwischen Kypros und Troas älter sind als das Epos, folgt aus dem altertümhchen Charakter der kyprischen Keramik. In der homerischen Dichtung kommen sie dadurch zum Ausdruck, dass Teukros unter den achaeischen Helden vor Ihos erscheint. Von einem in der Troas ansässigen Volk der Teukrer schweigt das Epos, weil es eine heroische Vorzeit schildern will, welche vor dieser Einwanderung hegt.

Wenn wir uns nunmehr der Masse der übrigen Einwanderer zuwenden, welche sich im Osten der Troas bis tief in das Innere Kleinasiens hineingeschoben haben, so gilt es hier zunächst der Bil- dung des Hauptvolkes unter denselben, der phrygischen Nation, nachzugehen. Ob die phiygische Zuwanderang gleichzeitig oder später als die troische begonnen hat, lässt sich vorläufig nicht mit Sicherheit entscheiden. Da die von Körte in Phrvgien gemachten Funde auf der Stufe der 5. und 6. Schicht von Hissarlik stehen, so muss die Mögüchkeit offen gelassen werden, dass die Phrvger erst ein paar Jahrhunderte später als die Troer gekommen sind. Aber erst weitere Ausgrabungen können fesstellen, ob nicht auch in Phrygien eine den ältesten Schichten von Troja gleichstehende Kultur bestanden hat.

Wenn die Phryger den Xamen eines kleinen Stammes im späteren Makedonien führen, so darf man doch nicht glauben, dass sie in ihrer Gesamtheit diesem ..brygischen- Stamme ange-

192 Vli. Die tlirakisch-phrygischen Stämme.

hört haben. Yiehnehr wird der phrygische Xame von Haus aus nur einem kleinen Bruchteil dieser Nation zugekommen und später vielleicht nur durch die Griechen verallgemeinert worden sein. Dafür spricht, dass in der alten Sage kein 001^ als Eponym und m^ihischer Vertreter der Phryger erscheint, sondern in der Ihas. wie wir gesehen haben, Askauios und daneben Phorkys, Otreus, Mygdon (F 186). I^g/mvioq ist der Eponym der an dem gleichnamigen See gelegenen Landschaft ^Aov.avia im späteren Bithynien^). Ob das iuschiifthche L^ff/.a/^roc, L^ff'/Ciy- vc'c^). das als Beiname des Gottes Mijr auftritt, mit ^Ao/mvioq identisch ist. scheint mir fraglich 3). ^^ay.ca]v6g ist gebildet wie beispielsweise ZeUnvog (Beiwort des Apollon auf einem Relief aus Bulgarien, Mitteil, aus Oesterr. XVII 219 u. 122) von einem Ort *Zü.a oder Zelaia , setzt also einen Ort *"^o'A.a oder ähnhch voraus: alle die zahlreichen auf -?^roc: aus- gehenden Göttemamen bezw. Epitheta von Göttern in Kleinasien und Thrakien sind ja zweifellos Ethnika. Diese Auffassung wird aber durch den 37>)r '^a/.aloc bei Sti'abon (XII 557. 577) zur Evidenz bewiesen. Die Thatsache. dass in der alten Sage As- kanios Vertreter der Phryger ist und dass sie in der Völkertafel ides Genesis (10. 3) wie man doch mit Wahrscheinlichkeit an- nimmt — ''-^.'^■^, genannt werden, deutet daraufhin, dass die Ausdehnung des phrygischen Namens einer jüngeren Epoche an- gehört und vorher der Name Askanier verbreiteter war ^). Ein dritter älterer Name Phrygiens scheint Begey-ivria (Hesych s. v.) gewesen zu sein, angeblich von einem phiygischen Stamm der Beoe/.LiTai (Hesych s. v.) oder Begr/Avceg (Strab. X 469) . von welchem aber in historischer Zeit niemand mehr etwas wusste *).

1) Strabon XII 565 las nach N 792 einen in unseren Ausgaben fehlenden Vers, der Mvacöv dy/eiidycov ^yyjrooa (oder ^y>]Togag'^) begann» und unterschied deshalb diesen „Myser" Askanios von dem gleichnamigen Phryger B 862.

2) Vgl. dazu Le Bas III n. 668. Mtjvbg 'Aaxatjvov in Eumenia, BCH. VIII 237. ^Aa[x]tjv6g als Personennamen auf einer Inschrift von Eski- schehir (nach A. Körte).

3) S. hierüber namentlich Lagarde Ges. Abh. 254 f.

4) Die Vermutung, dass der frühere Name des JJövros Ev^sivog, 'i^evog, mit'Aaxäviog identisch sei (Ed. Meyer G. d. A. II 444 nach Hasse), scheint mir sehr zweifelhaft.

5) Strab. XII 580 : rpvXa 4>Qvyia ovSa/iOv detxvv/iieva üaneg ot Begi- X7'vTeg.

Die Phryger. 193

Auch ein Berg und ein Kastell, an dem dieser Name haftete, wird genannt *). Stellt Fick (Spracheinheit der Idg. Europas S. 412) das AVort mit Recht zu mhd. brehen, 'glänzen', so haben wir es hier mit einem Ehrentitel zu thun, den sich vermutlich die Phryger selbst beigelegt haben.

Das Schwanken des Namens deutet auf eine Zeit, in welcher sich die Nation noch nicht konsolidirt und einen festen Namen gewonnen hatte; ähnlich erklärt sich ja das Nebeneinander von Graeci und "EXXrjvsg. Die Bildung der phrjgischen Nationalität vollzog sich wahrscheinlich zuei-st im feindlichen Gegensatz, nach- her in der Verschmelzung mit der kleinasiatischen Urbevölkerung. Denn es ist selbstverständhch, dass die Phryger in der weiten Hochebene im Herzen Kleinasiens, welche sie von Norden aus eroberten, bereits eine Bevölkerung vorfanden, die schwerHch ganz vernichtet oder verdrängt wurde, sondern wenigstens teilweise in den Eroberem aufging. Aber diese Vorgänge fallen in prae- historische Zeit und entziehen sich unserer Erkenntnis: wir nehmen nur das Resultat wahr, die Vermischung, und vermögen deren Elemente nur zum Teil, besonders in der Namengebung und der Rehgion, aufzuzeigen.

Der Urbevölkerung gehört eine Reihe von Ortsnamen an 2). wie nQi\uvriao6g, Eidv7]aa6g (Ramsay, Geogr. of Asia Min. 139), 'Azvavaooog u. a., der Flussname Tefxßgiog, Tymhres (Liv. 38. 18) oder Tembrogius (Plin. 6, 1, 1) mit dem Ort Tai.ißQiov [Te/A- ßqieiov oder Tv(.ißQLOv] , welcher mit dem troischen Qv^ßqLog homonym ist, vgl. ferner phiyg. Tvi-ißQLaraooog, kar. Qvf-ißQia, 1yd. OijißQOQa, kypr. TefißQog (zugehörig wahrscheinlich auch TEußQiwv, Gründer von Samos). An diesem Nebenfluss des Sangarios wohnte der Stamm der nganreviooETg mit der Haupt-

1) Die Zeugnisse bei Ed. Meyer, G. v. Troas 71 Anm. 3. In der Poesie ist der Name bis in späte Zeit üblich geblieben als ein gewählter Ausdruck für Phrygien. Eine vierte Bezeichnung Tißla verzeichnet Suidas; dazu ge- hören Tißsiov phryg. Ort, Steph. B. s. v., Tißtog häufiger Sklavenname, nach Strab. VII 304. XII 553 paphlagonisch ; bithyn. Tißoizv^g.

2) In zahlreichen Fällen können wir nur vermuten, aber nicht sicher entscheiden, welchem Volk der Ortsname entstammt, da unsere Kenntnis der in Betracht kommenden Sprachen eine zu dürftige ist. Die auf -aaos wird man der vorphrygischen Bevölkerung zuschreiben dürfen, doch fehlen sie auch in Thrakien nicht, vgl. Zdfj,caa6g. Im Uebrigen verweise ich hinsichtlich der kleinasiatischen Urbevölkerung auf Kap. X.

Kretscbmer, Einleit. in d. Gesch. d. gx. Sprache. 13

194 VII. Die thrakisch-phrj-gischen Stämme.

Stadt ^6a (Ramsay a. a. O. 144). Naturgemäss nehmen je weiter nach Süden. Westen und Osten immer mehr die unphrygischen Namen zu: im Norden begegnen wk den zahlreichen echtphrygi- schen Namen auf -lov f-ia, wie sie schon oben aufgezählt worden sind. AufFälhg ist. dass gerade die Namen der wichtigsten Ge- birge den Einwanderern anzugehören scheinen, während sonst diese Klasse von Namen den Wechsel der Völker zu überdauern pflegt. Der sogen, mysische Olymp hat doch offenbar seinen Namen von den Eroberern erhalten, die einst im Norden des thessalischen Olymp gesessen hatten. Der Name Jlrdciiog lässt sich sehr gut aus dem Indogermanischen erklären (vgl. air. dind dinn aus *dindu- Höhe, Hügel, anord. tindr Felsspitze, Zacke, angls. tlnd, ahd. zint, Stokes Kelt. Wb. 151 1); für seinen phry- gischen Ursprung spricht auch, dass bei Kyzikos ein Berg des- selben Namens lag (Strab. XII 575 u. a). Mehr als unsicher aber ist. oh^' A'/dog, (so Arnob. , sonst "'Ayöioiig^), wie Fick (Sprach- einheit S. 411) wollte, mit gr. oyßog identisch ist. da die Vo- kale nicht übereinstimmen. Eine ähnliche Mischung zeigt uns die Personennamengebung , soweit wir im Stande sind, die Elemente zu sondern.

Von den religiösen Kulten ist vor allem der Dienst der Grossen Mutter Eigentum der Urbevölkerung. Diese Göttin, welche später für recht eigentlich phrygisch gilt, ist doch m*- sprünghch den Phrygern fi'emd gewesen. Ihren europäischen Verwandten fehlt dieser Kult durchaus, während er in Kleinasien weit über die Grenzen Phrygiens hinausgeht. Im Osten sind das kataonische Komana und die gleichnamige pontische Stadt, eine Filiale des ersteren, Hauptsitze des Ma-Kultes; im Westen ist derselbe über ganz Lydien und Mysien verbreitet, im Norden in der Troas (Ed. Meyer, Gesch. v. Troas 24) und längs der Küste des Hellespont, der Propontis und des Schwarzen jNIeeres (Preller- Robert Gr. Myth. I 649 A. 4). Nur den südlichen Landschaften

1) Anders Toraaschek (Die Thi-aker II 2, 72), der ohne weiteres einen makedonischen Stadtnamen dtvdgvfit] mit demGebirgsnamen gleich- setzt.

2) Handschriftlich und inschriftlich begegnet sehr häufig die Schrei- bung 'Ayydiaiig, wie zuerst Keil, Philologus VI! 1852 S. 198, bemerkt hat. Vgl. ferner Mitt. aus Oest. VIII 198. Daraus ist weiter 'Hyyiazt; mit Schwund des d geworden: CIG. 6837 und Latyschew Inscr. Pont. Euxini II n. 31 (Pantikapaion), wo 'AyYiaa(s)i geschrieben ist.

Die Phryger. 195

Kleinasiens. Karien, Lykien, Pisidien, Kilikien, scheint diese Ke- ligion wenigstens in der kappadokisch-phrygischen Form fremd zu sein. Am entschiedensten spricht aber gegen ihre Herleitung von den phrygischen Einwanderern die Thatsache, dass auf der phrygischem Einfluss gänzlich entrückten Insel Kreta dieselbe Göttin in einer lokalen x\bart und griechischem "Wesen mehr an- geähnelt unter dem ]^amen Rhea verehrt wurde, auch hier einer Urbevölkerung entstammend, welche mit der kleinasiatischen ver- wandt gewesen sein muss^).

Vorphrygisch sind auch die Gestalten, welche in den Kreis der Mrirr^o ueyalr. gehören, ihr GeHebter Attes und dessen Mutter Nana, ob auch ihre Diener, die Korybanten oder Kvq- ßavreg, sowie die idaeischen Daktylen, wage ich nicht zu ent- scheiden. Wenn auch Gordias und Midas mit der Göttin in Verbindung gebracht werden, jener als ihr Gehebter, dieser als ihr Sohn und als der Griinder ihres bedeutendsten HeiHgtumes, des pessinuntischen. so ist damit nur ausgedrückt, dass die Ein- wanderer ihren Kult anerkannt und aufgenommen haben.

Die Hauptgottheit, welche die Eroberer aus ihrer europäi- schen Heimat mitgebracht hatten, war Sabazios oder richtiger Savazios. Denn dass das ß der griechischen Umschreibung J^ßdZiog einen ?r-Laut wiedergiebt. folgt aus den Schreibungen ^aovauog, Sten'ett Pap. of the Amer. School. II 46, ^aiä'liog ebd. II 45, ^aoa^(i)og ebd. II 37. Amer. Joum. of Arch. 1887, 363, sowie aus ^ad'liog des ReHefe von Blaudos (Conze. Reise auf den Inseln des Thrak. Meeres Taf. XVII^), wo iv wie öfter unausgedrückt gebheben ist, weil eine adaequate Bezeichnung dem ionischen Alphabet fehlte. Aller Wahrscheinhchkeit nach hängt aber auch die makedonische Bezeichnung der Silene, ^aiddai (Amerias bei Hesych. s. v., ^sv'tdai arto tov asveiv (Cornut. 30),

1) Die früheren UntersuchuDgen über das Verhältnis der Rhea zur Kybele gehen von unrichtigen ethnologischen Voraussetzungen aus oder berücksichtigen die Ethnologie garnicht. Mir scheinen nur zwei Möglich- keiten vorzuliegen: entweder ist Rhea eine griechische Göttin und ihre Wesensähnlichkeit mit der Kybele beruht auf Zufall oder sie entstammt einer den kleinasiatischen Völkern verwandten Urbevölkerung Kretas.

2) Vgl. Keil Philologus II. Suppl.-Bd. 1863 S. 606. Derselbe Wechsel der Schreibung in dem lykaonischen Ortsnamen Savatra Tab. Peut., Sa- ßdzQa Hieroki. 676, 2odxQa Strab.

13*

196 VII. Die thrakisch-phrygischen Stämme.

und der Name der thrakischen Stadt 2aßaöta oder 2avaöia (Hierokles Svnekd. 633 i) mit ^aßd'^iog zusammen. Die Grund- form des Namens ist also Savadios: das d ist auch sonst vielfach bezeugt; vgl. Sabadius Apuleius Metam. YIII 25, deo Sabadio Dessau Inscr. lat. selectae I 2189 (Weihung eines Decurio der Ala prima Dardanorum prov. Moesiae), Savadia (Georges Lex. lat. Wortf. s. V.), Sebadius Alexand. Polyhist. bei Macrob. Sat. I 18, 11 Sebadio Arnob. V 21. Diese Assibilation des d vor i ist ein im Thrakisch-Phrygischen häufiger Lautwandel : Belege hierfür sind Aad/ardo'g = ^uZiav'log Philostorg. Hist. Eccles. YIII 11; Ziuf.ii[vt^ = Jl{l')^i•[.lr^vr^, Laodikeia Katakekaumene, Athen. Mitt. XIII 287 n. 9; BeiCei Yoc. = BevSei, Pantikapaion Latyschew Inscr. Pont. Eux. II n. 223 (Tochter eines 3Io/.d/toQiQ, also Thrakerin), vgl. (Dalivaf.iog = OadiraLiog auf tanaitischen Steinen, ebd. II 446. 451. 454. 455; ferner Kov'Sivag, Koiaiiag (Eustath. zu II. -Q 615 p. 1367. Tomaschek Sitzgsber. d. Wien. Akad. 124, 29) = Koddlvov Tterga, der Gipfel des Sipylos, Pausan. III 22, 4. Dieterich's Yermutung (Philol. 52, 6), dass die Göttin Jllaa so viel als Mi da, die Mutter des Midas (Hesych. u. Dlidu d^eoc) sei, scheint mir unsicher wegen des durchweg überlieferten o statt des zu erwartenden l, das durch lat. Sabasius (Mainz, Dessau Inscr. lat. sei. I n. 2294) nicht genügend gerecht- fertigt wird^j.

Dass die Pluyger den Savazios aus Emopa mitgebracht haben, wird allerdings nicht durch die in jüngerer Zeit nach-

1) Conze a. a. 0. S. 98 f. Tomaschek (Thraker II 1, 44) trennt die ZavdSai ohne Grund von ZaßäCio;.

1) Die Deutung des Namens ist schwierig. Vielleicht bedeutet er zunächst nur den ,,Gott der Savaden" d. i. der Silene; wenigstens ist dies die zunächst liegende Erklärung des Verhältnisses von Zafddiog zu Zavddai. 2dßog ist entweder Abkürzung von Zaßd^ios oder das Stamm- wort zu diesem, zu welchem es sich etwa verhielte wie das aiol. Patro- nymikon 'Yooddio; zu "Ygoag. Wenn die Priester wie der Gott I!dßoi (fem. 2'd^a«! oder Zaßd^ioi heissen, so besteht hier dasselbe Verhältnis wie zwischen Bdxyog und Bdxxoi, Bdyyai ; andere Parallelen verzeichnet Maass, Orpheus S. 186 Anm. Welche Wurzel in dem Namen steckt, entscheide ich nicht. Die Form Zeßdl^iog (z. B. Mitt. aus Oest. X 238 f. n. 2,4. 241 n. 6. XVIII 119), Sebadius (Macrob. I 18. Arnob. V 21) kann auf Anähnlichung an aeßd^eaOat beruhen. Bemerkenswert ist noch der Satyr- name Sdßaxxos auf der Schale des Brygos (Klein Meistersign.' 183).

Die Phryger. 197

weisbaieii thi-akischen Kiilte dieses Gottes ') bewiesen denn dieselben können auf Eückwanderung beinhen wohl aber durch die makedonischen ^caadai und vor allem durch die Venvandt- schatt mit dem tlii-akischen Dionysos, den wir freilich fast luu" in seiner giiechischen Gestalt kennen. Diese Verwandtschaft ist schon den Griechen immer klar gewesen und durch die Gleich- setzung mit Dionysos ausgecMickt worden. Wie cüeser, ist Sava- zios die Gottheit, welche das gesamte Naturleben beheii'scht; daher die Yorstelkmg, dass er im Winter schlafe, im Sommer wache (Plut. Isis u. Osii". 69) ; wie Dionysos, wird er mit orgiasti- schen Festen gefeiert, deren Aehnlichkeit mit den bakchischen Festen schon Sh-abon (X 47 1 ) aul' die Herkunft der Phryger aus Thi'akien zimickfrihii. Aber neben den analogen Zügen finden sich auch bedeutende Untei*schiede. Teils mögen solche im Kult dieses Gottes schon in der em'opäischen Heimat bestanden haben, teils haben sie sich ei"st auf asiatischem Boden entwickelt. Die Einwanderer haben ihi-en Savazios mit den einheimischen Gott- heiten, dem Attis und der Kybele, verbunden mid so ihre Religion mit der der unterworfenen Bevölkenmg verschmolzen, was dm'ch den orgiastischen Charakter beider Religionen mid ihre Beziehimg auf das Natui'leben sehr- erleichtert wm'de. Savazios wurde so zm" Hauptgottheit Phiygiens mid daher hier, wie die Inscliiiften lehi'en, viel häufiger mit Zeus, als mit Dionysos gleichgesetzt 2). Ein neuer, dem Dionysos fremder Zug ist auch seine Erhebung ziun Sonnengott 3). Wie er sich zu M)jv verhält, mit welchem er ebenfalls identifizirt wurde (Prokl. z. Plat. Tim. 251 C), ist vorläufig noch so miklar, wie das ganze Wesen dieses kleinasiatischen „Mondgottes" *). Ob mit Savazios der besonders in der Milyas

1) Bezeugt durch Alexander Polyhistor bei Macrob. a. a. 0. und durch Inschriften, Mitt. aus Ost. X 238. 239. 241. XIV 150.

2) All ZaßaCiü) ist seine gewöhnliche Bezeichnung in den Weih- inschriften, niemals, soviel ich mich entsinne, Aiovvoco Zaßa'Qico. Höchstens mag er in Phrygien mit dem bloss Aiövvoog genannten Gott gemeint sein, vgl. Ramsay, Cities and Bishoprics of Phrygia (Oxford 1895) S. 140. 295. rO? n. 113.

3) Alex. Polyh. a. a. 0.; \yl<p ^eäg] ' Ideiag fxsydXtjs [i«»?Te]ö[?] All 'HXico fisy<i-[/.co xvQi'jcp Seßa^cco dy[ia»], I. v. Nikopolis, Mitt. aus Oest. X n. 6. In den Votivreliefs wird er häufig mit der Strahlenkrone dar- gestellt.

4) Ramsay (Cities and Bish. of Phryg. 169. 294) hat jetzt die Hypo- these aufgestellt, dass Mijv mit dem altphrygischen Mdvrji identisch sei

198 Vn. Die thrakiech-phrygischen Stämme.

imd Kabalis verelii-te &e6g ^wtcov identisch ist, A\äe Ramsay (Amer. Jom-n. of Ai'ch. 1887, 362) augenommen hat, mag hier dahin gestellt bleiben.

Dui'ch Savazios erscheint in der litterarischen Ueberlieferung der alte Hinimelsgott in den Hintergiilnd gedi"ängt, den die phiy- gisch-thi'akischen Stämme mit den Hellenen gemein hatten und der vermuthch auch bei den Phiygeni eine gi'össere Rolle gespielt hat. Wie der Vater des Dionysos, wh-d er auch der des Savazios ge- wesen sein. Fiu" Phiygien ist er dui'ch Hesych's Glosse Bayalog .... Zeig OQvyiog bezeugt. Man hat diesen Namen früher mit ski'. bhdga-. altpers. baga. asl. bogü 'Gott' verbmiden, aber Toi-ps Einwand (Idg. Forsch. Y 193), dass dabei die ableitende Endung von Bayalog unerklärt bleibt, scheint mir dm'chschlagend und seine Deutmig des Namens als (priy(ovaXog 'Eichengott', von einem

und seine Bedeutung als Mondgott (vgl. auch seinen Beinamen ^coaqjogos, Sterett Pap. Amer. Seh. III 339 42, Dg) auf volksetymologischer Um- deutung von Mdvrjs zn Mtjv beruhe; die Flügel auf seinen Schultern seien später für die Hörner des Mondes gehalten worden. Diese sehr gewagte Vermutung kann noch nicht für gesichert gelten, aber es giebt doch manches, was für sie spricht. Aristophanes (Vögel 657) hat noch Mävo- dcoQog, während später Mtjvööooqos durchgeht. Ferner ist ein Mrjv xara- X^övtog, der als Schützer des Grabes angerufen wird (Sterret, Pap. Amer. School II 211. III 284), kaum verständlich, wenn Mrjv von Haus aus Mondgott war. Rätselhaft sind hierbei auch die Verbindungen mit dem Genitiv eines Namens: 3/j)v Tcdftov, Mrjv Kägov, Mrjy ^agvdxov. Wenn ^aovdxrjg der Mondgott in Kappadokien und Mysien hicss, wie Justi Altiran. Namenbuch s. v. annimmt {^agvdoxtjg gehört zu altpers. *farnah = avest. xwarenanh- Licht, Glück, Majestät), warum wird dann nicht Mt)v ^aQvdxTjg gesagt? Nach Strab. XII 557 hätte der sog. ,, königliche Schwur" der pontischen Fürsten Tvxt]v ßaadicog xai Mfjva 4>aQvdxov gelautet. Erwägt man, dass ^agvdxTjg der Name des Stamm- vaters der kappadokischen Satrapen (Diodor XXXI 19, 1) und zweier pontischer Könige war, dann gewinnt es den Anschein, dass xvx>] ßaadicog mit Mi]v ^agvdxov gleichbedeutend, Mrjv also s. v. a. rvxr) oder etwa lat. genius war. Vgl. auch die Weihinschrift aus Gallien bei Kaibel Epigr. gr. 836: Belus Fortunae rector (im griech. Text Ev&vvzfjoi Tvxrjg BijXcoi) Menisque magister. Dann hätte Men ursprünglich eine chthonische Be- deutung gehabt ivgl. den Beinamen xazax^övtog) und mit Seelenkult in Zusammenhang gestanden. Der Name Mavtjg (und wenn Ramsay Recht hat, auch Mr)v), fem. Mavia gehört mit phryg. f^avia 'xaXij' (Athen. XIII 578b) zu lat. mänua gut (im-mänia unhold), ryxäne früh, eig. bei guter Zeit (vgl. franz. de honne heure), mänes eig. die Gütigen, in chthonischer Bedeutung die (guten) Geister, Mania 'mater Larum'.

Die Phryger. 199

phiyg. *bügä (nicht *häc/os) = ahd. biiohha. clor, (fäyog, lat. fägt4S, recht ansprechend M- Auch der inschiiftlich oft genannte Zeig Bqovtwv, ferner der hithynische Zeig Uciivag, der aut" einer In- schiift von Bi-ussa üaTmioog genannt wii-d*). düi-fte mit dem Hiimnelsgott identisch sein. Dass diesem Himmelsgott eine Erd- göttin als Gemalilin zui' Seite stand,, der thi'akischen 2e(^t?.a ent- sprechend, diulen wir neileicht aus der Angabe des Dionysios von Haükaniass, I 27, schhessen. welche Manes, den ersten König der Phiyger, zu einem Sohn des Zeus mid der Ge macht; im Uebiigen scheint freihch che dort aufgestellte Genealogie mehr auf späteren Kombinationen als auf wii'khch alter Trachtion zu beiiiheu.

Auch ihi"e Quelldämonen, die Silene ^} oder Savaden. deren Führer Savazios ist, haben che Phiyger nach Asien mitgenommen. Den Gott des Flusses Mai-syas stellten sie sich als Silen vor. Dass che plnygische Sage von ]Midas mid dem Silen am make- donischen Bennios-Gebii'ge zu Hause ist. hatte, wie bereits er- örtert ist, schon Herodot heiTorgehoben. Auch ]\Iidas selbst ist ursprünghch Quellgott*), wie aus der Bezeichmmg Jlidov /.Qijvrj oder 3Iida ^riyr^ (Xenoph. Anab. I 2, 13 u. a.) heiTorgeht. Gleich den Silenen hat er daher Eselsohren ^) : das bekannte Märchen, welches diese tierische Gestaltung zu erkläi-en sucht, ist aetiologi- scher Xatm- und aus dem Konflikt der älteren Yoretellimg von

1) Unhaltbar sind die Hypothesen, welche Ramsay, Cities of Phrygia S. 152 f, vorträgt. Er stellt die Ortsnamen Bö'^a (Ethnikon ^o^'i^vos), Ba^is^ in Kappadokien und den weiblichen Namen Ba^stg einer Inschrift von Komana (BCH. VII 134) mit Bayacog und skr. hhäga-, sowie Bagis in der Katakekau- mene zusammen und hält den Distriktnamen ^oßa für die griechische Form von Bo^a. Aber einem skr. g hätte ja auch im Phrygischen ;• zu entsprechen, einem phryg. , skr. j, gr. y. Wenn er ferner die europäische Vokalisation von BoCrjvög hervoi-hebt und mit der von asl. bogTe vergleicht, so entgeht ihm, dass jedes asl. o aus o entstanden ist, das weiter teils auf o, teils auf o zurückgeht. Eine andere kühne Etymologie von BaCi's, BaCetg hat Karolidis aufgestellt, vgl. S. Reiuach, Chronique d'Orient, 1891, S. 15. Jene Namen, zu denen auch BcoCfj; (Gen. Bw^rjovg, Inschr. v. Pergamon n. 208j gehören mag, werden wohl ..kleinasiatisch" sein.

2) Näheres hierüber unten.

3) üeber diese Natur der Silene s. Preller-Robert Gr. Myth. I 729.

4) Kuhnerts Deutung des Midas als Gewittergott (ZDMG. 40, 549 ä.> hat garnichts üeberzeugendes.

5) Vgl. Dieterich Philol. 52, S. 5, wo es aber statt „Berg- und Wald- gott" richtiger Quellgott hiesse.

200 VII. Die thrakisch-pbrygischen Stämme.

dem Sileu ]Midas mit der jüngeren vom König IMidas hervor- gegangen. Letztere war aber darin historisch Ijegründet, dass der Name Midas bei den phiygischen Königen behebt war, eine Namensübeiii'agmig, welche für Phrj'gien auch dm'ch Mdvtjg, ^^AvTr^g, IlaTtäg, ^^/.luia, Ndva i) bezeugt wii'd. In der Sage sind der Quellgott imd der König dm-chaus zusammengefallen.

Verfolgen wii- nimmehi- die Beziehungen zwischen den Phiygeni und ihi'en em'opäischen Vei'wandten auf das sprachhche Gebiet, so muss sich hier die Vergleichung leider auf che Eigen- namen beschräidcen, da die Thraker uns nicht wie die Phr}^ger Inschiiften in ihi-er Sprache liinterlassen haben. Hier zeigt sich nmi eine sehi- auffallende Differenz zwischen beiden Völkern. Das thi-akische Xamensystem ist ein ausserordenthch scharf aus- geprägtes; man erkennt den Thraker sehr leicht an seinem Namen, wo man ihm auch begegnen mag. Wie in fast allen indoger- manischen Sprachen, sind auch in der thi'akischen die Pei"sonen- namen Komposita, für deren Gheder bestimmte Nomina durch den Usus bevorzugt werden z. B. aiXo-, eTtra-, bithu-, (40irKa-, rescu- an ei*ster, -ftogig, -y^vd^og, -TQaXig, -LsXf^ig an zweiter Stelle. Das Material hat jetzt Tomaschek, Sitzgsber. d. Wien. Akad. 131. Bd. (Die alten Thi-aker II, 2. Hälfte) gesammelt.

Nichts von alledem in Phngien ! Die phiygischen Pei-sonen- namen soweit sie nicht dm-ch „kleinasiatische", später dm'ch griechische und römische verdrängt sind sind fast dm'chweg einstämmig *) und riel weniger mannigfaltig als (he der Thraker. Von ei-stamihcher Häufigkeit sind die Lallnamen, welche ausfuhr- licher in Kap. X behandelt werden, z. B. Baria, na/rag, 'l^r- Ttjg, ^(XLiia, Ndva, Tax ig. Nicht minder häutig sind Mdvrig, auch Mavag (Gen. Mava Komana BGH. VII 147), Mdwig (Sterrett Pap. Amer. Seh. II 225), Mavoacig (Dat. 3Iavoa(( in Lykaonien, Athen. Mitt. XI 163 n. 16), Mdvriaog (Lanckoronsld Pisichen n. 155b = CIG. 4366t), Femin. MävoKOv (Schliemann, Bericht von 1890 S. 31 ff'. I, 27), 3Icma (Lycaonien, Athen. iVlitt. XI 163. 164. XIII 266. CTG. 3989h) und Mijvig (Sten-ett a. a. 0. II 38. 47—50. 53. 72—75. 81. Lanckoronski Pisidien

1) Ueber diese in Phrygien sehr bäufigen Namen, die Göttern und Sterblicben gleichmässig zukommen, ist in Kap. X gehandelt.

2) Eine Ausnahme bildet ausser Aoe^aaxis der weibliche Name Anv- iijL: (Tomaschek II 2, 33).

Verhältnis der phrygr- Namen zu den thrakischen. 201

n. 195), Mijray.ov (Schliemann a. a. 0. I 39), dazu die griechi- schen Komposita von Mijv, 3Iriv6öojQog, Mrivoyevrjg u.s.w. Andere einstänmiige Xamen sind ^OvQEvg (schon IL T 186, Griinder von Otroia); Jqav/Mv (Sten-ett a. a. O. II 47), vgl. bithyn. JgavY.og <Tomaschek, Thi-aker II 2, 35), MiÖag (z. B. SteiTett II 60. Olympos BGH. XYI 224 n. 73). Poodiag u. v. a.

Von hjijokoristischen Ableitimgen sind besonders das k- und das ^-Suffix behebt: Nawaxog, Mdvay,ov, 3Ir^va^/.or und "OrraAog (Ramsay Geogr. of Asia Min. 439). z/oqv)mq, *'^zx<Aag, *Nay.o- Xog (aus den Stadtnamen zu erschhessen), vgl. mariandyn. U^ioKag. *Ay. evavolag (Gen. aul' -laßog, Acc. -Xaßav auf den altphiygischen Inschriften Ramsay JRAS. XY 21 n. 1. 6) ist ebenso abgeleitet von Ay,sväv6g, ionisiit [L^x]€v>yvog SteiTett, Pap. of Amer. School m 564, vgl. L^xfväg ebd. III 504.

Diese auftälhge Yei-schiedenheit der phiygischen Xamenbil- dung von der thi'akischen ist offenbar sekimdärer Entstehung. Es kann nicht bezweifelt werden, dass die dem Griechischen, Thi-aki- «chen, Keltischen, Gennanischen, Slavischen, Iranischen und Indischen gemeinsame Sitte zusammengesetzter Personemiamen einst in allen idg. Sprachen, also auch im Itahschen imd Pluygi- schen bestanden hat. Eine Spur derselben ist z. B. der weibhche Xame Ags'^aoTiv Acc. auf einer altphiTgischen Inschiift (Ram- say n. 6) ^). In allen idg. Sprachen haben aber von Anfang an neben den Kompositen einstänunige Xamen bestanden, teils Ab- kürzungen der Komposita, teils Spitz- oder Kosenamen. In Phiygien wie in Italien sind diese einfachen Xamen zur Allein- herrschaft gelangt; liier wie dort beschränkt sich der Usus auf eme Auswahl, die fi-eihch bei den Phiygern nicht entfernt so eng begi'enzt wird \s-ie liei den Römern. Diu'ch diese Beschränkung mussten die Fälle von Gleichnamigkeit sich schhesslich bis ins Unei'ti'äghche häufen und das Bedüi-fois entstehen, die Träger homon}Tner Xamen zu unterscheiden: dies geschah diu'ch Hinzu- fiigung eines zweiten Xamens z. B. Areg ^QKiaeßaig, Baßa Msueßaig, l4(A(.iiav jijv y.ai Tavar, SteiTett II 612 (Maximiano- pohs); Tavia r; vmI Navvi], BGH. XXl 224 n. 72 (Olpnpos) u. s. f So erklären sich che in Phiygien aussergewöhnhch zahl- reichen Doppelnamen.

1) Ramsay's Erklärung des Namens aus aoi- + ^aari- = gr. y.aoxi- {Kaaridvsiga, Bezz. Beitr. XIV 310i ist nicht ganz sicher, aber ich kann keine bessere vorschlagen.

202 VII. Die thrakisch-phrygischen Stämme.

Auch den Thi-akem fehlen solche einstämmigen Namen nichts teils Kiu'zfonnen wie Kivd^og, JlJoxac, Bithus, IToqis, teils von Haus aus einfache Xamen, wie Ilolzvg, ^rjh-g, ^Evd^tjg, Mccqojv und die Lallnamen. In mehi'eren treffen Phiyger und Thraker zusammen. Der Name Koivg ist beiden Völkern gemeinsam (phiTg.: Herodot IT 45, tlu'ak. oft belegt, Tomaschek Thi-aker II 2, 50). Der phiygische Ortsname KoTideiov setzt ein Kotig (wie ^.Ariig neben '^zvg) oder Kotiag voraus; dazu vgl. Körig in Maroneia, BCH. YIII 52 ^) ; daneben noch KoTrjg (ßamsay, Cities of Phiygia 337). Das getische Jaog, Davos ist auch in Phiygien häufig: BCH. II 265. SteiTctt II 38 A. 81 (dazu auch Jär^g n 202?). :\Iit thrak. JeiÖag (Dmnont-Homolle Mel. d'arch. S. 421 n. 89. 89b). paion. Dida (liv. 40, 21. 43, 51 u. ö.) vgl. Jeiöojg in Sivri-Hissai* (bei Pessinus), PeiTot Explor. archeol. 11. 105. Der phiyg. Ortsname ^vXoAqr(VTi] ist nach einem ^iXog benannt, dessen Name aus ^vXovnogig, ^vXovrqaXig, Aulu- centuSj ^vXov'ltvr^g, ^vXovtiX{.iig od. dgl. abgeküi'zt ist; vgl. ^ilaiov xelxog in Thrakien. Die partizipiale Endmig -atos in altplnyg. TeyaTog (Ramsay .lEAS. XV 21 n. 8, weim dies ein Eigenname ist), Kow^arog (BCH. XXll 292) kehrt in thrak. ToQ-Mvaiog^), illyr. ^löära (xlthen. XIII 557 c), nlevQarog (Polyb. X 41 u. 0., vgl. illyr. n'AEVQiag Diodor. XXI 93) wieder 3). Wii' düiien nach alledem annehmen, dass das phiygische Namen- system h-üher dem thrakischen analog gewesen und ei-st in seiner Sonderentwicklmig sich von diesem entfernt hat.

Auf dem Gebiete der Ortsnamen liegen die Verhältnisse ganz ähnlich. Das Thrakische liebt auch hier Komposita wie Dleoa^- ßgia, IIolTviui^Qia, ^alin,iQia; ßriQiftccQa, 3IoviLi7täQa, Druzi-

1) Nach Steph. B. wäre die ältere Form Koaiäeiov von K6aag\ aber phonetisch ist das Umgekehrte, also Assibilation von r vor i, viel wahr- Bcheinlicher.

2) Serrae, BCH. XV 664. Dass Toqxovüzos nicht etwa das lat. Tor- quatus ist, geht aus den auf derselben Weihinschrift aufgeführten Namen TÖQxog, Tooxovg, ToQxov?.äg, ToQxovjiaißtjg hervor.

3) Den Sevdrig in Yazi-köi (phryg.-pisid. Grenze) hält Ramsay (CitieB of Phrygia 336) gewiss mit Recht für einen Thraker. Dasselbe gilt von dem AsvdovnoQig in Philadelpheia, Le Bas III n. 658. Bekanntlich gab es in Kleinasien mehrere Kolonien thrakischer Söldner, sog. Trailer (Strab. XIV 649. Tomaschek Thraker I 57. Ramsay Geogr. of As. Min. 112. 400. Cities of Phrygia 200).

Verhältnis der phrygf. Namen zu den thrakischen. ^y)o

para, Bessapara, JiodönaQog; Ostudizos, Burtudizos, Tatyodizos, TvQodiua U.S.W. Das Pliiygische zieht wieder Siinplicia vor; wie bereits erwähnt, ist eine Reihe phrygischer Oiisnanien mit Suffix -io- von Personennamen al)geleitet: Osf-iiocoviov von Gef-iiacüv, 31iddiov U.S.W. GewöhnHch haben diese Stadtnamen im Gegen- satz zum griecliischen Sprachgebrauch (^^vzio'/eia, ^lE^avögeia u. s. f.) neutrales Geschlecht ; doch giebt es auch Feminina, wie'Or^o/a von ^OiQevg, ^aydveia, Lamimia (= Bos-ü}iik nach A. Körte), Dass diese Bildimgsweise aus dem Mutterlande herübergenommen ist, beweist maked. Blqoia von einem BeQijg = gr. (Degr^g {0eQiov) benamit (Steph. Byz. mid Et. M. u. BeQoia), ferner maked. Bdloiov (Steph. Byz. s. v.), dessen Gründer Bdla/.Qog^ BdXeivog oder ähn- lich geheissen haben mag, Maloea (in Pen-haebia, Liv. 31, 41), Bersovia, Salsovia u. a. Ebenfalls zum Thrakischen stimmen Bqia (vgl. Eamsay, Geogr. ot As. Min. 137): thrak. Bqta (d.i. -Stadt') und rlQi-ia: am Sti^mon Fegf^ai (Tomaschek Thi-aker II, 2, 88); ^A-Afiovia: in Dalden Acmonia. Indessen fehlten auch zu- sammengesetzte Ortsnamen den Phrygern nicht ganz: 2aXa(.tßQia (jy xat ^aqaßQavM, Ptolem. Y 6, 14 schon auf kappadokischem Gebiet) scheint mit thrak. ^aXinßqia (auch ^a'kaf.ißqia genannt) d. i. 'Stadt des Salys' identisch. ^AßgooroXa ist dm'ch Dissimilation aus ^^Aßgo-otoga entstanden wie thi'ak. JovQoaroXog aus Jovqo- OTOQog (beides belegt), dessen Sclilussglied in anderen thi-akischen Ortsnamen wiederkehii ; das Anfaugsglied, wie in byzant. ^Aßqo- lißa, ist Abküi'zung eines mit Aßqo- beginnenden Personennamens, AßQOuX(.ir^g, l4ßQOVfvohg, ^Aßqoxovov od. dgl. Von Manegordum 'Manesbm-g' wird weiter unten die Rede sein. So trennt auch hier das Plu'ygische vom Thrakischen ti'otz mancher Diski'epanzen keine unüljerbrückbare Kluft.

Von allen aus der nördlichen Balkanhalbinsel in Kleinasien eingewanderten Völkern haben die Phryger es zur höchsten poHtischen und nationalen Machtentwicklung gebracht. In der Geschichte treten sie uns freilich erst entgegen, als ihre Blüte längst vorüber und der Name (Doi-^ zu einem Schimpfwort bei den Hellenen geworden ist i). Aber wir haben deutliche Zeichen dafür, dass sie einst glanzvollere Zeiten gekannt haben: der Reichtum des Königs Midas lebte, als er längst zur Mythe ge-

1) Welch schlechten Klang dieser Name hatte, zeigt aufs neue der 2. Mimiambus des Herodas v. 37. 100.

204 VII. Die thrakisch-phryg^ischen Stämme.

worden war, noch im Sprichwort fort. Im Westen muss sich das phrygische Reich einmal bis zum Aegaeischen Meere erstreckt haben: zriv rttgl ^Tt^i") ^invlov Oov/iav o< Ttalaiol /.alovat, sagt Strabon (XII p. 571'). Nm- die Sage hat noch die Kunde von diesen Zuständen bewahrt: Felops, der Herrscher am Sipylos, heisst hier ein Fhryger^). Die griechischen Kolonisten an der lydischen Küste haben ihre altpeloponnesischen Heroen Tantalos und seinen Sohn Pelops in jene praehistorische Vorzeit Lydiens hinaufgerückt und zu phrj-gischen Königen gemacht. Sie müssen also eine sagenhafte Tradition von einem einstmals blühenden, später untergegangenen phrygischen Eeich in Lydien vorgefunden haben. Die Sagenversion, wonach Midas, um sich von seiner unheilvollen Gabe alles in Gold zu verwandeln, was er be- rührt — zu befreien, in dem Flusse Paktolos gebadet habe, welcher seitdem Gold führe 3), diese Sage setzt einen in Lydien herrschenden König Midas voraus, der seinen Goldreichtum dem XQvaoQQoag na/,Tco?ucg verdankt.

Man hat, \ne es scheint, noch nicht bemerkt, dass die lydische Tantalossage eine gewisse Verwandtschaft mit der ]\Iidassage zeigt Tantalos, der Ahnherr der peloponnesischen Stämme, der Berg- riese, der, ein zweiter Atlas, das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern trägt *), hat in seiner Heimat noch nichts von dem reichen, schwelgerischen TjTannen gehabt, dazu ist er erst am Sipylos geworden. Seine Bestrafung im Tartaros, wie sie die

1) Thraemer nimmt an (Pergamos 349), dass mit den TiaXaioi alte Lokalüberlieferungen gemeint seien: solche müssen allerdings am Sipylos bestanden haben, aber Strabon waren sie wohl nur mehr durch die litte- rarische Sage bekannt.

2) Herodot VII 11. Sophokl. .\ias 1292 {aQxcüov ovxa Ilekona ßoQ' ßaoov ^ovya). Strab. VI! 321 ; vgl. Hellanik. b. Steph. B. u. SUvkog (?rd/<? ^Qvyiag). Athen. XIV 625 (xäq)ov? xCbv fiEta nsXo:Tog 'pQvytöv im Pelo- ponnes). Daneben wird er auch Lyder genannt (Find. Ol. 1 , 24; daher Kustath. z. Dion. Perieg. 403: röv ^gvya Pj AvSöv UiXorra), weil die Späteren den Sipylos nur als lydisch kannten. Auch des Tantalos' Tochter Niobe heisst eine 'f'gvyi'a ^iva (Soph. .Antig. 825).

3) Ovid. Metam. XI 100 ff. Suidas u. Midas. Der Lügen - Plutarch De fluviis 13, 1 macht deshalb Demodike, die Gemahlin des Midas nach Pollux I.\ f-S, zur Schwester des Paktolos.

4) Wilamowitz, Eurip. Herakl. 11^ 96 und M. Mayer, Giganten und Titanen S. 88.

Phryger in Lydien. 205

Nekyia Ä 582 ff. schildert i), zeigt luis, was ihm zum Vorwurf ge- macht wh'cl: die unei"sätthche Genusssucht. Wie den Midas die Goldgier dahin bringt, dass er vom Reichtmn umgeben, dennoch in Gefahr ist. den Hmigertod zu sterben, so schmachtet Tantalos im Hades: ei'fiischendes Xass und kösthche Früchte sind in seiner Nähe, und doch kann er sie nicht en-eichen und vergeht elendig- hch vor Hunger imd Durst. In beiden Fabeln ist diesell)e Moral : ,.je mehr er hat, je mehi- er will", in derselben ü'onischen Weise zum Ausdruck gebracht: der Unei-sättliche verschmachtet mitten im Uebei-fluss.

Xach Sti'abon^) stammt der Reichtimi des Tantalos und der Pelopiden von den Metallschätzen des Phiygien am Si^^ylos, der des ^lidas, "wie wii' gesehen haben, vom lydischeu Paktolos ^). Lydien ist das Califbrnien des Altertums: sein Goldreichtum scheint zwar von den Griechen übeiiaieben worden zu sein *), ist aber doch schwerhch bloss Sage gewesen; der Stein zimi Piüfen des Goldes wii*d als la2Jis lydins bezeichnet. Mein- aber noch hat ein blühender Handel die Schatzkammern der lydischen HeiTscher mit Gold gefüllt. Ein üppiges und übeimütiges AVohl- leben war (he Folge. Der Lyderkönig Ki'oisos hat den sprich- wörthchen Eeichtum des ^lidas geerbt, mid sein Stm-z rief gleich

1) Das Alter dieser Sagecform darf nicht nach dem interpolatorischen Charakter der Nekyia beurteilt werden (Thraemer Pergamos 85) : wäre diese selbst ziemlich jung, so könnte doch die darin verwertete Sagen- version uralt sein. Daneben lief eine andere Version, wonach die Strafe in einem über Tantalos' Haupt drohenden Felsen bestand. M. Mayer a. a. 0. hat darin eine Umbildung des das Himmelsgewölbe tragenden Heros erkannt; schon die Scholien zu Eurip. Orest. 981 erinnern daran^ dass xov TdvraÄov dvaTerafiivaig xsQol (pigeiv rov ovQavov. Veranlasst mag^ diese Umbildung sein durch die von Thraemer S. 86 ff. erörterten Katur- revolutionen im Gebiete des Sipylos, das von häufigen Erderschütterungen heimgesucht ist. Die Sage, dass der Phrygerkönig unter den Trümmern des zusammengestürzten Sipylos begraben, seine Herrlichkeit in der Xiuvrj Tavxa/.ov (oder nach anderen SaXorf) versunken sei, wurde mit der älteren Vorstellung des Himmelsträgers vereinigt.

2) XIV 680, wo wohl o-tÖ tü>v :xeQl 'Povyiav y.al Zi.iv/.ov insrdX/.cov verderbt ist. Etwa v.iö .Tt.Tiv.o}? Denn von uha/./.a im Sipylos wird sonst nicht berichtet.

3) Strabon a. a. 0. führt ihn auf die Bergwerke des Sermion zurück : das ist natürlich blosse Kombination, die hier weniger zutrifft als hin- sichtlich der Schätze der Pelopiden.

4) Vgl. Perrot Hist. de l'art V 255.

206 VII. Die thrakisch-phrj-gischen Stämme.

dem Schicksal des Tantalos moralische Betrachtungen über die Hiiiiälhgkeit irdischen Glückes hervor i).

Die Annahme, dass einst Phiyger in Lvdien gesessen haben, lässt sich noch weiter stützen 2). Xach der allerchngs vereinzelten Notiz bei Aehan Y. H. YUI 5 hatten die giiechischen Kolonisten in Milet mit Mygdonen (d. i. Phrvgern, vgl. Thraemer, Pergamoa S. 350j und anderen Barljaren zu kämpfen ; nach Polyaen (Strate- ^em. ym 37) Avohnten bei Phokaia ßebryker, nach Schol. ApolL Ehod. n 2 auch um Ephesos und Magnesia ; daher stammt wohl der echtbebiykische Piiaposkidt in Ljdien (Peti-on. 133). Bei K}Tne gab es einen Ascanius j^ortus (Phn. Y 121): hier sind die Phiyger mit den griechischen Ansiedlern in fi"eundschafthche Beziehungen geti'eten: ein Midas hat Hermodike (nach anderen Demodike), die Tochter des Königs Agamemnon von Kyme, zu seiner Gemahlin gemacht. Anderes und überhaupt die ethno- logischen Yerhältnisse Lydiens werden in Kap. X ziu* Sprache kommen. In historischer Zeit ist der Untergang der pluygischen Macht bereits eine vollendete Thatsache: ihi- Stm-z mag durch den Einfall der Kimmerier besiegelt worden sein (Ed. ^Meyer, G. d. Alt. II 455); vorbereitet war er aber ge\\iss durch ihren inneren Yerfall.

In ilu-er Blütezeit niuss die phrygische Xation eine ausser- ordenthche Expansionskraft besessen habeii. Dass sie sich einst im Osten bis in die Garsauiia, das westUche Kappadokien. aus- gedelmt hat. geht aus den dortigen Ortsnamen ^ßQOOToXa und 2aXa(.ißQia hervor. Im Nordwesten smd die Phiyger, wie -wir bereits gesehen haben, bis in die troische Landschaft geckuugen. An der Küste des Hellespont sass in ältester Zeit ein versprengter Zweig der Bebryker (Ed. Meyer, G. v. Troas 12), und östlich reihten sich an diese längs der Küste der Propontis und weiter des Pontos lauter den Phrygern eng verwandte Stämme, die Dolionen (nach Hekataios JoheJg, Steph. B. s. v.), che Mygdo- nen, welche von dem gleiclinamigen Yolk am Axios abstammen, und die Bebryker. Dass sich auch unter den eigentüch sogen.

1) Auch der Sturz Magnesia's a. M. durch die Kimmerier wird von Theognis 603. 1103 als Strafe für ihre i'ßoig hingestellt.

2) S. besonders Thraemer, Fergamos 359 fl'. (349. 363), dessen eth- nologische Ansichten ich jedoch nicht teile; ferner Perrot, Hist. de l'art V 1 ff.

Mariandyner und Paphlagonier. 207

Phrygerii mygdomsche und bebrvkische Elemente befanden, geht aus dem Auftauchen dieser Namen in Lydien. das wir soeben konstatii-t haben, deuthch hervor. Dazu stimmen die phiygischen oder nach phiygischer Weise gebildeten Ortsnamen auf später bith}iiischem Gebiet: ^OcQoia (aus *^OTQoß-ia von 'Orgeig), /Jaoy.v?uov, Tardiov, die Xiiivt] "^o/Mvia. Der Name des Flüsschens 'O^Qvar^g (Strab. Jill 550. 551; v. 1. 6 '^Pv/uog) bei den Mygdonen bezeugt, dass sich auch odiysische Elemente unter ihnen befanden. Auch die Mariandyner und Kaukojieu, welche im Osten an die Bebryker stiessen. werden den Phiygern stammverwandt gewesen sein ; vgl. den Xamen der kaukonisclien Stadt Tieioi' (von Tlog). Strabon XII 542 rechnet die Marian- dyner zu den Thi'akeiTi. weil sie sich sprachlich imd ethnisch zu seiner Zeit nicht von den Bithpiern unterschieden. Theopomi^ scheint sie für Paphlagonier gehalten zu haben i). Die Kaukonen wm"den l)ald ftü* Skythen, bald flu- Makedonier oder für Pelasger erklärt; sie waren zu Sti'abons Zeit bereits versch^wimden.

Noch schwieriger ist es, die sprachliche Stellung der Paphla- gonier zu bestimmen. Wir- kennen ein paphlagonisches Wort ydyyQct die Ziege oder richtiger Name einer Ziege (Steph. B. u. rdy/Qa^)) und einige Eigennamen 3), wie Mdr/g ^) , u^rcjzr^g (IGA. 42 'L^rwroc), rdocg, 'OXiyaavg, Tißiog, Bdyag, Bidaag, ZagdorKrig, Qvg (Compte-rendu de S. Petersb. 1874. 107 = Thnys, Corn. Nep. Datam. c. 2), Naoiva (BGH. XIII 310), welche über die Herkunft der Paphlagonier kein sicheres Urteil gestatten ^).

1) Aus Pollux IV 54 kennen wir den mariandyn. Eigennamen Ovjng und den Kult des Bägtf^og (bei Athen. XIV 620 und Hesych. Bwg/iiog) oder IlQiölag. der dem phryg. AirvsQoag und dem "YXag in Kios entsprach. S. darüber Maass DLZ. 189(3, 7 f.

2) Lagarde (Ges. Abh. 266) beanstandet ydyyoa 'Ziege' wohl nur, weil Alexander Polyh. (bei Steph. a. a. 0.) sagt: rovro »/v ovo /na rfj alyi.

3) Strab. XII 553, wo die Namenformen jedoch verderbt überliefert sind, wie Th. Reinach, Revue des etudes gr. II 94, festgestellt hat.

4) Lat. Makes; inschriftliche Belege sammelt Reinach a. a. 0. II 267 £f.

5) yäyyqa könnte man allenfalls zu gr. yäyyqaiva 'fressendes Ge- schwür' (von yQdo3, ygahco nage, fresse), stellen, so dass das Wort 'die nagende, knuspernde' bedeuten würde. Doch würde aus diesem einzelnen Wort noch nicht idg. Herkunft der Paphlagonier folgen. Tißiog (oder Oiftßig) wird auch als phrygischer Karae bezeichnet, und mit Md?}i scheint

208 VII. Die thrakisch-phrygischen Stämme.

Die giiechischen Koloiiisten haben sie, weil sie ihi-e Sprache nicht vei-standeii. kiu'zweg ..Schwätzer' geuaiuit (von Ttaffla- l€iv schwatzen). Der Fluss. au welchem die Paphlagonier wohnen ^), der 'i^Xvg oder 'L4Xvg, fiijirt einen indogeiTaanischen Xamen. welchen schon die Alten (Sü-ab. XII 561) von den Salz- giiiljen an seinem oberen Lauf herleiteten. Das Volk aber, welches an den Quellen des Halys sass imd diesem Fluss seinen Xamen gegeben hat ^) , sind die von allen Einwanderern aus Em'opa am weitesten nach Osten verschlagenen, die Annenier.

Ueber die ethnologische Stellmig der Armenier belehren uns zwei miverdächtige antike Zeugnisse. Herodot (VU 73) er- klärt die Annenier. die im Heere des Xei-xes "wie die Pluyger ausgerüstet waren (und nicht sein- verschieden von den Paphla- gonieni). fiir (Dqv/wv ccTtoixoi, und Eudoxos (bei Steph. B. u. Aguevia = Eustath. zu Dion. Per. 694) scliiieb in seiner 'Erd- kunde*: ^Aqu^viol dt To jt/fj' yevog Iv. Ogv/lag y.al xf (foivfj TtohXä q^Qvyiuovai. Diese Angaben stinmien zu den sprachhchen Thatsachen so gut. dass wir nicht die geringste Vi-sache haben, sie zu bezweifeln. Hübschmann (Z. f. vergl. Spr. 23, 1 ff.) hat bekannthch den Xachweis geführt, dass das älteste armenische Sprachgut (nach Abzug der sehi' fi-üh und sehr zahlreich einge- di-uugenen iranischen Elemente), besonders im Vokalismus, mit den em'opäischen Sprachen, nicht dem Lidoiranischen überein- stimmt. Seiner Ansicht ist zwar von de Lagarde (Annen. Studien, 1877) und Fi-iecb. Müller (Ueber d. Stellmig des Annen, im Kreise der idg. Spr., 1877) widei-sprochen worden, welcher letztere das Armenische geradezu fiii- eine iranische Sprache erklärt hat Meines Erachtens müssen wir aber von den durchaus glaubwürdigen

phryg. Mdig identisch: es gab ein Sprichwort: eTg Mäig tv 'Pgvyia (vgl. M. Schmidt, Neue lyk. Stud. 137]. Verschiedenheit der paphlag. und kappadok. Sprache ergiebt sich aus Strab. XII 553.

1) Oestlich vom unteren Halys wurde nach Strabon paphlagonisch und kappadokisch gesprochen. Das (rebiet gehörte wohl ursprünglich den Paphlagoniern und kam erst später an Kappadokien.

2) Armen, a/ Salz i = gr. ä/.g, lat. sal usw.). a?.i salzig, zuletzt hier- über Bugge, Z. f. vgl. Spr. 32, 81, der "Ah-g = arm. aXi aus *saUo8 setzt, 80 dass V arm. i wiedergäbe. Es kann aber in "Akvg auch der Stamm Kalu- vorliegen, der durch gr. aAf-xo-c (asl. sladiikü, lit. saldüs) bezeugt wird. Ob der Ortsname Aliassum hergehört, wie Bugge will, lasse ich dahingestellt.

Die Armenier. 209

Zeugnissen des Herodot und Eudoxos ausgehen. Darnach sind die Annenier ein Zweig der phiygischen Nation, ihre Sprache der phrygischen nahe stehend; luid alles, was wir von der phiygi- schen Sprache wissen, fügt sich chesen Angaben. Das Phiygische untei-scheidet wie das Amienische a, e, o *), femer r und l luid behandelt Mediae Aspiratae und die Palatale wie diese Sprache. Noch niehi' ins Gewicht fiele, wenn ni = skr. a, gv. a, lat. en im Aimen. wie im Phiyg. dm'ch an vertreten wäi'e, doch sind die annen. Belege hieiliii' 2) nicht eben zahh-eich. xA^ndere üeberein- stimmungen zwischen Amienisch luid Phiygisch, wie der Wandel von ö in ü werden im zweiten Teil dieses Kapitels zm* Sprache koumien. Ist aber das Annenische nm- ein Dialekt des Phrygi- schen, dann fallt die amienische Frage mit der pluygischen zu- sammen, imd es gilt von jener Sprache, was von dieser gilt, dass sie zwar manches mit dem L-anischen gemein hat im Nordosten der Balkanliall)insel gi-euzten ja die tlu'akisch-phiygischen Stämme an die minischen Sk}i:hen , aber ^■ieles auch mit dem C-riiechischen, dass sie aber vor allem als ein selbständiges Idiom aufgefasst werden muss ^).

Sü-abon ti-ägl XI 503 und 530 eine andere Hyjiothese über die ürepiäinge des armenischen Volkes vor, welche er auf zwei Thessaher, K}i-silos von Pharsalos luid Medios von Laiisa, zurück- führt, fhe im Heere Alexanders Aimenien passü-t hatten. Dar- jiacli sollen die Ai-menier von Annenos, dem Epou^Tiien der thessahschen Stadt Annenion am Boibe-See, abstammen, der auf der Ai'gonautenfahi-t mit Jason gegen Annenien gezogen sei. Die Thessaher lieiiefen sich dafüi* auch auf die Uebereinstimmimg der armenischen und thessahschen Kleidung. Man hat diese (von Justin. 42, 2. 3 wiederholten) Angaben, von denen man natürhch

1) Arm. tas7i 'zehn' = dsya und casn 'wegen', gr. i'y.äzi sieht Hübsch- mann (Arm. Stud. 51. 52) trotz ihres a für echtarmenisch an: aber das a weist doch auf Entlehnung aus dem Iran, (avest. dasa 10. apers. vasnä durch).

2) Hübschmann Arm. Stud. 72. Brugmann Grundriss I 199: khsan 20 aus *gisan = dor. fiaari, an-ban 'carens ratione et verbo' = acpcovo;.

3) Eine ethnologische Uebereinstimmung zwischen Armeniern, Phry- gern und Thrakern besteht in der Sitte des Bierbrauens, welche jedoch auch andere europäische Völker schon in antiker Zeit kennen (Hehn, Kulturpflanzen^ 144). Ueber den armen. Gerstenwein Xenoph. Anab. IV 5, 26.

Kretschmer, Einleit. in d. Gesch. d. gr. Sprache. 14

210 VII. Die thrakisch-phryg:ischen Stämme.

das Mythische von vom herein abziehen muss, in Bausch und Bogen verworfen *), und sicher ist ja. dass sie nui' auf Kombina- tionen, hauptsächlich auf der Homonymie von lAquiviov und ^^Quavioi beruhen. Indessen möchte ich doch Folgendes zu be- denken geben. Wenn die Ai-menier wie die Phiyger aus Eui'opa nach Asien gewandert sind, so können sie sehi- wohl vorher in der Nähe der Biyger, nördhch von Thessahen. gesessen haben. Xun haben gewiss in praehistorischer Zeit thrakische Einfälle in Thessahen stattgefimden. Der Xame der Boißr^lg Ituvij, an welcher Ai-menion lag, zeigt die tlii'akische mid ungriechische Vertretimg der Media Aspirata (bh) durch Media (ß), denn Boiiiri ist doch ohne Zweifel s. v. a. Ooißi]. Ferner weist Sti-abon auf einen zweiten Namen des Peneios, ^AQcchjg, hin, der genau mit dem des annenischen Flusses sich decke; beide Sti"öme seien so genamit worden, weil sie ein Gebirge diu'chbrechen {ctga^aL). Dass aber jener Name des Peneios bloss ad hoc lingirt sei, ist nicht glaulilich ; die Beweisfühi'ung wäre dann doch gai- zu plump. Endlich heisst "Agf-ienov (11. B 734 ''Oqpilviov) später ^Oquiviov (Sti-al). IX 438); der Wechsel von -ev- und -iv- vergleicht sich dem thrakischen von Mhdt^ (auf Münzen Mivdäov) und Mtvöyj. Nun heisst ein Gebirge im östlichen Bithynien. an welchem die Armenier voiübergekommen sein müssen, ^Oq(.uviov ogog (Ptol. V 1, 10), das an den Quellen des Halys aber in Kleinannenien wieder Idq^tviov oqoq: hier tritt also genau derselbe Wechsel der Lautfonn auf. Drittens wird aber Annenien sel})st in den pei-si- schen Keiliiischriften teils Armaniya, teils Annina genannt, welche Formen sich, da die Keilschrift die Vokale a, e, o nicht unter- scheidet, genau wie ^Ao^^lov und ^Oquiviov verhalten. Sollte dies alles nur auf einem zutälligen Zusammentreften benihen oder dürfen wir annehmen, dass die Armenier einst im Norden von Thessahen gesessen haben und ein Schwann von ilmen in die Peneiosebene eingefallen ist und sich aiii Boibe-See ange- siedelt hat?

Das eben genannte Orminion-Geliirge. dann der Hafen 'Aq- fxlvr^ bei Sinope und endlich das Armenion-Gebirge an den Quellen des Halys geben uns wohl die Richtung des Weges an, den die Armenier von Westen her genommen haben. Von dem Gebiet östlich des unteren Halys, dem sogen. Kleinarmenien, aus sind

1) Baumgartner in Pauly-Wiasowa's Realenc. u. Arraenia.

Myser und Bithyner. 211

sie dann weiter iiacli Osten vorgedrungen und haben die nicht- indogermanischen Alarodier sich unterworfen; vgl. Ed. Meyer, G. d. Alt. I 296 f.

Später als die EinAvanderimg aller der genannten phrygischen Stämme in Kleinasien scheint die der Myser erfolgt zu sein. Sie stammen von dem thi-akischen Volk der Myser (später Moeser genannt) in der Donautiefebene ab, welches schon der epische Dichler erwähnt, mid sind über den Bosporos an die Küsten- landschaft der Propontis und des Pontos (bis Herakleia) einge- wandert, wo ihr Name noch haften bheb, nachdem sie durch die Bith}Tier in das Binnenland gedi-ängt worden waren. Ich ver- weise wegen der ganzen Myserfrage vorläufig auf die ausfiihrhchen Darlegmigen von Thraemer, Pergamos S. 274 ff., und werde auf die ethnologischen und sprachlichen Verhältnisse Mysiens in Kap. X zurückkommen.

Schon fast im Licht der Geschichte liegt die letzte grosse Einwanderung von Völkern der Balkanhalbinsel über den Bosporos, die der Thyner mid Bithyner, denen sich Avohl Aster ange- schlossen hatten, da ja der Name der Stadt l4oTcr/.6g an der Propontis, gleichlautend mit dem der astischen Landschaft nörd- lich von Byzanz {xojqcc BvtavtUov, Theopomp bei Steph. B. u. '^(Tröxog), s. V a. „die astische" bedeutet. Reste der Thyner und Aster bheben auf der europäischen Seite an der Küste des Schwai'zen Meeres sitzen. Nach Arrian fr. 37 fiel die bithynische Wanderung in die Zeit der Kimmerier-Invasion, also ins VII. Jahrhundert. Die Bithyner erschienen noch den Späteren so vollkommen thrakisch, dass sie häufig als QQa/xc. oi ev "^oia be- zeichnet werden. Sprachhch bestätigt sich uns dies durchaus: die bithynische Nomenklatur zeigt die oben besprochenen Merkmale der thrakischen Namengebung im Gegensatz zu der der Phryger. Es genügt, einige Belege hierfür anzuführen: Ji/.i/tOQig^ Grab- schrift von Atschik-kaya (Graef, Athen. Mitt. XVII 91); Jtv- öinoQig, Tomaschek, Thraker 11 2, S. 33; Moiicapons, Dionys. Anaplus Bospori Thrac. fr. 62 (Geogr. gr. min. 11 83), Meerbusen in Bithynien „a rege quodam Bithyniae"; Zelicentius in Kyzikos, Tomaschek a. a. O. 39; ZEiTtoLvr^g, ZircoiTi]g, König von Bi- thynien, vgl. thrak. ZeiTtag, Zipa, Zijmr.etithus ] ^y.ondvyg in Kyzikos, Athen. Mitt. VI 53, vgl. thrak. ^xo/ra^^ CIA. III 2496; Mevdag, Ath. Mitt. a. a. 0. S. 121, von der thrakischen Göttin Mevöig (= Bsvdig).

14*

212 Yn. Die thrakiscli-phrygischen Stämme.

Nach dieser Uebersicht über die Ethnologie der kleinasiati- schen Indogermanen kehren wir zur Balkanhalbinsel und zu der Frage nach der Schichtung der thrakischen Völker zurück. Man wird jetzt erkennen, dass Tomaschek's Unterscheidung einer phrj'gisch-mysischen und einer echtthrakischen Gruppe auf der Balkanhalbinsel nicht mit ii'gend welcher Strenge durchführbar ist. Die Gesichtspunkte, nach denen er die einzelnen Stämme dieser oder jener Gruppe zuteilt, sind ethnologisch unbrauchbar. Tomaschek rechnet zur phrvgisch-mysischen Gi'uppe die in Europa zui'ückgebliebenen Reste der Völker, welche zum anderen Teil nach Asien ausgewandert sind, mit Ausschluss der Bithyner. Nun erklären sich doch aber die bedeutenden Untei'schiede zwischen PhiTgern und Thrakern mindestens teilweise aus der Sonderentwicklung beider Stammgruppen seit ihrer Trennung, also aus späterer Differenzirung : sie sämthch in die Zeit vor der Trennung hinaufzurücken, haben wir kein Recht. Es kann doch nicht aulfallen, dass eine Nation, wie die phrygische, welche zwei Jahrtausende von ihren em'opäischen Verwandten getrennt und mit einer unidg. Urbevölkerung verschmolzen war, sich von jenen mehr oder weniger diiferenzirt hatte. Ferner scheint die Ueberwanderung von der nördlichen Balkanhalbinsel nach Asien eine fast ununterbrochene gewesen zu sein, so dass wir eigentlich nirgends einen Abschnitt machen dürfen.

Nicht weniger trügerisch ist ein zweites Merkmal, mit welchem Tomaschek operirt. Die höher gesitteten mysisch-phrygischen Stämme sollen Träger einer orgiastischen Religion gewesen sein, welche den echten Thrakei'n ursprünglich fremd war. Letzteres ist aber un- erwiesen: die Besser, welche Tomaschek zu seiner „thrakischen" Gruppe rechnet, waren im Besitz des hervorragendsten Dionysos- Heiligtumes und -Orakels in Thrakien (Herodot VII 111; Sueton. August. 94, vgl. c. 3; Cass. Dio 51, 25). Wenn Tomaschek (Thraker II 1, 39) behauptet, sie hätten diesen Kult von ihren phrygischen Untei-thanen erst übernommen, so ist das doch eine petitio principii. Neben dem Dionysosdienst ging, wie Toeptfer (Att. Genealogie S. 36) und zuletzt Rohde (Psyche S. 319 ff.) ausgeführt haben, in Thrakien ein energischer UiisterbHchkeits- glaube her. Am stärksten war aber dieser Glaube bei den Geten, den aif^avari'lovrec, wie sie deshalb hiessen, ausgebildet, welche Tomaschek schon wegen ihrer nördlichen Sitze den barbaiischen Thrakern zuweisen muss. Auch hier bewährt

Geten und Daker. 213

sich also seine Untei-scheidung zweier Gruppen nicht. Ebenso ist es Willkür, wenn er die Sitte des Tätowirens als ein aus- schliessliches Merkmal der rohen Thraker ansieht und dann be- hauptet, dass die Frauen der Bistonen, w^ eiche er zur phrygischen Gruppe zählt, diese Sitte (Anth. Pal. YII 10) von den thrakischen Eroberern entlehnt hätten. Auch die Mainaden, deren orgiasti- scher Dienst doch nach Tomaschek den echten Thrakern von Haus aus fremd sein soll, werden auf griechischen Vasen zuweilen tätowirt dargestellt ^).

Dialektische und sonstige ethnologische Unterschiede werden unter den thrakisch - phrygischen Stämmen gewiss schon auf europäischem Boden bestanden haben, aber in allmählicher Ab- stufung nach Norden hin, nicht in jener Anordnung zu zwei Gruppen, von welcher die antike Ueberlieferung nichts weiss. Diese hebt namentlich eine gewisse Verschiedenheit der Geten, im Nordosten der Balkanhalbinsel an der Donau, von den süd- hchen Thrakern hervor, und zwar lag dieselbe vornehmhch auf religiösem Gebiet, auf welchem sich die Geten durch die Lehre des Zalmoxis in charakteristischer Weise von den übrigen Thrakern unterschieden. Die nordwesthchen Nachbarn der Geten, die Agathyrsen, das nördlichste von allen thrakischen Völkern, waren den Griechen zu Herodots Zeit noch wenig bekannt. Sie tauchen im IV. Jahrhundert unter dem Namen der Jaoi auf, treten aber erst in der Mitte des I. Jahrh. v. Chr. unter ihrem Könige Burvista als dakische Nation in der Weltgeschichte her- vor. Müllenholf, der ihre ethnologische Stellung zu bestimmen gesucht hat 2), ist geneigt, sie für einen von den Thrakern ver- schiedenen Volksstamm zu halten ; er schliesst seinen Artikel über die Geten mit den Worten, dass wir wohl thäten, wenn wir die Thraker Thraker, die Geten Geten, die Daken Daken sein Hessen. Ob wir die Daker unter dem thrakischen Namen einbegreifen oder nicht, läuft schliesslich auf einen Streit um Worte lünaus. Sicher ist, dass die Daker sprachhch den Thrakern aufs engste verwandt waren: dies bezeugt nicht nur Strabon (VII 303. 305), dessen Angaben Müllenhoff doch wohl etwas zu kurz abthut, sondern in voller Uebereinstimmung damit auch die dakische

1) Vgl. Rapp, Die Beziehungen des Dionysoskultes zu Thrakien und Kleinasien, Progr. d. Karls-Gymn. in Stuttgart 1882, S. 25.

2) Ersch u. Grubei-'s Eucycl. I. Sect., Art. Geten, wieder abgedruckt in der Deutschen Altertumskunde III 125 fi'.

214 Vn. Die tbrakisch-phrygischen Stämme.

Namengebung. Schon ihr nationaler Name Jaoi (lat. Dävos ^) kann von dem pbryg. Personennamen Jaog. (s. oben S. 202, dazu auch das phryg. Appellativum daoQ, varo Ogiycöv At'zoc Hesych. ?) kaum getrennt werden. Zu Jaoi verhält sich Däci, wie Graeci zu roaloi ; der Wechsel des Namens hängt vielleicht mit der nationalen Erhebung des Volkes zusammen, bei welcher noch andere Stämme als die Daer in der Nation aufgegangen sein mögen, die nun mit diesen zusammen als die Daischen bezeichnet wurden. Der Name des dakischen Königs Oroles (Justin. 32, 3, 16) deckt sich mit dem eines thrakischen Fürsten, welchen MarcelUnus' Thukydides- Vita ^'Ooolog, Herodot 'OIoqoq nennt (zu asl. orilü Adler). Dak. Burvisfa und der Ortsname Boigidava enthalten dasselbe erste Glied wie bess. BovQvJvTiog, thrak. Burns (Tomaschek, Thraker n 2, 16). Dakern und Thrakern gemeinsam sind die Personen- namen auf por- : dak. Natoporus, Petoporus, Pieporus. Die fiir Dakien so charakteristische Bildung der Ortsnamen mit dava hat eine Parallele an Desudava bei den Maidern am Axios. Diese Uebereinstimmungen machen es vorläufig wahrscheinlich, dass die dakische Sprache mit der thrakischen eng verwandt und höchstens dialektisch von ihr verschieden gewesen ist ^) : mehr lässt sich an- gesichts des dürftigen Materials nicht behaupten.

Daker und Geten sind die nördlichsten von allen thrakischen Völkern : ihre östlichen Nachbarn, die skolotischen Sk}i:hen, ge- hören einer scharf von den Thrakern geschiedenen Nationalität an, der iranischen 3). Denn der von Müllenhoff (IVIonatsber. d. Berl. Akad. 1866, wieder abgedruckt in der Deutschen Alter- tumsk. IIIlOlfiF.) aus der Namengebung geführte Nachweis, dass die skythische Sprache ein westiranischer Dialekt war, scheint mir trotz der dagegen erhobenen Einwände^) für die Beurteilung des

1) Die Quantität des a schwankt : im Griech. ist teils Aäoi, teils Aäot überliefert: bei Herodas V 68 ergiebt sich leider die Quantität nicht aus dem Metrum. Im Lat. wird Däros, Däci gemessen.

2) Ebenso urteilt Tomaschek, Thraker I 101 f.

3j Im Grenzgebiet kam es zu Vermischungen zwischen beiden Völkern: Apollonios (Argon. IV 320) spricht von 0Qt]i^tv fttyddeg Sxvdai. Dass thrakische Stämme von den Skythen unterworfen, ihre Weiber zu Sklavinnen gemacht worden sind, geht aus Klearchos' Bericht (bei Athen. XII 524) hervor.

4) Namentlich von Kiepert, Handbuch der alten Geogr. S. 342 ff., der auf Grund von Hippokrates' Angaben über den phrygischen Habitus

Beziehungren der Thraker zu den Iraniern. 215

skythischen Volkstumes entscheidend. Es liegt nahe zu vermuten und ist in der That von Penka (Mitt. d. Wien. Anthr. Ges. 1893 S. 62) behauptet worden , dass die Skythen eine Mittel- stelhing zwischen Iraniern und Shiven einnahmen, aber von Seiten der Sprache lässt sich dies vorläufig nicht mit Sicherheit erweisen; jedenfalls folgt er nicht aus dem l in skythischen Namen (vgl. daiüber MüUenhoff D. A. III 112). Auch zum Thrakischen stand die skythische Sprache, soviel wir sehen können, in keinem näheren Verhältnis als die übrigen iranischen Dialekte.

Dass wir bei den Thrakern gelegentlich iranischen Namen begegnen, ist bei ihrer nachbarlichen Berührung mit iranischen Stämmen begi'eiflich. So ti'ägt Mcuoddr^g, der Füi-st der Melan- diten, Thyner und Tranipser, bei dessen Sohne Seuthes Xenophon auf der Rückkehr von Asien voi-sprach (Anab. VII 2, 32. 5, 1), ojßfenbar einen iranischen Namen, dessen ei-stes Element in Mai- ßov^civr^g (Komana, BCH. VII 130. Hörn und Steindorfi^ Sas- sanidische Siegelsteine S. 31), ^laL-ödiag (Vater eines Karei-s navauiag in Kos, GDI. 3624, b, 73. 3642, 22), Mai-cfaQvog (Archon von Olbia, Latyschew, Inscr. Pont. Eux. I 85), Mai- (fdtag (Athen. Mitt. XIV 316) wiederkehrt; vgl. Deutsche Litt.- Zeit. 1895, Sp. 937. Das zweite Glied ist dasselbe wie in den bosporanischen Königsnamen Uaioi-oädT^g, "Paöauaädig und -oä- öiog^), femer in ^aöulog (in Olbia neben anderen skythischen Namen, Latyschew I 57j und gehört zu skr. cad- {cagadmähe) prangen, sich auszeichnen, gr. y.ey.adith'og. Dass aber üccioi- oddr^g ein iranischer Name ist, folgt aus dem ei-sten Glied, der Praeposition avest. pairi, altpei-s. pariy (vgl. die Nebenform ITccqi- Gccdr^g) : Ilatoioddr^g bedeutet also s. v. a. 7teQLy./.v(.iEvog. Tomaschek (Thraker II 2, 18) hat dies verkannt und eine ganz unhaltbare Erklärung des Namens aufgestellt. Die Praeposition ttchql- steckt auch in UaiQi-aalog, Namen eines Dollmetschers auf einer In- schiift aus Kertsch (Latyschew II n. 86), dessen Sohn den irani-

der Skythen an der mongolischen Theorie der früheren Forscher festhält und die Namen als von den Iraniern entlehnt betrachtet. Ich kann auf dieses Problem hier nicht näher eingehen, halte aber jedenfalls den iran. Charakter der skyth. Sprache für erwiesen. Zu Müllenhoffs Besprechung skythischer Wörter sei bei dieser Gelegenheit noch nachgetragen Hßiy.rj roviioTiv vXaia (Steph. B. u. '^Ylaia' '/cöga ITovrixt]), zu lat. abies (aßiv, Hesych.)?

1) S. Justi, Iran. Namenbuch s. v.

216 YII. Die thrakiscli-phrygisclien Stämme.

sehen Namen 'Pevaivahog führt. Somit muss auch -aäörig iranisch sein, obwohl dieselbe Wurzel auch in den thrak. Dynastennamen 2adalag und ^äöov.og. enthalten zu sein scheint, von denen der erste aber auch in Pantikapaion und in Karien (Tomaschek II 2, 41) vorkommt, also pei-sisch sein kann.

Man beachte nun, dass der Gesandte des Seuthes, dessen Yater den iran. Namen Mc^loäör^g trägt, sich Mr^doGadr^g d. i. ^Mederiiihm' nennt (Xenoph. Anab. YII 1, 5) ^). Eine tlu-ak. Uebei-setzung des ii'an. Mridooädi]^. ist aber vielleicht Mr^dov.og (so hiess der Odrysenkönig, bei dem Seuthes erzogen worden war, Xenoph. Anab. VII 2, 32), durch Dissimilation aus ^h^^6-^OY.og entstanden (wie y.coiuodidäöy.aXog. aus '/.ojt.i(i)dodidao'/.aXog); letzteres iuschriftlich 'Effr^u. ccqx. 1886, 97 f. n. 4 belegt, -doy.og, auch in ^TtaQcc-doY.og 2), ]Aiiid-doy.og, ^agd-Toy-og ^), gehört wahi-scheinlich zu gr. do/Jio, dö/ALiog, doBa, lat. deciis, deceo^), ist also synonym mit -oddrig. Km'zform zu B^do/.og dürfte der thrak. Sklaveu- name 31^dog (Tomaschek II 2, 23 ^) sein. Mii' scheint durch die aufgezeigten Zusammenhänge diese Erklärung der Namen em- pfohlen zu werden; Tomascheks Verknüpfung des Elementes 3Irido- mit gl'. t-ir^dEcc, uedof-iai, armen, mit "Sinn' scheitert jeden- falls an dem a von Machcus. CIL. III 2786, welches lehrt, dass Mriöo/.og mit ion.-att. Vokalismus für IMaöov.og steht ; denn wäh- rend (xijdea altes e enthält (vgl. arm. 7nif, altir. ro-midar 'judi- cavi'), ist Mr^doi aus 3Iadoi (so im Kyprischen), altpers. Mäda entstanden, musste also auch im Thrakischen Mädoi lauten.

1) Vgl. sauromat. Mrjööaaxxog d. i. Mederkraft. Ebenfalls von dem medisuhen Volksnamen abgeleitet sind skyth. Madiijg, in Tanais Mäöaxog, Mddcots (Nachweise bei Justi, Iran. Namenbuch), Madayava (Tomaschek, Thraker II 2, 23).

2) Zum 1. Glied vgl. iran. anagaßägaf ysQQOcpoQoi Hesych.

3) Das 1. Glied wohl zu avest. säro, skr. pj'ras, gr. xaga Haupt.

4) Phryg. Aöxif^o;, Eponym von Aoxi/xiov, deckt sich genau mit gr. 86>cifxog. Vgl. ferner dak. /ioxidava, Asxe-ßaXog. Das begrifflich abliegende skr. dacasydii 'dienstfertig sein' ist fernzuhalten.

5) Auch fem Mrjda kommt in Thrakien als Personenname vor: die- selbe getische Prinzessin, welche Satyros (bei Athen. XIII 557) Mi^da nennt, hcisst bei Jordanis c. 10 Medopa. Dadurch ist erwiesen, dass die Thraker gleich den Hellenen und anderen idg. Völkern (Fick-Bechtel, Gr. Person.-Namen S. 35) die Personennamen abkürzten und dieselbe Person bald mit dem vollen Namen, bald mit der Kurzform benannten.

Thrakisches Sprachmaterial. 21

2. Die Stellimg der thrakisch-phrygischen Sprache.

Wenn wir nimmehi- daran gehen, die sprachHche Stellung der im vorigen Abschnitt behandelten Volksstämme im Kreise der verwandten Nationen und besondei^s ihr Verhältnis zu den Hellenen zu bestimmen ^|. so steht uns hier zwar nur ein frag- mentaiisches Material zu Gebote: immerhin ist es aber reich genug, um uns über die wichtigen Lautverhältnisse und einige morphologische und lexikahsche Punkte ein Urteil zu gestatten- Tom Thrakischen haben wir nur Glossen 2) und eine reiche Fülle von Pei-sonen- und Ortsnamen ^). Für den dakischen Dialekt kommen die dakischen Pflanzennamen in Betracht, welche Dios- korides in seinem Werke /regt v'A)]g iargi/S^g neben den grie- chischen S}'nonymen verzeichnet hat*). Für unsere Kenntnis

1) Die folgende Darstellung ist weniger ausführlich geworden als ursprünglich geplant war, teils um dieses Kapitel nicht zu sehr auszu- dehnen, teils weil inzwischen erschienene Arbeiten hier und da kürzere Fassung erlaubten. Für die Thraker hat Tomaschek das Material fast vollständig gesammelt. Die neuphrygischen Inschriften sind kürzlich von Torp behandelt worden. Zuletzt hat sich Solmsen, welchem ich meine Absicht, diese Sprachreste zu behandeln, gelegentlich mitgeteilt, auf denselben Gegenstand geworfen (Z. f. vgl. Sprachf. 34, 36 ff.) und ist in einigen Punkten mit mir zusammengetroffen; in anderen weiche ich von ihm ab.

2) Zusammengestellt von P. de Lagarde. Gesammelte Abhandlungen S. 278 ff. und Tomaschek, Thraker 11 1, 1 fl\, besprochen auch von Koesler, Z. f. d. österr. Gymn. 1873, 105, Fick, Spracheinheit der Indogermanen Europas 417 ff., G. Meyer, Bezz. Beitr. XX 116 ff.

3) Gesammelt von Dumont-Homolle, Melanges d'archeologie et d'epi- graphie (Paris, 1892) S. 812 ff. und Tomaschek. Thraker II, dessen sprach- liche Erklärungen jedoch zum grossen Teil verfehlt sind. Wer soll an seine Deutungen von Personennamen als Pferdehäuter, Pferdeschlächter, Saustecher, Hammelschlächter, Mama-benetzer (II 2, 23) glauben? Die zusammengesetzten Personennamen der Hellenen, Kelten, Germanen, Slaven. Skythen und Perser reden nur von Ruhm und Kraft, von Kampf und Sieg, von Mut und Klugheit: wir müssen also die Bedeutungen der genau ebenso gebildeten thrakischen Namen im Allgemeinen in derselben Richtung suchen wenn auch Spitznamen den Thrakern nicht gefehlt zu haben scheinen (vgl. KsoaoßXimtjg).

4) Jetzt bearbeitet von Tomaschek a. a. 0. : die sprachliche Erklärung dieser Ausdrücke macht grosse Schwierigkeiten und wirft daher wenig sicheren Gewinn für die uns beschäftigenden Fragen ab.

218 VII. Die thrakisch-phrygischen Stämme.

der phrygischen Sprache ist es von grossem Wert, dass wir hier ausser Glossen ^) und Namen ^) auch eine Reihe von Inschriften besitzen. Sie zerfallen in zwei etwa um ein Jahiiausend aus- einanderhegende Klassen. Die älteren gehören zu dem von Leake entdeckten sogen. Midas-Grab im Thal von Doganlu und einigen anderen alten Felsmonumenten und sind in archaischer, dem ionisch-aioHschen Alphabet verwandter Schrift eingehauen. Sie sind zuletzt von ßamsay zusammengestellt ^) und von Alfr. Körte nachverghchen ^) . welcher noch zwei neue Inschriften entdeckt hat. Die eine der letzteren steht an dem Giebel des von Ramsay, Jomni. of Hell. Stud. 1884 Taf. 44 S. 285, veröftentUchten Mo- numentes von Arslan-kaya ("vgl. Peirot, Hist. de l'art V 156 fi".) über der Nische mit dem Kybelelnld und ist leider so stark ver- wittert, dass wenig zu lesen ist. Körte glaubte folgende Zeichen

erkennen zu können (davor und dahinter noch weitere Buch- staben), also . ..MccTEoav = dor. uär^Qa: dieselbe Form bei Ramsay n. 8. Wahrscheinhch bezieht sich das Wort auf die JlriTriQ ueyd'/.ij, deren Relief bild in der Nische angebracht ist und die in der Inschrift von Ajazin (Ramsay n. 11) fiurag Kv- ßile heisst.

Die zweite Inschrift ist schon von Ramsay bemerkt, aber

nicht abgeschrieben (vgl. Perrot. Hist. de l'art V 106 Anm. 2):

.

1) Die phryg. Glossen sind zuerst gesammelt von Bochart, dann von Jablonsky, Opuscula III 63, de Lagarde Ges. Abb. 283, Fick Sprach- einh. 411.

2) Die phryg. Eigennamen sind noch nicht gesammelt. Wie oben bemerkt, sind hier eehtphrygische und vorphrygische d. i. „kleinasiatische" Elemente zu scheiden.

3) Vorher von Mordtmann, Sitzgsber. d. Bair. Akad. 1862, S. 35; ich zitire nach Ramsay, Journ. of the Royal Asiatic Society N. S. XV 1883 und unterscheide die altphryg. Wortformen von den neuphrygischen durch gesperrten Druck. Aeltere sprachliche Behandlungen der Inschriften von Lassen, ZDMG. 10, 371, Gosche, Verhandl. d. 22. Philol.-Vers. in Meissen, 1863 S. 82 nnd Mor. Schmidt, Neue lyk. Stud. 13G ff. lieber die Felsmonumente selbst Stewart, Ancient Monuments of Lydia and Phrygia; Texier, Description de l'Asie Mineure; Perrot und Guillaume, Exploration archeologique; Ramsay, J.H.St. 1882, 256 ff. und 1884 241 ff.; Perrot, Hist. de l'art V 81 ff.

4) Auf der Inschrift n. 7 steht nach Körte AAY)?T, nicht AAYIT, wie Ramsay hat: offenbar eine Verbalform (3. Pers. Sing. Fut.?j mit dem- selben Ausgang wie neuphr. aSdaxei aßßegeT.

Die phrygischen Inschriften. 219

sie steht an der Felsfassade des Mal-tasch von oben nach unten laufend und steckt zum Teil noch in der Erde. Körte las: ,,Vl VloZ^MITAVl

(der letzte Buchstabe wohl A): vuti /aeSov va...; der Schluss des ei*sten "Wortes erinnert an den yon y.vg'lave'^ov n. 9.

Die jüngeren phrvgischen Inschriften gehören einer bedeutend späteren, nachchristlichen Zeit und sind in ihrer Mehrzahl Ver- wünschungen, in denen dieselben formelhaften Wendungen nur wenig variirt immer wiederkehren i). Sie bilden den Schluss von griechisch abgefassten Grabschriften und richten sich gegen etwaige Schänder des Grabes. Nur in zwei Fällen ist die Grab- schrift selbst in phrygischer Sprache abgefasst. Offenbar sprachen die gebildeten Klassen damals in Phrj-gien ein freilich sehr fehler- haftes Griechisch, die niedere Bevölkerung dagegen, von deren Seite man Grabschändungen am meisten befürchten mochte, nur phrygisch. Im westlichen Phrygien haben sich Inschriften dieser Kategorie noch nicht gefunden. Dass wir auch das Altarme- nische als einen phrygischen Dialekt betrachten dürfen , ist oben dargelegt.

Die bisherigen Versuche, die Stellung des Thrakisch-Phrygi- schen im Kreise der verwandten Sprachen zu bestimmen, sind in ihren Ergebnissen ziemlich weit auseinander gegangen. P. de Lagarde (Ges. Abb. S. 243 ff., besonders 291) erklärte Phryger und Thraker samt Kappadokiern, Paphlagoniern, Karern, Lydem (oder Maioniern) und Mysern für Iranier^). Seine für ihre Zeit gewiss sehr verdienstliche Untersuchung, die das Glossen- material zuerst in umfassender Weise verarbeitete, kann heute schon deshalb nicht mehr für massgebend gelten, weil sie zwei wichtige Quellen unserer Kenntnis, die phrygischen Inschriften und die Eigennamen, noch nicht verwertet. Aber auch schon

1) Die erste Inschrift dieser Art ist von Seetzen entdeckt, weitere später von Hamilton. Ich zitire nach der Sammlung von Ramsay, Z. f. vergl. Spr. 28, 381 ff., zu welcher die von Hogarth, J. H. St. XI 1890 S. 158 f. publizirten Inschriften hinzukommen. Zur Erklärung vgl. Fick, Bezz. Beitr. XIV 50. Ramsay, ebd. 308. Verf.. Aus der Anomia S. 17 ff. Torp, Zu den phryg. Inschriften aus röm. Zeit, Abhandl. d. Wissensch. Gesellsch. in Kristiania, hist.-phil. Klasse, 1894, No. 2, der meine Erklärung der Schwurformel übersehen hat und eine sehr unwahrscheinliche Deutung derselben vorträgt.

2) Auch Gosche a. a. 0. S. 120 stellte die Phryger zu den Iraniern.

220 VII. Die thrakisch-phrypfischen Inschriften.

ohne diese Hülfsmittel konnte.Fick (Spracheinb. der Idg, Europas S. 408 32) Lagarde's Thesen widerlegen und Phryger und Thraker der europäischen Gruppe der Indogermanen zuteilen. In neuerer Zeit ist Pauli (Eine vorgriech. Inschrift von Lemnos, I 1886 S. 21. II 1894 S. 54 ff.) wieder auf die Seite Lagarde's getreten, aber, wie bereits G. Meyer (Bezz. Beitr. XX 123) be- merkt hat, aus Gründen, die nicht stichhaltig sind; er geht in der Deutung der altphrygischen Inschriften in vielen Punkten fehl und verwirft die Benutzung der neuphrygischen ohne zu- reichenden Grund. Ganz zuletzt hat Hirt (Berl. phil. Wochenschr. 1895 Sp. 1143) den Satz aufgestellt, dass das Phrygische nicht mit dem Griechischen, sondern mit Litauisch, Slavisch, Albanesisch, Indoiranisch näher zusammengehöre. Die folgenden Erörte- rungen werden uns zu dem Schluss führen, dass die thrakisch- phrygische Sprache vor allem als ein selbständiges Idiom in dem- selben Sinne wie das Griechische oder Germanistjhe betrachtet werden muss: sie hat Eigenheiten und altes Sprachgut erhalten, welches wir in den verwandten Sprachen vergebens suchen. Wie alle idg. Einzelsprachen, ist sie aber mit den Nachbai-sprachen durch partielle Uebereinstimmungen verbunden, also im Nord- osten mit dem iranischen Dialekt, dessen Träger die Skythen im Norden des Schwarzen Meeres waren, im Westen mit dem Illy- rischen, im Süden mit dem Griechischen i). Ganz besondei"s ist gegen Lagarde, Pauli, Hirt zu betonen, dass sie in sehr wichtigen Punkten mit dem Griechischen zusammengeht.

Um mit dem Yokalismus zu beginnen, so steht hier das Thrakisch-Phrygische, wie zuei-st Fick erkannt hat, durchaus auf dem Standpunkt des Griechischen d. h. es unterscheidet die drei Vokale a, e, o im Gegensatz zum Iranischen, das alle drei Laute in a hat zusammenfallen lassen, und zum Illyrischen, Slavisch- Litauischen und Germanischen, wo o in a übergegangen ist. Belege für o aus dem Phryg. sind der Ausgang des Nom. Sing, der o- Stamm e : (Os = gr. og, skr. yäs\ eriiEti/.uevog Part, und des Gen. Sing, der konsonantischen Stämme: ^'/.evavoXaßog n. 1. 8, ITooi caßo g n. 2. 3: neuphr. deog (diojg). Aus dem

1) Dieses Ergebnis entspricht also völlig der Wellentheorie. Unge- fähr ebenso wie oben hat schon Hehn (Kulturpflanzen* 531) geurteilt, ohne jedoch das sprachliche Material zu übersehen; ähnlich auch Tomaschek II 1, 21. 3G.

Thrak.-phrj'g. Vokalismus. 221

Thrak. ^'Oqolog (mit Umstellung der Liquidae ^'O/.ooog) , dak. Oroles : gr. oQvig, got. «ra Aar, asl. orilü; ferner der Stammvokal -0 in der Kompositionsfuge z. B. ^avQO-y.ivTai, Jeo-ßitog, Rabo- centus, dak, Nato-porus.

Einige Fälle, in denen o abweichend durch a vertreten scheint, erfordern eine besondere Erörterung, welche freilich bei der unzuverlässigen AViedergabe der betreifenden Vokale durch die Griechen und Römer und bei unserer dürftigen Kenntnis der Sprache zu keinen sicheren Resultaten führen kann, öäog.' ... VTTO (Dqv/cov lvy.og Hesych. hat Fick (Spracheiuh. 412 f.) mit gr. -d-iog Schakal {d-coß = d-oßo) und Wurzel dJui -stürmen' ver- bunden i); ich stelle daßog zu asl. daviti Avürgen, so dass der "Wolf als der Würger bezeichnet wäre ^).

Mehr Schwierigkeiten macht thrak. -TtciQog, -rcaou als zweites Glied von Ortsnamen wie Jtoöonaqog, Bginagog, Bessapara, Dardajmra, Dntzipara, BoarcaQa, welches Fick (a, a, 0. 423) ansprechend als -Furt', gr. ixogog, mhd. var Ueberfahrt, erklärt hat (Tomaschek II 1, 16 als l u 7t c qiov Marktort). Die Annahme, dass das Thrakische o in a gewandelt, das Phrygische dagegen 0 bewahrt habe^), wäre an sich denkbar (vgl, di2iZ\\Paralisensium neben IIoqoIigoov, Tomaschek II 2, 65): es bleiben aber dabei die vielen thrakischen o unbegreiflich, sowie die gleich zu erörternde Thatsache, dass o mit n wechselt, also geschlossene x'iussprache gehabt haben muss. Das a von para lässt sich verschieden er- klären; entweder liegt hier die Vokalstufe T = gr. ao vor denn bekanntlich ist Reduktion der Wurzelsilbe bei primären «-Stämmen nicht selten {qvyr^ = lat. fnga., boi. ßavä) oder Ttaqa ist aus neoa entstanden, wofür ich mich freilich auf "loyi- Tti'oa, JjQia/.ovrveQa bei Procop (Tomaschek 11 2, 63; vgl. auch Druzipet-a, JqiliTieQCi neben Druzipara) nicht berufen mag. Der

1) Dagegen wendet sich mit Recht Solmsen, Z. f. vgl. Spr. 34, 49,

2) Die Zugehörigkeit von asl. daviti zur a-Reihe ist jedenfalls mög- lich; sie wäre sicher, wenn gr. daico brenne, öaFiog verwandt wäre, eine Annahme, die zwar semasiologische Schwierigkeiten bietet, aber kaum zu umgehen ist. Man vergleiche lit. dovyti quälen = asl. daviti, got. af- dauips erschöpft, skr. dunömi brenne, quäle, gr. 8vt] Qual, ödiog unglücklich (Curtius, Etym.^ 232). Die schwache Wurzelform du- zeigt das Thrakische in dak. 8vv 'Brennessel' (Tomaschek II 1, 31).

3) Jetzt von Solmsen a. a. 0. 49 wirklich aufgestellt. Roesler, Z. f. d. Ost. Gymn. 1873, 106, zog para zu gr. nöXig, skr. pur-.

222 vir. Die tbrakisch-phrygischen Stämme.

Wandel von er in av, der auch im Lokrischen, Delphischen id6Quct, BCH XIX 12, D, 36. 37) und Ehschen auftritt, ist für das Phrvgische durch uaraQ Ki ßiXe n. 11 bezeugt, was ich als Vocativ = dor. uareo Kirje'/.ct auffasse, da (I im Phng. erhalten bleibt, und hegt vermutlich auch in thr. JaXaTagßa gegen Tegßog (Tomaschek II 2, 74), ^aoy,ri : ^eo/Jg (a. a. 0. 42) vor. Auch die ^-Stufe kommt bei ä-Stämmen vor: gr. OTayti, asl. zena u. a.

Den zweiten Teil des odrysischen Ortsnamens Uscu-dama haben Roesler (Z. f. d. öst. Gymn. 1873, 107) und Pauh (a. a. 0. I. 21) zu gr. dioLia, dofiog. skr. dämas gestellt. Aber abgesehen davon, dass hier die Stufe 'm = thr. phr. am, gr. a,t/ (gr. ödu-aQ) ' vorhegen könnte, ist die Etymologie nicht sicher : man kann auch an air. dam aus *dama. gr. dauog 'Gemeinde' denken.

Auch sonst begegnen wir mehrfach einem Wechsel von a mit 0 oder e, der gewiss zum Teil auf Rechnung der schwanken- den griechischen Umschreibungen kommt, zum Teil vielleicht auf wirklichem Lautwandel beruht z. B. ^v/.ov'Zivr^g, Auliuenus, Diuzenus und -Av'KöZavog , Aidusanus; Mucasenus (senes, -o£vr]g) und Mucazanus, Zatiia, Ndorog und Xeorog (Steph. B. u. Ndarog). Besonders in Dacia häufig, aber nicht auf diese Provinz beschränkt sind die ÜFtsnamen auf -dava, -data -da ja, später -dera , -de-ia: Pidpudcva , ^lovQidißa, Zr/.idißa, ^■/Miötßa neben Scaidava. Dass dava von Wz. dhe- mit Suffix -vä (wie z. B. in asl. i^Uva) gebildet ist, kann wohl als sicher gelten: es enthält dann vielleicht die schwache Wurzelform dhä- (lat. fäcio, skr. dhifd-) i). Im Armenischen begegnet ebenfalls mehrfach ein a, wo wir o (oder e) erwarten z. B, akn Auge, gr. oooe; ich bin nicht gerüstet, diese Vokalverhältnisse zu erklären; Bartholomae's Ausführungen (Bezz. Beitr. XVII 91 ff.) scheinen mir jedenfalls noch nicht die Lösung der Frage gebracht zu haben 2). ^

1) ZsvtSat füi" üavddat kaun auf volksetymologischer Anlehnung an gr. aevoi beruhen, denn Cornutus 30 erklärt es thatsächlich dnrö zov aeveiv. Das ebenso ZeßdCio; volksetymologische Umformung von ZaßdCtog ist oder sein kann, ist bereits oben bemerkt.

2) Unklar ist noch trotz Tomaschek II 2, 49 und Justi, Iran. Namenbuch 165 das Verhältnis von Koitoaaovt] (Gattin des bosporanil sehen Königs Pairisades I , Ende des IV. Jahrb.) und Ka/naoagvt] (Gatt des Pairisades III., II. Jahrb. v. Chr.). Dass darin skr. kama- 'Liel Wunsch' stecke, ist wegen des Vokalismus von Kofio- unwahrscheinlic Ich vermute, dass die jüngere Form Kafiaaagvt} auf ..Iranisirung"

Tbrak.-phiyer. Vokalismus. 226

Unter gewissen Bedingungen scheint ö im Phr. und Thr. sogar in u übergegangen zu sein, war also hier von offener Aus- sprache weit entfernt. Im Phr. ist auslautendes -on zu -un ge- worden, wie im Slavischen, wo -oin, -ons in -u>i, -uns (daraus weiter -ü, -//) übergegangen ist '). Ganz deutlHch ist dies auf den neuphr. Steinen : hier wird im Nom. Sg. der o-Stämme stets -og geschrieben, durchweg log, enieci/Mevog, ^j£og n. 18. deoc, öicog, dagegen 10 mal /.cr/.ovi' neben 5 mal y.a/.ov. Das kann kein Zufall sein und schliesst auch die Annahme aus, dass -og auf Einfluss des Griechischen beruhe , denn von diesem hätte ebenso der Accusativausgaug -nv betroffen werden müssen 2). Auf den altphr. Inschriften findet sich ebenfalls durchweg -og: ^/.e- vavoKciFog n. 1 8, ÜQOiTaßog KqiZavaßElog n. 2. 5 u. a., aber zweimal -ir: a/.aQuXao vv n. 3, FevuFxvv n. 7 (nach Torp S. 10 = laviöv) ; doch ist nicht sicher, ob es sich hier nicht um t/-Stämme handelt, denn auf der Körte 'sehen Inschrift n. 2 heisst es vav i ue'Iov, bei Ramsay n. 9 y.vQlave'lov.

Auf griechischen Inschriften aus Phrjgien und Thrakien be- gegnen öfter männliche Namen auf -ovg : BaSovg (Kotiaion) Lar- feld, Bursian Müllere Jahresber. 66. Bd. S. 122, Ramsay Z. f. vgl. Spr. 28, 386; ^An:cpovg (Bithynien), Perrot, Explor. arch. 59 n.43, ['^J^^oug (Bithynien) Athen. Mitt. XII 183, ^^Jtnovv Acc. Ramsay a. a. O.; Oiadovg (Ikonion) Pap. Amer. School II n. 194; ToQ/.ovg (Serrae) BCH. XV 664, Jcoo/.ovg ebd.; Uiaroig (Ha- drianopel) Dumont-Homolle Mel. d'arch. S. 361 n. 62** ^) ; Bao- oovg, Mordtmann Athen. Mitt. X 315 *}. Nach den dargelegten

bithynischen Kojxooaovr} beruht. komo- auch in dak. Como-sicus . Ko- fiidava.

1) Auch im Lokrischen wurde -ovg und seine Fortsetzung -ös mit ge- schlossenem 0 gesprochen, wie aus der Schreibung OV > im Acc. PI. gegen- über 0 im Gen. Sing, der o-Stämme, IGA. 321. 322, hervorgeht.

2) Falsch urteilt m. E. über xay.ovv Solmsen a. a. 0. 55, der aber wie vorher schon Torp den auch ganz zweifellosen Wandel von phr. ö in ü richtig erkannt hat. üeber as/itovv s. unten. Die Endung von CsfxsXsv bei Hesych. kann ich nicht erklären.

3) üioxovg Bi&vog amo FivovXwv i?) evyaoiozrjoiov. Homolle S. 547 sieht üiOTOvg als Fem. an (= ncatco), was freilich auch angeht.

4) Auf die an der Nordküste des Pontos häufigen Personennamen auf -ovs (Boeckh, CIG. II p. 117) wie 'H^ovg, Siayovg, Safißovg (Gen. -ovTog) gehe ich hier nicht ein.

224 YII. Die thrakisch-phrygischen Stämme.

Verhältnissen verbietet es sich, dies -oig aus -og abzuleiten i) : es steht ja auch auf demselben Stein ToQy.og neben Tog-Kovg, Jio- OTioig, ^^vöoorca'iog neben Ldrfq^ovg. Vielmehr ist -ocg als -üs aufzufassen; denn -Us, woran man noch denken könnte, wird von den Griechen meist durch -vg wiedergegeben, vgl, Eozvg, Bid^vQy Bel&vg auf demselben Stein wie ToQ/.ovg. Die Litteratur giebt jenes -üs durch -vg wieder: Baßoig deckt sich oifenbar mit dem Baßig des Sprüchwortes /.axiov rj Bdßvg avXel Athen. XIV 624 etc. und Bäßvog yoQÖg; denselben Xamen führte der Vater des Pherekydes von Syros (vgl. Bergk PLG. n S. 24). Für ^^ftcpovg ist^^7t(pvg geschrieben in Philadelphia. Le Bas IH 661. Dies -üs ist eine hypokoristische Endung, die auch im Griechi- schen auftritt. Phryg. LdTiqovg ist mit dem theokii tischen 07tqxg genau identisch. Auch ^'IrtTtvg, !£evvg sowie die von mir auf attischen Vasen nachgewiesenen Qr^ovg, Tvdvg, Nr^gcg, Olrvg (Griech. Vaseninschr. 193) können hierher gehören ; die Quantität des i- ist fi-eilich in diesen Fällen nicht bekannt. Andere zu be- urteilen sind ToQy.ovg, z/ioay,ovg, offenbar Kurzformen von Toq- y.ovTtalßr^g (wo ov = ü, nicht = o ist, wie ToQ/.ovaxog lehrt), bezw. Dioscuthes CIL. III 703.

Im Thrak. ist das -o- der Kompositionsfuge geschlossen aus- gesprochen worden und wird daher öfter mit ov, lat. ii bezeichnet z. B. Diiizenus neben Dioscuthes, AuUizanus, ^vlov'livrig neben ^v'/.olavog^). Vgl. ^Iov/.anoQig neben ^Ioy,a7ioqig.

Diese Aussprache scheint im Phiyg. dem langen ö durchgehends eigen gewesen zu sein, eine bemerkenswerte Uebereinstimmung mit dem Armenischen: vgl. arm. tiir Gabe = övjqov, ein ich gab, hiim roh = cjuog (Bartholomae Bezz. Beitr. X 293). ov = ö^) in neuphr. eitov, dem entlehnten spätgriech. t\rio für soiv) (Winer- Schmiedel, Gramm, d. neutest. Sprachidioms* I 117); ooqov = gr. ooQ(p; ylovQog Gold (Hesych.), eig. das gelbe Metall = gr. y'/MQog; öovuog '(JjvoJoc' auf einer Inschrift von Maionia, Fick Bezz. Beitr. XIV 51 = got. döms, altnord. domr, angls. dorn

1) wie Solmsen a. a. 0. 57 für möglich hält.

2) Torp S. 20 will in ' Paay.ov-Ttoh; und ähnlichen Fällen Genitive {ov aus ö) erkennen : aber da in Mucaporis , ' PaiaxrjTioQig (Mitt. ans Oest. XVIII 108} keine Genitive enthalten sein können, ist diese Annahme trotz Deos-por mit dem Gen. Atog- nicht zwingend.

3) Vgl. Torp S. 6. Solmsen S. 52.

Thrak.-phryg. Vokalismus. 225

Urteil, Gericht; ßedv 'AVasser' ist wohl als irdä aufzufassen und aus *vedö entstanden mit demselben Ausgang wie lit. vandü.

Derselbe Wandel von ö in n lässt sich für das Thrak. wahr- scheinHch machen. Von Drules neben Droles (Tomaschek II 2, 36) kennen wir freilich nicht die Quantität des Wurzelvokals und l^oy.oiveg, doch wohl für *^^Qy.cdrEg, kommt erst l)ei Procop vor. Aber die Frauennamen auf -u dürfen wir wohl als Belege gelten lassen: Sicu (Dat.) CIL. III 707, Sulu? 6150, 2, 17, Bentu- sueti 6145; ich stelle sie den griech. Femininen auf -oj wie uiriTio , ßioj, ^^QTmii gleich. Die Griechen haben die thrak. Endung zu -ovg umgeformt in Anlehnung an ihre Feminina auf -ovg wie Ziooii-iovg, die auch aus solchen auf -oj hervorge- gangen waren, aber nicht auf lautlichem, sondern auf morpho- logischem Wege: thr. Oiai^iotg, Athen. Mitt. X .321; Mucapus CIL. VI 3215 (Gen. Mucapuis CIL. IH 809).

Im Makedonischen Hegt ü für ö vor in a x oovvo i. oool vtco Ma- y.edövcov Hesych., wenn dies für av.QOivoi steht, gebildet wie gr. -aoIi»- v6g. Sehr bemerkenswert ist nun aber, dass diese für Armenisch, Phrygisch. Tln^akisch und Makedonisch nachgewiesejie Aussprache des ö auch auf griechisches Gebiet übergreift, denn es ist gewiss nicht zufällig, dass gerade im Nord griechischen, im Dialekt der Thes- saler, w in ov übergegangen ist, wie in der nördlichen Nachbarsprache. Auch im lUpischen werden wii' diesem Vokalwandel liegegnen.

Ein zweites Beispiel eines solchen Uebergreifens sei hier gleich angeschlossen. Im Thr.-Phr. wechselt 1 häufig mit e vor Vokalen: neuphr. ÖEog neben diojg\ ßsog vielleicht aus ^ßiog (s. S. 234), vgl. arm. keam aus *gira- (Hübschmaun, Arm. Stud. I 35). Auf phryg. Einfluss beruht offenbar auch das £ statt t vor Vokalen im klein asiatischen Griechisch: ^^a/.Xr^TTSodcjQog st. iriay.Xri^icdioQog, Sterrett Pap. of the Amer. School III n. 477—80, B, 6£; sehr häufig Jet statt Jil (z. B. Sterrett a. a. O. 597), vgl. neuphr. dsog. Im Thr. wechselt Jeo-, Den- (Jsoßitog, Deosjjor) mit Bio- Biii- (Bhizenus^ Bioscuthes); auch z/eovvoog, JEvvvoog gehört hierher (s. unten S. 241). EndHch hat auch das Makedonische in demselben Wort e für i: ivdecc /.lear^ußgla. May.edovEg (Hesych.). Von da aus ist dieser sonst dem Griechischen fremde Vokalwandel auch in's Nordgriechische eingedrungen, wie thess. ^aTQOieav = att. Ttaxqioiav beweist (anders Hoffmann, Gr. Dial. II 322).

Während auf den neuphr. Inschriften durchweg eixov mit

Kretschmer, Einleit in d. Gesch. d. gr. Sprache. 15

226 VII. Die thrakisch-phrygischen Stämme.

Ol' geschrieben ^vird. erscheint ebenso regelmässig 'leuehj (bei Hogarth n. 2 '^eue?Mg) mit w. Daraus folgt, dass dieses co nicht altes ö darstellen kann, welches dem AVandel in ov unter- legen wäre, sondern vielmehr wie im Jjit. und Germ, aus ä ent- standen ist. Hierzu stimmt aufs beste die früher (Aus der Anomia S 18 ff.) von mir vorgetragene Annahme, dass ^euelto mit 2eiieXä. dem Namen der thrakisch-phrv-gischen Erdgöttin, zusammengehöre : leueXio ist Gen. Sg. wie das damit durch y.e verbundene deog^), also aus *L*£u^^-^S ^^tstanden, das schHessende s nach langem Vokal geschwunden (erhalten nui* 1 mal in der Inschrift bei Hogarth). In diphthongischer Verbindung mit / unterlag ä diesem Lautwandel nicht, wie xa uar/.ai n. 2 (Dat. Sg. eines fem. «-Stammes), aa ooQOi n. 21 lehren. Im Altphr. ist ö für ä nicht sicher nach- weisbar, vielmehr ist hier ä in Wurzelsilben deutlich erhalten in LiaraQ n. 11, uazsoav n. 8, uaregsg n. 7. Auch ^xe- vavo'/.aßog n. 1 enthält in 3. Silbe langes ä, wie ^^/.Evrivot (St^rrett III 564) mit ion. i] für ä beweist. Dem Thrak. und Armen, ist der Wandel von ö in ö. soviel ich sehen kann, eben- falls fremd.

Aus der Reihe der übrigen füi' den vorliegenden Zweck weniger belangreichen Vokalveränderungen ^) sei noch die folgende besonders hervorgehoben. Derselbe eordaeische Fluss wird teils Avdiai (Herodot, Eurip.,, Skyl.), teils ytovdiag. (Strab. VII 330), teils Aoidiag, von Plinius IV 10, 17 Blwedias genannt. Von gleicher Art ist augenscheinlich der Wechsel von 3Ivaoi und 3Iotooi, lat. Moesi , ferner von '^ Pvu^TaX/.rig (Piuet., ^PvfAir., ^PtüfXBTahy.rjQ) , Rmnitalca (Aram. Marc.) und '^ Po tu ijrdXy.ag (auf Steinen und Münzen,TomaschekII2, 28). \on Bige^StaTag, Bunista (vgl. BoiQ/JvTiog, Bo^Q^6t^r^g, Bunis, dak. BovQtöava) und Bot- QBßiOTag, von bithyn. Jvdaloög (Memnon FHG. III 536) und Joidalarjg, womit weiter Dydix, Dudis und der Ortsname

1) Diese Erklärung scheint mir (trotz syntaktischer Schwierigkeiten, die ich hier nicht erörtere) noch immer dem Vorschlag von G. Meyer (bei Gurlitt, GGA. 1892, 514 und Alban. Stud. 111 21 Anm.) vorzuziehen, welcher Sko; xe Cf/xcAo>» als Acc PI. 'ovQat'iov; xal y&ovt'ovs^ deuten will. Idg. deivos wird wohl durch den Eigennamen JeTo; (Bulgarien , Mitt. aus Oest. XVIII 108, Kurzform?) vertreten.

2) e wechselt zuweilen mit i', war also geschlossen: neuphr. aifiovr n. 25 (worüber unrichtig Torp S. 11), aßßioero auf demselben Stein; thr. Mlvdrj neben Mevdtj (vgl. MirSago;), iÜQßt] CIA. I 42 ,9 = dsQßt).

Thrak.-phryp:. Vokalismus. 227

Joidvi] zusammengehören können (Tomaschek II 2, 35), von phryg. Mvxag (Apameia Kibotos, Rev. des etudes gr. II 31 und Moirai; (BGH. XVII 246), bithyn. Zeinvzrfg (Suid. s. v.) und ZEinoivr^g, ZiTtoiTrjg , Zvitoizrig, lat. Zihoeta = ZißotTrjg. Es liegt nahe . diesen Wechsel mit dem griech. Ueber- , gang von oi in v (= ü) und dem lateinischen von oi über oe in ü zu vergleichen. Aber verschiedene Gründe deuten für das Phr.- Thr. auf die umgekehrte Richtung des Lautwandels. Das thra- kische Volk nennt bereits der epische Dichter (N 5) Mvaol, während Moiooi nicht vor Strabon begegnet; dass das ol aller- dings viel älter als das I. Jahrhundert v. Chr. ist, beweist Aoi- öiag bei Hekataios. Ferner hat Tomaschek (II 2, 16 f.) das erste Glied von BvQe^iiOTag, BovQ-^evTiog, BovQidava sehr ansprechend mit skr. bhüri- -viel, reichhch', lit. büris, lett. bro'a -Haufe, Herde' zusammengebracht ^). Ist aber der w-Laut älter als das oi , so hätten wir es hier mit einem Lautwandel zu thun, welcher an einen armenischen Vorgang erinnert. Nach Hübschmann (Arm. Stud. I 62) ist eu und ou hier in oi, in nichtletzter Silbe u, übergegangen ; Bartholomae (Bezz. Beitr. XVII 99) scheinen nur die Belege für oi aus ou sicher z. B. phoith = gr. orcovdr^. Diesem Laut- wandel unterlagen auch die in älterer Zeit aus dem Iranischen aufgenommenen Lehnwörter, wie yoin "Grieche' = ymma, kapoit blau = *kaj)ai(ta (Phn. Capotes). Nun findet sich oi an Stelle von av (ov, co) auch in den griechischen Umschreibungen pei-si- scher Personennamen, '^Poiady.rjg neben 'Pwaaxrjg (zu altpers. raucah- Licht, Tag) ^4vToiioiacy.r]g (zu pers. böytan) u. a. Da diese Namen z. T. „Personen angehören , welche ihren Wirkungs- kreis in Kleinasien (Phrygien und Lydien) hatten", so hat Mar- quart (Philologus, VI. Suppl.-Bd., S. 637 f ) geschlossen, dass der Wandel von ou in oi den Phrygem mit den verwandten Arme- niern gemeinsam war und jene Namen durch armenisch -phiygische Vermittlung der Griechen bekannt geworden sind. Diese an sich etwas gewagte Hypothese erhält jetzt ein Interesse durch den obigen Nachweis eines Wechsels von ü mit oi im Thrakisch-Phry- gischen. Freilich würde hier insofern eine Differenz bestehen.

1) Auch seine etymologischen Deutungen von Aovdiag (,,Wz. leudh- steigen, wachsen: frei werden, enteilen, skev&ojT^ II 2, 96), 'Pv^j^raA;«»;?, Ai'bakaog würden den «-Laut als älter erweisen, wenn sie nicht eben sehr unsicher wären.

15*

228 VII. Die thrakisch-phrygischen Stämme.

als im Armenischen oi aus ou entstanden ist, während der Laut, den die Griechen teils mit v {3Ivooi, ylvöia^, BvQsßiGtag), teils mit Ol- (yiovdiac, BoiqyJvtioc) umschreiben, kaum etwas anderes als ü gewesen sein kann. Man könnte- die Frage autwerfen, ob nicht ou erst durch ü hindurch 7m oi geworden sein kann wie idg. ü im Armen, veiireten wird, ist bisher nicht festge- stellt; es fehlt an unzweideutigen Beispielen (vgl. Brugmann, Grundriss I 46) aber wahrscheinhch ist dies gerade nicht: also non liquet.

Zweifelhaft bleibt, wie eii im Thrak. vertreten ist. G. Meyer (Bezz. Beitr. XX 124) schliesst aus 'leTgaia = yvvQa, dass eu wie im Albanesischen zu e geworden sei: lezQCi- aus lev-TQa-. Tomaschek andererseits vergleicht den thr. Frauennamen Tiovra TiovTT] (Dumont-Homolle Mel. d'arch. S. 338 n. 47. 337 n. 45) sowie den Ortsnamen Tintiamenus (vgl. auch phryg. Qiovvzal) mit illyr. Teufa, got, ^iuß 'Segen' , wofür ich lieber P'nida 'Volk' setzen A\ürde, da illyr. Teiita doch Abkürzung einer wie gall. Teutomatus gebildeten Komposition ist: in findet sich auch sonst noch, so in Diur-danus, Diur-paneus (Dmppatieus , Dorpayieus, Tomaschek II 2, 32), wo es etymologisch unklar ist; in Diuzemis geht es auf i(v)o zurück. Drittens begegnet aber auch eii und damit wechselnd au : dak. Tautomedes gehört doch wohl zu *teiitä Volk (Tomaschek II 2, 38); ^evd-tig, SeiUes, bei Jordan. Get. c. 5 (p. 648 Momms.) Zeiita (daneben Sautes CI L. X 3590) stellt Roesler (Z. f öst, Gymn. 1873, 114) zu avest. zaotar Opferer, Es handelt sich hier vermutlich um dialektisch verschiedene Ver- tretung.

Im Thrakischen zeigt sich mehrfach Synkope eines kurzen Vokals in der Nachbai-schaft von r. Für älteres ^TcctQÜöoAog (auf Münzen, BGH. III 409 ff.) begegnet später nur l7tctqTO/i.oq (Meisterhaiis, Gramm, d. att. Inschr. 61) und mit Anlehnung an Suffix -ako- -iko-: 2"7raora/og, Spartarus , Sparticus (To- maschek II 2, 44). Neben Boigi-daia (vgl. skr. bhüri-) liegen BovQ/JvzioQ, Bo\Qd^eldy]Q (Mitt. aus Oest. XVII 197), neben BoiQEßiaiac Burvista. Auch in Diiirdanus (2. Glied zu gr. drn'og?), Dhirpanens dürfte nach r ein Vokal ausgefallen sein. Diirze CIL. VI 228 neben Durazis Ath. Mitt. XIV 160. Diese Synkope ist deshalb bemerkenswert, weil sie den Schluss erlaubt, dass das griechische Dreisill>engesetz in der thrakischen Nachbar-

Mediae Aspiratae im Thrak.-Pbrver. 229

spräche keine Geltung hatte, denn betontes a wäre doch wohl in ^TiaQctdov.og nicht geschwunden.

Im Konsonantismus tritt das Phrygisch - Thrakische in mehreren (doch nicht in allen) Punkten zum Griechischen in Gegensatz und stellt sich auf die Seite des Iranischen und Slavi- scheu. Die Mediae Aspiratae bh, dh, gh sind wie in allen nord- idg. Sprachen, Iranisch und Albanesisch eingeschlossen, durch Mediae vertreten z. B. neuphr. aß-jeQti : gr. e'^ege, adöav.ei : gr. ed^/.e, ykovoög : gr. yj.wocg: thr, ■iQVTog, ßQOixog 'Bier' : lat. de- fvntiim eingekochter Most, ahd. hrimvan brauen: öi'log dua (in Ortsnamen wie Tarpodizos, Troodi'^a} : altpers. didä avest. daeza, gr. relyog. Dass aber der Verlust der Aspiration bei den Phrj'gern erst nach ihrer Einwanderung in Kleinasien fällt, müssen wir aus dem Verhältnis von (ÜQvyeg zu Bocyeg schhessen. Schon Herodot (VII 73) hat den Sachverhalt richtig aufgefasst, wenn er sagt, die Briger hätten bei ihrer Ueberwanderung nach Asien mit dem Wohnsitz auch ihren Namen in Phryger geändert: nur müssen wir annehmen, dass derselbe damals noch mit bh, nicht b anlautete. Den griechischen Kolonisten muss er, als sie an der kleinasiatischen Küste mit den Phrygern zusammentrafen, noch in der Form "^Bhniges entgegengetreten sein; er ist dann in ihrem Munde zu Phriiges = WQvyeg geworden, sei es dass sie in jener Periode seihst noch bh sprachen und jener Name daher dem später eintretenden Wandel von bh in ph unterlag, sei es dass sie für die phryg. Media Aspirata ihre Tenuis Aspirata substi- tuirten. Ein zweiter Fall derselben Art wurde bereits oben er- wähnt: derEponym der Beoe/.vrreg führt im Troerkatalog, 5 862, den Namen (Döo/ug. Die Griechen haben also noch "^ Bherekunt- gehört, das bei ihnen zu (Deoev.vvt- wurde, und dann den Namen des eponymen Heros *(I>iQ€/.vg dem ihres OÖQ/.vg, an welchen er sie erinnerte, volksetymologisch angeghchen ^).

Von Bedeutung ist, dass das Thrak. -Phryg. in der Vertretung der vorderen Gutturalreihe auf der Seite der sa^^m - Sprachen

1) Tomascheks Ansicht (I 29), die Griechen hätten schon „zu jener entlegenen Zeit, als sie westlich vom Axios hart neben phrygischen Stämmen sassen und als noch die ursprüngliche Media Aspirata bh deut- lich gefühlt wurde, zuerst Bhrug- , dann gemäss der Lautverschiebung Phriig-, <^Qvysg ausgesprochen", ist mir so wenig wahrscheinlich wie Solmsen.

230 VII. Die thrakisch-phvygischen Stämme.

steht 1) : die Palatale erscheinen als Zischlaute , die Tenuis als a, die Media und Media Aspirata als T, aber auch als a, lat. s, z.B. neuphr. (7€,aoiv 'diesem' : asl. semu] «e^agAw {2£(.iiXa) 'Erde' : asl. zemlja, gr.xauai'^ CiXv.Lct ^'Kayava' (Hesych.) : asl. 2;e7o Kraut; LEv/uav ' rr^v Ttr^ytiV : gr. xeviua, skr. höman-; thr. diuog, di'^a : gr. rer/OQ. Aber wie das Litauische und Slavische zeigt auch das Thrak.-Phryg. einige Ausnahmen von der Regel, von denen zwei sogar ihre genaue Parallele im Baltischen haben. Der Name der phrygischen Stadt L^X|UOv/a lässt auf ein phr\'gisches akmon- schliessen , welches in der Vertretung des Palatals mit ht. akmü gegen skr. ägman- zusammentrifit. Ferner dürfen wir aus der Bemerkung Piatons im 'Kratylos' (p. 410), dass das phryg. Wort für 'Hund' ähnhch laute, wie das griechische ^), mit einiger Wahr- scheinHchkeit ein phryg. kun- (oderÄ;a«-?) 'Hund' folgem, das wieder zu lett. l'una 'Hündin' gegen skr. gun- stimmt; wenn das phryg. "Wort mit einem s-Laut begonnen hätte, wäre die Aehnlichkeit mit dem griech. /.vveg nicht mehr so auffällig gewesen 3). Ein dritter Ausnahmefall ist yälaqog- adeXcpov yvvif OgcyiaTi (Hesych.), yd?.laQog' QQvyia/.6v ovo/ua (rcau Aä/MOi)^ wenn dies Wort mit gr. ya?,öcog, lat. glös, asl. zlüva 'des Mannes Schwester' ver- wandt ist.

Für die j-Reihe müssen wir im im Thr.-Phr. einfache Guttu- rale (Ä:, g) erwarten, denn so sind die Velare mit ?t-Nachschlag in allen s«<6w?-Sprachen vertreten, besondei-s auch in der armenischen,

1) Dies kann jetzt wohl als gesichert gelten. Fick (Spracheinh. a. a. 0.) hatte behauptet, dass das Phr.-Thr. für die Tenues Verschlusslante, für die Mediae Aspiratae Spiranten aufweise, hat aber diese Ansicht Bezz. Beitr. XIV 50 mit Recht wieder aufgegeben: sie wird durch phr. ai, aeuovv widerlegt. Hirt (Idg. Forsch. II 143 ff.) nahm durchweg Ver- tretung der Palatale durch Explosivae an und Hess die C von ^eXxia, ä^r^v usw. durch Assibilation eines g vor hellen Vokalen entstehen. Da er seine Theorie bereits selbst zurückgezogen hat (Berl. philol. Wochenschr. 1895 Sp. 1143), so wäre ihre weitere Erörterung gegenstandslos; wider- legt wird sie namentlich durch öil^o? dtCa. Gegen Hirt G. Meyer Bezz. Beitr. XX 147. Torp S. 4 ff. Solmsen S. 36.

2) "Oga Tolvvv xai zovxo ro ovofia ro :ivq firj xi ßaoßaQixov fj. tovxo ytiQ ovxe oqdiov ngoadtpat ioxiv ' EXXrjvixfj qpcovf}, (pavegoi x slaiv ovxtos avxo xaXovvxt? 't'Qvytg , auixQOv xi jiagaxXivovxeg ' xal x6 ye vdcog xal xäs xvvag xni ä/.Xn :xoXXd.

3) Ebenso schliessen Fick und Hirt (vgl. auch Bradke, Methode d. ar. Altertumswiss. 67), anders Torp. S. 7.

Gutturale im Tbrak.-Phryg. 231

der nahen Verwandten der phrygischen. Diese Erwartung wird durch phr. *germos warm = skr. gharmd-, altpers. garma-, gr ^€Qf.i6g, lat. formus, altpreuss. gorme bestätigt: wir er>chliessen das phr. Wort niit Sicherheit aus den phr.-thr. Ortsnamen Fegi-Dp Fegf-ial , Fegf-iarij , Germizera, welche s. v. a. gr. Oegtual Svarme Bäder' bedeuten ; näheres bei Tomaschek II 2, 88 ; vgl. Ramsay, Geogr. of Asia Min. 224. Für Germizera, Gennisara hatPtolem. III 3, 8 die Variante ZeQuiuQ'/a: handelt es sich hier nicht um einen Schreibfehler, so steht -equi- auf einer Linie mit armen. jerm 'warm' d. h. g ist vor hellen Vokalen wie im Slavischen zu z oder einem verwandten Reibelaut geworden, welchen die Griechen nur durch ihr '^ A\"iederzugeben wussten: vgl. MüUenhoff Deutsche Altertumsk. III 163'). Diese Lautentwicklung erinnert an den phr. Wandel von di in li, auf welchen oben hingewiesen worden ist (Ia;-^äZiog) und den Tomaschek in dem thr. Zerna = Jieova, Tier na (Belege bei Forbiger, Alte Geogr. III 758) mit Ver- gleichung des dak. Pflanzennamens rcQo-diogva (v. 1. rcoo-diaova) •Schwarzwurz' wiedei-finden will (II 1, 33. II 2, 71). Auch in dem thr. Gottesnamen ZßiXd^iovodoQ, ZißeXoovqdog, Suelsurus (Dumont-Homolle Mel. d'arch. 381) düi'fte das Schwanken der Orthographie auf einen „irrationalen Spiranten" weisen. Man vergleiche noch das Nebeneinander von Qvußoalog, ZiußQcäog, Jv(.ißqLog (Steph. B. u. Qvußoa), das auf Rechnung der phiy- gischen Bevölkerung der Troas gesetzt werden kann, Koiicieiov und Kooideiov (Steph. B. s. v.). Hierher gehört auch ßQi^ct 'Roggen', das G. Meyer (Bezz. Beitr. XX 121) aus *vrugjä asl. rüzi, Ht. rugys Roggen erklärt hat.

Ein merkwürdiges Schwanken zwischen g und z zeigt die Ueberliefenmg des phr. Stadtnamens Manegorduni im Itinerarium Antonini p. QQ. Der von Parthey und Binder bevorzugte cod. P = Scorialensis hat Manegordo, OQTUV manezardo , die übrigen Handschriften, darunter der mit P gleich alte Vindo- bonensis manezordo. Es scheint mir unmittelbar einleuchtend, dass wir es hier mit einem Kompositum der Bedeutung 'Manes- burg' oder *Manesstadt" zu thun haben, dessen zweites Glied dem

1) Wenn Hirt Jdg. Forsch. II 147) sämtliche thr. -phr. ^'f in dieser Weise erklären wollte, so widersetzen sich dieser Annahme die zahlreichen Beispiele für unverändertes ye, wie Fsouf] selbst, thr. Fhai, Fivovxka, G'esfistyrujH, welche die Entwicklung von ye zu als jüngeren Datums erweisen.

232 VII. Die thrakisch-phrygrischen Stämme.

asl. gradü Stadt, eig. Mauer. Garten, eingehegter Platz, lit. gar das Hiii'de, got. gards'S.oi, Haus, altnord.f/arcf;' Gehege, Zaun. Haus, Hof entspricht. Die Beurteilung dieser Wortsippe bietet bekannt- lich grosse Schwierigkeiten. Da lit. zafdis Rossgarten, altpreuss. sardis 'Zaun' palatalen Anlaut zu erweisen scheinen, so hat man die slav.-ht. "Worte mit g- für Entlehnungen aus dem Germani- schen erklärt. Diese Annahme wird aber durch alban. gard^-di, Stamm gard- 'Hecke, Zaun' (G. Meyer, Alb. Wb. s. v.) er- schüttert, so dass wir auf zwei Grundformen mit palatalem und velarem gh kommen, deren Verhältnis zu einander wir vorläufig nicht weiter aufklären können. So lässt sich vom lautgeschicht- lichen Standpunkt nicht entscheiden, ob Manegordum oder Mane- zordum der Vorzug gebühii: oder etwa beide Formen (dialektisch) neben einander bestanden haben wie ht. gardas und zardis.

An Stelle der .,reinen Velare*' (skr. g = gi*. y) hat das Thr.-Phr., wie zu erwarten, ebenfalls gutturale Explosivae: Bce- yalog zu gr, q'äyög, skr. bhaga-s. ZweifeDiaft ist die Natur des Gutturals in altphr. /.eveuav n. 2, welches Wort eine nähere Erörterung nötig macht- Die zweite Inschrift des sogen. Midas- Grabes lautet: Baßa 3Ieueßat ^ Ilooi r aßo^ y.qi.lavaße'Zog ai/.evEuuv eyaeg. Es war mir längst klar, dass das vorletzte "Wort, welches das Objekt zu dem schhessenden Verbum eyaeg darstellt 1), in ai 'dieses' (zu lit. szis, asl. si, alban. si-) und ein Neutrum v.eveuuv zu zerlegen sei. dessen Wurzel mit skr. khäni-tum graben , altpei-s. kantanaiy avest. kan- (Hübschmann Osset. Lautl. 52), dazu nach Persson (Z. f. vgl. Spr. 33, 290) lit. k'inis 'das eingewühlte Schweinelager', zusammengehört, also etwa 'Grab' I)edeuten könnte ; von Interesse ist, dass dieser Wort- stamm auch im Armenischen vertreten ist (Hübschmann Arm. Stud. I 16). Diese Erklärung ist inzwischen auch von Torp S. 7 gegeben worden ^j: was mich abgehalten hatte, sie auszu- S])reclien, war die Erwägung, dass das sog. Midasgrab eben gar kein Gralj sein kann. Perrot (Hist. de l'art V 89 ft.) hat gegen Ramsay überzeugend nachgewiesen, dass jene Felsfassade, welche laut Inschrift dem Herrscher Midas geweiht ist, sowie die ver-

1) Ramsay's Erklärung (J.H.St. X 186) des Wortes aus einer Grund- form aktieman, die er mit neuphr. xvovfiav verbindet, ist unhaltbar.

2j Auch von Solmsen S. 61. der so wenig wie Torp die Schwierig- keiten gesehen hat, welche der Uebersetzung 'Grab' entgegenstehen.

Gutturale im Thrak.-Phrver. 233

wandten Monumente keine Gräl)er, sondern sakrale Denkmäler sind, geweiht dem göttlichen Gründer der pluygischen Dynastie oder anderen Heroen. Die Nischen in der Mitte der Fassaden bieten keinen ti;enügenden Raum, um einen Leichnam darin zu bergen. A. Körte, welcher diese Monumente von neuem studirt hat, ist zu demselben Schluss wie PeiTot gekommen : er sieht, wie er selbst ausführhcher darlegen wird, in den oberhalb jener Felsfassaden befindhchen Höhlungen Opfergruben, durch welche die Spenden dem im Felsen gedachten göttlichen Wesen zukommen. Denn wie die Scheinpforte anzeigt, ist die Fassade als der Eingang zu dem Felsen gedacht: es ist eine Eigentümlichkeit Phrygiens, wo ja auch die Erdgöttin zu einer Berggöttin, einer BJijrr^Q ooeice ge- worden ist, dass sich hier der chthonische Kult in einen Felsen- kult verwandelt hat. Vielleicht dürfen mr aber dennoch die obige Etymologie festhalten: wir haben dann freilich xEref-iav nicht mit 'Grab' zu übereetzen , das auch im Sinne des Keno- taphions s;ihwerhch passend wäre, sondern etwa mit 'Skulptur, eingegrabene Arbeit' ^).

Zu erwähnen sind nun noch einige Ausnahmen, welche an Stelle von Velaren mit w-Nachschlag statt zu erwartender Guttu- rale Labiale, wie im Griechischen, Oskisch-Umbrischen und Bri- tannischen zeigen. Man wird an Entlehnung der betreffenden Wörter aus dem Griecliischen zu denken haben, obwohl diese Annahme mit einiger Schwierigkeit durchzuführen ist. Auf der altphr. Inschr. n. 8 hat ßovov. (des Raummangels wegen al)ge- kürzt aus ßovo/.av, Acc. Sg.) unzweifelhaft, wie Ramsay lichtig gesehen hat, die Bedeutung 'Weib, Gattin'. Das Wort erinnert sofort an boiot. ßavd, ßavai/.-6g (daraus ßuvr^/.6^, Hesych. u. ßavr^Y.a^^), aber bei der Annahme jüngerer Entlehnung bleibt der abweichende Vokahsmus unbegreiflich; man vergleiche damit die genaue Uebereinstimmung von altphr. F avay.i- = gr. ßa- vctAT-. Ich kann die Schwierigkeit nicht befriedigend lösen 3).

1) So, wie ich sehe, auch Torp S. 10 im Widerspruch mit seiner drei Seiten vorher gegebenen üebersetzung 'Grab'. Bedeutet aber y.srsuar 'Skulptur', dann ist der von Torp und Solmseu vermutete Zusammenhang mit y.vovi-iav 'Grab' nicht mehr so unzweifelhaft. Vielleicht steckt in xvovfiav Wz. knu-, die allerdings nur 'kratzen, schaben', nicht 'graben' bedeutet (gr. xvvm, lett. knüt).

2) Armen, kin (N. PI. kanai-kh) 'Weib' mit gutturalem Anlaut.

3) Solmsen S. 40 ff., welcher ebenfalls Entlehnung aus dem Griech.

234 VII. Die thrakisch-phrygischen Stämme.

Auf der neupbi-. Grabschrift n. 18 scheint ßeog, wie Torp. S. 21 bemerkt, in der Bedeutung 'lebend' zu stehen. Er leitet es aus *bevos von der Wurzel hhü- her: mich dünkt aber der Be- deutung wegen die Gleichsetzung mit gr. ßiog: empfehlenswerter. ßeog verhält sich zu ßlog aus *ßißog genau wie deog zu Jißog. Almen, keam ich lebe (kea- aus *kiva- = giia-, Hübschmann Arm. Stud. I 35) zeigt im Anlaut den auch im Phr. zu er- wartenden Guttural. Die Annahme, dass ßeog nur das entlehnte gr. ßiog sei, hat das Bedenken gegen sicli, dass dieses nur Sub- stantiv ist und 'Leben* l)edeutet, während ßeog sich begrifflich mit got. qius, asl. zivu, ]itgi/ras, lat. viviis, skr. j?t"a-s 'lebend' deckt. Man müsste also die adjektivische Bedeutung von ßiog für ein älteres Stadium des Griechischen hypothetisch ansetzen. Ein dritter Ausnahmefall ist der thr. Eigenname KeQOO-ß'/jTtzrjg , der zweifellos ein Spitzname von der Bedeutung 'quer bhckend' ist; vgl. gr. ^TQccßwv, lat. Paetus. Das 1. Glied ist kerso- schief, quer, lit. skersas, lat. cerro, gr. {ly)AaoOLog (Tomaschek, II 2, 47); das zweite gehört natürlich zu gr. ß'/Jfiio , wofür thr. *yle7tto zu erwarten wäre (vgl. dor. noTi-y'k^Tioi, y)d(fctQOv). Tomaschek's Ver- mutung (112, 18), dass die Griechen in dem tlu'. Namen -/^AeTrrijg für thr. f/lepfa- eingesetzt hätten, ist mir unwahrscheinlich : ich ziehe es vor an Entlehnung aus dem Griechisclien zu denken. Dieselbe Erklärung ist für dak. ßov- 'Ochse' aufzustellen, welches wir aus dem Pflanzennamen ßov-dal'Aa i) (v. 1. ßov-dd^Xa , To-

annimmt, geht über die Vokaldifferenz doch zu leicht hinweg. Ich kann hier nur eine Vermutung zu ihrer Erklärung beibringen. In dem aiol. Dialekt, aus welchem phr. ßovox- entlehnt ist, lautete das Wort *ßoräx-. ßov- verhält sich zu ßav- wie aiol. ovia zu dvm. aiol. 6v- zu dvd. Das ä haben die Phryger in ö verwandelt wie in neuphr. C^f'^^-o) (in der Wurzel- silbe ist jedoch dieser Wandel, wie schon oben bemerkt, dem Altphr. sicher fremd, vgl. fiategav). Die Stammform auf -äx- enthält die starke Vokalstufe, die in ßavaix-, yvvaix- in schwacher Form vorliegt. Aus umbr. curnaco, lat. cornlc-em ergiebt sich nämlich ein Suffix -ä-ik-, daraus -dk- (J. Schmidt, Kritik d. Sonantenth. 30), welches an «-Stämmen durch Antritt des Suffixes -t'Ä- erwachsen ist und in den schwachen Casus zu -aik-, kontrahirt -tk- werden musste. Die Form -aik- liegt nur im Gr. yvvaix-, ßavaix- vor, .dessen zu erschliessender Nom. auf -ä^ (Acc. -äxa) durch das ältere yvvij, ßavd ganz verdrängt ist, im Aiol. aber in älterer Zeit noch bestanden haben könnte, lieber armen, kanai-kh, Nom. Plural, von kin 'Weib' (-kh ist Pluralsufrix) wage ich kein Urteil: vgl. dazu Hübschraann Arm. Stud. I 88.

1) Dak. 6dX?.a 'Zunge' vielleicht zu gr. ßdä/iX<o, nhd. zullen 'saugen'

Thrak.-phryg. Konsonantismus. 235

maschek II 1, 33) s. v. a. ßovyh'jooov , lat. limjuaboum zu ent- nehmen haben \).

(3b das Thr.-Phr. anlautendes s bewalirt oder wie das Grie- chische zum Hauch verflüchtigt hat, ist bisher nicht festzustellen gewesen. Wegen des armen. 'L^Ai? wäre das zweite wahi-schein- lich , aber ich kenne keine unzweideutigen Belege ^), und wenn das altphr. oog in n. 7 skr. säs , hom. cg 'dieser' entspräche'), so stünde Erhaltung des s im Anlaut fest. Anlautendes sr- ist im Thr. wie im Germ, und Lituslav. durch str- vei-treten, im Gegen- satz zum Griechischen und Lateinischen, welche das s fallen lassen: ^lovijav, ^TQoiai, FriTiOTodoi von Wurzel srev- 'fliessen' (Tomaschek II 2, 82): vgl. ahd. stroum, lit. strovd (neben srove), asl. struja, o-sfrovü *).

Dass das Thr.-Phr. die Liquidae r und / wie die europäi- schen Sprachen untei-schied, beweisen thi'. oy.o?uirj 'Messer, Schwert' (Hesych., Poll. X 165) = altnord. skdhn -Schwert', ßgirog Gersten- Avein: lat. de-frutnm; phr. ^A/ua Gemüse: asl. zlakü 'herba', OQOv ^avii)' : zu lit. virsziis das Obere, asl. vrichü Gipfel, armen. i ver 'hinauf, oben, über', aber wohl von der nicht mit s-Suffix erweiterterten Wui-zelfoiin, vgl. gr. oo-og.. Altphr. Aa/a/.ra et ^)

(Z. f. vgl. Spr. 31, 423); anders Tomaschek, der von der Variante ßovSd^Xa ausgeht.

1) Singular ist der Anlaut des thr. Ortsnamens Kovifiidaßa (auch Kovfiovdsßa) bei Procop (Tomaschek II 2, 85). Er deckt sich vielleicht mit dem des altphr. Kqi!^avaFe^og n. 2, K.iavaFs^og n. 5. Das Zeichen 4* in n. 2 sehe ich abweichend von Ramsay (JH. St. X 187) für ein Koppa an, welches in derselben Form IGA. 28c. 449 erscheint. Der entsprechende Buchstabe in n. 5, f , ist entweder eine Variante des Koppa oder ein neu geschaffenes Zeichen für den Halbvokal u.

2) Neuphr. ai n. 18 (ai vi y.og as/uow y.vov/navei etc.) setzt Torp. S. 9 ansprechend = dor. ai, aber ob dies aus *sai entstanden ist, ist strittig.

3) Ich möchte aog saaix uarsQsg n. 7 übersetzen: „dieser [Ort od. dg].] soll der Mutter gehören [d. h. heilig sein]", nämlich der in n. 8 genannten Mutter des fgexw, welcher das /iivTffxa hat herstellen lassen. eaatr wäre = gr, soi aus *löo<r; das ai für oi weiss ich freilich nicht zu erklären.

4) Ob das Zeichen Z als C und nicht vielmehr als 3-strichiges a neben dem 4- und 5 strichigen a zu deuten, scheint mir noch fraglich.

5| Pauli (Vorgr. J. v. Lemnos II 58) umschreibt gavartaei . aber aus KvßiXs n. 11 folgt doch, dass das Zeichen ^ als Lamda aufzufassen ist. Nach Ramsay ist auch der Buchstabe vor x kein Rho, wie Pauli annimmt.

236 VII. Die thrakisch-phrygrischen Stäinme.

D. 1, Epitheton zu 3Iidai, ist vermutlich Kompositum aus Xäßo- Volk + alrä- 'nährend, fördernd'.

Auslautendes -m hat das Phr. in -n verwandelt in Ueber- einstimmung mit dem Griechischen, aber auch mit dem Kelti- schen (gall, vELir^Tov), Germanischen (got. pan-a) und Baltischen (Ut. dial. ta)i, altpreuss. stan) : altphr. Acc. Sing. ^/.Lvavo'KaFav n. 6, fx aiEQUv ^geZaoTLv n. 8, Totiv n. 3; neuphr. xaxow. Ueber die Vertretung von 'n durch phr. av = gr. a, skr. a. ist schon oben S. 168 f. gehandelt.

Dem Thr. eigentümhch ist der Wechsel von in mit />. Einer der sichersten Belege hierfür ist Mevdig neben Bevötg; /xavdd/.r^g. '^deof.iog "/oqiov hat schon Lagarde (Ges. Abh. 283) zur Wz. bhendh-. thr. ßevö- 'binden' gezogen, vgl. avest. banda- -Band', altnord. band^): dadurch wird die Priorität des (i von Bevdlg ge- sichert^). Da nun nicht jedes ,)* im Thr. mit u wechselt, so werden wir in jenen Fällen mit Tomaschek (II 2. 47) assimihrende Einwirkung des folgenden v anzunehmen haben 3). Auch juvQiua^ neben JooLia^ (Hesych.). lat. formlca könnte hierher gezogen und dann als Leimwort aus dem Norden erklärt werden, wenn nicht die Lautverhältnisse dieses Wortes noch vieler anderer Deutungen fähig wären *). Indessen giebt es. was Tomaschek (a. a. 0.) nicht bemerkt, doch auch Fälle eines Wechsels von m und b im Thr., wo kein Xasal in der Nähe ist: derselbe Fluss heisst bei Herodot Bgoy/og, bei Strabon VII 318 Bdgyog und lUoQyog; hom. ^^uv- dwv, später Ußvdiiv, Strab. VII 330 fr. 20 (Hehn Kulturpfl.e

1) Das etymologisch unerklärte nhd. Mandel, womit die zusammen- gebundeneu Garben bezeichnet werden, könnte nur hergehören, wenn man es als uraltes Lehnwort aufi'asst.

2) Die Gleichsetzung des illyr. 1^/uavTia mit 'Aßavzla ist nach Wila- mowitz Hom. Unt. 172 Anm. sekundär.

3) In anderen Sprachen begegnet der umgekehrte Vorgang der Dissimilation von m n zu b n : lat. dubenus wird so aus doinvius er- klärt von Meringer, Versi^rechen und Verlesen S. 177. Gr. xvßeQväoy neben kypr. xviiegrjyai GDI. 684 (also ß, wenn v folgt: aiol. xvfitQvi]it]g Et. M. 543, 2 kann verderbt sein); anders Johannsson, De deriv. verbis contr. 59. J. Schmidt, Kritik d. Sonantenth. 27. Osthofl", Idg. Forsch. VI U. Auch ßü.Xeiv neben fiiXXeiv (Hesych.) könnte durch Dissimilation aus "^eXveiv entstanden sein. Sollten auch ßotQvafiai = /ndgrafiai, ßegvo'jfie&a (Hesych.) neben fieigofiai hierher gehören ?

4) Verschiedene Erklärungsversuche bei J. Schmidt Kritik d. So- nantenth. 29. Solmsen, Z. f. vgl. Spr. 34. 19.

Flexion im Thrak.-Phryg. 237

561); Tißiaic : byzant. Tuii'^oi]^, heute Temes (Tomaschek II 2, 97), ^EQßvlla : ^eouv'Aia (Meisterhans ^ 60).

Von der phr. Nominalflexion sind uns nur dürftige Reste erhalten, Singular ist die Anfügung eines Nasals im Dat. Sing. {&cdauei%' neben S^a'/MLiei). welche Torp. S. 11 mit dem para- gogischen -v des kypr. Gen. Sing, der o-Stämme (aoyvov)-v) ver- gleicht ; dazu würde stimmen, dass auf einer Inschiift aus Isaurien (Headlam, Ecclesiastical Sites in Isauiia, London 1892, S. 30) TQoy.ovdiv neben Tooy.ordi, Too/.ovdeL als Gen. Sing, ei-sclieint.

Rätselhaft sind noch die altphr. Kasusformen: Gen. A/.Eva- volaFog. n. 1. 8, Tlooiraßoc n. 2. 5, Acc. ^/.ivaroXaßav n. 6. Die Stammform auf -aß- eiinneii; an die griechischen Stämme auf -rjf-, Avie ßaoilr^F-, lässt sich aber im Vokalismus kaum damit vereinigen. Sie scheint eher von ä-Stämmen aus- gegangen zu sein: IIoo-iiü- wäre ein Kompositum aus ttqo 'vor' und iTd- 'gehend' = gi-. «V/^c 'dreist auf etwas losgehend*, sva- onym mit gr. noonog (aiol. Jlgo-irog. Meister Gr. Dial. I 96), lat. praetor. Man vergleiclie ferner Tatag mit dem aus Tara- ovtoi' sich ergebenden TaraJ^-. Auch Jlidaior, auf einer von Körte gefundenen Inschrift 3Ieddeiov, steht, wie die Dihaerese anzeigt, für Miödß-iov. Die Annahme hegt nahe, dass es sich hier um einen Uebertiitt der masc. ä-Stämme in die Flexion der f<-Stämme handelt; aber es widerstrebt ihr die Dativform 3Iidai n. 1 Jieben ^A/.Evavo'Ka.Fog.

In der Pronominalf lexion fällt die üebereinstimraung zwischen der Dativform neujolu". aeuoiv, aeuor, einmal aetiov 11. 19, mit asl. seinu 'diesem' auf. welche zuerst von Fick, Bezz. Beitr. XIV 50, bemerkt worden ist ^). In neuphr. cavi n. 18. 26. 29, airioi n. 29, caroiv? n. 6, aiva n. 14. aivtf.t n. 25 will Ramsay (Bezz. Beitr. XIV 308) einen Demonstrativstamm = skr. ena- 'er' erkenjien; dann wäre dieses Pronomen von europ. oino-s 'eins^ auch im Vokal verschieden gewesen (vgl. oben S, 10); doch ist

1) Solmsen S. 50 f. bestreitet die Identität des phrygischen Ausganges -Ol' mit asl. -m, aber es ist mir nicht klar geworden, aus welchem Grunde, Denn wenn die Annahme, dass phr. -of hier auf -öj zurückgeht, auch mög- lich ist, so ist sie doch nicht zwingend. Für unrichtig halte ich Torps Erklärung von osuovv aus *sismn-n (S. 11). Das einmalige ai/tiovy n. 2-5 (wenn richtig gelesen ist) steht für osinovv, wie aßßigszo auf dem- selben Stein für aßßeosTo.

238 VII. Die thrakisch-phrygischen Stämme.

die Deutung des Satzzusammenhanges, in dem aivi steht, nicht] sicher ^).

Die Konj ug ation bietet wieder bemerkenswei-te Berührungen : mit dem Giiechischen. Von dem auch im Aiischen vorhandenen ! Augment war schon oben S. 169 die Rede. Die Bildung desi Participium Perf. Pass. neuphr. eTiierr/.iuvog findet nur im Grie- chischen (hom. Tieq'vyuh'og. usw.) eine genaue Parallele, Wichtig ist aber namenthch die Uebereinstimmung zwischen neuphr. ad-öa/.ET und gr. l'S^r/.e, an welcher allerdings auch das Lateinische mit seinem fhefhaked, feci, jeci teilnimmt. Gr. ^/;x-, lat. fec- = dheJi- ist die starke Stammform des Sing., phi\ dax-, lat. fäc- = dhäh- ist die schwache Stammform des auf den Personalendungen betonten Plur. 2). Dieses A--Tempus ist eine auf die genannten drei Sprachen beschi'änkte Neuerung, deren Ui-sprung bis in jene Vorzeit zurückreichen mag, als die Hellenen noch nördhchere Wohnsitze inne hatten, im Westen den späteren Bewohnern der itahschen Halbinsel, im Osten den thrakisch- phrygischen Stämmen benachbart.

Zu neuphr. eirov 'esto' lautet der Plur. eivxvov (n. 12. 7) 'sunto', aber da eizov das entlehnte gr. iiio ist, so handelt es sich hier nur um eine barbarische Neubildung, die für das Altphr. nichts beweist.

Diese gedrängte Uebersicht über die Eigentümhchkeiten des thrakisch-phiygischen Idioms, soweit sie uns bekannt werden, hat. denke ich, den oben aufgestellten Satz bestätigt, dass diese Sprache mit der gi-iechischen keineswegs weniger Berührungen aufweist als mit den übrigen Nachbai-sprachen. Wir machten die inter- essante Beobachtung, dass zwei lauthche Vorgänge, der Ueber- gang von ö in ü (bezw. nur geschlossenes ö) und von i vor Vo- kalen in ^, über die Sprachgrenze hinweg in nordgriechisches Gebiet vorgedrungen sind. Wie das Thr.-Phr. in andern Be- ziehungen vermittelnd zwischen Induiranisch und Griechisch steht, ist oben S. 168 ff. geschildert worden.

1) Eine andere Erklärung von ain trägt jetzt Solmsen S. G7 vor; er setzt es = osk. inim 'und': aber ist es glaublich, dass « in xe durch- weg mit e, in aivi durchweg mit ai bezeichnet worden wäre?

2) Vgl. Bartholomae, Bezz. Beitr. XII 84. Stud. z. idg. Sprachgesch. II 194. Johansson, Beitr. z. griech. Sprachkunde 89.

Thrak.-phrygr. Wortschatz. 239

Auf lexikalischem Gebiet kommen wir zu demselben Er- gebnis. Es finden sich hier partielle Uebereinstimmungen mit dem Indoiranisclien (^/.af.io).i]g s. v. a. '^TtQnacptlyjg : skr. avest. altpers, käma- 'Liebe' Tomaschek II 1. 13), Germanischen (thr. omkuri : altnord. skdlm Schwert). Keltischen .'thr. bitu- in Traibithus, Bitifralis , Bifhicetifhns , Kurzform Bid^vg, Bithns, Bel&vg, Beitus = gall. bitu- in BiUirix, Bitudaga, Dagobitus, ir. bitlt Welt, thr. '/.Evd^OQ (centiis) m ^ETtTaiy.evd-og, Jti'r/.ev&og, Aulucentus, Zipa- centhus usw. = ir. cet- 'der erste', kenUi- in gall. Cintu-gnatos. bret. Kint-ivallon (Glück. Kelt. Namen bei Caesar 126). Dass aber der phrvgische Wortschatz ganz besondei-s auch mit dem griechischen zahlreiche Berührungen aufwies, war, wie die oben zitirte Ki-atylos-Stelle zeigt, schon Piaton aufgefallen. Die Wörter, welche er anführt, xi'vfg, niQ, i'dcoo (phr. ßföi'^). kommen frei- lich auch in anderen idg. Sprachen vor, und was in ak'Aa no'kXä steckt, wissen wir nicht. Aber die phrvgischen Inschriften, so kurz und gering an Zahl sie sind, genügen doch. Piatons Angabe zu bestätigen. Allerdings wenn die neuplir. Inschriften von griechischen Wörtern wimmeln, so beweist dies noch nichts für ältere Stadien der Sprache. Denn sie gehören offenbar einer Periode an, in welcher die phiygische Sprache bereits im Ab- sterben war und massenhaft aus dem griechischen Wortschatz entlehnte: wir begegnen da nicht nur Kulturwörtern wie ooqov == gr. öoqii)^ d^akayLU = d^a'/Mur^, sondern selbst der Partikel xe = xa/, der Verballorm sirov = ^'rw. Aber auch schon die ein Jahrtausend älteren Felseninschriften zeigen im Verhältnis zu ihrem geringen Umfang zahlreiche lexikalische Bemhrungen mit dem Griechischen: FavccAT ei n. 1 = gr. ßävav.Ti , vgl. (.loy- Qoßavay, n. 6^); von ßovoA n. 8 war schon S. 233 oben die Rede ; IctFaXxaEi n. 1 scheint läßög 'Volk' zu enthalten , und in der noch nicht überzeugend erklärten Inschrift n. 7 khngen

1) Dass Lagarde (Ges. Abb. 285) die Echtheit des phr. ßsdv ohne hinreichenden Grund bestritten hat, behauptet Tomaschek II 1, 5 mit Recht : er weist auf die thr. Ortsnamen Bidv;. Bedvaigog, "Edsaoa und armen, get 'Fluss' hin.

2) (xoyQoFavax , wegen Raummangels abgekürzt aus ^/uoygoFa- vaxs, bedeutet s. v." a. 'Grosskönig' : /noygo- zu asl. moyq, got. magan ver- mögen, asl. moste, got. mahts Macht. ixoyQoravax[g) ist wohl Apposition zu dem vorhergehenden Ti^sg, wenn dies Name ist, vgl. Tizus, CIL. III 2788.

240 VII. Die thrakisch-plirygischen Stämme.

ovotiav, ccFriv, uFrag merkwürdig an gr. orofia, aviov, avTÖg an.

Wenn wir annehmen, dass die Phryger diese Wörter den asiatischen Griechen entlehnt haben, so übertragen wir nur auf die Sprache, was wir von der Schrift genau wissen. Die Phryger sind schon in sehr altei* Zeit an mehr als einer Stelle mit den griechischen Kolonien Kleiiiasiens in Berührung gekommen. Ramsay's umständhche Annahme (JRAS.^ XV 123 f.), dass das ionische Alphabet von der milesischon Kolonie Sinope aus über das kappadokische Pteria nach Phrygien gelangt sei, ist daher kei]ieswegs erforderlich. Wie oben erörtert ist, muss das phrygische Reich einst bis an die lydische Küste gereicht haben. Aber auch weiter nördlich, in der Aiolis, sind die Phryger mit den Hellenen zusammengestossen. Ob das Alphabet der Felseninschriften aus dem aiolischen oder dem ionischen ab- geleitet ist, diese Frage ist heute wenigstens in e i n e r Beziehung gegenstandslos, wo wir durch die Weihinschrift von Neandreia wissen, was wir aus den Münzen von Skepsis und der lesbischen Vasenscherbe (Fl. Petrie, Naukratis II n. 840) nicht zu folgern wagten, dass das aiolische Alphabet mit dem ionischen in der Bezeichnung des x durch + zusammenging i).

Allein die nachbarlichen Beziehungen beider Völker sind ja weit älter als ihre Begegnungen in Asien. Wer behaupten wollte, dass die Phiyger das Wort ßdva^ schon in ihrer europäischen Heimat von den Griechen entlehnt haben oder gar umgekehrt diese es von ihnen, könnte sicherlich nicht widerlegt werden. Wir dürfen uns auch für eine ältere Zeit nicht bloss die Hellenen als die gebenden voi"stellen. Namentlich in religiöser Beziehung ist der Einfluss der phrygisch-thi-akischen Stämme auf ihre griechischen Nachbarn notorisch. Es ist heute zienihch allgemein anerkamit, dass der orgiastische Kult des Dio)iysos den Griechen von Thrakien zugekommen ist. Die Fähigkeit des hellenischen Geistes, sich Fivmdes völhg zu assimiliren, hat es freilich bewirkt, dass

1) Kirchhoft; Sitzgeber. d. Berl. Akad. 1891 S. 963 fl". Koldewey, Neandria. .51. Berliner Winckelmanns-Programm , 1891, S. 28. Weder Pauli (Vorgriech. Inschr. v. Lemnos 2. Teil, 1891. S. 21) noch Solmsen S. 41 scheint diese Thatsache bekannt, die natürlich für die Deutung des Y auf der altphr. Inschrift n. 7 und auf der lemnischcn Inschrift von grösster Wichtigkeit ist.

Beziehungen der Thraker zu den Griechen. 241

uns der Gott fast als ein echt hellenischer erscheint. Dennoch ist Dionysos um beim Sprachhchen zu bleiben bis auf den Namen von Haus aus ein Thraker. Dass seine Mutter ^E^eXt^ die thrakisch-phrygische Erdgöttin ist, glaube ich an anderer Stelle gezeigt zu haben i), und auch daran halte ich fest, dass die Nebenform Jeövvaog ^) mit einem im Thr.-Phr. gewöhnhchen, dem Griech. dagegen im Allgemeinen fi-emden Wandel von i vor Vokalen in e die thrakische Herkunft dieses Namens erweist, Rohde hat dies ohne jeden ti-iftigen Grund bestritten (Psyche S. 327). Wer lautgeschichtlichen Studien fern steht, lässt sich freilich durch phonetische Argumente schwer überzeugen : sie sind aber, weil sie von subjektiven Anschauungen unabhängig sind, gerade die allerschlagendsten. Auch darauf sei noch hingewiesen, dass die doppelte Bildungsweise, das Kompositum z/io-waog und die Zusammenrückung *Ji6g-vvaog = aiol. Zovwaog, thess. kret. Jioi'vvoog (Knossos, Athen. Mitt. X 92. Eleutherna, Mus. Ital. n 165 f. n. 8), im Thrakischen ebenfalls ihre Parallele hat. Neben den Personennamen Diu-zeniis, Jeo- ßiCog, Dio-bessus finden sich hier Deos-por, Dios-cuthes, deren Analyse sich aus Muca-por, bezw. Mi/ao-y.vd^r^g ergiebt ^). Es kann nicht bezweifelt werden, dass schon den Thrakern Dionysos für einen Sohn des Zeus und der Semele d. h. des Himmels und der Erde galt. Denn dass sie einen Himmelsgott dieses Namens verehrten, folgt aus den eben angeführten Personennamen, Avelche wie gr. z/io- dioQog, ^loyevr^g, Jiof^i'^dr^g gebildet sind, mit Sicherheit; und der phrygische ZsvgBQOvzcZv '/.aV^OTQaTtTwv^), OMch Bayaiog „Eichen- gott" genannt, sowie der bithynische Zeig Tlurcag oder HaTt-

1) Aus der Anomia S. 19. Für Tomaschek (II 1, 40) ist Ssnikrj die 'g-eballte Wolke'.

2) Zu den a. a. 0. gegebenen Belegen kommt hinzu Asvvvao? Schol. Townl. S 325; [zJ]eov€'5[o]s- Münze von Abdera, Montagu, Numism. Chro- nicle 1892, 22 ff. Zur Grabschrift von Erythrai vgl. jetzt Judeich, Athen. Mitt. XV 338.

3) Tomaschek teilt unrichtig Deo-spor, Dio-scuthes ab.

4) Ad Bqovtcövu Hai jiazQdjizo in Laodikeia, Athen. Mitt. XIII 235 n. 1 ; gewöhnlich nur Au Bqovxwvxi z. B. in Kotiaion Perrot Explor. arch. n. 77, Dorylaion, Athen. Mitt. XIX 310 f. n. 9—11, Maionia, Sitzgsber. d. Berl. Akad. 1888 S. 866 n. 11 (ebd. n. 10: tov dsov ßgovrcövrog), in Brussa, Mitt. aus Oesterr. VII 174 f.

Kretsrhmcr, Einleit. in d. Gesi'h. d. ?r. Sprache. 16

242 YII. Die thraki8ch-plir3'gischeD Stämme.

Ttdjog^) d. i. 'Zeus Vater' verraten in ihren Beiwörtern die völligste Wesensverwandtschaft mit dem griechischen Himmels- gott. Also ist Dionysos nicht ei-st durch die Einreihung in die hellenische Götterfamilie zu einem Sohne des Zeus ge- worden 2).

Die praehistorischen Berührungen der Thraker mit den Griechen beschränkten sich aber nicht auf sprachhche und religiöse Beeinflussungen. Dass das Drängen nördhcher Völker, welches die phrjgische Wanderung nach KQeinasien veranlasst hat, auch einzelne thrakische Schwärme südwärts nach Thessahen, ja bis nach Phokis und Boiotien geschoben hat, dürfen wir selbst der rein sagenhaften Tradition, in welcher sich diese Ereignisse nieder- geschlagen haben, glauben ^). Die Gga/Jöai in Delphi, die Orts- namen Wgiyia am Oita und in Boiotien *) scheinen weitere Zeug- nisse hierfür. Auch auf den nördhchen Inseln des Aegaeischen Meeres, Thasos, Samothrake, Lemnos ^), ja selbst auf Naxos ^) be-

1) All TlajiTKÖco, Brussa, Mitt. aus Oest. a. a. 0. Mit anderer Ab- leitung skyth. Zeil? ITajiaTos (Herodot IV 59). Der bithynische Beiname des Zeus Bälrjog (Athen. Mitt. XIX 373) bedeutet wohl s. v. a. 'der mit Kraft begabte' : vgl. dak. Dece-balus, phr. ßaXtjv 'König', skr. bäla-m Kraft, asl. holiß 'vorzüglicher'. Oder sind na:^jiü>og und BaXijog Ethnika?

2) Auch für das 2. Glied des Namens -vvaog und diXeNvaai findet sich ein Anhalt im Thrak. in dem männlichen Personennamen Nusatita CIL. II 3354 (I. v. Granada: serve pronatus natione Trade), dessen zweiter Teil freilich nicht leicht zu deuten ist. Auf die Etymologie von Nvaa-, -vvaog gehe ich hier nicht von neuem ein : die neuesten Erklärungsversuche bei Fick (Gr. Person.-Nam. 439), Tomaschek (II 1, 41) und F. Fröhde (Bezz. Beitr. XXI).

3) Ueber die viel erörterte Frage orientirt Hiller von Gaertringen, De Graecorum fabulis ad Thraces pertinentibus (Berlin 1886). Tomaschek (I 12) erklärt die phokischen Thraker für abgethan mit Berufung auf AI. Riese und Hiller, obwohl dieser gerade die Skepsis von Riese (S. 5—7. 38 ff.) entschieden bekämpft hat! Den helikonischen Musen- kult sollen die thrakischen Pierer vom Olympos nach Boiotien gebracht haben (Strab. IX 410. X 471); Wilamowitz (Eurip. Ilerakl.* I 9) lässt diese Thraker zusammen mit den Boiotern nach Mittelgriechenland kommen. _

4) S. oben S. 181 Anm. 1. f

5) Auf Thasos und Samothrake sassen Saier, auf Lemnos Sintier.

6) Diodor V 50 ff.; daher blühte hier der Dionysosdienst. Nach Pausan. II 22, I scheint derselbe von den Inseln des Aegaeischen Meeres aus nach Argos gelangt zu sein, wo man die Gräber der im Kampf des

Beziehungen der Thraker zu den Griechen. 243

gegnen wir den Spuren thrakischer Stämme, welche später in der hellenischen Bevölkerung aufgegangen sind.

Gottes mit Perseus gefallenen Mainaden zeigte. Vgl. Archaeol. Jahrbuch YII 35. Sie heissen hier akiai : denn wie Dionysos selbst an den Küsten und auf den Inseln zum Meere in Bezieliung gesetzt, zum Tteldyiog wurde (Maass, Hermes 23, 70 flf.), so wurden seine Gefährtinnen zu Meer- mädchen; daher wird der Nereidenuame rah]vT} auch Bakchen beigelegt (Verf., Griech. Vaseninschr. S. 202).

16*

VIII. Kapitel. Die illyrischen Stämme.

Der mächtige Rumpf der Balkanlialbinsel lässt sich oro- grapliisch in zwei Haui)tgebiete zerlegen. Während die ganze Westseite das in nordsüdlicher Richtung streichende dinarische Faltengebirge einnimmt, laufen im Osten die grossen Gebirgszüge fast rechtwinkhg hierzu, also von Osten nach Westen, und bilden drei mehr oder weniger scharf gesonderte Systeme, das Balkan- gebirge mit der nördlich davon sich ausbreitenden Donauniederung, das thrakisch-makedonische Schollenhmd und das ostgriechische Gebirge 1). Diesen tektonischen Verhältnissen entsprechen im Grossen und Ganzen die ethnologischen, wie sie uns im Beginn der Geschichte entgegentreten. Während die östUchen Gobirgs- länder von der thrakischen Nation, südlich der kambunischen Bergkette von griechisclien Stämmen eingt-nommen werden, ist über das Gel)irgssystem der Westseite längs der ganzen Küste des Adriatischen und Jonischen Meeres bis zum Korinthisclien Meerbusen eine Gruppe von Völkei-schaften verteilt, für welche im Altertum kein zusammenfassender Name bestanden hat, weil sie weder jemals (aucli nicht unter römiseher Administration) eine politisclie Einheit gebildet haben noch aucli ethnologisch als ganz

1) Vgl. hierzu Philippson, Europa S. 91. Verb, d. Berl. Ges f. Erd- kunde 1894, 53

Grenzen des illyr. Gebietes. ^^^

gleichartig erscheinen mochten. Dennoch lässt sich, wie wir sehen werden, die Annahme ihrer näheren Verwandtschaft nicht ab- weisen.

Für die ganze nördhche Gruppe dieser Stämme von den Grenzen der Landschaft Epirus an wurde schon frühzeitig, spätestens zur Zeit Herodots^), der Sammelname Uly lier oder, wie er in älterer Zeit lautet, Hillyrier^) gebräuchhch. Er ist vielleicht vom Süden, von den lllijrii proprie dkti (PUn. III 144. Mela II 3) ausgegangen und durch die Griechen später auf alle stammverwandten Völker, wie sie ihnen bei weiterem Fortschreiten nach Norden bekannt wurden, ausgedehnt worden. Aehnlich ist es ja mit dem Namen der Thraker, mit den Namen Crraeri und Italia ergangen; und unsere französischen Nachbarn haben den Namen des ihnen zunächst wohnenden alemannischen Stammes auf sämtHche deutsche Völker übertragen. Wie die Thraker waren die Illvrier in unzähhge kleinere und gi-össere Völker- schaften gespalten, die es nur vorübergehend zu einer politischen Einigung gebracht haben. Die östlichen und nördlichen Grenzen ihres Verbreitungsgebietes waren fliessend und lassen sich im Einzelnen nicht leicht feststellen.

Im Osten scheinen Dardaner und Paionier die Grenze zu den Thrakern hin zu bezeichnen. Jene werden von Sti-abon (VII 315) und Appian (der Jäodavog zum Sohne des ^R'/A-giog macht, Ulyi'. c. 2) zu den Ilh-riem gerechnet, und dazu stimmen die dar- danischen Personennamen durchaus : Bato (Liv. 31, 28), wie ein dar- danischer König hiess, ist ein echt ilh-rischer Name : er begegnet in Adiaum (Pannonia superior) CIL. III 4276, Aquincum (Pann. inf.) 3558, VerHcca (Dalmatia) 2749. X 3618 (Dalmata) u. ö. Strabon

1) Denn dieser rechnet sogar schon die Yeneter zu den ülyriern: I 196.

2) Zu dem 'W.vocög der Kephisodor-Inschrift, CIA. I 2772o (um 415 v. Chr.) stimmt das Hiluricum der älteren lateinischen Inschriften, CIL. III 1854. Hiüyrici ebd. 1741, HiUuricus I p. 471, bei Plautus Hilurii, Hihiricus, Georges, Lex. d. lat. Wortformen u. lllyricus. Die Form In- lyrici auf einer stadtrömischen Inschrift (Dessau Inscr. lat. select. I n. 2167) beruht auf ,, umgekehrter Schreibung", d. h. nach dem Vorbild von inlicio neben illicio schrieb man Inlyricum für Illyricum. Aehnlich er- klären sich die griechischen Schreibungen xixQvrfiai, xaXvv/nara, EyQavfid- 1EVSV aus verkehrter Nachahmung etymologischer Schreibungen wie avv- fiaxog, SV fidxrj, wo man nur avuuaxo;, ifi fidyt] sprach.

246 VIII. Die illyriBchen Stämme.

(VH 314) erwähnt einen Fürsten der Daisitiaten BaTiov^). Lon- garus (Vater des Dardanei's Bato, Liv. 31, 28) = ^ayyuQog (König der Agriauen, Aman. Anab. I 5, 1) ist gebildet wie illyr. Plassarus CIL. III 4376 (AiTabona), Samiarm CIL. V 1046 (Aquileja) u. a., 3Iovovnog (König der Dardaner, Head Hist. num. 267, Trog. Pomp., prolog. XXI"\") = Blevounog (Polyb. bei Athen. X 440), wie die vielen illjr. Namen auf -onius z. B. Dripponius CIL. III 5031 (Noreja), Gailonms (Aquileja) V 915; zu dem ov vgl. Volsouna neben Volsonis, Pauh, Veneter S. 402. Der dardanische Ortsname l^ggißccviiov ist von einem Personen- namen *^^QQi;javT- abgeleitet, der an den Fürsten der Lynkesten, ^^QQLßaiog oder, wie ihn die attischen Steine nennen, ^^QQaßaiog (Meisterhans, Gr. d att. Inschr.^ 12) erinnert, ferner an den männlichen Namen Arahu (CIL. III 4367, Arrabona, Pann. sup.) und den pannonischen Flussnamen Arrabona.

Auch den südlichen Nachbarn der Dardaner, den Pai- oniern, schreibt Tomaschek (Thraker I 13 ff.) wahrscheinlich mit Recht ilh-rische Abkunft zu. Sie scheinen von Nordwesten aus im Thal des Axios vorgedrungen zu sein und die dortigen thrakischen Stämme sich unterworfen zu haben. Der Name des paionischen Stammes der UaiÖTtlai (Herodot V. 15. VII 113) zeigt ein echt-illyrisches Aussehen: ein Ort in Liburnien hiess "Oq- tOTtla (Ptol., Ortopula Phn., seine Ruinen noch heute Ortpia) und Opilus ist als illyr. Name belegt: CIL. III 3322 (Lussonium, Pann. inf.), vgl. auch Oplica CIL. III 3149 (Insel Crexus), Opalo III 3785, Oppalo 3793. 3803, Oppa 3813 (Pann. sup.). Auch die i)aionischen Königsnamen lassen sich mit illyrischen vergleichen: ndvQaug (Vater des Audoleon, CIA. II 3123?) ist gebildet wie die zahlreichen illyr. Namen auf -avus, -aus : Licaus (mües c. VII Dalmataruni, Dessau Inscr. lat. select. I n. 2577), . . . emaus (Daesitias, ebd. n. 2579), LomoUavns CIL. V 450 (Piquentum), besonders häufig in Venetia: Virraus CIL. V 3842a (Verona), Sattava ebd. 3605, Cariaus ebd. 3922; Annaus 8288, Annavos 8973, Annava 1072 (Aquileja). Auch die paehgnischen Namen auf -a(v)us, Ammaus, Accavus Accaus, Accava, Annans gehören hierher, denn die Paeligner waren nach Paul. Diac. p. 278 Th. de Pon. 'ex Illi/rio ortiJ

1) Truhelka (Wissensch. Mitteil, aus Bosnien I 110) vermutet, das» Bdzcov im Illyr. 8. v. a. Fürst bedeutet habe.

Die Paionier. 247

^vdwHvjv, so auf den Münzen (Cat. of Greek Coins in Brit. Mus.j Maced. p. 4 ff.) und CIA. II 141 geschrieben, bei Plutarch und Polyaen zu ^ItoXecov hellenisirt, vergleicht sich mit ill}T. ^idcaa, Athen. XIII 557, Audasius CIL. V 3503. 3505 (Verona) 1); daneben mit Tennis: Antoscutfus in Noricum, CIL. III 5408, Antoscutta ebd. 5426, Autus, Verona, CIL. V 3500. Dazu gehört vielleicht auch der makedonische Monats- name ^.idovaiog, u4vdvcäog oder ^vTvaiog, und die ^vvaQiazai. "Was alöo-, ceiro- bedeutet, bleibt freilich dunkel.

Lauthch sehr merkwürdig ist der Name des mit den Athenern verbündeten paionischen Fürsten (um 350 v. Chr.), welcher sich auf seinen Münzen AYKKEIO schreibt (Catal. of Greek Coins, Maced. p. 1 f. Numism. Chronicle 1891 S. 121), während er in der attischen Bundesurkunde, CIA. II add.66 b, Ainnuog genannt wird. Dass die einheimische Form des Namens, wie man angenommen hat, Av-kFeioq, gewesen sei, ist deshalb nicht wahrscheinlich, weil dieselbe von den Athenern durch ^liy.v.eioq^ nicht durch AvnTCEiog wiedergegeben worden wäre. Vielmehr vereinigen sich AvycAEiog und ^ivTijTEiog nur in einer Grundform ^iv.jteiog, und diese findet sich auch wirkhch auf einer der Tetradrachmen (Head, Hist. num, S. 207): AYKPEIO. Da aber inlautendes kp dem Indogermanischen ausser in der Kompositionsfuge {h.-7iL7tzio) von Haus aus fremd ist, so muss diese Lautgruppe in ylh.nuog sekundärer Entstehung sein, sei es, dass zwischen v. und n ein Vokal ausgefallen ist oder dass, was mir wahrscheinlicher ist, uiv/.TiEiog aus ^Ai/.Fuoo, entstanden ist. In letzterem Falle würden die Lautverhältnisse an giiech. 'imzog: tarentin. epidaur. Xy.y.og'^y. lat. eqims erinnern. Auch hier lassen sich /:/. und tztv nicht auf eine gemeinsame Grundform x-F direkt zurückführen, denn /.F ergab eben im Griechischen nur xz, vgl. Aaxxog aus ^Xa'^FoQ,^ y'kvv./.a zu '/Arxig, hom. TCilev.v.ov, rce'/.Ev./.cM zu Tti^le/xq; daran ändert auch Prellwitz' Annahme (de dial. thessal. p. 60, der Schulze, Quaest, epicae p. 80 Anm. 4, beipflichtet) nichts, dass tautosyllabisches kv zu einfachem jt, heterosyllabisches kv zu

1) Auch der Verschwörer L. Audasius, Sueton. August, c. 19, war gewiss illyrischer Abstammung wie sein Genosse Epicadus 'ex gente Parthina'.

2) 'ixy.og atjfiaivei zov 'iTtnov Et. M. p. 474, 12; "ly.xog als Eigenname in Tarent (Schulze Quaest. ep. 80 Anm. 3) und Epidauros.

248 Vni. Die illjTischen Stämme

fr TT geführt habe: fVrw aus *se-kvo. iTtTtog aus "^ek-vos. Wir müssen ohne Frage als giiechischen Reflex eines lat equus, skr. d^vas *ay.y.og erwarten. Nun weicht von dieser postulirten Form ITtTtog auch im Yokalismus ab von der unorganischen Aspi- ration zu schweigen, welche in den Kompositen ^sv-M/tTtog, r?.avyuiTTtog, /iiqyATCTtog u. a. und in sikel. t/rrj^ = iqiTtTtig fehlt (Cuiüus Etyrn.» 462). Einen Wechsel von e und i, der entweder auf wirkHchem Lautwandel oder nur auf ,.Laut- substitution*' beruhen mag, haben wir bereits im Thrakischen kennen gelernt (S. 226 Anm.): ilifVd'rj, JiQ{iyi- Ich habe aus diesen Thatsachen früher geschlossen i), dass gi*. 'i-TtTtog, \.y.-Mig Lehnwort aus dem paionischen oder einem verwandten Dialekt ist, in welchem das AVoii *Yy.7tog lautete und die regelrechte Fortsetzung von *ekvos darstellte, und dass die griechischen Dialekte sich *l'y.Tcog, wie Ax)ynt,iog. in verschiedener Weise mundgerecht gemacht haben. Dadurch würde sich sowohl das Nebeneinander von ///. und tctc wae das auftällige t^) erklären. Auch kulturgeschichtlich Hesse sich die Entlehnung recht gut rechtfertigen : Giiechenland war nicht übermässig reich an Pferden, sein gebirgiger Boden zu ihrer Zucht nicht besonders geeignet; sie wurde mehi- als Luxus betrieben und erlangte nie eine grosse Bedeutung. Die nördhchste griechische Landschaft, Thessaüen. zeichnete sich noch am meisten in dieser Beziehung aus, die Zahl wie der Wuchs der thessahscheii Rosse wird öfter geiühmt^). Vor allem aber blühte die Pferdezucht bei den nichtgriechischen Nachbarn der Thessalier, bei den Thrakern, welche schon die Dias als 'iTtTcortoKoi bezeichnet (xV 4. H227); und dass auch die Paionier selbst seit alter Zeit die Rossezucht pflegten, geht aus ihrem epischen Beiwort \7t7Voy.OQiavai (TT 287) hervor. Man könnte sich also recht wohl denken, dass das Wort für Pferd aus einer der nördlichen Sprachen durch Thessahen hindurch nach Hellas gewandert sei *) : auch unser deutsches Wort Pferd ist ja

1) in meiner im Mai 1891 gehaltenen Antrittsvorlesung.

2) Bechtel (Hauptprobl. d. idg. Lautlehre S. 113) will das i aus altem Deklinationsablaut erklären: das Wort ist aber in sämtlichen (in Betracht kommenden) Sprachen auf der Wurzelsilbe betont, skr. dcvan, gr. iTinoi, got. aihva-, altsächs. ehu-,

3) Die Zeugnisse sind gesammelt von Büchsenschütz, Besitz u. Erwerb imgriech. Altertum S. 211 f. Vgl. auch Wilamowitz, Eurip. Herakles II* 114.

4) Ein anderes aus dem Norden stammendes Wort scheint ßäaxavcn,

Die Paionier. 249

bekanntlich kein einheimisches. Indessen verhehle ich mir doch nicht das Gewagte dieser Hypothese, welcher namenthch eine sprachliche Schwierigkeit im Wege steht: in jenen nördlichen Sprachen, sicher in der thrakischen. werden die Palatale durch Spiranten vertreten; Tomaschek (Thraker II 2, 9) hat deshalb in dem hessischen Personennamen Eshenus ein thrakisches esvo- ^Pferd' gesucht. Diese Schwierigkeit ist jedoch vielleicht nicht unüberwindlich, weniger deshalb weil Ausnahmen vom Palatal- wandel, besondei's in der Nähe von Labialen, auch sonst vor- kommen (s. oben S. 109. 119 Anm.). als aus dem Grunde, dass, wie wir sehen werden, die Vertretung der Palatale durch Spiranten keineswegs für alle illyrischen oder den illyrischen verwandten Dialekte, zu denen wir auch den paionischen rechnen, feststeht. Beiläufig deutet der paionische Name des Wisents, iiöva/rog ( Aristot. bist. anim. IX c. 45; bei Aehan nat. anim. VII 3 juoVwi/'), den Schade wohl richtig mit ahd. mana 'Mähne' verbunden hat 2), fi-eihch nicht mit voller Sicherheit darauf hin, dass der paion. Dialekt auch idg. o im Gegensatz zum Südillyrischen (vgl, Buq- dvkXtg) bewahi-t hatte.

Die alte Grenze des illpischen Gebietes nördhch vori den Dardanern weiter zu verfolgen ei-scheint kaum möglich: wir be- gegnen hier den Namen der Timachen (am Timachos-Flusse), Pikensier und Trikornensier, ohne chese Völkerschaften genauer rubriziren zu können. Auch die ganze Nordgrenze des illyrischen Völkergebietes lässt sich mit irgendwelcher Sicherheit nicht an- geben, weil sie wahrscheinlich zu allen Zeiten eine schwankende gewesen ist. Nachbarn waren hier die Kelten, welche seit dem

ßaaxalvco, dessen Anlaut wegen lat. fascinum, fascinäre auf bh- zurück- gehen muss (Wharton, Etyma latina s. v.). Ich habe früher auch das Verhältnis von lat. formica zu ßoQ/^ia^, ßvQfia^, woraus weiter f^vg/^tj^, so erklären wollen; dasselbe Hesse sich aber auch anders deuten, vgl. J. Schmidt, Kritik d. Sonantentheorie 29. Vielleicht ist auch äßgog mit anorganischem h-, wie ther. "Aßgcov IGA. 446 zeigt ein Lehnwort aus dem Norden: vgl. thrak. lAßoo-l^EXfiyjg, Ußgö-iovor, 'Jßgo-lißa, 'Jßoov-:^ohg (Tomaschek, Thraker II 2, 3) und got. abrs 'stark, heftig' aus *abhro-s. lieber ßakUa Herodas VI 69, phryg. ßafißalov Hesych. neben gr. (paXlo; und ßahög neben (pahog s. Solmsen, Z. f. vgl. Spr. 34, 71 ff. Auch an das Verhältnis von "ijxßQvaog und "AixcpQvaog (Steph. Byz.) in Phokis, von Boißrjlg kifivTj in Thessalien zu ^oTßog sei erinnert. Aus welcher Sprache Bixag = ^ixag [acplyyag Hesych.) stammte, lässt sich schwer erraten. 2) Vgl. F. Froehde, Bezz. Beitr. XX 207 ff.

250 YIII. Die illyrischen Stämme.

Allfange des III. Jahrhunderts immer weiter nach Süden drängten und sich in einzelnen Schwännen bis tief in illyrisches und thrakisches Gebiet hineinschoben. Diese Berührung von Kelten und Illyriem müsste uralt sein, wenn die neue, von Bertrand und S. Reinach (Les Celtes dans les vaUees du Po et du Danube, Paris 1894) aufgestellte Theorie das Richtige trifft, dass die Ur- heimat der Kelten im Donaugebiet gelegen habe und dass diese sich fi-ühzeitig über Xoricum nach dem cisalpinischen GalHen ausgebreitet haben, lange bevor die von den Kelten verschiedenen^ Tvenn auch ihnen verwandten Gallier über die Alpen drangen. Die ursprüngliche illyrisch-keltische Grenze festzustellen werden vielleicht künftig archaeologische Beobachtungen gestatten. Die österreichischen Ausgrabungen in Bosnien und der Hercegonna ^ haben uns jetzt eine von der keltischen verschiedene, ohne Zweifel altillyrische Kultur kennen gelehrt und für unsere Kenntnis des illp-ischen Yolkstumes somit geleistet, was wir füi' die thrakische Nation schmerzhcli vermissen. Die Hauptfundstätte bildet die Hochebene Glasinac' östlich von Sarajevo, welche in ihrem ganzen Umfange mit Ringwällen und Hügelgräbern, deren Zahl auf 20,000, von anderen gar auf 100,000 geschätzt wird, wie be- sät ist. Die hier an Metallgegenständen gemachten Funde ge- hören der frühesten Eisenzeit, der sogen. Hallstattperiode an und werden danach in das 2. Viertel des I. Jahrtausends v. Chr. hinaufgerückt. Die Glasinac'- Kultur zeigt einen eigenartigen^ lokalen Charakter, der mehr vom Süden als vom Norden be- eintiusst scheint. Griechischer Import ist durch einen Visirhelm von der Fonii, Avie sie in Olympia gefunden worden sind, er- wiesen. Yirchow (Z. f. Ethnol. 1895, 56) vermutet, dass der griechische Eintiuss mehr von der adriatischen Küste aus als auf dem Landwege von Süden her, wo Gebirge den Verkehr hemmten, eingedrungen sei. Dass wir es auf dem Glasinac' mit altillyrischer Kultur zu thun haben, hat man von Anfang an nicht bezweifeh. Truhelka {Mitteil, aus Bosnien I 1893, S. 110) hat Spuren illyrischer Traditionen auch in den

1) Die Berichte darüber werden in den Wissenschaftlichen Mittei- lungen aus Bosnien und Hercegowina, Wien 1893 ff., veröffentlicht. Vgl. femer S. Reinach, I/Anthropologie 1894, 565 und den Bericht über die archaeologische Konferenz in Sarajevo, August 1894, auf der die schweben- den Fragen erörtert wurden, in der Z. f. Ethnol. 1895, Verh. S. 38 ff.

Illyrische Funde auf dem Glasinac'. 251

doitigeii Ortsuamen erkennen wollen: er fühi-t den Namen des im Südosten des Glasinac' gelegenen Ortes Batovo auf den be- reits erwähnte] 1 illyrischen Füi-stennamen Bato zurück und sucht in Bandin konak (Xanien einer ßuinenstätte beim Doile Bandin odzak und dem Berge Bandin brdo) den Genitiv eines illyr. Pei'sonennamens Bando ^).

Wie diese illyrische Kultur sich zu der thrakischen verhielt» können wii- nicht feststellen, so lange das ganze Gebiet von der Drina bis zum Bosporus archaeologisch noch fast unerfoi-scht ist. Von dem Tumulus von Saloniki und den phiygischen Hügel- gräbern unterscheiden sich die des Glasinac' namenthch durch ihre, wie es scheint, durchgehends geringere Höhe (0.3 0.4 m.): Tnihelka (a. a. 0. 71 f) untei-scheidet hier zwei Arten, regellos aufgeworfene, abgerundete Hügel und gi-össere. oben flache, ki-eis- ninde Terrassen mit schräger Böschung. Auch auf dem Glasinac' sind aber die Leichen oder die Brandreste ohne Mauerung nm- mit Erde überschüttet und dann mit Klaub- oder Bruchsteinen bedeckt worden; vgl. Fiala. Z. f. Ethu. 1895, Yerh. S. 53 2). _ Sehr erhebhch verschieden von der Glasinac'-Kultur ist jedoch die der Fundstätten im westhchen Bosnien, in Rakitno. Jajce und Pritoka l)ei Jezerine. Hier giebt es nach Truhelka (Mitt. aus Bosnien I 35 38) nur kolossale Tumuh ohne Beigaben . Funde der Bronzezeit und Spuren einer aus dem keltischen Xorden herein- gebrochenen La-Tene-Kultur. Hampel (Z. f Ethnol. 1895, Yerh. S. 55) ist daher geneigt, die Kultm* von Jezerine keltischen Stämmen zuzuschreiben, deren YoiTÜcken die ill}iischen Yölker zurückdrängte. Mir scheint diese Frage noch nicht ganz spruch- reif: die Ausgrabungen in Bosnien stehen ja noch in ihren ersten Anfängen und werden ei-st in ihrem weiteren Yerlauf eine 2;e-

1) Allerdings sind Namen auf -«, Gen. -inis {Aplu, ApUnis) im Illyrischen sehr verbreitet. Kur auf die weiblichen Eponymen IJaoddi, Aaoo^cd, Aaoaaoco bei Appian. Illyr. c. 2 hätte sich Truhelka nicht be- rufen sollen.

2) Beiläufig bemerkt hat man auch auf dem Glasinac' „ausgeprägt dolichocephale und exquisit brachycephale und endlich eine ganze Reihe mesocephaler" neben einander gefunden: in Mladjevine erscheinen alle drei Typen „gleichmässig verteilt" (Glück, Z. f. Ethn. 1695, Verh. S. 53). Xach Virchow (ebd. S. 56) sind die modernen albanesischen Schädel brachycephal und stimmen mit einem erheblichen Teil der Glasinac'- Schädel in den Formen überein.

^o2 YIII. Die illyrischen Stämme.

nügend breite Grundlage füi- die Entscheidung der ethnischen Pi-obleme Hefern. In Präge kommt namenthch . ob wir es im westhchen Bosnien nicht mit illvrischen Völkern zu thun haben, welche unter keltischem Kultureinflusse ^standen oder sich mit ein- gedrungenen keltischen Stämmen vermischt hatten.

ThatsächHch werden die Japuder. welche im heutigen Ki'oatien Sassen, aber auch bis in das westliche Bosnien noch sich ei-streckt haben könnten, von Strabon (VII 313) als ..ein zugleich keltisches und illmsches Volk" bezeichnet: sie teilten mit den IlhTiern und Thi-akern die Sitte des Tätowirens •). mit den Kelten die Rüstung {07T?uau6g, Sti'ab. VII 315), standen also in ihrer materiellen Kultur unter dem Einfluss der mit ihnen vei-schmolzenen kelti- schen Elemente. .In das Gebiet dieser Japuder fällt die Fund- stätte von Prozor bei Otocac' in der Lika-Krbava (Kroatien), deren Kultur nach Hoernes (Urgesch. d. Menschen S. 543) in mancher Hinsicht an die der bosnischen Hügelgräber erinnert, während anderes auf Teilnahme an dem Handelsverkehr des adriatischen Meeres weist. Auch die Bevölkerung fast des ganzen Gebietes nördlich und östlich von den Japudern, der rö- mischen Provinz Pannonia. war wenigstens in historischer Zeit aus illnischen und keltischen Elementen gemischt. Die Pannonier selbst, welche in viele kleinere Stämme, Breuker. Andizetier, Ma- zaier. Daisitiaten u.a. zerfielen (Strab. VII 314), waren Illmer^); ihre Sprache unterecheidet Tacitus (Germ. c. 43) ausdiücklich von der gallischen. Durch diese ilhTischen Völker hindurch hatten sich die keltischen Skordisker nach Süden bis zu den thrakischen Triballeni Bahn gebrochen und sich mitten in illy- risch-thrakischem Gebiet festgesetzt {rolg 'iXlvQiY.oJg ed^veoi /.ai

1) Merkwürdigerweise ist die Tätowirung bei den Katholiken Bos- niens und der Hercegovina auch heute verbreitet, und zwar nicht nur bei den Männern, wo sie namentlich in den niederen Klassen (unter Matrosen und unter Verbrechern) überall üblich ist, sondern anch bei den Frauen. Nach Glück (Mitteil, aus Bosnien II 455) ist diese Sitte indessen in Bosnien nicht altüberkommen, sondern zu religiösen Zwecken (zur Unterscheidung von den Muhamedanern) eingeführt.

2) Vgl. Zeuss , Die Deutschen und ihre Nachbarstämme S. 254 ff. Forbiger, Handb. d. alt. Geogr. IIP 337. Die spätere Identifizirung der Pannonier mit den Paioniern (Appian. Illyr. 14 u. a.) bezeugt wenigstem die enge Verwandtschaft beider Völker: die wirkliche Identität der Namen j Tlaiovei und Flawövioi ist natürlich lautlich sehr unwahrscheinlich.

Berührungen der Illyrier mit den Kelten. 253

QQ(f'MOig ava/ji'S (}'r/.riaai': Strab. VII 313) i). Der ganze Norden der Provinz und ihr westlichster Zipfel mit den Latovikern ^) war vorwiegend keltisch. Diesen ethnologischen Verhältnissen ent- spricht es, wenn wii' in der Nomenkhitur Pannoniens, wie sie uns auf den lateinischen Inschiiften entgegentritt, illpische und keltische Pei'sonemiamen neben einander antreffen, ei-stere selbst im äussei-sten Norden der Provuiz. in Aquincum (Bato JSeritayii, CIL. III 3558; Matsiu Tuionis f., 3602 u, a.), Arrabona (Acra- hanis Arahunis f., CIL, III 4367; Lirus Piassari f., 4376) und Carnuntum (Dat. Micuni, CIL. III 4459). In letzteren Fällen handelt es sich jedoch wahrscheinHch nur um einzelne illnische Auswanderer, wie wir sie in gi-össerer Menge in Dakien finden, wo sich nach dem Kriege mit Trajan, der das ganze Land ver- heert und entvölkert hatte, dalmatische Bergleute nicht bloss ver- einzelt, sondern in ganzen Dörfern, dem Viciis Pirustarum, Deusara u. a., ansiedelten 3). Es ergiebt sich dai-aus. dass die Verbreitung der Personennamen nur in beschränktem Maasse für die Festellung der Volksgi'enzen verweilet werden darf.

Erwähnt sei hier noch die Vermutung von H- Kiepert, dass die Oseriaten, deren nicht ganz genau bekannte Wohnsitze er in der Gegend des Pelso-Sees^) sucht, ihren Namen von niss. ozero 'See' {= as\.jezero, Lt. ezeras, altpreuss. assaran) haben und folglich ein schon zeitig (d. h. mindestens um Chr. Geburt) in Pannonien eingedrungener Slavenstamm seien. So ansprechend diese Hypothese scheint, halte ich sie doch aus mehreren Gründen nicht für sicher ^).

1) Ueber die Sitze der Skordisker s. H. Kiepert im Text zu den Formae Orbis antiqni (Berlin 1894), Karte von Illyricum und Thracia S. 6 Anm. 69.

2) Ihr Name ist keltisch: vgl. Glück, D. kelt. Namen bei Caesar S. 112 ff.

3) Vgl. Hirschfeld, Sitzgsber. d. Wien. Akad. 77. Bd. S. 36S. Gooss, Archiv, d. Vereins f. siebenbürg. Landeskunde, N. F. XIII 323. Jung, Die roman. Landschaften des röm. Reichs S. 360.

4^, Der Name P«/5o ist illyrisch : vgl. Felsonia in Burnum (in Liburnien, CIL III 6415).

5) Ich deute in aller Kürze meine Bedenken an: 1) das slavische Wort lautet ursprünglich mit e an, russ. o- ist sekundär. 2) das Wort könnte mit Ablaut in der ersten Silbe auch illyrisch gewesen sein, wie z B. der Stadtname Tergeste ein illyr. terg- = asl. trSgü (alban. tregs) 'Markt' enthält (G. Meyer, Idg. Forsch. I 324). 3) die Sitze der Oseriaten

254 Yin. Die illyriscben Stämme.

Im Westen gi'enzten an die Japuder dieHistrer oder Istrer auf der nach ihnen benannten Halbinsel und an diese auf itah- schem Boden die Veneter, deren Verbreitung nach Westen und Norden Pauh (Die Veneter S. 419 ff.) zu bestimmen gesucht hat. Das noch strittige Verwandtschaftsverhältnis dieses Volkes zu den Illyriern wird unten zur Sprache kommen. Hier sei nm* auf die etlmologisch nicht entscheidende, aber doch selir bemerkenswerte Thatsache hingewiesen, dass die materielle Kultur der Histrer, wie sie uns durch die Ausgrabungen in den ..Castellieri'' er- schlossen ist , einei"seits mit den bosnisch-hercegovinischen Funden, anderereeits mit der Tenetischen Kultur der von Prosdocimi und Gherardini eifoi-schten Gräber von Este (dem antiken Ateste) enge Berührungen aufweist^).

Dass nun die illyrische Nation, deren östliche und nördliche Verbreitung ich im Vorstehenden kurz zu umschreiben vei^sucht habe, sich nach Süden weit über die Grenze des eigentlichen Jll}Tiens in ehemals hellenisches und später wieder hellenisirtes •Gebiet vorgeschoben hat. ist trotz unserer mangelhaften Kenntnis von den ältesten Zuständen im griechischen Nordwesten nicht zu bezweifeln. Die Zeugnisse für die ungriechische Nationalität der Bevölkerung von Epirus, Akarnanien und Aitolien sind schon wiederholt gesammelt worden 2). Namentlich Thukydides betont ihren barbarischen Charakter mehrfach und bezeichnet speziell •die Sprache der aitoHschen Eur}'tanen als ..völlig unverständlich"

am Pelso-See sind nur hypothetisch (vgl. Forbiger, Lehrb. d. alt. Geogr. III 339). 4) Oseriates könnte auch wie der gleich gebildete Name der pannonischen 'Eoxovviaxal keltisch sein.

1) Ueber die Castellieri s. Virchow, f. Ethn. 19, Verh. 545 fi". Hoernes, Urgesch. d. Menschen 543 ff. 572 ff.

2j J. G. V. Hahn, Albanesische Studien S. 215 ff. Dieffenbach, Völker- icunde Osteuropas I 94. Oberhummer, Akarnanien, Ambrakia etc. im Altertum S. 44. Ed. Meyer, Gesch. d. Altertums II 58. Vgl. auch Wila- mowitz, Eurip. Herakles I* 9. Nach Thukydides II 68 (vgl. III 112) waren die Amphilocher Barbaren und übernahmen die Bewohner des Amphi- lochischen Argos die hellenische Sprache erst von ihren ambrakiotischen I^acbbarn, die sie ins Land gezogen hatten. II 80 und 81 bezeichnet er die epirotischen Stämme, Chaoner, Thesproter, Molosser, Atintaner, Parauaier als ßdgßagot. Wenn der Antigene bei Eurip. Phoin. 138 der AitolerTydeus ojg dlkoj^gw; 0:1X0101 fii^oßäoßaoog auffällt, so hat der Dichter den Charakter der Aitoler seiner Zeit auf die heroische Vorzeit über- tragen.

Epiru8. 255

(ayvioaTOTatoi yloJaoav, Thuk. III 94). Wenn trotzdem die Epiroten, Akarnanen und Aitoler nicht unter die eigentlichen Ill}iier gerechnet zu werden pflegen, so ist wohl der Hauptgrund hierfür, dass sie eben nicht rein illyrische Völker waren, sondern aus griechischen und illyrischen Elementen gemischt. f.ii^oßdQßaQoi, wie Euripides (Phoin. 138) von dem Aitoler Tydeus sagt. Es lässt sich noch deutlich erkennen, dass jene Landschaften einst im Besitz griechischer Völker gewesen sind. Das Zeusheiligtum in Dodona stammt aus dieser griechischen Urzeit von Epiros und ist immer eine griechische Enklave in ßarbarenland geblieben^). Schon Aristoteles (Meteorol. 1353 a) erklärte das dodonaeische Gebiet und das Acheloos-Thal für die Urheimat der Hellenen, für die aq^ala '^ElXdg. Die molossischen Fürsten, in deren Ge- biet später Dodona lag. hatten es daher leicht, den hellenischen Adel ihres Geschlechts zu erweisen 2). Das uralte Heiligtum des griechischen Himmelsgottes wurde von den Einwanderern nicht angetastet, vielmehr sein Schutz und seine Pflege von ihnen über- nommen: die Bevölkerung des Tymphe-Gebirges verehrte den Zevg Ttarr^o unter dem Namen JeiTtäTVQog (Hesych s. v.). Wenn ferner Herodot die Thessaler durch die Th esproter aus Epirus nach Thessahen verdrängt sein lässt (VII 176), so ist damit gewiss richtig die Völkerverschiebung angedeutet, welche hier in praehistorischer Zeit stattgefunden hat, sollte Herodot dies auch nur auf Grund von Kombinationen behaupten 3). Mit Recht vermutet wohl auch Wilamowitz (Eurip. Herakl. I^ll Anm.) in der Sage von der Heimkehr des Pvrrhos-Neoptolemos zu den Molossern. wie sie schon die Nosten erzählten, einen Nachhall an das alte Hellenentum von Epirus. Dass auch in Aitolien einst eine hellenische Bevölkerung sass, venvandt mit derjenigen, welche vor der thessahsch-dorischen Einwanderung in Phokis, Boiotien und Thessahen wohnte, geht aus der Bezeichnung der Gegend von Kalydon und Pleuron als ^lolig bei Thukjdides III 102

1) Als Hellenen bezeichnet Herodot ausdrücklich die Dodonaeer IV 33.

2) Vgl. U. Köhler in Satura H. Sauppio oblata S. 79 ff. Basolt, Griech. Gesch. P 199.

3) wie Busolt, Griech. Gesch. P 242 f. annimmt, der auch auf die Sage hinweist, dass Pheidippos und Antiphos, die Söhne des Thessalos, auf ihrer Rückkehr von Troja nach dem thesprotischen Ephyra ver- schlagen worden und ihre Nachkommen von dort in das nach ihrem Stammvater benannte Thessalien gezogen seien (Strab. IX 444).

256 Vin. Die illyrischen Stämme.

heiTOi-i). Auf diese altaitolische Bevölkerung bezieht sich die vielbesungene kalydoniscbe Eberjagd, eine Sage, welche die Er- innerung an die alte, von den barbarischen Einwanderern ver- nichtete Kultur der Landschaft bewahrte*). Die Namen des kalydonischen Königs Olvevg, des Aitolers Olvouaog in der Ilias E 706, der akamanischen Stadt Olrucöai bezeugen einen blühen- den Weinbau, von dem später in jenen Gegenden nicht mehr die Rede ist ^).

Im Uebrigen ist es nicht immer ganz leicht, die altgriechi- schen Elemente von den illyrischen, wenn ich sie so nennen darf, zu sondern : einmal weil die von Norden eingewanderten Stämme der alten giiechischen Bevölkenmg von Epirus ursprünghch noch näher gestanden haben können, als später die Blyrier den Griechen. Denn je weiter wir in die Urzeit hinaufgehen, desto mehr müssen wir erwarten, die Grenzen zwischen den einzelnen Nationen an Schärfe verlieren zu sehen ^). Auf jeden Fall hatten Illyrier und Griechen als alte Nachbanölker manches mit einander gemein: so sind z. B. die Ortsnamen auf -cjy, -öna im Illmschen sehr häutig, ^■/.äqÖiov Scardona, ^c'dior ^cdiZvai, 2^'arona (nach dem Flusse Nar), Alvona, Aenona, Blandona, Promona, Flanona , Aulnna. Aber auch im Griechischen fehlen sie nicht: ^lv-vcov, I\Ii-/.ojvii, Maga^ojv, Xcd/.r]dcjr, Kgarrcor usw. Daher werden die Orts- namen auf -hv in Epii'us, Akarnanien und Aitohen (Teximov, Ka'Avdcov, IIleiQcuv u. a.) teils den Griechen, teils den Einwande- rern angehören, jenen wahrscheinhch Jojöcüv Jwöwvr^^), diesen naooaocjr, wie der Hauptort derMolosser hiess, wo deren Könige

1) Nach Strabon X 465 waren die Kureten die ältesten Bewohner Aitoliens und wurden von den Aitolern nach Akarnanien verdrängt; die Kämpfe beider Völker um Kalydon erwähnt schon die Ilias F 529 ff. Noch später sollen die Aioler, zugleich mit den aus ThessaHen vertriebenen Boiotern, gekommen sein (Strab. X 464). Als älteste Bevölkerung von Akarnanien werden Leleger und Teleboer im Osten Kureten genannt (Aristot. b. Strab. VII 322). Es ist schwer zu erkennen, wie weit diese Angaben historisch verwertbar sind. Vgl. Oberhummer, Akarnanien S. 47 ff. Judeich in Pauly-Wissowa's Real-Encycl. I 1152.

2) V^l. Wilamowitz a. a. O.

3) Vgl. auch II. / 579 über das oirönedov des Meleagros.

4) S. hierüber Hehn, Kulturpflanzen" 56.

5) Die Form Acodo}v brauchten Sophokles und die Alexandriner Kallimachos und Euphorien (Steph. B. s. v.). Nach Stephanos hatte der Ort seinen Namen von dem gleichnamigen Flusse Dodon.

Die Epeiroten. Akarnanen und Aitoler. 257

dem Kriegsgotte, dem Zeig "^geiog oipkrten und dem Volke Treue schwuren, sowie sich von ihm huldigen Hessen (Plutarch. Pyrrh. 5) : UaooaQiuv ist abgeleitet von einem der, wie erwähnt, bei den Ulyriern verbreiteten Namen auf -ccQog. Der akamanische Ort Meöewv (Medituv) hat jedoch sowohl griechische Parallelen in der boiotischen und der phokischen Stadt gleichen Namens als auch illyrische in Medeon oder IMezkov (nach Kiepert heute Medun) bei den dalmatischen Labeaten (Liv. 44. 23. 32. Polyb. 29, 2). Der griechischen Sprache sonst fremd sind die mit Suffix -to- ge- bildeten Ethnika: OeoTiotozoi , ^tcoöcotoi , Boicjtoi (von Bolov OQog), Woivarog GDI. 13517, 1356, Kka&iarcg 13392, Jotoorög 235O5, also auch Kgid^conq (vgl. messap. Kgid-ovag Gen. Deecke, Rhein. Mus. 36, 589. KoetS^curiog in Grumentum. Inscr. It. et Sic. n. 654). Boid^Qtüzor; vgl. illyr. IlXeiQccTog, ^lödia.

Auch das lässt sich schwer entscheiden, wie weit die grie- chischen Elemente in Epirus, Akamanien und AitoHen auf die vorilljTische Bevölkerung zurückgehen und wie weit sie von der späteren Hellenisirung dieser Landschaften herrühren. Dass die alte Bevölkerung von den einwandernden Ulyriern nicht ganz vernichtet und verdrängt worden ist, erscheint an sich glaublich, nach Analogie anderer Einwanderungen zu urteilen 1), und zeigt sich an dem Beispiel der Dodonaeer. Wenn -svir auf einer höchst prosaischen Urkunde aus Stratos (BCH. XVII 445) die epische d. h. altaiohsche Form eogue lesen, so möchte man hier fast einen Best des Dialekts der vorillyrisch-griechischen Bevölkerung erkennen, denn aus einer anderen griechischen Mundart kann f'fffffi kaum eingedrungen sein, da unseres Wissens keine dieses Wort in Prosa brauchte 2). Die spätere Hellenisirung von Epirus und Akamanien ging von den koiintliischen Kolonien an der Küste und auf den Inseln, Korkyra, Leukas, Ambrakia, Vanak- torion aus, die Aitohens von einem ,,nordwestgriechischen" Stamme, von dem sich ein Teil den Doriern anscliloss und Ehs besetzte ; der aitolische Dialekt des III. Jahrh. v. Chr. zeigt die nordwest-

1) Vodskov dürfte bis zum gewissen Grade Recht haben, wenn er ein sesshaftes, Ackerbau treibendes Volk in seinem Lande unter gewöhn- lichen Umständen für unausrottbar erklärt.

2) Für den Dialekt der Dodonaeer darf vielleicht die Orakelantwort AlüNEOYHN GDI. 1572 verwertet werden, deren Erklärung freilich Schwierigkeiten macht. Erwähnt sei noch epirot. yvcooxco Et. Orion' p. 42, 17 =yiyv(oxo a>, also nichtreduplizirt wie lat. (g)nöscö.

Kretechmer, Einleit. in d. Gesch. d. gr. Sprache.

258 YIII. Die illyrischen Stämme.

giiechischen (lokr., delph.. ainian.) Dat. Pliu". auf -oig von kon- sonantischen Stämmen: aQyoi'Toic GDI. 141034, rivoig 14095, Jle'Airuieoig 1415 1.3. Die Yertauschung von einfachen und dop- pelten Konsonanten in Epirus und Akarnanien stammt offenbar von den des Griechischen nur halbkundigen Barbaren: L^/.€|- ^avÖQor GDI. 1335, Mo)J.oööwv 1351. Dlo'/.oooi 1347, JoäiTtog, 1351, KaUinwL (Sü'atos) BGH. XVII, 445.

Von dem Volkstum der eingewanderten iUyiischen Stämme erfahren wir nur sehi* wenig, von ihi-er Sprache so gut wie nichts. Der Name des Königs der Agraier 2aXi'vi^iog (Thukyd. III 111. 114. IV 77), erinnert an den illjrischen Ortsnamen Salluntum (Itin. Anton, p. 338. 8) und die tarentinischen Sallentiner; vgl. auch iUyr. ^allag. GDI. 3254 ^j. Von den Illyriern rührt ver- mutHch auch die Assimilation in dem Flussnamen "Aqax^og (Ptolem. ni 14. 6. Liv. 43. 21) : "^Qa(^&og (I. v. Korkyra, IGA. 343), "Aoaz&og (Polyb. 21, 26, 4. Strab. VII 325), Aratus (Phn. IV 4), Arethon (Liv. 38, 3) her. Denn dass der Wandel von kt über Jit zu tt ilh-risch war, dürfen wir schliessen 1) aus dem Albanesischen : nate Nacht, lit. naktis; 2)ese fünf, skr. pankti- (G. Meyer, Alban, Stud. III 5). 2) aus dem histrischen Ne- sattium (Liv. 41, 15), Nesatium (Plin. III 127). Neoa/.roi' (Ptolem. III 1, 27). 3) aus venet. rehtiia, das Pauli (Die Veneter S. 256) ansprechend als Namen einer Göttin Rectia erklärt.

Auf einem Umwege können wir indessen doch eine gewisse Vorstellung von der Sprache der in Epirus eingewanderten Illyrier gewinnen. Diese Völker, welche die Not oder die Eroberungs- lust aus ihren nördlicheren Sitzen nach Süden drängte, fanden auch in den Landschaften westUch des Pindos und Oeta noch nicht genügenden Haum. Sich weiter nach Osten auszubreiten

1) Eine ähnliche Endung zeigt Saßvhv&og (Feldherr der Molosser und Atintanen, Thukyd. II 80). Andere epirotische Personennamen sind lAgvßßag (CIA. II 115) oder 'igvfißag (wo luß wohl für das im Griech. un- gewöhnliche ßß substituirt ist wie in 'Afißaxov/a hebr. "ipsn, 2!a^ßaxtog = Saßßäxio;, vgl. Schulze. Z. f. vgl. Spr. 33, 37G ft'., der diese Dinge m. E. nicht ganz richtig beurteilt), Toovßßa; BCH. XV 330 oder Togvfißai OsaaaXöi Dion.Hsi]. X 1 : Oagünag, 0aoov:iag scheint griech. zu sein, Kurzlorm von &agQv:iaTQog, wie 'Avjijtag : 'AvzL-iaTQog. 'Ogoibog (König der Parauaier, Thuk. II 80), ^üixvog (Führer der Chaoner, ebd.), ^Ovontgvog GDI. 1346. 1351, 77cAewv ebd. 1352 sind entweder griechische oder graecisirte illy- rische Namen; moloss. Fhoog (Steph B. u. FsvoaToi, vgl. rewaio; GDI. 1367) sieht ungriechisch aus.

Illyrische Stämme in Italien. 259

hinderte sie nicht nur das sehr wilde und unwegsame Gebirge^), sondern wohl mehr noch die dichte Bevölkerung der dortigen Landschaften, über welche sich schon die aus dem Westen ver- drängten griechischen Stämme. Thessaler, Boioter. Dorier er- gossen hatten. So wandte sich der Strom der illyrischen Aus- wanderer nach Westen übers Meer zu der gegenüberhegenden italischen Küste. Diese Vorgänge waren schon den römischen Autoren keineswegs unbekannt. Daunus. der Eponym der apu- lischen Daunier, wird als ein vornehmer lUyiier bezeichnet, welcher aus pohtischen Gründen seine Heimat verlassen und in Italien eine neue gefunden hatte (Paul. Diac. p. 48 Th. d. Pon.). Die Sallentiner sollen Kreter und Ulyrier gewesen sein (Fest. p. 484), die Paehgner unter Führung ihres Königs Vohimus mit Bei- namen LucuUus aus Illvrien eingewandert sein (Paul. Diac. p. 278 2).

Eine Bestätigung erhalten diese Angaben durch zwei That- sachen: erstens dmx-h die Uebereinstimmung der Stamm- und Ortsnamen aul beiden Seiten des Adriatischen Meeres und die Wiederkehr zahlreicher ilhTischer Pei-sonennamen an der Ost- küste der Apenninhalbinsel. NamentHch Heibig (Hermes XI 1876 S. 257 ff.) hat das Verdienst, auf diese Thatsache nachdrück- lich hingewiesen und sie historisch gewürdigt zu haben ^). Er hat zuerst die italischen Japyger mit den illyrischen Japudem, welche Hekataios (bei Steph. Byz. u. 'IccTtiyia) ebenfalls Japyger nennt, in Zusammenhang gebracht. Auch auf itaHscher Seite erscheint KÜe c?-Form in umbr. Japuzktim. Japusco, Jabuscom auf den

1) üeber das den modernen Geographen noch sehr wenig bekannte Pindos-Gebirge berichtet jetzt Philippson, Verhandl. d. Berl. Gesellsch. f- J^rdkunde 189-4, S. 64 f., und schildert es als höchst wild und schwer zu- gänglich ; besonders die durch den Aspropotamos und seine Zuflüsse ge- "bildeten steilen und tiefen Erosionsschluchten machen es unwegsam.

2) Vgl. ferner Plin. III 102: Brundisio conterminus Poediculorum ager ; novem adulescentes totidemque virgines ah Illyriis XII populos genuere, und Anton. Lib. 37, wo mit Daunus Ulyrier verbunden erscheinen: s. Pais, Storia d'Italia I 358 Anm.

3) S. ausserdem Mommsen, Unterital. Dial. 85. 97 [Rom. Gesch. r 10 f.] Kiepert, Lehrb. d. alt. Geogr. 450 ff. Nissen, Ital. Landeskunde •543. Deecke, Rhein. Mus. 36, 576 ff. passim. Oberhummer, Akarnanien,

Ambrakia etc. im Altertum S. 56. Ed. Meyer. Gesch. d. Alt. II 490 f. ^Wilamowitz, Eurip. Herakl. P 9 f.

17*

260 Vin. Die illyrischen Stämme.

iguvinischen Tafeln (Bücheler. Umbrica p. 95). wo es sich darum handelt , vor dem Opfer die Peregrinen . darunter Japuder aus der Menge zu entfernen. Der AVechsel der Stammform in ^IctTtoöeg : ^Idfivyeg hat eine Parallele an /.iTeßid- 'Schlüsser : dor. y.'/Miy.- (Theokrit) und OQvt&og : OQvixog. Den Xäoveg in Epirus entsprechen die Xcoveg am Siris. den dardanischen rahd;iQioi tief im Iimeni der Balkanhalbinsel (Strab. VII 316) die italischen Calahri , den Sallentinem der dalmatische Ort Salluntum (Itin. Ant. 338) u. s. t Auf beiden Seiten des Adriatischen Meeres begegnen die mit -tit- und -t- gebildeten Stadtnamen auf -ntuw, -etum usw.. wie Tarentum TccQag, Hydruntum '^YÖQOvg, TJzentum, Sipontum auf italischer. Dalluntum, Sallunfum, Argyrimtum auf ilhiischer Seite, Keretum, Äletium in Calabrien, Epetium in Dal- matien, Bovx^tlov in Epims. Diese Beispiele aus der Masse solcher Uebereinstimmungen . wie sie von Heibig. Kiepert u. a. zusammengetragen sind, mögen hier genügen, um die Thatsache im Allgemeinen festzustellen; auf einzelnes werden wir später noch einzugehen haben. Nicht minder zahlreich sind die Ueber- einstimmungen in den Pei"sonennamen, welche nach Heibig (Henn. XI 269) besondere Deecke (Rhein. Mus. 36. u. 37. Bd.) und Pais(Storiad'Italia I 360) nachgewiesen haben: Dasitis, Dasiiniiis, Blatt ins, Troshis bezw. Tgcoaumog, AHus, Artorius u. a. finden sich ganz oder nm- dem Stamme nach gleichlautend sowohl an der italischen, wie an der illyrischen Küste der Hadria. Ein zweites und durchschlagendes Argument für die Ueberwanderung illjnischer Stämme nach der italischen Halbinsel liefern aber die in einer niclitgi-iecliischen und nichtitalischen Si)rache abgefassten Inschnfte]! Calabiiens, welche man ohne Zweifel mit Recht den dort wohnenden Messapiern zugewiesen hat. AVir kommen damit zu dem Gegenstand, dor uns hier hauptsächlich zu beschäftigen hat, der Fi-age nach der sprachlichen Stellung der bisher be- handelten illyrischen und ihnen verwandten Völkei-schaften.

Für die Lösung dieser Frage stehen uns vei-schiedene Mittel zur A'ert ugung: aus dem Altertum die illyrischen Eigennamen und sehr wenige Glossen , fernci- die messaiiischen und die v«Mie- tischen Inscliriften i), aus heutiger Zeit die in einem Teil des

1) Von den sogen, sabellischen Inschriften, die Pauli für illyrisch er- kort hat, Bohe icl) ab.

I

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Stellung des Albanesischen. 261

alten lUyrikum und Epirus gesprochene albanesische Sprache. Wir gehen am besten von dieser zwar jüngsten, aber verhältnis- mässig am reichlichsten fiiessenJen Quelle unserer Kenntnis aus. Das heutige albanesische Sprachgel)iet von den albanesi- schen Kolonien inDalmatien. Griechenland, Italien abgesehen deckt sich im Grossen und Ganzen mit der griecliischen Illyiis des Altertumes, der späteren Epirus nova, nach Norden und Süden jedoch über diese hinausgreifend i). Im Süden reicht es im Binnenlande bis zu dem schon überwiegend griechischen Janina, also bis zum Pambotis-See , während die Küstenstädte nordwärts bis Arta (beim antiken Aulon) schon teilweise griechisch sind; im Norden greift es noch etwas über den Drin, den antiken Drilon hinaus und um das Skardos-Gebirge (h. Schar) herum ; im Osten läuft die Grenze westlich vom Drilon bis zum Lychnitis-See (Ochrida ist schon slavisch) und weiter zum Zygos-Stock.

Die Stellung des Albanesischen im Kreise der venvandten Sprachen hat uns G. Meyer kennen gelehrt (ßezz. Beitr. YIII 185 ff. Alb. Stud. III): er hat gezeigt, dass es in seinem Kern, d. h. nach Abzug der überaus zahlreichen fremden (romanischen, sla vischen, neugriechischen, türkischen) Elemente, ein durchaus selb- ständiges indogermanisches Idiom ist, scharf geschieden vom Grie- chischen, mit dem es besonders Camarda in engen Zusammen- hang bringen wollte. In der Vertretung von o durch a geht es mit den nordindogermanischen Sprachen, Slavisch-Litauisch und Germanisch, zusammen, eine Uebereinstimmung, die kaum zufällig ist und sehr entschieden für nördliche Herkunft des Albanesischen spricht. Singular ist die Entwicklung von eu zu e, auch litauisch die von au zu «, für die freihch noch etwas zahlreichere zuver- lässige Belege als die in den Alban. Stud. III 90 gegebenen zu wünschen wären 2). Auch im Konsonantismus zeigen sich starke

1) Ueber die Grenzen des albanesischen Sprachgebietes handeln G. v. Hahn, Alban. Stud. 13 fF. (demzufolge man „albanesisch in der Chaonia und Atintania, alban. und griech. in der Kestrine, Thesprotia und Kas- sopaia, griech. in der Molossis, Dodonaea, Melotis und Paravia spricht"), ferner Sp. Gopcevic' in Petermann's Mitteilungen 1880, S. 405 flf., Theobald Fischer in Kirchhoflf's Länderkunde von Europa II, S. 145.

2) Der Gedanke, dass gr. la^^ia ein Lehnwort aus dem Norden der Balkanhalbinsel sei und ein illyrisches *rame wiedergebe, welches = \ii. laume sei, ist geistreich, aber nicht haltbar: lafiia lässt sich sehr gut aus dem Grie- chischen selbst als XaixvQÖ. erklären. Alban. lamje 'Gespenst' kann ja Meyer doch nicht umhin auf neugriech. Xäixia zurückzuführen.

262 Vm. Die illyrischen Stämme.

Unterschiede vom Griechischen. Wie im Thrakisch-Phrygischen, Makedonischen, und den nordidg. Sprachen sind die Mediae Aspiratae durch Mediae ersetzt. In der Vertretung der vorderen Gutturale steht das Albanesische auf Seiten der ostidg. Sprachen, und zwar zeigt es teils postdentale Spiranten (s , z) , wie das Thrakische, teils interdentale (d-, ö), wie das Altpei-sische. Es kann hier dahingestellt bleiben, wie diese doppelte Yeiii-etung sich erkläil und ob ein Zusammenhang mit der Erscheinung im L'anischen anzunehmen ist: die Thatsache düi'fte jedenfalls fest- stehen. Ich hebe hier nur diese für die uns beschäftigenden Fi'agen wichtigsten lauthchen Merkmale henor.

Die Aimahme, dass die albanesische Sprache tUe jüngste Phase des Altillyiischen oder, wäe sich G. Meyer mit Recht vor- sichtiger ausch-ückt (in Gröber's Grundiiss I 804), einer der alten illyrischen Mundarien dai-stelle, ist der ganzen Sachlage nach so walu-scheinlich, dass man schon sehr gewichtige Gründe beibringen niüsste, um sie zu widerlegen. Demi die Albaneseu sitzen, wie eben gezeigt ist, da, wo im Altertum illyrische Völker gesessen haben, und haben schon mindestens seit dem 11. Jahrhundert n. Chi", diese Wohnsitze inne. Der Name l^lßavoi (samt dem Ortsnamen 'u^XßavoTtohg) taucht aber bekanntlich noch fi-üher, zuerst auf der jitolemaeischen Weltkarte (III 13, 23) auf, und zwai* zwischen Orestis und Almopeni und unter demselben Längen- grade wie diese Namen, also etwas östhch vom heutigen Gebiet der Albanesen^). Es scheint, dass die AVohnsitze der ptolemaei- schen l4XßavoL sich in der Folgezeit nach Südwesten vei-schoben haben, denn der Name Arheria haftet heute an dem hinter der Küstenstadt Avlona gelegenen Bergland (G. v. Hahn, Alb. Stud. 280) und ist von da in der gegischen Form ArbEiiia (l^yzant. ^^QßavtTai) auf die ganze Landschaft ausgedehnt worden 2).

Ist aber die albanesische Sprache illyrischer Abkunft, dann

1) Kiepert rückt sie jetzt in den Formae orbis antiqui, Blatt Illyria et Thracia, wohl etwas zu weit westlich an den oberen Lauf des Drilon.

2) Auf die Theorien der Früheren, welche die Albanesen von den Illyriern trennen wollten, besonders auf die Folgerung des Chalkondylas, da die Triballer (d. h. die Serben) von den Illyriern abstammten, könnten die von jenen stammverschiedenen Albaneseu nicht auch illyrischer Ab- kunft sein, gehe ich nach den Ausführungen Hahns (Alb. Stud. 309 ff.) hier nicht ein. Ueber die neue Theorie von Pauli (Vorgr. I. v. Lemn. 2, 200) 8. die Nachträge.

Stellung des Messapischen. 263

ist auch ein zweiter Beweis dafür erbracht, dass das Volk, dem die calabiischen Iiischiiften angehören, die Messapier aus Illyrien nach Unteiitalien gelangt ist. Denn die Sprache dieser In- schi-iften stimmt, wie nach dem Vorgange anderer Gelehrter zu- letzt Bugge (Bezz. Beitr. XVIII 193 fif.) ausgeführt hat, in sehr wesentlichen Merkmalen mit dem Albanesischen überein '), vor allem in einem so wichtigen Punkt, wie der Vertretung von o durch rt. Das Genitivsuflix -os der konsonantischen Stämme lautet messap. -as (Deecke, Rhein. Mus, 36, 582 ft'.): Icalatoras auf dem Herold- stab aus Tarent (Mommsen U.D. S.65, Hennes 3, 298 f. Fabretti n. 2986), Platoras (Fabretti n. 2962. 2974). Qeotoras (Fabr. n. 2952) usw. Der Stammvokal der o-Stämme erscheint als -a-, Nom. Dazomas (Fabr. 2970), Gen. Dazimaihi (Fabr. 2996). Es folgt hieraus, dass das auf den messai^ischen Steinen sehr häufige 0 nicht altes o dai-stellen kann, sondern anderen Ursprungs sein muss. In einem Teil der Fälle ist es offenbar als langes ö auf- zufassen : ich rechne dahin namentlich das Stammbildungssuffix -tör- in Qeotorres (Fabr. 2960) aus *Teutöries = alban. aequ. Tutorius (Deecke. Falisker S. 287), Platorrihi (Fabr. 2947) Gen. von Platorres aus '^Platöries = venet. Platorius (Aquileja, CIL.

V 877); in [Pljatoorrihi, Notizie degli sca\-i 1884, 133, ist die Dehnung des o durch Verdopplung Ijezeichnet (Torp, Idg. Forsch.

V 206). Ebenso ist in den Genitiven kalatoras 'des Herolds', Platoras, Qeotoras das o als lang anzusehen, die starke Stamm- fonn ist also durch die Flexion der r-Stämme durchgeführt, wie in

1) Die messapischen Inschriften sind gesammelt von Mommsen in den Unteritalischen Dialekten S. 62 £F. und Fabretti im Corpus Inscriptionum Italicarum, mit drei Supplementi alla raccolta delle antichissime iscrizioni italiche (Turin 1872 -77) und Gamurrini's Appendice al Corpus Inscriptio- num Italicarum di Fabretti (Firenze 1880). Das Werk von Maggiulli und Castromediano , Le iscrizioni messapiehe raccolte (Lecce 1871), aus dem Inschriften auch in Fabretti's Sammlung übergegangen sind, ist mir un- zugänglich gebheben: ich bedauere das um so weniger, als die grosse Mehrzahl der hier zuerst herausgegebenen Inschriften nach einer Mit- teilung von Rühl (Bezz. Beitr. XIV 307) gefälscht sein soll. Die von Rühl angekündigte kritische Sammlung aller messapischen Inschriften lässt leider noch auf sich warten. Die Erklärung der Namen ist sehr ge- fördert durch Deecke's Aufsätze im Rhein. Mus. 36 , 37., 40. und 42. Bd. Mit den schwer deutbaren grösseren Inschriften von Basta und Brundi- sium beschäftigt sich Torp in den Idg. Forsch. V 195 ff.

264 Yin. Die illyrischen Stämme.

lat. oratöris u. s. f. ^). Dieselben Verhältnisse zeigen sich bei den w-Stämmen: PoUonnihi auf der gi'ossen Inschr. von Basta Z. 7, Folonnihi (Fabr. 2950d), Gen. von *PoUoyines = gi-. (A)7ioX'kcöviog,-^ in Dazohomiihi auf dem Stein von Basta' Z. 6 ist die Länge des 0 durch die Schreibung oho ausgedi-ückt. Auch die w-Stämme haben die starke Stammform auf -ön- verallgemeinert, wie lat. natiönis gegenüber umbr. natine, gi'. yeiucövog, 'AjtoXXoivoc, usw.. daher messap. Xonedonas, Baledonas, Laparedonas , Dazihonas (Deecke, Rhein. Mus. 36, 584 f.; vgl. Torp. Idg. Foi-sch. V 206). Auch in den illyrischen und venetischen Eigennamen lässt sich ö uDzähhge Male nachweisen; den messap. Ausgängen -orres, -onnes entspricht hier in den latinisirten Formen -orius, -onius, z. B. venet. Fuctorius, Furforia (Aquileja. CIL. V 8422). Flae- torius (Tergeste, V 541), Pelsonia (Bummn in Libmuien, CIL. m 6415), Pletoronius, Gemonia (Piquentum in Histria CIL. V 455. 447). Ausserordenthch häufig sind im Illyrischen die männhchen und weibHchen Personennamen auf , Gen. -önis. ferner Oiis- und Pei"sonennamen auf -öna. Dass dieses ö ge- schlossen ausgesprochen wurde, ergiebt sich aus seinem Wechsel mit M, wie er namenthch bei den Namen auf auftritt: Aplu, Aracu, Bagaucu, Ittu neben Jtfo, Mottu u. s. f. (Pauli, Veneter 402), Gen. -ünis : Ärabunis (Arrabona, CIL. III 4367), Dat. -uni : Cattuni (Noreja, CIL. III 5042). Vgl. damit nAATVB auf Münzen und Ziegeln aus Brno (Pais, Storia d'Italia I 341 Anm.) neben Flatoras, Flaiorrihi , Platoriiis, illvr. Piator. Wir ersehen daraus, dass ö im Hhiisch-Messapischen, wie im Geima- nischen und Litauischen andere Wege gegangen ist als die ent- sprechende Kürze. Nach G. Meyer ist idg. ö im Alban. durch verti'eten: wenn diese voreret nur durch wenige Belege gestützte Ainiahme zutrifft, so handelt es sich hier entweder um einen jüngeren Lautwandel oder um einen Dialektuntei-schied.

Eine zweite stark ins Gewicht fallende Uebereinstimmung zwischen Messapisch und Albanesisch zeigt sich in der Behand- lung des Diphthongen au. Wie zuerst Bugge (Bezz. Beitr. XVI ir 197) bemerkt hat. ist au durch messap. a vertreten in dem Stiidtnamen Basta Plin., heute Vaste neben Bavara Ptolem.

1) Der Gen. WAxogog in Ambrakia CIG. 1800 Add. beweist nichts dagegen, da die Kürze hier auf griechischem Einfluss (p»;rooof) beruhen kann.

Stellung des Messapischen. 260

m 1, 76 (Bavöra rj BavoTa). Unsicherer ist das ohne Ethnikon von Hesych verzeichnete ßägig .... rj telyog tj oxod r^ Ttigyog, das man mit messap. ßavgia \)ly.ia (Kleon im Et. M. 389. 24, Mommsen UD. S. 70 ^) verghchen hat, welches letztere ohne Zweifel mit got. bauan 'bauen' zusammengehört; in Betracht zu ziehen wären femer die Ortsnamen Barium ^) und Barm (Insel bei Brundisium. Paul. Diac. p. 24 Th. d. P.). Wenn an in anderen Fällen erhalten ist z. B. in Taofinahiaihi Fabr. 2989. so lässt sich dies verschieden erklären : entweder handelt es sich um verschiedene graphische Wiedergabe desselben Diphthongen, der etwa wie lit. du (vgl. darüber Kui-schat. Lit. Gramm. S. 61) ge- sprochen wurde, oder um eine dialektische Verschiedenheit oder endhch wechselten ä und au mit einander, wie im Litauischen du (dialekt. ä) und an. Messap. eu liegt vor in Qeoforas, Qeoforres, daneben Ootoria, Fabr. 2995.

Dass die Mediae Aspiratae im Mess. dui'ch Mediae vertreten waren, folgt aus dem eben erwähnten ßavoia, ferner aus Bdlakrahiaihi, Fabr. III. Suppl. n. 467 zu maked. BaXa/.Qog = Oälcr/.ooQ.. Für die Behandlung der Palatale scheint mir ein sicheres Beispiel in Barzidihi Fabr. III. Suppl. n. 443 vorzu- liegen, zu alban. harÖ-l 'weiss' (rumän. harzä Storch), calabr. barötilör 'grau', skr. bhrdjate. avest. h[a]räzaiti 'glänzt', wozu auch der Name des illyrischen Königs Bagdilhg (Plut. Pyrrh. 5) gehört. Das mess. z steht neben illyr. alban. d, wie z neben ö innerhalb des Albanesischen selbst 3). Da es sich um dasselbe Wort handelt, so kann die Verechiedenheit nur als eine dialek- tische aufgefasst werden. Man vergleiche auch das Verhältnis von JEvd^elrxaL zu Denseletae, Dansala (Dessau, Inscr. lat. sei. I n. 2512), Jaogd^cö (Appian. Ulyr. c. 2) zu Jagaioi, Jaooaioi, JaooaQrjTioi zu ^eGagtjd^ioi (Hekataios bei Steph. B. s. v.).

1) Bei Hesych ist ßvoiov oixrjixa, ßvoto^sv ol'xo^sv ohne Ethnikon verzeichnet. Da Kleon die Form auf -^sv gebraucht hatte, so scheint allerdings das mess. Wort gemeint zu sein: wir haben es also mit einer varia lectio zu thun.

2) Die Länge des a ergiebt sich aus Horat. Sat. I 5, 97.

3) Explosiva für Palatal würde in klohizis, klaohizis. x).a(ohi vorliegen, wenn diese Wörter von Deecke, Rhein. Mus. 40, 133 f., und Torp. Idg. Forsch. V 197, richtig zu Wurzel kHeu- 'hören' gezogen werden. Aber hier zeigt auch das Lit. k {klausyti 'hören'), vgl. Pedersen, Idg. Forsch. V 36. Der Fall gehört zu den oben S. 108 erwähnten Ausnahmen.

266 VIII. Die illyrischen Stämme.

Beiläufig liefert Barzidihi, Baoöv'/j.ic auch einen Beleg für mess. illyr. a == 0, b bh.

Diesen lautlichen Uebereinstimmungen reihen sich einige lexikalische Berührungen an: mess. ;joeröidv '^/.{.(faXri rov iXdffov (Mommsen ÜD. 46) = alb. bri-ni. Stamm brin- 'Geweih'; Men- zana Pferdegott bei den Sallentinern = alb. nies, fem. mezs, nimän. mänz Füllen (Stier, Z. f. vgl. Spr. 11, 148. Toraaschek, Bezz. Beiü\ IX 100 f.).

Bis hierher hat sich uns keine ernstliche Schwierigkeit er- geben: alles weist darauf hin, dass Albanesisch, Illyrisch. Mes- sapisch aufs engste zusammengehören. Ein ganz anderes Bild zeigt sich uns aber, wenn wir uns zum Venetischen wenden. Pauli ^) hat uns jetzt die Sprache der Veneter durch eine um- fassende Bearbeitung und eine scharfsinnige Analyse ihrer in- schriftlichen Denkmäler so nahe gerückt, dass wir eine Reihe lauthcher, morphologischer und lexikalischer Merkmale zu er- kennen im Stande sind. Gänzlich unbefriedigend ist jedoch die .\rt und "Weise, wie er sich mit der Fi-age nach der Stellung dieser Sprache abfindet. Er erklärt sie für eine illyrische, eng verwandt mit der messapischen, ei"stens weil Herodot (I 196) von ^DJ.vQUov ^EvEioig spricht, zweitens weil die venetische Nomen- klatur die grösste Verwandtschaft mit der illyrisch-messapischen zeigt. Merkwürdigerweise scheint es aber Pauli völhg entgangen zu sein, dass die venetische Sprache, wie sie von ihm rekonstruirt ist, in anderer, besonders in lautlicher Beziehung den schroffsten Gegensatz zum Messapischen und Illyrischen, wenn wir dafür das Albanesische einsetzen dürfen, bildet. Keines der eben be- behaiidf^lten lautHchen Merkmale des Albanesischen und Mes- sapischen findet sich im Venetischen wieder, o ist nicht zu a geworden, sondern bewahrt: vgl. Xom. Sing, der o-Stämme auf -oa z. B. Volfiiomnos; Pei*sonalendung to- in zofo, zonasto. Pa- latales y ist nicht durch Zisclilaut vertreten, sondern durch H^, welchem Zeichen Pauli (Veneter S. 249. 400) den Wert einer weichen Spiraus, neugriech. y vor dunklen Vokalen, giebt; die lateinischen Inschriften umschreiben den Laut mit y : venet. Xalxnos: Galgestis, EyHoriios: Eytorei (Pauli a. a. 0. 345. 307).

1) Altitalische Forschungen, I. Die Inschriften nordetrusk. Alphabets^ 1885. III. Die Veneter und ihre Schriftdenkmäler, 1891. Pauli's neue Theorie über die Stellung des Venet. und Albaues. i Altit. Forsch. II 2, 200) wird in den Nachträgen erörtert.

Stellungr des Venetischen. 267

Das am Anfang von Weihinschritten stehende eyo deutet Pauli wohl liohtig als 'ich', lat. ego, gi\ iyiö : lit. es2 asz, asl. azü, skr. ahäm av. azem, das als Objekt zu zonasto 'gab' dienende meyo als 'mich'. Wenn er aber (a. a. 0. 247) die Proportion auf- stellt got. ik : ynik = ven. eyo : meyo, so ignorirt er ohne weiteres die bisherige wohlbegründete Erklärung Aon got. niik aus me + Partikel ge, gr. eua-ye. Ich halte Pauh's Deutung nur in der Weise für möglich, dass ich meyo als eine dui'ch Einwirkung von eyo entstandene Neubildung für älteres me ansehe. Aehnliche A^orgänge sind aus der Pronominalflexion anderer idg. Sprachen bekannt: lit. mes 'wir' für *ves nach dem Anlaut m- im Sing.; oberdeutsch mir 'wir', dir 'ihr' ebenfalls nach dem Sing. ; nieder- fränk. sir 'sich' nach w?/r, dir u. dgl. Patronymisches -geno- -gno- (mit (/1-: vgl. tlirak. ^vlov'livr^g) erkennt Pauli (Veneter S. 294. 305. 306. 309. 312. 343) in Eni-gnus, Vehynoh = *Vehigenus u. a., -genes (= gr. -yevrig, thrak. -l'evjjc) in VoJti-yeneh. Ein drittes Beispiel für ven. y = idg. ^'' liefert der eben erwähnte Name Xolynos, Galgestes (Pauli, Veneter 345 f.), den ich als einen Spitznamen zu lit. zalga Stange, got. galga stelle.

Noch schwerer ins Gewicht fällt aber ein dritter Unterschied des Yenetischen vom Messapischen und Albanesischen, die Ver- wandlung der Media Aspirata bh in /'. Dass die Kombination F mit dem venet. /«-Zeichen in der That f bezeichnet, wie auf der praenestinischen Fibel S^. und nicht v + /?, wie dieselbe Zeichenkombination auf der Grabschrift von Tanagra, das hat Pauli a. a. 0. 98 ff. 315 f. überzeugend nachgewieseii. Die lat. Inschriften geben das vh durch f wieder: ven. Vhremahs, Vhre- mahstna : Fremmo, Fremaniio; VhuyJ(i)a, Vhuysiia, Vhouyontah, Vhoiiyontios, Vhmiyontna, Vhouyontiiaka : Fugonin, Fugenia: dass das vh = f hier auf idg. bh zurückgeht, ist kaum zu bezweifeln; der erste Name gehört offenbar zu lat. frenio, ahd. breman (als Spitzname), der zweite vermutlich zu lat. ftigio, fugo, gr. cfeiyco, lit. baughiti scheuchen ^). Es hegt nahe, mit G. Meyer (ßerL phil. Wochenschr. 1892^ Sp. 315) zu vermuten, dass wir es hier mit entlehnten itahschen Namen zu thun haben. Diese Annahme hätte jedoch zwei Bedenken gegen sich: die beiden angeführten

1) In Betracht käme noch etwa got. baugjan 'fegen', aber keinesfalls avest. büza- Bock usw., da die Ableitung mit -ont- auf einen Verbalstamm deutet.

268 VIII. Die illyrischen Stämme.

Personennamen gehören zu den häufigsten auf den Inschriften in venet. Sprache, haben also am ersten Anspruch für einheimisch zu gelten. Sodann begegnet aber f auch sonst noch in venetischen Eigennamen und nicht bloss in venetischen, sondern auch in histrischen und in illyrischen, und zwar auch in Ortsnamen, die nicht entlehnt sein können: Feltria im nördhchen Venetia, j. Feltre ; Formio Fluss südUch von Tergeste an der Nordgrenze von Histria. j. Fonnione; Flanates, histrische Völkerschaft mit der Hauptstadt Flanona am Sinus Flanaticus (■/.6).frog (DXarcori/.og: Steph. Byz.); Oov).(firioi' auf der libumischen Insel Curicta >). Üeber die Focunates in Tirol s. Pauh, Veneter 421. Personen- namen mit f sind Funanc? Verona CIL. V 3664; Fema Covolo, Pauli, Veneter S. 355; Flonia (v. 1. Elonia) Patavium CIL. V 2253; Carfenus Rovigo V 2457; Carfanius Carfania Aquileja V 1148, Carfenia 8357 ; Siiefia Neapolis in Histria, V 374 ; Fasaca Montona, V 410 ; Fervalocus Piquentum V 437; Jaefus Corinium in Liburnien, CIL. lU 2896; Ecßodeia Japydia, III 2993; Spifarla{?) Salona, III 2123; Viforinus ebd. III 6405; Fibio Emona. III 3855. Ist demnach die Existenz eines f im Venetischen und Nord- illyrischen nicht zu bezweifeln, so fällt allerdings andererseits auf, dass daneben h (in den venet. Inschriften cp d. i. tönende Spirans?) in demselben Sprachgebiet sehr häufig ist und unmöghch durch- weg altes b, einen bekanntlich im Idg. sehr seltenen Laut, dar- stellen kann. Einige von den Fällen kommen als Lehnwörter in Wegfall: ven. Ooyms, Oohiios, Boiciis, Boiscus erklärt Pauli (Veneter 350) gewiss mit Recht für keltisch. Ferner scheint idg. gh sich anders wie bh im Venet. entwickelt zu haben : gh ist mit g zusammengefallen, wenn die oben vorgetragene Etymologie von Galgestes, \aXynos richtig ist; Gailonius in Aquileja, CIL. V. 195. gehört wohl zu lit. gailüs heftig, ahd. geil mutwilUg. üppig, lustig, lautete also ursprünglich mit gJi- an. Für dli kenne ich kein sicheres Beispiel aus dem Venet. Dass aber eine ver- schiedene Behandlung von hh und gh nichts Unglaubliches hat, kann man aus der deutschen Lautverschiebung lernen, die in den

1) Ob der luselname Phuria <Paoia mit der Stadt ^doo; herge- hört, ist unsicher: 9? giebt in Fremdwörtern zuweilen p wieder: nach EphoroB (bei Steph. B. s. v.) war Pharos eine Gründung der Parier. Einen Ort Aufaatiana verzeichnet Kiepert (Formae orb. ant.) nordwestlich von Narona.

Stellung des Venetischen. ^o"

fränkischen Dialekten die vei"schiedenen Klassen von Explosiven in verschiedener Weise betroffen hat.

Von der veuet. Kasusbildung sehe ich ab, weil hier noch zu \-ieles unsicher bleibt. Hätte Pauh Recht, dass die Formen auf -oh, -ah, -eh Genitive Sing, sind, so wäre auch hier eine Ab- weichung vom Messapischen zu konstatiren, wo sie auf -ailii, -ihi ausgehen. Aber die häufige Verbindung meyo zonasto Behtiiah •er gab mich der Rehtia" (Pauli S. 265) spricht doch eher für Auffassung als Dativ und auch in Sätzen wie eyo Volüiomnoh (Pauh 244 u. ö.) kann die Form auf -h mit demselben Recht als Dat. wie als Gen. erklärt werden ; vgl. lat. mihi est aliquid. Dann Aväre,. wie auch schon G. Meyer (Berl. phil. Woch. 1892, 312) ausgesprochen hat, h als Dehnungszeichen, -oh also als (gl'. -f'>) aufzufassen.

Auf der anderen Seite bestehen aber doch auch zwischen Venetisch und Albanesisch bemerkenswerte ITebereinstimmungen (vgl. G. Meyer a. a. 0.). Im Veu. ist d in z verwandelt, im Alb. in interdentales d : ven. zoto zonasto er gab, alb. da dgl. kt ist in beiden Sprachen durch Assimilation des h zu t vereinfacht: ven. Behtiu, Behtiviioh, in lat. Inschriften Reticius, Betonius, Retinius (Pauli 257. 335), wie alb. nate aus ^nakte Nacht (vgl. S. 258 über "^««»'^^i^oc). porah , Attribut zu Rehtiiah in einer Weihinschrift aus Este, das Pauh (Veneter 261) ansprechend zu skr. pdra-s 'der vordei-ste, beste' gezogen hat, entspricht alb. pars •erster' (G. Meyer a. a. 0. 314), Avobei der unterschied des Vo- kalismus zu beachten ist. und thrak. ttoqic, tro. Tldgig, wenn meine oben S. 185 geäusserte Vermutung zutrifft ; auch die Xamen Ässo-paris (Gen. m. Brigetio, CIL. III 4332), Voltu-paris (Gen. m., Igg, CIL. III 3791 j, zu deren ersten Elementen Pauh, Veneter S. 300. 312, zu vergleichen ist. enthalten vielleicht dasselbe Wort.

Wenn wir nunmehr daran gehen, die sprachgescliichtliche Stellung des Venetischen zu beurteilen, so diu-fen wh' uns fi-eihch nicht verhehlen, dass wir es hier noch mit einem verhältnismässig dürftigen und teilweise unsicheren Material zu thun haben: nur mit diesem Vorbehalt können wir eine Entscheidung wagen. Nach dem, was sich uns bisher ergeben hat, könnte es am ein- fachsten scheinen, wenn wir die Frage, ob das Venetische eine illyrische Sprache sei, verneinten. In der That, wenn im Ven. idg. 0 durch o, durch g ('/), bh durch f vertreten ist, so steht

270 Vm. Die illyrischen Stämme.

das Lituslavische dem Albanesischen und Messapischen näher als das Yenetiscbe. das dagegen in den genannten drei Punkten mit den itaKschen Dialekten völlig übereinstimmt. Auf der anderen Seite stellen sich aber doch einer völligen Trennung des Ven. vom Illmschen erhebliche Schwierigkeiten in den Weg. Kein zu grosses Gewicht darf man freilich auf Herodots ^D.Xvoiiov ^EvETOvg (I 196) legen, denn Herodot kommt es an der Stelle, wo er von den Venetem spricht, garnicht auf die ethnologische Stellung derselben an, sondern nur darauf, sie von den paphla- gonischen ^Everoi zu unterscheiden : das konnte er nicht kürzer als durch Angabe des Nachbarlandes; der Name Italien ist be- kanntHch ei-st im II. Jahrb. v. Ch. auf die ganze Halbinsel aus- gedehnt worden, konnte also von Herodot zur Kennzeichnung der Veneter nicht gewählt werden. Aber schwerwiegend sind aller- dings die von Pauli hervorgehobenen engen Berührungen zwischen Venetem und IlhTern in der Nomenklatur, und dass doch auch auf lautHchem Gebiet Uebereinstimmungen nicht fehlten, haben wir soeben festgestellt. Ferner sind die vom Alban. und Messap. abweichenden Merkmale des Yenetischen nicht auf diese Sprache beschränkt, sie lassen sich über Histria bis nach Japydia, Liburnia und Dalmatia hin verfolgen: für /' sind bereits Beispiele gegeben. Idg. ö hegt doch wohl vor in Pladouicmis (Ridita in Liburnia, CIL. IIL 2787. 2797. 6410), einem Partizipialnamen wie gr. ^^/.ovue- vog, ^AyaTtioLUvog u. a. ; fenier in Placoutis Gen. m., Salona, CIL. III 2503; Plesontei, Flanona, ebd. 3042 usw. Für die Ver- tretung der Palatale ist es schwerer, ausserhalb Venetiens sichere Beispiele aus den Eigennamen zu gewinnen : Vescleves in Flanona (Gen. Vesdevesis) und Albona (Dat. Vesclevesi), von Tomaschek, Bezz. Beitr. IX 95, aus vesii- 'gut" und clevos 'Ruhm' = ski*. grävas gedeutet, ist deshalb kein solches, weil das k hier auch in ht. Jdausf/ti. vielleicht auch in messap. kl{a)ohizis (S. 265 Anm. 3) und nach Pedei-sen, Idg. Forsch. V 36, in alban. k'iihem -heisse' vorliegt. Das pannonische Volturex i) habe ich oben S. 17 Anm. mit d'Arbois de Jubainville als keltisch angesehen und -rex für

1) Auf Inschriften von Igg J'oUuregis, CIL. III 3811, Valtrex ebd. 3824. 3825. 3793. Voltrec\s\ ebd. 3805, VoÜregis. 3797. 3860. VoUrecii 3796. Das von d'Arbois de Jubainville herangezogene breton. rot König, PI. rouatiez, behandelt jetzt Rieh. Schmidt, Idg. Anzeiger VI 84 f.; ich habe darüber kein Urteil.

Stellung des Venetischen. 271

gall. -rix aus Anlehnung an lat. rex erklärt. Pauli (Veneter S. 312 14) weist aber auf das häufige Vorkommen des Stammes volt- in Venetien hin und nimmt daher den Namen für das Venet in Anspruch, betrachtet ihn jedoch nicht als Kompositum von re:v 'König', sondern als Weiterbildung von voltu- mit r- und c-Suffix. Mir scheint indessen die erstere Annahme durch VoUu- paris (vgl. Asso-paris) empfohlen zu werden : dann läge auch hier ven. g für idg. palatales (/ vor. und dieselbe "Wurzel reg- let vielleicht in Begontius (Juhum Carnicum, CIL. V 1830), Regia (ebd. 1865. Aquileja 1355), Rega (Igglll 3793. Emona3866. 3871) enthalten: zu völliger Gewissheit kann man freihch bei diesen Naraendeutungen nicht kommen. Gehen wir dagegen weiter nach Süden, so zeigt uns der eine Xame BaoöcX/ug des im Norden von Epirus heri-scheuden illyrischen Königs die dem Albanesischen entsprechende Vertretung von o durch a, von bli durch b und von g^ durch d ^).

Dieser ganze Sachverhalt scheint mir zu der Annahme zweier scharf unterschiedener illmscher Dialekte, eines nördhchen und eines südHchen, zu nötigen, welche mehr durch morphologische und lexikahsche als durch lauthche Uebereinstimmungen mit ein- ander verbunden waren: jener vertreten durch das Venetische, dieser durch Messapisch und Albanesisch. Aehnhch zerfallen ja auch die itahschen Mundarten in zwei, wenn auch nicht ganz so scharf gesonderte Gruppen, die umbrisch-oskische und die la- teinisch-faliskische. Die venetische Sprache nahm eine Mittel- stellung zwischen dem Südillyrischen und dem Italischen ein, mit dem sie in der Vertretung von o, g^ und bh (aber nicht gh. dh) zusammenging; auch mit dem Keltischen scheint sie manches gemeinsam gehabt zu haben 2). Wo die Grenze zwischen Nord- und Südillyrisch lag, lässt sich nicht genau bestimmen, da wir ja die Sprache des eigentlichen Illyriens nur durch ein paar Glossen 3)

1) Illyr. g = idg. gh darf man wohl aus der bei Stephanos ver- zeichneten Form 'Eyyelävs; für ' Eyx^^-^'''^? folgern.

2) Es ist naturgemäss schwer, hier zwischen keltischem und solchem Sprachgut, welches dem Venet. mit dem Kelt. seit Alters geraeinsam war, zu unterscheiden. Vgl. dai-über Pauli, Veneter S. 349 f., der aber S. 384 die keltische Herkunft des Ariomanus (Bolus, CIL. III 4594, s. oben S. 130) verkennt, auch thrak. Namen wie Aulucentius, Aulozenes (Veneter S. 384), Sudecentus, Moca (S. 357j, Madocus (S. 362) für illyrisch hält.

3) Uebersehen hat man bisher die Notiz in den Schol. Od. s 281 :

272 VIII. Die illyrischen StäTnme.

und durch Namen kennen, die. wie G. Meyer (Alb. Stud. II) mit Recht betont, allein keine sehr sichere Grundlage für sprach- geschichthche Folgerungen abgeben i). Bei dem regen Seeverkehr, der zwischen den Küsten der Hadria bestand, ist zu vermuten, dass beide Dialekte vielfach durcheinander gegangen sind.

Erst jetzt ist es Zeit, auf die neue Theorie von Pais über die Japyger und Messapier^) einzugehen, deren Besprechung ich mit Absicht bis hierher verschoben habe. Pais wendet sich mit Entschiedenheit gegen die von Mommsen (Unt. Dial. S. 85 if.) und Heibig (Hermes XI 257 ff.) vertretene Annahme, dass Japyger und Messapier Zweige desselben Stammes gewesen seien : in jenen erkennt er ein illyrisches Volk, welches von den Julischen Alpen her zu Lande in (he itaüsche Halbinsel einwanderte, längs der Küste des Adriatischen Meeres nach Süden vordrang und die Messapier bis in die calabrische Halbinsel zurückdrängte; diese letzteren erklärt er für einen mit den Griechen verwandten Stamm, der von den Küsten des nördlichen und mittleren Hellas übers Meer nach ItaUen gekommen ist. Der Grundfehler dieser Theorie ist, dass sie vollständig die sprachgeschichthchen That- sachen, unsere wichtigsten ethnologischen Zeugnisse, ignorirt. Das kann garnicht zweifelhaft sein, dass das Volk, von welchem die calabrischen Inschriften liemihren, und das auch Pais als Messapier

Ol dk /.iyovoiv 'Ik'/.vQiovg qivov )Jy£iv ttjv dx^vv. V; nach P Q T scheint aber qivo; speziell oinotrisch; evtoi de oirov y.azä Oivcotqovs vEtfJog. Alban. re, PI. ra-ts 'Wolke' ist lautlich damit kaum zu vereinigen; Etymologien bei Stier, Z. f. vergl. Spr. 11, '248. Bugge, Bezz. Beitr. XVIU 170. G. Meyer, Alban. Wb. s. v.

1) Die Schwierigkeiten der Erklärung werden bei den illyrischeu Namen dadurch erhöht, dass sie zum grössteu Teil einstämmig sind und daher der Deutung einen weiten Spielraum lassen. Immerhin lässt sich aber mehr aus ihnen gewinnen, als bisher geschehen ist. In den häufigen weiblichen Namen Suadulla (Solva, Noricum, CIL. III 5354), Suaducia (Nor., III 5421. 4864), Suadra (Poetovio, Pann. sup., III 4103. Matucaium in Noricum 5025. Solva, 5371), Suadru (Virunum, III 4922) steckt doch gewiss sväd- gefallen, svädu- 'süss, gefällig' = skr. svädü-, dor. ddv-, lat. suävis, woraus sich die illyr. Vertretung von sv- ergiebt. Beiträge zur illyrischen Namenkunde haben geliefert Tomaschek, Bezz. Beitr. IX 93 fl., Deecke in seinen Aufsätzen über die messap. Inschriften und Pauli, Veneter 359 fl". u. ö.

2) Studi storici I (1892) S- 1 fl"., wieder abgedruckt in der Storia d'ltalia I 335 ft".

Japyger und Messapier. 273

bezeichnet, eine von der griechischen sehi' verschiedene, aber der albanesischen eng verwandte Sprache gesprochen hat, also ein iUyiisches gewesen ist. Daran kann auch die von Pais und WilamoM-itz (Eurip. Herakl. I^ 10) hervorgehobene Thatsache nichts ändern, dass der messapische Name mehi-fach in griechi- schem Gebiet wiederkehrt : Thukydides (III 101) nennt einen Stamm der Messapier in Lokris; in Boiotien hiess ein Berg bei Anthadon MEGoämov oQog (Sti*ab. IX 405); in Lakonien gab es einen Ort MeoaairiaL (Steph. B. s. v., Paus. III 20, 3). Da- neben hegt eine Form mit r, MeroTtLOi in Ehs (IGA. 118), Mirana an der Grenze von Aitohen und Akaraanien, väe auf italischer Seite ^Ietcitvovtlov^) oder Mexaßov neben 31eo(jd7tioi. Wilamowitz nimmt an. dass ein althellenischer Name sich auf Einwanderer überti'agen habe, weil sie sich mit jenen gemischt hatten. Vielleicht ist aber auch die umgekehrte Annahme zu erv\-ägen, dass die Messapier ein von Haus aus iUmscher Stamm waren, von dem ein Teil mit Boioterii und Dorieni in altgriechi- sches Gebiet drang und hellenisirt wurde. Es gab ein MsoadTtiov OQog auch bei den Paioniem ^) und der paionische Name des Wisents, Liövartog, zeigt dieselbe Bildungsweise. Insoweit wii-d Pais Recht haben, als Messapier und Japyger, obwohl stamm- vei'ft'andt. doch stark von einander untei"schieden gewesen sein können, denn jene scheinen im Mutterlande dem äussersten Süden des illyiischen Gebietes angehört zu haben, während die Japuder zu den nördüchsten illpischen Völkern zählen. Aber wie es in Kolonien häufig zu geschehen pflegt, dass das, was im Mutter- lande noch gesondert ei-scheint, hier zu einem neuen Ganzen ver- schmilzt, wie die giiechischen Stämme, welche auf der Westseite des Aegaeischen Meeres noch getrennt sind, auf der Ostseite viel- fach dm'ch einander gegangen sind, so erscheinen auch die iUy- rischen Auswanderer auf itahschem Boden derart durch einander gemischt, dass eme Sonderung der alten Stämme kaum möghch ist; wahrscheinhch sind diese ja nicht in ihrer Gesamtheit übei-s Meer gegangen, sondern in einzelnen Schaaren und zu sehr ver-

1) MsTOJiovztov dürfte aus einheimischem *Jfetapuntum (wie Hydrum- tutn gebildet) 'Messapierstadt' graecisirt sein.

2) Aristot. bist. anim. IX c. 45. Mit Msaacmia vergleicht sich in der Endung ZaXoaia, Name einer apulischen Stadt, Gehört auch Apuli und der häufige illyr. Name Aplu her?

Eretscbmer, Einleit. in d. Geseh. d. ^. Sprache. 18

274 YTTT. Die illyrischen Stämme.

schiedenen Zeiten. Daher sind im Süden der italischen Küste Japjger und Messapier so vöUig mit einander verschmolzen, dass sie nunmehr den Alten füi' ein Volk galten_i) und es auch wirk- lich waren.

Nachdem wii- die Stellung der illjTischen Sprache im All- gemeinen zu erkennen versucht haben, bleibt uns noch die Auf- gabe, ihr Verhältnis zum Griechischen im Besonderen zu be- stimmen, wobei wh' nm' die unmittelbaren Nachbarn der Griechen. die Südillyrier, in Betracht ziehen. Bisher hatten sich uns zwischen diesen beiden Nationen nur einschneidende Unterschiede ergeben, dagegen nahe Berührungen des Albanesisch-Messapischen mit dem Lituslavischen. Ganz besondei-s der Uebergang von o in a scheint mir zu der Annahme zu nötigen, dass die Träger dieser Sprachen einst Nachbarn gewesen, die Blyrier also aus nördhcheren Sitzen zwischen keltischem und thrakischem Gebiet hindurch nach Süden vorgeckungen sind 2). Auf der anderen Seite fehlt es aber auch nicht an sehr gewichtigen Ueberein- stimmungen zwischen Messapisch und Griechisch, welche auf recht alte nachbarhche Berühningen hinweisen, und zwar zeigt sich hier das Messapische als vennittelndes Glied z^-ischen dem Itahsch- Keltischen und speziell dem Nordgriechischen.

Nur mit dem Itahschen um dies vorweg zu nehmen hat das Messapische zwei Erscheinungen gemein: ei-stens den Nom. Sing, der /o-Stämme auf -ies, mess. Arnisses Fabretti n. 2960 aus *Arnisies, Haytorres aus *Haytories (Deecke, Rhein. Mus. 37, 390), Qeotorres Fabr. 2960 aus *Qeotories, Gorvaides Fabr. 2950 c aus *Gorvaidies, vgl. paelign. Rufries, Zvetiiietf Inscr. Ital. med. n. 24, Ponties n. 32, Sadries n. 31, Loucies n. 36. mars. Pacvies n. 41. picen. Alies n. 1, volsk. Tafanies n. 46, osk. Knpiis usw. Daneben auch mess. -ias (Moldahias

1) Herodot VII 170 verbindet 'Itjm'ya; Meaaajitov; in derselben Weise, wie z. B. I 146 Acogiisg 'ETiiÖavQioi (Busolt, Griech. Gesch. I* 383).

2) Auch lexikalische Gleichungen verbinden das Lituslavische mit dem Illyrischen: ßgevSov Hirsch, wovon ßgeviiov Hirschkopf (Et. M. u. Bgevriq- atov), Bchwed. brind (Bugge, Bezz. Beitr. III 99) ist doch von lit. briedis (altpreuss. braydis) 'Hirsch, Elen' (Ebel, Z. f. vgl. Spr. 6, 41G) trotz der lautlich nicht genau identischen Form nicht zu trennen und gehört viel- leicht zu alb. bre^ (St. breö-) hüpfe, das G.Meyer mit asl. bred(\ verbindet. Alb. tregt : asl. irngü, S. 253».

Verhältnis des Messap. zum Griech. 275

Fabr. 2969 u. a.). wie ital. -tos. Eine zweite dem lUyrischen mit dem Italischen gemeinsame Erscheinung ist der .,Mittellaut zwischen / und «'' vor Labialen, wie in lat. optimus : optumus, decimus : decumus. Mess. Dazimas, Jaüiiog, zJaCli-ia (GDI, 1789), illyr. Dasimius und Dazomas, Jaoovixfxiog, dalmat. sal- lentin. Dasumius. Jdu^og{?) und JaZovTtog (Zeugnisse bei Deecke, Rh. M. 36, 586 f. Pais, Storia d'Italia I 360). Ebenso verhält sich epirot. Bovvii.ia zu Bovvo/xog, dem alten Namen von Pella (Steph. B. u. Wlla).

Eine eigentümHche Mittelstellung nimmt nun das Messapische zwischen dem Itahsch-Keltischen und dem thessahschen Dialekt in der Bildung des Gen. Sing, der o-Stämme ein. Im Mess. geht dieser Kasus bei den o-Stämmen auf -aihi, bei den io- Stämmen auf -ihi aus, wenn ein Konsonant vorhergeht, auf -iaihi, wenn ein Vokal vorhergeht. Diese von Stier (Z. f. vergl. Spr. 6, 145 f.) verkannte Regel lässt sich mit voller Deutlichkeit be- obachten : die Belege hat Deecke, Rh. Mus, 37, 373 ff. gesammelt. Man vergleiche Dazimaihi, Graivaihi BaletS-ihi, Pollonnihi, Blafd-ihi, BolUhi, Haytorrihi Arfahiaihi, Balakrahiaihi, Kila- hiaihi, Taotinahiaihi, Moldahiaihi, Solahiaihi. Deecke hat nach dem Vorgang von Stier (a. a. ,0. 144 ff.) und Bopp (Vergl. Gramm. I^ 512) -aihi mit dem Ausgang der o-Stämme im Ski\ {-asya) und Griech. {-oio aus -oioo, -oojo) zusammenbiingen wollen, indem er Schwund des auslautenden Vokals, Epenthese 4es i und Wandel von s in Ä annahm. Diese Erklärung scheitert daran, dass der angenommene Uebergang von inten-okahschem s in h dem Messap. ebenso fremd ist -wie überhaupt dem Illyri- schen: vgl. Brundisium, Genusia (illyi-. Genusus), Canusium, Venusia, Galesus, Busa, Busidius usw. Mit Unrecht und nur ■dm'ch Deecke's Erklärung der mess. Genitive verleitet hat Pauli diesen Wandel auch für das Venet. angenommen (Veneter S. 258. 272): vgl. ven. Namen -^ie Calsasia Ferrara, CIL. V. 2414, Talasus Hatria 2323, Apusidia Forum Juhum 1764 u. v. a. i).

1) Die folgende Erklärung der mess. Genetive habe ich schon im April 1891 in meiner Probevorlesung ausgesprochen; gleichzeitig hat Lattes, Reale Istituto Lombardo di scienze e lettere, Rendiconti, Vol. XXIV (Milano, 1891) S. 181 Anm. 47, dem G. Meyer, Berl. phil. Wochenschr. 1892, S. 310, gefolgt ist, denselben Weg eingeschlagen, ohne ihn bis zu Ende zu verfolgen. Ein Dehnungszeichen vermutete in dem h schon Ebel, Z. f. vergl. Spr. 6, 417.

18*

276 Vni. Die illyrischen Stämme.

Nun sehen wii', dass h die gi'aijhische Funktion, in der es auch sonst auf italischem Boden verwendet '«•urde, auch bei den Messapiem hatte: hiatustilgend ist es in Dazihonas Fabr. 2947, sowie in den Patronymiken auf -ahias (Gen. -ahiaihi) == gi\ -aioQ, wie in lat. aheneus, osk, stahint, umbr. stahu, volsk. pihom, auch venet. Jcatusiahiios, JcoUahiia, orahos; Dehnungszeichen wohl in Dazohonnes (Torp, Idg. Foi-sch. V 206), vgl. umbr. comohota. Es fragt sich, welche Rolle es in dem Genitivausgang -ailii, -ihi spielt. Lattes hat es liier als Dehnungszeichen aufgefasst: diese Erkläi'ung passt zwar füi- -ihi, nicht aber ohne weiteres für -aihi, \i\r müssten denn hier einen Diphthongen mit langem zweiten Vokal annehmen, der wohl denkbar Aväre, aber doch eine Erklärung forderte ^). Fassen wii' das h als Trennungszeichen auf, so müsste -?■ eine angetretene Partikel sein, für die es jedoch sonst keine genaue Parallele giebt^). Wahrscheinlicher düi-fte sein, dass die Endung -ihi der io-Stämme = T auf die o-Stämme übertragen ist, sei es nur in der Schrift, sei es dass man wh'kUch -ai sprach; ähnhch ist ja im Lat. der Genitivausgang -l der o- Stänime auf die ä-Stämme übergegangen: viai. Auf die Schreibung TTOYAAI der Münzen von Ai^di, denen auf anderen Münzen griech. JliÄ/.ov entspricht, darf man sich freilich dafür nicht berufen, da sie aus IlovXaihi abgekürzt sein kann (Monimsen, UD. S. 81), und die Grabschiift aus Ruvo mit eigeai ist nach Pais (Stör. d'Ital. I 384) gefälscht. Von dieser Schwierigkeit abgesehen, düifte es aber umnittelbai' einleuchtend sein, dass die Endung -aihi ebenso mit dem thessal. -oi 3), wie -ihi mit dem ital.-kelt. -7 des Gen. Sing, der o-Stämme zusammenhängt. Man sieht zu-

1) Die Existenz eines solchen Diphthongen im Idg. wird durch die grammatische Analyse für den Optativ der thematischen Verba {tpsgoi aus *bhero-t-t) erwiesen. Im Lat. lag äi im Gen. Sg. der ä-St. vor: viäi.

2) Für diese Erklärung scheint zu sprechen, dass ein paarmal -he statt 'hi geschrieben sein soll : Orosdihe, Tabaraihe, Taotorrihe (Henzen bei Deecke, Rh. Mus.37, 381. 393). Eine angehängte Partikel oder Postposition ist auch wohl -no der Inschriften von Ostuni, Fabr. n. 2952: Qeotoras Artahiaihi Bennarrihino, und Lizza, Fabr. n. 3001 : Bao^tas Stinkaletos Biliovasno.

3j Dann muss die von Ahrens, Fick und Hofl'mann vertretene An- nahme fallen, dass thess. -oi aus -oio entstanden sei : sie ist schon von G. Meyer und Brugmann ohne Berücksichtigung der messapischen Genitive verworfen worden. Auf die Frage, ob wir es hier mit einem genitivisch fungirenden Locativ zu thun haben, gehe ich nicht ein.

4

Verhältnis des Messap. zum Griech. 277

gleich, dass. was im Mess. reinlich geschieden ei-scheint, in den anderen Sprachen zusammengefallen ist. Das Thessalische hat -ot auch bei den /o-Stämmen : ^AG/Xanidi GDI. 1329 . das ItaHsche und Keltische dagegen hat umgekelui: -7 von den io- Stämmen auf sämtUche o-Stämme übertragen. Im Lat. geht der Gen. Sg. dieser Stämme schon in ältester Zeit auf -l aus z. B. auf dem Senatusconsultum de Bacanahbus a. u. c. 568, welches l und ei noch deutHch scheidet (vgl. Solmsen, Idg. Forsch. IV 244): nominus Latini Z. 7, urhani 21, sacri 28 neben v/m Nom. PI.; ebenso die ?o-Stämme auf demselben Denkmal: Claudi, Valeri, Minuci. Ein Rest der alten Scheidung von -oi und -i würde noch im falisk. Zextoi (Deecke, Die Fahsker S. 180 n. 48) neben Cesi von *Cesies (?, Deecke S. 145 n. 13, vgl. S. 264) vorliegen, wenn darauf \\-irklich Verlass Aväre, was Brugmann. Grundriss II 586, besti-eitet. Auch das Keltische hat schon in alter Zeit -l: gall. Ätegnati, Segomari, Dannotali; ir. Ogam-In- schrift: Dalagni maqi Dali (Stokes. Bezz. Beitr. XI 147). Es ist klar, dass dieses ital.-kelt. -l bei den o-Stämmen urspmngHch nicht berechtigt war: wohlbegi-eiflich ist es dagegen bei den io- Stämmen, die auch im Nom. Sg. -T-, -i- füi" -io- zeigen, bei denen also das -i- des Gen. aus -i-i- kontrahirt ist.

Ungefähr über dasselbe Sprachgebiet wie die eben betrachtete Ei-scheinung ist die Bildung der Pati'onymika mit Suffix -io- ver- breitet 1). Im Mess. wird jedem Namen der Name des Vaters in adjektivischer Ableitung mit -ia- hinzugefügt: Dazimaihi Bala- krahiaihi, 'des Dazimas, des Sohnes des Balakras'. Fabr. III. Suppl. n. 467. Dafzjimaihi OibaliahiaifhiJ 'des Dazimas, des Sohnes des OibaUas'. Fabr. n. 2959. Im Griechischen ist diese Bildung auf die nördhchen Dialekte beschränkt, auf Aiolisch (Tslaucuviog), Thessalisch {Nr/.iaiog) und Boiotisch (^d-aroöitoiog). Dass auch die italischen Gentünamen auf -ios von Haus aus solche Patronymika sind, hat bereits Deecke (Rh. Mus. 36, 579. Die Fahsker S. 275 ff.) ausgesprochen. Das nomen gentihcium Tulliu^ verhält

1) Sie sind gebildet wie die „Widmungsnamen" (wie Fick und Bechtel sie nennen) auf -ios : \ino).}Mvio; eig. 'der dem Apollon zugehörige', Kr](piaio;, Zy.afidvdoiog, 'Aacömog. Yon derselben Art ist das lat. Praenomen Tiherius 'der dem Flussgott Tiberis zugehörige'. Ebenso drückt das Patronymikon auf -ios die Zugehörigkeit des Sohnes zum Vater aus (vgl. Wilamowitz, Aristoteles und Athen II 181).

278 Vni. Die illyrischen Stämme.

sich zu dem Praenomen Tullus genau, wie boiot. Ouovkliog zu (Daov'Alog, bedeutet also ursprünglicti 'Sohn des Tullus', wört- Hcher 'der TuUische'. Doch waren nicht alle G-eschlechtsnamen dieser Herkunft: Die auf -nus wie Norbanus (von Norba), Älbi- novatius (von einem sonst nicht bekannten Ort Alba novo), Pomp- tinus (von Pometia) und die umbrischen auf -nas sind deuthch alte Ethnika ; vgl. Hübner, Ephem. epigr. II 30 ff.und in I. Müllers Handb. I 509: für diese tiifft also Mommsens Auffassung, Rom. Foi*sch. I 7, zu, Dieselbe Bildung der Patronymika finden wir bei den Galliern: ^syoi-iaQoc, OciXloveog "Segomaros, Sohn des Villonos' Bezz. Beitr. XI 122 n. 6; Eov.LyyoQei^ KovdiXXsog 'Esc, Sohn des Kondillos', S. 126 n. 9 ; Bifif.iog ^UTOV(j.aqeog 'B., Sohn des Litumaios' S. 127 n. 10.

Man wird es jetzt nicht mein- für Zufall halten, wenn Messa- pisch Qiid Aiohsch-Thessahsch auch in einer lautüchen Ei-schei- nung zusammengehen. Im Mess. wird jeder Konsonant vor j verdoppelt 1), welches selbst bei diesem Prozess schwindet: Qeo- torres aus *Qeotorjes, vgl. die Gen. Platorrihi, Haytorrihiy Nekas- sihi; Bollihi Fabr. n. 2947 von *Bolles aus *Boljes. Ebenso er- klären sich die Genitive Blatd-ihi, BaletOihi, Etd-ihi, DazoJionnihi (Noni. *Daz5nnes) u. a. In den lat. Umschreibungen wird der /-Laut in Anlehnung an das Lateinische geschrieben : Dasummius. Auf Münzen von OvQia (Yqiu Herodot IV 99, j. Oria) steht ORRA Fabr. n. 2977; und dass der Name der Insel Barra bei Brundisium aus Baria entstanden war, geht aus der Nachricht bei Paul. Diac. p. 24 hervor, wonach die Stadt Barium von Leuten aus Barra gegründet und benannt worden ist. Dieselbe Erscheinung ist aus dem Aiohschen und Thessahschen bekannt: aiol. i^iheQQog aus *^hQJog, (xixQiog, thess. aqyvQQOi aus *aqyvQJoiy ■/.vQQOv, rqu-Actdi usw. In anderen Fällen ^nrd der j-Laut ge- schrieben: thess. navaavviag, TtoXhog, TtqoievvLoh', lööiav (Schulze, Quaest. ep. 295 Anm. 2). Die konsonantische Aus- sprache von L nach Konsonanz ist auch sonst im Griechischen nachweisbar 2) im Neugriechischen sogar die alk'inherrschende

1) oder verschärft, wie die Germanisten richtiger sagen, denn es handelt sich hier gewiss nicht um wirkliche Verdopplung, sondern um Dehnung der Konsonanten.

2) S. darüber G. Meyeis Griech. Gramm.* 160 und zuletzt Brugmann, Idg. Anz. V 50. Ber. d. Sachs. Gesellsch. 1895, 47. Auf Brugmanns an

Verhältnis des Messap. zum Griech. 279

nicht aber die Verdopplung : eine vereinzelte Ausnahme bildet att. Kvd^tjQQiog, wie das Demotikon auf den attischen Steinen durchweg geschrieben wird; s. Meisterhans, Gramm, der att. Inschr.ä 74^ Jer daraus ohne Berechtigung ein Kvd^r^QQog er- schliesst. EndHch zeigt sich derselbe Vorgang auch bei den westlichen Nachbarn der Messapier. bei den Oskern (Planta, Gr. d. osk.-umbr. Dial. I 538), freihch auch auf einem weitab- liegenden Sprachgebiet, dem germanischen. Dennoch dürfte in Anbetracht der zwischen Messapisch und Thessahsch nach- gewiesenen sonstigen Berührungen auch in dieser Uebereinstim- mung kein zufälliges Zusammentreffen zu erblicken sein^).

Wenn sich somit die oben ausgesprochene Ansicht bestätigt hat, dass in jener Epoche, als illpische und nordwestgriechische Stämme in Epirus auf einandertrafen, der sprachliche Abstand zwischen ihnen noch kein so weiter war, wie später, so bestand doch schon damals zwischen beiden Stammgruppen ein merkbarer nationaler Gegensatz oder bildete sich eben in jener Periode feindseliger Berührungen heraus: und dieses Gegensatzes ist man sich bewusst geworden. Epirus ist das Geburtsland des griechi- schen Namens. Die illyrischen Einwanderer hatten das Bedürfnis, die ihnen hier entgegentretende stammfremde Nation im Ganzen zu benennen und übertrugen auf sie den Namen eines ihrer

diese Erscheinung geknüpfte Erklärung der Assibilation von t vor t (die Schrift von Goidanich kenne ich nur aus Brugmanns Anzeige) kann ich hier nicht näher eingehen. Ich bemerke nur, 1) dass die Assibilation von T vor i + Kons, auch neugriechisch ist [gsraivt], PiXtjfiazoiöa, s. jetzt Thumb, Handb. d. ngr. Volksspr. S. 19), also nichts im Wege steht, sie in ßdatg^ ßdoiv u. 8. f. für lautgesetzlich zu halten. 2) bleibt bei Brugmanns An- sicht, dass Tt nur vor Vokalen in 01 übergegangen sei, die Assibilation im att. ßdotg, (pvaig, xd^ig usw. unerklärlich, denn in der ganzen att. Flexion dieser Verbalabstrakta gab es dann keinen Kasus, wo sie lautgesetzlich vsrar, und hatte es in praehistorischer Zeit höchstens zwei (Gen. und Acc. PI.) gegeben. Die ion. und dor. Flexion ßdaiog, ßdai, ßdoisg u. s. f. ist doch niemals attisch gewesen. Dass mir die Dissertation von Müller, De 0 litera, bekannt ist, hätte Brugmann aus dem Zitat, Z. f. vgl. Spr, 30, 566, ersehen können.

1) Der dem Phrygischen mit dem Thessalischen gemeinsame "Wandel von ö in ü ist im Illyrischen, wie im Thrakischen (vgl. oben S. 225) nur in auslautender Silbe sicher nachweisbar (vgl. die Namen auf -«, Gen. -ünis, Dat. •üni). Im Keltischen unterlag 5 nur in Schlusssilben dem Wandel in u [Frontu etc. Stokes, Bezz. Beitr. XI 155).

280 Vni. Die illyrischen Stämme.

Stämme, der Graer, welche aus Epinis verdrängt später am Oropos an der attisch - boiotischen G-renze wieder auftauchen. Diesen Namen haben die übers Meer auswandernden illyrisch- epirotischen Völkerschaften nach Itahen mitgenommen und so dem Abendland, in dem er noch heute herrscht, zugetragen, lange bevor der Name '^'EXh^veg bei den Griechen selbst allgemeine Geltung gewonnen hatte i).

Dieselben Stämme haben auch den italischen Völkern die Sagengestalt des Odysseus vermittelt; denn die Lautform des lat. Ulixes, Olixes^) lehrt deutHch, dass Odysseus den E,ömem nicht dm-ch das ionische Epos zuerst bekannt geworden ist. Die messapische Sprache besass eine Spirans, welche von den Römern teils mit x, teils mit s(sj, von den Griechen mit L* und a, in der mess. Schrift selbst mit z und vor t mit X oder <■ wiedergegeben wird: der Gen. Sg. von Dazet (mit Jaüixog, JcZoiTcog^ Dases, Bassins usw. stammverwandt) wird teils AAXTA?, teils AACTA? (auf einer delphinförmigen Vase, de Witte, Catal. Durand n. 1310. Fabretti n. 3019) geschrieben. Das venetische Alphabet hat füi' den Laut ein besonderes Zeichen besessen, welches auch in den keltischen Inschriften begegnet und in lateinischer Schrift durch ./■, XX, xs , c, ss, s ausgedrückt wird. Pauli (Veneter S. 154 ft.) hat diese Verhältnisse sehr ausführlich besprochen und jenem irrationalen Laut den Wert eines i- beigelegt, Auch das l von Ulixes weist auf eine nichtepische Quelle. Wir wissen jetzt durch die Inschriften, dass Athener, Boioter, Korinther den Heros 'OÄtfffferc bezw. 'OAirrei-g, nicht ^Oövooevg genannt haben: 'OAürretx; oder 'OXvooeig schreiben die attischen Vasenmaler, ^OXiaeig ein korinthischer Töpfer, und ^Oh'oaeidag, von Ditten- berger mit Unrecht angefochten, steht auf einer Vasenscherbe aus dem thebanischen Kabirion; die Belege habe ich Griech. Vaseninschr. S. 146 f. gesammelt. Nach Quintil. I 4, 16 soll Olisseus auch aiolisch gewesen sein (Jordan, Krit. Beitr. zur Gesch. d. lat Spr, S. 39). So gewinnt man den Eindruck, dass die Form 'Odvaaevg überhaupt nur dem ionischen Epos angehörte

1) Das messap. Graivaihi, das Heibig, Hermes 11, 280, heranzog, lasse ich bei Seite. Helbigs Ansicht (a. a. 0. 275), dass die FQaixol die Griechen und Illyrier vor ihrer Trennung darstellten, kann ich nicht für richtig halten.

2) Zu den Griech. Vaseninschr. S. 147 Anm. 2 gegebenen Belegen ist olyxis Corp. glosä. lat. IV 4, 24 hinzuzufügen.

OdysseuR. 281

und aus dem echten ^Olvaoevg durch volksetymologische An- lehnung an oövaoea&ai ^zürnen' hervorgegangen war, womit den Namen bekanntlich der Dichter der Verse r 406 ff. zusammen- bringt. Die andere Möglichkeit, dass das l aus d lauthch ent- standen sei , macht Schwierigkeiten : denn dieser auf italischem Boden nicht ungewöhnhche Lautwandel ist der griechischen Sprache von dem pergaeischen Xäcpvy dccq)vrj (Hesych.) abgesehen fremd. Heibig (Hermes 11, 281) hat nun freihch den Ursprung des Odysseusmj-thus bei den barbarischen oder nach ihm nur halbbarbarischen Stämmen des griechischen Westens gesucht; und auch ich habe diese Annahme erwogen. Manches ausser dem Sprachhchen scheint in diese Richtung zu weisen. Odysseus hatte bei den nichtgriechischen Emytanen ein Orakel (Aristot. bei Tzetz. Schol. z. Lykophr. 799) ; auf seine engen Beziehungen zu den Thes- protern, die bedeutende Rolle, welche seine Sage im Innern von Epirus gespielt zu haben scheint, hat Wilamowitz (Hom. Unt. 188 ff.) hingewiesen.] Die Phaiakensage ist epirotisch , denn ^xegiri, von oxEQog xontinens' abgeleitet^), bedeutet 'Festland', ist also Synonym \on ^'HTteioog^) , und eine Stadt Chaoniens hiess Baidy.r^ (Hekataios bei Steph. B. s. v.), gebildet wie ^I^a/.rj, mit ungriechischem ß für cp (aus bh), also kein unter Einfluss des Epos hier lokaHsirter Name 3). Nun könnte man auch den Laut- wandel von d in A den illyrisch-epirotischen Stämmen zuschreiben

1) Vgl. SV axsQ(p bei Pind. Nem. 1, 39 u. ö. , bei Apoll. Rhod. I 912 als sva^EQü} aufgefasst; hom. sjtioxsQco in einer Reihe, „kontinuirlich" : heilenist. oXoaxeQ^c- mit r- Suffix von o/j- (aus os/s-) 'halten' abgeleitet, also s. V. a. 'zusammenhaltend, continens'.

2) Somit war Scheria wenigstens ursprünglich nicht als Insel ge- dacht (anders Rhode Psyche S. 98). Epirus galt den Griechen für das Festland xar i^ox^jv: in der That hat es trotz seiner Lage am Meer •einen ausgesprochen kontinentalen Charakter ; seine Küste ist ungegliedert und durch Gebirge vom Innern getrennt. Philippson (Verh. d. Berl. Ge- sellsch. f. Erdkunde 1894 S. 54 f.) hebt mit Recht hervor, dass die epiro- tiachen Völker nie in jener engen Beziehung zum Meere gestanden haben, wie die schiflffahrtkundigen Hellenen (und wie alle nördlicheren illyr. Stämme). Deshalb gelten dem ionischen Dichter die Epiroten für Leute, ■o? ovy laaai ^d^.aaaav.

3) Auch darauf sei noch hingewiesen, dass der Name des Gebirges auf Ithaka, Ntiqitw^ an den der sallentinischen Stadt Ni^Qrjzov und an den illyr. Personennamen Neritanus (CIL. III 3558), der ethnische Form hat, erinnert V^l. ferner NiJQiaos in Akarnanien.

282 Vlll. Die illyrischen Stämme.

wollen mit Berufung auf yidoifxog (Maler einer Amphora aus Canosa, Verf. Griecli. Vaseninschr. 217) , wenn dieser Name mit Jüoii-iog identisch ist. Dennoch halte ich es mit Ed. Meyer (Hermes 30, 262) für bedenkhch anzunehmen, dass ..eine der lebenskräftigsten Gestalten der griechischen Heldensage*' von Barbarenvölkern ausgegangen sei, zumal die Griechen selbst nichts davon wissen, welche doch z. B. den thrakischen Ursprung des Dionysoskultes nie ganz vergessen hatten. Es ist hier nicht unsere Aufgabe, der noch ungelösten Frage nach dem Ursprung des Odysseusm}i:hus weiter nachzugehen *). Nur als ein neues wert- volles Zeugnis für die vermittelnde Rolle, welche die illyrischen Auswanderer zwischen der Balkan- und der Apenninhalbinsel ge- spielt haben, durfte der Name Odysseus-Ulixes hier herangezogen werden.

1) Ed. Meyers Kombinationen, Herrn. 30, 258 ff. , kann ich nicht für zwingend halten. Das feindliche Verhältnis von Poseidon zu Ody.sseu8 und ihre spätere Aussöhnung Hesse sich mit demselben Recht als der religiöse Gegensatz zweier feindlicher Völker deuten , der dadurch ausge- glichen wurde, dass der Gott Odysseus zum Heros herabsank und dem Poseidon ein Heiligtum errichtet haben sollte. Bei der Deutung des Namens ^Oövaoevg wäre auch die Nebenform mit X zu berücksichtigen gewesen.

IX. Kapitel. ^ Die Makedonier.

Wenn der Betrachtung der makedonischen XationaHtät hier ein eigener Abschnitt angewiesen wird, so soll damit sogleich die besondere Stellung dieses schwer zu rubrizirenden Volkes ange- deutet werden. Die Frage nach der Stammeszugehörigkeit der Makedonier ist nicht erst von den Neueren aufgeworfen worden: sie wurde zum ersten Mal laut, als der makedonische König Alexander I., der Sohn des Amyntas, in Olympia erschien und an dem Nationalfest der Hellenen teilzunehmen begehrte; und als man ihm dies als ein'fem Barbaren verweigern wollte, wies der König auf seinen Stammbaum hin, der bis auf Temenos von Argos zurückführte, und schlug damit alle Zweifel an seiner hel- lenischen Abkunft nieder (Herodot V 22. vgl. VIII 137). Können wir, die wir an seinen Adelsbiief nicht glauben mögen, die Frage nach der Nationahtät der Makedonier korrekter beantworten ?

Herodot giebt mit grosser Wärme seiner Ueberzeugung Aus- druck , dass die „Nachkommen des Perdikkas" Hellenen seien ^) : er teilt an einer anderen Stelle (VIII 137 f.) eine makedonische Lokalsage mit, wonach Perdikkas. der nachmahge Gründer der makedonischen Dynastie, ein Nachkomme des Temenos gewesen und mit seinen Brüdern raiärr^g^) und ^AeQOTiog von Argos

1 ) Man hat daraus gefolgert , dass Herodot am Hofe von Pella ge- weilt hat: ob mit Recht, bleibe dahingestellt; jedenfalls ist er über make- donische Verhältnisse auffallend gut unterrichtet.

2) Der Name gehört offenbar zu yav- 'sich freuen' in yavQos, yäwtxai,. yaim (Fick, Z. f. vgl. Spr. 22, 226), und zeigt dieselbe noch nicht ganz aufgeklärte Lautbehandlung, wie thess. 'A'/.Evag, Klevag, "Egfiavog.

284 IX. Die Makedonier.

nach lUjrien geflohen sei: von dort begaben sich die drei Brüder nach Lebaia im oberen Makedonien und dienten dem dortigen König als Hirten; von diesem des Landes verwiesen, wandten sie sich nach der Gegend des Bermion und eroberten von hier aus ..das übrige Makedonien". Diese Sage trennt also den Ursprung des makedonischen Königshauses von dem des Volkes doch wahrscheinhch mit Unrecht, wie schon Abel (Makedonien vor König Philipp. 1847, S. 99) behauptet hat: die Abstammung aus Argos und von Temenos ist augenscheinlich nur zu dem Zweck erfunden, die hellenische Nationalität der Dynastie zu erweisen; dabei knüpfte man an Argos an , weil diesen Namen auch die Landschaft des makedonischen Stammes der Oresten führte.

Die Urheimat des makedonischen Volkes sucht Herodot (V ^6) auf den Abhängen des Pindos: nach seiner Ansicht bildeten Dorier und Makedonier in der Urzeit ein einziges Volk, das er als das makednische bezeichnet; 'dorisch' und 'makednisch' sind ihm ursprüngHch identisch i). Während ein Teil dieses Volkes, welcher später in der Geschichte unter deni Namen der Dorier hervortrat, sich nach Süden wandte, breitete sich der andere nach Nordosten aus. Das orestische Argos scheint hier einer der ältesten Sitze der Makedonier gewesen zu sein, denn es trug nach Marsyas bei Steph. Byz. u. Ma-ÄEÖovla, wo 0. Müller (Dorier I 34) gewiss richtig ^Ogeoreiav für ^Hgeareiai' eingesetzt hat, den Namen JMa/.Evia. 31cr/.itag^ fem. Ma/Jrig, das Stamm- wort zu Ma/.edo'v, gebildet -wie der makedonische und epirotische Name "Ah/Jzag, ist auch in späterer Zeit noch als Ethnikon nicht selten 2*). Die Erweichung der Tennis in M«x€^wV, Ma- v.EÖvög dürfte mit dem Accentwechsel zusammenhängen; ein analoges Verhältnis beobachteten wir im Messapischen : Xo- net^ihi (Fabretti n. 29904. &), Gen. Sg. des Patronymikons *Xo- net&es = Xoneties lässt einen von Xiwv abgeleiteten Namen *XiüVETag erschliessen , zu welchem sich mess. Xonedon (Gen. Xonedonas Fabr. 29903) verhält, wie lVla/.EÖiov zu JUax/rac:; vgl. ferner Baledonas neben Baletdihi 3). Die älteste Geschichte der

1) VIII 43 nennt er Lakedaimonier, Korinther, Sikyonier und Epi- daurier ein JcoqixÖv zb xal MaxeSrov sdvo; s$ 'Eotvsov re xai Uivdov xai jTJe AgvoJtidog voraza OQfirj&ivzeg.

2) Maxezag Delphi GDI. 1872,. 192.5,. Athen CIA. III 2780. Maxeza (fem.) RhodoR, Inscr. Graec. Ins. I 322. 515. ^faxeztg ebd. 305. 516.

3) S. Deecke, Rhein. Mus. 36, 584.

Herkunft der Makedonier. 285

Ausbreitung der makedonischen Macht hat Thukydides II 99 in kurzen Strichen gezeichnet: er unterscheidet dabei, was 0. Müller i) mit Recht betont hat. den erobernden makedonischen Stamm von den Ehmioten, Lyiikesten und anderen Bergvölkern, welche eben- falls zu den Makedonien! gehörten und mit ihnen verbündet und von ihnen abhängig seien, aber ihre eigenen Häuptlinge hätten. Dieser erobernde Stamm verdrängte oder unterwarf nach und nach die Pierer, Bottiaier, Eorder, Almoper, die Paionier am unteren Axios und die in dem alten Mygdonien ansässigen thrakischen Edoner; später eroberte er auch Anthemus, die Grestonia und Bisaltia und unterwarf einen grossen Teil der Makedonier selbst (d. h. der übrigen makedonischen Stämme).

Dies wenige ist das wichtigste, was wir aus dem Altertum über die ethnologische Stellung der Makedonier erfahren, so wenig, dass die Neueren dieses Volk bald für ein iUyiisches . bald für ein gi'iechisches oder halbgiiechisches ausgeben konnten 2). Kann uns die Betrachtung ihrer Sprache weiter führen? Ueber die Stellung der makedonischen Sprache im Allgemeinen können wii* zunächst so viel feststellen, dass sie sowohl von der illyrischen wie von der griechischen verschieden war: weder vei-stand der Makedonier ohne weiteres den lUyner noch der Hellene den Makedonier 3), Allzu\-iel beweist dies fi-eilich nicht, denn der Norddeutsche ver- steht auch nicht die Sprache des schwäbischen Bauern, die darum dennoch deutsch ist. Im Uebrigen besitzen wir bekanntHch von der makedonischen Sprache weiter nichts als eine Reihe von Namen sowie Glossen, welche der Sammlung des, wie es scheint, voraristarchischen Lexikographen Amerias, selbst eines Make- doniers. entstammen *). Der Wert dieses dürftigen Materials miA

1) Ueber die Wohnsitze, die Abstammung und die ältere Geschichte des makedonischen Volkes (Berlin 1825) S. 22.

2) Für lUyrier erklärte 0. Müller die Makedonier in der angeführten Schrift, für halbgriechisch Fick. Orient u. Occident II 118 129, später für griechisch: Z. f. vergl. Spr. 22, 193 ff. wie vorher Abel, Makedonien S. 91 ff.

3) Ersteres geht aus Polyb. XXVIII 8, 9 hervor, wo Perseus mit den Makedoniern Adaios und Glaukias den Illyrier Pleuratos mitschickt, 8ia ro xr)v diäXexTov siöivat rrjv ' IkkvQida, das zweite aus Curtius VI 9, 34, wo Philotas gleich Alexander griechisch statt makedonisch sprechen zu wollen erklärt, um von den Griechen verstanden zu werden.

4) Gesammelt von Sturz , De dialecto Macedonica et Alexandrina

^86 IX. Die Makedonier.

aber noch dadurch weiter geschmälert, dass sich darunter jüngeres Lehngut aus dem Griechischen befindet, welches für die Frage nach der Stellung der makedonischen Sprache nicht benutzt werden darf: dies hat G. Merer (Jahrb. f. Phil. 111 [1875], S. 191) mit Recht gegen Fick und neuerdings Wilamowitz (Eurip. Herakl. 1 2 9 Anm.) gegen Ed. Meyer (Gesch. d. Alt. 11 67) henorgehoben. Diese Entlehnungen können in sehr alte Zeiten zuriickgehen, da die Makedonier, soviel wir wissen, von jeher Nachbarn griechischer Völker gewesen sind. Endhch mögen aber die Makedonier auch von ihren illjrischen und thrakischen Unter- thanen manches übernommen haben. Dass aber deren Sprache von der makedonischen verschieden war. erkennen wir an dem Ereatz älterer Ortsnamen durch makedonische. Die Hauptstadt Ilella führte fi-üher den Namen Boi'vofiog, der wie oben gezeigt ist (S. 275), illyrisch- epiro tisch ist und mit Bovvvog, jtoA/c 'IlXvQiag (Ai'temidor bei Steph. B. s. v.) zusammenhängt 1). ^'Edeooa, die alte Residenz der makedonischen Könige wurde in ^lyai umge- tauft, eine sei es nun echtmakedonische, sei es griechische Uebersetzung des alten Namens, denn "Edeooa, von phiyg. ßidv d. i. ßidv 'AVasser' (S. 239), bedeutete 'Wasserstadt' oder 'Fluss- stadt' (Tomaschek, Thraker II 2, 5) und ^iyai, zu der. alyeg' y.vfiara (Hesych.) gehörig, hatte ungefähr dieselbe Bedeutung'). Nach dem dargelegten Sachverhalt haben wir nur geringe Anlialtspuiikte, um die Stellung des Makedonischen zu bestimmen. Für die Frage, die für den Si)rachfoi'scher immer von be- sonderem Interesse ist. nach der Vertretung der Palatah-eihe kommen namentUch zwei Worte als vermuthch echtmakedonisch in Beti'acht: <jy.oldo g' cIcq/i] rig ytaga Ma/.edoai tezayutvtj i/rl TCüv diY.aazi]Qiojv (ry H^ig /.elrai iv vaig iTtiavoXalg '^Xei^ärÖQOV, Hesych.) gehört zu Wurzel sk^eid- scheiden (gr. ayijb), got. skai- dan, lat. scindo), für die ])alatales k durch skr. chid- aus scid- erwiesen wird. Ferner hiess ein makedonischer König Kogawog (Hesych. s. v.), der gewöhnhch mit dorischer Lautgebung Kaqävog

(1809) S. 33 ff., erklärt von Fick, Orient und Occident II 118 ff. Z. f. vgl. Spr. 22. 193 ff. G. Meyer, Jahrb. f. Phil. 1875, 185—192.

1) Vielleicht bedeutete ßovvo? im Illyrischen, wie im Kyrenaeischen (Herodot IV 199), 'Hügel' und ist JlslXa, in der makedonischen Sprache 8. V. a. 'U&og, Fels' (zu ahd. felis Felsen, altnord. Jjall Berg), eine ungenaue Uebersetzung des illyr. Wortes wie im folgenden Falle.

2) Vgl. Abel, Makedonien S. 113.

Stellung der makedonischen Sprache. 287

genannt wii'd (Pausan. IX 40, 8 Justin. YII 1 u. a.); der Name gehört also zu -/mqu Haupt, skr, giras und bedeutet 'Oberhaupt. Häupthng'. Ist er echtmakedonisch, so entspräche mak. /.: skr. g und mak. oo : skr. ir = gr. ao aus •■/•. wie mak. om in v.oixäoai 'Ki'ebse' (Hesych.) = gr. y.au{uaqoi, altnord. humarr 'Hummer' idg. nn darstellt. Aber freilich, wer behaupten wollte, dass Ko- qavvog Lehnwort aus dem Aiolischen sei, wo ao zu oo und av zu vv wird, würde auch nicht wiederlegt werden können.

In der Vertretung von o, welche für das Verhältnis des Ma- kedonischen zum Illyrischen wichtig wäre , gehen leider die in Be- ti-acht kommenden Fälle aus einander. Das eben erwähnte ov^oldog, mit regelrechtem Ablaut zu skeid-, zeigt idg. o bewahrt, aber aßQoißeg^)- ocfovg (Hesych) es durch a vertreten. Mir scheint aber auf den ersten Fall mehi' Gewicht zu legen als auf den zweiten, weil es sich in jenem um betonte, in diesem um unbetonte Silbe handelt. Von dem "Wandel vonöinw {a/.oovrol) und i in e (Ivdea) war bereits in Kap. VII (S. 225) die Eede,

Die am sichersten bezeugte phonetische Ei-scheinung des Makedonischen ist aber die Vei-ti"etung der Mediae Aspiratae bh, dh, gh durch Mediae z. B, BeQEvi/.a, Beoi/./.ag (I, v, Larisa, GDI. 345 -1.90, Km-zform von B£Qsy.QccTt]g od. dgl.) BDuftftog, Bd/.eivog, Bd/xr/.oog , Bälav/og , dßQovFeg; da- vcov -/Mv.Ojtoiuiv , y.zsivojv (Hesych.) zu gr, d^avelv , JäoQwv 3Ia/,edovi/.og öai/uwr, vj hrtaQ tcüv vooovvrcov evyovrai , zu gr. d^ctQOog; !Bavdiy.6g = gi-. Bav^r/.og, vgl. Harda l^iyyuoai'rj CIA. m 2221; yMvadot = gr. yi'dd-oi: im Anlaut ist yr zu y.v- ge- wandelt wie in att. y.racpsvg : yvaqisig und ein svarabhaktischer Vokal eingeschoben; yaßaXav eyyJqfa?.ov tJ y.sffahjv (ohne Eth- nikon, Hesych.) aus "^ghehhala-. vgl. got. gihla Zinne, ahd. gehal Schädel, Kopf, Unter diesen Worten befinden sich solche, welche

1) Ueberliefert aßgovreg, schwerlich durch Uebergang in die Flexion der ^-Stämme zu erklären. Verwechslung von r und .- begegnet auch sonst bei Hesych ßaiza "neben /.aißa = ß.ai^a u. a. , G. Meyer, Griech. Gramm.* 235). Dass aber die mak. Sprache den /"-Laut bewahrte, lehrt xa).aQQvyai- xdcpQoi. 'Af*sQiag (Hesych.), das Fick (Z. f. vgl. Spr. 22, 209) falsch zu xskagv^co stellt. Nach den Genfer Ilias-Scholien (ed. Nicole, Genf 1891/ zu $ 259 sagten die Ambrakioten ya?.aovav für dudotjv. Also ist das mak. Wort als xaka-oov.^ai aufzufassen und bedeutet 'schön flieesend'. wie zXi.Kalhooot]. Vgl. lakon. y.aXaoXvsg- o/sroi, dessen zweites Element vielleicht zu skr. rinT(e 'gerät ins Fliessen', gall. Iie?ius 'Fluss' aus *reino8 gehört.

288 IX. Die Makedonier.

den Eindruck griechischer Lehnwörter machen, besonders Begevi-^a, BiKiTtjioQ, y.eßaXrj, KißaXog: man würde nur in diesem Falle für die giiechische Tenuis Aspirata im Makedonischen die Tenuis, nicht die Media erwai-ten. Auch die Thraker geben ja das gr. (f von OiliTTjtoQ durch p wieder in Pulpudeva == Fhilippopolis hngua Bessoram, bulgar. Plovdiv (Tomaschek, Thraker 11 2, 70), der Skythe in Aristophanes' Thesmophoriazusen spricht TtiXifjOEi, y^nakr^, nicht ,jilriOEi, y.eßalr^, und ein nichtgriechischer Vasenmaler hat auf einer Schale JiTtilog, Nixonih], IIi'Uov, IIlhyrTtog ge- schrieben (Verf., Griech. Vasenhischr. S. 81). Endhch schrieben auch die Römer in älterer Zeit Pilippus, Pilenio u. s. f. Sollen wir den Makedonien! soviel Reflexion bei der üebernahme grie- chischer Namen zutrauen, dass sie, weil in echtmakedonischen Wörtern ß giiech. (f entsprach, es auch in Lehnwörtern eingesetzt hätten, dass sie sich also eine grammatische Regel abstrahirt hätten? Mir scheint die Folgerung schwer zu umgehen , dass die Make- donier gleich den Indem die alten Mediae Aspiratae noch be- wahri hatten und sie den griech. Tenues Aspiratae in Lelniwörtem substituirten, dass mithin das ß von BiliTtrcog ungenaue Wieder- gabe eines mak. hh ist. Wir schlössen oben (S. 229) aus dem Verhältnis von OqvyEg zu BQvyeg, Oog/vg zu Begez-vg, dass auch die Phryger und vielleicht die Griechen die Mediae Aspiratae bis in verhältnismässig junge Zeit bewahrt hatten: die mak. Sprache wäre also nur auf einer Stufe stehen gel)lieben, welche die grie- chische vor nicht zu langer Zeit verlassen hatte.

Es lässt sich nicht streng beweisen, aber alles zusammen- genommen, was sich uns bisher ergeben hat, scheint mir darauf hinzudeuten, dass wir in den Makedoniern ein den Griechen eng verwandtes Volk zu sehen haben, welches, wenn es sich nach Süden gewandt hätte, so gut hellenisch geworden wäre wie Dorier und Tliessaler und Boioter. Aber Avoil sie sich Tiach Norden lün ausbreiteten und hier mit wirklich nichtgriecliischen Stämmen vereinigten, wurden sie dem inzwischen sich ent^vickelnden grie- chischen Volkstum entfremdet, und als sie später das Vei-säumte nachholen wollten, ward ihnen der hellenische Name verweigert oder doch nur zögernd zuerkannt. Die Frage also, ob die Ma- kedonier zu den Griechen gerechnet werden dürfen, lässt sich vom Stand})unkte des Historikers, der Nationahtäten als etwas Gewordenes, nicht als etwas von jeher Gewesenes ansielit, über- haupt nicht beantworten.

X. Kapitel. Die kleinasiatischen Sprachen.

Es bedarf wohl keiner besonderen Begründung, wenn hier im Anschluss an die über die Nachbarvölker der Griechen han- delnden Kapitel auch die Sprach- und Völkerverhältnisse Klein- asiens einer Betrachtung unterzogen werden, obwohl die Ansicht, dass es sich hier durchweg um eine stammverwandte indogerma- nische Bevölkerung handle, im Folgenden gerade bekämpft wer- den wird. Aber diese Anschauung wird heute noch von so vielen und bedeutenden Forschem geteilt, dass jeder, der die entgegen- gesetzte äussert, die Verpflichtung hat, sich mit ihr auseinander- zusetzen. Auch die engen Beziehungen indogermanischer Stämme zu den Völkern Kleinasiens, welche teilweise schon in Kap. VH zur Sprache gekommen sind, rechtfertigen es, wenn wir hier diesen Problemen näher treten.

Die Fi'age nach den Verwandtschaftsverhältnissen der klein- asiatischen Völker hat eine wechselreiche Geschichte: man ist von linguistischer, historischer und anthropologischer Seite an sie herangetreten, ohne dass eine Einigung der Ansichten erzielt worden wäre. Paul Bottich er, einer der ersten, der sich über das Problem geäussert hat, konnte noch in seinen ^Arica' (Halle 1851, S. 4) den Satz aufstellen, dass die meisten kleinasiatischen Stämme arische Sprachen redeten ausser den Lydem, Phrygem und Mysem wir müssen heute urteilen, dass das genaue Gegenteil dieser Ansicht der Wahrheit bedeutend näher käme. Der erste ernstliche Versuch, die kleinasiatische Frage zu lösen, ist von Christian Lassen (ZDMG. 10 [1856] S. 329 ff.)

KretRchmer, Einleit. in d. Gesch. d. gr. Sprache. 19

290 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

unteniommen worden. Er teilte die Bevölkerung Kleinasiens in zwei Gruppen, eine semitische und eine indogermanische, deren Grenze er in die Gebirgszüge des Temnos, Tauros und Antitauros verlegte. Zur ereten Gruppe rechnete er Karer, Lyder, Myser, KiHkier, Solymer, Pisider und Isaurer, zur indogermanischen Phryger, Bithyner, Paphlagonier, Lykier, Kappadokier undLyka- onier. Gleich bei diesem ersten Versuch beobachten wir die noch heute herrschende Neigung, alle kleinasiatischen Stämme einer der bekannten Völkerfamilien anzughedern. Auch hier ist der Wunsch der Vater des Gedankens: sind jene Stämme Indo- germanen oder Semiten, so können wir ihre Sprache vei'stehen, so haben wir Aussicht, die pseudo-hethitischen Inschriften zu ent- rätseln, und die Stele von Xanthos muss uns ihre Geheimnisse enthüllen. Duncker (Gesch. d. Alt. I^ 390 ff.) folgte im Wesent- lichen der Theoiie von Lassen und glaubte mit Movers die se- mitische Abstammung der Kilikier, Karer und Lyder auch dm'ch religionsgeschichthclie Argumente sicher erwiesen. Später wurde man gegen die Semiten etwas zurückhaltender: P. de Lagarde (Ges. Abb., 1866, S. 243 ff.) teüte Kappadokier, Karer, Lyder, Myser vielmehi- der indogermanischen Völkerfamihe zu, ihm folgte Ed. Meyer (Gesch. v. Troas 7. Gesch. d. Königi-. Pontus 16. Gesch. d. Alt. I 294 ff. Ersch u. Gruber's Encycl. u. Kappadokien und Karien). Püi- die Karer suchte dies eingehender Georg Meyer nachzuweisen, für die Lykier Friedr. Müller, Mor. Schmidt, Savels- berg, Deecke u. a. Wh- werden auf diese einzelnen Unter- suchungen noch zurückzukommen haben: thatsächlich wmde für keines der kleinasiatischen Völker ausser den Phrygem und Bi- thynem der Beweis indogermanischer Herkunft erbracht.

In neuester Zeit sehen wir daher die Neigung aufkommen, hier noch mit einem dritten, weder semitischen noch indogerma- nischen Element zu rechnen. Das hat wohl zuei-st Heinr. Kiepert (Lehrb. d. alt. Geogr. S. 73. 90) gethan: er schloss aus den mit den konsonantischen Affixen -nd- und -ss- gebildeten Ortsnamen auf „eine den arischen und semitischen Einwanderungen vor- angegangene Bevölkerung, welche möglicherweise mit den kaukjisi- schen und subkaukasischen Stämmen zu einer Gruppe zusammen- gehöre''. Dass Gutschmid einen ganz ähnhchen Standpunkt einnahm, erfahren wir durch Tlnaemer, Pergamos (1888) S. 180. 340. Diesen Vorgängern schliesst sich Thraemer selbst in- soweit an , als auch er eine kleinasiatische Grundbevölkerung

Theorien über die kleinasiat. Völkerverhältnisse. 291

voraussetzt, welche in geschichtlicher Zeit fast überall ver- schwTuiden sei. aber in den Ortsnamen die Zeugnisse ihres Lebens zurückgelassen habe. Von dieser Urbevölkeriuig treimt er jedoch die karisch-lydisch-mysischen Stämme, die er als von Westen und Norden zugewandert ansieht und ihrer ethnologischen Stellmig nach nicht zu bestimmen wagt. Ausserdem nimmt er von Osten einge- di'ungene semitische (speziell ass}i'ische) Yolkselemente an. Wemger komphzii-t ist die Theorie von Tomaschek (Mitteil, der Wiener Anthi-opolog. Gesellsch. 22. Bd.. 1892. Sitzimgsberichte S. 1 ff.), welcher ein auch über Hellas verbreitetes kleinasiatisches Abori- ginervolk konstatirt. das er in zwei Schichten, eine lelegische, wie er sie nennt, und eine ..mehr binneuländische karische Schicht", zerlegt : die Leleger wm-den in Hellas von den Griechen, in Klein- asien von ihi'en eigenen Stammesgenossen, den aus dem tamischen Berglande vorgedrungenen Pisideni und Karem. miten\-ort"en, welche letzteren die Inseln imd Küsten des aegaeischen Meeres besetzten, daselbst Handel mid Seeraub ti'eibend, ,,in allem Xach- ti'eter der Phoiniker und Vorgänger der iomschen ]Milesier\ Viel weiter als alle bisher genannten Forscher gehen Pauli (Eine vorgiiech. Inschiift von Lemnos = Altital. Foi-sch. II 1. Teil, 1886. 2. Teü, 1894) und Hommel (Archiv tür Anthi-opol. 1890 S. 251 ff.). Pauli begnügt sich mcht, eine über Kleinasien mid die ganze Balkanhalbinsel, auch ihi-en nördlichen Teil, verbreitete ..pelasgische" Urbevölkerung anzunehmen, sondern verknüpft mit dieser weiter auch die Etiiisker mid hält Vei-^andtschaft der Basken, Ligm'er und ßaeter nicht füi* ausgeschlossen; im Osten reiht er seiner pelasgischen Völkerfamilie, Hommel folgend, die kaukasischen Stämme au mid möchte am Hebsten auch die Ala- rodier, Elamiten oder Siisier und Kossäer hinzm'echneii, wennschon er zugiebt, hier nm- Möglichkeiten aufgezeigt zu haben. Pauh, Hommel mid Tomaschek bei-ufen sich für ihre H}-pothesen auch auf ein authi'opologisches Ai'gimient: F. von Luschan hat in mehreren Arbeiten ^) den Nachweis imternommen, dass die älteste Bevölkenmg Kleinasiens bis Armenien einschhessHch einer dis- tinkten Rasse angehöre, welche er als aimenoid oder proto-aime- nisch bezeichnet, weil sie die für den heutigen annenischen T}i)us

1) Petersen und v. Luschan, Reisen in Lykien usw., "Wien 1889 S. 198 ff. Archiv f. Anthropol. XIX 31 ff. Korrespondenzblatt d. Anthr. Gesellsch. 1892, S. 94 ff. 1894, S. Hl.

19*

292 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

chai'akteristisclieu Züge aufweist, auffallend kurzen und hohen Schädel, dimkle Haare imd Augen, gebogene Xase. Eine ähn- hche H}^othese wie Paidi vertritt seit einigen Jahi-en Salomon Reinach (Chi'ouique d'Orient, Paiis 1891, passim; L'Aiithropo- logie IT 1893 S. 699 ff.) : auch er nimmt eine von Kihkien und Kappodokien bis Etinuien reichende „pelasgisch-hethitische" Völker- famihe an, sucht jedoch ihi-e Urheimat nicht in Asien, sondern in Em"opa, von wo aus sie imgefalu' im 20. Jahrhundert wie die PluTger und Annenier in Kleinasien eingewandert sein soll.

Dieser schnelle Ueberblick über die neusten Lösungsvei-suche der kleinasiatischen Frage düifte gezeigt haben, welch bedeutende Rolle die Phantasie in ihnen spielt. In einem Ergebnis jedoch scheinen sie mir dm'chaus auf dem rechten Wege zu sein, zu, welchem ich selbst unabhängig imd gleichzeitig gelangt bin, dass \viv es in Kleinasien von den PhiTgern abgesehen weder mit indogennanischen noch mit semitischen Stämmen zu thun haben, sondern mit einem Volkstum sui generis. Dass andererseits alle kleinasiatischen Stämme ausser den eingewandeiten idg. Stämmen unter einander verwandt sind, ist der zweite Satz, fiir welchen ich im Folgenden den Nachweis zu erbringen hoffe, da er bisher wohl aufgestellt, al)er noch niemals sti'eng mid über- zeugend bewiesen worden ist.

Wenn Anr imnmehr selbst an die kleinasiatischen Fragen herantreten, so müssen Arir uns vorher der Mittel zu ihrer Lösung vergewissern. Ich brauche nach meinen Darlegungen in Kap. II nicht mehr auszuführen, weshalb ich die kraniologi scheu Beweis- griinde von vorn herein ablehne. Aber auch religionsgeschichtliche Argumente, wie sie z. B. Dmicker vorgebracht hat, dürfen nur ])echnginigsweise und subsidiär venvertet werden , da Ueberein- Stimmungen dieser Art leicht auf Uebertragung oder auf spon- taner Analogie benihen können. Es ist ja auffallend und verdient hervorgehoben zu werden, dass die Sitte, die Jungfrauschaft zu Ehren einer Gottlieit preiszugeben, wie in Babylon (Herodot I 199) und im syrischen Byblos, auch im Dienste der Ma im })()ntischen Komana (Strab. XII 559) sich findet, ferner in Ar- menien im Kulte der persischen Anaitis (Sü-ab. XI 532) und in Lydien ^), sowie auf Kypros (Herodot I 199. Justin. 18, 5). Aber

1) Zu den Zeugnissen Herodots I 93. 94 und Athenaios* XII 515 f., welche jedoch von einer religiösen Bedeutung der Ttogveia in Lydien nichts

I

Theorien über die kleinasiat. Völkerverhältnisse. ^"•-'

wohin würde es ftihreii, wenn man alle die Völker, denen diese Sitte gemeinsam ist. für Semiten erklären wollte? Auch der korinthischen Aphrodite dienten bekannthch Hierodulen in der- selben Weise: also mag man diese Sitte auf semitischen Einfiuss zm-ückfiilu-en oder nicht, für (he Bestimmung der ethnologischen Venvandtschaft ist sie jedenfalls nicht ausschlaggebend. So bleibt nur die Sprache übrig, welche, trotzdem auch sie dem Wechsel und der Uebertragmig unterhegt, dennoch die verhältnismässig zuverlässigste Führerin in ethnologischen Fi*agen ist: wo ihre Beweiski-aft aufhört, stehen wir eben an der G-renze unseres Wissens. Aber auch wer den ethnologischen Wert der Sprache geringer anschlüge, müsste doch zugeben, das die Frage nach den Verwandtschaftsverhältnissen der kleinasiatischen Sprachen für sich und unabhängig von andei-sartigen Envägmigen gelöst werden niuss. Freihch kennen wir diese Sprachen nm- in sehi' geringem Umfang: nui- von der lykischen und karischen, angebhch auch von der lydischen besitzen wii' inschiifthche Denkmäler die pseudo-hethitischen Inscluiften, welche Jensen entziffert zu haben glaubt, lasse ich bei Seite von allen übrigen Idiomen Klein- asiens kennen ^nr ausser Glossen nui' Eigennamen, diese aber dank den giiechischen Inschriften in so gi-osser Zahl, dass sie. richtig behandelt, eine sichere Grundlage für die Lösung der Ver- wandtschaftsfi-age daretellen. Aber mn es im Voraus zu sagen der Weg zu dieser Lösung yArd dem Leser ebenso lang^rierig erscheinen, als er füi- den Verfasser mühevoll gewesen ist; dennoch muss er gegangen werden, denn er ist der einzige, der zum Ziele fühii.

1. Ein kleinasiatischer Lautwandel

Ich schicke eine Beobachtimg voraus, welche mir in mehr als einer Beziehung für die kleinasiatische Frage von Wichtigkeit scheint. Sie knüpft an die alte, meines Erachtens berechtigte H}-jDothese an, dass die mit -v&- gebildeten griechischen Orts- namen wie TiQvvg TiovvS^-og, Kooivd^og, ^äixivd^og den auf klein- asiatischem Boden so zahlreichen Ortsnamen mit -vd-, ^'AIlvöu, Illyivda, Kalvvda u.s.w. genau entsprechen. Ist diese Annahme

sagen, kommt das der oben S. 88 erwähnten Weihinschrift aus Tralles BCH. VII 276, welches jetzt Ramsay, Cities of Phrygia S. 95, bespricht.

294 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

richtig, dann haben wir die Aufgabe, den lauthchen Unterschied zwischen den griechischen und kleinasiatischen Fonuen ins Reine zu bringen. Handelte es sich um indogennanische Wöiier, so würde man vd- mid vd auf eine Grmidfonn ndh zm-ückflihren. Da wir es aber, wie noch zu erörtern sein Avird, mit nichtindoger- manischem Sprachgut zu thmi haben, so liegt die Annahme der ausserhalb des Idg. nicht eben häufigen Media Aspirata dh zu fem, imi ohne weiteres glaublich zu erecheineu. Die Griechen haben öfter in Fremdnamen mid Lehnwörtern die Tennis der fremden Sprache durch ihr S- wiedergegeben: smd also die Ortsnamen mit vd- nichtgriechischen Urspiimgs, so bedeutet das vd^ nicht mehr als nt. Es bestehen demnach zwei Möglichkeiten: entweder ist im Osten nt zu 7id erweicht oder im Westen nd in nt übergegangen. A priori ist die erete Möghchkeit die wahr- scheinhchere ; der Wandel von nt zu nd ist auch aus anderen Sprachgebieten, vne dem Neugriechischen, dem Althochdeutschen bekannt und erklärt sich physiologisch leicht dadm*ch, dass der mit Stimmton gebildete Nasal die folgende Tennis tönend d. h. zm' Media macht. Wir sind aber in der Lage wirkhch zu be- weisen, dass in einigen kleinasiatischen Sprachen die Tennis nach einem Nasal zm- Media erweicht worden ist.

Schlagend lässt sich dieser Nachweis zunächst aus den kilikischen Eigennamen führen, die mis durch die Lischiiftenfunde von Beut luid Hicks, besonders dm-ch che Namenliste von der Koiy löschen Grotte (Jouni. Hell. Stud. XII 244. Sachau, Zeitschi-, f. Assy- riologie VII 85) in so reicher Fülle ei-schlossen sind. Viele dieser Personen - Namen sind mit den nasahsch schhessenden Wort- stämmen Pwv- und Tqo'/.ov-, Taq/.ov-, Tciq/av- zusammengesetzt z. B. Fcov-dlvaaig, Fwv-dßhjg, TaQ'/.6v-ö)ji.iog, Taq/xf-i-ßiog, Während nun ein Name ohne derartiges Praefix TEqßt^aaig (JHSt. XII 247 n. 27 »i. 239 n. 23. 267 n. 58) oder olme a-Ab- leitung TiQßrif^ig (a. a. 0. 260 n. 37) i) lautet, verwandt mit dem lykischen Tgeßr^f^ig, zeigt dei-selbe Name erweichten Anlaut, wenn das Element Pwv vorangeht: Piov-dfQßefiig (JHSt. a. a. O. n. 2778 u. ö.). Ebenso erscheint der Süunm Tßeqa- in TßEQaatj- Tffc (a. a. O. 2763.98), TßeQ-q^iwöig (JHSt. XII 263 n. 45) als ^ßEQQU- nach Nasalen: Pwv-dßiQQag (a. a. O. n. 2766.80-96), und

1) Gelesen wird THBEMIC.

Der kleinasiat. Wandel von nt in nd. 29o

in Palaia Isaimi TaQY.vv~ößeQQag i). Dasselbe Schicksal zeigt der labiale Anlaut des aus Lykien belegten Namens üiyga/mg (Efiisen in Lykien II n. 177. 178. 179, vgl. lyk. kar. ^lyQr^g): kilik. Ptüf.i-iiiyQSf^ig (JHS. a. a. 0. n. 279.55.94), TQO-Mfx-ßlyQB- fiig (n. 27 6o). Hier ist es also so deutlich, wie wir es nur wünschen können, dass die Tenuis nach Nasalen zur Media ge- worden ist. Etwas vei'wickelter liegen die Verhältnisse im Ly- Idschen.

Auf den lykischen Steinen tritt ausserordenthch häufig die Lautverbindung TT auf, worin l bekannthch einen nicht genau bestinunbaren Nasallaut bezeichnet, den ich mit h umschreibe z. B. xntavatä Stele v. Xanth. 0. 37. So häufig aber diese Lautgruppe in den lykischen Lischliften ist, so selten ti^effen wir ein VT in den griechischen L'mschi'eibimgen lykischer Eigennamen an. Ich fand niu' einen vielleicht nicht einmal sicheren Fall: IIivTri .... auf einem Stein aus der IVIilyas (Reisen in Lyk. II n. 195), was lykisch pfdä .... wäre, vgl. jjnträrmi Liiim'a n. lle- 146, pV''>^tränni 63, femer aphtadi St. v. Xanth. W. 33, äpnhba- zah Linip'a 41 2. Statt dessen treffen wii- imi so öfter an: nevdidäori JHSt. XY 119, ZEQ^iovvdig Reisen in Lyk. 11 160, Kovvdahg II 7, TQievdaoig I 84, TQOv.ovöag II 159. 160. 183. 266 u. ö. Dass dieses vd lykischem nt entspricht, beweisen die Personennamen lyk. xfi^awoJäA Reisen in Lyk. II n. 25. Xanth. 42 = gr. Kivöavißov CIG. 4315 h. und lyk. yntabora Limn'a 62, yntabära LimjTa 29 1 = Kivdaßvoig Reisen in Lyk. I 82. Der Lautkomplex ynt- kehrt noch in mehi'eren lyk. Wörtern -nieder ^}, z. B. in dem Xameu yntlah (Gen. Sg. m.) Xanth. 8, welchen Imbert (Babyl. and Or. Record V 3) mit Kövdalog gleichgesetzt hat schwerhch mit Recht, da n in KivdavvSrig dm-ch lv wiedergegeben ist, Kovöalog dagegen mit Kovvöalig (Reisen in Lyk. n 7) zusammengehören -srird. Dagegen ist ein .zweiter Beleg fiir die Yertretimg von lyk. nt diu'cli gi". vd Sntoläh Gen. Reisen in Lyk. 11 n. 42 = Mp-a n. 4, worin der in Kleinasien häufige Wortstamm aivö- enthalten ist, vgl. die Personemiamen pisid. ^ivdel- Uog Lanckoronski Pisid. n. 5829. ^ivdevg auf einem rhodischen

1) Sterrett III n. 181, wo statt TaoxvvößsQQav unrichtig TäQy.vv{a) Biggav Acc. vermutet wird.

2) Zusammengestellt von Deecke Bezz. Beitr. XIII 136, der sie will- kürlich deutet.

296 X. Die kleinasiatiachen Sprachen.

Amphorenheiikel ^). Femer hat Gr. Hirschfeld (Berl. phil. Wochen- schi\ 1889. Sp. 1427) das iu den lykischen Grabschi-iften häufige minti, welches Deecke (Bezz. Beitr. XIV 182. XIII 339) niit 'Busse. Sti'afgeld' übersetzt, mit uivdiog und rov^ouevdvog zweier griechischer Inschiifteu aus Lykien (Reisen II n. 27. 85) zu- sammengestellt: ich lasse die Richtigkeit dieser Vermutung hier dahingestellt, da ihi'e Pi-üfiuig zu weit vom Wege unserer Unter- suchung abführen würde.

Wie das Verhältnis des lyk. 7it zum gi\ zu erklären ist, scheint mii* deutlich, ist aber doch von Savelsberg (Beitr. z. Entzifiei-ung der lyk. Sj^rachdenkmäler II 10) verkannt worden. Er meinte, dass im Lykischen tid zu nt verhärtet sei. Wenn aber die Lykier nt sowohl sprachen als auch schrieben, begreift man gaiiiicht. wie die Griechen dazu kamen dafür vd zu schi-eiben. Da mis die griechischen Umschi-eibmigen mit zimi Teil aus \ie\ älterer Zeit überhefert sind als die lykischen Fonnen (vgl. z. B. hom. ndvdaoog). so kann das mimöghch die Voretufe von 7it dai-stellen. Der Vorgang war nelmehi* der mngekehrte: im Lykischen ist nt zu nd erweicht worden. Die Griechen hielten sich bei der Transskription an die zui* Zeit hen*schende Aus- sprache nd. wähi-end die Lykier selbst die ältere Stufe nt gegen die Aussprache in der Schi'ift festhielten.

Dass dies der Vorgang war, geht ja schon aus der Thatsache henor, dass die Lykier ihi-ei^seits nd in Fi'emdwörtern dm'ch nt wieder- geben. Der Name des Darius, pei's. Därayavaus, ist auf der Stele von Xanthos O. 59 im Gen. ntarijäosähä geschiieben. Hier dient also M zm- Bezeichnung von d, genau wae im Neugriechi- schen VI, im Aeg}ptischen nt in NTBIUS = Jageiog ^). Die Schreibung nt- kommt auch im Anlaut lykischer Wortformen ganücht selten vor z. B. ntäpitadi Mjtr Ah, nfävö St, v. Xanth. O. 38. 62, ntä W. 22, ntovitöni AV. 29, N. 46. Da nun andere Wolter mit AA im Aiüaut gescluieben werden z. B. Ddarssnima Pinara 2i. Ddüpnnäväh Limyi-a li, Ddaqasa Reisen iu Lyk. II n. 42 = Myra 4. Ddauntauäbä Reisen I 238, Ddavupartah

1) I.G.Ins. I 1385: entweder Nora. Ziv6evs oder wahrscheinlicher Gen. von SivStj;.

2) Herangezogen schon von Savelsberg a. a. 0. II 10. Ganz un- glaublich ist, dass die lykische Schreibung unter Eintiuss der aegyptischen entstanden sei, wie Imbert, Bab. and Or. Reo. II 212, behauptet.

Der kleinasiat. Wandel von 7it in nd. 297

Linm'a 4i. so niuss nt einen von d verschiedenen Dentallaut darstellen Deecke Bezz. Beiti\ Xu 146 vemmtet ein stimm- loses d, wälu-end AA den entsprechenden stimmhaften Laut be- zeichne. Es könnte aber auch im ei-sten Falle tönende Foi-tis. im zweiten tönende Lenis vorgelegen haben: beweisen lassen sich solche Amiahmen natürlich nicht.

Dieselbe Umschreibung eines ii-emden nd durch lyk. nt hat man noch in folgenden Fällen angenommen: in Sppntazah Gen. Telmessos 3, auf Münzen Sppnfaza und Sppi. i), worin Imbert. (Bab. and Or. Eec. Y 113) den persischen Namen ^f^crdadcxTr^g sucht: doch stimmt dazu nicht der Schluss der lykischen Fomi. man müsste demi annehmen, dass die Lykier dem pei-sischen Namen eine lykische Endmig gegeben haben. Xicht imwahr- scheinhch ist femer die Gleichsetzmig von Milasänträ, Stele von Xanth. S. 40. mit giiech. ME}.r^oav^Qog-).

TVemi ■«•ir die Schreibung nt somit als eine historische be- trachten, kömien wii' uns auf eine Pai'allele in der lykischeu Ortho- gi'aphie stützen. Deecke hat zwar Bezz. Beiti*. XTT 124 mit Eecht betont, dass E im Lykischen iu"spriingHch einen f-Laut bezeichnet haben müsse, ■sne in dem griechischen Mutteralphabet, aber ebenso sicher ist es auch, dass das Zeichen in historischer Zeit nicht mehr e, sondern i ausdiückt. Das beweist einmal die regel- mässige Wiedergabe des lyk. e dm-ch t in den griechischen Um- schi'eibungen : es wii'd nicht überfüssig sein, die Belege zusammen- zustellen : "/xTag = Eyrtta, Bilinguis von Antiphellos. ziüetzt bei Petersen u. V. Luschan, Reisen in Lyk. LC n. 122.

3Io?Moiog == MollEjäsäh Gen..

niQiudviog = PorEhEmä . . tähä, Bilinguis von Le^^isü. zuletzt Eeisen II n. 6.

Tlvßiah]L = PohEäläjä, Bihnguis von Limp-a. Reisen II n. 124.

27tiyaoa = SbEkaza, Bilinguis von Kyaneai, Reisen II n. 25. Vgl. $BE0AZA Limyra n. 81.

ÜQiavöja = PrEjänobäha,

TioBvoeixßoav = TEküoköprö,

1) Six Monnaies lyciennes 37. 92. Babelon, Les Perses Achemenides p. XCVII. 68 f. 11. 468—470; verkannt von Head Hist. nura. 574.

2) Six bei Imbert, Bab. a. Or. Rec. II 2S3.

298 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

'Ogtaxla = OrtaqEjahn,

TlvQißciTOvg = PorEJiEmä Bilinguis von Tlos, Beimdorf

Anzeiger der Wiener Akad.. pbil.-h. KL 1892, 20. Juli, Nr. XATH S. 12 f. 'Eluidavui Limpa. CIG. 4315b. Eeisen 11 n. 126: vgl. H.m-

mEdüEä Lim^Ta. Reisen II n. 155 5. TsQui/Mi, ToELiilui = TrmmElE, Stele v. Xanthos 0. 26.

Myra 45 u. 0. |

Ilr/ouog Eeiseu 11 170 = FExnm[q]k Lim}Ta 18 1. ^r/Qr^g Eeisen H 168, S. 106, ATG, 9 = PE/rä Antiphellos

li, vgl. Deecke Bezz. Beiü-. XII 129. IIiSeöaQog Eeisen I p. 56 Anm. 4. ni^cjöagog H 75, IJiow- dagog II S. 2 A. 4, Kiuzform Uioäg I 69 = PExädarä Deki'et des Pix, 1. Tdöuag Eeisen I 29 = TEloma Stele v. Xanth. 0. 21 (vor- hergeht sä 'imd"). Tevivaaog Eeiseu 11 137 = TävEnäzöi Telmessos 3i,2. KctQL/xi Gen. Epigi'auuu der Stele v. Xanth. = xörEfjraÄö lyk. Text, S. 5. 25 u. ö, yarEga auf Münzen, Babelon Les Perses Achenienides p. C, Imbert Eev. d. etud. gr. VII 1894, 267 ff.

Auch iin AVoilausgang ist lyk. E selu* häufig dmx'h gr. i ^viedergegeben z. B. ^eötjxlefxig Eeisen 11 108 = ÄsädäplömE Myra n, 1 {Asädäplömäjä Liiuyra 17 1). Den auf der Stele von Xanthos und auf Münzen oft genannten Namen Koprlli setze ich mit pisid, Kioßillig (SteiTett II 5542. 59i7. 8O1. KioßeAleiog Gen, II 41 34. Kwßtkleog bbn) gleich.

Gegenüber diesen zahlreichen Belegen fiii' l finden sich andere Umsclii-eibungen des E ausserordenthch selten: €l in Eldaaoaka =* Edazzala auf dem Sarkophag von Kadyanda, CIG. 4225 Eeisen II n. 267,

Andererseits geben (he Lykier das / von Fremdwörtern durch ihr E wieder: "'li,)veg = IjänisTt Stele v. Xanth. O. 27, Ijänä S. 47. O. 20. ' ^LÖÜQLog (vielleicht nichtgiiech.) = Sidärija Bilinguis v. Ldmyra. ^ItiTQo/J.rig = Ijätroxlä Xanth. 3.

ITegr/lrig = Pdriklä LimjTa 16. Münzen: Six Monii. lyc. 73. Babelon Pers. Achem. p. CX, Catal. de la collection des medailles grecques de L. Walcher de Molthein n. 2537. 2538.

Der kleinasiat. Wandel von nt in nd. 29^

TeoUu/J.r^g = Tärssiyjäh Ehocüapolis a, Z. 2.

L^rro/./ojv/dijc: = ApoJänidah Biliiiguis von Le^visü, Reisen II

n. 6. DIiTQoßc'tTriq (Xenoph. Hell. I 3. 12) = MiOrapata auf der

Stele V. Xantb. 0. 16 und auf Münzen. SixMonnaies lyciennes

67—69. Babelon. Pers. Achem. CIX; p. 78 n. 529. 530.

Imbei-t Bab. Or. Rec. 111. Pei-s. Viitäspa = Ivk. Vizttasppahn Stele von Xantb. X. 49.

Dieser Thatbestand giebt uns, denke ich. das Recht, das lyk. E diu'ch / zu umschreiben imd anzunehmen, dass der lykische Vokal, der m'sprimglich im Gegensatz zu /^ = oft'enem e geschlossenes e war. zu der Zeit unserer Denkmäler bereits in i übergegangen war. Trotzdem hielt man in der Schnft an dem alten Zeichen fest imd Tei"v\'andte es sogar zm* Umschi'eibung von fi-emdem i. Wir haben hier somit eine vollkommene Pai'allele zu dem Vorgang, welchen vor für die Lautverbindmig M ange- nommen haben; bei der Uebemahme des giiechischen Alphabets sprachen die Lykier noch nt mid schiieben demgemäss auch so; dem konseiwativen Zuge der lykischen Orthogi'aphie gemäss "wiu'de diese Schi'eibung nmi auch beibehalten, als man schon nd sprach, Xur ganz selten findet sich nd geschlichen z. B. Ujändväz Stele V. Xanth. W. 52.

Dass dieselbe Erweichmig der Tennis auch nach labialem Xasal eingetreten war, ist an sich wahi-scheinhch imd wird er- Aviesen dm^ch (he Umschreibung des persischen Satrapennamens ^^QTEußaqr^^ mit Arttompara ^). Ferner entspricht in zwei Fällen giiech. i.iß lykischem einfachem pi' 1) TioeiGeußgav = Tikäokö- prö (Bihnguis von Tlos), 2) steUe ich Ipräsida (Kyaneai, Reisen II n. 24) mit dem lyk. "'lußor-g (Reisen I 52 22. 29. 33), kar. If^i.jQuoaig zusammen. Vereinzelt findet sich freüich auch (.i^r: Ti'uTta (Gen. Reisen 11 264)2).

Es fi-agt sich nun : steht die lykische Ei-weichiuig der Tennis nach Xasal mit demselben Vorgang im Kihkischen notwendig in

1) Pinara n. 2 = Reisen in Lyk. I n. 20, Limyra 16. Tlos [Arttom- para Miidiisä Artembares der Meder nach Arkwright bei Babelon Pers. Achem. .p. CVI). Auf einem Stater des Brit. Mus., Six Monn. lyc. 63, Babelon a. a. 0.

2) Damit zu verbinden ist vielleicht impävöti auf der Stele von Xanthos W. 57; zur Endung vgl. das kurz vorhergehende TrmmilijöÜ.

300 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

Zusammenhang? oder hat sie sich in jeder der beiden Sprachen selbständig entwickelt? Die Antwort kann nicht schwer fallen, wenn wir ei-wägen. dass Eahkien und Lykien dui'ch die pamphy- lisch-pisidische Landschaft von einander getrennt werden und der hier hen-schende griechische Dialekt der einzige in älterer Zeit war, welcher vt in vd verwandelt hatte. Die griechischen Kolo- nisten hatten sich in Pamphylien, wie fast überall in Kleinasien mit der einheimischen pisidischen (bezw. kihkischen) Bevölkerung vermischt: das bezeugen die zahlreichen barbarischen Namen der Grabstelen von Aspendos i). Dass aber die griechisch redenden Pisider die Lautneigung ihrer Muttersprache auf die angelernte griechische übeiii-ugen, ist ein Vorgang, fiir den es bekanntlich sehr viele Analogien giebt -).

Dürfen wir nun, nachdem die ErReichimg der Tennis nach Nasalen flu' den ganzen Süden Kleinasiens einwiesen ist, denselben Lautwandel auch für die westlichen und zenti-alen Landschaften voraussetzen? Ich meine, eine Thatsache muss uns dazu sehr geneigt machen: das ist das fast gänzliche Fehlen der Lautver- bindung VT in der einheimischen Nomenklatm- von ganz Klein- asien und auf der anderen Seite das ausserordentlich häufige Aufti'eten der Lautgruppe vd. "Wie gewöhnlich letztere in den klein asiatischen Ortsnamen ist, das ist ja bekannt, aber auch in Pei-sonennamen ist sie nicht gerade selten: karisch-lydische Be- lege sind ^loBfitvdag Halikarnass Dittenberger Syll. 6, c, 69, Kßovdiaaaig 6, c, 59, TivdeoGiQ 6 37. 37 u. ö., ^^vdaQOiodog 6 c, 46, Koi'df.id?.ag 67, IlioivöriXig (Sohn der Artemisia, Suidas s. v. ^Hgodozog), ^Ivöiq Thyateira BCH. X 521, Kavdav- Ir^g, ^avdavig Herodot I 71. Dagegen muss man Fälle von

1) S. Zeitschr. f. vgl. Sprachf. 33, 262. Von Side berichtet Arrian, Anab. I 26, 4 in etwas dunkler Ausdrucksweise : elal de 01 2!t8ijzat KvfiaToi ix Kvfirji; rfjg Ato?.c8og ' xal ovzoi ?.iyovaiv vjtkg acpöjv t6v8s ror loyov, ort <og xaxfjoäv xe ig rijv yfjv ixsivrjv ol jzocötoc ix KvfiTjg araMvxEg xal im olxiaixco i^sßr]aav, avxixa xi]v fikv 'EXXäda yXöiaaav i^eXä^ovxo, evdvg 8e ßaQ- ßaQov <pa)vi]v Teaav, xal ovds xcöv 7tQoax<oQOiv ßagßdgcov, dlXä tÖlav arpwv ovnoi nQoadev ovaav xijv qxovT^v xal ix xöts ov xaxd xovg äXXovg ngoa^o')- Qovg Sidfjxai ißagßdoiCov.

2) Beispiele für den Wandel von /i^t in fiß fehlen in unseren Denk- mälern des pamphylischen Dialekts. In d(y)xQü}7xoiai = dv&Q(j):ioiai ist die Erweichung durch die Aspiration verhindert; über die Aussprache dieser Lautgruppe s. Griech. Vaseninschr. S. 161.

Der kleinasiat. Wandel von nt in nd. 301

VT mühsam suchen: der lydische Name ylaßgavTidr^g (BCH. XI 84) ist offenbar von Adßoavöa, Aaßgavvda abgeleitet, dessen vd \-ielfaltig bezeugt ist. Das Schwanken z-snschen vt und vd •wird sich hier wie in kar. KvDmvtiol: Kvllavdioi (Meisterhans ^ 61) daraus erklären, dass die aus t nach n entstandene Media sich mit gi*. 6 nicht genau deckte, sondern etwa tönende Foiüs war. Die Xamen BeQer/.vvTcei, BEQE/.vvxia, Bsoe/.iv&iog u.s.w. gehören wie der Gebirgsname'"OAt'|t<>'Toc: mit jkjt den zugewander- ten PhiTgem an. Alexander Polyliistor (bei Steph. Byz.) erwähnte eine phiygische Stadt 3IävTcdos, aber auf zwei Steinen, welche Ramsay auf dem Wege zwischen Arab Em-en und Kainiaz, dem antiken Troknades. fand (Geogr. of Asia ^linor 150. der eine schon von Mordtmann Sitzgsber. d. Bayer. Akad. 1862, 14 abgeschiieben), erscheint ihr Xame in der Form 3Iävda?.o(g), und diese bietet auch der cod. Eehdig. des Stephanos (aber im Ethnikon Mavra- 'A,riv6g x). Das Nebeneinander von MarraXog imd JIävöa'Aog lässt sich mit kar. KvIIuvtlol : KvX?,ärdioi vergleichen, erklärt sich aber \-ielleicht eher dui-ch folgende Yenuutung. Die Stadt lag, nach dem Fundort jener Inschiiften zu m-teilen, nahe der galati- schen Grenze. Zwei ähnhch lautende Ortsnamen kommen aber in Galhen vor: Mantcda Itin. Aiit, Tab. Peut., Petro-mantalum lim. Ant.. womit Glück. Kelt. Namen bei Caesar S. 46, den Pei-sonen- namen Catamantaloedis verbindet, ^lävialog wai- also \-ielleicht ein galatischer Name, der im Mmide der antochthonen Klein- asiaten zu Mcivdalog wm'de. Ebenfalls Phiygien gehören che Ortsnamen TQißavva (Ptolem. Y 2. 22) imd Qlowtu^) an, mit welchem letzterem doch wohl der nasallose phryg. Personenname Qiovd-iovg *) zusammenhängt. So könnte man ja wohl noch einige weitere Fälle von vt auftreiben, aber gegen die Masse der Foimen mit vd, wie sie namenthch in den Ortsnamen vorhegen, würden sie dennoch immer verschwindend wenig bleiben. Freihch ist uns der Zufall nicht so günstig, dass wir wie für den Süden auch tur den Norden die Erweichimg der Tenuis in Verbindung mit einem Nasal sicher belegen können. Ei-wähnt mag aber immer- hin ausser Blmralog Mavöalog werden, dass die Lischrift

1) Arifio? OtovvTEcov in der Gegend von Mossyna, Ramsay, Geogr. As. Min. 135. 433. aogög Qiovvxrivrj Hierapolis, Le Bas III 1683.

2) SterrettU n. 177: 6iov&iovg AöÄkiog Aovy{'dyivog Tizov vlög. „The reading is perfectly certain".

302 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

eines Grenzsteines aus dem pontischen Herakleia nach G. Büi'sclifeld die älteste von der Nordküste EHeinasiens die Forni ivdog für Ivrog bietet i). Leider nützt uns aber dieser Fall nicht viel, da Herakleia zu weit nördlich, schon an der Grenze des Gebietes der Ortsnamen mit vd liegt ganz abgesehen davon, dass ivöoQ auch auf einer barbarischen Kontamination von fVrog und Ivöov beiTihen könnte.

SoA-iel düifte jedoch nmimehi* sicher sein, dass die füi* Lykien, Pamphyhen und Kilikien erw-iesene Erweichung der Teiuiis auch für die Ortsnamen auf -vda, -vdog angenommen werden muss, dass ihi' vd aus der in Kooivd-og, ^ißivd-og, Kl-Qivd-og u.s.w. vor- liegenden Stufe nt entstanden ist. Daraus folgt weiter mit Not- wendigkeit, dass eine der südkl einasiatischen sprachverwandte Bevölkerung über das ganze Gebiet, welches die Ortsnamen auf -vda, -vdog einnehmen, verbreitet gewesen ist. Man wird ■s-ielleicht einwenden : die pamphylischen Griechen haben doch den Wandel von nt in nd von der einlieimischen Bevölkerung ange- nommen, ohne mit dieser irgendAvie verwandt zu sein. Aber dieser EinAviuf hat nui' scheinbar Berechtigung: die griechischen Kolonisten haben sich eben mit der einheimischen Bevölkerung, von der der Lautwandel ausging, vermischt; wir dürfen vermuten, dass es zuerst nur der griechisch redende Pisider war, der jtivde füi' TtivTS, ayiovöi füi' äyiovTi sagte. AVollte man denselben Vor- gang auch fiir das übrige Kleinasien annehmen, so würde dies jedenfalls die GegeuAvart einer der südkleinasiatischen verwandten Bevölkening überall, wo sich Ortsnamen auf -vöa tiuden, voraus- setzen, und mehr als ches soll zunächst auch nicht behauptet werden.

Dem Schlüsse, dass die Karer und Lyder dami mit deu Lykiern, Pisidern, Kilikiern verwandt sein müssen, könnte mau Jim' dm-ch die Thi-aemer'sche Hypothese ausweichen, wonach Karer und Lyder erst relativ spät in Kleinasien eingewandert sind und dort eine Urbevölkermig vorgefunden haben, von welcher jene Oiisnamen hen-ühren. Gegen (üese H}i)othese spräche aber eretens, dass auch in den karisch-lythschen Personen -Namen die Lautverbindung vd ziemlich häufig ist, während vv fast ganz fehlt. AVollte man aber auch diese Personennamen der „Grund- bevölkerung^' zuschreiben, imii, so müsste man wirklich sehr

1) Sitzgsber. d. Berl. Akad. 1888 S. 885 n. 51.

Der kleinasiat. Wandel von nt in nd. 303

z^NTLiigende Beweise fiir ihre Yei-schiedenheit von den Karern und Lydern beibringen, was bis jetzt wenigstens noch nicht geschehen ist.

Schlagender aber noch ist folgender Einwand. Die Haupt- gottheit der Karer, welche che Hellenen mit ihi-em Zeus gleich- setzten, führte in der einheimischen Sprache den Xamen ^a- t ßgawöog. Die Form dieses Xamens zeigt in der griechischen Umschreibung ein merkwüi'diges Schwanken, das offenbar auf Rechnmig des i]ikommensm"al)len Charaktei-s des karischen Yoka- hsmus zu setzen ist. Ich verzeichne die handscluiftlichen und iepigi'aphischen Belege ^):

^a^(.ai)'(5o5, Mylasa, BGH. V 99. Athen. ]\Iitt. XV 261. GIG. 2750 (bei Aphi'odisias). Sitzgsber. d. Wiener Akad. 1894, phil.-hist. Kl.. 132. Bd. S. 17. 19 (n. 1 : Stratonikeia). GIG. 2896 (Herakleia am Latmos). Labrayndus Phn. 32. 16. ^ai.ißQcavdog, Mylasa, GIG. 2691 e = Le Bas HI 379. uiaßqavvvdog Mylasa. Athen. j\Iitt. XY 259. ^aßgaaivöog, Mylasa, Le Bas HI 348. ^aßgaivvöog. Mylasa. Le Bas ni338i7. 399 so- Vgl. Mau- m-

Tr^g neben Mavvvirrjg. Athen. iNIitt. XV 262. ^aßgaivöog ist aus dem weiblichen Personennamen Aaßoaivdig

in Sti'atonikeia. Le Bas HI 531. zu entnehmen. ^aßgaevSog Mylasa, Sitzgsber. d. AVien. Akad. a. a. 0. S. 13 n. 4. ^aßQevöog Mylasa, Ath. Älitt. XV 259. uiaßQavdog, Et. M. p. 390 u. Evdiovog 2). ^aßgavöeig Aehan. X. A. XJI 30. Le Bas HI 334. Steph.

Byz. (als Ethnikon). ytaßqadEvg Plut. Quaest. gr. 45.

yiaßqavdr^vög Strab. XIV 659. bei Steph. Byz. als Ethnikon. Vgl. auch Aaßqavxidrig BGH. XI 84.

1) Vgl. dazu Drexler in Roschers Lexikon u. Labrandeus.

2) IloTafj.6g Ttjg :tore ^ihv Ata? rs xal ^Eovfivt]; y.al Aagior;.;, vvv 8s TgdXXscov xakov/xivr}? rfjg 'Aatag ozc Adßoavdo; xal üavd/xaQog [cod. Uava- fiOQog^ xal IldXa^og tj SnaXa^og ol KovorjxEg, xaxd xoTjOfiov i-it xtjv Kaglav eQficövTeg vvxzög iTiixazaX.aßovatjg i:zl taig oyßaig avrov xarsxoifi^&ijaav. Ilaoä z6 evöfjoai ovv Evdcovov zov :zozafi6v wvöuaaav- Die hier genannten Kureten tragen Beinamen des karischen Zeus: Aäßoavdog und Uaväuaoog sind bekannt ; der dritte Name ist in der Form S:iäXo>'^og auf einer Weih- inschrift aus Mastaura (Anz. d. Wien. Akad., ph.-hist. KL, 16. Nov. 1893, Nr. XXIV: All SnaXco^cp) zu Tage gekommen.

304 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

Xim macht Pliitarcli Quaest. gi*. 45 über diesen Gottes- nameii die glaubwüi'dige Angabe, dass er von dem lydischen '^ort läßQvg 'Tttle/.vg' stamme mid sich auf das Beil beziehe^ welches der karische Zeus statt des Sceptei-s oder Blitzes fühi-e. In der That zeigen alle karischen Satrapemnünzen von Heka- tomnos mid Mausollos an die Kultstatue des Gottes in der Linken das Scepter haltend und mit der Rechten die Doppelaxt schul- ternd. Xach der von Plutarch mitgeteilten Sage hatte Herakles diese Axt der Amazonenkönigin abgenommen und der Omphale geschenkt. Von ihr vererbte sie sich auf die folgenden lydischen Könige bis Kandaidas, welcher sie einem seiner Mannen zu tragen gab. Als nun Gyges sich empörte mid sich mit dem Karerkönig Ai-seHs verbündete, erbeutete dieser in siegi'eicher Schlacht che Axt von den Lydeni und verlieh sie dem Zeus, der davon den Beinamen ^daßgawöog oder, wie Plutarch ihn nemit, ylaßgadecg führte. AVelches nun auch che wirklichen historischen Vorgänge waren, die dieser Sage zu Grunde Hegen i) die Erkläining des Namens des karischen Zeus von IdßQvg 'Axt' macht jedenfalls dm'chaus den Eincbuck der Glaubwiü'chgkeit.

Man könnte zwar mit Rücksicht darauf, dass das ?2C?-Suftix vorzugsweise zm' Bildung von Ortsnamen dient, behaupten wollen, dass der Name des Kultortes AdßQavvda der piimäre und der des Gottes davon abgeleitet wäre. Allein das wcif-Suffix tritt auch in Personennamen nicht gerade selten auf, \de lyk. Zeq- /.lovvdig (Reisen in Lykien II 160), Pdän^nta (Pinara 42), Tqo- ■/.övöag (s. unten), Tovhavdog 2), KiXrivdog '), pisid. Kodvovvdig (Lanckoronski Pisid. n. 64), Mogadvda *), vielleicht auch kar. ^loeiiihdag (Halikaniass, Dittenberger Syll. 6, c, 69), erweisen. In dieser Beziehimg steht also der Plutarchischen Etymologie nichts im AVege, und wir dürfen daher annehmen, dass das bei dem Heiligtum des Lal)raundos angebaute Dort" von dem Gotte

1) Zuletzt hat sich hierum Radet, La Lydie S. 135 f. bemüht. "^

2) Salir bei Antiocheia, Sterrett III 329. Der Stamm ist vielleicht derselbe wie in Tovkovgaats, Sterrett a. a. 0. und II 183, Tokovgaoig III 323.

3) Olympos BCH. XVI 222 n. 58; über den Wortstamm s. unten.

4) Nom. f. Lanckoronski Pisid. n. 145. CIG. 4366 p. Vgl. zum ersten Teil MogaoUcog (Gen., Sterrett III 289) und MoQaoXio[v] (Gen., ebd. 296).

Der kleinasiatische Wandel von nt in nd. 305

den Namen erhalten hat, für welchen Vorgang im Exkurs zahl- reiche Parallelen beigebracht werden. Auch der Umstand hat iiichts Auftälliges, dass nnn wieder der Gott nach dem Oii, also mit dem ftoliTi'Aov ylccßqavöevc, bezeichnet wird, ^aßgauvöog : ^dßqavvda : u^aßQccvdevg verhalten sich genau wie Zevg Xqv- adioQ (Stratonikeia BCH. XII 83 n. 9) : XQioaoQig^) : Zevg Xqv- üaoQEvg (Strab. XIV 660) oder XqvoaoQiog (Sti'atonikeia CIG. 2720. 2721), XQvGaoQEiog (ebd. BCH. XII 83 n. 8. Lagina XI 32) imd diese Parallele wird noch vollkommener, wenn man erwägt, dass Xqvochoq vermutlich nur die ungenaue giiechische Uebersetzuiig des karischen ylaßQavvöog ist. Auch das Verhält- nis von Zevg Uavdf-iaQog : TIaväf.iaQCi lässt sich vergleichen.

Xiui wird Tlii'aemer nicht behaupten wollen, dass der Xame des Hauptgottes der Karer, der von dem Symbol der karischen Nationalität, der Doppelaxt 2), benannt ist, von der imtergegan- genen oder miterdrückten „kleinasiatischen Grmidbevölkerung" heiTühre. AVemi ii'gend ein Name, so war dieser bei den nach Thraemer von Westen mid Norden eingewandei-ten west- kleinasiatischen Völkern national. Dann ist aber der Beweis ge- liefert, dass das «c?-Suffix der Sprache dieser Völker, speziell den Karem ^) eigentümlich angehört. Die Ausflucht, dass die sufiixale Uebereinstimmung zwischen viaßqavvdog mid den Ortsnamen auf Zufall bei"uhe, wäre zu schlecht, mn ernsthch in Betracht gezogen zu werden. Es ergiebt sich also, dass das Wf^-Suffix weder von der westkleinasiatischen noch von der südkleinasiatischen Bevölke- rung getrennt werden kami. AVer die vorgebrachten Thatsachen unbefangen würdigt, wird sich dem Eindruck nicht entziehen können, dass' sie sich nur unter der Voraussetzmig einer Sprach-

1) Nach Pausan. V 21, 10 hiess Stratonikeia früher ehe es nach der Gemahlin des Antiochos Soter umgenannt wurde XQvaaogi?.

2) üeber den Inschriften erscheint die Doppelaxt angebracht in Kys BCH. XI 310, Euromos Le Bas III 319 und dem lydischen Phila- delphia, ebd. 641.

3) Plutarch bezeichnet kdßgvg als lydisches Wort, während Aaßgavv- Sog nach seiner Erzählung karisch sein muss. Nach Strabo XIV 659 wurde der AaßQavdtjvög namentlich in der Umgegend von Labranda und von den Mylaseern verehrt, während das Heiligtum des Zeus Kariös Karern, Lydern und Mysern gemeinsam war. Vgl. Waddington Voy. arch. III zu n. 415. Für den, der Karer und Lyder für eng verwandt hält, wie dies auch Thraemer thut, kommt hierauf nichts an.

Eretsehmer, Einleit. in d. Gesch. d. gr. Sprache. 20

o06 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

Verwandtschaft der Lyder, Karer, Lykier, Pisider. Kilikier er- klären.

Ist dies richtig, so geben uns die mit nd gebildeten Oiis-

namen die Verbreitung jener sprachyerwandt«n Bevölkerung an.

Hierbei ist natüi'hch zu berücksichtigen, dass sich, während die

Ortsnamen haften gebheben sind, die G-renzen der Bevölkermig

mit der Zeit verschoben haben kömien, wie ja nachweisHch stamm-

fi-emde Völker, die Bith^aier, che Phryger. später die Galater,

an den Küsten die Hellenen in ihr Gebiet eingedi'ungen sind.

Georg Meyer imd Pauli haben mit den Namen auf -avöa, -ivda,

-vvöa auch die auf -ada, -edog, -idog, -vdog wie Ttßdaaada,

Ovdoada, ^vvvaöa, Aäßeöog, ^ißeöa, Ndyidog, Mdyuöog u.s.w.

zusammengenommen, ersterer mit Berufimg auf das Fehlen des

Nasals vor Konsonanz im K}prischen und Pamphylischen ^).

Man könnte auch auf das Verhältnis von lyk. Tikäoköprö, Hm-

präma zu den griech. Umschreibungen TiaEvaif-ißga, ^'E/ußgo/nog

und von lyk. Ipräsida zu kar. Ifißgaauig hinweisen, wenn (hese

Fälle nicht insofern von besonderer Natm- wären, als auf den

Nasal hier nicht ein, sondern zwei Konsonanten folgen. Bei den

Ortsnamen aber ist ein Schwanken zmschen -vd- mid einfachem

-d- nur in ganz vereinzelten Fällen nachweisbar: so in BXavdog

(Menekrates bei Steph. B., Sti-ab. XII 567) neigen Blaüvöog, auf

Münzen Mlawdeojv und Blavvdecov (Head Hist. num. 559), in

den Notitiae WlavSelg; das von Hierokles (662, 15) unter der

kTtagxia ''EllriOTtc'vTov angefiihi-te Blddog ist nach Ramsay, Geogr.

of Asia Minor S. 133, \nelleicht mit Blaudos identisch und nur

in-tümlich in jene Eparchie übertragen. Ramsay stellt liierher

auch den pisidischen Namen ^'AfiXaöa (auf Münzen ^A^Xadtiov,

Head Hist. num. 589), "'^^ßlada (Strab. XH 570), der auf

Inschriften (Steirett III 36696. 111-112 u. ö.) zu ^Afirttlada

gräcisirt erscheint. Ferner wäre das Plutarchische y/aßgaöeig

hier zu nennen, wenn es nicht aus AaßQavÖBvg verderbt ist •).

In beiden Fällen geht dem -vd- jene Vokalverbindung voraus, die

bald durch av, bald durch ae, bald durch einfaches a uniscliriel)eji

1) Die Auslassung des Nasals vor Konsonanz ist auch in anderen griechischen Mundarten nachweisbar: s. G. Meyer, Griech. Gramm.* 284. Verf., Griech. Vaseninschr. 41. 161 ft".

2) Hinzugefügt sei noch, dass Sterrett III 455 das Ethnikon KagaiSsvi = Kagaevdevi 375 »,, KaQaBvdrjvog 366 ^j setzt.

Die mit -nd- gebildeten Ortsnamen. 307

wird. Es ei-scheiut mir unter den dargelegten Umständen gewagt, in Namen wie yfeßedog, Ttvedog^^'^Qoada'^) usw. durchweg den Ausfall eines Nasals anzunehmen : wenn -vd- aus -nt- entstanden ist, kann sehr wohl daneben ein gänzhch verschiedenes r/-Suffix bestanden haben.

Zu streichen ist in Pauh's Liste der Ortsnamen mit -vd- femer das karische l^Xdßavda, denn wenn darin das Substantivum ßavda 'der Sieg' steckt, so ist das vd hier möghcherweise nicht suffixal. Dasselbe gilt von dem kar. Mvvdog, vielleicht auch von dem lyk. l4QVY.avda, wenn es in ccqv- 2) -f- y,avda zu zerlegen ist.

Dagegen sind vermutlich die Namen auf -vva vsde lyk. "Ytswu, pisid. "Erfivva , Erevveig = Kovervelg (ßamsay Geogi*. 418). ngoarawa^) hier anzureihen, wenn deren vv aus ent- standen ist. Dafiii' spricht, dass Tgeßeröat, (Ptol. V 3, 6) auf Münzen in der Form TQEßevvarcuv erscheint. Man hat sich zwar beeilt, das ptolemäische Toeßevdai für verderbt aus Tgeßervat zu erklären, aber die Assimilation von zu w hat eine Pai^allele an dem phryg. Ortsnamen Kivvaßoqa^). der von dem schon er- wähnten lyk. Personennamen yntabora , KivdaßvQig kaum zu trennen ist. Wenn aber der Nasal die Kraft besass, das folgende d sich zu assimihren. so weist das nicht eben auf schwache Artiku- lation des antekonsonan tischen n. Durch diese Vorbemerkungen und sonstige Berichtigungen und Ergänzungen erleidet das Ver- zeichnis der Ortsnamen mit -vd- bei Pauh, Inschr. v. Lemnos 1, 44 ff., mancherlei Modifikationen.

1) In 'Ofiövada, das Pauli hierher zieht, ist sicher kein Kasal ausge- fallen , falls die 'OuovadsTg in den Hömünädi der Stele v. Xanthos S. 31 (darauf folgt das Ethnikon Trmmil..) zu erkennen sind. Man hätte sonst im Lykischen IT zu erwarten.

2) Vgl. den Namen des lyk. ^^^mo? ^gu^alift)»' (JHSt. X 63), für dessen Analyse Idamayzza (Antiphellos 43) zu verwerten ist, femer kar. 'Aqv- aaoig und für das zweite Element lyk. Kävdvßa, pisid. Kävöoov x(öii,r] (Sterrett III 86620), kar. Kdvdaoa.

3) Ptolem. V 5, 8 nennt die Stadt JjQoaxafxa, aber die Münzen haben Ugoarawicov (Numism. Chron. X 96), eine Inschrift aus Delos, BCH. XVI 155 n. 7: d 8fjfj.og 6 Ugoaraewscov Iliaidcöv.

4) Es liegt nur das Ethnikon vor : Kiwaßoqsv? Sterrett III 373 375. 378. 384, KivvaßoQcaTTjg 366, KcvvaßoQtjvo; 366 verschrieben für KiwaßoQijvos 373. 374. Der zweite Bestandteil scheint derselbe, wie der von TdXlßoQog (pisidischer Räuber, Lukian Alex. 2) , zu dessen Analyse kappadok. Tdkevg (Sterrett II 287. Gen. Td/Jov; Komana, BCH. VII 137) zu vergleichen ist.

20*

308 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

In Lykien: Ogiavöa, Kceötavda, I\lo}.vrdeia , Tgeßhöai^ in der Kibyratis Olvoavöa. "Woher G. Meyer und Pauli ^'A/.avda haben, weiss ich nicht. Die nur von PHnius V 35 ge- nannte Insel Telendns möchte Forbiger. Alte Geogr. II 263 A., für nicht verschieden von Telandrus halten, das dann aus Telendns graecisirt wäre. Suffixal ist nd vielleicht auch in Ascandalis.

In P a.miphj\ien'L4a7Tevöog; ^ivöavvöa, Hiei-okl. 680, ist nach Ramsay Ath. Mitt. X 334 bms "Avöt^öa verderbt; in Pisidien: "laivöa Strabon und inschriftlich {^lairdsvg, Ath. Mitt. X 340. JHSt. VIII 228), '/a/ oj'da Polyb., IsiondenseslÄv. 38, 15^). 2ivi^d^ai'dog Hieroki. (^iviardog -) Xotit.). Tvuavdog Hieroki. (Touavdog und TiuarÖQog Xotit.) , von Ramsay (Geogi-. 401 f ) mit Ta'Aßovda (Ptol. V 5, 8) gleichgesetzt. Die Stadt Oronnda ist nicht sicher beglaubigt (Liv. 38, 37. 39. Phn. V 24): Polybios kennt nur einen Stamm ^OqoavöiTig (22, 25. 26), den eine Inschrift aus Antiocheia ^Oqovdeig nennt; vgl. Forbiger Alte Geogr. II 335. Ramsay Geogi". 398 Anm. ^Oqoavvevg auf der I. von Hahkamass, ßCH. \1 401.

In Kilikien: im östUchen Teil Oeniandos Phn. V 93, das spätere Epiphaneia. Kvivöa (Strab., Diodor, Kovirda Plutai'ch). In Kilikia Tracheia Mysanda (Phn., v. 1. Myanda, vgl. Forbiger II 287), von Ramsay Geogr. 369 mit Ptolemaios' Movoßavda identifizirt. Auch KElerdeolg könnte hergehören. Der Name ^ehvovg beruht vielleicht auf Graecisirung eines einheimischen *Selindos, wie ich aus dem jetzigen Namen Selitidi ^) und dem antiken der Landschaft ^slevrig (Ptol. V 8, 2) schliesse. Ein Ethnikon ^eltvdevg scheint thatsächlich bei Sten-ett II 163 (-e- ).LvdHt){g)) vorzuhegen. Ein von dem lykaonischen verschiedenes Dalisandos im Thale des Ermenek Su, zur Dekapohs von Isaurien gehörig, nimmt Ramsay, Geogr. 335, an. Tomaschek (Beitr. z.

1) Pape-Benseler verwechseln hiermit das von Steph. B. genannte "laivdog- .^6/.tg 'Icoviag. Ich sehe wenigstens keinen genügenden Grund, bei Stephanos einen Irrtum anzunehmen , zumal Endung und Ethnikou ('lai'vdios ^latvSsvs) abweichen.

2) Es handelt sich wohl nicht um handschriftliche Verderbnis des Namens, sondern jüngere lautliche Verkürzung. So wird der Name des kilikischen Flusses Ka).vy.a6voi; (wegen des zweimaligen xa-) zu Kakvdvos verkürzt: vgl. Steph. Byz. u. 'Vgla: 6 KaXvxadvog, ov KaXvdvöv riveg xaXovaiv.

3) Diese Namensform steckt, wie auf mittelalterlichen Seekarten ge- wöhnlich stark korrumpirt, in dem Salmade des Marino Sanuto.

I

L

Die mit -nd- gebildeten Ortsnamen. 309

Topogr. Kleinasiens, Sitzgsber. d. Wien, Akad. 124. Bd. 8. 63) sucht in Dali sandos dem Namen des kilik. Gottes ^dvdrig; jeden- falls sieht der Ortsname wie ein Compositum aus, das -vd- scheint also nicht suffixal. Zu Kilikien gehört auch noch das Städtchen Mvoiavöog (Skylax 102), gewöhnlich zu MvQiavÖQOg graecisirt, hart an der syrischen Grenze i).

In Kataonien, das ursprünglich kihkisch gewesen zu sein scheint . später zu Kappadokien gehörte : Tlodavdog ( Psyerto- davdog Hieroki. p. 699, nvdvavöog Ptol. Y 7, 7). Ueber Jali- oavdog von Ptolemaios zu Kataonien, von Stephanos zu Isaurien gerechnet s. oben.

In Kappadokien: ^oavdog (Strab. . Soanda Itin. Anton.) ^VTiavdog, Naöiavdog Philostorg., Nantianulus Itin. Anton., ge- wöhnlich NaLiavtog. Auch L4QiavZog, das im Gebiet von Nazianz lag (Ramsay Geogr. 285), ist durch lokalen Lautwandel aus '^Qtavöog entstanden. Jaof.iivda (Strab. XII 540), nach Ramsay (Geogr. 290) mit dem erst in byzantinischer Zeit auftauchenden T'Caf.iavöog identisch. Ueber Dalanda s. Ramsay a. a. 0. 309. ^OQOuavdfgjog^ das von Ptolem. V 7, 4 unter ^^Q{.ievia iily^qo. angeführt wird und das östlichste Beispiel eines solchen Orts- namens wäre, bleibt besser bei Seite, weil der suffixale Charakter des -vd- hier nicht feststeht.

In Pontus Galaticus Teßevda^ Ptol. V 6, 9. Zwischen dem pontischen Komana und Nikopohs: Gagonda, Tab. Peut.

In Ly k aoni e n ^ägavöa ; über Jahoavöog s. oben. In Phry- gien MXavvöog, das im Munde der Griechen zu BXavvdog wurde, phrygisch nach Menekrates (bei Steph. B.), aber hart an der ly- dischen Grenze, und ^ißidowda (Ramsay Geogr. of As. M. 143). Das von Ptol. V 2, 22 genannte TQißavra wurde vielleicht ^Tgißavöa gesprochen und mag dann derselbe Name wie lyk. TgeßerSac gewesen sein, vgl. phryg. Tavdaaig == kar. Tevöeaaig. Das inschriftlich genannte Dorf Trokonda (Ramsay, JHSt. Vm 493) heisst wohl nach einem Manne Namens TQ0A.6vöag.

In Karien: l4i.iivavda (CIA. I 227. 234), KaQvavöa, Kd- Ivvda, Kvllavdog, Kaqßaovavda (CIA. I 226 31), TlaGavöu

1) Die Ausläufer des Amanos bildeten die natürliche Grenze zwischen Kilikien und Sjrien. Seleukeia in Pierien ist nach Strabo die erste sy- rische Stadt.

310 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

(CIA. I Regist, ndooavda Steph. B.), ^doavda, JSagvavdog^), ^'AXivda, nlyivöa, nvgivdog, "OyovÖa (BCH. XII 22, 30), "Otojq- y.ovöa (OxioQv.ovdevg BCH. XII 18. 20. 21. 22 u. ö.). Taq- KÖvdaqa kann von einem Personennamen Tagviovöag (vgl. Tqo- ■Äüvöag) abgeleitet sein. ^riipif.iavdog scheint ein Compositum wie 'Ogofiavöog (in Armenia Minor), das -vd- also nicht suffixal. Ktvevöiülaßa {KEvevöialaßevg Mobolla, Ath. Mtt. XI 327), dessen Analyse sich aus Kaoolaßr^g (CIA. I Regist.) ergiebt, enthält einen Stamm Aeve^öio-.

In Lydien: ^ilavdog (Münzen und Notit.), Kälavda (Notit. gewöhnhch zu Ka'Aauog graecisirt), 3IoQi.i6vda (am Berge Sipylos, Athen. Mitt. XIV 93), TleQf^ivovvöa (^AtioXXwvl neQi-iivovvditov, Srnyma Ath. Mtt. XII 250). Als Städte loniens werden be- zeichnet latvdog und Jovöa. Unbekannt ist die Lage von Bd- yavöa (Bayavöevg, Tefeuy, SteiTctt II 59 14).

Auf Rhodos: Ka^vvöog (Demos von Lindos, zum Stamme vgl. KdfiiQog); BgvyivdaQa, eine Ktoina von Kaniiros (C. I. Ins. I 166. 730), in der attischen Tributhste CIA. I 263 14 BQivitv- öaQLOi (sQ 'Podwt) , bei Herodas II 57 Bq^Aivör^Qa ist vielleicht wie Taqy.6vöaQa von einem Personennamen abgeleitet. Auch die modernen Ortsnamen Keskindos und Erindos sind wohl antiken Ursprungs.

Obwohl dieses Verzeichnis von Pauh's Liste erhebhch ab- weicht, so ist doch die sich ergebende geographische Verteilung der Ortsnamen mit nd keine wesenthch andere. Pauh möchte aus ihr schhessen, dass das Volk, welches diese Namen geschaffen hat, im Süden gesessen und sich von da allmählich nach dem Norden ausgebreitet hat, wo diese Namen weit dünnei- gesät sind als in den Südprovinzen. ^I i r scheint vor allem bemerkens- wert, dass jene Ortsnamen da am häufigsten sind, wo die ein- heitliche Bevölkerung ihre Wohnsitze stets behauptet hat, in Lydien , Karten , Lykien , Pisidien mit Pamphylion , Kihkien, Kataonien und Kappadokien. In den Landschaften, welche die von der Balkanhalbinsel eingewanderten Phryger, Bithyner und Myser eingenommen, ei^scheinen sie nur s])ärlich oder fehlen ganz. Im Norden finden sie sicli in dem kappadokischen Teile von Pontus (Gagonda und Tehenda) , felilen aber bei den Paphla-

1) Die Namensform ist festgestellt durch Ji]fit]TQi Nagvavdiöi , BCH. XII 269. Plinius hat Nariandus.

J

Die mit -nd- frebildeten Ortsnamen. 311

goniern und den politischen Bergvölkern , den Chalybem , Tiba- reneiTi, Moschern, Mosynoiken usw.

Jensen hat in der ZDMG. 48, S. 477, die Behauptung auf- gestellt, dass die Endungen -avda, -Lvöa, -ovda Kompositions- gheder sein müssten, da Tgoycovöa doch keinen Kasus von dem Gottesnanieu Tqo/.o- darstellen könne, vielmekr etwas wie Tarku-, 2VoÄ;M-Stätte oder -Stadt"; er folgert daraus weiter, dass die Ortsnamen auf -oooq einem anderen Volk als che auf -vöa ange- hören müssten demselben, welches den (alarodischen) AVetter- gott Tesupas verehrte da anderenfalls Namen mit Endungen wie -ivdaoaog zu erwarten wären, Avelche in Wirkhchkeit gänz- lich fehlen. Diese Folgerungen werden sämtlich hinfällig, wenn ^vir in dem Ausgang -vda weder ein Kompositionsghed noch ein Kasussufiix, sondern ein Stammbildungssuffix erkennen, eine Annahme, welche Jensen merkwürdigerweise nicht einmal als Möglichkeit in Betracht gezogen hat. Da wir alsbald sehen werden, dass das .ss-Suffix den Sprachen eignet, denen wir das /i(i-Suffix glaubten zuschreiben zu müssen, so ist die übhche und zunächst Hegende Ansicht, dass die Ortsnamen auf -aoog und die auf -vda von derselben Völkerfamilie herstammen, keinem Be- denken unterworfen.

2. Die kleinasiatischen Personennamen.

Im Folgenden soll der Nachweis unternommen werden, dass (he Pei*sonennamen der vei-schiedenen kleinasiatischen Völker (mit Ausnahme der Phryger und Bithyner) in einer Weise mit ein- ander übereinstimmen, vde dies nm^ bei Sprachverwandtschaft, nicht aber bei Entlehnung der Namen möghch ist. Eine V^er- gleichuug dieser Namen ergiebt sofort, dass ebenso Avie beim indo- gennanischen Wort suffixale und radikale Bestandteile zu unter- scheiden sind. Jene sollen zuei-st untereucht werden.

A. Die suffixalen Bestandteile.

s-Suffix.

DasLykische besitzt ein nominales Suffix -«sj- (^-ä^/;, dessen

Existenz längst erkannt ist und aus folgenden Belegen deutlich

hervorgeht i). Auf den Münzen von Patara entspricht der griechi-

1) Vgl. M. Schmidt Z. f. vergl. Sprachf. 25, 457 fl". Imbert Le Museon 1891, 265.

^1^ X. Die kleinasiatischen Sprachen.

sehen Legende üaragalojv die lykische Pttarazö^). Auf der Stele von Xanthos 0 27 ist, wie man j&'ühzeitig erkannt bat, der Name der Spaiianer und Athener in der ^oTmSppartazi Atänaz[i] genannt. Das Suifix dient, wie man sieht, zm- Bildung von Ethnika. bezeichnet also, etwa wie im Idg. -/o-, die Zugehörig- keit. In diesem Sinne scheint es auch an Personennamen ange- fügt zu sein: Vizttasppazn St. v. Xanth. N 49, mit Suffix -az- abgeleitet von dem persischen Namen ViMäspa = '^YardaTrtjg: vgl. Deecke Bezz. Beitr. XIII 137. Das in der folgenden Zeile stehende Omrgyazri gehört in derselben AVeise zu dem Namen, welcher auf der Südseite der xanthischen Stele Z. 50 Homrxxä geschrieben ist und von Imbert (Bab. Or. Rec. 1888, 210. 279) mit Uuöo'p]^ (Herodot V 121. Thukyd. VIU 28) identifizii-t wird 2). Endhch yärigazn W. 45. 53 ist von dem wohlbekannten Namen yäriya = KaqUag abgeleitet. Savelsberg (Beitr. z. Entziff. 15) dachte hier mit Unrecht an den Volksnamen der Karer 3).

Oft'enbar dasselbe Suffix nur etwas anders vokahsirt. hegt in dem "Wort prhnäzijähi vor, das auf der Bilinguis von Lewisü oiy.eloi fnach Imbert, Museon 1891 S. 266 •Tamihenangehörige*, nicht 'Sklaven, Diener') übersetzt wird, prhnäzi Xanth. le. 83. Stele V. Xanth. O 56. prnnäzi ist von einem Stamm prnna- ab- geleitet, welcher auch in dem auf den Grabschriften so oft be- legten prvnavü 'Grabmal" steckt, sowie in der Verbalform prnha- vatö, welche auf der Bihnguis von Limyra durch i/coi^oazo, auf der von Antiphellos durch r^gyäoaro wiedergegeben wird. Vgl. Savelsberg. Beitr. z. Entziff. 24 f. Deecke Bezz. Beitr. XII 134. XIII 259. Kombiniren wir diese drei sicher gedeuteten Wörter

prnnäzi = oiy.e7og

prhnavä = f^v^ua

prTinavatö = eTionjauro, t]Q}daaTo, so ergiebt sich für den Stamm prnn- die Bedeutung 'machen.

1) Six, Monn. lyc. 57. 58. 91. Babelon Pers. Acheraen. p. CIV. Catal. n. 515.

2i Unrichtig ist M. Schmidts Lesung Smrnnazn von *Smrnna = ZfivQva (Lyc. Inscr. p. V), welcher Savelsberg Beitr. z. Entzifi'. 15 und Deecke Bezz. Beitr. XIII 137 gefolgt sind.

3) Im dem Dekret des Pixodaros ist schwerlich Tlavasii (Imbert, Bab. Or. Rec. V 113) als Ableitung von Tlava zu lesen, sondern Tlava abzuteilen : vorhergeht ArTina d. i. „Xanthos und".

Personennamen mit s-Suffix. olo

verfertigen, bauen', prnnas. v. a. das Gebäude, das Haus, ol/.la^. Also lyk. prnäzi : 2)rnna = gr. oi/.eiog : or/.og ^). Somit ist die suffixale Bedeutung von -äzi vollkommen gesichert, und dass es gleichwertig mit -azi ist. geht zum Uebei-fluss noch aus Soräzi hervor, das auf der Grabschrift von Sura bei dem Namen des Bestatteten steht und von Savelsberg S. 175 gewiss richtig als ^oiQiog erklärt worden ist 3) An einen Pereonennamen gefügt erscheint -äzi in Rhhinüzis (St. v. Xanth. W 53) von Ärbbina, Namen eines Dj-nasten auf Münzen, Babelon Pers. Achem. p. CIL Nun wird lyk. ~, ~~ im Griechischen im Anlaut durch a, im Inlaut teils durch oo, teils durch o umschrieben:

Zrppädoni St. v. Xanth. W 6 = ^aQrtr^dcjv.

Zrppodäinä St. v. X. 0 46, vgl. ^eg/toöig Eeisen in Lvk. II S. 2 A. 4.

Zzala = 2ccXag, bihng. Inschrift von Kadyanda.

Idazzala = Eldaooala, ebd. Vgl. ^eoi-aa'/.og CIG. 4300 v?

Mezo Mc'ffog, ebd.

Zi[s?]qqa = ^ea/.tog. ebd.

Sbiqaza Limyra n. 8i, Sbikafzja Kyaneai, Reisen in Lyk. II n. 25 '^) = ^rriyaoa.

Tävinäzöi = Teiivaoog (s. S. 298).

1) M. Schmidt, Neue lyk. Stud. S. 34, hat dasselbe Wort in kizza- jtrnna auf der St. v. Xanth. N 11. 14. 15 erkennen wollen, das er als ein Kompositum aus kizza = kar. yiaoa 'Stein' + prUfia erklärte und als Att^oußj'd? deutete. Seitdem hat aberDeecke, Berl. philo!. Wochen- schr. 1888, 828 f. ansprechend vermutet, dass KizzaprTina vielmehr mit Tioaa(peovT]s gleichzusetzen sei (vgl. Imbert Bab. and Or. Rec. IV 161), also pers. ci&''afrana wiedergiebt. Das erste Glied dieses Namens ist be- kanntlich altpers. ci&''a-, avest. cidra- 'Nachkommenschaft'. Die Lj'kier haben also den iran. Palatal mit ihrem k (worüber S. 319 f.), den altes tr vertretenden dentalen Zischlaut ähnlich den Griechen mit zz umschrieben.

2) Vgl. Imbert, Museon 1891, 266. welcher zu zeigen sucht, dass prhnäzi nicht oly.eToi im Sinne von 'Sklaven', sondern 'Hausgenossen, Fa- milie' bedeutet habe.

3) Noch andere Ethnika auf -azi-^ -üsi sucht M. Schmidt Z. f. vgl. Sprachf. 25, 459 £f. nachzuweisen: das sicherste davon ist FahTdiizi = ^AvxKpsXXiTrjg. Tominasi St. v. Xanth. X 55 setzt er = Tvurjvev;.

4) Gelesen ist an vorletzter Stelle T, das aber wohl nur ein unvoll- ständiges ~ darstellt , da in der beigefügten griechischen Transscription Zniyaoa a entspricht. Doch vgl. yjitavaza St. v. Xanth. W 67 gegen Xiitavati 0 62. 64, yntavatä 0 37. yiitavatähi N 8. Ob Pikasa ebd. W 54 = Sbikaza ist, will ich nicht entscheiden.

\

314 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

Welches die genaue Aussprache des lykischen Zischlautes war, lässt sich natüi'lich nicht feststellen. Es liegt nahe, aus der Wiedergabe des pers. Vistaspa durch lyk. Vizttasppa- (St. v. Xanth. N 49) zu schhessen, dass lyk. z einen «-Laut bezeichnet habe, da hier pers. s durch s, pers. s aber durch z vertreten ist. Doch finde ich nicht, dass diese Annahme sich sonst bewährt: in Tarzza St. v. Xanth. N 2. 14, wenn es = pers. Pärsa ist, ent- spricht zz persischem s, in krzzänasä ebd. S 48, wenn es richtig = XeQOOvaoog gesetzt wird, griechischem o. Umgekehrt ist pers 6' durch SS gegeben in Ärtayssirazahä ebd. O 59 = pers. Är- taysad^'a, yssadrapahi Stele v. Xanth. 0 26 = pers. yßa^''a-^ pävan-. Dass sich der Laut von z mit s eng berührte, folgt aus dem Wechsel beider Laute in Opläziz Stele v. Xanth. N 58 gegenüber Opläsiz W 31 ^). Man pflegt dieses Wort als orvliTr^g^ zu deuten, obwohl dazu zwar der Anfang aber nicht der Schluss stimmt ich sehe darin vielmehr einen Personennamen 0/ileaig, der uns aus Pisidien bereits bekannt ist: Lanckoronski Pisid. n. 58 17. 96, vgl. ÖTt^g ebd. 67. 68. 80. 96 u. ö., lyk. Orclojv Reisen in Lyk. II 88, in Olympos BCH. XVI 216, in Pisidien,. Lanckoronski Pisid. n. 34. BCH. XVI, 432—434.

Wir gewinnen aus allen diesen Beobachtungen das Recht anzunehmen , dass der Ausgang der Personennamen auf -aaigy -i.oig als suffixal anzusehen und mit dem eben ermittelten No- minalsuffix -azi, -äzi identisch ist. Daneben kommt eine En- dung -aaog, -aaa vor, die in lykischer Fonn -aza gelautet haben mag, vgl. Sbikaza ^Tiiyaoa, Pomaza Limyra n. 22; Ltiobä- m komaza Limyra 13, Daqasa Myra n. 4 = Reisen in Lyk. 11^ n. 42, Masasah Antiphellos n. 2, Limyra n. 20, dessen Stamm vorliegt in Maoag Reisen II n. 206 (Gen. Maaavrog), Mdaog BCH. X 40. Maaa-vMaca Limyra n. 42 = Reisen II 150. Auch, hier sehen wir wieder z und s mit einander wechseln.

Terivaaog = Tävinäzüi.

cA/.aaoc," Reisen in Lyk. I 5235.

Töfiioog Reisen in Lyk. II 178. 179.

l) Das darauf folgende vaxssadi kehrt W. 30. 31. N 45. 49 (hier ca^sadi^ mit einem äi wieder, vgl. ferner Va/sa N 51, wo der Name Xärüja vorauf- geht, N 6U, Va^ssa W 56, Vayjt N 43. Einen weiblichen Namen Ouaf«j lernen wir aus der lykaonischen Inschrift Sterrett III n. 11 = CIG. 4009 bj (aus Kassaba) kennen : Ndva Ovd^a dv/aigi.

Personennamen mit s-Suffix. 315

JieaoQ CIG. 4225 c.

Kovdaoog, CIG. 4315 u, ist Konjektur für Kovdooag.

nXodoag Reisen II 71; der Stamm vielleicht verwandt mit

kilik. nkog JHSt. XII S. 251 n. 27 90. MeQi^iaiaija fem. CIG. 4216. Le Bas III 1237. ^Equaoag CIG. 4313, berichtigt in den Reisen in Lyk. LE

S. 72 Anm. 1 (vgl. ^Egsva Steph. Byz. s. v. ^EQevaTr]g). 'EQVTtlaGTig BCH. XVIII 326. "^Qaaaig Reisen in Lyk. I 41. II 69. 80. S. 2 A. 4. JHSt.

VI 357. Athen. Mitt. XVI 358. Zum Stamm vgl. "Aq-

Ga7Tig Reisen II 23. 141. ^Aquöuaig Milyas, Reisen II 218. Ohne s- Ableitung: Eof-ioag

I 51 51 . Der anlautende Vokal ist ä, daher die verschiedene

Wiedergabe in der griechischen Umschreibung. "AßciöLQ Yon^Aßa, CIG. 4315 d. ^Ejcidäqaaoig f. Reisen in Lyk. II n. 69. Egf-ictvölvaaig Reisen in Lyk, II 88. EQf.iavöeif.iaoLg CIG.

4208 c. 4228 b. 4269 d. Melavdiaaig Reisen II 160. 2eiyr^laaig Reisen II 231. ^v(.il.iaoLg Reisen II 54. TQuvöaaig Reisen I 84, wenn hier nicht ein Nominalstamm

dazi anzunehmen ist, vgl. die Namen auf -daza, -öaaa. Opazi Kadyanda li. S'/xotrazi Antiphellos n. 5, Limyra n. 5. Bovlovßaoig Reisen II 227. 228 kann einen Stamm ßaoi-

enthalten, vgl. pisid. Aoyßaoig Polyb. V 74; s. unten. TIvQEöig CIG. 4885 = Poräsi auf Münzen und der Inschrift

von Antiphellos 1, Babelon Pers. Achem. p. CX. Mohoig, Reisen II 192. 220; zum Stamm vgl. Molrig,

MöXog, MoXliavog (s. unten); Molhaig Reisen II 6. Mo-

ksGig verhält sich zu Moklioig wie Moläsäh Limyra 7 zu

MoUi[j?]äsäh Lewisü. Ovatisäh Kyaneai I3. Dieselbe .Endung liegt in dem von

Ijänä (St. V. Xanth. O 20, S. 47) = "Itoveg abgeleiteten

Ijänisn O 27 vor. Tqeßilvaig, CIG. 4269 d. TavdaoLg, Olympos, BCH. XVI 224 n. 68; vgl. kar. Tsv-

deaaig.

Wenn wir nun Personennamen mit derselben Endung auch

«jI" X. Die kleinasiatischen Sprachen.

in den übrigen Landschaften Kleinasiens sehr häufig be- gegnen, so erweist dies eine Uebereinstimmung der Nominal- bildung, welche für die Beurteilung der V-erwandtschaftsverhält- nisse der kleinasiatischen Stämme stark ins Gewicht fällt. Ich verzeichne zunächst die Belege.

Pisidien. Böevaaig Lanckoronski Pisid. n. 185. niyaoii Oinoanda, Le Bas III 1235. [A^OJyaoli Lanckoronski Pamphyhen n. 100. KßridaGiQ Lanckoronski Pisid. n. 61. OviTctau ebd. n. 89. Oft/.eoig ebd. n. 58 17. 96. KoTVGig ebd. n. 251, vgl KoTTtjg (Gen. KoTxeovg) n. 32. 92.

KoTToveiog Sterrett III 1.30. 3Iaua>raoig Lanckoronski Pisid. n. 38. 148.

L ykaonien.

'loiQuaig SteiTet IIE 137.

^'Ivyaoig Headlam Isaur. n. 12.

üiygaoig Ikonion, Sterrett III 235, zum Stamme vgl. kar. niyor^g, Ijk. Uiygr^g, UiyQa/uog usw. (s. unten).

TccQaoig Sterret in 57. 59. 60. 61. 145. 173. 176. 234. II 209 (Ikonion). Headlam Isaur. n. 7. Der aus Isaurien stammende Kaiser Zenon hiess früher Taoaor/.odlaaag 'Pov- aovuß?Md€iuTr^g^) (Candidus Isaurus. FHG. IV p. 135).

Toloigaotg, Tovloigaaig, s. S. 304 Anm. 2.

Kilikien. Emoiaoig CFG. 4110: der Name erinnert an *E7tva$a, wie

die Gemahlin des Syennesis bei Xenoi)hon Anab. I 2, 12.

25 heisst. ^ neben aa auch im Karischen. KßEdiaoig JHSt. XII 247 n. 27 si. Vgl. pisid. Kßy]daoig. Kidauoittoig GIG. 4406 8. Vgl. pamphyl. Kidgauiag.

1) Ramsay (Geogr. of As. Min. 370 A.) erklärt den zweiten Namea als Ethnikon von einem Ortsnamen Husumblada, der mit Amhlada kora- ponirt war. Zu dem ersten Gliedc vergleiche man den Personennamen 'Povao>v Laodicea Combusta Ath. Mitt. XIII 267, UegntrodeTi JHSt. VIII 229 n. 9, Phrygien BCII. XVII 251. 314 (Apameia, Cognomen), Notion BCH. XVIII 219, fem. Pwai; Lykaonien JHSt. XI 166.

Pereonennamen mit «-Suffix. 317

'Ohaaig "Westkilikien JHSt. XII 247 n. 2736. 47. ^Oijraaig

2751. Vgl. pisid. Oihaoig. Ovaaig. JHSt. XII 238 n. 22, gehört nur hierher, wenn es

von Oca- abgeleitet ist, wozu vgl. 'Oäg Lanckoronski Pisid.

n. 173. 175. 153. Sterret III 256. Wenn aber ov = w

ist, konnte es sich auch um einen Nominalstamm vasi-

handeln. TeQßtfxaoLg JHSt. XII 266 n. 58. 239 n. 23. 247 n. 27 31. Piov-divaoig JHSt. a. a. O. 2765. 83. Piov-öiveoig 27 so. "AqßaGig in Tgo/.o-aQßaGig JHSt. XII 247 n. 2745. "fo-

dgßaaig ebd. 271 n. 75. ^07tQdf.iojoig a. a. 0. n. 27 74. ss, "vielleicht aus ÖTtQafxo-aaig

kontrahirt, vgl. Ovßqaixov-aoig und Ol:iTQa(.ioioig. TßEQTi^uoGig a. a. 0. S. 263 n. 45. TaqäoLog Le Bas III n. 1448 = CIG. 4432 g (Add. p. 1170).

BCH. VII 243. < ^'OazaaoQ, bei Steph. ßyz. u. "^dava als Bruder des Adanos

und Sandes erwähnt. Bergk wollte in 'Oaraxoc; ändern.

Karien.

Während in den bisher genannten Landschaften die Um- schreibung mit einfachem o die herrschende ist, findet sich in Karien daneben ebenso häufig doppeltes o. Auf der Lygdamis- Inschrift, IGA. öOOie, steht an Stelle dessen das Zeichen T m den Namen Uavvaaoig und 'Oaaoaooig, das auch in \A?u/iaQvaaaäojv an- gewendet ist, während sonst ebenda '^AhyMQvrjOGog, '^Ahy.agvrjGGitov, l4qi:aGis mit a((T) geschrieben ist. Dittenberger, SyUoge S. 12 n. 5, denkt an eine Aussprache tg , Clermont - Ganneau an „une chuintante ch^^ aber die Thatsache, dass dasselbe Zeichen nicht nur in dem thrakischen MsGafxßgla (Kirchhoff Alph. ^ 12), sondern auch auf einer teischen Urkunde in dem griech. d^älaGoa (IGA. 497) gebraucht ist'), hindert uns, ihm eine andere Be- deutung als die des scharfen, tonlosen s zuzuerkennen. Eben deshalb, weil es durch gg ersetzt werden konnte, ist es fiühzeitig ausser Gebrauch gekommen.

Auffällig ist, dass in einem Falle, und nur in einem, 'S mit

1) Ein, wie es scheint, verwandtes Zeichen ^ findet sich bekannt- lich in dem Worte faväoaag auf Münzen von Perge.

318 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

aa wechselt, in BgiiaBig, wie der Name des bekannten Bildhauers vom Mausoleum handschriftlich und inschriftlich überliefert ist^), neben BQvaoaig^). In der Verkaufsurkunde von lasos, BGH. V 493 ff., ist anscheinend (Z. 12. 17. 20) BQvaaaig nachträglich in ßQva^ig geändert. Die von Georg Meyer (Bezz. Beitr. X 177) aus Mionnet VI 505 angeführte Parallele ^Agva^ig auf einer karischen Münze für sonstiges ^AQiaooig lasse ich bei Seite, weil ich eine Mionnet'sche Lesung ohne anderweitige Bestätigung nicht verwerten mag. Meyer fasst die Möglichkeit ins Auge, dass das Schwanken zwischen oo und ^ rein graphischer Natur war. „in- dem vielleicht in älterer Zeit das Zeichen für i die lautliche Geltung von üg hatte'-. Er beruft sich hierfür zwar mit Unrecht aufs Kyprische und Lykische; immerhin könnte man daran er- innern, dass ± aus dem phönikischen Samech-Zeichen entstanden ist, also ursprünglich einen s-Laut bezeichnet hat. wenn sich eben nur nicht die Schreibung mit i" auf BqiaS.ig beschränken würde. "Warum wird sonst niemals oo in karischen Namen durch ^ er- setzt, in jenem Namen aber so vielfach? Das muss hier seinen besonderen Grund haben. Den richtigen Weg weist uns vielleicht ■die folgende Beobachtung.

Der uns aus Karlen mehrfach überheferte Name Ui^codagog^) begegnet auf lykischem Boden teils in derselben Form (Reisen in Lyk. I 75. BGH. X 40. 42. 43), teüs als Hi^edagog (Reisen I S. 56 Anm. 4, nicht TIiaidaQog, wie GIG. 4253 gelesen wurde) und niowöagog^). dazu die kürzere Form ITioäg Reisen I 52 ig.

1) Pausan. I 40, 6. Dieselbe Form bietet das neuerdings in Athen zu Tage gekommene Bathron mit der Signatur Bgvatti sjiorjaEv, 'E(pt]fi. uQx- 1893 Taf. 6. Von diesem Bryaxis unterscheidet Athenodoros (bei Clem. Alex. Protr. p. 43 Pott.) einen Künstler gleichen Namens, den Ver- fertiger einer Serapis-Statue in Alexandreia; vgl. Schreiber, Athen. Mitt. X 388 A. 1. Name eines Beamten auf einer koischen Münze Bgva^is, Paton und Hicks Incr. of Cos p. 307, N 45.

2) CIA. II 3036 : 'AnoXXcoviörjg 'laaev;. Bgvaaaig . Bixid).

3) So Handschriften und Münzen; Babelon Pers. Achem. S. 61 n. 410. 414; auch die Inschrift von Jasos, Dittenberger Syll. 77. Die handschriftliche Variante UcCcodagog , welche Pertsch S. 7 (bei Mor. Schmidt, Neue lyk. Stud.) anführt, gehört zu den zahlreichen Fällen graphischer Verwechslung von X und i, über welche Schulze, Z. f. vergl. Sprachf. 33, 216 Anm. 1, gehandelt hat.

4) Reisen in Lyk. II S. 2 A. 4. Ueber das angebliche IIISQAA einer Münze 8. Pei-tsch a. a. 0.

Personennamen mit s-Suffix. 319

Durch das von W. Pertsch herausgegebene bihngue Dekret des karischen Satrapen Pixodaros. des Sohnes des Hekatomnos, haben wir aber die echtlykische Fomi kennen gelernt: Piyädar(ä). welcher in dem griechischen Text der Inschrift Tliitodaqog ent- spricht. "Wir entnehmen daraus wenigstens soviel, dass wir es hier nicht mit einem gewöhnhchen s. sondern mit einem Guttural- laut zu thun haben, dessen Quahtät genauer zu ermitteln aller- dings grosse Schwierigkeiten macht. Die gutturale Xatur des lykischen ^ geht sowohl aus der griechischen Bedeutung des Buchstabens kh wie aus der "Wiedergabe des lykischen Lautes durch y und x in griechischen Umschreibungen hervor. Vgl.

KTagdiiiog = Xttarama

Kivdai'vßrig =. Xntänobäh

Kaor/Mg = Xariga

^'ly.rug = lyUa Umgekehrt wird "'Aquayog durch Arppayos wiedergegeben. Vgl, M. Schmidt, Lyc. inscr. p. IV. Das häufige lyk. yss ist mit t umschrieben, in dem freilich nur aus Lykaonien belegten Oia^a (s. oben S. 314 Anm.) und giebt selbst pers. ys wieder in yssa- drapahi und AHayssirazahä. Speziell in mehreren mit dem ersten Teil von TIi^ojdaQog verwandten Namen steht y und /. an Stelle des ^ : kar. lyk. Tliygr^g = Piyrä Antiphell. li. niyof.iog = Piymmah niy.Qr/g ^vayyelevg CIA. I 226. IV. 16 ^). Nun ist es doch schwer glaubhch, dass genau derselbe Laut, wie Pertsch (bei M. Schmidt Neue lyk. Stud. 7) für möglich hält, teils durch y, X, teilsdurchl, a bezeichnet werden konnte. "Wenn auf der Bilinguis von Tlos das lyk. K , das doch seinem Lautwert nach ursprüngKch mit griech. 7, identisch war. in Tiaevoi/^ßga = Tikäoköprö durch a wiedergegeben wird, so haben wir es hier offenbar mit einer sekundären Aussprache zu thun, welche die historische Ortho- graphie der Lykier ignorirte. die phonetisch genauere giiechische Umschreibung aber zum Ausdruck brachte. Wie im Bomanischen und Slarischen mag k im Lykischen vor hellen Vokalen wie ä und ö'ä) eine palatale Affektion erlitten haben, also etwa ts, ts, s

1) niy[Qrig] CIA. I 256, I. 34. nitgr^; CIA. I 264, {Zvayyskii? av aQxst 77.) ist offenbar verschrieben (oder nur verlesen?) für niygrjg.

2) Die genaue Aussprache des vorletzten und letzten Vokals von Tikäoköprö ist schwer zu bestimmen. Pas betrefiende Zeichen y sieht so aus, als wäre es durch Modifikation von Y entstanden, hat aber auch Aehn-

320 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

oder ähnlich ausgesprochen worden sein. Dazu stimmt, dass k in Kizzaprnna, wenn dies = Tioaacfeorr^g ist, persisches c wiedergiebt (vgl. S. 313 Anm. 1).

Dieselbe Palatahsüning haben wir füi' lyk. x vor hellen Vo- kalen vorauszusetzen: dann erklärt sich, waiiini es in Pi^rä, Pixrrrna durch /, X, dagegen in Fiyädarä durch a und t wiedergegeben ist. Das I ist nur ein anderer Versuch, den fi-aghchen Palatal bezeichnen, füi- welchen im giiechischen Alphabet ein genauer Ausdruck fehlte. Dass wir aber trotz des co von Ui^wdaQog dem Vokal der zweiten Silbe helle Färbung beizulegen haben, folgt sowohl aus Ili^idaoog, wie aus sonstigen Umschi'eibungen des lyk. /[, :

'^ E'KfxidavaQ = H.mmkläjä

^ed€Tt).eui^ = Asädäplömi

'^ E'/MTOf-ivag = Akatamna

Möleoig Reisen in Lyk. II 192. 220 = Moläsäh Limyra 7».

ÖTrlEOig = Opläsiz.

Umgekehil (hent es zur Wiedergabe von griech. e und i] in Pärikläh = IlEQL/lf^g, Tärssiyläh = TeQxin/.lr^^g, Ijätroxläh = ^lr^TQO/,Kr^g (oder ^IccTQo/.lijg). Daneben findet sich freilich auch (he Unisclu'eibung mit a:

^AQ.jivvag = Ärhhina

^LÖciQiog = Sidärija

TIvQifxaTig = Porihimatiti

nviJiuXt^g = Pohiäläjä

ÜQiavoßag = Prijänobähn

MXuavaei = Mläjäosi

und ä wechselt zuweilen mit a z. B.

aravazija Limyi-a 32 1, St. v. X. O 38 = äravazija Limyra 19 1. Xanthos 5?

tabäna St. v. X. S 47 = txibäna S 50

Vahntäzö : Vähntäzi, auf Münzen, Babelon Fers. Achem. p. C ; 73 n. 500 1)

lichkeit mit dem kyprischen Zeichen für o. Dass es sich um einen hellen Vokal handelt, zeigt die Umschreibung mit c in Ttaevad^ßga. Auch die zahlreichen verwandten Zeichen, welche alle wie Modifikationen eines Y, V aussehen, sind ihrem Lautwert nach kaum sicher zu bestimmen. S. hierüber Imbert, Bab. Or. Rec. V 108.

1) Imbert, Le Museon 1891, 267, hat an diesen Fall irrige Kern-

Persouennamen mit s-Suffix. 321

Daraus folgt aber nur, dass der lyk. Vokal zwischen a und e in der Mitte lag, also offenes e war. Nur einmal entspricht w lykischera ä, in ^ArcoXUov'idi^q. = ÄpoUinida der Bilinguis von Lewisü die Veranlassung ist hier so wenig klar, wie in Tliicjdaoo^; nur dar- auf sei hingewiesen, dass das parallele l4f.iiowdaQog ebenfalls to am Schluss des ersten Elementes zeigt.

Mit dem Wechsel von ni^cjöagog : UiGOjdaQog scheint mir das Nebeneinander von BoiaSig und Bgiaooig auf einer Linie zu stehen. Hätten wir es hier mit demselben Zischlaut wie in Uavcaoaig, "^^Ki/Mqvr^ooög usw. zu thun, so müsste auch in diesen Fällen gelegentlich oa durch i ersetzt worden sein. Das ist aber nie der Fall; es handelt sich hier also um vei^schiedene Laute. Beachtenswert ist auch, dass der Steinmetz in lasos Bovauaig an drei Stellen in Bgva^ig geändert hat (S. 318), also erstere Form als fehlerhaft ansah. Vermutlich ist das | suffixal : man vergleiche die pisidischen Namen QaQw'^tg und ^lörcotig (aus Prostaenna, BCH. XVI 155) und den Beinamen des Zeus in Mastaura, ^TzaUo'iog (S. 303 Anm. 2).

Dagegen hat die bald einfoche, bald doppelte Schreibung des ff z. B. in Tlaviaaig : IJaviaaGig schwerlich einen tieferen Grund. Auf derselben Inschrift, Dittenberger Syll. 6ai2. 42, tindet sich L^Qßi^oig neben ^'^ohjoaig. In dem einen Xamen hat sich diese, in anderen jene OrthograiAie festgesetzt. In '^h/.aQvr^aog dauert das Schwanken bis in byzantinische Zeit fort: bei Theo- phanes ist nach de Boor II S. 503 durchweg ^^Xi/.aoi>ao6g über- liefert. — Ich lasse nunmehr die karischen Belege für Suffix -a(a)ig folgen.

'A/.Taraooig Dittenberger Syll. 6 = BCH. IV 306.

"Aqiaooig BCH. VI 192. IV 303. 307.

^ lußgaoaig neben ^'lußagaig auf demselben Stein von Hali- karnass, Dittenberger Syll. 6. c. 57. 58.

Kßovdiaoöig Dittenb. Syll. 6, c, 59.

biuatiouen geknüpft. Die Variante VahTitUzö soll zeigen, dass der Vokal der ersten Silbe indifferent ist und nur dazu diente, v und h zu trennen Da nun vn eine dem Lykischen fremde Lautverbindung sei, dagegen in dem karischen (!) Text des Obelisks vorkomme, so sei der Xame karisch und decke sich mit KvirSa bei Herodot V XIS (Kvivöiog). Ich kann nicht einsehen, warum aus dem Wechsel von a und ä folgen soll, dass es ein eingeschobener Vokal ist, und halte auch Imberts weitere Folgerungen für sehr unwahrscheinlich.

Krctsohmer, Einlcit. in d. G^esch. d. gr Sprache. 21

322 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

^^Axaiaooig ebd. 6. c, 45. "OQvaooig BCH. VI 192. riavi'aooig und Ilavvaaig. 2ci^aooig Dittenb. 6, c, 4. "Affiaoig IGA. 500. ThÖEOGig BCH. VI 192.

'.AQßr^ooig und "^q^kiolq, Dittenb. 6. a, 12. 42, "ldißXi]OLg und "Ivßlr^aig (verschrieben?) BCH. IV 316; hier

ist die suffixiale Funktion von -i]OLg weniger sicher. ^^oaiaoig Le Bas III 377. "'Jg/AOGig BCH. 317. miv.ioig BCH. VI 192. "YooLOig Dittenb. Syll. 6, d, 28. Kaöi]ovg (Olymos, Sitzgsber. d. Wien. Akad.. ph.-hist. Kl..

132. Bd. S. 8) weicht in der Endung ab.

m-Suffix.

Im Lyki sehen ist ein nominales w-Sufiäx sowohl in Ap- pellativen wie in Personen- und Oiisnamen deutlich zu erkennen. Der Stammvokal ist teils -«, teils -/. Der lyk. Ausgang -ma wird von den Griechen in der Regel zu -jxog umgeformt, wie -sa zu -oog, seltener beibehalten, bezw. durch Anfügung eines -g gi-ae- cisirt. Dem -m- geht in den meisten Fällen ein Vokal wechseln- der Gestalt oder A' = m voraus.

Endung -ma.

Alexander Polyhistor (bei Steph. Byz.) bezeugt eine lykische Stadt ""YXafxoi, deren Name mit dem lyk. Wort vkauoi xa^- 5To/i) zusammengebracht mrd. Nach Dionysios (bei Stephanos) scheint sich die Benennung auf die Nachkommenschaft des Tuberis und Termeris beziehen zu sollen, welche zwei Schwestern heirateten und jeder zehn Söhne zeugten 2); in welchem Zu- sammenhang diese Sage aber mit der Stadt Hylamoi steht, wird nicht klar. Sonst kennen wir nur noch zwei mit -w- abgeleiteten

1) „Tovg Tianjtovq Salmasius, xovg q novg libri." Meineke.

2) Merkwürdig missverstanden ist die Stelle bei Pape-ßenseler u Tovßegis und Tegfisgig.

Personennamen mit w-Suffix. o2d

Ortsnaineu in Lykieu, ^idvf.ta und KddQefua (Steph. Byz. s. v.), das als olzov ffqvyuoq gedeutet wird ^).

Andere Appellativa auf -ma bietet die Sammlung von M. Schmidt, Neue lyk. Stud. 84, doch ist nicht immer (vgl. z. B. kUäima, St. v. Xanth. N 46, qlaima, Antiphellos I5, klläimä St, V. X. W 61) zu erkennen, ob das m suffixal oder radikal ist. Dasselbe gilt von den Personennamen, die ich mit diesem Vorbehalt liier zusammenstelle.

Tiloma St. v. Xanth. O 21 = TiXoi^m Reisen I 29.

Piymmah Limyra 18 1 = nlyof.iog Reisen II 170.

Hihpräma Xanth. 25 vergleicht Imbeii; mit ^'Ef.tßQOf.iog; s. oben S. 306. Unsicher ist die Lesung des Namens auf einem Stater des Britischen Museums bei Six Monn. lyc. n. 193 = Babelon Pei-s. Achem. S. CV.

Ddarssmma Pinara 2.

Apiinufama Myra 3 = Reisen II 41.

Padräma Reisen II 11. Vgl. Padririmah Pinara 2.

Orssmma? Limyra 15.

nlyoaaog Reisen II 179. 180. Daneben niyqaiag.

2idv(xog Reisen I 5227. Vgl. den Ortsnamen 2idvf4a und zur "Wurzel ^idccQiog.

nriQa^og im lyk. Olympos, BGH. XVI 224 n. 72.

Endung -mi.

Äsädäplömi = ^sdeTtlef-iig (s. oben S. 298).

^?]7taUf4ig BGH. X 41.

TQ£ßt]i.ug Reisen II 176 ; auf Chalke bei Rhodos G. I. Ins. I 975. Hier ist die Analyse sicher: die Wurzel rgeß- lyk. trhh- in TQeßeXvoig, Tgeßerdai. und im folgenden Namen.

Trbhönimi St. v. Xanthos S 39. 0 11. Münzen: Babelon Pers. Achem. p. GIX.

Xaovunimi Limyra 38.

Madonimi St. v. X. S 34.

Ökovömi, Münzen, Babelon Pers. Achem. p. XGV. Vgl. Ovömi Limyra 11, das vollständig scheint.

Tegrifiig, Olympos, BCH. XVI 214. 216.

KoXaXr^lJig BGH. XVI 444. 445.

1) Die Stadt war nach Stephanos eine Kolonie der (pamphylischen) Olbier.

21*

324 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

JelirtiLiig BCH. XVIII 326, Weiterbildung von JslsiTig Reisen II 87. oder ist umgekehrt dies aus JeIethui^ gekürzt?

^^Qua-öäTTii-iig Reisen II 132 = CIG. 4314, ^E[Q](.ia-dänifxig Reisen II 95, EQ(.ia-da7iiEf.iig ebd. II 148. i/iQOa-SaTteifxig Reisen I 52i4: -öänif.iic scheint Ableitung von dap- in Janag BCH. XVIII 323, Janäqag Reisen 52, vgl. S. 3, Anm. 1, Ddäpnnüväh Limyra 1. 34.

^OgvETtEiLiig BCH. X 40 scheint aus oqvs- + tceijui- zu- sammengesetzt; zum ersten Elemente vgl. OQvi-f.ivd^og Reisen I 19, das wohl auf volksetjTnologischer Graecisirung einer lykischen Xaniensform beruht i).

'ift^iiaii-iig Reisen I 40. Der Ausgang -aimi auch in iidäimi Sohn', tibäniäimi Limyra ll.i, yvfabaimi St. v. Xanth. N 44, das Kompositum aus yftta- (vgl. yvta-vata, yjifa-bora, yntä-nohah, yntla usw.) -|- *bahni- sein könnte.

nlyQaing Reisen II 178. 179. Vgl. auch S. 136 A. 5. Vgl. niyQaf.iog.

OiaarjUig, Mitt. aus Oesterr. VII 124, auf einer angeblich rhodischen, von Loewy aber wohl mit Recht nach Lykien ge- wiesenen Inschrift.

Pamphylien und Pisidien.

Zofcefiirg, Aspendos, Lanckoronski, Pamphyhen n. 77. n'AiyM[.iog ebd. n. 45.

"QXaLiog Lanckoronski Pisid. n. 245, womit vgl. l\(6Xai.iog BCH. X'l 221.

K\_d]k7tEfjog Le Bas III 1209. :^ovEii.iog BCH. XVI 423.

Lykaonien: 3JaQ0if.iag, Laodicea Cctmbusta, Ath. Mitt. XIII 271, erinnert an den Flussiianien Magovag. Iiir]vi'juig, Sterrett III 98. ^1 . .ovf^QißEfiig, Sterrett III 81.

Kilikie n.

Der kilikische Satrapenname Tarcamos, welchen noch Judeich,

1) Von onvi? abgeleitete griechische Namen sind selten Bechtel verzeichnet kein Beispiel : 'Ogvifjog GDI. 47G,j. 'OgridiSag BCH. XI 828, Vgvti>iü}v CIA. III 3291. Vgl. auch OuovoxX^s griech. Vasen- inschr. 239.

Personennamen mit ?rt-Suffix. 32o

(Kleinasiat. Studien 161 Anm.) verwertet, ist schlecht beglaubigt. Six (Xumism. Chronicle 1884, 109. 134) wollte ihn in der ara- maeischeii Leuende kilikischer Münzen erkennen, die er iCDin las. während Babelon (Les Pers. Achem. }). XXXVIII ff.) die von AVaddington vorgeschlagene Lesung Z>f//a»??s ("i72T"in) vertritt: die Entscheidung wird dadurch erschwert, dass die Aufschriften der betreffenden sehr zahlreichen Münzen nicht völlig übereinstimmen. Die Endung -auog seheint denmach für Kilikien nur durch den Flussnamen nigauag gesichert. Denn in ylctuog, das G. Meyer Bezz. Beitr. X 182 heranzieht, ist -u- kaum suffixal. -i'f-iog in naQccGeoovuog JHSt. XII n. 27 71.101. Der Ausgang -uig in PioLirauig, PcüvdcQijeuig, T{tQ)ßr^iiig, PioußiyQefjig, TQO/.oußiyge- fjig, ^addaautg.

Karien.

^'lußoauog karische Gottheit, welche die Griechen mit Hermes gleichsetzten (Steph. B. u. "It^ißoog).

TevTaf-iog in Priene, Yater des Bias.

Klv'iiLiog BGH. XI 29 f. n. 42. 43.

^^o'/Jcjuog . Halikarnass,

Bolcoiiog BGH. IV 295 =

^aoocoung ' Dittenberger Syll. 6.

'^YoGelöiouog ebd.: 'Yooä'/Jtouog Mylasa, Sitzgsber. d. "Wien. Akad. 132. Bd. S. 17 n. 11.

Kidosuog HaHkarnass. a. a. 0.

AVie in Lykien, Lykaonien, Kihkien, findet sich auch im Karischen -uig neben -iiiog, -ma : Avydauig neben Lijgdamns Propert. IV 5 (vgl. den Ortsnamen Lygdamum in Mysien, PUn. V 33), KcT3ih]uig, IIaväßh]uig, 2idilriuig, ^töi/.r^uig (Hali- karnass, a. a. O.).

Die zahlreichen karischen Ortsnamen mit ?«-Suffix hat G. Meyer (Bezz. Beitr. X 182) zusammengetragen: Ktoauog, Oeußolr- f.iog, Kd.toiua, Kvßif.ia, "YlläQif.ia, "'idvua, yttoQvua, "0?.iuog, ^Ygcof-iog.

Aus Lydien ist ausser dem Flussnamen Cogamus der Pei-sonenname Tlauog zu verzeichnen, den wir nur aus der Ver- bmdung Mijv Ticcuov (Le Bas III 668) entnehmen. Einen lydi- schen König "Av.iauog nennt Xanthos bei Steph. Byz. u. "Ao- 'AccXiov, der kamn, wie man angenommen hat, mit dem bei Suidas u. ^drS^og erwähnten "A't/u(.iog identisch ist.

326 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

Aus der Troas gehört hierher Bgi^tüf^iig: Thymbra, JHSt.

I 80.

I-Suffix.

Dies Suffix, das zu den häufigsten in der klein asiatischen Nomenklatur zählt, lässt sich im Lykischen auch in Appellativen nachweisen; vgl. die Zusammenstellung bei M. Schmidt, Neue lyk. Stud. 94. Frlläli auf der Stelle von Xanthos W 46 ist augenscheinhch mit der Münzlegende Frli (Babelon, Les Pei-ses Achem. CYili) und wahi-scheinlich auch mit Pirli N 58 zu ver- binden. Savelsberg (Beitr. z. Entz. S. 9 Anm. ; 214 Z. 58) hat in letzterer Form den Namen der Stadt ^^intq'Kai gesucht, während die Numismatiker Six, Head und Babelon es vorziehen, in dem Prli der Münzen einen Dynasten zu erkennen ^). Ich möchte die Vermutung wagen, dass Prli = (DeXIgq ist, indem die Griechen sich in dieser Weise ^OeQ^ög mundgerecht machten. Auf jeden Fall dürfen wir Prlläli als eine Ableitung von Prli betrachten, deren Bedeutung sich freilich unserer Kenntnis entzieht.

In lykischen Personennamen findet sich teils la (gr. -Aog), teils -li : Kodalah Xanth. 8, womit M. Schmidt den nach Athen. XIV 624phrygischen Namen Ko'jdalog vergleicht , %odrä}iila (Kyaneai 2, vgl. kar. KvÖQrikog), Sntoläh Reisen II 42 ; ^iixeXoq in Kibyra

II 254; Pohiäläjä = nvßicdtjg; NvQi'la BCH. XVIII 331. KuQTahg Reisen II 88, KotvdaXig II 7, ^OriaXig (Gen. 'Ovidleogf BCH. XVI 445). lieber Motlis, kihk. Movdhjg etc. ist unten S. 367 gehandelt. ToäXiog in Oinoanda. BCH. X 234.

Der Ausgang -li geht neben la her in kilik. ^ivyohg, .fHSt. XII 229 n. 6. 231 n. 11 (Gen. ^IvyoXecog) 262 n. 42. 270 n. 72 271. n. 74. : ^IvyoXag S. 262 n. 43. Andere kiHkische Belege sind: ria'Aig JHSt. XII 249 n. 2776. loe. KovaXig CIG. 4403. 4409 (vgl. Kovag 4402. 4410. 4427) vielleicht auch TovTtokeig JHSt. XII 271 n. 75. KoTtTtaXog, S. 257 n. 2822. Verdoppelt erscheint das l in kihk. IMaQQolläg JHSt. XII 247 n. 27.51, 'O^o'/JMg n. 2753, womit zu vergleichen ist KiÖQoXläg in Kara- manlü Sterrett II 452.

Aus Pisidien und Lykaonien stammen folgende Namen :

1) Babelon weist darauf hin, daes der Typus der beiden Delfine, den jene Münzen zeigen, nach Antiphellos zu gehören scheine.

Personennamen mit ^-Suffix. o27

^äßctlog, Dodni Agha, Sterrett II 27, Tefeny BCH. XVI 417. Br/./uläg Sterrett III 158. Kißalig f. Sterrett III 155, OvdvaXig III 172 (Isaurien). Doppeltes l in pisid. JövikKa (Lancko- ronski Pisid. n. 200), womit vgl. Kallyyu'Ü.a (Konana. Sterrett III 491). Ferner pisid. "'OloXlog Lanckoronski Pisid. n. 80. 117, Ge/iieoallog Sterrett III 461, das in seinem ersten Teil an den kar. Ortsnamen Qsiiiiooog, (Steph. B. s. v.) erinnert. Wenn pisid. KwßeDug oben (S. 298) mit Recht gleich lyk. Koprlli gesetzt wurde, so beruht das AZ hier auf Assimilation von q an l.

Sehr verbreitet ist das Z-Suffix in karischen Personen- namen: 'L^QGr^hg, üiaivöijhg, ^Ijjavcohg,"Eoßojhg (Sayce Transact. Soc. Bibl. Arch. IX 121), TQvwXr^g, IsocuXrig (wofern nicht ge- Reduplikation und atoA- die Wurzel ist), Z6v'So}.og (BCH. VI 192). "^Qßv^g BCH. XV 186. 189, KoQvlag X 456. Auch hier findet sich A verdoppelt in Moy.6lXTjg (Magnesia a. M, Ath. Mitt XV 332), KdoßcoUig und "Yoato'/log; letzterer Name, wie man bisher nicht gesehen hat, wahi'scheinlich auch in fol- genden Pei-sonennamen enthalten:

'^zra-t'ff(7wAAog, zum ersten Teil vgl. L^/.ra-(3'>j/<og, ^AAxavaaoig. naga-toacollog, vgl. zum ersten Teil kar. Tlaga-a/Mg (cf ^löAcog, ^aG-/.wg), Uaga-vöiyog, kilik. IIaQa-GlQQVf.iog, TlaQaOQOvvig JHSt. XII S^ 249 n. 27. TIov-vGOOjlog, vgl. lyk. TloveoeXitog BCH. XVI 445. Ovoo(üXXog Dittenberger Syll. 76.

Ma-vaGCt)XXog, vielleicht mit dem Xamen der Göttin Ma zu- sammengesetzt. Die Nebenform ^Jla^oGioXXog, welche aus maesolaeo (CIL. VI 2120. vgl. W. Schulze. Rhein. Mus. 48, 257) folgt, verhält sich zu MavoGioXXog, wie ^aßgaerdog zu uiaßQavvdog. U. v. Wilamowitz stellt mit JlaiGGwXXog auch den weibKchen Namen ^ IuaG{o)aojX(/S)Ci zusammen, welchen er auf dem alten rhodischen Grabstein, C. I. Ins. I 887, liest; eine andere Deutung unten S. 370. 2aQ-vGG(x}XXog, vgl. den kar. Ortsnamen ^agavoog.

Der Ursprung des XX geht aus den Nebenformen "YaowXöog (BCH. VI 192. Dittenberger Syll. 6, c), das zu 'YoGeXdojuog, ^YoodXdioiuog weitergebildet erscheint, IlaQcevaGtüXdog, riaqvGGojXdog (Reisen in Lyk. I S. 11 n. 2). sowie aus Kag-vacoXdog (BCH. a. a. O.) deuthch hervor. Dieselbe Endung zeigen ^^ißdqr[}Jog (vgl. ^'l^ßaQOig), KiovßoXöog und der Oi-tsname ^oßoXda. Wie- weit auch anderwärts XX auf 'Ad zurückgeht, ist ungewiss. Dass

328 X. Die kiemasiatischen Sprachen.

wir es auch hier mit einem suffixalen Element zu thun haben, wdi-d durch die Vergleichung von ""Yaocj'Aöog mit '^'Yooig, '^Yaaioig, '^YoGijh]g wahrscheinHch,

Lydische Beispiele für Z-Suffix sind ^er/.i'/.og (BCH. VII 277) und [Z]ajri?.og (Le Bas III 667). ausserdem zahlreiche Orts- namen, zu denen auch fast alle übrigen kleinasiatischen Land- schaften Belege liefern (G. Meyer. Bezz. Beitr. X 184f.); mit doppeltem / : Tvavv/Ü.ög am Hermos (Ramsay, Geogr. 125), Weiterbildung von Tvavu.

r - Suffix.

welches in Ortsnamen recht häufig ei-scheint, ist in Pei*sonen- namen, soviel ich sehe, nur wenig vertreten: lyk. Dapara = JajtctQccg (Lewisü). Die mythischen Schwestern Teouegig und TovßEQig (Steph. B. u. '^'Y)mi.ioi) sind Eponyme. ei-stere zu Tegaeoa gehörig, die zweite zu dem Ethnikon TohoraO ^)- Kav'laou in Komana BCH. VII 133 vgl. mit Karlltog in Ly- kaonien, Sterrett III 256, Gen. KmCio n. 153,4. Pisid. Kov/,oi- gag (Lanckoronski Pisid. n. 92), falls es keine reduplizirte Bildung und y.ovQ- nicht Wurzel ist. KillÜQag (ebd. n. 259), vgl. Kilhg (Headlam Isaur. S. 30 n. 29). Oö^iccQag (Gen. ^OoriaQOv, Lancko- ronski Pisid. n. 55. 89). Olaöccoag (Gen. Ovaddoov, Tefeny. Sterrett III 55ii. 13. Hedje, 72io/i). Kar. KaTtTcaQig, BCH. XI 26. Ili'^tfidagog, das G. Meyer, Bezz. Beitr. X 183 hierher- stellt, ist, wie der Vergleich mit ^^^uiocodagog lehrt. Kompositum von -daQog. Jlavc(i.iaQog ist seiner Analyse nach unsicher.

Die Ortsnamen mit r-Sufftx sind mehi-fach von Pereonen- namen abgeleitet: das pluygische Kagoiga hat seinen Namen wohl von dei-selben Pei-söulichkeit, nach welcher der Gott Jlir^v Kctoov heisst dessen Tempel in Mrivog /Mfxii zwischen Karura und Attudda lag (Ramsay, Geogr. 135). Kar. TaQ-AOidaga hicss ver- mutlich nach einem TaQ/.ordag, liQvyhöaQa (IiQi/,ii'()aQa) auf Rlu)dos nach einem Bgiyndag, phryg. KiÖQaoa nach einem

l) Reisen in Lyk. II n. 24: IprüsidaO ArmpaO tidiiimi ToboraO. Benndorf setzt, da die Inschrift aus Kyaneai stammt. Tobori vermutungs- weise = Kyaneai. Vgl. auch den anklingenden kar. Personennamen Toßogooo^.

Personennamen mit r-, «-Sufix. 329

KoÖQog, pampli. MäoovQci nach einem Mdoag, BaLioiga in Kaba- lia etwa nach einem Ba'Lßioag (Isaurien, Sten'ett III 163).

n-Suffix.

Ein ??-Suffix ei-scheint zm* Biklung des Ethnikons verwendet in Tluiina = TXcoevg aiif der Bihngiiis von Tlos. zii Tlava (8t. V. Xaiith. ( ) 30). Tlavi (Münzen). Eine gleiche Bildmig scheint Pillänni auf demselben Stein. Iv. Jltvc'cQioy des giiechischen Textes entsprechend. Avobei die abweichende Ivk. Fonn des Stadtnamens aufiällt 1). ]\Iit demselben SuÖix sind abgeleitet che Appellativa rädrähni (Rhodiapohs b 7j von vädri, ybidön[yii]hi N 8 von ybidä \\. a.. vgl. M. Schmidt Comm. de nonnidhs inscr. lyc. 12. Imbeii:. Le Museon 1891. 264. In Personennamen ist das «-SuÖix nicht besonders häufig. IjyV. ^v).avig, Eeisen II 190. 'Oodarig TL 51; "luioavog 1 SO. In Phi-ygien L^r(3av/^c BCH. XVII 292 (vgl. den kar. Oitsn. "^vdaroi' Steph. B. u. Bagyi/Ja), pisid. Kirvovng Lanckoronski Pisid. n. o4. lykaon. 'lovßevig (Laodicea Combusta. Ath. Mitt. XIII 245). Koi/.ang (SteiTctt III 155^6). Kovioveig (Gen. KoTvoveiog, SteiTett III 130). Kar. 'Ah/ccvig; 1yd. Ol^dvr^g (Philadelphia. Le Bas ELI 663). Zuweilen ist das v verdoppelt z. B. lyk. 3lLQS)reig (Eeisen II 94). IdQßivvag (ebd. I 52), wähi-end in der lyk. Form Arbbina (Münzen und St. v. X. S. 20) ein- faches V entspricht.

Dental-Sufßxe.

Ein /-Suffix hat G. Meyer Bezz. Beiü\ X 187 wohl mit Recht in einigen Ortsnamen angenommen: man vergleiche z. B. kappadok. ^höizu (in der OToaxr^yiu lUocoiavi^, Ptol. V 7. 8) mit pisid. -ivda. In Lydien und Pisidieu erscheint öfter -rr-: LdfÖQOTTa, l^lliOTua (3Ir^v ^^.liovzrpvg auf Münzen von Saittai). ^aitrai; KoviialiTTog. Kovua)^ziog Sterrett HI 37633. 41. Ta- kojExta 366 69. TgiyKeixa (TQiy/^evrrjvog 371 0. Tooiy'/.ETTSvg 36650)- letzteres jedoch neUeicht Kompositum. ^Iccuovttcc neben JlduoiTcc 36671.73.-6. Auch einige Pei"sonennamen sind mit

1) Pilla wahrscheinlich aus - Pinta. ~ Piiiala = Ilivaoa: rinaJii ist vielleicht für Pinanii auf der Stele v. Xanth. 0 30 zu lesen: es folgt Tlava viidrii.

o30 X. Die kleinaeiatischen Sprachen.

diesem Suffix gebildet: lyk. ^EgßlaTog, (Reisen 11 85), womit vgl. pisid. ^'OQSh]TOC. (fi?^iq. Plin'g. Kioy.ovTag (^vraöevc. Steirett m 375io) köimte auch idg. sein. Kapi)adok^ l^iQoutr.g SteiTett II 351. womit ich lyk. Arovätijäsi (Münzen und Stele v. Xanth. 0 18. 21. 41) vergleiche ^). In den lykischen Texten finden sich ^^elfach Ableitungen mit suffixalem t, deren Bedeutung sich nicht näher ennitteln lässt z. B. Arnnatä St. v. Xanth. X 20, offenbar zu Arnna, Komazuti (Sm-a Z. 6), Komäzäiti (Sm-a Z. 5. Rhochapolis), Komäzäititi (St. v. X. O 39) neben Komäzija (ebd. 51. 53 55), Trmmtlijöti (ebd. AY 57) zu Trmmili; bemerkenswert ist auch Porihimätiti (Lim\Ta 2, Kandyba 3) gegenüber der giiechischen Umschreibmig ncoiuang, nöguacig, IIvoißdTtig (Bihnguis v. Tlos).

Von den Ortsnamen mit suffixalem d war bereits S. 306 die Rede. Die suffixale Funktion des d geht aus dem Ethnikon '^ Of.iovaÖEig in Pisichen (= lyk. Hömäyiädi St. v. Xanth. S. 31) her- vor, wenn es von dem Stadtnamen Homona (PHu. V 27, 23) ^) abgeleitet ist. An der phn-gisch-lydischen Grenze erscheint das d verdoppelt: ^.Arrocdöu {^^Tcovddiojv neben lAxTOvdbiov, auf Münzen, Head Hist. num. 559), "'AXvdöa, KXäwovööa (auf Münzen K'Kavvovöölvjv Head Hist. num. 549). ]Mit ^'^4).vdda hat Ramsay Geogi-. 101 das byzantinische ^'Roc'^a (Hieroki. 667. 9. Xotit. 8, 411. 9, 321. "E'/.oi-:a 10, 434. 13, 284) identihzirt; Ö mid r wechseln auch in Nadiavdög : NauavLog. Ob das 1' auch in anderen Ortsnamen ^^^e kar. ^'Eqilu, KioQa'la, pisid. Kocvöo^a (Sterrett III 36670 Ä'ojj'doL'ßrr^c, abgeleitet von einem Pei-sonen- namen Kovvöi^g), ''^4AyiLa {Sterrett III 378 10. 366 .i-, Iv^'Alyiuoig), Kd/.o'Ca (Steirett 36637) desselben Urspnuigs ist. muss dahin ge- stellt Ijleiben. Pei"sonennamen mit o?-Suffix sind: k;ir. OvXiddrig (BGH. XI 16. XIV 100. XV 540 u. ö., auch auf Samos Plut. Arist. 23), nayddijg (BGH. ^a 192), 1yd. MsQfivädai, kar. J^OlJ^uaQOi:^r^g (Sitzgsl)er. d. AVien. Akad. 132. Bd. S. 17 n. 12), lyk. KTooddag Reisen II 176, lykaon. Movzddrjg Sten-ett III 236, 31a(»o()V)/^c? 111 331. Auch hk. ^tQ/iodtg und ^agrcädiov können hergehören.

1) M. Schmidt, Imbert (B. 0. Rec. V 109), Bahelou (Pers. Achein. p. CHI) ziehen ein von Suidas verzeichnetes ovofia xvqiov Hgvcozijg herbei, über dessen Herkunft nichts feststeht: wir wissen ja garnicht, ob dieser Narne kleinasiatisch war.

2) gens Homonadum. quorum intus oppidum Homona.

Dental- und Guttural-Suffixe. 331

Ziemlich selten ist ein Suffix -tra, deiitlicli vorliegeiul in MoctTQa {Y.io(.ir^ Moargkov in Pisidien, JHSt. VIII 229), von dessen Wurzel moa- unten S. 332 die Rede sein wird, ^öavoa {^avarga, ^ScißavQa) vgl. ^6a, ^oaröog u. a.. lykaon. Uivcctqu (Personen- name, SteiTett III 207), To?uiäTQ£og (Priester in Sanios, BCH. V 485). Ob auch lyk. l:hatro Tochter hierhergehört, ferner ol) -dr- in kilik. MojyyiÖQig (JHSt. XII 264 n. 49), verglichen mit 3l6yyog, Movryog (Karamanlü, SteiTett II 52), suffixal ist, Avill ich nicht entscheiden.

Gytfiiral-Suffix.

Von dem Stadtnamen Armm ist im Lykischen ein Personen- name Arnnaya (Lewisü, Reisen in Lyk. II 11) abgeleitet; gleicher Bildung ist BdraÄog (Reisen II 212), Kodr/.og (Reisen II 217, vgl. KodiTtog) mid wohl auch Koogayog (I 25), da lyk. H^ = gi\ ;' auch in Ärppayos = "Aqrcayog. Ferner kilik. 'S.civda'Aog (Apollodor III 14. 3, vgl. ^ävdr^g, ^dvdcov), "'Ivda/.og (Le Bas III n. 1421 5), pisid. 3IiXlcr/.og (Karamanlü SteiTett II 47, Tefeny, II 53. Mlla-Aog Hedje II 73), MolvAog (a. a. 0. II 39, IMolk II 74), lyk. nitov.og (Ol^Tiipos, BCH. XVI 221 n. 50) »). Kar."/Ja- ■/.og; Kdvvw/.og Beinname des Zeus in Stratonikeia, BCH. XII 261 f. Ueber "Awayiog Ndvva/.og s. unten.

Dahin gestellt lasse ich es, ob auch in kar. ^Ttagevöiyog, TlaQavdiyog, väe G. Meyer Bezz. Beiti\ X 180 annimmt, ein Guttiu-alsuffix vorhegt. Vgl. lyk. Xäriga Kagr/Mg.

Labial- Suffix.

M. Schmidt, Neue lyk. Stud. S. 104, hat darauf liingewiesen, dass sich in mehreren lykischen Worten ein Element -bä glatt ablöst, dessen Funktion freihch meder nicht zu ennitteln ist: es braucht nicht notwendig suffixal zu sein, sondern es könnte sich auch um eine Postposition oder eine Partikel handeln, die wie m 'und' vom vorhergehenden Wort nicht geschieden wird. Mit ziemlicher Sicherheit können wir aber in Personennamen ein b-

1) Der Name erinnert in der Endung an den kelt. Bitocus (Liv. ep. 102), Birovxog (auf Münzen, Th. Reinach Mithradates S. 408), den der Leib- wächter des Mithradates Eupator führte, ist aber schwerlich galatisch.

o32 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

Suffix erkennen: yntänohäh Xantli. 42-.^ Kivdavvßr^g., Prijäiw- bähii = IToiuvöja (Gen. Sg.. Bilingiiis von Tlos). pisid. 'Mavi^Qo- ßrjg (Lanckoronski n. öS^s). IlaivaQoßtjg (ebd. 5805); Tlian^Qa-iig (58a2. 124. 137). zu vergleichen mit IliaTsong in Laodicea Com- busta. Ath. Mtt. XIII 263; kibk. ÄoAß,/%^ Le Bas III 1510; kar. 'y£(T/.t'o£joc..

Das Element -nniva.

Ziemlich häutig begegnen in der kleinasiatischen Nomenklatur Personennamen auf -uoag, -uovag oder -uir^g. In einigen Fällen sieht es so aus. als ol) dieses Element aus zwei Suffixen kom- binirt, d. h. ein mit Wi-Suffix gebildetes Nomen weiter mit 71 al)- geleitet ist *). Diesen Eindruck hat man z. B.. wenn man lüdga- l^vag mit Kiögai-iag oder Eof.i6ag, ^Quoaaig mit E^ficcjciag ^Quaniag und ähnlichen Namen vergleicht und andererseits Bildungen wie Ba,j6ag, Naviröa, AaXoa, JavXöag (Ohmpos. BCH. XYI 217 n. 26), "Oqiyöi]g (ebd. n. 76) in Betracht zieht! Dass \s\x es aber dennoch mit einem Komj)ositionsghed, also einem Nominalstannn zu thun haben ^■ielleicht Egitoag mul einige andere Fälle ausgenommen geht aus zwei Thatsachen mit ziem- licher AVahi-scheinlichkeit hervor. Erstens findet sich das fragliche Element auch am, Airfange von Eigennamen ^) :

lUoayhriQ, T}Tann von Kibyra, Polyb. 22, 17. Strab. 13, 631.

Moaffi'oi'i^g in Pontus, Oheim der Mutter Strabons, Strab. XI 499. XII 557. Das Schlussglied erinnert an pei'sische Namen wie u^QTaq^oQir^g, Ooor/.-'oj'/jc, ^lvia(piQvt]g^). kaini aber auch klein- asiatisch sein, wie (Dtovig in Olynipos (BCH. XVI 222 n. 56) zeigt.

lUoaleig. Tefeny (Phrygien) Stinrett II 64.

MoacQÜg in Pisidicn. JHSt. MIl 229; über die Bildung dieses Namens s. oben S. 331. Erwiümung verdienen liier ferner die lyk. Wörter moruyä Stele v. Xantli. W 52. moviladä

1) So hat in der That G. Meyer. Bezz. Beitr. X 189, Ilavajuvtji aufgefasst.

2) Ob die Hesychglosse ^iiovg' »/ yij. Avdoi hicrliergehört, entscheide ich nicht.

3) Aus diesem Grunde wohl haben ihn G. Hoffmann, Auszüge aus syr. Akten pers. Märtyrer S. 283, und Th. Reinacli. Mithradates Eupator S. 246, für einen Perser erklärt.

Personennamen auf -//.oag. 3o3

X 56, niovcd. X 56, movötö Liniyra 11 3, über deren Bedeutung li-eilioh nichts auszumachen ist.

Da der Lautlbrni -uoag anderwärts -«J;rjc entspncht. so könnte auch 1yd. Mv-ÜTTi^g hierhergehören.

Zweitens würde man, weini -f.i6ag aus zwei suffixalen Ele- menten bestände, auch noch andere Suffixkombinationen derselben Ali Avie -Qoag, -voag erwarten, welche meines Wissens nicht nach- zuweisen sind. Ich lasse nunmehr die Belege im- -uoag folgen.

Als originale lykische Fonn des Elementes ergiel)t sich aus Färtinamovah (Keisen I n. 6), dessen Analyse dm-ch Pärtinah Kandyba n. 2 gesichert Avii-d, -niova oder -muva, in Lykien dmrh giiech. -|t/oftc umschrieben: üoiai^iöag Reisen 11 156, ^O/tga- ^loa? e])d. II p. 821f. und n. 441 (= CIG. 4324), BCH. XVI 216.

Kidouf-ivag Pamphylien, Lanckoronski Pamphyl. n. 985. Kv- doaiiioiag 69. Kidoauoag Karamanlü, SteiTett II 393o.

Koiiioag Pisidien, Lanckoronski Pisid. n. 87.

T'/.auöag Kara Baulo (pisidisch-lykaonische Grenze) SteiTett III 404/5. 409. 421.

OiQauaoag Analjura. Pisidien, Athen. Mitt. YIII 72.

Oi\iQaf.ioiaoig, Lykaonien, Sterrett III 282 ; konti'ahirt Ot-zr^a- ^lolaig BCH. X 510 11. 22. kiHk. 'OfVQa!.uooig JHSt. XII 249 n. 27 7 j. 88- Vielleicht ist also auch kilik. Tßeorff.uooig (JHSt. XII 263 n. 45) aus * T.jeorfuoaaig entstanden.

Koioauoag Headlam Isaur. n. 19.

^Aocaioag Lykaonien. SteiTett III 284.

?\avvau6ag Tefeny (Phrygien) SteiTett II 5821.

Karisch sind üara/^vrig (Hahkamass, Dittenberger Syll. 5. 6. Kos. GDI. 3624b 73. 3642 s;;. 31) und Xr^Qa[.ivr^g (Samos, Bechtel Ion. Inschr. n. 211).

B. Die radikalen Bestandteile.

AVir haben bei den folgenden Xamenvergleichmigen zwei Fälle zu unterscheiden, welche sich in der Darstellimg nicht wohl von einander ti-ennen lassen: entweder ist die Identität der Xam?n eine völhge, sei es dass sie sich auf AVurzel und Suffix erstreckt, sei es dass der Xame überhaupt um* aus der Wm-zel besteht, oder die Uebereinstinimimg beschränkt sich auf die "Wm'zel,^ während die Suffixe abweichen. Es ist klar, dass die erste

334 X. Die kleiuasiatischen Sprachen.

Kategorie weniger Beweiski'aft hat als die zweite. Wo die Nameu sich völhg decken, kann sie das eine Volk vom anderen in rehitiv junger Zeit entlehnt hahen. ..Zernl)abel war trotz seines baby- lonischen Xameus kein Babvlonier wendet Jensen (ZDMG. 48. 472) gegen die Yerwertimg solcher Uebereinstinmiungen ein lind Alexander von Eussland kein Grieche, obwohl er Alexander heisst". Der Einwand ist theoretisch vollberechtigt, in der Praxis köimen aber, vde wii* sehen werden, die Verhältnisse so liegen, dass auch der Xamensidentität eine ge^^isse Beweiski-aft zukommt. Immerhin werden ^^Tr das Hauptge^'icht auf die zweite Kategorie zu legen haben. Auch bei dieser ist freihch Yoi-sicht zu beob- achten. Wenn G. Meyer (Bezz. Beitr. X 191) z. B. kar. 'A?m- ßaröa, "^hvöa, '^^Awatrog, lyk. ^.Aliva, L4Xif.iaXa, phiyg. '^X- avÖQog, "Akovdöa vergleicht, auch 'LdfAt'arrrjg imd '^'^l'k.vg heranzu- ziehen geneigt ist, so können solche üebereinstimmungen leicht tiügerisch sein. yiXvazir^g hat, \rie die Münzlegende FaXß[e]iäiiig zeigt, im Anlaut ein v verloren. Der "AXvq ist von den idg. Armeniern benannt (s. S. 208); auch hier ist im Anlaut ein Kon- sonant abgefallen: armen, al aus *sal- ..Salz". Wir Missen nicht ^rie weit auch in den übrigen mit aJ- anfangenden Xamen die Üebereiiistimmimg niu- eine scheinbare, etwa ei-st durch die un- genaue griechische Transskiiption entstandene ist; aber wäre sie auch eine vöUige, so könnte man doch daraus keine Sprachver- wandtschaft folgern, denn eine auf zwei Laute beschränkte Ueber- einstimmung köiuite recht Avohl eine rein zutallige sein. Aber auch nach Abzug aller solcher unsicheren Fälle und bei Beriiek- sichtigung aller Fehlerquellen bleiben doch noch genug Berüh- rungen in den radikalen Elementen ü])rig, welche für die klein- asiatische Sprachh'age stark ins Gewicht fallen.

a. Die Lallnamen.

Ich beginne mit einer Klasse von Personennamen, welche fiir Kleinasien so charakteristisch ist. dass sie die ei-ste Stelle ver- dient, obwohl, \rie sich zeigen wird, ihre Beweiskraft in den uns beschäftigenden Fi'agen eine sehr beschränkte ist. Es sind dfis die Xamen von dem T}i)us Ila/cäg, Taräg, \4rTäg, Nava, Jada oder ähnlich, welche mit den in der Kjndei-sprache aUer Länder übHchen Benennungen von Vater, Mutter oder anderen nahen Verwandten augenscheinlich identisch sind. Diese Personennamen

Lallnamen.

335

treten in ganz Kleinasien, wie jeder Kenner seiner Epigi'aphik weiss, niit einer ei^staunlichen Hänfigkeit anf: ich gebe, ehe ich mich in weitere Erörteningen eiidasse. das Mateiial. Vollständig- keit ist hierbei nicht angestrebt i) und auch nicht ei-fbrderlich. nur sollte che Reichhaltigkeit der Belege eine Voi-stellimg von der grossen Verbreitung imd Häufigkeit dieser Xamenklasse in Klein - asien geben.

Die einfachste Fonn der Lallnamen ist: Konsonant + a. Diese Silbe kann verdoppelt werden oder es tiitt der Vokal a davor; letztere beiden Foniien kommen mit mid ohne Verdopp- lung des inlautenden Konsonanten vor. Für a, das am häufigsten ist, ti-eten zuweilen auch andere Vokale ein. Sehen wir von allen Ableitungen ab. so kommen folgende Tx^jen von Lallnamen vor:

Ba

Baha

Aha

Äbha

Da

Dada Diida

Ada

Ma

Mama Mom-

Mamma Momm-

Ama

Amm

Papa

Fappa

Appa

Na

Nana Nunu

Nanna Nonna Ninni

Anna

Ta

Tafa

Tatta Titti

Ata

Atta

Kaka

Kakka

Akka

La

Lala

Lalla

Sa

(Susu) Vava

Sassa

As^sa

BA.

Ba fem. (Dat. Ba, Acc. Bav) nui' in Lvkaonien: Sten-ett m n. 11 = BGH. x'513. Sten-ett IH n. 17. 75. 77—79. 101. 115. 127. JHSt. XI 164 n. 22. Athen. jVIitt. Xin 266. Headlam Isaui\ n. 20. Dagegen üitt masc. Bäg im äussei-sten Norden Kleinasiens auf, in Bithjiiien als Name eines Filrsten,

1) Vielmehr habe ich eine grosse Anzahl von Belegen mit Absicht unterdrückt.

336 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

des Yatei-s jeues Zipoites, welchen Ptolemaios, der Xeffe des Antificonos, nötigte sich mit ihm zu verhünden : ^Nlemnon l)ei Phot. Bil)l. p. 228 a, 17 Bekk.

BäBA.

Phiyg. Baßa, Ramsay n. 2. 5.

Buiiig heim phrygischen Antiocheia, SteiTett III 363 und in Ikonion. ehd. 11 196.

Bcciieic (Dat. Baßei, Acc. Baßeii') in Lykaonien und Pisidien, Sterrett II 177. III 319. 329. 480. 566. CIG. 4122. BGH. III

337 n. 8. Burdur: Mitt. aus OesteiT. Ylll 195 n. 6.

Bd.^g Xakoleia .THSt. III 126 (G. Bdßov); als Sklaven- name, s. Pape-Benseler s. v. In der Zusammensetzung ^EXat- tidßr^g Lanckoronski Pamphyl. n. 33s. In Tanais Bdßog Inscr. Pont. Eux. II 430. Skvtlie. wie aus dem Xamen des Vaters < BaioQccdTTog hervorgeht; ehd. II 423 dessen Grossvater.

Bdßig Thyateira Ath. Mitt. XIV 91; unhekannter Herkunft, del. Tempehnventar BGH. X 466.

Baßöag in Lvkaonien. Sterrett LU 17. 18. 26. 74. 101. 159. BGH. X, 512 n.'28.

Bdßvg phryg. Xame, s. ohen S. 224.

Haßivjv, Milet CIG. 2852.

HaßeiÖr^g, Pisidien BCH. III, 344.

Bavßa, Lykaomen, CIG. 4009 h. Ramsay (Cities of Phryg. 348) denkt an Zusannneuhang mit Baj.tßvy.1], s}T. Mahhoff, Xame von Hierapolis am Euphrat.

ABA, ABBA.

Aßag masc. Lykien , Reisen m Lyk. 1 n. 127. Olpnos

(Karien) Ath. :\ritt. XIV 372.

"Aßßccg Pisidien, Sterrett III u. 323. 330. ^

"^ßa fem. AVestkilikien, JHSt. XII, 228. 230. 267. GIG.

4429c Add. p. 1170. Le Bas HI n. 1420. Fürstin in [Olhe:

Strah. XIV 672. Geira am Maiaiuhos BCH. XIV 237.

Phrjg. ^ßaai? Ramsay n. 4. "^ßaoig Lykien, Reis(Mi in

Lyk. II 43. CFG. 4315 d.

'!Aßeiv in I^hisha wohl = "y/ßioi- CIGS. I 2254. J

Oh der skythische Xame 'l^/:?a,t^og (luscr. Pont. Euxhii ed.

J^atvschew 1 47. 102. 10.3 Olltia) hergehört, hlcihe dahingestellt.

Lallnamen. 337

DA.

Ja fem. Südphiygien, SteiTett II 160. 168. III 625.

DADA.

Jada fem. Lykaoiiieii luul Phngien. SteiTett II 254. HI 330. 568. :\Iitt. aus Oest. ^^I 182 n. 46 (Sivri-Hissar bei Pessi- nus). Ath. :\Iitt. 13, 245. JHSt. Y 260 (Xakoleia). CIG. 4129.

Jddag Griüider der karischen Stadt Themissos, Steph. Byz. u. G£/.uoo6s. Jädr^g Lykaoiiieu, SteiTett III 37338, Laodikeia Ath. yiiit. 13. 264. 265.^ Aizaiioi, Le Bas ni 982. Jaöa Gen. m. Kyzikos. Ath. ^litt. X. 20. Jaöccg Jadä in Liöngü bei Doit- laion ßlitteihmg A. Körte's). Jädav CIG. 41233 ist sehi' un- sicher: überheiert ist jLaKav, s. imten.

Jadeaq (Gen. JaÖiov) Xotion. BCH. XYin, 218.

Jadetg Inschi". von Pergamou n. 208. Ein '^Jadig scheint in EguEvöadig CIG. 4315 f. zu stecken, dessen Analyse dui'ch Egfiav-diLiaoig, Eouav-doag gegeben ist. Was lyk. ddädi, das Limyi'a hinter emem Genitiv steht, bedeutet, ist unklar: M. Schmidt. Xeue lyk. Stud. 18. dachte an ein avyyeviy.6vy Savels- berg I 51. II 36 deutete es. aber mit unzuti'effenden Giünden, als Sklave.

Sk}-thisch sind die Xamensformen Jddag, Jdöog, zldöuiog, Jcidayog: zahh'eiche Belege in den Inscr. Pont. Eux. ed. Latyschew I mid H Eegist. ]Mit Jüdayog vgl. pers. Jaduy.r^g Aisch. Pei-s. 302.

DÜDA.

Dieser T}'pu5 scheint niu' in Lykaonien und Südphiygien verbreitet zu sein. Jotda f. SteiTett II 161. 194. .JHSt. XI 162 n. 14. Ath. Mitt. Xin 264. 265 (Laodikeia). zlovdag Xom. f. SteiTett 11 156. Joda SteiTett 11 202 (bei Ikonion).

JovÖYig m. Laodikeia in Lykaonien Ath. Mitt. XTTT 264.

Jovöovv Acc. f., Phiygien, BCH. X 506.

Davon abgeleitet mit dem verbreiteten Suffix -ada der Orts- name Jovdada in Saghii- (Süd-Phngien, bei Antiocheia): Sterrett HI 379 {^ovdaörivog).

ADA. ^Läöa karisch : Tochter des Hekatomnos, von 344/3 an Dynastin

Kretschmer, Einleit. in d. Gesch. d. gr. Sprache. 22

338 X. Die kleiuasiatischen Sprachen.

in Karien. Münzen sind zwar von ihi- nicht gefunden, aber M. Schmidt (bei Savelsberg Beitr. z. Entziff. I 42) hat scharf- sinnig vei-mutet. dass Ijk. ada, das in Grabschiiften vor der Ziffer der Strafeumme sich häufig findet, die mit dein Namen der kari- schen Füi^stin bezeichnete Münze ist. Ausserdem ^^dag Nom. f. Tempel des Zeus Panamaros BCH. XV 183 n. 127. 202 n. 143. Mylasa Le Bas III 458. ^'^da 'HgaKAewrig XQriOTt^, CIA. II 3438. ":Ada Samos. BCH. Y 485. Ephesos CIG. 3007. "Ada udauvvd^iov (Mi'AriGiov) yvvtj CIA. II 3219. "'Ada in Oropos CIGS. I 30397; Alexandi-eia (Grabrehef) CIG. 4692. Skj-th. "u4dag masc. (Gen.'l^tia), Pantikapaion, Inscr. Pont. Eux. II 182 ".

Vgl. den Ortsnamen "'^dai in der Aiohs bei K}Tne, Stral:). XTTT 622.

Abgeleitet davon das makedonische "^dalog (Belege in Pauli- Wissowa^s Real-Encycl. I 341, dazu CIA. II 2430: BaoUeid^g i4daiou naÄh]V£vg), das auch nach Thessahen impoiüii ist (Ath. Mitt. Xiy 51, Demetiias) und in hellenistischer Zeit auch sonst vorkommt. Eine Gnmdfonn Adda wü-d dmx-h ^^ddalog (Chiüarch im Heere Alexanders d. Gr. Aiiian. Anab. I 22, 4), Addaeus (Pauly-Wissowa I 349) vorausgesetzt.

MA. Ma Ai'abissos (Yai^mz) in Kappadokien. Sten'ett II 335. mag Nom. f. Kilikien. CIG. 4411a. JHSt. XII 261 n. 39. Auch in BithjTiien: Tiavrj, CIA. 11 3391, und Griechenland: Ma 6^ "Ad^iiovtvjv, CIA. III 1510, in Epirus ?, K. Keil, Philol. n. Suppl.-Bd. 1863, S. 586, der auch auf lat. Ma hinweist. Ferner in Pantikapaion, Inscr. Pont. Eux. II 243. 67 1. 91 i: Latyschew nimmt in*ig Kontraktion aus Mala an.

MAMA, MAMMA.

Mdua N. m. Gundani (= Favtaiva, Süd-Phrygien) Steirett in 36636. Üyüklü (an der pluygisch-pisidischen Grenze) III 392. Auch in Eresos, GDI. 287.

Mäfxa f. Lykien, Reisen in Lyk. II 108 a.

Mafiäg {^vq. Zöi] Mafiädug) Laodicea Combusta, Ath. Mitt. XTTT 266.

MuLtfietg Isauiien SteiTett III 151. 153/4. 155/6. 256.

Maftfirig Isaurien, Steirett III 230. Gen. Md^^eiog III 103, Mau\i\og sehr zweifelhaft TU 132 (Dülgerler = Ai-tanada).

Lallnamen. 339

Mauai'g, Gen. Mccf-iäeiog, Dülgerler, Sterrett III 124.

MctLuov Apolloiiia iii ]\Iysien, Ath. Mitt. XIX 535.

WläuLov f. Patera JHSt. YI 354.

Mauula ist griechisch: CIA. II 835. 836. 1585. BCH. II 423 Z. 36. 37. ^

3IuuaXog Panamara. BCH. XII 99. XV 204. 207. Vgl. ^f.ijitäXiov.

Mauaang und Jlaucjraaig pisidisch: Lanckoronski Pisid. u. 38. 148.

3Id^iuaQov, CIA. II 2117. 2305. Maaudgior II 835, A. b, 26. sind echtgiiechisch. während der Handwerker 3Iduuai'og CIA. I 324 p. 174. wie nele seines Gleichen wohl barbarischer Abkunft ist. Mäf.iuaoog als Beiname {-Jiovvaior rov v.ai IMaa- (.lagoi) in Pantikapaion. Inscr. Pont. Eiix. II 42.

Mdao^u CIA. II 96338 ist thrakisch. In Sihstiia (Dui'o- stoi-um) in der Dobrudscha Mamutzis, ]Mitt. aus Oesteir. XI 23 n. IIa.

3l6ftfia)v Ai±yra, PeiTotEev. arch. 1873, XXVI. Bd. 382. :\Iitt. ausOesteiT. IX 116; Sim-Hissar (bei Pessiuus) PeiTot Explor. arch. n. 105. Hierher gehört auch das hesychische Mouitoj- 6 rn-ielg MoQi-iw (fa/^isv, t6 q>6^ji^d-Qor roig /taidioig, das nicht aus _lioo«oj entstanden ist. da qu iin Griechischen intakt bleibt.

MoLiia Laodicea Combusta Ath. :\Iitt. XIII 243.

ÄMA, AMMA.

"^}xa f. Isaui-ieu. SteiTett III 209.

^'^ufiir, Kappadokien (Merld) SteiTett II 340. "^f^io] Mih]aia CIA. ni 2589.

^^Lua Don Ai'sche, phrygisch-lykaonische Grenze. Sterret HI 336. Aivalü. Phiygien, III 363. Artanada in Isaurien, III 82. Appia in Phrygien, Le Bas HI 786 = CIG. 3857 i. Ko- tiaion LB. III 800 = CIG. 3827 1. Auch in Larisa Ath. Mitt. XI 53. "Aaeiag Dorylaion JHSt. V 255.

'^(.uag vvv(frj, Kotiaion, Le Bas IH 818 = CIG. 3827 g.

Ein Xom. masc. L^fxia Phiygien SteiTett III 593 {"^uia MeveXdov rf^ airo(v) yvvey.1 yXvy.vTccTi- ,«. x)-

^^ufiia ausserordenthch häufig: Phrygien. BCH. XVli 243 u. 6. 7. 246. 274 n. 67. 70. ^TH 246. 248. 250. 251 (Euine- ma;. Le Bas IH 795 = CIG. 3827 d. Perrot Exi^lor. arch. n. 91

340 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

(Kotiaion). Eev. des etudes grecques II 35 (Apameia Kibotos). Ath. Mitt XVni 206 (bei Dinair). Le Bas in 734 = CIG. 3857s. ^^iiLiEia Perrot Explor. arch. n. 90 (Kotiaion). ^^/.iitaag N. f. PeiTot a. a. 0. ii. 66 (Rliyndakos-Thal). Le Bas III 981 (Aizanoi). l^i^if.iia Sten'ett m 333 (Grenze von Phiygien und Lykaonien). 612. JHSt. XI 160 (Lvkaonien). Lvkien: Reisen H n. 240. 233A. BCH. XYI 214. Karien: BGH. XI 32 (Lagina). XY 195 (Tempel des Zeus Panamaros). Lydien: Ath. Mitt. XIV 100. BCH. XI 471. 472. Ephesos, G. I. Ins. I 412. Elaia, Ath. Mitt. VI 268. '^^luiag "Poöia, BGH XI 307 (aus Kys in Karien) ; dieselbe Forai als Nom. f. in Lydien BCH. Vin 378, 384.

Der Xame ist auch ausserhalb Kleinasiens nicht selten; wie weit es sich dabei um Personen asiatischer Herkunft handelt, ist oft nicht festzustellen: CIA. III 702a. 2987.2988. GIGS. I 3562 (Thespiai?). Larisa Ath. Mitt. VII 227 Z. 27. BeiThoia GIG. 1957 f. Thessalonike 1967. Ath. Mitt. XVIII 419 (Makedonien). IGIt. 807 {uiaodL-/LiQ). 764. 765 (Neapel). 1380 (Rom). BGH. XVII 401 (Sklavin). CIA. HI 2891 {laiiaQeixiQ). CIG. 2328 b (Mykonos).

'Ani-dag X. m. Sterrett III 537 (Ulu Borlu = Apollonia in Phrygien). BCH. XV 208 (Panamara).

'Afuuig, Antiphellos, Reisen in Lyk. II 117.

"Aiiiov Kennasli, Athen. Mitt. XIV 251. Prymnessos, VII 136. Appia in Phryg.. Le Bas III 786 = CICt. 3857 i. "ui^^uov ^ccQÖiavtj CIA. III 2189. 2190. Poroselene, Ath. Mitt. XIV 90. Lydien, ebd. XIV 107 (^lua^i). Le Bas III 678 (Julia Gordus). Auch die Amraion in Pantikajjaion , Inscr. Pont. Eux. II 66 *, stammt wohl aus Kleinasien, wie aus dem Namen ihres Bruders und ihres Grossvaters Ti).lr^g zu schliessen ist, vgl. TtlXrg in Komana BGH. VII 137, Deirmen Deresi (Südkappadokien) Sterrett II 287.

U^nuctvög Ath. Mitt. XII 254 (Thyateira). BCH. VIII 389 (Julia Gordus). Le Bas III 713 (Trajanopolis) u. ö. Auch attisch: CIA. III 1202 {(fl^g Kev.QomÖog) 1192. 1251. Der Historiker Ammianus stammte aus dem syrischen Antiochia; andere Homonyme bei Seeck in Pauly - Wissowa's Real-Enc. I 1845. 1851.

'^nuiavi Phrygien, BGH. XVII 274. GIG. 3863.

l^fiiuiaor^g? Olympos, BGH. XVI 216.

Lallnamen. 341

'A^iäliov Phrygien, BCH. XVII 251.

^AuuaQOi\; Olympos. BCH. XVI 223 n. 65. Gen. "Afxua- QOVTog 218 n. 29.

l^/iiuEila Lvkaonien, Sten-ett III 158. Au/Jt?.a makedonisch: nach Mordtmann Ath. Mitt. VII 257, der Duchesne-Bayet, Mis- sion au mont Athos n. 55 (Saloniki) zitii't. Ath. Mitt. VI 136 (Apollonia in Neuepirus). BCH. XVII 371 n. 57 (Delphi).

Af.i}^6a habe ich nur in Boiotien gefunden (vgl. das gleich- gebildete lykaon. ^avoa) CIGS. I 763. 1971. . . ^löa, 2487.

AMBA. ^'A(.ißaoov ^ urjTQOTCohg tcuv OQvywv bei Stephanos , lässt eine Nebenfonn von anuiia, amba. in der Bedeutung 'Mutter' er- schhessen, welche auch das Sanskrit (amba nur Voc.) kennt.

N& f. Kihkien, JHSt. XII 229. 262. Nag Isaurien, Headlam n. 21. Die in Pantikapaion bestattete Nä, Inscr. Pont. Eux. n 116, war eine Phry gerin wie aus dem Xamen ihres Vaters Mäwig geschlossen werden darf.

^Erag r^ yvvr\, Tefeny, Sterrett II 63; die Wiederholung der Inschrift auf demselben Stein bietet Nag. JHSt. VIII 216 ff. n. 21. 29. 53. 'Evag N. f. Lykien: Reisen in Lyk. II 211. "Eva, II 256.

Ramsay (Cities and Bish. of Phiyg. 338) sieht den in Phry- gien nicht seltenen Frauennamen Ndig als ein mit griechischer Endung versehenes an.

.V^.Y^, NANNA.

Ndva Phi-ygien: Sitzgsber. d. Beri. Akad. 1888, 866 (Dory- laion). PeiTot Explor. arch. n. 88 = Le Bas III 775. Perrot n. 92. Le Bas III 816 = CIG. 3827 u (Kotiaion). Amer. Joura. of Arch. IV 19 (Palaiopohs). Arch. Mitt. aus Oest. VII 182 n. 42 (Sivri Hissar = JustinianopoHs). ApoUoiiia am Rhyn- dakos, Le Bas III 1082. Navag X. f. Le Bas III 786 (Appia) = CIG. 38571. Ndva Lykaonien: Sten-ett HI 235. Ath. Mitt. XIII 263 (Laodicea Combusta). Pisidien: Lanckoronski , Pisid. 259. Kihkien: CIG. 4412, Navag 4413; Nmri 4402. Patara JHSt. VI 356. Herakleia in Karien, Sterrett 11 17. Aghlan n 37. Ausserhalb Kleinasiens: Ndva Larisa Ath. iVlitt. VII

342 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

229 Z. 29. CIA. II 4002 (Grabschrift). Navac (KoU'Cwvog ade/.qr,) CIA. H 4003. Nana CIL. X 1954. Die Ndva in Pantikapaion, die Mutter eines Menodoros. Liscr. Pont. Eux. II 115, kann aus Kleinasien gebüi-tig sein.

Ndvog Sivri-Hissai- (Mitteilung A. Körte's) und sonst auch Ndvi'og.

Ndrva Isaurieu, SteiTett III 143. 155/6. Lykien. Reisen I 108. Xdvvii ebd. 189; Näv(.iri (sie) I 54. Ndvn: Olympos, BCH. XVI 218 n. 31. 224 n. 72. Ndwa Sinope BCH. XIII 304.

Navag m.. Gen. Navädog Pisidien: Sterrett 11 85.

NavvSg Isaurien, Steirett ni 57. 101. 256. CIG. 4396. Gen. Navvd, Stenett III 59. 93. [^a]vv5 III 74. Navvag Phrygien, CIG. 3831 ai-^.aie.

Navvoj, Acc. Navvovv, Kihkien CIG. 4411b. Bekannt ist die diesen Xamen führende Geliebte des Mimnennos von Kolophon.

Nuvvetg Isaurien^ Sterrett III 258.

Navvig Lykien, CIG 4244. Rhodos. C. I. Ins. I 40. 56. Troja, Schliemann, Bericht über die Ausgi'abungen in Troja im J. 1890 S. 31 ff. Ncalg ebd. 330.

Ndvig m. ? Rhodos, C. I. Ins. I Index (n. 1359: Ndviog s. ll^vdviogi.

Navia Phiygien CIG. 3881.

Ndviog Isaurien, Sterrett III 231.

Ndvvioi' Smp-na, Athen. Mitt. XIV 97. CIG. 3217. 3300. Halikaniass BCH. IV 405. Panamara BCH. XV 202. Ndwiov ^a^ia CIA. n 3300. Ohne Angabe der Herkunft CIA. II 836. 3529. m 3296. In der Bedeutung "Püppchen* Hetärenname.

Navoa Isaurien. Sterrett III 80. 96.

JSaviToa Pisidien CIG. 4366 n. Lanckoronski Pisid. n. 162.

Navrj'/Jg Lanckoronski Pisid. 75. 174 (CIG. 4366 o. q.). NuvvTfXig Lanckoronski Pisid. 32, Gen. Naviirikldog 150. 152 u. o. Dat. Na%nr^}.i 158, Nawr^lei 151.

NavvaQiov Hetärenname, Menander bei Athen. XIII 587 e.

'SavriQictvog Pisidien, BCH. XVI 433, setzt ein Nav^qig od. dgl. voraus.

Ndwa/Log Phrj'gien und Kos, s. unten S. 356.

Nmya^oag Pisidien, Lanckoronski Pisid. 58 gi.

Als letztos Glied eines Compositums 'Aq^ov-iavig Kib}Ta BCH. XIII 340 - Sterrett II 34. Als erstes Glied in dem anscheinend skji:h. Navo-ßakdf^vQog (Gorgippia, Inscr. Pont. Eux.

Lallnamen^ ^'*'^

11 401). der Boeckh CTG. IT Arid. p. 1007 n. 2131b wohl mit Unrecht verdäclitig schien ; mit dem zweiten Teil liat Krag den gotischen Namen Ba^d^iiqQOQ d. i. Walamcr (Wrede Sprache d. Ostgoten 57) verglichen.

Xonnos ^).

Ncvrog Lykaonien,, Sterrett III 25. 214. BCH. X 509. Kilikien CIG. 9182 = JHSt. XII 238 n. 21. Karpathos BCH. IV 269. Der Dichter dieses Namens stammte aus Panopolis. [N6]vvovg? SteiTett III 137.

Ndvva Laodicea Combusta, Ath. Mitt. XIII 257 = CIG. 2969. Novn-i ebd. CIG. 3989 b. Phiygien : CIG. 9266 = Ath. Mitt. XV 158. Perrot Explor. ai'ch. S. 128. n. 91. Mylasa, BCH. V 97. Für Nazianz durch den Namen der Mutter des Gregorios bezeugt.

'NoivvogLjkaomen. Steirett HI 53. 209. 39 = BCH. X 508. (vei"schrieben in No-/.voq) 509.

Novrag Galatien (bei Ank}Ta) Pen-ot Explor. ai'ch. n. 148. CIG. 414?! Phrygien: CIG. 3822 d. Gen. NovraSog Nakoleia, JHSt. V 260.

Novva/, Acc. JSovvovv Lykaonien (Isamien), Sterrett III 153/4.

Novojv, Isaurien, Sterrett III 95.

Ninnis

Nii'vig Isauiien, Sterrett HI 80. 132 (Gen. Nlwiog) 168. Nirig ebd. III 119. Nivvog Isaurien. Sterrett III 86 (ver- sckrieben für Nlrviog Gen. ?).

Niwiov unbekannter Herkunft, CIA. 11 3461 und auf einem kürzlich gefundenen rotfigurigen Pinax von der Akropolis (der 1. Buchstabe verstümmelt).

Nivetg Kihkien, CIG. 4412. 4413 (Gen. Nli'ei). Ikonion, 4003 b (Dat. Ntvei).

Zweifelhaft ist mir die Zugehörigkeit von Nlvei!' (Gen. Nive- nog Kihkien, CIG. 4413. 4414. Vgl. babyl. EN. Ninep, Tu- guUininep. Xineppalekur) und ^Aviviaaig auf einem Verwünschungs- täfelchen aus Phrygien, BCH. XVII 251 n. 27i6: 'Oi'i]0ii^ov Tov avTiov ^viviaoi).

1) Vgl. Italien, nonno Grossvater, nonna Grossmutter.

344 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

Nenis.

NfiVig KiHkien JHSt XII 249 n. 276 0.-7 4. 79 (G. Nijviog). Ljkaonien, Sterrett III 79. 84. 92. 99. 123. Lykien, Reisen II 92 (Nrivio(i)g?). Auch enthalten in Tedi-virvig, Kilikien. JHSt. XII 266 n. 58 (zur Analyse vgl. Teöi-agig ebd. 247 n. 2733) und lyk. IleQTte-vrjvig, Reisen II 27.

JSevdgiog Kilikien, Hicks JHSt. XII 247 n. 273o. 32. 34 u. ö. (Hogarth NEX^OPMIO^). Nerdoiv Acc. f. Kilikien, CIG. 4405. Vgl. auch Nsvi-y.d^itdig Kilikien, JHSt. XII 247 n.2794, dessen Analyse durch pisid. 31ev6-/Miug (Lanckoronski Pisid. n. 242) gegeben ist.

ANNA.

^'^vva KiHkien, Le Bas III n. 1458. Pamphylien, Lancko- ronski Pamphyl. n. 20. Pisidien: BGH. IH 339. 344. Steirett in 421. Lanckoronski Pisid. n. 187. Lykien: CIG. 4315c = Reisen in Lyk. II S. 72 Anm. BCH.^ XVI 439. Isaurien, BCH. JY 198. Ikonion, CIG. 4003b. Phrjg. Antiocheia: Sten-ett III 624. 625. "Avvdg 0Qvyia, I. G. Ins. I 895. "^vwi : Olj-mpos, BCH. XVI 219 n. 35. Unbekannter Herkunft.: CIA. II 3464. Der Xame begegnet auch öfter auf christlichen In- schriften, welche im CIG. Register verzeichnet sind, und geht als chiisthcher Pei-soneiiname auf die heilige Anna zurück (Luc. 2, 36), ist also hebräischen Ursprungs (n^rn).

"^vn Vocativ: Odessos, Ath. ':Mitt. X 320 n. 10.

"^vviov ]\Iagnesia a. M., Ath. Mitt. XIV 105.

'!/4>'vaxog Kos, BCH. XV 673. ^Avd/.ri bei Koraana in Kataonien. BCH. VII 139.

Vgl. ^AvvvXa Dodona, Dittenberger Syll. n. 429.

]\Iit Variation des Vokals "Ovvr^g, phrygisch , Nikol. Damasc. fr. 54, FHG. III 388.

PAPA, PAPPA. riartäg, (\en. Uanä: Kilikien, JHSt. XTI 249 n. 2754. loi. Lykaonieni) und Phrygien: Sterrett III 138. 343. 344. 366. ,373. 376. 337. 343. 366. 369. 382. Ath. Mitt. XIII 236. 237. CIG.

1) Der heilige Papas stammte aus dem lykaonischen Laranda: Acta SS. 16. März p. 419.

i

U

Lallnamen. 345

3822 e. 3823. 3830 = Ath. Mitt. X 13. BCH. VII 454. Ky- zikos: Ath. Mitt. X 20. Karlen: CIG. 2943. Die s-lose Xomi- nativform nana in Laodicea Coml)usta: Ath. Mitt. XIII 261; in Eskischehir nach Mitteilung A. Körte's. Der Gen. IJaTtäöog Sterrett III 366. II 158, Dat. nanädt Ath. Mitt. XIII 264. Ausserdem treffen wir den Namen in Thrakien (CIG-. Add. 1997 c. Tomaschek Thraker II 2, S. 18) und am kimmerischen Bosporus (Inscr. Pont. Eux. II Regist.).

ndTVYjg, Tefeny (Phrygien), Sterrett II 60. Anazarba (Ost- kiHkien) JHSt. XI 239 n. 5 Lydien, BCH. XIII 86. Auch in Kertsch, Inscr. Pont. Eux. II 188 ^ Der Gen. IlaTcov (Ko- mana BCH Yll 136. Eumenia YHI 236. Kihkien JHSt. Xn 255 n. 27 163. Rhodos, J. G. Ins. I 2) kann ebensowohl zu ndTtijg wie zu UccTtog (Reisen in Lykien I 81, vgl. UctTiTvog) gehören.

nartTtag, Lykaonien: Sterrett III 47. 86. 88. 89. 91. 94. 104. 129. 132. 135. 173. 179. 268. 260. II 225. Phrygien CIG. 3865 i.

n^TtTtog, Lykien CIG. 4240 c. Olympos, BCH. XVI 216 n. 19 = CIG. Add. 4325 d. Diese Form begegnet häufiger ausserhalb Kleinasiens z. B. in Athen, wo sie vielleicht Spitz- name in der Bedeutung 'Zwerg' war: CIA. HI 3. 1104. 1192, in Phanagoria, Pantikapaion. Tanais usw., Inscr. Pont. Eux. II Regist.

Ilaitiag ausserordentlich häufig, besonders in Phrygien und Lykaonien (ich gebe nur eine kleine Auswahl): Sten-ett III 205. 373. 376. 37. 90. 155/6. 481 (Günen .^ Konana). BCH. XYll 246. VII 302 (Synnada). 307 (Apameia). ^T:II 248 (Eumeneia). Rev. des etudes gr. II 31 (Apameia). Le Bas HI 741 = CIG. 3912a (HierapoUs). naTtiag (Dqv'§ C. I. Ins. I 537. Kihkien: JHSt. XII 263 n. 47. Le Bas III 1397 (Seleukeia). Karien: CIG. 2763. 2764. 2775. 2785. 2787. 2788. 2834. 2840. 2842 (aUe aus Aphrodisias, wo der Name besonders behebt war, vgl. UaTTiag "AfpQoÖEiaevg, Tibur, IGIt. 1237). Lydien: Le Bas HI 678. BCH. XI 86. 449. Smyrna CIG. 3377 u. ö. nuTtiag ^aodiavog (Rom) IGIt. 1926. Mysien : BCH XVH 533. Me- sembria: Ath. Mitt. IX 222. Pen-ot Expl. arch. n. 49 (Ky- zikos). Ausserdem begegnet der Name sehr häufig im Norden des Schwarzen Meeres (Inscr. Pont. Eux. I u. II Register) und vereinzelt sonst, z. B. auf Tenos (CIG. 2346b), Lesbos (2211g).

346 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

nanTziaa, Mvkonos, Dittenberger Syll. 43383. Phrygien, CIG. 3953 h. Le Bas HI 718. Olbia: CIG. 2068 = Inscr. Eux. I 84. -

TIaTiiwv, Lagina, BCH. XI 12 n. 6. Kilßimov nediov: Ath. Mitt. XJy 100. na^rricjv: Lykien Reisen I 51 51.

nÜTCTtiov, Lykien, CIG. 4300 l

UuTtiavoc, TJumavq könnte auch zu lat. Papins gehören: Lydien BCH. XI 449. Le Bas HI 649 = CIG. 3421. Phiy- gien. CIG. 3846 z. ee. nartTtiavög, Phrygien. BCH. XVII 274. UaTtiaiva, Panamara BCH. XV 182.

JlaTtoeivog, Isauiien, Sten-ett III 111.' setzt ein JJaTtoag (wie ßaioag. Naroa, ^Aufxoa) voraus.

nuTtvloQ Kihk-ien. JHSt. XII 230. CIG. 8857. Synnada, BCH. VII 302. Aphrodisias ebd. IX 80. Srnj-ma, CIG. 3286. Vgl. nantlog ^laroiarög, CIA. II 3041. na7tv'A[og], Adriano- pel, :\Iitt. aus Gesten-. VIII 200.

IlaTraöiov Olbia. Inscr. Pont. Eux. I 58.

APPA.

Die Fonnen mit einfacher Konsonanz (Arziu, "Aniag, ^Acfiag, Arta'/.og usw.) sind selten. Sehr häufig erscheint der Labial aspirirt {rf, rtcp, (fcf). wie im griech. uncfa.

^ATTTtüg masc. (Gen. ^Aurtcc, selten ^ ATircabog, Sten-ett 11 366; Dat. ^AtijIo) : Lykaonien und Pisidien, Sterrett III 57. 366. 373. 375. 376. 379. 382. 579. 590. II 167. JHSt. XI 161 n. 9. Athen. Mitt XIII 236. 254. 264 (Laodicea Combusta). Komana in Ka- taonien: BCH. VII 129. Westkihkien: JHSt. XII 257 n. 28 10. Seleukeia: LeBasinn. 1400. Phrygien: BCH. VII 454 (Sebaste). Le Bas III 803 = CIG. 38271 (A^f7z[a], Kotiaion). Rev. d. etud. gr. III 54 (Rln-ndakos-Tlial). Le Bas IQ 1783: Nikaia. "ArtTtTf f., Laodicea Combusta, Ath. Mitt. XHI 270. Phn'- gien: CIG. Add. 3827 x u. ö. Sivri-Hissar, Mitt aus Oest. VII 182 n. 42. "^TtTtr^g Nora. f. Phrjgien: CIG. Add. 3846 0. 3827g = Le Bas III 818 (Kotiaion). "'Ant^g Phr>gien. CIG. 3846 z ". "'A(pri: Prusa CIG. 3720. "Artipy. Chalkedon in Bitliyuien CIG. 3796. Galatien, CIG. Regist. Pantikapaion , Inscr. Pont. Eux.

II 217 (IV. Jh. V. Ch.). "A(f(fr^ Smynia, CIG. 3390. Claudio- polis in Bithynien, Perrot Explor. arch. n. 28. Kotiaion Le Bas

III 805 = CIG. 3827 q; mehrere andere ])hrygische Beispiele im CIG. Reg.

I

Lallnamen. 347

"Ldn^oQ oder ''^7Cffovg, Kios in Bithynieiij BCH. XV 485. Kyzikos, Ath. ]Mitt. VI 46: beidemal der Gen. ^^mfov.

['^]qq>orc, Biledjik rBithyiiieii) Ath. :\[itt. XIT 183, sclieint masc. zu sein (^vdooTta^og /.ai (^)(p(povQ /.cd ^^7to?.cjriog oi ^■li{k)XEog). ^ATccpovg, Dat. ^A7tq)ov Modrenae, Perrot Explor. arch. n. 43.

^^TtTtia mit den Xebenformen ^Arcia^ ^Aqia, ^^itq^ia, ^^(fqia ist sehr verbreitet in ganz Kleinasien: die meisten Fälle gehören wahrecheinlich hierher, bei einem Teil handelt es sich aber um lat. Äppia. Belege findet man in den Registern des CIG., BCH. und der Ath. Mitt. ; ich führe nur die für die fem, Xo- minatiA"form auf -tag an: "Aq^iag Perrot Expl. arch n. 84. ^Afffftag Lydien, BCH. XI 470. Prokonnesos, CIG. 3697. Philomelion CIG. 3983. "Artqiag: Lydien Le Bas HI 692. Tempel des Zeus Panamaros, BCH. XV 195 n. 138^4. Tralles, BCH. V 342. Dat. UTtcfLÜdi: Balbura. CTG. 4380 k^.

^Artiag m. . Gundani (Pisidien) Sterrett III 366. Ikonion, BCH. ATI 314. '^Ttcfiag Olympos, BCH. XVI 217 n. 21. ^^(fiag, Sterrett III 594.

^LlTtcfiov, "^(fqiov fem. Tempel des Zeus Panamaros, BCH. XII 100. XV 181. 195. 198 u. ö. Lagina, BCH. V 186. 190. XI 13. Stratonikeia CTG. 2733, Aphrodisias 2836, Smyma 3295. Tralles: BCH. VII 277. Phrygien: BCH. VIII 236. 247. Ath. ]VIitt. X 16 ('Artipiov). CTG. Begist. Lykien: Reisen II 109. CTG. 4207. Anc\\"L4(fiov, "!Acfeiov finden sich, CIG. Reg.; femer '!A7T(pEiv in Smyma CTG. S218 . "AcfCfEiv ZuvQvaia, Inschr. v. Charaki bei Kyzikos, Ath. Mitt. IX 63.

AnaXog, Komana BCH. ATI 147, von Apa gebildet wie .^■ixxaXog von Atta.

^^TKpaQLo, M}Ta. Reisen in Lyk. II 69. ^ATccpuQiov, Lydien, CIG. 3277. Paphos, 2637.

^ATtnäöiog (Gen, oder Xom.?), Reisen in Lyk, II 27.

^.Ancfvg Philadelphia, Le Bas III 662; vgl, urccfvg "Papa'.

TA.

Dieser Typus ist nur sehr spärlich verti-eten: Töc, Laodicea Combusta, Ath. Alitt. XHI 257. [TPJag, 267. Taoc, Phila- delphia, Ath. Mitt. XII 256, könnte auch für Jctog stehen, wie Thiivog Ath. Mitt. XIII 261 n. 87 für Jöpvog.

348 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

TATA. TAT TA.

Tara fem. Lykaonien: Sterrett II 191. 202 (bei Konia). JHSt. XI 166 n. 30. Sterrett III 258 (m. oder f.). Phrygien: BCH. XYII 243. 245. ^TII 248 (Euinenia). Sterrett III 556. 612. 615. BCH. U 264 (Ormeleis). Rev. d. et. gr. II 34 (Apameia Kibotos). Karien: Le Bas III 1602. 1640. Lydien: BCH. THI 381. Kolossal: Ath. Mitt. XYIII 206. Rhod. Peraia: BCH. II 264. Mysien. Le Bas III 1079. Tärri Kibyra. BCH. XVIII, 554. CIG. 3956d, Add.f?). Nom. fem. Tcuag Headlam Isauria n. 27. Sterrett III 83. Masc. oder fem. : Aizanoi Rev. d. etud. gr. EI 74. Vgl. thrak. Tara Dnmont Mel. d'arch. S. 557.

rdTvaf. Lykaonien, Sterrett III 142. BCH XI 66. Bei Sterrett in 100. 565 lässt sich nicht entscheiden, ob Tazra eine Frau oder einen Mann bezeichnet. Als Ortsname erscheint Tärra für den Salzsee in Phrygien. Aus Serbien führt HomoUe bei Dumont a. a. 0. einen Beleg (Mitt. aus Oest. X 212) an.

Tazäg masc: Lykaonien: Sterrett III 223. JHSt. XI 164 n. 22. Ath. Mitt. XIII 265 (Laodicea Combusta). Headlam Isauria n. 32. Phrygien: Le Bas III 810 (Kotiaion), CIG. Re- gist., Sitzgsber. d. Berl. Akad. 1888, 866 (Dorylaion). Pisidien: JHSt. VIII 229 {-/itüurj 3IoaiQi(j)v). Sterrett II 84. Karien: BCH. IX 341 (Hera'kleia Salbake). Lydien: BCH. VIII 382. Auch thrakisch: INIesambria, Dittenberger Syll. 3394 = Ath. Mitt. IX 223.

TaVoc, Smyrna, Le Bas III 1532.

TctTzriQ, Gen. Tazziovg, Lykien CIG. 4321b. Tazrig Kibyra. BCH. XV 554.

Tazig Phrygien: Le Bas III 786 = CIG. 3857 i. Sterrett III 469. 487. 522 (Dat. Tazl 487). Tazzig Headlam Isauria n. 14.

TaxBig (Dat. Tazei, Reisen in Lyk. II 209. Taze'tdt Lao- dikeia Ath.':\ntt. XIII 264). Phrygien: Le Bas HI 792. 808. 814. Stenett 111 596. 579. BCH. VlI 312 (bei Apameia Kibotos) Amer. Journ. of Arch. IV 20 (Palaiopolis). CIG. Reg. Laodicea Combusta Ath. Mitt. Xlll 270. 271. Lykien, Reisen in Lyk. II 213. Bithynien (Thal des Pursaktschai) , Mitt. aus Oest. \^I 179.

Tazia^ überall in Kleinasien verbreitet, besonders aber in

Lallnamen. 349

PhiTgien : SteiTett III 505. 538. BGH. Till 243. 249. 250 252 (Eumeneia). Le Bas III 720. 725. 727 (Trajanopolis). 789 (Appia) - GIG. 3857h. Le Bas III 802. 810. 811 (Kotiaion). Lykien: BGH. X\T[ 224 (Olympos). Lydien: BGH. XI 469. I 86. Ich verweise ferner auf GIG. Reg. Tcaeia, Lydien, BGH. XI 450. 473. Apameia, BGH. YII 309. Die Xominati\^orm Tavtag (fem.): Tempel des Zeus Panamaros, BGH. XII 85. 253. 254. 256. XY 200. 208. 181. Lagina, Rev. et. gr. V 412. Lydien XI 450. Le Bas III 632. 640 (Sardes). Phiygien: Le Bas III 803 = GIG. 3827i. III 814 = 3827 aa. PeiTot Expl. ai-ch. n. 72 = GIG. 3827 y (Kotiaion). Le Bas HI 780 = GIG. 3857 t (Bennisoa). Mitt. aus Gest. VII 185 (Pes- sinus).

rdcTior' f. Phrygien: Le Bas III 797. 803 = GIG. 38271. BGH. XVII 276. GIG. Reg. Lydien: Le Bas III 709 (Silandos). GIG. 3270 (Smyrna). Phokaia, BGH. X 328 {owayioyri xwv 'lovdaitovj. Xotion BGH. XVIII 219. Rhodos: G. I. Ins. I 642. Lykien: Reisen II 233 A, Frau eines Mannes aus Melite; GIA. II 2342. Tarioi' unbekannter Herkunft, IGIt. 1379.

TcaccQLOv, Lagina. BGH. XI 147. Tempel des Zeus Pana- maros, XV 195. TcacLQLv, Phrygien, GIG. 3954 = Le Bas III 1693 a. Tatarium, Philadelphia, GIL. III. Suppl. 7103. Unbe- kannter Herkunft: GIA. III. 3139. Tavigag? Lanckoronski Pisid. n. 232.

TaTa/.og (vgl. "^rva/.og, Nüvva-Kog): GIG. 3846z ^s = Le Bas in 935 (Aizanoi).

Tatovvijg Liest Mordtmann auf einer bithynischen Inschrift, Sitzgsber. d. Berl. Ak. 1888, 873 n. 19, Ath. Mitt. XIV 315 mit Vergleichung von ^^novvr^g.

Tataza ist thrakisch : Dumont Mel. d'arch. 557.

Mit Variation des Vokals:

Terr^g, Gen. Textovg Kilikien JHSt. XII S. 247 n. 27. GIG. 4412.

TiTTig, Lykaonien, Sten-ett III 142. 235. Vgl. auch skyth. TiTiovg, Pantikapaion, Inscr. Pont. Eux. II 293 8.

TÖTzrig, phrygisch, Nikol. Dam. fr. 54, FHG. IH 388.

ATA, ATTA. l^TTÜg masc, Gen. L^rr« (BGH. XVI 155 n. 7) und '^r-

350 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

xaxog (Lanckoronski Pisid. n. 116): Karamanlü, Sterrett II 38 15, Geumeuh, E,ev. d. et. gr. III 71. Ein Gesandter aus dem pi- sidischen Prostaenna heisst auf der in Delos- gefundenen Inschrift zu Ehren des M. Antonius BCH. XVI 155 n. 7 L^rrßc. ^.Ata in Tymandos, Sterrett III 566, ist inkorrekte Schreibung für ^ Atiu ; der Steinmetz hat auch jrdjT<;i und ^ttoXiui'i'i;! geschrieben und andere orthographische Fehler begangen. Ikonion, Sterrett II 208. Unbekannter Herkunft 'Atvag auf einer att. Grabschrift, Ath. Mitt. XII 290. Samos, Ath. Mitt. IX 263. Häufig ist der Name auch im Norden des Schwarzen Meeres, Inscr. Pont. Eux. I und II Regist.

^teq: phryg. Inschrift des Midasgrabes.

^'^rr>;g : Tefeny, Sterrett II öbn. 72-. Reisen in Lyk. II 218. 219. Pogla (Pisidien) BCH. XVI 423 n. 52. Gen. UcTT^ Sterrett II 385 (Karamanlü). 80 (Kaldjik). BCH. XVI 424 (Pogla). ^^vreoug Lanckoronski Pisid. n. 125 130. Reisen in Lyk. II 182. Ein KäaiQov l4Teovg (nicht ^Aceovg) citirt Ranisay Geogr. of As. Min. 144 aus Georgios Monachos. ^'Ac- ^r^öog. Tefeny, Sten-ett II 54 = BCH. II 62. Die ionische Genitivbildung "Atteio (vgl. Ti^gao) etc.) in Odessos, Athen. Mitt. X 318 (woraus der Verfasser des Registei-s inig einen Nom. "AtcetoQ. ein Gegenstück zu Pausanias' Atoxeiog, gefolgert hat) und in der Litteratur z. B. Plut. Numa c. 4, wo von dem gött- hchen Geliebten der Kybele die Rede ist; vgl.^Alv-äxtEU) Nikol. Dam. ft-. 63, FHG. III 396.

^'AcTig == "AxTtjg phrygischer Gott; als Name eines Priestei-s in Sivri-Hissar (Mitteilung A. Körte's). Ein Paedagoge heisst so auf einer attischen Grabstele, Ath. Mitt. XII 97. Attis fem.. Lykaonien, Sterrett II 264.

"Azvg, ^'AzTvg, lydischer Name. Abgeleitet davon scheint ^Azvävag (aus Adramyttion). Vgl. auch thessal. ^Acivlag GDL 332. 340. Von "AtTvg der Stadtname "Acivda, "Ai- zovd{6)a.

"Avvalog, Name der pergamenischen Dynasten und dadurch in ganz Kleinasien in Mode gekommen. Inkorrekt 'AiaXog Sterrett III 510. Eine alte Nebenform 'Acrälr]g Nikol. Dam. fr. 63 Müll. (Sohn des Lyderkönigs Sadyattes), in Kyzikos Ath. Mitt. VI 46, Gen. "Atväino Hipponax fr. 15. Den 1yd. Stadt- namen ^AciäXiöa führt Stephanos auf den Gott 'Liciig zurück, er weist aber zunächst auf die Nebenform "AvcaXog.

Lallnamen. 351

^Axtä-Ttivig. Perrot Explor. arch. n. 73, wohl Kompositum. Skytliisch sind die zusammengesetzten Namen Aza-y.ovag, Inscr. Pont. Eux. II 402. 404, ^Axia-Aoac. 403. "Aia-uaCag, ^Avia- ßüLC.a(i 402. 409, sämtKcli aus Gorgippia; in Tanais ^Acauäliag 455. Hier kommen auch die Ableitungen ^Attiuc. 456 und ^'AiiaoiQ 389 vor.

KAKA.

Ka/Mf-wag, Kilikien, JHSt. XII 267 n. 59. Zweifelhaft ist. ob auch 'A/.a-/.ig m. (Smyrna Ath. Mitt. XIV 95) hierherzuziehen ist, wahrscheinHcher, dass der lykische Gottesname Ka/.aößog (Reisen II u. 7. ]\Iitt. aus Oest. VII 124), Ka/.aaßevg (auf einer Gemme, Mitt. aus Oest. XIII 126) hergehört.

KAKKA.

Kd/./.ag (oder ffaz/a?, vorliegt nur der Acc.) Isauiien, Sten-ett ni 103.

Ka/./.ig f. Lykaonien, BCH. XI, 67.

Mit Variation des Vokals gehört vielleicht Ki/.oi (Sterrett II 75 lo), Ki/.y.og (ebd. II 48. 73), kaum auch kar. Ko/./Ja (Lydai, JHSt. X 57 n. 8. 59 n. 10) hierher. Skythisch ist Xdxag, Gorgippia, Inscr. Pont. Eux, II 402^4.

AKRA. "Ay.y.a Lydien, BCH. XAT:II 327. Phrygien. Sivri-Hissar (Mitteilung A. Körte's).

l4/.'/,iaig Isaurien, Stenett III 165.

Vgl. auch den phrygischen Ortsnamen l4/:/Ä).ai or von ^A/./.ilag.

LA.

A5, Acc. Ada; Kilikien. GIG. 4406. 4409 (?). In der Bi- Hnguis von Autiphellos entspiicht dem griech. Gen. lyk. Hlah (Nom. Hin). Daneben ^Eläg am Trogitis-See, Sterrett m 214. das sich zu La verhält, wie ^Eva zu Xa.

LALA, LALLA. Adlag 'loavQog, Sterrett III 66 (Astra). Aaloa, Isaurien, Sterrett III 139.

AdXla Lykien, Reisen I 52-20. 23. 114. BCH. X 63. 64. Adlltj Lanckoronski Pisid. n. 55. 122.

352 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

Hierher vielleicht auch kilik. AiXovq Xom. f.. JHSt. XII 266 11. 58, mit Variation des Vokals.

^tc'Xa. auch thrakisch: Dumoiit-HomoUe Mel. d'arch. S. 401.

Von AuIm sind einige kleinasiatische Ortsnamen abge- leitet: Aakavdoa Kanisay, Rev. des etudes gr. 1889, 21. La- landum ^vimQn, Ramsay Geogr. 421. AaKuooEic, Actlioaröög. ebd. 366. AaKa/.aov 77.

SA. ^a Isaurien, SteiTett III 141. 157.

SASSA.

^daaig, Isaurien, Steirett III 61. Skythisch ist ^doag, Inscr. Pont. Eux. H 67. 390. 443. 199'.

^dooiOLiog, HaUkaniass. Dittenberger Syll. 640, niit dem oben behandelten m-Su£fix.

FragHch ist. ob mit Variation des Vokals ^loivrig (kappado- kischer Fürst, Strab. XII 537, ^KJivvt^g Appian. bell. civ. V 7. ^loivt^g : Ikonion, Sterrett 11 215) hierhergehört. Der Name ist höchst wahrscheinlich persisch: vgl. Arrian. Anab. I 25, 3. VII 6, 4, pers. ^loäurr^g, ^lor/.OTTog, ^iGif.iid^Qrig; s. Six Numism. Chron. 1894, 302, Justi Iran. Xamenbuch s. v.

SUSÜ. JSovaoi; indekhnabel (Phiygien und Lykaonien): Nom. JHSt. XI 163 n. 17. Dat. ebd. S. 166 n. 27. Sterrett II 156 (unvoll- stäncUg 166). Gen. od.Nom. Athen. Mitt. XIX 310. BGH. X 506. Die Herausgeber haben mit Unrecht eine syntaktische Verwechs- lung von Gen. und Dativ angenommen: die Verwendung von ^ovaov auch als Nom. zeigt, dass der Name indekhnabel ist und in der Verdopplung der Silbe su besteht (vgl. franz. Loulou). Der Name begegnet auch in Thrakien (Madytos, GIG. 2016 c. Dumont Mel. d'arch. 449).

ASSA. "Aoaa, Lanckoronski Pisid. n. 244.

VA VA. VOVA. Oidoiag m. (nur Dat. Ovciova vorhegend), Tefeny (Ormeleis) BGH. II 265. Ovuv[agl Lykien, Reisen II S. 157. Owovag ebd. IT n. 194. BCH. XVT 439.

Lallnamen. 353

Es ist bekannt, dass Wörter dieses Typus als Bezeichnungen von Vater und Mutter in ziemlich allen Sprachen der Erde vor- kommen; eine reiche Sammlung von Belegen hat Buschmann, lieber den Naturlaut (BerHn 1853, S. A. aus den AbhaiuU. der Berl. Akad.), gegeben; vgl. auch A. d'Orbigny, L'homme americain I 162 f. Die Ursache dieser Erscheinung ist klar: jene Wörter sind nichts weiter als die ersten stammelnden Laute des Kindes, welche an sich bedeutungslos ei-st von den Eltern auf die im Yoi-stellungskreise des Kindes liegenden Dinge, in erster Linie auf Vater und Mutter selbst bezogen werden. Schwieriger ist es zu ermitteln, wovon bei diesem Vorgang die Verteilung der Be- deutung abhängig war. Dass sie teilweise rein zufällig war, geht aus den Bedeutungsdifferenzen in den verschiedenen Sprachen hervor. So bedeutet haha in der KJiparesprache (Ostafrika i) 'Grossvater', koko 'Grossmutter', während sich in indogermanischen Sprachen aus kaka ein Verbum cacare entwickelt hat : gi'. ■/.av./.av (mit Verdopplung des inlautenden Konsonanten), lat. cacare^), nhd. kacken 3), russ. kakaft, serb. kaknuti. poln. kakac. haba, das in den meisten Sprachen Lallname des Vatei's ist, bedeutet in der deutschen Kindersprache mit dem Ton auf der ersten Silbe 'Bett', mit „stark geschnittenem Accent" auf der zweiten "Schmutz'. impa. sonst ebenfalls Name des Vaters, bezeichnet im Lateinischen (papare, j^cppa^'e) und Deutschen (pappen) auch 'essen' (von Kindern) und hat ausserdem in einigen Sprachen das Wort für Brustwarze hergegeben: lit. päpas, lat. papUla. Dagegen war in der griechischen Kindersprache uajuf.iäv das Wort für 'essen' (Hesych. s. v.). Im ItaHenischen bedeutet nonno Grossvater, nonna Grossmutter, nanna schlafe! (vgl. neugi\ vavc).

Daneben zeigt sich aber auch unverkennbar Prinzip in der Bedeutungsverteilung. Man hat längst bemerkt, dass wo diese Lallwöiier für Verwandtschaftsbezeichnungen verwendet werden,

1) Baumann, Usambara und seine Nachbargebiete, 1891, S- 342.

2) Mit lit. szikü hat cacare nichts zu thun.

3) Das Wort braucht nicht aus dem Lateinischen entlehnt zu sein. Kluge's Einwand, dass es dann Verschiebung des k zm h erfahren haben müsste, ist nicht stichhaltig, da sich derartige Lallwörter der Lautver- schiebung entzogen haben: vgl. d. papa, got. atta u. a. Dass kacken erst bei nhd. Lexikographen bezeugt ist, ist bei einem Wort dieser Bedeutung nicht aufiallig, zumal es eigentlich nur der Ammensprache angehört. Auch skr. pardate = Tiigdeiv ist nur bei Lexikographen zu finden.

Kretscbmer, Einleit. in d. Gesch. d. gx. Sprache. 23

354 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

an die Konsonanten p und t sich vorzugsweise die Bedeutung 'Vater' oder anderer männlicher Verwandter z. B. Grossvater, an m und n dagegen die Bedeutung -Mutter, Tante, Amme' knüpft. Man wüi'de freiUch irren, wenn man diese Regel für ausnahmslos hielte. Buschmann hat sogar eine ziemlich grosse Zahl von Ab- weichungen aufgefülu't. von denen ich freihch nur einen Teil gelten lassen kann^) z. B. araukan. papai Mutter, kuril. aapii. koljusch. (Nordwestamerika) attli dgl. , gr. trii^r^ Grossmutter, TiT&i] Amme, zr^d^ig Tante, anderei-seits neuholländ. mammun, tungus. ammu, ammen, bei den Blackfoot-Indianem ninnah, sorb. nan, kleinruss. nano 'Vater 2); auf den Salomonsinselu ma Vater, te Mutter (Hagen, L'AnthroiJologie IV 212). Demgegenüber ist aber die Zahl der der Regel folgenden Fälle doch noch so gi'oss, dass hier mehr als blosser Zufall im Spiele sein muss. Eine einleuchtende Erklärung der Erscheinung ist bisher meines Wissens nicht gegeben worden; die von Buschmami (a. a. 0. S. 4) ist ganz im Stile älterer Linguisten: „Wie sinnig spricht sich nicht das Naturgefühl darin aus, dass für den Vater die starken Laute, die harte oder weiche Muta, für die Mutter die völlig abge- ebneten (?), ruhigen Consonanten bestimmt sind, welche nur als eine sanfte Grenze noch den Mutis angehören 3). Wohl ist es erlaubt hier eine neue Wirkung der grossen Natur zu bewundern, ihr stilles Schaffen nach einfachen und sinnigen Gesetzen." Wenn ich eine weniger poetische Erklärung des Vorganges aufstelle, so kann ich mich auf die Aussagen sachverständiger Mütter stützen. Sie behaupten, dass das Kind die Laute ma-ma früher hervor- bringe als die Laute pa-pa\ letztere machen ihm mehr Schwierig- keiten und werden erst später zu Stande gebracht. Ursache ist wohl, dass das Kind die Muskeln des Gaumensegels noch nicht genügend zu regieren versteht. Da nun die Mutter, die Amme

1) So kann Japan, fafa 'Mutter' mit / doch nicht ohne weiteres mit papa auf eine Linie gestellt werden. Von 606a, dada mit Media wird so- gleich die Rede sein.

2) Vgl. auch Hesych. vävvav xov rijg /htjtqo; i] tov naiQo? a6eXq)öv' Ol de xrjv TOVTCor dSeXtpi^v.

3) Zur Erklärung dieser sonderbaren Ausdrucksweise muss hinzu- gefügt werden, dass Buschmann sich weigert, m als Nasal zu bezeichnen, wie er denn überhaupt den Ausdruck der „neuen Grammatik" : Nasale verwirft und durch , .stumpfe Consonanten" ersetzt wissen will.

I

Lallnamen. 3o5

und andere weibliche Angehörige sich mit dem Kinde in seinen ersten Lebensjahren weit mehr beschäftigen als der Vater, so ist es begi'eifiich, dass sie die eisten lallenden Laute auf sich be- ziehen, während der Mann erhält, was übrig bleibt. NatürHch war so nur der ursprünghche Vorgang, durch welchen die Be- deutungsverteilung ein für alle mal geregelt ist.

Kehren wir nunmehr zu den kleinasiatischen Namen zurück, so können wir auch hier deutliche Anzeichen desselben Usus er- kennen. Von den Typen papa^ atta sind fast nur männhche Personennamen abgeleitet, von na, anna, nana fast nur weib- Uche und von ma, mamma, amma wenigstens weit überwiegend weibliche; feminines ^Af.tiua, ^'^f^fxiov ist ungleich häufiger als masculines ^A^iuiag. Auch ada Avii-d fast nur weibhch verwendet. Dagegen lässt sich in dem Gebrauch von baba, appa, tata keine feste Regel nachweisen, und für die Formen mit Media baha, dada eigentlich auch aus anderen Sprachen nicht gewinnen. Im Ganzen werden baha, dada nach der Zusammenstellung von Buschmann häufiger mascuHn gebraucht, aber doch zuweilen auch weibhch, z. B. in den idg. Sprachen : gemeinslav. baba altes Weib, Grossmutter gegenüber türk. baba Vater, woraus bulg. habä, serb. baba Vater, mit anderer Vokalisation ahd. Buobo aus höho Bube; lit. dede 'altes Weib', gewöhnlich aber 'Onkel', asl. dedü Grossvater, kleinruss. dede Vater. Noch weniger lässt sich über die viel seltneren Typen lala und vava Bestimmtes sagen.

Dass aber -svii-khch in Kleinasien die Formen papa, atta mit männhcher Bedeutung, ma, amma, nana mit weiblicher verknüpft waren, wird vollends ausser Frage gestellt dui'ch die kleinasiati- schen Göttemamen. 'Wrrjjg, '^ttiq heisst die männhche Gottheit der Kleinasiaten, der Gehebte der Kybele wurde aber auch als ndnag angerufen (Diod. IJl 58). Mä, ^^ixi-da, l4uf.iag wai'en die einheimischen Namen der /.leyalrj juif^^^, der Hauptgöttin Kleinasiens. Ndva heisst die Tochter des Flussgottes Sangarios, die Mutter des Attys '), offenbar nur eine andere "^/.ij-idg. Der Name "^wa tritt uns zwar in religiöser Verwendung nicht ent- gegen, dass er aber mit Ndva gleichwertig war, lässt sich auf

1) Arnob. V, 6. Auf göttliche Verehrung der Nana, die von den Griechen wie die Aramas mit Artemis identifizirt wurde, weist die Weih- inschrift des Peiraieus, CIA. III 131: 'Aore,uidi Ndva.

23*

356 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

anderem Wege erweisen. Der phrrgische Methusalem, dessen Name in der Form Ndrva/Mg in verschiedenen Sprichwörtern verbreitet war^), hiess nach Stephanos in Ikonion "L^way-og, das nicht, wie Meineke frageweise äussert, aus Nccvvay.og verderbt ist, sondern eben die alte Nebenform davon darstellt. Bezeichnend für dasselbe Verhältnis ist auch, dass auf Kos der Vater eines Navvayiog den 'Namen 'L4vr'ay.og führt ^).

Diese Göttemamen verbürgen uns zugleich, dass die Lall- namen den kleinasiatischen Völkern von Haus aus eigen, nicht etwa nur durch die eingewanderten idg. Phryger und Bith}Tier zugebracht sind. Aber auch die umgekehrte Annahme ei'scheint ausgeschlossen, dass die Phryger sie erst in Kleinasien kennen gelernt und angewendet haben; nicht nur bei den stammver- wandten Bithynern und Thrakern, nicht nm- bei den Hellenen, die sie teilweise von Kleinasien aus erhalten haben können, son- dern auch bei den übrigen indogermanischen Völkern ist die Sitte, die Lallwörter als Namen zu verwenden, nachweisbar, bei den Itahkern: Acca, Atta, Appius, Tatius, vgl. tatet, tatula 'Vater'; bei den Illmern: Atta, Gen. Aifunis CIL. III 4937. 6504. Attuia^ Attalo, Afitfo : Pauli, Veneter S. 304 f., Animo CIL. III 6010i5, Abbo 6OIO1, Acco 4831 u. a.3); endlich auch bei den Germanen, wo sie häufig verkannt werden: Nanna, die Gemahhn des nordischen Gottes Baldr, trägt einen solchen Lall- namen 4) ; vgl. femer got. Tata, Tato, Tatto, Totila, Diida. Dudila, Anna, Abbo, Attila, Mammo ; die Zeugnisse bei AVrede, Sprache d. Ostgoten, der sie nicht richtig beurteilt; ahd. Abbo, Abba, Babo, Baba, Mamma, Mama, Mamilo.

Ergiebt sich nun auch aus diesen Erörterungen, dass die Lallnamen als eine internationale Erscheinung aufzufassen sind und für die Bestimmung sprachhcher Verwandtschaft nicht ver- wertet werden dürfen, so ist doch soviel sicher, dass das massen- hafte Auftreten dieser Klasse von Namen in Kleinasien eine

1) Vgl. Meister, Abb. d. Säcbs. Ges., pbil.-hist. Kl., XIII 1893 S. 690.

2) Paton and Hicks, Inscr. of Cos n. 160.

3) Anna, CIL. III 2012 u. ö., scheint s. v. a. 'Amme' zu bedeuten: fi. Bathidio Marcello .... Antia alunmo p{osuit).

A) Brückner, Spr. d. Langobarden S. 53, weist richtig die Verknüpfung mit nanp- wegen Nana (mit einem n) zurück, erkennt aber nicht daa Lallwort.

Lallnamen. 357

gerade für dieses Sprachgebiet ganz besonders charakteristische Eigentümhchkeit darstellt. Es sei dafür zum Schluss noch auf die nicht seltene Verbindung zweier solcher Namen hinge^aesen z. B. ^'^TtcfLOv Tariccg, Tempel des Zeus Panamaros ßCH. XII 256; Taria ^ y.al Ncartj, Ohinpos BCH. XVI 224 n. 72; Napia l^^fi^uia, CIG. 3881.

b. Die übrigen Personennamen.

Unter den übrigen Namengleichungen nehme ich die vor- aus, bei denen es sich um völlige Identität des Namens handelt, und gebe von vom herein zu, dass sie ungeeignet sind, die Frage nach der Verwandtschaft der kleinasiatischen Sprachen zu ent- scheiden. Wenn wir den in Karien sehr häufigen Namen 'E/mto- uvojg auch in Lykien antreffen, auf dem Grabrehef von Kadyanda (Reisen in Lyk. II S. 193), wo zwei Figuren der Name Äka- tamna und die griechische Umschreibung Ev.arouvag beigeschrieben ist, so kann hier auf lykischer Seite Entlehnung vorHegen, wobei die kar. Endung in die lykische -a verwandelt wurde, und in diesem Gedanken werden wir bestärkt, wenn wir auf demselben Denkmal den aus Karien bekannten Namen ^^g/mq^) begegnen. Ebenso kann die Reihe : üavauhjg in Karien : IlavaiAvag in Pisidien (Lanckoronski Pisidien n. 1) : Panammü auf der Stele von Sendjirh (vgl. unten) auf fiüher Entlehnung von Westen nach Osten beruhen; denn dass der Name in Karien original war, wird durch nav(x-ßkrii.iLg, Uarv-aGOig und andererseits Xr^ga-jAir^g wahi-scheinHch.

AuffälHger ist es jedoch schon, wenn derselbe Name an den entgegengesetzten Enden des kleinasiatischen Sprachgebietes auf- tritt. Tovöoj heisst in dem Bericht des Nikolaos von Damaskus fr. 49 Müll, die Tochter des mysischen Königs Amossos und Gemahhn des Lyders Sadyattes, und denselben Namen lesen wir auf einem kihkischen Stein, Le Bas III n. 1447 (Toidovrog.

1) BCH. IV 304, A, z. 38: Hgzifioiig) ^iay.codo;, wofür Dittenberger Syll. n. 6 S. 14 unrichtig 'Aotsi^co; "Eoxcodo; schreibt; das anlautende a ist mit dem auslautenden zusammengeflossen. Auf derselben Inschrift, C 52 Säaxoig; Säaxog BCH. YI 192. Svoxcog Dittenberger Syll. 76 Svaxog Le Bas III 379.

358 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

Gen. Ton Tovdovg. der ioiiisch-hellenistischen Form von Tovöcu). Femer verdient es Beachtung, wenn die identischen Namen den lokalen Lautverhältnissen gemäss differenzirt ei-scheinen : dem kar. TavdeoGig, dessen Wurzel auch in dem Ortsnamen Tevör^ßa ent- halten zu sein schemt, entspricht in Olympos TävdccGig (BGH. XVI 224 n. 68), dem kar. ^'Agh^ooig in Kihkien •äqßaoic..

Entscheidend für die Verwandtschaftsfi-age sind aber erst die Fälle, in welchen dieselbe "Wurzel in den vei-schiedenen Sprachen mit vei-schiedenen Suffixen bekleidet auftritt: hier ist die An- nahme einer Entlehnung ausgeschlossen, denn fertige Namen werden wohl entlehnt, nicht aber Sprach wurzeln. So ist Karern und Lvldem gemeinsam das radikale Element tt//-, gewöhiüich mit suffixialem -r- ^r/Q-, m lykischer Form j)!'/-. piyr-. Der Name Jlr/or^g gehört zu den häufigsten in Karlen und wird ausserdem durch den Ortsnamen IliyLvda als echtkarisch gesichert, er findet sich aber auch in Lykien (Reisen II 168. Inschr. v. Ehodiapolis O VI G S. 127 Anm. 6; original - lykische Form Pixrä, AntipheHos 1) und hier erscheint die Wurael noch in anderen Verzweigungen: P'r/mma Limyra 18 1 = Iliyo^og Reisen 11 170, Hr/Qa^og II 179. 180, nlyQai.ag 177. 178. 179. Dass dieselbe Wurzel in niBiodagog, lyk. Piyädara steckt, ist oben S. 319 auseinandergesetzt worden: auch dieser Name ist auf karischem und lykischem Gebiet gleich häufig, dennoch will ich zugeben, dass in diesem Falle, da es sich um identische Namen handelt, auf der einen Seite Entlehnung vorliegen könnte. End- lich begegnet der Stamm niyQ- auch in Lykaonien, aber hier wieder mit einem anderen Suffix: Uiygaoig, Sterrett III 235^ fem er in Pisidien, Le Bas III 1235 Uiyciaig und in Kilikien: TQO/.ofx-ßiyQEf.iig, Po)f.i--ityQ€fiig. Aehnlich liegen die Verhältnisse in allen folgenden Fällen.

Ein Stamm ^l^ßq-, ohne r-Suffix vielleicht in lyk. ^lußiat- f^iig (Reisen I 40) enthalten, ei-scheint auf karischem Gebiet in IfxßQog, Namen eines Gebirges (Quint. Smym. VIII 79, vgl. H. Kiepert, Fonnae orbis antiqui, Text zu IX S. 6) und eines Kastells, Strab. XIV 651, ^'lußgceinog. dem karischen Hermes (Steph. Byz. u. "ififigog), von Eustathios p. 985, 57 "l(.i{iQaaog ge- nannt; IfjßQaaog hiess ein Fluss auf Sanios und danach die Insel selbst; dazu die kar. Pei-sonennanien "Ifißgaoaig, "ffißagaig und ^Jf.i,iciQr,ldos. Auf lykischer Seite "ifxßgag JHSt X 80 n. 33, "l^t.iQi^g Reisen in Lyk. I 5222.29.33. (Gen. 'I^ßgiovg: JHSt.

Personennamen. 359

Xy 124). "Itißoavog I 80. Ipräsida Kyaneai. Keiseii II n. 24, "ifißQukog JHSt. XV 114 n. 31. Wenn IL J 520 der Thraker Peiroos aus Ainos das Patronymikon ^ußgaoldrig fükrt, so hängt dies wohl mit Beziehiiniien zwischen der tlu'akischen Küste und dem gegenüberhegenden Imbros zusammen. Denselljen Beinamen giebt Yergil Aen. X 123 dem Asios mid XII 343 zwei lykischen Ge- lähi-teu des Aeneas. Auch der Xame "lußgioq, den IL X 171 ein SchTiN-iegersohn des Priamos ti'ägt. ist wohl vom Dichter ohne tieferen Grund ei-funden. 'I/ußgaoiog heisst ein Troer bei Quint. Sm}-ni. X 87.

Kar. ^Qßr^oaig, ^'^Qßr]oiQ, mit Z-Suftix ldQßvh\g BCH. XY 186. 189 lyk. Ärbhina = "^qßivvag (S. 329) kihk. Pio- (XQßaaig, Tgo/.oaQßaoig.

Kar. ^'AQor^lig; derselbe Stamm ^"ielleicht auch in L4vd~äQa- wöog, udar-ägarig, zu dessen Analyse yldrfxog zu vergleichen ist i) .Agoalog als a/J.riQog d-eög von den SohTiieni verehrt. Plut. def. or. 21. lyk. 'u4Qoaoig, ^'^ooaTTig, ein weibhcher Xame ^[Aqoig (Dat. '^Qoei, CIG. 4264). ^Agoa-öäueiiuig (Reisen I 52 ü); das Ethnikon l^goadeTg CIG. 42781 pisid. ^L4ooa m. Lancko- ronski Pisid. n. 243. 254. ^Agad-Xw/og u. 243, L^gaa-fiorr^g n. 25. Aglavog (Konana, Steirett HI 36692); vgl. auch kilik. ^AgZv-ßLog .THSt. XI 250 n. 25. 'AoGixfxrig in Lykien, Reisen I 51. 52 und ^^goä/.i^g in Kara Baulo (Pisichen. SteiTett III 423. 428) decken sich lautHch mit persischen Xamen, könnten ihrer Bildmig nach aber auch einheimisch sein. Dass der Xame des aus den Keihnschiitten von Tell-el-Amania bekannten Landes Arzapi, über dessen Lage ^\h: nichts \\"issen (darii])er zuletzt Jensen ZDMG. 48, 268). anklingt, sei nm- erwähnt Folgenmgen lassen sich dai'aus schwerhch ziehen.

Lyd. 7v(5rj weibhcher Xame, Thyateü-a BCH. X 521; aus Karlen gehört ^-ielleicht der Flussname 'Ivdog hierher isam\ "Ivöag Headlam Isam\ S. 26 n. 13. S. 30 u. 31, Sten-ett Hl 130 (Ailanada), 'ivdrjg Euagi*. 3. 35, ^Ivöovg Headlam Isam\ S. 28 u. 20; auch "[vda'/.og KozTovvrjg, der TnipiDenfühi-er des Illos, des Feldhemi Zenons (Joann. Ant. fr. 214, 6, FHG. lY S. 621), war ein Isaurer: KozTOvvr^g ht mit dem ^viederholt auf Inschriften aus

1) Ganz undenkbar ist natürlich G. Meyer's Deutung von ^iarägarjg aus dem verstärkenden griech. Präfix /.ä- -\- xaQoö; 'Darre' (Bezz. Beitr. X 195 A.).

o60 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

Artanada begegnenden KoxTovriQ (Gen. KotToveiog, SteiTett DI 85. 104. 130) identisch kiHk. "'Ivda-/,og Le Bas JJI 14215. 'Ivöotvovag? CIG. 4413 d 1.

Eine lykische Wiu'zel trbb- Liegt in einer Reihe von Appel- lativen mid [Eigennamen vor: trbbi Stele von Xanth. 0 16. N 3, trbbätö S 49, trbbös S 18, Trbbönimi (Belege oben S. 323), mit anderen Suffixen Tgaßi-^ig, TgeßelvoLg und der Stadtname Tqeßivvai (vgl. S. 307). An TQsßrj^ug schliesst sich kiHk. Tsgßs- ixaoig an; zu der Umstellung des q vgl. Tgef-ulai : Tegullm = Trmmili. Auch das auf den attischen Tributhsten teils Taqßcc- v^g (CIA. I 37). teils Tgvßavrjg (I 227. 239) geschiiebene ' ka- rische Ethnikoii scheint herzugehören mid die schwankenden Schreibimgen verschiedene Versuche zu sein, das den Griechen fehlende syUabische r wiederzugeben. Dami könnte endhch auch in dem pisidischeu TaQßaooog dieselbe Wm-zel stecken. Vgl. fem er kar. Tgoßahaadg^).

Lyk. 3l6log, Reisen II 267 D, 3l6lr^g II 189 (Gen. MoAijrog n 230), JHSt. Yl 358, MoUiavog Reisen U 180, CIG. 904, 3l6lEOig Reisen II 192. 220 = Moläsäh LinnTa 7, 3l6lXiaig Reisen II 6 = Molifäsäh Lewisü pisid. 3l6Xrig Lanckoronski Pisid. n. 96. 116. 184 u. o. (Gen. MoUovg 11. 87. 157 u.s.w., Acc. Mölr,Ta 87.91.115), Mol/Aarbg TeQur^aaevg CIA. HI 2937. 3Iö/.o?-Xog , Lanckor. Pisid. n. 80. 117; 3Iolaveioa 155b, 31ola- vELoia 87. zu deren zweitem Teil Neioicov, Sterrett ELI 17, imd \ieUeicht ISi^oiog in Ikonion. BCH. VII 315 (vgl. BCH. X 509 N. aiog), zu vergleichen sind; Mölv^in Karamanlü Sten-ett II 393i, Tefeny II 5334, Hedje II 7483, in Pamphyhen : Kvögo-fioXig (Lanckoronski Pamphyl. n. 77) in Ohinpos 3l6lrjg ,IHSt. VI 361 (Gen. 3l6k6iTog BCH. XVl 215 n. 11), MwArjg BCH. XVI 214 (Gen. 3IwXt]Tog ebd. S. 222 n. 56. 224 n. 73. MwUovg S. 214 n. 2). El-ixölXvDv in Karien (Priester aus Koraza, BCH. XI 12) beruht entweder auf Graecisinuig eines karischen Namens oder ist wirkhch griechisch: vgl. '^yx'f^oXog, 3l6Xwv, 3IoXtii)v^). Sehi* zweifelhaft ist, ob dieselbe Wm^zel auch in den 01*18- nanien kar. 31vXaaa und pamphyl. MovXaaoa (in Bjesme, BCH. 500: 3IovXaaaiiov b dr^(.iog) steckt: man würde dann

1) xfjg TQoßaXiaaixijg bdov, Inschr. von Mylasa, BCH. XII 26. 30.

2) Fick-Bechtel, Gr. Person. -Namen 211.

Personennamen. 361

auch in den Personennamen gelegentlich Mv?.- oder Movl- er- warten 1).

Eine EigentümHchkeit der kleinasiatischen Nomenklatur sind gemsse praefigirte Elemente, deren Bedeutung imd Funktion uns unbekaimt ist. Besonders deutlich erkennbar sind sie im Ki\i- kischen : in dem Verzeichnis von der Koiykischen Grotte, JHSt. XII 244 jBf. n. 27, treten massenhaft Namen auf, die mit den Ele- menten Pto-, Piov-, Tooxo-, Taq/.v-, auch '/a- zusammengesetzt sind, wie Pwayrixig, PcovdßLrjg, PcoLQVfteQig, Poaqßaoig, PcovöeQßef.ug, PoivdivaoLQ, Pa}jiißiyQ€f.ug, TQOYMfxßiyQefAig, TQOMaqßaGLg, isaur. TaQ-Awößiggag, ^laudguag (vgl. PioCaQf.iag) u.s.w. : vgl. dariiber Sachau Zeitschr. f. Assmol. VII 85 ff. Im Lykischen erscheint das Element Eg/na-, Egfiav-, Eqfxev- in derselben "Weise prae- figiii: EgjLiaddvvag Beisen in Lyk. I 51 23. 39- so. vgl. Jdvvag BGH. XVIII 326, EQi.iay.6zag Eeisen U 15. 102. CIG. 4255 (Beisen I S. 56 Aimi.), Egiiavöif-iaotg Beisen II 88, EQjuavdöag I, 7, Eg/uaviogig I 84. Egiiaöogiag BCH. X 41, Eg/xadccTtif^ig Beisen II 95, Egf.iada7tie/.ag II 148, ^giuadartiixig Beisen II 132, Eg/.iaGdXag CIG. 4303h% Eg^evöaÖ ig CIG. 4315f. Derselbe Wort- staimu scheint auch mit suffixaler Ableitmig vorzukommen: Eg- ^ivLog Beisen I 63, vgl. Ärimnnoha Myra 2. In anderen Fällen ist die Analyse unsicher: Eofiagdlog Beisen I 84, Egi.iavörjg II S. 2 A. 4; von Egfxaniag, Egfiarriwv sowie von Egf-iöag, ^g(.ica- üig war bereits oben die Bede. Dass griechische vom Xamen des Gottes '^Egfirjg abgeleitete Personemiamen -wie '^Egf.dag, '^Egfxalog (etwa 20 Belege in den Beisen in Lyk., Begister), '^Egiiiijg, "^Eg/AO- yevr]g, '^Egfxölaog, '^Eg^oXv/.og, 'EgiLiOTi/nog, '^Eg/ndgarog in Lykien sehi' häufig sind, hat offenbar seinen Grund in jenen ähnlich klingenden lykischen Namen, welche man in den griechischen wiederzuhören glaubte.

Von derselben Natm- scheint nun auch das zwar weniger häufige, aber weiter verbreitete Element 'loa- zu sein: pisid. 'ida-kwyßaaig Lanckoronski Pisid. n. 10, zu vergleichen mit ^oyßaoig von Selge, Polyb. V 74 lyk. Ida-zzala = Elöa- OGctla (auf dem Grabrehef von Kadyanda), dessen Analyse sich aus dem einfachen Zzala = 2dlag (auf demselben Belief) sowie

1) Unsicher ist lykaon. Movh; , Sterrett III 22 (aus Zosta) : man könnte hier auch y.a{l) 'Ifiov?uv lesen und ^I^if^iovhg Sterrett III 39 ver- gleichen.

362 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

aus Egua-aa/Mg mit Sicherheit ergiebti); Ida-maxssa AnüiAieWos 4i ; zum zweiten Teil ist ^-ielleicht der Demosname ^^qv-^a^a (JHSt. X 63 n. 16) zu vergleichen 'kAY.'''Iöä-yvyog, das ohne Zweifel den Xamen rvyi]g entliält. Dieselbe AVm'zel steckt ver- muthch in lyk, Idä^rä Kyaneai 1 = "'löayQog Reisen II 116. 1 CIG. 4300u.\THSt. Yl 356 (Arkwi-ight Bak Or. Rec. V 110), ^Idagcni Reisen II 167, kar. "idav.og (in lasos. Dittenberger Syll. 77), möghchei'weise auch in einigen OrtvSnamen. lyk. Elöeßriöacg, pam- phyl. 'idvQog, kar. 'Idtuog, ^Idoorrj u. a. Der Fi'auenname ^'löa {Elör^ Kyzikos, Le Bas III 1755) ist wohl der aufPei^sonen über- tragene Gebirgsname ^).

Das ei'wähnte kihk. TaQy.v(i')-, Tqo-/m{v)- ist ein weniger in dieser praetixailigen Vei"«'endung als mit suffixaler Ableitung auch andenvärts nachweisbares Xamenelenient. das in der Diskussion der sogen. ..hittitischen*' Frage in neuerer Zeit viel zur Sprache gekommen ist. Um zimächst beim Kilikischen stehen zu bleiben, so ist auch mir che übliche Gleichsetzmig von Taq/.v- luul Tqo/.o- sehr wahi'scheinhch. obwohl die lauthche Verschiedenheit noch nicht erklärt ist. Es ist doch sehr auftallig. dass in der Xamen- liste von der Koiykischen Grotte l)ald TaQ/.v- (Tao/.vaoig Z. 21, Tag/.vußiog 66. 89). bald Tqo'/.o{v)- (TQoy.o'ZaQf.iag 73, Tqoy.oaQ- ßaaig 45, Tqo/.oußr/oEuig) geschrieben ist. Das Rätsel last sich, wenn \vir mit Imbert. Bab. Or. Rec. Y 107, lyk. Trqqhta 3) gleich TQ0/.6vdag setzen. Dann sind die Schreibungen aq und qo ver- schiedene Versuche den r-Vokal ^\^ederzugeben. luid es verhält sich Taq'AV' zu Tqo/.o- wie kar. Taqßavrig zu Tqvßavr^g auf den attischen Tributhsten; vgl. auch Tequilai und Tqeuilai für lyk. Trmmüi. Vor konsonantischem Anlaut des zweiten Gliedes lautet der Stamm nasahsch aus (ebenso Plov- gegenüber Po- vor Vokalen); eine Ausnahme macht luu' TqoAO-Zciqi.iag^ Pio-Zäq(.tag , Pio-'^qv^eqig (neben Pwv-tqvi.teqig), vielleicht weil rl" eine luigiiechische Laut-

1) Vgl. M. Schmidt, Commentatio de incriptionibus nonnullis lyciis p. 12, der noch das zweifelhafte adazala Antiphell. lg und ZegioaXog- CIG. 4300v heranzieht.

2) Beiläufig bemerkt, hat unser Name Ida mit diesem griechischen nichts zu thun, sondern ist echt deutsch.

3) Antipheilos L, TrqqTdaaazi ebd. l», TrqqTdasi Stele v. Xanth. N 63, Trqqnti W 17. 71. 0 52. Vgl. auch Trqqas ()34,Myra 4^, Trqqiz N 65. Antipheilos Ij,

Personennamen. 363

Verbindung "\var^). Komposita derselben Art sind noch Taq/.ov- dii-iOTOQ, dessen zweites Glied A-ielleicht mit öiu-aoig in lyk. Eq^uv- dif.iaoig VAX verbinden ist-), und TaQy.ovdr^uog, welches man mit dem Xamen des Königs Tarlcü-dimme oder Tarkn-timmc auf der ..hittitisch" - asspischen Siegelinschnft identitizirt 3) : das hat Jensen. ZDMG. 48 freihch bestlitten, indem er Tar-bi-bi-it-as- si-mi oder Tar-ku-ai-ii-mi liest, aber er scheint mit seinem AVider- spnich vorläutig allein dazustehn. Die alte Lesung wii'd jetzt von Hilprecht. Ass}iiaca S. 117 ff. verteidigt. Der zweite Teil von TaQy.6v-dr^Liog ist in Kihkien nicht Aveiter nachweisbar, dafür aber in Karten in ^^y.tä-dr^f.ioQ, dessen Analyse sich aus ^A/aa- ivacoXXog, '^xTavaaoig ergiebt. Weit verbreitet ist die schon erwähnte Ableitimg mit -wfZ-Suftix: lyk. Trqqhta. TQOv.ovdag sehi' häutig in Lykien (GIG. und Reisen II Regist.. BCH. XY 555. XVI 446) imd Pisidieu (Lanckoronski Pisid. 25. 36. 5827. 173. 185 U.S.W. BCH. XYI 421 = CIG. 4367 e. g.. XVI 433 4), in Pamphyhen (Lanckoronski Pamphyl. 36? BCH. YII 2681). in Isaurien (Gen. TQoy.6vöt Headlam Isam". S. 30 n. 30. Tgoy-dröei S. 31 n. 33. TQoy.övdiv), Ikonion (SteiTett H 206. A 1), Oh-mpos (BCH. XYI 214). Trapezus (CIL. lU Suppl. 6746: Tromndo). Wie zähe der Xame in jenen Gegenden sich erhielt, zeigt sein Auftreten noch in byzantinischer Zeit: Tqoy.ovvörig ^) hiess der Feldherr Zenons . der mit Illos sich gegen um empörte. In Phiygien ist ein dr^uog TQoyovör^vwv inschiifthch Ijezeugt^). in Karten mit anderer Yokalisation mid mit r-Suffix weitergebildet TaQy.övdaga '). ]Mit Recht hat wohl G. Meyer auch che auf Steinen von Mylasa genannte ^OziOQy.ordecov yiÄr) (BCH. XII 18.

1) Doch kommt sie in Fremdnamen vor: XailiavCog, 'AvCä:Teog Ster- rett III.

2) Die Abteilung Taoxovbi-iioxog mit dem fertigen Xamen Taoy.övöag als erstem Kompositionsglied (über ixor- s. S. 367) wäre auch denkbar.

3) Nach Hilprecht, Assyriaca I (1894), S. 119 ist entweder Tarkumume oder Tarkudimme zu lesen: letzteres zieht er wegen des kilik. Taoxovdr]- fioc vor.

4) Vgl. auch CIA. III 2937: Tooy.övÖu rjocoi Mo/.havb; Tsoinjooev;.

5) Joann. Antioch. fr. 211 Müll. FHG. IV S. Ü19. Tooy.oiTdo; bei Theo- phan. I. p. 124 de Boor ist wohl nur aus dem Gen. Tooy.ovröov falsch abstrahirt.

6) Ramsay, JHSt. VIII 493. Geogr. of Asia Min. 143. Trocnades in Galatia Salutaris (CIL. III Suppl. n. 6997) kann galatisch sein, vgl. Trocmi.

7) Das Ethnikon TaQxovöuoeig in Arylasa BCH. XII 18. 21. 30.

364 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

20. 21 11. ö.) hierhergezogen. Den aiilauteuden Vokal kann ich zwar nicht erklären, er hat aber vielleicht eine Parallele in dem kar. Ethnikon 'A^v^ßgiavöc (BCH. XI 274- n. 37). das mit dem phiyg. Thymbriani (Phn.) zu vergleichen ist. Die Yokaldehnung in der zweiten Silbe von ^OTcoQ/.ovda ist mögHchei"weise *) dui'ch die folgende Lautverbindung Liquida + Konsonant veranlasste)^ wenigstens tritt sie in derselben Lage auch in der Endmig -wX- dog (neben seltnerem -olöog). -wlXog (gegen pisid. MoXoXXog), -i]Xdog i'Iiu-jaor^Xöog, Dittenberger Syll. 6, c, 68) auf, ferner in ^wrdaQ'/evg (Lagina, BCH. XI 24 n. 35). FreiHch könnte dann im Karischen nicht mehr silbebildendes r gesprochen worden sein, sondern wii'kHches or. Auf jeden Fall ist 'Orw(>xovda dadm'ch wertvoll, dass es lauthch von TQ0/.6vdag erhebhch abweicht, denn ohne Frage kann die Verbreitimg cheses Xamens in derselben Fonu auf Entlehnmig beruhen, beweist also keine Sprachverwandt- schaft. In kaum zufäUiger Weise klingt an kar. TaQy.6v6ag, TaQ/.ovöaoa weiter der Name des Königs Tarhundaraus von Arzapi (Taf. von Teil el-Amania I n. 10) an; und das Element TaQ/.v- allein hat man wohl mit Recht in den ebenfalls nur keilschriftlich erhaltenen Königsnamen Tarhulara von Gurgum, Tarhunazi von Melid (Belege bei Lantsheere, De la race et de la langue des Hittites S. 95), Tarlmndapi (Jensen, ZDMG. 48, 244) gesucht. Eamsay (Geogr. 312) erkennt es auch in dem kataonischen Ortsnamen Jäoxaq/.ov, in dessen ei'stem Teil er das- selbe ,.Praefix" Mie in Dasteirn. Dasmenda sieht ob mit Recht, bleibe dahingestellt.

In Kilikien lehnten sich an den Xamen des Gottes ^ävdiov, av(J/;g an die Personennamen ^dvdiov GIG. 4401. ^av()avoa/.ag (Gen. -a JHSt. XII 268 n. 67), dessen zweites Element mir un- klar ist, Sandatiarmi, König der Hilakku zm* Zeit Assm'banipals (668 626), mit dessen zvveitem Teil man Uassurmi. Name des Königs von Tabal zm- Zeit Tiglat-Pilesor III (745—727), ver- glichen hat. Ob auch ^adaoauig JHSt. XII 239 n. 23 hergehört oder gar mit Sandaiarmi identisch ist, nmss wegen der lautüchen

1) Für sicher halte ich es darum nicht, weil die karischen Namen in der griechischen Umschreibung überhaupt an langen Vokalen reich sind.

2) Diese Wirkung hat sie auch in anderen Sprachen z. B. im Eng- lischen (o vor Id, It, //), Niederländischen (o vor r -f Kons.: tcoord, doorn), auch im Griechischen : fotodög, Griech. Vaseninschr. 42 Anm.).

Personennamen. 365

Differenz iiir zweifelhaft gelten, ^ävdav.og, der ni}i;liische Gründer von Kelenderis (Apollodor III 14, 3), ist wohl nur ein anderer Sävöiov. Ed. Meyer hat ZDMG. 31. zu zeigen gesucht, dass dieser Gott niu* in Kilikien zu Hause sei, ohne den lydischen Sandon ganz leugnen zu könmien: beachtenswert ist dafür der 1yd. Personenname ^dvdavig, Herodot I 71. Ferner gab es bei M}iis einen von Thukydides III 19 erwähnten 2avdiog X6(pog.

Ein praefigirtes Element aag- ergiebt sich aus kar. 2aQ~ vooüiXXog. Dasselbe erscheint an zweiter Stelle in kar. Cami- sares (Corn. Xej:). Datam. c. 1), wofern -sares hier nicht, was mir weniger wahi"scheinhch ist, suffixale Ableitimg darstellt. Damit vergleiche man einerseits kiUk. ^aoiörjQaozQig JHSt. XII 230 n. 9, andererseits kihk. MeyeoaaQog (König von Hyria-Seleukeia, Apollodor III 14, 3j. dessen erstes Glied an lyk. 3Ie'/üaiaTog (BGH. XIY 171) erinnert und an gr. /.leyag angelehnt scheint. Ferner hegt eine Wm-zel aag- in einer Eeihe von Ortsnamen vor, welche wenigstens zum Teil hierher gehören mögen: ^ägog, der Fluss des kilik. Adana. der auch Koigavog hiess und von dem vielleicht der kappadokische Ort ^ägr/a (= ^igr/d? Eamsay Geogi". 312) seinen Xameu hatte, ^agaoiiqvr^ ein kappadok. Be- zirk, ^dgaXog in Galatien u. a.

In kar. ^Od-ooaooig mid "OaXog steckt ein Element oa, das als selbstständiger weiblicher Xame '05 in Pisidien (Lanckoronski Pisid. n. 153. 173. 175) vorkommt, in Isamien ^Oag (masc. oder fem., SteiTctt III 256, in der Nähe von Nsa ^laavga), Gen. Ovco (Sterrett III 22. 78) und ^"ie "OaXog mit /-Suffix abgeleitet Oidlag (Stenett III 72). Aus Lykien ist vielleicht Ovotisäh (Kyaneai, vgl. auch oväfi Stele v. Xanth. T\^ 7. X 39) hierherzustellen, das an kilik. "Ohaoig f.JHSt. XII 247 n. 273C.47. 'Orjraaig 21 51) er- innert. Kihk. Gcaoig (BGH. VI 137 = JHSt. XII 238 n. 22) ist mit s-Suffix abgeleitet. "Oagig (JHSt. XII 249 n. 27 90) ent- hält den in Kihkien häufigen Stanmi ^^gi-, vgl. Sachau Z. f. Asspiol. YII. Oväßßaoig (BGH. X 512 i) ist vielleicht aus ova- + aßßaoig, lyk. Ovaf.i(xgag (Reisen II 108a) aus ova- + (.laga- (vgl. Ija-mara) zusammengesetzt. In anderen Fällen wie Oiogf-iti (Lanckoronski Pisid. n. 257 % Ovlraaig (ebd. n. 89), Olavia (Sten-ett

1) Ovdßaßotg, Ovaßäßoews Headlam Isaur. S. 30 n. 31 ist wohl ein freilich sich wiederholender Schreibfehler für Oväßßaaig.

2) Doch erscheint eine Zerlegung in Ol- -{- oo/.it} denkbar, wenn man

3t56 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

III 48) Ovavahg (SteiTett III 76. 172), OväduQog (ebd. II 55. 72), Oiaus?Mvdg (IIISGßse). Oicixtalig (HI 49) Oligia (II 145), Ovey- vog (II 170) wird ov, wenigstens teilweise, als Ausdruck von kon- sonantischem V aufzufassen sein, wie in den lateinischen Namen.

Kar. ^ovu-uaoovdrjg (Sitzgsber. Wien. Akad. 132. Bd. S. 13 n. 12) deckt sich in seinem zweiten Teil mit Magcddr^g (Saiii*, beim phiTgisch-pisidischeu Antiocheia, Sterrett III 331) imd be- liihi-t sich ferner mit kilik. 3Iaoo?JMg (JHSt. XII 247 n. 27 51), Ijk. MccQig (Bnider des Atymnios und Sohn des Amisodaros, D. n 319) und dem zweiten Ghed von Ijamara (Rhodiapohs a, 2) mid Oia-judgag. Auch der in Karien (CIG. 2787. 2789) und Lythen {Magiojvog ^vdoio, Philadelphia, Ath. :\Iitt. XV 333) auf- ti'etende Name Maquov ist wohl ungriechisch und beriilu-t sich nm' zufälhg mit den von gr. l.läQr^ abgeleiteten Xamen. Zu dem ersten Element von kar. ^nvi-i-uagovÖT^g vergleiche man lyk. ^OLißgaoTt] auf einer Grabstele des III. Jahrhundeils v. Ch. in Ai-sada (Anz. d. Wiener Akad., phil.-hist. Kl. 29 (1892) S. 65).

Das schon erwähnte kar. Cainisares vergleicht sich in seinem ersten Teil mit dem zweiten von pisid. Mev6yMf.iig (Lanckoronski Pisid. n. 242) und kihk. Nevi-vM^udig (JHSt. XII 251 n. 27 74).

Kar. Oiliädrig (CIG. Regist.. BGH XI 16. XIV l(Xl. XV 190. 540 u. ö., Xame eines Samiei"s Plut. Arist. 23), sicher un- griechisch, aber vielleicht graecisirt: lyk. OtAA/ag (Reisen II 107): Ovlog (Tefeny, SteiTett III 55. A 21); dazu gehört wohl der kar. Ortsname OcXla, dessen Ethnikon auf den attischen Tribut- listen OaXiaTai, ^vXiäzai und ^vXecLtai geschrieben ^rird (Meisterhans Gr. d. att. Inschr. 48).

Ein lyk. Wortstannn basi- ergiebt sich aus yvtn-basi Stele v. Xanth. N 42, l4Qi'v-ßaoig JHSt. XV 109 n. 18, BovXot-ßaatg Reisen II 227. 228, damit venvandt \'ielleicht -bäza in Uzzobäzäh Pinara 4: })isid. ^löa-lojy-ßaaig, ^6y-ßaaig, dessen ei^stes Glied mit s-Suffix abgeleitet in {A^oyarug (Lanckoronski Pamphyl. n. 1(X)) vorliegt. Ein weiblicher Name BACIAICH (Dat. Sg.) in Kara Agha an der Grenze von Lykaonien und Pisichen, Sterrett II 158, der Baal y£ior^ abteilt; es liegt nahe an einen Schreib- oder Lesefehler für BaaiXia(o)r^ zu denken. Dagegen kann die Batetg der S. 199 Anm. 1 erwähnten Inschrift von Komana hergehören,

kilik. MoÖQixii (JHSt. XII 271 n. 75, zu MoüQfiig oder Mcogfiig kontrahirt S. 247 n. 27 j«) vergleicht, das als erstes Glied McSg (a. a. (>. 247 n. 27 y«. 49, üen. McStoi 27,04. 121- 1.16, M(3v? S. 238 n. 22) enthalten mag.

Personennamen. 36 <

kaim aber auch pei"siscli sein. vgl. BaZavtjg, Justi. Iran. Namen- Ijuch s. V.

Ein Stannn mida- erscheint als zweites Kompositionsglied in isaur. ^lQda-uoL:zi]g (Artanada. Sterrett III 85), dessen erster Teil m"'lQÖig (Headlam Isaur. S. 27 n. 17. S. 28 n. 19. S. 30 n. 29) selbständig vorliegt, ferner in pisid. ^(»fj«-«dr>^c (Lancko- ronski Pisid. n. 92). ül)er dessen ei"stes Glied S. 359 gehandelt ist. und ^O^Qi-ixörrig (s. unten S. 368), derselbe Stamm als erstes Glied in 3JoTa-aoiQyig (Lanckoronski Pisid, n. 38). Mit c?-Suffix Blovradr^g in Lykaonien, Sterrett III 236; mit /-Suftix Ijk. Mo- tala, St. V. Xanth. W 33j Motlis Inschi\ v. Khodiapolis, Reisen II n. 172, Motlöi auf Münzen, Babelon. Les Pers. Achem. p. XCV, kiiik. MoTdlrjg, JHSt. XII 247 n. 27 4o. Aller AVahi'scheinlich- keit nach decken sich damit die keilschriftlich überheferten Xamen Mutalli (König von Gurgmn zur Zeit Salmanassar II) und Mutallu (ein Mann aus Gurgum zm* Zeit Sargons mid der König von Kummuh in dereelben Zeit, Belege bei Lantsheere De la race et de la laugue des Hittites S. 93), mit denen Lantsheere weiter den Hittiterkönig Mautiil, der in den ägyptischen Yertrags- inschriften Ramses II. genannt wiixl, zusammenstellt. Da Möxv- kog, welchen Stephanos (u. 2ai.iv?Ja) als Griinder der kar. Stadt Samyha nennt i), doch ge'\\'iss auch hierher gehört, so reicht dieser Xame über den ganzen Süden Kleinasiens von Karlen bis KiU- kien und nelleicht noch weiter östlich.

Zahh'eich sind auch die onomatologischen Uebereinstimmungen niu- innerhalb der südlichen Gruppe der kleinasiatischeu Völker, also zwischen Lykiern, Pisidern, Lykaoniern, Isam*eru und Kih- kiern, namenthch zwischen den erstgenannten Yölkei-schaften, von denen die bemerkenswertesten im Folgenden zusammengestellt werden,

Lyk. ^OnQü-^oag, auch in Olpnpos. BCH. XAT 216 pisid. OiTtga-uoiaig BCH. X 510 lykaon. OvßQa-f^ovceaig kilik. ^ÖTtQa-fxöJaig (s. oben S. 317). Derselbe "Wortstamm in lykaon. OvTtQav^r^g SteiTett III 290, kihk. "OiSoaoiyeQig (Gen. "Oßgaoi- ytQBwg Hamaxia, CIG, 4406, 4407) und ^OßQavyoveig (ebd. 4410). Es ist sehr wahrscheinheh, dass die in diesen Gegenden ziemUch häufigen Xamen "Oßgiiiog (Kilikien, CIG. 4428. JHSt. XU 264

1) Motylos sollte Paris und Helena aufgenommen haben. Also war wohl die letzte Quelle für diese Nachricht eine epische.

368 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

11. 50). pisid. 'OßQiuLuv6g (Aiiabura. Atli. :Mitt. XUl 71). ^Oßgi- ^otr.g (Lanckorouski Pisid. n. 36. 38. 12. 14. 46. 52. 58. 64. 70. 72 11. ö.) denselben Wortstamm in graecisii-ter Form enthalten eine Ei-scheinmig. die ja zahli-eiche Parallelen hat.

Lvk. Ki'/.'/.-OQvag, Reisen II S. 82 ft'. (Lischr. v. Rliodiapolis, 0 VIg). Ki'/J.ooTi^g n S. 127 Aum. 6 pisid. Killagag Lanckoronsld Pisid. n. 259 isam-. Kilag oder Ki'/.a, Sten-ett in 289, Kilr,g Headlaui Isam-. S. 25 n. 9 (Gen. Ki'/Jovg S. 27 11. 14). Ki/lig S. 30 n. 29 in Olpnpos Ki'/liag BCH. XYI 224 n. 72. Kilr^vdog ebd. 222 n. 58. Eine Eeihe von Oi-tsnamen klingen an. ohne dass sich ihre Zugehörigkeit sicher ei-weisen hesse. vor allem der Stammname der Kilikier. assyi\ Hilakku; Ki'/MQa'log bei Laodikeia in PhiTgien, vielleicht von einem KiXd- oag abgeleitet. Ki'/.iorqa bei Lystra (Ranisay. BCH. M^I 314. Geogi'. 451). KiX'Ku in der Troas, ein KiU.aiov ooog auf Lesbos u. a.

Lyk. Koivdalig (Gen. KowdaXi, Reisen II 7) kilik. Kovv- ö-i]g Le Bas III n. 1387 = CIG. 4424. wo Kovälr^g, in den Addenda S. 1170 Kovdörjg veiTQutet TNiirde. Von den Namen, die G. Meyer Bezz. Beitr. X 193 hierhei-stellt. gehören Aielleicht noch die mit Kovd- {Kovdiavog u. a.), schwerlich Kßovdiaaaig, Kurdaoa oder gar KavöavXr^g hierher.

Lyk. Tedi/.Tag CIG. 4315 f. zusammengesetzt aus Teöi- + "'ly.Tug = lyk. lytta (Antiphellos. vgl. M. Schmidt Neue lyk. Stud. 20. 66 kiHk. Tedi-vip'ig ,IIISt. XII 267 n. 58, über dessen zweites Ghed S. 344 zu vergleichen ist; Te^Z-a^tc .THSt. XII 247 n. 2733. -«ö's ist wohl nicht suffixal, sondern zweites Kompositions- glied, vgl. kilik. '^^^fg a. a. O. S. 249 n. 27 150, "'^giog S. 228 11. 4. l^Qiwv S. 245 n. 27 17. TaQ/.v-agig S. 263 n. 45. Vgl. ferner noch mitann. Tadu-hipn fem.

Lyk. Kodra Limyra 42 (wohl nicht mit dem vorhergehen- dem Mdaa zu einem Wort zu verbinden) pisid. niXXa-Aorig Lanckoronsld Pisid. n. 28. 66. 69. Kvcäog Jjanckoronski Pamphyl. n. 989; ob auch pisid. Ä'omt; (Lanckor. Pisid. n. 29. Steirett 1168 (Tefeny) verw^andt ist, wie Petersen will, scheint mir sehr zweifel- liaft k-ihk. ifoi'«g CIG. 4402. 4410. 4427, Äor«A/? 4403. 4409, Koaiog JHSt. XII 229. Kar. KEvagog, Kvcige^og (vgl. Bezz. Beitr. X 195) könnte auch hergehören, doch bleibt das unsicher.

Kilik. Julag JHSt. XII 253 n. 27 1 «3 ist wahrscheinlich

Pereonennamen. 369

mit dem zweiten Gliede von lyk. Mlohi-daza Suni 1 1, Hanadaza (Keisen I 101) und QevTi-Öaoa BCH. X 64, MeQivÖaorj CIG. 4300 V. EQTti-däoi] JHSt. W 3bb zu verbinden. Andere lykisch-kilikische Uebereinstimmungeu sind lyk. IlXodaag (Reisen il 71): kilik. nXcog (JHSt. XII 251 n. 27 90), ei-steres gebildet ^\^e Egiiaactg u. a. (S. 315), dazu vielleiclit der ei-ste Teil von lyk. WM-dao^iccTi] (Anz. d. Wien. Akad.. phil.-hist. Kl. 29 (1892) S. 65), kamu^uch kilik. BU (Gen. m. CIG. 4401. 4404): die Analyse von r[la-dao!.iaTi] vdrA durch ^€uoi-dciof.iaTQia (Reisen in Lyk. I 132) gesichei-t.

Weit nach Norden verbreitet ist der Aveibhche Xame El'a: er findet sich in Kibpa (BCH. XY 553), bei den Onneleni (Tefeny, Sten-ettH 71). in Phngien (Kara^^i-Bazar. BCH. XTH 340). BithjTiien (Safra-Köi. BCH. XTO 539. Pnisa :\Iitt. aus Oest. ATH 196 n. 13. CIG. 3722 b, Xikaia. 3762) imd sogar im Norden auf der Balkanhalbinsel, in Tomis CMitt. aus Oest. X^T[I 91) und Timova (el)d. XIV 154). Mordtmann. Mtt. aus Oest. ATH 196. der zu den oben beigebrachten bithjTiischen Belegen noch zwei unediiiie hinzufügt, möchte den Namen füi' spezifisch bithpiisch halten. Aber unerklärt bleibt hierljei nicht niu- seine Yerbreitmig im südhchen Kleinasien, sondern auch dass daselbst sich weitere Allleitungen finden: ein Xom. fem. ^Ir^g in Pisidien BCH. III 342 n. 16. 17. 'Icdg (Kara Baulo, Steirett HI 407/8 = CIG. 4379c), "Jair^ (ebd. SteiTctt HI 404/5 = CIG. 4379c. Lanckoronski Pisid. n. 246). lyk. Ija-mara (RhochapoHs, a 2), von dessen zweitem Ghed oben die Rede war, kihk. ^la-ldguag (JHSt. XEI 244 ff. n. 2738), dessen Analyse sich aus Toov.o-Zdouag, Pm-'läQf.iag, ^^4-L.äQf.iag ergiebt.

An der Grenze von Pisidien, Lykaonien imd Phiygien ist sehr häufig der Name'7^ß^' Xom. masc. Sterrett HE 362. 363. 366. 373. 374. 377. 81. JHSt. XI 164 n. 19, Euiav Stenett HI 507; Gen. "/wevog m 330. 366. 373; El'^uerog HI 507. Fem. "'lii^ag Sterrett HI 76. 150, ''l^^ia HI 37 = BCH. X 508. Sterrett HI 92. 75. 153/4. E'i^^a 166; "%iiia&ig Ikonion, CIG. 4009^» = Sten-ett HI 17. Masc. "luvig, Gen. '%ivLog HI 507, "ffiuoi'Aig ni 39 = BCH. X 508. In Westkihkien begegnet der Gen. "I^ov JHSt. XU 259 n. 32, auf rhodischen Amphoren- henkeln ist 7t<a, I.G.Ins. I 1320 häufig, und auf der alten Grab- schrift aus dem Gebiet von Lindos hat Hiller v. Gaertringen, ebd.

Kretschmer, Einleit. in d. Gesch. d. gr. Sprache. 24

370 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

u. 887. den weiblichen Namen 'luaaaojla gelesen, der offenbar ein Kompositum oder eine Ableitimg von '/aa darstellt.

3. Die Völker Kleinasiens.

Nachdem in den vorigen beiden Abschnitten auf Gnmd eines gemeinsamen Lautwandels mid onomatologischer Ueberein- stimmmigen die Vei^wandtschaft der Ideinasiatischen Sprachen unter einander zu beweisen versucht worden ist, sollen im Folgen- den die ethnologischen Verhältnisse Kleinasiens auch im Einzel- nen einer kurzen Erörtenmg unterzogen und dabei die Frage nach der Stellimg der kleinasiatischen Sprachfamilie beantwortet werden. Zugleich wird sich ein neuer und, wie ich denke, defini- tiver Beweis fiii- die Verwandtschaft dieser Idiome unter einander ergeben. Wir kömien die nichtindogermanischen Völker Klein- asiens geographisch in zwei Gruppen teilen, eine westhche, aus Karem, Lydem und Mysem l^estehend, mid eine östliche, Lykier, Pisider. Isaurer. Lykaonier, Kilikier und Kappadokier umfassend; z^vischen beide Gruppen haben sich keilförmig die Phryger und die ihnen nachfolgenden Bithyner hineingeschoben. Es empfiehlt sich mit der uns ihrer Sprache nach am besten bekannten Nation, den Lykiem, zu beginnen.

Die Lykier.

Die Lykier kennt bereits die Hias, wenn auch nicht in ihi-en ältesten Teilen, als die Bevölkeiimg des Xanthos-Thales. Dass diese sich selbst nicht Lykier, sondern Trmmili nannte, wissen ■vnr durch die lykischen Lischriften und war auch den asiatischen Griechen bekannt, welchen TQEuilrig der eponyme Ahnheir der Lykier ist (Panyasis bei Steph. B. u. Tgef^ilri). Nach Herodot I 173 wäre der Name TeouiXai auch bei den Nachl)anölkern (twv TtBQioi/Mv) üblich gewesen. Die Bezeichnung als Amioi scheint von den Griechen ausgegangen zu sein, welche in dem Hauptgotte dieses Volkes ihi-en ^^rtoXltov ^i-y.iog wiederfanden, und darnach die Landschaft als yiv/.ia, die Bevölkennig als ylv%ioi benannten *). Dass aber dieser Name doch recht alt ist

1) Ebenso haben die Griechen den einheimischen Flussnamen Hi'ßoo; oder Slgßig durch 3dv&og, den lyk. Stadtnamen Ariina llQva ebenfalls durch Eäv&oi; ersetzt.

Die Lykier. 371

d. h, mindestens bis in das 14. Jahrhundert v. Chr. zurückgeht, dürfte aus dem Auftreten der Ru-ka oder Ru-ku auf den In- schriften Ramses II (1392 26) und seines Sohnes Meraeptah folgen, deren Deutung als Lykier auch die kritische Untersuchung von W. Max Müller (Asien und Europa nach altaeg}-pt. Denk- mälern S. 355. 363) anerkennt, während sie Ed. Meyer (Gesch. d. Alt. II 231) ohne Angabe von Griinden als sehi* unwahi-schein- lich bezeichnet. Die Lykier haben, so^-iel wii- sehen können, von jeher das kleine Bergland im südwestlichen Kleinasien inne gehabt. Die von Herodot (a. a. 0. und \J1 92) mitgeteilte Sage, dass sie unter Fühining des Sarpedon aus Ki-eta eingewandert seien und vorher die Milyer das Land bewohnten, lässt sich historisch kaum verwerten: sie ist vermuthch von ki-etischen Griechen aufgebracht worden, welche sich an der südHchen Küste Kleinasiens niedergelassen hatten: dass solche z. B. in den griechischen Kolonien Pamphyhens verti-eten waren, ist aus der Metathesis des q in i4ffOQdiva zu schhessen, welche mis hier und in Kreta begegnet (Z. f. vergl. Spr. 33. 266 f.).

Ed. Meyer (Gesch. d. Aft. II 231) hat che Hn:)Othese auf- gestellt, dass die Lykier. deren Sitze ja auf die Küste beschränkt seien, während im inneren Hochland die ihnen feindUchen Sol}Tner wohnen, übers Meer eingewandert seien und sich vermuthch von irgend einem der Stämme der Balkanhal])insel abgezweigt hätten. Da auch Meyer die Benutzmig der ki-etischen Sage verschmäht (a. a. 0. II 280), so bildet die einzige Stütze seiner H}-[3othese der von ihm sein- entschieden behauptete indogermanische Cha- rakter der lykischen Sprache. Ist diese Anschauung hinfällig, so entbehrt auch die an sich natiu-lich denkbare Annahme einer Einwanderung der Lykier zui' See jedes Anhaltes. Demi in ihre Wohnsitze an der Küste konnten sie ebenso gut aus dem Binnen- lande gedrängt als von der See aus hingelangt sein. Zmiächst haben -wir aber überhaupt keinen Anlass, eine andere Heimat tur sie aufeusuchen. Von den Lykiem des Pandaros, welche die Dias in der Troas m Zeleia am Aisepos wohnen lässt war bereits oben S. 189 die Rede: ich kann die historische Reahtät dieser nördlichen Lykier auch durch die von Treuber (Gesch. d. Lykier 160".) geltend gemachte Angabe des Kallisthenes (bei Sti-ab. XIII 627), dass Sardes von Trerern mid Lykiem eingenommen worden sei, nicht für ei'wiesen ansehen. Man könnte höchstens an eine

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372 X. Die kleinasiatiscben Sprachen.

Kolonie der Lykier im Aiseposthal denken, aber davon fehlt eben jede weitere Spm-.

Die Lykier haben dank der geograpliischen Lage ihi-es Landes sich ilu' originales Volkstimi imd vor allem ihi-e Sprache länger vor dem eindiingenden Hellenismus bewahii als die west- kleinasiatischen Stämme. Sie haben von den dorischen Kolonisten das Alphabet entlehnt, nicht mn giiechisch, sondern in ihrer eigenen Sprache damit zu schreiben mid zu diesem Zweck das- selbe dui-ch eine Eeihe neuer Zeichen bereichert, deren das vom giiechischen abweichende Lautsystem ihrer Sprache bedm-fte. Uns sind die lykischen Inscluiften besonders dadurch von hohem Wert, dass sie uns eine gCArisse Vorstellung von der lykischen Sprache geben, ^\^e wir sie sonst von keinem kleinasiatischen Idiom ge^vinnen können. Xm* von ilu- aus kann die Fi'age gelöst werden, ob diese Sprachen zu den indogemianischen gehören oder nicht.

Diese Frage ist für das Lykische von Anfang au bejaht worden. Nachdem Cockerell im Jahi-e 1820 die erste Mitteilung von lykischen Inschiiften gemacht mul Saint-Martin die ersten Entziftermigsversuche angestellt hatte (vgl. dazu Inibert, Museon YIII 1889, S. 318 ff.), kam Sharpe 1841 bereits soweit, um das Lykische dem idg. Sprachstannn anghedern zu können; natürhch, wie sollte der Engländer in lyk. lada 'Frau' das engl, lady ver- keimen: ehie Gleichung, che besonders einleuchtend ei^scheint, wenn man bedenkt, dass ladij im Angelsächsischen noch hlcefdige lautet. Grotefend (Zeitschi-, f. d. Kunde des Morgenlandes 4, 281 301) bestimmte dann das Lykische genauer als einen irani- schen Dialekt: ihm schlössen sich nach einem gänzlich ver- fehlten Versuch von Blau (ZDMG. 17, 649—72), das Albanesi- sdie zur Erklärung des Lykischen heranzuziehen Friedr. Müller und Mor. Schmidt (Lycian lnscri])tions, Jena 1868 und sonst) an, während Lassen (ZDMG. 10, 359) nähere Berülmingen mit dem Griechischen wahrzunehmen glaubte und ein enges Verhältnis zum Zend und Xeupersischen, womit Shai^ie operirt hatte, entschieden bestritt. Selir willkürlich hat dann Savelsberg, lui' welchen das Lykische ein Mittelglied z^v^scllen Griecbisch-Italisch und Iranisch war, in seinen Beiträgen zur Entzifferung der lyk. Sprachdenk- mäler (2 Teile, Bonn 1874 78) das indogermanistische Prinzip durdigerührt. In jieuerer Zeit hat ausser Conder, der es fertig bringt, gleichzeitig Venvandtsehaft mit dem Iranischen, Griechi-

Die Lykier. 373

sehen luid der miidg. Sprache von Van anzunehmen (,TRAS. 1891, 607 86), hesondei-s Deecke in mehreren Abhandhingen (Bezz. Beitr. XII 124. 315. XIII 258. XIV 181) den idg. Charakter der lykischen Sprache nachzuweisen gesucht und bei einer Reihe von Gelehrten, v^ie Ed. Meyer. Ramsay (Bezz. Beitr. XIV 309), Bnigmann, Torp auch Zustimmung gefunden.

Trotz so ^-ieler Anerkennung, die der indogennanischen Theorie zu teil geworden, kann ihre Unrichtigkeit nicht dem ge- ringsten Zweifel unterhegen. Die volle Uebei-zeugung von dem unindogermanischen Chai'akter des Lykischen kann freihch nur der gCArinnen. welcher mit den Denkmälern dieser Sprache sich selbstämhg beschäftigt; wer aber unbefangen an sie herangeht und nicht von vom herein entschlossen ist, hier ein idg. Idiom zu finden, muss auch sehr bald den Eindiiick erhalten, dass er es mit einer ganz eigenartigen, dui'chaus miidg. Sprache zu thmi hat: ich fi'eue mich, in dieser Ansicht mit denjenigen Gelehrten einig zu sein, welche sich in jüngster Zeit besonders eifiig dem Studium der lykischen Inschiiften hingegeben haben, mit Ark^^^-ight und Imbert. Xegativ lässt sich der Beweis für die Unrichtigkeit jener Theorie nm- dadm-ch flihi"en, dass man die vorgebrachten Er- klänmgen aus dem Idg. im Einzelnen widerlegt: das hat Pauli (Vorgr. Inschr. v. Lemnos 2, 116 ff.) einigen Annahmen Deecke's gegenüber gethan. Es giebt ja mehrere scheinbare Analogien, welche den Fernstehenden leicht blenden können: prnnavatö, s. V. a. r^oyuGaio, scheint die idg. Personalendung der 3. Sing. Med. der sekundären Tempora zu zeigen; der Phu". dazu auf der Bilinguis von Lewisü. prrinavut., lässt sich aber schon nicht so leicht aus dem Idg. erklären, denn da die Lautverl)indimg fit sehr häufig im Lykischen ist. begiiffe man nicht, wainmi sie hier nicht bewahrt sein sollte. Thatsächlich beweisen solche vereinzelte An- klänge nichts, so lange ^m' nicht mehrere lykische VerbalfotTiien kennen. Das georgische Imperfekt 3. Sing, egonehoda 'er dachte' sieht ^^'ie got. nasida 'er nährte" gebildet aus: erfahi-en Am' aber, dass die l.Plur. 'vär dachten' im Georgischen gwegoncboda lautet, dann erkennen wii' sofort, dass die Analogie nm* eine scheinbare ist. Auf der anderen Seite stösst die Annahme indogermanischer Abstammung des Lykischen auf so zahkeiche Schwierigkeiten, dass sie vöUig undm-chfülirbar erscheint. Auf lautUchem Gebiet fällt die Häufigkeit von Lautgruppen auf, die dem Idg. fi:emd sind, z. B. anlautendes Ich und yb, vde yhati, yhidä, ybihn, ybadasa,

374 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

xhdnijäy Jcbiho, hbijälii, yjybati, yäkbi, eine Eigentümlichkeit, die das Kaiische. Pisidische mid Kilüdscbe teüen: kar. Kßovdiaoaig^ KSc'Jdr^g, pisid. Kßi^daoig (Lanckoronski. Pisidien ii. 61). kilik. Kßedlaaig (JHSt. 1891, 249). Ferner tb: tbiso, tbiplö, tbäso, wie in kilik. TßeQr^ficoaig, Tßeoaor^Tag; yssb- in yßsbäzökrop . . . auf der Büingiiis von Tlos; sogar Ib im Anlaut: Ibbä, Ibbijöi, yib- in yttbadi. Die gi'osse Yei"scliiedenlieit des lykischen Lautsystems vom griechischen zeigt sich auch darin, dass die Lykier zahkeiche neue Zeichen dem giiechischen Alphabet hinzugefügt und alte umgewertet haben; noch reicher ist das karische Alphabet an solchen XeueiTuigen. Dies scheint für die Vel•^^"andtschaftsfrage nicht viel zu beweisen, da sich auch die Lautsysteme der idg. Sprachen nicht genau decken, aber die Vei*schiedenheit üitt doch sehr auffälhg heiTor, wenn man das phiygische Alphabet mit dem lykischen und kaiischen vergleicht. Der lykische Vokaüsmus weist euie gi'osse Mannigfaltigkeit auf. die unter ganz anderen Gesetzen zu stehen scheint als im Idg.: Arkwiight (Bab. Or. Rec. y 49 54) hat Spm-en von YokalhaiTnonie im Lykischen finden wollen, welche zwar nicht fiii" Tei'A;\-andtschaft mit dem üralaltai- schen geltend gemacht werden düifteu, a1)er doch gegen solche mit dem Idg. sprechen wüi'den ; seine Theorie bedarf freihch noch weiterer Prüfung. Wer angeben sollte, wie die idg. Vokale im Lykischen veiii-eten sind, wüi-de in gi-osse Verlegenheit kommen: Deecke spricht sich hieiüber ganiicht aus.

In seinem Bau stimmt zwai* das Lykische und, wie wir ge- sehen haben, ül)erhaupt die kleinasiatischen Sprachen insoweit mit dem Idg. übereiji. als sie das Prinzip der Sufiigiiimg kennen, aber dieses ist bekaimthch keine ausschhesshche Eigentümhchkeit des Idg. und begriindet daher allein keinen genealogischen Sprach- zusammenhang. Auch scheint die lykische Ali; zu suffigü*en von der idg. stark abzuweichen: es begegnen da eigentümhche, noch nicht recht vei-ständliche Suffixhäufungen, z. B. podröüthüdi neben pudrätä; Tttäpitadi, ntäpitöti zu vtäpi ; vgl. auch Iml)ert, Museon X 265 f Unindogennanisch ist auch die Anfügung des Suffixes -az- an Pei*sonennamen: Vizitasppazn von altpere. Vistaspa (s. oben S. 312). Auf lexikahschem Gebiet vennissen wir dm-chaus eine Keihe endenter Gleichungen. Die Venvajidtschaftsbezeich- nungen, in denen sich alle idg. Sprachen mehr oder weniger l)e- rühreu, zeigen im Lykischen ein gtuiz anderes Ausselien: tidiiimi 'Sohn', auf der Bilinguis von Tlos tohäs = adü^idoig, döt?.(ftdij,

Die Lykier. 375

kbatro == ^iyaTiga; weiteres bei Imbert. Meni. de la soc. de lingu. Vni 449 72. Ebenso steht es mit den Prononjinen: äbönnö, äbäija 'dieses', dahinter das Nomen, dem dann noch mäti oder mänä zu folgen pflegt; ähhi -suae' , ähhijä 'suis'; ütliähhi ^eavTO}\ Der Praeposition hrppi 'für' lässt sich schwerhch eine idg. Parallele an die Seite stellen. Wir müssten doch erwarten, dass die lykische Sprache der zunächst benachbarten phiygischen nahe stünde, wenn sie mit ihi' vei*\\'andt wäre; aber wie gross ist die Verschiedenheit! In den phiygischen Inschriften erkemit man sofort eine idg. Sprache, in den lykischen sofort ein fremdai-tiges Idiom, in welchem den Unbefangenen nichts an Indo- germanisches ennuert.

Gehört aber das Lykische dem idg. Sprachstamm nicht an, daim gilt dasselbe von allen verwandten kleinasiatischen Sprachen; Avir haben es hier demnach mit einer Sprachfamilie sui generis zu thmi. Lykien liegt gerade in der ]\Iitte zwischen der östhchen und westiichen Gruppe der kleinasiatischen Völker: wü'd es mit jener durch onomatologische Berührungen verbunden, so teilt es mit dieser eine Avichtige moi-phologische Erscheinung, wie sogleich nachgewiesen werden soU, mid l^ildet so das Verbindungsglied, welches die Eichtigkeit unserer Folgerungen verbürgt. Die Westkleinasiaten, Karer, Lyder, Myser, pflegt man allgemein zu einer Gnippe zusammenzufassen und als eng venvandt mit einander anzusehen hauptsächhch auf Grimd der Angaben Hero- dots I 171, wonach Lyder und Myser an dem alten Kult des Zevg KoQLog in Mylasa Anteü hatten „als die Briider der Karer', denn Lydos mid Mysos seien Brtider des Kar gewesen. Da Herodot hier die Ansichten der Karer selbst wiedergiebt, über die er als Halikamassier natürhch zuverlässig imtenichtet war, so ist seinem Zeugnis in der That eine maassgebende Bedeutung beizulegen. Natürlich folgt aber aus der Verwandtschaft jener drei Völker imd ihi'er Kehgionsgemeinschaft noch nicht, dass andere kleinasiatische Stämme ihnen ethnologisch imd speziell sprachlich unvei-wandt gewesen wären. Herodot spricht ja auch ausdiiickhch von noch anderen ouoyXwoooL tolol Kaooi, unter denen er die Kamiier besonders namhaft macht. Das Verhältnis zwischen der mysisch-lydisch-karischen Gruppe imd diesen Völkern könnte ein ähnhches gewesen sein als z. B. ZAnschen Aiolem, Jonieni und Doiiem einerseits und der thi'akisch-phiygischen Nation andererseits. Jedenfalls sind wir in der Läse, die

376 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

SprachvenN^andtschaft zwischen Lykieni und Kai'em noch be- sondei*s nachweisen zu können.

Die Kar er.

Die Karer betrachteten sich selbst als Autochthonen. während sie nach einer kretischen Tradition (Herod. 1 171) imter dem Xamen Leleger fi-iiher auf Kreta und ül^erhaupt den Inseln gesessen hätten und von dort erst in das Festland emgewandert wären. Eichtig düi-fte hieran so viel sein, dass die festländischen Karer sich in praehistorischer Zeit auch über die Insehi ausgebreitet hatten und dui'ch die Hellenen wieder zmilckgedi'ängt und auf das Biimenland beschi'änkt wiu-den. Ueber das Verhältnis der Leleger zu den Kareni ist es schwer ins Klare zu kommen, weil wii' es hier mit einem ähnhch schillernden etlmologischen Begriff zu tliun haben. \de bei dem pelasgischen. Ich glaube mit Ed. Meyer (Gesch. d. Alt. H 59 f. 246 f.). dass sich hist<v rische Ergebnisse aus den Nachrichten über die Leleger nicht \'iel gCAvinnen lassen. Wenn Philipp von Suangela berichtet, dass die Karer fi-üher imd noch zu seiner Zeit die Leleger als Sklaven verwendeten (bei Athen. YI 271), so folgt daraus eine ethnologische Vei*schiedenheit der Karer und Leleger so wenig vde aus dem gleichen Verhältnis z^^^schen Spartiaten luid Heloten, Thessaleni und Penesten. Flu- die antiken Histoiiker waren die Leleger nm- noch ein Name, über dessen einstige Träger man nichts rechtes zu sagen wusste und der eben deshall) auch von den Neueren leicht zu allen möghchen H}i)othesen missbraucht werden konnte.

Die ethnologische Stellung der Karer zu bestimmen haben wir nur ein Büttel, ihre Sprache, welche wir ausser durch einige Glossen und die Eigennamen auch aus einer Reihe von In- schriften kennen. Die karischen Glossen hat nach Jablonsky (Opuscula III 77) P. de Lagarde in den Gesammelten Abhand- lungen S. 267 ff. zusammengestellt ^) und zum Beweise der iranischen Abstammung der karischen Sprache benutzt. Dass sie zu diesem Nachweis nicht im Entferntesten ausreichen, kann keinem Unbe- fangenen entgehen. Die Gleichung kar. ßaröa 'Sieg' (Steph. B, u. 'AXaßavda) = pers. I>and in deicband 'Dämonenbändiger' ist

1) Vollständiger ist die Liste bei Sayce, Transact. Soc. Bibl. Arch. IX 116—120.

Die Karer. 377

allenfalls denkbar, obwohl die ursprüngliche Bedeutung der Wurzel hhendh- -binden' ist und sich dem Begriff des 'Siegens' in dem pere. Wort und in deutsch bäiuligen nur ein wenig an- nähert. Wenn aber Lagarde kar. ala 'Pferd' (Steph. B. u. ^^laßavÖa und ^Yllovala) mit skr. ärvan- 'Renner, Ross' ver- bindet, dann kann man ihm mit Fug entgegnen, dass awarisch ala 'Stute' 1) doch mehr Anspruch darauf hätte, mit dem kar. Wort verglichen zu werden 3). Der Ortsname ^ovdyye)M be- deutete nach Stephanos 'Königsgrab' und war ein Kompositum aus oovav Grab und yelav König mit dieser Folge der Glieder: man kann wii-khch nicht sagen, dass er ein idg. Aussehen hätte, und evidente Etymologien aus dem Idg. sind sowenig für diese Wörter wie für yiooa Stein, xwg 'Tcgoßarov', Xdßgvg 'Axt', y.vßöa ein Gewicht (Machon bei Athen. XIII 580), Tovoovlog 'Zwerg' aufzutreiben.

Ebenso muss der Versuch von Georg Meyer (Bezz. Beitr. X 147 202), aus den Eigennamen den idg. Charakter des Kari- schen zu erweisen, für völHg misslungen gelten. Da wir die Bedeutungen dieser Namen nicht kennen , so schwebt jede Ety- mologie in der Luft zumal wenn sie semasiologisch so unwahr- scheinHch sind, wie teilweise die von Meyer : so stellt er TaQiavr^q zu gr. TccQßog Schrecken, TaQ/.ovdaQevg zu skr. tarkayati vermuten. Bereits Pauli hat (Vorgr. I. v. Lemn. 1, 54) mit Recht eingewendet, dass idg. Ortsnamen nicht von Begi'iffen wie Lohn, Schweiss, ver- muten, abgeleitet zu werden pflegen. Aber auch die begrifflich besser passenden Deutungen sind eben nicht im Mindesten zwin- gend. Auch die kar. Pei-sonennamen machen einen unidg. Ein- druck: wo giebt es Parallelen im Idg. für die Xamen auf -aoig, wie JJawaooig, Kßovdiaoöig, KeXdvaaotg, ^duaaaig, für eine Zusammensetzung wie IMa-vaaojXXog aus dem Xamen der Göttin und "YGOcAkog (s. oben S. 327)?

Wir besitzen nun aber bekanntlich von den Karem auch eine Reihe von Inschriften, welche uns. so schwer sie zu be- handeln sind, doch für die Frage nach der allgemeinen Stellung ihrer Sprache von grösstem Werte sind. Die ersten kar. In-

1) Ich entnehme das Wort Schiefner's Versuch über das Awarisehe, Memoires de l'Acad. de St. Petersb., S. 711, Bd. V, 1863, S. 12.

2) Die Gleichung ä/.a = skr. ärvan- bestreitet auch Pauli (Vorgr. L v. Lemn. 1, 58), während er ßavda als iran. Lehnwort ansehen möchte.

378 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

Schriften hat Lepsiiis in den Aegj-jit. Denkmälern, Bd. XII 98. 99 n. 1 7, veröffenthcht: es sind das die von den karischen Söldnern des Psammetich eingeritzten Inschriften auf den Schenkeln der Kolosse von Abu-Simbel in Xubien, auf denen auch che grie- chischen Kameraden der Karer sich verewigt haben (IGA. 482). Zu diesen Inschriften ist eine grosse Reihe weiterer aus Memphis, Bubastis irnd besondei-s dem aegyptischen Abydos hinzugekommen, alle gesammelt von Sayce, Transactions of the Society of Bibhcal Archaeology IX (1893) S. 123 154. Hinzuzufügen sind jetzt die Münzlegende bei Babelon, Les Perses Achemenides (Catalogue des monnaies grecques de la Bibl. nation., Paris 1893) S. CII,. ferner die von Sayce. Proceechngs of the Soc. of Bibl. Arch. XVII 1895 S. 39 43, pubhzirten Inschriften aus dem Tempel Thothmes III in AVadi Haifa und aus Silsihs, die Inschrift aus Mendelia (in Karien) bei Hula und Szanto, Sitzgsber. d. Wiener Akad. 132. Bd. (1894) S. 10 und eine von Daressy mitgeteilte aegyptisch-karische Bilinguis auf einer Ichneumonstatuette des Mu- seums von Gizeh, Recueil de travaux relatifs ä la philologie egyptienne XYII (1895) S. 120, endhch eine Bihnguis des Ber- hner Museums, von der sogleich die Rede sein wird, und die In- schrift eines Kruges ebendaselbst.

Das Alphabet dieser Inschriften ist ohne Zweifel ein grie- chisches, aber es enthält so viel neue Zeichen, dass man deuthch erkennt, wie wenig die griechische Schrift für die Bedürfnisse des karischen Lautsystems, besonders des Vokalismus ausreichte. Es zeigt sich dies auch in dem grossen Schwanken bei der grie- chischen Umschreibung karischer Namen: so wird der Beiname des Gottes, dessen Tempel von Ramsay und Hogarth bei Badinlar in der Nähe des alten Dionysopolis am Maiandros entdeckt wor- den ist (JHSt. VIII 376. X 216), AaiQßr^vog, uiuQßrivog, Aaiq- fir^vog, AaQur^vog, ytEif-ir^ioQ, AeouriVOL;, ylvEOf^r^vöc: geschrieben. Die verschiedenen Schreibungen des Gottesnamens ylaßqavvÖEvg sind oben S. 303 aufgezählt. lieber den Lautwert der neuge- schafi'eneii karischen But'hst;iben hat Sayce a. a. 0. mit ge- wohntem Scharfsinn und gewohnter Kühnheit gehandelt: Avir brauchen auf alle Einzelheiten nicht einzugehen, weil ftir uns nur eine, in der Verwandtschaftsfrage entscheidende Ei"scheinung in Betracht kommt.

Die iicgyptisch-karischen Bihnguen, deren wir drei besitzen, können uns leider bei der Deutung der karischen Inschriften nichts

Die Karer. 379

nützen, weil in allen Fällen der karisclie Text nicht die genaue Ueber- setzung des aegyptischen zu sein scheint. Die aeg\-ptische Inschrift auf der Basis des Bronzestieres aus Memphis, bei Sayce Taf. 1. n. Memph. n. 3. lautet nach der mir freundlichst von K. Sethe gegebenen Uebei-setzung ..Der Apis gebe Leihen dem PR^<M. dem Wiederholer (Berichterstatter?, Sayce übersetzt: Dollmetscher)", Auf der linken Seite der Basis stehen zwei karische Worte, welche Sayce M-a-v-a-ä-e-n a-v-n-o-y-h-e umschreibt, auf der rechten M-a-v-e-d-e-n S-l-m-o-d-o. Sayce's Uebersetzung „Maväen the dragoman; Maveäen to Apis(?)" auf Grund des aeg}-ptischen Textes ist natüi'Hch ganz unsicher. Da es zwei parallele karische Inschriften sind, jede mit demselben "Wort (demi die Yokal- vei'sclnedeuheit ist unbedeutend) beginnend, und der aegyptische Xame des Weihenden in ihnen augenscheinhch nicht vorkommt, so handelt es sich hier auf keinen FaU um eine genaue Uel^er- setzung.

Ebenso verhält es sich mit der von Daressy bekannt ge- machten Bihnguis von Gizeh. Hier lautet der aegyptische Text nach Sethe 's uebersetzung „Gott Atum gebe Leben imd Gesund- heit dem (der) SRKBJM"'. Der Xame des Weihenden ist nach Sethe sicher unaeg^'ptisch ; nur die letzten Zeichen scheinen nach der Schreibung mit dem Determinativ des Wassers zu schhessen das aegypt. Wort jm, kopt. lOM = hebr. -3- 'Meer' zu enthalten. Die Erwartung aber, dass cheser Xanie in der kari- schen Inschrift wiederkehre, erfüllt sich nicht; sie enthält keinen Zeichenkomplex, den man in dieser Eichtung deuten könnte, und ist demnach wieder keine wörthche Uebersetzung des ägyptischen Textes.

Die dritte bisher unveröffenthchte Bihnguis befindet sich auf der Basis einer Statuette der Göttin Xeit. welche aus dem Sprenger'schen Xachlass vor kurzem in die aeg^-j^tische Ab- teilung des Berhner Museums gelangt ist. Ich verdanke ihre Kenntnis meinem Kollegen Sethe. der auch die Güte hatte, mir die Uebei-setzung der aegyptischen Inschrift mitzuteilen; sie lautet: ,.Peteneit, Sohn des KhER, geboren von der Dame KPRKTR (oder KHTKE), geboren von der Xeitem-Het". Auch hier wieder kann die kai'ische Inschrift nicht die Uebei-setzung der aeg>-ptischen sein, aber sie ist dadurch von grossem Wert für uns, weil sie ausserordenthch koiTekt eingraviit und vorzüglich erhalten ist, so dass über kein Zeichen ein Zweifel obwalten kann, was nicht

380 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

von allen karischen Inschriften zu gelten scheint. Sie hat etwa folgendes Aussehen:

Die Analyse dieser Inschrift lässt sich mit ziemlicher Sicherheit vornehmen. Sayce hat bereits richtig erkannt, dass die meisten karischen Inschriften von der gleichen Länge aus zwei Namen bestehen. Die Erwai-tung, dass der zweite Name der des Vaters, also ein patronAinisches Adjektiv oder ein Gen. Sing. sei. findet in der Gleichheit des Ausganges des zweiten Namens in mehreren dieser Inschriften eine Bestätigung. Auf den Inscliriften von Abydos endigt der letzte Name mehrfach auf ® . worin Sayce (Trausact. a. a. 0. 141 f.) deshalb den Genitivausgang erblickt, z. B. Abyd. IV 10:

©MAA M?AZ t^

Die Inschrift kehrt noch zweimal wieder (IV, 6. 9). und in der einen Replik zeigt ein senkrechte Linie nach dem 4. Buchstaben von rechts die Worttrennung an. Die Endung © im zweiten Namen wiederholt sich in den Inschriften von Abydos n. 2 9. 16. 18. 26. 37 und anderen (wie n. 13. 14. 17. 32), wo die Analyse weniger sicher ist. In n. 5 lautet der letzte von drei Namen:

© B 1 V D f^

Es ist dies offenbar der Genitiv zu dem Namen, der auf einem KiTig des Berliner Museums (Aegsptische Abteilung, Saal VII, Schrank N. n. 7206) rechtsläufig eingeritzt ist (noch unpubhzirt):

£A < V r A

etwa Megula zu lesen i). Sayce (a. a. O. 148) hat in dem Namen der Inschrift von Abydos ansprechend griech. 3IbyvXXog, (oder I\Ir/.v/.o^) vermutet. Deim dass Karer griechische Namen trugen, geht aus den Steinen von Halikamass hervor und stimmt auch zu der Bemerkung des PhiUpp von Suangela, dass die karische

1) Das erste Zeichen, das wie ein M mit Grundstrich aussieht, setzt Sayce mit dem kyprischen Zeichen für mi gleich und betrachtet es, da es oft vor Konsonanten steht, als Silbenzeichen. Dann lässt sich der erste Name der Inschriften von Abydos n. 6. 9. 10 9AZ£/^ mit Msoog = lyk. Mizo verglichen, der bilinguen Beischrift bei einem Mann auf dem Grnb- relief von Kadyanda (Reisen in Lyk. II S. 193 n. 267).

Die Karer. 381

Sprache sehr viele griechische Wörter beigemischt enthalte. Die Karer au der Küste sprachen gewiss frühzeitig, wenigsten die höher gesitteten , Griechisch neben ihrer Muttersprache , nennt doch Thukydides YIII 85 ausdrückhch den Karer Gauhtes öiy'/uoaaov.

Kehren wir jetzt zu der Berliner Bihngiiis zurück, so ist es sicher, dass wir es auch hier mit zwei Namen zu thun haben, deren ei'ster bis zum 5. Zeichen (von rechts gelesen) reicht. Dieser Name kehrt nämlich auf zwei Inschriften von Abydos (n. 2 und 3) wieder, nur mit dem Untei-schied, dass in Abydos n. 2 an 2. Stelle a, in n. 3 ? steht. Der zweite Name geht aber nicht wie in Abydos auf 06 aus, sondern auf diese Zeichen folgt noch a 4-. Dieselbe Endung begegnet auch bei dem 2. Wort auf der erwähnten Bilinguis von Memphis (S. 379) und einigen anderen Inschiiften. welche Sayce a. a. 0. 142 verzeichnet, ausser- dem auf der Inschrift von Mendelia (Sitzgsber. d. Wien. Akad. 132. Bd. S. 10), fehlt aber in den 38 Inschiiften von Abydos. Von den besprochenen Zeichen ist zunächst a seinem Lautwert nach sicher als ein Vokal e oder ähnhch zu bestimmen: Sayce hat dies schon in den Transact. a. a. 0. 130 richtig erkannt i). Die unwiderlegliche Bestätigung hat ein von Sayce in den Pro- ceedings of the Soc. Bibl. Arch. X 377 f. n. 1 mitgeteiltes grie- chisches Graflito aus Abydos gebracht : Nav/.QccTr^i; a lygaipe, JI . . . . iqg ijld^e iv&ade Kar/.og (?). Hier ist nämhch das erste £ von eri^döe und das von rflite durch jenes karische Zeichen ausgedrückt. Dann stimmt aber die Endung des 2. Namens der Berliner Bilinguis, in w^elchem wii' den Namen des Vaters sei es nun im Gen. Sg. oder als patronymisches Adjektiv zu ver- muten haben, genau mit dem Ausgang der lyk. Genitive + /^ d. i. -hä überein z. B. Mizpatijähä Sura n. 6, Gen. von Mizixiüjä Sura n. 1. Dass 4- ein h oder einen ähuhchenLaut bezeichnet, hat man längst aus griechischen Umschreibungen lykischer Namen geschlossen ^) : in dem rhodischen oder einem dem rhodischen ver-

1) Vgl. auch Imbert bei Babelon, Les Perses Achem. p. XVII.

2) S. Mor. Schmidt, The Lyc. Inscr. p. IV. Die griechische Trans- skription pflegt den Laut zu ignoriren: zu den bekannten Belegen ist vielleicht Ij'k. tohäs = pisid. Tovtjg (Lanckoronski , Pisid. n. 260, vgl. TovrjGiavös), Qovag Sterrett III 130 hinzuzufügen, so dass das Verwandt- Bchaftswort auch als Name fungirt hätte.

382 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

wandten Alphabet, aus dem das lykische abgeleitet war. hatte dasselbe Zeichen, wie ich Giiech. Yaseninschr. S. 237 f. zu zeigen gesucht habe, den Lautwert einer gutturalen Spirans. Da aber auch das karische Alphabet aus einem der in den dorischen Ko- lonien hen-schenden abstammt (vgl. Sayce, Transact. a. a. 0. 129). so steht nichts im Wege, hier dem Zeichen + dieselbe Bedeu- tung beizulegen wie im Lykischen.

Ein Unterschied besteht freihch zwischen der lyk. und der kar. Endung: im Lykischen geht dem ein a. ä, i, seltener ein 0 voraus (Deecke a. a. 0.) im Kaiischen dagegen ein ©, das in Abydos sogar die einzige Endung bildet. Der Lautwert dieses Zeichens ist allerdings fraghch. Dass es nicht s. v. a. gr. <p ist, hat Sayce wohl mit Recht angenommen, seine Umschreibung mit ü stützt sich aber auf Gründe, die nicht stichhaltig sind (Transact. 131), nämlich auf ein phiygisches Zeichen, dessen Lautwert eben- falls problematisch ist (bei Ramsay n. 2, s. oben S. 235 Anm. 1), und auf die falsche Lesung eines lykischen Namens, des lyk. Aequivalents von Ilv-jidlrig auf der Bilinguis von Lim}Ta (s. Imbert, Bab. Or. Rec. V 106). Da (D, wie Sayce selbst bemerkt, in Abydos mit o wechselt (vgl. n. 11 mit 20, 24 mit 25), so war €s wahrscheinhch nur eine Variante des letzteren Zeichens und bezeichnete einen o- oder ö- Vokal : ich umschreibe es mit 0. Das Fehlen des -hä in Abydos lässt sich verschieden erklären. Ent- weder war -hä im Karischen ein fakultatives Genitiv-Affix und fehlte in Abydos, weil der Genitiv genügend durch -0 gekenn- zeichnet war oder -0 ist in Abydos lautUch aus -ohä entstanden, indem wie im Lykischen zunächst apokopirt wurde ^) und dann das auslautende -h verstummte. Dann entspräche also

lyk. -hü kar. -0-h(i ^

lyk. -h in Abydos -0. Damit hoffe ich alle Schwierigkeiten beseitigt ä) und den

1) Diese apokopirte Form auf -A ist im Lyk. häufiger als die volle Form auf -hü (9. Deecke, Bezz. Beitr. XII 126 ff.).

2) Nicht unerwähnt will ich lassen, dass Arkwright (Bab. Cr. Rec. V 187 ff.) und Imbert (Museon X 1891, 265 f.) die lyk. Formen auf -hä nicht als eigentliche Genitive ansehen wollen, sondern -hü als ein stamm- bildendes Suffix betrachten, das unter Umständen die Funktion eines idg. Genitiv-Suffixes übernahm. Andererseits haben Sayce (Transact. Bibl. Arch. IX 142) und Deecke (Sitzgsber. d. Wien. Akad. 132 S. 10) die karischca

Die Karer. 3od

Nachweis erbracht zu haben, dass die karische Sprache mit der lykischen ein wichtiges, viel gebrauchtes Suffix gemeinschaftUch hatte. Zieht man femer die in den beiden ei'sten Abschnitten dieses Kapitels vorgetragenen Argumente in Betracht und erwägt man, dass das Karische so wenig wie das Lykische ein idg. Idiom sein kann, dann kann die von Thraemer (Pergamos S. 355) noch bestrittene Verwandtschaft der Karer und Lykier nicht mehr be- zweifelt werden. Natürlich war aber die karische Sprache mit der lykischen nicht genau identisch, sondern differirte von ihr mehr oder weniger, wie dies zwischen verwandten Sprachen immer der Fall ist. Daher kann die oben aufgezeigte Abweichung in der Genitivendung nicht im Mindesten aufiallen.

Einen von den übrigen karischen Inschiiften abweichenden Charakter trägt die von Hammer-Purgstall entdeckte Inschrift eines Felsengrabes auf der Xordwestseite des Golfes von Makri, bei Sayce, Transact. Soc. Bibl. Arch. IX Taf. 3. wo die Ab- schriften von Hammer-Purgstall und von Forbes und Hosk}'üs neben einander gestellt sind: eine dritte von Bent, welche Cecil Smith, Class. Review II 1888. herausgegeben hat, ist Sayce entgangen. Wh- vermissen iu cheser aus beinahe 40 Buchstaben bestehenden Inschrift mehrere Zeichen, ^ne sie sonst fast auf jeder karischen Inschrift vorkommen, welche also hier nicht l)loss zu- fällig fehlen werden, und treffen anderei"seits zwei Zeichen an, welche den übrigen karischen Inschriften fremd sind. Sayce hat darauf hingewiesen, dass der Fmidort der Lischiift. in welchem man das antike Koia oder KqvaGöog gesucht hat, in der Nach- barschaft der Ka unier lag, von denen Herodot I 172 berichtet, dass sie zwar in der Sprache den Karem nahe stünden, aber an dem Kult von Mylasa keinen Teil hätten und auch durch ihi-e sonderbaren Sitten sich von den Karem unterschieden. Jeden- falls wird sich der abweichende Charakter jener Inschrift daraus erklären, dass die Bevölkerung an der karisch-lykischen Grenze Krj'a wurde von Artemidor (bei Steph. B. s. v.) schon zu Lykien gerechnet keine echtkarische gewesen ist.

Ebenso mag im karisch - lydischem Grenzgebiet ein vom

Wörter auf -hü als Ethnika gedeutet, jedoch ohne irgend durchschlagende Gründe. Wäre diese Ansicht auch richtig, so dürften wir doch das lyk. Suffix mit dem karischen identifiziren, da auch ersteres zur Bilduno- von Ethnika verwendet wird: ArTmahä -/.äröi auf einer Münze von Xanthos.

384 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

karischen etwas abweichendes Alphabet geherrscht haben; wenig- stens zeigt die von Kondoleon (Athen. Mitteil. XY 337) heraus- gegebene Inschrift aus Tralles einige Buchstabenformen, die in den karischen Inschiiften fehlen; zwei erinnern an lykische Zeichen. Xach Strabon (XIV 648. 650 f.) war die Bevölkerung zwischen dem Messogis-Gebirge und dem Maiandros aus Karem und Lydern gemischt, reinkarisch erst auf dem linken Ufer dieses Flusses.

Die Lyder. Während der ..kleinasiatische" Charakter des Volksstammes der Karer nicht zweifelhaft erscheint, bieten die ethnologischen Ver- hältnisse Lydiens ungleich grössere Schwierigkeiten. Das Epos nennt die Lyder noch nicht, sondern an ihrer Stelle die 3//Jorec und die Jlr^ovlrj, wofür die Späteren 3Iaioveg , 3Iatovia sagen (Strab. XIII 625). Ueber das Verhältnis dieser Xamen zu einander war man sich schon im Altertum nicht klar. Herodot (I 7) nimmt einen Wechsel des Xamens an, ohne über die ethnologischen Verhältnisse Retlexionen anzustellen. Auch Strabon (XIII 620. 625) hält Lyder und Maioner für dasselbe Volk, erwähnt aber auch die abweichende Ansicht anderer, welche daninter zwei ver- schiedene Nationen verstanden. Die Neueren haben sich ziemhch allgemein dieser letzteren Anschauung angeschlossen und haben, da Diodor den 3Ii;(or als einen alten König von Lydien und Phrygien bezeichnet (TEI 58), die Maioner für ein phrygisches Volk er- klärt. Folglich mussten die Lyder Semiten gewesen sein, denn die Möglichkeit einer dritten, weder idg. noch semitischen Rasse zog man niclit in Betracht, glaubte auch sonst semitische Spuren in Lydien zu entdecken. So urteilten zuerst Abel (Makedonien S. 53) und unabhängig von ihm Lagarde (vgl. Ges. Abb. 270 ff.), später Deimhng, Die Leleger S. 16. 23 f. 80 f. und Kiepert, Lehr- buch d. alt. Geogr. S. 112. Thraemer (Pergamos S. 342) hat diese Theorie seinen sonstigen Anschauungen über die kleinasiati- sche Ethnologie gemäss modifizirt: er hält die Maioner für einen von Osten eingedrungenen phrygischen Stamm, indem er sich auch darauf beruft, dass der Name Maeonien immer am östlichen Teile Lydiens haften gebheben ist; die Lyder sieht er als Ver- wandte der Karcr und wie diese von Westen zugewandert an; hinter diesen Einwanderern setzt er noch eine von jenen ethno- logisch verschiedene klein asiatische Grundbevölkerung voraus und

Die Lyder. 385

glaubt ausserdem ein Aon Osten eingedrungenes semitisches Ele- ment nicht abweisen zu dürfen. "Wieder anders hat sich R.adet (La Lydie. Paris 1893 S. 50 ff.) die Sache zurecht gelegt: er be- trachtet, wie die Früheren die Lyder als ein semitisch-indoger- manisches oder, wie er das ausdrückt, syrisch-thrakisches Misch- volk, hält aber Maioner und Lyder für Zweige desselben Volkes und nimmt an. dass früher ei-sterer Stamm, seit Gyges aber der lydische die Oberhand erhielt und dem Lande den Namen gab.

Uns haben sich aus den bisherigen Erörtenmgen bereits zwei feste Anhaltspunkte für die Ethnologie Lydiens ergeben. Die schwerwiegende Thatsache. dass die Lyder am Kult von Mylasa teil hatten und sich als Brüder der Karer fühlten, er- weist mit Sicherheit ein dem karischen verwandtes ..kleinasiatisches'' Element in Lydien. Zweitens haben wir in Kap. VII im An- schluss an Thraemer und Perrot festgestellt, dass in praehisto- rischer Zeit phrygische Stämme von Osten in Lydien einge- drungen waren und die Hegemonie daselbst ausübten. In historischer Zeit waren beide Elemente zu einem Ganzen verschmolzen, doch scheint im "Westen der Landschaft das autochthone kleinasiatische, im Osten das phrygische Element vorgehen-scht zu haben. Es liegt in der That nahe, mit Abel anzunehmen, dass wir in den Maionem das einstmals in Lydien hen-schende phrygische Element oder -vielleicht richtiger ein mit Lydeni gemischtes, aber vorwiegend phiygisches zu sehen haben, welches sj^äter durch die autochthonen Lyder wieder unterdiückt und nach dem Osten zurückgedrängt wm-de, auf welchen daher in historischer Zeit der Name Maiovia beschränkt ei-scheint. Vielleicht darf man hierfür auch die homerischen Verse II. .3 288 292 heranziehen: Hektor klagt hier, dass früher alle Menschen von der reichen Stadt des Priamos erzählt hätten, jetzt aber seien alle diese "Schätze dahin,

y.xrifxata 7reQvä(.iEv cael, sftel /.leyag loSvoato Zsvg. Hier (wie F 401) erscheint Phrygien mit Maionien verbunden und der Reichtum dieser Landschaften der durch den Krieg her- beigeführten Verarmung von IHos gegenübergestellt. Man hat, wenn man jene Verse liest, den Eindruck, als ob dem Dichter bei ihrer Abfassung die Verhältnisse einer jüngeren Zeit vor- schwebten, in welcher die Macht und der Reichtum von Ihos nur noch eine Mythe war (tiqIv fiiv yag TlQLafxoio tioXlv f.UQ07reg

Kretschnier, Einleit. in d. Gesch. d. gr. Sprache. 25

386 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

avd-QiüTcoi TtdvTsg (.ivd^ea/.ovzo rTO?.v'/QVGov, n:oXvxa?,y.or) und viel- mehr jenes über Maionien d. i. Lvdien sich ei'streckende phry- gische Reich, von welchem oben S. 203 ff. die Rede war, das blühendste in Kleinasien war. Der epische Dichter lässt diesen Wechsel der Verhältnisse schon in der Zeit des troischen Kiieges anheben, dessen Kosten Phrjgien und Maionien ebenso bereichert wie Ihos zu Grunde gerichtet haben sollen.

Kiepert (Lehrb. d. alt. Geogr. S. 112) hat die ansprechende Yennutung geäussert, dass die durch Gyges begründete Dynastie der Mermnaden eine national-lydische gewesen sei und den ur- alten lydischen Namen wieder gegenüber dem der eingedrungenen Maioner zu Ehren gebracht habe. Während er aber die vorher- gehende Herakhden-Dynastie mit Niebuhr u. a. für eine semitische, aus AssjTien stammende hält, weil Herodot als ihre Ahnhenii Ninos und Belos nennt (I 7), erklärt Radet (La Lydie S. 58—60) die Herakhden für eine maionische Dynastie, welche um 687 durch den Lyder Gyges entthront wurde. Diese Hypothese denn für mehr will ich sie nicht ausgeben erhält eine Stütze durch die bekannte Stelle in der Inschiift von Assurbanipal : ,,Gn-ug-gu, der König von Lu-iid-di, einem Gebiete jenseit des Meeres, einem fernen Lande, dessen Namen die Könige meiner Väter nicht gehört hatten.'* Der Name der Lyder war den Assp-ern dann deshalb unbekannt geblieben, weil vor Gyges der in der Dias allein herrschende maionische gegolten hatte i). Für die Frage, ob für Lydien auch ein semitisches, speziell assyiisches Volkselement anzunehmen sei, verweise ich auf Thrae- mer, Pergamos S. 343 ff. : ich glaube nicht, dass es von irgend- welcher Bedeutung gewesen, sondera dass eher an einen vorzugs- weise politischen und kultm'geschichtlichen Einfluss des semitischen Ostens zu denken ist.

Wenden wir uns nunmehr den Sprachverhältnissen Lydiens zu, so stehen uns hier leider fast gar keine inschriftlicheu Quellen zu Gebote. Denn die von Newton (Transact. Soc. Bibl. Arch. IV 1876 S. 334) veröffentlichten Buclistaben auf einer Basis, welche zu den columnae caelatae des alten ei)hesischeu Artemis-

1) Somit ist Jensens Ansicht (bei Thraemer, Pergamos S. 413) nicht zwingend, dass „dessen Namen" in der assyrischen Inschrift sich auf Gyges, nicht auf Lydien beziehe, zumal es unwahrscheinlich sei, dass die Aseyrer bis zu Gyges' Gesandtschaft nichts von Lydien gewusst haben sollten.

Die Lyder. 387

tempels gehört hat, können uns sprachHch nichts nützen. Ganz kürzhch hat Sayce (Proceed. Soc. Bibl. xA.rch. XVII 1895 S. 39 ff. V) bei Silsihs eine Inschrift entdeckt, welche er vielleicht mit Recht für eine Irdische erklärt:

AA ^'$^1|?^^T/^IZKl^

Sayce Uest ,,Älus Mrshtl zu! d. i. Alys (vgl. ^^Ivuzrrjg). Sohn des Mai-sos."' Ich verzichte vorläufig auf eine Verwertung dieser Inschrift. Dann bleiben uns als Quellen nui* die Namen und Glossen, welche von Lagarde. Ges. Abb. 270 ff., gesammelt und nach seiner schon erwähnten Theorie beurteilt sind, dass in Lydien zwei Völker, ein semitisches und ein iranisches, zu schei- den seien. Den Semiten weist Lagarde die Eigennamen 3IvccTTrjg, ^advocTTr^g und '^Atarrrjg zu mit Berufung darauf, dass sie sich in der Stellung des Gottesnamens ^.AvTrjg von giiechischem QeodioQog wie hebr. bN:rr: untei-scheiden. Dass cheser Gnind nicht stichhaltig ist. liegt auf der Hand, denn jene Stellung der Kompositionsglieder konnte doch auch in anderen als den semiti- schen Sprachen üblich sein, und sie hegt thatsächhch in JcoQod-eog vor, wähi'end anderei-seits. wie Socin (bei Thraemer, Pergamos S. 3471) bemerkt, im Hebr. Jo-natan neben Natan-el steht. Die semitischen Etymologien von den ei-sten Gliedern jeuer lydischen Namen, welche Pauli (Vorgr. I v. Lemn. 1. 67) vortrug, werden von Socin bestritten. Ich halte ^adv-ccTTr^g, "^Iv-äririg ^^^^' echt- lydische d. h. „kleinasiatische'' Namen, welche mit dem Lall- namen "AiTtig, worunter hier immerhin der Name des Gottes ver- standen werden mag, ähnlich zusammengesetzt sind, wie lyk. 'Egi-iEv-dadig CIG. 4315 f. Add. mit Dada, ^^guov-vavig in Kibyra (BGH. XIH 340. Sterrett II 34 mu-ichtig ^uiov Navig) mit Nana, ^Elai-ßc ßi]g in Pamphylien (Lanckoronski, Pamphyl. n. 333) mit Baba. Der autochthonen Bevölkening gehören wahi- scheinHch auch die meisten übrigen lydischen Namen und Glossen an, welche ja alle ei-st in einer Periode aufgezeichnet sind, als das lydische Element das heri-schende war. vor allem die Ortsnamen ^) und gewiss auch die übrigens nicht zahlreichen Personen- namen, welche sich im Idg. nicht leicht unterbringen lassen, wie

1) Das nur aus einer von Fontrier publizirten Inschrift bekannte TvavcoD.og (Kiepert, Form. orb. ant., Asia prov., Text S. 4 Anm. 49) ist eine Weiterbildung von (kappadok.) Tvava mit demselben Suffix wie KaaxcoXXög. Tdßa'/.a gehört sicher zu kar. räßa 'Felsen'.

25*

388 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

rt'yrfQ, assjT. Gugu. wohl ein Lallname wie 2oioov, Jovdw (s. oben S. 352), KdiitßXr^g, 3IeQ^uvdSai ; Kgolaog, das man mit lyk. Xäröi verglichen hat. Beweisen lässt sich dies jedoch bei den letzteren kaum. Denn wenn imsere oben aufgestellte Ansicht lichtig ist, dass die Bevölkerung Lydiens in liistorischer Zeit aus autochthonen und phrygischen Elementen gemischt war. so müssen wii' allerdings auch gewärtig sein. Indogeimanisches in dem lydi- schen Sprachmaterial anzutreffen.

Diese Erwartung scheint sich in der That zu bestätigen. Lagarde hat schon 1848 einige von den lydischen Glossen als iranisch wofür wir phngisch sagen müssten in Anspruch genommen ; s. Ges. Abh. 274 f. Den meisten Anspruch als idg. zu gelten düi-fte der Xame des Gottes und Königs Karöai'/.r^g haben. Ein bekanntes Hipponax-Fi-agment: 'EQuij y.irdyya lMi]0viOTL Kavdav'/.a bezeichnet Karöav'/.iqg als den maionischen Isamen des ..Hundswürgei-s Hermes." Man hat längst gesehen, dass sich Kavdai'/.r^g in dieser Bedeutung merkwürdig leicht aus dem Idg. erklären lässt. Bereits G. Cui-tius in Höfers Ztschr. für die Wissensch. d. Sprache II 220 hat in dem ersten Teil des Xamens das idg. Wort für 'Hund', skr. ^van-, gr. '/.itov. lat. canis usw., gesucht!). Lagarde's Einwand (a. a. 0. 275), dass dann der Anlaut a =^ skr. p-. iran. .<f- zu erwarten sei, wofür er sich auf das gleich zu erwähnende actodig. skr. rar ad- beruft ^). erledigt sich durch die S. 230 über das phrvgische Wort für 'Hund' gemachte Bemerkung, wonach dieses ebenso ^ne lett. ktma ausnahmsweise mit k- statt s- angelautet zu haben scheint: wenn also maionisch s. V. a. phrygisch ist, dann ist der Anlaut Ä- gerade das zu er- wartende. Für den zweiten Teil des Namens hat Curtius keine glaubhafte Deutung gefunden, obwohl eine solche sehr nahe liegt und auch schon von Deecke, Bezz. Beitr. XIV 189, aufgestellt worden ist 3): nämlich die Zusammenstellung mit asl. daviti

1) Sayce (Transact. Soc. Bibl. Arch. IX 120) zieht auch den kar. Ortsnamen Kavrjßiov heran, indem er den späteren Namen der Stadt, Kior (Steph. 13. 8. v.), als eine griechische Uebersetzung ('Dogs Town') des karischen Namens betrachtet. Aber die authentische Namensform ist laut einer Inschrift von Lagina Kvg (Kiepert, Form. orb. ant.), Ethnikon Kvehat.

2) Lagarde selbst erklärt Kavdavlt^g als heldarl, Particip von lieldel = .iriytiv.

3) Deecke schreibt diese Deutung irrtümlich Curtius zu. Solmsen,

Eandaules. 389

^vürgen' (lit. dövijti -abhetzen'). Es trifft sich merkwürdig jjut. dass wir die Wurzel dar- 'würgen' mit einiger Wahrscheinhch- keit auch im Phrvgischen nachweisen können, nämUch in dem "Worte daog. '"Woh". welches ich oben S. 221 als 'Würger' ge- deutet habe. Es bleibt nun noch das Verhältnis des Gottes- namens Kavdav'/.rjg zu dem Königsnamen zu erörtern. Fast selbst- vei'ständlich dürfte es sein, dass ei-sterem die Priorität gebührt, denn die üebertragung von Götternamen auf ]Menschen ist nichts ungewöhnHches und scheint nach Midag, ^.Arzr^g, Mdvrig, Nava, ^'^f.if.ia, zu urteilen (s. oben S. 200), eine speziell phrygische oder kleinasiatische Sitte ; die Bezeichnung -Hundswürger" ei'scheint aber bei einem Gott, der ein hundeartiges Ungeheuer überwältigt hat, sehr wohl, bei einem SterbHchen kaum begreiflich. Nun wurde der Hesychglosse Kardavlag. Eouij^ r^ '^HQcr/.Xijg zufolge dieser Gott von anderen auch mit dem griechischen Herakles gleichgesetzt: Herakles war aber nach griecliischer Anschauung der Ahnherr jener Dynastie, deren letzter König Kandaules ge- wesen sein soll (Herodot I 7). Daraus folgt, dass diese Dynastie der Herakliden ihren natürlich nur von den Griechen aufge- brachten Namen dem Umstände verdankt, dass sie ihr Geschlecht von einem Gotte Kavdailu^ ableitete, den die Griechen mit ihrem Herakles ideutifizu-ten, weil er wie dieser ein Ungeheuer gewürgt haben sollte. Der letzte König dieser D^Tiastie aber, welcher nach Herodot a. a. 0. bei den Griechen JlvQOi/.og, nach Nikolaos' Dam. tr. 49 auch (mit 1yd. Namen) 2advccTT)]g hiess, hatte sich den Namen seines göttlichen Ahnherrn Kandaulas als Ehrentitel beigelegt. Man sieht, wie vorzüglich dies alles zu den oben auf- gestellten H^-pothesen stimmt, dass die von den nationallydischen Mermnaden abgelöste Heraklidendpiastie eine maionische ge- wiesen und maionisch s. v. a. phrygisch oder phrygisch-lydisch sei^). Auch der angeblich erste König dieser Dynastie AyQtov (Herodot I 7) führt einen ganz idg. klingenden Namen ^).

der Z. f. vgl. Spr. 33, 77 zuletzt über Kav8av/.a; gehandelt hat. ist der Vorgang Deeeke's unbekannt. Möglich ist, worauf mich Körte hin- weist, dass der thrakische Name des Kriegsgottes Karödar (aus Kav- öd/"-o)v?) Lykophr. 938, s. v. a. Kavdavlag ist.

1) Darauf dass Hipponax /iajovtori, nicht /.vdiari sagt, darf man wohl kein Gewicht legen.

2) Seine angeblichen Vorfahren Ninos und Belos sind freilich Semiten. Man darf nicht übersehen, dass die Ueberlieferung über die Herakliden-

390 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

]Mit den übrigen Glossen, welche Lagarde a. a. 0. 374 als idg. ansieht, ist es in dieser Beziehung weniger gut bestellt. oagdig 'Jahr', welches nach Johannes dem Lyder von ..einigen" als Irdisch bezeichnet wurde {elai de o'i qaoi usw.), steht in dem Verdacht, ein iranisches Woit zu sein (avest. sareda-), welches für lydisch nur deshalb galt, weil es an den Stadtnaraen ^agöetg anklang : ich verweise auf G. Meyer's Ausführungen, Idg. Forsch. I 326 ff. ßaaodga (xiriov rig JiovvOLa'/.cg fiodi^Qr^g), welches teils als lydisch. teils als thrakisch (Hesych s. v.) bezeichnet wird, könnte ein in Lydien eingech-ungenes phrygisches Wort sein, aber weder Lagarde's Vergleichung mit avest. varesa 'Haar' noch die vorgeschlagene Ableitung von Wz. ves- -kleiden' befriedigt. Xach Stephanos (u. ^Adqai.ivTeior) leitete man den Stadtnamen ^AdqauiTeiov von einem lydischen König *.Ep/Ufu»' her: xov yoQ ^'EQfxtoru yivdol^.AdQaf.ivv /.aXoiai (DQvyiGTi ^). Offenbar verhält sich der griech. Name 'Eqiacov zu ^Adqanig, wie 3IvQGilog zu KavdaiXr^g: solche Fälle von Doppelnamen, ehiem bai'barischen und einem später angenommenen griechischen, sind ja viel be- zeugt 2). Da ''Adga/^ivg auch "Ardgauig genannt wird und die Stadt l4dQaiAVT£iov auch ^AÖQaßiTeiov (Meisterhans Gr. d. att. I2 60), der Wechsel von ß und ^u aber für das Thrakische be- zeugt ist, so erscheint Schulze's Vergleichung dieses Namens mit dem thrak.'!^v^^ß;:?i;g (CIA. III 2565 a) wohl glaubhch. Auch die Sitte, Oiisnamen mittelst Suffix -io- von Personennamen abzuleiten, hal)en wir ja als echtphrygisch kennen gelernt (S. 183). Aber anderei-seits wurde als Gründer der Stadt von Aristoteles (bei Steph. a. a. 0.) ein Sohn des Alyattes, ^AögainvTr^g, genannt, und eine Insel bei Lykien hiess l^dgaf^iiiTic. was wieder auf nichtidg. Ursprung des Namens zu deuten scheint. Auf andere von

dynastie eine halbmythische, wie die über das ihr vorhergehende Haus der Atyaden eine ganz sagenhafte war: letztere sollen wohl eine ältere lydische Epoche vertreten, denn ihr Ahnherr ist Avdö;, der Sohn des nichtidg. Gottes Atys; den Attes haben die Phryger erst von der auto- chthonen Bevölkerung übernommen.

1) Derselbe heisst bei Hesych. y^dga/LKÜv (wohl durch Einfluss von 'Egfitov aus 'AÖQafivg entstellt), in den Schol. AD zu Z 396 '^rgä/jorg; vgl. Schulze, Z. f. vergl. Spr. 33, 367, wo es aber Hermon statt Hermes heissen muss.

2) Vgl. z. B. die lyk. Bilinguis von Tlos. Aehnlich tragen Griechen und Karer in Aegypten ägyptische Namen neben ihren einheimischen.

Lyder, Myser. "j"!

Lagarde für iranisch erklärte, aber uniichtig beui-teilte Glossen wie ßäaavog, ßgiB, lußqvg gehe ich hier nicht ein.

Die Myser.

In dem nördhcheu Xachbargebiet von Lydien. in Mysien, haben wir ganz ähnhche ethnologische Verhältnisse vorauszusetzen wie in Lydien. Es ist schon (S. 211) zur Sprache gekommen, dass die Myser ein von Haus aus thi-akischer Stamm sind, den sich der Dichter von Hias N 5 im Norden der Balkanhalbinsel denkt, wo noch in historischer Zeit die in Em-opa gebliebenen Reste dieses Volkes unter dem Xamen der Moeser sassen i). Den TVeg ihrer Wanderung bezeichnen der Xame des ..mysischen Bosporos*" d. i. der Meerenge von Byzanz und die Reste mysischer Bevölkeniug an der Propontis und in Bithyuieu (Thraemer, Bergamos 276 f.). Später ei-sti-eckten sich ihre Sitze westhch vom mysischen Ohnnp und nördhch vom Temnos bis zum Adra- m}i;enischen Meerbusen. Mit dieser idg. Herkunft der Myser scheint nun die Angabe Herodots in Widei-spruch zu stehen, dass die Myser Brüder der Lyder und Kai-er seien und am Kult des Zeus Kaiios in Mylasa teilnähmen. Thi-aemer hat diesen Wider- spruch nicht befriedigend zu lösen vermocht : er trennt die Myser von den Moesern und verbindet sie mit Karern und Lydern zu einer Gnippe. deren gemeinsame Sitze vor ihrer Wanderung gegen Osten und Süden er im nördhcben Tln-akien sucht, ohne doch die ethnologische Stellung dieser Gruppe bestimmen zu können. Jener Widei'spruch löst sich, wenn wir in den historischen Myseni ein ^Mischvolk aus der autochthonen den Lydeni und Kai-em verwandten Bevölkerung der Gegend zwischen Temnos und Olymp und den eingewanderten thrakischen Mysern erbhcken. Auf dieses Mischvolk wurde der Xame des eingewanderten Stammes übertragen, ähnlich wie das heute seiner Sprache nach slavische Volk der Bulgaren nach dem eingedrungenen türkischen Stamme heisst. der mit den einheimischen Slaven verschmolz und deren Sprache übernahm. Hierzu stimmt aufs beste die Angabe des Xanthos (bei Strab. XII 572), dass der mysische Dialekt ui^o-

1) Thraeraer, Pergamos 323, bestreitet mit Unrecht die Identität der- Moeser mit den Mysern, weil „sie eben nicht Myser, sondern Moeser heissen": der Wechsel von v und oi ist, wie S. 226 f. nachgewiesen, auch sonst als thrakisch-phrygisch bezeugt.

392 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

hvÖLog /.cd ui^o(pQvyiog sei; es erklärt sich ferner daraus das Schwanken der Alten, welche die Mj'ser bald fiii- Thi-aker, bald für Lyder, bald wieder fiu- Maiomer erklärten "(Strab. XU 550. 572. Xni 628), sowie Herodots Bezeichnung der Myser als .Avöiüv aTVor/.OL (YII 74), welche, ^\'ie Xanthos und Menekrates von Elaia (bei Strab. XII 572) genauer berichteten, am Olymp angesiedelte Gezehntete (dayMieid^^vreg) waren. Ueber die ethnologische Stellung der Teuthranier im Kaikosthal lässt sich nicht urteilen, da chese ihr altes Volkstum schon frühzeitig zu Gunsten des hellenischen aufgegeben zu haben scheinen (vgl. Thraemer S. 270 ff.).

Von der Sprache der Myser wissen wir, wenn wir die weit- volle !Notiz bei Xanthos ausnehmen, weniger als von den meisten übrigen kleinasiatischen Völkern. Selbst Glossen besitzen wir nicht mehr als drei: fxvoo^ Buche (Strab. XII 572), ov/Mloßo^ Hirtenstab (Hesych. u. y.aQäußuQ), uevÖQOura Nieswurz (]\I. Schmidt, Neue lyk. Stud. 141): ich weiss sie aus dem Idg. nicht zu er- klären. Von den Oilsnamen ist reoatj sicher den eingewanderten Mysern zuzuschreiben (s. S. 231), IdvaQvevg, l^'/.ioagva der au- tochthonen Bevölkerung i), denn das letzte Element in diesen Namen ist ein echtkleinasiatisches Wort, lyk. Ärnna, das etwa 'Stadt' bedeutet haben könnte (vgl. Kap. XI): es ist auch in dem Namen des mysischen Königs ^'^Qviooaog (Nicol. Dam. fr. 49, FHG. III 384) enthalten, der auch in der suffixalen Ab- leitung kleinasiatisches Gepräge zeigt. Dass der Name seiner Tochter Tolöcj in Kilikien wiederkehrt, wurde schon oben (S. 357) bemerkt.

Auf einer Säulenti'ommel vom Pronaos des Athenatempels in Pergamon (Fränkel, Inschr. v. Pergamon n. 1) steht neben der giiechischen Weihinschrift JlaoTUQag ^^^rjvanji eine linksläutige in nichtgriecliisclier Sprache, in der man nur den Namen des Dedikanten in der Form BugTitga 2) (dahinter ein sonst nicht be- kannter Buchstabe) erkennt. Ich erwähne die Inschrift hier nur, weil sie auf mysischem Boden zu Tage gekonnueu ist. Welcher Nationalität Partaras angehört, vennag ich nicht zu entscheiden.

1) ^A8q lavov'&ijQai s. v. a. 'AÖQiavönoXi; enthält am Schluss ein aus Lydien bekanntes Woi-telement, welches Th. Reinach (Rev. des etudes gr. III 1890 S. (i4) als 'Stadt' gedeutet hat.

2) Zum Wechsel von Media und Tenuis im .\niaut vgl. kar. Bagyaoa, auf einer att. Tributliste IlaQyaafji, CIA. I 235.

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I

Myser, Pisider. 393

Ein Zeichen der 1. Zeile sieht wie lyk. /^ aus. begegnet aber auch auf der Inschrift von Tralles.

Die ostkleinasiatischen Stämme.

lieber die ostkleinasiatischen Völker. Pisider, Lykaonier, Ki- likier und Kappadoker habe ich zu dem, was bereits in den ei"sten beiden Abschnitten dieses Kapitels zur Sprache gekommen ist. nur wenig hinzuzufügen. Die nördlichen und östlichen Nachbarn der Lykier, die Pisider, treten uns unter diesem Namen erst bei Xenophon entgegen i) als die räuberische Bevölkerung des westHchen Tauros. Ihre nördhchen und westlichen Grenzen sind schwer anzugeben (darüber zuletzt Petersen bei Lanckoronski, Die Städte Pamphyliens und Pisidiens II 13 ff.). Dass die So- lynier, welche das Epos als die Feinde der L^-kier nennt (Z 1840'.). einen westhchen Stamm der Pisider bildeten, ist schon im Altertum angenommen worden. PHnius sagt geradezu (V24) : Pisidae quondam Solymi appellati. Strabon (XIII 630) fixirt ihre Wohnsitze be- stimmter um Termessos in der Kabahs. Ton den phoenikisch redenden Solymern ^) . von denen Choii-ilos von Samos in seinem Epos Tleoor^ig zu erzählen wusste, hat uns Petei-sen (a. a. 0. 4ff.) glückhch befreit, indem er zeigte, dass sie nur aus Herodots öst- lichen Aethiopen (VII 70), den Nachbarn der Assp'er, Perser und Inder, konsti'uirt sind. Damit ist das Hauptargument für die von Movers. Ritter. Duncker. Kiepert u. a. behauptete semi- tische Abkunft der Pisider gefallen. Es wäre auch schwer be- greiflich, wie ein semitischer Stamm in die Berge des westlichen Tauros hätte kommen sollen. Aus Strabon XHI 631 scheint hervorzugehen, dass die Sprache der Solymer von der der Pisider verschieden war, da er sie neben einander nennt: r^ Ilioidr/S]. Tl ^oXvuc'jr, doch braucht es sich hier nur um einen dialektischen Untei'schied zu handeln.

Die ganze Gebirgsgegend nördlich und nordösthch von Lykien. an welcher die Namen Milyas, Kabahs und Kibyratis haften, scheint eine gemischte Bevölkerung gehabt zu haben. Denn Herodot VII 77 bezeichnet die Bewohner der Kabahs. die sogen.

1) Anab. I 2, 1. II 5, 13 u. ö. Ad UioCÖa; klingt der lyk. Personen- name Pizziti in Limyra n. 1 an, doch kann das Zufall sein.

2i y?.ci)aaav (foiviaaav o-to OTOuäroiv d<pih'Ts; : Choeril. Sam. ed. Xaeke p. 130.

394 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

Lasouier. als Maioner, und nach Strabon XIII 631 waren die Kibyi-aten in der Kabalis Nachkommen von Lydeni. die wohl zui' Zeit der grössten Ausdehnung des Ijdischen Reiches hier sich niedergelassen hatten: später gesellten sich ihnen Pisider und Solymer aus der Nachbarschaft zu, so dass in Kib}Ta vier Sprachen gesprochen wurden. Pisidisch, die der Solymer, Lydisch und Griechisch. In dem nordösthch von Kibyra gelegenen dr^inog xwv ^OQf.ir/M'Ji' , welcher uns durch zahkeiche Inschriften aus Teieny bekannt geworden ist (CIG. 4366 w. BCH. II 243. Stenett, Pap. of Amer. School II n. 53 71), begegnen phry- gische Namen wie 3Ic'nr]g, Jaog, ^[Arzr^g neben anderen, die für uns unrubrizirbar sind.

Dass die Pisider weder Semiten waren, wie die Früheren annahmen, noch Indogermanen. wie Petersen (a. a. O. 10 tf.) und Radet (Revue arch. 1893. 212) für möghch halten, sondern zu den kleinasiatischen Aboriginern gehören, können wir aus ihren Eigennamen, wie sie im 2. Abschnitt gelegentlich besprochen worden sind, mit Sicherheit schliessen. Ich wiederhole hier nur beispielsweise einige Namen: OvoafifAoag, ^'07iXeoig, Tgoy-ovöag, Kßrßaoig, rßdinog, ^Idalwyßaoig, Koövovvdig, Mogadvöa, Mokt^g, 3l6'/.o)J.og, 31o?M)eiaia, "OAoAÄog, 'Oä (fem., Gen. ^Ocig Lancko- ronski, Pisid. n. 173. 175. 153). Wenn Petei-sen auf die Namen- reihe MüfxuoTig 3Ia(.io)Täöiog iQig 3IoTaaocQyiog hinweist, so kami ich darin kein Kennzeichen des Indogermanismus anerkennen, denn Komposita sind kein ausschliesshches Merkmal der idg. Sprachen. Auch die pisidischen Ortsnamen^) wie TeQ(.ir^oo6g, TaQßaooog, ^aycduooog oder ^€?.'/tjOo6g (Strab. XII 569) neben ^elyij oder Ix'Uya. (auf Münzen '^tUyivg, ^Eor'/Jyuvg, Z. f. vgl. Spr. 33, 268), Tv(.iavö6g (Ranisay Geogr. 401), TiTiaaaög, Ta- iiaooog (Ramsay 408), Mivaaaog ti-agen den bekannten klein- asiatischen Charakter an sich; dass manche Gelehrte mit Un- recht diese Namen einer Grundbevölkerung zuzuschreiben ge- neigt sind, die nicht notwendig mit den späteren Bewohnern identisch zu sein brauche, haben wir schon erörtert. Mit den Lelegern, welche auch in Pisidien spuken nach Strabon XU 570 sollen wandernde Leleger in alter Zeit sich mit den Pisideni vermischt haben können wir auch liier nichts anfangen.

1) Eine grosse Reibe neuer pisidischer Ortsnamen lernen wir durch die Inschriften der Zivot Tex/nögeioi kennen, Ramsay, Geogr. 409 flf.

Pisider, Patnphyler 395

Bemerkenswert sind gewisse Beziehungen der Pisider zu den Karern : auf einer Inschrift von Mylasa, Le Bas III 358, rühmen sich die Bewohner von Gross-Teraiessos mit den Myh^seem ver- wandt zu sein (TEQurjdaiwi' loJv Meilövcov avT0v6[.iuiv /ml oiv/eviov Mv'/Mok'jv). Der Xame TEQ(.ir^oo6g zeigt dasselbe Element wie kar. Teg/iiSQu; andererseits kehrt der Name JMv'/Moa, wie Petersen be- merkt, in pisid. 31ov?.aooelg wieder; pisid. TccQßceaoog erinnert an kar. TaQßarijg: bei der Xachbarschaft beider Völker sind solche Berührungen nicht schwer verständlich.

Das zu Pisidien gehörige Küstenland führte den Namen Paniphylien von den griechischen Kolonisten, die sich hier in alter Zeit niedergelassen hatten i). Dass aber auch dieser Küsten- strich vor Ankunft der Pamphyler in den Händen der autochthonen Bevölkerung war, folgt wenn es nicht eigentlich selbstver- ständHch wäre aus den nichtgriechischen Ortsnamen udvQvr^a- o6g, ^lör] (vgl. lyk. ^idviia), KißuQcc, ^ilvov (auf den Münzen ^sAvßivg, GDI. 1266), "^OTtevSog , auf den Münzen ^EaTßediiig, das G. Meyer, Idg. Forsch. I 329, sicher mirichtig von "^esvo-s Pferd, also aus einer idg. Sprache ableitet. Diese einheimische Bevölkerung ist mit den griechischen Kolonisten verschmolzen^ welche ihr nicht nur das Räuberhandwerk ablernten (Strab. XU 570), sondern, wie wir S. 300 gesehen haben, auch sprachlich von ihr beeinflusst wurden. Diese autochthone Küstenbevölkerung scheint nicht durchweg dem Bergvolk der Pisider angehört zu haben, sondern teilweise kihkischen Stammes gewesen zu sein,, denn Strabon (a. a. 0.) sagt: 6i de üäucfiKoL Tto'Kv toi KiU/.iov cfilov (.leityovTEg, und Mopsos soll von Kilikien aus, wo er in Mallos, Magarsa und Mopsuhestia verehrt wurde, nach Pam- l^hylien gekommen sein.

1) Die Sage, dass Mopsos von Kolophon, dessen Schwester (Steph, B. u. JJaiKpv'/.ia^ oder Gemahlin (Schol. Dionys. Per. 850) Uaucpvh] heisst, nach Pamphylien gewandert sei, erhält eine gewisse Bekräftigung durch die Inschrift von Magnesia a. M. , welche 0. Kern (Gründungsgesch. v. Magnesia a. M., Berlin 1694) veröffentlicht hat. Hier erscheinen Pam- phyler als Vorläufer der Magneten am Latmischen Golf; ihr König heisst Mavöo6).vzog nach dem Gott des Flusses Muiavboog, au dem die Pamphyler wohnten [über MavÖQo- aus Maiavboo- s. Meister, Herodas S. 675: eine Hyphaeresis ähnlich wie in Oo- aus Qeo- , vo- aus veo-\ Der Vater des Mopsos war aber der Kreter Rhakios, und nach Kreta weist die dem pamphyl. Dialekt eignende Metathesis der Liquidae (Acpogbioiivg).

396 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

Die im Nordosten an Pisiclien stossende Landschaft Lyka- onien Avird uns ebenfalls erst durch Xenophons Anabasis be- kannt. Damals waren ihre Grenzen wesenthch andere als in römischer Zeit: Ikoiüon, später die Hauptstadt Lykaoniens, wird von Xenophon (Anab. I 2. 19) als die letzte Stadt in Phiy- gien bezeichnet^), und noch der Verfasser der Apostelgeschichte scheint sie nicht zu Lykaonien gerechnet zu haben, denn es heisst daselbst c. 14, 6 von dem aus Ikonion vertriebenen Paulus und seinen Gefährten, dass sie v.aTeq^vyov eig zag tvo'/.eiq irgylv/MOviug Aiaxqav y.al Je^oßr^v. Der Ursprung des Namens ylv/.aovia, der in seiner Bildung an Kaiaovia und Bayaöaovia (Steph. B.) er- innert 2), von den Griechen volksetymologisch mit dem arkadischen Lykaon verknüpft wurde, ist dunkel; auch von den Bewohnern des Landes und ihren Sitten wissen wir wenig, von ihrer Sprache ist nur einmal in der Apostelgesch. 14. 11 die Rede. Wenn ■snr trotzdem die Lykaoner mit Sicherheit den Ljkierii und Pi- sidern anreihen dürfen, so verdanken wir dies hauptsächlich dem reichen Namenmaterial, welches in den von Sterrett, Papers of the Amer. School of Class. Studies II. und III. Bd., gesammelten Inschriften vorliegt und von uns in den ersten Abschnitten dieses Kapitels viel verwertet worden ist. Gleiches gilt von den Isaurern, welche in dem südwestlichen gebirgigen Teile Lyka- oniens hausten, gleich den verwandten Pisidern und Kilikiern ein räuberisches Bergvolk.

Die langgestreckte östhche Landschaft an der Südküste Kleinasiens, Kilikien, zerfällt geographisch in zwei Teile, eine westliche gebirgige Hälfte KiU/Ja Tgcr/äa und einen östlichen vorwiegend ebenen Teil, die Kih/.ia TlEÖiag. Während später durchaus das Tauros - Gebirge die nördliche Grenze der Land- schaft bildete, reichte sie Herodot (I 72) zufolge in älterer Zeit bis über den Halvs, umfasste also das ganze spätere Kataonien ^).

1) Auch die in Ikonion lokalisirte phrygische Sage vom Könige Kannakos oder Annakos (Steph. B. u. 'Jy.oriov) erweist den ehemals phry- giflchen Charakter dieser Stadt.

2) Vgl. Jensen, Ztschr. f. Assyriologie VI 1891 S. 68.

3) Carl Lehmann hat in einem Vortrag der Berl. Archaeol. Gesellsch. {März 1893j auf eine vermutlich aus Hekataios stammende Notiz bei So- linus c. 38, 1 hingewiesen, nach welcher Kilikien in alter Zeit noch eine weit grössere Ausdehnung gehabt hätte: Cilicia antea tisque ad Pelusiiim Aegypti pertinebat Lydia Media Armeniia Pampht/lia Cappadocia aub imperio

Lykaoner, Kiliker. 397

Von den kilikischen Stämmen , welche unter dem Namen Hüakku schon auf den assyrischen Inschriften ei-scheinen, sind die des Westlichen Kilikieiis ethnologisch genau zu rubriziren : ihre Nomen- klatur, wie sie uns namenthch durch die Funde von Beut und Hicks (JHSt. Xll 226 ff.) in grösserem Umfange bekannt geworden isfi), zeigt so viel Zusammenhänge mit der Namengebung der westlicheren Völker Kleinasiens und andererseits doch eine solche bei Entlehnung unbegreifliche Eigenart und Selbständig- keit, dass wir die Westkilikier mit voller Zuversicht zu der j.kleinasiatischen- Völkerfamilie stellen düiien. Ich hebe hier namentlich die mit Tqoao- oder Taqy.v- , Taq-Avv- zusammen- gesetzten Personennamen noch einmal hervor. *

Viel weniger sicher lässt sich über die Bevölkerung des Oest- lichen Kilikiens urteilen : hier stehen uns nicht so reiche Namenlisten zur Verfügung wie die von der Korykischen Grotte. Aber ein paar mit J?c?-Suffix gebildete Ortsnamen finden sich auch hier: Kvivöa, das nach dem Berge, an dessen Fuss es lag, auch ^^vaCaqßa hiess, und Oeniandus, an lyk. Olvoavöa anklingend, ganz im Osten am Meerbusen von Issos. ^vivveaig, Name oder Titel der kilikischen Könige, ist gebildet wie lyk. Opläsiz pisid. Oitkeoig u. a. Der tarsische Personenname Novq ^) begegnet auch in Hamaxia (CIG. 4427) und gehört in eine Reihe mit anderen einsilbigen Namen, wie sie für Westkilikien charakteristisch sind : IlXwg, JHSt. XII 251; Blwg, ebd. 247 (Gen. Mwrog); Kvwg, ebd. 231 n. 10. 255 n. 27; Zag (Gen. Zazog), ebd. 251; BXdg (Gen. BIS, CIG. 4401. 4405); vgl. auch kar. Floig. "^Qtvßiog in Budrum (Hie- ropolis Kastabala, Hicks JHSt. XI 250 n. 25) erinnert an lyk. ^[AQaaTTig (Reisen II 23. 141), aber die Gleichung ist nicht eben schlagend. Dass jedoch die „kleinasiatischen" Pei-sonennamen über Kilikia Tracheia hinaus nach Osten verl^reitet waren, lässt sich mit anderen Mitteln als den griechischen Steinen erweisen. Schon Ball (Proc. Soc. Bibl. Arch. 1888, 432) hat mit kar. nca'af.ivr^g (auch pisid., wie S. 357 bemerkt ist) den Namen Pa- nammü verglichen, welchen in der Liste Tiglatpileser III (745

Cilicum constitutis. Es geht aber schon aus dem Wortlaut der Stelle hervor, dass Kilikien diese Ausdehnung nur in politischem, nicht in ethno- logischem Sinne gehabt hat.

1) Besprochen von Sachau, Ztschr. f. Assyriol. VII 1892, S. 85—103.

2) Novg JSfov TaQosvs, Grabschrift: CIA. III 2933.

398 X. Die kleinasiatischen Sprachen.

727 V. Ch.) ein tributpflichtiger König des Landes Vn^uj führt. Derselbe König nennt sich auf einer altaramäischen Weihinschrift aus der Gegend von Sendjirli als Sohn des V-^p^). Fürst von •«IN"' (Sachau. Mitteil, aus den Orient. Sammlungen der Berl. Museen. Heft XI. Ausgrab, in Sendjirli I S. 56 ff.). Das Reich Sam'al lag nach H. Winkler (Altoriental. Forsch. I 1893 S. 2) am Fusse des Amanos. Sachau (a. a. 0. 70) weist darauf hin, dass es eine Wurzel a:s im Semitischen nicht gebe, während D. H. Müller (Wiener Ztschr. f. d. Kunde d. Morgenlandes VII 1893 S. 55) freihch Ursprung aus sbo für möghch hält. Von MiitaUu von Gurgum. einem nördlich von Sam'al gelegenen Reich (Winkler a. a. O.) und Tarhundaraus von Arzapi war oben (S. 367.364) die Rede. Indessen genügen diese Namen, wie Jensen zuzugeben ist, nicht, ihre Träger als geborene Kilikier zu erweisen, weil eben hier, wo wir an der Grenze des .,kleinasiati- schen"' Sprachgebietes stehen, die Verbreitung einzelner Namen über dieselbe hinaus sehr wohl denkbar ist. Bei unserer Un- kenntnis der älteren ethnologischen Verhältnisse dieser Gegenden lässt sich also vorläufig eine bestimmte Grenze jenes Sprach- gebietes im Osten nicht ziehen, sie wii-d wohl auch, wie alle Sprach- und Völkergrenzen im Laufe der Zeit manchen Schwan- kungen unterlegen sein 2).

Leider ist auch der nördlich von Kilikien wohnende Volks- stamm der Kapp adok er uns seiner Sprache nach wenig bekannt. Lagarde fi-eilich (Ges. Abb. 257 ft'.) konnte, indem er die „kappa- doldschen Monatsnamen" einer Pariser und Leydener Handschrift

1) Der Name KRL erinnert lebhaft an den nicht ägyptischen Namen KxRR , den der Vater des Karers Peteneit auf der karisch-ägypt. Bilinguis in Berlin führt (oben S. 379).

2) Dass die Urbevölkerung Kleinasiens , speziell die von Kilikia Tracheia auch nach der gegenüberliegenden Insel Kypros übergeströmt ist, darf schon aus dem kilikischen Namen der Teukriden von Salamis ge- schlossen werden (vgl. S. 190 Anm. 1. 3). Mit nd- gebildete Ortsnamen finden sich auf der Insel nicht , da aber die Auslassung des Nasals vor Konsonanz in der kyprischen Schrift und vielleicht auch dem Dialekt der kyprischen Griechen auf Einfluss der kleinasiatischen Urbevölkerung be- ruhen könnte, so ist io Frage zu ziehen , ob der kypr. Ortsname A6.na^(H etwa hierhergehört (vgl. auch FegyiOei Tevxgoi). Mit -ss- gebildet ist Ta/naoGÖs.

Die Kappadoker. 399

heranzog, welche in Wirkhchkeit die in Kappadokien einge- führten pei-sischen Monatsnamen sind, diesen Yolksstamra leicht als einen iranischen erweisen, und Ed. Meyer (Gesch. d. König- reichs Pontus S. 16. Ersch u. Gruber's Encycl. u. Kappadokien) hat sich ihm angeschlossen. Andere Forscher wie Duncker (Gesch. d. Alt. I^ 403 ff.) haben die Kappadoker ebenso entschieden für Semiten erklärt: die Bezeichnung als yiev/.öavQOi , die Sitte der Beschneidung (Herodot n 104), das Verbot Schweinefleich zu essen (Strab. XII 575), die sakrale Prostitution scheinen darauf hinzu- deuten : allein diese Sitten kehren, teils selbständig entwickelt, teils entlehnt an vielen Orten wieder und können keine Sprach- und Volks- verwandtschaft erweisen. Karolidis (Movg. /ml ßißX. IV 47 ff.) hat in dem heute nördlich des Tauros gesprochenen griechischen Dialekt eine Reihe von Elementen entdeckt, welche sich aus dem Griechischen nicht deuten lassen und die er deshalb auf die alt- kappadokische Landessprache zurückführt: das ist möglich, jeden- falls nicht widerlegbar, aber seine Etymologien, auf Grund deren er das Kappadokische für eine arische, dem Phrygischen ver- wandte Sprache erklärt, sind nichts weniger als zwingend. To- maschek (Mitt. d. Wien. Anthrop. Ges. 22 [1892], Sitzgsber, S. 3 f.) betont mit Recht, dass Zahlwörter wie lingir 6, tatli oder tutli 7, matli oder nndli 8, danjar oder tsanlrir 9 sich aus keiner uns bekannten Sprache der Erde erklären. IMir ist es vorläufig wahrscheinHch , wenn es sich auch nicht streng beweisen lässt, dass die Kappadoker zur kleinasiatischen Völkerfamihe gehören: die mit 7id gebildeten Ortsnamen reichen bis in ihr Gebiet, und der religiösen Verwandtschaft darf als einem subsidiären Argu- ment in diesem Falle ein gewisses Gewicht beigelegt werden. Die Religion der Ma in den beiden Komana ^) ist für Kappa- dokien so charakteristisch, dass sie nicht erst in mehr oder weniger junger Zeit aus dem "Westen übertragen sein kann, andererseits aber muss der Kult der Muttergöttin auch in Phrygien und Ly- dien uralt sein, wenn die kretische Rhea einer mit den Klein- asiaten verwandten Bevölkerung entstammt. Die Entzifferung der pseudohethitischen Inschriften wird vielleicht einmal hier

1) Die Ortsnamen Ko-fiava , Co-mama und Ko-vdvt] (Pisidien), oft mit einander verwechselt (Ramsay, Geogr. 407) , scheinen zusammenzugehören und im zweiten Teil die Lallnamen Mama, Nana, bezw. Mana (vgl. neugr. fxävva 'Mutter', Mavova in Pisidien, Mtjvrj Name der Ma) zu enthalten.

"^^ X. Die kleinasiatischen Sprachen.

Licht bringen. Jensen's Versuch (ZDMG. 48, 235 ff.) kann, soviel ich dies als Nichtassyriologe zu beurteilen vermag, noch nicht als Gnuidlage ethnologischer Folgerungen benutzt werden. Weiter im Osten ist das vorannenische Volk der Alarodier oder, ^vie es nach C.Lehmann (s. jetzt Ztschr. f. Ethnol. 1895, Verh. S. 578 ff.) sich selbst nannte, der Chalder seiner aus den Keilinschiiften von Van uns ei-schlossenen Sprache zufolge wohl sicher von der klein- asiatischen Völkerfamihe zu h-ennen.

XI. Kapitel. Die vorgriechische Urbevölkerung von Hellas.

Die im vorigen Kapitel untersuchten ethnologischen Verhält- nisse Kleinasiens sind von Bedeutung auch für die älteste grie- chische Geschichte. Es kann nicht bezweifelt werden, dass die Hellenen mit jener kleinasiatischen Völkerfamihe , deren ethno- logischen Charakter wir zu bestimmen versucht haben, nicht erst auf asiatischem Boden zusammen gestossen sind, sondern sie be- reits auf dem em'opäischen Festland und den Inseln des Aegaei- schen Meeres vorgefunden haben. Den Beweis hierfür liefern die Oi-tsnamen. Ganz im Allgemeinen fällt die Thatsache auf dass die Oi'tsnamen in Griechenland und auf den Insehi, welche wir Ursache haben für die ältesten zu halten, die Xamen der Gebirge, der Flüsse, der Inseln selbst, endhch auch mehrerer alter Städte teils eine ungriechische Bildungsweise zeigen, teils wenigstens sich der Deutung aus giiechischem Sprachmaterial ent- ziehen. Nun darf man fi-eihch nicht jeden Namen, der etymo- logisch unklar bleibt, bloss deshalb für ungiiechisch erklären: •wie weit man mit diesem Verfahren kommen kann, zeigt sich, wenn Tomaschek (Mitt. d. Wien. Anthr. Ges. 1892, Sitzgsber. S. 1 f.) Apollon und Artemis zu .,lelegischen" Gottheiten stempelt, weil ihre Namen jeder Deutung aus indogermanischen Sprach- mitteln spotten. Abgesehen davon, dass für "^(»rautg eine an- sprechende Erkläining aus dem Griechischen von Wilamowitz aufgestellt worden ist^), machen wir überhaupt die Erfahrang,

1) Eurip. Herakl.2 Vorw. S. VII. Robert -Preller's Gr. Myth. I 296

Kretsehmer, Einleit. in d. Gesch. d. pr. Sprache. 26

402 XI. Die vorgriechische Urbevölkerung von Hellas.

dass gerade in Kamen oft altes, sonst verschollenes Sprachgut vorliegt, welches eben, weil es in Appellativen nicht vorkommt, dem Namen den Charakter des Singulären verleiht. Wir müssen also noch besondere Argumente beibringen, wenn wir jene Orts- namen für ungriechisch erklären.

Man hat längst nach Oberhummer (AkamanienS. 56) zuerst Pott, Die Personennamen (1853) S. 451 den fremdartigen Charakter der mit -j-^- gebildeten Ortsnamen erkannt; sie sind zuletzt, aber sehr unvollständig von Pauli (Vorgi'iech. Inschr. v. Lemnos 1, 47 f.) zusammengestellt: auf Kreta 2vQird^og, ^aßvgtv- d^og, üigavS^og, eine der Sporaden westlich von Kalvmnos ^f- ßivd-og, bei Paros die kleine Insel IJQerr^aiv&og, auf Euboia KiJQivd^og, lAfxägvv^^og und der Fluss K6a/,vvd^og CLykophr. 1035). auf dem Festland Uooßd'livd^og und TQty.oQvvd^og, attische Demen, in Aitolien das Gebirge ^^Qay.tvd-og, im Peloponnes TtQvr&-, Ko- Qii'd-og, ^dutvd^og und das Gebirge ^EQVf.tavd-oQ^). Bei Seite lasse ich ZdY.vvd-og, und die thrakischen Ortsnamen "Av.avO^og , "Aipvv- d^og C^ipivd-og), Ilaoivd^og, Z>JQvvS-og, ^'OXvv&og, Ftja/Avd^ogy Bi- aävd^i]. In den giiechischen Umschreibungen, in denen uns diese Namen vorhegen, kann vS^ auch nt wiedergeben vgl. ^ahiv- d^iog neben Salluntum S. 258. Koy.wd-og in Bruttium, l^qyav- ^ojviog zu argejitum ; diese Namen brauchen also nicht notwendig unindogermanisch zu sein. Ferner ist eine Reihe von Ap- pellativen mit v^ abgeleitet: hom. daäuird-og Badewanne, (.ir^gir- d^og Faden, Schnur (vgl. jut^Qvio aufwickeln) neben ufQf^ig, /.isq- fiid-og, TteiQivd^a Wagenkorb; sgäßivd^og und Xtßivd-og Kicher- erbse (Hesych. s.v.); Vhuivg, VkfXLvi)-og, bei Hippokr. auch i'X^iyyeg, epidaur. ekfiid^a (GDI. 3340 lo) Eingeweidewurm; /.tjQtrd^og Bienenbrod (doch wohl von y.r]Q6g); olvvd-og (auch olovd-og in Handschriften des Athenaios) unreife Feige; ßnXvv&og Mist (Hesych s. v.); dxpivd^iov Wermut; Tsgeßivd^og, TeQ(.iiv&ag Ter- pentinbaum (vgl. Hehn, Kulturpfl.^ 409 ff.); v.0Qvvi^Evg, ^/.6q>ivog, '/.dXad^og, dXe/.TQVM''; vgl. koqv&oi. '^ 7tEQiy,e(pala7ai (Hesych. s. v.);

Anm. 2. Vgl. Z. f. vgl. Spr. 33, 467. 'AnsUojv , thess. Uitlovv ist noch nicht sicher gedeutet.

li KvvQoi; übergehe ich, weil hier -vi?- nicht suffixal zu sein braucht. Den Heinamen des Zeus bei Lykophr. 1092 Aaovv&iog können wir nicht lokalisircn: der anklingende lakonische ßergname .loßwator (vgl. 'A^aQvaioi, ToiyoQvatog, ÜQoßaUoiog von AfiÖQvy&oi usw.) war dem Dionysos heilig (Paus. III 22. 2).

Die mit -vig- gebildeten Ortsnamen. 403

'/.OQvrOog' iia^rjg ^ico/.i6g Hes. ^); liom. (.livvvxfa (abgeleitet (.iivvv- dadiog) ein wenig: danach wahrscheinlich neu gebildet oXiyiv&a' oXiyov 13.es., xliahvvd-a Lykophr. 1420, vgl. ipaivvd-iov, ü'aivvvveg, ipaivvov, xpaivvaua ^o'/Jyor Hesych. s. v. ; aiyiv&og (auch al'yid-og) ein Vogel. Endhch sind hier mehrere Personennamen zu nennen: Kd'/.vv&og, ^l'yiv&og; von '^Ya/urd^og wird sogleich die Rede sein ; mit sekundärer Ableitung Fahv^idg (von yal'^), "OXov&evg, der Milesier ^ufjvv&iog Athen. XIII 597, der kretische Monatsname '^Paßlvd^iog.

Allerdings dürfen wir nicht alle aufgezählten Nomina für un- indogermanisch erklären und die suffixale Ableitung -vd-- dem Griechischen ganz absprechen. Zwar der Vei-such von Döhring (Die Etymologie der sogen. Gerundivformen, Progr. v. Königsberg 1888), -vd^og mit dem lat. Gerundivum auf -ndus zu verknüpfen, scheitert an dem Bedeutungsunterschied und ist ausserdem laut- lich unmöglich wegen osk. -nn-, umbr. -n- in i'ipsannam 'operan- dam', umbr. pihaner 'piandi', da griech. v& = lat. ?id auf ndh zurückgehen und im Oskisch-Umbrischen durch nf vertreten sein müsste. Auch an skr. ronmnthcx-s "das Wiederkäuen' finden die Bildungen mit v& keinen Anhalt, nachdem J. Schmidt (Kritik d. Sonantentheorie S. 100) jenes Wort einleuchtend aus *roma- mantha-s 'das Umdrehen der Halsmuskeln' erklärt hat. Aber wie die Ableitung -vyy-, -lyy- neben -vy-, -ly- liegt ((pagoy-, Tzteovy- : (paQvyy-j laqvyy-, iliaq^iyy-, Ikf.iLyy-, a^wcJ«//- u. a.), ist auch -tv,^-, -vvd^- neben -iS^-, -vd^- denkbar, einerlei, wie man das Eindringen des Nasals erklärt. Sicher wird so eXutv&- neben eXjAid^-, /.oqvvS^- neben /.oqvS^-, vielleicht auch aiyivd-- neben aiyi&-, fihvvd^a neben (.iivvd^io aufzufassen sein. Hom. lov&dg "'zottig' von Xov^og 'das junge Haar' hat F. Froehde (Bezz. Beitr. XX 208) mit ahd. icisant verbunden, ohne jedoch die Bildung befriedigend zu er- klären. Dennoch darf die übliche Ansicht, dass die Ortsnamen auf -vd-og ungriechischer Herkunft sind, m. E. für berechtigt gelten. Einmal fällt ins Gewicht, dass die Ableitung mit -v&- innerhalb der griechischen Sprache nicht eigentlich lebenskräftig

1) axav^ai Disteln (vgl. aiich äxaXavdig Distelfink?) ist Kompositum aus ax- Spitze und a.v§o<; , also 'Stachelblume' (anders Persson, Wurzel- erweiterung S. 243 Anm.). Auch in lav&ov av&og , xal XQ^I^^ ^' jxoocpv- ^OEiöeg Hes. steckt wohl av&og. Noch einige andere Nomina mit -v&-, die ich bei Seite lasse, findet man bei Döhring, Die Etj'mol. der Gerundiv- formen.

26*

404 XL Die vorgriechische Urbevölkerung von Hellas.

ist, sondern abgesehen von den eben genannten Appellativen fast nur in etymologisch dunklen Wörtern vorkommt. Entscheidend aber ist. dass die Ortsnamen auf -vd-og ihr genaues Gegenstück in den kleiuasiatischen auf -vdog, -vda finden, deren lautHches Verhältnis zu jenen ich oben S. 293 fi". aufzuhellen gesucht habe. Noch bedeutsamer wäre die folgende Gleichung, wenn sie sicher wäre. M. Mayer (Arch. Jahrbuch VII 191) hat die Veraiutung ausgesprochen und mir ist unabhängig von ihm derselbe Gedanken gekommen dass kret. ytaßiQivd^og dem karischen AaßQavvdoQ entspreche. Lautlich steht dieser Zusammenstellung nichts im Wege, denn, wie wir gesehen haben (S. 303), war der kar. Name den Griechen so wenig mundgerecht oder so fremd- artig, dass sie ihn in verschiedenster Weise wiedergaben; dass em^^aßoaivvd^og zu Aaßvoivd-og umgeformt wui'de. könnte also nicht aufi"allen, zumal die Kreter es fertig gebracht haben, selbst ein griechisches Wort wie vso^r^via zu ve^ovriia zu entstellen. Ist jene Hypothese richtig, so mxi.'ssiQ AaßvQivd^og {\^. Aocßgaw^a.) das Heihgtum eines stiergestaltigen Gottes gewesen sein, der der karischen Urbevölkerung Kreta's entstammte, und zwar eine jener gänge- und kammen'eichen unterirdischen Höhlen, welche der Insel eigentümlich sind und, wie das Beispiel der Idaeischen Zeusgi-otte lehrt, als Kultstätten verwendet wurden i). Auch das Symbol des karischen Labraundos, die Doppelaxt, ist auf Kreta nachweisbar als Weihegabe in den Depotfunden der Höhlen und auf Gemmen (Evans, JHSt. XV 1895, 304). Es hegt nahe, nun auch 'YciY.ivd^og^), den uralten Lokalgott von Amyklai, auf die vorgiiechische Urbevölkerung des Peloponnes zurückzuführen. Brugmann (Grundriss II 237 Anra.) hat vdy.-iv&og aus '^iuuen- *jung' erklärt und mit lat. juvenr.us, air. r.ac, got. jugga, skr. guvagäs verbunden 3). Aber, wie Rohde (Psyche S. 129) gezeigt hat. ist Hyakinthos von Haus aus „ein alter Erdgeist, der keine Aehnlichkeit mit dem zarten Jüngling hatte, von dessen Liebes- bund mit Apollon hellenistische Dichter eine aus lauter geläufigen Motiven zusammengesetzte Fabel erzählen". Immerhin könnten aber die Griechen das der UrbevölkeiTing entlehnte Suffix auch

1) Vgl. Lolling in .1. Müllers Handbuch III 21.5.

2) Jseben ' Yüy.ivdo? mit Umstellung der Vokale '/axi-vöo?, zu er- Bcbliessen 2iU% der'jQxa^iig ' laxvvdoxQÖtpoi; in Knidos, GDI. 3501. 3502. 3512,

3) Dagegen auch Solmsen, Z. f. vgl. Spr. 32, 289 Anm

Die mit -v&- nd -aa- gebildeten Ortsnamen. 405

an Wörter ihrer Sprache gefügt haben: dies gilt z. B. von SQtßivi^ug, das doch von oootiog, lat. ervum nicht zu trennen ist. Wörtern, die freihch auch aus einer nichtidg. Sprache stammen könnten.

Auch die zweite Klasse kleinasiatischer Ortsnamen, die mit s-Suffix gebildeten, begegnet auf griechischem Boden z. B. Krcoaaog, Kaovr^aoo/co/.tg (alter Name von Lyktos. Hesycli. s. v.); JJoi/.ilaooög., Tylissus, ^^unoos auf Kreta. Bohoaog und das Vorgebirge Kav/Mua auf Chios, MccQTtrjOoa auf Faros, KoQr^oaog auf Keos, Yur^TTog, Boih^rvög., raoyrjTTog, ^vTiaXr^TTog, ^cfr^vTog, ^Vkiaög, Ki\(fio6g in Attika, 'Mv/.ah]Oo6g, Tecur^oaog, '^Yr^rtog, Kegr^aoog, UeQurjOoög in Boiotien, HaQvaaoog (vgl. die Gebirgs- namen näovr^g und Udgrojv), an der Grenze von Lokris und Aitolien Taffiaooog, auch Tmftov ooog genannt, also nach dem Stamme der Tdffioi, ylagioa. Diesen Beispielen ist wahr- scheinlich noch eine grosse Zahl anderer Fälle anzureihen; es lässt sich hier schwerer als bei den Ortsnamen auf -v^^og die Grenze zwischen Griechischem und Vorgriechischem ziehen, denn der griech. Sprache war suffixales -oa- keineswegs fremd, wie diaoog, nsoiGOog, t/rioaai, uhaaoat. lehren. Also dürfen die ebenfalls von Fraepositionen abgeleiteten Oiisnamen ^vriaoa, ^'Afxqiooa nicht mit PauH (a. a. 0. 47) der Urbevölkerung bei- gelegt werden. Sicher griechisch sind die auf -oeaoa, -oioaa aus -6-FevT-ja, wie Jovovooa, (fivovoaa. ^yoiroiaaa u. v. a. Fem er müssen wir wieder die thrakischen Ortsnamen. ^Odr^aaog. ^^yr^öoog^ 2a/Aivdt-oa6g, ZD.uiaoog, Na'iooog, in Makedonien Ao- viooa, Tvoioaa,'"Edeoaa bei Seite lassen: sie können, da in den in Betracht kommenden Sprachen andere Lautgesetze galten, als im Griechischen, sehr wohl auch indogermanisch sein; zweifellos ist dies z. B. für ^'Edeooa (von ved- 'Wasser", s. oben S. 284), das aus *"Edeo-jä entstanden sein mag. Somit ist die Folgerung, welche Pauh (a. a. O. 79) an letztere Ortsnamen geknüpft hat, dass die kleinasiatischen Völker auch über Makedonien und Thrakien verbreitet waren und sich hier im Norden mit den stammverwandten, später über die Alpen in OberitaHen einge- wanderten Etruskern berührten, nicht im Mindesten zwingend.

Mit mein- öder weniger grosser Wahrscheinhchkeit dart' aber noch eine ganze Reihe anderer aus dem Griechischen nicht deut- barer Ortsnamen auf die Urbevölkerung zuriickgeführt werden. Ich rechne dazu namenthch das uralte später verschollene Aovr^

406 XL Die vorgriechische Urbevölkerung von Hellas.

in Boiotien, ein anderes in Thessalien, dessen Name im lyk. Arnna. ^gva, von den Griechen Bav&og genannt, wiederkehrt (vgl, auch ^^Qveai in Lykien, Capito bei Stejih. B. s. v.): das- selbe "Wort tiitt als zweites Kompostionsglied auf in (Da'/.doagva auf Kreta, '^Alaödqva Demos auf Kos (GDI. 3705). homonym mit dem mysischen Gau^), und in mehreren kleinasiatischen Lokal- namen, IdccQvri (aus "/(3a -f '^Qvr]), ^'Ynaqva in Karien, Tüßaqvog (aus kar. tdßa 'Felsen' -f "Aqvy^ bei Magnesia a. M. 2). QvßoQvai in Lydien, ^ATctQvr^ (^AxaQVBvo) in Mysien, ^'Aßaqvog (L^ßagvig) in der Troas, UaodQvr^ in Kleinarmenien, enthalten auch in den Personennamen mys. ^'Aovojoaog und lyk. Arnnaxa (Reisen in Lyk. II n. 11). Vermutlich war *dQva ein Ausdruck für 'Stadt' im Kleinasiatischen. Pauh (a. a. 0. 50 f.) hat noch auf eine Reihe anderer Uebereinstimmungen zwischen griechischen und kleinasiatischen Ortsnamen hinge^^'iesen, wie IMv/.aXriaaog in Boiotien und in Karien, IlaQvaoaog in Phokis und Kappadokien, MäQTTr^ooa auf Paros : Magfri^aoog in der Troas, und seine Liste hesse sich leicht noch vermehren ^). Gewiss kann es sich hier teilweise um zufällige Anklänge oder etwa um Anähnlichung eines kleinasiatischen Namens an einen griechischen handeln, aber der ganzen Sachlage nach ist es nicht unwahi-scheinlich, dass sich darunter auch wirklich vorgriechische Elemente befinden.

Aus diesen Thatsachen ergiebt sich che zwingende Folgerung, dass die in Kap, X gekennzeichnete kleinasiatische Völkergi'uppe in praehistorischer Zeit auch über die Inseln des Aegaeischen Meeres und den Süden der Balkanhalbinsel verbreitet war. Wir können also jetzt bestimmter als Reisch (Verh. der 42. Phil.- Vers.

1) Kdßagvig, nach Nikanor (bei Steph. B. u. Uago?) anderer Name von Paros, gehört zu KäßaQvot, wie die Priester der Demeter auf der Insel hiessen.

2) Auf zwei Inschriften iv Tößagvei: 0. Kern, Beitr. z. Gesch. d. griech. Philosophie (Berlin, 1895).

3) Z. B. UivSog, ein Berg bei Epidauros Uivdaaos homonymen mit dem mysischen TlivSaaog, in Kilikien Tltvdeviaaog ; Mvgiva auf Kreta und Lemnos : MvQiva in der Aiolis, dazu weiter 2!fivQva, auch alter Name von Ephesos, daneben Zdfiogva, Za^ogivia (Hesych. s. v.); vgl. lyk. Mvga und den Personennamen Mornna, Mogva (Reisen in Lykien II n. 155. 126), Der Name der Insel 'Jfzßgog deckt sich mit dem eines kar. Gebirges und dem Stamme vieler kar.-lyk. Personennamen (oben S. 358 f.). KaovfjooöjroXts auf Kreta: '.^kixÜQvrjoao; in Karien. '.4vdavla in Mcssenien: "Avfiavov kar. Name von Bargylia; vgl. "Avöeiga in Troas.

Die Träerer der mykenischen Kultur. 407

in Wien 1893, S. 110), welcher zwischen Phrygern. Kareni, Tyrrhenern, Kilikiern und Hethitern schwankte, die Nationalität der vorgiiechischen Urbevölkerung von Hellas angeben. Dass die Existenz einer solchen von den Alten auf Grund mehr oder weniger sicherer Kombinationen angenommen worden, ist bekannt: ich brauche die oft besprochenen Zeugnisse nicht zu wiederholen. Auf den Inseln waren die Merkmale jenes praehistorischen Zu- standes naturgemäss noch deutlicher zu erkennen, als auf dem griechischen Festland. Die vor einigen Jahren bei Praisos ent- deckte Inschrift in einer un griechischen Sprache (Museo Ital, II 673 f.) lehi-t, dass die vorgriechische Bevölkerang Kreta's, die 'jEr«o/.^rjr£g der Odyssee, ihre Sprache bis in die historische Zeit bewahrt hatte. Weiter zurück lag offenbar die Epoche, in welcher auch Hellas noch im Besitz der Urbevölkerung war. Man darf natürhch zwischen dieser Periode und der ..griechischen Zeit"' keine scharfe Grenze ziehen wollen : schon um deswillen lässt sich die sogen, mykenische Frage i) in der Form, in welcher sie ge- wöhnlich gestellt wird, ob die Träger der mykenischen Kultur Karer oder Hellenen gewesen seien, schwer genau beantworten. Wer sich das Eindringen der Indogermanen in Hellas nicht als die Einwanderung eines nomadisirenden Hirtenvolkes vorstellt, sondern als eine allmähhche, in vielen Stössen erfolgende Aus- breitung nach Süden, wer ferner nach Analogie paralleler ge- schichthcher Vorgänge für glaubhch hält, dass die Urbevölkerung nicht vöUig unterging oder nach Osten vertiieben wurde, sondern teilweise mit den Eroberern verschmolz % der wii'd zwischen die „karische" und die ..hellenische" Periode eine vielleicht viele Jahrhunderte dauernde Uebergangsepoche einschieben, in welcher das kräftigere Volkstum der indogermanischen Enidring- hnge nach und nach die Oberhand über die einheimische Be- völkerung gewann. Die Einzelheiten dieses Prozesses entziehen sich wie die analogen Vorgänge in Phrygien (vgl. S. 193) unserer Beobachtung: ^nr können daher nicht genau erkennen, in welchem Stadium der ethnologischen Entwicklung sich Hellas in der Blüte- zeit der mykenischen Kultur befand, ^\-ieviel kaiisches und wie- viel indogermanisches Blut in den Adem der Burglierrn von

1) Zuletzt umsichtig erörtert von Reisch a. a. 0. S. 97 ff.

2) Eine solche Yerschmelzung karischer und griechischer Elemente nimmt auch U. Köhler, Athen. Mitt. III 13, an.

408 XL Die vorgriecbische Urbevölkerung von Hellas.

Tiryns und Mykene floss. Dass damals d. h. in der Mitte des n. Jahrtausends v. Chr. die Indogermanen überhaupt noch nicht bis Hellas vorgedrungen waren, muss als sehr unwahi-scheinhch gelten 1). wenn die thrakisch-phrygischen Stämme schon im III. Jahrtausend und vermutlich bereits in seinem Beginn nach Kleinasien hinübergegangen waren. Dass aber die Kultur der eingewanderten Hellenen an die der Urbevölkerung anknüpfte, dass die Städte- anlagen der mykenischen Zeit „karische'' Ansiedlungen fortsetzten, geht aus den vorgriechischen Namen von TiQvvg, ^'Aqvij ^) usw. hervor.

Der weitergreifenden Hypothesen von Pauh, Hommel und S. Reinach ist bereits (S. 291 f.) Erwähnung geschehen. Pauli benutzt die in einer unbekamiten Sprache abgefasste Inschrift von Lemnos dazu, die Etnisker mit der kleinasiatischen Völkerfamilie die er sich auch über die ganze Balkanhalbinsel bis zur Donau verbreitet denkt, zu einem gi'ossen ,,pelasgischen" Urvolk zu ver- knüpfen. Man darf zugeben, dass die Sprache der lemnischen Inschrift mancherlei Anklänge an die eti'uskische zeigt, dass die Möglichkeit einer Verwandtschaft beider Idiome vorläufig nicht unbedingt von der Hand gewiesen werden darf; aber von einem wirklichen Erweise dereelben kann noch nicht die Rede sein. Pauli's Analyse der Inschrift (Vorgi-. I. v. Lemn. 2, 40 ff.) hat nichts Zwingendes. Seine Vergleichung z. B, von etrusk. cealyls, cialyics auf der Agramer Mumienbinde mit lemn. $ I A r y F I $ , auf welche er grosses Ge^\^cht legt, wird dadurch hinfällig, dass das Zeichen y im aiolischen, also wahrscheinlich auch im lemnischen Alphabet nicht /. sondern >'» bedeutete, da y. wie wir jetzt wissen (vgl. S. 240), von den Aioleni durch + ausgedrückt wurde. Anderei-seits zeigt das lemnische Idiom mit den kleinasiatischen Sprachen, soweit wir sie kennen, gar keine näheren Berührungen und kann demnach vorläufig nicht für das gesuchte Bindeghed zwischen diesen Sprachen und dem Etruski-

1) Ich drücke mich mit Absicht so aus, denn an sich unmöglich wäre es ja nicht, daes die Griechen später als die Thraker und an diesen im Westen vorbei nach Süden vorgedrungen seien, aber diese Möglichkeit liegt jedenfalls viel ferner als die oben angenommene.

2) Ueber Arne Noack, Athen. Mitt. XIX 405 ff., der es in den Ruinen von Gia sucht: dagegen de Ridder, BCH. .Will 446. Jedenfalls dürfte aber Noack in Arne mit Recht eine .,mykenische Burg" vermutcti

Die Etrusker. 409

sehen gelten. Anklänge wie zwischen kleinasiat. Tao/.ov-, Taq- Y.VV- in Personennamen: etrusk. Taryiin , Tarqiiinius werden niemandem als Argumente genügen. Wir sind demnach noch immer auf dem Punkte, dass wir eine Verwandtschaft der Etrusker mit den Völkern Kleinasiens weder behaupten noch bestreiten können, und werden daher gut thun. bei dem stehen zu bleiben, was wir mit ziemlicher Sicherheit nachweisen können, der Ver- breitung der kleinasiatischen Völkerfamilie über das Aegaeische Meer und das hellenische Festland.

XII. Kapitel. Das Griechische als Einzelsprache.

In den vorhergehenden Kapiteln sind die allgemeinen Völker- und Sprachverhältnisse untersucht worden, aus denen heraus sich das Griechische entwickelt hat. Aber die Frage, wie es zu einer Einzelsprache geworden ist, welche Vorgänge zu seiner Sonder- entwicklung geführt haben, ist damit noch nicht gelöst. Die fort- gesetzte dialektische Differenzirung des Indogermanischen hätte niemals zu dem Zustande führen können, welcher uns in der historischen Zeit entgegentritt, zu der Existenz ganzer Sprach- individuen. Die Frage, wie diese entstanden sind, ist von der Stammbaumtheorie anders als von der Wellentheorie beantwortet worden. Nach der ei-sten sind aus der indogeiToanischen Ur- sprache durch mehrere Spaltungen das Urgi'iechische, Uritahsche, Urkeltische, Urgermanische. Urslavische u. s. f. hervorgegangen, und jede dieser Einzelsprachen hat sich dann von neuem in Dialekte gespalten. Wäre diese Theorie richtig, so müsste überall der dialektischen Differenzirung eine Periode der Spracheinheit voraufgegangen sein. Nun beobachten wir aber auf griechischem und itahschem Gebiet das genaue Gegenteil. Die ganze Ent- wicklung der griechischen Dialekte zeigt eine koiivergirende Tendenz: je weiter zuriick, desto grösser sind die mundartlichen Unterschiede; bei jeder archaischen Inschrift, welche zu Tage konnnt. zeigt sii'h dies von neuem. Die Spracheinheit liegt nicht am Anfang der Dialektentwicklung, sondern an ihrem Ende. Aehnlich sind die Verhältnisse auf italischem Gebiet: die recht erheblich von einander abweichenden italischen Dialekte werden

Die Entstehungr der Einzelsprachen. -il 1

alle durch den einen lateinischen verdrängt. Dass aber die dialektischen Differenzen teilweise uralt sind, geht aus einer wiederholt von uns beobachteten Thatsache hervor: die Mundart einer Sprache zeigt zuweilen im Gegensatz zu den Schwester- mundarten Uebereinstimmungen mit den Nachbai-sprachen. Wir sahen, dass das Thessahsehe d^n Wandel von ö in ü mit dem Thrakisch-Phrygisclien (und Ilhaischen) teilt, dass es in der Bil- dung des Genitivs der o-Stämme mit dem Messapischen. weiter dem Itahsch-Keltischen zusammengeht (S. 275), während alle übrigen griechischen Dialekte diesen Kasus wie die arischen Sprachen bilden. Die aiohsch - thessahsehe Verdopplung von Konsonanten vor _;" ist auch messapisch. Auf lexikahschem Gebiet lässt sich dasselbe beobachten. Neben tem- 'schneiden' (att. rifAvcj, dor. xät-ivco) liegt eine synonyme Wurzelform temp-'^), welche auf Thessahsch. Thrakisch und Lateinisch beschränkt ist: thess. Tif-iTtea, Tif-inri 'Einschnitt', Name des tief in das Fels- gebirge eingeschnittenen Peneiosthales. thrak. TinrcvQa Ort an einem Engpass^), lat. tempus Zeitabschnitt, temp-lu-m Abschnitt, Bezirk. Die Umbrer gehen in der Bezeichnung des Feuers mit den Griechen, Armeniern und Germanen zusammen: umbr. pir, gr. tvvq. armen, hur ^), ahd. fuir (vgl. cech. pyr 'glü- hende Asche') gegen lat. ignis, asl. ogm. lit. ngnis, skr. agni-. Das oskisch-umbr. Wort für 'Gemeinde' (osk. xioFto. umbr. tota) ist auch keltisch. iUyiüsch, gennanisch und litauisch, fehlt aber den Römern, die dafüi- civitas haben. Ebenso berührt sich das vom Indischen nur wie ein Dialekt verschiedene Iranische in Einzelheiten mit den westidg. Sprachen, während das Indische ab- weicht: skr. indina -meiner' avest. mana, altpers. mana^ asl. mene, lit. mane ; avest. paifi, altpers. patig: dor. Ttori; altpers. rädiy wegen : asl. radi -gratia' ; avest. aeva, altpers. aiva : gr. olßog (skr. eka-). Solcher Fälle lassen sich noch viele nach-

1) Das Verhältnis von temp- zu tem- lässt sich nicht weiter auf- klären; denn wenn man -p als ,. Wurzeldeterminativ bezeichnen wollte, wäre nichts damit erklärt.

2) Liv. 38, 41 : aliae augustiae circa Tempyra excipiunt : hoc loeo nomen est.

3) Wahrscheinlich war das Wort auch thrakisch: ob es aber in den Personennamen NeoT6-:ivQig, rr}:ial-7iv(jig, Purula steckt (Tomaschek, Thraker II 2, 21), ist fraglich.

412 Xn. Das Griechische als Einzelsprache.

weisen. Die Ainiahme, dass hier überall die dialektische ße- schi'änkung unursprünglich sei, beruht nur auf der unbewiesenen Voraussetzung einer der mundartlichen DiWerenzirung vorher- gehenden Spracheinheit; bei den lexikahschen Fällen ist diese Annahme an sich denkbar und teilweise vielleicht zutreffend, nicht aber gegenüber Üebereinstimmungen wie der thessalisch-messa- pischen Genitivbildung.

Mit den aufgezeigten Thatsachen steht die Wellentheorie weit besser in Einklang. J. Schmidt (Yerwandtschaftsverh. d. idg. Sprachen S. 28) stellt sich die Entstehung der Einzelsprachen so vor, dass ein Geschlecht oder ein Stamm das Uebergewicht über seine nächste Umgebung gewann und seine Sprachvarietät daher die der Nachbarstämme verdrängte : er erinnert an die immer mehr wachsende Macht des Attischen und des Lateinischen, welche in ihrem Sprachgebiet sämthche übrigen Dialekte erdrückt haben, ferner des Neuhochdeutschen, welches in nicht zu langer Zeit die gleiche Vernichtung der deutschen Dialekte vollbracht haben werde. Man könnte nun freihch gegen diese Erklärung der Sprachentstehung den Einwand erheben, dass es sich in letzteren Fällen um Verhältnisse handle, wie sie für die praehistorische Zeit nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden dürfen. Nur seine litterarische Bedeutung hat dem attischen, hat dem neuhoch- deutschen Dialekt den Sieg über die verwandten Mundarten er- raöghcht ; imr die straffe Organisation der zielbewussten römischen Politik hat die Ausbreitung der lateinischen Sprache über Italien, flispanien, GalHen. Dacien zu bewirken vermocht. Die Ab- grenzung des Keltischen, des Germanischen, des Thrakischen lässt sich auf diesem Wege nicht so leicht erklären, denn die Träger dieser Sprachen stehen noch in historischer Zeit auf einer Kulturstufe, welche die Annahme analoger Vorgänge schwierig macht. Andererseits können sich die Vertreter der Spaltungs- theorie für ihre Ansicht darauf berufen, dass auf germanischem Gebiet eine entschiedene Divergenz in der Dialektentwicklung zu beobachten ist. Die germanischen Dialekte, Deutsch, Friesisch, Angelsächsisch, Altnordisch gehen allmählich immer weiter aus einandei- und wachsen sich schliesslich zu selbständigen Sprachen aus. Dass in der Periode, welche man als die urgermanische zu bezeichnen pflegt, noch einheitlichere Sprachverhältnisse bestanden, darf zugegeben werden. Die germanische Sprachentwickkmg lässt sich also mit der griechisclien ganiicht vergleichen; und

Die Entstehung der Einzelsprachen. 413

wenn es ein einheitliches Urgennanisch gegeben hat, braucht es darum nicht auch ein einheitliches Urgriechisch gegeben zu haben. Aber auch das I^rgemianische war vielleicht viel stärker dialek- tisch dififerenzirt, als mau gewöhnlich annimmt ; seine Einheitlichkeit beruht ja zum Teil nur auf Konstruktion. Man begeht hier denselben Fehler wie bei der Erschhessung der idg. Ursprache: man hält alle sprachlichen Uebereinstimmungen für alt, alle Differenzen für jung. Diese Ansicht mag auf germanischem Gebiet in vielen Fällen zutreftend sein denn ohne Frage ist hier die Differen- zirung durch die erst in nachchristlicher Zeit eingetretene Aus- breitung der Stämme sehr gefördert worden aber nicht alle Differenzen brauchen jung zu sein und anderei-seits können in älterer Zeit dialektische Unterschiede bestanden haben, die später durch Ausgleichung beseitigt sind, eine MögHchkeit. welche ge- wöhnhch nicht in Betracht gezogen wird. Wir sehen also in der Sprachgeschichte unausgesetzt zwei Prinzipien wirksam, das dif- ferenzirende und das assimilirende : jenes wirkt trennend, zei-setzend. dieses verbindend, zentripetal. Je nachdem das eine oder das andere die Oberhand hat. entstehen entweder neue Dialekte oder verschmelzen alte zu einem Sprachganzen,

Diese Erörterungen zeigen soviel, dass die Frage nach der Entstehung der Sondersprachen nicht mit einer einzigen Theorie beantwortet werden kann. Dieses schwierigste Problem der idg. Sprachgeschichte bedarf zu seiner Lösung einer breiteren Grund- lage. Die Sprachfrage ist zugleich eine Völkerfi-age, die Ent- stehung der Einzelsprachen uuzerti'ennHch von der der Einzel- nationen, welche das Produkt noch vieler anderer Faktoren ausser dem sprachlichen sind. Karl Lanip recht beginnt seine Deutsche Geschichte mit einer Geschichte des deutschen Nationalbewusst- seins: er zeigt, welche Wandlungen dieser Begnff im Verlaufe seiner Entwicklung dm'chgemacht, einen wie vei-schiedenen Inhalt er in den einzelnen Epochen der deutschen Geschichte gehabt hat. Wir lernen daraus, dass man sich auch die Entstehung der Nationalitäten auf indogermanischem Gebiet so wenig wie ihre weitere Entwicklung als eine überall gleichartige vorstellen darf. Die mitwirkenden Faktoren werden teilweise dieselben, aber der Hergang im Einzelnen gewiss ganz vei-schieden gewesen sein. Bei der Bildung der griechischen, der itahschen, der arischen Nation hat wahrscheinHch die geogi'aphische Isolirung mitgewirkt.

414 XII. Das Griechische als Einzelsprache.

Aber für die nordindogermaiiischen Völker kann dieser Faktor nicht in Rechnung gestellt werden: Kelten, Germanen, Slaven. Thraker, Illyrier waren nicht durch natürliche Grenzen so scharf von einander geschieden, dass sich dadurch ihre nationale Ab- grenzung erklärte. Der Hauptfaktor war hier wohl jenes assimi- lirende, zentripetal wirkende Prinzip, für welches wir weiter keine Erklärung geben können : indem sich in einer Gruppe von Stämmen Gleichheit der Sprache, des Rechts, der Rehgion, der materiellen Kultur ausbildete, gerieten sie immer mehr zu den Nachbarvölkern in Gegensatz. Aber wie dieser Prozess im Einzelnen verlaufen ist, lässt sich für den idg. Norden noch weniger erraten als für den Süden, der früher in das Licht der Geschichte getreten ist. Die Anfänge dieser Entwicklung können bis in eine sehr ferne Urzeit zurückreichen. Mit was für Zeit- räumen wir zu rechnen haben, erkennt man jetzt, wo es wahr- scheinlich geworden ist, dass die Thraker schon mindestens im Beginn des III. Jahrtausends nach Kleinasien übergewandert sind; es ist das ei"ste Datum, welches wir für die idg. Urzeit haben. Schon damals muss thrakisches Volkstum und thrakische Sprache gegen die Nachbarvölker abgegrenzt gewesen sein, wenn auch vielleicht noch nicht so scharf wie später. Das Resultat dieser nationalen Entwicklung ist bei den einzelnen Völkern zu der Zeit, wo sie uns zuerst in der Geschichte entgegengetreten, ein verschiedenes *). Wir haben hier nur die Aufgabe, die Ver- hältnisse auf griechischem Gebiet ins Auge zu fassen.

1) Ich erinuere an die eigentümlichen Verhältnisse auf illyrischem Gebiet, die Zwitterstellung, welche die Veneter zwischen Südillyriern und Italikern einnehmen. Auch in Italien stehen sich zwei dialektisch stark differenzirte Völkergruppen gegenüber; es ist sehr bemerkenswert, dass der Umbrer und Osker für so gewöhnliche Begriffe, wie Haus, bauen, Feuer, Gemeinde, Behörde andere Ausdrücke hat, als der Römer. Die Kelten scheinen ebenfalls aus zwei Stammgruppen zu bestehen {Bertrand et S. Reinach, Les Celtes dans les vallees du Po et du Danube S. 28 ff., deren Hypothese ich freilii^h noch nicht gründlich habe prüfen können). Singular ist das Verhältnis zwischen Slaven und Litauern: sie stehen sich näher als Slaven und Germanen, aber ferner als etwa Polen und Russen; man muss also annehmen, dass nachdem eine lituslavieche Völkergruppe sich zu kondensiren begonnen hatte, sich innerhalb derselben zwei neue Gruppen herausbildeten. Die Arier haben sich durch die Abtrennung der Inder in zwei Teile gespalten ; auch die ungeteilten Arier waren aber schon diflereuzirt : wie oben bemerkt, sind nicht alle sprachlichen Unter- Bcbiede zwischen Iranisch und Indisch jünger als die Trennung.

Die Entwicklung der griechischen Nationalität. 415

Die liistorische Ueberlieferung lehrt uns die Hellenen nicht als Nation, sondern als eine Gruppe von Stämmen kennen, denen das Gefühl der Zusammengehörigkeit noch so fremd ist, dass sie sich nicht mit einem Namen benennen. Erst etwa im \T^II. Jahrhundert ist das Nationalbewusstsein so weit, dass es einen gemeinsamen Namen fordert und sich schafft, indem es den eines damals bereits verschollenen kleinen Stammes, der "Ellriveg, hierzu erhebt^). Der Entwicklungsprozess, welcher zu diesem Ergebnis geführt hat. lässt sich, weil er in praehistorische Zeit fällt, nicht mehr in allen seinen Phasen erkennen, aber einige Momente des- selben können wir doch angeben. Ich weise zunächst noch ein- mal auf die speziellen sprachlichen Beziehungen zwischen den nordgriechischen Dialekten und den nichtgriechischen Nachbar- sprachen , sowie auf die eigentümliche Stellung der Makedonier hin. Diese Thatsachen bringen uns der urzeitlichen Epoche näher, wo die Griechen nichts als eine Gruppe indogermanischer Stämme waren, welche von ihren nördlichen Nachbarn noch nicht irgend scharf geschieden war. Es ist möglich, dass ihre Ver- schmelzung mit der ..karischen" Urbevölkerung, welche ein neues Element in jene idg. Stämme hineinbrachte, zu ihrer nationalen Abgrenzung beigetragen hat. Der wesentlichste Faktor derselben war aber die Ausbildung einer gemeinsamen Kultur. Wir wissen jetzt, dass um die Mitte des II. Jahrtausends v. Chr. in Griechen- land, namentlich auf seiner Ostseite und den Inseln des Aegaei- schen Meeres eine einheitliche materielle Kultur herrschte. Die sogen, mykenische Kultur ist in der That von einer wunderbaren Gleichförmigkeit, in Thessalien, Attika, Argolis, Lakonien, auf den Inseln genau dieselbe ohne wesentliche lokale Unterschiede. Es liegt nahe, anzunehmen, dass eben in jener Periode das grie- chische Volkstum sich konsohdirt hat. Freilich muss man sich hüten, aus der Uebereinstimmung der materiellen Kultur allzu- weit gehende Folgerungen zu ziehen. Ed. Meyers Hypothese, dass der Völkerwanderung ein grosses Reich von Argos vorher- vorhergegangen sei (Gesch. d. Alt. II 188), hat Wilamowitz

1) Der Vorgang ist ungefähr derselbe als wenn im vorigen Jahr- hundert teutonisch für germanisch gesagt wurde. Solche Gesamtnamen pflegen nicht vom Volke auszugehen. Der hellenische Name war auch in ältester Zeit schwerlich volkstümlich; er ist deshalb Semiten, Iraniern und Indern fremd geblieben.

416 XII. Das Griechische als Einzelsprache.

(Eurip. Herakl. I^ 5 Anni.) wohl mit Recht zuiückgewiesen. Auch auf religiösem und sprachHchem Gebiet hat keine völlige Einheit bestanden. Eine urgiiechische EeKgion lässt sich so wenig ei"schhessen . wie eine urgriechische Sprache i). Die Kulte sind erst durch Verbreitung von Stamm zu Stanim'gemeingriechisch geworden, manche erst in relativ jmiger Zeit. Wie erst die Phantasie der epischen Dichter über der unendlichen Zei-spHttening griechischen Götterwesens sich das Gesamtbild des olympischen Göttei-staates geschaffen hat, ist bei Rohde, Psyche S. 117 dar- gelegt. Ebenso haben sich die charakteristischen sprachhchen Merkmale, welche das Griechische von den übrigen idg. Sprachen unterscheiden, von einem Dialekt aus über das ganze griechische Gebiet verbreitet. Lehrreich dafür ist folgender Fall. Die ge- meingriecliische Assimilation von unbetontem £ an benachbartes 0 ist jünger als che auf den aiohschen Dialekt beschränkte Barytonese : dies lehrt aiol. iöorreg gegenüber sonstigem döovceg *) ; vgl. J. Schmidt. Z. f vgl. Sprachf. 32, 329. Jünger als diese Assimilation wieder ist die Entwicklung von gu zu ß, welche vor dunklen Vokalen gemeingriechisch, vor hellen auf das Aiolisclie beschränkt ist: vgl. ötiolog mit ri/ji-wöfAiov (J. Schmidt a. a. 0. 322).

Aber die Entwicklung aus der Zersplitterung zm- Einheit der Kultur hat sich bei den Hellenen nicht geradhnig vollzogen. Diese in der mykenischen Epoche beginnende Entwicklung ^^•ird jäh unterbrochen durch jene Völkerbewegung, welche die Sage als die dorische AVanderung bezeichnet. Die Gleichförmigkeit der materiellen Kultur, welche vorher hen-schte , ist jetzt dahin : überall treten lokale Unterschiede hervor. Etwas anders hat diese Umwälzung auf die Sprache gewirkt. Indem die Dialekte der eingewanderten Dorier, Boioter, Thessaler usw. mit denen der alten Bevölkerung verschmolzen, wurde der si)ra('hliche Ab- stand, der die vorher in Epirus und im Pindos sitzenden roheren Stämme von den Trägem der mykenischen Kultur getrennt hatte

1) Dasselbe gilt m. E. für die germanische Religion: auch hier ge- langen wir nur durch unberechtigte Identifizirung verschiedener Gott- heiten zu einer ur- und gemeingermanischen Religion.

2} Unrichtig urteilt hierüber Hoffmann, Griech. Dial. II 311, weil er die aiolische Barytonese ohne genügende Gründe für sehr jung hält (a. a. 0. 527 ff.).

Schluss. 417

und der. wenn wir oacli dem Makedonischen urteilen dürfen, recht bedeutend gewesen ist, zwar ausgeghchen, aber da die sich mischenden Dialekte von einander ab>vichen und die Verschmelzung nicht überall tdeichmässig verlief, so trat an die Stelle der alten Zei^pHtterung nur eine neue. Die sprachliche Einigung der griechischen Nation hat sich erst Jahrhunderte später vollzogen. In den von der ^Völkerwanderung weniger betroffenen asiatischen Kolonien setzt sich die Kulturentwicklung der mykenischen Epoche fort und breitet sich rückkehrend nach dem Mutterlande aus. AVas der ionische Stamm begonnen hatte, führt der attische zum Ziel: der attische Dialekt wird zur gemeingriechischen Sprache, zuei-st in der Litteratur. dann auch in den Kanzleien und im Umgang der Gebildeten, zuletzt auch unter dem Volk. Erst damit hat sich das Griechische zur ..Einzelsprache" entwickelt. Und diese Einigung war eine radikale : das bedeutsamste Ergebnis der ueugiiechischen Sprachfoi-schung bildet die Erkenntnis, dass die alten Dialekte heute bis auf gelinge Reste untergegangen sind, die moderne Volkssprache nur eine Fortsetzung der einheit- lichen hellenistischen Gemeinsprache ist.

Kretschmer, Einleit. in d. Gesch. d. gr Sprache. 27

Exkurs zu S. 305.

Von Götternamen abgeleitete griechische Orts- namen.

In der Frage, ob die Stadt ^AS^f^rai ihren Namen von der Göttin ^A&r^v}j erhalten hat oder umgekehrt diese nach der Hauptstätte ihres Kultes als die athenische bezeichnet worden ist, hat sich jüngst Ed. Meyer (Gesch. d. Alt. II 115) für die zweite Möglichkeit entschieden mit Berufung darauf, dass kaum ein alt- griechischer Ortsname von einem Götternamen abgeleitet sei. ausgenommen etwa J7or , und dass ferner ein Ortsname „die Atheua's" absurd sei. Keines von beiden Argumenten ist stich- haltig. Das zweite wird schon durch das eine Beispiel OiXinnoi widerlegt: noch in der Zeit Philipps II. war also der Sprach- gebrauch lebendig, den Plural eines Pei-sonennamens als Oi-ts- namen zu verwenden. Ad. Wilhelm (Mitt. aus Oest. XV 116) hat femer aus dem Ethnikon 2rjuwvdrig einer Inschrift von Artemision den Ortsnamen ^riiu^vSai erschlossen, der dann weiter nichts als der Plural eines Pei-sonennamens »jtawrdfjc wäre*). Zu KXii'iv wird der Plural KXtojvai gebildet, weil Orts- benennungen auf -et; nicht gewöhnlich sind. Daneben tritt in älterer Zeit eine nicht minder eigentümliche Bildung des Orts- namens als Femininum des Personennamens auf: '^EqiuovaA.io^ AWfiri am Tyras (Strab. VII 306) heisst gewöhnlich 'EQfiiufaaaa,

1) Einen Ort Kecjvdat erkennt Wilhelm auf einem Psepbisma von Histiaia, indem er Keiövdov wieder als Ethnikon fasst.

Griechische Ortsnamen. 419

nacli Skvimios (bei Steph, B. s. v.) auch 'EQuiuveta. In liellenis- tischer Zeit ist die Ableitung auf -eia die übliche: ^^ketdvdgeia, ^^iTtöyeia, ^eKti'/.eict, vivaiudyeia, A7id(.teia, l^iTiyoveia usw. Von älteren Ortsnamen geliöit hierher wohl Xaigioreia als Stadt eines Xaigtov, ^laujictveia (Hekat. , yictumniov Hellanik. bei Steph. B. s. V.) von einem ^du/rcjv. Selten scheint die durch Jr^ui^Toidg von JriUtjzQiog vertretene Bildungsweise; verwandt wäre nToleucctj; (aus "^Ilro/.euai-iS), wenn die Städte dieses Namens nach JJio'kEucäoQ, nicht nach der Pnnzessin nToXef.iaCQ benannt sind. Frauennaraen wie BeoeviAr^, ^OlvuTtidg, Agoivor^, Oi/MTf-ga wurden ohne weiteres als Stadtnamen verwendet.

Genau in derselben Weise werden von Göttern amen Orts- namen abgeleitet. In jüngerer Zeit hen-schen die Bildungen auf -/«, -lov, -/«cvor: 'Eoriaia, ^^7to?J.cjria, Iloosidcovia, Iloreidaia, t4q^Qodiria, l^q'Qodiaidg {uno Tr^Qyiqoodiir^Q, Zopyros bei Steph. B.), '^Hgaia, '^Hod/.Ktia. ^ijUrirQior, "Eouaiov. Endete der Name der Göttin selbst auf -la, so konnte er unverändert als (Drtsname dienen: Bovdeia in Thessahen nach der Athena Bovdeia der „RinderanschiiTenden" , daneben Bovdeioi' (IL JT 572); ^ÖQd^ia nach der Artemis 'OgS^la. Das arkadische Dorf Nooria (Theo- pomp), auch Neovdvr^ (Paus. \1J1 7, 4) und NeoTarla (Ephoros bei Steph. B.) genannt, hiess vermutlich nach einem Beinamen der Köre, Noocla oder Nsazdir^ (von reo- zurückkehren). Auch sonst dient einfach der Name der Göttin als Ortsname. Stud- niczka (Kyrene S. 134) hat so KvQt'pr^ gedeutet und treffend den modernen Gebrauch von Heihgennamen als Ortsnamen verglichen : Satita 2Jaria, San Giminiano. San Sebastian, Sankt Moritz u. a. Wie der Heihgenname zunächst auf die Kirche, dann auf den bei dieser befindlichen Ort übertragen wird , so wurde auch bei den Griechen das Heiligtum und der zugehörige Ort der Kürze halber mit dem Namen der Gottheit belegt. So war ^^Xea bei StMupLalos nach der dort verehrten Athena '^Af'« genannt. Doch sucht man zuweilen den Ortsnamen von dem der Göttin auf irgend eine Weise zu unterecheiden : z. B. heisst die kretische Stadt '^TiTsqa^), die daselbst verehrte Göttin a^'^oreuig a ATtveoa 'Cauer Del.^ 12850), die ,.üngeflügelte", wahrscheinlich so genannt, weil ihr Kultbild hier der archaischen Darstellungsweise entgegen

1) liTTtagaiatv auf Münzen ist durch Assimilation des e an das benach- barte a aus M.TT£gat'öj»' entstanden.

420 Von Götternamen abgeleitete griechische Ortsnamen.

ohne Flügel gebildet war; ähnlich erklärt sich bekanntlich die Nr/.r^ anzBoog d. i. Athena Nike in Athen. Der Name der boiotischen Stadt Uotviul^) wird teils proparoxy tonirt , teils oxrtonirt, letzteres wohl zum Unterschied von den daselbst ver- ehrten IIoTviai, Demeter und Köre. Der Plural eines gött- lichen Beinamens ist ^Alaly.OLisvai, von der Athena *L4?.aXy.o- iiivr^, der die Feinde und alles Unheil abwehrenden Göttin, be- nannt 2). Wenn als Epitheton derselben in der Ueberheferung vielmehr das Ethnikon ^A/.cih/.oiievr^ig {J 8) und \4)MX/,ouEvia (Steph. B.) erscheint, so hätten wir hier eine Parallele für das Verhältnis von ^A&Ti\vr] ^^O^ava : Ad^rjvai : ^^O^r^vala, ^Ad^avaia ^die Athenische'. Wie in \4la}:/.oiiEvai , TIoTviai, dient in 31e- /.airai (neben 3If/.ceivc(i) , Plural von Demeter MeXaira, und QeaTtiai der Accent zur Untei-scheidung von den Götteruamen. Die Namen männlicher Gottheiten waren weniger geeignet, ohne weiteres als Ortsbenennungen verwendet zu werden: von Zeus Olßiog wurde 'OXßia, von Zeus Olvf-i/tiog *0Xvf.t7iia abge- leitet. Dass JehpoL seinen Namen vom Apollon Jelcpinog hat, habe ich schon in der Deutschen Litt.- Zeit. 1893 Sp. 170 ver- mutet: jedenfalls bedeutet er nicht 'Schlucht' oder 'Wölbungen', denn de'Arfvg hat nirgends eine andere Bedeutung als Uterus.

1) In der Auffassung der Namen Potniai, Alalkomenai , Melainai, Thespiai berühre ich mich mit Useners Götternamen S. 225. 232 ti' , welche während des Satzes dieser Blätter erschienen sind. Seiner Ansicht, dass Gottesnanien und Ortsbezeichnung aus der Wurzel derselben Vorstellung emporgewachsen seien, kann ich jedoch nicht beitreten.

2) Vielleicht ist auch 'Eo/ousvög nach einem Beinamen der Perse- phone *^Eoxo^evt] s. v. a. Xoaria benannt.

Nachträge.

S. 61^. In Bezug auf die Bemerkimg des Ammianus ist hervorzuhelien. dass er mit Persae auch die Part her bezeichnet, denen bekanntUch skjihische Aljkiuift zugeschiieben wurde (Mommsen, Köm. Gesch. Y 341).

S. 8 1 ^ Dass das Wort Hercyyiia auch den südhcheren keltischen Stämmen nicht fehlte, zeigt der Xame der '^Eq /.ov- viaxai in Pannonien (vgl. S. 254 Amn.).

S. 88. Der Ausdi-uck aviTtTOTtodeg auf der Weihinscluift von Tralles ist, wie 0. Kern mit Recht bemerkt hat (Sitz. d. Berl. Ai'ch. Gesellsch., Febr. 1896). aus dem Ej^os entnommen, der Brauch selbst aber muss natürHch in Ljdien oiiginal ge- wesen sein.

S. 108. G. Meyer (Alb. Wh. s. v.) stellt zu asl. vrüzq, ahd. würgen u.s.w. auch alb. vierd- (zvjerd- entwöhne).

S. 130. Die Inschiift von S. Helenenberg mit Ariomanus s. jetzt CIL. in 11569.

S. 139. Bei Prtscian X 24 f. {H p. 517 GL. ed. Keil) ist im cod. R scisHdistis Afran., scisciderat Accius. sciscidimus^aey.. scisciderit Enu. überhefert.

S. 176. Der auch von Clemens Franke (in Leipzig) imter- suchte Tumulus von Saloniki, jetzt nach dem ".-^/tog ^WJag benannt, untei*scheidet sich diu'ch seine Grösse erheblich von den phrv'gischen Hügelgi'äbeni mid dürfte daher nicht wie diese niu- zm- Bestattung einer einzigen Leiche gedient haben. In jüngerer Zeit scheint sich an die Begi'äbnisstätte ein Kidt angeschlossen zu haben, denn es fanden sich nahe der Oberfläche Yasenscherben des rotfigmigen Stils.

S. 197. Plutarch, Isis u. Osh\ 69, nennt den Savazios nicht, sondern spricht allgemein von o dsog.

422 Nachträge.

S. 202^. Zu Kootäeior vgl. Köoig, wie der Tätowirer {aTi/.Tijg) bei Herodas V 65 heisst. gew-iss ein Thraker, der auf griechischem Boden den heimischen Brauch des Tätowirens als Gewerbe betrieb.

S. 206 ist '^ß oöoT oXa zu streichen.

S. 254. Der Xame der Akarnanen ist wohl von dem der Akanianien gegenüberHegenden Insel Kagvog al) geleitet, deren Eponym als Akaniane und Priester des Apollon Kanieios bei Pausan. HI 13. 4 ei-scheint

S. 257. BoitoToi von Böiov OQog: Hoffinann, De mixtis gi'aecae linguae dialectis S. 34. Ed. Meyers Deutung von Boionia als Rinderland (Gesch. d. Alt. II 191) ist sj)rachlich unmögUch: die Bildung des Namens bleibt dabei völhg unerklärt.

S. 262 (vgl. S. 266 2). Pauh wiU jetzt (Altital. Foi-sch. TL, Yorgi*. I. V. Lenin. 2. 200) die Diski'epanz z^vischen der venetischen und der albanesischen Sprache in der Weise erklären, dass er den Venetern ilhiische, den Albanesen aber thrakische Her- kunft zuschi'eibt. Ich halte diesen Ausweg aus den obwaltenden SchAnerigkeiten füi" einen sehi" unglücklich gewählten. Dass Pauh die tlu-akisch-phiygische Sprache völlig verkehrt beurteilt, wenn er sie fiü' eine iranische erklärt, hat schon Solmsen (Z. f vergl. Spr. 34, 39^) bemerkt und folgt aus den AusfLÜmmgen in Kap. YTL, 2. Andererseits hat es Pauli vei'säumt, zwischen dem Thrak.-Phryg. mid dem Albanesischen engere Berühinuigen nach- zuweisen, ^^'ie sie bei seiner Theorie zu erwailen wäi'en. Es ist ferner durchaus dai-an festzuhalten, dass die Albanesen auf illyri- schem, nicht auf thrakischem Boden sitzen: Pauli's gegenteilige Behauptimg ist gänzlich unbegründet. Meiner Ansicht nach ist die illjTrische Abkunft der Albanesen und der auf jeden Fall mit ihnen sprachverwandten Messapier riel ])esser verl)ürgt, als die der Veneter, welche doch in jüngerer Zeit nicht zu den Illpieni gerechnet wurden.

S. 273. Nachzutragen ist der Fluss Meaäniog auf Kreta, Skylax 47.

S. 289. Boettichers Ansicht (Arica j). 4) ist vielmehr dahin zu verstehen, dass ausser Phrygem, Lydern, Mysem auch die übrigen A^'ölker Kleinasiens arischen Stannnes geweüon seien; natürlich bleibt sie aucli so falsch.

8. 295 ff. In der Accentuirung der kleinasiatischen Eigennamen bin ich inkonsequent vcrfahrfii. Die meisten Ge-

Nachträge^ ^^

lehrten pflegen ziemlich willkürheh irgend eine Silbe zu betonen. Ich hielt es für lichtiger, in zweifelhaften Fällen den Accent ganz wegzulassen. Wie die einheimische Betonung war, wissen -vs-ir nicht, und die griechische können wh- im besten Falle nur er- raten. So düi'fen wh- aus einem Gen, auf -iovg wie '^iräoig, i4/telXeovg (auch '^7T€l^ol■g), KiUovg, Kolaßiovg, 3IavdQO[Uovg, lUaveovg, 3Iid^oc'ovg (auch Mi&otjovg), ^loXeovg, Korveovg, OnUovg, 'O'ieoig, Tezlovg (vgl. gr. l^QTsueovg) auf einen Nom. auf -rjg oder (da in dieser Zeit Acut imd Circumflex in der Aussprache nicht mehi' imterschieden wurden) -rjg schliesseu. denn die Flexion -■^g : -eovg ist dm-ch das Vorbild derer auf -y2r,g, -■/XLovg veranlasst; in -jyorg ist das ?j aus dem Xom, übertragen, S. 296. Nach :Mitteilung von Sethe findet sich aegn^t. ^T für d regelmässig auch in XTKIKS = Ja/.iv.og als Beinamen des Trajan. dagegen nicht in Claudius, Domitimi, Hadrian und anderen römischen Xamen : in diesen wü-d d einfach dm-ch T aus- gedrückt. Im Koptischen wird A nm- in gi-iechischeu Wörtern gebraucht. Ein dem gr. d, lat. d genau entsprechender Dental fehlte äugen scheinhch dem Aegyptischen.

S. 319 ^ Die vei-schiedenen lykischen Yariauteu von v, Y sind in der Umscln-eibimg schwer auseinander zu halten : ich ver- wende dazu ä (mit Imbert, BOR. Y 108). ö imd u. Da jeder die Inschi-iften selbst einsehen kann, koimnt auf die genaue Unter- scheidmig der fi-eüich nicht bloss gi-aphischen Varianten in der Transskription nicht so viel an.

S. 335 ff. Die Lokahsirang der Xamen war mit einigen Schwierigkeiten verbimden. Die ethnologischen Grenzen der ein- zelnen Landschaften Kleinasiens lassen sich bekannthch nicht mit irgendwelcher Schärfe ziehen und haben sich auch im Laufe der Zeit vielfach verschoben. An den Grenzen traten natm-gemäss Vennischungen der verschiedenen Völker em. die eme Scheidung der ethnischen Elemente öfter unmöghch macheu. Ausserdem ist der Fundort einer Inschrift nicht immer ün- Ursprmigsort. Dies alles und noch mehr der Mangel emes neuen Corpus der klein- asiatischen Inschriften hat die Bearbeitmig des Xamenmateriales sehr erschwert, hier und da rielleicht auch zu Inkonsequenzen geführt, die aber der Sache, um die es sich handelt, keinen wesenthchen Emtrag thun können.

Register.

Aale als Xabruugsmittel 75^

Abike 214-'

Abrostola 203. 206

Accent im Lat , Kelt., Germ. 115 f.

im Lett. 116

-- Dreisilbengesetz im Griecb. und Lat. 156 fif.

der griech. Lehnwörter im Lat. 157

im Aiol. 416

antike Benennungen 2^ Acvins 88 Adramj-ttion 390

Agni 91

Aigai 286

Aitoler 254 f.

Akarnanen254fr. 257. 422

Alalkomenai 420

Alarodier 400

Albanesen 260 fl". 422

Alea 419

Alexander L von Makedonien 283

Alexandrinische Grammatiker 1 ff.

Alphabet, phrygisches 240

lemnisches 408

Ivkisches 374

karisches 378. 3S0ff. 383 f.

lydisches 387 Augdistis 194 Aniptopodie 87. 421 Anna 344. 356^ Anthropologie 29 ff. Apollon Delphinios 420 Aptera 419 Arattho.s 258

Araxes 210 Argauthonios 137 Arier 129 ff.

Ariomanus 130. 271-. 421 Ariovistus 131 Armcne 210 Armenier 208 ff. Armenion 209 Arne 408

Arnossos 392. 406 Arsalos 359 Artemis Aptera 419

Orthia 419 Arybbas 2bS^ Arzapi 359 Askanios 186 f. 192 Askese 87 Assarakos 185^ Astakos 211 Aster 211 Athen, Name 418 Athen a *Alalkomene 420

Alea 419

Budeia 419 Atlas 84 f. Attaion 183

Attes 195. 350. 355 Atyadendynastie 390 A. Audasius 247^ Audoleon 247 Augment 117. 169 Axt, griech.-ar. Name 61

Babys 224 Baiake 281

Bär in der Steppe 58 Bardyllis 265. 271 Bargasa 392^ Barium 265 Barra 265 Basta 264 Hato 245 f. 251 Bebryker 20G Berekynter 186. 229 Beroia 203 Betonung e. Accent Birke in der Steppe 66 Hithyner 211 Blondheit 42 f. Bohne, Name 146 Boibe-See 210 Boioter, Name 257. 421

Register.

425

Bopp 7 Biigia 187' Bronzeperiode 52 Brünettheit 42 ff. Bryaxis 318 Bryger 229 Buche, Name 64 65* Budeion 419 Bunima 275 Bunnos 286 Bunomos 275. 286

Calabrer 260 Castellieri 254 Chalder 400

Daer 214

Daker 213 f.

Dardaner 185. 189flF. 245 f.

Dares 184

Darikios 184

Daunus 259

Deklination : Gen. Sg. der o-St. 275 ff.

Lok. PI. 16

bh- und »n-Suffixe 16. HO

Dat. Sg. im Phryg. 237

der ä-St. im Phryg. 237

der Pronomina im Phryg. 237

femin. o-Stämme 158 f. Delphi 420

Demetrias 419

Demodike 204^. 206

Demokrit 2*

Dialekte der idg. Ursprache 9 ff. 103 ff.

Dialektkunde, antike 2*

Dindymos 194

Dione 91

Dionysios Thrax 3

Dionysos 212. 240 f. 242«

Dioskuren 89

Dissimilationen 95 A. 216. 236^

Dodona 255. 257^

Doppelaxt, karische 305-

Dorylaion 183

Dreiperiodensystem 52*

Dyaus 78 f.

Edessa 286. 405 Enchelanen 75* Eos 82 f. Eostre 83 Epirus 254 ff. 281^ Erchomenos 420- Erdgöttin 83. 90 f. Etrusker 408 f.

Einnentheorie 30 f. Fische als Nahrung 75

Fj<frgynn 81

PVühling in der Steppe 66

Gerginer 190 f. Gergithen 188. 190 f. Geten 213 Glasinac' 250 Glossen 2* Gold, Name 150 I Gott, Benennungen 80 f. Grabhügel s. Tumuli Graecoitalische Hypothese 154 ff. Grammatik, Name 1 Grenze von Europa und Asien 63 Grosse Mutter 194. 233 Gyges 385 f.

Haarfärbung 42 ff.

Halys 208

Handelsverkehr in praehistorischer

Zeit 52 f. Hehu 49 Heraia 419

Heraklidendynastie in Lydien 386 Hercules 77 Hercynia 81*. 421 Herdgottheit 92 Hermonassa 418 Herodian 3' Hestia 92. 162 f. Hestiaia 419 Hiatustheorie 53 ff. Hierodulen 292 f. Hillyrier 245 Himmelsgott 90 Himmelsträger 84 f. Hissarlik 177. 180 Höhlenkunst 54 f. Hügelgräber s. Tumuli Hyakinthos 404

Iberer 143* Ilios, Name 183 Hos 183 Imbros 358 f. Indakos 359 Iran 131 Irminsäulen 85* Isaurer 396 Istrer 254

Janus 161 f. Japuder 252. 259 Japyger 259. 272 ff. Juppiter 78

' Kabalis 393 f. ! Kamasarye 222*

Kretschmer, Einleit. in d. Gesch. d. gr. Sprache.

28

426

Register.

Kandaon 389 A.

Kandaules 388f.

Kanebion 388^

Kappadoker 398 f.

Karer 376 ff.

Karische Inschriften 377 ff.

Kaukonen 207

Kaunier 383

Keoudes 418»

Keramik, kjprische 189 ff.

phrygische 175 ff.

troische 175 ff. Kibyra 393 f. Kilikier 396 fl'. Kindersprache 353 Kjokkenmoddinger 54. 56. 73. 75 Knossos 405

Komana 399'

Konjugation: Personalendung r 138 f.

Ä-Perfect 238

Part. Perf. Pass. 238

Perfektreduplikation 139 f. Konsonanten: Gutturalreihen im Idg.

103 ff.

Palatale im Lituslav. 108: Phryg. 229 f.; Alban. 262; Messap. und Illyr.; 265; Yenet. 266 f. 286 f.

Mediae .\spiratae im Kordidg. 111; Ital. und Griech. 155 f. : Phryg. 229 ; Messap. 265 : Illyr! 271. Venet. 267 f. 271: Makedon. 287f.

german. Lautverschiebung 112. 120. 123 f.

armen. Verschiebung der Mediae 124. 144 A.

i zu m im Thrak. 236 ; Dissi- milation von >n n zu b—n 236^

d zu s im Phryg. 196; Venet. 269

kt zu ht, tt im Illyr. 258. 269

kelt. gr. kt = skr. ki 105* 166 f.

nt zu nd in Kleinasien 293 ff.

gj zu ;■ im Thrak. 231.

fij zu vj, 158*

rj, IJ. nj U.S.W, zu rr, //, im im Messap. und Aiol. 278 f.

-m zu -n im Phryg. 236

Verdopplung 135 Kosis 422

Kotiaion 183. 202. 232 Kottunes 359 Kraniologie 35 ff. Kreta 407

Kroisos, Name 205. 388 Krya 383 Kureten 303« Kurgane 179

Kypros 398- Kys 388>

Labraundos 303 ff.

Labyrinth 404

Lallnamen 200. 334 ff.

Lallwörter 147». 353 ff.

Lamia 261-

Lamunia 174

Lasimos 282

Lasonier 394

Lautlehre, antike 1 f.

Lautsubstitution 121

Lautwandel, organischer 94

s. Konsonanten, Vokale.

Leleger 376

Lemnos, Inschrift 408

Lexikographie, antike 2

Linguistische Palaeontologie 20 ff.

48fi\ Longarus 246 Long barrows 40 ff. Lyder 384 ff. Lykaonier 396 Lykier 189. 370 ff. Lykpeios 247

Ma 194

Maes 207* ^

Mainaden 242«

Maioner 384 ff.

Maisades 215

Mandrolytos 395»

Manegordum 231

Manes 197*

Märchenmotive 85-

Mariandvner 207

Meda 21>

Medokos 216

Medopa 216''

Medosades 216

Men 197'

Monde 210

Mesolithische Periode 54

Messapier 263 ff. 272 ff.

Messapios-Fluss 422

Midaion 183

Midas 173 f. 199 f. 203 f.

Milyas 393 f.

Mise 196

Moeser 211. 226. 391'

Molosser 255. 256

Monunios 246

Mopsos 395'

Mucaporis 21 1

Mutallu 367. 398

Mvgdonen in Lydien 206

Mvkenische Kultur 180. 407

i

l

Register.

427

Mvlasa 395

Myser 211. 391 ff.

Mythologie, vergleichende 76fl'.

Nebensätze 13 Neptun 133 Neriton 28 Nestane 419 Niobe 204- Nomadenstufe 70 Nostia 419 Xusatita 242^

Odysseus 86. 280 f.

Oel, Name 112 f. 150

Olbia 420

Olympia 420

Olympias 419

Orminion 210

Oithia 419

Ortsnamen, griechische 418 ff.

kleinasiatische 193. 293 f. 302 ff.

phrygische 183. 203

thrakische 202 f.

illyrische 256 f. 260 Oseriaten 253

Paeligner 246

Paion 185

Paionier 185. 246 ff.

Paiopler 246

Pairisades 215

Paktolos 204

Palaxos 303-

Pamphylien 395

Panamaros 303"^

Panammii 397 f.

Pannonier 252

Paphlagonier 207

Parion 184

Paris 184f

Partaras 392

Passaron 256

Patraos 246 " \

Pella 275. 286^ '

Pelops 160^ 204

Pelso-See 253*

Perkunas 81

Perunü 82

Pfahlbauten 68 f.

Pferd in der Diluvialzeit 50*

Pferdezucht bei den Griechen 248

Phaiaken 281

Philippoi 418

Philoxenos 4*

Phoiniker, Name 172

Phorkys 86. 229

Phrygia (Ortschaften) 181*

I Pindos 259»

Pisider 393 f.

Pixodaros 318 ff.

Potniai 420 I Praehistorie 51 ! Priapos in Lydien 206 ' Priester, Benennung 81

Ptolemais 419

Rhea 195 Ruka 371 Round barrows 40 f.

Sakrale Ausdrücke im Idc. 81 Salz, Wort 67 Savaden 199. 222* Savazios 195 ff. 222^ 231 Schädelproportionen 34 ff. Scharia 281 Schrift s. Alphabet Seife 23 Seiler 87 Semondes 418 Sicilische Sprache 43» Side, Dialekt 300' Silber, Name 137 Silene 199 Sintflutsage 89» Skythen 61. 179 f. 214 Soiymer 393 Sonnengott 83. 84 Spaloxos 3032

Sprachvergleichung im Altertum Sprachwechsel 120 ff. Stammbaumtheorie 93 ff. 411 I Syennesis 397.

Tantalos 204 f.

Tarhundaraus 398

Tarkondimotos 363

Tarquinius 409

Tatavion 183

Tätowiren bei den lUyriern 252, in

Bosnien 252». bei den Thrakern

213 Tembrios 193 Tempe 411 Tempyra 411 Tergeste 253^ Termessos 393. 395 Termilen 370 Teukrer 185. 189 f. Teukriden SgS'^ Teukros 189. 190»- ^ Themisonion 203 Thraker, Name 171 f. Thvmbrios 193 Thyner 211

428

Register.

Tibia 1931

Tieion 207 i

Tiryns 402, 408

Tloer 189

Trailer 202 »

Tralles 384

Trarer 187

Transformation des Schädels 38 f.

Troer 177 ff. 182 ff. 189

Trokundes 363

Tudo 357 f. 392

Tumuli in Phrygien 174 ff. ; in Thra- kien 176. 179 in der Troas 176; in Bosnien 250 f.

Tyr 78

UralaltaischeSprachverwandtschaft28 Urheimat der Indogermanen 32. 56 ff. Urgermanische Spracheinheit 412 Usas 82 f.

Vasen s. Keramik

Veneter 266 ff. 422

Verbreitung der Indogermanen in

ältester Zeit 59 ff. Vesta 162 f. Vokale : idg. e 16 ff', idg. r l 18. idg.

cn 168. o zu a im Iran. 114*; Germ. 111 ff.

lUyr. 261. 265

0 im Thrak. 220 ff.; Maked. 287:

Venet. 266. 270 I -on zu -un im, Phryg. 223

ö zu ?7 im Phryg. u. Thrak. 224 f: Maked. 225; Thess. 225; Illyr. 264

i zu e im Thrak., Phryg., Thess. 225. 241

Wechsel von oi und ü im Thrak.- Phryg. 226 f.

M-Diphthonge im Thrak. 228; Messap. 264 f.

Vokalsynkope im Thrak. 228

karischer Vokalismus 378 ff.

' Wellentheorie 94 ff. 412. ! Wespe, Name 102 Wirtschaftliche Stufen 70

Zahlwörter 10. 138. 144 f.

Zbelthiurdos 170* I Zeus 78 f. I Bqovzwv 199. 241

Chrysaor 305

Kariös 375

Olbios 420

Olympios 420 Ziege, Name 69* Ziu 78

Druck der Üniv.-Buehdruckeroi von E. A. Huth in Oöttintfen.

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